Deutsches Verfassungsrecht 1806 - 1918, Eine Dokumentensammlung nebst Einfuhrungen: 1. Band: Gesamtdeutschland, Anhaltische Staaten und Baden

Deutsches Verfassungsrecht 1806-1918

Michael KotuUa

Deutsches Verfassungsrecht 1806-1918 Eine Dokumentensammlung nebst Einführungen 1. Band Gesamtdeutschland, Anhaltische Staaten und Baden

^ S

Professor Dr. Michael Kotulla, M.A. Universität Bielefeld Fakultät für Rechtswissenschaft Lehrstuhl für Öffentliches Recht, insbes. Umwehrecht Postfach 100131 33501 Bielefeld [email protected]

Gedruckt mit Unterstützung des Förderungs- und Beihilfefonds Wissenschaft der VG WORT ISBN-10 3-540-26013-7 Springer Berlin Heidelberg New York ISBN-13 978-3-540-26013-4 Springer Berlin Heidelberg New York Bibliografische Information Der Deutschen Bibhothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibhografie; detailherte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar. Dieses Werk ist urheberrechthch geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung oder der Vervielfähigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehahen. Eine Vervielfähigung dieses Werkes oder von Teilen dieses Werkes ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen der gesetzhchen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes der Bundesrepublik Deutschland vom 9. September 1965 in der jeweils geltenden Fassung zulässig. Sie ist grundsätzhch vergütungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterhegen den Straft,estimmungen des Urheberrechtsgesetzes. Springer ist ein Unternehmen von Springer Science-hBusiness Media springer.de © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2006 Printed in Germany Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Layoutarbeiten: Schreib- und Korrekturservice Manuela Ebert, Mannheim Umschlaggestaltung: Erich Kirchner, Heidelberg SPIN 11428596

64/3153-5 4 3 2 1 0 - Gedruckt auf säurefreiem Papier

Für Anette, Katharina und Michael Alexander

Vorwort

Nach wie vor verfügen die Fachwissenschaften nur über einen höchst unzureichenden Kenntnisstand der das deutsche Verfassungsrecht in der Zeit zwischen 1806 und 1918 betreffenden Quellen. Das mit dem vorliegenden ersten Band ins Leben gerufene, auf mehrere Bände konzipierte Werk zielt insoweit auf Abhilfe. Es vermag dem interessierten Fachpublikum eine erste Vorstellung von der Fülle des Materials zu geben, mit der sich der Verfasser und Herausgeber im Rahmen des von ihm initiierten und geleiteten Projektes „Deutsches Verfassungsrecht in der Zeit zwischen 1806 bis 1918" beschäftigt. In dem eigentlichen, immerhin etwa 1.500 (von insgesamt rund 2.000) Druckseiten ausmachenden Quellenteil des ersten Bandes werden zum Teil nur schwer zugängliche ~ bislang mitunter sogar nur handschriftlich verfugbare - Dokumente thematisch geordnet zu einer umfangreichen Quellensammlung zusammengeführt. Großen Stellenwert dabei hat die authentische, d. h. buchstaben- und zeichengetreue Übernahme der Texte, um stets eine der Originalvorlage möglichst nahekommende Quelle präsentieren zu können. Auf diese Weise ist es möglich, mit den abgedruckten Texten zu arbeiten, wie es ansonsten nur die Verwendung der jeweiligen Originalfassung erlaubt. Diese Texte werden im ersten Band, wie auch in den noch folgenden Bänden jeweils von einer ausführlichen historischen Einführung begleitet. Für die vielfältige Unterstützung bei dem Zustandekommen dieses Werkes bin ich den ehemaligen wie derzeitigen Mitarbeitern meines Lehrstuhls - Frau Doris Andresen, Frau Anja Rüger und Frau Anke Wöhler sowie den Herrn Özkan Arikan, Cibrayel Cetin, Andre Erpenbach, Rüdiger Fleischmann, Süleyman Kolcu, Tim Ostermann, Philipp Sprick, Christoph Thies und Marcel Welsing - zu Dank verpflichtet. Insbesondere der unermüdliche Einsatz, mit dem Herr Fleischmann über die letzten Jahre hinweg bei der Beschaffung der einzelnen Textvorlagen mitwirkte, trug wesentlich dazu bei, den ersten Band in verhältnismäßig kurzer Zeit fertigstellen zu können. Femer sei Herrn Staatsanwalt Michael Kreischer (Mannheim) dafür gedankt, daß er es auf sich nahm, die einschlägigen Dokumente der provisorischen Regierung Badens (Dok. 221-230, 232, 233, 235-238) zu besorgen. Ein besonderes Dankeschön soll an dieser Stelle auch an Herrn Jerome Germain (Centre d'Etudes et de Recherches constitutionnelles et politiques - Universite Toulouse 1) für die exzellente Zusammenarbeit im Rahmen der Übersetzungsarbeiten zu einer Reihe von iSranzösischsprachigen Texten - namentlich der zahlreichen AUianzverträge aus dem Jahre 1813 (Dok. 16-29) und des Frankfurter Territorialrezesses vom 20. Juli 1819 (Dok. 31/5) - gehen. Zudem habe ich Frau Brigitte Reschke vom Springer-Verlag für ihr die Publizierung dieses Werkes

VIII

Vorwort

ermöglichendes Engagement und gesondert noch einmal dem Springer-Verlag für dessen Bereitschaft, das längerfristig angelegte Buchprojekt in sein Programm aufzunehmen, Dank zu sagen. Obendrein darf ich mich bei der VG-Wort für den großzügigen Druckkostenzuschuß bedanken, der die Herstellung dieses Bandes ungemein erleichtert hat. Schließlich schulde ich einmal mehr meiner Ehefrau Anette sowie meinen Kindern Katharina und Michael Alexander einen ganz besonderen Dank dafür, daß sie mein aufwendiges Arbeitspensum für dieses Werk mit so viel Verständnis und bewundernswerter Geduld ertragen haben. Bielefeld, im Februar 2005

Michael Kotulla

Inhaltsübersicht

Inhaltsverzeichnis Chrononlogische Dokumentenübersicht Quellennachweise Vorbemerkungen....

XI ...XXXI .....XLVII ..............1

Teil 1: Historische Einführungen 1. Abschnitt: Gesamtdeutsche Verfassungsentwicklung (1803/06-1918) Absatz-Nr.

§ 1: Das Ende des alten Reichs. §2: Der Rheinbund. § 3: Der Deutsche Bund (1815 - 1866) § 4: Reichsverfassungsbestrebungen 1848 - 1850...... §5: Norddeutscher Bund § 6: Deutscher Zoll-und Handelsverein § 7: Deutscher Bund/Deutsches Reich (1871 - 1918)

Seitenzahl

1 .....10. 37 261 331 386 ..........398

.....13 18 30 151 189 217 223

2. Abschnitt: Verfassungsentwicklung der deutschen Einzelstaaten (1806-1918) § 8: Anhaltische Staaten §9: Baden......

589 711

317 369

Teil 2: Verfassungsdokumente 1. Abschnitt: Gesamtdeutsche Verfassungsdokumente (1803/06 -1918) § 1: Ende des alten Reichs (1803/06).. §2: Rheinbund §3: Deutscher Bund (1815-1866) § 4: Deutscher Zollverein §5: Einheitsbestrebungen (1848-50).. § 6: Norddeutscher Bund §7: Deutscher Bund/Deutsches Reich (1870/71 - 1918)

,.

457 495 ....589 835 1029 1113 1189

X

Inhaltsübersicht

2. Abschnitt: Verfassungsdokumente der deutschen Einzelstaaten (1806 -1918) § § § § §

8: Anhalt.......... 9: Anhalt-Bemburg 10: Anhalt-Dessau (-Köthen) 11: Anhalt-Köthen 12: Baden

1331 1409 1467 1521 .....1565

Inhaltsverzeichnis

Chrononlogische Dokumentenübersicht.. Quellennachweise....

XXXI XL VII Seitenzahl

Vorbemerkungen....... I. Ausgangspunkt... ,. II. Editorisches Anliegen., , III. Auswahl und Zusammenstellung der Verfassungsdokumente 1. Auswahl 2. Quellenvorlagen 3. Zusammenstellung IV. Formalia. V. Historische Einführungen , VI. Benutzerhinweise.........

......1 1 4 4 ..4 6 7 8 9 10

Teil 1: Historische Einführungen 1. Abschnitt: Gesamtdeutsche Verfassungsentwicklung (1803/06-1918) Absatz-Nr.

§ 1: Das Ende des alten Reichs §2: Der Rheinbund.....

,

Seitenzahl

.1

13

10

.18

§ 3: Der Deutsche Bund (1815 -1866) 37... 30 I. Der Wiener Kongreß. 37 ..30 I.Charakteristika .....38..... .....30 2. Territoriale Neuordnung 41 31 3. Die deutsche „Verfassungsfrage" 48 34 IL Die „Grundgesetze" des Deutschen Bundes 66 45 III. Rechtscharakter des Bundes 69 47 IV. Mitglieder- und Territorialbestand des Bundes 70. 48 V. Bundeszweck und Bundeskompetenz , 78 52 VL Perpetuierung des Bundes 80 53 VII. Handlungsoptionen des Bundes 83 .....56 1. Quasi-legislativisch 84....... ...56 2. Quasi-exekutivisch 85 .......56 3. Quasi-judikativisch...... 86...............57 VIII. Die Bundesversammlung 87... .....58 1. Die Bundesversammlung als Bundesorgan 87 ........58 2. Das Verfahren in der Bundesversammlung 97 62 IX. Aufgabenwahmehmung durch den Bund..... 99.. .......63 L Innere Sicherheit 100 ..63 a. Ausräumung von Streitigkeiten zwischen den Mitgliedstaaten 101 63 b. Beilegung von Konflikten in den Mitgliedstaaten 106..... 65 aa. Mitgliedstaatliche Verfassungsstreitigkeiten ., 107.. , 66 bb. Konflikte zwischen Landesobrigkeit und Untertanen.............. 113 ...............68 c. Schutz des Bundesbestandes 116, ..69

XII

Inhaltsverzeichnis aa. Die Bundesausnahmegesetzgebung zwischen 1819 und 1830... 117 bb. Bundesseitige Maßnahmen seit der Juli-Revolution 1830..... 130 CG. Ende der Ausnahmegesetzgebung im Jahre 1848 155 dd. Restaurative Maßnahmen in der Folgezeit 156 d. Gebot der Bundestreue 176 e. Durchsetzung von Bundesrecht.... 177 aa. Bundesintervention .178 bb. Bundesexekution ., 185 2; Wahrnehmung äußerer Interessen 193... a. Gesandtschaftsrecht 194 b. Vertretung in auswärtigen Angelegenheiten 195 c. Kriegskompetenzen ; 198 X. Militärwesen des Bundes 201 1. Bundesmatrikel und Umfang des Bundesheeres 203 2. Kontingente 204 3. Oberkommando ; 205 4. Bundesfestungen 206 5. Einschätzung der Kriegsverfassung 208 XL Grundordnung der Mitgliedstaaten 209 1. DreiinstanzHche Gerichtsbarkeit 210 2. Landständische Verfassungen 215 3. Rechtsstellung der Mediatisierten 233 4. Individuelle Rechtsgarantien... 239 XIL Handels- und Verkehrsfragen 248 1. Reichweite der Bundeskompetenzen 248 2. Handelspolitische Einheitsbestrebungen „am Bund vorbei" 250 3. Deutscher Zollverein .....251 4. Weitere Wirtschafts- und Handelsfragen 255 XIIL Fazit 260 § 4: Reichsverfassungsbestrebungen 1848-1850 L Paulskirche 1. Vorgeschichte 2. Nationalversammlung und Reichsgewalt 3. Die Reichsverfassung vom 28. März 1849 4. Das Scheitern der Reichsverfassung IL Erfurter Union..!

70 77 92 .......93 103 103 104 107 110 110 110 112 113 114 ....116 116 ...117 119 120 120 122 135 139 143 143 144 145 147 150

261 261 261 274 288 300 307

151 151 151 157 166 170 174

§ 5: Norddeutscher Bund 331 I. Völkerrechtliche Rahmenbedingungen zur Neuordnung Deutschlands...331 IL Gründung des Norddeutschen Bundes 341 IIL Die Verfassung des Norddeutschen Bundes , 355 IV. Staatsrechtlicher Charakter des Norddeutschen Bundes 383

189 189 193 200 215

§ 6: Deutscher Zoll- und Handelsverein

386

217

§ 7: Deutscher Bund/Deutsches keich (1871 - 1918) 398 I. Rahmenbedingungen für die Reichsgründung 398 IL Die Luxemburg-Frage , 401 IIL Preußisch-französischer Konflikt in der spanischen Thronfolgefrage 403 IV. „Emser Depesche" und französische Kriegserklärung 404 V. Der Krieg mit Frankreich.... ...407 VL Versailler Präliminarfrieden vom 26. Februar 1871............. ..411 VIL Frankfurter Friedensvertrag vom 10. Mai 1871 ....412 VIIL Die „Novemberverträge" 413 1. Zustandekommen.... , ....413

223 223 224 225 226 .227 .228 229 229 229

Inhaltsverzeichnis

IX. X. XL XII.

XIII

2. Der badisch-hessische Vertrag .., „ 416 ,. 231 3. Die Verträge mit Bayern .....,.=.. 418 232 a. Beitritts-und Verfassungsneuordnungsvertrag.. .419 =..232 b. SchlußprotokoU..... 434 238 c. Geheime Verabredung zwischen Preußen und Bayern 435.... .....239 d. Fazit.... 436 239 4. Die Verträge mit Württemberg 437 ........240 a. Beitrittsvertrag. 438 ......240 b..Zusatzprotokoll 439...............241 c. Militärkonvention 440..... ...241 5. „Akzeptanzvertrag" vom 8. Dezember 1870................. ....441. 242 6. Einführung der Bezeichnungen „Deutsches Reich" und „Deutscher Kaiser" 442 243 7. Ratifikation der „Novemberverträge"... 443 243 8. Wirkung der „Novemberverträge" 446 ..245 Rechtskontinuität zwischen Norddeutschem Bund und Deutschem Reich 447 245 Anerkennung des Deutschen Reiches durch Österreich 448 .247 Die Verfassung des „Deutschen Bundes" vom 1. Januar 1871..... 449 247 Die Verfassung des „Deutschen Reiches" vom 16. April 1871...... .451 249 1. Redaktionelle Arbeiten aufgrund der „Novemberverträge" 451 249 2. Verfassungskonstruktion und-institutionen...... 455 251 a. Charakteristik .455 251 b. Bundesstaatliche Gliederung 458..... 252 C.Grundrechte .....463 254 d. Gesetzgebungskompetenzen des Reiches 464 ..256 aa.Art.4Nr. 1 RV 466 256 bb. Art. 4 Nr. 2 RV 475 ...260 cc. Art. 4 Nr. 3 RV 483.... 264 dd. Art. 4 Nr. 4 RV 487.... 266 ee. Art. 4 Nr. 5 RV 488 .....266 ff. Art. 4 Nr. 6 RV 489 267 gg. Art. 4 Nr. 7 RV 490 267 hh. Art. 4 Nr. 8 RV 491 267 ii.Art.4Nr. 9RV ..494 269 jj. Art. 4 Nr. 10 RV .495....... 270 kk.Art.4Nr. 11 RV 496... 270 ll.Art4Nr. 12 RV 497 270 mm.Art.4Nr. 13 RV 498 271 nn. Art. 4 Nr. 14 RV 501 272 00. Art. 4 Nr. 15 RV 506 276 pp. Art. 4 Nr. 16 RV 510 278 e. .Reichsorgane 511 278 aa. Kaiser 512 278 bb. Reichskanzler 514 .....279 cc. Reichstag 515 ..279 dd. Bundesrat 519 281 f Hegemonialstellung Preußens 520 282 g. Verwaltungskompetenzen.... ..521 282 h. Finanzwesen (Art. 69 - 83 RV) ...„. 529 ....287 i. Rechtsprechende Gewalt... .......537 291 j . Verfassungsänderungen (Art. 78 RV) 539..... 292 3. Verfassungsdurchbrechende Gesetze, 541 ......293 4. Formelle Änderungen der Reichsverfassung.. .......543. 294

XIV

Inhaltsverzeichnis 5. Fortschreibung der Reichsverfassung zwischen 1871 und 1918 a. Änderungen hinsichtlich der Wehrpflicht (Art. 59 Abs. 1 RV) b. Änderung der Regelung des Personalersatzes für die Marine (Art. 53 Abs. 5 RV) c. Helgolands Vereinigung mit dem Deutschen Reich d. Formelle Eingliederung Elsaß-Lothringens in die Reichsverfassung e. Änderungen bezüglich der Erhebung von Schiffahrtsabgaben (Art. 54 RV) f Schaffung besonderen Kriegs Verfassungsrechts zwischen 1914 bis 1918 g. „Reichswahlreform" h. Parlamentarisierung der Reichsverfassung 6. Das Ende des Kaiserreichsund seiner Verfassung

544 544

295 295

545 546

296 297

547

297

552

299

553 564 566 581

301 306 306 313

2. Abschnitt: Verfassungsentwicklung der deutschen Einzelstaaten (1806-1918) § 8: Anhaltische Staaten I. Verfassungsverhältnisse der anhaltischen Staaten vor 1806 IL Verfassungsverhältnisse der anhaltischen Staaten zwischen 1806 und 1848 1. Rheinbundzeit a. Annahme der Herzogwürde b. Die Köthische Verfassung 2. Anhalt zwischen 1815 und 1848 III. Verfassungsverhältnisse der anhaltischen Staaten zwischen 1848 und 1859 1. Anhalt-Dessau und Anhalt-Köthen 2. Anhalt-Bernburg IV. Der Weg zur gesamtanhaltischen Landschaftsordnung von 1859 V. Die Landschaftsordnung von 1859 VI. Verfassungsverhältnisse des neuen Herzogtums Anhalt (1863 - 1918) VIL Das Ende der Monarchie § 9 : Baden I. Tatsächliche Gegebenheiten IL Baden als Kurfürstentum (1803 - 1806) III. Baden als Großherzogtum bis zum Wiener Kongreß 1. Neuer Völker-und staatsrechtlicher Rahmen 2. Die sieben Konstitutionsedikte 1807 - 1809 3. Reformen unter Dalberg 4. Organisationsreskript vom 26. November 1809 IV. Badens Übertritt zur antinapoleonischen Allianz V. Die badische Erbfolgefrage VI. Entstehung der Verfassungsurkunde vom 22. August 1818 1. Erste Verfassungsbestrebungen (1808/09) 2. Unmittelbare Vorgeschichte seit 1815 VII. Verfassungsurkunde vom 22. August 1818 VIII. Badens Verfassungsverhältnisse im Vormärz 1. Badens Bundespolitik in den ersten Jahren 2. Regierung und erste Landtage 3. „Sponheimer Frage" 4. Zollvereinsbeitritt 5. Finanzverfassung 6. Regierungszeit des Großherzogs Leopold zwischen 1830 und 1848

589 590

317 317

592 592 592 593 595

318 318 318 319 320

601 602 639 679 686 694 710

322 322 340 355 358 361 367

711 711 712 725 725 729 742 746 751 752 757 757 759 765 792 792 796 805 806 808 809

369 369 370 374 374 375 383 384 387 387 390 390 391 393 407 407 409 413 413 414 414

Inhaltsverzeichnis IX. X. XI. XII. XIII. XIV. XV.

Revolution in Baden. , Reaktion ; Die ersten Regierungsjahre Friedrich I. „Neue Ära" Badens Weg ins Deutsche.Reich Weitere Verfassungsentwicklung Das Ende der Monarchie

, ,

.822 851... 856 ..863 867 ....880 ....905

XV 419 431 432 435 437 ..441 ...451

Teil 2: Verfassungsdokumente 1. Abschnitt: Gesamtdeutsche Verfassungsdokumente (1803/06-1918) § 1: Ende des alten Reichs (1803/06) Seitenzahl Dok.-Nr.

[1] [2] [3] [3/1]

Reichsdeputationshauptschluß vom 25. Februar 1803 Austrittserklärung mehrerer Reichstände aus dem Reichsverband voml. August 1806 ....Kaiserliche Erklärung über die Niederlegung von Kaiserkrone und Reichsregiment vom 6. August 1806 Erklärung bezüglich der Versorgung des bisherigen Reichspersonals Yom6. August 1806

459 490 492 493

§ 2: Rheinbund Seitenzahl Dok.-Nr.

[4] [5] [6] [7] [8] [9] [10] [11] [12] [13] [14] [15] [16] [17] [18] [19]

Konföderationsakte des Rheinbundes (Rheinbunds-Akte) vom 12. Juli 1806 497 Akzessionsvertrag von Paris (Frankreich ./. Großherzogtum Würzburg) vom 25. September 1806 512 ........Friedensvertrag von Posen (Frankreich ./. Königreich Sachsen) vom 7/. Dezember 1806 515 Akzessionsvertrag von Posen (Frankreich ./. Sächsische Herzogtümer) vom 15. Dezember 1806 519 Akzessionsvertrag von Warschau (Frankreich ./. Anhaltische Herzogtümer) vom 18. April 1807 522 Akzessionsvertrag von Warschau (Frankreich ./. Schwarzburgische Fürstentümer) Yom 18. April 1807...... 524 Akzessionsvertrag von Warschau (Frankreich ./. Fürstentum Waldeck) vom 18. April 1807......... 527 Akzessionsvertrag von Warschau (Frankreich ./. Fürstentümer Lippe-Detmold und Schaumburg-Lippe) vom 18. April 1807 529 .....Akzessionsvertrag von Warschau (Frankreich ./. Reußische Fürstentümer) Yom 18. April 1807 533 .Akzessionsvertrag von Paris (Frankreich ./. Herzogtum Mecklenburg-Strelitz) Yom 18. Februar 1808 536 , Akzessionsvertrag von Paris (Frankreich ./. Herzogtum Mecklenburg-Schwerin) Yom22. März 1808 539 Akzessionsvertrag von Erfurt (Frankreich ./. Herzogtum Oldenburg) vomi^. Oktober 1808 542 Allianzvertrag von Ried (Österreich ./. Königreich Bayern) vom 8. Oktober 1813 545 Allianzvertrag von Fulda (Österreich ./. Königreich Württemberg) vom2. November 1813 554 Allianzvertrag von Frankfurt (Österreich ./. Baden) vom 20. November 1813 ........561 Alhanzvertrag von Frankfurt (Österreich ./. Großherzogtum Hessen) vom 23. November 1813 .....564

XVI

Inhaltsverzeichnis

[20]

Allianzvertrag von Frankfürt (Österreich ./. Herzogtum Nassau) vom 23. November 1813...., [21] Allianzvertrag von Frankfurt (Preußen ./. Schwarzburgische Fürstentümer) vom 2-^. November 1813 [22] Alhanzvertrag von Frankfurt (Österreich ./. Herzogtümer Sachsen-Gotha und Altenburg) vom 24. November 1813....... [23] Allianzvertrag von Frankfurt (Österreich ./. Herzogtum Sachsen-Coburg^2aXM&)wom24.November 1813....,, [24]............. Allianzvertrag von Frankfurt (Österreich ./. Herzogtum Sachsen-Meiningen) vom 2^. November 1813...... [25] Allianzvertrag von Frankfurt (Rußland ./. Fürstentum Waldeck) vom 14./26. November 1813 [26] Allianzvertrag von Frankfurt (Rußland ./. Reußische Fürstentümer) vom 17./29. November 1813 ..,. [27] Allianzvertrag von Frankfort (Rußland ./, Großherzogtum SachsenWeimar-Eisenach) vom 20. November/2. Dezember 1813 [28]............. Allianzvertrag von Frankfort (Österreich ./. Fürstentum Lippe-Detmold) Yom29. November 1813.. [29] Allianzvertrag von Frankfort (Preußen ./. Fürstentum Schaumburg-Lippe) vom 1. Dezember 1813 [30] Allianzvertrag von Frankfort (Österreich ./. Fürstentum Liechtenstein) vom 7. Dezember 1813.......

567 570 572 574 576 578 580 582 583 585 587

§ 3: Deutscher Bund (1815 - 1866) Seitenzahl Dok.-Nr.

[31] [31/1] [31/2] [31/3] [31/4] [31/5] [32]

....Deutsche Bundesakte vom 8. Juni 1815 591 Königlich Bayerische Deklaration vom 19. März 1807 602 ....Beitrittserklärung Badens vom 2d./w//7575 612 .....Beitrittserklärung Württembergs vom 1. September 1815 .612 ...Bundesbeschluß über die Aufoahme Hessen-Homburgs vom 7. Juli 1817 613 Exkurs: Frankforter Territorialrezeß vom 2Ö. Juli 1819 614 Provisorische Geschäftsordnung der Bundesversammlung vom 14. November 1816 640 [32/1] Beschluß über die Beschleunigung des Geschäftsganges vom 16. August 1851 645 647 [33] Provisorische Kompetenzbestimmungen vom 12. Juni 1817 [34] ...Bundesbeschluß über die auswärtigen Verhältnisse des Deutschen Bundes vom 12. Juni 1817 ........652 [35] Austrägalordnung des Deutschen Bundes, „bestehend aus der VermittlungsOrdnung und der Austrägalgerichts-Ordnung in Streitigkeiten zwischen Bundesgliedem" vom 16. Juni 1817... 656 [35/1] Bundesbeschluß über das bei der Aufstellung der Austrägalinstanzen zu beobachtende Verfahren vom 3. August 1820 659 [36] Bundesbeschluß über die Nachsteuer und Abzugsfreiheit vom 23. Juni 1817.. 662 [37] Bundesbeschluß über die „Provisorische Matrikel auf fönf Jahre" vom 20. August 1818 , 664 [37/1] ..............Korrektur der Bevölkerungsangaben durch Luxemburg und Kurhessen vom 4. Februar 1819 , 666 [37/2] Bundesbeschluß über die einstweilige Fortdauer der provisorischen Bundes-Matrikel vom 72. Juli 1823 667 [37/3] Bundesbeschluß über das großherzoglich- und herzoglich-sächsische Kontingent vom 72. Juli 1827 668 [37/4] Ergänzung der Bundesmatrikel vom 5ö. April 1831 670 [37/5].. Berichtigung vom 2d. FeZ^raör 7554 .670 [37/6] ....Berichtigung vom 5. September 1839..., 672 [37/7] Berichtigung vom 14. April 1842 674 [37/8] Bundesbeschluß zur Matrikularbevölkerung des Großherzogtums Luxemburg und des Herzogtums Limburg vom 20. Dezember 1851 676

Inhaltsverzeichnis [37/9] [38]

Bundesbeschluß über die Abänderung der Bundesmatrikel vom 26. Januar 1860 Provisorische Exekutions-Ordnung in Beziehung auf den zweiten Artikel der Bundes-Acte (Bundesbeschluß) vom 20. September 1819............. [39] „Provisorischer Bundesbeschluß über die in Ansehung der Universitäten zu ergreifenden Maßregeln" - Bundes-Universitätsgesetz vom20. September 1819.. , [40] „Provisorische Bestimmungen hinsichtlich der Freiheit der Presse" Provisorisches Bundes-Preßgesetz - (Bundesbeschluß) vom 20. September 1819 [40/1] Bundesbeschluß vom 14. Juni 1832 [40/2] Bundesbeschluß vom 29. November 1832 , [41] Bundesbeschluß über „die Bestellung einer Central-Behörde zur näheren Untersuchung der in mehreren.Bundesstaaten entdeckten revolutionären Umtriebe" - Bundes-Untersuchungsgesetz - vom 20. September 1819 [42] Bundesbeschluß zur Umsetzung der „Karlsbader Beschlüsse" vom20. September 1819 [43] Schlußakte der Wiener Ministerialkonferenzen (Wiener Schlußakte) vom 15. Mai 1820 [44] „Executions-Ordnung zur Vollziehung der Beschlüsse des Bundestags und der Erkenntnisse der Austrägal-Instanzen" - Definitive BundesExekutionsordnung - (Bundesbeschluß) vom 3. August 1820 [45] Grundzüge der Kriegsverfassung des Deutschen Bundes vom 9. April 1821 [46] Nähere Bestimmungen über die Kriegsverfassung des Deutschen Bundes vom 12. April J821/11. Juli 1822.. [47] „Provisorische Maßregeln zur nöthigen Aufrechterhaltung der inneren Sicherheit und öffentlichen Ordnung im Bunde" vom 16. August 1824 [48] Bundesbeschluß über „Maßregeln zur Herstellung und Erhaltung der Ruhe in Deutschland" vom 27. Oktober 1830 [49] Bundesbeschluß „gegen den Mißbrauch der Presse" vom 10. November 1831 [50] Bundesbeschluß über „Maßregeln zur Aufrechterhaltung der gesetzlichen Ordnung und Ruhe im Deutschen Bunde" („Sechs Artikel") vom 28. Juni 1832 [50/1] Bundesbeschluß vom 8. November 1832 [51] (Zweiter) Bundesbeschluß über „Maßregeln zur Aufrechterhaltung der gesetzlichen Ordnung und Ruhe im Deutschen Bunde" („Zehn Artikel") vom 5. Juli 1832 [52] Bundesbeschluß über „Umtriebe durch Verfertigung von Petitionen und Protestationen gegen die von der Gesammtheit des Bundes im Interesse der innem Ruhe und gesetzlichen Ordnung gefaßten Bundesbeschlüsse" Yom9: August 1832 [53] Bundesbeschluß zur „Sicherstellung der Rechte der Schriftsteller und Verleger gegen den Nachdruck, in Folge des Art. 18d der deutschen Buridesacte" vom 6. September 1832 [54] Bundesbeschluß hinsichtHch der „Bestellung einer Central-Behörde wegen eines gegen den Bestand des Deutschen Bundes und die öffentliche Ordnung in Deutschland gerichteten Coriiplotts" vom 20. Juni 1833 [54/1] Bundesbeschluß vom 8. August 1833 [54/2] Bundesbeschluß vom iÖ. Oktober 1833 [55] Geheimer Bundesbeschluß („Sechzig Artikel" - Schlußprotokoll der Wiener Ministerkonferenzen) vom 72. Jw/7/7534 [56] Bundesbeschluß „über die UnStatthaftigkeit der Einmischung fremder Mächte in die inneren Angelegenheiten des Deutschen Bundes" vom 18. September 1834 [57]................. Bundesschiedsgerichtsverfassung vom 30. Oktober 1834 [58] Bundesbeschluß über „gemeinsame Maßregeln in Betreff der Universitäten und Erziehungsanstalten Deutschlands" - Bundes-Universitätsgesetz vom 13. November 1834 [58/1]... Verlängerung des Bundesbeschlusses durch Beschluß vom29. Juli 1841

XVII 677 678

680 682 684 685

685 688 689

704 ....707 710 730 731 733 734 737

737

740

741

742 744 745 746

764 766

768 774

XVIII [59]

[60] [61] [62] [63]

[64] [64/1] [64/2] [65] [66] [66/1] [67] [68]

[69] [70] [71] [72] [73] [74] [75] [76] [77] [78]

[79] [80] [81] [82]

[83] [83/1] [83/2] [83/3]

Inhaltsverzeichnis Authentische Interpretation der in Art. 12 der Bundesacte enthaltenen Bestimmungen wegen Verschickung der Acten auf eine deutsche Fakultät oder an einen Schöppenstuhl - Bundesbeschluß über das Verbot der Aktenversendung - vom 13. November 1834... .Bundesbeschluß zum Verbot der Aktenversendung vom 27. November 1834 Bundesbeschluß über „das Wandern, auch die Versammlungen und Verbindungen der deutschen Handwerksgesellen" vom 15. Januar 1835 ., Bundesbeschluß über das Verbot der Aktenversendung in Polizei- und Strafsachen vom 5. November 1835 ,. Bundesbeschluß „über Bestrafung von Vergehen gegen den Deutschen Bund und Auslieferung politischer Verbrecher auf deutschem Bundesgebiete" vom 18. August 1836 Bundesbeschluß über „die Annahme gleichförmiger Grundsätze gegen den Nachdruck" vom 9. November 1837........ , Verlängerung des Bundesbeschlusses durch Beschluß vom 19. Juni 1845 Verlängerung des Bundesbeschlusses durch Beschluß vom 6. November 1856 Bundesbeschluß über die Stimme Hessen-Homburgs in der Bundesversammlung vom 17. Mai 1838 Bundesbeschluß über „den Schutz musikalischer und dramatischer Werke gegen unbefugte Aufführung" vom.22. April 1841 ..Erweiterung des Bundesbeschlusses durch Beschluß vom 72. März 1857. ....Bundesbeschluß über „Committirung einer richterlichen Instanz für die Mediatisierten" vom 75. September 1842 Bundesbeschluß über „die Revision des AusträgalVerfahrens, insbesondere den in der 37. Bundestagssitzung vom Jahre 1820 vorgelegten Entwurf eines dießfälligen Beschlusses" vom 15. September 1842 Bundesbeschluß zur Unterdrückung des Sklavenhandels vom 19. Juni 1845 Bundesbeschluß über die „communistischen Vereine" vom 6. August 1846 Bundesbeschluß über die Einführung der Preßfreiheit vom 3. März 1848 ....Bundesbeschluß über Wappen und Farben des Deutschen Bundes Yom9. März 1848.. Bundesbeschluß über die Berufung von Männern des allgemeinen Vertrauens Yom 10. März 1848 (Erster) Bundesbeschluß über die Wahl der deutschen Nationalversammlung Yom30. März 1848 Bundesbeschluß über die Aufhebung der Bundes-Ausnahmegesetze aus dem Jahre m9 vom2. Aprill848 (Zweiter) Bundesbeschluß über die Wahl der deutschen Nationalversammlung („Bundeswahlgesetz") vom 7. April 1848 Erklärung der Bundesversammlung zur Übertragung ihrer Zuständigkeiten auf die provisorische Reichsgewalt vom 12. Juli 1848 Bundesbeschluß „zur Wahrung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung im Deutschen Bund zu treffenden Maßregeln" („Bundesreaktionsbeschluß") vom 23. August 1851 Bundesbeschluß über die Aufhebung der „Grundrechte des deutschen Volkes" vom 23. August 1851 Geschäftsordnung der deutschen Bundesversammlung vom 16. Juni 1854 Bundesbeschluß über „Allgemeine Bestimmungen zur Verhinderung des Mißbrauchs der Preßfreiheit" - Bundespreßgesetz - vom 6. Juli 1854.... Bundesbeschluß über „Maßregeln zur Aufrechterhaltung der gesetzHchen Ruhe und Ordnung im Deutschen Bunde, insbesondere das Vereinswesen betreffend" - Bundesvereinsgesetz - vom 13. Juli 1854, ....Revidierte Fassung der Näheren Bestimmungen über die Kriegsverfassung vom 4. Januar 1855 Bundesbeschluß vom 75. TVovem^er 7555 Bundesbeschluß vom 72. März 7557..... Bundesbeschluß vom 2P. Oktober 1857

775 776 776 777

778 779 781 783 783 ..784 786 787

788 789 790 791 792 793 793 794 795 796

797 799 799 808

813 815 829 830 830

Inhaltsverzeichnis [83/4]. [83/5] [84]

.....Bundesbeschluß vom 27. ^;7n7 7(9^7 Bundesbeschluß vom 23. Januar 1862 Bundesbeschluß über die definitive Einstellung des Sitzungsbetriebs der , Bundesversammlung vom 24. August 1866.

XIX 831 ..832 833

§ 4: Deutscher Zollverein Seitenzahl Dok.-Nr.

[85] [86] [87]

[88]

[89]

[90]

[91] [92] [93] [94] [95] [96] [97] [98] [99] [100] [101] [102]

Zollvereinigungsvertrag (Preußen, Kurhessen und Hessen-Darmstadt./. Bayern und Württemberg) vom 22. März 1833........... ., ....................837 Zollvereinigungserweiterungsvertrag (Preußen, Bayern, Württemberg, Kurhessen und Hessen-Darmstadt./. Sachsen) vom 30. März 1833 .....851 Zollvereinigungserweiterungsvertrag (Preußen, Bayern, Württemberg, Sachsen, Kurhessen und Hessen-Darmstadt./. dem Thüringer Zoll- und Handelsverein angehörende Staaten) vom 77. Mai 1833 866 Zollvereinigungserweiterungsvertrag (Preußen, Bayern, Württemberg, Sachsen, Kurhessen, Hessen-Darmstadt sowie Thüringer Zoll- und Handelsverein ./. Baden) vom 72. Mai 1835 880 Zollvereinigungserweiterungsvertrag (Preußen, Bayern, Württemberg, Sachsen, Baden, Kurhessen, Hessen-Darmstadt sowie Thüringer Zoll- und Handelsverein ./. Nassau) vom 10. Dezember 1835...... .......895 ZoUvereinigungserweiterungsvertrag (Preußen, Bayern, Württemberg, Sachsen, Baden, Kurhessen, Hessen-Darmstadt, Nassau sowie Thüringer Zoll- und Handelsverein ./.Freie Stadt Frankfurt) vom 2. Januar 1836 908 Vertrag der bisherigen Zoll Vereinsmitglieder über die Verlängerung des Zollvereins vom 8. Mai 1841 920 Zollvereinigungserweiterungsvertrag (Zollvereinsstaaten ./. Lippe-Detmold) vom 18. Oktober 1841 928 Zollvereinigungserweiterungsvertrag (ZollVereinsstaaten ./. Braunschweig) vom 19. Oktober 1841 , 934 Zollvereinigungserweiterungsvertrag (Zollvereinsstaaten ./. Luxemburg) Yom8. Februar 1842 949 Verlängerungsvertrag (ZollVereinsstaaten ./. Luxemburg) vom 2. April 1847 , 956 Vertrag (Preußen ./. Hannover) wegen der Vereinigung von Steuer- und Zollverein vom 7. September 1851 ....959 Vertrag (Hannover ./. Schaumburg Lippe) wegen des Zollvereinsbeitritts Schaumburg-Lippes vom 25. September 1851 962 Vertrag (Preußen und Hannover ./. Oldenburg) wegen des oldenburgischen Zollvereinsbeitritts vom 7. März 1852 964 Verlängerungs- bzw. Emeuerungsvertrag vom 8. April 1853 965 Vertrag (Zollvereinsstaaten ./. Luxemburg) wegen Fortdauer des Anschlusses Luxemburgs an den Zollverein vom 26./31. Dezember 1853 982 Zollvereinsvertrag vom 16. Mai 1865 983 Vertrag (Norddeutscher Bund ./. Bayern, Württemberg, Baden und Hessen) über die Fortdauer des Zoll- und Handelsvereins (Zoll- und Handelsvereinsvertrag) vom 8. Juli 1867 1008

§ 5: Einheitsbestrebungen (1848 - 50) Seitenzahl Dok.-Nr,

[103] [104] [105] [106]

Reichsgesetz über die Einführung einer provisorischen Zentralgewalt für Deutschland vom 25./w«z 75^5. Reichsgesetz über die Verkündung der Reichsgesetze und der Verfügungen der provisorischen Zentralgewalt vom 27. September 1848 Gesetz, betreffend die Grundrechte des Deutschen Volkes nebst Einfuhrungsgesetz, vom 27. Dezember 1848 Verfassung des Deutschen Reiches („Frankfurter Reichsverfassung") vom 28. März 1849 .,

..1031 1032 1033 1042

XX

Inhaltsverzeichnis

[107]

Bündnisvertrag zwischen Preußen, Sachsen und Hannover („Dreikönigsbündnis") vom 2(5. Mai 1849 [108]............... „Erfurter Unionsverfassung" vom 25. Äfo/7(54P.... [109] Additionalakte zur Erfurter Unionsverfassung vom 26. Februar 1850 [109/1].. Beschluß vom 27. ^pr//755ö [110] ....Übereinkunft zwischen Bayern, Sachsen und Württemberg über die Hauptgrundsätze für eine Revision der Bundesverfassung („Vierkönigsbündnis") vom 27. Februar 1850

.......1076 1079 1106 1107

1109

§ 6: Norddeutscher Bund Seitenzahl Dok.-Nr.

[111] 112] 113] 114] 115] 116] 117] 118] 119] 120] 121] 122] 123] 124] 125] 126] 127] 128] 128/1] [128a]

..Präliminarfriedensvertrag (Preußen ./. Österreich) vonNikolsburg \om26. Juli 1866........... Friedensvertrag Preußen ./. Württemberg vom 13. August 1866 Schutz- und Trutzbündnis Preußen ./. Württemberg vom 13. August 1866...., ...Friedensvertrag Preußen ./. Baden vom 17. August 1866 Schutz-und Trutzbündnis Preußen ./. Baden vom 17. August 1866..... .....Bündnisvertrag Preußen ./. Norddeutsche Staaten - „August-Bündnis" Yom 18. August 1866 , Bündnisvertrag Preußen ./. Mecklenburg-Schwerin und -Strelitz vom 21. August 1866 Friedensvertrag Preußen ./. Bayern vom 22. August 1866.... Schutz- und Trutzbündnis Preußen ./. Bayern vom 22. August 1866 Friedensvertrag von Prag (Preußen ./. Österreich) vom 23. August 1866 Friedensvertrag Preußen ./. Hessen vom 5. September 1866 Friedensvertrag Preußen ./. Reuß ä. L. vom 2(5. September 1866 Friedensvertrag Preußen ./. Sachsen-Meiningen vom 8. Oktober 1866 Friedensvertrag Preußen ./. Königreich Sachsen vom2i. Oktober 1866 Militärkönvention Preußen ./. Königreich Sachsen vom 7. Februar 1867 Militärkonvention Preußen ./. Hessen vom 7. April 1867 Schutz-und Trutzbündnis Preußen ./. Hessen vom 77. April 1867 Verfassung des Norddeutschen Bundes vom 7(5. April 1867 Gesetz zur interimistischen Verlängerung der Legislaturperiode des Reichstages vom 27. Jw/z 7(570 ...Wahlgesetz für den Reichstag des Norddeutschen Bundes vom 31, Mai 1869

1115 1117 1119 1120 1123 1124 1127 1129 1133 1134 1140 1144 1146 1147 1155 1160 1166 1167 1185 1185

§ 7: Deutscher Bund/Deutsches Reich (1870/71 -1918) Seitenzahl Dok.-Nr.

[129]

[130] [130/1] [130/2] [130/3 [131]

[131/1] [131/2] [132] [133]

Vertrag (Norddeutscher Bund ./. Baden und Hessen) über die Gründung des Deutschen Bundes und Annahme der Bundesverfassung vom 15. November 1870 1191 Vertrag (Norddeutscher Bund ./. Bayern) über den Beitritt Bayerns zur Verfassung des Deutschen Bundes vom 25. November 1870 1194 Schlußprotokoll zum Vertrag vom 23. November 1870... 1206 ..Geheime Verabredung (Preußen :/. Bayern) vom 23. November 1870 1210 Aufgrund des Art. XV des Schlußprotokolles vorgenommene Berichtigungen des Wortlauts der Bundesverfassung vom 2^, November 1870 1210 Vertrag (Norddeutscher Bund, Baden und Hessen ./. Württemberg) über den Beitritt Württembergs zur Verfassung des Deutschen Bundes vom25. November 1870.... , 1212 Schlußprotokoll zum Vertrag vom 25. November 1870..... 1215 Militärkonvention (Norddeutscher Bund ./. Württemberg) vom 21.725. November 1870 .1216 Militärkonvention (Preußen ./. Baden) vom 25. November 1870 ............1222 Vereinbarung (Norddeutscher Bund ./. Bayern, Württemberg, Baden und Hessen) über die Verfassung des Deutschen Bundes vom 8. Dezember 1870 1229

Inhaltsverzeichnis [134]

XXI

Verfassung des Deutschen Bundes (Beilage zu den „Versailler Verträgen") vomi. Januar 1871 1231 [134/1] Beschluß des Norddeutschen Bundesrats und Reichstags über die Einführung der Bezeichnungen „Deutsches Reich" und „Deutscher Kaiser" vom 9./10. Dezember 1870 1251 [135] Präliminar-Friedensvertrag von Versailles (Deutsches Reich ./. Frankreich) vom 26. Februar 1871..... 1251 [136] Gesetz, betreffend die Verfassung des Deutschen Reichs („Reichsverfassung"), vom 16. April 1871 , 1259 [136/1] Gesetz, betreffend die Abänderung des Artikels 28 der Reichsverfassung, vom 24. Februar 1873 ..:.... 1280 [136/2] Gesetz, betreffend einen Zusatz zu dem Artikel 4 Nr. 9 der Reichsverfassung, vom 3. März 1873 1280 [136/3] Gesetz, betreffend die Abänderung der Nr. 13 des Artikels 4 der Verfassung des Deutschen Reichs, vom2Ö. Dezember 1873.... 1281 [136/4] Art. I des Gesetzes, betreffend Aenderungen der Wehrpflicht, vom / ; . Februar 1888 1281 [136/5] Gesetz, betreffend die Abänderung des Artikels 24 der Reichsverfassung, Yom 19. März 1888 1283 [136/6] Gesetz, betreffend die Ersatzvertheilung, vom 25. Mai 1893 1283 [136/7] Gesetz, betreffend Änderungen im Finanzwesen des Reichs, vom 14. Mai 1904 1285 [136/8] Gesetz, betreffend Änderung der Wehrpflicht, vom 15. April 1905 1286 [136/9].. Gesetz, betreffend die Änderung des Artikels 32 der Reichsverfassung, Yom21. Mai 1906 1288 [136/10].......... § 5 des Gesetzes, betreffend die Ordnung des Reichshaushalts und die Tilgung der Reichsschuld, vom 3. Juni 1906 1289 [136/11]. Gesetz über die Verfassung Elsaß-Lothringens vom 31. Mai 1911 1289 [136/12] Art. I des Gesetzes, betreffend den Ausbau der deutschen Wasserstraßen und die Erhebung von Schiffahrtsabgaben, vom 24. Dezember 1911 1290 [136/13] Gesetz über die Verlängerung der Legislaturperiode des Reichstags vom 16. Oktober 1916.. 1291 [136/14] Gesetz über die nochmalige Verlängerung der Legislaturperiode des Reichstags vom 25. Juli 1917 1292 [136/15].......... Gesetz über die abermalige Verlängerung der Legislaturperiode des Reichstags vom 18. Juli 1918 1292 [136/16] Gesetz zur Abänderung der Reichsverfassung und des Gesetzes, betreffend die Stellvertretung des Reichskanzlers, vom 77. März 1878, vom 28. Oktober 1918. 1293 [136/17] Gesetz zur Abänderung der Reichsverfassung vom 28. Oktober 1918 , 1294 [136a] Gesetz, betreffend die Einführung Norddeutscher Bundesgesetze in Bayern, vom 22. April 1871 1295 [137] Friedensvertrag von Frankfurt (Deutsches Reich ./. Frankreich) vom 10. Mai 1871 1298 [138] Gesetz, betreffend die Stellvertretung des Reichskanzlers, vom 17. März 1878 1318 [139] Gesetz, betreffend die Vereinigung von Helgoland mit dem Deutschen Reich, vom 15. Dezember 1890 1319 [140] Verordnung, betreffend die Erklärung des Kriegszustandes, vom 31. Juli 1914 1320 [141] §§ 3 und 4 des Gesetzes über die Ermächtigung des Bundesrats zu wirtschaftlichen Maßnahmen und über die Verlängerung der Fristen des Wechsel- und Scheckrechts im Falle kriegerischer Ereignisse vom 4. August 1914.. 1321 [142] ,. Allerhöchster Erlaß über die Ermächtigung des Reichskanzlers zur selbständigen Erledigung von Regierungsgeschäften im Bereiche der Reichsverwaltung vom 7(5.^wgw5'r/P7^..... 1322 [143] Gesetz über die Zusammensetzung des Reichstags und die Verhältniswahl in großen Reichstagswahlkreisen vom 16. August 1918. 1323

XXII

Inhaltsverzeichnis

[144]

Bekanntmachung über die Thronentsagung des Kaisers und den Thronverzicht des Kronprinzen vom 9. November 1918 [145] Aufruf des Rats der Volksbeauftragten an das deutsche Volk vom 12, November 1918.. [146] ............... Abdankungserklärung Kaiser Wilhelms IL vom 25. November 1918 [147] ...Thronfolgeverzicht des Kronprinzen Wilhelm vom 7. Dezember 1918

,

1326 1326 1327 1328

2. Abschnitt: Verfassungsdokumente der deutschen Einzelstaaten (1806 -1918) § 8: Anhalt Seitenzahl Dok.-Nr.

[148]

Landschaftsordnung und Geschäftsordnung für die anhaltischen Herzogtümer Yom 18. Juli/31. August 1859 : ........1333 [148/1] Gesetz, die Auseinandersetzung des Herzoglichen Hauses und des Landes bezüglich des Domaniums betreffend, vom 28. Juni 1869 1347 [148/2]., Gesetz, betreffend die Abänderung einiger Bestimmungen der Landschaftsund Geschäftsordnung, vom 15. Juli 1871 1348 [148/3] ....Gesetz, betreffend die Abänderung einiger weiterer Bestimmungen der Landschaftsordnung, vom 7P. Februar 1872 1351 [148/4] Gesetz, betreffend einen Zusatz zu § 21 der Geschäftsordnung für den Landtag, vom 29. Dezmber 1873 1354 [148/5]., ....Gesetz, die Abänderung des § 26 der Landschaftsordnung betreffend, vom 4. Februar 1874 1355 [148/6] Gesetz, die Einführung zu einer neuen Geschäftsordnung für den Landtag betreffend, vom 24. Januar 1876 1356 [148/7] ............Gesetz, die Anpassung verschiedener auf die Staatsergänzungssteuer bezüglichen Gesetzesvorschriften an das System der Einkommensteuer und der festen Grundsteuer betreffend, vom 7. April 1887 1368 [148/8] ...Gesetz, betreffend eine anderweite Abänderung des § 4 des Gesetzes Nr. 288 vom 19. Februar 1872, die Abänderung von Bestimmungen der Landschaftsordnung betreffend, vom 1. März 1890 1370 [148/9] Gesetz, die Abänderung einiger Bestimmungen der Geschäftsordnung für den Landtag und der Landschaftsordnung betreffend, vom 26. Februar 1891 1371 [148/10] ....Gesetz, betreffend die Abänderung der Landschaftsordnung, vom 19. Mai 1895 1372 [148/11] ...Landtagswahlgesetz vom 27. ^;7n7 7975 1373 [148/12] Gesetz, betreffend die Einführung einer neuen Geschäftsordnung fur den L3.ndtSLg,Yoml6. April 1914 1380 [148/13] ...Gesetz, betreffend die Abänderung des Landtagswahlgesetzes, des Gesetzes über die Einführung einer neuen Geschäftsordnung für den Landtag und der Gemeindeordnung, vom 29, August 1914 1402 [148/14] Gesetz, betreffend das Inkrafttreten des Landtagswahlgesetzes, des Gesetzes über die Einführung einer neuen Geschäftsordnung für den Landtag und der Gemeindeordnung, vom 72. Februar 1915 1403 [148/15] ....Gesetz, betreffend das Inkrafttreten des Landtagswahlgesetzes, des Gesetzes über die Einführung einer neuen Geschäftsordnung für den Landtag und der Gemeindeordnung, vom 14. Februar 1916..... .....1404 [148/16].......... Gesetz, betreffend das Inkrafttreten des Landtagswahlgesetzes, des Gesetzes über die Einführung einer neuen Geschäftsordnung für den Landtag und der Gemeindeordnung, vom 26. September 1916 1405 [149] .Bekanntmachung, die Besitznahme des Herzogthums Anhalt-Bemburg betreffend, vom 20./22. August 1863...., 1406 [150] Verordnung, die Annahme des Titels: „Herzog von Anhalt" betreffend, vom 30. August 1863 1406 [151] Publikationspatent über die Verfassung des Norddeutschen Bundes Yom25. Juni 1867 1407

[152] [153] [154]

Inhaltsverzeichnis

XXIII

Patent, betreffend die Thronfolge des Herzogs Joachim Ernst von Anhalt, Yom 13. September 1918 Abdankungserklämng des Prinzregenten Aribert vom 12. November 1918 Verordnung, betreffend die Auflösung des Landtags, vom 15. November 1918

1407 1408 1408

§ 9: Anhalt-Bernburg Seitenzahl Dok.-Nr.

[155] 1156] [157] [158] [159] [160] [160/1] [160/2]...... [160/3] [160/4] [161] [162] [162/1]

[162/2] [162/3]

[162/4] [162/5] [162/6] [162/7]

[162/8] [163] [164]

„Landesherrliche Verordnung, die höchste Installirung des Geheimen Conferenzraths betreffend", vom 12. Dezember 1832 „Landesherrhche Verordnung, den Geheimen Conferenzrath betreffend", Yom30. März 1834.. Patent wegen einer dem Herzogthum Anhalt-Bemburg zu verleihenden Verfassung vom 16. März 1848 Landesherrliche Verordnung, die Aufhebung des Geheimen Conferenzrathes und die Bildung eines Staatsministeriums betreffend, vom 24. JuH 1848... Bekanntmachung in Betreff des Landesverfassungsgesetzes vom 14. Dezember 1848 Landesverfassungsgesetz (Oktroyierte Verfassung) für das Herzogtum Anhalt-Bemburg vom 14. Dezember 1848..., ,. „Zusatz zu dem unterm 14. December c. erlassenen LandesverfassungsGesetze", vom 16. Dezember 1848 „Landesherrliche Verordnung, die Erläuterung der §§ 61 und 74 des Verfassungsgesetzes betreffend", vom 29. März 1849 „Nachtrag zur Verfassungsurkunde vom 14. December 1848", vom 12. Juli 1849.... „Provisorisches Gesetz wegen Abänderung des ersten Satzes des § 66 der Verfassung" vom 5. Dezember 1849 Gesetz, betreffend die Grundrechte des deutschen Volkes, Yom 28. Dezember 1848 Landesverfassungsgesetz (Revidierte Verfassung) des Herzogtums Anhalt-Bemburg vom 25. FeZ^rwar 755Ö „Gesetz, die Abändemng der §§ 13 und 36 des Verfassungsgesetzes, hinsichtlich der Todesstrafe und der Competenz der Schwurgerichte betreffend", vom 30. November 1851 „Gesetz über die Auslegung der § § 2 7 - 3 0 des Landesverfassungsgesetzes in Betreff des öffentlichen Unterrichts" vom 5. Februar 1852 „Gesetz, I. über die Aufhebung des § 50 des Landesverfassungsgesetzes wegen Gewährleistung der Theilbarkeit des Gmndeigenthums, IL Zusätze zu den allgemeinen Bestimmungen des Landesverfassungsgesetzes wegen Publication und Rechtsgültigkeit der Gesetze und Verordnungen betreffend", vom 5. Februar 1852 „Gesetz, die Form des Eides betreffend", vom 2. Dezember 1852 „Gesetz, die Abändemng der §§ 4, 34 und 84 der Landes-VerfassungsUrkunde vom28. Febmar 1850 betreffend", vom 5. März 1854 „Gesetz, die Abändemng der §§ 53, 54, 39 und 17 der LandesVerfassungs-Urkunde vom 28. Febmar 1850 betreffend", vom 9. April 1855 „Gesetz, die Abändemng des § 13 des Landes-Verfassungs-Gesetzes vom 28. Febmar 1850 und die Aufliebung des § 2 des Gesetzes über die Einfuhmng der Preuß. Verordnung über die Disciplinarbestrafung für die hiesigen Tmppen vom 14. März 1850 betreffend", vom 29. April 1855 „Gesetz, die Abändemng des Verfassungs-Gesetzes vom 28. Febmar 1850 betreffend", vom 31. August 1859 Gesetz zum Schutze der Rechte aus den §§ 5, 6 und 12 der Verfassung NomdO. März 1850 '. Gesetz, die Aufhebung der deutschen Gmndrechte betreffend, vom 30. November 1851

1411 ...1412 1414 1414 1415 1416 1431 1432 1433 1433 1434 1435

1450 1450

1451 1452 1453 1453

1454 1455 1457 1461

XXIV [165] [166] [167] [168]

Inhaltsverzeichnis Verordnung über die Ernennung ihrer Hoheit der Herzogin Friederike zu Anhalt zur Mitregentin vom 8. Oktober 1855 „Publications-Patent" sowie Landschaftsordnung und Geschäftsordnung für die anhaltischen Herzogtümer vom 18. Juli/31. August 1859.. Erklärungen der Anhaltischen Herzöge zur künftigen Landschaftsordnung Yom 18. Juli/31. August 1859 Patent über die Inbesitznahme des Herzogtums Anhalt-Bemburg Yom20. August 1863

1462 1462 ........1463 1464

§ 10: Anhalt-Dessau (-Köthen) Seitenzahl Dok.-Nr.

[169] [169/1]

[169/2]

[169/3]

[169/4] [170] [171] [172]

[173]

[174]

[175] [176] [177] [178]

Verfassungsurkunde für das Herzogtum Anhalt-Dessau vom 29. Oktober 1848......... 1469 Verordnung, „die im ersten ordentlichen vereinigten Landtage beschlossene Abänderung einiger Verfassungs-Bestimmungen fär die Herzogthümer Anhalt-Dessau und Anhalt-Köthen betreffend", vom 18. November 1849 1485 Verordnung, „die im zweiten ordentlichen vereinigten Landtage beschlossene Abänderung einiger Verfassungs-Bestimmungen für die Herzogthümer Anhalt-Dessau und Anhalt-Köthen betreffend", yom25. März 1850 1487 „Provisorische Gesetze über die Presse und über das Versammlungsund Vereinigungsrecht" nebst „Publikations-Patent" jeweils Yom26. Dezember 1850 1488 Verordnung, „die Aufhebung der Verfassungsurkunde für das Herzogthum Anhalt-Dessau betreffend", vom^. November 1851 1506 Herzogliche Proklamation „An mein Volk!" vom 21. Juli 1851 1508 Verordnung, „die Auflösung der Landtage für die Herzogthümer Anhalt-Dessau und Anhalt-Köthen betreffend", vom 21. Juli 1851 1509 Verordnung „für die Herzogthümer Anhalt-Dessau und Anhalt-Köthen, die Publication der in der diesjährigen 20. Bundestags-Sitzung vom 23. August 1851 gefaßten Beschlüsse, die zur Wahrung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung im deutschen Bunde zu treffenden Maßregeln und die Aufhebung der sogenannten deutschen Grundrechte betreffend", Yom4. November 1851 1510 .Verordnung „für die Herzogthümer Anhalt-Dessau und Anhalt-Köthen, die Aufhebung 1) der Verordnungen über die Verantwortlichkeit der Minister, 2) des Wahlgesetzes, 3) der Geschäfts-Ordnung für die Landtage, sowie das Fortbestehen der anderen, auf Grund der bisherigen Verfassungen erlassenen Gesetze betreffend", vom^. November 1851 1512 Patent „über Entlassung der HerzogUch Anhalt-Köthenschen Staatsangehörigen aus ihrer Unterthanenpflicht gegen Se. Hoheit den regierenden Herzog zu Anhalt-Bemburg" vom 7. Mai 1853 1513 Patent „wegen Vereinigung der Herzogthümer Anhalt-Dessau und Anhalt-Köthen zu Einem Herzogthume" vom 22. Mai 1853 1514 Bekannmachung des Vertrages „wegen der Vereinigung der Herzogthümer Anhalt-Dessau und Anhalt-Köthen zu Einem Herzogthume" vom 23. Mai 1853 1515 „Publications-Patent" sowie Landschaftsordnung und Geschäftsordnung fur die anhaltischen Herzogtümer vom 18. Juli/3L August 1859...... ...1519 Bekanntmachung, „die Besitznahme des Herzogthums Anhalt-Bemburg betreffend", vom2Ö. August 1863 ., 1519

§ 11: Anhalt-Köthen Seitenzahl Dok.-Nr.

[179] [180]

Edict „wegen Einfühmng des Französischen Gesetzbuchs" Yom28. Dezember 1810 Verwaltüngsordnung vom 19. Februar 1811

1523 1525

Inhaltsverzeichnis [181], [182].., [183] [184]

[185] [185/1] [185/2]..

[185/3]

[185/4] [185/5] [186] [187]

Verwaltungsordnung vom 22. Februar 1811 ., Publicandum (Reorganisations-Patent) vom 24. Oktober 1812............. Patent über die Inbesitznahme Anhalt-Köthens durch den Herzog von Anhalt-Dessau vom 25. November 1847 Bekanntmachung, „die Einführung einer landständischen Verfassung, die Aufhebung der Censur und Bildung einer Bürgerwehr betreffend", vom 16./17. März 1848 Verfassungs-Urkunde für das Herzogthum Anhalt-Cöthen Yom28. Oktober 1848.... Bekanntmachung, „die Aufhebung der Jagdgerechtigkeit auf fremdem Grund und Boden betreffend", vom 16. November 1848 Verordnung, „die im ersten ordentlichen vereinigten Landtage beschlossene Abänderung einiger Verfassungs-Bestimmungen für die Herzogthümer Anhalt-Dessau und Anhalt-Köthen betreffend", vom 18. November 1849 „Verordnung, die im zweiten ordentHchen vereinigten Landtage beschlossene Abänderung einiger Verfassungs-Bestimmungen für die Herzogthümer Anhalt- Dessau und Anhalt-Köthen betreffend", Yom25. März 1850 „Provisorische Gesetze über die Presse und über das Versammlungs- und Vereinigungsrecht" nebst „Publikations-Patent" jeweils vom 26. Dezember 1850 Verordnung, „die Aufhebung der Verfassungsurkunde für das Herzogthum betreffend", vom 4. November 1851 Bekanntmachung, „die Gültigkeit der durch die Verfassung abgeschafften Gesetze und Rechtsnormen betreffend", vom 18. November 1848 Bekanntmachung, „in Betreff der einstweiligen Gültigkeit der bisher bestandenen Gesetze etc.", vom 24. November 1848

XXV 1529 1535 1541

1542 1543 1559

1560

1562 1562 1562 1564 1564

§ 12: Baden Seitenzahl Dok.-Nr.

[188] [188/1] [188/2]

Landesherrliche Erklärung vom 13. August 1806 Publicandum über die Annahme der Großherzogwürde vom 14. August 1806 Landesherrliche Verordnung, die Titulatur des Großherzoglichen Hauses betreffend, vom 22. August 1806 [189] „Constitutiv-Reskript über die Organisation des Großherzoglichen Geheimen Rats-Collegii" vom 20. März 7507 [189/1] ....ISiachtvagYom 19. April 1807 [190] Erstes Konstitutionsedikt, „die Kirchliche Staatsverfassung des Grosherzogthums Baden betreffend", vom 14. Mal 1807 [190/1] Verordnung über Kinder aus gemischtkonfessionellen Ehen vom 8. Juni 1826 [190/2] Gesetz, „die rechtliche Stellung der Kirchen und kirchlichen Vereine im Staate betreffend", vom P. Oktober 1860 [191] General-Ausschreiben, die „Kirchliche Constitution des Großherzogthums Baden betreffend", vom 75. Jiwm75Ö7 [192] Zweites Konstitutionsedikt, „die Verfassung der Gemeinheiten, Körperschaften und Staats Anstalten betreffend", vom 14. Juli 1807 [192/1]. Art. 39 Nr. 4 des Gesetzes, „die Ausführung des Bürgerlichen Gesetzbuchs betreffend", vom 77. Juni 1899 [193] Drittes Konstitutionsedikt, die „Standes Herrlichkeits Verfassung in dem Grosherzogthum Baden betreffend", vom 22. Juli 1807 [194] Viertes Konstitutionsedikt, „die GmndherrlichkeitsVerfassung in dem Grosherzogthum Baden betreffend", vom 22. Juli 1807 [195]............... Fünftes Konstitutionsedikt, „die Lehens Verfassung des Grosherzogthums Baden betreffend", vom 72. August 1807 , [195/1] General-Verordnung: „Die Befolgung der erschienenen Lehens-Constitution betreffend", vom 6. Oktober 1807.........

1567 1568 1569 1570 1575 1576 1589 1591 1591 1592 1600 1601 1613 1622 1646

XXVI [195/2]

Inhaltsverzeichnis

.....Bekanntmachung „zum Art. 23 des fünften Constitutions-Edicts Jahrs 1807, die Lehensverfassung des Großherzogthums Baden betreffend",,vom5aM3z7575 ................1646 [195/3] Gesetz, „die Aufhebung des Lehenverbandes betreffend", vom 9. August 1862 1647 [196] General-Verordnungen vom 2P. September 1807 1649 [197] „Neue Brandversicherungs Ordnung für das ganze Großherzogthum Baden" vom29. Dezember 1807 1649 [197/1] Gesetz, die Feuerversicherungsanstalt der Gebäude betreffend, Yom 19. März 1852....,., ......1661 [198] Sechstes Konstitutionsedikt, „die Grund Verfassung der verschiedenen Stände betreffend", vom ^. Juni 1808 ,. 1662 [198/1] ....Landesherrhche Verordnung über die Gleichstellung der „Juden Unseres Staats (mit) den Christen in den Staatsbürgerlichen Verhältnissen" vom 13. Januar 1809 ,... 1686 [198/2] Anwendungsvorschriften zum Sechsten Constitutions-Edict vom i:Februar 1809 1696 [198/3] Verordnung, „die Adels-Matrikel im Großherzogthum Baden betreffend", vom 3. Juli 1815 1703 [198/4] Gesetz, den Erwerb des Staatsbürgerrechtes durch einen zehnjährigen ehrlichen Aufenthalt im Lande betreffend, vom 77. März 1854 1704 [198/5] Gewerbegesetz für das Großherzogthum Baden vom 20. September 1862 1704 [198/6] Gesetz, den Besitz von Liegenschaften durch Ausländer betreffend, vom 4. Juni 1864 1705 [198/7] Art. 39 Nr. 5 des Gesetzes, „die Ausführung des Bürgerlichen Gesetzbuchs betreffend", vom 77. Juni 1899 ..1706 [199] Landesherrhche Verordnung über die Organisation der obersten Staatsbehörden vom 5. Jw/z 7505 1706 [200] Edikt über die Konstituierung einer Amortisationskasse Yom31. August 1808 1712 [201] Siebentes Konstitutionsedikt über die Rechtsverhältnisse der Staatsdiener vom 25. April 1809 , 1713 [201/1] .Verordnung über die Aufhebung des Konstitutionsedikts Yom 14. November 1809 1727 [201/2] Landesherrliche Verfugung vom 3. Jw/z7
Inhaltsverzeichnis Gesetz über die Aufnahme der als Staatsdiener angestellten evangelischen Geistlichen in den Zivildiener-Witwenfiskus vom 25. April 1886....,,...., [204] Verfassungsversprechen des Großherzogs Karl vom 16. März 1816, , [205] Nichtverkündungserklärung (des Großherzogs Karl) bezüglich der ihm zur Sanktion vorgelegten ständischen Verfassung vom 29. Juli 1816, [206] Verordnung über die Abzugs- und Nachsteuerfreiheit vom 14. August 1817 [207] Großherzogliche Erklärung der Erhöhung der Grafen Hochberg zu Großherzoglichen Prinzen und zu Markgrafen zu Baden vom 4. Oktober 1817 [208]........ Haus-und Familienstatut vom ^ . O t o ^ e r M / 7 . . [209] Großherzoghche Erklärung der Erhöhung der Gräfin Hochberg zur Großherzoglichen Prinzessin zu Baden vom 4. Oktober 1817...., [210] Verordnung, die „Rechts-Verhältnisse der vormaligen Reichstände und Reichs-Angehörigen betreffend", vom 25. April 1818....... . [211] Verfassungsurkunde für das Großherzogtum Baden vom 22. August 1818......... [211/1] Verfassungsgesetz vom 74. ^pn7 7525. [211/2] Gesetz „Die Aufhebung des Verfassungsgesetzes vom 14. April 1825" vom 8. Juni 1831 [211/3] Gesetz über die jeweilige teilweise Erneuerung der Ständeversammlung in beiden Kammern vom 25. Dezember 1831 [211/4] GQSQtzYom 5. August 1841 [211/5] Gesetz, die „Aufhebung der Beschränkung staatsbürgerlicher Rechte aus Rücksichten der Confession" vom 77, Februar 1849 [211/6] Gesetz, die „Auslegung des § 74 der Verfassungsurkunde betreffend", vom 77. Juni 1862 [211/7] Gesetz, die Abänderung, beziehungsweise Ergänzung der Verfassungsurkunde betreffend, vom 27. Oktober 1867...., [211/8] Gesetz, die Abänderung des § 67 der Verfassungsurkunde bezüglich der Minister betreffend, vom2ö. Februar 1868 [211/9] Gesetz, die „Aenderung einiger Bestimmungen der Verfassungsurkunde betreffend", vom 27. Dezember 1869 [211/10] Gesetz, die „Aenderung einiger Bestimmungen der Verfassungsurkunde betreffend", vom 16. April 1870 [211/11] § 147 des Beamtengesetzes vom 2¥.yw/z 7555..... [211/12] Gesetz, die „Abänderung der Verfassung betreffend", vom 24. August 1904 [212] Verfugung über die Durchführung von Wahlen und den Zusammentritt der Stände vom 23. Dezember 1818., [213] Wahlordnung „zur Verfassungs-Urkunde des Großherzogthums" Yom 23. Dezember 1818 [213/1] Gesetz, „einige Abänderungen der Wahlordnung betreffend", vom 16. April 1870.... [213/2] Gesetz, die Wahlbezirke für die Wahlen zur zweiten Kammer betreffend, vom 16. April 1870 [213/3] § 75 des Landtagswahlgesetzes vom 24. August 1904 [214] Edikt über die „Rechtsverhältnisse der welthchen Civil-Staatsdiener" vom 5Ö./a/2war 7579 [214/1]............ Gesetz über die Anwendung des Dienstrechts auf die Vorstände und Hauptlehrer verschiedener Anstalten vom 30. Juli 1840 [214/2]............ Gesetz, „die Besoldungen und Functionsgehalte der Staatsdiener betreffend", vom 3. August 1844 [214/3] Gesetz, „die Besoldung und Pensionirung der Staatsdiener, beziehungsweise die Erneuerung des diesfalligen Gesetzes vom 3. August 1844 betreffend", vom 27. Z)ezew6er 7545......... [215] Edikt, „die Standes- und Grundherrlichen Rechtsverhältnisse im Großherzogthum Baden betreffend", vom 16. April 1819.... [216] Bekanntgabe von vier vom 20. September 1819 stammenden provisorischen Beschlüssen der deutschen Bundesversammlung vom 5. Oktober 1819., [216/1] Zensuredikt vom 5. November 1819

XXVII

[203/3]

1814 1816 1816 1817 1819 1820 1822 1822 1832 1844 1845 1845 1847 1849 1849 1850 1851 1853 1855 .1856 1857 1864 1866 1882 1884 1890 ..1890 1896 1899

...1900 1901 1914 1915

XXVIII [216/2] [216/3] [217] [217/1] [218] [219] [220] [221] [222] [223] [224] [225] [226] [227] [228] [229] [230] [231] [232] [233] [234] [234/1] [235]

[236] [237] [238] [239] [240] [240/1] [241] [242]

Inhaltsverzeichnis Gesetz über die Polizei der Presse und über die Bestrafung der Preßvergehen vom 28. Dezember 1831 ....Verordnung, das Preßgesetz vom 28. Dezember 1831 betreffend Yom28. Juli 1832 Gesetz über die Verfassung und Verwaltung der Amortisationskasse YomJl. Dezember 1831 Änderungsgesetz vom 22 Jwmi557 Gesetz über die Errichtung der Eisenbahn-Schuldentilgungskasse vom 10. September 1842 Verkündung der Grundrechte des deutschen Volkes vom 12. Januar 1849 , Bekanntmachung der auf den 28. April 1849 datierten Reichsverfassung vom 4. Mai 1849 Dekret des Landesausschusses für Baden, die Absetzung der seitherigen Minister betreffend, undatiert , Bekanntmachung über.die Zusammensetzung des Landesausschusses für Baden, undatiert Bekanntmachung des Landesausschusses für Baden, „die Einsetzung einer Exekutivkommission betreffend", undatiert Bekanntmachung des Ministeriums der Finanzen vom 15. Mai 1849 Dekret, die Auflösung der Kammern betreffend, vom 77. Mai 1849 Gesetz, die Einberufung einer konstituierenden Versammlung betreffend, vom 77. Mö/754^9 Dekret, die Freilassung der politischen Gefangenen betreffend, vom 77. Mai 1849 Vertrag zwischen dem Landesausschuß von Baden und der provisorischen Regierung der Rheinpfalz vom 77. Mai 1849 ..Verordnung über die Ernennung von „Civilcommissären" und „Obercommissären"vom 18. Mai 1849 Proklamationen zur Einsetzung einer provisorischen Regierung vom 7. Juni 1849 Großherzogliche Proklamation zu den revolutionären Ereignissen vom 2. Juni 1849 Erklärung des Kriegszustandes durch die provisorische Regierung Badens vom 5. Jw/?/7(9^9 Bekanntmachung der provisorischen Regierung Badens zur Einberufung einer konstituierenden Versammlung vom 7. Juni 1849 ....Großherzogliche provisorische Verordnung über die Versetzung des Landes in den Kriegszustand vom 9. Juni 1849 Großherzogliche Bekanntmachung des Kriegszustands für das gesamte Großherzogtum vom 23. Juni 1849 Beschluß der verfassungsgebenden Versammlung Badens über die Errichtung einer provisorischen Regierung mit diktatorischer Gewalt vom 13. Juni 1849 Gesetz der verfassungsgebenden Versammlung Badens über die Diäten und Reisekosten ihrer Mitglieder vom 14. Juni 1849 Beschluß der verfassungsgebenden Versammlung Badens über die Wahl einer provisorischen Regierung für Baden vom 75. Juni 1849 Gesetz der verfassungsgebenden Versammlung Badens über die . Versetzung des Landes in den Kriegszustand vom 15. Juni 1849 .Unmittelbare allerhöchste Entschließung des Großherzogs, „Die Grundrechte des deutschen Volkes betreffend", vom 5. Mai 1851 Gesetz, die „Rechtsverhältnisse der Richter betreffend", vom 7. Oktober 1865 Gesetz, die „Rechtsverhältnisse der Richter betreffend", vom 14. Februar 1879 Großherzogliche Bekanntmachung des badischen Eintritts in den Deutschen Bund, vom 31. Dezember 1870 , , Bekanntmachung des Staatsministerium über den badischen Eintrittin den Deutschen Bund vom 4. Januar 1871

1920 1933 1934 1938 1939 1941 1942 1942 1943 1943 1944 1945 ...1945 1946 1947 1947 ..1949 1950 ....1951 1953 1954 1956

1956 1957 1957 1958 1959 1960 1963 1965 1966

Inhaltsverzeichnis [243] [243/1]...

[244] [245] [245/1]

[246] [247] [248] [249] [250] [251]

Gesetz, die Errichtung und Befugnisse der Oberrechnungskammer betreffend, vom 25. August 1876 Gesetz, die Abänderung des Gesetzes vom 25. August 1876 über die Einrichtung und Befugnisse der Oberrechnungskammer betreffend, vom 29. Januar 1884 Gesetz, den Verwaltungsgerichtshof und das verwaltungsgerichtliche Verfahren betreffend, vom 24. Februar 1880 Gesetz über den Staatsvoranschlag und die Verwaltung der Staatseinnahmen und-ausgaben (Etatgesetz) vom 22. Mai 1882 Gesetz, die Abänderung des Gesetzes über den Staats Voranschlag und die Verwaltung der Staatseinnahmen und -ausgaben (Etatgesetz) betreffend, vom 24. Juli 1888..... (Neu-)Bekanntmachung der Verfassungsurkunde fur das Großherzogtum Baden vom.2(5. August 1904 Bekanntmachung der provisorischen Regierung für Baden vom 10. November 1918 Erklärung des Großherzogs vom 10. November 1918 Vorläufiger Verzicht des Großherzogs auf die Regierungsgewalt vom 13. November 1918 Kundmachung der provisorischen Volksregiemng für Baden Yom 14. November 1918 Großherzoglicher Verzicht auf den Thron vom 22. November 1918

XXIX

1967

1973 1974 1977

1986 1987 ....2004 2005 2006 2007 2007

Chronologische Dokumentenübersicht

Datum

Dokument

25.02.1803 12.07.1806 01.08.1806

Reichsdeputationshauptschluß Konföderationsakte des Rheinbundes (Rheinbunds-Akte) Austrittserklärung mehrerer Reichstände aus dem Reichsverband Kaiserliche Erklärung über die Niederlegung von Kaiserkrone und Reichsregiment Erklärung bezüglich der Versorgung des bisherigen Reichspersonals Baden: Landesherrliche Erklärung Baden: Publicandum über die Annahme der Großherzogwürde. Baden: Landesherrliche Verordnung, die Titulatur des Großherzoglichen Hauses betreffend Akzessionsvertrag von Paris (Frankreich ./. Großherzogtum Würzburg) Friedensvertrag von Posen (Frankreich ./. Königreich Sachsen) Akzessionsvertrag von Posen (Frankreich ./. Sächsische Herzogtümer).... Königlich Bayerische Deklaration Baden: „Constitutiv-Reskript über die Organisation des Großherzoglichen Geheimen Rats-Collegii"... Akzessionsvertrag von Warschau (Frankreich ./. Anhaltische Herzogtümer) Akzessionsvertrag von Warschau (Frankreich ./. Schwarzburgische Fürstentümer) Akzessionsvertrag von Warschau (Frankreich ./. Fürstentum Waldeck) Akzessionsvertrag von Warschau (Frankreich ./. Fürstentümer Lippe-Detmold und Schaumburg-Lippe) Akzessionsvertrag von Warschau (Frankreich ./. Reußische Fürstentümer) Baden: Nachtrag zum „Constitutiv-Reskript über die Organisation des Großherzoglichen Geheimen Rats-Collegii" vom 20. März 1807 Baden: Erstes Konstitutionsedikt, „die Kirchliche Staatsverfassung des Grosherzogthums Baden betreffend"........ Baden: General-Ausschreiben, die „Kirchliche Constitution des Großherzogthums Baden betreffend".. Baden: Zweites Konstitutionsedikt, „die Verfassung der Gemeinheiten, Körperschaften und Staats Anstalten betreffend" Baden: Drittes Konstitutionsedikt, die „Standes Herrlichkeits Verfassung in dem Grosherzogthum Baden betreffend"

06.08.1806 06.08.1806.... 13.08.1806.... 14.08.1806 22.08.1806 25.09.1806 11.12.1806 15.12.1806 19.03.1807 20.03.1807 18.04.1807 18.04.1807 18.04.1807 18.04.1807 18.04.1807 19.04.1807

14.05.1807 15.06.1807 14.07.1807

22.07.1807

Seiten- Dok.-Nr. zahl 459 497

[1] [4]

490

[2]

492

[3]

493 1567 1568

[3/1] [188] [188/1]

1569

[188/2]

512

[5]

515

[6]

519 602

[7] [31/1]

1570

[189]

522

[8]

524

[9]

527

[10]

529

[11]

533

[12]

1575

[189/1]

1576

[190]

1591

[191]

1592

[192]

1601

[193]

XXXII

Chronologische Dokumentenübersicht

Datum

Dokument

22.07.1807

Baden: Viertes Konstitutionsedikt, „die GrundherrlichkeitsVerfassung in dem Grosherzogthum Baden betreffend" Baden: Fünftes Konstitutionsedikt, „die Lehens Verfassung des Grosherzogthums Baden betreffend"....... ., Baden: General-Verordnungen Baden: General-Verordnung: „Die Befolgung der erschienenen Lehens-Constitution betreffend" Baden: „Neue Brandversicherungs Ordnung für das ganze Großherzogthum Baden"..... Akzessionsvertrag von Paris (Frankreich ./. Herzogtum Mecklenburg-Strelitz) Akzessionsvertrag von Paris (Frankreich ./. Herzogtum Mecklenburg-Schwerin) , Baden: Sechstes Konstitutionsedikt, „die Grund Verfassung der verschiedenen Stände betreffend".. Baden: Landesherrliche Verordnung über die Organisation der obersten Staatsbehörden Baden: Edikt über die Konstituierung einer Amortisationskasse , Akzessionsvertrag von Erfurt (Frankreich ./. Herzogtum Oldenburg) Baden: Landesherrliche Verordnung über die Gleichstellung der „Juden Unseres Staats (mit) den Christen in den Staatsbürgerlichen Verhältnissen" Baden: Anwendungsvorschriften zum Sechsten ConstitutionsEdict. Baden: Siebentes Konstitutionsedikt über die Rechtsverhältnisse der Staatsdiener Baden: Verordnung über die Aufhebung des Konstitutionsedikts Baden: Organisationsreskript Baden: Zivildiener-Witwenordnung Baden: Landesherrliche Verfügung Anhalt-Köthen: Edict „wegen Einfuhrung des Französischen Gesetzbuchs" Anhalt-Köthen: Verwaltungsordnung Anhalt-Köthen: Verwaltungsordnung Baden: Verordnung, die „Gemeinds- und Schutzbürgerliche Annahme der Juden betreffend" Anhalt-Köthen: Publicandum (Reorganisations-Patent).... Allianzvertrag von Ried (Österreich ./. Königreich Bayern) Allianzvertrag von Fulda (Österreich ./. Königreich Württemberg)... Allianzvertrag von Frankfurt (Österreich ./. Baden) Allianzvertrag von Frankfurt (Österreich ./. Großherzogtum Hessen)............ Allianzvertrag von Frankfurt (Österreich ./. Herzogtum Nassau) Allianzvertrag von Frankfurt (Preußen ./. Schwarzburgische Fürstentümer).................. Allianzvertrag von Frankfurt (Österreich ./. Herzogtümer Sachsen-Gotha und Altenburg) Allianzvertrag von Frankfurt (Österreich ./. Herzogtum Sachsen-Coburg-Saalfeld)....

12.08.1807..... 29.09.1807 06.10.1807 29.12.1807..... 18.02.1808..... 22.03.1808 04.06.1808 05.07.1808 31.08.1808..... 14.10.1808...., 13.01.1809

01.02.1809 25.04.1809 14.11.1809..... 26.11.1809..... 28.06.1810 03.07.1810 28.12.1810..... 19.02.1811..... 22.02.1811..... 04.05.1812 24.10.1812 08.10.1813 02.11.1813 20.11.1813..... 23.11.1813 23.11.1813..... 24.11.1813..... 24.11.1813 24.11.1813

Seiten- Dok.-Nr. zahl

1613

[194]

1622 1649

[195] [196]

1646

[195/1]

1649

[197]

536

[13]

539

[14]

1662

[198]

1706

[199]

1712

[200]

542

[15]

1686

[198/1]

1696

[198/2]

1713

[201]

1727 1728 1792 1727

[201/1] [202] [203] [201/2]

1523 1525 1529

[179] [180] [181]

1785 1535 545

[202/1] [182] [16]

554 561

[17] [18]

564

[19]

567

[20]

570

[21]

572

[22]

574

[23]

Chronologische Dokumentenübersicht Datum

Dokument

XXXIII

Seiten- Dok.-Nr. zahl

24.11.1813..... Allianzvertrag von Frankfurt (Österreich ./. Herzogtum Sachsen-Meiningen) 576 14./26.11.1813. Allianzvertrag von Frankfurt (Rußland ./. Fürstentum Waldeck) 578 17./29.11.1813. Allianzvertrag von Frankfürt (Rußland ./. Reußische Fürstentümer) 580 20.11./ Allianzvertrag von Frankfurt (Rußland ./. Großherzogtum 02.12.1813 Sachsen-Weimar-Eisenach) 582 29.11.1813 Allianzvertrag von Frankfurt (Österreich ./. Fürstentum Lippe-Detmold) , 583 01.12.1813..... Allianzvertrag von Frankfurt (Preußen ./. Fürstentum Schaumburg-Lippe) 585 07.12.1813..... Alhanzvertrag von Frankfurt (Österreich ./. Fürstentum Liechtenstein) 587 30.05.1815 Baden: Bekanntmachung „zum Art. 23 des fünften Constitutions-Edicts Jahrs 1807, die Lehensverfassung des Großherzogthums Baden betreffend" 1646 08.06.1815 Deutsche Bundesakte 591 03.07.1815 Baden: Verordnung, „die Adels-Matrikel im Großherzogthum Baden betreffend" 1703 26.07.1815 Beitrittserklärung Badens zum Deutschen Bund... 612 01.09.1815 Beitrittserklärung Württembergs zum Deutschen Bund 612 16.03.1816 Baden: Verfassungsversprechendes Großherzogs Karl....... 1816 29.07.1816 Baden: Nichtverkündungserklärung (des Großherzogs Karl) bezüglich der ihm zur Sanktion vorgelegten ständischen Verfassung 1816 14.11.1816 Provisorische Geschäftsordnung der Bundesversammlung 640 12.06.1817 Provisorische Kompetenzbestimmungen des Deutschen Bundes 647 12.06.1817 Bundesbeschluß über die auswärtigen Verhältnisse des Deutschen Bundes 652 16.06.1817 Austrägalordnung des Deutschen Bundes, „bestehend aus der Vermittlungs-Ordnung und der Austrägalgerichts-Ordnung in Streitigkeiten zwischen Bundesgliedem" 656 23.06.1817 Bundesbeschluß über die Nachsteuer und Abzugsfreiheit 662 07.07.1817 Bundesbeschluß über die Aufnahme Hessen-Homburgs 613 14.08.1817 Baden: Verordnung über die Abzugs- und Nachsteuerfreiheit... 1817 04.10.1817 Baden: Großherzogliche Erklärung der Erhöhung der Grafen Hochberg zu Großherzoglichen Prinzen und zu Markgrafen zu Baden 1819 04.10.1817 Baden: Haus-und Familienstatut 1820 04.10.1817 Baden: Großherzogliche Erklärung der Erhöhung der Gräfin Hochberg zur Großherzoglichen Prinzessin zu Baden 1822 23.04.1818 Baden: Verordnung, die „Rechts-Verhältnisse der vormaligen Reichstände und Reichs-Angehörigen betreffend" 1822 20.08.1818 Bundesbeschluß über die „Provisorische Matrikel auf fünf Jahre" 664 22.08.1818..... Baden: Verfassungsurkunde für das Großherzogtum Baden 1832 23.12.1818 Baden: Verfügung über die Durchführung von Wahlen und den Zusammentritt der Stände 1864 23,12.1818..... Baden: Wahlordnung „zur Verfassungs-Urkunde des Großherzogthums" 1866

[24] [25] [26] [27] [28] [29] [30]

[195/2] [31] [198/3] [31/2] [31/3] [204]

[205] [32] [33] [34]

[35] [36] [31/4] [206]

[207] [208] [209] [210] [37] [211] [212] [213]

XXXIV

Chronologische Dokumentenübersicht

Datum

Dokument

30.01.1819

Baden: Edikt über die „Rechtsverhältnisse der weltlichen Civil-Staatsdiener" Deutscher Bund: Korrektur der Bevölkerungsangaben durch Luxemburg und Kurhessen......... Baden: Edikt, „die Standes- und Grundherrlichen Rechtsverhältnisse im Großherzogthum Baden betreffend"....... Exkurs: Frankfurter Territorialrezeß Provisorische Exekutions-Ordnung in Beziehung auf den zweiten Artikel der Bundes-Acte (Bundesbeschluß) „Provisorischer Bundesbeschluß über die in Ansehung der Universitäten zu ergreifenden Maßregeln" Bundes-Universitätsgesetz „Provisorische Bestimmungen hinsichtlich der Freiheit der Presse" - Provisorisches Bundes-Preßgesetz (Bundesbeschluß) , Bundesbeschluß über „die Bestellung einer Central-Behörde zur näheren Untersuchung der in mehreren Bundesstaaten entdeckten revolutionären Umtriebe" Bundes-Untersuchungsgesetz.. Bundesbeschluß zur Umsetzung der „Karlsbader Beschlüsse".. Baden: Bekanntgabe von vier vom 20. September 1819 stammenden provisorischen Beschlüssen der deutschen Bundesversammlung Baden: Zensuredikt Schlußakte der Wiener Ministerialkonferenzen (Wiener Schlußakte) Bundesbeschluß über das bei der Aufstellung der Austrägalinstanzen zu beobachtende Verfahren „Executions-Ordnung zur Vollziehung der Beschlüsse des Bundestags und der Erkenntnisse der Austrägal-Instanzen" Definitive Bundes-Exekutionsordnung - (Bundesbeschluß) Grundzüge der Kriegsverfassung des Deutschen Bundes Nähere Bestimmungen über die Kriegsverfassung des Deutschen Bundes Nähere Bestimmungen über die Kriegsverfassung des Deutschen Bundes Bundesbeschluß über die einstweilige Fortdauer der provisorischen Bundes-Matrikel , „Provisorische Maßregeln zur nöthigen Aufrechterhaltung der inneren Sicherheit und öffentlichen Ordnung im Bunde" Baden: Verfassungsgesetz Verordnung über Kinder aus gemischtkonfessionellen Ehen..... Bundesbeschluß über das großherzoglich- und herzoglich-sächsische Kontingent..... Bundesbeschluß über „Maßregeln zur Herstellung und Erhaltung der Ruhe in Deutschland"..... ., Baden: Verordnung, die „Führung der Grund- und Unterpfandsbücher für die zu keiner Ortsgemarkung gehörigen Liegenschaften betreffend".... Ergänzung der Bundesmatrikel Baden: Gesetz „Die Aufhebung des Verfassungsgesetzes vom 14. April 1825" Bundesbeschluß „gegen den Mißbrauch der Presse".,

04.02.1819, 16.04.1819 . . 20.07.1819 20.09.1819 20.09.1819

20.09.1819.....

20.09.1819

20.09.1819 05.10.1819

05.11.1819 15.05.1820 03.08.1820 03.08.1820

09.04.1821 12.04.1821 11.07.1822 12.07.1823 16.08.1824 14.04.1825 08.06.1826 12.07.1827..... 21.10.1830 13.01.1831.....

30.04.1831..... 08.06.1831 10.11.1831

Seiten- Dok.-T zahl

1890

[214]

666

[37/1]

1901 614

[215] [31/5]

678

[38]

680

[39]

682

[40]

685 688

[41] [42]

1914

[216]

1915

[216/1]

689

[43]

659

[35/1]

704

[44]

707

[45]

710

[46]

710

[46]

667 730 1844 1589

[37/2] [47] [211/1] [190/1]

668

[37/3 ]

731

[48]

1786 670

[202/2] [37/4]

1845 733

[211/2] [49]

Chronologische Dokumentenübersicht Datum

Dokument

28.12.1831..... Baden: Gesetz über die jeweiUge teilweise Erneuerung der Ständeversammlung in beiden Kammern.. 28.12.1831 Baden: Gesetz über die Polizei der Presse und über die Bestrafung der Pressvergehen 31.12.1831..... Baden: Gesetz über die Ansprüche der Lehrer verschiedener Anstalten hinsichtlich der Witwen-, Pensions- und Unterstützungsgehalte für ihre Hinterbliebenen 31.12.1831 Baden: Gesetz über die Verfassung und Verwaltung der Amortisationskasse , 14.06.1832 Bundesbeschluß 28.06.1832..... Bundesbeschluß über „Maßregeln zur Aufrechterhaltung der gesetzlichen Ordnung und Ruhe im Deutschen Bunde" („Sechs Artikel") 05.07.1832 (Zweiter) Bundesbeschluß über „Maßregeln zur Aufrechterhaltung der gesetzlichen Ordnung und Ruhe im Deutschen Bunde" („Zehn Artikel") 28.07.1832 Baden: Verordnung, das Preßgesetz vom 28. Dezember 1831 betreffend 03.08.1832 Baden: Bekanntmachung, die „Unzulässigkeit der Erteilung von Moratorien im Gnadenwege betreffend" 09.08.1832 Bundesbeschluß über „Umtriebe durch Verfertigung von Petitionen und Protestationen gegen die von der Gesammtheit des Bundes iminteresse der innem Ruhe und gesetzlichen Ordnung gefaßten Bundesbeschlüsse" 06.09.1832 Bundesbeschluß zur „Sicherstellung der Rechte der Schriftsteller und Verleger gegen den Nachdruck, in Folge des Art. 18d der deutschen Bundesacte" 08.11.1832 Bundesbeschluß. 29.11.1832 Bundesbeschluß 12.12.1832 Anhalt-Bemburg: „Landesherrliche Verordnung, die höchste Installirung des Geheimen Conferenzraths betreffend" 22.03.1833 Zollvereinigungsvertrag (Preußen, Kurhessen und HessenDarmstadt ./. Bayern und Württemberg) 30.03.1833 Zollvereinigungserweiterungsvertrag (Preußen, Bayern, Württemberg, Kurhessen und Hessen-Darmstadt./. Sachsen).... 11.05.1833 ZoUvereinigungserweiterungsvertrag (Preußen, Bayern, Württemberg, Sachsen, Kurhessen und Hessen-Darmstadt./. dem Thüringer Zoll- und Handels verein angehörende Staaten) 20.06.1833 Bundesbeschluß hinsichtlich der „Bestellung einer Central-Behörde wegen eines gegen den Bestand des Deutschen Bundes und die öffentliche Ordnung in Deutschland gerichteten Complotts" , 08.08.1833 Bundesbeschluß 10.10.1833 Bundesbeschluß 26.02.1834 Berichtigung der Bundesmatrikel 30.03.1834 Anhalt-Bemburg: „Landesherrliche Verordnung, den Geheimen Conferenzrath betreffend" 12.06.1834 Geheimer Bundesbeschluß („Sechzig Artikel" Schlußprotokoll der Wiener Ministerkonferenzen) 18.09.1834..... Bundesbeschluß „über die UnStatthaftigkeit der Einmischung fremder Mächte in die inneren Angelegenheiten des Deutschen Bundes" 30.10.1834 Bundesschiedsgerichtsverfassung

XXXV

Seiten- Dok.-N zahl

1845

[211/3]

1920

[216/2]

1808

[203/1]

1934 684

[217] [40/1]

734

[50]

737

[51]

1933

[216/3]

1787

[202/3]

740

[52]

741 737 685

[53] [50/1] [40/2]

1411

[155]

837

[85]

851

[86]

866

[87]

742 744 745 670

[54] [54/1] [54/2] [37/5]

1412

[156]

746

[55]

764 766

[56] [57]

XXXVI

Chronologische Dokumentenübersicht

Datum

Dokument

Bundesbeschluß über „gemeinsame Maßregeln in Betreff der Universitäten und Erziehungsanstalten Deutschlands" Bundes-Universitätsgesetz „ .,.. ,. 13.11.1834 Authentische Interpretation der in Art. 12 der Bundesacte enthaltenen Bestimmungen wegen Verschickung der Acten auf eine deutsche Fakultät oder an einen Schöppenstuhl Bundesbeschluß über das Verbot der Aktenversendung 27.11.1834 Bundesbeschluß zum Verbot der Aktenversendung 15.01.1835 Bundesbeschluß über „das Wandern, auch die Versammlungen und Verbindungen der deutschen Handwerksgesellen". 12.05.1835 Zollvereinigungserweitemngsvertrag (Preußen, Bayern, Württemberg, Sachsen, Kurhessen, Hessen-Darmstadt sowie Thüringer Zoll- und Handelsverein ./. Baden) 05.11.1835 Bundesbeschluß über das Verbot der Aktenversendung in Polizei- und Strafsachen 10.12.1835 Zollvereinigungserweiterungsvertrag (Preußen, Bayern, Württemberg, Sachsen, Baden, Kurhessen, Hessen-Darmstadt sowie Thüringer Zoll- und Handels verein J. Nassau) 02.01.1836 Zollvereinigungserweiterungsvertrag (Preußen, Bayern, Württemberg, Sachsen, Baden, Kurhessen, Hessen-Darmstadt, Nassau sowie Thüringer Zoll- und Handelsverein ./. Freie Stadt Frankfurt) 18.02.1836 Baden: § 5 der Provisorischen Verordnung 18.08.1836 Bundesbeschluß „über Bestrafung von Vergehen gegen den Deutschen Bund und Auslieferung politischer Verbrecher auf deutschem Bundesgebiete" 22.06.1837 Baden: Änderungsgesetz 03.08.1837 Baden: Landesherrliche Verordnung 09.11.1837 Bundesbeschluß über „die Annahme gleichförmiger Grundsätze gegen den Nachdruck" 17.05.1838 Bundesbeschluß über die Stimme Hessen-Homburgs in der Bundesversammlung 05.09.1839 Berichtigung der Bundesmatrikel.. 30.07.1840 Baden: Gesetz über die Anwendung des Dienstrechts auf die Vorstände und Hauptlehrer verschiedener Anstalten 22.04.1841 Bundesbeschluß über „den Schutz musikalischer und dramatischer Werke gegen unbefugte Aufführung" 08.05.1841 Vertrag der bisherigen Zollvereinsmitglieder über die Verlängerung des Zollvereins 29.07.1841 Verlängerung des Bundesbeschlusses vom 13. November 1834 durch Beschluß 05.08.1841 Baden: Verfassungsänderungsgesetz 18.10.1841..... ZoUvereinigungserweiterungsvertrag (Zollvereinsstaaten ./. Lippe-Detmold) , 19.10.1841 Zollvereinigungserweiterungsvertrag (Zollvereinsstaaten ./. Braunschweig) 08.02.1842 Zollvereinigungserweiterungsvertrag (Zollvereinsstaaten ./. Luxemburg) 14.04.1842 Berichtigung der Bundesmatrikel...... 10.09.1842 Baden: Gesetz über die Errichtung der EisenbahnSchuldentilgungskasse , 15.09.1842..... Bundesbeschluß über „Committirung einer richterlichen Instanz für die Mediatisierten"

Seiten- Dok.-Nr. zahl

13.11.1834

768

[58]

775 776

[59] [60]

776

[61]

880

[88]

777

[62]

895

[89]

908 1788

[90] [202/4]

778 1938 1788

[63] [217/1] [202/5]

779

[64]

783 672

[65] [37/6]

1896

[214/1]

784

[66]

920

[91]

774 1847

[58/1] [211/4]

928

[92]

934

[93]

949

[94]

674

[37/7]

1939

[218]

787

[67]

Chronologische Dokumentenübersicht

Datum

Dokument

15.09.1842

Bundesbeschluß über „die Revision des AusträgalVerfahrens, insbesondere den in der 37. Bundestagssitzung vom Jahre 1820 vorgelegten Entwurf eines dießfalligen Beschlusses" Baden: Gesetz, „dieBesoldungen und Functionsgehalte der Staatsdiener betreffend" Verlängerung des Bundesbeschlusses vom 9. November 1837 durch Beschluß , Bundesbeschluß zur Unterdrückung des Sklavenhandels Bundesbeschluß über die „communistischen Vereine" Vertrag (Zollvereinsstaaten ./. Luxemburg) ,. Patent über die Inbesitznahme Anhalt-Köthens durch den Herzog von Anhalt-Dessau Bundesbeschluß über die Einführung der Pressfreiheit...... Bundesbeschluß über Wappen und Farben des Deutschen Bundes.. Bundesbeschluß über die Berufung von Männern des allgemeinen Vertrauens Patent wegen einer dem Herzogthum Anhalt-Bemburg zu verleihenden Verfassung Anhalt-Köthen: Bekanntmachung, „die Einfuhrung einer landständischen Verfassung, die Aufhebung der Censur und Bildung einer Bürgerwehr betreffend" (Erster) Bundesbeschluß über die Wahl der deutschen Nationalversammlung Bundesbeschluß über die Aufhebung der Bundes-Ausnahmegesetze aus dem Jahre 1819 (Zweiter) Bundesbeschluß über die Wahl der deutschen Nationalversammlung („Bundeswahlgesetz") Reichsgesetz über die Einführung einer provisorischen Zentralgewalt für Deutschland.... Erklärung der Bundesversammlung zur Übertragung ihrer Zuständigkeiten auf die provisorische Reichsgewalt Anhalt-Bemburg: Landesherrliche Verordnung, die Aufhebung des Geheimen Conferenzrathes und die Bildung eines Staatsministeriums betreffend Reichsgesetz über die Verkündung der Reichsgesetze und der Verfugungen der provisorischen Zentralgewalt Verfassungs-Urkunde für das Herzogthum Anhalt-Köthen Verfassungsurkunde fur das Herzogtum Anhalt-Dessau Anhalt-Köthen: Bekanntmachung, „die Aufhebung der Jagdgerechtigkeit auf fremdem Grund und Boden betreffend".. Anhalt-Bemburg: Bekanntmachung in Betreff des Landesverfassungsgesetzes Landesverfassungsgesetz (Oktroyierte Verfassung) für das Herzogtum Anhalt-Bemburg Anhalt-Bemburg: „Zusatz zu dem unterm 14. December c. erlassenen Landesverfassungs-Gesetze" , Gesetz, betreffend die Gmndrechte des Deutschen Volkes nebst Einfühmngsgesetz Baden: Gesetz, „die Besoldung und Pensionimng der Staatsdiener, beziehungsweise die Emeuemng des diesfälligen Gesetzes vom 3. August 1844 betreffend" Anhalt-Bemburg Gesetz, betreffend die Gmndrechte des deutschen Volkes

03.08.1844..... 19.06.1845..... 19.06.1845 06.08.1846..... 02.04.1847 23.11.1847 03.03.1848 09.03.1848 10.03.1848 16.03.1848 16./17.03 1848 30.03.1848..... 02.04.1848 07.04.1848 28.06.1848 12.07.1848 24.07.1848.....

27.09.1848..... 28.10.1848 29.10.1848 16.11.1848..... 14.12.1848..... 14.12.1848..... 16.12.1848 27.12.1848 27.12.1848.....

28.12.1848

XXXVII

Seiten- Dok.-Nr. zahl

788

68]

1899

214/2]

781 789 790 957

64/1] 69] 70] 95]

1541 791

183] 71]

792

72]

793

73]

1414

157]

1542

184]

793

74]

794

75]

795

76]

1031

103]

796

77]

1414

158]

1032 1543 1469

[104] [185] [169]

1559

[185/1]

1415

[159]

1416

[160]

1431

[160/1]

1033

[105]

1900

[214/3]

1434

[161]

XXXVIII Datum

Chronologische Dokumentenübersicht Dokument

12.01.1849 Baden: Verkündung der Grundrechte des deutschen Volkes...... 17.02.1849..... Baden: Gesetz, die „Aufhebung der Beschränkung staatsbürgerlicher Rechte aus Rücksichten der Confession" 28.03.1849..... Verfassung des Deutschen Reiches („Frankfurter Reichsverfassung"). , 29.03.1849 Anhalt-Bemburg: „Landesherrliche Verordnung, die Erläuterung der §§61 und 74 des Verfassungsgesetzes betreffend". 04.05.1849 Baden: Bekanntmachung der auf den 28. April 1849 datierten Reichsverfassung 15.05.1849 Baden: Bekanntmachung des Ministeriums der Finanzen.......... 17.05.1849 Baden: Dekret, die Auflösung der Karomem betreffend 17.05.1849 Baden: Gesetz, die Einberufung einer konstituierenden Versammlung betreffend 17.05.1849 Baden: Dekret, die Freilassung der politischen Gefangenen betreffend 17.05.1849 Vertrag zwischen dem Landesausschuß von Baden und der provisorischen Regierung der Rheinpfalz 18.05.1849 Baden: Verordnung über die Ernennung von „Civilcommissären" und „Obercommissären" 26.05.1849 Bündnisvertrag zwischen Preußen, Sachsen und Hannover („Dreikönigsbündnis") 28.05.1849 „Erfurter Unionsverfassung" 01.06.1849 Baden: Proklamationen zur Einsetzung einer provisorischen Regierung 02.06.1849..... Baden: Großherzogliche Proklamation zu den revolutionären Ereignissen 05.06.1849..... Baden: Erklärung des Kriegszustandes durch die provisorische Regierung Badens 07.06.1849 Baden: Bekanntmachung der provisorischen Regierung Badens zur Einberufung einer konstituierenden Versammlung . 09.06.1849 Baden: Großherzogliche provisorische Verordnung über die Versetzung des Landes in den Kriegszustand 13.06.1849 Beschluß der verfassungsgebenden Versammlung Badens über die Errichtung einer provisorischen Regierung mit diktatorischer Gewalt 14.06.1849 Gesetz der verfassungsgebenden Versammlung Badens über die Diäten und Reisekosten ihrer Mitglieder 15.06.1849 Beschluß der verfassungsgebenden Versammlung Badens über die Wahl einer provisorischen Regierung für Baden 15.06.1849 Gesetz der verfassungsgebenden Versammlung Badens über die Versetzung des Landes in den Kriegszustand 23.06.1849 Baden: Großherzogliche Bekanntmachung des Kriegszustands für das gesamte Großherzogtum 12.07.1849 Anhalt-Bemburg: „Nachtrag zur Verfassungsurkunde vom 14. December 1848"... 18.11.1849 Verordnung, „die im ersten ordentlichen vereinigten Landtage beschlossene Abänderung einiger Verfassungs-Bestimmungen für die Herzogthümer Anhalt-Dessau und Anhalt-Köthen betreffend" 18.11.1849..... Verordnung, „die im ersten ordentlichen vereinigten Landtage beschlossene Abänderung einiger Verfassungs-Bestimmungen für die Herzogthümer Anhalt-Dessau und Anhalt-Köthen betreffend"

Seiten- Dok.-Nr. zahl 1941

[219]

1849

[211/5]

1042

[106]

1432

[160/2]

1942 1944 1945

[220] [224] [225]

1945

[226]

1946

[227]

1947

[228]

1947

[229]

1076 1079

[107] [108]

1949

[230]

1950

[231]

1951

[232]

1953

[233]

1954

[234]

1956

[235]

1957

[236]

1957

[237]

1958

[238]

1956

[234/1]

1433

[160/3]

1485

[169/1]

1560

[185/2]

Chronologische Dokumentenübersicht Datum

Dokument

05.12.1849

Anhalt-Bemburg: „Provisorisches Gesetz wegen Abänderung des ersten Satzes des § 66 der Verfassung" Additionalakte zur Erfurter Unionsverfassung. Übereinkunft zwischen Bayern, Sachsen und Württemberg über die Hauptgrundsätze fur eine Revision der Bundesverfassung („Vierkönigsbündnis") Landesverfassungsgesetz (Revidierte Verfassung) des Herzogtums Anhalt-Bemburg..... Anhalt-Bemburg: Gesetz zum Schutze der Rechte aus den §§ 5, 6 und 12 der Verfassung Anhalt-Dessau: „Verordnung, „die im zweiten ordentlichen vereinigten Landtage beschlossene Abändemng einiger Verfassungs-Bestimmungen für die Herzogthümer AnhaltDessau und Anhalt-Köthen betreffend" Anhalt-Köthen: „Verordnung, die im zweiten ordentlichen vereinigten Landtage beschlossene Abändemng einiger Verfassungs-Bestimmungen für die Herzogthümer AnhaltDessau und Anhalt-Köthen betreffend" Beschluß (zur Additionalakte) Anhalt-Dessau: „Provisorische Gesetze über die Presse und über das Versammlungs- und Vereinigungsrecht" nebst „Publikations-Patent" Anhalt-Köthen: „Provisorische Gesetze über die Presse und über das Versammlungs- und Vereinigungsrecht" nebst „Publikations-Patent" Baden: Unmittelbare allerhöchste Entschließung des Großherzogs, „Die Gmndrechte des deutschen Volkes betreffend" Anhalt Dessau (Köthen): Herzogliche Proklamation „An mein Volk!" Anhalt-Dessau (Köthen): Verordnung, „die Auflösung der Landtage für die Herzogthümer Anhalt-Dessau und Anhalt-Köthen betreffend" Bundesbeschluß über die Beschleunigung des Geschäftsganges Bundesbeschluß „zur Wahmng der öffentlichen Sicherheit und Ordnung im Deutschen Bund zu treffenden Maßregeln" („Bundesreaktionsbeschluß")....... Bundesbeschluß über die Aufhebung der „Gmndrechte des deutschen Volkes" Vertrag (Preußen ./. Hannover) wegen der Vereinigung von Steuer-und Zollverein.. Vertrag (Hannover ./. Schaumburg Lippe) wegen des Zollvereinsbeitritts Schaumburg-Lippes..... Verordnung, „die Aufhebung der Verfassungsurkunde für das Herzogthum Anhalt-Dessau betreffend" Verordnung „fär die Herzogthümer Anhalt-Dessau und Anhalt-Köthen, die Publication der in der diesjährigen 20. Bundestags-Sitzung vom 23. August 1851 gefaßten Beschlüsse, die zur Wahmng der öffentlichen Sicherheit und Ordnung im deutschen Bunde zu treffenden Maßregeln und die Aufhebung der sogenannten deutschen Gmndrechte betreffend".. ,

26.02.1850 27.02.1850

28.02.1850..... 10.03.1850..... 25.03.1850

25.03.1850

27.04.1850 26.12.1850

26.12.1850

05.05.1851

21.07.1851 21.07.1851.....

16.08.1851..... 23.08.1851.....

23.08.1851..... 07.09.1851 25.09.1851..... 04.11.1851..... 04.11.1851

XXXIX

Seiten- Dok.-Nr. zahl

1433 1106

[160/4] [109]

1109

[110]

1435

[162]

1457

[163]

1487

[169/2]

1562 1107

[185/3] [109/1]

1488

[169/3]

1562

[185/4]

1959

[239]

1508

[170]

1509

[171]

645

[32/1]

797

[78]

799

[79]

959

[96]

962

[97]

1506

[169/4]

1510

[172]

XL

Chronologische Dokumentenübersicht

Datum

Dokument

Seiten- Dok.-Nr. zahl

04.11.1851

Verordnung „für die Herzogthümer Anhalt-Dessau und Anhalt-Köthen, die Aufhebung 1) der Verordnungen über die Verantwortlichkeit der Minister, 2) des Wahlgesetzes, 3) der Geschäfts-Ordnung für die Landtage, sowie das Fortbestehen der anderen, auf Grund der bisherigen Verfassungen erlassenen Gesetze betreffend" 1512 04.11.1851..... Verordnung, „die Aufhebung der Verfassungsurkunde für das Herzogthum betreffend" 1562 18.11.1851 Anhalt-Köthen: Bekanntmachung, „die Gültigkeit der durch die Verfassung abgeschafften Gesetze und Rechtsnormen betreffend" 1564 24.11.1851 Anhalt-Köthen: Bekanntmachung, „in Betreff der einstweiligen Gültigkeit der bisher bestandenen Gesetze etc." .. 1564 30.11.1851 Anhalt-Bemburg: „Gesetz, die Abänderung der §§ 13 und 36 des Verfassungsgesetzes, hinsichtlich der Todesstrafe und der Competenz der Schwurgerichte betreffend" 1450 30.11.1851 Anhalt-Bemburg: Gesetz, die Aufhebung der deutschen Grundrechte betreffend 1461 20.12.1851 Bundesbeschluß zur Matrikularbevölkerung des Großherzogtums Luxemburg und des Herzogtums Limburg 676 05.02.1852 Anhalt-Bemburg: „Gesetz über die Auslegung der § § 2 7 - 3 0 des Landesverfassungsgesetzes in Betreff des öffentlichen Unterrichts" 1450 05.02.1852 Anhalt-Bemburg: „Gesetz, L über die Aufhebung des § 50 des . Landesverfassungsgesetzes wegen Gewährleistung der Theilbarkeit des Gmndeigenthums, IL Zusätze zu den allgemeinen Bestimmungen des Landesverfassungsgesetzes wegen Publication und Rechtsgültigkeit der Gesetze und Verordnungen betreffend" 1451 01.03.1852 Vertrag (Preußen und Hannover ./. Oldenburg) wegen des oldenburgischen Zollvereinsbeitritts 964 19.03.1852 Baden: Gesetz, die Feuerversichemngsanstalt der Gebäude betreffend 1661 02.12.1852..... Anhalt-Bemburg: „Gesetz, die Form des Eides betreffend" 1452 01.03.1853 Baden: Landesherrliche Verordnung, „die Aufhebung der 1 andesherrlichen Dekanate betreffend" 1789 08.04.1853 Zollvereinsverlängemngs-bzw.-emeuemngsvertrag 965 07.05.1853 Anhalt-Bemburg: Patent „über Entlassung der Herzoglich Anhalt-Köthenschen Staatsangehörigen aus ihrer Unterthanenpflicht gegen Se. Hoheit den regierenden Herzog zu Anhalt-Bemburg" 1513 22.05.1853 Anhalt-Bemburg: Patent „wegen Vereinigung der Herzogthümer Anhalt-Dessau und Anhalt-Köthen zu Einem Herzogthume" 1514 23.05.1853 Anhalt-Bemburg: Bekannmachung des Vertrages „wegen der Vereinigung der Herzogthümer Anhalt-Dessau und AnhaltKöthen zu Einem Herzogthume" 1515 26./31.12 Vertrag (Zollvereinsstaaten ./. Luxemburg) wegen Fortdauer 1853 des Anschlusses Luxemburgs an den Zollverein... 982 05.03.1854 Anhalt-Bemburg: „Gesetz, die Abändemng der §§ 4, 34 und 84 der Landes-Verfassungs-Urkunde vom 28. Febmar 1850 betreffend" 1453 17.03.1854 Baden: Gesetz, den Erwerb des Staatsbürgerrechtes durch einen zehnjährigen ehrlichen Aufenthalt im Lande betreffend... 1704

[173] [185/5]

[186] [187]

[162/1] [164] [37/8]

[162/2]

[162/3] [98] [197/1] [162/4] [202/6] [99]

[174]

[175]

[176] [100]

[162/5] [198/4]

Chronologische Dokumentenübersicht

Datum

Dokument

16.06.1854 06.07.1854

Geschäftsordnung der deutschen Bundesversammlung Bundesbeschluß über „Allgemeine Bestimmungen zur Verhinderung des Mißbrauchs der Preßfreiheit" Bundespressgesetz , Bundesbeschluß über „Maßregeln zur Aufrechterhaltung der gesetzlichen Ruhe und Ordnung im Deutschen Bunde, insbesondere das Vereinswesen betreffend" Bundesvereinsgesetz „. Revidierte Fassung der Näheren Bestimmungen über die Kriegsverfassung Anhalt-Bemburg: „Gesetz, die Abänderung der §§ 53, 54, 39 und 17 der Landes-Verfassungs-Urkunde vom 28. Februar 1850 betreffend" Anhalt-Bemburg: „Gesetz, die Abänderung des § 13 des Landes-Verfassungs-Gesetzes vom 28. Februar 1850 und die Aufhebung des § 2 des Gesetzes über die Einfuhrung der Preuß. Verordnung über die Disciplinarbestrafung für die hiesigen Truppen vom 14. März 1850 betreffend"..... Anhalt-Bemburg: Verordnung über die Ernennung ihrer Hoheit der Herzogin Friederike zu Anhalt zur Mitreg entin Bundesbeschluß Verlängemng des Bundesbeschlusses vom 9. November 1837 durch Beschluß Bundesbeschluß Erweitemng des Bundesbeschlusses vom 22. April 1841 durch Beschluß Bundesbeschluß Anhalt: Landschaftsordnung und Geschäftsordnung für die anhaltischen Herzogtümer Anhalt-Bemburg: „Pubhcations-Patent" sowie Landschaftsordnung und Geschäftsordnung für die anhaltischen Herzogtümer Anhalt-Bemburg: Erklämngen der Anhaltischen Herzöge zur künftigen Landschaftsordnung... Anhalt-Dessau: „Publications-Patent" sowie Landschaftsordnung und Geschäftsordnung für die anhaltischen Herzogtümer Anhalt-Bemburg: „Gesetz, die Abändemng des Verfassungs-Gesetzes vom 28. Febmar 1850 betreffend" Bundesbeschluß über die Abändemng der Bundesmatrikel Baden: Gesetz, die Zuständigkeit und das Verfahren in Rechtspolizeisachen betreffend Baden: Gesetz, „die rechtliche Stellung der Kirchen und kirchlichen Vereine im Staate betreffend" Bundesbeschluß Bundesbeschluß.... Baden: Gesetz, die „Auslegung des § 74 der Verfassungsurkunde betreffend" Baden: Gesetz, „die Aufhebung des Lehenverbandes betreffend" Gewerbegesetz für das Großherzogthum Baden Anhalt-Dessau: Bekanntmachung, „die Besitznahme des Herzogthums Anhalt-Bemburg betreffend"

13.07.1854

04.01.1855 09.04.1855

29.04.1855

08.10.1855 15.11.1855 06.11.1856 12.03.1857 12.03.1857 29.10.1857 18.07./31.08.... 1859 18.07./31.08.... 1859 18.07./ 31.08.1859 18.07./. 31.08.1859 31.08.1859 26.01.1860 05.06.1860 09.10.1860..... 27.04.1861 23.01.1862 17.06.1862 09.08.1862..... 20.09.1862 20.08.1863

XLI

Seiten- Dok.-Nr. zahl 799

[80]

808

[81]

813

[82]

815

[83]

1453

[162/6]

1454

[162/7]

1462 829

[165] [83/1]

783 830

[64/2] [83/2]

786 830

[66/1] [83/3]

1333 [148]

1462 [166] 1463 [167] 1519 [177]

1455

[162/8]

677

[37/9]

1790

[202/7]

1591 831

[190/2] [83/4]

832

[83/5]

1849

[211/6]

1647 1704 1519

[195/3] [198/5] [178]

XLII

Chronologische Dokumentenübersicht

Datum

Dokument

20./22.08. 1863 .., 22.08.1863

Anhalt-Bemburg: Bekanntmachung, die Besitznahme des Herzogthums Anhalt-Bemburg betreffend Bekanntmachung, „die Besitznahme des Herzogthums Anhalt-Bemburg betreffend".. Verordnung, die Annahme des Titels: „Herzog von Anhalt" betreffend. Baden: § 81 des Gesetzes über die Verwaltung der freiwilligen Gerichtsbarkeit und über das Notariat Baden: Gesetz, den Besitz von Liegenschaften durch Ausländer betreffend. Zollvereinsvertrag Baden: Gesetz, die „Rechtsverhältnisse der Richter betreffend" PräHminarfriedensvertrag (Preußen ./. Österreich) von Nikolsburg , Friedensvertrag Preußen ./. Württemberg Schutz-und Tmtzbündnis Preußen ./. Württemberg. Schutz-und Tmtzbündnis Preußen ./. Württemberg Schutz-und Tmtzbündnis Preußen ./. Baden Bündnisvertrag Preußen ./. Norddeutsche Staaten „August-Bündnis" Bündnisvertrag Preußen ./. Mecklenburg-Schwerin und -Strelitz Friedensvertrag Preußen ./. Bayem Schutz-und Tmtzbündnis Preußen ./. Bayem Friedensvertrag von Prag (Preußen ./. Österreich) Bundesbeschluß über die definitive Einstellung des Sitzungsbetriebs der Bundesversammlung Friedensvertrag Preußen ./. Hessen Friedensvertrag Preußen ./. Reuß ä. L Friedensvertrag Preußen ./. Sachsen-Meiningen Friedensvertrag Preußen ./. Königreich Sachsen Militärkonvention Preußen ./„ Königreich Sachsen Militärkonvention Preußen ./. Hessen Schutz- und Tmtzbündnis Preußen ./. Hessen Verfassung des Norddeutschen Bundes Anhalt: Publikationspatent über die Verfassung des Norddeutschen Bundes Vertrag (Norddeutscher Bund ./. Bayem, Württemberg, Baden und Hessen) über die Fortdauer des Zoll- und Handelsvereins (Zoll-und Handelsvereinsvertrag) Baden: Gesetz, die Abändemng, beziehungsweise Ergänzung der Verfassungsurkunde betreffend Baden: Gesetz, die Abändemng des § 67 der Verfassungsurkunde bezüglich der Minister betreffend Wahlgesetz für den Reichstag des Norddeutschen Bundes Anhalt: Gesetz, die Auseinandersetzung des Herzoglichen Hauses und des Landes bezüglich des Domaniums betreffend .. Baden: Gesetz, die „Aendemng einiger Bestimmungen der Verfassungsurkunde betreffend" Baden: Gesetz, die „Aendemng einiger Bestimmungen der Verfassungsurkunde betreffend" , Baden: Gesetz, „einige Abändemngen der Wahlordnung betreffend"

30.08.1863 28.05.1864..... 04.06.1864 16.05.1865..... 07.10.1865 26.07.1866 13.08.1866 13.08.1866 17.08.1866 17.08.1866 18.08.1866 21.08.1866 22.08.1866 22.08.1866 23.08.1866..... 24.08.1866 03.09.1866 26.09.1866 08.10.1866 21.10.1866 07.02.1867 07.04.1867..... 11.04.1867 16.04.1867 25.06.1867 08.07.1867

21.10.1867 20.02.1868..... 31.05.1869 28.06.1869 21.12.1869 16.04.1870 16.04.1870.....

Seiten- Dok.-Nr. zahl

1406

[149]

1464

[168]

1406

[150]

1791

[202/8]

1705 983

[198/6] [101]

1960

[240]

1115 1117 1119 1120 1123

[111] [112] [113] [114] [115]

1124

[116]

1127 1129 1133 1134

[117] [118] [119] [120]

833 1140 1144 1146 1147 1155 1160 1166 1167

[84] [121] [122] [123] [124] [125] [126] [127] [128]

1407

[151]

1008

[102]

1850

[211/7]

1851 1185

[211/8] [128 a]

1347

[148/1]

1853

[211/9]

1855

[211/10]

1882

[213/1]

Chronologische Dokumentenübersicht Datum

Dokument

Baden: Gesetz, die Wahlbezirke für die Wahlen zur zweiten Kammer betreffend 21.07.1870.;... Gesetz zur interimistischen Verlängerung der Legislaturperiode des Reichstages..... , 15.11.1870 Vertrag (Norddeutscher Bund ./. Baden und Hessen) über die Gründung des Deutschen Bundes und Annahme der Bundesverfassung 21./ 25.11.1870 Militärkonvention (Norddeutscher Bund ./. Württemberg) 23.11.1870 Vertrag (Norddeutscher Bund ./. Bayern) über den Beitritt Bayerns zur Verfassung des Deutschen Bundes 23.11.1870 SchlußprotokoU zum Vertrag 23.11.1870 Geheime Verabredung (Preußen ./. Bayern) 25.11.1870 Vertrag (Norddeutscher Bund, Baden und Hessen ./. Württemberg) über den Beitritt Württembergs zur Verfassung des Deutschen Bundes 25.11.1870 SchlußprotokoU zum Vertrag (Norddeutscher Bund, Baden und Hessen ./. Württemberg) 25.11.1870 Militärkonvention (Preußen ./. Baden) 28.11.1870 Aufgrund des Art. XV des SchlußprotokoUes vorgenommene Berichtigungen des Wortlauts der Bundesverfassung 08.12.1870 Vereinbarung (Norddeutscher Bund ./. Bayern, Württemberg, Baden und Hessen) über die Verfassung des Deutschen Bundes 09./10.12 Beschluß des Norddeutschen Bundesrats und Reichstags über 1870 die Einführung der Bezeichnungen „Deutsches Reich" und „Deutscher Kaiser" 31.12.1870 Baden: Großherzogliche Bekaimtmachung des badischen Eintritts in den Deutschen Bund 01.01.1871 Verfassung des Deutschen Bundes (Beilage zu den „Versailler Verträgen") 04.01.1871 Baden: Bekanntmachung des Staatsministerium über den badischen Eintritt in den Deutschen Bund 26.02.1871 Präliminar-Friedensvertrag von Versailles (Deutsches Reich ./. Frankreich) 16.04.1871 Gesetz, betreffend die Verfassung des Deutschen Reichs („Reichsverfassung") 22.04.1871 Gesetz, betreffend die Einführung Norddeutscher Bundesgesetze in Bayern 10.05.1871 Friedensvertrag von Frankfurt (Deutsches Reich ./. Frankreich) 15.07.1871 Anhalt: Gesetz, betreffend die Abänderung einiger Bestimmungen der Landschafts- und Geschäftsordnung............ 19.02.1872 Anhalt: Gesetz, betreffend die Abänderung einiger weiterer Bestimmungen der Landschaftsordnung 24.02.1873..... Gesetz, betreffend die Abänderung des Artikels 28 der Reichsverfassung 03.03.1873 Gesetz, betreffend einen Zusatz zu dem Artikel 4 Nr. 9 der Reichsverfassung 20.12.1873 Gesetz, betreffend die Abänderung der Nr. 13 des Artikels 4 der Verfassung des Deutschen Reichs 29.12.1873 Anhalt: Gesetz, betreffend einen Zusatz zu § 21 der Geschäftsordnung für den Landtag..

XLIII

Seiten- Dok.-Nr. zahl

16.04.1870

1884

213/2]

1185

128/1]

1191

129]

1216

131/2]

1194 1206 1210

130] 130/1] 130/2]

1212

131]

1215 1222

131/1] 132]

1210

1229

1251

130/3]

133]

134/1]

1965 241] 1231 134] 1966 242] 1251 135] 1259 136] 1295 136 a] 1298 137] 1348 148/2] 1351 148/3] 1280 136/1] 1280 136/2] 1281 136/3] 1354 148/4]

XLIV Datum

Chronologische Dokumentenübersicht Dokument

04.02,1874..... Anhalt: Gesetz, die Abänderung des § 26 der Landschaftsordnung betreffend , 24.01,1876..... Anhalt: Gesetz, die Einführung zu einer neuen Geschäftsordnung für den Landtag betreffend 23.06.1876..... Baden: Gesetz, „die Statuten des Civildienerwittwenfiskus betreffend".. 25.08,1876..... Baden: Gesetz, die Errichtung und Befugnisse der Oberrechnungskammer betreffend... 17.03,1878..... Gesetz, betreffend die Stellvertretung des Reichskanzlers 14.02,1879 Baden: Gesetz, die „Rechtsverhältnisse der Richter betreffend" , 24.02,1880 Baden: Gesetz, den Verwaltungsgerichtshof und das verwaltungsgerichtliche Verfahren betreffend 22.05,1882 Baden: Gesetz über den Staatsvoranschlag und die Verwaltung der Staatseinnahmen und -ausgaben (Etatgesetz)... 29.01,1884 Baden: Gesetz, die Abänderung des Gesetzes vom 25. August 1876 über die Einrichtung und Befugnisse der Oberrechnungskammer betreffend 28.04,1886..... Baden: Gesetz über die Aufnahme der als Staatsdiener angestellten evangelischen Geistlichen in den ZivildienerWitwenfiskus 07.04.1887..... Anhalt: Gesetz, die Anpassung verschiedener auf die Staatsergänzungssteuer bezüglichen Gesetzesvorschriften an das System der Einkommensteuer und der festen Grundsteuer betreffend 11.02,1888 Art. I des Gesetzes, betreffend Aenderungen der Wehrpflicht... 19.03,1888 Gesetz, betreffend die Abänderung des Artikels 24 der Reichsverfassung 24.07. 1888..... Baden: § 147 des Beamtengesetzes Baden: Gesetz, die Abänderung des Gesetzes über den 24.07. 1888 Staats Voranschlag und die Verwaltung der Staatseinnahmen und -ausgaben (Etatgesetz) betreffend 01.03 1890..... Anhalt: Gesetz, betreffend eine anderweite Abänderung des § 4 des Gesetzes Nr. 288 vom 19. Februar 1872, die Abänderung von Bestimmungen der Landschaftsordnung betreffend 15.12 1890..... Gesetz, betreffend die Vereinigung von Helgoland mit dem Deutschen Reich 26.02 1891..... Anhalt: Gesetz, die Abänderung einiger Bestimmungen der Geschäftsordnung für den Landtag und der Landschaftsordnung betreffend 19.05. 1895 Anhalt: Gesetz, betreffend die Abänderung der Landschaftsordnung..., 25.05 1893..... Gesetz, betreffend die Ersatzvertheilung.... 17.06 1899 Baden: Art. 39 Nr. 4 des Gesetzes, „die Ausführung des Bürgerlichen Gesetzbuchs betreffend". 17.06 1899..... Baden: Art. 39 Nr. 5 des Gesetzes, „die Ausführung des Bürgerlichen Gesetzbuchs betreffend".., 14.05 1904...... Gesetz, betreffend Änderungen im Finanzwesen des Reichs 24.08 1904..... Baden: Gesetz, die „Abänderung der Verfassung betreffend".... 24.08 1904..... Baden: § 75 des Landtagswahlgesetzes 26.08 1904 Baden: (Neu-)Bekanntmachung der Verfassungsurkunde für das Großherzogtum Baden 15.04 1905..... Gesetz, betreffend Änderung der Wehrpflicht

Seiten- Dok.-Nr. zahl

1355

[148/5]

1356

[148/6]

1809

[203/2]

1967 [243] 1318 [138] 1963

[240/1]

1974 [244] 1977 [245] 1973

[243/1]

1814

[203/3]

1368 1281

[148/7] [136/4]

1283 1856

[136/5] [211/11]

1986

[245/1]

1370

[148/8]

1319 [139]

1371

[148/9]

1372 1283

[148/10] [136/6]

1600

[192/1]

1706 1285 1857 1890

[198/7] [136/7] [211/12] (213/3]

1987 [246] 1286 [136/8]

Chronologische Dokumentenübersicht

Datum

Dokument

21.05.1906

Gesetz, betreffend die Änderung des Artikels 32 der Reichsverfassung § 5 des Gesetzes, betreffend die Ordnung des Reichshaushalts und die Tilgung der Reichsschuld.... Gesetz über die Verfassung Elsaß-Lothringens , Art. I des Gesetzes, betreffend den Ausbau der deutschen Wasserstraßen und die Erhebung von Schiffahrtsabgaben Anhalt: Landtagswahlgesetz Anhalt: Gesetz, betreffend die Einführung einer neuen Geschäftsordnung für den Landtag..... Verordnung, betreffend die Erklärung des Kriegszustandes....... §§ 3 und 4 des Gesetzes über die Ermächtigung des Bundesrats zu wirtschaftlichen Maßnahmen und über die Verlängerung der Fristen des Wechsel- und Scheckrechts im Falle kriegerischer Ereignisse Allerhöchster Erlaß über die Ermächtigung des Reichskanzlers zur selbständigen Erledigung von Regierungsgeschäften im Bereiche der Reichsverwaltung Anhalt: Gesetz, betreffend die Abänderung des Landtagswahlgesetzes, des Gesetzes über die Einführung einer neuen Geschäftsordnung für den Landtag und der Gemeindeordnung Anhalt: Gesetz, betreffend das Inkrafttreten des Landtagswahlgesetzes, des Gesetzes über die Einfuhrung einer neuen Geschäftsordnung für den Landtag und der Gemeindeordnung Anhalt: Gesetz, betreffend das Inkrafttreten des Landtagswahlgesetzes, des Gesetzes über die Einfuhrung einer neuen Geschäftsordnung für den Landtag und der Gemeindeordnung Anhalt: Gesetz, betreffend das Inkrafttreten des Landtagswahlgesetzes, des Gesetzes über die Einführung einer neuen Geschäftsordnung für den Landtag und der Gemeindeordnung , Gesetz über die Verlängerung der Legislaturperiode des Reichstags Gesetz über die nochmalige Verlängerung der Legislaturperiode des Reichstags Gesetz über die abermalige Verlängerung der Legislaturperiode des Reichstags Gesetz über die Zusammensetzung des Reichstags und die Verhältniswahl in großen Reichstagswahlkreisen Patent, betreffend die Thronfolge des Herzogs Joachim Ernst von Anhalt Gesetz zur Abänderung der Reichsverfassung und des Gesetzes, betreffend die Stellvertretung des Reichskanzlers, vom 17. März 1878 Gesetz zur Abänderung der Reichsverfassung Bekanntmachung über die Thronentsagung des Kaisers und den Thronverzicht des Kronprinzen. Bekanntmachung der provisorischen Regierung für Baden........ Baden: Erklärung des Großherzogs Aufruf des Rats der Volksbeauftragten an das deutsche Volk.... Anhalt: Abdankungserklärung des Prinzregent Aribert ,

03.06.1906 31.05.1911..... 24.12.1911..... 27.04.1913 16.04.1914 31.07.1914 04.08.1914

16.08.1914

29.08.1914.....

12.02.1915

14.02.1916

26.09.1916

16.10.1916 23.07.1917 18.07.1918 16.08.1918 13.09.1918 28.10.1918

28.10.1918 09.11.1918..... 10.11.1918 10.11.1918..... 12.11.1918 12.11.1918

XLV

Seiten- Dok.-Nr. zahl

1289

[136/9]

1289 1289

[136/10] [136/11]

1290 1373

[136/12] [148/11]

1380 1320

[148/12] [140]

1321

[141]

1322

[142]

1402

[148/13]

1403

[148/14]

1404

[148/15]

1405

[148/16]

1291

[136/13]

1292

[136/14]

1292

[136/15]

1323

[143]

1407

[152]

1293 1294

[136/16] [136/17]

1326 2004 2005 1326 1408

[144] [247] [248] [145] [153]

X L VI

Chronologische Dokumentenübersicht

Datum

Dokument

Seiten- Dok.-Nr. zahl

13.11.1918

Baden: Vorläufiger Verzicht des Großherzogs auf die Regierungsgewah..... ,....„ ,. 2006 14.11.1918 Kundmachung der provisorischen Volksregierung für Baden.,.. 2007 15.11.1918 Anhalt: Verordnung, betreffend die Auflösung des Landtags.... 1408 22.11.1918..... Baden: Großherzoglicher Verzicht auf den Thron... 2007 28.11.1918..... Abdankungserklärung Kaiser Wilhelms 11 1327 01.12.1918..... Thronfolgeverzicht des Kronprinzen Wilhelm 1328

[249] [250] [154] [251] [146] [147]

Quellennachweise

1. Archivalische Quellen: (Die nachfolgende Übersicht bezieht sich auf die unveröffentlichten Dokumentenvorlagen.) -

Bayerisches Hauptstaatsarchiv München: Bayern Urkunden 1669/1, Bl. 1-15 (für Dok. 4), 3660, S. 1 - 2 (för Dok. 130/2); 3753 (fur Dok. 110). Bundesarchiv Koblenz: Sign.: DB 1 U/3 (für Dok. 31/3), DB 1 U/9 (fur Dok. 31/2), DB 1 U/43, Bl. 1 - 69 (fur Dok. 55). Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz Berlin: III. Hauptabteilung, Ministerium der Auswärtigen Angelegenheiten, I Nr. 1684 (für Dok. 31/5), I Nr. 2345, Bl. 3v. 6v. (für Dok. 114), Bl. 7v. - 8v. (für Dok. 115), I Nr. 2534, Bl. 6 v . - l l r . (für Dok. 118), Bl. 18v. - 19v. (für Dok. 119), I Nr. 3183, Bl. 3v. - lOr. (für Dok. 121), I Nr. 3193, B1.2v.-3v. (für Dok. 127), I Nr. 3735, Bl. 3v.-4r. (für Dok. 122), I Nr. 4038, Bl. 2r. - 5v. (für Dok. 123), I Nr. 4440, Bl. 2v. - 5r. (für Dok. 112), Bl. 6v. 7r. (für Dok. 113), I Nr. 6131, Bl. 3v. - 7v. (für Dok. 111). [BPH, Rep. 53 Kaiser Wilhelm IL, E III Nr. 10] BPH, Rep. 54 Kronprinz Wilhelm, E II Nr. 1 (für Dok. 147).

-

Generallandesarchiv Karlsruhe: Sign. 48, Nr. 6373 (für Dok. 18). Hauptstaatsarchiv Stuttgart: E 100/25a, BL Iv. - 5v. (für Dok. 17).

-

Haus-, Hof- und Staatsarchiv Wien: Sign. 2207 (für Dok. 2), 2208 (für Dok. 3), 2209 (für Dok. 4), AUR 1813 X 8 (für Dok. 16). Hessisches Staatsarchiv Darmstadt: Sign. A 6, Nr. 122, Iv. - 2v. (für Dok. 19). Hessisches Staatsarchiv Marburg: Nachtrag zu den Waldeckischen Urkunden ~ bislang ungeordnet und unverzeichnet (für Dok. 10 und Dok. 25).

-

-

-

Hessisches Staatsarchiv Wiesbaden: Abt. 210, Nassauisches Staatsministerium, Nr. 8311 (für Dok. 20). Landeshauptarchiv Sachsen-Anhalt, Landesarchiv Oranienbaum, Abt. Dessau: D 9 Nr.2,BL l v . - 2 v . (fürDok. 8). Landeshauptarchiv Sachsen-Anhalt, Landesarchiv Oranienbaum, Abt. Köthen: C 5 f Nr. 12, Bl. 54 - 56r. (für Dok. 180), BL 81 - 84r. (für Dok. 181), C 5 f Nr. 49, BL 91 96 (für Dok. 182). Landeshauptarchiv Schwerin: L2 Land und Haus, Strelitzer Archiv, Nr. 146a, BL 1 - 3 (für Dok. 13), 1.1 - 13 Verträge mit außerdeutschen Staaten, Frankreich, Nr. 11, BL 1 3 (für Dok. 14). Liechtensteinisches Landesarchiv Vaduz: RB C 2/1813, Bl. Iv. - Ir. (für Dok. 30).

XLVIII

Quellennachweise

Niedersächsisches Staatsarchiv Bückeburg: Signatur F 1 A XXXV 28, Nr. 65, BL Iv. 2r. (für Dok. 11), F 1 XXXV 28.8, Bl. 1 v. - Ir. (fur Dok. 29). Niedersächsisches Staatsarchiv in Oldenburg: Best. 35 Nr. 7a, Bl. 1 - 3 (für Dok. 15). Nordrhein-Westfälisches Staatsarchiv Detmold: Signatur L 2 Nr. 1, Bl. I v . - 2 v . (für Dok. 11), L 2 Nr. 25 (für Dok. 28). Sächsisches Hauptstaatsarchiv Dresden: Neuere Urkunden, Kasten 625, Nr. 2, Bl. Iv. 2r. (für Dok. 6), Bestand 10717, Ministerium der Auswärtigen Angelegenheiten, Nr. 1030, Bl. 225 - 233 (für Dok. 125). Staatsarchiv Coburg: Urk. LA B Nr. 82, BL 1 v. - 2v. (für Dok. 23). Staatsarchiv Würzburg: Würzburger Urkunden-Libell 397, BL 1 v. - 2 (für Dok. 5). Stadtarchiv Karlsruhe: Abt. 8/PBS X Nr. 1029a (für Dok. 247). Thüringisches Staatsarchiv Gotha: Geheimes Archiv, QQ (HH), Nr. 1/1, Bl. Iv.-2r. (für Dok. 7), Nr. la (für Dok. 22). Thüringisches Staatsarchiv Greiz: Staatsverträge Reuß ä. L., Nr. 1, Bl. Iv. - Ir, (für Dok. 26), Bl. 3v. - 4v. (für Dok. 12). Thüringisches Staatsarchiv Meiningen: Geheimes Archiv Meiningen, Nr. B 2/69, BL I v - l r . (fÜrDok. 24). Thüringisches Staatsarchiv Rudolstadt: Neue Staatsverträge, Sign. 468, BL Iv, - 2v, (für Dok. 9), Sondershäuser Urkunden, Sign. 5336, Bl. Iv. - Ir. (für Dok. 21). Thüringisches Staatsarchiv Weimar: Urkunden, 1814 Jan. 1, Bl. Ir. - 2v. (für Dok. 27).

2. Publizierte Quellen: (Die nachfolgende alphabetische Übersicht betrifft die übrigen in diesem Band abgedruckten Dokumente.) Deutscher Bund (1815 - 1866): - Königlich-Baierisches Regierungsblatt, (13. Stück vom 28. März) 1807 (für Dok. 31/1). - Protokolle der Deutschen Bundesversammlung („nebst den loco dictaturae gedruckten Separat-Protokollen, Beilagen und Vorträgen" bzw. „mit den Beilagen"), Frankfurt/M., 1816 - 1866 (für Dok. 31, Dok. 31/4, Dok. 32 bis Dok. 54/2, Dok. 56 bis Dok. 84). Zollverein: - Bundes-Gesetzblatt des Norddeutschen Bundes, Berlin (Vereinigtes Gesetz-Sammlungs-Debits- und Zeitungs-Komtoir), 1867-1871, Nrn. 1 - 3: (für Dok. 102). -

Gesetzsammlung für die Königlich-Preußischen bzw. Königlichen Preußischen Staaten, enthaltend die Verordnungen vom . . . , Berlin (Gesetzsammlungsamt [Decker]), 1833 (für Dok. 85, Dok. 86, Dok. 87), 1835 (für Dok. 88), 1836 (für Dok. 89, Dok. 90), 1841 (für Dok. 91, Dok. 92, Dok. 93), 1842 (für Dok. 94), 1847 (für Dok. 95), 1851 (für Dok. 96), 1853 (für Dok. 98, Dok. 99), 1854 (für Dok. 100), 1865 (für Dok. 101).

-

Verträge und Verhandlungen aus dem Zeiträume von 1833 bis einschließlich 1856 über die Bildung und Ausführung des deutschen Zoll- und Handels- Vereins, Dritter Band, Berlin 1856 (für Dok. 97).

Quellennachweise

XLIX

Einheitsbestrebungen 1848/49: - Aktenstücke betreffend das Bündniß vom 26^^^" Mai und die Deutsche VerfassungsAngelegenheit, Erster Band, Berlin 1849 (fur Dok. 107). - Reichs-Gesetz-Blatt der Nationalversammlung, Frankfurt/M. (Stück 1 vom September) 1848 - (Stück 21 vom Juni) 1849 (für Dok. 103 bis Dok. 106). - Stenographischer Bericht über die Verhandlungen des Deutschen Parlaments zu Erfurt (Neu hrsg. als Nachdruck von W.Schubert), Bd. 2, Staatenhaus, Erfurt 1850 (fur Dok. 109, Dok. 109/1). -

Vor-Akten in der Deutschen Verfassungs-Angelegenheit, nebst Bündnißvertrag vom 26. Mai 1849. Erster Band. Vom 28. April 1849 bis 11. Juni 1849, Berlin 1849 (fur Dok. 108).

Norddeutscher Bund/Deutscher Bund/Deutsches Reich (1867 - 1918): - Beilage des Berliner Tageblatts „Der Weltspiegel", Nr. 49, vom 8. Dezember 1918 (für Dok. 146). -

~

-

Bundes-Gesetzblatt des Norddeutschen Bundes, Berlin (Vereinigtes GesetzSammlungs-Debits- und Zeitungs-Komtoir), 1867-1871, Nrn. 1 - 3 (fur Dok. 128 bis Dok. 131/2, Dok. 134)). Bundesgesetzblatt des Deutschen Bundes, Berlin (Vereinigtes Gesetz-SammlungsDebits- und Zeitungs-Komtoir), 1871, Nrn. 4 - 18 (fur Dok. 136, Dok. 136a, Dok. 137). Deutscher Reichsanzeiger und Königlich Preußischer Staatsanzeiger, Nr. 267, Berlin, Sonnabend, den 9. November 1918 (fur Dok. 144). Gesetzes- und Verordnungs-Blatt für das Großherzogthum Baden, (Nr. 72 vom 31. Dezember) 1870 (fur Dok. 132). Gesetzblatt für das Königreich Bayern 1870/71, (Nr. 22 vom 1. Februar) 1871, Beilagen III, IV (für Dok. 130/3, Dok. 133). Gesetz-Sammlung für die Königlichen Preußischen Staaten, (vom 24. Oktober) 1866, Nr. 54 (für Dok. 116, Dok. 117). Gesetz- und Verordnungsblatt für das Königreich Sachsen, (21. Stück vom Jahre) 1866, Nr. 119 (für Dok. 124). Großherzoglich Hessisches Regierungsblatt auf das Jahr 1867, (Nr. 37 vom 17. September) 1867 (für Dok. 126). Reichs-Gesetz-Blatt für das Kaiserthum Oesterreich, (43. Stück vom 2. September) 1866 (für Dok. 120). Reichsgesetzblatt (hrsg. im Reichsministerium des Innern), Berlin (Verlag des Gesetzsammlungsamts), 1871, ab Nr. 19-1922, Nr. 26 (für Dok. 135, Dok. 136/1 bis Dok. 143, Dok. 145). Verhandlungen des Norddeutschen Reichstags, 1870, IL außerordentliche Session, 10. Sitzung vom 9. Dezember 1870 (für Dok. 134/1).

Anhalt: - Anhaltischer Staatsanzeiger, Dessauer Neueste Nachrichten, Dessau, Dienstag, 12. November 1918 (für Dok. 153). - Gesetzsammlung für das Herzogthum Anhalt (auf dem Jahrgangs-Titelblatt 1918: Gesetzsammlung für Anhalt), Dessau, 1863/65, Nr. 1 (1865)- 1916/18 (1919) Nr. 21 (für Dok. 148/1 bis Dok. 148/16, Dok. 150 bis Dok. 152, Dok. 154).

L

Quellennachweise

Anhalt-Bemburg: - Gesetzsammlung für das Herzogthum Anhalt-Bernburg, Bemburg, 1720/1832(1833), Nr. 1 - 1862/63 (1863), Nr. 14 (für Dok. 155 bis Dok. 168). Anhalt-Dessau (-Köthen): - Gesetzsammlung für das Herzogthum Anhalt-Dessau, Dessau, 1818, Nr. 1/1834, Nr. 28 (1834)-1850,Nr. 7/1853 (1853)-(für Dok. 169 bis Dok. 176). - Gesetzsammlung für das Herzogthum Anhalt-Dessau-Köthen, Dessau, 1853/54 (1854), Nr. 8 - 1859/63 (1863), Nr. 11 (für Dok. 148, Dok. 149, Dok. 177, Dok. 178). Anhalt-Köthen: - Anhalt-Cöthensche Zeitung, vom 4. Januar 1851, Nr. 2, Beilage bzw. vom 5. November 1851, Nr. 89, Beilage (für Dok. 185/4, Dok. 185/5), - Sammlung der in dem Herzogthume Anhalt-Cöthen in den Jahren . . . ergangenen Gesetze, Verordnungen und Verfügungen, Cöthen, (1. Bd.) 1800/22 (ohne Jahresangabe) (4. Bd.) 1842/50 (1850) - (für Dok. 179, Dok. 183 bis Dok. 185/3, Dok. 186, Dok. 187). Baden: - „Edict, die Standes- und Grundherrlichen Rechtsverhältnisse im Großherzogthum Baden betreffend", vom 16. April 1819, (C. F. Müllers Hofbuchdruckerey, Carlsruhe) 1819 (für Dok. 215). - „Erstes ConstitutionsEdict die Kirchliche Staatsverfassung des Grosherzogthums Baden betreffend", Carlsruhe (Macklots Hofbuchhandlung) 1807 (für Dok. 190). - „Fünftes CostitutionsEdict die Lehens-Verfassung des Grosherzogthums Baden betreffend", Carlsruhe (Macklots Hofbuchhandlung) 1807 (für Dok. 195). - Gesetzes- und Verordnungs-Blatt für das Großherzogthum Baden, Karlsruhe, Freiburg i.Br. (Maisch & Vogel), 1869-(Nr. 63) 1918 (für Dok. 192/1, Dok. 197/1, Dok. 198/7, Dok. 203/2, Dok. 203/3, Dok. 211/9 bis Dok. 211/12, Dok. 213/1 bis Dok. 213/3, Dok. 240/1 bis Dok. 246). - Großherzoglich Badisches Regierungsblatt, Karlsruhe (Macklot), 7. Jahrgang, 180914. Jahrgang, 1816 und 43. Jahrgang, 1845-66. Jahrgang, 1868 (für Dok. 190/2 bis Dok. 192, Dok. 193, Dok. 194, Dok. 195/2, Dok. 195/3, Dok. 198/1 bis Dok. 198/6, Dok. 201, Dok. 201/1, Dok. 202, Dok. 202/1, Dok. 202/6 bis Dok. 202/8, Dok. 204 bis Dok. 205, Dok. 211/5 bis Dok. 211/8, Dok. 214/1 bis Dok. 214/3, Dok. 219 bis Dok. 220, Dok. 231, Dok. 234, Dok. 234/1, Dok. 239 bis Dok. 240). -

-

Großherzoglich Badisches Staats- und Regierungsblatt, Karlsruhe, 15. Jahrgang, 1817-42. Jahrgang, 1844 (für Dok. 190/1, Dok. 201/2, Dok. 202/2 bis Dok. 202/5, Dok. 203, Dok. 203/1, Dok. 206 bis Dok. 211/4, Dok. 212, Dok. 213, Dok. 216 bis Dok. 218). Karlsruher Zeitung, Badischer Staatsanzeiger, Nr. 275, Freitag, den 24. November 1918,161. Jahrgang (für Dok. 251). Karlsruher Zeitung, Staatsanzeiger für das Großherzogtum Baden, undatierte Titelseite, untere zwei Drittel der Seite, Stadtarchiv Karlsruhe, Abt. 8/PBS X Nr. 1029a (für Dok. 247, Dok. 248), Nr. 267, Freitag, den 15. November 1918, 161. Jahrgang (für Dok. 249, Dok. 250).

Quellennachweise

LI

Regierungsblatt (Baden), hrsg. von der provisorischen Regierung, Karlsruhe, (Nr. 1 [= 29] vom 16. Mai 1849 - N r . 19 [= 48] vom 23. Juni) 1849 (Nr. 1 erschien als „Badisches Regierungsblatt") - (fur Dok. 221 bis Dok. 230, Dok. 232, Dok. 233, Dok. 235 bis Dok. 238). Regierungsblatt für das Großherzogthum Baden, Karlsruhe (Macklot), 4. Jahrgang, (Nr. 18) 1806-6. Jahrgang 1808 (erschien seit 4. Jahrgang, [Nr. 18] 18065. Jahrgang, 1807 als „Regierungsblatt des Großherzogthums [z.T. „Grosherzogthum"] Baden") - (fur Dok. 188 bis Dok. 189/1, Dok. 195/1, Dok. 196, Dok. 197, Dok. 198, Dok. 199 bis Dok. 200).

Vorbemerkungen

I. Ausgangspunkt Das von gewaltigen politischen Umbrüchen gezeichnete Deutschland erhielt infolge des Abgesangs des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation im Jahre 1806 ein neues schriftlich kodifiziertes Verfassungsrecht. Auf diese Weise glaubte man nach dem Zusammenbruch des alten Reiches in den verbleibenden bzw. entstehenden Einzelstaaten, sowohl dem nunmehr erstarkenden Bedürfnis nach einer Entwicklung säkularer Grundlagen von Staatlichkeit als auch demjenigen nach der Schaffung eines möglichst einheitlichen Corpus von weitgehend positiviertem Verfassungsrecht Rechnung tragen zu können. Die mit diesem Verschriftlichungsprozeß einsetzende Regulierung von Herrschaft beschränkte sich dabei nach Inhalt und Funktion jedoch auf kein bestimmtes Format. Dennoch wurde die geschriebene Verfassung zu einem Instrument monarchisch determinierten Regelnwollens, das entweder einen ohnehin bestehenden (Staats-) Rechtszustand positiv festschrieb oder einen künftig anzustrebenden verbindlich programmierte; wobei sich zunehmend letzteres in den Vordergrund schob. Dieses sich insbesondere seit 1806 herausschälende kodifizierte deutsche Verfassungsrecht dokumentiert mit seinen Rechtsquellen bis 1918 den schrittweisen Übergang von einem traditionell ständischen oder gar fürstlich-absolutistischen zu einem zumeist monarchisch-konstitutionellen System, welches bei seinem Untergang wiederum in die nationalstaatlich-republikanisch geprägte demokratischparlamentarische Staatsform Weimars einmündet. Ungeachtet der in diesem Verfassungsrecht jeweils zum Ausdruck kommenden staatspolitischen wie Staats- und völkerrechtlichen Rahmenbedingungen wird es in seiner Eigenschaft als Rechtsquelle von der Forschung bislang eher stiefmütterlich behandelt; wie überhaupt der nach wie vor höchst unzureichende Kenntnisstand darüber unverkennbar ist. Dies zeigt sich bereits darin, daß bis heute nicht einmal eine zuverlässige Bestandsaufnahme des im 19. Jahrhunderts für die deutschen Territorien erlassenen Verfassungsrechts existiert. Den bislang umfassendsten Überblick liefert nach wie vor eine von Menzel, Groh und Hecker erarbeitete und von der Forschungsstelle für Völkerrecht und ausländisches öffentliches Recht der Universität Hamburg herausgegebene Dokumentation^ aus dem Jahre 1954. Sie benennt zwar eine noch immer eindrucksvolle Zahl von Verfassungsurkunden, läßt aber das oftmals jenseits dieser Dokumente kodifizierte Verfassungsrecht unberücksichtigt. Doch selbst mit Blick auf die eigentlichen Verfassungsurkunden ist Verfassungsregister Teil I: Deutschland.

2

Vorbemerkxingen

die dort vorgenommene Auflistung nicht einmal annähernd vollständig und erhebt auch diesen Anspruch nicht. Zudem sind die angeführten Fundstellennachweise nicht selten ungenau oder fehlerhaft. Obendrein wird dem hier zuvörderst interessierenden Zeitraum zwischen 1806 und 1918 ein unhistorischer Deutschlandbegriff (Deutschland in den Grenzen vom 31. Dezember 1937) zugrundegelegt, so daß die im allgemeinen zeitgenössischen, erst recht jedoch nach herrschendem staatspolitischen Verständnis der insoweit maßgeblichen Persönlichkeiten, aber auch in Staats- und völkerrechtlicher Hinsicht zweifelsohne „deutschen" Staaten Österreich, Liechtenstein und Luxemburg sowie zwischen 1871 und 1919 das „Reichsland" Elsaß-Lothringen nicht in diesem, sondern in einem anderen Kontext^ - nämlich im Zusammenhang mit den jeweils aktuellen Staaten (Österreich, Tschechoslowakei, Liechtenstein, Luxemburg und Frankreich) - erscheinen. Selbst in einem voluminösen Standardwerk, wie der von E. R. Huber verfaßten „Deutschen Verfassungsgeschichte seit 1789", finden sich allenfalls spärliche Ansätze zu einer Bestandsaufnahme.^ Obendrein fehlt es an einer lückenlosen Aufstellung der diesem Verfassungsrecht widerfahrenen Änderungen. Auch hier bietet das insoweit noch am ergiebigsten anmutende Verfassungsregister von Menzel, Groh und Hecker bestenfalls einen Ausgangspunkt für den tiefergehenden Einstieg in die Verfassungsquellenforschung. Vor diesem Hintergrund verwundert es denn auch überhaupt nicht, daß man bis heute vergeblich nach einer publizierten Zusammenstellung aller im Zeitraum zwischen 1806 und 1918 infrage kommenden Verfassungstexte in sogenannten „Sekundärquellen" sucht. Die zur Zeit modernste umfangreichere Publikation stellt noch immer diejenige von E. R. Huber^ dar. Allerdings beschränkt sie sich auf den Abdruck einiger „gängiger" Verfassungen. Kaum anders, nur noch erheblich beschränkter im Umfang ist die Situation bei den sonstigen einschlägigen Quellensammlungen, wie etwa denen von G. Dürig/W. Rudolf ^ und H. Boldt ^. Daneben werden einzehie Verfassungstexte bisweilen als Anhänge zu Monographien publiziert, dann indes oftmals ihrem Originalwortlaut durch „Modernisierungen" entfremdet. Demgegenüber gestaltet sich der Rückgriff auf zeitgenössische Textsammlungen - wie die von H. L. Pölitz^, J. L. Klüber^, H L. Pölitz/F. Bülau^, H. A. Zacha-

Verfassungsregister Teil II: Europa, 1956. Vgl. etwa Bd. 1: Reform und Restauration 1789 - 1830, 2. Aufl., Stuttgart 1967, S. 556 f. Dokumente zur Deutschen Verfassungsgeschichte: Bd. 1: Deutsche Verfassungsdokumente 1803 1850, 3. Aufl., Stuttgart 1978; Bd. 2: Deutsche Verfassungsdokumente 1851-1900, 2. Aufl., Stuttgart 1964, 3. Aufl., Stuttgart 1986. Texte zur deutschen Verfassungsgeschichte, 3. Aufl., 1996. Reich und Länder. Texte zur deutschen Verfassungsgeschichte im 19. und 20. Jahrhunderts, 1987. Die europäischen Verfassungen seit dem Jahre 1789 bis auf die neueste Zeit, 2. Aufl., 1832 bis 1847. Acten des Wiener Kongresses, 1815 bis 1818, Erg. Bd. 1835 sowie Quellensammlung zu dem öffenrtichen Recht des Teutschen Bundes, 1830. Die Verfassungen des Teutschen Staatenbundes seit dem Jahre 1789 bis auf die neueste Zeit, 3 Bde., Leipzig 1847.

I. Ausgangspunkt

3

riä^^, A. Rauch^\ P. A. G. von Meyer^^ oder F. Stoerk^^ herausgegebenen -, welche jeweils durchaus eine große Zahl in Kraft getretener Verfassungstexte abdrucken, zwar weitaus ergiebiger. Doch verfügt man selbst bei zeitgleicher Verwendung aller Editionen über keinen vollständigen Textfundus. Dies liegt bereits in dem Erscheinungsdatum der einzelnen Sammlungen (zumeist erheblich vor dem Ende des Ersten Weltkrieges bzw. vor dem Ende des Deutschen Bundes) begründet; was eine Gesamterfassung ausschließt. Femer finden sich in diesen Bänden entweder nur die jeweils aktuellen Fassungen der Verfassungsgesetze in der letzten Änderung (z. B. Stoerk, Zachariä) oder aber nur in den ursprünglichen Fassungen (z. B. Pölitz, Pölitz/Bülau). Selbst dort, wo zumindest die wohl maßgeblichen Verfassungsänderungen aufgeführt sind (Stoerk, Zachariä), beschränken sich diese auf die Angabe des Datums und der Fundstelle. Der Abdruck des Wortlauts aller dazugehörigen Änderungen fehlt indes. Dies gilt umso mehr noch für das außerhalb der eigentlichen Verfassungsurkunde auf sonstige Gesetze mit Verfassungsrang verstreute Verfassungsrecht. Angesichts dessen verwundert es nicht, daß es mitunter nur mit erheblichem Aufwand möglich erscheint, die Entwicklungslinien einzelner Verfassungen, geschweige denn des gesamten Verfassungsrechts eines Staates oder Staatenbundes nachzuzeichnen. Hierzu bedarf es einer nicht selten mühsamen und zeitintensiven Fahndung nach den von Amts wegen veröffentlichten oder mitunter sogar nur als handschriftliche Ausfertigungen existierenden Originaltexten. Hinzu kommt, daß die Originaltexte aufgrund ihres äußeren Erscheinungsbildes häufig in einem Zustand sind, der das Lesen sowie das Arbeiten mit ihnen erheblich erschwert. Namentlich die Blattqualität hat im Laufe von mittlerweile bis zu 200 Jahren oftmals stark gelitten. Femer liegen die meisten Texte entweder in deutschen Dmcklettem („Frakturschrift") abgebildet oder sogar nur handschriftlich verfaßt vor. Obendrein ist das für den wissenschaftlichen Gebrauch des öfteren notwendige Ablichten dieser Dokumente teilweise unstatthaft, so daß insbesondere für die sich mit verfassungsgeschichtlichen Themenstellungen beschäftigende Wissenschaft die Beschaffung der benötigten Verfassungstexte in vielen Fällen ein mühsames, zumindest aber zeitraubendes Unterfangen darstellt. Dies läßt erahnen, vor welchem unzulänglichen Quellenhintergrund die textkritische sowie rechts- und textvergleichende deutsche Verfassungsgeschichte wohl überwiegend stattfinden mag.

10 11 12

Die deutschen Verfassungsgesetze der Gegenwart, 1855. Parlamentarisches Taschenbuch, enthaltend die Verfassungen von . .., 1848 bis 52 bzw. 1867. Corpus Juris Confoederationis Germanicae o. Staatsacten für Geschichte und öffentliches Recht des Deutschen Bundes, Theil 2, 3. Aufl., Frankfurt/M. 1859. Handbuch der Deutschen Verfassungen, 1884, 2. Aufl., 1913.

4

Vorbemerkungen

II. Editorisches Anliegen Allein deshalb schon erweist sich eine allgemein leicht zugängliche Dokumentenedition als überfällig. Dem Rechnung tragend werden im Rahmen des nachfolgend näher vorzustellenden und über mehrere Bände veranschlagten Publikationsvorhabens alle das geltende Verfassungsrecht betreffenden Dokumente des Zeitraumes zwischen 1803/06 und 1918 authentisch erfaßt und systematisch zusammengestellt. Auf diese Weise steht insbesondere der einschlägigen rechts-, geschichts-, Politik- und sozialwissenschaftlichen Forschung künftig ein überaus reichhaltig ausgestattetes Gesamtquellenwerk zur Verfügung; was die bislang teilweise aufwendige Recherche und Beschaffung der mitunter nur in den zeitgenössischen Publikationsorganen abgedruckten oder in archivierten Protokollen auffindbaren Originalfassungen erspart.

III. Auswahl und Zusammenstellung der Verfassungsdokumente 1. Auswahl Ausgangspunkt aller Überlegungen für die Realisierung des in diesem Band und seinen Fortsetzungen zum Ausdruck kommenden editorischen Projekts ist naturgemäß die Bestimmung des dem Vorhaben zugrundezulegenden Verfassungsrechtsbegriffs. Er determiniert den Umfang der Edition und bildet gleichsam den Modus operandi für die vorliegend zu berücksichtigenden Texte. Der hier einschlägige Terminus „Verfassung" hat die in einem Staat herrschende rechtliche Grundordnung zum Gegenstand. Wobei dem hiesigen Verständnis von Staat unabhängig von seiner Größe entweder selbständige oder aber zumindest über den bloß verwaltungstechnisch bedingten Zuschnitt eines Gebiets hinausgehende politische Territorialeinheiten zugrundeliegen. Hinzu kommen die im Deutschland des neunzehnten Jahrhunderts maßgeblichen Staatenbünde (Rheinbund, Deutscher Bund, Zollverein). Deren rechtlicher Rahmen war zwar originär ein völkerrechtlicher, umschrieb aber zugleich auch die eigene Organisation nach innen. In jedem Fall diente er ebenso wie die Grundordnung eines Bundesstaates als ein gewissermaßen der einzelstaatlichen Rechtssphäre vorgeschalteter und auf diese einwirkender allgemeiner Normenfundus der Bewältigung gesamtdeutscher Angelegenheiten. Daneben werden von dem hiesigen Verfassungsrechtsverständnis diverse sonstige bi- oder multilaterale Vereinbarungen vereinnahmt, sofern sie für den verfassungsrechtlichen Rahmen des zeitgenössischen Deutschlands in seiner Gesamtheit oder für denjenigen der Einzelstaaten bedeutsam sind. Diesen Vereinbarungen kommt in Anbetracht der schwerpunktmäßigen Ausrichtung auf das bundes- und einzelstaatliche Verfassungsrecht allerdings nur eine nachgeordnete, bestenfalls komplementäre Bedeutung zu; weshalb hinsichtlich der Aufnahme derartiger Do-

III. Auswahl und Zusammenstellung der Verfassungsdokumente

5

kumente - anders als für das sogleich noch anzusprechende eigentliche Staatenverfassungsrecht - kein Anspruch auf Vollständigkeit erhoben wird. Am treffendsten läßt sich das in diesem Kontext maßgebliche Verfassungsrecht als die Summe der mittels geschriebener Rechtssätze niedergelegten Grundordnungen - Staats- wie völkerrechtlicher Provenienz - umschreiben. Kennzeichnend hierfür sind namentlich Regelungen über das Staats- oder staatenbündische Gebiet, die Art der Machtausübung, die Verwaltungsmethoden und die Rechtsstellung des Bürgers. Dabei ist es ohne Belang, ob diese Regelungsinhalte zusammengefaßt in einer Vollverfassung oder komplementierend auch in separaten Organisationsgesetzen bzw. unter vollständigem Verzicht auf eine zentrale Einzelurkunde nur in einer Vielzahl einzelner staatsrechtlicher Kodifikationen anzutreffen sind. Erst recht soll es keine Rolle spielen, ob es sich bei den Verfassungen im engeren Sinne um überkommene, sogenannte „altständische Verfassungen" oder um die im Laufe des 19. Jahrhunderts zunehmend üblichen Repräsentativverfassungen „des Konstitutionalismus" handelt. Unerheblich ist femer deren begriffliche Bezeichnung als „Verfassung" (z.B. Hessen-Darmstadt 1820), „Verfassungsurkunde" (z.B. Baden 1818), „Verfassungsgesetz" (z.B. Schwarzburg-Sondershausen 1849), „Landesverfassungsgesetz" (z. B. Hannover 1840), „Verfassungs- und Organisationsdekret" (Waldeck, 1814), „Staatsgrundgesetz" (z. B. Schleswig-Holstein, 1848) „Landesgrundgesetz" (z.B. Schwarzburg-Sondershausen 1857), „Grundgesetz" (z.B. Sachsen-Altenburg 1831), „Constitution" (z.B. SachsenWeimar 1809), „Landschaftsordnung" (z. B. Braunschweig 1820, 1832), „Patent" (z.B. Nassau 1814) oder „Verordnung" (z.B. Schaumburg-Lippe 1816). Überhaupt soll es für die Qualifizierung als Verfassungsrecht im hier gemeinten Sinne allein auf die vom „Normgeber" bezweckte formelle Zuordnung der jeweiligen Regelungen zum geltenden Staatsgrundlagenrecht ankommen. Wichtigstes Indiz dafiir ist der in der konkreten Regelung zum Ausdruck gebrachte entsprechende Wille. Daher finden nicht selten auch dem heutigen Verfassungsrechtsverständnis eher fremde, mittlerweile zumeist als besonderes Verwaltungsrecht aufgefaßte Materien Berücksichtigung, wie etwa das Beamtenrecht; während heute längst als klassisches Staatsgrundlagenrecht verstandene Kodifiziemngen - wie z. B. Wahlgesetze - mitunter ausgespart bleiben. Letzteres geschieht immer dann, wenn diese Regelungen lediglich als Aus- oder Durchführungsbestimmungen zur eigentlichen Verfassungsurkunde oder zu einem sonstigen Gesetz mit Verfassungsrang („Verfassungsgesetz") dienen. Schließlich werden die Aufhebung einer Verfassung oder eines Gesetzes mit Verfassungsrang ebenso wie die bloße Änderung oder Wiederherstellung der Verfassungen oder Gesetze mit Verfassungsrang als Teil des einschlägigen Verfassungsrechts angesehen. Verbleiben bei Zuordnung eines Dokumentes zum Verfassungsrecht gleichwohl einmal gewisse Zweifel, so wird es dennoch berücksichtigt. In zeitlicher Hinsicht erfaßt werden alle Verfassungsrechtstexte des beschriebenen Zuschnitts zwischen 1806 und 1918. Dieser Zeitraum stellt eine in sich abgeschlossene verfassungsgeschichtliche Epoche dar: So bringt das Jahr 1806 zum einen das definitive Ende des unter den napoleonischen Schlägen zerberstenden „Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation", zum anderen die Gründung des

6

Vorbemerkungen

von Napoleon protegierten und dominierten Rheinbundes. In der Folgezeit kündigt sich unter allmählicher Beseitigung des Ancien Regime und seiner altständisch oder absolutistisch geprägten Verfassungsordnung zumeist der Übergang zum „Konstitutionalismus" an. Diese Spielart der an eine geschriebene Staatsverfassung gebundenen monarchischen Herrschaftsausübung, mitunter auch in Gestalt diverser Zwischenformen hält sich bis zum Ende des Ersten Weltkrieges. Letzterer bedeutet mit der sich daran abrupt anschließenden Überführung des zweiten deutschen Kaiserreiches und seiner Bundesstaaten in den republikanischen Verfassungsstaat den endgültigen Zusammenbruch des überkommenen monarchischen Systems in Deutschland. Territorial beziehen sich die Verfassungsrechtstexte allesamt auf das zeitgenössische Deutschland. Damit ist weniger ein Staats- und völkerrechtlicher Begriff als eine vom seinerzeitigen Verständnis geprägte geographische Rahmenbezeichnung gemeint. Diese entspricht politisch wie völkerrechtlich aber im wesentlichen dem seinerzeit vom Deutschen Bund zwischen 1815 und 1866 erfaßten Gebiet. Hier finden deshalb auch aus heutiger Sicht politisch wie rechtlich nicht mehr unter den Deutschlandbegriff zu verortende Staaten wie Österreich, Liechtenstein und Luxemburg Berücksichtigung. Österreich und Luxemburg schieden zwar 1866 aus der Staats- wie völkerrechtlichen Klammer des Deutschen Bundes und damit rechtlich aus Deutschland aus. Dennoch bleiben die Verfassungsgesetze dieser Staaten zum Zwecke der Veranschaulichung bis zum Ende des Erfassungszeitraumes einbezogen. Ab 1871 wird zudem das „Reichsland" Elsaß-Lothringen bei der Textauswahl berücksichtigt. Demgegenüber bleiben die Regelungen über die deutschen Kolonien ausgespart. In der Regel hängt die Berücksichtigung der im Rahmen dieses Vorhabens zu publizierenden Verfassungsdokumente jedoch davon ab, daß sie irgendwann in Rechtskraft erwachsen sind. Nur vereinzelt wird von diesem Prinzip abgewichen; nämlich dann, wenn eigentlich im bloßen Entwurfsstadium verbliebene wichtige Gesetze - wie etwa die Frankfurter Reichsverfassung von 1849 oder die sich in den einschlägigen Vorschlägen von Erfurter Union und „Vierkönigbündnis" widerspiegehiden vergeblichen gesamtdeutschen Verfassungsreformen - Aufnahme in das vorliegende Werk finden. Dies geschieht zugegebenermaßen bisweilen ein wenig „willkürlich" und rechtfertigt sich allein aus Veranschaulichungsgründen. Insgesamt gesehen bildet aber schon aufgrund seiner enormen Fülle eindeutig das Verfassungsrecht der deutschen Einzelstaaten den Schwerpunkt des Publikationsprojekts; wenngleich im vorliegenden 1. Band nach Anzahl und Umfang der Dokumente noch ein ungefähres Gleichgewicht besteht. 2. Quellenvorlagen Als Vorlagen dienten zumeist gedruckte Quellen in Gestalt der offiziellen, d. h. amtlichen zeitgenössischen Publikationsorgane der deutschen Staaten und Staatenbünde. Hier wurden sämtliche in Betracht kommenden Jahrgänge der mannigfaltigen Periodika, wie etwa Reichs- und Bundesgesetzblätter oder die vielen Gesetzessammlungen der Einzelstaaten, systematisch und vollständig ausgewertet.

IIL Auswahl und Zusammenstellung der Verfassungsdokumente

7

Die Auswahl der Dokumente zum Druck richtete sich dann einzig danach, ob das jeweilige Dokument den bereits dargelegten Kriterien eines Verfassungsdokumentes genügt. Bei den daneben noch verwendeten ungedruckten Quellen handelt es sich zumeist um für den verfassungsmäßigen Rahmen Deutschlands oder einzelner Staaten zentrale völkerrechtliche Verträge, bei denen überwiegend jeweils die handschriftliche Ausfertigung eines der von den am Abschluß beteiligten Akteuren gezeichneten Exemplars als Vorlage dient. Die Auswahl derartiger Texte zum Abdruck beschränkt sich überwiegend auf die Fälle, in denen ein amtlicher Text in Druckfassung nicht existiert. Die Fundstellen des fur das jeweils abgebildete Dokument als Druckvorlage dienenden Originals sind bei jedem einzelnen Text vermerkt. Sie erscheinen stets als erste Quellenangabe in den sämtlichen Dokumenten vorangestellten Kopfzeilen; anschließend werden gegebenenfalls weitere („sonstige") Fundstellen zumeist aus Sekundärquellen ohne Anspruch auf Vollständigkeit angeführt. Sofern es sich um ungedruckte Quellen handelt, entsprechen deren Archivsignaturen ebenso wie deren Paginierungen bzw. Foliiemngen dem Stand von 2003. Kürzungen gegenüber der Originalvorlage werden nur ausnahmsweise vorgenommen; nämlich dann, wenn von dem Inhalt des Gesamttextes der weitaus überwiegende Teil ohne verfassungsrechtliche Bedeutung ist. So etwa bei Artikelgesetzen, in deren Rahmen durch eine Vorschrift auch die Änderung eines Verfassungsgesetzes angesprochen wird, die Regelungen im übrigen aber kein Verfassungsrecht berühren. 3. Zusammenstellung Die in den jeweihgen Dokumentationsteil eingereihten Texte sind zunächst thematisch nach Staaten bzw. Staatenbünden und innerhalb dieser Kapitel noch einmal chronologisch angeordnet. Dabei werden zunächst in zwei Hauptabschnitten die Texte unterschieden in solche mit einer gesamtdeutschen Bedeutung und in solche der jeweiligen Einzelstaaten. Der die Dokumente von gesamtdeutscher Bedeutung enthaltende 1. Abschnitt gliedert sich in insgesamt sieben Unterabschnitte (§§), die sich im wesentlichen chronologisch an den Epochen der jeweiligen deutschen Staatenbünde und gesamtstaatlichen Zusammenschlüsse orientieren. Im 2. Abschnitt werden geordnet in nahezu 60 Unterabschnitte (§§) die einzelstaatlichen Verfassungsdokumente niedergelegt. Dies geschieht für jeden deutschen Einzelstaat mit verfassungsrechtlich relevanten Texten gesondert und in alphabetischer Reihenfolge (beginnend mit [dem Herzogtum] Anhalt, endend mit [dem Großherzogtum] Würzburg). Innerhalb der einzelnen Unterabschnitte der beiden Hauptabschnitte bestimmt sich die Abfolge der Texte streng chronologisch allein nach dem Datum ihres Erlasses. Durchbrochen wird dieses von der Zeitabfolge determinierte System nur, wenn es sich um Dokumente handelt, welche eine bloße Abänderung oder Ergänzung eines Hauptdokumentes (z. B. Änderungsgesetze) darstellen. In diesem Falle werden diese Texte gleichsam als „Unterdokumente" des Hauptdokumentes behandelt und

8

Vorbemerkungen

diesem ungeachtet ihrer gegenüber anderen Dokumenten zeitHch später liegenden Datierung unmittelbar - gleichsam thematisch - zugeordnet. Der vorliegende 1. Band enthält für sich genommen nahezu 390 Dokumente. In ihm findet der die Dokumente von gesamtdeutscher Bedeutung betreffende 1. Abschnitt des Projekts seinen vollständigen Abschluß. Er bildet mit seinen insgesamt 195 Haupt- und „Neben"dokumenten quasi den den zentralen 2. Abschnitt vorbereitenden und zugleich ergänzenden Teil. Der insgesamt weitaus umfangreicher angelegte 2. Abschnitt mit den einzelstaatlichen Verfassungsdokumenten muß sich aus Platzgründen in der Darstellung des 1. Bandes zunächst auf die ersten fünf Unterabschnitte (§ 8: Anhalt, § 9: Anhalt-Bemburg, § 10: AnhaltDessau, § 11: Anhalt-Köthen und § 12: Baden) mit in etwa der gleichen Anzahl von Haupt- und „Neben"dokumenten beschränken. Daher wird die Abbildung aller einzelstaatlichen Verfassungsdokumente erst in den bereits vorbereiteten weiteren Bänden ihren Abschluß fmden können. Auf den mehrmaligen Abdruck von in mehreren Staaten gleichermaßen geltenden Rechtsdokumenten wird nur bei vollständiger Identität verzichtet. Im Falle des Verzichts auf einen Mehrfachabdruck wird der Text unter Berücksichtigung der größtmöglichen Ausstellemähe zugeordnet. In den übrigen Fällen erfolgt dann insoweit nur eine Verweisung auf dieses eine Dokument.

IV. Formalia Die nachfolgend abgedruckten Texte werden - abgesehen von der handschriftlichen oder als Frakturschrift vorgefundenen Originalschreibweise - möglichst authentisch wiedergegeben. Bei ihrer Darstellung ist auf eine buchstaben- und zeichengetreue Übernahme der Vorlage Wert gelegt. D. h. aus dem Original wurde die Schreibweise wörtlich sowie in der dortigen Orthographie und Interpunktion übernommen; was selbst mit Blick auf in der Vorlage vorhandene Schreib- oder Dmckanomalien bis hin zu offensichtlichen Fehlem gilt. Dementsprechend wurde durchgängig auf alle Modernisierungen in der Schreibweise - auch wenn sie nur minimale Korrekturen einzelner Buchstaben betreffen, die nach der heutigen Grammatik die Lesbarkeit des Textes erschweren - verzichtet. Auf aus dem Original übernommene Schreib- und Druckfehler wird im Rahmen der Textwiedergabe nur ausnahmsweise hingewiesen. Die vielfach ungeregelte Groß- und Kleinschreibung einzelner Buchstaben in den deutsch- oder französisch verfaßten Handschriften ließ sich nicht immer mit letzter Sicherheit ausmachen; in Zweifelsfällen war schließlich die Höhe der Buchstaben für die hiesige Wiedergabe entscheidend. Das „ae", „oe" oder „ue" betreffende Schreibweisen wurden grundsätzlich beibehalten. Lediglich dann, wenn sich das „e" - wie bei der Frakturschrift zumindest nicht unüblich - über einem Selbstlaut befindet, wird die Schreibweise als „ä", „ö" oder „ü" wiedergegeben. Bei den ungedruckten Quellen wird im Zweifel die Unterscheidung von „ss" und „ß" nur nach der äußerlichen Schreibweise im Original vorgenommen. Ebenso wird dort die des öfteren auffindbare Klammerung /.-... .•/ beibehalten. Auf die

V. Historische Einführungen

9

Wiedergabe der Hervorhebungen in den Originaltexten ist indes weitgehend verzichtet worden. Hinzu kommt, daß Rechtsvorschriften einleitende Paragraphenoder Artikelbezeichnungen (z. B. § 1, Art. 1) ungeachtet dessen, ob sie sich in den Originalvorlagen am Rand oder über der Vorschrift befinden, um der optischen Vereinheitlichung willen stets als mittig angebrachte Überschrift wiedergegeben werden. Mehrere Sätze innerhalb des Absatzes eines Paragraphen oder eines Artikels sind numeriert, d. h. mit einer dem jeweiligen Satz vorangestellten hochgestellten Zahl versehen. Dies dient der besseren Übersichtlichkeit insbesondere längerer Vorschriften. Ausnahmsweise vorkommende Kürzungen in den Texten werden mit „ . . . " gekennzeichnet. Femer wird den Spalten, Blättern und Seiten des jeweiligen Originaltextes Rechnung getragen, indem die Spalten- bzw. Blatt- bzw. Seitenumbrüche in der aufbereiteten Textfassung jeweils an den entsprechenden Stellen gekennzeichnet (z. B. „ I [Bl 12J" oder „ | [S. 23]") sind. Gleiches gilt für die jeweiligen Zeilenumbrüche (dargestellt durch „ | "). Die Edition hebt sich damit bewußt von den von J. Schnitze veröffentlichten „Richtlinien für die äußere Textgestaltung bei Herausgabe von Quellen zur neueren deutschen Geschichte"^"^ ab. Diese enthalten zwar eine Reihe sinnvoller Anregungen, geben aber in einer darstellungstechnischen Kernfrage zu massiver Kritik Anlaß. Das betrifft in erster Linie die von Schultze den Editoren anempfohlene modernisierte Darstellungsweise der Texte, die den wissenschaftlichen Anforderungen für eine solide Quellenarbeit nur bedingt gerecht werden kann. Wirft dies doch zudem die Frage auf, ob die jetzt „modernisierten" Quellentexte angesichts einer sich weiter entwickelnden Sprache in 50 oder 100 Jahren nicht erneut modernisiert werden müßten.

V. Historische Einführungen Dem jeweiligen Dokumententeil („Zweiter Teil") sind in jedem Band „Historische Einführungen" („Erster Teil") vorangestellt. In diesem Rahmen werden an den einschlägigen Verfassungsdokumenten orientierte (verfassungs-) rechtliche, zeitlich wie territorial übergreifende entwicklungsgeschichtliche Darstellungen vorgenommen. Sie folgen daher - wo immer möglich - der für die Dokumente maßgeblichen Untergliederung. Diese Einführungen bezwecken in erster Linie, das Verständnis über den historischen Kontext, in dem die Verfassungsregelungen stehen, zu verbessern. Keinesfalls ist mit ihnen eine erschöpfende Darstellung aller verfassungshistorisch bedeutsamen Aspekte beabsichtigt; wenngleich sich ihr Verfasser von diesen Einführungen auch erhoffen mag, der darauf bezogenen wissenschaftlichen Forschung den einen oder anderen bescheidenen Impuls geben zu können. Bewußt wurde auf die Zusammenstellung der einschlägigen Literatur verzichtet. Auch die im Fußnotenapparat erwähnten Fundstellennachweise sind bestenIn: Blätter für deutsche Landesgeschichte 102, 1966, S. 1 - 10.

10

Vorbemerkungen

falls als mitunter nützliche weiterföhrende Hinweise, denn als vollständiger Ausweis der zu der jeweiligen Thematik existierenden Fachliteratur aufzufassen.

VI. Benutzerhinweise Im Dokumententeil eines jeden Bandes ist jedes dort dargestellte Dokument mit einer eigenen Kennzahl versehen (z. B. 1, 2, 3 u. s. w.). Einem Hauptdokument thematisch zugehörige „Untertexte" - wie z. B. Verfassungsgesetzänderungen erhalten über die Nummer des ersteren hinaus einen Schrägstrich und dahinter eine weitere (z. B. 3 / 1). Im übrigen erfolgt über sämtliche Kapitel (und Bände) hinweg eine fortlaufende Numerierung der Hauptdokumente. Für Querverweise ist deshalb ausschheßhch die Nummer des betreffenden Dokuments (z. B. „Dok. 3") in den Fußnoten angegeben. Sofern es sich um fremdsprachige, namentlich um französischsprachige Dokumente handelt, ist ihnen im Nachgang stets eine deutsche Übersetzung beigegeben. Soweit existent wurde dabei zuvörderst auf amtliche oder zumindest offiziöse bzw. zeitgenössische Übersetzungen zurückgegriffen. Waren diese nicht verfügbar, so stammen sie vom Herausgeber. Zur besseren Orientierung des Benutzers wird in der ersten Zeile unterhalb eines jeden Dokumentenkopfes auf die im ersten Teil eines jeden Bandes mit fortlaufenden Absatznummem (z. B. „[725.]") versehenen, insoweit einschlägigen historischen Hintergrunddarstellungen verwiesen (z. B.: „Vgl. dazu in Teil 1: Historische Einfährungen die Darstellung unter [725.]."). Am Ende eines jeden Bandes - so auch hier - befindet sich ein streng chronologisch geordnetes Dokumentenregister, in dem alle in dem Band enthaltenen Texte in zeitlicher Abfolge nach dem Datum ihres Zustandekommens aufgelistet sind.

Teil 1: Historische Einführungen

1. Abschnitt: Gesamtdeutsche Verfassungsentwicklung (1803/06 -1918)

§ 1: Das Ende des Heiligen Römischen Reichs [1.] Das definitive Ende des bereits lange zuvor dahin siechenden Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation zeichnete sich in dem Augenblick ab, als die deutschen Großmächte Österreich und Preußen zum Schutz seiner Verfassung nicht mehr bereit waren. Den eigentlichen Auftakt bildeten die am 5. April 1795 in Basel von Preußen und am 17. Oktober 1797 von Österreich in Campo Formio geschlossenen Sonderfrieden mit Frankreich. Beide Verträge enthielten Geheimabsprachen über die Abtretung der preußischen und österreichischen linksrheinischen Territorien an Frankreich. Im Frieden von Luneville vom 9. Februar 1801 trat dann das Reich auch rechtsverbindlich das linke Rheinufer an Frankreich ab; nicht jedoch, ohne daß die erblichen Reichsfärsten für ihren dortigen Verlust ebenso wie die Häuser Oranien und Toskana mit dem Reich verbleibenden rechtsrheinischen Gebiet entschädigt würden. Durch diesen Gebietsverzicht wurde die bislang bestehende Reichsverfassimg in ihrem Kern angetastet, zumal davon in erster Linie die drei geistlichen Kurfürsten (von Trier, Mainz, Köln) als die politischen Führer des „reichischen" Deutschlands betroffen waren. [2.] Damit einhergehend stellte sich die Entschädigungsfrage der durch die Gebietsabtretungen betroffenen weltlichen Fürstenhäuser. Diese sollte maßgeblich durch den Reichsdeputationshauptschluß (RDH) vom 25. Februar 1803^ geregelt werden und erfolgte im wesentlichen mittels Säkularisierung der geistlichen Territorien und Mediatisierung der meisten freien Reichsstädte; während die linksrheinischen kleinen Reichstände nach den Regeln des Schadensersatzes abgefunden wurden. Durch die Säkularisierung erfolgte die Aufhebung der landesherrlichen Gewalt der geistlichen Reichsfürsten und die Einverleibung ihrer Gebiete in die weltlichen rechtsrheinischen Reichsfiirstentümer. Damit verloren nahezu alle reichsunmittelbaren Bistümer, Abteien, Klöster, Stifte und Orden ihre angestammten Herrschaftsbereiche. Lediglich für den Reichserzkanzler - bislang der Erzbischof von Mainz - wurde ein neues mit der Kurfürstenwürde ausgestattetes Erzbistum Regensburg-Aschaffenburg gebildet (§ 25 RDH). Obendrein blieben der Hoch- und Deutschmeister und der Großprior des Malteserordens von der Säkularisierung verschont (§ 26 RDH). Die Mediatisierung führte 41 der bis dahin verbhebenen 47 Reichsstädte rechts des Rheins in die Landesunmittelbarkeit; sie Dok. 1.

14

1. Abschnitt: Gesamtdeutsche Verfassungsentwicklung (1803/06-1918)

wurden also jeweils einem der entschädigungsberechtigten Territorialstaaten zugeschlagen. Lediglich Augsburg, Lübeck, Nürnberg, Frankfurt a. M., Bremen und Hamburg blieben reichsunmittelbar (vgl. § 27 Abs. 1 RDH). Rechtsrheinisch fielen dem Reichsdeputationshauptschluß allein 112 Reichsstände zum Opfer, darunter 19 Reichsbistümer, 44 Reichsabteien und 41 Reichsstädte. Insbesondere die deutschen Mittelstaaten und Preußen strichen erhebliche Territorialgewinne ein. Von Rechts wegen erfaßte die im Rahmen des Reichsdeputationshauptschlusses stattfindende Mediatisierung die Reichsritterschaft zwar nicht. Jedoch war damit für die größeren Reichsstände gleichsam das Fanal gesetzt, sich in der Folgezeit der von ihnen umschlossenen reichsritterschaftlichen Gebiete zu bemächtigen. Auf diese Weise wurde das Prinzip der flächenstaatlichen Territorialhoheit überall gegen den reichsritterschaftlichen Herrschaftsanspruch zur Geltung gebracht.^ Zudem wandelte sich die Zusammensetzung des Kurfurstenkollegiums erheblich. Außer dem einzigen verbliebenen geistlichen Mitglied (Reichserzkanzler Erzbischof von Regensburg-Aschaffenburg [vormals Mainz]) gehörten ihm auch weiterhin der Kaiser als König von Böhmen, der König von England als Herzog von Hannover, der König von Preußen als Markgraf von Brandenburg, die Herzöge von Bayern und Sachsen an. Hinzu kamen der Herzog von Württemberg, der Markgraf von Baden und der Landgraf von Hessen-Kassel sowie der mit dem säkularisierten Salzburg bedachte Großherzog von Toskana. Hierdurch ergab sich erstmals ein protestantisches Übergewicht. Vergleichbare Verschiebungen widerfuhren auch dem Reichsfürstenrat. Doch verweigerte der Kaiser - nachdem der Reichstag dies bereits am 24. März 1803 gebilligt hatte - insoweit seine für das Übrige am 27. April 1803 gegebene Zustimmung, so daß dieser Teil des Reichsdeputationshauptschlusses nicht rechtswirksam wurde. Mit dem Reichsdeputationshauptschluß verlor der Kaiser nicht nur seinen bisherigen stabilen Rückhalt an den geistlichen Territorien, er mußte zudem ein weiteres Erstarken der größeren Reichsstände hinnehmen. [3.] Bereits am 11. August 1804 erfolgte die Annahme eines durch Erblichkeit für das Haus Habsburg-Lothringen gesicherten österreichischen Kaisertitels von Seiten des römischen Kaisers. Diese einseitige Rangerhöhung stellte nicht nur ein allseits wahrgenommenes Mißtrauensvotum des Reichsoberhauptes gegenüber der Reichsverfassung dar, sondern auch deren Bruch. Konnte doch kein Reichsstand aus eigener Machtvollkommenheit für seine Landesherrschaft eine eigene Kaiserwürde begründen. [4.] In dem kurzen dritten Koalitionskrieg Frankreichs gegen England, Rußland und Österreich gegen Ende des Jahres 1805 kämpften Baden, Bayern und Württemberg unter Bruch ihrer reichsverfassungsmäßigen Bindungen auf französischer Seite. Staatsrechtlich handelte es sich hier um eine „Kurfürstenrevolte", da es den Reichsständen jedenfalls verboten war, an dem Krieg einer auswärtigen Macht gegen den Kaiser teilzunehmen. Nicht minder einen Bruch von Reichsverfassungsrecht stellte Preußens auf den Erwerb Hannovers ausgerichtete Haltung dar. Ließ man sich das Kurfürstentum Anfang November 1805 zunächst von Rußland in einem Geheimabkommen als Dank für eine „bewaffnete Vermittlung" gegenU. Hufeid, Der Reichsdeputationshauptschluss von 1803, 2003, S. 20.

§ 1: Das Ende des Heiligen Römischen Reichs

15

über Frankreich zugestehen^, so beeilte man sich nach der den verbündeten Österreichern und Russen von Napoleon zugefugten desaströsen militärischen Niederlage bei Austerlitz am 2. Dezember 1805, im Schönbrunner Vertrag vom 15. Dezember 1805 entsprechendes von Frankreich zu erhalten. Damit holte sich Preußen von ausländischen Mächten die Ermächtigung zur Annexion eines Kurfürstentums. Der von Frankreich Österreichern und Russen am 26. Dezember 1805 zu Preßburg diktierte Friede"^ griff ein weiteres Mal tief in die Reichverfassungsverhältnisse ein: Bayern und Württemberg wurden zu souveränen Königreichen aufgewertet. Wenngleich sie weiterhin GHeder des Deutschen Bundes („Confederation Germanique") - gemeint war natürlich das auf diese Art bewußt weiter herabgesetzte „Reich" - sein sollten (Art. VII), so erkannte man ihnen doch ebenso wie übrigens auch dem badischen Kurfürsten die vollständige Souveränität in ihren Landen zu, wie sie bisher nur die Großmächte Preußen und Österreich ausübten (Art. XIV). Damit würden die drei süddeutschen Staaten sich gegenüber dem Reich bzw. seiner Verfassung wohl zumindest die gleichen Freiheiten herausnehmen dürfen, wie sie sich die beiden deutschen Großmächte bereits seit Jahrzehnten anmaßten. Ungeachtet dieses weiteren Schlages gegen die Reichsverfassung blieb der rechtliche Bestand des Reichs Verbandes an sich aber noch unangetastet. [5.] Allerdings stand der endgültige Untergang des Reiches unmittelbar bevor. Denn schon zu Beginn des Jahres 1806 zeichneten sich Bestrebungen Frankreichs ab, dem Reich durch einen zusammen mit Italien und der Schweiz sowie unter Beteiligung Bayerns, Württembergs und Badens zu gründenden Rheinbund den Todesstoß zu versetzen. Im Verlaufe des ersten Halbjahres wurde dieses Vorhaben schließlich auf die Mitgliedschaft deutscher Fürsten beschränkt. Die Könige Bayerns und Württembergs fugten sich dem französisch initiierten Teilnahmeverlangen an dieser Föderation zwar nur widerwillig; denn der vom französischen Staatsminister Talleyrand vorgelegte Vertragsentwurf mutete ihnen Einschränkungen ihrer soeben erst in Preßburg gewonnenen Souveränität zu, die weitaus gravierender waren, als jene der noch bestehenden Reichsverfassung. Doch wagten sie keinen offenen Widerstand gegen das Föderationsvorhaben. Bereits am 12. Juli 1806 kam es daher zur Unterzeichnung der Rheinbundsakte (RBA)^ in Paris durch die Vertreter Frankreichs und derjenigen von sechzehn deutschen Fürsten. Napoleon ratifizierte die Rheinbundsakte am 19. Juli 1806 zu St. Cloud; die Fürsten vollzogen die Ratifikation am 25. Juli 1806 in München. Bei diesen Fürsten handelte es sich neben den Königen von Bayern und Württemberg um den Kurfürst-Erzkanzler Dalberg, die nunmehrigen Großherzöge von Baden, Berg und Hessen-Darmstadt, die Herzöge von Arenberg und Nassau-Usingen, die Fürsten von HohenzoUem-Hechingen, HohenzoUern-Sigmaringen, Isenburg-Birstein,

Potsdamer Vertrag vom 3. November 1805. Abgedruckt in: P. A. G. Meyer (Hrsg.), Corpus Juris Germaniae Confoederationis oder Staatsacten für Geschichte und öffentliches Recht des Deutschen Bundes (CJCG), Teil I (Staatsverträge), 3. Aufl., 1858, S. 65 ff Dok. 4.

16

1. Abschnitt: Gesamtdeutsche Verfassungsentwicklung (1803/06-1918)

Liechtenstein, Nassau-Weilburg, Salm-Kyrburg, Salm-Salm und um den Grafen von der Leyen. [6.] Art. 1 RB A schnitt die Staaten dieser deutschen Fürsten auf Dauer aus dem Gebiet des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation heraus („Les etats de leurs Majeste . .. seront separes ä perpetuite du territoire de 1'Empire germanique"). Die bisher geltenden Reichsgesetze, soweit sie die verbündeten Mächte beschränkten oder verpflichteten, wurden mit Ausnahme einiger die bestehenden Staatsschulden und Pensionslasten sowie der den sogenannten „Rheinschiffahrtsoktroi" (§ 39 RDH) betreffenden Teile des Reichsdeputationshauptschlusses für ungültig („null et de nul effet") erklärt (Art. 2 RBA). Alle ein Verhältnis zum Reich zum Ausdruck bringenden Titel (z. B. Kurfürst) waren aufzugeben;^ femer war der Austritt aus dem Reich bis zum 1. August 1806 auf dem Reichstag anzuzeigen (Art. 3 RBA). Letzteres geschah tatsächlich fristgerecht durch eine gemeinsame Erklärung der sechzehn Staaten am Reichstag in Regensburg.^ Noch am selben Tag wurde diese Anzeige flankiert durch eine Erklärung des französischen Gesandten gegenüber dem Reichstag, die unterstrich, daß die unter dem Protektorat Napoleons vereinigten Rheinbundstaaten aufgehört hätten, Reichsstände zu sein. Obendrein wurde die Fortgeltung der Reichsverfassung geleugnet und damit dem Reich die völkerrechtliche Anerkennung entzogen. Dem nicht genug forderte Napoleon den von ihm erst acht Monate zuvor militärisch besiegten Kaiser Franz IL bei Androhung eines erneuten Krieges auf, bis zum 10. August 1806 die Reichskrone niederzulegen. Dem kam der Kaiser bereits am 6. August 1806 nach und erklärte überdies Amt und Würde des Reichsoberhaupts für erloschen;^ zugleich wurden alle Reichsstände und die Reichbeamtenschaft ihrer Pflichten gegenüber dem Reich entbunden.^ [7.] Die damit einhergehende faktische Auflösung der Reichsinstitutionen bedeutete indes verfassungsrechtlich nicht auch das Erlöschen des Reiches, weil dieses - wie zuletzt durch den Westfälischen Frieden bekräftigt - ein ewiges unauflösliches völkerrechtliches Gebilde darstellte. Der jeweils regierende Kaiser selbst durfte als eines der Reichsorgane durch einseitigen Rechtsakt einzig seine Abdankung erklären; keinesfalls aber - wie von Franz IL praktiziert - die verfassungsmäßigen Reichsinstitutionen aufheben. Die dahingehende Erklärung war deshalb insoweit nichtig, das Reich zwar bis auf weiteres handlungsunfähig, durch eine spätere Wiederherstellung seiner Institutionen juristisch aber prinzipiell reaktivierbar. Es hätte dafür im Rahmen der nach dem Zusammenbruch der napoleonischen Herrschaft anstehenden Ordnung der politischen Verhältnisse nur der Wiederbesetzung der juristisch lediglich vakanten Reichsinstitutionen bedurft. Erst in dem Umstand, daß dies von den wichtigsten politischen Akteuren auch in der Folgezeit nicht mehr gewollt war und daher auch nicht stattfinden würde, man an die Art. 4 Abs. 1 RBA bestimmte zudem ausdrücklich, daß Seine kurfürstliche Gnaden der Reichserzkanzler („Son Altesse Seremissime l'Electeur archi chancelier") den Titel Fürst-Primas und Durchlauchtigste Hoheit („Prince Primat et d'Altesse Eminentissime") anzunehmen hatte. Dok. 2. Dok. 3. Dok. 3/1.

§ 1: Das Ende des Heiligen Römischen Reichs

17

Stelle des alten Reiches (und des Rheinbundes) mit dem Deutschen Bund sogar ein neues Völkerrechtssubjekt setzte, wird man rechtlich wohl den eigentlichen, die Reichsverfassung formell verdrängenden Akt zu sehen haben. [8.] Angesichts der vorangegangenen Entwicklung verlagerte sich in Deutschland der Schwerpunkt obrigkeitlichen Handelns endgültig von den lange die zentralen verfassungsrechthchen Organisationseinheiten bildenden Komponenten Reich und Territorium hin zum neuzeithchen Einzelstaat. Parallel dazu begannen sich bereits die Vorboten eines nahezu das gesamte 19. Jahrhundert prägenden, mitunter mühsamen deutschen Weges in den Verfassungsstaat zu konturieren. [9.] Man war zwar seit 1789 zunehmend ins Gravitationsfeld der revolutionären französischen Ereignisse und Ideen geraten, jedoch ohne daß dadurch zunächst das überkommene Reichsregime wirklich in Frage gestellt worden wäre. Das auch bereits von innen heraus vielfach strapazierte Verfassungsgebäude des Reiches einschließlich seiner Institutionen begann erst unter den gezielten Schlägen Napoleons zu wanken und schließlich einzustürzen. Mochte dieser Untergang auch durch eine zunehmend fehlende Akzeptanz der größeren Reichsstände beschleunigt werden, so blieben anders als in Frankreich in Deutschland gewaltsame strukturbeseitigende Umbrüche „von unten" auf Reichs- wie Territorialebene aus. Die monarchische Regierungsform an sich stand hier zu keiner Zeit ernsthaft zur Disposition; letztlich wohl nicht einmal die herrschende Ständegesellschaft. Dies lag nicht zuletzt an der in vielen Territorien des Reichs signalisierten und praktizierten Reformwilligkeit und -fähigkeit des Ancien Regime, welches sich immerhin zu einem - wenngleich aus heutiger Sicht - sehr behutsamen Abbau der Ständegesellschaft zugunsten einer auf Rechtsgleichheit, Eigentums- und Erwerbsfreiheit fußenden Staatsbürgergesellschaft verstand. Überhaupt bewies der (aufgeklärte) spätabsolutistische Staat in vielerlei Hinsicht Handlungs- und Reformfahigkeit aus sich selbst heraus. Er bzw. dessen Verwaltung war zumeist der eigentliche Motor für einen gesamtgesellschaftlichen Wandlungsprozeß, der dem wirtschaftlich aufstrebenden Bürgertum den Weg zu politischer Mitwirkung ebnen sollte. Dieses anerkannte seine monarchischen Regierungen deshalb überwiegend als Garanten für Kontinuität und Dauerhaftigkeit; ein Umstand, der für das Denken des Bürgertums einen umso beherrschenderen Stellenwert erlangte, je weiter die Realisierung der französischen Revolution in Terror und machtpolitische Expansion ausgriff Abgestoßen von solchen Auswüchsen konnte es kaum verwundem, daß das deutsche Bürgertum von Anfang an einen möglichst friedlichen Ausgleich mit der tradierten Monarchie anstrebte. Anders als in Frankreich ging es also nicht um die Begründung einer neuen Ordnung, sondern lediglich um die Fortbildung des bestehenden monarchischen Systems.

18

1. Abschnitt: Gesamtdeutsche Verfassungsentwicklung (1803/06-1918)

§ 2: Der Rheinbund [10.] Der am 12. Juli 1806 gegründete Rheinbund - die offizielle Bezeichnung lautete „d'Etats confederes du Rhin" - war letztlich eine Reaktion Napoleons auf die lange währende Krise des alten Reiches. Die Rechtsgrundlage bildete die Rheinbundsakte (RBA)\ ein völkerrechtlicher Vertrag zwischen dem gemäß Art. 12 RBA zum Bundesprotektor proklamierten Kaiser der Franzosen Napoleon und - wie bereits erwähnt - den daran beteiligten sechzehn deutschen Staaten, welche geographisch betrachtet keineswegs alle am Rhein lagen; gemeinsam war ihnen vielmehr insoweit nur, daß sie ihr Gebiet östlich des Rheins („rechtsrheinisch") hatten. Die Rheinbundsakte diente zugleich aber auch als die die bündische Handlungsfähigkeit gewährleistende Grundordnung dieses formal als Staatenbund zu charakterisierenden Völkerrechtssubjekts und damit im Binnenverhältnis gleichsam als dessen Verfassung. [11.] Dieser Bund war eindeutig in der realistischen Erwartung des Beitritts zusätzlicher deutscher Staaten eingerichtet worden (vgl. Art. 39 RBA). Ihm schlossen sich bis weit in das Jahr 1808 hinein namentlich nach der am 14. Oktober 1806 den Preußen von den französischen Truppen zugefugten Niederlagen bei Jena und Auerstedt 23 weitere deutsche Staaten durch zwischen ihnen und Frankreich (nicht etwa mit dem Rheinbund!) geschlossene „Akzessionsverträge" an, so daß er insgesamt 39 - und damit - mit Ausnahme Österreichs und Preußens und den unter dänischer oder schwedischer Herrschaft stehenden Territorien Holstein und Pommern - alle nicht im weiteren Verlaufe von Frankreich annektierten deutschen Territorien und Einzelstaaten unter seinem Dach zusammenführte. Den Anfang machte allerdings zeitlich schon davor liegend^ mit dem am 25. September 1806 geschlossenen Vertrag von Paris^ der dadurch zugleich vom Erzherzog und souveränen Fürsten zum Großherzog aufsteigende Ferdinand von Würzburg. Ihm folgte mit dem auch als Friedensschluß zwischen Frankreich und Sachsen dienenden Vertrag von Posen am IL Dezember 1806"^ Preußens bisheriger Verbündeter Kurfürst Friedrich August von Sachsen, der von nun an den Königstitel führte. Nur vier Tage später, am 15. Dezember 1806, und ebenfalls zu Posen wurde der Anschluß Herzog Karl Augusts von Sachsen-Weimar-Eisenach und der Herzöge von Sachsen-Coburg, Sachsen Gotha, Sachsen-Hildburghausen und SachsenMeiningen vertraglich vereinbart.^ Am 18. April 1807 folgten durch die Verträge von Warschau die Herzöge von Anhalt-Bemburg, Anhalt-Dessau und AnhaltKöthen^, die Fürsten von Schwarzburg-Rudolstadt und Schwarzburg-Sondershausen^, von Waldeck^, von Lippe-Detmold und Schaumburg-Lippe^ sowie von ' ^

^ 4 ^ ^ ^

Dok. 4. Fälschlich hält E. R. Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789, Bd. 1: Reform und Restauration 1789-1830, 2. Aufl., 1990, S. 76, den Anschluß Würzburgs für erst nach der preußischen Niederlage bei Jena und Auerstedt erfolgt. Dok. 5. Dok. 6. Dok. 7. Dok. 8. Dok. 9.

§2: Der Rheinbund

19

Reuß-Greiz, Reuß-Schleiz, Reuß-Lobenstein und Reuß-Ebersdorf ^. Das neu errichtete Königreich Westfalen kam durch Konstitutionsakte vom 15. November/ 7. Dezember 1807 hinzu (Art. 5 der Akte). Mit dem am 10. Februar 1808 in Paris unterzeichneten Vertrag erfolgte der Anschluß des Herzogtums MecklenburgStrelitz;^^ entsprechendes galt aufgrund des gleichfalls in Paris geschlossenen Kontrakts vom 22. März 1808 für das Herzogtum Mecklenburg-Schwerin^^. Als letzter Staat vereinbarte in Erfurt am 14. Oktober 1808 das Herzogtum OldenburgHolstein seinen Beitritt. ^^ Damit belief sich der Gebietsumfang des Bundes auf ca. 325.800 km^ bei einer Bevölkerungszahl von 14,61 Millionen Einwohnern. Mit den jeweiligen Akzessionsverträgen wurden von den Beitretenden einerseits die allgemeinen Bestimmungen der Rheinbundsakte als verbindlich anerkannt und andererseits landesspezifische Rechte und Pflichten gegenüber dem Bund und seinem Protektor festgelegt. Zentrale Bedeutung nahmen insoweit die militärischen Verpflichtungen der neu hinzutretenden Mitglieder ein. [12.] Mit dem Friedensschluß von Tilsit vom 7./9. M i 1807 anerkannten auch die beiden Napoleon unterlegenen Mächte Rußland^"^ und Preußen^^ den Rheinbund völkerrechtlich - und zwar bereits selbst in Ansehung der künftig noch hinzutretenden Souveräne; femer garantierten sie die Integrität der einzelnen Bundesglieder. Spätestens jetzt hatte der Protektor „seinen" Staatenbund im Konzert der namhaften kontinentaleuropäischen Mächte rechtlich etabliert. [13.] Die Rheinbundsakte enthielt auch Bestimmungen, welche die nunmehr bestehende Territorialordnung der beteiligten Staaten untereinander abrundete: So erhielt Bayern das Gebiet der bis dahin freien Reichsstadt Nürnberg sowie Rohr und Waldstetten (Art. 17 RBA). Württemberg bekam von Bayern die Herrschaft Wiesensteig, von Baden neben einigen kleineren Gebieten die Städte Biberach und Waldsee (Art. 13, 15, 18 RBA). Baden erwarb Bonndorf, Tuttlingen, Villingen und einige andere kleinere Territorien von Württemberg sowie Gebietsteile des Johanniter- und des Deutschen Ordens (Art. 14, 15, 19 RBA). Berg erhielt von Nassau die Städte Deutz und Königswinter sowie die Bailei Willich (Art. 16, 20 RBA). Hessen-Darmstadt bekam die Burggrafschaft Friedberg (Art. 21 RBA). Dem Gebiet des Fürstprimas (Aschaffenburg-Regensburg) wurde die Reichsstadt Frankfurt zugewiesen (Art. 22 RBA). Hohenzollem-Sigmaringen durfte sich Achberg, Hohenfels, die Klöster Klosterwald und Habstal sowie diverse ritterschaftliche Besitzungen einverleiben (Art. 23 RBA). Zudem unterstellten die Art. 24 f RBA mehr als einhundert kleinere, bis dahin von der Mediatisierung verschonte Reichsfiirstentümer und Reichsherrschaften der Souveränität einzelner Rhein-

8 9 10 11 12 13 14 15

Dok. 10. Dok. 11. Dok. 12. Dok. 13. Dok. 14. Dok. 15. Art. 15 des Vertrages vom 7. Juli 1807. Art. 4 des Vertrages vom 9. Juli 1807.

20

1. Abschnitt: Gesamtdeutsche Verfassungsentwicklung (1803/06-1918)

bundstaaten. So gesehen schrieb die Rheinbundsakte das Ergebnis des Reichsdeputationshauptschlusses von 1803^^ konsequent fort. [14.] Später setzte sich die Flurbereinigung der deutschen politischen Landkarte innerhalb des Rheinbunds auf völkerrechtlicher Ebene fort: So erhielt Bayern durch den Pariser Vertrag vom 28. Februar 1810 zur Ausführung des Wiener Friedens vom 14. Oktober 1809^^ von Frankreich das bis dahin dem Fürstprimas gehörige Regensburg (Art. II des Vertrages). Württemberg erwarb durch Grenzvertrag mit Bayern vom 18. Mai 1810^^ von diesem die Stadt Ulm (Art. I des Vertrages). Durch Grenzvertrag mit Baden vom 2. Oktober 1810^^ überstellte Württemberg die Landgrafschaft Neuenbürg und einige kleinere Territorien an das Großherzogtum (Art. II des Vertrages). Hessen-Darmstadt bekam aufgrund des mit Baden geschlossenen Grenzvertrages vom 8. September 1810^° von Baden im wesentlichen die Ämter Miltenberg, Amorbach und Heubach (Art. I des Vertrages). An Würzburg ging gemäß dem Vertrag mit Bayern vom 26. Mai 1809 die bis dahin bayerische Stadt Schweinfurt. [15.] Des weiteren veränderte sich das Gebiet des Rheinbundes aber auch nach außen. So bekam Bayern durch den Pariser Vertrag vom 28. Februar 1810 die im Tilsiter Frieden vom 7. Juli 1807 von Preußen an Frankreich abgetretene Markgrafschaft Bayreuth. Dafür mußte es allerdings den größeren Teil von Südtirol mit Trient und Bozen an das Königreich Italien herausgeben. Das bei seiner Gründung durch die Konstitutionsakte (vom 15. November/7. Dezember 1807) im wesentlichen aus den Gebieten des ehemaligen Herzogtums Braunschweig-Wolfenbüttel, des vormaligen Kurhessens, Rintelns und Schaumburgs, Schmalkaldens, Katzenehibogens, Conveys, aus den südlichen und südwestlichen Teilen Hannovers (Göttingen und Grubenhagen, Osnabrück) und aus den ehemals linkselbischen preußischen Gebieten (Altmark, Magdeburg, Halle, Hildesheim, Stadt Goslar, Halberstadt, Hohenstein, Quedlinburg, Mansfeld, Eichsfeld, Mühlhausen, Nordhausen, Stolberg, Paderborn, Minden, Ravensberg) zusammengefügte Königreich Westfalen bekam zunächst durch den Pariser Vertrag vom 14. Januar 1810^^ von Napoleon auch noch das gesamte nördliche Hannover zugeteilt. In Anbetracht des an Bayern fallenden Regensburgs erhielt der Fürstprimas durch Vertrag vom 16. Februar 1810^^ als Ausgleich von Frankreich die seit 1806 französisch administrierten ehemals nassauisch-oranischen Gebiete zugesprochen, die den größten Teil des Fürstentums Fulda und die Grafschaft Hanau umfaßten; zugleich avancierte er zum Großherzog von Frankfurt. Durch Senatuskonsult vom 10./13. Dezember 1810^^ wurden im Zuge der französischen Annexion der Niederlande und 1^ Dok. 1. ^^ Abgedruckt mit Geheimabsprache bei: P. A. G. Meyer (Hrsg.), Corpus Juris Germaniae Confoederationis oder Staatsacten für Geschichte und öffentliches Recht des Deutschen Bundes (CJCG), Teil I (Staatsverträge), 3. Aufl., 1858, S. 118 ff. 1^ Abgedruckt bei: a. a. O., S. 122 ff. 19 Abgedruckt bei: a. a. O., S. 133 f. 2^ Abgedruckt bei: a. a. O., S. 125 ff. ^1 Abgedruckt bei: a. a. O., S. 107 ff. 22 Abgedruckt bei: a. a. O., S. 111 ff. 23 Abgedruckt bei: a. a. O., S. 105.

§ 2: Der Rheinbund

21

der gesamten deutschen Nordseeregion nicht nur die drei außerhalb des Rheinbunds liegenden Städte Hamburg, Bremen und Lübeck sowie Lauenburg Bestandteil des französischen Kaiserreichs, sondern auch die Rheinbundstaaten Oldenburg-Holstein, Arenburg, Salm-Kyrberg und Salm-Salm. Obendrein mußte das Königreich Westfalen in Vollzug des Senatuskonsults vom 10./13. Dezember 1810 durch Vertrag vom 10. Mai 1811 die kurz zuvor erst erworbenen nordhannoverischen Gebiete wieder an Frankreich zurückgeben. Auch das Großherzogtum Berg hatte seine Gebietsteile nördlich der Linie Wesel-Münster-Minden-VerdenLauenburg an Frankreich abzutreten. Aus den genannten norddeutschen Gebieten wurden die Departements Ober-Ems, Ost-Ems, West-Ems, Wesermündung und Eibmündung geformt (Art. II). Bezeichnenderweise schrumpften namentlich als Folge der französischen Annexionspolitik Gebietsumfang und Bevölkerungszahl des Rheinbunds im Jahre 1811 gegenüber dem Jahre 1808 um über ca. 40.000 km^ und 1,3 Millionen Einwohner. [16.] Die französisch inszenierten Territorialänderungen offenbarten auf besondere Weise, wie Napoleon seine Rolle als „Protektor" gegenüber dem Rheinbund verstand: Er betrachtete den Bund als französisch dominiertes Einflußgebiet; dieses sollte an seinen Außengrenzen vor jeglicher den französischen Interessen zuwiderlaufender Einflußnahme dritter Staaten abgeschottet sein. Garantiert wurde nur die (Territorial-)Ordnung innerhalb des Bundes, soweit es die Verhältnisse der Mitglieder untereinander betraf; aber nicht auch im Verhältnis zu Frankreich. Namentlich Gebietsgarantien seitens des Protektors für den jeweiligen Einzelstaat waren damit nicht verbunden; wie überhaupt die Rheinbundsakte und die Akzessionsverträge zu dieser Thematik schwiegen. [17.] Über ein ausdrückliches französisches Interventionsrecht mit Blick auf sonstige Bundesangelegenheiten enthielten die besagten Rechtsquellen zwar ebenfalls keine Aussagen. Doch ergab sich dieses nahezu zwangsläufig aus den mit der Stellung Napoleons als Protektor verbundenen Befugnissen, die es ihm erlaubten, einseitig alle für die gemeinsame Sicherheit notwendigen Maßnahmen zu treffen.^"^ Wie dominant die Position des Protektors gegenüber dem Rheinbund war, kommt auch darin zum Ausdruck, daß ihm allein, und nicht etwa zumindest mit den Mitgliedstaaten die Bestimmung der Nachfolge für die Person des den Vorsitz in der Bundesversammlung führenden Fürstprimas Dalberg vorbehalten blieb (Art. 12 RBA). [18.] Laut Rheinbundsakte sollten die Mitglieder volle Souveränität genießen (Art. 4 Abs. 2). Gleichwohl konnte mit der dort auch ansonsten auffallig oft hervorgehobenen Souveränität (Art. 8, 17, 18, 19 Abs. 1, 21, 22, 23, 24, 25, 26, 27, 29, 30, 31) nicht die plenitudo potestatis gemeint sein. Denn die Souveränität bezog sich - wie Art. 26 RBA hervorhob - auf das Recht zur Gesetzgebung, der obersten Gerichtsbarkeit, der hohen Polizei, zur militärischen Konskription oder Rekrutierung und auf das Recht der „Auflagen" (Steuern). Sie beinhaltete also nur die vollständige Wahrnehmung eigener innerstaatlicher (Verfassungs-)Belange frei von Einwirkungsbefugnissen anderer Staaten oder des Rheinbundes; was aber immerhin die vollständige Entmachtung der bis dahin noch politische Mitsprache Vgl. auch E. R, Huber (Fußn. 2), S. 82.

22

1. Abschnitt: Gesamtdeutsche Verfassungsentwicklung (1803/06-1918)

übenden Stände erlaubte und der schnellen, nahezu umfassenden Ausbreitung absolutistischer Regierungsformen in den Rheinbundstaaten Vorschub leistete. Schon nicht mehr davon umfaßt war beispielsweise das Recht für regierende Grafen und Fürsten einschließlich ihrer Erben zur Wahl ihrer Residenz außerhalb der Grenzen des Rheinbundes oder Frankreichs (Art. 31 RBA). Erst recht ergab sich aus diesem eigentümlichen Verständnis von Souveränität nicht die Befugnis zur selbständigen Gestaltung der Außenpolitik, zur Entscheidung über Krieg und Frieden, zum Abschluß oder zur Auflösung von Bündnissen oder gar zur autonomen Kriegsführung. Diese Rechte standen unter der alten Reichsverfassung seit dem Westfälischen Frieden jedem Kurfürsten zu, sofern diese nicht gegen das Reich gerichtet wurden. Nunmehr überließ man sie stillschweigend dem Kaiser der Franzosen. Zwar bestand zwischen Frankreich und den rheinischen Bundesstaaten insgesamt sowie mit jedem einzelnen ein Bündnis, das jeden europäischen Krieg, den einer der kontrahierenden Teile fuhren würde, unmittelbar zur gemeinsamen Sache werden ließ (Art. 35 RBA). Doch lief dies angesichts der tatsächHchen Machtverhältnisse darauf hinaus, daß der Beistandsfall realiter nur - und dann automatisch - bei den von Frankreich geführten Kriegen eintreten konnte. Um die Abhängigkeit der Rheinbundstaaten von Frankreich auf die Spitze zu treiben, verpflichteten sich die Vertragsparteien für den Fall, daß eine bündnisfremde benachbarte Macht Rüstungsanstrengungen unternähme, sich auf die Anforderung eines ihrer Minister ebenfalls zu bewaffnen (Art. 36 Abs. 1 RBA). Ein Prüfungsrecht einzehier Mitglieder oder zumindest des Bundes insgesamt, ob die eine Bewaffnungspflicht auslösenden materiellen Voraussetzungen tatsächlich vorlagen, gab es nicht; die Pflichtenbegründung hing nur von der Einhaltung formeller Kriterien (an die Bundesversammlung gerichtete ministerielle Anforderung) ab. Obendrein bestimmte allein der französische Kaiser den Zeitpunkt, zu dem die Bewaffnung zu erfolgen hatte (Art. 36 Abs. 2 RBA). Damit hielt Frankreich ein Instrument in den Händen, die Rheinbundstaaten gleichsam nach Gutdünken - gegebenenfalls permanent - zu Rüstungsanstrengungen anzuhalten. Schon im Sommer 1808 erging anläßlich österreichischer Rüstungsbemühungen die Aufforderung Napoleons an die Rheinbundstaaten, ihre Truppen zur Abwehr jeden Angriffs bereitzuhalten.^^ Daß man auch hinsichtlich des Umfangs der zu erfüllenden Bewaffnungsobliegenheiten nichts dem Zufall überließ, dokumentiert Art. 38 RBA. Danach waren die von den Bündnismitgliedem zu stellenden Kontingente präzise festgelegt. Neben den wohl eher pro forma aufgeführten 200.000 Mann französischer Truppen hatten Bayern 30.000, Württemberg 12.000, Baden 8.000, Berg 5.000, Hessen-Darmstadt 4.000 und alle übrigen Mitghedsländer (beide Nassau, beide Hohenzollem, beide Salm, Isenburg-Birstein, Arenberg, Liechtenstein) zusammen ebenfalls 4.000 Mann zu stellen. Damit verfugte Frankreich nominal zunächst über immerhin 63.000 Mann deutscher Hilfstmppen, die künftig in den von Napoleon geführten Feldzügen auf Europas Schlachtfeldern an der Seite französischer Armeen eingesetzt werden konnten und auch - etwa gegen Österreich 1809, Rußland 1812 und die Koalitionsmächte 1813 - wurden. Diese Zahl erhöhte sich in der Folgezeit noch erheblich durch die von den später dem Rheinbund beiM. Döberl, Rheinbundverfassung und bayerische Konstitution, 1924, S. 39.

§ 2: Der Rheinbund

23

getretenen Staaten gemäß der jeweiligen Akzessionsverträge zu leistenden Truppenbeiträge um weitere 56.250 Mann auf insgesamt 119.250 Mann.^^ Des weiteren war es nach den Akzessionsverträgen jedem neu hinzutretenden Staat ausdrücklich verwehrt, den Truppen fremder Mächte den Durchzug durch das eigene Gebiet zu gestatten. Entsprechendes wird auch für die Gründungsmitglieder des Rheinbundes gegolten haben, obwohl die Rheinbundsakte expressis verbis keine Aussage dazu traf. Denn zu einer eigenmächtigen Gestattung hätte es außenpolitischer Aktivitäten des jeweiligen Mitgliedstaates am Rheinbund und an seinem Protektor vorbei bedurft, die dem einzelnen Konföderierten vor dem Hintergrund der allein auf innenpolitische Aspekte beschränkten Souveränität formal nicht ohne Verstoß gegen den Geist der Rheinbundsakte möglich gewesen wären. Daß man umgekehrt dem französischen Alliierten das eigene Gebiet zum Durchzug zur Verfügung stellte, ergab sich demgegenüber aus den den Konföderierten obliegenden Bündnisverpflichtungen. Femer hatte Bayern die im Preßburger Frieden erworbenen Städte Augsburg und Lindau zu befestigen und mit der entsprechenden Kriegslogistik auszustatten (Art. 37 RBA). Die den eigentlichen Kembereich der Rheinbundsakte bildende Militärverfassung zeichnete zu einem erheblichen Teil dafür verantwortlich, daß sich in den vielen von Napoleon geführten Kriegen dieser Zeit häufig auf französischer wie gegnerischer Seite deutsche Soldaten gegenüberstanden. Wie wenig handlungsfähig die deutschen Konföderierten außenpolitisch tatsächlich waren, zeigt auch die Praxis der von Napoleon stets eigenmächtig über die Köpfe seiner Verbündeten hinweg vorgenommenen Friedensschlüsse, zu deren Verhandlungen die Verbündeten - weder in Gestalt des Rheinbundes noch als „souveräne" Staaten - gar nicht erst hinzugezogen worden. Dennoch entfalteten die jeweils von Frankreich geschlossenen Vereinbarungen - wie der zu Tilsit mit Rußland am 7. Juli 1807 (Art. XVII) und mit Preußen am 9. Juli 1807 geschlossene Vertrag (Art. V), der am 14. Oktober 1809 in Wien (Schönbrunn) geschlossene Vertrag mit Österreichs^ (Art. II) oder der in Paris geschlossene französisch-schwedische Vertrag vom 6. Januar 1810^^ (Art. II) - automatisch Rechtskraft mit Wirkung für und gegen sie. [19.] Außenpolitische bedeutsame Vereinbarungen konnten nur zwischen den Konfbderierten und dem Protektor stattfinden. Daß sie tatsächlich erfolgten - wie etwa der am 28. Februar 1810 in Paris geschlossene französisch-bayerische Vertrag -, zeugte von einem gewissen Stellenwert, den man französischerseits einzelnen deutschen Verbündeten zumaß. Völkerrechtlichen Verträgen zwischen den Bundesmitgliedem - namentlich zur einvemehmlichen Regelung territorialer Veränderungen^^ - stand die Rheinbundsakte indes nicht entgegen. s^ Würzburg 2.000, Sachsen 20.000, Sachsen-Weimar-Eisenach, Sachsen-Gotha, Sachsen-Hildburghausen und Sachsen-Meiningen zusammen 2.800, Anhalt-Bemburg, Anhalt-Dessau und AnhaltKöthen zusammen 800, Schwarzburg-Rudolstadt, Schwarzburg-Sondershausen, Waldeck, LippeDetmold, Schaumburg-Lippe und die vier reußischen Staaten zusammen 2.550, Westfalen 25.000, Mecklenburg-Schwerin und Mecklenburg-Strelitz zusammen 2.300, Oldenburg 800 Mann. 27 Abgedruckt bei: P. A. G. Meyer (Fußn. 17), S. 113 ff. 2^ Abgedruckt bei: a. a. O., S. 101 ff ^^ Vgl. etwa die Grenzverträge zwischen Bayern und Würzburg vom 18. Mai 1810 (abgedruckt bei: a.a.O., S. 122 ff); Baden und Hessen-Darmstadt vom 8. September 1810 (abgedruckt bei:

24

1. Abschnitt: Gesamtdeutsche Verfassungsentwicklung (1803/06-1918)

[20.] Angesichts der einseitigen Festlegung der Rheinbundstaaten auf den französischen Bundesprotektor war es nur konsequent, wenn diese von jeder der Konföderation fremden Macht unabhängig sein mußten (Art. 7 RBA). Auf diese Weise konnte Frankreich seinen Einfluß ungeschmälert zur Geltung bringen. Um jeglichem Einflußverlust auf die Mitgliedstaaten von vornherein auszuschließen, durften die Mitglieder ihre Souveränität vollständig oder teilweise allein zugunsten konfbderierter Staaten aufgeben (Art. 8 RBA); was allerdings formal bedeutete, daß auch ein Souveränitätsübergang auf den Kaiser der Franzosen als Protektor des Bundes mangels Konföderiertenstatus unstatthaft war. Deshalb verstießen sowohl das westfälische Königreich als auch das bergische Großherzogtum eindeutig gegen Art. 8 RBA, indem sie 1810/11 Gebietsteile an Frankreich abtraten.^^ [21.] Gemeinsames Organ des Bundes sollte die zu Frankfurt a. M. tagende Bundesversammlung („Diete") sein. Dort waren die gemeinschaftlichen Interessen der Bundesstaaten zu verhandeln (Art. 6 RBA). Überdies war die Bundesversammlung als Schlichtungsinstitution von Streitigkeiten unter den Bundesstaaten vorgesehen (Art. 9 RBA), um auf diese Weise einen friedlichen Ausgleich innerhalb des Bundes zu ermöglichen. Das Nähere über die dort stattfindenden Verhandlungen - namentlich die Verhandlungsgegenstände, die Art und Weise der Beschlußfassung und die Vollziehung der Beschlüsse - würden durch ein noch zu erlassendes, zunächst vom Fürstprimas in kürzester Zeit zu erarbeitendes und von der Bundesversammlung zu genehmigendes „Statut fondamental" bestimmt (Art. 11 RBA). Tatsächlich nahm der Fürstprimas unverzüglich die Arbeit an diesem den verfassungsmäßigen Ausbau des Rheinbundes intendierenden Statut auf, welches über das Stadium diverser Entwürfe letztlich aber nicht hinauskam. Es scheiterte einerseits am Widerstand der um ihre neugewonnene Souveränität fürchtenden Könige Bayerns und Württembergs und andererseits daran, daß dem Kaiser eine „Vergewaltigung" dieser Alliierten zu diesem Zeitpunkt - die Auseinandersetzungen mit Preußen dauerten noch an - nicht opportun erschien. Später dürfte bei Napoleon die Einsicht gereift sein, daß eine latent ungeklärte Verfassungsfrage im Innern des Bundes wegen der sich dem Protektor dadurch jederzeit ermöglichenden Interventionsmöglichkeiten eher dem französischen Interesse entsprach. [22.] Für die konstituierende Sitzung der Bundesversammlung in Frankfiirt a. M. wurde von dem dafür zuständigen Fürstprimas Karl Theodor von Dalberg zunächst offiziell der 16. Oktober 1806 anberaumt. Es erschienen mit Ausnahme der Gesandten Bayerns und Württembergs, deren Könige aus verständlichen Gründen vor dem Zusammentritt der Versammlung die Vorlage eines bislang nicht existierenden beratungsfahigen Verfassungsstatuts forderten, zwar die Gesandten der anderen Staaten. Doch sah man sich angesichts des Fehlens der beiden wichtigsten Konföderierten außerstande, die Bundesversammlung zusammentreten zu lassen. Die Gesandten gingen daher wieder auseinander, ohne wirklich getagt zu haben und traten auch später niemals mehr zusammen. Dies führte letztlich a.a.O., S. 133 f.); Württemberg und Baden vom 2. Oktober 1810 (abgedruckt bei: a.a.O., S. 125 ff.). 30 E. R. Huber (Fußn. 2), S. 78.

§ 2 : Der Rheinbund

25

dazu, daß es zu keiner Fortentwicklung des bündischen Verfassungsrechts einschließlich der dafür notwendigen Institutionen kommen konnte. [23.] Wegen der den Mitgliedstaaten zustehenden Souveränität hinsichtlich der autonomen Wahrnehmung eigener innerstaatlicher Belange enthielt die Rheinbundsakte selbst auch keine Vorgaben für die jeweiligen einzelstaatlichen Verfassungen. Doch erlaubte es diese Souveränität den Fürsten immerhin, den vielfach bis dahin gegen massiven ständischen Widerstand nur unvollkommen gelungenen Übergang zum Absolutismus kurzerhand nachzuholen. Das rechtliche Dach des Bundes bot namentlich den durch erhebliche Gebiets- und Bevölkenmgszuwächse aufgewerteten süddeutschen Mittelstaaten Bayern, Württemberg, Baden und Hessen-Darmstadt die willkommene Gelegenheit, die sehr heterogen verfaßten Altund Neuterritorien ihres Staates zusammenzuführen, verbliebene ständische Mitsprache auszuschalten und eine einheitliche, nicht zuletzt dem französischen Vorbild entlehnte zentral organisierte straffe Verwaltung einzuführen. In den sich erst später durch Akzessionsverträge dem Rheinbund anschließenden nord- und mitteldeutschen Staaten blieb die innere, vorwiegend altständische Struktur im wesentlichen unangetastet. Dort fanden keine vergleichbaren, die Basis des alten Ständewesens erschütternde Gebiets- und Bevölkerungszuwächse statt. [24.] Femer erfolgte in zahlreichen Rheinbundstaaten (wie dem Königreich Westfalen, den Großherzogtümem Baden, Berg und Frankfurt sowie dem Herzogtum Anhalt-Köthen) die Einführung des Code Napoleon oder stand kurz bevor (wie in dem Königreich Bayern, den Großherzogtümem Hessen-Darmstadt und Würzburg sowie dem Herzogtum Nassau). Auch hierin dürfte in erster Linie ein Mittel der innenpolitischen Notwendigkeiten zu sehen sein; erleichterte die Vereinheitlichung des Zivil- und Zivilprozeßrechts durch die Schaffung einer bürgerHchen Rechtsordnung doch den Bmch mit den integrationsfeindlichen, ausschließlich auf Partikularinteressen gegründeten überkommenen, noch dazu verschiedenen Feudalordnungen. Die Expansion des französischen Rechtssystems bildete somit nicht nur ein die Hegemonialpolitik Frankreichs absichemdes Instmment, sondem auch einen die einzelstaatliche Ordnung homogenisierenden Faktor. [25.] Dies manifestiert sich in besonderer Weise in der nach französischem Vorbild erlassenen Verfassung, welche zunächst das von Napoleons Bmder Jerome regierte Königreich Westfalen (15. November 1807) als neu geschaffener Modellstaat auf Geheiß Napoleons erhielt. Auch das Königreich Bayem gab sich im Jahre 1808 (1. Mai), ihm im Jahre 1809 (15. März) folgend das Fürstentum Reuß ä. L. und 1810 (28. Dezember) das Herzogtum Anhalt-Köthen eine an dem westfälischen Vorbild ausgerichtete Konstitution. [26.] Das Modeme an diesen Verfassungen bestand im Kem darin, daß das alte ständische Prinzip dem repräsentativen wich, d. h. die Abgeordneten der Vertretungskörperschaften nicht mehr als Vertreter ihres Standes, sondem als solche ihres Volkes galten. Auch wenn diese Verfassungen nicht wirklich zur Ausführung kamen, so dürfen sie insoweit als Vorstufen der frühkonstitutionellen süddeutschen Verfassungen der Jahre 1818-1821 gelten^^ wenngleich - mit Ausnahme der bayerischen - keine von ihnen den Untergang des Rheinbundes überstand. W. Siemann, Vom Staatenbund zum Nationalstaat, Deutschland 1806 - 1871, 1995, S. 27.

26

1. Abschnitt: Gesamtdeutsche Verfassungsentwicklung (1803/06-1918)

[27.] Insgesamt dauerte der Rheinbund mehr als sieben Jahre. Eingeleitet wurde dessen Ende mit der nach dem katastrophalen Niedergang der französischen „Grande Armee" im Winter 1812 zwischen Preußen und Rußland am 21.12%. Februar 1813 in Breslau/Kalisch förmlich vereinbarten antinapoleonischen Allianz.^^ In dem von beiden Mächten am 19. März 1813 geschlossenen Vertrag von Breslau suchte man die Rheinbundstaaten zum Überlaufen in das gegnerische Lager zu bewegen.^^ Hiemach sollten alle nach Ablauf einer bestimmten Frist im Bündnis mit Frankreich verbleibenden deutschen Fürsten den Verlust ihrer Herrschaft zu befürchten haben. Der vom russischen Oberbefehlshaber Fürst KutusowSmolenskoi als Proklamation von Kaiisch (vom 25. März 1813) bekanntgewordene Aufruf, an die mit Frankreich verbündeten Rheinbundstaaten zielte in die gleiche Richtung. Wegen der seinerzeit noch ungeklärten militärischen Situation verhallten diese Aufforderungen indes weitgehend ungehört. Ihnen folgten (im März bzw. April 1813) nur die Herzöge Friedrich Franzi, von Mecklenburg-Schwerin und Karl von Mecklenburg-Strelitz.^"^ [28.] Erst der Beitritt Österreichs zur preußisch-russischen Allianz durch den Teplitzer Bündnisvertrag vom 9. September 1813^^ brachte insoweit die Wende. Denn es gelang Wien im folgenden durch den mit München am 8. Oktober 1813 in Ried auch namens der übrigen Verbündeten geschlossenen Vertrag^^, das Königreich Bayern zu veranlassen, dem Rheinbund zu entsagen und es zugleich auf das Bündnis gegen Napoleon einzuschwören. Als Gegenleistung bekam der bayerische König sowohl die Wahrung seines territorialen Besitzstandes als auch seine volle Souveränität zugesichert (Art. 4 des Vertrages, Art. 1 der geheimen Zusatzvereinbarung). Damit war eine spätere Beschränkung der bayerischen Souveränitätsrechte durch eine wie auch immer zu formende engere nationalstaatliche Verbindung Deutschlands nur mit der ausdrücklichen Zustimmung Bayerns zulässig. [29.] Das faktische Ende des Rheinbundes wurde indes erst durch die von Napoleon verlorene Völkerschlacht bei Leipzig (16.-19. Oktober 1813) eingeleitet. War man sich auf Seiten der Allianz schon im Teplitzer Vertrag darüber einig, daß die Rheinbundstaaten nach Auflösung des Rheinbundes selbständig zwischen den Großmächten Preußen und Österreich bestehen bleiben sollten (Art. 1 Abs. 2 der geheimen Zusatzvereinbarung), so blieben die siegreichen Alliierten - zu ihnen zählten neben Rußland, Preußen und Österreich auch Großbritannien und Schweden - dieser Linie mit der Konvention von Leipzig vom 21. Oktober 1813^^ treu, indem sie den Rheinbundstaaten für den Fall ihres Beitritts zur Allianz ihre Eigenständigkeit zusicherten. Der nach Leipzig unverkennbar sinkende Stern Napoleons und die Aussicht, durch die Leipziger Garantie einem drohenden Untergang entgehen zu können, veranlaßten nunmehr die übrigen Mitglieder des Bundes dem Bund teils ausdrücklich, teils konkludent zu entsagen. 32 33 34 3^ 36 3"^

Abgedruckt Abgedruckt E. R. Huber Abgedruckt stehung des Dok. 16. Abgedruckt

bei: P. A. G. Meyer (Fußn. 17), S. 135 ff bei: a. a. O., S. 138 f. (Fußn. 2), S. 4 9 1 . in: L Gall (Hrsg.), Quellen zur Geschichte des deutschen Bundes, Abt. I/l: Die EntDeutschen Bundes 1 8 1 3 - 1 8 1 5 , 2000, S. 28 ff bei: P. A. G. Meyer (Fußn. 17), S. 140 ff.

§ 2: Der Rheinbund

27

[30.] Ausdrücklich geschah dies durch dem Vertrag von Ried vergleichbare Allianzverträge einzelner Staaten mit den gegen Napoleon verbündeten Mächten: Württemberg erklärte seinen Austritt gegenüber Österreich am 2. November 1813 im Vertrag von Fulda^^. Entsprechendes erfolgte in Frankfurt a. M. seitens Baden am 20. November 1813^^, Hessen-Darmstadts^^ und Nassaus^^ jeweils am 23. November 1813 sowie seitens Sachsen-Meiningens^^, Sachsen-Coburg-Saalfelds^^ und Altenburgs^^ jeweils am 24. November 1813, seitens Lippe-Detmolds am 29. November 1813^^ und Liechtensteins am 7. Dezember 1813^^ gegenüber Österreich; wobei die meisten dieser Verträge gleichlautend und auf denselben Tag datiert auch mit Preußen und Rußland unterzeichnet wurden. Beide Schwarzburgischen Staaten schlossen am 24. November 1813"^^ und Schaumburg-Lippe am 1. Dezember 1813^^ allein mit Preußen derartige Verträge. Hinzu kamen gleichlautende Vertragsschlüsse jeweils zwischen Rußland und Waldeck am 14./26. November 1813^^, den Reußischen Staaten am 17./29. November 1813^^ und SachsenWeimar-Eisenach am 20. November/2. Dezember 1813^\ [31] Abweichend vom Rieder Vertrag stand die Württemberg im Fuldaer Vertrag zugesicherte volle Souveränität jedoch unter dem Vorbehalt, daß sie politischen Verbindungen nicht entgegensteht, die sich aus den bei Abschluß des künftigen Friedens zu treffenden Vereinbarungen über die Herstellung und Sicherung der Unabhängigkeit und Freiheit Deutschlands ergeben werden (Art. 1 Satz 2 der geheimen Zusatzvereinbarung). Noch schwächer fielen die Garantien der Allianzmächte für die erst im Zuge der Frankfurter Allianzverträge vom Rheinbund abfallenden Fürsten aus. Denn dort sollte die Souveränität und territoriale Integrität insgesamt nur so weit gehen, wie sie der künftig notwendigen Neuordnung zur Sicherung der Macht und Unabhängigkeit Deutschlands nicht im Wege stehen würde (vgl. Art. 1 der geheimen Zusatzvereinbarung mit Baden und jeweils Art. 4 der übrigen Verträge). Ungeachtet dessen war damit jedoch nicht nur der Auflösung dieser Rheinbundstaaten ein für allemal ein Riegel vorgeschoben, sondern auch die napoleonisch inszenierte Territorial- und Staatenordnung Süddeutschlands im Grundsatz festgeschrieben. [32.] Konkludente Lossagungen vom Rheinbund sind in der faktischen Teilnahme der sonstigen Rheinbundmitglieder (beide Mecklenburg, die anhaltischen 38 Dok. 17. 39 Dok. 18. 40 Dok. 19. 41 Dok. 20. 42 43 44 45 46 47 48 49 50 51

Dok. 24. Dok. 23. Dok. 22. Dok. 28. Dok. 30. Dok. 21. Dok. 29. Dok. 25. Dok. 26. Dok. 27.

28

1. Abschnitt: Gesamtdeutsche Verfassungsentwicklung (1803/06-1918)

Staaten, Würzburg) an den Allianzen gegen Frankreich zu sehen. Hier kamen aus unterschiedlichen Gemengelagen heraus keine schriftlichen Vereinbarungen zustande; erst Recht fehlten damit entsprechende vertraglich abgesicherte Bestandsund Souveränitätsgarantien. Diese Staaten befanden sich im Angesicht der unweigerlich heraufziehenden Neuordnung der (gesamt)deutschen Verfassungsverhältnisse eindeutig in der schlechtesten Rechtsposition. [33.] Ebenfalls zur Allianz stießen die in der Rheinbundzeit untergegangenen und im Zuge der Befreiung Nord- und Nordwestdeutschlands wieder errichteten Staaten. Diese - Braunschweig, Hannover, Kurhessen und Oldenburg sowie die Hansestädte Bremen, Hamburg und Lübeck - waren entweder im Königreich Westfalen aufgegangen oder direkt von Frankreich annektiert worden; hinzu kam noch die dem aufgelösten Großherzogtum Frankfurt zugeschlagene Freie Stadt Frankfurt. Auf die Wiederherstellung Hannovers und Braunschweigs hatten sich Preußen, Rußland und Österreich im Teplitzer Vertrag vom 9. September verständigt (Art. 1 Abs. 1 der geheimen Zusatzvereinbarung). Obendrein war Preußen dazu ohnehin bereits aufgrund des mit England am 14. Juni 1813 geschlossenen Bündnis- und Subsidienvertrages verpflichtet. Die Restitution Kurhessens erfolgte aufgrund des Frankfurter Wiederherstellungsvertrages vom 2. Dezember 1813.^^ Die dort (Art. 2) fixierte Souveränitäts- und Integritätsgarantie fiir das Land entsprach derjenigen der Frankfurter Allianzverträge mit den Rheinbundstaaten. Oldenburg verdankte seine Wiederherstellung in erster Linie den engen dynastischen Verbindungen (Holstein-Gottorp) zum russischen Zarenhause. Diese mächtige Protektion sorgte letztlich dafür, daß der seit der Annexion seines Rheinbundstaates durch Frankreich im russischen Exil verweilende Herzog zum 1. Dezember 1813 ohne weiteres die Herrschaft zurückerlangen konnte. Die „alte Verfassung Bremens" wurde durch eine nachträglich vom Zentralverwaltungsdepartment bestätigte Verfugung des russischen Generals von Tettenbom am 25. Oktober/ 6. November 1813 wiederhergestellt. Auch Lübeck erhielt die Eigenstaatlichkeit noch vor Abschluß des Jahres 1813 zurück. Während entsprechendes für Hamburg noch bis zum Mai 1814 dauerte. Die Wiederherstellung der Freien Stadt Frankfurt erfolgte zum 1. Januar 1814. [34.] Von den Rheinbundstaaten verblieben das Königreich Sachsen ebenso wie die napoleonischen Kunstprodukte Westfalen, Berg und Frankfurt bis zum Schluß an Frankreichs Seite. Den Fürsten von Isenburg und von der Leyen wurde die Aufiiahme in den Kreis der Verbündeten versagt. Die Gebiete jedes dieser Monarchen sah man, sofern sie nicht bereits einem der Allianz zugehörigen Staate zugewiesen waren, gleichsam als „herrenlos" an und unterstellte sie unmittelbar nach der Leipziger Völkerschlacht übergangsweise - also bis zur territorialen Neuregelung der deutschen Verhältnisse - der besatzungsrechtlichen Verwaltung von Generalgouvemeuren. Deren Einsetzung erfolgte durch das seitens der Hauptalliierten Rußland, Preußen, Österreich, Großbritannien und Schweden aufgrund der Konvention von Leipzig am 21. Oktober 1813^^ institutionalisierte Zentralverwaltungsdepartement unter der Leitung des Freiherm vom Stein. Nach der Be52 Abgedruckt bei: P. A. G. Meyer (Fußn. 17), S. 226 f. 5^ Abgedruckt bei: a. a. O., S. 140 ff.

§ 2: Der Rheinbund

29

freiung der linksrheinischen deutschen Gebiete von der französischen Herrschaft wurden vom Zentralverwaltungsdepartement auch dort einzelne Generalgouvernements geschaffen. [35.] Schon wegen der Garantien gegenüber den vom Rheinbund abfallenden und der Wiederherstellung einer Reihe während der Rheinbundzeit untergegangener Staaten war die notwendige Ausgestaltung einer künftigen deutschen Verfassung in wesentlichen Teilen präjudiziert. Denn die politische Neuordnung mußte jedenfalls die prinzipielle Existenz dieser Staaten respektieren. Durch Art. 6 Abs. 2 des zwischen Österreich, Rußland, Preußen und England einerseits und dem Frankreich des nuimiehrigen Ludwigs XVIII. andererseits geschlossenen (Ersten) Pariser Friedens vom 30. Mai 1814^"^ wurde daraus gleichsam eine Zusicherung der wichtigsten europäischen Mächte, daß die Staaten Deutschlands unabhängig und durch ein föderatives Band vereinigt sein sollen („Les Etats de l'Allemagne seront independans et unis par un lien federatif."). Daß Frankreich durch Art. 2 des Pariser Friedens auf die Grenzen von 1792^^ reduziert wurde, implizierte zudem die Rückgängigmachung der Annexion der deutschen linksund rechtsrheinischen Gebiete. Ebenso war der Bestand weiterer auf Betreiben Napoleons bewirkter Veränderungen der deutschen Landkarte in Frage gestellt, so daß die anstehende Neuordnung Deutschlands künftig zu einer der zentralen politischen Fragen avancierte. Der als Folge des hunderttägigen Intermezzo der erneuten Machtergreifung Napoleons seit März 1815 zwischen den Siegermächten und Frankreich geschlossene Zweite Pariser Friedensvertrag vom 20. November 1815^^ konnte hieran nichts mehr ändern, weil diese mit der endgültigen Niederlage des Korsen am 18. Juni 1815 in der Schlacht bei Waterloo und lebenslanger Verbannung auf die Südatlantikinsel St. Helena endete. [36.] Eine den Rheinbund betreffende formelle Auflösungserklärung seitens der Konfbderierten erfolgte ebenso wenig wie die ausdrückliche Aufliebung durch die siegreiche Allianz. Immerhin implizierte der bereits erwähnte Art. 6 Abs. 2 des Pariser Friedens jedoch indirekt die Auflösung des Bundes.

^4 Abgedruckt bei: a. a. O., S. 240 ff. ^^ Im Zweiten Pariser Frieden vom 2. November 1815 wurde Frankreich dann noch auf die Grenzen von 1790 reduziert (Art. 2). 56 Abgedruckt bei: P. Ä. G. Meyer (Fußn. 17), S. 299 ff

30

1. Abschnitt: Gesamtdeutsche Verfassungsentwicklung (1803/06-1918)

§ 3: Der Deutsche Bund (1815 - 1866) I. Der Wiener Kongreß [37.] Bei der nunmehr anstehenden politischen Neuordnung der deutschen Verhältnisse kam angesichts der vorangegangenen Ereignisse von Rechts wegen eine Restaurierung der althergebrachten Reichsverfassung ebenso wenig in Frage wie die Bildung eines gesamtdeutschen Bundes- oder gar Einheitsstaates. Die Weichen waren eindeutig in Richtung staatenbündische Lösung gestellt. Das zeigte sich dann auch auf dem nach Art. 32 des Ersten Pariser Friedens für die politische Umbildung Deutschlands und Europas binnen zweier Monate einzuberufenen Wiener Kongreß. 1. Charakteristika [38.] Dieser Kongreß war eine Versammlung von Fürsten und Staatsmännern nahezu aller europäischen Staaten (mit Ausnahme der Türkei), die (einschließlich der Vorbereitungskonferenz) vom 18. September 1814 bis zum 9. Juni 1815 in Wien stattfand. Unermüdliche diplomatische Aktivitäten im Rahmen glanzvoller gesellschaftlicher Ereignisse („Der Kongreß tanzt") prägten den Wiener Kongreß äußerlich. Unter der Leitung des österreichischen Staatskanzlers Fürst Mettemich bemühten sich die siegreichen Mächte Rußland, Preußen, Österreich und England offiziell erst seit dem 1. November 1814 um eine neue Friedensordnung. Im Verlaufe des Kongresses um Frankreich erweitert, erfolgten die eigentlichen Verhandlungen und Beschlüsse in diesem engeren „Fünf-Mächte-Gremium", welches sich je nach Bedarf durch Hinzuziehung Schwedens, Spaniens und Portugals vergrößerte. Die Mächte entschieden die europäischen Fragen auch mit Wirkung für dritte Staaten, wenngleich die Ergebnisse zumeist vorher mit den Vertretern der in Wien anwesenden Mittel- und Kleinstaaten ausgehandelt wurden. [39.] Der Wiener Kongreß unterschied sich schon in seiner Aufgabenstellung von den bisherigen Friedenskongressen, welche regelmäßig überhaupt erst auf den Abschluß eines Friedensvertrages zielten. Er sollte eine bereits erreichte Befriedung ausgestalten, sie durch eine dauerhafte territoriale, politische und (verfassungs)rechtliche Reorganisation Europas auf ein solides Fundament stellen (Art. 32 des Ersten Pariser Friedens). Für Deutschland kam ihm aufgrund des Art. 6 Abs. 2 des Ersten Pariser Friedens überdies die Aufgabe zu, die ungelöste Verfassungsfrage zu regeln, womit der Kongreß zusätzlich die Bedeutung eines deutschen Verfassungskongresses erhielt, dessen Verhandlungen trotz der räumlichen Trennung vom „Europakongreß" von den europäischen Machtinteressen überlagert blieben. Mit diesem Kongreß fand ein neuer Grundzug internationaler Politik Eingang in das Völkerrecht: die Tendenz zu internationaler Organisation. Das grenzenübergreifende staatliche Miteinander - gesichert durch Schaffung eines europäischen Kräftegleichgewichts, durch einen möglichst vollständigen Interessenausgleich zwischen allen wesentlichen Beteiligten und durch die Einbindung aller Mächte in die Friedensverantwortung - bereitete den Boden für ein

§ 3: Der Deutsche Bund ( 1 8 1 5 - 1 8 6 6 )

31

neues kollektives Sicherheitssystem. Mit der Unterzeichnimg der „Wiener Kongreßakte" (WKA) vom 9. Juni 1815 wurden alle Kongreßstaaten gemeinsam zu Garanten einer neuen internationalen Friedensordnung. [40.] So neuartig der Wiener Kongreß als politisch-rechtliches Phänomen im Europa des beginnenden 19. Jahrhunderts auch erscheinen mag, so alt überkommen waren die ihn leitenden Prinzipien: Restauration des Ancien Regime, dynastische Legitimität der herrschenden Fürsten sowie Solidarität der legitimen Fürsten bei der Abwehr revolutionärer Strömungen und Ideen. Dies galt insbesondere für die Regelungskomplexe der deutschen Frage. Die Restaurierung der vomapoleonischen Verhältnisse interessierte mit Ausnahme der ehemaligen süddeutschen Rheinbundstaaten nahezu alle deutschen Staaten, insbesondere aber die Opfer der Säkularisierung und Mediatisierung des Reichsdeputationshauptschlusses von 1803\ Es erfolgte jedoch keine vollständige Rückgängigmachung der von Napoleon erzwungenen Flurbereinigung. Zwar begründete das Legitimitätsprinzip durch die Betonung dynastischer Rechtmäßigkeit der Fürstenherrschaft Widereinsetzungsansprüche für alle abgesetzten Fürsten. Solche Ansprüche mußten aber stets dem Stabilitätsdenken weichen, wenn die Berufung auf alte, durch die Macht des Faktischen durchbrochene Rechte inzwischen gefestigte Zustände zu erschüttern drohte. Sie wurden dann als rechtmäßige und rechtsbeständige Durchbrechung der legitimistischen Kontinuität hingenommen. 2. Territoriale Neuordnung [41.] Die Wiederherstellung des Gleichgewichts in Europa verlief auf dem Wiener Kongreß wegen der sogenannten „sächsisch-polnischen Krise" zunächst jedoch nicht ohne neue friedensgefährdende Spannungen. So versuchten England, Österreich und Frankreich die endgültige Einverleibung Polens - also des von Napoleon geschaffenen Großherzogtums Warschau - durch Rußland zu verhindern. Ebenso lehnten die drei Mächte das Verlangen Preußens ab, als Ausgleich für sein dann endgültig an das Zarenreich fallendes pohlisches Gebiet das Königreich Sachsen zu bekommen. Die Krise kumulierte in einer am 3. Januar 1815 in Wien geschlossenen geheimen Defensivallianz^ der drei Staaten gegen Rußland und Preußen; was den ursprünglichen Kriegsgegner Frankreich endgültig zu einem den anderen Großmächten gleichberechtigten Kongreßpartner aufsteigen ließ. Überdies lud man die Niederlande, Hannover und Bayern ein, sich diesem Bündnis anzuschließen. Erst der sich hier aufbauende politisch-militärische Druck veranlaßten Preußen und Rußland am 8. Februar 1815 folgenden, in einer gemeinsamen Note aller Parteien^ festgehaltenen Kompromiß zu akzeptieren: Rußland behielt den größten Teil Polens („Kongreßpolen"), welches der Zar künftig als Königreich in Personalunion regierte. Sachsen blieb zwar in seinem Kern mit Dresden, Bautzen und Leipzig und etwa drei Fünfteln seiner Untertanen bestehen, doch 1

^ 3

Dok. 1. Abgedruckt in: /. L. Klüber (Hrsg.), Acten des Wiener Congresses in den Jahren 1814-1815, Bd. IX, 1835. S. 177 ff. Abgedruckt bei: a. a. O., Bd. VIT, 1817, S. 96 ff

32

1. Abschnitt: Gesamtdeutsche Verfassungsentwicklung (1803/06-1918)

sichtlich um seinen nördlichen Teil (namentlich die Gebiete mit Cottbus, Torgau, Wittenberg, Merseburg, Weißenfels und Naumburg) verkleinert, der an Preußen fiel. Dieser Teilung stimmte nach zunächst heftigem Widerstreben schließlich auch der sächsische König am 18. Mai 1815 in einem gesonderten Friedensvertrag4 mit Österreich, Rußland und Preußen zu. Die Art. 1, 2, 15 - 22 WKA bestätigten dann auch auf gesamteuropäischer Ebene völkerrechtlich verbindlich alle im Zusammenhang mit der sächsisch-polnischen Krise getroffenen Vereinbarungen. [42.] Die weitere vom Wiener Kongreß initiierte Territorialordnung fur Deutschland stellte sich wie folgt dar: [43.] Preußen erhielt über den sächsischen Zugewinn hinaus auch noch das ehemals schwedische Pommern, das Großherzogtum Posen, das Gebiet von Danzig und einige Westpreußen angegliederte Gebiete um Thom, die Rheinlande (bis zu Saar und Nahe), das Großherzogtum Berg und (das geographische) Westfalen (Art. 23 - 25 WKA). Durch den Erwerb der rheinisch-westfälischen Territorien widerfuhr dem Königreich zugleich eine signifikante Verschiebung nach Westen, die allerdings aufgrund der Wiederherstellung Hannovers und Kurhessens ohne unmittelbare Landverbindung zu den östlichen Kemgebieten blieb. Es wuchs damit geradezu zwangsläufig in die Rolle der Schutzmacht Deutschlands gegen Frankreich hinein, übernahm also die deutsche „Wacht am Rhein". Obendrein avancierte es durch seine nunmehr im Kembereich des alten Deutschlands fest verankerte Lage und wegen des aus seiner Sicht unbefriedigenden, weil zweigeteilten Territorialstandes unweigerlich zur eigentlichen bzw. zur einzig wirklichen deutschen Hegemonialmacht. Diese Vereinbarungen wurden von der neben dem gesamteuropäischen auch das deutsche Territorialgefuge völkerrechtlich verbindlich fixierenden Wiener Kongreßakte bestätigt. [44.] Österreich dagegen verzichtete am Ende des Neugestaltungsprozesses in Mitteleuropa auf seine alten Besitzungen am Oberrhein (vor allem auf den Breisgau und die Ortenau) und auf die österreichischen Niederlande (Belgien), die nunmehr mit den niederländischen Generalstaaten zusammengeschlossen, das Königreich der Vereinigten Niederlande bildeten. Das Habsburgerreich erhielt als Kompensation neben dem später jedoch im Zuge des - eigens von einer aus den Bevolhnächtigten Wiens, Berlins, St. Petersburgs und Londons beschickten Territorialkommission zur Klärung der noch verbliebenen mitteleuropäischen Gebietsfragen erarbeiteten - Frankfurter Territorialrezesses vom 20. Juli 1819^ insgesamt an Hessen-Darmstadt und Kurhessen abgetretenen Fürstentum Isenburg (Art. 52 WKA) das Vorarlberg und Tirol sowie in Italien Lombardo-Venezien, Friaul, Trient und Brixen (Art. 93, 94 WKA). Übrigens auch Salzburg und das Inn- und Hausruckviertel verblieben erst mit der durch den Frankfurter Territoriakezeß (Art. 1). ausgesprochenen Bestätigung endgültig bei der Donaumonarchie. Ansonsten bekam Österreich Istrien, Triest und Süd-Kämten und stieg durch den Erwerb der Bukowina, Galiziens und Dalmatiens zu der den Donauraum beherrschenden Macht auf. Damit verlagerte sich sein Schwergewicht eindeutig aus dem 4 ^

Abgedruckt bei: a. a. O., Bd. VI, 1816, S. 120 ff. „Reces-general de la commission territoriale rassemblee ä Frankfort" (Dok. 31/5).

§ 3: Der Deutsche Bund (1815 - 1866)

33

deutschen Raum weiter ins süd- und östliche Europa. Während sich Preußens Position in Deutschland tendenziell verstärkte, entwickelte sich Österreichs Situation in Deutschland gegenläufig: es trat einen „begrenzten Rückzug aus Deutschland" an^ und geriet aus deutscher Perspektive zunehmend zu einem geographischen Randgebilde. [45.] Die süddeutschen Staaten Bayern, Württemberg, Baden und HessenDarmstadt konnten ihre seit 1803 gemachten Erwerbungen entweder behaupten oder zumindest durch Austausch kompensieren, teilweise sogar noch vergrößern. Das galt nicht zuletzt für Bayern, das als Entschädigung für den Verlust des in der Rheinbundzeit erworbenen Tirol und Salzburg an Österreich u. a. das Großherzogtum Würzburg und das Fürstentum Aschaffenburg (Art. 44 WKA), die linksrheinische Pfalz (Art. 2 des Frankfurter Territorialrezesses) sowie von Baden einen Teil Wertheims bekam. Baden erhielt dafür die zunächst an Österreich gelangte Grafschaft Hohen-Geroldseck (Art. 8 des Frankfurter Territorialrezesses). HessenDarmstadt mußte zwar die während der Rheinbundzeit an sich gebrachten Gebiete des gemäß Art. 48 WKA wieder hergestellten Hessen-Homburgs an dieses herausgeben; bekam als Ausgleich dafür und für seine schon 1815 an Preußen abgetretenen Gebiete (Herzogtum Westfalen, Wittgenstein) aber Teile des zunächst an Österreich gefallenen Fürstentums Isenburg, Solms-Rödelheim, Ingelheim, den Kreis Alzey ohne Kirchheimbolanden, die Kantone Worms und Pfeddersheim sowie das zur Bundesfestung erklärte und mit einer österreichisch-preußischen Besatzung belegte Mainz (Art. 1 4 - 2 4 des Frankfiirter Territorialrezesses). Kurhessen erlangte das ihm von Preußen überlassene fuldaische Territorium, einige hessen-darmstädtische Gebiete und den Rest des nicht an Hessen-Darmstadt gefallenen isenburgischen Territoriums (Art. 25 des Frankfurter Territorialrezesses). [46.] An das weiterhin in Personalunion mit England verbundene Königreich Hannover gelangte im wesentlichen das Gebiet des ehemaligen Kurfürstentums erweitert um die ehedem preußischen Gebietsteile Ostfriesland, Hildesheim, Goslar sowie Teile von Lingen und Münster sowie das ehemals fürstlich-arenbergische Gebiet um Meppen; allerdings mußte es auf das rechtselbische Lauenburg verzichten und Preußen das Recht auf zwei den preußischen Westen mit dem preußischen Kemland verbindende Militärstraßen zubilligen (Art. 2 6 - 3 2 WKA). [47.] Von den nunmehr als Großherzogtümer anerkannten Staaten SachsenWeimar, Oldenburg, Mecklenburg-Schwerin und Mecklenburg-Strelitz (Art. 34 36 WKA) erhielten Oldenburg und Mecklenburg-Strelitz die Zusagen von Entschädigungen aus den Preußen zugewiesenen linksrheinischen Gebieten; entsprechendes wurde auch dem Herzog von Sachsen-Coburg und dem Landgrafen von Hessen-Homburg zugesichert (Art. 49 WKA). Während Oldenburg und SachsenCoburg in Vollziehung dessen im Moselgebiet im wesentlichen das Fürstentum Birkenfeld (Oldenburg) und das Fürstentum Lichtenberg (Sachsen-Coburg) von Preußen erwarben (Art. 27, 28 des Frankfurter Territorialrezesses), Hessen-Homburg zur Herrschaft Meisenheim kam (Art. 29 des Frankfurter Territoriahezesses), verzichtete Mecklenburg-Schwerin zugunsten Preußens gegen eine Geldentschädigung in Höhe von einer Million Talern auf die ihm im Eifelgebiet (Kronenburg, W. Siemann, Vom Staatenbund zum Nationalstaat, Deutschland 1806-1871, 1995, S. 314.

34

1. Abschnitt: Gesamtdeutsche Verfassungsentwicklung (1803/06-1918)

Reiferscheid, Schieiden) zugestandenen Gebietsübertragungen^. Sachsen Weimar bekam von Preußen Gebietsteile aus den preußischen Erwerbungen im sächsischthüringischen und fuldaischen Bereich (Art. 3 7 - 3 9 WKA^). Luxemburg wurde um die von Frankreich im Zweiten Pariser Frieden abgetretenen Gebiete erweitert, die Teile der ehedem habsburgischen Niederlande, des ehemaligen Herzogtums Bouillon und des vormaligen Reichsbistums Lüttich erfaßten; die Stadt Luxemburg avancierte zur Bundesfestung mit einer preußisch-luxemburgisch-niederländischen Besatzung (Art. 3 4 - 3 7 des Frankfurter Territorialrezesses). 3. Die deutsche „Verfassungsfrage" [48.] Auf dem die deutsche Verfassungsfrage behandelnden „deutschen Kongreß" blieben die deutschen Staaten nicht unter sich. So nahm England an den Verfassungsverhandlungen aufgrund der Personalunion mit Hannover direkt teil. Auch Interventionen Frankreichs und Rußlands waren nicht selten. [49.] Während die in Deutschland anwachsend nationale Bewegung sich vom Wiener Kongreß einen starken deutschen Nationalstaat erhoffte, widerstrebte eine solche Vorstellung sowohl den nichtdeutschen Mächten als auch den Fürsten der deutschen Einzelstaaten. Fürchteten die einen ein solches Staatsgebilde als Störfaktor in einem mühsam austarierten europäischen Kräftegleichgewicht, sahen die anderen ihre nach dem Wegfall des Heiligen Römischen Reiches gewonnene Souveränität bedroht. Ebenso erwies sich die zunächst in erster Linie von EnglandHannover präferierte zeitgemäße Wiederherstellung des alten Kaiserreichs^ als unmöglich: einerseits wegen der ihr entgegenstehenden Souveränität der Einzelstaaten, andererseits wegen der Weigerung Österreichs, erneut die Kaiserwürde zu übernehmen oder sie dem preußischen Rivalen zu überlassen. Doch zeigten im Vorfeld alle Staaten zumindest eine gewisse Bereitschaft, sich in eine deutsche Staatenfoderation einzufügen; was immerhin dazu führte, daß in der Folgezeit auf der Basis von insgesamt zehn nach und nach von den beiden Großmächten Preußen und Österreich offiziell vorgebrachten Entwürfen und unzähligen weiteren aus dem Kreise der KongreßbevoUmächtigten in erster Linie um die Modalitäten eines Bundesverhältnisses auf staatenbündischer Ebene gerungen wurde. [50.] Inhaltlich am weitesten gingen die Vorstellungen Preußens mit dem „Entwurf der Grundlage der deutschen Bundesverfassung" Hardenbergs aus den Julitagen 1814 (sogenannte „41 Punkte").^° Danach sollten alle Staaten Deutschlands unter Ausschluß der altpreußischen und altösterreichischen Gebiete rechts von Elbe und Inn „auf ewige Zeit . . . in einen politischen Federativ-Körper, der den Namen Deutscher Bund führt", ohne Austrittsmöglichkeit zusammengeschlossen sein und bei Verletzungen des Bimdesvertrages „mit der Acht bestraft" Art. 3 des zu diesem Zweck am 21. Mai 1819 in Berlin zwischen Preußen und dem Großherzogtum abgeschlossenen Vertrages. Vgl. auch Vertrag zwischen beiden Staaten vom 1. Juni 1815. E. Treichel, in: L. Gall (Hrsg.), Quellen zur Geschichte des deutschen Bundes, Abt. I/l: Die Entstehung des Deutschen Bundes 1813-1815, 2000, S. XXXVI. Abgedruckt in: L. Gall (Hrsg.), Quellen zur Geschichte des deutschen Bundes, Abt. I/l: Die Entstehung des Deutschen Bundes 1813-1815, 2000, S. 203 ff.

3: DerDeutsche Bund ( 1 8 1 5 - 1866)

35

werden. Die Souveränitätsrechte der Einzelstaaten würden nur den durch die Bundesakte festgesetzten Einschränkungen unterliegen. Die Mitglieder des Bundes sollten - insoweit ein Rückgriff auf die alte Reichsverfassung - einem der dazu gebildeten sieben Kreise (Vorder-Österreich, Bayern-Franken, Schwaben, Oberrhein, Niederrhein-Westfalen, Niedersachsen, Obersachsen-Thüringen) angehören, denen jeweils der mächtigste unter den kreisangehörigen Monarchen als „Kreisoberst" vorstand. Mit Ausnahme des sächsischen Königs, der nach preußischer Ansicht seine Rechte verwirkt hatte, berücksichtigte man dafür alle ehemaligen Kurfürsten. Österreich und Preußen war mit jeweils zwei Kreisoberstenstellen ein Übergewicht zugedacht; während Baden im oberrheinischen Kreis lediglich neben Österreich und Kurhessen im obersächsisch-thüringischen Kreis nur neben Preußen einen Kreisobersten stellen würde. Organ des Bundes sollte eine in Frankfurt a. M. tagende Bundesversammlung - bestehend aus einem gemeinsamen Direktorium Österreichs und Preußens, einem permanenten Rat der Kreisobersten bestehend aus sieben Mitgliedern (Preußen, Österreich, Bayern, Hannover, Württemberg, Baden, Kurhessen) mit insgesamt elf Stimmen, wovon Preußen und Österreich jeweils drei Stimmen zugestanden hätten, und einem Rat der Fürsten und Stände gebildet aus Vertretern der Bundesfürsten, der vier freien Städte und der Mediatisierten - sein. Zentrales Gremium wäre der Rat der Kreisobersten gewesen, in dem die beiden Großmächte im Falle ihrer Übereinstimmung gegenüber den übrigen Mitgliedern mit sechs gegen fünf Stimmen die Majorität bildeten. Zuständig sollte der Rat für die auswärtige, die militärische und die innere Exekutivgewalt sein und nach dem Mehrheitsprinzip entscheiden. In dem einmal jährlich zusammentretenden Rat der Fürsten und Stände hätte jeder Fürst mit mehr als 50.000 Untertanen sowie jede der freien Städte über eine Virilstimme, die übrigen Mitglieder des Rates (die Mediatisierten) zusammen über sechs Kuriatstimmen verfügt. Gemeinsam mit dem Direktorium und dem Kreisoberstenrat wäre dort die legislative Gewalt des Bundes wahrgenommen worden; wobei zuständigkeitshalber erlassene Bundesgesetze jedem Landesgesetz vorgegangen wären. Vorgesehen war des weiteren, die Einführung oder Aufrechterhaltung von „ständischen" Verfassungen in allen Bundesstaaten und die Bestimmung der Minimalrechte der Landstände durch eine künftige Bundesakte festzuschreiben. So sollten die Landstände aus „erblichen" und - besonders hervorzuheben - aus „erwählten" und nicht wie immer wieder gestützt auf den sinnentstellenden Abdruck bei Klübers „Acten des Wiener Congresses"^ ^ behauptet wird^^, „auserwählten" Ständen bestehen. Erstere betrafen - wie expressis verbis klargestellt - die „FamilienHäupter der mediatisierten vormaligen Reichsstände, des sonst unmittelbaren und übrigen Adels", letztere konnten, ohne daß dafür ebenfalls eine nähere Erläuterung gegeben wurde, wohl am ehesten der Mitte des Bürgertums, der Bauern und der Universitäten entstammen. Keineswegs aber wären nach den damit dokumentierten Vorstellungen Hardenbergs bürgerlicher und bäuerlicher Besitz bei der Zuwei-

^^ J.L. Klüber (Hrsg.), Acten des Wiener Congresses in den Jahren 1814 - 1815, Bd. I, 1815, S. 47. ^^ Vgl. etwa E. R. Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789, Bd. 1: Reform und Restauration 1789-1830, 2. Aufl., Stuttgart 1990, S. 641; K.Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. V: Die geschichtlichen Grundlagen des deutschen Staatsrechts, 2000, S. 209.

36

1. Abschnitt: Gesamtdeutsche Verfassungsentwicklung (1803/06-1918)

sung der Landstandschaft unberücksichtigt geblieben.^^ Immerhin wäre damit den Mitgliedstaaten bundesrechtlich die Schaffung und Aufrechterhaltung eines Repräsentativsystems vorgegeben worden. Bei den Befugnissen der Stände dachte man an einen näher zu bestimmenden Anteil an der Gesetzgebung, die Einräumung der Budgetgewalt und die Kontrolle über die Wahrung der Landesverfassung. Zur Friedenswahrung innerhalb des Bundes sahen die Vorschläge Hardenbergs ein Bundesgericht einschließlich der Schaffung einer entsprechenden Gerichtsverfassung vor. Auch sollte dem Bund im Kriegsfalle ein aus Kontingenten zusammengesetztes Bundesheer zur Verfugung stehen. Eine Militärverfassung des Bundes hatte „stark und kräftig" zu sein und die dazugehörigen Zuständigkeiten der Kreise und Leitungsbefugnisse der Kreisobersten zu regeln. Die Rechtsstellung der mediatisierten ehemaligen Reichstände sollte grundsätzlich mit derjenigen der übrigen Landstände gleichgesetzt und durch den Bund garantiert werden. Obendrein sollten Bürgerrechte der Deutschen (Auswanderungs-, Preß-, Eigentums- und Bildungsfreiheit, Habeas corpus, Rechtsweggarantie) durch die Bundesakte näher bestimmt werden. Überdies war daran gedacht, den Niederlanden und der Schweiz ein beständiges Bündnis mit dem deutschen Bund anzubieten. Hierin lag in gewisser Weise eine Anknüpfung an die historische Tradition des Heiligen Römischen Reiches mit seinem die längste Zeit über den bloßen deutschen Bereich hinausgehenden universell-international ausgreifenden politischen Ordnungssystem. Schließlich sollten die Kongreßmächte die Bundesverfassung garantieren. [51.] Diesen „41 Punkte-Plan" legte Hardenberg am 13. September 1814 Mettemich vor. Er bildete denn auch anfangs die Basis für ein einheitliches österreichisch-preußisches Vorgehen, welches sich im wesentlichen in dem gemeinsamen Entwurf der „Artikel, welche bei den Conferenzen der fünf Deutschen Mächte zur Grundlage gedient haben" vom 14. Oktober 1814 (sogenannte „Zwölf Artikel")^^ manifestierte. Die Artikel sahen unter der Hegemonie beider Großmächte die Stiftung eines „Deutschen Bundes" vor, aus dem die Mitglieder „nicht ohne Zustimmung der Uebrigen" wieder austreten konnten. Anders als bei den hardenbergischen „41 Punkten" bestand hier zumindest die theoretische Option, sich wieder von dem Bund zu trennen. Als Zweck des Bundes wurde die Erhaltung der äußeren Ruhe und Unabhängigkeit sowie die „innere Sicherung der verfassungsmaeßigen Rechte jeder Claße der Nation" gesehen. Auch hiemach hätte es um der Erreichung des Bundeszwecks willen die Möglichkeit zur Beschränkung der bisherigen Souveränitätsrechte der Einzelstaaten gegeben. Die Bundesführung entsprach mit der dreigegliederten Bundesversammlung zunächst der von Hardenberg vorgeschlagenen. Allerdings sollte das Bundesdirektorium allein Österreich zufallen. Der die Bundesexekutive innehabende Rat der Kreisobersten wäre allein auf die fünf deutschen Könige reduziert gewesen, in dem Österreich und Preußen je zwei, Bayern, Hannover und Württemberg je eine Stimme gehabt hätten. Anders als bei den „41 Punkten" blieben hiemach die eher preußenfreundlichen Monarchen Badens und Kurhessens unberücksichtigt, was Österreich tendenziell wohl ein ÜberUnzutreffend^. Stern (Fußn. 12), S. 209. Abgedruckt in: L. Gall (Fußn. 9), S. 366 ff

' 3: Der Deutsche Bund (1815 - 1866)

37

gewicht gegenüber Preußen gesichert hätte. Solange Einigkeit unter den beiden Führungsmächten herrschte, vermochten sie jedoch die übrigen Beteiligten zu majorisieren. Überdies intendierte man die Ausschaltung der mediatisierten Reichsstände, indem man als Gesamtvertretung nicht mehr einen „Rat der Fürsten und Stände", sondern einen „Rat der Fürsten und Städte" etablieren wollte. Zusammen mit dem Rat der Kreisobersten, aber räumlich getrennt voneinander einmal jährlich tagend, sollte der Fürsten- und Städterat die gesetzgebende Gewalt ausüben. Des weiteren wäre es allen Staaten mit Ausnahme Preußens und Österreichs verboten gewesen, selbst Krieg zu fuhren und Bündnisse mit fremden Mächten einzugehen. Obendrein hätte auch nach den „Zwölf Artikeln" ein gemeinsames Bundesgericht geschaffen werden müssen. Schließlich wurde die „Nothwendigkeit einer staendischen Verfassung in jedem einzelnen Bundesstaate" festgestellt; in dem künftigen Bundesvertrag wäre „ein minimum" der von den Einzelstaaten einzuräumenden „staendischen Rechte" für alle Bundesglieder verbindlich vorgeschrieben gewesen. Der Antwort auf die Frage der Zusammensetzung der Landstände wich man jetzt indes - wie im übrigen in allen dann noch folgenden Entwürfen dahingehend aus, daß es allein den Einzelstaaten überlassen bleiben sollte, ihnen „eine der Landesart, dem Charackter der Einwohner und dem Herkommen angemessene Einrichtung zu geben". [52.] Über diese Grundzüge eines staatenbündischen Entwurfs mit einigen elementaren bundesstaatlichen Zügen^^ verhandelte man zunächst seit dem 14. Oktober 1814 in einem aus den fiinf wichtigsten deutschen Staaten Österreich, Preußen, Bayern, Hannover und Württemberg bestehenden Gremium - dem „Deutschen Ausschuß" (auch „Deutsches Komittee" genannt). Dieser beanspruchte insoweit ein gegenüber allen anderen deutschen Staaten verbindliches Alleinentscheidungsrecht. Den Ausschluß der übrigen deutschen Staaten rechtfertigten die fiinf Mächte mit der in den antinapoleonischen Allianzverträgen ohnehin bereits enthaltenen Unterwerfung dieser Staaten unter die Bestimmungen eines künftigen Bundes Vertrages. ^^ Die Stichhaltigkeit dieser Argumentation litt indes darunter, daß auch das Pentarchiemitglied Württemberg sich im Vertrag von Fulda dieser Verfahrensweise unterworfen hatte. Der Vorrang der fünf Mächte stieß auf den Widerspruch der von den Verhandlungen ausgeschlossenen deutschen Staaten: So begehrte Baden heftigst die Aufnahme in den Ausschuß, der versuchte, „die feierlichst zugesicherte Souverainetät und Unabhängigkeit bedeutend einzuschränken".^^ Auch Hessen-Darmstadt^^ und Nassau^^ verlangten die Gleichberechtigung

Unzutreffend W. Siemann (Fußn. 6), S. 316, der in diesem Zusammenhang von einem „bundesstaatlichen Deutschland" spricht, welches errichtet worden wäre. Allein einige zentralistisch anmutende Kompetenzen des Bundes bzw. seiner Organe begründen für sich genommen aber noch keinen Bundesstaat. Protokoll der 1. Sitzung des Deutschen Ausschusses, abgedruckt in: J. L. Klüber (Hrsg.), Acten des Wiener Congresses in den Jahren 1814 - 1815, Bd. II, 1815, S. 71 f Note vom 16. November 1814, abgedruckt in: a. a. O., Bd. I, Heft 1, 1815, S. 97 ff. Note vom 6. November 1814, abgedruckt in: a. a. O., Bd. IV, 1815, S. 45 ff Note vom 13. Januar 1815, abgedruckt in: a. a. O., Bd. I, Heft 2, 1815, S. 63 ff

38

1. Abschnitt: Gesamtdeutsche Verfassungsentwicklung (1803/06-1918)

aller Staaten. Eine Note von 29 Mittel- und Kleinstaaten ^°, der später fünf weitere beitratetf^, wandte sich ebenfalls gegen den Vorrang der fünf deutschen Mächte. [53.] Hannover stimmte den „Zwölf Artikeln" zu, während Württemberg und Bayern in auswärtigen Angelegenheiten auf einem unbeschränkten Vertragsschließungsrecht, wie überhaupt auf einem Kriegs-, Friedens- und Bündnisrecht für alle künftigen Bundesglieder bestanden. Auch regte sich bei beiden Widerstand gegen die Bestrebungen, in der Bundesverfassung Rechte der Untertanen festzusetzen. Die Schaffung eines Bundesgerichts wurde abgelehnt. Obendrein wollte Bayern das Stimmenübergewicht Preußens und Österreichs im Kreisoberstenrat nicht akzeptieren. Man erachtete bereits die zur Verhandlung stehenden „Zwölf Artikel" als die eigenen Souveränitätsrechte viel zu drastisch beschränkend. Angesichts dessen formulierte Württemberg sogar in einem Entwurf vom 3. November 1814 eigene, lediglich einen losen Zusammenschluß der deutschen Staaten beinhaltende Vorstellungen.^^ Wie stark die Abneigung der beiden Mittelmächte, sich in ein deutsch-staatenbündisches Gefuge einzuordnen, war, verdeutlicht die Äußerung des bayerischen Gesandten von Wrede, daß man nicht aus eigenem Interesse dem Bund beitrete, sondern weil es „allgemein gewünscht werde".^^ Man lehnte die Teilnahme an dem Bund zwar nicht kategorisch ab, setzte aber hinsichtlich des für Deutschland zu schaffenden Integrationsmodells bewußt Hürden, welche die Majorität des Deutschen Ausschusses - namentlich jedoch Preußen und Österreich - wiederum im eigenen Interesse und im Interesse eines Mindeststandards an Bundeshomogenität weder überwinden wollten noch konnten. Taktieren beider Seiten erschwerte ein Aufeinanderzugehen zusätzlich. Außerdem entfremdeten sich die beiden Großmächte zunehmend untereinander über die allmählich zur ernsten Krise eskalierende sächsisch-polnische Territorialfrage, so daß eine Einigung in dem Fünf-Mächtegremium immer unwahrscheinlicher schien.^"^ Als sich dann Württemberg am 16. November 1814 auch noch „ausser Stand" sah, „Sich fernerhin immer nur über einzelne Gegenstände zu erklären, oder angesonnene Verbindlichkeiten zu übernehmen, ehe .. . der Plan des Ganzen Von den Bevollmächtigten Kurhessens, Hessen-Darmstadts, der drei anhaltischen Staaten, Braunschweigs, Lippe-Detmolds, Schaumburg-Lippes, Schwarzburg-Rudolstadts, Schwarzburg-Sondershausen, Sachsen-Weimar, Sachsen-Gotha, Sachsen-Meiningen, Sachsen-Hildburghausens, Sachsen-Cobur-Saalfelds, der vier Reuß', Waldecks, der beiden Nassaus, Mecklenburg-Schwerins, Mecklenburg-Strelitz', Luxemburgs, Hamburgs, Bremens, Lübecks, Frankfurts unterzeichnete Note vom 16. November 1814, abgedruckt in: a. a. O., Bd. I, Heft 1, 1815, S. 72 ff. Beide Hohenzollem (Note vom 24. November 1814, abgedruckt in: a. a. O., S. 93 f.), Baden (Note vom I.Dezember 1814, abgedruckt in: a.a.O., S. 100 f), Oldenburg (Ende Dezember 1814), Liechtenstein (Februar 1815). Protokoll der 8. Sitzung des Deutschen Ausschusses, abgedruckt in: a.a.O., Bd. II, 1815, S. 145 f, 148 ff Protokoll der 6. Sitzung des Deutschen Ausschusses vom 26. Oktober 1814, abgedruckt in: a. a. O., S. 126. P. Burg, Der Wiener Kongreß. Der Deutsche Bund im europäischen Staatensystem, 1984, S. 77; H.-J. Hartmann, Das Schicksal der preußisch-österreichischen Verfassungsvorschläge, insbes. des Entwurfs vom 14. Oktober 1814, auf dem Wiener Kongreß, Diss. jur. (Masch.) Göttingen 1964, S. 42; - vgl. aber auch die Einschätzungen von K. O. vonAretin, Bayerns Weg zum souveränen Staat. Landstände und konstitutionelle Monarchie 1714-1818, 1976, S. 160 f und E. Treichel (Fußn. 9), S. LXV, wonach eine Einigung nicht von vornherein ausgeschlossen sein sollte.

§ 3: Der Deutsche Bund (1815 - 1866)

39

. .. mitgetheiit worden seyn werde"^^, war dies zwar sicherlich nicht als Aufkündigung der Mitarbeit zu verstehen^^, doch schuf man damit einen willkommenen Anlaß für die beiden Großmächte, Württemberg für ein Scheitern der Verhandlungen im Deutschen Ausschuß verantwortlich zu machen. Der sich gegen die Pentarchie mit der am selben Tage eingehenden Note sichtbar formierende Widerstand der von der Ausschußteilnahme ausgeschlossenen Mittel- und Kleinstaaten mochte ein Übriges bewirken, damit der Ausschuß schließlich nach insgesamt dreizehn Sitzungen seine Tätigkeit ohne formellen Beschluß ergebnislos einstellte. [54.] Ungeachtet steigender Spannungen unter den beiden Großmächten rissen deren Bemühungen um eine Regelung der Bundesfrage aber nicht völlig ab: [55.] Für die preußische Seite versuchte Humboldt seit Anfang Dezember 1814 die bislang in Rede stehende Bundesidee durch einen modifizierten Altemativentwurf zu retten. Die erste Variante behielt die Kreiseinteilung bei; die zweite verzichtete bei ansonsten weitgehender inhaltlicher Identität mit der ersten darauf.^^ Die Leitung und exekutive Gewalt sollten beim Ersten Rat liegen, der auch Anteil an der Gesetzgebung und Rechtsprechung zu nehmen und den Bund nach außen zu vertreten hätte. Bei Entscheidungen über Krieg und Frieden sowie in Dissensfällen im Ersten Rat zwischen den beiden Großmächten einerseits und den drei Mittelstaaten andererseits wäre ein Ausschuß des Zweiten Rats hinzuzuziehen gewesen. Femer war die Repräsentation aller Bundesmitglieder sowie Mediatisierten im Zweiten, vor allem Legislativfunktionen besitzenden Rat vorgesehen. Letzteren sollten Administrations- und Jurisdiktionsbefugnisse sowie rechtliche, soziale und materielle Vorrechte eingeräumt werden. Überdies war die Einführung landständischer Verfassungen in allen MitgHedstaaten und einer Bundesgerichtsbarkeit sowie die Festsetzung von Untertanenrechten enthalten. Im Kern beabsichtigten diese Entwürfe jedenfalls noch immer, den Großmächten im Bund Hegemonie einzuräumen. [56.] Wenig später kursierte zunächst informell, bald auch offizielP^ ein vom österreichischen zweiten Kongreßbevolknächtigten Wessenberg erarbeiteter, auf den 21. Dezember 1814 datierter Plan.^^ Er sah die rechtliche Gleichstellung aller Bundesmitglieder vor. Die Bundesangelegenheiten sollte ein Bundesrat, in dem alle Mitgliedstaaten durch Viril- oder Kuriatstimmen repräsentiert würden, unter dem Vorsitz Österreichs wahrnehmen. Dort waren Entscheidungen über Krieg und Frieden sowie über allgemeine Verteidigungsanstalten zu treffen. Femer hätte ihm der Abschluß von Allianz- und sonstigen Verträgen mit auswärtigen Staaten im Namen des Bundes oblegen. Obendrein sollte der Bundesrat die gesetzgebende Gewalt in allen Gegenständen der gemeinsamen Verteidigung und der allgemeinen Wohlfahrtsanstalten sowie für die Schaffung einer Bundeskriegsverfassung haben. Auch galt ein Verbot jeglicher Verbindungen und Verträge der Bundes25 26 27 28

Note vom 16. November 1814, abgedruckt in: J. L. Klüber (Fußn. 11), S. 101 ff. So aber: H. v. Treitschke, Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert, Bd. 1, 1879, S. 671; P.5wr^(Fußn. 24), S.77. Vgl. den Abdruck bei: L. Gall (Fußn. 9), S. 907 ff Vgl. E. Kraehe, Mettemich's German Policy. Vol. 2: The Congress of Vienna 1814 - 1815, 1963, S. 205 ff Abgedruckt in: L. Gall (Fußn. 9), S. 961 ff.

40

1. Abschnitt: Gesamtdeutsche Verfassungsentwicklung (1803/06-1918)

glieder mit auswärtigen Staaten, die gegen den Bund als Ganzes oder einzelne seiner Mitglieder gerichtet waren. Die Einführung landständischer Verfassungen war sogar binnen Jahresfrist in allen Bundesstaaten unter Berücksichtigung landesspezifischer Verhältnisse vorgesehen. Zudem fanden die Rechte der Mediatisierten und der deutschen Untertanen Berücksichtigung. Hier handelte es sich im Vergleich zu den bisher diskutierten „Zwölf Artikehi" und den Humboldt'sehen Vorstellungen angesichts fehlender hegemonialer Institutionen und garantierter voller Souveränität für jeden Mitgliedsstaat nur noch um ein staatenbündisches Minimalkonzept. Damit hatte Österreich demonstrativ den bisher gemeinsam mit Preußen verfolgten Hegemonialplänen eine Absage erteilt und näherte sich zugleich der Position der Mittel- und Kleinstaaten an. [57.] Darüber hinaus stellte nach soeben erst erfolgter Beilegung der sächsischpobischen Krise im Februar 1815 eine russisch unterstützte Initiative des Freiherm vom Stein die Kaiserfrage zur Diskussion.^^ Das danach an Österreich fallende Erbkaisertum, würde dessen festere Anbindung an Deutschland fördern. Die bisher präferierte Vorherrschaft der fünf deutschen Mächte führe ohnehin nur zur Fortdauer der deutschen Uneinigkeit, die aber nicht im Interesse der mit einem deutschen Bund erstrebten Wahrung des europäischen Gleichgewichts liegen könne. Auch deshalb bedürfe es also einer mit ausreichenden Befugnissen ausgestatteten deutschen Zentralgewalt. Dieser Kaiserplan stieß wegen der damit verbundenen Herabstufung des restlichen Deutschlands gegenüber Österreich auf den heftigsten Widerspruch Preußens und erschwerte die Suche nach einer Verfassungslösung zusätzlich.^ ^ Hinzu kamen eine Reihe weiterer Vorschläge aus dem Kreis der Bevolhnächtigten der mindermächtigen Staaten.^^ [58.] Erst unter dem Eindruck der im März 1815 in Wien eintreffenden Nachrichten über die Rückkehr Napoleons von Elba verstärkten die Kongreßteihiehmer, von der Notwendigkeit zur Einheit gegen den die deutsche wie europäische Neuordnung bedrohenden Usurpator angetrieben, ihre Bemühungen. Insbesondere der nicht konsensfähige Kaiserplan wurde kurzerhand ad acta gelegt. [59.] Parallel dazu erklärten die acht in Wien vertretenen europäischen Hauptmächte am 13. März 1815 die Aufnahme des Kampfes gegen Napoleon. Am 25. März 1815 kam es zwischen Rußland, Österreich, Preußen und England zum Abschluß eines neuen Allianzvertrages. Die Bevollmächtigten Vertreter der meisten deutschen Staaten (ausgenommen nur Hessen-Darmstadt, Württemberg und Baden) sagten bereits in einer Note vom 22. März 1815^^ zu, ihren militärischen Beitrag leisten zu wollen.^"^ Obendrein postulierten sie den Abschluß eines Bun^^ Denkschrift („Sur le retablissement de la dignete Imperiale en AUemagne") vom 17. Februar 1815, abgedruckt in: L. Gall (Hrsg.), Quellen zur Geschichte des deutschen Bundes, Abt. 1/2: Die Entstehung des Deutschen Bundes 1813 - 1815, 2000, S. 1124 ff. ^^ E. R. Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789, Bd. 1: Reform und Restauration 17891830, 2. Aufl., Stuttgart 1990, S. 555 f. ^^ Einzelheiten dazu bei: M Hundt, Die mindermächtigen deutschen Staaten auf dem Wiener Kongreß, 1996, S. 169 ff.; E. Treichel (Fußn. 9), S. XCVII ff. ^^ Abgedruckt in: J. L Klüber (Hrsg.), Acten des Wiener Congresses in den Jahren 1814-1815, Bd.I,Heft4, 1815. S.43ff. 34 Vgl. auch die Note vom 14. April 1815; abgedruckt in: a. a. O., Bd. II, 1815. S. 203 ff.

§ 3: Der Deutsche Bund (1815 - 1866)

41

desvertrages, der den Bundesmitgliedem „ihre Selbständigkeit und Integrität" und den „teutschen Staatsbürgern eine freie, geordnete Verfassung durch Ertheilung gehöriger staatsbürgerlicher Rechte" garantierte. Während Hessen-Darmstadt sich jedoch bereits am 31. März 1815 eines besseren besann und der Note anschloß, unterblieben entsprechende Erklärungen Württembergs und Badens. Am 27. April 1815 traten die meisten der erklärenden deutschen Staaten gemeinsam durch Akzessionsvertrag der Viermächteallianz bei.^^ [60.] Der sich seither erhöhende Einigungsdruck in der deutschen Verfassungsfrage führte nicht nur zu deren Wiederaufgreifen, sondern auch zur Aufgabe der darüber vormals rein pentharchisch stattfindenden Verhandlungen. Bereits in der ersten Sitzung, am 23. Mai 1815, bestand die nunmehrige zweite deutsche Verfassungskonferenz aus den Bevollmächtigten Österreichs, Preußens, Bayerns, Sachsens, Hannovers, Hessen-Darmstadts, der Niederlande (für Luxemburg), Dänemarks (für Holstein) und fünf gemeinsamen Vertretern der übrigen Fürsten und der freien Städte.^^ Von der dritten Sitzung an waren die übrigen Fürsten und die freien Städte gemäß ihrer zuvor erhobenen Forderung^^ durch Einzelbevollmächtigte vertreten^^, so daß erstmals für alle deutschen Staaten die Gelegenheit zur offiziellen Teilnahme an Verfassungsverhandlungen bestand. Gleichwohl erschien für Baden anstatt des bereits abgereisten Bevollmächtigten bis zur fünften Sitzung nur ein Beobachter, danach aber nicht einmal mehr dieser; ein Vertreter Württembergs fehlte ungeachtet einer dahinlautenden Einladung sogar von Anfang an. Die Haltung beider Staaten zielte wohl darauf, das Zustandekommen einer Bundesakte vorerst zu verhindern, um nach beendigtem Krieg einen Bundesvertrag zu günstigeren Bedingungen abschließen zu können.^^ [61.] Mettemich präsentierte bei dem ersten Zusammentritt der zweiten deutschen Verfassungskonferenz einen verhandlungsfähigen, im Vorfeld gemeinsam von Preußen und Österreich erarbeiteten „Entwurf einer deutschen Bundesacte" (sogenannte „Siebzehn Artikel")"^^, der auf einem neuen Humboldt'sehen Entwurf und dem Wessenberg'sehen Dezemberentwurf basierte. Er sah die Vereinigung der „Fürsten und freien Städte Deutschlands . . . zu einem beständigen Bunde" (Art. 1) vor. Dieser „deutsche Bund" bezweckte, die Unabhängigkeit, Sicherheit und Unverletzbarkeit der Mitgliedstaaten zu erhalten (Art. 2). Alle Bundesmitglieder sollten prinzipiell gleichgestellt und zudem verpflichtet sein, „die Bundesacte unverbrüchlich zu halten" (Art. 3). Als Organ des Bundes war in den Art. 4 6 eine „beständige", sich erstmals am I.September 1815 zusammenfindende

Abgedruckt in: a. a. O., S. 273 ff. - Hannover am 7. April 1815 (abgedruckt in: a. a. O., Bd. VIII, 1819, S. 222 ff.), Bayern am 15. April 1815 (abgedruckt in: a.a.O., S. 212 ff.), Sachsen am 27. Mai 1815 (abgedruckt in: a. a. O., S. 227 ff), Württemberg am 30. Mai 1815 (abgedruckt in: a. a. O., S. 230 ff.), Baden am 12. Mai 1815 (abgedruckt in: a. a. O., Bd. IV, 1815, S. 427 ff) und Hessen-Darmstadt am 23. Mai 1815 (abgedruckt in: a. a. O., S. 431 ff) schlossen jeweils gesonderte Verträge ab. Protokoll der 1. Sitzung vom 23. Mai 1815, abgedruckt in: L Gall (Fußn. 9), S. 1309 ff. Protokoll der 2. Sitzung vom 26. Mai 1815, abgedruckt in: a. a. O., S. 1338. Protokoll der 3. Sitzung vom 29. Mai 1815, abgedruckt in: a. a. 0., S. 1370 ff 3^ E. Treichel (Fußn. 9), S. CXXII. Abgedruckt in: L. Gall (Fußn. 30), S. 1299 ff

42

1, Abschnitt: Gesamtdeutsche Verfassungsentwicklung (1803/06-1918)

Bundesversammlung unter dem Vorsitz Österreichs mit Sitz in Frankfurt a. M. vorgesehen, in der die Bundesmitglieder insgesamt fünfzehn Stimmen (elf Virilund vier Kuriatstimmen) hatten. Wo es um die Abfassung von Gesetzen, um allgemeine innere Einrichtungen oder die Abänderung des Bundesvertrages ging, erweiterte sich dieses Gremium zum Plenum, in dem jedes Mitglied dann gestuft nach seiner Größe eine Stimme oder mehrere Stimmen führte. Entschieden würde in allen nicht durch die Bundesgrundgesetze ausdrücklich ausgenommenen Fällen nach dem Mehrheitsprinzip. Art. 7 bezeichnete die Abfassung der Grundgesetze des Bundes und dessen organische Einrichtungen im Hinblick auf seine auswärtigen, militärischen und inneren Verhältnisse als das „erste Geschäft" der Bundesversammlung nach ihrer Konstituierung. Femer wurde die Errichtung gemeinschaftlicher Gerichte dritter Instanz für die kleineren Mitgliedstaaten vorgeschrieben (Art. 8). Zudem galt ein Verbot jeglicher Verbindungen und Verträge der Bundesglieder mit auswärtigen Staaten, die sich gegen den Bund als Ganzes oder einzelne seiner Mitglieder richteten; die Entscheidung von Konflikten auf Bundesebene und zwischen den Einzelstaaten hätte der Bundesversammlung oblegen (Art. 9). Die in Art. 10 vorgeschlagene Einführung landständischer Verfassungen wurde jetzt nur noch in die lapidare Fassung gekleidet: „In allen deutschen Staaten soll eine landständische Verfassung bestehen." Aussagen zu Organisation und Kompetenzen der jeweiligen Landstände fanden demnach keine Berücksichtigung mehr. Obendrein berücksichtigten die „Siebzehn Artikel" die Rechte der Mediatisierten (u. a. Kuriatstimmen im Plenum, hierarchisch erste Standesherren in den Staaten, denen sie zugehörten, Fideikommisse, Wahrnehmung der Gerichtsbarkeit erster und zweiter Instanz und der Ortspolizei, Steuerfreiheit, privilegierter Gerichtsstand [Art. 11]) und der deutschen Untertanen (Religionsfreiheit, bürgerliche Gleichstellung der Juden, Erwerb von Grundeigentum in anderen Mitgliedstaaten, Auswanderungsfreiheit, Preßfreiheit, Urheberrechtssicherung [Art. 14, 16]). Hinzu kamen die großen Religionsgemeinschaften betreffende Regelungen, welche die drei christlichen Religionen einander gleichstellten, eine die Rechte der katholischen Kirche sichernde Verfassung durch den Bund garantierten und den Schutz der Evangelischen gewährleisteten (Art. 15). Überdies sollte es möglich sein, zweckmäßige Anordnungen für die gemeinsame Wohlfahrt betreffende Angelegenheiten (z. B. Freiheit des Handels und Verkehrs zwischen den Mitgliedstaaten) zu treffen (Art. 17). In der Tat waren in diesem Entwurf- wie Mettemich hervorhob"^^ - zunächst „nur die Grundzüge der politischen Federation" enthalten. Man beschränkte sich also bei dem Vorhaben auf den von Preußen und Österreich für unumgänglich gehaltenen verfassungsrechtlichen Minimalrahmen, den es ein für allemal rechtsverbindlich zu erarbeiten galt; „das übrige" würde der späteren Beratung durch die Bundesversammlung selbst vorbehalten. [62.] Im Verlauf der Beratungen widerfiihren dem Entwurf zahlreiche Modifikationen: So erreichten etwa Bayem"^^ und Sachsen"^^ - schließlich auch von Kur41 Protokoll der 1. Sitzung, abgedruckt in: L Gall (Fußn. 30), S. 1310. 4^ Protokoll der 2. Sitzung vom 26. Mai 1815 (hier auch Hessen-Darmstadt), abgedruckt in: a. a. O., S. 1320. 4^ Protokoll der 6. Sitzung vom 1. Juni 1815, abgedruckt in: a. a. O., S. 1426.

§ 3: Der Deutsche Bund ( 1 8 1 5 - 1 8 6 6 )

43

hessen, Hessen-Darmstadt und Nassau unterstützt - nach zähem Ringen, daß Art. 1 nicht nur von „Fürsten", sondern von „souverainen Fürsten" sprach;"^"^ womit gegen den Einwand der beiden Großmächte, dies sei überflüssig, die anfanglich fehlende Garantie der landesfurstlichen Souveränität festgeschrieben wurde. Der die Repräsentationsverhältnisse des Bundes behandehide Art. 4 wurde inhaltlich erweitert und in mehrere Artikel, die späteren Art. 4 - 8 der Deutschen Bundesakte'^^, aufgeteilt. Insbesondere einigte man sich in diesem Rahmen hinsichtlich des späteren Art. 7 darüber, daß in der Bundesversammlung die Mehrheit und im Plenum zwei Drittel der Stimmen entscheiden."^^ Auf sächsische Initiatives^ wurde das Erfordernis der Einstimmigkeit in allen wesentlichen Bundesfragen (Beschlüsse über Bundesgrundgesetze, organische Bundeseinrichtungen, jura singulorum der Mitgliedstaaten, Religionsangelegenheiten) festgeschrieben. Auf diese Weise erhielt jedes Bundesmitglied die Möglichkeit, die Fortschreibung der Bundesverfassung durch Veto zu verhindern. Der die gegenseitige Garantie der Mitgliedstaaten thematisierende Art. 9 wurde im wesentlichen auf Vorschlag Bayerns redaktionell modifiziert^^ und später zu Art. 11. Dem von der Majorität bekundeten Willen, an dem ursprünglich vorgesehenen Bundesgericht festzuhalten, verweigerte sich Bayern beharrlich;"^^ woraufhin man schließlich auf die Erwähnung des Bundesgerichts zugunsten einer „wohlgeordneten Austrägalinstanz" verzichtete.^^ Ebenso fallen ließ man auf bayerischen Widerspruch die in Art. 15 vorgesehene Aufnahme bindender Bestimmungen zur Kirchenverfassung.^^ Der Versuch der kleineren Staaten, in dem die landständischen Verfassungen betreffenden Art. 10 den einzelstaatlichen Vertretungen ein „Minimum an Gerechtsamen", wie das Mitberatungsrecht über Gesetze, Steuerbewilligungsrecht und das gemeinschaftliche Beschwerderecht bei dem Landesherm sowie die Sicherung bereits „wohlerworbener Gerechtsame", festzuschreiben^^, scheiterte. Art. 10 wurde vielmehr in seiner schon in der 4. Sitzung erhaltenen endgültigen Fassung^^ später als Art. 13 der Deutschen Bundesakte in seiner bekannten knappen Fassung („In allen deutschen Staaten wird eine Landständische Verfassung Statt finden"), „so unvollkommen sie auch sey", angenommen.^"^ Femer wurden die in Art. 11, dem späteren Art. 14 der Deutschen Bundesakte, fixierten Rechte der Mediatisierten auf Betreiben der Mittelstaaten geschmälert, indem man ihnen das Recht absprach, im ^^ Protokoll der 8. Sitzung vom 3. Juni 1815, abgedruckt in: a. a. O., S. 1461. 45 Dok.31. 4^ Protokoll der 8. Sitzung vom 3. Juni 1815, abgedruckt in: L. Gall (Fußn. 30), S. 1463. 47 Protokoll der 7. Sitzung vom 2. Juni 1815, abgedruckt in: a. a. O., S. 1435, 1440; Protokoll der 8. Sitzung vom 3. Juni 1815, abgedruckt in: a. a. O., S. 1463. Protokoll der 2. Sitzung vom 26. Mai 1815, abgedruckt in: a.a.O., S. 1328; Protokoll der 8. Sitzung vom 3. Juni 1815, abgedruckt in: a. a. O., S. 1463. Protokoll der 8. Sitzung 3. Juni 1815, abgedruckt in: a. a. O., S. 1464. Protokoll der 10. Sitzung vom 8. Juni 1815, abgedruckt in: a. a. O., S. 1487. Protokoll der 10. Sitzung vom 8. Juni 1815, abgedruckt in: a. a. O., S. 1488. Protokoll der 2. Sitzung vom 26. Mai, abgedruckt in: L Gall (Fußn. 30), S. 1329, 1340 f.; Protokoll der 4. Sitzung vom 30. Mai 1815, abgedruckt in: a. a. O., S. 1410 f.; Protokoll der 9. Sitzung vom 5. Juni 1815, abgedruckt in: a. a. O., S. 1475, 1484. Protokoll der 4. Sitzung vom 30. Mai 1815, abgedruckt in: a. a. O., S. 1406. Protokoll der 10. Sitzung vom 8. Juni 1815, abgedruckt in: a. a. O., S. 1486.

44

1. Abschnitt: Gesamtdeutsche Verfassungsentwicklung (1803/06-1918)

Plenum der Bundesversammlung mit Kuriatstimme vertreten zu sein.^^ Insoweit strich man den entsprechenden Passus in Art. 11 und fugte stattdessen an den im Laufe der Verhandlungen neu eingefugten Art. 6 der Endfassung die Kompromißformel an, daß die Bundesversammlung diese Frage bei der Beratung der organischen Bundesgesetze „in Erwägung nehmen" werde.^^ Die in Art. 14 vorgesehene Sicherung der Gleichstellung der Juden von Bundes wegen scheiterte am Widerstand der vier freien Städte und Sachsens.^'^ Man einigte sich in dem späteren Art. 16 der Deutschen Bundesakte lediglich auf eine bloße Absichtserklärung. [63.] Aus Sicht namentlich der beiden eher integrationsunwilligen und sich daher bereits zu äußersten Zugeständnissen veranlaßt sehenden Staaten Bayern und Sachsen waren der künftigen deutschen Bundesakte auf diese Weise die wesentlichen Giftzähne gezogen. So gesehen deutete sich hier „ein Sieg der partikularstaatlichen Restauration"^^ an. Die österreichische Annäherung an die Positionen der deutschen Mittelstaaten seit der sächsisch-polnischen Krise bei gleichzeitiger Abkehr von der unter den beiden deutschen Großmächten zunächst konsentierten Zweierhegemonie machte es möglich. Der eigentliche Verlierer dieser Einigung so schien es - war zunächst Preußen, dessen auch weiterhin auf ein deutliches Übergewicht der Großmächte zielende und auf starke Bundesinstitutionen mit eben solchen Kompetenzen ausgerichtete Vorstellungen damit einen empfindlichen Rückschlag erlitten. [64.] Nach der Revision der „Siebzehn Artikel" paraphierten die Bevollmächtigten von 39 Staaten den Entwurf^^ und unterzeichneten ihn am 10. Juni 1815^^ als die auf den 8. Juni 1815 datierte Deutsche Bundesakte, die den Deutschen Bund ins Leben rief. Württemberg und Baden sowie das gerade erst staatlich wiederhergestellte Hessen-Homburg (Art. 48 der Wiener Kongreßakte vom 9. Juni 1815 [WKA]) unterzeichneten die Bundesakte nicht; gehörten also nicht zu den Gründungsmitgliedern des Deutschen Bundes. Erst nachdem Napoleon endgültig niedergerungen war, vollzogen die beiden erstgenannten ihren Beitritt zum Bund: Baden am 26. Juli und Württemberg am 1. September 1815.^^ Hessen-Homburg wurde erst mit Bundesbeschluß vom 7. Juli 1817^^ in den Bund aufgenommen. Für den Fürst von Isenburg, dem Art. 52 WKA die Landeshoheit entzog, und den durch Art. 51 WKA mediatisierten Grafen von der Leyen (Herrschaft Hohen Geroldseck bei Lahr) blieb es ungeachtet ihrer Bemühungen um Aufnahme in den Deutschen Bund bei der Mediatisierung. Ebenfalls erfolglos um Aufnahme als selbständiges Bundesmitglied bewarb sich der Graf von Bentinck als Inhaber der Herrschaft Kniphausen.

^^ Vgl. Protokoll der 7. Sitzung vom 2. Juni 1815, abgedruckt in: a. a. O., S. 1436. ^^ Protokoll der 10. Sitzung vom 8. Juni 1815, abgedruckt in: a. a. O., S. 1487. 57 Protokoll der 5. Sitzung vom 31. Mai 1815, abgedruckt in: a.a.O., S. 1416; Protokoll der 7. Sitzung vom 2. Juni 1815, abgedruckt in: a. a. O., S. 1438, 1442. 58 Th. Nipperdey, Deutsche Geschichte 1800 - 1866: Bürgerwelt und starker Staat, 1994, S. 97. 59 Protokoll der 10. Sitzung vom 8. Juni 1815, abgedruckt in: L Gall (Fußn. 30), S. 1489. 60 Protokoll der 11. Sitzung vom 10. Juni 1815, a. a. O., S. 1522 f. ^1 Dok. 31/2 und Dok 31/3. 62 Dok. 31/4.

§ 3: Der Deutsche Bund ( 1 8 1 5 - 1 8 6 6 )

45

[65.] Der Deutsche Bund sollte kein Rechtsnachfolger des Rheinbunds sein. Um hierüber auch die letzten Zweifel auszuräumen, wurde bei der Schlußredaktion zur Deutschen Bundesakte die Bezeichnung „Rheinbund", welche achtmal in fünf Entwürfen zur Bundesakte gebraucht worden war, offenbar bewußt gestrichen. II. Die „Grundgesetze" des Deutschen Bundes [66.] Der Deutsche Bund fußte originär auf der Deutschen Bundesakte (DBA) vom 8. Juni 1815.^^ Dieses erste Bundesverfassungsgesetz war mit seinen lediglich zwanzig Artikeln nur ein rudimentärer Rahmenvertrag über die deutschen Bundesverhältnisse. Die ersten elf Artikel der Deutschen Bundesakte wurden in französischer Übersetzung als Art. 5 3 - 6 3 unmittelbar in die insgesamt aus 121 Artikehi und siebzehn Beilagen bestehende Wiener Kongreßakte (WKA) aufgenommen. Außerdem bestimmte Art. 64 WKA, daß durch die Aufnahme der ganzen Bundesakte (in deutscher und französischer Sprache) unter die siebzehn Beilagen der Kongreßakte auch die Art. 12 - 20 so angesehen werden sollten, als ob sie wörtlich in den Text der Kongreßakte selbst aufgenommen seien („auront la meme force et valeur que s'ils etaient textuellement inseres ici"). Auch Art. 118 Nr. 9 WKA erklärte die Bundesakte zum untrennbaren Bestandteil der Wiener Kongreßakte; womit der Bundesakte eindeutig eine über die innerdeutschen Angelegenheiten hinausgehende europäische Komponente zukam und der Deutsche Bund trotz der nationalen Anklänge in seinem Namen auch zu einer tragenden Säule in der Architektur des kontinentaleuropäischen Gleichgewichts avancierte. [67.] Allerdings schien schon den Zeitgenossen die völkerrechtliche Bedeutung der unmittelbaren Litegration der Bundesakte in die Wiener Kongreßakte unklar. Dies zeigte sich nicht zuletzt daran, daß man in der signierten Verknüpfung beider Dokumente sowohl eine Garantie der Deutschen Bundesakte als auch bloß deren Anerkennung durch die die Kongreßakte unterzeichnenden acht europäischen Mächte (Österreich, Preußen, England, Frankreich, Rußland, Schweden, Portugal und Spanien^"^) sehen konnte. Von einer weitreichenden Garantie und einem daraus resultierenden Interventionsrecht hinsichtlich der innerdeutschen (Verfassungs-) Verhältnisse ging man wohl seitens einiger nichtdeutscher Signatarmächte (Frankreich, England, Rußland) aus. Während die Bundesversammlung dies in Abrede stellte und die Aufnahme der Bundesakte in die Kongreßakte als bloße völkerrechtliche Anerkennung auffaßte. Diese strittige Frage sollte in der Folgezeit auch praktisch bedeutsam sein: So beanspruchte der französische Gesandte beim Deutschen Bund schon 1816 für jede Änderung der Bundesverfassung die Zustimmung der Signatarmächte.^^ Erstmals unter Hinweis auf das Garantierecht intervenierte dann England. Dies geschah anläßlich der am 28. Juni 1832 vom

^^ Dok. 31. ^^ Ungeachtet anfanglicher Ablehnung trat Spanien der Wiener Kongreßakte am 10. Juni 1817 noch nachträglich bei. ^^ E. R. Huber (Fußn. 12), S. 683.

46

1. Abschnitt: Gesamtdeutsche Verfassungsentwicklung (1803/06-1918)

Bundestag beschlossenen „Sechs ArtikeV'^^, mit deren Hilfe ein restriktiveres Verständnis vom monarchischen Prinzip zuvörderst gegen die Landstände in den konstitutionellen Mitgliedstaaten durchgesetzt werden sollte; während Rußland sich unter Geltendmachung desselben Rechts für die „Sechs Artikel" aussprach.^^ Insbesondere das Verhalten Englands, dessen König in seiner Eigenschaft als hannoverscher Monarch den Artikeln zugestimmt hatte, entbehrte nicht der Paradoxic. Ein weiterer Vorstoß Frankreichs und Englands erfolgte im Jahre 1834 wegen der Besetzung der Freien Stadt Frankfurt mit Bundestruppen, nach den dort als „Frankfurter Wachensturm" bekannt gewordenen Unruhen. Man monierte insoweit die gewaltsame Verletzung der bundesverfassungsrechtlich garantierten Unabhängigkeit eines deutschen Einzelstaates.^^ Weiterhin erhoben die beiden Mächte unter Berufung auf ihr Garantierecht 1850/51 Einspruch gegen die damals geplante Aufnahme Gesamtösterreichs in den Deutschen Bund selbst fiir den Fall, daß dies von den deutschen Staaten einstimmig beschlossen würde. Schließlich begründete auch Rußland seine Ablehnung der preußischen Territorialannexionen in Norddeutschland im Jahre 1866 mit seiner Stellung als europäischer Garantiemacht. Doch wiesen die deutschen Mächte ebenso wie der Deutsche Bund derartige Garantieansinnen stets zurück. [68.] Wegen des lediglich rudimentären Zuschnitts der Deutschen Bundesakte (DBA) bedurfte es - sollte der Deutsche Bund zu einem politisch wie rechtlich stabilen und dauerhaften Faktor werden - der weiteren Präzisierung. Ungeachtet des Art. 10 DBA, wonach das „erste Geschäft der Bundesversammlung nach ihrer Eröffnung" am 1. September 1815 (Art. 9 DBA) - die tatsächlich aber erst am 5. November 1816 stattfand - der „Abfassung der Grundgesetze des Bundes und dessen organische Einrichtung" dienen sollte, dauerte es über vier Jahre bis man sich überhaupt auf Verhandlungen über eine nähere Ausgestaltung der künftigen Bundesverfassung verständigen konnte. Diese fanden schließlich als sogenannte „Ministerialkonferenzen" zwischen dem 25. November 1819 und dem 24. Mai 1820 in Wien statt. Die unter dem 15. Mai 1820 in der Wiener Schlußakte (WSA/^ zusammengefaßten, am 8. Juli 1820 vom Plenum der Bundesversammlung einstimmig angenommenen^^ und damit völkerrechtlich verbindlichen Vereinbarungen aller Mitgliedstaaten des Bundes bildeten von nun an neben der Deutschen Bundesakte als sogenannte „Bundes-Supplementar-Akte" das zweite „Grundgesetz" (präziser: den zweiten „Grundvertrag") des Deutschen Bundes. Dieses gestaltete mit seinen insgesamt 65 Artikeln in erster Linie die dem Deutschen Bund zustehenden Institutionen sowie dessen Kompetenzen im Verhältnis zu seinen Mitgliedern und gegenüber Dritten weiter aus. So enthielten die Art. 7 - 1 7 WS A die Regelung von Verfahrensfragen in bezug auf die Bundesversammlung. Für Streitigkeiten zwischen Bundesmitgliedem wurde der Bundesversammlung ein umfangreiches Streitschlichtungsinstrumentarium bis hin zur Einsetzung einer 66 Dok.50. 67 A^. Dommermuth, Das angebliche europäische Garantierecht über den Deutschen Bund von 1815 bis 1866, Diss. jur. Frankfurt 1928, S. 48 ff. 68 E. R. Huber (Fußn. 12), S. 686. 69 Dok. 43. 70 Protokolle der Bundesversammlung, Plenarsitzung vom 8. Juli 1818, S. 17.

' 3: Der Deutsche Bund ( 1 8 1 5 - 1 8 6 6 )

47

Austrägalinstanz zugestanden (Art. 1 8 - 2 4 , 30 WSA). Zudem gestattete die Schlußakte dem Bund eine Fülle von Möglichkeiten, auf die inneren Verhältnisse der einzelnen Mitgliedstaaten Einfluß zu nehmen. Unruhen innerhalb der Bundesstaaten in Form von „Widersetzlichkeit der Unterthanen gegen die Regierung, eines offenen Aufruhrs oder gefährlicher Bewegungen" konnten „in Rücksicht auf die innere Sicherheit des gesammten Bundes" von der Bundesgewalt unterdrückt werden (Art. 25 - 28 WSA). Im Falle der Justizverweigerung in einem Mitgliedstaat hatte der Bund sich der Beschwerde eines Untertanen über verweigerte und gehemmte Rechtspflege anzunehmen (Art. 29 WSA). Zur Durchsetzung der Bundesbeschlüsse war der Bund ermächtigt, gegen die Regierung eines unbotsamen Mitgliedstaates zur Bundesexekution zu schreiten (Art. 31 - 34 WSA). Femer regelte ein umfangreiches Vorschriftenwerk das Verhalten des Bundes und seiner Mitglieder im Falle eines bevorstehenden oder andauernden Krieges (Art. 3 5 - 5 0 WSA). Auch das konstitutionelle Leben in den Einzelstaaten geriet unter Bundesaufsicht, indem zu dem die landständischen Verfassungen betreffenden Art. 13 DBA detaillierte Einschränkungen normiert wurden (Art. 53 - 6 2 WSA). Insgesamt bezogen sich die Art. 1-52 WSA auf die ersten elf Artikel der Deutschen Bundesakte, während die Art. 53 - 65 WSA die Art. 12 - 20 DBA in Bezug nahmen.

III. Rechtscharakter des Bundes [69.] Die Bundesakte konstituierte einen „beständigen Bund" (Art. 1) und gestand den Mitgliedstaaten eine weitgehende Souveränität zu. Beschränkungen dieser Souveränität kamen zulässigerweise nur Betracht, sofem es zur „Erhaltung der äußeren und inneren Sicherheit Deutschlands und der Unabhängigkeit und Unverletzbarkeit der einzehien deutschen Staaten" erforderlich war (vgl. Art. 2). Rein äußerlich war der Deutsche Bund zwar irgendwo im Grenzbereich zwischen Staatenbund und Bundesstaat angesiedelt;^^ juristisch letztlich aber eindeutig als ein Staatenbund zu qualifizieren.'^^ Denn das Verhältnis des Bundesstaats zu seinen Gliedstaaten ist stets ein staatsrechtliches, gekennzeichnet durch eine souverän gegenüber den Gliedern agierende Bundesgewalt; während sich die Binnenbeziehung von Deutschem Bund zu dessen Mitgliedstaaten - wie bei einem Staatenbund typisch - eindeutig als eine völkerrechtliche Verbindung weiterhin „souverainer Fürsten und fi-eier Städte" (Präambel, Art. 1 DBA) ausnahm. Formaljuristisch waren damit jedoch nicht die Fürsten in persona, sondern als Repräsentanten „unter sich unabhängiger Staaten" gemeint (vgl. Art. 2 WSA). Angesichts dessen konnte auch die dem Bunde mittels Bundes- und Schlußakte übertragene Gewalt keine Staatsgewalt, sondern lediglich eine völkerrechtsvertraglich vermittelte Vereinskompetenz sein. Auch die Bundesmitglieder selbst verstanden ihren Zu-

So schon W. von Humboldt in seiner Denkschrift „Ueber die Behandlung der Angelegenheiten des Deutschen Bundes durch Preußen" vom 30. September 1816 (W. von Humboldt, Werke, Bd. 4, 1964,8.371). In diesem Sinne auch^. Stern (Fußn. 12), S. 193 m. w. N.

48

1. Abschnitt: Gesamtdeutsche Verfassungsentwicklung (1803/06-1918)

sammenschluß als StaatenbundJ^ Ungeachtet der seit Gründung des Bundes insbesondere unter der Federführung Mettemichs vorangetriebenen Stärkung der Bundesgewalt behielt der Bund damit auch mit der Wiener Schlußakte seinen staatenbündisch fundierten Föderalismus bei. Dies verdeutlichte - die Präambel wie auch die Art. 1 und 2 DBA gleichsam noch einmal zusammenfassend - Art. 1 WSA, indem er ausdrücklich klarstellte, daß der Deutsche Bund „ein völkerrechtlicher Verein der deutschen souverainen Fürsten und freien Städte, zur Bewahrung der Unabhängigkeit und Unverletzbarkeit ihrer im Bunde begriffenen Staaten und zur Erhaltung der inneren und äußeren Sicherheit Deutschlands" sei. Überhaupt war dieser Staatenbund trotz der auch künftig im Verhältnis zu den Mitgliedstaaten äußerlich unverkennbar anwachsenden „bundesstaatsrechtlichen" Züge nur in den Grenzen der von den beiden Bundesgrundgesetzen dafür vorgesehenen einvemehmlichen Mitwirkung aller Mitglieder weiter ausformbar. Der rechtlichen Wandelung zu einem Bundesstaat stand aber der gleichsam als ewige Bestandsgarantie wirkende Art. 4 WSA entgegen. IV. Mitglieder- und Territorial bestand des Bundes [70.] Der Deutsche Bund verkörperte zum Zeitpunkt seiner Gründung die Verbindung von zunächst 39, später, d. h. seit dem 1. September 1815, durch den Beitritt Badens und Württembergs von insgesamt 41 deutschen Staaten (darunter vier freie Städte) im Herzen Europas. Diese Zahl reduzierte sich zwar nach der dynastisch bedingten Vereinigung des Herzogtums Nassau-Usingen und des Fürstentums Nassau-Weilburg infolge des Aussterbens der Usingischen Linie am 24. März 1816 zum Herzogtum Nassau auf 40 Staaten. Doch erhöhte sich die Anzahl der Mitgliedstaaten durch die Aufnahme Hessen-Homburgs in den Bund zum 7. Juli 1817 wieder auf 41. [71.] Dementsprechend bestand der Deutsche Bund zu diesem Zeitpunkt aus einem Kaiserreich (Österreich), fünf Königreichen (Preußen, Bayern, Hannover, Sachsen, Württemberg), dem Kurfürstentum Hessen (-Kassel), sieben Großherzogtümem (Baden, Hessen-Darmstadt, Luxemburg, Mecklenburg-Schwerin, Mecklenburg-Strelitz, Sachsen-Weimar-Eisenach, Oldenburg), zehn Herzogtümern (Holstein-Lauenburg, Braunschweig, Nassau, Sachsen-Gotha-Altenburg, Sachsen-Coburg-Saalfeld, Sachsen-Meiningen, Sachsen-Hildburghausen, AnhaltDessau, Anhalt-Bemburg, Anhalt-Köthen), zwölf Fürstentümern (SchwarzburgSondershausen, Schwarzburg-Rudolstadt, HohenzoUem-Hechingen, Hohenzollem-Sigmaringen, Liechtenstein, Waldeck, Reuß-Greiz [= Reuß ä. L.], ReußSchleiz, Reuß-Ebersdorf, Reuß-Lobenstein [zusammen Reuß j . L.], LippeDetmold, Schaumburg-Lippe), dem Landgrafentum Hessen-Homburg und vier Freien Städte (Hamburg, Bremen, Lübeck, Frankfurt). [72.] Preußen und Österreich zählten indes nur mit ihren „gesammten vormals zum deutschen Reich gehörigen Besitzungen" zum Deutschen Bund (Art. 1 Abs. 2 Vgl. etwa Bundespräsidialvortrag vom 5. November 1815 (Protokolle der Bundesversammlung, 1. Sitzung vom 5. November 1816).

3: Der Deutsche Bund ( 1 8 1 5 - 1 8 6 6 )

49

DBA). Das untergegangene alte Reich blieb somit durchaus eine reale Bezugsgröße. Mit Blick auf Preußen handelte es sich bei dem in Rede stehenden territorialen Besitzstand im wesentlichen um die Provinzen Pommern, Brandenburg, Sachsen, Westfalen sowie die seit 1822 zur Rheinprovinz zusammengefaßten Provinzen Jülich-Kleve-Berg und Niederrhein; Schlesien gehörte dem Reich bei Auflösung zwar nicht an'^'^, wurde aber nach dem Willen Preußens ausdrücklich in das Bundesgebiet eingegliedert.'^^ Ost-, Westpreußen und Posen blieben demgegenüber außerhalb des Bundes. Ost- und Westpreußen wurden später zwar durch Bundesbeschluß vom 11. April 1848^^, ebenso die überwiegend „mehrheitlich deutschen" Teile der Provinz Posen durch Beschlüsse vom 22. April, 1. und 2. Mai 1848^^ nachträglich in den Bund aufgenommen; doch erklärte Preußen diese Beschlüsse aus formellen Gründen für rechtswidrig, da sie - was zutraf - der „Engere Rat" und nicht das Plenum der Bundesversammlung gefaßt hatte.^^ Die Bundesversammlung anerkannte den preußischen Standpunkt, indem sie mittels Bundesbeschluß vom 3. Oktober 1851 die Eingliederung der Provinzen rückgängig machte^^ und den Bund wieder auf seine vormaligen Grenzen reduzierte. Demgegenüber war das der preußischen Krone nur durch Personalunion verbundene Fürstentum Neuenburg (Neufchätel) in der Schweiz niemals Bundesterritorium. Österreichischerseits betraf die Bundeszugehörigkeit das Erzherzogtum Österreich, die Herzogtümer Steiermark, Salzburg, Kärnten und Krain, Friaul (Görzer Kreis), Triest, das Königreich Böhmen, das Markgrafentum Mähren, die gefürstete Grafschaft Tirol (einschließlich Trient und Brixen), Vorarlberg, österreichisch Schlesien und das jedoch bereits im Zuge des Frankfurter Territorialrezesses^^ 1819 an Baden fallende Hohen-Geroldseck.^^ Somit zählten Ungarn, Siebenbürgen, Galizien, Kroatien, Slawonien, Dalmatien, Lombardo-Venetien und Istrien nicht zu den Bundesbestandteilen. Auf die von der Bundeszugehörigkeit ausgenommenen Gebiete erstreckten sich weder die Bundesbeschlüsse, noch unterlagen sie der Garantie des Bundes für die territoriale Integrität der Bundesmitglieder. Insoweit bestand folgerichtig auch keine automatische Beistandspflicht des Bundes für den Fall eines Angriffs auf diese Gebiete. Denn Art. 39 WSA begründete diese nur bei einem Angriff auf das „Bundes-Gebiet". Es bedurfte dann vielmehr nach Art. 47 WSA des von der Bundesversammlung ausdrücklich durch Mehrheitsbeschluß anerkannten Vorliegens einer „Gefahr fur das Bundesgebiet". Derartige Konstellationen erlangten in dem nur Preußen und Österreich betreffenden pohlischen Auf-

Vgl. J. L. Klüber, Geschichte und Rechtsverhältnisse der Schlesischen Staats=Obligationen aus den Jahren 1734 - 1737, 1827, §§ 29 - 35. Vgl. das von Preußen der Bundesversammlung am 4. Mai 1818 vorgelegte Verzeichnis (Protokolle der Bundesversammlung, 22. Sitzung vom 4. Mai 1818, § 105). A. a. O., 34. Sitzung vom 11. April 1848, § 257. A. a. O., 39. Sitzung vom 22. April 1848, § 319; 44. Sitzung vom 1. Mai 1848, § 388; 45. Sitzung vom2. Mai 1848, §389, A. a. O., 10. Sitzung vom 11. Juni 1851, § 45. A. a. O., 23. Sitzung vom 3. Oktober 1851, § 178. Dok. 31/5. Vgl. das von Österreich der Bundesversammlung am 6. April 1818 vorgelegte Verzeichnis (A. a. O., 22. Sitzung vom 4. Mai 1818, § 77.

50

1. Abschnitt: Gesamtdeutsche Verfassungsentwicklung (1803/06-1918)

stand von 1830, in der seit 1848 schwelenden „Neuenburger Frage", in den gegen Österreich gerichteten Erhebungen des Jahres 1848 in Ungarn und Norditalien sowie bei den 1859 im Zuge der italienischen Einigungsbewegung erfolgenden Angriffen auf Lombardo-Venetien praktische Bedeutung. [73.] Mit den Königen von England und von Dänemark sowie dem König der Niederlande waren aufgrund von Personalunionen mit bundeszugehörigen Staaten auch ausländische Monarchen mit dem Deutschen Bund verknüpft: Der englische König war zugleich König von Hannover; ein Zustand, der aufgrund des unterschiedlichen Erbrechts für die englische und hannoversche Krone allerdings nur bis zum Tode König Wilhelm IV. im Jahre 1837 galt. Als Herzog von Holstein und Lauenburg wirkte der dänische König im Deutschen Bund bis zu dem infolge des Krieges gegen Dänemark geschlossenen Wiener Frieden von 1864; danach wurde die personale Verbindung aufgehoben. Der niederländische König behielt seinen Status als Großherzog von Luxemburg bis zum Ende des Bundes. Diese drei Herrscher waren in Bezug auf ihre Rechte- und Pflichtenstellung mit ihren deutschen Gebietsteilen uneingeschränkt dem geltenden Bundesrecht unterworfen; erhielten auf diese Weise jedoch auch die Möglichkeit, auf die Geschicke des Bundes Einfluß zu nehmen. Dies war besonders heikel, wenn es - wie im Falle Dänemarks in den Jahren 1848 - 50 und 1864 - zu einem gegen dieses Land gerichteten Krieg des Bundes oder einzelner deutscher Staaten kam. Dann hatte nämlich von Bundesrechts wegen das bundeszugehörige Gebiet im Falle des Bundeskrieges an der Seite der Bundestruppen gegen den ausländischen Staat des eigenen Herrschers zu kämpfen. Im Falle eines von einzelnen deutschen Staaten gegen den ausländischen Monarchen geführten Krieges mußte sich der ausländisch regierte Mitgliedstaat jedenfalls aller Unterstützungshandlungen für seinen Fürsten enthalten, da feindliche Akte jeglicher Art gegen Bundesmitglieder unzulässig waren. ^^ [74.] Das dem dänischen König ebenso wie Holstein-Lauenburg unterstehende Herzogtum Schleswig gehörte nicht zum Deutschen Bund. Die Aufnahme wurde 1848 zwar vom Frankfurter Vorparlament gefordert^^, überdies erhielt die provisorische Regierung Schleswig-Holsteins Sitz und Stimme im Bundestag, zu einem formellen Beschluß der Bundesversammlung über die Aufnahme Schleswigs in den Bund kam es anders als im Falle Ost- und Westpreußens sowie Posens aber nicht. Doch bestimmte der Ripener Vertrag von 1460, Schleswig und Holstein „bliwen ewig tosamene ungedeelt"; was dem dänischen König staatsrechtlich ein Trennungsverbot der beiden Herzogtümer auferlegte. Angesichts der dänischerseits gleich mehrmals betriebenen vollständigen Eingliederungsversuche Schleswigs in das dänische Königreich und der damit bewirkten staatsrechtlichen Aufspaltung der Herzogtümer in ein dänisches und ein deutsches Herzogtum kam es daher wiederholt zu deutsch-dänischen Konflikten. [75.] Die Mitgliedstaaten waren nach BevölkerungszahF"^, Größe des Territoriums, wirtschaftlichem Potential, politischer und militärischer Stärke sowie nach ^2 Siehe dazu auch E. R. Huber (Fußn. 12), S. 587. ^^ Beschluß vom 4. April 1848, Verhandlungen des deutschen Parlaments, Bd. 1, 1848, S. 172 ff ^"^ Vgl. dazu die Bundesmatrikel (Dok. 37 und Dok. 37/1 bis Dok. 37/9).

§ 3: Der Deutsche Bund (1815-1866)

51

sozialer Struktur denkbar verschieden. Allein Preußen und Österreich stellten mit ihren bundeszugehörigen Gebieten weit mehr als die Hälfte der Bundesbevölkerung; während der kleinste Staat, Liechtenstein, nicht einmal einen Anteil von 0,02% an der Bundesbevölkerung hatte. Demgegenüber besaßen die Staaten - mit Ausnahme der vier Städte - allesamt die monarchische Staatsform. An der Außengrenze des Bundes hatten zwölf Mitgliedstaaten Anteil (Preußen, Österreich, Bayern, Württemberg, Baden, Luxemburg, Hannover, Oldenburg, Holstein, Lübeck, Mecklenburg-Strelitz, Liechtenstein), die übrigen waren ausschließlich vom Territorium eines Mitglieds oder mehrerer Mitglieder umgeben, besaßen also nur Binnengrenzen. [76.] Die Veränderungen des Bundesterritoriums nach 1817 blieben vergleichsweise gering: Insoweit verlor der Bund lediglich 1839 den Westteil des Großherzogtums Luxemburg infolge der belgischen Revolution von 1830 nach den Beschlüssen der Londoner Konferenz an Belgien. Als Entschädigung dafür erhielt der Bund in demselben Jahr das niederländische Herzogtum Limburg, das allerdings wegen der Personalunion mit dem Ostteil einschließlich der Stadt Luxemburg Bundesbestandteil bleibenden Großherzogtum gemeinsam mit diesem nur eine Stimme führte. Einen - wenngleich nur vorübergehenden - Zuwachs des Bundesgebietes bedeutete ebenfalls die 1848 erfolgte und 1851 wieder rückgängig gemachte Aufnahme der preußischen Provinzen Ost-, Westpreußen und Posen in den Bund. [77.] Auch die Modifikationen der Zusammensetzung des Bundesgefüges waren eher unbedeutend, wenngleich sie sich spürbar auf die Zahl der Mitglieder auswirkte: So reduzierte sich die Zahl der zunächst drei reußischen Kleinstaaten der jüngeren Linie auf nachmals eines. Dies resultierte aus dem Erlöschen der Linie Reuß-Lobenstein am 7. Mai 1824, womit das gleichnamige Fürstentum erbschaftsbedingt an Reuß-Ebersdorf fiel, dessen letzter Fürst wiederum am 1. Oktober 1848 zugunsten der Linie Reuß-Schleiz abdankte. Erst auf diese Weise entstand ein einheitliches Fürstentum Reuß j . L., das indes im Plenum der Bundesversammlung von jeher zu einer einzigen Stimme zusammengefaßt war. Allerdings wandelte sich damit die bisherige Kuriatstimme in eine Virilstimme. Mit dem Erlöschen des Herzogtums Sachsen-Gotha-Altenburg durch den Tod des Herzogs Friedrich IV. am 11. Februar 1825 fiel ebenfalls ein Kleinstaat weg. Gotha kam daraufhin zu Sachsen-Coburg-Saalfeld, das auf das Fürstentum Saalfeld zugunsten Sachsen-Meiningens verzichtete und sich nunmehr Sachsen-CoburgGotha nannte; Altenburg geriet an die Linie Sachsen-Hildburghausen, die dafür ihren ganzen bisherigen Herrschaftsbereich auf Sachsen-Meiningen übertrug und ihren Staat nunmehr Sachsen-Altenburg nannte. Das um die saalfeldischen und hildburghausischen Gebiete erweiterte Sachsen-Meiningen firmierte nunmehr unter Sachsen-Meiningen-Hildburghausen. Des weiteren büßte der Deutsche Bund durch die Konzentration der drei anhaltischen Staaten zu einem Staat weitere im Plenum virilstimmführende Mitgliedstaaten ein. 1853 fiel nämlich Anhalt-Köthen an die Linie Anhalt-Dessau, die 1863 auch noch die Linie Bemburg erwarb und seitdem ein einheitliches Herzogtum Anhalt bildete. Indem die Fürstentümer HohenzoUem-Hechingen und Hohenzollem-Sigmaringen durch staatsvertraglich vereinbarte Abdankung ihrer beiden Herrscher an 1849 Preußen kamen, verringerten

52

1. Abschnitt: Gesamtdeutsche Verfassungsentwicklung (1803/06-1918)

sich die Bundesmitglieder um weitere zwei. Insgesamt reduzierte sich damit die Zahl der dem Bund angehörigen Staaten auf nur noch vierunddreißig am Ende des Bundes. V. Bundeszweck und Bundeskompetenz [78.] Während es für einen echten Staat wegen der Universalität seines Zwecks keiner eigens hervorgehobenen Rechtfertigung für seine Existenz bedarf, trifft dies für einen Staatenbund nicht zu. Dessen Existenz läßt sich stets nur durch den ihm seitens der Mitgliedstaaten ausdrücklich zugedachten Zweck rechtfertigen. Nichts anderes gilt daher für den von der Wiener Schlußakte selbst als „völkerrechtlicher Verein" (Art. 1) charakterisierten Deutschen Bund. Deshalb umschrieb Art. 2 DBA - inhaltlich entsprechend auch Art. 1 WSA - den Zweck des Bundes mit der „Erhaltung der äußeren und inneren Sicherheit Deutschlands und der Unabhängigkeit und Unverletzbarkeit der einzelnen deutschen Staaten". Mit dieser Zweckbestimmung sollten die „Befugnisse und Verpflichtungen" des Bundes zugleich „bedingt und begrenzt" werden (Art. 3 Satz 2 WSA); was nichts anderes hieß, als daß die Kompetenzen des Bundes stets aus den ihm zugrundeliegenden Verträgen abgeleitet werden mußten.^^ Der Bund stand also hinsichtlich der Wahrnehmung seiner Zuständigkeiten gegenüber den Mitgliedstaaten stets unter Rechtfertigungszwang; hatte ungeachtet dessen aber alle Befugnisse, deren er zur Erfüllung der ihm obliegenden Aufgaben bedurfte. Angesichts des Fehlens eines den späteren Bundesstaatsverfassungen vergleichbaren abschließenden Kompetenzkatalogs und der auch ansonsten nur denkbar unbestimmt bezeichneten Zuständigkeiten hatte Art. 2 DBA (bzw. Art. 1 WSA) i.V.m. Art. 3 Abs. 2 WSA deshalb in Wahrheit weniger die Funktion einer wirklichen Zuständigkeitsbegrenzungsnorm für den Bund als diejenige einer Generalermächtigung für diesen.^^ Denn die normativen Inhalte der Begriffspaare „Erhaltung der äußeren und inneren Sicherheit Deutschlands" einerseits und die „Erhaltung der Unabhängigkeit und Unverletzbarkeit der einzelnen deutschen Staaten" andererseits ergänzten sich bei näherem Hinsehen nicht wirklich, sondern kollidierten oftmals, ließen sich dementsprechend auch mit kompetenzweitender Wirkung für den Bund trefflich gegeneinander ausspielen. Insbesondere gestattete es das Bundesinteresse an der gesamtdeutschen Sicherheit ohne weiteres, die des öfteren durch Bundesakte und Wiener Schlußakte bemerkenswert herausgehobene Souveränität der Mitgliedstaaten zu beschränken. War diese sinnvollerweise doch nur insoweit aufrechterhaltbar, wie sie sich mit den objektiven gesamtdeutschen Sicherheitsbedürfnissen vertrug. Letztere wiederum konnten besonders vielschichtig sein, daher bei der Ausübung der Bundesgewalt eine Fülle von Maßnahmen rechtfertigen, welche sich auf mannigfaltige Weise auf die inneren Verhältnisse der Mitgliedstaaten auswirkten. Allerdings mußte es dabei stets um Sicherheitserhaltende, letztlich also den bestehenden Zustand konservierende Maßnahmen gehen. ^5 K. Stern (¥uRnA2),S. 197. ^6 Ähnlich auch E. R. Huber (Fußn. 12), S. 597.

§ 3: Der Deutsche Bund (1815-1866)

53

[79.] Die in Art. 6 Abs. 1 DBA zudem erwähnten - damit zunächst von Verfassungs wegen im Plenum mit Zweidrittelmehrheit beschließbaren (Art. 7 Abs. 2 DBA) - „gemeinnützigen Anordnungen sonstiger Art" (insbesondere solche zur Förderung der allgemeinen Wohlfahrt) erfaßte der Bundeszweck indes nicht. Hierbei handelte es sich ungeachtet der regelungstechnisch fragwürdigen, weil vom zuständigkeitsleitenden Bundeszweck nicht gedeckten Regelung um eine Kompetenzzuweisung an den Bund. Diesen Zustand korrigierte bereits Art. 64 WSA, ohne jedoch auf Art. 6 Abs. 1 i.V.m. Art. 7 Abs. 2 DBA ausdrücklich Bezug zu nehmen. Nunmehr war für die bundesseitige Regelung derartiger Materien eine „freiwillige Vereinbarung unter den sämmtlichen Bundes-Gliedem" erforderlich; womit allerdings kein verklausuliertes Einstimmigkeitserfordemis im Rahmen einer Plenarabstimmung in der Bundesversammlung gemeint war. Denn dieses Organ sollte „ihr anhaltendes Bestreben dahin richten, die . . . Vereinbarung . . . zu bewirken". Hier ging es nicht mehr um eine Rechtsetzungskompetenz der Bundesversammlung, sondern nur noch um deren Hinwirkungsrecht mit Blick auf eine einheitliche(re) Landesgesetzgebung. VI. Perpetuierung des Bundes [80.] Grundsätzlich konnte die Bundesversammlung Verfassungsänderungen zwar auch zur Erweiterung ihrer Kompetenzen nutzen. Doch selbst bei Einstimmigkeit durften die im Plenum gefaßten Beschlüsse weder „mit dem Geiste der Bundes-Acte . . . im Widerspruch stehen, noch vom Grund-Charakter des Bundes abweichen" (Art. 4 Satz 2 WSA). Ersteres bedeutete, daß der in Art. 2 DBA umschriebene Bundeszweck niemals verändert werden durfte; letzteres intendierte, den Bund in seiner bestehenden Rechtssubjektivität als Staatenbund unantastbar zu machen. Der Bund unterlag damit nach seiner von Verfassungs wegen einmal festgelegten Ausrichtung und als gegenwärtige Institution einem absoluten Veränderungsverbot. Der Vorbildcharakter für die heute in Art. 79 Abs. 3 des Bonner Grundgesetzes verankerte sogenannte „Ewigkeitsgarantie" ist unübersehbar. Dafür, daß die Statik der auf diese Weise bereits zementierten deutschen Verfassungsverhältnisse noch weiter verfestigt wurde, sorgte Art. 5 WSA. Sprach die Präambel der Bundesakte bloß von einer „festen und dauerhaften Verbindung" und Art. 1 DBA von einem „beständigen Bunde", so unterstrich Art. 5 WSA nunmehr expressis verbis die Unauflöslichkeit des Bundes, aus dem „daher der Austritt . . . keinem Mitgliede desselben frey stehen" konnte. Unauflöslichkeit des Bundes bedeutete, daß jegliche Art der Herbeiführung seines Untergangs in der aktuellen Rechtsform als Staatenbund unzulässig war; was neben dem ersatzlosen Wegfall des Bundes auch dessen bloße Weiterentwicklung zu einem Bundesstaat ausschloß. Auch der Austritt aus dem Bund - selbst wenn er einstimmig beschlossen gutgeheißen wurde - war uomöglich. Dies hätte jedenfalls eine aufgrund von Art. 4 Satz 2 WSA unzulässige Abänderung des in Art. 2 DBA umschriebenen Bundeszwecks bedeutet. Denn durch den Austritt einzelner, mehrerer oder sogar aller deutschen Staaten wäre die Erhaltung der Sicherheit Deutschlands und der Unabhängigkeit und Unverletzbarkeit der einzelnen deutschen Staaten im „Geiste

54

1. Abschnitt: Gesamtdeutsche Verfassungsentwicklung (1803/06-1918)

der Bundesakte" entweder erschwert oder vereitelt worden; was überdies dem zu wahrenden „Grund-Charakter des Bundes" widersprochen hätte. [81.] Mettemich ging es bei dieser nunmehr weitgehend vollzogenen konservativen Wende nicht zuletzt darum, Österreich die Führungsrolle im Deutschen Bund zu erhalten. Dies gelang ihm angesichts der immer deutlicher hervortretenden Reformunfahigkeit des Habsburgerreiches, indem er das sich am Rand des Immobilismus bewegende Modemisierungstempo Wiens auf den Bund insgesamt übertrug. Selten bildeten Verfassungsverhältnisse ein dahinter stehendes realpolitisches Programm - wie es dasjenige Mettemichs war - so wirklichkeitsgetreu ab. Hier lag das restaurative Bollwerk der gegen die freiheitliche Bewegung und nationale Selbstbestimmung der Deutschen gerichteten Politik, die auf die Blockade eines verfassungsmäßig herbeiführbaren Wandels hinauslief. Im Klartext: ein geeinter deutscher Gesamtstaat - gleich, ob föderalistisch gegliedert oder zentralistisch ausgeformt, gleich ob „groß- oder kleindeutsch" - war nur durch Rechtsbruch herbeizuführen. Die Grundgesetze des Bundes hielten den Weg zum nationalen Bundesstaat - entgegen immer wieder anderslautender Feststellungen in der jüngeren Forschung^-' - daher gerade nicht offen. Dies aber diskreditierte jede Art von Einheitsbestrebungen - von unten wie von oben - gleichermaßen als von Bundesrechts wegen zu ahndende poHtische Umsturzversuche. Obendrein würde jede nachbündische Neuordnung der deutschen Verhältnisse mit der moralischen Hypothek eines vorangegangenen rechtswidrigen Verhaltens der dafür verantwortlichen Akteure belastet. Die Möglichkeiten, einen legalen Wandel jenseits von Revolution oder Krieg friedlich herbeizuführen, gingen gegen Null. [82.] Art. 5 WSA erlangte nur einmal und ausgerechnet gegen Ende des Deutschen Bundes anläßlich des kulminierenden preußisch-österreichischen Holsteinkonflikts im Jahre 1866 Bedeutung. So beschloß die Bundesversammlung auf österreichischen Antrag^^ am 14. Juni 1866 die Mobilmachung des nichtpreußischen Bundesheeres gegen Preußen.^^ Nach preußischer Auffassung stand dieses Vorgehen „mit der Bundesverfassung in offenem Widerspruch", weil die Formen und Voraussetzungen der insoweit bundesrechtlich allein in Betracht kommenden Bundesexekution nicht vorlägen, es sich vielmehr um eine nach Bundesrecht unmögliche Kriegserklärung des Bundes gegen einen seiner Mitgliedstaaten handele. Dies sei ein „Bruch des Bundes", so daß man sich für berechtigt hielt, nicht nur vom Bundesvertrag zurückzutreten („Sezession"), sondern überdies den Bund insgesamt als aufgelöst zu betrachten („Nullifikation").^° Das Präsidium des Bundes und der Bundesbeschluß vom 16. Juni 1866 wiesen diese Ausführungen naturgemäß als insgesamt rechtsungültig zurück.^^ Die rechthche Bewertung dieser Vorgänge fallt bis heute unterschiedlich aus. Während sich die ältere Staatsrechtsleh-

Vgl. etwa W, D. Grüner, der Deutsche Bund und die europäische Friedensordnung, in: H. Rumpier (Hrsg.), Deutscher Bund und deutsche Frage 1815 - 1866, 1990, S. 235 (293). Vom 11. Juni 1866. Protokolle der Bundesversammlung, 23. Sitzung vom 14. Juni 1866, § 164. ^^ Erklärung des preußischen Bundestagsgesandten Savigny vom selben Tag (a. a. O.). 91 A. a. O., 25. Sitzung vom 16. Juni 1866, § 175.

> 3: Der Deutsche Bund (1815 - 1866)

55

re^2 - wohl nicht imbeeinflußt von dem damit schließlich verbundenen militärischen wie politischen preußischen Erfolg - überwiegend - aus den bereits dargelegten Gründen aber zu Unrecht - der preußischen Rechtsansicht anschloß, tendiert die neuere Literatur^^ im Ergebnis zu Recht eher zur gegenteiligen Ansicht. Entsprechendes hatte jedenfalls für die in der Folgezeit einseitig von Oldenburg^"^, Lippe-Detmold^^ (jeweils am 21. Juni 1866), Sachsen-Altenburg^^, Anhalt, Schwarzburg-Sondershausen und Waldeck^^ (jeweils am 25. Juni 1866), Schwarzburg-Rudolstadt, Schaumburg-Lippe, Hamburg, Bremen und Lübeck^^ (jeweils am 29. Juni 1866), Sachsen-Coburg-Gotha, Reuß j . L. und beide Mecklenburg^^ (jeweils am I.Juli 1866), Sachsen-Weimar ^^^ (am 5. Juli 1866), SachsenMeiningen^^^ (am 26. Juh 1866), Baden^^^ (am 2. August 1866) sowie Braunschweig^^^ (am 4. August 1866) ausdrücklich oder konkludent erklärten Bundesaustritte zu gelten. Ebenso gegen Art. 5 WSA verstießen die auf Waffenstillstand und Frieden zielenden Vereinbarungen von Nikolsburg vom 26. Juli 1866^^^ (Art. 2) und Prag vom 23. August 1866^^^ (Art. 5) zwischen Preußen und Österreich nach dem preußischen Sieg über die Donaumonarchie am 3. Juli 1866 bei Königgrätz und für die im Zuge dessen mit den ehemaligen Kriegsgegnern Württemberg (am 13. August 1866)^^^, Baden (am 17. August 1866)^^'^, Bayern (am 22. August 1866)^^^, Hessen-Darmstadt (am 3. September 1866)^^^, Reuß ä. L. (am 26. September 1866)^^^, Sachsen-Meiningen (am 8. Oktober 1866)^^^ und Sachsen (am 21. Oktober 1866)^^^ geschlossenen Friedensverträge, in denen Österreich und seine bisherigen Alliierten gegenüber Preußen, die „Auflösung des bisherigen Deutschen Bundes" anerkannten. ^

^^

^"^ ^^ ^^ ^^ 9^ 99 10° 101 102 103 104 105 106

107

108 109 110 111 112

K Schulze, Einleitung in das deutsche Staatsrecht mit besonderer Berücksichtigung der Krisis des Jahres 1866 und der Gründung des Norddeutschen Bundes, 1867, S. 380 ff.; O. Meyer I G. Anschütz, Lehrbuch des Deutschen Staatsrechts, 7. Aufl., 1919, S. 185 Anm. 12. W. Siemann (Fußn. 6), S. 417; K. Kroger, Einfuhrung in die jüngere deutsche Verfassungsgeschichte (1806-1933), 1988, S. 87; K Holborn, Deutsche Geschichte in der Neuzeit, Bd. II, 1970, S. 415; E. R. Huber (Fußn. 12), S. 543 ff Protokolle der Bundesversammlung, 27. Sitzung vom 21. Juni 1866, § 185. A. a. O., 27. Sitzung vom 21. Juni 1866, § 186. A. a. O., 29. Sitzung vom 25. Juni 1866, § 196. A.a.O., §197. A. a. O., 31. Sitzung vom 29. Juni 1866, § 206. A. a. O., 32. Sitzung vom 2. Juli 1866, § 209. A. a. O., 34. Sitzung vom 5. Juli 1866, § 224. A . a. O., 37. Sitzung vom 26. JuH 1866, § 242. A . a. O., 38. Sitzung v o m 2. August 1866, § 246. A . a. O., 39. Sitzung vom 4. August 1866, § 254. Dok.111. Dok.120. Dok. 112. Dok. 114. Dok. 118. Dok. 121. Dok. 122. Dok. 123. Dok. 124.

56

1. Abschnitt: Gesamtdeutsche Verfassungsentwicklung (1803/06-1918)

VII. Handlungsoptionen des Bundes [83.] Soweit es sein Zweck deckte, durfte der Bund im Rahmen der (völkerrechtlich fundierten!) Bundesgewalt gleichsam in Anlehnung an staatsrechtliche Termini sowohl (quasi-)legislativisch als auch (quasi-)exekutivisch, ja selbst (quasi-)judikativisch tätig werden. f. Quasi-Iegislativisch [84.] Der Bund handelte quasi-legislativisch, weil er als Staatenbund jedenfalls einem Staat vergleichbar eigene Rechtsetzung und Rechtsfortbildung betreiben durfte. Mochten die Produkte dieser staatenbündischen Beüignis zur Statutengebung für den Bund selbst und seine Mitglieder nun in der Bundesakte auch als „Grundgesetze" (z. B. Art. 6 Abs. 1, 10 DBA) oder als „Bundes-Gesetze" (z. B. Art. 6 Abs. 2 DBA) bzw. „Gesetze" (z. B. Art. 8 DBA) bezeichnet werden, so avancierten sie dadurch ungeachtet der daraus resultierenden, teilweise tief in die Verhältnisse der Einzelstaaten eingreifenden Verpflichtungen für die Mitglieder jedenfalls nicht zu Gesetzen im staatsrechtlichen Sinne, sondern blieben supraetatistisch, eben „staatenbündisches" Recht. Nach Art und Zustandekommen weist das Recht des Deutschen Bundes am ehesten Parallelen zu den im Zuge der Römischen Verträge und ihrer Folgeverträge gebildeten supranationalen Staatenzusammenschlüssen auf europäischer Ebene (Europäischen Gemeinschaften, Europäische Union) auf. Auch insoweit läßt sich zwischen bündischem Primär- und Sekundärrecht unterscheiden. Das Primärrecht - ursprünglich (1815) nur die Bundesakte, später (1820) auch die Wiener Schlußakte - bestimmte bundesorganisations- und materiell-rechtlich den allgemeinen rechtsverbindlichen Rahmen für die weitere Abfassung und Änderung der „Grundgesetze" des Bundes „in Rücksicht auf seine auswärtigen, militärischen und inneren Verhältnisse" (Art. 10 DBA) sowie für das nach Maßgabe dieser Grundgesetze zu erlassende Sekundärrecht. Primär- wie Sekundärrecht erlangten unmittelbare Rechtswirksamkeit durch Bundesbeschlüsse, für die entweder Einstimmigkeit oder bestimmte Mehrheiten erforderlich waren (Art. 7 DBA). Einer ausdrücklichen landesrechtlichen Sanktion bedurfte es dann nicht mehr, wohl aber der landesherrlichen Publikation, wenn auch die Untertanen der Mitgliedstaaten verpflichtet werden sollten. 2. Quasi-exekutivisch [85.] Quasi-exekutivisch konnte der weder Regierung noch Oberhaupt besitzende Bund handeln, wenn er einer staatlichen Exekutive vergleichbare Institutionen, die zur Erreichung des Bundeszwecks, zur Ausübung der Bundesrechte und zur Besorgung der Bundesangelegenheiten notwendig waren (sogenannte „organische Einrichtungen"), schuf. So tatsächlich etwa 1819 geschehen mit der Bestellung einer Bundesmilitärkommission^^^ und der „Central-Untersuchungs-Com^^^ Bundesbeschluß vom 15. März 1819 (Protokolle der Bundesversammlung, 10. Sitzung vom 15. März 1819, §37).

3: Der Deutsche Bund (1815 - 1866)

57

mission"^^"^ sowie im Jahre 1833 mit der „Central-Behörde wegen eines gegen den Bestand des deutschen Bundes und die öffentliche Ordnung in Deutschland gerichteten Complotts".^^^ Hinzu kamen vom Bund einzuleitende und in seinem Namen durchzuführende Maßnahmen zum Schutz der Bundesverfassung in Form der Bundesintervention (§ 25 - 28 WSA) und der Bundesexekution (Art. 31 - 34 WSA). Letztere war schon gestützt auf die vorläufige Exekutionsordnung vom 20. September 1819^^^ zulässig. Infolge des Erlasses der Wiener Schlußakte richtete sich dann die Durchführung der Interventions- und Exekutionsmaßnahmen bald nach der auf Art. 31 WSA beruhenden (endgültigen) Exekutionsordnung vom 3. August 1820^^'^. Neben diesen „nach innen" gerichteten Exekutivkompetenzen hatte der Bund außen- und sicherheitspolitische Handlungsmöglichkeiten. Hierzu gehörten in erster Linie das Recht, Kriege zu erklären und zu führen, Frieden, Bündnisse und andere völkerrechtliche Verträge zu schließen (Art. 35 Satz 1 WSA). 3. Quasi-judikativisch [86.] Auch die Möglichkeit zu quasi-judikativischem Handehi hatte der Bund. Zwar war die Einführung einer eigenen dem Reichskammergericht oder dem Reichshofrat vergleichbaren Bundesgerichtsbarkeit auf dem Wiener Kongreß am Widerstand Bayerns und Württembergs gescheitert. Dessen ungeachtet enthielt die Bundesverfassung sehr wohl Aussagen zur Gerichtsbarkeit. Sie bezogen sich auf Streitigkeiten zwischen den Bundesgliedem untereinander und auf Streitigkeiten innerhalb eines Mitgliedstaates. Mit Blick auf erstere wurden nach Art. 11 Abs. 4 Satz 2 DBA die „Bundes-Gheder", falls die zunächst anzurufende Bundesversammlung in einem zwischen ihnen bestehenden Streit erfolglos vermittelt hatte, auf eine „wohlgeordnete Austrägal-Instanz" verwiesen, „deren Ausspruch die streitenden Theile sich sofort zu unterwerfen haben". Das Verfahren regelte die sogenannte „ vorläufige Austrägalordnung " (Bundesvermittlungs- und Austrägalgerichts-Ordnung) vom 16. Juni 1817^^^, deren wichtigste Teile mit den sie aufrechterhaltenden Art. 2 1 - 2 4 WSA Bundesverfassungsrecht darstellten. Tätig wurde zwar stets ein aus gegebenem Anlaß zu bestimmender oberster Gerichtshof eines am Streit unbeteiligten Bundesmitglieds, jedoch Namens und im Auftrage des Bundes. Eine weitere Möglichkeit judikativischen Handehis verschaffte sich der Bund mittels Beschlusses vom 30. Oktober 1834, in dem die Einfuhrung eines für Verfassungsstreitigkeiten innerhalb der Mitgliedstaaten zwischen der Landesobrigkeit und den Landständen bzw. (in den Freien Städten) dem Senat und der Bürgerschaft zuständigen Bundesschiedsgerichts festgelegt wurde.^^^ Allerdings „Central-Behörde zur nähern Untersuchung der in mehreren Bundesstaaten entdeckten revolutionären Umtriebe", Bundesbeschluß vom 20. September 1819 (Dok. 41). Bundesbeschlüsse vom 30. Juni 1833 (Dok. 54), B.August 1833 (Dok. 54/1) und 10. Oktober 1833 (Dok. 54/2). 116 Dok. 38. 117 Dok. 44. 118 Dok. 35. ^ ^^ Sogenannte „Bundesschiedsgerichtsverfassung" (Dok. 57).

58

1. Abschnitt: Gesamtdeutsche Verfassungsentwicklung (1803/06-1918)

erlangte diese Institution bis zum Endes des Bundes keine praktische Bedeutung. Ein besonderes schiedsgerichtliches Verfahren sah der in Ausführung der Art. 14 DBA und 63 WS A ergangene Bundesbeschluß vom 15. September 1842^^^ vor. Hiemach war neben der Bundesversammlung als originärer Spruchinstanz eine „richterliche Instanz" in Streitigkeiten zwischen Mediatisierten und den Landesherm vorgesehen, die tatsächlich aber ebenfalls bedeutungslos blieb. Demgegenüber fehlte es an einer gerichtsmäßigen Instanz im Falle von Streitigkeiten zwischen dem Bund und einem Mitgliedstaat bzw. mehreren Mitgliedstaaten. VIII. Die Bundesversammlung f. Die Bundesversammlung als Bundesorgan [87.] Die Bundesversammlung (des öfteren auch „Bundestag" genannt) war wie es Sylvester Jordan^^^ schon im Jahre 1831 zutreffend ausdrückte - „die einzige und höchste Behörde des Bundes", durch welche dieser „seinen Willen verfassungsmässig äussern kann".^^^ jj^j-g fundamentale Stellung resultierte aus der Deutschen Bundesakte (DBA) und der Wiener Schlußakte (WSA). Danach „besorgte" die Bundesversammlung „die Angelegenheiten des Bundes" (Art. 4 DBA) und war das „beständig" zur Ausübung der Bundesgewalt berufene Organ „seines Willens und Handelns" (Art. 7 Abs. 5 Satz 1 DBA, 7 WSA). Obendrein war sie dazu befugt, „zur Aufrechterhaltung des wahren Sinnes der Bundes-Acte" im Zweifelsfalle selbst durch bundesgemäße Auslegung die richtige Anwendung der dortigen Verfassungsvorschriften zu gewährleisten (Art. 17 WSA). [88.] Obwohl sie sich nach Erledigung der ihr obliegenden Geschäfte auf bis zu vier Monate vertagen konnte, wurde der Geschäftsgang dadurch nicht unterbrochen; sie tagte praktisch in Permanenz^^^ und war berechtigt, ihre eigene Geschäftsordnung festzulegen (Art. 7 Abs. 5 Satz 2 DBA). Der Vorsitz stand dem österreichischen Gesandten zu (Art. 5 DBA). Dieser hatte für den Fall der Abwesenheit einen Stellvertreter zu benennen. ^^"^ Das war etwa in der Zeit zwischen Dezember 1835 und Mai 1836 der preußische Gesandte. Mit der Position als Präsidialmacht waren in erster Linie Geschäftsfuhrungsaufgaben verbunden, so daß der Vorsitzende jedenfalls die Vorschläge der einzehien Bundesmitglieder in einer „zu bestimmenden Zeitfrist der Berathung zu übergeben" hatte. Ihren Sitz hatte die Bundesversammlung in Frankfurt a. M. (Art. 9 DBA). Sie setzte sich aus den „Be120 121 122

(Dok. 67). Lehrbuch des allgemeinen deutschen Staatsrechts, 1831, S. 300. In diesem Sinne auch J. L. Klüber, Öffentliches Recht des Teutschen Bundes und der Bundesstaaten, 1840, S. 132. H. Seier, Der Bundestag und die deutsche Einheit 1816-1818. Bemerkungen zum Zeithintergrund des Wartburgfestes, in: Darstellungen und Quellen zur Geschichte der deutschen Einheitsbewegung im neunzehnten und zwanzigsten Jahrhundert, Bd. 14: 175 Jahre Wartburgfest 18. Oktober 1992. Studien zur politischen Bedeutung und zum Zeithintergrund der Wartburgfeier, hrsg. V. K. Malettke, 1992, S. 61 (68). Nr. 2 des Beschlusses vom 26. Juni 1817 (Protokolle der Bundesversammlung, 38. Sitzung vom 26. Juni 1817, §267).

§ 3: Der Deutsche Bund (1815-1866)

59

„Bevollmächtigten" (Gesandten) der einzelnen Mitgliedstaaten zusammen, welche ihre Stimmen nach den Instruktionen ihrer Regierungen zu fuhren hatten (Art. 8 WSA). Die Wohnung des Gesandten für sich, seine Familie und Dienerschaft galt als exterritorial; ebenso genossen er und seine Angehörigen Immunität. [89.] Die Bundesversammlung läßt sich insgesamt am Treffensten als ein ständiger Gesandtenkongreß mit Geschäftsordnungsautonomie charakterisieren,^^^ Anklänge an den alten Reichstag waren unverkennbar. Sie trat entweder als sogenannter „Engerer Rat" oder als Plenum zusammen. Im Regelfall tagte sie als Engerer Rat, der über die Bundesangelegenheiten beriet und zumeist auch entschied. Er bestand aus siebzehn stimmführenden Gesandten: Elf Bundesmitglieder (Österreich, Preußen, Bayern, Sachsen, Hannover, Württemberg, Baden, Kurhessen, Hessen-Darmstadt, Holstein, Luxemburg) besaßen Virilstimmen. Die übrigen sechs Stimmen waren als sogenannte Kuriatstimmen ausgestaltet, die sich mehrere Staaten teilen mußten. Hierbei handelte es sich bei der 12. Stimme um die von den großherzoglich- und herzoglich-sächsischen Häusern, bei der 13. Stimme um die von Braunschweig und Nassau, bei der 14. Stimme um die von MecklenburgSchwerin und Mecklenburg-Strelitz, die 15. Stimme teilten sich HolsteinOldenburg, Anhalt und Schwarzburg, die 16. Hohenzollem, Liechtenstein, Reuß, Schaumburg-Lippe, Lippe und Waldeck, während die 17. Stimme den freien Städten Lübeck, Frankfurt, Bremen und Hamburg zukam. Als einziges Bundesmitglied hatte Hessen-Homburg zunächst mehr als 20 Jahre kein Stimmrecht. Erst durch Bundesbeschluß vom 17. Mai 1838^^^ wurde es in die 16. Stimme eingegliedert, so daß es nunmehr gemeinsam mit den dort stimmberechtigten Klein- und Kieinststaaten diese Stimme ausübte. Jede Kuriatstimme wurde nur von einem Gesandten der betreffenden Bundesmitgheder geführt, welche sich in regelmäßigem Turnus abwechselten. Der verbindlichen Stimmabgabe für die Kurie im Außenverhältnis ging ein interner Entscheidungsprozeß voraus, der auf einer Mehrheitsentscheidung der die Gesandten instruierenden Regierungen beruhte. Bei Stimmengleichheit gab nach Inhalt der Kuriatverträge der stimmführende Staat den Ausschlag. [90.] Für bestimmte, ausdrücklich von der Bundesakte bezeichnete Bundesangelegenheiten war nicht der Engere Rat, sondern ausschließlich das Plenum zuständig (Art. 7 DBA, 12 Satz 1 WSA). Es fungierte als reines Abstimmungsgremium. In ihm hatte im Unterschied zum Engeren Rat jedes Bundesmitglied mindestens eine Stimme, die größeren Staaten besaßen sogar mehrere: Österreich, Preußen, Sachsen, Hannover und Württemberg je vier Stimmen; Baden, Kurhessen, Hessen-Darmstadt, Holstein und Luxemburg je drei Stimmen; Braunschweig, Mecklenburg-Schwerin und Nassau je zwei Stimmen. Insgesamt bestand das Plenum damit zunächst aus 69 Stimmen. Die Zahl schwankte später aber, reduzierte sich seit dem Erlöschen Sachsen-Gotha-Altenburgs (1825) auf 68, erhöhte sich mit dem Bundesbeschluß vom 17. Mai 1838^^'^ durch die Hinzunahme HessenHomburgs aber wieder auf 69 Stimmen. Im Jahre 1849 ging die Anzahl dann wegen des Aufgehens beider Hohenzollem in Preußen auf 67 und durch die VereiniE. R. Huber (Fußn. 12), S. 589. Dok. 65. Dok. 65.

60

1. Abschnitt: Gesamtdeutsche Verfassungsentwicklung (1803/06-1918)

gimg der drei anhaltischen Staaten erst zu zwei Staaten (1853) auf 66 und schließlich zu einem Herzogtum Anhalt (1863) bis zum Ende des Bundes auf 65 zurück. Ein Gesandter konnte auch im Plenum als Bevollmächtigter mehrerer Staaten auftreten, mußte aber die verschiedenen Stimmen einzeln abgeben, was aufgrund unterschiedlicher Instruktionserteilung auch ein gegensätzliches Abstimmungsverhalten ermöglichte. [91.] Damit waren die Großmächte jedenfalls majorisierbar. Ein Vetorecht stand ihnen bei Mehrheitsentscheidungen nicht zu. Nach der Stimmenverteilung im „Engeren Rat" wie im Plenum wies nichts auf ein Hegemonialsystem zugunsten Österreichs und Preußens hin. Auch diese beiden Mächte mußten sich um Mehrheiten bemühen. Diese Konstellation spiegelte aber nicht wirklich die faktisch gleichwohl bestehende Vorrangstellung der beiden deutschen Führungsstaaten wider. [92.] Der „Engere Rat" entschied regelmäßig mit absoluter Stimmenmehrheit (Art. 11 Satz 1 WSA), im Falle der Stimmengleichheit kam dem österreichischen Präsidialgesandten als Vorsitzenden entscheidende Bedeutung zu (Art. 7 Abs. 3 DBA). Eine Ausnahme galt in Religionsangelegenheiten und für Beschlüsse, die „jura singulomm" der Mitglieder beeinträchtigten (Art. 7 Abs. 4 DBA). Als jura singulorum verstand man diejenigen Konstellationen, in denen „die Bundesglieder nicht in ihrer vertragsmäßigen Einheit, sondern als einzehie, selbständige und unabhängige Staaten erscheinen" und betroffen waren (vgl. Art. 15 WSA). Über diese wie über besagte Religionsangelegenheiten konnte im „Engeren Rat" nur einstimmig ein wirksamer Beschluß herbeigeführt werden. Allerdings oblag es dem Siebzehnergremium, im Zweifelsfalle selbst darüber zu entscheiden, welche Angelegenheiten zu den Plenarsachen zählten (Art. 7 Abs. 1 DBA, 12 Satz 2 WSA). Damit kam dem „Engeren Rat" überdeutlich die Rolle als wegweisendes Gesetzgebungsorgan zu. [93.] Art. 6 DBA zählte die Gegenstände auf, die vor das Plenum gehörten: nämlich die „Abfassung und Abänderung von Grundgesetzen des Bundes", die „Beschlüsse, welche die Bundes-Acte selbst betreffen", die „organischen Bundeseinrichtungen" und die „gemeinützigen Anordnungen sonstiger Art". Art. 12 Satz 1 WSA ergänzte diese Aufzählung später noch um die Kriegserklärung und die „Friedens-Schluß-Bestätigung" durch den Bund sowie um „die Aufnahme neuer Mitglieder in den Bund". Als „Grundgesetze" hatten jene Bestimmungen zu gelten, welche die Grundordnung des Bundes festlegten. Gemäß der Definition, die eine Bundestagskommission auftragsgemäß im Jahre 1819 erarbeitete^^^, die aber niemals offiziell zum Bundesbeschluß erhoben wurde, waren als Gnmdgesetze „diejenigen vertragsmäßigen Bestimmungen zu betrachten, welche die Errichtung des Bundes, den Verein seiner Glieder die Festsetzung seines Zweckes, so wie der Rechte der Gesammtheit, der Theilnahme der einzelnen Bundesglieder an deren Ausübung, der Verpflichtung derselben gegen den Bund und der Verbindlichkeiten dieses gegen sie, endlich des Rechts, die Bundesangelegenheiten zu besorgen, betreffen". Hiermit war ungeachtet der fehlenden Rechtsverbindlichkeit dieser Definition wohl tatsächlich alles wesentliche umschrieben. „Beschlüsse, die Protokolle der Bundesversammlung, 27. Sitzung vom 29. Juli 1819, § 155.

§ 3: Der Deutsche Bund (1815-1866)

61

die Bundes-Acte betreffen", meinten nur solche, die die Auslegung oder die Fortbildung der Bundesakte (namentlich die „authentische Interpretation"), nicht aber deren Anwendung zum Gegenstand hatten. „Organische Bundeseinrichtungen" umschrieben die zur Handlungsfähigkeit des Bundes im Rahmen seiner Zweckerfüllung notwendigerweise gehörenden Institutionen. Hierzu gehörten etwa das Militärwesen, die Austrägal- und die Schiedsgerichtsbarkeit. Unter den „gemeinnützigen Anordnungen sonstiger Art" verstand man alle jenseits des in Art. 2 DBA bezeichneten Bundeszwecks liegenden Bundesbeschlüsse, mittels derer die allgemeine Wohlfahrt gefördert werden sollten. Für diese Materie waren eigentlich ausschließlich die einzelnen Mitgliedstaaten zuständig. Wenngleich Art. 6 DBA insoweit für den Bund aber immerhin die Möglichkeit schuf, über die Befassung mit und die Regelung von Sicherheitsfragen hinauszugehen, so wurde diese Option durch Art. 64 WSA schon bald völlig marginalisiert. [94.] Fand sich bei der Vorbereitung einer Plenarsache im „Engeren Rat" schon keine Mehrheit für einen dem Plenum zur Abstimmung zu unterbreitenden Beschluß, so blieb die Sache dem Plenum vorenthalten. Erreichte sie hingegen das Plenum, bedurfte es dort für einen rechtswirksamen Beschluß grundsätzlich einer Mehrheit von zwei Dritteln (Art. 7 Abs. 2 DBA, 12 Satz 4 WSA). Eine Ausnahme galt insoweit jedoch bei Annahme und Abänderung von Grundgesetzen und für Beschlüsse über organische Einrichtungen (Art. 7 Abs. 4 DBA). Hier bedurfte es zwingend der Einstimmigkeit. [95.] Das für den „Engeren Rat" oder das Plenum geltende Einstimmigkeitserfordemis kam einem Vetorecht gleich. Dieses war bei plenarpflichtigen Abstimmungen für jedes Mitglied ein absolutes; im „Engeren Rat" dagegen nur für diejenigen Mitglieder (1. - 11. Stimme), die eine Virilstimme führten. Die übrigen Staaten (12. - 17. Stimme) konnten im Rahmen der erforderlichen Abstimmung innerhalb ihrer Kurie von den anderen wegen der nur als Ganze durch das jeweils stimmführende Mitglied abgebbaren Stimme majorisiert werden. [96.] Um Plenarbeschlüsse handelte es sich etwa bei dem Beschluß vom 14. November 1816 (Annahme einer vorläufigen Geschäftsordnung)^2^, vom 7. Juli 1817 (Aufnahme Hessen-Homburgs in den Bund)^^°, vom S.Juni 1820 (Annahme der Wiener Schlußakte)^^^, vom 3. August 1820 (bezüghch der Einführung von Austrägalinstanz und Exekutionsordnung) ^^2, vom 5. Oktober 1820 (Übernahme der Bundesfestungen Mainz, Luxemburg, Landau), vom 9. April 1821 (Annahme der Kriegsverfassung des Deutschen Bundes)^^^ vom 30. Oktober 1834 (Annahme einer Bundesschiedsgerichtsverfassung)^^"^.

129 130 131 132 133 134

Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.

Dok. 32. Dok. 31/4. Dok. 43. Dok. 44. Dok. 45. Dok. 57.

62

1. Abschnitt: Gesamtdeutsche Verfassungsentwicklung (1803/06-1918)

2. Das Verfahren in der Bundesversammlung [97.] Über die geschäftliche Verfahrensweise in der Bundesversammlung bestimmte die Bundesakte nichts. Wie bereits erwähnt, stand der Bundesversammlung das Recht zu, sich eine eigene Geschäftsordnung zu geben. Nach ihrer verspäteten Eröffnung einigte sich dort alsbald auf den Erlaß einer „ Vorläufigen Geschäftsordnung''^^^ und nahm sie am 14. November 1816^^^ förmlich an.^^'^ Diese Geschäftsordnung zeichnete sich durch ein Höchstmaß an Elastizität aus und erlaubte in nahezu allen Verfahrensstadien einen bemerkenswerten Grad der Flexibilität, indem sie den jederzeitigen Übergang von förmlichen zu vertraulichen Sitzungen und umgekehrt ermöglichte, informelle Vorabsprachen protokollarisch unerwähnt ließ sowie keine die Mitglieder sofort bindenden Stimmabgaben forderte und sogar unverbindliche Probeabstimmungen gestattete (I. 4 - 6 , 16). Vor Instruktionseinholung konnte so regelmäßig schon ein weit gediehener Willensbildungsprozeß vorbereitet werden. Diese Verfahrensgestaltung verzögerte zwar mitunter anstehende Entscheidungen, ermöglichte aber zumeist konsensuale Lösungen. Femer brauchte die Tagesordnung nur in Sonderfällen förmlich mitgeteilt zu werden und blieb durch Abstimmung bei Sitzungsbeginn jederzeit abänderbar (I. 9, III. 3). Das durch die Bundesakte statuierte Mehrheitsprinzip bei Abstimmungen wurde präzisiert, überdies die Überstimmbarkeit der Großmächte bekräftigt, indem man Vetorechte zu formulieren vermied. Stimmenthaltungen wirkten sich mehrheitsstärkend aus (I. 14). Den Gesandten der Kleinststaaten billigte man insofern ein Sonderrecht zu, als die turnusmäßig nicht stimmführenden, aber anwesenden Gesandten zumindest die Sitzungsteilnahme zugesprochen bekamen (I. 20). Allen Gesandten stand zudem ein jederzeitiges Antragsrecht zu (IL 5). Femer konnte durch den Vorsitzenden die Wiederholung einer Abstimmung bei zweifelhaftem Ausgang anberaumt werden (III. 7 lit. b). Schließlich hatten die Gesandtschaften das Recht auf nachträgliche Änderung ihres Abstimmungsverhaltens (III. 7 lit. c). Eine augenfällige „machtrelevante" Dominanz einzelner Mächte ergab sich aus dieser Geschäftsordnung jedenfalls nicht. Die in der Bundesversammlung beschlossenen Gesetze banden nur die Mitgliedstaaten. Sollten auch deren Staatsbürger verpflichtet werden, bedurfte es zwar keiner gesonderten Transformation in das Landesrecht, doch einer entsprechenden Publikation der Bundesbeschlüsse. [98.] Zu einer definitiven Geschäftsordnung kam es indes bis zur vorerst letzten Sitzung der Bundesversammlung, am 12. Juli 1848, nicht mehr. Auch nach der offiziellen Wiedereröffnung der Bundesversammlung am 2. September 1850^^^ galt die provisorische Geschäftsordnung zunächst fort. Durch Bundesbeschluß vom 16. August 1851 wurden Regelungen über die Beschleunigung des Geschäftsganges eingefügt.^^^ Später trat dann an die Stelle der derart modifizierten „provisori^^^ Protokolle der Bundesversammlung, 1. Sitzung vom 5. November 1816. - Vgl. zur Geschäftsordnung auch H. Seier (Fußn. 122), S. 82 ff. ^^^ Protokolle der Bundesversammlung, 3. Plenarsitzung vom 14. November 1816, § 12. 13^ Dok.32. ^^^ Protokolle der Bundesversammlung, 1. Sitzung vom 2. September 1850. 13^ Dok.32/1.

3: Der Deutsche Bund (1815 - 1866)

63

sehen" Gesehäftsordnung die detailliert ausgeformte Geschäftsordnung vom 16. Juni 1854^"^^. Sie bestand aus einer Sitzungsordnung (§§ 1-17), regelte den Umgang mit den Verhandlungs- und Beratungsgegenständen (§§ 18 - 25), behandelte den Geschäftsgang (§§26-30), betraf die Protokollführung, die Kanzlei und das Archiv (§§31-35) sowie die Vertagung der Bundesversammlung (§§36-42). IX. Aufgabenwahrnehmung durch den Bund [99.] Die kompetenziell vom Deutschen Bund zu übernehmenden Aufgaben lassen sich im Hinblick auf die Art. 2 DBA, 3 WSA allgemein als solche der Sicherung nach innen und außen umschreiben. Ihre Wahrnehmung hatte gemäß der genannten Vorschriften nach den von Bundesakte und Wiener Schlußakte dafür vorgesehenen Prinzipien, Instrumenten und Institutionen zu erfolgen. Modifikationen dieser Maßgaben bedurften als „Abänderung der Grundgesetze" jedenfalls der Zustimmung aller Mitgliedstaaten (Art. 7 Abs. 4 DBA); waren aber nur in den von den Art. 4 und 5 WSA aufgezeigten engen Grenzen möglich. 1. Innere Sicherheit [100.] Im Rahmen der Erhaltung der inneren Sicherheit hatte der Bund auf drei verschiedenen Ebenen zu agieren: Erstens galt es Streitigkeiten zwischen den Mitgliedstaaten zu verhindern oder beizulegen (a.). Zweitens mußte ein Ausgleich bei Konflikten in den einzelnen Mitgliedstaaten erreicht werden (b.). Drittens hatte der Bund für den Schutz des eigenen Bestands vor bundesfeindlichen Bestrebungen zu sorgen (c). Bei jeder dieser Konstellationen kamen bundesseitige unmittelbare Einwirkungen auf die innere Ordnung der Mitgliedstaaten nur in Betracht, wenn dies durch den Bundeszweck gedeckt oder durch eine besondere bundesrechtliche Bestimmung zulässig war. Schließlich galt für die Mitgliedstaaten die Pflicht zur Bundestreue. Denn sie durften keine Bündnisse schließen, die sich gegen die Sicherheit des Bundes oder einzelner Mitgliedstaaten richteten (d.). a. Ausräumung von Streitigkeiten zwischen den Mitgliedstaaten [101.] Dem Bund kam primär die Aufgabe zu, Streitigkeiten zwischen seinen Mitgliedern zu verhindern oder beizulegen. Hierbei ging es im zuvörderst darum, gewaltsame Auseinandersetzungen und Selbsthilfeaktionen auszuschließen. Auftretende Konflikte sollten auf friedlichem Wege, gegebenenfalls unter Hinzuziehung des Bundes und seiner Institutionen als Streitschlichter, beigelegt werden. Dementsprechend verbot Art. 11 Abs. 4 Satz 1 DBA den Krieg untereinander wie überhaupt jede Gewaltanwendung zwischen den Mitgliedstaaten. In diesem Gewaltverbot fand das seit dem Wormser Reichstag von 1495 für die Reichsstände im „Ewigen Landfrieden" von Reichs wegen geltende absolute Fehdeverbot seine Dok. 80.

64

1. Abschnitt: Gesamtdeutsche Verfassungsentwicklung (1803/06-1918)

Fortsetzung. Es bestand dementsprechend für alle Bundesmitglieder eine Pflicht, den innerbündischen Frieden zu respektieren. Dem Bund oblag es, ihn zu wahren (vgl. Art. 18 WSA). Verletzungen dieses Friedens mußten daher durch geeignete Maßnahmen vermieden werden. [102.] Vermochten Bundesmitglieder ihre Streitigkeiten untereinander nicht selbst unter Verzicht auf Gewaltanwendung einvemehmlich beizulegen, so hatten sie diese nach Art. 11 Abs. 4 Satz 1 DBA „bey der Bundesversammlung anzubringen". Bei diesen Streitigkeiten konnte es der Sache nach um alle möglichen Konflikte zwischen den Mitgliedstaaten gehen. Dies umfaßte auch Streitigkeiten zwischen Bundesgliedem, die nur ihren bundesfremden Besitzstand betrafen. ^"^^ Denn es lag in der Natur der Sache, daß daraus sich entwickelnde Konflikte schwerlich ohne eine Störung des inneren Friedens vonstatten gingen. [103.] Art. 11 Abs. 4 Satz 2 DBA und die Bundesvermittlungs- und Austrägalgerichts-Ordnung („Austrägalordnung") vom 16. Juni 1817^^^ sowie die Art. 20 24 WSA und die sie ergänzende Definitive Bundesexekutionsordnung vom 3. August 1820^^^ umschrieben dann den weiteren Ablauf des Verfahrens: Ein von der Bundesversammlung gebildeter Ausschuß sollte zunächst die Vermittlung versuchen und sich bemühen, einen Vergleich zustande zu bringen; gelang dies, war hierüber eine Vergleichsurkunde anzufertigen. Der Vergleich wurde anschließend vom Bund garantiert, die Angelegenheit war damit rechtskräftig erledigt (§ 2 der Austrägal-Ordnung). Widrigenfalls konnte aus der Vergleichsurkunde mittels Bundesexekution vollstreckt werden (Art. 1 der Exekutionsordnung). Sofern die Vermittlung indes fehlschlug, kam die Angelegenheit vor eine „wohlgeordnete AusträgaP'*'^ Instanz . . . , deren Ausspruch die streitenden Theile sich sofort zu unterwerfen haben" (Art. 11 Abs. 4 Satz 2 DBA). Bei diesem Spruchkörper handelte es sich um ein drittinstanzliches Obergericht (also um den obersten Gerichtshof) eines unbeteiligten Einzelstaates, welches nur aus gegebenen Anlaß ausschließlich für den jeweils zu lösenden Konflikt, nach einem aufwendigen Verfahren bestellt werden mußte (Art. 3 Abs. 2 Nrn. 1 - 4 der Austrägalordnung). Da nach Art. 12 DBA alle Mitgliedstaaten ein eigenes oder gemeinschaftliches Gericht dritter Instanz einzurichten hatten, bestanden hinsichtlich des jeweils zu bestimmenden Gerichts stattliche Auswahlmöglichkeiten. Der auserkorene Gerichtshof entschied nach dem jeweils für ihn auch in anderen Sachen geltenden Prozeßrecht (Art. 3 Abs. 2 Nr. 6 der Austrägalordnung). Materiell-rechtlich hatte sich die Entscheidung, sofern es in dem betreffenden Fall keine heranziehbaren speziellen Rechtsquellen gab, „nach den in Deutschland hergebrachten gemeinen Rechten" zu richten (Art. 3 Abs. 2 Nr. 7 der Austrägalordnung). Ergänzend wurde insoweit auf die Anwendbarkeit von in vergleichbaren Fällen „vormals von den Reichsgerichten subsidiarisch befolgten Rechtsquellen" verwiesen (Art. 4 der Austrägalordnung). Das Gericht faßte seine Entscheidung allerdings „im Namen" der Bundesversammlung (Art. 5 der Austrägalordnung). Die gegebenenfalls erforderliche Voll^41 142 143 144

Unzutreffend E, R. Huber (Fußn. 12), S. 626. Dok.35. Dok.44. Leitet sich vom „Austragen" eines Rechtsstreits vor einem Schiedsrichter/Schlichter ab.

' 3: Der Deutsche Bund ( 1 8 1 5 - 1 8 6 6 )

65

Streckung der Austrägalentscheidung war indes wieder alleinige Angelegenheit der Bundesversammlung (Art. 9 der Austrägalordnung). [104.] Insgesamt kam es zwischen 1815 und 1866 in 32 Fällen an zehn verschiedenen Gerichtshöfen (Oberappellationsgerichte Celle [12], Lübeck [6], Jena [5], Darmstadt [1], Dresden [1], München [1], Oberhofgericht Mannheim [3], Obertribunale Berlin [1], Stuttgart [1], Oberste Justizstelle Wien [1]) zu Austrägalverfahren.^"^^ Diese Verfahren währten im Durchschnitt sechseinhalb Jahre, die längsten zogen sich sogar sechzehn Jahre hin. Die lange Dauer hatte ihre Ursache wohl nicht zuletzt in den überwiegend komplizierten Sachverhalten; wenngleich manche Gerichte - allen voran das eindeutig die Hauptlast der Verfahren tragende Oberappellationsgericht Celle - sich im Vergleich zu anderen auffällig lange Zeit ließen. Nur einmal wurde die von Art. 3 Abs. 2 Nr. 8 der Austrägalordnung vorgeschriebene Jahresfrist, binnen derer das gerichtliche Erkenntnis vorliegen sollte, tatsächlich eingehalten. Die Streitgegenstände in den durchgeführten Austrägalverfahren betrafen Pensionsangelegenheiten, Stiftungssachen, Zollstreitigkeiten, Grenzkonflikte, Sukzessionskonflikte im Zusammenhang mit den 1815 aufgelösten Rheinbundstaaten, Eigentums-, Besitz-, Vertrags-, Wittums-, Erbschafts- und Kondominatsstreitigkeiten zwischen fürstlichen Häusern. [105.] Institutionell war das Austrägalverfahren ein Streitschlichtungsmechanismus, wie ihn nur ein streng föderal strukturierter, von seinen Mitgliedern bewußt überspärlich mit eigenen handlungsfähigen Einrichtungen ausgestatteter Deutscher Bund hervorbringen konnte: Halb politisch, halb justiziell einerseits, halb Bund, halb Länder andererseits. Zwei völlig unterschiedliche Schlichtungsebenen - hier Bundesversammlung, dort die drittinstanzlichen Gerichte der Mitgliedstaaten - waren eingebunden in einen zweistufigen, äußerst komplex ausgestalteten Verfahrensgang. Der sich hierin widerspiegelnde Kompromiß war offenbar der allerkleinste gemeinsame Nenner, den der Bund und seine Mitglieder finden konnten. Das bereits bei den Verhandlungen über das Zustandekommen der Bundesakte gegen den Widerstand Bayerns nicht durchsetzbare Bundesgericht wäre sicherlich die effektivste Lösung gewesen; doch wie sollte man sich später im Kreise der Bundesgenossen noch auf ein solches einigen, wenn es nicht einmal gelang, von vornherein nur einen bestimmten obersten Landesgerichtshof in Austrägalangelegenheiten für zuständig zu erklären? b. Beilegung von Konflikten in den Mitgliedstaaten [106.] Überdies umfaßte die dem Bund obhegende Aufgabe zur Wahrung des inneren Friedens die Verhinderung von Konflikten innerhalb der einzelnen Mitgliedstaaten. Dies konnte zunächst Fälle betreffen, in denen sich Landesobrigkeit (Regierung) und Landstände bzw. (in den Freien Städten) Senat und Bürgerschaft um die richtige Ausübung von Landesverfassungsrecht stritten. Zudem galt es auf der Ebene des Verhältnisses zwischen der Landesobrigkeit und ihren Untertanen, das monarchische bzw. (in den Freien Städten) patrizische System vor Aufruhr, ^^^ Näher dazu G. Frühauf, Die Austrägalgerichtsbarkeit im Deutschen Bund und im Deutschen Reich, Diss. jur. Hamburg 1976, S. 76 ff.

66

1. Abschnitt: Gesamtdeutsche Verfassungsentwicklung (1803/06-1918)

Revolution und Umsturz zu bewahren. Schließlich gehörte hierher auch der Schutz der dem Volke zugesicherten Rechte vor fürstlicher Willkür. aa. Mitgliedstaatliche Verfassungsstreitigkeiten [107.] Grundsätzlich waren im Deutschen Bund die auf der Ebene der Mitgliedstaaten ausbrechenden Verfassungsstreitigkeiten wegen der jedem einzelnen Staat zustehenden Verfassungsautonomie nach Maßgabe des jeweils geltenden Landesverfassungsrechts auszutragen und beizulegen. Dies schloß selbstverständlich die Streitigkeiten zwischen der Landesobrigkeit und den an der Ausübung von Staatsgewalt als Vertretungskörperschaft mitwirkenden Landstände ein. Daher war es auch nur konsequent, wenn Art. 61 WSA dem Bund zunächst prinzipiell das Recht versagte, sich in die Verfassungsangelegenheiten seiner Mitglieder einzumischen. Nur wenn der Bund auf Nachsuchen des Gliedstaates die Garantie für die Landesverfassung übernommen hatte und die am Streit beteiligten ausdrücklich um bündisches Einschreiten baten, sollte dem Bund insoweit die rechtsverbindliche Entscheidungsmacht zufallen (Art. 60 WSA). Diese konnte dann gegen eine unbotmäßige Landesregierung mittels Bundesexekution und gegen unbotmäßige Landstände durch Bundesintervention durchgesetzt werden. [108.] Diese weitgehende Verfassungsautonomie der Mitgliedstaaten ließ auch der ein Bundesschiedsgericht einführende Bundesbeschluß vom 30. Oktober 1834^^^ unberührt. Hierdurch sollte der Bund zwar für Verfassungsstreitigkeiten innerhalb der Mitgliedstaaten zwischen dem Landesherm und den Landständen bzw. (in den Freien Städten) dem Senat und der Bürgerschaft zuständig sein. Doch war die Einführung wie auch die Anrufung der damit begründeten Schiedsgerichtsbarkeit fiir die Einzelstaaten ledigHch fakultativ, so daß das Bundesschiedsgericht nur in Funktion treten konnte, wenn Landesgesetze seine Zuständigkeit einführten oder die Streitbeteiligten im konkreten Fall seine Zuständigkeit vereinbarten; ersteres geschah nur in den Kleinstaaten Schwarzburg-Sondershausen (§ 209 Schwarzb.-Sondersh. Verf. 1841) und Reuß j . L. (§ 117 Reuß. Verf. 1852) sowie in Oldenburg^"^^ (Art. 210 § 2 Oldenb. Verf. 1852), letzteres indes überhaupt nicht, so daß dem Gericht in praxi keine Bedeutung zukam. [109.] Andere, zumindest praktisch bedeutsamere oder sogar mit Blick auf die heutigen verfassungsstaatlichen Verhältnisse in Deutschland weitaus zukunftsträchtigere Konfliktlösungsvarianten zeichneten sich indes parallel zu dem nur schwach ausgestalteten Bundesinstrumentarium auf der Ebene der Mitgliedstaaten ab. Hier ging es unter der Rubrik „Gewähr der Verfassung"^"^^ um im wesentlichen drei verschiedene Instrumente: Verfassungsklage, Ministeranklage und Verfassungsbeschwerde. Die Verfassungsklage beinhaltete das Recht der Landstände, ^^^ Dok.57. 147 Hier sollte das Bundesschiedsgericht allerdings nur die Funktion einer dem Landesschiedsgericht übergeordneten Instanz haben. Vgl etwa: 6. Abschnitt Sachs.-Weimar-Eisen. Verf 1816, Titel VI Sachs.-Hildburgh. Verf 1818, Titel X Bay. Verf. 1818, Titel X Hess.-Darmst. Verf. 1820, 7. Abschnitt Sachs.-Meining. Verf. 1824, VIII. der Sachs. Verf. 1831, Titel XII Hohenz.-Sigmar. Verf. 1833, 8. Kapitel Hann. Verf. 1840, 16. Kapitel Schwarzb.-Sondersh. Verf 1841, 11. Abschnitt Oldenb. Verf. 1852.

§ 3: Der Deutsche Bund ( 1 8 1 5 - 1 8 6 6 )

67

bei Zweifeln oder Streitigkeiten über die Bedeutung einzelner Verfassungsnormen zum Zwecke einer definitiven Entscheidung eine „Compromiß-Behörde"^"^^, ein Schiedsgericht^^^, ein „Kompromißgericht"^^^, den Staatsgerichtshof ^^ oder das eigene Oberappellationsgericht^^^ anzurufen. Lediglich § 120 Kurhess. Verf. 1852 sah die Verfassungsklage an die Bundesversammlung vor.^^"^ In diesem vereinzelt sogar bis in die Frühzeit des Deutschen Bundes zurückreichenden Rechtsinstitut dürfen wir den eigentlichen Vorläufer unserer modernen Verfassungsgerichtsbarkeit sehen. [110.] Demgegenüber erlaubte die vereinzelt vorgesehene Verfassungsbeschwerde es den Landständen nur, sich beschwerdeführend an den Landesherm zu wenden, der die strittige Verfassungsfrage entweder selbst entschied oder durch sein Ministerium oder das oberste Gericht des Landes entscheiden ließ;^^^ in Hannover^^^ - nicht zuletzt unter dem Eindruck des 1840 zunächst beendeten Verfassungskonflikts - „nöthigenfalls bei der deutschen Bundes-Versammlung". Dort eskalierte der seit Beginn der 1850er Jahre um § 33 des Verfassungsgesetzes vom 5. September 1848 und dem ausführenden Gesetz vom 1. August 1851 zwischen Regierung und den hannoverschen Provinzialständen schwelende Verfassungskonflikt derart, daß - nachdem sich zuvor bereits die Provinzialstände beschwerdeführend mehrfach an die Bundesversammlung gewandt hatten - auch die Regierung sich am 16. November 1854 veranlaßt sah, von der Bundesversammlung eine definitive Entscheidung in der Sache zu erbitten;^^^ welche dann schließlich durch Bundesbeschluß vom 12. April 1855 zugunsten der Provinzialstände erging.^^^ [111.] Die Ministeranklage schheßlich berechtigte die Stände, einen im Verdacht der Verfassungsverletzung stehenden Minister vor dem höchsten ordentlichen oder einem besonderen Staatsgerichtshof anzuklagen, um rechtsverbindlich die Amtsenthebung und/oder Bestrafring zu erwirken.^^^ Wurde die Vollziehung des Erkenntnisses verweigert, konnten sich die Landstände Sachsen-Weimar^

Staatsgesetz beider Mecklenburg, betr. Landesverfassungsstreitigkeiten (Mecklenburgische „Patent-Verordnung") vom 28. November 1817. ^^^ § 57 Sachs.-Hildburgh. Verf. 1818 („Schiedsrichterliche Entscheidung"), Art. 209 Oldenb. Verf. 1852. 1^1 §§ 154 Kurhess. Verf. 1831, 231 Braunschw. LandschO 1832, 191 Hohenz.-Sigmar. Verf. 1833 („Kompromiß-Gericht" oder deutsche Juristenfakultät). 152 § 153 Sachs. Verf. 1831. 153 §§ 89 Lübeck. Verf. 1851, 24 Frankf. Organisations-Ges. 1855. 154 Nr. XII der Mecklenburgischen Patent-VO (1817) erlaubte den Landständen bei Nichtbefolgung des schiedsrichterlichen Ausspruchs durch eine Seite, „Recurs an den Bundestag" zu nehmen. 155 Tit. X § 5 Bay. Verf 1818, § 140 Sachs. Verf. 1831. 156 § 181 Abs. 1 Kann. Verf. 1840. 15^ Protokolle der Bundesversammlung, 33. Sitzung vom 16. November 1854, § 331. 158 A. a. O., 12. Sitzung v o m 12. April 1855, § 142. 159 §§ 115 Sachs.-Weimar-Eisen. Verf. 1816, 67 Abs. 1 Bad. Verf. 1818, 199 Württ. Verf. 1819, 109 Abs. 2 Hess.-Darmst. Verf. 1820, 141 - 152 Sachs. Verf. 1831, 1 9 2 - 1 9 4 Hohenz.-Sigmar. Verf. 1833, 151 - 152 Kann. Verf. 1833, 210 i.V.m. 159 - 163 Schwarzb.-Sondersh. Verf. 1841 (Anklage gegen Mitglieder des Geheimratskollegiums), Art. 120 Luxemb. Verf. 1848, 200 - 207 Oldenb. Verf. 1852, §§ 59 Preuß. Verf 1850 (allerdings blieb das erforderliche Ausfuhrungsgesetz aus), 5 0 - 5 7 Sachs.-Weimar.-Eisen. Verf. 1850, 78 Kurhess. Verf. 1852, 1 6 8 - 1 7 6 Sachs.-CoburgGotha. Verf. 1852, 107 - 115 Reuß. Verf 1852, 66 Waldeck. Verf. 1852.

68

1. Abschnitt: Gesamtdeutsche Verfassungsentwicklung (1803/06-1918)

Eisenachs dagegen auch an den Deutschen Bund wenden (§ 129 Sachs.-WeimarEisen. Verf. 1816). [112.] Ungeachtet der rechtstatsächlich eher schwächlichen Rolle des Bundes als „Bewältiger" von Verfassungskonflikten mußte diesem schon um der ihm obliegenden Wahrung des BundesMedens willen das Recht zustehen, für auftretende Streitigkeiten zwischen der Landesobrigkeit und den an der Ausübung von Staatsgewalt mitwirkenden Vertretungskörperschaften durch die Schaffung geeigneter (d. h. zwingend wahrzunehmender) Streitbeilegungsmechanismen vorzugeben. Das hatte - wenngleich der Bund davon niemals Gebrauch machte -jedenfalls insoweit zu gelten, wie die einzelstaatlichen Verfassungen kein eigenes formalisiertes Streitverfahren vorsahen. Da dies aber nach wie vor die Mehrzahl blieb, wurde der Bund hier seiner den Verfassungsfrieden in den Einzelstaaten gewährleistenden Verantwortung nicht gerecht. bb. Konflikte zwischen Landesobrigl<eit und Untertanen [113.] Die Aufgaben des Bundes zur Wahrung des inneren Friedens bezogen sich aber auch auf das mitunter spannungsgeladene Verhältnis zwischen der einzelstaatlichen Obrigkeit und ihren Untertanen. Hier ging es bundesseitig in erster Linie um die Gewährleistung der jeweils in den Mitgliedstaaten geltenden monarchischen bzw. (in den Freien Städten) patrizischen Verfassungszustände. In diesem Rahmen konnte es sowohl darauf ankommen, dem jeweiligen monarchischen bzw. (in den Freien Städten) patrizischen Regime die von Verfassungs wegen angestammten Rechte vor Verletzungen durch die Untertanen zu bewahren, als auch umgekehrt darauf, den Untertanen den Schutz der ihnen landesverfassungsmäßig zustehenden Rechte vor obrigkeitlicher Willkür angedeihen zu lassen. Doch galt dies ledigHch für die Verfassungsangelegenheiten der Freien Stadt Frankfurt uneingeschränkt. Dort wies nämlich bereits der auch später aufrechterhaltene Art. 46 der Wiener Kongreßakte der Bundesversammlung bei Streitigkeiten das Entscheidungsrecht über die Errichtung und Anwendung der städtischen Verfassung zu (vgl. auch Art. 61 Satz 2 WSA). Selbst in den Fällen, in denen der Bund nach Art. 60 WSA auf Antrag des jeweiligen Mitglieds für dessen landständische Verfassung ausdrücklich die Garantie übernommen hatte, durfte die Befassung mit innerstaatlichen Verfassungsstreitigkeiten nur „auf Anrufen der Betheiligten" stattfinden. Eine unterbleibende Anrufting stellte für den Bund daher ein Befassungshindemis dar. [114.] In allen sonstigen Fällen reduzierten sich die Möglichkeiten des Bundes zum Einschreiten wegen Art. 61 Satz 1 WSA sogar allein auf solche Konflikte, die den in Art. 26 WSA „bezeichneten Charakter" annahmen, also eine Bundesintervention rechtfertigten. Das bedeutete, es mußte in dem betreffenden Mitgliedstaat „durch Widersetzlichkeit der Unterthanen gegen die Obrigkeit die innere Ruhe urmiittelbar gefährdet und (deshalb entweder [sc.]) eine Verbreitung aufrührerischer Bewegungen zu fürchten oder ein wirklicher Aufruhr zum Ausbruch gekommen" sein. Hier ging es dann einseitig um Hilfeleistungen zugunsten der jeweils betroffenen Regierung, die entgegen Art. 25 Abs. 1 WSA nicht mehr selbst zur „Aufrechterhaltung der iimem Ruhe und Ordnung" in der Lage war. Formelle

§ 3: Der Deutsche Bund (1815-1866)

69

Voraussetzung blieb aber auch dann grundsätzlich, daß die Regierung ein Hilfeersuchen an den Bund richtete; nur wenn die einzelstaatliche Regierung „notorisch außer Stand" war, dem Aufruhr mit eigenen Kräften wirksam zu begegnen, bedurfte es des Hilfeersuchens nicht (Art. 26 WSA). Ein Tätigwerden des Bundes kam auch in Betracht, wenn die öffentliche Ruhe und gesetzliche Ordnung gleich in mehreren Mitgliedstaaten „durch gefahrliche Verbindungen und Anschläge bedroht" war (Art. 28 WSA). Allerdings mußte zuvor Rücksprache mit den bedrohten Regienmgen genommen werden. [115.] Bei dem Schutz der Untertanen ging es um die Nichtbeachtung der von den Mitgliedstaaten aufgrund der Bundesverfassung zu gewährenden (Grund-) Rechte durch die Landesobrigkeit. Zu diesen in Landesrecht umzusetzenden und dann zugunsten des Untertanen anzuwendenden Rechten zählten die Religionsfreiheit (Art. 16 DBA) sowie der Erwerb von Grundeigentum in allen Mitgliedstaaten, die Auswanderungsfreiheit, der Eintritt in Zivil- und Militärdienste eines anderen Mitgliedstaates und die Freiheit von Nachsteuer (Art. 18 DBA). Ebenfalls in diesen Kontext gehörte die Nichtgewährung und Nichteinhaltung der den Mediatisierten auf der Grundlage von Art. 14 DBA landesrechtlich zu gewährenden Zusicherungen. Des weiteren hatte der Bund aktiv zu werden, wenn dem Untertan der nach Landesrecht vorgesehene Rechtsweg rechtswidrigerweise verweigert oder abgekürzt wurde und auf andere Weise keine Abhilfe zu erlangen war; dann sollte zugunsten des Beschwerten bundesseitig in geeigneter Weise auf die betreffende Landesregierung eingewirkt werden (Art. 29 WSA). In letzter Konsequenz war zugunsten der betroffenen Untertanen gegen die landesherrliche Regierung zur „Vollziehung der Bundes-Acte und der übrigen Grundgesetze des Bundes" die Bundesexekution möglich (Art. 31 WSA). c. Schutz des Bundesbestandes [116.] Der Bund sollte nach der ohnehin restaurativen politischen Grundhaltung Mettemichs und derjenigen der Regierungsverantwortlichen in den meisten deutschen Einzelstaaten überdies zur strikten Aufrechterhaltung der von ihm repräsentierten, in ihren Grundzügen unabänderlichen Rechtsordnimg und damit zur Sicherung des eigenen Bestandes gegenüber den Mitgliedstaaten und deren Untertanen verpflichtet sein. Dadurch geriet er bereits frühzeitig in den Gegensatz zu den nationalen, liberalen und demokratischen Strömungen und Bewegungen, deren Forderungen er als das zum eigentlichen Bollwerk der Restauration auserkorene Instrument schon von (Verfassungs-) Rechts wegen nicht einmal ansatzweise nachgeben durfte, geschweige erfüllen konnte. Die Enttäuschung über die nach den napoleonischen Befreiungskriegen ersehnte, von den deutschen Fürsten des öfteren selbst verhießene, auf dem Wiener Kongreß aber nicht zustandegekommene nationale Einheit ließ zwar schnell die ursprünglich allgemeine vaterländische Begeisterung in der Beschaulichkeit biedermeierlicher Alltäglichkeit untergehen. Doch begannen sich die Reste der nationalen und demokratischen Bewegung, in Bünden und Vereinen zu organisieren oder sie formierten sich zu studentischen Burschenschaften. Universitäten und das Pressewesen wurden zu weiteren Horten vaterländischer und freiheitlicher Gesinnung. Namentlich die Burschenschaften

70

1. Abschnitt: Gesamtdeutsche Verfassungsentwicklung (1803/06-1918)

artikulierten zunächst ihre Forderungen publizitätsträchtig auf Versammlungen und öffentlichen Großveranstaltungen, die - sehr zum Leidwesen Mettemichs und der zu dieser Zeit an einem Strang ziehenden preußischen Regierung - in den Kleinstaaten oftmals zumindest geduldet wurden. Hervorzuheben ist insoweit das im Jahre 1817 unter den Augen des dagegen nicht einschreitenden sachsenweimarischen Großherzogs Carl August stattfindende Treffen auf der Wartburg. So verwunderte es nicht wirklich, daß der das postnapoleonisch restaurierte monarchische System verkörpernde Bund beinahe von Beginn seiner Existenz an zur Bekämpfung ihm feindlicher „demagogischer Umtriebe" in den Mitgliedstaaten instrumentalisiert wurde und hierin lange Zeit sein Hauptbetätigungsfeld hatte. aa. Die Bundesausnahmegesetzgebung zwischen 1819 und 1830 [117.] In das Fadenkreuz bundespolitischer Aktivitäten gerieten zuerst die auf akademische Freiheit begründeten deutschen Universitäten, welche Mettemich als die eigentlichen geistigen Unruheherde identifizierte. Um mit ihnen die europäischen Mächte auf dem Aachener Kongreß vom September/Oktober 1818 befassen zu können, stellte er die Universitäten sogar als geistigen Mittelpunkt einer allgemeinen europäischen Verschwörung hin. Ähnliches konstatierte dann auch der in Aachen berichterstattende russische Staatsrat Stourdza in seinem vorgelegten Geheimmemorandum: An den Universitäten Deutschlands würde eine auf den nationaldemokratischen Einheitsstaat zielende Revolution vorbereitet. Er regte daher die Abschaffung der akademischen Freiheiten an. Zwar waren mit Ausnahme der österreichischen die übrigen in Aachen beteiligten deutschen Regierungen - namentlich Preußen - dazu (noch) nicht bereit. Doch bildete diese Empfehlung dann das argumentative Rüstzeug für das nur ein Jahr später mit den Karlsbader Beschlüssen auf den Weg gebrachte Universitätsgesetz^^^. Als weitere Zentren antibündischer Gesinnung machte man das überhandnehmende Vereinswesen sowie die vielerorts mit den unbotmäßigen nationalen und freiheitlichen Gedanken und Forderungen offen sympatisierende Presse aus, welche aufgrund ihrer Breitenwirkung am ehesten geeignet erschien, politische Unruhe in eine sich zunehmend verbürgerlichende Gesellschaft zu transportieren. [118.] Gleichwohl bedurfte es wegen der zunächst unter den Mitgliedstaaten noch bestehenden Differenzen darüber, ob man den Bund zu einem aktiven Einschreiten zur Unterbindung bundesfeindlicher Bestrebungen ermächtigen sollte, weiterer vaterländisch-demokratischer „Auswüchse". Deren Höhepunkt und zugleich nicht unwillkommener äußerer Anlaß bildete die Ermordung des in national gesinnten Kreisen als deutsche Interessen an Rußland verratenden Spion verhaßten, seit 1807 als Staatsrat in russischen Diensten stehenden Schriftstellers Kotzebue durch den Studenten Sand am 23. März 1819. Mettemich sah hierin „wahres Übel noch einiges Gute erzeugen". Er wollte „der Sache die beste Folge . .. ge-

Dok. 39.

• 3: Der Deutsche Bund (1815 -- 1866)

71

ben, die möglichste Partie aus ihr ziehen, und in dieser Sorge . . . nicht lau vorgehen". ^^^ - Und dies tat er dann auch! [119.] Alles lief auf einen Überraschungscoup hinaus. Der österreichische Staatskanzler gedachte, fiir den Deutschen Bund ein Bündel von repressiven Sicherheitsmaßnahmen zu schnüren, ihn gemäß seiner in Art. 2 DBA umschriebenen Zwecksetzung machtvoll „zur Erhaltung der inneren Sicherheit Deutschlands" zu instrumentalisieren. Mit diesem Vorhaben sollte aber wegen der bekanntermaßen schwankenden bis ablehnenden Haltung einiger Mitglieder in Bundessicherheitsangelegenheiten entgegen Art. 4 DBA^^^ und § 3 Nr. 4 des seinerzeit verbindlichen j^rov/^omc/ze« Bundeskompetenzbeschlusses vom 12. Juni 1817^^^ nicht die als unsicher eingeschätzte Bundesversammlung befaßt werden. Stattdessen wurde eine geheime Vorverständigung in einer Koalition der „willigen" Bundesmitglieder angestrebt. Zu diesem Zweck stimmte man sich mit Preußen bereits am I.August 1819 in der Teplitzer Punktation über ein gemeinsames bundespolitisches Vorgehen ab. Sodann wurden insgeheim die Vertreter von Regierungen zehn größerer, als insoweit zuverlässig eingeschätzter deutscher Staaten (Österreich, Preußen, Bayern, Sachsen, Hannover, Württemberg, Baden, MecklenburgSchwerin, Mecklenburg-Strelitz, Nassau) in das böhmische Karlsbad eingeladen, wo sie zwischen dem 6. und 31. August 1819 berieten und sich zuvörderst auf den Erlaß von für Deutschland folgenschweren vier Bundesgesetzen zur inneren Sicherheit verständigten (sogenannte „Karlsbader Beschlüsse"). Daß man bewußt auf eine Einbeziehung der übrigen, politisch eher als unsicher eingeschätzten Mittel-, Klein- und Kleinststaaten verzichtete, stellte aber auch mit Blick auf Art. 3 DBA einen eklatanten Verfassungsbruch dar. Sollten danach alle Mitgliedstaaten gleiche Rechte haben, genügte es nicht, daß man die zunächst geheim vorvereinbarten Ergebnisse dem Rest der (mindermächtigen) Mitglieder als vollendete Tatsache präsentierte. Es mußte vielmehr allen Mitgliedern gleichermaßen die Möglichkeit eingeräumt werden, an den Verhandlungen selbst mitzuwirken. ^^"^ [120.] Da die Karlsbader Beschlüsse als Bundesgesetze gelten sollten, bedurfte es zu ihrer Wirksamkeit der Annahme durch die Bundesversammlung. Diese ließ denn auch nicht lange auf sich warten: Zweieinhalb Wochen später gelangten die Ergebnisse von Karlsbad als Gesetzentwürfe in den „Engeren Rat", wo sie nach nur vier Tagen am 20. September 1819 zur Abstimmung gestellt wurden, die ausweislich der Protokolle der Bundesversammlung^^^ in allen vier Fällen mit der einstimmigen Annahme endete. Die Beschlüsse betrafen Qm. provisorisches Universitätsgesetz^^^, ein zunächst auf fünf Jahre begrenztes Preßgesetz^^'^, ein die Unter-

162

^^^

^^"^ 1^^ ^^^ 16^

K. L. Fürst V. Metternich, Aus Mettemich's nachgelassenen Papieren, hrsg. v. dem Sohn des Staatskanzlers R. Fürsten Metternich-Winneburg, Bd. 3, Teil 1, 1913, S. 227. Danach wurden die „Angelegenheiten des Bundes . .. durch eine Bundesversammlung besorgt". Dok. 33. - Nach diesem Passus war für „das Wohl .. . der Gesammtheit" betreffende Angelegenheiten in Fragen der inneren Sicherheit „die Bundesversammlung als die einzige die Gesammtheit vertretende Behörde berufen, darüber zu berathen". In diesem Sinne auch E. R. Huber (Fußn. 12), S. 736. Dok. 42. Dok. 39. Dok. 40.

72

1. Abschnitt: Gesamtdeutsche Verfassungsentwicklung (1803/06-1918)

suchung bundesfeindlicher Umtriebe regelndes Gesetz^^^ und um eine provisorische Exekutionsordnung^^^. Mit Ausnahme des Untersuchungsgesetzes gegen bundesfeindliche Umtriebe handelte es sich bei den anderen Gesetzen um lediglich provisorische Regelungen, für deren rechtmäßiges Zustandekommen sogar eine Mehrheitsentscheidung im „Engeren Rat" ausgereicht hätte. Etwas anderes mußte indes für das Untersuchungsgesetz gelten, mit dem in Gestalt der Zentralen Untersuchungskommission in Mainz dauerhaft eine organische Bundeseinrichtung geschaffen werden sollte. Darüber hätte rechtmäßig nur im Plenum (Art. 6 Abs. 1 DBA), und zwar einstimmig abgestimmt werden müssen (Art. 7 Abs. 4 DBA). Bezeichnenderweise nahm man es gerade hier mit derartigen Verfahrensregeln nicht so genau; jedenfalls wagte keiner der Mitgliedstaaten die Rechtmäßigkeit dieser Vorgehensweise anzuzweifeln. Dementsprechend trat auch dieses Gesetz wie auch die anderen drei Gesetze gemäß der von der Bundesversammlung fur diese Fälle verwendeten Formel „sogleich in allen Bundesstaaten in Anwendung und Vollziehung". Damit war der Reigen bündischer Repression eröffnet. [121.] Das Bundes-Universitätsgesetz vom 20. September 1819^'^^ war zunächst, wie seine genaue Titulatur („Provisorischer Beschluß über die in Ansehung der Universitäten zu ergreifenden Maßregeln") offen legt, ein Provisorium, das „mit Vorbehalt der weiteren Berathungen des Bundestages"^^^ also unbefristet, bis zum Erlaß eines definitiven Gesetzes gelten sollte. Nach den Provisorischen Maßregeln vom 16. August 1824^'^^ (Punkt 2) galt es denn auch als „selbstverstanden fort", und zwar bis zu seiner Aufhebung seitens der Bundesversammlung durch den Beschluß vom 2. April 1848^'^^. [122.] Das Universitätsgesetz entwand den Mitgliedstaaten weitgehend die Zuständigkeit für ihr Universitätswesen. Für die Überwachung der Universitäten, die Handhabung der akademischen Disziplin, die Berufung und Entlassung von Professoren, die Zulassung zum und der Ausschluß vom Studium sowie für die Anstellung in öffentlichen Ämtern galten nunmehr bundeseinheitliche Grundsätze: § 1 des Gesetzes erlegte den Mitgliedstaaten für jede Universität die Bestellung eines „außerordentlichen landesherrlichen Bevolhnächtigten" auf. Dessen Aufgaben bestanden darin, über die „strengste Vollziehung der Gesetze und Disziplinarvorschriften zu wachen", die Veranstaltungen der akademischen Lehrer „sorgfältig zu beobachten" und ihnen gegebenenfalls „eine heilsame, auf die künftige Bestimmung der studirenden Jugend berechnete Richtung zu geben" sowie darin, die Wahrung der Sittlichkeit, guten Ordnung und des äußereren Anstands unter den Studierenden zu befördern. Von dem an den Universitäten bislang weitgehend fi'ei gestalteten akademischen Lehrbetrieb blieb angesichts dessen nicht mehr viel übrig. § 2 Abs. 1 des Gesetzes verpflichtete die Regierung der Einzelstaaten überdies, Universitätslehrer und „andere öffentliche Lehrer" von den Universitäten und

16^ 1^^ 1^0 1^1 1^2

Dok.41. Dok.38. Dok.39. Beschlußformel (Dok. 42). Dok. 47.

i'73 Dok. 75.

§ 3: Der Deutsche Bund (1815-1866)

73

sonstigen Lehranstalten zu entfernen, wenn diese „durch Mißbrauch ihres rechtmäßigen Einflusses auf die Gemüther der Jugend, durch Verbreitung verderblicher, der öffentlichen Ordnung und Ruhe feindseliger oder die Grundlagen der bestehenden Staatseinrichtungen untergrabender Lehren, ihre Unfähigkeit zur Verwaltung des ihnen anvertrauten wichtigen Amtes unverkennbar an den Tag gelegt" hatten. Hiermit war jeder politisch mißliebige Lehrer unanfechtbar aus dem Dienst entfembar. Doch nicht genug: Eine solche Verwaltungsentscheidung band auch alle anderen Einzelstaaten. Denn ein nach § 2 Abs. 1 des Gesetzes entlassener Lehrer durfte auch in keinem anderen Mitgliedstaat des Bundes in ein öffentliches Lehramt aufgenommen werden (§ 2 Abs. 2 des Gesetzes). Dies kam für die nach Maßgabe des § 2 Abs. 1 des Gesetzes Entlassenen einem bundesweiten Berufsverbot gleich. § 3 des Gesetzes verpflichtete die Einzelstaaten, die landesrechtlichen Bestimmungen gegen „geheime oder nicht autorisirte Verbindungen" an den Universitäten restriktiv anzuwenden und in dieser Weise auf die „allgemeinen Burschenschaften" auszudehnen. Damit wurden - wie die Vorschrift auch noch einmal ausdrücklich hervorhob - letztere für „schlechterdings unzulässig" erklärt. Der außerordentliche landesherrliche Bevollmächtigte hatte sein besonderes Augenmerk auf solche Burschenschaften und ihre Aktivitäten zu richten. Mitglieder von Verbindungen im Sinne des § 3 des Gesetzes durften auf Lebenszeit in keinem Staat des Bundes ein öffentliches Amt bekleiden. Ihnen drohte aufgrund dieser Vorschrift nach § 4 des Gesetzes nicht nur die Verweisung von der Universität, sondern im Verweisungsfalle auch die Nichtzulassung zum Studium an jeder anderen Universität im Gebiet des Deutschen Bundes, da es den Universitäten untersagt war, derartige Studenten aufzunehmen. Der Universitätswechsel selbst war nur gegen Vorlage eines von der exmatrikulierenden Universität ausgestellten Wohlverhaltenszeugnisses zulässig. [123.] Das zunächst von der Bundesversammlung auf fünf Jahre beschlossene Bundes-Preßgesetz vom 20. September 1819^''^ brachte nicht nur tiefe Einschnitte in die Pressefreiheit mit sich, sondern zudem solche in die mitgliedstaatliche Souveränität. Die Provisorischen Maßregeln vom 16. August 1824^'^^ (Punkt 3) verlängerten die Geltung dieses Gesetzes vor Fristablauf auf unbestimmte Zeit „bis man sich über ein definitives Preßgesetz vereinbart haben wird". Da es zu einem derartigen von Art. 18 DBA vorgesehenen Gesetz jedoch bis zur Aufhebung des ursprünglich erlassenen Preßgesetzes seitens der Bundesversammlung durch den Beschluß vom 2. April 1848^^^ nicht kam, unterschied es sich nicht wirklich von jedem anderen auf unbestimmte Zeit erlassenen Gesetz. [124.] Mit dem Preßgesetz von 1819 beanspruchte der Bund die „Oberaufsicht über die Druckschriften" und sah sich berufen „zur Verhütung des sich ergebenden Mißbrauchs derselben (Druckschriften, sc.)".^^^ § 1 des Gesetzes führte eine scharfe Vorzensur für alle Schriften mit einem Umfang von nicht mehr als „zwanzig Bogen", was einer Seitenzahl von 320 entsprach, ein. D. h. diese Schriften ^^^ 1^5 1^^ ^'7^

Dok.40. Dok.47. Dok. 75. Beschlußformel (Dok. 42).

74

1. Abschnitt: Gesamtdeutsche Verfassungsentwicklung (1803/06-1918)

mußten vor ihrer Drucklegung von der Landeszensurbehörde auf ihren Inhalt geprüft und genehmigt werden. Dies betraf naturgemäß in besonderem Maße die Zeitungen und Zeitschriften, aber auch Flugschriften und Broschüren, die damit nur bei der Obrigkeit wohlgefälligem Inhalt erscheinen durften. Bei umfangreicheren Büchern ließ man es indes mit einer Nachzensur bewenden. Diese eigneten sich ohnehin kaum ftir die nur allzu oft vom aktuellen Tagesgeschehen abhängige politische Auseinandersetzung, sondern waren auch wegen des mit einem nachträglichen Verbot ftir den Verleger verbundenen wirtschaftlichen Risikos weniger anfälHg ftir subversive Inhalte. Welcher Inhalt aus Sicht des Bundes die Zensur nicht passieren sollte, umschrieb das Gesetz allerdings nicht ausdrücklich. Doch ließ sich dies indirekt aus den §§4 und 6 Abs. 2 des Gesetzes entnehmen. Nach § 4 des Gesetzes war jeder Mitgliedstaat ftir sämtliche Druckschriften, durch die die „Würde oder Sicherheit anderer Bundesstaaten verletzt, die Verfassung oder Verwaltung derselben angegriffen wird", sowohl dem betroffenen Gliedstaat als „auch der Gesammtheit des Bundes verantwortlich". § 6 Abs. 2 des Gesetzes erlaubte der Bundesversammlung, Schriften, die „der Würde des Bundes, der Sicherheit einzehier Bundesstaaten, oder der Erhaltung des Friedens und der Ruhe in Deutschland zuwiderlaufen, . . . aus eigener Autorität" unanfechtbar zu verbieten. Überhaupt verbargen sich in dem Gesetz äußerst dehnbare Klauseln, die es erlaubten aus nahezu beliebigen Gründen eine Druckerlaubnis zu verweigern oder Bücher nachträglich zu verbieten und zu beschlagnahmen. Gemäß § 2 des Gesetzes oblag zwar jedem einzelnen Staat die Durchftihrung der Zensur, dennoch durften die zu treffenden Maßregeln Sinn und Zweck des § 1 keinesfalls unterlaufen. In diesem Zusammenhang schärfte der Bund den Einzelstaaten das eine ums andere Mal besondere Wachsamkeit ein: namentlich wenn es - wie im Jahre 1830 - darum ging, Berichte in „öffentlichen Blättern politischen Inhalts" über „aufrührische Bewegungen" zuzulassen;^'^^ aber auch mit Blick auf die im Jahre 1831 der Preßfreiheit weiten Spielraum verschaffenden neu erlassenen Landesverfassungen (vgl. die §§37 Kurhess. Verf. 1831, 35 Sachs. Verf. 1831) oder LandesPreßgesetze.^^^ Als Baden dies mißachtend gleichwohl durch Gesetz vom 28. Dezember 1831^^^ die Zensur abschaffte, wurde es durch Bundesbeschluß vom 5. Juli 1832^^^ zur Aufhebung des Gesetzes und der Wiedereinftihrung der Zensur angehalten; was dann - allerdings verfassungswidrig - nur durch einseitig vom Großherzog erlassene Verordnung^^^ geschah. § 3 des Gesetzes statuierte im Verhältnis zum bestehenden Landespresserecht einen Anwendungsvorrang zugunsten des Bundespreßgesetzes. Um Verwicklungen mit anderen Bundesmitgliedem zu vermeiden, sollte jeder Einzelstaat bei der Aufsicht über die in seinem Gebiet erscheinenden Druckerzeugnisse mit „wachsamen Ernst" verfahren (§ 5 des Geset^^^ Nr. 5 des Bundesbeschlusses über „Maßregeln zur Herstellung und Erhaltung der Ruhe in Deutschland" vom 21. Oktober 1830 (Dok. 48). ^^^ Bundesbeschluß gegen den Mißbrauch der Presse vom 10. November 1831 (Dok. 49). ^^^ Badisches Gesetz über die Polizei der Presse und über die Bestrafung der Preßvergehen vom 28. Dezember 1831 (Großherzoglich Badisches Staats-und Regierungs-Blatt, 30. Jg., 1832, S. 29). ^^^ Protokolle der Bundesversammlung, 24. Sitzung vom 5. Juli 1832, § 230. ^^2 Vom 28. Juli 1832 (Großherzoglich Badisches Staats- und Regierungs-Blatt, 30. Jg., 1832, S.371).

. 3: Der Deutsche Bund ( 1 8 1 5 - 1 8 6 6 )

75

zes). Wähnte sich ein Mitgliedstaat, durch die bei einem anderen Mitglied erscheinenden Publikationen verletzt, ohne auf dem Wege direkter Verhandlungen Genugtuung zu erhalten, so konnte er Beschwerde bei der Bundesversammlung erheben. Wurde die Beschwerde als begründet angesehen, kam es zur bundesseitigen Unterdrückungsanordnung hinsichtlich der beanstandeten Schrift gegenüber den jeweils betroffenen Einzelstaaten - das waren in der politischen Wirklichkeit dann zumeist alle.^^^ Aber auch ohne Beschwerde war die Bundesversammlung berechtigt, eine Schrift zu verbieten, welche die Würde des Bundes, die Sicherheit der Einzelstaaten oder den Frieden und die Ruhe Deutschlands verletzte (§6 des Gesetzes). In beiden Fällen mußte die betroffene Regierung die getroffene Entscheidung oder das ausgesprochene Verbot vollziehen. Bei Mängeln im Vollzug konnte eingegriffen werden; für hartnäckigen Widerstand gegen bundesrechtliche Maßnahmen verfügte der Bund über das Mittel der Bundesexekution. Hierin, aber auch in § 8 des Gesetzes, demzufolge die Mitgliedstaaten den Bund binnen zwei Monaten über die Maßnahmen, mit welchen sie dem Bundespreßgesetz „Genüge zu leisten gedenken", spiegelte sich besonders anschaulich die Intensität, mit welcher der Bund auf die Landespresseverhältnisse einzuwirken vermochte. Daß dies realiter dann offenbar nicht immer so genau genommen wurde, zeigt sich an dem Beschluß vom 30. Juli 1846^^^, in dem die noch immer ausstehende (!) Inkenntnissetzung des Bundes über die von den Mitgliedstaaten getroffenen Maßnahmen für Druckschriften über zwanzig Bögen angemahnt wurde. [125.] Des weiteren durfte nach § 7 Abs. 1 des Gesetzes der Redakteur einer durch Bundesbeschluß verbotenen Zeitung oder Zeitschrift innerhalb von fünf Jahren in keinem Mitgliedstaat in seinem bisherigen Beruf wieder zugelassen werden. Im übrigen durften sich die Bundesbeschlüsse allerdings nicht gegen Verfasser, Herausgeber oder Verleger, sondern nur gegen die Schriften als solche richten (§ 7 Abs. 2 des Gesetzes). Die Einzelstaaten hatten dagegen diese PersoVgl. Bundesbeschlüsse vom 19.November und T.Dezember 1831 (Protokolle der Bundesversammlung, 34. Sitzung vom 19. November 1831, I. Separatprotokoll, § 1 ; 42. Sitzung vom T.Dezember 1831, §301, betraf die in Straßburg erscheinende Zeitung „Das constitutionelle Deutschland"); vom 2. März 1832 (a. a. O., 9. Sitzung vom 2. März 1832, § 6T, betraf die Zeitschriften bzw. Zeitungen „Neue Zeitschwingen" [erschien in Hanau], „Westbote" [hrsg. von Philipp Jakob Siebenpfeiffer], „Deutsche Tribüne,, [hrsg. von Johann August Wirth]); vom 19. Juli 1832 (a. a. O., 26. Sitzung vom 19. Juli 1832, § 246, betraf das in Mannheim erscheinende Blatt „Der Wächter am Rhein" [hrsg. von Stromeyer]); vom 16. August 1832 (a. a. O., 30. Sitzung vom 16. August 1832, Separat-Protokoll, betraf die von Rotteck herausgegebenen „Allgemeinen politischen Annalen"); vom 6. September 1832 (a. a. O., 33. Sitzung vom 6. September 1832, § 363, betraf die seinerzeit in Augsburg erscheinende „Allgemeine Zeitung" [hrsg. von Karl August Mebold]); vom 10. Dezember 1835 (a. a. O., 31. Sitzung vom 10. Dezember 1835, § 515, betraf die Schriften des „jungen Deutschlands", zu denen solche von Heinrich Heine, Carl Gutzkow, Heinrich Laube, Ludolph Wienbarg, Theodor Mundt gehörten); vom 13. März 1841 (a. a. O., 6. Sitzung vom 13. März 1841, § 90: betraf die Druckschrift „Vier Fragen, beantwortet von einem Ostpreußen" verfaßt von Johann Jacoby); vom 24. Juni 1841 (a. a. O., IT. Sitzung vom 24. Juni 1841, § 188: betraf Druckschrift „Die Cölnische Kirche im Mai 1841 von H. M."); vom 4. Mai 1843 (a. a. O., 13. Sitzung vom 4. Mai 1843, § 143: betraf die „Deutschen Jahrbücher für Wissenschaft und Kunst", hrsg. von Arnold Rüge); vom IT. Juli 1845 (a. a. O., 25. Sitzung vom IT. JuH 1845, § 26T: betraf Druckschrift „Geheime Inquisition, Censur und Cabinetsjustiz im verderblichen Bunde", verfaßt von Wilhelm Schulz und Karl Theodor Welcker). Protokolle der Bundesversammlung, 22. Sitzung vom 30. Juli 1846, § 202.

76

1. Abschnitt: Gesamtdeutsche Verfassungsentwicklung (1803/06-1918)

nen - so der Bundesbeschluß vom 14. Juni 1832^^^ - nach Maßgabe ihrer Gesetze zur Rechenschaft zu ziehen. § 9 des Gesetzes statuierte außerdem, daß alle Druckschriften mit dem Namen des Verlegers, alle Zeitungen und Zeitschriften mit dem Namen des Redakteurs zu kennzeichnen waren. Bei Verstößen dagegen wurden die Schriften beschlagnahmt und ihre Verbreiter bestraft. Wie genau man in vielen Fällen seitens des Bundes die Anwendung des Preßgesetzes nahm, bewies auch der Bundesbeschluß vom 29. November 1832^^^, der gegenüber den Mitgliedstaaten klarstellte, daß das Bundespreßgesetz „wie sich solches von selbst versteht, auch bei lithographirten Schriften in Anwendung" zu bringen sei. Im Ergebnis gab das Preßgesetz der in Art. 18 lit. d DBA programmatisch angekündigten Befassung mit der „Preßfreyheit" eine interpretatorisch sicherlich zulässige, aber wenig von ihr übriglassende Richtung. [126.] Erst unter dem Eindruck der sich aufheizenden revolutionären Stimmung in den Mitgliedstaaten begann der Bund seine Pressepolitik zu lockern, indem er es durch Beschluß vom 3. März 1848^^^ jedem seiner Mitglieder freistellte, die „Censur aufzuheben und Preßfreiheit einzuführen". Noch gedachte man dies aber nur unter der Maßgabe zu gestatten, daß der Bund und die anderen Mitgliedstaaten gegen den Mißbrauch der Preßfreiheit sichergestellt würden. Doch schon wenig später stellte sich heraus, daß die tatsächlichen Verhältnisse in den einzelnen Staaten die Bundesversammlung vollständig überrollt hatten. Daher setzte sie im Rahmen des bereits erwähnten Bundesbeschlusses vom 2. April 1848^^^ mit der Aufhebung der seit 1819 erlassenen „Ausnahmegesetze" auch das Preßgesetz formell außer Kraft. [127.] Das Bundes-Untersuchungsgesetz^^^ (Gesetz „zur Bestellung einer Central-Behörde zur nähern Untersuchung der in mehreren Bundesstaaten entdeckten revolutionären Umtriebe") bildete die Rechtsgrundlage für die Einrichtung einer aus sieben Mitgliedern bestehenden „Central-Untersuchungs-Commission" mit Sitz in Mainz (Art. 1 des Gesetzes). Mit ihr bezweckte man - wie es Art. 2 des Gesetzes bestimmte - „eine gemeinschaftliche, möglichst gründliche und umfassende Untersuchung und Feststellung des Thatbestandes, des Ursprungs und der mannigfachen Verzweigungen gegen die bestehende Verfassung und innere Ruhe, sowohl des ganzen Bundes, als einzehier Bundesstaaten, gerichteten revolutionären Umtriebe und demagogischen Verbindungen". Der Kommission waren im Rahmen der ihr zugedachten investigativen Funktionen eine Reihe bemerkenswerter Kompetenzen zugewiesen. So besaß sie zwar keinen eigenen behördlichen Unterbau, hatte aber gleichwohl die „Oberleitung" der in den Einzelstaaten durchgeführten „Local-Untersuchungen" inne (Art. 5 Abs. 1 des Gesetzes). Sie durfte gemäß Art. 7 des Gesetzes Verhaftungen anordnen, die von den jeweiligen Landesbehörden vorzunehmen waren. Letzteren oblag es ebenfalls, die arretierten Personen „unter sicherer Bedeckung nach Mainz abzuführen". Die Kommission war

1^^ Dok.40/1. Dok. 40/2. 1^^ Dok. 71. Dok. 75. Dok. 41.

§ 3: Der Deutsche Bund ( 1 8 1 5 - 1 8 6 6 )

77

den mit der Untersuchung befaßten Landesbehörden gegenüber somit weisungsberechtigt; diese fimgierten im Verhältnis zu ihr gleichsam als deren Hilfs- und Ausführungsorgane. Als Untersuchungsbehörde des Bundes unterstand die Kommission direkt der Aufsicht der Bundesversammlung, der sie „von Zeit zu Zeit" Bericht zu erstatten hatte (Art. 9, 10 Abs. 1 des Gesetzes). Auf der Grundlage der Ermittlungsergebnisse faßte dann die Bundesversammlung die weiteren Beschlüsse zur Einleitung des gerichthchen Verfahrens (Art. 10 Abs. 2 des Gesetzes). [128.] Die Kommissionsmitglieder sollten Juristen sein und von sieben durch die Bundesversammlung zu wählenden Mitgliedstaaten gestellt werden (Art. 4, 5 des Gesetzes). Infolgedessen begannen Kommissare aus Österreich, Preußen, Bayern, Hannover, Baden, Hessen-Darmstadt und Nassau unverzüglich ihre insgesamt bis zum Herbst 1828, also neun Jahre währende Arbeit. Sie nahmen offenbar die ihnen durch Art. 2 des Untersuchungsgesetzes gemachte Vorgabe „möglichst gründliche" Ermittlungsarbeit zu leisten zu wörtlich, hielten sich sehr lange mit der von ihnen akribisch betriebenen Materialsammlung und -auswertung auf, so daß es mehr als acht Jahre dauerte, bis sie am 14. Dezember 1827 der Bundesversammlung ihren umfangreichen Hauptbericht vorlegten. Angesichts dessen dürfte die bald den Haß und Spott ihrer Zeitgenossen auf sich ziehende Kommission den mit ihr verfolgten eigentHchen Zweck, den Bund und die Regierungen schnell über den Umfang und die Gefährlichkeit „revolutionärer Umtriebe und demagogischer Verbindungen" zu unterrichten, schwerlich gerecht geworden sein. Auch schienen die Ergebnisse ihrer Arbeit den dafür betriebenen Aufwand nicht zu rechtfertigen. Förderten doch gerade die gegen viele prominente kritische Geister (z. B. Ernst-Moritz Arndt, Ludwig Jahn) angestrengten Untersuchungen wenig wirklich Belastendes zutage. Dennoch vermittelten die Aktivitäten der Kommission und ihrer landesbehördlichen Helfer mit zunehmend andauernder Tätigkeit ein klareres Bild über eine sich verdeckt ausdehnende, aber weit verzweigte oppositionelle Bewegung; was naturgemäß den Verfolgungsdmck auf diese Zirkel erhöhte und deren Aktionsradius über Jahre erheblich einschränkte. So gesehen leistete die Kommission den restaurativen Kräften im Bund einen nicht zu unterschätzenden Dienst.190

[129.] Das vierte im Gefolge der Karlsbader Beschlüsse erlassene Bundesgesetz war die „Provisorische Exekutions-Ordnung''^^K Durch sie sollten nicht zuletzt auch die auf der Grundlage der drei übrigen Ausnahmegesetze beschlossenen Maßnahmen gegenüber säumigen oder unwilligen Mitgliedstaaten mittels exekutivischer Maßnahmen durchgesetzt werden. An die Stelle der provisorischen Exekutions-Ordnung trat aber bereits am 3. August 1820 eine definitive. ^^^ bb. Bundesseitige Maßnahmen seit der Juli-Revolution 1830 [130.] Die bundesseitig im Zusammenhang mit dem Universitäts-, Preß- und Untersuchungskommissionsgesetz aus dem Jahre 1819 erfolgenden Eingriffe in 19^ So auch E. R. Huber (Fußn. 12), S. 747 ff. 191 Dok.38. 192 Dok.44.

78

1. Abschnitt: Gesamtdeutsche Verfassungsentwicklung (1803/06-1918)

die einzelstaatliche Souveränität erzeugten zunächst politische Beruhigung. Die französische Julirevolution von 1830 brachte die bis dahin erfolgreich unterdrückten liberalen und nationalen Strömungen in ungeahnter Heftigkeit wieder zum Vorschein. Hiervon kündeten erste Aufstände und Unruhen im Sommer und Herbst 1830 etwa in Braunschweig, Kurhessen, Hessen-Darmstadt, Luxemburg, Sachsen-Altenburg und Reuß. [131.] Eine frühe Reaktion des Bundes bildeten die „Maßregeln zur Herstellung und Erhaltung der Ruhe in Deutschland" vom 21. Oktober 1830}'^^ Diese bestanden im Grunde aus drei verschiedenen Festlegungen: Erstens den Nrn. 1 - 3 , welche die Bundesintervention betrafen, zweitens der Nr. 4, die die Instruktionenerteilung der Bundestagsgesandten zum Gegenstand hatte, und drittens der Nr. 5, in der es um die Handhabung der durch das Bundespreßgesetz von 1819^"^^ vorgeschriebenen Zensur ging. [132.] Zunächst wurde der die Bundesintervention behandehide Art. 26 WSA modifiziert. Bedurfte es vor der Durchführung derselben bisher grundsätzlich eines entsprechenden Bundesbeschlusses, so sollte ein solcher „wegen Dringlichkeit der Gefahr" entbehrlich sein, wenn sich der hilfebedürftige Mitgliedstaat unmittelbar an einen oder mehrere benachbarte Mitgliedstaaten um militärische Hilfe wandte. Dem angerufenen Staat stand hinsichtlich der Frage, ob er eingreifen wollte, kein Entscheidungsspielraum zu, er war viehnehr im Rahmen seiner Möglichkeiten verpflichtet, „diese Hülfe sofort Namens des Bundes" zu leisten. Insoweit erhielten die Landesregierungen durch den Bund ein selbständiges Mandat zur Ausübung einer Bundeskompetenz; allerdings nur im äußersten Notfall, nämlich wenn die Hilfe den zeitlichen Aufschub eines formellen Bundesbeschlusses nicht duldete. Offenbar traute man dem durch Art. 26 WSA formalisierten Entscheidungsprozeß auf Bundesebene in Zeiten der höchsten Not nicht in jedem Falle die zur Wiederherstellung erforderliche Effektivität zu. Allerdings waren die in die Intervention als Hilfebedürftiger oder Hilfeleistender verwickelten Staaten „unverweilt" zur Anzeige der Hilfe bei der Bundesversammlung verpflichtet. Auf diese Weise konnte die Bundesversammlung „die ihr durch die Bundesgesetzgebung vorgezeichnete Stellung" einnehmen; was wohl nichts anderes heißen sollte, als das die bislang ohne formalen Bundesbeschluß erfolgende Intervention der nachträglichen Sanktion durch den Bund bedurfte. Dem Wortlaut entsprechend handelte es sich bei dieser Regelung um eine lediglich zeitlich begrenzte. Sollte sie doch nur „für die Dauer der gegenwärtigen Zeitverhältnisse" gelten, also bei den „gegenwärtig auf dem Bundesgebiete stattgehabten . . . aufrührischen Vorfällen". Wann dies der Fall sein würde, hing von dem zunächst ungewissen weiteren Verlauf der Ereignisse ab. Art. 8 des Bundesbeschlusses vom 5, Juli 1832 („Zehn Artikel")^^^ bekräftigte später die hier getroffene Bestimmung. Für wie ernst man bundesseitig die gegenwärtige Situation insgesamt hielt, zeigte sich auch daran, daß mit Blick auf notwendige Interventionsfalle „die Bundeskontingente in möglichst disponibler Bereitschaft", d. h. „marschbereit", gehalten werden sollten. 193 Dok.48. 194 Dok.40. 195 Dok.51.

§ 3: Der Deutsche Bund ( 1 8 1 5 - 1 8 6 6 )

79

Erstmals Gebrauch gemacht von den Bestimmungen der Nrn. 1 - 3 der „Maßregeln" wurde, als in der sachsen-coburgischen Exklave Lichtenberg Unruhen ausbrachen, die nahe preußische Truppen auf Bitten der sachsen-coburgischen Regierung am 29. Mai 1832 unterdrückten. Des weiteren sahen die „Maßregeln" in Nr. 4 eine Effektivierung des in Art. 8 WSA vorgeschriebenen und bislang mitunter langwierigen Instruierungsprozesses mit Blick auf die Bundestagsgesandten vor. Diese sollten im Interesse einer größtmöglichen Handlungsfähigkeit des Bundes nunmehr von ihren Regierungen möglichst weitgehende Vollmachten erhalten. Auch hier stellte man sich den aktuellen Verhältnissen und stärkte das Notfallmanagement. Nr. 5 der „Maßregeln" erlegte es schließlich den Mitgliedstaaten auf, den nach dem Bundes-Preßgesetz von 1819 zuständigen Zensoren der „öffentlichen Blätter politischen Inhalts" besondere Wachsamkeit einzuschärfen, insbesondere, wenn sie über die Zulassung von Berichten über „aufrührische Bewegungen" zu entscheiden hatten. Die Zensoren sollten bei ihren Entscheidungen berücksichtigen, daß bei ungehinderter Zügellosigkeit der Berichterstattung das Vertrauen in die Landesbehörden und Regierungen geschwächt „und damit indirect zum Aufstand gereizt" würde. [133.] Offenbar sah der Bund ein Problem im Bereich der Vollziehung des Preßgesetzes von 1819 durch die Landesbehörden. Dies zeigte sich noch deutlicher in dem Beschluß „gegen den Mißbrauch der Presse" vom 10. November 183P^^, demzufolge „in neuerer Zeit. . . der Mißbrauch der periodisch-politischen Presse in einer höchst bedauerlichen Weise zugenommen hat", weshalb die Mitgliedstaaten unter Hinweis auf die dem Bund bei nachlässiger Handhabung der Pressebestimmungen drohenden Gefahren zu einem verschärften Vollzug des Gesetzes aufgefordert wurden. [134.] Seit Begiim des Jahres 1832 formierte sich auch die Nationalbewegung wieder öffentlich sichtbar. Schon Anfang Februar 1832 forderte der in der bayerischen Pfalz gegründete „Preß- und Vaterlandsverein", der als die erste vereinsmäßig organisierte politische Partei gelten darf, die Herstellung der deutschen Nationaleinheit unter einer demokratisch-republikanischen Verfassung; was schon am 1. März 1832 sein Verbot durch die bayerische Regierung nach sich zog. Zu einer bis dahin nicht dagewesenen „politischen Massendemonstration"^^'' geriet die am 27. Mai 1832 auf dem pfalzischen Schloß Hambach den anfänglich skeptischen bayerischen Behörden als „friedliches, schönes Fest" deklarierte öffentliche Veranstaltung („Hambacher Fest").^^^ Die dort gehaltenen radikalen Reden mit ihren nationalen und demokratischen Forderungen stießen nicht nur auf die Zustimmung der wohl mehr als 20.000 Teilnehmer, sondern fanden auch großen Widerhall in der süddeutschen Bevölkerung. Von Baden über Franken bis nach Kurhessen hinein folgten ähnliche kleinere Veranstaltungen. In der am Nordrand der Rheinpfalz gelegenen coburgischen Exklave Lichtenberg brachen aus Anlaß der behördlich verlangten Beseitigung eines zuvor im Rahmen einer derartigen Feier aufgestell-

196 Dok.49. 19^ W. Siemann (Fußn. 6), S. 346. 198 Vgl |7 Valentin, Das Hambacher Nationalfest, 1932, S. 90 ff.

80

1. Abschnitt: Gesamtdeutsche Verfassungsentwicklung (1803/06-1918)

ten Freiheitsbaumes Unruhen aus. Diese „Minirevolution"^^^ wurde durch das Einschreiten preußischer Truppen unterdrückt. Der Bund sah angesichts dieser Dimensionen wachsender Nationalisierung und Demokratisierung auf sich und sein monarchisches Staatensystem eine nicht oder nur noch schwer beherrschbare, zunehmend gefahrlicher werdende Massenbewegung zukommen. Verständlicherweise wuchs aber auch die Nervosität selbst bei den bislang dem Mettemich'sehen Ansiimen, immer schärfere Bundesregelungen zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ruhe und Ordnung einzufuhren, widerstrebenden eher gemäßigten Regierungen der konstitutionellen Mitgliedstaaten. In diesem Klima wagte es keine Regierung mehr, weitergehende Restriktionen abzulehnen. [135.] Das war dann der richtige Nährboden für die auf Separatverhandlungen zwischen Österreich und Preußen seit dem Winter 1831/32 zurückgehenden und auf beider Mächte Initiative bald nach Hambach der Bundesversammlung zur Abstimmung vorgelegten „Sechs Artikel" ^^^. Diese sollten verdeutlichen, daß „nur durch feste und kräftige Anwendung der Mittel, welche die Verfassung des Deutschen Bundes dafür gewährt", die Gefahren für die innere Ruhe Deutschlands bekämpft werden konnten.^^^ Als derartige Gefahren hatte man „nach den bedauernswerten Erfahrungen der neuem Zeit, hier die rohe Gewalt aufgeregter Volkshaufen, dort eine in das verfassungsmäßige Gewand ständischer Opposition gekleidete Aimiaßung des demokratischen Geistes, im Bunde mit einer zügellosen Presse - beides Symptome der zu bekämpfenden Grundübel ~" ausgemacht.^^^ Die beiden Großmächte begannen nunmehr den Bund selbst jenseits der bereits sattsam bekannten Feindbilder mit aller Deutlichkeit gegen das seit 1816 in den Mitgliedstaaten des Bundes an Boden gewinnende und seit Begiim des Jahres 1831 (Kurhessen, Sachsen) weiter gestärkte konstitutionelle Verfassungssystem einzustimmen; was ihnen auch gelang. Denn ohne nennenswerte Korrekturen wurden die „Sechs Artikel" daraufhin als „Maßregeln zur Aufrechterhaltung der gesetzlichen Ordnung und Ruhe im Deutschen Bunde" bereits am 28. Juni 1832 einstimmig angenommen.2^^ Diese Artikel zielten darauf, die Bundesverfassung gegen Verletzungen zu sichern, die ihr durch den Erlaß und die Anwendung von Landesverfassungen sowie durch die Landstände als dem „Hort oppositioneller bürgerlicher Öffentlichkeit"^^'^ drohen könnten. Sie waren äußerlich als Interpretationen der Art. 2 DBA und 1 WSA sowie der Art. 57 - 59 und 17 WSA ausgestaltet. [136.] Art. 1 der „Maßregeln" stellte zutreffend klar, daß eine gegen das in Art. 57 WSA verankerte „monarchische Prinzip" verstoßende Petition in einer landständischen Versammlung bundesrechtswidrig war. Jeder deutsche Souverän, „als Mitglied des Bundes", sei daher zu deren „Verwerfung . . . nicht nur berechtigt", sondern geradezu verpflichtet. Doch ließ die Bestimmung offen, an Petitionen welchen Inhalts hier gedacht war; was den einzelstaatlichen Regierungen na199 Th. Nipperdey

(Fußn. 58), 1994, S. 3 7 1 .

200 D o k . 5 0 .

201 Österreichisch-preußische Antragsbegründung (Protokolle der Bundesversammlung, 22. Sitzung vom 28. Juni 1832). 202 A.a.O. 203 A. a. O. 204 W. Siemann (Fußn. 6), S. 351.

§ 3: Der Deutsche Bund (1815-1866)

81

hezu sämtliche Optionen bot, landständische Anträge - gleich welchen Zuschnitts - unter dem Verdikt der Bundesrechtswidrigkeit anzulehnen. Art. 2 der „Maßregeln" zielte auf die Konkretisierung des Art. 58 WS A und erweiterte zugleich die Anwendbarkeit der die Bundesintervention betreffenden Art. 25 und 26 WSA. Art. 58 WSA bestimmte, daß landständische Verfassungen die souveränen Fürsten nicht an der Erfüllung ihrer Bundespflichten hindem oder beschränken durften. Im Hinblick darauf las man in diese Vorschrift durch Art. 2 der „Maßregehi" hinein, daß die Landstände nicht berechtigt seien, dem Landesherm die finanziellen Mittel zu verweigern, die er für „die Führung einer den Bundespflichten und der Landesverfassung entsprechenden Regierung" benötige. War es der Landesherr selbst, der die zur Erfüllung der Bundespflichten benötigte Höhe der Geldmittel festlegte, so lag es danach allein bei ihm, ob er den Haushaltsbeschluß seiner Landstände akzeptierte. Er konnte die Budgetentscheidung unter Verweisung auf die Bundesrechtswidrigkeit als unwirksam behandeln. Die Konsequenz daraus war dann wohl, daß der Monarch sich das von ihm „zur Pflichterfüllung gegenüber dem Bund" benötigte Geld selbst bewilligte. Das landesverfassungsrechtliche Budgetrecht der Landstände wurde angesichts dieses Bundesrechts zur Farce. Der Landesherr avancierte danach zum Herrn der Staatsfinanzierung schlechthin. Des weiteren durften die Landstände ihr Budgetrecht gegenüber dem Souverän nicht „zur Durchsetzung anderweiter Wünsche und Anträge" einsetzen. Geschah dies gleichwohl, war darin ein Fall zu sehen, auf den die den Bund gegebenenfalls zur Bundesintervention berechtigenden Art. 25, 26 WSA anwendbar wären. Daß die Stände jenseits ihrer landesverfassungsmäßigen Kompetenzen der Regierung keine Zugeständnisse abtrotzen durften, entsprach zwar auch Landesverfassungsrecht. Bemerkenswert war jedoch die Wertung, ein solches Vorgehen der Landstände als eine die innere Ruhe gefährdende oder die Verbreitung aufrührerischer Bewegungen befurchten lassende „Widersetzlichkeit der Unterthanen gegen die Obrigkeit" (Art. 26 Satz 1 WSA) einzustufen. Denn hierdurch erhielt der Bund ein Interventionsrecht auch für bestimmte Fälle von Landesverfassungsstreitigkeiten; ein Recht, wie es selbst der Zentralgewalt aller später an seine Stelle tretenden Bundesstaaten nicht zustand. Art. 3 der „Maßregeln" bestritt dem Landesgesetzgeber die Kompetenz, bundeswidrige Landesgesetze zu beschließen; womit allerdings unbeantwortet blieb, ob derart dennoch beschlossene Gesetze nichtig oder nur rechtswidrig waren. Genauso unklar blieb, was zu geschehen hatte, wenn die zur Erfüllung der Bundespflichten erforderlichen Gesetze am Widerstand der Landstände scheiterten. Eine dem § 89 Sachs. Verf 1831 vergleichbare Bestimmung, wonach die mangelnde Zustimmung der Landstände die Regierung nicht an der Ausführung der von der Bundesversammlung gefaßten Beschlüsse hindem könne und den Könige insoweit zu einseitigen Anordnungen ermächtigte, fehlte. Art. 4 der „Maßregeln" sah (auf bayerischen Wunsch) zunächst für sechs Jahre befristet, die Einsetzung einer Bundesüberwachungskommission vor. Sie sollte Bundesrechte sichern und die Herstellung bundesverfassungsmäßiger Verhältnisse in den Mitgliedstaaten erleichtem. Dabei hatte sie „insbesondere auch von den ständischen Verhandlungen in den Deutschen Bundesstaaten Kenntniß zu nehmen" und der Bundesversammlung gegen Bundesrecht verstoßende Anträge und Beschlüsse der Landstände anzuzeigen. Bei dieser Vorschrift handelte es sich aller-

82

1. Abschnitt: Gesamtdeutsche Verfassungsentwicklung (1803/06-1918)

dings um keine Interpretation des bestehenden Bundesverfassungsrechts, sondern um die Schaffung neuen Sekundärrechts. Sie war als Überwachungsregelung eine konsequente Fortführung der sich gegen die Landstände richtenden Art. 1 - 3 der „Maßregeln". Auf diese Weise wurde es dem Bund möglich, von sämtlichen gegen Bundesvorschriften verstoßenden Verhaltensweisen der Landstände frühzeitig zu erfahren und entsprechend darauf zu reagieren. Art. 5 der „Maßregeln" interpretierte den Art. 59 WSA, demzufolge die Mitgliedstaaten, in denen die landständischen Verhandlungen von Verfassungs wegen öffentlich stattfanden, dafür zu sorgen hatten, daß die gesetzlichen Grenzen der Redefreiheit weder bei den Verhandlungen selbst noch in den Verhandlungsberichten in einer die Ruhe Deutschlands oder seiner Mitgliedstaaten gefährdenden Weise überschritten wurden. Er verlangte von den Landesregierungen, daß sie durch angemessene Anordnungen allen in den Ständeversammlungen stattfindenden Angriffen auf den Bund entgegentraten. Dies zielte jedenfalls auf eine massive Beschränkung der landständischen Rede- und Berichtsfreiheit. Namentlich die oppositionellen Äußerungen liefen jetzt noch mehr als ohnehin schon Gefahr, als politische Ruhestörungen diffamiert und äußerstenfalls bestraft zu werden. Auch diese Regelung zielte unmißverständlich auf die möglichste Marginalisierung der landständischen Rolle in der einzelstaatlichen Politik. Art. 6 der „Maßregeln" schließlich stellte mit Blick auf Art. 17 WSA scheinbar unverfänglich klar, daß die Bundesversammlung das alleinige Recht habe, Bundes- wie Wiener Schlußakte mit „rechtlicher Wirkung . .. allein und ausschließend" auszulegen. Das verstand sich angesichts des Wortlauts von Art. 17 WSA nicht von selbst. Denn danach sollte es im Interesse einer einheitlichen Rechtsanwendung in allen Mitgliedstaaten bei Zweifelsfallen eine verbindlich entscheidende Auslegungsinstanz geben; doch beließ Art. 17 WSA den Bundesrecht anwendenden Landesgerichten, Landesregierungen und Landtagen bis zu einer derartigen verbindlichen Entscheidung sehr wohl ein rechtserhebliches Interpretationsrecht. Art. 6 der „Maßregeln" indes sprach landesseitigen Auslegungen jede Rechtswirkung ab; was im Klartext nicht anderes bedeutete, als daß bei in der Sache auftretenden entscheidungserheblichen Zweifelsfragen in den Ländern, zwischen den Ländern sowie zwischen dem Bund und den Ländern zunächst die Bundesversammlung um Klärung derselben angerufen werden mußte. Insbesondere im Verhältnis der Landesorgane zueinander sollte auf diese Weise das Konfliktpotential begrenzt werden. [137.] In den konstitutionellen Staaten - namentlich in Bayern und Württemberg - entbrannte ein heftiger Streit um die Inkraftsetzung der „Sechs Artikel". Waren doch die in erster Linie betroffenen Stände ebenso wie die politisierte Öffentlichkeit längst nicht überall gewillt, die restriktiven bundesrechtlichen Vorgaben ohne weiteres hinzunehmen. Dem Rechnung tragend versuchten die Regierungen von fünf Ländern (neben Bayem und Württemberg auch Sachsen, HessenDarmstadt und Sachsen-Meiningen) auf die öffentliche Meinung zuzugehen, indem sie die Bekanntmachung der „Sechs Artikel" mit dem erläuternden Zusatz versahen, daß diese Artikel die Landesverfassung nicht veränderten und die Rechte der Landstände nicht beeinträchtigten. Die Zustimmung im Kreise der Frankfurter Gesandten war eben nur die eine Seite, die unangenehme Rechtfertigung vor dem zusehends politisch sensibilisierten eigenen Volk daheim die andere. Nach-

§ 3: Der Deutsche Bund ( 1 8 1 5 - 1 8 6 6 )

83

dem jedoch alle Mitgliedstaaten die Publikation der „Sechs Artikel" beim Bund angezeigt hatten, desavouierte die Bundesversammlung diese wenig beherzten und durchsichtigen Manöver. Sie stellte mit Beschluß vom 8. November 1832^^^ - übrigens auch mit Zustimmung der fünf betreffenden Regierungen - ausdrücklich klar, „daß wie sich von selbst versteht, durch die von einigen Regierungen der Bekanntmachung dieser Beschlüsse beigefügten erläuternden Beisätze der allgemeinen Verbindlichkeit des Bundesbeschlusses vom 28. Juni für sämmtliche Bundesstaaten in keiner Beziehung irgend ein Eintrag habe geschehen können, so wie solches ohnehin auch nicht in der Absicht der einzelnen Regierungen gelegen hat"^^^. Dieser Vorgang zeigt besonders deutlich, wie schwer sich eine Reihe von Mitgliedstaaten mit dem in Frankfurt beschlossenen Bundesrecht tat. [138.] Kurz nach dem durch die „Sechs Artikel" geführten Streich gegen das konstitutionelle Verfassungssystem in den Mitgliedstaaten folgte auch schon der nächste: Der Bund beschloß am 5. Juli 1832 in insgesamt zehn Artikeln „Maßregeln zur Aufrechterhaltung der gesetzlichen Ordnung und Ruhe im Deutschen Bunde" (sogenannte „Zehn ArtikeV')'^^^. Auch diese waren eine unmittelbare Folge der mit dem Hambacher Fest initiierten Ereignisse. Es galt - wie die Bundesversammlung am 7. Juni 1832 unmißverständlich herausstellte^^^ - eine von nationalrevolutionären Kreisen angestrebte „Wiedergeburt und Umgestaltung des Deutschen Vaterlandes" durch „Herstellung der Einheit Deutschlands", was die „Auflösung des Staatenbundes" bedingt hätte, durch geeignete Maßregeln insbesondere gegen die Preß- und Vereins- und Versammlungsfreiheit zu verhindern. Zu diesem Zweck wurde durch Bundesbeschluß vom selben Tage^^^ zunächst eine Kommission eingesetzt, die dann entsprechende Vorschläge erarbeitete, welche die Bundesversammlung einen knappen Monat später annahm. [139.] Die „Zehn Artikel" verboten in Art. 1 die Verbreitung ausländischer deutschsprachiger Zeitschriften oder Druckschriften „politischen Inhalts" mit nicht mehr als zwanzig Bögen ohne vorgängige Genehmigung der jeweiligen Landesregierung. Des weiteren mußten nach dem Art, 2 alle politischen Vereine („Vereine, welche politische Zwecke haben, oder unter anderem Namen zu politischen Zwecken benutzt werden") durch die Mitgliedstaaten verboten und deren Mitglieder strafrechtlich verfolgt werden. Hierzu sollten - wie die Bundesversammlung sich durch Beschluß vom 6. August 184fi^^ veranlaßt sah, klarzustellen - auch die in den 40er Jahre zunehmend ins Visier bündischen Argwohns geratenden, namentlich im benachbarten Ausland (z. B. der Schweiz) verbreiteten „communistischen Vereine" gehören. Außerordentliche Volksversammlungen und Volksfeste, „nämlich solche, welche bisher hinsichtlich der Zeit und des Ortes weder üblich noch gestattet (gestattungspflichtig, sc.) waren", bedurften nunmehr in jedem Falle der zuvor erteilten behördlichen Genehmigung (Art. 3 Abs. 1 der

20^ Dok.50/1. ^^^ Protokolle der Bundesversammlung, 42. Sitzung vom 8. November 1832, § 485. 207 D o k . 5 1 . •^^^ Protokolle der Bundesversammlung, 20. Sitzung vom 7. Juni 1832, Separatprotokoll III. 209 A.a.O. 210 Dok.70.

84

1. Abschnitt: Gesamtdeutsche Verfassungsentwicklung (1803/06-1918)

„Zehn Artikel"); widrigenfalls machten sich deren Veranstalter strafbar (Art. 3 Abs. 2 der „Zehn Artikel"). Aber auch auf genehmigten Veranstaltungen durften bei Strafandrohung weder öffentliche Reden politischen Inhalts gehalten, noch Adressen oder Beschlüsse vorgeschlagen und für dessen Zustimmung geworben werden (Art. 3 Abs. 3 der „Zehn Artikel"). Das öffentliche Tragen von „Abzeichen in Bändern, Cocarden oder dergleichen . . . in andern Farben, als jenen des Landes", dem der Träger angehört, das nicht autorisierte Aufstecken von Fahnen und Flaggen, „das Errichten von Freiheitsbäumen und dergleichen Aufruhrzeichen" standen nunmehr ebenfalls unter Strafe (Art. 4 der „Zehn Artikel"). Des weiteren erinnerte Art. 5 der „Zehn Artikel" jeden Mitgliedstaat des Bundes noch einmal an die Geltung des Bundes-Universitätsgesetzes von 1819^^^ und forderte, „so weit es noch nicht geschehen", dessen „unfehlbare" Anwendung ein. Dabei hatte man in erster Linie den konsequenten Vollzug des § 2 des Gesetzes (Entfernung mißliebiger [Universitäts-]Lehrer von den Universitäten und sonstigen Lehranstalten, Berufsverbot hinsichtlich öffentlicher Lehrämter auch in jedem anderen Mitgliedstaat) und des § 3 des Gesetzes (Verbot geheimer Verbindungen, insbesondere der allgemeinen Burschenschaften, und deren Überwachung sowie die lebenslange Nichtzulassung ihrer Mitglieder zu öffentlichen Ämtern) im Sinn. Art. 6 der „Zehn Artikel" verlangte von den Landesregierungen „genaueste polizeiliche Wachsamkeit" gegenüber sich durch Reden, Schriften oder Handlungen der „Theilnahme an aufwieglerischen Plänen" verdächtig machenden Einheimischen; entsprechendes sah Art. 7 der „Zehn Artikel" mit Blick auf Fremde, die eine politische Straftat im Bundesgebiet planten, und hinsichtlich Personen aus Gegenden vor, die der Teilnahme an dort gebildeten umstürzlerischen Bewegungen verdächtigt wurden. Bei derart verdächtigten Fremden galt es nicht zuletzt, die Paßvorschriften „auf das Genaueste zu beobachten", wo nötig „zu schärfen". Überdies sollte verdächtigen „ausländischen Ankömmlingen" der Aufenthalt in keinem der Mitgliedstaaten ohne hinreichende Begründung gestattet werden. Die Regierungen waren zur wechselseitigen Bekanntgabe ihrer Ermittlungen über staatsgefahrliche geheime Verbindungen verpflichtet. Zudem hielt Art. 8 der „Zehn Artikel" die Landesregierungen zur wechselseitigen Auslieferung aller wegen politischer Verbrechen oder Vergehen gesuchten und dem eigenen Staat nicht angehörigen Personen an. Art. 9 der „Zehn Artikel" bekräftigte die seit dem Bundesbeschluß vom 21. Oktober 183(P-^^ bestehende Obliegenheit der Mitgliedstaaten, sich auf Ersuchen gegenseitig „die prompteste militärische Assistenz" zu leisten. Schließlich wurden die Regierungen angehalten, der Bundesversammlung die zur Vollziehung der Maßregeln getroffenen Verfügungen anzuzeigen (Art. 10 der „Zehn Artikel"). Indem das mit den „Zehn Artikeln" bundesseitig aufgerichtete restriktive Verbots- und Kontrollregime vorweg alle politischen Vereinigungen und Versammlungen für illegal erklärte, trieb es derartige Betätigungen restlos in den Untergrund; womit sich der Bund die ihm zugewiesene Erhaltung der inneren Sicherheit nicht gerade erleichterte.

211 D o k . 3 9 . 212 D o k . 4 8 .

3: Der Deutsche Bund ( 1 8 1 5 - 1 8 6 6 )

85

[140.] Nachdem es in einigen Mitgliedstaaten des Bimdes zu Protesten und Eingaben bei den Landesregierungen gegen die vom Bund erlassenen Ausnahmegesetze gekommen war, reagierte der Bund auch hier: Mit Beschluß vom 9. August 1832^^^ verbot die Bundesversammlung kurzerhand jedwede „Protestationen, Petitionen und Adressen" gegen diese „im Interesse der inneren Ruhe und gesetzlichen Ordnung gefaßten Bundesbeschlüsse". Die Regierungen sollten die für „derlei Acte der Auflehnung gegen die im Staatsoberhaupte vereinigte Staatsgewalt" Verantwortlichen („Urheber und Verbreiter") nach den geltenden Gesetzen zur Verantwortung ziehen. [141.] Doch mit all diesen Maßnahmen ließ sich die im Jahre 1833 noch latent vorhandene Unruhe nicht abstellen. Dies offenbarte vor allem der gegen die Bundesversammlung gerichtete, burschenschaftlich initiierte, unter Beteiligung einiger Intellektueller mehrheitlich studentisch getragene, mit seinen nicht viel mehr als 50 aktiven Teilnehmern aber angesichts der Passivität der Frankfurter Bevölkerung kläglich gescheiterte „Frankfiirter Wachensturm" vom 3. April 1833. Er bildete einen weiteren, diesmal gewalttätigen Höhepunkt. Schon unmittelbar nach den Frankfurter Ereignissen begannen intensive Ermittlungen und Ahndungen aller der Teilnahme Verdächtigen. Das erhöhte zwar den Verfolgungsdruck auf die national und demokratisch gesonnenen Oppositionellen. Doch bewiesen auch die später, am Jahrestag des Hambacher Festes, in der Pfalz stattfindenden erneuten politischen Demonstrationen, daß der Bund trotz der ergriffenen Maßnahmen sein Ziel, innere Ruhe zu schaffen, noch längst nicht (wieder) erreicht hatte. Dieser Einsicht folgend reagierte der Bund erneut mit Gegenmaßnahmen; sie waren zunächst exekutivischer Natur: [142.] Es wurde aufgrund mehrerer Bundesbeschlüsse seit dem 20. Juni 1833 eine „ Centralbehörde wegen eines gegen den Bund gerichteten Complotts" mit Sitz in Frankfurt bestellt.^^"^ Diese Zentraluntersuchungsbehörde hatte den Auftrag, „die näheren Umstände, den Umfang und den Zusammenhang des gegen den Bestand des Bundes und gegen die öffentliche Ordnung in Deutschland gerichteten Complotts . . . zu erheben und fortwährend von sämmtlichen . .. Untersuchungen . .. Kenntniß zu nehmen, . . . endlich für die Gründlichkeit, Vollständigkeit und Beschleunigung der anhängigen Untersuchungen Sorge zu tragen". Im Vordergrund stand indes vorerst das „am 3. April d. J. zu Frankfurt statt gehabte Attentat". Personell setzte sich die Behörde aus jeweils einem von Österreich, Preußen, Bayern, Württemberg und Hessen-Darmstadt ernannten Mitglied zusammen; zwei Stellvertreter wurden von Kurhessen und Nassau bestimmt. Die Behörde hatte rein investigativen Charakter. Sie sollte ihr zugehende Nachrichten über „aufrührische Complotte" sammeln, sich darauf beziehende Tatsachen aufklären, die Urheber und Teilnehmer an diesen Komplotten ermitteln und geeignete Abhilfemaßnahmen dagegen empfehlen - war daher eigentlich nichts anderes als ein Nachrichtendienst, der seine Informationen an den Bund und die allein untersuchungsführenden Landesbehörden weiterreichte. Letztere mußten jedoch umgekehrt auch Dok. 52. 21"^ Bundesb( Bundesbeschluß vom 20. Juni 1833 (Dok. 54), vom 8. August 1833 (Dok. 54/1) und vom 10. Oktober 1833 (Dok. 54/2).

86

1. Abschnitt: Gesamtdeutsche Verfassungsentwicklung (1803/06-1918)

von sich aus der Bundeszentraluntersuchungsbehörde die ihnen vorliegenden imtersuchimgsrelevanten Erkenntnisse zur Verfugung stellen. Hatte die Frankfurter Bundesbehörde ihre Ermittlungen einmal aufgenommen, so durften die Landespolizeibehörden und Landesgerichte ihre Untersuchungen und Verfahren nur abschließen, wenn ihnen in der Angelegenheit zuvor das bundesbehördliche Ermittlungsergebnis vorlag. Die Mitwirkung dieser Bundesbehörde war also ein zwingendes Verfahrenserfordemis, welches dem Bund insoweit Einflußnahme auf und Kontrolle über jedes politisch motivierte Untersuchungs- und Gerichtsverfahren in den Einzelstaaten sicherte. Deren Souveränität war in diesem Bereich somit erheblich eingeschränkt. In ihrer nahezu zehnjährigen Tätigkeit hat die Zentralbehörde in mehr als 2.140 Fällen Ermittlungen durchgeführt. Davon berichtet das von ihr mit Akribie geführte sogenannte „Schwarze Buch" mit ihren Inkulpatentabellen eine Art Bundesverdächtigen-Zentralregister. Mit Beschluß vom 25. August 1842215 wurde die Behörde „nachdem die gegenwärtige Lage . . . es gestattet", vertagt; jedoch mit der Maßgabe an die sie personell besetzenden fünf Staaten, die „Commissarien in der Weise fortwährend disponibel zu halten", daß sie auf Anrufen der Bundesversammlung ihre Arbeit unverzüglich wieder aufzunehmen in der Lage wären. Die derart suspendierte Behörde wurde aber nie mehr reaktiviert. [143.] Flankiert wurde die Institutionalisierung der Bundeszentraluntersuchungsbehörde durch die unter Mettemichs Federführung angestrengte verstärkte Bekämpfung des in den landständischen Verfassungen der Mitgliedstaaten verankerten Repräsentationsprinzips. Sah der österreichische Staatskanzler doch Repräsentativverfassung, Volkssouveränität und Revolution in einem untrennbaren Kausalzusammenhang stehen. Demgemäß durfte die mit den „Sechs Artikeln" eingeleitete Eindämmung dieser Verfassungen nur der Anfang eines noch erheblich ausbaufähigeren Beschränkungsprozesses sein. Aus einer entsprechenden Vorverständigung mit der preußischen Regierung nach dem Muster von Karlsbad gingen schließlich die seit dem Januar 1834 beratenden Wiener Ministerialkonferenzen hervor; eine Veranstaltung außerhalb der Bundesversammlung, an der bezeichnenderweise nur die im „Engeren Rat" stimmfuhrenden siebzehn Bundesmitglieder teilnahmen. Damit blieben die übrigen kleineren und kleinsten, nur im Rahmen einer Gesamtstimme am Geschäft des Engeren Rates beteiligten Staaten der 12.-17. Stimme außen vor. Ungeachtet einer sich allzu offensichtlichen Eingriffen in ihre Landesverfassungen widersetzenden Staatenfraktion (insbesondere Bayern, Württemberg, Hannover, Sachsen, Baden Kurhessen, Sachsen-Weimar, Nassau) einigte man sich in dem auf den 12. Juni 1834 datierten SchlußprotokoU auf einen in 60 Artikeln fixierten Maßnahmenkatalog. Diese sogenannten „ Sechzig Artikel "^^^ unterlagen - mit Ausnahme der zunächst auf Betreiben Bayerns für sechs Jahre befristeten, nach Fristablauf aber auf unbestimmte Zeit verlängerten Bestimmungen über die Presse (Art. 28 - 34) und die Universitäten (39 - 53) - in ihrer Geltungsdauer grundsätzlich keinen zeitlichen Einschränkungen. Es wurde mit Rücksicht auf die ohnehin prekäre Situation der meisten konstitutionellen Staaten „die Aufbietung strenger Geheimhaltung" darüber vereinbart (Art. 60 Protokolle der Bundesversammlung, 23. Sitzung vom 25. August 1842, § 254. Dok. 55.

§ 3: Der Deutsche Bund ( 1 8 1 5 - 1 8 6 6 )

87

Abs. 2). Die „Sechzig Artikel" waren damit - das war auch unter den Beteiligten unstrittig - vorerst jedenfalls kein Bundesrecht, sondern wurden nach Art. 60 Abs. 1 dieser Bestimmungen „als das Resultat einer Vereinbarung unter Bundesgliedem" angesehen, welches die Signatare ebenso verpflichtete, wie „wenn dieselben (Artikel, sc.) zu förmlichen Bundesbeschlüssen erhoben worden wären". Parallel zum geltenden Bundesrecht sollte hiermit bewußt eine weitere für die Mitgliedstaaten des Bundes bindende Rechtsebene geschaffen werden, ohne wirklich Bundesrecht zu sein. Dies warf naturgemäß in Fällen der Pflichtenkollision zwischen Bundesrecht und dem durch die „Sechzig Artikel" geschaffenen Recht die Frage des Verhältnisses beider Rechtsebenen zueinander auf Beurteilungsmaßstab bei der Beantwortung dieser Frage mußte hier, weil zunächst die bestehende Rechtsordnung repräsentierend, das in Geltung stehende Bundesrecht sein. Aus dessen Sicht wiederum war die Situation eindeutig, denn gemäß Art. 3 DBA hatten die Bundesmitglieder die Bundesakte (will heißen die Bundesverfassung insgesamt!) „unverbrüchlich zu halten". Es bestand daher für sämtliche Mitgliedstaaten gleichermaßen die Pflicht, sich aller bundesrechtswidrigen Akte zu enthalten. D. h. pflichtenbegründend konnten überhaupt nur bundesrechtskonforme Vereinbarungen sein. Das traf aber nur auf diejenigen Teile der „Sechzig Artikel" zu, die entweder von vornherein mit geltendem Bundesrecht im Einklang standen oder durch formell rechtmäßige Bundesbeschlüsse ausdrücklich zu Bundesrecht erhoben wurden. Behielten bislang nicht mit Bundesrecht übereinstimmende Pflichteninhalte der „Sechzig Artikel" indes lediglich den Status von Geheimvereinbarungen bei, bedeutete deren Anwendung ein Verstoß gegen Bundes(verfassungs)-recht. Ob andere Bundesmitglieder einen oder mehrere der ihren zu einem solchen verleiten durften, erscheint mehr als fraglich. So gesehen konnten die „Sechzig Artikel" rechtüch kaum mehr als eine politische Absichtserklärung der sie zeichnenden Regierungen sein. [144.] Ungeachtet dessen erhob der Bund eine Reihe der „Sechzig Artikel" zu geltendem Bundesrecht: Dies erfolgte durch Plenarbeschluß vom 30. Oktober 1834^^^ hinsichthch der Art. 3 - 1 4 zur Errichtung eines Bundesschiedsgerichts^^^ sowie durch jeweils einstimmigen Beschluß im „Engeren Rat" vom 13. November 1834^^^ hinsichtlich der Art. 4 2 - 5 6 über die „ Gemeinsamen Maßregeln in Betreff der Universitäten und anderer Lehr- und Erziehungs-Änstalten Deutschlands "^^° und hinsichtlich dem die Aktenversendung betreffenden Art. 57^^^ Dies waren aber aus Sicht des Bundes auch beileibe nicht die brisantesten Bestimmungen. Demgegenüber avancierten der die Aufrechterhaltung des monarchischen Prinzips beinhaltende Art. 1, die besonders heiklen (weil die Einschränkung landständischer Rechte thematisierenden) Art. 1 5 - 2 7 und (weil die weitere Handhabung der Zensur betreffenden) Art. 28 - 35, die die Fragen des gesamtdeutschen Buchhandels ansprechenden Art. 36 und 37, einige Regelungen über die Universitäten 217

Protokolle der Bundesversammlung, Plenarversammlung vom 30. Oktober 1834. Dok. 57. ^^^ Protokolle der Bundesversammlung, 39. Sitzung vom 13. November 1834, §§ 546, 547. 218

220 Dok. 58 221 Dok. 59 und Dok. 60.

88

1. Abschnitt: Gesamtdeutsche Verfassungsentwicklung (1803/06-1918)

enthaltenden Art. 3 8 - 4 1 sowie die die Einzelheiten der zur Ausführung der materiellen Inhalte der „Sechzig Artikel" verpflichtenden Art. 5 8 - 6 0 niemals zu förmlichem Bundesrecht; wenngleich ihre direktive Bedeutung in der Realität des politisch-administrativen Tagesgeschäfts nicht unterschätzt werden darf. [145.] Völlig unverfänglich wirkte zunächst das mit Bundesbeschluß vom 30. Oktober 1834^^^ eingeführte, in praxi indes bedeutungslos gebliebene Bundesschiedsgericht. Es war eine im Kern sinnvolle, sich vom dumpf-reaktionären Duktus der übrigen Wiener Artikel abhebende, wenngleich wegen seiner lediglich fakultativen Zuständigkeit unzureichende Antwort auf die in vielen einzelnen Mitgliedstaaten fehlende Verfassungsgerichtsbarkeit und auf die sich zunehmend abzeichnende Gefährdung des Bundesfriedens durch innerstaatliche Verfassungsstreitigkeiten zwischen der Landesobrigkeit und den Landständen bzw. (in den Freien Städten) dem Senat und der Bürgerschaft. [146.] Von ganz anderem Kaliber waren da die am 13. November 1834 von der Bundesversammlung beschlossenen „Gemeinsamen Maßregeln in Betreff der Universitäten und anderer Lehr- und Erziehungs-Anstalten Deutschlands''^^^. Durch dieses (neben demjenigen von 1819) zweite Bundes-Universitätsgesetz erweiterte der Bund den den Landesregierungen durch Bundesrecht bereits zur Verfügung stehenden Maßnahmenkatalog bei der Überwachung der Universitäten in wörtlicher Entsprechung der Art. 4 2 - 5 6 der „Sechzig Artikel" noch erheblich: So mußte jede Universität eine Immatrikulationskommission einsetzen, bei der sich die Studierenden innerhalb von zwei Tagen nach ihrer Ankunft zur Immatrikulation zu melden hatten; acht Tage nach Vorlesungsbeginn durften ohne Regierungsgenehmigung keine Immatrikulationen mehr vorgenommen werden (Art. 1 des Gesetzes). Zur Aufiiahme des Studiums oder bei Universitätswechsel mußte u. a. auch ein Zeugnis des „sittlichen Betragens", welches jede „Strafe wegen verbotener Verbindung" zu enthalten hatte, vorgelegt werden; dieses Zeugnis war einschließlich des Passes bis zum Verlassen der Universität bei der Immatrikulationskommission aufzubewahren (Art. 2 und 3 des Gesetzes). Zudem wurde die Immatrikulation derjenigen verweigert, die durch das consilium abeundi oder durch Relegation von einer anderen Universität verwiesen waren oder gegen die „ein dringender Verdacht" der Zugehörigkeit zu „einer verbotenen Verbindung" bestand, von dem sich die Betreffenden „auf eine befriedigende Weise nicht (zu) reinigen" vermochten (Art. 4 des Gesetzes). Nicht anders erging es all denjenigen, die sich weigerten „auf Ehre und Gewissen" zu versprechen, der Teilnahme an unerlaubten Verbindungen zu entsagen (Art. 5 des Gesetzes). Überhaupt waren alle nicht nur wissenschaftlichen oder nicht geselligen Zwecken dienende Studentenverbindungen verboten. Die anderen bedurften einer behördlichen Erlaubnis (Art. 6 des Gesetzes). Die „Theilnahme an verbotenen Verbindungen" war unbeschadet der in einzelnen Staaten bestehenden strengeren Bestimmungen, in allen schweren Fällen mit dem consilium abeundi oder der Relegation zu bestrafen. Dem Tatbestand der Teilnahme an verbotenen Verbindungen unterfielen namentlich die Gründung solcher Verbindungen oder die Verleitung zum Beitritt sowie ^^^ Dok.57. 223 Dok.58.

§ 3: Der Deutsche Bund ( 1 8 1 5 - 1 8 6 6 )

89

die wiederholte oder fortgesetzte Teilnahme sonstiger Mitglieder oder das Kommunizieren mit verbotenen Verbindungen anderer Universitäten (Art. 7 des Gesetzes). Auf die Teihiahme an burschenschaftlichen und anderen politischen Verbindungen stand sogar die geschärfte Relegation; außerdem durften die solchermaßen Gestraften in keinem deutschen Staat zum Beamtendienst, zu einem Kirchen- oder Schulamt, zu einer akademischen Würde, zur Advokatur oder zum ärztlichen Beruf zugelassen werden (Art. 8 des Gesetzes). Urheber einer sogenannten „Verrufserklärung" gegen eine Universität, ein Institut, eine Behörde, einen akademischen Lehrer oder Privatpersonen waren an allen deutschen Universitäten auszuschließen (Art. 11 des Gesetzes). Diese Bestimmungen blieben vorerst auf sechs Jahre befristet (Art. 14 des Gesetzes) und wurden durch Bundesbeschluß vom 29. Juli ]ß4p24 ^ j ^ weitere sechs Jahre verlängert. Sie sollten auch auf „andere öffentliche sowohl als Privat-Lehr- und Erziehungs-Anstalten . . . angewendet werden" (Art. 15 des Gesetzes). Überdies wurde den akademischen Gerichten die eigene Gerichtsbarkeit in Straf- und Polizeisachen entzogen (Art. 13 des Gesetzes). [147.] Ebenfalls in einem am 13. November 1834 im „Engeren Rat" einstimmig gefaßten Beschluß mutierte der das Verbot der Aktenversendung festschreibende Art. 57 der „Sechzig Artikel" zum Bundesgesetz.^^^ Dies geschah, indem man im Wege der „authentischen Interpretation" die in Art. 12 Abs. 4 DBA fixierte Verpflichtung der von den Klein- und Kleinststaaten gemeinschaftlich errichteten obersten Gerichte der Länder, auf Antrag einer Partei die Verschickung der Prozeßakten an eine deutsche Universität oder an einen Schöppenstuhl zur Abfassung des Endurteils vorzunehmen, auf Zivilsachen einengte. Die landesrechtliche Praxis, weiterhin Akten in Straf- und Kriminalsachen zu versenden, schien dies jedoch nicht wirklich zu beeinflussen. Das sollte sich erst mit dem Bundesbeschluß vom 27. November 1834^^^ ändern. Hierin wurde den Landesregierungen nahegelegt, „dem Übelstande der Verschickung der Akten", wenn schon nicht in allen, so doch in politischen Strafsachen „im Interesse der Gesammtheit des Bundes für die Zukunft abzuhelfen". Als sich damit wohl noch immer nicht der gewünschte Erfolg einstellte, erklärte man in einem weiteren Beschluß, am 5. November 1835^^^, nunmehr im Gewände des unmittelbar geltenden Bundesrechts die Reste der in den Mitgliedstaaten noch bestehenden Aktenversendung in Straf- und Kriminalsachen mit Wirkung zum 1. Januar 1837 fur beendet. Zugleich wurden die Regierungen „ersucht", den Universitäten - die Schöppenstühle spielten in praxi keine Rolle mehr - als den aus Sicht des Bundes politisch unzuverlässigsten, weil gegen das repressiv-polizeiliche System vielfach opponierenden, Institutionen die Annahme solcher Akten zu untersagen. [148.] Die überwiegende Zahl der „Sechzig Artikel" ist niemals zu förmlichem Bundesrecht erhoben worden. Sie behielten den oben bereits beschriebenen Charakter von Geheimbestimmungen:

224 225 226 227

Dok.58/1. Dok.59. Dok.60. Dok.62.

90

1. Abschnitt: Gesamtdeutsche Verfassungsentwicklung (1803/06-1918)

[149.] Hierzu zählte allen voran Art. 1, demzufolge vor allen das in Art. 57 WS A festgeschriebene monarchische Prinzip „unverletzt zu erhalten" war. Er bezeichnete jede diesem zuwiderlaufende Teilung der Staatsgewalt als „unvereinbar mit dem Staatsrechte der im deutschen Bunde vereinigten Staaten". Dementsprechend würden die Regierungen der Mitgliedstaaten „eine mit den Souveränitätsrechten (des Monarchen, sc.) unvereinbare Erweiterung ständischer Befugnisse" niemals zugestehen. Auf diese Weise erhoffte man sich bundesseitig nicht nur eine Eindämmung der Kompetenzen der existierenden Landstände, sondern auch der befürchteten Fortentwicklung der Landstände zu echten demokratischen Repräsentationsorganen wirksam Einhalt gebieten zu können. Nicht nur die bestehenden Bundesverfassungsverhältnisse sollten statisch sein, diejenigen der Länder sollten es möglichst auch! [150.] Die Art. 1 5 - 2 7 der geheim bleibenden Artikel richteten das Augenmerk auf das Verhältnis der Landstände zur jeweiligen Landesregierung. Nach Art. 15 sollten die Stände von ihren einmal in verfassungsmäßiger Form gefaßten Beschlüssen ohne Zustimmung der Regierung nicht rechtswirksam abgehen können. Obendrein würden die Regierungen keine landständischen Beschlüsse zulassen, die zur Schmälerung landesherrlicher Rechte führten. Das zielte gegen jede Art eines einvemehmlichen Fortschritts auf konstitutioneller Basis. Nach Art. 16 sollten verfassungsmäßig von der Regierung erlassene Verordnungen mit Nachdruck gehandhabt werden; zudem würde man den „Competenz-Uebergriffen der Gerichte" gegen solche Verordnungen auf jede rechtlich statthafte Weise „standhaft begegnen". Erkannten die Stände derartige Verordnungen nicht an, vermochte dies den Vollzug dieser Normen solange nicht zu hemmen, bis die ständische Beschwerde auf verfassungsmäßigem Wege als begründet anerkannt wäre. Überhaupt würden ständische Einsprüche die Erledigung der Regierungsgeschäfte nicht behindern können. Zudem verpflichteten sich die Regierungen in Art. 17, es nicht zu gestatten, daß die Stände über die Gültigkeit von Bundesbeschlüssen beraten und beschließen. Mit dieser den Art. 6 der „Sechs Artikel" noch einmal in Erinnerung rufenden Bestimmung stellte man lediglich die ohnehin geltende Rechtslage klar und mahnte deren gewissenhafte Beachtung an. Durch Art. 18 oblag jeder Regierung die Pflicht zur Auflösung der Stände, wenn diese die nach Art. 2 der „Sechs Artikel" gebotene Etatbewilligung für die ordnungsgemäße Erfüllung der Bundespflichten und für die verfassungsmäßige Landesverwaltung, erst recht aber, die Steuerbewilligung total verweigerten. Für daraus entstehende Konflikte wurde „Hülfe des Bundes nach Maßgabe der Art. 25 - 27 der Schlußakte zugesichert". Damit sollte also auch bereits jeder Haushaltskonflikt ein ausreichender Grund für eine Bundesintervention sein können. Dieser neu geschaffene „Interventionstatbestand" bildete indes kein bindendes Bundesrecht, sondern existierte nur als bundesrechtswidriges „Geheimrecht". Art. 20 hob hervor, daß das Steuerbewilligungsrecht der Stände nicht gleichbedeutend war mit dem Budgetrecht. Nur dort, wo den Ständen von Landesverfassungs wegen ausdrücklich das Budgetrecht zugebilligt wurde, hätten sie die Befugnis über alle Einnahmen und Ausgaben mitzuentscheiden. Ansonsten würde ihnen das Recht zur Festsetzung oder Streichung einzelner Ausgabeposten im Etat fehlen. Die Regierungen sollten diese Unterscheidung genau beachten. Art. 21 sah eine detaillierte Verfahrensweise für den

• 3: Der Deutsche Bund (1815-1866)

91

Fall vor, daß es in der Budgetfrage zwischen Ständen und Regierung zu keiner Einigung kam. Es war dann beizeiten ein Schiedsgerichtsverfahren einzuleiten. Würden sich die Stände zwischenzeitlich zu einer „einstweiligen, den Fortgang des Staatshaushalts bis zur Entscheidung sichernden Steuerbewilligung nicht verstanden haben, oder sich einem schiedsrichterlichen Ausspruche gar nicht unterwerfen wollen, während die Regierung den oben erwähnten Bestimmungen nachgekommen ist, so steht letzterer das Recht zu, die zur Erfüllung der Bundespflicht und zu Führung einer der Landesverfassung entsprechenden, geordneten Verwaltung erforderlichen Steuern fortzuerheben". Auch in diesem Falle garantierte der Bund - ähnlich wie bereits im Zusammenhang mit Art. 20 erläutert - allerdings bundesrechtswidrig „nöthigenfalls die Bundeshülfe nach Art. 25 und 26 der Schlußacte und Art. 2 des Bundesbeschlusses vom 28. Juni 1832 (der „Sechs Artikel", sc.)". Hiemach sollte somit sichergestellt sein, daß die Regierung zu jeder Zeit über die zur Aufgabenerfällung erforderlichen Haushaltsmittel verfügte. In Art. 21 fmden wir auffallige Parallelen zur späteren Bismarckschen Praxis während des preußischen Verfassungskonflikts der Jahre 1862 bis 1866. Durch Art. 22 sollte das Einkommen des Regenten gesichert werden, jedenfalls nicht ohne seine Einwilligung vermindert, aber auch nicht ohne Zustimmung der Stände erhöht werden können. Mit Art. 23 wurde den Landesregierungen auferlegt, an dem Grundsatz festzuhalten, daß Staatsbeamte zu ihrem Eintritt in ständische Kammern der landesherrlichen Genehmigung bedurften. Durch Genehmigungsverweigerung war es insbesondere möglich, bekanntermaßen eher national-liberal, in jedem Falle vornehmlich oppositionell gesonnene Beamte von den Landständen femzuhalten; eine Option, von der man zu diesem Zweck bis dahin namentlich in Bayern, teilweise auch in Baden Gebrauch gemacht hatte. Obendrein vereinbarte man, daß die Regierungen der Vereidigung des Militärs auf die Landesverfassung „nirgends und zu keiner Zeit Statt geben" würden (Art. 24). Mit den Art. 25 - 27 wurden die Regierungen dazu angehalten, die Öffentlichkeit der landständischen Verhandlungen möglichst weitgehend einzuschränken und für eine verschärfte Ausübung der zur Verfügung stehenden disziplinarischen Maßregeln gegenüber den Abgeordneten zu sorgen. [151.] Ebenfalls nicht zu verbindlichem Bundesrecht wurden die sich mit der restriktiven und zugleich vereinheitlichenden Handhabung der Zensur in allen Mitgliedstaaten beschäftigenden Art. 2 8 - 3 5 . Art. 28 statuierte zunächst einige Verfahrensgrundsätze, die zuvörderst verlangten, nur Männer von „erprobter Gesinnung und Fähigkeit" als Zensoren zu bestellen und diese mit möghchst genauen Instruktionen für die Ausübung ihres Amtes zu versehen. „Censurlücken", das waren für gewöhnlich die im Text der Druckschriften als Folge der Zensur verbleibenden „weißen Stellen", sollten „nirgends" geduldet werden. Solche Lücken offenbarten den Lesern nämlich nur zu deutlich Art und Umfang der stattfindenden Zensur und forderten auf diese Weise die öffentliche Meinung unnötig heraus. Zensur sollte demnächst so erfolgen, daß sie möglichst unauffällig blieb. Man lernte folglich dazu und verfeinerte die Methoden: Informationskontrolle und Informationslenkung ja - jedoch möglichst dezent! Hierzu paßte auch die Absicht, der „übermäßigen Anzahl politischer Tagblätter" Herr zu werden, indem man sie „allmählig", d. h. behutsam und ohne öffentliches Aufsehen, verringerte (Art. 29).

92

1. Abschnitt: Gesamtdeutsche Verfassungsentwicklung (1803/06-1918)

In Ansehung dessen sollte nunmehr die Herausgabe neuer „politischer Tagblätter" konzessionspflichtig sein. Das rechtmäßige Erscheinen neuer Blätter hing damit von einer ausdrücklich erteilten, jederzeit widerruflichen staatlichen Konzession ab. Die bislang gängige Praxis einfacher Duldung neu erscheinender Schriften hatte aufzuhören. Selbst das in einem Mitgliedstaat erteilte Imprimatur sollte andere Mitgliedstaaten nicht ohne weiteres von eigenen Kontrollen entbinden (Art. 31). Man zweifelte offenbar an der Wirksamkeit der Zensurpraktiken mancher Mitgliedstaaten. Für die Einfuhr im Ausland erscheinender Druckschriften erlegte Art. 32 den Regierungen eine besonders scharfe Zensur auf, um so namentlich dem Eindringen radikalen Gedankenguts deutscher Emigranten (z. B. Heine, Börne) wirksamer begegnen zu können. Auch Protokolle und Zeitungsberichte über landständische Versammlungen und Presseberichterstattungen über Gerichtsverhandlungen sollten fortan einer verschärften Prüfung unterliegen (Art. 3 3 - 3 5 ) . [152.] Schließlich beließen es die Art. 36 und 37 bei den geheimen Absichtserklärungen fiir eine künftige gesamtdeutsche Organisation des Buchhandels. [153.] Eine weitere Strebe im Gebäude dieser Ausnahmegesetzgebung des Bundes bildeten dann Maßnahmen gegen das sich auf Wanderschaft begebende Handwerksgesellentum. Denn der Bundesbeschluß vom 15. Januar 1835^^^ untersagte es den deutschen Handwerksgesellen, „an . . . Associationen und Versammlungen" teilzunehmen, durch welche die öffentliche Ruhe bedroht oder gestört werden konnte. Insbesondere durften die Gesellen nicht „nach denjenigen Ländern und Orten" wandern, „in welchen offenkundig dergleichen Associationen und Versammlungen geduldet werden, so lange diese Duldung notorisch besteht". Verortete man doch - nicht zu Unrecht - in den Kreisen der Handwerksgesellen national-revolutionäres, zumindest aber radikales und bundesfeindliches Gedankengut. Dementsprechend sollten auch sie und ihre Bewegungen künftig einer strengen polizeilichen Überwachung unterworfen sein. [154.] Als Schlußstein im Gebäude der Ausnahmegesetze des Bundes durften die von der Bundesversammlung am 18. August 1836 beschlossenen StrafVorschriften wegen Hoch- und Landesverrat gelten.^^^ Hiemach wurde ein gegen den Bund oder dessen Verfassung gerichteter Angriff zugleich als ein Angriff gegen jeden einzelnen Mitgliedstaat aufgefaßt. Daher waren solche Handlungen in den einzehien Staaten nach den dort bestehenden Gesetzen über Hoch- oder Landesverrat zu beurteilen und zu bestrafen. Überdies wurden die Mitgliedstaaten zur Auslieferung der Verdächtigen an diejenigen Staaten verpflichtet, denen gegenüber derartiger Verrat geübt worden war. cc. Ende der Ausnahmegesetzgebung im Jahre 1848 [155.] Am 2. April 1848 beschloß die Bundesversammlung im Zuge der revolutionären Ereignisse auf Antrag der Freien Stadt Frankfurt die bereits erwähnte Aufliebung aller seit dem Jahre 1819 erlassenen „Ausnahmegesetze''P^ Man be228 Dok. 61. 229 Dok. 63. 230 Dok. 75.

§ 3: Der Deutsche Bund (1815 - 1866)

93

gründete dies damit, daß „die Aufhebung durch die Erklärungen und Zusicherungen der einzelnen Bundesregierungen schon factisch geschehen" war. Damit traten u. a. die aus den Karlsbader Beschlüssen von 1819 hervorgegangenen Gesetze^^^, die Maßregeln-Gesetze von 1824^^^ und 1830^^^, die „Sechs ArtikeV'^^^ und die „Zehn ArtikeV'^^^ von 1832, die im Zuge der Sechzig geheimen Artikel von 1834^^^ als Bundesrecht erlassenen Gesetze^^^, die Bundesbeschlüsse über das Verbot von Petitionen und Protestationen (1832)^^^, gegen das Handwerksgesellentum (1835)^^^ und über die Bestrafung wegen Hoch- und Landesverrats (1836)^^^ endgültig außer Kraft. Hieran änderte auch die am 2. September 1850 erfolgende Restitution der Bundesversammlung und damit die Wiederherstellung des Deutschen Bundes in seiner alten Form nach dem Intermezzo von Paulskirche und Reichsgewalt nichts mehr. dd. Restaurative Maßnahmen in der Folgezeit [156.] Spätestens seit dem Scheitern aller preußischen Bestrebungen, mit der Erfurter Union einen engeren nationalen Zusammenschluß zu erreichen, also mit der österreichisch-preußischen Wiederannäherung seit Olmütz (28. November 1850) und der preußischen Rückkehr in die Bundesversammlung, herrschte bei beiden Führungsmächten eine ausgeprägt konservative Abwehrhaltung gegenüber den teilweise recht liberalen und demokratischen Strömungen des Verfassungslebens in den kleinen und mittleren Mitgliedstaaten des Bundes vor. Dementsprechend nahm man sich auf beider Initiative hin der aus der Revolution hervorgegangenen verfassungsrechtlichen Errungenschaften an. Hierzu zählten namentlich der Eid des Heeres auf die Verfassung, das demokratische Wahlrecht, das umfassende Budgetrecht der Kammern, das zensurfreie Presserecht und ein auf erste Parteienbildung wirkendes Koalitionsrecht. All dieses paßte nicht mehr in eine Zeit, in der man bewußt rückwärtsgerichtet die vormärzlichen Bundesverfassungsstrukturen wieder aufleben ließ. Ähnlich wie seit den Karlsbader Beschlüssen von 1819 und den Ausnahmegesetzen der 1830er Jahre begann der Bund daher wieder massiv in die mitgliedstaatlichen Verfassungsverhältnisse einzugreifen. Denn die liberalen Rechtszustände in den Gliedstaaten konnten jedenfalls auf Dauer den Bestand des Bundes gefährden; wuchs hierdurch doch ein aus Sicht des Bundes erneut nur schwer zu beherrschendes, weil sich zunehmend verselbständigendes und deshalb destabilisierend wirkendes nationales wie demokratisches Potential heran. Sollte bzw. wollte der Bund sein überkommenes, rückwärtsgewandtes Re231 232 233 234 235 236 237 238 239 240

Dok. 38, Dok. 39, Dok. 40 und Dok. 41. Dok. 47. Dok. 48. Dok. 50. Dok. 51. Dok. 55. Dok. 56, Dok. 57, Dok. 58, Dok. 59 und Dok. 60. Dok. 52. Dok. 61. Dok. 63.

94

1. Abschnitt: Gesamtdeutsche Verfassungsentwicklung (1803/06-1918)

gime und damit sich selbst behaupten, mußte er dieser Dynamik begegnen. Ziel konnte es angesichts Art. 13 DBA allerdings nicht sein, die mittlerweile in allen Ländern bestehenden konstitutionellen VerfassungsVerhältnisse wieder zu beseitigen. Doch mußten ihnen zumindest die „Giftzähne" gezogen werden. [157.] Genau dies bezweckte dann der auf Antrag Österreichs und Preußens von der Bundesversammlung am 23. August 1851 nach erheblichen Modifikationen angenommene und als Bundesgesetz geltende sogenannte „Bundesreaktionsbeschluß''^^^. Hiernach hielt sich die Bundesversammlung unter Berufung auf die Grundgesetze des Bundes „für berechtigt und verpflichtet, dafür Sorge zu tragen, daß in keinem Bundesstaate Institutionen und Zustände bestehen, welche für die innere Ruhe und Ordnung desselben und dadurch für die allgemeine Sicherheit des Bundes bedrohlich sind". Der Bund machte sich dadurch zum obersten Kontrolleur für alle einzelstaatlichen Verfassungszustände.^"^^ Dementsprechend forderte er in dem Beschluß die Landesregierungen auf, namentlich die seit 1848 geschaffenen staatlichen Einrichtungen und gesetzlichen Bestimmungen „einer sorgfaltigen Prüfung" zu unterziehen und im Falle ihrer Bundesrechtswidrigkeit die Übereinstimmung mit den Bundesgrundgesetzen unverzüglich herzustellen. Widrigenfalls behielt sich der Bund die „verfassungsmäßige Einwirkung" auf die mitgliedstaatlichen Verhältnisse vor; gedacht war dabei in erster Linie an „die Absendung von besonders zu instruirenden Commissionen". Zur Prüfung, wann derartige Einwirkungen vorzunehmen waren, bestellte die Bundesversammlung einen Ausschuß („Reaktionsausschuß") bestehend aus Vertretern Österreichs, Preußens, Bayerns, Sachsens und Hessen-Darmstadts. Des weiteren sollte der politische Ausschuß der Bundesversammlung „allgemeine Bundesbestimmungen zur Verhinderung des Mißbrauchs der Preßfreiheit" vorschlagen. Ungeachtet dessen wurden die Landesregierungen aufgefordert, durch „alle gesetzlichen Mittel die Unterdrückung der Zeitungen und Zeitschriften unter Bestrafung der Schuldigen herbeizufuhren, welche atheistische, sociahstische oder communistische, oder auf den Umsturz der Monarchie gerichtete Zwecke verfolgen". Das war Reaktion nach den Rezepten des Vormärz', wenngleich in neuem Gewände! Mit massiver Einmischung in die innerstaatlichen Verhältnisse zu Lasten der gliedstaatlichen Souveränität und der Individualrechte der Untertanen bemühte sich der Bund, das Rad der Geschichte zurückzudrehen; dort fortzufahren, wo er im Frühjahr 1848 unter dem Eindruck der revolutionären Ereignisse vorübergehend aufgehört hatte. So gesehen lag in diesem Verhalten eine geradezu unerbittliche Konsequenz. Er begann wieder verfassungsrechtsreduzierend und zugleich -nivellierend auf seine Mitglieder einzuwirken. Die Länder unterlagen von jetzt an einer für einen Staatenbund gänzlich atypischen Verfassungsmediatisierung. Der Bund avancierte in letzter Konsequenz zum obersten Verfassungswächter. Eine neue Phase politischer Stagnation und Repression kündigte sich an.^"^^ [158.] Der Reaktionsausschuß überprüfte ab Oktober 1851 in ganz zentralistischer Manier die Wahl-, Preß- und Vereinsgesetze der Mitgliedstaaten. Seine 241 Dok.78. 242 w. Siemann (Fußn. 6), S. 398. 243 M Botzenhardt, Deutsche Verfassungsgeschichte 1806 - 1949, 1993, S. 57.

3: Der Deutsche Bund (1815 - 1866)

95

Empfehlungen boten der Bundesversammlung die Handhabe, konkrete Maßnahmen gegen die Regierungen auszusprechen. Insoweit direkt betroffen waren Hannover, Waldeck, Lippe-Detmold, Luxemburg, Frankfurt, Bremen und Hamburg. [159.] Hannover war das einzige Königreich, bei dem der Bundesreaktionsbeschluß unmittelbar eingriff: So kam der Reaktionsausschuß in seinem Bericht vom 22. März 1855 zu dem Ergebnis, daß das Verfassungsgesetz vom 5. September 1848 sowohl formell als auch in weiten Teilen materiell verfassungswidrig wäre. Dem sich anschließend forderte die Bundesversammlung die hannoversche Regierung durch Beschluß vom 19. April 1855^"^"^ auf, die Übereinstimmung des Landesverfassungsrechts mit dem Bundesrecht herzustellen. Hierbei wurde bezeichnenderweise darauf hingewiesen, daß die Regierung bei den von ihr vorzunehmenden Änderungen der im Ausschußbericht als „bundeswidrig" bezeichneten §§ 1, 2, 10, 18, 19, 34 - 76, 78 - 100, 102, 105 und 109 (immerhin 74 von insgesamt 109 Paragraphen!) nicht an die Einhaltung des von Art. 56 WS A für normale Verfassungsänderungen vorgeschriebenen Verfahrens gebunden wäre. Gestützt auf diesen Rückhalt hob die Regierung Kielmannsegg die beanstandeten Bestimmungen am 1. August 1855 einseitig auf und stellte insoweit diejenigen der Verfassung von 1840 wieder her. Die Regierung sah sich in der Folgzeit einer heftigen Opposition seitens der Zweiten Kammer ausgesetzt, welche dabei auch das ihr zustehende Budgetrecht zu instrumentalisieren suchte. Worauf König Georg V. am 7. September 1856 mit deren Auflösung reagierte und erneut im Verordnungswege die bestehende Verfassung modifizierte. Diesmal traf es die Vorschriften über das Finanzkapitel, welche zugunsten der §§129-153, 157-167 der Verfassung von 1840 aufgehoben wurden. Erst nachdem die Kammeropposition durch eine Reihe von Regierungsmaßnahmen weitgehend ausgeschaltet war, kam es im April 1857 zur Verständigung mit der aufgrund ihrer Zusammensetzung nunmehr „gezähmten" Kammer über die Einführung eines neuen Finanzkapitels in die Verfassung. Nach Abschluß auch dieser Verfassungsrevision bedankte sich die Regierung übrigens artig für die ihr zuteil gewordene Unterstützung bei der Bundesversammlung, welche dies laut Bundestagsprotokoll „mit Befriedigung zur Kenntniß" nahm.^^^ [160.] Waldeck hatte mit dem Staatsgrundgesetz vom 23. Mai 1849 eine die Verfassung von 1816 ersetzende Konstitution erhalten. Aufgrund der dagegen bei der Bundesversammlung erhobenen Beschwerde des Prinzen Hermann von Waldeck befaßte sich der Reaktionsausschuß mit der Angelegenheit und berichtete der Bundesversammlung darüber am 23. August 1851. Durch deren Beschluß vom 7. Januar 1852^"^^ wurde die Waldeckische Regierung zur Abänderung des Staatsgrundgesetzes „in thunlichster Bälde" und zur Verschiebung des Verfassungseids des demnächst regierungsmündigen Fürsten Georg Victor aufgefordert. Die nunmehr notwendige Verfassungsrevision fand ihren Abschluß in der Verfas-

'^^^ Protokolle der Bundesversammlung, 13. Sitzung vom 19. April 1855, § 154. 245 A. a. O., 15. Sitzung vom 30. April 1857, § 183. 246 A. a. O., 1. Sitzung vom 7. Januar 1852, § 4.

96

1. Abschnitt: Gesamtdeutsche Verfassungsentwicklung (1803/06-1918)

sungsurkimde nebst Wahlgesetz vom 17. August 1852 und wurde der Bundesversammlung am 28. Oktober 1852 angezeigt.^"^^ [161.] Für Lippe-Detmold sah die Bundesversammlung in erster Linie die „Abschaffung des unter dem Einflüsse der Revolution und der publicirten Grundrechte des Deutschen Volkes" entstandenen, „vöüig demokratischen" Wahlgesetzes und des Gesetzes über die Zusammensetzung des Landtags jeweils vom 16. Januar 1849 als notwendig an. Dementsprechend hatte Fürst Leopold entsprechende Maßnahmen zu ergreifen und der Bundesversammlung darüber Bericht zu erstatten: Beidem kam er nach.^"^^ Er trug zunächst dem nach dem beanstandeten Wahlgesetz gewählten Landtag die Abschaffung beider Gesetze und die Rückkehr zum Verfassungsstand von 1836 an. Dies wurde am 27. Oktober 1852 erwartungsgemäß als eine die gerade erst landesherrlich anerkannten ständischen Rechte vernichtende Zumutung abgelehnt. Daraufhin stellte der Fürst mit der Verordnung vom 15. März 1853 einseitig die vorrevolutionären Verfassungsverhältnisse wieder her. Eine im Anschluß daran von den landständischen Ausschußdeputierten bei der Bundesversammlung erhobene Beschwerde wurde durch Beschluß vom 16. Februar 1854 „als unbegründet verworfen".^"^^ [162.] In Luxemburg konnte der Großherzog der frühzeitigen bundesseitigen Aufforderung, die liberale Verfassung vom 9. Juli 1848 im restaurativen Sinne zu revidieren, erst nach heftigem Widerstand der Stände mittels der Verordnung vom 27. November 1856 nachkommen und im Anschluß daran dies der Bundesversammlung anzeigen.^^^ [163.] Im Falle der Freien Stadt Frankfurt richtete sich das Monitum des Reaktionsausschusses nicht zuletzt gegen das die staatsbürgerliche Gleichheit betreffende Gesetz vom 20. Februar 1849, welches die rechtliche Gleichstellung der Juden zur Folge hatte. Dies verstoße wegen der gemäß Art. 46 WKA erforderlichen, aber fehlenden Zustimmung der Bundesversammlung gegen Bundesrecht.^^^ In dieser dann vor die Bundesversammlung gebrachten Angelegenheit erklärte der „Engere Rat" schheßlich am 12. August 1852^52 ^{QJ^X nur das Gleichstellungsgesetz, sondern auch das Gesetz über eine verfassungsgebende Versammlung vom 19. Oktober 1848 für ungültig; letzteres weil es nicht der weiterhin die Verfassungsgrundlage bildenden Constitutions-Ergänzungsakte vom 18. Juli 1816 entsprechend zustandegekommen wäre. Künftige Änderungen sollten unter versteckter Anspielung auf Art. 56 WSA rechtmäßig nur auf dem von der Ergänzungsakte dafür vorgeschriebenen Wege vorgenommen werden dürfen. Dem Senat der Stadt wurde obendrein aufgegeben, „seiner Seits die Ungültigkeit dieser beiden Gesetze zu verkünden". Dem kam der Senat am 5. Oktober 1852 nach und zeigte dies am 11. November 1852 der Bundesversammlung an^^^.

247 24^ 2"^^ 2^^ 251 252 253

A. a. O., 22. Sitzung vom 28. Oktober 1852, § 262. Vgl. a. a. O., 12. Sitzung vom 7. April 1853, § 94. A. a. O., 5. Sitzung vom 16. Februar 1854, § 52. A. a. O., 31. Sitzung vom 4. Dezember 1856, § 324; 4. Sitzung vom 29. Januar 1857, § 53. A. a. O., 20. Sitzung vom 5. August 1852, § 221. A. a. O., 21. Sitzung vom 12. August 1852, § 231. A. a. O., 23. Sitzung vom 11. November 1852, § 272.

§ 3: Der Deutsche Bund (1815-1866)

97

[164.] In Hamburg brachten die revolutionären Ereignisse des Jahres 1848 ebenfalls keine neue Verfassung hervor. Ernsthafte Versuche, die alte patrizische Verfassung aus dem frühen 18. Jahrhundert zu modernisieren, führten zwar dazu, daß ein von Mitgliedern der erbgesessenen Bürgerschaft und des Senats („Neunerkommission") erarbeiteter Entwurf am 23. Mai 1850 die Akzeptanz von erbgesessener Bürgerschaft und Senat fand, stieß aber bei dem über die Aufrechterhaltung der (alten) Stadtverfassung wachenden „Rat der Oberalten" auf entschiedenen Widerstand; was den Reaktionsausschuß (Note vom 27. April 1852) und damit die Bundesversammlung auf den Plan rief und in der Suspendierung des Verfassungsvollzugs mündete. Der gleichwohl an seinem Verfassungsprojekt festhaltende Senat unterrichtete die Bundesversammlung in der Folgezeit vom weiteren Fortgang der Verfassungsangelegenheit; namentlich von der Ablehnung seines neuen Entwurfs durch die erbgesessene Bürgerschaft am 7. Juni 1855.^^"^ Nachdem auch eine überarbeitete Verfassungsvorlage und weitere Vorschläge vor dieser keine Gnade fanden, verständigte man sich schließlich auf eine modifizierte Fassung der Verfassung von 1850, welche am 28. September 1860 publiziert wurde. [165.] Auch die Freie Stadt Bremen geriet unter besondere Aufmerksamkeit des Bundes. Wurde doch seitens des Reaktionsausschusses festgestellt, daß die zwischen Senat und Bürgerschaft vereinbarte Verfassung vom 5. März 1849 revisionsbedürftig sei. Insbesondere „eine neue Wahlordnung und ein Gesetz über die Deputation wurden für sehr dringlich angesehen. Die Bundesversammlung bestand daher auf „schleunige, eventuell provisorische, neue Bestimmungen".^^^ Obendrein wurde zur Vollziehung ein von Haimover zu bestellender Bundeskommissar entsandt. In diesem Zusammenhang ließ man auch durchblicken, daß „Vorkehrungen zu einer militärischen Assistenz zu treffen" wären.^^^ Darüber entspaim sich ein Streit zwischen Senat und Bürgerschaft, welcher am 24. März 1854 zur Auflösung der Bürgerschaft führte. Hierauf setzte der Senat durch Verordnung vom 3. Mai 1852 die bundesseitig beanstandeten §§ 6, 116 - 118, 125, 152, 186 198 der Verfassung von 1849 „bis auf Weiteres außer Kraft" und oktroyierte provisorische Bestimmungen über die Bürgerschaft. Mit der auf dieser Grundlage gewählten „gezähmten" Bürgerschaft wurde die nuimiehr bundesrechtskonforme Verfassung vom 21. Februar 1854 vereinbart. Erst daraufhin erklärte die Bundesversammlung unter gleichzeitiger Zurückweisung der Beschwerde einiger Bremer Bürger gegen die in der Verfassung nicht christlichen Bürgern eingeräumten Rechte durch Beschluß vom 17. August 1854 die bremische Verfassungsangelegenheit für erledigt.^^^ [166.] Der Bundesbeschluß vom 27. März 1852, mit dem die Bundesversammlung in der kurhessischen Verfassungsangelegenheit die Verfassung von 1831 nebst Wahlgesetz von 1849 einseitig aufhob und dem Kurfürsten zugleich aufgab, eine von Bundeskommissaren entworfene und von ihr gebilligte neue Verfassung zu publizieren, stütze sich dagegen formal nicht auf den Bundesreaktionsbeschluß, 254 255 256 257

A. A. A. A.

a. a. a. a.

O., O., O., O.,

19. Sitzung vom 2 1 . Juni 1855, § 223; 12. Sitzung vom 3. April 1856, § 114. 6. Sitzung vom 6. März 1852, § 65. 8. Sitzung vom 22. März 1952, § 80. 26. Sitzung vom 17. August 1854, § 258.

98

1. Abschnitt: Gesamtdeutsche Verfassungsentwicklung (1803/06-1918)

sondern stellte eine (wenngleich rechtswidrige) Maßnahme der Bundesintervention im Sinne der Art. 26 - 28 WSA dar. [167.] Die meisten kleineren Länder sorgten angesichts des Bundesreaktionsbeschlusses selbst für entsprechende Korrekturen: So hob in Nassau Herzog Adolf in Folge des Bundesreaktionsbeschlusses durch Verordnung vom 24. November 1851 das provisorische Gesetz vom 5. April 1848, das die „Herrenbank" beseitigte, die Stände in einer Kammer zusammenführte und die Wahlen dazu regelte, sowie die „Zusammenstellung des anerkannten gesetzlichen Staatsrechts" (oktroyierte Verfassung) vom 28. Dezember 1849 auf. Zugleich führte er eine revidierte Verfassung mit Wiedereinsetzung des Zweikammersystems ein und schrieb das Zensuswahlrecht für die Ständeversammlung fest. Braunschweig ersetzte das Gesetz über die Zusammensetzung der Ständeversammlung und das dazugehörige Wahlgesetz jeweils vom 11. September 1848 durch zwei Gesetze vom 22. bzw. 23. November 1851; letzteres führte ebenfalls das reine Zensus Wahlrecht wieder ein. In Sachsen-Altenburg wurde durch landesherrliche Verordnung vom 12. März 1855 das Wahlgesetz vom 3. August 1850 ersetzt und dafür die 1848 aufgehobenen §§ 167-198 des Grundgesetzes vom 29. April 1831 nebst dazugehöriger Wahlordnung wieder in Kraft gesetzt; was nichts anderes bedeutete, als daß Herzog Georg anstatt des demokratischen Wahlrechts erneut das erst am 10. April 1848 abgeschaffte Zensuswahlrecht einführte. Zuvor (am 11. Februar 1854) wurde schon das Gesetzesinitiativrecht der Landstände abgeschafft. Sachsen-Weimar ging mit dem Wahlgesetz vom 6. April 1852 unter Aufhebung desjenigen vom 17. November 1848 zum Zensuswahlrecht über. In Sachsen-Meiningen wurde das das ständische Prinzip des Grundgesetzes von 1829 beseitigende Wahlgesetz vom 3. Juni 1848 durch das im wesentlichen das ursprüngliche Wahlrecht wiederherstellende Gesetz vom 25. Juni 1853 aufgehoben. Die demokratische Verfassung Anhalt-Dessaus vom 29. Oktober 1848 erfuhr bereits 1850 zahlreiche Modifikationen; doch erst durch den Bundesbeschluß vom 23. August 1851 sah sich Herzog Leopold Friedrich veranlaßt, sie durch Verordnung vom 4. November 1851 ganz aufzuheben. Unter demselben Datum ereilte die formal eigenständige Verfassung Anhalt-Köthens vom 28. Oktober 1848 das gleiche Schicksal. Die Aufhebungsanzeige für beide Konstitutionen erfolgte bei der Bundesversammlung am 25. November 1851.^^^ In Schwarzburg-Sondershausen widerfuhren der „demokratisch-monarchischen" Verfassung vom 12. Dezember 1849 durch Gesetz vom 2. August 1852 erhebliche Abänderungen zugunsten des monarchischen Prinzips. Das Wahlgesetz vom I.Oktober 1852 schrieb das Zensuswahkecht fest. Das Staatsgrundgesetz nebst Wahlgesetz von Reuß j . L. vom 30. November 1849 unterlag ebenfalls infolge des Bundesreaktionsbeschlusses Änderungen. Diese ergingen als „revidiertes Staatsgrundgesetz" nebst dazu gehörigem Wahlgesetz vom 14. April 1852. In Reuß ä. L. zögerte man die Publiziemng der vom Landtag im Sommer 1851 bereits verabschiedeten Verfassung so lange hinaus, bis die Verhältnisse des heraufziehenden Bundesreaktionsbeschlusses den völligen Verzicht auf diese Verfassung nahe legten und die Rückkehr zu den bis 1848 herrschenden altständischen Verhältnissen erlaubten. Hessen-Homburg setzte unter Berufung A. a. O., 29. Sitzung vom 25. November 1851, § 229.

§ 3: Der Deutsche Bund ( 1 8 1 5 - 1 8 6 6 )

99

auf den Bundesreaktionsbeschluß seine bis dahin „thatsächlich unvollzogene" Verfassungsurkunde vom 3. Januar 1850 formell durch landgräflichen Erlaß vom 20. April 1852 außer Kraft und teilte dies am 21. Mai 1852 der Bundesversammlung mit.^^^ In Liechtenstein hob Fürst Alois Joseph mit Erlaß vom 20. Juli 1852 im wesentlichen alle provisorischen Verfassungsbestimmungen auf und kehrte zur Landesverfassung von 1818 zurück. [168.] Eine Reihe von Staaten hatten indes schon vor Erlaß des Bundesreaktionsbeschlusses den „Gang rückwärts" angetreten: In Sachsen wurde, nachdem der König bereits zum 1. Juni 1850 die Kammern aufgelöst hatte, am 3. Juni im Verordnungswege einseitig die Preß-, Vereins- und Versammlungsfreiheit aufgehoben sowie die Verfassung von 1831 wiederhergestellt. In Württemberg löste der König noch im November 1850 einseitig die Kammern auf, die ihm die Mittel für die im Bregenzer Vertrag vereinbarten Rüstungsausgaben verweigerten, setzte das liberale Wahlgesetz vom 1. Juli 1849 außer Kraft und fährte den Staat auf den Boden der Verfassung von 1819 zurück; erste Maßnahmen gegen die Vereins- und Preßfreiheit erfolgten im Dezember 1850. Baden kehrte bereits nach der Niederwerfung der Aufstandsbewegung durch preußische und Bundestruppen im Juli 1849 zu seiner alten Verfassung von 1818 zurück. In Hessen-Darmstadt verbot Großherzog Ludwig III. schon Anfang Oktober 1850 im Notverordnungswege nicht nur die politischen Vereine und beschränkte massiv die Preßfreiheit, sondern oktroyierte für die Zweite Kammer ein neues auf dem Zensussystem beruhendes Wahlrecht. In Mecklenburg stellte der Freienwalder Schiedsspruch schon 1850 unter Aufhebung des Staatsgrundgesetzes vom 10. Oktober 1849 die frühere feudalständische Verfassung und damit die althergebrachte Adelsherrschaft wieder her. Bayern entzog sich weitgehend der äußerlich spürbaren Verfassungsrechtsveränderungen. Zwar brachten auch hier das Vereins- und Versammlungsgesetz sowie das Preßgesetz des Frühjahrs 1850 Einschnitte, doch blieben diese insgesamt moderat. [169.] Durchweg gingen mit den durch den Bundesreaktionsbeschluß bei den Ländern eingeleiteten Verfassungssäuberungen die Errungenschaften der MärzRevolution verloren. Eindeutig auf Homogenität der Landesverhältnisse nach dem Vorbild vormärzlicher Verfassungszustände zielte insoweit die Marschroute. [170.] Eine zusätzliche Zuspitzung erfuhr das Handebi des Bundes durch einen weiteren Beschluß vom 23, August 1851?^^ Dieser betraf die sogenannten „ Grundrechte des deutschen Volkes'\ welche bereits seit ihrer Publizierung, am 27. Dezember 1848, als Reichsgesetz für alle deutschen Einzelstaaten rechtsverbindlich sein sollten. Ihnen sprach der Bund - nicht zuletzt in Bestätigung der schon immer die Wirksamkeit für ihre Länder bestreitenden Positionen Österreichs, Preußens, Bayerns und Hannovers - rückwirkend jede Rechtsgültigkeit ab. Denjenigen deutschen Regierungen, die diese Rechtsverbindlichkeit seinerzeit gleichwohl anerkannt hatten ~ dies war die überwältigende Mehrheit! -, wurde in dem Beschluß aufgegeben, diese Grundrechte in ihren Bundesstaaten „als aufgehoben zu erklären"; sofern die Grundrechte seinerzeit durch gesonderte Gesetze in 259 A. a. O., 14. Sitzung vom 21. Mai 1852, § 139. 260 Dok. 79.

100

1. Abschnitt: Gesamtdeutsche Verfassungsentwicklung (1803/06-1918)

Geltung traten, waren die entsprechenden Maßnahmen zu ergreifen, um sie, „in so fem sie mit den Bundesgesetzen oder den ausgesprochenen Bundeszwecken in Widerspruch stehen", außer Kraft zu setzen. Widrigenfalls behielt sich der Bund wie in dem Bundesreaktionsbeschluß vom selben Tage bereits angekündigt - hier ebenfalls die „verfassungsmäßige Einwirkung" auf die mitgliedstaatlichen Verhältnisse vor. Wie kontrovers man seitens des vormaligen Reichsregimes und der einzelnen Mitgliedstaaten bis dahin auch immer die Verbindlichkeit der Frankfurter Grundrechte eingeschätzt haben mochte: spätestens der die Grundrechte ins Fadenkreuz nehmende Bundesbeschluß führte unmißverständlich deren Derogation herbei. Angesichts der mit ihm jedenfalls verbundenen drastischen Eingriffe in die Souveränität der Bundesmitglieder ist der Beschluß schwerlich - wie K. Stern^^^ meint - als ein „Dokument des Sieges der Restauration der uneingeschränkten Staatlichkeit der Einzelstaaten" aufzufassen. [171.] Des weiteren übernahm es der Bund nach zwischenzeitHch mehrjähriger Abstinenz seit dem Jahre 1854 auch wieder federftihrend, den Rahmen der presseund koalitionsrechtlichen Repressionen bundeseinheitlich vorzugeben. Man bediente sich dabei der Methoden des Vormärzes. Im Wesentlichen kamen die alten Instrumente in einem erneuerten Gewände daher; was sollte man auch anderes erwarten, angesichts einer nach wie vor unveränderten bündischen Zweckausrichtung! [172.] Den quasi-judikativischen Reigen eröffnete die Bundesversammlung mit den „Allgemeinen Bestimmungen zur Verhinderung des Mißbrauchs der Presse'' vom 6. Juli 1854 (Bundespreßgesetz)?^^ Dieses Bundesgesetz machte zunächst die Ausübung des Berufes eines Druckers, Buchhändlers und Verlegers vom Besitz einer „obrigkeitlichen Bewilligung" abhängig (§ 2). Die Konzessionsentziehung war im Falle des Mißbrauchs der Bewilligung nicht nur aufgrund gerichtlichen Urteils, sondern auch durch behördliche Anordnung zulässig, wenn zuvor eine wiederholte schriftliche Verwarnung erfolgte. Die lediglich unter Widerruf erteilte Konzession erlaubte sogar die jederzeitige sofortige Zurücknahme der Berufserlaubnis durch die Behörden. Ebenfalls einer obrigkeitlichen Erlaubnis bedurfte nach § 3 des Gesetzes die Verbreitung der Druckschriften. Sofern diese im Bundesgebiet erschienen, mußten sie den Namen und Wohnort des Druckers und Verlegers, beim Erscheinen im Selbstverlag den Namen und Wohnort des Verfassers oder Herausgebers angeben (§ 4 des Gesetzes). Vor jeder Verbreitung der Druckschrift war grundsätzlich ein Exemplar an die zuständige landesbehördliche Stelle abzuliefern (§ 5 des Gesetzes). Jede im Bundesgebiet erscheinende periodische Druckschrift hat einen verantwortlichen Redakteur namentlich zu bezeichnen (§7 des Gesetzes). Dieser mußte „unbedingt dispositionsfähig sein, im Genüsse staatsbürgerlicher Rechte sich befinden und bei Zeitschriften (mit auch politischem Inhalt, sc.) . . . in dem Staatsgebiete, in welchem die Druckschrift erscheint, seinen regelmäßigen Wohnsitz haben" (§ 8 Abs. 1 des Gesetzes). Außerdem war eine Pressekaution in näher bezeichneter, jedenfalls stattlicher Höhe (je nach Druckerzeugnis zwischen 500 und 5.000 preußische Taler bzw. 800 und 8.000 rheinische 261 (Fußn. 12), S. 256. 262 D0k.81.

§ 3: Der Deutsche Bund (1815-1866)

101

Gulden!) zu stellen, die noch dazu im Falle der Bestrafung für die verhängten Strafen und Kosten verfiel ( § § 9 - 1 1 des Gesetzes). Damit wurde das Vertreiben von Druckerzeugnissen nicht nur zu einem latenten finanziellen Risiko fur die Verleger und Vertreiber; man stellte auch sicher, das die Anzahl der Zeitungen und Zeitschriften überschaubar blieb. Für amtliche Berichtigungen aus Anlaß von im Zusammenhang mit der periodischen Druckschrift erfolgten gerichtlichen Verurteilungen oder behördlichen Verwarnungen in periodischen Druckschriften war der erforderliche Raum kostenfrei zur Verfügung zu stellen (§ 14 des Gesetzes). Die Mitgliedstaaten des Bundes mußten für Freßdelikte ausreichend abschreckende Strafandrohungen vorsehen (§15 des Gesetzes). Das hatte zu gelten für die Aufforderung, Anreizung oder Verleitung in einer Druckschrift zu allgemeinen Straftaten, namentlich zu Hoch- und Landesverrat, zum Aufruhr, zum Treubruch und Widerstand von Militär und Beamtenschaft, zum Widerstand gegen die Obrigkeit und zum Gesetzesungehorsam; femer waren nach Landesrecht unter Strafe zu stellen die in einer Druckschrift ausgesprochenen Angriffe gegen die Religion, gegen die Grundlagen des Staats und seiner Einrichtungen und gegen obrigkeitliche Anordnungen (§§ 16, 17 des Gesetzes). Enthielten Druckschriften den Tatbestand einer strafbaren Handlung, so war „auf ihre Unterdrückung oder Vernichtung zu erkennen" (§21 des Gesetzes). Preßvergehen sollten nicht vor die Geschworenengerichte oder in öffentliche Gerichtsverhandlungen gelangen (§ 22 Satz 2 des Gesetzes); in diesen Fällen sah man wohl die hinreichend strenge Aburteilung der Straftaten als nicht gewährleistet an. Zur Einleitung von Strafverfahren durften Druckerzeugnisse und die zu ihrer Vervielfältigung bestimmten Platten und Formen behördlich beschlagnahmt werden (§ 23 des Gesetzes). Die Veröffentlichung von Gerichtsakten, Berichten über Gerichtsverhandlungen oder Verhandlungen politischer Körperschaften sowie die Berichterstattung über Truppenbewegungen und Verteidigungsmaßnahmen in Zeiten der Kriegsgefahr oder innerer Unruhen konnte unter Strafandrohung behördlicherseits verboten oder beschränkt werden (§ 24 des Gesetzes). Auf diese Weise wurde den einzelnen Staaten aufgegeben, ihr Presserecht in einem massiv freiheitsbeschränkenden Sinne auszugestalten bzw. es dahingehend anzupassen. Bereits nach zwei Jahren sollte das Gesetz vom politischen Ausschuß der Bundesversammlung dahingehend überprüft werden, ob seine „Bestimmungen sich zur Verhütung des Mißbrauchs der Preßfreiheit als genügend erwiesen haben" (§ 26 des Gesetzes). Bezeichnenderweise publizierte gerade Preußen als Mitinitiator dieses Bundesgesetz nicht. Dessen Zielrichtung war deutlich auf die Diszipliniemng der Meinungsverhältnisse in den Klein- und Mittelstaaten gerichtet. [173.] Bereits eine Woche nach dem Bundespreßgesetz holte der Bund zu einem Schlag gegen die Koalitionsfreiheit aus. Die Bundesversammlung beschloß nämlich am 13. Juli 1854 die „Maßregeln zur Aufrechterhaltung der gesetzlichen Ordnung und Ruhe im Deutschen Bunde, insbesondere das Vereinswesen betr. " (Bundesvereinsgesetzß^^. Nach diesem Gesetz durften in den deutschen Einzelstaaten nur solche Vereine bestehen, die hinreichend nachzuweisen vermochten, „daß ihre Zwecke mit der Bundes- und Landesgesetzgebung im Einklänge" stan263 D o k . 8 2 .

102

L Abschnitt: Gesamtdeutsche Verfassungsentwicklung (1803/06-1918)

den und die öffentliche Ordnung und Sicherheit nicht gefährdeten (§ 1). Den Vereinen oblag damit die Beweislast für die Rechtmäßigkeit ihrer Zielsetzung; das war für sich genommen schon eine gegebenenfalls nur schwer zu erfüllende Voraussetzung. Die Regierungen hatten die notwendigen Vorkehrungen zu treffen, um Kenntnis von der Errichtung und den Zwecken sowie den Aktivitäten der auf ihrem Gebiet agierenden Vereine zu erlangen (§ 2 des Gesetzes). Sofem politische Vereine nicht ohnehin landesrechtlich verboten waren oder einer vorherigen obrigkeitlichen Genehmigung bedurften, mußten die Regierungen jederzeit rechtlich in der Lage sein, vorübergehende Beschränkungen oder Verbote auszusprechen (§ 3 des Gesetzes). Es war den Regierungen zudem aufgegeben, dafiir zu sorgen, daß Minderjährige, Lehrlinge und Schüler sich nicht an politischen Vereinen beteiligten und die Vereine untereinander nicht kommunizierten (§ 4 des Gesetzes). Femer mußten die Regierungen sich die Befugnis verschaffen, Versammlungen staatlich nicht anerkannter Vereine, die sich mit öffentlichen Angelegenheiten beschäftigten, zu überwachen und bei Gefahrdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung aufzulösen (§ 5 des Gesetzes). § 6 des Gesetzes verbot es der „bewaffneten Macht", also allen Angehörigen des Soldatenstandes, „sich anders als auf Befehl" zu versammeln. Obendrein verpflichtete das Bundesvereinsgesetz sämtliche Regierungen, die in ihrem Gebiete bestehenden „Arbeitervereine und Verbrüderungen, welche politische, socialistische oder communistische Zwecke verfolgen, binnen zwei Monaten aufzuheben und die Neubildung solcher Verbindungen bei Strafe zu verbieten" (§ 8 des Gesetzes). [174.] Daß die beiden Großmächte ungeachtet dessen die Bundesversammlung nicht zu jedem beliebigen reaktionären Vorgehen zu instrumentalisieren vermochten, zeigte sich daran, daß man sich seitens der übrigen Bundesmitglieder gegen Pläne sträubte, eine Bundeszentralpolizei zu errichten, deren Kommissare in allen Einzelstaaten gegebenenfalls sogar die Kompetenz haben sollten, „selbständig" Ermittlungen an den Landesbehörden vorbei zu führen. Dies ging den zeitweise vermeintlich souveränitätsmüden Mittel- und Kleinstaaten denn doch zu weit: Bundesseitig durchgeführte polizeiliche Maßnahmen, wie Haussuchungen und Verhaftungen, die ohne Vorwissen der Einzelstaaten auf deren Gebiet erlaubt sein sollten, riefen den zeitweise verschüttet geglaubten partikular-föderalen Geist des dritten Deutschlands wieder auf den Plan. Der Bund mußte sich letztlich weiterhin mit der Vollziehung seiner Gesetze durch die Länderbehörden begnügen. [175.] Die rigide Bundespraxis hielt sich bis zum Ende der 1850er Jahre, als mit dem Aufkommen der „neuen Ära" in Preußen schnell eine innenpolitische Lockerung des bislang reaktionär-repressiven Bundesregimes in nahezu allen Einzelstaaten einsetzte. Preußens wieder verspürter „nationaler Beruf in Deutschland entfachte den habsburgisch-hohenzoUerschen Dualismus der Jahre 1849 - 51 nunmehr mit neuer Heftigkeit. Die von Preußen zunehmend favorisierte nationale Karte ließ sich indes nicht in dem steifen, allein auf innere Ruhe bedachten Repressionskorsett des Deutschen Bundes spielen. Dafür bedurfte man der öffentlichen Meinung in der Presse und auf Versammlungen sowie organisiert in Vereinen. Besonders augenfällig war die wohlwollende Behandlung der Ableger des im Juli 1859 in Frankfurt a. M. gegründeten, eine „kleindeutsche" Einigung unter der Führung Preußens bei Ausschluß Österreichs postulierenden „Deutschen Natio-

§ 3: Der Deutsche Bund ( 1 8 1 5 - 1 8 6 6 )

103

nalvereins" in Preußen; was unversehens den allerdings erfolglosen Protest Österreichs zur Folge hatte. d. Gebot der Bundestreue [176.] Ein Schutzinstrument des Bundesbestandes nach innen bildete schließlich auch Art. 11 Abs. 3 DBA. Hiemach hatten die Gliedstaaten zwar das „Recht der Bündnisse aller Art"; doch durften sie keine Verbindungen eingehen, „welche gegen die Sicherheit des Bundes oder einzelner Bundesstaaten gerichtet wären". Hiermit waren neben den Bündnissen mit ausländischen Staaten auch solche mit anderen Mitgliedstaaten des Bundes gemeint, die die Funktionsfahigkeit des Bundes derart gefährdeten, daß er den ihm in den Art. 2 DBA, 1 WSA zugedachten Zweck nicht (mehr) zu erfüllen vermochte. Dies galt insbesondere dann, wenn sich einige Mitglieder anschickten, die von Rechts wegen bestehenden Sicherheitsinstitutionen der Bundesorganisation eigenmächtig zu modifizieren. Ein diesen Vorgaben wohl zunächst noch genügender Fall stellte das zwischen Preußen, Sachsen und Hannover am 26. Mai 1849 geschlossene „Dreikönigsbündnis''^^^ dar. Dieser Vertrag wurde, wie dessen Art. 1 betonte, zwischen den „Königlichen Regierungen . . . in Gemäßheit des Art. 11 der Deutschen BundesÄkte vom 8. Juni 1815^^^" geschlossen. Obendrein erlaubte er sämtlichen zu diesem Bündnis hinzutretenden Gliedern des Deutschen Bundes alle diesem gegenüber bestehenden Pflichten zu erfüllen und diesem gegenüber bestehenden Rechte wahrzunehmen. Der dann aus dem Bündnis nur zwei Tage später hervorgegangene, als „Erfurter Unionsverfassung" bekannt gewordene Entwurf einer Verfassung für ein Deutsches Reich vom 28. Mai 1849^^^ war allerdings in direkter und enger Anlehnung an die Paulskirchenverfassung vom 28. März 1849^^'^ eindeutig als die Verfassung eines der „kleindeutschen Lösung" verschriebenen Gesamtdeutschen Bundesstaates unter Preußens Führung gedacht. Dessen Realisierung hätte die endgültige Sprengung des seinerzeit zwar de facto damiederliegenden, de jure indes sehr wohl fortbestehenden Deutschen Bundes bedeutet. e. Durchsetzung von Bundesrecht [177.] Zur Durchsetzung des geltenden Bundesrechts gegenüber bundesrechtswidrigem Verhalten in den oder durch die Mitgliedstaaten standen dem Bund auch Zwangsmittel zur Verfugung. Als derartig exekutivische Instrumente waren in den Art. 26 - 28 WSA die Bundesintervention und in den Art. 3 1 - 3 4 WSA die Bundesexekution vorgesehen. Mit ihnen verfugte der Bund als Staatenbund sicherlich über Mittel, wie sie ansonsten nur für einen Bundesstaat üblich sind.^^^ Wurde der Bund damit doch immerhin in die Lage versetzt, für den Fall, daß alle anderen 264 Dok. 107. 26^ Dok. 3 1 . 266 Dok. 108. 267 Dok. 106. 268

H. Boldt, Deutsche Verfassungsgeschichte, Bd. 2: Von 1806 bis zur Gegenwart, 1990, S. 137.

104

1. Abschnitt: Gesamtdeutsche Verfassungsentwicklung (1803/06-1918)

bimdesverfassungsmäßigen Optionen wirkungslos blieben, bundesgemäße Zustände bzw. bundesgemäßes Verhalten (wieder) herzustellen. Weitergehende zwangsweise Instrumente - wie sie etwa Art. 68 der späteren Reichsverfassung vom 16. April 187P^^ mit dem Recht bot, den Belagemngs- oder Kriegszustand über das gesamte Bundesgebiet oder Teile desselben zu verhängen - standen dem Bund nur in einem ganz engen Zuschnitt, nämlich mit Blick auf die Bundesfestungen, zu. aa. Bundesintervention [178.] Art. 26 WSA normierte die Bundesintervention als Hilfeleistung des Bundes zugunsten einer bundes- und landesverfassungstreuen Regierung eines Mitgliedstaats, um dort den wegen innerer Unruhen gefährdeten verfassungsmäßigen Zustand aufrechtzuerhalten oder wiederherzustellen. Die Bundesintervention diente stets der Unterstützung von Landesregierungen, die aufrührerischen Bewegungen in ihrem Land mit eigenen Mitteln nicht mehr Herr werden konnten. Zwar sollte nach Art. 25 Satz 1 WSA die „Aufrechterhaltung der innem Ruhe und Ordnung" in den Mitgliedstaaten deren Regierungen prinzipiell „allein" zustehen. Eine Ausnahme sah jedoch Art. 25 Satz 2 WSA mit Blick auf die innere Bundessicherheit für den Fall vor, daß es zur Auflehnung der Untertanen, zu offenem Aufruhr oder zu einer mehrere Gliedstaaten bedrohenden gefahrlichen Bewegung kam. Dann war der Bund gemäß Art. 26 WSA zur Intervention berechtigt. Die Art. 18, 21 der geheimen „Sechzig Artikel'' vom 12. Juni 1834'^^^ sicherten jeder Regierung überdies bundesrechtswidrig bei Haushaltskonflikten mit den Landständen interventionsmäßige Bundeshilfe zu. [179.] Grundsätzlich setzte das Einleiten der Bundesintervention ein entsprechendes Hilfeersuchen der zuvor alle landes(verfassungs)rechtlich zulässigen Mittel ausschöpfenden Regierung an die Bundesversammlung voraus (Art. 26 Satz 1 WSA). Insoweit handelte es sich bei dem Hilfeersuchen somit um eine notwendige Verfahrensvoraussetzung für die Einleitung der Bundesintervention. Die Nrn. 1 - 3 der „ Maßregeln zur Herstellung und Erhaltung der Ruhe in Deutschland'' vom 21. Oktober 1830^^^^ modifizierten Art. 26 Satz 1 WSA dann dahingehend, daß sich die hilfebedürftigen Regierungen „wegen Dringlichkeit der Gefahr" nunmehr ohne vorherige Anrufung der Bundesversammlung unmittelbar an einen oder mehrere benachbarte Mitgliedstaaten um militärische Hilfe wenden konnten. Nach Maßgabe des Art. 26 Satz 2 WSA bedurfte es aber zum Einschreiten des Bundes eines Hilfeersuchens an die Bundesversammlung ohnehin nicht, wenn sich die jeweilige Regierung „notorisch außer Stande" zeigte, die Unruhen „durch eigene Kräfte zu unterdrücken" und zudem zur Abgabe des Hilfeersuchens nicht in der Lage war. Ob diese Voraussetzungen jeweils vorlagen, entschied natürlich die Bundesversammlung selbst. Zu einem Einschreiten des Bundes ohne jegliche Aufforderung durch die betroffenen Regierungen ermächtigte Art. 28 WSA, sofern die 269 Dok. 136. 2^0 Dok. 55. 271 Dok. 48.

§ 3: Der Deutsche Bund (1815 - 1866)

105

öffentliche Ruhe und gesetzliche Ordnung gleich in mehreren Mitgliedstaaten „durch gefahrliche Verbindungen und Anschläge bedroht" war. Hier mußte lediglich eine „vorgängige Rücksprache" mit den bedrohten Regierungen erfolgen, deren Ausgang für die Zulässigkeit der Intervention ohne Belang blieb. [180.] Einen eigentlich klassischen Fall der Bundesintervention betraf der Antrag des niederländischen Gesandten vom 15. Oktober 1830 für Luxemburg, das infolge der auf das Großherzogtum übergreifenden belgischen Revolution um Bundeshilfe nachsuchte.^^^ Allerdings beschloß die Bundesversammlung - weil man die Einmischung Frankreichs scheute - erst nach langem Zögern und abermaligem Vorstelligwerden des Gesandten am 18. März 1831 die bewaffnete Intervention mit einem 24.000 Mann starken Heer unter der Führung Hannovers;2^^ dies indes, ohne den eigentlichen Einsatz des sich aus Truppen Hannovers, Kurhessens, Holsteins, Braunschweigs, Nassaus, Mecklenburgs, und der Freien Städte zusammensetzenden Interventionskorps - zu dem es im übrigen auch später nicht mehr kam - sogleich mit festzulegen. [181.] Ein weiterer Fall der Bundesintervention erfolgte nach dem „Frankfurter Wachensturm" im Jahre 1833. Die Bundesversammlung beschloß am 12. April 1833 österreichische und preußische Truppen aus der nahen Bundesfestung Mainz nach Frankfurt zu verlegen.^^^ Y){Q^ geschah allerdings, ohne daß die Freie Stadt den Bund darum gebeten hatte; ja, sogar gegen deren ausdrücklichen Willen! Bundesseitig betrachtete man sich ungeachtet dessen dazu berechtigt, weil die vom Senat der Stadt getroffenen Sicherheitsmaßnahmen unter den gegenwärtigen Umständen unzureichend wären. Zu Unrecht, denn insoweit waren die hier maßgeblichen Art. 2 6 - 2 8 WS A eindeutig. Erst nachträglich wiederfuhr der zunächst bundesrechtswidrigen Intervention eine Heilung, indem die Stadt am 9. Mai 1833 erklären ließ, sie habe an der Rechtsgültigkeit des Interventionsbeschlusses keinen Zweifel;^^^ was als eine ex post ausgesprochene konkludente Genehmigung aufgefaßt werden durfte. [182.] Erneut zum Zuge kam das Instrument der Bundesintervention auf Hilfeersuchen des dänischen Königs Friedrich VII., der sich am 2. September 1850 in seiner Eigenschaft als Herzog von Holstein wegen der Niederwerfung der „holsteinischen Rebellen" an die („Rumpf'-) Bundesversammlung wandte.^^^ Doch geschah dies erst nach längerem Zögern am 25. Oktober 1850.^^^ Noch viel länger (bis Anfang Januar 1851) dauerte es, bis schheßlich die Intervention unter österreichisch-preußischer Leitung mit Hilfe österreichischer Truppen vollzogen wurde, [183.] Ebenfalls eine, wenngleich - mangels Vorliegens der dafür erforderlichen materiell-rechtlichen Voraussetzungen - im Ergebnis rechtswidrige Bundesintervention löste das Hilfeersuchen des kurhessischen Gesandten vom 272 273 274 275 276 277

Protokolle der Bundesversammlung, 33. Sitzung vom 15. Oktober 1830, § 250. A. a. O., 10. Sitzung vom 18. März 1831, Separat-Protokoll. A. a. O., 16. Sitzung vom 12. April 1833, § 148. A. a. O., 21. Sitzung vom 9. Mai 1833, § 187. A. a. O., 1. ordentliche Sitzung vom 2. September 1850. A. a. O., 11. Sitzung vom 25. Oktober 1850, § 33.

106

1. Abschnitt: Gesamtdeutsche Verfassungsentwicklung (1803/06-1918)

17. September 1850 an die („Rumpf-) Bundesversammlung aus. Die dahingehenden Bundesbeschlüsse vom 21. September 1850^^^, 16. Oktober 1850^^^ und 26. Oktober 1850^^^ richteten sich auf die „Wiederherstellung der gesetzmäßigen Ordnung" in Kurhessen, wo es unter der Leitung Hannovers mittels hannoverscher und bayerischer Truppen galt, eine durch einen Steuerverweigerungsbeschluß der kurhessischen Landstände ausgelöste regierungsfeindliche Auflehnung niederzuv^erfen. [184.] Welche Maßnahmen ergriffen werden durften, bestimmte sich nach der definitiven Bundes-ExekutionsOrdnung vom 3. August 1820^^^ (vgl. deren Art. 6). Da die Bundesversammlung über keine eigenen unmittelbaren (militärischen) Machtmittel verfügte, mußte sie eine oder mehrere - zumeist benachbarte - einzelstaatliche Regierungen unter Festsetzung von Truppenstärke und Dauer des Einsatzes mit der Durchführung der Intervention beauftragen. Die Regierungen waren zur Übernahme des Auftrags verpflichtet. Die bundesseitig dazu bestimmte Regierung mußte den die Intervention unter Oberaufsicht der Bundesversammlung leitenden „Civil-Commissair" ernennen. Nötigenfalls konnte dieser die ihm zu diesem Zweck von den Mitgliedstaaten gestellten Bundestruppen einsetzen und damit das betroffene Land besetzen. Überhaupt hatte er diejenigen Maßnahmen zu treffen, die erforderlich waren, um die innere Ruhe und Ordnung wieder herzustellen: In diesem Rahmen konnten etwa die Aufrührer festgenommen, stand- oder kriegsrechtlich abgeurteilt, pflichtvergessene Landesbeamte suspendiert, Vereine, Versammlungen, Presseorgane verboten sowie Landstände vertagt, geschlossen oder aufgelöst werden. Selbst der Erlaß vorübergehend gesetzesvertretender Verordnungen kam in Betracht. War die Regierung des betroffenen Staates außer Funktion, übernahm der Interventionskommissar statt ihrer gleichsam sequestrisch bis zur vollständigen Wiederherstellung von Ruhe und Ordnung die Regierungsgewalt. Die äußerste Grenze für zu treffende Maßregeln lag aber stets dort, wo die Rechtsverhältnisse, um deren Bewahrung die Interventionsgewalt gerade entsandt wurde, eine dauerhafte Modifizierung erfuhren. Denn die Bundesintervention bezweckte ausschheßlich die Wiederherstellung des im Lande geltenden (Verfassungs-) Rechtszustandes. Daher war es jedenfalls rechtswidrig, wenn im Rahmen der in Kurhessen andauernden Bundesintervention (1850-52) die Bundesversammlung durch Beschluß vom 27. März 1852^^^ die Kurhessische Verfassung von 1831 nebst Wahlgesetz von 1849 einseitig aufhob und dem Kurfürsten zugleich aufgab, eine von den Interventionskommissaren entworfene und von ihr gebilligte neue Verfassung zu publizieren.

2'^^ A. a. O., 4. Sitzung vom 21. September 1850, § 10. 279 A. a. O., 10. Sitzung vom 16. Oktober 1850, § 30. 280 A. a. O., 12. Sitzung vom 26. Oktober 1850, § 36. 281 Dok.44. 282 Protokolle der Bundesversammlung, 9. Sitzung vom 27. März 1852, § 90.

§ 3: Der Deutsche Bund (1815 - 1866)

107

bb. Bundesexekution [185.] Über diese allein als Bundeshilfeleistung zugunsten einer rechtstreuen Mitgliedsregierung zulässigen Bundesintervention hinaus gestattete das zunächst in der provisorischen Bundes-Exekutionsordnung vom 20. September 1819^^^ festgelegte, schon wenig später im wesentUchen in den Art, 3 1 - 3 4 WSA und der endgültigen Exekutionsordnung vom 3. August 1820^^^ verankerte Mittel der Bundesexekution dem Bund, mit Zwangsmaßnahmen gegen die Regierungen solcher Mitgliedstaaten vorzugehen, welche den ihnen obliegenden verfassungsmäßigen Bundespflichten nicht nachkamen. Gegenüber der föderativen Einheit nachlässige, widersetzliche oder gar sezessionistische Regierungen sollten auf diese Weise zur Bundestreue angehalten werden können. Der insoweit zentrale Art. 31 WSA statuierte zwei grundsätzlich verschiedene Tatbestände: Zum einen regelte er die Vollstreckung rechtskräftiger Austrägal-, kompromissarischer und gerichtsähnlicher Entscheidungen, wie diejenigen, die gemäß Art. 63 Abs. 3 WSA auf Rekurs mediatisierter Standesherren zu deren Gunsten ergangen waren, sowie Vergleiche. Hier waren die notwendigen Maßnahmen schon in dem zuvor erworbenen Rechtstitel festgelegt, so daß es seitens der Bundesversammlung keiner besonderen Entscheidung über die Art der Exekutionsmittel bedurfte. Zum anderen regelte Art. 31 WSA aber auch die Vollstreckung von nicht oder nur unvollkommen umgesetzten oder angewendeten Maßnahmen zum Vollzug der Bundesgrundgesetze, Bundesbeschlüsse und Bundesgarantien. In diesen Fällen bestimmte die Bundesversammlung nicht - wie in der ersten Alternative - nur das „Ob" der Exekution, sondern auch das „Wie". [186.] Die Exekutionsmaßnahmen wurden ebenso wie im Falle der Bundesintervention „im Namen der Gesammtheit des Bundes" beschlossen und ausgeführt (Art. 33 Satz 1 WSA, 7 Satz 1 der Exekutions-Ordnung 1820). Die Bundesversammlung beauftragte in diesem Rahmen eine oder mehrere einzelstaatliche Regierungen von an der Sache nicht beteiligten Mitgliedstaaten mit der Durchführung der Beschlüsse (Art. 7 Satz 2 der Exekutions-Ordnung 1820). Dabei hatte sie Rücksicht auf die lokalen Umstände und sonstigen Verhältnisse zu nehmen (Art. 33 Satz 2 WSA). Die Übernahme des Auftrages stellte eine Bundespflicht dar (Art. 34 WSA, 8 Abs. 1 der Exekutions-Ordnung 1820). Verweigerte eine Regierung die Auftragsübemahme, so entschied die Bundesversammlung über die Erheblichkeit der Weigerungsgründe. Bei Anerkennung der Gründe übertrug sie einer anderen Regierung die Vollziehung. Beharrte die Regierung indes ohne anerkannten Grund auf der Ablehnung des Auftrages, blieb sie zum Schadensersatz verpflichtet und war dem Bund für alle Folgen verantwortlich (Art. 9 der Exekutions-Ordnung 1820). Zugleich bestimmte die Bundesversammlung die Anzahl der einsetzbaren Truppen und die Dauer der Exekution (Art. 33 Satz 2 WSA). Deren Durchführung erfolgte nach den Maßgaben einer eigens von der Bundesversammlung dafür zu erteilenden Instruktion unter der Leitung eines „Civil-Commissairs", den die beauftragte Regierung zu ernennen hatte. War der Auftrag an mehrere Re-

283 Dok.38. 284 Dok.44.

108

1. Abschnitt: Gesamtdeutsche Verfassungsentwicklung (1803/06-1918)

gierungen ergangen, so bestimmte die Bundesversammlung, welche von ihnen den Zivilkommissar ernennen sollte (Art. 34 WSA). Zu dem eigentlichen Exekutionsvollzug kam es dann allerdings erst, nachdem alle Appelle an die pflichtsäumige Regierung, ihren Obliegenheiten nachzukommen, vergeblich waren. Dies ging fiir gewöhnlich so vor sich, daß der Zivilkommissar unter dem militärischen Schirm seiner Truppen in dem betreffenden Land die zur Erfüllung der Bundespflichten notwendigen Maßnahmen traf. Seine Machtbefiignis schloß somit die oberste militärische Befehlsgewalt über das Exekutionskorps ein. Im übrigen war er befugt, die Regierungsgewalt auszuüben und - mit Ausnahme der Wahrnehmung des landesherrlichen Stimmrechts im Bund (welches für die Dauer der Exekution ruhte) alle Kompetenzen für sich in Anspruch zu nehmen, die ansonsten der Landesherr und seine Regierung nach der Landesverfassung besaßen. Sobald der Bund die Erfüllung der Pflichten des Mitgliedstaates durchgesetzt hatte, mußte er die Bundesexekution fiir beendet erklären. Die Bundesversammlung nahm dann das Exekutionsmandat zurück. Das die Exekution fuhrende Bundesmitglied berief den Zivilkommissar ab und das Exekutionskorps wurde zurückgezogen. Die Kosten der Exekution waren von der Regierung des unbotmäßigen Staates zu ersetzen. [187.] Die erste Bundesexekution wurde im Jahre 1829 gegen Braunschweig eingeleitet: Die Bundesversammlung sah in der einseitig im Verordnungswege durch Herzog Karl von Braunschweig vorgenommenen Aufhebung der Erneuerten Landschaftsordnung vom 25. April 1820 einen Bruch der Landesverfassung und damit einen Verstoß gegen seine aus Art. 56 WSA resultierende Pflicht, die „in anerkannter Wirksamkeit" stehende landständische Verfassung nicht anders als auf verfassungsmäßigem Wege abzuändern. Deshalb beschloß die Bundesversammlung zunächst am 20. August 1829, den Herzog aufzufordern, die Aufhebung der Landschaftsordnung rückgängig zu machen.^^^ Da der Herzog der Aufforderung trotz Mahnung nicht nachkam, erging am 4. März 1830 der Exekutionsbeschluß.^^^ Durch einen weiteren Beschluß legte die Bundesversammlung die Stärke der zu entsendenden Exekutionstruppen und die Instruktion für den zu bestellenden Zivilkommissar fest.^^^ Angesichts dessen nahm der Herzog schließlich seine umstrittene Verordnung am 22. April 1830 zurück^^^ so daß es zum Vollzug der Exekution nicht mehr kam. [188.] Im Jahre 1834 weigerte sich der Senat der Freien Stadt Frankfiirt, einen Bundesbeschluß zu vollziehen, der die Truppen der Stadt dem Befehlshaber des nach dem Wachensturm in Frankfurt stationierten österreichisch-preußischen Bundessicherheitskorps unterstellte.^^^ Den Exekutionsbeschlüssen vom 22. Mai 1834290/28. Mai 1834^91 unterwarf sich der Senat, bevor es zur effektiven Vollziehung der angeordneten Maßnahmen kam, indem er am 31. Mai 1834 die Stadt-

285

Protokolle der Bundesversammlung, 24. Sitzung vom 20. August 1829, § 146. A. a. O., 5. Sitzung vom 4. März 1830, § 40 (Separatprotokoll). 2^^ A. a. O., 8. Sitzung vom 26. März 1830, § 64 (Separatprotokoll). 288 A. a. O., 10. Sitzung vom 13. Mai 1830, Anlagen 4 und 7 des Separatprotokolls. 289 A. a. O., 16. Sitzung vom 18. April 1834, Beilagen zu § 204. 290 A. a. O, 20. Sitzung vom 22. Mai 1834, § 261. 291 A. a. O., 21. Sitzung vom 28. Mai 1834, § 274. 286

§ 3: Der Deutsche Bund (1815- 1866)

109

truppen in das Sicherheitskorps eingliederte.^^^ Daraufhin wurde das Exekutionsverfahren gegen Frankfurt eingestellt.^^^ [189.] Auch der sogenannte „Dänische Krieg" im Jahre 1864 war nichts anderes als eine Bundesexekution. Als Prinz Friedrich von Augustenburg nach der Trennung von Holstein und Schleswig und der Einverleibung Schleswigs in den dänischen Staat die Thronfolge in den beiden Herzogtümern entgegen der Proklamation König Friedrichs VII. vom 28. Januar 1852 beanspruchte, stieß er auf entschiedensten Widerstand des Bundes unter der Führung Preußens und Österreichs. Wegen des durch die Trennung Holsteins und Schleswigs erfolgten Rechtsbruchs beschloß die Bundesversammlung am 7. Dezember 1863 die Bundesexekution in Holstein.^^^ Den Antrag Preußens und Österreichs, darüber hinaus zur „Pfandbesetzung" Schleswigs zu schreiten, lehnte die Bundesversammlung am 14. Januar 1864 ab.^^^ Daraufhin gingen die beiden Großmächte selbständig vor. Dänemark wurde besiegt und mußte im Wiener Frieden vom 30. Oktober 1864^^^ auf alle Rechte an den Herzogtümern Schleswig, Holstein und Lauenburg zugunsten Österreichs und Preußens verzichten. [190.] Im Falle Badens genügte 1832 offenbar sogar schon die Furcht vor der Bundesexekution, die den badischen Großherzog anläßlich eines bundesseitig ausgesprochenen Ultimatums^^^ dazu veranlaßte, das bundesrechtswidrige liberale badische Preßgesetz zurückzunehmen. [191.] In der Gesamtschau erwies sich die formelle Bundesexekution jedoch als ein sehr schwerfälliges Instrument. Sie war daher kaum geeignet, um pflichtwidrigem Verhalten von Bundesmitgliedem schnell zu begegnen. Deshalb sah Art. 19 WSA die sogenannte „formlose" Bundesexekution vor, im Rahmen derer der Bundesversammlung die Befugnis zustand, „vorläufige Maßregeln zu ergreifen", um jeder Selbsthilfe vorzubeugen und bereits unternommener Selbsthilfe Einhalt zu gebieten. Ausgerechnet eine solche formlose Bundesexekution wurde dem Deutschen Bund schließlich zum Verhängnis; nämlich als Österreich sie aus Anlaß der Holsteinkrise gegen den preußischen Rivalen instrumentalisierte. Die österreichischerseits zu diesem Zweck angerufene Bundesversammlung faßte am 14. Juni 1866 einen die Mobilmachung der vier nichtpreußischen Armeekorps des Bundesheeres anordnenden Bundesbeschluß.^^^ Preußen sah dieses Vorgehen weil nicht in den von den Art. 3 1 - 3 4 WSA und der Bundes-Exekutionsordnung von 1820 vorgeschriebenen Formen der Bundesexekution erfolgend - als Bruch der Bundesverfassung an. - Zu Unrecht! Denn insoweit konnte die Bundesversammlimg wegen der gegen die österreichische Besatzung Holsteins angewandte verbotene Selbsthilfe Preußens auf Art. 19 WSA gestützt „vorläufige Maßregeln" ergreifen. Von dem preußischerseits beklagten offenen Widerspruch mit der Bun2^2 29^ 294 29^ 29^

A. a. O , 22. Sitzung vom 3 1 . Mai 1834, Beilage 1 zu § 276. A. a. O., 24. Sitzung vom 19. Juni 1834, § 310. A. a. O., 40. Sitzung vom 7. Dezember 1863, § 288. A. a. O., 4. Sitzung vom 14. Januar 1864, § 32. Abgedruckt in: E. R. Huber (Hrsg.), Dokumente zur Deutschen Verfassungsgeschichte, Bd. 2: Deutsche Verfassungsdokumente 1851 - 1900, 3. Aufl., 1986, Nr. 153. 29^ Protokolle der Bundesversammlung, 24. Sitzung vom 5. Juni 1832, § 230. 29^ A. a. O., 24. Sitzung vom 14. Juni 1866, § 170.

110

1. Abschnitt: Gesamtdeutsche Verfassungsentwicklung (1803/06-1918)

desverfassung konnte daher ebenso wenig die Rede sein wie von einer Kj*iegserklämng des Bundes gegen eines seiner Mitglieder. [192.] Die Fälle, in denen die Bundesexekution zur Anwendung kam, legen nur allzu deutlich offen, gegen wen sie sich zum Nutzen des Bundes richten konnte: gegen die kleinen und mittleren Mitgliedstaaten. Diesen gegenüber eignete sie sich vorzüglich als Disziplinierungsmittel. Sollte sie indes gegen eine der beiden Großmächte in Anwendung gebracht werden, mußte dies zwangsläufig zum Auseinanderbrechen des Bundes führen. 2. Wahrnehmung äußerer Interessen [193.] Im Verhältnis nach außen bildete der deutsche Bund „eine in politischer Einheit verbundene Gesammt-Macht" (Art. 2 WSA). Er war damit ein selbständiges Völkerrechtssubjekt im Konzert der europäischen Machtpolitik; besaß also die vollständige völkerrechtliche Rechtsfähigkeit. Demgemäß stand ihm das Gesandtschaftsrecht ebenso zu wie das Recht, Krieg zu erklären und zu fuhren, Frieden, Bündnisse und andere völkerrechtliche Verträge zu schließen (Art. 35 Satz 1 WSA). a. Gesandtschaftsrecht [194.] So regelte der Bundesbeschluß über die auswärtigen Verhältnisse des Bundes vom 12. Juni 1817^^^ den vom Bund unterhaltenen diplomatischen Verkehr. Art. 50 Nr. 2 WSA ergänzte diesen Beschluß, wonach beim Bund akkreditierte ausländische Gesandte von der Bundesversammlung anzunehmen (passives Gesandtschaftsrecht) und falls das für nötig befunden werde, Gesandte im Namen des Bundes an fremde Höfe abzuordnen habe (aktives Gesandtschaftsrecht). Das passive Gesandtschaftsrecht nahm der Bund seit 1817 ununterbrochen wahr, das aktive nur „in außerordentlichen Fällen", wie auf der sich um die Lösung der Schleswig-Holsteinfrage bemühenden Londoner Konferenz von 1864, bei der der Bund mit dem Grafen von Beust durch einen eigenen Gesandten vertreten war. An ständigen diplomatischen Vertretungen bei ausländischen Mächten fehlte es indes. b. Vertretung in auswärtigen Angelegenheiten [195.] Der Bund besaß zwar ein Recht zur selbständigen, aber keineswegs ausschließlichen Vertretung Deutschlands in auswärtigen Angelegenheiten. Er hatte dieses nur neben demjenigen seiner Mitgliedstaaten, welche insoweit eine eigene, vom Bund unabhängige Außenpolitik fuhren durften; wovon naturgemäß in erster Linie die Großmächte Österreich und Preußen Gebrauch machten. E. R. Huber^^^ spricht daher im Hinblick darauf von einer „vollentwickelten völkerrechtlichen Doppelstellung Deutschlands". Soweit es im Rahmen der Wahrnehmung auswärtiger Angelegenheiten durch den Bund die Unterhandlungen mit anderen Staaten 299 Dok.34. 300 (Fußn. 12), S. 604.

§ 3: Der Deutsche Bund (1815 - 1866)

111

betraf, schloß der Bund die daraus resultierenden Verträge für seine „Gesammtheit" (Art. 50 Nr. 3 WSA). Ebenso konnte der Bund auf Verlangen einzelner Mitglieder sich für diese bei fremden Regierungen und umgekehrt verwenden (Art. 50 Nr. 4 WSA). Doch verhinderte nicht zuletzt die in wesentlichen Teilen ausdrücklich bundesrechtlich geregelte außenpolitische Selbständigkeit der einzekien Bundesglieder, daß der Bund wirklich eine eigene Außenpolitik fähren konnte. [196.] In besonderem Maße hatte dies für das in Art. 11 Abs. 3 DBA den Gliedstaaten zugebilligte „Recht zu Bündnissen aller Art" zu gelten. Gravierender als die damit stark begünstigte faktische außenpolitische Ausschaltung des konkurrierenden Bundes durch einzelne seiner Mitglieder wirkte sich indes ein von den Einzelstaaten in Ausübung dieses Rechts mitunter an den Tag gelegtes, das Bundes wohl ignorierendes Verhalten aus. Auch wenn das in Art. 11 Abs. 3 DBA verankerte Bündnisrecht der Mitgliedstaaten nur unter dem einschränkenden Vorbehalt galt, „keine Verbindungen einzugehen, welche gegen die Sicherheit des Bundes oder einzelner Bundesstaaten gerichtet wären", so handelte es sich hierbei in Wahrheit um eine dem deutschen Verfassungsrecht seit dem Westfälischen Frieden (Art. VIII § 2 IPO, Art. 63 IPM) ebenso vertraute wie letztlich wirkungslose Pflichtenmaxime. [197.] Dies zeigte sich anläßlich des preußisch-österreichischen Konflikts im Jahre 1866, in dessen Verlauf die beiden deutschen Mächte sich jeweils ausländischer Unterstützung in der seit dem Frühjahr eskalierenden Auseinandersetzung versicherten: Preußen schloß mit Italien am 8. April 1866 einen Allianzvertrag^°\ in dem sich Italien u. a. verpflichtete, an der Seite des HohenzoUemstaates gegen Österreich Krieg zu führen, falls eine preußisch-österreichische Einigung über die von Preußen angestrebten Reformen der deutschen Bundesverfassung scheiterte. Italien sollte im Falle eines Sieges über Österreich nach der bereits 1859 abgetretenen Lombardei auch Venetien, Preußen Gebietsteile mit entsprechender Bevölkerungszahl erhalten. Mit dem Abkommen war gleich in zweifacher Weise gegen das von Art. 11 Abs. 3 DBA statuierte Gebot der Bundestreue verstoßen. Denn zum einen wurde eindeutig die Sicherheit Österreichs, also eines Bundesmitglieds, infrage gestellt, zum anderen bediente sich Preußen ausländischer militärischer Hilfe zur einseitigen Umgestaltung der Bundesverhältnisse, bedrohte somit die Bundessicherheit. Österreich wiederum vereinbarte in einem Geheimvertrag vom 12. Juni 1866 mit Frankreictf^^ u. a. dessen vollständige Neutralität auf einem möglichen deutschen Kriegsschauplatz. Auf diese Weise sicherte sich die Donaumonarchie freie Hand bei einem militärischen Vorgehen gegen das Bundesmitglied Preußen; was nicht nur dessen Sicherheit, sondern auch diejenige des Bundes selbst gefährdete. Noch erheblich schwerer wog indes, daß Österreich sich verpflichtete, im Falle eines Sieges das europäische Gleichgewicht in Deutschland störende Gebietsveränderungen nur im Einvernehmen mit Frankreich vorzunehAbgedruckt in: E. R. Huber (Hrsg.), Dokumente zur Deutschen Verfassungsgeschichte: Bd. 1: Deutsche Verfassungsdokumente 1803 - 1850, 3. Aufl., 1978; Bd. 2: Deutsche Verfassungsdokumente 1851 - 1900, 3. Aufl., 1986, Nr. 162. Näher dazu H. von Srbik, Der Geheimvertrag Österreichs und Frankreichs vom 12. Juni 1866, in: Histor. Jb. 57(1937), S. 462 ff

112

1. Abschnitt: Gesamtdeutsche Verfassungsentwicklung (1803/06-1918)

men und sich zudem zu einer Verbalvereinbarung über die Bildung eines neuen unabhängigen Rheinstaates auf Kosten der linksrheinischen preußischen Gebiete verstand. Damit anerkannte Wien ein mit der Sicherheit und Unabhängigkeit des Bundes unvereinbares französisches Mitgestaltungsrecht bei den künftigen Bundesverhältnissen. c. Kriegskompetenzen [198.] Dem Bund stand das Recht zur Erklärung, Führung und Beendigung des Bundeskriegs zu (Art. 35 Satz 1 WSA). Allerdings durften damit wegen der Bindung an den insoweit defensiv formulierten Bundeszweck keine hegemonialen Bestrebungen verbunden sein, sondern nur der Erreichung eigener Verteidigungsund Sicherungsziele dienende Maßnahmen (Art. 35 Satz 2 WSA); was zwar einen präventiven (d. h. zur Abwehr eines bevorstehenden Angriffs gefiihrten) Verteidigungskrieg nicht ausschloß, wohl aber das Verbot eines Angriffskrieges implizierte. Die Art. 3 6 - 4 9 WSA regelten ausführlich das Verhalten des Bundes und seiner Mitglieder im Falle eines bevorstehenden oder andauernden Krieges. Das mit Blick auf das Bundesrecht einzige eindeutig als Krieg zu quahfizierende tatsächliche militärische Vorgehen des Bundes während seines Bestehens bildete dasjenige gegen Dänemark (1848/50) nach dessen Angriff auf Schleswig und Holstein. Den Feldzug übernahm Preußen im Auftrage des Bundes. Die erneuten militärischen Aktionen des Bundes im Jahre 1864 gegen Dänemark waren kein Bundeskrieg, sondern eine auf Art. 31 WSA gestützte Bundesexekution. Die Bundesteilnahme am Waffengang gegen Preußen (1866) wird man ebenfalls nicht als „Bundeskrieg" aufzufassen haben, sondern je nach Sichtweise entweder aus Bundesperspektive als „vorläufige Maßregeln" gegen eine unerlaubte Selbsthilfe des Bundesmitglieds Preußen gemäß Art. 19 WSA oder nach preußischer Lesart als Krieg (wegen zwischenzeitlich eingetretener Bundesauflösung) ehemals dem Bund zugehöriger Staaten gegen Preußen. [199.] Zu einer weiteren Verwicklung in aktive Kriegshandlungen hätte es für den Bund allerdings anläßlich des Krimkrieges (1854 - 56) kommen können. Angesichts der drohenden Kriegsgefahr für die nicht an diesem Krieg teihiehmenden Großmächte Preußen und Österreich trat man nämlich dem am 20. April 1854 zwischen Berlin und Wien geschlossenen Schutz- und Trutzbündnis durch Bundesbeschluß vom 24. Juh 1854^^^ bei. Am 9. Dezember desselben Jahres wurde bundesseitig sogar noch einmal klargestellt, daß ein im Zusammenhang mit dem Krimkrieg erfolgender russischer Angriff auf das Territorium Österreichs oder auf seine Truppen in den Donaufürstentümem den Bund zur Unterstützung der Donaumonarchie „mit allen Mitteln verpflichtet".^^"^ Zwar bestimmte Art. 46 WSA, daß ein von Preußen oder Österreich „als ausländische Mächte" geftihrter Krieg als die Bundesverhältnisse und -Verpflichtungen nicht berührend „dem Bunde ganzfi-emdblieb". Doch galt dies nicht im Falle des von der Bundesversammlung durch Mehrheitsbeschluß anerkannten Vorliegens einer „Gefahr für das Bundes^^^ Protokolle der Bundesversammlung, 23. Sitzung vom 24. Juli 1854, § 233. ^^"^ A. a. O., 36. Sitzung vom 9. Dezember 1854, § 368.

§ 3: Der Deutsche Bund (1815 - 1866)

113

gebiet" (Art. 47 WSA); die man jedenfalls bejahen mußte, sobald nicht auszuschließen war, daß schwerere Niederlagen eines der oder beider Hauptmächte des Bundes auf entfernteren Kriegsschauplätzen auch die Verteidigung des bundeszugehörigen Gebiets insgesamt erheblich schwächen und damit zumindest spürbar erschweren würden. Angesichts dessen drohte die Abgrenzung zwischen dem den Bund betreffenden und den ihn eindeutig nicht betreffenden „fremden" - will heißen: europäischen - Krieg der deutschen Großmächte wegen der daraus für den Bund resultierenden Gefahren in vielen Fällen unmöglich zu werden. Denn insbesondere die selten überschaubaren Weiterungen eines europäischen Krieges mußten dazu fuhren, daß nahezu zwangsläufig der Tatbestand des Art. 47 WSA vorlag; ein Umstand, der die von Art. 39, 46 und 47 WSA vorgenommene vermeintlich eindeutige Differenzierung zwischen bundeszugehörigem und bundesfremden Gebiet der Mitgliedstaaten des Bundes zumindest mit Blick auf militärische Beistandsfragen weitgehend verwischte. [200.] Daß der Bund angesichts dessen Österreich seinen Beistand im italienischen Krieg von 1859 versagte, läßt sich nur vor dem Hintergrund des preußischösterreichischen Dualismus erklären; rechtlich hätte wegen des sardinisch-französischen Angriffs auf die nicht bundeszugehörigen Gebiete des österreichischen Oberitaliens das Vorliegen der Voraussetzungen des Art. 47 WSA bejaht werden müssen. Daran änderte auch nichts, daß der Bund zur Vermeidung eines eventuellen Kriegsübergriffs auf österreichisches Bundesgebiet oder, um einer anderweitigen Gefahr für Deutschland rechtzeitig entgegentreten zu können, ein bewaföietes Observationskorps in Süddeutschland bereitstellte.^^^ Denn der österreichischsardinisch-französische Konflikt und seine Folgen ließen sich schon wegen der Eigendynamik des italienischen Einheits- und Unabhängigkeitskampfes und der offensiven Haltung Frankreichs nicht von vornherein auf die bundesfremden österreichischen Gebiete in Oberitalien beschränken. Ein derartiger Krieg ging bereits von Beginn an weit über den Charakter einer rein österreichischen Angelegenheit hinaus.

X. Militärwesen des Bundes [201.] Die den Bund betreffenden Militärfragen waren durch die Deutsche Bundesakte (DBA)^^^ sowie die Wiener Schlußakte^^^ offengebheben. Art. 10 DBA bezeichnete die Regelung der Militärverhältnisse als eines der ersten Geschäfte „der Bundesversammlung nach ihrer Eröffnung". Die Bundesversammlung begann denn auch schon bald nach ihrer Konstituierung am 5. November 1816, erste Vorbereitungen zur verfassungsrechtlichen Ausgestaltung der „militärischen Verhältnisse" des Bundes zu treffen. Ungeachtet der sich daran anschließenden intensiven, auf eine kodifizierte Kriegsverfassung für den Deutschen Bund zielenden Verhandlungen beanspruchten diese allerdings noch einige Jahre, bis die Kriegs^^^ Bundesbeschluß vom 2. Juli 1859 (a. a. O., 24. Sitzung vom 2. Juli 1859, Separat-Protokoll, § 4). 306 D o k . 3 1 . 307 D o k . 4 3 .

114

1. Abschnitt: Gesamtdeutsche Verfassungsentwicklung (1803/06-1918)

Verfassung 1821 und 1822 als die wohl signifikanteste rechtliche Klammer für alle Staaten des Bundes^^^ nach einem dreigeteilten Verfahren rechtsverbindlich beschlossen werden konnte. Die zwischenzeitlich verabschiedete Wiener Schlußakte vom 15. Mai 1820 begnügte sich in Art. 51 mit dem spärlichen Hinweis auf die Verpflichtung der Bundesversammlung, „die auf das Militairwesen des Bundes Bezug habenden organischen Einrichtungen und die zur Sicherstellung seines Gebiets erforderlichen Vertheidigungs-Anstalten zu beschließen". In teilweiser Erfüllung des Art. 51 WS A erging am 9. April 1821 die „Kriegsverfassung des deutschen Bundes in ihren allgemeinen Umrissen und wesentlichen Bestimmungen '^^^. Ihr folgte am 12. April 1821 die Annahme der ersten fünf Abschnitte der „Näheren Bestimmungen der Kriegsverfassung des deutschen Bundes''^^^ über die Heeresstärke, das Verhältnis der Waffengattungen, die Heereseinteilung, die Bereithaltung des Heeres im Frieden und seine Mobilmachung im Krieg. Die „fünf letzten Abschnitte", welche den Oberfeldherren, die Korpskommandanten, die Bildung des Hauptquartiers, die Verpflegung und die Gerichtsbarkeit regelten, wurden erst mit spürbarer zeitlicher Verzögerung am 11. Juli 1822 beschlossen.^^^ Die Näheren Bestimmungen unterzog man durch Bundesbeschluß vom 4. Januar 1855'^^^ einer Revision. Diese Fassung galt bis zum Ende des Bundes. [202.] Der Bund hatte ein Heer, das aus Kontingenten der grundsätzlich eigenständigen Armeen der Mitgliedstaaten bestand. Die ihm zur Verfügung zu stellenden föderativen Heeresformationen waren lediglich seinem militärischen Oberbefehl untergeordnet. Für die Leitung und Verwaltung der Militärangelegenheiten des Bundes war der Militärausschuß der Bundesversammlung zuständig. 1. Bundesmathkel und Umfang des Bundesheeres [203.] Zur Bestimmung des Umfanges des Bundesheeres und für die Bundeskriegskasse galt in Anlehnung an die Heeresmatrikel des alten Reiches eine sogenannte „Bundesmatrikel". Sie sollte den Gesamtumfang der Leistungen an Mannschaften und Geld sowie deren verhältnismäßige Verteilung unter den einzelnen Mitgliedstaaten festlegen. Beide Leistungen setzte man quotenmäßig für jeden Mitgliedstaat nach Prozenten fest, wobei die Bevölkerungszahl der einzelnen Gliedstaaten die Berechnungsgrundlage bildete. Wegen der noch nicht gefestigten statistischen Daten wurde die Matrikel durch Bundesbeschluß vom 20. August 1818 ah provisorische Matrikel „mit Vorbehalt weiterer Bestimmung für HessenHomburg" zunächst auf fünf Jahre veranschlagt.^^^ Ihr lag eine Einwohnerzahl von insgesamt 30.094.050 zugrunde: Österreich 9.482.227, Preußen 7.923.439, Bayern ^^^ Näher dazu M Kotulla, Die Entstehung der Kriegsverfassung des Deutschen Bundes vor dem Hintergrund verfassungsrechtlicher und verfassungspolitischer Kontroversen in der Bundesversammlung 1816 - 1823, in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte (Germ. Abt.), Bd. 117 (2000), S. 122 ff. 309 D o k . 4 5 . 310 311 312 313

Dok.46. Ebenfalls in Dok. 46 enthalten. Dok. 83. Dok. 37.

3: Der Deutsche Bund (1815 - 1866)

115

3.560.000, Hannover 1.305.351, Württemberg 1.395.462, Sachsen 1.200.000, Baden 1.000.000, Großherzogtum Hessen 619.500, Kurhessen 540.000, Holstein und Lauenburg 360.000, Mecklenburg-Schwerin 358.000, Nassau 302.769, HolsteinOldenburg 217.769, Luxemburg 214.058, Braunschweig 209.600, Sachsen-Weimar 201.000, Sachsen-Gotha 185.682, Hamburg 129.800, Sachsen-Coburg 80.012, Mecklenburg-Strelitz 71.769, Lippe 69.062, Sachsen-Meiningen 54.400, Schwarzburg-Rudolstadt 53.937, Anhalt-Dessau 52.947, Reuß j . L. 52.205, Waldeck 5L877, Bremen 48.500, Frankfurt a. M. 47.850, Schwarzburg-Sondershausen 45.117, Lübeck 40.650, Anhalt-Bemburg 37.046, Hohenzollem-Sigmaringen 35.560, Anhalt-Köthen 32.454, Sachsen-Hildburghausen 29.706, SchaumburgLippe 24.000, Reuß ä. L. 22.255, Hessen-Homburg 20.000, HohenzoUemHechingen 14.500, Liechtenstein 5.546. Luxemburg und Kurhessen korrigierten am 4. Februar 1819 ihre Bevölkerungsangaben auf 255.628 bzw. 567.868 Einwohner nach obetf ^'^, so daß insgesamt 30.163.488 Einwohner die Grundlage für die Matrikel bildeten, welche dann als § 1 Abs. 2 Eingang in die am 12. April 1821 beschlossenen „Näheren Bestimmungen der Kriegsverfassung des deutschen Bundes "^^^ fand. Darüber hinaus beschloß die Bundesversammlung zur Ausarbeitung einer endgültigen Matrikel, eine Kommission einzusetzen; was aber tatsächlich erst nach nahezu fünf Jahren gelang.^^^ Diese sah sich aber aufgrund der „Wichtigkeit des Gegenstandes" und der „Verschiedenheit der Ansichten" vor Ablauf der provisorischen Matrikel am 20. August 1823 nicht mehr rechtzeitig in der Lage, ein beschlußfahiges Gutachten vorzulegen, so daß die bisherige Matrikel von der Mehrheit der Bundesversammlung am 12. Juli 1823 vorerst auf unbestimmte Zeit verlängert werden sollte.^^'^ Insbesondere Oldenburg verwahrte sich aber dagegen und wähnte eine Verletzung seiner Rechte;^^^ woraufhin man sich am 13. Januar 1824 schließlich auf eine nur interimistische Weitergeltung der Matrikel verständigte.^^^ Später widerfuhren der weiterhin auf dem Bevölkerungsfuß von 1818 beruhenden Matrikel nur noch unbedeutende Berichtigungen.^^^ Die Dynamik der seit 1818 stetig steigenden Bevölkerungszahlen in den Mitgliedstaaten - allein zwischen 1818 und 1856 wuchs die Bevölkerung im Bundesterritorium von ca. 30,2 Millionen auf immerhin ca. 45 Millionetf^^ - ignorierte man offenbar bewußt.^^^ Das Interesse der einzelnen Staaten an einer definitiven bzw.

314 D o k . 3 7 / 1 .

315 31^ 31^ 31^ 319 3^^

Dok.46. Protokolle der Bundesversammlung, 16. Sitzung vom 12. Juni 1823, § 101. Dok.37/1. Protokolle der Bundesversammlung, 22. Sitzung vom 17. November 1823, § 157. A. a. O., 1. Sitzung vom 13. Januar 1824, § 11. Beschluß der Bundesversammlung betr. das großherzoglich- und herzoglich-sächsische Kontingent vom 12. Juli 1827 (Dok. 37/3); Ergänzung der Bundesmatrikel vom 30. April 1831 (Dok. 37/4); Berichtigung vom 26. September 1834 (Dok. 37/5); Berichtigung vom 5. September 1839 (Dok. 37/6); Berichtigung vom 14. April 1842 (Dok. 37/7); Beschluß der Bundesversammlung die Matrikularbevölkerung des Großherzogtums Luxemburg und des Herzogtums Limburg betr., vom 20. Dezember 1851 (Dok. 37/8); Berichtigung vom 26. Januar 1860 (Dok. 37/9). 3^1 C. von Kaltenhom, Geschichte der deutschen Bundesverhältnisse und Einheitsbestrebungen von 1806 bis 1856, Bd. 1, 1857, S. 281.

116

1. Abschnitt: Gesamtdeutsche Verfassungsentwicklung (1803/06-1918)

fenbar bewußt.^2^ Das Interesse der einzehien Staaten an einer definitiven bzw. den wirklichen Verhältnissen angepaßten Festsetzung und die Bereitschaft, eventuell höhere Rüstungslasten tragen zu müssen, nahm in Zeiten von Kriegsmüdigkeit und dringend notwendiger wirtschaftlicher Konsolidierung beständig ab. Die Folge war ein immer größeres Mißverhältnis von Mannschaftsstärke des Bundesheeres zu tatsächlicher Bevölkerungszahl im Deutschen Bund. Das Maximum an streitbarer Mannschaft für ein Kriegsjahr belief sich die längste Zeit auf 1,5 % (1 % Hauptkontingent und 0,5 % Ersatzkontingent), seit der revidierten Kriegsverfassung vom 4. Januar 1855^^^ jedoch auf 1 ^/s % (1 Vg % Hauptkontingent, V3 % Reservekontingent, Ve % Ersatzkontingent) und seit dem 27. April 186P^^ schließlich auf 1 ^4 % (1 V2 % Hauptkontingent, V3 % Ersatzkontingent) der matrikulärmäßigen Bevölkerung. 2. Kontingente [204.] Die daraus resultierenden Kontingente waren auch im Frieden bereitzuhalten und im Falle der Mobilmachung durch die Einberufung von Beurlaubten und Reservisten auf den vollen Kriegsstand zu bringen. Das Bundesheer bestand aus zehn Armeekorps: Die beiden Großmächte und Bayern stellten insgesamt sieben jeweils ungemischte Korps (Österreich [I.-IIL] und Preußen [IV.-VI] je drei, Bayern ein [VIL] Korps). Die Armeen Preußens und Österreichs waren auf diese Weise in Bundes- und außerhalb des Bundes stehende Truppen geteilt. Die übrigen Staaten bildeten insgesamt drei gemischte (VIII. - X.) Korps; wovon dem VIII. Korps Württemberg, Baden, Hessen-Darmstadt, beide HohenzoUem und Liechtenstein, dem IX. Korps Sachsen, Kurhessen, Luxemburg, Nassau, die übrigen sächsischen, anhaltischen, die beiden schwarzburgischen Häuser, Reuß, Hessen-Homburg und Frankfurt sowie dem X. Korps Hannover, Holstein, Braunschweig, beide Mecklenburg, Oldenburg, Waldeck, Schaumburg-Lippe, Lippe, Lübeck, Bremen und Hamburg zugeteilt waren. 3. Oberkommando [205.] Ein Schwachpunkt der Bundeskriegsverfassung war sicherlich das Oberkommando für das Bundesheer. Allgemein wurde zwar die Notwendigkeit eines Heerführers in Kriegszeiten gesehen, doch gestand man diesem nur soviel Macht zu, wie dies ohne Gefahr für die Souveränität der einzelnen Staaten zur Erfüllung seiner Aufgaben als notwendig erachtet wurde. Dies spiegelte sich bereits darin wider, daß es einen permanenten Bundesfeldherren („Oberfeldherr") nicht gab. Nach dem insoweit einschlägigen VI. Abschnitt der „ Grundzüge der Kriegsverfassung des deutschen Bundes''^^^ sollte der Oberfeldherr jeweils erst im Kriegs322 ^r^ Keul, Die Bundesmilitärkommission ( 1 8 1 9 - 1866) als politisches Gremium. Ein Beitrag zur Geschichte des Deutschen Bundes, 1976, S. 7 3 . 323 Dok.83. 324 D o k . 8 3 / 4 .

325 Dok.45.

§ 3: Der Deutsche Bund (1815 - 1866)

117

falle durch die Bundesversammlung mit Stimmenmehrheit zu bestimmen und zu ernennen sein. Hier setzte sich letztendlich das Prinzip der einzelstaatlichen Souveränitätswahrung durch. Das Verfahren der Vorauswahl blieb bezeichnenderweise offen. Der Oberfeldherr stand im Eid und in der Pflicht gegenüber dem Bund, war diesem untergeordnet und hatte diesem zu berichten. Der Primat des Bundes über den Oberfeldherren war damit zementiert.^^^ Seine Stellung gegenüber dem Bund war damit diejenige eines kommandierenden Generals gegenüber seinem Souverän, Ungeachtet dessen hatte der Oberfeldherr die unbeschränkte Kommandogewalt über das Bundesheer, durfte aber nicht eigenmächtig dessen vorgeschriebene Einteilung abändern. Überhaupt waren die Kompetenzen nach den jeweiligen Bedürfiiissen des Krieges näher festzulegen. Eine besonders starke Stellung war dem Oberfeldherm damit nicht zugedacht. Auch die Bildung eines Generalstabes richtete sich nach den konkreten Umständen. 4. Bundesfestungen [206.] Die einzigen ständigen Militäreinrichtungen des Bundes waren - abgesehen von der nur kurze Zeit bestehenden Bundesflotte (1849- 1852)^^^ - die Bundesfestungen; also „diejenigen festen Plätze, welche zur gemeinschaftlichen Vertheidigung Deutschlands bestimmt sind".^^^ Sie rührten aus einer latenten Furcht vor dem ehemaligen Kriegsgegner Frankreich her, in dem man auch weiterhin den potentiellen Feind sah.^^^ [207.] Bereits der in Paris protokollierte Vertrag zwischen Österreich, Rußland, Preußen und Großbritannien vom 20. November 1815 erklärte Mainz, Luxemburg und Landau zu Bundesfestungen, wobei die Staatshoheit über die Bundesfestungen demjenigen Bundesmitglied oblag, auf dessen Territorium sie sich befanden.^^^ Durch Vertrag vom 30. Juni 1816 zwischen Österreich und Preußen einerseits und dem Großherzogtum Hessen andererseits wurde die Hoheit über Mainz einschließlich Kastell und Kostheim dem Großherzogtum Hessen übertragen.^^^ Luxemburg wurde anders als Mainz schon aufgrund der Wiener Kongreßakte vom 9. Juni 1815 zur Bundesfesümg erklärt (Art. 67): Der König der Niederlande erhielt „en toute propriete et souverainete" zugesprochen, allerdings ebenfalls „sous le rapport militaire". Dies bestätigten die zwischen den Niederlanden und den vier Mächten Preußen, Österreich, Rußland und Großbritannien in Frankfort a. M. am ^^^ K Seier, Der Oberbefehl im Bundesheer, in: Militärgeschichtliche Mitteilungen 21 (1977), S. 7 (14). ^^^ E. Wienhöfer, Das Militärwesen des Deutschen Bundes und das Ringen zwischen Österreich und Preußen um die Vorherrschaft in Deutschland 1815-1866, 1973, S. 73 ff ^^^ Protokolle der Bundesversammlung, I.Sitzung vom 12. Januar 1818: gedruckt loco dictaturae; 3. Sitzung vom 19. Januar 1818 (a. a. O., § 9). ^29 E. Wienhöfer (Fußn. 326), S. 70; C. von Kaltenborn (Fußn. 320), S. 314. ^^^ Art. 10: „Les places de Mayence, Luxembourg et Landau sont declarees places de la Confederation Germanique, abstraction faite de la souverainete territoriale de ces places" (abgedruckt in: P. A. G. Meyer, Corpus Juris Germaniae Confoederationis oder Staatsacten für Geschichte und öffentliches Recht des Deutschen Bundes, Bd. 2, 3. Aufl., 1858, S. 291). ^^^ Die insoweit einschlägigen Art. 8 - 1 4 sind in den Protokollen der Bundesversammlung, 50. Sitzung vom 8. Oktober 1818, § 232 als Beilage 29: gedruckt loco dictaturae enthalten.

118

1. Abschnitt: Gesamtdeutsche Verfassungsentwicklung (1803/06-1918)

8. November 1816 und 17. März 1817 geschlossenen Verträge^^^. Danach wurde zusätzlich vereinbart, daß Preußen das Recht habe, sowohl den Festungskommandanten als auch den Festungsgouvemeur zu ernennen sowie verpflichtet sei, drei Viertel der Festungsbesatzung, die Niederlande ein Viertel zu stellen. Nach dem preußisch-niederländischen Vertrag vom 17. November 1856^^^ stellte Preußen dann allein die Besatzung. In Landau sollte im Frieden die Besatzung allein aus bayerischen Truppen bestehen; im Kriegsfalle konnte Bayern ein Drittel der zur Verteidigung nötigen Truppen von Baden fordem.^^"^ Durch den am 14. April 1816 in München zwischen Österreich und Bayern abgeschlossenen Vertrag^^^ erhielt letzteres für Landau eine der den Großmächten für Mainz und Luxemburg zustehende vergleichbare Souveränitäts- und Eigentumsposition. Der Bund hatte insgesamt die Befugnis zur Herstellung und Unterhaltung der erforderlichen Verteidigungsanlagen. Die Kosten dafür waren über die Matrikularbeiträge zu decken. Der Frankfurter Territorialrezeß vom 20. Juli 1819^^^ bestätigte im Ergebnis die bereits über die Festungen bestehenden Vereinbarungen.^^^ Es dauerte aber noch über sechs Jahre, bis die Bundesversammlung am 28. Juli 1825 mit Stimmenmehrheit nähere Bestimmungen über die drei Bundesfestungen als „Nachtrag" zur Bundeskriegsverfassung und „zeitliche Bestimmungen" für deren Übernahme und Herstellung sowie hinsichtlich der Geschäftsverteilung zwischen den Festungsgouvemeuren und Festungskommandanten und der Bundesversammlung beschloß.^^^ Die faktische Übergabe der Festungen an den Deutschen Bund erfolgte naturgemäß noch später (Mainz am 15. Dezember 1825, Luxemburg am 13. März 1826, Landau am 27. Januar 1831).339 Rastatt und Uhn wurden erst 1841/42 zu Bundesfestungen erklärt.^'^^ In Rastatt oblag die Besatzung Österreich, Preußen Vgl. Frankfurter Vertrag zwischen Preußen und den Niederlanden vom 8. November 1816, Art. 4; Frankfurter Vertrag zwischen Österreich, Preußen, Großbritannien und Rußland mit den Niederlanden vom 17. März 1817 (Die insoweit einschlägigen Art. 4 - 7 sind in den Protokollen der Bundesversammlung, 50. Sitzung vom 8. Oktober 1818, § 232 als Beilage 33: gedruckt loco dictaturae enthalten). ^^^ Abgedruckt in: Protokolle der Bundesversammlung, 30. Sitzung vom 20. November 1856, Beilage zu §331. ^^^ Art. 10 des Pariser Protokoll vom 3. November 1815; Art. 2 des Münchener Vertrages vom H.April 1816. ^^^ Protokolle der Bundesversammlung, 50. Sitzung vom 8. Oktober 1818, § 232 als Beilage 32: gedruckt loco dictaturae. 336 D o k . 3 1 / 5 . 337 Für Mainz: Art. 15, 16, 20 - 23 und 38; für Luxemburg: Art. 35 - 37; für Landau: Art. 3. 33^ Protokolle der Bundesversammlung, 19. Sitzung vom 28. Juli 1825, 1. Separatprotokoll. - Bayern, Württemberg und die Niederlande lehnten die Bestimmungen ab. 339 Vgl. J. L. Klüber (Fußn. 121), S. 2 8 1 , Anm. d. - Unzutreffend ist demnach die Angabe bei W. Petter, Deutscher Bund und deutsche Mittelstaaten, in: Handbuch zur deutschen Militärgeschichte 1 6 4 8 - 1 9 3 9 , hrsg. vom Militärgeschichthchen Forschungsamt, Bd. IV, 2: Militärgeschichte im 19. Jahrhundert 1 8 1 4 - 1 8 9 0 , 1976, S. 226 (249), wonach der Bund „seine drei Festungen im Jahr 1820" übernahm. 3^^ Bundesbeschlüsse vom 26. März 1841 (Protokolle der Bundesversammlung, 7. Sitzung vom 26. März 1841, Separatprotokoll); vom 14. April (a. a. O., 9. Sitzung vom 14. April 1842, § 106); vom 28. April (a. a. O., 10. Sitzung vom 28. April 1842, Separatprotokoll); vom 23. Juni (a. a. O., 14. Sitzung vom 23. Juni 1842, § 169); vom 7. Juli (a. a. O., 16. Sitzung vom 7. JuU 1842, § 188) und vom 11. August 1842 (a. a. O., 2 1 . Sitzung vom 11. August 1842, §§ 1 f.).

§ 3: Der Deutsche Bund (1815 - 1866)

119

und Baden, in Ulm Österreich, Bayern und Württemberg. Schließlich erwogen Österreich und Preußen in der zwischen ihnen geschlossenen Konvention von Gastein vom 14. August 1865^"^^ die Erhebung Rendsburgs zur Bundesfestung, ohne daß dies allerdings angesichts des nahenden Endes des Bundes noch praktische Bedeutung gewonnen hätte. 5. Einschätzung der Kriegsverfassung [208.] Nicht zuletzt wegen des mit der Kriegsverfassung zum Ausdruck gebrachten Verzichts auf machtpolitische oder gar hegemoniale Ambitionen begriff man den Deutschen Bund und seine Militärorganisation lange Zeit nur als ein Abbild der politischen Schwäche und Ohimiacht Deutschlands.^"^^ Will man dem Deutschen Bund und seiner Militärorganisation jedoch Gerechtigkeit widerfahren lassen, so ist es für die Beurteilung seiner Binnenstruktur in höchstem Grade verzerrend, wenn man sie nur an den Bedingungen eines straff organisierten europäischen Zentralstaates des 19. Jahrhunderts mißt. Sicherlich mußte dieses Militärwesen bereits von seiner Anlage her demjenigen eines Staates wie Frankreich an Schlagkraft unterlegen sein. Gewiß hätte sich die deutsche Staatenverbindung im Ernstfall mit ihrer föderalistischen Verteidigungsorganisation gegenüber einheitlichen Staatengebilden zu behaupten gehabt. Auch wäre zu beweisen gewesen, daß die bündische Wehrordnung nicht nur - wie C von Clausewitz meinte^"^^ - „ein sehr morscher Kern" war. Diese zu einseitige Sichtweise^"^"^ verkennt aber die vor ihrem Zeithintergrund zu begreifende primäre Zielsetzung, die mit der Schaffung des Bundes und seiner Militärorganisation angestrebt wurde: nämlich die Friedenserhaltung.^"^^ Deshalb tut man der Wehrverfassung des Deutschen Bundes sogar Unrecht, sie als „Kriegsverfassung" zu bezeichnen. Sie war gerade nicht auf Kriegsführung ausgerichtet, sondern bezweckte die Kriegsverhinderung und Friedensförderung. Dafür aber genügte ein Bundesheer ohne jeglichen Expansionsdrang.^'^^

^41 Art. 3 (abgedruckt in: E. R. Huber [Fußn. 295], Nr. 158). ^^^ Dazu H. Seier, Der Deutsche Bund als Forschungsproblem 1815 - 1960, in: Deutscher Bund und deutsche Frage 1815 - 1866, hrsg. von H. Rumpier (Wiener Beiträge zur Geschichte der Neuzeit, Bd. 16/17), 1990,8.31(31). ^43 Vom Kriege, Hinterlassenes Werk, 1832, S. 937. ^44 Zahlreiche Nachweise dafür bei W. Keul (Fußn. 321), S. 14 ff. ^^^ So auch F. Fellner, Perspektiven für eine historiographische Neubewertung des Deutschen Bundes, in: Deutscher Bund und deutsche Frage 1815 - 1866, hrsg. von H. Rumpier (Wiener Beiträge zur Geschichte der Neuzeit, Bd. 16/17), 1990, S. 21 ff; K von Srbik, Mettemich. Der Staatsmann und Mensch, Bd. 1, 1925, S. 350 ff ^^^ So schon die Forderung in dem zeitgenössischen Beitrag von T. Schmitson, Grundriß einer Wehranstalt des teutschen Bundes nach Zeit und Umständen, 1817, S. 7.

120

.1. Abschnitt: Gesamtdeutsche Verfassungsentwicklung (1803/06-1918)

XI. Grundordnung der Mitgliedstaaten [209.] Neben dem unmittelbar den Deutschen Bund und seine Institutionen betreffenden Teil der Rechtsordnung statuierte das Bundesverfassungsrecht namentlich in den Art. 12 - 14, 16 und 18 DBA sowie in den Art. 53 - 63 WSA Bestimmungen, welche Mindestanforderungen an die Grundordnung der Mitgliedstaaten stellten. Hiermit war gewissermaßen der Vorrat an verfassungsrechtlichen Gemeinsamkeiten der Bundesglieder untereinander angelegt, der es ungeachtet einzelstaatlicher Souveränität ermöglichen sollte, eine vergleichbare Werteordnung im Bund aufrechtzuerhalten und auszubauen. Derartige Homogenitätsvorgaben dienten in erster Linie der Bestandssicherung des Bundes. Sie waren daher strukturell so angelegt, daß sie die nach einzelstaatlicher Abgrenzung strebenden Fliehkräfte dämpften, aber nicht wirklich hemmten; ihnen im Rahmen des noch bündisch Vertretbaren vielmehr Entfaltungsmöglichkeiten beließen. Mußte doch auch in diesem Rahmen der Zusammenhalt des Bundes als nur seinem durch die Art. 2 DBA, 1 WSA definierten Zweck verpflichteter Staatenbund dauerhaft gesichert bleiben, ohne dadurch einem allmählichen Zusammenwachsen zu einem Bundesstaat modemer Prägung Vorschub zu leisten. f. Dreiinstanzliche Gerichtsbarkeit [210.] Art. 12 DBA verpflichtete alle Mitgliedstaaten zur Gewährleistung einer aus drei Instanzen bestehenden Zivil- und Strafgerichtsbarkeit. Die Vorschrift verlangte von den Staaten, die bislang noch kein drittinstanzliches Gericht besaßen, ein solches einzurichten. Sie wandte sich äußerlich ausschließlich an die Kleinund Kleinststaaten. Denn die größeren Territorien hatten ohnehin schon zu Reichszeiten durch Ausschaltung von Reichskammergericht und Reichshofrat als oberste Gerichtshöfe infolge des von ihnen erworbenen Privilegium de non appellando landeseigene drittinstanzliche Gerichte aufgebaut. Allerdings wirkte Art. 12 DBA indirekt auch als Verpflichtung für die größeren Staaten, ihren Dreiinstanzenzug beizubehalten. Die Bestimmung war insoweit das Maximum dessen, was sich anstatt des auf dem Wiener Kongreß und auch später nicht durchsetzbaren obersten Bundesgerichts für ganz Deutschland überhaupt erreichen ließ. Zu diesem Zweck mußten alle Staaten mit weniger als 300.000 Einwohnern sich mit anderen zur Bildung eines gemeinschaftlichen obersten Gerichtshofes vereinigen (Art. 12 Abs. 1 DBA). Kleine Länder, die bereits über ein drittinstanzhches Gericht verfügten, durften dies behalten, sofern sie mindestens 150.000 Einwohner hatten (Art. 12 Abs. 2 DBA). Den Freien Städten stand das Recht zu, sich untereinander auf die Errichtung eines gemeinsamen Gerichts zu verständigen Art. 12 Abs. 3 DBA). So gesehen führten diese Vorgaben des Bundesrechts zu einer Harmonisierung der Instanzenzüge in den einzelnen Staaten. [211.] In den Prozessen vor allen gemeinschafthchen obersten Gerichten sollte es den Parteien möglich sein, auf die Verschickung der Akten an eine deutsche Juristenfakultät oder an einen Schöppenstuhl zur Abfassung des Endurteils anzutragen (Art. 12 Abs. 4 DBA). Hiermit blieb das aus dem Reichsrecht überkommene Institut der Aktenversendung auch weiterhin ein Bestandteil der deutschen Ge-

§ 3: Der Deutsche Bund (1815 - 1866)

121

richtsverfassung. Es war wohl damals schon ein Anachronismus, dessen Aufrechterhaltung sich eigentlich nur aus einem gerüttelt Maß an Restmißtrauen gegenüber der sachlichen Kompetenz der neu in Kleinstaatenregie zu schaffenden Gerichtshöfe erklären ließ. [212.] Infolge der Bundesbeschlüsse vom 13. und 27. November 1834'^^'^ sowie vom 5. November 1835^^^ war die Aktenversendung durch die von den Klein- und Kleinststaaten gemeinschaftlich errichteten obersten Gerichte in Straf- und Kriminalsachen zumindest den weiteren Vormärz hindurch verboten. Ob das Verbot der Aktenversendung zu den durch den Bundesbeschluß vom 2. April 1848^^"^ aufgehobenen Ausnahmegesetzen gehörte, blieb unter den Zeitgenossen umstritten. Dafür sprach sicherlich der gezielt repressiv-antiuniversitäre Duktus der Beschlüsse. Ungeachtet dessen hatte die Aktenversendung nach 1848 in praxi ihre Bedeutung längst weitgehend eingebüßt; wenngleich sie in Deutschland endgültig erst durch die Reichsjustizgesetze von 1877 aufgehoben wurde. [213.] Als drittinstanzliche Obergerichte gemäß Art. 12 DBA neu gegründet wurden die Oberappellationsgerichte zu Wolfenbüttel für Braunschweig (2. Januar 1817), Jena für die sächsischen Kleinstaaten und Reuß (7. Januar 1817), Zerbst für die anhaltischen und schwarzburgischen Staaten (1. Oktober 1817), Parchim für beide Mecklenburg (1. Oktober 1818), Lübeck für die vier Freien Städte (13. November 1820) sowie zu Kiel für Holstein-Lauenburg (1. Oktober 1834). Auf die Option der Errichtung eines gemeinschaftlichen drittinstanzlichen Gerichts verzichteten indes mit Lippe-Detmold, Schaumburg-Lippe, Waldeck, beide HohenzoUem, Hessen-Homburg und Liechtenstein gleich sieben Kleinstaaten, indem sie eines der Obergerichte der größeren Staaten mit der Funktion der dritten Instanz betrauten. Dementsprechend fungierten in der Gesamtschau folgende Spruchkörper als drittinstanzliche Gerichte für die einzelnen Staaten: [214.] Für die bundeszugehörigen Teile Österreichs die oberste Justizstelle in Wien, für Preußen zunächst das Geheime Obertribunal und der Rheinische Revisions- und Kassationshof jeweils zu Berlin (ab 1. Januar 1853 zusammengelegt zum Obertribunal [ab 1851/1856 auch zuständig für Waldeck]), für Bayern das Oberappellationsgericht und der Kassationshof für die Rheinpfalz in München, für Sachsen das Oberappellationsgericht in Dresden, für Hannover das Oberappellationsgericht in Celle (ab 1857 auch zuständig für Lippe-Detmold), für Württemberg das Obertribunal in Stuttgart (ab Juni 1824 [HohenzoUem-Sigmaringen] bzw. Oktober 1825 [HohenzoUem-Hechingen] bis 1851 zuständig auch für beide HohenzoUem), für Baden das Oberhofgericht in Mannheim, für Kurhessen das Oberappellationsgericht in Kassel, für Hessen-Darmstadt das Oberappellationsgericht und der Kassationsgerichtshof in Darmstadt (auch zuständig für Hessen-Homburg und bis 1824 bzw. 1825 für beide Hohenzollem), für Nassau das Oberappellationsgericht in Wiesbaden, für Braunschweig das Oberappellationsgericht in Wolfenbüttel (auch zuständig für Waldeck bis 1851/56, für Lippe-Detmold bis 1857 und für Schaumburg-Lippe), für Luxemburg der Hohe Gerichtshof in Lüttich bis 1830 und 3"^^ Dok. 59 und Dok. 60. 348 Dok. 62. 349 Dok. 75.

122

1. Abschnitt: Gesamtdeutsche Verfassungsentwicklung (1803/06-1918)

danach der Oberste (provisorische) Gerichtshof in Luxemburg, für Holstein und Lauenburg das Oberappellationsgericht in Kiel, für Oldenburg das Oberappellationsgericht in Oldenburg, für die sächsischen und preußischen Kleinstaaten das Oberappellationsgericht in Jena, für die anhaltischen und schwarzburgischen Staaten das Oberappellationsgericht in Zerbst bis zu dessen Aufhebung 1849 und danach das Oberappellationsgericht in Jena, für beide Mecklenburg das Oberappellationsgericht in Parchim bis 1840 und danach in Rostock, für Liechtenstein das Appellationsgericht in Innsbruck sowie für die vier Freien Städte das Oberappellationsgericht in Lübeck. 2. Landständische Verfassungen [215.] Art. 13 DBA, die bis heute wohl berühmteste und zugleich umstrittenste Vorschrift des bündischen Rechtssystems, verpflichtete jeden Mitgliedstaat des Bundes mit der so eingängigen wie lapidaren Formel „In allen Bundesstaaten wird eine landständische Verfassung statt finden" zur Einführung einer landständischen Verfassung. Diese Vorschrift ging nur äußerlich auf Hardenbergs „41 Punkte" vom Juli 1814 zurück, die erstmals einen die Aufrechterhaltung oder Einführung von „ständischen" Verfassungen in allen Einzelstaaten festschreibenden Passus vorsahen. Hiemach (Punkt 7) sollten die Landstände bundesseitig Minimalrechte gedacht war insoweit an eine beratende Stimme bei der Gesetzgebung, das Steuerbewilligungsrecht, die „Vertretung der Verfassung bey dem Landesherm und bey dem Bund"^^° - erhalten und sowohl aus „erblichen" (mediatisiertem und landsässigem Adel) als auch aus „erwählten" Ständen (insbesondere Bürgern, Bauern) bestehen.^^^ Die „Zwölf Artikel" hielten dann zwar noch an der bundesrechtlichen Statuierung von Mindestkompetenzen für die Stände fest, ließen deren Zusammensetzung aber offen, indem sie diese in die Hand der einzelnen Staaten legten. In der Folgezeit gelang es den insoweit federführenden Großmächten Österreich und Preußen dann nicht einmal mehr, die bundesrechtliche Mindestgewährleistung des landständischen Kompetenzbereichs festschreiben zu lassen. Schon im sogenannten „Deutschen Ausschuß" stellte Bayern unter Anspielung auf seine bereits seit 1808 bestehende Konstitution auch noch die Zweckmäßigkeit der Festlegung von Mindestkompetenzen für die Stände in Frage.^^^ Württemberg hieb in dieselbe Kerbe, indem es „die Bestimmung eines minimum, als die Rechte eines jeden Landesherm kränkend, unmöglich" zulassen woUte.^^^ Auch der Versuch Humboldts, mit seinen Entwürfen von Anfang Dezember 1814 (§§ 77 - 83) und vom

Vgl. die von Martens am 9. September 1814 zusammengefaßten Ergebnisse seiner Beratungen, die er mit Humboldt, Solms-Laubach und Hardenberg über des letzteren „41 Artikel" pflegte (abgedruckt in: L Gall (Fußn. 9), S. 266 [273]). Vgl. auch „ad § 7" des Protokolls über die „erste Konferenz" Humboldts, Hardenbergs, Martens' und Solms über die 41 Artikel" (abgedruckt in: a. a. O.), S. 230 [231]): „Die allgemeinen Bestimmungen würden nun bestehen .. . darin, daß jeder würkliche Grundeigenthümer in den Staenden repraesentirt werden müßte, er sey adelig oder nicht". Protokoll der 3. Sitzung des Deutschen Komitees vom 20. Oktober 1814 (abgedruckt in: a. a. O., S.471 [479]). Protokoll der 3. Sitzung des Deutschen Komitees vom 20. Oktober 1814 (a. a. O., S. 471 [484/5]).

§ 3: Der Deutsche Bund (1815 - 1866)

123

T.Februar 1815 ( § § 8 2 - 8 8 ) wenigstens die Bestimmungen über die Mindestkompetenzen der Stände zu retten, scheiterte. Ähnlich erging es dem im Wessenberg'sehen Plan vom 21. Dezember 1814 enthaltenen ungleich kürzeren Vorschlag (Punkt 13), der hinsichtlich der Einführung der landständischen Verfassungen aber eine zeitliche Komponente (Einführung der Verfassungen „binnen Jahr und Tag") vorsah. In den wiederum gemeinsam von Preußen und Österreich erarbeiteten sog. „17 Artikeln" beschränkte man sich bereits in dem dortigen Art. 10 auf die Fassung: „In allen deutschen Staaten soll eine landständische Verfassung bestehen." Ihre in den vorangegangenen gemeinsamen Vorschlägen zu Organisation und Kompetenzen der jeweiligen Landstände geäußerten Vorstellungen hatten die beiden Mächte offenbar aufgegeben. Dies war die entscheidende Zäsur, auf welche der im Ergebnis verbleibende vage Zuschnitt des späteren Art. 13 DBA zurückzuführen ist. Aber selbst dieser Formulierung widersetzten sich Bayern und Württemberg erfolgreich; waren ihnen die Worte „soll stattfinden" eingedenk ihrer eigenen Verfassungsautonomie noch zu sehr verpflichtend. Bayern schlug stattdessen die Formulierung vor, „In allen teutschen Staaten wird eine landständische Verfassung bestehen".^^^ Seine endgültige Fassung erhielt der nachmalige Art. 13 DBA wegen „der Schwierigkeiten jetzt schon in das Detail der von den Localitaeten zum theil abhängenden Bestimmung der einzelnen Vorrechte der Stände hineinzugehen . . . vorerst und bis man sich eine zweckmäßigere Redaction vergleichen könne".^^^ Da spätere Erörterungen zu keinem anderen Resultat führten, blieb es unter bewußter Inkaufiiahme der Unvollkommenheit bei dieser zunächst als vorläufig gedachten Fassung. [216.] In dem Maße, wie man sich seitens Österreichs und Preußens von der zunächst in den „41 Artikeln" und den „Zwölf Artikehi" zum Ausdruck kommenden Doppelhegemonie zu Lasten der Mittel- und Kleinstaaten verabschiedete - also spätestens mit dem Zerwürfnis beider Mächte über der polnisch-sächsischen Frage - begann sich auch der Bedeutungsgehalt der zur Einführung landständischer Verfassungen anhaltenden Vorschrift zu wandeln. Denn im Kontext der seither von Österreich zunehmend an den preußischen Interessen vorbei betriebenen Politik der gleichberechtigten Einbindung aller deutscher Staaten in den künftigen Bund gingen eine Reihe der ursprünglich gegen das „Dritte Deutschland" gerichteten Disziplinierungsnormen, in deren Kontext auch diese Bestimmung zunächst zählte, verloren. Art. 13 DBA mutierte im Laufe der Verfassungsberatungen eher beiläufig von einem Hegemonialinstrument bundesstaatlichen Zuschnitts zu einem auch innerhalb eines staatenbündischen Systems verträglichen, weil von den Adressaten äußerst „flexibel" handhabbaren, Merkposten. Denn daß in den Einzelstaaten landständische Verfassungen stattzufinden hatten, war aus der Perspektive der Gliedstaaten gegenüber dem Bund eine denkbar komfortable, weil sehr unbestimmte Vorgabe, die der Bund ihnen gegenüber - wenn überhaupt - unter formell- wie materiell-rechtHchen Aspekten nur schwer zu konkretisieren, da-

^^^ Protokoll der 2. Sitzung der zweiten deutschen Konferenzen vom 26. Mai 1815 (abgedruckt in: L. Gfl//(Fußn. 30), S. 1345). 355 Protokoll der 4. Sitzung der zweiten deutschen Konferenzen vom 30. Mai 1815 (abgedruckt in: a. a. O., S. 1406).

124

1, Abschnitt: Gesamtdeutsche Verfassungsentwicklung (1803/06-1918)

her auch nicht wirklich durchzusetzen vermochte. Formell-rechtlich blieb insbesondere offen, bis wann ein Mitgliedstaat eine „landständische Verfassung" geschaffen haben mußte; materiell-rechtlich war insbesondere unklar, was der Begriff „landständisch" eigentlich beinhaltete. Nur soviel schien ungeachtet der sich namentlich an letzterem entzündenden Kontroverse, auf die noch einzugehen sein wird, gewiß: die Vorschrift bedeutete einerseits wertungsmäßig eine Absage an die sich zumeist erst unter dem Rheinbundregime in vielen deutschen Staaten kurzerhand ausgebreitete absolutistische Fürstenherrschaft; ließ es andererseits aber dort, wo das überkommene Ständewesen noch intakt war, auch durchaus bei diesem bewenden. Damit wurde die eigentliche Stoßrichtung des Art. 13 DBA klar: der harte Kern der ehemaligen Rheinbundstaaten, dem es mittlerweile an einem funktionierenden Ständesystem mangelte. Dieser sollte, ja, mußte sich zur Schaffung erneuerter landständischer Verfassungssysteme veranlaßt sehen. In welcher Weise dies geschah, legte die Regelung jedenfalls durch eine Grenzziehung nach unten fest. Die Frage, ob eine Abweichung über das altständische Wesen hinaus in Richtung konstitutionelles System statthaft sein sollte, avancierte bald zu einer der heftigsten Kontroversen zwischen dem Bund - genauer seinen Führungsmächten und namentlich den süddeutschen Staaten, die gerade - wie Bayern, Baden und Württemberg - den Übergang in den Konstitutionalismus vollzogen hatten oder wie - Hessen-Darmstadt - kurz davor standen, ihn zu vollziehen. [217.] Zunächst aber schien Art. 13 DBA den unterschiedlichen Gegebenheiten in den Mitgliedstaaten hinreichend Rechnung zu tragen, ohne indes völlig auf Mindestanforderungen an deren Verfassungsverhältnissen zu verzichten. Er war eindeutig ein Instrument zur Begrenzung der einzelstaatlichen Verfassungsautonomie. Dennoch stellte er vor dem Hintergrund des den Bundeszweck umschreibenden Art. 2 DBA lediglich ein Segment des in der Bundesakte zum Ausdruck kommenden programmatischen Gesamtkompromisses zwischen notwendigen Maßnahmen zur Erhaltung der inneren Sicherheit Deutschlands und der möglichst weitgehenden Respektierung der einzelstaatlichen Souveränität dar. Mit ihm sollte in den Ländern - soviel schien gewiß - nicht nur ein „gleichmäßiger", sondern viel wichtiger - in erster Linie ein rechtmäßiger Verfassungszustand aufrechterhalten bzw. herbeigeführt werden;^^^ dies konnte jedenfalls nur einer sein, der ungeachtet aller monarchischen Souveränität jenseits von Fürstenwillkür und Despotie verortet wurde. Derartige Zustände - darin stimmte man weitgehend überein diskreditierten jede Fürstenherrschaft und unterhöhlten - wie man spätestens seit der Französischen Revolution nur zu gut wußte - deren Akzeptanz bei den Untertanen und damit das Herrschaftssystem an sich. Demgemäß galt die Sorge der weitestgehenden Behauptung der bestehenden Dynastien und ihrer legitimen monarchischen Rechte gegenüber möglichst allen auf Teilhabe an deren Macht gerichteten Begehrlichkeiten. Zugestanden sollte daher konsequenterweise nur dasjenige werden, was sich aufgrund der tatsächlich in den Ländern herrschenden Verhältnisse - die in der Tat denkbar unterschiedlich sein konnten - nicht vermei-

^^^ Dieser Aspekt wird bei der Bewertung immer wieder unterschätzt (so etwa bei W. Mager, Das Problem der landständischen Verfassungen auf dem Wiener Kongress 1814/15, in: Historische Zeitschrift, Bd. 217 [1973], S. 296 [297]).

§ 3: Der Deutsche Bund (1815 - 1866)

125

den ließ. So betrachtet verlangte Art. 13 DBA von den Monarchen der Einzelstaaten aus Gründen ihrer inneren Sicherheit und damit auch um der Sicherheit des Bundes willen, das verfassungspolitisch wie verfassungsrechtlich jeweils Erforderliche einzuleiten. Wie sie diese „rechtmäßigen" Verfassungszustände herbeizuführen hatten, sagte Art. 13 DBA allerdings nicht. Es boten sich für sie daher grundsätzlich zwei Optionen an: entweder der Weg des einseitigen Verfassungserlasses durch den Landesherm („Oktroyierung") oder derjenige über eine Vereinbarung mit eigens vom Landesherm dazu berufenen Repräsentanten der ständischen Gruppen. Sollte eine bereits bestehende (alt-)ständische Verfassung geändert werden, so kam diese jedoch rechtmäßig nur durch eine entsprechende Vereinbarung zwischen dem Monarchen und den Ständen zustande. Allein diese Ausführungen verdeutlichen, daß Art. 13 DBA durchaus der inneren Befriedung des Bundes und der Festigung seines Bestandes diente. Diese Regelung war daher keineswegs der „Fremdkörper im Gesamtgefüge der Bundesakte"^^^, als den man sie heute in Verkennung ihrer eigentlichen Bedeutung bezeichnet. [218.] Unverkennbar eröffnete die unvollkommene Formel des Art. 13 DBA aber auch dem Bund bei der schon in Art. 10 DBA angelegten weiteren Ausgestaltung seiner „Grundgesetze" zumindest Spiehaum für eine die Landesverfassungsangelegenheiten beeinflussende bündische Mitsprache; war auf diese Weise doch immerhin von jedem Mitgliedstaat anerkannt, daß dem Bund die Frage der Landesverfassungen, also der verfassungsmäßige Zustand seiner Mitglieder, nicht gleichgültig sein konnte und angesichts der Genese von Art. 13 DBA wohl auch künftig nicht sein würde. Unklar war jedoch in den Anfängen des Bundes, auf welche Weise der Bund mit dieser Vorschrift fortan umzugehen gedachte. Das darin zweifelsohne angelegte Entwicklungspotential bot unverkennbar auch die Chance, die Verfassungsverhältnisse der Einzelstaaten durch die Statuierung präziserer Vorgaben einander weiter anzugleichen und desintegrativ wirkenden verfassungspartikularen Momenten Einhalt zu gebieten. Dies konnte inhaltlich sowohl eher rückwärtsgewandt die Konservierung und Restaurierung altständischer Zustände als auch zukunftsträchtiger die Präferierung des sich nach Idee und Praxis ohnehin bereits ausbreitenden konstitutionellen, ja, selbst - wenngleich zu dieser Zeit noch unwahrscheinlich - des demokratischen Systems bedeuten. [219.] Faktisch sahen sich die zunehmend ins Fahrwasser der Reaktion hinübergleitenden beiden Führungsmächte des Bundes bald mit einer Gleichsetzung von „landständischer Verfassung" und Repräsentativverfassung konfrontiert. Eine Interpretation, die angesichts der schon seit 1817 deutlich zutage tretenden radikalen nationalen Bestrebungen zutiefst suspekt erschien. Hätte sich nämlich dieses Begriffsverständnis als rechtsverbindlich durchgesetzt, wären die danach zu bildenden Landstände nicht mehr nur die Interessenvertreter ihres jeweiligen Geburts-, Besitz- oder Berufsstandes gewesen, sondern gewählte Vertreter des ganzen Volkes bzw. (ein Zweikammersystem unterstellt) zumindest ein Teil von ihnen. Das hätte unweigerlich die Rechtswidrigkeit aller bestehenden altständischen Verfassungszustände und die Unzulässigkeit der Wiederherstellung altständischer ^^^ A. a. O., S. 297; ebenso: H. Gangl, Der Deutsche Weg zum Verfassungsstaat im 19. Jahrhundert, in: Der Staat, Beiheft 1 (1975), S. 23 (49); K. Stern (Fußn. 12), S. 209.

126

1. Abschnitt: Gesamtdeutsche Verfassungsentwicklung (1803/06-1918)

Verfassungen mit der daraus resultierenden Pflicht zum Erlaß von Repräsentativverfassungen bedeutet. Von letzteren wiederum fürchtete man jetzt aber eine Begünstigung von Demagogie und - noch schlimmer - von revolutionärer Gewalt. Die Offenheit des Art. 13 DBA wurde nunmehr von vielen Regierungen nicht mehr als Chance begriffen, sondern als Mangel. Dieser sollte jedenfalls beseitigt werden, indem man eiligst versuchte, der Bestimmung ein enge(re)s Korsett anzulegen. Der Spieß sollte umgedreht, d. h. dem Verständnis von Art. 13 DBA ein künftig alleinverbindlicher streng restaurativer Maßstab zugrundegelegt werden. [220.] Einen trefflichen Ansatz dafür bildete die Interpretation des Wortes „landständisch". Hierzu hatte Friedrich Gentz (1764- 1832), ein Vertrauter Mettemichs, eine anläßlich der Karlsbader Konferenzen von 1819 im Auftrag Metternichs gefertigte Denkschrift „Über den Unterschied zwischen den landständischen und den Repräsentativ-Verfassungen"^^^ verfaßt. Darin legte er dar, daß „landständische Verfassungen" dadurch bestimmt wären, daß „Mitglieder oder Abgeordnete durch sich selbst bestehender Körperschaften ein Recht der Theilnahme an der Staatsgesetzgebung .. . ausüben"; demgegenüber bliebe bei „RepräsentativVerfassungen" charakteristisch, daß die Abgeordneten „nicht die Gerechtsame und das Interesse einzelner Stände . . . sondern die Gesammtmasse des Volks vorzustellen berufen" wären. Eine derartige Verfassung würde „auf dem verkehrten Begriff von einer obersten Souveränität des Volkes gegründet". Diese setzte also „das Phantom der sogenannten Volksfreiheit (d. h. der allgemeinen Willkür) . . . und den Wahn allgemeiner Gleichheit der Rechte, oder, was um nichts besser ist, allgemeine Gleichheit vor dem Rechte, an die Stelle der unvertilgbaren, von Gott selbst gestifteten Standes- und Rechtsunterschiede", die bei „landständischen Verfassungen noch gewährleistet wären. Diese Auslegung von Art. 13 DBA lief auf ein bundesrechtliches Verbot von Repräsentativverfassungen hinaus; was in diesem Falle nichts anderes bedeutete als eine Unzulässigkeitserklärung der bereits in einigen Staaten eingeführten konstitutionellen Verfassungen und ein Verbot ihres künftigen Erlasses. Eine solche Interpretation war indes keineswegs so „unhaltbar", wie von E.-R. Huber^^^ moniert. Sie bildete eine mögliche, wenngleich nicht die einzige, so doch die restriktivste Lesart. Landständisches und repräsentatives System als begriffsinhaltlich miteinander unvereinbar darzustellen, war zwar eindeutig die traditionalistisch-reaktionärste Interpretation, angesichts des sehr wohl noch geläufigen ursprünglichen Verständnisses von Landstandschaft jedoch keineswegs rechts-„methodischer Mißbrauch". Art. 13 DBA war von den in Wien an seiner Abfassung Beteiligten insoweit bewußt unzulänglich ausformuliert worden. Daß er nunmehr zum Kampfmstrument der Reaktion herhalten sollte, hatten die gerade dies nunmehr beklagenden Staaten in nicht geringem Maße selbst mit zu verantworten. Offene Formeln sind eben keineswegs so harmlos, wie es der mitunter sich im vermeintlich unverbindlichen Wortlaut widerspiegelnde weiche Kompromiß suggeriert. Sie bilden oftmals das legale Einfallstor für von vielen unerwünschten, deswegen aber keineswegs per se illegalen Maßnahmen. Dies gilt

^^^ Abgedruckt bei J. L. KlüberlC. Welcher, (Hrsg.), Wichtige Urkunden über den Rechtszustand der deutschen Nation, 1844, S. 221 ff. 3^^ (Fußn. 12), S. 644 f.

§ 3: Der Deutsche Bund (1815 - 1866)

127

umso mehr, wenn sich in der Folgezeit die politischen Gegebenheiten in der einen oder anderen Weise wandeln. [221.] Die von Gentz vorgenommene Ausscheidung der Repräsentatiwerfassungen aus dem Begriff der „landständischen Verfassungen" machte Mettemich auf den Karlsbader Konferenzen zur inhaltlichen Grundlage einer Forderung nach einer entsprechenden authentischen Interpretation von Art. 13 DBA. Zwar unterstützte die Majorität der Bevollmächtigten dieses Ansinnen; und selbst die wegen ihrer erst kurz zuvor erlassenen Konstitutionen insoweit als Hauptadressaten der mettemich'sehen Aktivitäten geltenden Vertreter Bayerns und Badens stemmten sich dem nicht entgegen. Doch scheiterte der Vorschlag schließlich maßgeblich am wuchtigen Einspruch Württembergs. Dessen Vertreter Wintzingerode sah es für unmöghch an, von dem durch einige Souveräne (namentUch derjenigen Bayerns und Badens) bereits vollzogenen und auch von seinem Herrscher bereits nahezu unumkehrbar beschrittenen konstitutionellen Wege wieder abzugehen. Seine vielzitierten Worte, „Die Partie ist angefangen; die Regirungen haben diesen Point vergeben zu können geglaubt; wie sehr sie es bereuen mögen, die Partie muß ausgespielt werden"^^^, veranlaßten dann auch einige andere Bevollmächtigte, die im Räume stehende authentische Interpretation von Art. 13 DBA abzulehnen. [222.] Eine Folge trat durch das Scheitern der restaurativen Auslegung offen zutage: Auch die Repräsentatiwerfassungen waren „landständische Verfassungen" im Sinne des Art. 13 DBA. Mettemichs Vorstoß wendete sich gegen ihn. Die Bedeutung dieses Fehlschlages kann gar nicht hoch genug eingeschätzt werden. Denn entgegen der eigentlichen Intention des Österreichers stand dem Konstitutionalismus in Deutschland damit grundsätzlich nichts mehr im Wege. Man fand sich in der Folgezeit mit dem zumindest gleichberechtigten Nebeneinander von „alt"- und „neu"ständischen Verfassungen im Rahmen des Art. 13 DBA ab. Doch bedeutete das noch längst nicht, daß den Einzelstaaten die inhaltliche Ausgestaltung der von ihnen erlassenen Repräsentativverfassungen ohne jegliche bundesrechtliche Vorgabe überlassen bleiben sollte. Denn Mettemich gedachte nunmehr, sich dieser aus seiner Sicht zweitbesten Lösung anzunehmen: So ließ er schon in der Sitzung der Bundesversammlung vom 19. September 1819 durch den österreichischen Präsidialgesandten offiziell verkünden: „Es muß . . . eine der ersten und dringensten Geschäfte der Bundesversammlung sein, zu einer gründlichen, auf alle Bundesstaaten . .. anwendbaren, . . . vor allem aber der Aufrechterhaltung des monarchischen Princips, dem Deutschland nie ungestraft untreu werden darf, . . . vollkommen angemessenen Auslegung und Erläuterung des 13. Artikels der Bundesacte zu schreiten."^^^ Doch bevor man sich seitens der Bundesversammlung dann allerdings weiter mit dem Thema befaßte, geschah dies zwischen November 1819 und Mai 1820 auf den Wiener Konferenzen. Heraus kamen die Art. 54 - 62 der Wiener Schlußakte (WSA)'^\ [223.] Nach Art. 54 WS A hatte die Bundesversammlung „darüber zu wachen", daß die Verpflichtung des Art. 13 DBA zur Einführung landständischer Verfas^^ö /. L. KlüberlC. Welcher (Fußn. 356), S. 246 ^^^ Protokolle der Bundesversammlung vom 20. September 1819, 35. Sitzung 1819, § 220. 362 D o k . 4 3 .

128

1. Abschnitt: Gesamtdeutsche Verfassungsentwicklung (1803/06-1918)

sungen in keinem Mitgliedstaat „unerfüllt bleibe". Die Vorschrift löste lediglich den § 4 Nr. 3 dQX provisorischen Kompetenzbestimmungen vom 12. Juni 181P^^ ab, demzufolge die Bundesversammlung u. a. dazu „berufen (war, sc), darauf zu achten", daß die Einzelstaaten ihre Verpflichtung aus Art. 13 DBA erfüllten. Auch nahm sich der Bund der Frage der Erfüllung des Art. 13 DBA bereits vor Erlaß des Art. 54 WS A an, indem durch Beschluß vom 25. Mai ISIS^^^ ^He bis dahin säumigen Regierungen verpflichtet wurden, der Bundesversammlung binnen Jahresfrist die geeigneten Mitteilungen über die Einleitung, den Fortgang und gegebenenfalls über das Resultat zu machen. Zu den Staaten, die das mangels jeglicher ständischer Verfassung betraf, gehörten seinerzeit Preußen, Österreich wegen der Provinzen Salzburg, Vorarlberg und Görz/Triest, sowie Oldenburg, SchwarzburgSondershausen, HohenzoUem-Hechingen und Hessen-Homburg. Vor diesem Hintergrund schrieb Art. 54 WS A nur noch einmal ausdrücklich die Kompetenz der Bundesversammlung fest, für die Einführung und den fortwährenden Bestand einer landständischen Verfassung in jedem einzelnen Staat zu sorgen. Auf diese Weise griff der Bund tief in die landesherrliche Verfassungsautonomie ein. Er hatte die Regierungen gegebenenfalls mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln zur Erfüllung dieser ObUegenheit anzuhalten. Ihm stand damit ein Verfassungserzwingungsinstrument zur Verfügung. Da es ebenso wie in Art. 13 DBA an einer Fristbestimmung fehlte, bis zu der eine bislang nicht erfolgte oder nicht mehr bestehende Verfassungsgebung in den Ländern abgeschlossen sein sollte, mußte eine landständische Verfassung von den Länderregierungen jeweils unverzüglich, d. h. sobald es ihnen unter Ausschluß selbst herbeigeführter Verzögerungen möglich war, in Kraft gesetzt werden. Nahm man diese Vorschrift ernst, so hätte der Bund wohl spätestens unmittelbar nach ihrem Erlaß von sich aus gegen die bereits genannten Regierungen seiner Mitgliedstaaten ein Verfassungserzwingungsverfahren einleiten müssen, indem er sie ultimativ zur unverzüglichen Erfüllung ihrer Verpflichtung aufforderte. Dazu kam es bis 1848 und auch danach jedoch in keinem einzigen Fall. Wie sollte es auch, wenn für jeden erkennbar gerade die beiden Großmächte bis weit in das Jahr 1848 hinein ohne eine dem Art. 13 DBA genügende Verfassung blieben und den Art. 54 WSA damit so offenkundig unterliefen? Im übrigen dürfte aber auch die begriffliche Weite dessen, was inhaltlich als „landständische Verfassung" akzeptabel schien, für den Bund nicht unbedingt aktionsanregend gewesen sein. Denn Art. 55 WSA überließ es den „souverainen Fürsten", die Verfassungsfrage in ihrem Lande „mit Berücksichtigung sowohl der früherhin gesetzlich bestandenen Rechte, als der gegenwärtig obwaltenden Umstände zu ordnen". Ob der Landesherr dieser ausdrücklich als „innere LandesAngelegenheit" bezeichneten Pflicht im „alt"- oder „neu"-ständischen Sinne nachkam, spielte hiemach für die ordnungsgemäße Pflichterfüllung keine Rolle, solange er ihr nur inhaltlich korrekt nachkam; womit dem zunächst so scharf anmutenden Instrument des Art. 54 WSA eine Reihe möglicher Fälle abhanden kamen. Nur für den Fall, daß bei dem jeweiligen Landesverfassungsrecht der altständische Mindeststandard noch unterschritten oder die namentlich von dem ^^^ Dok.33. ^^^ Protokolle der Bundesversammlung, 24. Sitzung vom 25. Mai 1818, § 127.

§ 3: Der Deutsche Bund (1815 - 1866)

129

sogleich noch zu behandelnden Art. 57 WS A statuierten neuständischen Maximalanforderungen überschritten wurde(n), war der Bund auf den Plan gerufen, und zwar schon von Amts wegen; was indes nicht ausschloß, daß er sich auch der Beschwerden von Landesuntertanen annahm, um ein entsprechendes Verfahren gegen den betreffenden Staat in Gang zu setzen. In jedem Falle stand dem Bund bereits um der Durchsetzbarkeit des Art. 54 WSA willen mit Blick auf das Landesverfassungsrecht ein umfassendes materielles Prüfongsrecht zu. [224.] Gemäß Art. 56 WSA durften die „in anerkannter Wirksamkeit bestehenden landständischen Verfassungen . . . nur auf verfassungsmäßigem Wege wieder abgeändert werden". Hiermit war bundesrechtlich klargestellt, daß die in einem MitgHedstaat rechtmäßig geltende Verfassung nicht einseitig - sei es durch Staatsstreich oder Revolution - wieder abgeändert oder beseitigt werden durfte. Ein einmal geschaffener Verfassungsinhalt galt damit als ein unantastbarer Ordnungswert, den der Landesherr zu akzeptieren und aufrechtzuerhalten hatte. Art. 56 WSA war folglich eine die innere Ordnung der Einzelstaaten und damit letztlich auch des Bundes garantierende Vorschrift. Anerkannt wirksam waren nur solche überkommenen altständischen Verfassungen, die sich noch tatsächlich in effektiver Anwendung befanden oder aber unter Bundesägide neu in Kraft gesetzt wurden. In einer Vielzahl der Einzelstaaten hatte jedoch spätestens der Absolutismus der Rheinbundzeit, wenn schon nicht zur ausdrücklichen Aufhebung der altständischen Verfassungen, so doch zu deren Nichtanwendbarkeit geführt. Da es gerade bei den altständischen Verfassungen indes nicht allein auf eine bloß formale, sondern zudem auf die reale Weitergeltung ankam, verloren sie oftmals mangels praktischen Gebrauchs an „anerkannter Wirksamkeit". Dies führte dann dazu, daß die Bestandsgarantie des Art. 56 WSA hier nicht zum Zuge kam. So geschehen im Falle einer Beschwerde der holsteinischen Stände, die eine Verletzung ihrer verfassungsmäßigen Rechte durch ihren Landesherm monierten, obwohl die formal niemals aufgehobene altständische Verfassung seit 1675 bzw. 1711 nicht mehr angewendet wurde. Der Bund lehnte es deshalb am 27. November 1823 endgültig ab, zugunsten der Stände zu intervenieren.^^^ Einer Beschwerde der braunschweigischen Stände aus dem Jahre 1829 war dagegen mehr Erfolg beschieden, nachdem ihr Herzog Karl die während seiner Minderjährigkeit von der Regentschaft erlassene Erneuerte Landschaftsordnung vom 25. April 1820 für ungültig, weil unrechtmäßig seine wohlerworbenen Herrschaftsrechte verletzend, erklärt hatte. Es bedurfte erst der Androhung der Bundesexekution, um den Herzog schließlich am 22. April 1830 zum Einlenken zu bewegen. Vom Sachverhalt her ähnlich gelagert, doch im Ergebnis völlig anders verlief der hannoversche Verfassungskonflikt: Mit Blick auf die gleich nach seinem Regierungsantritt im Jahre 1837 erfolgende einseitige Aufhebung der Verfassung vom 26. September 1833 durch König Ernst August konnte sich die Bundesversammlung auch nach eingehender Beratung der Angelegenheit nicht in ihrer mit zehn zu sechs Stimmen ergangenen Entscheidung vom 5. September 1839^^^ dazu durchringen, den König

^^^ A. a. O., 22. Sitzung vom 27. November 1823, § 143. ^^^ A. a. O., 19. Sitzung vom 5. September 1839, § 256.

130

1. Abschnitt: Gesamtdeutsche Verfassungsentwicklung (1803/06-1918)

aufzufordern, gemäß Art. 56 WS A die Verfassung wiederherzustellen. In diesem Falle gedachte man den eindeutigen Verstoß gegen Art. 56 WS A nicht zu ahnden. [225.] Art. 57 WSA bestätigte das bereits erwähnte „monarchische Prinzip". Danach sollte - ausgenommen lediglich die Freien Städte - in jeder landständischen Verfassung die „gesammte Staats-Gewalt in dem Oberhaupte des Staats (dem Monarchen, sc.) vereinigt bleiben" und dieses nur in der Ausübung bestimmter Rechte an die Mitwirkung der Stände gebunden werden dürfen. Vermochte man mit Hilfe bundesrechtlicher Winkelzüge schon nicht die konstitutionellen Landesverfassungen an sich zu verhindern, so sollte zumindest vermieden werden, daß diese eines nicht allzu fernen Tages die monarchische Souveränität in Frage stellten. Diese Souveränität konnte angesichts der partiell an ständische Mitwirkungsrechte, an gegenzeichnende Minister und an unabhängig rechtsprechende Gerichte gebundenen Machtausübung des Monarchen keine unumschränkte, sondern nur noch die oberste Herrschaftsgewalt verkörpern. D. h. der Monarch besaß zwar eine die anderen Herrschaftsgewalten legitimierende Machtvollkommenheit; auch war er prinzipiell für alle Belange des Staates zuständig, doch nicht mehr in jedem Fall zur Alleinentscheidung berechtigt. Was aber nichts daran änderte, daß er auch gegenüber allen landständischen Beschlüssen in Gesetzgebungs- und Steuerbewilligungsfragen ein absolutes Veto behalten mußte. Auf diese Weise erteilte Art. 57 WSA den landesverfassungsrechtlichen Bestrebungen nach Volkssouveränität und Gewaltenteilung eine klare Absage.^^^ Für ein nach rückwärts gewandtes absolutistisches Souveränitätsverständnis ließ er ebenso wenig Raum wie für die Weiterentwicklung zu einem bürgerlich-parlamentarischen System nach westeuropäischen Maßstäben. Schon in den Provisorischen Maßregeln vom 16. August 1824^^^ versuchte man bundesseitig der ungeachtet des Art. 57 WSA offenbar verbliebenen „Ungewißheit über den Sinn und die daraus entspringenden Mißdeutungen des 13. Artikels der Bundesacte" klarstellend entgegenzuwirken. Insbesondere ging es darum, daß von den Landesregierungen „keine, von dem ursprünglichen landständischen Charakter gänzlich abweichenden Formen und Grundsätze geduldet werden durften, welche mit den wesentlichen Rechten und Attributen monarchischer Staaten . .. unvereinbar wären". Später stellte Art. 1 der „Sechs ArtikeV vom 28. Juni 1832^^^ dann noch zutreffend klar, daß eine gegen das in Art. 57 WSA verankerte „monarchische Prinzip" verstoßende Petition in einer landständischen Versammlung bundesrechtswidrig war. Insgesamt war diese im monarchischen Prinzip verkörperte Einheit von Hoheit und Macht eine deutsche Besonderheit und galt unter dem Schirm von Art. 57 WSA bis zum Endes des Deutschen Bundes im Jahre 1866. Darüberhinaus blieb sie aber auch fast bis zum Untergang des Kaiserreichs im Jahre 1918 unangetastet. [226.] Die Einhaltung des monarchischen Prinzips war eine Bundespflicht. Zugeständnisse seitens einer Länderregierung an die Stände oder das Volk, die über das Maß des nach dem monarchischen Prinzip Zulässigen hinausgingen, ver-

^^^ In diesem Sinne auch P. M. Ehrte, Volksvertretungen im Vormärz, Teil 1, 1979, S. 33. 368 Dok.47. 369 Dok. 50.

§ 3: Der Deutsche Bund (1815 - 1866)

131

letzten Bundespflichten. In diesem Falle war der Bund zum Einschreiten, notfalls auch mittels Bundesexekution, berechtigt. [227.] Art. 57 WSA fand seine Ergänzung in Art. 58 WSA, wonach die Bindung einer landständischen Verfassung nicht so weit gehen durfte, daß der jeweilige Herrscher in der Erfüllung seiner Bundespflichten gehindert oder eingeschränkt worden wäre. Das bedeutete, der Landesherr war in allen der Erfüllung bundesrechtlicher Pflichten dienender Maßnahmen von jeglichem Mitwirkungserfordemis anderer Machtfaktoren, wie der Stände und des Ministeriums, unabhängig. Entgegenstehendes Landesverfassungsrecht wäre unbeachtlich gewesen und würde daher auch keinen Verstoß der landesherrlichen Regierung gegen die Landesverfassung dargestellt haben. Dies zielte auf die Sicherung der Bundesverfassung gegen Verletzungen, die ihr durch den Erlaß und die Anwendung von Landesverfassungen sowie durch die Landstände drohen konnten. Im Hinblick darauf las man später mittels Art. 2 der „Sechs ÄrtikeV vom 28. Juni 1832^^^ in Art. 58 WSA hinein, daß die Landstände nicht berechtigt seien, dem Landesherm die finanziellen Mittel zu verweigern, die er fur „die Führung einer den Bundespflichten und der Landesverfassung entsprechenden Regirung" benötige. Der Landesherr konnte den Haushaltsbeschluß unter Verweisung auf die Bundesrechtswidrigkeit der Budgetentscheidung als unwirksam behandeln und die von ihm „zur Pflichterfüllung gegenüber dem Bund" benötigten Gelder selbst bewilligen. Erst recht nicht durften die Landstände ihr Budgetrecht gegenüber dem Souverän „zur Durchsetzung anderweiter Wünsche und Anträge" einsetzen. Art. 3 der „Sechs Artikel" vom 28. Juni 1832 bestritt dem Landesgesetzgeber schließlich die Kompetenz, bundesrechtswidrige Landesgesetze zu beschHeßen. [228.] Bedeutete Art. 58 WSA bereits eine erhebliche Grenzziehung für die ständische Mitwirkung an elementaren politischen Vorgängen, so legte man mit Art. 59 WSA besonderen Wert darauf, das Recht der tagenden Stände auf freie Rede, dort wo die Verhandlungen nach Maßgabe der Landesverfassung^^^ unter den Augen und Ohren der Öffentlichkeit stattfanden, und die danach ebenfalls vorgeschriebene Publizierung der Protokolle, einzuschränken. So sollte auf der Ebene der Mitgliedstaaten mittels der Geschäftsordnung der landständischen Versammlung dafür gesorgt werden, „daß die gesetzlichen Grenzen der freyen Aeußerung, weder bei den Verhandlungen selbst, noch bei deren Bekanntmachung durch den Druck, auf eine die Ruhe des einzelnen Bundesstaats oder des gesammten Deutschlands gefährdende Weise überschritten" wurde. Mit Blick auf die Vorbereitung der Provisorischen Maßregeln vom 16. August 1824^'^^ konstatierte man dann gleichsam klarstellend, es „dürfen keine Grundsätze und Lehren aufgestellt werden, durch welche die wesentlichen Rechte und Attribute eines monarchischen Staates gefährdet, und die Regirungsgewalt des Monarchen allmählig untergraben würde". An der Erfüllung einer Bundespflicht durfte - wie auch die Provisorischen Maßregeln hervorhoben - die jeweilige Landesregierung durch die Land370 Dok. 50. ^^^ Z. B. § 78 Satz 1 Bad. Verf. 1818 (beide Kammern), § 167 Württemb. Verf. 1819 (Zweite Kammer). 3^2 Dok. 47.

132

1. Abschnitt: Gesamtdeutsche Verfassungsentwicklung (1803/06-1918)

stände wegen Art. 58 WS A nicht gehindert werden. Bundesseitig gewann man durch diese Regelung sowohl Einfluß auf die inhaltliche Ausgestaltung und den Ablauf des Sitzungsgeschäfts als auch auf die Publikation der Protokolle, die im Interesse von Ruhe und Ordnung landesseitig einer Zensur zu unterwerfen waren. Art. 5 dQT „Sechs ArtikeV vom 28. Juni 1832^'^^ erinnerte an diese bis dahin - zum Leidwesen namentlich der die Bundesversammlung beherrschenden reaktionären Großmächte - von den Landesregierungen nicht immer so ernst genommene Obliegenheit später noch einmal ausdrücklich und mahnte eine konsequentere Praxis an. [229.] In Art. 60 WSA war eine bundesseitige Garantieübemahme zum Schutz der betreffenden Landesverfassungen vorgesehen. Bis zu seinem Inkrafttreten ergab sich dieses aber auch bereits aus § 4 Nr. 2 der Provisorischen Kompetenzbestimmung vom 12. Juni 1817?'^^ Und selbst davor (am 2. Dezember 1816) hatte sich die Bundesversammlung bereits mit einem Antrag Sachsen-WeimarEisenachs zu befassen, in dem der Großherzog um die Garantie des Bundes fiir die Verfassung vom 5. Mai 1816 nachsuchte.^^^ Dies geschah auf der Grundlage des § 121 Sachs.-Weimar-Eisen. Verf., der dieses Mittel des Verfassungsschutzes ausdrücklich vorsah. Obwohl dem Bundesrecht zu dieser Zeit die Garantieübernahme noch fremd war, entsprach die Bundesversammlung diesem Antrag durch Beschluß vom 13. März 1817.^''^ Der Bund sah sich aufgrund der von ihm im europäischen Staatensystem eingenommenen hohen Stellung, wie „jede Macht, . . . zur Uebemahme von Garantien überhaupt" berechtigt. Schon damals hatte man allerdings diese wie künftige Garantieübemahmen durch den Bund davon abhängig gemacht, daß „die ständische Verfassung des einzelnen Staates nicht den Bedingungen der Bundes-acte widerstreite". Weiterhin erhielt ebenfalls vor Inkrafttreten des Art. 60 WSA, nämUch am 25. Mai 1818, mit der Mecklenburgischen Patentverordnung vom 28. November 1817 ein die Landesverfassungsstreitigkeiten betreffendes gemeinsames Staats(grund)gesetz beider mecklenburgischer Staaten die gemäß Art. 13 der Patentverordnung angestrebten Garantieweihen des Bundes.^^^ Am I.Oktober 1818 folgte antragsgemäß die Verfassung SachsenHildburghausens vom 19. März 1818^^^, deren § 58 die Einholung einer Bundesgarantie gleichfalls vorsah. Nach Inkrafttreten des Art. 60 WSA garantierte der Bund am 15. Juni 1822 nur noch die Verfassung von Sachsen-Coburg-Saalfeld vom 8. August 182P^^, die in ihrem § 121 die Bundesgarantie postulierte. Seitdem - zeitlich etwa zusammenfallend mit dem die reaktionäre Linie der Heiligen Allianz festigenden Veroneser Manifest (1823) - hatte die Bundesversammlung keiner der landständischen Verfassungsurkunden die für sie nachgesuchte Garantie mehr gewährt. Baden beantragte die Verfassungsgewährleistung durch den Bund bereits 1818; woraufhin der Bund zwar Instruktionseinholung beschloß, ohne sich ^^^ 3^4 ^^^ ^^^ 3^^ ^'^^ ^^^

Dok.50. Dok.33. Protokolle der Bundesversammlung, 8. Sitzung vom 2. Dezember 1816, § 35. A. a. O., 18. Sitzung vom 13. März 1817, § 93. A. a. O., 26. Sitzung vom 25. Mai 1818, § 127. A. a. O., 49. Sitzung vom 1. Oktober 1818, § 228. A. a. O., 20. Sitzung vom 15. Juni 1822, § 167.

§ 3: Der Deutsche Bund (1815 - 1866)

133

jedoch später damit jemals wieder zu befassen. Im Ergebnis kaum anders erging es Schwarzburg-Sondershausen und Kurhessen, als diese für ihre Verfassungen vom 20. Dezember 1830 bzw. 5. Januar 1831 im Jahre 1831 um die nach § 12 Schwarzb.-Sondersh. Verf 1830 bzw. § 157 Kurhess. Verf. 1831 angestrebte Bundesgarantie nachsuchten. Auch hier beschloß man seitens der Bundesversammlung zunächst die Instruktionseinholung, verwies die Angelegenheiten später an eine eigens dafür zusammengestellte Kommission zur Begutachtung, wo sie schließlich bis auf weiteres liegen blieben. An diese Kommission gelangte auch der Garantieantrag HohenzoUem-Sigmaringens für dessen Verfassung vom 11. Juli 1833^^^ wo dieser (auf § 199 Hohenz.-Sigm. Verf 1833 beruhend) das Schicksal der beiden anderen Anträge teilte. Es fiel auf, daß der Bund sich ausgerechnet nach Institutionalisiemng der Garantieübemahme in seinem Verfassungsrecht von diesem Instrument zu distanzieren begann. Dies lag - wie E. R. Huher^^^ darlegt in der Tat daran, daß es vornehmlich den konservativen Mächten Österreich und Preußen zutiefst widerstrebte, den eher liberalen Konstitutionen namentlich Badens und Kurhessens auch noch deutlich sichtbar die Anerkennung des Bundes zu verschaffen. Wäre damit doch nicht nur das Eingeständnis verbunden gewesen, daß diese Verfassungen jedenfalls mit Bundes(verfassungs)recht im Einklang standen. Der Bund hätte sich vielmehr auch der Gefahr ausgesetzt, gegebenenfalls zugunsten einer sich im Konflikt mit ihrem Landesherm befindlichen oppositionellen Kammermehrheit eingreifen zu müssen. [230.] Während des erstaunlich langen Zeitraums zwischen den Jahren 1815 1866, in dem der Deutschen Bund existierte, erhielten in im wesentlichen drei „Verfassungsschüben" zwischen 1816-1821 /1829, 1830-1833 /1841 und seit 1848 - mit Ausnahme der beiden Mecklenburg und Österreichs^^^ - alle Mitgliedstaaten schließlich dauerhaft Konstitutionen: - 1816-1821/1829: Schwarzburg-Rudolstadt (8. Januar 1816), SchaumburgLippe (15. Januar 1816), Bremen (20. März 1816), Waldeck (19. April 1816), Sachsen-Weimar-Eisenach (5. Mai 1816), Frankfurt a. M. (18. Oktober 1816), Sachsen-Hildburghausen (19. März 1818), Bayern (26. Mai 1818), Baden (22. August 1818), Liechtenstein (9. November 1818), LippeDetmold (8. Juni 1819), Württemberg (25. September 1819), Braunschweig (25. April 1820), Hessen-Darmstadt (17. Dezember 1820), Sachsen-Co380 381 382

A. a. O., 39. Sitzung vom 12. September 1833, § 402. (Fußn. 12), S. 650. Hier findet sich allerdings nach den erfolglosen Verfassungen der Jahre 1848 und 1849 immerhin eine als materielles Verfassungsrecht zu charakterisierende „organische" Einzelgesetzgebung namentlich in Gestalt der Patente vom 31. Dezember 1851, 5. März 1860, 20. Oktober 1860 (Diplom), 26. Februar 1861 und 20. September 1865. - Im übrigen ergingen hier ständische Verfassungen für die einzelnen Länder der Monarchie: Böhmen (30. Dezember 1849, 26. Februar 1861), Kärnten (30. Dezember 1849, 26. Februar 1861), Krain (29. August 1818, 30. Dezember 1849, 26. Februar 1861), Küstenland (25. Januar 1850, 26. Februar 1861), Mähren (30. Dezember 1849, 26. Februar 1861), Österreich ob der Enns (30. Dezember 1849, 26. Februar 1861), Österreich unter der Enns (30. Dezember 1849, 26. Februar 1861), Salzburg (30. Dezember 1849, 26. Februar 1861), Schlesien (30. Dezember 1849, 26. Februar 1861), Steiermark (30. Dezember 1849, 26. Februar 1861), Tirol (24. März 1816, 30. Dezember 1849, 26. Februar 1861), Triest (12. April 1850) und Vorarlberg (26. Februar 1861).

134

-

-

1. Abschnitt: Gesamtdeutsche Verfassungsentwicklung (1803/06-1918)

burg-Saalfeld (8. August 1821), Sachsen-Coburg-Meiningen (4. September 1824) und Sachsen-Meiningen-Hildburghausen (23. August 1829); 1830-1833/1841: Schwarzburg-Sondershausen (28. Dezember 1830, 24. September 1841), Kurhessen (S.Januar 1831), Sachsen-Altenburg (29. April 1831), Sachsen (4. September 1831), Braunschweig (12. Oktober 1832), Hohenzollem-Sigmaringen (11. Juli 1833), Lippe-Detmold (6. Juli 1836), Hannover (26. September 1833, 6. August 1840) und Luxemburg (12. Oktober 1841); Seit 1848: Schaumburg-Lippe (17. März 1848), Lübeck (8. April/30. Dezember 1848, 14. Februar 1852 [revidiert]), Österreich (25. April 1848 [aufgehoben am 16. Mai 1848], 4. März 1849 [aufgehoben am 31. Dezember 1851]), Hohenzollem-Hechingen (16. Mai 1848), Luxemburg (9. Juli 1848, 27. November 1856 [revidiert]), Schleswig-Holstein (15. September 1848 [aufgehoben]), Frankfurt a. M. (19. Oktober 1848, 20. Februar 1849 [revidiert]), Anhalt-Köthen (28. Oktober 1848 [aufgehoben am 4. November 1851]), Anhalt-Dessau (29. Oktober 1848 [aufgehoben am 4. November 1851]), Preußen (5. Dezember 1848, 31. Januar 1850 [revidiert]), Anhalt-Bemburg (14. Dezember 1848, 28. Februar 1850 [revidiert]), Oldenburg (18. Februar 1849, 22. November 1852 [revidiert]), Bremen (21. März 1849, 21. Februar 1854), Sachsen-Gotha (25. März 1849), Waldeck (23. Mai 1849, 17. August 1852 [revidiert]), Hamburg (11. Juli 1849, 23. Mai 1850, 28. September 1860), Mecklenburg (10. Oktober 1849 [aufgehoben am 14. September 1850]), Reuß j . L. (30. November 1849, 14. April 1852 [revidiert]), Schwarzburg-Sondershausen (12. Dezember 1849, 8. Juli 1857), Nassau (28. Dezember 1849, 25. November 1851 [revidiert]), Hessen-Homburg (3. Januar 1850, 20. April 1852), SachsenWeimar-Eisenach (15. Oktober 1850), Kurhessen (13. April 1852, 30. Mai 1860 [revidiert]), Sachsen-Coburg-Gotha (3. Mai 1852), Lippe-Detmold (15. März 1853), Schwarzburg-Rudolstadt (21. März 1854), Anhalt (18. Juli / 31. August 1859) und Liechtenstein (26. September 1862).

[231.] Hierbei handelte es sich um denkbar unterschiedliche Verfassungstypen, die alle - abgesehen von den städtischen - entweder „alf'ständisch, d. h. auf dem im wesentlichen aus dem 17. und 18. Jahrhundert überkommenen Ständewesen basierten, oder aber „neu"ständisch, d. h. dem sich zunehmend durchsetzenden Typus der Repräsentativverfassung entsprachen, ausgerichtet waren. Selbst wenn letztere in der Regel durch einen einseitigen Oktroi des Monarchen in Kraft gesetzt wurden und damit neues Recht schufen, waren sie doch Produkte politischer Rücksichtnahme auf diejenigen im Lande, deren Mitarbeit man wünschte und nicht umgehen konnte.^^^ [232.] Auch vollzog sich der Wandel des monarchisch-ständisch geprägten deutschen Staatswesens seit 1815 in verfassungsrechtlicher Hinsicht keineswegs abrupt, erst recht nicht homogen. Es bedurfte vielmehr einer Fülle von äußeren Anlässen und einer teilweise noch über viele Jahrzehnte währenden Entwicklung, H. Boldt (Fußn. 267), S. 77.

§ 3: Der Deutsche Bund (1815 - 1866)

135

bis in allen deutschen Einzelstaaten (mit Ausnahme der beiden Mecklenburg) bzw. in Gesamtdeutschland die Einführung geschriebener Verfassungen realisiert war. Dabei läßt sich anfangs noch keineswegs eine einheitliche Kodifikationsidee ausmachen. Waren doch mit Ausnahme der bayerischen Verfassung von 1808 die ersten Verfassungen, die nach dem Zusammenbruch des alten Reichs das Licht der Welt erblickten (Westfalen 1807, Reuß ä. L. 1809, Frankfurt und Anhalt-Köthen 1810), durchweg französischer Natur, während die kurz nach dem Zusammenbruch des Rheinbunds erlassenen Verfassungen (Nassau und Waldeck 1814) noch eindeutig altständischen Charakter aufwiesen. Erst allmählich treten die ersten konstitutionellen Verfassungsurkunden hinzu (Bayern und Baden 1818, Württemberg 1819, Hessen-Darmstadt 1820). 3. Rechtsstellung der Mediatisierten [233.] Insbesondere mit Art. 14 DBA trug man der Situation der ehemaligen, seit dem Jahre 1806 mediatisierten Reichstände und Reichsangehörigen Rechnung. Ihnen sollte in allen Mitgliedstaaten ein „gleichförmig bleibender Rechtszustand" verschafft werden. Im Hinblick darauf statuierte der Art. 14 DBA allem voran (Art. 14 lit. a DBA), daß die davon betroffenen fürstlichen und gräflichen Häuser dem Hochadel in Deutschland zugerechnet wurden und ihnen das Recht der Ebenbürtigkeit verblieb. Letzteres bezog seinen Vergleichsmaßstab aus Rang und Titel der jeweiligen souveränen Herrscherhäuser im Bund. Dem Rechnung tragend konkretisierte die Bundesversammlung den Kreis derer, die dies betraf, indem sie am 18. August 1825 beschloß^^"^, daß den Oberhäuptern von fünfzig namentlich aufgeführten fürstlichen Familien^^^ das Prädikat „Durchlaucht" erteilt werde. Entsprechendes geschah durch Bundesbeschluß vom 13. Februar 1829^^^ hinsichtlich der Oberhäupter von ebenfalls fünfzig namentlich aufgeführten gräflichen Familien^^^, denen das Prädikat „Erlaucht" zugebilligt wurde. Des weiteren

386 387

Bundesbeschluß über die Courtoisie für die mediatisierten Fürsten vom 18. August 1825, 25. Sitzung, IL Separatprotokoll (A); veröffentlicht in: Protokolle der Bundesversammlung, 23. Sitzung vom 19. August 1825, § 98. Aremberg, Auersberg, Bentheim-Steinfurt, Bentheim-Teklenburg oder Rheda, ColloredoMansfeld, Croy, Dietrichstein, Esterhazy, Fürstenberg, Fugger-Babenhausen, HohenloheLangenburg-Langenburg, Hohenlohe-Langenburg-Kirchberg, Hohenlohe-Langenburg-Oehringen, Hohenlohe-Waldenburg-Bartenstein, Hohenlohe-Waldenburg-Bartenstein-Jartberg, HohenloheWaldenburg-Waldenburg, Hohenlohe-Waldenburg-Schillingsfiirst, Isenburg-Birstein, KaunitzRietberg, Khevenhüller, Leiningen, Leyen, Lobkowitz, Löwenstein-Wertheim-Freudenberg, Löwenstein-Wertheim-Rosenberg, Looz-Corswarem, Mettemich, Oettingen-Spielberg, OettingenWallerstein, Rosenberg, Salm-Salm, Salm-Kyrburg, Salm-Horstmar, Salm-Reifferscheid-Krautheim, Salm-Reifferscheid-Krautheim-Raiz, Sayn-Wittgenstein-Berleburg, Sayn-WittgensteinHohenstein, Schönburg-Hartenstein, Schönburg-Waidenburg, Solms-Braunfels, Solms-Lich und Hohen-Solms, Stahremberg, Thum und Taxis, Trauttmannsdorff, Waldburg-Wolfegg-Waldsee, Waldburg-Zeil-Trauchburg, Waldburg-Zeil-Wurzach, Wied, Windischgrätz. Veröffentlicht in: Protokolle der Bundesversammlung, 7. Sitzung vom 12. März 1829, § 2. Castell, Erbach-Erbach (Erbach-Wartenberg-Roth), Erbach-Fürstenau, Erbach-Schönberg, FuggerGlött, Fugger-Kirchheim, Fugger-Nordendorf, Fugger-Kirchberg-Weissenhom, Giech, Harrach, Isenburg-Büdingen, Isenburg-Meerholz, Isenburg-Philippseich, Isenburg-Wächtersbach, Koenisegg-Aulendorf, Kuefstein, Leinigen-Billigheim, Leiningen-Neidenau, Leiningen-Westerburg (Alt-), Leiningen-Westerburg (Neu-), Neipperg, Ortenburg, Pappenheim, Platen-Hallermund, Plet-

136

1. Abschnitt: Gesamtdeutsche Verfassungsentwicklung (1803/06-1918)

sollten die Oberhäupter dieser Häuser die obersten Standesherren in dem sie mediatisierenden Mitgliedstaat und ebenso wie ihre Familien insbesondere mit Blick auf die Besteuerung die „privilegirteste Classe" sein (Art. 14 lit. b DBA). Vornehmlich diese Steuerprivilegierung lief keineswegs auf eine von Bundes wegen garantierte Steuerfreiheit hinaus, sondern lediglich auf eine relative steuerliche Besserstellung gegenüber anderen steuerpflichtigen Untertanen. Weiterhin sollten den mediatisierten Standesherren alle aus ihrem Eigentum herrührenden Vorzüge und nicht zur Staatsgewalt gehörenden Rechte zugesichert werden (Art. 14 lit. c DBA). Dies waren der freie Aufenthalt in jedem Mitgliedstaat, das Recht zur Aufrechterhaltung und Neuregelung der eigenen Güter- und Familienverhältnisse, der privilegierte Gerichtsstand, die Befreiung von der Militärpflicht, die Ausübung der unteren gegebenenfalls auch der oberen Zivil- und Strafgerichtsbarkeit, der Forstgerichtsbarkeit und der Ortspolizei sowie die Aufsicht in Kirchen- und Schulsachen. Der sonstige ehemalige unmittelbare Reichsadel sollte ebenfalls das Recht zum freien Aufenthalt in jedem Mitgliedstaat und dasjenige zur Aufrechterhaltung und Neuregelung seiner Güter- und Familienverhältnisse haben. Femer wurde ihm Anteil an der Landstandschaft, der Patrimonial- und Forstgerichtsbarkeit, der Ortspolizei und dem Kirchenpatronat zugesichert sowie der privilegierte Gerichtsstand garantiert. [234.] Der später zur Ausführung des Art. 14 DBA erlassene Art. 63 Satz 1 WSA übertrug der Bundesversammlung die Kompetenz, darüber zu wachen, daß die einzelnen Mitgliedstaaten ihren aus Art. 14 DBA resultierenden Verpflichtungen nachkamen. Diese Verpflichtungen galten „gegen den Bund zur unverrückbaren Aufrechterhaltung der durch jene Bestimmungen (Art. 14 DBA, sc.) begründeten staatsrechtlichen Verhältnisse" (Art. 63 Satz 2 WSA). Der Hinweis auf die von Art. 14 DBA begründeten Verhältnisse ist deshalb bemerkenswert, weil auf diese Weise einer der seltenen Fälle von unmittelbar, d. h. auch ohne jeden weiteren Umsetzungsakt, in den Mitgliedstaaten geltendem Bundesrecht statuiert wurde. Die Regelung war damit gleichsam Bestandteil der innerstaatlichen Rechtsordnung und suspendierte jegliches damit nicht in Einklang stehende Landesrecht. [235.] Dieser absolute Vorrang wirkte naturgemäß auch auf die Einzelstaatenverfassungen zurück. So enthielt gleichsam noch im Vorgriff darauf etwa Art. 37 Hess.-Darmst. Verf. 1820 eine dem Rechnung tragende Regelung, welche ein zuvor eigens für die Rechtsverhältnisse der Standesherm erlassenes Edict^^^ zum Verfassungsbestandteil erklärte. Soweit andere Verfassungen namentlich allgemein die Aufhebung von Standes Vorrechten des Adels (z. B. Art. 4 Satz 2 Preuß. tenberg-Mietungen, Pückler-Limpurg, Quadt-Isny, Rechberg, Rechtem-Limpurg, SchäsbergThannheim, Schlitz (gen. Görz), Schönbom-Buchheim, Schönborn-Wiesentheid, Solms-Laubach, Solms-Rödelheim, Solms-Wildenfels, Stadion-Thannhausen, Stadion-Warthausen, StembergManderscheid, Stollberg-Gedem, Stollberg-Ortenberg, Stollberg-Roßla, Stolberg-Stolberg, Stolberg-Wemigerode, Törring-Guttenzell, Waldbott-Bassenheim, Waldeck-Pyrmont, WallmodenGimbom, Wurmbrand. Edict, die Standesherrlichen Rechts=Verhältnisse betreffend, vom 17. Februar 1820 (Großherzoglich-Hessisches Regierungsblatt, 1820, S. 125); aufgehoben und ersetzt durch das Gesetz, die Verhältnisse der Standesherren und adeligen Gerichtsherren betreffend, vom 7. August 1848 (a. a. O., 1848, S. 237). Diese wiederum wurde durch Gesetz, die Rechtsverhältnisse des Standesherren betreffend, vom 18. JuH 1858 (a. a. O., 1858, S. 329) aufgehoben und ersetzt.

§ 3: Der Deutsche Bund (1815 - 1866)

137

Verf. 1850), ein generelles Verbot von Fideikommissen (z. B. Art. 40 Preuß. Verf. 1850) oder die allgemeine Wehrpflicht (z. B. Art. 40 Kurhess. Verf. 1831) statuierten, widersprach dieses eindeutig den Art. 14 DBA, 63 WSA. Dem Rechnung tragend verpflichteten beispielsweise Art. 49 der Kurhess. Verf. 1831 und das preußische „Gesetz, betreffend die Deklaration der Verfassungs-Urkunde vom 31. Januar 1850, in Bezug auf die Rechte der mittelbar gewordenen Deutschen Reichsfürsten und Grafen" vom 10. Juni 1854 zur Regelung der näheren Ordnung der reichsstandesherrlichen und -ritterlichen Verhältnisse in Übereinstimmung mit dem Bundesrecht. Auf diese Weise überdauerten feudalstaatHche Relikte letztlich auch die ein halbes Jahrhundert währende Epoche des Deutschen Bundes. Wurden einem der hier angesprochenen Mediatisierten die ihm von der Bundesakte zugesicherten Rechte verweigert, ohne daß er dagegen auf dem Rechtswege Abhilfe erlangen konnte, so blieb ihm der Rekurs an die Bundesversammlung, welche im Falle der begründeten Beschwerde für die Durchsetzung der seitens des Mitgliedstaates mißachteten Rechtspositionen zu sorgen hatte (Art. 63 Satz 3 WSA). Dies konnte notfalls auch mittels Bundesexekution geschehen (Art. 31 WSA). Zur Vorprüfung des jeweiligen Rechtsersuchens bediente sich die Bundesversammlung einer den Fall begutachtenden und eine Beschlußempfehlung aussprechenden, aus ihrer Mitte gewählten funfköpfigen Kommission. Letztere stellte zwar ebenso wie die Bundesversammlung im Jahre 1848 ihre Tätigkeit ein, wurde jedoch einige Zeit nach Wiedereröffiiung der Bundesversammlung wieder eingesetzt.^^^ Unter diesen Voraussetzungen garantierte das Bundesrecht den mediatisierten Reichsständen und Reichsrittem erhebliche Rechtspositionen, deren Achtung durch die Mitgliedstaaten nicht nur einforderbar, sondern auch durchsetzbar war. So verwundert es nicht, daß die Bundesversammlung relativ häufig von den Mediatisierten unter Berufung auf Art. 14 DBA angerufen wurde. In den meisten Fällen entschied sie indes nicht in der Sache selbst, sondern gab - wie etwa bei Entschädigungsforderungen im Zuge der Zehntablösung^^^ oder bei Beschwerden wegen entzogener Zollbefreiung^^^ - den betreffenden Landesbehörden bloß die weitere Klärung des Sachverhalts auf und wies die betroffene Regierung an, den Rechtsweg zu den Landesgerichten zu eröffnen. Einer der spektakulärsten, in jedem Falle aber der umstrittensten Fälle, in denen die Bundesversammlung auch in der Sache zu entscheiden hatte, war der bentincksche Erbfolgestreit, in dem es um die Feststellung der Ebenbürtigkeit der gräflichen Familie Bentick ging; was im Ergebnis durch den lediglich mehrheitlich gefaßten Beschluß vom 12. Juni 1845^^^ bestätigt wurde.^^^ [236.] Nach dem Bundesbeschluß vom 15. September 1842^^^ sollte „jedesmal, und bei Reclamation gegen spätere, einseitige legislative Erklärungen der durch die Bundesacte ihnen zugesicherten Rechte, so oft das Bedürfnis dazu sich zeigt,

^^^ Protokolle der Bundesversammlung, 9. Sitzung vom 30. März 1854, § 97. 390 391 392 393 394

A. a. O., 11. Sitzung vom 29. April 1841, § 135. A. a. O., 6. Sitzung vom 17. Februar 1842, § 67. A. a. O., 20. Sitzung vom 12. Juni 1845, § 218. Näher dazu E. R. Huber (Fußn. 12), S. 778 ff. Dok.67.

138

1. Abschnitt: Gesamtdeutsche Verfassungsentwicklung (1803/06-1918)

dem in anderweiten Rechtsachen der Reclamanten zuständigen Landesgerichte zweiter Instanz von der Bimdesversammlung durch die betreffende Landesregierung der nicht abzulehnende Auftrag ertheilt werden, den Streitfall in seinem ganzen Umfange für eine definitive Entscheidung nach der von dem Gerichtshofe überhaupt zu beobachteten particular- oder gemeinrechtlichen Prozeßordnung innerhalb der kürzest möglichen Frist zu instruiren". Insoweit wurde den Mediatisierten also die Möglichkeit, in ihren Angelegenheiten Rechtsschutz durch die Bundesversammlung zu suchen, noch einmal ausdrücklich bestätigt. Die Bundesversammlung als Herrin des Verfahrens durfte sich zur Vorbereitung der Entscheidung der zuständigen Landesgerichte bedienen. Die definitive Entscheidung lag dann aber grundsätzlich wieder bei ihr. Doch stand es ihr frei, diese Entscheidung entweder selbst oder durch eine von ihr mit Stimmenmehrheit beauftragte richterliche Instanz in ihrem Namen zu erlassen. Diese richterliche Instanz sollte aus insgesamt fünf Mitgliedern bestehen. Vier davon waren für jeden Einzelfall neu von der Bundesversammlung ebenfalls mit Stimmenmehrheit aus der Liste der für das Bundesschiedsgericht erwählten „Spruchmänner" zu bestimmen. Das fünfte, die Funktion des Obmanns übernehmende Mitglied sollte von den vier Mitgliedern aus der Spruchmännerliste, bei Stimmengleichheit von der Bundesversammlung selbst erwählt werden. Ansonsten hatten im wesentlichen die Bestimmungen des Bundesbeschlusses vom 30. Oktober 1834 über das Bundesschiedsgerichts^^^ Anwendung zu finden. Faktisch blieb die richterliche Instanz indes bedeutungslos, da sie von der Bundesversammlung in keinem Falle zur Entscheidung berufen wurde. [237.] Art. 6 Abs. 2 DBA gedachte ebenfalls der vormaligen Reichstände. Ihm zufolge würde die Bundesversammlung bei der Beratung der organischen Bundesgesetze „in Erwägung nehmen", ob den Mediatisierten auch einige Kuriatstimmen im Plenum der Bundesversammlung zugestanden werden sollten. Allerdings kam diese Befassungsverheißung über die papieme Ankündigung nie hinaus. Die Mediatisierten blieben auf Bundesebene dauerhaft von jeder rechtlich zugesicherten direkten politischen Mitwirkung ausgeschlossen. Eine Rolle als zumindest in Bundesangelegenheiten mitgestaltender politischer Faktor blieb ihnen verwehrt. [238.] Einen Sonderfall bestimmte Art. 17 DBA. Er bestätigte nämlich ausdrücklich dem mediatisierten Hause Thum und Taxis seine infolge des Art. 13 des Reichsdeputationshauptschlusses von 1803^^^ oder durch spätere Verträge anerkannten Rechte (Besitztümer und Ämter in den Mitgliedstaaten), solange diese nicht durch freie Übereinkunft oder gegen angemessene Entschädigung geändert wurden.

3^5 Dok.57. 3^^ Dok.31/5.

§ 3: Der Deutsche Bund (1815 - 1866)

139

4. Individuelle Rechtsgarantien [239.] Die Art. 16 und 18 DBA enthielten einen an die Mitgliedstaaten gerichteten Katalog von den Untertanen zu gewährenden Rechten. Damit waren indes keine direkt wirkenden Verbürgungen gegenüber den Untertanen gemeint, sondern lediglich dem Bund gegenüber verpflichtend wirkende „freie Vereinbarungen der Bundesstaaten". [240.] Bei den für die einzelnen Untertanen vorgesehenen Rechten ging es zunächst um Religionsfreiheit, namentlich aber um die Rechtsgleichheit, für die drei christlichen Konfessionen (Katholiken, Lutheraner, Reformierte), während die Verhältnisse der Juden anderweitig geregelt werden sollten (Art. 16 DBA). Der die Religionsfreiheit betreffende Art. 16 Abs. 1 DBA ging über das bereits reichsrechtlich im Westfälischen Frieden allseits verbindlich Geregelte nicht hinaus; brachte insoweit gegenüber dem weithin sowieso geltenden Rechtszustand nichts Neues. Zudem kam die in Art. 16 Abs. 2 DBA gesondert in Aussicht genommene Statuierung einer bundeseinheitlichen Rechtsstellung für die Juden selbst bei wohlwollender Betrachtung nicht über den Charakter einer bloßen Verheißung hinaus. Auch der fünf Jahre später erlassene Art. 65 WSA brachte keine konkreteren Ergebnisse. Denn dort wurden die längst überfalligen Regelungen der „fernem Bearbeitung" anheimgestellt, ohne daß erkennbar wurde, wann dies jemals geschehen sollte. Immerhin brachte Art. 16 Abs. 2 DBA den Juden aber eine Garantie des Bundes für diejenigen Rechte, welche sie bereits bei Inkrafttreten der Deutschen Bundesakte in den einzehien Mitgliedstaaten innehatten. Hinter diese durfte - zumindest bis zu einer bundesseitigen Neuregelung - kein Bundesmitglied mehr zurückgehen. Insoweit sprach Art. 16 Abs. 2 DBA also ein generelles Verschlechterungsverbot aus. [241.] Des weiteren wurde das Recht verbürgt, Grundeigentum innerhalb des Bundesgebiets zu erwerben (Art. 18 lit. a DBA), frei aus einen Mitgliedstaat in einen anderen wegzuziehen und in den Zivil- oder Militärdienst eines anderen Mitgliedstaates zu treten (Art. 18 lit. b DBA) sowie dasjenige von aller Nachsteuer befreit zu sein (Art. 18 lit. c DBA). Überdies sollten möglichst bald Verfügungen über die Preßfreiheit und Sicherstellung der Rechte der Schriftsteller und Verleger gegen den Nachdruck getroffen werden (Art. 18 lit. d DBA). [242.] Mit Blick auf die Nachsteuer- und Abzugsfreiheit konkretisierte der Bundesbeschluß vom 23. Juni 181T^^'^ die bislang sehr vage gehaltenen Formulierungen des Art. 18 lit. b und c DBA. Zunächst wurde klargestellt, daß sich die Nachsteuer- und Abzugsfreiheit für von einem in ein anderes Land überführtes Vermögen „auf alle deutschen Bundesstaaten gegen einander" bezieht (Nr. 1). Jede die Ausfuhr des Vermögens oder den Übergang von Vermögen auf Angehörige eines anderen Mitgliedstaates beschränkende Abgabe, mit Ausnahme solcher Abgaben, die unabhängig vom späteren Verbleib des Vermögens (im In- oder Ausland) und von der Staatsangehörigkeit der begünstigten Person erhoben werden (z. B. eine für alle Sachverhalte gleichermaßen geltende Erbschaftssteuer), wurde für aufgehoben erklärt (Nr. 3). Ebenso wurden insbesondere die in vielen Ländern 397 Dok.36.

140

1. Abschnitt: Gesamtdeutsche Verfassungsentwicklung (1803/06-1918)

üblicherweise vorgenommenen Abzüge von auswanderndem Vermögen wegen der Tilgung von Gemeindeschulden als aufgehoben angesehen (Nr. 4). Demgegenüber behielt die Bundesversammlung mit Blick auf die die Freizügigkeit hindernde Militärpflicht eine den Loskauf des Auswanderungswilligen davon betreffende Bestimmung der ferneren Übereinkunft der Mitglieder vor. Insoweit wollte man zunächst die Regelung der damals noch offenen Bundesmilitärverhältnisse geregelt wissen (Nr. 5). Sofern indes weitergehende zwischenstaatliche Vereinbarungen unter den Bundesgliedem existierten, sollten diese auch künftig in Kraft bleiben (Nr. 7). [243.] Aus der in Art. 18 lit. d DBA vorgesehenen „Abfassung gleichförmiger Verfügungen über die Preßfreiheit", mit der die Bundesversammlung sich „bey ihrer ersten Zusammenkunft . . . beschäftigen" sollte, wurde zunächst nichts. Und als man sich dann ab 1819 im Zuge der Karlsbader Beschlüsse intensiv damit zu befassen begann, geschah dies nicht mehr um der Gewährleistung der Preßfreiheit, sondern um deren möglichst effektive Einschränkung willen: So wurde mit dem Bundes-Preßgesetz vom 20. September 1819^^^ die Preßfreiheit zunächst auf fünf Jahre befristet weitgehend beseitigt, dann jedoch durch die Provisorischen Maßregeln vom 16. August 1824^^^ faktisch auf unbestimmte Zeit. Diese Regelungen galten einschließlich sämtlicher Ergänzungen bis zu ihrer Aufhebung aufgrund des Bundesbeschlusses vom 2. April 1848."^^^ Danach brach sich die Preßfreiheit zunächst in den Einzelstaaten Bahn und fand gesamtdeutsch schließlich in den „Grundrechten des deutschen Volkes" vom 27. Dezember 1848^^^ ihre Verankerung. Diese wurden allerdings bereits durch die zwischenzeitlich wieder reaktivierte Bundesversammlung mit dem diese Grundrechte aufhebenden Beschluß vom 23. August 1851^^'^ wieder hinfallig. Die hiermit wieder reaktivierte Verheißungsformel des in die Jahre gekommenen Art. 18 DBA schien auch jetzt und in der Folgezeit niemanden wirklich anzurühren. Denn nur knapp drei Jahre später inszenierte der Bund mit den „Allgemeinen Bestimmungen zur Verhinderung des Mißbrauchs der Presse" vom 6. Juli 1854 (Bundespreßgesetz)^^^ erneut massive presserechtliche Repressionen im Stile des Vormärz', so daß es jedenfalls niemals zu der ursprünglich wohl mit Art. 18 lit. d DBA intendierten bundesrechtlich garantierten Preßfreiheit kam. [244.] Völlig anders verhielt es sich mit der zweiten, den Urheberschutz betreffenden Verheißung von Art. 18 lit. d DBA. Denn zur Sicherstellung der Rechte der Schriftsteller und Verleger gegen den Nachdruck erließ die Bundesversammlung zunächst den Bundesbeschluß vom 6. September 1832^^^. Hiermit wurde den Einzelstaaten erstmals die künftige urheberrechtliche Gleichbehandlung aller einem Bundesmitglied angehörigen Herausgeber, Verleger und Schriftsteller aufge-

398 Dok. 40. 399 Dok. 47. 400 Dok. 75. 401 Dok. 105. 402 Dok. 79. 403 Dok. 81. 404 Dok. 53.

§ 3: Der Deutsche Bund (1815 - 1866)

141

geben. Der Bundesbeschluß vom 9. November 1837^^^ stellte dann auch bimdeseinheitlich geltende materiell-rechtliche Grundsätze gegen den Nachdruck literarischer Erzeugnisse und „Werke der Kunst" auf. Hiemach durften ohne Einwilligung des Urheber- bzw. Eigentumsrechtsinhabers keine Vervielfältigungen auf mechanischem Wege vorgenommen werden (Art. 1 des Beschlusses). Urheberund Eigentumsrechte gingen gegebenenfalls auf die Rechtsnachfolger über und sollten, sofern auf dem Werke der Herausgeber oder Verleger genannt war, jedenfalls „in sämmtlichen Bundesstaaten mindestens während eines Zeitraumes von zehn Jahren anerkannt und geschützt werden"; dieser Zeitraum galt auch für bereits vor dem Inkrafttreten des Beschlusses erschienene Werke (Art. 2 des Beschlusses) und konnte für die „mit bedeutenden Vorauslagen" verbundenen Werke auf höchstens zwanzig Jahre ausgedehnt werden (Art. 3 des Beschlusses). So wurde unter Bezugnahme auf Art. 3 des Beschlusses und auf Antrag der betreffenden Landesregierungen den Erben Schillers durch Bundesbeschluß ein ab dem 23. November 1838406, Jean Pauls ab dem 22. Oktober 1840^07, Wielands^«« und Goethes^o^ ein jeweils ab dem 11. Februar 1841, Herders ab dem 28. Juli 1842^10 geltender zwanzigjähriger Schutz gegen Nachdruck in allen Mitgliedstaaten gewährt. Den durch Art. 2 des Beschlusses von 1837 auf zehn Jahre festgesetzten Mindestschutz dehnte dQX Bundesbeschluß vom 19. Juni 1845^^^ später auf die Lebensdauer des Urhebers und für seine Rechtsnachfolger auf dreißig Jahre nach seinem Tode aus (Nr. 1). Auch unter Pseudonym oder anonym erschienene Werke genossen fortan einen Schutz innerhalb von dreißig Jahre nach ihrem Erscheinen (Nr. 2). In der Folgezeit verlängerte der Bundesbeschluß vom 6. November 1856^^^ den durch die zuvor genannten Bundesbeschlüsse statuierten Urheberrechtsschutz zugunsten der Werke vor dem Bundesbeschluß von 1837 verstorbener Autoren noch bis zum 9. November 1867. Sah Art. 4 des Beschlusses von 1837 vorerst für die vom unbefugten Nachdruck betroffenen Urheber, Verleger und Herausgeber nur einen umfassenden Entschädigungsanspruch vor und verlangte neben der nach Landesrecht erfolgenden strafrechtlichen Verfolgung die Einziehung der Nachdrucke und Nachbildungen, so konkretisierte der Bundesbeschluß von 1845 diese Bestimmung insofern, als künftig die zu leistende Entschädigung nach dem Verkaufspreis einer richterlich festzusetzenden Anzahl von Exemplaren des Originalwerkes zu erfolgen hatte (Nr. 5). Überdies waren Geldbußen von bis zu 1.000 Gulden vorgesehen, wenn das Landesrecht nicht noch höhere Strafen vorschrieb (Nr. 7). Allerdings verzichtete der Bund ungeachtet der unterschiedlichen Auslegung des Beschlusses von 1845 in den einzelnen Mitgliedstaaten bis in die 1860er Jahre hinein darauf, dessen einheitlichen Vollzug anzumahnen. Einen zwischen-

405

Dok. 64 Protokolle der Bundesversammlung, 33. Sitzung vom 23. November 1838, § 361. 407 A. a. O., 23. Sitzung vom 22. Oktober 1840, § 278. A. a. O., 3. Sitzung vom 11. Februar 1841, § 46. 409 A. a. O., § 47. 410 A. a. O., 19. Sitzung vom 28. Juli 1842, § 218. ^11 Dok. 64/1. 412 Dok. 64/2. 406

142

1. Abschnitt: Gesamtdeutsche Verfassungsentwicklung (1803/06-1918)

zeitlich dahingehenden Antrag Sachsens lehnte die Bundesversammlung noch im Jahre 1855 ab.4i3 [245.] Zum Schutz inländischer Verfasser musikalischer und dramatischer Werke gegen unbefugte Auffuhrungen und Darstellungen erging der Bundesbeschluß vom 22. April 1841^^^. Hiemach durfte die öffentliche Aufführung dramatischer oder musikalischer Werke nur mit Erlaubnis des Autors, seiner Erben oder sonstigen Rechtsnachfolger stattfinden, solange das Werk noch nicht publiziert wurde (Nr. 1). Dieses Recht sollte „wenigstens" zehn Jahre, gerechnet ab der ersten rechtmäßigen Auffährung des Werkes, in „sämmtlichen Bundesstaaten anerkannt und geschützt werden" (Nr. 2). Im Falle des Mißbrauchs wurde dem in seinen Rechten Verletzten ein nach Landesrecht näher zu bestimmender Entschädigungsanspruch zugebilligt und die Einnahmen der unbefugten Aufführung beschlagnahmt (Nm. 3 f.). Dieser Beschluß wurde durch den Bundesbeschluß vom 12. März 1857^^^ zugunsten des Autors und seiner Rechtsnachfolger modifiziert und erweitert. Nunmehr wurde insbesondere das ausschließlich und auf Lebenszeit des Autors bestehende Recht zur Erlaubniserteilung und das Recht seiner Rechtsnachfolger noch zehn Jahre nach seinem Tode festgeschrieben (Nm. 1 f.). [246.] Nachdem sich all die vorgenannten urheberrechtsschützenden Maßnahmen des Bundes wegen der in den einzelnen Mitgliedstaaten stark voneinander abweichenden Rechtspraxis längst als unzureichend erwiesen, beschloß die Bundesversammlung erst im Jahre 1862 einstimmig, ein für sämtliche Mitgliedstaaten gemeinsames Urheberrechtsgesetz auf den Weg zu bringen."^^^ Dieses sodann zur Ausarbeitung eines Entwurfs einer Kommission überwiesene Vorhaben"^^^ kam im Ergebnis aber wegen des nahenden Endes des Bundes nicht mehr über den erstellten und den Regiemngen zur Stellungnahme überwiesenen Entwurf^^^ hinaus. [247.] Insgesamt betrachtet fehlte es den in den Art. 16 und 18 DBA ohnehin nur verhießenen Rechten an einer effektiven bundesrechtlichen Sichemng. Ein Recht des Einzelnen zur Beschwerde in eigener Sache bei der Bundesversammlung bestand nur im Falle der Justizverweigemng (Art. 29 WSA). Ungeachtet dessen war die Bundesversammlung aber zweifelsfrei zuständig für sich auf die Untertanenrechte beziehende Fälle. Dies bestätigte zunächst § 4 Nr. 3 der Provisorischen Kompetenzbestimmungen vom 12. Juni 1817^^^, der feststellte, daß die Bundesversammlung berufen sei, „darauf zu achten, daß die in der Bundesakte Art. . . . 16 und 18 den einzelnen Staaten zur Ausfühmng vorgeschriebenen öffentlichen Verhältnisse in Erfüllung gebracht werden". Dem später den § 4 Nr. 3 des Provisorischen Kompetenzbeschlusses ersetzenden Art. 53 WSA ließ sich dann immerhin entnehmen, daß wenn sich die Regiemngen ihren Verpflichtungen entzogen, die davon betroffenen Untertanen dies bei der Bundesversammlung anzeigen durften, welche begriindetenfalls auf die Erfüllung der den Regierungen ob^^^ Protokolle der Bundesversammlung, 16. Sitzung vom 24. Mai 1855, § 186. 414 D o k . 6 6 . 415 D o k . 6 6 / 1 . 41^ 417 418 419

Protokolle der Bundesversammlung, 34. Sitzung vom 16. Oktober 1862, § 304. A. a. O., 23. Sitzung v o m 16. Juni 1863, § 180. A. a. O., 37. Sitzung v o m 6. Oktober 1864, § 253. Dok.33.

' 3: Der Deutsche Bund (1815 - 1866)

143

liegenden Verpflichtungen hinzuwirken hatte. Rechtsschutz im konkreten Einzelfall war damit jedoch nicht verbunden; wie sich hier überhaupt das fehlende Bundesgericht bemerkbar machte, bei dem im Falle der Rechtsverletzung ein Klagerecht bestanden hätte. Gegen Rechtsverletzungen konnte man sich nämlich allenfalls bei Maßnahmen durch die Landesbehörden und auch dann allein auf Landesebene wenden. Solange indes in der Angelegenheit keine Justizverweigerung vorlag kam eine Beschwerde an die Bundesversammlung nicht in Betracht. XII. Handels- und Verkehrsfragen 1. Reichweite der Bundesl^ompetenzen [248.] Auch zu Handel und Verkehr traf das Bundesrecht in Art. 19 DBA nur vage Aussagen. Er begnügte sich damit, anzumerken, daß die Bundesglieder sich vorbehielten, bei der Konstituierung der Bundesversammlung „wegen des Handels und Verkehrs zwischen den verschiedenen Bundesstaaten, sowie wegen der Schifffahrt nach Anleitung der auf dem Kongreß zu Wien angenommenen Grundsätze in Beratung zu treten". Selbst noch fünf Jahre später kam man in Art. 65 WS A über die ursprünglichen Ankündigungen des Art. 19 DBA nicht hinaus: Die dort verankerte Materie sollte der Bundesversammlung „zur fernem Bearbeitung vorbehalten" bleiben. Diese Regelungen waren wohl nicht der Stoff, aus dem sich im vornehmlich partikularistisch geprägten Bundesgebiet das solide Fundament für eine starke, auf großräumige Kooperation ausgerichtete Wirtschaftsordnung herstellen ließ. Hierin bestand angesichts des eindeutig sicherheitspolitisch ausgerichteten Bundeszwecks aber auch nicht das Hauptanliegen der staatenbündischen Integrationsleistung. Namentlich wegen des bis zuletzt heftigen Widerstands Bayerns gegen alle auf österreichisch-preußische Initiative vorgeschlagenen eindeutigeren Kompetenzzuweisungen hinsichtlich der Einführung eines einheitlichen deutschen Zoll- und Handelssystems an den Bund kam es nur zu dieser nahezu unverbindlichen Kompromißformel. Die Art. 19 DBA und 65 WSA schlossen die Zuständigkeit des Bundes für Zoll-, Handels- und Verkehrsfragen nicht grundsätzlich aus; reduzierten sie aber auf die bloße Beratung, wodurch dem Bund insoweit allenfalls ein Befassungsrecht zugestanden wurde. Nichts anderes legten übrigens auch die indes durch Art. 65 WSA derogierten § 3 Nr. 4 und § 4 Nr. 7 des Provisorischen Bundeskompetenzbeschlusses vom 12. Juni 1817^^^ fest. Verbindliche Bestimmungen und Anordnungen gegenüber den Mitgliedstaaten waren dem Bund gestützt auf diese Rechtsgrundlagen jedenfalls versagt. Denn er durfte in Gestalt der Bundesversammlung nur die ihm durch die Bundesgrundgesetze tatsächlich zustehenden Kompetenzen ausüben (vgl. Art. 9 Satz 1 WSA). In Wirtschafts- und Verkehrsfragen hatte er diese aber gerade nicht! Sollte in diesen Bereichen gleichwohl Bundesrecht gesetzt werden, so bedurfte es hierzu der Schaffung neuer bzw. der Modifizierung bestehender bundesgrundgesetzlicher Bestimmungen, welche gemäß der Art. 7 Abs. 4 DBA, Art. 13 WSA nur im Wege der

420 Dok.33.

144

1. Abschnitt: Gesamtdeutsche Verfassungsentwicklung (1803/06-1918)

Einstimmigkeit erreichbar war. Der Bund konnte allerdings auf das Zustandekommen zwischenstaatlicher Abkommen hinwirken; doch mußte dabei namentlich Art. 4 Satz 2 WS A beachtet werden, der einer bündisch initiierten Wirtschafts- und Verkehrsintegration Grenzen setzte. Denn eine derartige Integration durfte weder „mit dem Geiste der Bundes-Acte . . . im Widerspruch stehen, noch von dem Grund-Charakter des Bundes abweichen". Insbesondere die Veränderung des bündischen Grundcharakters als Staatenbund verbot es, einem Zusammenwachsen der Bundesstrukturen in Richtung Bundesstaat Vorschub zu leisten. Rechtlich gesehen bewegte sich der Bund also auf äußerst brüchigem Eis, wenn er seine Mitglieder zu mehr einvemehmlichen Handeln ermunterte. So gesehen handelte es sich bei der Regelung von Wirtschafts- und Verkehrsfragen um keine originär bundesrechthchen Kompetenzen, sondern um solche der Mitgliedstaaten; was im Ergebnis auf eine institutionelle Garantie der einzelstaatlichen Handelsund Verkehrssouveränität und damit auf eine Perpetuierung eines deutschen Wirtschaftspartikularismus hinauslief. Nur dort, wo - wie hinsichtlich des Verkehrs zur Aufrechterhaltung der inneren und äußeren Sicherheit ein Mindestmaß an funktionierender Infrastruktur erforderlich war, standen dem Bund entsprechende Zuständigkeiten zur Verfugung. [249.] Von Rechts wegen durften somit namentlich in Sachen innerdeutschen Freihandels oder gar einer deutschen Wirtschaftseinheit seitens des Bundes nicht wirklich zukunftsweisende Impulse erwartet werden. So verwundert es wenig, daß die Anstöße zu einem innerdeutschen Freihandel aus den Reihen der Mitgliedstaaten herrührten und genau genommen am Bund vorbeigingen. 2. Handelspolitische Einheitsbestrebungen „am Bund vorbei" [250.] Den Anfang machte Preußen, das seine handelspohtische Souveränität dazu benutzte, um Front gegen den bis dahin deutschlandweit vorherrschenden Wirtschaftspartikularismus zu machen. Es entwickelte sich seit dem Erlaß des richtungsweisenden, auf Freihandel zielenden Zollgesetzes vom 26. Mai 1818"^^^ allmählich zum Vorkämpfer eines wirtschaftlichen Unitarismus."^^^ Das preußische Sondervorgehen stieß zwar durchweg auf heftige Kritik der übrigen Mitgliedstaaten des Deutschen Bundes, bewirkte indes, daß die ZoUfrage bundesweit thematisiert wurde. Bereits 1819, auf den Karlsbader Konferenzen, regte man von badisch-württembergischer Seite zur Prüftmg an, wie ein freier Handelsverkehr zwischen den deutschen Staaten geschaffen werden könne. Bezeichnend ftir die schwache Rolle, die der Deutsche Bund in dieser Frage insgesamt spielte und auch spielen sollte, war die darauf erfolgende Reaktion Mettemichs: „Deutschland bestehe aus einer Verbrüderung souverainer Staaten, welche in ihrer Gesamtheit in dem europäischen Staatensystem als Eine Macht erscheinen. Der Handel, seine Ausdehnung, wie seine Beschränkung gehören zu den ersten Befugnissen der souverainen Gewalt. In Deutschland könne demnach die Handelsfrage nicht allein in Beziehung auf die deutsche Gesammtmacht aufgenommen und erwogen werden ^^^ Gesetz-Sammlung für die Königlichen Preußischen Staaten, 1818, S. 65. "^22 Vgl. zum folgenden auch E. R. Huber (Fußn. 12), S. 794 ff.

§ 3: Der Deutsche Bund (1815 - 1866)

145

denn der deutsche Handel bilde sich vor allem aus jenem der deutschen Staaten diese Frage könne viehnehr nur in Erwägxmg gezogen werden, wenn . . . die Handelsverhältnisse unter den deutschen Bundesstaaten zu einer gedeihlichen Verständigung gereift sein (würden, sc.).'"^^^ Das war nichts anderes als die Bestätigung der bereits in Art. 19 DBA festgeschriebenen Position, die sich bekanntlich auch durch das Ergebnis der damals für die Befassung mit dieser Angelegenheit bereits in Aussicht genommenen Wiener Konferenzen, nämlich dem Art. 65 WSA, nicht veränderte. 3. Deutscher Zollverein [251.] Der Deutsche Bund versäumte es von Beginn an, eine mittelfristig ohnehin nicht von der politischen Tagesordnimg zu tilgende Frage aufzugreifen und aktiv mitzugestalten. Es kam daher zunächst zur Bildung einer Reihe von regionalen Zollverbtinden der einzelnen Mitgliedstaaten des Bundes untereinander (preußisch-hessischer, süddeutscher Zollverein und mitteldeutscher Handelsverein jeweils 1828 sowie der preußisch-süddeutsche Handelsvertrag 1829) und schließlich auf der Grundlage der Verträge vom 22^^"^ und 30. März^^^ sowie vom IL Mai 1833^^^ zum 1. Januar 1834 zur Gründung des zunächst bis zum 31. Dezember 1841 befristeten, aus Preußen (einschließlich der zollunierten drei anhaltischen Staaten, Waldecks und des meisenheimischen Teils von Hessen-Homburg), Bayern, Württemberg (einschließlich der zollunierten beiden HohenzoUem), Sachsen, Kurhessen, Hessen-Darmstadt, Sachsen-Weimar-Eisenach, Sachsen-Meiningen, Sachsen-Altenburg, Sachsen-Coburg-Gotha, beide Schwarzburg und die drei Reußischen Staaten bestehenden Deutschen Zollvereins. Zuvor bemühte sich Hannover jedoch vergeblich, dem wachsenden preußischen Einfluß entgegenzutreten, indem es 1832 in der Bundesversammlung beantragte, Art. 19 der Deutschen Bundesakte^^'^ endlich auszufuhren."^^^ Es verlangte, einheitliche Bundeszölle zu schaffen und die Freiheit der deutschen Straßen einzufuhren. Dieser Antrag scheiterte sowohl an der eindeutigen preußischen Ablehnung^^^ als auch daran, daß die Zollvereinsverhandlungen zwischenzeitlich erfolgreich abgeschlossen werden konnten. Als Konsequenz daraus gründete Hannover mit einigen dem Deutschen Zollverein ferngebliebenen norddeutschen Staaten den Steuerverein, einem auf Nordwestdeutschland (Hannover, Braunschweig"^^^, Oldenburg, SchaumburgLippe) beschränkten Zoll- und Handelsbündnis, zusammen, das jedoch spätestens seit 1837 „zur Beförderung der gegenseitigen Verkehrsverhältnisse" eng mit dem

423 424 425 426 427 428

429 430

y. L . Klüber/C. Welcher (Fußn. 356), S. 172. Dok.85. Dok.86. Dok.87. Dok. 31. Protokolle der Bundesversammlung, 29. Sitzung vom 9. August 1832, § 296 und 47. Sitzung vom 20. Dezember 1832, §566. A. a. O., 40. Sitzung vom 25. Oktober 1832, § 466. Schied am 31. Dezember 1841 aus und trat dem Deutschen Zollverein bei.

146

L Abschnitt: Gesamtdeutsche Verfassungsentwicklung (1803/06-1918)

Deutschen Zollverein kooperierte."^^^ Erweiterungen des letzteren erfolgten dann durch die Verträge vom 12. Mai 1835 um Baden"^^^, vom 10. Dezember 1835 um Nassau"*^^ und vom 2. Januar 1836 um Frankfiirt^^'*. Am 8. Mai 1841^^^ kam es zu einer ersten Verlängerung des ursprünglich nur auf acht Jahre bemessenen Deutschen Zollvereins um jetzt zwölf Jahre bis zum 31. Dezember 1853. In der Folgezeit vermehrte sich der Mitgliederstand durch die Verträge vom 18. Oktober 1841 um Lippe-Detmold"^^^, vom 19. Oktober 1841 um das zugleich aus dem Steuerverein ausscheidende Braunschweig'^^'^ und vom 8. Februar 1842^^^ (zunächst nur bis zum 31. März 1846) bzw. vom 2. April 1847^^^ (bis zum 31. Dezember 1853) um Luxemburg. Am I.April 1842 gehörten von den 39 Mitgliedstaaten des Deutschen Bundes 28 zugleich dem Deutschen Zollverein an. Lediglich Österreich, Liechtenstein, beide Mecklenburg, Holstein, Hannover, Oldenburg, SchaumburgLippe, Hamburg, Bremen und Lübeck standen abseits. Als am 4. April 1853 mit Wirkung zum 1. Januar 1854 ein weiterer bis zum 31. Dezember 1865 geltender Verlängerungs- bzw. Erneuerungsvertrag^"^^ geschlossen wurde, erstreckte dieser sich dann über den bisherigen Mitgliederbestand hinaus auch auf Hannover, Oldenburg und Schaumburg-Lippe. [252.] Die Zollvereinsverträge waren lediglich völkerrechtliche Vertragsverhältnisse. Dementsprechend traf die mit ihnen konstituierte Vereinigung zunächst Vereinbarungen, zu deren Umsetzung sich die daran beteiligten einzehien Staaten in ihrem Gebiet verpflichteten. Dies betraf die Zollabgaben und seit dem Verlängerungsvertrag vom 8. Mai 1841^^^ auch die Rübenzuckersteuer. Im Hinblick darauf sollten übereinstimmende Gesetze für die zu erhebenden Ein- und Ausgangsabgaben, für die Behandlung der Durchfuhr und für die Rübenzuckerbesteuerung bestehen sowie die Abgabenverwaltung in den einzelnen Staaten einander angeglichen werden. Der aus dem Abgabenaufkommen nach bestimmten Grundsätzen berechnete Ertrag war unter den Vertragsparteien nach dem Bevölkemngsmaßstab zu verteilen. Dies erforderte naturgemäß ein Mindestmaß an gemeinschaftlicher Institutionalisiemng. Im Mittelpunkt stand dabei die jährlich zusammentretende Generalkonferenz der Bevollmächtigten, welche über die Erledigung der bei Ausfuhrung der Verträge auftretenden Beschwerden und Mängel, über die definitive Verrechnung der gemeinschaftlichen Einnahmen und über Abänderungen in den Zollvereinsbestimmungen einstimmig zu beschließen hatte. Daneben fungierte ein

^^^ Vgl. die Verträge zwischen beiden Staatenbünden vom 1. November 1837 (abgedruckt in: GesetzSammlung für die Königlichen Preußischen Staaten, 1838, S. 173) und vom 17. Dezember 1841 (abgedruckt in: a. a. O., 1841, S. 412). 432 Dok.88.

^^^ Dok.89. 434 435 436 437 438

Dok.90. Dok.91. Dok.92. Dok.93.

Dok. 94.

439 Dok. 95. 440 Dok. 99. 441 Dok.91.

§ 3: Der Deutsche Bund (1815 - 1866)

147

Zentralbüro, das die provisorische Abrechnung und Verteilung der Abgabenerträge zwischen den Einzelstaaten vornahm. [253.] Wien gelang es ungeachtet aller späteren Bemühungen, namentlich seit Beginn der 1850er Jahre, Zeit des Bestehens des Deutschen Bundes und erst Recht später nicht, sich Zutritt zum preußisch dominierten Deutschen Zollverein zu verschaffen. Preußen tat im übrigen auch alles, um Österreich femzuhalten und baute seine mit der Zollvereinsgründung in Deutschland errungene wirtschaftspolitische Vormachtstellung zielstrebig aus. Mehr als der Abschluß eines auf zwölf Jahre bemessenen bilateralen Zoll- und Handelsvertrages am 19. Februar 1853"^^^ und die darin enthaltene vage preußische Inaussichtstellung einer „großen Zolleinigung" ab dem Jahre 1860 war für die Habsburgermonarchie am Ende nicht zu erreichen. Als am 16. Mai 1865 der Zollvereinsvertrag^^^ zwischen den bisherigen Mitgliedern des deutschen Zollvereins um weitere zwölf Jahre verlängert wurde, hatte sich die „kleindeutsche" Wirtschaftseinheit unter Führung Preußens trotz vorangegangener heftiger Kontroversen unter den Mitgliedern über den Beitritt Österreichs und den mit Frankreich 1862 abgeschlossenen Zoll- und Handelsvertrag erneut durchgesetzt. Abseits blieben bis zum Ende des Deutschen Bundes im Jahre 1866 neben Österreich (und das mit ihm zollunierte Liechtenstein) nur noch die norddeutschen Küstenstaaten Schleswig-Holstein, beide Mecklenburg, Lübeck, Bremen und Hamburg. [254.] Mit dem Deutschen Zollverein hatte sich spätestens jetzt ein die andere Großmacht Österreich ausschließender (Staaten-)Bund im Deutschen Bund etabliert. Was Preußen während der Zeit des Deutschen Bundes (1815-1866) staatspolitisch niemals gelang, erreichte es 1853 de facto immerhin auf wirtschaftspolitischem Gebiet. Dies sollte auch die bald in den Vordergrund der preußisch-österreichischen Rivalitäten tretende nationale Frage zugunsten einer kleindeutschen Lösung nicht unwesentlich mit beeinflussen; in jedem Falle aber Alternativen dazu, wie etwa eine wie auch immer geartete „großdeutsche" Lösung mit Österreich, unwahrscheinlicher werden lassen. 4. Weitere Wirtschafts- und Handelsfragen [255.] Der Deutsche Bund und das von ihm verkörperte bündische Prinzip hatten in einem zentralen Politikbereich die Herrschaft des „Handehis" im wahrsten Sinne des Wortes frühzeitig preisgegeben. So ging selbst die später unter der kurzen Reichsägide erlassene, noch am 1. Mai 1849 in Gesetzeskraft getretene Allgemeine deutsche Wechselordnung vom 24. November 1848^44 auf eine Initiative Preußens bzw. der Zollvereinsstaaten aus dem Jahre 1846 zurück, indem man die Regierungen sämtlicher deutscher Mitgliedstaaten des Deutschen Bundes zu einer Wechselkonferenz nach Leipzig einlud, auf der am 9. Dezember 1847 ein bereits seit dem 20. Oktober 1847 erarbeiteter „Entwurf einer Allgemeinen Deutschen

^^•^ Abgedruckt in: Gesetz-Sammlung fur die Königlichen Preußischen Staaten, 1853, S. 357. 443 Dok. 101. 444 Reichsgesetzblatt 1848, S. 19.

148

1. Abschnitt: Gesamtdeutsche Verfassungsentwicklung (1803/06-1918)

Wechselordnung" vorgelegt wurde.'^^^ Die einzelstaatliche Umsetzung dieses Entwurfs fiel jedoch zeitgleich mit den Märzereignissen 1848 zusammen; was dazu führte, daß dieser nur in wenigen deutschen Staaten (z. B. in Anhalt-Dessau"^"^^, nicht hingegen in Preußen) geltendes Recht wurde. Deshalb nahm sich dann das Plenum der Paulskirchenversammlung dieser Entwicklung an.'^'^'^ [256.] Wollte man die Rolle des Deutschen Bundes in der Handelsfrage für die Zeit des Vormärz', aber auch danach überhaupt positiv bewerten, so darf man allenfalls konstatieren, daß er als Institution die zunehmende wirtschaftHche Integration seiner Mitgheder nicht hinderte. Die Bedeutung der Art. 19 DBA, 65 WS A beschränkte sich damit letztlich darauf, den Bund von den wesentlichen deutschen Wirtschaftsfragen femzuhalten; ungewollt bereitete er dem politisch hinter Österreich lange Zeit „ewig Zweiten", Preußen, eine neue Basis, auf der er seinem hegemonialen Rivalen mit Erfolg den Rang ablaufen konnte. [257.] Ebenfalls nur Zaungast war der Bund hinsichtlich der in Art. 19 DBA angesprochenen Flußschiffahrt. Hierüber sollte die Bundesversammlung zwar nach Anleitung der auf dem Kongreß zu Wien angenommenen Grundsätze - gemeint waren die Art. 108-116 WKA, welche die Freiheit der Flußschiffahrt betrafen - in Beratung zu treten. Doch wurde diese Schiffahrtsfreiheit letztlich, ohne daß der Bund daran direkt beteiligt gewesen wäre, von den betroffenen Anrainerstaaten für die Elbe in der Elbschiffahrtsakte vom 23. Juni 1821"^"^^ für die Weser in der Weserschiffahrtsakte vom 10. September 1823"^"^^ und für den Rhein in der Rheinschiffahrtsakte vom 31. März 1831"^^° völkerrechtlich verbindlich vereinbart. [258.] Erst nach seiner Restaurierung im Jahre 1851 nahm sich der Bund zunehmend gesamtdeutscher Wirtschafts- und Handelsfragen an. Dies geschah (verfassungs)rechtlich über die für den Handels- und Wirtschaftsverkehr bedeutsamen „gemeinnützigen Anordnungen" im Sinne des Art. 64 WSA. Hierunter waren vom Bund erlassene, fiir die Mitgliedstaaten verbindliche Regelungen zu verstehen, deren Zweck sich nur durch die zusammenwirkende Teilnahme aller Bundesstaaten vollständig erreichen ließ. In concreto beschäftigte sich der Bund namentlich mit der Einführung von gleichen Maß- und Gewichtseinheiten, eines Handelsgesetzbuches und von einheitlichen Patentregelungen. Derartige Aktivitäten setzten indes entsprechende Anträge einzelner Mitgliedstaaten voraus, von deren Zweckmäßigkeit und Ausführbarkeit im Allgemeinen sich die Bundesversammlung dann überzeugt zeigen mußte. So wurde etwa seit 1856 ausgerechnet auf Antrag Bayerns die Ausarbeitung eines Entwurfs zu einem allgemeinen Handelsgesetzbuch

Abgedruckt in: ProtocoUe der zur Berathung einer Allgemeinen Deutschen Wechsel-Ordnung in der Zeit vom 20. October bis zum 9. December 1847 in Leipzig abgehaltenen Conferenz, 1848, S. 269-288. "^^^ Bekanntmachung vom 4. März 1848 (Gesetzsammlung für das Herzogthum Anhalt-Dessau 1848, S. 1369). ^^^ F. Wigard (Hrsg.), Stenographischer Bericht über die Verhandlungen der deutschen constituirenden Nationalversammlung zu Frankfurt a. M., 4. Band, 94. Sitzung vom 10. Oktober 1848, S. 2525. 448 P. A. G. Meyer (Fußn. 5), S. 351 ff. 449 Abgedruckt in: a. a. O., S. 379. 450 Abgedruckt in: a. a. O., S. 278 ff.

§ 3: Der Deutsche Bund (1815 - 1866)

149

beschlossen."^^^ Nach seiner Fertigstellung Anfang Mai 1861"^^^ wurden von der Bundesversammlung getreu der sich aus den Art. 19 DBA, 64 WS A herleitbaren nur schwachen kompetenziellen Basis des Bundes durch Beschluß vom 31. Mai 1861 sämtliche Regierungen eingeladen, dem Entwurf „baldmöglichst und unverändert im geeigneten Wege Gesetzeskraft in ihren Landen zu verschaffen"."^^^ Dem kamen mit Ausnahme Holsteins und Schaumburg-Lippes bis Anfang 1866 alle Staaten nach. [259.] Durch Beschluß der Bundesversammlung wurde auf Antrag mehrerer Mitgliedstaaten wegen der Einführung einer gemeinschaftlichen Patentgesetzgebung seit 1860 beraten, entsprechende Entwürfe bis zum 16. Mai 1863 fertiggestellt. Mit Beschluß vom 8. Oktober 1863"^^"^ ersuchte die Bundesversammlung die Regierungen der Einzelstaaten, sich darüber zu äußern, in welchem Umfange sie geneigt waren, die Entwürfe zur gesetz- bzw. vertragsmäßigen Geltung zu bringen. Ebenfalls im Jahre 1860 begannen auf Antrag mehrerer Mitgliedstaaten"^^^ Bestrebungen seitens des Bundes, sich um die Einführung von gleichen Maß- und Gewichtseinheiten in den Mitgliedstaaten zu kümmem."^^^ Nach langwierigen Diskussionen beendete eine erst 1865 in dieser Angelegenheit gebildete Sachverständigenkommission^^^ erfolgreich ihre Arbeit und legte am 8. Februar 1866 den „Entwurf einer deutschen Maß- und Gewichtsordnung" vor, der die Einführung des metrischen Maßsystems in ganz Deutschland zum Gegenstand hatte."^^^ Am 22. Februar 1866 wurden auch hier die Regierungen von der Bundesversammlung ersucht, sich darüber zu äußern, ob sie geneigt seien, den Bestimmungen des Entwurfs in ihren Ländern Gesetzeskraft zu verleihen."^^^ Aufgrund des sich zuspitzenden österreichisch-preußischen Konflikts und des daraus resultierenden baldigen Endes des Bundes blieb dieses Ersuchen indes ohne Resonanz aus den Mitgliedstaaten.

^^^ Vgl. Protokolle der Bundesversammlung, 8. Sitzung vom 21. Februar 1856, § 71; 12. Sitzung vom 3. April 1856, § 116; 14. Sitzung vom 17. April 1856, § 141; 33. Sitzung vom 18. Dezember 1856, §352. '^^^ A. a. O., Beilage zu § 132 des Protokolls der 16. Sitzung vom 8. Mai 1861. 453 A. a. O., 18. Sitzung vom 31. Mai 1861, § 151. 454 A. a. O., 30. Sitzung vom 8. Oktober 1863, § 237. 455 Bayern, Sachsen, Württemberg, Hessen, Nassau, Sachsen-Meiningen und Sachsen-Altenburg. 456 Ygj Protokolle der Bundesversammlung, S.Sitzung vom 23. Februar 1860; 20. Sitzung vom 28. Juni 1860, § 172. 457 A. a. O., 12. Sitzung vom 27. April 1865, § 80; 17. Sitzung vom 22. April 1865, § 109. 45^ A. a. O., Anlage zu § 37 des Protokolls der 5. Sitzung vom 8. Februar 1866. 459 A. a. O., 7. Sitzung vom 22. Februar 1866, § 55.

150

1. Abschnitt: Gesamtdeutsche Verfassungsentwicklung (1803/06-1918)

XIII. Fazit [260.] Der Bund stellte gegenüber den überlebten Formen des alten Reichs für Deutschland immerhin einen Fortschritt, obendrein einen Gewinn an Einheit dar."^^^ Er war nicht deshalb schwach, weil er von Verfassungs wegen die Möglichkeit zur Stärke nicht gehabt hätte, sondern weil seine tonangebenden Mitglieder diese Stärke nicht wirklich wollten. Wir dürfen an dieser Stelle ein Einhergehen von kompetentieller Stärke und gravierender institutioneller Schwäche konstatieren. Kurios erscheint es indes im Nachhinein, daß es nicht diese bundesfeindlichen Bestrebungen waren, die dem Bund am Ende zum Verhängnis wurden. Sie machten ihm allenfalls bis in die 1850er Jahre hinein zu schaffen. Längst schon hatte nüchternes politisches Kalkül der in ihrem Dualismus heillos verfangenen Führungsmächte Österreich und Preußen diese Phänomene überlagert. Und letzteres instrumentalisierte nach 1848 die nationale Frage in einer Weise, welche die vom Bund der deutschen Nation angelegten Ketten endgültig sprengen würden.

H. Boldt, Deutsche Verfassungsgeschichte (Fußn. 267), S. 137.

§ 4: Reichsverfassungsbestrebungen 1848 - 1850

151

§ 4: Reichsverfassungsbestrebungen 1848 - 1850 I. Paulskirche 1. Vorgeschichte [261.] In der zweiten Hälfte der 1840er Jahre begann sich der oftmals mit bloßer Repression gegen aufkeimende politische Opposition vorgehende Deutsche Bund allmählich zu erschöpfen. Immer mühsamer wurde es, die ungeachtet des in Art. 2 des Bundesbeschlusses vom 5. Juli 1832 („Zehn Artikel")^ ausgesprochenen Verbots politischer Parteien spürbar erstarkenden national und demokratisch gesinnten bürgerlichen Bewegungen namentlich im deutschen Südwesten wirksam zu unterdrücken. So forderten etwa am 12. September 1847 südwestdeutsche Demokraten in Offenburg die Aufhebung aller seit dem Jahre 1819 erlassenen Ausnahmegesetze, verlangten nach Preß-, Gewissens-, Lehr- und persönlicher Freiheit, einer Volksvertretung beim Deutschen Bund, allen zugänglicher Bildung durch Unterricht, Volksbewaffiiung, der Vereidigung des Militärs auf die Verfassung, gerechter Besteuerung, Ausgleich der Mißverhältnisse zwischen Arbeit und Kapital, Geschworenengerichten, „Selbstregierung des Volks" sowie nach Abschaffung aller Vorrechte (sogenanntes „Offenburger Programm"^). Gemäßigte Liberale vornehmlich aus Südwest- und Westdeutschland trafen sich kaum einen Monat später (am 10. Oktober 1847) in Heppenheim. Dort forderte man in erster Linie „zur Förderung der Nationalanliegen", eine nationale Regierung und eine Nationalvertretung zu bilden. Diese konnte man sich teilweise im Rahmen des Deutschen Bundes, teilweise aber auch nur außerhalb der bisherigen Bundesstrukturen im Rahmen des seit 1834 bestehenden und künftig verfassungspolitisch aufgewerteten und durch den Beitritt der noch nicht zugehörigen Länder (insbesondere Österreichs, genauer seiner deutschen Gebiete) zum Deutschen Zollvereins vorstellen. Insoweit hatte man in den Reihen der Liberalen hinsichtlich der Verortung künftiger national(staatlich)er Institutionen offenbar durchaus unterschiedliche Vorstellungen. Freiheitsforderungen, rechtsstaatliche Grundsätze und ein gemäßigtes sozialpolitisches Programm (namentlich die Grundlastenablösung) bildeten weitere Gegenstände dieses als „Heppenheimer Programm"^ bekannt gewordenen Versammlungsprotokolls. Gemeinsam war Offenburger wie Heppenheimer Programm jedenfalls der Gedanke, daß der Nationalstaat nicht das Werk der deutschen Regierungen, sondern der gesamten deutschen Nation sein müsse. Eine von der Bevölkerung gewählte Nationalvertretung hätte danach jedenfalls den Nationalstaat zu konstituieren gehabt. [262.] Noch vor den ersten revolutionären Erscheinungen in Frankreich und Deutschland mündeten diese Vorstellungen in dem an den badischen Großherzog Leopold adressierten Antrag des Abgeordneten F. D. Bassermann in der Zweiten Dok.51. Abgedruckt in: E. R. Huber (Hrsg.), Dokumente zur Deutschen Verfassungsgeschichte: Bd. 1: Deutsche Verfassungsdokumente 1803 - 1850, 3. Aufl., 1978, Nr. 71. Abgedruckt in: a. a. O., Nr. 72.

152

1. Abschnitt: Gesamtdeutsche Verfassungsentwicklung (1803/06-1918)

Kammer des Großherzogtums vom 5./12. Februar 1848. Hier ging es allerdings noch um die ausdrückliche Befürwortung einer Reform der bestehenden Bundesverfassung, für die der badische Großherzog sich bei der Bundesversammlung einsetzen sollte. Es war daran gedacht, „zur Vertretung der deutschen Nation Ständekammern am Bundestage als ein sicheres Mittel zur Erzielung gemeinsamer Gesetzgebung und einheitlicher Nationaleinrichtungen'"^ zu installieren. Bereits nach den revolutionären Ereignissen in Frankreich, aber noch bevor Unruhen mit voller Wucht auf Deutschland übergriffen, erfolgte unter dem Eindruck der französischen Verhältnisse am 28. Februar 1848 ein zwar weitergehender Vorstoß H. von Gagems in der hessen-darmstädtischen Zweiten Kammer, demzufolge sich der Großherzog Ludwig IL angesichts der „ so . . . von außen Gefahr drohenden Umstände" bei der Bundesversammlung über die „Nationalrepräsentation" hinaus um eine übergangsweise einzusetzende Nationalregierung bemühen mochte.^ Doch zielten diese Bestrebungen lediglich auf eine allenfalls zeitweilige Verdrängung der Bundesversammlung.^ Es wäre wohl bei diesen politischen Postulaten geblieben, hätte nicht das mit dem 27. Februar 1848 von Mannheim für das restliche Deutschland ausgehende Revolutionsfanal alle deutschen Regierungen spätestens in der zweiten Märzhälfte zum Einlenken gezwungen. [263.] Beinahe zeitlich parallel zu den demokratischen und liberalen Manifesten des Septembers und Oktobers 1847 begannen aber auch konkrete Pläne einer Bundesreform von oben zu reifen. Denn angesichts der seit 1840 stetig an Kraft zunehmenden Forderungen nach einem Nationalstaat mußte sich auch bei den deutschen Regierungen allmählich die Einsicht durchsetzen, daß der nationale Einheitsgedanke sich auf Dauer nicht erfolgreich unterdrücken ließ. Ln Gegenteil: weiterer Widerstand dagegen konnte einen nationalrevolutionären Umsturz und damit einhergehend die Gesamtstaatsbildung von unten - wie sie in den Offenburger und Heppenheimer Programmen postuliert wurde - herausfordern. Vor diesem Hintergrund ist die auf den 20. November 1847 datierte und vom preußischen König Friedrich WilheknlV. vorbehaltlos gebilligte „Denkschrift über die vom Deutschen Bund zu ergreifenden Maßregeln"^ des preußischen Militärbevollmächtigten beim Bund, von Radowitz, zu sehen. Diese Maßregeln sollten „die Wehrhaftigkeit stärken; den Rechtsschutz ordnen und ergänzen; die materiellen Bedürfnisse befriedigen". Zu diesem Zweck müsse Österreich an den Bund gefesselt und zur Zusammenarbeit mit Preußen bestimmt sowie der „Souverainitätsschwindel" und der Egoismus der einzelnen Regierungen überwunden werden. Hierzu schlug er die Einberufung eines Ministerkongresses vor, auf dem die siebzehn Stimmen des „Engeren Rats" der Bundesversammlung vertreten wären. Dort hätten dann die „obersten Normen" für eine nationalstaatlich ausgerichtete Bundesreform festgestellt werden sollen. Geleitet von dieser Programmatik schickte man sich in den nächsten Monaten preußischerseits an, die Präsidialmacht des Bundes, Österreich, für eine Weiterentwicklung der Bundesverfassung zu gewinnen. Man stieß offenbar nicht auf taube Ohren, denn am 10. März 1848 unterzeichneten ^ ^ 6

^

Abgedruckt in: H. Fenske, Vormärz und Revolution, 1976, S. 257 Text abgedruckt in: a. a. O., S. 266. J.-D. Kühne, Die Reichsverfassung der Paulskirche, 2. Aufl., 1998, S. 35. Abgedruckt in: C M von Radowitz, Deutschland und Friedrich Wilhelm IV., 1848, S. 39 ff.

§ 4: Reichsverfassungsbestrebungen 1848 - 1850

153

bar nicht auf taube Ohren, denn am 10, März 1848 unterzeichneten Mettemich und Radowitz eine entsprechende österreichisch-preußische Punktation, die überdies - wie das als deren offizielle Verlautbarung erst auf den 15. März 1848 datierte gemeinsame Manifest beider Regierungen^ - die Einladung sämtlicher deutscher Regierungen für den 25. März 1848 nach Dresden vorsah. - Zu spät, wie die schon wenige Tage nach der Vereinbarung vielerorts einsetzenden revolutionären Unruhen zeigten. Diese begruben dann aber nicht nur die Hoffiiungen der Mächte auf eine noch mögliche Bundesreform von oben, sondern bildeten zweifellos auch eine Zäsur für die deutsche Verfassungshistorie. [264.] Dieser Zäsur gleichsam als Zündfunke vorangegangen war - worauf W. Siemann^ TM Recht hinweist - aber auch eine die politische Stimmung in Deutschland massiv mit beeinflussende europäische Entwicklung. Allen voran sei hier auf den Schweizer Sonderbundskrieg verwiesen, der im November 1847 mit dem militärischen Sieg der liberalen über die konservativen Kantone endete und den Weg der bis dahin staatenbündischen Schweiz in einen Bundesstaat mit Zentralregierung und Bundeshauptstadt ebnete. Diese Entwicklung ignorierte immerhin die mit der Wiener Kongreßakte (Art. 74 ff.) geschaffene, bis dahin weitgehend in statischem Zustand verharrende europäische Ordnung. Doch vollzog sich damit in der Eidgenossenschaft der namentlich im Südwesten Deutschlands mit Anteihiahme verfolgte Prozeß der Nationenbildung, den vornehmlich die deutschen Liberalen und Demokraten auch auf Deutschland zu übertragen gedachten. In Italien gab es sogar bereits im September 1847 erste gegen die dort bislang absolutistisch regierenden Herrscher gerichtete Aufstände, die im Königreich Neapel-Sizilien schon Ende Januar 1848 in ein königliches Verfassungsversprechen und eine am 16. Februar 1848 erlassene Verfassung mündeten. Ebenfalls noch im Februar 1848 erhielt das Königreich Sardinien-Piemont eine Verfassung. Gerade die radikalere Opposition bekam durch die Erfolge der schweizerischen und italienischen Bewegungen enormen Auftrieb. Als sich daim auch noch die aus dem revolutionären Frankreich kommende Nachricht vom Sturz des Königs Louis Phillipe und von der Ausrufung der französischen Republik im Februar (22. - 24.) 1848 in den deutschen Einzelstaaten wie ein Lauffeuer verbreitete, entlud sich dies in sozialen Unruhen der Bauern und Arbeiter, denen sich oftmals auch die Studenten anschlossen. Doch standen längst die liberal und national gesinnten Bewegungen bereit, um zu den eigentlich treibenden politischen Kräften zu avancieren. [265.] Gleichsam über Nacht erschütterte diese Entwicklung den Deutschen Bund und die in ihm organisierte monarchische und städtisch-patrizische Staatenwelt. Zunächst durch Massenveranstaltungen wie in Marmheim, Karlsruhe und Stuttgart aufgewühlt, nahm diese Volksbewegung den Charakter offenen Aufruhrs an. So standen etwa schon in den ersten Märztagen in Württemberg und im hessen-darmstädtischen Schlösser von Standesherren und ritterlichem Adel in Flammen; Amtsgebäude wurden erstürmt und die erbeuteten Akten vernichtet. Die Fackel des Aufruhrs erfaßte dann Frankfurt a. M., Nassau und Kurhessen, wenig später Wien. Dort kam es am 13. März 1848 zur Errichtung von Barrikaden und zu A. a. O., S. 67. Vom Staatenbund zum Nationalstaat, 1995, S. 363 f.

154

1. Abschnitt: Gesamtdeutsche Verfassungsentwicklung (1803/06-1918)

Straßenkämpfen der Aufständischen mit der Armee. Der soeben noch einflußreichste Mann seiner Zeit und zugleich die bis dahin politisch führende Persönlichkeit des Deutschen Bundes, der österreichische Staatskanzler Mettemich, sah sich genötigt, noch am selben Tage zurückzutreten, und floh nach England. Am 18. März 1848 hatte schließlich auch Berlin seine Barrikadenkämpfe mit mehr als 200 Todesopfern. [266.] Im Zuge dieser Entwicklung kam es - wie Monate zuvor in Offenburg und Heppenheim - am 5. März 1848 zu einer neuerlichen Zusammenkunft politisch Oppositioneller; diesmal waren es insgesamt 51 Männer aus sieben verschiedenen Mitgliedstaaten des Deutschen Bundes (Preußen, Bayern, Württemberg, Baden, Hessen-Darmstadt, Nassau und Frankfurt). Diese Versammlung verlangte, ohne dafür auch nur das Mandat irgendeiner Seite zu haben, nach einer „in allen Landen nach der Volkszahl gewählten Nationalvertretung". Sie beschloß^^, „baldmöglichst eine vollständigere Versammlung von Männern des Vertrauens aller deutschen Volksstämme" einzuberufen, welche „diese wichtigste Angelegenheit weiter zu berathen" hätte. Mit der Durchführung wurden sieben Teilnehmer der Veranstaltung betraut, die als sogenannter „Siebenerausschuß" sowohl Vorschläge zur Wahl und der Einrichtungen einer angemessenen Nationalvertretung vorzubereiten, als auch die Einladung der betreffenden Personen „schleunigst zu besorgen" hatten. In welchem Verhältnis diese Nationalvertretung zur Bundesversammlung stehen sollte, blieb offen. Fest steht jedoch, daß man eine „Hauptaufgabe der Nationalvertretung" in der „Gemeinschaftlichkeit der Vertheidigung und der Vertretung nach Außen" sah; Aufgaben bzw. Zuständigkeiten, die bislang allein der Bundesversammlung oblagen (Art. 2 DBA). Da letztere indes nach den Art. 4 DBA, 10 WS A das einzige handlungsbefugte Organ war, bedeutete der angestrebte Übergang originärer Bundeskompetenzen wegen der damit verbundenen Unvereinbarkeit mit Art. 4 WS A in jedem Fall eine unzulässige Umgestaltung des Deutschen Bundes. [267.] Der Siebenerausschuß lud mit einem auf den 12. März 1848 datierten Schreiben auftragsgemäß für den 30. März 1848 „alle früheren und gegenwärtigen Ständemitglieder und Theilnehmer an gesetzgebenden Versammlungen in allen deutschen Landen" sowie eine „bestimmte Anzahl anderer durch das Vertrauen des deutschen Volkes ausgezeichnete Männer" zu einem Vorparlament nach Frankfurt a. M. ein.^^ [268.] Bei allen regional bedingten Unterschieden in der Motivation der Märzbewegung rückten - insoweit verallgemeinemngsfähig - neben die soeben erwähnte Forderung nach einer Nationalvertretung Forderungen, wie diejenigen nach liberalen und volkstümlichen Regierungen, Pressefreiheit, Liberalisierung des Wahlrechts, Bürgerwehr, Schwurgerichte und Öffentlichkeit der Gerichtsverfahren. In dieser Situation war an die bereits erwähnte, auf den 25. März 1848 in Dresden festgesetzte Regierungskonferenz zur Bundesreform von oben nicht mehr zu denken.

^^ Beschluß abgedruckt in: H. Fenske (Fußn. 4), S. 271. 1 ^ Text abgedruckt in: E. R. Huber (Fußn. 2), Nr. 74.

§ 4: Reichsverfassungsbestrebungen 1848 - 1850

155

[269.] Eingeschüchtert durch den schnellen Sturz der französischen Monarchie und von der Vehemenz der Unruhen willigten die deutschen Fürsten zunächst für ihre eigenen Staaten ohne weiteren nennenswerten Widerstand in die „Märzforderungen" ein. Namentlich die bisherigen Regierungen wurden entlassen und durch zumeist bürgerlich-liberale Kabinette ersetzt. Obendrein demokratisierte man zügig die Wahlrechtsbestimmungen und setzte Wahlen zu Repräsentativversammlungen an. Diese Versammlungen sollten liberal-konstitutionelle Reformen erarbeiten. [270.] Im Hinblick auf das künftige politische Schicksal Deutschlands richteten sich bald alle Blicke nach Frankfurt a. M. So setzte die Bundesversammlung am 29. Februar 1848 zunächst einen ihr künftiges Vorgehen beratenden „politischen Ausschuß" ein. Auf dessen Vorschlag beschloß sie am 10. März 1848^^, sämmtliche Bundesregierungen" einzuladen, „Männer des allgemeinen Vertrauens, und zwar für jede der siebzehn Stimmen des engem Raths einen," spätestens bis Ende März 1848 abzuordnen, um „der Bundesversammlung und deren Ausschüssen zum Behufe der Vorbereitung der Revision der Bundesverfassung mit gutachtlichem Beirath an die Hand zu gehen". Bis Ende März trafen indes bloß neun der für diesen von der Bundesversammlung kooptierten sogenannten „Siebzehnerausschuß" vorgesehenen Männer ein. Auf Vorschlag des sich am 30. März 1848 zu einer gemeinsamen Sitzung zusammenfindenden Ausschusses und eines erst am 29. März 1848 von der Bundesversammlung eingesetzten Revisionsausschusses beschloß sie noch am selben Tag, die Regierungen der Mitgliedstaaten zur Anberaumung von Volkswahlen aufzufordern.^^ Auf je 70.000 Einwohner würde ein Abgeordneter kommen; in diese Anzahl nicht erreichenden kleineren Staaten sollte zumindest ein Abgeordneter gewählt werden. Mit einer derart konstituierten Versammlung gedachte man, „zwischen den Regierungen und dem Volke das deutsche Verfassungswerk zu Stande zu bringen". Damit kam die Bundesversammlung dem erst tags darauf zusammentretenden Vorparlament zuvor. Vom Siebzehnerausschuß wurde noch vor Zusammentritt der späteren Nationalversammlung der federführend von dem norddeutschen Liberalen Dahlmann in nur drei Wochen mit ausgearbeitete „Entvmrf des deutschen Reichsgrundgesetzes"^"^ erstellt und am 27. April 1848 der Bundesversammlung übergeben. Der Deutsche Bund mit allen ihm zugehörigen Gebieten hätte sich danach von einem Staatenbund zu einem Bundesstaat gewandelt (§1 des Entwurfes), obwohl dies von Bundesverfassungs wegen überhaupt nur unter Verletzung der Art. 4 Satz 2, 5 WSA möglich war! Immerhin gestand der Entwurf der „Reichsgewalt" einen beachtlichen Kompetenzkatalog zu (§ 3 des Entwurfes). Reichsoberhaupt und Reichstag hätten in sich die Reichsgewalt vereinigt (§ 4 des Entvmrfes). Reichsoberhaupt wäre ein erblicher Kaiser gewesen; zudem vmrde skizzenhaft zur Beftignis der Reichsregierung sowie zur Finanzverfassung Stellung genommen (vgl. die §§ 5 10 des Entwurfes). Breiten Raum nahmen die Bestimmungen über den Reichstag ein (§§ 1 1 - 2 1 des Entwurfes). Ein Reichsgericht war ebenso vorgesehen (§§ 22 Dok. 73. Dok. 74. Protokolle der Bundesversammlung, 42. Sitzung vom 26. April 1848, Beilage.

156

1. Abschnitt: Gesamtdeutsche Verfassungsentwicklung (1803/06-1918)

24 des Entwurfes) wie „Grundrechte des deutschen Volkes" (§ 25 des Entwurfes). Außerdem enthielt der Entwurf Bestimmungen über die Verfassungsgewähr (§§ 26 - 30). Zwar blieb angesichts der politischen Verhältnisse für die sofortige Vorlage und Annahme des Entwurfs kein Raum.^^ Doch war dieser Entwurf keineswegs so folgenlos, wie bisweilen vermutet. Denn wenngleich die Nationalversammlung bei ihren späteren Verfassungsberatungen diesen Entwurf nicht förmlich zugrundelegte, so waren die in ihm enthaltenen Vorschläge für die Verfassungsarbeit teilweise bis in die Formalien der Gliederung unverkennbar prägend. So war etwa das Erbkaisertum, zu dem sich die spätere Reichsverfassung von 28. März 1849^^ bekannte, in dem Entwurf der Siebzehn bereits enthalten. [271.] Das sich bestimmungsgemäß am 31. März 1848 ebenfalls in Frankfurt a. M. konstituierende Vorparlament bestand aus insgesamt 574 von dem Siebenerausschuß der Heidelberger Versammlung berufenen Mitgliedern der deutschen Ständeversammlungen sowie „Männer des Vertrauens unseres Volkes". Darunter waren insgesamt 141 preußische, indes nur zwei österreichische Vertreter. Ungeachtet seiner fehlenden Legitimation wird man im Vorparlament die unmittelbare Vorstufe zu der spätestens seit Heidelberg geforderten Nationalvertretung zu sehen haben. Es tagte in insgesamt vier Plenarsitzungen bis zum 3. April 1848 und bekam seitens des Siebenerausschusses ein vier Punkte umfassendes Bundesreformprogramm^^, letztlich nicht mehr als ein „sehr allgemein gehaltener Umriß"^^, zur weiteren Beratung vorgelegt. Dieses behandelte (1.) die Einsetzung eines Bundesoberhaupts und eines verantwortlichen Ministeriums, (2.) die Umwandlung der Bundesversammlung in einen von den Einzelstaaten beschickten Senat, (3.) die Wahl eines Volkshauses in direkten Wahlen (für 70.000 Einwohner je ein Abgeordneter), (4.) die Überleitung der auswärtigen Angelegenheiten, des Heer-, Handels-, Zoll- und Verkehrswesens, des Zivil-, Straf- und Prozeßrechts, die Verbürgung staatsbürgerlicher Freiheitsrechte und eine Bundesgerichtsbarkeit. [272.] Das Vorparlament selbst begriff sich indes nach der Vorstellung seiner Mehrheit lediglich als außerordentliche Versammlung und vermied es daher weitgehend, definitive Entscheidungen zu treffen. Derartiges geschah hinsichtlich der bisherigen Bundesverfassung nur insoweit, als es eine Ausdehnung des Bundesgebiets auf Ost- und Westpreußen sowie Schleswig veranlaßte. Österreich sollte nur mit seinen bundeszugehörigen Teilen zur Wahl der Nationalversammlung zugelassen werden. Es hatte femer ein nach allgemeinen und gleichen Grundsätzen durchzuführendes Mehrheitswahkecht mit ca. 50.000 Einwohnern pro Wahlkreis gelten; wobei kleinere Staaten, die eine geringere Einwohnerzahl aufwiesen, gleichwohl einen selbständigen Wahlkreis bildeten. Zudem lehnte es das Vorparlament mit großer Mehrheit ab, sich für permanent zu erklären. Die Entscheidung über eine künftige Verfassung blieb damit entgegen dem ursprünglichen Willen der Heidelberger Versammlung zunächst offen und bis auf weiteres der Nationalversammlung vorbehalten. Überdies wurden Beschlüsse zur Wahl einer konstitu15 16 1^ 1^

J.-D. Kühne (Fußn. 6), S. 43. Dok. 106. Abgedruckt in: H. Fenske (Fußn. 4), S. 273. K. Jürgens, Zur Geschichte des Deutschen Verfassungswerkes, 1. Abth., 2. Aufl., 1856, S. 31.

§ 4: Reichsverfassungsbestrebungen 1848 - 1850

157

ierenden Nationalversammlung gefaßt. Des weiteren forderte man (am 2. April 1848) die Aufhebung der seit den Karlsbader Beschlüssen des Jahres 1819 ergangenen Ausnahmegesetze des Deutschen Bundes und die Abberufung der Bundestagsgesandten, die seinerzeit daran mitgewirkt hatten. Ersteres geschah - wie bereits anderenorts geschildert - noch am selben Tage; letzteres wurde vom österreichischen Präsidialgesandten, Graf CoUoredo, zugesichert. Organisatorisch wurde schließlich ein Ausschuß der Fünfzig eingesetzt, der bis zum Zusammentritt der Nationalversammlung befugt sein sollte, die Bundesversammlung selbständig zu beraten und nötige Anträge an sie zu richten sowie bei Gefahr für das Vaterland das Vorparlament sofort wieder einzuberufen. [273.] Die Bundesversammlung beeilte sich mit Blick auf die Wahlrechtsfrage, die von ihrem Beschluß vom 30. März 1848 abweichenden Forderungen des Vorparlaments zu erfüllen. Bereits am 7. April 1848 beschloß sie bei Stimmenthaltung des dänisch-holsteinischen Vertreters das „Bundeswahlgesetz" für die Wahl der Volksvertreter zur konstituierenden Nationalversammlung.^^ Dieser (zweite) Beschluß ersuchte die Regierungen, diese Wahlen so zu beschleunigen, daß die Nationalversammlung sich am 1. Mai 1848 konstituieren könnte; doch erwies sich dies als zu kurz terminiert. Oftmals fanden die Wahlen unter Beteiligung von regelmäßig wohl kaum mehr als 40 % der Wahlberechtigten^^ überhaupt erst am 1. Mai (z. B. in Preußen) oder noch danach (z. B. in Österreich am 3. Mai) statt, so daß die gewählte Nationalversammlung letztlich am 18. Mai 1848 zu ihrer ersten Sitzung in der Frankfurter Paulskirche zusammentrat. Der Bundesbeschluß vom 7. April 1848 war nicht etwa - wie immer wieder behauptet wird^^ - „bundesrechtlich korrekt" zustande gekommen. Denn er zielte auf die Beseitigung des Staatenbundcharakters des Bundes zugunsten der Begründung eines Bundesstaates. Dies wiederum widersprach dem wegen Art. 4 Satz 2 i. V. m. Art. 5 WS A unveränderbaren „Geiste der Bundes-Acte" und wich von dem ebenfalls nicht „legal" (also auch nicht einstimmig!) modifizierbaren „Grund-Charakter des Bundes" ab. Auf dieser bundesverfassungsrechtlich mehr als zweifelhaften Grundlage ordneten die Landesregierungen die in ihrer Verantwortung durchzuführenden Wahlen zur deutschen Nationalversammlung an. 2. Nationalversammlung und Reichsgewalt [274.] In ihrer ersten Sitzung wählte die Nationalversammlung Heinrich von Gagem zu ihrem Präsidenten. Sie bestand ungeachtet der gesetzlich vorgesehenen Mitgliederzahl von 649 Abgeordneten wegen des Wahlboykotts in zahlreichen, vor allem in Böhmen, Mähren und Slowenien gelegenen österreichischen Wahlkreisen tatsächlich nur aus 585 Abgeordneten und läßt sich am kürzesten als bürgerliches Honoratiorenparlament charakterisieren. Sie war weniger das häufig als 19 20

Dok. 76. J.-D. Kühne (Fußn. 6), S. 51; vgl. aber auch D. Willoweit, Deutsche Verfassungsgeschichte, 4. Aufl., 2001, S. 262, demzufolge die Wahlbeteiligung in den Wahlkreisen zwischen 40 und 75 % geschwankt haben soll. So etwa E. R. Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789, Bd. 2: Der Kampf um Einheit und Freiheit 1830-1850, 3. Aufl., 1988, S. 606.

158

1. Abschnitt: Gesamtdeutsche Verfassungsentwicklung (1803/06-1918)

„Professorenparlament" beschriebene Gremium als eine von Akademikern, insbesondere Juristen (Richtern, Staatsanwälten, Rechtsanwälten, höheren Verwaltungsbeamten, Universitätsprofessoren), dominierte Versammlung. [275.] Die Nationalversammlung beanspruchte für sich von Beginn an, die alleinige Kompetenz zur Verfassungsgebung. So beschloß sie frühzeitig durch Reichsgesetz vom 28. Juni 1848^^, eine provisorische Zentralgewalt für Deutschland einzusetzen (Nr. 1 des Gesetzes), die bei einem Reichsverweser liegen (Nr. 5 des Gesetzes) und durch von ihm ernannte, der Nationalversammlung verantwortliche Minister ausgeübt werden sollte (Nr. 6 Satz 2 des Gesetzes), Der Reichsverweser sollte befugt sein, „die vollziehende Gewalt . . . in allen Angelegenheiten, welche die allgemeine Sicherheit und Wohlfahrt des deutschen Bundesstaates" betrafen, „die Oberleitung der gesammten bewaffneten Macht" sowie die „völkerrechtliche und handelspolitische Vertretung Deutschlands auszuüben" (Nr. 2 des Gesetzes). Obendrein durfte er nicht Mitglied der Nationalversammlung sein (Nr. 12 des Gesetzes). Auf Vorschlag von Gagems wählte man daher bereits tags darauf (29. Juni 1848) den auch in bereiten Bevölkerungskreisen populären Erzherzog Johann von Österreich; einen Akt, den die Bundesversammlung übrigens in einer Glückwunschadresse an den Großherzog noch am selben Tag einhellig begrüßte.^^ Des weiteren verfügte die Nationalversammlung in diesem Reichsgesetz, daß mit dem Eintritt der Wirksamkeit der provisorischen Zentralgewalt „das Bestehen des Bundestages" aufhöre (Nr. 13 des Gesetzes). Hierin drückte sich in besonderem Maße das Selbstverständnis der Nationalversammlung aus, die sich wie selbstverständlich dem von Bundesverfassungs wegen einzigen Bundesorgan gegenüber als übergeordnet ansah. Dies schien nur zwei Wochen später auch die Bundesversammlung in ihrer vorerst letzten Sitzung am 12. Juli 1848'^^ anzuerkennen, in der sie die Übertragung „ihrer verfassungsmäßigen Befugnisse und Verpflichtungen auf die provisorische Centralgewalt" beschloß und erklärte, daß sie „ihre bisherige Thätigkeit als beendet" ansehe. Allerdings vermochte die Bundesversammlung in Ansehung des nach wie vor geltenden Bundesrechts eine dauerhafte Einstellung ihrer Tätigkeit, erst Recht nicht ihre eigene Auflösung zu beschließen. Denn sie war das einzige und - noch wichtiger - gemäß der Art. 7 Abs. 5 Satz 1 DBA, 7 WSA das „beständige verfassungsmäßige Organ" des Bundes. Sie durfte sich, wie Art. 7 Abs. 5 Satz 1 DBA klarstellte, überhaupt nicht auf unbestimmte Zeit, schon gar nicht länger als vier Monate vertagen. Überdies hätte eine Selbstauflösung - wie Art. 4 Satz 2 WSA es betonte - mit dem „Geiste der Bundesacte . . . im Widerspruch" gestanden und wäre dem „Grund-Charakter des Bundes" zuwidergelaufen. Derartige Beschlüsse koimte die Bundesversammlung aber wegen Art. 10 WSA überhaupt nicht wirksam fassen. So gesehen darf dieser (von Rechts wegen nichtige) Beschluß - weim überhaupt! - allenfalls als eine Vertagung des Gremiums auf unbestimmte Zeit interpretiert werden; keineswegs aber als Auflösung der Bundesversammlung als verfassungsmäßige Institution des Deutschen Bundes. Erst recht nicht vermochte man auf diese Weise das Bundes22 Dok. 103. 2^ Protokolle der Bundesversammlung, 67. Sitzung vom 29. Juni 1848. 2"^ Dok. 77.

§ 4: Reichsverfassungsbestrebungen 1848 - 1850

159

verfassungsrecht zu beseitigten.^^ Darüber, ob hierbei bereits an eine spätere Reaktivierung für den Fall des Scheiterns der vorerst die Oberhand behaltenden Reichsbestrebungen gedacht war^^, läßt sich indes nur spekulieren. Jedenfalls konnte die österreichische Bundespräsidentschaft nach dem erneuten Zusammentritt der Bundesversammlung im Jahre 1850 im Einklang mit dem Bundesrecht verkünden, daß die „Bundesversammlung ihre seit mehr denn zwei Jahren unterbrochen gev^esene Thätigkeit wieder aufnehmen" werde.^^ [276.] Ungeachtet dessen gewährleistete dieses Verhalten des einzigen Bundesorgans äußerlich einen ziemlich reibungslosen Übergang der Bundeskompetenzen auf die neu geschaffene Reichsgewalt. Dieses Phänomen ließ sich am ehesten mit der noch immer wachsenden Verunsicherung der tradierten monarchischen Regimes angesichts der mittlerweile bestehenden liberalen und nationalen Bewegung im revolutionär aufgewühlten und nach neuen nationalen Orientierungsmarken fahndenden Deutschland erklären. Eine evolutionär sich von einem Staatenbund zu einem Bundesstaat wandelnde Entwicklung war dies indes nicht. Hierzu hätte es der legalen Überwindung der bundesverfassungsrechtlichen Strukturen bedurft; dies schlossen jedoch die Art. 4 Satz 2, 5 WSA kategorisch aus. [277.] Die Bundesversammlung hatte mit der Einstellung ihrer Tätigkeit (vorerst) allein die revolutionär geschaffenen Fakten anerkannt; sie avancierte damit günstigstenfalls zum Unterstützer einer sich allein aus sich selbst heraus legitimierenden Revolution. In jedem Falle leistete sie damit aber Beihilfe zu einer (bundes)rechtlich unzulässigen, faktisch aus ihrer Sicht ohnehin nicht verhinderbaren Verfassungsvemichtung. Was aus heutiger Betrachtung der Dinge allerdings längst nicht besagte, daß damit die Bundesverfassung tatsächlich erloschen war. Sie wurde von den revolutionären Akten der Nationalversammlung nämlich zunächst nur überlagert - lag so gesehen im Koma, war aber nach wie vor am Leben, so daß sie sowohl während als nach dem vergleichsweise kurzen Intermezzo des Reichsregimes weiter bestand. Nicht zuletzt dieser Umstand gestattete denn auch ihre von Rechts wegen unproblematische (Wieder-) Erweckung nach dem Scheitern der Reichsverfassung. [278.] Doch zurück zur Reichsgewalt: Der Reichsverweser bildete am 15. Juli 1848 ein Reichsministerium unter der Leitung des Fürsten Karl von Leiningen. Diesem fehlten indes nahezu alle wesentlichen Attribute tatsächlicher Macht, so daß es weitgehend auf das Wohlwollen der einzelstaatlichen Regierungen angewiesen war. Denn es mangelte an einem eigenen Behördenunterbau, an der Verfügungsgewalt über ein eigenes Heer und an eigenen Finanzmitteln. Ein Erlaß des Reichskriegsministers von Peucker, nach welchem die einzelstaatlichen Truppen dem Reichsverweser huldigen soUten^^, v^oirde nur in den kleineren Staaten befolgt. Die einzelstaatliche monarchische Regierungsgewalt verfiigte mit der Verwaltung und dem Militär also weiterhin über die in der Machtfrage zentralen Re25 26 27 28

So aber fälschlich W. Siemann, Gesellschaft im Aufbruch, Deutschland 1849 - 1871, 1990, S. 40. So K. Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 5, 2000, S. 248. Protokolle der Bundesversammlung, 1. Sitzung vom September 1850. Abgedruckt in: P. Roth/H. Merck (Hrsg.), Die Quellensammlung zum deutschen öffentlichen Recht seit 1848, Bd. 2, 1852, S. 9 ff.

160

1. Abschnitt: Gesamtdeutsche Verfassungsentwicklung (1803/06-1918)

servatrechte.^^ Fehlte es der provisorischen Reichsgewalt somit an innenpolitischer Durchsetzungskraft, so galt dies nicht minder außenpolitisch. Versagten ihr doch insbesondere die wichtigsten europäischen Mächte (Frankreich, England, Rußland) die völkerrechtliche Anerkennung. [279.] Ihrer Hauptaufgabe, der Schaffung einer Reichsverfassung, begann sich die Nationalversammlung, alsbald nach ihrer Konstituierung zu widmen. Bereits am 24. Mai 1848 setzte sie einen eigenen aus dreißig Abgeordneten bestehenden Verfassungsausschuß unter Vorsitz des bereits dem Siebzehnerausschuß angehörenden Liberalen Bassermann ein. Dieses Gremium entschloß sich, die Beratungen mit den Grundrechten zu beginnen. Angesichts jahrzehntelanger polizeistaatlicher Drangsaliemng schien die Behandlung dieses Aspekts vorrangig. Überdies verband der Verfassungsausschuß damit die Erwartung, daß es nach der Beschlußfassung über die Grundrechte leichter fallen würde, die schwer lösbaren Fragen der gesamtstaatlichen Ordnung zu regeln.^^ Denn während bei den Grundrechten lediglich bereits bestehende konstitutionelle Ansätze fortzuentwickebi waren, bedurften die staatsorganisationsrechtlichen Aspekte der vollständigen Neukonzeption. Gleichwohl verlor man über den Grundrechtsberatungen wertvolle Zeit, die ohnehin gegen die Nationalversammlung arbeitete. Konnte die Schaffung des angestrebten deutschen Nationalstaates doch nur gelingen, solange das infolge der Revolution in weiten Teilen Deutschlands entstandene Machtvakuum fortdauerte. Ein vorzeitiges Wiedererstarken der darnieder liegenden monarchischen Gewalt in den jeweiligen Einzelstaaten mußte die ohnehin schwierigen Einheitsbemühungen unweigerlich zum Scheitern verurteilen. Das Gebot der Stunde konnte daher nur sein, die zeitweilige Ohnmacht der Einzelstaaten zum unverzüglichen Abschluß der verfassungsorganisatorischen Fragen zu nutzen. [280.] Demgegenüber beriet die Nationalversammlung seit dem 3. Juli 1848 zwar intensiv über die Grundrechte. Obendrein wurden ihre Beratungen immer wieder unterbrochen durch die Behandlung tagespolitischer Fragen und anderweiter legislatorischer Maßnahmen. So meinte man etwa immerhin genügend Zeit zu haben, um sich seit Oktober 1848 neben vielem anderen sogar mit dem Erlaß einer auch tatsächlich bereits am 27. November 1848 erlassenen Allgemeinen Wechselordnung für Deutschland^^ kümmern zu müssen. Als die Nationalversammlung schließlich am 20. Dezember 1848 den Grundrechtskatalog verabschiedete und am 27. Dezember 1848 nebst Einfuhrungsgesetz vom selben Tage als gesondertes Reichsgesetz „betr. die Grundrechte des deutschen Volkes''^^ mit unmittelbarer Wirkung „im ganzen Umfange des deutschen Reichs" einschließlich seiner Einzelstaaten zum 17. Januar 1849 in Kraft gesetzt hatte, waren die ungelösten staatsorganisatorischen Fragen angesichts der sich in der Versammlung verschärfenden Gegensätze und des Wiedererstarkens namentlich der beiden Großmächte Preußen und Österreich kaum noch lösbar. Überhaupt war mittlerweile die Revolutions29

W. Siemann (Fußn. 9), S. 379. K. Kroger, Einführung in die deutsche Verfassungsgeschichte (1806-1933), 1988, S. 72; W. Ribhegge, Das Parlament als Nation. Die Frankfurter Nationalversammlung 1848/49, 1998, S. 50. 31 Reichsgesetzblatt 1848, S. 19. 32 Dok. 105. 30

> 4: Reichsverfassungsbestrebungen 1848 - 1850

161

furcht von den Regierungen weitgehend gew^ichen; was sich auch daran zeigte, daß Österreich, Preußen, Bayern und Hannover die Publizierung der Grundrechte ablehnten. In soweit darf wohl konstatiert werden, daß, indem die Paulskirche der Sicherung der Freiheit den Vorrang vor der Schaffung der nationalen Einheit einräumte, sie letztlich beides in Frage stellte.^^ [281.] Wenngleich die Entscheidung des Verfassungsausschusses zumindest verständlich erscheint, so erwies sie sich im Nachhinein betrachtet doch als politisch unklug. Insbesondere war dieser nicht gezv^oingen, sich zunächst der Grundrechte anzunehmen.^"^ Denn er entschied jedenfalls autonom die Reihenfolge der von ihm zu beratenden Gegenstände. Auch wenn es für ein derartiges Vorgehen des Ausschusses seit der amerikanischen Declaration of Rights durchaus nachzueifernde historische Vorbilder gab und die Gewährung der Grundrechte eine alte Forderung der Verfassungsbewegung war, so mußte es dem Verfassungsausschuß doch zuvörderst darum gehen, die noch keineswegs gesicherten revolutionär durchgesetzten Errungenschaften möglichst schnell auf ein solides staatsorganisationsrechtliches Fundament zu stellen. Insoweit war der Handlungsbedarf umso größer, je unklarer die Kräfteverteilung zwischen den Gliedstaaten und dem Gesamtstaat sowie die Gestalt der Gesamtstaatsorgane bei Aufnahme der Verfassungsberatungen erschien; auch mußten diese Probleme - entgegen immer wiederholter Behauptungen^^ - nicht zwangsläufig bedeuten, daß eine damit begonnene Verfassungsberatung tatsächlich ebenso zeitaufwendig gewesen wäre. [282.] Der Grundrechtskatalog des Reichsgesetzes vom 27. Dezember 1848^^, der später als Abschnitt VI (§§ 131 - 189) der Frankfurter Reichsverfassung^^ inkorporiert vvoirde, gewährleistete zunächst das Reichsbürgerrecht für die Angehörigen der deutschen Gliedstaaten (§ 2 des Gesetzes). Dem schlossen sich die Garantie der Freizügigkeit, der vollen Erwerbs- und Verfügungsfreiheit, der Gewerbefreiheit (§ 3 des Gesetzes) sowie die Gewährleistung der Auswanderungsfreiheit (§ 6 des Gesetzes) an. Gerade diese die künftige Wirtschafts- und Sozialordnung maßgebend prägenden Regelungen von Niederlassungs- und Gewerbefreiheit mit dem damit einhergehenden freien Wettbewerb und Handel waren heftig umstritten. Die Aufnahme sozialer Rechte, insbesondere solche zum Schutze unselbständig Beschäftigter oder Arbeitsloser, wurden abgelehnt. Einzig zur freien Unterrichtsgewährung Unbemittelter in öffentlichen Unterrichtsanstalten rang sich die Nationalversammlung durch (§ 17 Abs. 2 des Gesetzes). Des weiteren nahm sich das Gesetz der Gleichheit vor dem Gesetz an; dabei richtete es sich zuvörderst auf die Beseitigung aller Standesunterschiede und auf die Abschaffung aller nicht mit einem Amte verbundenen Titel (§ 7); was im Ergebnis nichts anderes bedeutete als die Aufhebung sämtlicher Adelstitel. [283.] Hinzu kam die Gewährleistung von Individualfreiheiten. Hier vmrden etwa die Freiheit der Person (§ 8 des Gesetzes), die Abschaffung von Todesstrafe

33

K. Kroger (Fußn. 30), S. 72.

3^ 35 36 37

A. A.: K. Stern (Fußn. 26), S. 2 5 1 , der behauptet, der Ausschuß „konnte . . . nicht anders". So etwa: J.-D. Kühne (Fußn. 6), S. 46; K Stern (Fußn. 26), S. 2 5 1 . Dok. 105. Dok. 106.

162

1. Abschnitt: Gesamtdeutsche Verfassungsentwicklung (1803/06-1918)

und peinlichen Strafen (§ 9 des Gesetzes), die Unverletzlichkeit der Wohnung (§10 des Gesetzes) und das Briefgeheimnis (§12 des Gesetzes) garantiert. Im Bereich der öffentlichen Meinung, der religiösen Anschauung sowie der wissenschaftlichen Forschung und Lehre sollten das Recht auf Meinungs- und Preßfreiheit (§13 des Gesetzes), der Versammlungs- und Vereinsfreiheit (§§ 31 f. des Gesetzes), der Glaubens- und Gewissensfreiheit einschließlich der gemeinsamen Religionsausübung (§§ 14 f. des Gesetzes), die Freiheit von Wissenschaft und Lehre (§ 22 des Gesetzes) gewährleistet sein. Überdies stand jedem das Recht der freien Berufswahl (§ 28 des Gesetzes), femer Einzelnen wie auch Korporationen das Petitionsrecht zu (§ 29 des Gesetzes). Die Freiheit des Eigentums, dessen Unverletzlichkeit (§ 34 des Gesetzes), war ein weiteres zentrales Regelungsanliegen. Diese Sicherung des Eigentums gegen Entziehungen machte zwar den Kembereich der bürgerlicherseits erstrebten Eigentumsverfassung aus, doch kam zu deren ReaHsierung auch der Aufhebung überkommener Eigentumsbindungen erhebliche Bedeutung zu. Dies galt allem voran für die Herstellung der freien Veräußerlichkeit und Teilbarkeit des Grundeigentums (§35 des Gesetzes). Nicht weniger wichtig war die Beseitigung der sonstigen eigentumsbeschränkenden feudalgesellschaftlichen Zustände: Dementsprechend wurden die Untertänigkeits- und Hörigkeitsverbände, die Patrimonialgerichtsbarkeit, die grundherrliche Polizei und andere Feudalrechte für aufgehoben, die Zehnten und andere Grundlasten für ablösbar erklärt ( § § 3 6 - 3 8 des Gesetzes). Jagdgerechtigkeiten auf fremdem Grund wurden entschädigungslos beseitigt (§39 des Gesetzes), Familienfideikommisse und alle Lehensverbände mußten aufgehoben werden (§§ 40 f. des Gesetzes). Insbesondere mit der Beseitigung der Familienfideikommisse, welche bislang überwiegend die Unteilbarkeit und Unveräußerlichkeit eines zumeist adeligen Vermögensinbegriffes festschrieben, legte man Hand an die Wurzel der wirtschaftlichen, aber auch der politischen und gesellschaftlichen Vormachtstellung des adeligen Großbesitzes.^^ Die bis dahin noch immer praktizierte Strafe der Vermögenseinziehung sollte ebenfalls nicht mehr stattfinden (§ 42 des Gesetzes). Auch die Rechtsstellung der Religionsgesellschaften fand Berücksichtigung. Mit der Garantie der Glaubens- und Gewissensfreiheit und der unbeschränkten Religionsübung verband das Gesetz die Gleichstellung aller Religionsgesellschaften und die Gewährleistung, ihre Angelegenheiten im Rahmen der allgemeinen Staatsgesetze selbständig zu ordnen und zu verwalten (§17 des Gesetzes). An die Stelle der kirchlichen Ehe trat die Zivilehe; die kirchliche Trauung durfte erst nach der standesamtlichen vollzogen werden (Art. 20 des Gesetzes). Des weiteren sollte das Erziehungs- und Unterrichtswesen der staatlichen Oberaufsicht unterstehen (§23 des Gesetzes). Die Errichtung von Privatschulen würde grundsätzlich jedermann gestattet sein (§ 24 des Gesetzes). Für die Bildung der Jugend hätte durch die Errichtuag öffentlicher Schulen gesorgt werden müssen (§ 25 des Gesetzes). Der Unterricht an den Volks- und niederen Gewerbeschulen sollte schulgeldfrei sein (§ 27 Abs. 1 des Gesetzes). Bemerkenswert ist femer, daß auch die Gerichtsbarkeit Erwähnung fand (§§ 44 - 53 des Gesetzes). Sie war danach unter Abschaffung der Patrimonialgerichte ausschließlich staatlich, von der Verwaltung getrennt und unabhängig. Zu RQcht J.-D. Kühne (Fußn. 6), S. 278.

§ 4: Reichsverfassungsbestrebungen 1848 - 1850

163

Kabinetts- und Ministerialjustiz sowie Ausnahmegerichte waren unstatthaft, wie überhaupt niemand seinem gesetzlichen Richter entzogen werden durfte. In Strafsachen sollten Schwurgerichte jedenfalls in „schwereren Strafsachen und bei allen politischen Vergehen" zuständig sein. Den Gemeinden wurde das Recht auf Selbstverwaltung zugesichert (§ 54 des Gesetzes). Selbst bezüglich der Verfassungen der Gliedstaaten wurden in Anlehnung an Art. 13 DBA diesen fortbildende Aussagen getroffen. Hier begnügte man sich nicht damit, daß jeder Einzelstaat eine Verfassung haben sollte, sondern umriß mit der Volksvertretung und der Ministerverantwortlichkeit auch deren Mindeststandards (§56 des Gesetzes). Diese wurden konkretisiert, indem den Volksvertretungen das Recht zur Mitentscheidung bei der Gesetzgebung, der Besteuerung und der Budgetfeststellung ebenso wie dasjenige zu Gesetzesvorschlägen, Beschwerden und Adressen sowie zu Ministeranklagen zuerkannt werden mußte; zudem hatten die Kammern grundsätzlich öffentlich zu tagen (§57 des Gesetzes). Offensichtlich lag den zuvor dargestellten Grundrechten ein sehr weites Begriffsverständnis zugrunde. In jedem Falle ging man damit deutlich über die Grundrechte in den bis dahin geltenden deutschen Länderverfassungen hinaus; aber auch im internationalen Vergleich waren diese Grundrechte für ihre Zeit überaus fortschrittlich^^ und letztlich richtungsweisend. [284.] Die Rechtsverbindlichkeit des Grundrechtsgesetzes war zwischen den Reichsorganen und einer Reihe von Einzelstaaten umstritten, soweit es nicht nur gegenüber einer künftigen Reichsgewalt, sondern auch gegenüber den bestehenden Landesstaatsgewalten Geltung beanspruchte. Gerade Österreich, Preußen, Bayern und Hannover lehnten es ab, das Gesetz anzuerkennen und vertraten die Auffassung, daß es erst dann rechtsverbindlich sei, wenn es die jeweiligen Länder odnungsgemäß publizierten; was im Falle der hier genannten Staaten nicht geschehen war. Demgegenüber verwies man reichsseitig auf das Reichsgesetz, betreffend die Verkündung der Reichsgesetze und der Verfügungen der provisorischen Zentralgewalt vom 27. September 1848^^. Nach dessen Art. 1 mußte ein Reichsgesetz vom Reichsverweser verkündet werden und gemäß Art. 2 des Gesetzes durch Abdruck im Reichsgesetzblatt - welches dann tatsächlich von allen Kräften der Nationalversammlung anerkannt in insgesamt 16 Stücken (Nrn. 1 169) erschien und sich danach in eine Frankfurter (Nrn. 17, 18) und eine Stuttgarter Ausgabe (Nrn. 17-21) teilte^^ - bekannt gemacht werden. Überdies war das betreffende Gesetz den „Einzel-Regirungen zum Zwecke der örtlichen Veröffentlichung" mitzuteilen. Als Folge daraus sah Art. 3 Satz 1 des Gesetzes dann die „verbindende Kraft eines Gesetzes . . . für ganz Deutschland" vor „mit dem zwanzigsten Tage nach dem Ablauf desjenigen Tages, an welchem das betreffende Stück des Reichsgesetzblattes in Frankfurt ausgegeben wird". Die Verbindlichkeit des Reichsgesetzes hing demgemäß wohl nicht von einer nachmaligen landes39 40 41

K. Stern (Fußn. 26), S. 252. Dok. 104. Vgl. dazu R. von Mohl, Das positive Staatsrecht seit der Gründung des Bundes, in: ders., Die Geschichte und Literatur der Staatswissenschaften in Monographien dargestellt, Bd. 2, 1857, S. 235 (244 Anm. 1), der aber die Nrn. 17 und 20 f. übersieht sowie B. Mann, Die Württemberger und die deutsche Nationalversammlung 1848/49, 1975, S. 344 (Anm. 380).

164

1. Abschnitt: Gesamtdeutsche Verfassungsentwicklung (1803/06-1918)

rechtlichen Verkündung ab. Diente doch die zusätzliche Mitteilung des Gesetzes an die Landesregierungen zwecks örtlicher Veröffentlichung nur der möglichst weitreichenden Information der Bevölkerung. Demgemäß kam dieser Veröffentlichung am ehesten rein deklaratorische und nicht etwa konstitutive Bedeutung zu. Allerdings hatten die vier betreffenden Länder auch bereits das umstrittene Reichsgesetz vom 27. September 1848 nicht publiziert, so daß angesichts dieses realiter sich bis zur definitiven Aufhebung der Grundrechte im August 1851 nicht auflösenden Dissenses de jure nicht von der automatisch eintretenden Rechtsverbindlichkeit des Grundrechtsgesetzes in den betreffenden vier Staaten ausgegangen werden darf.'^^ Denn einen wirklich gefestigten Rechtsanspruch der Nationalversammlung auf Befolgung der von ihr und ihren Organen ins Werk gesetzten Legislation gegenüber den Einzelstaaten koimte es wegen der noch keineswegs gefestigten politischen Position des aufgrund revolutionärer Ereignisse erst im Entstehen begriffenen deutschen Bundesstaates nicht ohne weiteres geben. Anerkaimten einzelne Staaten in diesem Stadium neu erlassene, noch dazu grundlegende Kompetenzen betreffende Rechtsakte nicht, entfalteten sie dort auch keine Wirksamkeit. Etwas anderes hatte jedenfalls in denjenigen Staaten zu gelten, in denen gegen dieses Grundrechtsgesetz keine Vorbehalte angemeldet wurden. Das war die weitaus größere Zahl der Länder, die - wie beispielsweise Württemberg, Baden, Hessen-Darmstadt, Kurhessen, Braunschweig, Oldenburg - überdies zumeist auch die Publikation des Gesetzes vollzogen. [285.] Die Beratungen über die Staatsorganisation nahm die Nationalversammlung erst im Oktober 1848 auf. Doch hatten sich da die Gegensätze innerhalb der Versammlung bereits erheblich verschärft. Dies galt insbesondere, nachdem die Nationalversammlung am 16. September 1848 mehrheitlich die Ratifizierung des am 26. August 1848 im schwedischen Malmö geschlossenen Friedensvertrags beschlossen hatte, wodurch die Eingliederung Schleswigs in den dänischen Staatsverband akzeptiert wurde. Die bei der Abstimmung unterlegene radikale Linke suchte daraufhin die Entscheidung außerhalb des Parlaments. Es kam zu Protestveranstaltungen in Frankfurt, auf denen den Abgeordneten „Verrat an der deutschen Sache" vorgeworfen wurde. Die provisorische Zentralregiemng mußte zum Schutz der Nationalversammlung und zur Unterdrückung der ausgebrochenen Unruhen, bei denen immerhin auch zwei konservative Abgeordnete den Tod fanden, österreichische und preußische Truppen einsetzen. Diese Geschehnisse offenbarten nicht nur die tiefe Spaltung in der Nationalversammlung selbst, sondern auch überdeutlich die tatsächhchen Machtverhältnisse in Deutschland und erstmals die wahre Ohnmacht der Reichsgewalt, die ihre Rettung vor den Aufständischen nur der Unterstützung der traditionellen Mächte verdankte. Auch die standrechtliche Erschießung ihres Immunität genießenden radikalen Abgeordneten Robert Blum nach dessen Teihiahme an dem durch österreichische Truppen am 31. Oktober 1848 blutig niedergeworfenen Wiener Aufstandes geriet zu einem machtpolitischen Exempel, bei dem die Nationalversammlung trotz ihrer massiven Intervention zugunsten Blums den Kürzeren zog. Überhaupt riefen die gerade seit Herbstbeginn vielerorts neu aufflackernden revolutionären Unruhen in steigendem Maße A. A.: aber E. R. Huber (Fußn. 21), S. 783.

§ 4: Reichsverfassungsbestrebungen 1848 - 1850

165

eine Ruhe und Ordnung wieder herstellende Gegenreaktionen der Einzelstaaten hervor. Die bislang tonangebende liberale Mitte, die durch Verständigung mit den einzelstaatlichen Regierungen und den Fürsten die Errungenschaften der Revolution zu sichern gedachte, geriet nunmehr zwischen die Fronten der auf Republik, egalitäre Demokratie und Umgestaltung der Besitzverhältnisse drängenden radikalen Linken einerseits sowie der dadurch zunehmend verschreckten bürgerlichen Mittel- und Oberschichten andererseits. Den Bürgerlichen war es bislang in erster Linie um den Schutz vor staatlicher, genauer polizeistaatlicher, Intervention und um adäquate politische Teilhabe an der Machtausübung gemäß der ihnen mittlerweile zugewachsenen sozioökonomischen Bedeutung gegangen. Man machte schließlich keine Revolution für die Masse der verarmten Landbevölkerung und das Arbeiterproletariat. Im Gegenteil, man fürchtete nichts mehr als eine solche „soziale Revolution"! Diese Furcht erzeugte Aversionen, welche die weitere Bereitschaft schwinden ließen, die allgemeine Revolutionsbewegung wie bislang zu unterstützen. Unverhofft fand sich das Bürgertum in einem Abwehrkampf gegen die die von ihm erstrebte Gesellschaftsordnung vermeintlich bedrohenden Unterschichten wieder. Es verwundert daher nicht, daß mit der Radikalisierung der politischen Forderungen und wieder aufflammenden gewaltsamen Ausschreitungen die Annäherung an die traditionellen Mächten gesucht wurde, die - wie die Ereignisse zu lehren schienen - allein die Rolle als Garanten für Freiheit und Ordnung zu übernehmen vermochten. - Kurzum: die politische Entwicklung begarm sich gegen die Nationalversammlung zu wenden, und drohte ihr vollends aus den Händen zu gleiten. Sie geriet ersichtlich unter Zeitdruck; und das in einem Augenblick, in dem sich der Prozeß der versammlungsintemen Willensbildung ohnehin schwieriger gestaltete und deutlich verlangsamte. [286.] Einigkeit bestand bei der überwältigenden Mehrheit der Versammlung nur darüber, daß das künftige Deutschland ein Nationalstaat, also keinesfalls nur ein Staatenbund nach dem Vorbild des Deutschen Bundes sein sollte. Hinsichtlich der Beantwortung der Frage nach der Form des Staatsgebildes, ob monarchisch oder republikanisch, föderalistisch oder unitaristisch, schieden sich indes bereits die Geister. Immerhin erzwang politischer Realitätssinn die Grundentscheidung zugunsten eines monarchischen Bundesstaates. Derm es ließ sich schwerlich ignorieren, daß die monarchischen Einzelstaaten die zunehmend in die Defensive geratende Revolution überstehen vmrden. Durchsetzen konnte sich nach langen Debatten das von den Liberalen favorisierte Modell eines unitarischen Bundesstaates mit einer starken Reichsexekutive und einer einflußreichen Legislative, bestehend aus zwei Häusern, dem von den Einzelstaaten zu bildenden Staatenhaus und dem von allen Deutschen zu wählenden Volkshaus. [287.] Schwieriger gestaltete sich das Verhältnis des künftigen Deutschen Reiches zu Österreich. Die insgesamt ca. 38 Millionen Einwohner zählende Bevölkerung des Habsburgerreiches bestand nur zu weniger als einem Viertel aus Deutschen. Folgte man der Idee des Nationalstaates, so hätte dies nahezu zwangsläufig die Nichtzugehörigkeit der nichtdeutschen Länder des habsburgischen Vielvölkerstaates zu einem Deutschen Reich bedeutet. Der noch heute als „großdeutsche Lösung" firmierende Vorschlag des Verfassungsausschusses der Nationalversammlung fand zwar zunächst am 27. Oktober 1848 die Zustimmung der Majorität des

166

1. Abschnitt: Gesamtdeutsche Verfassungsentwicklung (1803/06-1918)

Plenums einschließlich der Mehrzahl der österreichischen Abgeordneten;"^^ scheiterte aber am energischen Widerstand der österreichischen Regierung unter Fürst Schwarzenberg. Dieser lehnte es seit seiner Kremsier Erklärung vom 27. November 1848'^'^ ab, eine Zweiteilung der Habsburgermonarchie mit zum Reich gehörendenden deutschen Gebieten einerseits und mit reichsfremden, nur noch über die Personalunion des Kaisers verbundenen nichtdeutschen Gebieten andererseits zu akzeptieren. Einem nationalstaatlichen Diktat der Nationalversammlung verweigerte Wien die Gefolgschaft. Vielmehr verschrieb man sich der Idee eines Siebzigmillionenreichs, unter dessen Dach die etwa 38 Millionen Österreicher und 32 Millionen Deutschen der sonstigen Staaten vereint werden sollten. Ein solches multinationales Modell mitteleuropäischer Einheit lief indes auf einen bloßen Staatenbund hinaus und bedeutete eine Absage an einen föderativ integrierenden deutschen Nationalstaat. Ein - wie sich bald zeigte - ungangbarer Weg. Denn auf einen deutschen Nationalstaat mußte die weitere Entwicklung nach der Vorstellung der meisten Abgeordneten jedenfalls hinauslaufen. Daher war Schwarzenbergs Plan Wasser auf die Mühlen der Anhänger einer Nationalstaatslösung ohne Österreich und unter Führung Preußens, welche sich hauptsächlich um den seit Mitte Dezember 1848 als Reichsministerpräsidenten amtierenden Heinrich von Gagem sammelte. Dieser schlug denn auch am 18. Dezember 1848 eine „kleindeutsche Lösung" auf der Grundlage eines territorial wie national weiter ausgreifenden Doppelbundes vor. Dahinter verbarg sich im Kern ein aus den deutschen Staaten ohne Österreich gebildeter unauflöslicher Bundesstaat („engerer Bund"), der sich zu einem unauflöslichen Staatenbund mit dem österreichischen Gesamtstaat vereinte („weiterer Bund")."^^ Überhaupt reifte bei vielen der Abgeordneten zusehends die Einsicht, daß mit diesem Österreich die nationalstaatliche Einheit Deutschlands nicht zu erreichen war. Das mußte erst Recht gelten, als Kaiser Franz Joseph am 7. März 1849 den Reichstag von Kremsier auflöste und zugleich eine bereits auf den 4. März datierte Verfassung oktroyierte, welche die staatsrechtliche Einheit der deutschen und nichtdeutschen Landesteile der österreichischen Gesamtmonarchie festschrieb. Obendrein verlangte Schwarzenberg ultimativ die Aufnahme Gesamtösterreichs in einen zu schaffenden deutschen Staaten(ver)bund. 3. Die Reichsverfassung vom 28. März 1849 [288.] Nunmehr wechselten auch entschiedene Verfechter der großdeutschen Lösung, wie Carl Theodor Welcker, in das Lager der Kleindeutschen. Bereits am 12. März 1848 beantragte er in der Nationalversammlung, den seinem Wortlaut nach noch immer die vom Verfassungsausschuß ursprünglich empfohlene großdeutsche Bundesstaatslösung enthaltenden Reichsverfassungsentwurf „durch einen einzigen Gesammtbeschluß" zu verabschieden und die erbliche Kaiserwürde

^^ Verhandlungen der deutschen Nationalversammlung, Bd. 4, S. 2923, 2936. '^^ Abgedruckt in: P. Roth/H. Merck (Fußn. 28), S. 67 ff. "^^ Abgedruckt in: a. a. O., S. 74 ff

§ 4: Reichsverfassungsbestrebungen 1848 - 1850

167

dem preußischen König zu übertragen."^^ Wegen der österreichischen Haltung lief dies praktisch auf die kleindeutsche Lösung hinaus. Noch (am 21. März 1848) verfehlte dieser von liberaler Seite unterstützte Antrag mangels Zustimmung der Linken mit 252 zu 283 Stimmen knapp die Mehrheit. Das sollte sich aber rasch ändern, als es den liberalen Befürwortern um Heinrich von Gagem gelang, die von Heinrich von Simson geführte gemäßigte Linke mit dem Versprechen zu gewinnen, für ein von dieser gewünschtes demokratisches Wahlrecht zu stimmen. Allein diesem Handel verdankte der Reichsverfassungsentwurf seine endgültige Annahme durch die Nationalversammlung am 27. März 1849."^^ Am Tag darauf wurde er ausgefertigt und im Reichsgesetzblatt verkündet."^^ [289.] Zunächst leistete sich die Frankfurter Reichsverfassung (FRV) vom 28. März 1849 für die Definition derjenigen Gebiete, die zu dem zu begründenden Deutschen Reiche gehören sollten, den Rückgriff auf den Deutschen Bund. § 1 Abs. 1 FRV stellte lapidar fest, daß das Deutsche Reich „aus den Gebieten des bisherigen Deutschen Bundes" bestehen sollte. Auf diese Weise konnte unter Wahrung der Territorialität lediglich das bislang bestehende Völkerrechtssubjekt ausgetauscht werden. Das Verhältnis des Reiches zu den ihm angehörenden Ländern ordnete die Verfassung bundesstaatlich. Dieses Reich hatte anders als der staatenbündisch konzipierte Deutsche Bund selbst Staatsqualität, welche daneben die Staatlichkeit der deutschen Länder bestehen ließ. Lediglich an versteckter Stelle, nämlich bei der Übergangsregelung für die Bestimmung der Anzahl der Mitglieder des Staatenhauses bezeichnet die Verfassung (Art. 87 Abs. 2 FRV) das von ihr konstituierte Gebilde als „Bundesstaat". Die Probleme, die sich aus der Verbindung deutscher und nichtdeutscher Gebiete unter einer Herrschaft, insbesondere in Österreich, ergaben, wurden durch § 2 zwar im nationalstaatlichen Sinne entschieden, gleichzeitig wurde aber durch die §§ 1 und 87 FRV die „großdeutsche Lösung" ermöglicht. [290.] Die Verfassung teilte die gesamte Staatsgewalt zwischen dem Reich und den Einzelstaaten auf. Maßgebend war hierbei das Enumerationsprinzip. Dem Reich waren diejenigen Zuständigkeiten übertragen, die im Interesse der staatlichen Einheit für alle Gliedstaaten gleichermaßen verbindlich geregelt sein sollten. Dies betraf u. a. die auswärtigen Angelegenheiten ( § § 6 - 9 FRV), die Wehrverfassung ( § § 1 0 - 1 9 FRV), das Verkehrswesen (§§ 20 - 32 FRV), das Wirtschaftsund Steuerrecht (§§ 33 - 40 FRV), das Post- und Telegraphenwesen (§§ 41 - 44), das Münzwesen, Maß- und Gewichtssystem ( § § 4 5 - 4 7 FRV), das bürgerliche sowie das Handels- und Wechselrecht, das Strafrecht und das Prozeßrecht (§ 64 FRV). Bemerkenswert ist weiterhin, daß das Reich zur Bestreitung seiner Ausgaben für die ihm zugedachten Aufgaben über eigene direkte Finanzierungsquellen verfügen würde ( § § 4 8 - 5 1 , 102 Nr. 2 FRV). Zuvörderst sollte dies nach §49 FRV aus einem eigenen Anteil an den Einkünften aus Zöllen und Steuern geschehen. Subsidiär, d. h. erst wenn diese und sonstige Einkünfte nicht ausreichten, ^^ Verhandlungen der deutschen Nationalversammlung, Bd. 8, S. 5666. ^'^ K. Stern (Fußn. 26), S. 126 und K. Kroger (Fußn. 30), S. 77, sprechen insoweit von einem „Kompromiß", Dok. 106.

168

1. Abschnitt: Gesamtdeutsche Verfassungsentwicklung (1803/06-1918)

durfte es von den einzelnen Staaten aufzubringende Matrikularbeiträge erheben (§ 50 FRV), „in außerordentlichen Fällen" sogar Reichssteuem einführen, Anleihen aufnehmen oder sonstige Schulden machen (§51 FRV). Hierzu bedurfte es dann allerdings jeweils eines entsprechenden Reichstagsbeschlusses (§ 102 Nr. 2 FRV). [291.] Um die einzelstaatlichen Zuständigkeitseinbußen dennoch möglichst gering zu halten, beschränkten sich die Verwaltungskompetenzen des Reiches im wesentlichen auf die auswärtigen Angelegenheiten und das Militärwesen. Anders als noch der Deutsche Bund war das Reich nicht auf die Verkündung durch die Gliedstaaten angewiesen. Denn alle Gesetze und Verordnungen erhielten „verbindliche Kraft durch ihre Verkündigung von Reichs wegen" (§ 65 FRV). Für das Verhältnis von Reichs- zu Landesrecht galt grundsätzlich der Vorrang des Reichsrechts (§ 66 FRV). Zudem durfte das Einzelstaatenrecht nicht in Widerspruch zum Reichsrecht stehen (§ 194 FRV). [292.] Das Reich sollte eine Monarchie mit dem Kaiser als Oberhaupt sein (§§ 6 8 - 7 0 FRV). Flankiert hatte man dies dem Zeitgeist entsprechend mit der Unverletzlichkeit des Monarchen, der Ministerverantwortlichkeit und der Gegenzeichnungspflicht (§§ 73 f. FRV); also den typischen Merkmalen des Konstitutionalismus. Dem Kaiser stand die völkerrechtliche Vertretung des Reiches und der einzelnen Gliedstaaten, die JCriegserklärung sowie der Friedensschluß und der Abschluß von Bündnissen mit auswärtigen Mächten zu (§§ 75 - 77 FRV). Er hatte den Reichstag einzuberufen und zu schließen sowie das Recht zur Auflösung des Volkshauses (§§ 79, 106 FRV); mit dieser Auflösung ging automatisch die Vertagung des Staatenhauses bis zur Wiederbemfung des Reichstages einher (§ 107 FRV). Femer oblag dem Kaiser die Wahrung des Reichsfriedens und die Verfügung über die bewaffnete Macht (§§ 82 f. FRV). Überhaupt sollte dem Kaiser wie § 84 FRV noch einmal ausdrücklich klarstellte - die Reichsgewalt in allen Angelegenheiten des Reiches nach Maßgabe der Reichsverfassung zukommen. Diese Zuständigkeitsvermutung sicherte dem Reichsoberhaupt eine starke Stellung. [293.] Als Repräsentativorgan war ein aus zwei Häusern - dem „Staatenhaus" und dem „Volkshaus" gemeinsam gebildeter Reichstag vorgesehen (§85 FRV). Hierin kam die einem föderalen Staatswesen immanente Bipolarität zwischen zentraler und gliedstaatlicher Gewalt zum Ausdruck. Das Staatenhaus sollte als Vertretung der deutschen Gliedstaaten fungieren (§86 FRV), die auf diese Weise ihren Einfluß auf das Reich geltend machen konnten. Die 192 Mitglieder dieses Hauses verteilten sich nach einem in § 87 Abs. 1 FRV festgelegten Schlüssel auf die Einzelstaaten, wobei Preußen mit 40 Mitgliedern die meisten stellte, gefolgt von (Deutsch-) Österreich (38), Bayern (achtzehn), Sachsen, Hannover und Württemberg (je zehn), Baden (neun), Kurhessen, Hessen-Darmstadt, Holstein (-Schleswig) (je sechs), Mecklenburg-Schwerin (vier), Luxemburg und Nassau (je drei). Braunschweig, Oldenburg und Sachsen-Weimar (je zwei) sowie von den übrigen 23 namentUch aufgeführten Kleinstaaten'^^ (je ein Mitglied). Für die Zeit der ^^ Hierbei handelte es sich um Sachsen-Coburg-Gotha, Sachsen-Meiningen-Hildburghausen, Sachsen-Altenburg, Mecklenburg-Strelitz, Anhalt-Dessau, Anhalt-Bemburg, Anhalt-Köthen, Schwarz-

§ 4: Reichsverfassungsbestrebungen 1848 - 1850

169

Nichtteilnahme Deutsch-Österreichs „an dem Bundesstaate" wurde einigen Staaten die Stimmenanzahl erhöht (§ 87 Abs. 2 FRV).^° In der Institution des Staatenhauses wirkte eindeutig das allseits präsente föderale Verständnis des Deutschen Bundes von der unmittelbaren Beteiligung der einzelnen, auch der kleinsten Staaten nach. Reminiszenzen an die Bundesversammlung klangen zudem an, wenn § 88 FRV die Ernennung der Mitglieder des Staatenhauses jeweils hälftig durch die Volksvertretungen in den Gliedstaaten und durch die Landesregierungen festschrieb. Das Volkshaus sollte „aus den Abgeordneten des deutschen Volkes" bestehen (§ 93 FRV), das erste Mal auf vier, danach stets auf drei Jahre nach Maßgabe eines gesonderten Reichswahlgesetzes gewählt werden (§ 94 FRV). Bei dem Wahlgesetz handelte es sich um dasjenige vom 12. April 1849.^^ Es sah allgemeine, gleiche, direkte und geheime Wahlen vor. Hiemach sollten alle mindestens fünfundzwanzigjährigen „unbescholtenen" männlichen Deutschen wahlberechtigt sein und auf ,je 100.000 Seelen" ein Abgeordneter gewählt werden. Dieses bemerkenswert demokratische Wahlrecht war der „Preis", den die Liberalen den Linken für deren zur Mehrheit bei der Verabschiedung der Reichsverfassung in der Nationalversammlung benötigte Stimmen zu zahlen sich bereit zeigten. Es spielte - wie sich noch zeigen sollte - später, seit 1866, als das ausdrückhch in Bezug genommene Wahlrecht des Norddeutschen Bundes eine zentrale Rolle. Die Mitglieder beider Häuser kormten durch Instruktionen nicht gebunden werden (§ 96 FRV), [294.] Mit Blick auf die Feststellung des Reichshaushalts war jedenfalls ein Reichstagsbeschluß erforderlich (§ 102 Nr. 2 FRV). Zu deren Herbeiführung sah § 103 FRV ein detailliertes Verfahren vor: Alles begarm damit, daß die von der Reichsregierung ausgearbeiteten Finanzvorlagen dem Volkshaus vorgelegt werden mußten, welches dann über die beantragte Ausgabenbewilligung zu entscheiden hatte (§ 103 Nrn. l, 2 und 5 FRV). Die Dauer der Haushaltsperiode belief sich auf ein Jahr (§ 103 Nr. 3 FRV). Erst nach erfolgter Prüfling und Bewilligung durch das Volkshaus gelangte die Budgetvorlage in das Staatenhaus, welches insoweit dann zwar, „Erinnerungen und Ausstellungen machen" durfte, ohne indes deren Nichtberücksichtigung durch das „endgültig" über den Haushalt beschließende Volkshaus verhindern zu körmen (§ 103 Nr. 6 Satz 2 FRV). Letzterem kam das Alleinentscheidungsrecht in Haushaltsfragen zu. [295.] Die Reichsgewalt war zwischen dem Kaiser als Reichsoberhaupt bzw. seiner Regierung und dem Reichstag aufgeteilt. Sowohl bei der Gesetzgebung als auch bei der Regierung wirkten sie zusammen (§ 80 FRV). Ein Reichstagsbeschluß kormte nur durch die Übereinstimmung beider Häuser gültig zustande kommen (§ 100 FRV). Bei der Gesetzgebung vermochte sich der Reichstag auch burg-Sondershausen, Schwarzburg-Rudolstadt, Hohenzollem-Hechingen, Liechtenstein, Hohenzollem-Sigmaringen, Waldeck, Reuß ä. L., Reuß j . L., Schaumburg-Lippe, Lippe-Detmold, Hessen-Homburg, Lauenburg, Lübeck Frankfurt, Bremen, Hamburg. Bayern von achtzehn auf zwanzig Stimmen, Sachsen, Hannover und Württemberg jeweils von zehn auf zwölf, Hessen-Darmstadt von sechs auf acht, Kurhessen von sechs auf sieben, Nassau von drei auf vier und Hamburg von einer Stimme auf zwei Stimmen. Gesetz, betr. die Wahlen der Abgeordneten zum Volkshause, vom 12. April 1849 (Reichsgesetzblatt 1849, S. 79).

170

1. Abschnitt: Gesamtdeutsche Verfassungsentwicklung (1803/06-1918)

gegen den Willen der Reichsregierung durchzusetzen, weil dieser letztlich nur ein suspensives Veto zustand (§101 FRV). [296.] Dagegen hielt sich der Einfluß des Reichstages auf die Regierung in engen Grenzen. Denn allein der Kaiser ernannte gemäß § 73 Abs. 2 FRV die Minister und deren Verantwortlichkeit konnte nur über das Instrument der Ministeranklage geltend gemacht werden (§ 126 lit. i FRV). Ein parlamentarisches System sah die Verfassung also noch nicht vor. [297.] § 125 FRV sah die Einrichtung eines nach § 126 FRV mit weitreichenden Kompetenzen ausgestatteten Reichsgerichts vor. Hier fanden sich Entscheidungsbefugnisse in Reich-Länderstreitigkeiten, Organstreitigkeiten und Streitigkeiten der Länder untereinander. Hinzu kam die Verfassungsbeschwerde. [298.] Die in den §§130-189 FRV enthaltenen Grundrechte entsprachen wörtlich den bereits mit dem Reichsgesetz vom 27. Dezember 1848^^ verabschiedeten und besaßen - wie sich aus § 130 FRV ergab - unmittelbare Verbindlichkeit sowohl für die Reichsgewalt als auch innerhalb der einzehien Gliedstaaten. Die §§ 186 f. verlangten Homogenität der Einzelstaatenverfassungen mit der Reichsverfassung. [299.] Die §§ 190-197 FRV hatten die Gewähr der Verfassung zum Gegenstand. Dazu sah § 190 FRV den Eid des Kaisers, § 191 FRV den Eid der Reichsbeamten auf die Reichsverfassung vor. Hinsichtlich der Ministerverantwortlichkeit sollte erst ein gesondertes Gesetz ergehen (§ 192 FRV). Bestimmungen der Einzelstaaten durften der Reichsverfassung nicht widersprechen (§ 194 FRV). Bemerkenswert ist auch, daß § 195 FRV die Änderung der Regierungsform in einem Einzelstaat von der Zustimmung der Reichsgewalt abhängig machte. Verfassungsänderungen waren nach § 196 FRV nur durch einen Beschluß beider Häuser des Reichstages und mit Zustimmung des Reichsoberhauptes möglich. Insoweit hätte der Kaiser also ein Vetorecht gehabt. Die Beschlüsse beider Häuser konnten nur im Rahmen zweier Abstimmungen, zwischen denen mindestens acht Tage lagen, wirksam gefaßt werden; zudem war bei beiden Abstimmungen die Anwesenheit von jeweils mindestens zwei Dritteln der Mitglieder erforderlich, von denen wiederum zwei Drittel für die Abänderung stimmten mußten. Für den Kriegs- oder Aufmhrfall erlaubte § 197 FRV unter näher bezeichneten Voraussetzungen die zeitweise Außerkraftsetzung bestimmter Grundrechte. 4. Das Scheitern der Reichsverfassung [300.] Am 28. März 1849 wählte das Plenum der Nationalversammlung den preußischen König Friedrich Wilhelm IV. mit 290 Stimmen bei 248 namentlich aus den Reihen der verbliebenen „Großdeutschen" und „Linken" stammenden Enthaltungen zum deutschen Kaiser. Doch der preußische König lehnte die ihm Anfang April von einer Deputation der Nationalversammlung in Berlin angetragene Krone nach einigem Lavieren und gegen die Vorstellungen der daraufhin aufgelösten preußischen Zweiten Kammer (27. April 1849) am 28. April 1849 endgültig ab. „Ohne das freie Einverständniß der gekrönten Häupter, der Fürsten und ^2 Dok. 105.

§ 4: Reichsverfassungsbestrebungen 1848 - 1850

171

Freien Städte" wollte er jedenfalls keine „Entschließimg fassen, welche für sie und die von ihnen regierten deutschen Stämme die entschiedensten Folgen haben muß".^^ Letztlich erschienen dem König Kaiserwahl wie Verfassungsgebung durch die Nationalversammlung als revolutionäre Anmaßungen; mit seinen Vorstellungen von Gottesgnadentum und legitimistischen Fürstenrecht unvereinbar.^"^ Obendrein mochte auch die internationale Situation, die angesichts der Haltung der europäischen Großmächte eher gegen das friedliche Zustandekommen einer Reichsbildung sprach, die Ablehnung befordert haben.^^ Die Verfassungsgebung der Nationalversammlung war damit jedenfalls faktisch gescheitert,^^ Sie selbst blieb damit ungeachtet ihres immer wieder betonten Modellcharakters für spätere Verfassungsgebungen ein bloßes Programm jenseits der Rechtswirklichkeit. [301.] Damit ist indes noch nicht die Frage beantwortet, ob die Reichsverfassung zumindest de jure Rechtswirkung beanspruchen durfte. Immerhin war sie im Reichsgesetzblatt nach Maßgabe des allerdings nicht unumstrittenen Reichsgesetzes vom 27. September 1848^'^ verkündet worden und hätte demgemäß nach Ablauf des zwanzigsten Tages in Kraft treten müssen. Doch hätte dies bedeutet, der Nationalversammlung das Alleinentscheidungsrecht über die Verfassung zuzugestehen, das sie - wie bereits dargelegt - aber zumindest gegenüber Österreich, Preußen, Bayern und Hannover nicht besaß. Gegenüber den übrigen deutschen Gliedstaaten hätte sich die Annahme eines Inkrafttretens ohne weiteren Mitwirkungsakt der Länder immerhin gut vertreten lassen. Nichtsdestotrotz lief faktisch alles auf den Sieg des von den vier Staaten reklamierten Vereinbarungsprinzips hinaus. Das bedeutete, ohne die Anerkennung der Einzelstaaten würde die Reichsverfassung keine Rechtswirksamkeit entfalten. Diese erfolgte am 14. April 1849 in einer gemeinsamen Erklärung durch immerhin 28 deutsche Regierungen, nämlich Baden, Kurhessen, Hessen-Darmstadt, Oldenburg, beide Mecklenburg, SchleswigHolstein, Lauenburg, Braunschweig, Nassau, Sachsen-Weimar, Sachsen-Altenburg, Sachsen-Coburg, Sachsen-Meiningen, drei anhaltische Staaten, beide Schwarzburg, beide Reuß, beide Hohenzollem, Waldeck und die vier freien Städte.^^ In den genannten Staaten fand auch eine gesonderte Verkündung in den offiziellen Publikationsorganen statt. Es fehlte aber die Akzeptanz durch die bedeutendsten Staaten: neben den vier bereits vorgestellten Staaten vorerst auch Württemberg und Sachsen. Zwar verweigerten die Letztgenannten zunächst die Anerkennung, gaben sie später indes doch noch: im Falle Württembergs am 24. April 1849 auf Druck von Parlament und öffentlicher Meinung^^, im Falle Sachsens am

Erwiderung des Königs an die Deputation am 3. April 1849 (abgedruckt in: E. R. Huber [Fußn. 2], Nr. 114). Vgl. K. Kroger (Fußn. 30), S. 77 f.; D. E. Barclay, in: S. Freitag (Hrsg.), Die Achtundvierziger, Lebensbilder au der deutschen Revolution 1848/49, 1998, S. 290 ff.; K. Stern (Fußn. 26), S. 260. Grundlegend dazu noch immer ^. Scharjf, König Friedrich Wilhelm IV., Deutschland und Europa im Frühjahr 1849, in: Geschichtliche Kräfte und Entscheidungen, Festschrift für O. Becker, 1954, S. 138 ff; vgl. auch W. Treue, Die deutschen Parteien, 1975, S. 32. 56 J.-D. Kühne (Fußn. 6), S. 48. 5^ Dok. 103. ^^ Abgedruckt in: P. Roth/H. Merck (Fußn. 28), S. 480 ff 59 E. R. Huber (Fußn. 21), S. 853, 878.

172

1. Abschnitt: Gesamtdeutsche Verfassungsentwicklung (1803/06-1918)

4. Mai 1849 durch die zwischenzeitlich revolutionsbedingt gebildete provisorische Regierung.^^ Zusätzlich in der Verweigerungsfront standen dagegen Luxemburg, Liechtenstein, Lippe, Schaumburg-Lippe und Hessen-Homburg. [302.] In dem nun einsetzenden Kampf um die Reichsverfassung stand die Nationalversammlung von vornherein auf verlorenem Posten. Entscheidend war indes allein die ablehnende Haltung Preußens. Über diese tief enttäuscht forderte die Nationalversammlung mit hauchdüimer Mehrheit (190 gegen 188 Stimmen) am 4. Mai 1849 alle deutschen Regierungen, „gesetzgebenden Körper" und Gemeinden sowie „das gesammte deutsche Volk" auf, die Reichsverfassung zu Anerkennung und Geltung zu bringen.^^ Obendrein sollten Wahlen zum Volkshaus am 15. Juli 1849 durchgeführt und. beide Häuser des Reichstages zur konstituierenden Sitzung auf den 22. August 1849 nach Frankfurt a. M. einberufen werden. Gegebenenfalls war man bereit, bis zur Anerkeimung der Reichsverfassung durch Preußen vorerst auf dessen Teilnahme zu verzichten. Man gedachte sich interimistisch mit der sich politisch abzeichnenden kleinstdeutschen Lösung ohne die bedeutendsten Staaten einzurichten. Zu diesem Zweck sollten auch die noch nicht ausführbar erscheinenden Bestimmungen „der für ganz Deutschland gegebenen Verfassung" auf dem in der Reichsverfassung vorgeschriebenen Wege „provisorisch" mit Zweidrittelmehrheit aller teilnehmenden Mitglieder abgeändert werden können, „bis die Verfassung überall in Wirksamkeit getreten sein wird". Offenbar hatte sich nunmehr selbst die Nationalversammlung von ihrem Alleinentscheidungsanspruch in der nationalen Verfassungsfrage verabschiedet und akzeptierte das von den größeren Staaten geltendgemachte Vereinbarungsprinzip, dem jetzt allerdings durch Druck aus den Einzelstaaten im Sinne der Nationalversammlung Rechnung getragen werden sollte. [303.] Preußen betrachtete diesen Aufruf- wie das Staatsministerium in seinem Erlaß vom 7. Mai 1849^^ klarstellte - als eine Kompetenzüberschreitung, welche zudem die Gefahr berge, „die Verfassung selbstständig und ohne Sanktion der Regierungen, also auf dem Wege der Gewalt und Revolution, zur Ausführung zu bringen." Dem werde mit allen Mittehi entgegenzutreten sein. In der Tat verfehlte der Aufruf der Nationalversammlung vielerorts in Preußen seine Wirkung nicht. Namentlich in Westfalen und den Rheinlanden, kam es im Zuge dieser „Reichsverfassungskampagne"^^ zu spontanen Landwehrmeutereien, die indes schnell niedergeschlagen wurden. Am 14. Mai 1849 verlautbarte seitens der preußischen Regierung, „daß sie die Versammlung in Frankfurt nicht länger als auf gesetzlichen Boden stehend .. . ansehen kann . . . und daß sie gegen alle weiteren Berathungen und Beschlüsse derselben sich im voraus feierlich verwahren muß". Wie zuvor schon Österreich erklärte nun Preußen die Mandate seiner Abgeordne-

Entsprechendes Schreiben der provisorischen Regierung vom 4. Mai 1849 (abgedruckt in: Verhandlungen der deutschen Nationalversammlung, Bd. 9, S. 6464). Aufruf der Nationalversammlung zur Durchsetzung der Reichsverfassung (abgedruckt in: a. a. O., S. 6396). Abgedruckt in: P. RothIK Merck (Fußn. 28), S. 511. Vgl. dazu die nach wie vor lesenswerte Darstellung von V. Valentin, Geschichte der deutschen Revolution von 1848 - 1849, Bd. 2, 1977 (zuerst 1932), S. 448 - 544.

§ 4: Reichsverfassungsbestrebungen 1848 - 1850

173

ten in der Nationalversammlung fiir erloschen.^"^ Sachsen, Hannover, später auch Baden riefen ebenfalls ihre Mandatsträger zurück. Die Mehrzahl der Abgeordneten legte daraufhin auch tatsächlich ihre Mandate nieder. [304.] Die preußische Entscheidung gegen die Reichsverfassung und der Aufruf der Nationalversammlung lösten Anfang Mai 1849 die „Reichsverfassungskampagne" aber auch in Sachsen, in der Rheinpfalz und in Baden aus. Die war letztlich nichts anderes als der fruchtlose Versuch, eine bereits gescheiterte Verfassung durch Bürgerkrieg retten zu wollen. Die zumeist nationalrevolutionär motivierten offenen Erhebungen wurden indes auf Beistandsersuchen der betroffenen Landesregierungen mit Hilfe preußischer Truppen unterdrückt. Die Nationalversammlung protestierte zwar am 10. Mai 1849 gegen die Intervention in Sachsen und erklärte das preußische Einschreiten auf Antrag der Linken mit 188 gegen 147 Stimmen für einen „schweren Bruche des Reichsfriedens".^^ Auch stellte sie die im Aufstand begriffene bayerische Rheinpfalz „unter den Schutz des Reichs".^^ In Wirklichkeit konnte sie aber nicht einmal verhindern, daß die Reichszentralgewalt die Reichstruppen unter dem Befehl des Generals von Peucker im Mai und Juni 1849 an der Seite der preußischen Truppen zur Niederwerfung des badischen Aufstandes vorgehen ließ. [305.] Es begannen sich in der nach dem Exodus seit dem 14. Mai 1849 schließlich nur noch etwa 150 Abgeordnete zählenden Nationalversammlung die Linken gegen die noch verbliebenen Liberalen und Konservativen durchzusetzen. Erstere erreichten mit einer Abstimmung, die mit 71 zu 64 Stimmen denkbar knapp ausging, am 30. Mai 1848, daß die Nationalversammlung unter Zurücklassung der sich weigernden Liberalen und Konservativen nach Stuttgart verlegt wurde und degradierten sie wegen ihrer nur noch geringen Abgeordnetenzahl (110!) endgültig zu einem bloßen Rump^arlament. Dieses geriet durch eine Reihe rechtsunwirksamer Beschlüsse schnell ins politische Abseits und wurde schließHch durch württembergische Truppen am 18. Juni 1849 aufgelöst. [306.] Auch die in Frankfurt verbliebenen Reichsinstanzen erkannten bald die Unhaltbarkeit ihrer Situation. Im August und September 1849 verhandelten Österreich und Preußen über die Beendigung der Amtsstellung des Reichsverwesers bei gleichzeitiger Übernahme der Reichszentralgewalt durch eine interimistische Bundeskommission. Man schloß am 30. September 1849 eine entsprechende Übereinkunft.^'^ Hierin (§1) verabredeten die „Deutschen Bundes-Regierungen . . . im Einverständniß mit dem Reichs-Verweser ein Interim, wonach Oestreich und Preußen die Ausübung der Central-Gewalt für den Deutschen Bund im Namen sämmtlicher Bundesregierungen bis zum 1. Mai 1850 übernehmen". Hier tauchte also der in den letzten eineinhalb Jahren bis an den Rand seines faktischen Unterganges getriebene Deutsche Bund wie der Phoenix aus der Asche rechtlich wieder auf. Er hatte offenbar allen Anfechtungen zum Trotz nicht nur juristisch, sondern Abgedruckt in: P. Roth/H. Merck (Fußn. 28), S. 523 ff. - Vgl. auch die nicht in der preußischen Gesetzsammlung veröffentlichte Verordnung vom 14. Mai 1849 (abgedruckt in: a. a. O., S. 522). Verhandlungen der deutschen Nationalversammlung, Bd. 9, S. 6503. A. a. O., S. 6597. Actenstücke betr. das Bündnis v. 26sten Mai und die Deutsche Verfassungsangelegenheit. 1. Bd. N.F., 1849, S. 20 ff.

174

1. Abschnitt: Gesamtdeutsche Verfassungsentwicklung (1803/06-1918)

auch im Bewußtsein der Regierungen überlebt. Bemerkenswert war insoweit auch der in § 2 bestimmte Zweck dieses Interims; nämlich „die Erhaltung des Deutschen Bundes als eines völkerrechtlichen Vereines der Deutschen Fürsten und Freien Städte zur Bewahrung der Unabhängigkeit und Unverletzlichkeit ihrer im Bunde begriffenen Staaten, und zur Erhaltung der inneren und äußeren Sicherheit Deutschlands". Das entsprach wörtlich dem in Art. 1 WSA umschriebenen Bundeszweck. Vor dem Hintergrund des konsequenterweise insgesamt weiter geltenden Bundesrechts war es dann aber jedenfalls mit den Art. 6 DBA, 12 WSA unvereinbar, wenn während des Interims „die deutsche Verfassungsangelegenheit" auch bezüglich der in Art. 6 DBA dem Plenum der Bundesversammlung zugewiesenen Angelegenheiten „der freien Vereinbarung der einzelnen Staaten überlassen blieben" (§ 3). Hierzu hätte es zunächst des Wiederzusammentritts der Bundesversammlung bedurft, die als einziges von Verfassungs wegen dazu berufenes und den „Gesamtwillen des Bundes" aussprechendes Bundesorgan derartige Regelungen beschließen konnte (Art. 10 WSA). Ein sukzessiver Beitritt aller übrigen deutschen Bundesglieder zu der Übereinkunft reichte dafür nicht aus. Die bisher von der provisorischen Reichsgewalt geleiteten Angelegenheiten sollten für die Dauer des Interims einer zu je aus zwei von Preußen und Österreich zu benennenden Mitgliedern bestehenden Bundeskommission mit Sitz in Frankfurt a. M. übergehen, bei der sich die übrigen Regierungen durch Bevollmächtigte vertreten lassen koimten (§ 5). Sobald auch die Regierungen der Einzelstaaten der Vereinbarung zustimmten, würde der Reichsverweser seines Amtes entsagen und die ihm zukommenden Rechte und Pflichten auf Österreich und Preußen übertragen (§ 7). Nach vollzogener Ratifikation der Übereinkunft trat auch der Reichsverweser der Vereinbarung am 13. Oktober 1849 bei. Letzterer zog den Schlußstrich unter die Episode gebliebene Geschichte der Reichsorgane aber erst, als er am 20. Dezember 1849 von seinem Amt zurücktrat. Allerdings mußte die interimistische Bundeskommission ihre Tätigkeit am 1. Mai 1850 einstellen, weil man sich seitens der beiden deutschen Großmächte auf eine Fortsetzung nicht verständigen koimte.

IL Erfurter Union [307.] Anlaß für weitere, allerdings unter anderen Vorzeichen angestrengte Reichsverfassungsbetrebungen waren politische Überlegungen von Radowitz', der als enger Freund und Berater des preußischen Königs Friedrich Wilhelm IV. nach dessen Ablehnung der Kaiserkrone über ein Fürstenbündnis eine Verfassungsgebung von oben anstrebte. Zur Realisierung seines Planes trafen sich auf die Einladung Preußens vom 28. April 1848^^ am 17. Mai 1849 die Vertreter Österreichs sowie der vier Königreiche Preußen, Bayern, Sachsen und Hannover zu Verhandlungen über diesen Plan in Berlin. Grundlage der Verhandlungen war ein die Eckpunkte einer künftigen gesamtdeutschen Verfassungsordnung beschreibender Vor-

Abgedruckt in: P. RothlH. Merck (Fußn. 28), S. 494 ff.

§ 4: Reichsverfassungsbestrebungen 1848 - 1850

175

schlag Preußens vom 9. Mai 1849.^^ Dieser beinhaltete im Kern die Reaktivierung der Gagemschen Idee eines von Preußen unter seiner Führung projektierten deutschen Bundesstaates („engerer Bund"), der in einem „unlöslichen" Staatenbund mit Österreich zu einer „deutschen Union" vereint („weiterer Bund") gev^esen wäre. Erwartungsgemäß lehnte das nur an der ersten Sitzung von insgesamt neun Sitzungen teilnehmende Österreich das preußisch initiierte Vorhaben kategorisch ab^^ und auch das bis zum Abschluß der Verhandlungen anwesende Bayern verweigerte sich dem Projekt. Doch gelang es dem HohenzoUemstaat am 26. Mai 1849 immerhin, zusammen mit Hannover und Sachsen das sogenannte „Dreikönigsbündnis"'^^ zuschließen. [308.] Die drei Staaten verpflichteten sich - offenbar ebenfalls den Fortbestand des zwischenzeitlich in der politischen Wahrnehmung weitgehend abgetauchten Deutschen Bundes vor Augen - laut Art. 1 Abs. 1 dieser Vereinbarung „in Gemäßheit des Art. 11 der Deutschen Bundes-Akte vom 8. Juni 1815'^^" zur Errichtung eines Bündnisses „zum Zwecke der Erhaltung der äußern und innem Sicherheit Deutschlands und der Unabhängigkeit und Unverletzlichkeit der einzelnen Deutschen Staaten". Zu dem Bündnis sollte „der Beitritt . . . allen Gliedern des Deutschen Bundes offen" stehen (Art. 2 Abs. 1). Für sämtliche diesem Bündnis hinzutretenden Glieder des Deutschen Bundes blieben ihre dem letzteren gegenüber bestehenden Pflichten und Rechte erhalten (Art. 1 Abs. 2). Die Oberleitung des Bündnisses sollte an Preußen gehen (Art. 3 § 1). Man verpflichtete sich insbesondere, dem deutschen Volke eine „den Bedürfnissen der Zeit und den Grundsätzen der Gerechtigkeit... nach Maaßgabe des unter ihnen vereinbarten und diesem Vertrage anzuschließenden Entvsoirfs" entsprechende Verfassung zu geben (Art. 4 Abs. 1). Dieser Entwurf sollte einer „lediglich zu diesem Zwecke zu berufenden Reichs-Versammlung" vorgelegt werden (Art. 4 Abs. 2); wobei man offensichtlich von einem unmittelbaren Inkrafttreten der modifikationslos als Verfassung angenommenen Bestimmungen ausging. Einen von der nochmaligen Zustimmung durch die betreffenden Einzelstaaten abhängigen Gültigkeitsvorbehalt hatte man nämlich ausdrücklich nur für den Fall vorgesehen, daß die Reichsversammlung ihrerseits noch einmal „Abänderungen" vornähme (Art. 4 Abs. 3). Damit waren anders als bei der Frankfurter Reichsverfassung - etwaig entstehende Differenzen um die Rechtsverbindlichkeit der Verfassung wegen der insoweit klar umrissenen Grenzen des Vereinbarungsprinzips eigentlich ausgeschlossen. [309.] Im Unterschied zu der von unten ausgehenden Frankfurter Verfassungsbewegung reifte hier - gleichsam als zeitgemäße und konstruktive monarchischkonservative Antwort auf die revolutionären Herausforderungen^^ - der Gedanke einer Verfassungsgebung von oben. Nunmehr präsentierten sich also die Regierungen als Initiatoren und Träger der nationalen Einheit. Doch banden sich Sachsen und Hannover nicht vorbehaltlos an die künftige Verfassung, sondern nur für ^^ Abgedruckt in: a. a. O., S. 573 ff. (Denkschrift), 585 ff. (Grundlinien einer Unionsakte). Vgl. etwa die österreichische Denkschrift vom 16. Mai 1849 (abgedruckt in: a. a. O., S. 588 ff). Dok. 107. Dok.31. D. E. Barclay, Preußen und die Unionspolitik 1849/50, in: G. Mai (Hrsg.), Die Erfurter Union und das Erfurter Unionsparlament 1850, 2000, S. 53 (63).

176

1. Abschnitt: Gesamtdeutsche Verfassungsentwicklung (1803/06-1918)

den Fall, daß diese - wie sächsischerseits hervorgehoben wurde - „Gemeingut der ganzen Deutschen Nation und nicht nur eines Theils derselben werde", also abgesehen von Österreich alle anderen deutschen Staaten - namentlich Bayern und Württemberg - sich ebenfalls dem neuen Bündnis anschlössen.^"^ Ansonsten wollte man sich anderweitige Optionen offen halten. Hierin schwang gewiß die Befürchtung der beiden Mittelstaaten mit, sich am Ende des preußischen Unionsplans nicht als Teil eines alle deutschen Staaten umfassenden kleindeutschen Reichs, sondern lediglich als Satellit eines Großpreußen wiederzufinden. Zur Führung der auf die Zweckerreichung des Bündnisses gerichteten Geschäfte setzten die Vertragspartner einen Verwaltungsrat mit Sitz in Berlin ein, der sofort nach der Ratifikation des Vertrages zusammentreten sollte (Art. 3 § 2). Der Verwaltungsrat trat am 18. Juni 1849 zusammen. Zum Zwecke der Entscheidung über Streitigkeiten wurde ein Schiedsgericht in Erfurt vereinbart (Art. 5), dessen Konstituierung am 2. Juli 1849 erfolgte. [310.] Bereits zwei Tage nach dem Bündnisvertrag lag der als „Erfurter Unionsverfassung'' (EV) bekannt gewordene Entwurf einer Verfassung für ein Deutsches Reich vom 28. Mai 1849 wox?^ Der Entwurfstext diente den drei Verbündeten zunächst als Basis für eine provisorische Ordnung. Die meisten seiner Bestimmungen lehnten sich unverkennbar in Gliederung und Formulierung eng an die Frankfurter Reichsverfassung (FRV) vom 28. März 1849'^^ an. Nahezu zwei Drittel der Bestimmungen waren wörtlich übernommen. Sofern es Abweichungen vom Frankfurter Vorbild gab, bezogen sich diese in erster Linie auf die Stärkung der Exekutive gegenüber der Volksvertretung und der Gliedstaaten gegenüber dem Reich.^^ [311.] Gleichwohl zielte der Entwurf eindeutig - worauf auch sein dem Art. 87 Abs. 2 FRV insoweit vollinhaltlich entsprechender § 85 hinwies - auf einen „Bundesstaat". Auch hier ging es um die Verfassung eines der „kleindeutschen Lösung" verschriebenen Deutschlands unter Preußens Führung. Ebenso wie in § 66 FRV wurde von § 63 EV der prinzipielle Vorrang des Reichsrechts vor dem Recht der Gliedstaaten bestätigt. Femer blieb es im wesentlichen bei den bereits vom Frankfurter Vorbild dem Reich zugewiesenen mannigfaltigen Zuständigkeiten. Eine bedeutsame Abweichung bildeten hier indes die §§ 48 f. EV, die das Reich zur Bestreitung seiner Ausgaben „zunächst" auf die von den einzekien Staaten zu erhebenden Matrikularbeiträge, „in außerordentlichen Fällen" zusätzlich auf die Aufnahme von Anleihen oder sonstigen Schulden verwiesen. Es hätte im übrigen aber - anders als nach den § § 4 9 - 5 1 , 102 Nr. 2 FRV - weder einen Anteil an Zöllen und indirekten Steuern noch die Kompetenz zur Einführung von Reichssteuem erhalten. Demgegenüber konnte es sich bei dem wörtlich aus § 102 Nr. 2 FRV übernommenen, im Rahmen der Festlegung der Reichstagskompetenzen die Möglichkeit zur Erhebung von Reichssteuem voraussetzenden § 100 Nr. 2 '

Actenstücke betr. das Bündnis v. 26sten Mai und die Deutsche Verfassungsangelegenheit. 1. Bd. N. F., 1849, S. 89 ff. (Sachsen) und 92 (Hannover), Zitat S. 90. ^5 Dok. 108. ^^ Dok. 106. •^^ H. Boldt, Die Erfurter Unionsverfassung, in: G. Mai (Hrsg.), Die Erfurter Union und das Erfurter Unionsparlament 1850, 2000, S. 417 (420).

§ 4: Reichsverfassungsbestrebungen 1848 - 1850

177

EV nur um eine während der Redaktion versehentlich beibehaltene Formulierung handeln.^^ Angesichts dieser Ausgestaltung der Finanzverfassung wäre das Reich wohl vielfach nicht mehr als ein „Kostgänger der Länder" gewesen.^^ [312.] Bei aller grundlegenden Übereinstimmung im übrigen wies der Entwurf aber auch sonst noch eine Reihe von Abweichungen gegenüber der Frankfurter Reichverfassung auf: Dies offenbarte bereits § 1 Satz 1 EV, demzufolge das Deutsche Reich aus denjenigen Mitgliedem des bisherigen Deutschen Bundes bestehen sollte, welche die Unionsverfassung von sich aus anerkannten. Reichsgebiet und vormaliges Bundesgebiet hätten danach längst nicht mehr identisch sein müssen; ersteres hätte gegenüber letzterem also auch ein Minus sein köimen; was angesichts der bekannten österreichischen Ablehnung eines nationalen Bundesstaates und einer nicht auszuschließenden Verweigerungshaltung einzelner Staaten lediglich den politischen Realitäten bzw. Eventualitäten Rechnung trug. Allerdings ging man offenbar von der Aimahme aus, daß von Österreich abgesehen - dessen Verhältnis zum Reich gemäß § 1 Satz 2 EV gesondert festzustellen gewesen wäre - letztlich alle anderen deutschen Staaten dazu gehören würden. [313.] Überdies war als Reichsoberhaupt nicht etwa ein Kaiser, sondern ein „Reichsvorstand" vorgesehen. Dieser sollte an der Spitze eines aus sechs von den Gliedstaaten zu bestellenden Bevollmächtigten zusammengesetzten und als Regierung fungierenden Fürstenkollegiums stehen (§§ 65 f. EV). Die Regierungsbefagnisse waren teils exekutivischer teils legislativischer Natur. Wobei dem Reichsvorstand allein die Wahrnehmung der exekutiven Befugnisse zukam; was sich nicht zuletzt darin äußerte, das er die ihm übertragene Gewalt durch verantwortliche, von ihm ernannte Minister auszuüben hatte (§ 69 EV). Das Fürstenkollegium, dem der Reichsvorstand lediglich als Erster unter Gleichen mit dem Recht der ausschlaggebenden Stimme bei Stimmengleichheit vorsaß (§ 77 Satz 2 EV), übte indes die legislativen Befugnisse der Reichsregierung aus. Ihm als Ganzes stand ebenso wie dem Reichstag, mit dem man gemeinsam die Gesetzgebungsgewalt innegehabt hätte, das Gesetzesinitiativrecht zu (§ 76 EV). Anders als in § 101 FRV dem Kaiser bzw. seiner Regierung sollte dem Reichsvorstand allein wie auch dem Fürstenkollegium gegen Beschlüsse des Reichstages nicht ein bloß suspendierendes, sondern ein absolutes Veto zustehen (§ 99 EV). Dies galt auch im Falle von Verfassungsänderungen (§ 194 Abs. 1 EV). Durch das uneingeschränkte Vetorecht wurde das politische Gewicht des Reichstags gegenüber demjenigen der Frankfurter Reichsverfassung erheblich vermindert; damit ursprünglich richtungsweisende Ansätze zur Verwirklichung eines parlamentarischen Systems gekappt.^^ In dem Fürstenkollegium erhielten nur Preußen und Bayern jeweils ihren eigenen Bevollmächtigten; die übrigen Staaten fanden sich hinsichtlich der anderen vier Bevollmächtigten regional zugeordnet entweder in einer sächsisch-thürin-

78 79

Vgl. auch M. Botzenhart, Deutscher Parlamentarismus in der Revolutionszeit 1848 - 1850, 1977, S. 718 Anm. 6, der in der Beibehaltung des § 100 Nr. 2 EV einen „gewissen Widerspruch" sieht. K Boldt (Fußn. 77), S. 426. M Botzenhart (Fußn. 78), S. 719.

178

1. Abschnitt: Gesamtdeutsche Verfassungsentwicklung (1803/06-1918)

gischen^^, norddeutschen^^, südwestdeutschen^^ oder einer im wesentlichen hessischen Kurie^"^ wieder und mußten sich auf einen die jeweilige Kurie vertretenden gemeinschaftlichen Bevollmächtigten verständigen (§ 67 EV). [314.] Ebenso wie nach dem Frankfurter Vorbild hatte sich der Reichstag aus einem Staatenhaus und einem Volkshaus zusammenzusetzen (§ 83 EV). Für das Volkshaus sollte jedoch nicht das in Frankfurt a. M. beschlossene direkte und gleiche Wahlrecht gelten, sondern gemäß dem zeitgleich vorgelegten „Entwurf eines Gesetzes betreffend die Wahlen der Abgeordneten zum Volkshause"^^ das indirekte Dreiklassenwahlrecht nach dem soeben erst geschaffenen preußischen Muster^^. Die dort aufgestellten Wahlrechtsgrundsätze waren fiir die Wahlen zum Volkshaus von den Mitgliedstaaten der Union in einzelstaatliches Recht zu transformieren. Demgegenüber veränderte sich die Zusammensetzung des Staatenhauses gegenüber § 87 FRV nur insofern, als die dort noch vorgesehenen Stimmen Österreichs entfielen und dafür das Stimmengewicht einzelner Gliedstaaten nämlich Bayern, Sachsen, Hannover, Württemberg, Baden, Kurhessen, HessenDarmstadt, Holstein, Nassau, Hamburg - zahlenmäßig erhöht wurde (§ 85 EV). Dem Staatenhaus widerfuhr jedoch in Budgetfragen eine Aufwertung; wurde es doch nunmehr bei der Verabschiedung des Haushalts dem Volkshaus gleichgestellt. Denn anders als nach § 103 Nr. 6 Satz 2 FRV konnte gemäß § 101 Nr. 6 Satz 3 EV ein „endgültiger Beschluß . .. nur durch die Uebereinstimmung beider Häuser zu Stande kommen" und nicht mehr durch das Volkshaus allein. Regelungen für den Fall, daß sich kein Konsens zwischen beiden Häusern erreichen ließ, fehlten indes. Die Haushaltsperiode wurde von einem Jahr (§ 103 Nr. 3 FRV) auf drei Jahre verlängert (§ 101 Nr. 1 EV). [315.] Aus der Frankfurter Reichsverfassung übernahm man mit den §§ 128 187 EV zudem zwar weitgehend auch die Grundrechtsnormen. Doch waren sie in den die Länder betreffenden Kompetenzbereichen in ihrer Geltung nunmehr mediatisiert; insofern entfalteten sie nämlich für den einzelnen gegenüber der landesherrlichen Gewalt keine unmittelbare Wirkung. Sie hatten - in Übereinstimmung mit § 130 FRV „den Verfassungen der deutschen Einzelstaaten zur Norm" zu dienen, jedoch galten sie - unter bewußter Abweichung von der Frankfurter Regelung - nur noch mit einem ausdrücklichen Vorbehalt für nähere Regelungen durch die Landesgesetzgebung (§128 EV). Obendrein wurden einzelne Grundrechtsbestimmungen ersatzlos gestrichen. Dies galt etwa für die Abschaffung des Adels-

Sachsen, Sachsen-Weimar, Sachsen-Coburg-Gotha, Sachsen-Meiningen-Hildburghausen, Sachsen-Altenburg, Anhalt-Dessau, Anhalt-Bemburg, Anhalt-Köthen, Schwarzburg-Sondershausen, Schwarzburg-Rudolstadt, Reuß ä. L., Reuß j . L. Hannover, Braunschweig, Holstein, Mecklenburg-Schwerin, Mecklenburg-Strelitz, Oldenburg, Lübeck, Bremen, Hamburg. Württemberg, Baden, Hohenzollem-Hechingen, HohenzoUem-Sigmaringen, Liechtenstein. Kurhessen, Hessen-Darmstadt, Luxemburg, Nassau, Waldeck, Schaumburg-Lippe, Lippe-Detmold, Hessen-Homburg, Frankfurt. Abgedruckt in: Stenographischer Bericht über die Verhandlungen des Deutschen Parlaments zu Erfurt, 1850, Volkshaus, 1. Sitzung vom 20. März 1850, S. 19. 86 Preußische Verordnung über die Ausführung der Wahl der Abgeordneten zur zweiten Kammer vom 30. Mai 1849 (Gesetz-Sammlung für die Königlichen Preußischen Staaten, 1849, S. 205).

> 4: Reichsverfassungsbestrebungen 1848 - 1850

179

Standes (vgl. § 135 EV), das Verbot der Todesstrafe (vgl. § 137 EV) und die unentgeltliche Aufhebung des Jagdrechts auf fremden Grund und Boden (vgl. § 167 Abs. 2 EV). Die Zuständigkeit der Schwurgerichte wurde zwar für „schwerere Strafsachen" beibehalten, doch anstatt - wie zuvor - sich auf alle politischen Vergehen zu erstrecken, beschränkte sie sich nunmehr auf „schwere politische Vergehen" (§ 177 Abs. 2 EV). Alles in allem handelte es sich bei dem Erfrirter Entwurf aber noch immer um einen der modernsten zeitgenössischen Verfassungstexte, auf deren Grundlage Deutschland - wie es H. Boldt zu Recht formuliert - „zu einem der fortschrittlichsten Staaten Europas geworden wäre".^'^ [316.] Ebenfalls am 28. Mai 1849 zeigte Preußen auch im Namen seiner Verbündeten mittels Zirkulamote sämtlichen deutschen Regierungen den Vertragsschluß und die vorläufige Verfassungsvereinbarung^^ am 30. Mai 1849 auch die Einsetzung des Schiedsgerichts^^ an. Mit einer den Regierungen am 11. Juni 1849 übersandten Denkschrift^^ begründeten die Bündnispartner den Verfassungsentwurf und forderten die übrigen deutschen Staaten zum Bündnisbeitritt auf. Für den Fall, daß eine ausreichende Anzahl der Staaten dem zustimmte, würde zur Wahl eines in Erfurt zusammentretenden, die endgültige Verfassung festlegenden Reichstages geschritten. Diesem war damit offenkundig die in Art. 4 Abs. 2 und 3 des Bündnisvertrages vom 26. Mai 1849^^ vorgesehene Funktion der „ReichsVersammlung" zugedacht. [317.] Preußen bemühte sich in den nächsten Monaten um die Zustimmung der kleineren Staaten zum Beitritt und schien damit zunächst auch erfolgreich zu sein. Denn nach und nach willigte die Mehrzahl der Umworbenen ein. Bis Dezember 1849 gehörten immerhin 26 Länder^^ zur Union; darunter viele, die bereits die Frankfurter Reichsverfassung ausdrücklich anerkannt hatten und diese damit desavouierten. Ganz anders verhielt es sich mit den beiden süddeutschen Königreichen Bayern und Württemberg. Diese lehnten mit Rückendeckung des nach der Niederschlagung der ungarischen und italienischen Aufstände sich zunehmend konsolidierenden und immer entschiedener gegen die preußischen Unionsbestrebungen auftretenden Österreichs am 8. September 1849^^ (Bayern) und 26. September 1849^"^ (Württemberg) die Bündnisofferten definitiv ab. Dem schlossen sich die Niederlande für Luxemburg-Limburg sowie Hessen-Homburg^^ Frankfurt

90

^1 ^•^

^^ ^"^ ^^

(Fußn. 77), S. 428. Actenstücke betr. das Bündnis v. 26sten Mai und die Deutsche Verfassungsangelegenheit. 1. Bd. N.F., 1849, S. 82ff. A. a. O., S. 94 ff. A. a. O., S. 99 ff. Dok. 107. Preußen, Kurhessen, Hessen-Darmstadt, Baden, beide Mecklenburg, Sachsen-Weimar, Oldenburg, Nassau, Braunschweig, Sachsen-Altenburg, Sachsen-Coburg-Gotha, Sachsen-Meiningen, AnhaltDessau, Anhalt-Köthen, Anhalt-Bemburg, beide Schwarzburg, Lippe-Detmold, SchaumburgLippe, beide Reuß, Waldeck, Hamburg, Bremen und Lübeck. Actenstücke betr. das Bündnis v. 26sten Mai und die Deutsche Verfassungsangelegenheit. 1. Bd. N.F., 1849,S. 62. A. a. O., S. 70 f. A.a.O.,S.72.

180

1. Abschnitt: Gesamtdeutsche Verfassungsentwicklung (1803/06-1918)

und Liechtenstein an. Schleswig-Holstein erklärte sich angesichts seiner kriegerischen Verwicklungen mit Dänemark überhaupt nicht. [318.] Auch die zum Urbestand der Union zählenden Königreiche Hannover und Sachsen waren dem Bündnis mittlerweile abhanden gekommen. Denn der unter preußischem Vorsitz tagende Verwaltungsrat beschloß mehrheitlich gegen die Stimmen der beiden Königreiche am 19. Oktober 1849 für den 15. Januar 1850 die Durchführung der Wahlen zum Volkshaus des Reichstages.^^ Dies war für Sachsen und Hannover der willkommene Anlaß, um dem zwischenzeitlich massiven diplomatischen Druck des unionsfeindlichen Österreichs auf sie nachzugeben. In einer gemeinsamen Note vom 20. Oktober 1849^'^ protestierten beide Staaten gegen die angeblich „dem Bündniß vom 26. Mai entgegenlaufende, die Zwecke desselben gefährdende und insbesondere die äußere und innere Sicherheit Deutschlands bedrohende Maßregel" und zogen sich unter Berufung auf ihre bereits bei Abschluß des Bündnisvertrages jeweils erklärten Allbeteiligungsvorbehalte vom Verwaltungsrat zurück. Bedeutete dies formaljuristisch auch noch nicht den Austritt aus dem Bündnis, so doch faktisch. Zum förmlichen Bruch sollte es erst einige Monate später kommen. [319.] Der Verwaltungsrat beharrte indes, auch von österreichischem Protest begleitet, unter Hinweis auf die Art. 1 und 4 des Bündnisvertrages vom 26. Mai 1849^^ auf der Rechtmäßigkeit seines Beschlusses und legte am 17. November 1849 den Wahltermin endgültig fur den 31. Januar 1850 fest.^^ Die Wahlen fanden dann tatsächlich unter dem vorgesehenen Datum in allen unionstreuen Staaten statt, so daß der Verwaltungsrat am 13. Februar 1850 beide Häuser des Reichstages zu ihrer Konstituierung für den 20. März 1850 einberufen konnte. Hannover kehrte daraufhin der Union am 21. Februar 1850 auch formlich den Rücken.^°° Sachsens formlicher Austritt datiert dagegen erst vom 25. Mai 1850, als es Preußen gegenüber erklärte, daß der Vertrag vom 26. Mai 1849 „als abgelaufen und aufgehoben", demgemäß alle daraus sich ergebenden Rechte und Pflichten „als erloschen" angesehen würden.^°^ [320.] Da sich mit der Ablehnung der vier wichtigsten deutschen Mittelstaaten die Basis des Reichsverfassungsplans merklich verändert hatte, beschloß der Verwaltungsrat am 26. Februar 1850 eine Additionalakte zu dem Entwurf der deutschen Reichsverfassung^^^. Diese sollte den Verfassungsentwurf vom 28. Mai 1849^^^ als „integrirenden Theil der Reichsverfassung mit gleicher bindender

^^ 9^ ^^ ^^ ^^^ ^^^

^02 1°^

A. a. O., S. 86 ff. A. a. O., S. 91 ff. Dok. 107. Wahlgesetz für das Erfurter Volkshaus (abgedruckt in: Actenstücke betr. das Bündnis v. 26sten Mai und die Deutsche Verfassungsangelegenheit. 1. Bd. N. F., 1849, S. 79 ff.). H.-G. Aschoff, Hannover, das Dreikönigsbündnis und die Erfurter Union, in: G. Mai (Hrsg.), Die Erfurter Union und das Erfurter Unionsparlament, 2000, S. 111 (132). Zitiert nach J. Müller, Vom Dreikönigsbündnis zum Vierkönigsbündnis. Sachsen und die Erfurter Union 1849/50, in: G. Mai (Hrsg.), Die Erfurter Union und das Erfurter Unionsparlament, 2000, S. 137(159). Dok. 109. Dok. 108.

§ 4: Reichsverfassungsbestrebungen 1848 - 1850

181

Kraft" modifizieren, bis alle deutschen Staaten mit Ausnahme Österreichs der „Reichs-Verfassung beigetreten sind", somit lediglich provisorischen Charakter haben. Solange würden die die Verfassung anerkennenden Staaten „den Deutschen Bundesstaat unter dem Namen „Deutsche Union" bilden (Art. 1 Satz 1 der Akte). Hier wurde der Namen des geplanten Bundesstaates von „Deutsches Reich" in ,JDeutsche Union" verwandelt; zudem änderte man die Bezeichnungen „Reichstag" in „Parlament der Deutschen Union", „Reichsgewalt" in „Unionsgewalt" und „Reichsvorstand" in „Unionsvorstand" (vgl. Art. 1 Satz 2 der Akte). Nach Art. 3 der Akte hätte die Deutsche Union als „politische Gesammtheit" alle im Rahmen des Deutschen Bundes den einzelnen Staaten zustehenden Rechte ausgeübt und die diesen obliegenden Pflichten erfüllt. Die der Unionsgewalt gemäß der §§6 und 7 EV zukommende völkerrechtliche Vertretung des ganzen Bundesstaates würde sich auch auf die nicht der Union angehörenden deutschen Staaten erstrecken (Art. 4 der Akte). Dies lief de facto auf eine politische Mediatisierung der verbliebenen Gliedstaaten hinaus. Denn diese durften von sich aus nicht mehr direkt in politische Verhandlungen zu den die Union ablehnenden deutschen Staaten treten. Obendrein wurde klargestellt, daß sich das der Union nach § 10 EV zustehende „Recht des Krieges und Friedens" nicht gegen die außerunionistischen deutschen Staaten richten dürfe; insoweit sollte es vielmehr bei den noch immer in Kraft stehenden, „den Landfrieden betreffenden Bestimmungen der Gesetzgebung des Bundes von 1815" bleiben (Art. 5 Abs. 1 der Akte). Gemeint waren hier die Art. 11 Abs. 4 DBA und 18 ff. WSA. Hiermit verhinderte man die Instrumentalisierung der Union für eventuelle deutsch-deutsche militärische Auseinandersetzungen. Des weiteren veränderte Art. 6 der Akte die in § 67 EV vorgesehene Zusammensetzung des Fürstenkollegiums: So reduzierte sich die Zahl der aufgezählten und damit stimmberechtigten Mitgliedstaaten von 38 auf nur noch 28. Entsprechend dem gesimkenen Mitgliederbestand verminderten sich die ursprünglich sechs Stimmen im Fürstenkollegium auf nunmehr fünf. Das Fembleiben Bayerns ließ dessen Stimme zunächst ersatzlos wegfallen. Baden stand nunmehr wegen der Nichtteilnahme Württembergs und Liechtensteins sowie der am 12. März 1850 an Preußen fallenden beiden HohenzoUem allein eine Stimme im Fürstenkollegium zu. Sachsen und Hannover wurden ungeachtet ihres bereits vollzogenen faktischen Ausscheidens formell als Gliedstaaten und damit auch als Mitglieder der zweiten bzw. dritten (Kuriat-)Stimme des Fürstenkollegiums mitbestimmende Faktoren behandelt. Die Zahl der Mitglieder des Staatenhauses sank angesichts des Mitgliederschv^oindes ebenfalls, nämlich von 167 (§ 85 EV) auf 120 (Art. 7 der Akte). Es fehlten hier die zwanzig Vertreter Bayerns, die zwölf von Württemberg, die sieben von Holstein, die drei von LuxemburgLimburg, der jeweils eine Vertreter von Hessen-Homburg, Liechtenstein und Frankfurt sowie die zwei Vertreter der beiden an Preußen übergehenden HohenzoUem. Formal ließen sich auf diese Weise die Lücken einigermaßen verdecken, die das Fembleiben der Königreiche in den Reichs verfassungsplan riß. Politisch aber war - worauf E. R. Huber^^^ zutreffend hinweist - die namentlich territorial drastisch (da faktisch auch um Hannover und Sachsen) reduzierte Union auf dieser 104 (Fußn.21),S. 893.

182

L Abschnitt: Gesamtdeutsche Verfassungsentwicklung (1803/06-1918)

Basis künftig schwerlich realisierbar. Insbesondere die der Union fehlenden Gebiete Hannovers und Württembergs schmälerten ihre gebietsmäßige Kohärenz auf empfindliche Weise. Dies galt für Oldenburg und die Hansestädte, die von der übrigen Union durch einen breiten Gürtel hannoverschen Gebiets getrennt waren. Baden und die hessischen Gebiete südlich des Mains verband nur die schmale Landbrücke ihrer Maingebiete mit der Union. Der neue preußische Regierungsbezirk Hohenzollem war im Württembergischen von der Union isoliert. Wenn im übrigen nach Art. 8 der Akte in die bestehenden Zollvereins- und Handelsverträge mit nicht der Union zugehörigen deutschen Staaten ungeachtet der durch die § § 3 3 - 4 0 EV der Union zugestandenen Kompetenzen unionsseitig nicht eingegriffen werden durfte, sollte damit sichergestellt werden, daß der innerdeutsche Wirtschaftsverkehr möglichst weitgehend aus den tagespolitischen Auseinandersetzungen herausgehalten würde. [321.] Seit dem 17. Januar 1850 fanden auf Österreichs Hinwirken in München Verhandlungen zwischen den Königreichen Bayern, Sachsen, Hannover und Württemberg über die Festlegung gemeinsamer Grundsätze für ihre Bundespolitik statt. Das Ergebnis war das am 27. Februar 1850 geschlossene, aber nur von Bayern, Württemberg und dem immerhin noch an die Erfurter Union gebundenen Sachsen unterzeichnete sogenannte „ Vierkönigsbündnis ''^^^. Sachsen brachte somit das Kunststück fertig, formal zugleich Mitglied beider Lager zu sein. Hannover sah indes mit Rücksicht auf sein sich ohnehin zunehmend verhärtendes Verhältnis zu Preußen von der Unterzeichnung ab.^°^ Die aus insgesamt neunzehn Artikeln bestehende Übereinkunft verstand sich als das staatenbündische Kontrastprogramm zum bundesstaatlich ausgerichteten Dreikönigsbündnis. Sie hatten die Wiederherstellung des Deutschen Bundes auf der Grundlage der alten, allerdings einer Revision zu unterziehenden Bundesverfassung zum Ziel. Zunächst wurde darin bestimmt, was künftig gemeinsame Bundesangelegenheiten zu sein hätten (Art. 1). Als Bundesorgane sollten eine aus sieben Mitgliedern (Österreich, die fünf deutschen Königreiche, die beiden Hessen) gebildete Bundesregierung (Art. 2, 3 - 7), eine aus 300 Mitgliedern bestehende (je 100 aus Österreich, Preußen und den übrigen deutschen Staaten), aus den Landtagen der Einzelstaaten hervorgehende und das Recht der Mitbestimmung bei neuen Bundesgesetzen, zur Feststellung der Bundesausgaben und zu den Matrikularumlagen habende Nationalvertretung (Art. 2, 8 - 14) sowie ein in seinen Zuständigkeiten nicht näher umrissenes Bundesgericht fungieren (Art. 2, 15). Die Bundesregierung sollte unmittelbar nach erklärter Zustimmung aller Mitgliedstaaten zu dem Bündnis gebildet werden und ein „Bundesgrundgesetz" entwerfen, welches mit dem Einverständnis aller Mitglieder an die Stelle der Bundesakte^^'^ und der Wiener Schlußakte^^^ TAX treten hätte (Art. 16 f.). Nach den durchgeführten Wahlen zur Nationalvertretung und deren Einberufung würde dieser das Bundesgrundgesetz zur Vereinbarung vorgelegt (Art. 18 f.). Österreich erklärte seinen Beitritt zu diesem Bündnis am 105 10^ 10^ 10^

Dok.110. H.-G.Aschojf{VuM. Dok.31. Dok.43.

100), S. 133.

§ 4: Reichsverfassungsbestrebungen 1848 - 1850

183

13. März 1850 unter dem Vorbehalt, daß die Kompetenzen der Bundesorgane gemäß der Grundlinien der Übereinkunft begrenzt blieben, keine Grundrechte aufgenommen würden und man dem erneuerten Bund mit dem Gesamtgebiet der habsburgischen Monarchie würde beitreten können. ^^^ Diese vermeintliche Fortentwicklung der Bundesverfassung blieb angesichts der tatsächlichen politischen Verhältnisse ohne jegliche Realisierungschance. Sie dokumentierte jedoch eindeutig die zunehmend erstarkende Opposition gegen Preußens bundesstaatliche Aktivitäten. Auch stellte sie keineswegs die durch die Paulskirche und Preußens Unionsbestrebungen unterbrochene „Rechtskontinuität von der vormärzlichen in die nachrevolutionäre Zeit her" ^^^. Wäre doch auch das Vierkönigsbündnis keine wirklich am bestehenden Deutschen Bund anknüpfende, erst Recht keine „legale", d. h. keine auf der Grundlage von Bundesakte und Wiener Schlußakte stehende, Reform gewesen: Denn die Bündnisprogrammatik lief jedenfalls auf einen in seinem Grundcharakter völlig anderen als den alten Bund hinaus; den durfte es aber angesichts Art. 4 Satz 2 WSA gerade nicht geben. [322.] Am 20. März 1850 konstituierten sich beide Häuser des nunmehrigen „Parlaments der Deutschen Union" wie vorgesehen in der Augustinerkirche zu Erfurt. Die Mitglieder des Staatenhauses waren zur Hälfte von den Regierungen und zur Hälfte von den Volksvertretungen der beteiligten Länder berufen. Die Abgeordneten zum Volkshaus waren nach dem Dreiklassenwahlrecht gewählt worden. Der Protest gegen diesen Wahlmodus und die Unionspolitik überhaupt hatte nahezu die gesamte Linke veranlaßt, die Wahlen zu boykottieren; was neben der denkbar geringen Wahlbeteiligung dazu führte, daß im Unionsparlament im wesentlichen zwei Parteien dominierten: Liberale („Gothaer" bzw. „Bahnhofspartei") und Konservative („Schlehdom").^^^ Erstere besaßen letztlich in beiden Häusern des Erfurter Parlaments eine stattliche Mehrheit. ^^^ [323.] Bei den inhaltlichen Beratungen sah man sich bald mit dem Verlangen des preußischen Königs und einiger verbündeter Regierungen konfrontiert, auf die unlängst noch von der preußischen Regierung unter der Federführung von Radowitz und Bodelschwingh befürwortete En-bloc-Annahme des Verfassungsentwurfs vom 26. Mai 1849^^^ zu verzichten, und zunächst dessen Revision vorzunehmen. Ungeachtet dieses Ansinnens, debattierte das Plenum des Volkshauses schon am 12. April 1850 über einen Antrag der „Gothaer", den Verfassungsentwurf sofort und vorbehaltlos en bloc anzunehmen und erst danach über etwaige Änderungsvorschläge zu beschließen.^^"^ Bereits am 13. April 1850 wurde der Antrag mit 125 zu 89 Stimmen angenommen;^^^ das Staatenhaus folgte am 17. April 1850 mit 62

^^^ M Doeberl, Bayern und das Preußische Unionsprojekt, 1926, S. 60. 110 So indes J. Müller (Fußn. 101), S. 159. ^ ^ ^ Dazwischen lavierte die gemäßigt konservative Fraktion „Klemme". ^^^ G. Mai, Erfurter Union und Erfurter Unionsparlament 1850, in: ders., (Hrsg.) Die Erfurter Union und das Erfurter Unionsparlament 1850, 2000, S. 9 (32); M Botzenhart (Fußn. 78), S. 768. 113 Dok. 108. 1 ^^ Stenographischer Bericht über die Verhandlungen des Deutschen Parlaments zu Erfurt, Volkshaus, 1850, 9. Sitzung vom 12. April 1850, S. 78 f. 11^ A. a. O., 10. Sitzung vom 13. April 1850, S. 143.

184

1. Abschnitt: Gesamtdeutsche Verfassungsentwicklung (1803/06-1918)

zu 29 Stimmen.^^^ In der gleichen Weise wurde über die Additionalakte vom 26. Februar 1850^^^ beschlossen. Die En-bloc-Annahme von Verfassungsentwurf und Additionalakte bedeutete eine veränderungslose Bestätigung beider Rechtstexte, zu deren „Gültigkeit" es wegen Art. 4 Abs. 2 und 3 des Bündnisvertrages keiner nochmaligen Zustimmung der Einzelstaaten bedurfte. Demgemäß traten Entwurf und Additionalakte ohne weiteres als rechtswirksames Verfassungsrecht der Deutschen Union gegenüber allen Gliedstaaten in Kraft. Auch die noch bevorstehende nachträgliche Revision konnte diesen Zustand nicht wieder aufheben. Anders als ihre etwas ältere, weitaus schillerndere Frankfurter Schwester war die Erfurter Unionsverfassung damit - wenngleich niemals vollzogen - eindeutig in den JCreis der gültig gewordenen Verfassungen eingetreten. [324.] Im Anschluß an die Verabschiedung begann man sofort mit den Beratungen über die Revision, die bis zum 29. April 1850 durch von beiden Häusern verabschiedete Revisionsvorschläge abschloß. So wurde etwa beschlossen, daß der Reichs- bzw. Unionsvorstand nicht nur bei Verfassungsänderungen, sondern (entgegen dem bisherigen § 99 Satz 1 EV) auch ohne das Fürstenkollegium bei sonstigen Gesetzen für sich allein ein Vetorecht haben sollte. Gestrichen wurde in § 82 Abs. 1 EV, daß der Reichsvorstand die Regierungsgewalt „unter Zustimmung und in Verbindung mit dem Fürsten-Kollegium" ausübt. Die Grundrechte wurden in allen wesentlichen Punkten auf die Bestimmungen der preußischen revidierten Verfassung vom 31. Januar 1850 zurückgeführt. [325.] Rechtsverbindlichen Charakter hatten diese neuerlichen Beschlüsse indes noch längst nicht. Da sie nunmehr eine Verfassungsmodifikation gemäß § 194 Abs. 1 EV betrafen, bedurfte die Revision zwar, um in Geltung treten zu können, nicht mehr der von Art. 4 Abs. 3 des Bündnisvertrages vom 26. Mai 1849 vorgeschriebenen Zustimmung der am Bündnis beteiligten Regierungen, wohl aber der Zustimmung von Unionsvorstand und Fürstenkollegium. ^^^ Nun lag es beim Unionsvorstand, dem preußischen König Friedrich Wilhelm IV., unverzüglich darauf hinzuwirken, daß die Unionsverfassung vollzogen und ihre Institutionen sich konstituierten. Denn ohne das Fürstenkollegium war jedenfalls an das Inkrafttreten der Revisionsbeschlüsse nicht zu denken. Doch der ohnehin recht sprunghaft in seinen Entscheidungen wirkende König wollte von seiner anfänglichen Befürwortung der Union mittlerweile nicht mehr viel wissen. Er sagte sich zwar nicht offiziell von ihr los, gleichwohl versuchte er in der Verfassungsfi'age Zeit zu gewinnen; Zeit die - wie sich alsbald zeigen sollte - längst gegen die Union(sverfassung) lief: Aus rechtlicher Sicht völlig unnötig wandte er sich an alle verbündeten Regierungen, damit sie nach erneuter Prüfung endgültig über die Annahme nicht nur der Revisionsergebnisse, sondern über die Verfassung insgesamt entschieden. [326.] Mittlerweile drängte jedoch die Zeit. Die Union drohte brüchiger zu werden. Hinzu kam, daß die österreichisch-preußische Vereinbarung über die inte^1^ E. R. Huber (Fußn. 21), S. 897. 11^ Dok. 109. ^^^ Ungenau E. R. Huber, (Fußn. 21), S. 897, der von einer erforderlichen „Zustimmung der Regierungen" ausgeht.

§ 4: Reichsverfassungsbestrebungen 1848 - 1850

185

rimistische Bundeskommission zum 1. Mai 1850 auslief. Eine Verlängerung kam aus Sicht Österreichs aber schon deshalb nicht in Betracht, weil sich die beiden süddeutschen Königreiche weigerten, eine allein von den beiden Großmächten besetzte Zentralbehörde länger akzeptieren zu wollen. Österreichischerseits sollte daher die Neuordnung durch das Zusammenwirken sämtlicher deutscher Regierungen erfolgen. Am 26. April 1850 lud man daher alle deutschen Regierungen zu einer Konferenz nach Frankfurt a. M. ein, um die weitere Ausübung der Kompetenzen des auch jetzt noch als weiterbestehend erachteten Deutschen Bundes nach Wegfall des Interims durch die Bildung eines neuen „provisorischen BundesCentral-Organs" zu regehi. [327.] Dem kam Preußen insoweit zuvor, als es alle Unionsmitglieder nach Berlin einlud. Auf dem dort zwischen dem 8. und 10. Mai 1850 stattfindenden sogenannten „Berliner Fürstenkongreß" waren die 26 Mitgliedstaaten der Union ausnahmslos durch ihre Oberhäupter vertreten. Er diente eigentlich dazu, die Einigkeit der Union zu demonstrieren und Preußen eine gestärkte Verhandlungsposition in Frankfurt zu verschaffen. ^^^ Doch stellte sich zunächst heraus, daß nur zwölf Staaten bereit waren, die Erfurter Verfassung vorbehaltlos anzuerkennen. Daher wollte man die Unionsverfassung bis zu einer endgültigen Einigung über die von einem Teil der Regierungen noch beanstandeten Punkte auch weiterhin nur als ein bis zum 15. Juli 1850 dauerndes Provisorium ansehen. Immerhin einigte man sich auf preußischen Antrag, an dem von Österreich angeregten Bundeskongreß in Frankfurt teilzunehmen. Alle Mitglieder würden dort ihre Stimmen nur durch Preußen als Unionsvorstand gemeinsam abgeben. Ebenfalls vom rechtlichen Bestehen des Deutschen Bundes ausgehend sollte einer „Neugestaltung der Bundesversammlung" nur zugestimmt werden, wenn allen Regierungen die freie Unierung innerhalb des Bundes auf bundesstaatlicher Ebene zugestanden würde. ^^^ Dies erschien für Österreich unannehmbar; weshalb letztlich alle Unionsmitglieder (mit Ausnahme des damit faktisch aus der Unionsphalanx ausscherenden Kurhessens) dem Bundeskongreß fernblieben. Damit war eine Spaltung des Deutschen Bundes tatsächlich eingetreten. Das preußische wie das österreichische Lager gingen jetzt ganz offiziell getrennte Wege: [328.] Bereits am 10. Mai 1850 trat die Frankfurter Konferenz unter dem Vorsitz Österreichs zusammen, um als Plenar-Versammlung des Deutschen Bundes dessen Restauration vorzubereiten. ^^^ Vertreten waren neben Österreich die vier Königreiche Bayern, Sachsen, Württemberg und Hannover, das zwischenzeitlich de facto von der Union abgefallene Kurhessen, das durch Dänemark vertretene Holstein-Lauenburg, das von den Niederlanden vertretene Luxemburg-Limburg sowie Hessen-Homburg und Liechtenstein. Später gesellten sich SchaumburgLippe (16. Mai 1850^^2), Hessen-Darmstadt und Mecklenburg-Strelitz (6. Juni 1850^^^) dazu. Rein rechtlich war die Anknüpfung an den alten Staatenbund ent119 120 121 122 123

G.Mai(¥uM. 112), S. 39. Der Deutsche Fürstenkongreß zu Berlin im Mai 1850. Aktenstücke und Betrachtungen. Anlage: die Conferenz-Protokolle, 1850, S. 20 f, 27 f., 37. Protokolle der Bundesversammlung, 1. Sitzung vom 10. Mai 1850. A. a. O., Fortsetzung der 1. Sitzung am 16. Mai 1850. A. a. O., 2. Sitzung vom 6. Juni 1850.

186

1. Abschnitt: Gesamtdeutsche Verfassungsentwicklung (1803/06-1918)

gegen der immer wieder geäußerten ZweifeP^"^ unproblematisch, da dieser mit dem (im übrigen rechtswidrigen) Beschluß der Bundesversammlung dem 12. Juli 1848^^^ zwar handlungsunfähig wurde, aber niemals wirklich zu existieren aufgehört hatte. Gleichwohl sollte es sich bei der Bundesplenarversammlung nach dem Verständnis der daran Beteiligten noch nicht um die wieder einberufene Bundesversammlung, sondern lediglich um eine diese vorbereitende Veranstaltung handeln. Um die Handlungsfähigkeit des Bundes wiederherzustellen, bedurfte es aber eben dieser Bundesversammlung. Dies sah auch Österreich. Deshalb beantragte es am 7. August 1850 deren Reaktivierung; was die Zustimmung aller dreizehn Teilnehmerstaaten fand.^^^ Doch hätte es dieser Vorgehensweise vom rechtlichen Standpunkt aus betrachtet überhaupt nicht bedurft. Denn von Rechts wegen reichte es - entgegen der von Preußen noch in einer ausfuhrlichen Denkschrift vom 25. August 1850 geäußerten Ansicht^^'^ - aus, wenn Österreich als Bundespräsidialmacht die deutschen Staaten einlud, sich zur Fortsetzung des seit dem 12. Juli 1848 rechtswidrig eingestellten Sitzungsbetriebs der Bundesversammlung in Frankfurt a. M. einzufmden. Der Einladung Folge zu leisten, wäre für jedes Bundesmitglied sogar eine von Bundesverfassungs wegen gebotene Pflicht gewesen. Aber es ging bei der mittlerweile in die deutsche Frage eingekleideten preußischösterreichischen Auseinandersetzung weniger um rechtliche, denn um tatsächliche (macht)politische Fragen. Auch hier erwies sich der Deutsche Bund als ein altbewährtes und in den Köpfen der allseits wiedererstarkenden Reaktion offenbar noch immer verankertes legitimes Instrument zur Sprengung einer von den meisten Monarchen in ihrem tiefsten Innern ohnehin ungeliebten, aus innerster Überzeugung heraus eigentlich abgelehnten deutschen Nationalstaatskonzeption. Man wußte auf diese offenbar nach wie vor keine bessere Antwort als diejenige, die schließlich auch dem Mettemichschen System zum Verhängnis wurde. [329.] Am 12. Juni 1850 konstituierte sich in Berlin das provisorische Fürstenkollegium unter Beteiligung von nur noch 22 Mitgliedstaaten. Von den bisherigen Mitgliedern fehlten außer Kurhessen nunmehr auch Hessen-Darmstadt, Mecklenburg-Strelitz und Schaumburg-Lippe. Die verbliebenen unionstreuen Staaten verlängerten das bislang existierende Unionsprovisorium über den 15. Juli 1850 hinaus um weitere drei Monate bis zum 15. Oktober 1850.^^^ Die Union tat sich mittlerweile immer schwerer, feste Konturen zu gewinnen. [330.] Zudem ließ Österreich jetzt nicht mehr locker: es forderte die Unionsstaaten auf, an der von ihm für den 2. September 1850 vorgesehenen Wiedereröffnung der Bundesversammlung teilzunehmen;^^9 ^^g diese indes ablehnten.^^^ Trotz dieser Weigerung hielt Österreich an der vorgesehenen Wiedereröffiiung der 124 125 12^ 12'^

Statt vieler E. R . Huber (Fußn. 21), S. 900 f. Dok.77. Protokolle der Bundesversammlung, 3. Sitzung vom 7. August 1850. Abgedruckt in: Actenstücke betr. das Bündnis v. 26sten Mai und die Deutsche Verfassungsangelegenheit, 3. Bd. N. F., 1851, S. 149 ff. 12^ Protokoll der Sitzung des provisorischen Fürstenkollegiums vom 16. Juli 1850 (abgedruckt in: A. a. O., S. 107). 129 Vgl.a.a.O., S. 141ff 1^^ Die entsprechenden Erklärungen sind abgedruckt in: a. a. O., S. 161 ff.

I 4: Reichsverfassungsbestrebungen 1848 - 1850

187

Bundesversammlung, bei der neben der Präsidialmacht Bayern, Sachsen, Haimover, Württemberg, Hessen-Darmstadt, Dänemark (wegen Holstein und Lauenburg), Niederlande (v^egen Luxemburg-Limburg), Mecklenburg-Strelitz, Liechtenstein und Schaumburg-Lippe zugegen v^aren, fest.^^^ Dieser „Rumpfbundestag" nahm bereits wieder alle bundesrechtlichen Kompetenzen für sich in Anspruch. Das zeigte sich sofort in der von Dänemark im Hinblick auf Holstein und der von Kurhessen erbetenen Intervention des Deutschen Bundes, der am 2L September, 16. und 26. Oktober 1850 in der kurhessischen Angelegenheit und am 25. Oktober 1850 mit Blick auf Schleswig-Holstein gegen preußischen Widerstand stattgegeben woirde. Im Zuge der daraufhin durchgeführten Bundesintervention in Kurhessen standen das die allgemeine Mobilmachung anordnende Preußen mit den süddeutschen Staaten Österreich, Bayern und Württemberg am Rande einer kriegerischen Auseinandersetzung. Letztere schlossen im Hinblick darauf am 12. Oktober 1850 das Bregenzer Schutz- und Trutzbündnis. Darin verpflichteten sich die drei Vertragspartner nicht nur den Deutschen Bund aufrechtzuerhalten, die Bundesversammlung weiterhin anzuerkennen sowie „bereitwillig den Bundesbeschlüssen Folge zu leisten und diese auszuführen". Sie drohten vielmehr für den Fall des preußischen Widerstands mit der Bundesexekution. Angesichts der drohenden Eskalation schreckte Preußen vor der letzten Konsequenz zurück und suchte mit Vermittlung Rußlands, doch noch eine diplomatische Lösung herbeizuführen. Diese zeichnete sich zwar bereits mit der in Warschau zwischen Österreich und Preußen erzielten Übereinkunft vom 28. Oktober 1850 ab, in der Preußen unter dem Druck der drohenden Intervention Rußlands dem österreichischen Gegner erstmals die Bereitschaft zur Preisgabe der Erfurter Unionsverfassung signalisierte. Doch erst gut einen Monat später, am 29. November 1850, entsagte Preußen in der mit Österreich vereinbarten Punktation von Olmütz^^^ seinen Unionsplänen endgültig und offenbarte damit das eigentliche Scheitern der Union. Mit den in der Olmützer Punktation vereinbarten Dresdener Konferenzen sollte nunmehr allein auf der Grundlage des nach wie vor bestehenden Verfassungsrechts des Deutschen Bundes ein neues, zeitgemäßeres staatenbündisches Verfassungsrecht entwickelt werden. Diese Konferenzen begaimen wie vorgesehen im (genauer am 3.) Dezember 1850, endeten jedoch am 15. Mai 1851 ohne greifbaren Erfolg.^^^ Weder Österreich koimte gegen massive Vorbehalte der europäischen Großmächte (England, Frankreich und Rußland) seinen Plan eines Bündnisses der deutschen Einzelstaaten mit Gesamtösterreich durchsetzen, noch waren Preußens Vorstellungen von einer norddeutschen Teilunion unter seiner Führung realisierbar. Daher verständigte man sich am Ende auf den kleinsten gemeinsamen Nermer: den status quo ante. Damit war nicht nur endgültig das Fundament für eine sich anbahnende Reaktion geschaffen, sondern auch für ein Jahrzehnt die offene deutschlandpolitische Rivalität beider Großmächte eingeleitet. Noch während der Konferenzen, am ^^^ Protokolle der Bundesversammlung, 1. Sitzung vom 2. September 1850. ^^^ Abgedruckt in: E. R. Huber (Fußn. 2), Nr. 223 - vgl. auch „Mittheilung über die in Olmütz stattgehabten Verhandlungen" an den „Rumpfbundestag" in: Protokolle der Bundesversammlung, 20. Sitzung vom 5. Dezember 1850, § 64. ^^^ Näher dazu K J. Schoeps, Von Olmütz nach Dresden 1850/51. Ein Beitrag zur Geschichte der Reformen am Deutschen Bund. Darstellung und Dokumente, 1972.

188

1. Abschnitt: Gesamtdeutsche Verfassungsentwicklung (1803/06-1918)

27. März 1851, schlug Preußen den ehemaligen Unionsmitgliedem vor, ab dem 12. Mai 1851 wieder an den Sitzungen der Frankfurter Bundesversammlung teilzunehmen; was dann auch geschah. Deutsche Bundesakte^^^ und Wiener Schlußakte^^^ blieben weiterhin die Grundgesetze des zwischenzeitlich längst totgesagten deutschen Staatenbundes. Die Erfurter Unions Verfassung teilte mit ihrem Scheitern das Schicksal ihrer Frankfurter Vorgängerin und konnte deshalb mit Blick auf die erstrebte deutsche Gesamtstaatlichkeit letztlich nicht mehr sein als der gescheiterte Prolog zu der erfolgreichen kleindeutschen Reichsgründung von 1867/71.

134 Dok.31. 13^ Dok.43.

§ 5: Norddeutscher Bund

189

§ 5: Norddeutscher Bund I. Völkerrechtliche Rahmenbedingungen zur Neuordnung Deutschlands [331.] Nachdem am 26. Juli 1866 die preußisch-österreichischen Kriegshandlungen durch den im südmährischen Nikolsburg geschlossenen Präliminarfriedensvertrag^ endeten, war für das militärisch siegreiche Preußen im wesentlichen der Weg frei, den bereits seit fast zwei Jahrzehnten angestrebten Aufbau eines deutschen Bundesstaates unter seiner Führung in Angriff zu nehmen. In diesem Vertrag wurde u. a. dem unterlegenen Österreich mit Ausnahme des an Italien fallenden Venetien sein voller Gebietsbestand gesichert (Art. 1 Satz 1). Im Gegenzug anerkannte Österreich „die Auflösung des bisherigen Deutschen Bundes" und gab seine „Zustimmung zu einer neuen Gestaltung Deutschlands ohne Betheiligung des Österreichischen Kaiserstaates". Überdies verpflichtete es sich, „das engere Bundesverhältniß anzuerkennen, welches . . . Preußen nördlich von der Linie des Mains begründen wird" und erklärte sein Einverständnis mit der Gründung eines Bundes der südlich dieser Linie gelegenen deutschen Staaten, „dessen nationale Verbindung mit dem Norddeutschen Bunde der näheren Verständigung zwischen beiden vorbehalten bleibt" (Art. 2). Femer versprach Preußen, bei den bevorstehenden Veränderungen in Deutschland den Territorialbestand Sachsens nicht anzutasten und außerdem die künftige Stellung Sachsens innerhalb des Norddeutschen Bundes durch einen besonderen Friedensvertrag mit dem sächsischen König zu regeln. Dafür sagte Österreich zu, alle sonstigen in Norddeutschland geschaffenen Einrichtungen einschließlich aller Territorialveränderungen anzuerkennen (Art. 5). [332.] Preußen schloß weitere Friedensabkommen mit den an der Seite Österreichs kämpfenden süd- und mitteldeutschen Staaten. Alle hatten nicht zuletzt sämtliche Vereinbarungen des Nikolsburger Präliminarfriedens^ anzuerkennen, womit sie durchweg auch der Auflösung des Deutschen Bundes zustimmten: [333.] Zunächst kamen mit Württemberg am 13. August 1866^, dann mit Baden am 17. August 1866"^ und schließlich mit Bayern am 22. August 1866^ Friedensverträge nebst zunächst geheimem, preußischerseits gleichwohl Ende März 1867 während der Luxemburg-Krise veröffentlichten Bündnisverträgen („Schutz- und Trutzbündnisse") zustande.^ Der Abschluß eines Friedensvertrages mit HessenDarmstadt gelang erst am 3. September 1866.^^ Bemerkenswert ist, daß HessenDarmstadt sich mit seiner nördlich des Mains gelegenen Provinz Oberhessen dem Norddeutschen Bund anschließen mußte; insoweit also gleichsam in zwei Teile 1 2 3 4 5 ^ ^

Dok. 111. Dok. 111. Dok. 112. Dok. 114. Dok. 118. Dok. 113 (mit Württemberg), Dok. 115 (mit Baden) und Dok. 119 (mit Bayern). Dok. 121.

190

1. Abschnitt: Gesamtdeutsche Verfassungsentwicklung (1803/06-1918)

einen bundeszugehörigen und einen bundesfremden Teil - zerlegt wurde. An Preußen abzutreten war indes die Landgrafschaft Hessen-Homburg, die man erst am 24. März 1866 aufgrund Erbanfalls erworben hatte. Am 7. April 1867 schloß Preußen mit Hessen-Darmstadt eine Militärkonvention^, welche die gesamte hessische Streitmacht einschließlich der südmainisch stationierten Einheiten in das preußische Heer einfügte; was zu der staatsrechtlich paradoxen Situation führte, daß es Preußen zwar verwehrt sein sollte, die südlich der Mainlinie gelegenen hessischen Gebiete in den bereits klare Konturen annehmenden künftigen Norddeutschen Bund aufzunehmen, dessen Militärorganisation aber dennoch dort galt. Vor diesem Hintergrund kam es schließlich am 11. April 1867 auch noch zum Abschluß eines Schutz- und Trutzbündnisses!^ Die Bündnisverträge mit den süddeutschen Staaten dienten der militärischen Abschirmung Nord- und Süddeutschlands gegen einen französischen, österreichischen oder russischen Angriff. Man garantierte sich gegenseitig territoriale Integrität des Staatsgebiets und verpflichtete sich, „zu diesem Zwecke" im Kriegsfalle die gesamte Streitmacht unter preußischem Oberbefehl zur Verfügung zu stellen. Die Verträge waren weder befristet noch kündbar. Sie sollten sich 1870 im Rahmen der durch den spanischen Thronfolgestreit ausgelösten französisch-preußischen Elrise als besonders bedeutsam erweisen. In erster Linie zur wirksameren Erfüllung dieser Vereinbarungen kamen die süddeutschen Staaten am 5. Februar 1867 auch untereinander überein, ihre Streitkräfte nach den Grundsätzen der preußischen Wehrverfassung zu organisieren. [334.] Erst im Anschluß an die Vereinbarungen mit den süddeutschen Staaten wurden die Friedensverträge mit den drei auf österreichischer Seite am Krieg beteiligten mitteldeutschen Staaten geschlossen: Dazu kam es mit Reuß ä. L. am 26. September 1866^^, mit Sachsen-Meiningen am 8. Oktober 1866^^ und mit Sachsen am 21. Oktober 1866^^. Diese Staaten mußten darin jedoch nicht nur die Nikolsburger Präliminarien^^ hinsichtlich der Zukunft Deutschlands anerkennen, sondern auch dem Norddeutschen Bund beitreten (jeweils Art. 1 des Vertrages mit Reuß ä. L. und Meiningen, Art. 2 des Vertrages mit Sachsen); womit die preußische Hegemonie in Deutschland abgerundet werden konnte. Mit Sachsen kam es auf der Grundlage des Friedensvertrages überdies am 7. Februar 1867 gleichsam schon im Vorgriff auf die sich vollumfanglich abzeichnende Verfassung des Norddeutschen Bundes zum Abschluß einer zunächst „geheim zu haltenden" M/7/tärkonvention.^^ In ihrem Vorspruch wurde bemerkenswerterweise bereits vor dem Inkrafttreten der künftigen Bundesverfassung ausdrücklich vom verfassungsergänzenden Charakter, den diese auf völkerrechtlicher Basis beruhende Konvention haben sollte, gesprochen. Ihre Regelungen bezogen sich denn auch auf die

8 9 10 11 12 13 14

Dok. 126. Dok. 127. Dok. 122. Dok. 123. Dok. 124. Dok. 111. Dok. 125.

§ 5: Norddeutscher Bund

191

einschlägigen Bestimmungen über das „Bundes-Kriegswesen" des schon vorliegenden Entwurfs der Norddeutschen Bundesverfassung. [335.] In Art. 4 des Prager Friedens vom 23. August 1866^^ anerkannte Österreich endgültig gegenüber Preußen die durch die Nikolsburger Präliminarien^^ festgestellte Auflösung des Deutschen Bundes und die dort vorgesehene Neugestaltung Deutschlands. [336.] Dementsprechend stellte die als Folge der Kriegsereignisse noch immer in Augsburg tagende, mittlerweile längst beschlußunfahig gewordene Bundesversammlung am 24. August 1866 definitiv ihren Sitzungsbetrieb ein.^'^ Anders als nach dem Scheitern der Frankfurter Paulskirche und der Erfurter Union 1849/50 war die Zeit der Bundesversammlung, ja, des Deutschen Bundes insgesamt diesmal endgültig abgelaufen. Die mittlerweile in Deutschland von Preußen geschaffenen militärischen wie politischen Fakten begannen irreversibel neue Völker- und staatsrechtliche Verhältnisse zu formen. Daß sich anders als 1849/50 niemand ernsthaft bemühte, diese Fakten zu revidieren, besiegelte die Unumstößlichkeit der neuen Entwicklung und den Verlust des Überkommenen. Dies bestätigte dann spätestens der Londoner Vertrag vom 11. Mai 1867 über die Unabhängigkeit des Großherzogtums Luxemburg^^. In ihm trugen auch die europäischen Mächte (England, Rußland, Preußen, Österreich, Frankreich, Italien, die Niederlande und Belgien) den neuen Realitäten Rechnung und „constatiren . . . die Auflösung des deutschen Bundes" (Art. 6); anerkarmten diese somit. [337.] Zwar wurde dem Art. 4 des Prager Friedens^^ auf französische Initiative ~ gleichsam als Preis für das Stillhalten Frankreichs in der deutschen Frage^^ - ein über die ansonsten identische Nikolsburger Vereinbarung hinausgehender Passus zugefügt, der einen von den süddeutschen Staaten zu gründenden Südbund, welcher neben dem preußisch geeinten Nord- und Mitteldeutschland „eine internationale unabhängige Existenz haben wird", vorsah. Doch würde damit nur für den Fall, daß dieser Südbund tatsächlich ins Leben trat, diese Unabhängigkeit völkervertragsrechtlich verbindlich festgeschrieben sein; und dies auch nur für Preußen mit Wirkung gegen Österreich, denn die süddeutschen Staaten konnten als unbeteiligte Dritte durch diese bilaterale preußisch-österreichische Absprache jedenfalls nicht gebunden werden. Auch aus der im übrigen von Österreich erklärten Bereitschaft, „das engere Bundes-Verhältniß anzuerkeimen, welches Seine Majestät der König von Preußen nördlich der Linie des Mains begründen wird", ergab sich zumindest kein von Preußen zu beachtendes vertragliches Verbot des gesonderten Anschlusses der süddeutschen Staaten an ein derartiges „Bundes-Verhältniß". Insoweit statuierte Art. 4 des Prager Friedens mithin entgegen E. R. Huber^^ Dok. 120. Dok. 111. Dok. 84. Abgedruckt in: E. R. Huber (Hrsg.), Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte, Bd. 2: Deutsche Verfassungsdokumente 1851 - 1900, 3. Aufl., 1986, Nr. 194. 1^ Dok. 120. 20 Näher dazu E. R. Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789, Bd. 3: Bismarck und das Reich, 3. Aufl., 1988, S. 601 f. A. a. O., S. 682.

192

1. Abschnitt: Gesamtdeutsche Verfassungsentwicklung (1803/06-1918)

keineswegs ein von Preußen zu respektierendes Anschlußverbot für die süddeutschen Staaten; dieser Passus mußte für die weitere Entwicklung der deutschen Einheit nicht einmal - wie K. Sterrf^ meint - „einigermaßen hinderlich" sein, da wie sich bald herausstellte - die süddeutschen Staaten - mit Ausnahme des damit zur unbestrittenen süddeutschen Führungsmacht aufsteigenden Bayern - selbst einen Südbund nicht wirklich wollten. [338.] Schon die von den süddeutschen Staaten zu diesem Zweck auf den 5. Februar 1867 nach Stuttgart einberufene Konferenz bheb insoweit ergebnislos. Man vereinbarte lediglich die Angleichung des Militärwesens an das preußische.^^ Auch wenn der bayerische Ministerpräsident Hohenlohe-Schillingsfürst im Oktober 1867 die bayerischen Ziele positiv noch einmal dahingehend zusammenfaßte, daß man „die nationale Verbindung der süddeutschen Staaten mit dem Norddeutschen Bunde und damit die Einigung des zur Zeit getrennten Deutschlands in der Form eines Staatenbundes" wolle, und es „weder korrekt noch zweckmäßig noch . . . in friedlicher Weise durchführbar" sei, „daß einzelne Staaten südlich des Mains mit Norddeutschland in nähere Verbindung treten"^'^, so sprach er damit längst nicht für alle anderen süddeutschen Staaten. Denn vor die einzig realistische Wahl zwischen bayerischer und preußischer Hegemonie gestellt, bevorzugten diese eindeutig jeweils die einzelstaatliche Verständigung mit Preußen in Form der dann auch zustandegekommenen gegenseitigen Schutz- und Trutzbündnisse; was Bismarck von österreichischer Seite den Vorwurf eines „Meisterstücks deloyaler Handlungsweise"^^ eintrug. Baden ersuchte überdies sogar schon frühzeitig ausdrücklich um die Aufnahme in den Norddeutschen Bund. Der Abschluß des Zollund Handelsvereinsvertrags vom 8. Juli 1867^^ tat ein Übriges. Er schuf über die Freiheit des Warenverkehrs und die Einheitlichkeit des Zollgebiets des Norddeutschen Bundes und der süddeutschen Staaten hinausgehend eine feste, der norddeutschen Bundesverfassung^'^ nachgebildete Organisationsstruktur zwischen den Vertragsparteien. Selbst massive österreichische und französische Einflußnahmen zugunsten des Südbundplanes konnten an der reservierten bis ablehnenden Haltung Württembergs, Hessen-Darmstadts und Badens letztlich nichts ändern. Spätestens seit 1868 hatte sich die Südbundfrage deshalb erledigt. Von da an stellte Art. 4 des Prager Friedens^^ für den Beitritt der süddeutschen Staaten zum Norddeutschen Bundes überhaupt kein (rechtliches) Hinderais dar. [339.] Das eigentliche Problem waren die tatsächlichen politischen Verhältnisse. Deutschlandpolitisch taten sich insbesondere Bayera und Württemberg mit einem Anschluß an den Norddeutschen Bund schwer; auf europäischer Ebene standen die Großmächte dem nord-/süddeutschen Zusammenschluß zu einem kleindeutschen Nationalstaat ablehnend gegenüber. Doch dazu später mehr! ^^ Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 5, 2000, S. 312. ^^ Abgedruckt bei: L K. Aegidi/A. Klauhold (Hrsg.), Staatsarchiv, Bd. 12, Nr. 2733. 24 Chi. zu Hohenlohe-Schillingsfürst, Denkwürdigkeiten des Fürsten Chlodwig zu Hohenlohe-Schillingsfürst, Bd. 1, 1907, S. 272 f. 25 F. F. GrafBeust, Aus drei Vierteljahrhunderten, Bd. 2, 1867, S. 117. 26 Dok. 102. 27 Dok. 128. 28 Dok. 120.

§ 5: Norddeutscher Bund

193

[340.] Mit dem Sieg über Österreich hatte Preußen jedenfalls die bis dahin nach politischem Rang und Prestige eigentliche deutsche Führungsmacht nicht nur abgelöst, sondern von der Mitsprache über die künftige Herbeiführung einer nach wie vor auf der Agenda stehenden nationalstaatlichen Einheit Deutschlands ausgeschlossen. Der Habsburgerstaat war von nun an auf den Status eines außerdeutschen mittel-, ost- und südosteuropäischen Vielvölkerstaates reduziert. Zugleich wurde damit in Mitteleuropa einem als Mittel supranationaler Integration dienenden Föderalismus österreichischer Prägung endgültig eine Absage erteilt.^^ Dieses Modell hatte sich spätestens jetzt als unzeitgemäß erwiesen. II. Gründung des Norddeutschen Bundes [341.] Abzuzeichnen begann sich die Neuordnung der deutschen Verfassungsverhältnisse bereits kurz vor dem am 16. Juni 1866 beginnenden preußischen Waffengang mit Österreich und dessen Verbündeten. Schon am 10. Juni 1866 stellte Preußen gleichsam noch im Vorgriff auf den kurz danach militärisch eskalierenden Holsteinkonflikt den einzelnen deutschen Regierungen die „Grundzüge zu einer neuen Bundesverfassung"^^ vor, welche die Adressaten „einer sorgfältigen Erwägung unterziehen und sich zugleich über die Frage schlüssig machen wollen, ob sie eventuell, wenn in der Zwischenzeit bei der drohenden Kriegsgefahr die bisherigen Bundesverhältnisse sich lösen sollten, einem auf der Basis dieser Modifikationen des alten Bundesvertrages neu zu errichtenden Bunde beizutreten bereit sein würden".^ 1 Der wichtigste Regelungsgegenstand bezog sich auf die „Kaiserlich-Österreichischen und Königlich-Niederländischen Landestheile" (letztere umfaßten nur die Provinz Limburg, nicht indes Luxemburg, das nur in Personalunion vom niederländischen König regiert wurde), die allesamt künftig nicht mehr dem Deutschen Bund angehören sollten. Überdies wurde ein wesentlich engeres Bundesverhältnis angestrebt, das der Bundesgewalt wichtige legislative, außenpolitische und militärische Kompetenzen zuwies. Der Bundesversammlung hätte zudem eine periodisch zu berufende und nach den Bestimmungen des Reichswahlgesetzes vom 12. April 1849 zu wählende „Nationalversammlung" in Gesetzgebungsfragen gleichberechtigt zur Seite gestanden. Die Beziehungen dieses neuen Bundes zu den deutschen Landesteilen der Habsburgermonarchie wären durch gesonderte Verträge geregelt worden. [342.] Auf der Grundlage dieses Entwurfs unterbreitete Preußen dann bereits am 16. Juni 1866 neunzehn norddeutschen Staaten^^ das Angebot, an Stelle des nach seiner Rechtsansicht erloschenen Deutschen Bundes einen neuen Bund zu

Zutreffend K Höhte, Der deutsche Bundesstaat im Wandel (1867- 1933) (Schriften zur Verfassungsgeschichte, Bd. 65), 2002, S. 121. Protokolle der Bundesversammlung, 24. Sitzung vom 14. Juni 1866, § 170, Beilage (S. 220 ff.). Abgedruckt in: E. R. Huber (Fußn. 18), Nr. 172. Dies betraf beide Mecklenburg, Oldenburg, Sachsen-Weimar, Braunschweig, Sachsen-Altenburg, Sachsen-Coburg, Sachsen-Meiningen, Anhalt, beide Schwarzburg, beide Reuß, Lippe-Detmold, Schaumburg-Lippe, Waldeck, Hamburg, Bremen und Lübeck.

194

1. Abschnitt: Gesamtdeutsche Verfassungsentwicklung (1803/06-1918)

schließen.^^ Von diesen Staaten lehnten nur Sachsen-Meiningen und Reuß ä. L. die Einladung ab. Den übrigen siebzehn Staaten legte Bismarcks Preußen nach der aus seiner Perspektive erfolgreich verlaufenen kriegerischen Auseinandersetzung und dem mittlerweile am 26. Juli 1866 zwischen Preußen und Österreich in Mkolsburg abgeschlossenen Präliminarfriedenr'^ am 4. August 1866 den Entwurf eines in der Sache mit dem Vorschlag vom 10. Juni 1866 übereinstimmenden Bündnisvertrages vor, der bereits am 18. August 1866 als sogenanntes „AugustBündnis '^^ zunächst von fünfzehn Staaten in Berlin unterzeichnet wurde. Die beiden noch gegen einzelne, den Fortbestand ihres altständischen Systems gefährdende Bestimmungen Bedenken tragenden Mecklenburg traten am 21. August 1866^^ ebenfalls dem Augustbündnis bei, welches damit einschließlich Preußen aus achtzehn (das seit 1865 in Personalunion mit Preußen stehende Lauenburg eingerechnet: neunzehn) Staaten bestand. Bis Ende Oktober wuchs das Bündnis um die vormaligen Kriegsgegner Hessen-Darmstadt (nur mit seinen nördlich des Mains gelegenen Landesteilen [„Oberhessen"]), Reuß ä. L., Sachsen-Meiningen und Sachsen. Anders als die zuvor eine engere Vereinigung des gesamten nichtösterreichischen und nichtniederländisch dominierten Deutschlands anstrebenden Grundzüge vom 10. Juni 1866, beschränkte sich der Vertrag vom 18. August 1866 geographisch allerdings angesichts der Nikolsburger Friedenspräliminarien auf die nördlich des Mains gelegenen deutschen Staaten. [343.] Mit dem „Augustbündnis"^^ schlossen die „Regierungen . . . ein Offensiv- und Defensiv-Bündniß zur Erhaltung der Unabhängigkeit und Integrität . . . ihrer Staaten" und garantierten sich gegenseitig ihren Besitzstand (Art. 1). Die Truppen der Verbündeten standen unter dem Oberbefehl des preußischen Königs (Art. 4). Insoweit handelte es sich lediglich um einen militärischen Beistandspakt.^^ Überdies sollte der Zweck des Bündnisses jedoch „definitiv durch eine Bundesverfassung auf der Basis der Preußischen Grundzüge vom 10. Juni 1866 sichergestellt werden, unter Mitwirkung eines gemeinschaftlich zu berufenen Parlaments" (Art. 2). Aufgrund von in allen Staaten des Bündnisses nach Maßgabe des Reichs Wahlgesetzes vom 12. April 1849 durchzuführenden Wahlen war ein „Parlament" einzuberufen, welches über einen zuvor durch Bevollmächtigte der Staaten auf der Grundlage der Grundzüge vom 10. Juni 1866 erarbeiteten „Bundesverfassungs-Entwurf' beraten sollte, um schließlich mit ihm vereinbart werden zu können (Art. 5). Hiermit hatte man die völkerrechtliche Grundlage für die Errichtung einer norddeutschen Staatenverbindung geschaffen; gleichsam eine die Staatenverbindung vorbereitende völkerrechtliche Vereinbarung, nicht mehr und nicht weniger als ein „Vorvertrag"^^ also, nicht etwa die Staatenverbindung selbst. Denn verpflichtet hatten sich alle Vertragspartner auf diese Weise nur zur Schaffung der neuen Staatenverbindung. Diese Verpflichtung galt es nunmehr, in ein ^^ 34 3^ 3^ 3^

Abgedruckt in: E. R. Huber (Fußn. 18), Nr. 195. Dok. 111. Dok. 116. Dok. 117. Dok. 116.

3^ 3^

W. Ogris, JuS 1966, 306 (307); K. Stern (Fußn. 22), S. 291. E. R. Huber (Fußn. 20), S. 645.

§ 5: Norddeutscher Bund

195

permanentes staatsrechtliches Verhältnis zu überfuhren. Ging doch aus Art. 6 des Vertrages eindeutig hervor, daß die Geltung des „Augustbündnisses" nur „bis zum Abschluß des neuen Bundesverhältnisses, eventuell auf ein Jahr festgesetzt, wenn der neue Bund nicht vor Ablauf eines Jahres geschlossen sein sollte". Das Bündnis selbst war danach sogar auf ein angesichts der zu bewältigenden Probleme sehr kurz anmutendes Jahr begrenzt und eigentlich einmal mehr nur ein Provisorium. [344.] Unwillkürlich drängen sich damit Parallelen zu dem ebenfalls zunächst nur auf ein Jahr konzipierten und preußisch initiierten „Dreikönigsbündnis'' vom 26. Mai 1849^^ auf. Auch dort sollte Preußen die militärische Führung obliegen; auch dort verpflichteten sich die Staaten, gemeinsam bei der Errichtung eines deutschen Bundesstaates ohne Österreich mitzuwirken und zu diesem Zweck der einzuberufenden „Reichsversammlung" einen Verfassungsentwurf vorzulegen. Der wesentliche Unterschied zwischen beiden Bündnissen lag aber in den gänzlich anders gelagerten politischen Ausgangsbedingungen begründet. Während nämlich den einzelnen deutschen Staaten in den Jahren 1849 / 50 gewisse Entscheidungsoptionen zwischen den konträren deutschlandpolitischen Konzeptionen der beiden Großmächte Österreich und Preußen zur Verfügung standen, fehlte den am „Augustbündnis '' des Jahres ISöö'^^ teilnehmenden Staaten jegliche Alternative dazu. Denn seit der Bestand der nördlich der Mainlinie verbliebenen kleineren deutschen Staaten und die Behauptung ihrer Selbständigkeit einzig von der Großmacht Preußen abhing, konnten diese Staaten das eigene Überleben nur mit bzw. durch, niemals jedoch gegen Preußen sicherstellen. Keinesfalls wollte man nach Ablauf der Jahresfrist jedoch die Garantie für die eigenstaatliche Integrität verlieren. Denn dieses Mal war es Preußen, dem - abgesehen von einigen namentlich gegenüber den Großmächten Frankreich und Rußland völkerrechtlich wie politisch gebotenen Rücksichtnahmen - bei der Neuordnung Deutschlands nördlich des Mains nahezu sämtliche Optionen zufielen. Eines der wichtigsten Anliegen der Bündnispartner Preußens mußte es daher sein, baldmöglichst dauerhafte Sicherheitsgarantien von dem HohenzoUemstaat zu erhalten. Diese waren allerdings nur über die konsequente Umsetzung des Augustprogrammes zu bekommen. So gesehen durfte man die dort festgeschriebene Einjahresfrist durchaus als einen bewußt Beschleunigungsdruck von preußischer Seite aufbauenden Akt mit Blick auf das Zustandekommen der angestrebten Staatenverbindung verstehen."^^ [345.] Zur raschen Umsetzung des ambitionierten Bündnisses bedurfte es in einem ersten Schritt der Durchführung von Wahlen und eines sich auf der Grundlage ihrer Ergebnisse konstituierenden „Parlaments". Das nach Art. 5 Satz 1 des Bündnisvertrages zu diesem Zwecke heranzuziehende Reichswahlgesetz der Paulskirche vom 12. April 1849 bildete indes noch keineswegs die für alle Beteiligten unmittelbar anwendbare Rechtsgrundlage. In jedem der Einzelstaaten mußte vielmehr erst ein eigens die Inhalte des Reichswahlgesetzes übernehmendes Landeswahlgesetz geschaffen werden. In Preußen ging man zwar mit gutem Beispiel 40 Dok.107. "^1 Dok. 116. ^^ F. Thudichum, Verfassungsrecht des Norddeutschen Bundes und des Deutschen Zollvereins, 1870, S. 13 f.

196

1. Abschnitt: Gesamtdeutsche Verfassungsentwicklung (1803/06-1918)

voran und verabschiedete das Wahlgesetz vom 15. Oktober 1866^^ allerdings nicht ohne damit - Forderungen des eigenen Abgeordnetenhauses Rechnung tragend - eigenmächtig einige Modifikationen gegenüber dem Art. 5 des „Augustbündnisses" vorzunehmen. Bemerkenswert ist insoweit die Reduzierung der Kompetenz des gewählten Bundes„parlaments" von der ursprünglich vorgesehenen „Vereinbarung" der Bundesverfassung auf deren bloße Beratung. [346.] Nicht zuletzt das die kleineren Staaten (be)drängende enge zeitliche Korsett des „Augustbündnisses" begünstigte in der Folgezeit den zügigen Erlaß der übrigen Wahlgesetze."^"^ Insgesamt war das Bundesgebiet in 297 Wahlkreise eingeteilt, wovon 235 auf Preußen, 23 auf Sachsen, sechs auf beide Mecklenburg, je drei auf Hessen-Darmstadt, Oldenburg, Braunschweig, Sachsen-Weimar und Hamburg, je zwei auf Sachsen-Coburg-Gotha, Sachsen-Meiningen und Anhalt sowie je einer auf die übrigen zwölf Kleinstaaten einschließlich Lauenburg entfielen. Die rechtlich konstituierenden Grundlagen für die Berufung des Bundes„parlaments" (nunmehr als „Reichstag" bezeichnet) waren geschaffen. Die Wahlen zu diesem konstituierenden Reichstag fanden am 12. Februar 1867 statt. Aus ihnen ging die politische rechte Mitte (namentlich Freikonservative, Altliberale, Nationalliberale, Freie Liberale) mit einer deutlichen Mehrheit hervor. [347.] Noch vor den Wahlen fanden sich am 15. Dezember 1866 in Berlin gemäß Art. 5 Satz 2 des „Augustbündnisses" erstmals die Bevollmächtigten der Regierungen zur Feststellung des „Bundesverfassungs-Entwurfs" zusammen. Mit Blick auf diese Konferenz hatte Bismarck schon frühzeitig (noch im August 1866"*^) den preußischen Geheimrat Max Duncker mit der Ausarbeitung eines entsprechenden Entwurfes beauftragt. Das Ergebnis"^^ empfand Bismarck jedoch als „zu zentralistisch bundesstaatlich für den dereinstigen Beitritt der Süddeutschen".'^'^ Er betrachtete offenbar bereits jetzt den sich allmählich konturierenden Norddeutschen Bund nur als Durchgangsstadium auf dem Weg zu einem um Süddeutschland erweiterten gesamtdeutschen Bundesstaat. Daher sollte die künftige Verfassung der Form nach mehr von einem Staatenbund, in der Sache aber „mit elastischen, unscheinbaren, aber weitgreifenden Ausdrücken" die Natur des Bundesstaates haben."^^ Bismarck skizzierte und präzisierte dies daraufhin im November 1866 in seinen „Putbuser Diktaten" über die Grundzüge der Bundesverfassung."^^ Die daraufhin erarbeiteten zwei weiteren für ungenügend befundenen Entwürfe veranlaßten ihn noch einmal selbst Hand anzulegen. Auf der Grundlage seiner erneuten Direktiven wurde schließlich der vierte Vorentwurf erstellt^^, der ^^ Gesetz-Sammlung für die Königlichen Preußischen Staaten, 1866, S. 623. ^^ Abgedruckt nebst Wahldurchfuhrungsverordnungen in: J. C. Glaser (Hrsg.), Archiv des Norddeutschen Bundes. Sammlung aller Gesetze, Verträge und Aktenstücke die Verhältnisse des Norddeutschen Bundes betreffend, 1867, Heft 2. "^^ Vgl. auch H. Triepel, Vorgeschichte der Norddeutschen Bundesverfassung, in: Festschrift für O.Gierke, 1911, S. 589 ff 46 Abgedruckt in: a. a. O., S. 631 ff. ^'^ O. V. Bismarck, Die gesammelten Werke, Bd. 6, 1928, Nr. 615. 48 A.a.O. 49 A . a . O . , Nr. 616. 50 Abgedruckt in: a. a. O., Nr. 629.

§ 5: Norddeutscher Bund

197

nach einigen Änderungsvorschlägen aus den preußischen Ministerien und nach Modifikationen im preußischen Kronrat am 13. Dezember 1866 als Beratungsgegenstand für die zwei Tage später beginnende Berliner Zusammenkunft diente.^^ [348.] Der Entwurf erhob zum Träger der souveränen Bundesgewalt den Bundesrat. In ihm vertreten sein sollten - nach dem Vorbild der früheren Bundesversammlung -- instruktionsgebundene Bevollmächtigte der am Bund beteiligten Landesregierungen. Die Übernahme einer derart vertrauten Institution wahrte zunächst eindeutig historische Kontinuität und erleichterte auf diese Weise gewiß den Übergang vom Staatenbund zum Bundesstaat. Auch die Stimmverteilung entsprach derjenigen des Art. 6 Abs. 1 der Deutschen Bundesakte^^ für das Plenum der Bundesversammlung, Hiemach waren Preußen neben seinen ursprünglichen vier Stimmen diejenigen des annektierten Hannovers (4), Kurhessens und Holsteins (je 3), Nassaus (2) und Frankfurts (1), also siebzehn der insgesamt 43 Stimmen vorbehalten. Von den übrigen 26 Stimmen blieben fiir Sachsen vier, Sachsen-Weimar und Braunschweig je zwei Stimmen sowie für die restlichen Staaten jeweils eine Stimme. Preußen verzichtete somit auf die eindeutige Majorität; wohl wissend, daß es gegebenenfalls möglich sein würde, die fehlenden fünf Stimmen aus der Gruppe der anderen Staaten zu erhalten. Wären die süddeutschen Staaten irgendwann hinzugetreten, hätte sich das Stimmengewicht Preußens allerdings - wie später nach Art. 6 Abs. 1 RV 1871 - erheblich relativiert. Die Exekutivgewalt im Bunde würde das von der „Krone Preußen" wahrzunehmende Bundespräsidium ausüben. Diese sollte insbesondere den Bundeskanzler ernennen, dem die Geschäftsleitung im Bundesrat zugedacht war. Ungeachtet dessen blieb der preußische König als Inhaber des Bundespräsidiums nur primus inter pares. Der Reichstag wäre als zentrales unitarisches, aus einer Kammer bestehendes Organ weiterhin aus allgemeinen, gleichen und direkten Wahlen hervorgegangen. Ihm sollten gemeinsam mit dem Bundesrat die in einem eigenen Kompetenzkatalog aufgeführten Materien der Bundesgesetzgebung zustehen. Dadurch billigte der Entwurf dem Bundesrat bei der Gesetzgebung ein Vetorecht zu. Obendrein war das Budgetrecht des Reichstages auf nichtmilitärische Materien beschränkt. Zudem fehlte jede Form von parlamentarischer Verantwortlichkeit der Bundesexekutive. Auffällig waren auch die detaillierten Regelungen über das Bundeskriegswesen, das die gesamte Streitmacht der Bundesglieder zu einem in Kriegs- wie Friedenszeiten unter dem Oberbefehl des preußischen Königs als Bundesfeldherm stehenden einheitlichen Heer zusammenfaßte. Insgesamt zeichnete sich bei diesem Entwurf zwar noch nicht der eigentliche Bundesstaat, sehr wohl aber eine dorthin führende verdichtete Integration ab. [349.] Diese Verfassungsvorstellungen stießen bei den Konferenzteilnehmern weder auf Verständnis, noch fanden sie Beifall. Zahlreiche Änderungsanträge waren die Folge, von denen Bismarck am 28. Januar 1867 immerhin bereit war, achtzehn die Grundstruktur des Entwurfs nicht berührende Modifikationen anzuerken-

Regierungsentwurf, den Bevollmächtigten der Einzelstaaten am 15. Dezember 1866 vorgelegt (abgedruckt in: K. Binding (Hrsg.), Deutsche Staatsgrundgesetze in diplomatisch genauem Abdruck, 1867, Heft 1, S. 77 ff.). Dok.31.

198

1. Abschnitt: Gesamtdeutsche Verfassungsentwicklung (1803/06-1918)

nen. Bereits am 7. Februar 1867 beschlossen die Teilnehmer, den Verfassungsentwurf als definitiv festgestellt anzusehen und ihn nach der Ratifizierung durch die Regierungen, dem alsbald sich konstituierenden Reichstag vorzulegen.^^ Der anschließend ratifizierte Entwurf erhielt damit den ihm von Art. 5 Satz 2 des „Augustbündnisses "^^ zugedachten Charakter eines gemeinsamen Angebots der beteiligten Regierungen an den Reichstag, mit ihnen die Bundesverfassung zu vereinbaren. Bei unveränderter Annahme des Entwurfs durch den Reichstag wäre dieser als Bundesverfassung rechtswirksam zustandegekommen, ohne daß es weiterer Beschlüsse durch die Regierungen bedurft hätte. Insofern lag in der Ratifizierung des Beschlusses nicht nur die Billigung der Länder, daß der Entwurf dem Reichstag vorgelegt würde, sondern bereits eine endgültige Zustimmung. Nur der Fall der vom Reichstag vorgenommenen Abänderungen bedeutete ein neues „Angebot", welches der erneuten „Annahme" durch die Regierungen bedurfte. Jedenfalls hatte Bismarck mit dem Beschluß vom 7. Februar 1867 erheblich mehr erreicht als nur die bloße einzelstaatliche Billigung der Vorlage des Entwurfes beim Reichstag.^^ [350.] Am 4. März 1867 brachte Bismarck den Entwurf in den am 12. Februar 1867 gewählten und vom preußischen König am 24. Februar 1867 eröffneten Reichstag ein. Die sogleich einsetzenden Verhandlungen^^ standen unter hohem zeitlichen Druck, weil das Bündnis mit den norddeutschen Staaten zunächst nur auf ein Jahr befristet und daher nur ein provisorisches, eben nur bis zum 18. August 1867 geltendes war. Bis zu diesem Zeitpunkt mußten daher - wollte man den von Art. 5 des „Augustbündnisses" aufgestellten anspruchsvollen Fahrplan überhaupt einhalten - die Verfassungsberatungen abgeschlossen sein. Dies vor Augen wurde zunächst ein Antrag, den Entwurf vorerst einer eigens dafür gebildeten Kommission zur Begutachtung zuzxiweisen, mehrheitlich abgewiesen, so daß sich allein das Plenum mit den Beratungen über den Entwurf zu beschäftigen hatte. Im Großen und Ganzen hielt man sich also an die Aufforderung Bismarcks: „Arbeiten wir rasch! Setzen wir Deutschland, so zu sagen, in den Sattel! Reiten wird es schon können !"^^ [351.] Dennoch widersprach der Entwurf in vielem den Vorstellungen des Reichstages; an eine unveränderte Annahme der Entwurfsbestimmungen war unter diesen Bedingungen jedenfalls nicht zu denken. Vor allem die Regelung des Verhältnisses zwischen dem Bund und seinen Gliedstaaten erwies sich als Stein des Anstoßes. Die Partikularisten bewerteten sie als zu unitaristisch, die Unitaristen als zu partikularistisch. Ebenfalls kritisierte man das Fehlen eines verantwortlichen Bundesministeriums und die im Entwurf vorgesehene Beschränkung der Budgetgewalt auf die nichtmilitärischen Ausgaben. Aber auch die Frage nach den ^^ Schlußprotokoll vom 7. Februar 1867 (abgedruckt in: J. C. Glaser (Fußn. 44), S. 15 ff 5^ Dok. 116. ^^ A. A.: O. Becker, Bismarcks Ringen um Deutschlands Gestaltung, 1958, S. 354; K. Stern (Fußn. 22), S. 294 f ^^ Näher dazu: Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Reichstages des Norddeutschen Bundes im Jahre 1867, 2. Bde, 1867. ^^ Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Reichstages des Norddeutschen Bundes im Jahre 1867, Sitzung vom 11. März 1867, S. 136, 139.

§ 5: Norddeutscher Bund

199

Beziehungen des Bundes zu den süddeutschen Staaten sowie die Forderung nach bundesrechtlicher Sicherung der individuellen Freiheitsrechte und nach Einführung einer Verfassungsgerichtsbarkeit boten Anlaß zu lebhaften Debatten. Es war bezeichnend für die mitunter zutage tretende Heftigkeit der Auseinandersetzungen, daß Bismarck zwischenzeitlich selbst ein Scheitem der Verfassungsverhandlungen einkalkuHerte und äußerstenfalls auch vor einem Verfassungsoktroi nicht zurückgeschreckt wäre, wie ein am 31. März 1867 zwischen Preußen, Sachsen, Sachsen-Weimar und Hessen-Darmstadt abgeschlossenes Geheimabkommen dokumentierte.^^ Doch kormte derartiges durch beiderseitiges Nachgeben vermieden werden. Letztlich erreichte der Reichstag Kompetenzerweiterungen fur den Bund gegenüber den Einzelstaaten, indem dem Bund auch das Gesetzgebungsrecht hinsichtlich der Staatsangehörigkeit, des Paßwesens, des Obligationen- und des Strafrechts und des Militärwesens eingeräumt sowie das Recht zur Einführung direkter Reichssteuem vorbehalten wurde. Mit Blick auf den Reichstag erfuhren dessen Zusammensetzung, die Bedingungen seiner Tätigkeit und die Stellung seiner Mitglieder wichtige Ergänzungen. Obendrein wurden seine Rechte ausgeweitet, indem man ihm ein volles Mitwirkungsrecht für das gesamte Militärwesen, die Ratifizierung der Staats vertrage und (nach einer vierjährigen Übergangszeit) das jährliche Steuerbewilligungsrecht zubilligte. Die sehr detaillierten Bestimmungen über das Bundeskriegswesen und der in ihnen zum Ausdruck kommenden preußischunitarischen Mihtärverfassung blieben trotz heftiger Debatten im Reichstag weitgehend unverändert. [352.] Erheblich vor der Zeit, nämlich bereits am 16. April 1867, verabschiedete der Reichstag schließlich den dermaßen umgestalteten Entwurf mit überwältigender Mehrheit (230 gegen 53 Stimmen). Noch am selben Tage trat die Konferenz der Regierungsbevollmächtigten dem Reichstagsbeschluß einstimmig bei. Nurmiehr hatten - wie Bismarck am 17. April 1867 anläßlich der Bekanntgabe der Annahme der Verfassung durch die verbündeten Regierungen gegenüber dem Reichstag bemerkte - „die Hohen verbündeten Regierungen die Bundesverfassung in dieser Gestalt nach Maßgabe der in den einzelnen Ländern bestehenden Verfassungen zur gesetzlichen Geltung zu bringen";^^ was dann auch recht zügig geschah: Die Landtage bzw. Ständevertretungen oder Bürgerschaften stimmten soweit dies für notwendig gehalten wurde - noch im Mai und Juni 1867 durch verfassungsändernde Gesetze dem Verfassungsentwurf zu. [353.] Nachdem alle Mitgliedstaaten die Bundesverfassung in Form von nahezu gleichlautenden Publikationspatenten einschließlich des eigentlichen Verfassungstextes in ihren Gesetzblättern zwischen dem 21. und 27. Juni 1867 verkündet hatten (Schwarzburg-Rudolstadt am 21., Hessen-Darmstadt am 22., Lauenburg am 23.^°, Bremen, Hamburg, Oldenburg, Preußen, Reuß ä. L., Schwarzburg-Sondershausen jeweils am 24., Anhalt, Braunschweig, Lippe-Detmold, beide Mecklenburg, Reuß j . L., Sachsen, Sachsen-Altenburg, Sachsen-Coburg-Gotha, SachsenDer insoweit maßgebliche Art. 1 des Abkommens ist abgedruckt in: O. v. Bismarck (Fußn. 47), Nr. 689 (S. 273 Anm. 4). Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Reichstages des Norddeutschen Bundes im Jahre 1867, Sitzung vom 17. April 1867, S. 731. Wegen der bloßen Personalunion mit Preußen bedurfte es dort einer gesonderten Publikation.

200

1. Abschnitt: Gesamtdeutsche Verfassungsentwicklung (1803/06-1918)

Meiningen, Sachsen-Weimar, Schaumburg-Lippe jeweils am 25. sowie Lübeck und Waldeck jeweils am 27. Juni), trat sie am L Juli 1867 für alle aufgeführten Staaten in Kraft. Verfassungsschöpfung und Bundesbildung fielen hier zeitlich zusammen.^^ Gemäß Art. 6 des Bündnisvertrages vom 18. August 1866^^ endete damit das „Augustbündnis", so daß sich diese vertraglichen Grundlagen mit der neuen bundesbildenden Verfassung erledigt hatten. Fraglos basierte der Erlaß der Verfassung damit ungeachtet der zur Gründung des Norddeutschen Bundes innerhalb der reichsdeutschen Staatsrechtslehre später kursierenden unterschiedlichen Entstehungstheorien^^ originär auf einer entsprechenden völkerrechtlichen Vereinbarung der künftig am Bund beteiligten Staaten. [354.] Die solchermaßen ihrer völkerrechtlichen Bindungen emanzipierte Verfassung erwuchs - entgegen eines Teils der zeitgenössischen reichsstaatsrechtlichen Literatur^^ - nicht etwa bloß zu einem wenngleich in jedem deutschen Einzelstaat gleichermaßen geltenden Landesgesetz, sondern zum staatsrechtlich eigenständigen Bundesverfassungsgesetz.^^ Landesgesetze waren nur die jeweiligen Publikationspatente selbst. Der in ihren Anhängen stets mit abgedruckte eigentliche Verfassungstext hatte dagegen insoweit nur rein informationellen, bestenfalls die hinreichende Bestimmtheit der publizierten Beitrittsklausel gewährleistenden Charakter. Es sollte ja nicht den einzehien Staaten eine (neue) Verfassung gegeben werden; diese behielten ihre bislang bestehende Verfassungsordnung - abgesehen von einigen notwendig werdenden Modifikationen - grundsätzlich bei. Vielmehr wurde mit der Verfassung des Norddeutschen Bundes^^ die Verfassung für ein neues Völkerrechtssubjekt erlassen. Im neugeschaffenen „Bundesgesetzblatt" wurde die Verfassung allerdings erst am 26. Juli 1867 publiziert; was indes nur noch rein deklaratorische Bedeutung hatte.

III. Die Verfassung des Norddeutschen Bundes [355.] Die Verfassung des Norddeutschen Bundes (NBV) war in fünfzehn Abschnitte und 79 Artikel unterteilt. Sie entsprach im wesentlichen schon der späteren Reichsverfassung von 1871. Bei letzterer wurden später aber eine Reihe von Modifikationen erforderlich, um dem Beitritt der süddeutschen Staaten Rechnung zu tragen.

^^ O, MeyerlG. Anschütz, Lehrbuch des deutschen Staatsrechts, 7. Aufl., 1919, S. 194. ^2 Dok. 116. ^^ Zur Faktizitätstheorie: G. Jellinek, Die Lehre von den Staatenverbindungen, 1882, S. 264; zur Legalitätstheorie: P. Laband, Das Staatsrecht des Deutschen Reiches, Bd. 1, 5. Aufl., 1911, S. 34 und 36; zur Vertragstheorie: z. B. S. Brie, Theorie der Staatenverbindungen, 1886, S. 130 ff; zur Vereinbarungstheorie: K. Binding, Die Gründung des Norddeutschen Bundes, 1889; zur dialektischen Theorie: H. Kelsen, Der soziologische und der juristische Staatsbegriff, 2. Aufl., 1928. - Vgl. zum Ganzen auch E. R. Huber (Fußn. 20), S, 673 ff ^^ So etwa M. von Seydel, Commentar zur Verfassungs-Urkunde für das Deutsche Reich, 2. Aufl., 1897, S. 15 ff ^^ Vgl. statt vieler P. Laband, Das Staatsrecht des Deutschen Reiches, Bd. 1, 7. Aufl., 1919, S. 6 f ^6 Dok. 128.

§ 5: Norddeutscher Bund

201

[356.] Gemäß der Präambel hatten die beteiligten Staaten den Norddeutschen Bund als „ewigen Bund" geschlossen. Ähnlich wie die Deutsche Bundesakte^'^ die einen „beständigen Bunde" konstituierte, und die Wiener Schlußakte^^, die von einem „unauflöslichen Verein" sprach, konnte an der damit zum Ausdruck gebrachten Dauerhaftigkeit des neuen staatsrechtlichen Gebildes kein Zweifel aufkommen. Auf diese Weise durfte sich kein Einzelstaat einseitig vom Bund lossagen. Dies hätte - weil es sich dabei um eine Verfassungsänderung handelte - nur nach Maßgabe des Art. 78 NBV (Mehrheitsbeschluß im Reichstag und Zweidrittelmehrheit im Bundesrat) erfolgen können. Zur Organisationsform des Norddeutschen Bundes - ob Staatenbund oder Bundesstaat - enthielt die Verfassung keine ausdrücklichen Angaben. Darauf wird noch zurückzukommen sein. [357.] Die Bundesgründung zielte - wie sich der Präambel femer entnehmen ließ - auf den „Schutz des Bundesgebiets" und auf den Schutz des „innerhalb desselben gültigen Rechtes" sowie auf die „Pflege und Wohlfahrt des Deutschen Volkes". Insbesondere letzteres unterschied sich doch erheblich von dem in Art. 2 DBA nicht zuletzt mit „Erhaltung . . . der Unabhängigkeit und Unverletzbarkeit der einzelnen deutschen Staaten" bezeichneten Zweck des alten Deutschen Bundes. Nicht der partikulare Egoismus der Einzelstaaten sollte im Vordergrund stehen, sondem das Gesamtwohl der deutschen Nation. Der Norddeutsche Bund beanspruchte damit trotz seiner sogleich noch näher zu behandelnden territorialen Beschränkung auf das nordmainische Deutschland nicht nur das Recht zur Regelung der norddeutschen Verhältnisse, sondem auch dasjenige zur (Mit-) Gestaltung der alle Deutschen betreffenden Angelegenheiten. Hier betrat ein politisch wie staatsrechtlich längst nicht saturiertes neues Völkerrechtssubjekt, das jedenfalls nicht in der Rechtsnachfolge des untergegangenen Deutschen Bundes stand^^, die Bühne Deutschlands. [358.] Das Bundesgebiet erstreckte sich gemäß Art. 1 NBV auf das Territorium der 23 Mitgliedstaaten; also anders als beim ehemaligen Deutschen Bund auch auf die seinerzeit nicht dazugehörigen preußischen Gebiete Ost-, Westpreußen und Posen und das mittlerweile preußische Schleswig. Ebenfalls zum Norddeutschen Bund zählten südlich des Mains der preußische Regierungsbezirk Sigmaringen (die ehemaligen Fürstentümer HohenzoUem-Hechingen und -Sigmaringen) und die Südmainischen (nunmehr preußischen) Gebiete Frankfurts (Sachsenhausen, Ober- und Niederrad). Hessen-Darmstadt gehörte dagegen nur mit seinem nördlich des Mains gelegenen oberhessischen Landesteil dem Bund an. Damit vereinigte der Bund unter seinem Dach knapp 30 Millionen Menschen; der preußische Anteil daran betrug vier Fünftel! [359.] Die süddeutschen Staaten (Bayem, Württemberg, Baden, HessenDarmstadt [südHcher Teil]) mit ihren mehr als 7,5 Millionen Einwohnern blieben bis auf weiteres dem Bund fem. Ihnen sollte aber mittels Art. 79 Satz 2 NBV der Beitritt offengehalten werden. Danach hatte ihr „Eintritt... in den Bund auf Vorschlag des Bundespräsidiums im Wege der Gesetzgebung" zu erfolgen. Die Bei6^ Dok.31. ^^ Dok.43. ^^ O. Kimmenich, Deutsche Verfassungsgeschichte, 2. Aufl., 1987, S. 409.

202

1. Abschnitt: Gesamtdeutsche Verfassungsentwicklung (1803/06-1918)

trittsfrage stellte sich mithin nur im Falle einer entsprechenden preußischen Initiative. Sie konnte deswegen überhaupt nur auf die Tagesordnung gelangen, wenn der Hohenzollemstaat dies für opportun hielt. Über den eigentlich eine Verfassungsänderung darstellenden Beitritt selbst sollte dann bundesseitig allerdings unter verfahrensmäßig erleichterten Bedingungen befunden werden dürfen, indem man ihn nicht an die für Verfassungsänderungen vorgeschriebenen Formen des Art. 78 NBV, sondern lediglich an das normale Gesetzgebungsverfahren (jeweils einfache Mehrheit in Reichstag und Bundesrat) knüpfte. Dies galt indes nicht für verfassungsändernd wirkende völkerrechtliche Vereinbarungen, welche wie der Zoll- und Handelsvereinsvertrag vom 8. Juli 186T^ lediglich die Beziehungen des Norddeutschen Bundes zu den süddeutschen Staaten regelten. [360.] Innerhalb des von Art. 1 NBV umrissenen Gebiets hatte der Bund das Recht zur Gesetzgebung. Die „nach Maaßgabe" der Verfassung erlassenen Bundesgesetze gingen den Landesgesetzen vor. Nicht nur mit der Bundesverfassung im Widerspruch stehende Bestimmungen der Mitgliedstaaten waren somit von nun an aufgehoben, sondern auch diejenigen einschlägigen landesrechtlichen Vorschriften, welche inhaltlich mit dem Bundesrecht übereinstimmten, ohne daß eine ausdrückliche Aufhebung erforderlich gewesen wäre. Zu ihrer Rechtsverbindlichkeit gegenüber jedermann bedurften zuständigkeitshalber erlassene Bundesgesetze allein der Verkündung im Bundesgesetzblatt (Art. 2 NBV). Dementsprechend zog die Bundesgesetzgebung eine Vielzahl von Änderungen des Landesverfassungsrechts nach sich, die sich dort nicht widerspiegelten. Diese Auswirkungen unterschieden sich doch erheblich von den in staatenbündischen Systemen wie dem Deutschen Bund gefaßten Beschlüssen, die allein die Regierungen der Mitghedstaaten banden, den einzelnen aber nur, sofern sie von den einzelnen Regierungen in ihren Staaten publiziert wurden. [361.] Die Kompetenzen des Norddeutschen Bundes erstreckten sich gemäß dem zuvörderst in Art. 4 Nrn. 1-15 NBV aufgeführten umfangreichen Katalog im wesentlichen auf die Freizügigkeit, Heimats- und Niederlassungsverhältnisse, das Staatsbürgerrecht, Paßwesen und die FremdenpoHzei, Kolonisation, Auswanderung, Gewerbeangelegenheiten (Art. 4 Nr. 1 NBV), Zoll- und Handel (Art. 33 40 NBV) und für Bundeszwecke verwendete Steuern (Art. 4 Nr. 2 NBV), Maß-, Münz- und Gewichtssysteme (Art. 4 Nr. 3 NBV), das Bankwesen, die Patente und den Schutz geistigen Eigentums (Art 4 Nrn. 4 - 6 NBV), Teile des Verkehrswesens (Art. 4 Nrn. 7 - 9 NBV) einschließlich der Eisenbahn (Art. 4 1 - 4 7 NBV) und Schiffahrt (Art. 53 - 56 NBV) sowie Post- und Telegraphic (Art. 4 Nr. 10, 48 - 52 NBV), das Obligationen-, Straf-, Handels- und Wechselrecht nebst gerichtlichem Verfahren (Art. 4 Nr. 13 NBV), Konsulats- (Art. 56 NBV), Marine-, (Art. 4 Nr. 14, 53 - 55 NBV), Militär- (Art. 4 Nr. 14, 57 - 68 NBV) und Bundesfmanzwesen (Art. 69 - 73 NBV), sowie auf die Medizinal- und Veterinärpolizei (Art. 4 Nr. 15 NBV). Alledem wohnte eine dem bisherigen deutschen Partikularismus stark gegenläufige „Tendenz zur Rechtseinheit" inne, deren unitarisierende Wirkung kaum ausbleiben konnte.^^ Dok. 102. ^ . ^^er«(Fußn.22), S. 311.

§ 5: Norddeutscher Bund

203

[362.] Dies bestätigte sich denn auch - wie das Bundesgesetzblatt und die publizierten Akten, die Reichstagsprotokolle und Reichstagsdrucksachen dokumentieren - in der nunmehr einsetzenden regen Gesetzgebungstätigkeit. Mit geradezu beeindruckendem Elan widmeten sich Bundesrat und Reichstag in den gerade einmal dreieinhalb Jahren des Bestehens des Norddeutschen Bundes dem Werk der Rechtsvereinheitlichung.^2 Dabei machten sie von den dem Bund namentlich durch Art. 4 NBV eingeräumten Gesetzgebungsbefugnissen vielfach Gebrauch: Es ergingen (ohne Anspruch auf Vollständigkeit) -

-

-

gestützt Siuf Art. 4 Nr. 1 NBV(u. a. Staatsbürgerrecht, Freizügigkeit, Paßwesen, Gewerbebetrieb): das Gesetz über das Paßwesen vom 12. Oktober 1867^^, das Gesetz über die Freizügigkeit vom 1. November 1867^"^, das Gesetz über die Aufhebung der polizeilichen Beschränkungen der Eheschließung vom 4. Mai 1868^^, die Gewerbeordnung vom 21. Juni 1869^^, das Gesetz, betreffend die Gleichberechtigung der Konfessionen in bürgerlicher und staatsbürgerlicher Beziehung, vom 3. Juli 1869^^, das Gesetz über die Erwerbung und den Verlust der Bundes- und Staatsangehörigkeit vom I.Juni 1870^8; gestützt 3,uf Art. 4 Nr. 2 NBV (Zoll- und Handelsgesetzgebung, Bundessteuem): das Gesetz, betreffend die Erhebung einer Abgabe von Salz, vom 12. Oktober 1867^^ und das Gesetz, betreffend die Erhebung einer Abgabe von der Branntweinbereiümg in den HohenzoUerschen Landen, vom 4. Mai 1868^°, das Gesetz, betreffend die Besteuerung in verschiedenen zum Norddeutschen Bunde gehörenden Staaten und Gebietstheilen, vom 8. Juli 1868^^ das Gesetz, betreffend die Wechselstempelsteuer im Norddeutschen Bunde, vom 10. Juni 1869^2. gestützt auf Art. 4 Nr. 3 NBV (Ordnung des Maß-, Münz- und Gewichtssystems, Papiergeld): die Maß- und Gewichtsordnung für den Norddeutschen Bund vom 17. August 1868^^, und das Gesetz über die Ausgabe von Papiergeld vom 16. Juni 1870^4.

Vgl. dazu auch K. Pollmann, Parlamentarismus im Norddeutschen Bund 1867-1870, 1985, S. 433 ff. 73 Bundesgesetzblatt 1867, S. 33. 74 A. a. O., S. 55. ^^ A.a.O., 1868, S. 149. ^^ A.a.O., 1869,8.245. 77 A. a. O., S. 292. 78 A.a.O., 1870,8.355. 79 A.a.O., 1867,8.41. 80 A.a.O., 1868,8. 151. 81 A. a. O., 8. 384. 82 A.a.O., 1869,8. 193. 83 A.a.O., 1868,8.473. 84 A.a.O., 1870,8.507.

204

-

-

-

-

-

-

1. Abschnitt: Gesamtdeutsche Verfassungsentwicklung (1803/06-1918)

gestützt mxf Art. 4 Nr. 4 NBV (Bankwesen): das Gesetz über die Ausgabe von Banknoten vom 27. März 1870^^; gestützt auf Art. 4 Nr. 6 NBV (Schutz geistigen Eigentums): das Gesetz, betreffend das Urheberrecht an Schriftwerken, Abbildungen, musikalischen Kompositionen und dramatischen Werken, vom 11. Juni 1870^^; gestützt auf ^r^. 4 Nr. 7 NBV (u. a. Schutz der deutschen Schiffahrt und ihrer Flagge zur See, gemeinsame konsularische Vertretung): das Gesetz, betreffend die Kauffahrteischiffe und ihre Befugnis zur Führung der Bundesflagge, vom 25. Oktober 1867^'^, das Gesetz, betreffend die Organisation der Bundes-Konsulate und die Amtsrechte und Pflichten der BundesKonsuln, vom 8. November 1867^^; gestützt mfArt. 4 Nr. 9 NBV (Flößerei- und Schiffahrtsbetrieb, Fluß- und sonstige Wasserzölle): das Gesetz, betreffend die Abgaben von der Flößerei, vom 1. Juni 1870^^, das Gesetz, die Aufhebung der ElbzöUe betreffend, vom 11. Juni 1870^0; gestützt diuf Art. 4 Nr. 10 NBV (Post- und Telegraphenwesen): das Gesetz über das Postwesen vom 2. November 1867^^ das Gesetz über das Posttaxwesen im Gebiet des Norddeutschen Bundes vom 4. November 1867^^, das Gesetz, betreffend die Portofreiheiten im Gebiete des Norddeutschen Bundes, vom 5. Juni 1869^^, das Gesetz, betreffend die Einführung von Telegraphenfreimarken, vom 16. Mai 1869^"^; gestützt mxf Art. 4 Nr. 11 NBV (wechselseitige Vollstreckung in Zivilsachen, Erledigung von Requisitionen): das Gesetz, betreffend die Aufhebung der Schuldhaft, vom 29. Mai 1868^^ das Gesetz, betreffend die Beschlagnahme des Arbeits- oder Dienstlohnes^^, das Gesetz, betreffend die Gewährung der Rechtshülfe^^, jeweils vom 21. Juni 1869; gestützt mxf Art. 4 Nr. 13 NBV (Obligationen-, Straf-, Handels- und Wechselrecht nebst gerichtlichem Verfahren): das Gesetz, betreffend die vertragsmäßigen Zinsen, vom 14. November 1867^^, das Gesetz, betreffend die Aufhebung von Schuldhaft, vom 29. Mai 1868^^, das Gesetz, die privatrechtliche Stellung der Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften betref-

85 A. 86 A. 87 A. 88 A. 89 90 91 92 93 94 95 96 97 98 99

A. A. A. A. A. A. A. A. A. A. A.

a. a. a. a. a. a. a. a. a. a. a. a. a. a. a.

0. ,S.51. 0. ,S.339. ,1867,8.35. 0. 0. ,S. 137. ,1870,8.312. O., 0. ,8.416. ,1867,8.62. 0. 0. , 8. 75. ,1869,8. 141. 0. 0. , 8. 377. 0. ,1868,8.237. ,1869,8.242. 0. 0.^, 8. 305. 0.^,1867,8. 159. ,1868,8.237. 0.

§ 5: Norddeutscher Bund

-

-

-

205

fend, vom 4. Juli 1868^^°, das Gesetz, betreffend die Einführung der allgemeinen deutschen Wechselordnung, der Nürnberger Wechselnovelle und des allgemeinen deutschen Handelsgesetzbuches als Bundesgesetze, vom 5. Juni 1869^°^ das Gesetz, betreffend die Errichtung eines obersten Gerichtshofes für Handelssachen, vom 12. Juni 1869^°^, das Gesetz, betreffend die Beschlagnahme des Arbeits- und Dienstlohnes, vom 21. Juni 1869^°^, das Gesetz, betreffend die Eheschließung und die Beurkundung des Personenstandes von Bundesangehörigen im Auslande, vom 4. Mai 1870^°"^, das Strafgesetzbuch für den Norddeutschen Bund vom 31. Mai 1870^^^, das Gesetz, betreffend die Kommanditgesellschaften auf Aktien und die Aktiengesellschaften, vom 11. Juni 187010^; gestützt auf Art. 4 Nr. 14 NBV (Bundesmilitärwesen, Kriegsmarine): das Gesetz, betreffend die Verpflichtung zum Kriegsdienste, vom 9. November 1867^°^, das Gesetz, betreffend die Quartierleistung für die bewaffnete Macht während des Friedenszustandes, vom 25. Juni 1868^^^; gestützt auf Art. 4 Nr. 15 NBV (Medizinal- und Veterinärpolizei): das Gesetz, betreffend Maßregehi gegen die Rinderpest, vom 7. April 1869^°^ sowie gestützt auf Art. 72 NBV das Gesetz, betreffend die Kontrolle des Bundeshaushalts, vom 4. Juli 1868^^°, mxfArt. 20 NBV das bereits erwähnte Reichswahlgesetz vom 31. Mai 1869 und auf die sich aus der Natur der Sache ergebende Kompetenz zum Erlaß des Gesetzes, betreffend die Kautionen der Bundesbeamten, vom 2. Juni 1869^^^.

[363.] Ungeachtet der verhältnismäßig weitreichenden Legislativ- und Exekutivkompetenzen, die der Bund für sich in Anspruch nahm, war die Vollziehung der Gesetze insgesamt weitgehend Länderangelegenheit. Nur ausnahmsweise wurde von Verfassungs wegen wie im Post- und Telegraphenwesen (Art. 48 NBV) eine bundesunmittelbare Verwaltung vorgesehen. Später etablierten sich fur die jeweiligen Bereiche vielfach selbständige Reichsämter. [364.] Eine besondere Rolle spielten die Bestimmungen über das „BundesKriegswesen", welche mit den Art. 5 7 - 6 8 NBV in einer für eine Verfassung ungewöhnlich detaillierten Weise die Militärorganisation im Norddeutschen Bund regelten. Art. 57 NBV statuierte zunächst die Wehrpflichtigkeit eines jeden 100 A.a.O.,,S.415. 101 A.a.O.,,1869,8.379. 102 A.a.O.,, S.201. 103 A.a.O.,, S. 242. 104 A.a.O.,,1870,8.71. 105 A.a.O.,, 8. 197. 106 A.a.O.., 8. 375. 107 A.a.O..,1867,8. 135. 108 A.a.O.., 1868, 8. 523. 109 A.a.O..,1869,8. 105. 110 A.a.O..,1867,8.433. 111 A.a.O.,,1869,8. 161.

206

1. Abschnitt: Gesamtdeutsche Verfassungsentwicklung (1803/06-1918)

„Norddeutschen". Diese bestand sieben Jahre lang ab dem vollendeten 20. Lebensjahr für das stehende Heere, wovon die ersten drei Jahre im aktiven Dienst, der Rest in der Reserve abzuleisten war; hieran schlossen sich noch einmal fünf Jahre der Landwehrzugehörigkeit an (Art. 59 NBV). [365.] Ansonsten ging Art. 58 NBV von einer gleichmäßigen Kosten- und Lastenverteilung auf alle Bundesstaaten und ihre Angehörigen aus und verbot „grundsätzlich" Bevorzugungen einzebier Staaten oder Klassen. Gemäß Art. 63 Abs. 1 NBV hatte „die gesammte Landmacht des Bundes . . . ein einheitliches Heer" zu bilden, „welches in Krieg und Frieden unter dem Oberbefehl des preußischen Königs als Bundesfeldherm stand. Ungeachtet dieser Bestimmung handelte es sich bei dem Bundesheer aber um eine Kontingentsstreitmacht, die von den Gliedstaaten zu stellen war. Die Finanzierung des Bundesheeres hatte zunächst übergangsweise bis zum 31. Dezember 1871 durch einen von Art. 62 NBV vorgegebenen Schlüssel nach Maßgabe eines Bundesgesetzes festgelegt zu werden; danach war sie durch die in einem Etatgesetz festgesetzte Summe durch Zahlung von Beiträgen der einzelnen Staaten an die Bundeskasse zu gewährleisten. Die Friedenspräsenzstärke des Bundesheeres wurde zunächst zeitlich limitiert bis zum 31. Dezember 1871 auf 1 % der Bevölkerung von 1867 festgelegt; später sollte sie im Wege der Bundesgesetzgebung festgestellt werden (Art. 60 NBV). Da die Gesamtbevölkerungszahl des Norddeutschen Bundes für 1867 auf etwa 30 Millionen geschätzt wurde, belief sich die Friedensstärke des aktiven Heeres auf 300.000 Mann. Es galt, im „ganzen Bundesgebiete die gesammte Preußische Militairgesetzgebung ungesäumt einzuführen", welche später durch ein vom Bundespräsidium zur verfassungsmäßigen Beschlußfassung vorzulegendes „umfassendes Bundes-Militairgesetz" abgelöst werden würde (Art. 61 NBV). Abgeändert konnte diese Gesetzgebung indes wegen des insoweit bestehenden preußischen Vetorechts (Art. 5 Abs. 2 NBV) im Bundesrat jedenfalls nicht gegen den Willen Preußens; auch konnte es überhaupt nur ein neues Bundesmilitärgesetz geben, wenn ein entsprechender Entwurf von Preußen als dem Inhaber des Bundespräsidiums vorgelegt wurde. Selbst die Einheitlichkeit der militärischen Bekleidung war Regelungsgegenstand; hier waren „die Grundfarben und der Schnitt der Königlich Preußischen Armee maaßgebend" (Art. 63 Abs. 2 Satz 2 NBV). In den militärorganisatorischen Regelungen und in dem preußischen Oberbefehl lagen unübersehbar die stärksten integrierenden und unitarisierenden Elemente der Norddeutschen Bundesverfassung. Preußen übertrug seine Heeresorganisation gleichsam 1:1 auf die Gliedstaaten. Da der Bundesfeldherr für die Kriegstüchtigkeit des Bundesheeres verantwortlich sein sollte, hatte er sich „durch Inspektionen von der Verfassung der einzelnen Kontingente zu überzeugen und die Abstellung der dabei vorgefundenen Mängel anzuordnen" (Art. 63 Abs. 4 NBV). Überdies stand ihm das Recht zu, Festungen innerhalb des Bundesgebietes anzulegen (Art. 65 NBV). Auch konnte er, wenn die öffentHche Sicherheit im Bundesgebiete bedroht war, nach Maßgabe des preußischen Gesetzes vom 4. Juni 1851 den Kriegszustand erklären (Art. 68 NBV). Hiervon machte er dann anläßlich des Krieges 1870/71 ge-

§ 5: Norddeutscher Bund

207

gen Frankreich mittels Verordnung vom 21. Juli 1870^^^ Gebrauch, durch die bestimmte Armeekorpsbezirke in den Kriegszustand versetzt wurden. Femer kam dem Bundesfeldherm das Emennungsrecht für die Offiziere zu, die das Kommando über ein Kontingent oder über Truppen mehr als eines Kontingents innehaben sollten, und für alle Festungskommandanten; diese hatten ihm den Fahneneid zu leisten. Generäle konnten gegen seinen Willen nicht ernannt werden (Art. 64 Abs. 2 NBV). [366.] Im übrigen sollten dort, wo nicht „besondere Konventionen" etwas anderes bestimmten, den Landesherm bzw. Senaten die Offizieremennungen für ihre Truppenkontingente zustehen (Art. 66 Satz 1 NBV). Diese Bestimmung hatte insofern eine über das Emennungsrecht hinausgehende Bedeutung, als mit ihr allgemein die Möglichkeit zum Abschluß von militärischen Sondervereinbarungen anerkannt wurde; ^^^ sich der einmal erreichte Unitarismus also wieder relativieren ließ. Auf diese Weise konnte zunächst der Bundesfeldherr in Form von Staatsverträgen mit einzelnen Gliedstaaten die Regelungen der Bundesverfassung durchbrechende Reservatrechte vereinbaren; was eigentlich dem von Art. 58 NBV gebotenen Gmndsatz militärischer Gleichbehandlung aller Gliedstaaten zuwiderlief. Diese Möglichkeiten zur Verfassungsdurchbrechung ließen sich wohl am ehesten mit Blick auf die süddeutschen Staaten erklären, denen dadurch ein künftiger Beitritt zum Norddeutschen Bund leichter fallen konnte. Im übrigen lag es beim Bundesfeldherm, also dem preußischen König, wieviel erneute Vielfalt er in „seinem" Bundesheer hinzunehmen bereit war. Es war aber auch zulässig, daß die Landesherm einzelner Gliedstaaten mit anderen Militärkonventionen abschlossen. Dies kam realiter jedoch nur zwischen Preußen und den anderen Gliedstaaten des Norddeutschen Bundes zum Tragen. Zumeist hatten sie die Eingliedemng der einzelstaatlichen Tmppen in die preußische Armee zum Gegenstand, so daß diese Formationen ihren Status als eigenes Militärkontingent der Bundesarmee einbüßten und Teil des preußischen Kontingents wurden. In Einzelfallen garantierten sie aber auch den Fortbestand eines selbständigen einzelstaatlichen Kontingents, [367.] Die bedeutendsten Militärkonventionen waren die schon vor dem Inkrafttreten der Norddeutschen Bundesverfassung geschlossenen Vereinbarungen Preußens mit Sachsen und Hessen-Darmstadt: Aufgmnd der sächsischen Militärkonvention vom 7. Februar 1867^^^ wurde die dem Heer des Norddeutschen Bundes einzugliedemde sächsische Armee als ein selbständiges Kontingent unter eigenen Fahnen und Feldzeichen in das Bundesheer eingefügt (Art. 1). Das damit außerhalb des preußischen Heeres stehende (XII.) sächsische Armeekorps wurde einem „Höchstkommandierenden" unterstellt, der vom Bundesfeldherm auf Vorschlag des sächsischen Königs zu emennen war (Art. 7). Auf diese Weise bildete das sächsische Kontingent neben dem preußischen innerhalb des Bundesheeres das einzig selbständige. ^^^ Verordnung, betreffend die Erklärung des Kriegszustands in den Bezirken des L, IL und VIIIXL Armeecorps vom 21. Juli 1870 (A. a. O., 1870, S. 503). Bei den genannten Korpsbezirken handelte es sich um Königsberg, Berlin, Koblenz, Altona, Hannover und Kassel. ^^^ Vgl. G. MeyerlG. Anschütz (Fußn. 61), S. 851/2, Anm. 1 m. w. N aus der zeitgenössischen Staatsrechtsliteratur. 114 Dok. 125.

208

1. Abschnitt: Gesamtdeutsche Verfassungsentwicklung (1803/06-1918)

[368.] Die von Preußen mit Hessen-Darmstadt geschlossene Militärkonvention vom 7. April 1867^^^ hingegen fügte die gesamte hessische Truppenmacht einschließlich der südmainisch stationierten Einheiten „als geschlossene Division" in das preußische Heer ein (Art. 1). Zu diesem Zweck wurde unter Beachtung des bereits vorliegenden Entwurfs einer Verfassung des Norddeutschen Bundes namentlich die Gewährung von Übergangsbestimmungen für die Einfuhrung der preußischen Militärorganisation und damit für die Eingliederung des hessischen Truppenverbandes vereinbart. [369.] Weitere, insgesamt zwölf preußischerseits mit den Kleinstaaten abgeschlossene Militärkonventionen wurden teils noch vor Inkrafttreten der Norddeutschen Bundesverfassung am 1. Juli 1867 (so mit Oldenburg vom 15. Juni 1867, mit sieben thüringischen Staaten [Sachsen-Weimar, Sachsen-Meiningen, SachsenAltenburg, Sachsen-Coburg-Gotha, Schwarzburg-Rudolstadt, Reuß ä. L., Reuß j . L.] und mit Lippe jeweils vom 26. Juni 1867, mit Bremen und Lübeck jeweils am 27. Juni, mit Anhalt und Schwarzburg-Sondershausen jeweils am 28. Juni 1867 und mit Schaumburg-Lippe am 30. Juni 1867), teils erst nach Inkrafttreten der Norddeutschen Bundesverfassung (so mit Hamburg am 23. Juli 1867, mit Waldeck am 1. August 1867, mit Mecklenburg-Schwerin am 24. Juni 1868 und mit Mecklenburg-Strelitz am 9. November 1868) geschlossen.^^^ Sie behandelten regelmäßig die Eingliederung der Kleinstaatenkontingente in die preußische Armee, wobei den jeweiligen Landesherren bzw. Senaten einige Sonderrechte verblieben. In diesen Fällen ging es für gewöhnlich eher um die Verfassungsregelungen ergänzende Abreden, als daß diese Bestimmungen in der einen oder anderen Weise substanziell modifiziert worden wären. Aufgrund dieser Konventionen bestand das Norddeutsche Bundesheer bis zum 1. Januar 1871 formal aus lediglich zwei Kontingenten: dem der preußischen und dem der sächsischen Armee. [370.] Die letzten Militärkonventionen in der Zeit des in seiner ursprünglichen Form bestehenden Norddeutschen Bundes waren die mit Württemberg am 21./25. November 1870^^^ und Baden am 25. November 1870^^^ ~ beide allerdings erst mit Blick auf den Beitritt dieser Staaten zu dem den Norddeutschen Bund zum 1. Januar 1871 Staats- wie völkerrechtlich ablösenden Deutschen Bund. Während die württembergische mit dem Norddeutschen Bund abgeschlossen wurde, handelte es sich bei der badischen um eine preußisch-badische Vereinbarung, welche ebenso wie die Militärkonventionen mit den nord- und mitteldeutschen Kleinstaaten in erster Linie die Eingliederung der badischen Armee in die preußische zum Gegenstand hatte. Das im späteren Deutschen Bund/Reich ebenfalls Sonderrechte für sich beanspruchende Bayern verzichtete auf den Abschluß einer gesonderten Militärkonvention und ließ sich seine militärischen Reservatrechte gleich insgesamt in dem Beitrittsvertrag vom 23. November 1870 zusichern.^^^

11^ Dok. 126. ^^^ Texte abgedruckt in: Die Militärgesetze des Deutschen Reiches, 2. Lief., 1876, hrsg. auf Veranlassung des Königl. Preußischen Kriegsministeriums. 11^ Dok. 131/2. 118 Dok. 133. 119 Dok. 130.

§ 5: Norddeutscher Bund

209

[371.] Auf den mittlerweile in den übrigen deutschen Verfassungen längst üblichen Grundrechtskatalog wurde verzichtet. Getreu dem seinerzeit geltenden Grundrechtsverständnis, wonach Grundrechte ohnehin keine Gesetzgebungsschranken waren, sondern nur gegen Administrativakte Schutz boten, sahen Bismarck und die Mehrheit des konstituierenden Reichstages angesichts einer praktisch nicht vorhandenen grundrechtsrelevanten Bundesexekutive für einen eigenen Gmndrechtsteil keine Notwendigkeit; hätten gleichwohl bundesverfassungsmäßig verankerte Grundrechte ihre einschränkende Kraft doch nahezu ausschließlich den Landesexekutiven gegenüber entfalten können. Schutz gegen die jeweiligen Landesbehörden gewährleisteten jedoch in fast allen Einzelstaaten bereits die zumeist umfangreichen Grundrechtskataloge in den Länderverfassungen. Von der Einführung vergleichbarer bundesrechtlicher Garantien hätte insoweit unweigerlich eine mit dem föderativen System des Bundes nicht vereinbare unitarisierende Wirkung ausgehen müssen. ^^^ Diese Befürchtung stellte man über den bislang „grundrechtslosen" Verfassungszustand in Staaten, wie den beiden Mecklenburg und Anhalt, die nach wie vor und bis zum Ende des Ersten Weltkrieges überhaupt einer modernen Verfassung entbehrten. Aber auch die Kürze der zur Verfügung stehenden Zeit und gerade die zeitraubenden Frankfurter Grundrechtsdebatten mit ihrem zum Teil doktrinären Charakter dienten den Beteiligten als Warnung.^^^ Nicht einmal der Vorschlag, der Bundesgewalt das Recht zur einfachgesetzlichen Festlegung von Mindeststandards einzuräumen, die kein Einzelstaat den Bundesangehörigen vorenthalten durfte, war durchsetzbar. ^^^ Man begnügte sich schließlich mit dem Hinweis auf „ein gemeinsames Indigenat", demzufolge „Angehörige eines jeden Bundesstaates in jedem andern Bundesstaate als Inländer zu behandehi .. . und zum Genüsse aller sonstigen bürgerlichen Rechte unter den Voraussetzungen wie der Einheimische zuzulassen" waren (Art. 3 Abs. 1 und 2 NBV). Im übrigen fanden ausdrücklich nur ein Schutzanspruch des Bundesangehörigen gegenüber dem Ausland (Art. 3 Abs. 6 NBV) und das Justizgewährleistungsgebot (Art. 77 NBV) Erwähnung sowie indirekt über Art. 23 NBV das Petitionsrecht an den Reichstag, da dem Reichstag nach dieser Norm das Recht zugesprochen wurde, an ihn gerichtete Petitionen dem Bundesrat bzw. dem Bundeskanzler zuzuleiten. Diese bundesverfassungsrechtliche Marginalisierung der Grundrechte reduzierte die Verfassung des Norddeutschen Bundes nahezu vollständig auf den Charakter eines Organisationsstatuts. ^^^ [372.] Dies hieß indes nicht, daß grundrechtliche Positionen deshalb vom Norddeutschen Bund nicht verwirklicht worden wären. Im Gegenteil! Sie wurden in der Folgezeit oftmals durch den Erlaß entsprechender Bundesgesetze gewährleistet. Dies betraf in erster Linie^^"^

120 E. R. Huber (Fußn. 20), S. 665. 121 H. Schulze, Einleitung in das Deutsche Staatsrecht, 1867, S. 436. 122 Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Reichstages des Norddeutschen Bundes im Jahre 1867, Sitzung v o m 19. März 1867, S. 305 f. 123 T. Nipperdey, Deutsche Geschichte 1866-1918, Bd. II: Machtstaat vor der Demokratie, 2. Aufl., 1993, S. 40. 124 Vgl. dazu auch die ausfuhrliche Darstellung bei F. Thudichum (Fußn. 42), S. 518 ff.

210 -

-

-

1. Abschnitt: Gesamtdeutsche Verfassungsentwicklung (1803/06-1918) die Freizügigkeit innerhalb des Bundesgebiets (einschließlich des Rechts zum Erwerb von Grundeigentum und des Rechts, ein „Gewerbe . . . zu betreiben, unter den für Einheimische geltenden gesetzlichen Bestimmungen") durch das Gesetz über Freizügigkeit vom 1. November 1867, die Freiheit der Verehelichung durch Gesetz vom 4. Mai 1868, die Gleichheit der bürgerlichen und staatsbürgerlichen Rechte für Religionsangehörige aller Konfessionen durch Gesetz vom 3. Juh 1869, das Vereins- und Versammlungsrecht durch § 17 Abs. 2 des Wahlgesetzes vom 31. Mai 1869125, das Briefgeheimnis durch § 58 Satz 1 des Postgesetzes vom 2. November 1867^^ den Schutz geistigen Eigentums durch Gesetz vom 11. Juni 1870, die Unzulässigkeit der Schuldhaft durch Gesetz vom 29. Mai 1868, die Auswanderungsfreiheit durch § 15 des Gesetzes über die Verpflichtung zum Kriegsdienst vom 9. November 1867^^^, die Preßfreiheit durch die §§ 14, 43 und 143 der Gewerbeordnung vom 21. Juni 1869 sowie durch §4 des Gesetzes über das Postwesen vom 2. November 1867, die Gewerbe- und Koalitionsfreiheit durch die §§ 1 ff. (Gewerbe) und die §§152 ff. (Koalition) der Gewerbeordnung vom 21. Juni 1869 und den Pfändungsschutz für Lohnansprüche durch Gesetz vom 21. Juni 1869.

[373.] Der Bund hatte insgesamt drei Organe: den Bundesrat, das Bundespräsidium mit dem Bundeskanzler als Vorsitzenden und den Reichstag. Als Träger der souveränen Bundesgewalt fungierte der als Länderkammer ausgestaltete bereits früher erwähnte Bundesrat. Schon seit dem Entwurf für die Berliner Regierungszusammenkunft vom 15. Dezember 1866 hatte sich an seiner Funktion und Zusammensetzung nichts wesentliches verändert. Er behielt seinen Charakter als ein mit instruktionsgebundenen Bevollmächtigten der Landesregierungen besetztes Gremium, in dem Preußen zwar schwergewichtig, aber nicht von sich aus die anderen Länder majorisierend vertreten war. Von den mit mehreren Stimmen ausgestatteten vier Einzelstaaten (Preußen, Sachsen, Mecklenburg-Schwerin, Braunschweig) durften deren Stimmen „nur einheitlich abgegeben werden" (Art. 7 Abs. 1 Satz 1 NBV); anderenfalls waren sie ungültig. Hier liegen unverkennbar die Wurzeln der von Art. 51 Abs. 3 des Grundgesetzes von 1949 statuierten Vorgaben fur das Stimmverhalten der Regierungsvertreter der Bundesländer im Bundesrat der Bundesrepublik Deutschland. Nicht vertretene oder nicht instruierte Stimmen blieben unberücksichtigt (Art. 7 Abs. 1 Satz 2 NBV). Die Beschlußfassung erfolgte mit einfacher Mehrheit, wobei im Falle der Stimmengleichheit die

126 127

„Die Wahlberechtigten haben das Recht, zum Betrieb der den Reichstag betreffenden Angelegenheiten Vereine zu bilden und in geschlossenen Räumen unbewaffnete Versammlungen zu veranstalten. Die Bestimmungen der Landesgesetze über die Anzeige der Versammlungen und der Vereine, sowie über die Überwachung derselben bleiben unberührt." „Das Briefgeheimnis ist unverletzlich." „Reserve-, land- und seewehrpflichtigen Mannschaften darf in der Zeit, in welcher sie nicht zum aktiven Dienst einberufen sind, die Erlaubnis zur Auswanderung nicht verweigert werden."

§ 5: Norddeutscher Bund

211

Präsidialstimme Preußens den Ausschlag gab (Art. 7 Abs. 2 Satz 2 NBV). Ein Vetorecht stand aber auch Preußen nicht zu. Insoweit vermochte es allein über seine siebzehn Stimmen Einfluß im Bundesrat auszuüben. Etwas anderes galt nur im Falle der vom Bundesrat zu beschließenden Abänderung von das Militärwesen und die Kriegsmarine (Art. 5 Abs. 2 NBV) sowie von das Zollwesen und bestimmte Verbrauchssteuern betreffenden Gesetzen (Art. 37 Abs. 2 Satz 2 NBV). Ein derartiger Beschluß koimte dort gegen das Veto Preußens nicht zustande kommen. Im übrigen stand jeder Landesregierung über den Bundesrat das Gesetzesinitiativrecht zu (Art. 7 Abs. 2 Satz 1 NBV). Der Vorsitz im Bundesrat und die Leitung der Geschäfte lag beim Bundeskanzler (Art. 15 NBV). [374.] Die Kompetenz des Bundesrates erstreckte sich auf legislativische wie exekutivische Aufgaben. Insoweit hatte er in der Tat eine „Zwittergestalt". ^^^ Die in ihm auftretenden Bevollmächtigten der Gliedstaaten waren diesen gegenüber weisungsgebunden. Hinzu kamen ähnlich wie schon bei der Bundesversammlung des Deutschen Bundes begrenzte Verfassungsjurisdiktionelle Kompetenzen bei Streitigkeiten zwischen den Bundesstaaten und dort stattfindenden Verfassungsstreitigkeiten (Art. 76 NBV). Eine gesonderte Verfassungsgerichtsbarkeit „als Schlußstein jedes Rechtsstaates" kannte die Verfassung bereits zum Leidwesen einiger Zeitgenossen nicht. ^^^ Obendrein hatte sich der Bundesrat der Fälle von Justizverweigerung in den Einzelstaaten anzunehmen (Art. 77 NBV). Von einer wirklichen Gewaltenteilung konnte insgesamt noch keine Rede sein. [375.] Der Bundesrat bildete gleichsam das föderale Element in der Verfassung des Norddeutschen Bundes; man darf ihn fraglos als bewußt gewolltes Gegengewicht zu dem unitarisierend wirkenden Reichstag auffassen. Er sowie der in ihm den Vorsitz und die Geschäftsleitung innehabende Bundeskanzler hatten die Funktionen der Exekutive wahrzunehmen, eine gesonderte Regierung, die dem Reichstag gegenüber in konstitutioneller Weise hätte verantwortlich sein können, sah die Verfassung daher nicht vor. Nicht zuletzt deshalb wurde bereits Ansätzen zu einer sich später etwaig herausbildenden Parlamentsherrschaft der Boden entzogen. ^^^ Der Bundesrat trat erstmals aufgrund der Verordnung des Bundespräsidiums vom 3. August 1867^^^ am 15. August 1867 zusammen. [376.] Hinter dem Bundespräsidium verbarg sich mitnichten ein - wie die Bezeichnung nahe legen könnte - Kollegialorgan, sondern ein monokratisches Organ. ^^^ Es stand „der Krone Preußen zu", die damit genau genommen nichts anderes als ein an die Person des preußischen Königs gebundenes Präsidentenamt innehatte. Mit der Titulatur „Bundespräsidium" vermied man es einerseits, den republikanisch anmutendenden Begriff „Präsident" auf ein nach wie vor monarchisch unterlegtes Amt zu übertragen und andererseits den noch in der Frankfurter Reichsverfassung für das Reichsoberhaupt verwendeten Titel „Kaiser" zu berücksichtigen. Hierfür sollte die Zeit erst Ende 1870 mit Blick auf die „Reichsgrün-

129 130 131 132

H. O. Meisner, Bundesrat, Bundeskanzler und Bundeskanzleramt (1867-1871), in: E.W. Böckenförde (Hrsg.), Moderne deutsche Verfassungsgeschichte (1815 - 1918), 1971, S. 76 (76). So etwai/. Schulze (Fußn. 121), S. 466. Zu Recht M Rauch, Föderalismus und Parlamentarismus im wilhelminischen Reich, 1973, S. 51. Bundesgesetzblatt 1871, S. 25. O. Kimmenich, Deutsche Verfassungsgeschichte, 2. Aufl., 1987, S. 409.

212

1. Abschnitt: Gesamtdeutsche Verfassungsentwicklung (1803/06-1918)

dimg" reif sein. Dem Bundespräsidium oblag die völkerrechtliche Vertretung des Bundes nach außen einschließlich des Rechts, Kriege zu erklären sowie Frieden oder Bündnisse und sonstige Verträge zu schließen (Art. 11 Abs. 1 NBV). Von ihm waren obendrein die Bundesgesetze auszufertigen und zu verkünden (Art. 17 Satz 1 NBV) sowie die Bundesbeamten zu ernennen, zu vereidigen und zu entlassen (Art. 18 NBV). Es hatte zudem das Recht zur Berufung, Eröffnung, Vertagung und Schließung von Bundesrat und Reichstag (Art. 12 NBV) und zur Ernennung des Bundeskanzlers (Art. 15 NBV). Femer oblag ihm die „obere Leitung der Postund Telegraphenverwaltung" (Art. 50 NBV) sowie die Aufsicht über das „gesammte Norddeutsche Konsulatswesen" (Art 56 NBV). Berücksichtigt man schließlich, daß der König von Preußen neben dem Bundespräsidium als „Bundesfeldherr" über die „gesammte Landmacht des Bundes" verfugte (Art. 63 NBV) und in dieser Eigenschaft auch für den Vollzug der Bundesexekution gegen ihre verfassungsmäßigen Bundespflichten nicht erfüllenden Bundesglieder zuständig war (Art. 19 NBV) sowie den Oberbefehl über die „Bundes-Kriegsmarine" führte (Art. 53 NBV), so wird vollends deutlich, wer die tatsächliche Macht im Bunde innehatte - wem dieser Bund in erster Linie dienen sollte. Insbesondere das von Art. 19 NBV vorgesehene Instrument der Bundesexekution wirkte insoweit entlarvend. Denn in dieser Konstruktion war es selbstverständlich nicht gegen Preußen gerichtet, wäre diesem gegenüber jedenfalls niemals durchführbar gewesen.^^^ Es stand vielmehr bei genauerem Hinsehen allein Preußen als Mittel zur Disziplinierung widerspenstiger und treuloser Gliedstaaten zur Verfügung.^^"^ [377.] Der Bundeskanzler mußte neben der Geschäftsführung im Bundesrat alle Akte des Bundespräsidiums zu ihrer Wirksamkeit gegenzeichnen und auf diese Weise dafür die Verantwortung zu übernehmen (Art. 17 Satz 2 NBV). Hier klang zwar das bereits bekannte konstitutionelle Prinzip der Ministerverantwortlichkeit an. Gleichwohl fehlte es an einer Zuweisung, wem gegenüber diese Verantwortlichkeit gelten sollte. Erst recht fehlte es dem Reichstag an der rechtlichen Möglichkeit, gegen den Kanzler ein entsprechendes Anklageverfahren einzuleiten. Art. 17 Satz 2 NBV blieb daher selbst nach konstitutionellen Maßstäben eine lex imperfecta. Konnte die in ihm statuierte Kanzlerverantwortlichkeit doch kaum mehr als eine politische^^^ keinesfalls aber eine parlamentarische sein. Dies sollte dann nach dem Verfassungswortlaut auch noch in der späteren Reichsverfassung so bleiben - immerhin genau ein halbes Jahrhundert! Hinzu kam, daß seine Ernennung allein durch das Bundespräsidium erfolgte; was bedeutete, daß entsprechendes auch für seine Entlassung galt. Auf diese Weise wuchs die Rolle des Kanzlers über diejenige eines bloßen Vollzugshelfers des Bundesrates hinaus in eine diesem gegenüber weitgehend eigenständige Position hinein. Er avancierte gleichsam zu einem weitgehend selbständigen Regierungsorgan.^^^ Minister sah die Verfassung - wie bereits erwähnt - nicht vor.

133 M Rauch (Fußn. 130), S. 51. 134 o. Becker (Fußn. 55), S. 282. 135 w. Siemann, Gesellschaft im Aufbruch, Deutschland 1849 - 1871, 1990, S. 287. 136 E. R. Huber (Fußn. 20), S. 660.

§ 5: Norddeutscher Bund

213

[378.] Der Reichstag war die Volksvertretung. In ihm versammelten sich 297 Abgeordnete, die auf drei Jahre in Wahlkreisen zu durchschnittlich 100.000 „Seelen" in allgemeiner, direkter und geheimer Wahl ermittelt wurden. Dies ergab sich aus Art. 20 NBV, der neben den Wahlrechtsgrundsätzen auch festlegte, daß „bis zum Erlaß eines Reichswahlgesetzes" die Wahlen „nach Maaßgabe des Gesetzes zu erfolgen haben, auf Grund dessen der erste Reichstag des Norddeutschen Bundes gewählt worden ist". Mit dem daher jeweils bis zum Erlaß eines Reichswahlgesetzes (weiter)geltenden Gesetz waren die entsprechend dem Reichswahlgesetz vom 12. April 1849 erlassenen 22 Wahlgesetze der Einzelstaaten gemeint. Diese wurden durch die von Art. 29 NBV vorgenommene Inbezugnahme jedoch nicht zu Verfassungsbestandteilen, sondern blieben einfachgesetzliche, daher im normalen Gesetzgebungsverfahren modifizierbare Bestimmungen. Das galt auch für das alsbald an deren Stelle tretende bundeseinheitlich und unmittelbar geltende Reichswahlgesetz vom 31. Mai 1869^^'^, nach dessen Bestimmungen die künftigen Wahlen zum Reichstag durchzufuhren waren. Es behielt im wesentlichen die Vorgängerbestimmungen bei, nahm aber Militärangehörigen das Wahlrecht. [379.] Die Abgeordneten waren Vertreter des gesamten Volkes und weder an Aufträge noch an Instruktionen gebunden (Art. 29 NBV), genossen sowohl Immunität als auch Indemnität (Art. 30 f. NBV). Beamte bedurften keines Urlaubs, um Mitglied des Reichstages werden zu können (Art. 21 Abs. 1 NBV). Eine Trennung von besoldetem Staatsamt und Mandat, um Richter, Verwaltungsbeamte und Universitätsprofessoren daraus fem zu halten, gab es somit nicht. Die Mitgliedschaft im Bundesrat schloß diejenige im Bundestag ebenso aus wie umgekehrt (Art. 9 Satz 2 NBV). Eine Diätenregelung, die übrigens von der Mehrheit des konstituierenden Reichstages bereits beschlossen worden war, scheiterte an der Akzeptanz der Regierungen.^^^ Stattdessen statuierte Art. 32 NBV - in einer bis dahin in den deutschen Verfassungen durchweg unüblichen Weise - sogar ein ausdrückliches Diätenverbot mit der Konsequenz, daß die Abgeordneten ihre Aufwendungen selbst zu bestreiten hatten. Auf diese Weise existierte trotz des bemerkenswert demokratischen Wahlrechts eine Art „verkappter Zensus".^^^ [380.] Der Reichstag verhandelte öffentlich (Art. 22 Abs. 1 NBV). Er hatte das Gesetzesinitiativrecht (Art. 23 NBV). Zwar ließ sich bei der Gesetzgebung ohne den Reichstag nichts mehr ausrichten. Doch stand seiner Mitwirkung daran ein Vetorecht des Bundesrates gegenüber. Denn nur im Falle der Übereinstimmung von Reichstag und Bundesrat konnten Bundesgesetze wirksam zustande kommen (Art. 5 Abs. 1 Satz 2 NBV). Die Budgetgewalt fand von Verfassungs wegen ihre Grenze eigentlich nur vorübergehend bei den Militärausgaben. Denn der Etat über die Ausgaben fiir das Bundesheer sollte bis zum 31. Dezember 1871 Bundesrat wie Reichstag „nur zur Kenntnißnahme und zur Erinnerung vorzulegen" sein (Art. 71 Abs. 2 NBV). Dies führte letztlich dazu, daß für den insgesamt nur kurzzeitigen Bestand des Norddeutschen Bundes Reichstag und Bundesrat ohne Mit13^ Dok. 128a. ^^^ Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Reichstages des Norddeutschen Bundes im Jahre 1867, Sitzung vom 30. März 1867, S. 482. 139 W, Siemann (Fußn. 135), S. 288.

214

1. Abschnitt: Gesamtdeutsche Verfassungsentwicklung (1803/06-1918)

bestimmungsrecht in den Fragen der Militärausgaben waren. Obendrein war der Reichstag von der Bestimmung des Bundeskanzlers und von der wirksamen Kontrolle der Exekutive ausgeschlossen. Doch bot die politische Kanzlerverantwortlichkeit immerhin Entwicklungspotential für ein wachsendes Gewicht. [381.] Der Reichstag tagte in der Zeit zwischen seinem ersten Zusammentritt, am 10. September 1867, und dem Ende des Norddeutschen Bundes, im Jahre 1870, in insgesamt vier ordenthchen und zwei außerordentHchen Sessionen. Die erste ordentliche Session dauerte vom 10. September bis 26. Oktober 1867, die zweite vom 23. März bis 20. Juni 1868, die dritte vom 4. März bis 22. Juni 1869 und die vierte vom 14. Februar bis 27. Mai 1870. In diesen vier Sessionen spielten Verfassungsfragen eine eher untergeordnete Rolle, gleichwohl beschäftigte man sich bisweilen damit: Zuerst war es die Reform der bislang noch in ihrem altständischen Korsett eingezwängten Mecklenburgischen Landesverfassung, mit der sich mehrere Petenten zur weiteren Veranlassung sowohl in der ersten als auch in der dritten Session an den Reichstag wandten. Ähnliche Ansinnen erreichten den Reichstag in der ersten Session auch hinsichtlich der Verfassung Lippe-Detmolds. Während die Petitionen der ersten Session ergebnislos blieben, sollte sich auf Beschluß des Reichstages in der dritten Session immerhin der Bundesrat als gemäß Art. 76 Abs. 2 NBV für Verfassungsstreitigkeiten zuständiges Organ der Mecklenburgischen Verfassungsfrage annehmen. Gleich in drei aufeinanderfolgenden Sessionen der Jahre 1868, 1869 und 1870 wurde die Abschaffung des in Art. 32 NBV verankerten Diätenverbots bei gleichzeitiger Einführung von Diäten fiir die Abgeordneten im Ergebnis allerdings immer wieder ohne Erfolg thematisiert. Erfolgreicher waren zwar Anträge auf Änderung der Art. 4 Nr. 9 NBV mit Blick auf „Anstalten für die Seeschiffahrt" und Art. 4 Nr. 13 NBV hinsichthch der Ausdehnung der Bundeskompetenzen auf das gesamte bürgerliche Recht und die Gerichtsorganisation. Doch scheiterten diese Initiativen letztlich an der Ablehnung im Bundesrat. Entsprechende Initiativen zu Art. 32 sowie Art. 4 Nrn. 9 und 13 NBV sollten erst unter der Reichverfassung von 1871 erfolgreich sein. [382.] Die erste außerordentliche Reichstagssession fand, weil die ordentliche Session für das Jahr 1870 bereits Ende Mai beendet war, anläßlich des beginnenden Krieges mit Frankreich zwischen dem 19. und 21. Juh 1870 statt. Hier wurden zum einen die verlangten Kriegskredite ohne Debatte einstimmig bewilligt, zum anderen beschloß man am 21. Juli 1870 das Gesetz, welches die erste (und zugleich letzte), am 31. August 1867 begonnene und gemäß Art. 24 Satz 1 NBV auf drei Jahre bemessene Legislaturperiode des Reichstages „für die Dauer des Krieges, jedoch nicht über den 31. Dezember 1870 hinaus" verlängerte.^"^^ Bei diesem Gesetz handelte es sich um eine interimistische Verfassungsänderung. Ein weiteres Mal wurde der Reichstag durch Verordnung vom 12. November 1870^"^^ zu einer außerordentlichen Session am 24. November 1870 einberufen, die bis zum 10. Dezember 1870 dauerte.^^^ Anlaß dazu gaben zunächst die zwischenzeit140 141 142

Dok. 128/1. Bundesgesetzblatt 1870, S. 605. Vgl. dazu E. Bezold (Hrsg.), Materialien der Deutschen Reichs-Verfassung. Sammlung sämmtlicher auf die Reichs-Verfassung, ihre Entstehung und Geltung bezüglichen Urkunden u. Verband-

§ 5: Norddeutscher Bund

215

lieh seit dem 15. November 1870 mit den süddeutschen Staaten über ihren Beitritt zu einem auf der Grundlage des Norddeutschen Bundes zu schaffenden „Deutschen Bund" abgeschlossenen Verträge. Am 9. Dezember 1870 kam noch der vom Bundesrat ausgehende Vorschlag zur Einführung der Bezeichnungen „Deutscher Kaiser" und „Deutsches Reich" hinzu. Den Verträgen wurde am 10. Dezember 1870 ebenso zugestimmt wie den dadurch und den aufgrund der Vorlage hinsichtlich Kaiser und Reich erforderlichen Verfassungsänderungen^'^^. IV. Staatsrechtlicher Charakter des Norddeutschen Bundes [383.] Die Verfassung des Norddeutschen Bundes^^"^ war sicherlich mehr als nur eine staatenbündische wie noch diejenige des 1866 zu Grabe getragenen Deutschen Bundes. Anders als in Art. 87 Abs. 2 FRV und Art. 85 EV kam in ihr jedoch der Begriff „Bundesstaat" nicht ausdrücklich vor. Gewiß ist, daß sich auf ihrer Grundlage eine „erste engere Föderation monarchischer Staaten" in Deutschland bildete.^"^^ Verlangt man als Charakteristika eines Bimdesstaates auch die wesentliche Gleichartigkeit der miteinander verbundenen Staaten und die völlige Trennung der Zentral- von der Staatsgewalt der Einzelstaaten, so ließ sich das in der neuen Bundesverfassung vorgesehene Gebilde angesichts der Größe Preußens mit seinen 24 Millionen Einwohnern und der sich demgegenüber klein ausnehmenden fünf Millionen Einwohner der übrigen 22 Einzelstaaten sowie der Anknüpfung der Bundesgewalt in ihren wichtigsten Funktionen an die preußische Staatsgewalt sicherlich kaum als ein bundesstaatliches qualifizieren. Gegen einen Staatenbund sprach wiederum in erster Linie die dem einzehien Bürger gegenüber ohne Vermittlung der Einzelstaaten auszuübende Bundesgewalt. Auch die Einschätzung als ein lediglich verkappter preußischer Einheitsstaat griffe ungeachtet einer unverkennbaren Pmssifizierung des gesamten im Bund zusammengeschlossenen Nordund Mitteldeutschlands zu kurz. Denn die Verfassung ermöglichte auch eine wenngleich tatsächlich eher unwahrscheinliche - Majorisierung Preußens durch die übrigen Staaten. Insoweit schien einiges für die Einschätzung des nationalliberalen Johannes von Miquel zu streiten, der Norddeutsche Bund sei „weder Einheitsstaat noch Bundesstaat noch Staatenbund, sondern völlig originell"^^^ - will heißen: ein staatsrechtliches Gebilde sui generis. Nichtsdestotrotz setzte sich sowohl in der verfassungsrechtlichen Literatur bis heute^'^'^ als auch in der öffentlichen Meinung die im Ergebnis wohl auch staatsrechtlich korrekte Bezeichnung „Bundesstaat" durch. War der Deutsche Bund eindeutig ein Staatenbund mit ge-

143 144 14^ 146 147

lungen, einschließlich insbesondere derjenigen des constituirenden Norddeutschen Reichstages 1867,Bd.3,o.J.,S. 129-374. Dok. 134/1, Dok. 128. F. V. Martitz, Betrachtungen über die Verfassung des Norddeutschen Bundes, 1868, S. 1. Tk Flathe, Deutsche Reden, Bd. 2, 1894, S. 2. Vgl. etwa K Schulze (Fußn. 121), S. 431 ff.; F. Thudichum (Fußn. 42), S. 5 1 , 53; W. Ogris, JuS 1966, 306 (308); O. Dann, Nation und Nationalismus in Deutschland, 1993, S. 147; K.Stern (Fußn. 22), S. 298, 309.

216

1. Abschnitt: Gesamtdeutsche Verfassungsentwicklung (1803/06-1918)

wissen bundesstaatlichen Zügen, so kehrte sich diese Kategorisierung für den Norddeutschen Bund wegen des seiner Verfassung zwar immanenten, gleichwohl stark unitarisch überbauten partikularen Elementes in der Tat um, so daß man ihn am treffendsten als einen „Bundesstaat mit staatenbündischen Zügen"^"^^ aufzufassen haben wird. [384.] Mit der Schaffung eines solchen monarchischen Bundesstaates tat Bismarck den Kunstgriff, der notwendig war, um Tradition und Fortschritt, dynastische Überlieferung und parlamentarische Zukunftserwartungen miteinander zu verbinden. ^"^^ Auf diese Weise konnte behutsam und entschieden zugleich ein verfassungsrechtlicher Rahmen abgesteckt werden, in dem die politische und staatsrechtliche Integration Deutschlands erfolgen würde. Verhinderten Deutsche Bundesakte^^^ und Wiener Schlußakte^^^ bereits von Rechts wegen jede Fortentwicklung der durch sie dokumentierten staatenbündischen deutschen Verhältnisse in Richtung eines (Bundes-)Staates im Ansatz, so war die Verfassung des Norddeutschen Bundes für eine Ausweitung und Festigung gesamtdeutscher Staatlichkeit nach innen wie außen gleichermaßen offen. Man mag sogar die Einschätzung P. Labands teilen, der Norddeutsche Bund sei von Anfang an darauf ausgelegt gewesen, zum Deutschen Reich erweitert zu werden.^^^ So gesehen mutete die mit ihm verankerte Ordnung als Ganze betrachtet eher „unfertig" an.^^^ [385.] Als staatsrechtliche Konstruktion vereinigte die Verfassung des Norddeutschen Bundes in sich eine Fülle unterschiedlicher baulicher Struktur- und Stilelemente. Gab es doch sowohl unverkennbare Anknüpfungen an das streng föderale Verfassungsregime des alten Deutschen Bundes, an die erheblich unitarischer geformten gescheiterten Reichsverfassungen von Frankfurt und Erfurt der Jahre 1849/50 als auch an die preußischen Verfassungen von 1848/50. Als Orientierungsgrößen dienten gewiß auch die Bundesstaatsverfassungen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der Vereinigten Staaten von Amerika, wenngleich diese anders als die in ihrem Kern monarchische Verfassung des Norddeutschen Bundes republikanische Verfassungen waren. Zu Recht darf man daher mit J. Ziekursch konstatieren^^'^, daß die Verfassung des Norddeutschen Bundes einem jener alten Gebäude glich, das eine stattliche Reihe von Generationen mit wechselndem Baustil geschaffen hatte.

^^^ 150 151 152 153 154

W. Reinhard, Geschichte der Staatsgewalt. Eine vergleichende Verfassungsgeschichte Europas von den Anfängen bis zur Gegenwart, 2. Aufl., 2000, S. 422. E. Deuerlein, Föderalismus. Die historischen und philosophischen Grundlagen des föderativen Prinzips, 1972, S. 135. Dok.31. Dok.43. (Fußn. 63), S. 39. In diesem Sinne a u c h Ä P. Ulimann, Das Kaiserreich 1871 - 1918, 1995, S. 2 1 . Pohtische Geschichte des Deutschen Kaiserreiches, Bd. 1: Die Reichsgründung, 1925, S. 224.

§ 6: Deutscher Zoll- und Handelsverein

217

§ 6: Deutscher Zoll- und Handelsverein [386.] Bis zu den kriegerischen Ereignissen des Jahres 1866 hatten die deutschen Staaten außer Österreich als Mitglieder des Deutschen Zoll- und Handelsvereins eine Zoll- und Handelseinheit gebildet. Durch den Kriegsausbruch war diese zunächst im Verhältnis zu den auf Seiten Österreichs stehenden süddeutschen Staaten und den mitteldeutschen Kriegsgegnern Sachsen, Reuß ä. L. und Sachsen-Meiningen aufgelöst. Doch schon in den zwischen dem 13. August und 3. September 1866 mit Württemberg, Baden, Bayern und Hessen-Darmstadt abgeschlossenen Friedensverträgen^ vereinbarte Preußen in einem jew^eils gleichlautenden Art. 7, unmittelbar wieder zur „Regelung der Zollvereinigungsverhältnisse in Verhandlung zu treten". Einstweilen sollten aber der Zollvereinsvertrag vom 16. Mai 1865^ und die auf ihm beruhenden, kriegsbedingt zwischenzeitlich „außer Wirksamkeit" gesetzten Vereinbarungen weitergelten, wobei es jedem der Vertragsparteien vorbehalten blieb, ihn mit sechsmonatiger Kündigungsfrist „außer Wirksamkeit treten zu lassen". Durch diese Kündigungsklausel erhöhte Preußen den Druck auf die süddeutschen Staaten. Denn diese konnten für sich an einen Austritt aus dem wieder aufgerichteten Zollvereinssystem ohne die Inkaufnahme ruinöser wirtschaftlicher Nachteile nicht einmal denken. Preußen jedoch vermochte mit der bloßen Drohung, den Zollvereinsvertrag zu kündigen, die Gefügigkeit dieser Staaten erhöhen. [387.] Mit Blick auf die drei mitteldeutschen Staaten - Reuß ä. L., SachsenMeiningen und Sachsen - sahen die zwischen dem 26. September und 21. Oktober 1866 vereinbarten Friedensverträge^ ebenfalls die Wiederinkraftsetzung des erwähnten Zollvereins Vertrags vor;"^ allerdings nur im Falle Sachsens mit der den süddeutschen Staaten eingeräumten oder besser auferlegten gegenseitigen Option zur späteren einseitigen Kündigung. Letztere intendierte aber auch hier in erster Linie, den politischen Druck Preußens auf den sächsischen Vertragspartner zu erhöhen. Zwar war angesichts des im preußisch-sächsischen Friedensvertrag an anderer Stelle ohnehin besiegelten Beitritts Sachsens zu dem Konturen annehmenden Norddeutschen Bund an einen sächsischen Sonderweg in Zoll- und Handelsfragen tatsächlich nicht mehr zu denken. Doch sollte damit auch die sächsische Gefügigkeit beim Zustandekommen des Norddeutschen Bundes gefördert werden. Umgekehrt wurde auf diese Weise Sachsen anders als den beiden Kleinstaaten immerhin der Schein einer Wahl gelassen; was es obendrein zumindest äußerlich auf eine Stufe mit den süddeutschen Mittelstaaten hob. Vorerst war damit die zollund handelspolitische Vereinigung des nichtösterreichischen Deutschlands bis zum Entstehen des Norddeutschen Bundes wiederhergestellt. 1

2

Dok. 112, Dok. 114, Dok. 118 und Dok. 121. Dok. 101. Dok. 122, Dok. 123 und Dok. 124. So ausdrüklich die Art. 2 des Friedensvertrages mit Sachsen-Meiningen und Art. 11 des Friedensvertrages mit Sachsen; der Friedensvertrag mir Reuß ä. L. sah in Art. 4 nur allgemein das Inkraftbleiben der „vor dem Ausbruch der Feindseligkeiten bestandenen Verträge und Uebereinkünfte" vor.

218

1. Abschnitt: Gesamtdeutsche Verfassungsentwicklung (1803/06-1918)

[388.] Demgegenüber bedurfte es zwischen den nicht am Waffengang gegen Preußen teilnehmenden verbündeten oder sich für neutral erklärenden nord- und mitteldeutschen Staaten keiner erneuten vertraglichen Vereinbarungen. Denn insoweit waren die Zoll- und Handelsvereinsverträge selbstverständlich wirksam geblieben. Innerhalb des späteren Norddeutschen Bundes war dann erst recht keine neue völkerrechtliche Grundlage für eine Zoll- und Handelsunion der Mitgliedstaaten erforderlich, da seit Inkrafttreten der Bundesverfassung vom 16. April 1867^ (am 1. Juli 1867) die Zoll- und Handelseinheit auf verfassungsrechtlicher Basis bestand. [389.] Nach Art. 33 Abs. 1 NBV bildete der Norddeutsche Bund nämlich ein einheitliches Zoll- und Handelsgebiet. Ausgenommen blieben lediglich die wegen ihrer Lage zur Integration in das Zollgebiet ungeeigneten Gebietsteile; hierzu zählte allen voran der preußische Regierungsbezirk HohenzoUem-Sigmaringen. Nicht zum Zollgebiet gehörten ausdrücklich auch das jeweils als Freihafen Rangierende Territorium der drei Hansestädte Hamburg, Bremen und Lübeck; diese sollten erst in die gemeinsame Zollgrenze eingeschlossen werden, wenn die betreffenden Städte dies beantragten (Art. 34 NBV). Aufgrund dessen fanden Hamburg am 11. Februar 1868 mit einigen seiner Gebietsteile und Lübeck insgesamt am 11. August 1868 Aufnahme in das gemeinsame Zollgebiet.^ Gleiches galt für das Gebiet der bislang dem Deutschen Zollverein ferngebliebenen beiden Bundesstaaten Mecklenburg-Schwerin und -Strelitz. Hamburgs sonstige Gebiete und Bremen blieben in der Zeit des Norddeutschen Bundes Zollausland. Das änderte sich erst unter der Geltung der Reichsverfassung im Jahre 1888. Obendrein hatte „ausschließlich" der Bund die Gesetzgebung über das gesamte Zollwesen (Art. 35 NBV). Den Einzelstaaten war damit die Eigenverantwortlichkeit für das Zollwesen entzogen, dessen Ausgestaltung kam allein dem Bund zu. [390.] Dementsprechend mußte sich bereits die Gründung des Norddeutschen Bundes unmittelbar auf den von seinen mittlerweile zu bloßen Bundesstaaten gewandelten Mitgliedern auf völkerrechtlicher Grundlage konstituierten und noch immer existierenden Deutschen Zollverein auswirken. Letzterer konnte nämlich gerade nicht wie zuvor im Rahmen des Deutschen Bundes in seiner bisherigen Form als gesondertes staatenbündisches Gebilde in dem nunmehrigen deutschen Bundesstaat weiter bestehen. Denn durch das Inkrafttreten der Verfassung des Norddeutschen Bundes waren die einzelnen Bundesstaaten in ihrem Verhältnis zum Deutschen Zollverein mediatisiert; sie hatten aufgehört, selbst Zollvereinsmitglieder zu sein. An deren Stelle trat nunmehr als Rechtsnachfolger der Norddeutsche Bund. Allerdings bedurfte das bisherige, im wesentlichen auf den Zollvereinsverträgen vom 22. und 30. März und 11. Mai 1833, vom 12. Mai und 10. Dezember 1835, vom 2. Januar 1836, vom 8. Mai, 19. Oktober und 13. November 1841, vom 4. April 1853 und vom 16. Mai 1865^ nebst den jeweils dazu gehörigen Separatartikeln beruhende zollpolitische Beziehungsgeflecht mit den vier süddeutschen Staaten zumindest der Aktualisierung. ^ ^ ^

Dok. 128. Bundesgesetzblatt 1868,8.518. Dok. 85, Dok. 86, Dok. 87, Dok. 88, Dok. 89, Dok. 90, Dok. 91, Dok. 93, Dok. 99 und Dok. 101.

§ 6: Deutscher Zoll- und Handelsverein

219

[391.] Die Initiative dazu ging im Februar 1867 von Bayern aus. Ihm schwebte eine stärkere wirtschaftliche Verbindung Süddeutschlands mit dem Norddeutschen Bund in Gestalt eines Staatenbundes vor. Es ging hierbei aber eigentlich nur um eine erneuerte Zollvereinigung. Dem zu diesem Zweck um süddeutsche Vertreter ergänzten norddeutschen Bundesrat wäre dabei die Aufgabe zugefallen, die Zollgesetze vorzuschlagen, über deren Annahme daraufhin die einzehien Volksvertretungen der süddeutschen Staaten und der Reichstag entscheiden würden. Während Württemberg diesem Vorschlag vorbehaltlos zustimmte, lehnten indes HessenDarmstadt und Baden diesen Vorschlag kategorisch ab. Hessen war einer engeren Verbindung mit den Zollvereinsstaaten überhaupt abgeneigt, Baden wollte gerade diese. Nach badischer Vorstellung sollte namentlich die Beschlußfassung über die Zollgesetze nicht einzelnen Volksvertretungen, sondern einem gemeinsamen Zollparlament überlassen werden. Diesen Vorschlag griff Bismarck auf; denn auch er favorisierte für das Zustandekommen der Zollgesetze bloße Mehrheitsbeschlüsse ohne ein Vetorecht der diversen Volksvertretungen. Für den Fall, daß die Süddeutschen dagegen opponieren würden, ließ er durchblicken, lieber ganz auf einen Zollverein mit ihnen verzichten zu wollen. [392.] Am 25. Mai 1867 lud Preußen die Zollvereinsstaaten unter Hinweis auf die bereits erwähnte Kündigungsklausel in den Friedensverträgen von 1866 zu alsbaldigen Verhandlungen über die Bildung des künftigen Zollvereins ein. Da die süddeutschen Staaten sich angesichts der wirtschaftlichen Dominanz Preußens diesem Ansinnen nicht wirklich verweigem konnten, trafen sie bereits am 3. Juni 1867 mit den Vertretern des Norddeutschen Bundes in Berlin zusammen. Der dort von Bismarck vorgelegte Entwurf eines neuen Zollvereinsvertrages ließ kein Vetorecht einzelner Mitgliedstaaten in Zoll- und Handelssachen zu. Die einschlägige Gesetzgebung hatte auf den Zollbundesrat und das Zollparlament überzugehen, deren übereinstimmende Mehrheitsbeschlüsse sollten allein für das Zustandekommen der Zollgesetze maßgeblich sein. Bei dem Zollbundesrat war an nichts anderes als an eine Erweiterung des norddeutschen Bundesrats um Vertreter der süddeutschen Regierungen gedacht. Auch das Zollparlament sollte nur eine durch die Hinzunahme süddeutscher Abgeordneter zum norddeutschen Reichstag vermehrte Versammlung werden. Für das dem preußischen König reservierte Zollpräsidium sah man das Recht vor, Handelsverträge vorzubereiten, die Ausführung der Zoll- und Handelsgesetze zu überwachen und gegenüber Beschlüssen des Zollbundesrates das Veto auszuüben. Baden, aber auch Württemberg akzeptierte den Entwurf durch Präliminarverträge bereits am 4. Juni 1867, Hessen-Darmstadt immerhin am 7. Juni 1867. Schließlich lenkte auch das noch geraume Zeit widerstrebende Bayern ein. [393.] Am 26. Juni 1867 trafen sich dann sämtliche Mitglieder des Norddeutschen Bundes, die vier süddeutschen Staaten und Luxemburg zu einer weiteren Zollkonferenz. Hier wurden durch die Unterzeichnung eines neuen Zoll- und Handelsvereinsvertrages (ZHV) am 8. Juli 1867^ nach Maßgabe der zuvor schon von den süddeutschen Staaten gebilligten Inhalte die Grundlagen für den künftigen Zoll- und Handelsverein gelegt. Dieser Vertrag trat nach seiner von Art. 29 Dok. 102.

220

1. Abschnitt: Gesamtdeutsche Verfassungsentwicklung (1803/06-1918)

ZHV bis Ende Oktober 1867 vorgesehenen und auch tatsächlich von nahezu allen Seiten pünktlich abgeschlossenen Ratifikation^ zum 1. Januar 1868 in Kraft und hatte eine Laufzeit von acht Jahren, die sich, falls eine Kündigung unterblieb, automatisch um zwölf Jahre verlängerte. [394.] Mit dem Zollbundesrat, dem Zollparlament und dem Zollpräsidium verfügte der Zoll- und Handelsverein über gemeinsame Organe. Deshalb war der Zollverein, auch wenn er insoweit unverkennbar dem Norddeutschen Bund nachempfunden wurde, aber noch - keineswegs wie E. R. Huber^^ und W. Siemann^^ meinen - ein („Zoll"-) Bundesstaat. ^^ Gewiß konnten die Zollvereinsorgane ihre im Verfassungsrecht des Norddeutschen Bundes gründenden Vorbilder nicht verleugnen: So war der Zollbundesrat lediglich die Erweiterung des norddeutschen Bundesrates um Vertreter der süddeutschen Regierungen. Wieviel Stimmen jedem hinzutretenden süddeutschen Staat zustehen sollten, berechnete sich ebenso wie in Art. 6 NBV nach der im Plenum der alten Bundesversammlung durch Art. 6 Abs. 1 DBA vorgesehen Stimmenverteilung, nur daß Bayern anstatt der dort vorgesehenen vier sechs Stimmen erhielt (Art. 8 § 1 ZHV). Diese Stimmenzahl sollte wenig später für den Bundesrat des Deutschen Bundes/Reiches Vorbild sein. Ferner stand das Zollpräsidium ebenso wie nach Art. 11 NBV das Bundespräsidium der Krone Preußens zu (Art. 8 § 6 Abs. 1 ZHV). Zudem wurde das Zollparlament gebildet, indem der Norddeutsche Reichstag mit seinen 297 Mitgliedern sich um die Anzahl der nach allgemeinen, gleichen und direkten Wahlen bestimmten Abgeordneten der süddeutschen Staaten (48 Bayern, siebzehn Württemberger, vierzehn Badener und sechs Südhessen, insgesamt also 85) ergänzte (Art. 9 § 1 Abs. 1 ZHV). D. h. für den Norddeutschen Bund waren die Abgeordneten bereits vorhanden; in den süddeutschen Staaten wurden (nach im wesentlichen norddeutschem Bundeswahlrecht) eigens Wahlen für das Zollparlament anberaumt. Hier gab es also unverkeimbar Parallelen zu Art. 20 NBV. Auch antizipierte dies bereits den Reichstag der Kaiserzeit, für dessen identische Zusammensetzung Art. 9 § 1 Abs. 1 ZHV unverkennbar das Vorbild war. Obendrein hatten Zollbundesrat und Zollparlament gemeinsam zwar ebenso wie norddeutscher Bundesrat und Reichstag im Zusammenwirken die Kompetenz zum Erlaß von Gesetzen (vgl. die Art. 3, 6 und 7 Abs. 1 ZHV). Doch bedurften die Vereinsgesetze anders als die Bundesgesetze zu ihrer Rechtswirksamkeit erst noch der Umsetzung durch die Einzelstaaten in deren jeweiHge Rechtsordnung (Art. 7 Abs. 2 ZHV). Sicherlich wird man angesichts dieser zoUbündischen Strukturen sogar von einer Vorwegnahme der nationalen Einigung auf zollpolitischem Gebiet sprechen köimen;^^ doch eben nicht von einer gesamtstaatHch ausgerichteten Einigung im Sinne eines Bundesstaates. [395.] Ist es zutreffend, wenn der entscheidende Unterschied zwischen Staatenbund und Bundesstaat darin gesehen wird, daß im Staatenbund den Gliedstaaten, Lediglich in Württemberg genehmigte die Kammer der Standesherren den Vertrag erst am 4. November 1867. Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789, Bd. 3: Bismarck und das Reich, 3. Aufl., 1988, S. 635. Gesellschaft im Aufbruch, Deutschland 1849-1871, 1990, S. 290. Vgl. dazu auch^. Hänel, Deutsches Staatsrecht, 1. Band, 1892, S. 42 ff. In diesem Sinne W. Siemann, (Fußn. 11).

§ 6: Deutscher Zoll- und Handelsverein

221

im Bundesstaat aber dem Gesamtstaat die Souveränität zusteht^"^, dann bedarf es wohl kaum breiterer Erklärungen, weshalb der Zoll- und Handelsverein kein Bundesstaat sein konnte. Nur soviel: Auf den Zoll- und Handelsverein gingen im Vergleich zu dem Umfang der beim jeweiligen Vertragsstaat verbleibenden Souveränität eher geringe Souveränitätsrechte über. Die daran beteiligten Vertragsstaaten (Norddeutscher Bund, Bayern, Württemberg, Hessen-Darmstadt, Baden, Luxemburg) behielten demgegenüber weiterhin die wesentlichen Attribute staatlichen Handelns in ihren Händen. Überdies war der Zoll- und Handelsverein nicht auf Dauer geschlossen, sondern durch die Beteiligten kündbar. Ein Umstand, weswegen ihm Zeitgenossen - insoweit aber sicherlich zu weit gehend - sogar „nicht einmal die gleiche Natur wie einem Staatenbund" zuerkannten.^^ [396.] Mit dem Zoll- und Handelsvereinsvertrag wurde fiir Zölle und gemeinschaftliche Steuern eine eigene Zollvereinsgesetzgebung eingeführt; sie oblag Zollbundesrat und Zollparlament gemeinsam. Die im beiderseitigen Zusammenwirken verabschiedeten Gesetze gingen den Gesetzen der einzelnen Vertragsstaaten vor. Insoweit galt im Falle entgegenstehenden einzelstaatlichen Rechts zumindest ein dieses Recht suspendierender Anwendungsvorrang zugunsten der ZoUund Handelsvereinsgesetze. Das Zollpräsidium besaß allerdings ein Vetorecht hinsichtlich aller Gesetze und Ausfährungsvorschriften; gegen seinen, genauer gegen Preußens Willen konnten folglich keine wirksamen Rechtsakte des Zoll- und Handelsvereins erlassen werden. Überdies hatte es die Kompetenz, die richtige Befolgung der erlassenen Zoll- und Handelsvereinsvorschriften durch eigens von ihm ernannte Vereinsbevollmächtigte zu kontrollieren. Bezogen auf zoll- und handelspolitische Aspekte war mit dem Zoll- und Handelsvereinsvertrag die spätere Reichsverfassung auf vielfaltige Weise vorbildhaft vorgezeichnet. Wichtigste Kodifikation des Zoll- und Handelsvereins war das Zollgesetz vom 1. Juli 1869^^. Bei ihm handelte es sich um eine umfassende Regelung des ZoUverwaltungs- und Zollstrafrechts, die später - ohne jemals ausdrücklich zum Reichsgesetz erklärt worden zu sein - auch unter der Reichsverfassung von 1871 fortgalt. ^^ [397.] Der Zollbundesrat versammelte sich zu seiner ersten Sitzung am 2. März 1868. Das Zollparlament konnte sich wegen der zunächst in den süddeutschen Staaten durchzuführenden Wahlen hingegen erst am 27. April 1868 konstituieren. Es tagte dann zwischen 1868 und 1870 in drei Sitzungsabschnitten, wovon drei dicke Protokollbände mit den stenographischen Aufzeichnungen^^ beredt Zeugnis ablegen. Prinzipienfragen wie Schutzzoll oder Freihandel standen dort ebenso auf der Tagesordnung wie schwierige Detailfragen, aus denen noch immer der deutsche Partikularismus sprach (Tabak- und Zuckersteuer, Petroleumzoll), aber auch die Frage des Abschlusses eines neuen Handelsvertrages mit Österreich. Auf dieSo E. R. Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789, Bd. 1: Reform und Restauration 1789 - 1830, 2. Aufl., Stuttgart 1990, S. 666. F. Thudichum, Verfassungsrecht des Norddeutschen Bundes und des Deutschen Zollvereins, 1870, S. 582Fußn. 1. 16 Bundesgesetzblatt 1869, S. 317. ^^ P. Laband, Das Staatsrecht des Deutschen Reiches, Bd. 4, 5. Aufl., 1914, S. 405 f 18 Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Deutschen Zoll-Parlaments, 3. Bde., 1^ 70.

222

1. Abschnitt: Gesamtdeutsche Verfassungsentwicklung (1803/06-1918)

ser vorweggenommenen Wirtschaftseinheit baute dann die allmählich heraufziehende Reichsverfassung von 1871^^ auf.

1^ Dok. 136.

§ 7: Deutscher Bund/Deutsches Reich (1871 - 1918)

223

§ 7: Deutscher Bund/Deutsches Reich (1871 - 1918) I. Rahmenbedingungen für die Reichsgründung [398.] Das Ausscheiden Österreichs aus Deutschland verdeutlichte das mittlerweile angewachsene preußische Übergewicht im Kreise der verbliebenen deutschen Staaten. Als kleindeutsche Führungsmacht war der Hohenzollemstaat unangefochten. Das galt erst Recht seit der Gründung des Norddeutschen Bundes fur den gesamten Bereich des nördlichen Deutschlands. Einer weiteren Hegemonie über die Main-Linie hinweg standen indes neben unleugbaren antipreußischen Ressentiments in Bayern und Württemberg in erster Linie außenpolitische Hindemisse im Wege. So beäugten die übrigen europäischen Großmächte argwöhnisch jeden Schritt Preußens im Umgang mit den süddeutschen Staaten. Namentlich Frankreich und das 1866 unterlegene Österreich hätten ein Ausgreifen auf Süddeutschland nicht hinnehmen wollen. Dementsprechend war sich Bismarck darüber im Klaren, daß bloße deutschlandpolitische Aktivitäten den preußischerseits angestrebten Beitritt Süddeutschlands zum Norddeutschen Bund, wie ihn Art. 79 der Verfassung des Norddeutschen Bundes (NBV)^ ermöglichte, nicht zum Ziel fuhren würden. Denn die Vereinigung der süddeutschen Staaten mit dem Norddeutschen Bund betrachtete man unter den europäischen Mächten nicht als eine rein deutsche, sondern als eine europäische Angelegenheit ersten Ranges. Wollte man das Feld für die Einigung bereiten, den Norddeutschen Bund also zu einem gesamtdeutschen Bundesstaat ausbauen, bedurfte es dafür aus preußischer Sicht zunächst einer weitaus günstigeren politischen Konstellation als der noch bis ins Jahr 1869 hinein bestehenden. [399.] Eine solche mußte in der Bevölkerung wie auch bei den Regierungen aller süddeutschen Staaten den unbedingten Wunsch zum Eintritt in den Bund wecken und zugleich die Abstreifung der außenpolitisch die Einigung hindernden Fesseln ermöglichen. Beides zusammen ließ sich nach Lage der Dinge wohl einzig durch einen Angriff von außen auf Preußen bzw. den Norddeutschen Bund erreichen. Nur in diesem Falle durfte Bismarck mit einem ausreichend starken nationalen Solidarisierungsschub in Süddeutschland rechnen; und nur auf diese Weise vmrde sich dann wegen der spätestens nach dem erwarteten Sieg über den Aggressor und der faktisch damit verbundenen Neuordnung der machtpolitischen Verhältnisse die zur Zeit verkrustete mitteleuropäische Staatenordnung im Sinne eines kleindeutschen Gesamtstaates aufbrechen lassen. Hierzu boten denn auch die von Preußen mit den einzehien süddeutschen Staaten bereits 1866/67 geschlossenen Schutz- und Trutzbündnisse^ die willkommene völkerrechtliche Basis, welche es zunächst zu stabilisieren und zur gegebenen Zeit für die nationale Karte zu instrumentalisieren galt. [400.] Es begann sich somit schon zeitig abzuzeichnen, daß der Weg in den preußisch dominierten kleindeutschen Nationalstaat letztlich nur über einen weiteren erfolgreichen preußisch-deutschen Waffengang würde führen können. Anders Dok. 128. Dok. 113, Dok. 115, Dok. 119 und Dok. 127.

224

1. Abschnitt: Gesamtdeutsche Verfassungsentwicklung (1803/06-1918)

als 1866 hätte man es dieses Mal allerdings mit einem äußeren Feind zu tun haben müssen. Welcher dies sein konnte, war auch längst klar. Denn insoweit kam ungeachtet der selbst bei anderen europäischen Mächten bestehenden Vorbehalte gegen einen preußisch-deutschen Nationalstaat eigentlich wirklich nur Frankreich infrage, welches sich seit der Machtübernahme Napoleons III. als hegemoniale Großmacht mit eigenen, in jedem Falle den preußisch-deutschen Ambitionen zuwiderlaufenden politischen Ordnungsvorstellungen für ein künftiges Mitteleuropa zurückmeldete. Solange Preußen in letzter Konsequenz das Risiko einer kriegerischen Auseinandersetzung schreckte, blieb damit auch das Postulat gesamtdeutscher Staatlichkeit unerfüllt. Ebenso verhielt es sich mit den der deutschen Gesamtstaatlichkeit im Wege stehenden Mächten, sofern sie sich expansiver militärischer Interventionen in Deutschland enthielten. Blieben sowohl Preußen als auch die sonstigen europäischen Mächte passiv, blieb es bei dem status quo des Jahres 1867. Preußen mußte sich - wollte es die von ihm unter seiner Führung angestrebte Einheit nicht leichtfertig verspielen ~ zunächst in Geduld üben. II. Die Luxemburg-Frage [401.] Zum ersten außenpolitischen Testfall wurde die luxemburgische Frage.^ Aufgrund des Art. 4 des Prager Friedens vom 23. August 1866^ und mit der Schaffung des Norddeutschen Bundes war klar, daß die unter der Hoheit des Königs der Niederlande stehenden bisherigen Bestandteile des Deutschen Bundes weder einem Norddeutschen Bundesstaat noch einem in Aussicht zu nehmenden Südbund angehören konnten. Ungeachtet dessen war Luxemburg jedoch Mitglied des Deutschen Zollvereins und hatte nach wie vor gestützt auf die preußischniederländischen Verträge der Jahre 1816 und 1856 eine preußische Garnison. Zu allem Überfluß kam noch hinzu, daß mittlerweile Frankreich eine Annexion Luxemburgs forderte, der Preußen - wenngleich nicht von vornherein dagegen - mit Rücksicht auf die deutsche öffentliche Meinung zumindest offiziell widersprach. Allenfalls konnte man eine „diskrete" Abtretung akzeptieren; was nichts anderes bedeutete, als daß man dem niederländischen König als dem unmittelbar Betroffenen Monarchen den „Schwarzen Peter" - will heißen die Entscheidung darüber zu überlassen gedachte. [402.] In die daraufhin einsetzenden französisch-niederländischen Verhandlungen platzte Ende März 1867 die Veröffentlichung der bis dahin geheimen Schutzund Trutzbündnisse Preußens mit den süddeutschen Staaten^. Dies wurde seitens des prinzipiell abtretungswilligen niederländischen Königs als an ihn gerichtete preußische Warnung, vielleicht sogar als Beistandsverheißung aufgefaßt. In jedem Falle machte er seine Zustimmung jetzt jedoch von der ausdrücklichen Einwilligung Preußens abhängig, welche wegen des nach wie vor bestehenden preußi-

^ 4 ^

Vgl. dazu E. R. Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789, Bd. 3: Bismarck und das Reich, 3. Aufl., 1988, S. 693 ff. Dok. 120. Dok. 113, Dok. 115, Dok. 119 und Dok. 127.

§ 7: Deutscher Bund/Deutsches Reich (1871 - 1918)

225

sehen Gamisonsreehts in Luxemburg ohnehin erforderlich gewesen wäre. Spätestens hier konnte es kein preußisches Entgegenkommen gegenüber Frankreich geben. Frankreich witterte wohl nicht zu Unrecht ein von Bismarck inszeniertes preußisches Doppelspiel. Die dann vor dem Hintergrund nationaler Aufwallungen stattfindenden preußisch-französischen Verhandlungen über Luxemburg verliefen ergebnislos. Daraufhin spitzte sich die Krise bis an den Rand eines Krieges zu, ohne indes - wie im April 1867 von Bismarck erhofft - in Süddeutschland als der emotionale Katalysator für die preußischen Einigungsbestrebungen in Deutschland dienen zu können. Denn Bayern und Württemberg weigerten sich, wegen Luxemburg einen preußisch-(nord)deutschen Waffengang gegen Frankreich als Bündnisfall anzusehen. In dieser Situation schlug Rußland eine Konferenz zur Lösung der Krise in London vor. An ihr nahmen neben den fünf Großmächten Preußen, Frankreich, Rußland, England und Österreich auch die Niederlande, Belgien und Italien teil. Man einigte sich dort am 11. Mai 1867^ schließlich darauf, daß Frankreich auf den Erwerb Luxemburgs und Preußen auf seine dortigen Gamisonsrechte verzichtete, Luxemburg unter der Krone der Niederlande blieb und neutralisiert wurde. III. Preußisch-französischer Konflikt in der spanischen Thronfolgefrage [403.] Die endgültige Bereinigung der deutschen Verhältnisse war damit aus preußischer Sicht aber nur vertagt. Berlin mußte sich vorerst weiter in Geduld üben - allerdings ohne dabei auf eine allzu harte Probe gestellt zu werden. Denn schon bald bot sich ein neuer Anlaß, der es erlaubte, die nationale Karte wirksamer als im Verlauf der Luxemburg-Krise zu spielen: die seit September 1868 wegen der Vertreibung der spanischen Königin Isabella IL aktuelle und nichts weniger als offene Frage der spanischen Thronfolge. Die aufgrund der neugeschaffenen konstitutionell-monarchischen Verfassung im Juni 1869 eingesetzte spanische Regierung schickte sich wohl nicht ganz ohne preußische Beteiligung seit Ende 1869 an, den aus der katholischen Linie des Hauses HohenzoUem stammenden Prinzen Leopold von Hohenzollem-Sigmaringen als Thronkandidaten zu gewinnen. Auch Bismarck unterstützte jedenfalls seit Februar 1870 die Hohenzollemkandidatur. Er versprach sich von der Bildung einer weiteren hohenzoUemschen Dynastie unmittelbar an Frankreichs Grenzen in erster Linie eine wirksamere Eindämmung der hegemonialen Ambitionen Frankreichs. Allerdings schürte diese Kandidatur bei Napoleon III. Einkreisungsängste und stieß deshalb von vornherein auf eindeutige französische Ablehnung. Da der Kaiser, von England und Rußland sekundiert, bei seinem Veto blieb, sah sich Leopold schließlich zum Verzicht auf die Kandidatur veranlaßt. Die preußische Diplomatie hatte fraglos eine empfindliche Niederlage erlitten.

^

Text abgedruckt bei: E. R. Huber (Hrsg.), Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte, Bd. 2: Deutsche Verfassungsdokumente 1851 - 1900, 3. Aufl., 1986, Nr. 194.

226

1. Abschnitt: Gesamtdeutsche Verfassungsentwicklung (1803/06-1918)

IV. „Emser Depesche" und französische Kriegserklärung [404.] Ebenso wie in der Luxemburg-Frage schien sich auch hier unter dem Druck der europäischen Mächte die diplomatische Lösung durchgesetzt zu haben. Gleichwohl begann die eigenthch bereits in ihrem Kern wieder bereinigt geglaubte Krise jetzt eine kaum mehr für möglich gehaltene Eigendynamik zu entfalten. Denn Frankreich begnügte sich mit seinem Erfolg nicht, sondern wollte offenbar mehr. Es gedachte Preußen zu allem Überfluß auch noch zu demütigen. Durch seinen Botschafter forderte es den zur Kur in Bad Ems weilenden preußischen König am 13. Juli 1870 geradezu ultimativ zur Billigung der Verzichtserklärung des Prinzen auf und verlangte das Versprechen des Königs, eine erneute Kandidatur Leopolds ein für allemal zu unterbinden. Der König erklärte sich aber nur bereit, den Verzicht des Prinzen „in demselben Sinn und demselben Umfang, in dem er dies vorher (hinsichtlich) der Annahme der Kandidatur getan habe, zu approbieren".'^ Ein Telegramm vom Legationsrat im Auswärtigen Amt, Abeken, setzte den krankheitsbedingt nicht in Bad Ems anwesenden Bismarck unmittelbar von dem Emser Geschehen in Kenntnis. Dieser erkannte alsbald, daß sich das in der Tat unnötig herausfordernde französische Ansinnen zugunsten der deutschen Einigungsfrage instrumentalisieren ließ. Er informierte die deutsche Öffentlichkeit daraufhin über die von Preußen als Zumutung empfundene französische Forderung in einer wiederum vorhersehbar für Paris provozierend wirkenden Weise. Der Abeken'sehe Text wurde nämlich umredigiert und als Telegramm des Bundeskanzlers aus Berlin an die Botschafter in den deutschen Hauptstädten versandt sowie als Presse Verlautbarung aus Bad Ems herausgegeben. In der letzteren, bald als „Emser Depesche"^ bekannt gewordenen Erklärung wurde der Eindruck erweckt, der König habe sich auf das Ansinnen des Botschafters inhaltlich überhaupt nicht eingelassen, sondern sich einfach strikt geweigert, „den französischen Botschafter nochmals zu empfangen, und demselben durch den Adjutanten vom Dienst sagen lassen, daß Seine Majestät dem Botschafter nichts weiter mitzuteilen habe." Paris mußte den dermaßen dargestellten Emser „Vorfall" wegen des dadurch angetasteten nationalen Prestiges nunmehr seinerseits als eine schwerwiegende und noch schwerer hinnehmbare diplomatische Niederlage auffassen und erklärte Preußen am 19. Juli 1870 den Krieg. Damit war die ursprünghche dynastische Frage endgültig zu einem rein von nationalen bzw. nationalistischen Instinkten und Kalkülen dominierten Konflikt eskaliert. [405.] Zu Recht mag man Bismarcks Vorgehen je nach Sichtweise politisch unterschiedlich beurteilen. Tatsächlich reichen die Bewertungen der „Emser Depesche" denn auch von der Bewunderung fiir ein diplomatisches Meisterstück bis zum abwertenden Vorwurf der bloßen Fälschung.^ Doch wirkt zumindest der in

Zitiert nach E. R. Huber (Fußn. 3), S. 717. Text abgedruckt bei: E. R. Huber (Fußn. 6), Nr. 217. Vgl. etwa O. Becker, Bismarcks Ringen um Deutschlands Gestaltung, hrsg. und ergänzt von A. Scharff, 1958, S. 677 ff.; R. Dietrich, in: Th. Schieder/E. Deuerlein (Hrsg.), Reichsgründung 1870/71,1970,8.64(92).

§ 7: Deutscher Bund/Deutsches Reich (1871 - 1918)

227

der Literatur^^ des öfteren unternommene Versuch einer staatsrechtlichen Qualifizierung dieser Handlungsweise als Verstoß gegen die Verfassung des Norddeutschen Bundes konstruiert. Denn gerade die Verfassung schwieg sich darüber aus, ob und inwieweit der Bundeskanzler im Rahmen seiner ihm von Art. 15 NBV zugewiesenen Geschäftsleitungsfunktion eigenmächtig Handehi durfte. Dies galt auch mit Blick auf die insoweit bemühten Art. 11 und 17 NBV. Selbst wenn man aus diesen in der Zusammenschau eine zwischen Kanzler und Bundespräsidium (preußischem König) bestehende Pflicht zum Zusammenwirken in außenpolitischen Fragen herleiten wollte, darf nicht übersehen werden, daß es nach wie vor beim Bundespräsidium gelegen hätte, eine gegen seinen Willen durch eigenmächtiges Verhalten des Kanzlers herbeigeführte und als „unmöglich" empfundene politische Situation zu entschärfen. Hierzu standen dem Bundespräsidium als Mittel die Rüge und/oder Entlassung des Kanzlers, in jedem Falle aber ein zugegebenermaßen „unehrenhaftes" bzw. unpopuläres Nachgeben gegenüber Frankreich zur Verfugung. Allein der Umstand, daß nichts dergleichen geschah, spräche zumindest für eine nachträgliche Billigung des Verhaltens - und damit för die Heilung des vermeintlichen Verfassungsverstoßes - durch das Bundespräsidium. [406.] Überhaupt hatte Bismarck juristisch gesehen weder außenpolitische Entscheidungen getroffen, noch die allein dem Bundespräsidium zustehende Entscheidung über Klrieg und Frieden präjudiziert. Selbst wenn sich als Folge seines Vorgehens ein anderer Staat letztlich sogar zu einer Kriegserklärung herausgefordert fühlte, so mußte das keineswegs - auch in der bereits zugespitzten französisch-preußischen Krise nicht - zwingend der Fall sein. Politisch waren nämlich auch jetzt noch andere Reaktionen Frankreichs als eine Kriegserklärung an Preußen möglich. ^^

V. Der Krieg mit Frankreich [407.] Der allein gegenüber Preußen erklärte Krieg war trotz der lediglich an den Hohenzollemstaat gerichteten Erklärung kraft der Verfassung des Norddeutschen Bundes^^ gleichbedeutend mit einer Kriegserklärung gegen den gesamten Norddeutschen Bund. Obendrein trat von Rechts wegen automatisch der in den Schutz- und Trutzbündnissen mit den süddeutschen Staaten^^ verankerte Beistandsfall ein. Und dieses Mal funktionierten die Bündnisse unter dem Druck rasch zunehmender nationaler Aufwallung, ohne daß es - wie noch gut zwei Jahre zuvor in der Luxemburg-Krise - süddeutscherseits ernsthafte Vorbehalte gegeben hätte. Die süddeutschen Staaten stellten sich eindeutig auf die Seite des Norddeutschen Bundes und ihre Armeen unter preußischen Oberbefehl. Völkerrechtlich avancierte dieser stets verkürzt als „deutsch-französisch" bezeichnete Krieg folg^° E. R. Huber (Fußn. 3), S. 720 f.; K. Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. V, 2000, S. 321 f. ^^ Th. Nipperdey, Deutsche Geschichte 1866 - 1918, Bd. II: Machtstaat vor der Demokratie, 2. Aufl., 1993, S. 61. 12 Dok. 128. 13 Dok. 113, Dok. 115, Dok. 119 und Dok. 127.

228

1. Abschnitt: Gesamtdeutsche Verfassungsentwicklung (1803/06-1918)

lieh zu einem zwischen Frankreich einerseits und dem Norddeutschen Bund, Bayern, Württemberg, Baden und Hessen andererseits geführten Krieg. Im Bewußtsein der Bevölkerungen galt er freilich als ein Krieg zweier Nationen. [408.] Festzuhalten bleibt an dieser Stelle, daß Bismarck diesen Krieg um der (klein)deutschen Einheit willen sicherlich einkalkuliert hatte. Doch lag hierin kein zielgerichtetes Hinarbeiten auf eine günstige Gelegenheit für einen solchen Waffengang, sondern nur dessen bewußte Inkaufnahme als ultima ratio.^"^ Frankreich hingegen strapazierte seinen diplomatischen Erfolg in der spanischen Thronfolgeangelegenheit über, ja, es überzog politisch maßlos, ohne, als dies zu erneuten Weiterungen führte, angesichts des nationalistischen Überschwangs die Kraft und den Willen zum Einlenken zu haben. ^^ [409.] Der Krieg bereitete - entgegen der Hoffnungen des insoweit auf ein latent vorhandenes antipreußisches Ressentiment im deutschen Süden setzenden Frankreichs - den Boden für die längst erwartete staatliche Vereinigung des Norddeutschen Bundes mit Süddeutschland. Das schließlich in die nationale Einheit mündende gemeinsame Kriegsziel der deutschen Alliierten beflügelte nicht nur die deutsche Bevölkerung, sondern wurde auch im übrigen Europa immerhin als legitim empfunden. Demgegenüber stießen die französischen Kriegsziele, Deutschland geteilt zu halten, um selbst unangefochtene Führungsmacht in Kontinentaleuropa sein zu können, verständlicherweise auf wenig Gegenliebe im restlichen Europa. [410.] Der auf beiden Seiten mit großer Aufopferung und erheblichen Verlusten geführte Krieg endete schließlich mit dem Sieg der verbündeten deutschen Armeen. Entscheidend dafür war sicherlich der Einschluß von mehr als 100.000 Franzosen zusammen mit ihrem Kaiser am 2. September 1870 bei Sedan. Napoleon III. mußte bedingungslos kapitulieren und geriet in deutsche Gefangenschaft. Doch zeigte sich, daß der Krieg damit noch keineswegs beendet war. Zumal die Gefangennahme Napoleons zunächst nur zu seinem Sturz und in Paris zur Bildung einer „Provisorischen Regierung der nationalen Verteidigung" führte, die den Frieden ablehnte und den „Volkskrieg" ausrief.

VI. Versailler Präliminarfrieden vom 26. Februar 1871 [411.] Wenngleich sich der deutsche Sieg bereits deutlich abzeichnete, so dauerte es indes noch immer fast fünf Monate, bis am 23. Januar 1871 Paris um Waffenstillstand bat, dem am 26. Februar 1871 ein in Versailles geschlossener und am 3. März 1871 ratifizierter Präliminarfrieden folgte.^^ In Art. 1 dieses Vertrages verzichtete Frankreich zu Gunsten des mittlerweile bestehenden Deutschen Reichs auf alle seine Rechte und Ansprüche an den östlich der künftigen französischdeutschen Grenzlinie zu Deutsch-Lothringen, einschließlich Metz, und zum Elsaß, So zutreffend auch K. Stern (Fußn. 10), S. 322; W. Siemann, Vom Staatenbund zum Nationalstaat, Deutschland 1806-1871, 1995, S. 427; R. Morsey, Die Hohenzollemsche Thronkandidatur in Spanien, in: Historische Zeitschrift, Bd. 186 (1958), S. 573 ff. Vgl. Th. Nipperdey (Fußn. 11), S. 61; K. Stern (Fußn. 10), S. 322. Dok. 135.

§ 7: Deutscher Bund/Deutsches Reich (1871 - 1918)

229

ausschließlich Beifort gelegenen Gebieten. Das Deutsche Reich sollte danach Elsaß-Lothringen „für immer mit vollem Souverainetäts- und Eigenthumsrechte besitzen". Damit anerkannte Frankreich jedenfalls Elsaß-Lothringen völkerrechtlich als Bestandteil Deutschlands. Zudem hatte Frankreich fünf Milliarden Francs Kriegsentschädigung an das Deutsche Reich zu zahlen (Art. 2 des Vertrages) und würde bis zur endgültigen Zahlung in seinen nord- und östlichen Departements von deutschen Truppen besetzt bleiben (Art. 3 des Vertrages). VII. Frankfurter Friedensvertrag vom 10. Mai 1871 [412.] Als nächstes galt es den Präliminarfrieden in einen endgültigen Frieden umzuwandehi. Dies geschah nach längeren Verhandlungen in Brüssel und Frankfurt a. M. durch Unterzeichnung des entsprechenden Vertrages am 10. Mai 1871 in Franhfurt^'^, der am 20. Mai 1871 ratifiziert wurde. Spätestens hiermit war auch die völkerrechtlich verbindliche Anerkennung des um die süddeutschen Staaten erweiterten Deutschen Reiches durch Frankreich verbunden. Ansonsten wurde der Präliminarfrieden in den wesentlichen Punkten bestätigt; dies galt namentlich hinsichtlich der französischen Gebietsabtretungen (Art. 1 des Vertrages) sowie mit Blick auf die französischerseits an das Deutsche Reich zu entrichtenden Kriegsentschädigungen (Art. 3 des Vertrages). Französischen Wünschen entsprach man nur in wenigen Punkten, wie etwa hinsichtlich der Behandlung der „gegenwärtig in diesem Gebiete wohnhaften Französischen Unterthanen, welche die Französische Nationalität behalten" wollten (Art. 2 des Vertrages). Obendrein vereinbarten beide Seiten eine Gleichbehandlung beider Nationen bezüglich der Schiffahrt auf der Mosel, dem Rhein-Marne-, Rhein-Rhone- und dem Saar-Kanal (Art. 5 des Vertrages) sowie für ihren Handelsverkehr die Meistbegünstigungsklausel (Art. 11 des Vertrages).

VIII. Die „Novemberverträge" f. Zustandekommen [413.] Bereits unmittelbar nach der Niederlage der französischen Truppen bei Sedan und des sich damit abzeichnenden Sieges der deutschen Verbündeten rückte die Frage der deutschen Einheit an die Spitze der politischen Agenda. Denn ein Sturm nationaler Begeisterung ging mittlerweile durch die süddeutschen Staaten und drängte die insbesondere in Bayern noch eben so starken antipreußischen und partikularstaatlichen Instinkte und politischen Strömungen in die Defensive. Es schien, als sei die Nation emotional längst geeint. Unter diesem Eindruck wiederholte Baden als der einzige unter den süddeutschen Ländern vorbehaltlos für die deutsche Einheit eintretende Staat am 3. September 1870 seinen schon vor Aus-

Dok. 137.

230

1. Abschnitt: Gesamtdeutsche Verfassungsentwicklung (1803/06-1918)

bruch des Krieges gestellten Antrag auf Beitritt zum Norddeutschen Bund.^^ Es war sogar bereit, die Norddeutsche Bundesverfassung^^ ohne Modifikationen anzunehmen. Am 12. September 1870 wurden mit Württemberg^^ und Bayern getrennte Verhandlungen mit dem gleichen Ziel aufgenommen, denen sich wenig später auch Hessen anschloß.^^ Am 5. Oktober 1870 wiederholte das nach wie vor aus Überzeugung zum Beitritt motivierte Baden erneut seinen Aufiiahmeantrag zum Norddeutschen Bund. Dessen Beispiel folgte - trotz einer nach wie vor innerlich reservierten Haltung des Hofes und seiner Regierung - das immerhin die mittlerweile eingetretene Unumkehrbarkeit des deutschen Integrationsprozesses und die politische Unhaltbarkeit seiner Situation anerkennende Hessen bereits am 20. Oktober 1870.^^ Mit Rücksicht auf die einem unitarischen deutschen Bundesstaat unter Preußens Führung weiterhin skeptisch bis ablehnend gegenüberstehende, sich günstigstenfalls nur zögerlich verhaltende bayerische Führung sorgte Bismarck indes dafür, daß diese Anträge unerledigt blieben.^^ Stattdessen kamen der Norddeutsche Bund, Baden und Hessen ohne bayerische und württembergische Beteiligung in dem dann am 15. November 1870 zu Versailles geschlossenen Vertrag^^ überein, zum I.Januar 1871 einen „Deutschen Bund" gründen und zugleich dessen Verfassung feststellen zu wollen. [414.] Dies beschleunigte auch die sich bisher wegen der von den preußischen Plänen abweichenden Vorstellungen Bayerns und Württembergs von einem Sonderbund und einer Totalrevision der Bundesverfassung eher schleppend hinziehenden Verhandlungen mit beiden Königreichen. Nur acht Tage später, am 23. November 1870, schloß das nunmehr seine politische Isolierung in Deutschland befürchtende Bayern zu Versailles ebenfalls dahingehende Verträge mit dem Norddeutschen Bund ab, in denen es u. a. dem durch den badisch-hessischen Vertrag vom 15. November 1870^^ begründeten Deutschen Bund beitrat.^^ Diese Übereinkunft enthielt neben dem eigentlichen Beitrittsvertrag zur Verfassung des Deutschen Bundes^^ ein SchlußprotokolF^; hinzu kam noch eine preußischbayerische Geheimabrede?^ Mit Württemberg kamen die vertraglichen Vereinbarungen erst nach der Überwindung von zum Teil erheblichen innerwürttembergischen Widerständen am 25. November 1870 in Berlin zustande.^^ Während im bayerischen Fall der Bund als alleiniger Vertragspartner handelte, traten bei den

^^ H. Rail, in: H. M. Schwarzmeier (Hrsg.), Handbuch des Baden-Württembergischen Geschichte, Bd. 3, 1992, S. 275 ff. 1^ Dok.128. 20 E. Naujoks, in: H. M. Schwarzmeier (Fußn. 18), S. 355 ff. ^^ A. Arndt, Staatsrecht des Deutschen Reiches, 1901, S. 33. 22 23 24 25 26 2^ 28 29 30

E. R. Huber (Fußn. 3), S. 732. A. a. O., S. 762. Dok.129. Dok. 129. Dok. 130, Dok. 130/1 und Dok. 130/2. Dok. 130. Dok. 130/1. Dok. 130/1. Dok. 131, Dok. 131/1 und Dok. 131/2.

§ 7: Deutscher Bund/Deutsches Reich (1871-1918)

231

Vereinbarungen mit Württemberg neben ihm auch Baden und Hessen als selbständige Beteiligte auf. Das Abkommen mit Württemberg bestand ebenfalls aus einem den Beitritt Württembergs zum Deutschen Bund regelnden Vertrag^^ nebst einem SchlußprotokoIP^; femer gehörte eine am 21. November zu Versailles bzw. am 25. November 1870 in Berlin unterzeichnete Militär-Konvention mit dem Norddeutschen Bund dazu.^^ [415.] Diese Verträge waren fraglos das Ergebnis der Uneinigkeit der süddeutschen Staaten untereinander, die es einem ohnehin übermächtigen Preußen mit „seinem" Norddeutschen Bund im Rücken ermöglichte, durch jeweils getrennt mit den einzelnen Staaten geführte Verhandlungen den Einigungsdruck gerade auf etwaige Zauderer zu erhöhen. Namentlich Bismarcks Bereitschaft, den Beitritt zu einem jedenfalls preußisch-norddeutsch dominierten Bundesstaat - etwas anderes kam für ihn überhaupt nicht infrage! - durch die großzügige Einräumung von Sonderkonditionen („Reservatrechten") zu flankieren, tat - wie wir den nachfolgend inhaltlich vorzustellenden Verträgen unschwer entnehmen können - ein Übriges. 2. Der badisch-hessische Vertrag [416.] Das in Versailles unterzeichnete Vertragswert^^ zwischen Baden und Hessen einerseits und dem Norddeutschen Bund andererseits, an dessen Zustandekommen bundesseitig neben den preußischen Vertretern Bismarck und Delbrück auch ein sächsischer Vertreter (Friesen) beteiligt war, richtete sich auf die Erweiterung des Norddeutschen Bundes zu einem „Deutschen Bund", dessen „Gründung" zum 1. Januar 1871 erfolgen sollte, nebst der Annahme der dazugehörigen „anliegenden Verfassung"^^, der „Verfassung des Deutschen Bundes" (BV). Bei dieser Verfassung handelte es sich um die lediglich in einigen Punkten modifizierte Norddeutsche Bundesverfassung. Darauf wird später noch näher einzugehen sein. [417.] Ansonsten sah der eigentliche Vertrag im wesentlichen nur den Beitritt der beiden süddeutschen Staaten betreffende Übergangsbestimmungen und Klarstellungen vor. So sollten die von Art. 58 BV vorgesehene „Gemeinschaft der Ausgaben für das Landheer ab dem 1. Januar 1872 gelten. Bis dahin flöß daher der Ertrag der in Art. 35 BV bezeichneten Steuern nicht dem Bund zu, sondern den Staatskassen Badens und Hessens. Entsprechendes galt mit Blick auf Baden auch für die den wesentlichen Teil der Bestimmungen über das Post- und Telegraphenwesen ausmachenden Art. 49 - 52 BV. Hinzu kamen ProtokoUerklämngen zu den Art. 18 (Beamtenrechte), Art. 35 und 38 (nach Maßgabe der Zollvereinsverträge zu erhebende Übergangsabgaben und die Erträge der hessischen Biersteuer), Art. 48 - 52 BV (Verhältnis des hessischen Post- und Telegraphenwesens zum 31 32 33 34 35

Dok. 131. Dok. 131/1. Dok. 131/2. Dok. 129. Dok. 134.

232

1. Abschnitt: Gesamtdeutsche Verfassungsentwicklung (1803/06-1918)

Norddeutschen Bund, finanzieller Ertrag der Post- und Telegraphenverwaltung des Bundes in Baden), Art. 56 (Praxis der Einrichtung der Bundeskonsulate), Art. 62 (Ausgaben zum Bundesheer) und Art. 80 BV (u. a. Vermehrung der Mitglieder bei einem obersten Gerichtshof für Handelssachen). Obendrein wurde noch einmal mit Blick auf den die Modalitäten der Verfassungsänderungen regehiden Art. 78 BV ausdrücklich hervorgehoben, daß Vorschriften der Verfassung, durch die bestimmte Sonderrechte einzelner Bundesstaaten festgestellt sind, nicht ohne Zustimmung des berechtigten Bundesstaates abänderbar seien. An dieser Stelle erwähnenswert ist nur noch, daß sich die Vertragsparteien verpflichteten, das Vertragswerk „unverzüglich den gesetzgebenden Faktoren des Norddeutschen Bundes, beziehungsweise Badens und Hessens, zur verfassungsmäßigen Zustimmung" vorzulegen. Dies war angesichts der mit dem Vertrag auf allen Seiten einhergehenden Verfassungsänderungen erforderlich. 3. Die Verträge mit Bayern [418.] Der „ Vertrag, betreffend den Beitritt Bayerns zur Verfassung des Deutschen Bundes, " vom 23. November 1870^^ war inhaltlich mehr als seine offizielle Bezeichnung vorgibt. Er regelte - anders als der badisch-hessische Vertrag^^ für Baden und Hessen - nämlich nicht nur die Konditionen, zu denen Bayem der Verfassung des Deutschen Bundes beitrat, sondern auch wie diese gemeinsame Verfassung künftig inhaltlich aussehen sollte. Es handelte sich bei diesem zwar äußerlich als Einheit ausgestalteten Abkommen somit nicht nur um einen Beitrittsvertrag, sondern auch um einen Verfassungsneuordnungsvertrag. a. Beitritts- und Verfassungsneuordnungsvertrag [419.] Gemäß diesem Vertrag schlossen der Norddeutsche Bund und das Königreich Bayem „einen ewigen Bund,... zu welchem der Beitritt des Königreichs Württemberg in Aussicht steht" (Art. 1 Abs. 1). Dieser Bund sollte „Deutscher Bund" heißen (Art. 1 Abs. 2). Als künftige Verfassung dieses Deutschen Bundes wurde aber nicht etwa der im badisch-hessischen Vertrag vereinbarte Verfassungstext^^ zugrundegelegt, sondern gemäß Art. 2 des Vertrages erstaunlicherweise derjenige des Norddeutschen Bundes. Dies war indes nur eine Äußerlichkeit, da die meisten Modifikationen, die dieser Vertrag in den immerhin dort aufgeführten insgesamt 26 Paragraphen an diesem Text vornahm, auch bereits in die aufgrund des badisch-hessischen Vertrages vereinbarte Verfassung des Deutschen Bundes eingearbeitet waren. Wirklich neue Veränderungen enthielt dieser Vertrag jenseits der Einräumung bestimmter Sonderrechte für Bayem daher nur an wenigen Stellen. Doch wenden wir uns den Vertragsinhalten im einzelnen zu: [420.] Die erste Änderung des Textes der Verfassung des Norddeutschen Bundes (NBV) betraf den das Bundesgebiet umschreibenden Art. 1, der nunmehr dem Dok. 130. Dok. 129. Dok. 134.

§ 7: Deutscher Bund/Deutsches Reich (1871 - 1918)

233

Hinzutritt aller vier süddeutschen Staaten Rechnung tragen sollte (Art. 1 § 1 des Vertrages). Überdies vereinbarte man, den in Art. 4 NBV verankerten Kompetenzkatalog zugunsten des Bundes um „die Presse und das Vereinswesen" zu erweitem (Art. 1 § 2 des Vertrages). Das Preußen als Bundespräsidium zustehende Vetorecht im Falle der vom Bundesrat zu beschließenden Abänderung von das Militärwesen und die Kriegsmarine sowie von das Zollwesen und bestimmte Verbrauchssteuern betreffenden Gesetzen (Art. 5 Abs. 2, 37 Abs. 2 Satz 2 NBV) wurde gemäß Art. 2 §§3, 15 des Vertrages neu gefaßt, ohne allerdings substanzielle Modifizierungen zu bewirken. [421.] Art. 2 § 4 des Vertrages paßte das Stimmenverhältnis im Bundesrat den neuen Gegebenheiten an. Waren nach Art. 6 NBV bislang in diesem Gremium insgesamt 43 Stimmen vertreten, so belief sich diese Zahl durch das Hinzukommen von fünfzehn Stimmen für die süddeutschen Staaten jetzt auf 58. Bayern erhielt sechs, Württemberg vier, Baden drei und Hessen für seinen südlich des Main gelegenen Teil weitere zwei Stimmen, so daß es nunmehr ebenso wie Baden über drei Stimmen verfügte. Bis auf die Bayern zugesprochene Stimmenzahl entsprach dies für die anderen drei Staaten der Anzahl von Stimmen, die sie zur Zeit des deutschen Bundes gemäß Art. 6 Abs. 2 der Deutschen Bundesakte (DBÄ/^ im Plenum der Bundesversammlung hatten. Bayern hingegen konnte seine Stimmen gegenüber den vier in Art. 6 Abs. 2 DBA festgesetzten auf immerhin sechs steigern. Im übrigen blieb es bei der bisherigen Stimmenverteilung des Art. 6 NBV. Zudem wurde Art. 7 Abs. 1 Satz 1 NBV, wonach jedes Bundesmitglied so viele Bevollmächtigte für den Bundesrat ernennen durfte, wie es Stimmen hatte, sie jedoch nur einheitlich abgeben konnte, zu Art. 6 Abs. 2 des künftig geltenden Verfassungstextes. [422.] Der bisherige den Bundesrat betreffende Art. 7 NBV wurde durch eine straffe Kompetenzzuweisung an dieses Organ ersetzt (Art. 2 § 5 des Vertrages). Hiemach hatte der Bundesrat künftig expressis verbis über die dem Reichstag zu machenden Vorlagen und Beschlüsse, über die zur Ausführung der Bundesgesetze erforderlichen allgemeinen Verwaltungsvorschriften und Einrichtungen sowie über Mängel, welche bei der Ausführung der Reichsvorschriften oder Einrichtungen hervortraten, zu beschließen. Art. 7 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 NBV blieben inhaltlich bestehen. Überdies wurde klargestellt, daß bei der Beschlußfassung über nicht alle Bundesstaaten betreffende Angelegenheiten, die dem Bund zugewiesen waren, lediglich die Stimmen der betroffenen Staaten gezählt würden. Entsprechendes galt gemäß Art. 2 § 11 des Vertrages auch für Abstimmungen im Reichstag. [423.] Art. 2 § 6 des Vertrages faßte die Zusammensetzung der nach Art. 8 NBV zu bildenden Bundesratsausschüsse neu. Über die bisherigen sieben Ausschüsse hinaus wurde noch ein Ausschuß für die auswärtigen Angelegenheiten bestehend aus den Bevollmächtigten Bayerns, Sachsens und Württembergs gebildet. Dort sollte Bayern den Vorsitz fuhren. Femer war Bayern neben Preußen anders als den sonstigen Gliedstaaten ein ständiger Sitz im Ausschuß für das Landheer und die Festungen zugestanden worden. Obendrein machte Art. 2 § 7 des Vertra3^ Dok.31.

234

1. Abschnitt: Gesamtdeutsche Verfassungsentwicklung (1803/06-1918)

ges das bislang nach Art. 11 NBV allein dem Bundespräsidium zustehende Recht zur Kriegserklärung im Namen des Bundes nunmehr von der Zustimmung des Bundesrates abhängig. Art 2 § 8 des Vertrages ergänzte den die Bundesbeamten betreffenden § 18 NBV um eine Regelung für in den Bundesdienst eingetretene bisherige Landesbeamte. Der Art. 2 § 9 des Vertrages entschärfte die bisherigen Regelungen des § 19 NBV über die Bundesexekution und Art. 2 § 10 des Vertrages erhöhte die Gesamtzahl der Reichstagsabgeordneten ebenso wie der Art. 9 § 1 Abs. 1 des Zoll- und Handelsvereinsvertrages (ZHV) vom 8. Juli 1867"^^ hinsichtlich der Abgeordneten des Zollparlaments von bisher 297 auf aktuell 382. Dabei entfielen 48 Abgeordnete auf Bayern, siebzehn auf Württemberg, vierzehn auf Baden und zusätzliche sechs zu den bereits drei Mandatsträgem für sein Gebiet nördlich des Mains auf Hessen. [424.] Wieviele Stimmen jedem dem Bund hinzutretenden süddeutschen Staat im Bundesrat zustehen sollten, berechnete sich ebenso wie in Art. 6 NBV grundsätzlich nach der im Plenum der alten Bundesversammlung durch Art. 6 Abs. 1 der Deutschen Bundesakte (DBA)^^ vorgesehenen Stimmenverteilung. Allerdings erhielt Bayern - nach dem Vorbild des Art. 8 § 1 ZHV - anstatt der noch in Art. 6 Abs. 1 DBA aufgeführten vier Stimmen sechs. [425.] In Art. 34 NBV strich man das Wort „Lübeck", weil die Stadt seit dem 11. August 1868 nicht mehr Freihafengebiet, sondern vollständig in das Zollgebiet des Bundes integriert war (Art. 2 § 12 des Vertrages). Auch den Art. 3 5 - 4 0 NBV über das Zoll- und Handelswesen widerfuhren vielfache Modifikationen (Art. 2 §§ 1 3 - 1 8 des Vertrages). Insbesondere wurde noch einmal klargestellt, daß der Zoll- und Handelsvereinsvertrag vom 8. Juli 1867^^ grundsätzlich weiter in Kraft bleiben sollte, soweit ihn die Vorschriften der Bundesverfassung nicht abänderten. Femer änderte man den das Post- und Telegraphenwesen betreffenden VIII. Abschnitt der Norddeutschen Bundesverfassung (NBV)^^. Dies betraf die Art. 48 Abs. 2, 50 - 52 NBV (Art. 2 §§ 19 - 21 des Vertrages), Der das Konsulatswesen behandelnde Art. 56 NBV und die die Wehrpflicht statuierenden Art. 57 und 59 NBV bekamen ebenso eine redaktionelle Anpassung wie der den Zeitpunkt für die erstmalige Zahlung der Beiträge zum Bundesheer bestimmende Art. 62 NBV (Art. 2 §§ 22 - 24 des Vertrages). [426.] Des weiteren wurden mit Art. 2 § 25 des Vertrages die Anforderungen für Verfassungsänderungen gegenüber dem Art. 78 NBV modifiziert. Bedurfte es hierfür bisher im Bundesrat einer Zweidrittel- und nach dem Text der auf der Basis des badisch-hessischen Vertrages^^ zunächst zum 1. Januar 1870 in Kraft gesetzten Verfassung des Deutschen Bundes^^ sogar einer Dreiviertelmehrheit der vertretenen Stimmen, so sollte jetzt grundsätzlich auch dort die für das rechts wirksame Zustandekommen aller sonstigen Gesetze erforderliche einfache Mehrheit

4U 41 42 43 44 45

Dok. 102. Dok. 31. Dok. 102. Dok. 128. Dok. 129. Dok. 134.

§ 7: Deutscher Bund/Deutsches Reich (1871 - 1918)

235

der vertretenen Stimmen genügen. Einziges Erschwernis für Verfassungsmodifikationen würde nunmehr die Nichterreichung eines qualifizierten Ablehnungsquorums von vierzehn Stimmen sein; was bedeutete, daß eine mehrheitlich vom Bundesrat befürwortete Verfassungsänderung, gegen die mindestens vierzehn Stimmen votiert hatten, als abgelehnt galt. Damit stand neben dem über siebzehn Bundesratsstimmen verfügenden Preußen jedenfalls auch den nach wie vor einem preußischen Führungsanspruch mißtrauenden Königreichen Bayern, Württemberg und Sachsen bei übereinstimmender Stimmabgabe ein absolutes Vetorecht zu. Mit seiner anfanglichen Forderung nach einem eigenen absoluten Vetorecht bei bestimmten Verfassungsänderungen, namentlich solchen, die den Kompetenzkatalog des Art. 4 NBV betrafen, konnte sich Bayern indes nicht durchsetzen."^^ Insgesamt gesehen mußte es sich bei dieser Vertragsvereinbarung jedoch um eine Relativierung des Stellenwertes der künftigen Bundesverfassung im Verhältnis zur übrigen Gesetzgebung handehi; bedurfte es doch für die Abänderung der Verfassung keiner auf ein Mindestquorum gestützten Majoritäten mehr. Solange nur das vierzehnstimmige Ablehnungsquorum nicht zum Tragen kam, genügten bei Abstimmungen im Bundesrat mithin denkbar geringe Stimmenzahlen, um Hand an die Verfassungsbestimmungen zu legen. [427.] An die Stelle des bisher das Verhältnis des Norddeutschen Bundes zu den süddeutschen Staaten regelnden Art. 79 NBV trat eine Übergangsbestimmung (Art. 2 § 26 des Vertrages). Sie führte jetzt katalogartig eine Reihe von Gesetzen des Norddeutschen Bundes auf, die zu solchen des künftigen Deutschen Bundes erklärt wurden und bestimmte den jeweiligen Zeitpunkt für deren Inkrafttreten im gesamten Bundesgebiet. Dies betraf zum 1. Januar 1871 allein 27 Gesetze, darunter das Gesetz über das Paßwesen vom 12. Oktober 1867, das Gesetz über die Freizügigkeit vom 1. November 1867, das Gesetz über die Bundeskonsulate vom 8. November 1867, das Wehrgesetz vom 9. November 1867, das Gesetz über die Beseitigung polizeilicher Ehebeschränkungen vom 4. Mai 1868, das Gesetz über die Maß- und Gewichtsordnung vom 17. August 1868, das Gesetz über die Einführung der Wechselordnung vom 5. Juni 1869, das Gesetz über das BundesOberhandelsgericht vom 12. Juni 1869, das Gesetz über die Gleichberechtigung der Konfessionen vom 3. JuU 1869, das Gesetz über den Erwerb und Verlust der Bundesangehörigkeit vom 1'. Juni 1870, das Gesetz über das Urheberrecht an Schriftwerken vom 11. Juni 1870, das Gesetz über die Kommanditgesellschaften auf Aktien und Aktiengesellschaften vom 11. Juni 1870 und das Gesetz über die Ausgabe von Papiergeld vom 16. Juni 1870. Hinzu treten sollten ein Jahr später zum 1. Januar 1872 weitere sieben Gesetze des Norddeutschen Bundes, nämlich das Gesetz über das Postwesen vom 2. November 1867, das Gesetz über das Posttaxwesen vom 4. November 1867, das Gesetz über Telegraphen-Freimarken vom 16. Mai 1869, das Gesetz über Portofreiheiten vom 5. Juni 1869, das Gesetz über Banknoten vom 27. März 1870, das Einführungsgesetz zum Strafgesetz vom 31. Mai 1870 und das Strafgesetzbuch. Die Erklärung weiterer vom NorddeutSo der Präsident des Bundeskanzleramts und preußische Staatsminister Delbrück in der Debatte über den bayerischen Vertrag im Norddeutschen Reichstag (Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Reichstages des Norddeutschen Bundes im Jahre 1870, IL außerordentliche Session, Sitzung vom 8. Dezember 1870, S. 143).

236

1. Abschnitt: Gesamtdeutsche Verfassungsentwicklung (1803/06-1918)

sehen Bund erlassener Gesetze zu Bundesgesetzen sollte in die Kompetenz der Gesetzgebung des künftigen Deutschen Bundes fallen. [428.] Bemerkenswert an diesen Verfassungsänderungen ist, daß Bayern - wie ein Vergleich mit den Bestimmungen der im badisch-hessischen Vertrag vereinbarten Deutschen Bundesverfassung zeigt - daran wohl für die wenigsten Bestimmungen das Urheberrecht beanspruchen durfte. Dennoch gab man der bilateralen Vereinbarung zumindest den äußeren Anstrich einer vertraglich durchgeführten Gesamtrevision der Verfassung des Norddeutschen Bundes, mit der - wie wir noch sehen werden - in der Tat der Text der späteren Reichsverfassung antizipiert worden war. So gesehen erweckte das Ergebnis äußerlich den Eindruck, als fand eine Neuordnung der bestehenden deutschen Verfassungsverhältnisse allein zwischen den Vertretern der beiden deutschen Führungsmächte unter Ausschluß des restlichen Deutschlands statt. Diesen Eindruck stützte auch die Präambel des Vertrages, die anders als in den Verträgen mit den anderen drei süddeutschen Staaten von der „Absicht" beider Vertragsparteien sprach, „die Sicherheit des Deutschen Gebietes zu gewährleisten, dem Deutschen Rechte eine gedeihliche Entwicklung zu sichern und die Wohlfahrt des Deutschen Volkes zu pflegen". Daran mochte auch nichts ändern, daß die Vertreter Preußens (Bismarck, Roon) bei den Verhandlungen formell als Vertreter des Norddeutschen Bundes auftraten. Sie galten in der Außenwahmehmung ohnehin als die Sachwalter der Einigung Deutschlands auf nord- und mitteldeutscher Seite. Entsprechendes billigte man den Vertretern Bayerns (Bray-Steinburg, Pranckh und Lutz) für die (gesamt)süddeutschen Interessen zu. Diese Hervorhebung Bayerns gegenüber den anderen süddeutschen Staaten kam fraglos seinem Selbstverständnis als „der" süddeutschen Führungsmacht entgegen und wird es den Münchener Verantwortlichen erleichtert haben, ihren Staat in ein gemeinsames bundesstaatliches Haus mit Preußen einzubringen. Ein letztes Mal war es Bayern damit vergönnt, die von ihm bislang im 19. Jahrhundert so geschätzte politische Sonderrolle in Deutschland zu spielen. [429.] Über diese Rücksichtnahme auf die bayerische Seele hinaus bot die einzelvertragliche Abrede mit München den Vorteil, rascher zu einem Ergebnis in der deutschen Vereinigungsfrage zu kommen, welches hinterher niemand in Deutschland mehr ernsthaft in Frage zu stellen wagte. War das bei den Verhandlungen juristisch betrachtet natürlich nur in eigener Sache auftretende Bayern erst gewonnen, galt dies faktisch auch für ganz Süddeutschland. So gesehen mußte den Vereinbarungen mit Bayern eine besondere, wenn nicht sogar die Schlüsselrolle zukommen. Denn daß der Norddeutsche Bund in Gestalt seiner Führungsmacht und Sachsens zuvor mit Baden und Hessen bereits eine vertragliche Beitrittsvereinbarung erzielen würde, stand bei Aufiiahme der Beitrittsgespräche mit allen süddeutschen Staaten noch längst nicht fest; auch wenn dadurch dann das Zustandekommen des „norddeutsch"-bayerischen Vertrages ungemein erleichtert wurde. [430.] Ein weiterer den Vertragsabschluß fordernder Umstand mögen die im Hinblick darauf erfolgten zahlreichen materiellen Zugeständnisse Preußens an Bayern gewesen sein. Art. 3 des Vertrages protokollierte diese in gleich acht mit mannigfaltigen Sonderregelungen ausgestatteten Paragraphen. Sie waren - wie Art. 3 § 7 des Vertrages - hervorhob „als ein integrirender Bestandtheil der Bun-

§ 7: Deutscher Bund/Deutsches Reich (1871-1918)

237

desverfassiing zu betrachten" und gingen immer dann, wenn sie vom Text der Verfassungsurkunde abwichen, letzterem vor; weshalb - wie es im Einleitungssatz zu Art. 3 des Vertrages hieß - die Verfassung des künftigen Deutschen Bundes „hinsichthch ihrer Anwendung auf das Königreich Bayern .. . Beschränkungen" erfuhr: [431.] So galt nach Art. 3 § 1 des Vertrages die in Art. 4 Nr. 1 der künftigen Verfassung dem Bund zugewiesene Zuständigkeit für die „Heimaths- und Niederlassungsverhältnisse" nicht in Bayern. Die im VII. imd VIII. Abschnitt der künftigen Verfassung vorgesehene Zuständigkeiten des Bundes fur das Eisenbahn, Postund Telegraphenwesen - namentlich die Art. 42 - 46 und 48 - 52 - sollten sich ausdrücklich nicht auf Bayern erstrecken, welches sich die Hoheitsrechte über diese Materien weiterhin selbst vorbehielt (Art. 3 §§ 1, 3 und 4 des Vertrages). Auch hinsichtlich des im XL Abschnitt (Art. 5 7 - 6 8 ) der künftigen Verfassung verankerten Bundeskriegswesens wurden Bayern gewichtige Ausnahmen zugestanden (Art. 3 § 5 des Vertrages). So billigte man dem Königreich mit Wirkung zum 1. Januar 1872 zu, anstatt des in Art. 58 vorgesehenen Beitrags aller Bundesstaaten zum gesamten Bundeskriegswesen, nur für die Kosten und Lasten seines Kriegswesens sowie für den Unterhalt der auf seinem Gebiete belegenen festen Plätze aufkommen zu müssen. Demgegenüber fand die gesamte preußisch dominierte Heeresverfassung - wie sie in den Art. 6 1 - 6 8 der künftigen Verfassung verankert war - einschließlich der Militärgesetzgebung und Vollzugsinstruktionen, des Militäretats, der Oberbefehlsregelung sowie der Erklärung des Kriegszustandes keine Anwendung. Das bayerische Heer bildete vielmehr „einen in sich geschlossenen Bestandtheil des Deutschen Bundesheeres mit selbstständiger Verwaltung, unter der Militairhoheit Seiner Majestät des Königs von Bayern;" lediglich im Kriegsfall kam es unter das Kommando des Bundesfeldherm. Damit bestand das künftige Bundesheer neben dem preußischen und dem sächsischen Heereskontingent aus einem dritten, dem bayerischen. Allerdings relativierte sich die Sonderstellung Bayerns in gewisser Weise dadurch, daß es sich verpflichten mußte, „In Bezug auf Organisation, Formation, Ausbildung und Gebühren, dann hinsichtlich der Mobihnachung . . . volle Übereinstimmung mit den für das Bundesheer bestehenden Normen" herzustellen. Insoweit stand dem Bundesfeldherm das Recht und die Pflicht zur Inspektion zu. Demgegenüber überließ man es dem Königreich, ob und inwieweit es hinsichtlich der Bewaffnung, Ausrüstung und Rangabzeichen die Angleichung an das übrige Bundesheer vornahm. Mit diesen Bestimmungen hatte Bayern das Bundeskriegswesen der künftigen Verfassung massiv modifiziert. Ansonsten vermochte nur Württemberg über eine zusätzlich abgeschlossene Militärkonventioff^^ ähnliches zu vereinbaren. [432.] Die unter Art. 2 § 26 des „bayerischen" Vertrages aufgeführte Übergangsbestimmung des neu gefaßten Art. 79 der Verfassung fand nur hinsichtlich des Wahlgesetzes für den Reichstag des Norddeutschen Bundes vom 31. Mai 1869"^^ Anwendung. Die übrigen dort aufgeführten Gesetze sollten für Bayern erst im Wege der künftigen Bundesgesetzgebung wirksam werden (Art. 3 § 8 des Ver47 Dok. 131/2. 4^ Dok.l28a.

23 8

1. Abschnitt: Gesamtdeutsche Verfassungsentwicklung (1803/06-1918)

träges). Mit diesem Zugeständnis an Bayern verzichtete Preußen auf ein erhebliches Maß an rechtlicher Homogenität. Durch Art. 5 des Vertrages sicherte Bayern schließlich seine ihm in Art. 3 des Vertrages zugestandenen Rechte auch in verfahrensmäßiger Hinsicht ab, indem es ausdrücklich festhalten ließ, daß diese nur mit seiner Zustimmung abänderbar sein sollten. [433.] Die Vertragsparteien verpflichteten sich in Art. 6 des Vertrages - ebenso wie im Falle des badisch-hessischen Vertrages -, das Vertragswerk „unverweilt den gesetzgebenden Faktoren des Norddeutschen Bundes und Bayerns zur verfassungsmäßigen Zustimmung" vorzulegen. b, Schlußprotokoll [434.] Dem eigentlichen Beitritts- und Verfassungsneuordnungsvertrag angefügt war ein zwischen den Vertragsparteien vereinbartes, ebenfalls auf den 23. November datiertes „ Schlußprotokoir'^^, das in im wesentlichen sechzehn weiteren Artikehi Klarstellungen und Zusicherungen zu den Vertragsbestimmungen festschrieb. Diese sollten „ebenso verbindlich sein, wie der Vertrag . . . über den Abschluß eines Deutschen Verfassungsbündnisses selbst", und mit diesem gleichzeitig ratifiziert werden (Art. 16). Thematisch behandelte das Schlußprotokoll zunächst Klarstellungen zu den von der Bundeskompetenz ausgenommenen „Heimaths- und Niederlassungsverhältnissen" und zur Reichweite der Gesetzgebungsbefugnis des Bundes für das Staatsbürgerrecht (Art. 1-3); überdies enthielt es Erläuterungen zum Immobiliarversicherungswesen (Art. 4), zum übergangsweise Inkraftbleiben einzelstaatlicher Gesetze (Art. 6), zu bestimmten Abgaben und Zöllen (Art. 10), zum Post- und Telegraphenwesen (Art. 11), zum Bundeskonsularwesen (Art. 12) sowie zum Kriegswesen (Art. 14). Demgegenüber betrafen die protokollarischen Zusicherungen die Beteiligung Bayerns an der Ausarbeitung des Entwurfes einer gesamtdeutschen Zivilprozeßordnung (Art. 5), die Ausübung der preußischen Präsidialrechte gegenüber Bayern (Art. 7), die bayerischen Gesandtschaften (Art. 8) und die Einräumung des stellvertretenden Vorsitzes Bayerns im Bundesrat (Art. 9). Auch das Schlußprotokoll stand unter dem Vorbehalt der Zustimmung durch die gesetzgebenden Faktoren des Norddeutschen Bundes und Bayerns. Art. 15 enthielt einen Berichtigungsvorbehalt für den Fall, daß es wegen der Eilbedürftigkeit der abzuschließenden Vereinbarungen „in Folge des mangelhaft vorliegenden Materials" im Nachhinein notwendig sein würde, den Wortlaut der Bundesverfassung unter Ziffer II §. 1 bis 26 des Vertrages zu korrigieren. Von einer derartigen Berichtigung des Wortlauts machte man dann am 28. November 1870 Gebrauch.5o

Dok. 130/1. Dok. 130/3.

§ 7: Deutscher Bund/Deutsches Reich (1871 - 1918)

239

c. Geheime Verabredung zwischen Preußen und Bayern [435.] Dies galt selbstverständlich nicht für die ebenfalls im Anschluß an den Beitritts- und Verfassungsneuordnimgsvertrag und das Zusatzprotokoll noch am selben Tag geschlossene „Geheime Verabredung zwischen Preußen und Bayern"^K Dabei handelte es sich auch gar nicht um eine Vereinbarung zwischen dem Norddeutschen Bund und Bayern, sondern um eine solche, die Bayern allein mit Preußen traf. Kern des Abkommens war das insofern hier allein interessierende preußische Versprechen, zum Abschluß von Friedensverträgen nach einem Bundeskrieg stets auch einen Bevolhnächtigten Bayerns hinzuzuziehen, der sich an den Verhandlungen beteiligen und durch das Bundeskanzleramt seine Instruktionen erhalten würde (Nr. 1 der Verabredung). Hiermit wollte man auch künftig vermeintlichen preußischen Alleingängen, welche den bayerischen Interessen zuwiderliefen, entgegenwirken. Diese Bestimmung wurde von Preußen am 14. Februar 1871 ratifiziert. Sie sollte später bei den deutsch-russischen Verhandlungen von Brest-Litowsk im Jahre 1917/18 zum Tragen kommen. Bayern setzte mit dieser bei Bekanntwerden allgemein als Ausdruck eines anachronistischen Partikularismus empfundenen Vereinbarung immerhin durch, daß in die deutsche Delegation als bayerischer Vertreter der ehemalige Ministerpräsident Graf Podewils aufgenommen wurde.^^ d. Fazit [436.] Insgesamt hatte Bayern in den Abkommen vom 23. November 1873 für sich wohl mehr herausgeholt, als es für sich anfänglich erhoffen durfte. Trotzdem war abzusehen, daß es - erst einmal zu einem Bundesstaat des Deutschen Bundes geworden - ungeachtet der ihm zugebilligten Reservatrechte kaum mehr an seine politische Bedeutung vor dem Beitritt würde anknüpfen können. Während Preußen mit dem nunmehr auch um Bayern erweiterten Bund seine Machtbasis institutionell weiter ausbaute, reduzierte sich die Rolle Bayerns zunehmend auf diejenige eines bloßen Bundesstaates. Mit seiner Mediatisierung würde es künftig das Schicksal aller anderen nichtpreußischen Gliedstaaten zu teilen haben. Die Verträge bezeichneten somit den Anfang vom Ende einer wirksamen bayerischen Mitgestaltung in Deutschland. Dem deutschen Partikularismus war damit endgültig seine kräftigste Stütze abhanden gekommen.

51 Dok. 130/2. 5-^ E. R. Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789, Bd. 5: Weltkrieg, Revolution und Reichsemeuerung 1914-1919, 1978, S. 425.

240

1. Abschnitt: Gesamtdeutsche Verfassungsentwicklung (1803/06-1918)

4. Die Verträge mit Württemberg [437.] Bei den vom Norddeutschen Bund am 25. November 1870 mit Württemberg geschlossenen Verträgen handelte es sich um den eigentlichen Beitrittsvertrag^^ zu der bereits zwischen dem Norddeutschen Bund sowie Baden und Hessen am 15. November 1870 vereinbarten Verfassung des Deutschen Bundes und das darauf Bezug nehmende „SchlußprotokoW^^. Für den Norddeutschen Bund verhandelten der preußische Staatsminister Delbrück und der sächsische Minister von Friesen, auf badischer Seite die Minister Freydorf und Türckheim, hessischerseits der Legationsrat Hoffmann mit den württembergischen Ministem Mittnacht und Suckow. a. Beitrittsvertrag [438.] Dem Beitritts vertrag lag - anders als dem bayerischen Vertrag^^ - nicht die Verfassung des Norddeutschen Bundes^^ zugrunde, sondern die das Ergebnis der Verhandlungen des Norddeutschen Bundes mit Baden und Hessen bildende „ Verfassung des Deutschen Bundes'' (DBV)^^, die „mit den im nachstehenden Artikel 2 näher bezeichneten Maaßgaben auf Württemberg volle Anwendung finden" sollte (Art. 1 des Vertrages). Der Art. 2 des Vertrages enthielt einen Katalog von die Bundesverfassung modifizierenden Bestimmungen, die jedoch die Vereinbarungen aus dem zwei Tage zuvor zustandegekommenen bayerischen Beitritts- und Verfassungsneuordnungsvertrag noch nicht berücksichtigten. Die erste Änderung betraf die in Art. 6 DBV vorgesehene Stimmenverteilung im Bundesrat. Zu den mit der Mitgliedschaft Badens und Hessens von ursprünglich 42 (Art. 6 NBV) auf 48 erhöhten Stimmen kamen nunmehr vier für Württembergs hinzu, so daß sich infolge dessen die Gesamtzahl der Stimmen im Bundesrat auf 52 belief. Die Zahl der in Württemberg zu wählenden Reichstagsabgeordneten sollte nach dem Vorbild von Art. 9 § 1 Abs. 1 des Zoll- und Handelsvereinsvertrages vom 8. Juli 1867^^ siebzehn betragen, womit die Gesamtzahl der Abgeordneten im Reichstag gegenüber der in Art. 20 DBV vorgesehenen von 317 auf 334 stieg. Das mit den Art. 35 Abs. 2 und 38 Abs. 4 DBV für Baden statuierte Sonderrecht zur Erhebung einer Bier- und Branntweinsteuer sollte auch für Württemberg gelten. Der VIII. Abschnitt der Bundesverfassung über das Post- und Telegraphenwesen (Art. 48 - 52) galt für Württemberg ebenso wie für Bayern nicht; stattdessen waren auch hier Sonderregelungen vorgesehen. Der XL Abschnitt der Verfassung über das Bundeskriegswesen sollte für Württemberg „nach näherer Bestimmung der Militair-Konvention vom ^^725. November 1870"^^ gelten. Das bedeutete, daß die Art. 5 7 - 6 8 DBV insoweit modifiziert und präzisiert wurden. Auf 53 54 55 56 57 58 59

Dok. 131. Dok. 131/1 Dok. 130. Dok. 128. Dok. 134. Dok. 102. Dok. 131/2.

§ 7: Deutscher Bund/Deutsches Reich (1871 - 1918)

241

diese Weise avancierte die sogleich noch näher darzustellende Konvention zu Verfassungssonderrecht des Bundes. Von den insgesamt in Art. 80 Abs. 1 DBV aufgeführten 28 zur sofortigen Weitergeltung bestimmten Gesetzen des Norddeutschen Bundes als Bundesgesetze sollten in Württemberg einige erst später, entweder zum 1. Juli 1871 (z. B. das Gesetz, betreffend die Errichtung eines obersten Gerichtshofes für Handelssachen, vom 12. Juni 1869) oder zum I.Januar 1872 (z. B. das Gesetz über die Ausgabe von Papiergeld vom 16. Juni 1870) erfolgen. Die Einführung weiterer Gesetze des Norddeutschen Bundes als auch für Württemberg geltende Bundesgesetze blieb der Bundesgesetzgebung vorbehalten. Gemäß Art. 3 des Beitritts Vertrages sollte auch dieses Vertrags werk „unverzüglich den gesetzgebenden Faktoren des Norddeutschen Bundes, Badens und Hessens, beziehungsweise Württembergs zur verfassungsmäßigen Zustimmung" vorgelegt werden. b. Zusatzprotokoll [439.] Dem bayerischen Vertragswerk vergleichbar war dem württembergischen Beitritts vertrag vom 25. November 1870 ein ZusatzprotokoW^ selben Datums angefügt. Danach sollten eine Reihe der in dem Vertrag vom 15. November 1870^^ zwischen dem Norddeutschen Bund, Baden und Hessen getroffenen Verabredungen bzw. Erklärungen auch für Württemberg gelten. Dies betraf die Bestimmung über den Beginn der Wirksamkeit der Verfassung zum 1. Januar 1871, die Erklärungen zu Art. 18 DBV über die Beamtenrechte, zu Art. 35 und 38 DBV über die nach Maßgabe der Zollvereinsverträge zu erhebenden Übergangsabgaben und die Erträge der Biersteuer, zu Art. 56 DBV über die Errichtung der Bundeskonsulate, zu Art. 62 DBV über die Ausgaben zum Bundesheer, zu Art. 78 DBV hinsichtlich Verfassungsänderungen, bei denen Sonderrechte einzelner Bundesstaaten betroffen waren, und zu den Übergangsbestimmungen des Art. 80 DBV. Obendrein wurden mit Blick auf den die Eisenbahntarife betreffenden Art. 45 DBV tarifliche Besonderheiten für die württembergischen Eisenbahnen anerkannt. c. Militärkonvention [440.] Ebenfalls als Verfassungssonderrecht bedeutsam war die zwischen dem Norddeutschen Bund und Württemberg am 21./25. November 1870 zu Versailles und Berlin abgeschlossene Militär-Konvention (Mil-Konv).^^ Mit ihr intendierte man das in den Art. 5 7 - 6 8 DBV kodifizierte Bundeskriegswesen den besonderen Verhältnissen des Königreichs Württemberg anzupassen. So waren die württembergischen Truppen „als Theil des Deutschen Bundesheeres . . . ein in sich geschlossenes Armeekorps .. . nach Preußischen Normen im Falle der Mobilmachung oder Kriegsbereitschaft" (Art. 1 Mil-Konv). Damit bekam das Bundesheer neben den preußischen, sächsischen und bayerischen Kontingenten sein viertes Dok. 131/2. Dok. 129. Dok. 131/2.

242

L Abschnitt: Gesamtdeutsche Verfassungsentwicklung (1803/06-1918)

Einzelstaatenkontingent. Die württembergische Streitmacht sollte mit ihren eigenen Fahnen und Feldzeichen das XIV. Armeekorps bilden, ansonsten aber mit der Organisationsstruktur des Bundesheeres kompatibel sein (Art. 3 Mil-Konv). Allerdings unterstanden diese Truppen anders als die bayerischen auch in Friedenszeiten dem Oberbefehl des preußischen Königs in seiner Eigenschaft als Bundesfeldherr (Art. 4 Mil-Konv). Personalia, wie Ernennungen und Beförderungen, standen indes dem württembergischen König zu, der lediglich für die Ernennung des das Armeekorps Kommandierenden die Zustimmung des Bundesfeldherm benötigte (Art. 5 Mil-Konv). In Friedenszeiten sollte das Armeekorps oder ein Teil von ihm nur mit Zustimmung des württembergischen Königs außerhalb des eigenen Landes stationiert werden dürfen; gleiches galt hinsichtlich der Dislozierung anderer deutscher Truppenteile in Württemberg (Art. 6 Mil-Konv). Ungeachtet der ihm nach Art. 64 DBV zustehenden Ernennung der Kommandanten für die in Württemberg gelegenen festen Plätze sowie seiner Berechtigung, neue Befestigungen in Württemberg anzulegen, mußte sich der Bundesfeldherr „mit dem Könige von Württemberg vorher in Vernehmen setzen" (Art. 7 Abs. 1 Mil-Konv). Durch Art. 9 Mil-Konv wurde die in Art. 63 DBV verankerte Inspektion durch den Bundesfeldherm näher geregelt. Gemäß Art. 10 Mil-Konv waren fur die Organisation des württembergischen Armeekorps die geltenden preußischen Normen maßgebend. In Kriegszeiten stand dem Bundesfeldherm die Leitung des württembergischen Telegraphenwesens zu (Art. 11 Mil-Konv). Aus der von Württemberg gemäß Art. 62 DBV zur Verfugung zu stellenden Summe hatte die württembergische Regiemng nach „Maaßgabe des Bundeshaushalts-Etats den Aufwand für die Unterhaltung des württembergischen Armeekorps zu bestreiten (Art. 12 MilKonv). Art. 14 Mil-Konv regelte die Einziehung von Reservisten, durch Art. 15 Mil-Konv wurde Württemberg u. a. ein ständiger Sitz in dem von Art. 7 Abs. 1 Nr. 1 DBV zu bildenden Bundesausschuß für das Landheer und die Festungen zugebilligt. 5. „Akzeptanzvertrag" vom 8. Dezember 1870 [441.] Der Beitritts- und Verfassungsneuordnungsvertrag mit Bayern^^ legte zwar als künftige Verfassung des Deutschen Bundes diejenige des Norddeutschen Bundes zugmnde, modifizierte sie jedoch erheblich und räumte Bayem noch dazu eine Reihe von Sonderkonditionen ein. Dieser Vertrag sollte gemäß seines Art. 5 gleichfalls am 1. Januar 1871 in Kraft treten. Die dort getroffenen Vereinbarungen bedurften wegen der die anderen Verträge mit Baden, Hessen und Württemberg berührenden Vereinbamngen jedenfalls nachträglich der emeuten Zustimmung aller Vertragsparteien. Diese erfolgte im Rahmen eines am 8. Dezember 1870 in Berlin unterzeichneten Vertrages.^^ Durch diesen traten Württemberg, Baden und Hessen dem zwischen dem Norddeutschen Bund und Bayem geschlossenen Vertrag und Bayem, soweit dies noch erforderlich war, den zwischen dem Norddeutschen Bund, Baden, Hessen und Württemberg geschlossenen Verträgen bei. 63 64

Dok. 1 3 0 . Dok. 133.

§ 7: Deutscher Bund/Deutsches Reich (1871 - 1918)

243

6. Einführung der Bezeichnungen „Deutsches Reich" und „Deutscher Kaiser" [442.] Schließlich wurde auf Initiative des bayerischen Königs, zu welcher diesen wiederum Bismarck veranlaßt hatte, vom Bundesrat des Norddeutschen Bundes und den Regierungen Bayerns, Württembergs, Badens und Hessens einstimmig vereinbart und vom norddeutschen Reichstag mit 188 gegen sechs Stimmen angenommen, daß der in den Novemberverträgen vereinbarte Deutsche Bund künftig „Deutsches Reich" heißen und daß das Präsidium des Bundes den Titel „Deutscher Kaiser" führen werde.^^ Dem Rechnung tragend erfolgte am 18. Januar 1871 - also auf den Tag genau 170 Jahre nach der Selbstkrönung des brandenburgischen Kurfürsten Friedrich III. zum „König in Preußen" - im Spiegelsaal zu Versailles im Beisein von Fürsten, Prinzen, Ministem und Militärs, bezeichnenderweise jedoch ohne Reichs- und Landtagsabgeordnete, die feierliche Proklamation des preußischen Königs Wilhelm I. zum Deutschen Kaiser. Sie blieb rundum eine Veranstaltung des alten Establishments^^ mit hohem Symbolwert - und sollte es auch sein! Denn schließlich verstanden die maßgeblichen Akteure das Reich Nationalstaat hin oder her - als einen vom Ancien Regime aus der Taufe gehobenen Fürstenbund, als ein konstitutionelles, aber längst kein demokratisches Gemeinwesen. Festzuhalten bleibt indes der Symbolcharakter dieses Aktes, der zwar im Bewußtsein der Öffentlichkeit sicherlich als Geburtsstunde des Reiches galt^^, aber staatsrechtlich bedeutungslos war.^^ 7. Ratifillation der „Novemberverträge" [443.] Die Novemberverträge schrieben nicht nur - wie das Augustbündnis des Jahres 1866^^ - den Modus für die Feststellung einer Verfassung fest, sondern lieferten den auf der Grundlage des Norddeutschen Bundes beruhenden neuen Verfassungstext gleich mit. Das durch den Abschluß auch des letzten dieser Verträge am 25. November 1870 entstandene Rechtsverhältnis zwischen dem Norddeutschen Bund und den einzehien süddeutschen Staaten entsprach daher eher demjenigen, welches unter den nord- und mitteldeutschen Staaten seit dem 16. April 1867, also seit Vereinbarung des norddeutschen Verfassungsentwurfs, aber vor dem 1. Juli 1867 (Inkrafttreten der Norddeutschen Bundesverfassung'^) bestand. Es war zunächst schwebend unwirksam, weil es - worauf in den einzelnen Verträgen ja auch ausdrücklich hingewiesen worden war - zum Wirksamwerden der Verträge noch der Zustimmung der „Gesetzgebungsfaktoren" in der durch die jeweiligen Verfassungen für deren Änderungen vorgeschriebenen Form bedurfte. Erst ihr Vorliegen wirkte konstitutiv für die mit den Verträgen intendierten ^^ 66 6^ 6^

Dok. 134/1. Th. Nipperdey (Fußn. 11), S. 80. Th. Nipperdey, a. a. O., spricht insoweit von dem „wirklich(en) Geburts- und Gründungstag". Bezüglich der rechtlichen Einschätzung ebenso Ph. Zorn, Das Staatsrecht des Deutschen Reiches, Bd. 1, 2. Aufl., 1895, S. 52. 69 Dok. 116. 70 Dok. 128.

244

1. Abschnitt: Gesamtdeutsche Verfassungsentwicklung (1803/06-1918)

Rechtsfolgen. Denn die Rechtsverhältnisse, die durch die Verfassung des Deutschen Bundes/Deutschen Reiches entstehen sollten, würden sowohl die Norddeutsche Bundesverfassung als auch die Verfassungen der süddeutschen Staaten verändern. Bei ersterer war dies offenkundig, sollte doch je nach Betrachtungsweise entweder eine neue Verfassung - nämlich die des Deutschen Bundes/Deutschen Reiches - an ihre Stelle treten oder aber die bestehen bleibende erweitert werden. Hinsichtlich der Verfassungen der süddeutschen Staaten tasteten die Vereinbarungen zwar den Wortlaut nicht an. Doch verloren die einzelnen Staaten eine Reihe von Gesetzgebungsbefugnissen an den Bund/das Reich, so daß die Landesgesetzgebung rechtlich wie tatsächlich jedenfalls einen Teil ihrer (landes)verfassungsrechtlichen Kompetenzen einbüßte. [444.] Die für die Verträge erforderliche Zustimmung der „Gesetzgebungsfaktoren" des Norddeutschen Bundes erfolgte, nachdem der Bundesrat sein Einverständnis gegeben hatte, durch den Reichstag am 10. Dezember 1870, soweit es den badisch-hessischen Vertrag'^ und die württembergischen Verträge nebst Militärkonvention'^^ anbelangte, fast einstimmig. Mit Blick auf die bayerischen Verträge'^^ stimmten von den anwesenden lediglich 227 Abgeordneten 195 dafür und 32 dagegen. Immerhin 70 Abgeordnete blieben der Abstimmung demonstrativ fem. In Baden billigte die Zweite Kammer am 16. Dezember 1870 die Verträge nahezu einstimmig, die Erste Kammer am 19. Dezember 1870 bei zwei Gegenstimmen. Anschließend wurden sie im Regierungsblatt „zur Nachachtung" publiziert. Hessischerseits stimmte die Zweite Kammer den Verträgen am 20. Dezember 1870 mit 40 gegen vier Stimmen, die Erste Kammer am 29. Dezember 1870 einstimmig zu; woraufhin sie noch am 31. Dezember 1870 im Regierungsblatt „zur Kenntnißnahme und Nachachtung" verkündet wurden. Von den württembergischen Kammern gab die Zweite Kammer ihre Zustimmung am 23. Dezember 1870 mit 74 zu vierzehn Stimmen: Ihr folgte am 29. Dezember 1870 die Erste Kammer mit 26 zu drei Stimmen. Im Anschluß daran ordnete der König die Verkündung der Verträge an. Die bayerische Erste Kammer nahm die Verträge am 30. Dezember 1870 an; die Zustimmung der Zweiten Kammer verzögerte sich infolge heftiger Debatten und erfolgte erst am 21. Januar 1871. Die Ratifikation zog sich sogar noch bis zum 29. Januar 1871 hin und wurde schließlich mittels königlichem Publikationspatent vom 30. Januar 1871 bekanntgemacht. Zudem wurde verfflgt, daß der gesamte Inhalt der Verträge „durch das Gesetzblatt verkündigt und . . . zum Vollzuge gebracht" werde. [445.] Daß Bayern die Verträge erst verspätet ratifizierte, änderte nichts daran, daß sie für die übrigen Vertragspartner pünktlich zum 1. Januar 1871 verbindlich wurden, die Verfassungsbestimmungen insoweit also in Rechtskraft traten. Denn das Wirksamwerden der November-Vereinbarungen stand nicht unter dem Vorbehalt der von allen Kontrahenten abgeschlossenen Ratifikation. Fehlte sie, wie im Falle Bayerns, so hatte dies bis zu ihrem Vorliegen oder ihrer endgültigen Verweigerung nur zur Folge, daß die das Königreich betreffenden Vertragsinhalte ^1 Dok. 129. ^2 Dok. 131, Dok. 131/1 und Dok. 131/2. ^^ Dok. 130 und Dok. 130/1.

§ 7: Deutscher Bund/Deutsches Reich (1871 - 1918)

245

schwebend unwirksam blieben. Nach der erfolgten Ratifikation traten diese dann aber - wie der bayerische König in der anschließenden Publikation noch einmal ausdrücklich klarstellte - rückwirkend in Kraft, so daß auch Bayern dem Deutschen Reich mit Rechtswirkung zum 1. Januar 1871 beitrat. 8. Wirkung der „Novemberverträge" [446.] Dem Berliner „Augustbündnis" von 1866^^ vergleichbar begründeten die Novemberverträge des Jahres 1870 völkerrechtliche Verbindlichkeiten. Gemeinsam war beiden Vertragswerken, daß sie sich jeweils auf die Bildung eines Bundes(staates) bezogen. War das „Augustbündnis" indes mit der tatsächlichen Realisierung des Norddeutschen Bundes erfüllt, so galt dies für die Novemberverträge nur zum Teil, nämlich in Bezug auf die Errichtung des Deutschen Bundes/Deutschen Reiches und die Einfuhrung der damit verbundenen Verfassung. Anders als das infolgedessen gegenstandslos werdende „Augustbündnis" enthielten die Novemberverträge jedoch weitere, alle Beteiligten bindende Vereinbarungen, die in dem als Verfassung des Deutschen Bundes/Deutschen Reiches am 31. Dezember 1870'^^ veröffentlichten Text selbst überhaupt nicht zum Ausdruck kamen. Mit Blick auf diese konnte nur Erledigung eintreten durch ihre ausdrückliche Aufnahme in die Verfassungsurkunde; bis dahin bildeten sie einen als völkervertragsrechtliches Verfassungsrecht zu qualifizierenden eigenständigen Rechtsrahmen neben der eigentlichen Konstitution.

IX. Rechtskontinuität zwischen Norddeutschem Bund und Deutschem Reich [447.] Doch um was handelte es sich nun bei diesem seit dem 1. Januar 1871 als „Deutsches Reich" titulierten Gebilde? Gewiß kaum weniger als der Norddeutsche Bund um einen Bundesstaat. Doch schon in der Staatsrechtsliteratur der Kaiserzeit stritt man darüber, ob dieses Reich die Errichtung eines neuen deutschen Gesamtstaates oder einfach nur die Fortsetzung des um die beigetretenen süddeutschen Staaten erweiterten, insoweit verfassungsrechtlich reorganisierten und schließlich umbenannten Norddeutschen Bundes darstellte.^^ Herrschend wurde die letztere^^, im Ergebnis wohl auch zutreffende Auffassung. Denn es ist unübersehbar, daß es die Verfassung des Norddeutschen Bundes war, die - angepaßt an 74 75 76

Dok. 116. Dok. 134. Vgl. dazu H. Maurer, Entstehung und Grundlagen der Reichverfassung 1871, in: Festschrift für K. Stern, 1997, S. 29 (43, 46 ff.). G. Meyer/G. Anschütz, Lehrbuch des deutschen Staatsrechts, 7. Aufl., I.Teil, 1914, S. 207; E. Loening, Grundzüge der Verfassung des Deutschen Reiches, 4. Aufl., 1913, S. 11; P. Laband, Das Staatsrecht des Deutschen Reiches, Bd. 1, 5. Aufl., 1911, S. 44; A. Arndt (Fußn. 21), S. 37; Ph. Zorn (Fußn. 66\ S. 54; A. Haenel, Deutsches Staatsrecht, Bd. 1, 1892, S. 51; ders.. Die vertragsmäßigen Elemente der deutschen Reichsverfassung (Studien zur Deutschen Reichsverfassung, Bd. 1), 1873, S. 82; R. von Mohl, Das deutsche Reichsstaatsrecht, 1873, S. 51; a. A.: M von Seydel, Commentar zur Verfassungs-Urkunde für das Deutsche Reich, 2. Aufl., 1897, S. 30.

246

1. Abschnitt: Gesamtdeutsche Verfassungsentwicklung (1803/06-1918)

die Bedingungen eines um die süddeutschen Staaten vergrößerten Deutschlands auch künftig dem Bundesstaat zugrunde liegen sollte. Daß der Beitritt der süddeutschen Staaten nicht zum Norddeutschen Bund, sondern zum „Deutschen Bund"/„Deutschen Reich" erfolgte, besagt angesichts der realen Zustände überhaupt nichts. Auch konnte der Norddeutsche Bund von sich aus nicht zu einem aliud werden. Seine Gliedstaaten hatten ihn schließlich - wie es in der Präambel hieß - als einen „ewigen Bund" geschlossen. Dieser Bund war damit unauflösbar. Den Deutschen Bund/das Deutsche Reich als eine Neugründung anzusehen, bedeutete demgegenüber aber gerade, den nicht auflösbaren Bund aufzulösen, weil man dann an seine Stelle einen anderen Bund gesetzt hätte. Die Verfassung des Norddeutschen Bundes ließ angesichts eines derartigen (verfassungs)rechtlich unzulässigen Aktes folgerichtig auch nur die Erweiterung des bereits bestehenden Norddeutschen Bundesstaates zu. Hierfür war ausdrücklich Art. 79 Abs. 2 NBV vorgesehen. Nur nach Maßgabe dieser Bestimmung konnte bündischerseits überhaupt eine Vereinigung mit den süddeutschen Staaten auf verfassungsgemäße Weise zustande kommen. Es handelte sich bei dem Zusammenschluß mit den süddeutschen Staaten somit lediglich um eine bereits in der Verfassung des Norddeutschen Bundes selbst angelegte Erweiterung und Umbildung. Daß den Südstaaten von Bismarck die Gelegenheit gegeben wurde, sich nicht ausdrücklich dem Norddeutschen Bund anschließen zu müssen, sondern einem „Deutschen Bund"/ „Deutschen Reich" beitreten zu dürfen, war eine reine Äußerlichkeit, die dazu beitragen sollte, namentlich den anderenfalls allzu deutlichen Unterwerfungsakt Süddeutschlands, insbesondere Bayerns und Württembergs, in der Öffentlichkeit in einem milderen Licht erscheinen zu lassen. Anders als die Gründung des Norddeutschen Bundes war diejenige des Deutschen Bundes bzw. Reiches somit keine Neuschöpfung, sondern nur eine Reform des Norddeutschen Bundes.^^ Auch heute wird diese These jedoch längst nicht von allen Literaturstimmen geteilt.^^ In jedem Falle erstaunt indes die teilweise noch immer recht ausfuhrliche Befassung gerade mit dieser allenfalls theoretisch reizvollen Frage. Hatte sie doch - wie K. Stern^^ zu Recht hervorhebt - überhaupt keine praktische Bedeutung. Denn die Anhänger einer bundesstaatlichen Neugründung gehen anstatt von einer bestehenden Rechtskontinuität zwischen Norddeutschem Bund und Deutschem Reich doch immerhin von einer Rechtsnachfolge des Deutschen Reiches in den Norddeutschen Bund aus.

Im Ergebnis wie hier etwa H. Holste, Der deutsche Bundesstaat im Wandel (1867 - 1933), 2002, S. 126. Vgl. etwa E. R. Huber (Fußn. 3), S. 764 f; K. Stern (Fußn. 10), S. 341; O. Kimmenich, Deutsche Verfassungsgeschichte, 2. Aufl., 1987, S. 426 ff. (Fußn. 10), S. 341.

§ 7: Deutscher Bund/Deutsches Reich (1871 - 1918)

247

X. Anerkennung des Deutschen Reiches durch Österreich [448.] Selbst an den vermeintlich aus Art. 4 des Prager Friedens vom 23. August 1866^^ bestehenden Anspruch Österreichs gegen Preußen auf Nichtausdehnung des Norddeutschen Bundes über die Mainlinie wurde gedacht, indem Bismarck als Kanzler des Norddeutschen Bundes der österreichischen Regierung am 14. Dezember 1870 eine entsprechende formelle Anzeige von der Errichtung des Deutschen Reiches machte, welcher Österreich durch eine auf den 25. Dezember 1870 datierte Note ausdrücklich zustimmte und das Reich völkerrechtlich anerkannte. Zuvor fehlte es indes nicht an Bemühungen des österreichischen Reichskanzlers Beust - erst im Verbund mit Frankreich und Italien, nach der sich abzeichnenden Niederlage Frankreichs durch die Bildung einer gemeinsamen Ablehnungsfront mit England und Rußland - dieses an sich völkerrechtlich belanglose, gleichwohl auch von der preußischen Diplomatie anerkanntet^ Phänomen zu instrumentalisieren. Eine ernste Bedrohung des Einigungsprojekts hätte lediglich die Opposition Rußlands bedeutet, welches sich aber lieber der preußischen Unterstützung bei der Revision der es drückenden Pariser Verträge von 1856 versicherte. So gesehen stand die österreichische Vetoneigung schließlich auch politisch auf schwachen Füßen. Wien sah sich in der Einigungsfrage weitgehend isoliert und sogar ob seiner einigungsfeindlichen Haltung unverhohlenen preußischen Drohungen ausgesetzt; weshalb es in dieser Angelegenheit alsbald „kordiales Entgegenkommen" signalisierte.^^

XI. Die Verfassung des „Deutschen Bundes" vom 1. Januar 1871 [449.] Der seit dem 1. Januar 1871 für den Deutschen Bund bzw. das Deutsche Reich geltende offizielle Text der „ Verfassung des Deutschen Bundes" (DBVP^ war derjenige der Norddeutschen Bundesverfassung in der Fassung, die er durch den badisch-hessischen Vertra^^ erhalten hatte. Vor ihrer Publikation im Bundesgesetzblatt des Norddeutschen Bundes waren überdies lediglich in die Präambel noch die Bezeichnung „Deutsches Reich" und in Art. 11 Abs. 1 die Titulatur „Deutscher Kaiser" aufgenommen worden. Von den der Norddeutschen Bundesverfassung^ durch die württembergischen^'^ und bayerischen^^ Verträge widerfahrenen Modifikationen tauchten im Wortlaut der nunmehrigen Bundesverfassung die meisten allerdings nicht auf Dies entsprach bereits am 1. Januar 1871 längst nicht mehr der aktuellen verfassungsrechtlichen Situation. Denn zumindest Württemberg war noch rechtzeitig dem Deutschen Bund beigetreten. Naturgemäß wur81 82 83 84 85 86 87 88

Dok. 120. E. R. Huber (Fußn. 3), S. 744. A„ a. O. Dok. 134. Dok. 129. Dok. 128. Dok. 131, Dok. 131/1 und Dok. 131/2. Dok. 130 und Dok. 130/1.

248

1. Abschnitt: Gesamtdeutsche Verfassungsentwicklung (1803/06-1918)

de in der Präambel und der in Art. 1 DBV vorgenommenen Umschreibung des Bundesgebiets gegenüber dem Wortlaut der bisherigen Norddeutschen Bundesverfassung dem Beitritt Badens und Hessens, nicht indes auch demjenigen Württembergs oder sogar Bayerns Rechnung getragen. Entsprechendes galt hinsichtlich der in Art. 6 DBV vorgenommenen Stimmenverteilung im Bundesrat. Hier wurden die vormals 43 Stimmen nur um drei badische und zwei hessische Stimmen auf insgesamt 48 erweitert. Eine Aufnahme der im Vertrag vom 25. November 1870 vorgesehenen vier württembergischen Stimmen fehlte indes noch, erst recht die zusätzlichen sechs bayerischen. Art. 20 DBV gestand nach dem Vorbild von Art. 9 § 1 Abs. 1 des Zoll- und Handelsvereinsvertrages vom 8. Juli 1867^^ Baden vierzehn und Hessen weitere sechs Reichstagsabgeordnete zu, so daß sich die Gesamtzahl der Mandatsträger nunmehr auf 317, anstatt, wie vom württembergischen Vertrag vorgesehen, auf 334 belief. Verständlicherweise fehlte auch die im bayerischen Vertrag vorgesehene Neufassung des Art. 78 für Verfassungsänderungen. Bei den Württemberg ebenso wie Baden und Hessen betreffenden Übergangsbestimmungen des Art. 80 DBV fehlten die vertraglich vereinbarten württembergischen Besonderheiten. [450.] Für diese ihrem Wortlaut nach schon von den Ereignissen überholte Publikation dürfte zunächst die erst kurz vorher zustandegekommene württembergische Ratifikation der Verträge vom 25. November 1870 verantwortlich gewesen sein, welche es nicht mehr erlaubte, den vertragsgemäß zu veröffentlichenden Verfassungstext entsprechend zu aktualisieren. Mit Blick auf Bayern war der Zeitpunkt der Ratifikation sogar noch völlig offen. Demgegenüber enthielt die Verfassung im Vergleich zur bisherigen nahezu alle allgemeinen Veränderungen, die auch in dem später hinzukommenden bayerischen Beitritts- und Verfassungsneuordnungsvertrag verankert waren. Dies betraf den nunmehr um „die Presse und das Vereinswesen" erweiterten Kompetenzkatalog des Art. 4 DBV und das Preußen als Bundespräsidium zustehende Vetorecht für den Fall der vom Bundesrat zu beschließenden Abänderung bestimmter Gesetze in Art. 5 Abs. 2 DBV ebenso wie die in Art. 7 DBV gestraffte Kompetenzzuweisung an den Bundesrat und die Klarstellung, daß bei der Beschlußfassung in Bundesrat und Reichstag über nicht alle Bundesstaaten betreffende Angelegenheiten lediglich die Stimmen der betroffenen Staaten gezählt würden. Femer war in Art. 11 Abs. 2 DBV auch schon das von der Zustimmung des Bundesrates abhängige Recht zur Kriegserklärung des Kaisers, die in Art. 18 DBV aufgenommene Regelung für in den Bundesdienst eingetretene bisherige Landesbeamte, die gegenüber Art. 19 NBV entschärfte Regelung über die Bundesexekution, die das Freihafengebiet betreffende Anpassung des Art. 34 NBV, die Modifikation der Art. 35 - 40 NBV über das Zoll- und Handelswesen sowie die das Post- und Telegraphenwesen betreffende Veränderung vorhanden. Auch der das Konsulatswesen behandelnde Art. 56 DBV und die die Wehrpflicht statuierenden Art. 57 und 59 DBV hatten schon ihre redaktionellen Anpassungen erhalten. Der bislang das Verhältnis zu den süddeutschen Staaten regelnde Art. 79 NBV wurde auf eine bloße Beitrittsklausel für den „Eintritt eines nicht dem Bunde angehörenden Deutschen Staates" reduziert. Ein neuer Art. 80 Dok. 102.

§ 7: Deutscher Bund/Deutsches Reich (1871 - 1918)

249

enthielt die Aufzählung einer Reihe von Gesetzen des Norddeutschen Bundes, die nach einem genau bezeichneten Zeitpunkt zu solchen des Deutschen Bundes erklärt wurden. Ebenfalls wurden namentlich für Hessen partielle Sonderregelungen hinsichtlich des Inkrafttretens einiger dieser Gesetze getroffen. Lediglich der mit dem bayerischen Vertrag veränderte Art. 8 über die Bundesratsausschüsse fand in der Verfassung des Deutschen Bundes noch nicht seinen Niederschlag, sondern wurde erst sichtbar in der späteren Reichsverfassung vom 16. April 187P^. XII. Die Verfassung des „Deutschen Reiches" vom 16. April 1871 1. Redaktionelle Arbeiten aufgrund der „Novemberverträge" [451.] Am 3. März 1871 fanden auf der Grundlage des für den Norddeutschen Bund erlassenen Wahlgesetzes vom 31. Mai 1869^^ erstmals gesamtdeutsche Reichstagswahlen statt. Die Eröffiiung des Reichstags erfolgte am 21. März 1871 durch Kaiser Wilhelm I. in Berlin. Die erste Aufgabe war es, die Verfassung zu redigieren. Dies war notwendig, weil in den Novemberverträgen zwei voneinander abweichende Fassungen existierten: nämlich die Fassung des badisch-hessischen und diejenige des bayerischen Vertrages; hinzu kamen die im württembergischen Vertrag festgeschriebenen Veränderungen und Vorbehalte und nicht zu vergessen die bayerischen Sonderregelungen. Obendrein tauchten die Bezeichnungen „Deutscher Kaiser" und „Deutsches Reich" bisher nur an zwei Stellen der Verfassung auf Außerdem hatte der norddeutsche Reichstag streng formell betrachtet bislang nur die Verträge über die Abänderung der Norddeutschen Bundesverfassung genehmigt, die Abänderung selbst also nur indirekt anerkannt. Angesichts dieser Unzulänglichkeiten legte der Reichstag am 16. April 1871 den redigierten Entwurf einer Reichsverfassung vor, der vom Bundesrat genehmigt und im Anschluß daran aufgrund von Art. 17 DBV am 20. April 1871 als Reichsgesetz durch den Kaiser ausgefertigt und verkündet wurde. Da das Gesetz den Tag des Inkrafttretens nicht nannte, trat es „mit dem vierzehnten Tage nach dem Ablauf desjenigen Tages, an welchem das betreffende Stück des Bundesgesetzblattes in Berlin ausgegeben worden ist", in Kraft (Art. 2 Satz 3 DBV); dies war der 4. Mai 1871. [452.] Genau genommen bestand das Reichsgesetz aus dem „ Gesetz, betreffend die Verfassung des Deutschen Reiches '\ also einem klassischen Einführungs- und Publikationsgesetz, und dem eigentlichen Verfassungstext, der „ Verfassung des Deutschen Reiches'\^^ Das Einführungs- und Publikationsgesetz setzte „an die Stelle" der vom Norddeutschen Bund mit Baden und Hessen vereinbarten Verfassung des Deutschen Bundes sowie der mit Bayern und Württemberg „über den Beitritt zu dieser Verfassung geschlossenen Verträge vom 23. und 25. November 1870 . . . die beigefügte Verfassungs-Urkunde für das Deutsche Reich" (§ 1). Die in Art. 80 DBV, Art. 3 § 8 des Vertrages mit Bayern und Art. 2 Nr. 6 des Vertrages mit Württemberg aufgeführten Bestimmungen über die Einführung der im ^ö Dok. 136. 9^ Dok. 128a. 92 Dok. 136.

250

1. Abschnitt: Gesamtdeutsche Verfassungsentwicklung (1803/06-1918)

Norddeutschen Bunde ergangenen Gesetze blieben in den süddeutschen Staaten künftig als „Reichsgesetze" in Kraft (§ 2 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 des Gesetzes). Auch wurden die in den SchlußprotokoUen getroffenen Vereinbarungen „durch dieses Gesetz nicht berührt" (§ 3 des Gesetzes). Nicht zuletzt durch diese Bestimmung behielten Teile der Novemberverträge auch weiterhin den Status von extrakonstitutionellem Verfassungsvertragsrecht. Auch mit dem redigierten Verfassungstext blieb die eigentliche Verfassungsurkunde jedenfalls unvollständig. [453.] Zunächst wurde der Wortlaut der Reichsverfassung (RV) an vielen Stellen mit Blick auf die Worte „Deutscher Kaiser" und „Deutsches Reich" redaktionell angepaßt. Des weiteren trug die Präambel und der das „Bundesgebiet" umschreibende Art. 1 RV jetzt dem Hinzutritt Bayerns und Württembergs Rechnung. Femer übernahm die Verfassung selbst die über die entsprechenden Regelungen des württembergischen Vertrages vom 25. November 1870 noch hinausgehende, in Art. 2 des bayerischen Vertrages vom 23. November 1870^^ vereinbarte Fassung. Dies brachte selbstverständlich die notwendige Anpassung der bestehenden Bestimmungen der Bundesverfassung an die vertraglich festgeschriebenen Stimmenzahlen im Bundesrat (Art. 6 RV) und Reichstag (Art. 20 RV) für alle Gliedstaaten. Auch institutionalisierte Art. 8 Abs. 3 RV endlich als achten Bundesratsausschuß denjenigen für auswärtige Angelegenheiten und dessen die drei Königreiche Bayern, Sachsen und Württemberg privilegierende Zusammensetzung. Hier widerfuhr der Reichsverfassung gegenüber der entsprechenden Bestimmung des bayerischen Vertrages (Art. 2 § 6) allerdings auf Anregung mehrerer Bundesstaaten und mit Zustimmung Bayerns eine echte materielle Änderung. Denn dieser Bundesratsausschuß wurde um zwei jährlich zu wählende Bevollmächtigte anderer Bundesstaaten erweitert. Damit verloren die vier mittelstaatlichen Königreiche in diesem Gremium jedenfalls ihren bisherigen Alleinvertretungsanspmch. Schließlich nahm man die jeweils unter Nr. 8 des badisch-hessischen Vertrages^^ und Nr. 1 lit. g des württembergischen Schlußprotokolls^^ sowie unter Art. 5 des bayerischen Beitritts- und Verfassungsneuordnungsvertrages^^ vereinbarte Bestimmung, daß diejenigen Verfassungsvorschriften, durch die bestimmte Rechte einzelner Bundesstaaten in deren Verhältnis zur Gesamtheit festgestellt waren, nur mit Zustimmung des berechtigten Bundesstaates abgeändert werden durften, als zweiten Absatz in den aufgrund des bayerischen Vertrages ohnehin angepaßten Art. 78 RV auf. Soweit es die zuvor erwähnten Anpassungen und Änderungen anbelangte, wurden der bayerische wie der württembergische Vertrag künftig gegenstandslos. [454.] Schließlich fanden die in Art. 3 des bayerischen Vertrages vom 23. November 1870^'^ und im württembergischen Vertrag vom 25. November 1870^^ verankerten Ausnahmeregelungen Berücksichtigung. Damit übernahm man die zu93 94 95 96 97 98

Dok. 130. Dok. 129. Dok. 131/1 Dok. 130. Dok. 130. Dok. 131.

§ 7: Deutscher Bund/Deutsches Reich (1871 - 1918)

251

gimsten einer eigenständigen bayerischen Eisenbahnverwaltung (Art. 4 Nr. 8, Art. 46 Abs. 2 RV) und die Bayern wie Württemberg betreffende Kompetenz zur selbständigen Regelung des Post- und Telegraphenverkehrs mit ihren nicht dem Reiche angehörigen Nachbarstaaten (Art. 4 Nr. 10, Art. 52 RV) jetzt in den Verfassungstext. Insoweit waren auch hier die Inhalte der Novemberverträge endgültig Verfassungswortlaut geworden und obsolet. Anders verhielt es sich, wenn nunmehr als Schlußbestimmung zum XL Abschnitt (Art. 57 - 68) der Reichsverfassung verfugt wurde, daß die in diesem Abschnitt enthaltenen Vorschriften auf Bayern nur „nach näherer Bestimmung" des Art. 3 § 5 des Vertrages vom 23. November 1870 und auf Württemberg nur „nach näherer Bestimmung der Militairkonvention vom 21./25. November 1870 zur Anwendung" kommen sollten. Diese Vertragsnormen avancierten damit unmittelbar zu Verfassungsbestandteilen. Das hatte auch für den ebenfalls in Form einer Schlußbestimmung, diesmal zum XII. Abschnitt (Art. 69 - 73) der Reichsverfassung, aufgenommenen Passus zu gelten, mit dem die Besonderheiten der bayerischen Heeresfmanzierung in den Verfassungstext eingebaut wurden. 2. Verfassungskonstruktion und -Institutionen a. Charakteristik [455.] Die derart zusammengestellte Reichsverfassung war in vierzehn Abschnitte gegliedert. Der erste Abschnitt (Art. 1) betraf das Staatsgebiet („Bundesgebiet"), der zweite (Art. 2 - 5 ) hatte die „Reichsgesetzgebung" zum Gegenstand. Die Abschnitte III - V waren den Reichsorganen Bundesrat, „Präsidium" (Kaiser) und Reichstag vorbehalten. Des weiteren normierten die Abschnitte VI - XII mit dem Zoll- und Handels-, Eisenbahn-, Post- und Telegraphenwesen, der Marine und Schifffahrt, dem Konsulats-, Reichskriegswesen sowie den Reichsfinanzen nebst der den einzelnen Ländern vorbehaltenen Reservatrechte weitere für die Einheit des Reiches wichtige Materien. Der Abschnitt XIII betraf die Schlichtung von Streitigkeiten und Strafbestimmungen; den Schlußabschnitt (XIV) bildeten Allgemeine Bestimmungen. Diese Verfassung enthielt somit ebenso wie ihr norddeutsches Basismodell keinen Grundrechtskatalog, sondern vor allem die maßgeblichen Regelungen der Staatsorganisation. Sie war daher ihrem Wesen nach ebenfalls nur ein Organisationsstatut; deshalb gewiß nicht übermäßig modern, aber auch nicht, wie bisweilen behauptet^^, „unzeitgemäß". Ihre Existenz verdankte sie dem klaren politischen Bestreben Bismarcks, trotz der gehörigen Rücksichtnahme auf zahlreiche, noch längst nicht überwundene Partikularismen eine möglichst entwicklungsoffene und zugleich auch hinreichend konstitutionell geprägte bundesstaatliche Ordnung schaffen zu wollen. Zwar war die Reichsverfassung viel zu stark auf die Person ihres eigentlichen Schöpfers fixiert, wohl nicht zuletzt auch deshalb mit einer Fülle von Konstruktionsmängeln versehen. Gleichwohl erschien sie für die politischen Eliten und weite Bevölkerungskreise jener Zeit durchaus akzeptabel, keineswegs antiquiert. Ganz im Gegenteil, man gedachte sich in und So Ck Gusy, Die Weimarer Reichsverfassung, 1997, S. 1.

252

1. Abschnitt: Gesamtdeutsche Verfassungsentwicklung (1803/06-1918)

mit dieser Verfassung auf eine vielversprechende nationalstaatliche Zukunft einzurichten. Besser gerecht wird man der Reichsverfassung sicherlich, sie angesichts ihres historischen Kontexts insgesamt zumindest als situationsangemessen zu bezeichnen. [456.] Sie ließ - wie bereits die Verfassung des Deutschen Bundes^^^ - prinzipiell auch die Bestimmungen des Zoll- und Handelsvereinsvertrages (ZHV) vom 8. Juli 1867^^^ in Kraft, „soweit sie nicht durch die Vorschriften dieser Verfassung abgeändert" oder später auf dem für Verfassungsänderungen vorgeschriebenen Weg modifiziert wurden (Art. 40 RV). Damit erhielten die derart weiterhin in Geltung gebliebenen Zoll- und Handelsvereinsvertragsnormen^^^ den Rang von extrakonstitutionellem Verfassungsrecht.^°^ Dies war deshalb bemerkenswert, weil der Deutsche Zoll- und Handelsverein durch die ein einheitliches Zoll- und Handelsgebiet begründende Reichsverfassung (Art. 33 ff.) längst als Völkerrechtssubjekt zu existieren aufgehört hatte. [457.] Von der dominanten monarchischen Rolle bei der Verfassungsgebung kündete bereits die Einleitung des Gesetzes, betreffend die Verfassung des Deutschen Reiches^^"^, in der „Wir Wilhelm, von Gottes Gnaden Deutscher Kaiser, . . . verordnen". Zwar war dort auch von „erfolgter Zustimmung des Bundesrathes und des Reichstages" die Rede. Doch konnte diese Zustimmung als nicht gleichgewichtig, sondern allenfalls als Zutat eines geläuterten monarchischen Prinzips gelten, das den Verfassungsoktroi als nicht mehr zeitgemäß ansah.^^^ Denn das Hauptgewicht der die Verfassung schaffenden und danach zunächst weiter dominierenden Kräfte lag eindeutig bei den Monarchen bzw. ihren Regierungen, namentlich beim König von Preußen als dem Deutschen Kaiser. Letztlich war die Reichs Verfassung eine späte Ausprägung des deutschen Konstitutionalismus. Aus der Sicht des heutigen Betrachters kann sie wegen ihres Inkraftbleibens bis zum endgültigen Abgesang des monarchischen Systems in Deutschland sicherlich „als letzter vollendeter Ausdruck des Konstitutionalismus" verstanden werden.^^^ b. Bundesstaatliche Gliederung [458.] Auch als verfassungsrechtlich verlängerter Norddeutscher Bund behielt das Deutsche Reich selbstverständlich den Charakter eines Bundesstaates bei. Es bestand nach dem Hinzukommen der vier süddeutschen Staaten nunmehr aus insgesamt 25 Bundesstaaten, die unterschiedlicher kaum sein konnten. 22 dieser lOö Dok. 134. ^01 Dok. 102. 102 Hierbei handelte es sich im wesentlichen u m Art. 2, Art. 3 §§ 2 u n d 6, Art. 5, Art. 10 Abs. 2, Art. 13 - 16, Art. 18, Art. 19 Abs. 2, Art. 20 Abs. 3 - 7, Art. 2 1 , Art. 22, Art. 24, Art. 25 Abs. 2 sowie u m Art. 29 Abs. 1 u n d 3 Z H V . Hinzu kamen die Nrn. 1, 4 , 5, 11 - 16 des dazugehörigen Schlußprotokolls. 103 Ygj 2i\xQh E. von Jagemann, Die Deutsche Reichsverfassung, 1904, S. 147 f.; a. A. offenbar P. Laband, Das Staatsrecht des Deutschen Reiches, Bd. 4, 5. Aufl., 1914, S. 388. 104 Dok. 136. 105 K. Stern (Fußn. 10), S. 359. 106 Soa.a.O.,S.357.

§ 7: Deutscher Bund/Deutsches Reich (1871 - 1918)

253

Staaten waren zwar grundsätzlich monarchisch verfaßt. Doch handelte es sich bei ihnen um vier Königreiche (Preußen, Bayern, Sachsen und Württemberg), sechs Großherzogtümer (Baden, Hessen, Mecklenburg-Schwerin, Mecklenburg-Strelitz, Oldenburg und Sachsen-Weimar), fünf Herzogtümer (Braunschweig, SachsenMeiningen, Sachsen-Altenburg, Sachsen-Coburg-Gotha und Anhalt) sowie um sieben Fürstentümer (Schwarzburg-Rudolstadt, Schwarzburg-Sondershausen, Waldeck, Reuß ä. L., Reuß j . L., Lippe und Schaumburg-Lippe); hinzu kamen mit den Freien Städten Lübeck, Bremen und Hamburg auch noch drei Republiken (Art. 1 RV) und das 1870 von Frankreich annektierte Elsaß-Lothringen mit seinem seitherigen „halbkolonialen Status"^^^ als unter direkter Verwaltung Berlins stehendem „Reichsland". [459.] Diese Unterschiede setzten sich in der Größe der Einzelstaaten fort. So bildete allein das Territorium Preußens nahezu zwei Drittel der Reichsfläche von ca. 540.000 km^ und etwa drei Fünftel der Gesamtbevölkerung von ca. 40 Millionen Einwohnern (1871). Über Gebiete stattlichen Ausmaßes verfügten ansonsten nur noch die Mittelstaaten Bayern, Württemberg, Sachsen und Baden, bei denen zudem die Bevölkerungszahl die Millionengrenze überschritt. Der Anteil des flächenmäßig kleinsten Bundesstaates, des Fürstentums Reuß ä. L., am Reichsterritorium belief sich gerade einmal auf 0,05 %, derjenige des einwohnerschwächsten Gliedstaates, Schaumburg-Lippe, an der Gesamtbevölkerungszahl im Reich blieb mit 32.000 Einwohnern erheblich unter 0,01 %. Obendrein bestanden die Gebiete einer Reihe von Staaten aus mehreren voneinander getrennten Teilen einschließlich zahlloser Exklaven. Dies betraf Anhalt, Bayern, Braunschweig, Hessen, Mecklenburg-Strelitz, Oldenburg, Preußen, die thüringischen Kleinstaaten und Waldeck (-Pyrmont). Hierin spiegelten sich noch immer die oftmals zufälligen Landgewinne aufgrund dynastischer Erbfolgen wieder. In jedem Falle belegen diese wenigen Beispiele eindrucksvoll das faktische Übergewicht Preußens, welches allerdings insoweit unterproportional, nämlich nur mit etwa 45 % (1873), zu den Reichsausgaben beitrug. [460.] Ungeachtet dieser eher unpraktischen Aufgliederung des Reiches kam es zu keinen durchgreifenden Flurbereinigungen. Dies verwundert wenig angesichts des im Konstitutionalismus nach wie vor grundsätzlich zugunsten eines jeden monarchischen Herrschers anerkannten Legitimitätsgrundsatzes, der etwaige Vereinigungen oder Anschlüsse einzelner Gliedstaaten gegen deren Willen an andere nicht zuließ.^^^ Die dauerhafte Existenz einzehier Bundesstaaten stand vor diesem Hintergrund für die verantwortlichen politischen Akteure niemals ernsthaft zur Disposition; weshalb man sich auf dieser Ebene damit auch gar nicht weiter beschäftigte. Dementsprechend konnte die politisch-territoriale Umstrukturierung des Reichsgebietes unter Beseitigung einzehier Gliedstaaten nicht der Kompetenz des Reiches unterliegen, sollte und brauchte daher von der Reichsverfassung auch nicht eigens thematisiert zu werden. Umso öfter griff indes die zeitgenössische

10^ M Stürmer, Das Deutsche Reich 1870 - 1919, 2002, S. 18. 10^ Im Ergebnis ebenso: H. Höhte (Fußn, 76), S. 137; K. Stern (Fußn. 10), S. 406; E. R. Huber (Fußn. 3)S. 803.

254

1. Abschnitt: Gesamtdeutsche Verfassungsentwicklung (1803/06-1918)

Staatsrechtsliteratur diesen Aspekt auf.^^^ Hier reichten die Auffassungen von einem Recht des Reiches zur vollständigen Beseitigung der Gliedstaaten im Zuge von Verfassungsänderungen bis hin zur Bestandsgarantie für jeden Gliedstaat, ohne daß sich allerdings eine wirklich einheitliche Ansicht durchsetzte. [461.] Ebenso schwieg die Reichsverfassung zu den Verfassungen der Gliedstaaten. ^^^ Ihr fehlten somit Vorgaben für ein Mindestmaß an Homogenität der verfassungsrechtlichen Grundprinzipien in den Einzelstaaten. Die Ausprägung ihrer Verfassungen oblag jedem der Gliedstaaten als „innere Angelegenheit"^^^, was mit Blick auf die Feststellung seiner Verfassung nichts anderes als weitgehende Autonomie bedeutete. ^^^ Diese Sichtweise wurde namentlich mit Blick auf die beiden ungeachtet aller verfassungspolitischen Entwicklungen des Jahrhunderts noch immer altständisch verfaßten mecklenburgischen Staaten bedeutsam. Hier verweigerte sich der Bundesrat unter Hinweis auf fehlende Reichskompetenzen beharrhch den Initiativen des Reichstages zur Hinwirkung des Reiches auf die Abschaffung der dortigen überkommenen Ständeordnung und auf die Einführung einer modernen Verfassung. Er lehnte es überdies ab, im Wege der Verfassungsänderung eine Homogenitätsklausel einzuführen. Sogar als die Regierung von Mecklenburg-Strelitz selbst ausdrücklich um eine entsprechende Reichsintervention nachsuchte, verhielt sich der Bundesrat mit Verweis auf die föderative Reichskonstruktion ablehnend. [462.] Die gliedstaatliche Verfassungsautonomie beließ es also bei den bisher bereits sowohl zwischen den Einzelstaaten untereinander als auch im Verhältnis der Gliedstaten zum Reich bestehenden beachtlichen Unterschieden, welche namentlich die Staatsform, die monarchische Ausprägung, die Ausgestaltung der Volksvertretungen und des dazugehörigen Wahlrechts sowie die Organisation der Exekutive betraf. So bestand etwa über Jahrzehnte hinweg in keinem Gliedstaat des Reiches das für die Wahlen zum Reichstag geltende allgemeine, gleiche, direkte und geheime Wahlrecht. Seine Einführung erfolgte auch nach der Jahrhundertwende nur in Baden, Württemberg und Oldenburg. c. Grundrechte [463.] Als auch insoweit getreues Abbild der Verfassung des Norddeutschen Bundes fehlte der Reichsverfassung der in meisten deutschen Länderverfassungen längst übliche Grundrechtskatalog. Lediglich der bereits aus der Norddeutschen Bundesverfassung bekannte Minimalstandard von gemeinsamem Indigenat (Art. 3 Abs. 1 und 2 RV), Schutzanspruch des Reichsangehörigen gegenüber dem Ausland (Art. 3 Abs. 6 RV) und Justizgewährleistung (Art. 77 RV) fanden expressis

110 111 112

Vgl. etwa: G. Meyer/G. Anschütz, Lehrbuch des deutschen Staatsrechts, 7. Aufl., 2. Teil, 1917, S. 693 ff.; G.JelUnek, Allgemeine Staatslehre, 3. Aufl., 1914, S. 783; P.Laband (Fußn. 75), S. 128 ff; L. Dambitsch, Die Verfassung des Deutschen Reiches, 1910, S. 680; E. Jacobi, Der Rechtsbestand der deutschen Bundesstaaten, 1917; M v, Seydel (Fußn. 75), S. 421 f.; L. v. Rönne, Das Staatsrecht des Deutschen Reiches, Bd. 1, 2. Aufl., 1876, S. 46 f Vgl. dazu auch H. Holste, Der deutsche Bundesstaat im Wandel (1867 - 1933), 2002, S. 137 ff A. Haenel (Fußn. 75), S. 351. G. MeyerlG. Anschütz (Fußn. 75), S. 227.

§ 7: Deutscher Bund/Deutsches Reich (1871 -- 1918)

255

verbis Berücksichtigung. Allerdings wurde die unter der Geltung der Verfassung des Norddeutschen Bundes begonnene einfachgesetzliche Verankerung von freiheitlichen und rechtsstaatlichen Garantien nicht nur übernommen, sondern weiter ausgebaut. Dies betraf in erster Linie^^^ -

-

-

-

-

-

113 114 115 116 117 118 119 120 121

die Freiheit der Person (mit Blick auf Verhaftungen) durch die §§ 112f, 127 f. der Reichsstra^rozeßordnung (RStPO) vom I.Februar 1877 und die §§175-177, 180 £ des Militärstrafgesetzbuches für das Deutsche Reich (RMilStGB) vom 20. Juni 1872^^ die Unverletzlichkeit der Wohnung (mit Blick auf Durchsuchungen) durch die §§ 102 - 105 RStPO 1877 und die §§ 180 £, 235 - 239 RMilStGB 1872, die Unverletzlichkeit des Besitzes (mit Blick auf Beschlagnahmen) durch die §§ 98 - 100 RStPO 1877 und die §§ 233 f., 238 f. RMilStGB 1872, die Preßfreiheit durch das Reichsgesetz über die Presse vom 7. Mai 1874^^^, das Vereins- und Versammlungsrecht durch das Gesetz, betreffend das Vereinswesen vom 11. Dezember 1899^^^ und das Reichsvereinsgesetz vom 19. April 1908^1^ die Unverletzlichkeit des Brief-, Post- und Telegraphengeheimnisses durch § 5 des Reichsgesetzes über das Postwesen des Deutschen Reiches vom 28. Oktober 1871 ^^^ § 8 des Gesetzes über das Telegraphenwesen des Deutschen Reiches vom 6. April 1892^9 und die §§ 299, 354 f., 358 RStGB 1871, die Auswanderungsfreiheit durch das Auswanderungsgesetz vom 9. Juni 1897^20, die Unabhängigkeit der Gerichte durch § 1, das Verbot der Ausnahmegerichte und das Recht auf den gesetzlichen Richter durch § 16 sowie die Öffentlichkeit der Gerichtsverhandlungen durch § 169 des Gerichtsverfassungsgesetzes (GVG) vom 27. Januar 1877, den Grundsatz, daß Strafen nur in Gemäßheit des Gesetzes verhängt werden dürfen, durch §2 des Reichsstrafgesetzbuches (RStGB) vom 15. Mai 1871 und die Einführung der obligatorischen Zivilehe durch das Gesetz über die Beurkundung des Personenstandes und die Eheschließung vom 6. Februar 1875^^^

Vgl. dazu auch die ausführliche Darstellung bei F. Thudichum, Verfassungsrecht des Norddeutsehen Bundes und des Deutschen Zollvereins, 1870, S. 518 ff. ReichsgGesetzblatt 1872, S. 173. A. a.O. 1874, S. 65. A. a.O. 1899, S. 699. A. a.O. 1908, S. 151. A. a.O. 1871, S. 349. A. a.O. 1892, S. 467. A. a.O. 1897, S. 463. A. a.O. 1875, S.23.

256

1. Abschnitt: Gesamtdeutsche Verfassungsentwicklung (1803/06-1918)

d. Gesetzgebungskompetenzen des Reiches [464.] Art. 2 Abs. 1 Satz 1 RV gestand dem Reich „das Recht zur Gesetzgebung" nach Maßgabe der Reichsverfassung zu. Die danach auszuübende Legislation beanspruchte, wie die Vorschrift zudem klarstellte, Vorrang gegenüber den Landesgesetzen. Hiermit wurde indirekt klargestellt, daß es neben der ausdrücklich in der Reichsverfassung bezeichneten Gesetzgebungskompetenz des Reiches jedenfalls auch eine Legislativzuständigkeit der Gliedstaaten gab; weshalb die Gesetzgebungsmöglichkeiten der letzteren in den meisten Fällen neben denjenigen des Reiches bestanden und Gesetze beider Legislationsebenen daher miteinander zu „konkurrieren" vermochten. Lediglich diejenigen Materien unterlagen ausschließlich der Reichskompetenz, die ihrer Natur nach nicht in die Machtsphäre eines einzelnen Bundesstaates fallen konnten, weil sie alle Einzelstaaten in ihrer Vereinigung als Gesamtstaat betrafen. ^^^ Diesenfalls war den Ländern eine eigene Regelungsbefugnis verboten. [465.] Als zentrale Kompetenzbestimmung diente der unter sechzehn Nummern in Art. 4 RV mit allerdings mehr als 40 Regelungsmaterien aufgeführte Zuständigkeitskatalog. Für die dort nicht erwähnten Materien stritt eine Zuständigkeitsvermutung zugunsten der Einzelstaaten. Denn insoweit galt prinzipiell, daß alle nicht expressis verbis dem Reich zugewiesenen Befugnisse auch weiterhin bei den jeweiligen Gliedstaten verblieben. Gleichwohl bestanden daneben anerkanntermaßen für das Reich einige den allgemeinen Grundsätzen des Bundesstaatsrechts immanente ungeschriebene Zuständigkeitsbereiche^^^, die wir heute als Kompetenz „kraft Natur der Sache", als Kompetenz „kraft Sachzusammenhangs" oder als „Armexkompetenz" verstehen. ^^"^ Überdies besaß das Reich die sogenaimte „Kompetenz-Kompetenz", die es erlaubte, durch verfassungsänderndes Reichsgesetz Zuständigkeitsverschiebungen auf Kosten der Einzelstaaten vorzunehmen. ^^^ aa. Art. 4 Nr. 1 RV [466.] Art. 4 Nr. 1 RV war als relativ umfangreicher Kompetenztitel zugunsten der Reichslegislation ausgestaltet. Er betraf die Freizügigkeit, „Heimaths- und Niederlassungsverhältnisse" (ausgenommen in Bayern), das Staatsbürgerrecht, Paßwesen, die Fremdenpolizei, den Gewerbebetrieb einschließlich des Versicherungswesens, sowie die Kolonisation und die Auswanderung. [467.] Die in Art. 4 Nr. 1 RV dem Reich zugewiesene Kompetenz zur Regelung der „Freizügigkeit" umfaßte sowohl die Gewährleistung des Rechts eines jeden Reichsangehörigen, sich überall im Reichsgebiet aufzuhalten, niederzulassen, Grundeigentum zu erwerben und alle Gewerbe wie die jeweils Einheimischen zu betreiben, als auch die Einschränkung dieser Freizügigkeit. Während die Freizügigkeitsgewährleistung im wesentlichen schon durch eine Reihe von noch unter 122 123 124 125

P. Laband, Das Staatsrecht des Deutschen Reiches, Bd. 2, 5. Aufl., 1911, S. 121. H. Triepel, Die Kompetenzen des Bundesstaates und die geschriebene Verfassung, in: Festgabe für P. Laband, Bd. 2, S. 247 (249 ff.). K Höhte (Fußn. 76), S. 162 f.; K. Stern (Fußn. 10), S. 364. Statt Vieler: A. Haenel (Fußn. 75), S. 771 ff. und^. Arndt (Fußn. 21), S. 188 ff.

§ 7: Deutscher Bund/Deutsches Reich (1871 - 1918)

257

der Ägide des Norddeutschen Bundes erlassenen Gesetzen in der Zeit zwischen 1867 und 1870 statuiert war, machte das Reich zunächst durch Gesetze - wie dasjenige, betreffend den Orden der Gesellschaft Jesu, vom 4. Juli 1872^^^, dasjenige, betreffend die Verhinderung der unbefugten Ausübung von Kirchenämtem, vom 4. Mai 1874^^'^ und dasjenige gegen die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie vom 21. Oktober 1878^^^ - von der Beschränkungsmöglichkeit Gebrauch. Diese Gesetzgebung wurde als Kampfmittel gegen vermeintliche „Reichsfeinde" eingesetzt. Soweit es die Gesetze mit kirchlicher Stoßrichtung anbelangte, so bildete sich hier die bald als „Kulturkampf bezeichnete Auseinandersetzung zwischen Staat und katholischer Kirche ab. Das gegen die Gesellschaft Jesu gerichtete Gesetz wurde, soweit es Beschränkungen der Freizügigkeit enthielt, durch Gesetz vom 8. März 1904^^^, das antiklerikale Gesetz vom 4. Mai 1874 bereits durch Gesetz vom 6. Mai 1890^^^ wieder aufgehoben. Mit dem gegen die Sozialdemokratie gerichteten Gesetz (sogenanntes „Sozialistengesetz")^^^ wollte man sozialistischen oder kommunistischen Umsturzversuchen begegnen. Das Gesetz war zunächst bis zum 31. März 1881 befristet, wurde im Anschluß daran aber noch insgesamt viermal (1880, 1884, 1886 und 1888) verlängert. Dessen fünfte Verlängerung scheiterte 1890 im Reichstag, so daß das Gesetz schließlich am 30. September 1890 endgültig außer Kraft trat. [468.] In gewisser Weise eng mit der Freizügigkeit verzahnt war auch die die „Heimaths- und Niederlassungsverhältnisse" betreffende Reichskompetenz. Hierunter fiel in erster Linie das die Armenfursorge regelnde, noch als Bundesgesetz erlassene und als Reichsgesetz übernommene Gesetz über den Unterstützungswohnsitz vom 6. Juni 1870^^^. Dieses nicht in Bayern geltende Gesetz wurde zunächst 1894^^^, dann 1908^^"^ geändert und neu verkündet. Nach diesem Gesetz war jeder Reichsangehörige in jedem Bundesstaat nach Art und Umfang der ihm im Falle der Unterstützungsbedürftigkeit zu gewährenden öffentlichen Unterstützung sowie bezüglich des Erwerbs und Verlust des Unterstützungswohnsitzes überall im Reich (außer in Bayern) wie ein Inländer zu behandeln. [469.] Durch den in Art. 4 Nr. 1 RV ebenfalls aufgeführten Titel „Staatsbürgerrecht" kam dem Reich die Regelung der Reichs- wie der Staatsangehörigkeit zu. Es hatte die Gründe für den Erwerb und Verlust zu bestimmen. Dies war indes zunächst durch das als Reichsgesetz übernommene Bundesgesetz über die Erwerbung und den Verlust der Bundes- und Staatsangehörigkeit vom 1. Juni 1870^^^ geschehen. Danach bildeten die Reichs- und Staatsangehörigkeit eine nicht zu 126 127 128 129 130 131

132 133 134 135

Reichsgesetzblatt 1872, S. 253. A.a.O. 1874,8.434. A.a.O. 1878, S. 351. A.a.O. 1904, S. 139. A.a.O. 1890, S. 65. Vgl. dazu R. Gneist Das Reichsgesetz gegen die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie, 1878. Bundesgesetzblatt 1870, S. 360. Gesetz vom 12. März 1894 (Reichsgesetzblatt 1894, S. 259 und 262). Gesetz vom 30. März 1908 (a. a. O. 1908, S. 377 und 381). Bundesgesetzblatt 1870, S. 355.

258

1. Abschnitt: Gesamtdeutsche Verfassungsentwicklung (1803/06-1918)

trennende Einheit. Nur die Zugehörigkeit zu einem Gliedstaat vermittelte auch die Reichsangehörigkeit. Erst das später an diese Stelle tretende Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetz vom 22. Juli 1913^^^ sah neben der durch die Zugehörigkeit zu einem Gliedstaat vermittelten Reichsangehörigkeit auch die unmittelbare Reichsangehörigkeit vor. Diese Regelung trug in erster Linie dem Umstand Rechnung, daß das Reich als solches mit dem Erwerb von Elsaß-Lothringen und der Kolonien um Gebiete ohne Gliedstaatencharakter gewachsen war, was dort jedenfalls eine bloße Vermittlung der Reichsangehörigkeit durch die bisherige Zugehörigkeit zu einem GHedstaat ausschloß. [470.] Auf dem Gebiet des „Paßwesens" und der „Fremdenpolizei" blieb es im wesentlichen bei dem schon zur Zeit des Norddeutschen Bundes erlassenen Gesetz über das Paßwesen vom 12. Oktober 1867^^^. [471.] Der „Gewerbebetrieb" war grundlegend bereits durch die Gewerbeordnung für den Norddeutschen Bund vom 21. Juni 1869^^^ geregelt. Nach ungewöhnlich vielen zwischenzeitlichen Änderungen und Ergänzungen^^^ dieses Gesetzes wurde die Gewerbeordnung schließlich unter dem 26. Juli 1900^"^^ neu bekannt gemacht. Doch bildete auch diese Neufassung nur ein Zwischenstadium, da auch weiterhin den rasant wechselnden und wachsenden Bedürfiiissen des wirtschaftlichen und sozialen Lebens Rechnung getragen werden mußte. Dies betraf Sachverhalte wie die Stellenvermittlung für Schiffsleute (1902)^'*^, Handlungsagenten (1905)^^2, Kontrolle der Bauunternehmer (1907)^"^^ das Handwerk und nicht zuletzt die Ausbildung von Lehrlingen (1908)^'^'^, den Handel mit lebenden Vögehi (1908)^"^^ sowie das Nachtarbeitsverbot für Frauen in gewerbhchen Betrieben und die Arbeitszeitregelung für jugendliche und weibliche Arbeiterinnen (1908)^"^^. Auch zahlreiche andere hierher gehörende Gesetze künden von der Vielfalt der Reichslegislation zum Gewerbewesen (ohne Anspruch auf Vollständigkeit): So etwa das Gesetz, betreffend die Anfertigung und Verzollung von Zündhölzern vom 13. Mai 1884^^^, das Gesetz über den Feingehalt von Gold- und Silberwaren vom 16. JuH 1884^"^^, das Reichsgewerbegerichtsgesetz vom 29. Juli 136 Reichsgesetzblattl913, S. 583. 13"^ Bundesgesetzblattl867, S. 33. 138 A.a.O. 1869,8.245. 139 Gesetze vom 2. März 1874 (Reichsgesetzblatt 1874, S. 19), vom 8. April 1876 (a.a.O. 1876, S. 134), vom 11. Juni 1878 (a. a. O. 1878, S. 109), vom 17. Juni 1878 (a. a. O. 1878, S. 199), vom 23. Juli 1879 (a. a. O. 1879, S. 267), vom 15. Juli 1880 (a. a. O. 1880, S. 179), vom 18. Juli 1881 (a. a. O. 1881, S. 233), vom 1. Juli 1883 (a. a. O. 1883, S. 159 und 177), vom 8. Dezember 1884 (a. a. O. 1884, S. 255), vom 23. April 1886 (a. a. O. 1886, S. 125), vom 6. Juli 1887 (a. a. O. 1887, S. 281), vom 1. Juni 1891 (a. a. O. 1891, S. 261) und vom 6. August 1896 (a. a. O. 1896, S. 685). 140 Bundesgesetzblatt 1900, S. 871. 141 Gesetz vom 2. Juni 1902 (Reichsgesetzblatt 1902, 215). 142 Gesetz vom 14. Oktober 1905 (a. a. O. 1905, S. 759). 143 Gesetz vom 7. Januar 1907 (a. a. O. 1907, S. 3). 144 Gesetz vom 30. Mai 1908 (a. a. O. 1908, S. 356). 145 Gesetz vom 29. Juni 1908 (a. a. O., S. 473). 146 Gesetz vom 28. Dezember 1908 (a. a. O., S. 667). 147 A.a.O. 1884,8.49. 148 A. a. O., S. 120.

§ 7: Deutscher Bund/Deutsches Reich ( 1 8 7 1 - 1 9 1 8 )

259

1890^^^, das Gesetz über die Prüfimg der Läufe und Verschlüsse der Handfeuerwaffen vom 19. Mai 1891^^°, das Gesetz über die Bekämpfung des unlauteren Wettbewerbs vom 27. Mai 1896^^^ das Gesetz über Margarine vom 15. Juni 1897^^2, das Gesetz über Schlachtvieh- und Fleischbeschau vom 3. Juni 1900^^^ das Gesetz, betreffend die Kinderarbeit in gewerblichen Betrieben, vom 30. März 1903^^"^, das Gesetz, betreffend die Preisfeststellung beim Markthandel mit Schlachtvieh, vom 8. Februar 1909^^^ und das Hausarbeitsgesetz vom 20. Dezember 1911 ^^^ [472.] Zu der Regelungskompetenz über das Gewerbewesen stand dem Reich auch die Gesetzgebungszuständigkeit für das Versicherungswesen zu. Letztere umfaßte sowohl den Bereich der privaten als auch denjenigen der öffentlichen Versicherungen. So wurden mit dem Gesetz über die privaten VersicherungsUntemehmungen vom 12. Mai 190P^^ Privatversicherungen der grundsätzlichen staatlichen Aufsicht unterworfen. Hierfür schuf man mit dem Reichsaufsichtsamt für Privatversicherungen eine zentrale Reichsbehörde. Einen Meilenstein staatlicher Sozialpolitik markierte indes das auf Art. 4 Nr. 1 RV gestützte System der Sozialversicherungen. Ihnen lag als Ansatz die staatlich statuierte Verpflichtung von Arbeitnehmern und Arbeitgebern zur Einrichtung von Selbsthilfeorganisationen mit staatlicher Unterstützung bei deren Aufbau zugrunde, wobei für Arbeitnehmer und Arbeitgeber Beitrittszwang bestand. Den Anfang machte man mit der Einführung der Krankenversicherung durch das Gesetz, betreffend die Krankenversicherung der Arbeiter, vom 15. Juni 1883^^^; diesem folgte die Gründung einer Unfallversicherung durch das Unfallversicherungsgesetz vom 6. Juli 1884^^^. In den folgenden Jahren wurden die zunächst fur die gewerblichen Arbeiter geltenden Kranken- und Unfallversicherungen auf die Arbeiter in land- und forstwirtschaftlichen Betrieben (1886)^^°, die Unfallversicherung auch auf Bauarbeiter (1887)^^^ und auf Seeleute (1887)^^^ ausgedehnt. Wenig später gelang es, mittels Gesetz vom 22. Juni 1889^^^ die Invaliditäts- und Altersversicherung ins Leben zu rufen. Dieser klassische Kanon der zunächst nur den Arbeitern im weiteren Sinne 149 150 151 152 153 154 155 156 15'7 158 159 160

A.a.O. 1890,8.141. A.a.O. 1891, S. 109. A.a.O. 1896, S. 145. A.a.O. 1897, S. 475 und 591. A.a.O. 1900,8.547. A.a.O. 1903,8. 113. A. a. O., 8. 269. A.a.O. 1911,8.976. A.a.O. 1901,8. 139. A.a.O. 1883,8.73. A.a.O. 1884,8.69. Gesetz, betreffend die Unfall- und Krankenversicherung der in land- und forstwirtschaftlichen Betrieben versicherten Personen, v o m 5. Mai 1886 (a. a. O. 1886, 8. 132). 161 Gesetz, betreffend die Unfallversicherung der bei Bauten beschäftigten Personen, vom 11. Juni 1887 (a.a.O. 1887,8.287). 162 Gesetz, betreffend die Unfallversicherung der 8eeleute u n d anderer bei der 8chiffahrt beteiligten Personen, v o m 13. Juh 1887 (a. a. O., 8. 329). 163 A.a.O. 1889,8.97.

260

1. Abschnitt: Gesamtdeutsche Verfassungsentwicklung (1803/06-1918)

vorbehaltenen Sozialversicherungen wurde auch in der Folgezeit ständig ausgebaut und bezog schließlich durch das Gesetz vom 20. Dezember 1911^^'^ auch Angestellte mit ein. Etwas früher hatte man bereits mit der Reichsversicherungsordnung vom 19. Juli 1911^^^ nebst umfangreichem Einführungsgesetz^^^ die einzelnen Versicherungszweige regelungstechnisch zusammengefaßt. Das Fürsorgegesetz vom 15. März 1886^^^ und dessen spätere Novellierung vom 18. Juni 1901^^^ sicherte Reichsbeamte und Soldaten gegen die Folgen von Betriebsunfällen. Für Strafgefangene erging das Gesetz, betreffend die Unfallversicherung für Gefangene, vom 30. Juni 1900169. [473.] Auf den Titel „Kolonisation" gestützt hatte das Reich seit 1884 eine Reihe von Kolonien („Schutzgebiete") erworben: Dies betraf Deutsch-Südwestafrika (1884), Kamerun und Togo (1884), „Kaiser-Wilhelms-Land" auf Neuguinea, die Insehi im Bismarck-Archipel und die Salomonengmppe (1884), die Marshall-, Brown- und Providence-Insehi (1885), Nauru (1888), Deutsch-Ostafrika (1890), Kiautschou (1898), Samoa (1899) sowie die Karolinen, Palau und die Marianen (1899). Deren rechtliche Situation basierte auf dem Reichsgesetz, betreffend die Rechtsverhältnisse der deutschen Schutzgebiete, vom 17. April 1886^^^ mit seinen späteren Änderungen^^^ und in der Neufassung als „Schutzgebietsgesetz" vom 10. September 1900^^2. Weiterhin erließ das Reich in diesem Kontext seit 1891 die kaiserliche Schutztruppe betreffende Gesetze^^^ das Gesetz über die Einnahmen und Ausgaben der Schutzgebiete vom 30. März 1892 und das Kolonialbeamtengesetz vom 8. Juni 19101^4 [474.] Das Auswanderungswesen wurde durch das Gesetz über das Auswanderungswesen vom 9. Juni 1897^^^ geregelt. bb. Art. 4 Nr. 2 RV [475.] Mit Art. 4 Nr. 2 RV war dem Reich die Zoll- und Handelsgesetzgebung und die Regelungsbefugnis über die für Reichszwecke zu verwendenden Steuern eingeräumt. Diese Materien regelte die Reichsverfassung mit Blick auf das Zollund Handelswesen bereits weitgehend in ihrem Abschnitt VII (§§ 3 3 - 4 0 ) und bezüglich der Steuern in Abschnitt XII (Art. 69 - 73). 164 165 166 167 168 169

i^ö ^'71 1^2 1^^

^'74 1^^

A.a.O. 1911,8.989. A. a. O., S. 509. A. a. O., S. 839. A.a.O. 1886,8.53. A.a.O. 1901,8.211. A. a. O. 1900, 8. 536. A.a.O. 1886, 8.75. Durch die Gesetze vom 7. Juli 1887 (a. a. O. 1887, 8. 307) und vom 15. März 1888 (a. a. O. 1888, 8.71). A.a.O. 1900, 8.813. Vgl. die Gesetze vom 22. März 1891 (a.a.O. 1891, 8.53), vom 9. Juni 1895 (a.a.O. 1895, 8. 258), vom 7. Juli 1896 (a. a. O. 1896, 8. 187), neu bekanntgemacht am 18. Juli 1896 (a. a. O., 8. 653). A.a.O. 1910, 8.881. A.a.O. 1897,8.463.

§ 7: Deutscher Bund/Deutsches Reich (1871 --1918)

261

[476.] Hinsichtlich des gesamten Zollwesens hatte das Reich jedenfalls ebenso wie „über die Besteuerung des im Bundesgebiet gewonnenen Salzes und Tabaks, bereiteten Branntweins und Bieres und des . .. (hergestellten) Zuckers und Syrups, über den gegenseitigen Schutz der in den einzelnen Bundesstaaten erhobenen Verbrauchsabgaben gegen Hinterziehungen, sowie über die Maßregeln, welche in den Zollausschlüssen zur Sicherung der gemeinsamen Zollgrenze erforderlich sind", die ausschließliche Gesetzgebungskompetenz (Art. 35 Abs. 1 RV). Im Falle von Bayern, Württemberg und Baden blieb die Besteuerung des inländischen Branntweins und Biers der Landesgesetzgebung vorbehalten (Art. 35 Abs. 2 Satz 1 RV); für Elsaß-Lothringen galt dies nur für das Bier. [477.] Insgesamt machte das Reich von seiner Befugnis zur Zollgesetzgebung reichlich Gebrauch. Es erließ etwa das Gesetz, betreffend den Zolltarif des deutschen Zollgebiets und den Ertrag der Zölle und der Tabaksteuer, vom 15. Juli 1879^^^ nebst zahlreichen Änderungsgesetzen^^^ in der Folgezeit bis 1900, das Gesetz, betreffend die Statistik des Warenverkehrs des deutschen Zollgebiets mit dem Auslande, vom 20. Juli 1879^^^ sowie das schließlich an die Stelle des Reichsgesetzes vom 15. Juli 1879 einschließlich seiner Modifikationen tretende Zolltarifgesetz vom 25. Dezember 1902^^^ und das das Reichsgesetz vom 20. Juli 1879 ersetzende Reichsgesetz vom 7. Februar 1906^^°. [478.] Für den Kompetenzbereich der Handelsgesetzgebung ist allen voran das neu gefaßte Handelsgesetzbuch vom 10. Mai 1897^^^ zu nennen. Zu der auch ansonsten reichhaltigen Palette der insoweit auf Art. 4 Nr. 2 RV gestützten Gesetzgebungsaktivitäten gehörten im übrigen Reichsgesetze wie das Gesetz, betreffend die Inhaberpapiere mit Prämien, vom 8. Juni 1871 ^^2, das Gesetz, betreffend die Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften, vom I.Mai 1889^^^, das Gesetz, betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung, vom 20. April 1892^^"^, das Börsengesetz vom 22. Juni 1896^^^ das Gesetz, betreffend die Pflichten der Kaufleute bei Aufbewahrung fremder Wertpapiere, vom 5. Juli 1896^^^, das Gesetz, betreffend die gemeinsamen Rechte der Besitzer von Schuldverschreibungen,

i'^ö A.a.O. 1879, S. 207. 1^^ Gesetz vom 6. Juni 1880 (a. a. O. 1880, S. 120); Gesetze vom 19. und 21. Juni 1881 (a. a. O. 1881, S. 119 und 121); Gesetz vom 22. Mai 1885 (a. a. O. 1885, S. 123) nebst Neubekanntmachung vom 24. Mai 1885 (a.a.O., S. 112); Gesetz vom 18. April 1886 (a. a. O. 1886, S. 123); Gesetz vom 21. Dezember 1887 (a. a. O. 1887, S. 533); Gesetz vom 14. April 1894 (a. a. O. 1894, S. 335); Gesetz vom 18. Mai 1895 (a. a. O. 1895, S. 233); Gesetz vom 6. März 1899 (a. a. O. 1899, S. 137); Gesetz vom 14. Juni 1900 (a. a. O. 1900, S. 298). i'7^ A . a . O . 1879,8.261. 1^^ A. a. O. 1902, S. 303. i^ö A. a. O. 1906, S. 109. 1^1 A . a . O . 1897,8.219. 1^2 A . a . O . 1871,8.210. 1^^ Neubekanntmachung des Gesetzes am 20. Mai 1898 (a. a. O. 1898, S. 810). 1^4 A . a . O . 1892,8.477. 1^^ A . a . O . 1896, S. 157. 186 A. a. O., S. 183.

262

1. Abschnitt: Gesamtdeutsche Verfassungsentwicklung (1803/06-1918)

vom 4. Dezember 1899^^^ und das Scheckgesetz vom 11. März 1908^^^. Ebenfalls unter diesen Titel fielen die Seemannsordnung vom 2. Juni 1902^^^ nebst ihren Ergänzungen^^^, die Strandungsordnung vom 17. Mai 1874^^^ sowie die jeweils vom 15. Juni 1895 stammenden Gesetze, betreffend die privatrechtlichen Verhältnisse der Binnenschiffahrt^^^, und diejenigen der Flößerei^^^ [479.] Auch die Befugnis des Reiches, die für seine Zwecke zu verwendenden Steuern zu bestimmen, legte Art. 4 Nr. 2 RV fest. Eine Beschränkung auf bestimmte Steuerarten und Steuerquellen bestand dabei nicht^^^^ gQ ^j^ß indirekte wie direkte Steuern einfuhrbar waren. ^^^ TatsächHch kam allerdings bis 1906 lediglich die Erhebung indirekter Steuern zur Ausführung. Dies wurde nicht zuletzt dadurch begünstigt, daß Art. 35 Abs. 1 RV dem Reich für die Einführung von Verbrauchssteuern eine ausschließliche Gesetzgebungskompetenz zusprach. Namentlich nach dem schnellen Verbrauch der französischen Kriegsentschädigungen in den Anfangsjahren nutzte das Reich zunehmend diese Steuerart, um seinen rasant wachsenden Finanzbedarf zu decken. Es legte sich mittels seiner Gesetzgebung allmählich ein bemerkenswert dichtes Netz von Verbrauchssteuern zu. Dies betraf etwa die Zucker-^^^, die Tabak-^^^ und Zigaretten-^^^ die Branntwein-^^^, die Brau-^^^ bzw. die Bier-^°^ und die Weinsteuer^^^; hinzu kamen Steuern auf Spielkarten^^^, auf Mineralwässer und künstlich bereitete Getränke^^"^, auf Schaumwein^^^ auf 1^^ A.a.O. 1899,8.691. 1^^ A.a.O. 1908,8.71. 189 A. a. O. 1902, S. 175. 190 Gesetz vom 12. Mai 1904 (a. a. O. 1904, S. 167); Gesetz vom 23. März 1908 (a. a. O. 1908, S. 57). 191 A. a. O. 1874, S. 73; abgeändert durch Gesetz vom 30. Dezember 1901 (a. a. O. 1902, S. 1). 192 A . a . O . 1895,8.301. 193 A.a. O., S. 341. 194 G. Meyer/G. Anschütz, Lehrbuch des deutschen Staatsrechts, 7. Aufl., 3. Teil, 1919, S. 909. 195 E. R. Huber (Fußn. 3), S. 947. 196 Vgl. die Gesetze vom 7. Juli 1883 (Reichsgesetzblatt 1883, S. 157), vom 13. Mai 1885 (a.a.O. 1885, S. 91), vom I.Juni 1886 ( a . a . O . 1886, S. 182), vom 9. Juli 1887 (a.a.O. 1887, S. 308), vom 31. Mai 1891 (a. a. O. 1891, S. 295), vom 9. Juni 1895 (a.a.O. 1895, S. 255), vom 27. Mai 1896 (a. a. O. 1896, S. 109), vom 6. Januar 1903 (a. a. O. , 1903, S. 1) und vom 3. Juli 1913 (a. a. O. 1913, S. 297). Vgl. etwa die Gesetze vom 26. Juni 1878 (a. a. O. 1878, S. 129), vom 16. JuH 1879 (a. a. O. 1879, S. 245), vom 5. April 1885 (a. a. O. 1885, S. 83), vom 15. Juli 1909 (a. a. O. , 1909, S. 793). Vgl. z.B. die Gesetze vom 3. Juni 1906 (a.a.O. 1906, S. 631) und vom 15./21. Juli 1909 (a. a. O. 1909, S. 705). Vgl. die Gesetze vom 16. November 1874 (a. a. O. 1874, S. 134), vom 19. JuH 1879 (a.a.O. 1879, S. 259), vom 24. Juni 1887 (a. a. O. 1887, S. 253), vom 8. Juni 1891 (a.a.O. 1891, S. 338), vom 16. Juni 1895 (a. a. O. 1895, S. 265), vom 14. Juni 1912 (a.a.O. 1912,8.378). Vgl. die Gesetze vom 31. Mai 1872 (a. a. O. 1872, 8.153), vom 23. Dezember 1875 (a.a.O. 1875, 8.237), vom 3. Juni 1906 (a. a. O. 1906, 8.622) und vom 21. Juli 1909 (a.a.O. 1909,8.773). 201 Gesetz vom 26. JuH 1918 (a. a. O. 1918, 8. 863). 202 Gesetz vom 26. Juli 1918 (a. a. O., 8. 831). 203 Gesetz vom 3. JuH 1878 (a. a. O. 1878, 8. 133). 204 Gesetz vom 26. JuH 1918 (a. a. O. 1918, 8. 849).

§ 7: Deutscher Bund/Deutsches Reich (1871 - 1918)

263

LeuchtmitteP^^, auf Zündwaren^^^, auf Kalisalze^^^ sowie auf bestimmte gewerbliche Lieferungen und Leistungen^^^. Bismarcks Bestrebungen, bereits 1882 ein Tabak- und 1886 ein Branntweinmonopol einzuführen, scheiterten jeweils an der Ablehnung durch den Reichstag. Erst kurz vor Kriegsende gelang es, die Branntweinsteuer durch das Branntweinmonopol zu ersetzen.^^^ [480.] Die Erhebung der gemeinschaftlichen Verbrauchssteuern geschah nach Art. 36 RV grundsätzlich durch die Einzelstaaten unter Aufsicht des Reiches. Deren Erträge flössen nach Abzug aller den Ländern im Zusammenhang mit dem Erhebungs- und Verwaltungsaufwand entstandenen Kosten in die Reichskasse (Art. 38 RV); waren also von dem jeweiligen Land an diese abzuführen. Für die Bestimmung der von den Ländern abzuziehenden Höhe der Erhebungs- und Verwaltungskosten schrieb Art. 38 Abs. 2 Nr. 3 RV einen nach Zöllen (lit. a), Salzsteuer (lit. b), Rübenzucker- und Tabaksteuer (lit. c) sowie den „übrigen Steuern" (lit. d) differenzierenden Berechnungsmodus vor. Bei den übrigen Steuern belief sich dieser pauschal auf 15 % der jeweils auf eine Steuerart entfallenden Gesamteinnahme. Dem Reich standen insoweit also unabhängig vom tatsächlichen Erhebungsaufwand 85 % des von den Ländern erzielten Einnahmeaufkommens zu. § 5 des Gesetzes, betreffend die Ordnung des Reichshaushalts und die Tilgung der Reichsschuld, vom 3. Juni 1906^^^ modifizierte ausdrücklich die „Vorschrift des Artikel 38 Abs. 2 Ziffer 3d der Reichsverfassung . . . in Ansehung der Brausteuer". Für diese Steuer wurde die den Ländern zu gewährende Erhebungs- und Verwaltungskostenvergütung künftig durch den Bundesrat festgesetzt. Angesichts der mit dieser formellen Verfassungsänderung einhergehenden und künftig zu erwartenden Steuererhöhungen sowie eingedenk der damit verbundenen Mehreinnahmen versprach man sich hiervon einen angemesseneren Umgang mit der Frage des abziehbaren Erhebungs- und Verwaltungskostenaufwands. [481.] Des weiteren wurden reichsseitig verschiedene Stempelsteuern erhoben. Hierbei hing es um Abgaben, die entweder für die Ausstellung einer Urkunde auf einem mit dem erforderlichen Stempel versehenen Vordruck oder für eine entsprechende Verwendung oder Entwertung von Stempelmarken erhoben wurden. Erstmals geschah diese Art der Abgabenerhebung durch Gesetz vom 1. Juli 188P^^, welches im Laufe der Zeit des öfteren Abänderungen^^^ erfuhr. Auch die

206 207 208 209

210 211 212 213

Vgl die Gesetze vom 9. Mai 1902 (a. a. O. 1902, S. 155), vom 15. Juli 1909 (a. a. O. 1909, S. 714) und vom 26. Juli 1918 (a. a. O. 1918, S. 847). Gesetz vom 22. Juli 1909 (a. a. O. 1909, S. 880). Gesetze vom 15. Juli 1909 (a. a. O., S. 814) und vom 6. Juni 1911 (a. a. O. 1911, S. 241). Gesetz vom 25. Mai 1910 (a. a. O. 1910, S. 775). Gesetz über den Warenumsatzstempel vom 26. Juni 1916 (a. a. O. 1916, S. 639), aus dem das Umsatzsteuergesetz vom 26. Juli 1918 (a. a. O. 1918, S. 779) hervorging. Gesetz vom 26. Juli 1918 (a. a. O. 1918, S. 887). Dok. 136/10. Reichsgesetzblatt 1881, S. 185. So u.a. durch die Gesetze vom 29. Mai 1885 (a. a. O. 1885, S. 171), vom 27. April 1894 (a.a.O. 1894, S. 369), vom 3. Juni 1906 (a. a. O. 1906, S. 615) und vom 3. Juli 1913 ( a . a . O . 1813,8.544).

264

1. Abschnitt: Gesamtdeutsche Verfassungsentwicklung (1803/06-1918)

noch zur Zeit des Norddeutschen Bundes eingeführte Wechselstempelsteuer^^"^ paßte man reichsseitig des öfteren an^^^ [482.] Von seiner Option zur direkten Besteuerung machte das Reich erstmals mit der Einfuhrung der Erbschafts- und Schenkungssteuer durch das Reichsgesetz vom 3. Juni 1906^^^ Gebrauch. Bald folgte die Erhebung diverser „Besitzsteuem"^^^ auf den Wertzuwachs bei Grund-, Betriebs- und Kapitalvermögen. Femer wurde durch Reichsgesetz vom 3. Juli 1913^^^ ein einmaliger Wehrbeitrag vom Vermögen und Einkommen erhoben, der zweckgebunden zur Deckung der Kosten für die erst unlängst beschlossene Verstärkung der Wehrmacht verwendet werden sollte. Zur Finanzierung der Kriegskosten erhob das Reich schließlich seit 1916 eine Kriegssteuer bzw. -abgäbe von natürlichen wie juristischen Personen. cc. Art. 4 Nr. 3 RV [483.] Gesetzgebungskompetenzen standen dem Reich aufgrund von Art. 4 Nr. 3 RV auch hinsichtlich der Ordnung des Maß-, Münz- und Gewichtssystems, nebst Feststellung der Grundsätze über die Emission von fundiertem und unfixndiertem Papiergeld zu. [484.] Mit Blick auf eine Vereinheitlichung des Maß- und Gewichtssystems wurde die in ihrer Geltung auf ganz Deutschland ausgedehnte Maß- und Gewichtsordnung des Norddeutschen Bundes vom 17. August 1868^^^ unter der Ägide des Reiches einige Male - nämlich durch die Gesetze vom 7. Dezember 1873, 11. JuH 1884, 26. April 1893, 1. Juni 1900^20 - geändert. Schheßlich galt die Maßund Gewichtsordnung vom 30. Mai 1908^2^ Weiter ergingen das Gesetz, betreffend die Bezeichnung des Raumgehalts der Schankgefäße, vom 20. Juli ISSP^^, das Gesetz, betreffend die elektrischen Maßeinheiten, vom 1. Juni 1898^^^ sowie die Eichordnungen und die Eichgebührentaxen zuletzt vom 8. November bzw. 18. Dezember 1911224. [485.] Zur Regelung eines einheitlichen Münzwesens225 erließ das Reich zunächst das Gesetz, betreffend die Ausprägung von Reichsgoldmünzen, vom 4. Dezember 1871226 und bald darauf das Münzgesetz vom 9. Juh 187322^. Letzte2^4 Gesetz, betr. die Wechselstempelsteuer im Norddeutschen Bunde, vom 10. Juni 1869 (Bundesgesetzblatt 1869, S. 193). 21^ Vgl. etwa die Gesetze v o m 4. Juni 1879 (Reichsgesetzblatt 1879, S. 151) und vom 2 1 . Juli 1909 (a. a. O. 1909, S. 825). 216 A. a. O. 1906, S. 654. 21^ Gesetze vom 14. Februar 1911 (a. a. O. 1911, S. 33) und vom 3. Juli 1913 (a. a. O. 1913, S. 524). 218 A. a. O . , S. 505. 21^ Bundesgesetzblatt 1868, S. 473; geändert durch Gesetz vom 10. März 1870 (a. a. O. 1870, S. 46). 220 Reichsgesetzblatt 1873, S. 377; a. a. O. 1884, S. 115; a. a. O. 1893, S. 151; a. a. O. 1900, S. 250. 221 A. a. O. 1908, S. 349. 222 A. a. O. 1881, S. 249; abgeändert durch Gesetz vom 24. Juli 1909 (a. a. O. 1909, S. 891). 223 A . a . O . 1898, S. 905.

224 225 226 227

A . a . O. 1911, S. 960 und 1074. Näher dazu P. Laband, Das Staatsrecht des Deutschen Reiches, Bd. 3, 5. Aufl., 1913, S. 169 ff. Reichsgesetzblatt 1871,8.404. A.a.O. 1873,8.233.

§ 7: Deutscher Bund/Deutsches Reich (1871 - 1918)

265

res hob die verschiedenen in Deutschland bis zum 1. Januar 1876 geltenden Landeswährungen auf und setzte an deren Stelle die Mark als „Reichsgoldwährung". Das Münzgesetz von 1873 wurde schließlich durch das Münzgesetz vom 1. Juni 1909^28 ersetzt. [486.] Die Regelungen über das Münzwesen standen in untrennbarem Zusammenhang mit der Ordnung des Papiergeldsystems. Wenn Art. 4 Nr. 3 RV insoweit von „fundirtem und unfundirtem Papiergelde" sprach, ging dies gewiß über die gesetzlich als allgemeines Zahlungsmittel anerkannten Geldzeichen hinaus. Er bezog nämlich alle Wertzeichen ein, die aufgrund ihrer Gestaltung als unverzinsliche, auf eine bestimmte Geldsumme lautende Inhaberpapiere dazu bestimmt waren, Zahlungsmittel zu sein. Doch betraf diese Kompetenz ausdrücklich nur eine Gesetzgebung, die sich auf die „Grundsätze" bezog. Bereits mit dem noch vom Norddeutschen Bund erlassenen und als Reichsgesetz weitergeltenden Gesetz, betreffend die Ausgabe von Papiergeld, vom 16. Juni 1870^^^, dem Münzgesetz vom 9. Juli 1873 und dem Reichsgesetz, betreffend die Ausgabe von Reichskassenscheinen, vom 30. April 1874^^^ wurde den Ländern die Ausgabe von Banknoten untersagt; überdies hatten sie nicht auf Reichswährung lautende Noten einzuziehen. Stattdessen erfolgte reichsseitig die Ausgabe von Papiergeld (Reichskassenscheinen). Für diese bestand im Privatverkehr jedoch keine Pflicht zur Annahme, so daß ihnen die Eigenschaft als gesetzliches Zahlungsmittel fehlte.^^^ Sie hatten eher den Charakter eines Inhaberschuldpapiers, das bei allen Kassen des Reiches und der Bundesstaaten zu seinem Nennwert in Zahlung genommen sowie von der Reichshauptkasse auf Rechnung des Reiches auch jederzeit „in bares Geld eingelöst" werden konnte (§ 5 des Gesetzes von 1874). Zur Sicherung dieses Zahlungsmittels statuierte das Reich das Gesetz, betreffend den Schutz des zur Ausfertigung von Reichskassenscheinen verwendeten Papiers gegen unbefugte Nachahmung, vom 26. Mai 1885^^^. Erst die Bankgesetznovelle vom 1. Juni 1909^^^ bestimmte die Noten der Reichsbank zum gesetzlichen Zahlungsmittel (Art. 3). Allerdings dehnte das Reich mit seiner umfassenden und detaillierten Papiergeldgesetzgebung die ihm durch Art. 4 Nr. 3 RV eingeräumten Legislativbefugnisse erheblich über dasjenige aus, was zur eigentlichen „Feststellung der Grundsätze über die Emission von fundiertem und unfimdiertem Papiergeld" vorgesehen war. Insoweit fanden hier Verfassungsdurchbrechungen ohne förmliche Änderung der Verfassung statt.

228 A.a.O. 1909,8.512. 229 Bundesgesetzblatt 1870, S. 507, eingefiihrt in Baden, Südhessen, Württemberg und Bayern (a. a. O. 1870, S. 647, 656; 1871, S. 230 Reichsgesetzblatt 1874, S. 40. 231 P. Laband (¥uRn. 222), S. 189. 232 Reichsgesetzblatt 1885, S. 165. 233 A.a.O. 1909, S. 515.

266

1. Abschnitt: Gesamtdeutsche Verfassungsentwicklung (1803/06-1918)

dd. Art. 4 Nr. 4 RV [487.] Durch Art. 4 Nr. 4 RV war das Reich auch für die Gesetzgebung im Bereich der „allgemeinen Bestimmungen über das Bankwesen" zuständig. Allen voran ist hier das das Notenbankwesen regelnde Bankgesetz vom 14. März 1875^^^ einschließlich seiner Novelle vom 18. Dezember 1889^^^ und namentlich die aufgrund der §§ 1 2 - 4 1 dieser Gesetze als deutsche Zentralbank eingerichtete Reichsbank zu erwähnen. Mit der Institutionalisierung der Reichsbank ging das Reich über den Wortlaut von Art. 4 RV weit hinaus. Es hatte auf diese Weise nämlich nicht nur seine auf die „Beaufsichtigung" der Landesbanken beschränkten Rechte verschärft, sondern sich eine eigene und unmittelbare Verwaltung mit einem Hauptsitz in Berlin sowie (im Jahre 190P^^) immerhin 311 „Zweiganstalten", siebzehn Reichsbankhauptstellen, 56 Reichsbankstellen, 223 Reichsbanknebenstellen und fünfzehn Warendepots geschaffen. Insoweit handelte es sich bei dem Bankgesetz jedenfalls um ein verfassungsdurchbrechendes Gesetz. Ebenfalls auf Art. 4 Nr. 4 RV gestützt wurde das Hypothekenbankgesetz vom 13. Juli 1899^^'^ erlassen. ee. Art. 4 Nr. 5 RV [488.] Das Reich besaß gemäß Art. 4 Nr. 5 RV auch die Regelungshoheit über „Erfindungspatente"; also hinsichtlich des Schutzes von gewerblich verwertbaren Erfindungen.^^^ Im Hinblick darauf erging das Patentgesetz vom 15. Mai 1877^^^, welches bereits vierzehn Jahre später durch das Patentgesetz vom 7. April 1891^"^° ersetzt wurde. Diese Patentgesetzgebung hatte verfassungsdurchbrechenden Charakter, denn sie brachte wegen der damit verbundenen Errichtung eines Reichspatentamtes gegenüber der bisher von der Reichsverfassung vorgenommenen Verwaltungskompetenzverteilung eine erhebliche Zuständigkeitsausweitung zugunsten des Reichs mit sich. Dadurch wurde das Patentwesen aus der vormals den Ländern zustehenden Vollzugsbefugnis herausgelöst, welches sich auf diese Weise zu einem Gegenstand reichseigener Verwaltung wandelte.^"^^ Femer erließ man das Gesetz über den Schutz von Gebrauchsmustern vom 1. Juni 189P^^, das Gesetz zum Schutze der Warenzeichen vom 12. Mai 1894^"^^ und das Gesetz über Patentanwälte vom 21. Mai 1900^44. 234 A . a . O . 1875, S. 177. 23^ A . a . O . 1889, S. 2 0 1 . - Weitere Änderungen brachten die Gesetze vom 7. Juni 1899 ( a . a . O . 1899, S. 311), vom 20. Februar 1906 (a. a. O. 1906, S. 318) und vom I . J u n i 1909 ( a . a . O . 1909, S. 515). 23^ Angaben nach E. Bock, Das Staatsrecht des Deutschen Reiches, 1902, S. 415. 23^ Reichsgesetzblattl899, S. 375. 23^ O. Reincke, Die Verfassung des Deutschen Reichs, 1906, S. 80; P. Laband (¥ußn. 222), S. 247.

239 240 241 242 243 244

Reichsgesetzblatt 1 8 7 7 , 8 . 5 0 1 . A.a.O. 1891,8.79. M von Seydel (Fußn. 75), S. 86. Reichsgesetzblatt 1 8 9 1 , 8 . 290. A.a.O. 1894,8. 141. A.a.O. 1900,8.233.

§ 7: Deutscher Bund/Deutsches Reich (1871 - 1918)

267

ff. Art. 4 Nr. 6 RV [489.] Nach Art. 4 Nr. 6 RV stand dem Reich die Gesetzgebimg zum „Schutz des geistigen Eigentums", genauer des Urheberrechts zu. Reichsseitig erlassen wurden darauf gestützt das Gesetz über den Markenschutz vom 30. November 1374245^ das Gesetz, betreffend das Urheberrecht an Werken der bildenden Künste, vom 9. Januar 1876^"^^, das Gesetz, betreffend den Schutz der Photographien gegen unbefugte Nachbildung, vom 10. Januar 1876^'^'^, das Gesetz, betreffend das Urheberrecht an Mustern und Modellen, vom 11. Januar 1876^"^^ sowie das Gesetz, betreffend das Urheberrecht an Werken der Literatur und der Tonkunst, vom 19. Juni 1901249. gg. Art. 4 Nr. 7 RV [490.] Art. 7 Nr. 7 RV gab dem Reich Legislativbefugnisse für die Organisation eines gemeinsamen Schutzes des deutschen Handels im Ausland, der deutschen Schiffahrt und ihrer Flagge zur See und fiir die Anordnung gemeinsamer konsularischer Vertretung. Von diesem Kompetenztitel machte das Reich des öfteren Gebrauch; so etwa mit dem Gesetz, betreffend die Registrierung und die Bezeichnung der Kauffahrteischiffe, vom 28. Juni 1873^^^, dem Gesetz, betreffend die Untersuchung von Seeunfallen, vom 27. Februar 1877^^^ dem Gesetz über die Konsulargerichtsbarkeit vom 10. Juni 1879^^^, dem Gesetz, betreffend Schiffsmeldungen bei den Konsulaten des Deutschen Reiches, vom 25. März 1880^^^, dem Gesetz, betreffend die Küstenfrachtfahrt, vom 22. Mai 188P^4 ^^d dem Gesetz über das Flaggenrecht der Kauffahrteischiffe vom 22. Juni 1899^^^. hfl. Art. 4 Nr. 8 RV [491.] In dem von Art. 4 Nr. 8 RV gesetzten Rahmen konnte das Reich Regelungen über das Eisenbahnwesen (in Bayern allerdings nur vorbehaltlich Art. 46 RV) und die Herstellung von Land- und Wasserstraßen im Interesse der Landesverteidigung und des allgemeinen Verkehrs treffen. [492.] Mit Blick auf das Eisenbahnwesen erging gestützt auf Art. 4 Nr. 8 RV das Gesetz, betreffend die Errichtung eines Reichseisenbahnamtes, vom 27. Juni

245 246 247 248 249 250 251 252 253 254 255

A. a. 0 . A. a. 0 . A. a. 0 . A. a. 0 . A. a. 0 . A. a. 0 . A. a. 0 . A. a. 0 . A. a. 0 . A. a. 0 . A. a. 0 .

1874, S. 143. 1876, S. 4. 1876, S. 8. 1876, S. 11. 1901, S. 227. 1873, S. 184. 1877, S. 549. 1879, S. 197. 1880, S. 181. 1881, S. 97. 1899, S. 319.

268

1. Abschnitt: Gesamtdeutsche Verfassungsentwicklung (1803/06-1918)

1873^^^. Darin wurde dem neu geschaffenen Reichseisenbahnamt eine dem Reich über die bisher in den Art. 42 - 45 RV enthaltene bloße Aufsicht hinausgehende unmittelbare Vollzugsgewalt hinsichtlich der allein den Landeseisenbahnverwaltungen zustehenden Regelung und Durchführung der Betriebsangelegenheiten eingeräumt.^^^ Wenngleich eine förmliche Bezugnahme des Gesetzes auf die mit ihm bewirkte Änderung der erwähnten Reichsverfassungsbestimmungen fehlte, so wurde aber immerhin das von Art. 78 Abs. 1 RV für verfassungsändernde Gesetze im Bundesrat vorgesehene Stimmenquomm - nur Württemberg und beide Mecklenburg stimmten dagegen - problemlos erreicht. Es handelte sich daher bei diesem Gesetz um ein seinerzeit durchaus zulässigerweise ergangenes verfassungsdurchbrechendes Gesetz. Des weiteren wurde Gebrauch gemacht von der Eisenbahnkompetenznorm des Art. 4 Nr. 8 RV mit dem „Eisenbahnpostgesetz" vom 20. Dezember 1875^^^. Die in den Jahren 1874 und 1875 vom Reichseisenbahnamt ausgearbeiteten Entwürfe eines die unmittelbare Aufsicht und Verwaltung anstrebenden Reichseisenbahngesetzes^^^ scheiterten am Widerstand der in erster Linie betroffenen größeren Einzelstaaten und der Inhaber der zahlreichen Privatbahnen.2^° Insgesamt kam die Regelung eines einheitlichen Reichseisenbahnwesens bis 1918 über einige Ansätze nicht hinaus. [493.] Obendrein war das Reich zwar regelungsbefugt für die sich auf die Herstellung von Land- und Wasserstraßen beziehenden Angelegenheiten. Doch handelte es sich bei diesen Verkehrswegen selbst dann um grundsätzlich den Landesverwaltungen unterstellte öffentliche Einrichtungen. Eine Ausnahme sollte unter Berufung auf Art. 53 Abs. 3 RV lediglich hinsichtlich des in erster Linie „für die Benutzung durch die deutsche Kriegsflotte" bestimmten Nordostseekanals („Kaiser-Wilhelm-Kanal") gelten.^^^ Dementsprechend wurde die Fertigstellung des Kanals einer Reichsbehörde, der eigens dafür durch Kaiserliche Verordnung vom 17. Juni 1886 ins Leben gerufenen Kaiserlichen Kanalkommission, übertragen; die Unterhaltung, der Betrieb und die Erweiterung des Kanals lag dann in den Händen des durch Kaiserliche Verordnung vom 15. Juni 1895^^^ gegründeten Kanalamts. Anläßlich der Errichtung des Kanals erging das Gesetz, betreffend die Herstellung des Nordostseekanals, vom 16. März 1886^^^. Hinsichtlich der Nutzung wurden später die Gesetze, betreffend den Abgabentarif für den KaiserWilhekn-Kanal, vom 27. Mai 1896^^"^ und über den Gebührentarif für den Kaiser-

256 A.a.O. 1873, S. 164. 257 M.von Seydel (Fußn. 75), S. 89; vgl. auch A . Haenel (Fußn. 75), S. 659 f.; a. A. offenbar P. Laband{¥uRn. 100), S. 138. 25^ Gesetz, betreffend die Abänderung des Gesetzes über das Postwesen etc., vom 20. Dezember 1875 (Reichsgesetzblatt 1875, S. 318). 259 Texte in Annalen des Deutschen Reichs 1874, Sp. 891 ff und 1875, Sp. 1225 ff 26^ R. Morsey, Die Aufgaben des Norddeutschen Bundes und des Reiches, in: K. G. A. Jeserich/H. Pohl/G.-Chr. von Unruh (Hrsg.), Deutsche Verwaltungsgeschichte, Bd. 3: Das Deutsche Reich bis zum Ende der Monarchie, 1984, S. 138 (154). 261 A . Haenel (Fußn. 75), S. 625. 262 Reichsgesetzblattl895, S. 349. 263 A.a.O. 1886,8.58. 264 A.a.O. 1896,8.150.

§ 7: Deutscher Bund/Deutsches Reich (1871 - 1918)

269

Wilhelm-Kanal vom 8. Juni 1912^^^ erlassen. Ansonsten verhielt sich das Reich bei der Gesetzgebung im Bereich des Land- und Wasserstraßenwesens weitgehend abstinent. //. Art. 4 Nr. 9 RV [494.] Gemäß Art. 4 Nr. 9 RV hatte der Bund die Gesetzgebungskompetenz für die Flößerei- und den Schiffahrtsbetrieb auf den mehreren Staaten gemeinsamen Wasserstraßen und für den Zustand der letzteren, sowie für die Fluß- und sonstigen Wasserzölle. Die Zuständigkeit des Reiches bestand hier, sobald ein schiffbzw. flößbares Binnengewässer mehr als nur einem der Bundesländer als Verkehrsader diente. Es sollte nach zeitgenössischer Auffassung nicht darauf ankommen, ob die Wasserstraßen mehrere Ländern durchfließen, sondern nur darauf, ob sie von mehreren als Wasserstraßen genutzt wurden, und zwar selbst dann, wenn sie nur in einem Bundesstaat lagen.^^^ Dies zielte auf die Herstellung und Gewährleistung des freien Handels- und Personenschiffsverkehrs auf allen Binnenwasserstraßen von nationaler Bedeutung innerhalb des Reichs, auf die technischen Vorschriften über die Verhältnisse im Fahrwasser und der Häfen sowie auf die Unterhaltung der Gewässer.^^^ Durch das „ Gesetz, betreffend einen Zusatz zu dem Artikel 4 Nr. 9 der Reichsverfassung,'' vom 3. März 1873^^^ erfrihr dieser Zuständigkeit eine Ausweitung auf Seeschiffahrtszeichen. Zuvor war diese den Ländern (Preußen, beide Mecklenburg, Oldenburg, Hamburg, Bremen, Lübeck) als Anrainer der jeweiligen Küstengewässer vorbehalten und sollte es schon nach dem Willen des konstituierenden Reichstages für den Norddeutschen Bund auch ausdrückUch bleiben. Deshalb wurde ein seinerzeitiges, an die §§20 Abs. 1 FRV und EV angelehntes Amendment, „die Anstalten für die Seeschiffahrt (Häfen, Seetonnen, Leuchttürme, das Lotsenwesen, das Fahrwasser u. s. w.)" in den mit dem Art. 4 Nr. 9 RV gleichlautenden Art. 4 Nr. 9 NBV aufzunehmen, abgelehnt.^^^ Ungeachtet der sich daran in der Folgezeit anschließenden Bestrebungen im Reichstag des Norddeutschen Bundes wie auch des Deutschen Reiches, die Seeschiffahrtsanstalten doch noch insgesamt dem Kompetenzbereich des Bundes bzw. Reiches zuzuführen, gelang dies schließlich angesichts partikularistischer Widerstände im Bundesrat nur für den begrenzten Bereich der Seeschiffahrtszeichen. Dies war ein Lehrstück, wie sich auch im Reich partikulare Interessen gegenüber unitarischen Tendenzen zu behaupten vermochten, wie der Bundesrat allzu „forschen" Vorstößen des Reichstags die Spitze nahm. Auf Art. 4 Nr. 9 RV stützte das Reich unter anderem den Erlaß des Gesetzes, betreffend die deutsche Seewarte, vom 8. Januar 1875^^^, des Gesetzes, betreffend die Erhebung einer Schiffahrtsabgabe auf der

265 266 267 268 269

A.a.O. 1912,8.377. A . Arndt (Fußn. 21), 168; A . Haenel (Fußn. 75), S. 626. A . Haenel (Fußn. 75), S. 626. Dok. 136/2. Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Reichstages des Norddeutschen Bundes im Jahre 1867, Sitzung vom 20. März 1867, S. 279 ff. 270 Reichsgesetzblatt 1875, S. 11.

270

1. Abschnitt: Gesamtdeutsche Verfassungsentwicklung (1803/06-1918)

Unterweser, vom 5. April 1886^'^^ und den Erlaß der Verordnung des Bundesrats über die Bezeichnung der Fahrwasser und Untiefen in den deutschen Küstengewässem vom 13. Mai 1912^^^. jj. Art. 4 Nr. 10 RV [495.] Der das Post- und Telegraphenwesen betreffende Art. 4 Nr. 10 RV sicherte dem Reich in diesen Bereichen die Regelungszuständigkeit über die räumliche Beförderung von Personen, Gütern und Nachrichten durch „einheitliche Staatsverkehrs-Anstalten" im gesamten Reichsgebiet (vgl. auch Art. 48 RV). Auf diesen Titel gestützt erließ das Reich in der Folgezeit im wesentlichen die Gesetze über das Postwesen des Deutschen Reichs und über das Posttaxwesen im Gebiete des Deutschen Reichs jeweils vom 28. Oktober 187P^^ sowie die Gesetze zur Ausführung des internationalen Vertrags zum Schutze der überseeischen Telegraphenkabel (vom 14. März 1884) vom 21. November 18872'74 und über das Telegraphenwesen des Deutschen Reiches vom 6. April 1892^^^. Anläßlich des Entwurfs eines Postsparkassengesetzes sollte Art. 4 Nr. 10 RV in den Jahren 1884/85 eine um die Möglichkeit zur Einführung von Postsparkassen erweiterte Fassung erhalten. Doch ließ der Reichstag diesen Entwurf unerledigt.^^^ kk. Art. 4 Nr. 11 RV [496.] Die Zuständigkeitsnorm des Art. 4 Nr. 11 RV betraf den Erlaß von Bestimmungen über die wechselseitige Vollstreckung von Erkenntnissen in Zivilsachen und die Erledigung von Requisitionen. Innerhalb dieses Kompetenzrahmens verpflichtete man reichsseitig durch die Statuierung der §§157 ff. des Gerichtsverfassungsgesetzes vom 27. Januar 1877 alle Zivil- und Strafgerichte im Reich zur gegenseitigen Leistung von Rechtshilfe. Entsprechendes für die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit wurde durch § 2 des Gesetzes über die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit vom 17. Mai 1898^"^^ geregelt. IL Art. 4 Nr. 12 RV [491.\ Von der in Art. 4 Nr. 12 RV dem Reich zugewiesenen Regelungskompetenz hinsichtlich der Beglaubigung von öffentlichen Urkunden wurde mittels Gesetz, betreffend die Beglaubigung öffentlicher Urkunden, vom I.Mai 1878^^^ Gebrauch gemacht. 271 272 273 274 275 276

A. a.O. 1886, S.67. A. a. O. 1912, S. 302. A . a . O . 1871,8.347 und 358. A . a . O . 1887,8.169. A . a . O . 1892,8.467. Ygi Stenographische Berichte des deutschen Reichtags, 6. Legislaturperiode, I. Session, 1885, S. 793 ff. (insbesondere S. 811). 277 Reichsgesetzblatt 1898, S. 189. 278 A . a . O . 1878,8.89.

§ 7: Deutscher Bund/Deutsches Reich ( 1 8 7 1 - 1 9 1 8 )

271

mm. Art. 4 Nr. 13 RV [498.] Nach Art. 4 Nr. 13 RV besaß das Reich zunächst die Gesetzgebungszuständigkeit über das Strafrecht sowie mit dem Obligationen-, Handels- und Wechselrecht einschließlich des jeweils dazugehörigen gerichtlichen Verfahrens auch über Teile des Zivilrechts. Die hierin vorgezeichnete Vereinheitlichung des gesamtdeutschen materiellen Rechts wie des Prozeßrechts blieb indes zunächst unvollkommen. Fehlte doch die verfassungsrechtliche Kompetenz des Reiches für die Schaffung eines insgesamt einheitlichen Zivil- und Zivilprozeßrechts. Ersten von den Reichstagsabgeordneten Lasker und Miquel initiierten Bemühungen um Abhilfe^^^ stimmte der Reichstag zwar bereits am 15. November 1871 nach der Überwindung konservativer und partikularistischer Widerstände mit großer Mehrheit zu.^^° Doch scheiterte diese Initiative vorerst im Bundesrat. Gleichwohl verschwand die Thematik nicht von der rechtspolitischen Agenda. Denn der Reichstag erneuerte in zwei aufeinanderfolgenden Sessionen seinen ursprünglichen Beschluß.^^^ Nach heftigen Auseinandersetzungen und einem gefundenen Kompromiß - man verständigte sich vor der dritten Beschlußfassung auf die Weglassung des in der Kompetenzbestimmung zum gerichtlichen Verfahren bis dahin enthaltenen Zusatzes „einschließlich der Gerichtsorganisation"^^^ - nahm der Reichstag am 3. April 1873 die Änderung des Art. 4 Nr. 13 RV ein weiteres Mal an. Diesmal trat auch der Bundesrat (am 12. Dezember 1873) nur noch gegen die Stimmen beider Mecklenburg und Reuß ä. L. bei. Dementsprechend konnte das „ Gesetz, betreffend die Abänderung der Nr. 13 des Artikels 4 der Verfassung des Deutschen Reichs'', vom 20. Dezember 1873'^^'^ mit dem sich nunmehr auch auf das „gesammte bürgerliche Recht" erstreckenden Art. 4 Nr. 13 RV gemäß Art. 2 Satz 3 RV am 7. Januar 1874 endlich in Kraft treten. [499.] Der zuvor bereits durch das noch aus der Zeit des Norddeutschen Bundes stammende und durch das Reichsstrafgesetzbuch vom 15. Mai 1871^^"^ abgelöste Strafgesetzbuch für den Norddeutschen Bund vom 31. Mai 1870^^^ begonnene rechtsvereinheitlichende Weg des Reiches in die großen Kodifikationen konnte damit weiter beschritten werden. Meilensteine dieser Entwicklung waren sicherlich die im Jahre 1877 und 1878 einschließlich der dazu gehörigen Einführungsgesetze^^^ mit Wirkung zum 1. Oktober 1879 erlassenen sogenannten „Reichsjustizgesetze". Hierzu gehörten neben dem Gerichtsverfassungsgesetz vom 27. Januar

^'^ Stenographische Berichte des deutschen Reichtags, 1. Legislaturperiode, IL Session, 1871, Bd. 22 Anlagen S. 71 f. 280 A.a. O., S.206-290. 28^ A. a. O., IIL Session, 1872, Bd. 26 Anlagen S. 260 (angenommenen am 5. Juni 1872) und a. a. O., IV. Session, 1873, Bd. 29 S. 138 (angenommenen am 3. April 1873). 282 283 284 285 286

A. a. O., IV. Session, 1873, Bd. 27 S. 2 1 1 . Dok. 136/3. Reichsgesetzblatt 1871, S. 127. Bundesgesetzblatt 1870, S. 197. Einfuhrungsgesetz zum Gerichtsverfassungsgesetz vom 27. Januar 1877 (Reichsgesetzblatt 1877, S. 77), Einfuhrungsgesetz zur Zivilprozeßordnung (a. a. O., S. 244), Einfuhrungsgesetz zur Strafprozeßordnung vom 1. Februar 1877 (a. a. O., S. 346).

272

1. Abschnitt: Gesamtdeutsche Verfassungsentwicklung (1803/06-1918)

1377287^ die Zivilprozeßordnung vom 30. Januar 1877^^^ die Stra^rozeßordnung vom I.Februar 1877^^^, die Konkursordnung vom 10. Februar 1877^^^, die Rechtsanwaltsordnung vom 1. Juli 1878^^^ das Gerichtskostengesetz vom 18. Juni jg7g292 sowie die Gebührenordnungen für Gerichtsvollzieher vom 24. Juni 1878^^^ und für Zeugen und Sachverständige vom 30. Juni 1878^^"^. Hinzu kamen als gewiß nicht weniger bedeutsame kodifikatorische Reichsgesetze das Bürgerliche Gesetzbuch vom 18. August 1896^^^ nebst Einführungsgesetz^^^ und das eigentlich noch vom Deutschen Bund aus dem Jahre 1861 stammende, nunmehr neu gefaßte Handelsgesetzbuch^^^ mit Einführungsgesetz^^^ vom 10. Mai 1897. Insbesondere mit Art. 4 Nr. 13 wies die Reichsverfassung den Weg über die Rechtseinheit hinaus in den gesamtdeutschen Rechtsstaat. [500.] Jenseits der großen Kodifikationen gab es auch eine Fülle sonstiger auf der Grundlage des Art. 4 Nr. 13 RV erlassener Gesetzgebungsakte des Reiches. Hierher gehören beispielsweise Gesetze wie diejenigen, betreffend die Inhaberpapiere mit Prämien, vom 8. Juni 187P^^, betreffend das Alter der Großjährigkeit, vom 17. Februar 1875^°^, betreffend die Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften, vom 1. Mai 1889^°^ betreffend die Genossenschaften mit beschränkter Haftung, vom 20. April 1892^°^, betreffend die Einführung einer einheitlichen Zeitbestimmung, vom 12. März 1893^^^, betreffend die Abzahlungsgeschäfte, vom 16. Mai 1894^04 Q^Q^ zur Bekämpfung des unlauteren Wettbewerbs vom 27. Mai 1896^05. nn. Art. 4 Nr. 14 RV [501.] Nach Art. 4 Nr. 14 RV unterlag auch das Reichsmilitärwesen und die Kriegsmarine der Gesetzgebungskompetenz des Reiches. Für das Reichsmilitärwesen war dabei der ergänzende Rahmen der Art. 5 8 - 6 8 RV, für die Kriegsmarine derjenige des Art. 53 RV zu beachten. Auf diese Weise sollte das Reich in 287

A. a. 0 . , S . 4 1 . A. a. O. ,S. 83. 289 A. a. 0 . , S.253. 290 A. a. 0 . , S.35L 291 A. a. 0 . 1878, S.177. 292 A. a. 0 . , S. 141. 293 A. a. 0 . , S. 166. 294 A. a. 0 . ,S. 173. 295 A. a. O. 1896, S.195. 296 A. a. 0 . , S. 604. 297 A. a. O. 1897,8.219. 298 A. a. 0 . ,8.437. 299 A. a. 0 . 1871,8.210. 300 A. a. 0 . 1875,8.71. 301 A. a. O. 1889,8.55. 302 A. a. 0 . 1892,8.477. 303 A. a. 0 . 1893,8.93. 304 A. a. O. 1894,8.450. 305 A.a.O. 1896,8.145. 288

§ 7: Deutscher Bund/Deutsches Reich (1871 - 1918)

273

den Stand versetzt sein, die noch zur Zeit der Errichtung des Norddeutschen Bundes jedem einzelnen deutschen Staat zustehende Militärhoheit einschließlich der daraus resultierenden besonderen Militärorganisation durch ein einheitliches und gemeinverbindliches, alle Aspekte des Heer- und Marinewesens vollständig regekides Militärrecht zu schaffen.^^^ [502.] Die Herstellung der Rechtseinheit hatte bekanntlich dadurch zu erfolgen, daß der Geltungsbereich der preußischen Militärgesetzgebung mit Ausnahme der Militärkirchenordnung auf das gesamte Bundes- bzw. Reichsgebiet ausgedehnt wurde (Art. 61 Abs. 1 RV). Doch handelte es sich bei der derart hergestellten Rechtseinheit nur um ein Provisorium, da Art. 61 Abs. 2 RV ausdrücklich die endgültige Kodifizierung des Militärrechts durch ein „umfassendes ReichsMilitairgesetz" vorgab. Allerdings fand aufgrund des Art. 3 § 5 des Bündnisvertrages vom 23. November 1870 und der Schlußbestimmung zum XL Abschnitt der Reichsverfassung Art. 61 RV insgesamt auf Bayern keine Anwendung. Dementsprechend zerfiel das Militärrecht des Deutschen Reiches formell in einen preußischen und einen bayerischen Rechtskreis. [503.] Das von Art. 61 Abs. 2 RV in Aussicht gestellte umfassende Reichsmilitärgesetz wurde niemals erlassen. Stattdessen regelte man das Militärrecht durch eine Vielzahl von Spezialgesetzen. Dies betraf zunächst die Wehrpflicht, die Heeresorganisation und die Rechtsverhältnisse der Militärangehörigen: Ausgangspunkt bildete insoweit das als Reichsgesetz weitergeltende, bereits seit 1871 auch in den süddeutschen Staaten und seit 1872 in Elsaß-Lothringen eingeführte Wehrgesetz des Norddeutschen Bundes vom 9. November 1867^°'^. Es wurde durch die Reichsgesetzgebung in den Jahren 1888, 1890, 1905 und 1913 novelliert;^^^ wegen der ausdrücklich auf Art. 59 (Abs. 1) Satz 1 RV zielenden Modifikationen sind dabei die jeweiligen Art. 1 der Gesetze, betreffend die Änderungen der Wehrpflicht, vom IL Februar 1888^^'^ und vom 15. April 1905^^^ hervorzuheben. Hinzu kam das Wehrgesetz für die Schutzgebiete vom 22. Juli 1913^^^ Des weiteren erging das in der Folgezeit häufig (1880, 1885, 1887, 1890, 1893, 1899, 1912 und 1913^^2) geänderte und ergänzte Reichsmilitärgesetz vom 2. Mai 1874, das Reichsgesetz über die freiwillige Gerichtsbarkeit in Heer und Marine vom 28. Mai 190P^^ das bis 1888 geltende Gesetz über den Landsturm vom 12. Februar

306 p . Laband{¥u{!^n. 100), S. 12 f. 30'7 Gesetz, betreffend die Verpflichtung zum Kriegsdienste, vom 9. November 1867 (Bundesgesetzblatt 1867, S. 131). 30^ Gesetze v o m 11. Februar 1888 (Reichsgesetzblatt 1888, S. 11), v o m 8. Februar 1890 (a. a. O. 1890, S. 23) und vom 15. April 1905 (a. a. O. 1905, S. 249) sowie Art. 2 des Gesetzes vom 22. Juli 1913 (a. a. O. 1913, S. 596). 309 Dok. 136/4. 310 Dok. 136/8. 311 Reichsgesetzblatt 1913, S. 610. 312 Gesetze v o m 6. Mai 1880 (a. a. O. 1880, S. 103), vom 3 1 . März 1885 (a. a. O. 1885, S. 81), v o m 11. März 1887 (a. a. O. 1887, S. 117), v o m 27. Januar 1890 (a. a. O. 1890, S. 7), vom 26. Mai 1893 (a. a. O. 1893, S. 185), v o m 25. März 1899 (a. a. O. 1899, S. 215) und v o m 14. Juni 1912 (a. a. O. 1912, S. 391) sowie Art. 1 des Gesetzes vom 22. Juli 1913 (a. a. O. 1913, S. 593). 313 A.a.O. 1901, S. 185.

274

1. Abschnitt: Gesamtdeutsche Verfassungsentwicklung (1803/06-1918)

1875^^"^ und das „Gesetz, betreffend die Ausübung der militärischen Controle über die Personen des Beurlaubtenstandes, die Uebungen derselben, sowie die gegen sie zulässigen Disciplinarstrafmittel", vom 15. Februar 1875^^^. Überdies wurden nach Maßgabe des Art. 60 RV fiir die Zeit ab dem 1. Januar 1872 in den Jahren 1871, 1880, 1887, 1890, 1893, 1899, 1905, 1911, 1912 und 1913 Gesetze zur Friedenspräsenzstärke des Heeres^^^ erlassen, welche die Truppenzahl zunächst seit 1874 am jährlichen Budgetbeschluß des Reichstages vorbei fiir jeweils sieben Jahre (sog. „Septennat") und infolge der sich deswegen verschärfenden Auseinandersetzungen mit dem Reichstag fiir die Jahre 1894 bis 1904 auf je fiinf Jahre (sog. „Quinquennat") im voraus festschrieben, um danach bis 1910 zu einer sich stetig erhöhenden jährlich durch das Haushaltsgesetz zu bestimmenden Präsenzstärke zu gelangen. Danach galt noch einmal ein Quinquennat.^^'^ Insgesamt wuchs so der Friedensstand der Truppe ständig an. Als Begründungen dafür dienten bald französische und russische Rüstungsanstrengungen, seit 1889 auch die durch geburtenstarke Jahrgänge rasant angestiegene Zahl der Wehrpflichtigen. Belief sich der Friedensstand 1872 auf ca. 401.000 Mann und 1888 erst auf ca. 427.000 Mann, so betrug er 1904 bereits ca. 500.000 Mann und sollte bis 1916 auf 661.478 Mann gesteigert werden. In diesen Zahlen war noch nicht berücksichtigt, daß anfangs absolute Obergrenzen festgesetzt wurden, während man seit 1893 die Personalstärke nur als Jahresdurchschnittszahl und lediglich auf die Mannschaften (ohne Unteroffiziere, Offiziere und die „Einjährig-Freiwilligen") bezogen fixierte. Tatsächlich übertraf der Friedensumfang des Heeres daher die Zahl der jeweils gesetzlich vorgegebenen Truppenzahl noch beträchtlich. Femer wurden mit dem Gesetz, betreffend die Ersatzverteilung, vom 25. Mai 1893^^^ Regelungen zur Rekrutierung dienstfähiger Mannschaften geschaffen. Das Militärstrafi*echt war mit dem letztmalig 1914 modifizierten^^^ Militärstrafgesetzbuch vom 20. Juni 1872^^^, das Militärstrafverfahren durch die in den Jahren 1911 und 1913 geänderte^^^ Militärstrafgerichtsordnung vom I.Dezember 1898^^^ geregelt. Selbst Kuriositäten, wie das Gesetz, betreffend den Schutz der Brieftauben und des Brieftaubenverkehrs im Kriege, vom 28. Mai 1894^^^, fanden in der Reichsgesetzgebung Berücksichti^14 A.a.O. 1875,8.63. 31^ A.a.O., S. 65. ^1^ Gesetze vom 9. Dezember 1871 (a. a. O. 1871, S. 411), vom 6. Mai 1880 (a. a. O. 1880, S. 103), vom 11. März 1887 (a. a. O. 1887, S. 117), vom 15. Juli 1890 (a. a. O., S. 140), vom 3. August 1893 (a.a.O. 1893, S. 233), vom 25. März 1899 (a. a. O. 1899, S.213), vom 15. April 1905 (a.a.O. 1905, S. 249), vom 27. März 1911 (a.a.O. 1911, S. 99), vom 14. Juni 1912 (a. a. O. 1912, S. 389) und vom 3. Juli 1913 (a. a. O. 1913, S. 496). ^^^ Einzelheiten zu dem System der Bewilligungsgesetze und den Auseinandersetzungen mit dem zunehmend auf sein jährliches Budgetrecht pochenden Reichstag bei E. R. Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789, Bd. 4: Struktur und Krisen des Kaiserreichs, 2. Aufl., 1982, S. 550 ff. 318 Dok. 136/6. 319 Gesetz vom 14. JuH 1914 (Reichsgesetzblatt 1914, S. 247). ^20 A.a.O. 1872, S. 173. ^^^ Gesetze vom 6. Februar 1911 (a.a.O. 1911, S. 31) und vom 8. August 1913 (a. a. O. 1913, S. 621). 322 A.a.O. 1898, S. 1189. 323 A.a.O. 1894, S. 463.

§ 7: Deutscher Bund/Deutsches Reich (1871 - 1918)

275

gung. Mit Blick auf die Pensionierung und Versorgung der Militärangehörigen, ihrer Angehörigen und Hinterbliebenen wurde zunächst das „Pensionsgesetz" vom 27. Juni 1871^^"^ erlassen, an dessen Stelle nach zahlreichen Änderungen die dann 1909 und 1913 weitere Male modifizierten^^^ beiden Pensionsgesetze vom 31. Mai 1906326 traten. Überdies erließ das Reich u. a. das später durch Gesetz vom 18. Juni 190P^^ novellierte Gesetz, betreffend die Fürsorge für Beamte und Personen des Soldatenstandes infolge von Betriebsunfällen, vom 15. März 1886^^^, das Gesetz, betreffend die Fürsorge fiir Witwen und Waisen von Angehörigen des Reichsheeres und der kaiserlichen Marine, vom 17. Juni 1887^^^, das Gesetz, betreffend die Unterstützung von Familien in den Dienst eingetretener Mannschaften, vom 28. Februar 1888^^°, das Gesetz, betreffend die Unterstützung der zu Friedensübungen einberufenen Marmschaften, vom 12. Mai 1892^^^ und das Gesetz über die Fürsorge fiir militärische Luftschiffer vom 29. Juni 1912^^^. [504.] Mit Blick auf die Militärlasten entwickelte sich im Laufe der Jahre ebenfalls eine reichhaltige Gesetzgebung. Diese baute hinsichthch der im Frieden von der Zivilbevölkerung und zivilen öffentlichen Stellen zu tragenden Lasten auf dem noch vom Norddeutschen Bund herrührenden, als Reichsgesetz übernommenen und seit 1875 auch in Bayern geltenden^^^ Gesetz, betreffend die Quartierleistung für die bewaffnete Macht während des Friedensstandes etc., vom 25. Juni 1868^^"^ auf. Ihm folgt das Gesetz über Naturalleistungen für die bewaffiiete Macht im Frieden vom 13. Februar 1875^^^ und die Gesetze, betreffend den Servistarif, vom 28. Mai 1887 und 26. Juli 1897^^6. Mit Blick auf zu tragende Kriegslasten erging das Gesetz, über die Kriegsleistungen vom 13. Juni 1873^^^. Weitere Beschränkungen, namentlich des Grundeigentums, sahen das Festungsrayongesetz vom 21. Dezember 187P^^ und das Reichskriegshafengesetz vom 19. Juni 1883^^^ vor.

^^^ Gesetz, betreffend die Pensionierung und Versorgung der Militärpersonen des Reichsheeres und der kaiserlichen Marine, sowie die Bewilligungen für die Hinterbliebenen solcher Personen vom 27. Juni 1871 (a. a. O. 1871, S. 275). ^^^ Besoldungsgesetz vom 15. Juli 1909 (a. a. O. 1909, S. 573), Art. 3 des Gesetzes vom 3. Juli 1913 (a.a.O. 1913,8.321). 326 A.a.O. 1906, S. 565 und 593. 327 A.a.O. 1901,8.211. 328 A.a.O. 1886,8.53. 329 A.a.O. 1887,8.237. 330 A.a.O. 1888,8.59. 331 A.a.O. 1892,8.661. 332 A.a.O. 1912,8.415. 333 Gesetz v o m 9. Februar 1875 (a. a. O. 1875, 8. 41). 334 Bundesgesetzblattl868, 8. 523.

335 A. a. O. 1875, 8. 52. - Das Quartierleistungs- und das Naturalleistungsgesetz wurden später durch die Gesetze vom 2 1 . Juni 1887 (Reichsgesetzblatt 1887, 8. 245), v o m 24. Mai 1898 (a. a. O. 1898, 8. 357) v o m 9. Juni 1906 (a. a. O. 1906, 8. 735) und 2 1 . Juni 1913 (a. a. O. 1913, 8. 433) geändert. 336 A. a. O. 1887, 8. 159 und a. a. O. 1897, 8. 619. 337 A.a.O. 1873,8. 129. 338 Gesetz, betreffend die Beschränkungen des Grundeigenthums in der Umgebung von Festungen, vom 21. Dezember 1871 (a. a. O. 1871, 8. 129). Gesetz, betreffend die Reichskriegshäfen, vom 19. Juni 1883 (a. a. O. 1883, 8. 105).

276

1. Abschnitt: Gesamtdeutsche Verfassungsentwicklung (1803/06-1918)

[505.] Für die Organisation der Kriegsmarine gab es bis kurz vor der Jahrhundertwende außer der Bestimmung des Art. 53 Abs. 1 RV keine gesetzlichen Normen. Danach lag die Organisationsgewalt für die Flotte zwar allein beim Kaiser. Doch bedurfte es für die Ausstattung und Präsenz der Seestreitmacht Geldmittel, die dem Ausgabenbewilligungsrecht von Bundesrat und Reichstag unterlagen. Im Hinblick darauf erwies es sich als immer dringlicher, den Schiffs- und den Personalbestand der Kriegsmarine gesetzlich zu fixieren; was namentlich für die über längere Zeiträume hinweg festzulegenden Schiffsbauprogramme galt. Dies geschah endlich mit dem Flottengesetz vom 10. April 1898^"^°. An dessen Stelle trat jedoch schon zwei Jahre später das Flottengesetz vom 14. Juni 1900^"^^ das nach seinen 1906, 1908 und 1912 erfolgten Abänderungen^'^^ in Gestalt des Gesetzes vom 27. Juni 1912^"^^ seine letzte Fassung erhielt. 00. Art. 4 Nr. 15RV [506.] Femer hatte das Reich aufgrund von Art. 4 Nr. 15 RV Gesetzgebungskompetenzen mit Blick auf „Maßregeln der Medizinal- und Veterinärpolizei". Das Medizinalwesen umfaßte die Sorge für die Verhütung des Ausbruchs oder der Verbreitung und die Heilung menschlicher Krankheiten;^'^^ ßxx das Veterinärwesen galt entsprechendes für Krankheiten des Viehs, nicht zuletzt mit Blick auf die Vermeidung und Eindämmung von Viehseuchen.^"^^ Auch von diesen Kompetenzen machte der Reichsgesetzgeber ausgiebig Gebrauch. [507.] Im Rahmen seiner Zuständigkeiten für das Medizinalwesen erließ er zunächst das Impfgesetz vom 8. April 1874^^^ und später in die gleiche Richtung zielend das Gesetz, betreffend die Bekämpfung gemeingefährlicher Krankheiten („Seuchengesetz"), vom 30. Juni 1900^^^. Ebenfalls auf den Kompetenztitel „Medizinalwesen" basierten so unterschiedliche Gesetze wie dasjenige zum Schutz des Genfer Neutralitätszeichens vom 22. März 1902^"^^, betreffend den Verkehr mit blei- und zinkhaltigen Gegenständen, vom 25. Mai 1887^^^ und das Gesetz, betreffend die Phosphorzündwaren, vom 10. Mai 1903^^^. [508.] Hinzu kamen eine Fülle von Gesetzen die im weitesten Sinne der Lebensmittelsicherheit dienten, wie etwa das Gesetz, betreffend den Verkehr mit Nahrungsmitteln, Genußmittehi und Gebrauchsgegenständen, vom 14. Mai

^"^^ A.a.O. 1898, S. 165. 341 A. a. O. 1900, S. 255. 342 Gesetze vom 5. Juni 1906 ( a . a . O . , S. 240), vom 6. April 1908 und vom 14. Juni ( a . a . O . 1912, S. 422).

343 344 345 346 347 348

A. a. O., S. 435. o. Reincke (Fußn. 235), S. 123; P. Laband{VuM. G. MeyerlG. Anschütz (Fußn. 191), S. 828. Reichsgesetzblattl874, S. 31. A. a. O. 1900, S. 306. A. a. O. 1902, S. 125.

349 A . a . O . 1887, S. 273.

350 A.a.O. 1903,8.217.

222), S. 273.

1912

§ 7: Deutscher Bund/Deutsches Reich (1871 - 1918)

277

1879351^ das Gesetz, betreffend die Verwendung gesundheitsschädlicher Farben bei der Herstellung von Nahrungsmitteln, Genußmitteln und Gebrauchsgegenständen, vom 5. Juli 1887^^^ sowie das bis 1897 geltende Gesetz, betreffend den Verkehr mit Ersatzmitteln für Butter, vom 12. Juli 1887^^^ und das Gesetz, betreffend den Verkehr mit Butter, Käse, Schmalz und deren Ersatzmittehi, vom 15. Juni j 897354 Insoweit ebenfalls einschlägig war das Gesetz, betreffend den Verkehr mit Wein, weinhaltigen und weinähnhchen Getränken, vom 20. April 1892^^^; letzteres ersetzte man nachmals durch das Weingesetz vom 7. April 1909^^^. Ferner wurde das Gesetz, betreffend den Verkehr mit künstlichen Süßstoffen, vom 6. Juh 1898^^^ erlassen, welches später dem Süßstoffgesetz vom 7. Juli 1902^^^ zu weichen hatte. Von immenser Bedeutung für den Emährungssektor waren schließlich das Gesetz über den Schlachtvieh- und Fleischbeschau vom 3. Juni 1900^^^ und das Gesetz über die Bekämpümg der Reblaus vom 6. Juh 1904^^°. [509.] Im Bereich des Veterinärwesens existierte bereits das aus der Zeit des Norddeutschen Bundes stammende und als Reichsgesetz übemomrnene Gesetz, betreffend Maßregeln gegen die Rinderpest, vom 7. April 1869^^^ Selbst gesetzgeberisch tätig wurde das Reich etwa mit dem Gesetz, betreffend die Beseitigung von Ansteckungsstoffen bei Viehbeförderungen auf Eisenbahnen, vom 25. Februar 1876^^^, mit dem Gesetz, betreffend Zuwiderhandlungen gegen die zur Abwehr der Rinderpest erlassenen Vieheinfuhrverbote, vom 21. Mai 1878^^^ sowie mit dem Gesetz, betreffend die Abwehr und Unterdrückung von Viehseuchen, vom 23. Juni 1880^^"^; das letztgenaimte wurde später durch das Viehseuchengesetz vom 26. Juni 1909^^^ aufgehoben, welches seinerseits wiederum Ergänzungen durch das Gesetz, betreffend die Beseitigung von Tierkadavem, vom 17. Juni 191P66 erfuhr.

353

^^^ 3^5 3^6 3^^ 35^ 359 360 36^ 362 363 364 365 366

A.a.O. 1879, S. 145. A.a.O. 1887,8.277. A. a. O., S. 375. A.a.O. 1897,8.475. A.a.O. 1892,8.597. A. a. O. 1909, S. 393. A.a.O. 1898,8.919. A. a. O. 1902, S. 253. A. a. O. 1900, S. 547. A.a.O. 1904,8.261. Bundesgesetzblatt 1869, S. 105. Reichsgesetzblatt 1876, S. 163. A.a.O. 1878,8.95. A. a. O. 1880, S. 153; geändert durch Gesetz vom 1. Mai 1894 (a. a. O. 1894, S. 405). A.a.O. 1909,8.519. A.a.O. 1911,8.248.

278

1. Abschnitt: Gesamtdeutsche Verfassungsentwicklung (1803/06-1918)

pp. Art. 4 Nr. 16 RV [510.] Von dem über den Kompetenzkatalog des Art. 4 NBV hinausgehenden Titel „Bestimmungen über die Presse und das Vereinswesen" in Art. 4 Nr. 16 RV hatte das Reich durch das Gesetz über die Presse vom 7. Mai 1874^^'^ und das Vereinsgesetz vom 19. April 1908^^^ Gebrauch gemacht. e. Reichsorgane [511.] Als Reichsorgane fungierten im Grundsatz die bereits aus der Norddeutschen Bundesverfassung bekannten vier Faktoren: Einziger äußerlicher Unterschied war der nunmehr an die Stelle des vormaligen Bundespräsidiums tretende Kaiser; ansonsten blieben mit Kanzler, Bundesrat und Reichstag die schon existierenden Verfassungsorgane erhalten. Strukturell und kompetenziell veränderte sich gegenüber der Verfassung des Norddeutschen Bundes jedoch nichts Gravierendes. aa. Kaiser [512.] Auch der Kaiser war weder Träger der gesamten Staatsgewalt, noch wirkte er direkt an der Gesetzgebung mit;^^^ auch er vertrat wie das Bundespräsidium das Reich völkerrechtlich, entschied über Krieg und Frieden sowie beglaubigte und empfing die Gesandten anderer Staaten (Art. 11 Abs. 1 Satz 2 RV). Ebenso wie das Bundespräsidium ernannte er den Reichskanzler (Art. 15 Abs. 1 RV), besaß das Recht, Bundesrat wie Reichstag einzuberufen, zu eröffnen, zu vertagen und zu schließen (Art. 12 RV) sowie die Auflösung des Reichstages nur nach vorangegangenem Beschluß des Bundesrates, also im Zusammenwirken mit diesem, vorzunehmen (Art. 24 Satz 2 RV). Ebenso wie dem vormaligen Bundespräsidium stand ihm in Marine- und Heeresangelegenheiten die weder genau abgegrenzte noch durch die Gegenzeichnungspflicht des Kanzlers abgemilderte Kommandogewalt zu; und zwar im Krieg wie - abgesehen von den Truppen Bayerns - im Frieden (Art. 53 Abs. 1 Satz 1, 63 Abs. 1 RV), so daß auch der jetzige Kaiser eine durch die Reichsverfassung kaum ernsthaft eingeengte MachtfuUe in seinen Händen hielt. Gleichwohl führte es aber auch jetzt eindeutig zu weit, das Deutsche Reich deswegen als „Militärstaat"^^^ charakterisieren zu wollen. Zumal der zweifelsfrei hohe Stellenwert des Militärs im Reich nicht zwangsläufig aus der Verfassung resultierte, sondern Ausdruck des gesellschaftspolitischen Umgangs mit dem Militär war. [513.] Festzustellen bleibt indes, daß die zunächst eher formell bedeutsam anmutende Zuweisung der erblichen Kaiserwürde an den preußischen König fraglos Preußens Stellung im Reich weit über diejenige der bisher schon übergewichtigen Inhaberschaft der Bundespräsidialgewalt steigerte. Denn Preußen verkörperte jetzt gleichsam die Reichsmonarchie, deren Glanz die Position des preußischen König36^ ^^^ 3^^ ^^^

A.a.O. 1874,8.65. A.a.O. 1908,8.151. K-P. Ulimann, Das Deutsche Kaiserreich 1871 - 1918, 1995, S. 35. Th. Nipperdey (Fußn. 11), S. 201.

7: Deutscher Bund/Deutsches Reich (1871 - 1918)

279

turns im Kreise der übrigen deutschen Fürsten(häuser) und in der Öffentlichkeit in signifikanter Weise weiter aufwertete. Obendrein zielte die Kaiserwürde nahezu zwangsläufig auf eine das gesamte Deutschland repräsentierende und die nationale Integration fördernde Entwicklung, wie sie von der preußischen Krone allein niemals hätte ausgehen können. bb. Reichskanzler [514.] Abgesehen von der Abhängigkeit vom Vertrauen des Kaisers gestand die Verfassung dem Reichskanzler einen erheblichen Handlungsspielraum zu. Denn weder eine kollegiale Regierung noch die auch im Konstitutionalismus mittlerweile durchgedrungene Ministerverantwortlichkeit gegenüber der Volksvertretung (hier dem Reichstag) oder gar nach Art des Parlamentarismus beschränkten seine Politik. Bei der Bestimmung ihrer Leitlinien hatte er lediglich die Abstimmung mit dem Kaiser zu suchen; wenngleich der Kaiser im Konfliktfalle selbstverständlich durch das ihm gemäß Art. 15 Abs. 1 RV allein zustehende Emennungs- und damit auch Entlassungsrecht das Übergewicht behielt. Daß der Kanzler obendrein dem Bundesrat vorstand, machte ihn gleichwohl zur zentralen Figur der Reichsexekutive, die letztlich die Reichspolitik im wesentlichen gestaltete und - unmittelbar nur gegenüber dem Kaiser (vgl. Art. 17 Satz 2 RV) - zu verantworten hatte. Hinzu kam als faktisches Moment, daß der Kanzler in aller Regel (mit Ausnahme zwischen Januar und November 1873^^^ 1892- 1894^^^ sowie Oktober und November 1918^^^) zugleich auch als preußischer Ministerpräsident fungierte; was ihm jedenfalls den uneingeschränkten politischen Rückhalt des das Reich dominierenden „Bundesstaates" sicherte. Mangels eines Reichsregierungskabinetts oblag es allein dem Kanzler, gleichsam als „Einmann"-Regierung für das Zustandekommen politischer Entscheidungen zu sorgen; dies wiederum bedeutete aber auch, daß er sich im Reichstag um Mehrheiten für Gesetzesvorlagen und den Staatshaushalt bemühen mußte. Insoweit befand er sich ungeachtet seiner von Verfassungs wegen allenfalls als politisch zu bezeichnenden Verantwortlichkeit gegenüber dem Reichstag immerhin in einem Verhältnis zunehmend faktischer Abhängigkeit zu diesem. cc. Reichstag [515.] Der Reichstag war das eigentliche unitarische Element. Man mag in ihm Forum wie auch Symbol der Gesamtnation sehen.^^"^ Er setzte sich aus 382 Abgeordneten und seit dem Inkrafttreten des § 3 des Gesetzes, betreffend die Einführung der Verfassung des Deutschen Reichs in Elsaß-Lothringen, vom 25. Juni 1873 aus insgesamt 397 zusammen. Er hätte nach § 1 des allerdings wegen des zwischenzeitlich eingetretenen Kriegsendes nicht mehr in Kraft getretenen ^^^ ^^^ •^^^ ^^4

Reichskanzler Bismarck gab vorübergehend das Ministerpräsidentenamt an Roon ab. Reichskanzler Caprivi überließ Eulenburg die Ministerpräsidentenschaft. Unter Reichskanzler Max von Baden blieb das Ministerpräsidentenamt unbesetzt. So K-P. Ullmann, Politik im Deutschen Kaiserreich 1871 - 1918, 1999, S. 5.

280

1. Abschnitt: Gesamtdeutsche Verfassungsentwicklung (1803/06-1918)

§ 1 des Gesetzes über die Zusammensetzung des Reichstages und die Verhältniswahl in großen Reichstagswahlkreisen vom 24. August 19IS^'^^ ab dem 12. Januar 1920376 sogar aus 441 Abgeordneten bestanden. [516.] Die Abgeordneten wurden in allgemeinen, gleichen, direkten und geheimen Wahlen bestimmt (Art. 20 RV). Dieses geradezu demokratische Wahlrecht unterschied sich fundamental von dem in den Gliedstaaten für die Wahlen zu den Volksvertretungen bestehenden Wahlrechtsvorschriften, namentlich von dem in Preußen praktizierten Dreiklassenwahlrecht. Die Legislaturperiode dauerte gemäß Art. 24 Satz 1 RV zunächst drei Jahre, seit dem Gesetz, betreffend die Abänderung des Art. 24 der Reichsverfassung, vom 19. März ISSS^'^^ fünf Jahre. Während des Krieges wurde die regulär bis zum 12. Januar 1817 währende Legislaturperiode des zuletzt am 12. Januar 1912 gewählten Reichtags mehrmals verlängert. Dies geschah durch das Gesetz über die Verlängerung der Legislaturperiode des Reichstags vom 16. Oktober 19W^^ zunächst nur um ein Jahr bis zum 12. Januar 1918 und dann durch das Gesetz über die nochmalige Verlängerung der Legislaturperiode des Reichstags vom 23. Juli 1917^^^ um ein weiteres Jahr bis zum 12. Januar 1919 und schließlich durch das Gesetz über die abermalige Verlängerung der Legislaturperiode des Reichstags vom 18. Juli 1918^^^ sogar bis zum 12. Januar 1920. [517.] Die Legislaturperiode war in Sitzungsperioden unterteilt. Für die nach deren Ablauf noch nicht zur Beschlußnahme gediehenen Gesetzesvorlagen, Anträge und Petitionen galt gemäß § 70 der Geschäftsordnung des Reichstages ein rigider Diskontinuitätsgrundsatz. Der Reichstag hatte das Gesetzesinitiativrecht (Art. 23 RV) und wirkte auch sonst neben dem Bundesrat an der Gesetzgebung mit (Art. 5 Abs. 1 Satz 1 RV). Rechtmäßig zustandegekommene Reichsgesetze bedurften somit jedenfalls seiner Zustimmung. Obendrein stand ihm das Haushaltsbewilligungsrecht zu (Art. 69 RV). Von seiner Kontrolle dagegen weitgehend ausgenommen waren die allein im Kompetenzbereich des Kaisers liegenden Akte der militärischen Kommandogewalt sowie Personalentscheidungen bei Heer und Marine (vgl. insbesondere die Art. 53, 63 ff. RV). Da die Verhandlungen des Reichstages öffentlich waren (Art. 22 Abs. 1 RV), konnte durch entsprechende Debatten die Öffentlichkeit an dem dort stattfindenden politischen Meinungsbildungsprozeß beteiligt, mitunter sogar mobilisiert werden. Ein Selbstversammlungund Selbstvertagungsrecht stand dem Reichstag indes nicht zu. Allein der Kaiser war nach Art. 12 RV dazu befugt, den Reichstag zu berufen, zu vertagen und zu schließen. Allerdings hatte die Einberufung „alljährlich" zu geschehen (Art. 13 RV). Die Vertagung konnte gegen den Willen des Reichstages wegen Art. 26 RV 3^5 Dok.143. ^^^ § 1 des Gesetzes vom 24. August 1918 sollte gemäß § 17 des Gesetzes „erst mit Ablauf der gegenwärtigen Legislaturperiode in Kraft treten. Das Gesetz, die abermalige Verlängerung der Legislaturperiode des Reichstags vom 18. Juli 1918 (Dok. 136/15) verlängerte die Legislaturperiode des am 12. Januar 1912 gewählten letzten Reichstages auf diesen Zeitpunkt. ^^^ Dok. 136/5. 3^^ Dok. 136/13. 3^9 Dok. 136/14. ^^0 Dok. 136/15.

§ 7: Deutscher Bund/Deutsches Reich (1871 - 1918)

281

nur auf bis zu 30 Tage pro Session ausgedehnt werden und durfte dann während derselben Session nicht erneut erfolgen (Art. 26 RV). [518.] Die primär in den Art. 21, 2 9 - 3 2 RV verankerte Rechtsstellung der Mitglieder des Reichstages blieb gegenüber derjenigen der Verfassungen des Norddeutschen Bundes^^^ von 1867 und des Deutschen Bundes von 1870/7P^'^ unverändert. Namentlich das schon bei seiner Einführung nicht unumstrittene Diätenverbot des Art. 32 RV galt auch weiterhin. Erst das Gesetz, betreffend die Änderung des Artikels 32 der Reichsverfassung, vom 21. Mai 1906^^^ hob diesen längst fragwürdig gewordenen Zustand auf Gedachte Bismarck damit ursprünglich - wie er noch in seiner Reichstagsrede vom 5. Mai 1881 betonte - einen „gewerblichen Parlamentarismus" in Gestalt von Berufspolitikern zu verhindem;^^"^ was im Ergebnis darauf zielte, daß sich nur wirtschaftlich - und wie man meinte zugleich (partei)politisch - Unabhängige die Übernahme eines Reichstagsmandates leisten können würden. So erfüllte sich diese Erwartung auf Dauer nicht, da sich gleichwohl weniger vermögende Kandidaten in den Reichstag wählen ließen, welche dann im Wege organisierter Selbsthilfe seitens politischer Parteien oder privater Verbände Ersatz ihrer Auslagen erhielten. Durch diese Umgehung des Diätenverbots entstand sehr bald der erst Recht nicht erwünschte Typus des Berufjpolitikers, der seinen Aufwand aus politischen Tätigkeiten bestritt und in vielen Fällen in die Abhängigkeit von der Partei geriet, die ihn unterstützte. Auf diese Weise wurde eine zunehmend die politische Unabhängigkeit der Abgeordneten untergrabende Parteiloyalität erzwungen. Dieser immer deutlicher hervortretende Hintergrund veranlaßte bereits in den 1870er Jahren die Reichstagsmehrheit mehrmals zu das Diätenverbot aufhebenden Initiativen. Doch scheiterten diese regehnäßig am Widerstand des Bundesrates. dd. Bundesrat [519.] Die zentrale Rolle im Verfassungsgefüge war dem aus den Bevollmächtigten der Bundesstaaten bestehenden Bundesrat zugedacht. Er war letztlich als Versammlung der Vertreter der einzelstaatlichen Exekutiven konzipiert, aber trotz seiner Ableitung von den Ländern kein gemeinsames Länder-, sondern ein reines Reichsorgan.^^^ Mit ihm sollte der spezifisch föderale Part des Reiches repräsentiert und zugleich dem dort nur im Zusammenspiel mit den anderen Bundesstaaten in Erscheinung tretenden Preußen möglichst unauffällig die Vormacht im Reich garantiert werden.^^^ In diesem Verfassungsorgan vereinigten sich neben exekutivischen auch legislativische Befugnisse. Diese eigentümliche Zwitterstellung diente in erster Linie dazu, den verfassungsrechtlichen Status quo zu konservieren. ^^1 ^^2 ^^^ ^^4 ^^5 ^^^

Dok. 128. Dok. 134. Dok. 136/9. o. V. Bismarck, Gesammelte Werke, Bd. 12, 1929, S. 262 ff. Zutreffend E. K Huber (Fußn. 3), S. 853. S. Oeter, Integration und Subsidiarität im deutschen Bundesstaatsrecht, 1998, S. 36; Th. Nipperdey (Fußn. 110), S. 94; K Boldt, Deutscher Konstitutionalismus und Bismarckreich, in: M. Stürmer (Hrsg.), Das kaiserliche Deutschland, 1970, S. 119 (125).

282

1. Abschnitt: Gesamtdeutsche Verfassungsentwicklung (1803/06-1918)

So bildete der Bundesrat gerade aufgrund seiner gesetzgeberischen Mitwirkungskompetenzen gegenüber dem reichisch-unitarisch ausgerichteten und daher am ehesten zu Lasten der einzelstaatlichen Zuständigkeiten agierenden Reichstag ein das preußisch-hegemoniale Föderalsystem stabilisierendes Organ. Obendrein versprach man sich davon, einer weiteren Stärkung des demokratischen Elements sowie einer ansonsten befürchteten Parlamentarisierung der Verfassungsordnung wirksam einen Riegel vorschieben zu können.^^^ Tatsächlich erfüllte der Bundesrat diese ihm zugedachte Funktion im Laufe der weiteren (verfassungs)politischen Entwicklung immer weniger. Als die eigentlichen Machtfaktoren kristallisierten sich zunehmend Kaiser und Reichskanzler einerseits und Reichstag andererseits heraus; die unitarischen und demokratischen Verfassungselemente gewannen damit realiter an Boden. f. Hegemonialstellung Preußens [520.] Preußens übermächtige Rolle im Reichsgefüge blieb angesichts der vom Norddeutschen Bund übernommenen föderalen Konstruktion also weitgehend ungeschmälert. Dieser allenfalls notdürftig überdeckte hegemoniale Föderalismus prägte letztlich auch die Verfassungsverhältnisse des Kaiserreiches. Das lag bereits in dem Gewicht Preußens und seiner Institutionen begründet. Stand doch dem preußischen König der Vorsitz im Bundesrat und obendrein die Würde eines deutschen Kaisers zu. Zudem wurde das Heer verfassungsrechtlich detailliert nach preußischen Grundsätzen organisiert und kommandiert; femer oblag dem preußischen König als Bundesfeldherm der Oberbefehl über das Militär. Alles in Allem war das Kaiserreich - wenngleich die Reichsverfassung gerade mit Blick auf Preußen auch gewisse Mediatisierungstendenzen erkennen ließ^^^ - in vielerlei Hinsicht am ehesten ein um die Ressourcen der übriggebliebenen deutschen Klein- und Mittelstaaten vergrößertes Preußen. In jedem Falle waren aber von Verfassungs wegen genügend Vorkehrungen getroffen, die verhinderten, daß Preußen über kurz oder lang im Reich aufgehen würde. Mehr noch: einiges in der Reichsverfassung deutete tendenziell sogar eher auf eine Prussifizierung der übrigen Reichsglieder hin. g. Verwaltungskompetenzen [521.] Besaß das Reich wegen der ihm durch den Kompetenzkatalog des Art. 4 RV zugewiesenen Gesetzgebung gegenüber den Gliedstaaten ein eindeutiges Übergewicht, so verhielt sich dies hinsichtlich der Verwaltungskompetenzen ganz anders. Denn der reichseigenen Verwaltung unterstellte die Reichsverfassung nur das Post- und Telegraphenwesen (Art. 48 RV), die Kriegsmarine (Art. 53 RV) und das Konsulatswesen (Art. 56 RV). Für die sonstigen Sachmaterien billigte Art. 4 RV dem Reich nur deren „Beaufsichtigung" zu; also keine Kontrolle der Materie selbst, sondern allein die Überwachung der Tätigkeit der Länder in diesen Ange3^^ ^. Oefer(Fußn. 383),S. 38. 388 ^ Triepel, Unitarismus und Föderalismus im Deutschen Reiche, 1907, S. 109.

§ 7: Deutscher Bund/Deutsches Reich (1871 - 1918)

283

legenheiten,^^^ Hierbei richteten sich Maßnahmen dieser Reichsaufsicht^^^ allein an die jeweilige oberste Landesbehörde (Landesregierung). Einen direkten Durchgriff auf untergeordnete Landesbehörden erachtete man grundsätzlich für unstatthaft.^^i Zuständig für die Reichsaufsicht waren Kaiser und Bundesrat. Ersterem oblag nach Art. 17 Satz 1 RV die Überwachung der Ausführung der Reichsgesetze. Er konnte gegebenenfalls durch Ermahnung oder Rüge auf Abhilfe festgestellter Vollzugsmängel drängen. Kam es hierüber zu Meinungsverschiedenheiten in der Sache, lag es beim Bundesrat, über das Vorliegen eines Rechtsverstoßes zu entscheiden (Art» 7 Abs. 1 Nr. 3 RV). Verweigerte das betroffene Land auch jetzt noch die Abhilfe, konnte es gemäß Art. 19 RV im Wege der Reichsexekution zur Erfüllung seiner verfassungsmäßigen Pflichten angehalten werden. Zur Anwendung der Exekution kam es indes tatsächlich niemals; was in Anbetracht der realen Machtverteilung zwischen dem Reich und Preußen einerseits sowie den übrigen Ländern andererseits namentlich wegen der bereits im Vorfeld zur Verfügung stehenden beträchtlichen informellen Einflußmittel zugunsten des Reiches kaum verwundert. [522.] Angesichts dieser Voraussetzungen fehlte es dem Reich in den weitaus meisten Fällen an verfassungsrechtlich verankerten eigenen Verwaltungskompetenzen. Es hatte sich daher damit zu begnügen, gesetzgeberisch auf die Verwaltung Einfluß zu nehmen. Die eigentliche Ausführung der Reichsgesetzgebung sollte den Gliedstaaten überlassen, also „Länderangelegenheit" bleiben und vom Reich lediglich überwacht werden. Keinesfalls war daran gedacht, dem Reich die Verwaltung der einzehien Sachmaterien selbst in die Hand zu geben.^^^ Dennoch bildete sich seit 1871 eine unter der obersten Leitung des Reichskanzlers stehende Reichsverwaltung, die sich rasch über das bereits seit 1867 mit drei Abteilungen geschaffene Kanzleramt^^^ und über das aus dem preußischen Außenministerium 1870 hervorgegangene Auswärtige Amt als die eigentlichen Keimzellen hinaus auf alle administrativen Kompetenzbereiche des Reiches erstrecktei^^"^ So entstand 1876 als erste der neuen obersten Reichsbehörden das aus einer Abteilung des Reichskanzleramts verselbständigte Reichsjustizamt; 1879 folgten das Reichsschatzamt, das Reichsamt des Innern und das Reichsamt für die Verwalümg der Reichseisenbahnen; 1880 wurde aus dem Amt des seit 1875 bestehenden Generalpostmeisters das Reichspostamt gebildet, 1889 das aus der seit 1872 bestehenden „Kaiserlichen Admiralität" hervorgegangene Reichsmarineamt, 1907 das Reichs^^9 K Höhte (Fußn. 76), S. 231; G. MeyerlG. Anschütz (Fußn. 191), S. 938. ^^^ Dazu: H. Triepel, Die Reichsaufsicht, 1917; R. Mußgnug, Die Ausführung der Reichsgesetze durch die Länder und die Reichsaufsicht, in: K. G. A. Jeserich/H. Pohl/G.-Chr. von Unruh (Hrsg.), Deutsche Verwaltungsgeschichte, Bd. 3: Das Deutsche Reich bis zum Ende der Monarchie, 1984, S. 186 (199 ff). 391 H. Triepel (Fußn. 387), S. 263 ff; G. MeyerlG. Anschütz (Fußn. 191), S. 945. 392 R. Mußgnug (Fußn. 387), S. 187. 393 Vgl. zu diesem auch H. O. Meisner, Bundesrat, Bundeskanzler und Bundeskanzleramt ( 1 8 6 7 1871), in: E.-W. Böckenförde (Hrsg.), Moderne deutsche Verfassungsgeschichte ( 1 8 1 5 - 1 9 1 8 ) , 1972, S. 76 ff. 394 Zu den nachfolgend genannten Reichsämtem vgl. E. R. Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789, Bd. 3: Bismarck und das Reich, 3. Aufl., 1988, S. 835 ff sowie R. Morsey (Fußn. 257), S. 147 ff.

284

1. Abschnitt: Gesamtdeutsche Verfassungsentwicklung (1803/06-1918)

kolonialamt, 1916 das Kriegsemährungsamt, 1917 das Reichswirtschaftsamt und noch im Oktober 1918 das Reichsarbeitsamt. An der Spitze der Reichsämter standen nicht etwa Reichsminister, sondern Reichsstaatssekretäre. Letztere waren dem Kanzler nachgeordnet. In seiner Zuständigkeit befand sich deshalb nicht nur die Bestimmung über die „Richtlinien der Politik", sondern auch die Verantwortlichkeit für alle Ressortfragen. [523.] Diese Vereinigung der umfassenden Verantwortung beim Reichskanzler erwies sich allerdings als zunehmend problematisch. Deshalb führte das Gesetz, betreffend die Stellvertretung des Reichskanzlers, vom 17. März 1878 (Stellvertretungsgesetz)^^^ mit Wirkung zum 4. April 1878 eine beschränkte eigene Verantwortlichkeit der Staatssekretäre ein. Gemäß § 1 dieses Gesetzes durfte der Kaiser auf Antrag des Reichskanzlers die diesem gemäß Art. 17 Satz 2 RV zu leistende Gegenzeichnung sowie die sonstigen nach der Reichsverfassung und den Reichsgesetzen obliegenden Aufgaben „nach Maßgabe der folgenden Bestimmungen" also der §§ 2 bis 4 - des Gesetzes auf Stellvertreter übertragen. Der Kaiser konnte sowohl einen allgemeinen Stellvertreter für den Gesamtumfang der Aufgaben des Kanzlers als auch besondere Stellvertreter für die einzelnen Amts-zweige der Reichsverwaltung bestellen (§ 2 des Stellvertretungsgesetzes). Die Einsetzung von allgemeinen Stellvertretern erfolgte entweder durch Ernennung eines vom Reichskanzler vorgeschlagenen „Vizekanzlers" ohne eigenen Geschäftsbereich oder durch Ernennung eines einem der Reichsämter (tatsächlich aber durchweg des Reichsamts des Innern) vorstehenden Staatssekretärs (Boetticher [1881 - 1897], Posadowsky [1897-1907], Bethmann Holweg [1907-1909], C.Delbrück [1909-1916], Helfferich [Mai 1916 bis August 1917]). Die Vizekanzlerlösung blieb indes in der Person von Fürst zu Stolberg-Wernigerode (1878- 1881) zunächst nur eine von Unzuträglichkeiten geprägte Episode. In der Zeit danach (1881 bis August 1917) etabUerte sich dann das Staatssekretärsmodell. Erst gegen Ende des Kaiserreiches kehrte man zur Vizekanzlerlösung (Helfferich [August bis November 1917], von Payer [November 1917 bis November 1918]) zurück. Als für die einzelnen Amtszweige der Reichsverwaltung ernannte besondere Stellvertreter fungierten hingegen die „Vorstände der dem Reichskanzler untergeordneten obersten Reichsbehörden", d. h. die Staatssekretäre der einzelnen Reichsämter. Sie übernahmen durch die Gegenzeichnung kaiserlicher Akte für diese die Verantwortung. Diese Variante der Stellvertretung wurde noch kurz vor dem Zusammenbruch des Kaiserreichs durch § 2 des auf den 28. Oktober 1918 datierten Gesetzes zur Abänderung der Reichsverfassung und des Gesetzes, betreffend die Stellvertretung des Reichskanzlers, vom 17. März 1878^^^ aufgehoben. [524.] Der Reichskanzler behielt nach § 3 des Stellvertretungsgesetzes aber das Recht, auch während der Dauer der Stellvertretung jede Amtshandlung selbst vorzunehmen. Hinsichtlich der Stellvertretung des Reichskanzlers im Bundesrat blieb es indes bei der in Art. 15 RV enthaltenen Regelung (§ 4 des Stellvertretungsgesetzes). Insoweit vermochte der Reichskanzler sich also nur durch ein anderes Mitglied des Bundesrats vertreten lassen. Die Stellvertretung durch einen aufgrund 39^ Dok. 138. ^^^ Dok. 136/16.

§ 7: Deutscher Bund/Deutsches Reich (1871 - 1918)

285

des Stellvertretungsgesetzes berufenen Reichsstaatssekretär kam somit nur in Betracht, wenn dieser zugleich auch zum preußischen Bundesratsbevollmächtigten ernannt war. Das Stellvertretungsgesetz modifizierte den bis dahin allein den Reichskanzler zur Gegenzeichnung autorisierenden Art. 17 Satz 2 RV, indem er die Gegenzeichnung über den Kanzler hinaus künftig auch durch dessen Stellvertreter erlaubte. Zwar war unter den Zeitgenossen die Ansicht weit verbreitet, daß der Kaiser auch ohne ein solches Gesetz befugt gewesen wäre, einen Stellvertreter des Reichskanzlers zu bestellen und ihn mit dem Recht der verantwortlichen Kontrasignatur auszustatten.^^^ Doch zeigte allein die gesetzliche Ausgestaltung der Stellvertretung, daß sich diese Auffassung jedenfalls mit Erlaß des Gesetzes erledigt hatte. Denn nunmehr konnte eine Stellvertretung in der Kontrasignatur des Reichskanzlers nur noch „nach Maßgabe der folgenden Bestimmungen" des Stellvertretungsgesetzes, also keinesfalls mehr in jedem sonstigen Falle, erfolgen. [525.] Eigentlich sollte die Einsetzung von Stellvertretern nur ausnahmsweise, nämlich im „Behinderung"sfalle des Reichskanzlers, erfolgen. In praxi wurde die Ernennung der Reichsstaatssekretäre zu Stellvertretern des Kanzlers bald zur Regel. Die Einschränkungen umging man durch eine Erklärung, ein Fall der Behinderung liege auch vor, wenn der große Umfang der Geschäftslast oder der Mangel an technischen Ressortkenntnissen den Reichskanzler zwinge, sich eines Teils seiner Verantwortlichkeit zu entledigen. Auch entscheide der Kanzler selbst, wann ein Fall der Behinderung vorliege. Auf diese Weise avancierte die Stellvertretereinsetzung zu einer Dauereinrichtung. Hier entwickelte sich nahezu zwangsläufig eine aus mehreren Personen bestehende Reichsleitung; so gesehen deutete vieles eine fortschreitende KoUegialisierung des eigentlich kanzlerzentrierten Regierungssystems an. Zu einer kollegialen Reichsregierung führte dies letztlich aber nicht.^^^ Blieben die Reichsstaatssekretäre doch trotz zunehmender Selbständigkeit auch unter der Geltung des Stellvertretungsgesetzes lediglich „Unterminister".^^^ Hieran änderte sich auch durch das bereits erwähnte Gesetz zur Abänderung der Reichsverfassung und des Gesetzes, betreffend die Stellvertretung des Reichskanzlers, vom 17. März 1878, vom 28. Oktober 1918"^^^ nichts. [526.] Zu den Reichsämtern kamen sonstige zentrale Reichsbehörden wie der 1868 als „Rechnungshof des Norddeutschen Bundes" geschaffene und seit 1871 umtitulierte „Rechnungshof des Deutschen Reichs" (Reichsrechnungshof), der Reichskommissar für das Auswanderungswesen, die Reichsschul- und die Normal-Eichungskommission (jeweils 1871), das Statistische Amt (1872), die Verwaltung des Reichsinvalidenfonds (1873), die Reichsschuldenverwaltung (1874), die 1875 errichtete Reichsbank, das Kaiserliche Gesundheitsamt (1876), das Reichspatentamt (1877), die Kanalkommission (1886), das Schiffsvermessungsamt (1888), das Kanalamt (1895), das Reichsversicherungsamt (1900) sowie das Reichsaufsichtsamt fur Privatversicherung (1901). Bis auf den mit quasi-richter397 398 399

Vgl. die dazu die Nachweise bei A. Arndt (Fußn. 21), S. 686 Anm. 1. Vgl. D. Willoweit, Deutsche Verfassungsgeschichte, 4. Aufl., 2001, S. 300. R. Smend, Die Stellvertretung des Reichskanzlers, in: Annalen des Deutschen Rechts 1906, S. 321 ff.; E. R. Huber (Fußn. 3), S. 824 f Dok. 136/16.

286

1, Abschnitt: Gesamtdeutsche Verfassungsentwicklung (1803/06-1918)

lieber Unabhängigkeit ausgestatteten Reichsrechnungshof unterstanden diese Behörden ungeachtet ihrer Zuordnung zu einem der Reichsämter letztlich aber alle der (Ober-) Leitung des Reichskanzlers. Damit war den Ländern in einigen Bereichen der eigentlich ihnen obliegende Vollzug der Reichsgesetze entzogen. Dies sah zwar die Reichsverfassung so nicht vor. Doch verwehrte sie derartige Praktiken auch nicht, da verfassungsdurchbrechende Gesetze, sofern sie nur gemäß Art. 78 Abs. 1 RV „im Wege der Gesetzgebung" und mit qualifizierter Bundesratsmehrheit zustandekamen, zulässig waren. [527.] Schließlich existierte neben den genannten Institutionen ein Zivil- und ein Militärkabinett, seit 1889 auf ein Marinekabinett. Diese Kabinette erwähnte die Reichsverfassung überhaupt nicht, machten aber wegen der Fülle der dem Kaiser von Verfassungs wegen übertragenen Zuständigkeiten mit Blick auf die bürokratisch-technische Vorbereitung und Durchführung kaiserlicher Entscheidungen durchaus Siim. Allerdings entwickelten sie sich bald zu selbständigen politischen Beratungsgremien des Kaisers, deren wachsender Einfluß die alleinige politische Verantwortlichkeit des Reichskanzlers und dessen daraus staatsrechtlich resultierendes Beratungsmonopol unterlief. Da diese Kabinette selbst von jeder poHtischen Verantwortlichkeit gelöst waren, geriet ihre Tätigkeit zunehmend mit dem verfassungsmäßigen Kanzlersystem in Konflikt. So gesehen bedeutete diese halboffizielle Institutionalisierung des parallel aus Preußen bestens bekannten „Kabinettssystems" in der Tat „eine der gefahrlichsten Einbmchstellen des Kryptoabsolutismus".4oi [528.] Überall, wo es dem Reich an verfassungsrechtlich oder zumindest an durch Verfassungsdurchbrechenden Gesetzen unterlegten Verwaltungskompetenzen fehlte, blieb die Verwaltung Angelegenheit der Bundesstaaten, welche insoweit die Reichsgesetze in eigener Verantwortung ausfuhrten."^^^ Die Institution der Reichsauftragsverwaltung entstand erst im Rahmen des Weimarer Staatsrechts, existierte also noch nicht. Welche Behörde jeweils zuständig war, bestimmten die Länder grundsätzlich in eigener Machtvollkommenheit. Ergaben sich bei der Auslegung der Reichsgesetze Unklarheiten, so oblag es den Landesregierungen oder den zuständigen Ressortministerien, die erforderlichen Anweisungen zu erteilen. Allerdings blieb es dem Reichsgesetzgeber unbenommen, die materiell-rechtlichen Gehalte der Vorschriften so eng zu fassen, daß den Ländern weder Ermessens- noch Auslegungsspielräume verblieben. Denn die Reichsgesetze brauchten sich keineswegs in allgemeinen Rahmenbestimmungen zu erschöpfen. Überdies stand es der Reichslegislative frei, die Präzisierung ihrer Gesetze mittels ausdrücklicher Ermächtigung an den Bundesrat, Kaiser oder Reichskanzler als einen der in Betracht kommenden Verordnungsgeber zu delegieren. Schließlich war es dem Reichsgesetzgeber möglich, die Organisation und das Verfahren der mit dem Vollzug seiner Gesetze betrauten Landesbehörden vorzugeben. Auf diese Weise wurde daher bisweilen die Organisationsgewalt der Länder reichsrechtlich massiv überlagert.

401 E. R. Huber (Fußn. 3), S. 817; R. Morsey (Fußn. 257), S. 165. 402 R, Mußgnug (Fußn. 387), S. 189 ff.

§ 7: Deutscher Bund/Deutsches Reich (1871 - 1918)

287

h. Finanzwesen (Art. 69 - 83 RV) [529.] Zu Beginn erwies sich die Basis des Reiches wegen der sich auf immerhin fünf Milliarden Francs belaufenden Einnahmen aus den französischen Kriegsentschädigungen als finanziell durchaus gut unterfuttert. Dies sollte sich nach deren Wegfall aber bald ändern. [530.] Als Ausgangspunkt des die Reichsfmanzen betreffenden XII. Abschnitts der Reichsverfassung bestimmte Art. 69, daß alle Einnahmen und Ausgaben des Reiches für jedes Jahr veranschlagt und auf den Reichshaushaltsetat gebracht werden mußten. Art. 70 Satz 1 RV wies dem Reich zur Aufgabenfmanzierung „zunächst die etwaigen Überschüsse der Vorjahre" sowie die Zölle, die gemeinschaftlichen Verbrauchssteuern und Einnahmen aus dem Post- und Telegraphenwesen zu. Reichten diese Einnahmen zur Ausgabendeckung nicht aus, waren sie gemäß Art. 70 Satz 2 RV, „so lange Reichssteuem nicht eingeführt sind", aus Matrikularbeiträgen der Länder aufzubringen. Mit dem System der Matrikularbeiträge knüpfte man unverkennbar an zentrale Finanzinstitutionen des 1806 faktisch untergegangenen alten Reiches und des zwischen 1815 und 1866 existierenden Deutschen Bundes an. Von Verfassungs wegen sollte die ohnehin nur subsidiär gedachte Beitragsfmanzierung durch die Länder also überhaupt nur ein provisorischer Zustand sein, der alsbald einem steuerfmanzierten Einnahmemodell zu weichen hätte.^^^ Bis dahin aber würde das Reich ein - so Bismarck - „Kostgänger der Einzelstaaten" sein. Das von Art. 70 RV gezeichnete Finanzierungssystem sah auf Dauer eine „vollständige Trennung" der Reichs- von den Länderfinanzen vor; wodurch das Reich seine finanzpolitische Unabhängigkeit erhalten hätte. Doch kam es dazu niemals wirklich. [531.] In jedem Falle blieb das soeben umrissene Finanzsystem dauerhaft nur handlungsfähig, wenn die Einnahmen und Ausgaben des Reiches sich im Gleichgewicht hielten. Daran war angesichts des wohl anfangs nicht vorhergesehenen ständig steigenden Aufgabenumfangs des Reiches und seines damit einhergehenden rasant anwachsenden Finanzbedarfs bei übrigens schon bald aufgebrauchten Einnahmen aus den französischen Reparationszahlungen aber kaum zu denken. Um den Finanzbedarf gleichwohl zu decken, wich man daher reichsseitig zunächst auf das nach Art. 73 RV zulässige Mittel der Aufiiahme von Staatsanleihen aus, deren Verzinsung das Staatsdefizit jedoch noch steigerte und nunmehr unweigerlich die Erhöhung der Matrikularbeiträge nach sich zog. Letztlich waren es also die Länder, die für den stetig anwachsenden Finanzmehrbedarf des Reiches aufzukommen hatten; dies jedoch weder auf Dauer wollten noch konnten. Verständlicherweise bestanden sie bald auf einer massiven Erhöhung der Einnahmen des Reiches. Auf die Erfüllung dieser Forderung zielte dann eigentlich auch das Gesetz, betreffend den Zolltarif des deutschen Zollgebiets und den Ertrag der Zölle und der Tabaksteuer, vom 15. Juli 1879'^°'^. Aus dem damit insgesamt zu erzielenden Schutzzoll- und Tabaksteueraufkommen wäre das Reich gewiß in der Lage gewesen, seine Ausgaben selbst zu decken. Doch scheiterte die damit angestrebte

403 G. MeyerlG. Anschütz (Fußn. 191), S. 914. 404 Reichsgesetzblatt 1879,8.207.

288

1. Abschnitt: Gesamtdeutsche Verfassungsentwicklung (1803/06-1918)

finanzpolitische Unabhängigkeit paradoxerweise an dem üblicherweise für das Reichsiinitarische stehenden Reichstag. Dort mußte Bismarck nämlich dem eine fmanzwirtschaftliche Unabhängigkeit des Reiches ablehnenden Zentrum als Preis für dessen notwendige Unterstützung bei der neuen Schutzzollpolitik entgegenkommen. Der Kanzler fugte sich daher der Forderung des Zentrumsabgeordneten von Franckenstein nach der Aufnahme einer Bestimmung in das Gesetz, wonach der die Höhe von 130 Millionen Mark im Jahr übersteigende Ertrag der Zölle und der Tabaksteuer an die Länder nach Maßgabe der Bevölkerungszahl zu überweisen war, mit der sie zur Zahlung der Matrikularbeiträge herangezogen wurden. Dieser als „Franckensteinsche Klausel" bekannt gewordene § 8 des Gesetzes fand später auch Eingang als § 32 in das Reichstempelgesetz vom 1. Juli 1881"^^^ und als § 39 in das Branntweinsteuergesetz vom 24 Juni 1887"^°^. Letztlich obsiegten damit in allen Fällen, in denen dem Reich durch neue Steuern eigene Einnahmequellen erschlossen werden sollten, die insoweit partikularistisch ausgerichteten Reichstagsparteien. Von der Reichsleitung bereits 1893 initiierte Bestrebungen, die Franckensteinsche Klausel aufzuheben, scheiterten nach wie vor an der dafür fehlenden Reichstagsmehrheit. Somit flössen weiterhin die jeweils 130 Millionen Mark übersteigenden Mehreinnahmen nur an das Reich, um sie sogleich wieder an die Länder weiterzureichen. Da diese deshalb als „Überweisungssteuem" bezeichneten Abgaben jedoch dazu fährten, daß der dem Reich belassene Einnahmeertrag zur Deckung der anschwellenden Reichsausgaben nicht ausreichte, mußte die unausweichlich verbleibende Finanziemngslücke auch künftig aus Matrikularbeiträgen bestritten werden. [532.] Dieses Finanzgebaren lief fraglos dem Geist des Art. 38 RV zuwider. Denn danach hatte der gesamte Ertrag der Zölle und Steuern in die Reichskasse zu fließen; nach der Franckensteinschen Klausel wurde aber zumindest ein großer Teil in die Landeskassen umgeleitet. Dem Wortlaut des Art. 38 RV suchte man durch einen verwaltungsorganisatorischen Winkelzug zu genügen, indem die gesamte Roheinnahme aus den Überweisungssteuem zunächst dem Reich zufloß, um sie erst danach an die Länder weiterzureichen. Zumindest mit Blick auf Art. 70 Satz 1 RV sehr bedenklich war überdies, daß danach die Zoll- und Steuereinnahmen des Reiches allein zur Deckung seiner Ausgaben und nicht zur Einnahmeerzielung der Länder zu verwenden waren. Schließlich perpetuierte die Klausel das Provisorium der Matrikularbeiträge und verkehrte auf diese Weise den Grundsatz des Art. 70 Satz 2 RV in sein Gegenteil. Gleichwohl sah die herrschende zeitgenössische Auffassung die den Wortlaut der Reichsverfassung unberührt lassende Frankensteinsche Klausel nicht als verfassungswidrig an. Sie war vielmehr eines der zahlreichen für zulässig angesehenen verfassungsdurchbrechenden Gesetze. [533.] Als in den Folgejahren allmählich die Höhe der von den Ländern an das Reich zu zahlenden Matrikularbeiträge die Summe der vom Reich an die Länder zu überweisenden Steuererträge zu übersteigen begann, wurde der Reformbedarf dieses fragwürdigen Systems immer offensichtlicher. Der Reformdruck wuchs derart an, daß der Reichstag schließlich am 7. und 9. Mai 1904 als einen ersten 405 A.a.O. 1881,8.185. 406 A.a.O. 1887,8.253.

' 7: Deutscher Bund/Deutsches Reich (1871-1918)

289

Schritt nach vorn dem dann auf den 14. Mai 1904 datierten Gesetz, betreffend die Änderungen im Finanzwesen des Reich^^'^ zustimmte. § 1 dieses Gesetzes hob die Verfassungsdurchbrechenden Franckensteinschen Klauseln teilweise auf Die Einnahmen aus den Zöllen und der Tabaksteuer blieben nunmehr vollständig beim Reich. Dagegen behielten die Stempel- und die Branntweinsteuer ihren Charakter als vom Reich an die Länder zu überweisende Einnahmen bei. Zudem wurden jetzt aber die Maischbottich- und die Branntweinmaterialsteuer zu Überweisungssteuem erklärt. Obendrein erhielt Art. 70 RV durch § 2 des Gesetzes eine neue Fassung: So mußten gemäß Art. 70 Satz 1 RV n. F. zur Bestreitung der Reichsausgaben zuvörderst die aus den Zöllen und gemeinsamen Steuern, aus dem Eisenbahn- und Telegraphenwesen sowie aus den übrigen Verwaltungszweigen erzielten Einnahmen verwendet werden. Grundsätzlich nur diese und nicht mehr wie nach Art. 70 Satz 1 RV a. F. die etwaigen Überschüsse der Vorjahre sollten der ordentlichen Haushaltsfinanzierung dienen. Eine Beschränkung der Reichseinnahmen nach dem Muster der soeben erst beseitigten Frankensteinschen Klausel war damit für die Zukunft jedoch nicht wirklich ausgeschlossen. Konnten die Ausgaben durch die zuvor genannten Einnahmen des Reichs nicht gedeckt werden, waren die Länder nach Art. 70 Satz 2 RV n. F. wie bisher zur Entrichtung von Matrikularbeiträgen verpflichtet. Allerdings wurde die in der Franckensteinschen Klausel liegende materielle Verfassungsänderung insofern auch formell bestätigt, als Art. 70 Satz 2 RV n. F. die „Überweisungen" erwähnte und die in der alten Fassung verwendeten Worte „solange Reichssteuem nicht eingeführt sind" strich. Die Matrikularbeiträge der Länder verringerten sich damit um die Beträge, die den einzelnen Ländern gegenüber dem Reich aus Überweisungssteuem (wie der Branntweinsteuer) zustanden. Soweit die Matrikularbeiträge nicht bereits durch solche Überweisungen gedeckt waren, mußten sie den Ländern am Ende des Haushaltsjahres in dem Maß erstattet werden, in dem die ordentlichen Reichseinnahmen den Reichsbedarf überstiegen (Art. 70 Satz 3 RV n. F.). Diese Vorschrift sollte die Länder davor bewahren, durch ihre Matrikularbeiträge an das Reich mehr abführen zu müssen, als zum Ausgleich des durch die unmittelbaren Reichseinnahmen nicht gedeckten Reichsbedarfs erforderlich war."^^^ Die Zahlung von Matrikularbeiträgen zielte lediglich darauf, die Entstehung eines Reichsdefizits zu verhindern. Verblieben ungeachtet dessen in einem Haushaltsjahr noch Überschüsse aus den reichseigenen Einnahmen, so waren sie zur Deckung außerordentlicher Reichsausgaben zu verwenden, falls das neue Reichshaushaltsgesetz nichts anderes bestimmte (Art. 70 Abs. 2 RV). [534.] Dieser ersten Steuerreform folgten mit dem Gesetz, betreffend die Ordnung des Reichshaushalts und die Tilgung der Reichsschuld, vom 3. Juni 1906^^^ und dem als Anlagen dazu ergangenen vier Gesetzen zahlreiche weitere einschneidende finanzwirksame Regelungen. Bei diesen vier Gesetzen handelte es sich um das Gesetz wegen Änderung einiger Vorschriften des Reichsstempelge-

4^^ Dok. 136/7. E.R. Huber 408 £•./?.//w6er(Fußii. 3), S. 953. 409 Dok. 136/10.

290

1. Abschnitt: Gesamtdeutsche Verfassungsentwicklung (1803/06-1918)

setzes"^^^, das Gesetz wegen Änderung des Brausteuergesetzes'^^^, das Gesetz wegen der Besteuerung von Zigaretten"^^^ und das Gesetz wegen Besteuerung der Erbschaften^^^ Die beiden erstgenannten Reichsgesetze brachten massive Erhöhungen der Stempel- und der Brausteuer; mit dem dritten Gesetz wurde die Zigarettensteuer neu eingeführt. Die Einnahmen aus diesen Steuern sollten nach § 2 Abs. 1 des Reichshaushalts- und Reichsschuldentilgungsgesetzes allesamt „der Reichskasse" verbleiben; womit nicht zuletzt auch die bislang fiir die Stempelsteuererträge geltende Frankensteinsche Klausel aufgehoben war. Die Klausel galt von nun an nur noch für die Einnahmen aus der Branntweinsteuer. Mit dem Gesetz wegen Besteuerung der Erbschaften wurde die Erbschaftssteuer erstmals reichsrechtlich geregelt; deren Aufkommen stand jetzt nicht mehr exklusiv den Ländern zu, sondern ging zu immerhin zwei Dritteln an das Reich und nur noch zu einem Drittel an die Länder (§ 2 Abs. 2 des Reichshaushalts- und Reichsschuldentilgungsgesetzes). § 5 des Gesetz, betreffend Änderungen im Finanzwesen, vom 15. Juli 1909'^^'^ veränderte dann das Verteilungsverhältnis zwischen Reich und Ländern auf drei Viertel zu einem Viertel, Art. 1 § 5 des Gesetzes über Änderungen im Finanzwesen vom 3. Juli 1913"^^^ schließlich auf vier Fünftel zu einem Fünftel. [535.] Ungeachtet der seit 1906 weiter erhöhten Reichseinnahmen wurde jedoch am System der Matrikularbeiträge festgehalten. Die daraus resultierenden Zuwendungen der Länder übertrafen bereits seit 1903 regelmäßig die Höhe der die Länder erreichenden Reichsüberweisungen. Allein in dem Zeitraum zwischen 1903 und 1906 hatten sich die Beitragszahlungen von ca. 23,7 Millionen Mark auf ungefähr 81,8 Millionen Mark jährlich weit mehr als verdreifacht und stiegen bis 1909 sogar noch auf 216 Millionen Mark an."^^^ Die zunehmende Belastung der Länder suchte man durch § 3 des Reichshaushalts- und Reichsschuldentilgungsgesetzes vom 3. Juni 1906 zu mildem, indem von ihnen zunächst nur ein Betrag in Höhe von 40 Pfennigen pro Einwohner abgeführt werden mußte und der geschuldete Rest bis zum „Juli des drittfolgenden Rechnungsjahres" gestundet wurde. Hiermit aber wich man inhaltlich bereits wieder von dem lediglich zwei Jahre zuvor novellierten Art. 70 RV ab. Man unterschätzte dabei indes die aus den Stundungen resultierenden Defizite in der Reichkasse, die sich zwischen 1906 und 1908 auf immerhin 146 MiUionen Mark beliefen. Deshalb wurde § 3 des Reichshaushalts- und Reichsschuldentilgungsgesetzes durch Gesetz, betreffend Änderungen im Finanzwesen, vom 15. Juli 1909"^^^ wieder aufgehoben. [536.] In der Zeit danach galt ein gesetzlich statuiertes System der festen Matrikularbeiträge, demzufolge der von den Ländern abzuführende Betrag unabhängig von der Höhe des Fehlbetrags im Reichshaushalt auf 80 Pfennige pro Ein410

Reichsgesetzblatt 1906, S. 615. A. a. O., S. 623. 412 A.a. 0.,S. 631. 413 A. a. O., S. 654. 414 A.a.O. 1909,8.743. "^^^ A.a.O. 1913,8.521. ^^^ Vgl. die Zahlenübersicht bei E. R. Huber (Fußn. 3), S. 954 Anm. 45. 417 Reichsgesetzblatt 1909, S. 743. 411

§ 7: Deutscher Bund/Deutsches Reich (1871 - 1918)

291

wohner und Haushaltsjahr festgeschrieben wurde."^^^ Das Reich war damit entgegen Art. 70 RV allein für die Deckung seines Haushalts verantwortlich. Die über Matrikularbeiträge begründete Einstandspflicht der Länder für die Deckung des Reichshaushalts reduzierte sich auf diejenige eines bloßen Unterstützungsbeitrages. i. Rechtsprechende Gewalt [537.] Aussagen über die rechtsprechende Gewalt betreffende Reichsorgane fanden sich in der Reichsverfassung zunächst in nur spärlichem Umfang. Dies lag nicht zuletzt in einer auf das Jahr 1815 zurückreichenden föderalen Tradition begründet. Hatten sich seinerzeit bereits einige Einzelstaaten auf dem Wiener Kongreß erfolgreich gegen eine Bundesgerichtsbarkeit gewehrt und auf diese Weise eine derartige Institutionalisierung zum Scheitern gebracht, so galt dies ungeachtet aller zwischenzeitlich einschlägigen Bundes- bzw. Reichsreformpläne auch noch über 1871 hinaus für die Einführung einer über- bzw. gesamtstaatlichen deutschen Gerichtsbarkeit. Die 1849 zwischenzeitlich von den §§125 ff. der Frankfurter Reichsverfassung bzw. 123 ff. der Erfurter Unionsverfassung vorgesehene Einrichtung eines mit weitreichenden Kompetenzen ausgestatteten Reichsgerichts blieb eine kurzzeitige Verheißung. So bestand bei Inkrafttreten der Reichsverfassung von 1871 lediglich das bereits durch Bundesgesetz vom 12. Juni 1869"^^^ geschaffene und seit dem 5. August 1870 in Leipzig tätige Bundesoberhandelsgericht als oberster Gerichtshof des Norddeutschen Bundes und bald auch für die süddeutschen Staaten und Elsaß-Lothringen in Handels- und Wechselsachen. Es führte seit dem 2. September 1871 die Bezeichnung „Reichsoberhandelsgericht" und bestand bis zum Inkrafttreten der Reichsjustizgesetze am 1. Oktober 1879. [538.] An die Stelle des Reichsoberhandelsgerichts trat dann das ebenfalls in Leipzig angesiedelte Reichsgericht als oberster Gerichtshof für Zivil- und Strafsachen, dessen Richter auf Vorschlag des Bundesrats vom Kaiser ernannt wurden. Des weiteren verfügte das Reich über Reichskonsulargerichte und Gerichte in den Schutzgebieten, das Reichsmilitärgericht (seit 1898) und Marinestrafgerichte (seit 1876). Hinzu kamen mehrere Sonderverwaltungsgerichte - wie die über Dienstvergehen der Reichsbeamten zuständigen Disziplinarkammern und der Disziplinarhof (seit 1873), der Ehrengerichtshof für Rechtsanwälte (seit 1878) und die Berufungskammer in Börsensachen (seit 1896) - und bereits seit 1870 Reichsverwaltungsbehörden - wie das Bundesamt für Heimatwesen (seit 1870), die Reichsrayonkommission (seit 1871), das um richterliche Beisitzer verstärkte Reichseisenbahnamt (seit 1873), das Kaiserliche Patentamt und das Reichsoberseeamt (jeweils seit 1877), das Reichsversicherungsamt (seit 1884) und das Aufsichtsamt für Privatversicherungen (seit 1901) - mit jeweils näher bezeichneten verwaltungsgerichtlichen Zuständigkeiten. Ungeachtet dessen blieb jedoch die Verwaltungsge-

^^^ Gesetz, betreffend den Nachtragsetat, vom 27. Dezember 1909 (a. a. O., S. 983). ^^^ Gesetz, betreffend die Errichtung eines obersten Gerichtshofes für Handelssachen, vom 12. Juni 1869 (Bundesgesetzblatt 1869, S. 201).

292

1. Abschnitt: Gesamtdeutsche Verfassungsentwicklung (1803/06-1918)

richtsbarkeit seit ihrer alhnählichen Einfühnmg^^^ ab 1863 in Baden, 1872/75 in Preußen, 1874/75 in Hessen, 1876 in Württemberg, 1878 in Bayern, 1888 in Anhalt, 1895 in Braunschweig, 1897 in Sachsen-Meiningen, 1898 in Lippe-Detmold, 1899 gemeinschaftlich in Sachsen-Coburg und Sachsen-Gotha, 1900 in Sachsen, 1906 in Oldenburg, 1910 gemeinschaftlich in Sachsen-Weimar-Eisenach, Sachsen-Altenburg, Schwarzburg-Rudolstadt und Schwarzburg-Sondershausen, 1912 in beiden Reuß, 1916 in Lübeck grundsätzlich eine Materie der Länder, die von den eingerichteten allgemeinen Verwaltungsgerichten und/oder den Oberverwaltungsgerichten bzw. Verwaltungsgerichtshöfen wahrgenommen wurde. Lediglich Hamburg, Bremen, den beiden Mecklenburg und Schaumburg-Lippe fehlte es 1918 noch an einer Verwaltungsgerichtsbarkeit. j . Verfassungsänderungen (Art. 78 RV) [539.] Nach Art. 78 Abs. 1 Satz 1 RV hatten Verfassungsänderungen „im Wege der Gesetzgebung", also gemäß Art. 5 Abs. 1 RV auch nur mit der Einwilligung des Bundesrates und des Reichstages zu erfolgen. „Erschwert" wurden Modifikationen einzig durch Art. 78 Abs. 1 Satz 2 RV, der das rechtmäßige Zustandekommen verfassungsändernder Gesetze vom Nichterreichen eines qualifizierten Ablehnungsquorums im Bundesrat abhängig machte. Denn derartige Gesetze galten danach „als abgelehnt, wenn sie im Bundesrathe 14 Stimmen gegen sich" hatten. Im übrigen genügte im Bundesrat - anders als etwa noch nach dem „eine Mehrheit von zwei Drittehi der vertretenen Stimme" fordernden Art. 78 der Norddeutschen Bundesverfassung'^^ - die einfache Stimmenmehrheit (Art. 7 Abs. 3 Satz 1 RV). Da angesichts des Art. 7 Abs. 3 Satz 2 RV nicht vertretene oder nicht instruierte Stimmen nicht gezählt wurden, konnten mitunter sogar selbst geringe Stimmenzahlen im Bundesrat ausschlaggebend sein. Obendrein durften Änderungen von Verfassungsregelungen, durch die bestimmte Rechte einzehier Bundesstaaten in deren Verhältnis zur Gesamtheit festgeschrieben waren, nach Art. 78 Abs. 2 RV nur mit Zustimmung des berechtigten Bundesstaates vorgenommen werden. Insoweit existierten partiell weitere Vetomöglichkeiten. [540.] Demgegenüber bedurfte es im Reichstag nur der ohnehin nach Art. 28 Abs. 1 RV stets notwendigen absoluten Mehrheit der gesetzlichen Anzahl der Mitglieder. Es sei denn, es ging um eine nicht das gesamte Reich betreffende Verfassungsangelegenheit. Dann sollten gemäß dem ursprünglich geltenden Art. 28 Abs. 2 RV nur diejenigen Reichstagsmitglieder darüber abstimmen dürfen, die in den betroffenen Bundesstaaten gewählt wurden. Dies änderte sich indes bald mit dem Gesetz, betreffend die Abänderung des Artikel 28 der Reichsverfassung, vom 24. Februar 1873^^^. Es beseitigte auf Initiative des Reichstages kurzerhand Art. 28 Abs. 2 RV. Man war der Auffassung, daß diese Vorschrift sich nicht mit Übersicht bei W. Rüfiier, Die Entwicklung der Verwaltungsgerichtsbarkeit, in: K. G. A. Jeserich/H. Pohl/G.-Chr. von Unruh (Hrsg.), Deutsche Verwaltungsgeschichte, Bd. 3: Das Deutsche Reich bis zum Ende der Monarchie, 1984, S. 909 (913 ff.). Dok. 128. - Art. 78 der zum 1. Januar 1871 in Kraft getretenen Verfassung des Deutschen Bundes/Deutschen Reiches (Dok. 134) forderte sogar eine Dreiviertel-Stimmenmehrheit. Dok. 136/1.

§ 7: Deutscher Bund/Deutsches Reich (1871 - 1918)

293

Art. 29 RV vertrug, wonach die Reichstagsmitglieder Vertreter des gesamten Volkes seien. Der Reichstag reklamierte also für die Gesamtheit seiner Mitglieder das Recht, über das Schicksal einzelstaatlicher Privilegien zu befinden. Dies hatte gleichwohl eher symbolische Bedeutung, da mit Art. 78 Abs. 2 RV der wirkliche Sicherungsmechanismus zugunsten privilegierter Bundesstaaten verblieb. 3. Verfassungsdurchbrechende Gesetze [541.] Verlangte Art. 78 Abs. 1 RV seinem Wortlaut nach für Verfassungsmodifikationen nichts weiter als ein Reichsgesetz, gegen das im Bundesrat nicht vierzehn Stimmen votiert hatten, so war es im übrigen eindeutig herrschende Staatspraxis und auch herrschende Meinung in der zeitgenössischen Staatsrechtslehre"^^^, daß es zusätzliche Voraussetzungen für eine wirksam zustandegekommene Änderung der Verfassung nicht bedurfte. Das galt namentlich für die vereinzelt^^"^ zusätzlich geforderte förmliche Änderung oder Ergänzung des Verfassungstextes. Dies führte in der Verfassungswirklichkeit dazu, daß nicht nur ausdrücklich die Verfassung modifizierende, sondern - wie bereits mehrfach erwähnt - auch deren Inhalt nachträglich lediglich stillschweigend verändernde, sogenannte „verfassungsdurchbrechende" Gesetze erlassen wurden. Faktisch lief das auf eine Gleichstellung der Verfassungsvorschriften mit den sonstigen Reichsgesetzen hinaus. Der Grundsatz „lex posterior derogat priori" sollte auch hier zum Zuge kommen.'^^^ Damit war jedoch der Schaffung von neuem Verfassungsrecht neben demjenigen der Verfassungsurkunde Tür und Tor geöffnet. Mehr noch: Reichsverfassung und Verfassungswirklichkeit begannen sich zunehmend auseinander zu entwickeln. Die Grenzen, wo bei reichsgesetzlichen Regelungen (materielles) Verfassungsrecht begann, wurden fließend; die Frage, wann im Gesetzgebungsverfahren Art. 78 RV angewendet werden mußte, war für den Bundesrat kaum eindeutig abschätzbar. Dennoch sollte darüber im Falle des Dissenses unter seinen Mitgliedern nach nahezu einhelliger Auffassung der Zeitgenossen mit einfacher Stimmenmehrheit Klärung herbeigeführt werden können. Sollten dann sogar noch Änderungen der stillschweigenden Verfassungsänderungen erfolgen, verschwammen die Konturen der Anwendbarkeit von Art. 78 RV vollends. Sprach man - wie die gängige Staatspraxis mit überwiegender Zustimmung der Staatsrechtsliteratur^^^ in diesen Fällen - derartigen „Gesetzesänderungen" zudem den verfassungsmodifizierenden Charakter ab, weil die in Rede stehenden Vorschriften ja keine formellen Bestandteile der Reichsverfassung waren, so ließ sich insbesondere der ohnehin schon an den Rand der Schwindsucht interpretierte Sicherungsmechanismus des Art. 78 Abs. 1 RV geradezu ad absurdum führen.

425 426

So etwa: A. Arndt (Fußn. 21), S. 191; L Dambitsch (Fußn. 106), S. 682; P. Laband (Fußn. 75), S. 523; M v. Seydel (Fußn. 75), S. 414 f.; P. Zorn (Fußn. 66), S. 432. Z. B. A. Haenel, Die vertragsmäßigen Elemente der deutschen Reichsverfassung (Studien zur Deutschen Reichsverfassung, Bd. 1), 1873, S. 255; L.v. Rönne, Das Staatsrecht des Deutschen Reiches, Bd. II/l, 2. Aufl., 1877, S. 32. P. Laband (FuRn. 119), S. 40. F, Thudichum (Fußn. 110), S. 84 f; /. B. Westerkamp, Ueber die Reichsverfassung, 1873, S. 135; P. Laband i¥ußn. 119), S. 41.

294

1. Abschnitt: Gesamtdeutsche Verfassungsentwicklung (1803/06-1918)

[542.] Die materiellen Veränderungen der Reichsverfassung durch die Reichsgesetzgebung ohne ausdrückliche Modifikation des Wortlauts waren insgesamt weit erheblicher, in jedem Falle aber viel zahlreicher als die ausdrücklich vorgenommenen. Dies führte in vielen Regelungsbereichen der Reichsverfassung dazu, daß es sich bei den dort ausgewiesenen Bestimmungen zunehmend um längst überholtes Verfassungsrecht handelte. Das war in erster Linie deshalb bedenklich, weil derartiges dem Verfassungstext selbst nicht entnommen werden konnte. Zudem werden sich auch die politisch verantwortlichen Akteure kaum immer darüber im Klaren gewesen sein, ob bzw. in welchen Fällen ein Gesetz tatsächlich die Reichsverfassung abänderte. Ließ sich der Gesamtbestand des geltenden Reichsverfassungsrechts namentlich wegen der Beitrittsverträge mit den süddeutschen Staaten, den abgeschlossenen Militärkonventionen und der partiell als Reichsverfassungsrecht weitergeltenden Zollvereinsbestimmungen ohnehin schon nicht allein auf die Reichsverfassung reduzieren, so bildete sich um diese hemm mit den Verfassungsdurchbrechenden Gesetzen ein weiterer Typus von Verfassungsrecht heraus: nämlich der äußerlich eher unscheinbare(re) jenseits der Reichskonstitution. 4. Formelle Änderungen der Reichsverfassung [543.] Formelle, d. h. ausdrücklich auf die Reichsverfassung Bezug nehmende, Änderungen erfuhr die Reichskonstitution Zeit ihres Bestehens durch"^^^ -

das Gesetz, betreffend die Abänderung des Artikel 28 der Reichsverfassung, vom 24. Februar 1873, das Gesetz, betreffend einen Zusatz zu dem Artikel 4 Nr. 9 der Reichsverfassung, vom 3. März 1873, das Gesetz, betreffend die Abänderung der Nr. 13 des Artikels 4 der Verfassung des Deutschen Reichs, vom 20. Dezember 1873, das Gesetz, betreffendÄenderungen der Wehrpflicht, vom 11. Februar 1888, das Gesetz, betreffend die Abänderung des Artikels 24 der Reichsverfassung, vom 19. März 1888, das Gesetz, betreffend die Ersatzvertheilung, vom 25. Mai 1893, das Gesetz, betreffend Änderungen im Finanzwesen des Reichs, vom 14. Mai 1904, das Gesetz, betreffend Änderungen der Wehrpflicht, vom 15. April 1905, das Gesetz, betreffend die Änderung des Artikels 32 der Reichsverfassung, vom 21. Mai 1906, das Gesetz, betreffend die Ordnung des Reichshaushalts und die Tilgung der Reichsschuld, vom 3. Juni 1906, das Gesetz über die Verfassung Elsaß-Lothringens vom 31. Mai 1911, das Gesetz, betreffend den Ausbau der deutschen Wasserstraßen und die Erhebung von Schiffahrtsabgaben, vom 24. Dezember 1911,

Vgl. Dok. 136/1 bis Dok. 136/17.

§ 7: Deutscher Bund/Deutsches Reich (1871 - 1918) -

-

-

-

295

die Verordnung, betreffend die Erklärung des Kriegszustandes, vom 31. Juli 1914, das Gesetz über die Ermächtigung des Bundesrats zu wirtschaftlichen Maßnahmen und über die Verlängerung der Fristen des Wechsel- und Scheckrechts im Falle kriegerischer Ereignisse vom 4. August 1914, der Allerhöchste Erlaß über die Ermächtigung des Reichskanzlers zur selbständigen Erledigung von Regierungsgeschäften im Bereiche der Reichsverwaltung vom 16. August 1914, das Gesetz über die Verlängerung der Legislaturperiode des Reichstags vom 16. Oktober 1916, das Gesetz über die nochmalige Verlängerung der Legislaturperiode des Reichstags vom 23. Juli 1917, das Gesetz über die abermalige Verlängerung der Legislaturperiode des Reichstags vom 18. Juli 1918, das Gesetz über die Zusammensetzung des Reichstags und die Verhältniswahl in großen Reichstagswahlkreisen vom 16. August 1918, das Gesetz zur Abänderung der Reichsverfassung und des Gesetzes, betreffend die Stellvertretung des Reichskanzlers, vom 17. März 1878, vom 28. Oktober 1918 und das Gesetz zur Abänderung der Reichsverfassung vom 28. Oktober 1918.

5. Fortschreibung der Reichsverfassung zwischen 1871 und 1918 a. Änderungen hinsichtlich der Wehrpflicht (Art. 59 Abs. 1 RV) [544.] Nach der ursprünglichen Fassung des den in Art. 57 RV aufgestellten Grundsatz der allgemeinen Wehrpflicht konkretisierenden Art. 59 Abs. 1 Satz 1 RV erstreckte sich der zeitliche Umfang der Wehrpflicht eines jeden wehrfähigen Deutschen mit dem vollendeten 20. Lebensjahr auf insgesamt zwölf Jahre beim „stehenden Heere". Diese Zeitspanne unterteilte sich in drei Jahre für den aktiven Dienst „bei den Fahnen" für alle Waffengattungen, in vier Jahre bei der Reserve und fünf weitere Jahre bei der Landwehr. Das „ Gesetz, betreffend Aenderungen der Wehrpflicht", vom 11. Februar 1888"^^^ änderte durch seinen Art. 1 diese Verfassungsvorschrift erstmalig ausdrücklich. Hiermit erhöhte sich die Gesamtdauer der Wehrpflicht durch die Verlängerung der Zugehörigkeit zur umstrukturierten Landwehr auf neunzehn Jahre. Nunmehr sollten den bisherigen fünf Jahren Landwehrzugehörigkeit, die jetzt als „Landwehr ersten Aufgebots" firmierte, sich bis zum vollendeten 39. Lebensjahr weitere sieben Jahre der Zugehörigkeit zur neu gebildeten „Landwehr zweiten Aufgebots" anschließen. Davon zu trennen war die mit Art. 2 §§ 23 ff des Gesetzes zeitgleich eingeführte „Landsturmpflicht", der alle nicht dem Heer oder der Marine angehörigen Wehrpflichtigen bereits vom vollendeten siebzehnten bis zum vollendeten 45. Lebensjahr unterlagen. Diese Ausdehnung der originären Wehrpflicht stand indes in keinem Widerspruch zu der parallel geänderten Wehrpflichtbestimmung des Art. 59 Abs. 1 Satz 1 RV. Denn Dok. 136/4.

296

1. Abschnitt: Gesamtdeutsche Verfassungsentwicklung (1803/06-1918)

letztere betraf nur die Dienstpflicht im stehenden Heere, zu dem der Landsturm gerade nicht gehören sollte. Mit dieser Gesetzgebung hatte man das ausschöpfbare Wehrpotential in der Bevölkerung erheblich ausgeweitet. Durch Art. 2 des Reichsgesetzes vom 3. August 1893"^^^ wurde allerdings unter materieller Durchbrechung des Art. 59 Abs. 1 Satz 1 zunächst begrenzt auf die Zeit bis zum 31. März 1899 die bislang auf drei Jahre festgelegte aktive Dienstzeit um ein Jahr verkürzt; ausgenommen davon waren lediglich die weiterhin drei Jahre aktiv dienstpflichtigen Mannschaften der Kavallerie und der reitenden Feldartillerie. Diese Regelungen erfuhren dann durch das insoweit ebenfalls verfassungsdurchbrechend wirkenden Reichsgesetz vom 25. März 1899"^^^ bis zum 31. März 1904 eine Verlängerung. Schließlich wurde mit Art. 1 des Gesetzes, betreffend Änderung der Wehrpflicht, vom 15. April 1905^^^ der bislang Übergangs weise erprobte Zustand in den Art. 59 RV übernommen. Dessen Neufassung wies jetzt als dauerhaft geltenden Rechtszustand die zweijährige Dienstzeit ftir alle Wehrpflichtigen mit Ausnahme der bei der Kavallerie und der reitenden Feldartillerie Dienenden aus. Denjenigen, die den aktiven Dienst drei Jahre hindurch geleistet hatten, wurde dafür unter Durchbrechung des gerade novellierten Wortlauts von Art. 59 RV in Art. 2 § 2 des Gesetzes eine Verkürzung der Dienstzeit in der Landwehr ersten Aufgebots um zwei Jahre gewährt. Hier zeigte sich einmal mehr, wie wenig verläßlich der jeweils in der Verfassung ausgewiesene Wortlaut tatsächlich war. b. Änderung der Regelung des Personalersatzes für die Marine (Art. 53 Abs. 5 RV) [545.] Art. 53 Abs. 4 und 5 RV regelte den Ersatz des jeweils benötigten Marinepersonals auf der Grundlage der durch Art. 57 RV statuierten allgemeinen Wehrpflicht. Dementsprechend verpflichtete Art. 53 Abs. 4 RV prinzipiell die gesamte seemännische Bevölkerung des Reiches unter Befreiung vom Dienst im Landheer zum Dienst in der kaiserlichen Marine; während die ursprünglich als Art. 53 Abs. 5 RV vorhandene Bestimmung die quotenmäßige Verteilung des personellen Ersatzbedarfs auf die betreffenden Einzelstaaten vorsah, welche sich die von ihnen gestellten Mannschaften auf die Gestellung zum Landheer anrechnen ließen. Das zum 29. Mai 1893 in Kraft getretene Gesetz, betreffend die Ersatzvertheilung, vom 25. Mai 1893^^^ veränderte dieses Prinzip nicht, wenngleich Art. 53 Abs. 5 RV durch Art. 1 des Gesetzes ersatzlos gestrichen wurde. Er fand sich nämlich als nunmehr wesentlich konkretisiertere extrakonstitutionelle Regelung in Art. 2 § 1 Abs. 3 des Gesetzes wieder. Von dieser rein organisatorischen Regelung versprach man sich ein erhöhtes Maß an Praktikabilität und Berechenbarkeit, zumal Art. 53 Abs. 5 RV Art, Umfang und Verteilungsschlüssel für die Gestellung von Ersatzmannschaften so allgemein regelte, daß es für dessen VoUziehbarkeit ohnehin einer näheren gesetzlichen Vorschrift bedurft hätte. 429 430 431 432

Reichsgesetzblatt 1 8 9 3 , 8 . 2 3 3 . A.a.O. 1899,8.213. Dok. 136/8. Dok. 136/6.

I 7: Deutscher Bund/Deutsches Reich (1871 - 1918)

297

c. Helgolands Vereinigung mit denn Deutschen Reich [546.] Durch Vertrag zwischen dem Deutschen Reich und Großbritannien vom 1. Juli 1890 wurde die Insel Helgoland von Großbritannien dem Deutschen Reich überlassen. Mit dem Gesetz, betreffend die Vereinigung von Helgoland mit dem Deutschen Reich, vom 15. Dezember 1890^^^ wurde die prinzipielle staatsrechtliche Zugehörigkeit Helgolands zum Deutschen Reich festgestellt (§ 1 Abs. 1 des Gesetzes). Zugleich stimmte das Reich zu, die Insel Preußen einzuverleiben (§ 1 Abs. 2 des Gesetzes). Da der das „Bundesgebiet" umschreibende Art. 1 RV die Staatsgebiete der Einzelstaaten in dem Ausmaß erfaßte, das sie zur,Zeit der Reichsgründung hatten, war es erforderlich, die Einverleibung Helgolands in das Staatsgebiet Preußens durch ein materiell verfassungsänderndes Gesetz zu bestimmen. Äußerlich blieb die Reichsverfassung unangetastet. Eigentlich ergab sich bereits ohne weiteres aus dem Umstand, daß die Insel Bestandteil des Bundesgebiets wurde, das sofortige Inkrafttreten der Reichsverfassung für das neue Gebiet. Dennoch traf § 2 Satz 1 des Gesetzes insoweit abweichende Regelungen. Danach sollte erst mit dem Tage der „Einverleibung" der Insel in den preußischen Staat die Reichsverfassung auf Helgoland gelten; und dann auch nur mit Ausnahme des das Zoll- und Handelswesen betreffenden Abschnitts VI (Art. 33 - 40) der Reichsverfassung. Die „Einverleibung" Helgolands durch Preußen erfolgte mittels Gesetz vom 18. Februar 1891434. Der Geltungsausschluß der Art. 3 3 - 4 0 RV auf der Insel tauchte ebenfalls nicht in der Verfassungsurkunde auf und war daher ebenfalls eine materielle Verfassungsdurchbrechung. Er erfolgte übrigens nicht wegen der besonders exponierten geographischen Lage Helgolands in der Nordsee, sondern wegen völkervertragsrechtlicher Verpflichtungen gegenüber Großbritannien. Denn Art. XII Nr. 5 des britisch-deutschen Vertrages verpflichtete zur Beibehaltung der bisher geltenden Zolltarife bis zum 1. Januar 1910. Zu den Ausgaben der Reichs hatte Preußen für das Inselgebiet durch Zahlung eines Aversums nach Maßgabe des Art. 38 Abs. 3 RV beizutragen (§ 2 Satz 2 des Reichsgesetzes vom 15. Dezember 1890). Im übrigen erstreckte sich die von Art. 57 RV statuierte allgemeine Wehrpflicht wegen § 3 des Reichsgesetzes nicht auf die von der Insel stammenden Personen und ihre vor dem 11. August 1890 geborenen Kinder. Auch insoweit handelte es sich bei dem Gesetz vom 15. Dezember 1890 jedenfalls um ein materiell die Verfassung durchbrechendes Gesetz. Keine der hier erwähnten inhaltlichen Verfassungsmodifizierungen fand indes Eingang in den Text der Verfassungsurkunde. d. Fornnelle Eingliederung Elsaß-Lothringens in die Reichsverfassung [547.] Bemerkenswert spät - nämlich erst mit dem Gesetz über die Verfassung Elsaß-Lothringens vom 31. Mai 1911^^^ - wurde dem immerhin seit 1871 zum Deutschen Reich gehörigen „Reichsland" Elsaß-Lothringen durch Erwähnung in

433 D o k . 1 3 9 . 434 Gesetz-Sammlung für die Königlichen Preußischen Staaten, 1891, S. 11. 435 Dok. 136/11.

298

1. Abschnitt: Gesamtdeutsche Verfassungsentwicklung (1803/06-1918)

der Reichsverfassung Rechnung getragen. Dessen Art. 1 ordnete immerhin die Einfügung eines entsprechenden Art. 6a in die Reichsverfassung an und beseitigte damit zumindest den immerhin 40 Jahre währenden Zustand Elsaß-Lothringens als eines in formeller Hinsicht reichsverfassungsrechtlichen Nullum. Ein Stück politischer und materiell-verfassungsrechtlicher Realität hatte endlich auch die Verfassungsurkunde selbst erreicht. Beredter als die Vorschrift, durch die Elsaß-Lothringen in der Reichsverfassung jetzt positive Erwähnung fand, waren jedoch die jeweils alle Bundesstaaten ausdrücklich auffuhrenden Textpassagen der Reichskonstitution, in denen das Reichsland nach wie vor unerwähnt blieb. Dies galt weniger für das formell in Art. 1 RV weiterhin nicht als „Bundesgebiet" in Erscheinung tretende Reichsland als für dessen Nichterwähnung in Art. 6 Abs. 1 RV. Dort waren nämlich die im Bundesrat stimmführenden „Mitglieder des Bundes" aufgeführt. Gehörte Elsaß-Lothringen somit diesem exklusiven Mitgliederkreis nicht an, durfte es eine den Bundesmitgliedem, sprich den Bundesstaaten, vollumfänglich entsprechende korporative Rechtsstellung nicht beanspruchen. Dies unterstrich denn auch der neue Art. 6a Abs. 3 RV. Danach galt Elsaß-Lothringen als Bundesstaat im Sinne des Art. 6 Abs. 2 RV und der Art. 7 und 8 RV. Es sollte mithin lediglich im Rahmen der zuvor erwähnten Verfassungsvorschriften einem Bundesstaat gleichstehen, also so behandelt werden, als wäre es ein Bundesstaat, ohne es im übrigen aber tatsächlich zu sein."^^^ [548.] Folgerichtig sollte Elsaß-Lothringen nach Art. 6a Abs. 1 RV im Bundesrat zwar drei Stimmen führen; doch nur solange es seinem Rechtscharakter nach Reichsland blieb, will heißen: solange der Kaiser die Staatsgewalt in ElsaßLothringen ausübte und ein kaiserlicher Statthalter an der Spitze der Landesregierung stand. Was indes nicht bedeute, daß dem Reichsland bei einer künftigen Umgestaltung zu einem wirklichen Bundesstaat die seiner Größe entsprechenden Bundesratsstimmen verloren gingen. Vielmehr zielte Art. 6a Abs. 1 RV auf den zwar rechtlich möglichen, gleichwohl auf absehbare Zeit wohl eher unwahrscheinlichen Fall, daß Elsaß-Lothringen die Eigenschaft als Reichsland verlor, indem es entweder in einem der Bundesstaaten aufginge oder unter mehreren von ihnen aufgeteilt würde. Dann sollten diese Stimmen keinem anderen Bundesstaat zuwachsen dürfen, sondern erlöschen. [549.] Durch Art. 6a Abs. 2 RV hatten die Elsaß-Lothringen zustehenden Bundesratsstimmen obendrein einen erheblich geringeren Stellenwert als die Stimmen der Bundesstaaten. Dies war in erster Linie dem Umstand zuzuschreiben, daß der preußische König als Kaiser die Staatsgewalt in Elsaß-Lothringen ausübte und es Sache der Bundesfürsten bzw. der Senate der freien Städte war, den Bundesratsbevollmächtigten Instruktionen zu erteilen. Immerhin war dies gemäß Art. 2 § 2 Abs. 3 des Verfassungsgesetzes von 1911 mit Bück auf Elsaß-Lothringen deshalb anders, weil dort der Statthalter die Bundesratsbevolhnächtigten ernannte und instruierte und diese de jure nicht Bevolhnächtigte des Kaisers, sondern seines Statthalters waren. Doch hätte damit kaum die faktisch Preußen zufallende Stimmenmehrung kaschiert werden können. Denn wenn es auch dem Kaiser und preußischen König nicht möglich war, die Bevollmächtigten des Reichslandes unmitP, Laband(Fui^n. 119), S. 236.

§ 7: Deutscher Bund/Deutsches Reich (1871-1918)

299

telbar zu einem bestimmten Stimmverhalten zu bewegen, so doch mittelbar über die entsprechende Einwirkung auf den von ihm zu ernennenden und abzuberufenden Statthalter. Zwar sollte es nach P. Labancf^'^ gerade „Sinn dieser sonderbaren Bestimmung" des Art. 2 § 2 Abs. 3 des Verfassungsgesetzes von 1911 sein, daß der Statthalter anders stimmen konnte als der preußische König, doch war daran, wie auch Laband feststellte, angesichts der Abhängigkeit des Statthalters von dem personalunierten Kaiser und preußischen König als seinem Vorgesetzten nicht wirklich zu denken. [550.] Daher schaltete Art. 6a Abs. 2 Satz 1 RV zum Schutz der übrigen Bundesstaaten vor dem ohnehin übermächtigen Preußen die Stimmen des Reichslandes aus, wenn die Präsidialstimme - also diejenige Preußens - nur durch Einbeziehung dieser Stimmen die Mehrheit für sich erlangen konnte oder im Sinne des Art. 7 Abs. 3 RV (bei Stimmengleichheit) den Ausschlag geben würde. Ebenfalls nicht gezählt wurden die Stimmen des Reichslandes gemäß Art. 6a Abs. 2 Satz 2 RV bei der Beschlußfassung über Verfassungsänderungen. Dies bedeutete nichts anderes, als daß die eine zur Abstimmung stehende Modifikation der Reichsverfassung verhindernden vierzehn Stimmen (Art. 78 Abs. 1 RV) nicht erst durch die Hinzuzählung des ablehnenden Votums von Elsaß-Lothringen zustande kommen durfte. Da Preußen insoweit mit seinen 17 Stimmen immer allein ein Veto zustand, benötigte der Hohenzollernstaat die Elsaß-Lothringischen Stimmen zur Verhinderung einer ihm unerwünschten Verfassungsänderung ohnehin nicht. Doch konnte mit Art. 6a Abs. 2 Satz 2 RV der - immerhin theoretisch denkbare, wenngleich wenig realistische - Fall eintreten, daß einer von Preußen beantragten oder gebilligten Verfassungsänderung das Veto einer (von Elsaß-Lothringen unterstützten) Minderheit von Staaten entgegenstand. [551.] Insgesamt kündete die Einführung des Art. 6a in die Reichsverfassung von einem nur zäh voranschreitenden Integrationsprozeß Elsaß-Lothringens in die bundesstaatliche Ordnung des Deutschen Reichs. Auf diese Weise trat offen zutage, wie weit das seit nunmehr vier Jahrzehnten zum Reich gehörige ElsaßLothringen noch immer vom Zustand regulärer und gleichberechtigter Bundesstaatlichkeit entfernt war. e. Änderungen bezüglich der Erhebung von Schiffahrtsabgaben (Art. 54 RV) [552.] Mit Blick auf das die Schiffahrt betreffende Abgabenwesen enthielt Art. 54 Abs. 3 und 4 RV in seiner ursprünglichen Fassung Vorschriften, welche der Schiffahrt die Belastung mit Wasserzöllen und Abgaben für die Befahrung natürlicher Wasserstraßen grundsätzlich ersparen sollte. Dementsprechend ermächtigte Art. 54 Abs. 3 Satz 2 RV die Länder zwar dazu, in den Seehäfen Abgaben von den Seeschiffen oder deren Ladungen für die Benutzung von Schiffahrtsanstalten (Schleusen, Hebewerke) zu erheben. Doch durfte die Höhe dieser Abgaben die zur Unterhaltung und gewöhnlichen Herstellung dieser Anstalten erforderlichen Lasten nicht übersteigen. Der inhaltlich dem Art. 25 Abs. 1 des Zoll- und 437 Das Staatsrecht des Deutschen Reiches, Bd. 2, 5. Aufl., 1911, S. 237.

300

1. Abschnitt: Gesamtdeutsche Verfassungsentwicklung (1803/06-1918)

Handelsvereinsvertrages vom 8. Juli 1867^'^'^ entsprechende Art. 54 Abs. 4 RV gestattete entsprechendes auf allen natürlichen Wasserstraßen nur für die Nutzung „besonderer Anstalten", die zur Erleichterung des Verkehrs bestimmt waren, sowie für die Befahrung staatseigener künstlicher Wasserstraßen. Hierüber kam es anläßlich des Erlasses des preußischen Gesetzes über die Herstellung und den Ausbau von Wasserstraßen vom 1. April 1905"^^^ zu erheblichen Kontroversen. In diesem Gesetz wurde nämlich bestimmt, daß auf im Interesse der Schiffahrt regulierten - also ausgebauten - Strömen künftig Abgaben zur Vergütung für solche „Anstalten" erhoben werden durften, durch welche die Schiffbarkeit über den natürlichen Zustand hinaus erhöht wurde. Diese Landesregelung konnte aber angesichts Art. 54 Abs. 4 RV nur dann zulässig sein, wenn es sich bei derart ausgebauten Gewässem um „besondere Anstalten" im dort gemeinten Sinne handelte. Hieran bestanden zumindest erhebliche Zweifel, da man unter derartigen Anstalten nicht bereits jede die Schiffahrt erleichternde Maßnahme verstehen konnte, sondern eben nur „besondere", wie sie allein die Einrichtung zusätzlicher technischer Vorkehrungen (z. B. Schleusen, Hebewerke oder Häfen) darstellten. Vor diesem Hintergrund novellierte das Gesetz, betreffend den Aushau der deutschen Wasserstraßen und die Erhebung von Schiffahrtsabgaben, vom 24. Dezember 1911^"^^ die soeben skizzierten Bestimmungen. Es hob zunächst den Art. 54 Abs. 3 Satz 2 RV ersatzlos auf. Mit Blick auf den umstrittenen Art. 54 Abs. 4 RV bemühte man sich um Klarstellung, in welchen Fällen auf natürlichen Wasserstraßen künftig Abgaben erhoben werden durften. Dies geschah, indem nunmehr in Art. 54 Abs. 4 Satz 1 - anstatt wie bisher - „besonderer" für der Erleichterung des Verkehrs bestimmter „Anstalten" nunmehr nur noch auf „Anstalten (Werke und Einrichtungen)" Bezug genommen wurde. Hierdurch sicherte man nachträglich die fragwürdige preußische Gesetzgebungspraxis ab, denn jetzt wurde grundsätzlich jede, über die bloße Schiffbarkeitserhaltung der natürlichen Gewässer (Gewässerunterhaltung) hinausgehende Maßnahme zur Erleichterung des Schiffsverkehrs abgabeerhebungsfahig. Weil damit jedoch auch die Kommunen als Gewässerunterhaltungs- und Gewässerausbaupflichtige zu Abgabeberechtigten avancieren konnten, mußte man dies folgerichtig in dem nahezu mit der alten Fassung identischen Art. 54 Abs. 4 Satz 2 RV n. F. berücksichtigen. Die Höhe der Abgaben durfte deshalb nicht mehr wie bisher nur bei „staatlichen", sondern expressis verbis klarstellend auch bei „kommunalen" Anstalten die zur Herstellung und Unterhaltung erforderlichen Kosten nicht übersteigen. Obendrein wurde nun ausdrücklich hervorgehoben, daß als Kosten der Herstellung allein zu gelten hatten die Zinsen und Tilgungsbeträge für das aufgewendete Kapital (Art. 54 Abs. 4 Satz 4 RV n. F.); die Heranziehung sonstiger Berechnungsfaktoren für die Bestimmung der Abgabenhöhe war damit unzulässig. Wenn die Anlagen auch zur Förderung anderer Zwecke und Interessen als zur Erleichterung des Verkehrs dienten, durften nach Art. 54 Abs. 4 Satz 3 RV n. F. die Herstellungs- und Unterhaltungskosten nur zu einem verhältnismäßigen Anteil durch Schiffahrtsabgaben aufgebracht werden. "^^^ Dok. 102. ^^^ Gesetz-Sammlung für die Königlichen Preußischen Staaten, 1905, S. 179. ^40 Dok. 136/12.

§ 7: Deutscher Bund/Deutsches Reich (1871 - 1918)

301

Diese Vorschriften fanden auch Anwendung auf die Abgaben, die für künstliche Wasserstraßen und für Anstalten an solchen sowie in Häfen erhoben wurden (Art. 54 Abs. 5 RV n. F.). Auf diese Weise sollte im übrigen besser als bisher sichergestellt werden, daß nur den Schiffsverkehr fördernde Vorkehrungen der Unterhaltungs- und Ausbaupflichtigen, keinesfalls aber verkappte Verkehrszölle die freie Binnenschiffahrt belasteten. Der Bemessung von „Befahrungsabgaben" konnten im Bereich der Binnenschiffahrt die Gesamtkosten für eine Wasserstraße, ein Stromgebiet oder ein Wassemetz zugrundegelegt werden (Art. 54 Abs. 6 RV n. F.); also für einen Strom und seine schiffbaren Nebenflüsse und anschließenden Kanäle. Auf die Flößerei fanden diese Bestimmungen nach wie vor insoweit Anwendung, als sie auf schiffbaren Wasserstraßen betrieben wurde (Art. 54 Abs. 7 RV n. F.). f. Schaffung besonderen Kriegsverfassungsrechts zwischen 1914 bis 1918 [553.] Seit der Ermordung des österreichischen Thronfolgers, Erzherzog Franz Ferdinand, am 28. Juni 1914 in Sarajewo überschlugen sich die politischen Ereignisse. Eiligst - so schien es - trat bei den europäischen Mächten an die Stelle eines wirklichen Willens zum politisch-diplomatischen Ausgleich die Bereitschaft zur militärischen Konfliktlösungssuche. Alle Anzeichen dieser Tage, namentlich Österreichs gekränkte Ehre und Rußlands europäischer Hegemonialdrang sowie die Bündniskonstellationen (grob skizziert Deutschland-Österreich einerseits und Frankreich-Rußland andererseits), deuteten trotz anfänglich noch hektisch betriebenen Konfliktmanagements zwischen den Hauptstädten in Wahrheit schon sehr früh in Richtung Krieg, den Deutschland schließlich am 1. August 1914 Rußland und am 3. August 1914 Frankreich erklärte. [554.] Die verfassungsrechtliche Basis dieser Kriegserklärungen bildete Art. 11 Abs. 1 RV, der dem Kaiser mit Zustimmung des Bundesrates das Recht zubilligte, den Krieg zu erklären; allerdings bedurfte es auch dann noch gemäß Art. 17 Satz 2 RV der Gegenzeichnung des Reichskanzlers. Letztlich fehlte es den kaiserlichen Erklärungen weder an der Zustimmung des Bundesrats, die sogar einmütig ausfiel, noch an der Gegenzeichnung durch den Kanzler Bethmann Hollweg. Daß die von Verfassungs wegen zur Entscheidung bzw. zur Mitwirkung an den Kriegserklärungen vom 1. und 3. August 1914 berufenen Reichsorgane maßgeblich von den leitenden Militärs, also extrakonstitutionellen Faktoren, in der Überzeugung der für die Abgabe der Erklärungen bestehenden Notwendigkeit gedrängt wurden, war zwar ein politisch bemerkenswertes Faktum, beeinflußte aber deren staatsrechtliche, erst recht deren völkerrechtliche Rechtmäßigkeit in keiner Weise. [555.] Die Ouvertüre dieses später als Erster Weltkrieg bezeichneten Kriegsszenarios bildete für Deutschland die seit dem 4. August 1914 auf der Basis des Schlieffen-Plans stattfindenden militärischen Operationen gegen Frankreich, bei denen man deutscherseits bewußt den Bruch der Belgien seit 1831/39 völkervertragsrechtlich verbürgten Neutralität in Kauf nahm. Dies gab schließlich zumindest äußerlich für England den Ausschlag, sich noch am selben Tag als ebenfalls mit dem Deutschen Reich im Kriegszustand befindlich zu erklären. Die von den

302

1. Abschnitt: Gesamtdeutsche Verfassungsentwicklung (1803/06-1918)

Zeitgenossen keineswegs im Bewußtsein der vornehmlich für den europäischen Kontinent und nicht zuletzt fur Deutschland heraufziehenden „Urkatastrophe" des Jahrhunderts"^"^^ gedeuteten Ereignisse nahmen ihren bekanntermaßen verhängnisvollen Lauf. [556.] Der Krieg und sein Fortgang ließ selbstverständlich auch die hier in erster Linie interessierende Reichsverfassung nicht unberührt. Er stellte das reguläre Konstitutionsgefüge sogar über alle Maßen infrage. So glaubte man in der Umgebung des Kaisers bereits angesichts der russischen Generalmobilmachung, der für das Reich deutlich angewachsenen Kriegsgefahr mit zunächst nach innen gerichteten Vorbereitungen Rechnung tragen zu müssen. Daher war es vom verfassungsrechtlichen Standpunkt geradezu folgerichtig, wenn Kaiser Wilhelm IL unter Gegenzeichnung des Reichskanzlers die Verordnung, betreffend die Erklärung des Kriegszustandes, vom 31. Juli 1914^^^ erließ. In ihr erklärte der Kaiser mit dem Tag der Verkündung der Verordnung im Reichsgesetzblatt (das war ebenfalls der 31. JuH) das „Reichsgebiet ausschließhch der Könighch Bayerischen Gebietsteile . . . in Kriegszustand". Die Verordnung erging auf der Grundlage des Art. 68 Satz 1 RV, wonach der Kaiser, „wenn die öffentliche Sicherheit im Bundesgebiete bedroht ist", für einzelne Teile desselben oder insgesamt den Kriegszustand zu erklären befugt war. Sie durfte sich aber nicht auch auf Bayern erstrecken, da sie gemäß Art. 3 § 5 des Beitritts- und Verfassungsneuordnungsvertrages vom 23. November 1870^^^ in Verbindung mit den Schlußbestimmungen zum XL Abschnitt der Reichsverfassung auf das süddeutsche Königreich keine Anwendung fand. Gleichwohl tat der bayerische König Ludwig III. auf kaiserliches Ersuchen noch am selben Tag mit der „Verordnung, betreffend die Verhängung des Kriegszustandes in Bayem"'^'^'^ den entsprechenden Schritt. Der damit im gesamten Reich begründete innerstaatliche Notstand sollte sogar das Ende des konstitutionellen Systems überdauern und wurde erst durch den Rat der Volks beauftragten am 12. November 1918^^^ wieder aufgehoben. Die mit dem erklärten Kriegszustand verbundenen Rechtsfolgen richteten sich nach Art. 68 Satz 2 RV. Demgemäß galten bis zum Erlaß eines - allerdings niemals zustande gekommenen - entsprechenden Reichsgesetzes die Vorschriften des Preußischen Gesetzes über den Belagerungszustand vom 4. Juni 1851^"^^. Dieses bildete die rechtliche Grundlage für den sich vollziehenden Übergang der exekutiven Gewalt auf die Militärbefehlshaber, für die Verschärfung des Strafrechts und der Stra^ustiz sowie für die Suspendierung von immerhin acht Grundrechten."^"^^ Für Bayern richtete sich die Durchführung des Kriegszustands nach dessen eigenem Kriegszustandsgesetz. [557.] Von erheblicher Tragweite war das Gesetz über die Ermächtigung des Bundesrats zu wirtschaftlichen Maßnahmen und über die Verlängerung der Fristen des Wechsel- und Scheckrechts im Falle kriegerischer Ereignisse vom 441 Th. Nipperdey 442 Dok. 140. 443 Dok. 130.

(Fußn. 11), S. 758.

444 Gesetzes- und Verordnungsblatt für das Königreich Bayern, 1914, S. 325. 445 Dok. 145. 446 Gesetz-Sammlung für die Königlichen Preußischen Staaten, 1851, S. 4 5 1 . 447 Einzelheiten dazu bei E. R. Huber (Fußn. 50), S. 42 ff

' 7: Deutscher Bund/Deutsches Reich (1871 - 1918)

303

4. August 1914 („Ermächtigungsgesetz'')^'^^. Es wurde noch am selben Tag im Reichsgesetzblatt verkündet und trat sofort in Kraft (§ 4 Satz 1 des Ermächtigungsgesetzes). Nach dessen § 3 Abs. 1 war der Bundesrat „ermächtigt, während der Zeit des Krieges diejenigen gesetzlichen Maßnahmen anzuordnen, welche sich zur Abhilfe wirtschaftlicher Schädigungen als notwendig erweisen". Auf diese Weise delegierte die nach Art. 5 Abs. 1 RV aus Reichstag und Bundesrat bestehende Legislative einen Teil ihrer Kompetenzen allein auf den ohnehin mit der exekutivischen Gewalt ausgestatteten Bundesrat. Der Reichstag schaltete sich durch seine übrigens einstimmige Billigung des gesamten Ermächtigungsgesetzes"^"^^ gleichsam selber aus dem Rechtsetzungsgeschäft aus. Derartige kriegsbedingte Delegationen der Gesetzgebungsbefugnisse auf ein Organ der Exekutive waren indes keine deutsche Besonderheit, sondern wurden als Form der Not(stands)gesetzgebung in allen am Krieg beteiligen Staaten praktiziert; sah man sich doch durchweg wegen des Krieges zur vereinfachten Form der Rechtsetzung veranlaßt. Hierin indes - wie E. R. Huber^^^ und ihm folgend K. Stern^^^ - mit Blick auf die Fülle der Ermächtigungsgesetze der Weimarer Zeit „ein Verfassungsereignis von epochemachendem Rang" sehen zu wollen, dürfte indes verfehlt sein. Denn bei dem Ermächtigungsgesetz von 1914 handelte es sich in erster Linie um ein reines Kriegszustandsbewältigungsrecht. Daß man sich seit Kriegsende und dem Zusammenbruch des Kaiserreichs ähnlicher Instrumentarien zur Bewältigung innenpolitischer Krisen zu bemächtigen begann, mochte zwar eine gewisse Vorbildfunktion des Ermächtigungsgesetzes erkennen lassen. Doch kennzeichnete dieses Gesetz selbst noch längst nicht „den Durchbruch eines neuen verfassungspolitischen Prinzips von außerordentlicher Tragweite für Deutschland" (Huber). Dieses „Prinzip" trat nämlich - und dann auch nur mit gänzlich anderer Zielrichtung - seinen Siegeszug erst in der Gestalt von Kriegsfolgen- und Verfassungskrisenbewältigungsrecht des im Nachkriegsdeutschland sich bildenden neuen, weder politisch noch staatsrechtlich konsolidierten republikanischen (Weimarer) Staatswesens an. [558.] Entgegen nur vereinzelter Zweifel"^^^ war in der zeitgenössischen Staatsrechtslehre nahezu allgemein das Recht der Legislative anerkannt, die Exekutive durch Gesetz zur selbständigen Rechtsetzung ermächtigen zu dürfen."^^^ In derartigen Kompetenzdelegationen wollte man nicht einmal eine Änderung des insoweit als Maßstab dienenden Art. 5 Abs. 1 RV sehen, sondern - weil diese Bestimmung keine inhaltlichen Vorgaben für ein zu erlassendes Reichsgesetz enthielte - nur einen seiner Anwendungsfälle. Umso weniger bezweifelte daher jemand die grundsätzliche Zulässigkeit eines solchen Vorgehens. Dies wollen auch wir nicht tun. Allerdings wird man in § 3 des Ermächtigungsgesetzes mit E. R. Huber^^^ 448 Dok.141 449 E. R. Huber (Fußn. 50), S. 35 ff. 450 (Fußn. 50), S. 63. 451 (Fußn. 10), S. 469. 452 L V. Rönne (Fußn. 421), S. 13 ff. 4^^ Vgl. etwa G. Jellinek, Gesetz und Verordnung, 1887, S. 333; ^. Arndt, Das Verordnungsrecht des Deutschen Reichs, 1884, S. 16 ff; P. Laband (Fußn. 119), S. 96. 454 (Fußn. 50), S. 64 f

304

1. Abschnitt: Gesamtdeutsche Verfassungsentwicklung (1803/06-1918)

sehr wohl eine den Art. 5 Abs. 1 RV zeitweilig (für die Kriegsdauer) modifizierende und damit eine temporär verfassungsändernde Norm sehen müssen. Schied doch mit dem Reichstag einer der beiden von Verfassungs wegen vorgesehenen Gesetzgebungsfaktoren hinsichtlich einer Fülle von Regelungsbereichen vorübergehend aus dem Rechtsetzungsgeschäft aus. Da jedoch diese Verfassungsänderung nicht expressis verbis im Gesetz angesprochen wurde, handelte es sich bei ihr um einen Akt der zeitlich limitierten Verfassungsdurchbrechung. Für dessen Rechtmäßigkeit bedurfte es - wie für jede formelle Verfassungsänderung auch nach Art. 78 Abs. 1 RV im Reichstag der normalen Gesetzgebungsmehrheiten und im Bundesrat lediglich einer einfachen Stimmenmehrheit mit weniger als 14 Gegenstimmen. Angesichts der von beiden Gesetzgebungsfaktoren jeweils demonstrierten Einstimmigkeit bei der Verabschiedung des Gesetzes war diesen Erfordemissen fraglos genügt. [559.] Mit der Ermächtigung zum Erlaß „gesetzlicher Maßnahmen" konnte der Bundesrat Anordnungen mit Gesetzeskraft treffen. D. h. die Maßnahmen standen grundsätzlich formellen Gesetzen gleich und vermochten deshalb sowohl Reichsais auch Ländergesetze aufheben. Das galt selbst in Bezug auf Verfassungsänderungen, die nach Art. 78 Abs. 1 RV „im Wege der Gesetzgebung", d. h. nach der Ausschaltung des Reichstags nur noch durch eine ohne 14-Stimmenveto erfolgende Zustimmung im Bundesrat zustande kommen mußten. [560.] § 3 Abs. 2 des Ermächtigungsgesetzes verpflichtete den Bundesrat, seine Anordnungen dem Reichstag bei seinem nächsten Zusammentreten zur Kenntnis zu bringen und auf dessen Verlangen aufzuheben. Auf diese Weise war dem Reichstag ein Kontroll- und Vetorecht gegenüber allen „gesetzlichen Maßnahmen" des Bundesrats eingeräumt. [561.] Inhaltlich hatten sich die gesetzlichen Maßnahmen des Bundesrats auf solche „zur Abhilfe wirtschaftlicher Schädigungen" zu beziehen. In Anbetracht der Weite dieser Formel fiel hierunter insbesondere der gesamte Bereich des Sozial-, Arbeits-, Gewerbe- und Finanzwesens; selbst Regelungen auf dem Gebiet des Polizei-, Versammlungs- oder Fresserechts waren denkbar. Es gab letztlich kaum einen Lebensbereich, der aufgrund dieser weiten Formulierung nicht erfaßt worden wäre. Die tatsächlich vom Bundesrat in diesem Rahmen bis Kriegsende erlassenen 825 Rechtsakte betrafen in erster Linie Maßnahmen der Kriegsbewirtschaftung, des Währungs-, Finanz-, allgemeinen Zivil-, Arbeits-, Sozial- und des Gerichts Verfahrensrechts."^^^ Im Vordergrund standen dabei aber eindeutig die „wirtschaftliche Mobilmachung" des Reiches, die Organisation der Kriegs- und die Sicherung der Emährungswirtschaft durch ein umfassendes Instrumentarium staatlicher Planung, Regulierung, Lenkung und Beschlagnahme."^^^ Der Begriff vom „Kriegssozialismus""^^^ begann sich einzubürgern. Doch darf all dies nicht darüber hinwegtäuschen, daß es der bereits seit 1916 wieder erstarkende politische Einfluß des Reichstags ermöglichte, sich de facto an der kriegswirtschaftlichen Gesetzgebung zu beteiligen. Wichtige „Kriegsgesetze", wie etwa das Gesetz über den va"^^^ Näher dazu E. R. Huber (Fußn. 50), S. 69 ff. 456 K. Stern (Fußn. 10), S. 469. 45^ 77z.//ew^, Kriegssozialismus, 1915.

§ 7: Deutscher Bund/Deutsches Reich (1871 - 1918)

305

terländischen Hilfsdienst vom 5. Dezember 1916^^^ wurden daher trotz der eigentlich dem Bundesrat daför allein zustehenden Kompetenz auf dem „ordentlichen" Weg der Gesetzgebung erlassen. [562.] Ebenfalls eine Verfassungsänderung beinhaltete die als „Allerhöchster Erlaß über die Ermächtigung des Reichskanzlers zur selbständigen Erledigung von Regierungsgeschäften im Bereiche der Reichsverwaltung'' vom 16. August 1914 ergangene kaiserliche Anordnung.^^^ Hiermit sollte während der kriegsbedingten Abwesenheit des Kaisers „im Felde" die unverzügliche Erledigung von eigentlich der Entscheidung des Kaisers obliegenden Angelegenheiten sichergestellt werden. Dies betraf namentlich die den Reichskanzler an Kaisers statt „selbständig" zur Ernennung und Entlassung sowie zur Versetzung der Reichsbeamten in den Ruhestand ermächtigenden Nrn. 6 und 7 des Erlasses. Denn gemäß Art. 18 Abs. 1 RV stand allein dem Kaiser das Recht zur Beamtenemennung und Beamtenentlassung zu. Diese Art der Delegation eigener Angelegenheiten auf andere Verfassungsorgane durfte der Kaiser aber ohne ein dem Art. 78 Abs. 1 RV genügendes Gesetz nicht vornehmen. [563.] Wie tief der immer länger währende Krieg sich in die Verfassungsverhältnisse des Reichs eingrub, verdeutlichten auch die gleich dreimal mittels Reichsgesetz vorgenommenen Verlängerungen der gemäß Art. 24 Satz 1 RV regulär fünf Jahre andauernden Legislaturperiode des zuletzt am 12. Januar 1912 gewählten Reichstages. Zeichnete sich doch im Jahre 1916 ab, daß an ein baldiges Kriegsende kaum zu denken war; während der unverminderten Fortdauer des Krieges aber ließen sich keine allgemeinen Wahlen durchfiihren. Deshalb schob das Gesetz über die Verlängerung der Legislaturperiode des Reichstags vom 16. Oktober 1916^^^ die Legislaturperiode des bestehenden Reichstags zunächst um ein Jahr bis zum 12. Januar 1918 und dann das Gesetz über die nochmalige Verlängerung der Legislaturperiode des Reichstags vom 23. Juli 1917^^^ um ein weiteres Jahr bis zum 12. Januar 1919 und schließlich durch das Gesetz über die abermalige Verlängerung der Legislaturperiode des Reichstags vom 18. Juli JPJS462 sogar bis zum 12. Januar 1920 hinaus. Auch diese Gesetze modifizierten unter dem Eindruck außerordentlicher Verhältnisse jeweils zeitlich limitiert die Verfassung, ohne auf sie ausdrücklich Bezug zu nehmen. Gleichwohl waren sie rechtmäßig, weil jedenfalls dem für Verfassungsänderungen zu beachtenden Art. 78 Abs. 1 RV entsprechend.

458 Reichsgesetzblatt 1916, S. 1333. 459 Dok. 142. 460 Dok. 136/13. 461 Dok. 136/14. 462 Dok. 136/15.

306

1. Abschnitt: Gesamtdeutsche Verfassungsentwicklung (1803/06-1918)

g. „Reichswahlreform" [564.] Das Gesetz über die Zusammensetzung des Reichstags und die Verhältniswahl in großen Reichstagswahlkreisen vom 16. August 1918^^^ erhöhte durch seinen § 1 die in Art. 20 Abs. 2 RV noch mit 382 und durch die fünfzehn hinzugekommenen Abgeordneten Elsaß-Lothringens mit 397 festgeschriebene Gesamtzahl der Reichstagsabgeordneten auf 441. Es war bereits insoweit ein eindeutig auf die Änderung der Reichsverfassung gerichtetes, diese aber in ihrem Wortlaut unberührt lassendes Regelwerk. Die § § 2 - 6 des Gesetzes befaßten sich mit der teilweisen Reform der bestehenden Reichstagswahlkreiseinteilung; während die § § 7 - 1 5 des Gesetzes das Wahlreglement enthielten. Es sollte erst mit Ablauf der „gegenwärtigen" Legislaturperiode in Kraft treten; weshalb es unter dem Regime des Kaiserreiches nicht mehr zur Anwendung kam. Gleichwohl war dieses Gesetz bemerkenswert, weil sich mit ihm erstmals in Deutschland ein - wenn auch zunächst noch partieller - Übergang zur Verhältniswahl vollzog: [565.] Dieser Wahlmodus sollte für die am dichtesten besiedelten Reichstagswahlkreise gelten. Wenngleich statistisch auf jeden Wahlkreis eine durchschnittliche Einwohnerzahl von 163.500 kam, so konnte die Bevölkemngszahl in den einzehien Wahlkreisen tatsächlich erheblich auseinanderklaffen. So überschritten allein 36 Wahlkreise die Durchschnittseinwohnerzahl um etwa das Doppelte. Diesen Realitäten wollte man künftig besser Rechnung tragen. Das geschah aber nicht, indem derartige „übergroße" Wahlkreise in kleinere Wahlkreise zerlegt wurden, sondern indem in jedem dieser Wahlkreise eine erhöhte Zahl von Abgeordneten nach den Grundsätzen der Verhältniswahl zu wählen sein würde. Demgemäß regelte das Gesetz in seinen § § 2 - 6 , daß 361 der bisherigen 397 Reichstagswahlkreise als Einzelbewerber-Wahlkreise bestehen blieben; aus den verbleibenden 36 Wahlkreisen wurden unter Einbeziehung großstädtischer Teile der Einzelbewerber-Wahlkreise 26 „große Wahlkreise" gebildet, auf die nach dem Schlüssel von 200.000 Einwohnern pro Mandat insgesamt 80 zu vergebende Abgeordnetensitze entfielen. Künftiges Bevölkerungswachstum in diesen Wahlkreisen berücksichtigte die in § 6 des Gesetzes vorgesehene dynamisierte Mandatsvermehrung. Die Verhältniswahl beschränkte sich auf rund ein Fünftel der Mandate. Erst nach dem Zusammenbruch des Kaiserreichs setzte sie sich allgemein durch. Die Gesamtzahl der Wahlkreise verminderte sich infolge des Gesetzes zwar auf 387, die Abgeordnetenzahl indes erhöhte sich auf 441. h. Parlamentarisierung der Reichsverfassung [566.] Die Ernennung des Reichskanzlers und preußischen Ministerpräsidenten Georg Michaelis durch den Kaiser vollzog sich am 14. Juli 1917 noch voll und ganz in den Bahnen von Art. 15 Abs. 1 RV. Zwar war es schon der Druck der Mehrheit des Reichstags, der den Vorgänger, Bethmann-HoUweg, zu Fall gebracht hatte. Doch blieb der Reichstag noch weit entfernt davon, „seinen" Kanzler durchzusetzen; ganz abgesehen davon, daß es keine überzeugende Persönlichkeit ^^^ Dok. 143.

§ 7: Deutscher Bund/Deutsches Reich (1871 - 1918)

307

gab, auf die sich eine Majorität hätte einigen können. Die Reichstagsmehrheit indes begegnete dem ohne ihr Zutun berufenen Reichskanzler von Anfang an mit solchem Mißtrauen, daß er kaum mehr als eine Übergangslösung im Amt sein konnte. Weder sein energischer Widerstand noch sein Entgegenkommen gegenüber dem Reichstag vermochte etwas daran zu ändern, daß die Ernennung Michaelis' zum Reichskanzler nicht die Überwindung, sondern nur die Verlängerung einer Regierungskrise bedeutete.'*^'^ Michaelis war nämlich zu einem grundlegenden Wandel nicht bereit und gedachte, insgesamt am konstitutionellen System festzuhalten. Der ab Oktober 1917 zunehmende Druck des Reichstages führte schließlich dazu, daß er beim Kaiser um seine Entlassung nachsuchte, der am 1. November 1917 stattgegeben wurde. [567.] Mit der darauf folgenden Ernennung des noch von Michaelis vorgeschlagenen Nachfolgers Georg Graf von Hertling gelang es noch einmal, die in Art. 15 Abs. 1 RV verankerte kaiserliche Prärogative hinsichtlich Auswahl und Ernennung des Reichskanzlers zu verteidigen. Doch das konstitutionelle System befand sich mit Blick auf die Einsetzung der Reichsleitung längst in einer schweren Legitimitätskrise. Dies erkannte auch Hertling. Hatte er doch bereits vor seiner Ernennung eingehende Gespräche mit den Fraktionsvorsitzenden der Reichstagsparteien über sein Regierungsprogramm geführt und war dort nicht zuletzt mit dem Versprechen überwiegend auf Zustimmung gestoßen, Abgeordnete in die Regierung aufzunehmen. Obgleich er kein Freund des parlamentarischen Systems war, zeigte Hertling sich also geradezu ostentativ bereit, den Parteien in sachlicher und personeller Hinsicht entgegenzukommen. Dies bestätigte sich dann auch vor allem bei der Ernennung des der Fortschrittspartei angehörenden Friedrich von Payer zum Vizekanzler (Generalstellvertreter). Kaum anders verhielt es sich mit der Ernennung des Nationalliberalen von Friedberg zum preußischen Vizeministerpräsidenten. [568.] Alles deutete somit in Richtung auf eine stetige Ausweitung der Kompetenzen des Reichstages hin zu einem parlamentarischen Regierungssystem. Doch galt es auf dem Weg dorthin eine Reihe von verfassungsrechtlichen Hindernissen aus dem Weg zu räumen. Als eine Hürde identifizierte man Art. 9 Satz 2 RV, demzufolge niemand zugleich Mitglied von Bundesrat und Reichstag sein konnte; was dazu führte, daß wichtige Mitglieder der Reichsleitung wie auch der preußischen Staatsführung gehindert waren, Abgeordnete zu sein. Zudem standen Art. 21 Abs. 2 RV und die Parallelbestimmung des Art. 78 Abs. 3 der revidierten preußischen Verfassung einer vollständigen Parlamentarisierung entgegen, weil diese ein Mandat in den Volksvertretungen für den Fall der Übernahme eines Staatsamtes im Reich oder in Preußen ausschlossen. Dem dahingehenden entschiedenen Drängen des Reichstags verweigerte sich Hertling indes. Zu entsprechenden Verfassungsänderungen kam es unter seiner Kanzlerschaft daher nicht. Sein Nachfolger Prinz Max von Baden zeigte sich immerhin zur Abschaffung von Art. 21 Abs. 2 RV bereit. [569.] Im Zuge der sich zunehmend verschlechternden militärischen Situation im Jahre 1918 forderten der Reichstag und die mehrheitlich in ihm vertretenen E. R. Huber (Fußn. 50), S. 315 f.

308

1. Abschnitt: Gesamtdeutsche Verfassungsentwicklung (1803/06-1918)

Parteien immer stärker die vollständige Parlamentarisiemng der Reichsleitung und die Aufhebung des Art. 9 Satz 2 RV. Dies fand auch gehörigen Widerhall in der zeitgenössischen Staatsrechtsliteratur."^^^ Ebenfalls damit einher ging die Forderung nach der Ablösung Hertlings als Reichskanzler. Dem schloß sich, nachdem am 25. September 1918 der politische und militärische Zusammenbruch des verbündeten Bulgariens alle deutschen Hoffnungen auf Stabilisierung der eigenen militärischen Situation endgültig zunichte machte, auch die Oberste Heeresleitung am 28. September 1918 an. Sie forderte die Umbildung der Reichsregierung oder „einen Ausbau auf breiterer Grundlage'V^^ was aber zumindest signalisierte, daß die Militärs mit der Bildung einer parlamentarischen Regierung einverstanden wären. Man war wie übrigens auch das Auswärtige Amt nahezu zeitgleich zu der Überzeugung gelangt, daß nur eine solche Regierung mit einem Waffenstillstands- und Friedensersuchen bei dem amerikanischen Präsidenten Wilson auf Gehör stoßen würde. Und in der Tat: Bereits tags darauf rang man sich in dem im Großen Hauptquartier im belgischen Spa unter Vorsitz des Kaisers zusammentretenden Kronrat (sonstige Teilnehmer: der Kronprinz, Reichskanzler, Staatssekretär des Auswärtigen, Chef des Generalstabs und der Erste Generalquartiermeister) dazu durch, sowohl ein Waffenstillstands- und Friedensangebot an den amerikanischen Präsidenten auszusenden, als auch die Bildung einer parlamentarischen Regierung zu veranlassen. Daraufhin bat der diesen Übergang zur Parlamentarisierung ablehnende Hertling schon am 30. September 1918 beim Kaiser um seine Entlassung, die von diesem aber erst am 3. Oktober 1918 angenommen wurde. In Erwiderung auf das Entlassungsgesuch ließ der Kaiser ebenfalls noch am 30. September 1918 gegenüber Hertling verlauten: „Ich wünsche, daß das deutsche Volk wirksamer als bisher an der Bestimmung der Geschicke des Vaterlandes mitarbeite. Es ist daher mein Wille, daß Männer, die vom Vertrauen des Volkes getragen sind, in weitem Umfange teihiehmen an den Rechten und Pflichten der Regierung."'^^'^ In diesem Erlaß wurde nicht nur die grundsätzliche Bereitschaft zur Preisgabe des ungeachtet gewisser Zugeständnisse an parlamentarische Formen bis zum Ende der Kanzlerschaft Hertlings fortdauernden konstitutionellen Regierungssystems, also eines Kernstücks der Bismarckschen Reichsverfassung, bekundet, sondern auch unmißverständlich der Übergang zum parlamentarischen System angeordnet."^^^ [570.] Nur dem äußeren Schein nach wahrte sich der Kaiser zumindest das Auswahlrecht mit den Worten: „bis ich den Nachfolger für Sie gefunden habe". Doch gewann er auch insoweit nur deshalb noch einmal eine gewisse Handlungsfreiheit, weil sich die mittlerweile eifrig mit der Kandidatensuche beschäftigenden Reichstagsparteien selbst außer Stande zeigten, eine mehrheitsfähige Persönlich-

466 467

Vgl. etwa: M Weber, Parlament und Regierung im neugeordneten Deutschland, 1918; G.Anschütz, Parlament und Regierung im Deutschen Reich, 1918; K. Wittmeyer, Deutscher Reichstag und Reichsregierung, 1918; Th. Heuß, Die Bundesstaaten und das Reich, 1918; R. Redslob, Die parlamentarische Regierung in ihrer wahren und unechten Form, 1918. K. GrafHertling, Ein Jahr in der Reichskanzlei, 1919, S. 176. Text abgedruckt bei: E. R. Huber (Hrsg.), Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte, Bd. 3: Deutsche Verfassungsdokumente 1901 - 1933, 3. Aufl., 1990, Nr. 188. In diesem Sinne auch: E. R. Huber (Fußn. 50), S. 532 undK Stern (Fußn. 10), S. 484.

§ 7: Deutscher Bund/Deutsches Reich (1871 - 1918)

309

keit zu präsentieren. In der Umgebung des Kaisers brachte man daher den badischen Kronprinzen Max von Baden ins Gespräch. Dieser wurde schließlich am 3. Oktober 1918 zum Nachfolger Hertlings ernannt. Ihn konnte man zwar schwerlich als Verfechter einer neuen Verfassungsordnung bezeichnen. Denn seine Vorstellungen zielten auf die volkstümliche Erneuerung und Fortbildung der konstitutionellen Monarchie, nicht jedoch auf deren Abschaffung durch den Übergang in eine parlamentarische Demokratie. Doch bekannte sich der neue Kanzler zumindest äußerlich zum „Programm der Mehrheitsparteien, auf die ich mich stütze". Daher ist es sicherlich gerechtfertigt, die Staatsform des Reiches mit dem Regierungsantritt Max von Badens „faktisch" als „parlamentarische Monarchie" zu charakterisieren."^^^ [571.] Max von Baden beließ bei Amtsantritt den Zentrumspolitiker von Payer als Vizekanzler und bestimmte insgesamt gleich sechs führende Reichstagsabgeordnete als Repräsentanten von Zentrum (2), Mehrheitssozialisten (2) und Fortschrittlicher Volkspartei (2) zu Leitern von Reichsämtem, Staatssekretären ohne Geschäftsbereich oder zu Unterstaatssekretären und kam auf diese Weise den Mehrheitsparteien im Reichstag entgegen. Dies war jedoch angesichts des noch immer geltenden Art. 21 Abs. 2 RV insoweit nicht unproblematisch, weil die in ihre Staatsämter einrückenden Volksvertreter damit streng genommen automatisch ihr Abgeordnetenmandat verloren. Eingedenk dessen behalf man sich vorerst damit, von einer förmlichen Ernennung abzusehen und den betreffenden Personen nur einen Auftrag zur Wahrnehmung des Staatsamtes zu erteilen. [572.] Getreu der selbst definierten Abhängigkeit von der Reichstagsmehrheit nahm sich der Reichskanzler dann doch der Reform der Reichsverfassung in Richtung auf eine Parlamentarisiemng der Regierung an. Als erstes hatte er sich erneut mit der Forderung der Mehrheitsparteien nach Beseitigung der eine konsequente Parlamentarisierung hindernden InkompatibilitätsVorschriften (Art. 9 Satz 2, Art. 21 Abs. 2 RV) auseinanderzusetzen. Allerdings lehnte er die Aufhebung des die zeitgleiche Mitgliedschaft in Bundesrat und Reichstag untersagenden Art. 9 Satz 2 RV ab. [573.] Eine noch vom Tag des Amtsantritts des neuen Kanzlers herrührende Vorlage aus dem Reichsamt des Innern an den Reichstag bezog sich daher nur auf die Streichung des Art. 21 Abs. 2 RV. Die Abgeordneten sollten künftig ein Reichs- oder Staatsamt annehmen können, ohne deshalb ihr Mandat zu verlieren. Femer sollte es die Änderung des Stellvertretungsgesetzes vom 17. März 1878^'^^ ermöglichen, daß Abgeordnete Stellvertreter des Reichskanzlers, nicht aber Mitglieder des Bundesrates werden konnten. Nachdem der Bundesrat dieser Vorlage zugestimmt hatte, ging sie am 10. Oktober 1918 dem Reichstag zu. Dort wurde sie unverändert als Gesetz zur Abänderung der Reichsverfassung und des Gesetzes, betreffend die Stellvertretung des Reichskanzlers, vom 17. März 1878 am 28. Oktober 1918^^^ angenommen und trat noch am selben Tag in Kraft. Die in die Reichsleitung berufenen Reichstagsabgeordneten durften damit auch künftig nicht "^^9 Ck Gusy (Fußn. 96), S. 7. "^^0 Dok. 138. "^^1 Dok. 136/16.

310

1. Abschnitt: Gesamtdeutsche Verfassungsentwicklung (1803/06-1918)

zu Bundesratsbevollmächtigten ernannt werden. Insoweit war der Reichskanzler standhaft geblieben. Allerdings konnten die betreffenden Abgeordneten wegen der mit § 1 des Änderungsgesetzes erfolgten Streichung von Art. 21 Abs. 2 RV die bis dahin nur mit der Aufgabenwahmehmung ihrer leitenden Staatsämter betrauten Abgeordneten nunmehr regulär zu Staats- und Unterstaatssekretären sowie zu Leitern von Reichsämtem ernannt werden, ohne dadurch ihr Reichstagsmandat einzubüßen. Die darüber hinaus mit § 2 Abs. 1 des Änderungsgesetzes vorgenommene Streichung des § 2 Satz 2 des Stellvertretungsgesetzes vom 17. März 1878 erlaubte es jetzt auch solche Staatssekretäre zu eigenverantwortlich gegenzeichnenden „Stellvertretern des Reichskanzlers" zu ernennen, die nicht an der Spitze eines Reichsamtes standen (Staatssekretäre ohne Geschäftsbereich). Außerdem erhielten diese Nichtmitglieder des Bundesrats als „Stellvertreter des Reichskanzlers" durch § 2 Abs. 2 des Änderungsgesetzes das bis dahin nur den Mitgliedern des Reichstages vorbehaltene Recht, im Reichstag auf ihr Verlangen jederzeit gehört zu werden. Zwar blieben diese Vorrechte mit Blick auf den Reichstag ohne jede praktische Bedeutung, da dieser am 28. Oktober 1918 das letzte Mal vor dem Ende des Kaiserreichs zusammentrat. Doch bewirkten sie letztlich die volle Gleichstellung und KoUegialisierung innerhalb der Reichsleitung, die noch erheblich über das Ende des Kaiserreichs hinaus bis zum Februar 1919 fortbestand."^^^ [574.] Eine zweite, am 15. Oktober 1918 dem Bundesrat zugeleitete Änderungsvorlage war weitaus bedeutsamer, weil erheblich folgenreicher: Sie stand unverkennbar unter dem Eindruck der deutschen Friedensvorschläge, für die man den amerikanischen Präsidenten Wilson zu gewirmen suchte. Dies gedachte man dadurch zu fördern, daß der Reichstag künftig die formelle Mitentscheidung bei Kriegserklärung und Friedensschluß erhielt. Zu diesem Zweck sah der den Bundesrat beanstandungslos passierende Entwurf vor, Art. 11 RV dahingehend zu modifizieren, daß Kriegserklärung wie Friedensschluß der Zustimmung des Reichstages bedurften. Die sich daraus entwickelnde Debatte im Reichstag wuchs sich dann immer mehr zu einem die parlamentarische Verantworthchkeit der Reichsregierung gewährleistenden Reformakt aus, der am Ende auch die Militärverfassung einbezog. Im Vorfeld glaubte Max von Baden der Parlamentarisierungsfrage noch dadurch aus dem Weg gehen zu köimen, daß er die Verantwortlichkeit des Reichskanzlers im Sinne der klassischen Ministeranklage vor einem eigens dafür einzusetzenden Staatsgerichtshof regelte. Die Mehrheitsparteien waren jedoch dazu nicht bereit. Sie forderten formelle Verfassungsänderungen, mit denen der Übergang zum parlamentarischen Regierungssystem eindeutig zum Ausdruck käme. Dem konnte sich der Reichskanzler nicht wirklich verschließen. Gleichsam im Vorgriff auf die dann folgenden tatsächlichen Änderungen gab der Reichstag am 24. Oktober 1918 in namentlicher Abstimmung dem Reichskanzler mit 193 Ja- gegen 52 Nein-Stimmen bei 23 Stimmenthaltungen ein klares Vertrauensvotum. Schließlich beschloß der Reichstag das Gesetz zur Abänderung der Reichsverfassung^^^, dem am 28. Oktober 1918 der Bundesrat zustimmte und das

4^2 Vgl. auch E. R. Huber (Fußn. 50), S. 589. ^^3 Dok. 136/17.

§ 7: Deutscher Bund/Deutsches Reich (1871-1918)

311

nach erfolgter Ausfertigung durch den Kaiser noch am selben Tag verkündet wurde. [575.] In Art. 11 RV waren damit die bisherigen Abs. 2 und 3 ersetzt. So machte der neue Art. 11 Abs. 2 RV die Zustimmung von Reichstag und Bundesrat zu Kriegserklärungen stets erforderlich. Eine bestimmte Form für den Zustimmungsbeschluß wurde jedoch nicht vorgeschrieben. Art. 11 Abs. 3 RV n. F. verlangte für Friedensverträge ebenfalls die Zustimmung von Bundesrat und Reichstag. Eine Kriegserklärung allein durch den Kaiser, wie sie das alte Recht für den Verteidigungsfall vorsah, war jetzt ausgeschlossen. Doch schlug sich hier eher eine in praxi ohnehin bereits übliche Verfahrensweise nieder. Denn den kaiserlichen Kriegserklärungen vom August 1914 hatte seinerzeit der Bundesrat zugestimmt und mit der Bewilligung der Kriegskredite letztlich auch der Reichstag. Entsprechendes galt auch für die bislang auf der Basis des Art. 11 RV a. F. bereits geschlossenen Friedensverträge mit der Ukraine, Rußland, Finnland und Rumänien während des ersten Halbj ahres 1918. [576.] Als weitaus folgenschwerer erwies sich da schon die Modifizierung des Art. 15 RV. Dessen bisherigen zwei Absätzen wurden drei weitere angefugt. So bedurfte nach dem neuen Art. 15 Abs. 3 RV der Reichskanzler „zu seiner Amtsführung des Vertrauens des Reichstags". Der Reichstag erhielt damit das Recht, den Reichskanzler durch Mißtrauensvotum zum Rücktritt zu zwingen; was nichts anderes bedeutete, als daß der Kaiser seinen Kanzler nicht länger gegen den Willen des Reichstages im Amt halten konnte, sondern verpflichtet war, den Kanzler zu entlassen. Ungeklärt blieb jedoch, ob der Kaiser vor der Ernennung des Reichskanzlers an die Vorschläge der Mehrheit des Reichstages gebunden sein sollte, oder ob er weiterhin die Ernennung aus eigener Initiative aussprechen durfte, um es dem Kanzler selbst zu überlassen, sich entsprechende Mehrheiten zu suchen. Mangels eines ausdrücklich vorgesehenen Vorschlagsrechts des Reichstages wird man dies wohl anzunehmen haben. Die nachfolgende Vertrauensabstimmung bot hinreichend Kontrolle gegen dem Reichstag mißliebige Amtsträger. Dies zwang den Kaiser ohnehin, einen akzeptablen Regierungschef zu präsentieren. Hierin lag das Kernstück des neu begründeten uneingeschränkten parlamentarischen Regierungssystems, welches zugleich dem bisherigen konstitutionellen System ein für allemal seine Existenzgrundlage entzog. [577.] Nach dem neuen Art. 15 Abs. 4 RV trug der Reichskanzler die Verantwortung für alle Handlungen von politischer Bedeutung, die der Kaiser in Ausübung der ihm nach der Reichsverfassung zustehenden Befugnisse vornahm. Damit einhergehend wurde konsequenterweise die bisherige Verantwortungsformel in Art. 17 Satz 2 RV gestrichen, derzufolge der Kanzler mit der Gegenzeichnung der kaiserlichen Akte die „Verantwortlichkeit" übernahm. Im Unterschied zur bisherigen Regelung erstreckte sich die von Art. 15 Abs. 4 RV statuierte Verantwortlichkeit des Reichskanzlers auch auf Handlungen, die der Kaiser in Ausübung seiner militärischen Kommandogewalt vornahm. Kaiserliche Kommandoakte von „politischem" Rang war damit in die parlamentarische Kontrollgewalt einbezogen. Da letztlich alle Akte der Kommandogewalt mit erheblichen militärischen Auswirkungen auch von „poHtischer Bedeutung" waren, gehörten ab jetzt jedenfalls alle einschneidenden Militärakte in den Bereich der Kanzlerverantwortung.

312

1. Abschnitt: Gesamtdeutsche Verfassungsentwicklung (1803/06-1918)

[578.] Mit dem hinzugefügten Art. 15 Abs. 5 RV waren der Reichskanzler und seine Stellvertreter überdies dem Bundesrat und dem Reichstag für ihre eigene Amtsführung verantwortlich. Anders als der Reichstag, der dem Kanzler jederzeit das „Vertrauen" entziehen konnte, blieb mit Blick auf die Verantwortlichkeit gegenüber dem Bundesrat jedoch unklar, worin diese bestehen würde. Sicherlich bedurfte der Reichskanzler nicht des positiv bekundeten Vertrauens der Mehrheit des von ihm präsidierten Bundesrates, um im Amt bleiben zu können. Doch durfte der Bundesrat mit der einfachen Mehrheit der Stimmen vom Kaiser die Abberufung des Reichskanzlers verlangen. Ob der Kaiser indes gehalten war, einem derartigen Verlangen stattzugeben und seinen Kanzler zu entlassen, wird man vom juristischen Standpunkt aus - anders als mit Blick auf den Reichstag - wohl eher zu verneinen haben. Was die Stellvertreter des Reichskanzlers anbelangte, so sollten diese zwar ebenso wie der Reichskanzler selbst der Verantwortlichkeit gegenüber Bundesrat und Reichstag unterworfen sein; doch waren sie deshalb nicht vom Vertrauen dieser beiden Verfassungsorgane abhängig. Die Stellvertreter waren nämlich „vom Kaiser auf Antrag des Reichskanzlers" zu ernennen (§ 1 des Stellvertretungsgesetzes vom 17. März 1878'^'^^), mußten dementsprechend nur das „Vertrauen" des Kanzlers besitzen, der als einziger in einem actus contrarius mit seinem Antrag beim Kaiser den Widerruf der Stellvertreterschaft veranlassen konnte. Insgesamt mag man E. R. Huber^'^^ zustimmen, wenn er diese Regelung als „eher improvisiert" wirkend, denn als „voll durchdacht" bewertet. [579.] Des weiteren brachte das Verfassungsänderungsgesetz durch Modifizierung der Art. 53, 64 und 66 RV die Gegenzeichnungspflicht bei militärischen Personalentscheidungen. Der infolge des Gesetzes eingefügte Art. 53 Abs. 1 Satz 3 RV unterwarf die Ernennung, Versetzung, Beförderung und Verabschiedung der Offiziere und Beamten der Marine der Gegenzeichnung des Reichskanzlers. Entsprechend machte der neue Art. 66 Abs. 3 RV die Personalentscheidungen des Reichsheeres von der Gegenzeichnung des Kriegsministers des betreffenden Kontingentslandes abhängig. Durch den Art. 66 Abs. 4 RV wurden auch die vier Kriegsminister hinsichtlich ihrer Amtsführung der Verantwortlichkeit gegenüber dem Bundesrat und dem Reichstag unterworfen. Ein dem Art. 64 Abs. 2 RV eingefügter Zusatz machte femer die Gegenzeichnung durch den Kriegsminister des betreffenden Kontingentslandes erforderlich für die Ernennung aller Oberkommandierenden der Kontingente, der Festungskommandanten und der Befehlshaber von Truppenteilen, die sich aus Angehörigen verschiedener Kontingente zusammensetzten. Dies war in der Tat eine massive Aushöhlung des bislang als unantastbar und als alleiniges Reservat des Kaisers geltenden militärischen Kommandobereichs zugunsten des umgestalteten Regierungssystems. [580.] Die beiden Verfassungsänderungsgesetze flankierte der Kaiser mit einem allerdings erst am 4. November 1918 vom Reichskanzler im Reichsanzeiger publizierten Erlaß, in dem er sein Bekenntnis zu der vollzogenen staatsrechtlichen Neuordnung zum Ausdruck bringen wollte. Auch wenn er darin betonte, „Das Kaiseramt ist Dienst am Volke", so konnten dies und die Verfassungsreformen im 474 Dok.138. 47^ (Fußn. 50), S. 591.

§ 7: Deutscher Bund/Deutsches Reich (1871 - 1918)

313

letzten Augenblick nicht mehr darüber hinwegtäuschen, daß das Kaisertum längst nicht mehr zu retten war. Eine eigenständige Bedeutung konnten die Oktoberreformen angesichts der in die Novemberrevolution mündenden zunehmenden politischen Radikalisierung unter der Geltung der alten Reichsverfassung nicht mehr entfalten. 6. Das Ende des Kaiserreichs und seiner Verfassung [581.] Bereits im Rahmen der Diskussion des Reichstags über die Verfassungsänderungen im Oktober 1918 stand auch die Frage nach der Zukunft des Kaisers, ja, nach derjenigen der Monarchie überhaupt im Räume. So verlangte etwa der Abgeordnete Haase von den Unabhängigen Sozialdemokraten im Reichstag offen den Sturz von Kaiser und Monarchie. Doch noch machten sich die Mehrheitssozialisten diese Forderung nicht zueigen. Sie konnten sich zwar gegebenenfalls sehr wohl einen Thronverzicht des Kaisers vorstellen, lehnten aber die vollständige Beseitigung der Monarchie als Staatsform ab. Die Reichsleitung um den Reichskanzler widersetzte sich zunächst ebenfalls solchen Ansinnen; unterstützte der Kaiser doch die anstehenden Verfassungsreformen. Erst Ende Oktober 1918 reifte aber auch beim Reichskanzler die Überzeugung von der Notwendigkeit eines kaiserlichen Thronverzichts. Den Ausschlag dürfte wohl die Abreise des Kaisers ins Große Hauptquartier nach Spa gegeben haben, wo sich der Monarch in größerer Sicherheit wähnte. Der darüber verstimmte Kanzler brachte daraufhin die Abdankungsfrage am 31. Oktober 1918 auf einer geheimen Beratung im Kreise einiger der Reichsleitung zugehöriger Vertrauter zur Sprache. Man blieb in der Sache jedoch uneins. Doch vertrat Max von Baden noch immer die Auffassung, daß der Thronverzicht des Kaisers freiwillig zu geschehen habe. Allerdings gedachte er dem Kaiser die Notwendigkeit seiner Abdankung vor Augen zu führen. Damit betraute er zunächst den preußischen Innenminister Drews, der dem Kaiser am 1. November 1918 in Spa bestimmungsgemäß dessen Thronverzicht und den des Kronprinzen zugunsten des nächstberechtigten Thronerben, des noch unmündigen Prinzen Wilhelm, nahelegte. Diese Vorstellungen stießen indes bei dem insoweit vom Chef der Obersten Heeresleitung Hindenburg und vom Ersten Generalquartiermeister Groener unterstützten Kaiser rundweg auf Ablehnung. Er fürchtete wohl zu Recht, daß dies nicht nur das Ende seines Kaisertums, sondern zugleich auch das Ende aller deutschen Monarchien sein würde. Im Ergebnis geradezu kläglich scheiterte der ebenfalls noch am 1. November 1918 in die Tat umzusetzende Plan des Kanzlers, über den Schwager des Kaisers, den Prinzen Friedrich Karl von Hessen, die Abdankung zu erreichen. Denn dem Prinzen von Hessen kamen, nachdem er sich erst zur Fahrt ins Große Hauptquartier bereit erklärt hatte, noch in letzter Minute Zweifel an der Richtigkeit der ihm angesonnenen Mission und sagte sie ab. Darüber ob erst damit, wie E. R. Huber^^^ meint, das Schicksal der deutschen Monarchie endgültig besiegelt war, läßt sich heute trefflich spekulieren. Gewiß ist eingedenk der sich allerorten zunehmend radikalisierenden Ver-

(Fußn. 50), S. 659.

314

1. Abschnitt: Gesamtdeutsche Verfassungsentwicklung (1803/06-1918)

hältnisse nicht einmal, daß die Abdankung des Kaisers in diesem Stadium überhaupt eine spürbare Entspannung der inneren Lage hätte herbeiführen können. [582.] Doch wenden wir uns wieder den tatsächlichen Ereignissen in den ersten Novembertagen zu: Nachdem es schon Ende Oktober 1918 zu Meutereien der Matrosen in Wilhelmshaven gekommen war, kam es seit dem 3. November 1918 von Kiel ausgehend zu einem allgemeinen Flottenaufstand. Auch in Berlin verschärfte sich die Situation zusehends. Am T.November 1918 verlangten die Mehrheitssozialisten vom Reichskanzler ultimativ den Thronverzicht von Kaiser und Kronprinzen erst bis zum Mittag des nächsten Tages, verlängerten das Ultimatum dann aber bis zum 9. November 1918. Daraufhin empfahl der Reichskanzler dem Kaiser nach Schilderung der Lage am 7./8. November 1918 mittels eines Telegramms und eines nachgesandten Femschreibens eindringlich die Abdankung. Nachdem der Kaiser dies unter Hinweis auf die laufenden Waffenstillstandsverhandlungen ablehnte, wiederholte der Kanzler seinen Appell noch mehrmals mit der Warnung des anderenfalls unvermeidbaren Bürgerkrieges. Doch noch glaubte der Kaiser - entgegen der Vorstellungen selbst Hindenburgs und Groeners - an der Spitze seines Heeres die innere Ordnung des Reiches wiederherstellen zu können. Im Großen Hauptquartier anwesende Truppenkommandeure bekundeten indes, daß es in den meisten Armeeeinheiten dazu an der Bereitschaft fehlte; was gleichsam einem Zeugnis der Lossagung der Truppe von ihrem Oberbefehlshaber gleichkam. Die Abdankung wurde spätestens jetzt - am 9. November 1918 vormittags - auch nach Auffassung Hindenburgs und Groeners unvermeidlich. Nunmehr war es dem Kaiser unmöglich geworden, sich der Abdankung zu entziehen. Er entschloß sich daher zunächst zum Verzicht auf die kaiserlichen Rechte, nicht aber auf den preußischen Thron. Dieser Verzicht wurde der Reichskanzlei am 9. November um 14 Uhr femmündlich mitgeteilt. [583.] Doch war diese Mitteilung längst überholt, weil der Reichskanzler, um die Lage der in voller revolutionärer Auflehnung befindlichen Reichshauptstadt zu entspannen, voreilig bereits gegen 12 Uhr in Berlin die Abdankung des Kaisers mit den zentralen Worten „Der Kaiser und König hat sich entschlossen, dem Throne zu entsagen" proklamiert hatte. Überdies enthielt diese „offizielle" Verlautbamng die Mitteilung, daß der Reichskanzler solange im Amt bliebe, bis die mit der Abdankung verbundene Einsetzung einer Regentschaft geregelt sei. Dem Regenten solle vom Reichskanzler die Emennung des Abgeordneten Ebert zum Reichskanzler und die Vorlage eines Gesetzentwurfes über die sofortige Ausschreibung allgemeiner Wahlen zu einer verfassungsgebenden Deutschen Nationalversammlung vorgeschlagen werden. Dieser Wortlaut war dann auch noch am selben Tag „Abends" unter der Rubrik „Amtliches" im „Deutschen Reichsanzeiger" abgedmckt."^^^ Er entbehrte indes der sachlichen Richtigkeit. Denn von einer Abdankung von „Kaiser und König" konnte zunächst noch gar keine Rede sein, ebensowenig von einem Thronverzicht des Kronprinzen. Auch die Einsetzung einer Regentschaft ging ins Leere, weil der Reichskanzler sein Amt unmittelbar an Ebert übergeben wollte. Entsprechendes galt für die Ausschreibung von Wahlen zu einer verfassungsgebenden Nationalversammlung. "^^^ Dok. 144.

§ 7: Deutscher Bund/Deutsches Reich (1871 - 1918)

315

[584.] Dieser Bekanntmachung haftete etwas Staatsstreichartiges und zugleich der ereignisgeschichtliche Hauch des amtlich-endgültigen an: Staatsstreichartig deshalb, weil durch sie ohne die von Verfassungs wegen dazu gehörige kaiserliche Autorisierung das - wenn auch längst überfällige - Abtreten des Kaisers antizipiert wurde und es jedenfalls nicht in der Kompetenz des Reichskanzlers lag, seinen Dienstherm, den Kaiser, eigenmächtig seiner staatsrechtlichen Stellung zu entheben. Amtlich-endgültig wirkte die vom Kanzler herausgegebene „Abdankungserklärung" deswegen, weil sie als offizielle Verlautbarung von einer obersten Reichsbehörde stammte, was der Kundgabe den Anstrich der äußerlichen Richtigkeit gab. Kam es doch jetzt in der öffentlichen Wahrnehmung auf die tatsächliche Abgabe des Thronverzichts durch den Kaiser und ihre wortgetreue Bekanntgabe nicht mehr an. Man hatte durch die Kanzlermitteilung ja vermeintlich längst des Kaisers unumstößlichen Entschluß vernommen; einen weiteren erwartete oder vermißte in dieser Situation daher auch niemand. [585.] Verfassungsrechtlich noch bedenklicher war dann die noch am frühen Nachmittag des 9. November 1918 unter Abweichung der in Art. 15 RV vorgesehenen Form durch Max von Baden erfolgende „Übertragung" der Reichskanzlerschaft auf Friedrich Ebert. Dem Reichskanzler ist in diesem Zusammenhang angelastet worden, er habe „die höchste Macht im Reich dem Zugriff der revolutionären Bewegung preis"gegeben.'^'^^ Doch wird damit verkannt, daß ungeachtet seines Vorgehens die Entscheidung über Monarchie oder Republik längst anderswo gefallen war. Die revolutionären Ereignisse hatten den Kanzler zu dieser Zeit bereits überholt, ja, schritten auch nach der glanzlosen Amtsübergabe an Ebert unaufhaltsam geradezu im Minuten- und Stundentakt voran. Begann sich die deutsche Republik doch bereits äußerlich zu etablieren, als sie der SPD-Politiker Scheidemann gleichsam in einem situationsbedingten Alleingang gegen 14 Uhr vom Balkon des Reichstaggebäudes ausrief und Liebknecht nur zwei Stunden später vor dem Berliner Schloß sogar die „sozialistische" Republik proklamierte. [586.] Im Großen Hauptquartier löste die bald auch dort eintreffende Nachricht von der eigenmächtigen Publizierung des Thronverzichts allgemeine Empörung aus; es wurde von Verrat am Kaiser gesprochen. Der Kaiser selbst sprach zwar voller Erbitterung über den „Gewaltakt" des Reichskanzlers, fügte sich aber letztlich widerstandslos in „seinen" auf diese Weise bekanntgegebenen „Thronverzicht". Nach bereits zwischenzeitlich geführten Verhandlungen mit der niederländischen Regierung wurde dem Monarchen Exil in den Niederlanden gewährt. Am 10. November 1918 um 7 Uhr war es schließlich soweit: der Kaiser überschritt die niederländische Grenze. Spätestens jetzt hatte die preußisch-deutsche Monarchie ihr faktisches Ende gefunden. Mit ihr verschwanden auch die übrigen einundzwanzig Dynastien in den Ländern und mit ihnen das konstitutionelle System ein für allemal von der politischen Bildfläche. [587.] Gleichwohl unterzeichnete Wilhelm IL erst am 28. November 1918 im niederländischen Amerongen seine bis dahin noch fehlende förmliche Abdankungserklärung. Diese wurde zwei Tage später unter der Rubrik „Nichtamtliches"

E. R. Huber (Fußn. 50), S. 696.

316

1. Abschnitt: Gesamtdeutsche Verfassungsentwicklung (1803/06-1918)

im „Deutschen Reichsanzeiger und Preußischen Staatsanzeiger'"^^^ publiziert. In ihr verzichtete der Hohenzoller „für alle Zukunft auf die Rechte an der Krone Preußens und die damit verbundenen Rechte an der deutschen Kaiserkrone" Ferner entband er alle Beamten des Reiches und Preußens sowie alle Angehörigen von Heer und Marine von dem ihm geleisteten Treueid. Zudem sprach er die Erwartung aus, daß die von ihren Eiden Entbundenen „bis zur Neuordnung des Deutschen Reiches den Inhabern der tatsächlichen Gewalt in Deutschland" halfen, „das Deutsche Volk gegen die drohenden Gefahren der Anarchie, der Hungersnot und der Fremdherrschaft zu schützen". Am 1. Dezember 1918 erklärte auch der frühere Kronprinz Wilhelm „ausdrücklich und endgültig auf alle Rechte an der Krone Preußens und an der Kaiserkrone" verzichten zu wollen. Diese Erklärung wurde im „Deutschen Reichsanzeiger und Preußischen Staatsanzeiger""^^^ am 6. Dezember 1918 „nichtamtlich" veröffentlicht. [588.] Die Reichsverfassung vom 16. April 1871 blieb faktisch eigentlich nur bis zum 10. November 1918 in Kraft; das war der Tag an dem der „Rat der Volksbeauftragten" die Macht übernahm. Spätestens zu diesem Zeitpunkt stellten nämlich alle zentralen Organe des Staates ihre Funktionen ein."^^^ Der Kaiser hatte mit seinem Gang ins niederländische Exil zumindest konkludent auf die weitere Ausübung seiner verfassungsmäßigen Rechte verzichtet und der letzte rechtmäßig ernannte Reichskanzler war demissioniert. Dem formell zwar noch weiter bestehenden Bundesrat waren mit den regierenden Fürsten der Einzelstaaten bzw. mit den von ihnen zu ernennenden Bevollmächtigten die meisten und noch dazu wichtigsten seiner Mitglieder abhanden gekommen; der nicht (mehr) versammelte Reichstag wurde kurzerhand nicht mehr einberufen; was im übrigen auf der Grundlage des Art. 12 RV ohnehin nur durch den Kaiser hätte geschehen können. Formalrechtlich bestand die gegenstandslos gewordene Reichskonstitution jedoch weiter. Sie wurde ausdrücklich erst durch Art. 178 Abs. 1 der Verfassung des Deutschen Reiches vom 14. August 1919 (Weimarer Reichsverfassung) aufgehoben.

479 Dok. 146. 480 Dok. 147. 48^ In diesem Sinne auch Ch. Gusy, Vom Deutschen Reich zur Weimarer Republik, in: Juristenzeitung 1999,8.758(758).

2. Abschnitt: Verfassungsentwicklung in den deutschen Einzelstaaten (1806 - 1918)

§ 8: Anhaltische Staaten [589.] Die anhaltischen Staaten (Bemburg, Dessau und Köthen) zählten seit den Rheinbundzeiten stets zu den kleinsten Staaten Deutschlands. Sie nahmen in dem Zeitraum zwischen 1800 und 1918 zusammen gerade eine Fläche von 2.383,1 W ein.i Anhalt-Dessau hatte 1817 52.947, 1830/31 57.629 Einwohner, AnhaltDessau und -Köthen (zusammen) 1852 123.759 Einwohner, Anhalt-Bemburg 1817 37.046, 1830/31 43.325, 1852 52.641 Einwohner und Anhalt-Köthen 1817 32.454, 1830/31 32.278 Einwohner; ganz Anhalt zählte um 1800 ca. 118.000, 1817 122.447, 1830/31 133.232,1852 176.400 und 1905 328.029 Einwohner.^

I. Verfassungsverhältnisse der anhaltischen Staaten vor 1806 [590.] Die anhaltischen Länder bildeten noch unter Fürst Joachim I. eine Einheit. Erst der unter seinen Söhnen im Jahre 1603 abgeschlossene Teilungsvertrag teilte das Land in die vier selbständigen Fürstentümer Dessau, Bemburg, Köthen und Zerbst. Dennoch besaßen diese Fürstentümer weiterhin eine gemeinsame landständische Verfassung und folglich gemeinsame Landtage und ein gemeinsames Steuerwesen. Als Hauptgrundgesetze, nach welchem ohne Zustimmung der Stände keine Steuern ausgeschrieben werden durften, galten die von Kaiser und Reich bestätigten Landtagsabschiede vom 5. Mai 1611 und 29. November 1652. Die inneren Angelegenheiten des Hauses Anhalt wurden namentlich durch den Erbeinigungsvertrag von 1653 geregelt. Dieser statuierte u. a. ein Seniorat, demzu-

R. Hachtmann, Parlamentarismus in Anhalt I, Die anhaltischen Landtagsabgeordneten und die Abgeordneten zur Deutschen Nationalversammlung 1848 - 1851, in: Stadt Dessau (Hrsg.), Zwischen Wörlitz und Mosigkau, Heft 39/III, 1996, S. 5; M Fleischmann, Wörterbuch des Deutschen Staats- und Verwaltungsrechts, 2. Aufl., 1911, S. 125 gibt die Fläche mit 2.299,4 km^ an. Einwohnerzahl für 1800 nach H. Köhler, Historisches Lexikon der deutschen Länder, 6. Aufl., 1991, S. 15; Einwohnerzahlen fur 1817 und 1830/31 nach Th. Klein, Anhalt, in: ders. (Hrsg.), Grundriß zur deutschen Verwaltungsgeschichte 1815- 1945, Reihe B, Bd. 16: Mitteldeutschland (Kleinere Länder), 1981, S. 93 (95) - Die Angaben für 1817 entsprechen denjenigen aus der provisorische Bundesmatrikel vom 20. August 1818 (Protokolle der Bundesversammlung, 43. Sitzung vom 20. August 1818, §210). Die Einwohnerzahlen für 1852 sind nach C. BluntschlilBrater, Staats-Wörterbuch, 1857, S. 243, die Einwohnerzahl für 1905 ist nach M Fleischmann (Fußn. 1), S. 125.

318

2. Abschnitt: Verfassungsentwicklung in den deutschen Einzelstaaten (1806-1918)

folge dem ältesten Regierenden im fürstlichen Hause die Wahrnehmung der anhaltischen Gesamtangelegenheiten oblag. Die Landstände bestanden aus Prälaten, der Ritterschaft und den vier Städten Dessau, Zerbst, Bemburg und Köthen. Ein engerer Ausschuß wurde aus vier Mitgliedern der Ritterschaft und den vier ältesten Bürgermeistern der Residenzstädte, ein weiterer Ausschuß aus zwölf Mitgliedern der Ritterschaft und acht Bürgermeistern der vier Residenzstädte gebildet. Als Oberdirektor der Landschaft (des allgemeinen Landtages) fungierte der jeweilige Senior des Fürstenhauses. Ihm zur Seite stand ein Unterdirektor, der dem engeren Aus-schuß präsidierte. Dem engeren Ausschuß oblag die Durchführung der ständischen Beschlüsse; wofür er sich mehrerer Beamter bediente. Der weitere Ausschuß bildete die eigentliche Landesvertretung und hatte den engeren Ausschuß zu kontrollieren. [591.] Allerdings wurde seit dem Jahre 1698 kein allgemeiner Landtag in den anhaltischen Ländern mehr abgehalten; an ihre Stelle traten bis 1767 sogenannte Landrechnungs- oder -ausschußtage. Später wurden in dringenden Fällen einige Landstände zu Deputationstagen einberufen. Der letzte Deputationstag fand im Jahre 1793 statt. Auf diese Weise ignorierten die Landesherren weitgehend die Rechte des Landtages. Hierüber kam es verschiedentlich sogar zu Beschwerden der Stände beim Reichshofrat in Wien. II. Verfassungsverhältnisse der anhaltischen Staaten zwischen 1806 und 1848 1. Rheinbundzeit a. Annahme der Herzogwürde [592.] Noch unmittelbar vor Ende des Reiches, gleichsam als einer der letzten kaiserlichen Akte, erhielt der anhalt-bemburgische Fürst Alexius Friedrich Christian^ von Kaiser Franz IL am 17. April 1806 als Gegenleistung für nicht unbeträchtliche Geldzuwendungen die Herzogwürde."^ Durch den am 18. April 1807 mit Frankreich in Warschau geschlossenen und am 30. April 1807 ratifizierten ^A:zessionsvertrag^ vollzogen die anhaltischen Fürsten ihren Beitritt zum Rheinbund. Hierin waren die anhaltischen Staaten u. a. verpflichtet, im Kriegsfall 800 Mann Infanterie zu stellen. Dabei entfielen auf Dessau 350, Bemburg 240 und Köthen 210 Mann. Die Direktion über das Kontingent übte der Fürst/Herzog von AnhaltDessau aus. Am 22. Juni 1807 nahmen auch die bisherigen Fürsten Leopold Friedrich Franz von Anhalt-Dessau^ und August Christian Friedrich von AnhaltKöthen^ den Herzogstitel an.^ ^ ^ 5 ^ ^

Regierte von 1796 - 1834. H. Wäschke, Anhaltische Geschichte, Bd. 3: Geschichte Anhalts von der Teilung bis zur Wiedervereinigung, 1913, S. 294 f. Dok. 8. Regierte von 1751-1817. Regiertevon 1779-1812.

§ 8: Anhaltische Staaten

319

b. Die Köthische Verfassung [593.] Während der Rheinbundzeit gab der Herzog von Anhalt-Köthen seinem Land mit dem „Edict wegen Einführung des Französischen Gesetzbuchs'' vom 28. Dezember 1810^ eine Verfassung nach französischem Muster. Darin war die Gleichheit aller vor dem Gesetz, die Abschaffung der Adelsvorrechte, der Patrimonialgerichtsbarkeit und der Fronden, die Einführung einer veränderten Form der militärischen Aushebung sowie ein gleiches Steuersystem festgeschrieben. Auf dieses Edikt bezogen sich dann die ebenfalls neu erlassenen Verwaltungsverordnungen vom 19. Februar I8IP^ und vom 22. Februar 181 J^K Diese Rechtsquellen entstammten der Feder des vom Herzog von Halle nach Köthen berufenen und zum Staatsrat ernannten Professors Dabelow. Die damit verbundenen Neuerungen erwiesen sich indes als auf die Verhältnisse eines Kleinstaates wie Köthen kaum übertragbar. Dies galt etwa für die Einteilung des Landes in zwei Departements mit je zwei Distrikten. Die Landesverwaltung sollte ein Staatsrat unter dem Vorsitz des Herzogs ausüben. Die alten Landstände, die im Grunde nur aus dem Adel des Landes und den Vertretern der größeren Städte bestanden, wurden aufgelöst, aus zwölf Mitgliedern bestehende neue Landstände (acht aus der Ackerbau treibenden Bevölkerung, zwei aus dem Handelsstand und zwei aus dem Gelehrtenstand) gebildet. Die Veröffentlichung der Verfassung erfolgte durch Edikt vom 2. Januar 1811. Sie wurde jedoch bereits durch die Verwaltungsverordnung vom 19. Februar 181P^ mit Blick auf die Landeseinteilung verändert. Nunmehr sollte das Land nur noch aus einem Departement mit sechs Distrikten bestehen; die Distrikte wiederum in Kantone und diese in Munizipalitäten gegliedert sein. Die Landstände erhielten nur ein Beratungs-, aber kein Beschlußrecht; angesichts der enormen Schuldenlast, welche diesen Kleinststaat drückte und der Forderung des Herzogs, die Schuldenlast mit Gewährleistung der Tilgung zu übernehmen, gewiß eine Zumutung. Eine solche Verfassung forderte überdies den Widerstand der ehemaligen Landstände heraus, der aber zu Lebzeiten des Herzogs erfolglos blieb. [594.] Herzog August Christian Friedrich starb allerdings bereits am 6. Mai 1812. Ihm auf dem Thron folgte der Sohn seines am 16. September 1802 verstorbenen Bruders Ludwig, der erst zehnjährige Herzog Ludwig August Friedrich Emil. Das Land wurde wegen der Minderjährigkeit des jungen Herzogs unter die Vormundschaft des Herzogs Leopold Friedrich Franz von Anhalt-Dessau gestellt. Dies geschah, obwohl der verstorbene Herzog in dem von ihm bekannt gemachten Hausgesetz vom 24. Juli 1811 den Großherzog von Darmstadt als Großvater des Prinzen zum Vormund bestimmt und dieser die eventuelle Regentschaft bereits im Jahre 1811 übernommen hatte. Doch verzichtete er schließlich darauf, da sie gegen die anhaltischen Hausgesetze verstieß. Der Herzog von Anhalt-Dessau trat daher die Regentschaft am 3. Juli 1812 an. Schon bald darauf setzte er die neue Staats- und Justizverfassung durch Publicandum (Reorganisations-Patent) vom ^ ^ ^0 ^^ ^2

K Wäschke (Fußn. 4), S. 304. Dok. 179. Dok. 180. Dok. 181. Dok. 180.

320

2. Abschnitt: Verfassungsentwicklung in den deutschen Einzelstaaten (1806-1918)

24. Oktober 1812^^ außer Kraft und stellte die vorherige mit einigen Änderungen nämlich, wie es hieß, „soweit solche mit den an jetzt allgemein anerkannten Grundsätzen einer guten Staats- und Justizverfassung und dem zerrütteten Finanzzustande verträglich ist" ~ wieder her. Infolge dessen wurden die jüdischen Untertanen den christlichen gleichgestellt, die Patrimonialgerichtsbarkeit blieb aufgehoben und eine Reihe zivilrechtlicher Neuerungen behielt ihre Geltung. 2. Anhalt zwischen 1815 und 1848 [595.] Die anhaltischen Staaten waren seit Unterzeichnung der Deutschen Bundesakte (DBA) vom 9. Juni 1815^^ Mitglieder des Deutschen Bundes. In der Bundesversammlung teilten sie sich im Engeren Rat mit Holstein-Oldenburg die fünfzehnte Stimme von insgesamt siebzehn Stimmen; im neunundsechzigstimmigen Plenum fährte jedes der drei Herzogtümer hingegen eine eigene Stimme. [596.] Nach dem Beitritt zum Deutschen Bund hatten die anhaltischen Staaten den Art. 13 DBA, demzufolge in allen Bundesstaaten eine landständische Verfassung stattfinden sollte, nicht vollzogen. Denn die gemeinsame altständische Verfassung der drei Staaten war jedenfalls nicht mehr - wie es Art. 56 WS A ausdrückte - in „anerkannter Wirksamkeit" und eine neue, erneuerte oder sogar einzelstaatliche Verfassung war - wie eigentlich von den Art. 54, 55 der Wiener Schlußakte (WSA) vom 15. Mai 1820^^ gefordert - nicht an deren Stelle getreten. Gleichwohl gaben die drei Herzöge vor der Bundesversammlung am 26. Mai 1818 zu Protokoll, „bei ihnen bestehe noch eine landständische Verfassung; aber ihre Verbesserung werde gewünscht, da der Lauf der Zeiten ihre ursprüngliche Gestalt sehr verändert habe; ihr Absehen hätten sie auf eine Übereinstimmung in der Verfassung der Anhaltischen Landestheile gerichtet, die ohne Beachtung mannigfaltiger Rücksichten und vorsichtige Einleitung nicht zu erreichen sey".^^ [597.] Zwar wurde auf Anregung Bemburgs bereits am 12. Februar 1817 Übereinstimmung über die Notwendigkeit einer Verfassung erzielt. Doch konnte man sich nicht darauf verständigen, ob ein gemeinsamer Landtag für ganz Anhalt oder Sonderlandtage für jedes Herzogtum einzurichten seien. Die schließlich nach Bemburg einberufene Konferenz entschied sich für drei gleichartige einzelstaatliche Verfassungen. Der von Bemburg im Jahre 1819 vorgelegte Entwurf sah dann in der Tat vor, daß jeder Staat seine eigenen Landstände (zu jeweils einem Drittel bestehend aus Vertretern von Adel, städtischem Bürgertum und Bauernschaft) haben sollte. Obendrein gedachte man, ein entsprechendes Wahlgesetz ausarbeiten zu lassen. Doch scheiterte diese Verfassungsinitiative an der ablehnenden Haltung des erst unlängst für den noch minderjährig verstorbenen Ludwig August Fried-

13

Dok. 182. Dok.31. 15 Dok. 43. 1^ Protokolle der deutschen Bundesversammlung, 27. Sitzung vom 26. Mai 1818, § 128.

14

§ 8: Anhaltische Staaten

321

rich Emil zur Herrschaft gelangten köthischen Herzogs Ferdinand^^, der von der „Verderblichkeit der modernen Verfassungen" überzeugt war.^^ [598.] Durch Vertrag vom 10. Oktober 1823 trat Anhalt-Bemburg zunächst mit seinem oberen Herzogtum, infolge des Vertrages vom 7. Juli 1826 vollständig dem Preußischen Zollsystem bei. Am 17. Juli 1828 schlossen auch Anhalt- Dessau und Anhalt-Köthen entsprechende Anschlußverträge. Letztere taten dies zwar nur äußerst widerstrebend.^^ Dennoch waren damit die Zollgrenzen zwischen den drei nahezu völlig von preußischem Gebiet umschlossenen anhaltischen Staaten und Preußen aufgehoben und es bestand seitdem ein einheitliches preußischanhaltisches Zollgebiet, welches in dieser Form auch in den seit 1834 bestehenden und sich allmählich auf nahezu ganz Deutschland mit Ausnahme Österreichs erstreckenden Deutschen Zollvereins einging. Die Verträge wurden später, nämlich am 17. Mai 1831 und 11. Juli 1839, jeweils erneuert. Dies hatte zur Folge, daß künftig alle unter der Federführung Preußens geschlossenen Zollvereinsverträge auch für die anhaltischen Staaten galten. [599.] Ungeachtet der formaljuristisch nach Bundesrecht nicht mehr bestehenden altständischen Verfassung gingen die anhaltischen Herzöge weiterhin von deren Fortbestehen aus. Dementsprechend galt für die drei Herzogtümer gemeinschaftlich betreffende Angelegenheiten, daß diese von dem jeweils ältesten der regierenden Herzöge wahrgenommen wurden („Seniorat"). Seit dem Tod des Herzogs Heinrich von Anhalt Köthen^^ am 23. November 1847 war dies Leopold IV. Friedrich von Anhalt-Dessau. Da der Köthener Herzog kinderlos verschieden war, erlosch damit zugleich die Köthener Linie. Anhalt-Köthen fiel zu gleichen Teilen an den Dessauer und den Bemburger Herzog, blieb aber entgegen der in Anhalt üblichen Aufteilung zwischen den Erbhäusem ungeteilt und staatsrechtlich zunächst weiterhin ein selbständiger Staat, wenngleich als Kondominat im Namen der beiden verbliebenen anhaltischen Herzöge von einem allein dem Dessauer Herzog Leopold IV. Friedrich unterstellten und verantwortlichen Ministerium verwaltet. [600.] Das darin zum Ausdruck kommende Desinteresse der bemburgischen Politik an den köthischen Verhältnissen resultierte nicht zuletzt aus der faktisch nur bedingten Regierungsfahigkeit des unheilbar geisteskranken bemburgischen Herzogs Alexander KarP^, dessen Kinderlosigkeit obendrein absehbar dazu führte, daß alle drei Herzogtümer einst unter der Dessauer Linie wiedervereinigt würden. Doch dazu später! Bis zum Jahr 1848 war es jedenfalls in keinem der anhaltischen Staaten zu einer neuen, geschweige konstitutionellen Verfassung gekommen.

^^ 1^ 1^ ^^ 2^

Regierte von 1818-1830. H. Wäschke (Fußn. 4), S. 384. Näherdazua.a. 0.,S. 399f. Regierte von 1830-47. Regierte von 1834 - 1863.

322

2. Abschnitt: Verfassungsentwicklung in den deutschen Einzelstaaten (1806-1918)

III. Verfassungsverhältnisse der anhaltischen Staaten zwischen 1848 und 1859 [601.] Wenden wir uns zunächst den Ereignissen des Revolutionsjahres 1848 und den unmittelbar daraus resultierenden verfassungsrechtlichen Folgen für die anhaltischen Staaten zu: 1. Anhalt-Dessau undAnhalt-Köthen [602.] Bereits am 6. März 1848 fand in Dessau die erste Volksversammlung statt, als deren Ergebnis am 10. März 1848 dem Herzog Leopold IV. Friedrich eine Adresse übergeben wurde. Darin waren neben den Forderungen nach einer zeitgemäßen gesamtanhaltischen Verfassung und bürgerlichen Rechten (namentlich der Preß- und Versammlungsfreiheit) nicht zuletzt das Verlangen nach bürgerlicher Gleichstellung der Juden, Landzuteilungen, Abschluß der Ablösungen und Separationen von Frohnden und anderen Lasten artikuliert. Der Herzog ließ sich mit der Antwort Zeit und stellte erst am 12. März 1848 einige vage Zugeständnisse in Aussicht. Als auch eine tags darauf energischer gefaßte Adresse ohne greifbares Ergebnis blieb, kam es zu einer für das kleine Land bemerkenswert großen Volksversammlung mit ca. 8.000 Teilnehmern aus allen Landesteilen.^^ Erst der teilweise tumultartig verlaufende Volksauflauf bewegte das herzogliche Regime zum Einlenken. Der Herzog versprach u. a. eine gesamtanhaltische Verfassung und die Einberufung der Stände binnen vierzehn Tagen. Für den Fall, daß eine derartige Verfassung am Widerstand Bemburgs scheitern sollte, würde eine Verfassung für Anhalt-Dessau allein oder zusammen mit Anhalt-Köthen erlassen werden. Auf Wunsch der Köthener Bevölkerung wurde ihr mit Zustimmung der bemburgischen Regierung, dem „Geheimen Konferenzrat", durch Bekanntmachung vom 17. März 1848^^ entsprechendes zugesagt. Die revolutionären Ereignisse am 18./19. März 1848 in Berlin offenbarten dann vollends die politische Ohnmacht der anhaltischen Kleinfürsten ohne den Rückhalt Preußens.^"^ Gleichwohl zog sich die Umsetzung der Versprechen hin. Da die Forderung nach einer gesamtanhaltischen Verfassung aus allen drei Staaten gleichermaßen kam, trafen sich am 22. März 1848 die drei anhaltischen Regierungen zur Beratung über die Verfassungsfrage. Ein derartiges Ansinnen scheiterte indes bezeichnenderweise am Widerstand des bemburgischen Geheimen Konferenzrates, obwohl doch schon zu diesem Zeitpunkt davon auszugehen war, daß es nach dem Tod des kinderlosen bemburgischen Herzogs ohnehin zu einer Vereinigung aller drei Herzogtümer unter dem Dessauer Herzog kommen würde. [603.] Das Scheitem der gesamtanhaltischen Konstitutionsidee auf der Regierungsebene war für die weitere Entwicklung in der Verfassungsfrage von ent^^ F. Engler, Revolution und Reaktion in Anhalt-Dessau-Cöthen, Diss. phil. Erlangen, 1929, S. 20; W. Grossen, Dr. Enno Sander. Ein Beitrag zur Geschichte der Revolution 1848/49 in Köthen, 1984, S. 18., J. Rammelt, Das Revolutionsjahr 1848 in Anhalt, in: Mitteilungen des Vereins für Anhaltische Geschichte und Altertumskunde, Bd. 14, Heft 4, 1924, S. 74 (77). 23 Dok. 184. 24 M Tullner, Die Revolution von 1848/49 in Sachsen-Anhalt, 1998, S. 71.

§ 8: Anhaltische Staaten

323

scheidender Bedeutung, da man nunmehr in Anhalt-Dessau und -Köthen einerseits und in Anhalt-Bemburg andererseits trotz einer Reihe von weiteren Versuchen diesmal aus dem Kreise der Demokraten - getrennte Wege ging. [604.] Die Agitationen der anhaltischen Demokraten fielen auf fruchtbaren Boden bei der einfacheren städtischen und ländlichen Bevölkerung, weil ihr Hoffnungen auf die baldige Ablösung ihrer Lasten und auf Landzuteilungen sowie auf großzügige öffentliche Beschäftigungsmaßnahmen gemacht wurden. Die anhaltischen Demokraten strebten zwar die radikale Umgestaltung des Staates an; waren aber keineswegs republikanisch gesinnt. An die Beseitigung des herzoglichen Hauses dachte niemand wirklich. Demgegenüber waren die Liberalen kaum in der Lage ein spürbares politisches Gegengewicht zu bilden. [605.] Am 3. April 1848 kam es zum Sturz des alten Regimes unter dem Minister Leopold von Morgenstern und zwei Tage später zur Einsetzung des „Märzministeriums" unter August Habicht und August Koppe. In Köthen, dem ein eigener Herzog fehlte, blieb der aus preußischen Diensten übernommene, schon seit 1846 der Regierung vorstehende Gustav Albert von Goßler als niumiehr den liberalen Forderungen aufgeschlossener, seit dem 25. Mai 1848 auch verantwortHcher „Märzminister" im Amt. Nur kurzeitig als zweites Regierungsmitglied trat der bisherige Regierungspräsident Albert Vierthaler hinzu, so daß Goßler letztlich als einziger Minister für Köthen blieb. Aus den dem Herzog damit insgesamt verbleibenden drei Ministem Habicht, Koppe und Goßler wurde schon zwei Monate später ein Gesamtministerium für Anhalt-Dessau-Köthen gebildet. [606.] Noch am 5. April 1848 übernahmen Habicht und Koppe für alle von ihrer Regierung erlassenen Verfügungen und Verordnungen gegenüber der künftig zu bildenden Volksvertretung die Verantwortung, „um den Forderungen eines echt konstitutionellen Staatslebens sofort Bahn zu brechen und volle Geltung zu verschaffen".^^ Schon in den nächsten Tagen setzte die neue Regierung ihr Reformwerk auf dem Verordnungswege fort. Sie ordnete die bürgerliche Gleichstellung der Juden an;^^ die der Landesherrschaft zu leistenden Jagddienste wurden entschädigungslos aufgehoben;^'' die Zusammenlegung mehrerer bisher unmittelbarer Behörden mit der herzoglichen Kammer^^ erfolgte ebenso wie wenig später die Umwandlung dieser Kammer zur herzoglichen Regierung mit den vier Ressorts Finanzen, Inneres, Polizei sowie Domänenwesen und Forsten^^, die Trennung von Justiz und Verwaltung^^, der Erlaß eines provisorischen Dienst- und StrafregieVerordnung, die Verantwortlichkeit der Mitglieder des verantwortlichen Staatsministeriums betreffend, vom 5. April 1848 (Gesetzsammlung für das Herzogthum Anhalt-Dessau, Bd. V., 1850, S. 1405). Verordnung, die nähere Ausführung der völligen Gleichstellung der Israeliten mit den Christen in allen bürgerlichen Rechten und Pflichten betreffend, vom 10. April 1848 (a. a. O., S. 1409). Verordnung, die unentgeltliche Aufliebung der der Landesherrschaft zu leistenden Jagddienste betreffend, vom 17. April 1848 (a. a. O., S. 1413). Verordnung, die Vereinigung mehrerer bisher unmittelbarer Behörden mit der Herzoglichen Kammer betreffend, vom 1. Mai 1848 (a. a. O., S. 1415). Verordnung, die Reorganisation der bisherigen Kammer betreffend, vom 6. Juni 1848 (a. a. O., S. 1433). Verordnung, die Trennung der Justiz von der Verwaltung betreffend, vom 25. April 1848 (a. a. O., S. 1425).

324

2. Abschnitt: Verfassungsentwicklung in den deutschen Einzelstaaten (1806-1918)

ments für die seit dem 12. März 1848 bestehende Bürgerwehr^^ sowie die Einführung der Direktwahl der Mitglieder der städtischen Obrigkeit durch die Bürger^^. Nicht zuletzt auf diese Weise konnte Vertrauen in die Redlichkeit der Regierung geschaffen werden. [607.] Zwar hatte der Dessauer Herzog bei Beginn der revolutionären Ereignisse die Einberufung der seit 150 Jahren nicht mehr zusammengetretenen gesamtanhaltischen Stände in Aussicht gestellt, doch kam es dazu unter dem Druck der Volksbewegung und der verweigerten Teilnahme Bemburgs nicht.^^ Statt dessen fanden in Anhalt-Köthen vom 12.-14. April 1848 und in Anhalt-Dessau am 5. Mai 1848 allgemeine, indirekte und öffentliche Landtagswahlen statt. Auf diese Weise wurden für Anhalt-Dessau sechzehn Abgeordnete und für Anhalt-Köthen elf Abgeordnete zur Beschickung der beiden einzelstaatlichen Landtage gewählt. Es sollte auf jeweils 5.000 Einwohner ein Abgeordneter kommen. Daher wären mit Blick auf das etwa 65.000 Einwohner zählende Anhalt-Dessau eigentlich nur dreizehn Abgeordnete und hinsichtlich der sich lediglich auf ca. 40.000 belaufenden Einwohnerzahl Anhalt-Köthens eigentlich nur acht Abgeordnete zu bestimmen gewesen; doch man schuf keine neuen, der Bevölkerungsverteilung entsprechenden Wahlkreise, sondern ließ nach der Einteilung der bestehenden Gerichtsbezirke wählen, so daß im Ergebnis jeweils drei Abgeordnete mehr aus den Wahlen hervorgingen. [608.] Im Mittelpunkt des allgemeinen Interesses stand bald die Bekanntmachung eines außerordentlich freiheitlichen Verfassungsentwurfs nebst Wahlgesetz und Geschäftsordnung für Anhalt-Dessau durch die Staatsregierung. Diese hatte den ursprünglich nur 59 Paragraphen umfassenden Verfassungsentwurf Ende April/Anfang Mai 1848 erarbeitet^"^ und in seiner dann unter dem 16. Mai 1848 veröffentlichten Fassung schließlich um zehn Paragraphen erweitert. Hierin trug man in erster Linie Forderungen des Vorparlaments Rechnung und entlehnte der badischen und belgischen Verfassung bereits bekannte Elemente. Grundlage des Staates war hier aber noch keineswegs die später so bemerkenswerte Volkssouveränität, sondern zunächst noch die „monarchisch-landständische" und nach Überarbeitungen durch die Staatsregierung die „monarchisch-constitutionelle" Regierungsform. Überdies wurden dem einzelnen weitgehende Grundfreiheiten garantiert, dem Landtag allein war die Gesetzgebung vorbehalten, die Trennung von Staat und Kirche einschließlich der „Entkirchlichung" des Schulwesens sollte vollzogen sowie die Unabhängigkeit der Rechtspflege von der Staatsverwaltung und die kommunale Selbstverwaltung eingeführt werden. Ebenso hatten Standesvorrechte ein für allemal aufzuhören, insbesondere Militär- und Steuerpflicht für alle gleiProvisorisches Dienst- und Strafreglement für die Bürgerwehr zu dem Gesetze Nr. 246 (Bekanntmachung, die Errichtung der Bürgerwehr in den Städten des Herzogthums Anhalt-Dessau betreffend, vom 12. März 1848) betreffend, vom 16. Mai 1848 (a. a. O., S. 1417). Verordnung, die Wahl der Mitglieder der städtischen Obrigkeit betreffend, vom 6. Juni 1848 (a.a.O.,S. 1431). Vgl. dazu F. Engler (Fußn. 22), S. 26. Entwurf der Verfassung, des Wahlgesetzes und der Geschäftsordnung für die Ständeversammlung für Anhalt-Dessau, undatiert (Handschrift), Landesarchiv Oranienbaum, Gesamtstaatsministerium, Nr. 62, Bl. 17 - 39, 41 - 47, 84 - 89.

§ 8: Anhaltische Staaten

325

chermaßen zu gelten. Ähnlich, aber eher noch freiheitlicher, war der regierungsseitig für Köthen am 25. Mai 1848 vorgelegte Entwurf. [609.] Der dessauische Landtag konstituierte sich daraufhin am 10. Mai, der köthische am 24. Juni 1848. Nach nur vier Sitzungen wurde ersterer zunächst bis zum 24. Juni, dann bis zum 31. Juli 1848 vertagt; auch letzterer vertagte sich schließlich bis zu diesem Datum. Man hoffte, nachdem jeweils die Abgeordneten zur Frankfurter Nationalversammlung bestimmt worden waren, zunächst noch darauf, daß die beiden anhaltischen Herzöge sich für alle drei Herzogtümer auf eine einheitliche Verfassung verständigen würden. Doch mehr als ein Gleichklang zwischen Dessau und Köthen kam letztlich nicht heraus, denn Bemburg verweigerte sich diesem Ansinnen. Am 23. Juli 1848 konnte immerhin die Einberufung eines aus jeweils sechzehn Abgeordneten Dessaus und Köthens gebildeten Landtags zur Vereinbarung übereinstimmender Verfassungen für den 31. Juli 1848 verfügt werden. Überdies wurde für die Leitung der Dessau und Köthen betreffenden Angelegenheiten ein Gesamtministerium (bestehend aus Habicht, Koppe und von Goßler) eingesetzt. [610.] Der vereinigte Landtag von Dessau und Köthen kam zu dem vorgesehenen Zeitpunkt zusammen. Die zwischenzeitlich in der Frankfurter Nationalversammlung geführte Diskussion über eine Mediatisierung der Kleinststaaten, welche naturgemäß auch die anhaltischen Herzogtümer betraf, beschleunigte den erfolgreichen Abschluß der Beratungen über die Verfassungsurkunden der Herzogtümer und die Einigung zwischen der Volksvertretung und dem Gesamtministerium bzw. den Staatsministerien beider Staaten. Trotz inneren Widerstrebens verkündete der Herzog (mit bemburgischer Zustimmung!) die Konstitution für Köthen am 28. Oktober 1848f^ für Dessau erfolgte sie am 29. Oktober 1848^^. Die Verfassungen waren bis auf die sich mit landesspezifischen Fragen befassenden Präambeln, die jeweiligen §§2 (Staatscharakter), 60 (Staatsoberhaupt), 70 (Zivilliste), 89 (Staatsschulden) und den zum Schluß die Verfassung bekräftigenden Absatz sowie die die Unterschrift des Herzogs gegenzeichnenden Minister identisch. Trotzdem handelte es sich bei den in zehn Titel untergliederten und insgesamt 94 Paragraphen umfassenden Verfassungen staatsrechtlich um die Landesgrundgesetze zweier selbständiger, in Realunion miteinander verbundener Staaten. [611.] Zunächst hoben beide Verfassungen jeweils ausdrückHch für Dessau und Köthen das gemeinsame Dach der alten gesamtanhaltischen Ständeverfassung auf (§1). Dabei handelte es sich indes ohnehin nur um letzte formelle Akte einer durch ständige Mißachtung der gesamtständischen Verfassung seitens der anhaltischen Landesherren faktisch längst vollzogenen Auflösung. Allerdings war hiermit auch der deutlich sichtbarste Ausdruck staatsrechtlicher Gemeinsamkeit unter den verbliebenen drei anhaltischen Staaten beseitigt. Verfassungsrechtlich gab es nunmehr die Gemeinschaft aller anhaltischen Staaten nicht mehr. Dies dokumentierte anschauhch § 2 Abs. 1 der Köthischen Verfassung, demzufolge AnhaltKöthen „bis zur Wiedervereinigung mit den anderen anhaltischen Herzogthümem

3^ Dok. 185. 36 Dok. 169.

326

2. Abschnitt: Verfassungsentwicklung in den deutschen Einzelstaaten (1806-1918)

zu Einem Staate, einen eigenen Staat" bildete.^^ Doch verfestigte sich zugleich das staatsrechtliche Verhältnis zwischen Dessau und Köthen, da die Herzogtümer nunmehr über den verbliebenen dynastisch-realunionistischen Herrschaftsverbund hinaus mit dem „gemeinschaftlichen Landtag" ein gleichsam überstaatliches Organ institutionalisierten, das für beide Staaten betreffende Angelegenheiten zuständig sein sollte (§§ 38 f.). Das staatsrechtliche Verhältnis untereinander wurde im übrigen auch durch die Inkorporierung bestehender dynastischer Rechte in die Verfassungen unterstrichen. So wurde gemäß § 60 der köthischen Verfassung für Köthen allein der „jedesmalige Senior des Gesamthauses Anhalt" zum Staatsoberhaupt deklariert. Dies konnte aufgrund der Kinderlosigkeit des Bemburger Herzogs aktuell und künftig nur noch der Dessauer Herzog sein. Die dem geisteskranken Bemburger bis dahin zustehenden dynastisch-realunionistischen Rechte hatte der Dessauer - faktisch wie bisher schon - weiterhin für diesen mit auszuüben. Gleichsam einen verklausulierten Anspruch der Dessauer Linie auf die Vereinigung aller drei anhaltischen Herzogtümer unter ihrer Herrschaft regelte der die jeweilige Herrschaftsnachfolge in beiden Herzogtümern festschreibende § 6L Insoweit sollten - wie auch schon vor Erlaß der Verfassungen - die „in dem Gesammthause Anhalt abgeschlossenen Verträge" - also allein dynastisches Recht maßgeblich sein. Bei allen sonstigen Unterschieden zwischen den Verfassungen Dessaus und Köthens einerseits und der oktroyierten Bernburger Verfassung^^ andererseits anerkannte auch letztere durch den mit den jeweiligen §§61 der ersteren wortgleichen § 86 diese dynastische Nachfolgeregelung an. Es bestand zumindest mit Blick auf ein künftig in Realunion vereinigtes Gesamtanhalt ein verfassungsrechtlicher Konsens. [612.] Die Regierungsform der Länder wurde als „democratisch-monarchische" bezeichnet (§ 4). Aus der belgischen Verfassung von 1831 entstammte der Satz: „Alle Gewalten gehen vom Volke aus" (§ 5). Allein schon diese ungewöhnHchen Bestimmungen sicherten den beiden Verfassungen Zeit ihres Bestehens auch im übrigen Deutschland große Aufmerksamkeit. Doch drückte sich das Prinzip der Volkssouveränität auch in zahlreichen weiteren Bestimmungen der Verfassung aus; namentlich in der starken Stellung, die der Landtag in seiner Eigenschaft als Volksvertretung hatte. So stand dem Herzog gegenüber Landtagsbeschlüssen nach § 84 nur ein suspensives Veto zu. Versagte der Herzog einem Landtagsbeschluß seine Zustimmung, so konnte er, wenn der nächstfolgende neugewählte Landtag denselben Beschluß nochmals faßte, die Bestätigung desselben nicht verweigern. Lag diese Bestätigung nicht binnen vier Wochen vor, so wurde diese fingiert, indem „der Beschluß des Landtags von selbst gesetzliche Kraft" erhielt. Noch dominanter zeigte sich das Prinzip der Volkssouveränität im Falle von Verfassungsänderungen. Waren sie von zwei aus verschiedenen Wahlen hervorgegangenen Landtagen beschlossen, ohne die Zustimmung des Herzogs gefunden zu haben, sah Art. 87 die Durchführung eines Volksentscheids binnen sechs Monaten vor. Hier fungierte das Volk in der Tat als übergeordnete Schiedsinstanz zwischen

^^ Ebenso § 1 der oktroyierten Verfassung für Anhalt-Bemburg. 3^ Dok. 160.

§ 8: Anhaltische Staaten

327

Herzog und Landtag.^^ Bestätigte das Plebiszit die Landtagsbeschlüsse, so erwuchsen diese auch ohne Bestätigung durch den Herzog ebenfalls nach vier Wochen in Rechtskraft. Auf diese Weise war es auf verfassungsmäßigem Wege sogar möglich, das monarchische System samt Herzog abzuschaffen.^^ Des weiteren vermochte der Landtag mit einem Mißtrauensvotum gegen das „GesammtMinisterium" den Herzog zu zwingen, entweder das Ministerium zu entlassen oder den Landtag aufzulösen (§ 56). Diese Kompetenzen konnte der Herzog nicht etwa durch eine dauerhafte Vertagung oder Auflösung des Landtages unterlaufen: Denn die Vertagung durfte ohne Zustimmung der Volksvertretung nur einmal stattfinden und nicht länger als 30 Tage dauern, widrigenfalls trat diese nach Ablauf dieser Frist „aus eigener Machtvollkommenheit" wieder zusammen (§ 49). Für den Fall der Landtagsauflösung mußten binnen 24 Stunden Neuwahlen angeordnet werden, die Berufung der neugewählten Volksvertreter hatte spätestens 60 Tage nach der Auflösung zu erfolgen. Nach vergeblichem Fristablauf trat der „zuletzt versammelt gewesene Landtag aus eigener Machtvollkommenheit wieder zusammen" (§ 50). Auch bei der vom Herzog vorzunehmenden Besetzung der Präsidentenstellen bei den obersten Justizbehörden hatte der Landtag über einen ihm eingeräumten Einwilligungsvorbehalt ein notwendiges Mitspracherecht (§ 58). Der Herzog und die Mitgheder der herzoghchen Familie durften ohne Zustimmung des Landtags nicht einmal ihren Aufenthalt dauernd im Auslande nehmen; Prinzen benötigten bei „Annahme auswärtiger Dienste" die Genehmigung des Landtags (§ 68). Schließlich wirkten die Staatsbürger in Gestalt der Schwurund Schiedsgerichte an der Rechtsprechung mit (§§75, 77). [613.] Des weiteren enthielten die Verfassungen in einem „Zweiten Titel" ( § § 6 - 3 7 ) einen breiten Gmndrechtskatalog. Dieser fiel teils radikaler, teils detaillierter als derjenige der „ Grundrechte des deutschen Volkes ''^^ und der Frankfurter Reichsverfassung^^ aus^^ Man nahm offenbar an, daß die Frankfurter Grundrechte das Mindestmaß der zu gewährenden Volksrechte enthielten."^^ [614.] Allem vorangestellt wurde das Staatsbürgerrecht, welches nur unter den gesetzlich dafür vorgesehenen Voraussetzungen erworben oder verloren ging (§ 6). Das Prinzip der Gleichheit erhielt eine konsequente Durchnormierung. So waren alle Staatsangehörigen „vor dem Gesetze und dem Richter" gleich, sämtliche privilegierten wie eximierten Gerichtsstände beseitigt (§ 7). Überdies wurde gemäß § 8 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 nicht nur jeder Standesunterschied aufgehoben, sondern sogar der Adel selbst abgeschafft; letzteres übrigens auf Antrag eines Adeligen! Alle zur Bezeichnung des Adels dienenden Ausdrücke verloren ihre Bedeutung „und werden vom Staate weder anerkannt noch gebraucht" (§ 8 Abs. 2 Satz 2). Hierzu zählte klarstellend auch die Abschaffung der Titel, „welche nicht ^^ E. G. Mahrenholz, Ein Verfassungsgericht in Dessau, in: Neue Justiz (Zeitschrift für Rechtsetzung und Rechtsanwendung) 1994, S. 97 (98). ^^ Vgl. hierzu auch G. Grünthal, Die Revolution in den anhaltischen Herzogtümern, in: H.W. Hahn/W. Greiling (Hrsg.) Die Revolution von 1848/49 in Thüringen, 1994, S. 367 (379). ^1 Dok. 105. "^2 Dok. 106. ^^ M. Botzenhart, Deutscher Parlamentarismus in der Revolutionszeit 1848 - 50, 1977, S. 295. ^4 K Engler (Fußn. 22), S. 31.

328

2. Abschnitt: Verfassungsentwicklung in den deutschen Einzelstaaten (1806-1918)

zur Bezeichnung eines Amtes dienen" (§ 9). Orden durften weder angenommen, noch von Staats wegen verliehen werden (§ 10). Obendrein garantierte § 11 jedem Staatsangehörigen unabhängig von Geburt und Religion das Ergreifen eines jeden gesetzlich erlaubten Erwerbszweiges und die Übernahme von Ämtern. Steuerprivilegien sollten für immer und entschädigungslos aufgehoben sein (§31 Abs. 2). [615.] Entsprechend konsequent positivierte man nicht zuletzt wegen vielfaltiger lokaler Mißstände der vormärzlichen Zeit das Prinzip der individuellen Freiheit. Dies geschah allem voran durch die den Staatsangehörigen garantierte Freiheit der Person (§ 12). Besondere Hervorhebung verdient neben der in allen Märzverfassungen gleichermaßen üblichen Habeas-Corpus-Garantie (§13 Abs. 1) die Entschädigung bei rechtswidriger Verhaftung und Haftentschädigung bei erfolgter Freisprechung wegen der vorangegangenen Verhaftung (§13 Abs. 2). Haussuchungen standen unter dem Vorbehalt einer entsprechenden schriftlichen richterlichen Anordnung und der „Beobachtung aller sonstigen gesetzlichen Formen" (§13 Abs. 3). Auch durfte niemand seinem gesetzlichen Richter entzogen werden (§ 14). Das Briefgeheimnis war unverletzlich und die Beschlagnahme von Papieren und Briefen durfte nur aufgrund eines richterlichen schriftlichen Befehls vorgenommen werden (§ 18). Des weiteren gewährten die Verfassungen volle Rede-, Preß-, Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit; gemeinschaftliche Petitionen waren zulässig (§§15 f.). Femer sah § 17 eine besondere Form des Verwaltungsrechtsschutzes vor. Hiernach stand nämlich jedem das Beschwerderecht beim Landtag über gesetzwidriges Verwaltungshandeln zu, nachdem sich der Betroffene zuvor vergeblich an die der handelnden Verwaltungsstelle vorgesetzte Behörde gewandt hatte; abschlägige Antworten der Behörden mußten mit Gründen versehen sein. Hierin konnte bei konsequenter Wahrnehmung durch die Berechtigten sehr leicht ein wirksames Disziplinierungsmittel für eine willkürlich oder nachlässig handelnde Verwaltung liegen. Die Auswanderungsfreiheit galt unbeschränkt (§ 19). Die Todesstrafe war „ohne alle Ausnahme abgeschafft"; überdies verboten waren die Strafen der Vermögenskonfiskation und des bürgerlichen Todes sowie Pranger- und Halseisenstrafen (§§ 20 f.). In der Untersuchungshaft waren Erschwerungen (körperliche Züchtigung, schlechtes Essen) unzulässig; wie überhaupt Hafterschwerungen nur statthaft sein sollten, wenn ohne derartige Maßregeln die Haft nicht gesichert werden konnte (§ 22). Das Privateigentum wurde allen Staatsangehörigen gewährleistet; Enteignungen konnten nur „aus Rücksichten des gemeinen Besten, nur auf Grund eines Gesetzes und gegen gerechte Entschädigung vorgenommen werden" (§ 26). Alle wirtschaftlichen Bindungen (Lehensverbände, Familienfideikommisse, Majorate, Seniorate, Minorate) wurden beseitigt (§ 27), alle Feudallasten entweder - wie Frohnde, Zehnten, die übrigen gutsherrlichen Natural- und Geldleistungen, sonstige privatrechtliche Reallasten und Grundabgaben - ablösbar oder - wie auf Grundstücken liegende Hoheitsrechte sowie die daraus, aus der Schutzherrlichkeit und der früheren Erbuntertänigkeit resultierenden Beftignisse sowie die Jagdgerechtigkeit auf fremdem Grund und Boden einschließlich aller Leistungen zu diesem Zwecke - entschädigungslos aufgehoben (§§ 28 Abs. 1, 29 Abs. 1). Nunmehr sollte jedem Grundstückseigentümer selbst die Ausübung des Jagdrechts auf seinem Areal zustehen; wie überhaupt das Jagdrecht als dingliches Recht künftig untrennbar mit dem

§ 8: Anhaltische Staaten

329

Grundeigentum verbunden blieb (§ 29 Abs. 2 und 4). Wildschäden waren künftig zu ersetzen (§30). Zu den Grundrechten zählte auch, daß sich die Steuerbelastung der Staatsangehörigen nach ihrem Einkommen zu richten hatte (§31 Abs. 1). Steuern konnten also nur noch entsprechend der Leistungsfähigkeit des einzelnen erhoben werden. Der Staat übemahm es auch, für die „Pflege und Beförderung" von Kunst und Wissenschaft zu sorgen (§32). Handels- und Gewerbeprivilegien sollte es allerdings weiterhin geben (§ 34); wie überhaupt die volle Verwirklichung der Gewerbefreiheit in den Verfassungen nicht vorgesehen war. [616.] Am tiefsten griffen die Regelungen der Verfassungen über Religion und Kirche (§ 23) sowie über Volksbildung und Schule (§ 24) in die bestehenden Verhältnisse ein. So bestimmte § 23 neben der Gewährung der vollen Glaubens- und Gewissensfreiheit die strikte Trennung von Staat und Kirche: Vorrechte wurden keiner Religionsgesellschaft mehr zugebilligt und es bestand „fernerhin keine Staatskirche" mehr. Konsequenterweise wurde die Zivilehe eingeführt; d. h. die „bürgerliche Gültigkeit der Ehe" war „nur von der Vollziehung das Zivilaktes abhängig". Die kirchliche Trauung durfte erst danach stattfinden. Alle bis dahin bestehenden Ehehindemisse wurden aufgehoben. Jede Religionsgesellschaft sollte ihre Angelegenheiten fortan selbständig ordnen und verwalten. Zur Bildung neuer Religionsgesellschaften bedurfte es keiner Anerkennung des Bekenntnisses durch den Staat. Das Kirchenpatronat sollte aufgehoben sein. Eine geradezu kirchenfeindliche Bestimmung war das Verbot der Jesuiten-, Ligorianer- und Redemptoristen-Orden „auf alle Zeiten" und das Verbot, Klöster zu errichten. Der das Schulwesen regelnde § 24 galt den bei der Verfassungsschöpfung federführenden Demokraten als eine wesentliche Vorbedingung für die Ausbreitung und Erhaltung der Demokratie."^^ Die Schule wurde „Staatsanstalt". Dementsprechend avancierten die „öffentlichen Lehrer" zu Staatsdienem. Überhaupt wurde das gesamte Unterrichts- und Erziehungswesen der Oberaufsicht des Staates unterstellt sowie aus der bisherigen kirchlichen Beaufsichtigung herausgelöst. Als Grundlage eines egalitären Bildungssystems sollte der Zugang zu jeder staatlichen Schule allen in gleicher Weise offen stehen. Deshalb statuierten die Verfassungen insoweit Schulgeldfreiheit. Da ein in religiösen Fragen indifferenter Staat in seinen Schulen keinen Unterricht für ein bestimmtes Bekenntnis erteilen lassen konnte, durfte der auch weiterhin „vom Lehrer . . . zu erteilende Religionsunterricht... nur ein allgemeiner, d. h. ein Unterricht in der auf religiöser Grundlage ruhenden Sittenlehre sein". Demgegenüber war der kirchlich-konfessionelle Unterricht den Kirchen selbst zu überlassen. [617.] Hinzu kamen - für Grundrechtskataloge eher atypisch -, daß die Einrichtungen, Verordnungen und Gesetze im Schul-, Handels-, Gewerbe- und Medizinalwesen sowie die Verhältnisse der Arbeiterschaft und Landwirtschaft nur unter Beteiligung der Betroffenen neu geordnet werden sollten, indem die betreffenden Berufsgruppen über mit ihren Vertretern beschickte Kommissionen Gutachten abgaben und Vorschläge unterbreiteten (§§ 24 Abs. 9, 33, 35 - 37): Alle die Volksbildung und den Lehrerstand betreffenden Gesetze hatten von einer aus dem „gesammten Lehrerstande des Landes zu erwählenden Deputation" beraten und im Näher dazu a. a. O., S. 33 f.

330

1. Abschnitt: Verfassungsentwicklung in den deutschen Einzelstaaten (1806-1918)

Falle der Billigung durch die Regierung dem Landtag vorgelegt zu werden (§ 24 Abs. 9). Entsprechend sollte der Entwurf über eine künftig zu erlassende Medizinalordnung von einer aus der Ärzte- und Apothekerschaft des Landes zu wählenden Deputation erarbeitet werden und über die Regierung in den Landtag gelangen (§35). Handels- und Gewerbefragen mußten von eigens dafür aus Vertretern des betroffenen Standes gebildeten Handels- und Gewerbekollegien „revidirt und begutachtet" werden (§ 33). Über Maßnahmen zur Förderung des Wohls der arbeitenden Klassen war die Schaffung einer von den Kommunalbehörden mit den erwähnten Handels- und Gewerbekollegien gebildeten beratenden Kommission „unter Zuziehung qualifizirter Arbeiter" vorgesehen (§36). Vor Verabschiedung von die Landwirtschaft betreffenden Gesetzen waren künftig „tüchtige und erprobte Landwirthe aller Klassen" zu hören und erforderlichenfalls Begutachtungen der landwirtschaftlichen Gesellschaften einzuholen (§ 37). Seinerzeit sehr wohl artikulierte sozialistische oder kommunistische Forderungen fanden indes keinen Eingang in die Verfassungen. [618.] Der „Dritte Titel" der Verfassungen ( § § 3 8 - 5 9 ) handelte „Von der Volksvertretung". Deren Funktion übernahm der „Landtag", der aus jeweils 22 für zwei Jahre gewählten Abgeordneten der Herzogtümer Dessau und Köthen bestand und grundsätzlich „eine Kammer" bildete; nur für besondere Angelegenheiten eines Landes konnten die Abgeordneten auch zu getrennten Landtagen einberufen werden (§§ 38, 39). Das Wahlrecht regelte ein eigenes Gesetz. Dem Landtag allein oblag die Wahlprüftmg; verhandelt wurde nach Maßgabe der „dieser Verfassung beigefügten Geschäftsordnung" (§ 40); ihr blieben unter anderen die näheren Bestimmungen über die Wahl des Präsidiums vorbehalten. Die Abgeordneten waren Vertreter des gesamten Volkes und nicht an Instruktionen gebunden (§41). Ernennung oder Beförderung eines Abgeordneten zum Beamten bedingten zwar die Neuwahl hinsichtlich dieses Mandates, doch stand es dem Ausgeschiedenen frei, sich der Wahl zu stellen (§ 42). Zu Abgeordneten gewählte Beamte bedurften fur die Ausübung ihres Mandats keines Urlaubs; der Staat hatte sich auf eigene Kosten um einen Stellvertreter zu bemühen (§ 44). Der Landtag tagte öffentlich (§ 45) und mußte jährlich einberufen werden (§ 46). Er durfte - wie bereits ausgeführt - ohne seine Zustimmung nur einmal und überhaupt nur auf 30 Tage vom Herzog vertagt werden und trat nach Ablauf dieser Frist gegebenenfalls aus eigenem Recht wieder zusammen (§ 49); gleiches galt, wenn nach einer Auflösung der neugewählte Landtag nicht innerhalb von zwei Monaten wieder einberufen war (§ 50). Der Landtag war nur beschlußfahig, wenn zwei Drittel seiner Mitglieder zugegen waren. Er entschied aber stets durch absolute Stimmenmehrheit (§ 53), konnte gegen die Minister Beschwerde oder Anklage erheben und ihnen mit einfacher Mehrheit nach einem genau geregelten Verfahren das Mißtrauen aussprechen, worauf der Herzog entweder mit der Entlassung des Ministeriums, seiner durchgreifenden Umbildung oder einer Auflösung des Landtags antworten konnte. Wurde das Mißtrauensvotum nach der Landtagsauflösung von dem neugewählten Landtag wiederholt, mußte das Ministerium allerdings zurücktreten (§56). Hier brach sich - erstmals in Deutschland - der Parlamentarismus Bahn. [619.] Verträge mit fremden Regierungen bedurften der Genehmigung durch den Landtag (§ 66). Ohne dessen Zustimmung konnten keine neuen Gesetze erlas-

§ 8: Anhaltische Staaten

331

sen, authentischen Gesetzesauslegungen vorgenommen, Steuern ausgeschrieben oder Anleihen aufgenommen werden (§§81, 88). Ihm stand das Recht zur Gesetzesinitiative (§ 83) und zur jährlichen Budgetbewilligung zu (§ 90). Für besonders dringende Fälle wurde der Staatsregierung mit § 85 der Verfassungen die Befugnis zum „Erlaß von Verordnungen, welche einen gesetzlichen Charakter an sich tragen", eingeräumt. Dieses Notverordnungsrecht gestattete es, zunächst ohne Mitwirkung des Landtages sogenannte „Provisorische Gesetze" oder „Provisorische Verordnungen" zu erlassen, für die dann allerdings baldmöglichst die nachträgliche Billigung des Landtages eingeholt werden mußte. [620.] Die §§79 und 80 enthielten grundlegende Bestimmungen über eine „Volkswehr". Das Wort „Militär" fand sich in diesen Verfassungen nicht. Um zu vermeiden, daß die bewaffiiete Macht sich gegen die Verfassung stellen würde, mußte sie zumindest ihre bisherige Ausnahmestellung verlieren. Der Soldat sollte nicht aufhören, Staatsbürger zu sein; weshalb ihm auch alle Grundrechte, namentlich das in § 15 verankerte Versammlungs- und Koalitionsrecht, zustand. Gerade die Beseitigung des Militärs zugunsten einer allgemeinen Volksbewaffnung war eine der Forderungen der Demokraten gewesen und die Aufstellung von Bürgerund Dorfwehren gehörte bereits zu den frühen revolutionären Errungenschaften. Gemäß § 79 war jeder Staatsbürger vom vollendeten zwanzigsten bis zum vollendeten 50. Lebensjahr zum Dienst in der Volkswehr verpflichtet. Diese bestand aus zwei Abteilungen. Das zum deutschen Heer zu stellende Kontingent bildete einen besonders organisierten Teil der Volkswehr und wurde aus der ersten Abteilung von den nach Jahren jüngsten Mannschaften gestellt. Die Offiziere und Unteroffiziere dieses Kontingents waren „Staatsdiener" und wurden von der Staatsregierung angestellt; demgegenüber wurden diejenigen der übrigen Volkswehr von den Mannschaften gewählt. Jeder Angehörige der Volkswehr war durch Gelöbnis auf die Verfassung zu verpflichten. Dem Regenten stand zwar der Oberbefehl über die Volkswehr zu, doch bedurfte die Ausübung desselben der Contrasignatur des Staatsministeriums und stand unter dessen Verantwortlichkeit. Ohne „besonderen Befehl des Oberbefehlshabers" war die Volkswehr nur zur Aufrechterhaltung der Ordnung einsetzbar, wenn sie in den gesetzlich bestimmten Fällen von einer zivilen Behörde angefordert wurde. Einen besonderen Gerichtsstand behielt das Kontingent im Frieden nur bezüglich der Dienstverbrechen und -vergehen (§ 80), sonst wurde es den bürgerlichen Gesetzen und Gerichten unterstellt. [621.] Diese Verfassungen waren zweifelsfrei die liberalsten in Deutschland. Anhalt-Köthen und Anhalt-Dessau avancierten auf diese Weise fraglos zu den Hochburgen der Demokratie."^^ Doch dienten deren Konstitutionen keineswegs wie bisweilen behauptet^^ - „anderen Staaten zum Muster". Erst recht bildeten die Verfassungen nicht den - wie es in der häufig von klassenkämpferischen Platituden unterlegten Geschichtsschreibung der untergegangenen DDR pathetisch formuliert wurde"^^ - „unvergänglichen Markstein" in der Geschichte des Landes. Sie

^^ So zutreffend schon F. Engler, a. a. O., S. 43. ^'7 A.a.O.,S. 39und43. 4^ Vgl. etwa W. Grossen (Fußn. 22), S. 25.

332

2. Abschnitt: Verfassungsentwicklung in den deutschen Einzelstaaten (1806-1918)

blieben im Gegenteil höchst ephemere Phänomene, die in ihren Kemaussagen bis zum Ende der Monarchie in Deutschland keine Nachahmung fanden. [622.] Von den Verfassungen sollte neben der damit verbundenen politischen Neugestaltung im Innern auch Signalwirkung nach außen gegen eine von der Frankfurter Zentralgewalt initiierte Mediatisierung der Kleinstaaten ausgehen. Bestand doch für diese Staaten, soweit sie - wie die anhaltischen - weniger als 500.000 Einwohner hatten, die Gefahr entweder für reichsunmittelbar erklärt oder mit einem größeren benachbarten Staate (hier kam nur Preußen in Betracht!) vereinigt zu werden. Dieser zeitweilig nicht zu Unrecht befürchtete Selbständigkeitsverlust förderte beim Herzog und den Regierungsmitgliedem fraglos die Bereitschaft, sich auf das aus ihrer Sicht mehr als kühne Verfassungswagnis einzulassen. Zeigte man damit gegenüber der Zentralgewalt immerhin, zu welchen radikalen Reformen beide Kleinstaaten im Vergleich zu anderen, eher reformverhaltener agierenden ungleich größeren deutschen Staaten fähig waren. Die Kleinheit der Staaten konnte also nicht mehr als politisches Argument für unverbesserliche Rückständigkeit und Fortschrittsverweigerung ins Feld geführt werden. Auch sollten die mit den Verfassungsstatuten soeben erst von der Bevölkerung erlangten Freiheitsgarantien eine Art Integrationshemmnis mit Blick auf eine Einverleibung in den preußischen Staat bilden. Denn nach dem Stand der Dinge würde dieser den soeben erst mit den anhaltischen Verfassungsstatuten erlangten Freiheitsgarantien nichts Gleichwertiges entgegensetzen wollen und können; was jedoch für die ohnehin in größeren Teilen stark radikalisierte anhalt-dessauische und anhaltköthische Bevölkerung verfassungsrechtlich wie verfassungspolitisch einen spürbaren Rückschritt bedeutet hätte, den diese wohl nicht ohne massive Widerstände hingenommen hätte. Angesichts der allgemeinen politischen Situation dieser Tage und Wochen, in der sich zudem erste reaktionäre Erfolge abzuzeichnen begannen, war auch oder gerade in Preußen die Lage noch viel zu labil, als daß man sich in Berlin imstande gesehen hätte, derartiges ohne Not riskieren zu müssen. Erneut aufflackernde, nur den andauernden revolutionären Flächenbrand in Deutschland stärkende Unruhen waren auch dort gefürchtet. [623.] Zur Ausführung der Verfassungsbestimmungen mußte eine Vielzahl von Gesetzen erlassen werden. So wurde, um die entschädigungspflichtige Ablösung von Grundlasten zu erleichtem, die „Verordnung, die Errichtung der Landesrentenbank betreffend", vom 19. Dezember 1848 erlassen."*^ Tags darauf erging ein Jagdpolizeigesetz.^^ Es folgte das „Gesetz über die Bestrafung der Holz-Diebstähle und Frevel, so wie über die Raff- und Leseholz-Nutzung" vom 4. Januar 1849^^ Hiermit mußte man auf die Auswüchse der von der Verfassung eingeräumten Jagdfreiheit auf eigenem Boden sowie auf überhand nehmende Forstdiebstähle reagieren. Femer wurde die „Provisorische Verordnung, die Ausführung der in § 79 der Verfassungs-Urkunde vorbehaltenen Bestimmungen über die Ausnahmen von der Wehrpflicht betreffend", vom 2. Febmar 1849^^ erlassen. Mit dem ^^ Gesetzsammlung für das Herzogthum Anhalt-Dessau, Bd. V., 1850, S. 1445. ^^ A. a. O., S. 1447. 51 A.a. O., S. 1461. ^2 A.a. 0.,S. 1469.

§ 8: Anhaltische Staaten

333

Wahlgesetz vom 24. Februar 1849^^ führte man allgemeine und direkte Wahlen zum Landtag ein. Durch die Gemeindeordnung für die Herzogtümer Anhalt Dessau und Anhalt-Köthen vom selben Tag^"^ war die kommunale Selbstverwaltung vollständig geregelt. Eine Geschäftsordnung für den vereinigten Landtag^^ bestimmte, daß alternierend in Dessau und Köthen getagt wurde und daß zur Beschlußfähigkeit des Hauses mindestens zwei Drittel der Abgeordneten anwesend sein mußten. Schließlich erließ man noch die „Verordnung über den Betrieb des Bergbaues und die Benutzung der Gewässer".^^ Danach löste sich der verfassungskonstituierende Landtag im Bewußtsein, die ihm zugedachte Aufgabe mehr als nur erfüllt zu haben, am 12. März 1849 endgültig auf. [624.] Zwischenzeitlich war das eher moderate Ministerium Habicht/Köppe am 10. JuH 1849 entlassen worden.^^ An seine Stelle trat tags darauf neben den nunmehrigen Leiter des Gesamtministeriums Albert von Goßler der bisherige preußische Beamte Albert Friedrich von Plötz. Spätestens dieses Ereignis markierte den politischen Wendepunkt für die Revolution in Dessau und Köthen. Die Reaktion begann sich allenthalben zu formieren. Die demokratische Bewegung geriet angesichts dessen zusehends in die Defensive und war immer weniger in der Lage, einer zunehmend rückwärtsgewandten Entwicklung wirksamen Widerstand entgegenzusetzen. Dies zeigte sich auch, als der erste ordentliche vereinigte Landtag am 15. August 1849 zusammentrat. Hierin schlossen sich nur noch fünfzehn Abgeordnete zur demokratischen Linken, aber 25 Abgeordnete zum eher rechtsliberalen Zentrum zusammen. Im Laufe der Sitzungsperiode zeichneten sich zunehmende Tendenzen zur Verfassungsänderung ab. Auslöser war namentlich der Widerstand gegen die auf der Grundlage von § 23 der Verfassungen zu erlassenden Ausführungsgesetze, der infolge des unlängst erlassenen Gesetzes über die Führung der Standesbücher und die Zivilehe^^ spürbar anzuwachsen begann. Um Verfassungsänderungen möglichst zu verhindern, beschloß der Landtag daraufhin unter Änderung seiner Geschäftsordnung, daß Modifikationen anstatt der bisherigen einfachen, künftig nur mit Zwei-Drittel-Mehrheit erfolgen dürfe. Das sollte für alle nach dem 15. Oktober 1849 eingebrachten Verfassungsänderungen gelten. Auf diese Weise hatten die Demokraten künftig zumindest eine Sperrminorität. [625.] Diese galt aber nicht mehr in Bezug auf die erstmalige Modifizierung der Verfassungen mittels der bereits vorher im Landtag eingebrachten ..Verordnung, die im ersten ordentlichen vereinigten Landtage beschlossene Abänderung einiger Verfassungsbestimmungen für die Herzogthümer Anhalt-Dessau und AnhaltCöthen betreffend, vom 18. November 1849.^^ Deren Art. 1 betraf § 8 der Verfassungen. Dort wurde der Abs. 2 Satz 2 auf den Wortlaut, daß alle zur Bezeichnung 53 A. a. O., S. 1485. 5^ A. a. O., S. 1493; Sammlung der in dem Herzogthume Anhalt-Cöthen vom Jahre 1842 bis zum I.Februar 1850 ergangenen Gesetze, Verordnungen und Verfügungen, IV. Theil, 2. Abth. Nr. 1159, S. 311. Gesetzsammlung für das Herzogthum Anhalt-Dessau, Bd. V., 1850, S. 1517. A. a. O., S. 1525. H. Wäschke (Fußn. 4), S. 461. Gesetzsammlung für das Herzogthum Anhalt-Dessau, Bd. V., 1850, S. 1559. 59 Dok. 169/1.

334

2. Abschnitt: Verfassungsentwicklung in den deutschen Einzelstaaten (1806-1918)

des Adels dienenden Ausdrücke diese Bedeutung verlieren, reduziert, indem man die Worte „und werden vom Staate weder anerkannt noch gebraucht" strich. Mit Art. 2 der Verordnung erfuhr das in § 10 der Verfassungen ausgesprochene kategorische Ordensverleihungs- und -annahmeverbot eine Entschärfung. Nunmehr war es Staatsangehörigen nur noch untersagt, Orden von nichtdeutschen Staaten anzunehmen. Die Ordensverleihung durch den eigenen oder einen anderen deutschen Staat an den anhalt-dessauischen oder anhalt-köthischen Staatsbürger und die Entgegennahme durch ihn waren also wieder grundsätzlich zulässig. Der Art. 3 der Verordnung ergänzte den die Haussuchungen nur nach Maßgabe richterlichen Befehls und aller sonstigen gesetzlichen Formen zulassenden § 13 Abs. 3 der Verfassungen durch einen Ausnahmevorbehalt. Mit Art. 4 der Verordnung wurde der „Volkswehr 1. Abteilung" das bisher unbeschränkte Versammlungsund Koalitionsrecht durch eine entsprechende Erweiterung des § 15 der Verfassungen ausdrücklich entzogen. Die bis dahin viel Aufregung hervorrufende Bestimmung in § 24 der Verfassungen, wonach der „vom Lehrer . . . zu erteilende Religionsunterricht. .. nur ein allgemeiner, d. h. ein Unterricht in der auf religiöser Grundlage ruhenden Sittenlehre sein" durfte, wurde aufgrund des Art. 5 der Verordnung ebenso ersatzlos gestrichen wie die ausschließliche Zuweisung des kirchlich-konfessionellen Unterrichts an die Kirchen selbst. Der Wiedereinfährung derartigen Unterrichts an staatlichen Schulen stand damit nichts im Wege. Schließlich brachte Art. 6 der Verordnung die in § 68 der Verfassungen vorgeschriebenen Beschränkungen für Mitglieder der herzoglichen Familie „in Wegfall". [626.] Weitere Anträge, wie diejenigen auf Streichung des die „democratischmonarchische" Regierungsform statuierenden § 4 der Verfassungen und des den Grundsatz der Volkssouveränität enthaltenden § 5 der Verfassungen sowie des die Besetzung der Präsidentenstellen der obersten Justizbehörden nur mit Zustimmung des Landtages vorsehenden § 58 der Verfassungen, wurden abgelehnt. Ebenso konnte über die §§84 und 87 der Verfassungen hinsichtlich des nur suspensiven Vetos des Herzogs bei Gesetzes- und Verfassungsänderungsvorhaben keine Einigung erzielt werden. Auch gab es keine Einigung über die Frage, wie die Geschworenen ftir die in § 75 Abs. 2 der Verfassungen vorgesehenen Schwurgerichte bestimmt werden soUten.^^ [627.] Da diesem vereinigten Landtag offenbar politisch kaum mehr zuzumuten war, wurde er gleich, nachdem er der allerdings erst auf den 18. November datierten Änderungsverordnung zugestimmt hatte, durch Verordnung vom 11. November 1849 aufgelöst.^^ Man versprach sich von Neuwahlen eine erhebliche Stärkung der Konservativen im Landtag. Um die Teilnahme möglichst vieler Wähler aus den Unterschichten zu verhindern, wurde als Wahltermin nicht wie sonst üblich ein arbeitsfreier Sonntag, sondern ein normaler Werktag (Montag!) festgelegt. Obendrein verspürten die Demokraten heftigen propagandistischen Gegenwind 60 61

F. Engler (Fußn. 22), S. 65 t Verordnung, die Auflösung des vereinigten Landtags betreffend, vom 11. November 1849 (Sammlung der in dem Herzogthume Anhalt-Cöthen vom Jahre 1842 bis zum 1. Februar 1850 ergangenen Gesetze, Verordnungen und Verfügungen, IV. Theil, 2. Abth. Nr. 1189, S. 439).

§ 8: Anhaltische Staaten

335

der konservativen Bürgervereine, die plakativ mit Argumenten wie eine drohende fremde Einmischung, einen bevorstehenden Verlust der staatlichen Selbständigkeit Anhalts und einen nahen Sieg des Kommunismus die Wähler zu beeindrucken suchten. Als sich dann am 18. Dezember 1849 der Landtag in Köthen versammelte, hatte sich das Kräfteverhältnis in der Tat weiter zu Lasten der Demokraten verschoben. [628.] Jetzt setzte man die bereits vom aufgelösten vereinigten Landtag beschlossene Feldpolizeiordnung^^ und das „Gesetz zur Ausführung der in § 28 der Verfassungs-Urkunde über die Ablösbarkeit der Grundabgaben enthaltenen Bestimmungen" vom 8. Januar 1850^^ in Kraft, nicht hingegen das Gesetz über die Ministerverantwortlichkeit. Neu beraten und verabschiedet wurden das Separationsgesetz^"^ und das Gesetz über das Verfahren in Separationssachen^^, die Gesetze über Zehntenablösung^^, über die Ablösung der Naturaldienste^^, das ZivilStaatsdiener-Gesetz^^, das den § 24 der Verfassungen ausführende Schulgesetz^^, das Gesetz über die Bildung von Handels- und Gewerbekommissionen^^ sowie das Strafgesetzbuch nebst Strafjprozeßordnung^^. [629.] Im März 1850 bemühte sich die Regierung, die bereits einmal gescheiterten Verfassungsänderungen erneut durchzusetzen. Diesmal mit Erfolg! Die „ Verordnung, die im zweiten ordentlichen vereinigten Landtage beschlossene Abänderung einiger Verfassungsbestimmungen für die Herzogthümer Anhalt-Dessau und Anhalt-Köthen betreffend'' vom 25. März 1850^^ passierte den Landtag. Ihr Art. 1 veranlaßte die Streichung des die „democratisch-monarchische" Regierungsform statuierenden § 4 der Verfassungen Dessaus und Köthens. Die stattdessen eingefügte neue Formulierung lautete dann: „Die Regierungsform beruhet auf dem Grundsatze der verfassungsmäßigen Theilung der Gewalten zwischen Fürst und Volk". Dem das Prinzip der Volkssouveränität enthaltenden § 5 beider Verfassungen widerfuhr durch Art. 2 der Verordnung sogar eine ersatzlose Streichung. Mit Art. 3 der Verordnung wurde die in § 22 der beiden Verfassungen statuierte erlaubnisfreie Heirat für „großjährige und geschäftsfähige Staatsangehörige", also von solchen Personen, die mindestens das 21. Lebensjahr vollendet hatten, auf das vollendete 24. heraufgesetzt und einem Gesetzes vorbehält unterworfen. Der gemäß § 24 der beiden Verfassungen bislang schulgeldfreie Unterricht an allen staatlichen Schulen blieb gemäß Art. 4 der Verordnung nur für die „niederen Staatsschulen" bestehen. „Talentvolle Unbemittelte" sollten indes auch an höheren Staatsschulen unentgeltlich unterrichtet werden. Art. 5 der Verordnung strich den 62 63 64 65 66 67 68 69 70 71 72

Gesetzsammlung für das Herzogthum Anhalt-Dessau, Bd. V., 1850, S. 1611 A. a. 0., S. 1639. A. a. 0., S. 1669. A. a. 0., S. 1709. A.a.O.,S. 1731. A. a. 0., S. 1737. A. a. 0., S. 1747. A. a. 0., S. 1767. A. a. 0., S. 1783. A.a. 0.,S. 1835. Dok. 169/1 bzw. Dok. 185/2.

336

2. Abschnitt: Verfassungsentwicklung in den deutschen Einzelstaaten (1806-1918)

von § 58 der beiden Verfassungen vorgesehenen Einwilligungsvorbehält des Landtages gegenüber der Besetzung der Präsidentenstellen bei den obersten Justizbehörden und legte damit das Emennungsrecht wieder ausschließlich in die Hände des Herzogs. Die praktisch bedeutsamsten Verfassungsänderungen enthielten die Art. 6 und 7 der Verordnung. Sie betrafen die §§84 und 87 und das dort dem Herzog bisher lediglich zugestandene suspensive Veto bei Gesetzes- und Verfassungsänderungen. Sofern es die Gesetzesänderungen anbelangte, blieb das in § 84 der Verfassungen verankerte aufschiebende Veto zwar unangetastet. Doch wurde der Vorschrift ein weiterer Absatz angefugt, der „eine Abänderung der Staatsverfassung" künftig von zwei mindestens vierzehn Tage auseinanderliegenden Abstimmungen des Landtages abhängig machte, bei denen sich jeweils zwei Drittel der Gesamtzahl seiner Mitglieder dafür aussprechen mußten. Überdies bedurften derartige Änderungen jetzt „unter allen Umständen" der Einwilligung des Herzogs. Zugleich wurde der die Durchführung eines Volksentscheids vorschreibende § 87 aufgehoben. Auf diese Weise stand dem Herzog wieder ein absolutes Veto bei Verfassungsänderungen zu. Die „Gefahr" einer grundlegenden Systemänderung auf verfassungsmäßigem Wege war damit gebannt. [630.] Als nächstes legte die Regierung Hand an eine weitere demokratische Grundfeste: Die bislang nach der Gemeindeordnung aus Wahlen hervorgehenden drei Kreisdirektoren sollten künftig allein von der Regierung ernannt werden. Aus Protest verließen die Demokraten den Landtag und machten ihn dadurch beschlußunfahig. Er wurde daher am 2L März 1850 geschlossen; was die Regierung indes nicht daran hinderte, die Änderung als ein auf § 85 der Verfassungen gestütztes „Provisorisches Gesetz"'^^ zu erlassen. Wie sicher sich der Herzog bereits jetzt in seiner Position wähnte, dokumentierte er bei der wenig später am 30. März 1850 erfolgenden Veröffentlichung des Gesetzes über die Aufhebung der Stolgebühren^'^. In der Einleitungsformel dieses Gesetzes tauchte erstmals seit Erlaß der Verfassungen und von da an permanent bei allen herzoglichen Rechtsakten wieder die Formel „von Gottes Gnaden" auf. [631.] Am 9. Juli 1850 trat der Landtag wieder zusammen, doch schon kurz darauf wurde er unter Protest der demokratischen Minderheit auf unbestimmte Zeit „entlassen". Dies war natürlich ein eklatanter Verfassungsverstoß, da der insoweit einzig einschlägige § 49 der Verfassungen überhaupt nur eine dreißigtägige „Vertagung", nicht jedoch eine „Entlassung" des Landtages, erst recht aber keine unbefristete zuließ. Da half es auch nichts, wenn das Ministerium in der „Entlassung" des Landtages feinsinnig etwas gänzlich anderes sehen wollte, als eine „Vertagung" im Sinne des § 49 der Verfassungen. Denn neben der Vertagungsoption stand ihm nach Maßgabe des § 50 der Verfassungen nur die Möglichkeit zur Auflösung des Landtages zur Verfügung. Das Institut der „Entlassung" des Landtages sahen beide Verfassungen nicht vor. Wenn das Ministerium zudem verlauten ließ, eine eigenmächtige Einberufung - wie sie § 49 Satz 2 der Verfassungen für den Fall einer länger als 30 Tage währenden Vertagung des Landtages vorschrieb

Gesetzsammlung für das Herzogthum Anhalt-Dessau, Bd. V., 1850, S. 1659. A.a. 0.,S. 1667.

§ 8: Anhaltische Staaten

337

- würde es als gesetzwidrige Handlung ansehen^^ lag hierin jedenfalls eine unverhohlene Drohung gegen ein seine verfassungsmäßigen Rechte und Pflichten wahrnehmendes Verfassungsorgan. [632.] Um nicht völlig auszuschließenden Aufständen gegen die reaktionäre Politik der Regierung wirksam vorzubeugen, schritt man im Oktober 1850 zur Entwaffiiung und Auflösung der Bürgerwehr. Überdies wurde die Suspendierung des vereinigten Landtages zu einem Schlag gegen die in den §§15 und 16 der Verfassungen garantierte Preß-, Versammlungs- und Koalitionsfreiheit genutzt. Gestützt auf § 85 der Verfassungen erließ die Regierung am 26. Dezember 1850 äußerst repressiv gehaltene „Provisorische Gesetze über die Presse und über das Versammlungs- und Vereinigungsrecht"P^ In dem den beiden Regelwerken vorangeschickten Publikationspatent motiviert der Herzog deren Erlaß damit, „daß die durch das Staatsgrundgesetze gewährte uneingeschränkte Freiheit der Presse und die Befugnis zu Bildung von Vereinen in einer Weise gemißbraucht worden sind, welche nicht blos die gesetzliche Freiheit der Staatsangehörigen und die innere staatliche Ordnung, sondern auch Unsere freundliche Beziehungen zu den benachbarten Staaten gefährdet". Letzteres bezog sich auf das Verhältnis zu Preußen, das sich angesichts des im Vergleich zum eigenen Preß-, Versammlungs- und Koalitionsrechts bis dahin überaus liberalen des kleinen Nachbarn um Ruhe und Ordnung in seinen angrenzenden Provinzen sorgte. Tatsächlich war der preußische Druck auf das herzogliche Regime, eine Anpassung an die Verhältnisse des großen Bruders vorzunehmen, enorm. § 2 des Publikationspatents suspendierte die den beiden Gesetzen „entgegenstehenden Bestimmungen in den §§15 und 16" der Verfassungen. Damit wurde aber nur notdürftig die tatsächliche vorläufige Außerkraftsetzung der Grundrechtsvorschriften kaschiert. Im übrigen erfüllten beide Gesetze ihren Zweck so gründlich, daß in kürzester Zeit die letzten demokratischen Blätter ihr Erscheinen einstellten, die Einführung demokratischer oder sozialistischer Literatur nach Anhalt weitgehend zum Erliegen kam und sich die progressiven Volksvereine auflösten. Dies war ein Rückfall in den tiefsten Vormärz. [633.] Durch die „ Verordnung, die Auflösung der Landtage fiir die Herzogtümer Anhalt-Dessau und Anhalt-Köthen betreffend'' vom 21. Juli 185F^ wurden zunächst der vereinigte und die beiden anhaltischen Sonderlandtage aufgelöst (Art. 1 der Verordnung). Zugleich wurde der die Anordnung von Neuwahlen binnen 24 Stunden, die Frist zum Zusammentritt eines neuen Landtags auf 60 Tage und widrigenfalls den Widerzusammentritt des alten Landtags vorschreibende § 50 der Verfassungen beider Herzogtümer suspendiert (Art. 2 der Verordnung) und das Gesamtstaatsministerium beauftragt, „Behufs der Einberufung eines neuen Landtages Uns den Entwurf eines provisorischen Gesetzes vorzulegen (Art. 3 der Verordnung). Daß § 50 der Verfassungen „suspendirt" wurde, lief eindeutig auf eine Ignorierung geltenden Verfassungsrechts hinaus. Hier versuchte das herzogliche Regime, eine bis dahin anerkannt rechtskräftige Verfassungsvorschrift als für sich nicht, zumindest aber vorübergehend nicht geltend abzuqualifizieren. ^^ F. Engler (Fußn. 22), S. 71. ^^ Dok. 169/3 bzw. 185/4. ^^ Dok. 171.

338

2. Abschnitt: Verfassungsentwicklung in den deutschen Einzelstaaten (1806-1918)

Derartige einseitige Akte ließen die Verfassungen aber gerade nicht zu. Sollte eine ihrer Vorschriften nicht mehr weitergelten, gab es dafür nur einen rechtmäßigen Weg: denjenigen über eine Verfassungsänderung. Dies setzte jedenfalls die Beachtung des erst jüngst dem § 84 der Verfassungen angefugten Absatzes 2 voraus, der eine entsprechende Zustimmung des Landtages vorschrieb. Auch die Suspendierung des § 50 der Verfassungen auf das in § 85 der Verfassungen verankerte Notverordnungsrecht zu stützen, konnte kein rechtmäßiger Weg sein. Erschien doch bereits höchst zweifelhaft, ob tatbestandlich der eine Suspendierung rechtfertigende „besonders dringende" Fall, der „keinen Aufschub leiden" durfte, vorlag. Der war nämlich nicht bereits deshalb gegeben, weil sich ein Verfassungsorgan weigerte, der Abschaffung der geltenden Verfassungsordnung oder seiner eigenen Entmachtung zuzustimmen. Überdies hätte die Anwendbarkeit des § 85 der Verfassungen auf Verfassungsänderungen die Möglichkeit zur jederzeitigen einseitigen Aushöhlung der Verfassungen durch den eigentlich an deren Bestimmungen gebundenen Herrschers geführt. Dies sollte aber gerade durch die Verfassungen vermieden werden. Zudem hätte es allein im Gutdünken des Herrschers gelegen, die von ihm erlassenen Provisorien durch fortwährende Nichteinberufung oder sogar Abschaffung des Landtages faktisch zu perpetuieren. Dies erkannte offenkundig auch der Herzog selbst, der in einer der Verordnung unmittelbar vorangestellten Proklamation „An mein Volk"'^^ freimütig erklärte, daß es seinem „Herzen wohl gethan haben (würde, sc), wenn ich dieses Ziel auf demjenigen Wege hätte erreichen können, welchen die von Mir sanktionirte Verfassung vorschreibt; aber das hartnäckige Widerstreben einiger weniger Männer, welche keine andere Berechtigung für sich haben, als den Zufall der Urwahlen, zwingen mich, diesen Weg nunmehr zu verlassen." Man verzichtete hier sogar auf den Schein des rechtmäßigen Handelns. War in der Präambel der dessauischen Verfassung noch von „aufrichtiger Bereitwilligkeit" des Herzogs, mit der er „den Wünschen Unseres Volkes, welches in einer zeitgemäßen Verfassung die dauernde Begründung seines Glückes erblickt, entgegengekommen" sei, die Rede, so ließ er nunmehr ebenfalls in der Proklamation verlauten, seine Zustimmung zu der Verfassung sei „nur in der sichern Hoföiung geschehen, daß deren verderblicher Einfluß sehr bald allgemein werde erkannt werden". [634.] Spätestens jetzt kündigte sich der im Lager der Reaktion ohnehin längst für überfallig gehaltene Staatsstreich an. Doch noch bestanden die bereits in ihrer Substanz angegriffenen Verfassungen fort. Allerdings war das Feld für die endgültige Beseitigung längst bestellt. Sondierungen bei der Bemburger Regierung hinsichtlich der köthischen Verfassung ergaben, daß von dieser Seite keine Schwierigkeiten zu erwarten waren. Dort wurde die Auffassung vertreten, da es keine direkte Zustimmung Bemburgs zur Inkraftsetzung der köthischen Verfassung gegeben habe, bedürfe es für die Aufhebung ebenfalls keiner Einwilligung.^^ Dies konnte gleichwohl als verklausuliertes Einverständnis des Kondominiatspartners gewertet werden.

^^ Dok. 170. '79 F. Engler (Fußn. 22), S. 82.

§ 8: Anhaltische Staaten

339

[635.] Nun fehlte also nur noch der passende Anlaß. Dieser bot sich bei der ohnehin anstehenden Publizierung des Bundesreaktionsbeschlusses^^ und des Bundesbeschlusses über die Aufliebung der sogenannten „ Grundrechte des deutschen Volkes'' vom 23, August 185P^ durch Verordnung vom 4. November 185P^. Denn die beiden anhaltischen Verfassungen widersprachen jedenfalls eindeutig den dort aufgeführten und für die anhaltischen Staaten verbindlichen bundesrechtlichen Grundsätzen. Diese zu beachten war schließlich Bundespflicht. [636.] Dem Argumentationsmuster folgend erging zeitgleich ebenfalls am 4. November 1851 die am 8. November 1851 publizierte ,, Verordnung, die Aufliebung der Verfassungßdr das Herzogthum Anhalt-Dessau" und die „ Verordnung, die Auflebung der Verfassung fiir das Herzogthum Anhalt-Köthen betreffend"^^, welche die beiden Konstitutionen endgültig beseitigte. Noch für dasselbe Jahr (1. Dezember) sollte nach dem Willen des Verordnungsgebers eine von ihm einberufene Kommission mit der Erarbeitung eines neuen Entwurfs beginnen. Dabei war zunächst beabsichtigt, eine gemeinsame altständische Verfassung für das gesamte Anhalt zu schaffen^"^, die allerdings 1852 an der Ablehnung Bemburgs scheiterte. Die Anzeige der Verfassungsaufhebung gegenüber dem Deutschen Bund erfolgte am 25. November 1851.^^ Nach nur drei Jahren waren damit aber nicht allein beide Verfassungen endgültig gescheitert, sondern es fand auch die Revolution in Dessau und Köthen formell ihr Ende.^^ [637.] Zudem wurden durch eine gesonderte Verordnung vom 4. November 185P'^ aufgehoben die Verordnungen über die Verantwortlichkeit der Minister, die Wahlgesetze und die Geschäftsordnung für die Landtage (§ 1). Alle übrigen seit dem April 1848 ergangenen Gesetze einschließlich derjenigen zur Ausführung der aufgehobenen Verfassung blieben vorerst in Kraft (§ 2 der Verordnung). Auf diese Weise sollte übergangsweise die notwendige Rechtskontinuität gewahrt bleiben. Allerdings war das Staatsministerium gehalten, diese Gesetze „einer gründlichen Prüfung zu unterziehen, inwiefern Grundsätze der aufgehobenen Verfassung in dieselben übergegangen sind, welche mit den nunmehr veränderten Verhältnissen nicht in Einklang stehen, oder sich nicht als zweckmäßig bewährt haben". Insoweit wurden Änderungs- und Ergänzungsvorschläge eingefordert. [638.] Diese ließen auch nicht lange auf sich warten, so daß das namentlich von kirchhchen Kreisen heftig bekämpfte Zivilehegesetz schon am 18. November 1851 aufgehoben wurde^^ und seit dem 1. Januar 1852 Eheschließungen wieder durch kirchliche Trauungen erfolgten. An die Stelle der bisherigen demokratisch geprägten Gemeindeordnung trat die zentralistisch-gouvemementale „Gemeinde-, ^" ^1 ^2 ^^ ^^ ^^ ^^ ^^ ^^

Dok.78. Dok. 79. Dok. 172. Dok. 169/4 bzw. 185/5. Vgl von Morgenstern, Vorschlag zu dem Entwürfe einer landständischen Verfassung für die Herzogthümer Anhalt-Dessau-Cöthen, 1852, S. 22 f. Protokolle der deutschen Bundesversammlung, 29. Sitzung vom 25. November 1851, § 229. R Hachtmann (Fußn. 1), S. 18. Dok. 173. Gesetzsammlung fiir das Herzogthum Anhalt-Dessau, Bd. VII, 1853, S. 2043.

340

2. Abschnitt: Verfassungsentwicklung in den deutschen Einzelstaaten (1806-1918)

Stadt- und Dorf-Ordnung"^^ nebst Ein- und Ausführungsverordnung^^ vom 1. März 1852. Die Zusammenfiihrung von Kirche und Schule feierte Urstände. So erhielt das Konsistorium die Verwaltung der Schulangelegenheiten zurück.^^ Die Aufsicht über die örtliche Volksschule führte der Pfarrgeistliche.^^ Lehrer hatten wieder Dienstleistungen für die Kirche zu übemehmen.^^ 2. Anhalt-Bemburg [639.] Anhalt-Bemburg geriet erst am 14. März 1848 in Bewegung. Es kam zu Volksversammlungen deren Forderungen nach sofortiger Aufhebung aller Einschränkungen der politischen Freiheiten, Schwurgerichten, einer konstitutionellen Verfassung nebst demokratischem Wahlrecht und der Vereidigung aller Beamten auf die Verfassung an die dortige Obrigkeit herangetragen wurden. Darauf reagierend kündigte der seit 1832 noch von Herzog Alexius Friedrich Christian (1796 1834) wegen der sich abzeichnenden Geisteskrankheit seines Sohnes, Herzog Alexander Karl, zur Führung der Regierungsgeschäfte eingesetzte fünfköpfige „Geheime Konferenzrat" namens des Herrschers mit Patent vom 16. März 1848^^ an, „Unserem Lande eine von der bestehenden Anhaltischen Gesammtlandschaft unabhängige Verfassung zu verleihen". Anhalt-Bemburg würde also eine gegenüber den beiden anderen anhaltischen Herzogtümern eigenständige Verfassung erhalten. Mit den Vorarbeiten dafür wollte man „ungesäumt beginnen", indem die Regierung möglichst bald einen Verfassungsentwurf erstellte. Dieser sollte anschließend „mit den Ständen Unsers Herzogthums berathen" werden. Letzteres bedeutete zwar auch, daß die Einberufung einer Volksvertretung bevorstand. Doch gedachte man, dieser nur ein Beratungs-, aber kein Vereinbarungsrecht mit Blick auf das Zustandekommen der künftigen Verfassung einzuräumen. [640.] Anders als in den anderen beiden anhaltischen Staaten machte in AnhaltBemburg die bisherige Regierung vorerst keinem „Märzministerium" Platz. Der Konferenzrat gestand nach weiterhin andauemdem Dmck am 24. März 1848 Rede-, Versammlungs- und Bekenntnisfreiheit, die Bildung einer Volksvertretung, Einstellung der Separationen und Zerteilung der bemburgischen Domänen zu. Überdies erließ er am 3. April 1848 eine „Landesherrliche Verordnung", die allgemeine und direkte Wahlen zu dem angekündigten verfassungsberatenden Landtag regelte.^^ Eine Ausführungsverordnung vom 12. April 1848 konkretisierte die Wahlbestimmungen. Zwischenzeitlich gedachte der Konferenzrat unter Hinweis darauf, daß für die einzelstaatlichen Volksvertretungen von Seiten der deutschen Nationalversammlung noch keine Richtliniengesetze vorlägen, die Wahlen auf «^ A.a.O.,S.2141. ^0 A.a.O.,S.2181. 91 92 93 94

A. a. O., Bd. VIII, 1854, S. 2497. A. a. O., S. 2645. A. a. O., Bd. VII, 1853, S. 2255. Dok.157.

95

Landesherrliche Verordnung, die Wahl von Volksvertretern zur Berathung der Verfassungsfrage betreffend, vom 3. April 1848 (Gesetzsammlung für das Herzogthum Anhalt-Bemburg, Bd. VIII, S. 359).

§ 8: Anhaltische Staaten

341

unbestimmte Zeit zu verschieben. Er ließ indes aufgrund heftiger öffentlicher Proteste dagegen von diesem Vorhaben ab. [641.] Schon am 8. Mai 1848 versammelten sich die auf der Grundlage des Wahkechts vom 3./12. April 1848 gewählten 24 Abgeordneten (auf jeweils 2.000 Einwohner kam also ein Abgeordneter) zu ihrer konstituierenden Sitzung im Grünen Saal des Bemburger Schlosses. Auch hier stand zunächst die Forderung der Demokraten nach einer anhaltischen Gesamtverfassung im Vordergrund; wurde aber angesichts des sich dagegen abzeichnenden partikularistischen Widerstands tags darauf nach heftigen Debatten auf das Postulat nach einer eigenen anhaltbemburgischen Konstitution reduziert. Allerdings verlangte man insoweit nicht nur ein Recht zur Beratung über die künftige Verfassung, sondern beanspruchte auch, diese Konstitution mit dem Landesherm zu vereinbaren. Nachdem sich der zunächst sträubende Konferenzrat schließlich doch bereiterklärt hatte, der Volksvertretung einen mit ihr zu beratenden und zu vereinbarenden Verfassungsentwurf vorzulegen, und - übrigens unter Verstoß gegen das insoweit geltende Reichswahlrecht - ein Abgeordneter für die Frankfurter Nationalversammlung gewählt worden war, wurde der Landtag bis zum 3. Juli 1848 vertagt. [642.] Es schien somit, als würde der Geheime Konferenzrat die Verrechtlichung der Revolution nunmehr auch zügig vorantreiben zu wollen. Tatsächlich verzögerte er die weitere Entwicklung jedoch nach Kräften. Dies zeigte sich bereits daran, daß er die den konstitutionellen Gepflogenheiten entsprechende Einsetzung eines dem Landtag verantwortlichen Ministeriums bewußt unterlief Zwar bewirkte er durch Landesherrliche Verordnung vom 24. Juli 1848^^ seine eigene Auflösung und anstatt seiner die Bildung eines verantwortlichen Staatsministeriums. Doch wem gegenüber das Ministerium künftig verantwortlich sein sollte, ließ die Verordnung bezeichnenderweise offen, sollte allein dem „Erlaß eines besondem Gesetzes vorbehalten" bleiben (§ 4), welches indes nicht erging. Äußerlich gelang es dem Geheimen Konferenzrat damit, sich in das neue Gewand einer konstitutionellen Regierung einzukleiden. Zudem spielte man bei der Einberufung des konstitutionsberatenden Landtags auf Zeit, indem die versprochene zügige Ausarbeitung des Verfassungsentwurfs hinausgezögert wurde. Immerhin wurde dieser aber doch bereits am 25. Juli 1848 vorgelegt. Gleichwohl war die Einberufung des Landtags erst für den 7. August 1848 vorgesehen. [643.] Tatsächlich erfolgte seine Einberufung des Landtages jedoch erst am 31. August 1848. Hier gewannen die demokratischen Vertreter - nicht zuletzt von einer Flut den Landtag erreichender Petitionen und Beschwerden getragen - zunehmend an Einfluß. Dieser politische Druck von unten wuchs derart, daß ein am 13. September 1848 vom Abgeordneten von Mey gestellter Antrag, die Versammlung möge „sich bis zur Sanktion der Verfassungsurkunde auch zu Allem berechtigt" erklären, „wozu nach dem von der Staatsregierung vorgelegten Verfassungsentwurf der künftige Landtag berechtigt ist", mit großer Mehrheit (siebzehn zu fünf Stimmen) angenommen wurde.^^ 9^ Dok. 158. ^^ Die Gegenwart. Eine encyklopädische Darstellung der neuesten Zeitgeschichte für alle Stände, 4. Bd.: Die Anhaltischen Herzogthümer, 1. Abth., Anhalt-Bemburg, 1850; S. 164.

342

1. Abschnitt: Verfassungsentwicklung in den deutschen Einzelstaaten (1806-1918)

[644.] Zwischen dem 15. September 1848 und dem 7. Oktober 1848 fanden die eigentlichen Beratungen über die Verfassung statt. Das nunmehrige Staatsministerium ignorierte den vom Landtag gefaßten Kompetenzbeschluß. Immerhin wuchs der politische Druck derart an, daß das Staatsministerium eine eindeutige Antwort auf den Beschluß für den 13. Oktober 1848 in Aussicht stellte. Als es das Ministerium gleichwohl bei nur vagen Ausflüchten beließ, kam es zu tumultartigen Szenen im Landtag, bei denen die anwesenden Regierungsmitglieder sogar mit Knüppeln bedroht wurden.^^ Nachdem sich auch dies als wenig zielführend erwies, beschloß der Landtag einstimmig, solange versammelt zu bleiben, bis das Staatsministerium einlenke und die Verfassung zustandegekommen sei. Qua parlamentarischem Mißtrauensvotum erklärte man das Staatsministerium für abgesetzt und erhob sich selbst bis zur Bildung eines neuen Ministeriums zur provisorischen Regierung, welche die exekutivische Gewalt übernähme und der die gesamte Staatsverwaltung unterstellt wäre. Daraufhin wurden Bürgerwehr und Militär mit einem Treuevorbehalt gegenüber dem Herzog auf den Landtag vereidigt und die Personen der Landtagsabgeordneten für unverletzlich erklärt. [645.] Erst nachdem Vertreter des Landtages mit dem Herzog persönlich (!) verhandelten, erreichten sie die Bestätigung des Kompetenzbeschlusses, der Permanenzerklärung und der Übernahme der provisorischen Exekutivgewalt.^^ Am 14, Oktober 1848 wurde das bisherige Staatsministerium entlassen. Es kam daraufhin am 18. Oktober 1848 zur Einsetzung einer neuen Regierung unter dem bisherigen Geheimen Regierungsrat Friedrich Wilhelm August von Kersten und dem führenden Kopf der Demokraten, August von Mey; auch Anhalt-Bemburg hatte wenngleich erstaunlich spät - sein „Märzministerium" bekommen.^^^ Dieses verhandelte seit dem 20. Oktober 1848 mit dem Landtag zügig über den ihm vorliegenden Verfassungsentwurf und bereitete den Abschluß der Verfassungsvereinbarung vor. Zwischenzeitliche Versuche der reaktionären Hof- und Beamtenpartei, das Militär und preußische Truppen zum Eingreifen zu bewegen, scheiterten. [646.] Der Verfassungsentwurf (Verf-E) wurde ebenso wie das dazu gehörige „Wahlgesetz für das Herzogthum Anhalt-Bemburg" schließlich am 31. Oktober 1848 einstimmig vom Landtag beschlossen und am 1. November 1848 dem Herzog zur Zustimmung vorgelegt. ^^^ Demgemäß sah die Präambel des aus insgesamt in fünf Abschnitte („Tit. L Vom Staatsgebiete und vom Staatseigenthume" [§§ 1 4], „Tit. IL Von den Grundrechten der Staatsangehörigen" [§§ 5 - 52], „Tit. IIL Von der Volksvertretung" [§§53-78], „Tit. IV. Von dem Herzoge und der Staatsregierung" [§§79-91] und „Allgemeine Bestimmungen" [§§ 92 - 96]) unterteilten Verfassungsentwurfs vor, daß der Herzog „das nachstehende Landesver-

99 100 101

M Thomas, Die bürgerlich-demokratische Revolution im Herzogtum Anhalt-Bemburg bis zum vorläufigen Abschluß der Verfassungsvereinbarung am 1. November 1848, in: Wissenschaftliche Beiträge zur Landesgeschichte Sachsen-Anhalts, Heft 2, 1993, S. 59 (67). Die Gegenwart (Fußn. 97), S. 166 f M Thomas (Fußn. 98), S. 68. „Landesverfassungsgesetz für das Herzogthum Anhalt-Bemburg wie dasselbe am 1. November Nachmittags 2 Uhr in Reinschrift an das Herzogliche Staatsministerium übergeben wurde, um von Sr. Hoheit sanctionirt zu werden." (Dmck, vollständige Wiedergabe im Fotosatz bei M. Tullner (Fußn. 24), S. 246 - 253; das Wahlgesetz ebenfalls im Fotosatz a. a. O., S. 254 - 255).

8: Anhaltische Staaten

343

fassungsgesetz mit den . . . gewählten und von uns zusammenberufenen Volksvertretern vereinbart". [647.] Gemäß § 1 Verf-E sollte das Herzogtum Anhalt-Bemburg „einen untheilbaren unter ein und demselben Verfassungsgesetze vereinigten Staat des deutschen Reiches" bilden. Das gesamte herzogliche Stamm- und Fideikommis- sowie das gesamte Allodialgut würde zu nur nach Einwilligung des Landtages veräußerbarem Staatseigentum erklärt. Im Gegenzug wären die bisherigen, sehr beträchtlichen Schulden des herzoglichen Hauses und der Landschaft vom Staat übernommen worden (§§ 3 f. Verf-E). Den überaus umfangreichen Grundrechtsteil eröffnete § 5 Verf-E, der den Erwerb und den Verlust der Staatsangehörigkeit regelte. Des weiteren waren die Aufhebung des Adels und die Abschaffung der Standesvorrechte (§ 6 Verf-E), die Freiheit der Person (§ 7 Verf-E), die Unverletzlichkeit der Wohnung (§ 8 Verf-E), die Garantie des gesetzlichen Richters (§ 9 VerfE), Meinungs-, Preß-, Versammlungs- und Koalitionsfreiheit ( § § 1 0 - 1 2 Verf-E) vorgesehen. Das Petitionsrecht sollte einzelnen wie Vereinigungen gleichermaßen zustehen (§13 Verf-E), das Briefgeheimnis unverletzlich sein (§ 14 Verf-E), die Auswanderung jedem Staatsbürger freistehen (§17 Verf-E), vollständige Glaubens- und Gewissensfreiheit bestehen und eine Trennung von Staat und Kirche erfolgen (§§ 1 8 - 2 2 Verf-E). Überdies würde die Zivilehe ebenso eingeführt (§ 23 Verf-E), wie das Schul- und Unterrichtswesen der bisherigen Kirchenzuständigkeit entzogen und verstaatlicht (§§ 25 - 30 Verf-E). Die Freiheit von Wissenschaft und Lehre statuierte § 24 Verf-E, die Unverletzlichkeit des Eigentums § 41 VerfE. Es hätte künftig neben der staatlichen Gerichtsbarkeit keine andere mehr gegeben. Innerhalb ihrer Zuständigkeiten wären die Gerichte in sachlicher wie persönlicher Hinsicht „völlig unabhängig" gewesen (§§ 3 1 - 3 5 Verf-E). Das Gerichtsverfahren sollte öffentlich und mündlich sein (§35 Abs. 1 Verf-E), in Strafsachen war der Anklageprozeß, für peinliche Fälle, politische und Preßvergehen waren Schwurgerichte vorgesehen (§36 Verf-E). Die Justiz würde von der Verwaltung getrennt (§39 Verf-E). Femer sollte die Todesstrafe, die Strafe des bürgerlichen Todes, der Vermögenseinziehung, des Prangers und der Brandmarkung abgeschafft sein (§§ 15 f Verf-E). Namentlich Jagdgerechtigkeiten auf fremdem Boden und sämtliche Jagddienste (§ 44 Verf-E) sowie sonstige feudale Vorrechte (§ 47 Verf-E) gedachte man entschädigungslos abzuschaffen. Ebenfalls der Vergangenheit angehören sollten fortan Lehensverbände, Familienfideikommisse, Seniorate, Majorate und Minorate (§ 49 Verf-E). Steuervorrechte würde es nicht mehr geben, stattdessen wollte man eine allgemeine Steuerpflicht entsprechend der Leistungsfähigkeit des Pflichtigen verankert wissen (§ 50 Verf-E). Bewaffnungsrecht und Wehrpflicht sollten für alle Staatsbürger gelten; neben dem Militär war eine als „Volksbewaffnung" bezeichnete Bürgerwehr vorgesehen (§ 40 VerfE). Die gemeindliche Selbstverwaltung galt ebenfalls als Grundrecht (§ 51 VerfE). [648.] Als Volksvertretung würde ein Landtag installiert, welcher „nach Maßgabe des dieser Verfassung beigefügten Wahlgesetzes gewählt werden" sollte (§ 53 Verf-E). Die Abgeordneten waren Vertreter der Gesamtheit der Staatsangehörigen (§ 54 Verf-E), konnten ihr Stimmrecht nur persönlich ausüben und waren ausdrücklich „von den Aufträgen und Instructionen ihrer Wähler unabhängig"

344

2. Abschnitt: Verfassungsentwicklung in den deutschen Einzelstaaten (1806-1918)

(§ 55 Abs. 1 und 2 Verf-E). Allerdings näherte man sich dennoch dem imperativen Mandat, wenn man den an der Wahl Teilnehmenden (also nicht einmal allen Wahlberechtigten!) die Möglichkeit einräumte, den in ihrem Wahlbezirk gewählten Abgeordneten mit Zweidrittelmehrheit zur Niederlegung seines Mandats zu zwingen (§55 Abs. 3 Verf-E). Zugleich dokumentierte diese Regelung aber auch die unmittelbare Verbundenheit und direkte Verantwortung des jeweiligen Abgeordneten gegenüber seinem Wahlkreis. Beamte hätten keines Urlaubs zur Mandatsübemahme bedurft (§56 Verf-E). [649.] Das aktive Wahlrecht stand nach § 1 des Wahlgesetz-Entwurfes (WG-E) jedem volljährigen, das passive jedem 25 Jahre alten Staatsbürger einschließlich der Soldaten zu; unter Vormundschaft Stehende, Empfanger von Armenunterstützung, Bescholtene und der bürgerlichen Rechte infolge gerichtlicher Entscheidung Verlustige waren indes ausgeschlossen (§ 2 WG-E). Die Abgeordneten und ihre Stellvertreter wurden direkt (§§ 4 f. WG-E) nach relativer Mehrheit (§ 9 WG-E) und mittels unterzeichneter Stimmzettel (§ 8 WG-E) gewählt. Letzteres stand zwar im Widerspruch zu den auch damals bereits gängigen demokratischen Wahlrechtsvorstellungen, ließ sich aber zumindest mit dem für die Aberkennung des Abgeordnetenmandats vorgeschlagenen Abwahlverfahren erklären. Des weiteren hätten den Abgeordneten und ihren Stellvertretern Diäten zugestanden, auf die keinesfalls verzichtet werden durfte (§17 WG-E). [650.] Abgeordnete und Stellvertreter sollten jeweils auf drei Jahre zu wählen sein (§61 Verf-E) und ihnen sollte Immunität und Indemnität zustehen (§§ 63 f. Verf-E). Die Verhandlungen des Landtages würden in einer keiner landesherrlichen Sanktion bedürfenden Geschäftsordnung geregelt werden (§58 Abs. 1 VerfE). Es hätte also insoweit vollkommene Autonomie des Landtages geherrscht. Die Sitzungen wären regelmäßig öffentlich gewesen und deren Protokolle publiziert worden (§ 59 Verf-E). Der Landtag mußte mindestens jedes Jahr zum 1. Oktober einberufen werden; widrigenfalls hätte er sich zum 1. November von selbst zu versammeln; außerdem würde für die Zeit zwischen den Sitzungsperioden ein Ausschuß gewählt, der die Einhaltung der Verfassung zu überwachen hatte und bei der Regierung die Einberufung des Landtages verlangen, diese nötigenfalls auch selbst veranlassen konnte (§ 60 Verf-E). Im Falle der Auflösung des Landtages mußte dieser binnen vier Wochen einberufen werden (§ 62 Verf-E). [651.] Eröffnet werden können sollte der Landtag nur, wenn fünf Sechstel seiner Mitglieder versammelt wären; zur Beschlußfassung sollte prinzipiell die absolute Mehrheit, bei Verfassungserläuterungen und -änderungen indes eine Dreiviertelmehrheit erforderlich sein (§ 68 Verf-E). Eine unmittelbare „Geschäftsbeziehung" des Landtags würde es nur mit dem „Staatsministerium" geben (§ 69 VerfE). Für den Erlaß, die Abänderung oder Aufhebung eines Gesetzes oder dessen authentische Auslegung sowie bei Staatsverträgen hätte es zwingend der Zustimmung des Landtages bedurft (§ 70 Verf-E). Überdies sollten dem Landtag das Gesetzesinitiativ und -befassungsrecht (§71 Verf-E) sowie umfassende Befugnisse hinsichtlich des Staatshaushalts zustehen (§ 75 Verf-E). Insbesondere wäre ohne seine Einwilligung die Aufnahme von Staatsschulden unzulässig gewesen (§ 77 Verf-E). Auch hätte er das alleinige Steuerfestsetzungsrecht besessen (§ 76 VerfE).

§ 8: Anhaltische Staaten

345

[652.] Die Regienmgsform des bemburgischen Herzogtums war in dem Verfassungsentwurf als „constitutionell-monarchisch mit Volksvertretung" umschrieben (§ 79 Verf-E). Der Herzog war als das Oberhaupt des Staates vorgesehen und in seiner Person unverletzlich (§ 80 Abs. 1 Verf-E). Jeder seiner Staatsangelegenheiten betreffenden Akte würde zur Gültigkeit der Gegenzeichnung durch mindestens einen Staatsminister oder das Staatsministerium bedürfen (§ 80 Abs. 2 VerfE). Dieser bzw. das Staatsministerium hätte dadurch die Verantwortung gegenüber dem Landtag übernommen, der wiederum mittels einfachem Mißtrauensvotum seiner Mehrheit den sofortigen Rücktritt des betreffenden Ministers oder des Staatsministeriums erzwingen konnte (§ 80 Abs. 3 Verf-E). Dies ging eindeutig über das bislang bekannte Maß konstitutioneller MinisterverantwortHchkeit, sogar noch über dasjenige in den jeweiligen §§56 der dessauischen und köthischen Verfassungen hinaus und zielte auf die Einführung eines echten parlamentarischen Systems. Der Herzog sollte die Gesetzgebung gemeinsam mit dem Landtag, die „vollziehende Gewalt" allein ausüben (§81 Verf-E). Ihm sollte das Emennungsrecht für Beamte und Militärs sowie der Oberbefehl über das Heer zustehen; ferner war eine strikte Trennung von Staats- und Hofamt vorgesehen (§ 82 Verf-E). Des weiteren gestand der Entwurf auch dem Herzog das Gesetzesinitiativrecht zu (§ 85 Abs. 1). Wurde ihm ein vom Landtag beschlossenes Gesetz vorgelegt, hatte er sich nach den Buchstaben des Entwurfs darüber binnen vier Wochen gegenüber dem Landtag zu erklären; anderenfalls würde das Gesetz als „stillschweigend genehmigt" gelten. Im Falle der ausdrücklichen Ablehnung war für ihn jedoch nur ein einmaliges Suspensivveto vorgesehen. Denn wenn der nächste Landtag dasselbe Gesetz erneut zur Genehmigung vorlegte, sollte diese nicht verweigert werden dürfen (§ 85 Abs. 3 Verf-E). Das hätte selbst für verfassungsändernde Gesetze gegolten (hier allerdings wegen § 68 Abs. 5 Verf-E nur mit drei Viertel der Stimmen der Landtagsmitglieder), so daß die endgültige Entscheidung über das Wirksamwerden von Gesetzen allein vom Votum des folgenden Landtags abhängen würde. § 90 Verf-E berechtigte den Herzog von Bemburg zur freien Benutzung der Schlösser und Hofgebäude und sprach ihm auf Lebenszeit eine Zivilliste zu, die mit 54.000 Talern jährHch festgelegt war. Bei Verfassungsstreitigkeiten zwischen Staatsregierung und Landtag sollte für den Fall, daß kein Ausgleich zwischen beiden zustandekäme, das Reichsgericht entscheiden (§ 96 Verf-E). [653.] Dem Landtag gelang es jedoch nicht, für diesen Entwurf die Unterschrift des auf Zeit spielenden und sich deshalb zunächst ins nahe preußische Quedlinburg begebenden kranken Herzogs zu erhalten. Offizieller Stein des Anstoßes war die in dem Entwurf festgesetzte und als unzureichend empfundene Zivilliste. Die konservativ-reaktionäre Umgebung des Herzogs erreichte schon am 3. November 1848, daß der Monarch der Verfassung endgültig seine Zustimmung versagte und die Entlassung des erst unlängst unter dem Druck der Volksbewegung eingesetzten Ministeriums von Kersten/von Mey verfugte. An dessen Stelle trat der bereits im Geheimen Konferenzrat federführend tätige konservative Geheimrat Heinrich von Krosigk. Dies hinterheß auch beim Landtag Eindruck, dessen bislang so geschlossene Haltung zu bröckehi begann; kamen ihm doch bis zum 5. November 1848 - also binnen zweier Tage - gleich sechs gemäßigt liberale Abgeordnete abhanden. Die Radikalen hatten damit eindeutig die Oberhand gewonnen.

346

2. Abschnitt: Verfassungsentwicklung in den deutschen Einzelstaaten (1806-1918)

[654.] Zwischenzeitlich ging es aber auch um die künftige staatliche Selbständigkeit des Herzogtums. Hintergrund waren die Mediatisierungsdebatten in der Frankfurter Nationalversammlung. Am 10. November 1848 traf der von der Frankfurter Zentralgewalt eingesetzte Reichskommissar Friedrich von Ammon in Bemburg ein. Er verhandelte insgeheim mit den Höfen von Bemburg und Dessau über die Vereinigung beider Staaten - erfolglos. Erst danach kam es zu ebenso unfruchtbaren Gesprächen mit dem Landtag, der daraufhin mit der überwältigenden Mehrheit der verbliebenen Abgeordneten (mit achtzehn Stimmen gegen eine Stimme) am 29. November 1848 beschloß, endgültig mit dem herzoglichbemburgischen Regime zu brechen. Die Abgeordneten wandten sich mit einer Adresse an den Reichsverweser.^^^ Hierin baten sie „wegen der eigenthümlichen Verhältnisse in der herzoglichen Familie" darum, den bemburgischen Herzog Alexander Karl abzusetzen und dem Herzog von Anhalt-Dessau die Regentschaft über Anhalt-Bemburg zu übertragen. Dieser sollte die Verfassung sanktionieren, ein volkstümliches Ministerium einsetzen, unverzüglich Geschworenen- und öffentliche Gerichte einfuhren und einen anhaltischen Gesamtlandtag zur Angleichung der Verfassungen einberufen. Hiermit wurden in der Tat Vereinigungsfrage und Revolution zusammengeführt.^^^ Doch der Reichsverweser lehnte mit Schreiben vom 12. Dezember 1848 die „Sanction der besonderen Bemburger Verfassung und . .. Einsetzung eines neuen besonderen Bemburger Ministeriums" angesichts „der schönen einheitlichen Bestrebungen unserer neuen Zeit" auf „der kleinen Fläche der vereinigten Herzogthümer Bemburg und Dessau" ab.^^"^ [655.] Unter der Drohkulisse angeforderter und bereits präsenter preußischer Soldaten befand sich der Herzog zu diesem Zeitpunkt aber schon längst in der Offensive. Mit der Begründung, der Landtag habe mit seinem „Unsere Ehre und Würde tief verletzenden Beschluß" vom 29. November 1848 sich „ganz außer Stand gesetzt, über das Verfassungswerk femer mit Uns zu verhandeln", wurde die Volksvertretung nach dem Vorbild Preußens vom S.Dezember 1848 am 14. Dezember 1848 aufgelöst und zugleich einseitig eine Verfassungsurkunde („oktroyierte Verfassung") nebst Wahlgesetz^^^ erlassen. Dies geschah - ebenso wie in Preußen - unter dem Vorbehalt, die Verfassung mit dem demnächst zusammentretenden Landtag einer Revision zu unterziehen. [656.] Insgesamt lehnte sich diese oktroyierte Verfassung inhaltlich erstaunlich eng an den Verfassungsentwurf vom 1. November 1848 (Verf-E) sowie an die bereits am 28. bzw. 29. Oktober 1848 erlassenen Grundgesetze von Köthen und Dessau^^^ an. Abweichend von den beiden Konstitutionen behielt man aber die bereits in § 79 Verf-E gewählte Formuliemng der „Regiemngsform" für das bemburgi^^^ Stenographischer Bericht des Anhalt-Bemburgischen Landtags abgehalten in Bemburg 1848, o. J., Landtagssitzung von 29. November 1848 (Beilage). ^^^ M Thomas, Die Revolution von 1848 in Anhalt Bemburg und der Demokrat sowie „Märzminister" August Karl von Mey (1801 - 59), in: Sachsen-Anhalt, Beiträge zur Landesgeschichte Bd. 5, S. 33 (46). 104 j ^ Wigard (Hrsg.), Stenographischer Bericht über die Verhandlungen der deutschen constituirenden Nationalversammlung zu Frankfurt a. M., S. 6179. 105 Dok. 160. 106 Dok. 169 und Dok. 185.

§ 8: Anhaltische Staaten

347

sehe Herzogtum als „constitutionell-monarchisch mit Volksvertretung" bei (§ 78). Konsequenterweise fehlte wie schon im November-Entwurf ein dem § 5 der dessauischen oder köthischen Verfassung vergleichbarer Passus über den Ursprung aller Gewalten im Volk. Denn ungeachtet aller Beschränkungen, die dem Monarchen durch die Verfassung auferlegt wurden, leitete sich die Staatsgewalt in einem konstitutionell-monarchisch verfaßten Staatswesen allein vom Monarchen her. [657.] In den Einzelbestimmungen wies die nunmehrige bemburgische Verfassung jedoch den Dessauer und Köthener Verfassungen zumindest vergleichbare Beschränkungen der herzoglichen Gewalt auf Dies galt zunächst hinsichtlich des noch in § 80 Abs. 3 Verf-E ausgesprochenen Mißtrauensvotums, mit dem vom Landtag der sofortige Rücktritt des Ministeriums erzwungen werden konnte. Hier bediente man sich jetzt fast wortgleich der demgegenüber abgeschwächten Fassung von § 56 der Dessauer und Köthener Verfassung. Bemerkenswerterweise wurde § 68 Verf-E nahezu wörtlich übernommen, so daß der Landesherr - anders als nach den Verfassungen der beiden anderen anhaltischen Staaten - gemäß dem jetzigen § 66 der Verfassung selbst verfassungsändernden Anträgen (die allerdings mit Dreiviertelmehrheit beschlossen werden mußten) nur einmal seine Zustimmung verweigern durfte. Stand nach § 86 der Verfassungen Dessaus und Köthens dem Landesherm immerhin ein zweimaliges Verweigerungsrecht gegenüber den gleichlautenden Voten zweier aufeinander folgender Landtage zu - wobei die Landtagsbeschlüsse allerdings jeweils nur mit absoluter Mehrheit gefaßt zu werden brauchten -, und wurde dort die endgültige Entscheidung auch noch von einem Plebiszit abhängig gemacht, so genügte in Bemburg allein das Votum des folgenden Landtags. Nach welchen Bestimmungen letztlich eine Verfassungsänderung gegen den Willen des Monarchen leichter durchzusetzen gewesen wäre, läßt sich angesichts des hohen Quorums für den bemburgischen Landtag indes nicht ohne weiteres sagen. Doch vermochte nach der anhalt-bemburgischen Verfassung der Landtag sogar allein das monarchische Regime zu beseitigen. [658.] Auf das noch von § 55 Abs. 3 Verf-E vorgesehene Abwahlrecht des Abgeordneten durch die im jeweiligen Bezirk an seiner Wahl Teilnehmenden wurde zugunsten eines freien Mandats verzichtet (vgl. § 53). In einigen Punkten wurde das Wahlrecht in dem mitveröffentlichten nunmehrigen Wahlgesetz (WG) gegenüber dem Wahlgesetz-Entwurf (WG-E) verändert: So benötigte nach § 9 WG der Abgeordnete zu seiner Wahl im Gegensatz zu § 9 WG-E nicht mehr bloß die einfache, sondern die absolute Stimmenmehrheit. Kam eine solche Majorität nicht zustande, war eine Stichwahl („engere Wahl") zwischen den beiden Kandidaten mit den meisten Stimmen anzuberaumen. An dieser durften indes nur diejenigen Wähler teilnehmen, die ihre Stimme im ersten Wahlgang für einen anderen als für einen der beiden meiststimmigen Kandidaten abgegeben hatten. Des weiteren sollten die Abgeordneten und ihre Stellvertreter zwar weiterhin wie nach § 8 WG-E allgemein, direkt, nach relativer Mehrheit und mittels unterzeichneter Stimmzettel gewählt werden. Doch bestimmte der nunmehrige § 8 WG, daß letzteres „in Gegenwart des Wahlbeamten" zu erfolgen habe. Ließ sich die Unterzeichnung der Stimmzettel ursprünglich zumindest noch mit dem für die Aberkennung des Abgeordnetenmandats vorgeschlagenen Abwahlverfahren erklären, so konnte dafür jetzt nur die eventuell notwendig werdende Stichwahl ins Feld gefuhrt werden. In

348

2. Abschnitt: Verfassungsentwicklung in den deutschen Einzelstaaten (1806-1918)

Wahrheit bezweckte man mit der Beibehaltung der Stimmzettelimterzeichnung nach dem Verzicht auf das Abwahlverfahren und der Stimmabgabe unter wahlbeamtlicher Aufsicht wohl am ehesten eine bessere Kontrolle des Wahlvolkes. [659.] Das Selbstversammlungsrecht des Landtages für den Fall der Landtagsauflösung durch den Landesherm war gegenüber dem Verfassungsentwurf eingeschränkt worden. So mußte der Herzog einen neuen Landtag nicht mehr bereits binnen vier Wochen nach seiner Auflösung einberufen (§ 62 Verf-E), sondern erst nach 60 Tagen; was sich naturgemäß auch auf den Zeitpunkt auswirkte, zu dem die Abgeordneten „aus eigener Machtvollkommenheit zusammentreten" durften (§ 60). Außerdem fehlte der für die Zeit zwischen den Sitzungsperioden gemäß § 60 Abs. 4 und 5 Verf-E zu wählende interimistische Landtagsausschuß. Auch die Geschäftsordnungsautonomie des Landtags war entgegen § 58 Verf-E empfindlich geschwächt worden, indem § 56 das Wirksamwerden der Geschäftsordnung von der „Sanction des Staatsoberhaupts" abhängig machte. Auf dieser Grundlage kam die Geschäftsordnung erst am 4. Oktober 1849 zustande. [660.] Besondere Erwähnung verdient die Regelung der Zivilliste, die doch als offizieller Stein des Anstoßes für die Weigerung des Herzogs herhalten mußte, den Verfassungsentwurf vom 1. November zu akzeptieren. Sie fiel nämlich in der oktroyierten Verfassung für den Herzog sogar ungünstiger aus. Denn anstatt der in § 90 Verf-E noch vorgesehenen 54.000 Taler jährlich wurde sie jetzt auf 50.000 Taler jährlich festgelegt (§ 90 Abs. 1). Allerdings wurden dem Herzog in § 90 Abs. 3 weitere 10.000 Taler aus der Staatskasse zur Erhaltung der Kapelle und des Theaters zugebilligt. Insgesamt gesehen ging es hier jedoch um verhältnismäßig geringe Summen. [661.] Ungeachtet der im Zuge der Oktroyierung vorgenommenen Modifikationen trug die Verfassung eindeutig die Handschrift der demokratischen Linken. Handelte es sich bei dieser Konstitution doch unverkennbar im wesentlichen um eine Übernahme des Entwurfes vom 1. November 1848. Dementsprechend setzte sie zumindest im Grundsatz den Rahmen für „eine parlamentarische Demokratie mit monarchischer Spitze"^^''. [662.] Der Landtag lehnte die oktroyierte Verfassung ab und erklärte, daß das Volk von Anhalt-Bemburg die Vereinbarung einer Verfassung wünsche und daß „dieselbe nur im Wege der freien Vereinigung zwischen den beiden Herzögen und durch Einwirkung der Reichsgewalt erfolgen kann".^^^ Weiteren ernsthaften Widerstand leistete der Landtag gegen seine Auflösung nicht. Zwar sandte man eine Deputation nach Frankfurt, die von der Zentralgewalt die Rehabilitierung des aufgelösten Landtages und eine Forcierung der Vereinigung Anhalts forderte. Doch außer einer Protestnote der Zentralgewalt an die Regierung wegen des willkürlichen Auflösens des Landtages kam dabei nichts heraus. Ungeachtet dessen war damit jedoch die anhaltische Vereinigungsfrage - allein schon dynastisch bedingt - noch längst nicht aus der Welt. [663.] Die Regierung versuchte auf dem von ihr beschrittenen Weg der Konstitutionalisierung weiter voranzuschreiten. Schon mit Gesetz vom 28. Dezember ^^^ M. Thomas (Fußn. 98), S. 68. ^^^ Zitiert nach M Thomas (Fußn. 103), S. 49.

§ 8: Anhaltische Staaten

349

1848^^^ publizierte sie die von der Paulskirchenversammlung beschlossenen und vom Reichsverweser veröffentlichten „Grundrechte des deutschen Volkes'' vom 27. Dezember 1848^^^ und versprach damit, die einzekien landesverfassungsgesetzlichen Bestimmungen entsprechend anzupassen. Wenig später erfolgte bereits die provisorische Verordnung über die Trennung der Rechtspflege von der Verwaltung. Am 17. Januar 1849 wurden die Wahlen zu einem neuen Landtag für den 19. und 20. Februar 1849 ausgeschrieben. Sie endeten mit einem überwältigenden Sieg der Demokraten, die siebzehn der insgesamt 24 Abgeordneten stellten. Von den Liberal-konservativen zogen lediglich sieben Abgeordnete in den Landtag ein. Hier deutete sich die Fortdauer der Revolution an, der man doch eigentlich ein Ende zu machen gehofft hatte. [664.] Die Bestätigung des Ergebnisses der Wahlen zögerte die mittlerweile um den Justizrat Hempel erweiterte Regierung Krosigk bewußt hinaus und erklärte eigenmächtig die Wahl einiger Kandidaten für ungültig. Seit Anfang März 1849 regte sich dagegen bei den Demokraten und den sie tragenden Bevölkerungsschichten zunehmend Unmut, der sich in Unruhen und Tumulten entlud. Diese wurden schließlich am 16. März 1849 von bemburgischen Truppen blutig unterdrückt; es gab mindestens zwölf Tote und eine Vielzahl von Verletzten! Darunter Frauen und Kinder. Angesichts dessen verhängte man den Belagerungszustand über Bemburg. Als nächste Schritte folgten Verhaftungen, das Verbot aller politischen Vereine und der oppositionellen Presse sowie die Entwaffnung der Bürgerwehr. In erster Linie bereitstehendes preußisches Militär garantierte, daß es in der Folgezeit ruhig blieb. Mißliebige demokratische Abgeordnete waren von den Verhaftungen nicht ausgenommen. Zwar bestimmte Art. 61 der Verfassung, daß ein Abgeordneter „vom Augenblicke der auf ihn gefallenen Wahl . . . während der Dauer des Landtags" Indemnität genießen sollte. Doch wurde mittels Landesherrlicher Verordnung vom 29. März 1849^^^ erläuternd klargestellt, daß die Indemnität „nur auf solche Wahlen zu beziehen ist, welche während des Landtags vorkommen". Da man in dieser Situation offenbar überhaupt nicht an eine baldige Einberufung des neuen Landtags dachte, der Landtag nach § 74 Satz 1 und 2 der Verfassung aber alljährlich die Steuern durch Gesetz neu zu bewilligen hatte und gemäß § 74 Satz 3 der Verfassung „ohne solches Gesetz . . . keine Steuern erhoben werden" konnten, sah sich die Regierung auch hier zu raschem Handeln veranlaßt. Denn sollte der Staat durch eine zur Zeit unabsehbare Einberuftmg des Landtags nicht ohne Finanzmittel sein, mußte man zumindest die Weitererhebung der bisher bestehenden Steuern sicherstellen. Demgemäß wurde verordnet, § 74 Satz 3 der Verfassung sei ausschließlich dahingehend zu verstehen, daß es eines Steuergesetzes durch den Landtag nur bei der Erhebung von „neuen Steuern" bedürfe. Bis dahin würden die „jetzt bestehenden Steuern und Abgaben in Gültigkeit bleiben", also forterhoben werden dürfen. [665.] Mittlerweile war in Frankfurt die Reichsverfassung verabschiedet worden und die Vereinigung der anhaltischen Staaten drohte auf die politische Tages109 Dok.161. iiö Dok.105. 111 Dok. 160/2.

350

2. Abschnitt: Verfassungsentwicklung in den deutschen Einzelstaaten (1806-1918)

Ordnung zu geraten. Zwar wurde bei der Reichsgewalt eine Verschiebung des Vereinigungsthemas erreicht. Doch sah man sich angesichts der bevorstehenden Debatte in der Nationalversammlung aus taktischen Gründen am 11. April 1849 dazu veranlaßt, den Belagerungszustand aufzuheben, der Bürgerwehr ihre Waffen zurückzugeben und die Grundrechte wiederherzustellen. Obendrein sollte zum 23. April 1849 endlich der Landtag einberufen werden. Am 14. April 1849 anerkannte Bemburg die Frankfurter Reichsverfassung. Am 16. April fand in der Nationalversammlung die Vereinigungsdebatte statt. Die Bemburger Angelegenheit wurde dem Reichsministerium mit der Aufforderung übergeben, einen Reichskommissar nach Bemburg zu entsenden oder das sonst Erforderliche zu veranlassen. "^ Angesichts der sich abzeichnenden Niederlage der „Reichsverfassungskampagne" verliefen diese Bemühungen jedoch im Sande. Damit waren zunächst auch die Vereinigungspläne vom Tisch. Am 16. Mai 1849 kam es zwischen Bemburg und Preußen zu einer Militärkonvention, die das bemburgische Kontingent für die Bundesarmee der preußischen Armee anschloß. Bereits am 7. Juni 1849 sagte sich Bemburg von der Reichsverfassung los und trat in das Erfurter Dreikönigsbündnis ein. [666.] Im Juli 1849 schritt die Regierung dann allmählich zur Revision der oktroyierten Verfassung. Allen voran verordnete sie am 12. Juli 1849 eine verharmlosend als „Nachtrag zur Verfassungsurkunde vom 14. December 1848"^^^ überschriebene, den § 80 Abs. 1 der Verfassung ergänzende Bestimmung. Übte der Herzog von Verfassungs wegen die Legislative nur „in Gemeinschaft" mit der Volksvertretung aus, so sollte er durch diese Verordnung „Gesetze, die das Staatswohl dringend und ohne Verzug gebietet, .. . ohne Zustimmung des Landtags" erlassen dürfen. Diese „provisorischen Gesetze" bedurften zunächst lediglich der Unterzeichnung „von sämmtlichen Ministem" und mußten erst dem nächsten Landtage zur Genehmigung vorgelegt werden. Einige Tage später erfolgte die Einbemfung des neuen Landtages zum 21. August 1849. Der sich jetzt konstituierende Landtag unterschied sich in seiner Zusammensetzung allerdings als Folge reaktionärer Wahlanfechtungen, von Nachwahlen und Verfolgungen nach den Ereignissen vom 16. März 1849 erheblich von dem Ergebnis der Wahlen vom 19. und 20. Febmar 1849. Die Demokraten waren in der Minorität. Hätten sie ursprünglich mit siebzehn Abgeordneten vertreten sein müssen, so belief sich ihre Zahl nunmehr nur noch auf neun. Anfang September 1849 hatte das Ministerium das demokratische Wahlgesetz aufgehoben; stattdessen dachte man an die Einführung des Zensus Wahlrechts. Das lehnten die Demokraten selbstverständlich ab. Im Falle ihrer Nichtanwesenheit bei der Abstimmung im Landtag besaßen sie eine Sperrminorität, da der Landtag Gesetze rechtswirksam nur bei Anwesenheit von mindestens zwei Dritteln seiner Mitglieder beschließen durfte (§ 66 Abs. 1 der Verfassung). Dies veranlaßte die Regiemng, am 5. Dezember 1849 ein „Provisorisches Gesetz"^^^ zu erlassen, mit dem verhindert werden sollte, „die zum öffentlichen Wohle und zur Fortdauer der Regierung nothwendigen Beschlüsse des 112 Näher dazu F. Wigard (Vu^n. 104), S. 5038, 6103 f., 6160-6185. 11^ Dok. 160/3. 114 Dok. 160/4.

§ 8: Anhaltische Staaten

3 51

Landtags unwirksam zu machen". Unter Abänderung des Art. 66 Abs. 1 der Verfassung verordnete man daher, daß der Landtag bereits beschlußfähig wäre, „wenn die absolute Mehrheit seiner Mitglieder anwesend ist". Als dieses „Gesetz" dem Landtag zur Zustimmung vorgelegt wurde, verließen die neun Abgeordneten der Demokraten den Landtag, um die rechtswirksame Zustimmung wegen des Fehlens der verfassungsmäßig gebotenen Zweidrittelanwesenheit aller Landtagsmitglieder unmöglich zu machen. Darin wurde indes von der im Landtag verbliebenen Mehrheit kein Abstimmungshindemis gesehen, sie sanktionierte das Gesetzesvorhaben. Nachdem dieses Gesetz schließlich verkündet war, erklärten alle neun Demokraten ihren Austritt aus dem Landtag und legten ihre Mandate nieder. [667.] Der 5. Dezember 1849 wird überwiegend als der Anfang vom Ende eines wirklichen Konstitutionalismus in Anhalt-Bemburg bezeichnet.^^^ Ungeachtet dessen erfolgte dann mit dem neuen Landtag die „endgültige Feststellung" der Verfassung als „Landesverfassungsgesetz" vom 28. Februar 1850 („revidierte Verfassung")^^^ einschließlich eines Wahlgesetzes sowie der Vereinbarung alsbald eine Reihe von wichtigen Gesetzen zur Ausführung der Verfassungsbestimmungen zu erlassen. Das parlamentarische Mißtrauensvotum wurde jetzt wieder beseitigt. Die sonstigen Änderungen betrafen überwiegend das Wahlgesetz, demzufolge künftig die Abgeordneten indirekt von allen volljährigen männlichen Staatsbürgern gewählt wurden, die eine direkte Steuer zahlten und an den Gemeindewahlen ihres Wohnortes teilzunehmen berechtigt waren. Diese Urwähler waren nach den verschiedenen Berufs- und Geschäftsinteressen in vier Abteilungen gegliedert, von denen jede ein Viertel der Wahlmänner wählte: 1. Dienstboten, Gesellen und Arbeiter; 2. Kaufleute, Gewerbetreibende und Rentiers; 3. Landwirtschaftliche Berufe; 4. Beamte, Geistliche, akademisch Gebildete, Künstler, Offiziere und Unteroffiziere. Die Wahhnänner mußten dem jeweiligen Stand nicht angehören und wurden nach relativer Mehrheit gewählt, die Abgeordneten dann allerdings nach absoluter Mehrheit. Die Wahlgänge erfolgten durch unterzeichnete Stimmzettel. [668.] Als wichtige Gesetze zur Ausführung der Verfassungsbestimmungen ergingen alsbald: das Gesetz zur Verhütung des Mißbrauchs der Presse vom 21. Februar 1850, die Gemeinde- und Kreisordnung vom 28. Februar 1850, das Gesetz zum Schutze der Rechte aus den §§ 5, 6 und 12 der Verfassung (persönliche Freiheiten) vom 10. März 1850^^^, das Gesetz, betreffend die Stellung unter besondere Polizeiaufsicht, vom 10. März 1850^^^ das Gesetz über die Trennung der Verwaltung von der Justiz in den Unterbehörden vom 18. März 1850, das Gesetz über die Einfuhrung des mündlichen und öffentlichen Verfahrens mit Geschwomen in Untersuchungssachen vom 28. März 1850, die Verordnung über die Staatsanwaltschaft vom 28. Oktober 1850; zudem erfolgte am 22. Januar 1852 die Übernahme des preußischen Strafgesetzbuchs.

116 117 118

M Thomas (Fußn. 103), S. 59; R. Specht, Max von Schätzeil, in: Mitteldeutsche Lebensbilder, Bd. 5, 1934, S. 353 ff.; G. Ziegler, Die Geschichte des Landtages in Anhalt, in: Parlamentarismus in Anhalt II - Die anhaltischen Land- und Reichtagsabgeordneten zwischen (1863) 1871 bis 1918, 1993, S. 4 ff. Dok. 162. Gesetzsammlung für das Herzogthum Anhalt-Bemburg, Bd. IX, S. 198. A. a. O., S. 203.

352

2. Abschnitt: Verfassungsentwicklung in den deutschen Einzelstaaten (1806-1918)

[669.] Eingedenk des absehbaren Aussterbens der Bemburger Linie überlies Herzog Alexander Karl durch Vertrag vom 2. bzw. 7. Mai 1853^^^ seinen Anteil am Herzogtum Köthen dem Herzog Leopold IV. Friedrich von Anhalt-Dessau. Köthen kam daher am 1. Januar 1854 an Dessau. Wegen des angegriffenen Gesundheitszustandes des Herzogs Alexander Karl wurde mittels Verordnung vom 8. Oktober 1855^^^ die Herzogin Friederike zur Mitregentin ernannt. Diese Verfassungsänderung erfolgte mit Zustimmung des Anhalt-Dessauer Herzogs, an den schließlich mit dem Tod von Herzog Alexander Karl, am 19. August 1863, und dem damit einhergehenden Erlöschen der Bemburger Linie auch Anhalt-Bemburg fallen sollte. Auf diese Weise wurde Anhalt nach fast drei Jahrhunderten der Trennung wieder vereinigt. [670.] Doch wenden wir unseren Blick noch einmal dem Schicksal der revidierten bemburgischen Verfassung zu. Im Januar 1851 starb der leitende Minister Heinrich von Krosigk und der Ballenstedter Justizrat Victor von Hempel trat an seine Stelle. Ihm zur Seite gestellt wurde - nach Ablehnung durch den zunächst vorgeschlagenen späteren Reichskanzler Bismarck - der bisherige preußische Regierungsrat Maximihan Theodor von Schätzell, der 1853 Hempels Abgang provozierte und damit der einzige Minister Bemburgs bis zu dessen Vereinigung mit Dessau-Köthen im Jahre 1863 bheb. NamentHch von Schätzell „säuberte" unter Mitwirkung des Landtages allmählich die revidierte Verfassung von den verbliebenen liberalen Bestimmungen bis zur völligen Verstümmelung und faktischen Wirkungslosigkeit im Jahre 1859; er beseitigte die Konstitution aber nicht. [671.] Was spätestens seit November 1851 folgte, war obrigkeitlicher Scheinkonstitutionalismus ohne jede Bindimg in der Bevölkerung.^^^ Den Auftakt bildete das „ Gesetz, die Abänderung der §§ 13 und 36 des Landesverfassungsgesetzes, hinsichtlich der Todesstrafe und der Competenz der Schwurgerichte betreffend'', vom 30. November 185P^^. Die mit der erstgenannten Vorschrift grundsätzlich abgeschaffte Todesstrafe wurde durch § 1 des Gesetzes wieder eingeführt. § 2 des Gesetzes beschränkte die bisher in § 36 der Verfassung vorgesehene breite Kompetenz der Schwurgerichte für „alle peinlichen Fälle", politischen und von Amts wegen verfolgten Preßvergehen jetzt auf Verbrechen und die mit mehr als drei Jahren Freiheitsstrafe bedrohten Preßvergehen. Damit war den Schwurgerichten der größte Teil aller Gerichtssachen wieder entzogen; sie wurden auf diese Weise von dem eigentlichen Regelgericht auf die Rolle eines Sondergerichts reduziert. [672.] Keine Änderung des Wortlauts der Verfassung war indes mit dem Gesetz über die Auslegung der §§27-30 des Landesverfassungsgesetzes in Betreff des öffentlichen Unterrichts vom 5. Februar 1852^^^ verbunden. Hier erachtete man angesichts einer offenbar des öfteren vorgebrachten, aber für unzutreffend angesehenen Rechtsansicht regierungsseitig eine authentische Interpretation der Unterrichtsparagraphen für notwendig: Es galt der Meinung entgegenzutreten, nament^1^ Dok. 176. 120 Dok. 165.

121 M Thomas (Fußn. 103), S. 59; F. Engler (Fußn. 22), S. 122 Dok. 162/1. 123 Dok. 162/2.

8: Anhaltische Staaten

353

lieh die das Unterriehtswesen betreffenden § § 2 7 - 2 9 der Verfassung seien mit Erlaß der revidierten Verfassung sofort in Kraft getreten, weil sie sich nicht unter den in § 101 der Verfassung bezeichneten grundsätzHchen Bestimmungen befänden, welche erst durch Erlaß eines Ausführungsgesetzes in Kraft treten sollten. Dies geschah, indem zutreffend klargestellt wurde, daß § 30 Abs. 2 der Verfassung für die Anwendbarkeit der einschlägigen Verfassungsnormen ein besonderes Ausftihrungsgesetz verlange, welches das ganze Unterrichtswesen zu regeln habe. Bis dahin würde wie bisher das vorkonstitutionelle Recht weitergelten. Diese Aussage war deshalb von eminenter Wichtigkeit, weil der Staat gemäß § 29 der Verfassung selbst anstatt der ansonsten dazu heranzuziehenden Gemeinden zur Beschaffung der notwendigen Mittel für das Unterrichtswesen verpflichtet worden wäre. Man behalf sich mit dem Hinweis auf die bis zum Erlaß des neuen Unterrichtsgesetzes weitergeltende bisherige Rechtslage. Eine Entlastung der Gemeinden sollte es also nicht geben. [673.] Ein Gesetz ebenfalls vom 5. Februar 1852^^^ hatte die Aufhebung des § 50 Abs. 2 der Verfassung zum Gegenstand und sollte die bislang durch diese Vorschrift gewährleistete Teilbarkeit des Grundeigentums beseitigen (§ 1 des Gesetzes). Überdies regelte § 2 des Gesetzes Zusätze zu den allgemeinen Verfassungsbestimmungen, welche die Publikation und die Rechtsgültigkeit der Gesetze und Verordnungen betrafen. Dabei wurde festgestellt, daß Gesetze und Verordnungen verbindlich sind, sobald ihre Publikation in der gesetzlich vorgeschriebenen Form erfolgt war. In diesen Fällen sollte den Behörden die Prüftmg der Rechtsgültigkeit untersagt sein. [674.] Durch das Gesetz, die Form des Eides betreffend, vom 2. Dezember 1852^^^ wurde der „für Alle gleichmäßig" die Form des Eides an ein künftiges Gesetz bindende § 22 der Verfassung aufgehoben (§ 1 des Gesetzes). Stattdessen sollten die bislang für die Bekenner christlicher Konfessionen und für die Juden geltenden Eidesformeln weiter gelten (§ 2 des Gesetzes). Für Mitglieder der freien christlichen Gemeinden wurde eine eigene Formel statuiert (§ 3 des Gesetzes). Hier nahm man ein stückweit die mit der Verfassung angestrebte Gleichheit der religiösen Bekenntnisse zurück. [675.] Femer hob das Gesetz vom 5. März 1854^^^ die §§ 4 Abs. 2, 34 und 84 Abs. 2 der Verfassung ganz bzw. teilweise auf. So wurde mit der Streichung von § 4 Abs. 2 der Verfassung die seit Geltung der Konstitution abgeschaffte Verleihung von Adelstiteln erneut möglich. Denn nunmehr war es wieder zulässig, Titel, welche keine Amtsbezeichnung darstellten, zu verleihen. Mit der Reduzierung des § 34 der Verfassung war es Richtern wieder erlaubt, Orden und Gratifikationen anzunehmen. Die von Art. 84 Abs. 2 bislang verbotene Vereinigung von Staatsund Hofamt fiel ebenfalls weg. Damit gab es gegen die gleichzeitige Wahrnehmung herzoglicher und staatlicher Belange durch ein und dieselbe Person von Rechts wegen keine Hindemisse mehr.

124 Dok. 162/3. 125 Dok. 162/4. 126 Dok. 162/5.

3 54

2. Abschnitt: Verfassungsentwicklung in den deutschen Einzelstaaten (1806-1918)

[676.] Das Gesetz vom 9. April 1855^'^'^ brachte die Abänderung der §§ 53, 54, 39 und 17 der Verfassung. So wurde durch § 1 des Gesetzes zunächst die eine freie Gemeindeverfassung statuierenden §§53 und 54 der Verfassung aufgehoben. An ihre Stelle trat eine nach Maßgabe gesetzlicher Bestimmungen „selbständige Verwaltung ihrer Angelegenheiten unter Oberaufsicht des Staates" (§ 2 des Gesetzes). Mit der durch § 3 des Gesetzes angeordneten Modifizierung von § 39 Abs. 3 der Verfassung wurde den Gemeinden das Recht genommen, Bürgerwehren aufzustellen. Neben diesen massiv die gemeindliche Selbstverwaltung beschneidenden Bestimmungen widerfuhr § 17 der Verfassung, der die bürgerlichen und staatsbürgerlichen Rechte unabhängig vom religiösen Bekenntnis gewährleistete, eine Aufweichung, indem er jetzt eine gesetzliche Beschränkungsmöglichkeit erhielt (§4 des Gesetzes). [677.] Mit Gesetz vom 29. April 1855^^^ wurde § 13 der Verfassung nach der bereits durch § 1 des Gesetzes vom 30. November 185P'^^ erstmals erfolgten Abänderung ein weiteres Mal modifiziert. War es seinerzeit die Streichung des Verbotes der Todesstrafe gewesen, ging es jetzt allerdings um die Abschaffung der bislang noch in Haftanstalten zulässigen körperlichen Züchtigung, das Prangerstehen und die Brandmarkung. Hier deutete sich ungeachtet aller sonstigen Rückführungen der Verfassung durch die bisherigen Änderungsgesetze immerhin eine Humanisierung des Strafvollzugs an. [678.] Das aus insgesamt acht Artikeln bestehende ,, Gesetz, die Abänderung des Verfassungsgesetzes vom 28. Februar 1850 betreffend", vom 31. August 1859^^^ bedeutete schließlich den Abgesang auf die bis dahin immer noch weitgehend wirksame revidierte Verfassung. Durch Art. 1 des Gesetzes aufgehoben wurden allen voran der das Herzogtum Anhalt-Bemburg als unter der Verfassung vereinigten unteilbaren Staat bezeichnende § 1 der Verfassung und der die Veränderung des Staatsgebiets regebide § 2 der Verfassung. Das in § 14 der Verfassung verankerte Verbot der Vermögenskonfiskation wurde wieder beseitigt. Das gleiche Schicksal teilten die im Grundrechtskatalog der Verfassung aufgeführten, die Kirche und Religion sowie das Bildungswesen behandebiden §§ 1 6 - 3 0 und der eine Trennung von Richter- und Staatsamt vorsehende § 34 der Verfassung. Gleichsam mit wenigen Federstrichen wurden die „§§ 5 5 - 8 1 " der Verfassung beseitigt. Damit hatte sich der gesamte „Von der Volksvertretung" handelnde dritte Titel der Verfassung, also die §§ 55 - 80, sang- und klanglos erledigt. Auch der die Regierungsform Anhalt-Bemburgs als „constitutionell-monarchisch mit Volksvertretung" bezeichnende § 81 der Verfassung teilte dieses Schicksal. Aus dem vierten Titel „Vom Herzoge und der Staatsregierung" (§§ 81 - 96) strich man überdies die §§ 8 3 - 8 7 der Verfassung. Dies betraf die nach dem Willen der Verfassung bislang gemeinsam von Herzog und Landtag ausgeübte Gesetzgebung (§ 83), die dem Herzog obliegende Einberufung, Vertagung, Schließung und Auflösung des Landtags (§ 86), das Gesetzesinitiativ- und das Vetorecht des Herzogs ^27 ^2^ 129 130

Dok. Dok. Dok. Dok.

162/6. 162/7. 162/1. 162/8.

' 8: Anhaltische Staaten

355

(§87) sowie die ihm von der Verfassung zugebilligten Exekutiv- und Begnadigungsrechte (§§ 84 £), Nicht anders erging es § 97 (Eid der Beamten auf Herzog und Verfassung), § 99 (Publizierung der Gesetzentwürfe vor der Beratung im Landtag) und § 100 (Streitschlichtung zwischen Regierung und Landtag). Femer hoben die Art. 7 und 8 des Änderungsgesetzes das bisher geltende Wahlgesetz und die Geschäftsordnung für den Landtag auf. Insgesamt war jetzt der Landtag als Verfassungsorgan mit aller Gründlichkeit ausgelöscht; auch das Verhältnis des Staates zur Kirche konnte wie im Vormärz wieder ein denkbar inniges sein. Überdies beseitigte Art. 4 des Änderungsgesetzes den bisher in § 90 Abs. 2 der Verfassung fixierten herzoglichen Eid auf die Verfassung. Mit Art. 2 des Änderungsgesetzes wurde § 4 Abs. 1 der Verfassung, demzufolge alle Standesunterschiede und Standesvorrechte aufgehoben waren, gestrichen. Das Petitionsrecht in § 11 Abs. 1 der Verfassung erfuhr ebenfalls Einschränkungen, Petitionen „unter einem Gesammtnamen" waren nach Art. 3 des Änderungsgesetzes fortan nur noch zulässig, wenn sie von Behörden oder Korporationen, und zwar bei der Staatsregierung eingereicht wurden; konsequenterweise hatte man den Landtag als Adressaten gestrichen, da dessen Existenz zuvor aufgehoben worden war. Damit hatte man in Bemburg das formaljuristisch letzte Hindernis auf dem Weg in den ohnehin seit geraumer Zeit avisierten gesamtanhaltischen Ständestaat alter Provenienz beseitigt.

IV. Der Weg zur gesamtanhaltischen Landschaftsordnung von 1859 [679.] Die vom dessauischen Herzog Leopold IV. Friedrich in der Verordnung vom 4. November 185P^^ zugleich mit der Aufhebung der dessauischen und köthischen Verfassung angekündigte Kommission zur Beratung einer neuen Landschaftsordnung für Gesamtanhalt nahm tatsächlich wie vorgesehen ihre Arbeit auf. Ihr gehörten allerdings nur dessauische und köthische Mitglieder an, da ihr Bemburg fernblieb. Die in der Kommission erarbeiteten Entwürfe waren allesamt altständische Aufgüsse. Jede Form einer konstitutionellen Verfassung lehnte man ab. Bezeichnenderweise ging die Kommission davon aus, daß es sich bei der jetzt geplanten Verfassung lediglich um eine Abänderung der sich noch in anerkannter Wirksamkeit befindenden alten gesamtanhaltischen Ständeverfassung handelte, welche auf verfassungsmäßiger Basis mit Zustimmung der Gesamtlandschaft erfolgen dürfe. Inhaltlich gedachte die Kommission gründlich mit den Institutionen der Revolution aufzuräumen. Diese Rückkehr zu den altständischen Verhältnissen war also nicht zuletzt auch antikonstitutionell motiviert. [680.] Ende März 1852 wurden dem dessau-köthischen Herzog zwei Entwürfe überreicht. Diese unterschieden sich nur dadurch, daß in den einen bereits das Wahlgesetz integriert, dem anderen ein solches gesondert hinzugefügt wurde. Es waren für Dessau und Köthen gemeinsam fünfzehn auf sechs Jahre zu wählende ständische Abgeordnete vorgesehen: vier aus den Reihen der Rittergutsbesitzer, zwei aus denen der Geistlichen, die drei Bürgermeister der Städte Dessau, Köthen Dok. 169/4 bzw. 185/5.

356

2. Abschnitt: Verfassungsentwicklung in den deutschen Einzelstaaten (1806-1918)

und Zerbst, drei von den Bürgermeistern der übrigen Städten, zwei aus der Gesamtheit der städtischen Gemeinderäte sowie vier aus der Gruppe der Ortsschulzen. Für den Fall des Beitritts Bemburgs würde die Zahl der Abgeordneten um neun vermehrt werden. Der solchermaßen zusammengesetzte Landtag sollte nur alle drei Jahre zusammenbemfen werden. Ihm stand ein äußerst begrenztes Mitbestimmungsrecht bei dem Erlaß von Gesetzen zu. Dagegen hatte er das volle Steuerbewilligungsrecht und mußte der Aufnahme neuer Staatsschulden zustimmen. Petitionen anzunehmen, war ebenso untersagt, wie Gesetzesentwürfe vorzulegen. Aus der Mitte des Landtages würde ein ständischer Ausschuß gewählt, dem es oblegen hätte, den Etat zu prüfen und zu begutachten, die Oberrevision über die Rechnungen durchzuführen, Mängel der Gesetzgebung anzuzeigen und Vorschläge zu deren Abstellung einzureichen. Zudem war ein aus den Ministem, den Chefs der obersten Justiz- und Verwaltungsbehörden sowie aus vom Herzog zu berufenden Personen bestehender Staatsrat vorgesehen. [681.] Diesen Entwurf erhielt der Bemburger Herzog im Mai 1852, der ihn unter Hinweis auf die bestehende eigene Verfassung ablehnte. Er glaubte, keine Veranlassung zu haben, die Verfassungszustände seines Herzogtums einer Prüfung durch die alte anhaltische Gesamtlandschaft zu unterstellen. [682.] Damit wollte man es in Dessau und Köthen aber nicht bewenden lassen. Die alte Gesamtlandschaft erhielt im Oktober 1852 die Mitteilung, daß der Entwurf vom Dessauer Herzog zwar genehmigt würde, eine Verabschiedung als neue Verfassung indes an der Ablehnung Bemburgs scheitere. Infolge dessen erhoben die noch vorhandenen Mitglieder der Gesamtlandschaft zur Wahrung und Aufrechterhaltung ihrer vermeintlichen Gerechtsame am 26. Januar 1854 Beschwerde bei der Bundesversammlung. In ihr beanspruchte die Landschaft die Anerkennung ihres Fortbestehens und die Feststellung, daß Änderungen der ständischen Gesamtverfassung nur mit ihrer Zustimmung wirksam werden könnten. Die Bundesversammlung beschloß dann am 10. August 1854^^^, die Bemburgische Regierung zu ersuchen, „auf Verhandlungen mit der Dessau-Cöthen'sehen Regierung über die Herstellung eines die anerkannten Ansprüche der Gesammtlandschaft berücksichtigenden Verfassungszustandes" für Gesamtanhalt einzugehen. Von nun an sollte die Verfassungsfrage für mehr als eineinhalb Jahre ruhen. [683.] Schon zuvor war es Dessau und Bemburg jedoch gelungen, nachdem der Herzog von Anhalt-Bemburg aus finanziellen Beweggründen sein Erbanteil an Köthen einforderte, eine Einigung über das bisherige Kondominat zu erzielen. Beide Regierungen hatten nämlich qua Staatsvertrag vom 4. Februar 1853^^^, der von den beiden Herzögen am 2. Mai 1853 (Leopold IV. Friedrich für Dessau) und am 7. Mai 1853 (Alexander Karl für Bemburg) genehmigt wurde, vereinbart, daß der bemburgische Herzog gegen Zahlung einer lebenslangen Rente und Übemahme der köthischen Staatsschulden durch Dessau seine bisherigen „Souveränetätsund Regiemngsrechte" an Köthen vollständig dem Dessauer Herzog abtritt. Überdies war von einer zwischenzeitlich erwogenen Abdankung des regiemngsunföhi^^^ Protokolle der deutschen Bundesversammlung, 25. Sitzung vom 10. August 1854, § 251. 133 Ygj ^3ekanntmachung des Vertrages wegen der Vereinigung der Herzogthümer Anhalt-Dessau und Anhalt Köthen zu Einem Herzogthume" vom 23. Mai 1853 (Dok. 176).

§ 8: Anhaltische Staaten

357

gen Bemburger Herzogs nicht mehr die Rede. Mit einem auf den 7. Mai 1853 datierten und am 25. Mai 1853 publizierten Patent^^^ entband Herzog Alexander Karl die köthischen Staatsangehörigen von ihren ihm gegenüber bestehenden Untertanenpflichten. Mit einem ebenfalls am 25. Mai 1853 publizierten Patent vom 22. Mai 1853^^^ wurde Köthen dann auch formell mit Dessau zu einem Herzogtum „Anhalt-Dessau-Köthen" mit einer Regierung, dem „Herzoglich-Anhaltischen Staats-Ministerium", mit Sitz in Dessau, einheitlicher Verwaltung und einheitlichem Militär zusammengeführt. [684.] Erst am 28. April 1856 kam wieder Bewegung in die gesamtanhaltische Verfassungsangelegenheit. Nunmehr übersandte der Bemburger Minister von Schätzen an das dessau-köthische Staatsministerium einen als Grundlage weiterer Verhandlungen gedachten neuen, unmittelbar an die früheren Bemburger Entwürfe von 1819 anknüpfenden Verfassungsentwurf. Dieser war auch tatsächlich am 9. Juni 1856 Gegenstand von Beratungen zwischen beiden Regiemngen. Streitig blieben allerdings die in § 19 des Entwurfs vorgesehenen Rechte der Landschaft, so daß man einmal mehr auf der Stelle trat. Die dessau-köthische Seite wandte sich daraufhin an die alte Gesamtlandschaft, um zu klären, inwieweit diese durch den Entwurf ihre historischen Rechte als hinreichend gewahrt ansah. Die verbliebenen ritterschaftlichen Mitglieder des schheßlich dazu Stellung nehmenden engeren Ausschusses der Landschaft machten eine Reihe von Bedenken geltend. Insbesondere schien ihnen der Verfassungsentwurf noch immer zu progressiv, weil verschiedene Bestimmungen des Verfassungsentwurfes von den Vorstellungen des modernen Konstitutionalismus beeinflußt seien und daher den von der Deutschen Bundesakte (DBA) von 1815^^^ und der Wiener Schlußakte (WSA) von 1820^^'^ an eine landständische Verfassung gestellten Anforderungen widersprachen. [685.] Hieraus sprach jedoch eine mittlerweile nicht nur unzeitgemäße, sondem auch die Grundgesetze des Deutschen Bundes verkennende Haltung. Verlangten letztere doch gerade nicht die Rückkehr zu einem spätfeudalen Verfassungsregime, sondem nur, daß es landständische Verfassungen zu geben habe (Art. 13 DBA), denen jedenfalls das monarchische Prinzip zugrundeliegen mußte (Art. 57 WSA). Nach einigem Zögern stellte man diese Bedenken indes hintan und akzeptierte die vorgeschlagene Verfassung. Hauptursache dafür dürfte wohl das sich beim übermächtigen Nachbarn Preußen abzeichnende Ende der Reaktion durch das Heraufziehen einer liberaleren „Neue Ära" gewesen sein. Denn im Oktober 1858 hatte ICronprinz Wilhelm - der Bmder des mittlerweile regierungsunfahigen Königs Friedrich Wilhelm IV. und spätere (seit 1861) König Wilhehn I. - die Regentschaft übernommen und ein konstitutionell gesinntes Ministerium unter Karl Anton von Hohenzollem eingesetzt. Dies würde - wovon man sich in Anhalt überzeugt zeigte - nicht ohne Auswirkungen ftir die nahezu völlig von Preußen umgebenen Kleinstaaten bleiben können. Angesichts dieser Wendung der politi134

Dok. 174. 13^ Dok. 175. 136 Dok. 31. 137 Dok. 43.

358

2. Abschnitt: Verfassungsentwicklung in den deutschen Einzelstaaten (1806-1918)

sehen Situation im unmittelbaren Umfeld Anhalts bewies die Landschaft immerhin soviel Realitätssinn, die von allen Akteuren schon bereitwillig vollzogene verfassungspolitische Rolle rückwärts nicht zu gefährden. Nachdem auch der Bemburger Landtag zustimmte, war der Weg endgültig frei für den Erlaß der neuen gesamtanhaltischen „Landschafts-Ordnung'' nebst „Geschäfts-Ordnung''^^^. Beide wurden fur die anhaltischen Herzogtümer durch Publikationspatent vom 18. Juli^^VSI. August 1859^"^^ erlassen^'^^ und traten gemäß § 1 des Patents am 1. Oktober 1859 in Kraft. An die jeweiligen Staatsministerien erging der Auftrag zur Ausführung der Gesetze (§ 3 des Patents). Gegen das Inkrafttreten der Landschaftsordnung gab es in Anhalt selbst zunächst keinen nennenswerten Widerspruch. V. Die Landschaftsordnung von 1859 [686.] Die Landschafts Ordnung (LO)^^^ selbst sah fur Anhalt eine „GesammtLandschaft" vor, welche „entweder in ihrer Gesammtheit auf einem GesammtLandtage" oder „für die beiden Herzogthümer gesondert auf Sonder-Landtagen verhandelt" (§ 1). Der Gesamtlandtag sollte aus insgesamt 36 Mitgliedern zusammengefaßt in drei Abteilungen, nämlich jeweils zwölf Vertretern der Ritterschaft, Städte und Landgemeinden, bestehen (§ 2 LO). Besondere Vertreter der Geistlichkeit waren also nicht vorgesehen. Hinsichtlich der Verteilung der Ständevertreter auf die einzelnen Herzogtümer galt ein Verhältnis, bei dem zwei Drittel auf Dessau-Köthen und ein Drittel auf Bemburg entfielen. Ritterschaftliche Vertreter waren einerseits adelige Familien, denen aufgrund der Landschaftsordnung ein Sonderstimmrecht zukam, andererseits aus dem Kreis der Rittergutsbesitzer gewählte Abgeordnete (§4 LO). Die Zahl der Vertreter der Rittergutsbesitzer hing davon ab, wie vielen Familien ein Sonderstimmrecht eingeräumt wurde (§ 7 LO). Theoretisch wäre es daher möglich gewesen, daß die Rittergutsbesitzer überhaupt keine Abgeordneten entsandt hätten. Als städtische Vertreter sah § 8 LO im Herzogtum Dessau-Köthen die Bürgermeister von Dessau, Zerbst und Köthen sowie fünf von den Gemeinderäten gewählte Abgeordnete vor; im Herzogtum Bemburg wurden nach § 9 LO der Bürgermeister der Stadt Bemburg, ein von den Gemeinderäten der Städte Bemburg und Coswig sowie zwei von den Gemeinderäten der Städte Ballenstedt, Harzgerode, Gemrode, Hoym und Günthersberge zu wählende Abgeordnete bestimmt. Die Ritterschaft wählte ihre Vertreter auf Lebenszeit (§ 6 Abs. 4 LO)o Die städtischen Abgeordneten waren aus dem Kreis derer zu wählen, die das Bürgerrecht des jeweiligen Herzogtums besaßen (§10 LO). Die ländlichen Abgeordneten wurden von den Schulzen der Dörfer aus ihrer Mitte oder aus den ansässigen bäuerlichen Gmndbesitzem gewählt. Landstandsfähig waren nur Männer, die das 30. Lebensjahr vollendet hatten, sich zur christlichen Religion bekann13^ Dok. 148. ^^^ Datum der Zeichnung durch Herzog Leopold IV. Friedrich von Anhalt-Dessau-Köthen. 140 Datum der Zeichnung durch Herzog Alexander Karl und Herzogin Friederike von AnhaltBemburg. 141 Dok. 166, Dok. 177. 142 Dok. 148.

§ 8: Anhaltische Staaten

359

ten und im Vollbesitz der bürgerlichen Ehrenrechte befanden, nicht unter Vormundschaft standen, über deren Vermögen kein Konkursverfahren eröffnet war sowie mindestens drei Jahre in Anhalt wohnten (§ 14 Abs. 1 LO). Beamte bedurften zur Mandatsübemahme der landesherrlichen Genehmigung (§14 Abs. 2 LO). Die Wahl erfolgte auf sechs Jahre (§15 Abs. 1 LO). Alle gewählten Mitglieder sowie zur Vertretung der Städte berufenen Bürgermeister erhielten für die Dauer des Landtages ein Tagegeld von drei Talern (§ 26 LO). Das Volk selbst besaß somit kein Wahkecht; bei genauerem Hinsehen auch nicht der Bürger- und Bauernstand. Nur die Rittergutsbesitzer übten ein direktes Wahlrecht aus. Trotz der denkbar geringen Anzahl der dem Ritterstand Zugehörigen stellte dieser jeweils genauso viele Vertreter wie die gesamte Bevölkerung der Städte oder diejenige des ländlichen Raumes. Eine Teilnahme breiterer Bevölkerungsschichten am Staatsleben konnte und sollte es unter solchen Bedingungen nicht geben. [687.] Der Gesamtlandtag mußte, „sobald und so oft" es den Herzögen „angemessen" erschien, „jedenfalls aber alle drei Jahre" zusammenberufen werden (§16 LO). Ein fester Ort war dafür nicht vorgesehen, sollte vielmehr für jede Zusammenkunft neu bestimmt werden (§17 LO). Die Herzöge versprachen, sich „des Beirathes Unseres Gesamt-Landtages zu allen das gemeine Wohl und das Beste des Landes angehenden Gesetzen und zu sonstigen Angelegenheiten, welche Wir dazu für geeignet halten", zu bedienen (§18 LO). Sie verpflichteten sich, die vorherige Zustimmung der Landstände einzuholen bei der Abänderung von Landesverfassung und Landschaftsordnung, der Belastung der Untertanen mit neuen Abgaben, der Beschränkung oder Aufhebung wohlerworbener Rechte, ebenso zur Aufnahme von Landesschulden, zur Veräußerung von zum herzoglichen Stammgut gehörenden Domänen und Forsten, zur Abtretung von Landesteilen an andere Staaten und zum Abschluß von Staatsverträgen, welche den Untertanen neue Lasten auferlegten; ausgenommen von dem ständischen Zustimmungserfordemis waren indes Gesetze, die der Umsetzung von Beschlüssen des Deutschen Bundes und Verpflichtungen aus bestehenden Staatsverträgen dienten (§19 LO). Letzteres war angesichts des Art. 58 WS A geboten, wonach die souveränen Bundesfürsten durch keine landständische Verfassung an der Erfüllung ihrer Bundespflichten gehindert werden durften. Für den Fall, daß „die öffentliche Wohlfahrt, die Sicherheit Unseres Herzogthums oder andere dringliche Umstände es erforderlich machen", konnten auch ohne vorherige Landtagszustimmung „provisorische Gesetze" erlassen werden; diese bedurften dann allerdings der nachträglichen Sanktionierung durch den Gesamtlandtag (§ 20 LO). Dieser sollte ebenso wie die einzelnen Stände das Recht haben, Beschwerden und Anträge an die Herzöge zu richten (§ 22 LO). Ausgenommen von der Zuständigkeit des Gesamtlandtags waren indes die die Finanzen (Etat, Steuern, Abgaben und Landesschulden) der einzelnen Herzogtümer betreffenden Verhältnisse (§ 23 LO). Diese gehörten allein in die Zuständigkeit des jeweiligen Sonderlandtages (§31 Abs. 2 LO). Die Verhandlungen waren nach der der Landschaftsordnung „anliegenden" Geschäftsordnung zu führen und nicht öffentlich (§ 25 LO). Damit wurde die aus immerhin 35 Paragraphen bestehende Geschäftsordnung integraler Bestandteil der Landschaftsordnung. Die Eröffnung des Gesamtlandtages wie auch dessen Schließung erfolgte durch den „ältestregierenden" Herzog (§§ 24, 27 LO). Die Auflösung

360

2. Abschnitt: Verfassungsentwicklung in den deutschen Einzelstaaten (1806-1918)

konnte allerdings nur von beiden Herzögen gemeinsam „in dazu geeigneten Fällen" verfügt werden; dann mußten alle gewählten Abgeordneten durch eine neue Wahl ermittelt werden (§ 28 LO). [688.] Der jeweilige Sonderlandtag setzte sich für Dessau-Köthen aus dessen 24, für Bemburg aus dessen zwölf Abgeordneten zum Gesamtlandtag zusammen (§ 29 LO) und sollte mindestens alle drei Jahre einberufen werden (§ 30 LO). Er hatte sich neben den bereits erwähnten Finanzsachen mit allen sonstigen Angelegenheiten des zugehörigen Herzogtums zu beschäftigen (§31 LO). Zur Eröffnung und Schheßung galt das Gleiche wie bei dem Gesamtlandtag (§§ 32 f. LO). [689.] Weiterhin war ein von den drei Ständen der Sonderlandtage getrennt zu wählender und um die beiden von den Sonderlandtagen zu wählenden Landschaftssyndiken zu ergänzender elfköpfiger ständischer Ausschuß vorgesehen (§§ 35 ff. LO). Dieser konnte als Gesamtausschuß für beide Herzogtümer oder als Sonderausschuß für das einzelne Herzogtum tagen (§36 LO). Die Landschaftssyndiken bildeten den juristischen Beirat des Gesamtlandtages, führten u. a. die Verhandlungsprotokolle, besaßen dort aber kein Stimmrecht (§ 43 LO). Aus den drei Ausschußmitgliedem der Ritterschaft, den sogenannten „ständischen Landräten", ernannte der Herzog den Landschaftsunterdirektor, der den Vorsitz im Gesamtausschuß des Gesamtlandtages und auch im Sonderausschuß des Sonderlandtages, dem er angehörte, führte (§ 37 Abs. 3, 5 und 6 LO). Die dem Landtag auf Lebenszeit oder kraft Amtsführung angehörenden Abgeordneten waren mit ihrer Wahl „ständige Mitglieder" der Ausschüsse (§37 Abs. 4 LO). Die Ausschüsse blieben auch im Falle der Auflösung der Landtage in „unausgesetzter Wirksamkeit" (§38 LO). Zu den Kompetenzen des Gesamtausschusses gehörte die selbständige Verwaltung der „Tranksteuerkasse" (§ 39 LO) und das Recht, jederzeit Beschwerden über den Stand der Gesetzgebung oder über sonstige zur Zuständigkeit des Gesamtlandtages gehörige Angelegenheiten sowie Anträge dazu an die Herzöge zu richten (§ 40 LO). Entsprechendes hatte für die Sonderausschüsse hinsichtlich der Sonderlandtage zu gelten (§41 Abs. 1 LO), die zudem aus ihrer Mitte die ständischen Mitglieder der „Staats-Schulden-Tilgungs-Kommissionen" ernannten (§ 41 Abs. 2 LO). [690.] Diese Organisation war, soweit sie die Sonderlandtage und Sonderausschüsse betraf, lediglich eine auflösend bedingte. Denn nach § 47 LO sollte sie nur solange gelten, wie noch beide „Herzoglichen Speziallinien" existierten. Mit dem absehbaren Aussterben der Bemburger Linie würden dann die ausdrücklich die Sonderlandtage regehiden §§21, 23, 2 9 - 3 4 LO und die § § 3 5 - 4 6 LO, soweit sie die ständischen Sonderausschüsse behandelten, außer Kraft treten. Nur der Gesamtlandtag und sein Ausschuß bliebe bestehen. [691.] Diese Verfassung war ein reines Organisationsstatut; ihr fehlte nahezu jede Ähnlichkeit mit den zeitgenössischen konstitutionellen Verfassungen. Das Wort „Volk" kam in ihr nicht einmal vor. Es gab nur Stände mit gesonderten Rechten und Pflichten, keine Staatsbürger, sondern Untertanen. [692.] Offenbar schien man sich des Bestandes der durch die Landschaftsordnung geschaffenen, eindeutig rückwärts gerichteten Verfassungsverhältnisse nicht wirklich sicher zu sein. Denn gemäß ihres § 48 sollte diese Landschaftsordnung unter die in Art. 60 der Wiener Schlußakte vorgesehene Gewähr des Deutschen

8: Anhaltische Staaten

361

Bundes gestellt werden. Und tatsächlich suchten der seit dem Ausscheiden von Goßlers im Jahre 1856 alleinige Minister Dessau-Köthens, von Plötz, Bemburgs Minister von Schätzell sowie die anhaltische Feudalpartei noch im Jahre 1859 um die Garantie des Bundes für die Landschaftsordnung nach.^"^^ Dieser setzte einen fiinfköpfigen Ausschuß zur Begutachtung der anhaltischen Verfassungsfrage ein^"^"^, der jedoch bereits Bedenken hatte hinsichtlich der Kompetenz der Bundesversammlung. Vertraulich wurde den anhaltischen Regierungen über ihren Bevollmächtigten bedeutet, die Garantiefrage zunächst ruhen zu lassen, bis die neuen Verfassungsverhältnisse einige Zeit bestanden und sich als unbestritten und unbestreitbar festgestellt haben würden. ^^^ Das geschah dann auch. [693.] Am 26. April 1860 trat der erste anhaltische Gesamtlandtag in Köthen zusammen. Zu wirklichen Verhandlungen kam es aber nur bei den Sonderlandtagen. ^"^^ Noch im Jahre 1861 befaßte sich sogar der preußische Landtag aufgrund einer Petition mit den anhaltischen Verhältnissen. Bezeichnenderweise stellte die dafür zuständige Kommission fest, daß die Landschaftsordnung jedem Fortschritte konstitutioneller Entwicklung Hohn spreche. Man hielt diesen Zustand für nahezu unhaltbar, selbst die kurhessischen Zustände seien demgegenüber golden zu nennen, sah aber keine rechtliche Handhabe unmittelbar in Anhalt einzugreifen. ^"^^ VI. Verfassungsverhältnisse des neuen Herzogtums Anhalt (1863-1918) [694.] Am 19. August 1863 starb mit Alexander Karl der letzte bemburgische Herzog. Jetzt war der seit längerem erwartete dynastische Erbfall eingetreten. Anhalt-Bemburg fiel an Anhalt-Dessau-Köthen und wurde von dessen Herzog Friedrich IV. Leopold durch das am 22. August 1863 bekanntgemachte „BesitznahmePatent'' vom 20. August 1863^^^ offiziell unter dessen Regiemngsgewalt gestellt, wenig später mit diesem zu dem Herzogtum Anhalt vereinigt. Die Landschaftsordnung vom 18. Juli/31. August 1859^"^^ überdauerte auch dies; wie sie überhaupt - von insgesamt achtzehn Modifikationen abgesehen - bis zum Ende des Herzogtums im Jahre 1918 fortbestand. Sie hat damit immerhin länger als ein halbes Jahrhundert gegolten. [695.] Anhalt befand sich am Ende des Deutschen Bundes an der Seite Preußens und trat am 18. August 1866 dem sogenannten „August-Bündnis "^^^ bei. Es erhielt danach für die schließlich am 12. Februar 1867 stattfindenden Wahlen zu dem vorgesehenen konstituierenden Reichstag zwei von insgesamt 297 Wahlkreisen. Der von diesem am 16. April 1867 verabschiedeten Norddeutschen Bundes143 144 145 146 147 148 149 150

Protokolle der deutschen Bundesversammlung, 32. Sitzung vom 12. August 1859, § 285. A. a. O., 40. Sitzung vom 17. Dezember 1859, § 362. F. Engler {¥ußn. 22), S. 96. G. Ziegler {V\xM. 115), S. 17. F.E/7g/er(Fußn.22),S.96. Dok. 168, Dok. 178. Dok. 148. Dok. 116.

362

2. Abschnitt: Verfassungsentwicklung in den deutschen Einzelstaaten (1806-1918)

verfassung^^^ stimmte neben der anhaltischen Regierung auch der Landtag zu. Am 25. Juni 1867 erging das Publikationspatenf^'^. Die Verfassung trat am I.Juli 1867 auch für das Herzogtum in Kraft. Es war im Bundesrat mit einer Stimme, im Reichstag mit zwei Abgeordneten vertreten. Entsprechendes galt ab 1871 für das Kaiserreich. [696.] Doch kommen wir zurück auf die Veränderungen, welche der Landschaftsordnung bis zu ihrer Beseitigung im Jahre 1918 widerfuhren: Das erste Mal verändernd auf die Landschaftsordnung (LO) wirkte die bereits erwähnte Bekanntmachung vom 22. August 1863^^^. Mit ihr bekundete Herzog Friedrich IV Leopold von Anhalt Dessau-Köthen offiziell, daß er das Herzogtum Anhalt Bemburg in Besitz nahm. Hiermit erledigte sich, ohne dies allerdings noch einmal expressis verbis in der Bekanntmachung oder dem Besitznahmepatent zu erwähnen, die nach Maßgabe des § 49 LO lediglich auflösend bedingte Existenz der Sonderlandtage und ständischen Sonderausschüsse, so daß die die Sonderlandtage regelnden §§ 21, 23, 29 - 34 LO ersatzlos wegfielen und die § § 3 5 - 4 6 LO, soweit sie die ständischen Sonderausschüsse behandelten, außer Kraft traten. [697.] Mit der Verordnung, die Annahme des Titels „Herzog von Anhalt'' betreffend, vom 30. August 1863^^^ trug Herzog Friedrich IV Leopold der Tatsache Rechnung, daß er mittlerweile alle anhaltischen Herzogtümer unter seiner Herrschaft vereinigte. Er nahm danach fiir „Uns und Unsere Regierungs-Nachfolger" den Titel „Herzog von Anhalt" an. Diese Verordnung war übrigens auch der erste in der am 11. September 1863 ausgegebenen neuen „Gesetz-Sammlung für das Herzogthum Anhalt" bekannt gemachte Rechtsakt. Als oberstes Regierungs- und Verwaltungsorgan trat durch Verordnung vom 13. September 1863^^^ an die Stelle der bisherigen Ministerien für Bemburg und Dessau-Köthen, nunmehr zum 1. Oktober 1864 allein die herzogliche Regierung für das Herzogtum Anhalt mit Sitz in Dessau. [698.] Mit dem „Publikations-Patent über die Verfassung des Norddeutschen Bundes'' vom 25. Juni 1867^^^ wurde die Verfassung des Norddeutschen Bundes^^'^ im Herzogtum Anhalt mit Zustimmung des Landtages publiziert und zum 1. Juli 1867 in Kraft gesetzt. Damit erhielten die Einwohner des Herzogtums trotz des der Bundesverfassung weitgehend fehlenden Grundrechtskatalogs immerhin eine Reihe von Grundfreiheiten garantiert. Denn mit dem Erlaß von Bundesgesetzen wurden nicht selten auch von Anhalt zu beachtende subjektive Rechte statuiert. Überdies gewährte der Eintritt in den Norddeutschen Bund auch der anhaltischen Bevölkerung das demokratische Wahlrecht zum Reichstag. Durch diese sich weitgehend schleichend vollziehende Veränderung der Verhältnisse wurde die extrem

151 152 153 154

Dok. Dok. Dok. Dok.

128. 151. 168, Dok. 178. 150.

155 Gesetzsammlung für das Herzogthum Anhalt (Nr. 3 vom 18. September 1863), Bd. 1, Dessau

1865, S. 3. 156

Dok. 152.

157 Dok. 128.

§ 8: Anhaltische Staaten

363

rückständige Landschaftsordnung zunehmend bundesrechtüch überlagert oder ergänzt, so daß ihre Bedeutung sich allmählich relativierte. [699.] Mit dem Gesetz vom 28. Juni 1869^^^ erfolgte die Auseinandersetzung des Domaniums (Hausguts) zwischen dem herzoglichen Haus und dem Land. Wurde bis dahin der größte Teil des inländischen Privatguts des herzoglichen Hauses zusammen mit dem herzoglichen Stammgut und dem Landesvermögen durch die Finanzbehörden des Landes unter „landschaftsordnungsmäßiger" Mitwirkung des Landtages verwaltet und flössen die Einkünfte daraus mit den übrigen fiskalischen Einnahmen in die Landeshauptkasse^^^, so kamen gemäß der Art, 1 und 2 des Gesetzes die herzoglichen Privatgüter nunmehr unter Privatverwaltung des herzoglichen Hauses. Femer teilte man gemäß der Art. 3 ff. des Gesetzes das herzogliche Stammgut zwischen dem herzoglichen Haus und dem Land auf Der dem Ersteren zufallende Teil blieb künftig unbeschränktes fideikommissarisches, nur nach Maßgabe der hausgesetzlichen Bestimmungen verfügbares Privateigentum, welches lediglich zugunsten des Landes den allgemeinen gesetzlichen Beschränkungen unterlag. Davon war ein Teil mit einer Reinertragssumme in Höhe von 200.000 Talern (engeres Fideikommiß), solange das herzogliche Haus regierte, unveräußerlich. Der substantielle Ertragswert mußte jedenfalls erhalten bleiben; dies war gegebenenfalls durch eine Entscheidung des Plenums des Landgerichts festzustellen. Angesichts dessen wurde die bisher in § 19 LO enthaltene Regelung gegenstandslos, wonach es zur Veräußerung von zum herzoglichen Stammgut gehörenden Domänen und Forsten der Zustimmung des Landtages bedurfte. Dem Rechnung tragend „verlor", wie es Art. 16 Abs. 2 des Gesetzes feststellte, der § 19 LO insoweit seine „Wirksamkeit". Dagegen unterstellte Art. 16 Abs. 3 des Gesetzes künftig alle Veräußerungen von Immobiliareigentum des Landes „der landschaftsordnungsgemäßen Zustimmung" des Landtages; was wiederum eine - wenn auch nicht ausdrücklich in Bezug genommene - Ergänzung des § 19 LO bedeutete. [700.] Das Gesetz, betreffend die Abänderung einiger Bestimmungen der Landschafts- und Geschäftsordnung, vom 15. Juli 187P^^ änderte mit seinem Art. 1 den § 25 LO und mit den Art. 2 - 6 die § § 2 - 7 , 9 und 18 der Geschäftsordnung des Landtages. Gemäß Art. 1 des Gesetzes wurde die von § 25 Satz 2 LO bisher vorgesehene nicht öffentliche Verhandlung des Landtages durch „in der Regel" öffentlich stattfindende Landtagssitzungen ersetzt. Nur noch ausnahmsweise sollte nicht öffentlich getagt werden, nämlich wenn es von den landesherrlichen Kommissarien (Staatsministem) verlangt wurde, der Vorsitzende es im Interesse der Ordnung für nötig erachtete, ein Drittel der Abgeordneten dies beantragte oder Bericht erstattende Kommissionen die Ausschließung der Öffentlichkeit beantragten. Hierzu bedurfte es zunächst eines Landtagsbeschlusses; wobei es den landesherrlichen Kommissarien jedoch unbenommen blieb, ihre Erklärungen nur in nicht öffentlicher Sitzung abzugeben. Eine Veröffentlichung der Protokolle von nicht öf-

^^^ Dok. 148/1. 159 Ygj ^^2u G. SenftenberglW. Knorr, Das Staats- und Verwaltungsrecht des Herzogtums Anhalt, 1909, S. 12 f. 1^0 Dok. 148/2.

364

2. Abschnitt: Verfassungsentwicklung in den deutschen Einzelstaaten (1806-1918)

fentlichen Sitzungen konnte nur bei Einverständnis zwischen Landtag und landesherrlichen Kommissarien erfolgen. Unter der gleichen Voraussetzung durfte jederzeit der Übergang von einer nicht öffentlichen zu einer öffentlichen Sitzung beschlossen werden. Die Vorschriften wurden indes anläßlich der neuen Geschäftsordnung för den Landtag vom 24. Januar 1876 bereits durch § 2 des Einführungsgesetzes^^^ vom selben Tag mit Wirkung zum IL Februar 1876 wieder aufgehoben. [701.] Das aus immerhin siebzehn Paragraphen bestehende Gesetz vom 19. Februar 1872^^^ betraf dann erstmals die Landtagszusammensetzung. Zwar blieb die Gesamtzahl von 36 MitgUedem unverändert, doch wurde die bisher von § 2 LO strikt nach Ständen vorgenommene Drittelung in Vertreter der Ritterschaft, Städte und Landgemeinden zumindest äußerlich aufgegeben. Gemäß § 1 des Gesetzes bestand der Landtag von nun an aus fünf verschiedenen Vertretergruppen: Allen voran aus zwei vom Herzog für die Dauer der Landschaftsperiode zu ernennenden Mitgliedern; acht weitere stellten die meistbesteuerten Grundbesitzer, zwei die meistbesteuerten Handel- und Gewerbetreibenden; vierzehn wurden von den übrigen Wahlberechtigten der Städte und zehn von den übrigen Wahlberechtigten des „platten Landes" bestimmt. Faktisch blieb aber auch jetzt noch die bisherige Ritterschaft bestehen. Die ihr zuzurechnenden Mitglieder waren die vom Herzog ernannten und die meistbesteuerten Grundbesitzer. Sie mußten allerdings zugunsten der neu in den Landtag aufgenommenen meistbesteuerten Handel- und Gewerbetreibenden auf zwei Abgeordnete verzichten. Letztere versuchten zwar in der Folgezeit unter Hinweis auf ihre seit der Mitte des 19. Jahrhunderts gewachsenen Bedeutung eine Angleichung an die meistbesteuerten Grundbesitzer zu erreichen. Doch drangen sie damit bis 1913 nicht durch. Femer verlagerte sich die vormaüge gleiche Gewichtung zwischen Stadt und Land hin zu einem verhältnismäßigen städtischen Übergewicht. [702.] Aktiv wahlberechtigt war gemäß § 2 des Gesetzes im allgemeinen jeder Anhaltiner, der das 25. Lebensjahr überschritten hatte. Ausgenommen blieben Personen, die unter Vormundschaft oder Pflegschaft standen, über deren Vermögen der Konkurs eröffnet war, welche Armenunterstützung aus öffentlichen Gemeindemitteln bezogen und denen infolge rechtskräftigen gerichtlichen Erkenntnisses der VoUgenuß der staatsbürgerlichen Rechte entzogen war. Die Stimmberechtigung für die Wahlen der meistbesteuerten Grundbesitzer sowie Handel- und Gewerbetreibenden ermittelte sich anhand eines gesetzlich vorgegebenen Mindeststeuersatzes, der von einem Grundbesitzer bzw. einem Handel- oder Gewerbetreibenden entrichtet werden mußte (§§ 3 f. des Gesetzes). Gehörte jemand beiden „Klassen" an, stand es ihm frei, in welcher Klasse er sein Wahlrecht ausüben wollte (§ 5 des Gesetzes). Die Wahlberechtigten auf dem Lande wählten in zehn, die in den Städten in vierzehn durch staatsministerielle Verordnung zu bestimmenden Wahlbezirken je einen Abgeordneten (§ 6 des Gesetzes). Aktiv wahlberechtigt sollte hier sein, wer die in § 2 des Gesetzes genannten persönlichen Voraussetzungen erfüllte, nicht zu den Meistbesteuerten gehörte und innerhalb des 1^1 Dok. 148/6. 162 Dok. 148/3.

§ 8: Anhaltische Staaten

365

Wahlbezirks seinen Wohnsitz hatte (§ 7 des Gesetzes). Die passive Wahlberechtigung bzw. die Landtagsfähigkeit besaß jeder, der neben den in § 2 des Gesetzes aufgeführten persönlichen Voraussetzungen diejenigen der Wählerklasse erfüllte, von der er gewählt werden wollte; Staatsbeamte bedurften zur Annahme ihres Mandats der landesherrlichen Genehmigung (§8 des Gesetzes). Das Wahlverfahren war ein geheimes, für die Abgeordneten der Städte und des Landes ein indirektes; d. h. durch von jeweils 150 bis 200 Wahlberechtigten gewählte Wahlmänner, die ihrerseits erst die Abgeordneten wählten (§ 9 des Gesetzes). Bemerkenswert war indes, daß die Mitglieder des Landtages ungeachtet der Wählerklasse, der sie ihr Mandat verdankten, lediglich dem Wohl und Besten „des ganzen Landes ohne Rücksicht auf besondere Lokal-, Standes- oder Klassen-Interessen" verpflichtet und „an Aufträge und Instruktionen nicht gebunden" sein sollten (§11 des Gesetzes). Hiermit hatte sich der Landtag trotz des höchst fragwürdigen Wahlmodus nahezu unbemerkt immerhin von einer bloßen Ständeversammlung zur Volksvertretung gewandelt. Durch § 16 des Gesetzes wurden die diesen Vorschriften entgegenstehenden Bestimmungen der Landschaftsordnung aufgehoben, ohne indes diejenigen zu benennen, die dies betraf Die §§ 1 2 - 1 4 des Gesetzes befaßten sich mit dem Landtagsvorstand und stellten mangels bisher einschlägiger Vorschriften in der Landschaftsordnung für diese eine echte Ergänzung dar. Sie wurden allerdings bereits mit § 2 des Einführungsgesetzes zu einer neuen Geschäftsordnungfür den Landtag vom 24. Januar 1876^^^ mit Wirkung zum 11. Februar 1876 wieder aufgehoben. [703.] Die nächste Änderung betraf die Geschäftsordnung für den Landtag, deren § 21 durch das Gesetz, betreffend einen Zusatz zu § 21 der Geschäftsordnung für den Landtag, vom 29. Dezember 1873^^^, welches berichtigt am 14. Januar 1874, einen Zusatz über die namentliche Abstimmung der Abgeordneten in alphabetischer Reihenfolge bekam. Auch dieses Gesetz galt wegen § 2 des Einführungsgesetzes zu einer neuen Geschäftordnung für den Landtag vom 24. Januar 1876^^^ nur bis zum 11. Februar 1876. [704.] Das Gesetz vom 4. Februar 1874^^^ änderte den bis dahin für die Dauer des Landtages Tagegelder fur die gewählten Abgeordneten in Höhe von drei Talern festlegenden § 26 der Landschaftsordnung dahingehend, daß nunmehr zum einen alle Mitglieder des Landtages Tagegeld bekamen, zum anderen wurde der Tagegeldsatz auf vier Taler erhöht. [705.] Das Einführungsgesetz zu einer neuen Geschäftordnung für den Landtag vom 24. Januar 1876 setzte nicht nur mit Wirkung zum 11. Februar 1876 eine neue Geschäftsordnung^^'^ für den Landtag in Kxaft (§1 des Gesetzes), sondern hob zugleich auch die alte Geschäftsordnung vom 18. Juli/31. August 1859^^^ sowie die erst unlängst in Form der Gesetze vom 15. Juli 187P^^ und vom 163 164 165 166

Dok. Dok. Dok. Dok. 167 Dok.

148/6. 148/4. 148/6. 148/5. 148/6.

168

Dok. 148. Dok. 148/2.

169

366

2. Abschnitt: Verfassungsentwicklung in den deutschen Einzelstaaten (1806-1918)

29. Dezember 1873^'^^ und der §§ 1 2 - 16 des Gesetzes vom 19. Februar 1872^^^ ergangenen Verfassungsänderungen auf (§ 2 des Gesetzes). Die Aufhebungen wurden notwendig, da man die genannten Änderungsvorschriften sämtlich in die novellierte Geschäftsordnung eingearbeitet hatte. [706.] Das „ Gesetz, die Anpassung verschiedener auf die Staatsergänzungssteuer bezüglichen Gesetzesvorschriften an das System der Einkommensteuer und der festen Grundsteuer betreffend", vom 7. April 1887^^'^ modifizierte durch seinen § 3 die §§ 3 f. des die Landschaftsordnung von 1859 ändernden Gesetzes vom 19. Februar 1872^'^'^. Letzteres legte die Ermittlung der Stimmberechtigung für die Wahlen der meistbesteuerten Grundbesitzer sowie Handel- und Gewerbetreibenden anhand eines gesetzlich vorgegebenen Mindeststeuersatzes von „7 Taler(n)" bzw. „5 Taler(n) zur Einheit der Ergänzungssteuer" fest. Von nun an (26. April 1887) gehörte zu den meistbesteuerten Grundbesitzern derjenige, der mindestens 63 Mark feste Grundsteuer zahlen mußte, zu den meistbesteuerten Handel- und Gewerbetreibenden derjenige, der als Kaufmann im Sinne des Handelsgesetzbuchs oder als Berg- bzw. Hüttenwerkseigentümer mit einem Einkommen von mindestens 18.000 Mark zur Einkommensteuer veranlagt wurde. Mit dem Gesetz vom 1. März 1890^^^ wurde diese modifizierte Stimmberechtigung für die Wahlen der meistbesteuerten Handel- und Gewerbetreibenden dann in § 4 des die Landschaftsordnung von 1859 ändernden Gesetzes vom 19. Februar 1872'^'^^ auch ausdrücklich eingefügt. [707.] Bereits kurz danach hob das Gesetz vom 26. Februar 189P'^^ das Amt des „Landschaftssyndikus" auf (§ 1 des Gesetzes). Dies bedeutete, ohne es ausdrücklich in dem Gesetz auszusprechen, die ersatzlose Außerkraftsetzung der den Syndikus betreffenden §§ 4 2 - 4 6 LO und namentlich der §§ 10, 11 Abs. 2, 13 f. der Geschäftsordnung des Landtages. [708.] Das Gesetz vom 19. Mai 1895^^'^ nahm einmal mehr Veränderungen an dem die Landschaftsordnung modifizierenden Gesetz vom 19. Februar 1872^^^ vor. So ergänzte Art. 1 des Gesetzes von 1895 den die aktive Wahlberechtigung regelnden § 7 des Gesetzes von 1872. Sollte es nach dessen bisheriger Fassung ausreichen, wenn man die in § 2 des Gesetzes genannten persönlichen Voraussetzungen erfüllte, nicht zu den Meistbesteuerten gehörte und innerhalb des Wahlbezirks seinen Wohnsitz hatte, so mußte man jetzt überdies „die Befähigung zu den Gemeindewahlen nach den §§52 bezw. 110 der Gemeindeordnung besitzen". Letzteres bedeutete, daß man im betreffenden Gemeindebezirk ein Wohnhaus oder andere Grundstücke besaß, die mit mindestens 0,45 Mark zur festen Grundsteuer herangezogen wurden, oder wenigstens mit einem Einkommen von 1.050 Mark in 170

Dok. 148/4. Dok. 148/3. 172 Dok. 148/7. 173 Dok. 148/3. 174 Dok. 148/8. 1^^ Dok. 148/3. 1^6 Dok. 148/9. 171

177 Dok. 148/10. 178 Dok. 148/3.

§ 8: Anhaltische Staaten

367

den Städten und von 600 Mark auf dem Lande zur Einkommensteuer veranlagt wurde. Art. 2 des Gesetzes von 1895 reduzierte die in § 9 des Gesetzes von 1872 vorgesehene Zahl zur Wahl eines Wahlmannes („Urwahl") von bisher jeweils 150 bis 200 Wahlberechtigten auf 25 - 30. Auf diese Weise wurde die Zahl der die Abgeordneten wählenden Wahhnänner erhöht, was im Ergebnis immerhin die Legitimation der Landtagsmitglieder auf eine erheblich breitere Basis stellte. [709.] Das Landtagswahlgesetz vom 27. April 1913^'^^ verbreiterte die Basis ein weiteres Mal, ohne indes grundlegendes am längst überholten Zensuswahlrecht zu ändern. Es sollte zum 14. November 1914 in Kraft treten und mit ihm eine Aufhebung aller entgegenstehenden Bestimmungen der Gesetze vom 19. Februar 1872'^\ vom 4. Februar 1874'^\ vom 1. März 1890'^^ und vom 19. Mai 1895'^' sowie der § 3 des Gesetzes vom 7. April 1887^^^ erfolgen. Ebenfalls mit Wirkung zum 14. November 1914 war durch das „Gesetz, betreffend die Einführung einer neuen Geschäftsordnung für den Landtag'' vom 16. April 1914^^^ vorgesehen, nicht nur eine neue, umfassende Geschäftsordnung für den Landtag in Kraft zu setzen (Art. 1 des Gesetzes), sondern auch das die bisherige Geschäftsordnung einführende Gesetz vom 24. Januar 1876^^^ und mithin auch die bislang geltende Geschäftsordnung selbst sowie das Gesetz vom 26. Februar 189P^^ außer Kraft zu setzen (Art. 2 des Gesetzes). Infolge des Kriegsausbruchs, am 1./2. August 1914, wurde das Inkrafttreten der Landtagswahlgesetzes und des Einführungsgesetzes nebst der Geschäftsordnung kurzerhand durch Art. 1 des Gesetzes vom 29. August 1914^^^ auf den 1. Januar 1916, dann durch Art. 1 des Gesetzes vom 12. Februar yp^ji89 ^^f ^Q^ 14. November 1916 und schließlich durch den einzigen Artikel des Gesetzes vom 14. Februar 1916^^^ auf den 14. November 1917 verschoben.

VII. Das Ende der Monarchie [710.] Am 12. November 1918 verzichtete Prinzregent Aribert, der nach dem Tode seines Bruders, Herzog Eduard, ausweislich des Patents, betreffend die Thronfolge Seiner Hoheit des Herzogs Joachim Ernst von Anhalt, vom 13. September 1918^^^ für seinen minderjährigen Neffen, Joachim Ernst (*1901), die Regentschaft übernahm, in einer Erklärung „An das anhaltische Volk!" für seinen 179 180 181 182 183 184 185 186 187 188 189 190 191

Dok. 148/11. Dok. 148/3. Dok. 148/5. Dok. 148/8. Dok. 148/10. Dok. 148/7. Dok. 148/12, Dok. 148/6. Dok. 148/9. Dok. 148/13. Dok. 148/14. Dok. 148/15. Dok. 152.

368

2. Abschnitt: Verfassungsentwicklung in den deutschen Einzelstaaten (1806-1918)

Neffen „auf den Thron und für das Herzogliche Haus auf das Thronfolgerecht". ^^^ Damit gingen über 700 Jahre askanischer Herrschertradition zu Ende. Nach dem Thronverzicht übernahm am 14. November 1918 ein siebenköpfiger Staatsrat die Regierungsgewalt, der bereits tags darauf den noch existierenden Landtag auflöste. ^^^ Insgesamt blieb das Herzogtum Anhalt bis zu seinem und des Kaiserreichs Ende verfassungsrechtlich einer der rückständigsten Staaten Deutschlands.

1^2 Dok. 153. 193 Dok. 154.

' 9: Baden

369

§ 9: Baden I. Tatsächliche Gegebenheiten [711.] Die unter Markgraf Karl Friedrich (1728 - 1811) im Jahre 1771 aus der Vereinigung der beiden anläßlich konfessioneller Gegensätze entzweiten Markgrafschaften Baden-Baden und Baden-Durlach hervorgegangene Markgrafschaft Baden blieb bis 1803 ein eher unbedeutender Kleinstaat in der Südwestecke des Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation. Seitdem allerdings wuchsen völkerrechtlich initiiert vom Frieden von Luneville (1801), reichsrechtlich bestätigt durch den diesen umsetzenden Reichsdeputationshauptschluß im Jahre 1803^ bis zum Wiener Frieden von 1810 Badens Fläche und Bevölkerung bis 1810 maßgeblich durch die Erwerbungen so heterogener Territorien wie das österreichische Breisgau, die Fürstentümer Fürstenberg, Leiningen, Löwenstein-Wertheim und Salm-Krautheim, die rechtsrheinische Kurpfalz, die rechtsrheinischen Teile der Bistümer Konstanz, Basel, Speyer und Straßburg, die Abtei St. Blasien, die Reichsstädte Offenburg, Gengenbach und Zell sowie die Grafschaft Neuenbürg in einer Größenordnung, wie sie bei keinem anderen deutschen Staat zu verzeichnen war; nämlich von ca. 3.500 km^ und etwa 192.000 Einwohnern auf etwa 15.000 km^ mit fast 975.000 Einwohnern, was mehr als eine Vervierfachung des Landesterritoriums und beinahe eine Verfunffachung der Bevölkerung bedeutete.^ Als Folge der durch Säkularisierung und Mediatisierung sowie durch Gebietstausch mit Nachbarn erfolgten radikalen Flurbereinigung in Deutschland war Baden in jenen Jahren zum veritablen Mittelstaat geworden und hatte seinen bis 1918 im wesentlichen gleichbleibenden Gebietsumfang erreicht. Es darf daher nicht verwundem, wenn das Großherzogtum mitunter als „die künstlichste aller Napoleonischen Staatsschöpfungen" eingeschätzt wird.^ In der Folgezeit wuchs die Bevölkerung bis ins Jahr 1871 auf 1,46 Miüionen, belief sich im Jahre 1895 auf 1,72 Millionen und betrug im Jahre 1914 immerhin 2,23 Millionen Einwohner."^

Dok. 1. Vgl. dazu auch die Angaben bei: H. Ott, Baden, in: K. G. A. Jeserich/H. Pohl/G.-Ch. von Unruh (Hrsg.), Deutsche Verwaltungsgeschichte, Bd. 2: Vom Reichsdeputationshauptschluß bis zur Auflösung des Deutschen Bundes, 1983, S. 583 (585); H. Fenske, Allgemeine Geschichte Südwestdeutschlands im 19. Jahrhundert, in: H. Schwarzmaier (Hrsg.), Handbuch der Baden-Württembergischen Geschichte, Bd. 3: Vom Ende des alten Reiches bis zum Ende der Monarchien, 1992, S. 1 (2). V. Valentin, Geschichte der deutschen Revolution 1848 - 49, Bd. 1, 1930, S. 152. Angaben nach P. Brandt!R. Rürup, Volksbewegung und demokratische Neuordnung in Baden 1918 /19, 1919, S. 27 sowie K.-P. Müller, Pohtik und Gesellschaft im Krieg. Der Legitimitätsverlust des badischen Staates 1914 - 1918, 1988, S. 5.

370

2. Abschnitt: Verfassungsentwicklung in den deutschen Einzelstaaten (1806-1918)

II. Baden als Kurfürstentum (1803 - 1806) [712.] Nach den im Reichsdeputaüonshauptschluß (RDH) vom 25. Februar 1803^ getroffenen Feststellungen sollte dem bis dahin als badischer Markgraf titulierenden Karl Friedrich neben der erheblichen Gebietserweiterung auch eine Rangerhöhung zuteil werden. Letzteres geschah auf der Grundlage des § 31 RDH, welcher dem Markgrafen von Baden die Kurwürde zusprach. Karl Friedrich beeilte sich, diese Titulatur anzunehmen, indem er entsprechendes bereits am 8. Mai 1803 - nur zehn Tage nach der kaiserlichen Bestätigung des Hauptschlusses - in seinen Landen feierlich bekanntgab. Den Kurfurstentitel behielt er dann bis zum Ende des Heiligen Römischen Reichs im Jahre 1806. [713.] Hatte schon durch die Vereinigung Baden-Badens mit Baden-Durlach die Verwaltung vor immense Schwierigkeiten gestellt, so galt dies umso mehr noch mit Blick auf die seit 1802/3 zahlreich hinzugekommenen Gebietsteile. Die Bevölkerung des von einem evangelischen Herrscherhaus regierten Landes bestand jetzt immerhin zu zwei Dritteln aus Untertanen katholischen Glaubens. Hinzu kam eine Reihe von mediatisierten Standesherren und Reichsstädten. Obendrein wies das stark vergrößerte Staatswesen eine denkbar heterogene Verfassungsstruktur auf: So hatte sich etwa im Breisgau unter österreichischer Herrschaft das Ständewesen erhalten, während dieses in anderen Herrschaftsgebieten vollständig beseitigt war. Auch verschärfte sich die ohnehin schon zerrüttete Finanzlage des neuen Kurfürstentums dramatisch, weil ein großer Teil der einverleibten Territorien hohe Schulden in den neuen Staat einbrachte.^ [714.] Die nunmehr kurfürstliche Regierung stand vor der Aufgabe, die neu erworbenen, nach Entwicklung wie Organisation verschiedenen Gebietsteile in die nach wie vor intakten staatlichen Strukturen der bisherigen Markgrafschaft zu integrieren. Hierbei stand eine Vereinfachung und mehr noch eine Vereinheitlichung des Staats- und Verwaltungsaufbaus im Vordergrund.'' Dahingehende Reformen sollten unverzüglich in Angriff genommen werden; und zwar unter Zugrundelegung der weiterhin wohlfunktionierenden Verfassung und Verwaltung der markgräflichen Stammlande, doch unter Rücksichtnahme auf die Rechtsverhältnisse der jeweils hinzugekommenen Gebietsteile.^ Mit der Schaffung der dafür erforderlichen Rechtsetzung hatte der badische Herrscher den vorsichtig und sorgsam wägenden, zur Dezentralisation neigenden Geheimen Rat Johann Nikolaus Friedrich Brauer (1754- 1813) betraut^, der seine Arbeit dann auch zwischen Februar und Mai 1803 erledigte. Während dieses Zeitraums erschienen in rascher Abfolge insgesamt dreizehn Organisationsedikte^^. Hierbei handelte es sich um die Edikte: ^ 6

Dok. 1. W. Andreas, Geschichte der badischen Verwaltungsorganisation und Verfassung in den Jahren 1802 - 1818, Bd. 1: Aufbau des Staates im Zusammenhang der allgemeinen Politik, 1913, S. 4 ff. H. Or?(Fußn.2), S. 586. F. von Weech, Badische Geschichte, 1890, S. 464. K. Stiefel, Baden 1848 - 1952, Bd. 1, 1977, S. 210; W. Andreas, Friedrich Brauer und die Entstehung des ersten badischen Organisationsediktes vom 4. Februar 1803, in: Zeitschrift für Geschichte des Oberrheins 63 (1909), S. 628 ff Gedruckt als „Kurfürstlich Badische Landes-Organisation in 13 Edicten", 1803.

. 9: Baden

371

1. über die Einrichtungen der directiven Landesadministration vom 4. Februar 1803, 2. liber die Archivorganisation vom 8. Februar 1803, 3. über die Rehgionsausübung und Religionsduldung vom 11. Februar 1803, 4. über die Stifter und Klöster vom 14. Februar 1803, 5. über die Vorbereitung der weltlichen Staatsdiener vom 24. Februar 1803, 6. über die exekutive Landesadministration vom 9. März 1803, 7. über die Mediatisierung der Reichsstädte vom 18. März 1803, 8. über die Verwaltung der Strafgerechtigkeitspflege vom 4. April 1803, 9. über das Militär vom 21. März 1803, 10. über die allgemeinen und gesellschaftlichen Staats-Institute vom 20. April 1803, 11. über Titel, Siegel und Wappen vom 2. Mai 1803, 12. über die Form des Geschäftsstils vom 2. Mai 1803 und 13. über die Organisation der gemeinen und wissenschaftlichen Lehranstalten vom 13. Mai 1803. [715.] Im Ersten Organisationsedikt über die Einrichtungen der directiven Landesadministration vom 4. Februar 1803 hob der Kurfiirst in der Präambel hervor, daß die neuen Territorien, „welche vorher in den verschiedenartigsten RegierungsVerhältnissen gestanden sind, von nun an von dem Bande einer einförmigen Staats-Verwaltung umschlungen werden sollen". Dieser nunmehr homogenisierten Administration lag eine unter behutsamer Wahrung der historischen Grenzen vorgenommene Einteilung des neuen Kurfürstentums in drei als Verwaltungsbezirke gedachte Provinzen zugrunde: die badische Markgrafschaft mit Sitz der oberen Behörden in Karlsruhe, die Pfalzgrafschaft am Rhein mit dem oberverwaltungsbehördlichen Zentrum in Mannheim und dem Oberen Fürstentum am Bodensee mit Sitz in Meersburg. Damit schob sich eine neue Mittelinstanz zwischen Zentralbehörden und Ämter. Die oberste Leitung der Staatsverwaltung wiederum sollte sich weiterhin unter des Landesförsten „unmittelbarer höchster Direction" beim Geheimen Ratskollegium in der Residenzstadt Karlsruhe konzentrieren, welches zur „Geschäftsbesorgung" in drei Departements - nämlich in den fiir die „allgemeinen Staatsangelegenheiten" zuständigen Staatsrat, den sämtliche „staatsrechtlichen Landesangelegenheiten" betreffenden Regimentsrat und in den die Staatsfinanzen obhegenden Finanzrat - unterfallen sollte. Man gedachte also, am bewährten Kollegialsystem festzuhalten. Allerdings wurde die Departementseinteilung zunächst nicht vollzogen; die „Geschäftsbesorgung" des Geheimen Rats blieb stattdessen bis 1807 lediglich Gegenstand provisorischer Regelungen. [716.] Das mit dem Übergang der Kurwürde an Baden für dessen Kurfürst einhergehende Privilegium de non appellando erforderte die Schafftmg eines drittinstanzlichen Gerichts in Zivil- und Strafsachen als oberste Rechtsprechungsinstanz. Zu diesem Zweck war ein in Bruchsal zu errichtendes, überdies für die oberste Leitung der Justizpflege verantwortliches Oberhofgericht vorgesehen. [717.] Besondere Bedeutung für die staatliche Integration der neuen Gebiete kam der Schaffung eines einheitlichen Zivil- und Strafrechts zu. Vorerst begnügte man sich aber insoweit mit einer lediglich als „provisorisches Normativ" verstan-

372

2. Abschnitt: Verfassungsentwicklung in den deutschen Einzelstaaten (1806-1918)

denen Regelung zu der „Strafgerechtigkeitspflege" durch das Achte Organisationsedikt. Dieses führte zwar immerhin eine einheitlichere und humanere Anwendung der durch die Constitutio Criminalis Carolina Karls V. von 1555 vorgesehenen Reichsstrafgesetzgebung herbei, doch blieb damit aber auch die Gelegenheit der durchgreifenden Modernisierung des längst überholten Strafrechts bis auf weiteres ungenutzt. ^^ [718.] Spiegelbild der in dem Ersten Organisationsedikt vorgesehenen Dreigliedrigkeit Badens war die Einrichtung von drei Provinzialarchiven durch das Zweite Konstitutionsedikt. Das Kirchenwesen sollte nach dem Dritten Organisationsedikt durch den evangelisch-lutherischen Kirchenrat in Karlsruhe, das evangelisch-reformierte Kirchenratskollegium in Heidelberg und die katholische Kirchenkommission in Bruchsal geleitet werden. Die Kirchen gerieten damit künftig unter straffe Staatsaufsicht. Dies war der Beginn einer neuen Form des Staatskirchenrechts. Mit dem Vierten Organisationsedikt wurden nicht zuletzt aus fiskalischen Gründen die weitaus meisten der bis dahin auf dem Gebiet Badens bestehenden rund 100 Klöster säkularisiert. Damit verbunden war die Überführung sämtlicher klösterlicher Jurisdiktionsgebiete in den Zuständigkeitsbereich der landesherrlichen Ämter. Gleiches geschah ebenso mit der Verwaltung der klösterlichen Güter, Patronatsrechte, Renten und Gefalle wie mit den auf den jeweiligen Klostervermögen lastenden mitunter beträchtlichen Schulden und den säkularisierungsbedingt entstandenen hohen Pensionslasten. Manchen Klöstern widerfuhr die sofortige Aufhebung, während einige noch für eine Übergangszeit bis zu ihrem Aussterben fortbestehen durften. Vereinzelt blieb jedoch die eigentliche klösterliche Gemeinschaft unter staatlicher Obhut dauerhaft aufrechterhalten. ^^ Dies betraf vor allem solche Ordensklöster, die im Unterrichtswesen tätig waren. Alles in allem ging man in Baden bei der Aufhebung der Klöster weniger schroff zu Werke als in Bayem.^^ [719.] Die Verwaltungsorganisation auf unterer Ebene behandelte das Sechste Organisationsedikt. Mit ihm wurde die Einrichtung von Ämtern mit je zwei Amtmännern (einer für Verwaltung und Justiz, einer für Einnahmen und Staatswirtschaft) an der Spitze angestrebt. Weiterhin wären jeweils drei bis fünf Ämter den Land- und Obervogteien „zur directen Leitung und Visitation" unterstellt worden. Verwaltungstechnische und nicht zuletzt finanzielle Erwägungen verhinderten indes bis auf weiteres die Umsetzung. ^"^ [720.] Den Angelegenheiten der mittlerweile mediatisierten ehemaligen Reichsstädte trug das Siebente Organisationsedikt Rechnung; mußten diese trotz ihrer längst in die wirtschaftliche Bedeutungslosigkeit herabgesunkenen, gleichwohl noch immer ausgeprägt reichsstädtisch empfindenden Kommunen - Biberach, Gengenbach, Offenburg, Pfullendorf, Überlingen, Wimpfen und Zell - doch nach § 27 Abs. 15 RDH mit Blick auf deren Verfassung und Eigentum immerhin H.-P. Ulimann, Baden 1800 bis 1830, in: H. Schwarzmaier (Hrsg.), Handbuch der Baden-Württembergischen Geschichte, Bd. 3: Vom Ende des alten Reiches bis zum Ende der Monarchien, 1992,8.25(47). Vgl. dazu auch W. Andreas (Fußn. 4), S. 75 f. H.-P. Ullmann (Fußn. 11), S. 51. ^4 H. Ott (Fußn. 2), S. 588; K. Stiefel (Fußn. 9), S. 212.

9: Baden

373

wie die bisher im eigenen Land „am meisten privilegierten Städte" behandelt werden. Insoweit war zu entscheiden, welche Rechte demnächst als „landesherrliche Hoheitsrechte" den Städten entzogen sein und welche Rechte den Städten verbleiben würden. Der Klärung dieser Frage nahm sich das Edikt mit so großer Akribie an, daß zur Auseinandersetzung der diversen Zölle, Gefalle und anderer Gerechtsame zwischen dem Staat und den Städten bis in die Einzelheiten gehende Regelungen getroffen wurden. In streitigen Fällen überstiegen die neuen Rechtspositionen der ehemaligen Reichstädte sogar diejenigen der meistprivilegierten Landesstädte. ^^ [721.] Das vermutlich von Prinz Ludwig verfaßte^^ Neunte Organisationsedikt enthielt in knapp gehaltenen allgemeinen Richtlinien die Organisation der obersten und oberen Militärbehörden. Über allem stand danach die „Oberste Direction aller und jeder Militärangelegenheiten", ihr nachgeordnet war die Kriegskommission. [722.] Die bislang schon bestehenden markgräflichen Wohlfahrtseinrichtungen wurden durch das Zehnte Organisationsedikt entweder, wie die Brandversicherungskassen, zu einheitlichen kurfürstlich-badischen Landesanstalten zusammengefaßt oder, wie die Witwenkassen, zeitgemäß umgebildet. Mit dem Fünften Organisationsedikt erhielten die Bedingungen des Eintritts in den Staatsdienst eine einheitliche Regelung; das Elfte Organisationsedikt legte namentlich die Wappen und die Siegel der Behörden, das Zwölfte Organisationsedikt die Formen des amtlichen Verkehrs und damit die Verwaltungsarbeit der Behörden neu fest. [723.] Das Dreizehnte Organisationsedikt ordnete schließlich die gemeinen und wissenschaftlichen Lehranstalten des Landes. Das durch den Länderzuwachs zersplitterte Schulwesen des neuen Kurstaates erfuhr auf diese Weise eine Reorganisation nach einem Mindeststandard einheitlicher Maßstäbe. Diese entstammten dem bisherigen markgräflichen Schulsystem bestehend aus flächendeckenden Volks- oder Trivialschulen, Mittelschulen und unteren Studienanstalten, die aber nach wie vor in großer Vielfalt nebeneinander fortexistierten. Obendrein wurde die Schulpflicht landesweit für Mädchen (vom 6 . - 1 3 . Lebensjahr) und Jungen (vom 6 . - 1 4 . Lebensjahr) vereinheitlicht. An dem zumeist überkommenen konfessionellen Charakter der Schulen wurde aber kaum gerüttelt. Die angekündigte landesweite Angleichung der Lehrpläne scheiterte indes ebenso wie die Reform der Schulverwaltung und Schulfmanziemng. Besonders bemerkenswert ist jedoch die von diesem Edikt ausgehende Erneuerung der Heidelberger Universität. [724.] Insgesamt ließen sich die dreizehn Organisationsedikte gewiß als eine sorgsame Anknüpfung an die markgräfliche Überlieferung, bei damit einhergehender Rücksicht auf die Eigenheiten namentlich der hinzugekommenen Landschaften charakterisieren.^^ Hierfür zeichneten nicht zuletzt auch die noch immer weitgehend intakten, in das rechts- wie staatspolitische Leben der deutschen Länder eingreifenden Rechtsstrukturen des sich erst allmählich auflösenden Reiches verantwortlich. Obendrein mochte es dem mittlerweile zum Kurfürsten aufgestieW. Andreas (Fußn. 5), S. 67 ff. A. a. O., S. 57 Fußn. 1. A. a. O., S. 80.

374

2. Abschnitt: Verfassungsentwicklung in den deutschen Einzelstaaten (1806-1918)

genen Karl Friedrich sinnvoller erscheinen, die Vielzahl der unterschiedlichen neubadischen Gebiete nicht sogleich einer radikalen nunmehr „großbadischen" Vereinheitlichungspolitik zu unterwerfen. Fest steht indes, daß die Organisationsedikte eine dauerhafte Integration der soeben erst hinzugekommenen Landstriche nicht zu gewährleisten vermochten; was angesichts der auch künftig hinzukommenden und damit das Gebiet des Kurfürstentums erweiternden Territorien ohnehin kaum verwundem wird. Günstigstenfalls skizzierten die Edikte die perspektivische Basis für die weitere Entwicklung hin zu einheitlicheren Staats- und verwaltungsrechtlichen Verhältnissen. Die mittels dieser Regelungen eingeführte staatsorganisatorische Dezentralisierung dürfte jedoch der eigentlich erstrebten Verschmelzung und Identifikation der hinzugekommenen Landesteile zu einem neubadischen Staat kaum nennenswert förderlich gewesen sein.^^ III. Baden als Großherzogtum bis zum Wiener Kongreß f. Neuer Völker- und staatsrechtlicher Rahmen [725.] Nach dem Inhalt der Rheinbundsakte (RBA) vom 12. Juli 1806^"^ hatte sich Baden als Mitglied des Rheinbundes vom Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation losgesagt (Art. 2 RBA). Die bisher für das Kurfürstentum geltenden Reichsgesetze waren danach weitgehend für ungültig erklärt worden, der ein Verhältnis zum Reich zum Ausdruck bringende Kurfurstentitel wurde aufgegeben und wich der Großherzogwürde (Art. 5 RBA). Bereits einen Monat später ließ der eilends vom Kurfürsten zum Großherzog mutierte Karl Friedrich seine Verwandlung mittels Erklärung vom 13. und Publicandum vom 14. August 1806 wohP° am 22. August 1806 im Regierungsblatt verkünden.^^ Obendrein regelte die Erklärung vom 13. August provisorisch die Rechtsverhältnisse der aufgrund von Art. 24 Abs. 4 RBA mediatisierten vormaligen Reichsstände - wie die der Fürsten von Fürstenberg, Leiningen und Löwenstein-Wertheim - durch Inkorporierung in den badischen Staat und Ausübung der Oberhoheit über sie. Unter dem 22. August 1806 erging dann die der neuen Rangstellung Rechnung tragende Landesherrliche Titulatur-Verordnung^'^, in der detailliert die neuen Anredeformen für den Großherzog und sein Haus festgelegt wurden. [726.] Zwischenzeitlich hatten auch die Reichsinstitutionen nach dem am 6. August 1806 erfolgten Verzicht Kaiser Franz IL auf die Würde des Reichsoberhaupts^^ sang- und klanglos ihre Funktionen eingestellt; womit das alte Reich faktisch aufhörte, zu existieren. Für Baden - wie für alle übrigen Rheinbundstaaten auch - bedeutete dies zugleich, die volle Souveränität erlangt zu haben. Doch galt 1^ 19 ^^

In diesem Sinne auch H. Ott (Fußn. 2), S. 590. Dok. 4. Das hier gemeinte „RegierungsBlatt des Großherzogthums Baden", Nr. 18 ist zwar auf den „12ten August" datiert; doch handelt es sich hierbei eindeutig um einen Druckfehler.

21 22 23

Dok. 188 und Dok. 188/1. Dok. 188/2. Dok. 3.

§ 9: Baden

375

diese uneingeschränkt tatsächlich nur gegenüber dem ohnehin abhanden gekommenen Reichsverband, ansonsten ledigHch in den durch die Rheinbundsakte abgesteckten engen Grenzen; primär also für alle inneren staatlichen Angelegenheiten. [727.] Zugleich hob die faktische Herauslösung Badens aus dem Reichsverband überdeutlich die feste Einbindung des neuen Großherzogtums in das hegemoniale Herrschaftssystem Napoleons hervor. Angesichts der exponierten geographischen Lage Badens entlang der französischen Grenze war aber ohnehin klar, daß es sich dem Einfluß des übermächtigen Nachbarn nicht würde entziehen können. In jedem Falle aber richtete sich die Außen-, Militär- und Wirtschaftspolitik Badens an den Interessen, Bedürfnissen und Vorgaben des napoleonischen Empire aus; was letztlich - wie wir noch zeigen werden - Staats- bzw. verfassungsrechtlich nicht ohne Auswirkungen bleiben konnte und auch nicht blieb. [728.] Umgekehrt erfüllten sich die badischen Hoffnungen auf weitere territoriale Zugewinne besonders um die das Großherzogtum nach Süden arrondierende und wirtschaftlich stärkende Landgrafschaft Neuenbürg sowie um die Schweiz und eng daran anknüpfend auf eine weitere Rangerhöhung durch den Erwerb der Königswürde allerdings nur zu einem kleineren Teil. Mußte es sich doch am Ende mit dem ihm im Pariser Vertrag vom 2. Oktober 1810 zugesprochen Erwerb Nellenburgs und einiger kleinerer Besitzungen begnügen. Z Die sieben Konstitutionsedikte 1807- 1809 [729.] Galten mit dem tatsächlichen Wegfall des Reichsverbandes für das Rheinbundmitglied Baden die alten Reichsgesetze ausdrücklich nicht mehr, so erwies sich damit auch für die noch unter Berücksichtigung des Reiches aufgebaute Rechtsordnung des neuen Großherzogtums als reformbedürftig. Der Landesherr mußte kraft seiner neu errungenen Souveränität neue Grundgesetze schaffen, die das Verhältnis von Monarchen und Untertanen auf eine dem Rechnung tragende rechtUche Basis stellten. Deren Gesamtheit sollte künftig die nach MögHchkeit beständige Konstitution des Landes bilden. Man gab sich noch der Vorstellung von einem sehr weiten Verfassungs(rechts)begriff hin, der nicht nur das klassische Recht der Staatsorganisation, sondern gleichsam das gesamte öffentliche Recht umfaßte. Eine Beschränkung allein auf diejenigen Regelungsmaterien, welche der uns heute vertraute, jedenfalls erheblich enger umrissene moderne Verfassungsbegriff umfaßt, lag somit noch jenseits der zeitgenössischen Vorstellungswelt. Hier überlagerte zudem die Notwendigkeit, mittels der Schaffung einer straffe(re)n Verwaltungsordnung die bislang noch immer ausstehende innere Staatseinheit endlich zu vollenden, die kodifikatorische Arbeit. [730.] Mit diesem überaus ehrgeizigen Vorhaben betraut wurde wie schon im Jahre 1803 der Geheimrat Brauer. Dieser erwies sich auch jetzt nicht als radikaler Neuerer, gedachte vielmehr auch weiterhin behutsam vorzugehen. Er war bestrebt - wie er gegenüber seinem Großherzog erklärte -, „möglichst das Alte, und wo es nicht verschieden ist, aus ihm das Beste beizubehalten, es aber in seinen Benennungen und Formen dem Zeitgeiste anzupassen, der nicht mehr alles ertragen kann, was er sonst trug, aber gar leicht sich mit Worten statt Sachen sättigen

376

2. Abschnitt: Verfassungsentwicklung in den deutschen Einzelstaaten (1806-1918)

läBt".^"^ Das waren gewiß die Gedanken eines dem tradierten Denken verhafteten Mannes^^, der sich mitunter sogar eher widerwillig, einzig von den übermächtigen äußeren Anlässen um ihn herum getrieben, in der Rolle des Verfassungsreformators wiederfand. Denn unverkennbar entfaltete das überkommene reichischpartikulare System auch nach dem Ende des Reiches unter der Ägide des Rheinbundes weiterhin ein starkes Eigenleben, dessen wirksame Eindämmung gerade fur den um eine Vielzahl von ehemaligen Reichsterritorien künstlich erweiterten und um sein Überleben ringenden neuen badischen Staatsverband allmählich zur existenziellen Frage wurde. Die natürliche Reaktion darauf konnte nur ein mittlerweile erheblich stärker ausgeprägter, mit Harmonisierung bis hin zur Nivellierung antwortender Behauptungswillen des derart herausgeforderten Absolutismus sein. Die Früchte dieser (verfassungs)rechtlichen Integrationsbemühungen waren dann die in den Jahren 1807 - 1809 ergehenden insgesamt sieben Konstitutionsedikte, die allein schon wegen ihres beachtlichen Umfangs bemerkenswerte Rechtsschöpfungen darstellten. [731.] Das erste dieser Edikte, „die kirchliche Staatsverfassung des Großherzogthums Baden betreffend'', vom 14. Mai 1807^^ bereitete den Boden für das extrem anspruchsvolle Rechtsetzungsprojekt. Davon zeugen bereits dessen einleitende Worte: „Nachdem durch die Aufhebung der Kraft aller ehemaligen Grundgesetze des Deutschen Reichs die Verfassung aller derer Lande schwankend und unsicher geworden ist, deren Rechtszustand vorhin durch jene Geseze regirt wurde, so finden Wir unumgänglich nöthig, die Stelle jener veralteten Grundgesetze mit neuen der Lage unseres Großherzogthums angemessenen zu ersetzen,... .So wollen Wir mit einzelnen Konstitutionsedikten in das Mittel treten, aus deren Verbindung seinerzeit die Konstitution Unseres ganzen Staates nach allen seinen Theilen hervorgehen möge." Insoweit kam dem ersten Konstitutionsedikt über die eigentlich nur den kirchlichen Teil der insgesamt zu reorganisierenden geschriebenen Staatsverfassung hinaus regelnde Ausrichtung neben der grundlegenden staatsorganisatorischen geradezu staatskonstituierende Bedeutung zu. [732.] Ansonsten regelte das Edikt den Rechtszustand der Kirchenverhältnisse im Lande neu und schuf damit eine neue staatskirchenrechtliche Struktur. Dabei wurde allerdings hervorgehoben, daß „die christliche Kirche . . . in Beziehung auf jede andere . . . in dem Großherzogthum herrschend" bleibt (Nr. 8 des Edikts) und die Oberherrlichkeit des Staates über die Kirchen sich auf alle „Religionspartheien" erstreckte (Nr. 21 des Edikts). Hiermit trat stärker noch als beim Dritten Organisationsedikt von 1803 beim Ersten Konstitutionsedikt der Wille zur Wahrung der staatlichen Hoheitsrechte gegenüber den Kirchen hervor. Überdies differenzierte letzteres nunmehr ausdrücklich zwischen der staatlichen Oberherrschaft über die Kirchen, die sich in Zulassungs- und Aufsichtsbefugnissen äußerte, und der geistlichen Kirchengewalt. Letztere kam in der evangelischen Kirche dem Landesherm in seiner Eigenschaft als Summus Episcopus (Nr. 17 des Edikts), in der katholischen Kirche dem Papst zu (Nr. 20 des Edikts). In institutioneller Hin2"^ Zitat nach W. Andreas (Fußn. 5), S. 170. 2^ In diesem Sinne auch H. Ott, (Fußn. 2), S. 592. 26 Dok. 190.

> 9: Baden

377

sieht erhielten die beiden evangehschen Kirchen einen gemeinsamen Oberkirchenrat in Karlsruhe mit einer ebenda verorteten Kirchen-Ökonomie-Commission für die Lutheraner und einer in Heidelberg für die Reformierten. Die katholische Ökonomiedeputation zur Verwaltung der Kirchenvermögen wurde jeweils den Provinzregierungen angegliedert. Die nähere Regelung war einem aber sobald nicht zustandegekommenen Konkordat mit der römischen Kurie vorbehalten. Außerdem wurden die Kirchengewalt des Staates und die darin verkörperten Aufgaben näher definiert (Nrn. 1 1 - 1 3 des Edikts); wobei insbesondere die geistliche Gerichtsbarkeit in sogenannten „gemischten Sachen" (wie z. B. Ehe, Eid) aufgehoben wurde und den Kirchen nur die Gerichtsbarkeit in Glaubensangelegenheiten vorbehalten blieb (Nr. 14 des Edikts). Einen zentralen Aspekt bildete die kirchliche Staatsbürgerschaft, die allein den christlichen Kirchen zustand, während die jüdische Glaubensgemeinschaft nur den Status der „constitutionsmäßigen Duldung" erhielt (Nr. 7 des Edikts). Bedeutsam war diese Staatsbürgerregelung nicht zuletzt für die Eigentumsfähigkeit der Glaubensgemeinschaften (Nr. 9 des Edikts) und als eine Voraussetzung für die Erlangung der den Einzelnen zustehenden (Gemeinde-) Bürgerrechte (Nrn. 2 f des Edikts). Femer sollte jeder Staatsbürger nach eigener freier Überzeugung Kirche und Glaubensbekenntnis wechseln dürfen (Nr. 5 des Edikts). Alle „jungen Staatsbürger und Staatsbürgerinnen" mußten in der Religion und Kirche ihrer Eltern, wo diese verschiedenen Glaubens waren, in derjenigen des Vaters erzogen werden (Nr. 6 des Edikts); eine Regelung, die später durch Verordnung vom 8. Juni 182fi'^ zugunsten der Mütter entschärft wurde. Die Pfarrer wie auch die Rabbiner galten etwa in Bezug auf die Vornahme von Eheschlüssen, Taufen oder Beschneidungen und Beerdigungen nicht bloß als Kirchendiener, sondern auch als Staatsbeamte (Nr. 22 des Edikts). Die ihrem Berufsstand zukommenden „geistlichen Freiheiten" sollten sie jedoch nicht von der Beachtung der sonstigen staatsbürgerlichen Pflichten entbinden (Nr. 23 des Edikts). Schließlich regelte das Edikt die Staatspflichten der Kirchen (Nr. 24) und die Kirchenpolizei (Nrn. 25 f.). Es trat zum 1. August 1807 in „verbindhche Kraft", erhielt - wie in anderem Zusammenhang bereits erwähnt - durch Verordnung vom 8. Juni 1826 eine Modifikation und galt insgesamt über 50 Jahre, bis es durch § 17 des Gesetzes, die rechtliche Stellung der Kirchen und kirchlichen Vereine im Staate betreffend, vom 9. Oktober 1860^^ aufgehoben wurde. [733.] Das Zweite Konstitutionsedikt, „die Verfassung der Gemeinheiten, Körperschaften und Staat-Anstalten betreffend" vom 14. Juli 1807^^ hatte die Neuordnung des Kommunal-, wie überhaupt des Körperschaftsrechts im weiteren Sinne zum Gegenstand. Die dortigen Regelungen lehnten sich eng an den überkommenen badischen Rechtszustand an. Dabei wurde mit Blick auf die agrarisch geprägten Verhältnisse Badens das Hauptaugenmerk bewußt auf die weit überwiegende Zahl der Landgemeinden gerichtet. Deren Zuständigkeiten beschränkten sich im wesentlichen auf Fragen der örtlichen Gewerbeausübung. Der bereits bestehende rechtliche Unterschied zwischen Landgemeinden und Städten blieb weiterhin ge2^ Dok. 190/1. ^^ Dok. 190/2. ^^ Dok. 192.

378

2. Abschnitt: Verfassungsentwicklung in den deutschen Einzelstaaten (1806-1918)

wahrt. Namentlich die meist sehr verschiedenartigen Privilegien der Letzteren wurden oftmals ausdrücklich bestätigt (Nr. 6 des Edikts). Dies galt in erster Linie hinsichtlich der Gerichtsbarkeit, in deren Rahmen die Kommunen, soweit sie zu den kanzleisässigen zählten, ein als erste Instanz dienendes eigenes Stadtvogteigericht einrichten konnten. Waren sie indes nur vogteipflichtig, so bestand für sie die Option, wenigstens in eigenen Angelegenheiten von der erstinstanzlichen staatlichen Gerichtsbarkeit befreit zu werden. Die Besetzung der wichtigen Gemeindeämter stand unter Bestätigungsvorbehalt der Landesbehörden; sollte doch die Gemeindeebene primär der Sicherstellung des staatlichen Gesetzesvollzuges dienen. In dieses Bild paßte es, daß das Edikt alle Gemeinden, Körperschaften und Staatsanstalten als „Minderjährige" - also wie Rechtsgeschäftsunfähige - behandelte (Nr. 11), die folgerichtig einer starken staatlichen Bevormundung bedurften. Diese Bestimmung wurde erst durch Art. 39 des Gesetzes, ,,Die Ausführung des Bürgerlichen Gesetzbuchs betreffend'', vom 17. Juni 1899^^ mit Wirkung zum 1. Januar 1900 aufgehoben. [734.] Obendrein erforderte die Auflösung des alten Reichs eine Neuordnung der Rechtsverhältnisse aller der nach ehemaligem Reichsrecht Privilegierten und deren Integration in die neuen staatsrechtlichen Verhältnisse. Diesem Zweck dienten das Dritte bis Fünfte Konstitutionsedikt. Das Dritte Edikt, „ die Standesherrlichkeit in dem Großherzogthum Baden betreffend'', vom 22. Juli 1807^^ beschäftigte sich mit der rechtlichen Eingliederung der mediatisierten Reichsstände. Dieses ursprünglich von Karl Wilhelm Freiherr Marschall von Bieberstein (17631817) entworfene und insoweit eine weitgehende Beschneidung der standesherrlichen Rechte vorsehende Regelwerk wurde auf Brauers Initiative weitgehend entschärft.^^ Ungeachtet dessen waren die Standesherren nunmehr als „StaatsBürger zu betrachten", die sich zu verpflichten hatten, dem Großherzog und seinen Nachfolgern „getreu und gehorsam zu seyn" (§ 1 des Edikts). Ihnen wurden im Gegenzug eine Reihe von Vergünstigungen und äußeren Ehrenvorzügen gewährt (§§ 2 8, 11 ff. des Edikts). Obendrein erhielten die Standesherren einen privilegierten Gerichtsstand in allen sie betreffenden Rechtssachen zugesichert (§§ 9 f. des Edikts). Ihre Ämter waren ihren Befugnissen nach denen der landesherrlichen gleichgeordnet (§ 23 des Edikts). Femer bewilligte man ihnen eigene Justizkanzleien als Behörden höherer Instanz, deren Kompetenz derjenigen der Hofgerichte entsprach (§ 24 des Edikts). Auch stand ihnen - allerdings unter der sich das Recht des Eingreifens vorbehaltenden landesherrlichen Oberaufsicht - grundsätzlich die Polizeiverwaltung zu (§ 25 des Edikts). Einige der wichtigsten staatlichen Befugnisse - das waren die Gesetzgebung, Militär- und Kirchenhoheit (§§ 20 f., 38 ff., 42 des Edikts) - blieben allein beim Landesherm; das Recht zur Steuererhebung war zwischen Landesherm und Standesherren entweder in ausschließlich dem einen oder den anderen oder beiden jeweils hälftig zustehende Steuereinnahmen aufgeteilt (§§ 43 ff. des Edikts).

^ö Dok. 192/1 3^ Dok. 193. 32 W. Andreas (Fußn. 5), S. 175 f.

. 9: Baden

379

[735.] In dem ebenso vom 22. Juli 1807 stammenden Vierten Edikt, „die Grundherrlichkeits-Verfassung im Großherzogthum Baden betreffend''^^, wurden anläßlich der noch nicht geregelten Rechtsverhältnisse der ehemaligen Reichsritter die Rechtsverhältnisse aller großherzoglich-badischen Grundherren geregelt. Es galt fortan für die Ritter wie für die bisherigen Grundherren gleichermaßen. Ihre Kanzleisässigkeit und die Eigenart ihres Familienrechts blieben gewahrt (Nrn. 1 ff. des Edikts). Alle noch bestehenden Verbote des Guts Verkaufs an die ehemaligen Reichsritter wurden aufgehoben (Nr. 9 Edikts). Deren Sonderrechte gegenüber den sonstigen Grundherren mit Blick auf Jurisdiktion, Steuern, Quartierlasten und andere Staatspflichten entfielen (Nr. 10 des Edikts). Obendrein unterwarf man ihre Liegenschaften der Besteuerung; nur bei den bereits früher schatzungsfireien Gütern wurde ein Drittel der sonst üblichen Schätzung erlassen. Der Sitz der ehemaligen Reichsritter blieb allerdings von der Steuerpflicht unberührt (Nrn. 12 f. des Edikts). Ihre nunmehr grundherrlichen Ämter übten die niedere Straf- und die Zivilrechtspflege nach Maßgabe der vom Landesherm erlassenen Vorschriften ebenso aus wie die gerichtliche und obrigkeitliche Rechts- und die gesamte Ortspolizei in dem Umfang, wie sie die großherzoglichen Amtmänner ausübten sowie die Aufsicht über den Gemeindehaushalt; jedoch stand ihre Verwaltung unter der Aufsicht desjenigen landesherrlichen Oberbeamten, zu dessen Bezirk ihre Ortschaften gehörten (Nr. 14 des Edikts). Ledighch die hohen Herrlichkeiten (regalia majora) - wie das Berg-, Salz-, Salpeter- und Münzrecht - fielen an den Staat (Nr. 16 des Edikts), die niederen (regalia minora) - wie etwa der Ertrag von Zwangsrechten, Gewerbe - an die Grundherrschaften (Nr. 17 des Edikts). Insgesamt war die Vielfältigkeit der auf diesem Gebiet vorhandenen Rechtsbildungen schwer zu vereinheitlichen. Dem suchte man durch eine möglichst elastische Fassung der Nrn. 18 ff des Edikts Rechnung zu tragen. Die Wirtschaftsstruktur der Ländereien, insbesondere soweit es das Agrarwesen anbelangte, blieb unangetastet. Erstaunlicherweise beließ es der sich allmählich konsolidierende Rheinbundstaat von Napoleons Gnaden bei den überkommenen feudalen Elementen und zementierte damit ungeachtet der sich rasant verändernden politischen Lage und des sich abzuzeichnen beginnenden sozialen Wandels die bestehenden Verhältnisse. [736.] Demgegenüber stellte dd,^ Fünfte Konstitutionsedikt, „die Lehens-Verfassung des Großherzogthums Baden betreffend", vom 12. August 1807^^ auch das sich längst in siechender Auflösung befindliche badische Lehensrecht auf eine neue rechtliche Basis. Auf diese Weise meinte man den Geboten der die Fortdauer des Lehens Wesens für bestimmte Fälle statuierenden Art. 27 Abs. 1 der Rheinbundsakte Rechnung tragen zu müssen. Daß diese Neuregelung offenbar auf wenig Resonanz der dadurch angesprochenen Adressaten stieß, verdeutlichte der Erlaß der „General-Verordnung, Die Befolgung der erschienen Lehens Constitution betreffend'' vom 6. Oktober 1807^^, mit dem die solchermaßen Betroffenen „zum Ueberfluß nochmals erinnert werden, binnen einer Frist von drei Monaten a dato 33 34 35

Dok. 194. Dok. 195. Dok. 195/1

3 80

2. Abschnitt: Verfassungsentwicklung in den deutschen Einzelstaaten (1806-1918)

ihre Saumsal zu entschuldigen und zu verbessern, oder sich die LehensConstitutionsmäsige Folgen nachmals selbst zuzuschreiben". Doch erst das Gesetz, die Aufhebung des Lehenverbandes betreffend, vom 9. August 1862^^ sah dann zum einen die einseitige Ablösbarkeit der noch bestehenden Lehen vor und untersagte zum anderen endgültig die Neuerrichtung von Lehen. Zu einer generellen Aufhebung des Lehens Wesens kam es aber auch jetzt nicht. Vereinzelt überdauerten diese Relikte einer anderen, längst untergegangenen Epoche weiterhin. [737.] Das Sechste Konstitutionsedikt, „die Grundverfassung der verschiedenen Stände betreffend'', vom 4. Juni 1808'^'^ bezog sich auf die grundgesetzliche Festlegung der Rechte und Pflichten der verschiedenen Stände und deren Abgrenzung voneinander. Es traf Regelungen über das Fremdenrecht (Nrn. 1 - 5 des Edikts), welches ausgehend vom Gastrecht, über das Recht der Schutzgenossen bis hin zu demjenigen der Einsassen reichte. Einer detaillierten Regelung unterlag auch das Staatsbürgerrecht und das Ortssassenrecht (Orts- oder Gemeindebürger), jeweils einschließlich ihres Erwerbs und Verlusts (Nrn. 6 ff. des Edikts). In Ausführung dessen ergingen am 1. Februar 1809 zusätzliche Vorschriften über die Voraussetzungen des „Bürgerrechts für Frauenspersonen" und desjenigen „für Mannspersonen".^^ Nur den Gemeindebürgem stand die Wählbarkeit zu Gemeindeämtern oder die Teilnahme an Allmendenutzungen zu (Nr. 10 des Edikts). Ausdrücklich an die Staatsbürgerschaft geknüpft waren nach dem Konstitutionsedikt die Erbhuldigungs- und Gerichtspflichtigkeit (Nr. 13) sowie die Steuer- und Dienstpflichten (Nrn. 14 ff.). Letztere betrafen nicht zuletzt die Obliegenheit zur Leistung von Kriegs- und Frohndiensten. Selbst die Stellung der Juden als eine auch weiterhin die volle Staats- und ortsbürgerliche Gleichberechtigung entbehrende Bevölkerungsgruppe fand ihren Niederschlag (Nr. 19 des Edikts). Doch erfuhren deren nähere Verhältnisse erst durch die zum 1. Juli 1809 in Kraft tretende Verordnung vom 13. Januar 1809^^ ihre eigentliche detaillierte Regelung. Femer wurden in dem Sechsten Konstitutionsedikt der Erwerb und der Verlust des Adels sowie die damit verbundene Rechtsstellung geregelt (Nrn. 21 f.). Gleichsam „als Erläuterung" des Konstitutionsedikts diente später die „ Verordnung, Die AdelsMatrikel im Großherzogthum Baden betreffend'', vom 3. Juli 1815^^, welche bestimmte, daß alle Adeligen des Landes in eine fortan für die berechtigte Titelfuhrung die Voraussetzung bildende Adelsmatrikel einzutragen waren. Die überkommene Zunftverfassung erhielt das Konstitutionsedikt weitgehend aufrecht (Nrn. 23 f.). Sie wurde schließlich über vier Jahrzehnte später durch Art. 26 des Gewerbegesetzes für das Großherzogtum Baden vom 20. September 1862^^ aufgehoben. Selbst die Mündigkeit von Frauen, „Gemüthsschwachen", Verschwendungssüchtigen, Alten und Kindern hinsichtlich der Ausübung der „weit- und staatsbürgerlichen Rechte" erfuhr eine detaillierte Regelung (Nrn. 25 ff.). Erst Art. 39 Nr. 5 des Ge-

36 3^ 3^ 39 40 41

Dok. Dok. Dok. Dok. Dok. Dok.

195/3. 198. 198/2. 198/1. 198/3. 198/5.

.9: Baden

381

setzes, „Die Ausführung des Bürgerlichen Gesetzbuchs betreffend", vom 17. Juni 1899^^ hob die ihrem Wesen nach zivilrechtlichen Regelungen über die „AltersReife", „Selbstmündigkeit und Familien-Abhängigkeit", „Gemüthsschwäche" und „SinnenMangel" der Nrn. 2 7 - 3 1 zum 1. Januar 1900 auf Weitere, wenngleich kleinere Reduzierungen, widerfuhren dem Sechsten Konstitutionsedikts noch durch das „ Gesetz, den Erwerb des Staatsbürgerrechtes durch einen zehnjährigen ehrlichen Aufenthalt im Lande betreffend'', vom 17. März 1854^^, welches das in Nr. 8 lit. d des Edikts verankerte Erwerbserfordemis beseitigte, und durch den die Nr. 7 lit. a des Edikts streichenden § 1 des Gesetzes, „ den Besitz von Liegenschaften durch Ausländer betreffend", vom 4. Juni 1864^^. Nach den im Sechsten Konstitutionsedikt festgelegten „Grundsätzen" sollte - wie es am Ende des Edikts ausdrücklich hervorgehoben wurde - „von nun an jede . .. Gesezgebung" ausgerichtet werden. [738.] Mit dem Siebenten Konstitutionsedikt „ über die Verfassung der Standesund Dienstverhältnisse Unserer Diener" vom 25. April 1809^^ wurde gleichsam rückwirkend zum 23. April 1809 (Nr. XXVIII) nach dem Vorbild der bayerischen Staatsdienerpragmatik vom 1. Januar 1805 das Dienstrecht neu geregelt. Bis dahin beruhte das Staatsdienerrecht noch überwiegend auf der im Jahr 1805 ledigHch veränderten, ursprünglich markgräflichen Hofratsinstruktion von 1794. In diesem Edikt waren zunächst die Begründung des Staatsdienerverhältnisses durch landesherrliche Ernennung (Nrn. I, II), deren Rang und Titel (Nr. III) sowie ausführlich das am „anständigen Lebensunterhalt" orientierte Dienstgehalt (Nrn. IV-XII) geregelt. Des weiteren fährte es abschließend die damit gleichsam den Typus des auf Lebenszeit eingestellten Staatsdieners voraussetzenden Beendigungsgründe des Dienstverhältnisses auf (Nrn. XIII - XXI); hinzu kamen die Bedingungen einer Versetzung im dienstlichen Interesse (Nrn. XXII, XXXIII), die Beförderung aufgrund der Befähigung (Nr. XXIV), Beschränkungen namentlich beim Erwerb von Liegenschaften (Nr. XXVI) und schließlich ausführliche Versorgungsbestimmungen für die Hinterbliebenen (Nr. XXVII). Dieses Edikt wurde indes vom Großherzog durch Verordnung vom 14. November 1809^^ für aufgehoben erklärt und „Unserm Staatsrathe" aufgegeben, ein anderweites Project einer DienerPragmatik . . . zu bearbeiten und hiemächst zu Unserer unmittelbaren Sanction vorzulegen". Vermutlich gaben zu der schnellen Aufhebung finanzielle Gründe, wie die Auswirkungen der in Aussicht gestellten lebenslänglichen Anstellung der Beamten, Veranlassung."^^ Das verhießene neue Staatsdienerrecht sollte dann aber noch fast ein Jahrzehnt auf sich warten lassen, bis es schließlich nach Inkrafttreten der badischen Verfassung in Gestalt des Staatsdieneredikts vom 30. Januar 1819^^ die längst überfällige Neuregelung erfuhr. 42 43 44 45 46 47

Dok. 198/7. Dok. 198/4. Dok. 198/6. Dok. 201. Dok. 201/1. J. von Müller, Der öffentliche Dienst in Baden im 19. Jahrhundert, Diss. phil. (Heidelberg) 1975, S.40. Dok. 214.

3 82

2. Abschnitt: Verfassungsentwicklung in den deutschen Einzelstaaten (1806-1918)

[739.] Allerdings blieben übergangsweise, nämlich bis zur Verkündung eines „neuen dienerschaftlichen Grundgesezes", die in dem XXVII. Abschnitt des Edikts enthaltenen Bestimmungen über die Versorgung für die Witwen und Waisen „noch fernerhin unverändert bestehen". Den Erlaß eines solchen Gesetzes wartete man dann aber doch nicht ab, sondern hob die aufrechterhaltenen Vorschriften im Jahr darauf durch landesherrliche Verfügung vom 3. Juli 1810^^ auf, nachdem zwischenzeitlich die Hinterbliebenenversorgung mittels der „ Civildiener Wittwen- und Waisen-Ordnung" vom 28. Juni 1810^^ eine gesonderte Regelung erfahren hatte. In dieser Ordnung waren die Errichtung einer Witwen- und Waisenversorgungskasse und die Voraussetzungen der Anspruchsberechtigung gegen das Institut detailliert statuiert. Die damit geschaffenen Rechtsverhältnisse überdauerten auch den Erlaß der Verfassungsurkunde im Jahre 1818. Sie wurden durch deren § 25 sogar ausdrücklich „unter den Schutz der Verfassung gestellt" und erhielten auf diese Weise fortan den Charakter von Verfassungsrecht. [740.] Ein achtes Edikt über die innere Verwaltung des Großherzogtums auf der Grundlage einer Art von Gewaltenteilung und ein neuntes Edikt über eine Garantie der gesamten Staatsverfassung, von Brauer als krönender Abschluß seines Werkes vorgesehen, traten hingegen nicht mehr in Kraft. Mittlerweile gedachte man nämlich, wie in der später noch näher zu erörtenden Landesherrlichen Verordnung über die Organisation der obersten Staatsbehörden vom 5. Juli 1808^^ verlautbart, dem Land eine neuartige mit repräsentativen Elementen durchsetzte Verfassung zu geben. Vor diesem Hintergrund wurde der Erlaß der beiden Edikte als überflüssig angesehen.^^ [741.] Die Konstitutionsedikte blieben noch weitgehend dem absolutistischen Gedankengut des 18. Jahrhunderts verpflichtet. Sie waren als typisch Brauersche Schöpfungen in der Tat nach Form und Inhalt jene „wunderliche Mischung von Doktrin und Erfahrung"^^ ein maßgeblich von Rechtspositivismus und Naturrecht geprägtes Konstrukt, das in sich belehrend anmutende juristische Erklärungsversuche mit der Einsicht in das vermeintlich politisch Notwendige bei damit einhergehender Implementierung fremder Rechtsgedanken vereinte.^"^ Im Großen und Ganzen hielt man mit ihnen an den überlieferten patrimonialen Strukturen wie überhaupt an den bisherigen Territorialgrenzen auf der unteren und mittleren Verwaltungsebene fest; was das tatsächliche Zusammenwachsen der unterschiedlichen Landesteile im Ergebnis mehr hinderte als förderte.

^9 Dok. 201/2. ^0 Dok. 203. ^^ Dok. 199. 52 Vgl. dazu F. von Weech, Das achte und das neunte Konstitutionsedikt, in: Zeitschrift fur die Geschichte des Oberrheins, N. F., 7 (1892), S. 249 ff; siehe auch/, von Müller (Fußn. 47), S. 29. W. Andreas (Fußn. 5), S. 182. Vgl. auch K Ott (Fußn. 2), S. 594.

9: Baden

383

3. Reformen unter Dalberg [742.] Schon bald erwiesen sich Brauers Reformen wegen der mit ihnen eingegangenen Kompromisse als zu zaghaft. Denn in den neu einverleibten Territorien blieb die überkommene Verwaltung, wenn schon nicht immer organisatorisch, so doch aber zumindest personell intakt. Jedenfalls entzog sie sich auch weiterhin nach Kräften einer zentralen Lenkung und führte vielerorts sogar ein Eigenleben. Hinzu kam, daß das ungeordnete Finanzwesen das Land längst an den Rand des Ruins gebracht hatte.^^ Namentlich wegen der maroden Finanzen drohte das badische Staatsschiff vollends vom Kurs abzukommen. Alles lief auf eine Staatskrise hinaus, die schon bald auch außenpolitische Kreise zog. Kein geringerer als der aus politischen, materiellen und militärischen Gründen an der Stabilität seiner badischen Staatsschöpfung interessierte Napoleon selbst beschäftigte sich mit den immer besorgniserregender zuspitzenden Zuständen. Er intervenierte schließlich beim Großherzog zugunsten einer Berufung des badischen Gesandten in Paris, Emmerich von Dalberg (1778 - 1833), zum Leiter der Regierungspolitik in Karlsruhe; was dem einem straff gegliederten französischen Verwaltungszentralismus anhängenden Dalberg im Sommer 1808 die Ernennung zum provisorischen Kabinettsdirektor und Finanzminister einbrachte. Aber auch dessen nunmehr einsetzende Reorganisationsbestrebungen zeitigten - um es vorwegzunehmen - keine das Ruder des badischen Staatsschiffs entscheidend umlenkenden Resultate. [743.] Die Bemühungen Dahlbergs fanden ihren prägnantesten Ausdruck in der Landesherrlichen Verordnung vom 5. Juli 1808^^. Mit dieser zielte er - ausweislich der Präambel - auf „den Zeitforderungen mehr entsprechende Verwaltungsformen", wie sie bereits „in den beiden grossem Bundesstaaten Bayern und Westphalen" eingeführt waren. Überhaupt liest sich die Präambel der Verordnung wie ein umfassendes Krisenbewältigungsprogramm: So sollten „nach Inhalt der darüber bereits erlassenen Rescripte, die verschiedenen Provinzial-Gesezgebungen aufgehoben, und der Code Napoleon, als das vorzüglichere Resultat gesezgebender Weisheit, mit einziger Rücksicht auf die, wegen der LandesEigenheiten nothwendigen Modificationen . .. eingeführt werden". Die Inkraftsetzung der Zivilrechtskodifikation war schon zu Beginn des Jahres 1809 vorgesehen. Femer wurde die Schaffung eines gleichförmigen, „auf richtigen Verhältnissen" bemhenden Steuersystems angestrebt. Des weiteren versprach man, endlich die überfällige „Tilgung der durch die Kriegs Verhältnisse angewachsenen SchuldenMasse" in Angriff zu nehmen. Zuguterletzt wollte der Monarch „mittelst einer LandesRepräsentation, wie sie in Westphalen und Bayern eingeführt worden, das Band zwischen uns und dem Staatsbürger noch fester, wie bisher geknüpft wissen". Letzteres war das erste Verfassungsversprechen des Monarchen. Wir werden darauf noch zurückkommen. [744.] Immerhin enthielt die Verordnung darüber hinaus noch konkrete Regelungen. Diese erstreckten sich auf die Reorganisation der obersten Staatsbehörden,

^^ L. Gall, Der Liberalismus als regierende Partei. Das Großherzogtum Baden zwischen Restauration und Reichsgründung, 1968, S. 17. 56 Dok. 199.

384

2. Abschnitt: Verfassungsentwicklung in den deutschen Einzelstaaten (1806-1918)

betrafen also hauptsächlich die Einführung einer Ministerialverfassung.^^ Insoweit wurden der Geschäftsgang im bürokratisch-zentralistischen Sinne gestrafft, das Geheimratskollegium als oberste Staatsbehörde aufgehoben und anstatt seiner fiinf Fachministerien (Justiz, Auswärtiges, Inneres, Finanzen und Kriegswesen) jeweils unter Führung eines Kabinettsministers errichtet. Das Kriegsministerium setzte die Tätigkeit des bisherigen Kriegskollegiums fort. Ebenfalls neu geschaffen wurde ein auf den vergreisenden Monarchen zugeschnittener Kabinettsrat, der ihn in allen wichtigen Angelegenheiten beraten sollte. Zur „Vorbereitung der Gegenstände von grösserer Wichtigkeit, Entwerfung von Grundgesezen und HauptVerordnungen nach ihren Grundzügen; besonders was Auflagen und FinanzGeseze, Landesverfassung u. s. w. betrifft; so wie die Frage: ob ein VerwaltungsBeamter . . . entsezt, oder vor Gericht gestellt werden soll", war auch noch die Errichtung eines aus Fachleuten zu berufenden Staatsrats vorgesehen. [745.] Ebenfalls noch unter Dalbergs Karlsruher Ägide fiel die von Brauer übernommene Umarbeitung des Code Civil als ein an die Verhältnisse im Großherzogtum angepaßtes allgemeines Badisches Landrecht. Es sollte an die Stelle der vielen bislang voneinander abweichenden Zivilrechte treten. Man mag hierin in der Tat einen weiteren Versuch Brauers sehen, die innere Vereinheitlichung des Großherzogtums der äußeren nachzuvoUziehen.^^ Trotz der Befürchtung Brauers, ohne eine rasche Einführung des badisch eingefärbten Code Civil alsbald einen von Frankreich oktroyierten zu erhalten, wurde das Allgemeine badische Landrecht jedoch erst zum 1. Januar 1810, nachdem ihm noch weitere Abänderungen widerfahren waren, eingefuhrt.^^ Zumindest hiermit hatte Baden einen größeren Abschnitt auf dem Weg zu einem in sich geschlossenen Staatswesen zurückgelegt. 4. Organisationsreskript vom 26. November 1809 [746.] Erst das von Sigismund Carl Johann Freiherr von Reitzenstein (1776 1847) gefertigte und überaus umfangreich ausgefallene Organisationsreskript vom 26. November 1809^^ formte Baden zu einem modernen, straff gegliederten Territorialstaat mit starker Zentralgewalt. An die Stelle der häufig ein Eigenleben führenden Provinzen wurde Baden nunmehr nach französischem Muster recht willkürlich in zehn etwa gleich groß zugeschnittene, meist wegen ihrer Lage nach Gewässern benannte Kreise (See-, Donau-, Wiesen-, Dreisam-, Kinzig-, Pfmzund Enz-, Murg-, Neckar-, Odenwälder, Main- und Tauberkreis) mit jeweils einem unmittelbar dem Staatsministerium unterstellten Direktor an der Spitze eingeteilt, denen 66 landes- und 52 standesherrliche - also insgesamt 118 - Bezirksämter untergliedert waren (Nr. 1 des Reskripts i. V. m. der dazugehörigen Beilage A). [747.] Hierbei wurden die Grenzen der ehemals selbständigen Herrschaftsgebiete bewußt ignoriert, um die noch immer vorhandenen Anhänglichkeiten der dortigen Bevölkerung an die überkommenen Landschaftsstrukturen zu beenden. ^^ 5^ ^^ ^0

Ä Or^(Fußn.2),S.594. A. a. O., S. 594. Einzelheiten dazu bei W. Andreas (Fußn. 5), S. 216 ff. Dok. 202.

^ 9: Baden

385

Untertanen, die zuvor verschiedene Herren gehabt hatten, vereinigte man in einem Kreis, um sie stärker an den jetzigen Staatsverband heranzuführen. Die Absicht, die Verwaltung des Landes im zentraHstischen Sinne zu gestahen, kam zugleich der Forderung Napoleons entgegen, die Steigerung der finanziellen wie militärischen Leistungsfähigkeit Badens durch eine strukturelle Übereinstimmung der großherzoglichen Staatsorganisation mit derjenigen Frankreichs herbeizufuhren. Vielsagend war insoweit die Präambel zu dem Reskript: „Durch einige der neuesten Zeitbegebenheiten, nahmentlich durch die Folgen des Lüneviller Friedens, durch den Presburger Frieden, durch die bald nachher geschehene Auflösung des deutschen Reichsverbands und Entstehung des Rheinischen Bundes hat sich Unser Staat in allen seinen Theilen so sehr verändert, daß Wir schon lange die Nothwendigkeit fühlen, demselben, anpassend zu den jetzigen Verhältnissen, eine gleiche und einfache Verwaltung zu geben." [748.] In der nunmehr vierstufig aufgebauten Staatsverwaltung standen an der Spitze die schon durch die Landesherrliche Verordnung vom 5. Juli 1808^^ eingeführten fünf Ministerien (Äußeres, Justiz, Inneres, Finanzen, Kriegswesen), deren Einrichtung und Geschäftsumfang sich aus Beilage F zum Reskript ergab (Nr. 10 des Reskripts). Die Ressortleiter traten nunmehr aber in der Ministerialkonferenz unter Leitung des Monarchen oder Mitregenten zusammen (Nr. 13 des Reskripts). Darunter existierten Oberbehörden, wie die Kreisdirektorien, Oberforstämter, mit eindeutig geregeltem Geschäftsgang. Denen nachgeordnet waren die Bezirksämter und schließlich auf der untersten Ebene angesiedelt die Landgemeinden und Städte. Art und Umfang der Geschäftswahmehmung der Kreise regelte detailliert Beilage D, mit Blick auf die Bezirke geschah dies in Beilage C und hinsichtlich der kommunalen Ebenen in Beilage B zum Reskript (Art. 6 - 8 des Reskripts). Im Justizbereich kamen nach dem Ministerium der Justiz, die Hofgerichte und die Ämter (Nr. 3 des Reskripts). Den „WirkungsKrais" von Oberhofgericht und Hofgerichten umriß die Beilage E; wobei den standesherrlichen Justizkanzleien eine den Hofgerichten identische Gerichtsgewalt zugebilligt wurde (Nr. 9 des Reskripts). Überhaupt behielten die Standesherren die ihnen durch die Rheinbundsakte zugestandene niedere und mittlere Gerichtsbarkeit, die sie fortan aber durch ihre Ämter ausüben lassen mußten (Nr. 5 des Reskripts). Allerdings wurde ausdrücklich klargestellt, daß Gerichtsbarkeit und Polizeigewalt „künftig blos in Unserm Rahmen und aus Unserem Nahmen und aus Unserm Auftrag ausgeübt" werden könne (Nr. 2 des Reskripts). Damit einhergehend fiel die bislang bestehende Vielzahl privilegierter Gerichtsstände weg (Nr. 4 des Reskripts). Um den absoluten Geltungsvorrang des Organisationsreskripts zu unterstreichen, erklärte schließlich dessen Nr. 17 „alle in den bisherigen Organisations- und ConstitutionsEdikten auch andern LandesGesezen enthaltene Verordnungen, welche dem gegenwärtigen Edikt und dessen Beilagen entgegen laufen,. . . (für, sc.) aufgehoben". [749.] Dieser neuen Verwaltungsgliederung lag die Vorstellung zugrunde, daß für den sich konsolidierenden Staat die Zwischenschaltung mittlerer Behördenebenen notwendig sei, um die Regierung von Einzelfi-agen bzw. vom eigentlichen VerwaltungsVollzug zu entlasten. Der damit verbundene hohe Personalaufwand Dok. 199.

386

2. Abschnitt: Verfassungsentwicklung in den deutschen Einzelstaaten (1806-1918)

verursachte allerdings beträchtliche Kosten. Ungeachtet dessen war unverkennbar, daß man die straffe französische Verwaltungshierarchie auf die badischen Verhältnisse übertrug. Von der Regierung aus sollte sich der staathche Wille streng schematisch immer weiter über das gesamte Land bis in den letzten Winkel Badens ausdehnen können.^^ [750.] Auch die Verfassung von 1818 tastete die durch das Organisationsreskript geschaffene staatsorganisatorische Struktur im Grundsatz nicht an. Vielmehr sollte das Reskript über mehr als ein Jahrhundert hinweg in Geltung bleiben. Hieran änderte auch nichts, daß die für die staatliche Organisation maßgebenden Vorschriften sich im Laufe der Jahrzehnte auf Regelungen außerhalb des Reskripts verlagerten, ohne es indes dabei expressis verbis zu modifizieren. Die gleichwohl ebenfalls erfolgten ausdrücklichen Änderungen betrafen dagegen vergleichsweise marginale Gegenstände: So wurden durch Nr. 5 der Verordnung, die „Gemeinds- und Schutzbürgerliche Annahme der Juden betreffend'', vom 4. Mai 1812^^ die die Zuständigkeit der Ämter bzw. Kreisdirektoren für die Bürger- oder Hintersassenannahme von Juden festlegenden Nrn. 19 lit. K der Beilage C und 10. lit. o der Beilage D des Organisationsreskripts für gegenstandslos erklärt. Mittels der Verordnung, die „Führung der Grund- und Unterpfandsbücher für die zu keiner Ortsgemarkung gehörigen Liegenschaften betreffend", vom 13. Januar 1831^"^ wurde die insoweit bisher einschlägige Nr. 39 lit. d der Beilage C des Organisationsreskripts aufgehoben und durch eine neue Bestimmung ersetzt. Die Bekanntmachung vom 3. August 1832^^ stellte mit Blick auf § 30 lit. f der Beilage F zum Organisationsreskript fest, daß die Ertheilung von Moratorien im Gnadenwege unzulässig sei. § 5 der Provisorischen Verordnung vom 18. Februar 1836^^ derogierte § 31 lit. k der Beilage F des Organisationsreskripts, welcher dem Justizministerium die Befugnis gab, hofgerichtliche Erkenntnisse in Strafsachen zu bestätigen oder zu mildem. Der die bisherige Zuständigkeit des Oberhofgerichts in Strafsachen regelnde § 15 lit. a - d der Beilage E des Organisationsreskripts wurde durch Verordnung vom 3. August 1837^^ aufgehoben und die oberhofgerichtlichen Entscheidungskompetenzen den Hofgerichten übertragen. § 6 derselben Verordnung wiederum beseitigte die bislang in § 31 lit. k und 1 der Beilage F des Organisationsreskripts verankerte Befugnis des Justizministeriums, hofgerichtliche Strafurteile zu bestätigen, zu mildem oder zur Strafschärfung an das Oberhofgericht abzugeben. Die Landesherrliche Verordnung, die „Aufhebung der landesherrlichen katholischen Dekanate betreffend", vom 1. März 1853^^ hob die nach Nr. 4 der Beilage C des Organisationsreskripts bisher bestehenden landesherrlichen Dekanate katholischer Konfession auf. Ebenso setzte das Gesetz, die Zuständigkeit und das Verfahren in Rechtspolizeisachen betreffend, vom 5. Juni 1860^^ (Art. 7) 62 63 64 65 66 67

W. Andreas (Fußn. 5), S. 265. Dok. 202/1. Dok. 202/2. Dok. 202/3. Dok. 202/4. Dok. 202/5. Dok. 202/6. Dok. 202/7.

§ 9: Baden

387

Nr. 12 lit. h der Beilage D des Organisationsreskripts außer Kraft. Während § 81 des Gesetzes über die Verwaltung der freiwilligen Gerichtsbarkeit und über das Notariat vom 28. Mai 1864'^^ die §§ 20, 31 - 41 der Beilage C und § 12 der Beilage D des Organisationsreskriptes für gegenstandslos erklärte. IV. Badens Übertritt zur antinapoleonischen Allianz [751.] Eine Kehrtwende der badischen Politik leiteten der im Jahre 1812 desaströs endende Rußlandfeldzug Napoleons und die sich in seinem Gefolge bildende erneute große Koalition gegen den französischen Kaiser ein. Doch erst nach der Völkerschlacht bei Leipzig (16. - 19. Oktober 1813) vermochten die badischen Minister, ihrem bis dahin beharrlich an Napoleons Seite verbleibenden Großherzog den Übertritt zur antifranzösischen Koalition abzuringen. Als Folge dessen kehrte Baden dann mit Abschluß des Vertrages von Frankfurt am 20. November 1813^^ dem Rheinbund wie auch Napoleon den Rücken. Dem Vertrag gemäß hatte das Großherzogtum der neuen Allianz ein Kontingent von 8.000 Mann zu stellen und mußte erhebliche finanzielle Verpflichtungen übernehmen. Die ihm dafür zugesicherte Souveränität und territoriale Integrität stand freilich unter dem prekären Vorbehalt, daß sie der künftig notwendigen Neuordnung zur Sicherung der Macht und Unabhängigkeit Deutschlands nicht im Wege stand. Mit dieser Vereinbarung konnte Baden gerade noch rechtzeitig seine Übernahme durch das Zentralverwaltungsdepartement unter der Leitung des Freiherm von Stein abwenden.^^ Erst der Abschluß des Wiener Kongresses und der Badens distanzierte Haltung dazu herausstellende zeitlich verzögerte Beitritt zum Deutschen Bund bestätigten dann die staatliche Souveränität des Großherzogtums. Allerdings war damit, wie wir sogleich zeigen werden, wegen der in staatspolitischer wie staatsrechtlicher Hinsicht noch immer nicht restlos geklärten badischen Erbfolgefrage die territoriale Integrität des Mittelstaates keineswegs endgültig gesichert.

V. Die badische Erbfolgefrage [752.] Der älteste, aus erster Ehe mit der hessischen Prinzessin Carolina Luise (1723 - 1783) hervorgegangene Sohn von Großherzog Karl Friedrich verstarb bereits lange vor seinen Vater. Der infolge dessen dem geltenden Recht der Primogenitur gemäß nach dem Tode Karl Friedrichs zur Nachfolge berufene und schon seit 1808 zum Mitregenten bestellte Enkel des Großherzogs, Karl (1786-1818), blieb in seiner Ehe mit Stephanie Beauhamais, der Stieftochter Napoleons, zu Lebzeiten Karl Friedrichs kinderlos. Die beiden anderen aus erster Ehe Karl Friedrichs stammenden Söhne Friedrich (1756 - 1817) und Ludwig (1763 - 1830) waren ebenfalls ohne Nachkommen, so daß sich der Großherzog um den dynasti^ö Dok. 202/8 ^1 Dok. 18. 72 H.-P. Ullmann (Fußn. 11), S. 35.

388

2. Abschnitt: Verfassungsentwicklung in den deutschen Einzelstaaten (1806-1918)

sehen Fortbestand der Zähringer sorgte. Weitere männliche Nachkommen (Leopold, Wilhelm und Maximilian) entstammten indes seiner zweiten, am 24. November 1787 zur linken Hand geschlossenen Ehe mit der zugleich zur Freifrau erhobenen Luise Geyer von Geyersberg (1768 - 1820), seit 1796 Gräfm von Hochberg. Diesen hatte der Großherzog daher bereits am Tage der zweiten Eheschließung für den Fall des Aussterbens seiner sonstigen männlichen Nachkommen aus der Zähringer Hauptlinie mittels Hausvertrag das Thronfolgerecht in Aussicht gestellt und am 20. Februar 1796 formlich bestätigt. Durch eine weitere, von allen Agnaten des großherzogHchen Hauses am 10. September 1806 unterzeichnete Sukzessionsakte, sicherte der Großherzog diese Erbfolge der drei Grafen von Hochberg noch einmal ab. [753.] 1811 verschied Großherzog Karl Friedrich; sein Enkel Karl folgte ihm auf den badischen Thron. Dessen 1812 und 1817 zur Welt gekommenen beiden Söhne aus der Ehe mit Stephanie Beauhamais starben kurz nach der Geburt. Dieser bedrohlichen dynastischen Situation gedachte man schließlich mit dem maßgeblich unter der Federführung Reitzensteins zustandegekommenen badischen „Haus- und Familienstatut" vom 4. Oktober 181T^ Rechnung zu tragen. Es erklärte das Großherzogtum gemäß § 1 „für alle künftige Zeiten" zu einem „untheilbaren und unveräußerlichen Ganzen". Mit § 2 des Statuts wurde weiterhin die Erbfolge nach dem Prinzip der Erstgeburt auf alle Nachkommen im Mannesstamm festgeschrieben. Dies galt auch für die zusätzlich durch Großherzog Karl mittels Erklärung vom selben Tag^"^ die volle Ebenbürtigkeit erlangenden männlichen Nachkommen aus Karl Friedrichs zweiter (nicht standesgemäßen) Ehe (Karl Leopold Friedrich, Wilhelm Ludwig August und Maximilian Friedrich Johann Ernst von Hochberg); nicht indes für die zeitgleich vom Großherzog zur Prinzessin von Baden erhobene^^, ebenfalls aus dieser Ehe hervorgehende Tochter (Amalie Christine Caroline von Hochberg). Ihre drei Brüder wurden zu „Großherzoglichen Prinzen und Markgrafen zu Baden" erhoben und avancierten zu vollberechtigten Thronanwärtem. Im Erbfall ging diesen nunmehr nur noch der Bruder des verstorbenen Karl Friedrich, Karls kinderloser Onkel Ludwig, vor. Nach Ludwigs Tod würde damit Karls Halbonkel Karl Leopold Friedrich badischer Großherzog werden. § 3 des Statuts regelte zudem detailliert die Erbfolge bei Aussterben auch des Hochbergischen Mannesstammes. In diesem Falle wären die männlichen Nachkommen der von Großherzog Karl Friedrich abstammenden Prinzessinnen nach dem Recht der Erstgeburt und der Linealerfolge zum Zuge gekommen; an erster Stelle also die Nachkommen der Töchter von Großherzog Karl, an zweiter die Nachkommen seiner Schwester und an dritter bis fünfter Stelle die der Hochbergischen Prinzessinnen. Doch erwiesen sich diese Vorkehrungen im Nachhinein als unnötig, weil Ludwig 1818 tatsächlich Karls Nachfolge antrat und Leopold schließlich 1830 Großherzog wurde.

^3 Dok. 208. '^^ Dok. 207. ^^ Dok. 209.

' 9: Baden

389

[754.] Durch Art. 4 der Badischen Verfassungsurkunde vom 22. August 1818'^^ bildete das Familien- und Hausstatut gleichsam im Nachgang „einen wesentlichen Bestandtheil der Verfassung" und wurde „als wörtlich in gegenwärtiger Urkunde aufgenommen betrachtet". Dieser staatsrechtliche Geltungsanspruch der Erbfolgeregelungen unterstrich noch einmal deren zentrale Bedeutung für das dynastische und staatliche Fortbestehen des Großherzogtums. [755.] In Bayern wiederum rief das badische Haus- und Familienstatut hellste Empörung hervor. München reagierte darauf mit dem Abbruch der diplomatischen Beziehungen. Zeitweise wuchsen die Spannungen zwischen beiden Hauptstädten sogar bis an den Rand des Krieges. Den Hintergrund dieser Entwicklung bildeten bayerische Gebietsansprüche gegen Baden. So waren Bayern in Art. 3 der geheimen Separatartikel zum Vertrag von Ried vom 8. Oktober 1813'^^ von Österreich für alle zugemuteten Gebietsabtretungen entsprechende Gebietsentschädigungen zugesagt worden, die geographisch in unmittelbarem Zusammenhang mit dem bayerischen Hauptstaatsgebiet stehen sollten. Aus dieser eher unverfänglichen Bestimmung vermochte Bayern für den Fall, daß ihm die an Frankreich abgetretene linksrheinische Pfalz wieder zufiel, einen Anspruch herleiten auf den durch § 5 des Reichsdeputationshauptschlusses von 1808^^ badisch gewordenen Teil der rechtsrheinischen Kurpfalz; ließ sich doch nur auf diese Weise der zugesicherte Gebietszusammenhang herstellen. Tatsächlich erhielt Bayern dann in einem weiteren geheimen österreichisch-bayerischen Vertrag vom 23. April 1815 (Art. XVI) eine Zusage, die ihm neben Gebieten, wie etwa den badischen Main- und Tauberkreis und Teilen des badischen Neckarkreises, auch die Rückgabe der badischen Kurpfalz versprach, sofern es der gegenwärtig in Baden regierenden Dynastie an einem männlichen Erben fehlen sollte. Auf die zunächst geplante Übernahme dieser Vereinbarung in die Wiener Kongreßakte verzichteten die Beteiligten indes, weil sonst der Beitritt Badens zu der neu gebildeten antinapoleonischen Koalition nicht zustande gekommen wäre. Im Hinblick darauf verpflichteten sich die alliierten Hauptmächte im Beitritts vertrag mit Baden vom 12. Mai 1815^^ vielmehr dazu, nicht zu dulden, daß dem politischen Bestand des Großherzogtums Abbruch geschehe. Trotzdem nährten die Großmächte Österreich, Rußland, Großbritannien und Preußen durch das geradezu gegenteilige Versprechen der Rückgabe der badischen Kurpfalz an Bayern im Falle des Erlöschens der Zähringischen Hauptlinie in einem später, am 20. November 1815, zu Paris geschlossenen ProtokolF^ auch weiterhin die bayerischen Hoffnungen.

76 77 78 79

Dok.211. Dok. 16. Dok. 1. Text abgedruckt in: J. L. Klüber (Hrsg.), Acten des Wiener Congresses in den Jahren 1814-1815, Bd. IV, 1815,8.427 ff. „Protocole pour regier les dispositions relatives aux territoires et places cedees par la France, aux arrangemens territoriaux qu'il reste ä faire en Allemagne et au Systeme defensif de la confederation Germanique" (Art. VII Abs. 3 lit. b): „En vue des arrangemens ci-dessus specifies, les quatre puissances assurent ä S. M. le Roi de Baviere les avantages suivans: . . . b) La reversion de la partie du palatinat appartenant ä la Maison de Bade apres l'estinction de la ligne directe du GrandDuc regnant." - Text abgedruckt in: P. A. G. Meyer (Hrsg.), Corpus Juris Germaniae Confoedera-

390

2. Abschnitt: Verfassungsentwicklung in den deutschen Einzelstaaten (1806-1918)

[756.] Zur endgültigen Klärung der Streitfrage kam es erst auf dem im September/Oktober 1818 stattfindenden Aachener Kongreß, also längst nach Erlaß der badischen Verfassung. Die dort versammelten europäischen Mächte verwarfen nunmehr trotz ihrer zuvor zugunsten Bayerns eingegangen vertraglichen Bindungen dessen Ansprüche auf die rechtsrheinische Pfalz. Sie anerkannten stattdessen das Erbfolgerecht der Hochberg'sehen Linie uneingeschränkt. Baden mußte zwar die ihm zugefallene Wertheim'sehe Enklave Steinfeld an Bayern abtreten, vermochte diesen Verlust jedoch durch den Erwerb der österreichischen Herrschaft Geroldseck zu kompensieren. Bayerischerseits akzeptierte man - wenn auch widerwillig - kurz darauf sogar das durch Art. 10 des Frankfurter Territorialrezesses vom 20. Juli 1819^^ erneut bestätigte Thronfolgerecht der Grafen von Hochberg. Hiermit war aus badischer Perspektive der Prozeß der äußeren Staatsbildung endgültig abgeschlossen. Spätere bayerische Begehrlichkeiten auf die badische Kurpfalz waren deshalb jedoch nicht ausgeschlossen. Zweimal noch (1825 - 32^^ und 1870/1) setzte München dieses Ansinnen auf die politische Agenda, scheiterte jedoch jeweils am preußischen Widerstand,

VI. Entstehung der Verfassungsurkunde vom 22. August 1818 1. Erste Verfassungsbestrebungen (1808/09) [757.] Kriegsfinanzierung und kostspielige Reformmaßnahmen sowie die aus den Art. 29 f. und 32 f. der Rheinbundsakte resultierende Pflicht zur Übernahme von Schulden und Pensionslasten der eingegliederten Gebiete verursachten ein bedrohliches Anwachsen der badischen Staatsschulden. Dies veranlaßte Großherzog Carl Friedrich - beraten von dem erst unlängst zum Finanz- und Kabinettsminister ernannten Emmerich von Dalberg -, bereits im Rahmen der Verordnung vom 5. Juli 1808^^ eine „LandesRepräsentation, wie sie in Westphalen und Bayern eingeführt" wurde in Aussicht zu stellen. Was nichts anderes bedeutete als die Ankündigung, eine Verfassungsurkunde nach westfälischem und bayerischem Vorbild zu schaffen. Man erhoffte sich von der so zu schaffenden Landesrepräsentation die Legitimation zur Erhebung neuer Steuern und die Beseitigung des Vertrauensschwundes in den dringend benötigten Staatskredit. [758.] Und in der Tat legte der damit beauftragte Staatsrat von Schmiz schon am 19. August 1808 einen ersten, ganz auf die Integration Badens in den Rheinbund und auf die Herstellung der inneren Einheit des Großherzogtums zielenden, aus insgesamt sechs Titeln mit 45 Paragraphen bestehenden Entwurf vor.^"^ Der Entwurf sah unter anderem Religions- und Preßfreiheit, den Zugang Nichtadeliger zu Staatsämtem, ein einheitliches Steuersystem, die Aufhebung der Leibeigen-

^^ ^^ ^3 ^"^

tionis oder Staatsacten für Geschichte und öffentliches Recht des Deutschen Bundes (CJCG), Teil I (Staatsverträge), 3. Aufl., 1858, S. 291 ff Dok. 31/5. DazuZ. V. Hoermann, Der bayerisch-badische Gebietsstreit (1825 - 1832), 1938. Dok 199. Abgedruckt bei: F. von Weech, Geschichte der Badischen Verfassung, 1868, S. 153-158.

. 9: Baden

391

Schaft in allen Landesteilen, Vorschriften über das großherzogliche Haus, das ganze Land vertretende Stände, eine Verwaltung nach französischem Vorbild, eine einheitliche Justizpflege sowie ein stehendes Heer „zur Vertheidigung des Staates und zur Erfüllung der durch die Rheinische Bundesacte eingegangenen Verbindlichkeiten" vor. Dieser Entwurf war Gegenstand reger Erörterungen^^, wenngleich er hinterher im Staatsrat keine Akzeptanz fand. Dort einigte man sich 1809 vielmehr auf einen als „Haupturkunde der Grundverfassung des Großherzogthums Baden" titulierten, vom Geheimen Rat Johann Nikolaus Friedrich Brauer verfaßten, mit insgesamt sieben Titeln zu 60 Paragraphen erheblich umfangreicher ausgefallenen Text.^^ Substanziell neu war hier insbesondere ein hinzugefugter Titel über die vom Oberhof wahrzunehmende „Gewährleistung der Staatsverfassung". Allerdings blieben infolge der verstärkt einsetzenden kriegerischen Ereignisse diese Vorarbeiten zu Lebzeiten des 1811 versterbenden Carl Friedrich letztlich ergebnislos. Bei den erst seit 1815 wieder einsetzenden Verfassungsbestrebungen wurden sie dann nicht mehr aufgegriffen. 2. Unmittelbare Vorgeschichte seit 1815 [759.] Einen Schritt näher kam man der Realisierung des Verfassungsvorhabens erst nach dem Ende der napoleonischen Kriege, als der seit dem Tode seines Vaters Baden regierende Großherzog Carl noch während seines Kongreßaufenthalts in Wien die Einsetzung einer Verfassungskommission anordnete. Bereits Anfang Dezember 1814 hatte der Großherzog gegenüber Mettemich und Hardenberg Verlautbart, seinem Staat eine landständische Verfassung geben zu wollen.^"^ Den wesentlichen äußerlichen Anstoß für das Wiederaufgreifen der Verfassungsfrage bildete gewiß die in diese Richtung weisende Intervention seines durch den Freiherm vom Stein dazu inspirierten Schwagers, des russischen Zaren Alexander I. Aber auch zahlreiche Petitionen aus dem eigenen Lande - darunter solche eines gewichtigen Teils des Grundadels und des angesehenen Heidelberger Bürgertums - sorgten namentlich seit Ende 1815 dafür, daß die Verfassungsfrage auf der innenpolitischen Tagesordnung des Großherzogtums blieb.^^ [760.] Tatsächlich ursächlich für diese neuen Verfassungsbestrebungen war sicherlich ein komplexes Bündel von Motiven: Zunächst waren es die Großmächte selbst, die auf dem Wiener Kongreß den Gedanken von in den Einzelstaaten zu schaffenden landständischen Verfassungen instrumentalisierten, um den das Ende Napoleons überstehenden rheinbündischen Absolutismus von innen heraus zu schwächen.^^ Nach Inkrafttreten der in ihrem Art. 13 landständische Verfassungen verheißenden Bundesakte ging es demgegenüber wohl nicht zuletzt darum, die sich allmählig abzeichnende Neigung des Bundes, diesen Artikel im altständiVgl.a. a. O., S. 158-176. Abgedruckt bei: a. a. O., S. 176 - 184. Näher dazu M Hörner, Die Wahlen zur badischen zweiten Kammer im Vormärz (1819 - 1847), 1987, S. 37. ^. ^^ze/e/(Fußn, 9), S.238. W. Mager, Das Problem der landständischen Verfassungen auf dem Wiener Kongreß 1814/15, in: Historische Zeitschrift 217 (1973), S. 296 - 346.

392

2. Abschnitt: Verfassungsentwicklung in den deutschen Einzelstaaten (1806-1918)

sehen Sinne zu interpretieren, durch die Schaffung der spezifisch badischen Situation gerechter werdende vollendete „neuständische" (also konstitutionelle) Verfassungstatsachen zu unterlaufen. Hervorzuheben waren hier die bereits angesprochenen außenpolitischen und dynastischen Schwierigkeiten Badens, welche die Integrität und Souveränität des Großherzogtums gleichermaßen bedrohten. Angesichts dessen dürfte der Ehrgeiz, gegenüber den Verfassungsbestrebungen anderer deutscher Länder nicht ins Hintertreffen zu geraten, kaum bedeutsam gewesen sein.^^ Ausschlaggebender als dieser „konstitutionelle Wettbewerb" war eindeutig das Bestreben, die bislang auf dem Verwaltungswege nur unzureichend gelungene Integration der vielen neubadischen Territorien durch das gemeinsame Band einer identitätsstiftenden Konstitution voranzubringen. Obendrein wird die nach wie vor katastrophale finanzielle Situation des Staates dem Erlaß einer Verfassung förderlich gewesen sein. Die federführende Rolle dabei spielte jedenfalls die staatsleitende Beamtenschaft. [761.] Die sich auf großherzogliche Anordnung alsbald konstituierende Verfassungskommission brachte dann tatsächlich rasch einen ersten Entwurf zustande. Treibende Kraft war Karl Wilhelm Freiherr Marschall von Bieberstein. Sein Entwurf wurde durch die Kommission weiter ausgestaltet. Die Arbeit kam jedoch zunächst wegen der hunderttägigen napoleonischen Nachwehen und danach wegen des völligen großherzoglichen Desinteresses nur stockend voran. Erst die gegen Ende 1815 einsetzende Petitionsflut vermochte die Verfassungsberatungen erneut in Gang zu bringen. Diese schritten dann auf Regierungsebene immerhin so konkret voran, daß der Großherzog mit seinem Reskript vom 16. März 1816^^ „die Einfuhrung einer landständischen Verfassung in Unserem Großherzogthum" und für den 1. August 1816 die Einberufung einer „ersten ständischen Versammlung" versprach. [762.] Dementsprechend wurde mit der Erarbeitung von zwei neuen Verfassungsentwürfen begonnen. Der eine stammte aus der Feder des Staatsrates von Sensburg^^, der andere von dem Finanzrat Karl Friedrich Nebenius (17841857)^^. Beide Entwürfe sahen die Bildung nur einer Kammer vor. Die Beratungen verzögerten sich jedoch auch jetzt wieder. Der Großherzog verkündete nämlich in einem weiteren, diesmal vom 29. Juni 1816 herrührenden Reskripf^ seine Absicht, „die dem Lande zu gebende ständische Constitution, welche bereits vollendet zu Unserer Höchsten Sanction vorliegt, für jetzt noch nicht zu verkünden". Es seien diejenigen Gegenstände der deutschen Bundesverfassung, mit welchen die Landesverfassung im Einklang stehen sollte, noch nicht unter sämtlichen Bundesgliedem vereinbart. Eine solche Vereinbarung kam auch in der Folgezeit nicht zustande. Diese Begründung war natürlich eine nur vorgeschobene. Der eigentliche Grund für das Abrücken von dem Verfassungsvorhaben wird eher in den den

90 91 92 93 94

Insoweit anderer Auffassung H.-P. Ulimann (Fußn. 11), S. 60. Dok. 204. Abgedruckt bei: F. von Weech (Fußn. 83), S. 43 - 51. Abgedruckt bei: a. a. O., S. 55 - 88. Dok. 205.

' 9: Baden

393

Großherzog abschreckenden zeitgleich in Württemberg stattfindenden Verfassungskämpfen gelegen haben. [763.] Staats- und Kabinettsminister Freiherr von Reitzenstein drängte wegen der von ihm ausgemachten innen- wie außenpolitischen Gefahren einer weiteren Verschleppung der Verfassungsfrage auf deren Weiterbehandlung. Im April 1818 erhielt das der Leitung Reitzensteins unterstehende „Comite für Bundesangelegenheiten" und hier der Finanzrat Karl Friedrich Nebenius den Auftrag einen mittlerweile immerhin den fünften - Entwurf auszuarbeiten. Nebenius kam dieser Aufgabe nach. Die Grundzüge des bald von ihm präsentierten und kaum mehr veränderten Entwurfs hatte er der französischen Charte constitutionnelle von 1814 und der davon beeinflußten und vom russischen Zaren Alexander I. verliehenen Verfassung Kongreß-Polens von 1815 entlehnt.^^ [764.] Leicht modifiziert genehmigte der Großherzog am 22, August 1818 den unverkennbar die „Handschrift der Reformbürokratie"^^ ausweisenden Entwurf schließlich noch wenige Monate vor seinem Tod durch sein Signum. Die Verkündung als Verfassung^^ erfolgte am 29. August 1818. Nach der mit dem „Haus- und Familienstatut'' vom 4. Oktober 1817^^ vollzogenen Verklammerung von Staat und Monarchen schickte sich Carl an, die Monarchie an das Volk und umgekehrt zu binden. Obwohl es sich bei dieser Verfassungsgebung um einen einseitigen großherzoglichen Akt, also um eine Verfassungsoktroyierung handelte, betrachteten später die badischen Kammern wie überhaupt die meisten Zeitgenossen diese Verfassung wegen der Teilnahme der Untertanen an den von der Verfassung vorgesehenen Kammerwahlen als eine auf „konkludentes Verhalten" gestützte, nachträglich zwischen dem Monarchen und seinem Volk vereinbarte Konstitution.^^

VII. Verfassungsurkunde vom 22. August 1818 [765.] Die Verfassungsurkunde^^^ bestand aus einem Vorspruch und fünf Abschnitten mit insgesamt 83 Paragraphen. Der erste Abschnitt (§§ 1-6) betraf das „Großherzogthum" und die „Regierung im Allgemeinen". [766.] § 1 der Verfassung dokumentierte zunächst durchaus zeitgemäß Badens Stellung als „Bestandtheil des Deutschen Bundes". Nach dem Untergang des Bundes im Jahre 1866 war diese Bestimmung allerdings gegenstandslos geworden. Sie wurde indes selbst dann nicht den neuen staatsrechtlichen Verhältnissen angepaßt oder aufgehoben, als das Großherzogtum am 1. Januar 1871 dem mittlerweile als Deutsches Reich titulierten Bundesstaat beitrat, obwohl dafür spätes9^ Vgl. F. von Weech (Fußn. 83), S. 98. ^^ E. Fehrenbach, Bürokratische Reform und gesellschaftlicher Wandel. Die badische Verfassung von 1818, in: E. O. Bräunche/Th. Schnabel (Hrsg.), Die Badische Verfassung von 1818, 1996, S. 13(13). 9^ Dok. 211. 9^ Dok. 208. ^^ Vgl. dazu E. R. Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789, Bd. 1: Reform und Restauration 1789 - 1830, 2. Aufl., 1990, S. 318. 100 Dok. 211.

394

2. Abschnitt: Verfassungsentwicklung in den deutschen Einzelstaaten (1806-1918)

tens die große Verfassungsreform des Jahres 1904 Anlaß geboten hätte. Entsprechendes galt auch für § 2, demzufolge alle organischen Beschlüsse der Bundesversammlung „einen Theil des badischen Staatsrechts" ausmachten und nach ihrer Publikation durch den Großherzog für jedermann in Baden verbindlich waren. Bei Erlaß der Verfassung trug man damit dem Umstand Rechnung, daß jeder Mitgliedstaat dem Bund gegenüber zur Umsetzung des von der Bundesversammlung verabschiedeten Rechts in die eigene Rechtsordnung verpflichtet war. Seit 1871 galt dann Art. 2 DBV/RV, wonach die Reichsgesetze den Landesgesetzen derart vorgingen, daß erstere letztere automatisch außer Kraft setzten, es also eines landesseitigen Transformationsaktes nicht mehr bedurfte. [767.] Als Staat war Baden „untheilbar und unveräußerlich in allen seinen Theilen" (§ 3 der Verfassung). Das galt somit für mit Blick auf die älteren wie die erst jüngst erworbenen Gebietsteile gleichermaßen. Damit sollte in erster Linie dem lange Zeit namentlich von Bayern infrage gestellten territorialen Bestand des Großherzogtums entgegengewirkt werden. Es bedurfte künftig zumindest eines die Verfassung ändernden Gesetzes, um rechtswirksam Veränderungen am Staatsgebiet vorzunehmen. Ergänzend dazu erklärte § 4 unter Bezugnahme auf das als wesentlicher Bestandteil der Verfassung inkorporierte und daher auch nur im Wege der Verfassungsänderung modifizierbare „Haus- und Familienstatut" vom 4. Oktober 1817^^^ „die Regierung des Landes" für „erblich in der großherzoglichen Familie"; was Haupt- und Nebenlinien der Zähringer jedenfalls die Herrschaftsrechte über Baden sicherte und damit zugleich Rechtsansprüche anderer Fürstenhäuser ausschloß. Anders als die zeitnahen Verfassungen Bayerns und Württembergs kannte die badische Verfassung den Verfassungseid bzw. ein Verfassungsgelöbnis des Monarchen nicht. Der Eid war somit auch keine Bedingung für den Erwerb der Krone, sondern allein der Tod des regierenden Monarchen begründete die Sukzession des Nachfolgers. [768.] Der Großherzog vereinigte in seiner Person alle Rechte der Staatsgewalt und übte sie nach Maßgabe der in der Verfassungsurkunde festgesetzten Bestimmungen aus (§ 5 Abs. 1). Das bedeutete nichts anderes, als daß der Herrscher sich bei der Ausübung seiner umfassenden Staatsgewalt allein an die Vorschriften der Verfassungsurkunde zu halten hatte. Dies bezog sich in erster Linie auf den Staatshaushalt und die Gesetzgebung, die er jetzt nur noch mit den Ständen gemeinsam ausüben durfte (§§ 53 ff.). Daher bezeichnete § 6 die Verfassung des Großherzogtums mit Recht als eine „ständische". Demgegenüber unterlag die Exekutivgewalt von Verfassungs wegen vorerst keinen Einschränkungen. Namentlich die etwa von § 51 WürttVerf. 1819 vorgesehene Gegenzeichnungspflicht eines Ministers für die Staatsverwaltung betreffende Handlungen des Monarchen gab es in der badischen Konstitution nicht. Expressis verbis fand die ministerielle Gegenzeichnung erst durch das Gesetz vom 20. Februar 1868^^^ in Gestalt eines § 69g Aufnahme in die Verfassung. Verfassungsrechtlich blieb der Monarch somit im Bereich der Exekutive weiterhin ohne Einschränkung handlungsbefugt. Daß Art. 7 Abs. 2 den Ministem und sämtlichen Beamten die Verantwortlichkeit „für 101 D o k . 2 0 8 . 102 Dok. 211/8.

I 9: Baden

395

die genaue Befolgung der Verfassung" zuwies, ließ indes offen, wem gegenüber diese verantwortlich sein sollten; sagte zudem auch nichts über eine konstitutionell determinierte Reichweite des monarchischen Handlungsspielraums aus. Dennoch galt faktisch auch schon 50 Jahre vor der Einfügung des § 69g der dem Wesen des konstitutionellen Staates immanente Grundsatz, daß jede staatliche Handlung des Monarchen zu ihrer rechtlichen Gültigkeit der Gegenzeichnung eines Ministers bedurfte, der damit für diese Handlung die Verantwortung übernahm. § 5 Abs. 2 der Verfassung erklärte die Person des Großherzogs für „heilig und unverletzlich"; der Monarch blieb also für sämtliche Folgen seines Handelns Staats- wie strafrechtlich unverantwortlich, hatte damit eine extra-, ja transkonstitutionelle Position. Ungeachtet der verfassungsmäßigen Einschränkungen des Großherzogs bei der Ausübung seiner Staatsgewalt bestand Übereinstimmung mit dem später in Art. 57 der Wiener Schlußakte^^^ festgeschriebenen monarchischen Prinzip.^^"^ [769.] Im zweiten Abschnitt der Verfassung (§§ 7 - 25) wurden „Staatsbürgerliche und politische Rechte der Badener und besondere Zusicherungen" behandelt. Hier ging es somit darum, dem Einzelnen eine Sphäre persönlicher Rechte gegenüber dem Staat zu gewähren. Allem voran statuierte § 7 Abs. 1 für jeden Badener die prinzipielle Gleichheit aller staatsbürgerlichen Rechte. Allerdings galt dies nur unter dem Vorbehalt, daß „die Verfassung nicht . . . ausdrücklich eine Ausnahme begründet". Eine verfassungsimmanente oder eine durch verfassungsänderndes Gesetz eingeführte Ungleichbehandlung durch Besser- oder Schlechterstellungen für bestimmte Personengruppen war damit aber nicht ausgeschlossen. Wenn also § 9 Abs. 1 bloß allen den drei christlichen Konfessionen angehörenden Staatsbürgern den gleichen Zugang zu „Civil- und Militärstellen" sowie zu „Kirchenämtem" zubilligte, so war dies auch die Privilegierung gegenüber allen nicht diesen Konfessionen Zugehörenden wie etwa den Juden. Diese wurde mit Blick auf die staatsbürgerlichen Rechte erst durch Art. 1 des Gesetzes, „ die Aufliebung der Beschränkung staatsbürgerlicher Rechte aus Rücksichten der Confession", vom 17. Februar 1849^^^ abgeschafft. Die weiter bestehende gemeindebürgerliche Ungleichheit der Juden konnte sogar erst durch Gesetz vom 4. Oktober 1862 erreicht werden; die Aufhebung aller danach noch immer vom religiösen Bekenntnis bestimmten Diskriminierungen sollte indes für Baden erst unter der Ägide des Reichsrechts ab dem 1. Januar 1871 gelten. Den Gleichheitsrechten korrespondierte die in § 8 der Verfassung hervorgehobene Gleichheit in der Pflicht, zu den Lasten des Staates beizutragen. Abgabenbefreiungen einzelner Personen oder Stände, namentlich des Adels, sollten damit der Vergangenheit angehören. Wenngleich § 10 „in der Geburt und der Religion" begründete Unterschiede nicht mehr als Ausnahmetatbestand von der Militärdienstpflicht gelten ließ, so eximierte er doch die standesherrlichen Famihen nach Maßgabe des Art. 14 Abs. 1 lit. c Nr. 3 der Deutschen Bundesakte (DBA)^^^ und trug damit dem auch von § 2 der Verfassung anerkannten Vorrang des Bundesrechts Rechnung. Diesen durch die Auflösung 103 Dok.43. 104 Vgl. E. R. Huber (Fußn. 98), S. 337. 10^ Dok. 211/5. 106 D o k . 3 1 .

396

2. Abschnitt: Verfassungsentwicklung in den deutschen Einzelstaaten (1806-1918)

des Deutschen Bundes 1866 aufgehobenen und für den Norddeutschen Bund und das Deutsche Reich zunächst durch § 1 Abs. 1 des Gesetzes, „betr. die Verpflichtung zum Kriegsdienst", vom 9. November 1867 wieder aufgegriffenen Zustand beendete erst der ausnahmslos die Wehrpflicht für jeden Deutschen statuierende Art. 57 der Reichsverfassung von 1871. § 11 der Verfassung bestimmte, daß für aus den noch bestehenden ablösbaren Feudallasten herrührenden Abgaben durch Gesetz „ein angemessener Abkaufs-Fuß" festgelegt würde. Diese Gesetzgebung erwies sich dann allerdings als langwierig und konnte erst in den 1850er Jahren abgeschlossen werden. ^^^ Durch § 12 der Verfassung wurde das lediglich Bundesrecht (Art. 18 ht. b und c DBA, Bundesbeschluß 23. Juni 1817^^^) transformierende „Gesetz" über die Wegzugsfreiheit vom M.August 1817 - gemeint war die „Großherzogliche Verordnung ... , wodurch der die Abzugs- undNachsteuerfreyheit betreffende Bundestagsbeschluß bekannt gemacht wird''^^^ — als Verfassungsbestandteil angesehen und erhielt auf diese Weise den Rang eines Verfassungsgesetzes. Damit war die Vermögensverbringung aus dem Großherzogtum in alle Mitgliedstaaten des Deutschen Bundes frei von Nachsteuern und die Abzugsfreiheit der badischen Untertanen dorthin gewährleistet. An die Stelle des § 12 der Verfassung traten später die für Baden als Reichsgesetze geltenden Gesetze des Norddeutschen Bundes über die Freizügigkeit vom 1. November 1867^^° und über die Erwerbung und den Verlust der Bundes- und Staatsangehörigkeit vom 1. Juni 1870^^^ bzw. das Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetz vom 22. Juli 1913^^^. § 13 der Verfassung schützte Eigentum und persönliche Freiheit. Insbesondere waren mit Blick auf den Eigentumsschutz Enteignungen nur nach „vorgängiger Entschädigung" statthaft (§ 14 Abs. 4); Vermögenskonfiskationen sollten nach der Aussage des § 16 abgeschafft werden, was infolge dessen durch Gesetz vom 5. Oktober 1820^^^ geschah. Zum Schutz der Freiheit der Person mußten Verhaftungen in der dafür vorgeschriebenen gesetzHchen Form stattfinden und Verhaftete innerhalb von 48 Stunden über den Grund ihrer Verhaftung vernommen werden (§15 Abs. 2). Die Gewährleistung der persönlichen Freiheit bestand seit der Reichsstrafprozeßordnung vom 1. Februar 1877^^"^ (§§ 112- 115, 127) auf reichsrechtlicher Ebene. Die Gerichte waren nach der badischen Verfassung unabhängig „innerhalb der Grenzen ihrer Competenz" (§14 Abs. 1). Erst durch die §§ 1,6 und 8 des Gerichtsverfassungsgesetzes (GVG) vom 27. Januar 1877^^^ wurde die richterliche Unabhängigkeit dann reichsrechtlich gewährleistet. Davon unberührt blieb allerdings das dem Großherzog mittels § 15 Abs. 3 der Verfassung eingeräumte Begnadigungsrecht; ein Recht zur Strafschärfung stand ihm bereits nach der soeben erwähnten Verfassungsnorm nicht (mehr) zu. Gleiches galt hinsichtlich des ^^^ 108 109 110 111 112 11^ 11"^ 115

Siehe dazuK. Glöckner, Badisches Verfassungsrecht, 1905, S. 51 f Dok.36. Dok.206. Bundesgesetzblatt, 1867, S. 55. A.a.O., 1870,8.355. Reichgesetzblatt, 1913, S. 583. Großherzoglich-Badisches Staats- und Regierungs-Blatt, 18. Jg., 1820, S. 86. Reichsgesetzblatt, 1877, S. 253. A.a.O., 1877,8.583.

i 9: Baden

397

in anderen Staaten weiterhin üblichen landesherrüchen Rechts zur AboHtion. Des weiteren durfte nach § 15 Abs. 1 in „Kriminal-Sachen" niemand seinem ordentlichen Richter entzogen werden; an die Stelle dieser Norm trat später mit § 16 GVG die Garantie durch das Reichsrecht. Namentlich die von vielen Zeitgenossen befürwortete Ablehnung der Kabinettsjustiz hatte in den Regelungen der Verfassungsurkunde ihren Ausdruck gefunden. Zur Preßfreiheit fand sich in § 17 der Verfassungsurkunde nur der lapidare Hinweis, daß sie „nach den künftigen Bestimmungen der Bundes-Versammlung gehandhabt" würde. Man erwähnte zwar die Preßfreiheit als Rechtsinstitut, wollte sie aber künftig nur im Rahmen der Bundesgesetze ausgeübt wissen. Insoweit einschlägig sollte schon bald das infolge der Karlsbader Beschlüsse auf zunächst fünf Jahre erlassene rigide BundesPreßgesetz vom 20. September 1819^^^ sein, welches durch die „Provisorischen Maßregeln " vom 16. August 1824^^^ auf unbestimmte Zeit verlängert und tatsächlich erst durch Bundesbeschluß vom 2. April 1848^^^ aufgehoben wurde. Zur Ausführung des Bundes-Preßgesetzes erging dann das badische Zensuredikt vom 5. November 1819^^^. Das zwischenzeitlich zum 1. März 1832 unter Verstoß gegen § 17 der Verfassungsurkunde und das Bundesrecht in Kraft getretene und geradezu freiheitlich anmutende „ Gesetz über die Polizei der Presse und über die Bestrafung der Preßvergehen" vom 28. Dezember 183P^^ mußte auf Druck des Bundes vom Großherzog schon im Jahr darauf durch Verordnung vom 28. Juli 1832^^^ wieder insoweit zurückgenommen werden, als es gegen Bundesrecht verstieß. Die im April 1848 hergestellte Preßfreiheit, die bald auch noch durch Art. 4 § 13 der von Baden als Reichsrecht anerkannten Grundrechte des Deutschen Volkes vom 27. Dezember 1848^^^ postuliert wurde, war bereits mit der Niederschlagung des Revolutionsregimes im Juh 1849 wieder beendet. Der die Grundrechte des deutschen Volkes aufhebende Bundesbeschluß vom 23. August 185P^^ unterstrich dies noch und fand mit Blick auf die Preßfreiheit eine ausdrückliche bundesrechthche Bestätigung durch das Bundespreßgesetz vom 6. Juni 1854^^^. Trotz eines später praktizierten liberalen Presserechts hielt der prohibitive Zustand von Gesetzes wegen bis 1866 an. Danach hatte die politische Entwicklung den Wortlaut des § 17 der Verfassung eindeutig und endgültig überholt; er war obsolet. Seit dem Reichsgesetz vom 7. Mai 1874^^^ stand die Preßfreiheit schließlich auch in Baden unter reichsrechtlicher Garantie. ^^^

^16 11^ 11^ ^19

Dok.40. Dok.47. Dok.75. Dok. 216/1.

120 Dok. 216/2. 121 Dok. 216/3. 122 Dok. 105. 123 124 125 126

Dok. 79. Dok. 81. Reichsgesetzblatt, 1874, S. 65. Ygj 2i\xQ:h Art. 3 des badischen Einfühmngsgesetzes zum Reichspressegesetz vom 20. Juni 1874 (Gesetzes- und Verordnungs-Blattiur das Großherzogthum Baden, 1874, S. 279).

398

2. Abschnitt: Verfassungsentwicklung in den deutschen Einzelstaaten (1806-1918)

[770.] Die §§ 1 8 - 2 0 der Verfassung betrafen die Religion und ihre Ausübung. Dabei stand nach § 18 jedem Landeseinwohner, also nicht nur dem Staatsbürger, der gleiche Schutz der ungestörten Gewissensfreiheit und Gottesverehrung zu. Die drei christlichen Konfessionen hatten gleiche politische Rechte (Art. 19); später wurde diese Privilegierung der drei christlichen Konfessionen durch eine mittels Art. 2 des Gesetzes, „ die Außtebung der Beschränkung staatsbürgerlicher Rechte aus Rücksichten der Confession'', vom 17. Februar 1849^^'^ vorgenommene Verfassungsänderung aufgehoben und auf alle religiösen Korporationen - also auch die jüdischen Gemeinden - ausgedehnt. Konkretisiert wurden diese Rechte gegenüber dem Staat durch das Gesetz, betr. die rechtliche Stellung der Kirchen und kirchlichen Vereine im Staat, vom 9. Oktober 1860^^^ welchem in der Folgezeit noch durch die Gesetze vom 19. Februar 1874^29^ S.März 18801^0 und S.Juli 1888^^^ Änderungen widerfuhren. Obendrein erklärte §20 der Verfassung das Kirchengut für unantastbar. Einer Bestandsgarantie für die beiden Universitäten Heidelberg und Freiburg gleich kam die diesen und „anderen höheren Lehranstalten" durch § 21 gegebene ungeschmälerte Dotationszusicherung. § 22 betraf die Sicherung der Kreditwürdigkeit des Staates, indem die Vorschrift in Abs. 1 die Unverletzlichkeit der den Gläubigem zustehenden Forderungen festschrieb und in Abs. 2 das eigens durch das Edikt vom 31. August 1808^^^ für die Schuldentilgung geschaffene Institut der Amortisationskasse „in seiner Verfassung" noch einmal ausdrücklich aufrecht erhielt. Hatte damit das genannte Edikt selbst Verfassungsrang erhalten, so geschah dies auch mit dem an dessen Stelle tretenden Gesetz über die Verfassung und Verwahung der Amortisationskasse vom 31. Dezember 183P^^. Dessen Art. 19 bezeichnete nämlich das gesamte Gesetz expressis verbis als „Teil der Verfassung". [771.] § 23 der Verfassung erhob die den ehemaligen Reichunmittelbaren durch die als „Adelsedikt" bekanntgewordene Verordnung, die „Rechts-Verhältnisse der vormaligen Reichsstände und Reichs-Angehörigen betreffend'', vom 23. April 1818^^^ zugesicherten Berechtigungen ebenfalls zu einem „Bestandtheil der Staatsverfassung". Dieses in Vollzug des Art. 14 der Deutschen Bundesakte^^^ ergangene Edikt kam jedoch wegen dagegen erhobener Beschwerden seitens der vormaligen Reichsstände und unmittelbaren Reichsangehörigen bei der Bundesversammlung nicht zur Anwendung. Es wurde noch vor der Eröffnung des ersten Landtages durch das „Edict, die Standes- und Grundherrlichen Rechtsverhältnisse im Großherzogthum Baden betreffend", vom 16. April 1819^^^ „zum Theil bestätigt, zum Theil erläutert und zum Teil näher bestimmt". Dies beanstandete jedoch ^27 ^^^ ^^^ ^30 ^^1

Dok. 211/5. Großherzoglich Badisches Regierungs-Blatt, 58. Jg., 1860, S. 375. Gesetzes- und Verordnungs-Blatt für das Großherzogthum Baden, 1874, S. 93. A. a. O., 1880, S.48. A.a.O., 1888,8.327.

132 133 134 135 136

Dok. Dok. Dok. Dok. Dok.

200. 217. 210. 31. 215.

9: Baden

399

die Zweite Kammer als nicht auf verfassungsmäßigem Wege zustandegekommen; weswegen man es zwar nicht formell aufhob, aber doch unangewendet ließ. Stattdessen kamen in der Folgezeit nach jeweiligen Verhandlungen der Regierung mit den Betroffenen Einzelvereinbamngen zustande. Auf dieser Basis erlassene, auch als „Deklarationen" bezeichnete Landesherrliche Verordnungen regelten fortan verbindlich die für die Mediatisierten geltenden besonderen Rechtsverhältnisse. Es waren dies hinsichtlich -

der Fürstlich Fürstenbergischen Standesherrschaft die Deklaration vom 12. Dezember 1823^37^ des ehemals unmittelbaren Reichsadels die Deklaration vom 22. April 1824^^^, der Markgräflich Zwingenbergschen Standesherrschaft die Landesherrliche Verordnung vom 1. Juli 1824^^^, der Fürstlich Salm-Krautheimischen Standesherrschaft die Landesherrliche Verordnung vom 6. Oktober 1825^40, der beiden Gräflich Leiningenschen Standesherrschaften die Landesherrliche Verordnung vom 2. März 1826^"^^ der Großherzoglichen Standesherrschaften Salem und Petershausen die Landesherrliche Verordnung vom 28. Juni 1827^"^^, der Fürstlich von der Leyenschen Standesherrschaft die Landesherrliche Verordnung vom 7. Oktober 1830143, der Fürstlich Leiningenschen Standesherrschaft die Landesherrliche Verordnung vom 30. JuH 1840^44 ^ ^ j der beiden Fürstlich Löwenstein-Wertheimischen Standesherrschaften die Landesherrliche Verordnung vom 14. Januar 1855^45

[772.] § 24 der Verfassung garantierte die geltenden Rechtsverhältnisse der Staatsdiener qua constitutionem. Ausgeführt wurde die Bestimmung schon bald durch das Edikt über die Rechtsverhältnisse der Staatsdiener vom 30. Januar

^^' Großherzoglich-Badisches Staats- und Regierungs-Blatt, 22. Jg., 1824, S. 1. Spätere Abänderungen erfolgten durch Übereinkunft vom 14. Mai 1825 (a. a. O., 23. Jg., 1825, S. 63) sowie durch die Gesetze vom 24. Februar 1849 (a. a. O., 47. Jg., 1849, S. 120) und 9. Oktober 1860 (Großherzoglich Badisches Regierungs-Blatt, 58. Jg., 1860, S. 378). ^^^ Großherzoglich-Badisches Staats- und Regierungs-Blatt, 22. Jg., 1824, S. 71. 13^ A.a.O.,S. 95. ^^^ A. a. O., 23. Jg., 1825, S. 173. Später ersetzt durch Landesherrhche Verordnung vom 27. März 1839(a. a.O., 37.Jg. 1839, S. 83). ^"^^ A.a.O., 24. Jg., 1826, S. 39. Spätere Abänderungen erfolgten durch Übereinkünfte vom 10. Januar bzw. 6. Februar 1865 (Großherzoglich Badisches Regierungs-Blatt, 63. Jg., 1865, S. 529) und vom 20. Juni 1865 (a. a. O., 63. Jg., 1865, S. 531). 142 Großherzoglich-Badisches Staats- und Regierungs-Blatt, 2 5 . Jg., 1827, S. 149. 143 A. a. O., 28. Jg., 1830, S. 136. 144 A. a. O., 38. Jg., 1840, S. 177. Spätere Abänderungen erfolgten durch die Gesetze vom 24. Februar 1849 (a. a. O., 47. Jg., 1849, S. 120) und 9. Oktober 1860 (Großherzoglich Badisches RegierungsBlatt, 58. Jg., 1860, S. 378). 145 A. a. O., 53. Jg., 1855, S. 13.

400

2. Abschnitt: Verfassungsentwicklung in den deutschen Einzelstaaten (1806-1918)

1819^^^, welches als Teil des Verfassungsrechts und bis zur Aufhebung durch § 147 Nr. 3 diQS Beamtengesetzes vom 24. Juli 1888^"^^ galt. Mit eben diesem Beamtengesetz (§ 147 Nr. 1) strich man auch § 24 aus der Verfassungsurkunde, weil die umfassende verfassungsgesetzliche Verankerung des badischen Beamtentums angesichts der mittlerweile durchweg einfachgesetzlichen Regelungen des Beamtenrechts im Reich und in den anderen deutschen Ländern für unzeitgemäß angesehen wurde. [773.] Das im Ergebnis gleiche Schicksal ereilte § 25 der Verfassung, der bis dahin die Institute der „weltlichen und geistlichen" Witwenkasse und der Brandversicherung in ihrer bereits bestehenden Ausformung aufrecht erhielt und ausdrücklich „unter den Schutz der Verfassung" stellte. Mit Blick auf die Witwenkasse avancierten auf diese Weise die im Edikt vom 28. Juni 1810^^^ festgelegten Statuten der Großherzoglich Badischen „Wittwen-Fisci-Gesellschaft" (ZivildienerWittwenkasse) zu Verfassungsrecht, welche durch die Gesetze vom 23. Juni 1876^^^ und vom 28. April 1886^^^ geändert, indes erst durch § 147 Nr. 2 des Beamtengesetzes vom 24. Juli 1888^^^ ausdrücklich aufgehoben wurden. Hinsichtlich der Brandversicherung betraf dies die vom 29. Dezember 1807 datierende „Neue Brandversicherungsordnung für das ganze Großherzogthum Baden ''^^^, die allerdings bereits durch § 1 des Gesetzes, die Feuerversicherungsanstalt der Gebäude betreffend, vom 29. März 1852^^^ außer Kraft trat; schon aufgrund dessen und nicht erst im Zuge der Aufhebung des § 25 der Verfassung durch § 147 Nr. 1 des Beamtengesetzes vom 24. Juli 1888 hatte das Brandversicherungsrecht seinen Status als Verfassungsrecht einbüßt. [774.] Der dritte Abschnitt der Konstitution (§§ 26 - 52) bildete gleichsam das Kernstück der Repräsentativverfassung. Hier ging es um die „Ständeversammlung" und - wie es § 26 prägnant charakterisierte - das damit eingeführte landständische Zweikammersystem. Die Erste Kammer war dabei die besondere Vertretung der um einzelne personale Elemente erweiterten Reste der alten, vornehmlich aristokratisch-klerikal dominierten ständischen Gesellschaft, die Zweite Kammer hingegen Repräsentant der modernen staatsbürgerlichen Gesellschaft. Beide zusammen bildeten indes die das gesamte Volk vertretenden Landstände.^^"^ [775.] Die § § 2 7 - 3 2 der Verfassung befaßten sich zunächst mit der Ersten Kammer: So hatte § 27 die Kammerzusammensetzung zum Gegenstand. Es gab danach Mitglieder, die der Kammer kraft Geburtsrechts (die volljährigen Prinzen des Großherzoglichen Hauses [Nr. 1 i. V. m. § 28] und Häupter der Standesherrlichen Familien [Nr. 2 i. V. m. § 28]), von Amts wegen (der katholische Landesbi146 147 148 149 150 151 152 153

Dok. 214. Dok. 211/11 Dok. 203. Dok. 203/1. Dok. 203/2. Dok. 211/11 Dok. 197. Dok. 197/1. So trefflich auch C. Bornhak, Staats- und Verwaltungsrecht des Großherzogtums Baden, 1908, S.41.

§ 9: Baden

401

schof [in Ermangelung seiner gemäß § 30 der Bistumsverweser] und der Prälat der evangelischen Landeskirche [Nr. 3]), aufgrund eines Wahlaktes (acht grundherrliche, aus der Mitte der adeligen Besitzer von Grundherrschaften gewählte Abgeordnete [Nr. 4 i. V. m. § 29] und zwei durch die ordentlichen Professoren gewählte Abgeordnete der Landesuniversitäten Heidelberg und Freiburg [Nr. 5 i. V. m. § 31]) oder kraft großherzoglicher Ernennung (maximal acht Personen ohne Rücksicht auf Stand und Geburt [Nr. 6 i. V. m. § 32]) angehörten. Die Wahl der grundherrlichen Abgeordneten erfolgte auf acht Jahre, wobei alle vier Jahre eine hälftige Erneuerung vorgesehen war (§ 29). Die beiden Landesuniversitäten wählten ihre Abgeordneten alle vier Jahre neu (§31). Später wurde durch Verfassungsänderungsgesetz vom 24. August 1904^^^ die in den §§ 2 7 - 3 2 vorgesehene Zusammensetzung der Ersten Kammer modifiziert: So gab es innerhalb der Gruppe der zur Ersten Kammer zu wählenden Mitglieder von nun an je einen Abgeordneten für die mittlerweile drei Hochschulen Heidelberg, Freiburg und Karlsruhe, insgesamt sechs Abgeordnete der Berufskörperschaften, von denen drei die Handelskammern, zwei die Landwirtschaftskammer und einer die Handwerkskammern zu wählen hatten, sowie zwei Oberbürgermeister der der Städteordnung unterstehenden Städte, ein Bürgermeister einer sonstigen Stadt mit mehr als 3.000 Einwohnern und ein Mitglied eines der Kreisausschüsse. Alle Wahlen erfolgten auf vier Jahre. Das aktive Wahlrecht setzte die Vollendung des 25., das passive die des 30. Lebensjahres voraus. Über die Zahl der zu wählenden Kammermitglieder hinaus verteilten sich die vom Großherzog weiterhin zu ernennenden acht Mitglieder auf zwei höhere richterliche Beamte, die ihre Kammermitgliedschaft für die Dauer ihres Amtes behielten, und bis zu sechs weitere Mitglieder ohne Rücksicht auf Geburt und Stand für die vierjährige Landtagsperiode. [776.] Die Zweite Kammer - gleichsam die Volksvertretung im engeren Sinne - bestand gemäß § 33 aus 63 Abgeordneten der nach einer „dieser VerfassungsUrkunde angehängten Vertheilungsliste" bestimmten Städte und Ämter. Neben der Anzahl der Mandatsträger wurde auf diese Weise auch die Einteilung der Wahlkreise zu einem Bestandteil der badischen Konstitution. Die insoweit einschlägigen Bestimmungen waren die §§ 34 - 36 der am 23. Dezember 1818 erlassenen Wahlordnung^^^ nebst dazugehöriger „Beylage", welche das Großherzogtum in 41 Ämter- und 14 Stadtwahlkreise einteilten. Diese Einteilung privilegierte die Städte, auf die nur 9,6 % der Einwohner Badens entfielen, aber teilweise bis zu drei zu wählende Mandatsträger (Karlsruhe, Mannheim) und insgesamt 22 Abgeordnete stellen durften. Obendrein begünstigte die in diesen Regelungen zum Ausdruck kommende Wahlkreisgeographie die evangelischen und altbadischen Gebiete. [777.] Die Wahlen waren indirekt, d. h. es wurden Wahknänner gewählt, welche ihrerseits wiederum die Abgeordneten zu wählen hatten (§ 34). An den Wahlmännerwahlen durften alle männlichen badischen Staatsbürger, die das 25. Lebensjahr vollendet hatten und das (an Grundeigentum gekoppelte) Gemeindebürgerrecht im Wahldistrikt besaßen oder dort ein öffenthches Amt bekleideten, ^^5 Dok 211/12. ^56 Dok. 213.

402

2. Abschnitt: Verfassungsentwicklung in den deutschen Einzelstaaten (1806-1918)

teilnehmen, sofern sie nicht der Ersten Kammer angehörten oder zu ihr wahlberechtigt waren (§§ 35 f.). Mit Inkrafttreten dieser Vorschriften besaßen das Wahlrecht immerhin fast 17 % der Bevölkerung; ein im zeitgenössischen Deutschland kaum noch einmal erreichter Wert.^^^ Ausgeschlossen waren somit - wie § 43 Abs. 2 der Wahlordnung vom 23. Dezember 1818^^^ ausdrücklich klarstellte „bloße Hintersassen, Gewerbsgehülfen, Gesinde, Bediente u. s. w."; also alle unselbständigen Staatsbürger. Die Masse der Unselbständigen und Besitzlosen hielten die für die Verfassungsgebung verantwortlichen Akteuren noch für unfähig, sich ein eigenes politisches Urteil zu bilden. Daneben fehlte aber auch den nicht das Gemeindebürgerrecht besitzenden selbständigen Staatsbürgern die Wahlberechtigung; gleiches galt für diejenigen, welche das Gemeindebürgerrecht zwar besaßen, sich aber andernorts niedergelassen hatten. Erst indem die Gemeindeordnung vom 31. Dezember 1831^^^ den für diesen Zustand verantwortlichen Unterschied zwischen Gemeinde- und bloßen Schutzbürgem beseitigte und nur noch Gemeindebürger kannte, kamen auch die beiden letztgenannten Personengruppen - seinerzeit immerhin mehr als 80.000 Personen - in den Genuß des Wahlrechts zur Zweiten Kammer. Trotz zunehmender Kritik der Anknüpfung des Wahlrechts an das Gemeindebürgerrecht wurde dieser Zustand erst durch das Gesetz vom 21. Dezember 1869^^^ beseitigt, durch welches schließlich das allgemeine Wahlrecht aller Staatsbürger zur Anerkennung gelangte. [778.] Allerdings blieb auch der bei den Wahlmännerwahlen wahlberechtigte „besitzende" Bevölkerungsteil von der eigentlichen Abgeordnetenwahl ausgeschlossen. Diese blieb allein den kaum mehr als 2.500 Wahlmännem vorbehalten. Die Abgeordneten wurden auf acht Jahre gewählt, wobei sich alle zwei Jahre ein Viertel Neuwahlen zu stellen hatte (§ 38). Als Abgeordneter wählbar war ohne Rücksicht auf den Wohnort nur der Angehörige einer der drei christlichen Konfessionen, der das 30. Lebensjahr vollendet hatte und entweder über ein Grund-, Häuser- oder Gewerbssteuerkapital von mindestens 10.000 Gulden verfugte oder Renten bzw. Besoldungen oder Kirchenpfründe von wenigstens 1.500 Gulden bezog (§37). Ungeachtet dieser Einschränkungen waren die Bestimmungen über die Zusammensetzung der Zweiten Kammer im zeitgenössischen Vergleich durchaus modern. Diese Vorschriften sollten in der Folgezeit durch die Gesetze vom 17. Februar 1849'^' (§§36, 37 Abs. 1 Nr. 1), vom 21. Oktober 1867''^ (§37 Abs. 1 Nr. 3), vom 21. Dezember 1869'^^ (§ 37 Abs. 1), vom 16. April 1870^^^ (§ 38) und vom 24. August 1904^^^ (§§ 35, 36, 37, 38) eine Reihe von Veränderungen erfahren. ^^^ Vgl. dazu M Homer, Die Wahlen zur badischen zweiten Kammer im Vormärz (1819-1847), 1987, S. 131. ^^^ Dok.213. ^^^ Großherzoglich Badisches Staats- und Regierungs-Blatt, 30. Jg., 1832, S. 81. ^^^ Dok. 211/9. 1^1 Dok. 211/5. 162 Dok. 211/7. 163 Dok. 211/9. 164 Dok. 211/10. 165 Dok. 211/12.

§ 9: Baden

403

[779.] Die Einberufung, Vertagung und Auflösung der Kammern („Stände") war allein Angelegenheit des Großherzogs (§ 42). Ein Selbstversammlungs- oder Selbstauflösungsrecht besaßen sie nicht; im Falle ihrer Auflösung oder Vertagung mußten sie sofort auseinandergehen (vgl. § 52). Doch verpflichtete § 46 den Monarchen, sie mindestens alle zwei Jahre einzuberufen. Die Auflösung der Stände hatte obendrein zur Folge, daß alle gewählten Mitglieder der Ersten und Zweiten Kammer ihr Abgeordnetenmandat verloren (§ 43). Es mußten Neuwahlen ausgeschrieben werden. Diese waren innerhalb von drei Monaten anzuberaumen, wenn bei Auflösung der Beratungsgegenstand noch nicht erschöpfend behandelt war (§ 44). Der Großherzog ernannte den Präsidenten der Ersten Kammer, während die Zweite Kammer dem Monarchen aus ihrer Mitte drei Kandidaten vorschlug, von denen dieser einen bestätigte (§45). Seit dem Gesetz vom 21. Dezember 1869^^^ wählte dann auch die Zweite Kammer ihren Präsidenten allein. Ihr Stimmrecht hatten die Kammermitglieder persönlich und nur nach eigener Überzeugung auszuüben (§§ 47 f.); die Stellvertretung war also ebenso unzulässig wie die an Instruktionen gebundene Abstimmung. Eine Indemnitätsregelung fehlte indes. Sie gelangte erst als § 48a Abs. 1 durch das Gesetz vom 21. Oktober 1867^^'^ in die Verfassungsurkunde. Demgegenüber genossen alle Kammermitglieder grundsätzlich strafrechtliche Immunität (§ 49). [780.] Beide Kammern besaßen lediglich ein beschränktes Selbstbeschäftigungsrecht. Denn sie durften sich nach § 50 der Verfassung „nur mit den nach gegenwärtigem Grundgesetz zu ihrer Berathung geeigneten oder vom Großherzog besonders an sie gebrachten Gegenständen" befassen. Zu ersteren gehörten etwa Beschwerden Einzelner über die Verletzung ihrer verfassungsmäßigen Rechte. Zur Wahrung der Kompetenzen der Kammern in der Zeit, in der sie nicht versammelt waren, mußte nach § 51 sowohl vor Beendigung als auch vor jeder Vertagung ein aus dem Präsidenten und drei anderen Mitgliedern der Ersten Kammer sowie sechs Mitgliedern der Zweiten Kammer bestehender ständischer Ausschuß gebildet werden. Der Ausschuß amtierte übergangsweise bis zum nächsten Zusammentritt der Kammern, verlor indes seine Funktion im Falle ihrer Auflösung. Seine Zuständigkeiten erstreckten sich auf einige ihm durch die Verfassungsurkunde bzw. durch verfassungsergänzende Gesetze zur Behandlung übertragene oder auf ihm vom letzten Landtag mit großherzoglicher Genehmigung zugewiesene Gegenstände. Dies betraf insbesondere den in § 57 Abs. 2 genannten Fall der Entscheidung über die Aufnahme von Geldern, die durch ein außerordentliches, unvorhergesehenes, dringendes Staatsbedürfnis, dessen Betrag zu den Kosten einer außerordentlichen Ständeversammlung in keinem Verhältnis stand, erforderlich wurden. Hinzu kam die Mitwirkung bei näher bestimmten Maßnahmen der Amortisationskasse gemäß der Art. 11 ff. des Amortisationskassengesetzes 31. Dezember 183P^^ und der Eisenbahnschuldentilgungskasse nach Art. 5 des Eisenbahnschuldentilgungsgesetzes vom 10. September 1842^^^. 166 167 168 169

Dok. Dok. Dok. Dok.

211/9. 211/7. 217. 218.

404

2. Abschnitt: Verfassungsentwicklung in den deutschen Einzelstaaten (1806-1918)

[781.] Die beiden letzten Verfassungsabschnitte (§§ 53 - 83) befaßten sich mit Ausnahme des § 83, demzufolge die Verfassungsurkunde unter die Garantie des Deutschen Bundes gestellt werden sollte - mit der „Wirksamkeit der Stände", dem Gegenstand und Gang der Gesetzgebung: [782.] So statuierten die § § 5 3 - 6 3 das Einnahmenbewilligungsrecht der Kammern. Ohne ihre Zustimmung durften keine „Auflagen" - gemeint waren Steuern - ausgeschrieben und erhoben werden (§ 53); gleiches galt grundsätzlich auch für die Aufnahme von Anleihen (§57 Abs. 1). Ausnahmen bildeten lediglich Steuerausschreibungen und Anleihen für den Kriegsfall, welche der schleunigen und wirksamen Erfüllung der Bundespflichten dienten (§ 63). Unstatthaft war es indes, Steuerbewilligungen - wie noch nach altständischem Modus durchaus üblich von Bedingungen abhängig zu machen (§ 56). [783.] Das verfahrensmäßige Procedere für das Zustandekommen der Finanz(ierungs)gesetze bestimmten die §§ 60f. Danach mußte jeder die Finanzen betreffende Gesetzentwurf zuerst der Zweiten Kammer vorgelegt werden. Nur wenn er dort angenommen wurde, erhielt ihn die Erste Kammer zur Abstimmung über die Annahme oder Nichtannahme im Ganzen ohne jegliche Abänderungsmöglichkeit. Lehnte die Mehrheit der Ersten Kammer den in der Zweiten Kammer gefaßten Beschluß ab, so waren die Stimmen beider Kammern zusammenzuzählen; ergab sich hierbei die absolute Mehrheit sämtlicher Stimmen für das Steuergesetz, galt es als von den Ständen angenommen. Diese Verfahrensweise begründete die dominante Stellung der Zweiten Kammer in Fragen der Finanzgesetzgebung, welche erst durch das die §§60 und 61 der Verfassung abändernde Gesetz vom 24. August 1904^^^ etwas abgeschwächt wurde. [784.] Diesem Einnahmebewilligungsrecht der Kammern stand allerdings auf der Ausgabenseite nichts Adäquates gegenüber. Denn mit dem Entwurf des gemäß § 54 der Verfassung regelmäßig auf die Geltung von zwei Jahren begrenzten Steuergesetzes mußte den Kammern lediglich das Staatsbudget und eine detaillierte Übersicht über die Verwendung der für die früheren Etatjahre bewilligten Gelder übergeben werden (§55). Ihnen wurde die Haushaltsvorlage also nur als erläuternde Motivierung für das zu verabschiedende Finanzgesetz überlassen, ohne zu einer Beschlußfassung über den Etat im Ganzen befugt zu sein. Die Kammern besaßen damit allenfalls ein indirektes Etatprüfungsrecht, welches sie allerdings durch die Ablehnung von Steuergesetzen auch zur Einflußnahme auf den Gesamtetat nutzen konnten. Erst durch Art. 5 Abs. 3 des als Verfassungsgesetz geltenden Etatgesetzes vom 22. Mai 1882^'^^, der jede Haushaltsposition der Beschlußfassung der Kammern unterwarf, wurde deren Ausgabenbewilligungsrecht in aller Form anerkannt. [785.] Ohne die jeweils nur mit absoluter Mehrheit bezogen auf die Gesamtzahl der Kammermitglieder zustande kommende Zustimmung der beiden Kammern durfte nach § 65 kein Erlaß von die Freiheit der Personen oder das Eigentum der Staatsangehörigen betreffenden Gesetzen erfolgen. Betraf es hingegen Gesetze, welche die Verfassungsurkunde ergänzen, erläutern oder abändern sollten, bedurfDok. 211/12. Dok. 245.

» 9: Baden

405

te es nach § 64 der Zustimmung „einer Mehrheit von zwey Drittel der anwesenden Ständegheder" in jeder der beiden Kammern; wobei zur Beschlußfähigkeit in jeder Kammer die Anwesenheit von drei Viertel der Mitglieder erforderlich waren (§ 74 Abs. 3 Satz 2). In den übrigen Fällen genügte in der Ersten Kammer die Anwesenheit von zehn, in der Zweiten Kammer von 35 Mitgliedern (§ 74 Abs. 3 Satz 1). [786.] Eine Bestimmung, die verfassungsändernde Gesetze nur unter ausdrücklicher Bezugnahme auf die jeweils betroffene Vorschrift zuließ, gab es nicht. Deshalb waren sogenannte „verfassungsdurchbrechende" Gesetze, die ohne Veränderung am Wortlaut des Verfassungstextes von diesem abwichen, grundsätzlich statthaft. In solchen Fällen mußte das betreffende Gesetz jedoch mit den für verfassungsändernde Gesetze vorgeschriebenen qualifizierten Kammermehrheiten verabschiedet werden. Ein Beispiel für eine solche Gesetzgebung war das aber schon durch das Gesetz vom 8. Juli ISSP'^^ wieder rückgängig gemachte Gesetz vom 2L April 1825^'\ [787.] Wenn es das Staatswohl dringend gebot, erlaubte § 66 Satz 2 der Verfassung dem Großherzog, provisorische Verordnungen zu erlassen. Hiermit erhielt der Monarch faktisch ein weitreichendes Notverordnungsrecht für den Fall, daß der Landtag nicht versammelt war.^^"^ Dauerhafte Gesetzesmodifikationen oder gar Abänderungen von Verfassungsrecht konnten hierauf allerdings nicht gestützt werden. [788.] Hervorzuheben bleibt insoweit noch, daß ohne den Willen des Monarchen keine Gesetze rechtswirksam Zustandekommen konnten, zumal alle von den Kammern beschlossenen Gesetze zwingend seiner Bestätigung und Promulgation bedurften (§ 66 Satz 1). Obendrein fehlte den Kammern das Gesetzesinitiativrecht. Sie durften den allein für die Präsentation der Gesetzentwürfe zuständigen Großherzog bzw. seine Regierung lediglich unter Angabe von Gründen um einen Gesetzesvorschlag bitten (§ 67 Abs. 1 Satz 2). Überdies sprach § 67 den Kammern eine Reihe weiterer Rechte zu: Allen voran hatten sie danach das Petitionsrecht. Sie konnten sich also mit ihren Vorstellungen und Beschwerden in eigener Sache durch Mehrheitsbeschlüsse an den Großherzog wenden. Zudem hatten sie unter bestimmten Voraussetzungen die Möglichkeit, sich der bei ihnen eingehenden Verfassungsbeschwerden einzelner Staatsbürger anzunehmen. Schließlich wurde den Kammern das Recht der Ministeranklage im Falle von Verfassungsverletzungen zugebilligt; das dazu gehörige „besondere Gesetz" zur Durchführung erging am 5. Oktober 1820^^^. Es regelte die Fälle, in denen eine Anklage zulässig sein sollte, die Ahndung der ministeriellen Verfehlungen und die darüber entscheidende Stelle. Demgegenüber blieb die Festschreibung des insoweit einzuhaltenden Verfahrens vor dem als Entscheidungsgremium ausersehenen vollständigen Rats des Oberhofgerichts einer weiteren gesetzlichen Regelung vorbehalten. Diese blieb indes in der Folgezeit aus, so daß es dem Institut der Ministeranklage an der 172 Dok. 211/2. 1^3 Dok. 211/1. ^^4 Vgl. C. Bornhak (¥\xM. 152), S. 78 f. 175 Großherzoglich Badisches Staats- und Regierungs-Blatt, 18. Jg., 1820, S. 82.

406

2. Abschnitt: Verfassungsentwicklung in den deutschen Einzelstaaten (1806-1918)

tatsächlichen Vollziehbarkeit gebrach.^'^^ Erst das die §§ 6 7 a - 67f in die Verfassung einfügende Gesetz vom 20. Februar 1868^^^ und das im Zuge dessen ergangene Gesetz, das Verfahren bei Ministeranklagen betreffend, vom 11. Dezember 1869^^^ machte das Recht zur Ministeranklage zu einem wirklich scharfen Schwert. [789.] Überdies enthielt die Verfassung einige Aussagen über den Umgang der Regierung mit und über den Geschäftsgang in den Kammern: So erfolgte nach § 68 jede Eröffnung und Schließung des Landtags durch den Großherzog oder einen von ihm dazu ermächtigten „Commissar" (§ 68). Sämtliche jeweils neu eingetretenen Landtagsmitglieder waren nach § 69 u. a. auf Großherzog und Verfassung zu vereidigen. Die Sitzungen beider Kammern fanden grundsätzlich öffentlich statt; nur auf Verlangen der Regierung oder auf besonderen Beschluß der Kammer konnte die Sitzung unter Ausschluß der Öffentlichkeit stattfinden (§78). Die Mitglieder der Regierung hatten jederzeit Zugang zu allen Sitzungen beider Kammern und mußten auf ihr Verlangen bei allen Diskussionen gehört werden; lediglich bei Abstimmungen hatten sie die Kammer zu verlassen, sofern sie nicht Mitglied derselben waren (§ 76). Mit Ausnahme der Vorträge der „Landesherrlichen Commissarien" und denjenigen der Mitglieder der ständischen Kommissionen erfolgten alle Vorträge in freier Rede (§ 77). Über Anträge der Regierung durfte erst diskutiert und abgestimmt werden, wenn sie in besonderen, aus landesherrlichen Kommissaren und ständischen Mitgliedern zusammengesetzten Kommissionen erörtert und darüber Vortrag erstattet worden war (§§ 70 f.). Die Kammern konnten einen zum Vortrag gebrachten Entwurf nochmals an die Kommissionen zurückweisen (§ 72). Ein von der einen Kammer an die andere weitergereichter Gesetzentwurf oder Vorschlag durfte mit Verbesserungsvorschlägen, die in einer der Kommissionen erörtert worden waren, an die andere Kammer zurückgegeben werden (§ 73). Die Abstimmungen in den Kammern erfolgten - abgesehen von der geheim durchgeführten Präsidentenwahl in der Zweiten Kammer und der Wahl der Kommissionsmitglieder - offen (§ 74 Abs. 2). Beide Kammern durften im übrigen nicht gemeinsam zusammentreten. Ihr Verhältnis zueinander beschränkte sich auf die gegenseitige Mitteilung ihrer Beschlüsse. Sie sollten nur mit der Regierung „in unmittelbarer Geschäftsberührung stehen (§ 75). [790.] Als Termin der Eröffnung des ersten Landtags wurde in § 81 der Verfassung zunächst der L Februar 1819 festgesetzt, dann jedoch als Folge des Todes von Großherzog Carl am 8. Dezember 1818 durch Verfügung seines Nachfolgers Ludwig vom 23. Dezember^^^ auf den 23. März 1819 verschoben; hierin lag streng genommen schon die erste Abänderung einer Verfassungsvorschrift. Tatsächlich trat der erste Landtag indes erst am 22. April 1819 zu seiner Eröffnungssitzung zusammen [791.] Insgesamt war die Verfassungsurkunde vom 22. August 1818 wenn auch nicht nur, so aber doch schwerpunktmäßig ein Staatsorganisationsstatut. Sie sollte ^^6 1^^ ^^^ 1^9

K. Glockner i¥uM. 106), S. 156. Dok. 211/8. Gesetzes- und Verordnungs-Blatt für das Großherzogtum Baden, 1869, S. 542. Dok. 212.

' 9: Baden

407

gemäß ihres § 83 unter die Garantie des Deutschen Bundes gestellt werden; was indes trotz eines entsprechenden badischen Antrags jedoch nicht geschah, weil dieser von der Bundesversammlung niemals beschieden wurde. VIII. Badens Verfassungsverhältnisse im Vormärz f. Badens Bundespolitik

In den ersten Jahren

[192.\ Die Politik Badens war mit den allgemeinen Entwicklungen im Deutschen Bund eng verflochten. Das verdeutlichten nicht zuletzt die Karlsbader Beschlüsse und die Wiener Schlußakte, mit denen der Bund unter der Federführung Mettemichs seit 1819 endgültig begann, sich Staats- wie völkerrechtlich gegen die zunehmende nationale MobiHsierung breiterer Bevölkerungskreise auf einen restaurativen Kurs festzulegen. Die badische Regierung unterstützte zwar künftig diese Politik, blieb dabei aber stets bemüht, die Souveränität des eigenen Landes zu behaupten und den Einfluß des Bundes zu begrenzen. In dieser realitätsgeprägten Schaukelpolitik spiegelten sich die beschränkten Handlungsmöglichkeiten des südwestdeutschen Mittelstaats wider. ^^° [793.] Schon der Übergang der Großherzogwürde von Carl auf Ludwig am 8. Dezember 1818 führte nicht nur zu einer Stärkung der monarchischen Gewalt, sondern zu Verschiebungen innerhalb der Regierung hin zu verstärkten reformfeindlichen Tendenzen. Hatten unter Carl die Reformbefürworter noch die Oberhand behalten, so begann sich unter seinem Nachfolger, der Schwerpunkt deutlich zugunsten der konservativ-restaurativen Kräfte zu verlagern. Das verdeutlichte bereits die Zusammensetzung der im Zuge des Thronwechsels teilweise neu formierten Regierung: So bHeb Wilhelm Freiherr von Berstett (1869- 1837) Außenminister, Karl Christian Freiherm von Berckheim wurde zum neuen Innenminister und Karl Friedrich Freiherr von Fischer übernahm das Finanzministerium. Allenfalls gemildert wurde diese Ausrichtung seit 1821 durch die Ablösung Fischers, dessen Position der liberal eingestellte Christian Friedrich von Boeckh (17771855) übernahm. [794.] Nach der Auffassung des neuen Großherzogs und seiner Regierung sollten die Vorschriften der Verfassungsurkunde - ganz im Sinne des noch immer die Gedankenwelt dominierenden bürokratischen Absolutismus - zumindest restriktiv gehandhabt werden; am Liebsten jedoch hätte man die gerade erst im letzten Jahr erlassene Konstitution revidiert. Zu diesem Zweck wurde frühzeitig der Schulterschluß mit dem Deutschen Bund gesucht, von dem sich die badische Staatsführung zuvörderst eine eindeutig ablehnende Haltung zu der insbesondere in Süddeutschland vordringenden Lesart des Art. 13 der Deutschen Bundesakte^^^ versprach, wonach in allen deutschen Staaten neuartige Repräsentativverfassungen („neuständische Verfassungen") einzuführen seien. Dementsprechend stieg die prinzipielle Bereitschaft, den Bund kompetenziell wie institutionell zu stärken.

H.-P. Ullmann (Fußn. 11), S. 64. Dok. 31.

408

2. Abschnitt: Verfassungsentwicklung in den deutschen Einzelstaaten (1806-1918)

Deshalb durfte Mettemich bereits bei der Karlsbader Konferenz im August 1819, wo sich alle Beteiligten im wesentlichen auf die Entwürfe zu vier wenig später von der Bundesversammlung verabschiedeten Bundesgesetzen (Universitäts-, provisorisches Presse- und Untersuchungskommissionsgesetz sowie eine deren Ausführung sicherstellende provisorische Exekutionsordnung^^^) einigten, auf badische Unterstützung zählen. Doch brachten diese Maßnahmen ungeachtet ihrer tief in die mitgliedstaatliche Souveränität eingreifenden Auswirkungen der badischen Regierung nicht die erhoffte innenpolitische Handhabe für das eigene Einschreiten gegen die Verfassungsurkunde. Immerhin berechtigten und verpflichteten die neuen bündischen Rechtsgrundlagen aber dazu, gegen die Opposition im eigenen Land vorzugehen. Darum war es kaum verwunderlich, daß in Baden - anders als etwa in Bayern - die Bundesgesetze mit der Bekanntgabe vom 5. Oktober 1819^^^ gleichsam von Beginn an einschränkungslos in Kraft gesetzt wurden. Als Folge davon erhöhte sich der staatliche Einfluß auf die Universitäten beträchtlich. Ihnen wurden nämlich mit weitreichenden Aufsichtsrechten ausgestattete außerordentliche landesherrliche Kommissare, seit 1821 dann Kuratoren zugeordnet. Wenngleich diese regelmäßig zurückhaltend von ihren Befugnissen Gebrauch machten, so schritt man doch gegen verdächtige Professoren ein, überwachte deren Lehre und verschärfte die akademischen Gesetze. Entsprechend umfassend wirkte sich das neue Bundesrecht auf die Preßfreiheit aus. Denn diese garantierte § 17 der badischen Verfassung^^"^ nur „nach den künftigen Bestimmungen der Bundesversammlung". Um solche handelte es sich bei dem provisorischen Bundespreßgesetz vom 20. September 1819^^^. Hatte die Regierung auf Drängen des Landtags noch vor dem Zustandekommen der Karlsbader Beschlüsse in den großen Städten des Landes wieder politische Zeitungen zugelassen, so verfügte das in Ausführung des Bundespreßgesetzes erlassene badische Zensuredikt vom 5. November 1819^^^ eine durch die Kreisdirektorien durchgeführte und von einem Oberzensurkollegium in Karlsruhe beaufsichtigte strenge Pressezensur. [795.] Ein weiterer Versuch der badischen Regierung, über den Bund zur Revision der Konstitution zu gelangen, erfolgte bereits auf den zwischen November 1819 bis Mai 1820 stattfindenden Wiener Ministerialkonferenzen. Bekanntlich trat Mettemich selbst für eine Auslegung des Art. 13 der Deutschen Bundesakte^^^ im altständischen Sinne ein, scheiterte damit aber letztlich am Widerstand Württembergs. Am Ende reichte es lediglich für einen Kompromiß in Gestalt der Art. 54 62 der Wiener Schlußakte^^^, der die deutsche Verfassungslandschaft einerseits zwar dem Diktat des monarchischen Prinzips unterwarf, andererseits aber auch bereits bestehende - also auch „neuständische" Verfassungen wie die badische Konstitution - garantierte. Indirekt bedeutete dies das Scheitern der Revisionspläne der badischen Regierung. Das wurde einmal mehr deutlich, als sich Berstett im 182 183 184 185 186 187 188

Dok. 38, Dok. 39, Dok. 40, Dok. 41 und Dok. 42 Dok. 216. Dok. 211. Dok. 40. Dok. 216/1. Dok. 31. Dok. 43.

» 9: Baden

409

Oktober 1822 in Innsbruck wegen der angespannten innerbadischen Situation um die Unterstützung einer einseitigen Verfassungsrevision durch Wien und Berlin bemühte. Dort riet man dem badischen Minister nämlich dringend davon ab und empfahl ihm stattdessen die später als „Innsbrucker System" bezeichnete Formel, derzufolge die von Verfassungs wegen den Kammern eingeräumten Mitwirkungsbefugnisse und die den Untertanen garantierten Rechte bis an den Rand dessen zurückzudrängen wären, was im Rahmen der legalen Möglichkeiten noch irgend vertretbar erschien. Damit waren die Revisionspläne Berstetts endgültig gescheitert. 2. Regierung und erste Landtage [796.] Konflikte mit dem im Februar 1819 gewählten und am 22. April 1819 eröffneten ersten Landtag mußten sich daher zwangsläufig ergeben. Zeigten doch insbesondere die sich überwiegend als Liberale verstehenden Mitglieder der Zweiten Kammer Ambitionen, den monarchischen Obrigkeitsstaat in ihrem Sinne umzugestalten. In einer Reihe von Gesetzesinitiativen forderten sie namentlich die Verwirklichung der Geschworenengerichte, Trennung von Justiz und Verwaltung, Pressefreiheit, Ministerverantwortlichkeit sowie der Aufhebung aller Feudalrechte und Zollschranken. [797.] Eine erste ernste Auseinandersetzung zwischen Regierung und Zweiter Kammer sollte sich aufgrund der weiterhin offenen Mediatisiertenfrage entwickeln. Zwar schien diese bereits mit dem „Adelsedikt'' vom 23. April 1818^^^ abschließend geregelt. Doch gaben sich die ehemaligen Reichsstände und Reichsangehörigen damit längst nicht zufrieden. Denn danach sollte - abgesehen von der Zusicherung einer Reihe von Ehrenrechten - an bestimmte Voraussetzungen geknüpft eine Restitution dieser Personen in ihre ehemals in ihrem Territorium ausgeübten Rechte erfolgen. Dies galt namentlich für die Rechtspflege der ersten Instanz, die an diejenigen Standes- und Grundherren zurückfallen würde, welche die dafür von dem Edikt vorgeschriebenen Justizämter mit einer genau determinierten personellen Ausstattung einrichteten; die Ausübung der zweitinstanzlichen Rechtspflege wurde von der Einsetzung entsprechender Justizämter abhängig gemacht, denen eine den Hofgerichten vergleichbare Stellung zugedacht war. Überdies hätte die Ernennung der leitenden Funktionsträger der standesherrlichen Ämter einem landesherrlichen Bestätigungsvorbehalt unterlegen. Auch für den angesichts dieser anspruchsvollen Rückgabevoraussetzungen nicht unwahrscheinlichen Fall, daß die Betroffenen künftig auf die Ausübung der ihren mit der Verordnung zugestandenen Rechte verzichten würden, waren Regelungen getroffen worden. Alles in allem suchte die Regierung auf diese Weise einen staatsorganisationsrechtlichen Kompromiß zu beschreiten, der einerseits dem Zwang des badischen Großherzogs Rechnung trug, die den Mediatisierten durch Art. 14 der Deutschen Bundesakte^^^ bundesrechtlich zugestandenen Rechtspositionen zu achten; andererseits aber auch dem Bedürfnis des Staatswesens nach einer landeseinheitlichen 1^9 Dok210. 190 Dok.31.

410

2. Abschnitt: Verfassungsentwicklung in den deutschen Einzelstaaten (1806-1918)

straffen Behördenstruktur Ausdruck verlieh.^^^ Allerdings knüpfte das recht stattlich ausgefallene Regelwerk die Rückgabe der Vorrechte an jeweils empfindliche finanzielle Belastungen für die ehemaligen Reichstände und -angehörigen. Darin sahen die Mediatisierten einen krassen Verstoß gegen Art. 14 der Deutschen Bundesakte; womit sie nicht nur beim Deutschen Bund, sondern auch bei den europäischen Großmächten Gehör fanden. In Anbetracht dessen blieb der badischen Regierung nichts anderes übrig, als auf die tatsächliche Ausführung des „Adelsedikts" zu verzichten. [798.] Im Ergebnis nicht anders erging es dem „Edict, die Standes- und Grundherrlichen Rechtsverhältnisse im Großherzogthum Baden betreffend'', vom 16. April 1819^^^: Es kam zwar den Wünschen der Mediatisierten weit entgegen, stieß dafür aber auf den entschiedenen Widerstand der Zweiten Kammer, die es mehrheitlich mit der Verfassungsurkunde für unvereinbar befand - zu Recht, weil dieses Edikt jedenfalls eine Änderung des § 23 der Verfassungsurkunde bedeutete. Da die für eine Verfassungsänderung nach § 64 der Verfassung notwendige ZweiDrittelmehrheit in der Kammer unerreichbar schien, zog es die Regierung am 28. Juli 1819 vor, den Landtag zu vertagen und von einer Inkraftsetzung des neuen Edikts abzusehen. Stattdessen suchte man das Problem durch Einzelverhandlungen mit den Betroffenen zu lösen. TatsächHch gelang es dann in der Zeit zwischen 1823 und 1855, entsprechende Vereinbarungen zu erzielen. Die Zweite Kammer bestritt im Jahre 1831 die Verfassungsmäßigkeit der bis dahin erlassenen Deklarationen. Gleichwohl erfolgte keine Aufhebung der beanstandeten Akte. Allerdings wurden sie seither in verschiedener Hinsicht durch die Landesgesetzgebung abgeändert. Inhaltlich liefen die Deklarationen darauf hinaus, daß Standes- wie Grundherren die gemäß Art. 14 der Deutschen Bundesakte^^^ statuierten persönlichen Ehren- und staatsbürgerlichen Vorrechte erhielten; auf ihre administrativen und Jurisdiktionellen Rechte jedoch entweder ganz oder teilweise verzichteten, ihnen gleichwohl verbliebene Befugnisse nur unter Staatsaufsicht ausübten. Folgerichtig sank die Zahl der standesherrlichen Ämter kontinuierlich. Die ihnen verbliebenen Hoheitsrechte verloren die Standes- und Grundherren aber erst im Zuge der revolutionären Ereignisse der Jahre 1848/49. Auf diese Weise konnte zwar die in der Reformzeit begründete und im wesentlichen auch durchgeführte Vereinheitlichung der Staatsorganisation bewahrt werden, jedoch nicht ohne die Inkaufnahme von Rückschritten bei der Durchsetzung des staatlichen Gewaltmonopols und bei der Schaffung einer Gesellschaft rechtsgleicher Staatsbürger. ^^"^ [799.] Im Jahr 1820 gingen Regierung und Zweite Kammer aufeinander zu. Es fanden schließlich ein provisorisches Finanzgesetz und einige weitere wichtige Regierungsvorlagen Vorlagen, darunter ein Gesetz über die Ablösung von Feudallasten, die Zustimmung der Ständeversammlung. Auch der zweite Landtag zeigte sich zu Beginn seiner Eröffnung, am 26. März 1822, noch konstruktiv. Während seiner Pause zwischen dem 3. August und 22. November 1822 begann das Klima 191 192

//. O^^Fußn. 2), S. 599. Dok. 215.

193 Dok. 3 1 . 194

K-P. Ullmann (Fußn. 11), 71.

9: Baden

411

jedoch radikal umzuschlagen. In der wieder versammelten Zweiten Kammer kam es - ausgelöst durch das Konskriptionsgesetz - zu scharfen Auseinandersetzungen, die sich bei den Beratungen über das Budget weiter zuspitzten und schließlich in der Frage des von der Zweiten Kammer mit 31 gegen 30 Stimmen abgelehnten Militäretats zur offenen Konfrontation mit der getreu dem „Innsbrucker System" taktierenden Regierung führten. Damit schien vorerst zumindest äußerlich ein wichtiges Anliegen der insoweit nunmehr budgetlos dastehenden Regierung gescheitert zu sein; doch fühlte sie sich deshalb nicht daran gehindert, die von ihr benötigten Finanzmittel gleichwohl auszugeben. Als Reaktion auf die Abstimmungsniederlage schloß der Großherzog den zweiten Landtag bereits am 31. Januar 1823 wieder, versagte allen weiteren Gesetzesprojekten seine Zustimmung und löste die Kammern am 11. Dezember 1824 auP^^. [800.] Die darauf folgenden Wahlen unterlagen einer massiven Beeinflussung seitens der Regierung, so daß es kaum verwunderte, wenn sich der dann konstituierende neue Landtag in seiner Zusammensetzung derart von dem vorherigen unterschied, daß die bisherige liberale Dominanz in der Zweiten Kammer beendet wurde. Der Regierung standen jetzt überwiegend regierungsfreundlich eingestellte Abgeordnete gegenüber. Der zwischen Februar und Juni 1825 tagende dritten Landtag bewilligte denn auch ohne größere Beanstandungen das Budget und nahm die wenigen ihm zugeleiteten Gesetzesvorlagen an. [801.] Unter den letzteren befand sich auch eine erste Verfassungsänderung, die man mit nur drei Gegenstimmen verabschiedete. Dieses unter dem 21. April 1825 verkündete Gesetz^^^ war ein klassisches verfassungsdurchbrechendes Gesetz, weil es Regelungen der Verfassung modifizierte, ohne sie ausdrücklich zu benennen. Es überspielte mit seinem Art. 1 den § 29 Abs. 1 Sätze 3 und 4, den § 31 Satz 1 und den § 38 der Verfassungsurkunde^^'^, wonach die der Ersten Kammer zugehörigen Abgeordneten der Grundherren bisher auf acht bei alle vier Jahre erfolgender hälftiger Teilemeuerung und der Universitäten auf vier sowie die die Zweite Kammer ausmachenden Deputierten der Städte und Ämter auf acht Jahre bei alle zwei Jahre erfolgender Viertelsemeuerung gewählt werden sollten. Nunmehr hatten alle Abgeordneten der Grundherrn, der Universitäten, der Städte und Ämter gleichermaßen auf sechs Jahre gewählt zu werden. Anstatt der bisherigen Teilerneuerung und der damit verbundenen kurzen Wahlabstände war jetzt nur noch alle sechs Jahre eine Gesamtemeuerung vorgesehen. Des weiteren verlängerte Art. 2 des Gesetzes die bis dahin in § 46 der Verfassungsurkunde vorgesehene ZweiJahresfrist für die Einberufung des Landtages auf drei Jahre. Art. 3 des Gesetzes modifizierte den in § 54 Satz 1 der Verfassungsurkunde regelmäßig für einen Zeitraum von zwei Jahren zu bemessenden Erlaß eines Auflagengesetzes (Finanzgesetz), indem diese Zeitspanne ebenfalls auf drei Jahre ausgedehnt wurde. Diese Verfassungsänderung zielte eindeutig auf die Stärkung der Regierungsgewalt. Damit bheb man zwar noch hinter den seit 1823 regierungsseitig diskutierten Plänen zurück, sicherte aber immerhin einstweilen dem monarchischen Regime ein ^^^ Großherzoglich-Badisches Staats- und Regierungs-Blatt, 22. Jg., 1824, S. 171. ^96 Dok. 211/1. ^97 Dok. 211.

412

2. Abschnitt: Verfassungsentwicklung in den deutschen Einzelstaaten (1806-1918)

klares Übergewicht; insbesondere wuchs dessen Unabhängigkeit von den Kammern. [802.] Doch schon kurz nachdem die Großherzogwürde am 30. März 1830 an Leopold gefallen war, und nach den im Jahr darauf stattfindenden nächsten Wahlen - der neue Landtag bestand wie im Jahre 1819 wieder nahezu ausschließlich aus Liberalen - ließen sich diese Bestimmungen nicht mehr halten. Auf Antrag des Abgeordneten Itzstein wurden sie durch das Gesetz vom 8. Juni 183P^^ zugunsten der ursprünglichen Regelungen der Verfassungsurkunde^^'^ aufgehoben. Es galten damit erneut eine achtjährige Mandatsdauer der grundherrlichen Abgeordneten und der Abgeordneten zur Zweiten Kammer, wobei ein Viertel der Kammerabgeordneten turnusmäßig alle zwei Jahre neu zu Wahl stand, sowie die zweijährige Budgetperiode. Die Verfassungsurkunde war in vollem Umfang wiederhergestellt. [803.] Ebenfalls noch im Jahre 1831 erfolgte die dritte Änderung des Textes der Verfassungsurkunde. Das Gesetz „über die jeweilige theilweise Erneuerung der Ständeversammlung in beiden Kammern'' vom 28. Dezember 183P^^ war fast ausschließlich von pragmatischen Erwägungen bestimmt. Es beseitigte allem voran Zweifel, welche über die Auslegung des § 31 der Verfassung hinsichtlich der Dauer des Mandats der Vertreter der Hochschulen bei Ersatzwahlen aufgetreten waren. Art. 1 stellte klar, daß das Mandat dieser Abgeordneten stets mit demjenigen Zeitpunkt endete, an dem gemäß § 29 Abs. 1 Satz 4 der Verfassung die nächste Hälfte der grundherrlichen Abgeordneten im Rahmen der vierjährigen Teilerneuerung der Ersten Kammer ausscheiden mußte. Obendrein wurde durch Art. 2 des Gesetzes der die Reihenfolge des Ausscheidens der grundherrlichen Abgeordneten und der Abgeordneten der Zweiten Kammer im Rahmen der Teilemeuerung der Kammern festlegende § 79 der Verfassung neu gefaßt. Auch wurde ausdrücklich hervorgehoben, daß nur der in seiner vorgeschriebenen Zusammensetzung aktuell erneuerte Landtag zur Entscheidung über das jeweils anstehende Budget berufen war. Schließlich regelte man detailliert die teilweise Erneuerung der Kammern im Fall der Auflösung. [804.] Dieses Gesetz wurde jedoch bereits durch § 1 des Gesetzes vom 5. August 184P^^ wieder aufgehoben und durch die unter den § § 2 - 4 dieses Gesetzes aufgeführten Verfahrensweisen leicht modifiziert. Denn die genannten Paragraphen wiederholten eigentlich nur der Wortlaut des Änderungsgesetzes von 1831. Abweichend geregelt war einzig, daß als Zeitpunkt für die teilweise Erneuerung der Kammern jeweils nicht mehr der 1. Januar, sondern der 1. Juli des zweiten Jahres einer Budgetperiode bestimmt wurde.

1^^ Dok. 211/2. 199 Dok. 2 1 1 . 200 Dok. 211/3. 201 Dok. 211/4.

§9: Baden 3. „Sponheimer

413

Frage"

[805.] Nach der Thronbesteigung des bayerischen Königs Ludwig IL im Jahre 1825 lebten bayerische Forderungen auf den badischen Teil der Pfalz wieder auf Die neuerlichen Begehrlichkeiten Münchens auf die Pfalz berührten einmal mehr Badens staatliche Integrität. Der jetzige Anlauf stützte sich im wesentlichen auch auf die schon bekannte Behauptung, Bayern habe für den Verlust der linksrheinischen Grafschaft Sponheim, welche seit 1425 ein bayrisch-badisches Kondominium gewesen war, keine Entschädigung erhalten. Nach dem Erlöschen der Hauptlinie der Zähringer stünde dem Königreich daher von Rechts wegen die badische Pfalz zu. Diese Frage war bekanntlich spätestens seit dem Frankfurter Territorialrezeß abschließend entgegen der bayerischen Position geregelt, konnte daher auch nicht wirklich erfolgversprechend im Sinne Münchens gelöst werden. Doch versetzte man der badischen Seite damit empfindliche politische Stiche. 4.

Zollvereinsbeitritt

[806.] Das vertrug sich indes kaum mit der zwischenzeitlich von Bayern und Württemberg in deren Zollverbund angestrebten Mitgliedschaft des bislang aufgrund seiner Grenzlage eine attraktive zollpolitische Sonderstellung einnehmenden Großherzogtums. Auch Preußen wirkte in diesem Sinne auf Baden ein. Denn eine zollpolitische Einigung des nichtösterreichischen Süddeutschlands wurde als ein Etappenziel Berlins auf dem Weg eines mittel- und langfristig zu schaffenden gesamtdeutschen Zoll- und Handelsvereins unter preußischer Führung begriffen. Doch nicht zuletzt angesichts der ungeklärten „Sponheimer Frage" blieb man badischerseits gegenüber derartigen Avancen reserviert. 1830 stattfindende Vermittlungsbemühungen Preußens und Württembergs, welche den Beitritt Badens zum süddeutschen Zollverein, eine Aufliebung des von Bayern strapazierten Erb Vertrags von 1425 nebst der daraus resultierenden Rechte und Grenzberichtigungen vorsahen, scheiterten schheßlich im Herbst 1831 am Widerstand der badischen Zweiten Kammer. Stattdessen wurden Verhandlungen über einen gesamtdeutschen Zoll- und Handelsverein verlangt. Eine darauf zielende Note der Regierung an Preußen blieb indes unbeantwortet. Damit lag für Baden die Thematik zunächst auf Eis. Sie erhielt erst seit dem Herbst 1833 wieder Bedeutung, nachdem sich der preußisch-hessische Verein mit Bayern, Württemberg, Sachsen und den thüringischen Staaten zum Deutschen Zollverein zusammengeschlossen hatte. Die von Karlsruhe in der Folgezeit aufgenommenen Beitritts Verhandlungen zogen sich bis Mai 1835. [807.] Unmittelbar nach Unterzeichnung des Vertragswerks legte die Regierung es der Zweiten Kammer vor. Dort wurde der Vertrag schließlich Anfang Juli 1835 mit 40 gegen 22 Stimmen angenommen. Die Einwilligung der Ersten Kammer fiel noch weit deutlicher aus. Der vollständige Zollanschluß erfolgte zum I.Januar 1836. Schon bald zeigte sich, daß der fiskalische Ertrag für Baden beachtlich war. Das war eigentlich nur ein hochwillkommener Nebeneffekt, denn Regierung und Parlament hatten sich mehr von deutschlandpolitischen als von finanziellen Überlegungen leiten lassen. Auch Boeckhs Prognose bewahrheitete sich, daß die Fabri-

414

2, Abschnitt: Verfassungsentwicklung in den deutschen Einzelstaaten (1806-1918)

ken aufblühen würden. Die Textilindustrie erlebte einen kräftigen Modemisierungsschub. 5. Finanzverfassung [808.] Im Bereich der Finanzverfassung hatte die Verfassungsurkunde eine Reihe von richtungsweisenden Veränderungen gebracht. So avancierten die Kammern mit ihren Budgetkommissionen jetzt zu einem wichtigen Faktor der Finanzgewalt. Daraufhatte die Regierung nun jedenfalls Rücksicht nehmen. Sie unternahm auch tatsächlich ernsthafte Anstrengungen zur Reduzierung der öffentlichen Ausgaben, ohne indes tatsächlich mehr als eine Verlangsamung des Ausgabenwachstums zu erreichen. Parallel dazu wurden aber insbesondere durch Einführung einer progressiven Besteuerung aller bisher nicht erfaßten Einkommen die öffentlichen Einnahmen erhöht. Um überdies den Kammern weniger Angriffsflächen zu bieten, bemühte sich das Finanzministerium um eine verläßlichere und aussagekräftigere Finanzplanung, einen funktionsfähigeren Staatshaushalt und eine regelhaftere Ausgestaltung des finanzpolitischen Entscheidungsprozesses. Obendrein sorgten eine Zivilliste und eine staatliche Domänenverwaltung für die strikte Trennung des großherzoglichen Privatvermögens von den Staatsfmanzen. All diese Maßnahmen führten schließlich dazu, daß nicht nur die Defizite im Haushalt verschwanden, sondern auch die Staatsschuld in den zehn Jahren zwischen 1820 und 1830 spürbar gesenkt werden konnte. 6. Regierungszeit des Großtierzogs Leopold zwisciien 1830 und 1848 [809.] Großherzog Leopold setzte nach seinem Herrschaftsantritt zunächst auf personelle Kontinuität und beließ vorerst die konservativen Minister seines Vorgängers im Amt. Hieran änderte auch die Juli-Revolution nichts. Erst im Jahr nach seinem Herrschaftsantritt entließ er mit Berstett den unter Ludwig führenden Mann sowie die übrigen Minister. Zugleich übertrug der Großherzog das Innenministerium auf den liberal-konstitutionell gesonnenen Ludwig Georg Winter (1778-1738). Das Außen- und das Justizministerium erhielten mit Johann von Türckheim (1778 - 1847) und Daniel Gulat von Wellenburg zwei maßvolle Konservative. Die Führung des Finanzministeriums ging schon bald danach auf den liberalen Christian Friedrich von Böckh (1777- 1855) über. Seit 1832 trat an die Spitze der Regierung der frühere Diplomat und jetzige Ruheständler Freiherr von Reitzenstein (1766 - 1847). Damit kehrte ein vom aufgeklärten Absolutismus geprägter Mann in die Tagespolitik zurück, der zwar den Konstitutionalismus anerkannte, mit dem Liberalismus aber wenig anfangen konnte.^^^ Insgesamt markierte das Regierungsrevirement jedoch einen liberal-reformistischen Neuanfang in Baden, der vielfach initiiert und vehement vorangetrieben von der Zweiten Kammer bald seine Eigendynamik entfaltete: ^^2 KFenske, Baden 1830 bis 1860, in: H. Schwarzmaier (Hrsg.), Handbuch der BadenWürttembergischen Geschichte, Bd. 3: Vom Ende des alten Reiches bis zum Ende der Monarchien, 1992, S. 79 (86).

§9: Baden

415

[810.] Davon kündeten neben der bereits erwähnten Wiederherstellung der Verfassung weitere, u. a. die Selbstverwaltung der Gemeinde durch die Gemeindeordnung vom 31. Dezember 183P°^ sowie Justizreformen und die Gewährung von Presse- und Versammlungsfreiheit betreffende Gesetze. Hervorgehoben zu werden verdient in diesem Kontext zunächst § 2 Abs. 2 der genannten Gemeindeordnung. Verwehrte nämlich § 43 Nr. 3 der Wahlordnung vom 23. Dezember 1818^^^ noch den „Schutzbürgem, Hintersassen Gewerbsgehilfen, Gesinde, Bedienten u. s. w." ausdrücklich das Wahkecht, so hob § 2 Abs. 2 der Gemeindeordnung die bisherige Einteilung in Orts- und Schutzbürger zugunsten einer einheitlichen „Klasse der Gemeindebürger" auf und erweiterte auf diese Weise den ICreis der seinerzeit etwa 120.000 in § 36 der Verfassung^^^ als „Staatsbürger" bezeichneten Stimmberechtigten bei den Wahlen zur Zweiten Kammer auf einen Schlag um mehr als 80.000 Personen, ohne deshalb den Wortlaut der Konstitution anzutasten. Den Höhepunkt stellte sicherlich das sogar unter offenkundigem Verstoß gegen das seit 1819 geltende restriktive Bundespresserechfl^^ und damit auch wegen Verstoßes gegen § 17 der badischen Konstitution die Pressezensur grundsätzlich aufhebende Preßgesetz vom 28. Dezember 183P^^ ~ übrigens das liberalste seiner Zeit in Deutschland - dar. Es wurde nach Auseinandersetzungen mit der zunächst zögernden Regierung unter der § 56 der Verfassung verletzenden Androhung der Zweiten Kammer, widrigenfalls die Bewilligung des Budgets zu verweigern, formell in Kraft gesetzt. Erst nach massiver Intervention des Deutschen Bundes, die am 5. Juli 1832 in einem entsprechenden Bundestagsbeschluß mündete^^^, erfolgte noch im selben Monat mittels großherzoglicher Verordnung vom 28. Juli 1832^^^ die bundesrechtskonforme Anpassung des badischen Preßgesetzes. [811.] Das am 27. Mai 1832 stattfindende Hambacher Fest bedeutete auch für das Großherzogtum eine tiefe Zäsur. Grund waren die als Reaktion darauf bundesseitig erlassenen „Zehn Artikel'' vom 5. Juli 1832^^^. Namentlich das durch sie ausgesprochene Verbot politischer Vereine und die von ihnen statuierten scharfen Überwachungsvorschriften für die Presse unterdrückten nahezu vollständig das politische Leben in den dafür besonders empfänglichen bürgerlichen Kreisen. An vielen Orten Badens kam es darauf zu Protestaktionen und Tumulten. Gleichwohl widersetzte sich die badische Regierung auch der weiteren Repressivgesetzgebung des Bundes nicht ernsthaft. Das galt namentlich für die als Ergebnis der Wiener Ministerialkonferenzen verabschiedeten Maßregeln der „Sechzig Artikel" vom 12. Juni 1834^'K

2^^ Großherzoglich Badisches Staats- und Regiemngs-Blatt, 30. Jg., 1832, S. 81. 204 Dok.213. 205 Dok.211. 206 Vgl. Dok. 40. 207 Dok. 216/2.- Näher dazu E. R. Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789, Bd. 2: Der Kampf um Einheit und Freiheit 1830 - 1850, 3. Aufl., 1988, S. 41. 208 Protokolle der Bundesversammlung, 24. Sitzung vom 5. Juli 1832, § 230. 209 Dok. 216/3. 210 Dok. 51. 211 Dok. 55.

416

2. Abschnitt: Verfassungsentwicklung in den deutschen Einzelstaaten (1806-1918)

[812.] Verfassungsrechtlich bedeutsam war das Gesetz über die Verfassung und Verwaltung der Amortisationskasse vom 31. Dezember I83P^^. Zuvor hatte bereits § 22 Abs. 2 der Verfassung^^^ das seit dem Edikt vom 31. August 1808^^^ zur Verwaltung der Staatsschulden vorgesehene Institut der Amortisationskasse aufrechterhalten. Die in Ansehung des § 57 der Verfassung notwendig werdende nähere Regelung, inwieweit bei der Verwaltung dieser Kasse die Landstände mitwirken dürften, regelte man seit 1820 zunächst stets bezogen auf nur eine Budgetperiode. Diese periodische Einzelgesetzgebung wurde durch das sich künftig nicht mehr auf die nächste Budgetperiode beschränkende Gesetz vom 31. Dezember 1831 aufgegeben. Obendrein hob das Gesetz das Edikt vom 31. August 1808 auf, trat „an die Stelle . . . des § 57 der Verfassungsurkunde, so weit es dieselbe ergänzt, erläutert oder abändert, und bildet somit selbst einen Theil der Verfassung" (Art. 19 des Gesetzes). [813.] Art. 1 des Gesetzes hob die Zuständigkeit der Amortisationskasse für alle das Staatsschuldenwesen berührenden Einnahmen und Ausgaben hervor; nicht diesem Zweck dienende Einnahmen und Ausgaben bedurften eines besonderen Gesetzes. Eine Vereinigung mit anderen Staatskassen war ausgeschlossen. Die allein „der Aufsicht und Leitung des Finanzministeriums" unterliegende Amortisationskasse bestand aus dem Direktor und die ihm nachgeordneten Kassenbeamten (Art. 2 des Gesetzes). Zur Überprüfung des Rechnungswesens waren die Oberrechnungskammer und der landständische Ausschuß berufen (Art. 3 f. des Gesetzes). Die nachfolgenden Artikel des später lediglich mittels Gesetz vom 22. Juni 1837^^^ modifizierten Gesetzes regelten im wesentlichen das von der Kasse einzuhaltende Finanzgebaren. [814.] Nach den 1833 zum Landtag durchgeführten Ergänzungswahlen waren die Mehrheitsverhältnisse in der Zweiten Kammer zwar kaum andere als zuvor, doch gaben sich ihre Mitglieder jetzt insgesamt moderater. Ungeachtet dessen mißbilligten sie die einseitige Aufhebung des Preßgesetzes durch den Großherzog und erreichten, daß die zum Vereins- und Versammlungsrecht erlassenen provisorischen Bestimmungen etwas abgemildert wurden. Gegen heftigen Widerstand aus der Ersten Kammer kam das Zehntablösungsgesetz vom 15. November 1833^^^ zustande. Es ermöglichte die Ablösung gegen das Zwanzigfache des jährlichen Reinertrags; davon hatte der Berechtigte vier Fünftel, den Rest der Staat zu tragen. Zudem wurde eine dann immerhin bis 1875 bestehende Zehntschuldentilgungskasse eingerichtet, deren Führung den Beamten der Amortisationskasse oblag. [815.] Ende 1835 gab Außenminister Türckheim sein Amt auf. Seine Nachfolge trat der entschieden konservative bisherige badische Bundestagsgesandte Friedrich Karl Freiherr von Blittersdorf (1792 - 1861) an, der zugleich an die Spitze der Regierung trat. Blittersdorf engagierte sich schon bald jenseits seines Ressorts 212

Dok. 217. Dok. 211. 214 Dok. 200. 2^5 Dok. 217/1. 216 Großherzoglich Badisches Staats- und Regiemngs-Blatt, 31. Jg., 1833, S. 265. 213

§ 9: Baden

417

auch in der Innenpolitik für die Stärkung der konservativen Kräfte im Lande. Er trat insbesondere für eine strenge Beachtung der badischen Verfassung und der Bundesgesetze ein und wandte sich kompromißlos gegen alle von ihm für umstürzlerisch gehaltenen Tendenzen in der Bürokratie und der Zweiten Kammer. Damit begann sich eine deutliche Verschiebung der Gewichte in der Regierung abzuzeichnen. Doch vorerst stand einer reaktionären Richtung in der Regierung noch Innenminister Winter als ein ausgleichendes Moment entgegen. Das blieb auch noch so, als Winter Ende März 1838 verstarb. Denn ihm folgte mit dem bisherigen Ministerialdirektor im Innenministerium Karl Friedrich Nebenius ein ebenso pragmatischer Liberaler. Nebenius' Verhältnis zu Blittersdorf erwies sich indes als derart spannungsgeladen, daß der Großherzog schon im Oktober des Jahres darauf ersteren wieder entließ und den konservativen Franz Freiherm Rüdt von Collenberg mit der Führung des Innenministeriums betraute. Auf diese Weise avancierte Blittersdorf unversehens zur dominierenden Persönlichkeit in der badischen Politik, die jetzt eindeutig im konservativen Sinne geleitet wurde. [816.] Nunmehr war der Weg frei für den Einsatz polizeistaatlicher Mittel, um der sich zunehmend stärker formierenden liberalen Opposition im Lande Herr zu werden. Um die Opposition in der Zweiten Kammer zu brechen, ging die Regierung auch dort auf Konfrontationskurs. Ziel war die Schaffung einer gouvemementalen Mehrheit. Da fast die Hälfte der Abgeordneten aus Beamten bestand, griff man auf das Mittel der Urlaubsverweigerung zurück. So wurde bei der am 17. April 1841 zusammentretenden Kammer zwei zu Abgeordneten gewählten Richtern der für die Mandatsausübung erforderliche Urlaub versagt und sogleich erging die Anordnung von Ersatzwahlen. Dies führte zu schweren Spannungen zwischen Regierung und Zweiter Kammer. Letztere erklärte die Regierungsmaßnahme für verfassungswidrig. Zu Recht, soweit es die Anordnung von Ersatzwahlen anbelangte. Denn diese implizierte jedenfalls eine Ungültigerklärung der Wahlen durch die Regierung. Derartige Feststellungen treffen durfte jedoch nach § 41 der Verfassung allein die jeweils betroffene Kammer.^^^ Die Solidarisierung eines Großteils der öffentlichen Meinung mit der oppositionellen Kammer war die Folge. Als Blittersdorff die liberale Welle durch den Einsatz polizeistaatlicher Mittel zurückzudrängen suchte, steigerte sich die öffentliche Erregung nur noch mehr. Der hierdurch auf den Plan gerufene Großherzog ordnete daraufhin in einem nicht ministeriell gegengezeichneten Erlaß am 5. August 1841 die Vertagung der Kammern an. Die fehlende Kontrasignatur nahm die im Januar 1842 erneut zusammengetretene Zweite Kammer am 18. Februar 1842 zum Anlaß, durch einen mit 31 gegen 26 Stimmen zustandegekommenen Beschluß diesen großherzoglichen Akt im Nachhinein als verfassungswidrig zu brandmarken. Diese Feststellung war schon deshalb rechtlich fragwürdig, weil die badische Verfassung eine Gegenzeichnungspflicht für diesen Fall überhaupt nicht vorsah. Der Großherzog erachtete das Vorgehen der Kammer daher wohl zu Recht als Angriff auf seine unantast-

^^•^ Vgl. auch R. Goldschmit, Geschichte der Badischen Verfassungsurkunde 1818-1918, 19U S. 83.

418

2. Abschnitt: Verfassungsentwicklung in den deutschen Einzelstaaten (1806-1918)

baren monarchischen Rechte^^^ und antwortete tags darauf mit der Auflösung des Landtags. [817.] Bei den Neuwahlen im Jahre 1842 gewannen die Liberalen trotz massiver Wahlbeeinflussungen durch die Regierung die Mehrheit in der Zweiten Kammer. Dies war fraglos eine Niederlage für die Regierung. Gleich nach Zusammentritt der Kammer wurde das Regiemngsverhalten dort als verfassungswidrig attackiert und schließlich am 19. August 1842 mit 34 gegen 24 Stimmen qua Beschluß mißbilligt. Auch wenn es überzogen sein dürfte, hierin gleich ein „epochemachendes Ereignis" zu sehen, weil hier „der Sache nach der erste Fall eines parlamentarischen Mißbilligungsvotums gegen eine deutsche Regierung" vorläge^^^, so läßt sich darin doch immerhin der Versuch der Kammer sehen, mit „ihren Mitteln" politischen Einfluß auf die Regierung zu nehmen. Daraufhin blieben die Minister den Kammerverhandlungen fem. Man versuchte weitere Tagungen des Hauses, nach Möglichkeit auf wenige Sachfragen zu reduzieren. [818.] Eine davon war die Vorlage eines die Errichtung einer Eisenbahnschuldentilgungskasse betreffenden Gesetzes. Damit sollte die ursprünglich anläßlich des geplanten Baus einer Eisenbahnlinie von Mannheim zur Schweizer Grenze durch Gesetz vom 29. März 1838^^° vorgesehene Zuständigkeit für die Finanzierung des staatlichen Eisenbahnbaus von der Amortisationskasse auf eine von der übrigen Finanzverwaltung getrennte Institution übergehen. Demgemäß wurde mit dem „Gesetz über die Errichtung der Eisenbahn-Schuldentilgungskasse'' vom 10. September 1842^^^ eine Eisenbahnschuldentilgungskasse ins Leben gerufen. Sie hatte die erforderlichen Kapitalien aufzunehmen und für die Verzinsung und Tilgung der Anleihen aus den ihr zugewiesenen Dotationen zu sorgen (Art. 1 des Gesetzes). Bei diesen Dotationen handelte es sich um den vollen Reinertrag der Post- und Eisenbahnbetriebsverwaltung (Art. 6 des Gesetzes), später auch um denjenigen der Telegraphen- und Dampfschiffahrtsverwaltung^^^. Das Gesetz bildete gemäß seines Art. 10 „einen Theil der Verfassung". [819.] Nach der Verabschiedung des Gesetzes über die Eisenbahnschuldentilgungskasse wurde die Zweite Kammer im Mai 1843 noch mit dem Staatshaushalt befaßt. Dessen Beratung nutzte man dort zwar noch einmal zur Kritik an der Regierung. Gleichwohl stimmte ihm die Kammermehrheit schließlich zu. Unmittelbar danach vmrde der Landtag geschlossen. [820.] Der zunehmend amtsmüder werdende Blittersdorf reichte Ende Oktober 1843 seinen vom Großherzog im Monat darauf nur widerwillig akzeptierten Rücktritt ein. Zum Nachfolger an der Regierungsspitze avancierte Finanzminister Böckh, das Außenministerium erhielt der national-liberal gesinnte Alexander von Dusch (1789 - 1876). Beide zeigten sich bereit, mit dem im Spätherbst 1843 wieder zusammentretenden Landtag konstruktiv zusammenzuarbeiten; was dann namentlich in das Zustandekommen grundlegender Justizgesetze (Strafgesetzbuch, 218 E.R. Huber {V\xM.2QA),^A42. 219 A. a. O. 22^ Großherzoglich Badisches Staats- und Regierungs-Blatt, 36. Jg., 1838, S. 121. 221 Dok.218. 222 Dazu A . Buchenberger, Finanzpolitik und Staatshaushalt im Großherzogtum Baden in den Jahren 1850-1900, 1902, S. 124.

' 9: Baden

419

Strafjprozeßordnung und Gerichtsverfassungsgesetz) mündete. Im November 1844 schied auch Innenminister Rüdt aus dem Amt. Der zu seinem Nachfolger ernannte Eichrodt verstarb schon Ende des Jahres. Daher übernahm im März 1845 Nebenius erneut das Innenministerium. Doch war die Regierung dem nunmehr einsetzenden liberalen Ansturm nicht gewachsen, so daß der Großherzog bereits am 9. Februar 1846 die Auflösung des Landtages verfugte. Die daraufhin durchgeführte Neuwahl stärkte die Liberalen weiter, welche fortan ihren Druck auf die Regierung steigerten. [821.] Schließlich berief der Großherzog im Dezember 1846 den liberalen Oberhofgerichtspräsidenten Johann Baptist Bekk (1797 - 1855) zum Innenminister an die Spitze der Regierung. Bekks Regierungszeit kennzeichnete zwar keine entschiedene Liberalisierung, doch wurde währenddessen die Ausübung der Zensur und der Polizeigewalt eingeschränkt; was immerhin ein weitgehendes Einvernehmen mit der liberalen Mitte in der Kammer bewirkte. Dies wiederum spaltete die bis dahin ungeachtet aller Meinungsdifferenzen recht einheitlich auftretende Kammeropposition in Liberale und demokratische Radikale. Schon nach kurzer Zeit entfernten sich beide Auffassungen weit voneinander. Josef Fickler (18081865), Gustav Struve (1805 - 1870) und Friedrich Hecker (1811 - 1881) bildeten bald die Führungsgruppe der radikalen Opposition, die im wesentlichen die Schaffung eines demokratischen und sozialen Gemeinwesens forderte und unter dem Eindruck der schweren wirtschaftlichen Krise jener Jahre rasch eine ansehnliche Anhängerschaft in der Bevölkerung fand. Bei den Ergänzungswahlen im Spätherbst 1847 gingen beide Gruppierungen bereits getrennte Wege. Da die radikalen Parolen bei den Wahlmännem kaum verfingen, behielten die Liberalen jedoch gegenüber den konkurrierenden Radikalen in der Kammer die Oberhand.

IX. Revolution in Baden [822.] Die französische Februarrevolution 1848 griff schon in den ersten Märztagen auch auf Baden über. Es kam zu teilweise gewaltsamen Unruhen im Norden des Landes, die sich vor allem in Mannheim und Karlsruhe entluden. Namentlich in der zweiten Kammer wurden jetzt von den Radikalen einige der sich in breiten Bevölkerungskreisen ausbreitenden Forderungen artikuliert. Die Kammer griff diese auf, machte sie sich größtenteils zueigen und überbrachte sie schon am 4. März 1848 dem Großherzog. Auf der Wunschliste ganz oben standen ein Gesetz über die Ministerverantwortlichkeit, die Vereidigung aller Staatsbürger und des Militärs auf die Verfassung, die politische Gleichberechtigung aller Staatsbürger ohne Unterschied des religiösen Bekenntnisses, die Aufhebung aller noch bestehenden Feudalrechte, eine gerechtere Verteilung der Staats- und Gemeindelasten, die Berufung einer deutschen Volksvertretung, die Besetzung des Staatsministeriums und des Gesandtschaftspostens in Frankfurt mit Männern des öffentlichen Vertrauens. Der Großherzog und seine Regierung sagten zu, den Forderungen nach Möglichkeit entsprechen zu wollen. Appelle des Großherzogs an sein Volk, sich bis dahin verfassungstreu - will heißen: „ruhig" - zu verhalten, blieben wir-

420

2. Abschnitt: Verfassungsentwicklung in den deutschen Einzelstaaten (1806-1918)

kimgslos, so daß sich dieser bereits am 12. März 1848 veranlaßt sah, Militär zur Wiederherstellung von Ruhe und Ordnung einzusetzen. [823.] Die auf diese Weise losbrechende Revolution war ungeachtet der von der historischen Forschung bis in die jüngste Zeit hervorgehobenen sozialen und ökonomischen Aspekte auch eine Verfassungsrevolution. Zwar befand man sich in dem Großherzogtum längst in einem konstitutionellen Zustand, den es in anderen deutschen Staaten - namentlich in Preußen und Österreich - überhaupt erst nachzuholen galt; weshalb es äußerlich zunächst so schien, als bedürfe es keiner neuen Verfassungsdiskussion, ja, nicht einmal eines richtigen „Märzministeriums". Doch sollte angesichts der vorerst in Karlsruhe bewußt weiter ausgeklammerten Verfassungsfrage alsbald die viel grundsätzlichere Frage, bei der es um die Entscheidung zwischen „konstitutioneller Monarchie" und „Republik" ging, aufgeworfen werden: [824.] So postulierte man unter dem Eindruck sozialer Unzufriedenheit und ökonomischer Bedrohungsängste der vorherigen Jahre denn schon auf einer der ersten großen Volksversammlungen am 19. März 1848 in Offenburg die Republik und bildete unter Mitwirkung der Radikalen Gustav Struve und Friedrich Hecker einen revolutionären Landesausschuß. Wenig später forderten die beiden alle waffenfähigen Männer auf, sich am 14. April 1848 in Donaueschingen einzufmden; vermochten allerdings nur eine relativ kleine Anzahl zu dem dann unter maßgeblicher Beteiligung von Franz Sigel (1824-1902), Georg Herwegh (1817-1875) und Joseph Weißhaar (1814 - 1870) primär in Südbaden stattfindenden bewaffneten Kampf für die zwischenzeitlich - am 12. April 1848 - von Hecker in Konstanz ausgerufene badische Republik zu gewinnen. Es waren gleichwohl so viele, daß sich nach dem endgültigen Scheitern der Revolution im Jahr 1849 allein wegen Beteiligung an diesem ersten gewaltsamen Aufruhr fast 3.500 Personen strafgerichtlicher Verfolgung ausgesetzt sahen.^^^ Angesichts der verhältnismäßig kleinen Anzahl der Aufständischen gelang es dem schleunigst mobilisierten VIII. Armeekorps des Deutschen Bundes, dem Aufstand ein schnelles Ende zu bereiten, ohne indes damit auch die revolutionäre Bewegung endgültig zerschlagen zu haben. Die meisten Anführer des Aufstandes konnten nämlich rechtzeitig Zuflucht außerhalb Badens nehmen. Nur wenige Monate später probte der mittlerweile aus der Schweiz nach Südbaden zurückgekehrte Struve nochmals den bewaffneten Aufstand. Nunmehr proklamierte er von Lörrach aus die deutsche Republik; wurde aber mit seinen Mannen am 25. September 1848 bei Staufen von Bundestruppen aufgerieben, ergriffen und später zu einer Freiheitsstrafe verurteilt. [825.] Schon seit dem Sommer 1848 wurden die republikanischen Bestrebungen zunehmend von der Forderung nach einer sogenannten „konstituierenden Versammlung" flankiert. Hierin machte sich in erster Linie die Unzufriedenheit darüber Luft, daß die 1847 zuletzt ergänzte Zweite Kammer nicht infolge der Märzereignisse aufgelöst und neu gewählt worden war. Man verlangte ursprünglich also eher eine Neuwahl der Kammer ohne behördliche Wahlbeeinflussung als die Realisierung eines grundsätzlichen Verfassungs- und Institutionenwandels. Seinen entscheidenden Schwung bekam das Postulat nach der konstituierenden VersammK. Stiefel (¥uRn. 9), S.2U.

' 9: Baden

421

lung dann, als es Ende Oktober 1848 von den Radikalen in der Zweiten Kammer thematisiert und im Zuge dessen auch über die Vor- und Nachteile von Volkssouveränität und Republik diskutiert wurde. Der Forderung nach der konstituierenden Versammlung verliehen zudem die sich allerorten rasch bildenden Volksvereine mit einer sehr wirkungsvollen Petitionskampagne Nachdruck. Überhaupt trat jetzt deutlich hervor, daß die Radikalen die bisher so gelobte Verfassung von 1818^'^^ als überlebt ansahen. [826.] Doch noch behauptete sich das großherzogliche Regime unangefochten. Dies dokumentierte die im Frühjahr 1849 vorgenommene fünfte Verfassungsänderung. Sie erfolgte durch das Gesetz, „ die Aufhebung der Beschränkung staatsbürgerlicher Rechte aus Rücksichten der Confession'', vom 17, Februar 1849^^^, das durch Änderung der §§9, 19, 37 und 69 der Verfassung nicht nur wie bisher die Angehörigen der „drey christlichen" Konfessionen, sondern dem Wortlaut nach diejenigen aller Konfessionen hinsichtlich der staatsbürgerlichen Rechte gleichstellte. Inhaltlich sicherte der von der Regierung den Kammern präsentierte und ohne substantielle Modifikation von diesen als Gesetz verabschiedeten Entwurf unter Abänderung des bisherigen § 9 Abs. 1 der Verfassung allen Staatsbürgern „ohne Unterschied der Religion" nicht zuletzt gleiche Rechte in Bezug auf die Besetzung von Staatsstellen zu (Art. 1). Die politischen Rechte „aller Religionstheile" sollten nach der entsprechenden Bereinigung des § 19 der Verfassung nunmehr gleich sein (Art. 2 des Gesetzes). Von besonderer Bedeutung war auch die durch Art. 3 des Gesetzes vorgenommene Aufhebung der bislang gemäß § 37 Abs. 1 Nr. 1 der Verfassung nur auf Angehörige einer der drei christlichen Konfessionen beschränkten Wählbarkeit zur Zweiten Kammer. Schließlich wurde der von allen Kammerabgeordneten gemäß § 69 der Verfassung zu leistende Eid „entchristlicht", indem man die Bezugnahme auf das „heilige Evangelium" strich (Art. 4 des Gesetzes). Mit diesen Legislativmaßnahmen hörte der badische Staat entgegen der in der älteren Literatur vertretenen Ansicht^^^ zwar noch längst nicht auf, ein „grundgesetzlich christlicher" zu sein, doch gab er sich von Konstitutions wegen zumindest im Hinblick auf die religiöse Orientierung seiner Bürger jetzt erheblich neutraler. Insbesondere den Juden war es jetzt möglich, Stellen bei Verwaltung und Militär zu erlangen sowie Landtagsabgeordnete, Bürgermeister und Gemeinderäte zu stellen. Allerdings betraf die gesetzlich vorgenommene Rechtsangleichung nur die Ausübung der staatsbürgerlichen Rechte. Die gemeindebürgerliche Gleichstellung aller Konfessionen, die dann auch die Juden mit einschloß, erfolgte - obgleich bereits einige Male (1822, 1831 und 1846) auf früheren Landtagen behandelt^^^ - allerdings erst durch Gesetz vom 4. Oktober 1862^^^ Die letzten darüber noch verbliebenen, aus der Unterschiedlichkeit der Konfessionen hergeleite-

224 D o k . 2 1 1 . 225 Dok. 211/5. 226 K. Glockner (¥ußn. 106), S. 50. 227 Vgl. R. Goldschmit (Fußn. 213), S. 101. 22^ Großherzoglich Badisches Regierungsblatt, 60. Jg., 1862, S. 450.

422

2. Abschnitt: Verfassungsentwicklung in den deutschen Einzelstaaten (1806-1918)

ten Beschränkungen beseitigte aber erst das seit dem 1. Januar 1871 für Baden als Reichsgesetz geltende Gesetz des Norddeutschen Bundes vom 3. Juli 1869^^^. [827.] Unverkennbar steigerten die revolutionären Ereignisse den Druck auf Großherzog Leopold und seine Regierung schließlich derart, daß man sich regierungsseitig sogar veranlaßt sah, in aller Eile einen Gesetzentwurf zur Reform des Landtags zu erarbeiteten und am 13. April 1849 der Zweiten Kammer vorzulegen. Der Entwurf umfaßte insgesamt acht Artikel, behielt aber die bestehende Verfassung als Grundlage: [828.] Art. 1 bezog sich auf die Zusammensetzung der künftigen neuen Ersten Kammer, die danach ihren bisherigen Charakter eingebüßt hätte. Denn die §§ 27 32 der Verfassung wären aufgehoben worden. Gemäß der anstatt ihrer in die Konstitution neu einzufügenden § § 2 7 - 3 2 b sollte die Erste Kammer aus 33 Mitgliedern bestehen; jeweils drei waren in den dafür zu bildenden elf Wahlkreisen nach Steuerklassen zu wählen. Wahlberechtigt wären alle diejenigen gewesen, die ein Stimmrecht für die Zweite Kammer besaßen und im Großherzogtum direkte Steuern zahlten. Zur ersten Wählerklasse würde gehören, wer ein Steuerkapital von mindestens 12.000 Gulden besaß, zur zweiten, dessen Steuerkapital weniger als 12.000, aber mindestens 3.500 Gulden betrug, und zur dritten alle darunter liegenden Steuerkapitalien. Wählbar wiederum sollte jeder badische Staatsbürger sein, der das 40. Lebensjahr vollendet hatte und Inhaber der vollen bürgerlichen und staatsbürgerlichen Rechte war. Die Mandatsdauer sollte acht Jahre währen, alle vier Jahre würde die Hälfte der Kammermitglieder auszuscheiden haben. Die Art. 2 - 5 des Entwurfes hatten die Änderungen der Verfassungsbestimmungen zum Gegenstand, welche von der Bildung der Zweiten Kammer handelten. So regelte Art. 2 die Mitgliederzahl der sich nach dem geltenden § 33 der Verfassung aus 63 Abgeordneten zusammensetzenden Zweiten Kammer neu. Künftig wären es nur noch 55 gewesen. § 35 der Verfassung, der Mitgliedern der Ersten Kammer oder zu dieser aktiv oder passiv Wahlberechtigten das Wahlrecht zur Zweiten Kammer versagte, wäre durch Art. 3 aufgehoben worden. Nach Art. 4 des Entwurfes wären die §§ 34, 36, 37 und 39 der Verfassung gegenstandslos, sobald das Reichsgesetz über die Wahlen zum Volkshaus des Reichstages in Kraft treten würde. Hinsichtlich Wahlart, Wahlberechtigung und Wählbarkeit hätten stets dieselben Bestimmungen gegolten wie für die Wahlen zum Volkshaus. Allerdings sollte die Wählbarkeit weiterhin vom badischen Staatsbürgerrecht, dem vollendeten 30. Lebensjahr und dem vollen Genuß der bürgerlichen und staatsbürgerlichen Rechte abhängig sein. Künftig würden gemäß Art. 5 des Entwurfes die Abgeordneten der Zweiten Kammer nicht mehr wie nach § 38 der Verfassung auf acht Jahre, sondern nur noch auf vier Jahre ernannt. Hieran schloß sich eine Regelung über die Auslosung der Wahlkreise an, deren Abgeordnete nach einer Gesamtemeuerung zuerst auszutreten hätten. Auch die bisherige Unterscheidung zwischen Städten und Ämtern würde wegfallen. Des weiteren wäre durch Art. 6 der § 43 der Verfassung redaktionell dahingehend angepaßt worden, daß die Auflösung der Stände künftig für alle Mitglieder beider Kammern, also auch derjeni^^^ Gesetz, betreffend die Gleichberechtigung der Konfessionen in bürgerlicher und staatsbürgerlicher Beziehung (Bundesgesetzblatt, 1869, S. 292).

§ 9: Baden

423

gen der Ersten Kammer, den Mandatsverlust nach sich zöge. Dies erschien schon deshalb folgerichtig, weil die Erste Kammer durch den Wegfall der erblichen, kirchlichen und ernannten Mitglieder ebenso wie die Zweite Kammer nur noch aus gewählten Deputierten bestanden hätte. Durch Art. 7 wäre der infolge des Gesetzes vom 5. August 1841 geänderte § 79 der Verfassung im wesentlichen bestätigt worden. Schließlich war gemäß Art. 8 die Aufhebung der § § 1 - 3 3 der Wahlordnung vorgesehen, da diese sich lediglich auf die Wahl der Grundherren und der Vertreter der Universitäten bezogen. [829.] Die Zweite Kammer verwies den Entwurf an eine dafür eigens aus ihrer Mitte gebildete Kommission. Diese akzeptierte die grundlegenden Bestimmungen, wollte jedoch neben einer Reihe von Detailveränderungen noch einige zusätzliche Regelungen berücksichtigt wissen.^^^ Bei den sich daran anschließenden Beratungen im Plenum der Zweiten Kammer fiel der Regierungsentwurf zwar bei den Radikalen vor allem wegen der nach Zensuskriterien gebildeten Ersten Kammer und dem von ihnen längst favorisierten Einkammersystem durch. Dennoch bewies die am 11. Mai 1849 von der Zweiten Kammer mit einigen Modifikationen und Zusätzen angenommene Regierungsvorlage durchaus eine grundsätzliche Akzeptanz seitens der Mehrheit. Gleichwohl war dem Entwurf kein Erfolg beschieden, da wie sich sogleich zeigen sollte - die Ereignisse mittlerweile längst über die Bemühungen von Regierung und Zweiter Kammer hinweg geschritten waren. [830.] Die nachfolgend anzusprechenden Ereignisse werden heute mit Recht als der „Höhepunkt der gesamten Reichsverfassungskampagne" angesehen.^^^ Den eigentlichen Auftakt dazu bildete noch am 11. Mai 1849 - also am Tag der Kammerabstimmung ~ die Meuterei der Festungsbesatzung von Rastatt. Nahezu zeitgleich - wenngleich unabhängig voneinander - fand sich der Kern der führenden Revolutionäre Badens, der Pfalz und des Rheinlandes, auf Einladung des nunmehrigen badischen Radikalenführers und stellvertretenden geschäftsführenden Vorsitzenden der badischen Volksvereine Amand Goegg (1820 - 1897) tags darauf zu einem Landeskongreß der badischen Volksvereine in Offenburg zusammen, auf dem sich ca. 35.000 Menschen zusammenfanden. Dort scheiterten Goegg und andere mit ihrem Ansinnen, in Baden die Republik zu proklamieren, an der Majorität der Delegierten. Diese sprach sich stattdessen für Verhandlungen mit der großherzoglichen Regierung aus. Im Kern forderte man den Rücktritt des Ministeriums Bekk, die Wahl einer Verfassunggebenden Versammlung und politische Amnestie. Mit diesen Postulaten stießen die Radikalen indes auf wenig Gegenhebe bei der von ihnen darum angegangenen großherzoglichen Regierung. Sie kamen daher überein, einen gleichsam als Gegenregierung zum amtierenden Ministerium gedachten permanenten Landesausschuß unter dem Vorsitz des Mannheimers Lorenz Brentano (1813-1881) zu bilden. [831.] Nun war es offenkundig, daß es zu einer Machtprobe zwischen der Regierung und den Volksvereinen kommen würde. Dabei unterlag die Regierung allerdings einer verhängnisvollen Fehleinschätzung hinsichtlich des Rückhalts der 23° Näher dazu i?. Goldschmit (¥uM. 213), S. 109 f. 23^ Ch. Kiessmann, Sozialgeschichte und Reichsverfassungskampagne von 1849, in: Historische ZeitSchrift 218 (1974), S. 320 (320).

424

2. Abschnitt: Verfassungsentwicklung in den deutschen Einzelstaaten (1806-1918)

Radikalen in der Bevölkerung und hinsichtlich der Loyalität der seit geraumer Zeit schon häufig schlecht motivierten und desorganisierten großherzoglichen Truppen. [832.] Der Landesausschuß nahm seinen Sitz zunächst in dem mit den Zielen des Landeskongresses sympathisierenden aufrührerischen Rastatt. Von hier aus ergriff die revolutionäre Bewegung - mit Ausnahme eines in Schleswig eingesetzten Infanterie-Bataillons und einer Schwadron Dragoner in der Bundesfestung Landau - rasch die ganze badische Armee. Angesichts dessen floh der Großherzog mit seiner Familie nebst Regierung noch in der Nacht vom 13. auf den 14. Mai 1849 außer Landes. Das war die Geburt der eigentlichen badischen Revolution. [833.] Als Reaktion auf das daraufhin entstandene Machtvakuum reklamierte der von den Ereignissen zunächst mehr mitgerissene als diese mitsteuemde, mittlerweile nach Karlsruhe übergesiedelte und seit dem 15. Mai 1849 dort tagende revolutionäre Landesausschuß die politische Verantwortung im Staat für sich, indem er mittels eines am 16. Mai 1849 pubhzierten Dekrets die großherzoglichen Minister für abgesetzt erklärte^^^ und an deren Stelle vorerst eine „Exekutivkommission" mit den Funktionen der Regierung betraute.^^^ Nennenswerter Widerstand dagegen erhob sich nicht. Wir erleben hier übrigens den einzigen Fall, in dem es den Revolutionären der Jahre 1848/49 in Deutschland durch Erhebungen gegen das bestehende monarchische Regime tatsächlich gelang, die Leitung des gesamten Staatsapparates an sich zu reißen.^^"^ Erstmals war damit im Wege einer Revolution auf deutschem Boden tatsächlich eine Republik entstanden.^^^ [834.] Zur Bekanntgabe seiner Maßnahmen bediente sich das Revolutionsregime eines eigens von ihm herausgegebenen (Badischen) Regierungsblattes, welches in seiner offiziellen Zählung^^^ an das bisherige und parallel zu dem von der geflohenen großherzoglichen Regierung nunmehr von Frankfurt aus weiter herausgegebenen Großherzoglich Badische Regierungsblatt anknüpfte und auf diese Weise den revolutionären Handlungen einen eigentümlichen Hauch von „rechtmäßiger" Kontinuität verlieh. [835.] Schon am 17. Mai 1849 löste der Landesausschuß durch DekreP^ die beiden Kammern auf (Art. 1), in denen er „keine ordnungsmäßige Vertretung" sah, „welche dem allein gerechten Grundsatze der Volkssouveränetät entspricht", und ordnete die sofortige Einberufung einer „constituirenden" Versammlung an (Art. 2). Noch am selben Tage verfugte dann die vom Landesausschuß dazu ermächtigte Exekutivkommission mit einem ebenfalls vom 17. Mai 1849 datierenden Gesetz^^^ Wahlen zu dieser Versammlung, nebst den erforderlichen Wahlrechtsbestimmungen. Gemäß Art. 1 des Wahlgesetzes sollte „jeder Staatsbürger Badens, welcher das 21. Lebensjahr erreicht hat", wahlfähig und wählbar sein. ^'^ Dok.221. 233 Dok.222undDok.223. 234 So ZU Recht auch S.-M. Bauer, Die Verfassunggebende Versammlung in der badischen Revolution von 1849, 1991, S. 13. 235 K. Stiefel (Fußn. 9), S. 281. 236 Ab der Nr. 2 als Nr. XXX und Seite 293. 237 Dok.225. 238 Dok.226.

§ 9: Baden

425

Obendrein sollten die Wahlen „direct mit geheimer Stimmgebung" erfolgen (Art. 5 des Gesetzes). Es galt also ein allgemeines, gleiches, direktes und geheimes Wahlrecht für alle volljährigen badischen Männer. Dies war das freieste und zugleich demokratischste Wahlrecht, das es bis dahin in einem deutschen Staat gegeben hatte. Hinsichtlich der Einteilung der Wahlbezirke griff man auf „dieselben, wie bei den Wahlen zur deutschen Nationalversammlung" zurück (Art. 2 des Gesetzes). Die Wahlen sollten also nicht nach der höchst unregelmäßigen Kreiseinteilung stattfinden wie bisher bei den Wahlen zur Zweiten Kammer. Insgesamt gab es 20 Wahlbezirke zu jeweils 70.000 bis 75.000 Einwohnern. In jedem dieser Bezirke wurden vier Abgeordnete zur Verfassunggebenden Versammlung gewählt. Die Wahlen setzte man für den 3. Juni 1849 an (Art. 6 des Gesetzes), die Eröffnungssitzung auf den 10. Juni 1849 in Karlsruhe (Art. 7 des Gesetzes). [836.] Zwischenzeitlich, am 18. Mai 1849, wurde die Landesverwaltung von der Exekutivkommission durch Verordnung unter die Kontrolle des neuen Regimes gestellt.2^^ Mit BHck auf die vier Kreise des Landes (See-, Oberrhein-, Mittelrhein- und Unterrheinkreis) waren nunmehr „Oberkommissäre", ihnen auf der Ebene der 79 Amtsbezirke nachgeordnete „Civilkommissäre" für die Vollziehung der Weisungen und Anordnungen der Revolutionsorgane verantwortlich. Viel versprach man sich dabei von den Civilcommissären, welche zuvörderst verpflichtet sein sollten, die sich teilweise den neuen Regierenden widersetzende Beamtenschaft zu überwachen und zur Diensterfüllung anzuhalten. Hierzu hatten die Civilcommissäre gemäß der der Verordnung zu entnehmenden vagen Pflichtenumschreibung „im Interesse des Landes und der Freiheit des Volkes nach bestem Wissen und nach ihrer Einsicht zu handeln". Als eine ihrer ersten Amtshandlungen übertrug man ihnen die Vornahme der Vereidigung sämtlicher Staatsdiener auf die neue Republik; was in der Ausführung allerdings nicht selten daran scheiterte, daß entweder nicht wenige Beamte den Gehorsam verweigerten oder - wie etwa im Seekreis die Mitgheder der Kreisregierung - geschlossen ihre Ämter niederlegten. Dies war der Hintergrund für die im Regierungsblatt der provisorischen Regierung so zahlreich verkündeten Amtsentsetzungen und Dienstentlassungen. Überhaupt hatte es den Anschein, daß die Institution der Civilcomissäre die allgemeine Desorganisation beschleunigte.^^^^ [837.] Über die innenpolitischen Aktivitäten hinaus begab sich der Landesausschuß aber auch auf außenpolitisches Terrain. So bemühte man sich um Unterstützung jenseits der badischen Grenzen, namentlich in Württemberg und HessenDarmstadt; doch ohne den gewünschten Erfolg. Lediglich in der aufgrund von Unruhen längst der Kontrolle der bayerischen Behörden entglittenen Pfalz fiel die Aufforderung des Landesausschusses auf fruchtbaren Boden. Angesichts eines erheblichen Vorrats an Gemeinsamkeiten unterzeichnete der Landesausschuß schließHch mit der provisorischen Regierung der Pfalz am 17. bzw. 18. Mai 1849 einen Vertrag^^\ demzufolge in „militärischer Beziehung" Baden und die Rheinpfalz „ein Land" bilden sollten. Das badische Kriegsministerium wurde danach 239 Dok.229. ^^^ M. Botzenhart, Deutscher Parlamentarismus in der Revolutionszeit 1848 - 1850, 1977, S. 716. 241 Dok.228.

426

2. Abschnitt: Verfassungsentwicklung in den deutschen Einzelstaaten (1806-1918)

„fur's Erste als das gemeinschaftliche beider Länder betrachtet". Außerdem versprach man sich gegenseitig die Aufhebung aller Brückenzölle auf beide Länder miteinander verbindenden Brücken sowie daß die Einwohner beider Länder „in allen Beziehungen so angesehen werden, als gehörten sie einem und demselben Staate an". [838.] Insbesondere nach Innen erhoffte sich der Landesausschuß eine Verbesserung der Handlungsfähigkeit des neuen Regimes von der Schaffong einer der pfalzischen vergleichbaren provisorischen Regierung. Mittels Proklamation vom 1. Juni 1849^^^ übertrug er diesem Organ die bis dahin in seinen Händen vereinigte Regierungsgewalt. Sah man sich doch - wie es in der Begründung für diesen Schritt hieß - einem „drohenden Kampf mit den verbündeten Feinden der Freiheit und Einheit Deutschlands" gegenüber, den es „aufzunehmen" und „mit der erforderlichen Kraft durchzuführen" galt, für den man „Eine zahlreiche Versammlung, wie unser Landesausschuß," als „nicht geeignet" erkannte. Mit der provisorischen Regierung betraut wurden neben Brentano, Goegg und Sigel auch Joseph Fickler und Ignaz Peter (1789 - 1872). [839.] Es schien zunächst so, als fehlte es dieser Regierung nicht an Geldmitteln. Hatte sie doch in der Staatskasse immerhin nahezu 2 MilHonen Gulden vorgefunden. Für die Bestreitung der laufenden Staatsausgaben hätte dies zweifelsohne ausgereicht, nicht indes, um den außerordentlichen Bedarf für Aufwendungen der gegen den „äußeren Feind" zu mobilisierenden Truppen. Dies war deshalb so prekär, weil es absehbar in naher Zukunft keine nennenswerten Staatseinnahmen geben würde; selbst die bereits fälligen Steuern wurden nicht entrichtet. Zu einer deshalb von der Verfassunggebenden Versammlung erwogenen und eiligst beschlossenen Zwangsanleihe sowie der Einführung von Papiergeld konnte es angesichts der sich überstürzenden Ereignisse jener Tage und des nahen Endes des Revolutionsregimes ebenfalls nicht mehr kommen. [840.] Am 3. Juni 1849 fanden tatsächlich die durch Art. 6 des Wahlgesetzes vom 17. Mai ic^^P^"^^ vorgesehenen Wahlen zur Verfassunggebenden Versammlung statt. Die Wahlbeteiligung muß nach heutigen Maßstäben als eher gering gelten; nahmen doch an ihnen nach überschlägigen Schätzungen kaum mehr als 25 % der Wahlberechtigten teil.^'^'^ Aus den Wahlen gingen schließlich anstatt der zu wählenden 80 Abgeordneten nur 74 Abgeordnete hervor. Sechs Mandate konnten nicht angenommen werden, da ebenso viele Kandidaten gleich in zwei verschiedenen Wahlkreisen gewählt worden waren. Die einzelnen Ergebnisse der Wahlen wurden in den örtlichen Zeitungen, wie etwa der „Karlsruher Zeitung", dem „Organ der provisorischen Regierung"^"^^ - publiziert.^"^^ Mit Blick auf die sechs vakanten Mandate fanden seit dem 18. Juni 1849 in den betreffenden Wahlbezirken nochmalige Wahlen statt. Immerhin bis zu 66 der 74 gewählten Abgeordneten^'^'' 242 D o k . 2 3 0 . 243 D o k . 2 2 6 . 244 s.-M. Bauer (Fußn. 230), S. 40 f 245 Insbesondere in: Nr. 2 1 , Mittwoch, 6. Juni 1849 (Titelseite); Nr. 24, Samstag, 9. Juni 1849 (Titelseite); Nr. 25, Sonntag, 10. Juni 1849 (S. 2). 246 Nicht etwa im Regierungsblatt, wie S.-M. Bauer (Fußn. 230), S. 39 Fußn. 13, falschlich angibt. 247 Näher dazu S.-M. Bauer (Fußn. 230), S. 37 ff

§ 9: Baden

427

nahmen in der Folgezeit an den zwischen dem 11. und 23. Juni 1849 insgesamt zwölf stattfindenden öffentlichen Sitzungen der Versammlung in Karlsruhe teil. [841.] Wie von § 7 des Wahlgesetzes vom 17. Mai 1849^"^^ vorgesehen, konstituierte sich die Verfassunggebende Versammlung am 10. Juni 1849. Mißtrauisch gegenüber den etablierten Eliten hatte man in erster Linie Handwerker, Gastwirte, Lehrer und Ärzte in die Versammlung gewählt, die zwar in ihren Gemeinden Vertrauen genossen, aber kaum über politische Erfahrung verfügten. Diese Versammlung repräsentierte daher sicherlich breite Bevölkerungsschichten, ohne indes staatspolitisch wirklich handlungsfähig zu sein. Immerhin war es unter ihren Mitgliedern unstreitig, daß deren Arbeit zunächst hauptsächlich darin bestehen würde, die seit dem 14. Mai 1849 vom Landesausschuß bzw. der provisorischen Regierung erlassenen Rechtsakte zu überprüfen und gegebenenfalls nachträglich zu sanktionieren sowie in Anbetracht der für das neue Regime bedrohlichen politischen wie militärischen aktuellen Situation dem Rechnung tragende neue Normen zu erlassen. Die eigentliche Aufgabe, nämlich die Ausarbeitung und Verabschiedung einer neuen badischen Verfassung, hatte dahinter zurückzustehen; waren die inhaltlichen Vorstellungen darüber doch ohnehin weitgehend unklar. Demgemäß überantwortete man das Projekt einem eigens dafür eingesetzten Verfassungsausschuß, welcher allerdings angesichts der ihm für seine Arbeit tatsächlich nur verbleibenden kurzen Zeit weitgehend wirkungslos blieb. Dies bewahrte die Abgeordneten letztlich davor, sich der komplexen Frage der Verfassungsreform ernsthaft stellen zu müssen. [842.] Überhaupt währte die äußerlich wahrnehmbare praktische Wirksamkeit der Verfassunggebenden Versammlung nicht lange. Sie beschloß nämlich schon am 13. Juni 1849 ein Gesetz über „die Errichtung einer provisorischen Regierung mit diktatorischer Gewalt''^^^. Wir erleben hier eine angesichts der längst dominierenden monarchisch-konstitutionellen politischen Verhältnisse in Deutschland geradezu prototypisch anmutende Regierungswahl nach parlamentarischen Maßstäben. Danach wurden alle Funktionen der Staatsgewalt an ein nunmehr nur noch aus drei Mitgliedern bestehendes Gremium delegiert. Allerdings behielt sich die Versammlung das Recht vor, diese Regierung jederzeit absetzen und diesenfalls von ihren Mitgliedern Rechenschaft über ihr Handeln verlangen zu können. Dies lief auf die kompetenzielle Inanspruchnahme eines Mißtrauensvotums gegenüber der Regierung und ihrer Verantwortlichkeit gegenüber der Versammlung hinaus. ^^^ Zu den Mitgliedern der Regierung mit diktatorischer Gewalt bestimmte die Versammlung am 15. Juni 1849 Brentano, Goegg und Maximilian Werner aus Appenweier (1815-?).^^^ In Ausführung ihres Beschlusses vom 13. Juni 1849 konkretisierte die Verfassunggebende Versammlung mit großer Mehrheit (52 gegen 4 Stimmen)^^^ durch ein weiteres Gesetz am 15. Juni 1849^^^ in lediglich zehn kurz gehaltenen Artikeln die diktatorischen Kompetenzen der neuen Regierung:

248 249 250 251 252

Dok.226. Dok.235. s.-M. Bauer (Fußn. 230), S. 173. Dok.237. S.-M. Bauer (Fußn. 230), S. 112.

428

2. Abschnitt: Verfassungsentwicklung in den deutschen Einzelstaaten (1806-1918)

[843.] Danach vereinigte sie als oberste Exekutivbehörde in sich „alle Regiemngsgewalt" (Art. 1 des Gesetzes) und war die alleinige vollziehende Behörde fur die Beschlüsse der Verfassunggebenden Versammlung (Art. 2 des Gesetzes). Ihr kam die Befugnis zu, provisorische Gesetze zu erlassen und alle sonstigen Gesetze suspendieren zu können (Art. 3 des Gesetzes). Überdies hatte sie gemäß Art. 4 des Gesetzes das Recht zur Ministeremennung, welche von demjenigen Regierungsmitglied vorgenommen werden sollte, das bei seiner Wahl die meisten Stimmen erhielt. Diese Bestimmung zielte auf eine bev^oißte Hervorhebung der Position Brentanos innerhalb des Triumvirats. Demgegenüber durfte die Entlassung der Minister nur „nach kollegialischem Beschlüsse" des Dreimännergremiums erfolgen; hier sollte aber wohl eine Mehrheitsabstimmung genügen. Dagegen bedurfte es für die ebenfalls zu ernennenden oder zu entlassenden Beamten nur ausnahmsweise, nämlich in dringenden Fällen, keines gemeinsamen Aktes „der provisorischen Regierung insgesammt" (Art. 5 des Gesetzes). Des weiteren war diese Regierung berechtigt, „unbedingt über die Staatsgelder zu verfugen" (Art. 7 des Gesetzes), das Begnadigungsrecht (Art. 8 des Gesetzes) und die oberste Militärgewalt auszuüben (Art. 9 des Gesetzes) sowie den badischen Staat nach außen zu vertreten (Art. 10 des Gesetzes). [844.] Die sich mittlerweile in Frankfurt a. M. aufhaltende großherzogliche Regierung Bekk bemühte sich bei der dortigen provisorischen Reichszentralgewalt um militärische Hilfe gegen die Revolutionäre. Parallel dazu versuchte man auch weiterhin auf die inneren Verhältnisse Badens einzuwirken, indem durch eine vom Großherzog am 2. Juni 1849 unterzeichnete Proklamation^^^ den „Verirrten und Verführten" ohne Unterscheidung zwischen Militär- und Zivilpersonen mit Ausnahme der Anstifter und Rädelsführer bei freiwilliger Unterwerfung vor dem Einmarsch der Reichstruppen Amnestie zugesichert wurde. [845.] Da die provisorische Zentralgewalt zunächst erklärte, keine Truppen zu haben, kamen als Interventionstruppen in Baden eigentlich nur preußische Truppen in Betracht. Doch machte der Hohenzollemstaat sein Eingreifen von einem förmlichen Hilfeersuchen Badens und dessen Hinzutritt zum mittlerweile zwischen Preußen, Sachsen und Hannover geschlossenen Dreikönigsbündnis abhängig; keinesfalls gedachte man indes als bloßes Hilfsorgan Frankfurts aufzutreten.^^^ Über seine sich derartigen Ansinnen höchst reserviert verhaltende Regierung hinweg gab der Großherzog schließlich am 1. Juni 1849 das von Preußen erwartete und dessen Truppen zum Intervenieren legitimierende Ersuchen um „die schleunigste bundesgemäße Hülfe" durch den von ihm dazu beauftragten Außenminister Dusch ab.^^^ Überdies vmrden Beitrittsverhandlungen zum Dreikönigsbündnis aufgenommen. Preußen zog daraufhin zwei jeweils bis zu 20.000 Mann starke Armeekorps für die Intervention zusammen. Daraufhin zeigte sich - wenngleich zunächst nur widerstrebend - auch die Reichszentralgewalt bereit, mit ei-

253 D o k . 2 3 7 . 254 D o k . 2 3 1 . 255 H. Fenske (Fußn. 199), S. 118 256 Schreiben abgedruckt bei: W. Real (Hrsg.), Das Großherzogtum Baden zwischen Revolution und Restauration 1 8 4 9 - 1 8 5 1 , 1983, S. 30.

. 9: Baden

429

nem eigenen Armeekorps zu ca. 18.000 Mann (bestehend aus Truppenkontingenten Bayerns, Württembergs, Kurhessens, Hessen-Darmstadts, Nassaus, beider Mecklenburg, Frankfurts und Preußens) unter dem Befehl des Generalleutnants von Peucker an der Seite Preußens eingreifen zu wollen. [846.] Zudem hatte Großherzog Leopold seit Anfang Juni 1849 auf preußischen Wunsch sogar maßgebliche Veränderungen in seinem Staatsministerium vorgenommen. Mit „Höchsten Entschließungen" vom 3. und 8. Juni 1849 waren sämtliche Mitglieder des Staatsministeriums Bekk „ihrer Stellen in Gnaden enthoben".^^'^ Statt ihrer wurde ein gemäßigt konservatives Ministerium eingesetzt: Das Staatsund Außenministerium erhielt Geheimrat Friedrich Adolf Klüber (1791 - 1858)^^^ das Innenministerium Adolf Freiherr Marschall von Bieberstein (1806- 1891), das Kriegsministerium Franz Xaver August Freiherr von Roggenbach (1798 1854), das Finanzministerium Franz Anton Regenauer (1797 - 1864) und das Justizministerium der bisherige Vizekanzler des Oberhofgerichts Anton von Stabel (1806-1880).259 [847.] Zunehmend im eigenen Land in Bedrängnis geratend verhängte die provisorische Regierung durch ein auf den 5. Juni 1849 datiertes provisorisches Gesetz für Baden zunächst beschränkt auf die Gebiete von der hessisch-badischen Grenze bis zur Murg der Kriegszustand.^^^ Zuvor hatte man - wie es im Vorspruch zu dieser Anordnung hieß - feststellen müssen, daß „die Widersetzlichkeiten gegen unsere Befehle und die Anordnungen unserer Beauftragten sich häufen". Dagegen sollte mit sofortigen Verhaftungen vorgegangen werden; wobei die infolge dessen Arretierten ftir die Dauer des Kriegszustandes als Kriegsgefangene behandelt würden sowie von den jeweiligen Truppenkommandanten vor ein Kriegsgericht gestellt und nach Kriegsrecht abgeurteilt werden durften. Obendrein wurde dem Kriegsminister „unter Beistimmung des Civilcommissärs" das Recht eingeräumt, „das Standrecht zu proklamiren und dieses sofort zu erlassen". [848.] Bereits am 15. Juni 1849 erfolgte dann unter Aufhebung des nur zehn Tage zuvor erlassenen provisorischen Gesetzes die am 20. Juni 1849^^^ publizierte Ausdehnung des Kriegszustandes auf das ganze Land und die Verkündung des Standrechts. Zudem sollten in den Fällen, in denen durch einen Aufruhr in einer Gemeinde „die militärische Besetzung des Ortes nöthig" würde", von der betreffenden Kommune nicht nur die Kosten der Besetzung getragen, sondern ihr auch eine Kriegssteuer auferlegt werden. Obwohl das Gesetz erst am 20. Juni publiziert worden war und nach dem bis dahin weiter gültigen Gesetz vom 5. Juni 1849 das Standrecht nur durch den Kriegsminister in Übereinstimmung mit dem zuständigen Civilkommissär verkündet werden durfte, wurde offenbar unter dem Druck der heranrückenden preußischen Truppen bereits am 15. Juni 1849 durch den Kommandierenden der Revolutionstruppen, Miroslawski, für Mannheim das Standrecht bekanntgegeben; womit dieser eindeutig seine Kompetenzen über2^^ Großherzoglich Badisches Regierungs-Blatt, 1849, S. 295. 258 A. a. O., S. 295. 259 A. a. O., S. 303. 260 Dok. 232. Dok. 238.

430

2. Abschnitt: Verfassungsentwicklung in den deutschen Einzelstaaten (1806-1918)

schritt.^^^ Gleichwohl entfaltete das neue Kriegs- und Standrecht allenfalls noch partiell - nämlich im Seekreis - eine gewisse Wirksamkeit.^^^ Denn angesichts der seit dem am 20. Juni 1849 auf badisches Gebiet vorstoßenden beiden preußischen Armee- und eines Reichstruppenkorps unter dem Oberbefehl des Prinzen Wilhelm von Preußen veränderte sich die militärische Situation rasch zuungunsten der zahlenmäßig^^"^ wie ausrüstungstechnisch unterlegenen badisch(-pfälzisch)en Revolutionstruppen. Diese wichen ungeachtet einiger erfolgreich bestandener Gefechte schnell nach Süden zurück, von wo aus sich bereits am 11. Juli 1849 ihre Reste in die Schweiz absetzten. Lediglich die zwischenzeitlich von den Interventionstruppen eingeschlossene Festung Rastatt hielt sich noch bis zum 23. Juli 1849, um dann mit ihrer Besatzung von etwa 6.000 Mann bedingungslos zu kapitulieren. [849.] Auch seitens der großherzoglichen Regierung wurde mittels provisorischer Verordnung vom 9. Juni 1849'^^^ von Frankfurt aus der Kriegszustand verhängt. Man berief sich dabei auf Art. 66 der badischen Verfassungsurkunde^^^ und auf das „Einverständniß mit der deutschen Centralgewalt". Hiemach waren die Militärbefehlshaber von der Brigadeebene ab ermächtigt, den Kriegszustand über die Gebiete Badens zu verhängen, in denen die Kommandeure mit ihren Truppen operierten. Damit würde zugleich gegenüber jedermann das Standrecht gelten (§ 1 des Gesetzes), der bewaffiiet Angriffe oder Widerstand „gegen die gesetzliche Autorität oder bewaffnete Macht" leistete oder „überhaupt zu Hochverrath, Landesverrath oder Aufruhr" aufforderte (vgl. § 2 des Gesetzes). Als Sanktionen drohten die Todes- oder „bei minderer Betheiligung" zehnjährige Zuchthausstrafe. Seit dem 23. Juni 1849 erstreckte dann die großherzogliche Regierung von Mainz aus die zuvor nur auf den Einzelfall beschränkte Ausrufung des Kriegsrechts über das gesamte Land.^^^ Bezieht man zudem die zwischenzeitlich bereits von den Befehlshabern der Interventionstruppen verhängten Kriegszustände mit ein, so erfolgte allein die Ausrufung des KLriegszustandes für Baden im Juni 1849 von mindestens vier verschiedenen sich dazu für berufen haltenden Stellen 1^^^ [850.] Am 25. Juni 1849 wichen die Abgeordneten der Verfassunggebenden Versammlung den herannahenden preußischen Truppen und verlegten ihren Tagungsort von Karlsruhe nach Freiburg, wo bis zum 30. Juni 1849 noch zwei weitere öffentliche Sitzungen abgehalten wurden, bevor sich die Versammlung mangels Beschlußfähigkeit und unter wechselseitigen Anschuldigungen zwischen Struve und Brentano über das Versagen des Revolutionsregimes allmählich (Anfang Juli) auflöste.

262 S.-M. Bauer (Fußn. 230), S. 121. 263 A. a. O., S. 122. 264 265 266 267

Die Angaben dazu sind höchst unterschiedlich und schwanken zwischen 15.000 und 40.000 Mann. Dok. 234. Dok. 211. Dok. 234/1.

268 Nach V. Valentin, Geschichte der deutschen Revolution von 1848 - 49, Bd. 2, 1931, S. 529 wurde in diesen Junitagen über Baden insgesamt gleich sechsmal der Kriegszustand verhängt.

»9: Baden

431

X. Reaktion [851.] Zwischenzeitlich, am 27. Juni 1849, beauftragte der Großherzog sein erst drei Wochen zuvor neu gebildetes Staatsministerium wieder mit der Leitung der Regierungsgeschäfte in Baden.^^^ Es kehrte Anfang Juli 1849 nach Baden zurück; der Großherzog folgte erst am 18. August 1849. Zuvor hatte er bereits sämtliche sich während der Revolution im Lande aufhaltenden und sich als unzuverlässig erwiesenen Truppenteile der bisherigen badischen Armee aufgelöst. Nach ihrer Reorganisation wurden sie zunächst in preußische Garnisonen verlegt.^^^ Zwar hatte die Revolution längst verloren. Doch blieb in der Folgezeit der Kriegszustand bei seit dem 27. Oktober 1849 eingeschränktem Standrecht noch bis zum 1. September 1852 aufrechterhalten. [852.] Wie fast überall in den deutschen Einzelstaaten, so trat auch in Baden nach dem endgültigen Scheitern der Revolution ein völliger politischer Stillstand ein. Allerdings geriet hier namentlich infolge der Mai- und Juniereignisse des Jahres 1849 anders als in nahezu allen anderen deutschen Staaten die gesamte politische Ordnung derart ins Wanken, daß zeitweise auch die badische Monarchie hinweggespült zu werden drohte. Man hatte die revolutionäre Wucht, mit denen die Radikalen das bisherige System in Frage zu stellen vermochten, regierungsseitig geradezu sträflich unterschätzt. Die Vorwürfe richteten sich daher wohl auch nicht ganz zu Unrecht gegen die lange Zeit zu nachgiebige Regierung des seinerzeitigen Staatsministers Bekk, sie habe dem Umsturz zumindest Vorschub geleistet.271

[853.] Nun aber ging das großherzogliche Regime unter tatkräftiger Mithilfe Preußens „ans Aufräumen". Schleunigst beseitigte die neue Regierung nicht nur die im Zuge der revolutionären Ereignisse zustandegekommenen Gesetze und Verordnungen, sondern ging jedem Verdacht einer Beteiligung an den revolutionären Geschehnissen nach. Es kam zu zahlreichen Hochverratsprozessen und der Einleitung einer Fülle von Dienststrafverfahren, die in erster Linie dazu dienen sollten, die Verwaltung zu säubern. Namentlich der mittlerweile angewachsene starke preußische Einfluß auf den Großherzog und seine Regierung - noch gefördert von der bis Anfang November 1850 andauernden massiven preußischen Militärpräsenz im Lande - bewirkte, daß die juristische Aufarbeitung der Revolution äußerst rigide ausfiel.^^^ Immerhin fast 1.500 Verfahren gegen Soldaten, Beamte und Lehrer sowie Bürger führten zu Dienstentlassungen, Haft- oder Geldstrafen; hinzu kamen 51 standgerichtlich verhängte und vollstreckte Todesurteile an aufrührerischen Offizieren und Mannschaften.^''^ Überdies wurden Presse-, Vereinsund Versammlungsrecht zugunsten verstärkter staatlicher Kontrollkompetenzen massiv eingeschränkt. Polizeiliche Überwachungen vermeintlicher Unruhenester 269 270 271

272 273

Großherzoglich Badisches Regierungs-Blatt, 1849, S. 307. F. von Weech (Fußn. 99), S. 576. Vgl. etwa H. v. Andlaw, Der Aufruhr und Umsturz in Baden, als eine natürliche Folge der Landesgesetzgebung, mit Rücksicht auf die „Bewegung in Baden" von J. B. Bekk, damaligen Vorstand des Ministeriums des Innern, 4 Abth., 1850 - 51. K Fenske (Fußn. 199), S. 120. W. Hug, Geschichte Badens, 1992, S. 255.

432

2. Abschnitt: Verfassungsentwicklung in den deutschen Einzelstaaten (1806-1918)

und Haussuchungen waren an der Tagesordnung. Familien und Gemeinden, die am Aufruhr beteiligt gewesen waren, sollten für die im ganzen Lande entstandenen, später auf mehr als 7,5 Millionen Gulden bezifferten materiellen Schäden aufkommen. Obendrein verlangte Preußen vom badischen Staat Erstattung der ihm durch die Intervention entstandenen Kosten. Tausende Badener flüchteten ins Ausland. [854.] Ungeachtet dessen blieben die von der Verfassungsurkunde^^^ statuierten Grundlagen unangetastet. Das galt auch mit Blick auf die unter dem Druck der revolutionären Bewegung am 14. Mai 1849 ihren Sitzungsbetrieb einstellende Zweite Kammer, dem eigentlichen Kristallisationszentrum politischer Mitwirkung breiterer Bevölkerungskreise. Zu stark war offenbar angesichts der bisherigen konstitutionellen Praxis schon deren reale Stellung als Vertretungskörperschaft, als daß man es hätte wagen können, deren Rechte spürbar einzuschränken, ohne erneut revolutionäre Umtriebe heraufzubeschwören.^^^ Nach den Anfang 1850 stattfindenden Ersatz- und Ergänzungswählen trat die Kammer am 6. März 1850 wieder zusammen. Zwar blieb sie auch jetzt ein Sammelbecken konstitutionell-liberaler Gesinnung, zeigte sich aber durchaus zur zügigen Mitarbeit an der Revision zahlreicher Gesetze im konservativen Sinne bereit. [855.] Schon am 25. Oktober 1850 wurde das Ministerium Klüber wieder abberufen. An dessen Stelle trat eine Regierung unter der Führung von Ludwig Freiherr Rüdt von Collenberg-Bödingheim (1799 - 1885). Rüdt setzte als entschiedener Anhänger eines bürokratischen Absolutismus den einmal eingeschlagenen Reaktionskurs fort. Dies erweckte zwar verbreitet Unwillen, erzeugte aber keinen wirklichen Widerstand. Ein Großteil der badischen Bevölkerung war politikmüde und hatte resigniert. XI. Die ersten Regierungsjahre Friedrich I. [856.] Aufgrund des sich zunehmend verschlechternden Gesundheitszustandes von Großherzog Leopold erhielt dessen zweitgeborener Sohn Friedrich (18261907) Ende Februar 1852 Vollmacht zur Vertretung des Großherzogs in seinen Amtsgeschäften. Ludwig (1824- 1858), der älteste Sohn des Großherzogs, war wegen einer weit fortgeschrittenen Gemütskrankheit schon damals absehbar niemals regierungsfähig; wurde aber - entgegen dem fur Baden geltenden staatsrechtlichen Grundsatz, daß dauernde Regierungsunfahigkeit vom Thron ausschließe^^^ - nach dem Tode Leopolds am 24. April 1852 als Ludwig IL nominell dessen Nachfolger. Friedrich übernahm für seinen Bruder die Regentschaft. Er erließ sogleich eine weitgehende Amnestie und hob endlich den formell noch immer bestehenden Kriegszustand auf Am 5. September 1856 nahm er schließlich als Friedrich I. noch zu Lebzeiten Ludwigs unter formeller Belassung der großherzoglichen Würde beim Bruder ebenfalls den Großherzogentitel an. 274 Dok.211. 2'75 L. Ga//(Fußn. 55), S. 61. 27^ Vgl. dazu E. Walz, Das Staatsrecht des Großherzogtums Baden, 1908, S. 43.

9: Baden

433

[857.] Kaum waren die schwersten Folgen der Revolution überwunden, drohte den inneren Verhältnissen Badens erneutes Ungemach. Diesmal kam es von Seiten der katholischen Kirche, die spätestens seit 1853 mit der Regierung um ihr künftiges Verhältnis zum Staat stritt. Dieser Streit avancierte bald zum zentralen politischen Thema der nächsten Jahre in Baden. Er hatte sich an einem eigentlich belanglosen Anlaß entzündet; nämlich daran, daß die Regierung die Abhaltung von Seelenämtem für den verstorbenen Großherzog Leopold in allen Pfarreien des Landes anordnete. Das erzbischöfliche Ordinariat unter Führung des Freiburger Erzbischofs Hermann von Vicari (1773 - 1868) untersagte indes - entgegen aller Überlieferung - diese Form von Trauergottesdiensten für den evangelischen Leopold als kirchenrechtlich unzulässig^^^ und disziplinierte allein über 60 Geistliche, die diese von ihnen für unziemlich gehaltene Weisung mißachteten. Im Kern ging es hier natürlich um erheblich mehr: nämlich um die Leugnung der staatlichen Kirchenhoheit durch die katholische Kirche. Die Regierung wollte den Trauerkonflikt nicht ausweiten und signalisierte Kompromißbereitschaft, hielt aber prinzipiell am bestehenden Staatskirchensystem fest. Vicari hingegen erklärte, künftig die nach seiner und seiner bischöflichen Kollegen Ansicht der Kirche zustehenden Rechte auch gegen staatlichen Widerspruch ausüben zu wollen; insbesondere würde er ein staatliches Bestätigungsrecht bei Stellenbesetzungen nicht mehr anerkennen, die Geistlichenausbildung in eigener Regie vornehmen lassen, die Anwesenheit landesherrlicher Kommissare bei Prüfungen nicht dulden sowie das kirchliche Vermögen frei verwalten. Obendrein bezeichnete er die staatliche Genehmigung der Ordensgesellschaften als mit der Vereins- und persönlichen Freiheit unvereinbar. [858.] Der Erzbischof setzte seine Ankündigungen sofort in die Tat um. Das war eine offene Kampfansage an den Großherzog und seine Regierung. Der Konflikt eskalierte. Die Regierung verlangte vom Erzbischof vergeblich die sofortige Zurücknahme aller selbständigen Akte. Daraufhin entsandte sie einen Sonderkommissar nach Freiburg, dem jetzt jedes Schriftstück des Ordinariats vor der Verkündung zur Genehmigung vorzulegen war. Vicari verweigerte sich nicht nur dieser Maßnahme, sondern exkommunizierte am 15. November 1853 sowohl den Kommissar als auch die Mitglieder des für die Kirchenaufsicht zuständigen Oberkirchenrats. Während der Erzbischof auch weiterhin disziplinarisch gegen ihm ungehorsame Geistliche einschritt, ahndete die Regierung das ihre Weisungen mißachtende Verhalten der Geistlichen. Dieser untragbare Zustand begann zusehends den katholischen Bevölkerungsteil zu beunruhigen. Die Entwicklung erreichte ihren Höhepunkt, als gegen Vicari im Mai 1854 ein Strafverfahren wegen Amtsmißbrauchs zur Störung und Gefahrdung der öffentlichen Ruhe eingeleitet und er im Zuge dessen vorübergehend in seinem Palais unter Hausarrest gestellt wurde. Es kam zu Demonstrationen und an vielen Orten regte sich Widerstand, den die Regierung teilweise nur militärisch zu unterdrücken verstand. Nicht zuletzt durch die Intervention des Heiligen Stuhls, mit dem man bereits seit März 1854 über eine grundsätzliche Neuordnung der Beziehungen zwischen badischem Staat und 277 Ygj g^y^jj ß j^ Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789, Bd. 3: Bismarck und das Reich, 3. Aufl., 1988, S. 195 f.

434

2. Abschnitt: Verfassungsentwicklung in den deutschen Einzelstaaten (1806-1918)

katholischer Kirche verhandelte, wurde Vicaris Arrest aber bald wieder aufgehoben. [859.] Um der Situation die weiteren Spitzen zu nehmen, konzentrierte man sich beiderseits zunächst auf die Herbeiführung eines Interims. Darin verpflichteten sich Staat wie Kirche jeweils zum Verzicht auf alle einseitigen Maßnahmen bis zum Abschluß einer endgültigen Übereinkunft, welche dann auch tatsächlich am 22. Juni 1854 zustandekam. Erst jetzt begann sich die Aufregung in den katholischen Landesteilen zu legen. Die weiteren Verhandlungen in der Sache zogen sich noch sehr lange hin. In deren Verlauf nahm der Großherzog im Mai 1856 eine Regierungsumbildung vor: den Vorsitz in der Regierung und das Außenministerium übernahm Wilhelm von Meysenbug (1813 - 1866), das Innenministerium erhielt Franz von Stengel (1803 - 1870). [860.] Am 28. Juni 1859 kam schließlich eine mühsam ausgehandelte Konvention zustande. Sie wurde im September ratifiziert sowie am 12. Oktober 1859 von der Römischen Kurie und am 5. Dezember 1859 durch die badische Regierung publiziert. Der Kirche brachte dieses Konkordat mit Baden ein erhebliches Maß an Freiheit bei der Stellenbesetzung, der Theologenausbildung und der Vermögensverwaltung. Die Kurie hatte sich damit fraglos mit zentralen Forderungen durchgesetzt, mochte die Regierung auch meinen, insgesamt ein ausgewogenes Verhandlungsergebnis erzielt und den staatlichen Einfluß auf die Kirche gewahrt zu haben. [861.] Die Liberalen jedoch meldeten sofort massiven Widerspruch gegen den ihrer Meinung nach den konfessionellen Frieden im Lande gefährdenden Kirchenstaatsvertrag an. Sie baten den Großherzog, die Konvention nicht zu vollziehen. Als seit den Landtagswahlen von 1857 bedeutendste politische Kraft in den Kammern, wies man überdies zu Recht darauf hin, daß das Konkordat zu seiner RechtsverbindHchkeit ohnehin noch der ständischen Zustimmung bedurfte. Meysenburg und Stengel, die fest entschlossen am Vollzug des Konkordats festhielten, erlebten denn auch prompt eine schwere Niederlage, als die Zweite Kammer nach heftiger Debatte am 30. März 1860 mit 45 gegen 15 Stimmen die Bitte an den Großherzog richtete, er möge die Publikation der Konvention aufheben und stattdessen die Rechte der Kirche nach den Grundsätzen der Freiheit und Selbständigkeit in einer mit dem Staatswohl zu vereinbarenden Weise gesetzlich regeln lassen. Die Zustimmung der Ersten Kammer zu diesem Votum stand zu erwarten. Die beiden Minister konnten das Konkordat nur um den Preis eines gegen und in seinen Folgen unabsehbaren Zusammenstoßes mit dem Landtag behaupten. Zur Abwendung dessen entließ der von seinen Freund Franz von Roggenbach (1825 1907) beratene Großherzog daraufhin schon Anfang April 1860 beide Minister. [862.] Den Vorsitz im nunmehr umgebildeten Ministerium, das Außen- und das Justizministerium erhielt der liberalkonservative Oppositionsführer in der Ersten Kammer, Oberhofrichter Anton Stabel (1806- 1880); das Innenministerium bekam mit August Lamey (1816 - 1896) der Wortftihrer der Liberalen in der Zweiten Kammer, das Finanzministerium der dortige bisherige Geheime Referendair Vollrath Vogelmann (1808-1871). Ab 1861 übernahm Roggenbach von Stabel das Außenministerium. Badens Übergang zur liberalen Politik war damit vollzo-

9: Baden

435

gen.^^^ Hierin konnte mehr als die übliche Regierungsneubildung gesehen werden. Denn indem der Großherzog die in einer Landtagsabstimmung über eine zentrale Frage unterlegenen Minister sogleich durch die MehrheitsMirer beider Kammern ersetzte, bekundete er seinen Willen, eine der Landtagsmehrheit gemäße Regierung zu bilden. Er bewegte sich insoweit merklich in die Richtung eines parlamentarischen Regierungssystems.^^^ Eine solche Form der „parlamentarischen Monarchie" hatte es bislang - abgesehen von den Episode gebliebenen „Märzministerien" - in Deutschland nicht gegeben.^^^

XII. „Neue Ära" [863.] Überhaupt kündigte Friedrich L nur wenige Tage später ein von den Zeitgenossen als Beginn einer „Neuen Ära" aufgenommenes allgemeines Reformprogramm an, welches dem Ministerium einen weiten Handlungsspielraum eröffnete. Die leidige Kirchenfrage wurde bereits in den nächsten Monaten durch Widerruf des Konkordats und den Erlaß von fünf an seine Stelle tretenden, auf den 9. Oktober 1860 datierten Gesetzen abschließend geregelt. Lediglich der Entwurf des sechsten, den verfassungsrechtlichen Schutz der neuen Kirchengesetze betreffenden Gesetzes scheiterte in der Ersten Kammer. [864.] Um legislative Mehrheiten brauchte sich die neue Regierung in der Folgezeit keine Sorgen zu machen. Denn nach der Wahl von 1861 gewannen die Liberalen sogar noch 14 Mandate hinzu und verfugten nun über drei Viertel der Landtagssitze; 1863 vermochten sie die Zahl ihrer Abgeordnete sogar noch zu steigern. [865.] Ein Gesetz, das die Vorschriften der Verfassung zwar berührte, sie aber in ihrem Wortlaut nicht berührte, war dasjenige „Die Auslegung des §. 74 der Verfassungsurkunde betreffend'', vom 17. Juni 1862?^^ Da es aber die authentische Interpretation einer Verfassungsbestimmung betraf, vmrde es gleichwohl als ein Zusatz zur Verfassung angesehen.^^^ Der einzige Artikel dieses Gesetzes bestimmte, daß die in „§ 27, Absatz 1, 2 und 3" (richtiger § 27 Nrn. 1-3) der Verfassung aufgeführten Mitglieder der Ersten Kammer (Großherzogliche Prinzen, Standesherren, Erzbischof und Prälat) der von § 74 (Abs. 3 Satz 2) der Verfassung zur gültigen Beratschlagung über Verfassungsänderungen vorgeschriebenen Anzahl der Anwesenden von „drei Viertel der Mitglieder" nur bei Teilnahme an der Kammersitzung hinzurechnen waren. Die Regelung wird vor dem Hintergrund verständlich, daß die Gruppe der Standesherren den Kammersitzungen regelmäßig nahezu geschlossen fernblieb; was bei restriktiver Auslegung des Wortlauts stets zur Beschlußunfähigkeit der Ersten Kammer bei Verfassungsänderungen betreffenden Gesetzen führte und damit den Abwesenden faktisch ein Vetorecht gab. Gerade diesem, den Gang der Rechtsetzung beeinträchtigenden Verständnis von 27^ 279 2^^ 2^1 2^2

E. R. Huber (Fußn. 204), S. 198. Ähnlich//. Fenske, Baden 1860 bis 1918 (Fußn. 199), S. 136. W. Hug, Geschichte Badens, 1992, S. 261. Dok. 211/6. R. Goldschmit {V\xM. 213), S. 114.

436

2. Abschnitt: Verfassungsentwicklung in den deutschen Einzelstaaten (1806-1918)

§ 74 Abs. 3 Satz 2 der Verfassung wollte man endgültig einen Riegel vorschieben, nachdem schon 1837 und 1841 sowie unlängst (1862) anläßlich der Beratungen über den Erlaß eines Regentschaftsgesetzes in der Ersten Kammer Zweifel über die bisher geübte Auslegung der von § 74 Abs. 3 Satz 2 der Verfassung verlangten qualifizierten Mitgliederanwesenheit angemeldet worden waren. Dieses Gesetz veränderte somit zwar die Rechtspraxis nicht, bestätigte sie aber doch ausdrücklich. Jedenfalls waren damit die Rahmenbedingungen für die weiterhin ins Auge gefaßte Reformgesetzgebung insofern verbessert worden, als jetzt rein destruktive Störmanöver einer von der breiten Öffentlichkeit noch immer in erster Linie als reaktionär-revisionistisch wahrgenommenen Adelskaste eindeutig unterbunden werden konnten. Das Gesetz galt bis zum 1. Juli 1905. Es trat durch Art. 8 Nr. 2 des Gesetzes 24. August 19042^^ außer Kraft. [866.] Eine gewiß weitaus bedeutsamere Errungenschaft kombinierter Regierungs- und Kammerarbeit jener Tage waren die von ihr geschaffenen Polizei- und Justizgesetze. Hierzu zählte das bereits zum 31. Oktober 1863 in Kraft getretene Polizeistrafgesetz, welches nunmehr die Strafbefugnis der Polizei nach dem Grundsatz „nulla poena sine lege" regelte, ebenso wie ein neues Gerichtsverfassungsgesetz und einheitliche Zivil- und Strafprozessordnungen, die schon die von der Regierung eingeleitete Justizreform zur Mitte des Jahres 1864 zum Abschluß führten. Diese Justizgesetze brachten u. a. eine konsequente Trennung der zugleich neugegliederten Gerichtsorganisation von den Verwaltungsbehörden. Es galt mit Blick auf die Gerichtsverhandlungen durchweg das Mündlichkeits- und Öffentlichkeitsprinzip. Die sachliche Unabhängigkeit der Richter wurde gestärkt, die Staatsanwaltschaft neu geordnet sowie die Stellung der Anwälte und Notare verbessert. Femer sicherte das „ Gesetz, Die Rechtsverhältnisse der Richter betreffend'', vom 7. Oktober 1865^^'^ die persönliche Unabhängigkeit des Richterpersonals. Dieses Gesetz bildete gemäß seines § 19 „einen Bestandtheil der Verfassung"; was nichts anderes bedeutete, als daß die den Rechtsstatus der Richter betreffenden Regelungen ebenso materielles Verfassungsrecht darstellten, wie diejenigen, die in der Verfassungsurkunde selbst aufgeführt waren. So gewährleistete § 1 des Gesetzes die Unwiderrufliclikeit der Ernennung „von dem Tage des Dienstantritts" an. Eine Versetzung auf eine niedrigere Richterstelle als die zur Zeit Innegehabte sollte unzulässig, auf eine gleiche oder höhere gegen den Willen des Betroffenen „nur im Interesse des öffentlichen Dienstes zulässig" sein (§ 2 des Gesetzes). Die Entlassung aus dem Staatsdienst durfte ohne ihre Zustimmung allein „auf Grund eines strafgerichtlichen oder eines vom Disziplinarhof gefällten Erkenntnisses" erfolgen (§ 3 des Gesetzes). Rang- oder Besoldungsminderung war nur nach Maßgabe des hier in Rede stehenden Gesetzes zulässig (§ 4 des Gesetzes). Auch sollten die Besoldungsverhältnisse der Richter durch ein gesondertes Gesetz geregelt werden (§ 6 des Gesetzes). Überdies enthielt das Gesetz in den § § 8 - 1 8 ein spezielles Disziplinarrecht für Richter. Das Großherzogtum wurde auf diese Weise zum Vorbild für die Rechtsentwicklung in anderen Teilen Deutschlands und für die Reichsjustizgesetze der siebziger Jahre. 283 Dok. 148/12. 284 Dok. 240.

9: Baden

437

XIII. Badens Weg ins Deutsche Reich [867.] Im Frühjahr 1861 hatte Roggenbach das Außenministerium übernommen. Er war der Auffassung, daß Österreich einem künftig zu schaffenden deutschen Bundesstaat nicht angehören könne. Doch ließ sich die von Roggenbach angestrebte Lösung der deutschen Frage gegen den vehementen Widerstand Wiens nur in scharfer Konfrontation der beiden Großmächte durchsetzen. Dafür standen angesichts der zunehmenden innenpolitischen Spannungen in Preußen die Zeichen schlecht. Schon drohte der Hohenzollemstaat wegen des schweren Konflikts zwischen Regierung und Volksvertretung für viele badische Liberale an Attraktivität zu verlieren. Der Großherzog versuchte erfolglos seinen Schwiegervater König Wilhelm L zum Einlenken gegenüber dem preußischen Abgeordnetenhaus zu bewegen. Vorerst erwiesen sich Roggenbachs deutschlandpolitische Vorstellungen also innen- wie außenpolitisch als unrealistisch; ja, er sah sich deshalb im Oktober 1862 angesichts des preußischen Verfassungskonflikts sogar zu einer klaren Distanzierung von der Vorgehens weise der Berliner Regierung veranlaßt! [868.] Auch zollpolitisch stand Baden an der Seite Preußens, wie letztlich der Beitritt zu dem im August 1862 unterzeichneten preußisch-französischen Zollund Handelsvertrag bewies. Dies, die badische Mittlerfunktion im Verhältnis zwischen den anderen Mittelstaaten und Preußen sowie die Anerkennung des italienischen Königreichs stießen bei Österreich auf wenig Gegenhebe. Die Kluft zwischen Karlsruhe und Wien vergrößerte sich noch, als Baden die beim Frankfurter Fürstentag im Sommer 1863 von Kaiser Franz Joseph vorgelegte Reformakte wegen der dem Deutschen Bund darin nur nominell zugestandenen Entwicklungsmöglichkeiten mit fünf weiteren Staaten ablehnte. Femer belastete das badische Eintreten für einen möglichst engen Zusammenschluß Deutschlands zunehmend das Verhältnis zu den anderen Mittelstaaten. [869.] In den Jahren 1863/64 geriet Baden über die schleswig-holsteinische Frage in Gegensatz zu Preußen. Gleichwohl wollte Roggenbach das Großherzogtum an der Seite Berlins sehen, wenn - wovon er überzeugt war - Preußen gegebenenfalls einen bewaffneten Konflikt zur Lösung der deutschen Frage durchfechten würde. Doch fand er damit keinen politischen Rückhalt. Aber auch innenpolitisch war Roggenbach wegen des Streits mit der katholischen Kirche über die Schulfrage isoliert. Er trat daher im Oktober 1864 zurück. Zu seinem Nachfolger im Amt des Außenministers wurde der bisherige badischen Gesandte in Wien, Ludwig von Edelsheim, ernannt. Dieser lehnte - wie übrigens die Mehrheitsmeinung im Lande - eine Annäherung an ein Preußen ab, dessen Regierung aufgrund des andauernden Verfassungskonflikts ebenso wenig als Partner in Frage kam wie wegen der für „großpreußisch" eingeschätzten Deutschlandpolitik. Er hatte vielmehr die Wahrung des Deutschen Bundes bis zu einer Neuorganisation auf dem Verhandlungswege im Sinn. Deshalb sollte Baden bei dem sich im Frühjahr 1866 abzeichnenden Zusammenstoß der beiden deutschen Großmächte für Österreich und damit gegen Preußen Partei ergreifen. Der Großherzog zeigte sich dieser Programmatik gegenüber skeptisch, die Zweite Kammer sogar eindeutig ablehnend. Der preußische Antrag vom 9. April 1866 auf Bundesreform wurde nämlich von den Abgeordneten fast einstimmig begrüßt. Dennoch tat Edelsheim alles, um die

438

2. Abschnitt: Verfassungsentwicklung in den deutschen Einzelstaaten (1806-1918)

ohnehin schon kräftig anwachsende antipreußische Stimmung im Lande weiter zugunsten Wiens anzuheizen. [870.] Der Großherzog wie auch die anderen Regierungsmitglieder strebten indes nach bewaffneter Neutralität. Doch überzeugte Edelsheim seine Kollegen und den Landtag, daß Baden sich nicht gegen den Willen der Bevölkerungsmehrheit in Deutschland isolieren dürfe, sondern vielmehr gemeinsam mit den anderen süddeutschen Staaten handeln müsse. Es kam darüber in Karlsruhe zu einem harten Ringen zwischen dem Großherzog und den jetzt (ausgenommen Mathy) eine antipreußische Positionierung fordernden Ministem seiner Regierung. Die bald darauf einsetzende Bundesexekution gegen Preußen stieß in Baden trotz der Unpopularität Preußens überwiegend auf Ablehnung. Gleichwohl trat Baden schließlich an die Seite Österreichs; hielt aber seine Truppen aus den Kampfhandlungen gegen Preußen - von einigen unausweichlichen Gefechten abgesehen - weitgehend heraus. [871.] Der Ausgang der Schlacht bei Königgrätz zugunsten Preußens brachte einen erneuten Politikwechsel. Großherzog Friedrich war nunmehr fest entschlossen, seine Regierungsrechte stärker als bisher wahrzunehmen. Bereits Ende Juni 1866 wurde Edelsheim als Außenminister entlassen. Zudem wollte der Monarch entgegen dem Rat seiner noch im Amt verbliebenen und schließlich von ihm am 27. Juli 1866 entlassenen Minister den Austritt Badens aus dem Deutschen Bund, die Einstellung aller Feindseligkeiten unter Zurückholung des badischen Armeekorps' und die Aufnahme von Verhandlungen mit Preußen über den Beitritt zu einem deutschen Bundesstaat. Zum neuen Minister an der Spitze der Regierung sowie zum Handels- und Finanzminister ernannte er Karl Friedrich Mathy (1807 1868). Das Innen- und das Justizministerium erhielt Julius Jolly (1823 - 1901), das Außenministerium Karl Rudolf von Freydorf (1819-1881). Diese entschiedenen, noch dazu nach geltendem Verfassungsrecht ohne weiteres zulässigen Eingriffe des Großherzogs in die Politik legten offen, wie weit das Großherzogtum ungeachtet der „quasi-parlamentarischen Regierungsweise der zurückliegenden Jahre"^^^ - tatsächlich und erst Recht verfassungsrechtlich noch immer von einer parlamentarischen Regierungsweise entfernt war. Der vom Monarchen repräsentierte Konstitutionalismus behielt weiterhin die Oberhand. [872.] Die Erklärung über den Austritt aus dem Deutschen Bund erfolgte am 2. August 1866, der Waffenstillstand mit Preußen kam tags darauf zustande. Zu den kurz darauf in Berlin anberaumten Friedensverhandlungen reiste Außenminister Freydorf mit der sich nachher als illusorisch herausstellenden Weisung, die Aufnahme des Großherzogtums in den sich abzeichnenden norddeutschen Bundesstaat unter Preußens Führung zu betreiben. Der von Bismarck und Freydorf unterzeichnete Friedensvertrag kam am 17. August 1866^^^ zustande. Mit Württemberg war preußischerseits erst kurz zuvor, am 13. August 1866, ein im Kern gleichlautender Vertrag abgeschlossen^^^, mit Bayern und Hessen sollte bald dar-

H. Fenske (Fußn. 275), S. 154. Dok. 114. Dok. 112.

> 9: Baden

439

auf {22. August bzw. 3. September) der Abschluß entsprechender Verträge^^^ erfolgen. Baden verpflichtete sich in nach Art. 2 des Friedensvertrages zur Zahlung einer Kriegsentschädigung an Preußen in Höhe von sechs Millionen Gulden, Preußen wiederum zum Rückzug seiner Truppen aus den besetzten badischen Gebieten (Art. 5 des Vertrages). Femer wurde die einstweilige Wiederherstellung des Zollvereins auf der Basis des ZoUvereinigungsvertrages vom 16. Mai 1865^^^ unter Einräumung einer gegenseitigen sechsmonatigen Kündigungsfrist und Verhandlungen über die Neuregelungen der Zollvereins Verhältnisse vereinbart (Art. 7 des Vertrages). Darüber hinaus sah Art. 8 des Vertrages Verhandlungen über die gegenseitige Förderung des Eisenbahnwesens, Art. 9 des Vertrages die Aufhebung sämtücher Schiffahrtsabgaben auf dem Rhein zum 1. Januar 1867 vor. Überdies hatte das Großherzogtum gemäß in Art. 10 des Vertrages die Bestimmungen des am 26. Juli 1866 zwischen Preußen und Österreich in Nikolsburg abgeschlossenen Fräliminarfriedensvertrages^^^ - namentlich Art. 2 - anzuerkennen. Damit bestätigte Baden die Auflösung des Deutschen Bundes, die Schaffung des Norddeutschen Bundes und die Möglichkeit der Errichtung eines Südbundes, dessen Verständigung mit Norddeutschland künftiger Regelungen vorbehalten bleiben sollte. [873.] Des weiteren schloß man - wie kurz zuvor (13. August) bereits mit Württemberg^^^ und wenig später (22. August) auch mit Bayem^^^ - ein in erster Linie gegen die Abwehr französischer Hegemonie gerichtetes, ebenfalls am 17. August 1866 unterzeichnetes - wie es hieß „vorerst geheim" zu haltendes Schutz- und Trutzbündnis ab.^^^ Hierin (Art. 1) garantierten sich Baden und Preußen „gegenseitig die Integrität" ihres Staatsgebietes und verpflichteten sich „im Falle eines Krieges, ihre volle Kriegsmacht . . . einander zur Verfügung zu stellen". Für diesen Fall sollten die badischen Einheiten unter preußischen Oberbefehl treten (Art. 2). Den von Baden überdies gewünschten Abschluß einer Militärkonvention und die Stationierung preußischer Truppen in Rastatt lehnte Bismarck jedoch mit Blick auf die dadurch bei Napoleon III. zu erwartende Verstimmung ab. Mit der badischerseits begehrten Aufiiahme in den preußisch dominierten norddeutschen Bundes Staat verhielt es sich nicht anders. Sie blieb aber auch weiterhin das erklärte außenpolitische Ziel badischer Regierungspolitik, die in ihr eine Existenzfrage für Baden erblickte. [874.] Ende März 1867 wurden die Schutz- und Trutzbündnisse anläßlich der sich um Luxemburg zwischen Paris und Berlin zur politischen Krise auswachsenden Spannungen von Preußen bekanntgegeben. Damit war auch der Weg frei für die bis dahin namentlich vom badischen Landtag nur zögerlich behandelte Übernahme des preußischen Militärsystems, die im Kern schon im November 1867 erfolgte.

288 289 290 291 292 293

Dok. llSundDok. 121. Dok. 101. Dok. 111. Dok. 113. Dok. 119. Dok. 115.

440

2. Abschnitt: Verfassungsentwicklung in den deutschen Einzelstaaten (1806-1918)

[875.] Die in Art. 7 des Friedensvertrages vom 17. August 1866^^^ ebenso wie auch in den anderen Friedensverträgen Preußens mit den süddeutschen Staaten vereinbarte Reform des Zollvereins kam sehr schnell voran: Am 3. Juni 1867 traten auf preußische Initiative Vertreter der süddeutschen Staaten und des Norddeutschen Bundes in Berlin zu einer Zollkonferenz zusammen; schon am 8. Juli 1867 konnte zum Mißfallen namentlich Frankreichs, welches wohl nicht zu Unrecht eine Mediatisierung Süddeutschlands befürchtete, der neue Zoll- und Handelsvereinsvertrag'^^^ unterzeichnet werden. Beide Kammern nahmen die Neufassung des Zollvertrages einstimmig an. [876.] Die rasche Eskaliemng der preußisch-französischen Spannungen im Juli 1870 traf Regierung wie Öffentlichkeit dennoch völlig überraschend. Baden war in dieser Situation überhaupt nicht auf einen Krieg eingestellt. Nicht nur der Großherzog befand sich auf Besichtigungsreise, sondern auch der Generalstabschef war außer Landes. Obendrein besaß die Armee wegen der Beurlaubung vieler Soldaten nicht einmal ihre volle Friedensstärke. Gleichwohl bewährten sich jetzt die süddeutsch-preußischen Schutz- und Trutzbündnisse auch in Baden. Noch am Abend des 15. Juli 1870 wurde die Mobiknachung verfügt und im Laufe einer Woche reibungslos abgeschlossen. Der formelle Beschluß zur Teilnahme an dem am 19. Juli 1870 von Frankreich an Preußen erklärten Krieg erfolgte am 21. Juli 1870. Im Überschwang der seit August eintreffenden ersten deutschen Siegesmeldungen breitete sich überall nationale Euphorie aus. Auch die Regierung war nach wie vor zum Eintritt in den Norddeutschen Bund bereit. Der schon am 3. September 1870 gestellte und am 5. Oktober 1870 von Baden wiederholte Aufiiahmeantrag in den Norddeutschen Bund war beispielgebend für Hessen und förderte sowohl die bayerische als auch württembergische Gesprächsbereitschaft. [877.] Die am 20. Oktober 1870 zu entsprechenden Verhandlungen in das Hauptquartier nach Versailles reisenden Minister Jolly und Freydorf waren sich in der Sache schnell mit den an ihrer Seite verhandelnden hessischen Bevollmächtigten (Dalwigk und Hofmann) und mit ihren für den Norddeutschen Bund verhandelnden Gegenüber (Bismarck, Delbrück und Friesen) einig. Man verständigte sich in dem am 15. November 1870 unterzeichneten Vertrag^^^ über die Errichtung eines Deutschen Bundes auf der Grundlage der „anliegenden", den gesetzgebenden Faktoren vorzulegenden und zum 1. Januar 1871 in Kraft tretenden Verfassung^^'^. Für Baden enthielt der Vertrag im übrigen in erster Linie Übergangsbestimmungen. Hinzu kam eine auf den 25. November datierte Militärkonvention, die das Großherzogtum mit Preußen abschloß.^^^ Der „Verfassungsvertrag" wurde von der Zweiten Kammer am 16. Dezember 1870 nahezu einstimmig, die Militärkonvention gegen zwei Stimmen angenommen. In der am 19. Dezember 1870 über die Abkommen befindenden Ersten Kammer gab es jeweils zwei Gegenstimmen.

294 Dok. 114. 295 296 297 298

Dok. Dok. Dok. Dok.

102. 129. 134. 132.

§ 9: Baden

441

[878.] Bald nach der Unterzeichnung der entsprechenden bayerischen und württembergischen Kontrakte, aber noch vor Inkrafttreten der neuen gesamtstaatlichen Verfassung erfolgte deren erste Änderung, wodurch der Deutsche Bund den Namen „Deutsches Reich" und das Bundespräsidium die Titulatur „Deutscher Kaiser" erhielt.^^^ Bei der dann am 18. Januar 1871 stattfindenden Kaiserproklamation in Versailles war es Großherzog Friedrich L, der den ersten Hochruf auf „Kaiser Wilhelm" ausbrachte. [879.] Für die badischen wie für die VerfassungsVerhältnisse in den anderen süddeutschen Gliedstaaten bedeutete die Zugehörigkeit zum Deutschen Reich zweifellos eine tiefe Zäsur. Waren die Landeskompetenzen doch insbesondere durch die in Art. 4 der Reichsverfassung^^^ umfangreich der Reichsgewalt zugewiesenen Aufsichts- und Gesetzgebungsbefugnisse erheblich eingeschränkt. Zudem enumerierte Art. 80 der Reichsverfassung allein 28 Gesetze des bisherigen Norddeutschen Bundes, die vom 1. Januar 1871 ab auch für Baden gelten sollten. Für weitere Gesetze, wie das Strafgesetzbuch nebst dessen Einführungsgesetz und die das Postwesen betreffenden Gesetze, war das Inkrafttreten zum 1. Januar 1872 vorgesehen. XIV. Weitere Verfassungsentwicklung [880.] Seit 1867 standen wieder Fragen der Staatsreform auf der innenpolitischen Agenda. So wurden nunmehr das Vereins- und Versammlungsrecht einschränkende Vorschriften weitgehend beseitigt. Überdies brachte das aus zwei Artikeln bestehende, am 25. Oktober 1867 im Regierungsblatt publizierte Gesetz vom 21. Oktober 1867^^^ eine weitere Verfassungsänderung. Dessen Art. 1 hob § 37 Abs. 1 Nr. 3 der Verfassung^^^ auf, demzufolge die Wählbarkeit zum Abgeordneten davon abhing, daß der Staatsbürger „in dem Grund-, Häuser- und Gewerbesteuerkataster wenigstens mit einem Capital von 10.000 Gulden eingetragen ist, oder eine jährliche lebenslängliche Rente von wenigstens 1.500 Gulden von einem Stamm- oder Lehenguts-Besitze oder eine fixe ständige Besoldung oder Kirchenpfründe von gleicher Höhe als Staats- oder Kirchendiener bezieht, auch in diesen beiden letzteren Fällen wenigstens irgend eine directe Steuer aus Eigenthum zahlt". Diese Bestimmung versagte es insbesondere qualifizierten nicht beamteten Personen - wie etwa Ärzten, Künstlern oder Rechtsanwälten - , die mangels des zuvor genannten Kapitals nicht im Steuerkataster standen, Abgeordnete zu werden. Es war daher üblich geworden, daß ein Kandidat, der über kein entsprechendes Kapital oder zumindest über kein Steuerkapital in der verlangten Größe oder Beschaffenheit verfügte, ein Weinsteuerpatent nach der Weinakziseordnung vom 4. Januar 1812 in Verbindung mit den §§ 39, 32 der Gewerbssteuerordnung vom 6. April 1815 erwarb, durch das er mit dem entsprechenden („Ge^^^ 3^^ ^^^ 3^2

Dok. 134/1. Dok. 136. Dok. 211/7. Dok. 211.

442

2. Abschnitt: Verfassungsentwicklung in den deutschen Einzelstaaten (1806-1918)

werbs"-) Steuerkapital veranlagt wurde, ohne den Weinhandel auch tatsächlich ausüben zu müssen. Hierin sah man wohl zu Recht zwar keinen Verstoß gegen den Wortlaut der Verfassung, aber doch einen gegen deren Geist. Bezweckte nämlich § 37 Abs. 1 Nr. 3 der Verfassung, bestimmten Personenkreisen die Abgeordneteneigenschaft vorzuenthalten, so wurde dies vereitelt, wenn diesen über den Umweg der Mutation zum Weinhändler die Kammermitgliedschaft ermöglicht würde. Gerade dieser den § 37 Abs. 1 Nr. 3 der Verfassung umgehenden Praxis verdankte die Zweite Kammer indes eine Reihe ihrer hervorragendsten Persönlichkeiten. Mit der Streichung von § 37 Abs. 1 Nr. 3 der Verfassung „legalisierte" man daher nicht nur im Nachhinein eine seit langem ohnehin geltende Verfassungsrechtspraxis, sondern befreite zudem die Abgeordneteneigenschaft von den bisherigen steuerrechtlichen Zwängen; was letztlich auch die fragwürdigen Winkelzüge im Zusammenhang mit dem Weinsteuerpatent gegenstandslos werden ließ. [881.] Des weiteren wurde durch Art. 2 des Gesetzes vom 21. Oktober 1867 ein die Redefreiheit der Abgeordneten schützender § 48a Abs. 1 in die Verfassung eingefügt. Danach durfte kein Kammermitglied wegen seiner Abstimmungen oder Äußerungen bei Kammer-, Abteilungs- oder Kommissionsverhandlungen anders als nach Maßgabe der Geschäftsordnung der Kammer zur Verantwortung gezogen werden. Man wollte damit künftig verhindern, daß Abgeordnete wegen ihres Verhaltens in der Kammer vor Gericht gezogen werden konnten. Hierbei rückte weniger der Aspekt der ohnehin in Baden bis dahin nicht vorgekommenen staatlichen Verfolgung eines Abgeordneten in den Vordergrund als derjenige der Verfolgung durch Privatpersonen, welche einen Abgeordneten wegen persönlicher Kränkungen belangen könnten.^^^ Überdies sollten gemäß eines ebenfalls neu hinzugefügten § 48a Abs. 2 wahrheitsgetreue Berichte über Verhandlungen in den öffentlichen Sitzungen beider Kammern von jeder Verantwortlichkeit frei bleiben. [882.] Dem in der Verfassung vorgesehenen, in den letzten 50 Jahren aber nur zu einer unvollständigen Ausführung gelangenden Recht über die Ministerverantwortlichkeit nahm sich die Regierung ebenfalls an.^^"^ Anknüpfungspunkt für die in diesem Rahmen erfolgende achte direkte Einwirkung auf die Verfassung war das auf einen 1866 von den Kammern nicht mehr verabschiedeten, in der darauf folgenden Session teilweise erheblich veränderten Entwurf zurückgehende „ Gesetz, die Abänderung des §67 der Verfassungsurkunde bezüglich der Verantwortlichkeit der Minister betreffend'', vom 20. Februar 1868?^^ Es war von der Zweiten Kammer schließlich mit neun und von der Ersten mit nur zwei Gegenstimmen angenommen worden. Seine Publizierung erfolgte am 20. Februar 1868. Mit diesem insgesamt aus zwei Artikeln bestehenden Gesetz wurde über eine weitgehende Neufassung des § 67 der Verfassung hinaus ein neuer Abschnitt Via. mit den die Ministeranklage betreffenden §§ 6 7 a - 67g in die Verfassung eingefügt. Zunächst hob Art. 1 des Gesetzes den bislang den Kammern das Recht zur Ministeranklage einräumenden § 67 Abs. 1 Satz 3 - 5 der Verfassung zugunsten der mittels Art. 2 ^^^ R. Goldschmit (FuRn, 213), S. 122. ^^"^ Vgl. zum Nachfolgenden F. Schnabel, Geschichte der Ministerverantwortlichkeit in Baden, 1922. 305 Dok. 211/8.

: 9: Baden

443

des Gesetzes neu geschaffenen §§ 67a-67g auf Zudem traten an die Stelle des bisherigen § 67 Abs. 3 der Verfassung neue Absätze 3 - 5 . Die mit dem Art. 2 des Gesetzes eingeführten §§ 6 7 a - 67g der Verfassung regelten detailliert das Verfahren der Ministeranklage, dessen Einleitung der Zweiten Kammer gegen „Minister und Mitglieder der obersten Staatsbehörde wegen einer durch Handlungen oder Unterlassungen wissentlich oder aus grober Fahrlässigkeit begangenen Verletzung der Verfassung oder anerkannt verfassungsmäßiger Rechte, oder schweren Gefährdung der Sicherheit oder Wohlfahrt des Staates" bei einem mit qualifizierter Mehrheit gefaßten Beschluß zustand (§ 67a Abs. 1 und 2). Für den Fall der Verurteilung war jedenfalls auf Entlassung des Angeklagten aus dem Staatsdienst zu erkennen (§ 67a Abs. 4). Zur Entscheidung berufen war die Erste Kammer als Staatsgerichtshof unter dem Vorsitz ihres Präsidenten, ergänzt durch den Präsidenten des obersten Gerichtshofs und acht weiteren aus Kollegialgerichten des Landes zu berufenen Richtern (§ 67b Abs. 1 und Abs. 3 Satz 1). Die näheren Bestimmungen darüber blieben einem eigens zu erlassenen Gesetz vorbehalten (§ 67b Abs. 4), welches dann aber erst gut eineinhalb Jahre später, am 11. Dezember 1359306^ erging. Die §§ 67c - 67f regelten das im Rahmen der Ministeranklage zu beachtende Procedere. Praktische Wirksamkeit erlangten diese Regelungen indes nie. Erst durch einen zusätzlich in die Verfassung implantierten § 67g wurde schließlich die Gegenzeichnungspflicht eines Regierungsmitglieds für die vom Großherzog erlassenen Verwaltungsverordnungen und -Verfügungen statuiert. Hiermit unterlag in konsequenter Ergänzung der Vorschriften über das Ministeranklageverfahren nun auch das großherzogliche Exekutivhandeln administrativer Verantwortung. [883.] Als Mathy am 3. Februar 1868 starb, ernannte der Großherzog Julius Jolly zum Nachfolger. Jolly nahm eine Kabinettsumbildung vor: Stabel und Ludwig erhielten ihre Entlassung, das Justizministerium ging an Freydorf; das Handelsministerium bekam Gottfried von Dusch, ein unpolitischer liberaler Laufbahnbeamter, übertragen. Finanzminister wurde Moritz Ellstätter (1827 - 1905), ein Anwalt jüdischen Glaubens und seit 1864 im Staatsdienst, wo er zuletzt Mathys engster Mitarbeiter war. Diese Regierungsveränderung geschah getreu der wieder erstarkten konstitutionellen Regierungspraxis einmal mehr, ohne Berücksichtigung des Kammerwillens. [884.] Die dann im August 1869 stattfindenden Ergänzungswahlen brachten der Katholischen Volkspartei und den Demokraten zwar einen beachtlichen Stimmenzuwachs. Gleichwohl schlug sich dies wegen des indirekten Wahlverfahrens nicht bei der Kammerzusammensetzung nieder. Die Liberalen behielten eine überwältigende Mehrheit. [885.] Regierung und Landtag absolvierten in der Folgezeit ein umfangreiches Gesetzgebungsprogramm. Dessen hervorstechendstes und zugleich umfangreichstes Ergebnis war aus verfassungspolitischer wie verfassungsrechtlicher Sicht gewiß das aus insgesamt neun Artikeki bestehende ,, Gesetz. Die Aenderung einiger

^^^ Gesetz, das Verfahren bei Ministeranklagen betreffend, vom 11. Dezember 1869 (Gesetzes- und Verordnungs-Blatt für das Großherzogtum Baden, 1869, S. 542).

444

2. Abschnitt: Verfassungsentwicklung in den deutschen Einzelstaaten (1806-1918)

Bestimmungen der Verfassungsurkunde betreffend'', vom 21. Dezember 1869^^^. Es modifizierte den Wortlaut der §§ 36, 37, 45, 7 4 - 7 6 , ersetzte die § § 7 0 - 7 3 durch einen einzigen Passus und führte zur Einfügung der §§ 40a und 65a in die Verfassung. Art. 1 des Gesetzes veränderte § 36 der Verfassung dahingehend, daß letzterer jetzt grundsätzlich alle Staatsbürger - ausgenommen diejenigen, welche Mitglieder der Ersten Kammer oder bei der Wahl der Grundherren stimmfähig oder wählbar waren und vorbehaltlich besonderer gesetzlicher Bestimmungen -, die das 25. Lebensjahr vollendet und ihren Wohnsitz im Wahlbezirk hatten, als zur Wahl der Wahlmänner aktiv wie passiv für wahlberechtigt erklärte. Die bisherige Anknüpfung des Wahlrechts an das Gemeindebürgerrecht für alle kein öffentliches Amt Bekleidenden war damit beseitigt. Sie wurde schon in den frühen 1830er Jahren zunehmend als unzeitgemäß empfunden; weshalb es seitdem wiederholt zu Vorschlägen kam, die einschlägigen Verfassungsvorschriften abzuändern. So verlangte man in der Zweiten Kammer schon 1831 erfolglos, daß das Wahlrecht allein an das Staatsbürgerrecht geknüpft werden müsse. Spätere, in den Jahren 1841/42 und 1846 an die Zweite Kammer gerichtete Petitionen blieben ebenfalls ohne die gehörige Resonanz. Auch der am 13. April 1849 regierungsseitig der Zweiten Kammer vorgelegte Gesetzentwurf, betr. die Zusammensetzung der beiden Kammern der Ständeversammlung, sah einschneidende Änderungen bezüglich des Wahlrechts zur Zweiten Kammer vor. Es sollten nämlich hinsichtlich Wahlberechtigung und Wählbarkeit dieselben Bestimmungen zur Anwendung kommen, wie diejenigen in dem von der Frankfurter Nationalversammlung am 27. März 1849 beschlossenen Reichsgesetz über die Wahlen der Abgeordneten zum Volkshaus des Reichstages. Doch blieb diese Gesetzes vorläge wegen des schon bald darauf beginnenden Aufstandes unerledigt. Erst 1866 thematisierte die Zweite Kammer wieder den Wegfall des Gemeindebürgerrechts als Erfordernis der Wahlberechtigung und Wählbarkeit. Man beschloß am 20. Oktober 1866 mit 39 von 41 Stimmen eine Adresse an den Großherzog zu richten, in welcher um eine entsprechende Verfassungsänderung gebeten wurde. Stattdessen sollte der dauerhafte Aufenthalt am Wohnort genügen. Doch verlief dieses auf ein allgemeines Wahlrecht hinauslaufende Begehren abermals im Sande. [886.] Einen Antrag aus der Mitte der Zweiten Kammer nach Einführung der direkten Wahl lehnte die liberale Kammermehrheit ab; sie wußte sehr wohl, daß sie dem indirekten Wahlmodus ihre starke Stellung verdankte. Deshalb wurde hieran nicht gerüttelt. Das sollte auch bis 1904 so bleiben. [887.] Der durch Art. 2 des Gesetzes vom 21. Dezember 1869 modifizierte § 37 der Verfassung machte daran anknüpfend die Wählbarkeit zum Abgeordneten selbst nur noch davon abhängig, daß der jeweilige Staatsbürger das 30. Lebensjahr vollendet hatte und die Wählbarkeit zum Wahlmann besaß. Damit hatte sich das auf alle Staatsbürger erstreckende allgemeine und gleiche Wahlrecht durchgesetzt. Ausnahmen davon statuierte das Gesetz vom 16. April 1870 über einige Abänderungen der Wahlordnung^^^ nur noch für den Fall der Entmündigung, des Konkurses, des Empfangs von Armenunterstützung im letzten der Wahl vorangegangenen Dok. 211/9. Gesetzes- und Verordnungs-Blatt für das Großherzogtum Baden, 1870, S. 300.

» 9: Baden

445

Jahr und der strafgerichtlichen Verurteilung. Mit dem durch Art. 3 des Gesetzes in die Verfassung aufgenommenen § 40a wurde klargestellt, daß ein gewähltes Kammermitglied, welches ein besoldetes Staatsamt annahm oder als Beamter befördert wurde, sein Mandat verlor und dieses nur im Zuge der Neuwahl wiederzuerlangen vermochte. War nach § 45 der Verfassung bisher die für die Zweite Kammer vorzunehmende Bestimmung ihres Präsidenten aus der Mitte von drei durch die Kammer zu bestimmenden Kandidaten vom Großherzog vorzunehmen, so normierte die durch Art. 4 des Gesetzes veränderte Verfassungsnorm jetzt, daß die Kammer ihren Präsidenten selbst wählte. Das dem Staatsoberhaupt zustehende Bestätigungsrecht fiel also seither weg. Obendrein sah Art. 5 des Gesetzes mit der Einfügung des § 65a in die Verfassung für beide Kammern das Recht der Gesetzesinitiative vor. Auch führte man mit Art. 6 des Gesetzes insofern eine Vereinfachung des Geschäftsgangs bei der Behandlung von Gesetzesvorlagen ein, als die bislang stets eine geheime Vorberatung in „besonderen Commissionen" verlangenden § § 7 0 - 7 3 der Verfassung aufgehoben wurden. Anstatt ihrer erklärte besagter Art. 6 die Annahme von Gesetzesentwürfen auch ohne Vorberatung für zulässig, wenn innerhalb eines Zeitraumes, zwischen dem mindestens drei Tage liegen mußten, eine zweimalige getrennte Beratung und Abstimmung stattgefunden hatte. Art. 7 des Gesetzes gab dem das Abstimmungsverhalten in den Kammern determinierenden § 74 Abs. 2 der Verfassung eine andere Fassung, derzufolge Stimmenzahl und Verfahren bei den von den Kammern vorzunehmenden Wahlen künftig „unbeschadet der in § 51 der Verfassungsurkunde enthaltenen Vorschrift durch die Geschäftsordnungen geregelt" würden. Damit war den Kammern insoweit Autonomie zugebilligt. Dem den gemeinsamen Zusammentritt beider Kammern ausschließenden § 75 Abs. 1 der Verfassung widerfuhr durch Art. 8 des Gesetzes eine redaktionelle Anpassung. Schließlich erhielt der das Procedere der Teilnahme von Regierungsmitgliedem und großherzoglichen Kommissaren an den Kammersitzungen regelnde § 76 der Verfassung nach Maßgabe des Art. 9 des Gesetzes eine Neufassung. [888.] Kaum fünf Monate später, aber bereits nach Vollendung der Reichsgründung, erfolgte schon die zehnte Änderung der Verfassung durch das aus zwei Artikeln bestehende „ Gesetz. Die Änderung einiger Bestimmungen der Verfassungsurkunde betreffend'', vom 16. April 1870^^^. Art. 1 dieses Gesetzes modifizierte § 38 der Verfassung dahingehend, daß die Dauer des Abgeordnetenmandats für die Zweite Kammer von acht auf vier Jahre bei hälftiger Erneuerung alle zwei Jahre herabgesetzt wurde. Insgesamt sollte dem Volk angesichts des sich immer deutlicher abzeichnenden schnellen Wandels der Lebensverhältnisse die Möglichkeit eingeräumt werden, in kürzeren Zeitabständen als bisher die Wählerstimme abzugeben. Dem weitergehenden Beschluß der Zweiten Kammer, die in den §§29 und 31 der Verfassung festgelegte Mandatsdauer der zur Ersten Kammer gehörenden Abgeordneten der Grundherren und der Universitäten künftig entsprechend auf vier bzw. zwei Jahre festzusetzen, verweigerte die Erste Kammer allerdings ihre Zustimmung. Des weiteren änderte Art. 2 den durch das Gesetz vom 5. August

309

Dok. 211/10.

446

2. Abschnitt: Verfassungsentwicklung in den deutschen Einzelstaaten (1806-1918)

184P^^ bereits modifizierten § 79 der Verfassung in den Abs. 2, 4 und 5. Sollten gemäß § 79 Abs. 2 bislang von den Abgeordneten der Zweiten Kammer erstmals nur 15 und in den drei folgenden Perioden jedesmal 16 Mitglieder nach jeweils zwei Jahren ausscheiden, so betraf die Teilemeuemng nunmehr beim ersten Mal 31 und in der zweiten Periode 32 Kammermitglieder. Ansonsten trug man auch mit der Änderung der beiden zu einem Abs. 4 zusammengefaßten Abs. 4 und 5 in § 79 der Verfassung im wesentlichen nur dem abweichend zur bisherigen Viertelsemeuerung neu eingeführten hälftigen Austausch der Abgeordneten der Zweiten Kammer Rechnung. [889.] Einen Monat darauf wurde durch das Gesetz vom 14. Mai 1870^^^ zu einer durchgreifenden Kommunalreform geschritten. Es vollzog für die sieben großen Städte des Landes, in denen die Anzahl der Nichtbürger diejenige der Bürger längst überwog, den Übergang zur Einwohnergemeinde. Jetzt erhielten alle unbescholtenen männlichen Reichsangehörigen, die das 24. Lebensjahr vollendet hatten, das Bürgerrecht. Den anderen Städten blieb die Übernahme dieser Regelung freigestellt. Obendrein wurde die Stellung der Bürgermeister verbessert. [890.] Verfassungspolitisch bewegte sich ansonsten bis ins Jahr 1876 nichts mehr. Dies änderte sich erst mit dem Erlaß des in diesem Jahr zustandegekommenen und zum 1. Januar 1877 in Kraft getretenen Gesetzes „Die Einrichtung und Befugnisse der Oberrechnungskammer betreffend'', vom 25. August 7^76^^^. Es galt nämlich aufgrund seines Art. 21 Satz 1 „als Verfassungsgesetz". Bis dahin hatte die bereits seit dem Edikt vom 19. März 1819^^^ bestehende Oberrechnungskammer als Institution in der Verfassungsurkunde selbst keine Erwähnung gefunden. [891.] Bei der Oberrechnungskammer handelte es sich seither um eine der Regierung direkt untergeordnete Stelle, die dazu bestimmt war, die Kontrolle über das gesamte Rechnungswesen des Staates auszuüben sowie Beanstandungen dem Finanzministerium anzuzeigen. Ihre Zuständigkeit erweiterte sich durch Landesherrliche Verordnung vom 11. Oktober 1832^^"^ darauf, die von der Regierung den Kammern gemäß § 55 der Verfassung vorzulegenden Verwendungsnachweise für die im Rahmen des Staatshaushalts bewilligten Ausgaben zu prüfen. In Anbetracht der letzterwähnten Aufgabe verlangten die Kammern schon Ende der 1840er und zu Anfang der 1850er Jahre wiederholt, die Rechtsverhältnisse der Oberrechnungskammer gesetzlich festzulegen. Man bemängelte an dem bestehenden Zustand namentlich, daß für eine Behörde, die auch über das Finanzgebaren der obersten Staatsbehörden zu wachen habe und welche den Kammern die Gewähr fiir die Korrektheit der ihnen präsentierten Ausgabenbelege geben sollte, formell keine gegenüber dem Staatsministerium unabhängige Stellung besitze. Dem trug die Regierung jedoch erst im Jahre 1875 durch Vorlage eines von den Kammern 310 Dok. 211/4.

311 Gesetz, die Abänderung einiger Bestimmungen des Gesetzes über die Verfassung und Verwaltung der Gemeinden betr., vom 14. Mai 1870 (Gesetzes- und Verordnungs-Blatt für das Großherzogtum Baden, 1870,8.423). 312 Dok. 243. 313 Großherzoglich-Badisches Staats- und Regierungs-Blatt, 17. Jg., 1819, S. 50. 314 A. a. O., 30. Jg., 1 8 3 2 , 8 . 4 5 0 .

> 9: Baden

447

zu ihren Gunsten später noch modifizierten Entwurfs Rechnung, der sich eng an das preußische Gesetz vom 27. März 1872 anlehnte. [892.] Durch das Gesetz vom 25. August 1876 bekam die Oberrechnungskammer die Aufgabe zugewiesen, „die Kontrolle des gesamten Staatshaushalts durch Prüfung und Feststellung der Rechnungen über Einnahmen und Ausgaben von Staatsgeldem, über Zugang und Abgang von Staatseigenthum und, soweit dies nicht durch besondere Gesetze dem landständischen Ausschuß übertragen ist, über die Verwaltung der Staatsschulden zu führen" (Art. 1). Sie setzte sich aus einem vom Großherzog auf Antrag des Staatsministeriums zu ernennenden Präsidenten und der erforderlichen Anzahl von auf Vorschlag des Präsidenten der Oberrechnungskammer vom Landesherm zu ernennenden Kollegialräten sowie dem nötigen Revisions- und Kanzleipersonal zusammen (Art. 2 ff.). Die Kammer war ein Kollegialorgan und faßte ihre Beschlüsse nach Maßgabe eines auf ihren Vorschlag im Verordnungswege zu erlassenden Regulativs durch Stimmenmehrheit ihrer Mitglieder (Art. 6 f). Zur Wahrung ihrer Unabhängigkeit auch gegenüber der Regierung unterstand die Oberrechnungskammer, wie es in Art. 1 des Gesetzes hieß, „unmittelbar" dem Landesherm. Für ihre Mitglieder galt gemäß Art. 19 des Gesetzes ein besonderes Disziplinarrecht. Danach besaßen etwa die Kammern, sofern es die Funktion der Oberrechnungskammer als Unterstützungsorgan der Kammern bei der Kontrolle des Staatshaushalts betraf, das Recht, gegen Oberrechnungskammermitglieder von sich aus die Einleitung eines Disziplinarverfahrens zu beantragen und dessen Durchfühnmg gegebenenfalls zu erzwingen. Dem Oberrechnungskammergesetz widerfuhren später kleinere Änderungen durch das Gesetz vom 26. Januar 1884^^^ und § 134 Nr. 7 des Beamtengesetz vom 24. Juli 1888^^^. [893.] Schon in der Begründung des Entwurfs zum Oberrechnungskammergesetz, dann in dem ersten von der Oberrechnungskammer dem Landtag vorgelegten Prüfungsbericht war der Erlaß eines die Verwaltung der Staatseinnahmen und Staatsausgaben betreffenden Gesetze als wesentlichste Voraussetzung für die Erfüllung der der Oberrechnungskammer obliegenden Aufgaben bezeichnet worden. Diesem Desiderat trug die Regierung durch einen 1880 dem Landtag vorgelegten Gesetzentwurf Rechnung, der sich eng an die wiederholt in den Reichstag eingebrachte Vorlage für ein entsprechendes Reichsgesetz anlehnte. Da dieser Entwurf vor Ende der Sitzungsperiode des Landtages nicht mehr verabschiedet werden konnte, wurde er im wesentlichen unverändert dem darauf folgenden Landtag erneut vorgelegt und ohne nennenswerte Modifikationen angenommen. Dieses zum 1. Januar 1884 in Kraft getretene „ Gesetz. Den Staatsvoranschlag und die Verwaltung der Staats-Einnahmen und -Ausgaben betreffend'', vom 22. Mai 1882^^^ („Etatgesetz") beendete einen bis dahin gleichsam auf Gewohnheitsrecht beruhenden Zustand bei der Aufstellung des Staatshaushalts, der sich seit Bestehen der Verfassungsurkunde zwischen Regierung und Kammern allmählich herausgebildet hatte.^^^ Mit ihm wurde in erster Linie der bisherige Rechtszustand kodifikatorisch 315 Dok. 243/1. 316 Dok. 211/11. 3i'7 Dok. 245. 318 K. Glockner (Fußn. 106), S. 344; E. Walz (Fußn. 272), S. 283.

448

2. Abschnitt: Verfassungsentwicklung in den deutschen Einzelstaaten (1806-1918)

fixiert. Es erhielt mit Ausnahme seiner Art. 20 - 23 ebenso wie das Oberrechnungskammergesetz in seinem Art. 34 den Status „als Verfassungsgesetz". Diesen Status verlor es allerdings durch das seit dem 1. Januar 1890 geltende „Gesetz. Die Abänderung des Gesetzes über den Staatsvoranschlag und die Verwaltung der Staatseinnahmen und -Ausgaben (Etatgesetz) betreffend' vom 24. Juli 1888^^^, dessen § 2 Abs. 2 den Art. 34 des Etatgesetzes ersatzlos strich. [894.] Eine weitere Änderung widerfuhr der Verfassungsurkunde^^^ mittels §147 Nr. 1 des badischen Beamtengesetzes vom 24. Juli 1888^^K Dies betraf die ersatzlose Streichung der die Rechtsverhältnisse der Staatsdiener sowie die Institute der weltlichen und geistlichen Witwenkasse und der Brandversicherung unter den Schutz der Verfassung stellenden §§24 und 25 der Verfassung. Hierin sah man in erster Linie eine längst überfällige Anpassung an das für vorbildlich angesehene, insoweit ebenfalls nur einfachgesetzlich ausgestaltete preußische und das mittlerweile geltende Reichsrecht. [895.] Am S.März 1893 schied der mittlerweile leitende Staatsminister Karl Friedrich Turban (1821 - 1898) aus dem Amt. Ihm folgte unter Beibehaltung des Justiz- und Kultusministeriums Wilhelm Nokk (1832 - 1903). Das 1871 aufgehobene Außenministerium wurde wiederhergestellt und an die Spitze der bisherige Bundesratsbevollmächtigte Arthur von Brauer berufen. Friedrich Wilhekn Eisenlohr (1833 -1916) behielt das Innenministerium; das Finanzministerium ging von Ellstätter an den Ministerialrat im Innenministerium Adolf Buchenberger (1848 1904) über. Der neuen Regierung fehlte es anders als ihrer Vorgängerin schon bald an einer sicheren liberalen Kammermehrheit. Die namentlich aus Zentrum, Freisinnigen, Demokraten und Sozialdemokraten bestehende Opposition verfügte nämlich schon im Herbst 1893 über 33 der 63 Sitze. Die Liberalen brachten es in der Folgezeit bis 1903 nur noch auf knapp 40 % der Kammermandate. Die Vorstellungen dieser Opposition mochten zwar in vielen Punkten auseinander gehen, nicht indes in der Ablehnung des indirekten Wahlrechts. [896.] Die insgesamt acht Jahre der Regierung Nokk waren in verfassungspolitischer Hinsicht eindeutig geprägt von dem zähen, im Ergebnis aber erfolglosen Ringen um die weitere Demokratisierung des Wahlrechts. Dies lag indes nicht nur am Widerstand von Regierung und Erster Kammer, sondern auch an den in der Zweiten Kammer vertretenen Parteien. Immerhin war auch die Regierung bereit, auf den indirekten Wahlmodus zu verzichten, sofern nur der Einfluß des mittleren Bürgertums in der Kammer weiter gewährleistet bliebe. Doch blieb die Regierung untätig. Die Kammersession 1895/96 brachte entsprechende wahlrechtspolitische Vorstöße seitens des Zentrums und der Demokraten. Allerdings waren ihre Vorstellungen zur Einführung eines direkten Wahlrechts nicht mehrheitsfähig, weil man befürchtete, die Zweite Kammer in eine Vertretung der unteren Klassen umzuwandeln und damit zu radikalisieren. Zwar erreichte ein Vorschlag der Liberalen, die Kammer fortan aus 73 Abgeordneten bestehen zu lassen, von denen 58 mit relativer Mehrheit geheim und direkt in Einmann-Wahlbezirken, 15 mit ab3^9 Dok. 245/1. 320 Dok. 211. 321 Dok. 211/11.

9: Baden

449

soluter Mehrheit von den Gemeindevertretungen der 13 größeren Städte zu wählen seien durchaus eine knappe Kammermehrheit. Gleichwohl blieben konkrete Folgen hier wegen der Ablehnung in der Ersten Kammer ebenso aus wie hinsichtlich der Forderung des Zentrums nach einer gleichmäßigeren Wahlkreiseinteilung. In der darauf folgenden Kammersession engagierten sich die Sozialdemokraten in der Wahlrechtsfrage ebenso erfolglos. Ihr Postulat betraf die Herabsetzung des Wahlalters vom 25. auf das vollendete 21. Lebensjahr, die Verhältniswahl und die Festlegung des Wahltages auf einen Sonn- oder Feiertag. [897.] Doch bereits im Frühjahr 1898 zeigte sich die Erste Kammer für Wahlrechtsfragen aufgeschlossener, wollte diese jedoch in den Rahmen einer umfassenden Verfassungsreform eingebettet sehen. Angesichts dessen sah sich die Regierung für die nächste Kammersession veranlaßt, eine Vorlage zur direkten Wahl anzukündigen. Als dies dann im Dezember 1899 tatsächlich geschah, stießen die Vorschläge bei der Kammermehrheit auf wenig Gegenliebe. Darüber trat Innenminister Eisenlohr im September 1900 zurück. Sein Nachfolger wurde der bisherige Ministerialdirektor Karl Schenkel (1845- 1909). Im Juni 1901 folgte Artur Brauer (1845 - 1926) dem aus Altersgründen scheidenden Nokk im Ministerpräsidentenamt. [898.] Schon kurz nach der Wiedereröffnung der Kammern im November 1901 kam es in der Zweiten Kammer zu einer erstaunlich schnellen Verständigung der Parteien über die Wahlrechtsfrage. Femer regte man seitens der Nationalliberalen die Reform der Ersten Kammer an: Sie sollte um zwei Oberbürgermeister, drei Vertreter der Handelskammern, zwei der landwirtschaftlichen Interessenvertretungen und einen der Handwerkskammern erweitert werden; obendrein war für die Technische Hochschule in Karlsruhe ein Sitz vorgesehen. Die Regierung wiederum zeigte keine Eile und gedachte erst in der nächsten Kammersession, einen umfassenden Gesetzesentwurf vorzulegen. Daher schloß sie den Landtag, bevor die Erste Kammer sich überhaupt mit den Beschlüssen der Zweiten Kammer befassen konnte. [899.] Nach dem Zusammentritt des Landtags leitete die Regierung der Zweiten Kammer am 9. Dezember 1903 tatsächlich die angekündigten Gesetzvorlagen zu. Sie rekurrierte darin im wesentlichen auf das sich angesichts der bisherigen Diskussionen bereits als realisierbar Abzeichnende und brachte überdies einen Entwurf für eine neue Wahlkreiseinteilung ein. Dennoch wurden die vorgeschlagenen Verfassungsänderungen in den zwischen Januar und Mai 1904 stattfindenden Kammerberatungetf 22 teilweise sehr kontrovers aufgenommen und modifiziert. So beseitigte man das Stellvertretungsrecht der Standesherren und kirchlichen Würdenträger in der Ersten Kammer, veränderte die Zusammensetzung dieser Kammer, erhöhte die Abgeordnetenzahl der Zweiten Kammer und sah für die größeren Städte einen Proporz vor. [900.] Die Erste Kammer strich in ihren bis zum 5. Juh 1904 währenden Beratungen einen Teil der Änderungen wieder und sprach sich vor allem für die auch im Regierungsentwurf vorgesehene Gleichberechtigung mit der Zweiten Kammer in Finanzfragen aus. Letzteres lehnte die Zweite Kammer jedoch ab. Dem darauf322 Vgl. dazu K. Glockner (Fußn. 106), S. 29 ff.

450

2. Abschnitt: Verfassungsentwicklung in den deutschen Einzelstaaten (1806-1918)

hin zwischen beiden Kammern gefundenen Kompromiß stimmte die Erste Kammer am 13. Juli 1904 mit 20 gegen vier Stimmen, die Zweite Kammer am 15. Juli 1904 mit 56 gegen sechs Stimmen zu. Damit konnte das aus insgesamt acht Artikeln bestehende Gesetz vom 24. August 1904^^^, welches die letzte und zugleich umfassendste Modifikation der badischen Verfassung darstellte, zum 1. Juli 1905 in Kraft treten. Im Anschluß daran wurde der von da an geltende Text der Verfassung durch das Innenministerium auf den 26. August 1905 datiert im Gesetzesund Verordnungsblatt vom 8. September 1905 unter Aktualisierung der überkommenen Schreibweise neu bekannt gemacht.^^"^ [901.] Fortan erhöhte sich die Zahl der zu Mitgliedern der Ersten Kammer zu wählenden Abgeordneten gegenüber der bislang in § 27 der Verfassung vorgesehenen um elf, wovon auf die Wirtschaftskammem (Handels-, Landwirtschaftsund Handwerkskammer) insgesamt sechs, auf die Städte und Kreisausschüsse zusammen vier Mandate und auf die Technische Hochschule Karlsruhe ein Mandat entfielen. Ein neu in die Verfassung eingefügter § 32a regelte die an das aktive und passive Wahlrecht geknüpften Voraussetzungen der zu wählenden Kammermitglieder. Hinzu kamen nach § 31 n. F. noch zwei vom Großherzog zu berufende höhere richterliche Beamte. Infolgedessen wurde die bisher schon ohne Rücksicht auf Stand und Geburt durch den Monarchen zu ernennende Zahl der Mitglieder von höchstens acht auf maximal sechs reduziert. Zudem stellte ein ebenfalls neu in die Verfassung aufgenommener § 32b klar, daß niemand Mitglied beider Kammern sein dürfe. [902.] Obendrein bestand die Zweite Kammer nach dem novellierten § 33 der Verfassung nicht mehr aus 63, sondern aus 73 Mitgliedern, die alle vier Jahre (§ 37 Abs. 1 n. F.) in Einer-Wahlkreisen „in allgemeiner, unmittelbarer und geheimer Abstimmung" zu bestimmen waren. Das Mandat mußte mit absoluter Mehrheit errungen werden, anderenfalls fand zwischen allen Kandidaten, auf die mehr als 15 % der abgegebenen Stimmen entfallen waren, eine Stichwahl statt, bei der dann die einfache Stimmenmehrheit ausreichte. Die rechtlichen Anforderungen an die aktive und passive Wahlberechtigung bestimmten die ebenfalls neu gefaßten §§34 bis 36. Für die näheren Regelungen, „insbesondere über die WahlIcreise und das Wahlverfahren", war ein besonderes Gesetz zu erlassen (§38 n. F.), welches in Gestalt des Landtagswahlgesetzes^^^ zeitgleich mit dem Verfassungsänderungsgesetz erging. [903.] Der bisherige Vorrang der Zweiten Kammer gegenüber der Ersten in Finanzfragen wurde durch die Neuformulierung der §§ 60, 61 der Verfassung etwas abgeschwächt. Kam bis dahin ein die Finanzen betreffender Gesetzentwurf überhaupt nur zur Abstimmung vor die Erste Kammer, wenn er zuvor von der Zweiten Kammer angenommen worden war, und dann auch allein, um über Annahme oder Nichtannahme der Vorlage im Ganzen zu entscheiden; so stand der Ersten Kammer nunmehr die Befugnis zu, nach erfolgter Beschlußfassung durch die Zweite

323 Dok. 211/12. 324 Dok. 246. 325 Vom 24. August 1904 (Gesetzes- und Verordnungs-Blatt für das Großherzogtum Baden, 1904, S. 347).

> 9: Baden

451

Kammer über die einzelnen Teile der Vorlagen zu beraten und gesondert zu beschließen. Die Vorlagen konnten jetzt mit Änderungsvorschlägen zu bestimmten Positionen an die Zweite Kammer zurückverwiesen werden. Allerdings kam der Ersten Kammer damit auch j etzt kein absolutes Vetorecht zu. Denn der neue § 61 Abs. 3 der Verfassung sah zwar für den Fall der Nichteinigung beider Kammern zunächst einen von beiden Seiten durchzuführenden Verständigungsversuch vor. Blieb dieser jedoch erfolglos, galt auch weiterhin die endgültige Beschlußfassung der Zweiten Kammer. Lehnte die Erste Kammer einen von der Zweiten Kammer angenommenen Entwurf im Ganzen ab, so wurde auf Verlangen von Regierung oder Zweiter Kammer in einer Gesamtabstimmung mit Durchzählung der in beiden Kammern abgegebenen Stimmen darüber beschlossen, ob der Entwurf in der ihm von der Zweiten Kammer gegebenen Fassung anzunehmen sei. Aber auch jetzt blieb die Erste Kammer in Finanzfragen kein der Zweiten Kammer gleichberechtigter Faktor. [904.] Mit dem Inkrafttreten dieser Modifikation hatte Baden, wie schon zur Zeit des Erlasses der Konstitution im Jahre 1818 mit Blick auf den Deutschen Bund, jetzt wieder eine der modernsten, wenn nicht „die modernste . . . Verfassung im Deutschen Reich"^^^ erhalten. Insgesamt blieb die neugefaßte Verfassung dann bis zum Ende des Großherzogtums im Jahre 1918 unverändert. Wesentliche Elemente sollten dann nach dem Ende des Ersten Weltkrieges auch in der neuen republikanischen Verfassung ihren Platz finden. XV. Das Ende der Monarchie [905.] Als Prinz Max von Baden, ein Vetter des seit 1907 regierenden Großherzogs Friedrich IL, am 3. Oktober 1918 zum Reichskanzler berufen wurde, paßte man auch die Regierung entsprechend den Mehrheits Verhältnis sen im Reichstag an. Hiermit fand noch kurz vor ICriegsende auf Reichsebene zunächst faktisch, dann auch formell durch das Gesetz zur Abänderung der Reichsverfassung vom 28. Oktober 1918^'^^ der Übergang zum Parlamentarismus statt. Eine derartige Verfassungsänderung forderten nunmehr auch fast alle Parteien in Baden. Ziel sollte es sein, im Land das Einkammersystem einzuführen, das Mehrheitswahlrecht durch die Verhältniswahl zu ersetzen und überhaupt die Souveränität von der Klrone auf das Volk zu übertragen. Der erst seit 1917 amtierende Staatsminister Heinrich Freiherr von Bodman (1851 - 1929) spielte zunächst auf Zeit. Als er sich letztlich am 3. November bereit erklärte, Gesetzentwürfe über die Verhältniswahl, die Kompetenzausweitung des Ständischen Ausschusses und das allgemeine Wahlrecht auch außerhalb der großen Städte ausarbeiten zu lassen, und für den 15. November ein die Verfassungsänderungen beschließender außerordentlicher Landtag einberufen werden sollte, waren die politischen Ereignisse längst schon darüber hinweggegangen. Denn nachdem Prinz Max am 9. November 1918 den ^^^ R. Ehrismann, Der regierende Liberalismus in der Defensive. Verfassungspolitik im Großherzogtum Baden 1876 - 1905, Diss. Phil. (Freiburg) 1993, S. 537. 3^^ Dok. 136/17.

452

2. Abschnitt: Verfassungsentwicklung in den deutschen Einzelstaaten (1806-1918)

Entschluß des Kaisers zur Abdankung^^^ bekanntgab, die Monarchie in Deutschland für jeden erkennbar zu weichen begann, waren auch die Tage Badens als Großherzogtum gezählt. Zwischenzeitlich bildeten sich im Lande Soldatenräte, in der Landeshauptstadt Karlsruhe wurde ein aus Vertretern verschiedener politischer Parteien bestehender „Wohlfahrtsausschuß" gebildet. Gemeinsam mit dem dortigen Soldatenrat konstituierte sich am 10. November 1918 eine provisorische Regierung unter dem Mehrheitssozialisten Anton Geiß (1858 - 1944).^^^ Der Großherzog nahm dies offiziell zur Kenntnis und erklärte, die von ihm als nicht verfassungsgemäß zustandegekommen angesehene neue Regierung zwar nicht anerkennen zu können, gegen sie aber angesichts der Zeitumstände auch keinen Widerspruch einlegen wolle. Die großherzogliche Regierung wurde sodann entlassen.^^^ Nach dem Bekunden der provisorischen Regierung sollte die Antwort auf die Frage nach der künftigen Staatsform und damit auch diejenige nach dem weiteren politischen Schicksal des Großherzogs einer badischen Nationalversammlung vorbehalten bleiben. Dementsprechend verzichtete Friedrich IL auf Anraten seines bisherigen Ministers Bodman am 14. November 1918 zunächst nur auf die Ausübung der Regierungsgewalt.^^^ Schon tags darauf waren indes die Würfel gegen den Großherzog gefallen: die provisorische Regierung proklamierte die freie Volksrepublik Baden.^^2 Nur neun Tage später, am 22. November 1918, unterzeichnete er für sich und sein Haus die Abdankungsurkunde und entband „die Beamten, Soldaten und Staatsbürger ihres Treueides".^^^ Damit fand nicht nur das nahezu genau hundert Jahre währende konstitutionelle System Badens sein Ende, sondern auch die Monarchie verschwand für immer.

328 Dok. 144. 329 330 331 332 333

Dok. Dok. Dok. Dok. Dok.

247; vgl. dazu auch W. E. Oeßering, Der Umsturz 1918 in Baden, 1920, S. 136 f. 248. 249. 250. 251.

Teil 2: Verfassungsdokumente

1. Abschnitt: Gesamtdeutsche Verfassungsdokumente (1803/06-1918)

§ 1: Ende des alten Reichs (1803/1806)

[1] Reichsdeputationshauptschluß vom 25. Februar 1803

459

[1] Reichsdeputationshauptschluß vom 25. Februar 1803 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einführungen" die Darstellungen unter [2.] [6.] [13.] [40.] [238.]. Quelle: Reichsrezeß (vom 25. Februar 1803), Ausgabe Regensburg, Kurfurstlich-Mainzische Kanzley, („Dictatum Ratisbonae, die 26. Febr. 1803 per Moguntinum"), 1803, S. 1 39 (gedruckte Ausfertigung - deutscher Text). Sonstige Fundstellen: Protokoll der außerordentlichen Reichsdeputation zu Regensburg, 1803, Bd. 2, S. 841 - 934 (mit franz. Übersetzung vom eigentlichen Text des Hauptschlusses); E. R. Huber (Hrsg.), Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte, Bd. 1: Deutsche Verfassungsdokumente 1803-1850, 3. Aufl., 1978, Nr. 1; U. Hufeid (Hrsg.), Der Reichsdeputationshauptschluss von 1803, 2003, S. 6 9 - 1 1 9 ; P. A. G. Meyer (Hrsg.), Corpus Juris Germaniae Confoederationis oder Staatsacten für Geschichte und öffentliches Recht des Deutschen Bundes, Teil I (Staatsverträge), 3. Aufl., 1858, S. 7 - 42.

[S,l] Hauptschluß I der ausserordentlichen Reichsdeputation. Demnach zu Beendigung des zwischen Kaiserlicher Majestät und dem teutschen | Reiche eines - dann der französischen Republik andern Theils - ausgebroche= | nen Kriegs, zu Folge 20sten Artikels des am 17ten October 1897 geschlossenen! Friedens zu Campo=Formio noch in demselbigen Jahre ein Friedens=Kongreß | zwischen Allerhöchstgedachter Sr. Kaiserlichen Majestät und einer dazu ernannten | ausserordentlichen Reichsdeputation einer - dann den Bevollmächtigten der fran= | zösischen Republik andrer Seits zu Rastadt eröffnet worden, auch daselbst die | Unterhandlungen bereits so weit gediehen, daß im Namen des teutschen Reichs in die Ueberlassung der Lande der linken Rheinseite nicht nur gewilligt, sondern | auch wegen des dadurch auf solcher Rheinseite entstehenden Verlustes die Grund= | läge der Entschädigung durch Säkularisationen angenonunen, diese Freidensun= | terhandlungen aber durch den Wiederausbruch der Feindseligkeiten unterbrochen I worden: so ist zwar nachher am 9ten Febr. 1801 von Sr. Kaiserl. Majestät mit | dem ersten Konsul der französischen Republik auch Namens des teutschen Reichs, | unter Beziehung auf die bey dem vorhergegangenen Rastadter Congreße von der | Reichsdeputation schon bewilligte Basis, Friede zu Lüneville geschlossen; dieser Friedensschluß auch von Kurfürsten, Fürsten und Ständen unter reichsoberhaupt= | lieber Mitwirkung am 7ten März 1801 wirklich genehmigt; jedoch in diesem | Friedensschlüsse selbst einige Gegenstände auf weiterer Erörterung ausgesetzt wor= | den; indem nicht nur die im 5ten Artikel dem Herrn Großherzoge von Toskana | zugesagte Entschädigung in Teutschland keine nähere Bestimmung daselbst erhalten, | sondern auch vermöge des 7ten Artikels die Entschädigungen der erblichen Reichs= | stände in Gemäßheit der schon erwähnten zu Rastadt aufgestellten Grundsätzen | noch bestimmt werden sollten. Nachdem nun femer von Sr. Kaiserl. Majestät zu Vollziehung dieser | Artikel, sogleich nach geschehener Mittheilung des Friedens von Lüneville, an die | allgemeine Reichsversammlung durch ein eignes Kaiserliches Kommissions=Dekret | vom 3ten März ein weiteres Reichsgutachten über die reichsständische Mitwip= | kungsart zur gänzlichen Berichtigung des Reichsfriedensgeschäftes verlangt, dieses | [S. 2] Reichsgutachten auch den 2ten Okt. 1801 dahin, daß hiezu eine abermalige aus= | serordentliche Reichsdeputation, bestehend aus 8 Mitgliedern, und zwar aus dem Kurfiirsten^Rathe: Kurmainz, Kursachsen, | Kurböhmen, Kurbrandenburg, aus dem Fürsten=Rathe: Baiem, Wirtemberg, | Hoch= und Teutschmeister, und Hessenkassel,

460

§ 1: Ende des alten Reichs (1803/06)

[Dok. 1-3/1]

zu ernennen sey, wirklich erstattet, und von Kaiserlicher Majestät unterm 7ten | Nov, 1801. allergnädigst genehmigt worden; so haben sodann endlich Se. Kai= | serliche Majestät durch ein weiteres allergnädigstes Kommissions=Dekret vom | 2ten August dieses Jahrs der allgemeinen Reichsversammlung bekannt gemacht, | daß der Zeitpunkt, wo die ausserordentliche Reichsdeputation sich zu vereinigen | habe, erschienen sey, daß daher sämmtliche deputirte Stände ihre Subdelegirten | nach Regensburg, als den mit Bestimmung der französischen Regierung festge= | setzten Ort absenden, auch daß die zu gänzlicher Berichtigung dieses Friedens= | geschäftes fur die Deputation erforderliche Vollmacht ausgefertigt werden solle, I indem Allerhöchstsie in Ihrer reichsoberhauptlichen Eigenschaft als Ihren Kaiserl. I Bevollmächtigten bei diesem Kongresse den wirklichen Kaiserl. geheimen Rath und | Kaiserl. Konkommissarius an der allgemeinen Reichsversammlung Reichsfreiherr | von Hügel zu bestimmen allergnädigst geruhet hätten. Wie nun hierauf die Reichsvollmacht, um die in dem Lüneviller Friedens^ | Schlüsse Art. 5 et 7 einer besonderen Uebereinkunft noch vorbehaltenen Gegenstände, | einvemehmlich mit der Französischen Regierung näher zu untersuchen, zu prüfen, | und zu erledigen, am 3ten August d. J. für diese ausserordentliche Reichsdeputa= | tion wirklich ausgefertigt worden: so haben die deputirten Reichsstände ihre Sub | delegirten, nämlich Kurmainz. Kursachsen. Den Kaiserl. geheimen Rath, Com=^ | Den kursächsischen geheimen Rath | mandeur des St. Stephans=Ordens, | Herrn Hans Ernst von Globig. und Kurfürstl. Mainzischen Staatsmi= | nister, Herrn Franz Joseph Freiherm | von Aibini. Kurböhmen. Den Kaiserl. Reichshofrath Herrn | Franz Alban von Schraut; spä= | terhin noch Den Kaiserl. Kämmerer und Königl. | Kurböhmischen Reichstags^ Gesandten, I [S. 3] Herrn Ferdinand Grafen von Colloredo= | Mannsfeld.

Kurbrandenburg. Den königl. preußischen wirklichen | geheimen Etats= und Kriegsminister | auch Reichstagsgesandten, des schwarzen I und rothen Adlerordens^Ritter, Herrn | Johan Eustachius Grafen von Schlitz, I [S. 3] genannt Görz, und den königl. preußischen Direktorial= | gesandten im fränkischen Kreise, auch | Kammer=Vicepräsidenten zu Anspach, | Herrn Konrad Sigmund Karl Hänlein.

Baiem. Den kurfürstl. Kämmerer, wirk= | liehen geheimen Rath und Komitialge= | sandten, Herrn Alois Franz Xaver Frei= | herm von Rechberg und Rothenlöwen.

Wirtemberg. Den herzogl. wirklichen geheimen | Rath, Vicepräsidenten, Kammerherm, | und Ritter des herzoglichen großen Or= | dens, Herm Philipp Christian Freiherm | von Normann.

[1] Reichsdeputationshauptschluß vom 25. Februar 1803 Hoch= und Teutschmeister. Den Herrn Karl Philipp Ernst Frei= | herm von Nordegg zur Rabenau, des | hohen teutschen Ordensritter, Rathsge= I biethiger der Balley Franken, Kommen^ | tur zu Donauwört, hochfurstl. Hoch= I und Teutschmeisterisehen adelichen wirk= | liehen Hof= Regierungs= und Kammer^ | rath, und Oberamtmann des Scheuer= | berger Gebietes zu Homegg.

461

Hessenkassel. Den fürstlichen geheimen Rath | und Kommitialgesandten Herrn Philipp \ Maximilian von Günterode; und spä= | terhin noch Den Hessenkasseischen Kriegsrath, | Herm Georg Wilhelm von Starkloff.

hierher nach Regensburg abgeordnet, so, daß diese Deputationsversammlung, nach | allerseitiger herkömmlichermassen vollzogener Legitimation, am 24ten August wirklich | konstituirt und mittelst Proposition des ernannten höchstansehnlichen Kaiserlichen | Herm Plenipotentiarius eröffnet worden. Da nun auch zu gleicher Zeit der erste Konsul der französ. Republik einen | Ministre extraordinaire in der Person des Citoyen Laforest, hieher abgeordnet; | femer Se. KaiserL Russische Majestät Ihre hohe Vermittelung, gemeinsam mit | dem französischen Gouvernement zu Berichtigung der gedachten Entschädigungssache | und zu Befestigung der Ruhe Teutschlands, eintreten zu lassen, sich entschlossen, | und zu dem Ende bereits unterm 18ten August ersagter französ. Ministre Citoyen | Laforest gemeinsam mit dem bey der allgemeinen Reichsversammlung akkreditir= | ten Kaiserl. Russischen Herm Ministre Resident Klüpffel zwei gleichlautende De= | klarationen dieser Reichsdeputation mitgetheilt, worin diese hohen vermittelnden | Mächte, zum Behufe der anzustellenden Berathschlagungen, einen allgemeinen Ent= | schädigungsplan vorgelegt; auch kurz nachher Se. Kaiserl. Russische Majestät einen | eigenen plenipotentiaire in der Person des Kaiserl. Russischen geheimen Raths | und mehrerer Orden Ritters, Herm Karl Freiherm von Bühler, bisherigen | ausserordentlichen Gesandten am Kurpfalzbaierischen Hofe, zu diesem Geschäfte I hieher abzuordnen gemhet; sodann die Reichsdeputation die ihr zugestellten De= | klarationen in allen ihren Theilen gründlich erwogen, hierüber den gedachten | Herm Ministem der vermittelnden Mächte unter jedesmaliger Mittheiliung der | bei ihr eingereichten mannigfaltigen Reklamationen und Vorstellungen ihre Be= | [S. 4] Schlüsse eröffnet; hierauf aber diese unterm Sten Oktob. der Deputation einen ab= | geänderten Plan, als Resultat ihrer neuesten Instmetionen mitgetheilt, die De= | putation sodann auch diesen 2ten Plan in weitere Berathung gezogen, und hierü= | ber den erwähnten Herren Ministem ihre femem Beschlüsse ebenfalls komminizi= | ret, darauf endlich diese weitere Noten vom 19ten October, 15ten und 19ten | November, 3ten Dec. v. J. ISten und 31 ten Jänner, dann den Uten dieses | übergeben haben: so ist nunmehr hiemach und aus allen vordem einzelnen De= | putationsschlüssen folgender Deputations = Hauptschluß abgefaßt worden; Die Austheilung und endliche Bestimmung der Entschädigungen geschieht, | wie folgt: §.1. ^Sr. Majestät dem Kaiser, Könige von Ungarn und Böhmen, Erzherzoge von | Oestreich, für die Abtretung der Landvogtei Ortenau: die Bisthümer Trient und | Brixen, mit ihren sämmtlichen Gutem, Einkünften, eigenthümlichen Besitzungen, | Rechten und Vorrechten, ohne irgend einige Ausnahme; und die in diesen beiden | Bisthümem gelegenen Kapitel, Abteien und Klöster; unter der Verbindlichkeit je= | doch, sowohl für den lebenslänglichen Unterhalt der beiden jetzt lebenden Fürst= | bischöfe und der Mitglieder der bey den Dom-

462

§ 1: Ende des alten Reichs (1803/06)

[Dok. 1 - 3/1]

kapitel, nach einer mit solchen zu tref= | fenden Übereinkunft, als auch för die hierauf erfolgende Dotation der bey diesen bei= | den Diöcesen anzustellenden Geistlichkeit, nachdem in den übrigen Provinzen der östreichischen Monarchie bestehenden Fuße zu sorgen. ^Alle Eigenthums und übri= | gen Rechte, die Sr. Majestät dem Kaiser und König als Souverain der Erbstaaten | und als höchstem Reichsoberhaupte zustehen, bleiben Ihnen vorbehalten, in so ferne | diese Rechte mit der Vollziehung gegenwärtiger Urkunde bestehen können; jene | Rechte hingegen, worüber besonders verfügt worden ist, gehen an die neuen Besitzer | über. ^Dem Erzherzoge Großherzoge für Toskana und dessen Zugehörungen: das | Erzbisthum Salzburg, die Probstei Bergtolsgaden, der jenseits der Hz und des | Inn auf der Seite von Oestreich gelegenen Theil des Bisthums Passau, jedoch | mit Ausnahme der Innstadt und Ilzstadt, sammt einem Bezirke von 500 französi= | sehen Toisen im Durchschnitte vom äussersten Ende jener Vorstädte an gemessen; | und endlich die in den oberwähnten Diöcesen gelegenen Kapitel, Abteien und Klö= | ster. '^Die Besitzungen erhält der Erzherzog unter den, auf die bestehenden Verträ= | ge, gegründeten Bedingungen, Verbindlichkeiten und Verhältenißen. ^Sie werden vom bairischen Kreise getrennt, und dem östreichischen einver= | leibt; auch ihre geistlichen, sowohl Metropolitan^ als Diöcesan=Gerichtsbarkeiten | werden gleichfalls durch die Gränzen der beiden Kreise abgesondert; und die oben [ von des Erzherzogs Entschädigungen ausgenommenen Theile mit den bairischen Diö= | cesen verbunden. ^Mühldorf, und der auf dem linken Innufer gelegenen Theil | der Grafschaft Neuburg werden mit aller Landeshoheit mit dem Herzogthume | Baiem vereinigt. ^Das Aequivalent der Einkünfte von Mühldorf und der Landes= | [S. 5] hoheit über Neuburg ist von den Einkünften, welche Freisingen im östreichischen | Gebiete besitzt, zu nehmen. ^Der Erzherzog Großherzog erhält überdieß für sich und seine Erben in völlig | souveränen und unabhängigen Besitz das Bisthum Eichstädt, samt allen demsel= | ben anhängigen Gütern, Einkünften, Rechten und Vorrechten, so wie der Fürst= | bischof solche zur Zeit der Unterzeichnung des Lüneviller Friedensschlusses besaß; | jedoch mit Ausnahme der Aemter Sandsee, Wemfels, Spalt, Abenberg, Ahr= | berg=Ombau; und Vahmberg=Herrieden, und aller übrigen von den Anspachi= | sehen und Baireuthischen Landen eingeschlossenen Zugehörden des Bisthums Eich= | städt, welche dem Kurfürsten von Pfalzbaiem verbleiben, und dem Erzherzoge | Großherzoge durch ein vollständiges Aequivalent von den Herrschaften des Kur= | fursten in Böhmen, und falls diese nicht hinreichen, von irgend andern Einkunft I ten des Kurfürsten von Pfalzbaiem ersetzt werden. "^In dem Gebiete des erwähn^ | ten Bisthums Eichstädt findet keine neue Errichtung irgend einiger Festungswerker | von Seiten des Erzherzogs Großherzogs oder seiner Erben statt. ^Das Breisgau und die Ortenau werden die Entschädigung des vormaligen | Herzogs von Modena für das Modenesische, dessen Zugehörden und Zuständige | keiten ausmachen. ^Dieser Fürst und seine Erben werden beide Lande nach dem | buchstäblichen Inhalte des 4ten Artikels des Lüneviller Friedensschlusses besitzen; | welcher in dieser Rücksicht ohne einigen Vorbehalt oder Einschränkung von der | Ortenau, wie von dem Breisgau zu verstehen ist. §•2. ^Dem Kurfürsten von Pfalzbaiem für die Rheinpfalz, die Herzogthümer | Zweibrücken, Simmem und Jülich, die Fürstenthümer Lautem und Veldenz, das | Marquisat Bergopzoom, die Herrschaft Ravenstein, und die übrigen in Belgien | und im Elsaß gelegenen Herrschaften: das Bisthum Wirzburg unter den her= | nach vorkommenden Ausnahmen; die Bisthümer Bamberg, Freisingen, | Augsburg, und das von Passau; mit Vorbehalt dessen, was §pho 1. dem | Erzherzoge Großherzoge davon bestimmt ist, nebst der Stadt Passau, derselben I Vorstädten, und allen und jeden Zugehörden diesseits des Inns und der Hz, und | über-

[1] Reichsdeputationshauptschluß vom 25. Februar 1803

463

dies noch einen von ihren äussersten Enden an zu nehmenden Bezirk von 500 | franz. Toisen im Durchschnitt: Femer: die Probstei Kempten, die Ab= | teien Waldsassen, Eberach, Irrsee, Wengen, Söflingen, Elchingen, | Ursberg, Roggenburg, Wettenhausen, Ottobeum, Kaisersheim | und St. Ulrich; überdies die geistlichen Rechte, eigenthümliche Besitzungen und 1 Einkünfte, welche von den in der Stadt und Markung Augsburg gelegenen Ka= | piteln, Abteien und Klöstern abhängen, mit Ausnahme jedoch alles dessen, was in | besagter Stadt und derselben Markung selbst begriffen ist. "^Endlich die Reichs^ | Städte und Reichsdörfer: Rothenburg, Weissenburg, Windsheim, | Schweinfurt, Gochsheim, Sennfeld, Kempten, Kaufbeum, Mem= | mingen, Dinkelsbühl, Nördlingen, Ulm, Bopfingen, Buchhom, | [S. 6] Wangen, Leutkirch und Ravensburg, nebst ihren Gebieten mit Einschlüsse | der freien Leute auf der Leutkircher Haide. ^Es findet keine Vermehrung der Festungswerke der Stadt Passau statt. | ^Sie werden lediglich unterhalten, und es wird kein neues Festungswerk in den | Vorstädten angelegt werden. ^Der Kurfürst von Pfalzbaiem erhält überdies in | vollen eigentümlichen und Landeshoheits=Besitz nach den vorerwähnten Bedingnis= | sen die von dem Antheile des Erzherzogs Großherzogs getrennten Theile von | Eichstädt, wobei der fernere Bedacht auf einen Territorialersatz dessen, was dem | Kurfürsten von Pfalzbaiem noch für das ihm vorhin angewiesene Bisthum Eich= | städt abgeht, vorbehalten wird. §.3. ^Dem Könige von Preussen, Kurfürsten von Brandenburg, für das Her== | zogthum Geldern, und den auf dem linken Rheinufer gelegenen Theil des Herzoge | thums Kleve, für das Fürstenthum Möurs, die Bezirke von Sevenaer, Huissen | und Malburg, und für die Rhein= und Maaszölle: | Die Bisthümer Hildesheim und Paderbom; das Gebiet von Er= | fürt mit Untergleichen, und alle Mainzischen Rechte und Besitzungen in Thü= | ringen; das Eichsfeld, und der Mainzische Antheil an Treffurt. "^Femer die | Abteyen: Herforden, Quedlinburg, Elten, Essen, Werden und Kap= | penberg, und die Reichsstädte Mühlhausen, Nordhausen und Goslar; | endlich die Stadt Münster, nebst dem Theile des Bisthums dieses Namens, wel= | eher an und auf der rechten Seite einer Linie liegt, die unter Olphen über Sepe= I rad, Kakesbeck, Heddingschel, Ghisschinck, Notteln, Hulschhofen, Nannhold, Nien= I bürg, Uttenbrock, Grimmel, Schönfeld und Greven gezogen wird, und von da dem | Laufe der Ems folgt, bis auf den Zusammenfluß der Hoopsteraa in der Grafschaft | Lingen. Die Ueberreste des Bisthums Münster werden auf folgende Weise ver= | theilt, nämlich: dem Herzoge von Oldenburg die Aemter: Vechte und Kloppen= | bürg. Dem Herzoge von Aremberg das Amt Meppen mit der Kölnischen Graf= | schaff Reklinghausen. Dem Herzoge von Croy die Reste des Amts Dülmen. Dem Herzoge von Looz und Corswaren: die Reste der Aemter Bevergem und | Wolbeck. Die Kapitel, Archidiaconal=Präbenden, Abteyen und Klöster, so in den | Aemtem gelegen sind, welche die obenbenannten Ueberreste des Bisthums Münster | ausmachen, werden gedachten Aemtem einverleibt. Den Fürsten von Salm: die Aemter: Bocholt und Ahaus, mit den dar= | inn liegenden Kapiteln, Archidiakonaten, Abteyen und Klöstern; alles im Verhält= | [S. 7] niße von zwey Drittheilen für Salm=Salm, und eines Drittheils für Kyr= | bürg, dessen Abtheilung unverzüglich durch eine weitere Anordnung bestimmt wer= | den wird. Die Reste des Amtes Horstmar mit Einschluß der darinn befindlichen Ka== | pitel, Archidiakonaten, Abteyen und Klöstem fallen den Rheingrafen zu, unter der | Bedingung, die gegen die Fürsten von Salm den 26sten October a. c. übemomme= | nen Verbindlichkeiten zu erfüllen.

464

§ 1: Ende des alten Reichs (1803/06)

[Dok. 1 - 3/1]

Aus der getroffenen Vertheilung von Münster folgt von selbst, daß die | bisherige ständische Verfassung nicht mehr stattfinden kann. Das Haus Salm=Reiferscheid=Bedburg erhält das Mainzische Amt | Krautheim, mit den Gerichtsbarkeits=Rechten der Abtey Schönthal in besagtem | Amte, und überdieß eine beständige auf Amorbach ruhende Rente von 32000 | Gulden. Der Fürst von Salm=Reiferscheid für die Grafschaft Niedersalm: | eine immerwährende Rente von 12000 Gulden auf Schönthal. Der Graf von Reiferscheid=Dyk erhält fiir die Feudalrechte seiner | Grafschaft eine immerwährende Rente von 28000 Gulden auf die Besitzungen | der Frankfurter Kapitel. §•4. Dem Könige von England, Kurfürsten von Braunschweig=Lüneburg, für | seine Ansprüche auf die Grafschaft Sayn=Altenkirchen: Hildesheim, Korvei und | Höxter, und für seine Rechte und Zuständigkeiten in den Städten Hamburg und | Bremen, und in derselben Gebieten, namentlich dem Gebiete der letzteren, so wie | dasselbe unten bestimmt werden wird, wie auch für die Abtretung des Amtes Will= | deshausen: das Bisthum Osnabrück. Dem Herzoge von Braunschweig^Wolfenbüttel: die Abteyen: Ganders= | heim und Helmstädt, mit der Auflage einer immerwährenden Rente von 2000 | Gulden zu der Stiftung der Prinzessin Amalie zu Dessau. §.5. ^Dem Markgrafen von Baaden für seinen Theil an der Grafschaft Spon= | heim, und für seine Güter und Herrschaften im Luxemburgischen, Elsaß u. s. f. | das Bisthum Konstanz, die Reste der Bisthümer Speier, Basel und Straßburg, | die pfälzischen Aemter Ladenburg, Bretten und Heidelberg mit den Städten Hei= | delberg und Mannheim; femer: die Herrschaft Lahr, unter den zwischen dem Marg= | grafen von Baaden, dem Fürsten von Nassau=Usingen, und den übrigen Interessen^ | ten verabredeten Bedingungen; femer die Hessischen Aemter: Lichtenau und | Wildstätt; dann die Abteyen: Schwarzach, Frauenalb, Allerhei= | ligen, Lichtenthai, Gengenbach, Ettenheim=Münster, Petershau= | sen, Reichenau, Oehringen, die Probstey und das Stift Odenheim, und | die Abtey Salmansweiler, mit Ausnahme von Ostrach und den unten be= | merkten Zugehörungen. ^Die Reichsstädte Offenburg, Zell am Hammers= | [S. 8] bach, Gengenbach, Ueberlingen, Biberach, Pfullendorf und Wim= | pfen; Endlich die mittelbaren sowohl, als unmittelbaren Besitzungen und Rechte I auf der Südseite des Neckars, welche von den öffentlichen Stiftungen und KÖP= | perschaften des linken Rheinufers abhängen.

^Dem Herzoge von Wirtemberg für das Fürstenthum Mömpelgard nebst | Zugehörden, wie auch für seine Rechte, Besitzungen, Ansprüche und Forderung im | Elsaß und in der Franche-Comte: die Probstei Ellwangen; die Stifter, | Abteyen und Klöster: Zwiefalten, Schönthal und Comburg, mit Landes= | hoheit (jedoch unter Vorbehalt der Rechte der weltlichen Fürsten und der Graf= | schaft Limburg). •^Ferner: Rothenmünster, Heiligenkreuzthal, Obersten^ | feld, Margrethenhausen, nebst allen denjenigen, so in seinen neuen Besitzungen ge= I legen sind. ^Ferner: das Dorf Dörrenmettstetten, und die Reichsstädte Weil, | Reutlingen, Eßlingen, Rothweil, Giengen, Aalen, Hall, Gemünd | und Heilbronn; alles unter der Bedingung folgende immerwährende Renten zu | entrichten; nämlich: Den Fürsten von Hohenlohe=Waldenburg für ihren Antheil am | Bopparder Zoll 600 Gulden, halb an Bartenstein, halb an Schillingsfürst. Dem Fürsten von Salm=Reiferscheid für seine Grafschaft Niedersalm | 12000 Gulden. Dem Grafen von Limburg=Styrum für die Herrschaft Oberstein, | 12,200 Gulden. Dem Grafen von Schall für sein Gut Megen 12000 Gulden.

[1] Reichsdeputationshauptschluß vom 25. Februar 1803

465

Der Gräfin Hillesheim für ihren Antheil an der Herrschaft Reipolts= | kirchen 5400 Gulden. Der verwittweten Gräfin von Löwenhaupt für die Feudalrechte ihres An= | theils an der Herrschaft Ober= und Niederbronn 113 00 Gulden. Den Erben des Freiherm von Dietrich für gleiche Rechte 31200 Gulden. Den Herren Seubert für die Lehen Beutal und Bretigny 3300 Gulden. §•7. Dem Landgrafen von Hessenkassel für St. Goar und Rheinfels | und für seine Rechte und Ansprüche auf Corvey: die Mainzischen Aemter Fritzlar, | Naumburg, Neustadt und Amöneburg; die Kapitel Fritzlar und Amöne= | bürg, und die Klöster in besagten Aemtem; femer: die Stadt Gelnhausen und | das Reichsdorf Holzhausen; alles unter Bedingung einer immerwährenden Rente | von 22000 fl. für den Landgrafen von Hessen=Rothenburg; welche Rente jedoch | in der Folge auf den Ueberschuß des Ertrags von dem § 39 erwähnten Schiffe I fahrtsoktroi übertragen wird, wenn sich nach Bezahlung jener Renten, welche in | fS. 9] gegenwärtiger Urkunde auf diesen Ertrag unmittelbar angewiesen sind, ein hinreichen= I der Ueberschuß ergibt. ^Dem Landgrafen von Hessen=Darmstadt für die Grafschaft Lichtenberg, | die Aufhebung seines Schutzrechts über Wetzlar, und des hohen Geleits in Be= | ziehung auf Frankfurt; für die Abtretung der Hessischen Aemter: Lichtenau | und Wildstädt, Katzenellenbogen, Braubach, Embs, Kleeberg, Ep= | stein und des Dorfs Welperfelden: das Herzogthum Westphalen mit Zugehörden, | und namentlich Volkmarsen, samt den im genannten Herzogthume befindlichen Ka= | piteln, Abteien und Klöstern, jedoch mit einer immerwährenden dem Fürsten von | Wittgenstein=Berleburg zu zahlenden Rente von 15000 fl., welche Rente jedoch in der Folge auf den Ueberschuß des Ertrags von dem § 39. erwähnten Schif= I fahrtsoctroi übertragen wird, wenn sich nach Bezahlung jener Renten, welche in | gegenwärtiger Urkunde auf diesen Ertrag unmittelbar angewiesen sind, ein hinrei= | chender Ueberschuß ergibt. '^Ferner: die Mainzischen Aemter, Gemsheim, Bens= | heim, Heppenheim, Lorsch, Fürth, Steinheim, Alzenau, Vilbel, | Rokenburg, Haßloch, Astheim, Hirschhorn; die Mainzischen, auf der | Südseite des Mains, im Darmstädtischen gelegenen Besitzungen und Einkünfte, | namentlich die Höfe: Mönchhof, Gundhof und Klarenberg, wie auch diejenigen, | so von den, dem Fürsten von Nassau=Usingen weiter unten zugewiesenen Kapiteln, Ab= | teyen und Klöstern abhängen, mit Ausnahme der Dörfer: Bürgel und Schwan= | heim. ^Ferner die pfalzischen Aemter: Lindenfels, Umstadt und Otzberg, | und die Reste der Aemter: Alzey und Oppenheim; dann den Rest des Bis= | thums Worms; die Abteyen: Seligenstadt, und Marienschloß bey Rok= | kenburg; die Probstei Wimpfen, und die Reichsstadt Friedberg. "*Alles unter | der Bedingung, die Deputat^Gelder des Landgrafen von Hessen=Homburg wenig= | stens um den vierten Theil zu vermehren.

Dem Herzoge von Holstein=01denburg für die Aufhebung des Els= | flether Zolls, die Abtretung der Dörfer in dem weiter unten bezeichneten Landes= | striche von Lübeck, und fur die ihm und dem Domkapitel zuständigen Rechte und | Besitzungen in der Stadt dieses Namens: das Bisthum und Domkapitel Lübeck, 1 das hannoverische Amt: Wildeshausen und die schon erwähnten Aemter: | Vechte und Kloppenburg im Münsterschen.

466

§ 1: Ende des alten Reichs (1803/06)

[Dok. 1-3/1]

§•9. Dem Herzoge von Mecklenburg=Schwerin für seine Rechte und An= | Sprüche auf zwei erbliche Kanonikate der Kirche zu Straßburg, die ihm als Er= | satz für den Hafen von Wismar gegeben waren; so wie für seine Ansprüche auf | die Halbinsel Priwal in der Trave, deren | ausschließliches Eigenthum der Stadt | Lübeck bleibt: die Rechte und das Eigenthum des Lübecker Hospitals in den Dör= | fem Wamekenhagen, Altenbuchow und Crombrook und in den der Insel | Poel; femer eine immerwährende Rente von 10000 fl., aus den §.39. erwähn= | ten Schifffahrtsoctroi. [S. 10] §.10. Dem Fürsten von Hohenzollem=Hechingen für seine Feudalrechte 1 in der Grafschaft Geulle und den Herrschaften Mouffrin und Baillonvile | im Lüttiger Lande: die Herrschaft Hirschlatt, und das Kloster Stetten. Dem Fürsten von Hohenzollem=Sigmaringen fiir seine Feudalrechte | in den Herrschaften Boxmeer, Dixmüde, Berg, Gendringen, Etten, | Fisch, Pannerden und Mühlingen; und für seine Domänen in Belgien: | die Herrschaft Glatt, die Klöster Inzikhofen, Klosterbeuren und Holz= I heim; letzteres im Augsburgischen. §.11. Dem Fürsten von Dietrichstein ftir die Herrschaft Trasp in Graubün^ | den: die Herrschaft Neu==Ravensburg. Dem Fürsten von Eigne für FagnoUes: die Abtey Edelstetten, unter | dem Namen einer Grafschaft. §.12. Dem Fürsten von Nassau=Usingen für das Fürstenthum Saarbrück, | zwey Drittheile der Grafschaft Saarwerden, die Herrschaft Ottweiler, und die | von Lahr in der Ortenau: die Mainzischen Aemter: Königstein, Höchst, Kro= | nenberg, Rüdesheim, Oberlahnstein, Eltwill, Haarheim, Kassel, | mit den Besitzungen des Domkapitels auf der rechten Mainseite, unterhalb Frank= | fürt; femer: das pfälzische Amt: Kaub nebst Zugehörden, der Rest des eigent= | liehen Kurfürstenthums Kölln (mit Ausnahme der Aemter Altwied und Nur= | bürg); die Hessischen Aemter: Katzenellenbogen, Braubach, Embs, Ep= | stein und Kleeberg, frey von den Solmsischen Ansprüchen; die Dörfer Wie= | perfelden, Soden, Sulzbach, Schwanheim und Okriftel; die Kapitel | und Abteyen: Limburg, Rummersdorf, Bleidenstadt, Sayn, und alle | Kapitel, Abteyen und Klöster in den, ihm zur Entschädigung zugefallenen Landen; | Endlich die Grafschaft Sayn=Altenkirchen mit dem Beding, sich in Ansehung der Schadloshaltung des Hauses Sayn=Wittgenstein, dessen Ansprüche auf die | Grafschaft Sayn und Zugehörden erloschen bleiben, nach der darüber getroffenen | Uebereinkunft zu benehmen. Dem Fürsten von Nassau=Weilburg, für den dritten Theil an Saap= | werden, und die Herrschaft Kirchheim Polanden: der Rest des Kurflirsten= | thums Trier, mit den Abteyen: Amstein, Schönau und Marienstadt. Dem Fürsten von Nassau=Dillenburg, zur Entschädigung für die | Statthalterschaft, und seine Domänen in Holland und Belgien: die Bisthümer: | Fulda und Corvey, die Reichsstadt Dortmund; die Abtey Weingarten, | die Abteyen und Probsteyen Höfen, St. Gerold im Weingartischen, Ban= | dem, im Lichtensteinischen Gebiete; Dietkirchen, im Nassauischen, so wie I [S. 11] alle Kapitel, Abteyen, Probsteyen und Klöster in den zugetheilten Landen, unter der Bedingung, den bestehenden, und schon früher von Frankreich anerkannten An= | Sprüchen auf einige Erbschaften, welche im Laufe des letzten Jahrhundertes mit dem | Nassau=Dillenburgischen Majorate vereiniget worden sind. Genüge zu thun.

[1] Reichsdeputationshauptschluß vom 25. Februar 1803

467

§. 13. ^Dem Fürsten von Thum und Taxis, zur Schadloshaltung für die Ein== | künfte der Reichsposten in den an Frankreich abgetretenen Provinzen: das ge= | fürstete Damenstift Buchau, nebst der Stadt; die Abteyen Marchthal und | Neresheim; das zu Salmannsweiler gehörige Amt Ostrach im ganzen Um= | fange seiner gegenwärtigen Verwaltung, mit der Herrschaft Schemmelberg, und [ den Weilern Tiefenthal, Frankenhofen und Stetten. Uebrigens wird die Erhaltung der Posten des Fürsten von Thum und | Taxis, so wie sie konstituirt sind, garantirt. ^Dem zu Folge sollen die gedachten | Posten in dem Zustand erhalten werden, in welchem sie sich ihrer Ausdehnung und | Ausübung nach, zur Zeit des Lüneviller Friedens befanden. Um diese Anstalt in ihrer ganzen Vollständigkeit, so wie sie sich in besag= | tem Zeitpunkte befand, desto mehr zu sichern, wird sie dem besonderen Schutze des | Kaisers, und des kurfürstlichen Kollegiums übergeben. §.14. Dem Fürsten von Löwenstein Werthheim für die Grafschaft Pütlingen, | die Herrschaften Scharfeneck, Cugnon und andere: die zwei Mainzer Dörfer | Würth und Trennfiirt; die würzbur= | gischen Aemter Rothenfels und Hom= | bürg; die Abteyen Brombach, Neustadt und Holzkirchen; die würzbur= | gischen Verwaltungen Widdern und Thalheim, eine immerwährende Rente | von 12000 Gulden auf den § 39. erwähnten Schiffahrts^Octroi, und die würz= [ burgischen Rechte und Einkünfte in der Grafschaft Werthheim; jedoch unter der I Klausel, gedachtes Amt Homburg und die Abtey Holzkirchen dem Kurfürsten | von Pfalzbaiem gegen eine immerwährende Rente von 28000 Gulden, oder gegen | jedes andere Aequivalent, dessen sie übereinkommen mögen, wieder abzutreten. Den Grafen von Löwenstein=Werthheim, für die Grafschaft Vime= | bürg: das Amt Freudenberg, die Karthause Grünau, das Kloster Trie= | fenstein, und die Dörfer: Montfeld, Rauenberg, Wessenthal und | Trennfeld. §.15. Dem Fürsten von Oettingen=Wallerstein, fur die Herrschaft Dach= | stuhl: die Abtey Heiligenkreuz zu Donauwörth, das Kapitel St. Magnus | zu Füssen, und die Klöster: Kirchheim, Deggingen und Maihingen, | im Wallersteinischen. [S. 12] §.16. Den Fürsten und Grafen zu Solms, für die Herrschaften: Rohrbach, | Kratz=^Scharfenstein und Hirschfeld, und für ihre Rechte und Ansprüche | auf die Abtey Arensburg und das Amt Kleeberg: die Abteyen Arensburg | und Altenberg im Solmsischen. §.17. Den Fürsten und den Grafen von Stollberg, für die Grafschaft Roche= | fort und ihre Ansprüche auf Königstein: eine immerwährende Rente von 30000 | Gulden auf den §. 39 erwähnten Schiffahrts=Octroi. §.18. Dem Fürsten Carl von Hohenlohe=Bartenstein, für die Herrschaft | Oberbrunn: die Aemter Faltenbergstetten, Lautenbach, Jaxtberg, und Braunsbach, | der Wirzburger Zoll im Hohenlohischen, und Antheil am Dorfe | Neuenkirchen, das Dorf Münster, und der östliche Theil des Gebiets von | Karlsberg; alles unter der Klausel, das nöthige Gebiet zu einer militärischen Straße, | und direkten ununterbrochenen Kommunikation von Wirzburg nach Rothen= I bürg gegen ein billiges Aequivalent an den Kurfürsten von der Pfalz wieder abzu= | treten.

468

§ 1: Ende des alten Reichs (1803/06)

[Dok. 1 - 3/1]

Den Häuptern der beiden Linien von Hohenlohe=Waidenburg für | ihren Antheil am Bopparder Zoll, die schon erwähnten beständigen Renten von | 600 Gulden auf Comburg. Dem Fürsten von Hohenlohe=Ingelfingen, für seine Rechte und An= | Sprüche auf die sieben Dörfer: Königshofen, Rettersheim, Reiderfeld, | Wermuthhausen, Neubronn, Streichenthal und Obemdorf: das | Dorf Nagelsberg. Dem Fürsten von Hohenlohe=Neuenstein, für die Abtretung des | Dorfs Münster, und des östlichen Theils vom Karlsberger Gebiete, nämlich ein | Bezirk von 500 französischen Toisen im Durchschnitte, von der äussersten Gränze | an gerechnet: das Dorf Amrichshausen, und die Mainzer, Wirzburger und | Comburger Antheile an dem Marktflecken Künzelsau. §.19. Dem Fürsten von Isenburg, für die Abtretung des Dorfes Okriftel: | das Dorf Gainsheim, nah' am Rhein, mit den Resten der Abtey von Jakobs= | berg auf der rechten Rheinseite; jedoch mit Ausschluß derjenigen, welche im Ge= | biete des Landgrafen von Hessenkassel eingeschlossen sind; sodann das Dorf Bürgel | bey Offenbach. Der Fürstinn von Isenburg Gräfin von Barkstein; für ihren Antheil an | der Herrschaft Reipoltskirchen und anderer Herrschaften am linken Rheinufer eine | [S. 13] immerwährende Rente von 23000 fl. auf den §. 39. | erwähnten Schifffahrts= | Octroi. §. 20. Dem Hause Leiningen, für das Fürstenthum dieses Namens, die Grafschaft | Daxburg und die Herrschaft Weihersheim, so wie für seine Rechte und An= | Sprüche auf Saarwerden, Lahr und Mahlberg, nämlich | dem Fürsten von Leiningen: die Mainzischen Aemter Miltenberg, Bu= | chen, Seeligenthal, Amorbach und Bischofsheim; die von Wirzburg | getrennten Aemter Grünsfeld, Lauda, Hartheim und Rückberg; die | pfalzischen Aemter: Boxberg und Mosbach, und die Abteyen Gerlachsheim | und Amorbach. Dem Grafen von Leiningen=Guntersblum, für seinen Verlust und seinen | Antheil an vorerwähnten Ansprüchen: die mainzische Kellerey Billigheim und eine | immerwährende Rente von 3000 fl. auf den §.39 erwähnten Schifffahrtsoktroi. Dem Grafen von Leiningen=Heidesheim, für seinen Verlust und seinen An= | theil an vorerwähnten Ansprüchen: die mainzische Kellerey Neidenau und eine | immerwährende Rente von 3000 fl. auf den §.39 erwähnten Schifffahrtsoktroi. Dem Grafen von Leiningen^Westerburg älterer Linie: die Abtey und das Klo== | ster IIbenstadt in der Wetterau, mit der Landeshoheit in ihrem geschlossenen | Umfange, und eine immerwährende Rente von 3000 fl. auf den §. 39 erwähnten | Schifffahrtsoktroi. Dem Grafen von Leiningen=Westerburg jüngerer Linie: die Abtey Engel= | thai in der Wetterau, und eine immerwährende Rente von 6000 fl. auf den §. 39 | erwähnten Schifffahrtsoktroi. §.21. Dem Fürsten von Wiedrunkel, für die Grafschaft Kriechingen: die Köll= | nischen Aemter Nurburg und Altwied, und die Kellerey Wilmar. §.22. Dem Fürsten von Bretzenheim für Bretzenheim und Winzenheim: die | Stadt und das gefürstete Damenstift Lindau am Bodensee.

[1] Reichsdeputationshauptschluß vom 25. Febraar 1803

469

§.23. ^Dem Fürsten von Wittgenstein=Berleburg, für die Herrschaften Neu= | magen und Hemsbach: die schon erwähnte immerwährende Rente von 15000 Gul= [ den auf das Herzogthum Westphalen. ^Die als rechtmäßig anerkannten Ansprüche | des Hauses Sayn= Wittgenstein auf die Grafschaften Sayn=Altenkirchen und | Hachenburg werden durch die zwischen dem Markgrafen von Baden, den Fürsten | von Nassau, und den gedachten Grafen von Wittgenstein getroffene Uebereinkunft | befriediget. [S. 14] §.24. Nachdem in Erwägung der Unzulänglichkeit der noch disponibel bleibenden | Theile von unmittelbarem Gebiete und den gleichwohl bestehenden Erfordernissen eines | verhältnißmäßigen Etablissements zur Uebertragung des Stimmrechts, die unmit= | telbare Abteyen und Klöster: Ochsenhausen, Münchroth, Schussenried, | Guttenzell, Hegbach, Baindt, Buxheim, Weisenau und Isny, mit | ihren Zugehörden, dann die Stadt Isny, ftir die Entschädigung der Reichsgrafen | bestimmt sind, so wird die Entschädigungsmasse folgender Gestalt vertheilt: Dem Grafen von Aspremont=Lynden wegen Reckheim: die Abtey | Baindt, und eine jährliche Rente mit 850 fl. von Ochsenhausen. Dem Grafen von Bassenheim, wegen Pyrmont und Ollbrücken: die | Abtey Hegbach (mit Ausschluß der Orte Mietingen und Sullmingen, des Zehnden | zu Baltringen, und der zu diesem letzten Antheile bestimmten 500 Jauchert Wald), | femer: eine jährliche Rente von 1300 fl. von Buxheim. Dem Grafen von Mettemich, wegen Winneburg und Beilstein: die | Abtey Ochsenhausen (mit Ausschluß des Amtes Tannheim), unter der Verbind= | lichkeit jedoch, eine jährliche Rente von 20000 fl.: nämlich an den Grafen von As= | premont 850 fl., an den Grafen von Quadt 11000 fl., an den Grafen von War= | temberg 8150 fl. hinaus zu zahlen. Dem Grafen von Ostein, wegen Mylendonk: die Abtey Buxheim | (mit Ausschluß des Dorfes Bleß) unter der Verbindlichkeit, eine jährliche Rente von | 9000 fl., nämlich an den Grafen von Bassenheim 1300 fl., an den Grafen von | Plettenberg 6000 fl., an den Grafen von Goltstein 1700 fl. hinaus zu zahlen. Dem Grafen von Plettenberg wegen Wittem und Eyß: die Heg= | bachischen Orte Miedingen und Sullmingen, samt dem Zehnden in Baldringen und | 500 Jauchert Wald, welche demselben in den an Miedingen zunächst angränzenden | Walddistrickten Wolfloch, Laitbühl und Schneckenkau zuzumessen sind; nebst dem | eine jährliche Rente mit 6000 fl. von Buxheim. Dem Grafen von Quadt, wegen Wickerath und Schwanenberg die | Abtey und Stadt Isny, und eine jährliche Rente mit 11000 fl. von Ochsenhausen. Dem Grafen von Schäsberg, wegen Kerpen und Lommersum: das | Ochsenhausische Amt Tannheim (mit Ausschluß des Dorfes Winterrieden) unter | der Verbindlichkeit einer jährlichen Rente von 2000 fl., nämlich an den Grafen von | Sinzendorf 1500 fl., und an den Grafen von Hallberg 500 fl. hinaus zu zahlen. Dem Grafen von Sinzendorf, wegen der Burggrafschaft Rheineck: das | vorerwähnte Dorf Winterrieden unter der Benennung einer Burggrafschaft, und | eine jährliche Rente mit 1500 fl. von Tarmheim. Dem Grafen von Stemberg wegen Blankenheim, Junkrath, GQ= \ [S. 15] roltstein und Dollendorf: die Abteyen Schussenried und Weissenau, | unter der Verbindlichkeit einer jährlichen Rente von 13900 fl., nämlich an den | Grafen von Wartemberg für Sickingen 5500 fl., an den Grafen von Sickingen zu | Sickingen 1110 fl., an den Grafen von Hallberg 6880 fl., an den Grafen von | Nesselrod=Reichenstein 260 fl., an den Grafen von Goltstein 150 fl. hinaus zu zahlen. Dem Grafen von Törring, wegen Gronsfeld: die Abtey Guttenzell.

470

§ 1: Ende des alten Reichs (1803/06)

[Dok. 1-3/1]

Dem Grafen von Wartemberg, wegen Wartemberg die Abtey Roth, | und eine jährliche Rente von 8150 fl. von Ochsenhausen. Dem Grafen von Wartemberg für Sickingen wegen Eilerstadt, | Aspach und Oranienhof: das Buxheimische Dorf Bleß, und eine jährliche | Rente mit 5500 fl. von Schussenried. Dem Grafen von Goltstein wegen Schlenacken eine jährliche Rente von | 1850 fl., nämlich von Buxheim 1700 fl., von Schussenried 150 fl. Dem Grafen von Hallberg wegen Fußgehnheim und Ruchheim eine jähr= | liehe Rente von 7380 fl., nämlich von Schussenried 6880 fl., u. von Tannheim 500 fl. Dem Grafen von Nesselrode=Reichenstein für Burgfrey und | Mechemich eine jährliche Rente von 260 fl. von Schussenried. Dem Grafen von Sickingen zu Sickingen für das Amt Hoheneinöden | eine jährliche Rente mit 1110 fl. von Schussenried. Dieser Vertheilung werden noch folgende allgemeine Bestimmungen beygefügt: 1) Die Stimmrechte derjenigen entschädigten Reichsgrafen, deren Verlust | in einem reichsunmittelbaren Gebiete, welches zu Reichs= und Kreisprästanden | beigetragen, bestanden, und die zugleich eine Stimme oder Antheil daran auf Reichs= | und Kreistagen gehabt haben, nämlich der Grafen von Aspermont, Bassenheim, | Mettemich, Ostein, Plettenberg, Quadt, Schäsberg, Sinzendorf, Sternberg, | Törrig und Wartemberg werden auf ihre neuen Besitzungen radizirt, 2) Die von einem Hauptentschädigungsobjekte (chef-lieu) getrennten Theile | entrichten die Anlagen zu Reichs^ und Kreisprästanden in die Hauptkasse, und in | dem Verhältnisse wie bisher, und stellen nicht minder die Mannschaft zu dem bis= | herigen Kontingente: der Besitzer des getrennten Theils hat das Recht, die Anlags= | Quota zu subrepartiren, und die Mannschaft auszuheben: 3) Das Abzugsrecht zwischen den Besitzungen des Hauptortes und dem ge= | trennten Theile bleibt in dem bisherigen Zustande. 4) Dem Inhaber eines getrennten Theils bleiben das daselbst befindliche | und dazu gehörige Mobiliarvermögen und Rückstände (arrerages), über welche der= | selbe mit dem vorigen Besitzer übereinzukommen hat. [S. 16] An den Activ= und Passivkapitalien der Kameralkasse des Hauptortes | hat hingegen derselbe keinen Antheil, weil diese bei Berechnung des Ertrags überhaupt | schon berücksichtigt sind. 5) Er ist verbunden, zu der Sustentation der Geistlichkeit des Hauptortes | nach Verhältniß des Ertrags des getrennten Theiles zum Ganzen, beizutragen. 6) Den in der Vertheilung angewiesenen Renten kommen alle jene Vorzüge | und Verfügungen zu statten, welche durch gegenwärtige Urkunde in Ansehung der | in ihr enthaltenen Renten bestimmt sind. 7) Der Empfanger einer Rente ist gleichfalls verbunden, zu den Sustenta= | tionskosten der Geistlichkeit des Hauptortes, worauf die Rente radizirt ist, beyzutra= | gen; jedoch weil er an dem Mobiliarvermögen des Entschädigungsobjektes keinen | Theil hat, nur die Hälfte derjenigen Quota, welche sich nach Verhältniß dieser | Rente zu dem untern Abzug der Lasten berechneten Ertrag des Entschädigungsob= | jektes ergibt. 8) Zu einiger Ausgleichung der temporären Lasten, und vorzüglich der nach | einem billigen Ueberschlag, in Gemäßheit der §§. 51 u. 57. gegenwärtiger Urkunde | erwogenen Sustentationskosten der Geistlichkeit in den neun Abteyen, sind die Ak= | tiv=Kapitalien der Karthause Buxheim mit 176000 fl. nach folgenden Principien | zu verwenden.

[ 1 ] Reichsdeputationshauptschluß vom 25. Februar 1803

471

a) Die Sustentationssumme, welche den dritten Theil des Ertrags einer | Abtey nicht übersteigt, wird sowohl durch die Allgemeinheit dieser Last, als durch | Ueberlassung des Mobiliarvermögens, als compensirt betrachtet. b) Wenn die Sustentationssumme aber den Ertragsdrittel übersteigt, so wird | der Ueberschuß aus gedachten Kapitalien achtfach vergütet. c) Der künftige Besitzer von Buxheim hat diese Kapitalien zu verwalten, an | die Theilhaber mit 3 V2 pr. Ct. zu verzinsen und mittelst successiver Aufkündigung in I achtjährigen ratis abzuzahlen. d) Zu Folge dieser Bestimmungen erhalten an gedachten Activ=Kapitalien | die künftigen Besitzer auf die Abtey Roth 7500 fl., auf Weissenau 6450 fl, auf | Buxheim 20200 fl., auf Hegbach 53950 fl., auf Baindt 38650 fl., und auf Gut- | tenzell 45250 fl.; der verbleibende Rest mit 4000 fl. ist als ein gemeinschaftlicher I Ueberschuß zu Deckung des etwaigen Verlustes anzusehen. e) Falls sich ein größerer Verlust ohne Verschuldung der Verwaltung er= | gäbe, so ist solcher von allen Theilnehmem pro rata zu tragen. Die Ergänzung der Entschädigung, wo sie statt hat, und in so weit sie nicht | durch die nunmehr zu erwartende Aufhebung des Sequesters bewirkt wird, wird | übrigens für die erwähnten Grafen und für alle andere sich auf gleichen Titel grün= | dende Reklamanten, auf jene Einkünfte angewiesen, welche noch zu einer weitem | Bestimmung übrig bleiben dürften. [S. 17] §.25. ^Der Stuhl zu Mainz wird auf die Domkirche zu Regensburg übertragen. | ^Die Würden eines Kurfürsten, Reichserzkanzlers, Metropolitan=^Erzbischofs und | Primas von Teutschland bleiben auf ewige Zeiten damit vereiniget. ^Seine Metro= | politan=Gerichtsbarkeit erstreckt sich in Zukunft über alle auf der rechten Rhein= | seite liegenden Theile der ehemaligen geistlichen Provinzen von Mainz, Trier und | Köln, jedoch mit Ausnahme der Königl. Preußischen Staaten; ingleichen über die | Salzburgische Provinz, so weit sich dieselbe über die mit Pfalzbaiem vereinigten Länder | ausdehnt. ^Was das weltliche betrifft; so wird die Ausstattung des Kurfürsten Erzkanz= | lers zuvörderst auf die Fürstenthümer Aschaffenburg und Regensburg be= | gründet. ^Jenes begreift das Oberamt Aschaffenburg in seiner gegenwärtigen Voll= | ständigkeit und Ausdehnung; sodann die Aemter Aufenau, Lohr, Orb mit den | Salzwerken, Prozelten, Klingenberg auf der rechten Seite des Mains, und | das Würzburgische Amt Aurach im Sinngrunde. ^Dieses besteht aus dem bishe= | rigen Bisthume Regensburg samt der Stadt dieses Namens, und alles was | davon abhängt, mit den darinn befindlichen mittelbaren und unmittelbaren Stiftern, | Abteyen und Klöstern, namentlich: St. Emmeran, Obermünster und | Niedermünster; alles nach den dermalen bestehenden Verhältnissen gegen Baiem. ^Ferner gehören zu dieser Ausstattung: die Reichsstadt Wetzlar in der Ei== | genschaft einer Grafschaft, und mit voller Landeshoheit, wie auch alle Stifter, Ab= | teyen und Klöster, die in den benannten Fürstenthümem und der Grafschaft gele= | gen sind. "^Auch das Haus Compostell zu Frankfurt, und alle Proprietäten, Besit= | zungen und Einkünfte, welche dem Mainzischen Domkapitel außer den, dem Könige | von Preussen, den Landgrafen von Hessenkassel und Darmstadt, den Fürsten von | Nassau=Usingen und Leiningen angewiesener Aemter zugestanden haben, und von | denselben genossen worden sind. Der Ertrag der hier oben benannten Gegenstände ist zu 650,000 Gulden | angeschlagen. ^Die Ergänzung der dem Kurfürsten Erzkanzler bestimmten Entschädigung | von einer Million Gulden, wird durch Anweisung auf das §.39. erwähnte Schif= | fahrts=Octroi bewerkstelliget. '^Mittlerweile, bis dieses Octroi in Vollzug gesetzt ist, | sollen die Zölle der rechten Rheinseite, mit deren Einnahme seit dem ersten Dezem= | ber 1802 fortgefahren worden, zur Einrichtung der besagten Entschädigungs=Er= | gänzung dienen. ^Der Kur-

472

§ 1: Ende des alten Reichs (1803/06)

[Dok. 1 - 3/1]

fürst^Erzkanzler wird sich desfalls mit den Fürsten be= | nehmen, im Namen derer diese Zölle eingenommen worden sind. "^Wenn sich nach | Berichtigung der ihm zukommenden Ergänzungen hieran noch ein hinreichender Ue= | berschuß ergibt, so soll derselbe zu verhältnißmäßiger Bestreitung der §§. 9. 14. 17. | 19. und 20. enthaltenen Anweisungen verwendet werden. Der Kurfurst=Erzkanzler wird fernerhin, nach den Statuten seiner alten | Metropolitankirche gewählt werden. [S. 18] Den Städten Regensburg und Wetzlar wird eine unbedingte Neutra= | lität, selbst in Reichskriegen, zugesichert, indem jene der Sitz des Reichstags, diese | des Reichskammergerichts ist. §.26. Aus Rücksicht fiir die Kriegsdienste ihrer Glieder, werden der teutsche | und der Maltheser=Orden der Säkularisation nicht unterworfen, und erhalten | für ihren Verlust auf der linken Rheinseite zur Vergütung, nemlich: der Fürst | Hoch= und Teutschmeister und der teutsche Orden: die mittelbaren Stifter, | Abteyen und Klöster im Vorarlberg im Oesterreichischen Schwaben, und über= | haupt alle Mediat^Klöster der Augsburger und Konstanzer Diöcesen in Schwaben, | worüber nicht disponirt worden ist, mit Ausnahme der im Breisgau gelegenen. Der Fürst Gros=Prior, und das deutsche Groß=Priorat des Maltheser | Ordens: die Grafschaft Bonndorf, die Abteyen St. Blasi, St. Trutpert, | Schuttem, St. Peter, Tennenbach; und überhaupt alle Stifter, Abteyen | und Klöster im Breisgau mit allen auf der rechten Rheinseite gelegenen respektiven | Zugehörungen der so eben benannten Objekte, jedoch mit der Obliegenheit, nach ei= | ner noch vorzunehmenden Liquidation die persönlichen Schulden der vormaligen Bi= | schöfe von Basel und Lüttich zu bezahlen, welche sie seit der Entfernung von ihren | Sitzen gemacht haben. §.27. Das Kollegium der Reichsstädte besteht in Zukunft aus den freyen und un= | mittelbaren Städten: Augsburg, Lübeck, Nürnberg, Frankfurt, Bre= | men und Hamburg. ^Sie genießen in dem ganzen Umfang ihrer respektiven Gebiete die volle | Landeshoheit und alle Gerichtsbarkeit ohne Ausnahme und Vorbehalt; jedoch der | Appellation an die höchsten Reichsgerichte unbeschadet. "^Sie genießen, auch selbst in | Reichskriegen, einer unbedingten Neutralität. ^Zu dem Ende sind sie auf immer | von allen ordentlichen und ausserordentlichen Kriegsbeyträgen befreit, und bey allen | Fragen über Krieg und Frieden von allem Antheil an den Reichsberathschlagungen | vollkommen, und notwendigerweise entbunden. "^Ueberdieß erhalten sie als Entschädigung, Vergütung und Bewilligung, nemlich: Die Stadt Augsburg: alle geistlichen Güter, Gebäude, Eigenthum und | Einkünfte in ihrem Gebiete, sowohl in= als ausserhalb der Ringmauern, nichts | ausgenommen. Die Stadt Lübeck, für die Abtretung der von ihrem Hospital abhängen^ | den Dörfer und Weiler im Mecklenburgischen: denjenigen ganzen Landesbezirk des | Bisthums und Domkapitels zu Lübeck, mit allen und jeden Rechten, Gebäuden, | Eigenthum und Einkünften, welcher zwischen der Trave, der Ostsee, dem Himmels^ | dorfersee, und einer Linie begriffen ist, die von da oberhalb Schartau in einer Ent= | femung von wenigstens 500 französischen Toisen von der Trave, dem Dänischen | Hollstein, und dem Hanöverischen, gezogen wird. [S. 19] Ueber die von der Stadt Lübeck abhängigen einzelnen Stücke, welche aus= | serhalb des eben bezeichneten Bezirkes in den Landen des Herzogs von Hollstein= | Oldenburg eingeschlossen liegen, wird man sich gütlich vereinigen.

[1] Reichsdeputationshauptschluß vom 25. Februar 1803

473

Die Stadt Frankfurt, für die Abtretung ihres Antheils an den Dörfern | Soden und Sulzbach: alle innerhalb ihres Umkreises gelegenen Stifter, Ab= | teyen und Klöster, mit allen ihren innerhalb und ausserhalb des Stadtbezirks 1 befindlichen Zugehörungen, namentlich: Mokstadt, und alle in gedachter Stadt | und ihrem Gebiete begriffene geistlichen Güter, Gebäude, Eigenthum und Einkünfte | (das Komposteil ausgenommen); unter der Bedingung, eine beständige Rente von | 28,000 Gulden dem Grafen von Salm Reiferscheid Dyk, eine von 3,600 Gul= | den dem Grafen von Stadion==Warthausen, und von 2400 Gulden dem Grafen | von Stadion=Tannhausen zu bezahlen. Diese Renten, welche im Ganzen 34000 Gulden ausmachen, werden in der | Folge auf den Ueberschuß des Ertrags von dem §.39 erwähnten Schifffahrts= | Octroi übertragen, wenn sich nach Bezahlung jener Renten, welche in gegenwärtiger | Urkunde auf diesen Ertrag unmittelbar angewiesen sind, ein hinreichender Ueberschuß 1 ergibt. Ueberdieß wird der Frankfurter Handel von allen Geleitsrechten, die von | irgend einem Reichsstande ausgeübt, oder angesprochen werden möchten, gänzlich | befreit. Das Gebiet von Bremen begreift den Flecken Vegesack sammt Zugehörun= | gen, das Grolland, den Burghoff, die Hemlinger Mühle, die Dörfer Hastede, | Schwaghausen und Vahr, mit Zugehörungen; und alles, was zwischen der Weser, | den Flüssen Wümme und Leesum, den bisherigen Gränzen, und einer, von der | Sebaldsbrücke über die Hemlinger Mühle, bis an das linke Ufer der Weser gehen^ | den Linie liegt; nebst allen vom Herzogthum und Domkapitel Bremen, und über= | haupt von dem Kurfürsten von Braunschweig=Lüneburg in gedachter Stadt, und | in dem genannten Gebiete abhängigen Rechten, Gebäuden, Eigenthum und Ein= | künften. Um den Bremerhandel und die Schifffahrt auf der Niederweser vor jeder | Beschränkung zu schützen, wird der Elsflether Zoll für immer aufgehoben; so daß | er unter keinerlei Vorwand und Benennung wieder hergestellt, noch die Schiffe, | oder Fahrzeuge, so wie die Waaren, welche sie fähren, weder beim Hinauf^^ noch | Hinunterfahren auf gedachtem Flusse unter irgend einem Vorwande an= oder aufge= | halten werden dürfen. Die Stadt Hamburg erhält alle in ihrem Bezirk oder Gebiete gelegenen | Rechte, Gebäude, Eigenthum und Einkünfte des Herzogthums, und des Domkapi= | tels Bremen, und des Kurfürsten des Braunschweig=Lüneburg überhaupt. Die nähere Bestimmung des Gebiets der Stadt Nürnberg wird auf wie= | tere Vergleichshandlungen ausgesetzt. [S. 20] Gedachte 6 Städte dürfen nur Reichsständen militärische Werbungen in ihren | Ringmauern und Gebieten gestatten. Die Kurfürsten und Fürsten, welchen Reichsstädte als Entschädigung zufal= | len, werden diese Städte in Bezug auf ihre Munizipalverfassung und Eigenthum | auf den Fuß der in jedem der verschiedenen Lande am meisten privilegirten Städte | behandeln, so weit es die Landesorganisation und die zum allgemeinen Besten nöthigen | Verfügungen gestatten. Insbesondere bleibt ihnen die freie Ausübung ihrer Religion, und der ruhige | Besitz aller ihrer zu Kirchlichen und milden Stiftungen gehörigen Güter und Einkunft | te gesichert. §.28. Die Entschädigungen, welche etwa einzelnen Mitgliedem der Reichsritter= | schaft gebühren dürften, werden, so wie die Indemnisationsergänzung der Reichs^ | grafen, im Verhältniß ihrer rechtmäßigen Ansprüche, in so weit sie nicht durch die | nunmehr zu erwartende Aufhebung des Sequesters bewirkt werden, in immerwähren= | den Renten auf jene Einkünfte angewiesen, welche zu einer weitem Bestimmung übrig | bleiben dürften.

474

§ 1: Ende des alten Reichs (1803/06)

[Dok. 1 - 3/1]

§•29. ^Die helvetische Republik erhält zur Vergütung ihrer Rechte und Ansprüche | auf die von ihren geistlichen Stiftungen abhängigen Besitzungen in Schwaben, | über welche durch die vorhergehenden Artikel disponirt worden ist: das Bisthum | Chur, hat aber für den Unterhalt des Fürstbischofs, des Kapitels, und ihrer | Diener zu sorgen; sodann die Herrschaft Traps. "^Auch stehet es ihr frei, mit= | telst immerwährenden dem reinen Ertrage gleichkommender, jedoch nach dem durch | die helvetischen Gesetze bestimmten Fuß | einlösbarer Renten, oder durch jede andere | mit den Interessenten zu treffende Uebereinkunft, alle und jede Rechte, Zehnden, | und Domänen, Güter und Einkünfte, an sich zu lösen, welche sowohl dem Kaiser, | den Fürsten und Ständen des Reichs, als den säkularisirten geistlichen Stiftungen, | fremden Herrschaften, und Privatpersonen im ganzen Umfange des helvetischen Ge= I biets zustehen. ^Jene Säkularisationen, welche besagte Republik innerhalb ihrer Gränzen vor= | nehmen dürfte, gehen ohne Verlust und Nachtheil der im deutschen Reiche gelegenen | Zugehörden ihrer geisthchen Stiftungen vor sich, ausschließlich dessen, worüber an= | derst verftigt worden ist; und ein gleiches wird ftir die deutschen geistlichen Stif= | tungen zustehenden Zugehörden in Helvetien festgesetzt. ^Alle und jede Gerichtsbarkeit eines Fürsten, Standes oder Mitgliedes des deutschen Reichs in dem Bezirke | des helvetischen Territoriums hört künftig auf, gleichwie alle Lehnherrlichkeit und alle | blose Ehrenberechtigung. ^Das nämliche hat in Ansehung der schweizerischen im | Umfange des teutschen Reichs liegenden Besitzungen statt. fS. 21] §.30. Alle in den vorhergehenden Artikeln festgesetzten beständigen Renten können | jederzeit gegen ein Kapital zu 2 V2 Przt. abgelöst werden; jeder andern zwischen den | interessirten Theilen freywillig beliebten Uebereinkunft unbeschadet. Der Termin, aufweichen die gedachten Renten fällig sind, ist auf den ersten | Dezember jedes Jahres festgesetzt. Die Zahlung geschieht im 24 Guldenfuß, in laufenden harten Silbersorten. §.31. ^Die Kurwürde wird dem Erzherzoge Großherzoge ertheilt, desgleichen dem Mark= | grafen von Baden, dem Herzoge von Wirtemberg, und dem Landgrafen von Hessen^ | kassel, welche in Ansehung des Ranges unter sich, nach den im Fürstenrathe bestehen^^ | den Strophen altemiren werden, und zu ihrer Einführung die herkömmlichen Förm== | lichkeiten zu beobachten haben. ^Nach gänzlicher Erlöschung des Hauses Hessenkassel in | allen seinen Linien wird die Kurwürde auf Hessendarmstadt übergehen. §.32. Neue Virilstimmen in dem Reichsftirstenrathe erhalten: Der Kaiser, als Erzherzog zu Oesterreich: für Steiermark eine, ftir Krain eine | für Kämthen eine, und Tirol eine, in allem 4 Stimmen. Der Kurftirst von der Pfalz, als Herzog in Baiem: für das Herzogthum | Berg eine, für Sulzbach eine, ftir 4 Niederbaiem eine, und | ftir Mindelheim eine, in allem Der König von Preußen, als Herzog von Magdeburg: ftir Erfurt eine, | und ftir das Eichsfeld eine, in allem 2 Der Kurftirst Reichserzkanzler: ftir das Fürstenthum Aschaffenburg eine 1 -

[1] Reichsdeputationshauptschluß vom 25. Februar 1803 Der Kuhrfurst von Sachsen, als Marggraf zu Meißen eine, für die I Burg=Grafschaft Meißen eine, und für Querfurt eine, in allem Ebenderselbe, wechselweise mit den Herzogen von Sachsen^ Weimar, und | von Sachsen=Gotha, für Thüringen eine Der König von England als Herzog von Bremen: für Göttingen eine Der Herzog von Braunschweig^Wolfenbüttel: für Blankenburg eine Der Marggraf von Baaden: für Bruchsal anstatt Speier, eine, und | fur Ettenheim anstatt Straßburg eine, in allem Der Herzog von Wirtemberg: für Teck eine, für Zwiefalten eine, | und für Tübingen eine, in allem Der König von Dännmark, als Herzog von Hollstein: für Plön eine, Der Landgraf von Hessendarmstadt: für das Herzogthum Westphalen | eine, und für Starkenburg eine, in allem.... Der Landgraf von Hessenkassel: für Fritzlar, eine und für Hanau | eine, in allem Der Herzog von Modena: für das Breisgau eine, und für die | Ortenau eine, in allem [S. 22] Der Herzog von Mecklenburg=Strelitz: für Stargard eine Der Herzog von Aremberg seine auf diesseitige Lande versetzte Virilstimme Der Fürst von Salm=Salm eine eigene Stimme, die vorher mit Salm= | Kirburg gemeinschaftlich war Der Fürst von Nassau=Usingen eine Der Fürst von Nassau=Weilburg eine Der Fürst von Hohenzollem=Sigmaringen eine Der Fürst von Salm=Kirburg eine Der Fürst von Fürstenberg: für Baar und Stühlingen eine Der Fürst von Schwarzenberg: für Klettgau eine Der Fürst von Thum und Taxis: für Buchau eine Der Fürst von Waldeck eine Der Fürst von Löwenstein=Wertheim eine Der Fürst von Oettingen=Spielberg eine Der Fürst von Oettingen=Wallerstein eine Der Fürst von Solms==Braunfels eine Die Fürsten von Hohenlohe=Neuenstein eine Der Fürst von Hohenlohe=Waldenburg=Schillingsfürst eine Der Fürst von Hohenlohe=Waldenburg=Bartenstein eine Der Fürst von Isenburg=Birstein eine Der Fürst von Kaunitz: für Rittberg eine Der Fürst von Reuß=Plauen=Graiz eine Der Fürst von Leiningen eine Der Fürst von Eigne für Edelstetten eine Der Herzog von Looz: für Volbeck eine

475

3 1 1 1 2 3 1 2 2 2 Stimme

Die Aufrufordnung, sowohl der alten, als der neuen Stimmen im Reichsfürsten | rathe, wird künftig, nach der 10 Strophe, folgende seyn:

476

§ 1: Ende des alten Reichs (1803/06) 1. Oesterreich. 2. Oberbaiem. 3. Steuermark. 4. Magdeburg. 5. Salzburg. 6. Niederbaiem. 7. Regensburg. 8. Sulzbach. 9. Teutschorden. 10. Neuburg. 11, Bamberg. 12. Bremen. 13. Markgraf von Meissen. 14. Berg. 15. Würzburg. 16. Kämthen. 17. Eichstädt. 18. Sachsen=Koburg.

[Dok. 1-3/1] 19. Bruchsal. 20. Sachsen-Gotha. 21. Ettenheim. 22. Sachsen-Altenburg. 23, Konstanz. 24. Sachsen=Weimar. 25. Augsburg. 26. Sachsen-Eisenach, 27. Hildesheim. 28. Brandenburg-Anspach. 29. Paderborn. 30. Brandenburg-Bayreuth. 31. Freysingen. 32. Braunschweig-Wolfenbüttel. 33, Thüringen. 34. Br. Zell. 35. Passau. 36. Br. Kaienberg.

[S. 23] 37. Trient. 38. Br. Grubenhagen. 39. Brixen. 40. Halberstadt. 41.Krain. 42. Baden-Baden. 43. Würtemberg=Teck. 44. Baden=Durlach. 45. Osnabrück. 46. Verden. 47. Münster. 48. Baden=Hochberg. 49. Lübeck. 50. Würtemberg. 51. Hanau. 52. Holstein=Glückstadt. 53. Fuld. 54. Hollstein=01denburg. 55. Kempten. 56. Mecklenburg-Schwerin. 57. Ellwangen. 58. Mecklenburg=Güstrau. 59. Maltheserorden. 60. Hessendarmstadt 61. Berchtolsgaden. 62. HessenkasseL 63. Westphalen. 64. Vorpommern. 65. Hollstein=Plön. 66. Hinterpommem. 67. Breisgau. 68. Sachsen=Lauenburg.

83. Hohenzollem-Hechingen. 84. Fritzlar. 85. Lobkowiz. 86. Salm-Salm. 87. Dietrichstein. 88. Nassau-Hadamar. 89. Zwiefalten. 90. Nassau-Dillenburg. 91. Auersberg. 92. Starkenburg. 93. Ostfriesland. 94. Fürstenberg. 95. Schwarzenberg. 96. Göttingen. 97. Mindelheim. 98. Lichtenstein. 99. Tum und Taxis. 100. Schwarzburg. lOl.Ortenau. 102. Aschaffenburg. 103. Eichsfeld. 104.Br.Blankenburg. 105. Stargard. 106. Erfurt. 107. Nassau-Usingen. 108. Nassau-Weilburg. 109. Hohenzollcm-Sigmaringen. 110. Salm-Kirburg. 111. Fürstenberg-Baar. 112. Schwarzenberg-Klettgau. 113. Taxis-Buchau. 114. Waldeck.

[1] Reichsdeputationshauptschluß vom 25. Februar 1803 69. Korvey. 70. Minden. 71. Burggraf von Meissen. 72. Leuchtenberg. 73. Anhalt. 74. Henneberg. 75. Schwerin. 76. Kamin. 77. Ratzeburg. 78. Hirschfeld. 79. Tyrol. 80. Tübingen. 81. Querfurt. 82. Aremberg.

115. 116. 117. 118. 119. 120.

477

Löwenstein=Werthheim. Oettingen=Spielberg. Oettingen=Wallerstein Solms^Braunfels. Hohenlohe=Neuenstein. Hohenlohe-Waldenburg=Schil= I lingsfärst.

121. Hohenlohe=Waldenburg=Bartenstein. 122. Isenburg=Bierstein. 123. Kaunitz=Rittberg. 124. Reiß=Plauen=Graiz. 125. Leiningen. 126. Ligne. 127. Looz.

[S. 24] 128. Schwäbische Grafen. 129. Wetteraische Grafen.

130. Fränkische Grafen. 131. Westphälische Grafen.

1. Das Directorium im Reichsfürstenrathe bleibt, wie es vorher war. 2. Die Altemirungen, welche bisher statt hatten, werden auch künftig beobachtet, | und die verschiedenen Häuser sowohl, als die Aeste des nämlichen Hauses haben | sich über neue Altemirungen zu vergleichen. 3. Durch den Aufruf der Stimmen wird dem hohem oder gleichen Range der | Fürsten unter sich gar nicht präjudizirt, und die Rechte eines jeden bleiben | vorbehalten. 4. Die Stimmen der säkularisirten Fürstenthümer bleiben an ihrer alten Stelle, so, | daß die zwey Bänke (latera) können beybehalten werden, wenn es das fürstliche | Kollegium rathsam findet. 5. Die Fürsten, welche Stimmen, die auf den ehemals geistlichen zur Entschädig | gung erhaltenen Landen haften, auszuüben haben, erlangen dadurch kein Recht | zu einem höheren Range, als sie vorher hatten. 6. Die Fürsten, welche für ihre verlohmen Stimmen neue erhalten, behalten den | Rang ihrer vorigen Stimmen. 7. In Gemäsheit der hier zum Gmnde gelegten lOten Strophe werden nun auch | die 9 übrigen Strophen eingerichtet. §.33. Das unbedingte Privilegium de non appellando kömmt allen Kurfürsten, für | alle ihre Besitzungen, desgleichen dem Landgrafen von Hessen=Darmstadt für seine | alten und neuen zu statten, und es wird dem Gesammthause Nassau für seine alten | und neuen Besitzungen verwilliget werden. §.34. ^Alle Güter der Domkapitel und ihrer Dignarien werden den Domänen der Bi= | schöfe einverleibt, und gehen mit den Bisthümem auf die Fürsten über, denen diese | angewiesen sind. ^In den zwischen mehrere vertheilten Bisthümem werden die in den | einzelnen Theilen befindlichen Güter dieser Art mit denselben vereinigt. §.35. Alle Güter der fiindirten Stifter, Abteyen und Klöster, in den alten sowohl, | als in den neuen Besitzungen, katholischer sowohl, als A. C. verwandten, mittelbarer | sowohl als unmittelbarer, deren Verwendung in den vorhergehenden Anordnungen | nicht förmlich

478

§ 1: Ende des alten Reichs (1803/06)

[Dok. 1 - 3/1]

festgesetzt worden ist, werden der freien und vollen Disposition der | respectiven Landesherren, sowohl zum Behuf des Aufwandes für Gottesdienst, Unter^ | richts, und andere gemeinnützige Anstalten, als zur Erleichterung ihrer Finanzen | überlassen, unter dem bestimmten Vorbehalte der festen und bleibenden Ausstattung | der Domkirchen, welche werden beibehalten werden, und der Pensionen für die auf= | [S. 25] gehobene Geistlichkeit, nach den unten theils wirklich bemerkten, theils noch unverzüglich | zu treffenden näheren Bestimmungen. §.36. Die namentlich und förmlich zur Entschädigung angewiesenen Stifter, Abteien | und Klöster, so wie die der Disposition der Landesherm überlassenen, gehen überhaupt | an ihre neuen Besitzer mit allen Gütern, Rechten, Kapitalien und Einkünften, wo | sie auch immer gelegen sind, über, sofern oben nicht ausdrückliche Trennungen festge= | setzt worden sind. §.37. ^Die auf der einen Rheinseite befindUchen Güter und Einkünfte, welche Spitälern, | Fabriken, Universitäten, Kollegien und andern frommen Stiftungen, wie auch | Gemeinden der andem Rheinseite gehörten, bleiben davon getrennt, und der Disposi= | tion der respektiven Regierungen überlassen, d. h. so viel die rechte Rheinseite betrifft, | der Regierung derjenigen Orte, wo sie liegen oder erhoben werden. ^Jedoch sollen | die Güter und Einkünfte solcher litterarischen Anstalten, die ehemals beiden Rhein= | seiten gemeinschaftlich waren, und dermalen auf dem rechten Rheinufer fortgesetzt wer= | den, diesen auf der rechten Rheinseite fortdauernden Anstalten verbleiben, insofern sie | nicht in Gebieten entschädigter Fürsten liegen. §.38. Die für ihre Besitzungen jenseits des Rheins entschädigten Reichsstände haben ihre | sowohl blos persönlichen, als die von erwähnten Besitzungen herrührenden Schulden | auf ihre zur Entschädigung erhaltenen Domänen und Renten zu übernehmen, und von | denselben zu tilgen; doch vorbehaltlich der in dem Lüneviller Frieden, und in den, | von dem französischen Gouvernement mit einzelnen Reichsständen geschlossenen besonderen | Verträgen, enthaltenen Bestimmungen. §.39. Alle sowohl auf dem rechten als linken Ufer erhobenen Rheinzölle sollen aufgehoben | seyn, ohne unter irgend einer Benennung wieder hergestellt werden zu können; jedoch | mit Vorbehalt der Eingangsgebühren, (droits de douane), und eines Schifffahrtsok= | troi, welches nach folgenden Grundlagen genehmiget wird: Da der Rhein von den Gränzen der batavischen Republik an bis zu den Grän= | zen der helvetischen Republik ein zwischen der französischen Republik und dem teutschen | Reiche gemeinschaftlicher Strom geworden ist, so geschieht die Errichtung sowohl, als | die Anordnung und Erhebung des Schifffahrtsoktroi gemeinschaftlich von Frankreich | und dem teutschen Reiche. Das Reich überträgt mit Einwilligung des Kaisers alle seine desfallsigen | Rechte völlig und gänzlich dem Kuhrfürsten Erzkanzler, welcher die Vollmacht des | teutschen Reiches hat, mit der französischen Regierung alle allgemeine und besondere | Anordnungen in Beziehung auf das Schifffahrtsoktroi abzuschließen; diese Anord= | nungen werden durch den Kurfürsten Erzkanzler zur Genehmigung des Kurfürstlichen | [S. 26] Kollegiums und zur Kenntniß des unter seinem Oberhaupte versammelten Reiches | gebracht. ^Die Taxe wird dergestalt ausgemittelt, daß sie den Betrag der aufgehobenen | Zölle nicht übersteigt. "^Es wird eine höhere Taxe von der Schifffahrt der Fremden, | und von den

[1] Reichsdeputationshauptschluß vom 25. Februar 1803

479

Schiffen, welche den Rhein heraufgehen, entrichtet, als von der | Schifffahrt der französischen oder teutschen Uferbewohner, und von den Schiffen, | welche den Rhein hinabgehen. Die Erhebung derselben wird einer einzigen Behörde anvertraut, und die Erhebungsart | so eingerichtet, daß die Schifffahrt so wenig als möglich dabey aufgehalten wird. ^Der General=Direktor des Oktroi wird gemeinschaftlich von der franz. Regierung | und dem Kurfürsten Erzkanzler ernannt, welche wechselseitig einen Controlleur bey jedem | Erhebungs=Büreau halten. "^Die Einnehmer auf dem rechten Ufer werden von dem | Kurfürsten Erzkanzler mit Einverständniß der Landesfürsten ernannt. ^Nichts destowe= | niger bleiben diese Administrations^ und Erhebungsgrundsätze noch dem weitem Ueber= | einkommen unterworfen, welches über die endliche Errichtung des Schifffahrtsoktroi | selbst zwischen dem französischen Gouvemement und dem Kurfürsten Reichserzkanzlem | statt haben wird. ^Es werden nicht weniger als 5 und nicht mehr als 15 Erhebungsbüreaux errichtet. | ^Diese Bureaux sind nur in Dienstsachen, außerdem aber keineswegs von der Ge= | richtsbarkeit der Landesherren ausgenommen. ^Sie werden hingegen bedürfenden | Falls allen Beistand von selten der Landesherm erhalten. Der Ertrag des Oktroi im Ganzen hat vordersamst die Kosten der Erhebung, | der Verwaltung und der Polizei zu bestreiten. Der Ueberschuß wird in zwey gleiche Theile getheilt, deren jeder vorzüglich zur | Unterhaltung der Leinpfade und der zur Schifffahrt erforderlichen Arbeiten auf jedem | der respektiven Ufer bestimmt ist. Der reine Rest der zum rechten Rheinufer gehörigen Hälfte wird 1. zur Ergänzung der Dotation des Kurfürsten Erzkanzlers, dann fur die übrigen | in den §§. 9, 14, 17, 19 und 20 gegebenen Anweisungen; 2. zur Bezahlung der in den §§.7 und 27 subsidiarisch und bedingnißweise | angewiesenen Renten, verhypothezirt. Falls sich ein jährlicher Ueberschuß von Einkünften ergäbe, so wird er zur stufen^ | weisen Ablösung der Lasten dienen, mit welchen das Schifffahrts=Oktroi=Recht | belegt ist. Der Kurfürst Erzkanzler wird sich jährlich mit der französischen Regierung, und | den an das Ufer gränzenden Landesfürsten der rechten Rheinseite über die Unterhaltung | der Leinpfade, und die zur Schifffahrt erforderlichen Arbeiten in der Ausdehnung der | respektiven Rheingränzen benehmen. [S. 27] §.40. ^ Alle am rechten Rheinufer gelegenen, von den ehemals auf dem linken Ufer | bestandenen Lehenhöfen abhängende Lehen, gehen in Zukunft unmittelbar von Kaiser und | Reich zu Lehen, wenn die Landeshoheit darauf haftet mit reichsständischer Eigenschaft, | im Gegenfall aber von dem Landesherm, in dessen Staaten sie eingeschlossen sind. | ^Nur die Mainzer Lehen, welche Landeshoheit haben, sollen von Aschaffenburg zu Lehen | rühren. ^Den neuen Lehenherren bleibt überlassen, ob sie sich bis zu einem | künftigen Lehensfalle einsweilen mit einer bloßen Muthung von den neuen Vasallen | begnügen, oder aber auf der wirklichen Lehens=Empfängniß bestehen wollen; jedoch | sind im letzteren Falle die Vasallen diesmal mit Taxen und anderen Lehensgebühren zu | verschonen. §.41. Da die Stimmen der unmittelbaren Reichsgrafen hieroben §. 24. auf die diessei= | tigen Entschädigungsgebiete übertragen worden sind, so bleibt nur noch die Ausübungs= | art dieser Stimmen und anderer damit verbundener Prärogativen einer näheren Regu= | lining vorbehalten. Wie die geistlichen Stimmen künftig geführt werden, ist ebenfalls hieroben §. 32. | versehen.

480

§ 1: Ende des alten Reichs (1803/06)

[Dok. 1-3/1]

§. 42. ^Die Säkularisation der geschlossenen Frauenklöster kann nur im Einverständniß | mit dem DiÖzesan=Bischofe geschehen. ^Die Mannsklöster hingegen sind der Verfu= | gung der Landesherm oder neuen Besitzer unterworfen, welche sie nach freiem Belieben | aufheben, oder beybehalten können. ^Beyderley Gattungen kkönnen nur mit Einwilli= | gung des Landesherm oder neuen Besitzers Novitzen aufnehmen. §.43. ^Der Genuß der zu Entschädigung angewiesenen Güter nimmt für die entschädige^ | ten Fürsten und Stände, welche nicht im Falle gewesen seyn möchten, vor den De= | klarationen der vermittelnden Mächte, Civilbesitz zu ergreifen, mit dem ersten Dezem= | ber 1802 seinen Anfang. ^Der Civilbesitz selbst geht für alle acht Tage vor jenem | Termine an. Die Rückstände der unter der Disposition der Nutznießer gestandenen Fonds bis | zum Zeitpuncte des neuen Genusses, gehören den alten Besitzern, ohne jedoch hiedurch | anderen Verabredungen zwischen den interessirten Theilen vorzugreifen. §.44. Alle seit dem 24sten August 1802 in den Entschädigungslanden und Gebieten | vorgenommenen Veräußerungen, welche nicht als Folgen der gewöhnlichen Verwaltung | anzusehen sind, werden hiemit für ungültig erklärt. §. 45. ^Obige Verfügungen vernichten alle Ansprüche auf die durch den Frieden | von Lüneville an die französische Republik abgetretenen Länder; jedoch verstehet sich | [S. 28] von Selbsten, daß Familien==Sukzessionsrechte von jenseits Rheinischen und ausgetauschten | Besitzungen auf die Entschädigungs= und eingetauschten Objekte als Surrogate über= | gehen. '^Ferner sind diejenigen Ansprüche als vernichtet zu betrachten, welche an die | für auf der linken Rheinseite verlohrene Besitzungen, auf der rechten Rheinseite gegebene | Entschädigungslande gemacht werden könnten, sofern sie nicht innerhalb eines Jahres | durch Austrägal=Richter ohne Appellation entschieden werden. Da der Kurfürst Erzkanzler ex iure novo dotirt wird, so muß, um diese | Ausstattung zu sichern, der etwa aus einem Ansprüche gegen denselben herrührende | Revenuenverlust durch Verleihung heimfallender kaiserlicher und Reichslehen vergütet | werden. §.46. Alle Tauschverträge, Länder^Purifikationen, und andere Vergleiche aller Art, | welche von den Fürsten, Ständen und Gliedern des Reichs unter sich innerhalb eines | Jahres geschlossen werden, sollen eben sowohl volle Kraft haben und vollzogen werden, | als wenn sie gegenwärtigem Hauptschlusse wörtlich einverleibt wären. §»47. In Ansehung der Verhältnisse der aus dem Besitz tretenden Regenten und Besitzer, | auch der davon abhängenden Geistlichkeit, so wie ihrer bisherigen Dienerschaft in dem | Hof=, Civil= und Militärfache, und in Ansehung der besondem Verbindlichkeiten der | entschädigten Fürsten und Stände, welche sich auf den anständigen Unterhalt der ge= | dachten Regenten und übrigen Individuen, auf die Verfassungen der Lande, und die | Uebemehmung der Schulden, auch insbesondere auf die Entrichtung der Kammerzieler | beziehen, und welche mit dem Eintritt in den wirklichen Genuß der Entschädigungs= | Länder und Gebiete ihren Anfang nehmen, soll es nach den, in den folgenden §§. Ent= | haltenen Vorschriften gehalten werden.

[ 1 ] Reichsdeputationshauptschluß vom 25. Februar 1803

481

§.48. Allen abtretenden Regenten bleibt ihre persönliche Würde mit dem davon abhan^ | genden Range, und dem Fortgenusse ihrer persönlichen Unmittelbarkeit. §.49. ^Die Herren Fürstbischöfe und gefursteten Aebte oder Pröbste behalten zugleich die | Gerichtsbarkeit über ihre Dienerschaft dergestalt, daß sie in bürgerlichen Rechtssachen, | mit jedesmaligem Vorwissen der obem Landesbehörde für solche Sachen in erster Instanz | das Landesgericht, wo solche zu verhandeln, zu wählen, in peinlichen Fällen aber die | erste Cognition zu nehmen haben, wo sodann die gedachten bürgerlichen Sachen in | weiterer Instanz an die landesherrlichen Appellationsgerichte zu bringen sind: in pein= | liehen Fällen hingegen, wenn sich die Peinlichkeit ergiebt, der Verbrecher an die pein= | liehen Gerichte des Landes auszuliefern ist. ^Uebrigens haben sich sämmtliche Diener | eines solchen Fürsten den bestehenden und ergehenden landesherrlichen Gesetzen, und son= | derlich den Polizeiordnungen zu fügen. [S. 29] §.50. Den sämmtlichen abtretenden geistlichen Regenten ist nach ihren verschiedenen | Graden auf lebenslang eine ihrem Range und Stande angemessene freie Wohnung | mit Meublement und Tafelservice, auch den Fürstbischöfen und Fürstäbten des ersten | Ranges ein Sommeraufenthalt anzuweisen; wobey sich von selbst versteht, daß dasjenige, | was Ihnen an Meubeln eigenthümlich zugehört, Ihnen gänzlich überlassen bleibe, das | aber, was dem Staate zugehört, nach ihrem Tode diesem zurückfalle. §.51. Die Sustentation der geistlichen Regenten, deren Lande ganz oder doch größten^ | theils mit den Residenzstädten an weltliche Regenten übergehen, kann, da ihr Einkom= | men sehr verschieden ist, nur nach Verhältniß desselben regulirt, mithin allenthalben | nur ein minimum und ein maximum bestimmt werden. In dieser Hinsicht wird a. Für Fürstbischöfe das minimum auf 20000, und das maximum auf | 60000 Gulden; Für den Herrn Bischof zu Wirzburg, als Koadjutor zu Bamberg, noch weiter | die Hälfte dieses Maximums; b. Für Fürstäbte und Pröbste des ersten Ranges das minimum der Fürstbischöfe; | für alle andere Fürstäbte das minimum auf 6000, das maximum auf 12000; | für gefurstete Aebtissinnen aber das minimum auf 3000, das maximum auf 6000 | Gulden; c. Für Reichsprälaten, und Aebtissinnen, auch d. unmittelbare Aebte das minimum auf 2000, das maximum auf 8000 Gulden | bestimmt. Bey allen diesen Bestimmungen wird jedoch der Großmuth der künftigen | . Landesherren kein Ziel gesetzt; vielmehr bleibt jedem, was er durch besondere Verhält^ | nisse und Rücksichten weiter zu bewilligen sich veranlaßt findet, unbenommen. I Wie nun hiemach die Regulimng zur Zufriedenheit der abtretenden Regenten wirklich gesche= | hen sey, oder bei aufzuhebenden Prälaturen künftig gemacht werden wolle, darüber | gewärtigt die Reichsdeputation von den neuen weltlichen Regenten spätestens binnen | 4 Wochen eine verläßige Anzeige, damit alsdann, Falls | wider Vermuthen ein und | anderer Bestimmung wegen bey der Anwendung obiger Regeln ein Anstand sich noch | äußern sollte, die Deputation darüber erkennen möge.

482

§ 1: Ende des alten Reichs (1803/06)

[Dok. 1-3/1]

§.52. Die Weihbischöfe, in so ferne sie Präbenden haben, die Domkapitularen, | Dignitarien, auch Kanonici der Ritterstifter, auch adeliche Stiftsdamen behalten den | lebenslänglichen Genuß ihrer Kapitelwohnungen; ihnen oder ihren Erben sind die | auf den Ankauf oder Optirung ihrer Häuser gemachten Auslagen, Falls der Landesherr | solche nach ihrem Tode an sich ziehen will, zu vergüten; auch ausser dem, | [S. 30] an Orten, wo sie ein Privateigenthum ihrer Wohnung hergebracht haben, wird ihnen [ dieses vorbehalten, §.53. ^Zu ihrer Sustentation aber sind den Domkapitularen, Dignitarien und Kanonicis | der Ritterstifter ^/lo ihrer ganzen bisherigen Einkünfte, und zwar jedem einzelnen, was | er bisher genossen hat, zu belassen. "^Auf gleiche Weise sind die Vikarien bey ihren | Wohnungen, und da sie meist gering stehen, bei ihrem ganzen bisherigen Einkommen, | bis sie etwa auf andere geistliche Stellen versorgt werden, zu belassen, wogegen sie | ihren Kirchendienst einstweilen fortzuversehen haben. Die Domizellaren da, wo sie wirklich schon einigen Genuß ihrer Präbenden bezo= | gen haben, werden in der Quote ihrer Sustentation den Kapitularen gleich gehalten, | und rücken hiemächst, falls sich der Landesherr nicht in ander Weg mit ihnen abfindet, | in die vazirend werdenden Kapitelspfründen. §.54. Kapitularen und Domizellaren der Dom= Ritter^ und Mediatstifter, welche nach | den verschiedenen Statuten der Stifter entweder erst nach dem Ablaufe der Carenzjahre, | oder nach eintretenden andern Verhältnissen zum Genuße kommen, sobald sie nur in | dem wirklichen Genüsse ihrer Präbenden sind, haben ganz gleiche Rechte als diejenigen, | welche sich wirklich schon im Genße ihrer Präbenden befinden. §.55. Die Stifts=Frauen und Fräulein bleiben in so lange bey ihrem bisherigen Genüsse, | als es dem neuen Landesherm nicht räthhcher scheint, sie gegen eine zu ihrer Zufrie= | denheit zu regulirende Abfindung aufzuheben. §.56. Für die kapitularischen geist= und weltlichen Dienerschaften gelten die nämlichen | Dispositionen, welche hiemach wegen der eigenen fürstlichen Dienerschaften folgen. §.57. ^Die Konventualen fürstlicher, auch Reichs= und unmittelbarer Abteien sind auf eine | ihrer bisherigen Lebensweise angemessene anständige Art in ein oder der andem Kommu= I nität femer zu unterhalten, oder denen, welche mit landesherrlicher Verwilligung | austreten, bis zu anderweiter Versorgung, eine Pension von 300 bis 600 Gulden nach | dem Vermögen ihrer Stiftung zu verabreichen. "^Für die Laienbrüder ist auf ähnliche | Art zu sorgen; Novitzen, welche durch Gelübde noch nicht gebunden sind, können von den | Landesherren mit einer dreijährigen, verhältnißmäßigen Pension entlassen werden. §. 48.Kaiserliche Prezisten, welche ihre Preces den Stiftem bereits präsentirt, | und den schon eingetretenen Einrückungsfall nicht etwa haben vorbeigehen lassen, | [S. 31] erhalten bey den künftigen Erledigungsfällen eine verhältnißmäßige Pension; und eben | dieses gilt auch - Fehlerhafte Zählung im Original.

[1] Reichsdeputationshauptschluß vom 25. Februar 1803

483

von denjenigen Panisten, welche auf ihre Laienpfründen ein schon erworbenes anerkanntes Recht haben. §.59. In Ansehung der sämmtlichen bisherigen geistlichen Regenten, auch Reichsstädte | und unmittelbaren Körperschaften, Hof=geistlichen und weltlichen Dienerschaft, Militair | und Pensionisten, in so ferne der abgehende Regent solche nicht in seinem persönlichen | Dienste behält, so wie der Kreisdiener, da, wo mit den Kreisen eine Veränderung | vorgehen sollte, wird diesen allen der unabgekürzte, lebenslängliche Fortgenuß ihres bis= | herigen Ranges, ganzen Gehalts, und rechtmäßiger Emolumente, oder, wo diese weg= | fallen, eine dafür zu regulirende Vergütung unter der Bedingniß gelassen, daß sie sich | dafür nach Gutfinden des neuen Landesherm, und nach Maaßgabe ihrer Talente und | Kenntnisse auch an einem andern Orte, und in andern Dienstverhältnissen gebrauchen | und anstellen lassen müssen; jedoch ist solchen Dienern, welche in einer Provinz ansäßig | sind, und in eine andere gegen ihren Willen übersetzt werden sollen, freyzustellen, ob | sie nicht lieber in Pension gesetzt werden wollen. ^In diesem letztem Falle ist einem 15jährigen Diener sein voller Gehalt mit Emo= | lumenten, einem 10jährigen ^/ß, und denen, die noch nicht volle zehn Jahre dienten, | die Hälfte als Pension zu belassen. '^Den wirklichen Pensionisten sind, falls nicht etwa | neuerlich hie und da Mißbräuche untergelaufen wären, ihre Pensionen fort zu bezahlen. ^Sollte der neue Landesherr einen oder den andern Diener gar nicht in Diensten | zu behalten gedenken, so verbleibt demselben seine genossene Besoldung lebenslänglich. | ^Sollten hingegen seit dem 24. August dieses Jahres neue Pensionen oder Besoldungser= | höhungen verwilligt, oder ganz neue Besoldungen gemacht worden seyn, so bleibt es | billig dem neuen Landesherm überlassen, ob er solche Verwilligungen den Gmndsätzen | der Billigkeit, und einer guten Staatsverwaltung angemessen findet. §.60. Die damalige politische Verfassung der zu säkularisirenden Lande, in so weit solche | auf gültigen Verträgen zwischen dem Regenten und dem Lande, auch andem reichsge= | setzlichen Normen mht, soll ungestört erhalten, jedoch in demjenigen, was zur Civil= | und Militairadministration und deren Verbessemng und Vereinfachung gehört, dem | neuen Landesherren freie Hand gelassen werden. §.61. Die Regalien, bischöfliche Domainen, domkapitelische Besitzungen und Einkünfte | fallen dem neuen Landesherm zu. [S. 32] §. 62. Die erz= und bischöflichen Diözesen aber verbleiben in ihrem bisherigen Zustande, | bis eine andere Diözesaneinrichtung auf reichsgesetzliche Art getroffen seyn wird, wovon | dann auch die Einrichtung der künftigen Domkapitel abhängt. §.63. Die bisherige Religionsübung eines jeden Landes soll gegen Aufhebung und Krän= | kung aller Art geschützt seyn; insbesondere jeder Religion der Besitz und ungestörte Ge= | nuß ihres eigenthümlichen Kirchenguts, auch Schulfonds nach der Vorschrift des west= | phälischen Friedens ungestört verbleiben; dem Landesherm steht jedoch frey, andere | Religionsverwandte zu dulden, und ihnen den vollen Genuß bürgerlicher Rechte zu | gestatten.

484

§ 1: Ende des alten Reichs (1803/06)

[Dok. 1 - 3/1]

§. 64. ^Mit den Mediatstiftem, Abteien und Klöstern in den zu säkularisirenden Landen | ist es ganz auf den nämlichen Fuß, wie hier oben von den unmittelbaren angeordnet | worden, zu halten. ^Es behalten nämlich die Kanonici der Mediatstifter, welche auf= | gehoben werden, nebst ihren Wohnungen, Vio ihres bisherigen Einkommens, die Vika= | rien aber das Ganze, die Domizellaren ^/lo dessen, was sie etwa wirklich bisher schon | bezogen haben, und rücken den Kapitularen nach. ^Solche Kanonici jedoch, die über= | haupt keine 800 fl. beziehen, sind, wie die Vikarien, bey ihrem ganzen Einkommen zu | belassen. "^Aebte, deren Unmittelbarkeit bisher streitig, oder welche unstreitig mittelbar | gewesen sind, erhalten verhältnißmäßig nach dem Vermögen ihrer Abtei 2000 bis | 8000 fl. Pension. ^Ihre und andere Klosterkonventualen 300 bis 600 fl. ^Mit | den Laienbrüdem und Novizen wird es auf gleiche Art, wie von denselben hieoben bey | unmittelbaren Stiftern erwähnt worden, gehalten. V o n den Dienerschaften aller | solcher Korporationen gilt alles das nämliche, was schon überhaupt wegen der Diener= | schaften festgesetzt worden. §. 65. Fromme und milde Stiftungen sind, wie jedes Privateigenthum zu konserviren, | doch so, daß sie der landesherrlichen Aufsicht und Leitung untergeben bleiben. 166. Um nun auch den Unterhalt dieser großen Menge höherer und anderer unschul^ | diger Personen auf möglichste Art sicher zu stellen, haben die neuen Landesherm alle | solche Sustentationsgelder auf ihre nächsten Rezepturen anzuweisen, und als solche, | welche das privilegirteste Unterpfand auf die Landeseinkünfte haben, jederzeit viertel^ | jährig in guten Münzsorten nach dem 24 Guldenfuß unverzüglich abfuhren zu lassen, | daher auch ihren Gerichten keine Arrestsanlegungen auf diese Alimentationsgelder zu | gestatten. §.67. Die Kj*eisdirectorien haben über den Vollzug alles dessen zu halten, und | [S. 33] auf das erste Anrufen der Pensionisten, ohne Gestattung eines Termins oder einer | Einrede, sogleich gegen die Zahlungsbehörde, welche sich mit der Quittung über die | geschehene Zahlung nicht ausweisen kann, die bereiteste Exekution zu erkennen und zu | vollziehen; bey eintretender weiterer Zahlungsgefahr aber die Revenuen, so weit sie zu | diesem Zwecke nöthig, in unmittelbare Administration zu nehmen. §.68. ^Bei denjenigen geistlichen Ländern, welche nicht ganz oder größtentheils mit ihren | Residenzen an einen weltlichen Herrn kommen, sondern unter mehrere vertheilt werden, | gleichwohl aber ihre Residenzen und meisten Lande diesseits Rheins haben, sind sowohl | in Ansehung der standesmäßigen Unterhaltung der unter der gegenwärtigen Veränderung | leidenden Personen, als wegen der Sicherstellung der Dienerschaften des Landes, auch | kirchlichen, religiösen Verfassung und dergleichen, alle diejenigen Grundsätze in An= | Wendung zu bringen, welche hier oben schon festgesetzt worden. ^Nur erfordert die | Vertheilung der Sustentationssumme, und der Fonds, worauf solche gegründet wer= | den, in diesen Landen nothwendig nähere Bestimmung. ^Diesemnach fallen | die, auf einzelnen Theilen insbesondere ruhenden Lasten, z. B. die Unterhaltung eines | mittelbaren Klosters, die Uebemahme der Beamten und Diener eines einzelnen Amtes, | und dergleichen mehr, denjenigen neuen Herren allein zur Last, die solche einzelne Theile | erhalten, sonderlich kann die Erhaltung des dömkapitelischen Personals, und der Indi= | viduen aller geistlich^ und weltlichen Korporationen, die ihre eigenen Fonds gehabt haben, | bey einem vertheilten geisthchen Lande nicht in die ganze Masse geworfen werden, sondern | nur denjenigen,

[ 1 ] Reichsdeputationshauptschluß vom 25. Februar 1803

485

welche die Gefalle und Güter solcher Domkapitel und Korporationen | bekommen, zufallen, und unter diesen verhältnißmäßig vertheilt werden. ^Zur Vertheilung unter sämmtliche neue Theilhaber eines solchen Landes bleiben | also nur die auf das Ganze sich beziehenden Lasten übrig, wohin denn vorzügHch die | Sustentationssumme des von der Regierung abtretenden geistlichen Landesherm gehört. | ^Sämmtliche Theilhaber haben sich hierüber alsbald unter sich zu verstehen; sollte jedoch | desfalls keine gütliche Uebereinkunft binnen 4 Wochen zu Stande kommen, so haben | die Kreisausschreib=Ämter, und in dem kur= und oberrheinischen Kreise, wo der Fall | der Theilung vorzüglich eintritt, Kurmainz und Hessenkassel gemeinsam diese Ge= | genstände zu erörtern, und die erforderlichen Bestimmungen zu treffen. §. 39.^ ^Bei denjenigen Landen, wo die geistlichen Regenten ihre Residenzstädte auf | der linken Rheinseite mit den dortigen Landen verloren, doch auch noch beträchtliche | Besitzungen diesseits Rheins behalten haben, kommen vorzüglich Seine Kurfürstliche | Durchlaucht zu Trier, als Kurfürst des Reichs, auch Dero Domkapitel und | Dienerschaften in Betrachtung. ^Da die übrigen diesseits rheinischen kurfürstlichen | Lande, und ihre Einkünfte bey weitem nicht hinreichen, alle diese Sustentationen | zu bestreiten, zumal dem Domkapitel zu Trier auf dieser Seite kein eigener Fond | geblieben, so wird der Unterhalt Seiner Kurfürstl. Durchlaucht auf 100,000 | Gulden bestimmt. ^Das kurfürstliche Kollegium, einschlüssig der neu einzuführenden | [S. 34] Herm Kurfürsten ist ersucht, diese Summe zu übernehmen, dem Herm Kurfürsten von | Trier solche jährlich in zu bestimmenden Terminen zu entrichten, und zur Berichtigung | dieses Gegenstandes einen eigenen Schluß im kurfürstlichen Kollegium zu fassen; dann | wird festgesetzt, daß die Stadt Augsburg dem Herm Kurfürsten von Trier ihr bischöfli= | ches Schloß, und die für ihre Dienerschaft nöthigen Gebäude in ihrem gegenwärtigen | meublirten Zustande nebst den bisher gehabten Immunitäten, in ihrem ganzen Umfange | lebenslänglich ungestört zu belassen habe. §.70. Die neuen Besitzer der Reste der kurtrierischen Lande haben, da sie mit diesem | Unterhalte ganz verschont bleiben, einen verhältnißmäßig größeren Antheil des trierischen | Domkapitels, und der trierischen Dienerschaft zu übemehmen; die billige Ermäßigung | und Bestimmungen dieses Pensionenantheils wird Kurmainz und Hessenkassel aufgetragen. §.71. ^Die Bestimmung der Unterhaltung des Domkapitels zu Köln ist eben so, wie jene | des Domkapitels zu Trier, nicht blos nach den diesseitigen Besitzungen und Einkünften | des Domkapitels selbst abzumessen, sondem auch darauf Rücksicht zu nehmen, daß die | neuen Besitzer aus den Einkünften der ihnen zufallenden Lande keinen Regenten zu erhal= | ten haben. ^Es haben daher die vorbenannten Kommissarien unter diesen Rücksichten | auch dem Domkapitel zu Köln den billigmäßigen Unterhalt auszumitteln. §.72. ^Auf alle übrige, zu den Landen letztgedachter Art gehörige geistliche Regenten, | Domkapitel, Dienerschaften, Mediatstifter, Klöster, Stiftungen, geist= und welthche | Körperschaften, Landes^ und kirchliche Verfassungen, ist zwar alles dasjenige ebenfalls | anwendbar, was in Ansehung solcher geistlicher Lande, welche ganz oder doch größten^ | theils mit den Residenzstädten der bisherigen geistlichen Regenten an einen weltlichen | Regenten übergehen, oder welche nicht ganz oder größtentheils mit ihren Residenzen an | Fehlerhafte Zählung im Original.

486

§ 1: Ende des alten Reichs (1803/06)

[Dok. 1-3/1]

einen weltlichen Herrn kommen, sondern unter mehrere vertheilt werden, gleichwohl | aber ihre Residenzen und meisten Lande diesseits Rheins haben, festgesetzt worden; es | versteht sich jedoch von selbst, daß der Unterhalt aller zu dieser Klasse gehörigen Perso= | nen, in so ferne ihre Fonds nicht ganz auf dieser rechten Rheinseite liegen, nicht so | beträchtlich, als bei den eben benannten ausfallen könne, sondern daß solcher vorzüglich | nach den Ihnen auf dieser Seite noch zustehenden Einkünften zu bemessen sey. "^Es | kann daher auch bey solchen Domkapiteln und Stiftern der Unterhalt nicht durchgängig | auf ^/lo ihrer vormaligen Einkünfte festgesetzt werden. §. 73. Die Dienerschaften, welche nicht lokal und in den diesseitigen Aemtem angestellt | sind, können nur nach dem Verhältnisse, worin die diesseits rheinischen | Reste der Lande zum ganzen Lande stehen, von den neuen Besitzern einige Unter= | [S. 35] Stützung gewärtigen, es sey denn, daß solche, wie in Specie die diesseits angestellte | kurköllnische Dienerschaft, auf die rechte Rheinseite zur Administration der diesseitigen | Lande von Ihrem Landesherm ausdrücklich beordert worden, in welchem Falle ihnen | ihre ganzen Gehalte ohne Anstand fortzubezahlen sind. §. 74. ^Ueberhaupt ist diese Fürsorge nur auf diejenigen Kapitularen und Diener einzu= | schränken, welche ihren Regenten auf die rechte Rheinseite gefolgt, und auch inzwischen | ihren Wohnsitz nicht jenseits aufgeschlagen haben, welcher Grundsatz allgemein anzu= | wenden ist. '^Es sind jedoch diejenigen Domherren, welche jenseits bey ihren Domkirchen | geblieben sind, den herübergegangenen gleichzuhalten, falls sie sich künftig diesseits nie= | derlassen werden. §.75. ^Für diejenigen geistlichen Regenten mit ihren Domkapiteln und Dienerschaften, | denen auf dieser Rheinseite, wie z. B. dem Herrn Fürstbischöfe zu Basel, sehr wenig an | Landen und Einkünften übrig bleibt, oder welche jenseits, wie z. B. der Herr Fürstbischof | zu Lüttich, alles verloren haben, ist nöthig einen besonderen Fond zu bestimmen, woraus | ihr billiger Unterhalt hergenommen wird. "^Diesemnach wird die Sustentation des | Herrn Fürstbischofes von Lüttich, dessen Lage einzig ist, auf 20000 fl. festgesetzt. | "^Diejenigen Fürstbischöfe, die im Besitze 2er oder mehrerer Bisthümer waren, geben | zu Aufbringung dieser Summe den lOten Theil der Pension eines ihrer Bisthümer ab; | eben so werden sie für den Herrn Fürstbischof von Basel den 20sten Theil der Revenuen | eines ihrer Bisthümer abgeben, um für ihn die Hälfte des Minimums, nämlich 10000 | fl. aufzubringen, indem ihm nur einige Parzellen seines Landes auf dem rechten Rhein= | ufer geblieben sind. ''im Falle nun einer der Fürstbischöfe, die ein Zehntel und Zwan= | zigtel eines ihres Deputats an die Fürstbischöfe von Lüttich und Basel abgeben; früher | als oben gedachte Fürstbischöfe versterben würden, so behält der Landesherr, dem eine | solche Pension zurückfällt, die Verbindlichkeit, das 1 Otel und 20tel an gedachte Herrn | Fürstbischöfe von Basel und Lüttich fortzuentrichten. ^Ferner werden die beyden Herrn | Fürstbischöfe von Basel und Lüttich zu den ersten offen werdenden bischöflichen Sitzen | empfohlen, jedoch bleibt es der Willkühr der beyden gedachten Herrn Fürsten überlassen, | Bisthümer zu übernehmen oder nicht, ohne in einem oder dem andern Falle ihre ohnehin | auf das minimum gesetzte Sustentationsgelder an den Einkünften des Bisthums | aufgerechnet zu erhalten. Die beiden bemerkten Summen von 20 und 10,000 fl. werden nach folgender | Austheilung von den Fürstbischöfen entrichtet.

[1] Reichsdeputationshauptschluß vom 25. Februar 1803

487

Der Herr Kurfürst von Trier geben von ihrer Pension von 60000 fl. als Bischof von | Augsburg an den Bischof von Basel 3000, an jenen von Lüttich 6000 fl, femer als | Probst von Ellwangen von der Pension von 20000 fl. | an Basel 1000, an Lüttich 2000 fl. Der Herr Bischof von Wirzburg wegen der Coadjutorie von Bamberg ä 30000 fl. | an Basel 1500, an Lüttich 3000 fl. [S. 36] Der Herr Bischof von Hildesheim und Paderborn erhält für beyde Sitze 50000 | Preußische Thaler oder 80000 fl., gibt also von der Hälfte ab | an Basel 2000, an Lüttich 4000 fl, Der Herr Bischof von Regensburg von seiner Pension von Freisingen ä 20000 fl. | an Basel 1000, an Lüttich 2000 fl. Ebenderselbe wegen der Probstei Berchtolsgaden ä 20000 fl. | an Basel 1000, an Lüttich 2000 fl. Der Herr Kurfürst Erzkanzler als Fürstbischof von Constanz und Worms ä 10000 fl. | an Basel 500, an Lüttich 1000 fl. ^Betreffend hingegen die Domkapitel und Dienerschaften, welche aus den diesseits | rheinischen Gütern und Einkünften von den neuen Landesherren Ihren nöthigen Unterhalt | nicht erhalten können, als jene von Köln, Trier, Worms, Lüttich, Basel, Speier, | Straßburg und andere, welche sich im ähnlichen Falle befinden; so soll für sie eine | eigene Kasse dadurch errichtet werden, daß jenen Domherrn, welche mehr als eine | Präbende hatten, zwey Zehntheile ihrer neun Zehntheile, welche Sie von diesen Prä= | benden zu beziehen haben, eingehalten, und diese Kasse dem Kurfürsten Reichserzkanzler | untergeben werde, und hievon nach einem gerechten Maaßstabe die Austheilung derge= | stalt zu machen, damit nach den Kräften der Kasse ihr Zweck erreicht werde. "^Nichts | destoweniger haben diejenigen Landesherren, welchen die Ueberreste solcher Lande, auch | der Einkünfte der Domkapitel und anderer Korporationen zufallen, nach deren Ver= | hältniß für den Unterhalt der leidenden Interessenten zu sorgen. §.76. In Ansehung derjenigen Geistlichen und Diener endlich, deren Körperschaften | jenseits auf der linken Rheinseite aufgehoben worden, welche jedoch noch mehr oder we= | niger Güter auf dieser rechten Rheinseite haben, die künftig der Disposition der respek= | tiven Landesherren überlassen sind, versteht sich von selbst, daß diese Landesherm, so | weit diese Einkünfte reichen, den Unterhalt derjenigen Personen, welche als diesseits | gebome von dem französischen Gouvernement zu diesem Unterhalt ohne Pension auf | diese Seite verwiesen worden, oder welche eben dieser Einkünfte und ihrer Administra= | tion wegen, um davon ihren Unterhalt zu ziehen, schon während des Krieges auf die= | ser Rheinseite ihre Wohnungen genommen, auch diese Einkünfte bisher wirklich genossen | haben, eben so wie alle andere neue Landesherren, diesen Unterhalt zu übernehmen, und zu die= | sem Ende diesen unglücklichen Individuen ihre Einkünfte, worauf ihnen ein gegründet | tes Recht zusteht, lebenslänglich zu belassen, und über solche nur nach deren Tode an= | derweit zu disponiren haben. §.77. Da auch wegen der, auf den Entschädigungslanden haftenden Schulden zur | Beruhigung so vieler Gläubiger Vorsehung geschehen muß; so versteht sich zuförderst | von selbst, daß bey solchen Landen, welche ganz von einem geistlichen Regenten auf | [S. 37] einen weltlichen übergehen, letzterer alle sowohl Kameral= als Landesschulden eines sol= | chen Landes mitzuübernehmen, mithin solche respektive aus seinen Kammer=Einkünften | und Steuern eben so zu verzinsen und abzuführen habe, wie es der geistliche Regent | würde haben thun müssen.

488

§ 1: Ende des alten Reichs (1803/06)

[Dok. 1 - 3/1]

§.78. Bey solchen geistlichen Landen hingegen, welche unter Mehrere vertheilt werden, | kann sich zwar der Gläubiger, wenn ihm ein Spezialunterpfand verschrieben ist, an | dieses SpezialUnterpfand allerdings dergestalt halten, daß diejenigen Theilhaber eines | solchen Landes, welche die Spezialhypothek besitzen, ihm einstweilen die Zinsen fort | entrichten müssen; es sind aber hiemächst diese Schulden eben so, wie diejenigen, welche | nur eine Generalhypothek, oder auch nur versionem in rem für sich, oder endlich | die ihre bisher gehabte Spezialhypothek, z. B. die Zölle, verloren haben, als allgemeine | Landesschulden unter sämmtlichen Theilhabem eines solchen Landes in verhältnißmäßige | Theile, und zwar die Kammerschulden nach dem Domainenertrage, die Landesschulden | aber nach dem Steuerkapitale zu vertheilen. §.79. Damit jedoch die Gläubiger bis zu dieser Austheilung nicht auf ihre Zinsen warten | müssen, so hat von solchen Kapitalien, denen es an einer Spezialhypothek fehlt, der | Inhaber des Hauptorts oder des größeren Theils des Landes einstweilen bis zur Abrech= | nung, diese Zinsen zu berichtigen; es wäre dann, daß sich die Theilhaber da, wo | die Theile nicht merklich verschieden sind, wenigstens der Verzinsung solcher Kapitalien | wegen, einstweilen unter sich verstünden. §. 80. Lägen hingegen die geistlichen Lande, von deren Schulden die Frage ist, zum | Theil auf der linken Rheinseite; so sind diejenigen Landesschulden, die ihre Spezialhy= | pothek auf der linken Rheinseite haben, oder die sonst nach dem Lüneviller Frieden geeig= | net sind, auf die französische Republik überzugehen, von der zu vertheilenden Schulden^ | masse eines solchen Landes vorausabzuziehen. §.81. Sollten aber etwa irgendwo noch nach dem 24. August dieses Jahrs neue Schul= | den contrahirt worden seyn, so hängt deren Zahlung davon ab, ob wirklich der Nutzen | oder das Bedürfhiß des Staates solche Geldaufinahmen noch erfordert habe. §.82. ^Was sodann die Schulden ganzer Kreise, und zwar zuerst solcher, welche | wie der Fränkische und Schwäbische, ganz auf der rechten Rheinseite liegen, betrifft; | so bleiben alle diejenigen Länder, welche bisher zu diesen Kreisen gehört haben, für | solche Schulden verhaftet. "^Werden aber einzelne geistliche Kreislande unter mehrere | weltliche Herren vertheilt; so muß ohnehin jedem Theile eines solchen Landes | seine rata matricularis an Reichs^^ und Kreisprästanden bald thunlichst regulirt wer= | [S. 38] den; nach welchem Maaßstabe alsdann auch die neuen Besitzer zu Abtrage und Ver= | zinsung der Kreiscapitalien zu konkurriren haben. ^Bis aber diese Repartition wirklich | geschehen ist, kann der Beitrag von solchen getheilten Ländern zu allen Kreisprästanden, | mithin auch zur Verzinsung der Kapitalschulden nicht anders geschehen, als auf die | nämliche Art, wie so eben in Betreff der Landesschulden getheilter Lande erwähnt wor= | den ist. §.83. ^In Ansehung derjenigen Schulden aber endlich, welche die, auf beiden Rheinseiten | gelegenen kur= und oberrheinischen Kreise, und zwar Kurrhein unmittelbar vor dem | Kriege, Oberrhein aber erst während, und zu dem Kriege kontrahirt haben, so sind | nach allen vorwaltenden Verhältnissen die Gläubiger dieser kur= und oberrheinischen | Kreise wegen dieser ihrer Kapitalien und Zinsen sich an den diesseits rheinischen Landen | der beiden Kreise

[1] Reichsdeputationshauptschluß vom 25. Februar 1803

489

zu halten, allerdings befugt. ^Die Herrn der diesseits rheinischen Lande, | welche zu einem dieser Kreise gehören, haben sich über die Verzinsung und Abführung | dieser Kapitalien zu verstehen. ^Vor allem sind zu diesem Ende bey Oberrhein zu den | dort eingeführten General= und Spezialkassen die exigibeln Ausstände, insofern keine | rechtliche Entschuldigung obwaltet, beyzutreiben; sodann zur Zinsen= und Kapitalien^ | Zahlung zu verwenden, das weiter ErforderHche aber ist durch gewöhnliche Kreisrömer^ | monate von den zu diesem Kreise noch gehörigen Landen beyzubringen. §.84 Insofern hingegen der matrikularmäßige Antheil der jenseits Rheins gelegenen | Kreislande an diesen Schulden von der französischen Republik nicht unter die Kathegorie | der von derselben zu übernehmenden Schulden gerechnet wird; so ist der Antheil der | jenseits Rheins gelegenen weltlichen Kreislande an den Kjeisschulden denjenigen Landes^ | schulden beizuzählen, welche von den entschädigten Reichsständen ohne Belastung ihrer | neuen Unterthanen, zu übernehmen sind; und nur der Antheil der geistlichen Kreislande | an den Kreisschulden fällt ohne Uebertragung hinweg, und vermehrt die Schuldenmasse | der diesseits Rheins übrigen Kreisgebiete, weil für dieselben keine Entschädigung gegeben | wird. §.85. Die Vollziehung dieser Beschlüsse haben sich die kreisausschreibenden Herrn Fürsten, | und am kur= und oberrheinischen Kreise Kurmainz und Hessenkassel gemeinsam angele= | gen seyn zu lassen. Würden jedoch, sowohl bei Austheilung dieser Schulden, als des zu regulirenden | Unterhalts für die Geistlichkeit Fälle eintreten, wo wegen Kollision der Interessen, und | aus Mangel gütlicher Uebereinkunft die Beiziehung eines dritten Fürsten nothwendig | würde, so haben sich die kreisausschreibenden Herrn Fürsten oder Kommissarien einen | Obmann selbst zu erbitten. [S.39] §.86. Obgleich nun auch sich von selbst versteht, daß die den Ständen des Reiches als | Entschädigung zufallenden Reichslande, die bisher von solchen Landen entrichteten Kreis= | und Reichssteuem, insbesondere die der Unterhaltung des Kais. Reichskammergerichts | gewidmeten Beiträge, oder Kammerzieler, femer zu zahlen schuldig seyen: so findet | man jedoch bey den vorgehenden Besitzveränderungen, und sonderlich bey der Ver= | stücklung mehrerer Reichslande, zu mehrerer Sicherstellung des kammergerichtlichen | Unterhalts nöthig, nach dem Sinne der altem Reichsgesetze, insbesondere des §. 16. | des j . R. A. festzusetzen, daß 1. alle erblichen Reichsstände von den Ihnen als Entschädigung zufallenden | geistlichen reichsunmittelbaren Landen, auch Reichsstädten, die davon bisher be= I zahlten Kammerzieler fortzubezahlen haben. Sodann §.87. daß 2, eben diese Verbindlichkeit denjenigen Reichsständen obliegt, welchen abge= | rissene Lande von jenseits rheinischen Hauptlanden, oder nur Theile diesseits rhei= | nischer Entschädigungslande zufallen, dergestalt, daß der künftige Besitzer abge= I rissener Lande von jenseits rheinischen Hauptlanden die ratam, welche ein solches | abgerissenes Land, zum jenseitigen Hauptlande beigetragen hatte; von mehreren | Theilhabem aber eines zertheilten Reichslandes der künftige Besitzer des großem | Theils eines solchen Landes, oder dessen Hauptorts, den ganzen Kammerzieler= | beitrag salvo regressu gegen die übrigen Theilhaber, einstweilen abzuführen habe; | es wäre dann, daß dieser mit den Innhabem

490

§ 1: Ende des alten Reichs (1803/06)

[Dok. 1-3/1]

der kleineren Landesantheile über ihre | Konkurrenz binnen 2 Monaten sich verglichen, und diese getroffene Uebereinkunft | dem kaiserlichen Reichskammergerichte angezeigt haben würde. Endlich

daß 3. wo ein Land in mehrere kleine Parzellen zerfällt, die Kammerzieler, welche | auf dem Ganzen bisher gehaftet, unter die einzelnen Theilhaber einstweilen ex | aequo et bono von den kreisausschreibenden Herrn Fürsten, im Kur= und | Oberrheinischen Kreise aber von Kurmainz und Hessenkassel, bis zur künftigen I Rektifikation der Kammermatrikel, auf den Fall zu vertheilen sind, wenn solche I Theilhaber sich desfalls nicht unter sich selbst binnen den vorgedachten zwey Mo= | naten gütlich verglichen, und hievon das kaiserl. Reichskammergericht benachrich= | tiget hätten. §. 89. Schließlich wird Kaiserl. Majestät und dem Reiche anheim gestellt, den über das | Sustentationswesen dieses Reichsgerichts von demselben erstatteten Hauptbericht bald= | thunlichst zu erledigen, und dessen künftige Verhältnisse bey der Abnahme seines Susten== | tationsfonds, und den eintretenden Veränderungen, gesetzlich zu bestimmen. Signatum Regensburg den 25. Februar 1803. (L. S.) I Kurfiirstlich=Mainzische Kanzley.

[2] Austrittserklärung mehrerer Reichstände aus dem Reichsverband vom 1. August 1806 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einführungen" die Darstellung unter [6.]. Quelle: Haus-, Hof- und Staatsarchiv Wien, Sign. 2207, Bl. Iv. - 2 v . (gedruckte Ausfertigung). Sonstige Fundstellen: E. R. Huber (Hrsg.), Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte, Bd. 1: Deutsche Verfassungsdokumente 1803-1850, 3. Aufl., 1978, Nr. 3; P.A. G. Meyer (Hrsg.), Corpus Juris Germaniae Confoederationis oder Staatsacten für Geschichte und öffentliches Recht des Deutschen Bundes, Teil I (Staatsverträge), 3. Aufl., 1858, S. 70. [Bl Iv.r Hochwürdige, Hoch= und Hochwohl= auch Wohlgebome, | Insonders Hoch= und vielgeehrteste Herren! Die zur allgemeinen deutschen Reichsversammlung bevollmächtigten un= | terzeichneten Bothschafter und Gesandte haben den Befehl erhalten, Na= | mens Ihrer Höchst^ und Hohen Kommittenten Euren Excellenzien, Hoch= | würden, Hoch=, Hochwohl= und Wohlgebohmen nachstehende Erklärung | mitzutheilen: Die Begebenheiten der drei letzten Kriege, welche Teutschland bei= | nahe ohn^unterbrochen beunruhigt haben, und die politischen Ver^ | ändemngen, welche daraus entsprungen sind, haben die traurige | Wahrheit in das hellste Licht gesezt, daß

Auf dem Blatt oben links befindet sich folgender (ebenfalls gedruckter) Vermerk: „Dictatum Ratisbonae die L Aug. | 1806. | per Archicancellariensem."

[2] Austrittserklärung vom 1. August 1806

491

das Band, welches bis= | her die verschiedenen Glieder des teutschen Staatskörpers mitein= | ander vereinigen sollte, für diesen Zv^eck nicht mehr hinreiche, oder | vielmehr, daß es in der That schon aufgelöst sey; das Gefühl | dieser Wahrheit ist schon seit langer Zeit in dem Herzen jedes | Teutschen, und so drückend auch die Erfahrung der letztem Jah= | re war, so hat sie doch im Grunde nur die Hinfälligkeit einer | in ihrem Ursprünge ehrwürdigen, aber durch den - allen mensch= | liehen Anordnungen anklebenden Unbestand fehlerhaft gewordenen | Verfassung bestätiget. Nur diesem Umstände muß man ohne | Zweifel die im Jahre 1795 im Reiche selbst sich hervorgethane | Trennung zuschreiben, die eine Absonderung des Interesses des | nördlichen und südlichen Teutschlands zur Folge hatte. Von die= | sem Augenblicke an mußten nothwendig alle Begriffe von gemein^ | schaftlichem Vaterlande und Interesse verschwinden; die Aus= | drücke: Reichskrieg und Reichsfrieden, wurden Worte ohne Sinn; | [Bl. Ir.] vergeblich suchte man Teutschland mitten im teutschen Reichskör= | per. Die, Frankreich zunächst gelegenen, von allem Schutz ent= | blößten und allen Drangsalen eines Kriegs, dessen Beendigung in | den verfassungsmäßigen Mitteln zu suchen nicht in ihrer Gewalt | stand, ausgesetzten Fürsten sahen sich gezwungen, sich durch Se= | paratfiieden von dem allgemeinen Verbände in der That zu tren= | nen. Der Friede von Lüneville, und mehr noch der Reichsschluß | von 1803. hätten allerdings hinlänglich scheinen sollen, um der | teutschen Reichsverfassung neues Leben zu geben, indem sie die | schwachen Theile des Systems hinwegräumten und die Haupt= | grundpfeiler desselben befestigten. Allein die in den letzt verflosse= | nen 10 Monaten unter den Augen des ganzen Reichs sich zugetra= | genen Ereigniße haben auch diese letzte Hoffnung vernichtet, und die | gänzliche Unzulänglichkeit der bisherigen Verfassung aufs Neue aus= | ser allem Zweifel gesetzt. Bei dem Drange dieser wichtigen Betrach= | tungen haben die Souverains und Fürsten des mittäglichen und I westlichen Teutschlands sich bewogen gefunden, einen neuen, und den | Zeitumständen angemeßenen Bund zu schließen. Indem sie | sich durch gegenwärtige Erklärung von ihrer bisherigen Verbin= | dung mit dem teutschen Reichskörper lossagen, befolgen sie blos | das durch frühere Vorgänge und selbst durch Erklärungen der | mächtigem Reichsstände aufgestellte System. Sie hätten zwar | den leeren Schein einer erloschenen Verfassung beibehalten kön== | nen, allein sie haben im Gegentheil ihrer Würde und der Rein= | heit ihrer Zwecke angemessener geglaubt, eine offene und freie Er= | klämng ihres Entschlusses und der Beweggründe, durch welche sie | geleitet worden sind, abzugeben. Vergeblich aber würden sie sich | geschmeichelt haben, den gewünschten Endzweck zu erreichen, wenn | sie sich nicht zugleich eines mächtigen Schutzes versichert hätten, | wozu sich nunmehr der nemliche Monarch, dessen Absichten sich stets | mit dem wahren Interesse Teutschlands übereinstimmend gezeigt ha= | ben, verbindet. Eine so mächtige Garantie ist in doppelter Hin== | sieht bemhigend. Sie gewährt die Versichemng, daß Se. Ma= | jestät der Kaiser von Frankreich, Allerhöchstdero Ruhms halber | eben so sehr, als wegen des eigenen Interesses des französischen | Kaisei^Staates, die Aufrechthaltung der neuen Ordnung der | Dinge in Deutschland und die Befestigung der inneren und äus= I seren Ruhe sich angelegen seyn lassen werden. Daß diese kostba= | re Ruhe der Hauptzweck des rheinischen Bundes ist, davon finden | die bisherigen Reichs=Mitstände der Souverains, in deren Na= | [Bl 2] men die gegenwärtige Erklämng geschieht, den deutlichen Beweis | darinn, daß jedem unter ihnen, dessen Lage ihm eine Theilnahme | daran erwünschlich machen kann, der Beitritt zu demselben offen | gelassen ist. Indem wir uns nun dieses höchsten und hohen Auftrags hierdurch | schuldigst entledigen; so haben wir zugleich die Ehre, die Versichemng | der hochachtungsvollsten Ergebenheit hinzuzufügen, womit wir sind Eurer Exzellenzien, Hochwürden, Hoch= Hochwohl | und Wohlgebomen Regensburg den Iten August 1806.

492

§ 1: Ende des alten Reichs (1803/06)

[Dok. 1-3/1]

gehorsamst=ergebenste Freiherr von Rechberg, | Ihrer königl Majestät von Baiem geheimer Rath | und bisheriger Komitialgesandter. Freiherr von Seckendorf, | Ihrer königl. Majestät von Würtemberg Staats^ | minister und bisheriger Komitial^Gesandter. Kurfurstlich==Reichs==Erzkanzlerischer Staatsminister | und Direktorial=Gesandter | Freiherr von Albini. Der kurfiirstl. Badensche Gesandte, | Albrecht Freiherr von Seckendorf. Landgräflich Hessischer Gesandter, | Freiherr von Türkheim. Edmund Freiherr von Schmitz^Grollenburg, | Sr. Hochfiirstl. Durchl. zu Hohenzollem=Hechingen, | und des hochfiirstl. Gesammthauses HohenzoUem | Gesandter. Weihbischof und Domdechant von Wolf, | als hochfiirstl. Salm=Kyrburgischer Komitial=Gesandter. von Mollenbec, von wegen Sr. Durch= | laucht zu Isenburg.

[3] Kaiserliche Erklärung über die Niederlegung von Kaiserkrone und Reichsregiment vom 6. August 1806 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einführungen" die Darstellung unter [6.]. Quelle: Haus-, Hof- und Staatsarchiv Wien, Sign. 2208, Bl. Iv. - 2r. (handschriftliche Ausfertigung). Sonstige Fundstellen: E. R. Huber (Hrsg.), Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte, Bd. 1: Deutsche Verfassungsdokumente 1803 - 1850, 3. Aufl., 1978, Nr. 5. [BL IvJ Wir Franz der Zweyte, | von Gottes Gnaden erwählter Rö= | mischer Kaiser, zu allen Zeiten Mehrer | des Reichs, Erbkaiser von Oesterreich; | König in Germanien, zu Hungam, Böheim, | Dalmatien, Kroatien, Slawonien, Gallizien, | Lodomerien und Jerusalem; Erzherzog zu I Oesterreich &c. Nach dem Abschluß des | Presburger Friedens war Unsere ganze | Aufmerksamkeit und Sorgfalt dahin gerichtet, | allen Verpflichtungen, die Wir dadurch eingeh I gangen hatten, mit gewohnter Treue und Ge= | wissenhaftigkeit das vollkommenste Genügen zu | leisten, die Segnungen des Friedens Unsem | Völkern zu erhalten, die glücklich wieder herge= | stellten friedlichen Verhältnisse allenthalben zu | befestigen, und zu erwarten, ob die durch die= | sen Frieden herbeygefiihrten wesentlichen | Veränderungen im Deutschen Reiche es Uns | femer möglich machen würden, den nach der | kaiserlichen Wahl Kapitulation Uns als Reichs= | Oberhaupt obliegenden schweren Pflichten genug | zu thun. [BL Ir.J Die Folgerungen, welche mehreren | Artikeln des Presburger Friedens gleich nach | dessen Bekanntwerdung und bis jezt gegeben wor= | den, und die allgemein bekannten Ereignisse, I welche darauf im Deutschen Reiche Statt hatten, | haben Uns aber die Überzeugung gewährt, | daß es unter den eingetrettenen Umständen | unmöglich seyn werde, die durch den Wahl=Ver= | trag eingegangenen Verpflichtungen femer zu | erfüllen: und wenn noch der Fall übrig blieb, | daß sich nach vordersamer Beseitigung einge= | tretener politischen Verwicklungen ein verändere | ter Stand ergeben dürfte, so hat gleichwohl die | am 12— Julius zu Paris unterzeichnete, und | seitdem von den betreffenden Theilen begeneh= | migte, Übereinkunft mehrerer vorzüglichen Stän= | de zu ihrer gänzlichen Trennung von dem Reiche, I und ihrer Vereinigung zu einer besonderen Konfö= | deration, die gehegte Erwartung vollends ver= | nichtiget. Bey der hierdurch vollendeten Über= | zeugung von der gänzlichen Unmöglichkeit, die |

[3/1 ] Erklärung vom 6. August 1806

493

Pflichten Unseres Kaiserlichen Amtes länger | zu erfüllen, sind Wir es Unsem Grundsätzen I und Unserer Würde schuldig, auf eine Krone zu | [BL 2v.J verzichten, welche nur solange Werth in Un= | sem Augen haben konnte, als Wir dem von | Kurfürsten, Fürsten und Ständen und übrigen | Angehörigen des Deutschen Reiches Uns bezeige | ten Zutrauen zu entsprechen und den über= | nommenen Obliegenheiten ein Genüge zu leisten | im Stande waren. Wir erklären demnach durch Gegen= | wärtiges, daß Wir das Band, welches Uns | bis jezt an den Staatskörper des Deutschen | Reiches gebunden hat, als gelöst ansehen; | daß Wir das Reichs Oberhauptliche Amt und | Würde durch die Vereinigung der konfbderir= | ten Rheinischen Stände als erloschen, und Uns | dadurch von allen übemommenen Pflichten gegen | das Deutsche Reich losgezählet betrachten, und | die von wegen desselben bis jezt getragene | Kaiser Krone und geführte Kaiserliche Regie= | rung, wie hiermit geschiehet, niederlegen. Wir entbinden zugleich Kurfürsten, Fürsten | und Stände und alle Reichs Angehörigen, inson= | derheit auch die Mitglieder der höchsten Reichs= | Gerichte und die übrige Reichs Dienerschaft, von | Ihm Pflichten, womit sie an Uns, als das | Gesetzliche Oberhaupt des Reichs, durch die | [BL 2r.J Constitution gebunden waren. Unsere sämmtlichen Deutschen Provinzen | und Reichsländer zählen Wir dagegen wechsel= | seitig von allen Verpflichtungen, die sie bis jezt, | unter was immer fur einem Titel, gegen das | Deutsche Reich getragen haben, los, und Wir | werden selbige in ihrer Vereinigung mit dem | ganzen Österreichischen Staats=Körper als | Kaiser von Österreich unter den wiederherge= | stellten und bestehenden friedlichen Verhält= | nissen mit allen Mächten und benachbarten | Staaten zu jener Stufe des Glücks und Wohl= | Standes zu bringen beflissen seyn, welche das | Ziel aller Unserer Wünsche, der Zweck Unse= | rer angelegensten Sorgfalt stäts seyn wird. Gegeben in Unserer Haupt und Residenzstadt | Wien, unter Unserem Kaiserlichen Insiegel, I vom 6— August des Jahres 1806. Unse= | rer Reiche, des Römischen und der Erblichen I im fünfzehnten Jahre. Franz Johann Philipp Graf von Stadion Ad Mandatum Sacrae Caes. ac Caes. etc. | Apostol. Maj.^^^ proprium. | Hofrath von Güdelist.

[3/1] Erklärung bezüglich der Versorgung des bisherigen Reichspersonals vom 6. August 1806 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einführungen" die Darstellung unter [6.]. Quelle: Haus-, Hof- und Staatsarchiv Wien, Sign. 2209, Bl. Iv. ~ 2 (handschriftliche Ausfertigung). [Bl Iv.J Wir Franz der Zweite, | von Gottes Gnaden erwählter | Römischer Kaiser, zu allen Zeiten I Mehrer des Reichs, Erbkaiser von | Oesterreich; König in Germanien, zu | Hungam, Böheim, Dalmatien, Croa= | tien, Slawonien, Galizien, Lodomerien | und Jerusalem; Erzherzog zu Oesterreich &c. | Bei der Niederlegung der Kaiserlichen | Reichs==Regierung betrachten Wir es | als einen letzten Ausfluß Unserer | Sorgfalt, und als eine unerläßliche | Pflicht, den billigen und gerechten | Wunsch hier öffentlich auszudrücken, | daß für den Unterhalt des gesamten | PersonaHs der Kaiserlichen und Reichs | Diener gehörig gesorgt werde, I welches bis jetzt theils zur Pflege | der Justitz, theils zur Besorgung der | diplomatischen und sonstigen Nutzen des ganzen | Reichs und zum Dienst des Reichs^ | Oberhaupts verwendet worden.

494

§ 1: Ende des alten Reichs (1803/06)

[Dok. 1 - 3/1]

[Bl IT.] Die Sorgfalt, welche sämmtliche | Stände des Reichs für das Schicksal | der durch das Reichs=Entschädigungs= | Geschäft vom Jahre 1803. um ihre Dien= | ste=An-stellung gekommenen Personen | so ruhmwürdig getragen haben, laßen | Uns erwarten, daß das nemliche Gefühl | Deutscher Gerechtigkeit sich auch auf jene | verbreiten werde, die sich zum Dienst | des ganzen bis jetzt haben gebrauchen | lassen, die aus allen Theilen des deut= | sehen Reichs gewählt und oft von ein= | träglichen anderen Bedienstungen dazu | berufen worden, - die dabei auf eine | lebenslängliche Versorgung rechneten, und | welche ihnen bei der Treue - Redlichkeit | und Geschicklichkeit womit sie ihren Berufe | nachgekommen sind, nirgends entgangen | sein würde. Wir haben aus diesen Gründen die | Entschließung gefasset, jenen Kaiserlichen | Dienern, welche bis jetzt aus Unserem | eigenen Cammer Aerario besoldet | werden, unter Vorbehalt ihrer angemes= | senen Anstellung und Gebrauchs zu | Unseren Erbländischen Diensten, die bis | jetzt genossene Besoldung fort zu bezahlen | [Bl 2v.J und dürfen daher mit desto größerer Zu= | versieht hoffen, daß Churfürsten - Fürsten | - und Stände für das Schicksal des Kai= | serlichen Reichs^Cammer Gerichts und | der Cammer=Gerichts= Kanzlei ausgiebig | sorgen, und diese - für das ganze unbe= | deutende - sich mit jedem Jahre mindernde | Last bereitwillig übemehmen werden. In Ansehung der geheimen Reichs^ | Hof=Kanzley wird der vorhandene | und für ihre Unterhaltung bestimmte | eigene Fond zur gleichen gerechten | Versorgung jener Individuen, welche bis | jetzt dafür ihre Besoldung genoßen | haben verwendet werden, und bis zu ei= I ner eigenen Maaßnehmung, derselben | zur Beruhigung dienen. Gegeben in Unserer Haupt und Residenzstadt | Wien, unter Unserem Kaiserlichen Insiegel, I vom 6— August des Jahres 1806. Unserer Reiche, des Römischen und der erblichen im fünfzehnten | Jahre. Franz Johann Philipp Graf von Stadion Ad Mandatum Sacrae Caes: ac Caes: | Regiae Apostolicae Majestatis proprium. | Hofrath von Güdelist.

§ 2: Rheinbund

[4] Konföderationsakte des Rheinbundes vom 12. Juli 1806

497

[4] Konföderationsakte des Rheinbundes (Rheinbunds-Akte) vom 12. Juli 1806 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einfuhrungen" die Darstellungen unter [5.] [6.] [10.], [13.] bis [23]. Quelle: Bayerisches Hauptstaatsarchiv München, Bayern Urkunden 1669 / 1, Bl. 1 - 15 (handschriftliche Ausfertigung - französischer Text)^. Sonstige Fundstellen: K. Binding (Hrsg.), Deutsche Staatsgrundgesetze in diplomatisch genauem Abdruck, 3. Abdruck, 3. Heft (Rheinbund, Bundesakte, Wiener Schlußakte), 1905, S. 3 ff.; G. DüriglW. Rudolf {Hrsg.), Texte zur deutschen Verfassungsgeschichte, 3. Auf., 1996, S. 1 - 10; Ä H. Hofmann (Hrsg.), Quellen zum Verfassungsorganismus des Heihgen Römischen Reiches Deutscher Nation 1495 - 1815, 1976, S. 374 ff. (franz./deutscher Text); E. R. Huber (Hrsg.), Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte, Bd. 1: Deutsche Verfassungsdokumente 1803 - 1850, 3. Aufl., 1978, Nr. 2 (franz. Text); F. Martens, Supplement au Recueil des Princpaux Traites, Bd. IV, 1808, S. 313-326 (franz. Text); P. A. G. Meyer (Hrsg.), Corpus Juris Germaniae Confoederationis oder Staatsacten für Geschichte und öffentliches Recht des Deutschen Bundes (CJCG), Teil I (Staatsverträge), 3. Aufl., 1858, S. 79 - 86 (franz. Text); (Le) Moniteur (Universel) vom 13.8.1806, Nr. 225 (franz. Text); H. L. Pölitz (Hrsg.), Die Constitutionen der europäischen Staaten seit den letzten 25 Jahren, Bd. II, 1817, S. 78 ff. (dt. Text); H. L Pölitz/F. Bülau (Hrsg.), Die Verfassungen des teutschen Staatenbundes seit dem Jahre 1789 bis auf die neueste Zeit, Bd. 1, 1847, S. 3 - 8 (deutscher Text); P. A. Winkopp, Die Rheinische Konföderationsakte, 1808, S. 3^-11 (franz./deutscher Text); K. Zeumer (Hrsg.), Quellensammlung zur Geschichte der deutschen Reichs Verfassung in Mittelalter und Neuzeit, 2. Aufl., 1913, S. 532 ff. (franz. Text). [Bl 1] Napoleon, par la grace de Dieu et | les Constitutions, etc. Empereur des Frangais, Roi d'Italic, I ayant vu et examine le Traite conclu, arrete et Signe ä Paris, le | onze Juillet mil huit=cent=six, par M. Ch. Maurice | Talleyrand, Prince de Benevent, | notre grand Chambellan | et Ministre des Relations Exterieures, en vertu des pleins | pouvoirs que nous lui avons conferes ä cet effet, avec le Plenipotentiaires | Denommes dans le dit Traite dont la teneur Suit: Sa Majeste, l'Empereur des Fran9ais, Roi d'Italie | d'une part, et de l'antre part, Leurs Majestes, Les Rois de Baviere et de | Wurtemberg, et Leurs Altesses Serenissimes les Electeur archichancelier | et de Bade, le Due de Berg et de Cleves le Landgrave de Hesse | D'Armstadt, Les Princes de Nassau Usingen et Nassau Weilbourg, | Les Princes de Hohenzollem Hechingen et Hohenzollem Sigmaringen | Les Princes de Salm Salm et Salm Kyrbourg, Le Prince d'Isenbourg Birstein, | Le Due d'Aremberg et le Prince de Lichtenstein et le Comte de la Leyen, -1 Voulant par des stipulations convenables, assurer la paix Interieure I et exterieure du midi de l'Allemagne, pour la quelle 1'experience ä | prouve depuis long tems et tout recemment encore, que la constitution | germanique ne pouvait plus offrir aucune sorte de garantie, ont nommes | pour leurs plenipotentiaires savoir: Sa Majeste l'Empereur des Franpais Roi d'Italie | M. Charles Maurice Talleyrand, Prince et Due de Benevent, Son | Grand Chambellan et Ministre des Relations Exterieures, Grand Cordon | [Bl 2] de la Legion d'houneur, chevalier des ordres de I'Aigle Noir et Rouge de | Prusse et de 1'ordre de Saint Hubert

Nebst Ratifizierungserklärung Napoleons vom 19. Juli 1806. - Bei dem vorliegend abgedruckten Exemplar handelt es sich um die „bayerische" Ratifikationsurkunde der Rheinbundsakte.

498

§ 2: Rheinbund

[Dok. 4 - 30]

Sa Majeste le Roi de Baviere, | M. Antoine de Getto Son Conseiller d'Etat ordinaire envoye Extraordinaire et | ministre plenipotentiaire pres Sa Majeste l'Empereur des Frangais Roi d'Italie | et Chevalier de l'ordre du Lion; Sa Majeste le Roi de Wurtemberg | M. Levin Comte de Wintzingerode Son Ministre d'Etat, des Conferences et | du Cabinet, Chevalier de Son Grand Ordre, Commandeur de celui de S^ Jean de | Jerusalem, Chevalier de l'Aigle blanche. Son Altesse Serenissime l'Electeur Archichancelier de TEmpire | Germanique; | M. Charles Comte de Beust, envoye Extraordinaire et ministre | Plenipotentiaire pres S. M. l'Empereur des Frangais, Roi d'Italie et | chevalier de l'ordre du Lyon d'Or; S. A, S. l'Electeur de Bade, | M. Sigismond Charles Jean Baron de Retzenstein^, Ministre du cabinet | de S. A. E. Grand Cordon de l'ordre de la Fidelite. Son Altesse Imperiale, Monseigneur le Prince Joachim, Due de | Cleves et Berg, | M. le Baron Maximilien de Schell; Son Altesse Serenissime le Landgrave de Hesse D'armstadt, | M. Auguste [Baron de]** Pappenheim Son Ministre plenipotentiaire pres S. M. | l'Empereur des Fran^ais Roi d'Italie. Leurs Altesses Serenissimes les Princes de Nassau Usingen et Weilbourg, | M. Jean Ernest Baron de Gagem, Leur Ministre Leurs Altesses Serenissimes les Princes de Hohenzollem Hechingen | et Hohenzollem Sigmaringen | M. Francois, Xavier Major de Fischler Leurs Altesses Serenissimes les Princes de Salm Salm et Salm Kyrbourg, | Le meme M. Fran9ois Xavier Major de Fischler Son Altesse Serenissime le Prince d'Isembourg Birstein, | [Bl 3] M. de Greuhm president et charge de pouvoirs de S. A.; Son Altesse Serenissime le Due d'Aremberg, | M. Durant Saint Andre. Le Comte de la Leyen, | M. Durant Saint=Andre; Lesquels, apres S'etre communique leur pleinspouvoirs respectifs Sont | convenus des Articles suivans. Art. \'\ Les etats de leurs Majeste les Rois de Baviere et Wurtemberg de leurs | Altesses Serenissimes les Electeur archichancelier et de Bade, le Due de | Berg et Cleve le landgrave de Hesse D'armstadt, les Princes de Nassau Usingen | et Nassau Weilbourg, les Princes de Hohenzollem Hechingen et Hohenzollem | Sigmaringen les Princes de Salm Salm et Salm Kyrbourg, le Prince | d'Isenbourg Birstein, Le Due d'Aremberg et le Prince de Lichtenstein I et de Comte de la Leyen seront separes ä perpetuite du territoire de | l'Empire germanique et unis entre eux par une confederation particuliere | sous le nom d'Etats confederes du Rhin. Art. 2. Toute loi de l'Empire germanique qui a pü jusqu'ä present concemer et | obliger leurs Majestes et leurs Altesses Serenissimes les Rois et Princes | et le Comte denommes en rarticle precedent, leurs sujets et leurs Etats ou | parties d'iceux, sera ä l'avenir relativement ä leurs dites Majestes et Altesses | et audit Comtes, ä leurs Etats et Sujets, nulle et de nul effet, sauf neanmoins | les droits, acquis ä des creanciers et pensionnaires par le reces de mil huit cent | trois et les dispositions du Paragraphe trente neuf du dit reces relatives ä | roctroi de Navigation du Rhin, lesquels continueront d'etre executes Selon | leur forme et teneur,

^ Richtige Schreibweise „Reitzenstein" ^ Einfügung.

[4] Konföderationsakte des Rheinbundes vom 12. Juli 1806

499

Art. 3 Chacun des Rois et Princes confederes renoncera ä ceux de Ses titres | qui expriment des rapports quelconques avec 1'Empire germanique; et | [Bl 4] le premier Aoüt prochain, il fera notifier ä la diete Sa separation d'avec | l'Empire. Art. 4. Son Altesse Seremissime l'Electeur archi chancelier prendra les titres de | Prince Primat et d'Altesse Eminentissime. Le titre de Prince Primat n'empörte avec lui aucune prerogative contraire | ä la plenitude de la souverainete dont chacun des confederes doit jouir. Art. 5. Leurs Altesses Serenissimes TElecteur de Bade, le Due de Berg et Cleve | et le landgrave de Hesse D'armstadt, prendront le titre de Grand Due et | jouiront des droits, honneurs et prerogatives attaches ä la Dignite Royale. Le Rang et la preeminence entr'eux sont et demeureront fixes conformement | ä 1'ordre dans lequel ils Sont nommes au present article. Le chef de la Maison de Nassau prendra le titre de Due et le Comte de la | Leyen le titre de Prince. Art. 6 Les interets communs des Etats confederes seront traites dans une | diete dont le siege sera ä Francfort, et qui sera divisee en deux colleges, | Savoir le college des Rois et le college des Princes. Art. 7 ^Les princes devront necessairement etre independans de toute puissance | Etrangere ä la confederation et ne pourront consequemment prendre du service | d'aucun genre, que dans les Etats confederes ou allies ä la confederation. | ^Ceux qui etant deja au Service d'autres puissances, voudront y rester seront | tenus de faire passer leurs principautes sur la tete d'un de leurs enfans. Art. 8 S'il arrivait qu'un des dits princes voulüt aliener en tout ou en partie | Sa Souverainete, il ne pourra le faire qu'en faveur de Tun des Etats confederes. Art. 9 Toutes les Contestations, qui s'elevront entre les Etats confederes seront | decidees par la Diete de Francfort. Article 10. La Diete sera presidee par Son Altesse Eminentissime le Prince Primat, | et lorsqu'un des deux colleges, seulement, aura ä deliberer sur quelque | [Bl. 5] affaire. Son Altesse Eminentissime presidera le college des Rois et le | Due de Nassau le college des Princes.

500

§2: Rheinbund

[Dok.4-30]

Art. 11 Les epoques oü, soit la Diete, soit un des Colleges Separement devra | S'assembler, le Mode de leur convocation, vocation, les objets qui devront etre soumis | ä leurs Deliberations, la maniere de former les resolutions et de les faire | executer, seront determines par un Statut fondamental que Son Altesse | Eminentissime proposera dans le delai d'un mois, apres la notification faite | ä Ratisbonne, et qui devra etre approuve par les Etats confederes: le I meme Statut fixera definitivement le rang entre les Membres du College des Princes. Art. 12. Sa Majeste l'Empereur des Fran9ais sera proclame Protecteur de la | Confederation, et en cette qualite, au deces de chaque Prince Primat, il en | nommera le successeur. Art. 13. Sa Majeste le Roi de Baviere cede ä S. M. le Roi de Wurtemberg | la Seigneurie de Wiesensteig, et renonce aux droits que ä raison de la | prefecture de Burgau, il pourrait avoir, ou pretendre sur l'abbaye de | Wiblirign Art. 14 Sa Majeste le Roi de Wurtemberg cede ä S. A. S. le Grand Due de | Bade le Comte de Bondorf, les villes de Breunlingen et de Willingen, avec la partie du territoire de cette derniere, Situee ä la droite de la Brigach, | et la ville de Tuttlingen avec les dependances du Bailliage de ce nom | Situees ä la droite du Danube. Art. 15. S. A. S. le Grand Due de Bade cede ä S. M. le Roi de Wurtemberg | la ville et le territoire de Biberach avec ses dependances. Art. 16 S. A. S. le Due de Nassau cede ä S. A. I. le Grand Due de Berg, la | ville de Deutz ou Daytz avec son territoire, La ville et le Baillage de | Koenigswinter et le Baillage de Willich. [Bl 6] Art. 17. S. M. le Roi de Baviere reunira ä ses etats et possedera en toute propriete | et Souverainete la ville et le territoire de Nuremberg et les Commanderies | de Rohr et de Waldstetten de r ordre teutonique. Art. 18 S. M. le Roi de Wurtemberg reunira ä Ses Etats et possedera en toute | Souverainete et propriete la Seigneurie de Wiesensteig et les ville, territoire et | dependance de Biberach, en consequence des cessions ä lui faites par S. M. | le Roi de Baviere et S. A. S. le Grand Due de Bade, la ville de Waldsee, le | Comte de Schelklingen la Commanderie de Kapfenbourg ou Lauchheim et la | Commanderie d'Alschhausen, distraction faite des Seigneuries d'Achberg et | Hohenfels et l'abbaye de Viblingen. Art. 19. S. A. S. le Grand Due de Bade reunira ä Ses Etats et possedera en toute | propriete et Souverainete le comte de Bondorff, les villes de Breunlingen, | Willingen et Tuttlingen, les parties de leurs territoires et leurs dependances | Specifiees en l'Art 14, et tels quils lui ont ete cedes par S. M. Le Roi de Wurtemberg.

[4] Konföderationsakte des Rheinbundes vom 12. Juli 1806

501

II possedera en toute propriete la Principaute de Heitersheim | et toutes Celles de Ses depenpances Situees dans les possessions | de S. A. telles qu'elles seront en consequence du present Traite. II possedera egalement en toute propriete les Commanderies Teutoniques | de Beuggen et de Fribourg. Art. 20". S. A. L, Le Grand Due de Berg possedera en toute Souverainete et propriete | la ville de Deutz ou D'uytz avec Son territoire, la ville et le Baillage de | Koenigswinter et le Baillage de Willich, en Consequence de la Cession ä | lui faite par S. A. le Due de Nassau. Art. 21 S. A. S. le Grand Due de Hesse D'Armstadt reunira ä Ses Etats le | Bourggraviat de Friedberg, pour le posseder en Souverainete, seulement | pendant la vie du Bourggrave actuel, et en toute propriete apres le | Deces dudit Bourggrave. [BL 7] Art. 22 Son Altesse Eminentissime le Prince Primat reunira ä Ses Etats et possedera | en toute propriete et souverainete la ville et le territoire de Francfort. Art. 23. S. A. S. le Prince de Hohenzollem Sigmaringen possedera en toute propriete | et Souverainete les Seigneuries d'Achberg et Hohenfels dependantes de la | Commanderie d'Alchhausen et les couvens de Klosterwald et de Habsthal. S. A. S. possedera en souverainete les terres equestres situees entre Ses | possessions actuelles et les territoires au nord du Danube sur lesquels sa | souverainete doit s'etendre en consequence du present Traite, et notament | les Seigneuries de Gamertingen et de Hettingen. Art. 24 Leurs Majeste les Rois de Baviere, de Wurtemberg, leurs Altesses | Serenissimes de Bade, de Berg et de Hesse D'Armstadt, Son Altesse Eminentissime le Prince Primat leurs Altesses Serenissimes le Due et Princes | de Nassau Usingen et de Weilbourg, de Hohenzollem Sigmaringen, de | Salm Kyrbourg, d'Isembourg Birstein et le Due d'Aremberg exerceront I tous les droits de Souverainete, savoir: Sa Majeste le Roi de Baviere, sur la Principaute de Schwarzenberg; | le Comte de Castell, les Seigneuries de Spetfeld et de Wiesentheid, les | dependances de la principaute de Hohenlohe enclavees dans le margraviat | d'Ansbach et dans le territoire de Rothinbourg, nommement les grande | Baillages de Schillingsfurst et de Kirchberg, le comte de Stemstein, les |. principautes d'Oettingen; les possessions du Prince de la tour et Taxis, au | nord de la principaute de Neubourg; le Comte d'Edelstetten, les Possessions | des princes et Comtes de Fugger le bourgraviat de Winterrieden et enfin | les Seigneuries de Buxheim et de Tannhausen et sur la totalite | de la grande route allant de memmingen ä Lindau. Sa Majeste le Roi de Wurtemberg; Sur les possessions des | Prince et Comtes de Truchsess=Waldbourg, Les Comtes de Baindt, | d'Egloff, de Guttenzell de Heggbach, d'Isny, de Königsegg= | [BL 8] Alendorff, d'Orchsenhausen, de Roth et de Schussenried et Weissenau, I les Seigneuries de Mitingen et Sulmengen, Neu=Ravensbourg Tannheiy | Warthausen et Weingartein, distraction faite de la Seigneurie de Hagnau | Les possessions du Prince de latour et Taxis ä 1'exception de Celles qui sont | situees au nord de la Principaute de Neubourg, et de la Seigneurie de Strasberg | et du Baillage d'Astrach, les Seigneuries de Gundelfmgen et de Meufra, les | parties du Comte de Limbourg=Gaildorff non possedees par Sa

502

§ 2: Rheinbund

[Dok. 4 - 30]

dite I Majeste: Tontes les possessions des Princes de Hohenlohe, sauf 1'exception faite | au paragraphe precedent et enfin sur la partie du Baillage cidevant | mayen9ais de Krautheim, situee ä la gauche de la Yaxt. S. A. S. le Grand Due de Bade, sur la principaute de Furstemberg etant | exceptees les Seigneuries de Gundelfingen, Neufra, Trochtelfmgen, Jungnau | et la partie du Baillage de Moeskieh tituee ä la gauche du Danube, la | Seigneurie de Hagenau, le comte de thengen, le Landgraviat de | Klettgau, les Baillages de Meldenau et Billigheim, la principaute | de Linange, Les possessions des Prince et Comte de Loewenstein=Wertheim | situees ä la rive gauche du Mein (etant exceptes le Comte de Loewenstein, la | partie de Limbourg Gaildorf appartenant aux Comtes de Lowenstein et | les Seigneuries de Heubach, de Breuberg et de Habitzheim) et enfin les | possession du Prince de Salm=Reifferscheid==Krautheim situees au nord | de la Yaxt. S. A. S. le Grand Due de Berg; sur les Seigneuries de Limbourg | Styrum, de Brück de Hardenberg de Gimbom et Neustadt, de Wildenberg, | les Comtes de Hombourg, de Bentheim de Steinfort et Horstmar, les | possessions du due de Looz, les Comtes de Siegen ; de Dillenbourg (les | Baillages de Wehrhein et de Burbach Exceptes) et de Hadamar, les | Seigneuries de Westerbourg, de Schadeck et de Beistein, et la partie de la | Seigneurie de Runken proprement dite, situee ä la droite de la Lahn, | et pour les communications entre le duche de Cleves et les possessions | sus dites au nord de ce Duche, S. A. L aura l'usage d'une route ä travers | les Etats du Princes de Salm. S. A. S. le Grand Due de Darmstadt; sur la Seigneurie de | [Bl 9] Breuberg, de Heubach et sur la Seigneurie ou Baillage de Habitzheim, | le Comte d'Erbach, la Seigneurie d'Ilbelstadt, la partie du Comte de Koenigshein | possedee par le Prince de Stollberg gedem, les possessions des Barons de Riedesel | enclavees dans les Etats de Sa dite Altesse Serenissime, ou qui leurs Sont contigues, nommement les jurisdictions de Lauterbach de Stockhausen, de Moos et | Freienstem, les possessions des Princes et Comtes de Solms en Wetteravie | (ä l'exception des Baillages de Hohen Solms Braunfels et Greffenstein, | enfin les Comtes de Wittgenstein et Berlebourg, et le bailliage de Hesse | Hombourg possede par la brauche de ce nom appanagee de Hesse D'Armstadt. Son Altesse Eminentissime le Prince Primat; sur les possessions des Prince | et Comtes de Loewenstein^Wertheim situees ä la droite du Mein, et le | Comte de Rieneck. Leurs Altesses Serenissimes, Les Due de Nassau Usingen et Prince de | Nassau Weilbourg: Sur les bailliages de Dierdorf, Altenwied, Neuerbourg et la | partie du Comte de bas Isembourg, appartenant au Prince de Wied=Runkel, | Les Comtes de Wied=Neuwied et de Holzapfet; la Seigneurie Schaumbourg, | le Comte de Dietz et ses dependances la partie du Village de Munzfelden | appartenant au Prince de Nassau=Fuld, le Baillages de Wehrheim et de Burbach, la partie delä Seigneurie de Runken, situee ä la gauche de la | Lahn, la terre equestre de Grausberg, et enfin les Bailliages de Hohen Solms | de Braunfels et Greiffenstein. S. A. S. le Prince de Hohenzollem Sigmaringen; sur les Seigneuries de | Trochtelfmgen, de Jungnau, de Strasberg, le Bailliage d'Ostrach et la | partie de la Seigneurie de Moeskieh situee ä la gauche du Danube. S. A. S. le Prince de Salm-Kyrbourg, sur la Seigneurie de Gehmem. S. A. S. le Prince d'Isenbourg Birstein; sur les Possessions des Comtes d'Isembourg | Büdingen Waechtersbach et Meerholz: sans que les comtes appanages | de sa Branche puissent se prevaloir de cette Stipulation pour former aucune | pretension ä sa charge. S. A, S. le Due d'Aremberg; sur le Comte de Dülmen.

[4] Konföderationsakte des Rheinbundes vom 12. Juli 1806

503

Art. 25 Chacun de Reis et Princes confederes possedera en toute | [Bl 10] Souverainete les terres equestres enclavees dans ses possessions, quant | aux terres equestres interposees entre deux des Etats confederes, elles | seront partagees, quant a la souverainete, entre les deux Etats aussi | egalement, que faire se pourra, mais de maniere, ä ce qu'il n'en resulte ni | morcelement, ni melange de territoires. Art. 26. Les droits de Souverainete sont ceux de legislation de Jurisdiction | supreme de haute Police, de Conscription Militaire ou de recrutement, | et d'impot. Art. 27 Les Princes et Comtes actuellement regnans conserveront chacun | comme propriete patrimoniale et privee, tous les Domaines Sans | Exception qu'ils possedent maintenant, ainsi que tous les droits seigneuriaux | et feodaux non essentiellement inherens ä la Souverainete, et notamment | les droits de basse et moyenne Jurisdiction en matiere civile et criminelle, | de Jurisdiction et de Police Forestiere, de Chasse, de Peche, de Mines, | d'Usines, des Dimes, et prestations feodales, de Patronage et autres semblables, | et la revenus provenans des dits Domaines et droits. Leurs Domaines et biens seront assimiles quant ä l'impöt aux | Domaines et biens des Princes de la maison sous la Souverainete de | laquelle ils doivent passer, en vertu du present Traite; ou si aucun des | Princes de la dite Maison ne possedaient d'Immeubles, aux Domaines | et biens de la classe la plus privilegiee. ne pourront les dits domaines | et droits etre vendus ä un souverain etranger ä la confederation, ni | autrement alienes, sans avoir ete prealablement offerts au Princes | Sous la souverainete du quel ils se sont places. Art. 28. En matiere criminelle, les Princes et Comtes actuellement | regnans et leurs heritiers jouiront des droits d'austregues, | c'est-ä-dire, d'etre juges par leurs pairs; et dans aucun cas, la I confiscation de leurs biens ne pourra etre prononcee, ni avoir lieu, mais les revenus I [Bl 11] pourront etre sequestres pendant la vie des condamnes. Art. 29 Les Etats confederes contribueront au payement des dettes actuelles | des cercles, non seulement pour leurs possessions anciennes, mais | aussi pour les territoires qui doivent etre respectivement soumis | ä leur Souverainete. La dette du cercle de Souabe sera ä la charge de lers Majeste | les Rois de Baviere, de Wurtemberg, de S. A. S. le Grand Due de | Bade et de leurs Altesses Seremissimes les Princes de Hohenzollem | Hechingen et Sigmaringen, de Lichtenstein et de la Leyen, et | Divisee entre'eux dans la proportion de ce que chacun des dits | Rois et Princes possedera dans la Souabe. Art. 30. Les dettes propres de chaque principaute, Comte ou | Seigneurie, passant sous la Souverainete de Tun des Etats | confederes seront divisees entre le dit Etat et les Princes | ou Comtes actuellement regnans dans la proportion des revenus | que le dit Etat doit acquerir et de ceux que les Princes ou | Comtes doivent conserver, d'apres les stipulations cidessus. Art. 31 II sera libre aux Princes, ou Comtes actuellement regnans et ä | leurs heritiers de fixer leur residence par tout oü ils le voudront, | pourvu que ce soit dans un des Etats Membres

504

§2: Rheinbund

[Dok,4-30]

ou allies | de la confederation du Rhin, ou dans les possessions qu'ils | conserveront en Souverainete, hors du territoire de la dite | confederation, et de retirer leurs revenus ou leurs I Capitaux, sans pouvoir etre assujettis, pour cette cause, | ä aucun droit ou impöt quelconque. [Bl 12] Art. 32 Les individus employes dans 1'administration publique des | Principautes, Comtes ou Seigneuries, qui doivent, en vertu | du present Traite passer sous la Souverainete de Tun des I Etats confederes et que le souverain ne jugerait pas ä propos | de conserver dans leur emploi, jouiront d'une pension de | retraite egale ä celle que les loix ou reglemens de l'Etat accordent | aux officiers du meme grade. Article 33. Les membres des ordres Militaires ou religieux qui pourront | etre, en consequence du present Traite, depossedes ou secularises, | recevront une pension annuelle et viagere proportionnee au revenu | dont ils jouissaient, ä leur dignite et ä leur äge et hypothequee | sur les biens dont ils etaient usufruitiers. Art. 34. ^Les Rois, Grands Dues, Dues et Princes confederes | renoncent chacun d'eux pour soi ses heritiers et successeurs, ä | tout droit actuel qu'ils pourrait avoir ou pretendre sur les possessions | des autres Membres de la Confederation, telles qu'elles sont et | telles qu'elles doivent etre, En consequence du present Traite. | "^Les droits eventuels de succession demeurant seuls reserves et | pour le Cas seulement ou viendrait ä s'eteindre la Maison, ou la | brauche qui possede maintenant, ou doit en vertu du present | Traite, posseder en Souverainete, les territoires, Domaines et | Biens sur lesquels les dits droits peuvent s'etendre. Art. 35 II y aura entre l'Empire Fran^ais et les Etats des confederes du | [Bl. 13] Rhin, collectivement et separement une alliance en vertu de la | quelle toute guerre continentale, que l'une des parties contractantes | aurait ä soutenir deviendra immediatement commune ä toutes I les autres. Art. 36. Dans le cas ou, une Puissance Etrangere ä 1'alliance et voisine | armerait, les hautes parties contractantes, pour ne pas etre | prises au depourvu, armeront pareillement d'apres la demande, | qui en sera faite par le Ministre de l'une d'elles ä Francfort. Le contingent que chacun des allies devra foumir etant | divise en quatre quarts, la Diette determinera combien de quarts | devront etre rendus mobiles; mais l'armement ne sera | effectue qu'en consequence d'une Invitation addressee par | Sa Majeste l'Empereur et Roi ä chacune des | Puissances alliees. Art. 37 S. M. Le Roi de Baviere s'engage ä fortifier | les villes d'Augsbourg et de Lindau, ä former et entretenir en | tout tems dans la premiere de ces deux places des | Etabhssemens d'artillerie, et ä tenir dans la seconde une quantite | des fusils et de munitions süffisante, pour une reserve, de meme qu'ä avoir ä Augsbourg des Boulangeries pour | qu'on puisse confectionner une quantite de Biscuit telle | qu'en cas de guerre, la Marche des armees n'eprouve pas | de retard.

[4] Konföderationsakte des Rheinbundes vom 12. Juli 1806

505

Art. 38. Le contingent ä foumir par chacun des Allies | [Bl 14] pour le cas de guerre est fixe comme il suit: La France foumira Deux Cent mille hommes de toutes armes. Le Royaume de Baviere trente mille hommes de toutes armes. Le Royaume de Wurtemberg Douze mille. Le Grand Due de Bade huit mille. Le Grand Due de Berg Cinq mille. Le Grand Due de Darmstadt quatre mille. Leurs Altesses Serenissimes les Due et Princes de Nassau | avec les autres Princes confederes, foumiront un contingent | de Quatre Mille hommes. Art. 39. Les hautes parties contractantes se reservent d'admettre | pour la suite dans la nouvelle confederation d'autres | Princes et Etats d'Allemagne qu'il sera trouve de I'interet | commun d'y admettre. Art. 40 Les Ratifications du present Traite seront | Echangees ä Munich, le vingt-cinq Juillet | de la presente Annee. Fait ä Paris, le douze Juillet, Mil huit | Cent six. Signe: Ch. Maurice Talleyrand, Prince de | Benevent, Grand Chambellan de S. M. | I'Empereur des Fran9ais et Roi d'Italic, | Ministre des Relations Exterieures [Bl 15] Antoine de Getto Levin Comte de Wintzingerode Charles, Comte de Beust Sigismond, Ch. J. Baron de Reitzenstein Maximilien, Baron de Schell Auguste de Pappenheim Jean Ernest Baron de Gagem Fran9ois Xavier de Fischler, Comme charge des pouvoirs de | pour la maison de Hohenzollem Hechingen et Sigmaringen Fran9ois Xavier de Fischler, Comme charge des pouvoirs | des Princes de Salm Louis de Greuhm. Durant Saint Andre, charge des Pouvoirs de S. A. S. | le Due d'Aremberg Durant Saint Andre muni des pouvoirs de M. le Comte de | la Leyen Avons approuve et approuvons le Traite cidessus | en tous et chacun des Articles qui y sont contenus; eclarons | [Bl. 16] qu'il est accepte, ratifie et confirme et promettons qu'il sera | inviolablement observe. En foi de quoi nous avons donne les presentes Signees de | notre main, contresignees et munies de notre Sceau Imperial. En notre Palais de Saint Cloud, le Dixneuvieme Jour | du Mois de Juillet Mil huit cent six. Napoleon Le Ministre | des Relations Exterieures | Ch. Mau. Talleyrand Prince de Benevent Par I'Empereur: | Le Ministre Secretaire d'Etat | Hugues Maret

506

§ 2: Rheinbund

[Dok. 4 - 30]

Deutsche Übersetzung der Rheinbundsakte nach: P, A. Winkopp (Hrsg.): Die Rheinische Konföderations-Akte, Frankfurt am Mayn 1808, S. 39 - 77: Napoleon von Gottes Gnaden und durch die Staatsgrundgesetze Kaiser der Franzosen und König von Italien. Nachdem Wir den Vertrag eingesehen und geprüft haben, welchen Herr Karl Moriz Talleyrand, Fürst von Benevent, Unser Oberkammerherr und Minister der auswärtigen Angelegenheiten Kraft der ihm hiezu ertheilten Vollmachten zu Paris am 12. Julius 1806 mit den in diesem Vertrage genannten Bevollmächtigten abgeschlossen, festgesetzt und unterzeichnet hat, und welcher, wie nachstehend lautet: Da Se. Majestät der Kaiser der Franzosen, König von Italien einer- und andern Seits Ihro Majestäten die Könige von Baiem und Würtemberg, Ihro Durchlauchten die Kurfilrsten Reichserzkanzler und von Baden, der Herzog von Berg und Kleve, der Landgraf von Hessen-Darmstadt, die Fürsten von Nassau-Usingen und Nassau-Weilburg, die Fürsten von Hohenzollem-Hechingen und HohenzollemSigmaringen, die Fürsten von Salm-Salm und Salm-K3a-burg, der Fürst von Isenburg-Birstein, der Herzog von Ahremberg, der Fürst von Lichtenstein und der Graf von der Leyen den Wunsch nährten, durch eine angemessene Uebereinkunft den inneren und äusseren Frieden dem mittägigen Deutschland zu versichern, welchem, wie die Erfahrung seit langem und noch ganz neuerlich lehrte, die deutsche Reichsverfassung keine Art von Gewähr mehr leisten konnte, haben zur Abschliessung derselben zu ihren Bevollmächtigten ernannt, und zwar: Se. Majestät der Kaiser der Franzosen König von Italien: Herrn Moriz Talle3nrand, Fürsten und Herzog von Benevent, AUerhöchstihren Oberstkämmerer und Minister der auswärtigen Verhältnisse, Groskreuz der Ehrenlegion, des preussischen schwarzen und rothen Adlerordens, auch des St. Hubertusordens Ritter. Se. Majestät der König von Baiem: Herrn Anton von Getto, AUerhöchstihren ordentlichen Staatsrath, ausserordentlichen Gesandten und bevollmächtigten Minister bei Sr. Majestät dem Kaiser der Franzosen König von Italien, des Löwenordens Ritter. Se. Majestät der König von Würtemberg: Herrn Levin Grafen von Winzingeroda, AUerhöchstihren Staats-Konferenz- und Kabinetsminister, Ihres grosen Ordens Ritter, Kommenthur des Johanniterordens und Ritter des weisen Adlers. Se. kurfürstliche Gnaden des Kurfurst-Erzkanzler des deutschen Reichs: den Herrn Karl Grafen von Beust, Höchstihren ausserordentlichen Gesandten und bevollmächtigten Minister bei Sr. Majestät dem Kaiser der Franzosen König von Italien, des goldenen Löwenordens Ritter. Se. kurfürstliche Durchlaucht von Baden: den Herrn Sigmund Karl Johann Freiherm von Reitzenstein, Kabinetsminister Sr. kurftirstl. Durchlaucht, Groskreuz des Ordens der Treue. Se. kaiserl. Hoheit der Herr Prinz Joachim, Herzog von Kleve und Berg; Herrn Maximilian Freiherm von Schell. Se. Durchlaucht der Landgraf von Hessen-Darmstadt: Herm August Freiherm von Pappenheim, Höchstihren bevollmächtigten Minister bei Sr. Majestät dem Kaiser der Franzosen König von Italien. Ihre Durchlauchten die Fürsten von Nassau-Usingen und Weilburg: Herm Johann Emst Freiherm von Gagem, Höchstihren Minister. Ihre Durchlauchten die Fürsten von Hohenzollem-Hechingen und HohenzoUem-Sigmaringen: Herm Franz Xaver Major von Fischler. Ihre Durchlauchten die Fürsten von Salm-Salm und Salm-Kyrburg: denselben Herm Franz Xaver Major von Fischler. Se. Durchlaucht der Fürst von Isenburg-Birstein: Herm von Greuhm, Residenten und Bevollmächtigten Sr. Durchlaucht. Se. Durchlaucht der Herzog von Ahremberg: Herm Durand-St.-Andre. Der Graf von der Leyen: Herm Durand-St.-Andre. Und diese sind nach wechselseitiger Mittheilung ihrer Vollmachten über nachstehende Artikel übereingekommen: Art. 1. Die Staaten Ihrer Majestäten der Könige von Baiem und Würtemberg, Ihrer Durchlauchten der Kurfürsten Erzkanzler und von Baden, des Herzogs von Berg und Kleve, des Landgrafen von HessenDarmstadt, der Fürsten von Nassau-Usingen und Nassau-Weilburg, der Fürsten von HohenzollemHechingen und HohenzoUem-Sigmaringen, der Fürsten von Salm-Salm und Salm-Kyrburg, des Fürsten Isenburg-Birstein, des Herzogs von Ahremberg und des Fürsten von Lichtenstein und des Grafen

[4] Konföderationsakte des Rheinbundes vom 12. Juli 1806

507

von der Leyen werden für immer vom deutschen Reichsgebiete abgesondert, und unter sich durch eine besondere Konföderation unter dem Namen: rheinische Bundesstaaten vereinigt. Art. 2. ^Alle deutsche Reichsgesetze, welche Ihren Majestäten und Durchlauchten die im vorigen Artikel benannten Könige, Fürsten und die Grafen, ihre Unterthanen und ihre Staaten oder Theile derselben bisher angehen, oder für sie verbindlich seyn konnten, sollen für die Zukunft in Hinsicht Ihrer benannten Majestäten und Durchlauchten und des gedachten Grafen ihrer Staaten und Unterthanen nichtig und von keiner Wirkung seyn. ^Ausgenommen hievon sind jedoch die Rechte, welche die Staatsgläubiger und Pensionisten durch den Rezeß von 1803 erlangt haben, desgleichen die Verfügungen des 39. §. besagten Rezesses in Betreff der Rheinschiffahrtsoktroi, welche noch femer nach Form und Inhalt in Vollzug gesetzt werden sollen. Art. 3. Jeder der konföderirten Könige und Fürsten verzichtet auf jene seiner Titel, welche irgend eine Beziehung auf das deutsche Reich ausdrücken, und wird am ersten Tage des nächsten Monats August dem Reichstage seine Trennung vom Reiche bekannt machen lassen. Art. 4. Se. kurfürstliche Gnaden der Reichserzkanzler nimmt den Titel: Fürst Primas und Durchlauchtigste Hoheit an. Mit dem Titel: Fürst Primas ist aber kein Vorzug verbunden, welcher der vollen Souverainität entgegen wäre, die jeder Konföderirte genießen soll. Art. 5. *Ihre Durchlauchten der Kurfürst von Baden, der Herzog von Berg und Kleve, und der Landgraf von Hessen-Darmstadt nehmen den Titel: Grosherzog an. ^Sie genießen der Rechte, Ehren und Vorzüge, welche mit der königlichen Würde verbunden sind. ^Ihr Rang und Ihr Vorgangsrecht sind und bleiben nach der Ordnung festgesetzt, in welcher sie im gegenwärtigen Artikel genannt sind. ''Das Haupt des Hauses Nassau nimmt den Titel eines Herzogs, und der Graf von der Leyen jenen eines Fürsten an. Art. 6. Die gemeinschaftlichen Interessen der Bundesstaaten werden auf dem Bundestage verhandelt, der zu Frankfurt seinen Sitz hat, und sich in zwei Kollegien theilt, nämlich in das Kollegium der Könige und in das Kollegium der Fürsten. Art. 7. ^Die Fürsten müssen notwendig von jeder dem rheinischen Bunde fremden Macht unabhängig se3ni: sie können daher auch Dienste irgend einer Art nur in den rheinischen oder mit dem Bunde alliirten Staaten annehmen. ^Diejenigen, welche sich bereits in Diensten anderer Mächte befinden, und in denselben bleiben wollen, sind gehalten, ihre Fürstenthümer einem ihrer Kinder zu überlassen. Art. 8. Sollte der Fall eintreten, daß einer der genannten Fürsten seine Souverainität völlig oder nur zum Theil abtreten wollte, so kann er es nur zu Gunsten einer der konföderirten Staaten. Art. 9. Alle Streitigkeiten, welche sich unter den Bundesstaaten ergeben dürften, werden von der Bundesversammlung zu Frankfurt entschieden. Art. 10. ^In der Bundesversammlung hat Se. Hoheit der Fürst Primas den Vorsitz. ^Hat eines der beiden Kollegien über irgend eine Angelegenheit sich allein zu berathen, so hat in jenem der Könige Se. Hoheit und in jenem der Fürsten der Herzog von Nassau den Vorsitz. Art. 11. ^Die Zeitpunkte, wo sich entweder der ganze Bund oder ein Kollegium insonderheit zu versammeln hat, die Art der Zusammenberufung, die Gegenstände der Berathung, die Art und Weise, wie Beschlüsse zu fassen und in Vollzug zu setzen sind, werden durch ein Fundamental-Statut bestimmt. ^Dieses wird Se. Hoheit der Fürst Primas binnen einem Monate nach der zu Regensburg erfolgten Notifikation vorlegen, und muß von den Bundesstaaten genehmigt werden. ^Eben dieses Fundamental-Statut wird den Rang der Mitglieder des Fürsten-Kollegiums bestimmt festsetzen. Art. 12. Se. Majestät der Kaiser der Franzosen wird als Protektor des rheinischen Bundes ausgerufen, und in dieser Eigenschaft ernennt derselbe nach dem jedesmaligen Abgange des Fürsten Primas dessen Nachfolger.

508

§ 2: Rheinbund

[Dok. 4 - 30]

Art. 13. Se. Majestät der König von Baiem tritt an Se. Majestät den König von Würtemberg die Herrschaft Wiesensteig ab, und verzichtet auf die Rechte, welche Allerhöchstdieselbe von wegen der Markgrafschaft Burgau auf die Abtei Wiblingen haben oder ansprechen könnte. Art. 14. Se. Majestät der König von Würtemberg tritt an Se. Hoheit den Grosherzog von Baden ab: die Grafschaft Bondorf, die Städte Breunlingen und Villingen mit demjenigen Theile des Gebiets dieser leztem, welcher auf der rechten Seite der Brigach liegt, desgleichen die Stadt Tuttlingen mit den auf dem rechten Donauufer liegenden Zugehörenden des Amtes dieses Namens, Art. 15. Se. Hoheit der Grosherzog von Baden tritt ab an Se. Majestät den König von Würtemberg Stadt und Gebiet von Biberach nebst allen Zugehörenden. Art. 16. Se. Durchlaucht der Herzog von Nassau tritt ab an Se. kaiserliche Hoheit den Grosherzog von Berg und Kleve die Stadt Deutz oder Duytz mit ihrem Gebiete, die Stadt und das Amt Königswinter, und das Amt Villich. Art. 17. Se. Majestät der König von Baiem wird die Stadt Nürnberg nebst ihrem Gebiete, femer die Deutsch-Ordens-Kommenden Rohr und Waldstetten mit seinen Staaten vereinigen und solche mit vollem Eigenthum und Souverainität besitzen. Art. 18. Se. Majestät der König von Würtemberg wird mit seinen Staaten vereinigen und mit vollem Eigenthum und Souverainität besitzen: die Herrschaft Wiesensteig, und Stadt, Gebiet und Dependenzen von Biberach vermöge der von Sr. Majestät dem Könige von Baiem und Sr. Hoheit dem Grosherzoge von Baden geschehenen Abtretungen, femer die Stadt Waldsee, die Grafschaft Schelklingen und die Kommenden Kapfenburg oder Lauchheim und Altschhausen (mit Ausnahme der Herrschaften Achberg und Hohenfels) endlich die Abtei Wiblingen. Art. 19. Se. Hoheit der Grosherzog von Baden wird mit seinen Staaten vereinigen, und mit vollem Eigenthum und Souverainität besitzen: die Grafschaft Bondorf, die Städte Breunlingen, Villingen und Tuttlingen nebst den im vierzehenten Artikel verzeichneten Theilen ihrer Gebiete und Dependenzen, so wie sie Sr. Hoheit von Sr. Majestät dem Könige von Würtemberg abgetreten worden sind. Se. Hoheit wird femer mit vollem Eigenthum besitzen: das Fürstenthum Heitersheim nebst allen jenen dazu gehörigen Theilen, welche in Höchstihren vermöge des gegenwärtigen Vertrags bestimmten Besitzungen liegen. Auf gleiche Weise wird Höchstderselbe die Deutsch-Ordens-Kommenden Beuggen und Freiburg mit vollem Eigenthum besitzen. Art. 20. Se. kaiserl. Hoheit der Grosherzog von Berg wird mit voller Souverainität und Eigenthum besitzen: Die Stadt Deutz oder Duytz mit ihrem Gebiete, Stadt und Amt Königswinter, und das Amt Villich gemäs der von Sr. Durchlaucht dem Herzoge von Nassau geschehenen Abtretungen. Art. 21. Se. Hoheit der Grosherzog von Hessen-Darmstadt wird mit seinen Staaten die Burggrafschaft Friedberg vereinigen, und sie, so lang der jetzige Burggraf lebt, blos mit Souverainität, nach seinem Tode aber zugleich mit vollem Eigenthum besitzen. Art. 22. Se. Hoheit der Fürst Primas wird die Stadt Frankfurt und ihr Gebiet mit seinen Staaten vereinigen, und mit vollem Eigenthum und Souverainität besitzen. Art. 23. Se. Durchlaucht der Fürst von Hohenzollem-Sigmaringen wird mit vollem Eigenthum und Souverainität besitzen: die vorhin zur Kommende Alschhausen gehörigen Herrschaften Achberg und Hohenfels, femer die Klöster Klosterwald und Habsthal. Se. Durchlaucht wird mit Souverainität jene ritterschaftliche Besitzungen erhalten, welche innerhalb seiner gegenwärtigen Lande und den Bezirken im Norden der Donau liegen, über die sich Kraft gegenwärtigen Vertrags seine Souverainität erstrecken soll, namentlich die Herrschaften Gamertingen und Hettingen.

[4] Konföderationsakte des Rheinbundes vom 12. Juli 1806

509

Art. 24. Ihre Majestäten die Könige von Baiem und Würtemberg, Ihre Hoheiten die Grosherzoge von Baden, Berg und Hessen-Darmstadt, Ihre Hoheit der Fürst Primas, Ihre Durchlauchten der Herzog und die Fürsten von Nassau-Usingen und Weilburg, Hohenzollem-Sigmaringen, Salm-Kyrburg, IsenburgBirstein und der Herzog von Ahremberg werden alle Souverainitätsrechte ausüben und zwar: Se. Majestät der König von Baiem über das Fürstenthum Schwarzenberg, die Grafschaft Kastei, die Herrschaften Speckfeld und Wiesentheid, die Theile des Fürstenthums Hohenlohe, welche in der Markgrafschaft Ansbach und im Gebiete von Rothenburg eingeschlossen sind, namentlich das Oberamt Schillingsfiirst und Kirchberg; femer über die Grafschaft Stemstein, die Fürstenthümer Oettingen, die Besitzungen des Fürsten von Thum und Taxis im Norden des Fürstenthums Neuburg, die Grafschaft Edelstetten, die Besitzungen des Fürsten und der Grafen Fugger, das Burggrafthum Winterrieden und endlich die Herrschaften Buxheim und Tannhausen so wie über die Totalität der Heerstraße, welche von Memmingen nach Lindau fuhrt. Se. Majestät der König von Würtemberg: über die Besitzungen der Fürsten und Grafen von Tmchseß-Waldburg, die Grafschaften Baindt, Egloffs, Guttenzell, Hegbach, Isny, Königseck-Aulendorf, Ochsenhausen, Roth, Schussenried, und Weisenau, über die Herrschaften Mietingen und Sulmingen, Neu-Ravensburg, Tannheim, Warthausen und Weingarten, mit Ausnahme der Herrschaft Hagnau, über die Besitzungen des Fürsten von Thum und Taxis (mit Ausschluß derjenigen, welche dem Fürstenthum Neuburg nördlich liegen, der Herrschaft Strasberg und des Amts Ostrach) femer über die Herrschaften Gundelfingen und Neustra, über die Theile der Grafschaft Limburg-Gaildorf, welche besagte Se. Majestät noch nicht besitzen, über alle Besitzungen der Fürsten von Hohenlohe mit der im vorhergehenden Abschnitte gemachten Ausnahme; endlich über den Theil des vormals kurmainzischen Amtes Krautheim, welcher auf der linken Seite der Jagst liegt. Se. Hoheit der Grosherzog von Baden: über das Fürstenthum Fürstenberg (wovon jedoch die Herrschaften Gundelfingen, Neustra, Trochtelfingen, Jungnau, und der auf der linken Seite der Donau liegende Theil des Amtes Möskirch ausgenommen sind) über die Herrschaft Hagnau, die Grafschaft Thengen, die Landgrafschaft Klettgau, die Aemter Neudenau und Billigheim, das Fürstenthum Leiningen, die auf der linken Mainseite liegenden Besitzungen des Fürsten und der Grafen von LöwensteinWertheim, wovon jedoch die Grafschaft Löwenstein, der den Grafen von Löwenstein gehörige Antheil an Limburg-Gaildorf, so wie die Herrschaften Heubach, Breuberg und Habizheim ausgenommen sind, und endlich über die Besitzungen des Fürsten von Salm-Reiferscheid-Krautheim auf der Nordseite der Jagst. *Se. kaiserl. Hoheit der Grosherzog von Berg: über die Herrschaften Limburg-Stymm, Bmck, Hardenberg, Gimbom-Neustadt, und Wildenberg; über die Grafschaften Homburg, Bentheim, Steinfiirt, Horstmar, und die Besitzungen des Herzogs von Looz, über die Grafschaften Siegen, Dillenburg (mit Ausnahme der Aemter Wehrheim und Burbach) und Hadamar, über die Herrschaften Westerburg, Schadeck und Beilstein, dann über den Theil der Herrschaft Runkel, welcher eigentlich so genannt wird und auf der rechten Seite der Lahn liegt. ^Um eine Verbindung zwischen dem Herzogthum Kleve und den obengenannten im Norden desselben liegenden Besitzungen zu haben, soll Sr. kaiserl. Hoheit der Gebrauch einer Straße durch die Staaten der Fürsten von Salm frei stehen. Se. Hoheit der Grosherzog von Darmstadt: über die Herrschaften Breuberg und Heubach, über die Herrschaft oder das Amt Habizheim, über die Grafschaft Erbach, die Herrschaft Ilbenstadt, den Stollberg-Gedemschen Antheil an der Grafschaft Königstein, über die in den Staaten Sr. Hoheit eingeschlossenen oder daran stoßenden Besitzungen der Freiherm von Riedesel, namentlich die Gerichte Lauterbach, Stockhausen, Moos und Freienstein, über die Besitzungen der Fürsten und Grafen von Solms in der Wetterau mit Ausnahme der Aemter Hohensolms, Braunfels und Greifenstein, endlich über die Grafschaften Wittgenstein und Berleburg und über das Amt Hessen-Homburg, welches die davon benannte appanagirte Linie des Hauses Hessen-Darmstadt im Besitz hat. Se. Hoheit der Fürst Primas: über die auf der rechten Seite des Mains gelegenen Besitzungen des Fürsten und der Grafen von Löwenstein-Wertheim, und über die Grafschaft Rineck. Ihre Durchlauchten der Herzog von Nassau-Usingen und der Fürst von Nassau-Weilburg: über die Aemter Dierdorf, Altenwied, Neuerburg und den dem Fürsten von Wied-Runkel gehörigen Antheil an der Grafschaft Nieder-Isenburg, über die Grafschaften Wied-Neuwied und Holzapfel, über die Herrschaft Schaumburg, die Grafschaft Diez samt Dependenzen, über den dem Fürsten von Nassau-Fulda gehörigen Antheil am Dorfe Münzfelden, über die Aemter Wehrheim und Burbach, über den auf der linken Seite der Lahn gelegenen Theil der Herrschaft Runkel, über das Rittergut Kranzberg, und endlich über die Aemter Hohensolms, Braunfels und Greifenstein.

510

§ 2: Rheinbund

[Dok. 4 - 3 0 ]

Se. Durchlaucht der Fürst von HohenzoUem-Sigmaringen: über die Herrschaften Trochtelfmgen, Jungnau und Strasberg, über das Amt Ostrach und den am linken Ufer der Donau liegenden Theil der Herrschaft Mößkirch. Se. Durchlaucht der Fürst von Salm-Kyrburg: über die Herrschaft Gehmen. Se. Durchlaucht der Fürst von Isenburg-Birstein: über die Besitzungen der Grafen von IsenburgBüdingen, Wächtersbach und Meerholz, ohne daß die appanagirten Grafen seiner Linie diese Stipulationen zum Grunde von irgend einigen Ansprüchen gegen ihn anfuhren dürfen. Endlich Se. Durchlaucht der Herzog von Ahremberg: über die Grafschaft Dülmen. Art. 25. ^Ein jeder der konföderirten Könige und Fürsten soll die in seinen Besitzungen eingeschlossenen ritterschaftlichen Güter mit voller Souverainität besitzen. ^Die zwischen zwei konföderirten Staaten gelegene ritterschaftliche Güter sollen in Hinsicht auf Souverainität so gleich als möglich getheilt werden, dergestalten jedoch, daß daraus weder eine Zerstückelung noch eine Vermischung der Gebiete entstehe. Art. 26. Die Rechte der Souverainität sind: Gesetzgebung, obere Gerichtsbarkeit, Ober-Polizei, militairische Konscription oder Rekrutenzug und Recht der Auflagen. Art. 27. Ein jeder der jetzt regierenden Fürsten oder Grafen behält als Patrimonial und Privat-Eigenthum ohne Ausnahme alle Domainen, welche sie gegenwärtige besitzen und so auch alle Herrschafts- und Feudalrechte, die nicht wesentlich zur Souverainität gehören, namentlich das Recht der niedem und mittleren bürgerlichen und peinlichen Gerichtsbarkeit, der forsteilichen Gerichtsbarkeit und Polizei, der Jagd und Fischerei, der Berg- und Hüttenwerke, des Zehnten und der Feudalgefalle, das Patronatrecht und andere diesen ähnliche, so wie die aus besagten Domainen und Rechten fließenden Einkünfte. ^Ihre Domainen und Güter sollen in Rücksicht der Auflagen wie die Domainen und Güter der Prinzen des Hauses gehalten werden, unter dessen Souverainität sie Kraft des gegenwärtigen Vertrags stehen. ^Sollte kein Prinz dieses Hauses unbewegliche Güter besitzen, so werden jene den Domainen und Gütern der privilegirtesten Klasse gleichgehalten. Uebrigens können besagte Domainen und Rechte an keinen der Konföderation fremden Souverain verkauft, noch auf andere Art veräussert werden, wenn sie nicht zuvor dem Fürsten, unter dessen Souverainität sie stehen, angeboten worden sind. Art. 28. In peinlichen Fällen genießen die jetzt regierenden Fürsten und Grafen und ihre Erben das Recht der Austrägal-Instanz, das heißt, das Recht von ihren Ebenbürtigen gerichtet zu werden; und in keinem Falle darf die Einziehung ihrer Güter ausgesprochen oder verhängt, sondern nur die Einkünfte können während der Lebenszeit des Verurtheilten sequestrirt werden. Art. 29. Die konföderirten Staaten tragen zur Bezahlung der dermaligen Kriegsschulden nicht blos in Rücksicht ihrer alten Besitzungen bei, sondern auch für jene Gebiete, die jetzt ihrer Souverainität unterworfen werden. Die Schulden des schwäbischen Kreises fallen Ihren Majestäten den Königen von Baiem und Würtemberg, dann Ihro Hoheit dem Grosherzoge von Baden, und Ihren Durchlauchten den Fürsten von Hohenzollem-Hechingen und Sigmaringen, von Lichtenstein und von der Leyen zur Last und werden nach Verhältniß der künftigen Besitzungen eines jeden der besagten Könige und Fürsten vertheilt. Art. 30. Die besondere Schulden eines jeden Fürstenthums, einer jeden Graf- oder Herrschaft, die unter die Souverainität eines der konföderirten Staaten kommen, sollen zwischen dem genannten Staate und den jetzt regierenden Fürsten oder Grafen nach dem Verhältniß der Einkünfte getheilt werden, welche der Souverain erwirbt, und die Fürsten und Grafen nach obigen Bestimmungen behalten. Art. 31. ^Den jezt regierenden Fürsten oder Grafen und ihren Erben soll frei seyn, ihre Residenz zu verlegen, wohin sie wollen, nur muß diese in den Staaten eines Mitglieds oder Alliirten der rheinischen Konföderation, oder in den Besitzungen se}^!, welche sie mit Souverainität ausserhalb des Gebiets besagter Konföderation behalten. ^Sie können alsdann ihre Einkünfte oder Kapitalien beziehen ohne irgend einem Recht oder irgend einer Auflage unterworfen zu seyn.

[4] Konföderationsakte des Rheinbundes vom 12. Juli 1806

511

Art. 32. Die bei den öffentlichen Verwaltungen in den Fürstenthümem, Graf- oder Herrschaften, welche Kraft des gegenwärtigen Vertrags unter die Souverainität eines der konföderirten Staaten kommen, angestellte Personen, deren Beibehaltung in ihren Diensten der Souverain nicht für dienlich hält, sollen eine Pension genießen, die derjenigen gleich kommen muß, welche die Gesetze oder Verordnungen des Staates den Bediensteten von gleichem Grade zusichern. Art. 33. Die Mitglieder der militairischen oder geistlichen Orden, welche zu Folge des gegenwärtigen Vertrags ausser Besitz kommen, oder säkularisirt werden könnten, erhalten eine jährliche und lebenslängliche Pension, welche ihren bisher gehabten Einkünften, ihrer Würde und ihrem Alter angemessen ist; und diese soll auf die Güter verh3^othezirt werden, deren Nutznießer sie waren. Art. 34. ^Die konföderirten Könige, Grosherzoge, Herzoge und Fürsten entsagen, jeder für sich, seine Erben und Nachfolger, jedem jetzt bestehenden Rechte, welches derselbe auf die jetzigen oder durch gegenwärtigen Vertrag bestimmten Besitzungen anderer Glieder der Konföderation hat oder in Anspruch nehmen könnte. ^Ausgenommen bleiben blos die eventuellen Rechte der Nachfolge, aber nur für den Fall, wenn ein Haus oder eine Linie erlöschen sollte, welche dermalen die Gebiete, Domainen und Güter, über die sich obgedachte Rechte erstrecken können, als Souverain besitzt, oder vermöge des gegenwärtigen Vertrags besitzen soll. Art. 35. Zwischen dem französischen Reiche und den rheinischen Bundesstaaten soll in ihrer Gesamtheit sowohl als mit jedem einzelnen ein Bündniß Statt haben, vermöge wessen jeder Krieg auf dem festen Lande, den einer der kontrahirenden Theile zu fuhren haben könnte, für alle andere unmittelbar zur gemeinsamen Sache wird. Art. 36. Im Falle eine diesem Bündnisse fremde und benachbarte Macht sich rüstet, sollen die hohen kontrahirenden Theile, um nicht unvorbereitet überfallen zu werden, auf die Anforderung, welche der Minister eines konföderirten Staats desfalls zu Frankfurt machen wird, sich ebenfalls bewaffnen. Das Kontingent, welches ein jeder von den Verbündeten zu stellen hat, wird in Viertel getheilt, und die Bundesversammlung hat zu bestimmen, wie viel Viertel mobil gemacht werden sollen; aber die Bewaffnung darf nicht eher bewerkstelligt werden, als in Folge einer von Sr. Majestät dem Kaiser und Könige an jeden der verbundenen Mächte erlassenen Einladung. Art. 37. Se. Majestät der König von Baiem macht sich anheischig, die Städte Augsburg und Lindau zu befestigen, im ersten dieser beiden Plätze Artillerie-Etablissements zu errichten und zu allen Zeiten zu unterhalten; am zweiten Orte aber einen hinlänglichen Vorrath an Flinten und Munition zu haben, der als Reserve dienen soll, desgleichen auch in Augsburg Bäckereien anzulegen, um einen Vorrath von Zwieback backen lassen zu können, damit im Falle eines Kriegs der Marsch der Armeen keinen Aufenthalt erleide. Art. 38. Das von jedem der Verbündeten im Falle eines Krieges zu stellende Kontingent wird auf folgende Weise festgesetzt: ^Frankreich stellt 200,000 Mann von jeder Art Waffen; das Königreich Baiem 30,000 von jeder Waffengattung; das Königreich Würtemberg 12,000; der Grosherzog von Baden 8,000; der Grosherzog von Berg 5,000; der Grosherzog von Darmstadt 4,000. ^Ihre Durchlauchten der Herzog und der Fürst von Nassau stellen mit den übrigen verbündeten Fürsten ein Kontingent von 4,000 Mann. Art. 39. Die hohen kontrahirenden Theile behalten sich vor, in der Folge auch andere Fürsten und Staaten Deutschlands in dem neuen Bunde aufzunehmen, deren Aufnahme man dem gemeinschaftlichen Interesse angemessen finden wird.

512

§ 2 : Rheinbund

[Dok.4-30]

Art. 40. Die Ratifikationen des gegenwärtigen Vertrags sollen am 25. Julius des laufenden Jahrs zu München ausgewechselt werden. So geschehen Paris am 12. Julius 1806. Unterzeichnet: Karl Moriz Talleyrand, Fürst von Benevent, Oberstkämmerer Sr. Majestät des Kaisers der Franzosen, Königs von Italien, Minister der auswärtigen Verhältnisse. Anton von Getto. Levin Graf von Winzingeroda. Karl Graf von Beust. Sigismund K. J. Freiherr von Reizenstein. Maximilian Freiherr von Schell. August von Pappenheim. Johann Ernst Freiherr von Gagem. Für die Häuser von Hohenzollem: Franz Xaver von Fischler. Für die Häuser von Salm: Franz Xaver von Fischler. Für den Fürsten von Isenburg-Birstein: Ludwig von Greuhm. Für Se. Durchlaucht den Herzog von Ahremberg: Durand St. Andre. Für den Grafen von der Leyen: Durant St. Andre. So haben wir genehmigt und genehmigen vorstehenden Vertrag in allen und jeden Artikel, welche darin enthalten sind, erklären, daß derselbe angenommen, ratifizirt und bestätigt sey, und versprechen, daß derselbe unverbrüchlich gehalten werden solle. Zu dessen Beglaubigung haben Wir gegenwärtige von Uns eigenhändig unterzeichnete auch kontrasignirte und mit Unserm kaiserlichen Siegel versehene Urkunde ertheilt. In Unserm Pallaste St. Cloud am 19. Julius des Jahres 1806. Napoleon. Der Minister der auswärtigen Verhältnisse Auf Befehl des Kaisers: Karl Moriz Talleyrand, Der Minister Staatssekretär Fürst von Benevent. H. B. Maret.

[5] Akzessionsvertrag von Paris (Frankreich ./. Großherzogtum Würzburg) vom 25. September 1806 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einführungen" die Darstellung unter [ I L ] , Quelle: Staatsarchiv Würzburg, Würzburger Urkunden-Libell 397, BL Iv. - 2 (handschriftliche Ausfertigung - französischer Text)^. [Bl

IvJ Napoleon, par la grace de Dieu | et les Constitutions, etc., Empereur | des Fran9ais, Roi | d'Italic, ayant vu et | examine le Traite conclu, arrete et signe ä Paris le | vingt cinq Septembre mil huit cent six par M^. Charles Maurice Talleyrand, | Prince et Due de Benevent, notre Ministre des relations exterieures, etc., en vertu | des pleins-pouvoirs que Nous lui avons conferes ä cet effect, | avec M^ Charles Philippe Baron de Würtzbourg | egalement muni de pleins-pouvoirs, duquel Traite la teneur suit: Sa Majeste l'Empereur des Fran9ais, Roi | dTtalie, Protecteur de la Confederation du

Nebst Ratifizierungserklärung Napoleons vom 29. September 1806.

[5] Akzessionsvertrag von Paris vom 25. September 1806

513

Rhin, et et Son Altesse Royale rArchiduc Prince Souverain de Würtzbourg, | voulant regier tout ce qui conceme Taccession de sa dite Altesse Royale | au Traite du douze Juillet dernier auquel eile a temoigne le desir | d'acceder, ont nomme pour leurs plenipotentiaires, savoir: Sa Majeste TEmpereur des Fran9ais, Roi d'Italie, | M'". Charles Maurice Talleyrand, Prince et Due de Benevent | son Grand Chambellan et Ministre des Relations exterieures, Grand== | Cordon de la Legion d'honeur, chevalier des ordres de l'aigle | [Bl IrJ rouge et noir de Prusse, et de 1'ordre de Sl Hubert; Et Son Altesse Roy ale l'Archiduc Prince Souverain de | Würtzbourg, Mr. Charles Philippe Baron de Würtzbourg, Son | Ministre Plenipotentiaire ; Lesquels, apres s'etre communique leurs pleins-pouvoirs respectifs, sont | convenus des articles suivans: Article V Son Altesse royale l'archiduc Prince Souverain de Würtzbourg | accede au traite de confederation et d'alliance conclu ä Paris le douze Juillet | de la presente annee, et en consequence de Son accession, il entrera dans | tous les droits et obligations de la confederation de r alliance, de la meme maniere | que s'il eüt ete Partie principale contractante audit Traite. Article 2. S. A. R. prendra le titre d'Archiduc Grand=Duc de Würtzbourg. II | siegera en cette qualite dans le College des Rois. Le rang qu'il devra tenir entre | les membres de ce college sera determine par la Diete. Article 3. S. A. R. l'Archiduc Grand Due possedera en toute propriete et Souverainete les | biens de r Ordre de S\ Jean de Jerusalem, situes dans Son Grand=Duche. Article 4. S. A. R. exercera tous le droits de Souverainete sur les possessions du Comte d'Ortembourg, | sur les Baronies de Tann et de Weyhers, sur les terres equestres enclavees dans I ses Etats ou interposees entre le Grand=Duche et les possessions des Dues de Saxe, ou qui, I quoiqu'enclavees dans les dites possessions, releveraient, comme fiefs, de la Principaute de | Würtzbourg. - Quant au terres equestres interposees entre le Grand Duche de Würtzbourg | et les autres Etats confederes, elles seront partagees conformement ä l'art. 25. du Traite du 12 | Juillet demier. Article 5. II est convenu que les droits, qui peuvent appartenir ä S. A. R. l'Archiduc, Grand= | Due, comme membre de la famille imperiale d'Autriche, lui demeurent reserves. [BL 2] Article 6. Le Contingent de S. A. R. pour le cas de guerre, sera de deux mille hommes. Article 7. Les ratifications du present Traite seront echangees, a Mayence, dans le delai de quinze | jours, ä compter de la signature. Fait ä Paris le vingt cinq Septembre, mil huit cent six. Signe: Ch. M. Talleyrand Prince de Benevent, et Charles Baron de Würtzbourg

514

§ 2: Rheinbund

[Dok. 4 - 30]

Avons approuve et approuvons le Traite | ci-dessus en tous et chacun des Articles qui y sont contenus, declarons | qu'il est accepte, ratifie et confirme et promettons qu'il sera inviolable= | ment observe. En foi de quoi Nous avons donne les presentes, signees | de notre main, contre-signees et munies de notre Sceau Imperial. Ä Mayence, le vingt neuf Septembre mil huit cent six. Napoleon Le Ministre des | Relations Exterieures, | Ch. Mau. Talleyrand Prince de Benevent Par l'Empereur: | Le Ministre Secretaire d'Etat: | Hugues Maret. Deutsche Übersetzung des Vertrages nach P. A. Winkopp (Hrsg.): Die Rheinische Konföderations-Akte, Frankfurt am Mayn 1808, S. 79 - 85: Napoleon von Gottes Gnaden und durch die Konstitutionen Kaiser der Franzosen, König von Italien. Nachdem Wir den zu Paris am 25. September 1806 von Herrn Karl Moriz Talleyrand, Fürsten und Herzogen von Benevent, Unserm Minister der auswärtigen Angelegenheiten etc. vermöge der von Uns ihm hiezu ertheilten Vollmacht mit Herrn Karl Philipp Baron von Würzburg, welcher hiezu gleichmäßig mit den gehörigen Vollmachten versehen, abgeschlossenen, festgesetzten und unterzeichneten Vertrag eingesehen und erwogen haben, der seinem ganzen Inhalte nach folgendermaßen lautet: Se. Majestät der Kaiser der Franzosen, König von Italien, Protektor des rheinischen Bundes und Se. königliche Hoheit der Erzherzog, souverainer Fürst von Würzburg haben zu Regulirung alles dessen, was den von Sr. Hoheit gewünschten Beitritt zum Vertrage vom 12. Julius betrifft, zu Ihren Bevollmächtigten ernannt, und zwar: Se. Majestät der Kaiser der Franzosen, König von Italien Herrn Karl Moriz Talleyrand, Fürsten und Herzog von Benevent, Ihren Ober-Kammerherm und Minister der auswärtigen Angelegenheiten, Großkreuz der Ehrenlegion, des Preussischen rothen und schwarzen Adlers- auch des St. Hubertusordens Ritter; und Se. königl. Hoheit der Erzherzog, souverainer Fürst von Würzburg Herrn Karl Philipp Baron von Würzburg, Seinen bevollmächtigten Minister, welche nach Auswechslung ihrer beiderseitigen Vollmachten über folgende Artikel übereingekommen sind: Art. 1. Se. königl. Hoheit der Erzherzog, souverainer Fürst von Würzburg tritt dem zu Paris am 12. Julius dieses Jahrs abgeschlossenen Konföderations- und Allianzvertrage bei, und zufolge dieses Beitritts erhält derselbe alle Rechte und Verbindlichkeiten der Konföderation und Allianz, als wenn derselbe Haupt-Mitkontrahent besagten Vertrags gewesen wäre. Art. 2. ^Se. königliche Hoheit nimmt den Titel: Erzherzog Grosherzog von Würzburg an, und hat in dieser Eigenschaft den Sitz im Kollegium der Könige. ^Sein Rang unter den Mitgliedern dieses Kollegiums wird von der Bundesversammlung bestimmt. Art. 3. Se. Königl. Hoheit soll mit allem Eigenthum und Souverainität alle Güter des Ordens des h. Johannes von Jerusalem besitzen, die im Umfange seines Grosherzogthums liegen. Art. 4. ^Se. königliche Hoheit soll alle Souverainitätsrechte ausüben über die Besitzungen des Grafen von Ortenburg, über die Baronien Tann und Weihers, über die ritterschaftlichen Besitzungen, die in seinen Staaten eingeschlossen sind, oder zwischen dem Grosherzogthum und den Besitzungen der Herzoge von Sachsen liegen, oder die, wenn auch in diesen Besitzungen eingeschlossen, Lehen des Fürstenthums Würzburg sind. ^Jene ritterschaftlichen Besitzungen, welche zwischen dem Grosherzogthum Würzburg und den übrigen konföderirten Staaten liegen, sollen in Gemäsheit des 25sten Artikels des Vertrags vom 12. Julius d. J. vertheilt werden. Art. 5. Man ist übereingekommen, daß die Rechte, welche Se. königl. Hoheit als Gliede der kaiserl. österreichischen Familie zustehen können, demselben vorbehalten bleiben. Art. 6. Das Kontingent Sr. königl. Hoheit im Falle des Kriegs wird auf 2000 Mann bestimmt.

[6] Friedensvertrag von Posen vom 11. Dezember 1807

515

Art. 7. Die Ratifikationen sollen zu Mainz in Zeit von 14 Tagen, vom Tage der Unterzeichnung gerechnet, ausgewechselt werden. So geschehen zu Paris am 25. September 1806. Unterzeichnet: K. M. Talle3Tand, Fürst von Benevent.

Baron von Würzburg.

So haben Wir genehmigt und genehmigen vorstehenden Vertrag in allen und jeden Artikel, welche darin enthalten sind, erklären, daß derselbe angenommen, ratifizirt und bestätigt sey, und versprechen, daß derselbe unverbrüchlich gehalten werden solle. Zu dessen Beglaubigung haben Wir gegenwärtige von Uns eigenhändig unterzeichnete auch kontrasignirte und mit Unserm kaiserlichen Siegel versehene Urkunde ertheilt. Mainz am 29. September 1806. (L. S.) Napoleon. Der Minister der auswärtigen Angelegenheiten Auf Befehl des Kaisers: K. M. Talleyrand, Fürst von Benevent. Der Minister Staatssekretär H. B. Maret.

[6] Friedensvertrag von Posen (Frankreich ./. Königreich Sachsen) vom 11. Dezember 1807 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einführungen" die Darstellung unter [11.]. Quelle: Sächsisches Hauptstaatsarchiv Dresden, Neuere Urkunden, Kasten 625, Nr. 2, Bl. Iv. - 2r. (handschriftliche Ausfertigung - französischer Text)^. [Bl IvJ Napoleon, par la grace de | et les Constitutions, etc. Empereur | des Fran9ais, Roi d'Italic, ayant vu | et examine le Traite conclu, arrete et Signe ä Posen, le | onze Decembre 1806 par le General de Division Michel Duroc, | Grand Marechal de notre Palais, Grand cordon | de la Legion d'honneur etc., en vertu | des pleins pouvoirs que Nous lui avons confere ä cet effet, avec | le Comte Charles de Böse, Grand Chambellan de S. A. S. Electorate l'Electeur de Saxe | et chevalier Commandeur de Tordre de l'Etoile Polaire | egalement muni de pleins-pouvoirs duquel Traite la teneur suit: Sa Majeste L'Empereur des Fran9ais, Roi d'Italie, | Protecteur de la Confederation du Rhin, et Son Altesse Serenis-1 sime et electorate l'Electeur de Saxe, voulant pouvoir au | retablissement defmitif de la paix enter leurs Etats, ont nomme | pour Leurs Plenipotentiaires respectifs, Savoir: Sa Majeste | L'Empereur des Fran9ais, Roi d'Italie, le General de Division I Michel Duroc, Grand Marechal de son Palais, Grand | Cordon de la Legion d'honneur, chevalier des Ordres de | l'aigle noir et de l'aigle rouge Prusse, et de la Fidelite | de Bade, et Son Altesse Serenissime et Electorate | [Bl. Ir.J l'Electeur de Saxe le Comte Charles de Böse, Son | Grand Chambellan et Chevalier Commandeur | de 1'Ordre de l'Etoile polaire, lesquels apres avoir echange | leurs pleinspouvoirs, sont convenus de ce qui suit.

Nebst Ratifizierungserklärung Napoleons vom 12. Dezember 1806.

516

§ 2: Rheinbund

[Dok. 4 - 30]

Article V\ A comter de la Signature du present traite, il y aura | paix et amitie parfaite entre S. M. L'Empereur des Fran9ais, Roi | d'Italie et la Confederation du Rhin d'une part, et de l'autre | part S. A. S. E. l'Electeur de Saxe. Article 2. Son Altesse Serenissime Electorale accede au Traite de confederation et | d'alliance conclu ä Paris le douze Juillet de la presente annee, et | par Son accession, eile entre dans tons les droits et dans toutes | les obligations d'alliance, de la meme maniere que si Elle eüt ete I partie principale contractante audit Traite. Article 3. S. A. S. E. prendra le titre Roi et siegera dans le College et au rang | des Rois, Suivant r ordre de Son intruduction. Article 4. II ne pourra, sans le consentement prealable de la confederation du Rhin, | etre dans aucun cas et pour quelque cause que ce soit donne passage | par le Royaume de Saxe ä aucunes troupes ä aucuns corps ou | detachemens de troupes d'aucune puissance etrangere ä la dite confederation. Article 5. Les lois et actes qui determinaient les droits reciproques des | divers cultes etablis en Allemagne ayant etablis en Allemagne ayant ete abolis par le fait | [BL 2v.J de la dissolution de l'ancien corps Germanique, et n'etant pas | d'ailleurs compatibles avec les principes sur les quels la confede-1 ration a ete formee, l'exercice du culte catholique sera dans la | totalite du Royaume de Saxe, pleinement assimile ä l'exercice | du culte Lutherien, et les Sujets des deux religions jouiront sans res-1 triction, des meme droits civils et politique, Sa Majeste l'Empereur | et Roi faisant une condition particuliere de cet objet. Article 6. S. M. l'Empereur des Frangais, Roi Italic, s'engage ä faire ceder ä | Sa Majeste le Roi de Saxe par le futur traite de paix avec la Prusse, le Cotbuser | Kreis ou cercle de Cotbus. Article 7. Sa Majeste le Roi de Saxe cede au Prince qui sera designe par S. M. l'Empereur | des Fran9ais, Roi | Italic et dans la partie de la Thuringe, situee entre la | principaute d'Eichsfeld et d'Erfurth, un territoire egal en rapports et en popu-1 lation ä celui du cercle de Cotbus, lequel territoire servant ä Her lesdites | deux principautes, sera possede par le dit Prince en toute propriete et Souverainete. | Les limites de ce territoire seront fixees par des Commissaires respectivement | nommes ä cet effet immediatement apres l'echange des Ratifications. Article 8. Le contingent du Royaume de Saxe pour le cas de guerre, sera de vingt | mille hommes de toutes armes, presents sous | les armes. Article 9. Pour la presente Campagne, et vu les evenemens qui ont eu lieu, | le contingent du Royaume de Saxe sera de quinze cents hommes de | Cavallerie, quatre mille deux cents d'Infanterie, trois cents | d'Artillerie et douze pieces de Canon.

[6] Friedensvertrag von Posen vom 11. Dezember 1807

517

Article 10. Toute contribution cessera au moment meme de la Signature du present traite. [Bl 2rJ Article 11. Le present Traite sera ratifie et les ratifications en seront echangees ä | Dresde, dans le delai de dixjours. Fait ä Posen, le onze du mois de Decembre, de l'annee 1806. Signe: Duroc. Charles Comte de Böse. Avons approuve et approuvons | le Traite ci-dessus en tous et chacun des Articles qui y | sont contenus, declarons qu'il est accepte, ratifie et confirme et | promettons qu'il sera inviolablement observe. En foi de quoi Nous avons donne les presentes | signees de notre main, contre-signees et munies de notre Sceau Imperial. A Posen, le 12. Decembre de l'an 1806. Napoleon Le Ministre des | Relations Exterieures, | Ch. Mau. Talleyrand Prince de Benevent Par l'Empereur: | Le Ministre Secretaire d'Etat: | Hugues Maret. Deutsche Übersetzung des Vertrages nach P. A. Winkopp (Hrsg.): Die Rheinische Konföderations-Akte, Frankfurt am Mayn 1808, S. 85 - 91. Napoleon von Gottes Gnaden und durch die Konstitutionen Kaiser der Franzosen, König von Italien. Nachdem Wir den zu Posen am 11. Dezember 1806 von dem Herrn Divisionsgeneral Michel Düroc, Grosmarschall Unsers Pallastes, Groskreuz der Ehrenlegion u. s.w. vermöge der von Uns ihm hiezu ertheilten Vollmacht mit dem Herrn Grafen Karl von Böse, Oberstkämmerer Sr. kurfürstlichen Durchlaucht von Sachsen und des Nordstemordens Kommenthur, welcher hiezu gleichmäßig mit den gehörigen Vollmachten versehen - abgeschlossenen, festgesetzten und unterzeichneten Vertrag eingesehen und erwogen haben, der seinem ganzen Inhalte nach folgendermaßen lautet: Se. Majestät der Kaiser der Franzosen, König von Italien, Protektor des rheinischen Bundes und Se. kurfürstliche Durchlaucht von Sachsen haben, belebt vom Wunsche einen festen Frieden zwischen beiderseitigen Staaten herzustellen, zu Ihren respektiven Bevollmächtigten ernannt, und zwar: Se. Majestät der Kaiser der Franzosen, König von Italien den Divisionsgeneral Michel Düroc, Grosmarschall des Pallastes, Groskreuz der Ehrenlegion, Ritter des preußischen schwarzen und rothen Adlers, wie auch des badischen Ordens von der Treue, und Se. kurfürstliche Durchlaucht von Sachsen den Herrn Grafen Karl von Böse, Ihren Oberstkämmerer und Kommenthur des Nordstemordens, welche nach Auswechslung ihrer beiderseitigen Vollmachten über folgende Artikel übereingekommen sind: Art. 1. Von der Unterzeichnung gegenwärtigen Friedensschlusses an soll Friede und vollkommene Freundschaft zwischen Sr. Majestät dem Kaiser der Franzosen, König von Italien und dem rheinischen Bunde einer, und Sr. kurfürstl. Durchlaucht von Sachsen anderer Seits se}^!. Art. 2. Se. kurfürstliche Durchlaucht von Sachsen treten dem am 12. Julius dieses Jahres zu Paris abgeschlossenen Konfoderations- und Allianztraktate bei, und erhalten durch diesen Beitritt alle Rechte und alle Verbindlichkeiten des Bündnisses, als wenn dieselben Haupt-Mitkontrahent des besagten Vertrags gewesen wären. Art. 3. Se. kurfürstliche Durchlaucht nehmen den Titel: König an, und haben im Kollegium und im Range der Könige den Sitz nach der Ordnung der Einführung desselben. Art. 4. Es kann ohne vorläufige Einwilligung der rheinischen Konföderation in keinem Falle und aus keiner Ursache irgend einigen Truppen einer zu besagter Konföderation nicht gehörigen Macht der Durchmarsch durch das Königreich Sachsen verstattet werden.

518

§ 2: Rheinbund

[Dok. 4 - 3 0 ]

Art. 5. *Da die Gesetze und Akten, welche die wechselseitigen Rechte der in Deutschland bestehenden verschiedenen Glaubenskonfessionen bestimmen, durch die wirkliche Auflösung des ehemaligen deutschen Reichskörpers abgeschafft und übrigens nicht mit den Grundsätzen verträglich sind, auf welche die Konföderation gegründet worden; so soll die Ausübung des katholischen Gottesdienstes im ganzen Umfange des Königreichs Sachsen der Ausübung des lutherischen Gottesdienstes ganz gleich gestellt werden, und die Unterthanen beider Konfessionen sollen ohne Einschränkung der nämlichen bürgerlichen und politischen Rechte genießen, ^Se. Majestät der Kaiser machen dies zu einer ganz besondem Bedingung. Art. 6. Se. Majestät der Kaiser der Franzosen, König von ItaHen machen sich anheischich, dem Könige von Sachsen im künftigen Friedensvertrage mit Preussen den Kottbusser Kreis abtreten zu lassen. Art. 7. ^Se. Majestät der König von Sachsen treten dem Fürsten, welche Se. Majestät der Kaiser noch ernennen werden, in dem Theile von Thüringen zwischen den Fürstenthümem Eichsfeld und Erfurt ein Gebiet ab, welches an Bevölkerung und sonstigen Verhältnissen jenem des Kottbusser Kreises gleich ist. ^Dieses Gebiet soll dazu dienen, die genannten Fürstenthümer zu verbinden, und von dem zu bezeichnenden Fürsten mit vollem Eigenthum und mit vollkommener Souverainität besessen werden. ^Die Gränzen dieses Gebiets sollen durch von beiden Seiten ernannte Kommissarien gleich nach Auswechslung der Ratifikationen festgesetzt werden. Art. 8. Das Kontingent des Königreichs Sachsen wird für den Fall eines Kriegs auf 20,000 wirklich dienstthuende Mann von allen Arten von Waffen bestimmt. Art. 9. In Rücksicht der stattgehabten Ereignisse soll für den jetzigen Feldzug das Kontingent des Königreichs Sachsen bestehen aus 1500 Mann Kavallerie, 4200 Mann Infanterie, 300 Mann Artillerie und 12 Kanonen. Art. 10. Alle Kontributionen sollen vom Augenblicke der Unterzeichnung des gegenwärtigen Vertrags an aufhören. Art. 11. Der abgeschlossene Vertrag soll ratifizirt und die Ratifikationen sollen zu Dresden binnen zehn Tagen ausgewechselt werden. So geschehen zu Posen am 11. Dezember 1806. Unterzeichnet: Düroc.

Karl Graf von Böse.

So haben Wir genehmigt und genehmigen vorstehenden Vertrag in allen und jeden Artikel, welche darin enthalten sind, erklären, daß derselbe angenommen, ratifizirt und bestätigt sey, und versprechen, daß derselbe unverbrüchlich gehalten werden solle. Zu dessen Beglaubigung haben Wir gegenwärtige von Uns eigenhändig unterzeichnete auch kontrasignirte und mit Unserm kaiserlichen Siegel versehene Urkunde ertheilt. Posen, am 12. Dezember 1806. (L. S.) Napoleon. Der Minister der auswärtigen Verhältnisse Auf Befehl des Kaisers: K. M. Talleyrand, Der Minister Staatssekretär Fürst von Benevent. H. B. Maret.

[7] Akzessionsvertrag von Posen vom 15. Dezember 1806

519

[7] Akzessionsvertrag von Posen (Frankreich ./. Sächsische Herzogtümer) vom 15. Dezember 1806 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einführungen" die Darstellung unter [11.]. Quelle: Thüringisches Staatsarchiv Gotha, Geheimes Archiv, QQ (HH), Nr. 1 / 1 , BL Iv. 2r. (handschriftliche Ausfertigung - französischer Text)^. [Bl IvJ Sa Majeste l'Empereur des Fran9ais, Roi | d'Itahe, Protecteur de la confederation du Rhin I et Leurs Altesses Serenissimes les Dues de Saxe Weymar, | Saxe Gotha, Saxe Meiningen, Saxe Hildburghausen | et Saxe Cobourg voulant regier ce qui conceme l'ad^ | mission de leurs Altesses Serenissimes dans la confede= | ration du Rhin, ont nomme pour leurs pleni= | potentiaires, savoir: Sa Majeste l'Empereur des Frangais, Roi d'Italie | le General de Division Michel Duroc grand marechal | de son palais, grand cordon de la legion d'honneur. Chevalier | des ordres de I'aigle rouge et de I'aigle noir de Prusse et | de celui de la fidelite de Bade. Et Son Altesse Serenissime le Due de Saxe Weymar | et Eisenach ; son Conseiller intime de Regence Frederic | de Müller. Et Son Altesse Serenissime le Due de Saxe Gotha et | Altenbourg, Son Chambellan et Ministre plenipoten= | taire, Auguste Baron de Studnitz [Bl. Ir.J Son Altesse Serenissime Madame la Duchesse | Donairiere Regente de Saxe Meinungen, son Grand | ecuyer le Baron d'Erffa. Son Altesse Serenissime le Due de Saxe= | Hildbourghausen, le Baron Charles Auguste de I Liechtenstein. Et Son Altesse Serenissime le Due de Saxe Cobourg | son Conseiller du college supreme des mines, le Baron | Adolphe de Dankelmann. Lesquels, apres avoir echanges Leurs pleins-pouvoirs | respectifs, sont convenus de ce qui suit: Article premier Leurs Altesses Serenissimes les Dues de | Saxe Weymar, Saxe Gotha, Saxe Meiningen, Saxe-Hild | bourghausen et Saxe Cobourg accedent au Traite de | confederation et d'alliance conclu ä Paris le douze | de Juillet de la presente annee, et par cette accession, | ils entrent dans tous les droits et dans toutes les | obligationsde la confederation et de r alliance, | [BL 2vJ de la meme maniere que s'ils euttent ete parties | contractantes au dit Traite. Article Second. Leurs Altesses Serenissimes siegeront dans le college | des Princes. Leur rang dans ce college sera determine | par la diete. Article troisieme. II ne pourra, sans le consentement prealable | de la dite confederation du Rhin, etre, dans aucun cas | et pour quelque raison que ce puisse etre, donne pas= | sage, par les | Etats de leurs Altesses Serenissimes ä | aucunes troupes ä aucun corps ou detachements de | Troupes d'aucune puissance etrangere ä la dite | confederation.

Ohne Ratifiziemngserklärung Napoleons.

520

§2: Rheinbund

[Dok.4-30]

Article quartrieme L'exercice du culte Catholique sera dans toutes | les possessions de leurs Altesses Serenissimes pleinement | assimile ä rexercice au culte Lutherien, et les sujets | [Bl 2r.] des deux religions jouiront, sans restriction, des | memes droits civils et politiques, sans cependant dero-1 ger ä la possession et jouissance actuelle des biens | de l'eglise. Article cinquieme Le contingent que les Duches de Saxe Weymar | Saxe Gotha, Saxe-Meinungen, Saxe Hildbourghausen | et Saxe Cobourg foumiront pour le cas de guerre, sera | de Deux mille huit cents hommes d'Infanterie, repartis de maniere que Saxe Weymar foumira | huit cent hommes, Saxe Gotha onze Cents, Saxe | Meinungen trois cents, Saxe Hildbourghausen | deux cents et Saxe Cobourg quatre cents. Ces | Deux mille huit cents hommes seront organises I en un regiment de trois bataillons dont le | commandement et 1'inspection altemeront I eutre les deux premieres branches de la maison. Article sixieme Le present Traite sera ratifie, et les ratifications | [Bl. 2r.J en seront echangees ä Berlin dans le delai de quinze | jours ä dater de la Signature du presente Traite ou | plutöt si faire se peut. Fait et Signe ä Posen. Le quinze Decembre | Mil huit cent six. Duroc. F. Müller Auguste B - de Studnitz GrafvErffa. Charles Auguste Fhr. de Liechtenstein F. Müller, pour | le Baron Adolf de | Dankelmann. Deutsche Übersetzung des Vertrages nach P. A. Winkopp (Hrsg.): Die Rheinische Konföderations-Akte, Frankfurt am Mayn 1808, S. 93 - 95. Napoleon von Gottes Gnaden und durch die Konstitution Kaiser der Franzosen, König von Italien. Nachdem Wir den Traktat eingesehen und erwogen haben, welcher zu Posen am 15. Dezember 1806 durch den Herrn Divisionsgeneral Michel Düroc, Grosmarschall Unsers Pallastes u. s. w. Kraft der von Uns in dieser Hinsicht ihm ertheilten Vollmacht mit dem Herrn geheimen Regierungsrath Friedrich von Müller, dem Kammerherm August Baron von Studnitz, dem Herrn Großstallmeister Baron von Erffa, dem Herrn Baron Karl August von Lichtenstein und dem Herrn Baron Adolph von Dankelmann gleichfalls mit Vollmachten versehen, abgeschlossen, festgesetzt und unterzeichnet worden ist, und welcher seinem ganzen Inhalte nach folgendermaßen lautet: Da Se. Majestät der Kaiser der Franzosen und König von Italien, Beschützer des rheinischen Bundes und Ihre Hochfiirstlichen Durchlauchten die Herzoge von Sachsen-Weimar, Sachsen-Gotha, Sachsen-Meinungen, Sachsen-Hildburghausen und Sachsen-Koburg festsetzen wollen, was den Beitritt Hin. HHHHH. DDDDD. zum rheinischen Bunde betrifft, so haben Sie zu Ihren bevollmächtigten Ministem ernannt, nämlich: Ihre Majestät der Kaiser der Franzosen und König von Italien den Divisionsgeneral Michel Düroc, Grosmarschall des Pallastes, Groskreuz der Ehrenlegion, Ritter des Preussischen rothen und schwarzen Adlers, wie auch des Badischen Ordens der Treue und I. H. D. der Herzog von Sachsen-Weimar und Eisenach Ihren geheimen Regierungsrath Friedrich von Müller, I. H. D. der Herzog von Sachsen-Gotha und Altenburg Ihren Kämmerer und bevollmächtigten Minister August Baron von Studnitz, L H. D. die verwittwte regierende Herzogin von Sachsen-Meinungen Ihren Großstallmeister Baron von Erffa, I. H. D. der Herzog von Sachsen-Hildburghausen den Baron Karl August von Lichtenstein, und I. H. D. der Herzog von Sachsen-Koburg Ihren Oberbergrath Baron Adolph von Danckelmann,

[7] Akzessionsvertrag von Posen vom 15. Dezember 1806

521

welche - nach ausgewechselten beiderseitigen Vollmachten, über folgendes überein gekommen sind: Art. 1. I. H. D. der Herzog von Sachsen-Weimar und Eisenach, I. H. D. der Herzog von Sachsen-Gotha und Altenburg, I. H. D. die verwittwte regierende Herzogin von Sachsen-Meinungen, I. H. D. der Herzog von Sachsen-Hildburghausen und I. H. D. der Herzog von Sachsen-Koburg treten dem zu Paris den 12. Juli des jetzigen Jahrs geschlossenen Verbindungs- und Vereinigungstraktat bei und durch diesen Beitritt treten sie in alle Rechte und Verbindlichkeiten dieses Verbindungs- und Vereinigungstraktat, so, als wenn sie kontrahirende Theile des benannten Traktats gewesen wären. Art. 2. ^IIIII. HHHHH. DDDDD. werden in dem FürstenkoUegio Sitz nehmen. ^Ihr Rang in diesem Kollegio wird durch die allgemeine Versammlung bestimmt werden. Art. 3. Ohne vorgängige Einwilligung des rheinischen Bundes soll in keinem Falle und aus was Ursach es auch seyn möge, keinen fremden Truppen oder Detaschements fremder nicht in diesem Bunde sich befindender Mächte, der Durchmarsch durch die herzoglichen Lande verstattet werden. Art. 4. ^Die Ausübung des katholischen Gottesdienstes soll in allen Besitzungen Hill. HHHHH. DDDDD. ^Dem des lutherischen gleich gestellt werden und die Unterthanen beider Religionen sollen ohne Einschränkung gleiche Civil- und politische Rechte genießen, ohne daß jedoch dem gegenwärtigen Besitz und der Benutzung der Kirchengüter Abbruch geschähe. Art. 5. *Die Kontingente, welche die Herzogthümer Sachsen-Weimar, Sachsen-Gotha, Sachsen-Meinungen, Sachsen-Hildburghausen und Sachsen-Koburg im Falle eines Krieges zu stellen haben, sollen aus 2800 Mann Infanterie bestehen. ^Diese sollen so vertheilt werden, daß Sachsen- Weimar 800 Mann, Sachsen-Gotha 1100, Sachsen-Meinungen 300, Sachsen-Hildburghausen 200 und Sachsen-Koburg 400 Mann stellt. ^Diese 2800 Mann sollen zu einem Regimente von 3 Bataillons gebildet werden, dessen Oberbefehl und Inspektion zwischen den beiden ersten Linien des Hauses wechselt. Art. 6. Der gegenwärtige Traktat soll genehmigt und die Ratifikationen in Berlin in Zeit von 14 Tagen von Unterzeichnung desselben an gerechnet, oder wenn es noch früher geschehen kann, ausgewechselt werden. So geschehen und unterzeichnet, Posen am 15. Dezember 1806. Unterzeichnet: Düroc. F. Müller; August Baron von Studnitz; von Erffa; August Baron von Lichtenstein; F. Müller (für den Baron Adolph von Dankelmann). So haben Wir genehmigt und genehmigen vorstehenden Traktat in allen und jeden darin enthaltenen Artikeln genehmigt, erklären auch, daß er angenommen, ratifizirt und bestätiget ist, und versprechen, daß er unverbrüchlich gehalten werden soll. Zu Urkund dessen haben Wir gegenwärtige Akte ausgefertigt, eigenhändig unterschrieben und mit Unserm kaiserlichen Insiegel versehenen lassen. Posen, am 16. Dezember 1806. (L. S.) Napoleon. Der Minister der auswärtigen Verhältnisse Auf Befehl des Kaisers: K. M. Talleyrand, Der Minister Staatssekretair Prinz von Benevent. H. B. Maret.

522

§ 2: Rheinbund

[Dok. 4 - 3 0 ]

[8] Akzessionsvertrag von Warschau (Frankreich ./. Anhaltische Herzogtümer) vom 18. April 1807 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einfuhrungen" die Darstellung unter [11.]. Quelle: Landeshauptarchiv Sachsen-Anhalt, Abt. Dessau, D 9 Nr. 2, Bl. I v . - 2 v . (handschriftliche Ausfertigung - französischer Text)^. [Bl IvJ Napoleon, par la grace de Dieu et les | Constitutions, etc. Empereur des Fran9ais, Roi d'Italic, I ayant vu et examine le traite conclu, arrete et Signe ä Varsovie le | 18. Avril 1807, par M^. Charles Maurice Talleyrand, Prince de Benevent | notre Grand=Chambellan et Ministre des Relations exterieures, en vertu des | pleins-pouvoirs que Nous lui avons conferes ä cet effet, avec M"". le Baron | de Gagem, Ministre d'Etat de LL. AA. SS. les Due et Prince de Nassau, | Chevalier grand croix de 1'Ordre du Lion d'or, egalement muni de | pleins-pouvoirs, duquel Traite la teneur Suit: Sa Majeste l'Empereur des Fran9ais, Roi d'Italie, Protecteur | de la Confederation du Rhin, et Son Altesses Serenissimes les Dues d'Anhalt= | Dessau, Anhalt=Bembourg et Anhalt=Köthen voulant regier ce qui | conceme Tadmission de LL. AA. SS. dans la confederation du Rhin, ont nomme | pour leurs ministres plenipotentiaires, Savoir: S. M. l'Empereur des Fran9ais, Roi d'Italie, M^ Charles Maurice Talleyrand, | Prince de Benevent, Son Grand^Chambellan et Ministre des Relations exterieures, | grand=cordon de la legion d'honneur, chevalier des ordres de l'aigle rouge et de | l'aigle noire de Prusse, et de l'Ordre de Sl Hubert; Et LL. AA. SS. les Dues d'Anhalt=Dessau, Anhalt=Bembourg et | [Bl IrJ Anhalt=Köthen, M^. le Baron de Gagem, Ministre d'Etat de | LL. AA. SS. les Due et Prince de Nassau, Chevalier grand croix de 1'ordre | du Lion d'or; lesquels, apres avoir echange leurs pleinspouvoirs respectifs, Sont | convenus de ce qui suit: Article V' LL. AA. SS. les Dues d'Anhalt^Dessau, Anhalt==Bembourg et | Anhalt=Köthen accede au traite de confederation et d'alliance conclu ä | Paris le 12. Juillet demier; et par cette accession, ils entrent dans tous les | droits et dans toutes les obligations de la confederation et de ralliance, de | la meme maniere que s'il eussent ete parties contractantes audit traite. Article 2. LL. AA. SS. Siegeront dans le College des Princes. Leur rang dans ce | college sera determine par la diete. Article 3. II ne pourra, Sans le consentement prealable de la confederation du Rhin etre | dans aucun cas et pour quelque raison que ce puisse etre, donne passage par les | etats de LL. AA. SS. ä aucunes troupes, ä aucun corps ou detachement de | troupes d'aucune Puissance etrangere ä la dite confederation. Article 4. L'exercice du culte catholique Sera dans toutes les possessions de LL. A A. SS. | pleinement assimile ä l'exercice du culte Lutherien et les Sujets des deux | religions jouiront. Sans restrictions, des memes droits civils et politiques. Sans | cependant deroger ä la possession

Nebst Ratifiziemngserklämng Napoleons vom 30. April 1807.

[8] Akzessionsvertrag von Warschau vom 18. April 1807

523

et jouissances actuelles des biens des eglises. Article 5. Le Contingent des trois Duches d'Anhalt pour le cas de guerre, Sera | [Bl 2vJ de huit cents hommes d'infanterie, repartis de maniere qu'Anhalt Dessau | foumira trois cent sinquante hommes, Anhalt Bembourg deux-cent quarante | hommes et Anhalt^Köthen deux cent-dix. Les Dues d'Anhalt Dessau | auront la direction et Tinspection de ce contingent, lequel Sera Foumi | immediatement pour le presente guerre. Article 6. Le present traite sera ratifie, et les ratifications en Seront echangees | ä Berlin dans le delai de vingt jours, ä dater de la Signature du present | traite, ou plutöt si faire se peut. Fait et Signe ä Varsovie, le 18. Avril 1807. Signe: Ch. Mau. Talleyrand, Prince de Benevent | le Baron de Gagem. Avons approuve et approuvons le traite ci-dessus en tous et chacun | des articles qui y Sont contenus; Declarons | qu'il est accepte, ratifie | et confirme, et promettons qu'il Sera | inviolablement observe. En foi de quoi Nous avons donne les presentes, Signees de notre | main, contresignees et munies de notre Sceau Imperial. En notre Camp Imperial de Finckenstein, le 30. Avril 1807, Napoleon Le Ministre des | Relations exterieures, | Carl Maurice Talleyrand prince de Benevent Par l'Empereur: | Le Ministre Secretaire d'Etat Huguet B. Maret. Deutsche Übersetzung des Vertrages nach P. A. Winkopp (Hrsg.): Die Rheinische Konföderations-Akte, Frankfurt am Mayn 1808, S. 103 - 109: Napoleon von Gottes Gnaden und durch die Konstitution Kaiser der Franzosen, König von ItaHen. Nachdem Wir den Traktat eingesehen und erwogen haben, welcher zu Warschau am 18. April 1807 durch den Herrn Karl Moriz Talleyrand, Fürsten von Benevent, Unsem Oberkammerherm und Minister der auswärtigen Angelegenheiten, Kraft der von Uns in dieser Hinsicht ihm ertheilten Vollmacht mit dem Herrn Baron von Gagem, Staatsminister IL HH. DD. dem Herzoge und Fürsten von Nassau, Groskreuz des goldnen Löwenordens, gleichfalls mit Vollmachten versehen, abgeschlossen, festgesetzt und unterzeichnet worden ist, und welcher seinem ganzen Inhalte nach folgendermaßen lautet: Da Se. Majestät der Kaiser der Franzosen und König von Italien, Beschützer des rheinischen Bundes und Ihre Hochfürstlichen Durchlauchten die Herzoge zu Anhalt-Dessau, Anhalt-Bemburg und Anhalt-Cöthen festsetzen wollen, was den Beitritt III. HHH. DDD. zum rheinischen Bunde betrifft, so haben Sie zu Ihren bevollmächtigten Ministem emannt, nämlich: Ihre Majestät der Kaiser der Franzosen und König von Italien den Herrn Moriz Talleyrand, Fürsten von Benevent, Ihren Ober-Kammerherm und Minister des auswärtigen Angelegenheiten, Groskreuz der Ehrenlegion, Ritter des preussischen rothen und schwarzen Adlerordens und des St. Hubertusordens. Und IL HH. DD. die Herzoge von Anhalt-Dessau, Anhalt-Bemburg und Anhalt-Köthen, den Herm Baron von Gagem, Staatsminister IL HH. DD. des Herzogs und des Fürsten von Nassau, Groskreuz des goldnen Löwenordens, welche nach ausgewechselten beiderseitigen Vollmachten, über folgendes überein gekommen sind: Art. 1. III. HHH. DDD. die Herzoge von Anhalt-Dessau, Anhalt-Bemburg und Anhalt-Cöthen treten dem zu Paris am 12. Julius dieses Jahrs abgeschlossenen Verbindungs- und Vereinigungstraktat bei, und durch diesen Beitritt treten sie alle Rechte und Verbindlichkeiten dieses Verbindungs- und Vereinigungstraktats, so, als wenn sie kontrahirende Theile des benannten Traktats gewesen wären. Art. 2. ^III. HHH. DDD. werden in dem Fürstenkollegio Sitz nehmen. ^Ihr Rang in diesem KoUegio wird durch die allgemeine Versammlung bestimmt werden.

524

§ 2: Rheinbund

[Dok. 4 - 30]

Art. 3. Ohne vorgängige Einwilügung des rheinischen Bundes soll in keinem Falle und aus was Ursach es auch seyn möge, keinen fremden Truppen oder Detaschements fremder nicht in diesem Bunde sich befindender Mächte, der Durchmarsch durch die herzoglichen Lande verstattet werden. Art. 4. Die Ausübung des katholischen Gottesdienstes soll in allen Besitzungen III. HHH. DDD. dem des lutherischen gleich gestellt werden und die Unterthanen beider Religionen sollen ohne Einschränkung gleiche Civil- und politische Rechte genießen, ohne daß jedoch dem gegenwärtigen Besitz und der Benutzung der Kirchengüter Abbruch geschähe. Art. 5. *Das Truppen-Kontingent der drei Herzogthümer von Anhalt wird auf den Kriegsfall auf 800 Mann Infanterie bestimmt, wovon Anhalt-Dessau 350 Mann, Anhalt-Bernburg 240 Mann und Anhalt-Cöthen 210 Mann zu stellen haben. ^Die Herzöge zu Anhalt-Dessau haben die Direktion und Aufsicht über dieses Kontingent, welches zu dem gegenwärtigen Kriege sogleich gestellt wird. Art. 6. Der gegenwärtige Traktat soll genehmigt und die Ratifikationen in Berlin in Zeit von 20 Tagen von Unterzeichnung desselben an gerechnet, oder wenn es noch früher geschehen kann, ausgewechselt werden. So geschehen und unterzeichnet, Warschau am 18. April 1807. Unterzeichnet: K. M. Talleyrand, Fürst von Benevent.

Baron von Gagern.

So haben Wir vorstehenden Traktat in allen und jeden darin enthaltenen Artikeln genehmigt, erklären auch, daß er angenommen, ratifizirt und bestätiget ist, und versprechen, daß er unverbrüchlich gehalten werden soll. Zu Urkund dessen haben Wir gegenwärtige Akte ausgefertigt, eigenhändig unterschrieben und mit Unserm kaiserlichen Insiegel versehenen lassen. In Unserm kaiserlichen Hauptquartier zu Finkenstein am 30. April 1807. (L. S.) Napoleon. Der Minister der auswärtigen Angelegenheiten Auf Befehl des Kaisers: K. M. Talleyrand, Fürst von Benevent. Der Minister Staatssekretär H. B. Maret.

[9] Akzessionsvertrag von Warschau (Frankreich ./. Schwarzburgische Fürstentümer) vom 18. April 1807 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einführungen" die Darstellung unter [11.]. Quelle: Thüringisches Staatsarchiv Rudolstadt, Neue Staatsverträge, Sign. 468, Bl. Iv. 2v. (handschriftliche Ausfertigung - französischer Text)^. [Bl. IvJ Napoleon, par la grace de Dieu et les Constitutions, etc. | Empereur des Fran9ais, Roi d'Italie, ayant vu et | examine le traite conclu, arrete et Signe ä Varsovie le 18. Avril 1807, par M''. Charles Maurice Talleyrand, Prince de Benevent, notre Grand= | Chambellan et Ministre des Relations exterieures, en vertu des pleins pouvoirs | que Nous lui avons conferes avec M^ Frederic Guillaume Baron de | Ketelhodt, Chanceliier de LL. AA. SS. les Princes de Schwarzbourg= | Sondershausen et Schwarzbourg=Rudolstadt egalement muni de pleins 1 pouvoirs, duquel traite la | teneur suit: Sa Majeste l'Empereur des Fran9ais, Roi d'Italie, Protecteur de la | Confederation du

Nebst Ratifizierungserklärung Napoleons vom 30. April 1807.

[9] Akzessionsvertrag von Warschau vom 18. April 1807

525

Rhin, et Son | Altesses Serenissimes les Princes de Schwarzbourg= | Sondershausen et Schwarzbourg=Rudolstadt, voulant regier ce qui conceme l'admission | de LL. AA. SS. dans la Confederation du Rhin, ont nomme pour leurs ministres | plenipotentiaires, savoir: S. M. l'Empereur des Fran9ais, Roi d'Italie, M\ Charles Maurice Talleyrand, | Prince de Benevent, Son grand=chambellan et Ministre des Relations exterieures, | Grand cordon de la legion d'honneur, chevalier des ordres de l'aigle rouge et de | l'aigle noire de Prusse et de l'Ordre de S\ Hubert. Et LL. AA. SS. les Princes de Schv^arzbourg=Sondershausen et Schwarzbourg | Rudolstadt, M^ Frederic Guillaume Baron de Ketelhodt, leur chanceliier et | president; | [BL IrJ lesquels apres avoir echange leurs pleins-pouvoirs respectifs, Sont convenus de | ce qui suit: Article V' LL. AA. SS. les Princes de Schwarzbourg=Sondershausen et Schwarzbourg= | Rudolstadt accede au traite de confederation et d'alliance conclu ä Varsovie le | douze Juillet dernier, et par cette accession, ils entrent dans tous les droits et dans | toutes les obligations de la confederation et de 1'alliance de la meme maniere que s'il | eussent ete parties contractantes au dit traite. Article 2. LL. AA. SS. Siegeront dans le College des Princes. Leur rang dans ce College sera | determine par la Diete. Article 3. II ne pourra, sans le consentement prealable de la confederation du Rhin etre | dans aucun cas et pour quelque raison que ce puisse etre, donne passage par les | etats de LL. AA. SS. ä aucunes troupes, ä aucun corps ou detachement des | troupes d'aucune puissance etrangere ä la dite confederation. Article 4. L'exercice du culte catholique Sera, dans toutes les possessions de LL. AA. SS., | pleinement assimile ä l'exercice du culte Lutherien et les Sujets des deux | religions jouiront, Sans restrictions, des memes droits civils et politiques, sans | cependant deroger ä la possession et jouissances actuelles des biens des eglises. Article 5. Le Contingent des Principautes de Schwarzbourg, pour le cas de guerre, | sera de Six cent cinquante hommes d'infanterie, egalement repartis entre les | deux branches. L'aine de ces deux Princes aura, conformement des pactes | de Familie, la direction et 1'inspection de ce contingent, lequel sera | Foumi immediatement pour la presente guerre. Article 6. Le present traite sera ratifie, et les ratifications en Seront | echangees ä Berlin dans le delai de vingt jours, ä dater de la | [Bl. 2v.J Signaturie du present traite ou plutot sifaire se peut. Fait et Signe ä Varsovie, le 18. Avril 1807. Signe: Ch. Mau. Talleyrand, Prince de Benevent | Frederic Guillaume Baron de Ketelhodt. Avons approuve et approuvons le traite ci-dessus | en tous et chacun des articles qui y sont contenus; Declarons | qu'il est accepte, ratifie et confirme et promettons qu'il | sera in-

526

§ 2 : Rheinbund

[Dok. 4 - 3 0 ]

violablement observe. En foi de quoi Nous avons donne les presentes, Signees | de notre main, contresignees et munies de notre Sceau Imperial. En notre Camp Imperial de Finckenstein, le 30. Avril 1807. Napoleon Le Ministre | des | Relations Exterieur | Carl Maurice Talleyrand, | prince de Benevent, Par l'Empereur: | Le Ministre Secretaire d'Etat | Huguet B. Marcs. Deutsche Übersetzung des Vertrages nach P. A. Winkopp (Hrsg.): Die Rheinische Konföderations-Akte, Frankfurt am Mayn 1808, S. 95 - 97: Napoleon von Gottes Gnaden und durch die Konstitution Kaiser der Franzosen, König von Italien. Nachdem Wir den Traktat eingesehen und erwogen haben, welcher zu Warschau am 18. April 1807 durch den Herrn Karl Moriz Talleyrand, Fürsten von Benevent, Unsem Oberkammerherm und Minister der auswärtigen Angelegenheiten, Kraft der von Uns in dieser Hinsicht ihm ertheilten Vollmacht mit Herrn Friedrich Wilhelm Baron von Ketelholdt Kanzler IL HH. DD. der Fürsten von SchwarzburgSondershausen und Schwarzburg-Rudolstadt gleichfalls mit Vollmachten versehen, abgeschlossen, festgesetzt und unterzeichnet worden ist, und welcher seinem ganzen Inhalte nach folgendermaßen lautet: Da Se. Majestät der Kaiser der Franzosen und König von Italien, Beschützer des rheinischen Bundes und Ihre Hochfürstlichen Durchlauchten die Fürsten von Schwarzburg-Sondershausen und Schwarzburg-Rudolstadt festsetzen wollen, was den Beitritt II. HH. DD. zum rheinischen Bunde betrifft, so haben Sie zu Ihren bevollmächtigten Ministem ernannt, nämlich: Ihre Majestät der Kaiser der Franzosen und König von Italien den Herrn Moriz Talle3Tand, Fürsten von Benevent, Ihren Ober-Kammerherm und Minister des auswärtigen Angelegenheiten, Groskreuz der Ehrenlegion, Ritter des preussischen rothen und schwarzen Adlerordens und des St. Hubertusordens. Und II. HH. DD. die Fürsten von Schwarzburg-Sondershausen und Schwarzburg-Rudolstadt Ihren Kanzler und Präsidenten Herrn Friedrich Wilhelm Baron von Ketelholdt, welche - nach ausgewechselten beiderseitigen Vollmachten, über folgendes überein gekommen sind: Art. 1. II. HH. DD. die Fürsten von Schwarzburg-Sondershausen und Schwarzburg-Rudolstadt treten dem zu Paris am 12. Julius dieses Jahrs abgeschlossenen Verbindungs- und Vereinigungstraktat bei, und durch diesen Beitritt treten sie alle Rechte und Verbindlichkeiten dieses Verbindungs- und Vereinigungstraktats, so, als wenn sie kontrahirende Theile des benannten Traktats gewesen wären. Art. 2. ^11. HH. DD. werden in dem FürstenkoUegio Sitz nehmen. ^Ihr Rang in diesem Kollegio wird durch die allgemeine Versammlung bestimmt werden. Art. 3. Ohne vorgängige Einwilligung des rheinischen Bundes soll in keinem Falle und aus was Ursach es auch seyn möge, keinen fremden Truppen oder Detaschements fremder nicht in diesem Bunde sich befindender Mächte, der Durchmarsch durch die fürstlichen Lande verstattet werden. Art. 4. Die Ausübung des katholischen Gottesdienstes soll in allen Besitzungen IL HH. DD. dem des lutherischen gleich gestellt werden und die Unterthanen beider Religionen sollen ohne Einschränkung gleiche Civil- und politische Rechte genießen, ohne daß jedoch dem gegenwärtigen Besitz und der Benutzung der Kirchengüter Abbruch geschähe. Art. 5. ^Das Kontingent der beiden Fürstenthümer Schwarzburg soll im Falle eines Krieges aus 650 Mann bestehen, die auf gleiche Art auf beide Linien vertheilt werden sollen. ^Der Aelteste der beiden Fürsten hat nach den Familien-Verträgen die Direktion und Inspektion über dieses Kontingent, welches zu dem gegenwärtigen Kriege sogleich gestellt wird. Art. 6. Der gegenwärtige Traktat soll genehmigt und die Ratifikationen in Berlin in Zeit von 20 Tagen von Unterzeichnung desselben an gerechnet, oder wenn es noch früher geschehen kann, ausgewechselt werden. So geschehen und unterzeichnet, Warschau am 18. April 1807.

[10] Akzessionsvertrag von Warschau vom 18. April 1807

527

Unterzeichnet: K. M. Talleyrand, Fürst von Benevent.

F. W. Baron von Ketelholdt.

So haben Wir vorstehenden Traktat in allen und jeden darin enthaltenen Artikeln genehmigt, erklären auch, daß er angenommen, ratifizirt und bestätiget ist, und versprechen, daß er unverbrüchlich gehalten werden soll. Zu Urkund dessen haben Wir gegenwärtige Akte ausgefertigt, eigenhändig unterschrieben und mit Unserm kaiserlichen Insiegel versehenen lassen. In Unserm kaiserlichen Hauptquartier zu Finkenstein am 30. April 1807. (L. S.) Napoleon. Der Minister der auswärtigen Angelegenheiten Auf Befehl des Kaisers: K. M. Talleyrand, Fürst von Benevent. Der Minister Staatssekretär H. B. Maret.

[10] Akzessionsvertrag von Warschau (Frankreich ./. Fürstentum Waldeck) vom 18. April 1807 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einfuhrungen" die Darstellung unter [11.]. Quelle: Hessisches Staatsarchiv Marburg, Nachtrag zu den Waldeckischen Urkunden - bislang ungeordnet und unverzeichnet, Bl. Iv. - 2v. (handschriftliche Ausfertigung - französischer Text)^. [Bl IvJ Sa Majeste TEmpereur des Frangais, Roi | d'Italie et Son Altesse Serenissime le Prince de Waldeck, | voulant regier ce qui conceme l'admission de Son Altesse | Serenissime dans la Confederation du Rhin, ont | nomme pour leurs Ministres Plenipotentiaires savoir, Sa Majeste l'Empereur des Fran9ais, Roi d'Italie, | Monsieur Charles Maurice Talleyrand, Prince de | Benevent, Son grand Chambellan et Ministre des | Relations Exterieures, grand cordon de la Legion | d'honneur, Chevalier des Ordres de l'aigle noire et | de l'aigle rouge de Prusse et de 1'ordre de S\ Hubert. Et Son Altesse Serenissime le Prince de Waldeck | Monsieur le Baron de Gagem, Ministre d'Etat de Leurs | Altesses Serenissimes les Due et Prince de Nassau, | Chevalier grand croix de 1'ordre du Lion d'or. Lesquels, apres avoir echange leurs pleins pouvoirs | respectifs, Sont convenus de ce qui suit. Article primier. Son Altesse Serenissime le Princes de Waldeck | accede au traite de confederation et d'alliance conclu | ä Paris le douze de Juillet demier; et par cette accession, | il entre dans tous les droits et dans toutes les | [Bl. Ir.J obligations de la confederation et de 1'alliance, de la meme | maniere que s'il eut ete partie contractante audit traite. Article deux. Son Altesse Serenissime de Prince de Waldeck Siegera | dans le College des Princes. Son rang dans ce college | sera determine par la Diete.

Ohne Ratifizierungserklärung Napoleons.

528

§ 2: Rheinbund

[Dok. 4 - 30]

Article trois. II ne pourra, sans le consentement prealable de la | Confederation du Rhin, | etre, dans aucun cas et | pour quelque raison que ce puisse etre, donne passage | par les Etats de Son Altesse Serenissime ä aucunes | troupes, ä aucun corps ou detachement des troupes | d'aucune Puissance etrangere ä la dite Confederation. Article quatre. L'exercice du culte catholique sera, dans toutes les | possessions de Son Altesse Serenissime pleinement | assimile ä l'exercice du culte Lutherien, et les Sujets | des deux religions jouiront, Sans restrictions des memes | droits civils et politiques, Sans cependant deroger ä | la possession et jouissance actuelles des biens des | eglises. Article cinq. Le contingent des Son Serenissime le Serenissime Prince de Waldeck pour le cas de guerre, Sera de quatre cents hommes ; et Foumi immediatement | pour la presente Campagne. [Bl 2vJ Article six. Le present traite sera ratifie, et les ratifications en Seront | echangees ä Berlin dans le delai de vingt cinq jours, ä dater Signature traite, ou plutot si | faire se peut. Fait et Signe ä Varsovie, le dix huit Avril mil huit cent | sept. Ch. Maur. Talleyrand, Prince de Benevent | Le Baron de Gagem. (Ratifikationserklärung Waldecks vom 13. Mai 1807) Quelle: Hessisches Staatsarchiv Marburg, Nachtrag zu den Waldeckischen Urkunden - bislang ungeordnet und unverzeichnet, Bl. 2v - 2r. (handschriftliche Ausfertigung - französischer Text). . . . [Bl 2v.J Frederic par la grace des Dieu | Prince de Waldeck. Comte de | Pirmont et de Ribeaupierre, Seign= | eur de Hohenack et Gerolseck &c. Ayam agree approuve ci-dessus, | Nous l'agreont, aprouvont & ratifiont par ces Pre= | sentes promettont en bonne foi et sincerement de | observer et executer selon sa forme et teneur, sans | jemals y contrevenir en quelque maniere que soit | ni directement ni indirectement. En foi de quoi | Nous avont fait expedier les Presentes, signees | de Notre main, contresignees et scellees de | [BL 2rJ Notre sceau. Donne ä Arolsen le trei= | ze Mai mil huit cent sept. Frederic Prince de Waldeck. Deutsche Übersetzung des Vertrages nach P. A. Winkopp (Hrsg.): Die Rheinische Konföderations-Akte, Frankfurt am Mayn 1808, S. 97 - 99: Napoleon von Gottes Gnaden und durch die Konstitution Kaiser der Franzosen, König von Italien. Nachdem Wir den Traktat eingesehen und erwogen haben, welcher zu Warschau am 18. April 1807 durch den Herrn Karl Moriz Talleyrand, Fürsten von Benevent, Unsem Oberkammerherm und Minister der auswärtigen Angelegenheiten, Kraft der von Uns in dieser Hinsicht ihm ertheilten Vollmacht mit dem Herrn Baron von Gagem, Staatsminister IL HH. DD. dem Herzoge und Fürsten von Nassau, Groskreuz des goldnen Löwenordens, gleichfalls mit Vollmachten versehen, abgeschlossen, festgesetzt und unterzeichnet worden ist, und welcher seinem ganzen Inhalte nach folgendermaßen lautet: Da Se. Majestät der Kaiser der Franzosen und König von Italien, Beschützer des rheinischen Bundes und Se. H. D. der Fürst von Waldeck festsetzen wollen, was den Beitritt Ihro Hochfürstlichen

[11] Akzessionsvertrag von Warschau vom 18. April 1807

529

Durchlaucht zum rheinischen Bunde betrifft, so haben Sie zu Ihren bevollmächtigten Ministem ernannt, nämlich: Ihre Majestät der Kaiser der Franzosen und König von Italien den Herrn Moriz Talleyrand, Fürsten von Benevent, Ihren Ober-Kammerherm und Minister des auswärtigen Angelegenheiten, Groskreuz der Ehrenlegion, Ritter des preussischen rothen und schwarzen Adlerordens und des St. Hubertusordens, und I. H. D, der Fürst von Waldeck Herrn Baron von Gagem, welche nach ausgewechselten beiderseitigen Vollmachten, über folgendes überein gekommen sind: Art. 1. I. H. D. der Fürst von Waldeck treten dem zu Paris am 12. Julius dieses Jahrs abgeschlossenen Verbindungs- und Vereinigungstraktat bei, und durch diesen Beitritt treten sie alle Rechte und Verbindlichkeiten dieses Verbindungs- und Vereinigungstraktats, so, als wenn sie kontrahirende Theile des benannten Traktats gewesen wären. Art. 2. ^I. H. D. der Fürst von Waldeck wird in dem FürstenkoUegio Sitz nehmen. ^Ihr Rang in diesem Kollegio wird durch die allgemeine Versammlung bestimmt werden. Art. 3. Ohne vorgängige Einwilligung des rheinischen Bundes soll in keinem Falle und aus was Ursach es auch seyn möge, keinen fremden Truppen oder Detaschements fremder nicht in diesem Bunde sich befindender Mächte, der Durchmarsch durch die fürstlichen Lande verstattet werden. Art. 4. Die Ausübung des katholischen Gottesdienstes soll in allen Besitzungen I. H. D. dem des lutherischen gleich gestellt werden und die Unterthanen beider Religionen sollen ohne Einschränkung gleiche Civil- und politische Rechte genießen, ohne daß jedoch dem gegenwärtigen Besitz und der Benutzung der Kirchengüter Abbruch geschähe. Art. 5. Das Kontingent I. H. D. des Fürsten von Waldeck soll im Falle eines Kriegs aus 400 Mann bestehen, und sogleich zu gegenwärtigen Feldzuge gestellt werden. Art. 6. Der gegenwärtige Traktat soll genehmigt und die Ratifikationen in Berlin in Zeit von 25 Tagen von Unterzeichnung desselben an gerechnet, oder wenn es noch früher geschehen kann, ausgewechselt werden. So geschehen und unterzeichnet, Warschau am 18. April 1807. Unterzeichnet: K. M. Talleyrand, Fürst von Benevent.

Baron von Gagem.

[11] Akzessionsvertrag von Warschau (Frankreich ./. Fürstentümer Lippe-Detmold und Schaumburg-Lippe) vom 18. April 1807 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einführungen" die Darstellung unter [11.]. 1) Ausfertigung Lippe-Detmold: Quelle: Nordrhein-Westfälisches Staatsarchiv Detmold, Signatur L 2 Nr. 1, Bl. I v . - 2 v . (handschriftliche Ausfertigung - französischer Text)^. [Bl

IvJ Sa Majeste l'Empereur des Fran9ais, Roi | d'Italie, Protecteur de la Confederation du Rhin, et | Leur Altesses Serenissimes les Princes de Lippe | Detmold et Lippe Schaumbourg, voulant regier | ce qui conceme 1'admission de Leurs Altesses | Serenissimes dans la Confederation du Rhin, ont | nomme pour leurs ministres plenipotentiaires, savoir, Sa Majeste l'Empereur des Fran9ais, Roi d'Italie, | M^. Charles Maurice Talleyrand, Prince de Benevent, | Son grand chambellan et Ministre des Relations | Exterieures, grand cordon de la Legion d'honneur, | chevalier des ordres de l'aigle rouge et de l'aigle noire | de

Ohne Ratifizierungserklärung Napoleons.

530

§ 2: Rheinbund

[Dok.4-30]

Prusse et de 1'ordre de S^ Hubert. Et Leurs Altesses Serenissimes les Princes de | Lippe Detmold et Lippe Schaumbourg, M^ le I Baron de Gagem, Ministre d'Etat | de Leurs Altesses | Serenissimes les Duo et Prince de Nassau, Chevalier | grand croix de 1'ordre du Lion d'or. Lesquels, apres avoir echange leurs pleins | pouvoirs respectifs, Sont convenus de ce qui suit. Article primier. Leurs Altesses Serenissimes les Princes de | Lippe Detmold et Lippe Schaumbourg accedent au | traite de confederation et d'alliance conclu ä Paris | le douze de Juillet demier; et par cette accession, | [Bl Ir.] ils entrent dans tous les droits et dans toutes les | obligations de la confederation et de 1'alliance, de | la meme maniere que s'il eussent ete parties | contractantes audit traite. Article deux. Leurs Altesses Serenissimes Siegeront dans | le College des Princes. Leur rang dans ce college I sera determine par la Diete. Article trois. II ne pourra, sans le consentement prealable | de la Confederation du Rhin, | etre, dans aucun cas | et pour quelque raison que ce puisse etre, Donne | passage, par les Etats de Leurs Altesses Serenissimes, | ä aucunes troupes, ä aucun corps ou detachement | des troupes d'aucune Puissance etrangere ä la | dite Confederation. Article quatre. L'exercice du culte catholique sera, dans toutes | les possessions de Leurs Altesses Serenissimes, I pleinement assimile ä l'exercice du culte Lutherien, | et les Sujets des deux religions jouiront, Sans I restrictions, des memes droits civils et politiques, | Sans cependant deroger ä la possession et jouissance actuelles des biens des eglises. Article cinq. Le contingent des deux principautes de Lippe | [Bl 2vJ pour le cas de guerre. Sera de six cents cinquante | hommes d'Infanterie, repartis de maniere que | Lippe Detmold foumira cinq cents hommes | et Lippe Schaumbourg cent cinquante. Les | Princes de Lippe Detmold auront la Direction 1 et 1'inspection de ce contingent, lequel sera | Foumi immediatement pour la presente Campagne. Article six. Le present traite sera ratifie, et les | ratifications en Seront echangees ä Berlin, | dans le delai de vingt cinq jours, ou plutot | si faire se pent. Fait et Signe ä Varsovie, le dix=huit | Avril mil huit cent sept. Ch. Maur. Talleyrand, Prince de Benevent | Le Baron de Gagem. (Ratifikationserklärung Lippe-Detmolds vom 5. Mai 1807) Quelle: Nordrhein-Westfälisches Staatsarchiv Detmold, Signatur L 2 Nr. 1, Bl. 2v. (handschriftliche Ausfertigung - französischer Text).

[11] Akzessionsvertrag von Warschau vom 18. April 1807

531

[Bl 2vJ En qualite de Regente et Tutrice de notre Fils aime Paul Alexandre Leopold, | Prince de la Lippe, nous avons ratifie et ratifions le present traite dans tous les articles | y contenus, nous le declarons, accepte et confirme, et nous en promettons la tenue la plus | Eidelle, pour nous, notre Fils et tous les Surrerseurs, en vertu nous avons Signe les | presentes de notre propre main et fait apposer le Sceau de nos armes. Detmold 5 May I 1807, Pauline Pr Regente et Dux | =airiere de la Lippe nee | Princes de Anhalt. 2) Ausfertigung Schaumburg-Lippe: Quelle: Niedersächsisches Staatsarchiv in Bückeburg, Signatur F 1 A XXXV 28, Nr. 65, BL Iv. - 2v. (handschriftliche Ausfertigung - französischer Text)*. [Bl Iv.J Sa Majeste l'Empereur des Frangais, | Roi d'Italie, Protecteur de la Confederation | du Rhin, et Leur Altesses Serenissimes les | Princes de Lippe Detmold et Lippe | Schaumbourg, voulant regier ce qui | conceme l'admission de Leurs Altesses | serenissimes dans la confederation du | Rhin, ont nomme pour leurs ministres | plenipotentiaires, Savoir, Sa Majeste l'Empereur des Fran^ais, | Roi d'Italie, Monsieur Charles-Maurice | Talleyrand Prince de Benevent, Son | Grand Chambellan et Ministre des | relations exterieures, grand cordon de la | Legion d'honneur, chevalier des ordres | de l'aigle rouge et de l'aigle noire de | Prusse et de 1'ordre de S\ Hubert; Et Leurs Altesses Serenissimes les Princes | de Lippe Detmold et Lippe Schauenbourg, | Monsieur le Baron de Gagem, Ministre | d'Etat de leurs Altesses Serenissimes les | Due et Prince de Nassau, chevalier | grand croix de 1'ordre du Lion d'or; Lesquels, apres avoir echange leurs | [Bl. IrJ pleins pouvoirs respectifs, Sont convenus de ce qui suit: Article V\ Leurs Altesses Serenissimes les Princes | de Lippe Detmold et Lippe Schauenbourg | accedent au traite de confederation et | d'alliance conclu ä Paris le douze de | Juillet demier; et par cette accession, | ils entrent dans tous les droits et dans | toutes les obligations de la Confederation | et de 1'Alliance, de la meme maniere | que s'il eussent ete parties contractantes | audit traite. Article 2. Leurs Altesses Serenissimes Siegeront | dans le College des Princes. Leur rang | dans ce college sera determine par la Diete. Article 3. II ne pourra. Sans le consentement | prealable de la Confederation du Rhin, | etre, dans aucun cas et pour quelque | raison que ce puisse etre, Donne passage, | par les Etats de Leurs Altesses Serenissimes, | ä aucunes troupes, ä aucun corps ou | detachement des troupes d'aucune | Puissance etrangere ä la dite | Confederation. [BL 2vJ Article 4. L'exercice du culte catholique sera, dans toutes | les possessions de leurs Altesses Serenissimes, I pleinement assimile ä l'exercice du culte | Lutherien, et les Sujets des deux reli* Ohne Ratifizierungserklämng Napoleons.

532

§2: Rheinbund

[Dok. 4 - 3 0 ]

gions I jouiront, Sans restrictions, des memes droits | civils et politiques, Sans cependant deroger | äla possession et jouissance actuelles des | biens des eglises. Article 5. Le contingent des deux principautes de | Lippe, | pour le cas de guerre, Sera de six | cents cinquante hommes d'infanterie, | repartis de maniere que Lippe Detmold | foumira cinq cents hommes et Lippe | Schauenbourg cent cinquante. Les | Princes de Lippe Detmold auront la | Direction et 1'inspection de ce contingent, | lequel sera Foumi immediatement | pour la presente Campagne. Article 6. Le present traite sera ratifie, et | les ratifications en Seront echangees | ä Berlin, dans le delai de vingt cinq | jours, ä dater de la Signature du present | traite, ou plutöt | si faire se peut. Fait et Signe ä Varsovie, le dix^huit | Avril mil huit cent sept. Ch. Maur. Talleyrand, Prince de Benevent | Le Baron de Gagem. (Ratifikationserklärung Schaumburg-Lippes vom 5. Mai 1807) Quelle: Niedersächsisches Staatsarchiv in Bückeburg, Signatur F 1 A XXXV 28, Nr. 65, Bl. 2r. (handschriftliche Ausfertigung - französischer Text). [Bl. 2r.J Nous avons ratifie et ratifions le present traite dans tous les | articles y contenus, nous le declarons accepte et confirme | et nous en promettons la tenne la plus Fidelle, pours nous, | et nos successeurs, en vertu dequoi nous avons signe les | presentes de notre propre main et fait apposer le scean | de nos armes. ä Bückebourg | 5 Mai 1807 George Guillaume Prince Souverain | de Schaumbourg et de la Lippe Deutsche Übersetzung des Vertrages nach P. A. Winkopp (Hrsg.): Die Rheinische Konföderations-Akte, Frankfurt am Mayn 1808, S. 99 - 102: Napoleon von Gottes Gnaden und durch die Konstitution Kaiser der Franzosen, König von Italien. Nachdem Wir den Traktat eingesehen und erwogen haben, welcher zu Warschau am 18. April 1807 durch den Herrn Karl Moriz Talleyrand, Fürsten von Benevent, Unsem Oberkammerherm und Minister der auswärtigen Angelegenheiten, Kraft der von Uns in dieser Hinsicht ihm ertheilten Vollmacht mit dem Herrn Baron von Gagem, Staatsminister IL HH. DD. dem Herzoge und Fürsten von Nassau, Groskreuz des goldnen Löwenordens, gleichfalls mit Vollmachten versehen, abgeschlossen, festgesetzt und unterzeichnet worden ist, und welcher seinem ganzen Inhalte nach folgendermaßen lautet: Da Se. Majestät der Kaiser der Franzosen und König von Italien, Beschützer des rheinischen Bundes und Ihre Hochfürstlichen Durchlauchten die Fürsten von Lippe-Dettmold und Lippe-Schaumburg festsetzen wollen, was den Beitritt II. HH. DD. zum rheinischen Bunde betrifft, so haben Sie zu Ihren bevollmächtigten Ministem emannt, nämlich: Ihre Majestät der Kaiser der Franzosen und König von Italien den Herrn Moriz Talleyrand, Fürsten von Benevent, Ihren Ober-Kammerherm und Minister des auswärtigen Angelegenheiten, Groskreuz der Ehrenlegion, Ritter des preussischen rothen und schwarzen Adlerordens und des St. Hubertusordens. Und II. HH. DD. die Fürsten von Lippe-Dettmold und Lippe-Schaumburg Herrn Baron von Gagem - welche nach ausgewechselten beiderseitigen Vollmachten, über folgendes überein gekommen sind: Art. 1. IL HH. DD. die Fürsten von Lippe-Dettmold und Lippe-Schaumburg treten dem zu Paris am 12. Julius dieses Jahrs abgeschlossenen Verbindungs- und Vereinigungstraktat bei, und durch diesen Beitritt treten sie alle Rechte und Verbindlichkeiten dieses Verbindungs- und Vereinigungstraktats, so, als wenn sie kontrahirende Theile des benannten Traktats gewesen wären.

[12] Akzessionsvertrag von Warschau vom 18. April 1807

533

Art. 1. ^11. HH. DD. werden in dem Fürstenkollegio Sitz nehmen. ^Ihr Rang in diesem Kollegio wird durch die allgemeine Versammlung bestimmt werden. Art. 3. Ohne vorgängige Einwilligung des rheinischen Bundes soll in keinem Falle und aus was Ursach es auch seyn möge, keinen fremden Truppen oder Detaschements fremder nicht in diesem Bunde sich befindender Mächte, der Durchmarsch durch die fürstlichen Lande verstattet werden. Art. 4. Die Ausübung des katholischen Gottesdienstes soll in allen Besitzungen IL HH. DD. dem des lutherischen gleich gestellt werden und die Unterthanen beider Religionen sollen ohne Einschränkung gleiche Civil- und politische Rechte genießen, ohne daß jedoch dem gegenwärtigen Besitz und der Benutzung der Kirchengüter Abbruch geschähe. Art. 5. *Das Kontingent der beiden Fürstenthümer Lippe soll im Falle eines Krieges aus 650 Mann Infanterie bestehen. ^Diese werden so vertheilt, daß Lippe-Dettmold 500 Mann und Lippe-Schaumburg 150 Mann zu stellen hat. ^Die Fürsten von Lippe-Dettmold haben die Direktion und Inspektion über dieses Kontingent, welches zu dem gegenwärtigen Kriege sogleich gestellt wird. Art. 6. Der gegenwärtige Traktat soll genehmigt und die Ratifikationen in Berlin in Zeit von 20 Tagen von Unterzeichnung desselben an gerechnet, oder wenn es noch früher geschehen kann, ausgewechselt werden. So geschehen und unterzeichnet, Warschau am 18. April 1807. Unterzeichnet: K. M. Talleyrand, Fürst von Benevent.

Baron von Gagem.

So haben Wir vorstehenden Traktat in allen und jeden darin enthaltenen Artikeln genehmigt, erklären auch, daß er angenommen, ratifizirt und bestätiget ist, und versprechen, daß er unverbrüchlich gehalten werden soll. Zu Urkund dessen haben Wir gegenwärtige Akte ausgefertigt, eigenhändig unterschrieben und mit Unserm kaiserlichen Insiegel versehenen lassen. In Unserm kaiserlichen Hauptquartier zu Finkenstein am 30. April 1807. (L. S.) Napoleon. Der Minister der auswärtigen Angelegenheiten Auf Befehl des Kaisers: K. M. Talleyrand, Fürst von Benevent. Der Minister Staatssekretär H. B. Maret.

[12] Akzessionsvertrag von Warschau (Frankreich ./. Reußische Fürstentümer) vom 18. April 1807 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einführungen" die Darstellung unter [11.]. Quelle: Thüringisches Staatsarchiv Greiz, Staatsverträge Reuß ä. L., Nr. 1, Bl. 3 v . - 4 v . (handschriftliche Ausfertigung - französischer Text)^. [Bl 3v.] Napoleon, par la grace de Dieu et les | Constitutions, etc. Empereur des Frangais, Roi d'Italie, | ayant vu et examine le traite conclu, arrete et Signe ä Varsovie le 18. | Avril, par M^. Charles Maurice Talleyrand, Prince de Benevent, notre Grand= | Chambellan et Ministre des Relations exterieures, en vertu des pleins pouvoirs | que Nous lui avons conferes ä cet effet, avec M \ le Baron de | Gagem, Ministre d'Etat de LL. AA. SS. les Due et Prince de Nassau, | egalement muni de pleins-pouvoirs, duquel traite la teneur Suit: Sa Majeste l'Empereur des Fran^ais, Roi d'Italie, Protecteur | de la Confederation du

^ Nebst Ratifizierungserklärung Napoleons vom 30. April 1807.

534

§ 2: Rheinbund

[Dok. 4 - 30]

Rhin, et Son Altesses Serenissimes les Princes de | Reuss=Greitz, Reuss=Schleitz, Reuss= Lobenstein et Reuss=Ebersdorf, | voulant regier ce qui conceme 1'admission de Leurs Altesses Serenissimes dans la | confederation du Rhin, ont nomme pour Leurs ministres | plenipotentiaires, savoir: S. M. l'Empereur des Fran9ais, Roi d'Italie, M"". Charles Maurice | Talleyrand, Prince de Benevent, Son grand=chambellan et Ministre des | Relations exterieures, Grand-cordon de la legion d'honneur, chevalier des ordres | de l'aigle rouge et de l'aigle noire de Prusse et de l'Ordre de Sl Hubert; et LL. AA. SS. les Princes de Reuss^Greitz, Reuss=Schleitz, Reuss= | Lobenstein et Reuss=Ebersdorf, M^ le Baron de Gagem, Ministre d'etat | de LL. AA. SS. les Due et Prince de Nassau , Chevalier grand croix de | [Bl 3r.J 1'ordre du Lion d'or ; Lesquels, apres avoir echange leurs pleins-pouvoirs respectifs, Sont convenus de | ce qui suit: Article V' LL. AA. SS. les Princes de Reuss^^Greitz, Reuss=Schleitz, Reuss== Lobenstein et | Reuss=Ebersdorf, accede au traite de confederation et d'alliance conclu ä Paris le | 12. Juillet demier; et par cette accession, ils entrent dans tous les droits et dans | toutes les obligations de la confederation et de Talliance de la meme maniere que | s'il eussent ete partie contractante audit traite. Article 2. Les deux branches principales dans lesquelle se divise la maison de Reuss | aront chacune un vote ä la diete, et pour cet effet, les Chefs de cet deux | branches y Siegeront dans le College des Princes. Leur rang dans ce college | sera determine par la diete. Article 3. II ne pourra, sans le consentement prealable de la confederation du Rhin | etre dans aucun cas et pour quelque raison que ce puisse etre, donne passage | par les etats de LL. AA. SS. ä aucunes troupes, ä aucun corps ou detachement des | troupes d'aucune puissance etrangere ä la dite confederation. Article 4. L'exercice du culte catholique Sera dans toutes les possessions de LL. A A. SS. | pleinement assimile ä l'exercice du culte Lutherien et les Sujets des deux | religions jouiront, Sans restrictions, des memes droits civils et politiques | Sans cependant deroger ä la possession et jouissances actuelles des biens des eglises. Article 5. Le Contingent des principautes de Reuss pour le cas de guerre, Sera de | quatre cents cinquante hommes d'Infanterie ä repartis entre les quatre | principautes, dans le rapport de leur population respective. Les Princes de | Reuss=Greiz auront la direction et I'inspection de ce contingent qui | devra etre Foumi immediatement pour la Campagne actuell. [BL 4vJ Article 6. Le present traite sera ratifie, et les ratifications en Seront echangees ä Berlin | dans le delai de vingt jours ä dater de la Signaturie du present traite, ou | plutot si faire se pent. Fait et Signe ä Varsovie, le 18. Avril 1807. Signe: Ch. Mau. Talleyrand, Prince de Benevent | Le Baron de Gagem. Avons approuve et approuvons le traite ci-dessus | en tous et chacun des articles qui y

[12] Akzessionsvertrag von Warschau vom 18. April 1807

535

Sont contenus; Deelarons | qu'il est accepte, ratifie et confirme et promettons qu'il Sera | inviolablement observe. En foi de quoi, Nous avons donne les presentes, Signees | de notre main, contresignees et munies de notre Sceau Imperial. En notre Camp Imperial de Finckenstein, le 30. Avril 1807. Napoleon Le Ministre | des | Relations Exterieur | Carl Maurice Talleyrand prince de Benevent Par l'Empereur: | Le Ministre Secretaire d'Etat, | Huguet B. Marcs. Deutsche Übersetzung des Vertrages nach P. A. Winkopp (Hrsg.): Die Rheinische Konföderations-Akte, Frankfurt am Mayn 1808, S. 101 - 103: Napoleon von Gottes Gnaden und durch die Konstitution Kaiser der Franzosen, König von Italien und Beschützer des rheinischen Bundes. Nachdem Wir den Traktat eingesehen und erwogen haben, welcher zu Warschau am 18. April 1807 durch den Herrn Karl Moriz Talleyrand, Fürsten von Benevent, Unsem Oberkammerherm und Minister der auswärtigen Angelegenheiten, Kraft der von Uns in dieser Hinsicht ihm ertheilten Vollmacht mit dem Herrn Baron von Gagem, Staatsminister II. HH. DD. dem Herzoge und Fürsten von Nassau, Groskreuz des goldnen Löwenordens, gleichfalls mit Vollmachten versehen, abgeschlossen, festgesetzt und unterzeichnet worden ist, und welcher seinem ganzen Inhalte nach folgendermaßen lautet: Da Se. Majestät der Kaiser der Franzosen und König von Italien, Beschützer des rheinischen Bundes und Ihre Hochfürstlichen Durchlauchten die Fürsten von Reuß-Greiz, Reuß-Schleiz, ReußLobenstein und Reuß-Ebersdorf festsetzen wollen, was den Beitritt IUI. HHHH. DDDD. zum rheinischen Bunde betrifft, so haben Sie zu Ihren bevollmächtigten Ministem ernannt, nämlich: Ihre Majestät der Kaiser der Franzosen und König von Italien den Herrn Moriz Talleyrand, Fürsten von Benevent, Ihren Ober-Kammerherm und Minister des auswärtigen Angelegenheiten, Groskreuz der Ehrenlegion, Ritter des preussischen rothen und schwarzen Adlerordens und des St. Hubertusordens. Und IUI. HHHH. DDDD. die Fürsten von Reuß-Greiz, Reuß-Schleiz, Reuß-Lobenstein und Reuß-Ebersdorf Herrn Baron von Gagem - welche nach ausgewechselten beiderseitigen Vollmachten, über folgendes überein gekommen sind: Art. 1. IUI. HHH. DDD. die Fürsten von Reuß-Greiz, Reuß-Schleiz, Reuß-Lobenstein und Reuß-Ebersdorf treten dem zu Paris am 12. Julius dieses Jahrs abgeschlossenen Verbindungs- und Vereinigungstraktat bei, und durch diesen Beitritt treten sie alle Rechte und Verbindlichkeiten dieses Verbindungs- und Vereinigungstraktats, so, als wenn sie kontrahirende Theile des benannten Traktats gewesen wären. Art. 2. ^IIII. HHHH. DDDD. werden in dem Fürstenkollegio Sitz nehmen. ^Die beiden Hauptlinien, in welche sich das Gesammthaus Reuß abtheilet, werden jede eine Stimme auf dem Bundestage haben, und zu dem Ende werden die Chefs dieser beiden Hauptlinien ihren Sitz im Kollegium der Fürsten haben. ^Ihr Rang in demselben wird durch die Bundesversammlung bestimmt werden. Art. 3. Ohne vorgängige Einwilligung des rheinischen Bundes soll in keinem Falle und aus was Ursach es auch seyn möge, keinen fremden Tmppen oder Detaschements fremder nicht in diesem Bunde sich befindender Mächte, der Durchmarsch durch die fürstlichen Lande verstattet werden. Art. 4. Die Ausübung des katholischen Gottesdienstes soll in allen Besitzungen IUI. HHHH. DDDD. dem des lutherischen gleich gestellt werden und die Unterthanen beider Religionen sollen ohne Einschränkung gleiche Civil- und politische Rechte genießen, ohne daß jedoch dem gegenwärtigen Besitz und der Benutzung der Kirchengüter Abbmch geschähe.

536

§ 2: Rheinbund

[Dok. 4 - 30]

Art. 5. ^Das Kontingent der Fürstenthümer Reuß soll im Falle eines Krieges aus 450 Mann Infanterie bestehen. Diese werden auf die vier Fürstenthümer nach dem Verhältniß ihrer Volksmenge vertheilt. '^Die Fürsten von Reuß-Greiz haben die Direktion und Inspektion über dieses Kontigent, welches zu dem gegenwärtigen Kriege sogleich gestellt wird. Art. 6. Der gegenwärtige Traktat soll genehmigt und die Ratifikationen in Berlin in Zeit von 20 Tagen von Unterzeichnung desselben an gerechnet, oder wenn es noch früher geschehen kann, ausgewechselt werden. So geschehen und unterzeichnet, Warschau am 18. April 1807. Unterzeichnet: K. M. Talleyrand, Fürst von Benevent.

Baron von Gagem,

So haben Wir vorstehenden Traktat in allen und jeden darin enthaltenen Artikeln genehmigt, erklären auch, daß er angenommen, ratifizirt und bestätiget ist, und versprechen, daß er unverbrüchlich gehalten werden soll. Zu Urkund dessen haben Wir gegenwärtige Akte ausgefertigt, eigenhändig unterschrieben und mit Unserm kaiserlichen Insiegel versehenen lassen. In Unserm kaiserlichen Hauptquartier zu Finkenstein am 30. April 1807. (L. S.) Napoleon. Der Minister der auswärtigen Angelegenheiten Auf Befehl des Kaisers: K. M. Talleyrand, Fürst von Benevent. Der Minister Staatssekretär H. B. Maret.

[13] Akzessionsvertrag von Paris (Frankreich ./. Herzogtum Mecklenburg-Strelitz) vom 18. Februar 1808 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einführungen" die Darstellung unter [11.]. Quelle: Landeshauptarchiv Schwerin, 1.2 Land und Haus, Strelitzer Archiv, Nr. 146a, Bl. 1 - 3 (handschriftliche Ausfertigung - französischer Text)^. [Bl. 1] Napoleon, par la | grace de Dieu et les Constitutions, etc. Empereur | des Fran^ais, Roi | d'Italic I et Protecteur de la Confederation du Rhin, ayant vu et | examine le Traite conclu, arrete et signe ä | Paris le 18. Fevrier 1808, par | M. Jean Baptiste Nompere de Champagny, notre Ministre des | Relations exterieures, en vertu des pleinspouvoirs que Nous lui | avons conferes ä cet effect, avec M'^. Jean Comte de Schlitz, egalement muni | de pleins-pouvoirs de Son Altesse Serenissime le Due de Mecklembourg= | Strelitz, duquel Traite la | teneur suit: Sa Majeste l'Empereur des Fran9ais, Roi | d'Italie, Protecteur de la Confederation du Rhin et Son I Altesse Serenissime le Due de Mecklembourg^Strelitz | voulant regier ce qui conceme Tadmission de Sa dite Altesse dans la Confedera= | tion du Rhin, ont nomme pour leurs plenipotentiaires, savoir: Sa Majeste l'Empereur des Fran9ais, Roi d'Italie, Protec= | teur de la Confederation du Rhin, I M. Jean Baptiste Nompere de Champagny, Ministre | [Bl 2] des Relations Exterieures, Grand Aigle de la Legion d'honneur, Commandeur | de 1'Ordre de la Couronne de Fer, Grand Croix de 1'Ordre de la Fidelite de Bade | et de S^ Joseph des Würzbourg;

Nebst Ratifizierungserklärung Napoleons vom 21. März 1808.

[13] Akzessionsvertrag von Paris vom 18. Februar 1808

537

et Son Altesse Serenissime le Duo de Mecklembourg=Strelitz, | M. Jean Comte de Schlitz, Son Envoye extraordinaire et Ministre | plenipotentiaire, Grand Doyen du Chapitre de Colberg; | lesquels apres avoir echange leurs pleins-pouvoirs respectifs, sont convenus | de ce qui suit: Article 1"' Son Altesse Serenissime le Due de Mecklembourg^Strelitz | accede au Traite de Confederation et d'alliance conclu ä Paris, le douze Juillet | mil huit cent six, et par cette accession, il entre dans tous les droits et dans toutes | les obligations de la Confederation et | de r alliance, de la meme maniere que s'il | eüt ete partie contractante au dit | Traite. Article 2. ^Son Altesse Serenissime siegera dans le College des Princes. | ^Son rang dans ce College sera regie par la diete. Article 3. II ne pourra, sans le consentement prealable de la Confederation du Rhin | etre dans aucun cas et pour quelque raison que ce puisse etre, donne passage | par les Etats de Son Altesse Serenissime, ä aucune troupes, ä aucun | Corps ou detachement de troupes d'aucune puissance etrangere ä la Confederation. Article 4. L'exercice du Culte catholique sera dans toutes les possessions de Son | Altesse Serenissime pleinement assimile ä l'exercice du Culte lutherien ; | et les Sujets des deux religions jouiront, sans restrictions, des memes droits | civils et politiques, sans cependant deroger ä la possession et jouissances actuelles | des biens des Eglises. [Bl 3] Article 5. Le Contingent du Duche de Mecklembourg-Strelitz, pour le cas | de guerre, sera de quatre cents hommes d'Infanterie. Article 6. Le present Traite sera ratifie, et les Ratifications en seront echangees | ä Paris dans le delai de cinq semaines. Fait double ä Paris le dix huit Fevrier mil huit cent huit. Signe : J. B. Nompere de Champagny, | J. Comte de Schlitz. Avons approuve et approuvons le Traite ci-dessus | en tous et chacun des articles qui y sont contenus, declarons qu'il est | accepte, ratifie et confirme et promettons qu'il sera inviolablement, observe. En foi de quoi Nous avons donne les Presentes, signees de | notre main, contresignees et munies de notre Sceau Imperial. A Paris le 21. Mars 1808, de notre Regne le 4°'"". Napoleon Le Ministre | des | Relations Exterieur^ Par I'Empereur: Le Ministre Secretaire d'Etat Huguet B. Mares. Unterschrift Champagnys fehlt.

538

§ 2: Rheinbund

[Dok. 4 - 3 0 ]

Vu par Nous Vice Grand Electeur, | Grand Chambellan faisant les fonctions | d'ArchiChancellier d'Etat.^ Deutsche Übersetzung des Vertrages in Anlehnung an P. A. Winkopp (Hrsg.): Die Rheinische Konföderations-Akte, Frankfurt am Mayn 1808:'' Napoleon von Gottes Gnaden und durch die Konstitution Kaiser der Franzosen, König von Italien und Beschützer des rheinischen Bundes. Nachdem Wir den Traktat eingesehen und erwogen haben, welcher zu Paris am 18. Februar 1808 durch den Herrn Jean Baptiste Nompere de Champagny, Unsem Minister der auswärtigen Angelegenheiten, Kraft der von Uns in dieser Hinsicht ihm erteilten Vollmacht mit dem Herrn Heinrich Graf von Schlitz, I. H. D. dem Herzoge von Mecklenburg-Strelitz, gleichfalls mit Vollmachten versehen, abgeschlossen, festgesetzt und unterzeichnet worden ist, und welcher seinem ganzen Inhalte nach folgendermaßen lautet: Da Se. Majestät der Kaiser der Franzosen, König von Italien, Beschützer des rheinischen Bundes und Se. H. D. der Herzog von Mecklenburg-Strelitz festsetzen wollen, was den Beitritt Ihrer besagten Hoheit zum rheinischen Bunde betrifft, so haben Sie zu Ihren bevollmächtigten Ministem ernannt, nämlich: Ihre Majestät der Kaiser der Franzosen und König von Italien, Beschützer des rheinischen Bundes den Herrn Jean Baptiste Nompere de Champagny, Minister der auswärtigen Angelegenheiten, Großadler der Ehrenlegion, Kommandeur Ordens des Eisernen KJrone, Groskreuz des Ordens der Treue von Baden und des Heiligen Joseph zu Würzburg, und I. H. D. der Herzog von Mecklenburg-Strelitz Herrn Heinrich Graf von Schlitz, sein außerordentlicher Gesandter und bevollmächtigter Minister, Großmeister des Kapitels von Kolberg, welche nach ausgewechselten beiderseitigen Vollmachten, über folgendes überein gekommen sind: Art. 1. I. H. D. der Herzog von Mecklenburg-Strelitz treten dem zu Paris am 12. Julius 1806 abgeschlossenen Verbindungs- und Vereinigungstraktat bei, und durch diesen Beitritt treten sie in alle Rechte und Verbindlichkeiten dieses Verbindungs- und Vereinigungstraktats, so, als wenn sie kontrahierende Teile des benannten Traktats gewesen wären. Art. 2. ^I. H. D. wird in dem Fürstenkollegio Sitz nehmen. ^Ihr Rang in diesem KoUegio wird durch die allgemeine Versammlung geregelt werden. Art. 3. Ohne vorgängige Einwilligung des rheinischen Bundes soll in keinem Falle und aus welcher Ursache es auch sein möge, keinen fremden Truppen oder Detaschements fremder nicht in diesem Bunde sich befindender Mächte, der Durchmarsch durch die herzoglichen Lande verstattet werden. Art. 4. Die Ausübung des katholischen Gottesdienstes soll in allen Besitzungen I. H. D. dem des lutherischen gleich gestellt werden und die Untertanen beider Religionen sollen ohne Einschränkung gleiche Civil- und politische Rechte genießen, ohne daß jedoch dem gegenwärtigen Besitz und der Benutzung der Kirchengüter Abbruch geschähe. Art. 5. Das Kontingent I. H. D. des Herzogs von Mecklenburg-Strelitz soll im Falle eines Kriegs aus 400 Mann Infanterie bestehen.

Unterschrift fehlt. Da dieser Vertrag im französischen Original - abgesehen von den jeweiligen Spezifika der deutschen Staaten (Fürsten) - identisch ist mit den als Dok. 7 - 1 2 abgedruckten Vertragstexten, wurde hier insoweit auf die zu diesen Texten jeweils vorliegende Winkopp'sehe Übesetzung zurückgegriffen und auf eine „modem(isiert)e" Übersetzung verzichtet.

[14] Akzessionsvertrag von Paris vom 22. März 1808

539

Art. 6. Der gegenwärtige Traktat soll genehmigt und die Ratifikationen in Paris innerhalb von 5 Wochen ausgewechselt werden. Doppelt ausgefertigt in Paris am 18. Februar 1808. Unterzeichnet: J. B. Nompere de Champagny,

Heinrich Baron von Schlitz.

So haben wir genehmigt und genehmigen vorstehenden Vertrag in allen und jeden Artikel, welche darin enthalten sind, erklären, daß derselbe angenommen, ratifiziert und bestätigt sei, und versprechen, daß derselbe unverbrüchlich gehalten werden solle, Zu dessen Beglaubigung haben Wir gegenwärtige von Uns eigenhändig unterzeichnete auch kontrasignirte und mit Unserm kaiserlichen Siegel versehene Urkunde ertheilt. Paris am 21. März 1808, Unserem vierten Regierungsjahr. Napoleon. Der Minister der auswärtigen Verhältnisse. Auf Befehl des Kaisers: Der Minister Staatssekretär Huguet B. Marcs.

[14] Akzessionsvertrag von Paris (Frankreich ./. Herzogtum IVIecklenburg-Schwerin) vom 22. März 1808 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einführungen" die Darstellung unter [11.]. Quelle: Landeshauptarchiv Schwerin, 1.1-13 Verträge mit außerdeutschen Staaten, Frankreich, Nr. 11, Bl. 1-3 (handschriftliche Ausfertigung - französischer Text)^. [Bl 1] Napoleon, par la grace de Dieu et | les Constitutions, etc. Empereur des Fran^ais, | Roi | d'Italic et Protecteur de la Confederation du | Rhin, ayant vu et examine le Traite conclu, arrete et signe ä | Paris le 22. Mars 1808, par M^. Champagny, notre | Ministre des Relations exterieures, grand Cordon de la Legion d'honneur etc. | en vertu des pleins-pouvoirs que Nous lui avons conferes ä cet effect, | avec M'^. le Baron de Bosset, Marechal de la Cour et Envoye | extraordinaire de S. A. S. le Due de Mecklembourg-Schwerin | egalement muni de pleins-pouvoirs, duquel Traite la | teneur suit: Sa Majeste l'Empereur des Fran9ais, Roi dTtalie, Protecteur | de la Confederarion du Rhin, et Son Altesse Serenissime le Due de Mecklem= | bourg=Schwerin, voulant regier ce qui conceme l'admission de Sa dite Altesse dans la | Confederation du Rhin, ont nomme pour leurs plenipotentiaires, savoir: S. M. l'Empereur des Fran9ais, Roi d'Italie, Protecteur | de la Confederation du | Rhin, le M^. Jean Baptiste Nompere de Champagny, ministre des relations exterieures, | grandaigle de la legion d'honneur, Commandeur de l'ordre de la Couronne de fer, Grand-Croix | de l'ordre de la fidelite de Bade et de S^ Joseph des Würzbourg; Et S. A. S. le Due de Mecklembourg Schwerin, | M^ Georges Franpois Baron de | [Bl 2] Bosset, Son Marechal de la Cour et Son Envoye extraordinaire, Lesquels apres avoir echange leurs pleinspouvoirs respectifs, Sont convenus | de ce qui suit:

Nebst Ratifiziemngserklärung Napoleons vom 24. April 1808.

540

§ 2: Rheinbund

[Dok. 4 - 30]

Article 1^' S. A. S. le Duo de Mecklembourg-Schwerin accede au traite de confederation | et d'alliance conclu ä Paris le douze Juillet | mil huit cent six, et par son accession, | il entre dans tous les droits et dans toutes les obligations de la confederation et | de 1'alliance, de la meme maniere que s'il eüt ete partie contractante au dit | traite. Article 2. S. A. S. Siegera dans le College des Princes. Son rang dans ce College | sera regie par la diete. Article 3. II ne pourra sans le consentement prealable de la Confederation du Rhin | etre dans aucun cas, et pour quelque raison que ce puisse etre, donne | passage par les etats de Son Altesse Serenissime ä aucune troupes, ä | aucun corps ou detachement de troupes, d'aucune puissance etrangere ä | la confederation. Article 4. L'exercice du culte cathohque sera dans toutes les possessions de Son Altesse | Serenissime pleinement assimile ä l'exercice du culte lutherien, et les Sujets | des deux religions jouiront Sans restrictions, des memes droits civils et politiques, | sans cependant deroger ä la possession et jouissances actuelles des biens des eglises. Article 5. Le Contingent du Duche de Mecklembourg-Schwerin pour le cas de guerre | sera de dix neuf cents hommes. Article 6. Le present traite sera ratifie et les ratifications en Seront echangees | [Bl 3] ä Paris dans le delai de Six Semaines. Fait double ä Paris le vingt deux Mars mil huit cent huit. Signe Champagny, | de Bosset. Avons approuve et approuvons le Traite | ci-dessus en tous et chacun des Articles qui y sont contenus, declarons | qu'il est accepte, ratifie et confirme et promettons qu'il sera inviolablement, [ observe. En foi de quoi Nous avons donne les Presentes, signees de | notre main, contresignees et munies de notre Sceau Imperial. A Bayonne le 24. Avril 1808. Napoleon Le Ministre des | Relations Exterieur | Champagny Par I'Empereur: | Le Ministre Secretaire d'Etat | Huguet B. Mares. Vu par Nous Vice Grand Electeur, | Grand Chambellan faisant les fonctions | d'ArchiChancellier d'Etat. I Charles Maurice

[14] Akzessionsvertrag von Paris vom 22. März 1808

541

Deutsche Übersetzung des Vertrages in Anlehnung an P, A, Winkopp (Hrsg.): Die Rheinische Konföderations-Akte, Frankfurt am Mayn 1808:^ Napoleon von Gottes Gnaden und durch die Konstitution Kaiser der Franzosen, König von Italien und Beschützer des rheinischen Bundes. Nachdem Wir den Traktat eingesehen und erwogen haben, welcher zu Paris am 22. März 1808 durch den Herrn Champagny, Unsem Minister der auswärtigen Angelegenheiten, Großkreuz der Ehrenlegion, Kraft der von Uns in dieser Hinsicht ihm erteilten Vollmacht mit dem Herrn Baron von Bosset, Hofmarschall und außerordentlicher Gesandter I. H. D. dem Herzoge von Mecklenburg-Schwerin, gleichfalls mit Vollmachten versehen, abgeschlossen, festgesetzt und unterzeichnet worden ist, und welcher seinem ganzen Inhalte nach folgendermaßen lautet: Da Se. Majestät der Kaiser der Franzosen, König von Italien, Beschützer des rheinischen Bundes und Se. H. D. der Herzog von Mecklenburg-Schwerin festsetzen wollen, was den Beitritt Ihrer besagten Hoheit zum rheinischen Bunde betrifft, so haben Sie zu Ihren bevollmächtigten Ministem ernannt, nämlich: Ihre Majestät der Kaiser der Franzosen und König von Italien, Beschützer des rheinischen Bundes den Herrn Jean Baptiste Nompere de Champagny, Minister der auswärtigen Angelegenheiten, Großadler der Ehrenlegion, Kommandeur des Ordens der Eisernen Krone, Großkreuz des Ordens der Treue von Baden und des Heiligen Joseph zu Würzburg, und I. H. D. der Herzog von Mecklenburg-Schwerin Herrn Georg Baron von Bosset, sein außerordentlicher Gesandter, welche nach ausgewechselten beiderseitigen Vollmachten über folgendes überein gekommen sind: Art. 1. I. H. D. der Herzog von Mecklenburg-Schwerin treten dem zu Paris am 12. Julius 1806 abgeschlossenen Verbindungs- und Vereinigungstraktat bei, und durch diesen Beitritt treten sie in alle Rechte und Verbindlichkeiten dieses Verbindungs- und Vereinigungstraktats, so, als wenn sie kontrahierende Teile des benannten Traktats gewesen wären. Art. 2. *I. H. D. wird in dem Fürstenkollegio Sitz nehmen. ^Ihr Rang in diesem Kollegio wird durch die allgemeine Versammlung geregelt werden. Art. 3. Ohne vorgängige Einwilligung des rheinischen Bundes soll in keinem Falle und aus welcher Ursache es auch sein möge, keinen fremden Truppen oder Detaschements fremder nicht in diesem Bunde sich befindender Mächte, der Durchmarsch durch die herzoglichen Lande verstattet werden. Art. 4. Die Ausübung des katholischen Gottesdienstes soll in allen Besitzungen I. H. D. dem des lutherischen gleich gestellt werden und die Untertanen beider Religionen sollen ohne Einschränkung gleiche Civil- und politische Rechte genießen, ohne daß jedoch dem gegenwärtigen Besitz und der Benutzung der Kirchengüter Abbruch geschähe. Art. 5. Das Kontingent I. H. D. des Herzogs von Mecklenburg-Schwerin soll im Falle eines Kriegs aus 1.800 Mann bestehen. Art. 6. Der gegenwärtige Traktat soll genehmigt und die Ratifikationen in Paris innerhalb von 6 Wochen ausgewechselt werden. Doppelt ausgefertigt in Paris am 22. März 1808. Unterzeichnet: Champagny.

von Bosset.

So haben wir genehmigt und genehmigen vorstehenden Vertrag in allen und jeden Artikel, welche darin enthalten sind, erklären, daß derselbe angenommen, ratifiziert und bestätigt sei, und versprechen, daß derselbe unverbrüchlich gehalten werden solle.

Da dieser Vertrag im französischen Original - abgesehen von den jeweiligen Spezifika der deutschen Staaten (Fürsten) - identisch ist mit den als Dok. 7 - 1 2 abgedruckten Vertragstexten, wurde hier insoweit auf die zu diesen Texten jeweils vorliegende Winkopp'sche Übesetzung zurückgegriffen und auf eine „modem(isiert)e" Übersetzung verzichtet.

542

§ 2 : Rheinbund

[Dok. 4 - 3 0 ]

Zu dessen Beglaubigung haben Wir gegenwärtige von Uns eigenhändig unterzeichnete auch kontrasignierte und mit Unserm kaiseriichen Siegel versehene Urkunde erteilt. Bayonne am 24. April 1808. Napoleon. Der Minister der auswärtigen Verhältnisse: Champagny. Auf Befehl des Kaisers: Der Minister Staatssekretär Huguet B. Marcs.

[15] Akzessionsvertrag von Erfurt (Frankreich ./. Herzogtum Oldenburg) vom 14. Oktober 1808 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einführungen" die Darstellung unter [11.]. Quelle: Niedersächsisches Staatsarchiv in Oldenburg, Best. 35 Nr. 7a, Bl. 1 - 3 (handschriftliche Ausfertigung - französischer Text)^. [Bl. 1] Napoleon, par la grace | de Dieu et les Constitutions, etc., | Empereur des Fran9ais, Roi | d'Italic, Protecteur de la Confederation du | Rhin, ayant vu et examine le Traite conclu, arrete et signe | ä Erfurt le 14 Octobre 1808, par le S. J. B. de la Bemadiere, | Chef de la Division politique du nord du Ministere des Relations exterieures, | en vertu des pleins-pouvoirs que Nous lui avons conferes ä cet | effect, avec le S. Hans Detlef Baron de Hammerstein, Conseiller prive et | Ministre de Son Altesse Serenissime le Due de Holstein-Oldenburg, | egalement muni de pleins-pouvoirs, duquel Traite la teneur | suit: Sa Majeste l'Empereur des Fran9ais, Roi d'Italie, Protecteur de | la Confederation du Rhin, et Son Altesse Serenissime le Due de Holstein-Oldenbourg, Voulant regier ce qui conceme Tadmission de Son Altesse Serenissime dans la | Confederation du Rhin, ont nomme pour leurs plenipotentiaires, savoir: Sa Majeste l'Empereur des Fran9ais, Roi d'Italie, Protecteur de la | Confederation du Rhin le Sieur Jean Baptiste de la Bemardiere, chef de la | Division politique du Nord au Ministere des Relations Exterieures, membre de la | [Bl. 2] legion d'honneur ; Et Son Altesse Serenissime le Due de Holstein-Oldenbourg, | Son Conseiller prive et Ministre Hans Detlef Baron de Hammerstein, | Lesquels apres avoir echange leurs pleinspouvoirs, sont convenus de ce qui suit: Article 1'' Son Altesse Serenissime le Due de Holstein-Oldenbourg accede en sa | qualite de Prince regnant de Lubec, et comme Administrateur regnant du Duche | d'Oldenbourg au Traite de confederation et d'alhance conclu ä Paris le 12. Juillet | 1806, et par son accession il entre dans tons les droits et dans toutes les obligations de | I'alliance, de la meme maniere que s'il eüt ete partie contractante au dit Traite. Article 2. Son Altesse siegera dans le College des Princes et son rang | dans ce College sera determine par la Diete. Article 3. II ne pourra sans le consentement prealable de la Confederation du Rhin etre | dans aucun cas, et pour quelque raison que ce puisse etre, donne passage par les | Etats de Son Al-

Nebst Ratifizierungserklärung Napoleons vom 27. Oktober 18

[15] Akzessionsvertrag von Erfurt vom 14. Oktober 1808

543

tesse Serenissime ä aucune troupe, ä aucun Corps ou detachement | de troupes d'aucune puissance etrangere ä la dite confederation. Article 4. L'exercice du Culte Catholique sera dans toutes les possessions de Son Altesse | Serenissime pleinement assimile au Culte Lutherien, et les Sujets des deux Religions | y jouiront Sans restrictions des memes droits civils et politiques, sans cependant | deroger ä la possession et jouissances actuelles des biens des Eglises. Article 5. Sa Majeste Imperiale et Royale declare, que par Particle 5. du | Traite de Fontainebleau Elle n'a entendu ceder au Roi de Hollande, que les | droits de Souverainete du Comte de Bentinck, n'ayant voulu porter aucune | atteinte ä ceux qui pouvaient appartenir ä Son Altesse Serenissime le | [Bl 3] Due de Oldenbourg. Article 6. Son Altesse Serenissime, vu la position de Son Duche sur la mer et I'etendue | des cotes qu'elle a ä garder, foumira pour le cas de guerre un contingent de huit cents | hommes d'Infanterie. Le present Traite sera ratifie, et les Ratifications en seront Echangees | ä Paris dans le delai d'un mois, ou plutot si faire se pent. Fait double ä Erfurt le quatorze Octobre mil huit-cent-huit. Signe: J. B. la Bemadiere H. D. B. de Hammerstein. Avons approuve et approuvons le Traite ci-dessus en tous | et chacun des Articles qui y sont contenus, declarons qu'il est accepte, ratifie | et confirme et promettons qu'il sera inviolablement observe. En foi de quoi Nous avons donne les presentes, signees | de notre main, contre-signees et munies de notre Sceau Imperial. A Paris le 27. Octobre 1808, de notre regne le 6. Napoleon Le Ministre des | Relations Exterieur | Champagny Par I'Empereur: | Le Ministre Secretaire d'Etat | Huguet B. Mares. Vu par Nous Vice-Grand-Electeur, | Grand Chambellan, faisant les fonctions | d'ArchiChancellier d'Etat. I Charles Maurice.^

Die anbeigefügte Herzogliche Verfügung vom 14. April 1809 {Quelle: Niedersächsisches Staatsarchiv in Oldenburg, Best. 35 Nr. 7b [handschriftlich]): Die zu Erfürth unter dem 14 October v. J. | zwischen den dazu von Kaiserl. Französischer und | von Unserer Seite ernannten Bevollmächtigten | abgeschlossene Convention, wegen Unsers Beytritt | zum Rheinischen Bunde, und zwar des mit der zu | Paris unter dem 27. Octbr. v. J. vollzogenen Ra= I tification S- Majestät des Kaisers von Frank= | reich, Königs von Italien und Protectors der Rhei= I nischen Confederation versehene Exemplar, wird | hineben in originali Unserer Regierungs= I Canzlei mit dem Auftrage zugefertiget, diese Ur= | künde in dem Landes Archiv niederzulegen und I von dem darüber abzuhaltenden Protokoll eine | beglaubigte Abschrift bey Uns einzureichen. I Zugleich wird Unserer Regierungs=Canzlei die Abschrift der unter dem 25. Octbr. v. J. vollzogenen Ratification zu demselben | Endzwecke zugefertigt. Auf dem Schlosse zu Oldenburg, den 14 April 1809 Ad mandatum August H. D. Frh. V. Hammerstein

544

§ 2: Rheinbund

[Dok. 4 - 30]

Deutsche Übersetzung des Vertrages in Anlehnung an P. A. Winkopp (Hrsg.): Die Rheinische Konföderations-Akte, Frankfurt am Mayn 1808:^ Napoleon von Gottes Gnaden und durch die Konstitution Kaiser der Franzosen, König von Italien und Beschützer des rheinischen Bundes. Nachdem Wir den Traktat eingesehen und erwogen haben, welcher zu Erfurt am 14. Oktober 1808 durch den Herrn J. B. de la Bemadiere, Leiter der Abteilung „Nördliche Politik" im Ministerium der auswärtigen Angelegenheiten, Kraft der von Uns in dieser Hinsicht ihm ertheilten Vollmacht mit dem Herrn Hans Detlef Baron von Hammerstein, Geheimrat und Minister I. H. D. dem Herzoge von Holstein-Oldenburg, gleichfalls mit Vollmachten versehen, abgeschlossen, festgesetzt und unterzeichnet worden ist, und welcher seinem ganzen Inhalte nach folgendermaßen lautet: Da Se. Majestät der Kaiser der Franzosen, König von Italien, Beschützer des rheinischen Bundes und Se. H. D. der Herzog von Holstein-Oldenburg festsetzen wollen, was den Beitritt Ihrer besagten Hoheit zum rheinischen Bunde betrifft, so haben Sie zu Ihren bevollmächtigten Ministem ernannt, nämlich: Ihre Majestät der Kaiser der Franzosen und König von Italien, Beschützer des rheinischen Bundes den Herrn Jean Baptiste de la Bemardiere, Leiter der Abteilung „Nördliche Politik" im Ministerium der auswärtigen Angelegenheiten, Mitglied der Ehrenlegion, und I. H. D. der Herzog von HolsteinOldenburg Herrn Hans Detlef Baron von Hammerstein, Mitglied des Hofrats und Minister, welche nach ausgewechselten beiderseitigen Vollmachten, über folgendes überein gekommen sind: Art. 1. I. H. D. der Herzog von Holstein-Oldenburg treten dem zu Paris am 12. Julius 1806 abgeschlossenen Verbindungs- und Vereinigungstraktat bei, und durch diesen Beitritt treten sie in alle Rechte und Verbindlichkeiten dieses Verbindungs- und Vereinigungstraktats, so, als wenn sie kontrahierende Teile des benannten Traktats gewesen wären. Art. 2. ^I. H. D. wird in dem Fürstenkollegio Sitz nehmen. ^Ihr Rang in diesem Kollegio wird durch die allgemeine Versammlung geregelt werden. Art. 3. Ohne vorgängige Einwilligung des rheinischen Bundes soll in keinem Falle und aus welcher Ursache heraus es auch sein möge, keinen fremden Truppen oder Detaschements fremder nicht in diesem Bunde sich befindender Mächte, der Durchmarsch durch die herzoglichen Lande verstattet werden. Art. 4. Die Ausübung des katholischen Gottesdienstes soll in allen Besitzungen I. H. D. dem des lutherischen gleich gestellt werden und die Untertanen beider Religionen sollen ohne Einschränkung gleiche Civil- und politische Rechte genießen, ohne daß jedoch dem gegenwärtigen Besitz und der Benutzung der Kirchengüter Abbruch geschähe. Art. 5. Ihre kaiserliche und königliche Majestät erklären, daß Sie durch Art. 5 des Vertrages von Fontainebleau nur einverstanden war, dem König von Holland die Rechte der Souveränität des Grafen von Bentinck zu überlassen, sie hatten keine Verletzung derjenigen Rechte beabsichtigt, die I. H. D. dem Herzog von Oldenburg zugehören können. Art. 6. I. H. D. wird in Anbatracht der Lage Ihres Herzogtums am Meer und der Ausdehnung der Küsten, welche sie zu überwachen hat, für den Fall des Krieges ein Kontingent von 800 Mann Infanterie zu stellen. Der gegenwärtige Traktat soll genehmigt und die Ratifikationen in Paris iimerhalb von einem Monat ausgewechselt werden. Doppelt ausgefertigt in Erfiirt am 14. Oktober 1808. Unterzeichnet: J. B. la Bemadiere. H. D. B. de Hammerstein.

Da dieser Vertrag im französischen Original - abgesehen von den jeweiligen Spezifika der deutschen Staaten (Fürsten) - identisch ist mit den als Dok. 7 - 1 2 abgedmckten Vertragstexten, wurde hier insoweit auf die zu diesen Texten jeweils vorliegende Winkopp'sche Übesetzung zurückgegriffen und auf eine „modem(isiert)e" Übersetzung verzichtet.

[16] Allianzvertrag von Ried vom 8. Oktober 1813

545

So haben wir genehmigt und genehmigen vorstehenden Vertrag in allen und jeden Artikel, welche darin enthalten sind, erklären, daß derselbe angenommen, ratifiziert und bestätigt sei, und versprechen, daß derselbe unverbrüchlich gehalten werden solle, Zu dessen Beglaubigung haben Wir gegenwärtige von Uns eigenhändig unterzeichnete auch kontrasignierte und mit Unserm kaiserlichen Siegel versehene Urkunde erteilt. Paris am 27. Oktober 1808, in Unserem sechsten Regierungsjahr. Napoleon. Der Minister der auswärtigen Verhältnisse: Champagny. Auf Befehl des Kaisers: Der Minister Staatssekretär Huguet B. Marcs.

[16] Allianzvertrag von Ried (Österreich ./. Königreich Bayern) vom 8. Oktober 1813 Vgl dazu in „Teil 1: Historische Einführungen" die Darstellung unter [28.]. Quelle: Haus-, Hof- und Staatsarchiv Wien, AUR 1813 X 8 - unpaginiert (handschriftliche Ausfertigung der bayerischen Vertragsurkunde - französischer Text)^. Sonstige Fundstellen: Bayerisches Hauptstaatsarchiv München, Bayern Urkunden 1578, Bl. Iv. - 5v. (handschriftliche Ausfertigung der österreichischen Vertragsurkunde - französischer Text);'' Königlich-Baierisches Regierungsblatt, (61. Stück vom 13. November) 1813, Sp. 1394-1408 (franz./dt Text [ohne gesonderte Geheimartikel]); F. Martens, Supplement au Recueil des Principaux Traites, Bd. V (1808 - 1814 Avril inclusiv), 1817, S. 391 - 393 (französischer Text); P. A. G. Meyer, Corpus Juris Germaniae Confoederationis oder Staatsacten für Geschichte und öffentliches Recht des Deutschen Bundes (CJCG), Teil I (Staatsverträge), 3. Aufl., 1858, S. 217 f. (französischer Text). [Bl. Iv.J Nous Maximilien Joseph, | par la grace Dieu, Roi de Baviere, Savoir faisons ä qui Sa Majeste l'Empereur d'Autriche, | Roi de Hongrie et de Bohemeune convention preliminaire dont la teneur Sensuit:*^ Au nom de la tres-Sainte et indivisible Trinite. Sa Majeste le Roi de Baviere et Sa Majeste l'Empereur d'Autriche, Roi de Hongrie et de I Boheme animes d'un egal desir de retablir des rapports que des circonstances malheureuses | avoient rompus, et assures que Leur union la plus intime devra essentiellement contribuer au bien etre des | Leurs Etats; et Sa Majeste le Roi de Baviere ayant acquis la conviction, que les efforts faits par les | Puissances alliees pour faire cesser les malheurs de la guerre, ont ete infructueux; s'etant decide en consequence | ä s'unir d'intentions avec les Puissances engagees dans la presente guerre contre la France, et ä concourir | avec Elles, par tous les moyens en Son pouvoir, au but du retablissement d'un equilibre entre les Puissances, I propre ä assurer ä I'Europe un etat de paix veritable ont nomme, pour arreter les Nebst Ratifizierungserklärung von Maximilian Joseph vom 12. Oktober 1813. Nebst Ratifizierungserklärung von Franz I. vom 21. Oktober 1813. Präambel der österreichischen Vertragsurkunde: [BL Iv.J Nos Franciscus Primus | Divina Favente dementia |Austriae Imperator | Hierosolymae, Hungariae, Bohemiae, Dalmatiae, | Croatiae, Slavoniae, Galiciae et Lodomeriae Rex; Ar= | chidux Austriae; Lotharinquiae, Wirceburgi din Fran= | conia Dux; Magnus Princeps Transilvaniae; Mar= | chio Moraviae; Dux Styriae, Carinthiae, superioris et I inferioris Silesiae; Comes Habsburgi etc: etc: Notum testumque omnibus et singulis | quorum interest, tenore praesentium facimus: Posteaquam a Nostro et Serenissimi ac Potentis, | simi Bavariae Regis Plenipotentiario, ad obtinen, | dam e hello adversus Imperatorem Gallorum suscepto | junctis mutuo viribus firmam ac stabilem pacem, ami= | citiae et unionis Foedus inter Utrumque Nostrum | [Bl. 2v.J die octava Mensis Octobris Anni currentis initum | ac signatum fuit, cujus tenor hie sequitur.

546

§ 2: Rheinbund

[Dok. 4 - 30]

preliminaires d'une | alliance, savoir: Sa Majeste le Roi de Baviere, Son Exellence Charles Philippe Comte de Wrede, General I de Cavalerie; Membre de la section de la guerre du Conseil d'Etat, Grand Cordon des Ordres militaire et | civil da la Couronne de Baviere, Grand Officier de la legion d'honneur de France. Sa Majeste TEmpereur d'Antriebe, Roi de Hongrie et de Boheme, Son Altesse le | Prince Henri XV. de Reuss Plauen, Grand croix de 1'ordre imperial de Leopold, Chevalier de rordre | [Bl Ir.] militaire de Marie-Therese et de celui de Sl Hubert de Baviere, General de Cavalerie de ses | armees, Proprietaire d'un regiment d'Infanterie ä Son service. Lesquels apres avoir echange leurs pleinspouvoirs sont convenus des articles suivants: Article premier. A partir du jour de la signature du present acte, il y aura paix et amitie entre Leurs | Majestes, le Roi de Baviere, et I'Empereur d'Antriebe, Roi de Hongrie et de Boheme, Leurs | heritiers et successeürs, Leurs Etats et Sujets, ä toute perpetuite, et les rapports de commerce et I autres, entre les deux Etats seront retablis tels qu'ils existaient avant la guerre. Article deuxieme ^L'alliance entre les deux hautes parties contractantes aura pour but la cooperation la | plus active des deux puissances pour le retablissement d'un ordre des choses en Europe qui assure | ä toutes I'independance et leur tranquillite future. "^La Baviere en consequence se degage des liens | de la Confederation du Rhin, et Elle joindra immediatement ses armees ä Celles des Puissances alliees. Article troisieme Par suite de Particle precedent les hautes parties | contractantes sont con venues de s'aider | avec tous les moyens que la providence a mis ä leur disposition, et ä ne poser les armes que d'un | commun accord. Article quartrieme Sa Majeste I'Empereur d'Autriche garantit, tant en Son nom qu'au nom de Ses | alhes ä Sa Majeste le Roi de Baviere la jouissance libre et paisible, ainsi que la | Souverainete pleine et entiere de tous les Etats, villes, domaines et forteresses dont Elle | se trouvait en possession avant le commencement des hostilites. [Bl 2vJ Article cinquieme ^L'armee Bavaroise fera partie de la grande armee Autrichienne et alliee. "^Elle sera sous I le commandement du General en chef de cette armee, et sous les ordres immediats d'un General | Bavarois. ^Elle ne pourra etre separee ni disseminee, mais restera constamment unie en Corps, | agissant sous ses propres officiers, et soumise pour la discipline et reconomic ä ses | reglemens particuliers. "^Si la defense de sa propre patrie rendait son secours necessaire, | eile pourra y entrer sans difficulte. Article sixieme L'armee Bavaroise et I'armee Autrichienne commenceront ä cooperer ä dater de la | ratification du present Traite. Article septieme Les trophees, butin et prisonniers faits sur I'ennemi appartiendront aux troupes qui les auront pris.

[ 16] Allianzvertrag von Ried vom 8. Oktober 1813

547

Article huitieme Les hautes puissances contractantes procederont immediatement ä la negociation | d'un Traite formel d'alliance. Article neuvieme Elles se reservent egalement la faculte de conclure une Convention de Cartel ä la suite | du present Traite. Article dixieme Les deux hautes parties contractantes s'engagent formellement ä n'entrer dans aucun | arrangement ou negociation pour la paix que d'un commun accord et Elles se promettent, | [Bl. 2rJ de la maniere la plus solemnelle de n'ecouter aucune insinuation ou proposition qui Leur | serait adressee directement ou indirectement par le Cabinet fran^ais sans se la communiquer | reciproquement. Article onzieme Le present Traite sera ratifie par Sa Majeste le Roi de Baviere et par Sa | Majeste Imperiale et Royale apostolique et les ratifications en seront echangees dans l'espace | de huit jours ä compter du jour de la | signature, ou plus tot si faire se peut. En foi de quoi Nous Soussignes, en vertu de Nos pleinspouvoirs, avons signe | le present Traite, et y avons appose le cachet de Nos armes. Fait ä Ried le huit du mois Octobre l'tu mil huit cent treize. L. S. /signe/ Graf von Wrede. L. S. /signe/ Henrich des XV- Prinz Reuß. Articles separes et secrets. Le but des Puissances en guerre contre la France ne pouvant etre atteint et les heureux | resultats de leurs efforts ne pouvant etre assures que par une juste repartition des forces res= I pectives des Puissances, et par I'etablissement de Leurs limites sur des bases naturelles et recipro= | quement convenables, Leurs Majestes le Roi de Baviere et I'Empereur d'Autriche voulant I ecarter d'avance toutes les difficultes, qui dans I'application de ce principe ä I'epoque de la paix | pourrraient se presenter entre Elles, sont convenus des arrangemens suivans; savoir: Article r . Les deux hautes puissances contractantes regardent comme un des objets principaux de | leurs efforts dans la guerre actuelle la dissolution de la confederation du Rhin et I'independance | entiere et absolue de la Baviere, de sorte que degagee de tout lien et placee hors toute in= | fluence etrangere, Elle jouisse de la plenitude de Sa Souverainete. [Bl. 3vJ Article 2. Sa Majeste le Roi de Baviere se pretera ä toutes les cessions qui seront jugees | necessaires pour assurer aux deux etats une ligne militaire convenable. Article 3. ^Sa Majeste I'Empereur d'Autriche, s'engage en retour pour Elle meme et de concert | avec ses allies ä employer Son intervention la plus efficace et s'il en est besoin, toutes Ses forces ä | I'effet de procurer ä Sa Majeste le Roi de Baviere I'indemnite la plus complette et calculee sur | les proportions geographiques, statisques et fmancieres des provinces cedees. ^La dite indemnite | devra etre ä la bienseance du Royaume de Baviere et de maniere ä former avec lui un con= | tigu complet et non interrompu.

548

§2: Rheinbund

[DoL4-30]

Article 4. ^La situation geographique des deux Etats exigeant une nouvelle demarcation entr' eux Sa I Majeste Imperiale et Royale Apostolique promet, de concert et sous la garantie des puissances | allies, ä Sa Majeste Bavaroise une indemnite pleine et entiere pour les cessions qu'en suite | de ce principe la Baviere serait dans le cas de faire ä TAutriche. ^Tout changement dans | l'etat de possession actuel de la Baviere est toutefois expressement reserve ä l'epoque de la | pacification fiiture, et ne pourra avoir lieu que par un arrangement de gre ä gre entre les | deux Puissances. Article 5. ^Quoique Sa Majeste I'Empereur d'Autriche et Sa Majeste le Roi de Baviere ayent | consacre au soutien de la cause qu'ils defendent, la totalite de leurs forces, lis prennent encore ren= I gagement formel de maintenir leurs armees au plus grand complet pendant toute la duree de la | [Bl 3rJ guerre actuelle; cependant, pour preciser davantage leurs engagemens ä cet egard, lis pro= | mettent de tenir chacun constamment en Campagne, savoir: ^Sa Majeste I'Empereur d'Autriche | pour le moins Cent cinquante mille hommes et Sa Majeste le Roi de Baviere pour le | moins trente six mille hommes, les gamisons des places de rInterieur non comprises, et d'aug= | menter le nombre en autant que leurs moyens le permettront. Article 6. Les haute parties contractantes se reservent de convenir le plutot que faire se pourra, | des arrangemens militaires detailles que pourrait exiger la cooperation de I'armee Bavaroise avec I I'armee Autrichienne. Article 7. ^Les operations militaires exigeant que le Tirol soit ouvert aux troupes autrichiennes Sa | Majeste le Roi de Baviere n'y mettra aucun obstacle et promet d'y traiter les dites troupes comme | les siennes propres, et de leur preter tout secours necessaire pour atteindre le but devenu desor= | mais commun entre les haute Puissances contractantes. "^Si par suite de circonstances inattendues | I'armee passait de I'offensive ä la defensive, Sa Majeste le Roi de Baviere dans le cas | que Ses troupes ne fiissent pas ä portee de defendre le Tirol Bavarois, ne mettra aucun | obstacle que celles de Sa Majeste I'Empereur d'Autriche se portent partout 0Ü les interets | de la Baviere 1'exigent, en observant les stipulation particuheres dont on est convenu ä | cet egard. Article 8. En consequence de I'union intime de principes et d'intentions qui regne entre les Puissance I alliees, Sa Majeste I'Empereur d'Autriche prend sur Elle de promettre en leur nom que du I moment ou le present traite aura recu sa sanction, les hostilites cesseront entre les troupes | [BL 4vJ alHees et celles de Sa Majeste le Roi de Baviere, Sa Majeste Imperiale et Royale Apostolique est egalement prete ä interposer Ses bons | offices aupres de Leurs Majestes I'Empereur de Russie et le Roi de Prusse pour facihter | la restitution reciproque des prisonniers faits sur I'armee Bavaroise par les Puissances | aUiees.

Article 9. Dans le cas que Sa Majeste le Roi de Baviere desirerait I'entremise des bons offices de | I'Autriche, pour faciliter un arragement avec I'Angleterre, I'Autriche est prete ä les faire | valoir aupres cette puissance.

[ 16] Allianzvertrag von Ried vom 8. Oktober 1813

549

Article 10. Sa Majeste l'Empereur d'Autriche prend egalement 1'engagement de faire acceder Leurs | Majestes l'Empereur de Russie et le Roi de Pmsse par un acte formel d'adhesion et de I garantie aux articles tant patents que secrets du present Traite. Article 11. Les articles ci-dessus auront le meme force et valeur que s'ils etaient inseres dans le Traite | patent. En foi de quoi Nous Soussignes, en vertu de nos pleinspouvoirs, les avons signes et | munis du cachet de nos armes. Fait ä Ried le 8. Octobre 1813. L. S. /signe/ Graf von Wrede. L. S. /signe/ Heinrich der XV^. Prinz Reuß. Articles Secrets additionnels. Article l"''. ^Sa Majeste l'Empereur d'Autriche pour donner ä Sa Majeste le Roi de Baviere | [Bl 4r.] une preuve particuliere de sa confiance joindra une partie des ses troupes ä l'armee Bavaroise | commandee par le General de Cavalerie Comte de Wrede, specialement nomme au commandement | en chef de ces deux corps combines en vertu de cet article. '^Si le dit commandement venait ä vacquer, | il y serait pourvu par un officier general de l'une ou de r autre armee suivant que les parties con= | tractantes en conviendront entr'elles le jugeaient de l'interet de leur service. ^Dans le cas d'une | absence momentanee du General en Chef, aussi bien que dans les detachements mixtes on suivra | pour le commandement 1'ordre de l'anciennete. Article 2. Leur le tenire que les troupes de trouveront reunies conformement ä 1'article precedent, les I hautes parties contractantes sont convenues de modifier 1'article patent sept de maniere que les | trophees, butin, et prisonniers faitre par les troupes composant la dite armee, soient partages | en deux parties egales entr'elles. Article 3. Leur ce qui conceme l'entre lien des troupes Autrichiennes reunies ä l'armee Bavaroise, I la disposition des hopitaux et autres objets d'economic militaire, les Soussignere sont con= | venus d'un arrangement, auquel on se rapporte. Fait ä Ried le 8 Octobre 1813. L. S. /signe/ Graf von Wrede.

L. S. /signe/ Heinrich der XV". Prinz Reuß.

Nous anime du desir d'affermir et de resserer de plus en plus les liens de l'union | et de la bonne intelligence qui se trouvent par la si heurensement etablis entre les | deux Couronnes, avons pour agreable, ratifions, confirmons en vertu des presentes | [Bl. 5vJ la dite Convention avec toutes les stipulations, actes et articles qu'elle contient, pro= | mettons de robserver Nous meme et de la faire observer dans tous les points, sans | y donner Nous meme ni souffrir qu'il y soit porte la moindre atteinte.

550

§ 2 : Rheinbund

[Dok.4-30]

En foi de quoi Nous avons signe la presente et y avons fait apposer Notre | Sceau Royal. Donne ä Munich le douze Octobre de l'an mil huit cent treize | et de Notre Regne le huitieme. Max Joseph, vdt la Comte de Montgelas. Deutsche Übersetzung des Vertrages (Königlich-Baierisches Regierungsblatt, [61. Stück vom 13. November] 1813, Sp. 1394 - 1408 [ohne gesonderte Geheimartikel]): [Sp. 1394] Präliminar=Konvenzion. Wir Maximilian Joseph, | von Gottes Gnaden König von Baiem | u. u. | Urkunden und fügen hiermit zu wissen: Nachdem den 8. dieses Monats zwischen | Uns und Seiner Majestät dem Kaiser von Oestreich, König von Ungarn und Böhmen | eine Präliminar=Konvenzion folgenden In= | haltes abgeschlossen worden ist: Im Namen der heiligen und un= | theilbaren Dreifaltikgkeit: Da seine Majestät der König von Baiem | und seine Majestät der Kaiser von Oestreich, | König von Ungarn und Böhmen, gleich be= | [Sp. 1396] seelt von dem Wunsche zur Wiederherstellung | der Verhältnisse, welche durch unglückliche | Ereignisse waren unterbrochen worden, die | Ueberzeugung hegen, daß die engste Verbin= | dung unter Ihnen das Wohl Ihrer Staaten | wesentlich befördern wird, und Seine könig= | liehe Majestät von Baiem nach erhaltener | Gewissheit, daß die Bemühungen der alliir= I ten Mächte, den Uebeln des Krieges ein Ziel | zu sezen, ohne Erfolg geblieben sind, sich | entschlossen haben, zu gleichem Zwecke sich | mit den in dem gegenwärtigen Kriege gegen | Frankreich begriffenen Mächten zu verbinden, | und in Vereinigung mit Denselben alle in | Ihrer Macht stehenden Mittel aufzubieten, um die Herstellung eines Gleichgewichtes un= | ter den Mächten zu bewirken, welches geeig= I net sey, Europa einen dauerhaften Frieden | zu versichem - so haben Allerhöchstdieselben I zur Feststellung der Präliminar=Artikel einer | Allianz, folgende Bevollmächtigte emannt, | nämhch: Seine königliche Majestät von Baiem | Seine Excellenz den Grafen Karl Philipp | von Wrede, Allerhöchst Ihren General | [Sp. 1398] der Kavallerie, wirklichen geheimen Rath in Kriegssachen, Großkreutz des baierischen | Militär= und des Zivil=Verdienstordens, | Großoffizier der französischen Ehrenlegion; Seine Majestät der Kaiser von Oestreich | König von Ungarn und Böhmen, Seine | Durchlaucht den Prinzen Heinrich XV. von | Reuß=Plauen, Großkreutz des kaiserlichen | Leopold=Ordens, Ritter des militärischen | Marien=Theresien=Ordens und des baierischen | Hubertus=Ordens, General der Kavallerie I Allerhöchst Ihrer Armeen, Inhaber eines | Infanterie=Regimentes; welche nach Auswechslung ihrer Voll= | machten über folgende Artikel übereingekom= | men sind: Art. I. Von dem Tage der Unterzeichnung des | gegenwärtigen Vertrages an gerechnet, wird | Friede und Freundschaft zwischen Ihren Ma= | jestäten dem Könige von Baiem, und dem | Kaiser von Oestreich, König von Ungam | und Böhmen, Ihren Erben und Nachfol= | gem, Ihren Staaten und Unterthanen für | [Sp. 1400] alle künftigen Zeiten bestehen, und die Han= | dels= und andere Verhältnisse zwischen den | beiderseitigen Staaten sollen auf den Fuß | hergestellt werden, wie sie vor dem Kriege | bestanden haben. Art. II. ^Die Allianz zwischen den beiden hohen | kontrahirenden Theilen wird die thätigste | Mitwirkung der beiden Mächte zu der Her= | Stellung einer Ordnung der Dinge in Europa | zum Zwecke haben, welche allen die Unab= | hängigkeit und ihre künftige Ruhe sichert. | ^Baiem entsagt demnach der Verbindung mit I der Rheinischen Konföderazion, und wird | unverzüglich seine Armeen mit jenen der alli= I irten Mächte vereinigen. Art. III. In Folge des vorigen Artikels sind die | hohen kontrahirenden Theile übereingekom= | men, sich mit allen Hilfsmitteln zu unter= | stüzen, welche die Vorsehung in ihre Hände | gelegt hat, und die Waffen nicht anders | niederzulegen, als mit wechselseitigem Ein= | Verständnisse.

[ 16] Allianzvertrag von Ried vom 8. Oktober 1813

551

[Sp.l402] Art. IV. Seine Majestät der Kaiser von Oestreich | garantiert sowohl in Seinem Namen als im | Namen Seiner Alliirten Seiner Majestät | dem Könige von Baiem den freien und ru= | higen Besiz, so wie die volle Souveränität | über alle Staaten, Städte, Domainen und | Festungen, in deren Besiz Seine Majestät | sich vor dem Anfange der Feindseligkeiten | befunden hat. Art.V. ^Die baierische Armee soll einen Theil der | großen östereichischen und alliirten Armee ausmachen. ^Sie wird unter dem Befehle | des Ober=Generals dieser Armee, und un= | ter dem unmittelbaren Kommando eines baie= | rischen Generals stehen. ^Sie soll weder | getrennt noch vereinzelt werden dürfen, son= | dem beständig in einem Korps vereinigt blei= | ben, unter ihren eigenen Offizieren stehen, I und in Ansehung der Disziplin und Oeko= | nomie ihren eigenen Vorschriften unterwor= | fen bleiben. "^Wenn die Vertheidigung des | eigenen Vaterlandes ihre Hilfe erfordern sollte, | so wird sie ohne Hindemiß dahin zurückkeh= | ren können. [Sp. 1404] Art. VI. Die baierische und östreichische Armee | werden von dem Tage der Ratifikazion des | gegenwärtigen Trakrates anfangen gemein= | schaftlich zu wirken. Art. VII. Die dem Feinde abgenommenen Sieges= | Zeichen, Beute und Gefangene sollen denje= | nigen Truppen angehören, welche sie erobert | haben. Art. VIII. Die hohen kontrahirenden Theile werden | unmittelbar zur Abschliessung eines förmlichen | Allianz=Trakrates in Unterhandlung treten. Art. DC. Allerhöchstdieselben behalten sich gleichfalls | vor, in Folge des gegenwärtigen Traktates | eine Militär=Kartel=Konvenzion abzuschlies= | sen. Art. X. Die beiden hohen kontrahirenden Theile | machen sich wechselseitig verbindlich, sich in | keine Uebereinkunft oder Unterhandlung über | den Frieden einzulassen, ausgenommen mit | beiderseitigem Einverständnisse, und Sie ver= | sprechen sich auf das feierlichste, keiner Er= | [Sp. 1406] Öffnung und keinem Vorschlage Gehör zu | geben, welcher ihnen mittelbar oder unmit= | telbar von dem französischen Kabinette gemacht | werden sollte, ohne sich denselben wechselseitig | mitzutheilen. Art. XI. Der gegenwärtige Traktat wird von Seiner | Majestät dem Könige von Baiem und Seiner | kaiserlich königlich apostolischen Majestät rati= | fizirt, und die Ratificationen innerhalb 8 Tagen von dem Tage der Unterzeichnung an gerech= | net, oder wenn es möglich ist, noch früher | ausgewechselt werden. Zu Urkunde dessen haben Wir Endes Un= | terschriebene in Kraft Unserer Vollmacht den | gegenwärtigen Trakrat unterzeichnet, und | demselben Unsere Siegel beigedmckt. Geschehen zu Ried den 8. Oktober 1813. (L. S.) I Graf von Wrede. (L. S.) | Heinrich XV. Prinz Reuß [Sp. 1408] So genehmigen Wir, beseelt von dem | Wunsche, die Bande der Einigkeit und des | guten Vemehmens zu befestigen und enger | zu knüpfen, welche dadurch so glücklich unter | den beiden Kronen hergestellt worden sind, | ratifiziren und bestätigen hiemit die erwähnte | Konvenzion in allen ihren Bestimmungen, I Anordnungen und Artikeln, versprechen, sie | Selbst zu beobachten, und in allen Punkten I beobachten zu lassen, ohne sie Selbst zu ver= | lezen, oder die mindeste Verlezung derselben | zu gestatten. Zu Urkunde dessen haben Wir gegenwärtige | Uebereinkunft unterzeichnet, und derselben | Unser königliches Insiegel beidmcken lassen. Gegeben zu München den 12. Oktober | des Jahres 1813 und Unserer Regiemng | des 8ten. Unterzeichnet: Max Joseph. Graf von Montgelas. (Nachfolgende Übersetzung der Geheimartikel erfolgt durch den Herausgeber^) Unter Mitarbeit von Jerome Germain und Süleyman Kolcu.

552

§ 2: Rheinbund

[Dok. 4 - 30]

Gesonderte Geheimartikel Da das Ziel der Mächte im Krieg gegen Frankreich nur erreicht werden kann und die glücklichen Resultate ihrer Bemühungen nur gesichert werden können durch eine gerechte Aufteilung der jeweiligen Kräfte der Mächte und durch deren Beschränkungen, und da Ihre Majestäten, der König von Bayern und der Kaiser von Österreich, im voraus alle Schwierigkeiten beseitigen wollen, die in Friedenszeiten in der Anwendung dieses Prinzips unter einander auftauchen könnten, sind sie über folgende Vereinbarungen übereingekommen; das heißt: Artikel 1 Die kontrahierenden hohen Mächte betrachten als eines der Hauptziele ihrer Bemühungen in dem gegenwärtigen Krieg die Auflösung des Rheinbundes sowie die vollständige Unabhängigkeit Bayerns, so daß es gelöst von jeglichem Bande und frei von ausländischer Einwirkung die volle Souveränität genießt. Artikel 2 Seine Majestät, der König von Bayern, wird in alle Abtretungen einwilligen, die als notwendig erachtet werden, um beiden Ländern eine ausreichende militärische Verteidigung zu ermöglichen. Artikel 3 Seine Majestät, der Kaiser von Österreich, verpflichtet sich und seine Verbündeten im Gegenzug zur wirksamsten Unterstützung, und sofern erforderlich, alle seine Kräfte einzusetzen, um dafür zu sorgen, daß Seine Majestät, der König von Bayern, die vollständigste, auf die geographischen, statistischen und finanziellen Verhältnisse der abgetreten Territorien bezogene Kompensation erhält. Die besagte Kompensation soll dem Interesse des Königreichs Bayern gemäß in der Weise erfolgen, daß es ein vollständiges und ununterbrochenes Gebiet erlangt. Artikel 4 ^Da die geographische Situation der beiden Staaten nach einer neuen Grenzregelung verlangt, verspricht Seine kaiserliche und apostolische königliche Majestät unter Einbeziehung der verbündeten Mächte, Seiner bayerischen Majestät eine vollständige Kompensation für die in diesem Fall von Bayern an Österreich vorzunehmenden Abtretungen. ^Jede Änderung des derzeitigen bayerischen Besitzstandes wird indes ausdrücklich vorbehalten für die Zeit einer künftigen Friedensregelung und kann nur auf der Grundlage einer freiwilligen Vereinbarung zwischen den beiden Mächten erfolgen. Artikel 5 Obwohl Seine Majestät, der Kaiser von Österreich, und Seine Majestät, der König von Bayern, ihre gesamten Kräfte dem verfolgten Zweck bereits gewidmet haben, versprechen sie darüber hinaus feierlich, ihre Armeen beisammen zu halten, solange der gegenwärtige Krieg dauert; um jedoch dieses Versprechen diesbezüglich zu präzisieren, versichern sie, für den Feldzug jeweils folgende Truppen zu stellen: Seine Majestät, der Kaiser von Österreich, zumindest 150.000 Mann und seine Majestät, der König von Bayern, zumindest 36.000 Mann, mit Ausnahme der Garnisonen und der befestigten Plätze; zudem verpflichten sich beide zur größtmöglichen Erhöhung der Truppenstärke. Artikel 6 Die hohen kontrahierenden Parteien versprechen einander, bald möglichst detaillierte militärische Absprachen zu treffen, falls es zur Kooperation zwischen der bayerischen und der österreichischen Armee erforderlich sein sollte. Artikel 7 Da die militärischen Verhältnisse verlangen, daß Tirol den österreichischen Truppen geöffnet wird, wird Seine Majestät, der König von Bayern, dies nicht hindern und verspricht, die gesamten Truppen wie seine eigenen zu behandeln und ihnen alle notwendige Unterstützung zu geben, um das mittlerweile gemeinsame Ziel der hohen vertragsschließenden Parteien zu erreichen. Müßte wider erwarten die Streitmacht vom Angriff zur Verteidigung übergehen, würde Seine Majestät, der König von Bayern, für den Fall, daß seine Truppen das bayerische Tirol nicht verteidigen könnten, es den österreichischen Truppen nicht verwehren, sich den bayerischen Interessen gemäß überall aufzustellen, und die zu diesem Zweck vereinbarten Bestimmungen verfolgen. Artikel 8 Aufgrund der zwischen den verbündeten Mächten herrschenden Übereinstimmung versichert Seine Majestät, der Kaiser von Österreich, daß sich die Alliierten verpflichten, die Feindseligkeiten zwischen ihren und den Truppen Seiner Majestät, des Königs von Bayern, ab dem Zeitpunkt zu beenden, in dem das gegenwärtige Abkommen in Kraft tritt.

[ 16] Allianzvertrag von Ried vom 8. Oktober 1813

553

Seine kaiserliche und königliche apostolische Majestät wird sich gegenüber Seiner Majestät, dem Kaiser von Rußland, und Seiner Majestät, dem König von Preußen, gerne dafür einsetzen, für die gegenseitige Freilassung von Gefangenen, also auch derjenigen, die der bayerischen Armee angehören, zu sorgen. Artikel 9 Falls Seine Majestät, der König von Bayern, die österreichische Vermittlung wünscht, um eine Vereinbarung auch mit England herbeizuführen, ist Österreich dazu bereit. Artikel 10 Seine Majestät, der Kaiser von Österreich, verspricht femer, von Ihren Majestäten, dem Kaiser von Rußland und dem König von Preußen, durch eine schriftliche Zustimmungs- und Garantieerklärung sowohl die offiziellen als auch die geheimen Artikel des vorliegenden Abkommens akzeptieren zu lassen. Artikel 11 Die oben genannten Artikel werden die gleiche Geltung haben, als wären sie dem offiziellen Abkommen hinzugefügt worden. Urkundlich dessen haben wir, die Unterzeichnenden, auf Grund unserer Vollmachten, die Vereinbarungen unterzeichnet und das Siegel unserer Wappen aufgedrückt. In Ried geschlossen am 8. Oktober 1813. L. S. unterzeichnet: Graf von Wrede. L. S. unterzeichnet: Heinrich XV., Prinz Reuß. Ergänzungen zu den Geheimartikeln Artikel 1 ^Seine Majestät, der Kaiser von Österreich, wird, um seiner Majestät, dem König von Bayern, einen besonderen Beweis seines Vertrauens zu geben, einen Teil seiner Truppen mit denen der bayerischen Armee zusammenlegen, welche vom General der Kavallerie Graf von Wrede, welcher zum Befehlshaber dieser gemeinsamen Truppen ernannt worden ist, geführt werden. ^Wenn der genannte Befehlshaber wegfiele, würde an seine Stelle ein Offizier im Generalsrang von der einen oder der anderen Armee treten und ihn ersetzen, so wie die kontrahierenden Parteien es miteinander vereinbaren und es die dienstlichen Interessen erfordern. ^Im Falle einer vorübergehenden Abwesenheit des Oberbefehlshabers vom Gesamtkontingent sowie im Falle der Abwesenheit des Befehlshabers des gemischten Truppenkontingents bestimmt das Dienstalter die Reihenfolge der Stellvertretung. Artikel 2 Was die im vorangegangenen Artikel erwähnten gemeinsamen Truppen anbetrifft, versprechen die hohen kontrahierenden Parteien einander, den Artikel 7 (des offiziellen Vertarges) so zu ändern, daß die erbeuteten Sachen und die gemachten Gefangenen auf beide Seiten gleichmäßig aufgeteilt werden. Artikel 3 Was die Verpflegung der mit der bayerischen Armee vereinigten österreichischen Truppen, die zur Verfügungstellung von Lazaretten und von anderen militärischen Versorgungsgütem anbelangt, werden die Unterzeichnenden eine diese Punkte regelnde Vereinbarung treffen. Geschlossen in Ried am 8. Oktober 1813. L. S. unterzeichnet: Graf von Wrede. L. S. unterzeichnet: Heinrich XV., Prinz Reuß Durch den Wunsch bewegt, die Einheit und die guten Beziehungen immer mehr zu festigen und immer enger zu knüpfen, die auf so glückliche Weise zwischen den beiden Kronen entstanden sind, freuen Wir Uns mittels dieser Urkunde die vorstehenden Vereinbarungen mit ihren sämtlichen Inhalten, Akten und Artikeln mit dieser Ratifikation zu bestätigen. Femer versprechen Wir, sie einzuhalten und dafür zu sorgen, daß sie in allen Belangen eingehalten werden, ohne zu dulden, daß sie auch nur im Geringsten geschmälert werden. Urkundlich dessen haben Wir diesen Akt unterzeichnet und Unser königliches Siegel aufdrücken lassen. Gegeben zu München am 12. Oktober 1813, im achten Jahr Unserer Regiemng. Max Joseph. Vdt. Graf von Montgelas.

554

§2: Rheinbund

[Dok.4-30]

[17] Allianzvertrag von Fulda (Österreich ./. Königreich Württemberg) vom 2. November 1813 Vgl dazu in „Teil 1: Historische Einfuhrungen" die Darstellung unter [30.]. Quelle: Hauptstaatsarchiv Stuttgart, E l 00/25a, Bl. I v . - 5 v . (handschriftliche Ausfertigung - französischer Text)^. Sonstige Fundstelle: Königlich-Württembergisches Staats- und Regierungs-Blatt, (Nr. 52 vom 20. November) 1813, S. 397-402 (französisch/deutsch, ohne gesonderte Geheimartikel - gedruckt). [Bl Iv.J Nos Franciscus Primus | Divina Favente dementia |Austriae Imperator | Hierosolimae, Hungariae, Bohemiae, Dalma= | tiae, Croatiae, Slavoniae, Galiciae et Lodomeriae | Rex; Archidux Austriae; Lotharingiae, Wir= | ceburgi et in Franconia Dux; magnus Prin= | ceps Transilvaniae; Marchio Moraviae; Dux Styriae, Carinthiae, superioris et inferioris | Silesiae; Comes Habsburgi etc: etc: No tum testumque omnibus et singulis, | quorum interest, tenore praesentium facimus: Posteaquam a Nostro et a Regis Würtembergae | Majestatis Plenipotentiario ad fortiter conjunctis viribus j prosequendum contra Imperatorem Galliae bellum quo so== | [Bl. IrJ lida et stabilis in Europa pax, restabilito inter Principes | justo aequilibrio consolidetur praevia unionis et amicitae | conventio die secunda mensis Novembris delabentis anni | Fuldae confecta et signata fuit, cujus tenor hie sequitur: Au nom de lä tres-Sainte | et indivisible Trinite! Sa Majeste l'Empereur d'Autriche, Roi | de Hongrie et de Boheme, et Sa Majeste le Roi de I Würtemberg animes d'un egal desir de retablir des rapports | que des circonstances malheureuses avoient rompus, et assu= | res que Leur union la plus intime devra essentiellement | contribuer au bien-etre des Leurs Etats; et Sa Majeste | le Roi s'etant decide en consequence ä s'unir d'intentions | ayant acquis la conviction, que les | efforts faits par les Puissances alliees pour faire cesser les | malheurs de la guerre, ont ete infmctueux; s'etant decide | en consequence ä s'unir d'intentions avec les Puissances engagees dans la presente guerre | contre la France, et concourir avec Elles, par tons les | moyens en Son pouvoir, au but du retablissement d'un | [Bl. 2v.] equilibre entre les Puissances, propre ä assurer ä I'Europe un | etat de paix veritable, ont nomme pour arreter les prelimi== | naires d'une alliance, savoir: Sa Majeste l'Empereur d'Autriche, | Roi de Hongrie et de Boheme, le Sieur Clement | Wenceslas Lothaire Prince de Mettemich-Winnebourg-1 Ochsenhausen, Chevalier de la Toison d'Or, Grand Croix | de 1'Ordre Royal de S-Etienne, Chevalier des Ordres de | S- Andre, de S- Alexandre Newsky et de S- Anne de | Russie, de I'Ordre de I'Aigle-noire et de I'Aigle rouge | de Prusse, et de plusieurs autres, Chancelier de I'Ordre | militaire militaire de Marie-Therese, Curateur de 1'Academic | Imperiale des beaux-Arts, Chambellan, Conseiller intime | actuel, Ministre d'Etat, des Conferences et des affaires | etrangeres de Sa Majeste Imperiale et Royale Apos=^ | tohque; Et Sa Majeste le Roi de Würtemberg, le | Sieur Ferdinad Comte de Zeppelin, Chevalier Grand | [Bl. 2r.J General de Cavalerie, | Membre de la Section de la guerre de son Conseil d'Etat, Grand | Croix des Ordres de Würtemberg et de ceux de l'Aigle-noire | et de l'Aiglerouge de Prusse, Minister d'Etat, du Ca= | binet et des relationes exterieures de Sa Majeste le Roi I de Würtemberg;

Nebst Ratifizierungserklärung von Franz I. vom 14. November 1813.

[ 17] Allianzvertrag von Fulda vom 2. November 1813

555

Lesquels, apres avoir echange leurs pleins-pouvoirs, | sont convenus des Articles suivants: Art. 1. A partir du jour de la signature du present Acte, | il y aura paix et amitie entre Leurs Majestes l'Empereur | d'Autriche Roi de Hongrie et de Boheme, et le Roi | de Würtemberg, Leurs Heritiers et successeurs, Leurs | Etats et Sujets ä toute perpetuite; et les rapports de com= I merce et autres entre les deux Etats seront retablis tels | qu'ils existoient avant la guerre. Art. IL ^L'alliance entre les deux Hautes Parties contrac= | [Bl. 3v.J tantes aura pour but la cooperation la plus active des deux | Puissances pour le retablissement d'un ordre des choses en I Europe qui assure ä toutes I'independance et leur tranquillite | future. "^La Würtemberg en consequence se degage des liens | de la Confederation du Rhin, et joindra immediatement ses | armees ä celles des Puissances alliees. Art. IIL Par suite de 1'Article precedent, les Hautes Parties | contractantes sont convenues de s'aider avec tons les moyens | que la Providence a mis ä Leur disposition, et ä ne pas poser, I les armes que d'un commun accord. Art. IV. Sa Majeste l'Empereur d'Autriche garantit, | tant en Son nom qu'au nom de Ses Allies, ä Sa Majeste | le Roi de Würtemberg la Souverainete et la jouissance libre | [BL 3r.J et paisible de ses Etats. Art.V. ^L'armee Würtembergoise fera partie de la grande armee | Autrichienne et Alliee. "^Elle sera sous le commandement du | General en Chef de cette armee, et sous les ordres immediats I d'un General Würtembergois; eile restera constamment unie | en corps, agissant sous ses propres officiers, et soumise pour | la discipline et 1'economic ä ses reglemens particuliers. Art. VI. Les trophees, butin et prisonniers faits sur I'ennemi | appartiendront aux troupes qui les auront pris. Art. VII. Les Hautes Parties contractantes procederont im= | mediatement ä la negociation d'un Traite formel d'alliance. [Bl. 4vJ Art. VIIL Elles se reservent egalement la faculte de conclure | une Convention de cartel ä la suite du present Traite. Art. IX. Les deux Hautes Parties contractantes s'engagent | formellement ä n'entrer dans aucun arrangement ou negociation | pour la paix que d'un commun accord et Elles se promettent, | de la maniere la plus solemnelle de n'ecouter aucune insinua= | tion ou proposition qui Leur seroit adressee directement ou | indirectement par le Cabinet frangais, sans se la communiquer | reciproquement.

556

§2: Rheinbund

[Dok.4-30]

Art. X. Le present Traite sera ratifie par Sa Majeste \ Imperiale et Royale Apostolique et par Sa Majeste le | fBL 4r.J Roi de Würtemberg et les ratifications en seront echangees | dans l'espace de huit jours ä compter du jour de la signature, | ou plus tot, si faire se peut. En foi de quoi nous Soussignes, en vertu de nos | pleins-pouvoirs, avons signe le present Traite prelimi= | naire d'alliance, et y avons apposer le cachet de Nos armes. Fait ä Fulda, le deux Novembre, L'An de | grace mil-huit-cent-treize. (L. S.) Le Prince de Mettemich (L. S.) Le Comte de Zeppelin. Nos visisi et perpensis omnibus et singu= | lis dictae Conventionis conditionibus, eas gratas omnino | ratasque habuimus, easque ratas et gratas habere habere hisce decla= | ramus, ac profitemur, Verbo Nostro Caesareo Regio spond= | [BL 5v.] entes, Nos ea omnia, quae in his continentur, fedeliter exe= | cutioni mandaturos esse, in quorum fidem ac robur praesen= | tes Ratihabitionis Nostrae Tabulas manu Nostra signa= | vimus, Sigilloque Nostro Caesareo Regio adpenso firmari | jussimus. Dabantur Francofurti ad Maenum die decima I quarta Novembris anno millesimo octingentesimo decimo tertio, Regnorum Nostrorum vigesimo secondo. Fransciscus Princeps a Mettemich Ad Mandatum | Sacrae Caes- ac Regia Apost- Majestatis proprium | Josephus de Hudelist. (Geheim- und Zusatzartikel) Quelle: Hauptstaatsarchiv Stuttgart, E 100 / 25b, Bl. 1 v - 4r. (handschriftliche Ausfertigung - französischer Text)^. [Bl IvJ Nos Franciscus Primus | Divina Favente dementia |Austriae Imperator | Hierosolimae, Hungariae, Bohemiae, Dalma= | tiae, Croatiae, Slavoniae, Galiciae et Lodomeriae Rex; | Archidux Austriae; Lotharingiae, Wirceburgi et in | Franconia Dux; magnus Princeps Transilvaniae; | Marchio Moraviae; Dux Styriae, Carinthiae, su= | perioris et inferioris Silesiae; Comes Habsburgi etc: etc: Notum testumque omnibus et singulis, | quorum interest, tenore praesentium facimus: Praeter Conventionem Principalem a Nos= | tro et a Serenissimi ac Potentissimi Regis Würtem= | bergae Plenipotentiario die secunda Mensis Novem=bris Anni labentis Fuldae initam, articoli secreti et se= | [Bl. Ir.J parati confeti ac signati fuerunt, quorum tenor hie se= I quitur: Articles separes et secrets du | Traite d'Alliance entre les Cours de Vienne et de | Würtemberg. Le but des Puissances en guerre contre la France | ne pouvant etre atteint et les heureux resultats de leurs efforts | ne pouvant etre assures que par une juste repartition des | forces respectives des Puissances, et par I'etablissement de | Leurs limites sur des bases naturelles et reciproquement | convenables, Leurs Majestes I'Empereur d'Autriche | et le Roi de Würtemberg, voulant ecarter d'avance toutes | les difficultes, qui dans 1'application de ce principe ä I'epoque | de la paix, pourvoient se presenter entre Elles, sont con= | venus les arrangemens suivans; savoir:

Nebst Ratifizierungserklärung von Franz I. vom 14. November 1813.

[ 17] Allianzvertrag von Fulda vom 2. November 1813

557

[Bl 2v.] Art.!. Les deux hautes Parties contractantes regardant | comme un des objets principaux de Leurs efforts dans la | guerre actuelle la dissolution de la Confederation du Rhin, | Sa Majeste le Roi de Würtemberg degage de tout lien | constitutionel etranger, jouira en consequence de tout Sa I Souverainete, sous la garantie des rapports politiques | qui devront etre la suite des arrangemens ä prendre ä | I'epoque de la paix future dans le sens de retablir et | assurer I'independance et la liberte de I'Allemagne. Art. IL Sa Majeste le Roi de Würtemberg se pretera | ä toutes les cessions qui seront jugees necessaires pour attein= | dre le but enonce dans 1'Article precedent, et fixer les rapports | geographiques, miltaires, politiques des Etats de TAllemagne | d'une maniere conforme ä ce but. Sa Majeste I'Empereur | [Bl. 3v.] d'Autriche donne neanmoins ä Sa Majeste le Roi de I Würtemberg la garantie formelle, que ces cessions ou revire= | mens ne sauroient point etre etendus ä d'anciennes posses== | sions Würtembergoises. Art. III. Sa Majeste I'Empereur d'Autriche, Roi de | Hongrie et de Boheme, s'engage en retour, pour Elle-1 meme et de concert avec ses Allies, ä procurer ä Sa | Majeste le Roi de Würtemberg, en echange des cessions | qu'EUe pourroit etre dans le cas de faire, une indemnite | aussi complete que le permettra la masse des objets dispo= | nibles ä la paix, et la plus rapprochee des dimensions | presentes du Royaume. Cette indemnite sera fixee, au= |tant que possible, a la convenance du Royaume de Wür= | temberg, et de maniere ä former avec lui un contigu complet | et non-interrompu. [BL 3rJ Art. IV. Quoique Sa Majeste L'Empereur d'Autriche | et Sa Majeste le Roi de Würtemberg aient consacre au | soutien de la cause qu'Ils defendent, la totalite de Leurs | forces, lis prennent encore 1'engagement formel, de main= | tenir Leurs armees au plus grand complet pendant la | duree de la guerre actuelle; cependant, pour preciser davan= | tage Leurs engagemens ä cet egard, lis promettent de= | tenir chacun constamment en Campagne, savoir: Sa Majeste I'Empereur d'Autriche pour le moins 150,000. | hommes, et Sa Majeste le Roi de Würtemberg pour le moins | 12,000 hommes, les gamisons des places de I'interieur non | comprises, et d'augmenter le nombre en autant que Leurs | moyens le permettront. Art.V. En consequence de I'union intime de principes et | d'intentions regne entre les Puissance alliees, Sa | [BL 4vJ Majeste L'Empereur d'Autriche prend sur Elle | de promettre en Leur nom, que du moment que le present | Traite aura recu sa sanction, les hostilites cesseront entre | les troupes AlHees et celles de Sa Majeste le Roi de | Würtemberg: Sa Majeste Imperiale et Royale | Apostolique est egalement prete ä interposer Ses bons | offices aupres de Leurs Majestes I'Empereur de Russie | et le Roi de Prusse, pour faciliter la restitution des pri= | sonniers faits sur les troupes Würtembergoises par les | Puissances alHees. Art.VL Dans le cas que Sa Majeste le Roi de Würtem= | berg desirat l'entremise des bons offices de l'Autriche pour | faciliter un arrangement avec l'Angleterre, l'Autriche est | prete les faire valoir aupres cette Puissance.

558

§2: Rheinbund

[Dok. 4 - 3 0 ]

[Bl 4r.] Art, VIL Sa Majeste l'Empereur d'Autriche prend | egalement l'engagement de faire acceder Leurs Majestes | l'Empereur de Russie et le Roi de Prusse aux articles, | tant patents que secrets, du present Traite. Art. VIIL Les articles secrets ci-dessus auront le meme force et | valeur que s'ils etoient inseres au Traite patent de ce jour. En foi de quoi nous soussignes, en vertu de nos pleins-1 pouvoirs, avons signe les presens Articles separes et secrets, et | y avons fait apposer le cachet de nos armes. Fait ä Fulde le deux Novembre, L'an de Grace, | Mil-huit-cent-treize. (L. S.) Le Prince de Mettemich (L, S.) Le Comte de Zeppelin. [gesondertes Blatt] Hos quoque secretos ac separtos Articulos attente | perlectos, ratos omnino gratosque habuimus, atque hisce ratos | gratosque habere profitemur, declarantes, eandem iis inesse | vim, ac si ipsi Tractatui inserti essent, in quorum fidem | praesentes Ratihabitionis Nostrae Tabulas manu Nostra | signavimus, sigilloque Nostro Caesareo Regio adpenso firmari | jussimus. Dabantur Francofurti ad Maenum die decima | quarta Novembris Anno millesimo octingentesimo decimo tertio, | Regnorum Nostrorum vigesimo secondo. Fransciscus Princeps a Mettemich Ad Mandatum | Sacrae Caes- ac Regia Apost- Majestatis proprium | Josephus de Hudelist. Deutsche Übersetzung des Vertrages (Königlich-Württembergisches Staats- und Regiemngs-Blatt, [Nr. 52 vom 20. November] 1813, S. 397 - 402 [ohne gesonderte Geheimartikel]): [S. 397 rechte Spalte] Allianz=Vertrag | zwischen | Sr. Majestät dem König von Würt= | temberg und Sr. Majestät dem | Kaiser von Oesterreich, König | von Ungarn und Böhmen. Wir Friderich, von Gottes Gnaden | König von Württemberg, soverai= | ner Herzog in Schwaben und von Teck etc. etc. Nachdem Wir den von dem Grafen Fer= | dinand von Zeppelin, Unserm Kammer= | herm,Staats= Conferenz= und Cabinets= | Minister, auch Minister der auswärtigen | Angelegenheiten, Gros=Kreuz Unsers gros= | sen Ordens vom goldenen Adler, Ritter der | Preussischen schwarzen und rothen Adler= I Orden, vermöge der von Uns zu diesem | Endzweck ihm verliehenen Vollmachten, mit | dem Fürsten Clemens Wenceslaus Lothar | von Mettemich=Winneburg=Ochsenhausen, | Ritter des goldenen Vließes, Groskreuz | des Königlichen St. Stephansordens, Rit= | ter der Russischen St. Andreas=, St. Ale= I xander=Newsky= und St. Annen=Orden, | [S. 398 rechte Spalte] des preussischen schwarzen Adler= und des | rothen Adler=Ordens, und mehrerer ande= | rer, Kanzler des militairischen Marien= | Theresien=Ordens, Curator der Kaiserlichen | Akademie der schönen Künste, Kammer= | herm, Staats= und Conferenz=Minister, | auch Minister der auswärtigen Angelegen= | heiten, Sr. Maj. des Kaisers von | Oesterreich, Königs von Ungarn und | Böhmen, gleichfalls mit Vollmachten ver= | sehen, zu Fulda am 2. Nov. 1813 abge= | schlossenen und unterzeichneten Vertrag ein= | gesehen und geprüft haben, welcher Ver= | trag nach seinem Inhalt also lautet: Im Namen der heiligen und untheil= | baren Dreieinigkeit! Da Se. Majestät der König von | Württemberg und Se. Majestät der | Kaiser von Oesterreich, gleich beseelt | von dem Wunsche zur Wiederherstellung | der Verhältnisse, welche durch unglückUche | Ereignisse unterbrochen worden waren, die | Ueberzeugung hegen, daß die engste Ver= | bindung unter Allerhöchstdenselben das | Wohl Ihrer Staaten wesentlich befördern | wird, und da Se. M. der König Sich I demnach entschlossen haben, Sich zu glei= | chem Zwecke mit den in dem gegenwärti= | gen Kriege gegen Frankreich begriffenen | Mächten zu verbinden, und alle in Ihrer | Macht stehende Mittel

[ 17] Allianzvertrag von Fulda vom 2. November 1813

559

aufzubieten, um in | Vereinigung mit denselben die Herstellung | eines Gleichgewichts unter den Mächten zu | bewirken, das geeignet sei, einen wahrhaf= | ten Frieden zu sichern, so haben Allerhöchst= I dieselben zur Festsetzung der Präliminar= | Artikel einer Allianz folgende Bevollmäch= | tigte ernannt, nämlich: Se. M. der König vonWürttem= | berg den Grafen Ferdinand von Zeppelin, | Groskreuz der Württembergischen Ordnen, | Ritter der Freussischen schwarzen und ro= | [S. 398 rechte Spalte] then Adler=Orden, Kammerherm, Staats= | und Conferenz=Minister und Minister der | auswärtigen Verhältnisse Sr. Maj. des | Königs von Württemberg; und Se. M. der Kaiser von Oester= | reich, König von Ungarn und Böhmen, | den Fürsten Clemens Wenceslaus Lother | von Mettemich=Winneburg=Ochsenhausen, | Ritter des goldenen Vließes, Groskreuz I des Königlichen St. Stephansordens, Rit= | ter der Russischen St. Andreas=, St. | Alexanders^ Newsky und St. Annen=Or= | den, des Freussischen schwarzen Aldler= | und des rothen Adler=Ordens, und mehre= | rer anderer, Kanzler des militärischen Ma= | rien=Theresien=Ordens, Curator der Kaiser= | liehen Akademie der schönen Künste, Kam= | merherm, Staats= und Conferenz=Minister | und Minister der auswärtigen Verhältnisse | Sr. K. K. Apostolischen Majestät; welche nach Auswechslung ihrer Voll= | machten über folgende Artikel übereinge= | kommen sind. Artikel 1. Von dem Tage der Unterzeichnung des | gegenwärtigen Vertrags an gerechnet soll | Friede und Freundschaft zwischen II MM. | dem Könige von Württemberg und | dem Kaiser von Oesterreich, König I von Ungarn und Böhmen, Ihren Erben | und Nachfolgern, Ihren Staaten und Un= | terthanen für alle künftigen Zeiten bestehen, | und die Handels= und andere Verhältnisse | zwischen den beiderseitigen Staaten sollen | auf den Fuß hergestellt werden, wie sie | vor dem Kriege bestanden. Art. 2. ^Die Allianz zwischen den beiden hohen | kontrahirenden Theilen soll die thätigste | Mitwirkung der beiden Mächte zu der Her= | Stellung einer Ordnung der Dinge in Euro= | pa zum Zwecke haben, welche allen die Un= | [S. 400 rechte Spalte] abhängigkeit und ihre künftige Ruhe sichert. | ^Württemberg entsagt demnach der Verbin= | dung mit der Rheinischen Conföderation, | und wird unverzüglich seine Armeen mit je= | nen der verbündeten Mächte vereinigen. Art. 3. In Folge des vorhergehenden Artikels | sind die hohen kontrahirenden Theile über= | eingekommen, sich mit allen Mitteln, wel= | che die Vorsehung in ihre Hände gelegt hat, | zu unterstützen, und die Waffen nicht an= | ders niederzulegen, als mit wechselseitigem | Einverständnisse. Art. 4. Se. M. der Kaiser von Oester= | reich garantiert, sowohl in seinem Namen | als im Namen Seiner Alliirten, Sr. M. | dem Könige von Württemberg die | Souverainetät und den freien und ruhigen | Besitz Ihrer Staaten. Art. 5. ^Die Württembergische Armee soll einen | Theil der großen Oesterreichischen und al= | liierten Armee ausmachen. ^Sie wird unter | dem Befehle des Obergenerals dieser Ar= | mee, und unter dem unmittelbaren Com= | mando eines Württembergischen Generals | stehen. ^Sie soll beständig in einem Corps I vereiniget bleiben, unter ihren eigenen Offi= | zieren stehen, und in Ansehung der Disci= | pHn und Oekonomie ihren eigenen Vor= | Schriften unterworfen sein. Art. 6. Die dem Feinde abgenommenen Sieges= | zeichen, Beute und die gemachten Gefange= | nen sollen denjenigen Truppen angehören, | von welchen sie genommen worden sind. Art. 7. Die hohen kontrahirenden Theile werden | unmittelbar zur Abschließung eines förmli= | chen Allianz=Traktats in Unterhandlung | treten. [S. 401 rechte Spalte] Art. 8. Sie behalten sich gleichfalls vor, in Fol= | ge des gegenwärtigen Vertrags eine Mili= | tär=Cartel= Convention abzuschließen. Art. 9. Die beiden hohenkontrahirenden Theile | machen sich förmlich verbindlich, sich in kei= | ne Uebereinkunft oder Unterhandlung über | den Frieden einzulassen, ausgenommen mit | beiderseitigem Einverständnisse, und Sie | versprechen sich auf das Feierlichste, keiner | Eröffnung oder keinem Vor-

560

§ 2 : Rheinbund

[DoL4-30]

schlage Gehör | zu geben, welcher ihnen mittelbar oder un= | mittelbar von dem Französischen Cabinet ge= I macht werden sollte, ohne sich denselben | wechselseitig mitzutheilen. Art. 10. Der gegenwärtige Vertrag wird von Sr. | M. dem Könige von Württemberg | und Sr. K. K. Apostolischen Maj. I ratificirt, und die Ratifikationen sollen in= | nerhalb acht Tagen, von dem Tage der Un= | terzeichnung an gerechnet, oder wenn es | möglich ist, noch früher, ausgewechselt | werden. Zu Urkund dessen haben Wir Endesun= | terschriebene in Kraft Unserer Vollmachten | den gegenwärtigen Vertrag unterzeichnet, | und demselben Unsere Siegel beigedrukt. Geschehen zu Fulda, den 2. November | im Jahr eintausend achthundert und drei= | zehn nach Christi Geburt. Unterzeichnet: Der Graf | von Zeppelin. Der Fürst | von Mettemich. Haben genehmigt und genehmigen den | vorstehenden Vertrag in Allem und Jedem | der darin enthaltenen Artikel, erklären, daß | er angenommen, ratificirt und bestätigt ist, | und versprechen, daß er unverbrüchlich be= | obachtet werden soll. [S. 402 rechte Spalte] In Urkund dessen haben Wir gegenwär= | tiges höchsteigenhändig unterzeichnet, con= | trasigniren und mit Unserm Königlichen | Innsiegel versehen lassen. Gegeben in Unserer Königlichen Resi= | denz zu Stuttgart den zwölften November | des Jahrs eintausend achthundert und drei= | zehn nach Christi Geburt, des achten un= | serer Regierung: Unterzeichnet: Friderich. Der Staats= und Conferenz= | Minister, Interims=Minister | der auswärtigen Angelegen= | heiten, | Graf V. Taube Im Namen und auf Befehl | des Königs: | Der Minister Staatssekretär, | Freiherr v. Vellnagel. (Nachfolgende Übersetzung der Geheimartikel erfolgt durch den Herausgeber^) Gesonderte Geheimartikel des Allianzvertrages zwischen den Höfen von Wien und Württemberg Da das Ziel der Mächte im Krieg gegen Frankreich nur erreicht werden kann und die glücklichen Resultate ihrer Bemühungen nur gesichert werden können durch eine gerechte Aufteilung der jeweiligen Kräfte der Mächte und durch deren Beschränkungen, und da Ihre Majestäten, der Kaiser von Österreich und der König von Württemberg, im voraus alle Schwierigkeiten beseitigen wollen, die in Friedenszeiten in der Anwendung dieses Prinzips unter einander auftauchen könnten, sind sie über folgende Vereinbarungen übereingekommen; das heißt: Artikel 1 Da die kontrahierenden hohen Mächte als eines der Hauptziele ihrer Bemühungen in dem gegenwärtigen Krieg die Auflösung des Rheinbundes betrachten, wird Seine Majestät, der König von Württemberg, frei von jeglichen äußeren verfassungsrechtlichen Bindungen seine volle Souveränität im Rahmen der politischen Verhältnisse genießen, die in der künftigen Friedensepoche für die Wiederherstellung und Sicherung der Unabhängigkeit und Freiheit Deutschlands zu vereinbaren sind. Artikel 2 ^Seine Majestät, der König von Württemberg, wird in alle Abtretungen einwilligen, die als notwendig erachtet werden, um das im vorangegangenen Artikel erklärte Ziel zu erreichen, und in Anbetracht dieses Ziels die geographischen, miUtärischen und politischen Verhältnisse der deutschen Staaten zu festigen. ^Seine Majestät, der Kaiser von Österreich, garantiert jedoch Seiner Majestät, dem König von Württemberg, ausdrücklich, daß diese Abtretungen oder Veränderungen nicht die ursprünglichen württembergischen Besitzungen betreffen werden. Artikel 3 ^Seine Majestät, der Kaiser von Österreich, König von Ungarn und Böhmen, verpflichtet sich und seine Verbündeten im Gegenzug dazu. Seiner Majestät, dem König von Württemberg, Kompensation zu leisten, und zwar so vollständig wie es die im Frieden verfügbaren Mittel erlauben werden und am ehesten der derzeitigen Größe des Königreichs entspricht. ^Diese Kompensation soll möglichst dem Interesse des Königreichs Württemberg gemäß in der Weise erfolgen, daß es ein vollständiges und ununterbrochenes Gebiet erlangt.

Unter Mitarbeit von Jerome Germain und Süleyman Kolcu.

[ 18] Allianzvertrag von Frankfurt vom 20. November 1813

561

Artikel 4 Obwohl Seine Majestät, der Kaiser von Österreich, und Seine Majestät, der König von Württemberg, ihre gesamten Kräfte dem verfolgten Zweck bereits gewidmet haben, versprechen sie darüber hinaus feierlich, ihre Armeen beisammen zu halten, solange der gegenwärtige Krieg dauert; um jedoch dieses Versprechen diesbezüglich zu präzisieren, versichern sie, für den Feldzug jeweils folgende Truppen zu stellen: ^Seine Majestät der Kaiser von Österreich zumindest 150.000 Mann und ^Seine Majestät der König von Württemberg zumindest 12.000 Mann, mit Ausnahme der Garnisonen und der befestigten Plätze; zudem verpflichten sich beide zur größtmöglichen Erhöhung der Truppenstärke. Artikel 5 ^Aufgrund der Übereinstimmung, die zwischen den verbündeten Mächten herrscht, versichert Seine Majestät, der Kaiser von Österreich, daß sich die Alliierten verpflichten, die Feindseligkeiten zwischen ihren und den Truppen Seiner Majestät, des Königs von Württemberg, ab dem Zeitpunkt zu beenden, an dem das gegenwärtige Abkommen in ICraft tritt. ^Seine kaiserliche und königliche apostolische Majestät wird sich gegenüber Seiner Majestät, dem Kaiser (Zaren) von Rußland, und seiner Majestät, dem König von Preußen, gerne für die Freilassung von der württembergischen Armee angehörenden Gefangenen einzusetzen. Artikel 6 Falls Seine Majestät, der König von Württemberg, die österreichische Vermittlung wünscht, um eine Vereinbarung auch mit England herbeizufuhren, ist Österreich dazu bereit. Artikel 7 Seine Majestät, der Kaiser von Österreich, verspricht femer, von Ihren Majestäten, dem Kaiser von Rußland und dem König von Preußen, sowohl die offiziellen als auch die geheimen Artikel des vorliegenden Abkommens akzeptieren zu lassen. Artikel 8 Die zuvor genannten Geheimartikel werden die gleiche Geltung haben, als wären sie dem offiziellen Abkommen vom heutigen Tage hinzugefügt worden. Urkundlich dessen haben wir, die Unterzeichnenden, auf Grund unserer Vollmachten, die vorliegenden gesonderten Geheimartikel unterzeichnet und das Siegel unserer Wappen aufgedrückt. In Fulda geschlossen am 2. November 1813. L. S. unterzeichnet: Fürst von Mettemich. L. S. unterzeichnet: Graf von Zeppelin.

[18] Allianzvertrag von Frankfurt (Österreich ./. Baden) vom 20. November 1813 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einführungen" die Darstellung unter [30.]. Quelle: Generallandesarchiv Karlsruhe, Sign. 48, Nr. 6373, Bl. Iv. - Ir. (handschriftliche Ausfertigung - französischer Text)^. [Bl Iv.J Sa Majeste l'Empereur d'Antriebe, | Roi de Hongrie et de Boheme, | animee ainsi que tous Ses Augustes Allies du desir de | rallier les Souverains de TAllemagne ä la cause commune | et les faire participer au bienfaits de l'independance de | Leur patrie, admet pour Sa part ä la grande Alliance Son | Altesse Royale le Grand Due de Bade. Pour determiner les conditions de cette admission Sa Majeste | Imperiale a nomme et donne Ses pleinpouvoirs au Sieur | Fran9ois Baron de Binder Kriegelstein, | Grand Croix de r ordre du Merite civil de Wurtemberg, et Son Altesse Royale le Grand Due de Bade ayant nomme de | son cote et muni de ses pleinspouvoirs le Sieur Sigismond Charles | Jean, Baron de Reitzenstein, Son Ministre d'Etat et du Cabinet, | Chevalier Grand-Croix de 1'ordre de la Fidelite: les Plenipotentiaires | respectifs sont convenus et ont arrete les articles suivants: Gleichlautende Verträge, datiert auf denselben Tag, wurden mit Preußen (Unterzeichner: Wilhelm von Humboldt) und Rußland (Unterzeichner: Graf Johann von Anstett) geschlossen.

562

§2: Rheinbund

[Dok.4-30]

Art. 1. Son Altesse Royale le Grand Duo de Bade renonce pour Lui | et ses successeurs ä la confederation du Rhin et ä tous les | liens, devoirs et obligations qui en resultent pour Cux. Art. 2. Son Altesse Roy ale S'engage au contraire ä soutenir la cause | de I'independance de TAllemagne par tous les moyens en Son pouvoir. Art. 3. Les secours que Son Altesse Royale sera tenue de foumir ä la | cause commune sont specifies dans un instrument separe qui | doit etre envisage comme partie integrante du present Traite. Art. 4. Sa Majeste I'Empereur d'Autriche, Roi de Hongrie et de | [Bl IrJ Boheme garantit, ä Son Altesse Royale le Grand Due de Bade | Sa souverainete et ses possessions. Par contre Son Altesse Royale S'engage ä Se conformer ä cet egard | et en general aux arangemens qu'exigera I'ordre des choses qui sera | definitivement etabli pour le maintien de I'independance de I'Allemagne. Art. 5. Le present Traite d'alliance sera ratifie et les ratifications en | seront echangees dans le plus court delai possible. En foi de quoi les Plenipotentiaires respectifs Font signe et y | ont appose le cachet de Leurs armes. Fait ä Francfort/M., le vingt Novembre, I'An de grace Mil | huit cent treize. (L. S.) Binder (L. S.) Sigismond Charles Jean | Baron de Reitzenstein. (Geheim- und Zusatzartikel) Quelle: Generallandesarchiv Karlsruhe, Sign. 48, Nr. 6373 (handschriftliche Ausfertigung französischer Text)^. Articles separes et secrets. Article \'' Son Altesse Royale le Grand Due de Bade se pretera ä | toutes les cessions qu'exigeront les arrangemens futurs en | Allemagne, calcules pour le maintien de la force et de rindepen= |dance de ce pays. Article 2. Sa Majeste I'Empereur d'Autriche, Roi de Hongrie et de | Boheme, S'engage par contre ä s'employer ä procurer ä Son Altesse | Royale, en retour de ces cessions, si elles devenaient necessaires, une | indemnite compatible avec la masse des objets qui seront disponibles I ä l'epoque de la pacification, avec le but enonce ci dessus, et la | plus rapprochee des dimensions actuelles des Etats de Son Altesse | Royale.

Gleichlautende Verträge, datiert auf denselben Tag, wurden mit Preußen (Unterzeichner: Wilhelm von Humboldt) und Rußland (Unterzeichner: Graf Johann von Anstett) geschlossen.

[ 18] Allianzvertrag von Frankfurt vom 20. November 1813

563

Les presens articles separes & secrets auront la meme force & | valeur comme s'ils etaient inseres de mot ä mot au traite principal | de ce jour. En foi de quoi les Plenipotentiaires respectifs ont signe ces | Articles separes & secrets, y ont appose le cachet de Leurs armes. Fait ä Frankfort sur le Mein, le vingt Novembre, l'an de | Grace Mil-huit-cent-treize. (L. S.) Binder. (L. S.) Sigismond Charles Jean | Baron de Reitzenstein. Deutsche Übersetzung des Vertrages durch den Herausgeber^: Seine Majestät der Kaiser von Österreich, König von Ungarn und Böhmen, der wie Seine erhabenen Verbündeten von dem Verlangen beseelt ist, die Souveräne Deutschlands zu dem gemeinsamen Zweck zusammenzuführen, sie an den Segnungen der Unabhängigkeit ihrer Vaterländer teilhaben zu lassen, nimmt, soweit es Ihn betrifft, Seine Königliche Hoheit, den Großherzog von Baden, in die große Allianz auf Um die Bedingungen dieser Aufnahme zu bestimmen, hat Seine Kaiserliche Majestät den Herrn Franz Baron von Binder Kriegelstein, Großkreuz des Württembergischen Zivildienstordens, ernannt und bevollmächtigt und Seine Königliche Hoheit, der Großherzog von Baden, der Seinerseits als Bevollmächtigten den Herrn Siegismund Karl Heinrich Baron von Reitzenstein, Ihren Staats- und Kabinettsminister, Großkreuz des Ordens der Treue, ernannt hat. Die jeweiligen Bevollmächtigten sind übereingekommen und stellen nachfolgende Artikel fest: Artikel 1 Seine Königliche Hoheit, der Großherzog von Baden, entsagt für Sich und Seine Nachfolger dem Rheinbund und den für sie daraus resultierenden Verpflichtungen. Artikel 2 Seine Königliche Hoheit verpflichtet Sich statt dessen, das Ziel der Unabhängigkeit Deutschlands mit allen in Seiner Macht stehenden Mitteln zu unterstützen. Artikel 3 Die Mittel, mit denen Seine Königliche Hoheit zur Erreichung des gemeinsamen Zwecks beizutragen hat, werden in einer gesonderten Vereinbarung näher erläutert, die als ein zum vorliegenden Vertrag gehörender Bestandteil gilt. Artikel 4 ^Seine Majestät, der Kaiser von Österreich, König von Ungarn und Böhmen, garantiert Seiner Königlichen Hoheit, dem Großherzog von Baden, Souveränität und Besitzungen. ^Im Gegenzug verpflichtet sich Seine Königliche Hoheit, die Bestimmungen dieses Vertrages und die allgemeinen Vereinbarungen einzuhalten, die für die Ausgestaltung der endgültigen Ordnung zur Bewahrung der Unabhängigkeit Deutschlands geschaffen werden. Artikel 5 Der vorliegende Allianzvertrag wird ratifiziert und die Ratifikationsurkunden werden so bald wie möglich ausgetauscht. Urkundlich dessen haben die jeweiligen Bevollmächtigten den Vertrag unterzeichnet und das Siegel ihrer Wappen aufgedrückt. Geschlossen in Frankfurt / M., dem 20. November im Jahre der Gunst 1813. (L. S.) Binder (L. S.) Siegismund Karl Heinrich Baron von Reitzenstein. Gesonderte Geheimartikel Artikel 1 Seine königliche Hoheit, der Großherzog von Baden, wird in alle Abtretungen einwilligen, die künftige Vereinbarungen in Deutschland verlangen werden, um dessen Stärke und Unabhängigkeit zu erhalten. Artikel 2 Seine Majestät, der Kaiser von Österreich, König von Ungarn und Böhmen, verpflichtet Sich im Gegenzug dazu. Sich für eine Kompensation einzusetzen, die mit den im Rahmen der zu schaffenden

Unter Mitarbeit von Jerome Germain und Süleyman Kolcu.

564

§ 2: Rheinbund

[DoL4-30]

neuen Friedensordnung zur Verfugung stehenden Mitteln, mit dem zuvor genannten Ziel sowie am ehesten mit der derzeitigen Größe des Landes Seiner königlichen Hoheit vereinbar ist. Die vorliegenden gesonderten Geheimartikel werden die gleiche Geltung haben, als wären sie Wort für Wort dem Hauptvertrag von diesem Tage hinzugefügt worden. Urkundlich dessen hat jeder Bevollmächtigte, die gesonderten Geheimartikel unterzeichnet und das Siegel ihrer Wappen aufgedrückt. In Frankfurt am Main geschlossen am 20. November 1813. L. S. unterzeichnet: Binder. L. S. unterzeichnet: Siegismund Karl Heinrich Baron von Reitzenstein

[19] Allianzvertrag von Frankfurt (Österreich ./. Großherzogtum Hessen) vom 23. November 1813 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einführungen" die Darstellung unter [30.]. Quelle: Hessisches Staatsarchiv Darmstadt, Sign. A 6, Nr. 122, I v . - 2 v . (handschriftliche Ausfertigung - französischer Text)^. [Bl IvJ Au nom de la tres=sainte | et indivisible Trinite. Sa Majeste TEmpereur d'Autriche, Roi de | Hongrie et de Boheme, animee ainsi que tous Ses I Augustes Allies du desir de rallier les Souverains de | l'Allemagne ä la cause commune et de les faire partici= | per au bienfaits de l'independance de Leur patrie, admet | pour Sa part ä la grande Alliance Son | Altesse | Royale le Grand Due de Hesse. Pour determiner les conditions de cette admission, | Sa Majeste Imperiale a nomme et donne Ses | plein-pouvoirs au Sieur | Fran9ois Baron de Binder de | Kriegelstein, Grand Croix de Tordre du merite civil de | Würtemberg; Et Son Altesse Royale le Grand Due de | Hesse ayant nomme de son cote et muni de ses | pleins-pouvoirs le Sieur Guillaume Charles du Bos, Baron du Thil, Marechal de la Cour, Conseiller | prive et Chambellan de Sa dite Altesse Royale, les | Plenipotentiaires respectifs sont convenus et ont arrete | les articles suivants: Article \'\ Son Altesse Royale le Grand Due de Hesse renonce | [Bl Ir.J pour Lui et ses successeurs ä la confederation du Rhin et | ä tous les liens, devoirs et obligations qui en resultent pour I Eux. Article 2. Son Altesse Royale S'engage au contraire ä soute== | nir la cause de l'independance de l'Allemagne par tous | les moyens en Son pouvoir. Article 3. Les secours que Son Altesse Royale sera tenue | de foumir ä la cause commune sont specifies dans un | instrument separe, qui doit etre envisage comme partie | integrante du present Traite.

Gleichlautende Verträge, datiert auf denselben Tag, wurden mit Preußen (Unterzeichner: Wilhelm von Humboldt) und Rußland (Unterzeichner: Graf Johann von Anstett) geschlossen.

[ 19] Allianzvertrag von Frankfurt vom 23. November 1813

565

Article 4. Sa Majeste l'Empereur d'Autriche, Roi de Hongrie et de | Boheme garantit, ä Son Altesse Royale | le Grand-Duo de Hesse Sa Souverainete et ses posses== | sions. Par contre Son Altesse Royale S'engage ä Se conform | mer ä cet egard et en general aux arangemens qu'exigera | l'ordre des choses qui sera defmitivement etabli pour le | maintien de rindependance de l'Allemagne. Article 5. Le present Traite d'alliance sera ratifie et les | ratifications en seront echangees dans le plus court I [Bl 2v.J delai possible. En foi de quoi les Plenipotentiaires respectifs | l'ont signe et y ont appose le cachet de Leurs armes. Fait ä Francfort sur le Mein, le vingt-trois | Novembre, l'An de Grace Mil-huit-centtreize. (L. S.) Binder (L. S.) Charles Guillaume Baron | du Bos du Thil. (Geheim- und Zusatzartikel) Quelle: Hessisches Staatsarchiv Darmstadt, Sign. A 6, Nr. 123, BL Iv. - Ir. (handschriftliche Ausfertigung - französischer Text)^. [Bl. Iv.J Articles separes et secrets. Article T. Son Altesse Royale le Grand-Duc de Hesse se | pretera ä toutes les cessions qu'exigeront les arrangemens | fiiturs en Allemagne, calcules pour le maintien de la | force et de rindependance de ce pays. Son Altesse Royales s'engage specialement | ä reintegrer, ä l'epoque de la pacification, dans leurs | droits et possessions la Maison Electorale de Hesse et | la Maison de HesseHombourg, par un arrangement | de famille concerte avec ces deux Maisons sous la | garantie de Puissances alliees. Article 2. Sa Majeste l'Empereur d'Autriche, Roi de | Hongrie et de Boheme, S'engage par contre ä I s'employer ä procurer ä Son Altesse Royale, en | retour de ces cessions, une indemnite compatible avec la masse des objets qui seront disponibles ä l'epoque | de la pacification, et avec le but enonce ci dessus, | et la plus rapprochee des dimensions actuelles des | Etats de Son Altesse Royale. Les presens articles separes et secrets auront | [Bl. Ir.] la meme force et valeur comme s'ils etaient inseres de mot | ä mot au traite principal de ce jour. En foi de quoi les Plenipotentiaires respectifs ont | signe ces Articles separes et secrets y ont appose | le cachet de Leurs armes.

Gleichlautende Verträge, datiert auf denselben Tag, wurden mit Preußen (Unterzeichner: Wilhelm von Humboldt) und Rußland (Unterzeichner: Graf Johann von Anstett) geschlossen.

566

§ 2: Rheinbund

[Dok. 4 - 30]

Fait ä Frankfort-sur-le-Mein, le vingt-trois | Novembre, l'an de Grace Mil-huit-centtreize. (L. S.) Binder. (L. S.) Charles Guillaume Baron | du Bos du Thil. Deutsche Übersetzung des Vertrages durch den Herausgeber^: Im Namen der allerheiligsten und unteilbaren Dreieinigkeit! Seine Majestät, der Kaiser von Österreich, König von Ungarn und Böhmen, der wie Seine erhabenen Verbündeten von dem Verlangen beseelt ist, die Souveräne Deutschlands zu dem gemeinsamen Zweck zusammenzuführen, sie an den Segnungen der Unabhängigkeit ihrer Vaterländer teilhaben zu lassen, nimmt, soweit es ihn betrifft, Seine Königliche Hoheit, den Großherzog von Hessen, in die große Allianz auf Um die Bedingungen dieser Aufnahme zu bestimmen, hat Seine Kaiserliche Majestät den Herrn Franz Baron von Binder Kriegelstein, Großkreuz des Württembergischen Zivildienstordens, ernannt und bevollmächtigt und Seine Königliche Hoheit, der Großherzog von Hessen, der Seinerseits als Bevollmächtigten den Herrn Karl Wilhelm Baron von Bos du Thil, Seinen Hofmarschall, Mitglied des Hofrates und Kammerherr Seiner Königlichen Hoheit, ernannt hat. Die jeweiligen Bevollmächtigten sind übereingekommen und stellen nachfolgende Artikel fest: Artikel 1 Seine Königliche Hoheit, der Großherzog von Hessen, entsagt für Sich und Seine Nachfolger dem Rheinbund und den für sie daraus resultierenden Verpflichtungen. Artikel 2 Seine Königliche Hoheit verpflichtet Sich statt dessen, das Ziel der Unabhängigkeit Deutschlands mit allen in Seiner Macht stehenden Mitteln zu unterstützen. Artikel 3 Die Mittel, mit denen Seine Königliche Hoheit zur Erreichung des gemeinsamen Zwecks beizutragen hat, werden in einer gesonderten Vereinbarung näher erläutert^ die als ein zum vorliegenden Vertrag gehörender Bestandteil gilt. Artikel 4 ^Seine Majestät, der Kaiser von Österreich, König von Ungarn und Böhmen, garantiert Seiner Königlichen Hoheit, dem Großherzog von Hessen, Souveränität und Besitzungen. ^Im Gegenzug verpflichtet Sich Seine Königliche Hoheit, die Bestimmungen dieses Vertrages und die allgemeinen Vereinbarungen einzuhalten, die für die Ausgestaltung der endgültigen Ordnung zur Bewahrung der Unabhängigkeit Deutschlands geschaffen werden. Artikel 5 Der vorliegende Allianzvertrag wird ratifiziert und die Ratifikationsurkunden werden so bald wie möglich ausgetauscht. Urkundlich dessen haben die jeweiligen Bevollmächtigten den Vertrag unterzeichnet und das Siegel ihrer Wappen aufgedrückt. Geschlossen in Frankfurt / M., dem 23. November im Jahre der Gunst 1813. (L. S.) Binder (L. S.) Karl Wilhelm Baron von Bos du Thil. Gesonderte Geheimartikel Artikel 1 Seine königliche Hoheit, der Großherzog von Hessen, wird in alle Abtretungen einwilligen, die künftige Vereinbarungen in Deutschland verlangen werden, um dessen Stärke und Unabhängigkeit zu erhalten. Seine königliche Hoheit verpflichtet Sich insbesondere dazu, in der zu schaffenden neuen Friedensordnung dem Kurfürstlichen Hause von Hessen und dem Hause von Hessen-Homburg ihre Rechte und Besitztümer im Zuge einer Vereinbarung mit diesen beiden Häusern, die von den verbündeten Mächten garantiert wird, zurückzugeben.

Unter Mitarbeit von Jerome Germain und Süleyman Kolcu.

[20] Allianzvertrag von Frankfurt vom 23. November 1813

567

Artikel 2 Seine Majestät, der Kaiser von Österreich, König von Ungarn und Böhmen, verpflichtet Sich im Gegenzug dazu, Sich für eine Kompensation einzusetzen, die der im Frieden verfugbaren Mittel, dem zuvor genannten Ziel sowie am ehesten der derzeitigen Größe des Landes Seiner königlichen Hoheit entspricht. Die vorliegenden gesonderten Geheimartikel werden die gleiche Geltung haben, als wären sie Wort für Wort dem Hauptvertrag von diesemTage hinzugefügt worden. Urkundlich dessen hat jeder Bevollmächtigte, die gesonderten Geheimartikel unterzeichnet und das Siegel ihrer Wappen aufgedrückt. In Frankfürt am Main geschlossen am 23. November 1813. L. S. unterzeichnet: Binder. L. S. unterzeichnet: Karl Wilhelm Baron von Bos du Thil.

[20] Allianzvertrag von Frankfurt (Österreich ./. Herzogtum Nassau) vom 23. November 1813 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einführungen" die Darstellung unter [30.]. Quelle: Hessisches Staatsarchiv Wiesbaden, Abt. 210, Nassauisches Staatsministerium, Nr. 8311, Bl. 50v. - 51v. (handschriftliche Ausfertigung - französischer Text). [Bl 50vJ Au nom de la tres=sainte | et indivisible Trinite! Sa Majeste l'Empereur d'Antriebe, Roi de | Hongrie et de Boheme, animee ainsi que tous Ses I Augustes Allies, du desir de rallier les Souverains de | l'Allemagne ä la cause commune et de les faire partici= | per aux bienfaits de l'independance de leur patrie, admet | pour Sa part ä la grande Alliance Leurs Altesses | Serenissimes les Due et de Prince de Nassau. Pour determiner les conditions de cette admission, | Sa Majeste Imperiale a nomme et donne Ses | plein-pouvoirs au Sieur Fran9ois, Baron de Binder | de Kriegelstein, Grand Croix de 1'ordre du merite civil | de Würtemberg; Et Leur Altesses Serenissimes les | Due et Prince de Nassau, ayant nomme de Leur | cöte et muni de Leurs pleins-pouvoirs, le Sieur Frederic | Adolphe Baron Wintzingerode, Colonel ä la Suite et | Grand Ecuyer de Son Altesse Serenissime le Due de | Nassau; et le Sieur Charles-Frederic Ibell, Conseiller prive | actuel et referendaire intime d'Etat de Son Altesse | Serenissime le Due de Nassau, les Plenipotentiaires | [BL 5Or.] respectifs sont convenus et ont arrete les articles suivants: Article r. Leurs Altesses Serenissimes les Due et de Prince de | Nassau renoncent pour eux et leurs Successeurs ä la | Confederation du Rbin et ä tous les liens, devoirs et | obligations qui en resultent pour Eux. Article 2. Leurs Altesses Serenissimes s'engage au contraire | ä soutenir la cause de l'independance de l'Allemagne | par tous les moyens en Leur pouvoir. Article 3. Les secours que Leurs Altesses Serenissimes | seront tenue de foumir ä la cause commune Sont I specifies dans un instrument separe, qui doit etre | envisage comme partie integrante du present Traite.

568

§ 2: Rheinbund

[Dok.4-30]

Article 4. Sa Majeste l'Empereur d'Autriche, Roi de | Hongrie et de Boheme garantit, ä Leurs Altesses I Serenissimes les Duo et Prince de Nassau, Leur | Souverainete et Leurs possessions. Par contre Leurs Altesses Serenissimes S'enga= | gent ä Se conformer ä cet egard & en general aux | arrangemens qu'exigera 1'ordre des choses qui sera | [Bl 51 v.] defmitivement etabli pour le maintien de l'independance | de TAUemagne. Article 5. Le present traite d'alliance sera ratifie et | les ratifications en seront echangees dans le plus I court delai possible. En foi de quoi les Plenipotentiaires respectifs | l'ont signe et y ont appose le cachet de leurs armes. Fait ä Francfort sur-le-Mein, le vingt-trois | Novembre, l'An de grace, Mil-huit centtreize. (L. S.) Binder (L. S.) Baron de Wintzingerode | (L. S.) Charles Frederic Ibell. (Geheim- und Zusatzartikel) Quelle: Hessisches Staatsarchiv Wiesbaden, Abt. 210, Nassauisches Staatsministerium, Nr. 8311; Bl. 52v. - 52r. (handschriftliche Ausfertigung - französischer Text). [Bl 52vJ Articles separes et secrets. Article 1'. Leurs Altesses Serenissimes les Due et de Prince | de Nassau se preteront ä toutes les cessions qu'exige= | ront les arrangemens futurs en Allemagne, calcules | pour le maintien de la force et de l'independance de | ce pays. Leurs Altesses Serenissimes les Due et de Prince | de Nassau s'etant declares prets ä restituer des ä | present ä la Maison de Nassau-Orange des posses= | sions reunies jusqu'ici aux Leurs, Sa Majeste | l'Empereur d'Autriche, Roi de Hongrie et de Boheme | regarde cette Declaration comme une des conditions | du present Traite, et eile recevra son effet moyen= | naut un arrangement de famille garanti par les | Puissances alliees. Article 2. Sa Majeste l'Empereur d'Autriche, Roi de | Hongrie et de Boheme, S'engage par contre ä I s'employer ä procurer ä Leurs Altesses Serenissimes | en retour de ces cessions, une indemnite compati== | ble avec la masse des objets qui seront disponibles | [Bl 52r.] ä l'epoque de la pacification, et avec le but enonce ci | dessus, et la plus rapprochee des dimensions actuelles | des Etats de Leurs Altesses Serenissimes. Les presens articles separes et secrets auront la | meme force et valeur, comme s'ils etaient inseres mot | ä mot au Traite principal de ce jour. En foi de quoi les Plenipotentiaires respectifs | ont signe ces Articles separes et secrets, et y ont appose | le cachet de Leurs armes. Fait ä Frankfort sur-le-Mein, le vingt-trois | Novembre, l'an de Grace Mil-huit-centtreize. (L. S.) Binder. (L. S.) Baron de Wintzingerode. (L. S.) Charles Frederic Ibell.

[20] Allianzvertrag von Frankfürt vom 23. November 1813

569

Deutsche Übersetzung des Vertrages durch den Herausgeber^: Im Namen der allerheiligsten und unteilbaren Dreieinigkeit! Seine Majestät, der Kaiser von Österreich, König von Ungarn und Böhmen, der wie Seine erhabenen Verbündeten von dem Verlangen beseelt ist, die Souveräne Deutschlands zu dem gemeinsamen Zweck zusammenzuführen, sie an den Segnungen der Unabhängigkeit ihrer Vaterländer teilhaben zu lassen, nimmt, soweit es Ihn betrifft, Ihre Allerdurchlauchtigsten Hoheiten, den Herzog und den Fürsten von Nassau, in die große Allianz auf Um die Bedingungen dieser Aufnahme zu bestimmen, hat Seine Kaiserliche Majestät den Herrn Franz Baron von Binder Kriegelstein, Großkreuz des Württembergischen Zivildienstordens, ernannt und bevollmächtigt und Ihre Allerdurchlauchtigsten Hoheiten, der Herzog und der Fürst von Nassau, die Ihrerseits als Bevollmächtigte den Herrn Friedrich Adolph Baron von Wintzingerode, Oberst am Hofe und Großstallmeister Seiner Allerdurchlauchtigsten Hoheit, des Herzogs von Nassau, und den Herrn KarlFriedrich Ibell, gegenwärtig Mitglied des Hofrates und Kammerherr Seiner Königlichen Hoheit, ernannt haben. Die jeweiligen Bevollmächtigten sind übereingekommen und stellen nachfolgende Artikel fest: Artikel 1 Ihre Allerdurchlauchtigsten Hoheiten, der Herzog und der Fürst von Nassau, entsagen fur Sich und Ihre Nachfolger dem Rheinbund und den für Sie daraus resultierenden Verpflichtungen. Artikel 2 Ihre Allerdurchlauchtigsten Hoheiten verpflichten sich statt dessen, das Ziel der Unabhängigkeit Deutschlands mit allen in Ihrer Macht stehenden Mitteln zu unterstützen. Artikel 3 Die Mittel, mit denen Ihre Allerdurchlauchtigsten Hoheiten zur Erreichung des gemeinsamen Zwecks beizutragen haben, werden in einer gesonderten Vereinbarung näher erläutert, die als ein zum vorliegenden Vertrag gehörender Bestandteil gilt. Artikel 4 *Seine Majestät, der Kaiser von Österreich, König von Ungarn und Böhmen, garantiert Ihren Allerdurchlauchtigsten Hoheiten, dem Herzog und dem Fürsten von Nassau, Ihre Souveränität und Besitzungen. ^Im Gegenzug verpflichten Sich Ihre Allerdurchlauchtigsten Hoheiten, die Bestimmungen dieses Vertrages und die allgemeinen Vereinbarungen einzuhalten, die fiir die Ausgestaltung der endgültigen Ordnung zur Bewahrung der Unabhängigkeit Deutschlands geschaffen werden. Artikel 5 Der vorliegende Allianzvertrag wird ratifiziert und die Ratifikationsurkunden werden sobald wie möglich ausgetauscht. Urkundlich dessen haben die jeweiligen Bevollmächtigten den Vertrag unterzeichnet und das Siegel ihrer Wappen aufgedrückt. Geschlossen in Frankfurt / M,, dem 23. November im Jahre der Gunst 1813. L. S. unterzeichnet: Binder. L. S. unterzeichnet: Baron von Wintzingerode. L. S. Karl Friedrich Ibell. Gesonderte Geheimartikel Artikel 1 Ihre allerdurchlauchtigsten Hoheiten, der Herzog und der Fürst von Nassau, werden in alle Abtretungen einwilligen, die künftige Vereinbarungen in Deutschland verlangen werden, um dessen Stärke und Unabhängigkeit zu erhalten. . Da Ihre allerdurchlauchtigsten Hoheiten, der Herzog und der Fürst von Nassau, sich bereit finden, dem Hause von Nassau-Oranien die Besitztümer, die bislang mit den ihrigen verbunden sind, unverzüglich zurückzugeben, betrachtet Seine Majestät, der Kaiser von Österreich, König von Ungarn und Böhmen, dieses durch eine Familienvereinbarung zu verwirklichende Versprechen als eine Bedingung für die Wirksamkeit des vorliegenden Vertrages, der von den verbündeten Mächten garantiert wird. Artikel 2 Seine Majestät, der Kaiser von Österreich, König von Ungarn und Böhmen, verpflichtet sich im Gegenzug dazu, sich für eine Kompensation einzusetzen, die der im Frieden verfügbaren Mittel, dem Unter Mitarbeit von Jerome Germain und Süleyman Kolcu.

570

§ 2 : Rheinbund

[Dok.4-30]

zuvor genannten Ziel sowie am ehesten der derzeitigen Größe des Landes Ihrer allerdurchlauchtigsten Hoheiten entspricht. Die vorHegenden gesonderten Geheimartikel werden die gleiche Geltung haben, als wären sie Wort für Wort dem Hauptvertrag von diesem Tage hinzugefügt worden. Urkundlich dessen hat jeder Bevollmächtigte die gesonderten Geheimartikel unterzeichnet und das Siegel ihrer Wappen aufgedrückt. In Frankfurt am Main geschlossen am 23. November 1813. (L. S.) Binder. (L. S.) Baron von Wintzingerode. (L. S.) Karl Friedrich Ibell.

[21] Vertrag von Frankfurt (Preußen ./. Schwarzburgische Fürstentümer) vom 24. November 1813 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einführungen" die Darstellung unter [30.]. Quelle: Thüringisches Staatsarchiv Rudolstadt, Sondershäuser Urkunden, Sign. 5336, Bl. Iv. - Ir. (handschriftliche Ausfertigung - französischer Text). [Bl Iv.J

Sa Majeste le Roi de Prusse, anime, ainsi que tous Ses Augus= | tes Allies, du desir de rallier les Souverains de TAllemagne ä la cause | commune & de les faire participer aux bienfaits de l'independance | de leur patrie, admet pour Sa part ä la grande Alliance, Son Altesse | le Prince de Schwarzbourg Sondershausen, & Son Altesse Serenissime | Madame la Princesse Tutrice & Regente de Schwarzubourg Rudol= | Stadt, au nom de Son Altesse le Prince, son fils. Pour determiner les conditions de cette admission, Sa Majeste le Roi | de Prusse a nomme & donne Ses pleinpouvoirs au Sieur Charles Guillau= | me Baron de Humboldt, Son Ministre d'Etat, Envoye Extraordinaire | & Ministre Plenipotentiaire pres Sa Majeste Imperiale & Royale | Apostolique, Chevallier des ordres de Prusse de 1' aigle rouge, de la | croix de fer, & de St: Anne de Russie, & Son Altesse le Prince de | Schwarbourg Sondershausen & et Son Altesse Serenissime Madame la | Princesse Tutrice & Regente de Schwarzbourg Rudolstadt, au nom | de Son Altesse le Prince, son fils, ayant nomme de leurs cöte & | muni de leurs pleinpouvoirs, le Sieur Adolphe de Weise, Conseiller | intime de Son Altesse le Prince de Schwarzbourg Sondershausen, | & le Sieur Guillaume Baron de Ketelhodt, Chancelier & President | de Son Altesse Serenissime Madame la Princesse de Schwarzbourg | Rudolstadt, les Plenipotentiaires respectifs sont convenus & ont | arrete les articles suivants. Article 1. So Altesse le Prince de Schwarzbourg Sondershausen & Son | Altesse Serenissime Madame la Princesse Tutrice & Regente de | Schwarzbourg Rudolstadt, au nom de Son Altesse le Prince, son | fils, renoncent pour Eux & leurs Successeurs ä la Confederation | du Rhin, & ä tous les liens, devoirs & obligations qui en resultent | pour Eux. [Bl. IrJ Article 2. Son Altesse & Son Altesse Serenissime s'engagent au contraire ä sou= | tenir la cause de l'independance de I'Allemagne par tous les moyens en | Leur pouvoir. Article 3. Les secours que Son Altesse & Son Altesse Serenissime seront tenues | de foumir ä la cause commune sont specifies dans un instrument | separe, qui doit etre envisage comme partie integrante du present Traite.

[21 ] Allianzvertrag von Frankfurt vom 24. November 1813

571

Article 4. Sa Majeste le Roi de Pmsse garantit, ä Son Altesse le Prince de | Schwarzbourg Sondershausen & ä Son Altesse Serenissime Madame i la Princesse de Schwarzbourg Rudolstadt, leur | Souverainete & leurs [ possessions. Par contre Son Altesses & Son Altesse Serenissime S'engagent ä se | conformer ä cet egard & en general aux arrangemens qu'exigera 1'ordre | des choses qui sera defmitivement etabli pour le maintien de r i n d e = | pendance de l'Allemagne. Article 5. Le present traite d'alliance sera ratifie & les ratifications en seront | echangees dans le plus court delai possible. En foi de quoi les Plenipotentiaires respectifs Tont signe & y ont | appose le cachet de leurs armes. Fait ä Francfort sur le Mein, le vingt quatre Novembre, l'An de grace, | Mil-huit centtreize. (L. S.) Charles Guillaume Baron de Humboldt. (L. S.) Adolph de Weise (L. S.) Guillaume Baron de Ketelhodt. Deutsche Übersetzung des Vertrages durch den Herausgeber^: Seine Majestät, der König von Preußen, der wie Seine erhabenen Verbündeten von dem Verlangen beseelt ist, die Souveräne Deutschlands zu dem gemeinsamen Zweck zusammenzuführen, sie an den Segnungen der Unabhängigkeit ihrer Vaterländer teilhaben zu lassen, nimmt, soweit es Ihn betrifft, Seine Hoheit, den Fürsten von Schwarzburg-Sondershausen, und Ihre Allerdurchlauchtigste Hoheit, die Fürstin, Vormund und Regentin von Schwarzburg-Rudolstadt im Namen Seiner Hoheit, des Fürsten, Ihres Sohnes, in die große Allianz auf Um die Bedingungen dieser Aufnahme zu bestimmen, hat Seine Majestät, der König von Preußen, den Herrn Karl Wilhelm Baron von Humboldt, Seinen Staatsminister, außerordentlicher Minister und bevollmächtigter Minister bei Seiner Kaiserlichen und Königlichen Apostolischen Majestät, Ritter der preußischen Orden vom Roten Adler und vom Eisernen Kreuz sowie Ritter vom russischen St. AnnenOrden, ernannt und bevollmächtigt und Seine Hoheit, der Fürst von Schwarzburg-Sondershausen, und Ihre Allerdurchlauchtigste Hoheit, die Fürstin, Vormund und Regentin von Schwarzburg-Rudolstadt im Namen Seiner Hoheit, des Fürsten, Ihres Sohnes, die Ihrerseits als Bevollmächtigte den Herrn Friedrich Adolph von Weise, Mitglied des Hofrates Seiner Hoheit, des Fürsten von Schwarzburg-Sondershausen, und den Herrn Wilhelm Baron von Ketelhodt, Kanzler und Präsident Ihrer Allerdurchlauchtigsten Hoheit, der Fürstin von Schwarzburg-Rudolstadt, ernannt haben. Die jeweiligen Bevollmächtigten sind übereingekommen und stellen nachfolgende Artikel fest: Artikel 1 Seine Hoheit, der Fürst von Schwarzburg-Sondershausen, und Ihre Allerdurchlauchtigste Hoheit, die Fürstin, Vormund und Regentin von Schwarzburg-Rudolstadt im Namen Seiner Hoheit, des Fürsten, Ihres Sohnes, entsagen für Sich und Ihre Nachfolger dem Rheinbund und den für Sie daraus resultierenden Verpflichtungen. Artikel 2 Seine Hoheit und Ihre Allerdurchlauchtigste Hoheit verpflichten sich statt dessen, das Ziel der Unabhängigkeit Deutschlands mit allen in Ihrer Macht stehenden Mitteln zu unterstützen. Artikel 3 Die Mittel, mit denen Seine Hoheit und Ihre Aüerdurchlauchtigste Hoheit zur Erreichung des gemeinsamen Zwecks beizutragen haben, werden in einer gesonderten Vereinbarung näher erläutert, die als ein zum vorliegenden Vertrag gehörender Bestandteil gilt.

Unter Mitarbeit von Jerome Germain und Süleyman Kolcu,

572

§ 2: Rheinbund

[Dok, 4 - 30]

Artikel 4 Seine Majestät, der König von Preußen, garantiert Seiner Hoheit, dem Fürsten von SchwarzburgSondershausen, und Ihrer Allerdurchlauchtigsten Hoheit, der Fürstin, Vormund und Regentin von Schwarzburg-Rudolstadt, Ihre Souveränität und Besitzungen. Im Gegenzug verpflichten Sich Seine Hoheit und Ihre Allerdurchlauchtigste Hoheit, die Bestimmungen dieses Vertrages und die allgemeinen Vereinbarungen einzuhalten, die für die Ausgestaltung der endgültigen Ordnung zur Bewahrung der Unabhängigkeit Deutschlands geschaffen werden. Artikel 5 Der vorliegende Allianzvertrag wird ratifiziert und die Ratifikationsurkunden werden sobald wie möglich ausgetauscht. Urkundlich dessen haben die jeweiligen Bevollmächtigten den Vertrag unterzeichnet und das Siegel ihrer Wappen aufgedrückt. Geschlossen in Frankfurt/M., dem 24. November im Jahre der Gunst 1813. (L. S.) Karl Wilhelm Baron von Humboldt. (L. S.) Adolph von Weise. (L. S.) Wilhelm Baron von Ketelhodt.

[22] Allianzvertrag von Frankfurt (Österreich ./. Herzogtümer Sachsen-Gotha und Altenburg) vom 24. November 1813 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einführungen" die Darstellung unter [30.]. Quelle: Thüringisches Staatsarchiv Gotha, Geheimes Archiv, QQ (HH), Nr. la (handschriftliche Ausfertigung* [Bl. l v - 2 v . ] und gedruckt - französischer Text) = Thüringisches Staatsarchiv Altenburg, Landesregierung Nr. 4 (gedruckte Ausfertigung - französischer Text)**. [BL Iv.J Au nom de la tres=sainte | et indivisible Trinite. Sa Majeste l'Empereur d'Autriche, Roi de | Hongrie et de Boheme anime ainsi que tous Ses I Augustes Allies du desir de rallier les Souverains de | l'Allemagne ä la cause commune et de les faire partici= | per aux bienfaits de 1'independence de leur patrie, admet | pour Sa part ä la grande Alliance Son Altesse | Serenissime le Due de Saxe-Gotha, et Altenbourg. Pour determiner les conditions de cette admission | Sa Majeste Imperiale a nomme et donne Ses plein= | pouvoirs au Sieur Fran9ois Baron de Binder de | Kriegelstein, Grand Croix de 1'ordre du merite civil de | Würtemberg; Et Son Altesse Seremissime le Due de | Saxe-Gotha ayant nomme de son cote et muni de | Ses plein-pouvoirs le Sieur CharlesEmeste-Adolphe |de Hoff, conseiller prive de Sa dite Altesse Serenis= | sime, les Plenipotentiaires respectifs sont convenus et | ont arrete les articles suivants: Article r\ Son Altesse Serenissime le Due de Saxe-Gotha | [Bl. Ir.J renonce pour Lui et Ses Successeurs ä la Confederation du | Rhin et ä tous les liens, devoirs et obligations qui | en resultent I pour Eux.

b

Nachfolgend abgedruckt. Gleichlautende Verträge, datiert auf denselben Tag, wurden mit Preußen (Unterzeichner: Wilhelm von Humboldt) und Rußland (Unterzeichner: Graf Johann von Anstett) geschlossen.

[22] Allianzvertrag von Frankfurt vom 24. November 1813

573

Article 2. Son Altesse Serenissime S'engage au contraire ä | soutenir la cause de l'independance de l'Allemagne | par tous les moyens en Son pouvoir. Article 3. Les secours que Son Altesse Serenissime sera | tenue de foumir ä la cause commune, sont speci= | fies dans un instrument separe, qui doit etre | envisage comme partie integrante du present Traite. Article 4. Sa Majeste l'Empereur d'Autriche, Roi de | Hongrie et de Boheme garantit, ä Son Altesse I Serenissime le Due de Saxe-Gotha Sa Souverainete et | Sa possessions. Par contre Son Altesse Serenissime S'engage ä | se conformer ä cet egard et en general aux arran= | gemens qu'exigera Tordre des choses qui sera | definitivement etabli pour le maintien de l'inde^ | pendance de l'Allemagne. Article 5. Le present Traite d'Alliance sera ratifie et | [Bl 2v.] les ratifications en seront echangees dans le plus court | delai possible. En foi de quoi les Plenipotentiaires respectifs | Tont signe et y ont appose le cachet de Leurs | armes. Fait ä Francfort sur-le-Mein, le vingt-quatre | Novembre, l'an de grace, Mil-huit-centtreize. (L. S.) Binder. (L. S.) Charles Ernest Adolphe de Hoff. Deutsche Übersetzung des Vertrages durch den Herausgeber^: Im Namen der allerheiligsten und unteilbaren Dreieinigkeit! Seine Majestät, der Kaiser von Österreich, König von Ungarn und Böhmen, der wie Seine erhabenen Verbündeten von dem Verlangen beseelt ist, die Souveräne Deutschlands zu dem gemeinsamen Zweck zusammenzuführen, sie an den Segnungen der Unabhängigkeit ihrer Vaterländer teilhaben zu lassen, nimmt, soweit es Ihn betrifft, Seine AUerdurchlauchtigste Hoheit, den Herzog von SachsenGotha und Altenburg, in die große Allianz auf Um die Bedingungen dieser Aufnahme zu bestimmen, hat Seine Kaiserliche Majestät den Herrn Franz Baron von Binder Kriegelstein, Großkreuz des Württembergischen Zivildienstordens, ernannt und bevollmächtigt und Seine AUerdurchlauchtigste Hoheit, der Herzog von Sachsen-Gotha, der Seinerseits als Bevollmächtigten den Herrn Karl Ernst von Hoff, Mitglied des Hofrates Seiner Allerdurchlauchtigsten Hoheit, ernannt hat. Die jeweiligen Bevollmächtigten sind übereingekommen und stellen nachfolgende Artikel fest: Artikel 1 Seine AUerdurchlauchtigste Hoheit, der Herzog von Sachsen-Gotha, entsagt für Sich und Seine Nachfolger dem Rheinbund und den für Sie daraus resultierenden Verpflichtungen. Artikel 2 Seine AUerdurchlauchtigste Hoheit verpflichtet Sich statt dessen, das Ziel der Unabhängigkeit Deutschlands mit allen in Seiner Macht stehenden Mitteln zu unterstützen. Artikel 3 Die Mittel, mit denen Seine AUerdurchlauchtigste Hoheit zur Erreichung des gemeinsamen Zwecks beizutragen hat, werden in einer gesonderten Vereinbarung näher erläutert, die als ein zum vorliegenden Vertrag gehörender Bestandteil gilt.

Unter Mitarbeit von Jerome Germain und Süleyman Kolcu.

574

§ 2: Rheinbund

[Dok, 4 - 30]

Artikel 4 ^Seine Majestät, der Kaiser von Österreich, König von Ungarn und Böhmen, garantiert Seiner Allerdurchlauchtigsten Hoheit, dem Herzog von Sachsen-Gotha, Seine Souveränität und Besitzungen. ^Im Gegenzug verpflichtet Sich Seine Allerdurchlauchtigste Hoheit, die Bestimmungen dieses Vertrages und die allgemeinen Vereinbarungen einzuhalten, die fur die Ausgestaltung der endgültigen Ordnung zur Bewahrung der Unabhängigkeit Deutschlands geschaffen werden. Artikel 5 Der vorliegende Allianzvertrag wird ratifiziert und die Ratifikationsurkunden werden sobald wie möglich ausgetauscht. Urkundüch dessen haben die jeweiligen Bevollmächtigten den Vertrag unterzeichnet und das Siegel ihrer Wappen aufgedrückt. Geschlossen in Frankfurt/M., dem 24. November im Jahre der Gunst 1813. (L. S.) Binder. (L. S.) Karl Ernst Adolph von Hoff.

[23] Allianzvertrag von Frankfurt (Österreich ./. Herzogtum SachsenCoburg-Saalfeld) vom 24. November 1813 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einführungen" die Darstellung unter [30.]. Quelle: Staatsarchiv Coburg, Urk. LA B Nr. 82, Bl. Iv. - 2 v . (handschriftlich - französischer Text)^. [Bl IvJ Au nom de la tres-sainte | et indivisible Trinite! Sa Majeste l'Empereur d'Autriche, Roi de | Hongrie et de Boheme anime, ainsi que tous Ses I Augustes Allies, du desir de rallier les Souverains de | TAllemagne ä la cause commune, et de les faire | participer aux bienfaits de l'independance de leur | patrie, admet, pour Sa part ä la grande alliance, | Son Altesse Serenissime le Due de Saxe-Coburg-1 Saalfeld. Pour determiner les conditions de cette admission, | Sa Majeste Imperiale a nomme et donne Ses | plein-pouvoirs au Sieur Fran9ois, Baron de | Binder de Kriegelstein, Grand Croix de 1'ordre du | merite civil de Würtemberg; Et Son Altesse Sere= | nissime le Due de Saxe-Coburg-Saalfeld ayant | nomme de son cöte et muni de Ses plein-pouvoirs | le Sieur Francois Xavier, Baron Fischler de | Freuberg, Colonel au Service de sa dite Altesse | Serenissime, Chevalier de 1'ordre de la couronne de | Baviere, les Plenipotentiaires respectifs sont convenus | [Bl. IrJ et ont arrete les articles suivants: Article r . Son Altesse Serenissime le Due de Saxe-Cobourg-1 Saalfeld renonce pour Lui et Ses Successeurs ä la | Confederation du Rhin et ä tous les liens, devoirs et | obligations qui en resultent pour Eux. Article 2. Son Altesse Serenissime s'engage au contraire ä | soutenir la cause de l'independance de TAllemagne | par tous les moyens en Son pouvoir.

Gleichlautende Verträge, datiert auf denselben Tag, wurden mit Preußen (Unterzeichner: Wilhelm von Humboldt) und Rußland (Unterzeichner: Graf Johann von Anstett) geschlossen.

[23] Allianzvertrag von Frankfurt vom 24. November 1813

575

Article 3. Les secours que Son Altesse Serenissime sera | tenue de foumir ä la cause commune, sont specifies | dans un instrument separe, qui doit etre envisage | comme partie integrante du present Traite. Article 4. Sa Majeste I'Empereur d'Autriche, Roi de | Hongrie et de Boheme, garantit, ä Son Altesse I Serenissime le Due de Saxe-Coburg-Saalfeld, Sa | Souverainete et ses possessions. Par contre, Son Altesse Serenissime s'engage | ä se conformer ä cet egard et en general, aux I arrangemens qu'exigera I'ordre des choses qui | [Bl 2vJ sera definitivement etabli pour le maintien de I'inde^ | pendance de I'Allemagne. Article 5. Le present Traite d'Alliance sera ratifie et les | ratifications en seront echangees dans le plus court I delai possible. En foi de quoi les Plenipotentiaires respectifs | Font signe, et y ont appose le cachet de Leurs | armes. Fait ä Francfort sur-le-Mein, le vingt-quatre | Novembre, I'an de grace, mil-huit-centtreize. (L. S.) Binder. (L. S.) Baron de Fischler de Freuberg. Deutsche Übersetzung des Vertrages durch den Herausgeber^: Im Namen der allerheiligsten und unteilbaren Dreieinigkeit! Seine Majestät, der Kaiser von Österreich, König von Ungarn und Böhmen, der wie Seine erhabenen Verbündeten von dem Verlangen beseelt ist, die Souveräne Deutschlands zu dem gemeinsamen Zweck zusammenzuführen, sie an den Segnungen der Unabhängigkeit ihrer Vaterländer teilhaben zu lassen, nimmt, soweit es Ihn betrifft, Seine Allerdurchlauchtigste Hoheit, den Herzog von SachsenCoburg-Saalfeld, in die große Allianz auf Um die Bedingungen dieser Aufnahme zu bestimmen, hat Seine Kaiserliche Majestät den Herrn Franz Baron von Binder Kriegelstein, Großkreuz des Württembergischen Zivildienstordens, ernannt und bevollmächtigt und Seine Allerdurchlauchtigste Hoheit, der Herzog von Sachsen-Coburg-Saalfeld, der Seinerseits als Bevollmächtigten den Herrn Franz Xaver Baron Fischler von Freuberg, Oberst vom Dienst Seiner Allerdurchlauchtigsten Hoheit, Ritter des Ordens der Beyerischen Krone, ernannt hat. Die jeweiligen Bevollmächtigten sind übereingekommen und stellen nachfolgende Artikel fest: Artikel 1 Seine Allerdurchlauchtigste Hoheit, der Herzog von Sachsen-Coburg-Saalfeld, entsagt fiir Sich und Seine Nachfolger dem Rheinbund und den für Sie daraus resultierenden Verpflichtungen. Artikel 2 Seine Allerdurchlauchtigste Hoheit verpflichtet Sich statt dessen, das Ziel der Unabhängigkeit Deutschlands mit allen in Seiner Macht stehenden Mitteln zu unterstützen. Artikel 3 Die Mittel, mit denen Seine Allerdurchlauchtigste Hoheit zur Erreichung des gemeinsamen Zwecks beizutragen hat, werden in einer gesonderten Vereinbarung näher erläutert, die als ein zum vorliegenden Vertrag gehörender Bestandteil gilt. Artikel 4 ^Seine Majestät, der Kaiser von Österreich, König von Ungarn und Böhmen, garantiert Seiner Allerdurchlauchtigsten Hoheit, dem Herzog von Sachsen-Coburg-Saalfeld, Seine Souveränität und Besitzungen. •^Im Gegenzug verpflichtet Sich Seine Allerdurchlauchtigste Hoheit, die Bestimmungen dieses Vertrages und die allgemeinen Vereinbarungen einzuhalten, die für die Ausgestaltung der endgültigen Ordnung zur Bewahrung der Unabhängigkeit Deutschlands geschaffen werden. Unter Mitarbeit von Jerome Germain und Süleyman Kolcu.

576

§2: Rheinbund

[Dok. 4 - 3 0 ]

Artikel 5 Der vorliegende Allianzvertrag wird ratifiziert und die Ratifikationsurkunden werden sobald wie möglich ausgetauscht. Urkundlich dessen haben die jeweiligen Bevollmächtigten den Vertrag unterzeichnet und das Siegel ihrer Wappen aufgedrückt, Geschlossen in Frankfurt/M., dem 24. November im Jahre der Gunst 1813. (L. S.) Binder. (L. S.) Baron Fischler von Freuberg.

[24] Allianzvertrag von Frankfurt (Österreich ./. Herzogtum SachsenMeiningen) vom 24. November 1813 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einführungen" die Darstellung unter [30.]. gi/e//e.- Thüringisches Staatsarchiv Meiningen, Geheimes Archiv Meiningen, Nr. B 2 / 69, El. 1V - Ir. (handschriftliche Ausfertigung - französischer Text)^. [Bl Iv.J Au nom de la tres-sainte | et indivisible Trinite! Sa Majeste l'Empereur d'Autriche, Roi de Hongrie & de Boheme, | anime, ainsi que tous Ses Augustes Allies, du desir de rallier les Souverains | de l'Allemagne ä la cause commune, et de les faire participer aux bien= | faits de l'independance de leur patrie, admet, pour Sa part, ä la grande | alliance. Son Altesse Serenissime Madame la Duchesse Regente & Tutrice | le Saxe-Meinungen. Pour determiner les conditions de cette admission, Sa Majeste Imperiale | a nomme & donne Ses pleinpouvoirs au Sieur Francois, Baron de Binder | de Kriegelstein, Grand Croix de rordre du merite civil de Würtemberg; Et | Son Altesse Serenissime Madame la Duchesse Regente & Tutrice de | Saxe-Meinungen ayant nomme de son cote & muni de Ses pleinpou= | voirs le Sieur Frederic Hartmann de Erffa, Conseiller prive & Grand | Ecuyer de Sa dite Altesse Serenissime, les Plenipotentiaires respectifs sont | convenus et ont arrete les articles suivans: Article 1. Son Altesse Serenissime la Duchesse Regente & Tutrice | de Saxe-Meinungen renonce pour Elle & Ses Successeurs ä la Confederation | du Rhin & ä tous les liens, devoirs & obligations qui en resultent pour Eux. Article 2. Son Altesses Serenissime s'engage au contraire ä soutenir la cause de | l'independance de l'Allemagne par tous les moyens en Son pouvoir. Article 3. Les secours que Son Altesse Serenissime sera tenue de foumir ä la | cause commune, sont specifies dans un instrument separe, qui doit etre | envisage comme partie integrante du present Traite.

Gleichlautende Verträge, datiert auf denselben Tag, wurden mit Preußen (Unterzeichner: Wilhelm von Humboldt) und Rußland (Unterzeichner: Graf Johann von Anstett) geschlossen.

[24] Allianzvertrag von Frankfurt vom 24. November 1813

577

Article 4. Sa Majeste l'Empereur d'Autriche, Roi de Hongrie & de Boheme, | [Bl IrJ garantit, ä Son Altesse Serenissime Madame la Duchesse Regente | & Tutrice de Saxe-Meinungen, Sa Souverainete & Ses possessions. Par contre, Son Altesse Serenissime s'engage ä se conformer ä cet | egard & en general, aux arrangemens qu'exigera l'ordre des choses qui | sera defmitivement etabli pour le maintien de Tindependance de | l'Allemagne. Article 5. Le present traite d'Alliance sera ratifie & les ratifications en | seront echangees dans le plus court delai possible. En foi de quoi les Plenipotentiaires respectifs l'ont signe, & y ont | appose le cachet de Leurs armes. Fait ä Francfort sur le Mein, le vingt quatre Novembre, | l'an de grace, Mil-huit-centtreize. (L. S.) Binder. (L. S.) Baron de Erffa. Deutsche Übersetzung des Vertrages durch den Herausgeber^: Im Namen der allerheiligsten und unteilbaren Dreieinigkeit! Seine Majestät, der Kaiser von Österreich, König von Ungarn und Böhmen, der wie Seine erhabenen Verbündeten von dem Verlangen beseelt ist, die Souveräne Deutschlands zu dem gemeinsamen Zweck zusammenzuführen, sie an den Segnungen der Unabhängigkeit ihrer Vaterländer teilhaben zu lassen, nimmt, soweit es Ihn betrifft, Ihre Allerdurchlauchtigste Hoheit, die Regierende Herzogin und Vormund von Sachsen-Meinigen, in die große Allianz auf Um die Bedingungen dieser Aufnahme zu bestimmen, hat Seine Kaiserliche Majestät den Herrn Franz Baron von Binder Kriegelstein, Großkreuz des Württembergischen Zivildienstordens, ernannt und bevollmächtigt und Ihre Allerdurchlauchtigste Hoheit, die Regierende Herzogin und Vormund von SachsenMeinigen, die Ihrerseits als Bevollmächtigten den Herrn Friedrich Hartmann von Erffa, Mitglied des Hofrates und Groß Stallmeister von Ihrer besagten Allerdurchlauchtigsten Hoheit, ernannt hat. Die jeweiligen Bevollmächtigten sind übereingekommen und stellen nachfolgende Artikel fest: Artikel 1 Ihre Allerdurchlauchtigste Hoheit, die Regierende Herzogin und Vormund von Sachsen-Meinigen, entsagt für Sich und Ihre Nachfolger dem Rheinbund und den für Sie daraus resultierenden Verpflichtungen. Artikel 2 Ihre Allerdurchlauchtigste Hoheit verpflichtet Sich statt dessen, das Ziel der Unabhängigkeit Deutschlands mit allen in Ihrer Macht stehenden Mitteln zu unterstützen. Artikel 3 Die Mittel, mit denen Ihre Allerdurchlauchtigste Hoheit zur Erreichung des gemeinsamen Zwecks beizutragen hat, werden in einer gesonderten Vereinbarung näher erläutert, die als ein zum vorliegenden Vertrag gehörender Bestandteil gilt. Artikel 4 ^Seine Majestät, der Kaiser von Österreich, König von Ungarn und Böhmen, garantiert Ihrer Allerdurchlauchtigsten Hoheit, der Regierenden Herzogin und Vormund von Sachsen-Meinigen, Ihre Souveränität und Besitzungen. Im Gegenzug verpflichtet Sich Ihre Allerdurchlauchtigste Hoheit, die Bestimmungen dieses Vertrages und die allgemeinen Vereinbarungen einzuhalten, die für die Ausgestaltung der endgültigen Ordnung zur Bewahrung der Unabhängigkeit Deutschlands geschaffen werden.

Unter Mitarbeit von Jerome Germain und Süleyman Kolcu.

578

§ 2: Rheinbund

[Dok. 4 - 30]

Artikel 5 Der vorliegende Allianzvertrag wird ratifiziert und die Ratifikationsurkunden werden sobald wie möglich ausgetauscht. Urkundlich dessen haben die jeweiligen Bevollmächtigten den Vertrag unterzeichnet und das Siegel ihrer Wappen aufgedrückt. Geschlossen in Frankfurt/M., dem 24. November im Jahre der Gunst 1813. (L. S.) Binder. (L. S.) Baron von Erffa.

[25] Allianzvertrag von Frankfurt (Rußland ./. Fürstentum Waldeck) vom 14./26. November 1813 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einführungen" die Darstellung unter [30.]. Quelle: Hessisches Staatsarchiv Marburg, Nachtrag zu den Waldeckischen Urkunden - bislang ungeordnet und unverzeichnet, Bl. Iv. - 2 v . (handschriftliche Ausfertigung - französischer Text). [Bl. Iv.J

Au nom de la tres-sainte & indivisible Trinite.^ Sa Majeste l'Empereur de toutes les Russies anime, ainsi que tous | Ses Augustes Allies, du desir de rallier les Souverains de TAllemagne | ä la cause commune et de les faire participer aux bienfaits de l'independance | de Leur patrie, admet pour Sa part, ä la grande alliance Son Altesse le | [BL Ir.J Prince de Waldeck-Pyrmont. Pour determiner les conditions de cette admission, Sa Majeste | Imperiale a nomme et donne Ses pleinpouvoirs au Sieur Jean d'Anstett, | Son Conseiller prive, Chevalier grand Croix de l'ordre de S- Wolodimir de la seconde | Classe, de celui de S- Anne de la premiere, de TAigle rouge de Prusse & de S- Jean | de Jerusalem, et Son Altesse ayant nomme de son cöte et muni de Ses plein= | pouvoirs le Sieur Baron de Wiesenhütten, Chevalier grand Croix de l'ordre du | Grand Due de Hesse & le Sieur Chretien de Kreusler, Conseiller de legation; | les Plenipotentiaires respectifs sont convenus & ont arrete les articles suivants. Article premier. Son Altesse le Prince de Waldeck renonce pour lui et Ses Successeurs, ä | la Confederation du Rhin & ä tous les liens, devoirs & obligations qui en resultent | pour eux. Article deuxieme. Son Altesse s'engage au contraire ä soutenir la cause de l'independance | de I'Allemagne par tous les moyens en Son pouvoir. Article troisieme. Les secours que Son Altesse sera tenue de foumir ä la cause commune | sont specifies dans un instrument separe, qui doit etre envisage comme partie | integrante du present traite. Article quatrieme. Sa Majeste l'Empereur de toutes les Russies garantit ä Son | Altesse le Prince de Waldeck, Sa Souverainete & les possessions. Par contre. Son Altesse s'engage ä se conformer ä cet egard & en general | aux arrange-

Vom Abdruck der vorstehenden russisch-sprachigen Präambel wurde abgesehen.

[25] Allianzvertrag von Frankfurt vom 14726. November 1813

579

mens qu'exigera l'ordre des choses, qui sera definitivement etabli | pour le maintien de rindependance de TAllemagne. Article cinquieme. Le present Traite d'alliance sera ratifie et les ratifications en seront echan= | gees dans le plus court delai possible. [BL2v.] En foi de quoi les Plenipotentiaires respectifs l'ont signe, et y ont appose le | cachet de leurs armes. Fait ä Francfort s/m: le '^'^*°^^%ingt sk Novembre l'an de grace, Mil huit cent treize. (L. S.) Jean d'Anstett. (L. S.) Le Baron de Wiesenhutten (L. S.) Chretien Kreusler, Deutsche Übersetzung des Vertrages durch den Herausgeber^: Im Namen der allerheiligsten und unteilbaren Dreieinigkeit! Seine Majestät, der Kaiser aller Russen, der wie Seine erhabenen Verbündeten von dem Verlangen beseelt ist, die Souveräne Deutschlands zu dem gemeinsamen Zweck zusammenzuführen, sie an den Segnungen der Unabhängigkeit ihrer Vaterländer teilhaben zu lassen, nimmt, soweit es Ihn betrifft, Seine Hoheit, den Fürsten von Waldeck-P3Tmont, in die große Allianz auf Um die Bedingungen dieser Aufnahme zu bestimmen, hat Seine Kaiserliche Majestät den Herrn Johann von Anstett, Seinen Hofrat, Großkreuz des Ordens vom Heiligen Wladimir zweiter Klasse und vom Orden der Heiligen Anna erster Klasse, vom preußischen Roten Adlerorden und vom Heiligen Joharmes von Jerusalem, ernannt und bevollmächtigt und Seine Hoheit, der Fürst von Waldeck-Pyrmont, der Seinerseits als Bevollmächtigten den Herrn Baron von Wiesenhütten, Großkreuz vom Orden des Großherzogs von Hessen, und den Herrn Christian von ICreusler, Legationsrat, ernannt hat. Die jeweiligen Bevollmächtigten sind übereingekommen und stellen nachfolgende Artikel fest: Artikel 1 Seine Hoheit, der Fürst von Waldeck, entsagt für Sich und Seine Nachfolger dem Rheinbund und den für Sie daraus resultierenden Verpflichtungen. Artikel 2 Seine Hoheit verpflichtet Sich statt dessen, das Ziel der Unabhängigkeit Deutschlands mit allen in Seiner Macht stehenden Mitteln zu unterstützen. Artikel 3 Die Mittel, mit denen Seine Hoheit zur Erreichung des gemeinsamen Zwecks beizutragen hat, werden in einer gesonderten Vereinbarung näher erläutert, die als ein zum vorliegenden Vertrag gehörender Bestandteil gilt. Artikel 4 ^Seine Majestät, der Kaiser aller Russen, garantiert Seiner Hoheit, dem Fürsten von WaldeckPyrmont, Seine Souveränität und Besitzungen. ^Im Gegenzug verpflichtet Sich Seine Hoheit, die Bestimmungen dieses Vertrages und die allgemeinen Vereinbarungen einzuhalten, die für die Ausgestaltung der endgültigen Ordnung zur Bewahrung der Unabhängigkeit Deutschlands geschaffen werden. Artikel 5 Der vorliegende Allianzvertrag wird ratifiziert und die Ratifikationsurkunden werden sobald wie möglich ausgetauscht. Urkundlich dessen haben die jeweiligen Bevollmächtigten den Vertrag unterzeichnet und das Siegel ihrer Wappen aufgedrückt. Geschlossen in Frankfurt/M., dem 14./20. November im Jahre der Gunst 1813. (L. S.) Johann von Anstett. (L. S.) Baron von Wiesenhütten. (L. S.) Christian Kreusler.

Unter Mitarbeit von Jerome Germain und Süleyman Kolcu.

580

§ 2: Rheinbund

[DoL4-30]

[26] Allianzvertrag von Frankfurt (Rußland ./. Reußische Fürstentümer) vom 17./29. November 1813 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einfuhrungen" die Darstellung unter [30.]. Quelle: Thüringisches Staatsarchiv Greiz, Staatsverträge Reuß j . L., Nr. 1, Bl. Iv. - Ir. (handschriftliche Ausfertigung - französischer Text). [Bl Iv.J Au nom de la tres-sainte et indivisible Trinite.^ Sa Majeste l'Empereur de toutes les Russies | [Bl. Ir.J anime, ainsi que tous | Ses augustes Allies, du desir de rallier les | Souverains de TAllemagne ä la cause commune, et de les | faire participer aux bienfaits de l'independance de Leur | patrie, admet pour Sa part ä la grande Alliance, Leurs Altesses les Princes Reuss=Greitz, Schleiz, Ebersdorf et Loben= | stein. Pour determiner les conditions de cette admission, Sa Ma= | jeste Imperiale a nomme et donne Ses pleinpouvoirs au | Sieur d'Anstett, Son Conseiller prive, Chevalier, grand croix | de r ordre de S- Wolodimir de la seconde classe, de celui | de S- Anne de la premiere, de TAigle rouge de Prusse et | Chevalier de l'ordre de S- Jerusalem, et Leurs Altesses les Princes I Reuss, Greitz, Schleitz, Ebersdorf et Lobenstein, ayant nomme de | Leur cote et muni de Leurs pleinpouvoirs, le Sieur Chretien | Gottlob Frederic Eyring, Conseiller de cour intime de Son Altesse | le Prince Reuss-Ebersdorf; les Plenipotentiaires respectifs sont | convenus et ont arrete les articles suivans: Article premier. Leurs Altesses le Princes Reuss=Greitz, Schleitz, Ebersdorf et | Lobenstein renoncent, pour Eux & Leurs Successeurs, ä la | Confederation du Rhin, et ä tous les liens, devoirs et | obligations, qui en resultent | pour Eux. Article deuxieme. Leurs Altesses s'engagent au contraire ä soutenir la cause | de l'independance de l'Allemagne par tous les moyens en | Leur pouvoir. Article troisieme. Les secours que Leurs Altesses seront tenues de foumir ä | la cause commune, sont specifies dans un instrument sepa= | re, qui doit etre envisage comme partie integrante du | present traite. Article quatrieme. Sa Majeste le TEmpereur de Toutes les Russe garantit | ä Leurs Altesses le Princes Greitz, Schleitz, Ebersdorf et | Lobenstein Leur Souverainete et Leurs possessions. Par contre Leures Altesses s'engagent ä se | conformer | ä cet egard & en general aux arrangemens qu'exigera | I'ordre des choses, qui sera definitivement etabli pour | le maintien de l'independance de l'Allemagne. Article cinquieme Le present traite d'Alliance sera ratifie et les ratifi= | cations en seront echangees dans le plus court delai | possible.

Vom Abdruck der vorstehenden russisch-sprachigen Präambel wurde abgesehen.

[26] Allianzvertrag von Frankfurt vom 17,/29. November 1813

581

En foi de quoi les Plenipotentiaires respectifs l'ont | signe et y ont appose le cachet de leurs armes. Fait ä Francfort sur le Mein, le ^^''"^^^Vvmgt neuf Novembre, l'an | de grace, Mil-huit centtreize. (L. S.) Jean d'Anstett. (L. S.) Chretien Gottlob Fredreric | Eyring. Deutsche Übersetzung des Vertrages durch den Herausgeber^: Im Namen der allerheiligsten und unteilbaren Dreieinigkeit! Seine Majestät, der Kaiser aller Russen, der wie Seine erhabenen Verbündeten von dem Verlangen beseelt ist, die Souveräne Deutschlands zu dem gemeinsamen Zweck zusammenzuführen, sie an den Segnungen der Unabhängigkeit ihrer Vaterländer teilhaben zu lassen, nimmt, soweit es Ihn betrifft, Ihre Hoheiten, die Fürsten von Reuß-Greitz, -Schleiz, -Ebersdorf und -Lobenstein, in die große Allianz auf. Um die Bedingungen dieser Aufnahme zu bestimmen, hat Seine Kaiserliche Majestät den Herrn Johann von Anstett, Seinen Hofrat, Großkreuz des Ordens vom Heiligen Wladimir zweiter Klasse und vom Orden der Heiligen Anna erster Klasse, vom preußischen Roten Adlerorden und vom Heiligen Johannes von Jerusalem, ernannt und bevollmächtigt und Ihre Hoheiten, die Fürsten von Reuß-Greitz, -Schleiz, -Ebersdorf und -Lobenstein, die Ihrerseits als Bevollmächtigten den Herrn Christian Gottlob Friedrich Eyring, Mitglied des Hofrates Seiner Hoheit, des Fürsten von Reuß-Ebersdorf, ernannt haben. Die jeweiligen Bevollmächtigten sind übereingekommen und stellen nachfolgende Artikel fest: Artikel 1 Ihre Hoheiten, die Fürsten von Reuß-Greitz, -Schleiz, -Ebersdorf und -Lobenstein, entsagen für Sich und Ihre Nachfolger dem Rheinbund und den für Sie daraus resultierenden Verpflichtungen. Artikel 2 Ihre Hoheiten verpflichten sich statt dessen, das Ziel der Unabhängigkeit Deutschlands mit allen in Ihrer Macht stehenden Mitteln zu unterstützen. Artikel 3 Die Mittel, mit denen Ihre Hoheiten zur Erreichung des gemeinsamen Zwecks beizutragen haben, werden in einer gesonderten Vereinbarung näher erläutert, die als ein zum vorliegenden Vertrag gehörender Bestandteil gilt. Artikel 4 Seine Majestät, der Kaiser aller Russen, garantiert Ihren Hoheiten, den Fürsten von Reuß-Greitz, Schleiz, -Ebersdorf und -Lobenstein, Ihre Souveränität und Besitzungen. Im Gegenzug verpflichten Sich Ihre Hoheiten, die Bestimmungen dieses Vertrages und die allgemeinen Vereinbarungen einzuhalten, die für die Ausgestaltung der endgültigen Ordnung zur Bewahrung der Unabhängigkeit Deutschlands geschaffen werden. Artikel 5 Der vorliegende Allianzvertrag wird ratifiziert und die Ratifikationsurkunden werden sobald wie möglich ausgetauscht. Urkundlich dessen haben die jeweiligen Bevollmächtigten den Vertrag unterzeichnet und das Siegel ihrer Wappen aufgedrückt. Geschlossen in Frankfurt/M., dem 17./29. November im Jahre der Gunst 1813. (L. S.) Johann von Anstett. (L. S.) Christian Gottlob Friedrich E3Ting.

Unter Mitarbeit von Jerome Germain und Süleyman Kolcu.

582

§ 2: Rheinbund

[Dok. 4 - 30]

[27] Allianzvertrag von Frankfurt (Rußland ./. Großherzogtum Sachsen-Weimar-Eisenach) vom 20. November/ 2. Dezember 1813 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einführungen" die Darstellung unter [30.]. Quelle: Thüringisches Staatsarchiv Weimar, Urkunden, 1814 Jan. 1, Bl. I r . - 2 v . (handschriftliche Ausfertigung - französischer Text). [Bl Ir.J Au nom de la tres Sainte | et indivisible Trinite.^ Sa Majeste l'Empereur de toutes les Russies anime, ainsi= | que Ses augustes Allies, du desir de rallier les Souverains de rAllemagne | ä la cause commune, et de les faire participer aux bienfaits de l'independance | de leur patrie, admet pour Sa part ä la grande Alliance, Son Altesse | Serenissime le Due de Saxe-Weimar et Eisenach. Pour determiner les conditions de cette admission, Sa Majeste | Imperiale a nomme et donne Ses pleinpouvoirs au Sieur Jean d'Anstett, Son Conseiller | prive, Chevalier, grand Croix de 1'ordre de S^ Wolodimir de la seconde classe, | de celui de S^^ Anne de la premiere, de l'Aigle rouge de Prusse, et Chevalier | de l'ordre de S* Jean de Jerusalem; et Son Altesse Serenissime le Due de | Saxe Weimar et Eisenach, ayant nomme de son cote et muni de Ses plein= I pouvoirs, le Sieur Emeste Auguste de Gersdorf, Son Vice President et | Membre de son Conseil intime; les Plenipotentiaires respectifs sont convenu | et ont arrete les articles suivants: Article premier. Son Altesse Serenissime le Due de Saxe Weimar et Eisenach renonce | pour Lui et Ses Successeurs, ä la confederation du Rhin et ä tous les liens, | devoirs et obligations, qui en resultent pour Eux. Article deuxieme Son Altesse Serenissime s'engagent au contraire, ä soutenir la cause de | l'independance de l'Allemagne par tous les moyens en son pouvoir. Article troisieme Les secours que Son Altesse Serenissime sera tenue de foumir ä la cause | commune, sont specifies dans un instrument separe, qui doit etre envisage | comme partie integrante du I present traite. [BL 2vJ Article quatrieme Sa Majeste l'Empereur de toutes les Russe garantit ä Son | Altesse Serenissime le Due de Saxe Weimar et Eisenach, sa Souverainete | et ses possessions. Par contre Son Altesse Serenissime s'engagent ä se conformer ä cet egard | en general aux arrangemens qu'exigera 1'ordre des choses, qui sera defini= | tivement etabli pour le maintien de l'independance de l'Allemagne. Article cinquieme Le present Traite d'Alliance sera ratifie et les ratifications en seront | echangees dans le plus court delai possible. En foi de quoi les Plenipoten= | tiaires respectifs l'ont signe et y

Vom Abdruck der vorstehenden russisch-sprachigen Präambel wurde abgesehen.

[28] Allianzvertrag von Frankfurt vom 29. November 1813

583

ont appose le cachet de leurs armes. Fait | ä Francfort s/m., le ^^^^ ^°^^"^^^%eux Decembre? l'An de grace, Mil huit cent treize. (L. S.) Jean d'Anstett (L. S.) Emeste Auguste Baron de Gersdorff. Deutsche Übersetzung des Vertrages durch den Herausgeber^: Im Namen der allerheiligsten und unteilbaren Dreieinigkeit! Seine Majestät, der Kaiser aller Russen, der wie Seine erhabenen Verbündeten von dem Verlangen beseelt ist, die Souveräne Deutschlands zu dem gemeinsamen Zweck zusammenzuführen, sie an den Segnungen der Unabhängigkeit ihrer Vaterländer teilhaben zu lassen, nimmt, soweit es Ihn betrifft, Seine AUerdurchlauchtigste Hoheit, den Herzog von Sachsen-Weimar und Eisenach, in die große Allianz auf Um die Bedingungen dieser Aufnahme zu bestimmen, hat Seine Kaiserliche Majestät den Herrn Johann von Anstett, Seinen Hofrat, Großkreuz des Ordens vom Heiligen Wladimir zweiter Klasse und vom Orden der Heiligen Anna erster Klasse, vom preußischen Roten Adlerorden und vom Heiligen Johannes von Jerusalem, ernannt und bevollmächtigt und Seine AUerdurchlauchtigste Hoheit, der Herzog von Sachsen-Weimar und Eisenach, der Seinerseits als Bevollmächtigten den Herrn Ernst August von Gersdorf, Seinen Vize-Präsidenten und Mitglied des Staatsrates, ernannt hat. Die jeweiligen Bevollmächtigten sind übereingekommen und stellen nachfolgende Artikel fest: Artikel 1 Seine AUerdurchlauchtigste Hoheit, der Herzog von Sachsen-Weimar und Eisenach, entsagt für Sich und Seine Nachfolger dem Rheinbund und den für Sie daraus resultierenden Verpflichtungen. Artikel 2 Seine AUerdurchlauchtigste Hoheit verpflichtet Sich statt dessen, das Ziel der Unabhängigkeit Deutschlands mit allen in Seiner Macht stehenden Mitteln zu unterstützen. Artikel 3 Die Mittel, mit denen Seine AUerdurchlauchtigste Hoheit zur Erreichung des gemeinsamen Zwecks beizutragen hat, werden in einer gesonderten Vereinbarung näher erläutert, die als ein zum vorliegenden Vertrag gehörender Bestandteil gilt. Artikel 4 Seine Majestät, der Kaiser aller Russen, garantiert Seiner Allerdurchlauchtigsten Hoheit, dem Herzog von Sachsen-Weimar und Eisenach, Seine Souveränität und Besitzungen. Im Gegenzug verpflichtet Sich Seine AUerdurchlauchtigste Hoheit, die Bestimmungen dieses Vertrages und die allgemeinen Vereinbarungen einzuhalten, die für die Ausgestaltung der endgültigen Ordnung zur Bewahrung der Unabhängigkeit Deutschlands geschaffen werden. Artikel 5 Der vorliegende Allianzvertrag wird ratifiziert und die Ratifikationsurkunden werden sobald wie möglich ausgetauscht. Urkundlich dessen haben die jeweiligen Bevollmächtigten den Vertrag unterzeichnet und das Siegel ihrer Wappen aufgedrückt. Geschlossen in Frankfurt/M., dem 20. November/2. Dezember im Jahre der Gunst 1813. (L. S.) Johann von Anstett. (L. S.) Ernst August Baron von Gersdorff.

[28] Allianzvertrag von Frankfurt (Österreich ./. Fürstentum Lippe-Detmold) vom 29. November 1813 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einführungen" die Darstellung unter [30.]. Quelle: Nordrhein-Westfälisches Staatsarchiv Detmold, L 2 Nr. 25 (handschriftliche Ausfertigung - französischer Text)**.

^ Unter Mitarbeit von Jerome Germain und Süleyman Kolcu. ^ Gleichlautende Verträge, datiert auf denselben Tag, wurden mit Preußen (Unterzeichner: Wilhelm von Humboldt) und Rußland (Unterzeichner: Graf Johann von Anstett) geschlossen.

584

§ 2: Rheinbund

[Dok. 4 - 30]

[Bl. Iv.] Au nom de la tres-sainte | et indivisible Trinite! Sa Majeste l'Empereur d'Autriche, Roi de | Hongrie et de Boheme anime, ainsi que tous Ses I Augustes AlHes, du desir de rallier les Souverains de | TAllemagne ä la cause commune, et de les faire parti= | ciper aux bienfaits de l'independance de leur patrie, | admet, pour Sa part, ä la grande alliance Son | Altesse Madame la Princesse Tutrice et Regente | de la Lippe-Detmold. Pour determiner les conditions de cette admission, | Sa Majeste Imperiale a nomme et donne Ses | plein-pouvoirs au Sieur Fran9ois, Baron de | Binder de Kriegelstein, Grand Croix de 1'ordre du merite | civil de Würtemberg; Et Son Altesse Madame la | Duchesse Tutrice et Regente de la Lippe-Detmold | ayant nomme de son cote et muni de Ses plein-1 pouvoirs le Sieur de Preuss, Son Conseiller de Legation, | les Plenipotentiaires respectifs sont convenus et ont | arrete les articles suivans: Article W Son Altesse Madame la Princesse Tutrice et | Regente [Bl Ir.J de la Lippe-Detmold renonce pour Elle et | Ses Successeurs ä la Confederation du Rhin et ä tous | les liens, devoirs et obligations qui en resultent pour | Eux. Article 2, Son Altesse S'engage au contraire ä soutenir la | cause de l'independance de I'Allemagne par tous les | moyens en Son pouvoir. Article 3. Les secours que Son Altesse sera tenue de | foumir ä la cause commune, sont specifies dans un | instrument separe, qui doit etre envisage comme partie | integrante du present Traite. Article 4. Sa Majeste l'Empereur d'Autriche, Roi de | Hongrie et de Boheme, garantit, ä Son Altesse I Madame la Princesse Tutrice et Regente de la Lippe- | Detmold Sa Souverainete et Ses possessions. Par contre, Sa dite Altesse s'engage ä se conformer | ä cet egard et en general aux arrangemens qu'exigera | 1'ordre des choses qui sera definitivement etabli pour | le maintien de l'independance de l'Allemagne. Article 5. Le present Traite d'Alliance sera ratifie, et les ratifi= | [Bl. 2v.] cations en seront echangees dans le plus court delai | possible, En foi de quoi les Plenipotentiaires respectifs l'ont | signe, et y ont appose le cachet de Leurs armes. Fait ä Francfort sur-le-Mein, le vingt-neuf | Novembre, l'an de grace, Mil-huit-centtreize. (L. S.) Binder. (L. S.) Preuss.

[29] Allianzvertrag von Frankfurt vom 1. Dezember 1813

585

Deutsche Übersetzung des Vertrages durch den Herausgeber^: Im Namen der allerheiligsten und unteilbaren Dreieinigkeit! Seine Majestät, der Kaiser von Österreich, König von Ungarn und Böhmen, der wie Seine erhabenen Verbündeten von dem Verlangen beseelt ist, die Souveräne Deutschlands zu dem gemeinsamen Zweck zusammenzuführen, sie an den Segnungen der Unabhängigkeit ihrer Vaterländer teilhaben zu lassen, nimmt, soweit es Ihn betrifft, Ihre Hoheit, die Regierende Fürstin und Vormund von LippeDetmold, in die große Allianz auf Um die Bedingungen dieser Aufnahme zu bestimmen, hat Seine Kaiserliche Majestät den Herrn Franz Baron von Binder Kriegelstein, Großkreuz des Württembergischen Zivildienstordens, ernannt und bevollmächtigt und Ihre Hoheit, die Regierende Fürstin und Vormund von Lippe-Detmold, die Ihrerseits als Bevollmächtigten den Herrn von Preuß, Ihren Legationsrat, ernannt hat. Die jeweiligen Bevollmächtigten sind übereingekommen und stellen nachfolgende Artikel fest: Artikel 1 Ihre Hoheit, die Regierende Fürstin und Vormund von Lippe-Detmold, entsagt für Sich und Ihre Nachfolger dem Rheinbund und den für Sie daraus resultierenden Verpflichtungen. Artikel 2 Ihre Hoheit verpflichtet Sich statt dessen, das Ziel der Unabhängigkeit Deutschlands mit allen in Ihrer Macht stehenden Mitteln zu unterstützen. Artikel 3 Die Mittel, mit denen Ihre Hoheit zur Erreichung des gemeinsamen Zwecks beizutragen hat, werden in einer gesonderten Vereinbarung näher erläutert, die als ein zum vorliegenden Vertrag gehörender Bestandteil gilt. Artikel 4 ^Seine Majestät, der Kaiser von Österreich, König von Ungarn und Böhmen, garantiert Ihrer Hoheit, der Regierenden Fürstin und Vormund von Lippe-Detmold, Ihre Souveränität und Besitzungen. Im Gegenzug verpflichtet Sich Ihre Hoheit, die Bestimmungen dieses Vertrages und die allgemeinen Vereinbarungen einzuhalten, die für die Ausgestaltung der endgültigen Ordnung zur Bewahrung der Unabhängigkeit Deutschlands geschaffen werden. Artikel 5 Der vorliegende Allianzvertrag wird ratifiziert und die Ratifikationsurkunden werden sobald wie möglich ausgetauscht. Urkundlich dessen haben die jeweiligen Bevollmächtigten den Vertrag unterzeichnet und das Siegel ihrer Wappen aufgedrückt. Geschlossen in Frankfurt/M., dem 9. November im Jahre der Gunst 1813. (L. S.) Binder. (L. S.) Preuß.

[29] Allianzvertrag von Frankfurt (Preußen ./. Fürstentum Schaumburg-Lippe) vom 1. Dezember 1813 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einführungen" die Darstellung unter [30.]. Quelle: Niedersächsisches Staatsarchiv Bückeburg, F 1 XXXV 28.8, Bl. I v . - I r . (handschriftliche Ausfertigung - französischer Text). [Bl

IvJ Sa Majeste le Roi de Prusse, anime, ainsi que tous Ses Augustes | Allies, du desir de rallier les Souverains de rAllemagne ä la cause com= | mune, & de les faire participer aux bienfaits de l'independance de leur | patrie, admet pour Sa part ä la grande alliance Son Altesse le I Prince de Schaumbourg-Lippe. Pour determiner les conditions de cette admission, Sa Majeste le Roi de | Prusse a nomme & donne Ses pleinpouvoirs au Sieur Charles Guillaume | Baron de Humboldt, Son Ministre d'Etat, Envoye Extraordinaire & Minis= | tre Plenipotentiaire pres Sa Majeste Impe-

Unter Mitarbeit von Jerome Germain und Süleyman Kolcu.

586

§2: Rheinbund

[Dok. 4 - 3 0 ]

riale & Royale Apostolique, Che= | valier des ordres de Prusse de 1' aigle rouge de la Croix de fer, & de St: Anne de | Russie & Son Altesse le Prince de Schaumbourg-Lippe ayant nomme de | son cote & muni de les pleinpouvoirs le Sieur Günther Henri de Berg, | Son President de Regence, les Plenipotentiaires respectifs sont convenus & | ont arrete les articles suivans: Article 1. Son Altesse le Prince de Schaumbourg-Lippe renonce pour Lui & sen | Successeurs ä la Confederation du Rhin, & ä tous les liens, devoirs & obligations | qui en resultent pour Eux. Article 2. Son Altesse S'engage au contraire ä soutenir la cause de I'indepen^ | dance de I'Allemagne par tous les moyens en son pouvoir. Article 3. Les secours que Son Altesse sera tenue de foumir ä la cause commune, | sont specifies dans un instrument separe, qui doit etre envisage comme | partie integrante du present traite. Article 4. Sa Majeste le Roi de Prusse garantit, ä Son Altesse le Prince de | Schaumbourg-Lippe Sa Souverainete & les possessions. [Bl Ir.J Par contre Son Altesses s'engage ä se conformer ä cet egard & en general | aux arrangemens qu'exigera 1'ordre des choses qui sera definitivement eta= | bli pour le maintien de I'independance de I'Allemagne. Article 5. Le present traite d'alliance sera ratifie & les ratifications en seront | echangees dans le plus court delai possible. En foi de quoi les Plenipotentiaires respectifs Font signe & y ont | appose le cachet de leurs armes. Fait ä Francfort sur le Mein, le premier December, I'An | de grace, Mil-huit-cent-treize. (L. S.) Charles Guillaume Baron | de Humboldt. (L. S.) Günther Henri de Berg. Deutsche Übersetzung des Vertrages durch den Herausgeber^: Seine Majestät, der König von Preußen, der wie Seine erhabenen Verbündeten von dem Verlangen beseelt ist, die Souveräne Deutschlands zu dem gemeinsamen Zweck zusammenzuführen, sie an den Segnungen der Unabhängigkeit ihrer Vaterländer teilhaben zu lassen, nimmt, soweit es Ihn betrifft, Seine Hoheit, den Fürsten von Schaumburg-Lippe, in die große Allianz auf Um die Bedingungen dieser Aufnahme zu bestimmen, hat Seine Majestät, der König von Preußen, den Herrn Karl Wilhelm Baron von Humboldt, Seinen Staatsminister, außerordentlicher Minister und bevollmächtigter Minister bei Seiner Kaiserlichen und Königlichen Apostolischen Majestät, Ritter der preußischen Orden vom Roten Adler und vom Eisernen Kreuz sowie Ritter vom russischen St. AnnenOrden, ernannt und bevollmächtigt und Seine Hoheit, der Fürst von Schaumburg-Lippe, der Seinerseits als Bevollmächtigten den Herrn Günther Heinrich von Berg, Seinen Regierungspräsidenten, ernannt hat. Die jeweiligen Bevollmächtigten sind übereingekommen und stellen nachfolgende Artikel fest:

Unter Mitarbeit von Jerome Germain und Süleyman Kolcu.

[30] Allianzvertrag von Frankfurt vom 7. Dezember 1813

587

Artikel 1 Seine Hoheit, der Fürst von Schaumburg-Lippe, entsagt für Sich und Seine Nachfolger dem Rheinbund und den für Ihn daraus resultierenden Verpflichtungen. Artikel 2 Seine Hoheit verpflichtet Sich statt dessen, das Ziel der Unabhängigkeit Deutschlands mit allen in Ihrer Macht stehenden Mitteln zu unterstützen. Artikel 3 Die Mittel, mit denen Seine Hoheit zur Erreichung des gemeinsamen Zwecks beizutragen hat, werden in einer gesonderten Vereinbarung näher erläutert, die als ein zum vorliegenden Vertrag gehörender Bestandteil gilt. Artikel 4 ^Seine Majestät, der König von Preußen, garantiert Seiner Hoheit, dem Fürsten von SchaumburgLippe, Seine Souveränität und Besitzungen. Im Gegenzug verpflichtet Sich Seine Hoheit, die Bestimmungen dieses Vertrages und die allgemeinen Vereinbarungen einzuhalten, die für die Ausgestaltung der endgültigen Ordnung zur Bewahrung der Unabhängigkeit Deutschlands geschaffen werden. Artikel 5 Der vorliegende Allianzvertrag wird ratifiziert und die Ratifikationsurkunden werden sobald wie möglich ausgetauscht. Urkundlich dessen haben die jeweiligen Bevollmächtigten den Vertrag unterzeichnet und das Siegel ihrer Wappen aufgedrückt. Geschlossen in Frankfurt/M., dem 1. Dezember im Jahre der Gunst 1813. (L. S.) Karl Wilhelm Baron von Humboldt. (L. S.) Günther Heinrich von Berg.

[30] Allianzvertrag von Frankfurt (Österreich ./. Fürstentum Liechtenstein) vom 7. Dezember 1813 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einführungen" die Darstellung unter [30.]. Quelle: Liechtensteinisches Landesarchiv Vaduz, RB C 2 /1813, Bl. Iv. - Ir. (handschriftliche Ausfertigung - deutscher Text). [BL Iv.J

Kopie. Uibersetzung | des Vertrages mit S- Majestät dem Kaiser von Oesterreich &, &, & Im Namen der all erheiligsten Drey faltigkeit! S- Majestät der Kaiser von Oesterreich, König von | Hungarien und Böhmen, belebt, so wir alle seine Er= | lauchten Verbündeten, von dem Verlangen alle Souveraine Deutschlandes zur gemeinsamen Sache | zu vereinigen, und sie an den Wohlthaten der | Unabhängigkeit ihres Vaterlandes theil nehmen zu | lassen, nihmt für seinen Theil S^ Durchlaucht | den Fürsten v. Liechtenstein in den großen Bund | auf Um die Bedingnüsse dieser Aufnahme zu be= | stimmen, haben S- Kaiserl: Majestät den Herren Franz | Fürst von Binder zu Kjriegelstein, Groß Kreutz des | G. Würtenbergischen Verdienstordens ernannt und | bevollmächtiget, und nachdem S- Durchl: der Fürst | von Liechtenstein ihrer Seits den K. K. oesterr: Geh= | rath, Ritter des Kaisers Leopold, und des Königl: | Bayer: Ordens, Herrn Engelbert v. Flamt ernennet, | und mit Vollmacht versehen hatten; so sind die beyder= | seytigen Bevollmächtigten übereingekommen, und haben | nachstehende Punkte abgeschlossen:

588

§ 2: Rheinbund

[Dok. 4 - 30]

1. S- Durchl: der Fürst von Liechtenstein entsaget für sich | und seine Erben dem Rheinbunde, und allen Verbindun== | gen, Pflichten und Obliegenheiten, welche für sie daraus entstehen.

Gedacht S- Durchlaucht verbindet sich im Gegentheile | die Sache der Unabhängigkeit Deutschlands durch alle ihm zu | Gebot stehende Mittel zu unterstützen. [Bl Ir.J 3. Die Unterstützungen, welche Se Durchlaucht schul= | dig seyn wird, zur gemeinsamen Sache zu leisten, | sind in einer besonderen Urkunde verzeichnet, | welche als ein integrirender Theil des gegenwär= | tigen Vertrages angesehen werden soll. 4. Seine Majestät der Kaiser von Oesterreich, König | von Hungarien und Böhmen garantiren Sr Durch= | laucht dem Fürsten von Liechtenstein seine Sou= | veränität und seine Besitzungen. Dagegen verbindet sich Se Durchlaucht | diesfalls und überhaupt in jene Einrichtungen sich I zu fügen, welche jene Ordnung der Dinge fordern | wird, die zur Aufrechterhatung der Unabhängige | keit Deutschlands definitiv eingefuhret wep= | den wird. 5. Der gegenwärtige Allianztraktat soll rati= | fiziert, und die Ratifikationen in der möglichst I kürzesten Zeitfrist ausgewechselt werden. Urkundlich dessen haben ihn beyde | Bevollmächtigte unterzeichnet und ihre Wappen | beygedrückt. Geschehen zu Frankfurt am Main den 7ten | Dezemb: 1813. (L. S.) Binder. (L. S.) Flamt.

§ 3: Deutscher Bund (1815 - 1866)

[31 ] Deutsche Bundesakte vom 8. Juni 1815

591

[31] Deutsche Bundesakte vom 8. Juni 1815 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einführungen" die Darstellungen unter [48.] bis [65.] hinsichtlich der Entstehungsgeschichte, [66.] bis [69.], [78.] bis [81.], [83] bis [260] [306] [308] [321] [333] [348] [356] [384] [421.] und [424.], Quelle: Protokolle der deutschen Bundes^Versammlung 1816, 1. Bd., Heft 1, S. 30-42 (gedruckt). Sonstige Fundstellen: B\xnäQSdiVchiY, Abteilung Frankfiart a. M., Urkunden: 1815 Juni 8; Originaldokument mit allen Siegeln und Unterschriften; Gesetz-Sammlung flir die Königlichen Preußischen Staaten, 1818, Anhang, S. 143-155 (dt./franz.); K. Binding (Hrsg.), Deutsche Staatsgrundgesetze in diplomatisch genauem Abdruck, 3. Abdruck, 3. Heft (Rheinbund, Bundesakte, Wiener Schlußakte), 1905, S. 1 9 - 3 4 ; K Boldt (Hrsg.), Reich und Länder. Texte zur deutschen Verfassungsgeschichte im 19. und 20. Jahrhundert, 1987, S. 196-209; G. DüriglW. Rudolf (Uxsg.), Texte zur deutschen Verfassungsgeschichte vornehmlich ftir den Studiengebrauch, 3. Aufl., 1996, S. 1 1 - 2 0 ; E. R. Huber (Hrsg.), Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte, Bd. 1: Deutsche Verfassungsdokumente 1803 - 1850, 3. Aufl., 1978, Nr. 30; M Hundt (Hrsg.), Quellen zur kleinstaathchen Verfassungspolitik auf dem Wiener Kongreß, 1996 (Beiträge zur deutschen und europäischen Geschichte, Bd. 15), S. 192 - 205; J. L. Klüber (Hrsg.), Acten des Wiener Kongresses, Bd. 2, 1835, S. 558 ff.; P.A. G. Meyer (Hrsg.), Corpus Juris Germaniae Confoederationis oder Staatsacten ftir Geschichte und öffentliches Recht des Deutschen Bundes, Teil II (Beschlüsse der deutschen Bundesversammlung), 3. Aufl., 1859, S. 1 - 7; H. A. Zachariae (Hrsg.), Die deutschen Verfassungsgesetze der Gegenwart, 1855, S. 3 - 14; K.Zeumer (Hrsg.), Quellensammlung zur Geschichte der deutschen Reichsverfassungen in Mittelalter und Neuzeit, 2. Aufl., 1913, Nr. 218. [S. 30] Deutsche | Bundes=Akte Im Nahmen der allerheiligsten und | untheilbaren Dreyeinigkeit. Die souverainen Fürsten und freyen Städte Deutschlands, den gemeinsamen | Wunsch hegend, den 6. Artikel des Pariser Friedens vom 30. May 1814 in | Erfiillung zu setzen, und von den Vortheilen überzeugt, welche aus ihrer festen | und dauerhaften Verbindung für die Sicherheit und Unabhängigkeit Deutsch^ 1 lands, und die Ruhe und das Gleichgewicht Europa's hervorgehen würden, sind | übereingekommen, sich zu einem beständigen Bunde zu vereinigen, und haben zu | diesem Behuf ihre Gesandten und Abgeordneten am Congresse in Wien mit Voll= | machten versehen, nämlich: Seine K. K. apostolische Majestät, den Herrn Clemens Wenzeslaus Fürsten | von Mettemich=Winneburg=Ochsenhausen, Ritter des goldnen Vließes, | Großkreutz des Königlich Ungarischen St. Stephans=Ordens, Ritter des Ordens | des heiligen Andreas, des heiligen Alexander Newsky und der heiligen Anna | erster Klasse, Großkreutz der Ehrenlegion, Ritter des Ordens vom Elephanten, | des Ordens der Annunciation, des schwarzen Adlers und des rothen Adlers, | des Seraphinen=Ordens, des heiligen Josephs von Toskana, des heiligen I Hubertus, des goldnen Adlers von Württemberg, der Treue von Baden, des | [S. 31] heiligen Johannes von Jerusalem u. a. m., Kanzler des militärischen Marien | Theresien=Ordens, Curator der Kaiserlich Königl. Akademie der vereinigten bil= | denden Künste, Kämmerer, wirklichen Geheimen Rath Seiner Majestät des Kai= | sers von Oesterreich, Königs von Ungarn und Böhmen, Allerhöchst Dessen | Staats= und Conferenz=Minister, auch Minister der auswärtigen Angelegenheiten | und ersten Plenipotentiarius am Congreß; und

592

§3: Deutscher Bund

[Dok. 3 1 - 8 4 ]

Den Herrn Johann Philipp Baron von Wessenberg, Großkreutz des | Königlich Sardinischen Ordens des heiligen Mauritius und heiligen Lazarus, | wie auch des Königlichen Ordens der Baierischen Krone etc., Kammerhen" und | wirklichen Geheimen Rath Seiner Kaiserlich Königlich apostolischen Majestät, | Höchstdesselben zweyten Plenipotentiarius am Congreß. Seine Königliche Majestät von Preußen, den Herrn Fürsten von Har= | denberg, Ihro Staatskanzler, Ritter des schwarzen und rothen Adler^Ordens, | des Preußischen St. Johanniter=Ordens und des Preußischen eisernen Kreutzes, | Ritter des Russischen St. Andreas, St. Alexander=Newsky=Ordens und St. | Annen=Ordens erster Klasse, Großkreutz des Ungarischen St. Stephans=Ordens, | Großkreutz der Ehrenlegion, Großkreutz des Spanischen St. Karls=Ordens, | Ritter des Sardinischen Annunciation, des Schwedischen Seraphinen, des Dä= I nischen Elephanten, des Baierischen St. Huberts, des Württembergischen goldnen | Adlers, und m. a. Orden; und Den Herrn Karl Wilhelm Freyherm von Humboldt, Ihro Staats^ | Minister, Kammerherm, außerordentlichen Gesandten und bevollmächtigten | Minister bey Ihrer Kaiserlich Königl. Apostolischen Majestät, Ritter des rothen | Adler=Ordens, des Preußischen eisernen Kreutzes erster Klasse, Großkreutz des | Kaiserlich=Oesterreichischen Leopolds, des Russischen St. Annen=Ordens und | des Ordens des Verdienstes der Baierischen Krone. Seine Königliche Majestät von Dänemark, den Herrn Christian Günther | Grafen von Bemstorff, Ihren geheimen Conferenzrath, außerordentlichen | Abgesandten und bevollmächtigten Minister am Hofe Seiner Kaiserlich Königl. | Apostolischen Majestät und Bevollmächtigten am Congreß, Ritter des Elephan= | ten=Ordens, Großkreutz des Dannebrogs=Ordens und des Königl. Ungarischen | St. Stephans=Ordens; und Den Herrn Joachim Friedrich Grafen von Bemstorff, Ihro Geheimen Con= | ferenzrath, Bevollmächtigten am Congreß, Großkreutz des Dannebrogs=Ordens Seine Königliche Majestät von Baiem, den Herrn Alois Franz Xavier | Grafen von Rechberg und Rothenlöwen, Kämmerer und wirklichen Geheimen | Rath, außerordentlichen Gesandten und bevollmächtigten Minister am Kaiserl. | Königl. Hofe, Großkreutz des St. Huberts=Ordens, Kapitular=Kommenthur | des St. Georgs= und Großkreuz des Baierischen Civil=Verdienst=Ordens; Seine Majestät der König von Sachsen, den Herrn Hanns August Fürch= | [S. 32] tegott von Globig , Ihro Geheimen Rath, Kammerherm, Hof= und Justiz= | rath und geheimen Referendar. Seine Majestät der König der Niederlande, den Herrn Franz Christoph | Freyherm von Gagem, Plenipotentiarius Seiner Majestät des Königs der | Niederlande, und ihrer Durchlauchten des Herzogs und des Fürsten von Nassau, | Großkreutz des Hessischen Ordens vom goldenen Löwen und des Badenschen | Ordens der Treue. Seine Majestät der König von Großbritannien und Hannover, den Herrn | Emst Friedrich Herbert, Grafen von Münster, Erblandmarschall des Könige | reichs Hannover, Großkreutz des Königlich=Ungarischen St. Stephans=Ordens, | Seiner Königlichen Majestät von Großbritannien und Hannover Staats= und 1 Kabinets=Minister, ersten Bevollmächtigten am Congreß zu Wien; und Den Herrn Emst Christian August Grafen von Hardenberg, Großkreutz | des Kaiserlich=Oesterreichischen Leopolds=Ordens, Ritter des Königlich=Preußi= | sehen rothen Adler=Ordens und des Johanniter=Ordens, Seiner Königlichen | Majestät von Großbritannien und Hannover, Staats= und Kabinets=Minister, | dessen außerordentlichen Abgesandten und bevollmächtigten Minister an dem Hofe | Seiner Kaiserlich Königlich Apostolischen Majestät und dessen zweyten Bevoll= | mächtigten am Congreß zu Wien. Seine Königliche Hoheit der Kurfürst von Hessen, den Herm Dorotheus | Ludwig, Grafen von Keller, Höchst Ihro Staatsminister, Großkreutz vom | goldenen Löwen und des Preußischen rothen Adlers; und

[31 ] Deutsche Bundesakte vom 8. Juni 1815

593

Den Herrn Georg Ferdinand Freyherm von Lepel, Ihro Kammerherm | und geheimen Regierungsrath. Seine Königliche Hoheit der Großherzog von Hessen, den Herrn Johann | Freyherm von Türckheim von Altdorf, Ihren geheimen Rath, Staatsmini== | ster und außerordentlichen Abgesandten am Congreß, Großkreutz des Hessischen | Verdienst=Ordens, Commandeur des Königlich Ungarischen St. Stephans^ | Ordens. Seine Königliche Hoheit der Großherzog von Sachsen=Weimar, den Herrn [ Ernst August Freyherm von Gersdorf, Ihro wirklichen Geheimen Rath (jetzt [ an dessen Stelle den Herrn Friedrich August Freyherm von Minkwitz). Seine Durchlaucht der Herzog von Sachsen=Gotha, den Herm Friedrich | August Freyherm von Minkwitz, Ihro Geheimen Rath. Ihro Durchlaucht die Herzogin von Sachsen=Coburg=Meinungen, als Re= | gentin und Vormünderin Ihres Sohnes, eben denselben Freyherm von Minkwitz. Seine Durchlaucht der Herzog von Sachsen=Hildburghausen, den Herm | Karl Ludwig Friedrich Freyherm von Baumbach, Ihro Geheimen Rath und | Regiemngs^Präsidenten. Seine Durchlaucht der Herzog von Sachsen=Coburg=Saalfeld, den Herm | [S. 33] Franz Xavier Freyherm von Fischler von Treuberg, Ihro Obersten, Ritter des | Kaiserlich Oesterreichischen Leopolds=Ordens, und des Ordens der Baierischen | Krone. Seine Durchlaucht der Herzog von Braunschweig=Wolfenbüttel, an die | Stelle des Herm Wilhelm Justus Eberhardt von Schmidt=Phiseldeck, Ihro | geheimen Raths, ex substitutione den Herm Dorotheus Ludwig Grafen von | Keller, Kurfiirstlich=Hessischen Staatsminister. Seine Durchlaucht der Herzog von Holstein=01denburg, den Herm Albert | Freyherm von Maltzahn, Präsidenten der Regiemng des Fürstenthums Lü== | beck, Großkreutz des Russischen Ordens der heiligen Anna und Ritter des Ordens | des heiligen Johannes von Jemsalem. Seine Durchlaucht der Herzog von Mecklenburg=Schwerin, den Herm | Leopold Freyherm von Plessen, Ihro Staatsminister, Großkreutz des Danne= | brog=Ordens. Seine Durchlaucht der Herzog von Mecklenburg=Strelitz, den Herm Au= | gust Otto Emst Freyherm von Oertzen, Ihro Staatsminister, Großkreutz des | Preußischen rothen Adler=Ordens. Seine Durchlaucht der Herzog von Anhalt=Dessau, für sich und als Vormund | des minorennen Herzogs von Anhalt=Cöthen, und Seine Durchlaucht der Her= | zog von Anhalt=Bemburg gemeinschaftlich, den Herm Wolf Karl August von | Wolframsdorf, Präsidenten der Regiemng zu Dessau. Seine Durchlaucht der Fürst von Hohenzollem=Hechingen, den Herm Franz | Anton Freyherm von Franck, Ihren wirklichen Geheimen Rath. Seine Durchlaucht der Fürst von Hohenzollem=Siegmaringen, den Herm | Franz Ludwig von Kirchbauer, Ihro Geheimen Legationsrath. Seine Durchlaucht der Herzog und Seine Durchlaucht der Fürst von Nassau, | den Herm Franz Christoph Freyherm von Gagem, und Herm Emst Franz | Ludwig Freyherm von Marschall von Bieberstein, Plenipotentiarius Seiner | Majestät des Königs der Niederlande, fur seine Deutschen Staaten, und Ihrer | Durchlauchten des Herzogs und des Fürsten von Nassau, Großkreutz des Ordens | der Treue. Seine Durchlaucht der Fürst von Liechtenstein, den Herm Georg Walther 1 Wincenz von Wiese, Vicekanzler der Regiemng des Fürsten von Reuß zu Gera. Seine Durchlaucht der Fürst von Schwarzburg=Sondershausen, den Herm | Adolph von Weise, Ihro Geheimen Rath und Kanzler. Seine Durchlaucht der Fürst von Schwarzburg=Rudolstadt, den Herm | Friedrich Wilhelm Freyherm von Kettelhodt, Ihro Kanzler und Präsidenten, | auch Erbschenk der ge-

594

§ 3: Deutscher Bund

[Dok. 3 1 - 8 4 ]

fursteten Grafschaft Henneberg, des GroßherzogHch Baden= | sehen Ordens der Treue Großkreutz. Seine Durchlaucht der Fürst von Waldeck und Pyrmtont, den Herrn Günther | [S. 34] Heinrich von Berg, Doktor der Rechte und Regierungs=Präsidenten des Fürsten | von Schaumburg=Lippe. Ihro Durchlauchten von Reuß, älterer und jüngerer Linie, den Herrn Georg | Walther Vincenz von Wiese, Vice=Kanzler der Regierung zu Gera. Seine Durchlaucht der Fürst von Schaumburg=Lippe, den Herrn Günther | Heinrich von Berg. Ihro Durchlaucht die Fürstin von der Lippe, als Regentin und Vormün= | derin des Fürsten, ihres Sohnes, den Herrn Friedrich Wilhelm Helwing, Ihro | Regierungsrath. Die freye Stadt Lübeck, den Herrn Johann Friedrich Hach, Doktor der | Rechte und Senator dieser Stadt. Die freye Stadt Frankfurt, den Herrn Johann Ernst Friedrich Danz, | Doktor der Rechte, Syndikus dieser Stadt. Die freye Stadt Bremen, den Herrn Johann Smidt, Senator dieser | Stadt. Die freye Stadt Hamburg, den Herrn Johann Michael Gries, Syndicus | dieser Stadt. In Gemäßheit dieser Beschlüsse haben die vorstehenden Bevollmächtigten, | nach geschehener Auswechslung ihrer richtig befiindenen Vollmachten, folgende | Artikel verabredet: I. I Allgemeine Bestimmungen. Artikel 1. Die souverainen Fürsten und freien Städte Deutschlands, mit Einschluß | IL MM. des Kaisers von Oesterreich und der Könige von Preußen, von Däne= | mark und der Niederlande; und zwar der Kaiser von Österreich, der König von | Preußen, beyde für ihre gesammten vormals zum deutschen Reich gehörigen Be= | Sitzungen; der König von Dänemark für Holstein, der König der Niederlande für | das Großherzogthum Luxemburg, vereinigen sich zu einem beständigen Bunde, | welcher der Deutsche Bund heißen soll. Artikel 2. Der Zweck desselben ist Erhaltung der äußern und innem Sicherheit Deutsch= | lands, und der Unabhängigkeit und Unverletzbarkeit der einzelnen deutschen | Staaten. Artikel 3. ^AUe Bundesglieder haben als solche, gleiche Rechte. "^Sie verpflichten sich | alle gleichmäßig, die Bundes=Akte unverbrüchlich zu halten.

[31 ] Deutsche Bundesakte vom 8. Juni 1815

595

[S, 35] Artikel 4. Die Angelegenheiten des Bundes werden durch eine Bundesversammlung be= | sorgt, in welcher alle Glieder desselben durch ihre Bevollmächtigten theils einzelne, | theils Gesammtstimmen folgendermaßen, jedoch unbeschadet ihres Ranges, fähren: 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13. 14. 15. 16.

Oesterreich Preußen Baiem Sachsen Hannover Württemberg Baden Kurhessen Großherzogthum Hessen Dänemark, wegen Holstein Niederlande, wegen des Großherzogthums Luxemburg Die Großherzoglich und Herzoglich Sächsischen Häuser Braunschweig und Nassau Mecklenburg=Schwerin und Mecklenburg=Strelitz Holstein=01denburg, Anhalt und Schwarzburg Hohenzollem, Liechtenstein, Reuß, Schaumburg=Lippe, Lippe und Waldeck 17. Die freyen Städte: Lübeck, Frankfurt, Bremen und Hamburg Zus ammen

1. 1. L 1. 1. 1. L 1. 1. 1. 1. 1. 1. 1. 1.

Stimme.

1. 1. 17. Stimmen

Artikel 5. ^Österreich hat bey der Bundesversammlung den Vorsitz. ^Jedes Bundes^ | glied ist befugt, Vorschläge zu machen und in Vortrag zu bringen, und der | Vorsitzende ist verpflichtet, solche in einer zu bestimmenden Zeitfrist der Berathung | zu übergeben. Artikel 6. Wo es auf Abfassung und Abänderung von Grundgesetzen des Bundes, | auf Beschlüsse, welche die Bundesakte selbst betreffen, auf organische Bundes= | einrichtungen und auf gemeinnützige Anordnungen sonstiger Art ankommt, bildet | sich die Versammlung zu einem Plenum, wobei jedoch mit Rücksicht auf die | Verschiedenheit der Größe der einzelnen Bundesstaaten, folgende Berechnung | und Vertheilung der Stimmen verabredet ist: [S. 36] 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12.

Österreich erhält Preußen Sachsen Baiem Hannover Würtemberg Baden Curhessen Großherzogthum Hessen Holstein Luxemburg Braunschweig

4. 4. 4. 4. 4. 4. 3. 3. 3. 3. 3. 2,

Stimmen.

" " " " " "

596

[Dok. 3 1 - 8 4 ]

§3: Deutscher Bund

13. Mecklenburg=Schwerin 14. Nassau 15. Sachsen=Weimar 16. " =Gotha 17. " =Koburg 18. " ^Meinungen 19. " =Hildburghausen 20. Mecklenburg=Strelitz 21. Holstein=01denburg 22. Anhalt=Dessau 23. " =Bemburg 24. " =Köthen 25. Schwarzburg=Sondershausen 26. Schwarzburg=Rudolstadt 27. Hohenzollem=Hechingen 28. Liechtenstein 29. Hohenzollem=Siegmaringen 30. Waldeck 31. Reuß, ältere Linie 32. " jüngere Linie 33. Schaumburg=Lippe 34. Lippe 35. Die freie Stadt Lübeck 36. " " " Frankfurt 37. " " " Bremen 38. " " " Hamburg Zusammen

Stimme.

69

Stimmen.

[S. 37] Ob den mediatisirten vormaligen Reichständen auch einige Curiat=Stim= | men in Pleno zugestanden werden sollen, wird die Bundesversammlung bey der | Berathung der organischen Bundesgesetze in Erwägung nehmen. Artikel 7. In wiefern ein Gegenstand nach obiger Bestimmung für das Plenum geeig= | net sey, wird in der engem Versammlung durch Stimmenmehrheit entschieden. ^Die der Entscheidung des Pleni zu unterziehenden Beschluß=Entwürfe wer= | den in der engem Versammlung vorbereitet, und bis zur Annahme oder Ver= | werfung zur Reife gebracht. "^Sowohl in der engem Versammlung als in Pleno, | werden die Beschlüsse nach der Mehrheit der Stimmen gefaßt, jedoch in der Art, | daß in der erstem die absolute, in letzterer aber nur eine auf zwey Drittheilen der | Abstimmung bemhende Mehrheit entscheidet. Bey Stimmengleichheit in der engem Versammlung stehet dem Vorsitzenden | die Entscheidung zu. Wo es aber auf Annahme oder Abändemng der Gmndgesetze, auf orga= | nische Bundeseinrichtungen, auf jura singulomm oder Religionsangelegenheiten | ankommt, kann weder in der engem Versammlung noch in Pleno ein Beschluß | durch Stimmenmehrheit gefaßt werden. Die Bundesversammlung ist beständig, hat aber die Befugnis, wenn die | ihrer Berathung unterzogenen Gegenstände erledigt sind, auf eine bestimmte Zeit, | jedoch nicht auf länger als vier Monate, sich zu vertagen.

[31 ] Deutsche Bundesakte vom 8. Juni 1815

597

Alle näheren, die Vertagung und die Besorgung der etwa während derselben | vorkommenden dringenden Geschäfte, betreffenden Bestimmungen werden der | Bundesversammlung, bei Abfassung der organischen Gesetze, vorbehalten. Artikel 8. Die Abstimmungsordnung der Bundesglieder betreffend, wird festgesetzt; | daß, so lange die Bundesversammlung mit Abfassung der organischen Gesetze | beschäftiget ist, hierüber keinerley Bestimmung gelte, und die zufällig sich fügende Ordnung keinem der Mitglieder zum Nachtheil gereichen, noch eine Regel begrün= | den soll. ^Nach Abfassung der organischen Gesetze wird die Bundesversammlung die | künftige, als beständige Folge einzufiihrende Stimmenordnung in Berathung neh= | men, und sich darin so wenig als möglich von der ehemals auf dem Reichstage | und namentlich in Gemäßheit des Reichsdeputations=Hauptschlusses beobachteten | Ordnung entfernen. ^Auch diese Ordnung kann aber auf den Rang der Bundes== | glieder überhaupt und ihren Vortritt außer den Verhältnissen der Bundesver= | Sammlung, keinen Einfluß ausüben. Artikel 9. ^Die Bundesversammlung hat ihren Sitz zu Frankfurt am Mayn. "^Die Er= | öffiiung derselben ist auf den Iten September 1815 festgesetzt. [S. 38] Artikel 10. Das erste Geschäft der Bundesversammlung, nach ihrer Eröffnung, wird | die Abfassung der Grundgesetze des Bundes und dessen organische Einrichtung in | Rücksicht auf seine auswärtigen, militärischen und inneren Verhältnisse seyn. Artikel IL Alle Mitglieder des Bundes versprechen, sowohl ganz Deutschland, als | jeden einzelnen Bundesstaat gegen jeden Angriff in Schutz zu nehmen, und garan= | tiren sich gegenseitig ihre sämmtlichen, unter dem Bunde begriffenen Besitzungen. Bey einmal erklärtem Bundeskrieg darf kein Mitglied einseitige Unterband^ | lungen mit dem Feinde eingehen, noch einseitig Waffenstillstand oder Frieden | schließen. Die Bundesglieder behalten zwar das Recht der Bündnisse aller Art, ver= | pflichten sich jedoch, in keine Verbindungen einzugehen, welche gegen die Si= | cherheit des Bundes oder einzelner Bundesstaaten gerichtet wären. Die Bundesglieder machen sich ebenfalls verbindlich, einander unter keinerley | Vorwand zu bekriegen, noch ihre Streitigkeiten mit Gewalt zu verfolgen, son= | dem sie bey der Bundesversammlung anzubringen. Dieser liegt alsdann ob, die Vermittlung durch einen Ausschuß zu versu= | chen, und falls dieser Versuch fehlschlagen sollte, und demnach eine richterliche | Entscheidung nothwendig würde, solche durch eine wohlgeordnete Austrägal= | Instanz zu bewirken, deren Ausspruch die streitenden Theile sich sofort zu unter= | werfen haben. II. I Besondere Bestimmungen. Außer den in den vorhergehenden Artikeln bestimmten, auf die Feststellung | des Bundes gerichteten Punkten, sind die verbündeten Mitglieder übereingekom= | men, hiemit über folgende Gegenstände, die in den nachstehenden Artikeln ent= | haltenen Bestimmungen zu treffen, welche mit jenen Artikeln gleiche Kraft | haben sollen: Artikel 12. Diejenigen Bundesglieder, deren Besitzungen nicht eine Volkszahl von | 300,000 Seelen erreichen, werden sich mit den ihnen verwandten Häusern oder | andern Bundesgliedem,

598

§3: Deutscher Bund

_ _ _ _ ^ _ _

[Dok. 31 -84]

mit welchen sie wenigstens eine solche Volkszahl aus= | machen, zur Bildung eines gemeinschaftlichen obersten Gerichts vereinigen, In den Staaten von solcher Volksmenge, wo schon jetzt dergleichen Gerichte | dritter Instanz vorhanden sind, werden jedoch diese in ihrer bisherigen Eigen= | [S. 39] schaft erhalten, wofern nur die Volkszahl, über welche sie sich erstrecken, nicht | unter 150,000 Seelen ist. Den vier freyen Städten steht das Recht zu, sich untereinander über die | Errichtung eines gemeinsamen obersten Gerichts zu vereinigen. Bey den solchergestalt errichteten gemeinschaftlichen obersten Gerichten soll | jeder der Partheyen gestattet seyn, auf die Verschickung der Akten auf eine deutsche | Facultät oder an einen Schöppenstuhl zur Abfassung des Endurtheils anzutragen. Artikel 13. In allen Bundesstaaten wird eine landesständische Verfassung Statt finden. Artikel 14. Um den im Jahr 1806. und seitdem mittelbar gewordenen ehemaligen | Reichsständen und Reichsangehörigen, in Gemäßheit der gegenwärtigen Vei= | hältnisse, in allen Bundesstaaten einen gleichförmig bleibenden Rechtszustand zu | verschaffen, so vereinigen die Bundesstaaten sich dahin; a) Daß diese fürstlichen und gräflichen Häuser fortan nichts desto weniger zu | dem hohen Adel in Deutschland gerechnet werden, und ihnen das Recht | der Ebenbürtigkeit in dem bisher damit verbundenen Begriff verbleibt. b) Sind die Häupter dieser Häuser die ersten Standesherren in dem Staate, | zu dem sie gehören. Sie und ihre Familien bilden die privilegirteste | Klasse in demselben, insbesondere in Ansehung der Besteuerung. c) Es sollen ihnen überhaupt in Rücksicht ihrer Personen, Familien und | Besitzungen alle diejenigen Rechte und Vorzüge zugesichert werden oder | bleiben, welche aus ihrem Eigenthum und dessen ungestörtem Genüsse | herrühren, und nicht zu der Staatsgewalt und den hohem Regiemngs= | Rechten gehören. Unter vorerwähnten Rechten sind insbesondere und nahmenthch begriffen: 1) Die unbeschränkte Freyheit, ihren Aufenthalt in jedem zu dem Bunde | gehörenden oder mit demselben im Frieden lebenden Staate zu nehmen. 2) Werden nach den Grundsätzen der früheren deutschen Verfassung die | noch bestehenden Familienverträge aufrecht erhalten, und ihnen die Befugniß | zugesichert, über ihre Güter und Familienverhältnisse verbindliche Verfugungen | zu treffen, welche jedoch dem Souverain vorgelegt, und bey den höchsten Landes= | stellen zur allgemeinen Kenntniß und Nachachtung gebracht werden müssen. | Alle bisher dagegen erlassenen Verordnungen sollen fur künftige Fälle nicht | weiter anwendbar seyn. 3) Privilegirter Gerichtsstand und Befreyung von aller Militärpflichtigkeit | fixr sich und ihre Familien. 4) Die Ausübung der bürgerlichen und peinHchen Gerechtigkeitspflege in erster, | und wo die Besitzung groß genug ist, in zweyter Instanz, der Forstgerichtsbar= | keit, OrtspoHzey und Aufsicht in Kirchen= und Schulsachen, auch über milde | [S. 40] Stiftungen, jedoch nach Vorschrift der Landesgesetze, welchen sie, so wie der | Militärverfassung und der Oberaufsicht der Regierungen über jene Zuständigkeiten | unterworfen bleiben, Bey der nähern Bestimmung der angeführten Befugnisse sowohl, wie | überhaupt und in allen übrigen Punkten wird zur weitem Begründung und | Feststellung eines in allen deutschen Bundesstaaten übereinstimmenden Rechts= | zustandes der mittelbar gewordenen

[31 ] Deutsche Bundesakte vom 8. Juni 1815

599

Fürsten, Grafen und Herren die in dem Be= | treff erlassene Königlich Baierische Verordnung vom Jahr 1807.* als Basis und | Norm unterlegt werden. ^Dem ehemaligen Reichsadel werden die sub Nro. 1) und 2) angeführten | Rechte; Antheil der Begüterten an Landstandschaft, Patrimonial= und Forst= | gerichtsbarkeit, Ortspolizey, Kirchenpatronat, und der privilegirte Gerichtsstand | zugesichert. ^Diese Rechte werden jedoch nur nach Vorschrift der Landesgesetze | ausgeübt. In den durch den Frieden von Lüneville vom 9. Februar 1801. von Deutsch= | land abgetretenen und jetzt wieder damit vereinigten Provinzen werden bey An= | wendung der obigen Grundsätze auf den ehemaligen unmittelbaren Reichsadel | diejenigen Beschränkungen Statt finden, welche die dort bestehenden besondem | Verhältnisse nothwendig machen. Artikel 15. Die Fortdauer der auf die Rheinschiffahrts=Oktroi angewiesenen direkten | und subsidiarischen Renten, die durch den Reichsdeputationsschluß vom 25. Febr. | 1803.** getroffenen Verfügungen in Betreff des Schuldenwesens, und festgesetzter | Pensionen an geistliche und weltliche Individuen, werden von dem Bunde garantirt. Die Mitglieder der ehemaligen Dom= und freyen Reichs=Stifter haben die | Befugniß, ihre durch den erwähnten Reichsdeputationsschluß festgesetzten Pensio= | nen ohne Abzug in jedem mit dem deutschen Bunde im Frieden stehenden Staate | verzehren zu dürfen. Die Mitglieder des deutschen Ordens werden ebenfalls, nach den in dem | Reichsdeputations=Hauptschluß von 1803. für die Domstifter festgesetzten Grund= | Sätzen, Pensionen erhalten, insofern sie ihnen noch nicht hinreichend bewilliget | worden; und diejenigen Fürsten, welche eingezogene Besitzungen des deutschen | Ordens erhalten haben, werden diese Pensionen nach Verhältniß ihres Antheils | an den ehemahligen Besitzungen bezahlen. ^Die Berathung über die Regulirung der Sustentationskasse und der Pensio= | nen für die überrheinischen Bischöfe und Geistlichen, welche Pensionen auf die | Besitzer des linken Rheinufers übertragen werden, ist der Bundesversammlung | vorbehalten. ^Diese Regulirung ist birmen Jahresfrist zu beendigen; bis dahin | wird die Bezahlung der erwähnten Pensionen auf die bisherige Art fortgesetzt. [S. 41] Artikel 16. Die Verschiedenheit der christlichen Religionspartheyen kann in den Ländern | und Gebieten des deutschen Bundes keinen Unterschied in dem Genuß der bür= | gerlichen und politischen Rechte begründen. ^Die Bundesversammlung wird in Berathung ziehen, wie auf eine möglichst | übereinstimmende Weise die bürgerliche Verbesserung der Bekenner des jüdischen | Glaubens in Deutschland zu bewirken sey, und wie insonderheit denselben der | Genuß der bürgerlichen Rechte, gegen die Übernahme aller Bürgerpflichten, | in den Bundesstaaten verschafft und gesichert werden körme. ^Jedoch werden den | Bekennem dieses Glaubens, bis dahin die denselben von den einzelnen Bundes= | Staaten bereits eingeräumten Rechte erhalten.

Dok.31/1. Dok. 1.

600

§ 3 : Deutscher Bund

[Dok. 3 1 - 8 4 ]

Artikel 17. Das fürstliche Haus Thum und Taxis bleibt in dem durch den Reichsdepu= | tationsschluß vom 25. Februar 1803.^ oder späteren Verträgen bestätigten Be= | sitz und Genuß der Posten in den verschiedenen Bundesstaaten, so lange als nicht | etwa durch freye Uebereinkunft anderweitige Verträge abgeschlossen werden sollten. In jedem Falle werden demselben in Folge des Artikels 13. des erwähnten | Reichsdeputations=Hauptschlusses, seine auf Belassung der Posten, oder auf | eine angemessene Entschädigung gegründeten Rechte und Ansprüche versichert. Dieses soll auch da Statt finden, wo die Aufhebung der Posten seit 1803. | gegen den Inhalt des Reichsdeputations=Hauptschlusses bereits geschehen wäre, | in sofern diese Entschädigung durch Verträge nicht schon definitiv festgesetzt ist. Artikel 18. Die verbündeten Fürsten und freyen Städte kommen überein, den Unter= | thanen der deutschen Bundesstaaten folgende Rechte zuzusichern. a) Grundeigenthum außerhalb des Staates, den sie bewohnen, zu erwerben | und zu besitzen, ohne deßhalb in dem fremden Staate mehreren Abgaben und | Lasten unterworfen zu seyn, als dessen eigene Unterthanen. b) DieBefiigniß: 1) des freyen Wegziehens aus einem deutschen Bundesstaate in den an= | dem, der erweislich sie zu Unterthanen annehmen will; auch 2) in Civil= und Militärdienste desselben zu treten; beides jedoch nur, | insofern keine Verbindlichkeit zu Militärdiensten gegen das bisherige | Vaterland im Wege stehe; und damit wegen der dermahlen vorwalten^ | den Verschiedenheit der gesetzlichen Vorschriften über Militärpflichtige | keit, hierunter nicht ein ungleichartiges, für einzelne Bundesstaaten | nachtheiliges Verhältniß entstehen möge; so wird bey der Bundes^ | [S. 42] Versammlung die Einführung möglichst gleichförmiger Grundsätze über | diesen Gegenstand, in Berathung genommen werden. c) Die Freyheit von aller Nachsteuer (jus detractus, gabella emigrationis), | insofern das Vermögen in einen andern deutschen Bundesstaat übergeht, und | mit diesem nicht besondere Verhältnisse durch Freyzügigkeits=Verträge bestehen. d) Die Bundesversammlung wird sich bey ihrer ersten Zusammenkunft mit | Abfassung gleichförmiger Verfugungen über die Preßfreyheit und die Sicher^ | Stellung der Rechte der Schriftsteller und Verleger gegen den Nachdruck beschäftigen. Artikel 19. Die Bundesglieder behalten sich vor, bey der ersten Zusammenkunft der | Bundesversammlung in Frankfiirt wegen des Handels und Verkehrs zwischen | den verschiedenen Bundesstaaten, so wie wegen der Schifffahrt, nach Anleitung | der auf dem Congreß zu Wien angenommenen Grundsätze, in Berathung zu | treten.

^ Dok. 1.

[31 ] Deutsche Bundesakte vom 8. Juni 1815

601

Artikel 20. Der gegenwärtige Vertrag wird von allen contrahirenden Theilen ratificirt | werden, und die Ratificationen sollen binnen der Zeit von sechs Wochen, oder | wo möglich noch früher, nach Wien an die Kaiserlich Oesterreichische Hof= und | Staatskanzley eingesandt, und bey Eröffnung des Bundes in das Archiv desselben | niedergelegt werden. ^Zur Urkunde dessen haben sämmtliche Bevollmächtigte den gegenwärtigen | Vertrag unterzeichnet, und mit ihren Wappen besiegelt. 'So geschehen Wien, | den achten Juny im Jahr Eintausend Achthundert und Fünfzehn. (L. S.) Fürst von Mettemich. (L. S.) Freiherr v. Wessenberg, (L. S.) Karl Fürst v. Hardenberg. (L. S.) Wilhelm Freyherr von | Humboldt. (L. S.) Christian Graf v. Bem= | storff. (L. S.) E. Graf von Hardenberg. [S. 43] (L. S.) Graf von Keller, | zugleich für Braunschweig. (L. S.) Georg Ferdinand Frey= | herr von Lepel. (L. S.) Johann Freyherr von | Türkheim. (L. S.) Freyherr von Minckwitz, | substituirt für Herrn v. Gersdorf, | Großherzogl. Sachsen=Weimarischen | Bevollmächtigten, und Herzoglich | Sachsen=Gothaischer und Sachsen^ | Meinungischer Bevollmächtigter. (L. S.) C. L. Freyherr von | Baumbach. (L. S.) Freyherr Fischler von | Treuberg.

(L. S.) Joachim Graf v. Bem= | storff (L. S.) Alois Graf v. Rechberg | und Rothenlöwen. (L. S.) Hans August Fürchte= | gott v. Globig. (L. S.) F. Freyherr v. Gagem. (L. S.) E. Graf von Münster. (L. S.) Leopold Freyherr von | Plessen. (L. S.) Freyherr von Oertzen. (L. S.) von Wolfframsdorf. (L. S.) Freyherr von Frank. (L. S.) Franz Aloys Edler Herr | von Kirchbaur.

(L. S.) F. Marschall von | Bieberstein. (L. S.) D. Georg vom Wiese, | Fürstlich Liechtensteinischer und Reußischer Bevollmächtigter. (L. S.) von Weise. (L. S.) Freyherr von Maltzahn. (L. S.) V. Berg, | Fürstlich Waldeck, und (L. S.) Freyherr von Kettelhodt. Schaum= | burg=Lippischer Bevollmächtigter. (L. S.) Helwing. (L. S.) J. F. Hach. (L. S.) Danz. (L. S.) Smidt. (L. S.) Gries.

602

§ 3: Deutscher Bund

[Dok. 3 1 - 8 4 ]

[31/1] Königlich Bayrische Deklaration vom 19. März 1807 Quelle: Königlich-Baierisches Regierungsblatt, (13. Stück vom 28. März) 1807, Sp. 465 490 (gedruckt). [Sp. 465] Königliche Deklaration. | (Die Bestimmung der künftigen Verhältnisse, der, | der königlichen Souverainität unterworfenen | Fürsten; Grafen und Herren zu den verschie= | denen Zweigen der Staats=Gewalt betreffend.) Wir Maximilian Joseph, | von Gottes Gnaden König von Baiem. Nachdem zufolge des zu Paris am 12ten | Juli 1806. geschlossenen rheinischen Bun= | des die vormalige Reichstadt Nürnberg | mit ihren Gebieten und die Deutschordens= | Kommenden Rohr und Waldstetten | mit vollem Eigenthum und Souverainitäts= | Rechten, femer verschiedene Fürstenthümer, | Grafschaften und Herrschaften, namentlich

1. 2. 3. 4. 5.

a. In Franken. Das Fürstenthum Schwarzenberg, Die Grafschaft Kastell, Die Herrschaft Limpurg=Speck= | feld, Die Herrschaft Wiesentheit, Jene Theile des Fürstenthums Hohen= | lohe, welche vom Ansbachischen und vom | Gebiete der ehemaligen Reichsstadt Ro= | thenburg eingeschlossen sind, namentlich I [Sp. 466] die Oberämter Schillingsfürst und Kirchberg.

b. in der Oberen^Pfalz, 6. die gefürstete Grafschaft Stemheim, c. in Schwaben, 7. Das Fürstenthum Oettingen, 8. diejenigen Besitzungen des Fürsten von | Thum und Taxis, welche gegen Norden des I Fürstenthurms Neuburg liegen, 9. die Grafschaft Edelstetten, 10. sämmtliche Besizungen des Fürsten | und der Grafen Fugger, 11. die Burggrafschaft Winterrieden, 12. die Herrschaft Burheim, 13. die Herrschaft Thannhausen, | endlich 14. der ganze Bezirk der Landstrasse von | Memmingen nach Lindau, mit Sou= | verainitäts=Rechten Uns zugewiesen wor= | den sind, und in Unserm Namen bereits | davon Besiz genommen worden ist, - so | haben Wir die staatsrechtlichen Verhältnisse | dieser mediatisirten Gebiete und ihrer Be= | sizer nach einem von Unserm Ministerium | der auswärtigen Angelegenheiten an Uns | darüber erstatteten ausführlichen Vortrage | zur Beseitigung aller künftigen Anstände 1 [Sp. 467] und Zweifel nach der Grundlage des Kon= | föderations=Vertrages genau bestimmt, wie I in folgender Erklärung enthalten ist. A. Allgemeine persönliche Vorzüge, Rech= | te und Verbindlichkeiten der mediati= | sirten Fürsten, Grafen und Herren. 1. Den Unserer Souverainität unterge= | benen Fürsten, Grafen und Herren werden | alle jene persönliche Vorzüge und Rechte | zugesichert, welche der ersten Klasse

[31/1] Königlich Bayrische Deklaration vom 19. März 1807

603

des I Adels in Unserm Königreiche wirklich | zustehen, oder welche diesem künftig wer= I den ertheilet werden. 2. Es ist ihnen gestattet, den Titel | fortzuflihren, welche sie vor ihrer Unter= | werfting gehabt haben, jedoch mit Weg= | lassung aller jener Beisäze und Würden, | welche ein vormaliges Verhältniß zu dem | deutschen Reiche ausdrücken, oder welche | sie als Regenten des Landes bezeichnen, | Hiemach 3. ist ihnen nicht erlaubt, sich ferener | Reichs=Fürsten, - Reichs=Grafen, | sondern nur Fürsten - Grafen zu nen= | nen; so wie auch ihren Herrschaften das | Beiwort Reichs - femer nicht | mehr vergesezt werden darf. Sie können | sich zwar von ihrer ursprünglichen Stamm= | gutem und Herrschaften benennen (Fürst | von N. - Graf von N.), I aber nicht als regierende, sondem als Pa= | trimonial=Herren. Womach sie sich der | Prädikate - von Gottes Gnaden | - künftig nicht bedienen dürfen. Auch I dürfen sie sich der ersten vielfachen Person | [Sp. 468] (Wir) nur in Schriften und Handlun= | gen bedienen, die nicht mit Uns oder Un= | seren Behörden verrichtet, und an Uns | oder an diese gerichtet werden. 4. In ihren Wappen müssen alle jene | Zeichen weggelassen werden, welche auf das | ehemalige deutsche Reich Beziehung ha= | ben. 5. Wir werden zwar ausgezeichnetes, | jedoch ihren gegenwärtigen Verhältnissen | angemessenes Kanzlei=Zeremoniel gegen sie | beobachten lassen. In den Erlaßen Unse= I rer oberen Landes=Stellen an die mediati= | sirten Herren selbst soll ihnen das Prädikat: | Herr, (dem Herren Fürsten - | Grafen) gegeben werden. In ihren | Schriften, die entweder an Uns, an Un= | sere Ministerien, oder an Unsere übrigen | höheren Landes=Stellen gerichtet sind, müs= | sen sie nach dem Unseren Unterthanen vor= I geschriebenen Zeremoniel sich achten. 6. Nach dem Kirchen=Gebete für den | Souverain kann dasselbe auch für die me= | diatisirten Fürsten, Grafen und Herren in | den Kirchen ihrer Wohnorte entrichtet wer= I den. Ein gleiches wird auch in ihren | Wohnorten in Ansehung des Trauergeläu= I tes gestattet. Eine eigentliche Landes=Trauer | kann aber nur für den Souverain ausge= I schrieben werden. 7. Es bleibt ihrer freien Wahl zwar | überlassen, an welchem Orte sie ihre Woh= | nung nehmen wollen, wenn die in dem Artikel | 31. des Bundes=Vertrags^ vorausgesezten | Bedingungen dabei eintreten. Jedoch sind | [Sp. 469] sie verbunden, nach 6 Monaten a dato | der Publikation der gegenwärtigen Dekla= | ration den Aufenthats=Ort, welchen sie | sich gewählt haben, Uns anzuzeigen. Auch | hat diese Freiheit bei denjenigen nicht statt, | welche entweder in Unseren Diensten sich | befinden, oder aus Unseren Staats=Kassen | eine Pension beziehen. Diese müssen in | Ansehung der Wahl ihres Wohnorts nach | den bestehenden Gesezen sich achten. 8. Die nämliche Freiheit mit den be= | merkten Beschränkungen, welche sie in An= | sehung der Auswahl ihres Wohnortes zu | genießen haben, kömmt ihnen auch zu in I Ansehung des Eintrittes in fremde Dien= | ste. 9. In allen sie betreffenden Real= und | Personal=Klagen haben sie ein Privilegir= | tes Fomm in erster Instanz bei dem ein= | schlägigen Hofgerichte, in zweiter und lezter I Instanz bei dem einschlägigen obersten Ju= | stiz=Tribunal. Sollten bei einem der oben angeführten | mediatisirten fürstlichen oder gräflichen Häu= I ser durch Familien=Verträge besondere Aust= | rägal=Gerichte zeither eingeführt gewesen | seyn, so werden Wir dieselben näher unter= 1 suchen lassen, und wegen ihrer Bestätigung | besondere Entschließung ertheilen. 10. Verlassenschafts=verhandlungen, wel= | che Mitglieder der Familie betreffen, kann | der Chef des Hauses durch seine Kanzlei | vomehmen, und erledigen lassen, ^ Dok.4.

604

§3: Deutscher Bund

[Dok. 3 1 - 8 4 ]

in so lan= | ge kein Rechtsstreit darüber entsteht, in | [Sp. 470] welchem Falle sie an das einschlägige Hof= | gericht zu geeigneten rechtlichen Verfah= | ren abgeliefert werden mtissen. 11. In peinlichen Fällen, mit Ausnah= | me der Militär^Verbrechen, genießen die | subjicirten Fürsten und Grafen und ihre | Erben das Recht einer Austrägal=Instanz, | nämlich durch Richter ihres Standes ge= | richtet zu werden. Wenn ein solcher Fall | sich ereignet, so kann zwar durch die ge= | wohnliche Obrigkeit nach Beschaffenheit der Umstände, in | soweit der baierische Codex | bei Adelichen es ohne speziellen allerhöch= | sten Befehl gestattet, die erforderliche vor= | läufige Bewachung, oder auch eine wirk= | liehe Verhaftnehmung und Verwahrung des | Angeschuldigten an einen sichern und an= | ständigen Orte verfugt werden. Es muß | aber auf der Stelle davon sowohl an Uns | unmittelbar, als an das Hofgericht, zu | dessen Gerichtssprengen die Herrschaft des | Angeschuldigten gehört, eine Anzeige dar= | über mit Beilegung des bei der Ergrei= | fimg des Inkulpaten abgehaltenen Proto= 1 kolls, gemacht werden. Das Hofgericht | untersuchet hierauf in den ersten 24 Stun= I den nach der erhaltenen Anzeige die Recht= | mäßigkeit der Verhaftnehmung, und ob ein | peinliches Verfahren statt habe. In dem | lezten Falle wird die Untersuchung durch | das Hofgericht unter dem Vorsiz des Prä= | sidenten oder des Direktors gefuhrt. So= | bald die Untersuchungs=Akten geschlossen | sind, müssen dieselben an Uns zur Anord= | nung des in dem Artikel 28. des rheini= | [Sp. 471] sehen Bundes=vertrags* vorgeschriebenen | Gerichtes eingesendet werden. Wir werden | hierauf durch Unsem Justiz=Minister die | Gesezliche Zahl von Beisizem aus dem | Stande des Inquisiten in Unserer Resi= | denzstadt versammeln, und diesen gleichfalls | dahin verbringen lassen. Unser Justiz=Mi= | nister wird in der Eigenschaft des Groß= | richters das Gericht eröffnen, und demsel= | ben vorsizen. Der Director des hiesigen | Hofgerichts ist dabei Referent, und der= | jenige geheime Referendar des Justiz=De= | partements fuhrt das Protokoll. - Die Referenten I sind zwar schon nach dem Geseze verbun= | den, alles dasjenige anzuführen, was zur | rechtlichen Vertheidigung des Inquisiten | dienen kann; diesen bleibt indessen frei, | auch einen rechtlichen Beistand sich | zu wählen, welcher bei den Gericht seine | Vertheidigung übemimmt. Das übrige | Verfahren richtet sich nach Unseren Gese= | zen. Das von den beisizem geschöpfte | Urtheil muß vor der Publikation zur Be= I stätigung Uns vorgelegt werden. Das von | Uns bestätigte Urtheil wird in hergebracht | ter Art, wenn Wir hierüber nichts Beson= | deres bestimmen, durch das hiesige Hofge= | rieht zum Vollzuge gebracht. Die Gü= | ter des Verurtheilten dürfen in keinem Falle | konfiszirt, wohl aber während seiner Le= | benszeit sequestrirt werden. - | [Sp. 472] Dieses privilegirte außerordentliche Ge= [ rieht kömmt nach den Bestimmungen der | Konföderations=Akte nur den Chefs der | mediatisirten fürstlichen und gräflichen Häu= | ser zu, welche wirkliche Besizer der Patri= I monial=Herrschaflen sind; die übrigen Mit= | glieder dieser Familien sind in peinlichen | Sachen dem gewöhnlichen privilegirten Foro | untergeben. 12. Ihre Familien^Verträge und ein= | geführten Successions=Ordnungen müssen | Uns zur Bestätigung vorgelegt werden. 13. Alle Vormundschaften und Kuratelen | der mediatisirten fürstlichen oder gräflichen I Häuser müssen bei den einschlägigen Hof= | gerichten bestätiget werden. 14. Alle Privilegien und Freiheiten, | welche die subjicirten Fürsten und Grafen | aus ihren vormaligen Verhältnissen zum | deutschen Reiche genossen haben, können | nur durch Unsere Bestätigung künftig eine | Wirkung haben; außerdem sind sie als er= | loschen anzusehen. ^ Dok. 4.

[31/1] Königlich Bayrische Deklaration vom 19. März 1807

605

15. Die persönliche Huldigung der Un= | serem Königreiche subjicirten Fürsten und | Grafen wird vorbehalten. Alle sind aber | verbunden, schon jetzt eine Subjektions= | Urkunde eigenhändig unterzeichnet an Uns | einzusenden, welche die Verpflichtung ent= I hält: | „Uns als Besizer des Unserer Sou= | „verainität untergebenen Fürstenthums N. I „(Grafschaft N., Herrschaft N., Gebie= | „tes N.,) getreu und gehorsam zu seyn, | „alles das abzuwenden und zu thun, wozu | [Sp. 473] „sie in obiger Eigenschaft, als getreue und | „gehorsame Unterthanen Uns und Unse= | „ren Nachkommen als ihrem allergnädig= | „sten Souverain verpflichtet sind." B. Auswärtige Verhältnisse. 1. Die repräsentative Gewalt gegen an= 1 dere Staaten kömmt einzig dem Souve= | rain zu. 2. Keinem subjicirten Fürsten, Grafen | oder Herren ist demnach erlaubt, an aus= | wärtigen Regierungen Agenten mit diploma= | tischem Karakter abzusenden, oder solche I von auswärtigen bei sich anzunehmen, und | mit ihnen zu unterhandeln. 3. Was sie an ihren Angelegenheiten an | auswärtige Regierungen zu bringen haben, | müssen sie Uns als ihrem Souverain anzei= | gen, wo Wir sie sodann durch Unsere Ge= I sandtschaften werden vertreten lassen. 4. Unter dieser Beschränkung sind aber | jene Angelegenheiten nicht begriffen, welche I sie mit auswärtigen Staaten rücksichtlich | ihrer darin liegenden Besizungen zu ver= 1 handeln haben; z. B. wenn ein subjicirter | Fürst oder Graf Besizungen unter mehreren | Souverainen hat, - bei einem andern | Souverain in Lehen= oder Dienst==Verhält= | nisse sich befindet. C. Allgemeine Oberaufsicht und Gesezgebung. 1. Die allgemeine Oberaufsicht, so wie | die allgemeine Gesezgebung des Souverains | erstreckt sich über alle Landes=Angelegenheit | ten, und kömmt allein dem Souverain zu. [Sp. 474] 2. Den mediatisirten Fürsten und Gra= | fen verbleibt nur die Befugniß, Regle= | ments und Verfugungen über Gegenstände | zu erlassen, welche die Verwaltung ihrer I Patrimonial= und Eigenthums=Rechte be= | treffen. Diese dürfen aber in keinem Falle I den allgemeinen Gesezen entgegen seyn. 3. Da die Verleihung von Privilegien | in der That eine Gesezgebung ist, so können | Privilegien nur bei dem Souverain nachge= | sucht werden. 4. Die bestehenden Geseze und Gewohn= | heiten behalten vor der Hand ihre verbind= I liehe Kraft; sollen aber revidirt und mit | Unseren allgemeinen Landes=Gesezen in | Uebereinstimmung gebracht werden. 5. Auf gleiche Art sollen die Formen der | öffentlichen Verwaltung und der öffentlichen I Anstalten den in den übrigen Theilen der | Monarchie eingefiihrten assimilirt werden. 6. Das Regierungsblatt, durch welches | alle allgemeine Geseze und Verordnungen | bekannt gemacht werden, soll auch in den | mediatisirten Landen eingeftihrt werden. D. Staats=Justiz=Gewalt. 1. Wenn die subjicirten Fürsten und | Grafen die niedere und mittlere Gerichts^ | barkeit in bürgerlichen und peinlcihen Fäl= | len hergebracht haben, soll ihnen dieselbe I als erste und respektive zweite Instanz, | nämlich als zweite für die Unprivilegirten, | und als erste fiir die Privilegirten verblei= | ben.

606

§ 3 : Deutscher Bund

[Dok. 3 1 - 8 4 ]

2. Sie sind daher gehalten, die mittlere | Gerichtsbarkeit durch ein förmlich konsti= | [Sp. 475] tuirtes Kollegium unter dem Namen: Kö= | niglich=Baierische N. (z. B. fürstlich Oet^ | tingische etc.) Justiz=Kanzlei, von gesez= | mäßig qualificirten Personen verwalten | zu lassen. Zu dem Ende 3. Müssen die für die Justiz=Verwal= | tung in der mittleren Instanz angestell= | ten Individuen nach Berichtigung des | Qualifications=Punktes bei dem einschlä^ | gigen Hofgerichte durch den Weg des Justiz^ | Ministeriums die Genehmigung erhalten. 4. Die Subalternen in den Kanzleien | und die Justiz=Beamte werden von den | mediatisirten Herren ohne besondere Bestä= | tigung ernannt; jedoch hat 5. Die Mediat=Justiz=Kanzlei bei der | Verpflichtung und Einweisung solcher Sub= | jekte die Beweise über die zu ihren Stel= | len erforderliche Qualification ad acta zu I bringen, und jährlich dem einschlägigen | Hofgerichte eine Liste darüber vorzulegen. 6. Dieser Justiz=Stelle kömmt es über= | haupt zu, von den Akten der Mediat=Justiz= | Kanzleien Kenntniß zu nehmen, Visitationen | anzuordnen, und insgemein alles dasjenige | zu verfugen, was dem Begriffe einer Ober= | aufsieht über die Justizpflege entspricht. 7. An eben diese Justiz=Stellen | sind die von den Mediat=Justiz=Kanz= | leien bis zum Straferkenntnisse einschlüs= | sig verhandelten Akten vor der Publikation | des Erkenntnisses zur Bestätigung einzu= | senden. 8. Das Begandigungs=Recht kömmt al= | lein dem Souverain zu. [Sp. 476] 9. Der Appellations=Zug ist bereits be= | stimmt worden. 10. Vor der Hand noch wird in den | mediatisirten Landen nach den Provinzial= | Gesezen, Statuten und Gewohnheiten und | in subsidium nach den gemeinen und Baie= | rischen Gesezen, Recht gesprochen. E. Staats=Polizei=Gewalt. 1. Die obere Polizei im Allgemeinen | kömmt dem Souverain zu, und wird von | der einschlägigen oberen administrativen Lan= | dessteile entweder unmittelbar oder aus be= | sonderem Auftrage durch einen Kommissär | ausgeübt. 2. Die gewöhnlich untere Polizei ver= [ bleibt dem mediatisirten Herrn, welcher sol= | che durch seine nachgeordnete Beamte, je= | doch nur nach Unseren Gesezen, auszuüben I befugt ist. In so weit ihm die Polizei zu= | steht, kann er seine Beamte über Gegenstän= | de derselben mit Bericht vernehmen, und auf | die Berichte nach dem Sinne der allge= | meinen Landesgeseze Resolutionen ertheilen. 3. Die Annahme neuer Unterthanen je= | der Glaubens=Konfession, folglich auch | der Juden, verbleibt den mediatisirten Für= | sten und Grafen; jedoch müssen sie sich | dabei nach den bestehenden, und künftig | noch zu erlassenden Gesezen achten. 4. Auswanderungen der Unterthanen sind | ganz den nämlichen Bedingungen unter= | worfen, welche bei Unseren übrigen unmit= | telbaren Unterthanen eintreten. Die Me= I diat=Behörde darf ohne Bestätigung Un= | [Sp. 477] serer oberen administrativen Stelle derglei= | chen nicht bewilligen. 5. Die obere Leitung und Aufsicht über | alle Gegenstände der Bildung und des öf= | fentlichen Unterrichtes stehet Unserer ein= | schlägigen Landesstelle; die unmittelbare Lei= I tung und Aufsicht aber der einschlägigen | Behörde des mediatisirten Fürsten oder Gra= | fen nach den eingeführten Gesezen und Ver= | Ordnungen zu. 6. Vormundschafts= und Kuratels=Sa= | chen werden zwar durch die Beamte und | durch die Justiz=Kanzlei der mediatisirten | Fürsten oder Grafen besorget. Die gesez= I gebende Anordnung darüber aber, so wie | die obere Aufsicht kömmt dem

[31/1] Königlich Bayrische Deklaration vom 19. März 1807

607

Souverain | zu, welcher befugt ist, durch die einschlä= | gige Behörde den Zustand des Pupillen^ | wesens, so wie des Hypotheken= und De= | positenwesens untersuchen zu lassen. 7. Die Sicherheits=Polizei, in so weit | sie sich auf allgemeine Anstalten bezieht, [ wird von Unseren obem Behörden angeord= | net und geleitet. Alle Gegenstände der Lo= I kal= und Distrikts=Polizei aber werden | durch die Beamte und Kanzlei des Patri= I monial=Herren nach Unseren Verordnungen, | für deren genaue Vollziehung sie verant= | wortlich sind, besorgt. 8. Die Oberaufsicht über Heerstrassen | und Flüsse, so wie die Anordnung und | Leitung des Strassen^ und Wasser=Baues | kömmt Unserer eigens dafür angeordneten | Oberdirektion zu: die Vollziehung der ge= | [Sp. 478] troffenen Anordnungen bleibt der Mediat= | Polizei^Behörde überlassen. 9. Alle Anordnungen und Einrichtungen | zur Beförderung des Handels, folglich | auch die Mauth= und Zoll=Gesezgebung, | femer die obere Leitung des Zunftwesens, I die Bestätigung neuer Zunft= und Hand= | werks=Ordnungen, die Verleihung neuer | Gewerbs=Konzessionen, gehören als Thei= | le der obem Polizei dem Souverain und | seinen dafür angeordneten höheren Landes= | Behörden. Die untere Aufsicht, die Voll= | ziehung der Geseze, Anordnungen und | Verfügungen in dem Sinne Unserer Ge= | seze und Verordnungen, die Entscheidung | der Streitigkeiten der Zünfte, mit Vorbe= | halt des Rekurses an die obere Landesstel= | le, verbleiben dem mediatisirten Fürsten und Grafen, und seinen Polizei=Behör= | den. 10. Die Anordnungen in Absicht auf | allgemeine Landeskultur gehören zu Unserer | Oberpolizei, ihre Vollziehung, wie auch | die erste Instanz in Kultur=Streitigkeiten | bleibt der Mediat=Polizei=Behörde über= | lassen. 11. Da der Eintritt zur allgemeinen | Feuer=Assekuranz=Anstalt freiwillig ist, | so können die in den mediatisirten Landen | bereits eingeführten Feuer=Assekuranz= So= | zietäten fortbestehen, bis diese, von dem | Vortheile ihrer Vereinigung mit der all= | gemeinen überzeugt, ihren Beitritt selbst | nachsuchen werden, oder ein Anderes ver= I ordnet wird. [Sp. 479] 12. Die Forst= und Jagd=Polizei, so | wie die Forst=gerichtsbarkeit, verbleibt | den Mediat=Behörden; jedoch sind sie ver= | bunden, nach Unseren Forst= und Jagd= | Ordnungen sich zu achten. 13. Das Medizinal=Wesen in den me= | diatisirten Landen steht unter der Anord= | nung und Aufsicht der einschlägigen Me= | dizinal=Oberbehörde, welcher auch das ärzt= I liehe Dienstpersonal mit Ausweisung ihrer | Qualifikation zur Bestätigung angezeigt | werden muß. Die untere Aufsicht in die= | sem Administrations=Zweige verbleibt dem | Mediat=Herren. F. Staats=Kirchen==Gewalt. 1. Die oberste Kirchen=Polizei steht dem | Souverain zu; die Mediat=weltlichen | und geistlichen Obrigkeiten müssen die in Kir= | chen=Polizei=Sachen erlassenen Verordnun= | gen des Souverains vollziehen, und für | ihre Beobachtung wachen. 2. Wo eigene Konsistorien bestehen, da | bleibt diesen die Verhandlung der Konsi= | storial=Sachen, wie bisher, mithin auch | die Aufsicht auf Pfarreien und Schulen, | die Anordnung der Verwesung derselben, | die Verfügung schriftlicher oder mündlicher I Admonitionen; jedoch sind sie Unseren ein= | schlägigen Konsistorien untergeordnet, und I hienach gehalten: a. Bei strengen Graden von Korrektionen | oder bei Dienst=Suspensionen an die= | ses ihren Antrag zu machen.

608

§ 3: Deutscher Bund

3. 4. 5.

6.

7.

[Dok. 31 - 84]

b. Es können von den Aussprüchen des | Mediat==Konsistoriums über die Exa= | [Sp. 480] mina pro ministerio, über die Präsen= | tationen etc. Rekurse an Unser Konsisto= I rium genommen werden. c. Alljährlich müssen an dieses die Kon= | duit^Listen der Geistlichen und Schul= I lehrer eingesendet werden. Wo keine eigene Konsistorien beste= | hen, ist fur die Konsitorial=Sachen Unser | einschlägiges Konsistorium die geeignete Be= | hörde. Die Ehegerichts=Sachen werden bei | der Mediat=Justiz=Kanzlei verhandelt, | von welcher an Unser einschlägiges ober= | stes Justiz=Tribunal appellirt wird. Zu eben dieser Kanzlei gehören auch | die Dienstentsetzungen von Pfarrern und | Schullehrem, welche im Wege Rechtens | allda angebracht und salva appellatione | entschieden werden. Die Verwaltung des Kirchen=Schulen= | und milden Stiftungs=Vermögens bleibt un= I ter der unmittelbaren Leitung und Aufsicht der | einschlägigen Mediat=Behörde; diese ist | aber verbunden, alljährlich eine genaue ta= | bellarische Uebersicht derselben Unserer Ober== | behörde einzusenden, und die Verordnung | gen pünktlich zu befolgen, welche über die | Verwaltung und Verrechnung des Stif= | tungs=Vermögens im Allgemeinen werden | erlassen werden. Jedem Mediat=Herren steht in sei= | nem Gebiete, abgesondert von den Epis= | kopal=Rechten, die Ausübung der Patro= | nats=Rechte zu; über die Qualifikation der I [Sp. 481] Subjekte müssen Unsere Geseze beobachtet werden.

G. Militär=Gewalt. 1. Alles, was mit der Militär=Ge= | wait in Verbindung steht, kömmt dem Sou= | verain ausschließend zu, und kann nur durch | ihn angeordnet werden. 2. Die Einführung der Konscription | nach dem Kantons=Reglement und nach den | übrigen über diesen Gegenstand erlassenen | Verordnungen ist bereits befohlen. Die I Vollziehung dieser Geseze kann eigenen | von uns aufgestellten Kommissarien, oder in | so lange dergleichen nicht eingeführt sind, | auch der Mediat=Kanzlei aufgetragen wer= | den. 3. Keinem mediatisirten Fürsten und | Herrn ist gestattet, ohne Unsere allerhöch= | ste Bewilligung Militär zur Bewachung | seiner Person und seiner Schlösser zu hal= | ten. Polizeiwachen kann derselbe aber zur | Handhabung der Sicherheit und inneren Lan= I des=Polizei anordnen; wobei er sich jedoch | nach den allgemeinen Einrichtungen, die I hierüber fur Unser ganzes Königreich wer= | den getroffen werden, achten muß. H. Staats=Finanz=Gewalt, und Aus==^ | Scheidung der an den Souverain über== | gehenden, oder den mediatisirten Her= | ren verbleibenden Gefalle. 1. Alle aus dem Unterthans=Verbände | zeither entrichtete oder künftig zu entrichten= I de Abgaben und Landsteuem fließen in | Unsere Staatskasse. - Dergleichen Ab= I [Sp. 482] gaben sind als Landsteuem fiir den Sou= | verain in Anspruch zu nehmen: a) wenn sie in die Landes=Steuer=Kasse | zeither geliefert worden; b) wenn sie nach Simplis, Maßen aus= | geschrieben oder umgelegt, bald in hö= | heren, bald in niederen Quantis erhoben, | verrechnet, und zu Landes=Bedürfnissen | verwendet werden. 2. Alle Abgaben, wozu die Bewilligung | des ehemaligen Reichs=Souverains erfordere I lieh war, oder die nach der vormaligen deut= | sehen Verfassung nur erhoben werden durf= | ten zur Bestreitung der Bedürfhisse des Lan= | des und der Regierung, gehören dem Sou= | verain. - In der Kathegorie solcher | öffentlichen Abga-

[31/1] Königlich Bayrische Deklaration vom 19. März 1807

609

ben gehören nicht nur | die direkten, sondern auch alle persönli= | chen und indirekten Steuern, die Stem= | pel=Taxen, die Judenschazungen, Accise, | Umgeld, etc. Kein Patrimonial=Herr | darf hienach künftig von seinen Untertha= | nen eine Konsumtions=Abgabe unter wel= | chem Namen es geschehe, erheben. Wir | werden aber auf den Verlust, den sie da= | durch an ihren Einkünften leiden, eine bil= | lige Rücksicht nehmen, und ihnen im Ver= | hältniß ihres bisherigen Bezuges einen | Theil davon überlassen. 3. Alle Territorial=Gefälle, die zur Un= | terhaltung von öffentlichen Anstalten be= | williget werden, welche eine Zentral=Lei= | tung erfodem, wie Münzen, Zölle, Chaus= I seen, Brückengelder, u. d. g. gehen an | [Sp. 483] den Souverain mit den darauf haftenden | Lasten über. 4. Alle Umlagen zur Unterhaltung des | Militärs, alle Ausschläge zur Tilgung der | Kriegskosten und Schulden=Zahlung, in | so ferne erstere nicht von den Gemeinden I privatim unter sich geschehen, sind zu Un= | serer Kasse zu verrechnen. 5. Alle Ausgaben, welche, wie grund= | herrliche Zinsen, in einem beständig unver= | änderlichen Quanto entrichtet werden, wie | der Fall von Beeden und bei der sogenann= | ten Ordinär=Steuer in einigen Herrschaf= | ten ist, die folglich nur abusive den Na= | men von Steuern fuhren, verbleiben den | mediatisirten Fürsten und Grafen, sollen I aber künftig unter der Rubrik von grund= | herrlichen Abgaben, und nicht von Steuern, | vorgetragen werden. Treffen aber bei der= | gleichen Abgaben die oben angezeigten Cha= | raktere wahrer Steuern ein, so sind sie, wie | alle übrigen, in Unsere Kassen einzuziehen. 6. Die Nachsteuer verbleibt den media= | tisirten Herren, jedoch nur gegen auswär= | tige Staaten, mit welchen keine Frei= | zügigkeits=Vertrage geschlossen sind. Fer= | ners 7. verbleiben ihnen alle Konzeßions= | Gelder, wo sie die Konzeßionen zu erthei= | len haben. 8. Die Steuern, welche in Unsere Kasse | fließen, werden zwar vor der Hand nach dem I bisherigen Fuße erhoben; es soll aber, so= 1 bald es geschehen kann, eine Berichtigung I derselben vorgenommen, und ein so viel | [Sp. 484] möglich gleichförmiger Steuerfuß eingefuhret | werden. 9. Die Etats=Kuratel der einschlägigen | Landes=Direktion hat Gutachten zu erstat= | ten, wie die in den mediatisirten Landen zu | erhebenden Steuern und übrigen Gefalle I auszuscheiden, zu erheben, und wie das | Kasse= und Rechnungswesen dabei einzu= | richten sey. 10. Es hat in den mediatisirten Landen | keine Steuer=Freiheit statt. 11. Die Domainen=Güter und Gefalle | der mediatisirten Herren sind provisorisch | nach dem Maaßstabe des Steuer=Beitrages | der Baierischen Stände zu belegen. 12. Die mediatisirten Herren genießen | die Zoll=Befreiung von allen, zu ihren ei= | genen Hausbedürfhissen erforderlichen Kon= | sumtibilien; jedoch müssen sie sich den Ver= | fugungen gemäß benehmen, welche zur Ver= | hütung des Unterschleifes werden getroffen | werden. 13. Auch sind sie für sich und ihre Fa= | milien von der Entrichtung der Chaussee= | Gelder innerhalb des mediatisirten Gebietes | frei. 14. Damit die Domainen nicht gegen | den Sinn des Artikels 27. der Konfodertions= | Akte^ veräußert werden, muß, wo es nicht | schon geschehen ist, sämmtlichen Aemtem I verbothen werden, dergleichen Veräußerung | gen zu protokolliren.

^ Dok.4.

610

§ 3: Deutscher Bund

[Dok. 31 - 84]

I. Ausscheidung von Schulden. Die verfassungsmäßig kontrahirten Schul= | den, welche auf den mediatisirten Fürsten^ | [Sp. 485] thümem, Grafschaften und Herrschaften haf= | ten, werden zwischen dem Souverain und | den mediatisirten Herren nach Verhältniß | der Einkünfte getheilt; welche jener erhält, | und diesen verbleiben. Hiemach a) muß der Stand solcher Schulden vor | allem hergestellt, dann eine genaue Bilanz | zwischen den Einkünften des einen und an= | deren Theiles gezogen, und nach dem Ver= I hältniße der reinen Einkünfte die Reparti= | tion gemacht werden; b) sind alle Gemeinds=Schulden davon | zu sondern, und den Gemeinden, welche sie | treffen, zuzuweisen: c) auch bleiben dem Mediatisirten seine | persönlichen Schulden zur Last. K. Ausscheidung der Diener. 1. Es kann nur die Frage seyn von | solchen Dienern, welche in der öffentlichen | Landes==Administration durch förmliche De= | krete zeither angestellt waren. Diejenigen, I welche zum besonderen Dienste des Mediati= | sirten gehören, als: Hofdiener etc. bleiben | diesem ausschließend zur Last. 2. Die durch ordentliche Dekrete in aus= 1 wärtigen Verhältnissen angestellt gewesenen I Individuen, als: Kreisgesandte, Agenten | bei den Reichsgerichten, gehen an den Sou= | verain, entweder zur anderweitigen | Anstellung, oder zur Pensionirung über. I Dahin gehören auch die Beiträge zur | Sustentation des Kammergerichtes: wo= I gegen der Souverain auch die eingehenden | Steuern zur Bestreitung der Kammer=Zie= | ler=, der Kreis=Kosten etc. zu beziehen hat. [Sp. 486] 3. Was in den Diensten des Mediatisir= | ten zur Verwaltung seiner Privateinkünfte, | zur Ausübung der niedem und mittlem Ge= | richtsbarkeit, der gewöhnlichen Polizei, I verbleibt, muß auch von ihm besoldet | werden 4. Diejenigen Individuen, welche zur | Verwaltung der Rechte und Einkünfte an= | gestellt waren, die an den Souverain übei= | gehen als: Steuer^Einnehmer, Zoll= Auf= I seher etc. werden von diesem besoldet oder | pensionirt. Die Besoldungen und Pensio= | nen derjenigen Staatsdiener, welche für die | Administration des ganzen angestellt, und | insbesondere auf die Steuer=Kasse angewie= | sen waren, fallen dem Souverain zur Last, | wenn diese nicht von dem Mediatisirten nach | dem Artikel 3. für seinen Dienst verwendet | werden. 5. Das Militär, so wie auch alle Mi= | litäp=Pensionisten, werden von dem Sou= | verain übemommen; das Dienstfähige wird | in Unsere Regimenter eingetheilt, die | Unbrauchbaren werden zu anderen Diensten | verwendet, oder auf die Militäi^Kasse als I Pensionisten angewiesen. L. Künftige Anstellung der Diener und 1 ihr Verhältniß zu den Landes=Stellen | des Souverains. 1. Den mediatisirten Fürsten und Gra= | fen kömmt die Beftigniß zu, das zur Vei= | waltung der ihnen bleibenden Rechte und | Einkünfte erforderliche Personal zu ernennen, I und mit geeigneten Titeln und durch eine | passende Uniforme auszuzeichnen. Jedoch I [Sp. 487] muß die gewählte Uniforme zu Unserer Be= 1 stätigung angezeigt, und dabei die Baierische | National=Kokarde getragen werden. 2. Sie können nebst den Lokal=Beamten | ein eigenes Kollegium für Justiz und Polizei I unter dem Namen: Justiz=Kanzlei, | und für die Verwaltung ihrer Patrimonial= I Einkünfte unter dem Namen: Dominial= | Kanzlei, anordnen, und dieselbe mit I einem Direktor und der erforderlichen An= 1 zahl von Räthen, Secretären,

[31/1] Königlich Bayrische Deklaration vom 19. März 1807

3. 4.

5.

6.

1.

8.

611

Kanzli= | sten und Rechnungsverständigen besezen. | Außer diesen Aemtem und Titeln ist ihnen | nicht erlaubt, andere zu verleihen. Wegen der Qualification der für die | Justiz=Verwaltung angeordneten Individuen | ist das Erforderliche Lit. D. Nro. 3. be= | stimmt worden. Unsere oberen Landes=Stellen, oder | der von Uns angeordnete Kommissär, erlas= | sen unmittelbare Befehle und Weisungen an | die Kanzleien der Mediatisirten, welche ver= I bunden sind, solche entweder selbst, oder | durch ihre Unterbehörden vollziehen zu lassen; | auch erstatten sie Berichte an die nämlichen | Stellen, und zwar in der in Unseren Staa= [ ten vorgeschriebenen Art nach dem Verhält= | nisse einer unteren Stelle gegen eine höhere, | der sie untergeordnet ist. Unsere Landes=Stellen dürfen keine | unmittelbaren Befehle den Mediat=Unter= | Behörden ertheilen, sondern müssen diese alle= | zeit an die Mediat=Kanzlei richten, welche | hiemach das Geeignete an die Unterbehörde | zu erlassen hat, so wie auch diese nur an | [Sp. 488] die Mediat=Kanzleien in der Regel Berichte | zu erstatten haben. Unsere Landgerichte stehen mit den | Beamten und Kanzleien der Mediatisirten in | der Regel in keiner unmittelbaren Geschäfts= | Berührung; was sie in Beziehung auf diese | anzuzeigen haben, müssen sie der einschlägi= | gen Landes=Stelle zur geeigneten Verfugung | berichten. Doch ist ihnen in Fällen, wo | sie es nothwendig finden, eine Amts=Kor= | respondenz erlaubt. Die von den mediatisirten Herrn er= | nannten Beamten und Kanzleien werden dem I Souverain als Unterthanen, und in Bezie= | hung auf ihre Dienst=Verhältnisse gegen den | Souverain verpflichtet; nebstdem leisten sie | den Dienst=Eid ihrem Mediat=Herm. Die | Verpflichtung der Kanzlei^Mitglieder ge= | schiebt durch Unseren Kommissär, der Beam= | ten, aus Auftrag durch die Mediat?=Kanz= | lei, welche das Verpflichtungs=Protokoll nebst der Ausweisung der gehörigen Quali= | fikation des Beamten an die einschlägige Lan= | des=Direktion einzusenden hat. Die Mediat=Beamte und übrige Die= | ner haben ihren Gerichtsstand in erster In= | stanz bei der Mediat=Justiz=Kanzlei, und | in zweiter Instanz bei Unserer obersten Ju= I stiz=Stelle. Bei Entlassung und Entsezung | der für die Justiz und Polizei angestellten I Beamten und Räthe muß nach Unseren | Gesezen verfahren werden.

M. Lehens=Verband. 1. Wenn mediatisirte Fürsten und Gra= | fen in dem Unserer Souverainität unter= | [Sp. 489] worfenen Gebiethe Lehen besitzen, welche ent= | weder ehemals vom Kaiser und Reiche, | oder von fremden Lehenherren, oder von an= 1 deren durch den Preßburger Frieden oder | durch den Pariser Staats^Vertrag Uns | zugetheilten Landen herrühren, und Gegen= | stände betreffen, welche nicht an die Sou= | veraine übergegangen sind, so sind dieselbe | an Uns gefallen, und die mediatisirten Herren I sind aufzufordern, innerhalb der in den Le= | henrechten zur Muthung vorgeschriebenen I Zeit von einem Jahrs, sechs Wochen, und | drei Tagen, vom Tage der Ausfertigung | der Deklaration, oder des an sie zu erlas= | senden Monats an zu rechnen, bei dem | Ministerio der auswärtigen Angelegenheiten, | als oberstem Lehenshofe, unter Beibringung | des jüngsten Lehenbriefes und eines Ver= | zeichnisses aller Lehen=Stücke, gebührend zu | muthen, auch alle übrigen Erfordernisse zu | beobachten 2. Was die Aktiv=Lehen betrifft, so wer= | den ihnen dieselben femer belassen; jedoch I geht in allen streitigen Lehensachen die Ap= | pellation an Unser oberstes Justiz=Tribu= | nal, und die Ritter=Dienste können nur | für den Souverain verlangt werden; alle übri= | gen Lehengefälle bleiben bei dem Mediat=Herm.

612

§3: Deutscher Bund

[Dok. 3 1 - 8 4 ]

Nach dieser Erklärung sind die künftigen | staatsrechtlichen Verhältnisse sowohl der Me= I diat=Herm, als ihrer Herrschaften in Unserm | Königreiche zu beurtheilen und zu reguliren, | Unsere sämmtliche Landes=Kollegien und übri= | ge Behörden, so wie die Unserer Souverai= | nität untergebenen Fürsten Grafen und | [Sp. 490] Herrn, ihre Kanzleien, Konsistorien, Be= | amte und sämmtliche Unterthanen haben | dieselbe in allen ihren Artikeln als ein prag= | matisches Staatsgesez zu befolgen. Die Verhältnisse der Stadt Nürnberg | und ihres Gebiethes werden besonders regu= | lirt werden. So wie wegen der Kommen^ | de Rohr und Waldstetten mit Rück= | sieht auf den Artikel 33. der Konfbderations= | Akte^ das Geeignete bereits verfügt ist. München den 19. März 1807. Max Joseph. Freiherr von Montgelas. Auf königlichen allerhöchsten Befehl. | von Flad.

[31/2] Beitrittserklärung Badens vom 26. Juli 1815 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einfiihrungen" die Darstellung unter [64.]. Quelle: Bundesarchiv Koblenz, Sign. DB 1 U/9: Originaldokument mit Siegel und Unterschriften, ein Blatt (handschriftliche Ausfertigung). Sonstige Fundstelle: Protokolle der deutschen Bundes-Versammlung, Frankfurt/M. 1816, 1. Sitzung vom 5. November 1816, § 5, S. 45 (gedruckt). Wir Carl von Gottes | Gnaden, Grosherzog zu Baden, Herzog | zu Zähringen, Landgraf zu Nellenburg, Graf zu | Hanau etc. erklären hiermit Unsem unbedingten und vollkommenen I Beytritt zu dem Inhalt der deutschen Bundes Akte, welche zu | Wien von den Bevollmächtigten der übrigen theilnehmenden Höfe 1 verabredet, und am 8.— Juny d. J. unterschrieben worden ist. Zu Urkund dessen haben Wir gegenwärtiges eigenhändig | unterzeichnet und mit Unserm grossem Staats Siegel versehen | lassen. Carlsruhe den 26.— Julius 1815. Carl Vdt. Frh. von Hacke. Auf Sr. Königlichen Hoheit | besondem höchsten Befehl | Weiß.

[31/3] Beitrittserklärung Württembergs vom 1. September 1815 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einfiihrungen" die Darstellung unter [64.]. Quelle: Bundesarchiv Koblenz, Sign. DB 1 U/3: Originaldokument mit Siegel und Unterschriften, zwei Blätter (handschriftliche Ausfertigung). Sonstige Fundstellen: Protokolle der deutschen Bundes-Versammlung, Frankfurt/M. 1816, 1. Sitzung vom 5. November 1816, § 5, S. 44 (gedruckt). [Bl 1] Wir Friedrich | von Gottes Gnaden | König von Württemberg, | Souverainer Herzog in Schwaben und von Teck, | Fürst von Mergent= | heim, Ellwangen und Zwiefalten, Oberherr der Fürstenthümer Buchau, | Waldburg, Baldem, Ochsenhausen, Neresheim, Graf zu Groningen, I Limpurg, Montfort, Tettnang, Hosenberg, Biberach, Scheltlingen und | Eykoffs, Oberherr der Herrschaften Aulendorf, Scheer=Friedberg, Rols, | Baindt und Isny, Herr zu

Dok. 4.

[31 /4] Bundesbeschluß über die Aufnahme Hessen-Homburgs vom 7. Juli 1817

613

Altdorf, Leutkirch, Heidenheim, Justingen, | Crailsheim, der Donau=Städte, Ulm, Rottweil, Heilbronn, Hall | und Wiesensteig etc. etc. etc. Urkunden und bekennen hiemit: Nachdem Wir von dem Bundes= | Vertrage, welcher von den Bevollmächtigten der souverainen Fürsten | und freyen Städten Teutschlands in Folge des 6}^^ Artikels des | Pariser Friedens vom 30. May 1814. auf dem Congresse in Wien I verhandelt und am 8.^®" Juny 1815. unterzeichnet worden ist, | Einsicht genommen und Uns darauf entschlossen haben, dieser | Akte sowohl nach den, in den ersten eilf Articeln enthaltenen | Bestimmungen, welche den Bundes=Verein im Sinne des obenange= | führten Pariser=Friedens=Traktats feststellen; als auch nach | den weiteren, der Bundes=Akte in den folgenden Articeln 12. bis 20. | [Bl. 2] durch besondere Uebereinkunft der verbündeten Mitglieder beigefügten | Bestimmungen, welche, wenn sie zwar zum Zwecke des durch den | Pariser Frieden festgesetzten Bundes=Vereins nicht erfordert wep= | den, jedoch mit Unsem verfassungsmäßig ausgesprochenen | Grundsätzen vereinbarlich sind, beizutretten; als erklären Wir | hiemit diesen Unsem unbedingten und vollkommenen Beitritt | zu der mehr erwähnten Bundes=Acte und versprechen, dieselbe | ihrem ganzen Inhalt nach, zu vollziehen und vollziehen zu lassen. Zu dessen Bekräftigung haben Wir gegenwärtige Beitritts= | Urkunde unter Unserer höchst eigenhändigen Unterschrift aus= | fertigen und derselben Unser größeres Königliches Insiegel | beidrucken lassen. Gegeben in Unserer Königlichen Residenz=Stadt | Ludwigsburg den Ersten September im Jahr Christi Ein= | tausend Achthundert Funfzehen, und Unserer Könige | liehen Regierung im Zehenten. (L. S.) Friederich. Staats= und Conferenz=Minister, | Minister der auswärtigen Angelegenheiten, | Graf von Winzingerode. Ad Mandatum | Sacrae Majestatis proprium. | In Abwesenheit des Minister Staats Secretaire I Der Staatsrath: | Freyherr von Maucler.

[31/4] Bundesbeschluß über die Aufnahme Hessen-Homburgs vom 7. Juli 1817 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einführungen" die Darstellungen unter [64.] und [96.]. Quelle: Protokolle der deutschen Bundes-Versammlung, Protokoll der Plenar-Versammlung, S. (385 - )388 (gedruckt). Sonstige Fundstelle: P. A. G. Meyer (Hrsg.), Corpus Juris Germaniae Confoederationis oder Staatsacten fiir Geschichte und öffentliches Recht des Deutschen Bundes, Teil II (Beschlüsse der deutschen Bundesversammlung), 3. Aufl., 1859, S. 51. [S. 385] Aufnahme des Herrn Landgrafen von Hessen^ | Homburg in den deutschen Bund. . . . (5. 388] .. . Präsidium: zog aus den vorliegenden einhelligen Stimmen dieser Plenar= | Versammlung den Beschluß:^ Daß Seine Durchlaucht der regierende Herr Landgraf von Hessen^Homburg | und das An der Sitzung nahmen folgende Gesandte teil: von Buol-Schauenstein (für Österreich), von der Goltz (für Preußen), von Schlitz (für Sachsen), von Aretin (für Bayern) von Martens (für Hannover sowie für Braunschweig und Nassau), von Mandelsloh (für Württemberg), von Berstett (für Baden), von Lepel (für Kurhessen), von Hamier (für Hessen-Darmstadt), von Eyben (für Dänemark wegen Holstein und Lauenburg), von Gagera (für die Niederlande wegen Luxemburg), von Plessen (für Mecklenburg), von Hendrich (für Großherzogtum und Herzogtümer Sachsen), von Berg (für Olden-

614

§3: Deutscher Bund

[Dok. 3 1 - 8 4 ]

Landgräfliche Haus in den deutschen Bund aufgenommen, das Stimmen= | verhältniß desselben aber einer weitem Anordnung vorbehalten werde. Folgen die Unterschriften.

[31/5] Exkurs: Frankfurter Territorialrezeß vom 20. Juli 1819 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einführungen" die Darstellungen unter [44] [45] [47] [72] [207] [756]. Quelle: Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz, III. Hauptabteilung, Ministerium der auswärtigen Angelegenheiten, I Nr. 1684 unpaginiert^ (handschriftliche Ausfertigung französischer Text). Sonstige Fundstelle: P. Ä. G. Meyer (Hrsg.), Corpus Juris Germaniae Confoederationis oder Staatsacten flir Geschichte und öffentliches Recht des Deutschen Bundes, Teil I (Staatsverträge), 3. Aufl., 1858, S. 343 - 353. [Bl 1] Au Nom de la Tres-Sainte & indivisible Trinite. L'Acte du Congres de Vienne du neuf Juin, mil-huit-cent-1 quinze; & le traite de Paris du vingt Novembre de la | meme annee, renfermant des dispositions qui exigeaient | des negociations & des arrangemens ulterieurs & definitifs, | Leurs Majestes Imperiales & Royales le Roi de Prusse, | l'Empereur d'Autriche, Roi de Hongrie & de Boheme, | le Roi du Royaume uni de la Grande-Bretagne & | d'Irlande, l'Empereur de toutes les Russies, Roi de I Pologne, ont nomme des plenipotentiaires, pour en remplir | Tobjet. Voulant aujourd'hui comprendre dans une | transaction commune, les resultats des differentes | negociations, qui ont oü Heu ä cet egard, pour les revetir | des ratifications necessaires. Elles ont autorise Leurs | plenipotentiaires, ä reunir dans un instrument general, | toutes les stipulations particulieres, & ä joindre ä cet acte, | qui portera le titre de Reces general de la Commission I territoriale rassemblee ä Francfort, toutes les conventions, | qui s'y rapportent. [Bl 2] En consequence, les plenipotentiaires respectifs, savoir: De la part de Sa Majeste le Roi de Prusse, le Sieur | Charles Guillaume Baron de Humboldt, Son Ministre | d'Etat, Chambellan, Envoye Extraordinaire & Ministre | Plenipotentiaire pres Sa Majeste Britannique, Chevalier | du Grand Ordre de l'aigle rouge; & de celui de la Croix de Per | de Prusse de la premiere Classe, Grand Croix des ordres de | Leopold d'Autriche, de Sainte Anne de Russie, du Danebrog | du Danemarc, du Lion Belgique des Pays-bas, de la Couronne | de Baviere, de la Fidelite de Bade & du Faucon blanc de | SaxeWeimar; De Celle de Sa Majeste l'Empereur d'Autriche, Roi de | Hongrie & de Boheme, le Sieur Jean-Philippe Baron de | Wessenberg, Grand Croix de 1'Ordre Royal de Saint Etienne, |

bürg, Anhalt, Schwarzburg) von Leonhardi (für Hohenzollem, Liechtenstein, Waldeck, Reuß, Schaumburg-Lippe, Lippe) Smidt (für Lübeck und Bremen), Danz (für Frankfurt), Gries (für Hamburg). Im Text vorgenommene Blattzählung stammt vom Herausgeber.

[31/5] Exkurs: Frankfurter Territorialrezeß vom 20. Juli 1819

615

Chevalier Grand Croix de 1'Ordre militaire & religione des | Saints Maurice & Lazare, de rOrdre de l'Aigle rouge de | Prusse, de celui de la Couronne de Baviere, de Saint Joseph | de Toscane, de l'Ordre Constantinien de Parme, de la Fidelite | de Bade, du Lion d'or de Hesse, Chambellan & Conseiller | intime actuel Sa dite Majeste Imperiale & Royale | Apostolique; De Celle de Sa Majeste le Roi du Royaume-uni de la | Grande-Bretagne & d'Irlande, le tres honorable Richard le | Poer Trench, Comte de Clancarty, Vicomte Dunlo, Baron | Kilconnel, Baron Trench de Garbally du Royaume-uni de | la Grande Bretagne & d'Irlande, Conseiller de Sa Majeste | [Bl 3] Britannique en Son Conseil prive de la Grande Bretagne & I aussi d'Irlande, Membre du Comite du Premier pour les affaires | de commerce & des Colonies, Colonel du Regiment de Milice | du Comte de Galway; Ambassadeur Extraordinaire & Ministre | Plenipotentiaire de Sa dite Majeste aupres de Sa Majeste le | Roi des Pays-bas & Chevalier Grand Croix du tres honorable | Ordre du Bain; De Celle de Sa Majeste l'Empereur de toutes les Russies, | Roi de Pologne, Le Sieur Jean d'Anstett, Son Conseiller prive, | Envoye Extraordinaire & Ministre Plenipotentiaire pres | la Serenissime Confederation Germanique, Chevalier de l'Ordre | de Saint Alexandre Newski, Grand Croix de celui de Sainte | Anne, de Leopold d'Autriche, de Aigle rouge de Prusse, de 1 l'Etoile polaire de Suede, de la Couronne de Baviere, de la | Couronne de Wurtemberg, de la Fidelite & du Lion de Zähringen | de Bade, Chevalier de Bade, Chevalier de l'Ordre de Saint Joan de Jerusalem ; apres | avoir apres avoir verifie entr'Eux, leurs pleinspouvoirs, trouves en bonne | & due forme, sont convenus de recevoir dans le present | instrument general & definitif, & de munir de leurs signatures, | les articles suivants: Article premier. Sa Majeste Imperiale& Roy ale Apostolique pour Elle, | Ses heritiers & successeurs, possedera en toute propriete | [Bl. 4] & souverainete les pays suivans, retrocedes par Sa Majeste le I Roi de Baviere en vertu du traite signe ä Munich le quatorze | Avril mil-huit-centseize, lequel est annexe au present traite | general, savoir: 1.) L'Innviertel & les parties du Hausruckviertel, tels que | ces pays ont ete cedes par l'Autriche en mil-huit-cent-neuf 2.) Le duche de Salzbourg, tel qu'il a ete possede par l'Autriche | en mil-huit-cent-neuf ä r exception des bailliages de Waging, | Tittmaning, Teisendorff & Lauffen, en tant qu'ils sont situes | sur la rive gauche de la Salzach & de la Saale; ces bailliages | tels qu'ils viennent d'etre designes, resteront ä la Baviere. 3.) Le bailliage tyrolien de Vils. Article deuxieme. En retour des retrocessions designees dans Particle | premier du present traite general, Sa Majeste le Roi de | Baviere, pour Lui, Ses heritiers & successeurs, possedera en | toute propriete & souverainete les pays suivans, cedes par | Sa Majeste Imperiale & Royale Apostolique, savoir: I. Sur la rive droite du Rhin; a.) les bailliages ci-devant Fuldois de Hammelbourg, y | compris Tulba & Salek, de Brückenau avec Motten, celui de | Weihers ä 1'exception des villages de Melters & Hattenrodt, | lequel bailliage ay ant appartenu d'apres Particle quarantieme | de I'Acte du Congres de Vienne ä la Prusse, a ete echange | [BL 5] contre celui de Saalmünster, Uerzel, Sannerz & le Huttensche | Grund, qui ont passe ä la Hesse Electorale, ainsi que la partie du | bailliage de Bieberstein, qui renferme les villages de Batten, Brand, | Dietges, Findlos, Liebhardt, Melperz, Oberbemhardt avec les I hameaux de Steinbach, Saiffert & Thaiden;

616

§3: Deutscher Bund

[Dok. 3 1 - 8 4 ]

b.) le bailliage de Redwitz, enclave dans les Etats Bavarois, & | cede par Sa Majeste Imperiale & Royale Apostolique; c.) la partie du bailliage de Wertheim, situee au Nord de la route | de Lengfurth ä Wurzbourg teile qu'elle a ete cedee par Son Altesse | Royale le Grand Due de Bade en vertu du traite du dix Juillet, | mil-huit-cent-dix-neuf, annexe au present Reces. IL A la rive gauche du Rhin: a,) du ci-devant Departement du Mont-Tonnerre: 1.) les arrondissemens de Deux-Ponts, de Kaiserslautem | & de Spire, ce dernier ä r exception des Cantons de Worms & | de Pfeddersheim, 2.) le Canton de Kirchheim-Poland, dans l'arrondissement | d'Alzey; b.) du ci-devant Departement de la Sarre les Cantons de | Waldmohr & Bliescastel, celui de Kusel, ä 1'exception de | Schwarzerden, Reichweiler, Peffelbach, Ruthweiler, Burg-1 lichtenberg & Thallichtenberg, dans le Canton de St. Wendel I Saale, Niederkirchen, Bubach, Marth, Hoff & Osterbrücken, | dans le Canton de Grumbach Eschenau & St: Julian. c.) Les Cantons de Landau, Bergzabern & Langenkandel | ainsi que toute la partie du Departement du Bas-Rhin, cedee | [Bl 6] par la France sur la rive gauche de la Lauter par le traite | de Paris du vingt Novembre, mil-huit-cent-quinze. II est entendu que toutes les communes designees ci-dessus | sont censees etre cedees avec leurs banlieues. Article troisieme. La ville de Landau est declaree, sous le rapport militaire, | une des forteresses de la Confederation Germanique, sans que | cette disposition puisse alterer en rien le droit de souverainete | qui est devolu ä Sa Majeste le Roi de Baviere sur la dite | ville. Article quatrieme. Sa Majeste le Roi de Baviere reunira egalement ä | Sa Monarchie les bailliages de Miltenberg, Amorbach, | Heubach & Alzenau, tels qu'ils ont ete cedes, par suite des | negociations de la Commission territoriale de Francfort par | Son Altesse Royale le Grand Due de Hesse, en vertu du traite | du trente Juin, mil-huit-cent-seize, lequel est annexe au | present Reces. Article cinquieme. ^La ligne de demarcation entre les Etats Bavarois sur | [Bl 7] la rive gauche du Rhin & la France, suit les limites qui d'apres | le traite de Paris du vingt Novembre, mil-huit-centquinze, separent | l'Allemagne des Departements de la Moselle & du Bas-Rhin, | jusqu'ä la Lauter qui sert ensuite de frontiere jusqu'ä son | embouchure dans le Rhin. ^Toutefois la ville de Weissenbourg, | traversee par cette riviere, reste toute entiere ä la France avec | un rayon sur la rive gauche, qui ne peut pas exceder mille toises. Article sixieme. ^11 sera etabli une route militaire, dans la direction | de Wurzbourg vers les provinces Bavaroises sur la rive | gauche du Rhin ä travers les Etats de Son Altesse Royale | le Grand Due de Bade. ^Elle sera tracee de maniere ä etre | aussi peu onereuse que possible au Grand Duche, & les | arrangemens ä faire ä cet egard sont reserves ä une | Convention particuliere entre Sa Majeste le Roi de Baviere | & Son Altesse Royale le Grand Due de Bade.

[31/5] Exkurs: Frankfurter Territorialrezeß vom 20, Juli 1819

617

Article septieme. ^Les stipulations, cessions, retrocessions, conditions et | clauses, portees au traite de Munich du quatorze Avril, mil-1 huit-cent-seize, ayant ete ratifiees; & les ratifications ayant | ete confirmees par la prise de possession & la paisible | jouissance des pays acquis ou echanges, ä 1'exception de la | [Bl 8] partie du bailliage de Wertheim designee dans Particle | deuxieme du present Reces; qui dependait de la negociation | commise ä la Commission de Francfort, les articles qui | composent ce traite ont ete annexes au present Reces. I ^L'article quatrieme du dit traite a du motiver une | determination particuliere. ^11 est de la teneur suivante: „La contiguite des acquisitions que fait la Baviere en | „echange des retrocessions susmentionnees, etant une | „stipulation du traite de Ried, Sa Majeste I'Empereur | „d'Autriche reconnoit le droit de Sa Majeste le Roi de | „Baviere ä une indemnite pour le desistement du | „principe de contiguite." „Cette indemnite sera fixee ä Francfort, en meme | „tems & de la meme maniere que les antres arrangemens | „territoriaux de I'Allemagne." „A cet effet Sa Majeste I'Empereur d'Autriche | „s'engage ä donner ä Sa Majeste le Roi de Baviere | „un dedommagement, qui a ete regie de gre ä gre jusqu'ä | „I'epoque du resultat efficace de la negociation de | „Francfort, & que la Baviere ait pü etre mise en | „possession de rindemnite pour la renonciation ä la | „contiguite." ^Les negociations de Francfort ont eü en consequence pour | objet de realiser en faveur de la Baviere un dedommagement | pour son desistement de la contiguite de ses possessions. ^Mais I r indemnite obtenue ä la suite de ces negociations ayant ete | [Bl 9] rejettee par la Baviere, quoiqu'elle fut un juste equivalent | de I'objet donne; les hautes Parties contractantes se considerent | comme entierement liberees envers la Baviere, attendu que les I engagemens pris envers cette Cour n'ont jamais ete que | conditionnels, & qu'ils ont re9u de leur part tout I'accomplissement | dont ils etaient susceptibles. ^En consequence Particle quatrieme | precite, & par suite du meme principe les articles additionnels | qui pourraient avoir ete annexes au dit traite de Munich, | cessent d'etre obligatoires, & ne pourront plus I'etre dans aucun | cas, ni ä aucune epoque, dans aucune relation ou correlation I pour ou contre une partie quelconque, I'etat de possession, tel | qu'il ressort du present Reces, etant formellement reconnu par | les Parties contractantes. Sa Majeste Imperiale & Royale Apostolique change toutefois | en une rente perpetuelle en faveur de la Baviere la rente | conditionnelle & temporaire de cent-mille florins qu'Elle lui paye | en suite des negociations qui ont eü lieu ä Munich en mil-1 huit-cent-seize. Article huitieme. ^Sa Majeste Imperiale & Royale Apostolique pour Elle, | Ses heritiers & successeurs, cede ä Son Altesse Royale le | Grand Due de Bade le Comte de Geroldseck, devolü ä | r Antriebe en vertu de 1'article cinquante-unieme de l'Acte | du Congres de Vienne du neuf Juin, mil-huit-cent-quinze. | [Bl. 10] ^En echange de cette cession Son Altesse Royale le Grand Due de | Bade met ä la disposition de Sa Majeste Imperiale & Royale | Apostolique la partie du bailliage de Wertheim designee dans | Particle deuxieme du present Reces. Article neuvieme. ^Les articles additionnels du traite de Francfort du | vingt Novembre, mil-huit-centtreize, renfermant une | clause onereuse ä la charge du Grand Duche de Bade, sont | revoques. ^Son Altesse Royale le Grand Due, Ses heritiers & | successeurs, en sont liberes ä jamais, & l'etat de possession | du Grand Duche, tel qu'il existe aujourd'hui, est formellement I reconnu.

618

§ 3 : Deutscher Bund

[Dok. 3 1 - 8 4 ]

Article dixieme. ^Le droit de succession etabli dans le Grand Duche de | Bade en faveur des Comtes de Hochberg, fils de feu le Grand Due | Charles Frederic, est reconnu pour & au nom des Puissances I contractantes. - ^Le traite renfermant Ses deux articles | ci-dessus neuvieme & dixieme est annexe au present Reces. Article onzieme. Sa Majeste le Roi de Prusse pour Lui, Ses heritiers | [Bl 11] et successeurs, possedera en toute souverainete & propriete dans | les Departemens de la Sarre & de la Moselle les districts qui, | en vertu du traite conclu ä Paris le vingt Novembre, mil-1 huit-cent-quinze ont ete cedes par Sa Majeste Tres-Chretienne | aux Puissances signataires du dit traite. Article douzieme. Sa Majeste l'Empereur d'Autriche ayant cede ä Sa | Majeste le Roi de Prusse les districts que Sa Majeste | Imperiale & Royale Apostolique possedait, en vertu de | l'article cinquante-unieme de TActe du Congres de Vienne | du neuvieme Juin, mil-huit-cent-quinze dans le Departement | de la Sarre, y compris les parcelles sur la rive droite de la | Moselle, qui appartenaient autrefois ä Luxembourg, ainsi | que les districts du Departement de la Moselle, cedes par | Sa Majeste Tres-Chretienne par le traite de paix de | Paris du trentieme Mai, mil-huit-cent-quatorze, ä | 1'exception toutefois de ceux de ces territoires qui suivant | l'article deuxieme du present Reces, passent sous la | domination de Sa Majeste le Roi de Baviere; Sa | Majeste Prussienne possedera les dits districts pour | Elle, Ses heritiers & successeurs, en toute propriete et | souverainete, en tant qu'Elle n'en a pas dispose suivant | les articles vingt-septieme, vingt-huitieme & vingt neuvieme 1 du present Reces, pour remplir les engagemens contractus | [Bl 12] par l'article quarante-neuvieme & cinquantieme de l'Acte du I Congres de Vienne. Article treizieme. Conformement ä cette double disposition, & par suite des | cessions faites la frontiere des Etats Prussiens sera desormais | la suivante: ^En quittant le confluent de la Moselle avec la Sure qui | formait l'extremite des limites Prussiennes designees par | l'article vingt-cinquieme de l'Acte du Congres de Vienne, eile | remontera la Moselle jusque pres de Perle qui passera ä la | Prusse, se dirigera de lä sur Launsdorff, Wallwich, Schardorff, | Niederweiling, Pellweiler, tous ces endroits restans avec leurs | banlieues ä la France, jusqu'ä Houvre, & suivra de cet | endroit les anciennes limites du pays de Sarrebrück, en | laissant Sarrelouis & le cours de la Sarre avec les endroits I situes ä la droite de la ligne ci-dessus designee /.• c'est ä dire | situes du cöte du cidevant Departement de la Sarre :l & leurs | banlieues ä la Monarchie Prussienne. "^Des limites du pays | de Sarrebrück la ligne de demarcation continuera ä etre la | meme que celle qui d'apres l'article premier du traite de paix | conclu ä Paris le vingt Novembre, mil-huit-centquinze, I separe la France de l'Allemagne jusqu'ä Blies-Rauschbach | de sorte que tout ce qui jusqu'ä ce point fait d'apres l'article | cite, partie de l'Allemagne sera possede desormais par I [Bl IS] Sa Majeste Prussienne. Du point, oü, pres de Blies-Rauschbach appartenant | ä la Prusse, finit la frontiere de la France jusqu'au | village de Braitenbach, qui se trouvera sous la domination | Bavaroise, la frontiere qui separe les Cantons d'Ameval, | d'Ottweiler & de St. Wendel sur la ligne Prussienne, des Cantons | de Bliescastel & Waldmohr, faisant partie du territoire Bavarois, | formera la limite entre les Etats de Leurs Majestes les Roi de | Prusse & de Baviere. Les frontieres des ci-devant Cantons qui d'apres ce qui vient | d'etre stipule, forment les limites entre le territoire Prussien | & Bavarois, sont entendues telles qu'elles etaient ä

[31 /5] Exkurs: Frankfurter Territorialrezeß vom 20. Juli 1819

619

l'epoque | de la conclusion du traite de paix de Paris du trentieme Mai, | mil-huit-centquatorze, De Braitenbach la nouvelle frontiere passera ä travers | les Cantons d'Ottweiler, de Tholey & de St: Wendel, de fa9on | qu'elle laisse du premier les communes de Werschweiler, | Doerrenbach, la metairie de Werthshausen, ainsi que les | communes de Steinbach, Niederlinxweiler, Remesweiler, | Mainzweiler & Urexweiler, & du second les communes de | Nambom, Gnidesweiler, Gronig, Ossenbach avec Oberthal, | Immweiler, Elmeren, Bliesen, Niederhofen, Winterbach, | Alzweiler & Marpingen, toutes avec leurs banlieues, ä Son | Altesse Serenissime le Due de Saxe-Cobourg, & que le | reste de ces Cantons demeure sous la domination Prussienne, | mais que du Canton de St: Wendel les seules communes | [Bl 14] de Hasbom, Dautweiler & Theley avec leurs banlieues | fassent partie du territoire Prussien, le reste de ce Canton | appartenant en partie ä celui de Saxe-Cobourg & en partie | ä celui d'Oldenbourg. De lä la frontiere traversera les Cantons de Wadem & de | Hermeskeil, en laissant du premier les communes de Neunkirchen, | Sellbach, Gonnesweiler & Eyweiler, du second Celles de Soetem, | Boosen & Schwarzenbach, toutes avec leurs banlieues, ä Son | Altesse Royale le Grand Due d'Oldenbourg, le reste de ces Cantons | formant partie du territoire Prussien; eile passera ensuite entre | le Canton de Hermeskeil & de Birkenfeld, ce demier appartenant | en entier au territoire d'Oldenbourg, & coupera le Canton de | Herrstein & de Rhaunen de maniere que le premier appartienne | ä Son Altesse Royale le Grand Due, d'Oldenbourg, ä 1'exception | des communes de Hottenbach, Hellertshausen, Asbach, | Schauren, Kempfeld & Bruchweiler qui avec leurs banlieues | demeurent ä la Prusse & que le second /; celui de Rhaunen ;/ | reste ä Sa Majeste Prussienne, ä 1'exception de la commune I de Bondenbach qui, avec sa banlieue, fait partie du territoire | d'Oldenbourg. ^Lorsque la nouvelle limite aura ainsi atteint celle qui | separait ä l'epoque du trentieme Mai, mille-huit-cent-quatorze, | le Departement de la Sarre du Departement de Rhin & Moselle, I eile suivra cette limite vers le confluent de la Glan avec la | Nahe, en separant du territoire Prussien une partie du Canton | de Herrstein laquelle, comme il vient d'etre dit, appartient | [Bl 15] au Grand Due d'Oldenbourg, & le Canton de Meisenheim qui | passe ä Son Altesse Serenissime le Landgrave de Hesse | Hombourg. ^Au confluent des deux susdites rivieres la | nouvelle frontiere retombera dans les limites fixees par 1'article | vingtcinquieme de l'Acte du Congres de Vienne, & admises | au present Reces. Article quatorzieme. Sa Majeste le Roi de Prusse reunit ä Son Grand Duche | du Bas-Rhin tous les districts & territoires compris dans les | limites decrites dans 1'article precedent. Article quinzieme. ^Le droit de gamison dans la forteresse de Mayence | est commun ä Sa Majeste I'Empereur d'Autriche & ä Sa | Majeste le Roi de Prusse. ^La gamison de cette place sera | composee d'un nombre egal de troupes Autrichiennes, & de | troupes Pmssiennes. ^Son Altesse Royale le Grand Due de | Hesse participera au meme droit pour un bataillon d'Infanterie. Article seizieme. ^Par suite de 1'article ci-dessus Leurs Majestes I'Empereur | d'Autriche & le Roi de Pmsse exerceront le droit de nommer | [Bl 16] le Gouvemeur & de commandant de la place de Mayence | altemativement de cinq ans ä cinq ans, & de maniere que: | lorsque le poste de Gouvemeur sera occupe par un General | Autrichien, celui de Commandant le sera par un General | Pmssien, & ainsi reciproquement. '^Il est egalement convenu | que la direc-

620

§ 3: Deutscher Bund

[Dok. 31 - 84]

tion de rartillerie appartiendra, comme jusqu'ici, | ä rAutriche, & celle du Genie ä la Prusse. Article dix-septieme. Son Altesse Royale le Grand Due de Hesse cede ä Sa | Majeste le Roi de Prusse le Duche de Westphalie tel qu'il | ä ete possede par Son Altesse Royale ä l'epoque de la signature I de l'Acte final du Congres de Vienne du neuvieme Juin, mil | huit-cent-quinze, pour appartenir ä Sa Majeste, Ses | descendans & successeurs, en toute propriete & souverainete. Article dix-huitieme, Son Altesse Royale le Grand Due de Hesse renonce en | faveur de Sa Majeste le Roi de Prusse, pour Lui, Ses | descendans & successeurs ä tout droit de souverainete & de | feodalite sur les Comtes de Wittgenstein-Wittgenstein & | Wittgenstein-Berlebourg. Ces possessions seront places envers la Monarchie | Prussienne dans les relations etablies par la Constitution | [Bl 17] federative de TAUemagne pour les territoires mediatises. Article dix-neuvieme. En retour des cessions & renonciations faites par le | Grand Due des Hesse, Son Altesse Royale possedera pour 1 Elle, Ses heritiers & successeurs 1- En toute souverainete les territoires du Prince | & des Comtes d'Isenbourg y compris les villages de | Heusenstamm & d'Eppertshausen, ä l'exception toutefois | des districts; cedes ä Son Altesse Roy ale TElecteur de Hesse | en vertu de 1'article vingt-cinquieme du present Reces; | de meme en toute souverainete les possessions du Comte | de Solms-Rödelheim & du Comte d'Ingelheim, qui ont | fait partie du ci-devant Departement de Francfort, | lesquelles possessions & villages seront places envers le | Grand Duche de Hesse dans les relations etablies par la | Constitution federative de l'Allemagne pour les territoires | mediatises. Les rapports des Comtes d'Isenbourg vis ä vis du | Prince d'Isenbourg seront retablis sur le pied, sur lequel ils | existaient avant la Confederation Rhenane, bien entendu I que tous les droits de souverainete appartiendront uniquement | ä Leurs Altesses Royales l'Electeur & le Grand Due de | Hesse, conformement ä l'article vingt-cinquieme ci-dessus | mentionne. [Bl 18] 2- en propriete les salines situees dans la banlieue | de Kreutznach, ainsi que les sources salees qui y | appartenaient ä l'epoque de la signature de l'Acte du Congres | de Vienne du neuvieme Juin, mil-huit-cent-quinze. La saline | dite de Münster qui est une propriete particuliere, est | expressement exceptee. La souverainete de toutes ces salines | restera ä Sa Majeste le Roi de Prusse. Article vingtieme. Son Altesse Royale le Grand Due de Hesse, ses | heritiers & successeurs possederont en toute propriete et | souverainete: 1- Le Cercle d'Alzei, ä l'exception du Canton de Kircheim= | Poland, & les Cantons de Pfeddersheim & de Worms dans le | Cercle de Spire, tels que ces pays se trouvaient ä l'epoque du | trois Novembre, mil-huit-cent-quinze, sous 1'administration | etablie ä Worms, & de fa9on que les limites des Etats | Prussiens, lä oü ceux-ci confment au Cercle d'Alzei, restent | telles qu'elles sont fixees par l'article vingtcinquieme I de l'Acte du Congres de Vienne du neuf Juin, mil-huit-cent-1 quinze. 2- La ville & le territoire de Mayence, y compris Cassel | & Kostheim, ä l'exception de tout ce qui constitue la | forteresse, laquelle est declaree forteresse de la Confederation 1 Germanique.

[31/5] Exkurs: Frankfurter Territorialrezeß vom 20. M i 1819

621

[Bl 19] Article vingt-et-unieme. Tous le ouvrages, edifices, terrains & revenus, qui | appartenaient ä la forteresse de Mayence ä l'epoque de | la remise faite aux troupes alliees, en execution de la | Convention du vingt-trois Avril mil-huit-cent-quatorze, | soit que ces revenus fissent partie de sa dotation, soit qu'ils | fussent affectes ä d'autres objets, resteront exclusivement | ä la disposition du Gouvernement de la forteresse, & leur | produit fera partie de sa dotation. Article vingt-deuxieme. ^Le droit de souverainete dans la ville de Mayence | appartenant ä Son Altesse Royale le Grand Due de Hesse, | 1'administration de la justice, la perception des impositions | & contributions de toute espece, ainsi que toute autre branche | de 1'administration civile restera exclusivement entre les | mains des Employes de Son Altesse Royale, & le Gouverneur | & le Commandant leur preteront secours & assistance en | cas de besoin. "^Toutefois le Gouvernement militaire de la forteresse sera nanti de tous les pouvoirs necessaires pour lui assurer, | conformement ä la responsabilite qui repose sur lui, l'exercice | libre & independant de ses fonctions. ^Les autorites civiles 1 & locales lui seront subordonnees pour tout ce qui conceme | la defense de la place, & les rapports militaires. ''ll aura ä | [Bl. 20] ce meme egard, nommement la direction de la police, de maniere | cependant qu'un Employe civil de Son Altesse Royale le Grand | Due prendra part aux conferences du Gouvernement, aussi | souvent qu'il s'agira d'objets de cette nature. ^Les ordonnances | & reglemens de police seront publies par le Gouvernement | sous l'intervention du president de la police de la ville. ^La I garde bourgeoise de la ville sera, ainsi que cela se pratique dans | toutes les forteresses, placee sous les ordres du Gouvernement | militaire & ne pourra se rassembler que de son consentement. | ^11 ne sera mis aucun obstacle ä la levee de la conscription | dans la ville. ^Le Gouvernement militaire etant responsable | de la defense de la place & du maintien de r ordre Interieur, & | jouissant du droit de prendre dans ce but toutes les mesures | necessaires, il pourra aussi placer des avant-postes au dehors | de la forteresse. ^En tems de guerre, | ou lorsque I'Allemagne sera | menacee d'une guerre, & la forteresse declaree en etat de siege, I les pouvoirs du Gouvernement militaire seront illimites, & | n'auront d'autres bornes que la prudence, les usages & le droit | des gens. Article vingt-troisieme. Son Altesse Royale le Grand Due de Hesse consent ä ce | que la Prusse ait une route militaire par ses Etats pour les | troupes qui passent d'Erfiirt par Eisenach, Hersfeld, Giessen | & Wetzlar ä Coblence, & que celles qui viennent de Mayence 1 [Bl 21] ou qui y sont destinees, prennent la route de Coblence par Bingen. Le reglement d'une route d'etapes pour les troupes Autrichiennes | destinees ä faire partie de la gamison de Mayence, est reserve ä | une Convention particuliere entre les Gouvernemens respectifs. ^Son Altesse Royale le Grand Due de Hesse consent | egalement ä ce que la Baviere ait une route militaire par | ses Etats pour les troupes, qui passent des provinces Bavaroises | ä la rive droite du Rhin dans celles nouvellement acquises | sur la rive gauche de ce fleuve. ^Quant aux places d'etapes, | aux moyens d'entretien & de transport & autres objets | d'administration, ces objets seront regies par une Convention | particuliere entre Sa Majeste le Roi de Baviere & Son | Altesse Royale le Grand Due de Hesse. Article vingt-quatrieme. Les engagemens pris par Son Altesse Royale le Grand Due | de Hesse dans les articles additionnels du traite de Francfort | du vingt-trois Novembre, mil-huit-cent-treize, cessent;

622

§ 3: Deutscher Bund

[Dok. 31 - 84]

& I Sa clause onereuse que ces articles renfermaient, ne pourra | plus, dans aucun cas, ni ä aucune epoque devenir obligatoire | pour Son Altesse Royale, ses heritiers & successeurs. Article vingt-cinquieme. Son Altesse Royale le Grand Due de Hesse remet | [Bl 22] Son Altesse Royale l'Electeur de Hesse en possession du | bailliage de Dorheim, & lui cede, en echange des bailliages | de Rodheim, Ortenberg & Babenhausen, de la moitie de Vilbel | appartenante ä Son Altesse Royale l'Electeur, & des communautes | de Münzenberg, Traismünzenberg, Assenheim, Heuchelheim | & Burggraefenrode, les territoires suivans; savoir: 1- les endroits de Grossauheim, Grosskrotzenbourg et | Oberrodenbach, & la moitie de Praunheim appartenante au | Grand Duche; 2- une partie du pays d'Isenbourg, composee des bailliages 1 /; Gerichte ;/ de Diebach, Langenselbold, Meerholz, Lieblos, | Wächtersbach, Spielberg & Reichenbach, & du village de | Wolfenbom. Article vingt-sixieme. Son Altesse Royale le Grand Due de Hesse reintegre, | en execution de Particle quarante-huitieme de l'Acte | du Congres de Vienne du neuf Juin, mil-huit-cent-quinze, | Son Altesse Serenissime le Landgrave de Hesse-1 Hombourg dans les possessions, revenus, droits et | rapports politiques, dont il ä ete prive par la Confederation | Rhenane. II sera conclu entre Son Altesse Royale le Grand Due de | Hesse & Son Altesse Serenissime le Landgrave de Hesse-1 Hombourg un arrangement de famille, ä l'effet de concilier | [Bl 23] les rapports resultans de la presente stipulation avec les | pactes & Reces de famille existans. Article vingt-septieme. L'article quarante-neuvieme de l'Acte du Congres de | Vienne ayant reserve dans le cidevant Departement de la | Sarre un district pour Leurs Altesses Royales les Grands-1 Dues d'Oldenbourg, Prince de Lübeck, & de Mecklenbourg= | StreHltz, Leurs Altesses Serenissimes le Due de Saxe= | Cobourg, le Landgrave de Hesse Hombourg & le Comte | de Pappenheim, lequel district ä re9u plus tard de Sa | Majeste Prussienne une plus grande extension en faveur | de Son Altesse Serenissime le Due de Saxe-Cobourg, & | Sa Majeste le Roi de Prusse s'etant engage, en consideration | des cessions qui Lui ont ete faites ä Particle douzieme du | present Reces par Sa Majeste l'Empereur d'Autriche, ä | mettre les dits Princes, ainsi que le Comte de Pappenheim | en possession des territoires qui doivent leur appartenir, | Sa Majeste Prussienne, de concert avec Sa Majeste | Imperiale & Roy ale Apostolique, Sa Majeste le Roi du | Royaume-uni de la Grande Bretagne & d'lrlande & Sa | Majeste l'Empereur de toutes les Russies, cede 1.) ä Son Altesse Royale le Grand Due d'Oldenbourg, | Prince de Lübeck, le Canton de Herrstein ä 1'exception des | communes de Hottenbach, Hellertshausen, Asbach, Schauren, | [BL 24] Kempfeld & Bruchweiler; le Canton de Birkenfeld; du Canton | de Hermeskeil les communes de Soetem, Boosen & Schwarzenbach; | du Canton de Wadem les communes de Neunkirchen, Sellbach, | Gonnesweiler & Eyweiler; du Canton de St: Wendel les | communes d'Asweiler, Eizweiler, Imsbach, Hirrstein, | Reichsweiler & Mosberg, Steinberg & Deckenhard, | Wallhausen & Schwarzhoff; du Canton de Rhaunen la | commune de Bondenbach; & du Canton de Baumholder I les communes de Nohen, Nohefelden, Gimbweiler et | Wolfersweiler. Article vingt-huitieme. 2°. Son Altesse Serenissime le Due de Saxe-Cobourg | le Canton de Grumbach, ä rexception des communes de | Baerenbach, Becherbach, Otzweiler, Hoppstädten,

[31/5] Exkurs: Frankfurter Territorialrezeß vom 20. Juli 1819

623

St: Julian | & Eschenau; le Canton de Baumholder, ä l'exception de | Nohen, Nohefelden, Gimbweiler & Wolfersweiler; le Canton | de St: Wendel, ä l'exception des communes de Bubach, | Saal, Niederkirchen, Marth, Hoff, Osterbrücken, Hasbom, | Dautweiler, Theley, Asweiler, Eizweiler, Hirstein, Reichweiler | & Mosberg, Steinberg & Deckenhand, Wallhausen et | Schwarzhoff & Imsbach; du Canton de Cousel les I communes de Burglichtenberg, Thallichtenberg, Ruthweiler, | Pfeffelbach, Reichweiler & Schwarzerden; du Canton de | Tholey les communes de Nambom, Gnidesweiler, Gronig, | [Bl. 25] Ossenbach avec Oberthal, Immweiler, Elmeren, Bliesen, | Niederhofen, Winterbach, Alzweiler & Marpingen; & du | Canton d'Ottweiler les communes de Werschweiler & Doerrenbach, | la metairie de Werthshausen, ainsi que les communes de | Steinbach, Niederlinxweiler, Remesweiler, Mainzweiler & | Urexweiler. Article vingt-neuvieme. 3.) Son Altesse Serenissime le Landgrave de Hesse= | Hombourg le Canton de Meisenheim ; & du Canton de | Grumbach les communes de Baerenbach, Becherbach, | Otzweiler & Hoppstaedten. Article trentieme. Son Altesse Royale le Grand Due d'Oldenbourg, Prince | de Lübeck, Leurs Alresses Serenissimes le Due de Saxe-1 Cobourg & le Landgrave de Hesse-Hombourg possederont | les dits districts & territoires pour Eux, leurs heritiers et | successeurs en toute souverainete & propriete, & d'apres les clauses | & stipulations enoncees dans les actes dresses entre les Parties | interessees lors de la remise des dits territoires. Son Altesse Serenissime le Landgrave de Hesse-Homburg | pour Lui, Ses heritiers & successeurs, jouira egalement d'une | pleine & entiere souverainete ä l'egard des possessions dans I [Bl 26] lesquelles il a ete reintegre par l'article quarante-huitieme de | l'Acte du Congres de Vienne; il prendra le titre de Landgrave | Souverain de Hesse. Article trente-unieme. II est entendu que les communes renfermees dans les | districts designes dans les articles vingt-septieme, vingt-huitieme | & vingt-neuvieme du present Reces, sont censees etre cedees avec | leurs banlieues qui ne seront nulle part coupees par les | nouvelles limites. Article trente-deuxieme. La Prusse jouira du droit d'une route militaire par la | Principaute du Birkenfeld pour conserver la communication | necessaire avec le pays de Sarrebrück, & la forteresse de | Sarrelouis. II a ete fait ä cet egard une Convention particuliere | entre Sa Majeste le Roi de Prusse & Son Altesse Royale | le Grand Due d'Oldenbourg. Article trente-troisieme. Son Altesse Royale le Grand Due d'Oldenbourg, Prince | de Lübeck, Leurs Altesses Serenissimes le Due de Saxe-1 [S. 27] Cobourg & le Landgrave Souverain de Hesse, ayant ete mis I en possession des territoires qui leur etaient destines. Son | Altesse Royale le Grand Due de Mecklenbourg-Strelitz | ayant fait un arrangement particulier avec Sa Majeste | le Roi de Prusse, & le Comte de Pappenheim ayant obtenu une | indemnite en domaines dans la Monarchie Prussienne, & | ces demiers arrangemens ayant ete notifies ä la Commission | territoriale; Sa Majeste Prussienne est entierement liberee | des engagemens qu'Elle ä voulu prendre par l'article quarante-1 neuvieme de l'Acte du Congres de Vienne.

624

§ 3: Deutscher Bund

[Dok. 31 - 84]

Article trente-quatrieme. ^Sa Majeste le Roi des Pays-Bas, Grand Due de Luxembourg, possedera pour Lui, Ses heritiers & successeurs | en pleine propriete & souverainete, tous les districts qui, ayant | fait partie en mil-sept-cent-quatrevingt-dix des provinces | Belgiques, de l'Eveche de Liege & du duche de Bouillon, | ont ete cedes par la France aux Puissances AUiees en vertu | du traite conclu ä Paris le vingt Novembre, mil-huit-cent-1 quinze, ainsi que les territoires enclaves de Philippeville & | Marienbourg, avec les places de ce nom, cedes par le meme | traite. ^Par suite de cette disposition les limites des Etats | de Sa Majeste le Roi des PaysBas, Grand Due de | Luxembourg, resteront telles qu'elles ont ete fixees entre la | France & les pays cedes aux Puissances Alliees par le traite | [Bl 28] de paix de Paris du trente Mai, mil-huit-cent-quatorze, ä | commencer de la mer du nord jusque vis-a-vis de Quievrain. | ^De Quievrain la ligne de demarcation suivra les anciennes | limites des provinces Belgique, du ci-devant Eveche de Liege | & du Duche de Bouillon, jusqu'a Villers pres d'Orval, comme | elles etaient en mil-sept-cent-quatrevingt-dix, conformement | aux stipulations de r article premier du dit traite de Paris | du vingt Novembre, mil-huit-cent-quinze, de sorte que I tous les pays pulse trouvent ä la gauche de la dite ligne | de demarcation, en y comprenant les territoires enclaves de | Philippeville & Marienbourg, avec les places de ce nom, I le ci devant Eveche de Liege & tout le Duche de Bouillon | appartiennent aux PaysBas. Article trente-cinquieme. L'article troisieme du traite conclu ä Vienne le trente-1 un Mai, mil-huit-cent-quinze, & I'article soixante-septieme, | de I'Acte du Congres de Vienne ayant stipule que la forteresse | de Luxembourg serait consideree comme forteresse de la | Confederation Germanique, cette disposition est maintenue | & expressement confirmee par le present Reces. Cependant Sa Majeste le Roi de Prusse & Sa | Majeste le Roi des Pays-bas agissant en Sa qualite de | Grand Due de Luxembourg, voulant adapter le reste des | dispositions des dits articles aux changemens survenus | [Bl 29] par le traite de Paris du vingt Novembre, mil-huit-cent-quinze, | & pourvoir de la maniere la plus efficace ä la defense combinee de leurs I Etats respectifs, Leurs Majestes sont convenues de tenir gamison | commune dans la forteresse de Luxembourg, sans que cet | arrangement, fait uniquement sous le rapport militaire, puisse | alterer en rien le droit de souverainete de Sa Majeste le Roi des | Pays-bas, Grand Due de Luxembourg, sur la ville & la forteresse | de Luxembourg. Article trente-sixieme. Sa Majeste le Roi des Pays-Bas, Grand Due de | Luxembourg cede ä Sa Majeste le Roi de Prusse le droit | de nommer le Gouverneur & le Commandant de cette place, | & consent ä ce que, tant la gamison en general, que chaque | arme en particulier soit composee pour les trois-quarts de | troupes Prussiennes & pour un quart de troupes des Pays-1 Bas, renon9ant ainsi au droit de nomination que Tarticle | soixante-septieme de I'Acte du Congres de Vienne assurait | ä Sa Majeste. ^Les troupes seront soldees & equipees aux frais de | leurs Gouvememens respectifs. H\ en sera de meme pour leur | nourriture, lorsque la forteresse ne sera pas declaree en etat de | siege. ^Dans ce cas la gamison se nourrira des magasins | de la forteresse, & il sera supplee ä son approvisionnement | d'apres les principes etablis dans le traite conclu entre | [Bl 30] Sa Majeste le Roi de Prusse & Sa Majeste le Roi des Pays-1 Bas, Grand Due de Luxembourg ä Francfort sur le Mein le | huit Novembre, mil-huit-cent-seize, annexe au present | Reces.

[31/5] Exkurs: Frankfurter Territorialrezeß vom 20. M i 1819

625

Article trente-septieme. Le droit de souverainete appartenant dans toute sa | plenitude ä Sa Majeste le Roi des Pays-Bas, Grand Duo | de Luxembourg, dans la ville & forteresse de Luxembourg | comme dans tout le reste du Grand Duche, 1'administration | de la justice, la perception des impositions & contributions | de toute espece, ainsi que toute autre branche de 1'administration | civile restera exclusivement entre les mains des Employes | de Sa Majeste, & le Gouverneur & le Commandant leur | preteront secours & assistance en cas de besoin. De rautre cote, le Gouverneur sera nanti de tous les | pouvoirs necessaires pour lui assurer, conformement ä la | responsabilite qui repose sur lui, l'exercice libre & independant | de ses fonctions, & les autorites civiles & loyales lui seront | subordonnees pour tout ce qui conceme la defense de la place. Pour eviter neanmoins tout conflit entre l'autorite | militaire & civile, Sa Majeste le Roi des Pays-bas, Grand Due | de Luxembourg, nommera un Commissaire special qui servira | d'intermediaire entre le Gouverneur & les autorites civiles, & | recevra les directions du Gouverneur dans les affaires de police, | [Bl 31] en tant qu'elles se lient aux rapports militaires & ä la defense | de la place. Le gouvemeur pourra pour le meme objet, & toujours dans | les limites qui viennent d'etre enoncees, deleguer de sa part une | personne ä son choix, & ces deux Employes formeront une | Commission mixte. Mais en cas de guerre, ou si l'une ou Lautre des deux | Monarchies de Prusse ou des Pays-bas etait menacee d'une | guerre, & que la forteresse fiit declaree en etat de siege, les | pouvoirs du Gouvemeur seront illimites, & n'auront d'autres | bomes que la prudence, les usages & le droit des gens. Si finalement la Diete de la Confederation Germanique | venait ä decider que les Gouverneurs & Commandans des | forteresses de la Ligue devront etre assermentes, le Gouverneur I & le Commandant de la forteresse de Luxembourg preteront | le serment d'apres la formule qui sera adoptee par la | Diete. Article trente-huitieme. Une partie des indemnites pecuniaires que Sa Majeste | Tres-Chretienne s'est engagee de payer par 1'article | quatrieme du traite de Paris du vingt Novembre, mil-1 huit-cent-quinze, etant destinee, en vertu des arrangemens | faits ä Paris entre les Puissances Alliees, ä renforcer la | ligne de defense des Etats limitrophes de la France, cette | [Bl 32] somme est distribuee de la maniere suivante. ^Sa Majeste le Roi de Prusse en recevra, pour etre employes | aux ouvrages destines ä la defense du Bas-Rhin, vingt, Sa | Majeste le Roi de Baviere quinze, Sa Majeste le Roi des 1 Pays-bas soixante, & Sa Majeste le Roi de Sardaigne dix | millions de francs. •^Cinq millions de francs sont destines | pour etre employes ä achever les fortifications de la forteresse 1 de Mayence, & vingt millions pour la construction d'une place | federale sur le HautRhin. L'emploi de ces differentes sommes sera fait | conformement au Systeme qui ä ete adopte par les Puissances | signataires du traite de paix conclü ä Paris le vingt | Novembre, milhuit-cent-quinze, & qui a ete consigne | au protocole de la conference de Leurs Ministres du vingt-1 & unieme Novembre, mil-huit-cent-quinze annexe au | present Reces. Article trente-neuvieme. La partie de la Savoie qui etait restee ä la France | en vertu du traite de paix de Paris du trente Mai, Mil | huit-cent-quatorze, & qui ä ete retrocedee par le traite du | vingt Novembre,mil-huit-cent-quinze, est restituee ä | Sa Majeste le Roi de Sardaigne, pour etre possedee en toute | souverainete & propriete par Lui, Ses heritiers & successeurs; | & les frontieres

626

§ 3: Deutscher Bund

[Dok. 31 - 84]

entre la Savoie & la France seront telles 1 [Bl 33] qu'elles existaient en Mil-sept-centquatre-vingt-dix. ^La commune de St: Julien reste exceptee de cette restitution. | ^Elle a ete donnee ä la Confederation Suisse qui en a retrocede | ä Sa Majeste Sarde la portion dans laquelle le Chef-lieu | est situe. Article quarantieme. ^Afin d'etablir une communication directe entre le | Canton de Geneve & le reste de la Suisse, la partie du | Pays de Gex bomee ä I'Est par le lac Leman, au | midi par le territoire du Canton de Geneve, au nord | par celui du Canton de Vaud, ä I'ouest par le cours | de la Versoix, & par une ligne qui renferme les communes | de Collex-Bussy & Meyrin, /; laissant la commune | de Femey ä la France ;/ est reunie definitivement | au Canton de Geneve. ^La commune de St: Julien | est reunie egalement ä ce Canton, ä 1'exception toutefois | de la partie qui, conformement ä Particle precedent, | en a ete cedee ä Sa Majeste le Roi de Sardaigne. Article quarante-unieme. ^En consequence des actes du Congres de Vienne, | ainsi que des dispositions ulterieures des Puissances | Alliees, & nommement en vertu du traite conclü | [Bl 34] entre Sa Majeste le Roi de Sardaigne & la Confederation | Suisse le seize Mars, Mil-huit-cent-seize, dont | Particle premier se trouve transcrit ci-dessous, en tant | qu'il s'agit de la description des frontieres, le territoire | cede par Sa Majeste le Roi de Sardaigne pour etre reuni au | Canton de Geneve est limite par le Rhone ä partir de | I'ancienne frontiere pres de St. Georges jusqu'aux confins | de I'ancien territoire Genevois ä I'Ouest d'Aire la ville, | dela par une ligne suivant ce meme ancien territoire jusqu'a | la riviere de la Laire, remontant cette riviere jusques au | chemin, qui de la Perriere tend ä Soral, suivant le chemin | jusqu'au dit Soral lequel restera ainsi que le chemin en entier | sur Geneve, puis par une ligne droite tiree sur Tangle saillant | de la commune de Bemex ä I'Ouest de Norcier. ^De cet angle | la limite se dirigera par la ligne la plus courte ä Tangle | meridional de la commune de Bemex sur TAire, laissant | Norcier & Turens sur Savoie. ^De ce point eile prendra | la ligne la plus courte pour atteindre la commune de | Compesieres, suivra le confin de cette commune ä TEst I de St: Julien jusqu'au misseau de TArande, qui coule | entre Temier & Bardonex, remontera ce ruisseau jusqu'a | la grande route d'Annecy ä Carouge, suivra cette route 1 jusqu'a Tembranchement du chemin, qui meme directement | ä Callonge, ä cent-cinquantecinq toises de Savoie, avant | d'arriver ä la Croix de Roson; atteindra par ce chemin | le ruisseau qui descend du village d'Archamp, suivra ce | [Bl 35] misseau jusqu'a son confluent avec celui qui descend du | hameau de la Combe, au dela d'Evordes, en laissant neanmoins | toutes les maisons du dit Evordes sur Geneve; puis, du misseau | de la Combe prendra la route, qui se dirige sous Bossey, | sous Crevin, & au dessus de Veirier. "^De Tintersection de | cette route, ä TEst & pres de Veirier avec celle qui de Carouge | tend ä Etrembieres, la limite sera marquee par la ligne la | plus courte pour arrriver ä TArve, ä deux toises au dessus | de la prise d'eau du biez du moulin de Sieme. ^De la eile suivra | le Thalweg de cette riviere jusques vis-a-vis de Tembouchure | du Foron, remontera le Foron jusques au dela de Cormieres | au point qui sera indique par la ligne la plus courte, tiree | de la jonction de la route de Carra avec le chemin qui du | Nord de Publinge tend au Nord de Ville la Grand, suivra | la dite ligne & ce dernier chemin vers TEst, en le donnant | ä Geneve; puis la route qui remonte parallelement au | Foron, jusqu'a Tendroit, ou eile se trouve en contact avec | le territoire de Jussy. ^De ce point la ligne reprendra I'ancienne | limite jusqu'a sa rencontre avec le chemin tendant de | Gy ä Foncenex, & suivra le dit chemin vers le Nord | jusqu'a la sortie du village de Gy, laissant le dit chemin | sur Geneve. ^La limite se dirigera ensuite en ligne | droite sur le village de Veigi, de maniere ä laisser toutes | les mai-

[31/5] Exkurs: Frankfurter Territorialrezeß vom 20. Juli 1819

627

sons du village sur Savoie; puis en ligne droite | au point, oü l'Hermance coupe la grande route du Simplon. | ^Elle suivra enfin rHermance jusqu'au lac, lequel bomera | [Bl 36] le nouveau territoire au Nord-Ouest; bien entendu que la | propriete du lac jusqu'au milieu de sa largeur, ä partir | d'Hermance jusqu'au Vesenaz, est acquise au Canton de Geneve, | & qu'il en sera de meme des portions du cours du Rhone, qui, | ayant fait jusqu'ici frontiere entre les deux Etats, appartenaient | ä Sa Majeste; que tous les chemins indiques, comme formant | la ligne frontiere dans la delimitation ci-dessus appartiendront | ä Sa Majeste sauf les exceptions indiquees; & que tous les enclos | fermes de murs ou de haies attenans aux maisons des villages et | hameaux, qui se trouveraient places pres de la nouvelle frontiere, | appartiendront ä l'Etat dans lequel est situe le village ou | hameau; la ligne marquant les confins des Etats ne pourra | etre rapprochee ä plus de deux toises des maisons ou des enclos y I attenans & fermes de murs ou de hai'es. ^Quant aux rivieres et | ruisseaux qui, d'apres les changemens de limite resultans du traite de ce jour | determinent la nouvelle frontiere, le milieu de leur cours servira | de limite en exceptant le Foron, lequel appartiendra en | entier ä Sa Majeste, & dont le passage ne sera assujetti | ä aucun droit. Article quarante-deuxieme. Les souverains qui, en vertu du present Reces, | obtiennent des territoires qui ont ete detaches de la France | par les traites de paix de Paris, du trente Mai, Mil-huit-1 cent-quatorze, & du vingt Novembre, Mil-huit-cent-quinze, | [Bl 37] entrent dans tous les droits, & prennent sur eux toutes | les charges & engagemens stipules ä cet egard dans les | deux susdits traites. Article quarante-troisieme. L'etat de possession actuel des Duches de Parme, | Plaisance & Guastalla, ainsi que celui de la principaute | de Lucques, etant determines par les stipulations de | l'acte du Congres de Vienne, les dispositions des | articles quatre-vingt-dix-neuvieme, cent-unieme et I cent-deuxieme sont & restent maintenues dans toute [ leur force & valeur. Article quarante-quatrieme. La reversibilite des Duches de Parme, Plaisance | & Guastalla, prevue par 1'article quatre-vingt-dixieme | de l'Acte final du Congres de Vienne est determinee de | la maniere suivante. Les Duches de Parme, Plaisance & Guastalla, | apres le deces de Sa Majeste l'Archiduchesse Marie | Louise, passeront en toute souverainete ä Sa Majeste | l'Infante d'Espagne Marie Louise, L'Infant Don | [Bl. 38] Charles Louis son fils & ses descendans males, en | ligne directe & masculine, ä 1'exception des districts | enclaves dans les Etats de Sa Majeste Imperiale et | Royale Apostohque sur la rive gauche du Po, lesquels | resteront en toute propriete ä Sa dite Majeste conformement | ä la restriction etablie par 1'article quatre-vingt-dixI neuvieme de l'Acte du Congres de Vienne. Article quarante-cinquieme. A cette meme epoque, la reversibilite de la Princi= | paute de Lucques, prevue par rarticle cent-deuxieme | de l'Acte du Congres de Vienne, aura lieu dans les | termes & sous les clauses du meme article, en | faveur de Son Altesse Imperiale & Royale le Grand | Due de Toscane. Article quarante-sixieme. ^Quoique in frontiere des Etats Autrichiens en | Italic soit determinee par la ligne du Po, il est I toutefois convenu d'un commun accord, que la forteresse | de Plaisance offrant un interet plus particulier au | [Bl. 39] Systeme de defense de l'Itahe, Sa Majeste Imperiale et |

628

§ 3 : Deutscher Bund

[Dok, 3 1 - 8 4 ]

Royale Apostolique conservera dans cette ville, jusqu'ä | l'epoque des reversions, apres rextinction de la brauche | Espagnole des Bourbons, le droit de gamison pur et | simple; tous les droits regaliens & civils sur cette ville | etant reserves au Souverain futur de Parme. ^Les frais I & l'entretien de la gamison dans la ville de Plaisance | seront ä la charge de l'Autriche, & sa force en terns | de paix sera determinee ä l'amiable entre les hautes | Parties interessees, en prenant toutefois pour regle | le plus grand soulagement possible des habitans, Article quarante-septieme. La reversion des Duches de Parme, Plaisance et | Guastalla, en cas d'extinction de la brauche de | l'Infant Don Charles Louis, est explicitement maintenue | dans les termes du traite d'Aix-la-Chapelle de Mil-sept-cent | quarante-huit, & de Particle separe du traite entre l'Autriche | & la Sardaigne du vingt Mai, Mil-huit-cent-quinze. Article quarante-huitieme. Les traites, conventions, & autres actes qui se [ [Bl 40] trouvent annexes au present Reces & nommement: I. Le traite entre Sa Majeste le Roi de | Sardaigne, la Confederation Suisse & le | Canton de Geneve, conclü ä Turin le seize | Mars, Mil-huit-cent-seize; IL Le traite entre l'Autriche, la Prusse & le | Grand Duche de Hesse, conclü ä Francfort sur le I Mein, le trente Juin, Mil-huit-cent-seize; IIL Le traite entre la Grande Bretagne et le | Grand Duche de Hesse, conclü ä Francfort sur le Mein, | le trente Juin, Mil-huit-cent-seize; IV. Le traite entre la Prusse & les Pays-bas, | conclü ä Francfort-sur-le-Mein le huit Novembre, | Mil-huit-cent-seize; V. Le traite entre la Grande Bretagne & les | Pays-bas, conclü ä Francfort-sur-leMein, le seize | Novembre, Mil-huit-cent-seize; VI. Le traite entre l'Autriche & les Pays-bas, | conclü ä Francfort sur le Mein, le douze Mars, | Mil-huit-cent-dix-sept; VII. Le traite entre la Russie & les Pays-bas, | conclü ä Francfort sur le Mein, le '"'"^ix-sept Avril, I Mil-huit-cent-dix-sept; VIII. Le traite entre l'Autriche, l'Espagne, | [Bl. 41] la France, la Grande Bretagne, la Prusse & la | Russie, conclü ä Paris le dix Juin, Mil-huit-cent-1 dix-sept; IX. Le traite entre l'Autriche & le Grand | Duche de Bade, conclü ä Francfort sur le Mein, | le dix Juillet, Mil-huit-cent-dix-neuf; X. Le traite entre l'Autriche, la Grande-Bretagne, | la Prusse, la Russie & le Grand Duche de Bade, conclü ä | Francfort sur le Mein, le dix Juillet, Mil-huit-cent-dixneuf; sont consideres, comme parties integrantes des arrangemens | stipules par le present Acte, & auront, selon leur teneur | respective, la meme force & valeur que s'ils etaient inseres | mot ä mot dans le Reces meme. Quant au traite conclü ä Munic le quatorze Avril, | Mil-huit-cent-seize, entre l'Autriche & la Baviere, egale= | ment joint au present Acte, il y a ete annexe dans le | sens & 1'esprit de Particle septieme du present Reces. Article quarante-neuvieme. La langue fran9aise employee dans le present | Reces l'a ete avec les memes reserves enoncees ä | Particle cent-vingtieme de l'Acte du Congres de | Vienne.

[31/5] Exkurs: Frankfurter Territorialrezeß vom 20. Juli 1819

629

[Bl 42] Article cinquantieme. ^Le present Reces sera ratifie & les ratifications en | seront echangees ä Francfort sur-leMein dans l'espace de trois | mois, ou plutot si faire se peut, ^Un exemplaire du meme Acte I sera depose ä Vienne aux archives de Cour & d'Etat de Sa | Majeste Imperiale & Royale Apostolique pour y etre reuni ä | 1'ensemble des actes desquels il derive & sur lesquels il est | fonde. ^Les hautes Parties Contractantes se reservent | d'ailleurs d'adopter une marche commune pour le | communiquer & le proposer ä T adhesion des autres Puissances | & Etats Interesses. En foi de quoi les Plenipotentiaires respectifs ont signe le | present Reces, & y ont appose le cachet de leurs armes. Fait ä Francfort sur-le-Mein, le vingt Juillet de Tan de grace | Mil-huit-cent-dix-neuf. (Siegel) Le Baron de Humboldt. (Siegel) Le Baron de Wessenberg. (Siegel) Clancarty. (Siegel) J. d'Anstett. Deutsche Übersetzung des Rezesses durch den Herausgeber*: Im Namen der Allerheiligsten und Unteilbaren Dreieinigkeit. Da die Wiener Kongreßakte vom 9. Juni 1815 und der Pariser Vertrag vom 20. November desselben Jahres Bestimmungen enthalten, die künftige und endgültige Vereinbarungen erfordern, haben Ihre Kaiserlichen und Königlichen Majestäten, der König von Preußen, der Kaiser von Österreich, König von Ungarn und Böhmen, der König des Vereinigten Königreichs von Großbritannien und Irland, der Kaiser aller Russen und König von Polen zu diesem Zweck Bevollmächtigte ernannt. Sie wollen heute in einer gemeinsamen Vereinbarung die Ergebnisse der zuvor stattgefimdenen Verhandlungen zusammenfassen, um ihnen auf diese Weise die notwendige Anerkennung zu geben. Dafür haben Sie Ihren Bevollmächtigten erlaubt, in einem allgemeinen Vertrag alle besonderen Bestimmungen zu vereinen und diesem Vertrag unter dem Titel „Generalrezeß der in Frankfurt versammelten Territorialkommission" alle ihn betreffenden Vereinbarungen anzuhängen. Infolgedessen vereinbaren die Bevollmächtigten folgendes: Im Namen Seiner Majestät, des Königs von Preußen, der Herr Karl Wilhelm Freiherr von Humboldt, Sein Staatsminister, Kammerherr, außerordentlicher Gesandter und bevollmächtigter Botschafter bei Seiner Britannischen Majestät, Ritter des Großen Ordens vom Roten Adler und vom Eisernen Kreuz Preußens erster Klasse, Groß Kreuz des Ordens Leopolds von Österreich, des Ordens der Heiligen Anna von Rußland, des Dannebrog-Ordens von Dänemark, des Ordens vom Belgischen Löwen der Niederlande, des Ordens der Bayerischen Krone, des Ordens der Treue von Baden und des Ordens vom Weißen Falken von Sachsen-Weimar; Im Namen Seiner Majestät, des Kaisers von Österreich, König von Ungam und Böhmen, der Herr Johann Philipp Freiherr von Wessenberg, Groß Kreuz des königlichen Ordens vom Heiligen Stephan, Groß Kreuz des Militärordens und des Religionsordens vom Heiligen Moritz und Lazarus, Ritter vom roten Adlerorden Preußens, ebenso von der Krone Bayerns, vom Heiligen Joseph der Toscana, vom Konstantinorden von Parma, vom Orden der Treue von Baden, des goldenen Löwens von Hessen, Kammerherr und geheimer Gesandter Seiner besagten Kaiserlichen und Königlichen Apostolischen Majestät; Im Namen Seiner Majestät, des Königs des Vereinigten Königreichs Großbritanniens und Irlands, der sehr ehrbare Richard der Poer Trench, Graf von Clancarty, Vicomte Dunlo, Baron Kilconnel, Baron Trench von Garbally des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Irland, Berater Seiner Britannischen Majestät im Ministerrat Großbritanniens und auch Irlands, Mitglied des Ausschusses des Premierministers für Handels- und Kolonialangelegenheiten, Oberst des Milizregiments der Grafschaft Galway; außerordentlicher Botschafter und bevollmächtigter Minister von Seiner besagten Majestät bei Seiner Majestät, dem König der Niederlande, und Groß Kreuz des sehr ehrbaren Badeordens;

Unter Mitarbeit von Jerome Germain und Süleyman Kolcu.

630

§ 3: Deutscher Bund

[Dok. 31 - 84]

Im Namen Seiner Majestät, dem Kaiser aller Russen und König von Polen, der Herr Johann von Anstett, Seinen Hofrat, außerordentlicher Gesandter und bevollmächtigter Botschafter beim allerdurchlauchtigsten Deutschen Bund, Ritter vom Orden des heiligen Alexander Newski, Groß Kreuz des Ordens der Heiligen Anna Leopolds von Österreich, des roten Adlers von Preußen, des Polarsterns von Schweden, der Krone von Bayern und der Krone von Württemberg, der Treue und des zähringischen Löwens von Baden, Ritter von Baden, Ritter des Ordens vom Heiligen Johannes von Jerusalem; sind nach Überprüfung ihrer für in Ordnung befundenen Vollmachten übereingekommen, die folgenden Artikel in den gegenwärtigen Vertrag aufzunehmen und mit ihrer Unterschrift zu versehen: Erster Artikel Seine Kaiserliche und Königliche Apostolische Majestät wird für Sich, Seine Erben und Nachfolger sowohl das volle Eigentum als auch die Souveränität an den Ländern besitzen, die von Seiner Majestät, dem König von Bayern, laut dem in München am 14. April 1816 unterzeichneten und dem vorliegenden Rezeß angehängten Vertrag zurückzugeben sind: 1. Das Innviertel und die Teile des Hausruckviertels, die im Jahre 1809 von Österreich abgetreten wurden. 2. Das Herzogtum Salzburg, wie es Österreich 1809 besessen hat, mit Ausnahme der Vogteien Waging, Tittmaning, Teisendorff und Lauffen, die, sofern sie sich am linken Ufer von Salzach und Saale befinden, bei Bayern verbleiben. 3. Die zu Tirol gehörende Vogtei Vils. Zweiter Artikel Als Gegenleistung für die im 1. Artikel des vorliegenden allgemeinen Vertrages vorgesehenen Rückgaben wird Seine Majestät, der König von Bayern, für Sich, Seine Erben und Nachfolger zu vollem Eigentum und voller Souveränität die nachfolgend bezeichneten Länder besitzen, die Ihm von Seiner Kaiserlichen und Königlichen Apostolischen Majestät überlassen werden: I. Am rechten Rheinufer: a) die vormalig füldaschen Vogteien Hammelburg einschließlich Tulba und Salek, Brückenau mit Motten, die Vogtei von Weihers mit Ausnahme der Dörfer Melters und Hattenrodt, dessen Vogtei aufgrund des Artikels 40 der Wiener Kongreßakte zu Preußen gehört hat, aber ausgetauscht wurde gegen die Vogteien Saalmünster, Ürzel, Sannerz und dem Huttenschen Grund, die jetzt zum Kurfürstentum Hessen gehören, wie der Teil der Vogtei Biberstein, der die Dörfer Batten, Brand, Dietges, Findlos, Liebhardt, Melperz, Oberbernhardt mit den Weihern Steinbach, Seifferts und Thaiden umfaßt; b) die vom bayerischen Staatsgebiet eingeschlossene und von Seiner Kaiserlichen und Königlichen Apostolischen Majestät abgegebene Vogtei Redwitz; c) der Teil der Vogtei Wertheim, der sich nördlich der Straße von Lengfürth nach Würzburg erstreckt, so wie dieses Gebiet vom Großherzog laut Vertrag vom 10. Juli 1819, der dem vorliegenden Rezeß angehängt ist, abgegeben wurde. II. Am linken Rheinufer: a) von dem vormaligen Departement Mont-Tonnerre: 1. die Kreise von Zweibrücken, Kaiserslautern und Speyer, mit Ausnahme der Kantone Worms und Pfeddersheim. 2. der Kanton von Kirchheim-Bolanden im Kreis Alzey b) von dem ehemaligen Departement Saar: die Kantone Waldmohr und Bliescastel, Kusel mit Ausnahme von Schwarzerden, Reichweiler, Peffelbach, Ruthweiler, Burglichtenberg und Thallichtenberg, im Kanton St. Wendel Saale, Niederkirchen, Bubach, Marth, Hoff und Osterbrücken, im Kanton Grumbach Eschenau und St. Julian. c) Die Kantone Landau, Bergzabern und Langenkandel sowie der ganze von Frankreich auf dem linken Ufer der Lauter durch den Vertrag von Paris vom 20. November 1815 abgetretene Teil des Departements Bas-Rhin. Es ist selbstverständlich, daß alle genannten Gemeinden einschließlich ihrer Vororte abgetreten werden. Dritter Artikel Die Stadt Landau ist in militärischer Hinsicht zu einer Festung des Deutschen Bundes erklärt, ohne daß diese Festlegung die Souveränität einschränken kann, die Seiner Majestät, dem König von Bayern, für diese Stadt zugefallen ist.

[31 /5] Exkurs: Frankfurter Territorialrezeß vom 20. Juli 1819

631

Vierter Artikel Seine Majestät, der König von Bayern, wird Seinem Königreich auch die Vogteien Miltenberg, Amorbach, Heubach und Alzenau einverleiben, so wie sie infolge der Verhandlungen der Territorialkommission zu Frankfurt von Seiner königlichen Hoheit, dem Großherzog von Hessen, laut dem diesem Rezeß angefügten Vertrag vom 30. Juni 1816 abgegeben wurden. Fünfter Artikel Der Grenzverlauf zwischen den bayerischen Landen und Frankreich auf dem linken Rheinufer entspricht der Grenze, die aufgrund des Pariser Vertrages vom 20, November 1815 Deutschland von den Departements Mosel und Bas-Rhin trennt, bis zur Lauter, die von nun an die Grenze bildet, bis sie in den Rhein mündet. Ungeachtet dessen bleibt die von diesem Fluß durchquerte Stadt Weißenburg auf dem linken Ufer in einem Umkreis, der 1.000 Toisen (Klafter) nicht übersteigt, ganz bei Frankreich. Sechster Artikel Es wird eine Heerstraße von Würzburg aus zu den bayerischen Provinzen links des Rheins durch das Staatsgebiet Seiner Königlichen Hoheit, des Großherzogs von Baden, eingerichtet. Sie wird so gefiihrt, daß sie möglichst preiswert fur das Großherzogtum ist. Die Vereinbarungen dafür bleiben einem besonderen Vertrag zwischen Seiner Majestät, dem König von Bayern, und Seiner Königlichen Hoheit, dem Großherzog von Baden, vorbehalten. Siebenter Artikel Weil die Bestimmungen, die Abtretungen, Rückgaben, Bedingungen und Klauseln des Münchener Vertrages vom 14. April 1816 ratifiziert wurden und die Ratifikationen durch die Inbesitznahme und friedliche Nutzung der erworbenen oder ausgetauschten Länder mit Ausnahme des im 2. Artikel des gegenwärtigen Rezesses erwähnten und in den Verhandlungen der Frankfurter Kommission behandelten Teils der Vogtei Wertheim bestätigt wurden, sind die diesen Vertrag bestätigenden Artikel dem gegenwärtigen Rezeß angefügt worden. Der vierte Artikel des genannten Vertrages bezweckt eine besondere Regelung. Er lautet wie folgt: „Da der (territoriale) Zusammenhang der bayerischen Erwerbungen als Ausgleich für die oben genannten Rückgaben eine Bedingung des Rieder Vertrages ist, anerkennt Seine Majestät, der Kaiser von Österreich, den Anspruch Seiner Majestät, des Königs von Bayern, auf eine Kompensation für einen Verzicht auf die Geltung des Kontiguitätsprinzips. Diese Kompensation wird gleichzeitig und in gleicher Weise wie die anderen Territorialvereinbarungen über Deutschland in Frankfurt festgeschrieben werden. Dafür verpflichten sich Seine Majestät, der Kaiser von Österreich, gegenüber Seiner Majestät, dem König von Bayern, zu einem in beiderseitigem Einverständnis festgesetzten Schadensersatz bis zum Zeitpunkt des in Kraft tretenden Ergebnisses der Frankfurter Verhandlungen und (darüber hinaus) bis Bayern die Kompensation für den Verzicht auf die Kontiguität erhalten hat." Infolgedessen zielten die Frankfurter Verhandlungen darauf, Bayern eine Kompensation für seinen Verzicht auf die Kontiguität seiner Besitztümer zu verschaffen. Da aber die in diesen Verhandlungen Bayern eingeräumte Kompensation von diesem zurückgewiesen wurde, obwohl diese einen gerechten Ausgleich für den bayerischen Verzicht darstellte, betrachten sich die hohen kontrahierenden Parteien als von ihren Verpflichtungen gegenüber Bayern befreit, weil die diesem Hof gegenüber eingegangenen Verpflichtungen an diese Bedingung geknüpft waren, und weil von ihnen alles getan wurde, was möglich war, um ihre Verpflichtungen zu erfüllen. Infolgedessen hören der genannte vierte Artikel und infolge desselben Prinzips die hinzugefugten Artikel, die dem besagten Münchener Vertrag anhängen könnten, auf, verbindlich zu sein. Keinesfalls können sie mehr verbindlich sein, weder für einen Zeitraum noch in Verhältnissen oder Beziehungen für oder gegen irgendeine Partei oder den Besitzstand, wie sich aus dem formell von den kontrahierenden Parteien anerkannten gegenwärtigen Rezeß ergibt. Seine Kaiserliche und Königliche Apostolische Majestät verwandelt die bedingte und vorläufige Rente von 100.000 Gulden, die Sie infolge der im Jahre 1816 in München stattgefundenen Verhandlungen an Bayern bezahlt, in eine dauerhafte Rente. Achter Artikel Seine Kaiserliche und Königlich Apostolische Majestät tritt für sich, für Seine Erben und Nachfolger an Seine Königliche Hoheit, den Großherzog von Baden, die vorher aufgrund des Art, 51 der Wiener Kongreßakte vom 9. Juni 1815 zu Österreich gehörende Grafschaft Geroldseck ab. Als Gegenleistung für diese Abtretung stellt Seine Königliche Hoheit, der Großherzog von Baden, den in dem 2. Artikel des Rezesses bezeichneten Teil der Vogtei Wertheim zur Verfügung.

632

§ 3: Deutscher Bund

[Dok. 31 - 84]

Neunter Artikel Die hinzugefügten Artikel des Frankfurter Vertrages vom 20, November 1813, die das Großherzogtum Baden mit einer Zahlungspflicht belasten, werden aufgehoben. Seine Königliche Hoheit, Seine Erben und Nachfolger werden davon dauerhaft befreit; auch wird der Besitzstand des Großherzogtums, wie er zur Zeit besteht, in aller Form anerkannt. Zehnter Artikel Das Recht der Thronfolge im Großherzogtum Baden zugunsten der Grafen Hochberg, den Söhnen des verstorbenen Großherzogs Karl Friedrich, ist anerkannt für und im Namen der kontrahierenden Mächte. Der Vertrag, der die beiden obengenannten 9. und 10. Artikel beinhaltet, wird dem vorliegenden Rezeß angehängt. Elfter Artikel Seine Majestät, der König von Preußen, wird für Sich, Seine Erben und Nachfolger in den Departements Saar und Mosel diejenigen Bezirke in voller Souveränität und als Eigentum besitzen, die aufgrund des Pariser Vertrages vom 20. November 1815 von Ihrer AUerchristlichsten Majestät den diesen Vertrag unterzeichnenden Mächten abgetreten wurden. Zwölfter Artikel Da Seine Majestät, der Kaiser von Österreich, Seiner Majestät, dem König von Preußen, die Bezirke abgetreten hat, die Seine Kaiserliche und Königliche Apostolische Majestät aufgrund des Artikels 51 der Wiener Kongreßakte vom 9. Juni 1815 im Departement Saar einschließlich der früher zu Luxemburg gehörenden Gebiete auf der rechten Uferseite der Mosel sowie derjenigen Bezirke des Departements Mosel, die Seine Allerchristlichste Majestät durch den Pariser Friedensvertrag vom 30. Mai 1814 - mit Ausnahme der aufgrund des 2. Artikels des vorliegenden Rezesses unter die Herrschaft Seiner Majestät, dem König von Bayern, gefallenen Gebiete - besaß, wird Seine preußische Majestät die genannten Bezirke für Sich, Seine Erben und Nachfolger zu vollem Eigentum und in voller Souveränität besitzen, sofern Sie nicht gemäß der Artikel 27, 28 und 29 des vorliegenden Rezesses über sie verfügen muß, um Ihre vertraglichen Verpflichtungen aus den Artikeln 49 und 50 der Wiener Kongreßakte zu erfüllen. Dreizehnter Artikel Laut dieser Doppelbestimmung und infolge der gemachten Abtretungen wird die Grenze des preußischen Staates nunmehr folgendermaßen verlaufen: Sobald die preußische Grenze, den Zusammenfluß von Mosel und Saar verläßt, der das Ende der durch Artikel 25 der Wiener Kongreßakte bezeichneten preußischen Grenze bildete, wird sie der Mosel bis in die Nähe von Perle folgen, das preußisch wird. Die preußische Grenze wird sich dann bis Houvre an den einschließlich ihrer Umgebung bei Frankreich verbleibenden Orten Launsdorff, Wallwich, Schardorff, Niederweiling, Pellweiler ausrichten. Die Grenze wird von da ab der ehemaligen Grenze des Gebietes von Saarbrücken folgen, in dem Saarlouis und der Flußlauf der Saar mit den Orten und ihrer Umgebung, die rechts davon sind - d. h. auf der Seite des ehemaligen Departements Saar -, bei Preußen bleiben. Die Grenze des Gebietes von Saarbrücken wird weiterhin bis Blies-Rauschbach dieselbe sein, wie sie aufgrund des Artikels 1 des zu Paris geschlossenen Friedensvertrages vom 20. November 1815 Frankreich und Deutschland trennt, so daß alles, was bis zu diesem Punkt aufgrund des genannten Artikels zu Deutschland gehört, nunmehr von Seiner preußischen Majestät besessen wird. Von der Stelle an, wo bei dem zu Preußen gehörenden Blies-Rauschbach die französische Grenze endet, bis zu dem unter bayerischer Herrschaft stehenden Dorf Breitenbach bildet die die preußischen Kantone Ameval, Ottweiler und St. Wendel von den bayerischen Kantonen Blieskastel und Waldmohr trennende Grenze die Grenze zwischen Preußen und Bayern. Die Grenzen der ehemaligen Kantone, die entsprechend der obigen Bestimmungen die Grenze zwischen dem preußischen und dem bayerischen Territorium bilden, stimmen mit denen zur Zeit des Abschlusses des Pariser Friedensvertrages vom 30. Mai 1814 überein. Ab Breitenbach wird die neue Grenze durch die Kantone Ottweiler, Tholey und St. Wendel so verlaufen, daß in dem ersten Kanton (Ottweiler) die Gemeinden Werschweiler, Dörrenbach, die Meierei Wertshausen, die Gemeinden Steinbach, Niederlinxweiler, Remesweiler, Mainzweiler und Urexweiler sowie im zweiten Kanton (Tholey) die Gemeinden Nambom, Gnidesweiler, Gronig, Ossenbach mit Obertal, Immweiler, Elmeren, Bliesen, Niederhofen, Winterbach, Alzweiler und Marpingen einschließlich ihrer Umgebung an Seine Allerdurchlauchtigste Hoheit, den Herzog von Sachsen-Coburg, fallen und der Rest dieser Kantone bei Preußen verbleibt; in dem Kanton St. Wendel aber so, daß nur die

[31 /5] Exkurs: Frankfurter Territorialrezeß vom 20. Juli 1819

633

Gemeinden Hasbom, Dautweiler und Theley mit ihrer Umgebung zum Gebiet Preußens gehören, während der Rest des Kantons teils zu Sachsen-Coburg, teils zu Oldenburg gehört. Von da ab verläuft die Grenze durch die Kantone Wadem und Hermeskeil so, daß in dem ersten Kanton (Wadem) die Gemeinden Neunkirchen, Sellbach, Gonnesweiler und Eyweiler, in dem zweiten Kanton (Hermeskeil) die Gemeinden Sötem, Boosen und Schwarzenbach mit ihrer gesamten Umgebung Seiner Königlichen Hoheit, dem Großherzog von Oldenburg zufallen; während der Rest dieser Kantone Teil des preußischen Staatsgebietes wird. Die Grenze verläuft dann weiter zwischen dem Kanton Hermeskeil und dem Kanton Birkenfeld, der vollständig zum oldenbürgischen Gebiet gehört. Femer schneidet die Grenze den Kanton Herstein und den Kanton Rhaunen derart, daß der erstgenannte - außer den Gemeinden Hottenbach, Hellertshausen, Asbach, Schauren, Kempfeld und Bmchweiler einschließlich ihrer Umgebung, die bei Preußen verbleiben - Seiner Königlichen Hoheit, dem Großherzog von Oldenburg, gehört und so, daß der genannte zweite Kanton (Rhaunen) - ausgenommen die Gemeinde Bondenbach, die einschließlich ihrer Umgebung Bestandteil des oldenburgischen Staatsgebietes ist - Seiner preußischen Majestät verbleibt. Sobald die neue Grenze auf die ehemalige, am 30. Mai 1814 das Departement Saar von den Departements Rhein und Mosel trennende Grenze trifft, wird die neue Grenze dem Verlauf der alten Grenze bis zum Zusammenfluß der Glan mit der Nahe folgen. Damit trennt sie einen Teil des - wie bereits erwähnt - zu Oldenburg geschlagenen Kantons Herstein und den dem Seiner Allerdurchlauchtigsten Hoheit, dem Landgrafen von Hessen-Homburg, zugeschlagenen Kanton Meisenheim von dem preußischen Territorium. Ab dem Zusammenfluß der soeben erwähnten Flüsse wird die neue Grenze dem Grenzverlauf folgen, der in Artikel 25 der Wiener Kongreßakte und in diesem Rezeß festgelegt ist. Vierzehnter Artikel Seine Majestät, der König von Preußen, vereinigt in Seinem Großherzogtum „Bas-Rhin" alle Distrikte und Territorien innerhalb der im vorigen Artikel beschriebenen Grenzen. Fünfzehnter Artikel Das Gamisonsrecht in der Festung Mainz steht Seiner Majestät, dem Kaiser von Österreich, und Seiner Majestät, dem König von Preußen, gemeinsam zu. Die Gamison dieser Festung besteht jeweils zur Hälfte aus österreichischen und preußischen Tmppen. Seiner Königlichen Hoheit, dem Großherzog von Hessen, steht dasselbe Recht für ein Bataillon Infanterie zu. Sechzehnter Artikel Infolge des vorherigen Artikels steht Ihren Majestäten, dem Kaiser von Österreich und dem König von Preußen, das Emennungsrecht für den Gouvemeur und für den Kommandanten der Festung Mainz alternierend alle fünf Jahre derart zu, daß, wenn der Gouvemeur ein österreichischer General, der Kommandant ein preußischer General ist und umgekehrt. Es wird zudem vereinbart, daß der Oberbefehl über die Artillerie, wie bisher, Österreich und die Geniedirektion Preußen zusteht. Siebzehnter Artikel Seine Königliche Hoheit, der Großherzog von Hessen, tritt Seiner Majestät, dem König von Preußen, das Herzogtum Westfalen ab, wie es Seiner Königlichen Hoheit bei der Unterzeichnung der Schlußakte des Wiener Kongresses vom 9. Juni 1815 gehörte, so daß Seine Majestät, Seine Erben und Nachfolger darüber als volles Eigentum und in voller Souveränität verfügen können. Achtzehnter Artikel Seine Königliche Hoheit, der Großherzog von Hessen, verzichtet zugunsten Seiner Majestät, des Königs von Preußen, für Sich, Seine Erben und Nachfolger auf alle Souveränitäts- und Lehensrechte an den Grafschaften Wittgenstein-Wittgenstein und Wittgenstein-Berleburg. Diese Besitzungen stehen im Verhältnis zur preußischen Monarchie, wie es die föderative Verfassung Deutschlands für die mediatisierten Territorien festlegt. Neunzehnter Artikel Als Gegenleistung für die von dem Großherzog von Hessen gemachten Abtretungen und Verzichte wird Seine Königliche Hoheit für Sich, Seine Erben und Nachfolger besitzen: 1. In voller Souveränität die Territorien des Fürsten und der Grafen von Isenburg einschließlich der Dörfer Heusenstamm und Eppertshausen, jedoch mit Ausnahme der Seiner Königlichen Hoheit, dem Kurfürsten von Hessen, gemäß Artikel 25 dieses Rezesses abgetretenen Bezirke, sowie in voller Souveränität die zum ehemaligen Departement Frankfürt gehörigen Besitztümer des Grafen von Solms-Rödelheim und des Grafen von Ingelheim, deren Besitztümer und Dörfer im Verhältnis zum Großherzogtum Hessen stehen, wie es die Verfassung des föderativen Deutschlands für die mediatisierten Territorien festlegt.

634

§ 3 : Deutscher Bund

[Dok. 3 1 - 8 4 ]

Die Beziehungen der Grafen von Isenburg zum Fürsten von Isenburg werden so hergestellt, wie sie vor dem Bestehen des Rheinischen Bundes waren. Dabei versteht es sich jedoch von selbst, daß alle Souveränitätsrechte gemäß Artikel 25 dieses Rezesses nur Ihren Königlichen Hoheiten, dem Kurfürsten und dem Großherzog von Hessen, zustehen. 2. Als Eigentum die sich in der Umgebung von Kreuznach befindlichen Salinen sowie die zur Zeit der Unterzeichnung der Wiener Kongreßakte vom 9. Juni 1815 dazugehörigen Solequellen, Die im Privateigentum stehende sogenannte Münstersaline wird davon ausdrücklich ausgeschlossen. Die Souveränität über alle Salinen verbleibt aber bei Seiner Majestät, dem König von Preußen. Zwanzigster Artikel Seine Königliche Hoheit, der Großherzog von Hessen, Seine Erben und Nachfolger werden zu vollem Eigentum und voller Souveränität besitzen: 1. Den Kreis von Alzey, ausgenommen den Kanton Kirchheim-Bolanden, und die Kantone Pfeddersheim und Worms im Kreis Speyer so, wie diese Gebiete am 3. November 1815 unter der in Worms eingerichteten Verwaltung standen. Der Verlauf der den Kreis Alzey berührenden Grenzen für die preußischen Staaten bleibt so, wie er durch Artikel 25 der Wiener Kongreßakte vom 9. Juni 1815 festgelegt wurde. 2. Das Territorium der Stadt Mainz einschließlich Kassel und Kostheim, mit Ausnahme aller die Festung, die zur Festung des Deutschen Bundes erklärt ist, betreffenden Gegenstände. Einundzwanzigster Artikel Über alle Werke, Gebäude, Grundstücke und Einkommen, die im Zeitpunkt der Übergabe an die alHierten Truppen und in Ausführung der Konvention vom 23. April 1814 zur Festung Mainz gehörten, sei es, daß diese Einkommen Bestandteile der Festungsausstattung waren, sei es, daß sie einem anderen Zweck gewidmet wurden, verfügt ausschließlich der Gouverneur der Festung. Die Erzeugnisse werden Bestandteile der Festungsausstattung sein. Zweiundzwanzigster Artikel Da das Souveränitätsrecht über die Stadt Mainz Seiner Königlichen Hoheit, dem Großherzog von Hessen, zusteht, werden die Justizverwaltung, die Abgabenverwaltung und alle anderen zivilen Verwaltungszweige ausschließlich in den Händen der Beamten Seiner Königlichen Hoheit verbleiben. Der Gouverneur und der Kommandant unterstützen die Verwaltung, falls dies nötig wird. Jedoch stehen dem Militärgouvemeur der Festung alle erforderlichen Mittel zur Verfugung, damit er seine Aufgaben frei und unabhängig in eigener Verantwortung wahrnehmen kann. Die zivilen und örtlichen Behörden sind ihm unterzuordnen, wenn es die Verteidigung der Festung und die militärischen Belange betrifft. Zu demselben Zweck wird er namentlich den Oberbefehl über die Polizei haben, aber einen Zivilbeamten Seiner Könighchen Majestät, des Großherzogs, sofern es sich um polizeiliche Angelegenheiten handelt, zu Beratungen hinzuziehen. Die polizeilichen Befehle und Verordnungen werden von dem Gouverneur durch einen Akt des Präsidenten der städtischen Polizei bekannt gemacht. Die Bürgerwehr der Stadt wird - wie es in allen Festungen üblich ist - unter den Befehl des Militärgouvemeurs gestellt und sich nur mit dessen Zustimmung versammeln dürfen. Die Aushebung der Truppen in der Stadt wird nicht behindert. Da der Militärgouvemeur für die Verteidigung der Festung und die Aufrechterhaltung der inneren Ordnung verantwortlich ist, und da er das Recht hat, zu diesem Zweck alle notwendigen Maßnahmen zu treffen, kann er auch Vorposten außerhalb der Festung einrichten. In Kriegszeiten oder wenn Deutschland von einem Krieg bedroht ist und für die Festung der Belagerungszustand ausgerufen wird, sind die Machtbefugnisse des Militärgouvemeurs unbeschränkt und finden keine anderen Grenzen als im Gebot der Umsicht, in der Sittlichkeit und im Völkerrecht. Dreiundzwanzigster Artikel Seine Königliche Hoheit, der Großherzog von Hessen, ist einverstanden, daß Preußen eine Heerstraße für die Tmppen durch Seine Gebiete von Erfurt über Eisenach, Hersfeld, Gießen und Wetzlar nach Koblenz einrichtet; die von und nach Mainz gehenden Tmppen nehmen die Koblenzer Straße über Bingen. Die Festlegung eines Verlaufs der Etappenstraße für die als Teil der Mainzer Gamison bestimmten österreichischen Tmppen ist einer gesonderten Vereinbamng zwischen den jeweils betroffenen Regiemngen vorbehalten. Seine Königliche Hoheit, der Großherzog von Hessen, ist zudem einverstanden, daß Bayem fur seine zwischen den bayerischen Provinzen rechts des Rheins und den neuerworbenen Provinzen links des Flusses verkehrenden Tmppen eine Heerstraße durch Sein Gebiet einrichtet. Was die Etappenplätze, die Mittel für Verpflegung und Transport und andere administrative Angelegenheiten anbelangt, so

[31 /5] Exkurs: Frankfurter Territorialrezeß vom 20. Juli 1819

635

sind sie einer gesonderten Vereinbarung zwischen Seiner Majestät, dem König von Bayern, und Seiner Königlichen Hoheit, dem Großherzog von Hessen, vorbehalten. Vierundzwanzigster Artikel Die Verpflichtungen, die Seine Königliche Hoheit, der Großherzog von Hessen, durch die dem Frankfurter Vertrages vom 23. November 1813 hinzugefügten Artikel eingegangen ist, sind aufgehoben, so daß die Seine Verpflichtung zu Geldzahlungen bestimmenden Artikel künftig weder Seine Königliche Hoheit noch Seine Erben und Nachfolger binden können. Fünfundzwanzigster Artikel Seine Königliche Hoheit, der Großherzog von Hessen, übergibt Seiner Königlichen Hoheit, dem Kurfürsten von Hessen, die Vogtei Dorheim und tritt ihm als Gegenleistung für den Erhalt der kurfürstlichen Vogteien Rodheim, Ortenberg und Babenhausen, der Hälfte von Vilbel sowie der Gemeinden Münzenberg, Traismünzenberg, Assenheim, Heuchelheim und Burggräfenrode folgende Territorien ab: 1. Die Orte Großauheim, Großkrotzenburg und Oberrodenbach sowie die dem Großherzog gehörende Hälfte von Praunheim, 2. Einen Teil des Gebietes von Isenburg, bestehend aus den Vogteien (Gerichten) Diebach, Langenselbold, Meerholz, Lieblos, Wächtersbach, Spielberg und Reichenbach sowie das Dorf Wolfenbom. Sechsundzwanzigster Artikel Seine Königliche Hoheit, der Großherzog von Hessen, setzt in Ausführung des Artikels 48 der Wiener Kongreßakte vom 9. Juni 1815 Seine Allerdurchlauchtigste Hoheit, den Landgrafen von Hessen-Homburg, wieder ein in Seine Besitzungen, Einkünfte, politischen Rechte und Verhältnisse, derer Er durch den rheinischen Bund beraubt wurde. Es wird zwischen Seiner Königlichen Hoheit, dem Großherzog von Hessen, und Seiner Allerdurchlauchtigsten Hoheit, dem Landgrafen von Hessen-Homburg, eine Familienübereinkunft geschlossen, um die getroffenen Bestimmungen mit den bestehenden Abkommen und dem Familienrezeß in Einklang zu bringen. Siebenundzwanzigster Artikel Da der Artikel 49 der Wiener Kongressakte jeweils einen Bezirk im ehemaligen Departement Saar für Ihre Königlichen Hoheiten, den Großherzog von Oldenburg, Fürsten von Lübeck und den Großherzog von Mecklenburg-Strelitz, Ihre Allerdurchlauchtigsten Hoheiten, den Herzog von Sachsen-Coburg, den Landgrafen von Hessen-Homburg und den Grafen von Pappenheim vorsieht, und der Bezirk zugunsten des Herzogs von Sachsen-Coburg eine größere Ausdehnung erhalten hat, und sich Seine Majestät, der König von Preußen, als Gegenleistung für die von Seiner Majestät, dem Kaiser von Österreich, an ihn vorgenommenen Abtretungen verpflichtet hat, den genannten Fürsten und dem Grafen von Pappenheim die ihnen versprochenen Territorien zu geben, tritt Seine preußische Majestät in Übereinstimmung mit Seiner Kaiserlichen und Königlichen Apostolischen Majestät, mit Seiner Majestät, dem König des Vereinigten Königreichs von Großbritannien und Irland sowie mit Seiner Majestät, dem Kaiser aller Russen, folgende Territorien ab: 1. Zugunsten Seiner Königlichen Hoheit, des Großherzogs von Oldenburg, Fürsten von Lübeck: Den Kanton Herrstein mit Ausnahme der Gemeinden Hottenbach, Hellertshausen, Asbach, Schauren, Kempfeld und Bruchweiler; sowie den Kanton Birkenfeld; vom Kanton Hermeskeil die Gemeinden Sötem, Boosen und Schwarzenbach; vom Kanton Wadem die Gemeinden Neunkirchen, Sellbach, Gonnesweiler und Eyweiler; vom Kanton St. Wendel die Gemeinden Asweiler, Eizweiler, Imsbach, Hirrstein, Reichsweiler, Mosberg, Steinberg und Deckenhard, Wallhausen und Schwarzhoff; vom Kanton Rhaunen die Gemeinde Bondenbach; und vom Kanton Baumholder die Gemeinden Nohen, Nohefelden, Gimbweiler und Wolfersweiler. Achtundzwanzigster Artikel 2. Zugunsten Seiner Allerdurchlauchtigsten Hoheit, des Herzogs von Sachsen-Coburg: Den Kanton Grumbach, mit Ausnahme der Gemeinden Bärenbach, Becherbach, Otzweiler, Hoppstädten, St. Julian und Eschenau; den Kanton Baumholder mit Ausnahme von Nohen, Nohefelden, Gimbweiler und Wolfersweiler; den Kanton St. Wendel mit Ausnahme der Gemeinden Bubach, Saal, Niederkirchen, Marth, Hoff, Osterbrücken, Hasbom, Dautweiler, Theley, Asweiler, Eizweiler, Hirstein, Reichweiler, Mosberg, Steinberg, Deckenhand, Wallhausen, Schwarzhoff und Imsbach; vom Kanton Kusel die Gemeinden Burglichtenberg, Thallichtenberg, Ruthweiler, Pfeffelbach, Reichweiler und Schwarzerden; vom Kanton Tholey die Gemeinden Nambom, Gnidesweiler, Gronig, Ossenbach mit Obertal, Immweiler, Elmeren, Bliesen, Niederhofen, Winterbach, Alzweiler und Marpingen; vom Kanton Ottweiler die Gemein-

636

§ 3: Deutscher Bund

[Dok. 31 - 84]

den Werschweiler und Dörrenbach, die Pacht Werthshausen, sowie die Gemeinden Steinbach, Niederhnxweiler, Remesweiler, Mainzweiler und Urexweiler. Neunundzwanzigster Artikel 3. Zugunsten Seiner Allerdurchlauchtigsten Hoheit, des Landgrafen von Hessen-Homburg: Den Kanton Meisenheim; und vom Kanton Grumbach die Gemeinden Bärenbach, Becherbach, Otzweiler und Hoppstädten. Dreißigster Artikel Seine Königliche Hoheit, der Großherzog von Oldenburg, Fürst von Lübeck und Ihre Allerdurchlauchtigsten Hoheiten, der Herzog von Sachsen-Coburg und der Landgraf von Hessen-Homburg, besitzen die genannten Bezirke und Territorien für Sich, Ihre Erben und Nachfolger in voller Souveränität und als volles Eigentum sowie gemäß der Klauseln und Bestimmungen, wie sie in den zwischen den von der Abgabe der Territorien betroffenen Parteien zum Ausdruck kommenden Akten festgelegt sind. Seine Allerdurchlauchtigste Hoheit, der Landgraf von Hessen-Homburg, genießt für Sich, Seine Erben und Nachkommen die volle Souveränität an seinen Besitzungen, in die er durch den Artikel 48 der Wiener Kongreßakte wieder eingesetzt wird. Er führt den Titel „Souveräner Landgraf von Hessen". Einunddreißigster Artikel Es ist abgemacht, daß die abgetretenen Gemeinden der in den Artikeln 27, 28 und 29 dieses Rezesses genannten Bezirke mit ihren Vororten durch keine neue Grenzziehung zerschnitten werden dürfen. Zweiunddreißigster Artikel Preußen hat das Recht auf eine Heerstraße durch das Fürstentum Birkenfeld, um die notwendige Verbindung mit dem Saarbrücker Land und der Festung Saarlouis zu behalten. Zu diesem Zweck wird eine besondere Vereinbarung zwischen Seiner Majestät, dem König von Preußen, und Seiner Königlichen Hoheit, dem Großherzog von Oldenburg, geschlossen. Dreiunddreißigster Artikel Da Seine Königliche Hoheit, der Großherzog von Oldenburg, Fürst von Lübeck, und Ihre Allerdurchlauchtigsten Hoheiten, der Herzog von Sachsen-Coburg und der Souveräne Landgraf von Hessen, die Ihnen versprochenen Territorien in Besitz genommen haben, und Seine Königliche Hoheit, der Großherzog von Mecklenburg-Strelitz, eine besondere Vereinbarung mit Seiner Majestät, dem König von Preußen, geschlossen hat, überdies der Graf von Pappenheim eine aus Gebieten der preußischen Monarchie stammende Kompensation erhalten hat, und diese obengenannten Akte der Territorialkommission mitgeteilt worden sind, ist Seine preußische Majestät nunmehr von den durch die Artikel 49 der Wiener Kongreßakte eingegangenen Verpflichtungen vollständig befreit. Vierunddreißigster Artikel Seine Majestät, der König der Niederlande, Großherzog von Luxemburg, besitzt für Sich und Seine Erben und Nachfolger als volles Eigentum und in voller Souveränität alle Bezirke der Ihm 1790 gehörigen Provinzen Belgiens, des Bistums Lüttich und des Herzogtums Bouillon, die Frankreich den alliierten Mächten mit dem in Paris am 20. November 1815 geschlossenen Vertrag abgetreten hat, sowie die durch denselben Vertrag abgetretenen Enklaven Philippeville und Marienburg mit den Festungen selben Namens. Infolge dieser Bestimmung verbleiben die Grenzen der Staaten Seiner Majestät, des Königs der Niederlande, Großherzogs von Luxemburg, so, wie sie durch den Pariser Friedensvertrag vom 30. Mai 1814 von der Nordsee bis gegenüber dem Quievrain zwischen Frankreich und den an die alliierten Mächte abgetretenen Gebieten festgelegt wurden. Ab dem Quievrain folgt die Grenze den ehemaligen Grenzen der Provinzen Belgiens, des ehemaligen Bistums Lüttich und des Herzogtums Bouillon bis zum Villers bei Orval aus dem Jahre 1790, wie sie sich aus den Bestimmungen des 1. Artikels des besagten Pariser Vertrages vom 20. November 1815 ergeben. Alle auf der linken Seite der Demarkationslinie befindlichen Gebiete, einschließlich der Enklaven Philippeville und Marienburg mit den Festungen selben Namens, das frühere Bistum Lüttich sowie das gesamte Herzogtum Bouillon gehören zu den Niederlanden. Fünfunddreißigster Artikel Sofern der Artikel 3 des in Wien am 31. Mai 1815 geschlossenen Vertrages und der Artikel 77 der Wiener Kongreßakte bestimmt haben, daß die Festung Luxemburg zur Festung des Deutschen Bundes wird, werden diese Bestimmung beibehalten und von dem vorliegenden Rezeß ausdrücklich bestätigt. Da aber Seine Majestät, der König von Preußen, und Seine Majestät, der König der Niederlande, in Seiner Eigenschaft als Großherzog von Luxemburg, den Rest der Bestimmungen der besagten Artikel wegen der durch den Pariser Vertrag vom 20. November 1815 verursachten Veränderungen anpassen wollen, um am wirksamsten die kombinierte Verteidigung Ihrer jeweiligen Staaten zu gewährleisten,

[31 /5] Exkurs: Frankfurter Territorialrezeß vom 20. Juli 1819

637

sind Ihre Majestäten übereingekommen, eine gemeinsame Garnison in der Festung Luxemburg zu unterhalten, ohne daß diese nur für die militärischen Verhältnisse geltende Vereinbarung das Souveränitätsrecht Seiner Majestät, des Königs der Niederlande, Großherzogs von Luxemburg, über Stadt und Festung Luxemburg einschränkt. Sechsunddreißigster Artikel Seine Majestät, der König der Niederlande, Großherzog von Luxemburg, überläßt Seiner Majestät, dem König von Preußen, das Recht, den Gouverneur und den Kommandanten dieser Festung zu ernennen und willigt zudem ein, daß die Garnison im allgemeinen und jede Waffengattung im besonderen aus drei Viertel preußischen und einem Viertel niederländischen Truppen bestehen soll, überdies verzichtet. Seine Majestät auf das Emennungsrecht, das der Artikel 67 der Wiener Kongreßakte Ihm einräumt. Die Truppen werden von ihren Regierungen besoldet und ausgerüstet. Dasselbe gilt für die Verpflegung, soweit die Festung sich nicht im Belagerungszustand befindet. In diesem Falle wird die Garnison aus den Festungsmagazinen versorgt. Seine Ergänzung erfolgt gemäß der festgelegten Prinzipien des zwischen Seiner Majestät, dem König von Preußen, und Seiner Majestät, dem König der Niederlande, Großherzog von Luxemburg, zu Frankfurt am Main am 8. November 1816 geschlossenen Vertrages, der dem vorliegenden Rezeß angehängt ist. Siebenunddreißigster Artikel Das Souveränitätsrecht über Stadt und Festung Luxemburg sowie über das übrige Großherzogtum Luxemburg steht allein Seiner Majestät, dem König der Niederlande, Großherzog von Luxemburg, zu. Die Justiz- und Abgabenverwaltung sowie alle anderen Zivilverwaltungen verbleiben ausschließlich in den Händen der Beamten Seiner Majestät. Der Gouverneur und der Kommandant gewähren Hilfe und Unterstützung, soweit es notwendig ist. Demgegenüber erhält der Gouverneur alle erforderlichen Kompetenzen, um die ihm übertragene Verantwortung bei der Ausübung seiner Funktionen unabhängig wahrnehmen zu können. Die Zivilbehörden und die Getreuen ordnen sich ihm mit Blick auf alle die Verteidigung der Festung betreffenden Angelegenheiten unter. Um alle Kompetenzkonflikte zwischen den Militär- und Zivilbehörden zu vermeiden, ernennt Seine Majestät, der König der Niederlande, Großherzog von Luxemburg, einen besonderen Kommissar, der als Verbindungsglied zwischen dem Gouverneur und den Zivilbehörden dient, und der in Polizeiangelegenheiten die Anordnungen vom Gouverneur erhält, sofern sie die militärischen Angelegenheiten und die Verteidigung der Festung betreffen. Der Gouverneur kann zu demselben Zweck und innerhalb der aufgezeigten Grenzen eine Person seiner Wahl zu seinem Stellvertreter ernennen. Diese Beiden bilden eine gemeinsame Kommission. Allerdings wären im Falle eines Krieges, oder wenn einer oder der andere der beiden Monarchen von Preußen oder den Niederlanden von einem Krieg bedroht würden, und zudem über die Festung der Belagerungszustand erklärt würde, die Befugnisse des Gouverneurs unbeschränkt und fanden keine andere Grenze als das Gebot der Umsicht, der Gebräuche und das Völkerrecht. Wenn schließlich der Bundestag des Deutschen Bundes beschließt, daß die Gouverneure und Kommandanten der Bundesfestungen zu vereidigen sind, werden der Gouverneur und der Kommandant die von der Bundesversammlung verabschiedete Eidesformel schwören. Achtunddreißigster Artikel Ein Teil des Geldes, das Seine Allerchristlichste Majestät durch den Artikel 4 des Pariser Vertrages vom 20. November 1815 zu zahlen sich verpflichtet hat, ist gemäß den mit den Alliierten in Paris getroffenen Vereinbarungen dazu bestimmt, die Verteidigungslinie der Frankreich angrenzenden Staaten zu verstärken; diese Summe wird folgendermaßen verteilt: Seine Majestät, der König von Preußen, erhält 20 Millionen Franken, die für die Verteidigung des „Unteren Rheins" bestimmte Festungswerke zu verwenden sind. Seine Majestät, der König von Bayern, erhält 15 Millionen Franken, Seine Majestät, der König der Niederlande, 60 Millionen Franken und Seine Majestät, der König von Sardinien, 10 Millionen Franken. 5 Millionen Franken sind dazu bestimmt, um für den Ausbau der Befestigungen der Festung Mainz verwendet zu werden und 20 Millionen Franken dienen der Errichtung einer Bundesfestung am Oberrhein. Die Verwendung dieser verschiedenen Summen erfolgt entsprechend dem System, das die den Pariser Friedensvertrag vom 20. November 1815 unterzeichnenden Mächte vereinbart haben und nach dem diesen Rezeß anliegenden Protokoll der Ministerkonferenzen vom 21. November 1815. Neununddreißigster Artikel Der Teil von Savoyen, der gemäß dem Pariser Friedensvertrag vom 30. Mai 1814 bei Frankreich geblieben und durch den Vertrag vom 20. November 1815 rückübertragen wurde, wird an Ihre Maje-

63 8 § 3: Deutscher Bund

[Dok. 31-84]

stät, den König von Sardinien, zurückgegeben, damit Er, Seine Erben und Nachfolger das Gebiet in voller Souveränität und zu vollem Eigentum besitzen. Die Grenzen zwischen Savoyen und Frankreich bleiben so, wie sie im Jahre 1790 waren. Die Gemeinde St. Julian bleibt von dieser Rückgabe ausgenommen. Sie ist bereits an die Schweizer Eidgenossenschaft übergeben worden, welche wiederum Ihrer Sardischen Majestät den Teil zurückgegeben hat, in dem sich der Hauptort befindet. Vierzigster Artikel Um eine unmittelbare Verbindung zwischen dem Kanton Genf und der übrigen Schweiz zu schaffen, wird ein Teil des Gebiets von Gex endgültig mit dem Kanton Genf vereinigt. Das Gebiet wird östlich vom Genfer See begrenzt, südlich durch das Gebiet des Kantons Waadt, westlich vom Flußlauf der Versoix und von einer Linie, die die Gemeinden Collex-Bussy und Meyrin einschließt und die die Gemeinde Femey bei Frankreich beläßt. Die Gemeinde St, Julian wird mit dem Kanton Genf vereinigt, jedoch mit Ausnahme des aufgrund des obengenannten Artikels Ihrer Majestät, dem König von Sardinien, abgetretenen Teils. Einundvierzigster Artikel Als Folge der Wiener Kongreßakte und der nachfolgenden Bestimmungen der Alliierten Mächte und namentlich gemäß des zwischen Ihrer Majestät, dem König von Sardinien, und der Schweizer Eidgenossenschaft am 16. März 1816 geschlossenen Vertrages, deren 1. Artikel unten niedergeschrieben ist, soweit es sich um die Beschreibung der Grenze handelt, ist das von Seiner Majestät, dem König von Sardinien, abzutretende und mit dem Kanton Genf zu vereinigende Territorium folgendermaßen begrenzt: Von der Rhone ab der ehemaligen Grenze des früheren Genfer Territoriums westlich von Aire la ville, durch eine dieses ehemalige Territorium bis zum Fluß Laire folgende Linie entlang des Flusses bis zu dem von Perrierre nach Soral hinauffuhrenden Weg, (und danach) diesen Weg entlang bis Soral, wobei dieses und der gesamte Weg bei Genf verbleiben und schließlich von einer auf dem äußeren Winkel des Gemeinde Bemex westlich von Norcier gezogene Linie. Ab diesem Winkel trifft die Grenze auf der kürzesten Linie auf den südlichen Winkel der Gemeinde Bemex am Aire, in dem Norcier und Turens Savoyen überlassen werden. Ab diesem Punkt erreicht die Grenze auf der kürzesten Linie die Gemeinde Compesiere. Danach folgt sie der Grenze dieser Gemeinde östlich von St. Julian bis zum Bach Amade, der zwischen Temier und Bardonex fließt, und danach führt sie den Bach entlang hinauf bis zur Straße von Annecy nach Carouge. Die Grenze folgt dieser Straße bis zu der 155 Toisen von Savoyen entfernten Abzweigung des Weges, der direkt nach Callonge fuhrt und erreicht schließlich das Kreuz von Roson. Die Grenze erreicht mit diesem Weg den vom Dorf Archamp kommenden Bach und folgt diesem Bach bis zu seinem Zusammenfluß nach Evordes mit den vom Weiher la Combe kommenden Bach, wobei sie jedoch alle Häuser des besagten Evordes Genf überläßt. Ab dem Bach von la Combe folgt die Grenze der unterhalb Bossey und Crevin und oberhalb Veirier führenden Straße. Ab der Kreuzung dieser Straße mit der von Carouge östlich und bei Veirier verläuft die Grenze nach Etrembieres. Die Grenze folgt der kürzesten Linie, um Arve oberhalb des Wasserzuflusses der Mühle von Sieme zu erreichen. Von dort an folgt die Grenze dem Talweg dieses Flusses bis zur gegenüberliegenden Seite der Mündung des Foron. Die Grenze fuhrt den Foron hinauf bis zum Punkt nach Cormieres, auf den mit der kürzesten Linie ab der Kreuzung zwischen der Carra-Straße mit dem sich nördlich Publinge hinziehenden Weg nach Ville la Grande hingewiesen wird. Die Grenze folgt dann der genannten Linie und diesem letztgenannten Weg nach Osten, indem sie ihn Genf überläßt. Dann folgt die Grenze der Straße, die parallel zum Foron hinaufführt bis zu dem Ort, wo sie auf das Gebiet von Jussy trifft. Ab diesem Punkt folgt die Grenze der ehemaligen Grenze bis sie auf den von Gy nach Foncenex fuhrenden Weg trifft. Dem genannten Weg nach Norden folgt sie dann bis zum Ausgang des Dorfes Gy, in dem sie diesen Weg Genf überläßt. Die Grenze führt nunmehr so geradeaus weiter zum Dorf Veige, daß alle Häuser des Dorfes zu Savoyen gehören. Danach verläuft die Grenze geradeaus zu dem Punkt, wo der Hermance auf die große Straße des Simplon trifft. Sie folgt schließlich dem Hermance bis zum See, der an das neue Gebiet im Nordosten grenzt. Es ist selbstverständlich, daß der See bis zur Mitte seiner Ausdehnung vom Hermance bis Vesenaz zum Kanton Genf gehört. Und daß dasselbe für die Teile des Flußlaufes der Rhone, die bis jetzt die Grenze zwischen beiden Staaten bildete und zu Seiner Majestät gehörte, gilt. Es ist auch selbstverständlich, daß alle zur Abgrenzung zuvor genannten Wege - außer den ausdrücklich bezeichneten Ausnahmen - zu Seiner Majestät gehören. Es ist ebenfalls selbstverständlich, daß auch alle die Häuser umschließenden Mauern und Zäune an der neuen Grenze zu dem Staat gehören, in dem die Dörfer und Weiher liegen. Die Grenze zwischen den Staaten darf nicht näher als 2 Toisen an die Häuser oder die sie umschließenden Mauern und Zäune heranreichen. Was die Flüsse und Bäche anbelangt, die nach den sich aus dem heu-

[31/5] Exkurs: Frankfurter Territorialrezeß vom 20. Juli 1819

639

tigen Vertrag ergebenden Grenzänderungen den neuen Grenzverlauf festlegen, ist ihre Mitte die Grenze, mit Ausnahme des ganz zu Seiner Majestät gehörenden Foron, dessen Überquerung aber mit keiner Abgabe belastet wird. Zweiundvierzigster Artikel Die Souveräne, die gemäß dieses Rezesses durch die Pariser Friedensverträge vom 30. Mai 1814 und 20. November 1815 von Frankreich abgetretene Gebiete erhalten, genießen daran alle Rechte; doch gehen alle sich aus diesen Verträgen ergebenden Belastungen und Verpflichtungen auf sie über. Dreiundvierzigster Artikel Der abgetretene Besitzstand der Herzogtümer Parma, Plaisance und Guastalla, und derjenige des Fürstentums Lucques, wird durch die Regelungen der Wiener Kongreßakte bestimmt, so daß deren Artikel 99, 101 und 102 vollständig in Kraft und Geltung bleiben. Vierundvierzigster Artikel Die von Artikel 90 der Wiener Kongreßakte bestimmte RückÜbertragung der Herzogtümer geschieht folgendermaßen: Die Herzogtümer Parma, Plaisance und Guastalla fallen nach dem Tode Ihrer Majestät, der Erzherzogin Marie Louise, einschließlich der vollen Souveränität an Ihre Majestäten, die Infantin von Spanien Marie Louise und den Infanten Karl Ludwig, Ihre Söhne und deren männliche Nachfolger in gerader Linie; ausgenommen davon sind die enklavierten Bezirke in den Staaten Seiner Kaiserlichen und Königlichen Apostolischen Majestät am linken Ufer des Po, die entsprechend des Vorbehalts von Artikel 99 der Wiener Kongreßakte als volles Eigentum der zuvor genannten Majestät bleiben. Fünfundvierzigster Artikel Gleichzeitig findet die gemäß Artikel 102 der Wiener Kongreßakte vorgesehene Übertragung des Fürstentums Lucques entsprechend des genannten Artikels zugunsten Seiner Königlichen Hoheit, des Großherzogs von Toskana, statt. Sechsundvierzigster Artikel Wenngleich sich die Grenze der österreichischen Staaten nach dem Verlauf des Po bestimmt, so soll Seine Kaiserliche und Königliche Apostolische Majestät wegen der der Festung von Plaisance zukommenden besonderen Bedeutung fur das Verteidigungssystem in Italien aufgrund einer gemeinsam geschlossenen Vereinbarung, in dieser Stadt bis zur Übertragung nach Erlöschen des Zweiges der Spanischen Bourbonen das vollständige Gamisonsrecht erhalten. Allerdings bleiben alle Regalien und zivilen Rechte den künftigen Souveränen von Parma vorbehalten. Die Unkosten für die Unterhaltung der Garnison in der Stadt Plaisance trägt Österreich. Die Stärke der Garnison wird in Friedenszeiten aufgrund einer gemeinsamen Vereinbarung zwischen den hohen betroffenen Parteien bestimmt, wobei als Regel gelten soll, daß die größtmögliche Erleichterung der Bevölkerung zugrunde zu legen ist. Siebenundvierzigster Artikel Die Übertragbarkeit der Herzogtümer Parma, Plaisance und Guastalla wird für den Fall des Erlöschens des Zweiges des Infanten Karl Ludwig entsprechend dem Aachener Abkommen von 1748 und dem Separat-Artikel des Vertrages zwischen Österreich und Sardinien vom 20. Mai 1815 ausdrücklich erhalten. Achtundvierzigster Artikel Die Verträge, Abkommen und anderen Akte, die dem vorliegenden Rezeß angehängt sind, und namentlich: I. Der am 16. März 1816 in Turin abgeschlossene Vertrag zwischen Seiner Majestät, dem König von Sardinien, der Schweizer Eidgenossenschaft und dem Kanton Genf; IL Der am 30. Juni 1816 in Frankfurt am Main abgeschlossene Vertrag zwischen Österreich, Preußen und dem Großherzogtum Hessen; III. Der am 30. Juni 1816 in Frankfurt am Main abgeschlossene Vertrag zwischen Großbritannien und dem Großherzogtum Hessen; IV. Der am 8. November 1816 in Frankfurt am Main abgeschlossene Vertrag zwischen Preußen und den Niederlanden; V. Der am 16. November 1816 in Frankfurt am Main abgeschlossene Vertrag zwischen Großbritannien und den Niederlanden; VI. Der am 12. März 1817 in Frankfurt am Main abgeschlossene Vertrag zwischen Österreich und den Niederlanden; VII. Der am 5./17. April 1817 in Frankfurt am Main abgeschlossene Vertrag zwischen Rußland und den Niederlanden;

640

§ 3 : Deutscher Bund

[Dok. 3 1 - 8 4 ]

VIII. Der am 10. Juni 1817 in Paris abgeschlossene Vertrag zwischen Österreich, Spanien, Frankreich, Großbritannien, Preußen und Rußland; IX. Der am 10. JuU 1819 in Frankfurt am Main abgeschlossene Vertrag zwischen Österreich und dem Großherzogtum Baden; X. Der am 10. Juh 1819 in Frankfurt am Main abgeschlossene Vertrag zwischen Österreich, Großbritannien, Preußen, Rußland und dem Großherzogtum Baden; werden als dem vorliegenden Akt zugehörige Bestandteile betrachtet und beanspruchen die gleiche Geltung, wie wenn sie mit ihrem jeweiligen Inhalt in den Rezeß selbst aufgenommen wären. Was den in München am 14. April 1816 zwischen Österreich und Bayern abgeschlossenen Vertrag anbelangt, so wurde er nach Sinn und Geist dem Artikel 7 des vorliegenden Rezesses angehängt. Neunundvierzigster Artikel Die in dem vorliegenden Rezeß angewendete französische Sprache steht unter denselben Vorbehalten wie der Artikel 120 der Wiener Kongreßakte. Fünfzigster Artikel Der vorliegende Rezeß wird ratifiziert und die Ratifikationen werden in Frankfurt am Main binnen drei Monaten oder wenn möglich früher ausgetauscht. Ein Exemplar derselben Akte wird in Wien im Hof- und Staatsarchiv Seiner Kaiserlichen und Königlichen Apostolischen Majestät niedergelegt, um vereinigt zu werden mit den gesamten Akten, auf denen er beruht. Die hohen kontrahierenden Parteien behalten sich außerdem vor, ein gemeinsames Verfahren zur Weiterempfehlung der Annahme durch andere Mächte und interessierte Staaten zu verabschieden. Urkundlich dessen haben die jeweiligen Bevollmächtigten den vorliegenden Rezeß unterzeichnet und ihm ihr Wappen aufgedrückt. Geschehen zu Frankfurt am Main, den 20. Juli | im Jahr der Gnade 1819. (L. S.) Freiherr von Humboldt. (L. S.) Freiherr von Wessenberg. (L. S.) Clancarty. (L. S.) J. von Anstett.

[32] Provisorische Geschäftsordnung der Bundesversammlung vom 14. November 1816 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einführungen" die Darstellungen unter [96.] und [97.]. Quelle: Protokolle der deutschen Bundes-Versammlung, 3. Plenarsitzung vom 14. November 1816, § 12, S. 65 (Beschluß), 6 6 - 7 2 (Text der Vorläufigen Geschäftsordnung) - gedruckt. [S. 63] §.12 Bestätigung der vorläufigen Geschäftsordnung bis zu An= | nähme einer förmlichen Bundesordnung. ...[S.65]... Beschluß. Daß die vorläufige Geschäftsordnung, wie solche in der vertraulichen Be= | sprechung vom 30. Oktober verabredet worden, vorbehaltlich der sich im Verfolge | als nothwendig und nützlich darstellenden Modificationen, bis zur Annahme einer | formlichen Bundesordnung für gültig anzuerkennen, dabey aber die Bekannt= | machung der Bundestags^Verhandlungen durch den Druck als Regel festzusetzen | sey, die der Publicität nicht zu übergebenden Verhandlungen hingegen jedesmal | besonders auszunehmen wären. Da nun hiermit diejenigen Gegenstände, welche dermalen zur Berathung [ einer PlenarVersammlung geeignet seyn mochten, erlediget waren, so ist | gegenwärtiges Protokoll ge-

[32] Provisorische Geschäftsordnung ... vom 14. November 1816

641

schlossen und beliebt worden, nunmehr zu den GQ= \ Schäften der engem Bundesversammlung überzugehen. Folgen die Unterschriften. [S. 66] Vorläufige Geschäftsordnung der deutschen Bundesversammlung. I. I Ordnung der Sitzungen. Die Sitzungen der Bundesversammlung werden vorläufig im Taxisischen | Pallaste, mindestens wöchentlich zweymal, und zwar regelmäßig Montags und | Donnerstags, Vormittags von 1 0 - 1 Uhr gehalten. Bei gehäuften Geschäften, oder in besonderen Fällen, finden außerordent= | liehe Sitzungen in Gemäßheit desfallsiger Verabredungen oder einer Ansage | des Präsidii, statt. Aus der Beschaffenheit der jedesmaligen Gegenstände der Verhandlung | geht hervor, ob sich, nach Maßgabe der Bundesakte, bloß die engere Bundes^ | Versammlung oder auch das Plenum mit denselben zu beschäftigen habe. Die Sitzungen sind theils formlich, theils vertraulich. Die vertraulichen Sitzungen dienen zum Zweck vorläufiger Erörterung und | Austauschung der Ansichten. Sie sind ohne amtliche Form und Wirkung. Es | wird während derselben deshalb kein Protokoll von dem gewöhnlichen Protokoll= | fuhrer aufgenommen. Jeder der Gesandten bemerkt nach seinem Belieben das | Vorgekommene, oder alle vereinigen sich freywillig zu gleichlautenden Bemerkung | gen, an welche jedoch bey der künftigen ordentlichen Abstimmung keiner gebun= | den ist. Mit förmlichen und vertraulichen Berathungen kann den Umständen nach, | auch in der nämlichen Sitzung abgewechselt werden. Die Ansage und, bey eintretender Verhinderung, die Absage der Sitzung | steht dem Präsidio zu, durch welches solche in der Regel am Tage vor der Sitzung | mittelst Umsendung von Zetteln verfugt wird. Die Ansagezettel enthalten die Adresse der Gesandten sowie Zeit und Form | der Versammlung. Der Gegenstand der Berathschlagung wird denselben nur dann angege= | ben, wenn ohne deshalb in einer früheren Sitzung getroffene Verabredung, | eine Beschlußnahme beabsichtigt wird, wozu die Bundesakte Einstimmigkeit voi= | schreibt. Für die beyden regelmäßigen wöchentlichen Sitzungen findet nur, wenn die= | selben unterbrochen werden, eine Ansage statt. [S. 67] Jeder Gesandte, der einer Sitzung beyzuwohnen verhindert wird, ist ver= | pflichtet, dem Vorsitzenden solches, so wie auch den Namen desjenigen Gesand= | ten, welcher etwa seine Stellvertretung übernommen hat, wo möglich Tags | zuvor, schriftlich anzuzeigen. Zu einer gültigen Beschlußnahme gewöhnlicher Art wird im engem | Rathe der Bundesversammlung die Abgabe von wenigstens neun, so wie in einer Plenar= | Versammlung von wenigstens sechs und vierzig einverstandenen Stimmen | erfordert. Wo es indeß auf Annahme oder Abändemng der Gmndgesetze bestehenden, auf orga= | nische Bundes=Einrichtungen, jura singulomm, oder Religionsangelegen= | heiten ankommt, muß sowohl in der engem Bundesversammlung, als im Pleno | die Abgabe sämmtlicher Stimmen einverstanden erfolgt seyn, um eine gültige | Beschlußnahme zu bewirken. Jedoch soll in dem einen, wie in dem andem dieser Fälle, wenn bey nicht | vollzähliger Versammlung abgestimmt worden, den Anwesenden, welche keine | Vertreter bestellt, zwar das Protokoll zur Nachbringung ihrer Stimmen in der | nächsten Versammlung offen gehalten werden; indessen, wenn auch diese Frist von | ihnen versäumt, und nicht etwa ein weiterer Aufschub aus erheblichen Gründen | bey der Versammlung nachgesucht und bewirkt

642

§3: Deutscher Bund

[Dok. 3 1 - 8 4 ]

worden, die Zuzählung ihrer | Stimmen zur Vervollständigung der Mehrheit oder Einstimmigkeit ohne weiteres | statt finden. Bey etwanigem Todesfalle eines Gesandten, in welchem, in Ermangelung | einer sonstigen gesandtschaftlichen Person oder ihr geschehenen Substitution, die | Obsignation von dem Präsidio zu besorgen ist, wird von der Bundesversammlung | die Frist bestimmt, in welcher sie von der Regierung des Verstorbenen die Emen= | nung seines Nachfolgers oder Vertreters erwarten will, und diesem bis zum Ab= | lauf solcher Frist fiir alle Gegenstände, worüber seit dem Todesfalle abgestimmt | worden, das Protokoll offen behalten. Bey vertraulichen Berathungen bedarf es keiner bestimmten Anzahl abzu= | gebender Stimmen. Der Präsidirende ist befiigt, die Sitzung zu eröffiien, sobald die bestimmte | Stunde geschlagen hat. Die vorläufige Ordnung der Sitze und der Abstimmungen richtet sich in der | engeren Bundesversammlung nach der Reihenfolge, in welcher die Bundesstaa= | ten im vierten Artikel der Bundesacte^ aufgeführt sind, sowie bei den Plenarsitzun= | gen nach derjenigen, welche der sechste Artikel derselben angiebt. Jeder Gesandte, welcher die Plenarstimmen mehrerer Bundesstaaten fuhrt, | hat solche einzeln und in der gedachten Ordnung abzugeben. Die Gesandten derjenigen Bundesstaaten, welche in der engem Bundesver= | Sammlung zu einer Gesammtstimme vereinigt sind, und unter denen gegenwärtig | [S. 68] ein Turnus in der Stimmführung statt findet, dürfen in den Sitzungen der | engem Bundesversammlung gegenwärtig seyn, obgleich daselbst jede Gesammt= | stimme nur von Einem solcher Gesandten geführt werden darf; wobey sich jedoch | die Bundesversammlung fur künftige ähnliche Fälle die Entscheidung lediglich | vorbehält. IL I Ordnung der Gegenstände der Verhandlung, des Antrags und | der Berathung derselben. Die Gegenstände der Verhandlungen der Bundesversammlung sind entweder A. bereits durch die Bundesakte** vorgeschrieben; oder B. der Antrag und Vorschlag derselben geschieht durch einzelne Bundes= | Staaten; oder C. sie werden durch sonstige Anträge an die Versammlung veranlaßt. Die Gegenstände, über deren Berathung und Beschlußnahme die Bundes= | akte bereits Vorschriften ertheilt, sind bey Eröffnung der Bundesversammlung | als an diese gelangt zu betrachten. Sie beschäftigt sich mit ihrer Erledigung | nach der Reihenfolge, welche im Allgemeinen durch die Bundesakte vorgeschrie | ben ist, und im Besondem auf den Antrag des Präsidii durch desfallsige weitere | Beschlüsse der Versammlung näher bestimmt werden wird. Die Anträge und Vorschläge der einzelnen Bundesstaaten werden durch deren | Stimmfuhrer selbst an die Versammlung gebracht und derselben schriftlich über= | geben, nachdem solche wenigstens Tags vor der Sitzung, in welcher solches statt | finden soll, dem Präsidio schriftlich mitgeteilt werden. Von diesem geschieht der Antrag zur Berathung derselben innerhalb | vierzehn Tagen, von der Anbringung an gerechnet, falls die Bundesversammlung | eine frühere oder spätere Vornahme solches Gegenstandes nicht bereits bey der | ersten Anzeige beschlossen haben sollte. Sonstige Anträge, so wie überhaupt alle an die Bundesversammlung erge= | henden Schreiben gelangen zunächst in die Hände des Präsidirenden. Dieser wird dieselben mit der Bemerkung der Empfangszeit versehen, sie nach Num= | mem mit kurzer Anfuhmng der ^ Dok. 31. ^ Dok. 31.

[32] Provisorische Geschäftsordnung ... vom 14. November 1816

643

Personen und des Gegenstandes in ein Regi= | ster eintragen lassen, und davon in der nächsten ordentlichen Sitzung die Anzeige | und Verzeichnung ins Protokoll verfugen. Sollten jedoch Form oder Gegenstand | gänzlich unstatthaft gefunden werden, so geschieht solche Anzeige blos in der näch= | sten vertraulichen Sitzung. Die Berathung solcher Anträge oder Schreiben wird, wenn nicht deshalb | schon bey der ersten Anzeige von der Versammlung eine andere Bestimmung ge= | troffen worden, innerhalb drey Wochen nach derselben von dem Präsidio in Vorschlag gebracht. fS. 69] Sobald ein zur Berathung gekommener Gegenstand hinreichend erörtert wor= | den, wird von der Versammlung der Beschluß gefasst, daß derselbe zur Abstimmung | reif sey, und die Zeit festgesetzt, wo solche Abstimmung vorzunehmen ist. | Bedarf es zum Zwecke derselben der Einholung der Instruction, so wird dafür | zugleich die Frist bestimmt, welche in der Regel einen Zeitraum von sechs bis | acht Wochen nicht übersteigen darf

1. 2. 3.

4. 5.

6. 7.

III. I Allgemeine Ordnunng des Geschäftsganges in den Sitzungen | der Bundesversammlung. Den Anfang der Sitzung macht die Verlesung, etwanige Berichtigung | und Unterschrift des Protokolls der letzten Versammlung. Hierauf folgen die Anzeigen der bei dem Präsidio von einzelnen Bun= | desstaaten oder sonst gemachten Eingaben. Sodann die Umfrage und vorläufige Abstimmung über jede einzelne der= | selben, wobey zugleich bestimmt wird: a) ob der Gegenstand sich Ausnahmsweise sofort, oder vor der gewöhnlichen | Frist zur Berathung oder Schlußfassung eigne? b) ob eine ausfuhrliche Erörterung desselben nöthig sey? c) ob diese in einer förmlichen oder vertraulichen Berathung vorzunehmen? d) ob im ersten Falle deshalb eine vorgängige Prüfung und Berichterstat= | tung erforderlich geachtet werde? e) wer solchenfalls deshalb zu ersuchen sey? Die Bestimmung der Anzahl, so wie die Wahl des oder der Be= | richterstatter erfolgt durch Vereinbarung, oder in Ermangelung dersel= | ben, durch desfallsige Abstimmung. Anzeige der Gegenstände, welche in der jedesmaligen Versammlung, dem | Antrage des Präsidii gemäß, weiter zu verhandeln sind. Vornahme solcher Gegenstände eines nach dem andern, sey es zur Be= | richtserstattung, vorläufigen Abstimmung, Erörterung, Beschlußnahme, daß | der Gegenstand zur Abstimmung reif sey, Vorbereitung desselben fur etwanige Be= | handlung im Pleno, Fristbestimmung zur Abgabe der Stimmen und Instruc= | tionseinholung, endlichen Abstimmung oder zur Schlußziehung und deren Ge= | nehmigung, durch Bestimmung über etwanige Bekanntmachung derselben. Verabredung der nächsten Zusammenkunft, über die Form derselben, und | vorläufige Anzeige der Gegenstände, welche darin vorkommen dürften. Kurze Wiederaufnahme des Vorgenommenen und Rückerinnerung an die | in der jedesmaligen Sitzung getroffenen Vereinbarungen, durch den Vorsitzenden, | damit der Protokollführer nichts auslassen möge.

[S. 70] Als allgemeine Bestimmungen über den Geschäftsgang gelten noch folgende | Regeln: a) Die drey Hauptstufen, welche für die Behandlung eines jeden Gegenstand | des anzunehen sind, nämlich: | der erste Antrag, | die Erörterung, und | die endliche Abstimmung darüber, | werden allemal in zwey und wenn der Vorschlag nicht bey der ersten | Umfrage einstimmig angenommen oder verworfen wird, in drey Sitzun= |

644

§3: Deutscher Bund

b)

c)

d) e)

f)

[Dok. 3 1 - 8 4 ]

gen vertheilt, wozu denn den Umständen nach, eine vierte zur Schluß= | ziehung kommt. Das Präsidium kann, um Zweifel über die einzelnen Abstimmungen zu | heben, wie auch um die Zahl der Abstimmenden fur die eine oder andere | Meinung zu berichtigen, eine wiederholte Umfrage anstellen. Deßgleichen kann ein Mitglied, welches bereits gestimmt hat, sey es, daß | etwa in späteren Abstimmungen neue Gründe vorgebracht worden, die | bey der Erörterung nicht vorgekommen und von denen es sich überzeugt | fühlt, oder wenn es solches sonst zur Aufklärung von Mißverständnissen | rathsam glaubt, nach beendigter Umfrage um Aufschub der Schlußzie= | hung ersuchen, nach dessen Bewilligung sodann die weitere Erörterung | vorgenommen wird. Die endlichen Abstimmungen über einen Gegenstand werden, sobald zu | solchen eine Frist festgesetzt worden, schriftlich eingegeben oder zum Pro= | tokoll dictirt. Die Bundesversammlung bestimmt in jedem besonderen Falle, wie die | Protokolle bekannt zu machen, und besonders, ob sie dem Druck fürs | Publikum zu übergehen seyen.*) *) S. Beschluß zu §. 12. des ersten Protokolls der dritten Sitzung.^ Auf Eingaben und Schreiben, welche der Bundesversammlung außer | den Anträgen ihrer Mitglieder zukommen, wird durch Zusendung von | Auszügen aus dem Protokolle geantwortet, welche den desfallsigen Be= | schluß, den Umständen nach, mit oder ohne Hinzufugung der Gründe | enthalten.

[S. 71] g) Die Form solcher Beschlüsse ist vorläufig folgende: | Auszug des Protokolls der deutschen Bundesversammlung vom *** | Die deutsche Bundesversammlung hat beschlossen u. s. w. | Frankfurt den *** | (L. S.) Die Bundes=Präsidialkanzley. h) Das Siegel, dessen sich die Bundesversammlung vorläufig bedienen | wird, ist das der KaiserHch Oesterreichischen Gesandtschaft mit der | Umschrift: Kaiserl. Oesterreichische Bundes=Präsidialkanzley. | Die Adresse der Bundesversammlung ist: | An die hohe deutsche Bundesversammlung. IV. I Ordnung derProtokollfuhrung, Diktatur, Kanzley und des | Archivs. Das Präsidium schlägt der Bundesversammlung den Protokollführer 1 vor, welche solchen, wenn gegen dessen Person nichts zu erinnem ist, annimmt, | worauf der Vorsitzende ihn dem Bunde verpflichtet. Das Protokoll enthält die Anzeige der bey einer Sitzung anwesenden | Gesandten, die Gegenstände der Erörterung, mit Bemerkung der vorgetragenen | Hauptgründe, ohne namentliche Anführung desjenigen, welcher dieselben vorge= | bracht, die Abstimmung jedes Einzelnen, die Beschlüsse. Schriftlich übergebene oder diktirte Abstimmungen werden wörtlich zum Pro= | tokoll ge= I nommen; die Anträge einzelner Bundesglieder, einen Gegenstand in | Berathung zu nehmen, so wie die an die Bundesversammlung sonst gelangten Schreiben und Eingaben werden dem Protokolle derjenigen ordentlichen Versamm= | lung, in welcher solche zur Anzeige gebracht, angeheftet. Sobald das Protokoll | gehörig geordnet ist, und spätestens am Tage vor der nächsten Sitzung, wird | dasselbe zur Einsicht der verschiedenen Gesandtschaften in der Kanzley niedergelegt. Die Diktatur oder Vertheilung abgedruckter Protokolle findet spätestens | am Tage nach der Sitzung, wo das Protikoll genehmigt und unterzeichnet wor= | den, in der Kanzley statt, woselbst auch die der Versammlung etwa in hinreichen^ | der Anzahl zugesandten gedruckten Eingaben, sobald sie in einer Sitzung zur An= | zeige gebracht, ausgetheilt werden. ^ Anmerkung im Original als Fußnote auf S. 70 unten.

[32/1] Beschluß über die Beschleunigung ... vom 16. August 1851

645

Die Kanzley und das Archiv erhalten vorläufig ebenfalls durch das Prä= | [S. 72] sidium mit Vorwissen der Bundesgesandtschaften ihre Anordnung dergestalt, daß | die Präsidialkanzley einstweilen die Funktionen der Bundeskanzley zugleich über= | nimmt, und das Personale, nach einem der Versammlung mitzutheilenden Gut= | achten des Präsidii, von solchem angestellt, demselben auch die Befugniß über= | tragen wird, die Individuen, im Fall nicht gehörig erfüllter Amtspflicht, wieder | zu entlassen, und nicht minder die der Bundesversammlung zustehende Jurisdic= | tion über die gemeinschaftlichen Beamten auszuüben. Ein sicheres Lokal zur Aufbewahrung der Urkunden und Akten, wird vom | Präsidio vorläufig angewiesen, und ordentliche und sorgfältige Aufbewahrung | verfugt. Die Aufsicht über beyde steht jederzeit dem Vorsitzenden zu, jedem Bundes^ | tagsgesandten aber der Zutritt und die Verabfolgung begehrter Abschriften. Ur= | künden und Originalakten werden jedoch Keinem, ohne desfallsige Verfugung der | Versammlung, überliefert.

[32/1] Beschluß über die Beschleunigung des Geschäftsganges vom 16. August 1851 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einführungen" die Darstellung unter [98.]. Quelle: Protokolle der deutschen Bundes-Versammlung, 19. Sitzung vom 16. August 1851, § 115, S. 252 - 254 (gedruckt). [S. 252] .. . §.115. Vorlage der Verhandlungen der Ministerialconferenz zu Dresden, insbesondere die | Abänderung der Geschäftsordnung der Bundesversammlung betreffend. (14. Sitz. §. 67 u. 15. Sitz. § 73 v. J. 1851.) Der GroßherzogHch=Badische Herr Bundestagsgesandte erstattet | Namens des Ausschusses fur Abänderung der Geschäftsordnung folgenden Vortrag: [S. 253] In der 14. Sitzung vom 8. v. M. hat hohe Bundesversammlung die Anträge der | bei den Dresdener Conferenzen niedergesetzten ersten Commission über die Beschleunigung | des Geschäftsganges einhellig angenommen und dieselben zur | bestimmteren Formulimng an einen besondem Ausschuß gewiesen. Derselbe entspricht diesem Auftrag, indem er nachstehende Satze, welche den Inhalt jener in dem Protokolle | der 14. Sitzung enthaltenen und hier als bekannt vorausgesetzten Beschlüsse in dispositiver | Form wiedergeben, hoher Versammlung zur Prüfung und Annahme unterlegt: I. Alle bei der Bundesversammlung einkommenden Antrage und Vorschläge, so wie | überhaupt alle an dieselbe gelangenden, nach Form oder Gegenstand nicht gänzlich I unstatthaften Eingaben sollen sofort und längstens innerhalb vierzehn Tagen nach I ihrem Eingange zur geschäftlichen Behandlung in der Bundesversammlung ge= I bracht werden. Der Berathung und Schlußfassung in förmlicher Sitzung soll stets eine ver= | trauliche Erörterung und Besprechung vorausgehen. IL Um in allen Fällen die Schlußfassung thunlichst zu beschleunigen, werden die Re= | gierungen ihre Bevollmächtigten, so weit wie möghch, schon im Voraus mit ausreichen= I der Instruction versehen. III. Wo es der Einholung einer besondem Instruction bedarf, ist die Schlußfassung | auszusetzen, und zu diesem Zweck eine Frist zu bewilligen, welche in der Regel | nicht weniger als vierzehn Tage und nicht mehr als vier Wochen betragen soll.

646

§ 3: Deutscher Bund

[Dok. 31 - 84]

Nach Ablauf dieser Frist erfolgt die Abstimmung gleichzeitig in der von dem | Präsidium hierzu anberaumten Sitzung. IV. Die Stimmen derjenigen Bevollmächtigten, welche den zur Abstimmung festgesetzten I Termin versäumen, werden, wenn ihnen nicht ein weiterer Aufschub aus erheb= I liehen Gründen von der Bundesversammlung bewilligt wird, zur Yervollständi= | gung der Mehrheit oder Einstimmigkeit ohne Weiteres zugezählt. Dasselbe findet auf diejenigen Anwendung, welche, obschon anwesend, ohne erhebliche, von der Bundesversammlung für genügend erkannte Gründe der Ab= | Stimmung sich enthalten. Durch obige Sätze wird die noch in Wirksamkeit bestehende Geschäftsordnung der Bun= I des Versammlung vom 14. November 1816 mehrfach berührt und theilweise abgeändert. Der I Ausschuß unterläßt es jedoch, dieselben in dieser Beziehung einer besondem Betrachtung zu I unterwerfen, indem es erst bei der in Aussicht stehenden durchgreifenden Revision der Ge= | Schäftsordnung an der Zeit seyn durfte, jene Satze, so wie mehrere schon früher gefaßte, sie | ergänzende Bestimmungen mit deren übrigen Normen in ein Ganzes zu verschmelzen. Der Antrag des Ausschusses geht nunmehr dahin: | hohe Bundesversammlung wolle 1) obige vier Sätze als den Beschlüssen vom 8. JuH v. J. über die Beschleunigung | des Geschäftsganges entsprechend anerkennen und demselben demzufolge ihre Zustim= I mung ertheilen, so daß dieselben sofort in Wirksamkeit treten. [S. 254] 2) Den Ausschuß für Revision der Geschäftsordnung im Allgemeinen veranlassen, bei Voll= I Ziehung des ihm ertheilten Auftrags obige Satze der Geschäftsordnung einzuverleiben. Nach hierauf erfolgter Erörterung wurde von Seiten der freien Städte bemerkt, | wie zur Beseitigung jedes Zweifels an vollkommener Uebereinstimmung der in Beziehung auf | die Geschäftsordnung der Bundesversammlung in Dresden erfolgten Vereinbarung mit den | in heutiger Sitzung über diesen Gegenstand unter I - IV festgesetzten Bestimmungen, anzunehmen seyn werde, daß die vor jeder Berathung und Schlußfassung anzustellende vertrauliche Erörterung und Besprechung auch dann einzutreten habe, wenn ein solcher Beschluß | nur auf Instructionseinholung gerichtet seyn sollte. Die Bundesversammlung hielt bei der allgemeinen Fassung des Satzes I ein= | stimmig daftir, daß vorstehende Bemerkung dadurch von selbst ihre Erledigung findet. In Uebereinstimmung mit dem Antrage wurde nunmehr | beschlossen: 1) obige vier Satze als den Beschlüssen vom 8. Juli d. J. über die Beschleunigung | des Geschäftsganges entsprechend anerkennen und demselben demzufolge ihre Zustimmung I ertheilen, so daß dieselben sofort in Wirksamkeit treten; 2) den Ausschuß für Revision der Geschäftsordnung im Allgemeinen zu veranlassen, bei I Vollziehung des ihm ertheilten Auftrags obige Sätze der Geschäftsordnung einzuverleiben.

[33] Provisorische Kompetenzbestimmungen vom 12. Juli 1817

647

[33] Provisorische Kompetenzbestimmungen vom 12. Juni 1817 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einführungen" die Darstellungen unter [194.] [223.] [247.] und [248.]. Quelle: Protokolle der deutschen Bundes-Versammlung, 34. Sitzung vom 12. Juni 1817, § 223, S. 174-182, 187 (gedruckt). Sonstige Fundstelle: P. A. G. Meyer (Hrsg.), Corpus Juris Germaniae Confoederationis oder Staatsacten für Geschichte und öffentliches Recht des Deutschen Bundes, Teil II (Beschlüsse der deutschen Bundesversammlung), 3. Aufl., 1859, S. 40 - 44. [S. 174] §. 223, Competenz der Bundesversammlung. Präsidium: wolle das gemeinschaftliche Gutachten der in der 13. Sitzung | vom 19. December 1816 erwählten Commission über die provisorische Competenz= | Bestimmung der Bundesversammlung hiermit zu Protokoll geben, und die Abstim= | mungen hierüber vernehmen. §.1. Der einstimmige Beschluß der Bundesversammlung in der 13. Sitzung vom 19. December vorigen Jahres hat der Commission den Auftrag ertheilt: „Ein gemeinschaftliches, umfassendes Gutachten vorzulegen, woraus | „allgemeine, die Competenz der Bundesversammlung vorbereitende | „Grundsätze hervorgehen, und ihr einstweilen als Provisorium bis zur | „definitiven Festsetzung der organischen Einrichtungen überhaupt, zur | „Befolgung dienen könnten". Zur Vollziehung dieses Auftrags hat die Commission geglaubt, zuvörderst den | Begriff der Competenz und die daraus sich ergebenden Schranken ihrer Arbeit näher | entwickeln zu müssen. Die Festsetzung der Competenz der deutschen Bundesversammlung ist gleich | bedeutend mit der Festsetzung ihres Geschäfts=Umfangs, und diese gleich= | bedeutend mit der Angabe ihrer Bestimmung. Der Umfang ihrer Pflichten, ent= | nommen aus ihrer Bestimmung, bezeichnet den Begriff der Competenz, diese Ent= | wicklung umfaßt aber, wie schon in dem ersten Präsidial=Vortrage bemerkt wor= | [S. 175] den, eine der Hauptgrundlagen des deutschen Bundes. Hierauf bezieht sich nicht | nur ein wesentlicher Theil der uns noch fehlenden Gesetze und organischen Einrich= | tungen, sondern ohne diese Gesetzgebung und Einrichtungen im Ganzen zu bear= | beiten, läßt sich auch die Frage der Competenz in vorerwähntem Sinne nicht voll= | ständig berichtigen. In der 13. Sitzung sind schon im Allgemeinen die vier Gesichtspunkte ange= | deutet worden, in deren weiterer Entwickelung bey Bearbeitung der organischen | Gesetzgebung überhaupt, alsdann auch die jetzt ausgehobene einzelne Frage der | Competenz ihre definitive Bestimmung finden dürfte. Die beschränktere Aufgabe für gegenwärtige Commission scheint aber folgende | zu seyn: Es soll entwickelt werden, welches der Umfang der Rechte und Pflichten der | Bundesversammlung, somit der ihr obliegenden und zuständigen Geschäftswirk= | samkeit, nach den Bestimmungen der Bundesakte^ und in Ermangelung der noch | zu verfassenden organischen Gesetzgebung sey.

^ Dok.31.

648

§ 3 : Deutscher Bund

[Dok. 3 1 - 8 4 ]

Um in dieser Hinsicht bestimmte und umfassende Anträge vorlegen zu können, | scheint es nothwendig, den Geschäftsumfang der Bundesversammlung nach zwey | Hauptbeziehungen zu beurtheilen, wovon die Ite die inneren Verhältnisse des deutschen Bundes; die Ute die äusseren Verhältnisse desselben zum Gegenstande hat. §.2. Zu Num. 1. Competenz==Bestimmung der Bundesversamm= | lung in den inneren Verhältnissen des deutschen Bundes. Der deutsche Bund als ein, mehrere souveraine Staaten mit einem gemein= | samen Nationalbande umfassender Staatenverein, ist in seinen inneren Verhält^ | nissen vorzüglich einer zweyfachen Berücksichtigung fähig, nämlich: a) betrachtet als eine Gesammtheit; und b) betrachtet in Beziehung auf seine einzelne Bestandtheile und Zugehörigen. ^Eben so äußert sich also auch zweyfach die innere Wirksamkeit des Bundes= | tags, als des Central=Punktes des deutschen Bundes. "^Schon der 2. Artikel der | deutschen Bundesakte begründet diese zweyfache Abtheilung, da alldort eben so | Deutschland im Ganzen, als die einzelnen Staaten, im Zwecke des Bundes | begriffen erklärt werden. [S. 176] Die inneren Verhältnisse des Bundes und der Bundesversammlung beziehen | sich demnach, entweder A) auf den Bund selbst; B) auf die einzelnen Staaten und Regierungen desselben; oder C) auf einzelne Deutsche, sie mögen nun Privatpersonen, oder Corporation | nen, oder ganze Klassen begreifen. A. §.3. Competenz=Bestimmung der Bundesversammlung in | den irmem den Bund selbst betreffenden Verhält= | nissen. Die Commission trägt in dieser Beziehung auf folgende Beschlüsse an: 1) Die Bundesversammlung erkennt die Bundesakte als die einzige Grundlage | ihrer Wirksamkeit, sich aber zugleich als berufen, dieselbe in ihren einzelnen Be= | Stimmungen und Andeutungen zu entwickeln und zu vollenden. 2) Der Bundestag ist competent, Beschlüsse zu fassen, wodurch selbiger die | verfassungsmäßige Erhaltung des Ganzen des Bundesvereins bezweckt. 3) Wenn auf irgend eine Art die innere Sicherheit des deutschen Bundes | wirklich gestört oder bedroht ist, und diese Störung oder Bedrohung durch die | Bundesversammlung anerkannt wird; so tritt der Fall ein, wo der Bundestag | Berathung über die Erhaltung oder Wiederherstellung der Ruhe zu pflegen, und | die dahin gerichteten Beschlüsse zu fassen hat. 4) Sobald bey einer Angelegenheit nicht bloß das Wohl der einzelnen deut= | sehen Staaten, sondern zugleich das der Gesammtheit berücksichtiget werden muß; | so ist die Bundesversammlung als die einzige, die Gesammtheit vertretende Behörde | berufen, darüber zu berathen. Diese Bestimmung entspricht unleugbar den in dem | Artikel 16., 18. und 19. der Bundesakte vorbehaltenen oder empfohlenen gemein= | nützigen Anordnungen. Die vorberührten Directiv=Normen finden sämmtlich in der Bundesakte, und vorzüglich in dem Grundcharakter des deutschen Bundes ihre Begründung.

[33] Provisorische Kompetenzbestimmungen vom 12. Juli 1817

649

[S. 177] B. §. 4. Competenz=Bestimmung der Bundesversammlung in | den in den innem auf die einzelnen deutschen Staa= | ten und Regierungen sich beziehenden Verhältnissen | des Bundes. Ueber die Geschäflswirksamkeit des Bundestags, in Ansehung der einzelnen | deutschen Staaten und Regierungen, schlägt die Commission folgende Beschlüsse | vor: 1) Die Bundesversammlung ist berufen, wegen jeder eigenmächtigen, wirk= | liehen oder offenbar und unmittelbar drohenden Störung des Gebiets eines einzel= | nen Bundesstaats von einem andern Bundesstaate, welche bei ihr durch den bedro= | beten oder wirklich angegriffenen Theil zur Anzeige gebracht wird, oder sonst mit | Gewißheit zu ihrer Kenntniß gelangt, Berathung zu pflegen, und hierüber Schutz | gewährende Beschlüsse zu fassen. 2) So wie die einzelnen Gebiete unter der allgemeine Garantie des Bundes | stehen; so ist dieselbe auch berufen, die Garantie der Verfassungen einzelner | deutscher Staaten unter den bei Veranlaßung des Großherzoglich=Weimarischen | Ansuchens in der 18. Sitzung, in Uebereinstimmung mit dem Kaiserlich=Oester= | reichischen Voto, allgemein angenommenen Modifikationen, mithin dann zu über= | nehmen, wenn der einzelne Staat unter den gehörigen Erfordernissen, das heißt, | unter einstimmiger Entschließung des Fürsten und der Stände darauf anträgt, daß | der Bund die Garantie seiner Verfassung übernehme. 3) Die Bundesversammlung ist berufen, darauf zu achten, daß die in der | Bundesakte Art. 12. 13. 14. 16. und 18. den einzelnen Staaten zur Ausfuh= | rung vorgeschriebenen öffentlichen Verhältnisse in Erfüllung gebracht werden. 4) Dort, wo die Congreßakte ausdrücklich der Bundesversammlung die Be= | richtigung constitutioneller Angelegenheiten übertragen hat, ist dieselbe ungezweifelt | zur Einwirkung berufen. 5) Wenn die Regierung eines Bundesstaats eine Verfugung in Beziehung | auf Personen oder Corporationen treffen sollte, welche mit den Grundgesetzen und | den Verfugungen des Bundes im Widerspruch stunde, oder für die innere oder | [S. 178] äussere Sicherheit desselben gefährlich werden könnte; so ist die Bundesversammlung I zur Einwirkung, Behuf der Abstellung dieser Verfugung, berufen. 6) Streitigkeiten der deutschen Bundesglieder unter sich, sind auf den Grund 1 des 11. Artikels der Bundesakte ungezweifelt der Competenz der Bundesversamm= | lung unterworfen. 7) Der Bund ist ebenfalls competent, sich mit allen den Gegenständen zu | beschäftigen, worauf sich die Artikel 6. 18. und 19. der Bundesakte beziehen. C. §.5. Competenz=Bestimmung der Bundesversammlung in den | innem Angelegenheiten des Bundes, welche Privat= | personen, Corporationen oder ganze Klassen betreffen. Die Commission glaubt, ohne sich deßfalls erst über einige allgemeine, aus | dem Wesen eines Staatenvereins und dem Verhältnisse der Einzelnen zu ihren Re= | gierungen, so wie zu der Gesammtheit entnommene Grundsätze zu verbreiten, fol= | gende Sätze zu Fassung von Beschlüssen in Antrag bringen zu müssen: 1) Insofern die Bundes^ oder Congreßakte für Einzelne, für Corporationen | oder ganze Klassen Bestimmungen und Hinweisungen enthält, deren nähere voll= | kommene Entwickelung der Bundesversammlung vorbehalten ist; so haben diese | allerdings ein wohlbegründetes Recht, deren Berichtigung bey dem Bundestag in | Anregung zu bringen, so wie Anträge und Vorschläge deßfalls zu übergeben. 2) Einzelne, so wie ganze Corporationen und Klassen, können sich an die | Bundesversammlung wenden, wenn die eben erwähnten, in der Bundesakte bestimm^ | ten

650

§3: Deutscher Bund

[Dok. 3 1 - 8 4 ]

Gerechtsame, oder solche, welche ihnen in derselben bereits ausdrücklich einge= | räumt worden, ohne noch erst einer näheren Entwickelung zu bedürfen, verletzt | werden, und auf deßfalls zuvor an die unmittelbare Regierung gerichtete Vorstel= | lung keine Abhülfe der gegründeten Beschwerde erfolgt. 3) Da der Begriff der vollen Souverainetät der einzelnen Bundesstaaten der | Bundesakte zum Grunde gelegt ist, so liegt unbezweifelt jede Einmischung der | Bundesversammlung in die inneren administrativen Verhältnisse ausserhalb der | Gränzen ihrer Competenz. Indeß gründen sich jedoch auf den Sinn der Bundes^ | akte die folgenden Ausnahmen: [S. 179] a) Wenn der Fall einer in Rechtssachen eintretenden Justizverweigerung oder | einer derselben gleich zu achtenden Verzögerung vorkommen sollte; so würde | die Bundesversammlung so befugt als verpflichtet seyn, erwiesene, begrün= | dete Beschwerden über wirklich gehemmte oder verweigerte Rechtspflege an= | zunehmen, und darauf die gerichtliche Hülfe in den einzelnen Bundesstaaten | durch ihre Verwendung zu bewirken. Bedarf dieser Grundsatz einer Motivirung, so liegt selbige schon in | dem Art. 12., welcher die Justizpflege nach drey Instanzen als einen im | deutschen Bunde festgesetzten Grundsatz ausspricht. Denn weim jede deutsche | Regierung verbunden ist, drey Instanzen anzuordnen, und in dieser Art | Justizpflege zu gewähren, so muß die sonst begründete Beschwerdefiihrung | um so mehr bey wirklicher Justizverweigerung eintreten können. b) Wenn wie bey Streitigkeiten zwischen dem Regenten und seinen Unter= | thanen, nach der schon in der fünften vorjährigen Sitzung von Baiem | gemachten sehr richtigen Bemerkung gar wohl gedenkbar ist, die innere Ruhe | des Landes gefährdet und mit dieser auch die allgemeine Ruhe bedrohet | werden sollte, so muß auch nach Erschöpfung der constitutionellen oder | gesetzlichen Mittel und Wege in den betreffenden einzelnen Staaten der | gesammte Bund sich berufen finden, zum Zwecke der Vermeidung eines | solchen Ausbruchs, oder zur Wiederherstellung der bereits gefährdeten Ruhe | in gemessenen Wegen einzuwirken. In solchen Fällen ist also ebenfalls der | einzelne Bundesstaat allerdings befugt, die Hülfe des Bundes in Anspruch | zu nehmen, und der Bund berufen, selbige zu leisten. c) Wenn der Unterthan eines deutschen Bundesstaats gegen eine nicht zu | dem Bunde gehörende Regierung Beschwerde zu fuhren hat; so hat er sich | zwar mit derselben nicht unmittelbar an die Bundesversammlung, sondern | an seinen Landesherm zu wenden, und dessen Verwendung nachzusuchen. Wenn jedoch dieser letztere die Bundesversammlung selbst um ihre | Verwendung bey der auswärtigen Regierung ersucht; so ist dieselbe, falls | sie die Beschwerde für gegründet erkennt, zu einer solchen Verwendung | berechtigt. d) Als eine natürliche Folge von der hierbey eintretenden Reciprocität ist, im | [S. 180] Fall eine nicht zu dem Bunde gehörende Macht die Verwendung des Bun= I destags in einer Angelegenheit, welche einen Bundesstaat betrifft, nachsucht, I die Bundesversammlung zwar im Allgemeinen zu einer solchen Verwendung I berechtigt, jedoch in dem Maaße daß: 1) Wenn ihre Verwendung wegen einer Beschwerde einer auswärtigen | Macht gegen einen Unterthanen eines Bundesstaats nachgesucht wird, | sie selbige der Regel nach ab= und die Sache lediglich an den Landes^ | herm dieses Unterthanen zu verweisen hat, und nur falls von die= | sem die Abhülfe nicht erfolgt, in dazu geeigneten Fällen die in dem | 2. Artikel der Bundesakte vorgezeichnete Art ihres Benehmens zu beob= | achten hat.

[33] Provisorische Kompetenzbestimmungen vom 12. Juli 1817

651

2) Wenn ihre Verwendung wegen einer Beschwerde, welche eine aus= | wärtige Macht unmittelbar gegen den Bundesstaat selbst erhebt, oder | in der Absicht nachgesucht wird, um diesen Staat zu Entsagung auf | einen wider sie erhobenen Anspruch zu bewegen; so ist die Bundesver= | Sammlung zwar befugt, ihre bona officia, und wenn von beyden | Theilen ihre Vermittlung angenommen wird, auch diese eintreten zu | lassen. Weiter gehende Befugnisse hat sie jedoch in Ansehung dieses | Bundesstaats nur dann, wenn sie durch die in dem 2. Artikel der | Bundesakte vorgezeichnete Grundregel ihres Benehmens dazu berech= | tigt und veranlaßt wird. §. 6. ZuNro. IL Competenz=Bestimmung der Bundesversammlung | in den äusseren Verhaltnissen des deutschen Bundes. Deutschland erscheint seit dem geschlossenen Bunde wieder in seiner Gesammt= | heit als Macht, nach allen Attributen, Rechten und Verbindlichkeiten, welche die | Bundesakte, der Buchstaben, Geist und Sinn derselben dem Bunde beylegen, | somit in allen Beziehungen und Fällen, die sich hiemach ergeben. ^Die nähere Anwendung dieses Grundsatzes bleibt zwar der Bearbeitung der | im Artikel 10, bemerkten organischen Grundgesetze und Einrichtungen, insofern | die auswärtigen Verhältnisse in denselben mitgehören, vorbehalten. "^Wie indeß | schon im Allgemeinen sich aus dem obigen Grundsätze ergiebt, daß der deutsche | [S. 181] Bund in seinen äusseren verfassungsmäßigen Verhältnissen dieselben aktiven und passiven | Beziehungen, wie jede andere freie und unabhängige Macht hat; so ergiebt | sich auch von selbst die Competenz der Geschäftswirksamkeit der Bundesversamm= | lung, als des im Artikel 4. zu Besorgung der Bundes=Angelegenheit berufenen | aktiven Centralpunktes derselben, weßhalb die Commission auf den bereits in | Berathung gestellten Entwurf zu Regulirung der auswärtigen Verhältnisse sich | beziehen zu können glaubt. §. 7. Allgemeine Bemerkungen. Da die isolirte Bearbeitung der Competenz=Erörtemng nothwendig mangel= | haft bleiben muß, so wäre ausdrücklich den oben begutachteten Direktiv=Normen | beyzufligen, daß wenn in einem oder dem andern Falle die Competenz der Bundes^ | Versammlung noch zweifelhaft seyn sollte, der seither beobachtete natürliche Ausweg | vorbehalten bleibe, die Angelegenheit zur Instruktions=Einholung zu verweisen. Schluß=Antrag. Der von der hohen Bundesversammlung der Commission ertheilte Auftrag ist | nach seiner Form und Wesenheit vorzüglich nur auf provisorische Anordnungen, | rücksichtlich der Competenz des Bundestags gerichtet, und soll die definitiven orga= | nischen Bestimmungen vorbereiten. Daß die Bundesakte die Grundzüge und Andeutungen des fur Deutschland | geschlossenen Bundes enthält, darüber sind Alle einig; aber eben so erkennen auch | wohl Alle insgesammt, daß Fürsten und freye Städte, so wie die Nation über= | haupt, gleichen Anspruch auf die organische Vollendung dieses Bundes haben. Da | nun der Austrag der Commission ihr bey der Berathung am sichtbarsten den Man= | gel zeigte, und in mehreren Verzweigungen fühlbar vorlegte, welcher von einer | solchen isolirten Bearbeitung untrennbar ist; so hat die Commission die natürlichste | Veranlassung, der gesammten Bundesversammlung den Wunsch und das Bedürfhiß | angelegentlich vorzutragen: daß die planmäßige Erörterung und Ergänzung der | Bundesakte nicht aufs Unbestimmte verschoben werden möge. Sollten bey der dadurch veranlagten Bearbeitung, unsere Ansichten auch in | zufälligen Bestimmungen verschieden seyn, und gegenseitige freimüthige, freund= | [S. 182] schaftliche Ausgleichungen eintreten; so wird doch im Wesentlichen, wo es eine | feste Begrün-

652

§3: Deutscher Bund

[Dok. 3 1 - 8 4 ]

dung des deutschen Bundes, seine Sicherung von innen und von | aussen gilt, nur Ein Wille alle so beseelen, wie wir unsem Zeitgenossen und der | spätem Nachkommenschaft für ihr Wohl und Wehe verantwortlich bleiben. ..,[S. 187] . . . Präsidium. Die Mehrheit der Stimmen habe für die provisorische An= | nähme der in dem Commissions^Gutachten enthaltenen Competenz=Bestimmungen | entschieden; es ergebe sich also der | Beschluß:^ Daß das von der Commission vorgelegte Gutachten über die Competenz der | Bundesversammlung einstweilen als Provisorium, bis zur definitiven Festsetzung | derselben, auch unter Vorbehalt der, nach eingegangenen Instruktionen oder etwa | sonst zu beschließenden Abänderungen oder Zusätze, als verbindlich angenommen werde.

[34] Bundesbeschluß über die auswärtigen Verhältnisse des Deutschen Bundes vom 12. Juni 1817 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einführungen" die Darstellung unter [194.]. Quelle: Protokolle der deutschen Bundes-Versammlung, 34. Sitzung vom 12. Juni 1817, § 227, S. 194 - 200 (gedruckt). Sonstige Fundstelle: P. A. G. Meyer (Hrsg.), Corpus Juris Germaniae Confoederationis oder Staatsacten für Geschichte und öffentliches Recht des Deutschen Bundes, Teil II (Beschlüsse der deutschen Bundesversammlung), 3. Aufl., 1859, S. 44 - 47. [S. 194] §. 227. Die auswärtigen Verhältnisse des deutschen Bundes. Präsidium: wolle den aus den Abstimmungen in der 27. 28. 29. 31. 32. | und 33. Sitzung über die auswärtigen Verhältnisse des deutschen Bundes, und | insbesondere über die diplomatischen Verhandlungen der deutschen Bundesversamm^ | lung und die Accreditirung auswärtiger Gesandtschaften bey dem deutschen Bunde, | gezogenen Entwurf Beschlusses, welchen es bereits in der letzten vertraulichen | Sitzung verlesen habe, zu Protokoll geben und vernehmen, ob solcher als allent= | halben der Mehrheit der Stimmen angemessen befunden und angenommen werden | wolle. Sämmtliche Stimmen vereinigten sich mit diesem Entwurf, daher | Beschluß: Die deutsche Bundesversammlung, geleitet von dem Grundsätze, daß der | deutsche Bund in seiner Gesammtheit als freye unabhängige Macht zu betrachten | und alle aus diesem unverkennbaren Vordersatze abzuleitenden Folgerungen eben so | richtig als unbestreitbar seyen, erkennt daß die Frage, ob Gesandtschaften auswär= | tiger Höfe und Regierungen bey dem deutschen Bunde und - als Centralbehörde | desselben - bey dem Bundestage accreditirt werden können; so wie auch, daß der | deutsche Bund Gesandtschaf-

An der Sitzung nahmen folgende Gesandte teil: von Buol-Schauenstein (für Österreich), von Martens (für Preußen und Hannover), von Aretin (fur Bayern), von Schlitz (für Sachsen), von Mandelsloh (für Württemberg und Baden), von Lepel (für Kurhessen), von Hamier (für Hessen-Darmstadt), von Plessen (für Dänemark wegen Holstein und Lauenburg sowie für Mecklenburg), von Gagem (für die Niederlande wegen Luxemburg), von Hendrich (für Großherzogtum und Herzogtümer Sachsen), von Marschall (für Braunschweig und Nassau), von Berg (für Oldenburg, Anhalt, Schwarzburg), von Leonhardi (für Hohenzollem, Liechtenstein, Waldeck, Reuß, Schaumburg-Lippe, Lippe), Danz (für Lübeck, Frankfurt, Bremen und Hamburg).

[34] Bundesbeschluß über die auswärtigen Verhältnisse ... vom 12. Juni 1817

653

ten absenden möge, also das active und passive | Gesandtschaftsrecht überhaupt, als entschieden ausser dem Kreise ihrer Verhand= | lungen liege. Die besonderen Förmlichkeiten, unter welchen die Bundesversammlung diese | Rechte ausüben wird, werden folgendermaßen festgesetzt: L Erste diplomatische Eröfftiung von Seiten der deutschen Bun= | desversammlung an andere Mächte und Regierungen. 1) Die deutsche Bundesversammlung, berufen die Angelegenheiten des deut= | sehen Bundes zu besorgen, wird die Begründung und Constituirung desselben durch | die Bundes^ und Congreßakte vom 8. und 9. Juny 1815. und die am 5. Novem= | ber 1816. erfolgte Eröffnung des Bundestags, allen europäischen Mächten, mit | [S. 195] Einschluß derjenigen, welche zugleich Glieder des deutschen Bundes sind, und den | Nordamerikanischen Freystaaten förmlich bekannt machen. 2) Die Bekanntmachungs= und nachfolgenden Schreiben werden in sonst übli= | eher Kanzleyform an die Souveraine und Regierung=Behörden der Freystaaten | im Namen des Bundes, unter der Unterschrift und Ausfertigung: der deutsche | Bund, und in dessen Namen, der Kaiserlich Oesterreichische | präsidirende Gesandte der Bundesversammlung, in der französi= | sehen Uebersetzung aber: La confederation germanique, et en son nom, le | Ministre d'Autriche, President de la Diete, erlassen. 3) Die ersten, d. i. die Bekanntmachungs=Schreiben werden in deutscher | Sprache gefaßt und den Begleitungs=Schreiben an die Ministerien der auswärtig | gen Angelegenheiten jener Mächte, an welche diese Bekanntmachungen ergehen, | Abschriften, nach Umständen in lateinischer oder französischer Uebersetzung beygefiigt. 4) In künftigen Schreiben an auswärtige Regierungen wird sich die Bundes= | Versammlung in der deutschen Sprache ausdrücken, übrigens aber zur Beförderung | der Geschäfts=Verhandlung, dort wo es gegenseitig geschieht, zugleich eine fran= | zösische Uebersetzung beylegen. IL Allgemeiner diplomatischer Verkehr von Seiten des deutschen | Bundes. Der allgemeine diplomatische Verkehr von Seiten des deutschen Bundes mit | dem Auslande wird durch die Bundesversammlung besorgt. 1) Dieser diplomatische Verkehr kann schriftlich und mündlich, oder durch | abzuordnende Gesandtschaften geführt werden. Es ist daher nur eigne freye Be= | Stimmung des Bundes, wenn derselbe, unbeschadet des Gesandtschaftsrechts, fiir | dermalen in der Regel keine allgemeinen beständigen Gesandtschaften bey auswärtigen | Höfen und Regierungen zu halten sich entschließt, sondern sich fiir jetzt zum diplo= | matischen Verkehr, theils auf schriftliche und mündliche Mittheilungen, theils auf | außerordentliche Gefandtschaften zu bestimmten Zwecken und Aufträgen beschränkt. 2) Der schriftliche diplomatische Verkehr wird in gleicher Art und mit | Beobachtung gleicher Formen von dem Bundes=Präsidio so besorgt und vollzogen, | [S. 196] wie es unter 2. bey Erlassung des ersten Bekanntmachungs=Schreibens festgesetzt | worden ist, und zwar a) entweder durch Erlassung eines Schreibens an die betreffende auswärtige | Regierung, oder b) durch eine Note an die bey dem deutschen Bunde accreditirte Gesandtschaft | der betreffenden Regierung. Diese schriftlichen Verhandlungen sind in der Regel nur als das Resultat des | Beschlusses der Bundesversammlung anzusehen; da sich jedoch Fälle ergeben kön-

654

§3: Deutscher Bund

[Dok. 3 1 - 8 4 ]

nen, | wo es angemessen seyn möchte, wenn vorerst die erhaltene diplomatische Mitthei= | lung ausnahmsweise nicht sofort der ganzen Versammlung gemacht würde, so wird | die Präsidial=Gesandtschaft dergleichen schriftliche Mittheilungen einem eigends | von ihr zu erbittenden Ausschusse vorlegen, und man wird sich alldort unter eigener | Verantwortung vereinigen, ob und inwiefern jetzt oder noch nicht, die erhaltene | diplomatische Mittheilung an die Gesammtheit bewirkt werden solle. Es versteht | sich von selbst, daß förmliche offizielle Erklärungen oder wirkliche Verhandlungen | diesem Ausschusse nicht zustehen, sondern allerdings der Bundesversammlung vor= | behalten bleiben müssen. Was 3) über den mündlichen diplomatischen Verkehr mit den bey dem deutschen | Bunde accreditirten auswärtigen Gesandtschaften festgesetzt worden ist, enthält die | weiter unten vorkommende Regulirung der Verhandlungen der Bundesversamm= | lung mit erwähnten Gesandtschaften. III. Auswärtige Gesandtschaften bey der deutschen Bundesversamm= | lung, deren Accreditirung, Verhältnisse und Vorrechte. 1) Alle auswärtigen Gesandtschaften jeder Klasse sind als an den deutschen | Bund accreditirt anzusehen. 2) Das in der Wiener Congreßakte vom 9. Juny 1815. aufgeführte Regle= | ment sur le rang entre les agens diplomatiques theilt Art. I. die diplomatischen | Personen in drey Klassen, und für jede Macht wird im Art. V. vorbehalten, ein= | förmige Bestimmungen für jede der drey diplomatischen Klassen festzusetzen. Es | werden daher auch von Seiten des deutschen Bundes Botschafter, Nuntien | [S. 197] und päbstliche Legaten als unmittelbare Repräsentanten der Person ihres | Souverains, folglich als erster Klasse, sodann die Gesandten, welche mit dem | Charakter bevollmächtigter Minister bekleidet sind, als die zweite | Klasse; alle übrigen diplomatischen Agenten aber als zur dritten | Klasse gehörend, angesehen. 3) Jede Regierung kann das Beglaubigungs=Schreiben fur ihre Gesandt^ | schaft an den deutschen Bund in der eigenen National^ oder sonst gefälligen | Sprache fassen, es wird jedoch nebst der mit dem Original jedesmal zu überrei= | chenden Abschrift, auch eine Uebersetzung, entweder in der deutschen, lateinischen | oder französischen Sprache zu übergeben seyn. 4) Die bey dem deutschen Bunde zu accreditirenden Gesandtschaften haben | sich zuvörderst an den präsidirenden Gesandten der Bundesversammlung zu wenden, | und demselben ihr Beglaubigungs=Schreiben in Ur= und Abschrift, auch nach | Beschaffenheit derselben, in der Uebersetzung mitzuteilen. 5) Der präsidirende Gesandte giebt hiervon der Versammlung Kenntniß, | legt ihr die Abschrift des Beglaubigungs=Schreibens und - wenn dasselbe nicht in deutscher Sprache abgefaßt wäre - auch die beyzufügende deutsche, lateinische oder | französtsche Uebersetzung vor. Etwanige Bedenken gegen ein Creditiv=Schreiben können auch einen Gegen= | stand der vertraulichen Besprechung des Bundestags ausmachen. 6) Ist bey dem Beglaubigungs=Schreiben nichts zu erinnern, so werden die | Original=Beglaubigungs=Schreiben der Gesandtschaften jeder Klasse in der Ver= | Sammlung eröffnet, allda verlesen, und die Gesandtschaft als gehörig accreditirt | angenommen. Von der sonach erfolgten Accreditirung wird die Anzeige zu dem | Protokolle der Bundesversammlung gemacht. 7) In Ansehung der üblichen Besuche und Gegenbesuche bleibt es bey dem | allgemeinen Herkommen, wobey nur noch festgesetzt wird, daß den Gesandtschaften | dritter Klasse der erste förmliche Gegenbesuch nur durch Karte gewährt werde.

[34] Bundesbeschluß über die auswärtigen Verhältnisse ... vom 12. Juni 1817

655

8) Das Antwortschreiben an die Regierung auf das Creditiv=Schreiben ist | nach obigen Bestimmungen zu ertheilen und zu fertigen, und zwar in deutscher | Sprache, mit Beifügung einer lateinischen oder französischen Uebersetzung. [S. 198] 9) In Ansehung der gesandtschaftlichen Vorrechte der verschiedenen bey dem | deutschen Bunde accreditirten Gesandtschaften, wird sich die Bundesversammlung | mit dem Senate der freyen Stadt Frankfurt dahin vereinigen, damit denselben die | nämlichen gesandtschaftlichen Rechte gewährt werden, wie solche die Bundesgesandten I genießen. IV. Ueber die Verhandlungsart der deutschen Bundesversammlung | mit den auswärtigen Gesandtschaften. 1) Die Verhandlung mit den accreditirten auswärtigen Gesandtschaften kann | schriftlich oder mündlich geschehen. Dieselbe ist, insofern eine Mittheilung an | die auswärtige Gesandtschaft zu bewirken ist, im Allgemeinen immerhin nur das | Resultat eines Beschlusses der Bundesversammlung, ohne Rücksicht auf die ver= | schiedenen Klassen der Gesandtschaften. In Ansehung der schriftlichen Verhandlungen ist bereits oben IL das | Nähere festgesetzt worden; rücksichtlich der mündlichen Verhandlungen soll zwar | vor allem auch der Präsident in analoger Art das unmittelbare Orrgan der Bun= | desversammlung seyn; jedoch steht es dieser jederzeit frey, einzelne Herren Bundes^ | Gesandte zugleich mit der Präsidial=Gesandtschaft zur mündlichen Verhandlung zu | beauftragen. Bey solchen mündlichen Besprechungen jedoch mit den auswärtigen Gesandt^ | Schäften, in allen jenen Fällen, wo entweder Anträge gemacht, oder Antworten | auf selbige ertheilt werden sollen, ohne deßhalb einen eigentlichen schriftlichen | Notenwechsel einzuleiten, ist zugleich eine Verbal=Note zu übergeben, welche das | Wesentliche der mündlichen Besprechung zu enthalten hat. Ist die Verbal=Note | von dem Präsidium zu ertheilen; so muß selbige vorher der Bundesversammlung, | oder Ausnahmsweise dem bestimmten Ausschusse vorgelegt und alsdann nach der | Vereinigung übergeben werden. 2) Die Bundesversammlung erläßt ihre Noten in deutscher Sprache, und | legt fiir die auswärtigen Regierungen eine Uebersetzung in lateinischer oder franzö= | sischer Sprache bey. [S. 199] 3) Die auswärtigen Gesandtschaften jeder Klasse können ihre Noten nach | Gefallen an den Bund, Bundestag oder das Präsidium richten. 4) Die Präsidial=Gesandtschaft hat in der Regel jede Note oder Eröffiiung | von einer auswärtigen accreditirten Gesandtschaft in der nächsten ordentlichen, oder | nach Befinden außerordentlichen Sitzung zur Kenntniß der Bundesversammlung zu | bringen; es wird jedoch auch in dieser Beziehung, so wie unter IL 2) beschlossen | worden ist, das Präsidium Ausnahmsweise ermächtiget, in geeigneten Fällen von | der erhaltenen Note oder Eröffiiung einem zu erbittenden Ausschusse die erste | Mittheilung zu machen. V. Abberufung und Beendigung der fremden Gesandtschaften. 1) Die allgemein üblichen Formen, Gebräuche und rechtlichen Verhältnisse | treten auch hinsichtlich der bey dem deutschen Bunde accreditirt gewesenen aber | zu-

656

§3: Deutscher Bund

[Dok. 3 1 - 8 4 ]

rückberufenen, oder sonst beendigten fremden Gesandtschaften ein. Insbesondere | wird es, 2) in Ansehung des Recreditivs eben so, wie bey dem Creditive und dessen | Uebergabe gehalten. 3) Nicht nur im Falle eines ausbrechenden Kriegs mit dem deutschen Bunde, | sondern auch sonst im Allgemeinen, ist die bey demselben accreditirt gewesene und | jetzt abreisende Gesandtschaft auf Verlangen von dem Bundestage mit einem Passe | zu versehen, und genießt dadurch auf der Reise in allen Bundesstaaten den in ana= | logen Fällen üblichen völkerrechtlichen Schutz. Die Bundesversammlung behält sich übrigens in einzelnen Fällen, wie sie es | fiir rathsam hält bevor, auch diejenige deutsche Regierung, durch deren Gebiet die | Gesandtschaft reisen wird, im Voraus davon zu benachrichtigen, sowohl um diese | selbst gegen etwanige Gefährde zu schützen, als auch damit der durchreisenden | Gesandtschaft, nach dem Verlangen der Bundesversammlung, das gehörige Geleit | ohne allen Anstand gegeben werde. Indem die Bundesversammlung diese unter den fünf Haupt=Abtheilungen | aufgestellten Bestimmungen vorerst fiir zureichend erkennt, um den deutschen Bund | bey dem Auslande als constituirt bekannt zu machen, und desselben diplomatischen | [S. 200] Verkehr ordentlich zu regeln; so werden die etwa in einem oder dem andern Punkte | noch erforderlich oder zweckmäßig werdenden zufalligen oder besondem Bestimmungen | den einzelnen Anordnungen vorbehalten, wie sich im Laufe der Zeit, nach Bedürfe | nissen und eintretenden oft augenbhcklichen Verhältnissen, die Veranlassung hiezu | ergiebt.

[35] Austrägalordnung des Deutschen Bundes, „bestehend aus der Vermittlungs-Ordnung und der Austrägalgerichts-Ordnung in Streitigkeiten zwischen Bundesgliedern" vom 16. Juni 1817 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einführungen" die Darstellungen unter [86.] und [103]. Quelle: Protokolle der deutschen Bundes-Versammlung, 35. Sitzung vom 16. Juni 1817, § 2 3 1 , 8 . 2 0 8 - 2 1 2 (gedruckt). Sonstige Fundstellen: E. R. Huber (Hrsg.), Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte, Bd. 1: Deutsche Verfassungsdokumente 1803-1850, 3. Aufl., Stuttgart 1978, Nr. 37; P. A. G. Meyer (Hrsg.), Corpus Juris Germaniae Confoederationis oder Staatsacten für Geschichte und öffentliches Recht des Deutschen Bundes, Teil II (Beschlüsse der deutschen Bundesversammlung), 3. Aufl., 1859, S. 4 7 - 4 9 . [S. 208] §.231. Vermittlung der Bundesversammlung bey Streitigkeiten der | Bundesglieder unter sich, und Aufstellung einer wohl= | geordneten Austrägal=Instanz.

[35] Austrägalordnung des Deutschen Bundes ... vom 16. Juni 1817

657

Beschluß:^ Die verbündeten souverainen Fürsten und freyen Städte Deutschlands haben | die schon in der Wesenheit des deutschen Bundes, als eines mit einem gemeinschaft^^ | liehen Nationalbande verbundenen Staatenvereins, gegründete Verpflichtung durch | den XL Artikel** der Bundesakte ausdrücklich übernommen, sich unter einander unter | keinerley Vorwande zu bekriegen, noch ihre Streitigkeiten mit Gewalt zu verfolgen, | sondern sie bey der Bundesversammlung anzubringen. Zur Verfolgung dieses Bundeszweckes und zur Erfüllung der in der Bundes^ | akte hierüber noch besonders übernommenen Pflichten hat die Bundesversammlung | Folgendes festgesetzt: I. ^Die Bundesversammlung ist diejenige Behörde, bey welcher alle und jede | Streitigkeiten der Bundesglieder unter sich anzubringen sind. ^Es versteht sich | jedoch von selbst, daß den Bundesgliedem überlassen bleibe, auch ohne Zutritt | der Bundesversammlung die gütliche Ausgleichung ihrer Streitigkeiten unter sich zu | treffen, und sich einander die Austräge zu gewähren; indem die Thätigkeit der | Bundesversammlung nur dann eintritt, wenn sich die Bundesglieder über einen | streitigen Gegenstand auf keine Art unter sich einigen können. IL Wenn eine Streitigkeit mit gehöriger Darstellung der Ansprüche des | Beschwerde=fuhrenden Theils wirklich angebracht worden ist, so wird die Bundes^ | Versammlung vor allem die Vermittlung unter den streitenden Theilen, a) durch einen Ausschuß versuchen, welcher aus zwey, und nach Befinden | auch aus mehreren Bundesgesandten besteht. | [S. 209] Dabey wird sie nach Beschaffenheit der jedesmaligen Umstände ermessen, | ob und wie fem eine Zeitfrist zur Erledigung des Vermittelungsgeschäfts von ihr vor= | geschrieben werden soll. Jedem der zwistigen Theile steht es jedoch frey, bey der | Bundesversammlung auf eine Fristsetzung anzutragen. | Die Bundesversammlung macht die Ernennung des Ausschusses den Parteien | bekannt. b) Der Ausschuß wird hierauf, unter Bestimmung eines kurzen Termins, | von dem beklagten Theile gleichfalls eine Darstellung der Sache und seiner Ein= | reden begehren, um in Vergleichung derselben mit der Darstellung des Klägers, | angemessene Vorschläge zu gütlicher Beylegung der entstandenen Streitigkeit ent= | werfen zu können. c) Sodann wird derselbe einen Termin zum Versuch der Güte ansetzen und | sich bemühen, einen Vergleich zu Stande zu bringen. Bey eintretenden Schwierig= | keiten wird der Ausschuß, so wie überhaupt von dem Erfolge, der Bundesvep= | Sammlung Bericht erstatten.

An der Sitzung nahmen folgende Gesandte teil: von Buol-Schauenstein (für Österreich), von der Goltz (fiir Preußen), von Aretin (für Bayern), von Schlitz (für Sachsen), von Martens (für Hannover sowie für Braunschweig und Nassau), von Wangenheim (für Württemberg), von Berckheim (für Baden), von Lepel (für Kurhessen), von Hamier (für Hessen-Darmstadt), von Eyben (für Dänemark wegen Holstein und Lauenburg), von Grünne (für die Niederlande wegen Luxemburg), von Hendrich (für Großherzogtum und Herzogtümer Sachsen), von Plessen (für Mecklenburg), von Berg (für Oldenburg, Anhalt und Schwarzburg), von Leonhardi (für Hohenzollem, Liechtenstein, Reuß, Schaumburg-Lippe, Lippe und Waldeck), Senator Smidt (für Lübeck, Frankfurt, Bremen und Hamburg). Dok.31.

658

§ 3: Deutscher Bund

[Dok. 31 - 84]

d) Die Vergleichsurkunde wird in Urschrift, die gegenseitigen Ratifikations= | Urkunden aber werden in beglaubter Abschrift in dem Bundesarchive niedergelegt, | und der Bund übernimmt die Garantie des Vergleichs. III. ^Wenn der Vermittelungsversuch bey Streitigkeiten der Bundesglieder unter | sich ohne Erfolg bleibt, und daher eine richterliche Entscheidung erfolgen muß, so | wird vor der Hand festgesetzt, daß um dem Bedürfhisse des Augenblicks abzuhelfen, | für jeden vorkommenden Fall eine Austrägal=Instanz gebildet werde. ^Was aber den | Vorschlag wegen Errichtung einer permanenten Austrägal=Commission betrifft, so | wird derselbe nicht als aufgegeben betrachtet, sondern sich vorbehalten, nach dem | Gange der Erfahrungen, welche sich bey Anwendung des gegenwärtigen Beschlusses | im Laufe der Zeit ergeben dürften, den ersten Antrag in erneuerte Proposition zu 1 bringen. Die Art und Weise der Aufstellung der vor der Hand angenommenen, erst | für jeden vorkommenden Fall zu bildenden Austrägal=Instanz wird folgendermaßen | bestimmt: 1) Ausgegangen von dem Artikel XL der deutschen Bundesakte^ und dem wür= | devollen Standpunkte sämmtlicher deutschen Regierungen, kann die deutsche Bun= | [S. 210] desVersammlung nur sich selbst und keine auswärtige Behörde unmittelbar als Austrä= | gal=Instanz erkennen. 2) Wenn der zur Vermittlung der Streitigkeiten angeordnet gewesene Aus= | schuß die Anzeige von dem mißlungenen Versuche bey der Bundesversammlung | gemacht hat, so hat binnen vier bis sechs Wochen, von dem Tag der Anzeige an | gerechnet, der Beklagte dem Kläger drey unparteyische Bundesglieder vorzuschlagen, | aus welchen dieser eines binnen gleicher Frist wählet. | Geht jene Frist vorüber, ohne daß der Beklagte drey vorschlägt, so geht dieses | dreyfache Vorschlagsrecht an die Versammlung des Bundestags über, woraus als= | dann der Kläger einen zu wählen hat. 3) Die dritte oberste Justizstelle des auf eine oder die andere Art gewählten | Bundesgliedes ist hiemächst als die gewählte AusträgaWnstanz zu betrachten, welche | im Namen und anstatt der Bundesversammlung, so wie vermöge | Auftrags derselben handelt; und die Bundesversammlung hat dem gewählten Ge= | richtshofe diese seine Bestimmung nicht nur bekannt zu machen, sondern ihm auch | unter Mittheilung der Vergleichsverhandlungen, förmlichen Auftrag zur Vollzie= | hung der Bundesakte als AusträgaMnstanz zu ertheilen. | Sämmtliche dritte oberste Justizstellen der deutschen Bundesglieder sind sonach | als solche zu betrachten, aus denen in obiger Weise die Austrägal=Instanz gewählt | und sodann die bestimmt gewählte von der Bundesversammlung förmlich dazu | beauftragt wird. 4) Die Übernahme des Austrägal=Auftrages von der bestimmten dritten ober= | sten Justizstelle ist als Bundespflicht anzusehen. Nur ganz besondere, der Bundes= | Versammlung etwa unbekannt gewesene Verhältnisse, welche eine völlige Unfähigkeit I der Instanz=Uebemahme enthalten, können zur Entschuldigung dienen, sind aber | binnen 14 Tagen, von dem Tage des erhaltenen Auftrages, bey der Bundesver= I Sammlung vorzubringen. | Da nach dem Artikel XII. der Bundesakte** alle Staaten des Bundes künftig | ein eignes oder gemeinschaftliches Gericht dritter Instanz haben müssen; so kann | auch jedes Bundesglied erkohren werden, welches ein eignes oder auch nur ein | gemeinsames Gericht dritter Instanz hat. | [S. 211] Wenn ein Bundesglied erwählt wird, in dessen Staaten mehrere Gerichte | dritter In-

Dok.31. Dok. 31.

[35/1] Bundesbeschluß ... vom 3. August 1820

659

stanz bestehen, und der Kläger hat sich über die Wahl der Gerichts stelle | nicht ausgesprochen, so wird die Bundesversammlung diese Auswahl treffen. 5) Der also eintretende oberste Gerichtshof hat sodann die Angelegenheit zu instruiren; | besteht derselbe aus mehreren Senaten, so hat er diese Austrägal=Sache in pleno I zu verhandeln und das Urtheil, es sey ein definitives oder ein Zwischen=Erkenntniß, | zu schöpfen. In letzterem Falle wird die Instruction bey demselben Gerichtshofe | fortgesetzt. In ersterem aber wird das geschöpfte Erkenntniß vor demselben ober= | sten Gerichtshofe ausdrücklich im Namen und aus Auftrag des Bun= | des den Partheien eröffnet, und der Gerichtshof überschickt demnächst dem Bundes= | tage die Akten und das Erkenntniß, um auf dessen Befolgung halten zu können. 6) Die Instruction des Processes geschieht nach der Proceß=Ordnung, | welche der betreffende oberste Gerichtshof überhaupt beobachtet, und ganz in selbiger | Art, wie die sonstigen alldort zu instruirenden Rechtssachen verhandelt werden. 7) Das Erkenntniß in der Hauptsache selbst aber erfolgt, in Ermangelung | besonderer Entscheidungsquellen, nach den in Deutschland hergebrachten gemeinen | Rechten. 8) Das Erkenntniß in der Hauptsache muß längstens binnen Jahresfrist, | vom Tage der überreichten ersten Klage oder Beschwerdeschrift, erfolgen. | Sollte es ausnahmsweise nicht thunlich seyn, so hat der oberste Gerichtshof | als AusträgaHnstanz einen Bericht an die Bundesversammlung zu erstatten, die | Gründe eines nothwendig geglaubten längeren Verzugs anzuzeigen, und die Be= | willigung oder Mißbilligung vom Bundestage zu empfangen. 9) Das Erkenntniß ist gemäß des Art. XI. der Bundesakte^ für die streitenden | Theile verbindlich. Es wird jedoch dem Rechtsmittel der Restitution ex capite | novorum Statt gegeben, welches von dem Zeitpunkt der aufgefundenen novorum | an, binnen vier Jahren anzubringen ist. 10) Das Restitutionsmittel ist bey der Bundesversammlung anzukündigen, und | diese übersendet solches dem obersten Gerichtshofe, an welchem die Sache zum ersten= | male verhandelt und entschieden ward, wo sodann über die Statthaftigkeit oder | UnStatthaftigkeit des Rechtsmittels selbst gesprochen wird, und die neu zu verhandelnde I Rechtsangelegenheit wieder zu instruiren und zu entscheiden ist. [S. 212] 11) Was übrigens die näheren Bestimmungen bey Anwendung und Ausfiih= | rung dieses Rechtsmittels, den Restitutions=Eid, so wie überhaupt das ganze | Austrägal Verfahren mit Einschluß der Vollziehungs=Ordnung und des Kosten= | punkts u. d. gl. betrifft, so behält sich die Bundesversammlung vor, demnächst | hierüber einen besondem Beschluß zu fassen.

[35/1] Bundesbeschluß über das bei der Aufstellung der Austrägalinstanzen zu beobachtende Verfahren vom 3. August 1820 Quelle: Protokolle der deutschen Bundesversammlung, Plenarversammlung vom 3. August 1820, § 2, S. 219 - 222 (gedruckt). Sonstige Fundstelle: P. A. G. Meyer (Hrsg.), Corpus Juris Germaniae Confoederationis oder Staatsacten für Geschichte und öffentliches Recht des Deutschen Bundes, Teil II (Beschlüsse der deutschen Bundesversammlung), 3. Aufl., 1859, S. 111-112.

^ Dok.31.

660

§ 3: Deutscher Bund

[Dok. 31 - 84]

[S. 219] 2. Das bei Aufstellung der Austrägal=Instanzen zu beobachtende Verfah= | ren betreffend. Präsidium trägt vor: Die Bundesversammlung hat nicht nur bereits in der 35. Sitz. | 1817 §.231 über die Vermittelung bei Streitigkeiten der Bundesglieder unter sich, und | Aufstellung einer wohlgeordneten Austrägal=Instanz, einen vorläufigen Beschluß gefaßt, | sondern auch in der 35. Sitzung 1819 §. 219, unter den Gegenständen, welche zur In= | structions=Einholung und definitiven Beschlußnahme nach Wiedereröffnung der Sitzungen | besonders ausgesetzt worden, als den ersten derselben diesen Gegenstand ausgezeichnet. [S. 220] Die zwischen den Bevollmächtigten sämmtlicher Bundesregierungen in Wien veranlaß= I ten Ministerial=Conferenzen haben in erfi-eulicher Uebereinstimmung auch diese Angelegenheit | ihrer Reife zugeführt, und als Resultate ihrer Berathungen sind die Grundbestimmungen I darüber in der Schlußacte Artikel 21 bis 24^ niedergelegt. Da zugleich in dem Artikel 21, zu Ertheilung näherer Vorschriften, in Folge der an | die Bundestagsgesandten zu erlassenden Instructionen, noch die Fassung eines besondem | Beschlusses vorbehalten wurde, dessen Inhalt dieselbe verbindliche Kraft, wie die Schluß= | acte selbst, haben, auch in eben der Art, wie diese, zum Bundesbeschluß erhoben werden | soll; so bin ich von meinem allerhöchsten Hofe angewiesen, die zu diesem Ende abgefaßten, I nachstehenden eilf Artikel, welche die bereits in die Schlußacte aufgenommenen ebenfalls in | sich begreifen, der verehrlichen Bundesversammlung mit dem Antrage vorzulegen, daß diese | Bestimmungen, in Gemäßheit der getroffenen Abrede und der von sämmtlichen Gesandt= | Schäften im Namen ihrer hohen Committenten hier abzulegenden Erklärungen, in eben der | Art, wie die Schlußacte, durch gleichförmige Zustimmung zum Bundestags=Beschluß er= | hoben werden möchten. Artikel 1. Die Bundesversammlung hat in allen, nach Vorschrift der Bundesacte** bei ihr anzu= | bringenden Streitigkeiten zwischen den Bundesgliedem, wenn die vorgängige Vermittelung ohne I Erfolg geblieben ist, die Entscheidung durch eine Austrägal=Instanz zu veranlassen, und I dabei, so lange nicht wegen der Austrägalgerichte überhaupt eine anderweite Uebereinkunft | statt gefunden hat, die in dem Bundestags=Beschlusse vom 16. Juni 1817*^ enthaltenen Vor= I Schriften zu beobachten. Artikel 2. ^Wenn, nach Anleitung des Bundestags=Beschlusses vom 16. Juni 1817**, der oberste | Gerichtshof eines Bundesstaats zur Austrägal=Instanz gewählt ist; so steht demselben die | Leitung des Prozesses und die Entscheidung des Streits, in allen seinen Haupt= und Neben= I puncten, uneingeschränkt und ohne alle weitere Einwirkung der Bundesversammlung oder I der Landesregierung zu. "^Letztere wird jedoch, auf Ansuchen der Bundesversammlung oder I der streitenden Theile, im Falle einer Zögerung von Seiten des Gerichts, die zur Befor= | derung der Entscheidung nöthigen Verfugungen erlassen. Artikel 3. ^Zur Theilnahme an einem Rechtsstreit unter Bundesstaaten kann ein drittes Bundes^ | glied vor das erwählte Austrägalgericht nur dann zugelassen werden, wenn das Gericht eine I wesentliche Verbindung der Rechtsverhältnisse desselben mit dem anhängigen RechtsDok. 43. Dok. 31. Dok. 35. Dok. 35.

[35/1] Bundesbeschluß ... vom 3. August 1820

661

streit an= | [S. 221] erkennt. ^Auch eine Wiederklage hat nur in diesem Falle bei dem erwählten Austrägalgerichte | statt, und nur, wenn sie sogleich bei der Einlassung auf die Vorklage angebracht wird. Artikel 4. Wo keine besondem Entscheidungs=Normen vorhanden sind, hat das Austrägalgericht | nach den in Rechtsstreitigkeiten derselben Art vormals von den Reichsgerichten subsidiarisch I befolgten Rechtsquellen, in so fem solche auf die jetzigen Verhältnisse der Bundesglieder noch I anwendbar sind, zu erkennen. Artikel 5. Dem im Namen der Bundesversammlung abzufassenden Erkenntnisse sollen jederzeit die I vollständigen Entscheidungsgründe beigefugt werden. Ueber den Kostenpunct soll das erwählte Austrägalgericht nach gemeinrechtlichen | Grundsätzen erkennen, und bei deren Bestimmung die ihm vorgeschriebene Taxordnung be= I folgen, ohne weitere Gebühren in Ansatz zu bringen. Artikel 6. ^Die Austrägal=Erkenntnisse sind sofort nach ihrer Eröffnung als rechtskräftig anzusehen I und zu befolgen. ^Jedoch ist die Restitution wegen neu aufgefundener Thatsachen und Be= I weismittel zulässig. ^Sie muß aber innerhalb vier Jahren, vom Tage der Auffindung an I gerechnet, nachgesucht, und es kann dadurch die Vollziehung des Austrägal=Erkenntnisses nicht | aufgehalten werden. Artikel 7. Ueber die Zulässigkeit der Restitution und über die Erheblichkeit und rechtliche Wirkung I der neu aufgefunden Thatsachen und Beweismittel, hat derselbe Gerichtshof zu erkennen, I welcher die Entscheidung in der Sache gefaßt hat. Artikel 8. ^Die Ableistung des Restitutions=Eides geschieht bei dem Austrägalgerichte, durch den Vor= I stand derjenigen Behörde, unter deren Aufsicht und Genehmigung die Restitution nachge= | sucht wird, und von demjenigen Beamten des die Restitution nachsuchenden Theils, welcher | die Sache bearbeitet hat, entweder in Person, oder durch Special=Bevollmächtigte. ^Sind | mehrere dabei verwendet worden; so soll dem andern Theile frei stehen, den zu benennen, | welcher den Restitutions=Eid abzustatten hat. Artikel 9. ^Die Bundesversammlung verfugt die Vollziehung der Bundes=Austrägal=Erkenntnisse, | in so fem denselben nicht sofort oder nicht vollständig Folge geleistet wird. ^Fallen bei der | ^S*. 222] Vollziehung noch Streitigkeiten vor, welche eine richterliche Entscheidung erfordem; so steht | diese dem Austrägalgerichte zu, welches das zu vollziehende Erkenntniß gefaßt hat. Artikel 10. Es steht übrigens den Bundesgliedem frei, für ihre Streitigkeiten, sowohl in einzelnen | vorkommenden Fällen, als auch für alle künftigen Fälle, wegen besonderer Austräge oder | Compromisse übereinzukommen, wie denn auch frühere Familien^ oder Vertrags=Austräge I durch Errichtung der Bundes=Austrägal=Instanz nicht aufgehoben, noch abgeändert werden.

662

§ 3: Deutscher Bund

[Dok. 3 1 - 8 4 ]

Artikeln. Die Bundesversammlung wird, in Beziehung über das Verfahren bei Streitigkeiten | der Bundesglieder unter sich, eine Revision des Bundestags=Beschlusses vom 16. Juni 1817^ | vornehmen, wobei jedem Bundesgliede weitere zweckmäßige Ergänzungen in Antrag zu brin= | gen überlassen bleibt. Umfrage. Oesterreich. Die Kaiserlich^Königliche Gesandtschaft hat den Auftrag erhalten, | die Zustimmung und Genehmigung ihres allerhöchsten Hofes zu Protokoll zu erklären, damit | die vorgelegten eilf Artikel über die Austrägal=Instanz, nach der getroffenen Verabredung, I auf gleiche Weise, wie die Schlußacte selbst, zum Bundesgesetz erhoben werden mögen. Sämmtliche übrigen Stimmen traten, wie Oesterreich, der Präsidial=Proposition unbe= I dingt bei; daher | Beschluß:^ Die von den Bevollmächtigten sämmtlicher Bundesstaaten in den Ministerial^ Conferen= | zen zu Wien verabredeten, in eilf Artikeln aufgezeichneten Bestimmungen über das bei Aufstel= | lung der Austrägal=Instanzen zu beobachtende Verfahren, werden hiermit, in eben der Art, | wie die Schlußacte*^ selbst, durch gleichförmige Zustimmung zum Bundestags=Beschluß erhoben.

[36] Bundesbeschluß über die Nachsteuer und Abzugsfreiheit vom 23. Juni 1817 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einführungen" die Darstellung unter [242.]. Quelle: Protokolle der deutschen Bundes-Versammlung, 37. Sitzung vom 23. Juni 1817, § 254, S. 262 - 264 (gedruckt). Sonstige Fundstelle: P. A. G. Meyer (Hrsg.), Corpus Juris Germaniae Confoederationis oder Staatsacten für Geschichte und öffentliches Recht des Deutschen Bundes, Teil II (Beschlüsse der deutschen Bundesversammlung), 3. Aufl., 1859, S. 49 - 50. [S. 262] §. 254. Nachsteuer= und Abzugsfreyheit. Präsidium: wolle den in der letzten vertraulichen Sitzung verlesenen Ent= | wurf Beschlusses über die Nachsteuer^ und Abzugsfreyheit heute zu Protokoll geben | und vernehmen, ob derselbe angenommen werde.

Dok. 35. An der Sitzung nahmen folgende Gesandte teil: von Buol-Schauenstein (für Österreich), von Martens (für Preußen), von Aretin (für Bayern), von Globig (für Sachsen), von Martens (fur Hannover), von Wangenheim (für Württemberg), von Eyben (für Baden sowie für Dänemark wegen Holstein und Lauenburg), von Lepel (für Kurhessen), von Hamier (für Hessen-Darmstadt), von Grünne (für die Niederlande wegen Luxemburg), von Beust (für Großherzogtum und Herzogtümer Sachsen), von Marschall (für Braunschweig und Nassau), von Plessen (für Mecklenburg), von Berg (für Oldenburg, Anhalt und Schwarzburg), von Leonhardi (für Hohenzollem, Liechtenstein, Reuß, Schaumburg-Lippe, Lippe und Waldeck), Smidt (für Lübeck und Bremen), Danz (für Frankfiirt), Gries (für Hamburg). Dok. 43.

[36] Bundesbeschluß über die Nachsteuer und Abzugsfreiheit vom 23. Juni 1817

663

Der Entwurf Beschlusses wurde verlesen, und sämmtliche Stimmen erklärten | sich vollkommen damit einverstanden, daher | Beschluß:^ Die deutsche Bundesversammlung hat in Erwägung gezogen, daß unter den, | in dem Artikel 18. der Bundesakte** den Unterthanen der deutschen Bundesstaaten | zugesicherten Rechten, die unter Buchstaben c.) erwähnte Freyheit von aller Nach= | Steuer, insofern das Vermögen eines Unterthans in einen andern deutschen Bun= | desstaat übergeht, noch näherer Bestimmungen bedürfe, und hat zu dem Ende | festgesetzt, wie folgt: 1) Die Nachsteuer^ und Abzugsfreyheit von dem aus einem Lande in das | andere gebracht werdenden Vermögen bezieht sich auf alle deutsche Bundes= | Staaten gegen einander. 2) Jede Art von Vermögen, welches von einem Bundesstaat in den | andern übergeht, es sey aus Veranlassung einer Auswanderung, oder aus dem | Grunde eines Erbschafts=Anfalls, eines Verkaufs, Tausches, einer Schenkung, | Mitgift oder auf andere Weise, ist unter der bundesvertragsmäßigen Abzugsfreyheit | begriffen; und [S. 263] 3) Jede Abgabe, welche die Ausfuhr des Vermögens aus einem zum | Bunde gehörenden Staate in den andern, oder den Uebergang des Vermögens^ | Eigenthums auf Angehörige eines andern Bundesstaats beschränkt, wird für aufge= | hoben erklärt. Dagegen ist unter dieser Freyzügigkeit nicht begriffen, jede Abgabe, welche | mit einem Erbschafts=Anfall, Legat, Verkaufe, einer Schenkung u. d. gl. verbun= | den ist, und ohne Unterschied, ob das Vermögen im Lande bleibt oder hinauszogen | wird, ob der neue Besitzer ein Inländer oder ein Fremder ist, bisher entrichtet | werden mußte, namentlich Collateral=Erbschaftssteuer, Stempelabgabe u. d. gl.; | auch Zollabgaben werden durch die Nachsteuer=Freyheit nicht ausgeschlossen. 4) Die zum Vortheile der in einzelnen Staaten oder Gemeinden bestehenden | Schuldentilgungs=Kassen, oder überhaupt wegen der Communal=Schulden einge= | führten Abzüge von auswanderndem Vermögen werden durch den Artikel 18. der | Bundesakte als aufgehoben angesehen. Manumissionsgelder, da wo die Leibeigenschaft oder Hofhörigkeit noch zur | Zeit besteht, sind insofern sie nur von den aus einem Bundesstaate in den andern | auswandernden Unterthanen zu entrichten wären, unter der Nachsteuer=Freyheit | begriffen. 5) Was den Loskauf von der Militär=Pflichtigkeit in Hinsicht auf die Frey= | zügigkeit anlangt, so behält sich die Bundesversammlung eine fernere Uebereinkunft | bis zur Festsetzung der Militär=Verhältnisse des Bundes überhaupt und der damit | in unmittelbarer Verbindung stehenden Anordnungen über die Militär=Pflichtig= | keit im allgemeinen vor. 6) Die durch die Bundesakte festgesetzte Nachsteuer= und Abzugsfreyheit findet | ohne Unterschied Statt, ob die Erhebung dieser Abgabe bisher dem landesherrlichen | Fiscus, den Standesherren, den Privat^Berechtigten, Communen oder Patri= | monial=Gerichten zustand; und die ausgesprochene Aufhebung aller und jeder Nach= |

An der Sitzung nahmen folgende Gesandte teil: von Buol-Schauenstein (für Österreich), von der Goltz (für Preußen), von Aretin (fiir Bayern), von Schlitz (für Sachsen), von Martens (für Hannover sowie für Braunschweig und Nassau), von Wangenheim (für Württemberg), von Berckheim (für Baden), von Lepel (für Kurhessen), von Hamier (für Hessen-Darmstadt), von Eyben (für Dänemark wegen Holstein und Lauenburg), von Grünne (für die Niederlande wegen Luxemburg), von Hendrich (für Großherzogtum und Herzogtümer Sachsen), von Plessen (für Mecklenburg), von Berg (für Oldenburg, Anhalt und Schwarzburg), von Leonhardi (für Hohenzollem, Liechtenstein, Reuß, Schaumburg-Lippe, Lippe und Waldeck), Smidt (für Lübeck, Frankfurt, Bremen und Hamburg). Dok.31.

664

§ 3 : Deutscher Bund

[Dok. 3 1 - 8 4 ]

Steuer kann keinen Grund zu einer Entschädigungs=Forderung an den Landes= | herm für die den Berechtigten entgehende Einnahme abgeben. Auch die Art der Verwendung des Abzugsgefälls kann keinen Grund | darleihen, dasselbe gegen die Bestimmungen der Bundesakte bestehen zu lassen. [S. 264] 7) Die besonderen Freyzügigkeits=Verträge werden, insoweit sie dasjenige, | was die Bundesakte und dieser Beschluß der Bundesversammlung über die Freyheit | von aller Nachsteuer enthält, begünstigen, erleichtem oder noch mehr ausdehnen, | auch künftig aufrecht erhalten, und dergleichen Verträge bestehen also, insofern | als sie den in der Bundesakte und in dem gegenwärtigen Beschlüsse aufgestellten | Normen nicht entgegen sind. 8) Als allgemein geltender Termin, von welchem an die völlige Nachsteuer^ | Freyheit von allem auswandernden Vermögen in den deutschen Bundesstaaten | Statt haben soll, wird der erste Julius dieses Jahres festgesetzt, unbeschadet jedoch | der günstigeren Bestimmungen, welche theils aus Verträgen verschiedener Bundes= | Staaten unter sich, theils aus landesherrlichen Verordnungen einzelner Regierungen | hervorgegangen sind. Es wird übrigens der Zeitpunkt der Vermögens=Exportation und des Ver= | zichts auf das Unterthansrecht zur Richtschnur angenommen.

[37] Bundesbeschluß über die „Provisorische IVIatrikel auf fünf Jahre" vom20. August 1818 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einfuhrungen" die Darstellung unter [203.]. Quelle: Protokolle der deutschen Bundes-Versammlung, 43. Sitzung vom 20. August 1818, §210, S. 135-139 (gedruckt). Sonstige Fundstelle: P. A. G. Meyer (Hrsg.), Corpus Juris Germaniae Confoederationis oder Staatsacten für Geschichte und öffentliches Recht des Deutschen Bundes, Teil II (Beschlüsse der deutschen Bundesversammlung), 3. Aufl., 1859, S. 68. [S. 135] . . . §210. Matrikel des deutschen Bundes ,..[S. 137] ... Beschluß:^ 1) Die von den Bundesgliedem angegebene Volkszahl ihrer Bundesstaaten wird auf I die nächsten fünf Jahre provisorisch als Bundes=Matrikel angenommen, und zwar nach | der provisorisch bestehenden Stimmenordnung in Pleno, mit Vorbehalt weiterer Bestimmung | für Hessen=Homburg:

An der Sitzung nahmen folgende Gesandte teil: von Buol-Schauenstein (für Österreich), von der Goltz (für Preußen), von Aretin (für Bayern), von Martens (für Sachsen und Hannover), von Wangenheim (für Württemberg), von Berckheim (für Baden), von Lepel (für Kurhessen), von Hamier (für Hessen-Darmstadt), von Eyben (für Dänemark wegen Holstein und Lauenburg), von Grünne (für die Niederlande wegen Luxemburg), von Hendrich (für Großherzogtum und Herzogtümer Sachsen), von Marschall (für Braunschweig und Nassau), von Plessen (für Mecklenburg), von Berg (für Oldenburg, Anhalt und Schwarzburg), von Leonhardi (für Hohenzollem, Liechtenstein, Reuß, Schaumburg-Lippe, Lippe und Waldeck), Smidt (für Lübeck, Frankfurt, Bremen und Hamburg).

[37] Bundesbeschluß über die „Provisorische Matrikel..." vom 20. August 1818

665

[S. 138] Bundesstaaten. Oesterreich Preussen Sachsen Baiem Hannover Württemberg . . Baden Kurhessen Großherzogthum Hessen Holstein und Lauenburg Luxemburg Braunschweig Mecklenburg=Schwerin Nassau Sachsen=Weimar " Gotha " Coburg " Meiningen " Hildburghausen Mecklenburg=Strelitz Holstein=01denburg Anhalt=Dessau " Bemburg " Cöthen Schwarzburg=Sondershausen Rudolstadt Hohenzollem=Hechingen Liechtenstein Hohenzollem=Sigmaringen Waldeck Reuß, ältere Linie Latus

Seelenzahl. 9,482,227 7,923,439 1,200,000 3,560,000 1,305,351 1,395,426 1,000,000 540,000 619,500 360,000 214,058 209,600 358,000 302,769 201,000 185,682 80,012 54,400 29,706 71,769 217,769 52,947 37,046 32,454 45,117 53,937 14,500 5,546 35,560 51,877 22,255 29,661,983

[S. 139] Bundesstaaten. Transport Reuß jüngere Linie Schaumburg=Lippe Lippe Hessen=Homburg Lübeck Frankfurt Bremen Hamburg Summa

Seelenzahl. 29,661,983 52,205 24,000 69,062 20,000 40,650 47,850 48,500 129,800 30,094,050

2) Diese Matrikel gilt als Regel sowohl fur Mannschaftsstellungen als Geldleistungen, I mit alleiniger Ausnahme der anders vertheilten Bundes=Canzleikosten.

666

§ 3: Deutscher Bund

[Dok. 31 - 84]

3) Die Grundsätze, womach die definitive, nach fünf Jahren einzuführende Matrikel I bearbeitet werden soll, wird eine demnächst eigends zu wählende Commission begutachten; | die Bundesversammlung wird solche noch vor Ablauf der fünfjährigen Frist erörtern, und | durch weitere Beschlußnahme sich über eine definitive Matrikel vereinigen. Folgen die Unterschriften,

[37/1] Korrektur der Bevölkerungsangaben durch Luxemburg und Kurhessen vom 4. Februar 1819 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einführungen" die Darstellungen unter [75.] und [203.]. Quelle: Protokolle der deutschen Bundes-Versammlung, 3. Sitzung vom 4. Februar 1819, § 19, S. 5 5 - 5 6 (gedruckt). [S.

55]...

§.19. Matrikel des deutschen Bundes. Niederlande, wegen des Großherzogthums Luxemburg. Erhaltener aller= | höchsten Weisung gemäß, ist der Königlich=Niederländische, Großherzoglich=Luxemburgische | Bundestagsgesandte in den Stand gesetzt, die, vermöge des §. 95 der 19. vorjährigen | Sitzung von der Bundesversammlung ausgesprochenen Wunsches: „daß ein jeder Bundesstaat, nach seiner besten Wissenschaft, die officielle Angabe | „der dermaligen Volkszahl seines Gebiets, in dem umfassendsten Sinne des Worts, | „bald möghchst einsenden möge", seiner Zeit abgegebene Erklärung, in Betreff der Population des Großherzogthums Luxemburg, I dahin zu berichtigen und zu vervollständigen, daß dieselbe, nach den dem Großherzogthum I durch den Wiener Congreß verliehenen Grenzbestimmungen, und in Verfolg einer neuerdings | [S. 56] von Staats wegen befohlenen und vollstreckten Zählung, nicht 214,058, sondern vielmehr | 255,628 Seelen betrage, wodurch demnach der Gesammtzahl eine Erhöhung von 41,570 | Seelen zuwächst. Kurhessen. Um die Abfassung einer Bundesmatrikel nicht aufzuhalten, ist Kurhessi= | scher Seits im vergangenen Frühjahr nachgegeben worden, daß die aus statistischen Werken I entlehnte runde Summe von 540,000 als die Bevölkerung der Kurhessischen Staaten ange= | nommen werde, ungeachtet sie die Volkszahl, wie solche sich aus freilich zum Theil älteren | Zählungen ergeben hatte, um ein Geringes überstieg. Neuere, im Spätjahr 1818 vollendete | Zählungen haben ein anderes Resultat, nämlich 567,868, gehefert. Ist gleich diese Erhöhung, gegen die Bevölkerung des ganzen deutschen Bundes gehal= | ten, von geringem Belang, so sind doch Se. Königliche Hoheit der Kurfürst zu gewissenhaft, I um, zum Nachtheil Ihrer Verbündeten, von dem Rechte Gebrauch zu machen, welches der Be= | schluß der 43. vorjährigen Sitzung Ihnen giebt; vielmehr bin ich angewiesen, darauf an= | zutragen, daß die provisorische Bundesmatrikel schon jetzt nach der obigen Angabe berich= | tigt werden möge.

[37/2] Bundesbeschluß über die einstweilige Fortdauer ... vom 12. M i 1823

667

Hierauf wurde 1 beschlossen:^ daß, wenn gleich keine Verminderung der Bundesmatrikel binnen der fünf Jahre, | für welche dieselbe festgesetzt worden, statt haben könne, gleichwohl diese und jede nach= | folgende Vermehrung in dieselbe aufzunehmen sey*). *) Nach diesem Beschlüsse stellt sich die, oben Bd. VI, S. 138^ u, 283 angeführte, auf fünf I Jahre angenommene Bundesmatrikel auf folgende Art dar:

Oesterreich Preussen , . . . Sachsen Baiem Hannover Württemberg Baden Kurhessen . Großherzogthum Hessen Holstein und Lauenburg Luxemburg Braunschweig Mecklenburg=Schwerin Nassau Sachsen=Weimar Gotha

Bundesstaaten. , ,

.

Latus

. . . .

Seelenzahl. 9,482,227 7,923,439 1,200,000 3,560,000 1,305,351 1,395,426 1,000,000 567,868 619,500 360,000 255,628 209,600 358,000 302,769 201,000 185,682 28,926,326

[37/2] Bundesbeschluß über die einstweilige Fortdauer der provisorischen Bundes-Matrikel vom 12. Juli 1823 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einführungen" die Darstellung unter [75.]. Quelle: Protokolle der deutschen Bundes-Versammlung, 21. Sitzung vom 12. Juli 1823, § 139, S. 500 (502) - 502 (gedruckt). [S. 500] §. 139. Matrikel des deutschen Bundes. ...[S. 502] . . , Hierauf wurde beschlossen:*^ An der Sitzung nahmen folgende Gesandte teil: von Buol-Schauenstein (für Österreich), von Martens (für Preußen und Hannover), von Aretin (für Bayern), von Schlitz (für Sachsen), von Wangenheim (für Württemberg), von Berckheim (für Baden), von Lepel (für Kurhessen), von Hamier (für Hessen-Darmstadt), von Plessen (für Dänemark wegen Holstein und Lauenburg sowie für Mecklenburg), von Grünne (für die Niederlande wegen Luxemburg), von Hendrich (für Großherzogtum und Herzogtümer Sachsen), von Berg (für Oldenburg, Anhalt und Schwarzburg), von Leonhardi (für Hohenzollem, Liechtenstein, Reuß, Schaumburg-Lippe, Lippe und Waldeck), Danz (für Lübeck, Frankfurt, Bremen und Hamburg). Dok. 37. An der Sitzung nahmen folgende Gesandte teil: von Münch-Bellinghausen (für Österreich), von der Goltz (für Preußen), von Pfeffel (für Bayern), von Carlowiz (für Sachsen), von Hammerstein (für

668

§3: Deutscher Bund

[Dok. 3 1 - 8 4 ]

Die Bundesversammlung - durchdrungen von der Ueberzeugung, daß der Deutsche | Bund in keinem Momente ohne eine Matrikel seyn könne - beschUeßt 1) daß die gegenwärtig bestehende provisorische Matrikel nothwendig so lange fortwähren I müsse, bis eine neue zu Stande gekommen sey; daß 2) die Abstimmungen über die in dem Commissionsvortrage bezeichneten Puncte am | 15. Januar 1824 zu Protokoll zu geben seyen; übrigens aber 3) die Bundesversammlung sich beeifem werde, die Arbeiten wegen einer definitiven | Matrikel möglichst zu beschleunigen.

[37/3] Bundesbeschluß über das großherzoglich- und herzoglichsächsische Kontingent vom 12. Juli 1827 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einfuhrungen" die Darstellungen unter [75.] und [203.]. Quelle: Protokolle der deutschen Bundes-Versammlung, 21. Sitzung vom 12. M i 1827, § 79, S. 503 - 504 (gedruckt). [S. 503] §. 79. Succession in die Herzoglich=Sachsen=Gotha= und Altenburgischen Lande. (13. Sitz. §.48 v.J. 1827.) Der Großherzoglich= und Herzoglich=Sächsische Gesandte, Herr | Graf von Beust, giebt, in seiner Eigenschaft als Herzoglich=Sächsischer Gesandte, | folgende Erklärung zum Protokoll: Als die Gesandtschaft in der ersten diesjährigen Sitzung hoher Bundesversammlung | von der - unter weiland Sr. Majestät, des zu allgemeinem Bedauern jüngst ver= | ewigten Königs Friedrichs Augusts von Sachsen, glorwürdigsten Gedächtnisses, hohen | Vermittelung - zwischen den Durchlauchtigsten Herzogen von Sachsen, Emestinischer | Linie, über die Nachfolge in die Herzoglich=Sachsen=Gotha=Altenburgischen Lande am | 12. November vorigen Jahrs zu Hildburghausen zu Stande gekommenen Vereinigung | die Anzeige machte, behielt sie sich zugleich wegen der Matrikular= und einiger andern, | mit dem Erlöschen der Herzoglich=Sachsen=Gothaischen Speciallinie und nurgedachter Ver= | einbarung in Verbindung stehenden Verhältnisse weitere Mittheilungen und Anträge vor. Die Gesandtschaft sieht sich hierzu dermalen in Ansehung der Matrikularverhält= | nisse im Stande, und hat in dieser Hinsicht die Ehre, hoher Bundesversammlung Folgen^ | des anzuzeigen. Die Volkszahl der sämmtlichen Besitzungen des Herzoglich=Sachsen=Gothaischen | Gesammthauses beträgt nach der provisorischen Matrikel in runder Zahl | 349,800 Seelen. 1) Sachsen=Gotha=Altenburg 185,682 Seelen 2) Sachsen=Meiningen 54,400 " 3) Sachsen=Coburg=Saalfeld (incl. 25,000 Seelen wegen des | Fürstentums Lichtenberg) 80,012 " 4) Sachsen=Hildburghausen

29.700 " 349,800 Seelen.

Hannover sowie für Braunschweig und Nassau), von Wangenheim (für Württemberg), von Blittersdorff (für Baden), von Lepel (für Kurhessen), von Gruben (für Hessen-Darmstadt), von Eyben (für Dänemark wegen Holstein und Lauenburg), von Grünne (für die Niederlande wegen Luxemburg), von Beust (für Großherzogtum und Herzogtümer Sachsen), von Peutz (für Mecklenburg), von Both (für Oldenburg, Anhalt und Schwarzburg), von Leonhardi (für Hohenzollem, Liechtenstein, Reuß, Schaumburg-Lippe, Lippe und Waldeck), Gries (für Lübeck, Frankfurt, Bremen und Hamburg).

[37/3] Bundesbeschluß ... vom 12. Juli 1827

669

Es war auf diese Zahl höchstgedachtem Gothaischen Gesammthause ein Militärcontin= | gent von | 3,498 Mann | zugetheilt und davon waren, 250 Mann auf 25,000 Seelen für das Fürstenthum Lichten= | berg, gerechnet worden: 1) fur 2) für 3) für 4) für

Gotha=Altenburg , Meiningen Coburg incl. Lichtenberg Hildburghausen

,

.,

1,857 Mann 544 " 800 " 297 3,498 Mann.

Es waren also, rechnet man das Fürstlich=Lichtenbergische Contingent mit 250 Mann | ab, für die eigentlich Sächsischen Lande | 3,248 Mann | geblieben. Bei der Theilung der Herzoglich=Sachsen=Gotha=Altenburgischen Lande durch den | oberwähnten Vergleich, d. d. Hildburghausen am 12. November 1826, hat man die, durch | Bundestagsbeschluß für das Herzoglich=Sachsen=Gothaische Gesammthaus berechnete, ganze | Zahl der Contingentsmannschaft nach dem Verhältnisse der Summe der einem jeden der I succedirenden Herzoglichen Häuser von den Gotha=Altenburgischen Landen zugefallenen I [S. 504] und seinen eigenen zurückbehaltenen Landestheilen vertheilt und sich dabei folgendes Ver= | hältniß ergeben: 1) Sachsen= Altenburg wegen 98,200 Seelen - 982 Mann Contingent 2) Sachsen=Coburg=Gotha, ohne die | 24,000 Seelen des Fürsten= | thums Lichtenberg, wegen 111,600 " -1,116" " 3) Sachsen=Meiningen=Hildburghausen, wegen 115,500 " - 1,150 " " a) ohne Lichtenberg 324,800 Seelen - 3,248 Mann Contingent b) mit Lichtenberg 349,800 " -3,498 " Nach demselben Verhältnisse sind auch die Matrikularbeiträge, welche für das ganze | Herzogliche Gesammthaus Gotha auf jede von dem ganzen Durchlauchtigsten Bunde | zusammen zu bringenden 30,000 Fl., ohne die auf das Fürstenthum Lichtenberg mit 24 Fl. | 52 ^16 Kr. gerechnete Quote, | 323 Fl. ^1^, Kr. | betragen, für die Zukunft angenommen worden: 1) bei Sachsen=Altenburg 2) " Sachsen=Coburg=Gotha 3) " Sachsen=Meiningen=Hildburghausen

97 Fl. 39 Kr. 110" 59^16 " 114" 22 323 Fl. - Vi6 Kr.

Die Gesandtschaft hat mit dieser Anzeige die Bitte zu verbinden, hiemach das Nöthige | in der provisorischen Bundesmatrikel bemerken zu lassen, und sich die Anzeigen und An= | träge wegen einiger andern Gegenstände vorzubehalten. Hierauf wurde, nach dem Antrage des Präsidii, | beschlossen:^

An der Sitzung nahmen folgende Gesandte teil: von Münch-Bellinghausen (für Österreich), von Nagler (für Preußen), von Lerchenfeld (für Bayern), von Carlowiz (für Sachsen), von Stralenheim (für Hannover), von Trott (für Württemberg), von Blittersdorff (für Baden), von Meyerfsld (für Kurhessen), von Gruben (für Hessen-Darmstadt), von Pechlin (für Dänemark wegen Holstein und Lauenburg), von Grünne (für die Niederlande wegen Luxemburg), von Beust (für Großherzogtum und Herzogtümer Sachsen sowie für Hohenzollem, Liechtenstein, Reuß, Schaumburg-Lippe, Lippe und Waldeck), von Marschall (für Braunschweig und Nassau sowie für Mecklenburg), von Both (für Oldenburg, Anhalt und Schwarzburg), Danz (für Lübeck, Frankfurt, Bremen und Hamburg).

670

§3: Deutscher Bund

[Dok. 3 1 - 8 4 ]

Von den Angaben der Herzoglicli=Sächsischen Gesandtschaft in der provisorischen | Bundesmatrikel die angemessene Vormerkung, und der Militärcommission sowohl, als der | Bundesmatrikular=Casseverwaltung hiervon Mittheilung zu machen, im Uebrigen aber diese I Erklärung an die zur Begutachtung einer definitiven Matrikel bestehende Bundestags^ | commission abzugeben.

[37/4] Ergänzung der Bundesmatrikel vom 30. April 1831 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einftihrungen" die Darstellungen unter [75.] und [203.]. Quelle: Protokolle der deutschen Bundes-Versammlung, 16. Sitzung vom 30. April 1831, § 111, S. 462 (gedruckt). [S. 462] §.111. Ergänzung der Bundesmatrikel. Oldenburg, Anhalt und Schwarzburg flir Oldenburg. Mit Bezug= | nähme auf das Protokoll der 32. Bundestagssitzung vom Jahr 1830, Seite 1048, und | Protokoll der 41. Sitzung desselben Jahrs, Seite 1335, Ziffer 4, bewirkt der Gesandte | die noch vorbehaltene nähere Anzeige dahin: daß die Bevölkerung der Herrschaft Knip= | hausen, welche, nach der bekannten im Jahre 1825 zu Berlin abgeschlossenen Ueberein= | kunft, zum Deutschen Bunde gehört und zu den Bundeslasten beizutragen hat, eine Be= | völkerung von 2,949 Seelen besitzt; sonach deren Contingent, welches einen Bestand^ | theil der Oldenburgischen Infanteriebrigade ausmacht, zu 29 Mann, ohne Reseve, anzu= | nehmen ist. Hierauf wurde, nach dem Antrage des Präsidii, | beschlossen:* 1) Die Bundesmatrikel wird nach dieser Angabe, durch Hinzurechnung der Seelenzahl I der Herrschaft Kniphausen, vervollständigt und die neue Ausfertigung derselben diesem Pro= | tokolle angefügt; 2) das Großherzoglich=01denburgische Contingent wird um diesen Betrag erhöht, so | wie auch 3) vom 1. Jänner 1832 anfangend, allen Matrikularausschlagen und Leistungen zum | Grunde gelegt, wovon 4) sowohl die Militärcommission als die Matrikular=Casseverwaltung in Kenntniß ge= I setzt werden.

[37/5] Berichtigung vom 26. September 1834 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einflihrungen" die Darstellungen unter [75.] und [203.]. Quelle: Protokolle der Bundes-Versammlung, 35. Sitzung vom 26. September 1834, § 468, S. 879 (Beschluß), 899 (Beifügung zum Protokoll) - gedruckt (Loco dictaturae).

An der Sitzung nahmen folgende Gesandte teil: von Münch-Bellinghausen (für Österreich), von Nagler (für Preußen), von Lerchenfeld (für Bayern), von Manteuffel (für Sachsen), von Stralenheim (für Hannover), von Trott (für Württemberg), von Blittersdorff (für Baden), von Meyerfeld (für Kurhessen), von Gruben (für Hessen-Darmstadt), von Pechlin (für Dänemark wegen Holstein und Lauenburg), von Grünne (für die Niederlande wegen Luxemburg), von Beust (für Großherzogtum und Herzogtümer Sachsen), von Marschall (fiir Braunschweig und Nassau), von Schack (für Mecklenburg), von Both (für Oldenburg, Anhalt und Schwarzburg), von Leonhardi (für Hohenzollem, Liechtenstein, Reuß, Schaumburg-Lippe, Lippe und Waldeck), Sieveking (für Lübeck, Frankfurt, Bremen und Hamburg).

[37/5] Berichtigung vom 26. September 1834

671

[S.879] ... Auf Präsidialantrag erfolgte hiemächst nachstehender | Beschluß:^ 1) Die Bundescanzlei=Direction wird beauftragt, in der provisorischen Bundes^ | matrikel die von der Herzoglich=Sachsen=Coburg=Gothaischen Bundestagsgesandtschaft noch I zuletzt im Jahre 1827 (Prot, der 21. Sitz. §. 19f zu 25,000 Seelen angegebene Be= I völkerung des Fürstenthums Lichtenberg bei Sachsen=Coburg= Gotha in Abzug zu bringen, | bei Preussen aber hinzuzurechnen und ist die hiemach abgeänderte Matrikel, vom 22. September | d. J. anfangend, bei allen Matrikularausschlägen und Leistungen zum Grunde zu legen. Der Bundescasse=Verwaltung ist hiervon Kenntniß zu geben, und die hiemach ab= I geänderte Matrikel diesem Protokolle beizufügen. 2) Die heutigen Erklärungen der Bundestagsgesandtschaften von Sachsen=Coburg= Gotha I und Preussen sind an den Bundestags=Ausschuß in Militärangelegenheiten zur Erstattung | seines Gutachtens über die durch die angezeigte Gebietsabtretung in der Stellung des Bundes= | Kontingents eintretende Abänderung, deßgleichen an die zur Begutachtung der definitiven | Bundesmatrikel bestehende Bundestags=Commission zur Kenntnißnahme zu überweisen. [S. 899] Matrikel | des deutschen Bundes, nach den Beschlüssen der hohen Bundesversammlung in der 43. Sitzung vom 20. August I 1818^ 3. Sitzung vom 4. Febr. 1819^ 21. Sitzung vom 12. JuH 1827^ 16. Sitz. I vom 30. April 1831*" und der 35. Sitzung vom 26. Sept. 1834. Bundesstaaten.

Seelen^ zahl.

Oesterreich Preussen Königreich Sachsen Bayern Hannover Würtemberg Baden Kurhessen Großherzogthum Hessen Holstein und Lauenburg Luxemburg

9,482,227 7,948,439 1,200,000 3,560,000 1,305,351 1,395,462 1,000,000 567,868 619,500 360,000 255,628

Bundesstaaten. Transport Oldenburg Anhalt=Dessau " Bemburg " Cöthen Schwarzburg=Sondershausen Rudolstadt Hohenzollem=Hechingen Liechtenstein Hohenzollem=Sigmaringen Waldeck Reuß, ältere Linie

Seelen= zahl. 29,162,413 220,718 52,947 37,046 32,454 45,117 53,937 14,500 5,546 35,560 51,877 22,255

An der Sitzung nahmen folgende Gesandte teil: von Münch-Bellinghausen (für Österreich), von Nagler (für Preußen), von Mieg (für Bayern und Württemberg), von Manteuffel (für Sachsen), von Stralenheim (für Hannover sowie für Braunschweig und Nassau), von Blittersdorff (für Baden), von Rieß (für Kurhessen), von Gruben (für Hessen-Darmstadt), von Pechlin (für Dänemark wegen Holstein und Lauenburg sowie für Mecklenburg), von Grünne (für die Niederlande wegen Luxemburg), von Beust (für Großherzogtum und Herzogtümer Sachsen), von Both (flir Oldenburg, Anhalt und Schwarzburg), von Leonhardi (fiir Hohenzollem, Liechtenstein, Reuß, Schaumburg-Lippe, Lippe und Waldeck), Smidt (für Lübeck, Frankfurt, Bremen und Hamburg). Dok. 37/3. Dok. 37. Dok. 37/1. Dok. 37/3. Dok. 37/4.

672

[Dok. 3 1 - 8 4 ]

§ 3: Deutscher Bund Braunschweig Mecklenburg=Schwerin Nassau Sachsen=Weimar Coburg=Gotha " Meiningen= Hildburg= | hausen " Altenburg Mecklenburg=Strelitz Latus

209,600 358,000 302,769 201,000 111,600

115,000 98,200 71,769 29,162,413

" jüngere " Schaumburg=Lippe Lippe Hessen=Homburg Lübeck Frankfurt Bremen Hamburg

Summa

52,205 24,000 69,062 20,000 40,650 47,850 48,500 129,800

30,166,437

[37/6] Berichtigung vom 5. September 1839 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einfuhrungen" die Darstellungen unter [75.] und [203.]. Quelle: Protokolle der Bundes-Versammlung, 19. Sitzung vom 5. September 1839, § 251, S. 637 - 638; 21. Sitzung vom 16. September 1839, § 273, S. 683 sowie Beilage I zu § 273, S. 705 (jeweils gedruckt). [S. 637] .. „ §.251. Die Verhältnisse des Großherzogthums Luxemburg und des dem Bunde einzuver= | leibenden, neugebildeten Herzogthums Limburg betr. Nachdem nunmehr die Abstimmungen erfolgt, und solche sämmtlich dem in der | 16. Sitzung (§.214 des Prot.) gestellten Präsidialanträge beigetreten waren, wurde vom | Präsidio der hiemach entworfene Beschluß vorgelegt, bei dem man nichts zu erinnern | fand; daher | Beschluß:^ Die Bundesversammlung erkennt mit Befriedigung in der von Sr. Majestät dem König | der Niederlande, Großherzog von Luxemburg, gefaßten Entschließung, an die Stelle des | durch den Art. II des zu London am 19. April 1. J. abgeschlossenen Staatsvertrags an | Belgien abgetretenen Gebiets im Großherzogthum Luxemburg mit dem ganzen, eine Bevöl= | kerung von 147,527 Seelen in sich begreifenden, neu gebildeten Herzogthum Limburg dem I [S. 638] Deutschen Bunde beizutreten, eine genügende Erfüllung derjenigen Bedingung, unter welcher | allein der Deutsche Bund, vermöge des in der 13. Sitzung vom Jahr 1836 gefaßten Be= | Schlusses, zu der Abtretung eines bisher demselben einverleibten Gebiets seine Einwilligung | geben zu wollen, erklärt hat. So wie daher der Deutsche Bund von nun an das Herzogthum Limburg als zum | Bundesgebiete gehörig betrachten wird, so bleiben auch dem nunmehrigen Großherzogthum | Luxemburg und Herzogthum Limburg collectiv alle diejenigen Rechte und Vorzüge vorbehält I ten, welche bisher mit dem Großherzogthum Luxemburg allein verbunden waren. An der Sitzung nahmen folgende Gesandte teil: von Münch-Bellinghausen (für Österreich), von Schöler (für Preußen), von Mieg (für Bayern), von Manteuffel (für Sachsen), von Stralenheim (für Hannover), von Trott (für Württemberg), von Dusch (für Baden), von Rieß (für Kurhessen), von Gruben (fiir Hessen-Darmstadt), von Pechlin (für Dänemark wegen Holstein und Lauenburg sowie für Mecklenburg), von Beust (für die Niederlande wegen Luxemburg sowie für Großherzogtum und Herzogtümer Sachsen sowie für HohenzoUem, Liechtenstein, Reuß, Schaumburg-Lippe, Lippe und Waldeck), von Röntgen (für Braunschweig und Nassau), von Both (für Oldenburg, Anhalt und Schwarzburg), Sieveking (für Lübeck, Frankfurt, Bremen und Hamburg).

[37/6] Berichtigung vom 5. September 1839

673

Belangend das matrikularmäßige Verhältniß für Mannschaftsstellung und für Geld= | leistungen, so ist dasselbe verfassungsmäßig durch die von den Bundesgliedem angegebene I Yolkszahl bedingt, und es wird daher nach dem von Sr. Majestät dem König Großherzog I in der Erklärung vom 16. August 1, J. angegebenen Zahlenverhältniß die Bundesmatrikel be= I richtigt werden. Die Bundesversammlung findet übrigens in der Erklärung Sr. Majestät, daß, unbe= | schadet der mit dem Königreich der Niederlande gleichen Verfassung und Verwaltung des Her= I zogthums Limburg, die Anwendung der Bundesgesetze auf das Herzogthum Limburg in keiner | Weise beeinträchtigt werden solle, die sicherste Bürgschaft dafür, daß die Weisheit Sr. Kö= | niglichen Majestät Maßregeln treffen werde, welche geeignet sind, den Unzukömmlichkeiten | vorzubeugen, die sonst möglicherweise aus diesen Verhältnissen entstehen könnten. Die bei diesem für ganz Deutschland wichtigen Anlasse auch in der Eigenschaft als | König der Niederlande dem Deutschen Bunde kund gegebenen wohlwollenden Gesinnungen I von Freundschaft und nachbarlicher Zuneigung zu jeder Zeit zu erwiedem, wird der Bund I sich stets so bereit als verpflichtet finden. Von vorstehender Schlußfassung wird 1) die Königlich=Niederländische, Großherzoglich=Luxemburgische Bundestagsgesandschaft I auf die in das Protokoll der 16. Sitzung d. J. niedergelegte Erklärung in Kenntniß gesetzt, auch 2) die Bundescanzlei=Direction beauftragt, die provisorische Bundesmatrikel nach | dem in der Erklärung der Königlich=Niederländischen Bundestagsgesandschaft vom 16. August | 1. J. (16. Sitz. §. 214) angegebenen Verhältnisse der Seelenzahl berichtigen zu lassen, die | sonach berichtigte Matrikel, vom 1. Oktober 1. J. an, bei allen matrikularmäßigen Leistungen | zum Grunde zu legen, die Bundescasse=Verwaltung hiervon zu verständigen, und die abge= | änderte Matrikel der Bundesversammlung zur Kenntnißnahme vorzulegen. [S. 683] §. 273. Die Verhältnisse des Großherzogthums Luxemburg und des dem Bunde einzuver= | leibenden, neugebildeten Herzogthums Limburg, | insbesondere | die desßfalls berichtigte provisorische Bundesmatrikel betr. (19. Sitz. §.251 v.J. 1839) Präsidium übergibt die, in Folge des Bundesbeschlusses vom 5. d. M. (§. 251 | des Prot.) abgeänderte, vom 1. October 1. J. an allen matrikularmäßigen Leistungen zum | Grunde zu legende Bundesmatrikel. Dieselbe ward zur Kenntniß genommen, und dem gegenwärtigen Protokolle unter Zif= | fer 1 angefugt. [S. 705] .. . Beilage l . | (zu §.273.) Matrikel des Deutschen Bundes, wie solche in der 19. Sitz, vom 5. September 1839 berichtigt worden und vom 1. October | 1839 an zu gelten hat.

674

[Dok. 3 1 - 8 4 ]

§3: Deutscher Bund Bundesstaaten.

Seelen= zahl.

Oesterreich Preussen Königreich Sachsen Bayern Hannover Würtemberg Baden Kurhessen Großherzogthum Hessen Holstein und Lauenburg Luxemburg und Limburg Braunschweig Mecklenburg=Schwerin Nassau Sachsen^ Weimar Coburg^Gotha " Meiningen= Hildburg= | hausen " Altenburg Mecklenburgs Strelitz

9,482,227 7,948,439 1,200,000 3,560,000 1,305,351 1,395,462 1,000,000 567,868 619,500 360,000 253,583 209,600 358,000 302,769 201,000 111,600

Latus

29,160,368

115,000 98,200 71,769

Bundesstaaten. Transport Oldenburg Anhalt=Dessau " Bemburg " Cöthen Schwarzburg=Sondershausen Rudolstadt Hohenzollem=Hechingen Liechtenstein Hohenzollem=Sigmaringen Waldeck Reuß, ältere Linie " jüngere " Schaumburg=Lippe Lippe Hessen=Homburg Lübeck Frankfurt Bremen Hamburg

Seelen^ zahl. 29,160,368 220,718 52,947 37,046 32,454 45,117 53,937 14,500 5,546 35,560 51,877 22,255 52,205 24,000 69,062 20,000 40,650 47,850 48,500 129,800

Summa

30,164,392

[37/7] Berichtigung vom 14. April 1842 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einführungen" die Darstellungen unter [75.] und [203.]. Quelle: Protokolle der Bundes-Versammlung, 9. Sitzung vom 14. April 1842, §105, S. 142-143 sowie Beilage zu § 105, S. 153 (jeweils gedruckt [Loco dictaturae]). [S. 142] . §. 105. Austrägalurtheil vom 22. December 1838 in Betreff der Streitigkeiten zwischen den | Fürstenthümem Schaumburg=Lippe und Lippe, insbesondere Abtretung des | Fürstlich=Schaumburg=Lippischen Amtes Blomberg an das Fürstenthum | Lippe, und desßfallsigen Abänderung der Matrikel bei beiden fürstlichen Häusern. (I.Sitz. §. lOv.L 1839.) Hohenzollem, Liechtenstein, Reuß, Schaumburg=Lippe, Lippe | und Waldeck für Schaumburg=Lippe und Lippe. Der Gesandte ist beauftragt, | für Schaumburg=Lippe das Folgende zu Protokoll zu geben: [S. 143] Es sey dem hohen Bundestage bekannt, daß das Großherzoglich=Badische Oberhof= | gericht zu Mannheim in dem Erkenntniß vom 22. December 1838 | (B. T. Protok. von 1839 §. 10.) I die Souverainetät über das Amt Blomberg dem Fürstlichen Hause Lippe=Detmold zugesprochen | habe, obgleich die Bevölkerung des gedachten Amts im Bundestagsbeschluß vom 20. August | 1818 nicht der Fürstlich=Lippe=Detmoldischen, sondern der Fürstlich=Schaumburg=Lippischen | Matrikel zugerechnet sey.

[37/7] Berichtigung vom 14. April 1842

675

Dadurch seyen also die Matrikularverhältnisse beider Häuser unter sich factisch geändert, I indem, von Zeit des erlassenen Urtheils an, die Bevölkerung des Amts Blomberg der Lippe= I Detmoldischen Matrikel zugerechnet und von der Schaumburg=Lippischen abgesetzt werden | müsse. Diese Bevölkerung sey auf 3,000 Seelen ausgemittelt und würde der Matrikular= | anschlag des Fürstenthums Schaumburg=Lippe von 24,000 auf 21,000 fallen, der des | Fürstenthums Lippe=Detmold von 69,062 auf 72,062 steigen. Hiemach würde also auch nicht nur die Contingentsstellung sich für Schaumburg=Lippe um I 30 Mann vermindern und die für Lippe=Detmold sich um 30 Mann vermehren, sondern I es würden auch die Matrikularanschläge beider Fürstlichen Häuser umzurechnen und Schaum= I burg=Lippe vom Anfang des Jahrs 1839 an nur noch mit 21,000, Lippe=Detmold von | derselben Zeit an dagegen mit 72,062 Seelen anzusetzen seyn, welches zu verfügen, die | veränderten Matrikularbeiträge für Schaumburg=Lippe von Anfang des Jahrs 1839 an | berechnen und der Matrikularcasse Anweisung darüber zugehen zu lassen, gebeten würde. Fur Lippe hat der Gesandte zu bestätigen, daß die früher streitige Souverainetät über | das Amt Blomberg durch das Austrägalerkenntniß vom 22. December 1838 dem Fürstlich=Lippischen Hause zugesprochen worden, Höchstweiches daher die für dieses Amt seither von | dem Fürstlichen Hause Schaumburg=Lippe geleisteten Matrikularbeiträge zu übernehmen habe. | Nach einer zwischen beiden Regierungen getroffenen Uebereinkunft sey die Bevölkerung jenes | Amts zu 3,000 Seelen angenommen, welche mithin in der Bundesmatrikel dem Fürstlichen | Hause Lippe zuzuschreiben, dem Fürstlichen Hause Schaumburg=Lippe dagegen abzusetzen | seyen. Es wurde hierauf | beschlossen:* 1) Die Bundescanzlei=Direction wird beauftragt, in der provisorischen Bundesmatrikel I die zu 3,000 Seelen angegebene Bevölkerung des Amts Blomberg bei Schaumburg=Lippe | in Abzug zu bringen, bei Lippe dagegen zuzurechnen, und ist hiemach die abgeänderte Matrikel, | von jetzt anfangend, bei allen Matrikularausschlagen und Leistungen zum Gmnde zu legen. Der Bundescasse=Verwaltung ist hiervon Kenntniß zu geben, und die hiemach abge= I änderte Matritel diesem Protokolle beizufügen. 2) Die vorstehende Erklämng ist an den Bundestags=Ausschuß in Militärangelegen= | heiten zur Erstattung eines Gutachtens, über die durch die angezeigte Gebietsabtretung in I der Stellung des Bundescontingents eintretende Abändemng, deßgleichen an die zur Begut= | achtung der definitiven Bundesmatrikel bestehende Bundestags=Commission zur Kenntnißnahme | zu überweisen. [S. 153] Beilage | zu §. 105 des Protokolls der 9. Sitzung der Deutschen Bundesversammlung | vom 14. April 1842. Matrikel des Deutschen Bundes, wie solche in der 9. Sitzung vom 14. April 1842 berichtigt worden und von jetzt an zu | gelten hat.

An der Sitzung nahmen folgende Gesandte teil: Nostitz und Jänckendorff (für Österreich, Preußen, Bayern und Sachsen), von Stralenheim (für Hannover sowie für Braunschweig und Nassau), von Blomberg (für Württemberg), von Dusch (für Baden), von Rieß (für Kurhessen und HessenDarmstadt), von Pechlin (für Dänemark wegen Holstein und Lauenburg sowie für Mecklenburg), von Scherff (für die Niederlande wegen Luxemburg), von Holzhausen (für Großherzogtum und Herzogtümer Sachsen sowie für Hohenzollem, Liechtenstein, Reuß, Schaumburg-Lippe, Lippe und Waldeck), von Both (für Oldenburg, Anhalt und Schwarzburg), von Meyer (für Lübeck, Frankftirt, Bremen und Hamburg).

676

[Dok. 31-84]

§ 3: Deutscher Bund Bundesstaaten.

Seelenzahl.

Oesterreich Preussen Königreich Sachsen Bayern Hannover Würtemberg Baden Kurhessen Großherzogthum Hessen Holstein und Lauenburg Luxemburg und Limburg Braunschweig Mecklenburg=Schwerin Nassau Sachsen^Weimar Coburg=Gotha " Meiningen= Hildburg- 1 hausen " Altenburg Mecklenburg-Strelitz

9,482,227 7,948,439 1,200,000 3,560,000 1,305,351 1,395,462 1,000,000 567,868 619,500 360,000 253,583 209,600 358,000 302,769 201,000 111,600

Latus

29,160,368

115,000 98,200 71,769

Bundesstaaten. Transport Oldenburg Anhalt-Dessau " Bemburg " Cöthen Schwarzburg-Sondershausen Rudolstadt Hohenzollem-Hechingen Liechtenstein Hohenzollem-Sigmaringen Waldeck Reuß, ältere Linie " jüngere " Schaumburg-Lippe Lippe Hessen-Homburg Lübeck Frankfurt Bremen Hamburg

Seelenzahl. 29,160,368 220,718 52,947 37,046 32,454 45,117 53,937 14,500 5,546 35,560 51,877 22,255 52,205 21,000 72,062 20,000 40,650 47,850 48,500 129,800

Summa

30,164,392

[37/8] Bundesbeschluß zur Matrikularbevölkerung des Großherzogtums Luxemburg und des Herzogtums Limburg vom 20. Dezember 1851 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einfuhrungen" die Darstellungen unter [75.] und [203.]. Quelle: Protokolle der Bundes-Versammlung, 42. Sitzung vom 20. Dezember 1851, § 265, S. 668 (670) - 670 (gedruckt). [S. 668] .. . §. 265. Die Matrikularbevölkerung des Großherzogthums Luxemburg und des Herzogthums | Limbürg betreffend. Dem Commissionsantrage gemäß wurde einstimmig | beschlossen: ohnerachtet eine principielle Sonderung der Matrikel des Großherzogthums Luxemburg I und des Herzogthums Limburg nicht ausgesprochen werde, die Abtheilung für das Bundes= | Cassenwesen dennoch zu ermächtigen, dahin Veranstaltung zu treffen, daß von der Bundes=Cassen= | Verwaltung, wenn dieß verlangt wird, die Matrikularbeiträge so ausgeworfen werden, daß | von der matrikularmäßigen Bevölkerungszahl beider Länder an 253,583 Einwohnern auf | Luxemburg 131,907 und aus Limburg 121,676 gerechnet werden, und daß auch die Aus= | fertigung der Quittungen in diesem Maaße erfolge.

[37/9] Bundesbeschluß über die Abänderung ... vom 26. Januar 1860

677

Fr. Thun. | Bismarck. | Schrenk. | Nostitz und Jänckendorf. | Reinhard. | Marschall. | Trott, I Scherff. | Fritsch. | Düngern, | Oertzen. | Eisendecher. | Holzhausen. | Brehmer.

[37/9] Bundesbeschluß über die Abänderung der Bundesmatrikel vom26. Januar 1860 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einfuhrungen" die Darstellung unter [75.]. Quelle: Protokolle der Bundes-Versammlung, 4. Sitzung vom 26. Januar 1860, § 39, S. 47 (48) - 48 und Beilage 2 zu § 39, S. 58 (jeweils gedruckt). [S. 47] §.39. Abänderung der Matrikel des deutschen Bundes. ...[S.48]...

Auf Präsidialantrag wurde | beschlossen: 1) die Bundescanzlei=Direktion wird beauftragt, die in der Bundesmatrikel dem Für= | stenthume Lippe zugerechnete halbe Bevölkerung der Stadt Lippstadt mit 1,330 Seelen dort | abzusetzen und auf Preussen zu übertragen, die hiemach abgeänderte Matrikel aber vom | 1. Januar 1860 ab bei allen Matrikular=Ausschreibungen und Leistungen zu Grunde zu | legen; 2) der Bundescassen=Verwaltung ist hiervon Nachricht zu geben und die hiemach ab= I geänderte Matrikel diesem Protokolle beizufügen;**) 3) von der Erklämng der Herren Gesandten von Preussen und Lippe, so wie von | dem Beschlüsse ad 1 ist die Bundes=Militärcommission zur weiteren Veranlassung in Kennt= | niß zu setzen. ...**) H. s. die Beilage 2. [S. 58] Beilage 2. | (zu §. 89.) Matrikel des Deutschen Bundes, wie solche in der 4. Sitzung vom 20. Januar 1860 abgeändert worden und vom | 1. Januar 1860 ab bei allen Matrikular=Ausschreibungen und Leistungen zu Gmnde | zu legen ist. Bundesstaaten. 1) Oesterreich 2) Preussen 3) Königreich Sachsen 4) Bayem 5) Hannover 6) Württemberg 7) Baden 8) Kurhessen 9) Großherzogthum Hessen 10) Holstein und Lauenburg 11) Luxemburg und Limburg 12) Braunschweig 13) Mecklenburg^Schwerin 14) Nassau 15) Sachsen^Weimar

Seelenzahl. 9,482,227 7,949,769 1,200,000 3,560,000 1,305,351 1,395,462 1,000,000 567,868 619,500 300,000 253,583 209,600 358,000 302,769 201,000

678

[Dok. 3 1 - 8 4 ]

§ 3: Deutscher Bund 16) Sachsen=Meinmgen= Hildburghausen 17) Sachsen=Altenburg 18) Sachsen=Coburg=Gotha 19) Mecklenburg=Strelitz 20) Oldenburg 21) Anhalt=Dessau=Cöthen 22) Anhalt=Bernburg 23) Schwarzburg=Sondershausen 24) Schwarzburg=Rudolstadt 25) Hohenzollem=Hechmgen 26) Liechtenstein 27) Hohenzollem=Sigmaringen 28) Waldeck 29) Reuß ältere Linie 30) Reuß jüngereLinie 31) Schaumburg=Lippe 32) Lippe 33) Hessen=Homburg 34) Lübeck 35) Frankfurt 36) Bremen 37) Hamburg Summe

115,000 98,200 111,600 71,769 220,718 85,401 37,046 45,117 53,937 14,500 5,546 35,560 51,877 22,255 52,205 21,000 70,732 20,000 40,650 47,850 48,500 129,800 30,164,392

[38] Provisorische Exekutions-Ordnung in Beziehung auf den zweiten Artikel der Bundes-Acte (Bundesbeschluß) vom 20. September 1819 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einführungen" die Darstellungen unter [85.] [120.] [129.] [155.] [185.]. Quelle: Protokolle der Bundes-Versammlung, 35. Sitzung vom 20. September 1819, § 220, S. 277 - 279 (gedruckt). Sonstige Fundstelle: P. A. G. Meyer (Hrsg.), Corpus Juris Germaniae Confoederationis oder Staatsacten für Geschichte und öffentliches Recht des Deutschen Bundes, Teil II (Beschlüsse der deutschen Bundesversammlung), 3. Aufl., 1859, S. 95 - 96. [S. 277] 1. Entwurf zu einer provisorischen Executions=Ordnung, in Bezug auf den 2. | Artikel der Bundesacte.^ Artikel 1. Bis zur Abfassung einer definitiven, in allen ihren Theilen vollendeten Executions= | Ordnung, soll die Bundesversammlung durch gegenwärtige provisorische Einrichtung be= | fiigt und angewiesen seyn, allen ihren Beschlüssen, die sie zur Erhaltung der innem Si= | cherheit, der öffentlichen Ordnung und zum Schutz des Besitzstandes (bis zum betretenen | rechtlichen oder gerichtlichen Wege) zu fassen sich für hinlänglich veranlaßt und berechtigt I hält, die gehörige Folgeleistung und Vollziehung auf nachstehende Weise zu sichern. Vgl. „ad IL" des unter Dok. 42 abgedruckten Bundesbeschlusses vom 20. September 1819.

[38] Provisorische Exekutions-Ordnung vom 20. September 1819

679

Artikel 2. Zu diesem Ende wählt die Bundesversammlung, jedesmal fur den Zeitraum von | sechs Monaten, aus ihrer Mitte eine Commission von fünf Mitgliedern, welche auch während | der Ferien in Thätigkeit bleibt, Artikels. An sie gelangen alle Eingaben und Berichte, Propositionen und Anfragen, welche | auf die Vollziehung der gefaßten Beschlüsse Bezug haben. [S.278] Artikel 4. Die Commission theilt nach erstattetem Vortrage in der Versammlung, während der | Ferien aber den betreffenden Bundesstaaten durch deren Bundestagsgesandten, oder die | Substituten derselben, alles dasjenige mit, was sich auf den unterbliebenen oder unvoll= | ständig erfolgten Vollzug der Bundesbeschlüsse bezieht, und erwartet, wenn aus solchen | Anzeigen hervorgeht, daß in einem gegebenen Falle die Beschlüsse unvollzogen geblieben, I oder unvollständig vollzogen worden sind, innerhalb eines, nach Beschaffenheit der Um= I stände anzuberaumenden, kurzen Termines, die Anzeige von der erfolgten Vollziehung. Artikel 5. Geht aus der Erklärung des Bundestagsgesandten hervor, daß der betreffende Bun= | desstaat der Meinung ist, die vorliegenden Bundesschlüsse seyen auf den angegebenen | Fall überhaupt nicht, oder nicht in der bezeichneten Ausdehnung, anwendbar; so begutachtet I den Fall die Commission, und veranlaßt einen Schluß der Bundesversammlung, welcher I dem Gesandten des betreffenden Bundesstaats, um die Vollziehung zu veranlassen, mitge= I theilt wird; dieser hat, wie in dem vorigen Artikel, den erfolgten Vollzug der Versamm= | lung in einem zu bestimmenden Termine anzuzeigen. Artikel 6. Wenn sich ein einzelner Bundesstaat zu der Anzeige veranlaßt sieht, oder wenn sich | aus Thatverhältnissen, welche zur Kenntniß der Bundesversammlung gelangen, ergiebt, | daß Bundesschlüsse darum in einem einzelnen Staate nicht vollzogen werden, weil Local=Ver= | Ordnungen ihnen entgegen zu stehen scheinen, in einem solchen Falle aber die Regierung | nothwendig erachtet, auf Dazwischenkunft der Bundesversammlung anzutragen, oder die | Bundesversammlung selbst dieserhalb einzuschreiten für erforderlich hält; so beschließt, auf | Vortrag der Commission, welche den betreffenden Bundestagsgesandten zuvor noch mit | seinen Bemerkungen hören und über die vorliegenden Anstände vernehmen wird, die Ver= | Sammlung über deren Anwendung oder Modification in Beziehung auf den vorliegenden | Fall, und giebt von diesem Beschlüsse dem betreffenden Bundestagsgesandten Nachricht, | welcher, nach den in Art. 4 und 5 enthaltenen Bestimmungen, den Vollzug in dem | festzusetzenden Termine der Versammlung anzuzeigen hat. Artikel 7. Geht die Nichtvollziehung der Beschlüsse in einem einzelnen Bundesstaate aus einer | Widersetzlichkeit der Staatsangehörigen und Unterthanen hervor, welche die betreffende | Landesverwaltung nicht zu heben im Stande ist, so beschließt die Bundesversammlung, | [S. 279] wenn die Commission zuvor sich über die vorliegenden Verhältnisse mit den betreffenden | Bundestagsgesandten in Einverständniß gesetzt haben wird, nach vorhergegangenem Com= I missions=Vortrage, der Lage der Sache angemessene Desortatorien, auf welche sodann, | wenn sie in dem zu bestimmenden Termine unbeachtet bUeben, oder in so weit die von | dem betreffenden Bundesstaate selbst angewendeten Mittel nicht zureichend

680

§3: Deutscher Bund

[Dok. 3 1 - 8 4 ]

sind, die mi= | litärische Assistenz durch in das Gebiet des Staates einrückende Bundestruppen erfolgt. Die Bundesversammlung hat, nach den obwaltenden Verhältnissen und auf einen | vorhergegangenen Commissions=Antrag, sowohl die Zahl der zu stellenden Truppen, als die | zu deren Stellung verpflichteten Bundesstaaten zu bestimmen. Der Rückmarsch der Truppen geschieht nach erfolgter und gehörig versicherter Voll= | Ziehung der Bundesbeschlüsse. Artikel 8. Liegt der Grund der Nichtvollziehung der Bundesbeschlüsse in einer Weigerung der be= I treffenden Bundesstaats=Regiemng, die Bundesbeschlüsse zu vollziehen, so erfolgen Desorta= | torien und wirkliche militärische Vollziehung, auf die in dem vorhergehenden Artikel be= | zeichnete Art, mit dem Unterschiede, daß dieselben gegen die Regierung des Bundesstaats selbst | gerichtet werden. Die Kosten, welche den Zweck der nothwendig gewordenen militärischen Vollziehung | nicht überschreiten dürfen, und bloß auf den wirklichen Aufwand zu beschränken sind, hat | der betreffende Bundesstaat zu tragen; auch emennt in diesem Falle die Bundesversamm= | lung eine Special=Vollziehungs=Commission, welche die Execution leitet, und über den | Gang derselben an die Bundesversammlung berichtet.

[39] „Provisorischer Bundesbeschluß über die in Ansehung der Universitäten zu ergreifenden IVIaßregeln" Bundes-Universitätsgesetz - vom 20. September 1819 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einführungen" die Darstellungen unter [117.] bis [122.] und [155.]. Quelle: Protokolle der Bundes-Versammlung, 35. Sitzung vom 20. September 1819, § 220, S. 279-281 (gedruckt). Sonstige Fundstellen: E. R. Huber (Hrsg.), Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte, Bd. 1: Deutsche Verfassungsdokumente 1803 - 1850, 3. Aufl., 1978, Nr. 32; P. A. G. Meyer (Hrsg.), Corpus Juris Germaniae Confoederationis oder Staatsacten für Geschichte und öffentliches Recht des Deutschen Bundes, Teil II (Beschlüsse der deutschen Bundesversammlung), 3. Aufl., 1859, S. 96 - 97. [S. 279] 2. Entwurf | eines provisorischen Beschlusses über die in Ansehung der Univer= | sitäten zu ergreifenden Maasregeln.^ §.1. Es soll bei jeder Universität ein, mit zweckmäßigen Instructionen und ausgedehnten | Befugnissen versehener, am Orte der Universität residirender, ausserordentlicher landesherr= | licher Bevollmächtigter, entweder in der Person des bisherigen Curators, oder eines andern, | von der Regierung dazu tüchtig befundenen Mannes, angestellt werden. [S. 280] Das Amt dieses Bevollmächtigten soll seyn, über die strengste Vollziehung der be= | stehenden Gesetze und Disciplinar=Vorschriften zu wachen, den Geist, in welchem die aka= I demischen Lehrer bei ihren öffentlichen und Privat=Vorträgen verfahren, sorgfältig zu I beobachten, und demselben, jedoch ohne unmittelbare Einmischung in das WissenVgl. „ad III." des unter Dok. 42 abgedruckten Bundesbeschlusses vom 20. September 1819.

[39] Bundes-Universitätsgesetz vom 20. September 1819

681

schaftliche | und die Lehrmethoden, eine heilsame, auf die künftige Bestimmung der studierenden Jugend I berechnete Richtung zu geben, endlich Allem, was zur Beförderung der Sittlichkeit, der | guten Ordnung und des äussern Anstandes unter den Studierenden dienen kann, seine un= | ausgesetzte Aufmerksamkeit zu widmen. Das Verhältniß dieser außerordentlichen Bevollmächtigten zu den akademischen Sena= | ten soll, so wie Alles, was auf die nähere Bestimmung ihres Wirkungskreises und ihrer Ge= I schäftsfiihrung Bezug hat, in den ihnen von ihrer obersten Staatsbehörde zu ertheilenden | Instructionen, mit Rücksicht auf die Umstände, durch welche die Ernennung dieser Bevoll= I mächtigten veranlaßt worden ist, so genau als möglich festgesetzt werden. §.2. ^Die Bundesregierungen verpflichten sich gegen einander, Universitäts= und andere | öffentliche Lehrer, die durch erweisliche Abweichung von ihrer Pflicht, oder Ueberschreitung I der Grenzen ihres Berufes, durch Mißbrauch ihres rechtmäsigen Einflusses auf die Ge= I müther der Jugend, durch Verbreitung verderblicher, der öffentlichen Ordnung und Ruhe I feindseliger, oder die Grundlagen der bestehenden Staatseinrichtungen untergrabender I Lehren, ihre Unfähigkeit zu Verwaltung des ihnen anvertrauten wichtigen Amtes unver= I kennbar an den Tag gelegt haben, von den Universitäten und sonstigen Lehranstalten zu I entfernen, ohne daß ihnen hierbei, so lange der gegenwärtige Beschluß in Wirksamkeit bleibt, I und bis über diesen Punct definitive Anordnungen ausgesprochen seyn werden, irgend ein I Hindemiß im Wege stehen könne. ^Jedoch soll eine Maasregel dieser Art nie anders, als I auf den vollständig motivirten Antrag des der Universität vorgesetzten Regiemngs=Bevoll= | mächtigten, oder von demselben vorher eingeforderten Bericht, beschlossen werden. Ein auf solche Weise ausgeschlossener Lehrer darf in keinem andern Bundesstaate bei | irgend einem öffentlichen Lehr=Institute wieder angestellt werden. §.3. ^Die seit langer Zeit bestehenden Gesetze gegen geheime oder nicht autorisirte Verbin= | düngen auf den Universitäten, sollen in ihrer ganzen Kraft und Strenge aufrecht erhalten, | und insbesondere auf den seit einigen Jahren gestifteten, unter dem Namen der allge= | meinen Burschenschaft bekannten Verein um so bestimmter ausgedehnt werden, als | [S. 281] diesem Verein die schlechterdings unzulässige Voraussetzung einer fortdauernden Gemeinschaft | und Correspondenz zwischen den verschiedenen Universitäten zum Grunde liegt. "^Den Regie= | mngs=Bevollmächtigten soll in Ansehung dieses Punctes eine vorzügliche Wachsamkeit zur | Pflicht gemacht werden. Die Regierungen vereinigen sich darüber, daß Individuen, die nach Bekanntmachung | des gegenwärtigen Beschlusses erweislich in geheimen, oder nicht autorisirten Verbindungen I geblieben, oder in solche getreten sind, bei keinem öffentlichen Amte zugelassen werden sollen. §.4. Kein Studierender, der durch einen von dem Regierungs=Bevollmächtigten bestätig= | ten, oder auf dessen Antrag erfolgten Beschluß eines akademischen Senats von einer Uni= | versität verwiesen worden ist, oder der, um einem solchen Beschlüsse zu entgehen, sich von I der Universität entfernt hat, soll auf einer andern Universität zugelassen, auch überhaupt I kein Studierender, ohne ein befriedigendes Zeugniß seines Wohlverhaltens auf der von I ihm verlassenen Universität, von irgend einer andern Universität aufgenommen werden.

682

§3: Deutscher Bund

[Dok. 3 1 - 8 4 ]

[40] „Provisorische Bestimmungen hinsichtlich der Freiheit der Presse" - Provisorisches Bundes-Preßgesetz(Bundesbeschluß) vom 20. September 1819 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einführungen" die Darstellungen unter [120.] [123.] bis [126.] [131.] [155.] [243.]. Quelle: Protokolle der Bundes-Versammlung, 35. Sitzung vom 20. September 1819, § 220, S. 281-284 (gedruckt). Sonstige Fundstellen: E. R. Huber (Hrsg.), Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte, Bd. 1: Deutsche Verfassungsdokumente 1803 - 1850, 3. Aufl., 1978, Nr. 33; P. A. G. Meyer (Hrsg.), Corpus Juris Germaniae Confoederationis oder Staatsacten fur Geschichte und öffentliches Recht des Deutschen Bundes, Teil II (Beschlüsse der deutschen Bundesversammlung), 3. Aufl., 1859, S. 97 - 99. [S. 281] 3. Entwurf I des Preßgesetzes.^ §.1. So lange als der gegenwärtige Beschluß in Kraft bleiben wird, dürfen Schriften, | die in der Form täglicher Blätter oder heftweise erscheinen, deßgleichen solche, die nicht über | zwanzig Bogen im Drucke stark sind, in keinem deutschen Bundesstaate ohne Vorwissen und I vorgängige Genehmhaltung der Landesbehörden zum Druck befördert werden. ^Schriften, die nicht in eine der hier namhaft gemachten Classen gehören, werden fer= | nerhin nach den in den einzelnen Bundesstaaten erlassenen oder noch zu erlassenden Gesetzen I behandelt. ^Wenn dergleichen Schriften aber irgend einem Bundesstaate Anlaß zur Klage I geben; so soll diese Klage im Namen der Regierung, an welche sie gerichtet ist, nach den | in den einzelnen Bundesstaaten bestehenden Formen gegen die Verfasser oder Verleger der | dadurch betroffenen Schrift erledigt werden. §.2. Die zur Aufrechthaltung dieses Beschlusses erforderlichen Mittel und Vorkehrungen | bleiben der nähern Bestimmung der Regierungen anheimgestellt; sie müssen jedoch von der I [S. 282] Art seyn, daß dadurch dem Sinn und Zweck der Hauptbestimmung des §. 1 vollständig | Genüge geleistet werde. §.3. Da der gegenwärtige Beschluß durch die unter den obwaltenden Umständen von den | Bundesregierungen anerkannte Nothwendigkeit vorbeugender Maasregeln gegen den Miß= I brauch der Presse veranlaßt worden ist; so können die auf gerichtliche Verfolgung und I Bestrafung der im Wege des Drucks bereits verwirklichten Mißbräuche und Vergehungen I abzweckenden Gesetze, in so weit sie auf die im 1. §. bezeichneten Classen von Druckschriften | anwendbar seyn sollen, so lange dieser Beschluß in Kraft bleibt, in keinem Bundesstaate | als zureichend betrachtet werden. §•4. Jeder Bundes Staat ist für die unter seiner Oberaufsicht erscheinenden, mithin für | sämmtliche, unter der Hauptbestimmung des §. 1 begriffenen Druckschriften, in so fem | dadurch die Würde oder Sicherheit anderer Bundesstaaten verletzt, die Verfassung oder | Vgl. „ad IV." des unter Dok. 42 abgedruckten Bundesbeschlusses vom 20. September 1819.

[40] Provisorisches Bundes-Preßgesetz vom 20. September 1819

683

Verwaltung derselben angegriffen wird, nicht nur den unmittelbar Beleidigten, sondern | auch der Gesammtheit des Bundes verantwortlich. §.5. Damit aber diese, in dem Wesen des deutschen Bundesvereins gegründete, von des= | sen Fortdauer unzertrennliche, wechselseitige Verantwortlichkeit nicht zu unnützen Störun= I gen des zwischen den Bundesstaaten obwaltenden freundschaftlichen Verhältnisses Anlaß I geben möge; so übernehmen sämmtliche Mitglieder des deutschen Bundes die feierliche I Verpflichtung gegen einander, bei der Aufsicht über die in ihren Ländern erscheinenden I Zeitungen, Zeit= und Flugschriften mit wachsamem Ernste zu verfahren, und diese Auf= I sieht dergestalt handhaben zu lassen, daß dadurch gegenseitigen Klagen und unangenehmen I Erörterungen auf jede Weise möglichst vorgebeugt werde.

Damit jedoch auch die, durch gegenwärtigen Beschluß beabsichtigte, allgemeine und | wechselseitige Gewährleistung der moralischen und politischen Unverletzlichkeit der Gesammt= | heit und aller Mitglieder des Bundes nicht auf einzelnen Puncten gefährdet werden I könne; so soll in dem Falle, wo die Regierung eines Bundesstaates sich durch die in | einem andern Bundesstaate erscheinenden Druckschriften verletzt glaubte, und durch freund= | schaftliche Rücksprache oder diplomatische Correspondenz zu einer vollständigen Befriedigung | und Abhülfe nicht gelangen könnte, derselben ausdrücklich vorbehalten bleiben, über dep= | [S. 283] gleichen Schriften Beschwerde bei der Bundesversammlung zu fiihren, letztere aber sodann | gehalten seyn, die angebrachte Beschwerde commissarisch untersuchen zu lassen, und wenn | dieselbe gegründet befiinden wird, die unmittelbare Unterdrückung der in Rede stehenden | Schrift, auch wenn sie zur Classe der periodischen gehört, aller fernem Fortsetzung der= 1 selben, durch einen entscheidenden Ausspruch zu verfiigen. Die Bundesversammlung soll ausserdem befugt seyn, die zu ihrer Kenntniß gelan= | genden, unter der Hauptbestimmung des §. 1 begriffenen Schriften, in welchem deutschen | Staate sie auch erscheinen mögen, wenn solche, nach dem Gutachten einer von ihr ernannt I ten Commission, der Würde des Bundes, der Sicherheit einzelner Bundesstaaten, oder I der Erhaltung des Friedens und der Ruhe in Deutschland zuwiderlaufen, ohne vorher= I gegangene Aufforderung aus eigener Autorität durch einen Ausspruch, von welchem keine | Appellation statt findet, zu unterdrücken, und die betreffenden Regierungen sind verpflich= | tet, diesen Ausspruch zu vollziehen. §.7. Wenn eine Zeitung oder Zeitschrift durch einen Ausspruch der Bundesversammlung | unterdrückt worden ist; so darf der Redacteur derselben binnen ftinf Jahren in keinem | Bundesstaate bei der Redaction einer ähnlichen Schrift zugelassen werden. Die Verfasser, Herausgeber und Verleger der unter der Hauptbestimmung des §. 1 | begriffenen Schriften bleiben übrigens, wenn sie den Vorschriften dieses Beschlusses gemäß | gehandelt haben, von aller weitem Verantwortung frei, und die im §. 6 erwähnten | Aussprüche der Bundesversammlung werden ausschliessend gegen die Schriften, nie gegen | die Personen gerichtet.

Sämmtliche Bundesglieder verpflichten sich, in einem Zeitraum von zwei Monaten | die Bundesversammlung von den Verfligungen und Vorschriften, durch welche sie dem | §. 1 dieses Beschlusses Genüge zu leisten gedenken, in Kenntniß zu setzen.

684

§ 3: Deutscher Bund

[Dok. 31 - 84]

§.9. ^Alle in Deutschland erscheinenden Druckschriften, sie mögen unter den Bestimmungen I dieses Beschlusses begriffen seyn, oder nicht, müssen mit dem Namen des Verlegers, und, I in so fem sie zur Classe der Zeitungen oder Zeitschriften gehören, auch mit dem Namen I des Redacteurs versehen seyn. "^Druckschriften, bei welchen diese Vorschrift nicht beobachtet | ist, dürfen in keinem Bundesstaate in Umlauf gesetzt, und müssen, wenn solches heimlicher | Weise geschieht, gleich bei ihrer Erscheinung in Beschlag genommen, auch die Verbreiter | [S. 284] derselben, nach Beschaffenheit der Umstände, zu angemessener Geld= oder Gefängnißstrafe | verurtheilt werden. §.10. ^Der gegenwärtige einstweilige Beschluß soll vom heutigen Tage an fiinf Jahre lang | in Wirksamkeit bleiben.^ ^Vor Ablauf dieser Zeit soll am Bundestage gründlich untersucht | werden, aufweiche Weise die im 18. Artikel der Bundesacte^ in Anregung gebrachten | gleichförmigen Verfügungen über die Preßfreiheit in Erfüllung zu setzen seyn möchten, | und demnächst ein Definitiv=Beschluß über die rechtmäßigen Grenzen der Preßfreiheit in | Deutschland erfolgen.

[40/1] Bundesbeschluß vom 14. Juni 1832 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einführungen" die Darstellung unter [125.]. Quelle: Protokolle der Bundes-Versammlung, 21. Sitzung vom 14. Juni 1832, § 203, S. 811 (gedruckt [Loco dictaturae]). Auszug [S. 811] Hierauf wurde | beschlossen:*^ 3) Die hohe Bundesversammlung spricht ihre Meinung dahin aus, daß der §. 7, | Absatz 2 des Bundestagsbeschlusses vom 20. September 1819* nicht in dem Sinne genom= I men werden könne, daß die dort genannten Verfasser, Herausgeber und Verleger, wenn sie | den Vorschriften dieses Beschlusses gemäß gehandelt haben, für die von ihnen verfaßten, | herausgegebenen oder verlegten Schriften auch gegen die einzelnen Bundes Staaten von aller | weitem Verantwortung entbunden seyen; daß es vielmehr eine selbstverstandene Sache sey, | daß in dieser Beziehung die Anwendung der Landesgesetze auf die durch die Presse begangenen | Verbrechen oder Vergehen durch die Bundesgesetze keinerlei Beschränkung unterworfen sey. 4)

...

Vgl. aber auch Nr. 3 der „Provisorischen Maßregeln" vom 16. August 1824 (Dok. 47). Dok. 31. An der Sitzung nahmen folgende Gesandte teil: von Nagler (für Österreich und Preußen), von Lerchenfeld (für Bayern), von Manteuffel (für Sachsen), von Stralenheim (für Hannover), von Trott (für Württemberg), von Blittersdorff (fiir Baden), von Rieß (für Kurhessen), von Gruben (für HessenDarmstadt), von Pechlin (für Dänemark wegen Holstein und Lauenburg), von Grünne (für die Niederlande wegen Luxemburg), von Beust (für Großherzogtum und Herzogtümer Sachsen sowie für Hohenzollem, Liechtenstein, Reuß, Schaumburg-Lippe, Lippe und Waldeck), von Marschall (für Braunschweig und Nassau), von Schack (fiir Mecklenburg), von Both (für Oldenburg, Anhalt und Schwarzburg), Curtius (fiir Lübeck, Frankfurt, Bremen und Hamburg). Dok. 40.

[41 ] Bundes-Untersuchungsgesetz vom 20. September 1819

685

[40/2] Bundesbeschluß vom 29. November 1832 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einführungen" die Darstellung unter [155.]. Quelle: Protokolle der Bundes-Versammlung, 45. Sitzung vom 29. November 1832, § 523, S. 1580 (1581) - 1581 (gedruckt [Loco dictaturae]). [S. 1580] §. 523. Mißbrauch der Presse, insbesondere der Lithographie betreffend. ...[S. 1581] . . . Diesem Antrage wurde einhellig beigestimmt, und somit | beschlossen:* 1) Der Kurhessischen Regierung ist anheimzugeben, sich darüber zu äussern, was es | mit der Erscheinung und Versendung des der Zeitung: „der Verfassungsfreund" vom 7. I November beiliegenden lithographirten Blattes für ein Bewandniß habe? 2) Sämmtliche Regierungen werden veranlaßt, darauf zu halten, daß die Vorschriften | des provisorischen Bundes=Preßgesetzes^ nicht nur bei gedruckten, sondern, wie sich solches | von selbst versteht, auch bei lithographirten Schriften in Anwendung gebracht werden.

[41] Bundesbeschluß über „die Bestellung einer Central-Behörde zur näheren Untersuchung der in mehreren Bundesstaaten entdeckten revolutionären Umtriebe" Bundes-Untersuchungsgesetz - vom 20. September 1819 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einfährungen" die Darstellungen unter [85.] [120.] [127.] [128.]. Quelle: Protokolle der Bundes-Versammlung, 35. Sitzung vom 20. September 1819, § 220, S. 284-286 (gedruckt). Sonstige Fundstellen: E. R. Huber (Hrsg.), Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte, Bd. 1: Deutsche Verfassungsdokumente 1803 - 1850, 3. Aufl., 1978, Nr. 34; P. A. G. Meyer (Hrsg.), Corpus Juris Germaniae Confoederationis oder Staatsacten für Geschichte und öffentliches Recht des Deutschen Bundes, Teil II (Beschlüsse der deutschen Bundesversammlung), 3. Aufl., 1859, S. 99 - 100. [S. 284] 4. Entwurf | zur Bestellung einer Central=Behörde zur nähern Untersuchung der | in mehreren Bundesstaaten entdeckten revolutionären Umtriebe.*^

An der Sitzung nahmen folgende Gesandte teil: von Münch-Bellinghausen (für Österreich), von Nagler (für Preußen), von Lerchenfeld (für Bayern), von Manteuffel (für Sachsen), von Stralenheim (für Hannover), von Trott (für Württemberg), von Blittersdorff (für Baden), von Gruben (für Kurhessen und Hessen-Darmstadt), von Pechlin (für Dänemark wegen Holstein und Lauenburg), von Grünne (für die Niederlande wegen Luxemburg), von Beust (für Großherzogtum und Herzogtümer Sachsen), von Marschall (für Braunschweig und Nassau), von Schack (für Mecklenburg), von Both (für Oldenburg, Anhalt und Schwarzburg), von Leonhardi (für Hohenzollern, Liechtenstein, Reuß, Schaumburg-Lippe, Lippe und Waldeck), Curtius (für Lübeck, Frankfurt, Bremen und Hamburg). Dok. 40. Vgl. „ad V." des unter Dok. 42 abgedruckten Bundesbeschlusses vom 20. September 1819.

686

§ 3: Deutscher Bund

[Dok. 31 - 84]

Artikel L Innerhalb vierzehn Tagen, von der Fassung gegenwärtigen Beschlusses anzurechnen, | versammelt sich in der Stadt und Bundesfestung Mainz eine aus sieben Mitgliedern, mit | Einschluß eines Vorsitzenden, zusammengesetzte, ausserordentliche, von dem Bunde ausgehende I Central=Untersuchungs=Commission. Artikel 2. Der Zweck dieser Commission ist, gemeinschaftliche, möglichst gründliche und umfassende I Untersuchung und Feststellung des Thatbestandes, des Ursprungs und der mannigfachen I Verzweigungen der gegen die bestehende Verfassung und innere Ruhe, sowohl des ganzen | Bundes, als einzelner Bundesstaaten, gerichteten revolutionären Umtriebe und demagogi= I sehen Verbindungen, von welchen nähere oder entferntere Indicien bereits vorliegen, oder I sich in dem Laufe der Untersuchung ergeben möchten. Artikel 3. Die Bundesversammlung wählt durch Mehrheit der Stimmen der engem Versammlung | die sieben Bundesglieder, welche die Central=Untersuchungs=Commissarien zu ernennen haben. Den Vorsitzenden bestimmen die sieben von den Bundesgliedem ernannten Commissa= I rien, nach ihrer Constituirung als Central=Untersuchungs=Commission durch Wahl aus I ihrer Mitte. [S. 285] Artikel 4. Zu Mitgliedern der Central=Untersuchungs=Commission können nur Staatsdiener er= [ nannt werden, welche in dem Staate, der sie ernennt, in richterlichen Verhältnissen stehen, | oder gestanden, oder wichtige Untersuchungen instmirt haben. Jedem Commissarius wird ein auf das Protokoll verpflichteter Actuarius oder Secretär | von seiner Regierung beigegeben, welche zusammen das Canzlei=Personale bilden. Der Vorsitzende vertheilt die zu erledigenden Geschäfte unter die einzelnen Mitglieder. Beschlüsse werden auf vorgängigen Vortrag nach Stimmenmehrheit gefaßt. Artikel 5. Um ihren Zweck zu erreichen, wird die Central=Untersuchungs=Commission die Oberleib I tung der in verschiedenen Bundes Staaten theils schon angefangenen, theils vielleicht noch an= | zufangenden Local=Untersuchungen übernehmen. Die Behörden, welche dergleichen Untersuchungen bisher gefuhrt haben, oder künftig | fahren werden, sind von ihren Regierungen anzuweisen, die bei ihnen verhandelten Acten | in möglichst kürzester Zeit an die Central=Untersuchungs=Commission entweder in Urschrift I oder in Abschrift einzusenden, den von der besagten Bundes=Commission an sie gelangenden | Requisitionen schleunigst und vollständigst zu willfahren, in Gemäßheit derselben die erfor= | derlichen Untersuchungen mit möglichster Genauigkeit und Beschleunigung vorzunehmen oder | fortzusetzen, und mit Verhaftung der inculpirten Personen vorzuschreiten. Neue, zu Entdeckungen führende Spuren sind die Localbehörden auch ohne vorläufige | Anfrage bei der Central=Untersuchungs=Commission unverzüglich zu verfolgen, jedoch zugleich I der letztem davon Kenntniß zu geben verpflichtet. Ueberhaupt werden die Localbehörden von ihren obersten Landesbehörden angewiesen | werden, sowohl mit der Central=Bundes=Commission, als unter sich, in fortgesetzter

[41 ] Bundes-Untersuchungsgesetz vom 20. September 1819

687

Commu= I nication zu bleiben, und sich gegenseitig in Beziehung auf den Art. 2 der Bundesacte^ zu | unterstützen. Artikel 6. Sämmtliche Bundesglieder, in deren Gebiet bereits Untersuchungen eingeleitet sind, | verpflichten sich, der Central=Untersuchungs=Commission unmittelbar nach ihrer Constituirung | die Localbehörden oder Commissionen, welchen sie die Untersuchung anvertraut haben, | anzuzeigen. Die Bundesglieder, in deren Staaten Untersuchungen dieser Art noch nicht eingeleitet | sind, jedoch aber noch nöthig werden sollten, sind verbunden, auf das dieserwegen von der I Central=Untersuchungs=Commission an sie gelangende Ansinnen, sogleich die Untersuchung vor= I [S. 286] nehmen zu lassen, und der Central==Commission die Behörde namhaft zu machen, welcher | sie hierzu den Auftrag ertheilen. Artikel 7. ^Die Central=Bundes=Commission ist berechtiget, wenn sie es nöthig findet, ein oder | das andere Individuum selbst zu vernehmen. ^Sie wird sich um Sistirung derselben an die | obersten Staatsbehörden der Bundesglieder oder an die ihr, vermöge Artikel 6, bekannt | gemachten Behörden wenden. ^Bei, von der Central=Commission anerkannter, unumgäng= I lieber Nothwendigkeit sind dergleichen Personen auf die, erwähnter Maßen an die obersten | Staats^ oder bereits designirten Localbehörden gerichtete Requisition der Central=Commission | zu verhaften und unter sicherer Bedeckung nach Mainz abzuführen. Artikel 8. Zu sicherer Verwahrung der an den Sitz der Commission zu transportirenden Indivi= | duen sollen die erforderlichen Anstalten getroffen werden. Die Kosten der Commission, so wie der Untersuchung selbst, sind von dem Bunde zu 1 tragen. Artikel 9. Auf gegenwärtigen Bundesschluß wird die Central=Untersuchungs=Commission anstatt I besonderer Instruction verwiesen. In allen Fällen, wo sich Anstände ergeben, oder überhaupt die Central=Untersuchungs= | Commission weitere Verhaltungsbefehle einzuholen in den Fall kommen sollte, hat die= | selbe an die Bundesversammlung zu berichten, welche, zur Einleitung der Beschlußnahme | und Vortrag über solche Anfragen eine Commission von drei Mitgliedern aus ihrer Mitte | ernennen wird. Artikel 10. Eben so ist über die Resultate der möglichst zu beschleunigenden Untersuchung von | der Central=Untersuchungs=Commission Bericht an die Bundesversammlung von Zeit zu | Zeit zu erstatten. Die Bundesversammlung wird nach Maasgabe der, sowohl im Einzelnen, als nach | geschlossener Untersuchung, aus den ganzen Verhandlungen sich ergebender Resultate, die | weitem Beschlüsse zu Einleitung des gerichtlichen Verfahrens fassen.

^ Dok.31.

688

§3: Deutscher Bund

[Dok. 3 1 - 8 4 ]

[42] Bundesbeschluß zur Umsetzung der „Karlsbader Beschlüsse" vom 20. September 1819 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einführungen" die Darstellungen unter [120.] [121.] [124.]. Quelle: Protokolle der Bundes-Versammlung, 35. Sitzung vom 20. September 1819, § 220, S. 286 - 287 (gedruckt). [S.

286]... Nachdem die vorliegenden Abstimmungen^ sich, im Einverständnisse mit den hierdurch I ausgesprochenen Gesinnungen und aufgestellten Ansichten, mit dem Ausdruck des lebhafte= | [S. 287] sten und ehrerbietigsten Dankes für die von Seiner Kaiserlich=Königlichen Majestät andurch | neuerdings bethätigte, unermüdete hohe Sorgfalt für das Beste des deutschen Bundes erklä= | ret hatten, und den gemachten Vorschlägen beigetreten waren; so ward einmüthig | beschlossen:'' daß in deren Gemäßheit adl. nach dem Sinne des monarchischen Princips und zur Aufrechthaltung des Bun= I desvereins, die Bundesstaaten bei Wiedereröffnung der Sitzungen ihre Erklärungen über | eine angemessenen Auslegung und Erläuterung des 13. Artikels der Bundesacte abzugeben | haben. Ad IL Daß inzwischen, bis eine definitive Executions=Ordnung durch die beabsichtigten I weiteren Berathungen zu Stande gebracht werden könne, zur nöthigen Handhabung und | Ausführung der nach dem 2. Artikel der Bundesacte für die innere Sicherheit im Bunde | zu fassenden Beschlüsse und erforderlichen Maasregeln, eine provisorische Executions=Ord= | nung nach dem vorgelegten Entwurfs eingeführt seyn soll. Ad III. Daß, mit Vorbehalt der weitem Berathungen des Bundestags, zur gründ= | liehen Verbesserung des gesammten Schul= und Universitätswesens, den Gebrechen desselben | zunächst und ungesäumt durch Ergreifung von provisorischen Maasregeln abgeholfen, und | dieserhalb der betreffende Entwurf* angenommen werde.^ Ad IV. Daß zur nöthigen Oberaufsicht über die Druckschriften und zur Verhütung | des sich ergebenen Mißbrauchs derselben, in Bezug auf Zeitungen, Zeit= und Flugschriften, I eine provisorische gesetzliche Verfügung nach dem gedachten Entwurf*^ allgemein eingeführt | werden soll. Bezieht sich auf die unter den Dok. 38, 39, 40 und 41 dargestellten („Entwurfs"-)Texte der Maßnahmengesetze. An der Sitzung nahmen folgende Gesandte teil: von Buol-Schauenstein (für Österreich), von Martens (fur Preußen), von Aretin (flir Bayern), von Schlitz (für Sachsen), von Martens (fur Hannover sowie für Braunschweig und Nassau), von Wangenheim (für Württemberg), von Berckheim (für Baden), von Lepel (für Kurhessen), von Hamier (für Hessen-Darmstadt), von Eyben (für Dänemark wegen Holstein und Lauenburg), von Grünne (für die Niederlande wegen Luxemburg), von Berg für von Hendrich (für Großherzogtum und Herzogtümer Sachsen), von Plessen (für Mecklenburg), von Berg (für Oldenburg, Anhalt und Schwarzburg), von Leonhardi (für Hohenzollem, Liechtenstein, Reuß, Schaumburg-Lippe, Lippe und Waldeck), Gütschow (für Lübeck, Frankfurt, Bremen und Hamburg). Dok. 38. Dok. 39. Vgl. auch Nr. 2 der „Provisorischen Maßregeln" vom 16. August 1824 (Dok. 47). Dok. 40.

[43] Wiener Schlußakte vom 15. Mai 1820

689

Ad V. Daß eine Central=Behörde, ausschließlich zur weitem Untersuchung der, gegen= I wärtig in mehreren Bundesstaaten entdeckten, revolutionären Umtriebe, von Bundeswegen, | nach dem vorstehenden Gesetzes=Entwurf^ bestellt und angeordnet seyn soll. Gesammte Bundesgesetz=Beschlüsse treten nach ihrem nähern Inhalte sogleich in allen | Bundesstaaten in Anwendung und Vollziehung.

[43] Schlußakte der Wiener Ministerialkonferenzen (Wiener Schlußakte) vom 15. Mai 1820 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einfuhrungen" die Darstellungen unter [68.] [69.] [78.] bis [96.], [99.] bis [101.], [107.] [113.] bis [115.] [135.] [136.] [149.] [150.] [166.] [177.] bis [179.] [185.] bis [201.] [209.] [222.] bis [229.] [240.] [247.] [248.] [256.] [258.] [321.] [330.] [356.] [384.]. Quelle: Protokolle der Bundes-Versammlung, Plenarversammmlung vom 8. Juni 1820, 11. Sitzung, S. 1 7 - 3 5 (gedruckte Ausfertigung). Sonstige Fundstellen: Österreichisches Staatsarchiv, Abteilung Haus-, Hof- und Staatsarchiv Wien, Allgemeine Urkundenreihe 1820 V 15 (handschrifthche Ausfertigung); K. Binding (Hrsg.), Deutsche Staatsgrundgesetze in diplomatisch genauem Abdruck, 3. Abdruck, 3. Heft (Rheinbund, Bundesakte, Wiener Schlußakte), 1905, S. 37 ff; G. DürigfW. Rudolf (Hrsg.), Texte zur deutschen Verfassungsgeschichte vornehmlich für den Studiengebrauch, 3. Aufl., 1996, S. 65 - 77; E. R. Huber (Hrsg.), Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte, Bd. 1: Deutsche Verfassungsdokumente 1803-1850, 3. Aufl., 1978, Nr. 31; P. A. G. Meyer (Hrsg.), Corpus Juris Germaniae Confoederationis oder Staatsacten fur Geschichte und öffentliches Recht des Deutschen Bundes, Teil II (Beschlüsse der deutschen Bundesversammlung), 3. Aufl., 1859, S. 101 - 111; £'. v. Puttkamer, Föderative Elemente im deutschen Statsrecht seit 1648, 1955, S. 8 8 - 100; H. A. Zachariae (Hrsg.), Die deutschen Verfassungsgesetze der Gegenwart, 1855, S. 1 5 - 3 0 ; K. Zeumer (Hrsg.), Quellensammlung zur Geschichte der deutschen Reichsverfassungen in Mittelalter und Neuzeit, 2. Aufl., 1913, Nr. 219. [S. 17] Schluß=Acte I der über Ausbildung und Befestigung des deutschen Bundes | zu Wien gehaltenen Ministerial=Conferenzen. Die souverainen Fürsten und freien Städte | Deutschlands, eingedenk ihrer bei Stiftung des deutschen Bundes übernommenen Verpflichtung, | den Bestimmungen der Bundesacte durch ergänzende und erläuternde Grundgesetze eine zweck= | gemäße Entwickelung und hiermit dem Bundes=Verein selbst die erforderliche Vollendung zu | sichern, überzeugt, daß sie, um das Band, welches das gesammte Deutschland in Friede und | Eintracht verbindet, unauflöslich zu befestigen, nicht länger anstehen durften, jener Ver= | pflichtung und einem allgemein gefühlten Bedürfhisse durch gemeinschaftliche Berathungen Ge= | nüge zu leisten, haben zu diesem Ende nachstehende Bevollmächtigte ernannt, nämlich: 1) Seine Majestät der Kaiser von Oesterreich, König von Hungam und | Böheim: den Herrn Clemens Wenzel Lothar Fürsten von Mettemich=Winneburg, Fürsten | zu Ochsenhausen, Herzog von Portella, Ritter des goldnen Vliesses; Großkreuz des | Königlich=Ungarischen St. Stephans=Ordens, des goldnen Civil^Ehrenkreuzes und des | Ordens des heiligen Johannes von Jerusalem, Ritter der Russisch=Kaiserlichen Orden | des heil. Andreas, des heil. Alexander=Newsky und der heil. Anna erster Classe, des 1 König-

^ ObenDok.41.

690

§ 3: Deutscher Bund

[Dok. 31 - 84]

lich=Sardinischen Ordens der Annunciade, des Königlich=Dänischen Elephanten= | Ordens, des Königlich=Preussischen schwarzen Adlers und rothen Adlers und des Königlich= I Schwedischen Seraphinen=Ordens, Großkreuz des Königlich=Spanischen Ordens von I Carl IIL, des Königlich=Portugiesischen Christus=Ordens und des Königlich= Französischen | Ordens der Ehrenlegion, Ritter des Königlich=Sicilianischen St. Januarius= und Groß= | fS. 18] kreuz des Königlich=Sicilianischen St. Ferdinand= und Verdienst=Ordens, Ritter des | Königlich=Baierischen St. Hubert=Ordens, Großkreuz des Großherzoglich=Toscanischen | St, Joseph=Ordens, Ritter des Königlich=Würtembergischen goldnen Adlers und des | Königlich=Sächsischen Ordens der Rautenkrone, Großkreuz des Königlich=Niederländischen | Löwen=, des Königlich=Hannöverischen Guelphen= und des Kurfurstlich=Hessischen Löwen= | Ordens, und des Großherzoglich=Hessischen Hausordens, Ritter des Großherzoglich=Badi= [ sehen Ordens der Treue, und Großkreuz des Constantinischen St. Georg=Ordens von Parma; | Canzler des militärischen Marie=Theresien=Ordens, Curator der K. K. Academic der bilden= | den Künste und Conservator der Universität zu Krakau; Kämmerer, wirklichen geheimen Rath, | Staats^ und Conferenz=, dann dirigirenden Minister der auswärtigen Angelegenheiten etc. 2) Seine Majestät der König von Preussen: den Herrn Grafen Christian Günther von Bemstorff, Ihren wirklichen geheimen | Staats^ und Cabinets=Minister, wie auch Minister der auswärtigen Angelegenheiten, | Ritter des schwarzen und rothen Adler=Ordens, des St. Andreas^ und des Elephanten= | Ordens, Großkreuz des St. Stephans=Ordens, der Ehrenlegion, des Danebrog=Ordens, | des Großherzoglich=Badischen Ordens der Treue, des Zähringer Löwen= und des Hessischen | Löwen=Ordens; den Herrn Friedrich Wilhelm Ludwig Freiherm von Krusemarck, Ihren General^ | Lieutenant, ausserordentlichen Gesandten und bevollmächtigten Minister bei Sr. Kaiserlich^ | Königlich=Apostolischen Majestät, Ritter des rothen Adler=Ordens erster Classe, des Verdienst= | Ordens und des eisernen Kreuzes, Großkreuz des Schwedischen Militär^ Schwert=Ordens; und den Herrn Johann Emanuel von Küster, Ihren geheimen Staatsrath, ausseror= | dentlichen Gesandten und bevollmächtigten Minister bei Sr. Majestät dem König von Wür= | temberg und Sr. Königlichen Hoheit dem Großherzog von Baden, Ritter des rothen Ad= | ler=Ordens zweiter Classe und des eisernen Kreuzes. 3) Seine Majestät der König von Baiem: den Herrn Freiherm Friedrich von Zentner, Ihren wirklichen Staatsrath und Ge= | neral=Director im Staatsministerium des Innern, Reichsrath, Großkreuz des Civil=Ver= | dienst=Ordens der Baierischen Krone; und den Herrn Freiherm Johann Gottlieb Eduard von Stainlein, Ihren geheimen Rath | und bevollmächtigten Minister am Kaiserlich=Königlich=Oesterreichischen Hofe, Ritter des | Civil=Verdienst=Ordens der Baierischen Krone, Commandeur des K. K. Oesterreichischen | St. Leopold=Ordens und Ritter des Königlich=Preussischen rothen Adler=Ordens dritter | Classe. [S. 19] 4) Seine Majestät der König von Sachsen: den Herrn Detlev Grafen von Einsiedel, Ihren Cabinets=Minister, Staats=Se= | cretär der innem Angelegenheiten, Kammerherm und Domdechant zu Würzen; Ritter des | Königlich=Sächsischen Hausordens der Rautenkrone, des Königlich=Sächsischen Civil=Ver= | dienst=Ordens, des Königlich=Ungarischen St. Stephans^, des Königlich=Spanischen Ordens I Carl des III. und des Großherzoglich=Weimarischen Falken=Ordens Großkreuz; den Herm Friedrich Albrecht Grafen von der Schulenburg=Closteroda, Ihren | wirklichen geheimen Rath, Kammerherm und bevollmächtigten Minister am Kaiserlich^ Oester= | reichischen Hofe, Ritter des Königlich=Sächsischen Hausordens der Rautenkrone,

[43] Wiener Schlußakte vom 15. Mai 1820

691

des Kö= I niglich=Sächsischen Civil=Verdienst=Ordens, des K. K. Oesterreichischen Leopold= und des Kö= | niglich=Preussischen rothen Adler=Ordens Großkreuz, Ritter des St. Johanniter=Maltheser= | Ordens; und den Herrn Hanns August Fürchtegott von Globig, Ihren geheimen Rath und Kam= | merherm, Großkreuz des Königlich=Sächsischen Civil=Verdienst= und des Königlich^ Preussi= | sehen rothen Adler=Ordens. 5) Seine Majestät der König von Großbritannien und Hannover: den Herrn Ernst Friedrich Norbert Grafen von Münster, Erblandmarschall des Kö= | nigreichs Hannover, Großkreuz des Königlich=Hannöverischen Guelphen=Ordens und des | Königlich=Ungarischen St. Stephans=Ordens, Ihren Staats^ und Cabinets=Minister; und den Herrn Ernst Christian Georg August Grafen von Hardenberg, Großkreuz des | Königlich=Hannöverischen Guelphen=Ordens, des Kaiserlich=Oesterreichischen Leopold= Ordens, | des Königlich=Preussischen rothen Adler=Ordens, Ritter des Johanniter=Ordens; Ihren | Staats= und Cabinets=Minister, ausserordentlichen Abgesandten und bevollmächtigten Ab= I gesandten an dem Hofe Sr. Kaiserlich=Königlich=Apostolischen Majestät. 6) Seine Majestät der König von Würtemberg: den Herrn Ulrich Lebrecht Grafen von Mandelsloh, Ihren Staatsminister und | ausserordentlichen bevollmächtigten Minister am Kaiserlich=Oesterreichischen Hofe; Großkreuz | des Königlichen Ordens der Würtembergischen Krone, Ritter des Königlich=Baierischen St. I Hubertus=Ordens. 7) Seine Königliche Hoheit der Großherzog von Baden: den Herrn Reinhart Freiherm von Berstett, Ihren wirklichen geheimen Rath, | Staatsminister der auswärtigen Angelegenheiten, Großkreuz des Großherzoglichen Haus= | Ordens der Treue und des Zähringer Löwens, wie auch des Kaiserlich=Russischen Alexander^ | Newsky= und des Großherzoglich=Sachsen==Weimarischen Ordens vom weissen Falken; und fS. 20] den Herrn Friedrich Carl Freiherm von Tettenbom, Commandeur des Großher= | zoglich=Badischen Militär=Ordens, Ritter des Militär=Theresien= und des Oesterreichisch= I Kaiserlichen Leopold=Ordens, Ritter des Russisch=Kaiserlichen Ordens der heil. Anna erster | Classe, des heil. Wladimir zweiter, des heil. Georgs dritter Classe und des goldnen Ehren= | säbels mit Brillanten, Offizier der Königlich=Französischen Ehrenlegion, Commandeur des | Königlich=Preussischen rothen Adlers und des Königlich=Schwedischen Schwert=Ordens, | Großkreuz des Großherzoglich=Hessischen Hausordens und des Kurhessischen Löwenordens, | Ritter des Königlich=Baierischen Militär=Ordens; Großherzoglichen General=Lieutenant | und General=Adjutanten der Cavallerie, ausserordentlichen Gesandten und bevollmächtigten | Minister am Kaiserlich=Königlich=Oesterreichischen Hofe. 8) Seine Königliche Hoheit der Kurfürst von Hessen: den Herrn Freiherm von Münchhausen, Ihren geheimen Rath und Kammerherm, | ausserordentlichen Gesandten und bevollmächtigten Minister am Kaiserl, Königl. Oester= | reichischen Hofe, Commandeur zweiter Classe des Kurhessischen Hausordens vom goldnen I Löwen. 9) Seine Königliche Hoheit der Großherzog von Hessen: den Herm Carl du Bos Freiherm zu Thil, Ihren wirklichen geheimen Rath, | Commandeur, Großkreuz des Großherzoglichen Hausordens und Commandeur erster Classe | des Kurfürstlich=Hessischen Ordens vom goldnen Löwen. 10) Seine Majestät der König von Dänemark, Herzog von Holstein | und Lauenburg: den Herm Joachim Friedrich Grafen von Bemstorff, Ihren geheimen Conferenz= | Rath, ausserordentlichen Abgesandten und bevollmächtigten Minister am Kaiserlich=Oester= | reichischen Hofe, Großkreuz des Danebrog=Ordens.

692

§3: Deutscher Bund

[Dok. 3 1 - 8 4 ]

11) Seine Majestät der König der Niederlande, Großherzog von | Luxemburg: den Herrn Anton Reinhart von Falck, Commandeur des Niederländischen Löwenor= | dens, Minister fur den öffentlichen Unterricht, die National=Industrie und die Colonien. 12) Seine Königliche Hoheit der Großherzog von Sachsen=Weimar, und | Ihre Durchlauchten die Herzoge von Sachsen=Gotha, Sachsen=Coburg, | Sachsen=Meinungen und Sachsen=Hidburghausen: den Herrn Carl Wilhelm Freiherm von Fritsch, Großherzoglich=Sachsen=Weimar= | Eisenachischen wirklichen geheimen Rath und Staatsminister, Großkreuz des Großherzoglichen I Hausordens vom weissen Falken. [S. 21] 13) Seine Durchlaucht der Herzog von Braunschweig^Wolfenbüttel: den Herrn Grafen von Münster etc.; und den Herrn Grafen von Hardenberg etc. Seine Durchlaucht der Herzog von Nassau: den Herrn Freiherm Ernst Franz Ludwig Marschall von Bieberstein, Ihren | dirigirenden Staatsminister, des Preussischen rothen Adler=Ordens und des Großherzoglich= | Badischen der Treue Großkreuz. 14) Ihre Königlichen Hoheiten die Groherzoge von Mecklenburgs | Schwerin und Mecklenburg=Strelitz: den Herrn Leopold Hartwig Freiherm von Plessen, Großherzoglich=Mecklenburg= | Schwerinischen Staats^ und Cabinets=Minister, Großkreuz des Königlich=Dänischen Dane= I brog= Ordens. 15) Ihre Durchlauchten die Herzoge von Holstein=01denburg, von An= | halt=Köthen, Anhal1?=Dessau und Anhalt=Bemburg; die Fürsten | von Schwarzburg=Sondershausen und Rudolstadt: den Herm Günther Heinrich von Berg, Präsidenten des Oberappellations=Gerichts | zu Oldenburg, Herzoglich=Holstein=01denburgischen, Herzoglich=Anhaltischen und Fürstlich= I Schwarzburgischen Bundestags=Gesandten, Commandeur des Guelphen=Ordens. 16) Ihre Durchlauchten die Fürsten von Hohenzollem=Hechingen und | Hohenzollem=Sigmaringen, Liechtenstein, Reuß ältere und jüngere | Linie, Schaumburg=Lippe, Lippe und Waldeck: den Herm Freiherm von Marschall etc. 17) die freien Städte Lübeck, Frankfurt, Bremen und Hamburg: den Herm Johann Friedrich Hach, I. U. D., Senator zu Lübeck und Gesandten welche zu Wien, nach geschehener Auswechselung ihrer richtig befundenen Vollmachten, in I Cabinets=Conferenzen zusammengetreten, und, nach sorgfältiger Erwägung und Ausgleichung I der wechselseitigen Ansichten, Wünsche und Vorschläge ihrer Regiemngen, zu einer defini= | tiven Vereinbamng über folgende Artikel gelangt sind: Artikel I. Der deutsche Bund ist ein völkerrechtlicher Verein der deutschen souverainen Fürsten | und freien Städte, zur Bewahmng der Unabhängigkeit und Unverletzbarkeit ihrer im Bunde I begriffenen Staaten, und zur Erhaltung der innem und äussern Sicherheit Deutschlands. [S. 22] Artikel IL Dieser Verein besteht in seinem Innem als eine Gemeinschaft selbstständiger, unter sich I unabhängiger Staaten, mit wechselseitigen gleichen Vertrags=Rechten und Vertrags=Oblie= | genheiten, in seinen äussem Verhältnissen aber, als eine in politischer Einheit verbundene 1 Gesammt=Macht.

[43] Wiener Schlußakte vom 15. Mai 1820

693

Artikel III. ^Der Umfang und die Schranken, welche der Bund seiner Wirksamkeit vorgezeichnet | hat, sind in der Bundesacte bestimmt, die der Grundvertrag und das erste Grundgesetz | dieses Vereins ist. ^Indem dieselbe die Zwecke des Bundes ausspricht, bedingt und begrenzt | sie zugleich dessen Befugnisse und Verpflichtungen. Artikel IV. ^Der Gesammtheit der Bundesglieder steht die Befugniß der Entwickelung und Aus= | bildung der Bundesacte zu, in so fem die Erfüllung der darin aufgestellten Zwecke solche | nothwendig macht. ^Die deßhalb zu fassenden Beschlüsse dürfen aber mit dem Geiste der | Bundesacte nicht im Widerspruch stehen, noch von dem Grundcharakter des Bundes ab= | weichen. Artikel V. Der Bund ist als ein unauflöslicher Verein gegründet, und es kann daher der Aus= | tritt aus diesem Verein keinem Mitgliede desselben frei stehen. Artikel VI. ^Der Bund ist nach seiner ursprünglichen Bestimmung auf die gegenwärtig daran theil= | nehmenden Staaten beschränkt. ^Die Aufnahme eines neuen Mitgliedes kann nur statt | haben, wenn die Gesammtheit der Bundesglieder solche mit den bestehenden Verhältnissen | vereinbar und dem Vortheil des Ganzen angemessen findet. ^Veränderungen in dem ge= | genwärtigen Besitzstande der Bundesglieder können keine Veränderungen in den Rechten | und Verpflichtungen derselben in Bezug auf den Bund, ohne ausdrückliche Zustimmung | der Gesammtheit, bewirken. '^Eine freiwillige Abtretung auf einem Bundesgebiete haftender I Souverainetäts=Rechte kann ohne solche Zustimmung nur zu Gunsten eines Mitverbünde= | ten geschehen. Artikel VII. Die Bundesversammlung, aus den Bevollmächtigten sämmtlicher Bundesglieder gebildet, I stellt den Bund in seiner Gesammtheit vor, und ist das beständige verfassungsmäsige Organ | seines Willens und Handelns. fS. 23] Artikel VIII. Die einzelnen Bevollmächtigten am Bundestage sind von ihren Committenten unbe= | dingt abhängig, und diesen allein wegen getreuer Befolgung der ihnen ertheilten Instm= | ctionen, so wie wegen ihrer Geschäftsführung überhaupt, verantwortlich. Artikel IX. ^Die Bundesversammlung übt ihre Rechte und Obliegenheiten nur innerhalb der ihr | vorgezeichneten Schranken aus. "^Ihre Wirksamkeit ist zunächst durch die Vorschriften der | Bundesacte, und durch die in Gemäßheit derselben beschlossenen oder femer zu beschliessen= I den Gmndgesetze, wo aber diese nicht zureichen, durch die im Gmndvertrage bezeichneten I Bundeszwecke bestimmt. Artikel X. Der Gesammtwille des Bundes wird durch verfassungsmäßige Beschlüsse der Bundes= | Versammlung ausgesprochen; verfassungsmäsig aber sind diejenigen Beschlüsse, die innerhalb I der Grenzen der Competenz der Bundesversammlung, nach vorgängiger Berathung, durch I freie Abstimmung entweder im engem Rathe oder im Plenum, gefaßt werden, je

694

§3: Deutscher Bund

[Dok. 3 1 - 8 4 ]

nachdem | das Eine oder das Andere durch die gmndgesetzlichen Bestimmungen vorgeschrieben ist. Artikel XL ^In der Regel faßt die Bundesversammlung die zur Besorgung der gemeinsamen Ange= | legenheiten des Bundes erforderlichen Beschlüsse im engem Rathe, nach absoluter Stim= | menmehrheit. "^Diese Form der Schlußfassung findet in allen Fällen statt, wo bereits | feststehende allgemeine Grundsätze in Anwendung, oder beschlossene Gesetze und Einrichtung I gen zur Ausführung zu bringen sind, überhaupt aber bei allen Berathungs=Gegenständen, | welche die Bundesacte oder spätere Beschlüsse nicht bestimmt davon ausgenommen haben. Artikel XII. ^Nur in den in der Bundesacte ausdrücklich bezeichneten Fällen, und, wo es auf eine | Kriegserklärung, oder Friedensschluß=Bestätigung von Seiten des Bundes ankommt, wie | auch, wenn über die Aufnahme eines neuen Mitgliedes in den Bund entschieden werden | soll, bildet sich die Versammlung zu einem Plenum. ^Ist in einzelnen Fällen die Frage, | ob ein Gegenstand vor das Plenum gehört, zweifelhaft, so steht die Entscheidung derselben | dem engem Rathe zu. ^Im Plenum findet keine Erörterung noch Berathung statt, son= | dem es wird nur darüber abgestimmt, ob ein im engem Rathe vorbereiteter Beschluß | angenommen oder verworfen werden soll. "^Ein gültiger Beschluß im Plenum setzt eine 1 Mehrheit von zwei Drittheilen der Stimmen voraus. [S. 24] Artikel XIIL Ueber folgende Gegenstände: 1) Annahme neuer Gmndgesetze, oder Abändemng der bestehenden; 2) Organische Einrichtungen, das heißt, bleibende Anstalten, als Mittel zur Erfüllung | der ausgesprochenen Bundeszwecke; 3) Aufnahme neuer Mitglieder in den Bund; 4) Religions=Angelegenheiten; findet kein Beschluß durch Stimmenmehrheit statt; jedoch kann eine definitive Abstimmung I über Gegenstände dieser Art nur nach genauer Prüfung und Erörtemng der den Wider= I spmch einzelner Bundesglieder bestimmenden Gründe, deren Darlegung in keinem Falle I verweigert werden darf, erfolgen. Artikel XIV. ^Was insbesondere die organischen Einrichtungen betrifft, so muß nicht nur über die | Vorfrage, ob solche unter den obwaltenden Umständen nothwendig sind, sondern auch über I Entwurf und Anlage derselben in ihren allgemeinen Umrissen und wesentlichen Bestimmung I gen, im Plenum und durch Stimmen=Einhelligkeit entschieden werden. ^Wenn die Ent= | Scheidung zu Gunsten der vorgeschlagenen Einrichtung ausgefallen ist, so bleiben die sämmt= | liehen weitem Verhandlungen über die Ausführung im Einzelnen der engem Versammlung | überlassen, welche alle dabei noch vorkommenden Fragen durch Stimmenmehrheit entscheidet, | auch, nach Befinden der Umstände, eine Commission aus ihrer Mitte anordnet, um die ver= | schiedenen Meinungen und Anträge, mit möglichster Schonung und Berücksichtigung der | Verhältnisse und Wünsche der Einzelnen, auszugleichen. Artikel XV. In Fällen, wo die Bundesglieder nicht in ihrer vertragsmäsigen Einheit, sondem | als einzelne, selbstständige und unabhängige Staaten erscheinen, folglich jura singulomm | obwal-

[43] Wiener Schlußakte vom 15. Mai 1820

695

ten, oder wo einzelnen Bundesgliedem eine besondere, nicht in den gemeinsamen Ver= | pflichtungen Aller begriffene Leistung oder Verwilligung für den Bund zugemuthet werden I sollte, kann, ohne freie Zustimmung sämmtlicher Betheiligten, kein dieselben verbindender I Beschluß gefaßt werden. Artikel XVI. Wenn die Besitzungen eines souverainen deutschen Hauses durch Erbfolge auf ein an= | deres übergehen, so hängt es von der Gesammtheit des Bundes ab, ob und in wie fem | die auf jenen Besitzungen haftenden Stimmen im Plenum, da im engem Rathe kein Bun= | desglied mehr als eine Stimme fähren kann, dem neuen Besitzer beigelegt werden sollen. [S. 25] Artikel XVII. Die Bundesversammlung ist berafen, zur Aufrechthaltung des wahren Sinnes der 1 Bundesacte, die darin enthaltenen Bestimmungen, wenn über deren Auslegung Zweifel ent= I stehen sollten, dem Bundeszweck gemäß zu erklären, und in allen vorkommenden Fällen den | Vorschriften dieser Urkunde ihre richtige Anwendung zu sichem. Artikel XVIII. Da Eintracht und Friede unter den Bundesgliedem ungestört aufrecht erhalten werden | soll, so hat die Bundesversammlung, wenn die innere Ruhe und Sicherheit des Bundes auf | irgend eine Weise bedroht oder gestört ist, über Erhaltung oder Wiederherstellung derselben I Rath zu pflegen, und die dazu geeigneten Beschlüsse nach Anleitung der in den folgenden Ar= I tikeln enthaltenen Bestimmungen zu fassen. Artikel XIX. ^Wenn zwischen Bundesgliedem Thätlichkeiten zu besorgen, oder wirklich ausgeübt wor= I den sind, so ist die Bundesversammlung bemfen, vorläufige Maasregeln zu ergreifen, wo= I durch jeder Selbsthülfe vorgebeugt und der bereits untemommenen Einhalt gethan werde. | ^Zu dem Ende hat sie vor allem für Aufrechthaltung des Besitzstandes Sorge zu tragen. Artikel XX. Wenn die Bundesversammlung von einem BundesgHede zum Schutze des Besitzstandes I angemfen wird, und der jüngste Besitzstand streitig ist, so soll sie für diesen besondem I Fall befugt seyn, ein bei der Sache nicht betheiligtes Bundesglied in der Nähe des zu | schützenden Gebietes aufzufordem, die Thatsache des jüngsten Besitzes und die angezeigte I Stömng desselben ohne Zeitverlust durch seinen obersten Gerichtshof summarisch untersuchen I und darüber einen rechtlichen Bescheid abfassen zu lassen, dessen Vollziehung die Bundes= | Versammlung, wenn der Bundesstaat, gegen welchen er gerichtet ist, sich nicht auf vorgän= | gige Auffordemng freiwillig dazu versteht, durch die ihr zu diesem Ende angewiesenen Mil^ | tel zu bewirken hat. Artikel XXI. ^Die Bundesversammlung hat in allen, nach Vorschrift der Bundesacte bei ihr anzubrin= | genden Streitigkeiten der Bundesglieder die Vermittlung durch einen Ausschuß zu versuchen. | ^Köimen die entstandenen Streitigkeiten auf diesem Wege nicht beigelegt werden, so hat sie die | Entscheidung derselben durch eine Austrägal=Instanz zu veranlassen, und dabei, so lange nicht | wegen der Austrägal=Gerichte überhaupt eine anderweitige Uebereinkunft zwischen den Bundes^ | gliedem statt gefunden hat, die in dem Bundestags=Beschlusse vom sechzehnten Juni achtzehn | hundert und siebenzehn enthaltenen Vor-

696

§3: Deutscher Bund

[Dok. 3 1 - 8 4 ]

Schriften, so wie den in Folge gleichzeitig an die Bun= | destags=Gesandten ergehender Instructionen zu fassenden besondem Beschluß zu beobachten. [S.26] Artikel XXII. ^Wenn nach Anleitung des obgedachten Bundestags=Beschlusses der oberste Gerichtshof I eines Bundesstaats zur Austrägal=Instanz gewählt ist, so steht demselben die Leitung des I Processes und die Entscheidung des Streits in allen seinen Haupt= und Nebenpuncten uneinge= | schränkt und ohne alle weitere Einwirkung der Bundesversammlung oder der Landesregierung | zu. "^Letztere wird jedoch, auf Antrag der Bundesversammlung, oder der streitenden Theile, | im Fall einer Zögerung von Seiten des Gerichts, die zur Beförderung der Entscheidung | nöthigen Verfügungen erlassen. Artikel XXIII. Wo keine besondem Entscheidungs=Normen vorhanden sind, hat das Austrägal=Gericht | nach den in Rechtsstreitigkeiten derselben Art vormals von den Reichsgerichten subsidiarisch be= | folgten Rechtsquellen, in so fem solche auf die jetzigen Verhältnisse der Bundesglieder noch | anwendbar sind, zu erkennen. Artikel XXIV. Es steht übrigens den Bundesgliedem frei, sowohl bei einzelnen vorkommenden Strei= | tigkeiten, als für alle künftige Fälle, wegen besonderer Austräge oder Compromisse überein= I zukommen, wie denn auch frühere Familien= oder Vertrags^Austräge durch Errichtung der I Bundes=Austrägal=Instanz nicht aufgehoben, noch abgeändert werden. Artikel XXV. ^Die Aufrechthaltung der innem Ruhe und Ordnung in den Bundesstaaten steht den | Regiemngen allein zu. ^Als Ausnahme kann jedoch, in Rücksicht auf die innere Sicherheit | des gesammten Bundes, und in Folge der Verpflichtung der Bundesglieder zu gegenseitiger I Hülfsleistung, die Mitwirkung der Gesammtheit zur Erhaltung oder Wiederherstellung der I Ruhe, im Fall einer Widersetzlichkeit der Unterthanen gegen die Regiemng, eines offenen Auf= I mhrs, oder gefährlicher Bewegungen in mehreren Bundesstaaten, statt finden. Artikel XXVI. ^Wenn in einem Bundesstaate durch Widersetzlichkeit der Unterthanen gegen die Obrigkeit | die innere Ruhe unmittelbar gefährdet, und eine Verbreitung aufrührerischer Bewegungen zu | furchten, oder ein wirklicher Aufruhr zum Ausbmch gekommen ist, und die Regiemng selbst, | nach Erschöpfung der verfassungsmäsigen und gesetzlichen Mittel, den Beistand des Bundes | anmft, so liegt der Bundesversammlung ob, die schleunigste Hülfe zur Wiederherstellung der | Ordnung zu veranlassen. ^Sollte im letztgedachten Falle die Regiemng notorisch ausser Stande | seyn, den Aufmhr durch eigene Kräfte zu unterdrücken, zugleich aber durch die Umstände ge= | hindert werden, die Hülfe des Bundes zu begehren, so ist die Bundesversammlung nichts desto | weniger verpflichtet, auch unaufgemfen zur Wiederherstellung der Ordnung und Sicherheit | [S. 27] einzuschreiten. ^In jedem Falle aber dürfen die verfügten Maasregeln von keiner langem Dauer | seyn, als die Regiemng, welcher die bundesmäsige Hülfe geleistet wird, es nothwendig erachtet. Artikel XXVII. Die Regiemng, welcher eine solche Hülfe zu Theil geworden, ist gehalten, die Bundes^ | Versammlung von der Veranlassung der eingetretenen Unmhen in Kenntniß zu setzen, und von I den zur Befestigung der wiederhergestellten gesetzlichen Ordnung getroffenen Maasregeln eine | bemhigende Anzeige an dieselbe gelangen zu lassen.

[43] Wiener Schlußakte vom 15. Mai 1820

697

Artikel XXVIII. Wenn die öffentliche Ruhe und gesetzliche Ordnung in mehreren Bundesstaaten durch 1 gefährliche Verbindungen und Anschläge bedroht sind, und dagegen nur durch Zusammen= | wirken der Gesammtheit zureichende Maasregeln ergriffen werden können, so ist die Bundes^ | Versammlung befugt und berufen, nach vorgängiger Rücksprache mit den zunächst bedrohten | Regierungen, solche Maasregeln zu berathen und zu beschliessen. Artikel XXIX. Wenn in einem Bundesstaate der Fall einer Justiz=Verweigerung eintritt, und auf ge= | setzHchen Wegen ausreichende Hülfe nicht erlangt werden kann, so liegt der Bundesversamm= | lung ob, erwiesene, nach der Verfassung und den bestehenden Gesetzen jedes Landes zu | beurtheilende Beschwerden über verweigerte oder gehemmte Rechtspflege anzunehmen, und I darauf die gerichtliche Hülfe bei der Bundesregierung, die zu der Beschwerde Anlaß gegeben | hat, zu bewirken. Artikel XXX. Wenn Forderungen von Privatpersonen deßhalb nicht befriedigt werden können, weil | die Verpflichtung, denselben Genüge zu leisten, zwischen mehreren Bundesgliedem zweifel= I haft oder bestritten ist, so hat die Bundesversammlung, auf Anrufen der Betheiligten, | zuvörderst eine Ausgleichung auf gütlichem Wege zu versuchen, im Fall aber, daß dieser | Versuch ohne Erfolg bliebe, und die in Anspruch genommenen Bundesglieder sich nicht | in einer zu bestimmenden Frist über ein Compromiß vereinigten, die rechtliche Entscheid | dung der streitigen Vorfrage durch eine Austrägal=Instanz zu veranlassen. Artikel XXXI. Die Bundesversammlung hat das Recht und die Verbindlichkeit, für die Vollziehung | der Bundesacte und übrigen Grundgesetze des Bundes, der in Gemäßheit ihrer Competenz | von ihr gefaßten Beschlüsse, der durch Austräge gefällten schiedsrichterlichen Erkenntnisse, I der unter die Gewährleistung des Bundes gestellten compromissarischen Entscheidungen und I der am Bundestage vermittelten Vergleiche, so wie fiir die Aufrechthaltung der von dem | [S. 28] Bunde übernommenen besonderen Garantien, zu sorgen, auch zu diesem Ende, nach Er= | Schöpfung aller andern bundesverfassungsmäsigen Mittel, die erforderUchen Executions^ | Maasregeln, mit genauer Beobachtung der in einer besondem Executions=Ordnung dieser= | halb festgesetzten Bestimmungen und Normen, in Anwendung zu bringen. Artikel XXXII. ^Da jede Bundesregierung die Obliegenheit hat, auf Vollziehung der Bundesbeschlüsse | zu halten, der Bundesversammlung aber eine unmittelbare Einwirkung auf die innere | Verwaltung der Bundesstaaten nicht zusteht, so kann in der Regel nur gegen die Regie= | rung selbst ein Executions=Verfahren statt finden. ^Ausnahmen von dieser Regel treten | jedoch ein, wenn eine Bundesregierung, in Ermangelung eigener zureichenden Mittel, selbst I die Hülfe des Bundes in Anspruch nimmt, oder wenn die Bundesversammlung unter I den im sechs und zwanzigsten Artikel bezeichneten Umständen, zur Wiederherstellung der I allgemeinen Ordnung und Sicherheit unaufgerufen einzuschreiten verpflichtet ist. ^Im | ersten Falle muß jedoch immer in Uebereinstimmung mit den Anträgen der Regierung, wel= I eher die bundesmäsige Hülfe geleistet wird, verfahren, und im zweiten Falle ein Gleiches, | sobald die Regierung wieder in Thätigkeit gesetzt ist, beobachtet werden.

698

§3: Deutscher Bund

[Dok. 3 1 - 8 4 ]

Artikel XXXIII. ^Die Executions=Maasregeln werden im Namen der Gesammtheit des Bundes beschlossen I und ausgeführt. ^Die Bundesversammlung ertheilt zu dem Ende, mit Berücksichtigung I aller Localumstände und sonstigen Verhältnisse, einer oder mehreren, bei der Sache nicht I betheiligten Regierungen, den Auftrag zur Vollziehung der beschlossenen Maasregeln, und I bestimmt zugleich sowohl die Stärke der dabei zu verwendenden Mannschaft, als die nach | dem jedesmaligen Zweck des Executions=Verfahrens zu bemessende Dauer desselben. Artikel XXXIV. ^Die Regierung, an welche der Auftrag gerichtet ist, und welche solchen als eine Bun= | despflicht zu übernehmen hat, ernennt zu diesem Behuf einen Civil=Commissär, der, in | Gemäßheit einer, nach den Bestimmungen der Bundesversammlung, von der beauftragten | Regierung zu ertheilenden besondem Instruction, das Executions^Verfahren unmittelbar | leitet. - ^Wenn der Auftrag an mehrere Regierungen ergangen ist, so bestimmt die | Bundesversammlung, welche derselben den Civil=Commissär zu emennen hat. ^Die beauf= | tragte Regierung wird, während der Dauer des Executions=Verfahrens, die Bundesver= | Sammlung von dem Erfolge desselben in Kenntniß erhalten, und sie, sobald der Zweck | vollständig erfüllt ist, von der Beendigung des Geschäfts unterrichten. [S. 29] Artikel XXXV. ^Der Bund hat als Gesammtmacht das Recht, Krieg, Frieden, Bündnisse und andere | Verträge zu beschliessen. ^Nach dem im zweiten Artikel der Bundesacte ausgesprochenen | Zwecke des Bundes übt derselbe aber diese Rechte nur zu seiner Selbstvertheidigung, zur | Erhaltung der Selbstständigkeit und äussern Sicherheit Deutschlands, und der Unabhängig= I keit und Unverletzbarkeit der einzelnen Bundesstaaten aus. Artikel XXXVI. Da in dem eilften Artikel der Bundesacte alle Mitglieder des Bundes sich verbindlich | gemacht haben, sowohl ganz Deutschland, als jeden einzelnen Bundesstaat gegen jeden | Angriff in Schutz zu nehmen, und sich gegenseitig ihre sämmtlichen unter dem Bunde be= | griffenem Besitzungen zu garantiren, so kann kein einzelner Bundesstaat von Auswärtigen | verletzt werden, ohne daß die Verletzung zugleich und in demselben Maase die Gesammtheit I des Bundes treffe. ^Dagegen sind die einzelnen Bundesstaaten verpflichtet, von ihrer Seite weder Anlaß [ zu dergleichen Verletzungen zu geben, noch auswärtigen Staaten solche zuzufügen. -1 ^Sollte von Seiten eines fremden Staates über eine von einem Mitgliede des Bundes ihm | widerfahme Verletzung bei der Bundesversammlung Beschwerde geführt, und diese gegrün= | det befiinden werden, so liegt der Bundesversammlung ob, das Bundesglied, welches die I Beschwerde veranlaßt hat, zur schleunigen und genügenden Abhülfe aufzufordern, und mit | dieser Aufforderung, nach Befinden der Umstände, Maasregeln, wodurch weitem friede= | störenden Folgen zur rechten Zeit vorgebeugt werde, zu verbinden. Artikel XXXVIL ^Wenn ein Bundesstaat, bei einer zwischen ihm und einer auswärtigen Macht ent= | standenen Irrung, die Dazwischenkunft des Bundes anruft, so hat die Bundesversammlung | den Ursprung solcher Irrung und das wahre Sachverhältniß sorgfältig zu prüfen. - | ^Ergiebt sich aus dieser Prüfting, daß dem Bundesstaate das Recht nicht zur Seite steht, | so hat die Bundesversammlung denselben von Fortsetzung des Streites ernstlich abzumah= | nen und die begehrte Dazwischenkunft zu verweigern, auch erforderlichen Falls zur Er= | haltung des Friedensstandes geeignete Mittel anzuwenden. ^Ergiebt sich das Gegentheil, | so ist die

[43] Wiener Schlußakte vom 15. Mai 1820

699

Bundesversammlung verpflichtet, dem verletzten Bundes Staate ihre wirksamste | Verwendung und Vertretung angedeihen zu lassen, und solche so weit auszudehnen, als | nöthig ist, damit demselben volle Sicherheit und angemessene Genugthuung zu Theil werde. Artikel XXXVIIL ^Wenn aus der Anzeige eines Bundesstaats, oder aus andern zuverlässigen Angaben, | Grund zu der Besorgniß geschöpft wird, daß ein einzelner Bundesstaat, oder die Ge= | [S. 30] sammtheit des Bundes, von einem feindlichen Angriffe bedroht sey, so muß die | Bundesversammlung sofort die Frage, ob die Gefahr eines solchen Angriffes wirklich vor= I banden ist, in Berathung nehmen, und darüber in der kürzest=möglichen Zeit einen Aus= I Spruch thun. - ^Wird die Gefahr anerkannt, so muß, gleichzeitig mit diesem Ausspruche, I wegen der in solchem Falle unverzüglich in Wirksamkeit zu setzenden Vertheidigungs=Maas== | regeln, ein Beschluß gefaßt werden. ^Beides, jener Ausspruch und dieser Beschluß, er= | geht von der engem Versammlung, die dabei nach der in ihr geltenden absoluten Stimmen^ | mehrheit verfährt. Artikel XXXIX. Wenn das Bundesgebiet von einer auswärtigen Macht feindlich überfallen wird, tritt | sofort der Stand des Krieges ein, und es muß in diesem Falle, was auch femer von | der Bundesversammlung beschlossen werden mag, ohne weitem Verzug zu den erforderlichen | Vertheidigungs=Maasregeln geschritten werden. Artikel XL. Sieht sich der Bund zu einer förmlichen Kriegserklämng genöthigt, so kann solche | nur in der vollen Versammlung nach der für dieselbe vorgeschriebenen Stimmenmehrheit | von zwei Drittheilen beschlossen werden. Artikel XLI. ^Der in der engem Versammlung gefaßte Beschluß über die Wirklichkeit der Gefahr | eines feindlichen Angriffes verbindet sämmtliche Bundesstaaten zur Theilnahme an den vom I Bundestage nothwendig erachteten Vertheidigungs=Maasregeln. "^Gleicherweise verbindet die I in der vollen Versammlung ausgesprochene Kriegserklämng sämmtliche Bundesstaaten zur I unmittelbaren Theilnahme an dem gemeinschaftlichen Kriege. Artikel XLII. Wenn die Vorfrage, ob Gefahr vorhanden ist, durch die Stimmenmehrheit vemeinend | entschieden wird, so bleibt nichts desto weniger denjenigen Bundesstaaten, welche von der I WirkHchkeit der Gefahr überzeugt sind, unbenommen, gemeinschaftliche Vertheidigungs= I Maasregeln unter einander zu verabreden Artikel XLIII. Wenn in einem Falle, wo es die Gefahr und Beschützung einzelner Bundesstaaten gilt, | einer der streitenden Theile auf die förmliche Vermittelung des Bundes anträgt, so wird | derselbe, in so fem er es der Lage der Sachen und seiner Stellung angemessen findet, unter | vorausgesetzter Einwilligung des andem Theils, diese Vermittelung übemehmen; jedoch | darf dadurch der Beschluß wegen der zur Sicherheit des Bundesgebiets zu ergreifenden Ver= I [S. 31] theidigungs=Maasregeln nicht aufgehalten werden, noch in der Ausfühmng der bereits be= | schlossenen ein Stillstand oder eine Verzögemng eintreten.

700

§3: Deutscher Bund

[Dok. 3 1 - 8 4 ]

Artikel XLIV, Bei ausgebrochenem Kriege steht jedem Bundesstaate frei, zur gemeinsamen Verthei= | digung eine größere Macht zu stellen, als sein Bundes=Contingent beträgt; es kann jedoch | in dieser Hinsicht keine Forderung an den Bund statt finden. Artikel XLV. Wenn in einem Kriege zwischen auswärtigen Mächten oder in andern Fällen Ver= | hältnisse eintreten, welche die Besorgniß einer Verletzung der Neutralität des Bundes^ | gebietes veranlassen, so hat die Bundesversammlung ohne Verzug im engem Rathe die zur I Behauptung dieser Neutralität erforderlichen Maasregeln zu beschliessen. Artikel XLVL Beginnt ein Bundesstaat, der zugleich ausserhalb des Bundesgebietes Besitzungen hat, | in seiner Eigenschaft als Europäische Macht einen Krieg, so bleibt ein solcher, die Verhält= I nisse und Verpflichtungen des Bundes nicht berührender Krieg dem Bunde ganz fremd. Artikel XLVII. ^In den Fällen, wo ein solcher Bundesstaat in seinen ausser dem Bunde belegenen | Besitzungen bedroht oder angegriffen wird, tritt für den Bund die Verpflichtung zu ge= | meinschaftlichen Vertheidigungs=Maasregeln, oder zur Theilnahme und Hülfsleistung nur in I so fem ein, als derselbe, nach vorgängiger Berathung durch Stimmenmehrheit in der engem | Versammlung, Gefahr für das Bundesgebiet erkennt. - ^Im letztem Falle finden die I Vorschriften den vorhergehenden Artikel ihre gleichmäsige Anwendung. Artikel XLVIII. Die Bestimmung der Bundesacte, vermöge welcher, nach einmal erklärtem Bundeskriege, I kein Mitglied des Bundes einseitige Unterhandlungen mit dem Feinde eingehen, noch ein= I seitig Waffenstillstand oder Frieden schliessen darf, ist für sämmtliche Bundesstaaten, sie I mögen ausserhalb des Bundes Besitzungen haben oder nicht, gleich verbindlich. Artikel XLIX. ^Wenn von Seiten des Bundes Unterhandlungen über Abschluß des Friedens oder eines | Waffenstillstandes statt finden, so hat die Bundesversammlung zu specieller Leitung der= | selben einen Ausschuß zu bestellen, zu dem Unterhandlungs=Geschäft selbst aber eigene Be= I vollmächtigte zu emennen, und mit gehörigen Instmetionen zu versehen. ^Die Annahme I und Bestätigung eines Friedensvertrags kann nur in der vollen Versammlung geschehen. [S. 32] Artikel L. In Bezug auf die auswärtigen Verhältnisse überhaupt liegt der Bundesversammlung ob: 1) Als Organ der Gesammtheit des Bundes für die Aufrechthaltung friedlicher und | freundschaftlicher Verhältnisse mit den auswärtigen Staaten Sorge zu tragen; 2) Die von fremden Mächten bei dem Bunde beglaubigten Gesandten anzunehmen, | und, wenn es nöthig befiinden werden sollte, im Namen des Bundes Gesandte an fremde | Mächte abzuordnen; 3) In eintretenden Fällen Unterhandlungen für die Gesammtheit des Bundes zu | führen, und Verträge für denselben abzuschliessen; 4) Auf Verlangen einzelner Bundesregiemngen, für dieselben die Verwendung des | Bundes bei fremden Regiemngen, und, in gleicher Art, auf Verlangen fremder Staa-

[43] Wiener Schlußakte vom 15. Mai 1820

701

ten, I die Dazwischenkunft des Bundes bei einzelnen Bundesgliedem eintreten zu lassen Artikel LI. Die Bundesversammlung ist femer verpflichtet, die auf das Militärwesen des Bundes | Bezug habenden organischen Einrichtungen, und die zur Sicherstellung seines Gebiets er= | forderlichen Vertheidigungs=Anstalten zu beschliessen. Artikel LH. Da zu Erreichung der Zwecke und Besorgung der Angelegenheiten des Bundes, von | der Gesammtheit der Mitglieder Geldbeiträge zu leisten sind, so hat die Bundesversammlung 1) den Betrag der gewöhnlichen verfassungsmäsigen Ausgaben, so weit solches | im Allgemeinen geschehen kann, festzusetzen; 2) in vorkommenden Fällen die zur Ausführung besonderer, in Hinsicht auf an= | erkannte Bundeszwecke gefaßten Beschlüsse erforderlichen ausserordentlichen Ausgaben I und die zur Bestreitung derselben zu leistenden Beiträge zu bestimmen; 3) das matrikelmäsige Verhältniß, nach welchem von den Mitgliedern des Bundes | beizutragen ist, festzusetzen; 4) die Erhebung, Verwendung und Verrechnung der Beiträge anzuordnen und | darüber die Aufsicht zu fähren. Artikel LIII. ^Die durch die Bundesacte den einzelnen Bundesstaaten garantirte Unabhängigkeit schließt I zwar im Allgemeinen jede Einwirkung des Bundes in die innere Staatseinrichtung und I Staatsverwaltung aus. ^Da aber die Bundesglieder sich in dem zweiten Abschnitt der | Bundesacte über einige besondere Bestimmungen vereinigt haben, welche sich theils auf | Gewährleistung zugesicherter Rechte, theils auf bestimmte Verhältnisse der Unterthanen be= I ziehen, so liegt der Bundesversammlung ob, die Erfüllung der durch diese Bestimmungen I [S. 23] übernommenen Verbindlichkeiten, wenn sich aus hinreichend begründeten Anzeigen der Be= | theiligten ergiebt, daß solche nicht statt gefunden habe, zu bewirken. ^Die Anwendung der | in Gemäßheit dieser Verbindlichkeiten getroffenen allgemeinen Anordnungen auf die einzelnen | Fälle bleibt jedoch den Regierungen allein überlassen. Artikel LIV. Da nach dem Sinne des dreizehnten Artikels der Bundesacte, und den darüber er= | folgten spätem Erklämngen, in allen Bundesstaaten landständische Verfassungen statt | finden sollen, so hat die Bundesversammlung darüber zu wachen, daß diese Bestimmung | in keinem Bundesstaat unerfüllt bleibe. Artikel LV. Den souverainen Fürsten der Bundesstaaten bleibt überlassen, diese innere Landes^ | Angelegenheit, mit Berücksichtigung sowohl der früherhin gesetzlich bestandenen ständischen I Rechte, als der gegenwärtig obwaltenden Verhältnisse zu ordnen. Artikel LVI. Die in anerkannter Wirksamkeit bestehenden landständischen Verfassungen können nur I auf verfassungsmäsigem Wege wieder abgeändert werden.

702

§3: Deutscher Bund

[Dok. 3 1 - 8 4 ]

Artikel LVIL Da der deutsche Bund, mit Ausnahme der freien Städte, aus souverainen Fürsten | besteht, so muß, dem hierdurch gegebenen Grundbegriffe zufolge, die gesammte Staats= | gewalt in dem Oberhaupte des Staats vereinigt bleiben, und der Souverain kann durch | eine landständische Verfassung nur in der Ausübung bestimmter Rechte an die Mitwirkung | der Stände gebunden werden. Artikel LVIII. Die im Bunde vereinten souverainen Fürsten dürfen durch keine landständische Ver= | fassung in der Erfüllung ihrer bundesmäsigen Verpflichtungen gehindert oder beschränkt | werden. Artikel LIX. Wo die Oeffentlichkeit landständischer Verhandlungen durch die Verfassung gestattet | ist, muß durch die Geschäftsordnung dafür gesorgt werden, daß die gesetzlichen Grenzen | der freien Aeusserung, weder bei den Verhandlungen selbst, noch bei deren Bekanntma= | chung durch den Druck, auf eine die Ruhe des einzelnen Bundesstaats oder des gesamm= | ten Deutschlands gefährdende Weise überschritten werden. Artikel LX. ^Wenn von einem Bundesgliede die Garantie des Bundes für die in seinem Lande | eingeführte landständische Verfassung nachgesucht wird, so ist die Bundesversammlung be= | [S. 34] rechtigt, solche zu übernehmen. "^Sie erhält dadurch die Befugniß, auf Anrufung der I Betheiligten, die Verfassung aufrecht zu erhalten, und die über Auslegung oder Anwen= I dung derselben entstandenen Irrungen, so fem dafür nicht anderweitig Mittel und Wege I gesetzlich vorgeschrieben sind, durch gütliche Vermittelung oder compromissarische Entschei= | dung beizulegen. Artikel LXI. ^Ausser dem Falle der übernommenen besondem Garantie einer landständischen Verfas= I sung, und der Aufrechthaltung der über den dreizehnten Artikel der Bundesacte hier fest= 1 gesetzten Bestimmungen, ist die Bundesversammlung nicht berechtigt, in landständische An= I gelegenheiten, oder in Streitigkeiten zwischen den Landesherren und ihren Ständen einzu= | wirken, so lange solche nicht den im sechs und zwanzigsten Artikel bezeichneten Charakter | armehmen, in welchem Falle die Bestimmungen dieses, so wie des sieben und zwanzigsten | Artikels auch hiebei ihre Anwendung finden. - ^Der sechs und vierzigste Artikel der Wiener | Congreßacte vom Jahre achtzehn hundert und fünfzehn, in Betreff der Verfassung der freien | Stadt Frankfurt, erhält jedoch hierdurch keine Abänderung. Artikel LXII. Die vorstehenden Bestimmungen in Bezug auf den dreizehnten Artikel der Bundesacte | sind auf die freien Städte in so weit anwendbar, als die besondem Verfassungen und | Verhältnisse derselben es zulassen. Artikel LXIII. ^Es liegt der Bundesversammlung ob, auf die genaue und vollständige Erfüllung | derjenigen Bestimmungen zu achten, welche der vierzehnte Artikel der Bundesacte in Betreff | der mittelbar gewordenen ehemaligen Reichsstände und des ehemaligen unmittelbaren Reichs^ | adels enthält. "^Diejenigen Bundesglieder, deren Ländem die Besitzungen derselben einverleibt | worden, bleiben gegen den Bund zur unverrückten Aufrechthaltung der

[43] Wiener Schlußakte vom 15. Mai 1820

703

durch jene Bestim= | mungen begründeten staatsrechtlichen Verhältnisse verpflichtet. ^Und wenn gleich die über | die Anwendung der in Gemäßheit des vierzehnten Artikels der Bundesacte erlassenen Ver= | Ordnungen oder abgeschlossenen Verträge entstehenden Streitigkeiten in einzelnen Fällen | an die competenten Behörden des Bundesstaats, in welchem die Besitzungen der mittelbar | gewordenen Fürsten, Grafen und Herren gelegen sind, zur Entscheidung gebracht werden | müssen, so bleibt denselben doch, im Fall der verweigerten gesetzlichen und verfassungsmäsi= | gen Rechtshülfe, oder einer einseitigen zu ihrem Nachtheil erfolgten legislativen Erklärung | der durch die Bundesacte ihnen zugesicherten Rechte, der Recurs an die Bundesversamm= | lung vorbehalten; und diese ist in einem solchen Falle verpflichtet, wenn sie die Beschwerde | gegründet findet, eine genügende Abhülfe zu bewirken. [S, 35] Artikel LXIV. Wenn Vorschläge zu gemeinnützigen Anordnungen, deren Zweck nur durch die zusamt I menwirkende Theilnahme aller Bundesstaaten vollständig erreicht werden kann, von ein= I zelnen Bundesgliedem an die Bundesversammlung gebracht werden, und diese sich von der | Zweckmäsigkeit und Ausführbarkeit solcher Vorschläge im Allgemeinen überzeugt, so liegt I ihr ob, die Mittel zur Vollführung derselben in sorgfältige Erwägung zu ziehen, und ihr | anhaltendes Bestreben dahin zu richten, die zu dem Ende erforderliche freiwillige Verein= | barung unter den sämmtlichen Bundesgliedem zu bewirken. Artikel LXV. Die in den besondem Bestimmungen der Bundesacte, Artikel 16, 18, 19, zur Be== 1 rathung der Bundesversammlung gestellten Gegenstände bleiben denselben, um durch gemein= | schaftliche Uebereinkunft zu möglichst gleichförmigen Verfügungen darüber zu gelangen, zur | fernem Bearbeitung vorbehalten. Die vorstehende Acte wird als das Resultat einer unabänderlichen Vereinbamng zwischen I den Bundesgliedem, mittelst Präsidial=Vortrags an den Bundestag gebracht, und dort, I in Folge gleichlautender Erklämngen der Bundesregiemngen, durch förmlichen Bundesbeschluß | zu einem Gmndgesetz erhoben werden, welches die nämliche Kraft und Gültigkeit wie die | Bundesacte selbst haben und der Bundesversammlung zur unabweichHchen Richtschnur [ dienen soll. Zur Urkunde dessen haben sämmtliche hier versammelte Bevollmächtigte die gegenwärtige I Acte unterzeichnet und mit ihren Wappen untersiegelt. So geschehen zu Wien, den fünfzehnten des Monats Mai, im Jahr ein tau= | send acht hundert und zwanzig. (L. (L. (L. (L. (L. (L. (L. (L. (L. (L. (L.

S.) Fürst von Mettemich. S.) Krusemarck. S.) Graf Bemstorff. S.) J. E. von Küster. S.) Freiherr von Zentner. S.) Freiherr von Stainlein. S.) Graf von der Schulenburg. S.) von Globig. S.) Emst Graf von Hardenberg. S.) Graf von Mandelsloh. S.) J. F. Hach.

(L. S.) Freiherr von Berstett. (L. S.) Freiherr von Tettenbom. (L. S.) Münchhausen. (L. S.) du Bos du Thil. (L. S.) J. Bemstorff (L. S.) A. R. Falck. (L. S.) Carl Wilhelm Freiherr von Fritsch. (L. S.) E. F. L. Marschall v. Bieberstein. (L. S.) L. H. Freiherr von Plessen. (L. S.) von Berg,

704

§ 3 : Deutscher Bund

[Dok. 3 1 - 8 4 ]

[44] „Executions-Ordnung zur Vollziehung der Beschlüsse des Bundestags und der Erkenntnisse der Austrägal-Instanzen" Definitive Bundes-Exekutionsordnung - (Bundesbeschluß) vom 3. August 1820 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einfuhrungen" die Darstellungen unter [96.] [103.] [123.] [183.] [185.] [201.]. Quelle: Protokolle der Bundes-Versammlung, Plenarversammmlung vom 8. August 1820, §3, S. 222-227 (gedruckt). Sonstige Fundstellen: E. R. Huber (Hrsg.), Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte, Bd. 1: Deutsche Verfassungsdokumente 1803 - 1850, 3. Aufl., 1978, Nr. 38; P. A. G. Meyer (Hrsg.), Corpus Juris Germaniae Confoederationis oder Staatsacten für Geschichte und öffentliches Recht des Deutschen Bundes, Teil II (Beschlüsse der deutschen Bundesversammlung), 3. Aufl., 1859, S. 113 - 115. [S. 222] 3. Executions=Ordnung. [S. 223] .. . Artikel 1. Die Bundesversammlung hat das Recht und die Verbindlichkeit, für die Vollziehung | der Bundesacte und übrigen Grundgesetze des Bundes, der, in Gemäßheit ihrer Competenz, I von ihr gefaßten Beschlüsse, der durch Austräge gefällten schiedsrichterlichen Erkenntnisse, der I unter die Gewährleistung des Bundes gestellten compromissarischen Entscheidungen und der | am Bundestage vermittelten Vergleiche, so wie für die Aufrechthaltung der von dem Bunde | übernommenen besondem Garantien, zu sorgen, auch zu diesem Ende, nach Erschöpfung aller | andern bundesverfassungsmäsigen Mittel, die erforderlichen Executions=Maasregeln in Anwen= | dung zu bringen. Artikel 2. ^Zur Erfüllung dieser Verbindlichkeit wählt die Bundesversammlung jedesmal für den | Zeitraum von sechs Monaten, mit Einschluß der Ferien, aus ihrer Mitte eine Commission von I fünf Mitgliedern mit zwei Stellvertretern, dergestalt: daß bei deren jedesmaligen Erneuerung I wenigstens zwei neue Mitglieder darin aufgenommen werden. "^An dieselbe werden alle der Bun= | desversammlung zukommenden Eingaben und Anzeigen abgegeben, welche auf die im 1. Art. | bezeichneten Vollziehungsgegenstände Bezug haben. Artikel 3. ^Dieser Commission liegt ob, zuvörderst zu prüfen, ob der bundesmäßigen Verpflich= | tung vollständige oder unzureichende Folge geleistet worden sey, und darüber Vortrag an die I Bundesversammlung zu erstatten. ^Erhält diese dadurch die Ueberzeugung, daß in dem gege= I benen Falle die gesetzlichen Vorschriften gar nicht, oder nicht hinlänglich befolgt worden sind, | so hat sie, nach Beschaffenheit der Umstände, einen kurzen Termin anzuberaumen, um von I den Gesandten der Bundesstaaten, welche solches angeht, entweder die Erklärung der hierauf | [S. 224] erfolgten Vollziehung oder die genügende und vollständige Nachweisung der Ursachen, welche | der Folgeleistung noch entgegenstehen, zu vernehmen. Nach erfolgter Erklärung, oder, in Ermangelung dieser, nach Ablauf der bestimmten | Frist, hat die Bundesversammlung auf das von der Commission darüber abzugebende Gut= I achten zu beurtheilen, in wie fem die Sache erledigt, oder der Fall der Nichterfüllung

[44] Definitive Bundes-Exekutionsordnung vom 3. August 1820

705

der I bundesmäsigen Verpflichtung begründet, und sonach das geeignete Executions=Verfahren zu | beschliessen ist. Artikel 4. Ehe die Bundesversammlung die wirkliche Ausführung ihres wegen der Execution und | der dabei anzuwendenden Mittel gefaßten Beschlusses verfugt, wird sie denselben der Regie= I rung des betheiligten Bundesstaats durch dessen Bundestagsgesandten mittheilen und zu= I gleich an diese eine angemessene motivirte Aufforderung zur Folgeleistung, unter Bestimmung I einer nach Lage der Sache zu bemessenden Zeitfrist, ergehen lassen. Artikel 5. ^Wenn hierauf die Befolgung angezeigt wird, so hat die Commission ihr Gutachten dar= I über abzugeben, und der Bundestag zu beurtheilen, in wie fem solches zur Genüge geschehen | ist. - ^Ergeht keine solche Anzeige, oder wird selbige nicht hinreichend befunden, so wird ohne | Verzug der wirkliche Eintritt des angedrohten Executions=Verfahrens beschlossen, und zu= | gleich der Bundesstaat, der zu diesem Beschlüsse Anlaß gegeben hat, davon nochmals in | Kenntniß gesetzt. Artikel 6. ^Da jede Bundesregierung die Obliegenheit hat, auf Vollziehung der Bundesbeschlüsse zu I halten, der Bundesversammlung aber eine unmittelbare Einwirkung auf die innere Verwal= | tung der Bundesstaaten nicht zusteht; so kann in der Regel nur gegen die Regierung selbst I ein Executions=Verfahren statt finden. ^Ausnahmen von dieser Regel treten jedoch ein, wenn | eine Bundesregierung, in Ermangelung eigener zureichender Mittel, selbst die Hülfe des Bun= | des in Anspruch nimmt, oder wenn die Bundesversammlung, unter den (im 26. Artikel der | Schlußacte^) bezeichneten Umständen, zur Wiederherstellung der allgemeinen Ordnung und | Sicherheit unaufgerufen einzuschreiten, verpflichtet ist. - ^Im ersten Falle muß jedoch immer | in Uebereinstimmung mit den Anträgen der Regierung, welcher die bundesmäsige Hülfe | geleistet wird, verfahren, und im zweiten Falle ein Gleiches, sobald die Regierung wieder | in Thätigkeit gesetzt ist, beobachtet werden. Artikel 7. ^Die Executions=Maasregeln werden im Namen der Gesammtheit des Bundes beschlossen I und ausgeführt. ^Die Bundesversammlung ertheilt zu dem Ende, mit Berücksichtigung der Lo= | [S. 225] cal=Umstände und sonstigen Verhältnisse, einer oder mehrere, bei der Sache nicht betheiligten | Regierungen den Auflrag zur Vollziehung der beschlossenen Maasregeln, und bestimmt zugleich | sowohl die Stärke der dabei zu verwendenden Mannschaft, als die nach dem jedesmaligen Zwecke | des Executions=Verfahrens zu bemessende Dauer desselben. Artikel 8. ^Die Regierung, an welche der Auftrag gerichtet ist, und welche solchen als eine Bundes= I pflicht zu übernehmen hat, ernennt zu diesem Behuf einen Civil=Commissär, der, nach einer | von der Bundesversammlung zu ertheilenden besondem Instruction, das Executions=Verfahren | unmittelbar leitet. Wenn der Auftrag an mehrere Regierungen ergangen ist, so bestimmt die Bundesver= | Sammlung, welche derselben den Civil=Commissär zu ernennen hat. ^Die beauftragte Regie= I rung wird während der Dauer des Executions^Verfahrens die Bundesversammlung

Dok. 43.

706

§3: Deutscher Bund

[Dok. 3 1 - 8 4 ]

von dem | Erfolge desselben in Kenntniß erhalten, und sie, sobald der Zweck vollständig erfüllt ist, von I der Beendigung des Geschäfts unterrichten. Artikel 9. *Wenn eine Regierung sich weigert, die Ausführung der ihr aufgetragenen Executions= | Maasregeln zu übernehmen, so hat die Bundesversammlung über die Erheblichkeit oder Unzu= I länglichkeit der Weigerungsgründe zu entscheiden. "^Erkennt sie diese Gründe für erheblich, | oder findet sie selbst Anstände, das Executions=Verfahren durch die früher bezeichnete Regie= | rung vornehmen zu lassen; so hat sie solches einer andern Bundesregierung zu übertragen. | ^Dasselbe findet auch statt, wenn die zuerst ernannte Regierung, ohne anerkannte hinlängliche | Entschuldigungsgründe, auf Ablehnung des Auftrags beharret, und diesen deßhalb unerfüllt | läßt; in solchem Falle bleibt jedoch letztere zum Schadenersatz gehalten und ftir alle sonst | daraus entstehenden nachtheiligen Folgen dem Bunde verantwortlich. Artikel 10. Wenn nicht, nach einer bestimmten Erklärung der Bundesversammlung, Gefahr auf dem I Verzuge haftet, soll die mit dem Executions=Verfahren beauftragte Regierung den bethei= | ligten Bundesstaat von dem ihr ertheilten Auftrage benachrichtigen, mit der Anzeige: daß, I wenn binnen drei Wochen eine genügende Erfüllung der Beschlüsse, auf welche diese Maas= | regeln Bezug haben, nicht nachgewiesen seyn sollte, die wirkHche bundespflichtmäsige Voll= | ziehung der letztem unfehlbar erfolgen werde. Artikeln. ^Die obere Leitung der angeordneten Vollziehung steht auch in ihrem Fortgange der | Bundesversammlung zu; an diese werden alle darauf sich beziehenden Berichte und sonstigen I [S. 226] Anzeigen gerichtet. - ^Die aus ihrer Mitte gewählte Executions=Commission erstattet ihr | darüber nähere Anträge, worauf sie ihre Beschlüsse faßt und an die mit der Execution be= | auftragte Regierung die nöthigen Anweisungen erläßt. Artikel 12. ^Die Vollstreckung der compromissarischen und Austrägal=Erkenntnisse kann nur, auf | Anrufen der Parteien, von der Bundesversammlung veranlaßt werden. "^Diese hat, nach gut= I achtlicher Vernehmung ihrer Commission, das Geeignete hierauf zu verfügen. ^Das Erkenntniß selbst, darf in keinem Falle der Gegenstand einer Berathung und eines | Beschlusses der Bundesversammlung werden. ^Wenn indeß gegen die Vollziehung noch zu= I lässige Einreden vorgebracht werden, die ein weiteres rechtliches Verfahren veranlassen kön= I nen; so sind diese unverzüglich an dasselbe Austrägalgericht zu verweisen, von welchem das | Erkenntniß ausgegangen ist. ^In Gemäßheit des hierauf erfolgten weitem Ausspmchs, ist | durch die Bundesversammlung das erforderliche Executions=Verfahren nach den gegebenen | Vorschriften zu veranlassen. '^Ergeben sich ähnliche Anstände bei Compromissen und gütlichen | Vergleichen, so ist in gewöhnlicher Art, jedoch mit möglichster Beschleunigung, ein Austrägal= | gericht zu emennen, welches über die gegen die Vollstreckung selbst noch vorkommenden | Einreden und Zweifel rechtlich zu erkennen hat. Artikel 13. Sobald der Vollziehungsauftrag vorschriftmäsig erfüllt ist, hört alles weitere Execu= | tions=Verfahren auf, und die Tmppen müssen ohne Verzug aus dem mit der Execution | belegten Staate zurückgezogen werden.

[45] Gmndzüge der Kriegsverfassung des Deutschen Bundes vom 9. April 1821

707

Die mit der Vollziehung beauftragte Regierung hat zu gleicher Zeit der Bundesver= | Sammlung davon Nachricht zu geben. Entstehen wegen eines verlängerten Aufenthalts Beschwerden, so hat die Bundesvep= | Sammlung über den Grund derselben, und die daraus erwachsenden Entschädigungs=An= | Sprüche zu entscheiden. Artikel 14. ^Die Kosten der Execution sind auf den wirklichen, nach dem Zwecke zu bemessenden | Aufwand zu beschränken. "^Die Bundesregierung, gegen welche die Execution verfügt wor= I den, hat dieselben, so weit sie liquid sind, ohne Aufenthalt zu berichtigen, oder hinreichende I Sicherheit dafür zu stellen. ^Einwendungen oder Beschwerden, welche noch dagegen erho= I ben werden, sind bei Executionen, die nicht in Folge förmlicher Rechtsstreitigkeiten verhängt | worden, durch die Bundesversammlung auf erstatteten Vortrag der Bundestags=Commission | fS. 227] auszugleichen; bei Executionen austrägalrichterlicher Erkenntnisse aber sind dieselben durch | das Austrägalgericht, welches das Erkenntniß erlassen hat, zu entscheiden. "^Der Landes= | regierung bleibt es in den (im Artikel 26 der Schlußacte^) bezeichneten Fällen überlassen, | die Schuldigen zur Bezahlung der durch ihre Vergehungen veranlaßten Kosten im gesetzli= | chen Wege anzuhalten. Umfrage. Oesterreich. Die Kaiserlich=Königliche Gesandtschaft ist angewiesen, die Zustim= | mug und Genehmigung ihres allerhöchsten Hofes dahin zu Protokoll zu erklären, daß | die in den Ministerial=Conferenzen in Wien entworfene und genehmigte Executions=Ord= | nung, auf gleiche Weise, wie die Schlußacte selbst, zum Bundesgesetz erhoben werde. Alle übrigen Stimmen traten dem Präsidial^Antrage unbedingt bei; daher | Beschluß:^ Die von den Bevollmächtigten sämmtlicher Bundesstaaten in den Ministerial=Confe= | renzen zu Wien verabredete Executions=Ordnung wird hiermit, in eben der Art, wie die | Schlußacte selbst, durch gleichförmige Zustimmung zum Bundestags=Beschluß erhoben.

[45] Grundzüge der Kriegsverfassung des Deutschen Bundes vom 9. April 1821 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einführungen" die Darstellungen unter [96.] [205.]. Quelle: Protokolle der Bundes-Versammlung, Plenarversammmlung vom 9. April 1821, S. 192-196 (gedruckt). Sonstige Fundstellen: E. R. Huber (Hrsg.), Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte, Bd. 1: Deutsche Verfassungsdokumente 1803 - 1850, 3. Aufl., 1978, Nr. 39; P. A. G. Meyer (Hrsg.), Corpus Juris Germaniae Confoederationis oder Staatsacten fur Geschichte und öffentliches Recht des Deutschen Bundes, Teil II (Beschlüsse der deutschen Bundesversammlung), 3. Aufl., 1859, S. 133 - 135. Dok.43. An der Sitzung nahmen folgende Gesandte teil: von Buol-Schauenstein (für Österreich), von Martens (für Preußen), von Aretin (für Bayern), von Globig (für Sachsen), von Martens (für Hannover), von Wangenheim (für Württemberg), von Eyben (für Baden sowie für Dänemark wegen Holstein und Lauenburg), von Lepel (für Kurhessen), von Hamier (für Hessen-Darmstadt), von Grünne (für die Niederlande wegen Luxemburg), von Beust (für Großherzogtum und Herzogtümer Sachsen), von Marschall (für Braunschweig und Nassau), von Plessen (für Mecklenburg), von Berg (für Oldenburg, Anhalt und Schwarzburg), von Leonhardi (für Hohenzollem, Liechtenstein, Reuß, Schaumburg-Lippe, Lippe und Waldeck), Smidt (für Lübeck und Bremen), Danz (für Frankfurt), Gries (für Hamburg).

708

§3: Deutscher Bund

[Dok. 3 1 - 8 4 ]

[S, 192] 2. Militärverhältnisse des deutschen Bundes. ...[S. 193] Sämmtliche Stimmen nahmen die vorgeschlagenen XXIV Artikel der Kriegsver= | fassung des deutschen Bundes einhellig an; daher | Beschluß: Daß die nachfolgenden XXIV Artikel der Kriegsverfassung des deutschen Bundes in ihren all= I gemeinen Umrissen und wesentlichen Bestimmungen zum organischen Bundesgesetze erhoben werden. Artikel I. Das Bundesheer ist aus den Contingenten aller Bundesstaaten zusammengesetzt, | welche nach der jedesmaligen Bundesmatrikel gestellt werden. Artikel IL Das Verhältniß der Waffengattungen wird nach den Grundsätzen der neueren | Kriegsfuhrung festgesetzt. Artikel III. Zur Bereithaltung für den Fall des Ausrückens wird das Bundesheer schon im Frie= | den gebildet, und dessen Stärke, so wie die innere Eintheilung, durch besondere Bun= | desbeschlüsse bestimmt. [S. 194] Artikel IV. Das Bundesheer besteht aus vollständig gebildeten, theils ungemischten, theils zu= | sammengesetzten Armeecorps, welche ihre Unterabtheilungen von Divisionen, Brigaden | u. s. w. haben. Artikel V. Kein Bundesstaat, dessen Contingent ein oder mehrere Armeecorps für sich allein bil= | det, darf Contingente anderer Bundes Staaten mit dem seinigen in eine Abtheilung vereinigen. Artikel VI. Bei den zusammengesetzten Armeecorps und Divisionen werden sich die betreffen^ | den Bundesstaaten über die Bildung der erforderlichen Abtheilungen, und deren vollstän= | dige Organisation, unter einander vereinigen. Wenn dieß nicht geschieht, wird die Bundesversammlung entscheiden. Artikel VII. Bei der Organisation der Kriegsmacht des Bundes ist auf die aus besondem Ver= | hältnissen der einzelnen Staaten hervorgehenden Interessen derselben in so | weit Rücksicht zu nehmen, als es mit den allgemeinen Zwecken vereinbar anerkannt wird. Artikel VIII. Nach der grundgesetzlichen Gleichheit der Rechte und Pflichten, soll selbst der Schein | von Suprematie eines Bundesstaates über den andern vermieden werden. Artikel IX. In jedem Bundesstaate muß das Contingent immer in einem solchen Stande ge= | halten werden, daß es in kürzester Zeit, nach der vom Bunde erfolgten Aufforderung, | marsch= und schlagfertig, und in allen seinen Theilen vollständig gerüstet, aus= | rücken könne.

[45] Gmndzüge der Kriegsverfassung des Deutschen Bundes vom 9. April 1821

709

Artikel X. Die Stärke und die Zusammenziehung des aufzustellenden Kriegsheeres | werden durch besondere Bundesbeschlüsse bestimmt. Artikel XL Die Anstalten müssen allenthalben so getroffen seyn, daß das Bundesheer vollzäh= | lig erhalten und im Falle der Nothwendigkeit verstärkt werden könne. Zu diesem Ende soll eine besondere Reserve bestehen. Artikel XIL Das aufgestellte Kriegsheer des Bundes ist ein Heer, und wird von einem Feld= | herm befehligt. [S. 195] Artikel XIIL Der Oberfeldherr wird jedesmal, wenn die Aufstellung des Kriegsheeres be= | schlossen wird, von dem Bunde erwählt. Seine Stelle hört mit der Auflösung des Heeres wieder auf Artikel XIV. Der Oberfeldherr wird von der Bundesversammlung, welche seine einzige Be= | hörde ist, in Eid und Pflichten des Bundes genommen. Artikel XV. Die Bestimmung und Ausführung des Operationsplanes wird ganz dem Er= | messen des Oberfeldherm überlassen. Derselbe ist dem Bunde persönlich verantwortlich und kann einem Kriegsgerichte | unterworfen werden. Artikel XVI. Der Oberfeldherr ist gehalten, alle Theile des Bundesheeres, so weit es von ihm | abhängt, durchaus gleichmäsig zu behandeln. Er darf die festgesetzte Heeres=Eintheilung nicht abändern; doch steht es ihm | frei, zeitliche Detachirungen zu verfügen. Artikel XVII. Die Befehlshaber der einzelnen Tmppen=Abtheilungen werden von dem [ Staate, dessen Truppen sie befehligen sollen, ernannt. Für die Abtheilungen, welche aus mehreren Contingenten zusammengesetzt sind, bleibt | die Ernennung der Vereinigung der betheiligten Regierungen überlassen. Artikel XVIII. ^Die Pflichten und Rechte dieser Befehlshaber, welche aus ihren Verhältnissen | zum Bunde hervorgehen, sind denen des Oberfeldherm analog. ^Sie haben unbedingten | Gehorsam. von allen ihren Untergebenen zu fordern, so wie ihren Vorgesetzten zu leisten. Artikel XIX. Die Gerichtsbarkeit steht den Befehlshabern der Heeres=Abtheilungen zu, nach | den von den Bundesstaaten denselben vorgeschriebenen Grenzen.

710

§3: Deutscher Bund

[Dok. 3 1 - 8 4 ]

Artikel XX. Die Verpflegung des Bundesheeres wird unter der obersten Leitung des Ober= | feldherm durch Bevollmächtigte sämmtlicher Armeecorps, und, innerhalb der Bundesstaaten, | unter Mitwirkung der betreffenden Landes=Commissarien besorgt. Artikel XXI. Auf besondem Bundesbeschluß wird aus den matrikularmäsigen Beiträgen sämmtlicher I Bundesglieder eine eigene Kriegscasse errichtet. [S. 196] Artikel XXII. Die Vergütung von Durchmarsch^ und Cantonirungs=Kosten, so wie von andern all= | gemeinen Leistungen in den Bundesstaaten, soll nach billig ermäßigten Preisen geschehen, und I den Landesunterthanen immer so schnell als möglich baare Bezahlung geleistet werden. Artikel XXIII. Allenthalben ist der Grundsatz einer gleichen Vertheilung der Lasten und der | Vortheile, sowohl rechtlich der Heeres=Abtheilungen, als der Bundesstaaten, zur steten | Richtschnur zu nehmen. Artikel XXIV. Zwischen sämmtlichen Bundesstaaten soll ein allgemeines Cartel bestehen. Graf von Buol=Schauenstein. | Goltz. | Globig. | Aretin. | Hammerstein. | Wangenheim. | Blittersdorff | Lepel. | Hamier. | Eyben. | Grünne. | Hammerstein, für Braunschweig. | Peutz, für Mecklenburg^Schwerin. | Hammerstein, ex substit. für Nassau. | Beust, für Sachsen^Weimar, Gotha, Coburg, Meiningen | und Hildburghausen. | Peutz, für Mecklenburg=Strelitz. | Berg, für Holstein=01denburg, Anhalt=Dessau, Bemburg u. Cöthen; | deßgleichen für Schwarzburg=Sondershausen und Rudolstadt. | Leonhardi, für Hohenzollem=Hechingen, Liechtenstein, Hohenzollem= | Sigmaringm, Waldeck, Reuß ältere und jüngere Linie, | Schaumburg=Lippe und Lippe. | Smidt, ex substit. für Lübeck. | Danz. | Smidt, für Bremen, und ex substit. für Hamburg.

[46] Nähere Bestimmungen über die Kriegsverfassung des Deutschen Bundes vom 12. April 1821/11. Juli 1822 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einführungen" die Darstellungen unter [201.] [203.]. Quelle: Protokolle der Bundes-Versammlung, 17. Sitzung vom 12. April 1821, § 102 ( L V. Abschnitt [§§ 1 - 44]), S. 204 - 213 und 24. Sitzung vom 11. JuH 1822, § 193 (VL - X. Abschnitt, [§§ 45 - 97]), S. 137 - 151 (jeweils gedruckt). Sonstige Fundstellen: E. R. Huber (Hrsg.), Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte, Bd. 1: Deutsche Verfassungsdokumente 1803 - 1850, 3. Aufl., 1978, Nr. 40 (Auszug); P. A. G. Meyer (Hrsg.), Corpus Juris Germaniae Confoederationis oder Staatsacten für Geschichte und öffentliches Recht des Deutschen Bundes, Teil II (Beschlüsse der deutschen Bundesversammlung), 3. Aufl., 1859, S. 136 - 146. [S. 204] §. 102. Militärverhältnisse des deutschen Bundes, | die Annahme der fünf ersten Abschnitte der Grundzüge der Militärver= | fassung betr.

^

[46] Nähere Bestimmungen ... vom 12. April 1821 und 11. Juli 1822

711

. . . so sind die in nachfolgenden 44 Paragraphen ent= | haltenen | Näheren Bestimmungen der Kriegsverfassung des deutschen Bundes | theils einhellig, theils durch Stimmenmehrheit definitiv angenommen, und ist demnach | beschlossen worden:^ I. Abschnitt. | Stärke des Bundesheeres. §•1. Die Kriegsmacht des Bundes ist aus den Contingenten aller Bundesstaaten zusam= | mengesetzt. Das gewöhnliche Contingent eines jeden Bundesstaates beträgt den hundertsten Theil | seiner Bevölkerung, nach der unter Ziffer 1 beigefugten, durch den Beschluß von 20. Au= | gust 1818^ vorläufig auf fünf Jahre angenommenen, und am 4. Februar 1819*^ berichtigten | Bundesmatrikel. [S. 205] §.2. Unter dieser Zahl ist nur die streitbare Mannschaft aller Waffengattungen begriffen. Zur streitbaren Mannschaft werden gerechnet, die Officiere, Unterofficiere, Gemeine, | Spiel= und Zimmer=Leute, dann die Artillerie=Fuhrwesens=Soldaten, soweit sie nach §. 15 I zur Bedienung des Geschützes gerechnet werden können. Jene Mannschaft, welche für das übrige Armeefuhrwesen, für die Bäckerei und die | Sanitätsanstalten dem Heere zugetheilt wird, muß über den hundertsten Theil gestellt | werden. §.3. Das Bundesheer muß, sobald es vom Bunde aufgeboten wird, in allen seinen | Theilen vollständig gestellt werden. §.4. Um die Vollständigkeit des Heeres fortwährend zu sichern, muß, sogleich nach dem | Ausrücken desselben, der sechshundertste Theil der ganzen Bevölkerung als Ersatzmann | Schaft aufgestellt und unausgesetzt vollzählig erhalten werden. Sechs Wochen nach dem Ausrücken des Bundesheeres wird von dieser Ersatzmann [ Schaft die Hälfte, nämlich der zwölfhundertste Theil der ganzen Bevölkerung, als Ergänzung I dem Heere nachgesendet, mit den übrigen Nachsendungen aber, an Mannschaft sowohl, als I an Pferden und Material, nach Maasgabe des Bedarfs von zwei zu zwei Monaten fort= I gefahren. §.5. Damit bei größeren Verlusten einzelner Contingente unverhältnißmäsige Leistungen | vermieden werden, soll der Ersatz für das Heer in einem Kriegsjahre den zweihundertsten | Theil der Bevölkerung nicht übersteigen. An der Sitzung nahmen folgende Gesandte teil: von Buol-Schauenstein (für Österreich), von Martens (für Preußen), von Aretin (für Bayern), von Globig (für Sachsen), von Hammerstein (für Hannover sowie für Braunschweig und Nassau), von Wangenheim (für Württemberg), von Blittersdorff (für Baden), von Lepel (für Kurhessen), von Hamier (für Hessen-Darmstadt), von Eyben (für Dänemark wegen Holstein und Lauenburg), von Grünne (für die Niederlande wegen Luxemburg), von Beust (für Großherzogtum und Herzogtümer Sachsen), von Pentz (für Mecklenburg), von Berg (für Oldenburg, Anhalt und Schwarzburg), von Leonhardi (für Hohenzollem, Liechtenstein, Reuß, Schaumburg-Lippe, Lippe und Waldeck), Smidt (für Lübeck, Frankfurt, Bremen und Hamburg). Dok. 37. Dok. 37/1.

712

§ 3: Deutscher Bund

[Dok. 31 - 84]

§.6. Der bei jedem Contingent sich ergebende Abgang wird monatlich durch gleichförmig | zu verfassende Abgangsberichte angezeigt. §.7. Unter dem Abgange werden verstanden, alle Todten, Gefangenen und Deserteurs gleich I nach ihrem Abgange, dann alle Vermißten nach einem Zeiraume von vier Wochen, und I alle im Spital befindlichen Verwundeten und Kranken, welche nach drei Monaten als | felddienstuntauglich anerkannt werden. [S. 206] Die übrigen Verwundeten und Kranken werden zwar nicht zu dem Abgange gerechnet; | sollten sie jedoch den zehnten Theil des Contingents übersteigen, so müßte dieser Ueber= | schuß, um die zu große Schwächung des Bundesheeres zu vermeiden, nach dem im §. 5 | angenommenen Maximum ersetzt werden.

Größere Anstrengungen müssen durch besondere Bundesbeschlüsse bestimmt werden. §.9. Dieselben können in keinem Falle von einzelnen Bundesstaaten, sondern nur im All= | gemeinen nach der Matrikel gefordert werden. §.10. Für die Reserven, welche bei solchen aussergewöhnlichen Anstrengungen zur Verstärkung I des Bundesheeres nachrücken, kommen die nämlichen Bestimmungen in Anwendung, welche | für das Heer selbst gegeben sind. Sie werden mit dem betreffenden Armeecorps, oder, wenn dieses nicht möglich ist, | in selbstständige Körper vereinigt, welche mit jenen analog zusammenzusetzen, zu befehli= | gen, zu organisiren und zu behandeln sind. IL Abschnitt. | Verhältniß der Waffengattungen. §.11. Das numerische Verhältniß der Reiterei des Bundesheeres wird auf ein Siebentheil | der Gesammtzahl eines jeden Contingents angenommen. §.12. Für die Artillerie wird das Verhältniß dergestalt festgesetzt, daß zwei Stücke | Geschütz für jedes Tausend Mann des Contingents gerechnet werden. Jeder Bundesstaat wird nächstdem noch wenigstens ein Geschütz nebst Ausrüstung | auf jedes Tausend Mann des ganzen Contingents in seinen Zeughäusern und Depots vor= | räthig haben, um jeden Abgang sofort ersetzen zu können. §. 13. Die Feldartillerie des Bundes soll in der Regel bestehen aus einem Viertheil Haubitzen, einem Viertheil Zwölfpfunder, zwei Viertheilen Sechspfünder.

[46] Nähere Bestimmungen ... vom 12. April 1821 und 11. Juli 1822

713

[S. 207] Ein Fünftheil der Gesammtzahl soll reitende Artillerie oder Cavallerie=Geschütz seyn. Die Stellung schwererer Feldgeschütze als Zwölfpfunder wird der Convenienz der be= | treffenden Staaten überlassen, und in diesem Falle von der Zahl der auf dieselben fallenden I zwölfpfändigen und sechspfundigen Batterien abgerechnet. §.14. Ausser den Feldgeschützen für die Linie wird noch ein Belagerungspark für das | gesammte Bundesheer, welcher aus 100 schweren Canonen, 30 Belagemngs=Haubitzen und 70 Mörsern bestehen soll, nach den unter Ziffer 2 bis 7 beiliegenden Ausweisen, corpsweise gestellt, und im | Fall eines Krieges nach der Bestimmug des Oberfeldherm auf einem oder mehreren Puncten | vereinigt. Ueber die Stellung dieser Geschütze werden sich die Glieder der gemischten Corps unter I sich vereinigen, und das Resultat ihrer Uebereinkunft, drei Monate nach der Annahme der I näheren Bestimmungen, der Bundesversammlung anzeigen. §. 15. Für die Bedienung der Feldgeschütze werden im Durchschnitte 36 Mann auf | jedes Stück gerechnet, worunter auch die Artillerie=Fuhrwesens=Soldaten mit begriffen sind, | in so fem solche die festgesetzte Zahl nicht überschreiten. Diejenige Artilleriemannschaft, welche zur Bedienung des Belagerungsparks | gehört, wird von den Staaten, welche diese Geschütze geben, und zwar nach der dem §. 14 | unter Ziffer 7 beiliegenden Tabelle gestellt und vom Stande der Infanterie abgezogen. §.16. Für Pionniers und Pontoniers wird das Verhältniß des hundertsten Theils | der Armee festgesetzt. §.17. Ein jedes Contingent, dessen Stärke mehr als ein Armeecorps beträgt, stellt einen | Brückentrain für große Flüsse, nach Maasgabe des Bedürfnisses; jedes der übrigen | einzelnen Armeecorps aber, ohne Unterschied, ob gemischt oder ungemischt, einen für eine | Flußbreite von 400 Schuhen. [S. 208] §.18. Sappeurs und Mineurs werden, als zum Belagerungspark gehörig, ausser dem für | Pionniers und Pontoniers bestimmten Hunderttheil der Armee, von denjenigen Bundes= | Staaten, bei welchen sich diese Corps bereits im Frieden organisirt befinden, gestellt. §. 19. Das numerische Verhältniß des Fußvolkes ergiebt sich von selbst, wenn die Reiterei, die I Bedienung der Feldgeschütze und des Belagemngsparks, die Pionniers und Pontoniers, dann | die Sappeurs und Mineurs, von der Gesammtzahl des ganzen Heeres abgezogen werden. §.20. Ungefähr der zwanzigste Theil des Fußvolkes soll aus Jägem, Büchsen= oder Scharf= | schützen bestehen.

714

§3: Deutscher Bund

[Dok. 3 1 - 8 4 ]

Die unter Ziffer 8 angefugte Tabelle enthält eine Uebersicht aller Waffengat= | tungen für das Bundesheer, so wie solche nach der Matrikel und zufolge der angenom= | menen Bestimmungen über das numerische Verhältniß derselben im completen Kriegsstande | von sämmtlichen Bundesstaaten zu stellen sind. §.21. Es bleibt den Bundesstaaten überlassen, zur Bildung ihrer Contingente auch Landwehr | zu verwenden; doch muß dieselbe gleich den Linientruppen geübt, ausgerüstet, schlagfertig I und mit in der Linie gebildeten Officieren besetzt seyn. Als Grundsatz wird auch hierbei angenommen, daß kein Contingent zum größeren | Theile aus Landwehr bestehen könne. §. 22. Der Landsturm gehört nicht in das geregelte System des Krieges, sondern ist zu den | Anstalten zu zählen, welche im Augenblicke der Gefahr ihre Bestimmung erhalten, und dem I eigenen Ermessen der einzelnen Bundesstaaten überlassen bleiben. III. Abschnitt. | Eintheilung des Bundesheeres. §.23. Das Bundesheer besteht (nach der Beilage Ziff 9) aus sieben ungemischten und drei | combinirten Armeecorps, welche, ohne weitere Benennung, nach Nummern bezeichnet | werden, und deren jedes in Abtheilungen von Divisionen, Brigaden, Regimentern, Batail= | Ions, Compagnien, Schwadronen und Batterien zerfällt. [S. 209] §.24. Ein Armeecorps enthält mindestens zwei Divisionen, | eine Division mindestens zwei Brigaden, | eine Brigade mindestens zwei Regimenter, | ein Cavallerie=Regiment wenigstens vier Schwadronen, | ein Infanterie=Regiment wenigstens zwei Bataillons, | ein Bataillon in der Regel nicht unter 800 Mann, | eine Schwadron oder eine Compagnie im Durchschnitte 150 Mann, | eine Batterie sechs oder acht Stücke Geschütz. §.25. Das Minimum eines zu stellenden Cavallerie=Contingents ist 300 Pferde, oder | eine Division, I das eines selbstständigen Infanterie=Körpers 400 Mann, | das der Geschütze eine Batterie von sechs oder acht Stücken. Die Stellung dieser Einheit wird der Uebereinkunft der Bundesstaaten, mit der uner= | läßlichen Bedingniß überlassen, daß sie ganz gleich organisirt, bewaffnet und geübt seyn | müsse. Als Grundsatz wird jedoch festgesetzt, daß, im Falle der Vertretung, solche nur im | Corps statt finden kann. In Ansehung der Geschützeinheit wird angenommen, daß dort, wo das zu stellende | Contingent nicht die Zahl 6 oder 8 erreichen sollte, die betreffenden Staaten sich unter | einander wegen des Mehrsteilens von einem oder zwei Stücken Geschützes vereinigen werden. §.26. Die Theilhaber an den combinirten Corps und Divisionen werden sich unter einander | vereinigen, wie sie die gesetzlichen Abtheilungen zu bilden und die verschiedenen | Waffengattungen nach dem angenommenen Verhältnisse unter sich zu vertheilen für gut | fin-

[46] Nähere Bestimmungen .,. vom 12. April 1821 und 1L Juli 1822

715

den, und diese Uebereinkunft, drei Monate nach Annahme der näheren Bestimmungen, | der Bundesversammlung anzeigen. Da, wo sie sich nicht vereinigen könnten, wird die Bundesversammlung vermittelnd | einwirken, und nöthigenfalls entscheiden. §.27. In jedem Armeecorps muß auf die Bildung einer starken Cavallerie= und Geschütz= | Reserve Rücksicht genommen werden. [S. 210] IV. Abschnitt. | Bereithaltung im Frieden. §.28. In jedem Bundesstaate muß das Contingent von einem Procent der Bevölkerung so | marsch= und schlagfertig erhalten werden, daß es, vier Wochen nach der vom Bunde erfolge I ten Aufforderung, in allen seinen Theilen zur Verfügung des Oberfeldherm, auf die für I jedes Armeecorps zu bestimmenden Sammelplätze, gestellt werden könne. §. 29. Um diesen Zweck zu erreichen, werden folgende Grundsätze angenommen: 1) Das Material der Rüstung für alle Waffengattungen muß stets in gehöriger | Anzahl und Eigenschaft vorhanden seyn. Auch müssen in den Zeughäusern die nöthigen | Vorräthe liegen, um jeden Abgang schnell ersetzen zu können. §.30. 2) Die Contingente des Bundesheeres müssen auch im Frieden vollständig erhalten | werden. Zur Ersparung des Soldes und der Verpflegung kann zwar im Frieden bei allen | Waffengattungen eine zeitliche Beurlaubung statt finden; ein Theil der Mannschaft, so | wie der Dienstpferde, muß jedoch stets bei den Fahnen und im Dienste bleiben. §.31. 3) Hierzu wird folgender Maasstab aufgestellt: a) Bei dem Fußvolke muß der sechste Theil der eingeübten Mannschaft und wenige I stens zwei Drittheile der Unterofficiere im Dienste beibehalten werden. b) Bei der Reiterei wird der dienstthuende Stand in der Regel auf zwei Drittheile | der Mannschaft und der Dienstpferde festgesetzt, falls nicht die besonderen Lan= I deseinrichtungen eine Beschränkung auf ein Drittel, unbeschadet des Zweckes, zu= | lassen. | Den Bundesstaaten, bei welchen keine Beurlaubung der Dienstpferde statt | findet und welche keine Landwehr=Cavallerie stellen, ist eine Vacanthaltung von | Dienstpferden in Friedenszeiten gestattet; es darf diese jedoch nicht ein Fünftheil | des präsenten Standes übersteigen, und es müssen Vorkehrungen getroffen seyn, daß | die Mobilmachung der Cavallerie demungeachtet in der bestimmten Frist ge | schehen könne. c) Bei der reitenden Artillerie wird das Minimum des dienstthuhenden Standes | ebenfalls auf zwei Drittheile, unter denselben Modificationen, wie bei der Caval= I [S. 211] lerie, — bei der Fußartillerie aber und bei der Bespannung des Geschützes und | der ersten Munitionswagen auf ein Drittel des vollen Standes festgesetzt.

716

§3: Deutscher Bund

[Dok. 3 1 - 8 4 ]

§. 32. Die gesammte Mannschaft des gewöhnlichen Contingents, nämlich der hundertste Theil I der Bevölkerung, muß alle Jahre vom Urlaube einberufen, und wenigstens durch vier I Wochen im Dienst und Gebrauch der Waffen geübt werden. Die kleineren Contingente werden sich unter einander vereinigen, die jährlichen Uebungen I in möglichster Verbindung aller Waffengattungen, allenfalls in Brigaden, vorzuneh-

§. 33. Damit für den Fall, wo durch besonderen Bundesbeschluß (§. 8) eine Verstärkung | des Bundesheeres nöthig gefunden wird, dieselbe gehörig aufgestellt werden könne, müssen in | jedem Bundesstaate, der nicht ohnehin eine bedeutendere Anzahl von felddiensttauglichen Trup= I pen unterhält, schon in Friedenszeiten Cadres von Officieren, Unterofficieren und Spielleuten | fur den dreihundertsten Theil der Bevölkerung, nebst dem nöthigen Material, vorhanden, auch | solche Einrichtungen getroffen seyn, daß, zehn Wochen nach dem gefaßten Bundesbeschlusse, | vollständig geübte und ausgerüstete Regimenter, Bataillons und Escadrons schlagfertig auf= | gestellt werden können. §.34. Der Bundesversammlung wird am 1. Jänner jeden Jahres eine Uebersicht des | Standes des Bundesheeres vorgelegt. Den Bundesstaaten, deren Contingente ein oder mehrere Armeecorps in sich begreifen, | bleibt es überlassen, die dießfallsigen Tabellen nach den bei ihnen geltenden Einrichtungen I abzufassen. ^Die unter Zahl 10 beigelegte Tabelle zeigt die Form der Standes=Ausweise, über welche I sich die Theilhaber der gemischten Armeecorps vereinigt haben. •^Sie werden solche corps= I oder wenigstens divisionsweise einsenden. Diejenigen Bundesglieder, welche zusammen eine Division bilden, werden sich unter | einander über die Art der Musterung einverstehen, und, drei Monate nach Annahme | der näheren Bestimmungen, ihre Anzeige hierüber an die Bundesversammlung machen. V. Abschnitt. | Mobilmachung des Bundesheeres. §.35. Der Bund wird beschliessen, ob von jedem Bundesstaate nur ein Theil des Contin= | gents oder das Ganze zu stellen sey. fS. 212] §.36. Wenn das Bundesheer ausrückt, wird von dem Oberfeldherm für alle Contingente ein | gemeinschaftliches Erkennungszeichen vorgeschrieben. §.37. In Hinsicht der Bewaffnung, dann des Calibers der Gewehre und des Geschützes, | soll in jedem Armeecorps eine solche Uebereinstimmung statt finden, daß die Munition der | Artillerie, und vorzüglich jene der Feuergewehre, gegenseitig gebraucht werden könne. §.38. Was zur ersten Ausrüstung an Munition fur die Feldgeschütze erforderlich ist, zeigt | die Beilage 11.

[46] Nähere Bestimmungen ... vom 12. April 1821 und 11. Juli 1822

717

Von diesem Munitionsbedarf werden zwei Drittheile dem Heere mit eigener Bespan= | nung nachgefuhrt, das letzte Drittheil aber in Depots zur Abfuhrung bereit gehalten, jedoch I ohne Verbindlichkeit zu eigener Bespannung. Diese Depots dürfen nicht über 24 Meilen von der ersten Aufstellung des Bundes^ | heeres entfernt seyn. Der Munitionsbedarf für den Belagemngspark ist aus der Tabelle 2 ersichthch. §.39. Das ärztliche Personale für die Linie muß bei allen Contingenten unausgesetzt complet | erhalten, nächstdem aber, im Falle des Krieges, auf den zehnten bis zwölften Theil der Stärke | des Bundesheeres ein hinlängliches ärztliches und Hospital=Personale aufgenommen werden. §.40. Die Vorräthe an Arzneien, Verband=Requisiten und Spital=Bedürfhissen sind auf den | zehnten bis zwölften Theil der Stärke eines jeden Corps zu berechnen, und es muß hierbei | die Hälfte für bewegliche Spitäler in Anschlag gebracht werden. Ein eigenes Sanitäts=Reglement enthält übrigens auch über diese höchst wichtigen GQ= \ genstände besondere und genaue Bestimmungen. §.41. Bei jedem Armeecorps sollen so viele Backöfen mitgefiihrt werden, daß in 24 Stun= | den für den vierten Theil der Mannschaft Brod gebacken werden kann. Das Bäckerpersonale, welches militärisch organisirt und bewaffnet werden soll, um nö= 1 thigenfalls für die Vertheidigung der Magazine verwendet werden zu können, muß so I berechnet werden, daß auf jedes Tausend Mann vier Bäcker, mit Einschluß der Oberbäcker, I kommen. [S. 213] §.42. Die Transportmittel müssen bei jedem Armeecorps dergestalt eingerichtet seyn, daß | die Naturalverpflegung für die Mannschaft wenigstens auf vier Tage mitgeführt werden könne. §.43. In Hinsicht der Waffenübungen und des Dienstreglements sollen, wenig= | stens in der Hauptsache, bei jedem Armeecorps gleiche Grundsätze beobachtet werden. §.44. Unter den Officieren der verschiedenen Bundesstaaten bei Zusammenziehung der Con= I tingente und im gemeinschaftlichen Dienste entscheidet über den Rang der Militärgrad und I das Dienstalter. Um jedoch in dieser Beziehung allen Inconvenienzen bei Vereinigung verschiedener Ab= I theilungen vorzubeugen, wird als Regel festgesetzt: daß nur | für eine Division ein General^ oder Feldmarschall^Lieutenant; | für eine Brigade ein Generalmajor oder General=Feldwachtmeister; | für ein Infanterie=Regiment von 2 bis 3 Bataillons, für ein Cavallerie=Regiment von 4 bis 8 Escadrons, dann | für 6 Batterien, ein Oberst; | für ein Infanterie= Bataillon von 4 bis 6 Compagnien, | für eine Cavallerie=Division von 2 Escadrons, dann | für 2 Batterien ein Oberstlieutenant oder Major; | für eine Compagnie oder Schwadron, und I für eine Batterie von 6 bis 8 Geschützen ein Hauptmann oder Oberlieutenant, | als Commandant zu ernennen ist. Uebrigens bleibt es den Staaten unbenommen, ihren Officieren im eigenen Contin= | gent einen beliebigen Dienstgrad zu ertheilen; bei Zusammenstossung verschiedener Ab-

718

§3: Deutscher Bund

[Dok. 3 1 - 8 4 ]

theilun= | gen wird jedoch nicht auf diesen, sondern nur auf jenen Rücksicht genommen, der ihnen, | zufolge obiger Bestimmungen, nach der Abtheilung, welcher sie vorstehen, zukommt. [24. Sitzung vom IL Juli 1822, S. 137] . .. §. 193. Militärverhältnisse des deutschen Bundes; Annahme der fünf letzten Ab= | schnitte der Grundzüge der Militärverfassung des deutschen Bundes. ,..[S. 140] . . . In Folge dieser Abstimmungen, wurde die neue Redaction der fünf letzten Abschnitte der I Näheren Bestimmungen der Kriegsverfassung des Deutschen Bundes | einhellig angenommen, und unter Erstattung des verbindlichsten Dankes gegen den Bun= | destags=Ausschuß für seine fortgesetzten Bemühungen in Militärsachen, beschlossen, wie folgt,^ VI. Abschnitt. | Oberfeldherr. §.45. Der Oberfeldherr wird jedesmal, wenn die Aufstellung des Kriegsheeres beschlossen | wird, von dem Bunde in der engeren Versammlung erwählt. Diese Stelle hört mit der Auflösung des Bundesheeres wieder auf §. 46. In Fällen, wo man nur einen Theil des Bundesheeres zusammenzuziehen für nöthig | erachtet, bleibt es der Beschlußnahme der Bundesversammlung vorbehalten, wegen des | Oberbefehls besondere Verfügung zu treffen. §. 47. Der Oberfeldherr verhält sich zum Bunde, wie jeder commandirende General zu seinem I Souverain; die Bundesversammlung ist daher seine einzige Behörde, welche mit ihm | durch einen aus ihr gewählten Ausschuß in Verbindung steht. §. 48. Der Oberfeldherr wird von der Bundesversammlung in Eid und Pflicht des Bundes | genommen; er erhält von derselben allein Vollmachten und Befehle, auch in besonderen | Fällen specielle Instructionen; er erstattet an dieselbe seine Berichte unmittelbar. §.49. Wenn der Oberfeldherr in Eid und Pflicht genommen ist, und seine allgemeine In= | struction von der Bundesversammlung erhalten hat; so bleibt es ihm allein überlassen, den | Operationsplan nach seiner Ansicht zu entwerfen, auszuführen und abzuändern, wie | es die Umstände fordern.

An der Sitzung nahmen folgende Gesandte teil: von Buol-Schauenstein (für Österreich), von Martens für von der Goltz (für Preußen), von Aretin (für Bayern), von Carlowitz (für Sachsen), von Hammerstein (für Hannover), von Wangenheim (für Württemberg), von Blittersdorff (für Baden), von Lepel (für Kurhessen), von Hamier (für Hessen-Darmstadt), von Pentz (für Dänemark wegen Holstein und Lauenburg sowie für Mecklenburg), von Grünne (für die Niederlande wegen Luxemburg), von Beust (für Großherzogtum und Herzogtümer Sachsen), von Marschall (für Braunschweig und Nassau), von Both (für Oldenburg, Anhalt und Schwarzburg), von Leonhardi (für Hohenzollem, Liechtenstein, Reuß, Schaumburg-Lippe, Lippe und Waldeck), Curtius (für Lübeck, Frankfurt, Bremen und Hamburg).

[46] Nähere Bestimmungen ... vom 12. April 1821 und 11. Juli 1822

719

[S. 141] Er ist durchaus nicht verbunden, diesen Plan vor der Ausführung irgend Jemand mit= | zutheilen, und es soll lediglich von seinem besondem Vertrauen abhängen, wenn er die | Hauptzüge desselben mit einem oder mehreren Generalen besprechen und berathen will. §. 50. Erst dann, wenn er nach getroffenen Einleitungen zur wirklichen Ausführung ge= | schritten seyn wird, ist er verpflichtet, der Bundesversammlung die Umrisse seines Opera= | tionsplans vorzulegen. Er muß jedoch denselben auf das umständlichste schriftlich aufsetzen, damit für alle | Zufälle, die ihn persönlich treffen können, so vorgesorgt sey, daß sein Nachfolger das | Ganze vollständig einsehen und folgerecht verfahren könne. §.51. ^Ausser dem Oberfeldherm wird von der Bundesversammlung auch ein General= | lieutenant des Bundes gewählt. ^Diesem gebührt in allen Fällen, welche eine Stell= | Vertretung im Obercommando des Heeres fordern, die zeitliche Verwesung der Oberfeld= | herm= Stelle, mit ganz gleichen Rechten, wie die des Oberfeldherm. Sobald der bisherige Oberfeldherr das Obercommando wieder übernimmt, oder ein | neugewählter in dasselbe eintritt, kehrt der Generallieutenant des Bundes in sein früheres | Verhältniß zurück. §.52. Als Generallieutenant des Bundes soll einer der Corpscommandanten gewählt werden, | welcher jedoch, so lange nicht der Fall der Stellvertretung oder der Einberufung von | Seiten des Oberfeldherm statt findet, ohne Vorrecht vor den übrigen Corpscomman= | danten bei seinem Corps verbleibt. §.53. ^Der Oberfeldherr hat die Befugniß, wegen Einstellung der Feindseligkeiten | Uebereinkünfte abzuschliessen, wenn dadurch große Vortheile zu erreichen sind, oder Gefahr | auf dem Verzuge haftet. "^Er soll jedoch förmliche allgemeine Waffenstillstands=Verträge nur | unter vorbehaltener Genehmigung des Bundes abschliessen können. §.54. Der Oberfeldherr kann über die Aufstellung, Bewegung und Verwendung der ihm | anvertrauten Streitkräfle, auch die allenfalls nöthigen zeitlichen Detachimngen, nach | seinem Ermessen verfügen, jedoch mit Beobachtung der festgesetzten Heereseintheilung, die | er nie abändern darf, und der Beisammenhaltung der von Einem Staate gestellten Corps, | in Fällen, wo diese ohne Nachtheil berücksichtigt werden kann. [S. 142] Alle Detachimngen und solche Maasregeln, welche in die organischen Corpsverhält= | nisse eingreifen, können nur so lange dauem, als es militärische Rücksichten erfordem, und I kein Corps darf hierdurch bis zu dem Grade geschwächt werden, daß es nicht mehr als I selbstständiger Körper bestehen könnte. §. 55. Zu dem als Reserve aufzustellenden Armeecorps stoßen besonders zu bildende Caval= 1 lerie= und Artillerie=Waffen, zu deren Bildung alle Armeecorps des Bundesheeres | nach dem Verhältnisse ihrer Cavallerie und Artillerie beitragen.

720

§ 3: Deutscher Bund

[Dok. 31 - 84]

Der Oberfeldherr kann zu diesem Behufe von jedem der ungemischten Armeecorps bis | zu einem Fünftel, und von jedem gemischten Corps bis zu einem Sechstel der Cavalerie, | femer von jedem Armeecorps bis zu einer Batterie von acht Stücken Geschützes beordern. Wenn durch vom Bunde genehmigte Einrichtungen, die Zahl der Reiterei eines | Corps sich gegen den matrikularmäsigen Betrag mindert; so wird die Zahl, um welche sie | vermindert wird, an dem Quantum abgezogen, welches detachirt werden kann, §. 56. Obige Bestimmung eines Maximums soll den Oberfeldherm nicht hindern, für den | Tag einer Schlacht, die Reserve durch Infanterie, Cavallerie und Artillerie einzelner Corps | nach seiner Einsicht in so weit zu verstärken, als es die Schlagfertigkeit der einzelnen | Corps gestattet. §.57. Der Oberfeldherr hat das Recht, die Befehlshaber der aus den verschiedenen Corps | herauszuziehenden Cavalerie= und Artillerie=Waffen aus den Generalen des Bundesheeres | nach seinem Ermessen zu ernennen. §.58. Wenn schon die innere Einrichtung der Contingente, nach ihrem Ausrücken, auch im | Kriege den einzelnen Bundesstaaten überlassen bleibt; so ist doch der Oberfeldherr befugt, | die Mannschaft sowohl, als das Materielle der verschiedenen Contingente zu mustern, | zu Hebung allenfallsiger Mängel, welche auf die Schlagfertigkeit Einfluß nehmen können, | sich an die betreffende Regierung zu wenden, und, wenn er es für nöthig hält, auch deß= | wegen Anträge bei der Bundesversammlung zu machen, welche ohne Verzug, mit Anwendung I der über die Kriegs Verfassung aufgestellten Grundsätze, darüber einen Beschluß fassen und I für dessen Ausführung Sorge tragen wird. §.59. Die Bestimmung der Militärstrassen, die Anlage von Hospitälern und Magazinen, | so wie die Bezeichnung der Verpflegsbezirke der Corps, und überhaupt aller Maasregeln | [S. 143] zur Sicherstellung der Armeebedürfhisse und der Wohlfahrt des Heeres, sind dem Oberfeld= | herm, mit Beachtung der Eigenthumsrechte, und unter dem nöthigen Benehmen mit den | Landescommissarien, lediglich zu überlassen. §.60. Der Oberfeldherr kann die Individuen, welche sich auszeichnen, ihren Landesherren | zur Belohnung empfehlen. §.61. Um in den Felddienst des Bundesheeres die nöthige Uebereinstimmung zu bringen, | hat der Oberfeldherr das Recht, darüber Bestimmungen durch Armeebefehle zu erlassen, | so weit solche für das Allgemeine nothwendig sind, und nicht in die innere Einrichtung | der Corps eingreifen. §.62. Damit den Bundesstaaten über die gleichmäsige Behandlung aller Theile des Bundes^ | heeres volle Beruhigung verschafft werde; so wird aus dem Generalstabe derselben für jedes I Armeecorps ein höherer Officier in das Hauptquartier abgesendet, dem bei dem Ober= I feldherm und allen übrigen Chefs freier Zutritt gebührt, um mit demselben über die An= I gelegenheiten des Corps sich zu benehmen und dessen Interesse zu vertreten.

[46] Nähere Bestimmungen ... vom 12. April 1821 und IL Juli 1822

721

§. 63. Bei den combinirten Corps kann diesem höheren Officiere noch ein anderer von nie= | dererm Range von jeder Division beigegeben werden, um die einzelnen Divisionen in dem= I selben Corps zu vertreten. §.64. Diese höheren Officiere sind die Organe zwischen dem Oberfeldherm und den einzeln | nen Regierungen sowohl, als den betreffenden Corps. Dem Oberfeldherm ist jedoch in besonderen Fällen, wo er es räthhch findet, frei | gestellt, sich unmittelbar an die Regierungen zu wenden, und, wie es sich von selbst versteht, | alle Ausfertigungen, welche auf die Operationen Bezug haben, durch die ihm untergebenen I Stellen, eben so an die Corps zu erlassen. §.65. Der Bundesfeldherr kann nicht zugleich Befehlshaber irgend einer Heerabtheilung seyn. Ueberhaupt kann kein General zugleich das unmittelbare Commando über eine höhere | und eine niedere Abteilung fuhren. Mit dem Antritt eines jeden höheren Wirkungskreises wird der niedere an den nächst^ | folgenden im Range in derselben Heerabtheilung in der Zwischenzeit abgetreten. [S. 144] §•66. So wie der Oberfeldherr mit ausgedehnter Vollmacht, durch nichts beengt, mit Kraft | und Nachdruck seine Beschlüsse verfolgen kaim, so ist er auch für fehlerhafte Entwürfe | oder Irrthümer in großen Combinationen dem Bunde persönlich verantwortlich. Der Bund kann ihn einem Kriegsgerichte unterwerfen, welches aus Einem Feldmarschall, General der Infanterie oder Cavallerie, als Präsidenten, | von der Bundesversammlung gewählt; Zwei Feldzeugmeistem oder Generalen | der Infanterie oder Cavalerie, | zwei Generallieutnanten, | zwei Generalmajoren, | aus dem Bundesheere dazu | commandirt; Einem Generalauditor, von dem Staate des Oberfeldherm; Einem Defensor, von dem Oberfeldherm selbst gewählt, bestehen soll, und, nach Untersuchung des Thatbestandes, ihn nach dem Gesetzbuche deßjenigen | Staates, zu dem er gehört, zu richten hat. Von den als Beisitzer zu diesem Kriegsgerichte bestimmten sechs Generalen ist Einer | von Oesterreich, Einer von Preussen, Einer von Baiem und Einer von jedem der drei | gemischten Armeecorps zu commandiren. Die Commandimng geschieht auf Einladung der Bundesversammlung an die betref= | fenden Staaten. VII. Abschnitt. | Corpscommandanten. §.67. Die Befehlshaber der ungemischten Corps erhalten diejenigen Rechte, welche der | Souverain, dessen Corps sie befehligen, in Uebereinstimmung mit den angenommenen Gmnd= | Sätzen der Bundes=Kriegsverfassung, ihnen zu ertheilen für gut findet. Was aber die Befehlshaber der zusammengesetzten Corps betrifft; so treten dabei | folgende Gmndsätze in Anwendung (§. 68 bis 75).

722

§ 3: Deutscher Bund

[Dok. 3 1 - 8 4 ]

§.68. Die zusammengesetzten Armeecorps werden jedes von einem General befehligt, | der aus denjenigen Staaten oder den Truppen derselben, deren Contingente das Armeecorps | bilden, genommen werden soll. [S. 145] §.69. Die Corpscommandanten können zwar die Eintheilung ihrer Armeecorps nicht ändern; | allein sie sind befugt, zum Behufe der ihnen übertragenen Operationen alle augenblicklichen I Detachirungen vorzunehmen, welche der Dienst erfordert. Die Bestimmung, welche Truppen sowohl zu diesen, als zu den von dem Oberfeldherm | verfügten Entsendungen verwendet werden sollen, bleibt den Corpscommandanten überlassen. ^Der Oberfeldherr kann nur ausahmsweise in besondem und dringenden Fällen direct | darüber verfugen. ^Er hat jedoch den betreffenden Corpscommandanten gleichzeitig davon I in Kenntniß zu setzen, und solche Detachirungen nicht contingentweise, sondern nach den I bestehenden Unterabtheilungen der Corps in Divisionen, Brigaden, Regimenter u. s. w. zu I verfügen. §. 70. Die Corpscommandanten haben im Dienste der einzelnen Contingente eine vehält= | nißmäsige Gleichheit unter diesen zu beobachten. §.71. Die Corpscommandanten haben das Recht, die unter ihren Befehlen stehenden Corps | sowohl in Beziehung auf die Mannschaft, als auf das Materiell eben so zu mustern, wie | der Oberfeldherr. §. 72. Zur Erhaltung der inneren Ordnung können sie die ihnen zu Gebote stehenden poli= | zeilichen Mittel verwenden, und alle ihre Untergebenen wegen militärischer Vergehen | in Arrest nehmen und provisorisch suspendiren. Jede Untersuchung und Aburtheilung muß aber den betreffenden Militärgerichten über= 1 lassen und dem Corpscommandanten die Abschrift aller Urtheilssprüche über diejenigen Ver= I gehen mitgetheilt werden, deren Untersuchung er veranlaßt hat. §.73. Den Corpscommandanten steht das Recht zu, Individuen, welche sich besonders | auszeichnen, dem Oberfeldherm und den betreffenden Regierungen zu empfehlen. §. 74. Die Corpscommandanten haben das Recht, sich den Chef ihres Generalstabes | ihren Generaladjutanten und eine hinlängliche Anzahl Officiere des Generalstabes unter | den Officieren derjenigen verschiedenen Staaten auszuwählen, deren Contingente das Corps | bilden, und sich diese von den betreffenden Regierungen zu erbitten. [S. 146] Die Beamten der Verwaltungszweige und übrigen Anstalten werden von denjenigen | Staaten gewählt, deren Contingente zusammen das Armeecorps bilden. §. 75. Die an den combinirten Corps und Divisionen teilhabenden Staaten werden sich 1 unter einander sowohl über die Art und Weise der Wahl der Corps= und Divisions=Com= | man-

[46] Nähere Bestimmungen ... vom 12. April 1821 und 11. Juli 1822

723

danten, als auch über die Einrichtung des Generalstabes und der übrigen Verwaltungs= | zweige, vereinigen, und diese Uebereinkunft, drei Monate nach Annahme der zweiten Abthei= | lung der «näheren Bestimmungen», der Bundesversammlung anzeigen. Da, wo sie sich nicht vereinigen können, wird die Bundesversammlung vermittelnd | einwirken und nöthigenfalls entscheiden. §. 76. Wenn der Befehlshaber eines gemischten oder ungemischten Armeecorps sich durch den 1 Oberfeldherm in Rechten des Corps oder der dasselbe bildenden Contingente, die er zu I vertreten hat, verletzt glaubt; so hat er davon die Anzeige an die Regierung des betreff | fenden Bundesstaates zu machen, welche sodann seine Beschwerde der Bundesversamm= | lung vorlegen kann. §. 77. ^Glaubt ein Corpscommandant aber, daß ihm in seinen persönlichen Rechten zu nahe | getreten worden; so kann er eine unparteyische Untersuchung fordern. ^Ist die Veran= | lassung von der Art, daß Corpscommandanten durch Eingriffe des Oberfeldherm in ihre | Rechte oder durch sonstige Willkührlichkeiten gegründete Beschwerden zu haben glauben, und I deßhalb eine Untersuchung gegen den Oberfeldherm fordem; so sind die Corpscommandan= | ten berechtigt, sich auf dem Dienstwege durch den Oberfeldherm von der Bundesversamm= | lung ein Kriegsgericht zu erbitten. Diese wird sodann drei Bundesstaaten wählen, welche zu dem niederzusetzenden Kriegs^ | gerichte - ähnlich jenem fur den Oberfeldherm bestimmten - die nöthigen Officiere nebst dem | Auditor zu commandiren haben. Alle andem Untersuchungen, welche die Corpscommandanten, etwa durch Beschwerde | gegen einander oder gegen ihre Untergebenen veranlaßt, wünschen sollten, können nur bei | dem Oberfeldherm im gewöhnlichen Dienstwege nachgesucht und von ihm die dießfallsigen I Kriegsgerichte angeordnet werden. §.78. Die Verhältnisse der Befehlshaber der zusammengesetzten Divisionen und | Brigaden sind in ihrem Wirkungskreise denen der Corpscommandanten analog. [S. 147] VIII. Abschnitt. | Bildung des Hauptquartiers. §.79. Die Geschäfte des Hauptquartiers zerfallen in zwei Hauptabtheilungen: in die Leitung des Heeres im Allgemeinen, und | in die Leitung besonderer Zweige. Die erste enthält: 1) die Leitung der Operationen und Bewegungen, 2) die Evidenthaltung und Ergänzung des Standes, den inneren Dienst, 3) die ökonomische Leitung, die Pflege und Wartung des Heeres. Die zweite: 1) die Artilleriedirection, 2) die Geniedirection, 3) die Heerespolizei. §.80. Die Geschäfte der ersten Abtheilung fuhren der Generalquartiermeister, der dirigirende | Generaladjutant, der Generalintendant; die der zweiten, der General^ Genie=, der Ge= | ne-

724

§3: Deutscher Bund

[Dok. 3 1 - 8 4 ]

ral=Artillerie=Director und der Chef der Heerespolizei - sämmtlich in gleichen Dienstver= I hältnissen und in Gemäßheit der vom Oberfeldherm erhaltenen Befehle. Die Tabelle Num. 12 bezeichnet den Wirkungskreis der verschiedenen Chefs, das | Detail der Eintheilung und die dazu nöthigen Individuen. §.81. Der Oberfeldherr hat das Recht, sich den Generalquartiermeister, den dirigirenden Ge= | neraladjutanten, den Generalauditor, und den dirigirenden Arzt zu wählen, auch seinen | Generalstab selbst zu bestellen. Der Generallieutenant des Bundes, die Directoren des Artillerie^ und Genie=Wesens, | der Chef der Heerespolizei, und der Generalintendant, mit den ihm zunächst untergebenen | Vorständen der Verwaltungszweige; werden von dem Bunde, welcher auf die Vorschläge des I Oberfeldherm die geeignete Rücksicht nehmen wird, gewählt und in Pflichten ge-

§.82. Der Oberfeldherr wird, sobald er den Oberbefehl des Heeres übernommen hat, sämmt= | liehe im Hauptquartier angestellte Officiere und Beamte, welche nicht bereits von der Bun= I desversammlung selbst vereidet sind, im Namen und aus Auftrag derselben, in Eid und I Pflichten des Bundes nehmen. [S. 148] §.83. ^Der Oberfeldherr unterzeichnet alle Befehle, welche an die verschiedenen Zweige und | Abtheilungen ausgefertigt werden. ^Nur ausnahmsweise und in dringenden Fällen können | die betreffenden Referenten, jeder in seinem Fache, im Namen des Oberfeldherm Weisungen I unterzeichnen, welche indessen jedesmal an die Corpscommandanten und nie an die den= I selben untergeordneten Zweige gerichtet seyn müssen. §.84. ^Der Oberfeldherr, welcher für die Dauer des ihm übertragenen Befehls nur im Dienste | des Bundes steht, bezieht auch nur von diesem seinen Gehalt und alle sonstigen Emolumente. I ^Die übrigen im Hauptquartier und bei der Intendanz angestellten Individuen erhalten zwar I ihre gewöhnliche Gage, Besoldung, Löhnung und Naturalverpflegung - nach dem Range, | welchen sie im Dienste des Bundesstaates einnehmen, zu welchem sie gehören von diesen | Bundesstaaten. Dagegen aber werden alle übrigen Unkosten, die aus der Zusammensetzung I des Hauptquartiers und der Intendanz hervorgehen, aus der Kriegscasse bestritten, nämlich 1) die Tafelgelder und ausserordentlichen Zulagen an Geld und Naturalien fiir das | gesammte Personale des Hauptquartiers und der Intendanz, 2) der Aufwand ftir die verschiedenen Canzleien jener Zweige und flir ihren Transport, 3) die geheimen Auslagen flir Kundschaften u. s. w. 4) die Besoldung und Verpflegung aller im Hauptquartier angestellten Individuen, | die nicht zu einem oder dem andern Contingente des Bundesheeres gehören.

[46] Nähere Bestimmungen ... vom 12. April 1821 und 11. Juli 1822

725

§= 85. Die einzelnen, von der Bundesversammlung zu ernennenden Chefs, so wie die übrigen | Chargen im Hauptquartier, können aus den verschiedenen Bundesstaaten im Sinne des | §. 81 der Grundzüge gewählt werden. Die diesen Individuen in Folge ihrer bundesgemäßen Anstellung zukommenden Ge= | bühren sind in dem Verpflegsreglement enthalten, gleichwie der Wirkungskreis der letzeren, | nämlich der Chargen, im Dienstreglement näher bezeichnet ist. IX. Abschnitt. | Verpflegung.

Sobald die Contingente des Bundesheeres unter die Befehle des Oberfeldherm treten, | geschieht die Verpflegung derselben nach den Vorschriften des für das Bundesheer ent= | [S. 149] worfenen Verpflegsreglements, welches zugleich die Instructionen für die verschiedenen Ver= I pflegsbeamten enthält. X. Abschnitt. | Gerichtsbarkeit. §.87. Die Gerichtsbarkeit steht in der Regel den Befehlshabern der Corps, Divisionen, | Brigaden und Regimenter zu.

Die Bundesstaaten werden die Grenzen der Gerichtsbarkeit bestimmen, welche | sie den Commandanten ihrer Corps, Divisionen und Contingente übertragen wollen, und | hiebei bedacht seyn, die Befugniß in der möglichsten Ausdehnung zu ertheilen. §.89. Jeder im Hauptquartier angestellte Officier und Civilbeamte eines Bundesstaates, und | jedes von den verschiedenen Contingenten demselben zugetheilte Individuum, gehört unter die I Gerichtsbarkeit des betreffenden Corps oder der Division. ^In Fällen, wo ein gerichtliches Verfahren über ein solches Individuum nothwendig | werden sollte, kann der Oberfeldherr nach Befinden durch den Auditor des Hauptquartiers | solches über die begangenen Vergehen summarisch instrairen lassen. ^Dann aber müssen die I Angeklagten, nebst den Untersuchungsacten, an ihre gerichtliche Behörde zur Aburtheilung | abgeliefert werden. Diese Bestimmungen haben auch fiir die Individuen, welche in den Hauptquartieren der | Armeecorps angestellt sind, ihre analoge Anwendung zu finden. §. 90. Diejenigen Militär= und Civil=Bevollmächtigten, welche zum Hauptquartier abgeordnet I sind, und nicht unter der Gerichtsbarkeit der Corps stehen, können nur bei solchen Verbrechen, | wo Gefahr bei dem Verzuge statt fände, jenem summarischen Verhöre unterliegen, und müssen | dann zur Aburtheilung an die betreffenden Behörden abgeliefert werden.

726

§3: Deutscher Bund

[Dok. 3 1 - 8 4 ]

Wenn die Verhaftung eines solchen Abgeordneten nothwendig geworden, so wird | der Oberfeldherr den entsprechenden Corpscommandanten unverzüglich zur Absendung eines | provisorischen Bevollmächtigten auf so lange in das Hauptquartier einladen, bis von dem (den) I betreffenden Staate (Staaten) eine neue definitive Ernennung für diesen Platz ergangen ist. [S. 150] §.91. Diejenigen Individuen, welche durch freie Uebereinkunft und Annahme dem Haupt= | quartiere folgen, so wie auch alle Fremde, Kriegsgefangene u. s. w., stehen unter der | Gerichtsbarkeit des Hauptquartiers, und werden nach den Gesetzen deßjenigen Staates ge= | richtet, von welchem der Oberfeldherr ist. §.92. Der Oberfeldherr hat das Recht, alle Befehlshaber des Heeres zu suspendiren, jeden | Untergebenen verhaften zu lassen, und gerichtliche Untersuchung über sie bei ihren Behörden I zu veranlassen; auch in Fällen, wo Gefahr mit dem Verzuge verbunden wäre, ein summa= | risches Verhör derselben anzuordnen. Bei den gemischten Armeecorps haben sich die betheiligten Staaten über die Bestim= | mung des Gerichtsstandes des Corpscommandanten, der Divisionärs und Brigadiers zu | vereinigen. §.93. Gegen das Verbrechen des Meineides, des Verraths, der Feldflüchtigkeit und der | Insubordination werden im Bundesheere durch besondere KriegsArtikel Strafbestimmungen | getroffen, welche dem gesammten Kriegsheere als gleichförmiges Gesetz gelten sollen. §.94. Die in den Kriegsartikeln nicht genannten Verbrechen und Vergehen werden nach den | bei den Contingenten der einzelnen Staaten gültigen Gesetzen beurtheilt. §.95. Der Oberfeldherr kann das Standrecht, nämlich den summarischen, ausserordent= | liehen Proceß, gegen Militärs in allen jenen ausserordentlichen Fällen anordnen, in welchen | schnelle Bestrafung des Beispiels wegen nöthig wird, und in den Gesetzen der verschiedenen I Bundesstaaten nicht ohnehin schon das Standrecht festgesetzt ist.

[46] Nähere Bestimmungen ... vom 12. April 1821 und 11. Juli 1822

727

§.96. ^Eben so hat der Oberfeldherr das Recht, das Martialgesetz, das heißt, das sum= | mansche peinliche Verfahren gegen den Bürger in Feindesland zu verkünden, und in Folge | dessen das Standrecht anzuordnen. ^In den Bundesstaaten soll dieß jedoch nur nach ge= | pflogenem Benehmen mit den betreffenden Regierungen und erhaltener Zustimmung der= | selben geschehen. §.97. Zur Handhabung der Heerespolizei wird eine eigene Gendarmerie errichtet, deren | Minimum auf Zwei vom Hundert der Reiterei angenommen, und welche Zahl in das | Cavallerie=Contingent eingerechnet wird. [S. 151] Das Reglement enthält die allgemeinen Bestimmungen über ihre Bildung und Dienst= | leistung. Von diesem Beschlüsse, sammt dem von der hohen Bundesversammlung genehmigten | Berichte und Anträgen des Bundestags=Ausschusses, ist der Militärcommission der deutschen I Bundesversammlung zu ihrer Nachachtung Mittheilung zu machen. Die in §. 80 dieser näheren Bestimmungen angeführte Tabelle Ziffer 12 liegt dem | Protokolle auf folgender Seite bei.

728

§ 3: Deutscher Bund

[Dok. 3 1 - 8 4 ]

(Beilage Ziffer 12 zu den näheren Bestimmungen §. 80.) O b e r fe 1d Generaladjutanten. Canzlei des Oberfeldherm: Einer der Generaladjutanten als Die Anzahl der General= und Flügeladjutanten, sowie das nöthige Personale Von jedem Armeecorps einer höherer Officier, in Folge Allgemeine Geschäftsleitung der Armee. Generalquartiermeister=Stab Generaladjutantur Intendantur 1 Generalquartiermeister. 1 Generalintendant. Einer der Generaladjutanten. Die Bevollmächtigten 1 Adjutant 1 Generalquar= | tiermeiNach Gutbefinden des Generalad- der I Armeecorps. ster=Lieutenant. ju= I tauten zugetheilte Offiziere 1 Canzleidirector. 6 Stabsofficiere vom General1 Kriegszahlmeister. von I der Linie. quar= | tiermeister=Stab. 1 Commandant des Hauptquartiers. 1 General=Kriegscom= | 12 Hauptleute und Oberlieutemissär 1 Adjutant. nants I vom Generalquartiermei1 Oberauditeuer, 1 Protokollführer. 1 Oberverpflegs=Ver= | ster=Stab. waiter. 1 Verpflegsbeamter für das Nach Gutbefinden des GeneralDas nöthige untere quar= | tiermeisters zugetheilte Of- Haupt= I quartier. 1 Stabs=, 1 Oberarzt. Canz= I leipersonale ficiere von der Linie. 1 Wagenmeister. nach Gut^ | dünken des 1 Oberwegemeister, 1 Unterwe1 katholischer, 1 evangel. Geistli- Intendanten. gemei= | ster, 50 Feldjäger oder Eine Fuhrwesens=Abcher. Guiden thei= I lung zum Trans1 Feldpostmeister mit der nöthigen 1 Stabsprofoß. port der I Cassen= u. Eine Fuhrwesens=Abtheilung An= I zahl v. Postsecretären u. zum I Transport der Canzleiwagen. Canzleiwagen. Postilhonen. Eine Abtheilung Pionniers aus Aus dieser Abtheilung ergehen an | Der Generalintendant | den I verschiedenen Armeecorps sämtliche Zweige des Bundeshee- besorgt im Allgemeinen mit eini= | gen Colonnenbrücken. res I alle Befehle des Oberfelddie I Verpflegung, die Eine Fuhrwesens=Abtheilung Verwal= | tung und das zum I Transport der Canzleiwagen. herm, welche | den innem Dienst desselben, die Dis= | ciplin, die Sanitäts= | wesen der Aus der Abtheilung des General= | Evidenthaltung und Er= | gänzung Armee, in Folge | der quartiermeisters ergehen an des Standes und das ge= | sammte von dem Oberfeldherm | sämmtliche Zweige des BundesListenwesen betreffen. Femer | die erhaltenen Befehle. An heeres alle Befehle des OberfeldTagesbefehle, die Fertigung und | ihn I sind alle Verwalherm, welche die Opera= | tionen, die Beaufsichtigung der Stand= u. tungs= u. I Verpflegs= die Marsch= und Dislocations= | Dienst= | Tabellen, Verlust= und Behörden in so | weit Angelegenheiten u. die für diese Ergänzungs= | listen u. s. w. Unter gewiesen, als es die | Zwecke | nöthigen Entwürfe, der unmittel= | baren Leitung der- Verpflegung nöthig Schlachtordnungen u Vertheidimacht. I Unter seiner selben steht die Ueber= | nähme gungsmaasregeln betreffen | Unter und der Transport der Kriegs= | ge- unmittelba= | ren Leitung der unmittelbaren Leitung des | fangenen und Deserteurs, die steht die Ope= | rationsGeneralquartiermeisters steht das Auf= I sieht über die Ordnung im casse und die Hos= | pito= I pograpische Fach, die Unter- Haupt= I quartier und über die da- taldirection. Er besorgt | suchung und I Besserung der We- zu gehörigen | Wachen. alle Requisitions= und | ge, die Schlagung der | Brücken, Sämmtliche zu dieser Abtheilung | Contributions=Angedas Kundschaftswesen, die | Belegen= | heiten, und gehörige Individuen, so wie alle richte über die Kriegsereignisse Ge= I neral= und Flügeladjutanten durch ihn er= | gehen alle und I das Tagebuch über die Ope- und Or= | donanzofficiere, sind an Befehle des | Oberfeldrationen. die Befehle | des ersten Generalad- herm, welche jene | Sämmtliche zu dieser Abtheilung | jutanten gewiesen. Zweige der Verwaltung | gehörige Individuen sind für die betreffen. Er= I füllung der ihr gegebenen Bestimmung | an die Befehle des Generalquartier= | meisters gewiesen.

[46] Nähere Bestimmungen ... vom 12. April 1821 und 11. Juli 1822

729

h e r r Flügeladjutanten. Canzleidirektor. 1 Canzleirat. 1 Secretär. der Canzlei, nach Gutbefinden des Oberfeldherm. des §. 62 der näheren Bestimmungen. Besondere Geschäftszweige der Armee. Artilleriedirection Geniedirection Heeres= | poHzei 1 Chef der | Heeres= | poli1 General=Ge= | nie=Director 1 General=Artille= | rie=Direczei I mit dem | nöthigen | tor mit I dem nöthigen Persona- mit dem nöthigen | Personale le I von der Artillerie des | Bun- vom I Geniecorps des | Bundes- Personale | von der | Gendar= I merie oder | den herres. desheeres. Stabs= I dragonem | des Der General=Artillerie= | Direc- Der General=Ge= | nie=Director Bun= I desheeres. tor hat alle Befehle | des Oberhat alle | Befehle des Ober= | feldherm in Be= | ziehung auf feldherm in Bezieh= | ung auf Der Chef | der Heeres= | seine Waffe, | vorzüglich wähseine Waffe | zu vollziehen. In | polizei sorgt | in Folge der | rend der I Schlacht, zu vollzieGemäßheit dersel= | ben leitet er Befehle, | welche er | hierhen. I Er sorgt für die Aufstel= | alle for= | tificatorischen u. Be= | über V. I dem Ober= | feldlung der Geschütz= u. Mu= | ni- lagerungsarbeiten. herm I erhält, für | die Politions=Reserven, für den | gehöri- Er erhält die Etats | von dem Per- zei I des Bun= | desheeres. sonell I und Materiell aller | Gegen Nachschub der= | selben u. ihre Ergänzung. | Er erhält die nieabtheilunge des BundesheeEtats über | das Personell und res I u. derjenigen Bun= | desMate= I riell von der Artillerie festungen, welche | sich innerdes I Bundesheeres und von der | halb der I Operations=Linien | Festungsartillerie derje= | nigen des Herres befinden. Bundesfestungen, | welche sich An seine unmittel= | baren Befehle sind I gewiesen alle Gein den Opera= | tionslinien des Heeres be= | finden. Für alle die- nie= I officiere, Mineurs u. Sapse I Zwecke setzt er sich in die | peurs, wel= I che zu nöthige unmittelbare Ver= | bin- allgemeinen | fortificatorischen dung mit den Artillerie= | direc- Ar= I beiten, sowohl in | Bezietionen der Armee= | corps. hung auf Feld= | befestigung, als An seine unmittelbaren | Befehle bei I Belagerungen, ver= | wensind gewiesen det werden. 1) alle großen, aus den | Armeecorps gezoge= I nen Artillerie=Re= | serven, 2) der Belagerungspark. Allgemeine Bemerkungen über den Geschäftsgang.^ Der Generalquartiermeister, der Generaladjudant, der General=Artillerie= und Genie=Director, der Intendant und der Chef der Heerespolizei sind die Referenten des Oberfeldherm für alle in den obigen | Abtheilungen angezeigten Geschäfte. Das Detail derselben und die hierzu nöthigen Einleitungen müssen dem Oberfeldherm und denjenigen Chefs überlassen bleiben, welche seine Befehle ausführen sollen. Sie | bleiben dem Ermessen des Oberfeldherm vollkommen überlassen. - Die einzelnen Chargen im Hauptquartier müssen aus allen Armeecorps gewählt, ihr Wirkungskreis aber im Dienst= und ihre Gebühr im Ver= | pflegs=Reglement des Bundesheeres so genau als möglich angegeben werden. - Es giebt übrigens eine Menge Gegenstände in der Geschäftsverwaltung, welche sich nicht fuglich von einem Referenten allein be= | handeln lassen, z. B. die Errichtung und Aufstellung der Spitäler und Magazine, ihr Nachschub u. s. w. Ueber diese Gegenstände haben sich die Referenten nach Umständen unter sich oder mit den Corpscomman= | danten zu besprechen, oder

Die allgemeine Bemerkung befindet sich im Original unterhalb der Tabelle und bezieht sich auf alle Spalten.

730

§3: Deutscher Bund

[Dok. 3 1 - 8 4 ]

mittelst Noten in Einvernehmen zu setzen. - Es ist femer unthunlich, das untere Personale sowohl an öfficieren, als in schreibenden Individuen genau anzugeben. Es muß sich nach | den Geschäften richten. Die Referenten sind daher berechtigt, dieses Personale sich nach den Umständen einzurichten, zu vermehren oder zu vermindern. - Da der General=Artillerie=, der General=Genie=Director | und die Corpscommandanten unter den unmittelbaren Befehlen des Oberfeldherm stehen, so sind alle Befehle an dieselben dem Oberfeldherm zur Unterschrift vorzulegen. Nur ausnahmsweise können in dringenden | Fällen sämmtliche Referenten, jeder in seinem Fache, solche Befehle im Namen des Oberfeldherm unterzeichnen, welche dann dieselbe Gültigkeit haben, als wenn sie von diesem selbst unterfertigt worden wären.

[47] „Provisorischen IVIaßregein zur nöthigen Aufrechterhaltung der inneren Sicherheit und öffentlichen Ordnung im Bunde" vom 16. August 1824 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einfuhrungen" die Darstellungen unter [121.] [123.] [155.] [225.] [228.] [243.]. Quelle: Protokolle der Bundes-Versammlung, 24. Sitzung vom 16. August 1824, § 131, S. 245 (263) - 264 (gedruckt). Sonstige Fundstellen: E. R. Huber (Hrsg.), Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte, Bd. 1: Deutsche Verfassungsdokumente 1803 - 1850, 3. Aufl., 1978, Nr. 42 (Auszug); P. A. G. Meyer (Hrsg.), Corpus Juris Germaniae Confoederationis oder Staatsacten fur Geschichte und öffentliches Recht des Deutschen Bundes, Teil II (Beschlüsse der deutschen Bundesversammlung), 3. Aufl., 1859, S. 157 - 163; H. A. Zachariae (Hrsg.), Die deutschen Verfassungsgesetze der Gegenwart, 1855, S. 30 - 31 (nur Nr. 1 der „Maßregeln"). [S. 245] . . . §.131. Provisorische Maaßregeln zur nöthigen Aufrechthaltung der innem | Sicherheit und öffentlichen Ordnung im Bunde. ...fS. 263] . .. Hierauf wurde folgender | Beschluß^ | gefaßt: Der Deutsche Bund verdankt Seiner Majestät dem Kaiser von Oesterreich den, durch | die heutige Mittheilung bethätigten, neuen Beweis der unwandelbaren Sorgfalt Seiner | Kaiserlich=Königlichen Majestät für die Erhaltung und Befestigung der innem Ruhe und | Ordnung in Deutschland, und setzt folgende Bestimmungen fest:

An der Sitzung nahmen folgende Gesandte teil: von Münch-Bellinghausen (für Österreich), von der Goltz (fiir Preußen), von Pfeffel (für Bayern), von Carlowiz (für Sachsen), von Hammerstein (für Hannover), von Trott (für Württemberg), von Blittersdorff (für Baden), von Meyerfeld (für Kurhessen), von Gruben (für Hessen-Darmstadt), von Eyben (für Dänemark wegen Holstein und Lauenburg), von Grünne (für die Niederlande wegen Luxemburg), von Beust (für Großherzogtum und Herzogtümer Sachsen), von Marschall (für Braunschweig und Nassau), von Peutz (für Mecklenburg), von Both (für Oldenburg, Anhalt und Schwarzburg), von Leonhardi (für Hohenzollem, Liechtenstein, Reuß, Schaumburg-Lippe, Lippe und Waldeck), Danz für Gries (für Lübeck, Frankfurt, Bremen und Hamburg).

[48] Bundesbeschluß vom 21. Oktober 1830

731

1) Es soll in allen Bundesstaaten, in welchen landständische Verfassungen bestehen, | strenge darüber gewacht werden, damit in der Ausübung der den Ständen durch die land= I ständische Verfassung zugestandenen Rechte das monarchische Princip unverletzt erhalten bleibe, | und damit zur Abhaltung aller Mißbräuche, welche durch die Oeffentlichkeit in den Ver= | handlungen oder durch den Druck derselben begangen werden können, eine den angeführten | [S. 264] Bestimmungen der Schlußacte entsprechende Geschäftsordnung eingeführt und über die ge= | naue Beobachtung derselben strenge gehalten werde. Die Deutsche Bundesversammlung theilt den Wunsch Seiner Kaiserlich=Königlichen | Majestät, daß diejenigen Bundesstaaten, bei welchen die Oeffentlichkeit der landständischen | Verhandlungen besteht, sich über die Grundlinien einer solchen Geschäftsordnung, im Sinne | der angeführten bundesgesetzlichen Vorschriften, vereinbaren möchten. 2) Das provisorische Gesetz, welches die Bundesversammlung über die Deutschen Uni= I versitäten am 20. September 1819^ beschlossen, dauert zwar selbstverstanden fort; es soll | aber aus der Mitte der Bundesversammlung eine Commission von fünf Mitgliedern ge= | wählt werden, welche, mit Rückblick auf die hinsichtlich der Universitäten bereits vorlie= | genden Verhandlungen, die gegenwärtig hervortretenden Gebrechen des gesammten Schul= | Unterrichts^ und Erziehungs^Wesens in Deutschland zu erörtern, und die Maaßregeln, zu | welchen diese Erörterung Anlaß geben wird, in Vorschlag zu bringen habe. 3) Das, mit dem 20. September laufenden Jahres erlöschende, provisorische Preßge= | setz** bleibt so lange in Kraft, bis man sich über ein definitives Preßgesetz vereinbart I haben wird. Folgen die Unterschriften.

[48] Bundesbeschluß über „Maßregeln zur Herstellung und Erhaltung der Ruhe in Deutschland" vom 21. Oktober 1830 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einführungen" die Darstellungen unter [124.] [131.] [139.] [155.] [179.]. Quelle: Protokolle der Bundes-Versammlung, 34. Sitzung vom 21. Oktober 1830, § 258, S. 1122 (1124) - 1125 (gedruckt [Loco dictaturae]). Sonstige Fundstellen: E. R. Huber (Hrsg.), Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte, Bd. 1: Deutsche Verfassungsdokumente 1803-1850, 3. Aufl., 1978, Nr. 43; P. A. G. Meyer (Hrsg.), Corpus Juris Germaniae Confoederationis oder Staatsacten für Geschichte und öffentliches Recht des Deutschen Bundes, Teil II (Beschlüsse der deutschen Bundesversammlung), 3. Aufl., 1859, S. 220-221. [S.1122] §. 258. Maaßregeln zur Herstellung und Erhaltung der Ruhe in Deutschland. ...[S. 1124] . . . Sämmtliche Stimmen vereinigten sich zu dem | Beschlüsse:*^

Dok. 39. Dok. 40. An der Sitzung nahmen folgende Gesandte teil: von Münch-Bellinghausen (für Österreich), von Nagler (für Preußen), von Lerchenfeld (für Bayern), von Zeschau (für Sachsen), von Stralenheim

732

§3: Deutscher Bund

^

[Dok. 3 1 - 8 4 ]

Der Deutsche Bund, von der Verpflichtung durchdrungen, bei den gegenwärtig auf | dem Bundesgebiete statt gehabten, so bedenklichen und allgemeine Gefahr drohenden, aufrühri= | sehen Vorfallen, im Sinne des 2. Artikels der Bundesacte^ und den sich hierauf beziehenden | späteren Bestimmungen der Schlußacte^, die verfassungsmäßige Wirksamkeit zu äussern, und | in dankbarer Anerkennung der von dem K. K. Oesterreichischen Hofe durch Anregung dieses | Gegenstandes von neuem bewährten Fürsorge für das Gesammtinteresse des Bundes, | beschließt: 1) Für die Dauer der gegenwärtigen Zeitverhältnisse sollen in allen denjenigen Fällen, I in welchen nach der Bestimmung des Artikels 26 der Schlußacte die Mitwirkung der Ge= \ sammtheit zur Wiederherstellung der Ruhe und Ordnung in den Bundesstaaten verfassungs= | mäßig begründet ist, sämmtliche Bundesregierungen zur gegenseitigen Hülfsleistung in der Art | verpflichtet seyn, daß, wenn eine den Beistand des Bundes bedürfende Regierung sich wegen | Dringlichkeit der Gefahr unmittelbar an eine oder die andere benachbarte Regierung mit dem | Ersuchen um militärische Hülfe wendet, diese Hülfe sofort Namens des Bundes geleistet | werde, so weit die Kräfte des requirirten Bundesstaates hierzu ausreichen, und so weit es | ohne Gefahr fur dessen eigenes Gebiet und ohne offenbare Compromittirung seiner Truppen [ geschehen kann. 2) Zur Erreichung dieses Zweckes, sollen, während der Dauer der gegenwärtigen ausser= I ordentlichen Zeitverhältnisse, die Bundescontingente in möglichst disponibler Bereitschaft gehal= | ten werden. 3) So wie die Bundesregierungen überhaupt die Verbindlichkeit anerkennen, von allen, I innerhalb ihres Gebiets vorfallenden, aufrührischen Auftritten, welche einen politischen Cha= | rakter andeuten, offene und rückhaltlose Anzeige am Bundestage zu erstatten, und zugleich | über die Veranlassung der eingetretenen Unruhen und über die zur Befestigung der Ordnung | ergriffenen Maaßregeln Nachricht zu geben, so soll dieß insbesondere in dem ad 1 bemerkten | Falle geschehen, und übrigens in diesem Falle auch von der angesuchten Hülfsleistung unverweilt | der Bundesversammlung, sowohl durch die Regierung, welche die Hülfe ansucht, als durch | diejenige, welche selbige leistet, die Anzeige gemacht werden, damit die Bundesversammlung I sofort die ihr durch die Bundesgesetzgebung vorgezeichnete Stellung annehme.

(für Hannover), von Trott (für Württemberg), von Blittersdorff (für Baden), von Meyerfeld (für Kurhessen), von Gruben (für Hessen-Darmstadt), von Pechlin (für Dänemark wegen Holstein und Lauenburg), von Grünne (für die Niederlande wegen Luxemburg), von Beust (für Großherzogtum und Herzogtümer Sachsen), von Marschall (für Braunschweig und Nassau), von Schack (für Mecklenburg), von Both (für Oldenburg, Anhalt und Schwarzburg), von Leonhardi (fiir Hohenzollem, Liechtenstein, Reuß, Schaumburg-Lippe, Lippe und Waldeck), Smidt (für Lübeck, Frankfurt, Bremen und Hamburg). Dok. 31. Dok. 43.

[49] Bundesbeschluß „gegen den Mißbrauch der Presse" vom 10. November 1831

733

4) Die Bundesregierungen - erwägend, daß nach Art. 8 der Schlußacte die einzelnen | Bevollmächtigten am Bundestage von ihren Committenten unbedingt abhängig und nur nach | Maaßgabe der ihnen ertheilten Instructionen fürzugehen berechtigt sind, daß aber in Fällen, | wo es sich um Erhaltung der Sicherheit und Ordnung in Deutschland handelt, möglichste | Schnelligkeit in Ergreifung und Ausführung der Maaßregeln von der höchsten Wichtigkeit | ist - vereinigen sich, die sich hierauf beziehenden Instructionen in möglichster Ausdehnung und | mit thunlichster Beschleunigung an die Gesandtschaften gelangen zu lassen. 5) Die Censoren der öffentlichen Blätter politischen Inhalts sollen auf das Bestimmteste I angewiesen werden, bei Zulassung von Nachrichten über stattgefiindene aufrührische Be= | [S. 1125] wegungen mit Vorsicht und mit Vergewisserung der Quellen, aus welchen derlei Nach= | richten geschöpft sind, zu Werke zu gehen, und die bestehenden Bundesbeschlüsse vom 20. | September 1819^ sich gegenwärtig zu halten. Dabei soll sich die Wachsamkeit derselben | auch auf jene Tagblätter richten, welche, auswärtigen Angelegenheiten fremd, bloß innere | Verhältnisse behandeln, indem auch diese bei ungehinderter Zügellosigkeit das Vertrauen in | die Landesbehörden und Regierungen schwächen, und dadurch indirect zum Aufstand reizten. Der Deutsche Bund, indem derselbe den gegenwärtigen Beschluß faßt, überläßt sich mit I Vertrauen der Hoffnung, daß die dermalen an verschiedenen Puncten Deutschlands sichtbar ge= | wordene Aufregung bald der ruhigen und besonnenen Ueberzeugung von dem Werthe des | innem Friedens weichen und in der Weisheit der Deutschen Regierungen ihr Ziel finden | werde, indem zu erwarten ist, daß diese Regierungen einer Seits gerechten Beschwerden, | wo solche bestehen und im gesetzlichen Wege vorgebracht werden, mit landesväterlichem Sinne | abhelfen, die ihnen bundesgesetzlich obliegenden Verpflichtungen gegen ihre Unterthanen | erfüllen, und auf diese Weise jeden Vorwand zu sträflicher Auflehnung beseitigen, anderer | Seits aber auch eben so wenig einer unzeitigen oder mit ihren Bundespflichten unvereinbaren | und fur die Gesammtheit gefahrlichen Nachgiebigkeit Raum geben werden.

[49] Bundesbeschluß „gegen den Mißbrauch der Presse" vom 10. November 1831 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einfuhrungen" die Darstellungen unter [124.] [133.]. Quelle: Protokolle der deutschen Bundes-Versammlung, 38. Sitzung vom 10. November 1831, § 252, S. (844 - )845 (gedruckt [Loco dictaturae]). Sonstige Fundstelle: P. A. G. Meyer (Hrsg.), Corpus Juris Germaniae Confoederationis oder Staatsacten fur Geschichte und öffentliches Recht des Deutschen Bundes, Teil II (Beschlüsse der deutschen Bundesversammlung), 3. Aufl., 1859, S. 238.

« Dok.42.

734

§ 3 : Deutscher Bund

[Dok. 3 1 - 8 4 ]

[S. 844] §• 252. Mißbrauch der Presse. ...fS.

845] . . .

Beschluß:^ 1) Da sämmtliche Mitglieder des Deutschen Bundes die feierliche Verpflichtung gegen I einander übernommen haben, bei der Aufsicht über die in ihren Ländern erscheinenden Zei= I tungen, Zeit= und Flugschriften mit wachsamem Ernste zu verfahren, und diese Aufsicht der= | gestalt handhaben zu lassen, daß dadurch gegenseitigen Klagen und unangenehmen Erörte= | rungen auf jede Weise möglichst vorgebeugt werde, in neuerer Zeit aber der Mißbrauch der | periodisch=politischen Presse in einer höchst bedauerlichen Weise zugenommen hat; so bringt | die Bundesversammlung sämmtlichen Bundesregierungen diese, bis zur Vereinbarung über ein= | definitives Preßgesetz in voller Kraft verbleibende, gegenseitige Verpflichtung mit dem Ersuchen | in Erinnerung, die geeigneten Mittel und Vorkehrungen zu treffen, damit die Aufsicht über | die in ihren Staaten erscheinenden Zeitblätter nach dem Sinn und Zweck der bestehenden | Bundesbeschlüsse gehandhabt werde. 2) Die nach dem Preßgesetze vom 20. September 18IQ'' bestehende Bundestagscom= | mission wird durch die auf den Königlich=Dänischen, Herzoglich=Holsteinisch== und Lauen= | burgischen Herrn Gesandten gefallene Wahl ergänzt.

[50] Bundesbeschluß über „Maßregeln zur Aufrechterhaltung der gesetzlichen Ordnung und Ruhe im Deutschen Bunde" („Sechs Artikel") vom 28. Juni 1832 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einführungen" die Darstellungen unter [67.] [135.] [155.] [225.] [227.] [228.]. Quelle: Protokolle der deutschen Bundes==Versammlung, Öffentliches Protokoll der 22. Sitzung vom 28. Juni 1832, S. 852 (863) - 864 (gedruckt). Sonstige Fundstellen: E. R. Huber (Hrsg.), Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte, Bd. 1: Deutsche Verfassungsdokumente 1803 - 1850, 3. Aufl., 1978, Nr. 44; P. A. G. Meyer (Hrsg.), Corpus Juris Germaniae Confoederationis oder Staatsacten für Geschichte und öffentliches Recht des Deutschen Bundes, Teil II (Beschlüsse der deutschen Bundesversammlung), 3. Aufl., 1859, S. 248 - 249. [S. 852] . .. Maaßregeln zur Aufrechthaltung der gesetzlichen Ordnung und Ruhe im Deutschen | Bunde.

An der Sitzung nahmen folgende Gesandte teil: von Münch-Bellinghausen (für Österreich), von Nagler (für Preußen), von Lerchenfeld (für Bayern), von Manteuffel (für Sachsen), von Stralenheim (für Hannover), von Trott (für Württemberg), von Blittersdorff (für Baden), von Meyerfeld (für Kurhessen), von Gruben (für Hessen-Darmstadt), von Pechlin (für Dänemark wegen Holstein und Lauenburg), von Grünne (für die Niederlande wegen Luxemburg), von Beust (für Großherzogtum und Herzogtümer Sachsen), von Marschall (für Braunschweig und Nassau), von Schack (für Mecklenburg), von Both (für Oldenburg, Anhalt und Schwarzburg), von Leonhardi (für Hohenzollern, Liechtenstein, Reuß, Schaumburg-Lippe, Lippe und Waldeck), Curtius (für Lübeck, Frankfurt, Bremen und Hamburg). Dok. 40.

[50] „Sechs Artikel" vom 28. Juni 1832

735

...[S. 863] In Betreff der übrigen von Bayern und Kurhessen vorgetragenen Wünsche wegen eini= | gen Redactionsveränderungen, glaubt die Versammlung es bei der von Oesterreich | und Preussen vorgeschlagenen Fassung belassen zu müssen. Hierauf wurde einhellig | beschlossen:^ Unter dankbarer Anerkennung der von Ihren Majestäten dem Kaiser von Oesterreich | und dem Könige von Preussen wiederholt bewährten Fürsorge für das gemeinsame Beste | des Deutschen Vaterlandes, vereinigen sich sämmtliche Bundesregierungen zu folgenden Be= I Stimmungen: I. Da nach dem Art. 57 der Wiener Schlußacte** die gesammte Staatsgewalt in dem | Oberhaupte des Staates vereinigt bleiben muß, und der Souverain durch eine landständische I Verfassung nur in der Ausübung bestimmter Rechte an die Mitwirkung der Stände | gebunden werden kann, so ist auch ein Deutscher Souverain, als Mitglied des Bundes, | zur Verwerfung einer hiermit in Widerspruch stehenden Petition der Stände nicht nur berech= | tigt, sondern die Verpflichtung zu dieser Verwerfung geht aus dem Zwecke des Bundes hervor. IL Da gleichfalls nach dem Geiste des eben angeführten Art. 57 der Schlußacte und | der hieraus hervorgehenden Folgerung, welche der Art. 58 ausspricht, keinem Deutschen | Souverain durch die Landstände die zur Führung einer den Bundespflichten und der Landes^ | Verfassung entsprechenden Regierung erforderlichen Mittel verweigert werden dürfen, so werden | Fälle, in welchen ständische Versammlungen die Bewilligung der zur Führung der Regierung | erforderlichen Steuern auf eine mittelbare oder unmittelbare Weise durch die Durchsetzung | anderweiter Wünsche und Anträge bedingen wollten, unter diejenigen Fälle zu zählen seyn, | auf welche die Art. 25 und 26 der Schlußacte in Anwendung gebracht werden müßten. (Art. 25. Die Aufrechthaltung der innem Ruhe und Ordnung in den | Bundesstaaten steht den Regierungen allein zu. Als Ausnahme kann jedoch, in | Rücksicht auf die innere Sicherheit des gesammten Bundes, und in Folge der Ver= | pflichtung der Bundesglieder zu gegenseitiger Hülfsleistung, die Mitwirkung der Ge= | sammtheit zur Erhaltung oder Wiederherstellung der Ruhe, im Falle einer Wider= | setzlichkeit der Unterthanen gegen die Regierung, eines offenen Aufruhrs, oder gefähr= I lieber Bewegungen in mehreren Bundes Staaten, statt finden. Art. 26. Wenn in einem Bundesstaate durch Widersetzlichkeit der Unterthanen | gegen die Obrigkeit die innere Ruhe unmittelbar gefährdet, und eine Verbreitung | aufrührerischer Bewegungen zu fürchten, oder ein wirklicher Aufruhr zum Ausbruch I gekommen ist, und die Regierung selbst, nach Erschöpfung der verfassungsmäßigen I und gesetzHchen Mittel, den Beistand des Bundes anruft, so liegt der Bundesver= | Sammlung ob, die schleunigste Hülfe zur Wiederherstellung der Ordnung zu veran= | lassen. Sollte im letztgedachten Falle die Regierung notorisch ausser Stande seyn, | den Aufruhr durch eigene Kräfte zu unterdrücken, zugleich aber durch die Umstände | gehindert werden, die Hülfe des Bundes zu begehren, so An der Sitzung nahmen folgende Gesandte teil: von Münch-Bellinghausen (für Österreich), von Nagler (für Preußen), von Lerchenfeld (für Bayern), von Manteuffel (für Sachsen), von Stralenheim (für Hannover), von Trott (für Württemberg), von Blittersdorff (für Baden), von Rieß (für Kurhessen), von Gruben (für Hessen-Darmstadt), von Pechlin (für Dänemark wegen Holstein und Lauenburg), von Grünne (für die Niederlande wegen Luxemburg), von Beust (für Großherzogtum und Herzogtümer Sachsen), von Marschall (für Braunschweig und Nassau), von Schack (für Mecklenburg), von Both (für Oldenburg, Anhalt und Schwarzburg), von Leonhardi (für Hohenzollem, Liechtenstein, Reuß, Schaumburg-Lippe, Lippe und Waldeck), Curtius (für Lübeck, Frankfiirt, Bremen und Hamburg). Dok. 43.

736

§3: Deutscher Bund

[Dok. 3 1 - 8 4 ]

ist die Bundesversammlung | nichts desto weniger verpflichtet, auch unaufgerufen zur Wiederherstellung der Ord= | nung und Sicherheit einzuschreiten. In jedem Falle aber dürfen die verfugten | Maaßregeln von keiner langem Dauer seyn, als die Regierung, welcher die bundes= | mäßige Hülfe geleistet wird, es nothwendig erachtet.) III. Die innere Gesetzgebung der Deutschen Bundesstaaten darf weder dem Zwecke | des Bundes, wie solcher in dem Art. 2 der Bundesacte^ und in dem Art. 1 der Schlußacte | [S. 864] ausgesprochen ist, irgend einen Eintrag thun, noch darf dieselbe die Erfüllung sonstiger bun= | desverfassungsmäßiger Verbindlichkeiten gegen den Bund, und namentlich der dahin gehörigen | Leistung von Geldbeiträgen, hinderlich seyn. IV. Um die Würde und Gerechtsame des Bundes und der den Bund repräsentirenden | Versammlung gegen Eingriffe aller Art sicher zu stellen, zugleich aber in den einzelnen Bun= I desstaaten die Handhabung der zwischen den Regierungen und ihren Ständen bestehenden | verfassungsmäßigen Verhältnisse zu erleichtem, soll am Bundestage eine mit diesem Geschäfte | besonders beauftragte Commission, vor der Hand auf sechs Jahre, emannt werden, deren | Bestimmung seyn wird, insbesondere auch von den ständischen Verhandlungen in den Deut= | sehen Bundesstaaten fortdauemd Kenntniß zu nehmen, die mit den Verpflichtungen gegen | den Bund, oder mit den durch die Bundesverträge garantirten Regiemngsrechten in Wider= | spmch stehenden Anträge und Beschlüsse zum Gegenstand ihrer Aufmerksamkeit zu machen, | und der Bundesversammlung davon Anzeige zu thun, welche demnächst, wenn sie die Sache | zu weiteren Erörtemngen geeignet findet, solche mit den dabei betheiligten Regiemngen zu | veranlassen hat. Nach Verlauf von sechs Jahren wird die Fortdauer der Commission wei= | terer Vereinigung vorbehalten. V. Da nach Artikel 59 der Wiener Schlußacte, da, wo Oeffentlichkeit der landstän= | dischen Verhandlungen durch die Verfassung gestattet ist, die Grenzen der freien Aeussemng, I weder bei den Verhandlungen selbst, noch bei deren Bekanntmachung durch den Dmck, auf | eine die Ruhe des einzelnen Bundesstaates oder des gesammten Deutschlands gefährdende | Weise überschritten werden darf, und dafür durch die Geschäftsordnung gesorgt werden soll; | so machen auch sämmtliche Bundesregiemngen, wie sie es ihren Bundesverhältnissen schuldig | sind, sich gegen einander anheischig, zur Verhütung von Angriffen auf den Bund in den | ständischen Versammlungen und zur Steuemng derselben, jede nach Maaßgabe ihrer innem | Landesverfassung, die angemessenen Anordnungen zu erlassen und zu handhaben. VI. Da die Bundesversammlung schon nach dem Artikel 17 der Schlußacte bemfen | ist, zur Aufrechthaltung des wahren Sinnes der Bundesacte und der darin enthaltenen Be= | Stimmungen, wenn über deren Auslegung Zweifel entstehen sollte, dem Bundeszwecke gemäß I zu erklären, so versteht es sich von selbst, daß zu einer Auslegung der Bundes= und der | Schluß=Acte mit rechtlicher Wirkung auch nur allein und ausschliessend der Deutsche Bund | berechtigt ist, welcher dieses Recht durch sein verfassungsmäßiges Organ, die Bundesversamm= [ lung, ausübt. In Beziehung auf den Mißbrauch der periodischen Presse steht die Bundes= | Versammlung dem Vortrage ihrer in der 14. dießjährigen Sitzung gewählten Commission wegen | Einfuhmng gleichförmiger Verfügungen hinsichtlich der Presse entgegen, um hierauf einen endlichen | Beschluß fassen zu können, und sie erwartet mit Vertrauen von dem Eifer der Commission, | daß sie die ihr übertragene Aufgabe in dem Sinne obiger Proposition baldigst lösen werde.

Dok. 31.

[51] „Zehn Artikel" vom 5. M i 1832 Münch=Bellinghausen. Nagler. Lerchenfeld. Manteuffel. Stralenheim. Trott. Blittersdorff. Rieß. Gruben.

737

Pechlin. Grünne. Beust. Marschall. Schack. Both. Leonhardi, Curtius.

[50/1] Bundesbeschluß vom 8. November 1832 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einführungen" die Darstellung unter [137.]. Quelle: Protokolle der deutschen Bundes-Versammlung, 42. Sitzung vom 8. November 1832, § 485, S. (1505 - )1506 (gedruckt [Loco dictaturae]). [S. 1505] §.485. Bekanntmachung und Vollziehung des Bundesbeschlusses vom 28. Juni 1832, Maaßregeln zur Aufrechterhaltung der gesetzlichen Ordnung und Ruhe im Deutschen Bunde betr. ,..[S. 1506] . . . Hierauf wurde auf Präsidialantrag | beschlossen:^ Die Bundesversammlung nimmt die von sämmtlichen Regierungen vorgelegten Anzeigen I über den in ihren Staaten bekannt gemachten Bundesbeschluß vom 28 Juni 1. J.** mit der I Bemerkung zur Nachricht, daß, wie sich von selbst versteht, durch die von einigen Regierungen I der Bekanntmachung dieser Beschlüsse beigefügten erläuternden Beisätze der allgemeinen Ver= | bindlichkeit des Bundesbeschlusses vom 28. Juni für sämmtliche Bundesstaaten in keiner Be= | ziehung irgend ein Eintrag habe geschehen können, so wie solches ohnehin auch nicht in | der Absicht der einzelnen Regierungen gelegen hat.

[51] (Zweiter) Bundesbeschluß über „Maßregeln zur Aufrechterhaltung der gesetzlichen Ordnung und Ruhe im Deutschen Bunde" („Zehn Artikel") vom 5. Juli 1832 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einführungen" die Darstellungen unter [132.] [138.] [155.] [261.]. Quelle: Protokolle der deutschen Bundes-Versammlung, 24. Sitzung vom 5. M i 1832, § 231, S. 941 (951)-953 (gedruckt).

An der Sitzung nahmen folgende Gesandte teil: von Münch-Bellinghausen (für Österreich), von Nagler (für Preußen), von Lerchenfeld (für Bayern), von Manteuffel (für Sachsen), von Stralenheim (für Hannover), von Trott (für Württemberg), von Blittersdorff (für Baden), von Rieß (für Kurhessen), von Gruben (für Hessen-Darmstadt), von Pechlin (für Dänemark wegen Holstein und Lauenburg), von Grünne (für die Niederlande wegen Luxemburg), von Beust (für Großherzogtum und Herzogtümer Sachsen), von Marschall (für Braunschweig und Nassau), von Schack (für Mecklenburg-Schwerin und Mecklenburg-Strelitz), von Both (für Oldenburg, Anhalt und Schwarzburg), von Leonhardi (für Hohenzollern, Liechtenstein, Reuß, Schaumburg-Lippe, Lippe und Waldeck), Curtius (für Lübeck, Frankfurt, Bremen und Hamburg). Dok. 50.

738

§3: Deutscher Bund

[Dok. 3 1 - 8 4 ]

Sonstige Fundstellen: E. R. Huber (Hrsg.), Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte, Bd. 1: Deutsche Verfassungsdokumente 1803 - 1850, 3. Aufl., 1978, Nr. 45; P. A. G. Meyer (Hrsg.), Corpus Juris Germaniae Confoederationis oder Staatsacten für Geschichte und öffentliches Recht des Deutschen Bundes, Teil II (Beschlüsse der deutschen Bundesversammlung), 3. Aufl., 1859, S. 250 - 252. [S. 942] §.231. Maaßregeln zur Aufrechthaltung der gesetzlichen Ordnung und Ruhe im Deutschen | Bunde. .,.[S. 951] . .. Da, nach der Erklärung der Königlich=Bayerischen Gesandtschaft, die in den frü= | heren Registraturen und so eben besprochenen Maaßregeln bereits größtentheils im Königreiche I Bayern zum Vollzuge gebracht sind, und von Seiten der übrigen Gesandtschaften die | Dringlichkeit der gegenwärtigen Verfugungen anerkannt ward; so glaubt die Versammlung I auf die weitere Hinaussetzung der Schlußfassung bei dem gegenwärtigen Zustande der Dinge | in Deutschland ohne Verantwortlichkeit nicht eingehen zu können. Hierauf wurde | beschlossen:^ In Erwägung der gegenwärtigen Zeitverhältnisse und für die Dauer derselben, beschließt I die Bundesversammlung, in Gemäßheit der ihr obliegenden Verpflichtung, die gemeinsamen | Maaßregeln zur Aufrechthaltung der öffentlichen Ruhe und gesetzlichen Ordnung zu berathen, | nach vernommenem Gutachten einer aus ihrer Mitte gewählten Commission, wie folgt: 1) Keine in einem nicht zum Deutschen Bunde gehörigen Staate in Deutscher Sprache I im Druck erscheinende Zeit= oder nicht über zwanzig Bogen betragende sonstige Druckschrift politischen Inhalts darf in einem Bundesstaate, ohne vorgängige Genehmhaltung | der Regie= | rung desselben, zugelassen und ausgegeben werden; gegen die Uebertreter dieses Verbots ist eben | so, wie gegen die Verbreiter verbotener Druckschriften, zu verfahren. [S. 952] 2) Alle Vereine, welche politische Zwecke haben, oder unter anderm Namen zu | politischen Zwecken benutzt werden, sind in sämmtlichen Bundesstaaten zu verbieten und I ist gegen deren Urheber und die Theilnehmer an denselben mit angemessener Strafe vor= | zuschreiten. 3) Ausserordentliche Volksversammlungen und Volksfeste, nämlich solche, | welche bisher hinsichtlich der Zeit und des Ortes weder üblich noch gestattet waren, | dürfen, unter welchem Namen und zu welchen Zwecke es auch immer sey, in keinem Bun= I desStaate, ohne vorausgegangene Genehmigung der competenten Behörde, statt finden. Diejenigen, welche zu solchen Versammlungen oder Festen durch Verabredungen oder I Ausschreiben Alnlaß geben, sind einer angemessenen Strafe zu unterwerfen. An der Sitzung nahmen folgende Gesandte teil: Münch-Bellinghausen (für Österreich), von Nagler (für Preußen), von Lerchenfeld (für Bayern), von Manteuffel (für Sachsen), von Stralenheim (für Hannover), von Trott (für Württemberg), von Blittersdorff (für Baden), von Rieß (für Kurhessen), von Gruben (für Hessen-Darmstadt), von Pechlin (fiir Dänemark wegen Holstein und Lauenburg), von Grünne (für die Niederlande wegen Luxemburg), von Beust (für Großherzogtum und Herzogtümer Sachsen), von Marschall (für Braunschweig und Nassau), von Schack (für MecklenburgSchwerin und Mecklenburg-Strelitz), von Both (für Oldenburg, Anhalt und Schwarzburg), von Leonhardi (fiir Hohenzollem, Liechtenstein, Reuß, Schaumburg-Lippe, Lippe und Waldeck), Curtius (für Lübeck, Frankfurt, Bremen und Hamburg).

[51] „Zehn Artikel" vom 5. M i 1832

739

Auch bei erlaubten Volksversammlungen und Volksfesten ist es nicht zu dulden, daß I öffentliche Reden politischen Inhalts gehalten werden; diejenigen, welche sich dieß zu Schulden | kommen lassen, sind nachdrücklich zu bestrafen, und wer irgend eine Volksversammlung dazu | mißbraucht, Adressen oder Beschlüsse in Vorschlag zu bringen und durch Unterschrift oder | mündliche Beistimmung genehmigen zu lassen, ist mit geschärfter Ahndung zu belegen. 4) Das öffentliche Tragen von Abzeichen in Bändern, Cocarden oder dergleichen, sey I es von In= oder Ausländem, in andern Farben, als jenen des Landes, dem der, welcher | solche trägt, als Unterthan angehört, - das nicht autorisirte Aufstecken von Fahnen und | Flaggen, das Errichten von Freiheitsbäumen und dergleichen Aufruhrzeichen - ist I unnachsichtlich zu bestrafen. 5) Der am 20. September 1819 gefaßte^, gemäß weitem Beschlusses vom 12. August | 1824 fortbestehende**, provisorische Beschluß über die in Ansehung der Universitäten zu I ergreifenden Maaßregeln, wird sowohl im Allgemeinen, als insbesondere hinsichtlich der in | den §§.2 und 3 desselben enthaltenen Bestimmungen, in den geeigneten Fällen, in so weit | es noch nicht geschehen, unfehlbar zur Anwendung gebracht werden. „§. 2. Die Bundesregiemngen verpflichten sich gegen einander, Universitäts= und | andere öffentliche Lehrer, die durch erweisliche Abweichung von ihrer Pflicht, oder | Ueberschreitung der Grenzen ihres Bemfes, durch Mißbrauch ihres rechtmäßigen Ein= | flusses auf die Gemüther der Jugend, durch Verbreitung verderblicher, der Öffent= | liehen Ordnung und Ruhe feindseliger, oder die Grandlagen der bestehenden Staats^ I einrichtungen untergrabender Lehren, ihre Unfähigkeit zu Verwaltung des ihnen an= | vertrauten wichtigen Amtes unverkennbar an den Tag gelegt haben, von den Univer= | sitäten und sonstigen Lehranstalten zu entfernen, ohne daß ihnen hierbei, so lange | der gegenwärtige Beschluß in Wirksamkeit bleibt, und bis über diesen Punct deftii= I tive Anordnungen ausgesprochen seyn werden, irgend ein Hindemiß im Wege stehen | könne. Jedoch soll eine Maaßregel dieser Art nie anders, als auf den vollständig | motivirten Antrag des der Universität vorgesetzten Regierangs=Bevollmächtigten, oder | von demselben vorher eingeforderten Bericht beschlossen werden. „Ein auf solche Weise ausgeschlossener Lehrer darf in keinem andem Bundes^ | Staate bei irgend einem öffentlichen Lehr=Institute wieder angestellt werden. „§.3. Die seit langer Zeit bestehenden Gesetze gegen geheime oder nicht autori= | sirte Verbindungen auf den Universitäten, sollen in ihrer ganzen Kraft und Strenge | aufrecht erhalten, und insbesondere auf den seit einigen Jahren gestifteten, unter dem | Namen der allgemeinen Burschenschaft bekannten Verein um so bestimmter | [S. 953] ausgedehnt werden, als diesem Verein die schlechterdings unzulässige Voraussetzung I einer fortdauernden Gemeinschaft und Correspondenz zwischen den verschiedenen Uni= | versitäten zum Grande liegt. Den Regierangs=Bevollmächtigten soll in Ansehung | dieses Punctes eine vorzügliche Wachsamkeit zur Pflicht gemacht werden. Die Regierangen vereinigen sich darüber, daß Individuen, die nach Bekannt= | machung des gegenwärtigen Beschlusses erweislich in geDok. 39. Dok. 47.

740

§3: Deutscher Bund

[Dok. 3 1 - 8 4 ]

heimen oder nicht autorisirten | Verbindungen geblieben, oder in solche getreten sind, bei keinem öffentlichen Amte | zugelassen werden sollen". 6) Die Bundesregierungen werden fortwährend die genaueste polizeiliche Wachsamkeit I auf alle Einheimische, welche durch öffentliche Reden, Schriften oder Handlungen ihre | Teilnahme an aufwieglerischen Planen kund, oder zu deßfallsigem Verdacht gegründeten Anlaß | gegeben haben, eintreten lassen; sie werden sich wechselseitig mit Notizen über alle Entdeckungen | staatsgefährlicher geheimer Verbindungen und der darin verflochtenen Individuen, auch in | Verfolgung deßfallsiger Spuren, jederzeit aufs schleunigste und bereitwilligste unterstützen. 7) Auf Fremde, welche sich wegen politischer Vergehen oder Verbrechen in einen der I Bundesstaaten begeben haben, sodann auf Einheimische und Fremde, die aus Orten oder | Gegenden kommen, wo sich Verbindungen zum Umsturz des Bundes oder der Deutschen Re= | gierungen gebildet haben und der Theilnahme daran verdächtig sind, ist besondere Aufmerk= | samkeit zu wenden; zu diesem Ende sind überall in den Bundeslanden die bestehenden Paß= | Vorschriften auf das Genaueste zu beobachten und nöthigenfalls zu schärfen. Auch werden die sämmtlichen Bundesregierungen dafür sorgen, daß verdächtigen auslän= | dischen Ankömmlingen, welche sich über den Zweck ihres Aufenthalts im Lande nicht befrie= | digend ausweisen können, derselbe nicht gestattet werde. 8) Die Bundesregierungen machen sich verbindlich, diejenigen, welche in einem Bundes= I Staat politische Vergehen oder Verbrechen begangen, und sich, um der Strafe zu entgehen, | in andere Bundeslande geflüchtet haben, auf erfolgende Requisition, in so fem es nicht eigene | Unterthanen sind, ohne Anstand auszuliefem. 9) Die Bundesregierungen sichern sich gegenseitig auf Verlangen die promteste militä= I rische Assistenz zu, und indem sie anerkennen, daß die Zeitverhältnisse gegenwärtig nicht I minder dringend, als im October 1830, ausserordentliche Vorkehrungen wegen Verwendung | der militärischen Kräfte des Bundes erfordern, werden sie sich die Vollziehung des Beschlusses! vom 21. October 1830* - betreffend Maaßregeln zur Herstellung und Erhaltung der Ruhe | in Deutschland - auch unter den jetzigen Umständen, und so lange, als die Erhaltung der | Ruhe in Deutschland es wünschenswerth macht, ernstlich angelegen seyn lassen. 10) Sämmtliche Bundesregierungen verpflichten sich, unverweilt diejenigen Verfügungen, I welche sie zur Vollziehung vorbemerkter Maaßregeln nach Maaßgabe des in den verschiedenen | Bundesstaaten sich ergebenden Erfordemisses getroffen haben, der Bundesversammlung anzu= | zeigen.

[52] Bundesbeschluß über „Umtriebe durch Verfertigung von Petitionen und Protestationen gegen die von der Gesammtheit des Bundes im Interesse der innern Ruhe und gesetzlichen Ordnung gefaßten Bundesbeschlüsse" vom 9. August 1832 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einführungen" die Darstellung unter [140.]. Quelle: Protokolle der deutschen Bundes-Versammlung, 29. Sitzung vom 9. August 1832, § 288, S. 1066 - 1067 (gedruckt). Sonstige Fundstellen: E. R. Huber (Hrsg.), Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte, Bd. 1: Deutsche Verfassungsdokumente 1803 - 1850, 3. Aufl., 1978, Nr. 48; P. A. G. ^ Dok. 48.

[53] Bundesbeschluß vom 6. September 1832

741

Meyer (Hrsg.), Corpus Juris Germaniae Confoederationis oder Staatsacten für Geschichte und öffentliches Recht des Deutschen Bundes, Teil II (Beschlüsse der deutschen Bundesversammlung), 3. Aufl., 1859, S. 252. [S. 1066] §. 288. Umtriebe durch Verfertigung von Petitionen und Protestationen gegen die von | der Gesammtheit des Bundes im Interesse der innem Ruhe und gesetzlichen | Ordnung gefassten Bundesbeschlüsse. Aus Veranlassung der, den öffentlichen Blättern zufolge, in einigen Bundesstaaten be= | merkbar gewordenen Umtriebe, durch Verfertigung von Petitionen und Protestationen gegen I die von der Gesammtheit des Bundes im Interesse der innem Ruhe und gesetzlichen Ord= I nung gefaßten Bundesbeschlüsse die Stimmung aufzureizen und das Ansehen des Bundes und | der einzelnen Regierungen zu schmälern, wurde auf Präsidialantrag | beschlossen:^ Da Protestationen, Petitionen und Adressen gegen die neuesten Bundesbeschlüsse, wie | solche in einigen Bundesstaaten vorgekommen sind, nur als Bestrebungen angesehen werden I können, die Regierungen zu veranlassen, sich von Verpflichtungen loszusagen, welche sie durch | die Grundgesetze des Bundes übernommen und neuerlich bekräftigt haben, und mithin in sol= | chen Versuchen die ahndungswürdige Absicht nicht zu verkennen ist, die Regierungen mit dem | [S1067] Bunde in Zwiespalt zu bringen und ihre durch die Bundesverfassung garantirte Autorität | in der Beziehung zum Bunde zu lahmen; so spricht die Bundesversammlung die zuver= | sichtliche Erwartung aus, daß die Regierungen, in deren Staaten derlei Acte der Auflehnung | gegen die im Staatsoberhaupte vereinigte Staatsgewalt sich ereignen, gegen die Urheber und | Verbreiter solcher Protestationen, Petitionen und Adressen die Untersuchung einleiten und | nach den Gesetzen verfahren werden. Bayern. Der Gesandte benutzt diesen Anlaß, um eine hohe Bundesversammlung | in Kenntniß zu setzen, daß gegen eine in Kaiserslautem erschienene Verwahmng einiger Be== | wohner des Rheinkreises gegen die Bundesbeschlüsse vom 28. Junius die Beschlagnahme ver= I fügt und die Einleitung zur gerichtlichen Einschreitung unverzüglich getroffen worden sey.

[53] Bundesbeschluß zur „Sicherstellung der Rechte der Schriftsteller und Verleger gegen den Nachdruck, in Folge des Art. 18d der deutschen Bundesacte" vom 6. September 1832 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einführungen" die Darstellung unter [244.]. Quelle: Protokolle der deutschen Bundes-Versammlung, 33. Sitzung vom 6. September 1832, § 361, S. (1176-)1177 (gedruckt [Loco dictaüirae]). Sonstige Fundstelle: P. A. G. Meyer (Hrsg.), Corpus Juris Germaniae Confoederationis oder Staatsacten für Geschichte und öffentliches Recht des Deutschen Bundes, Teil II (Beschlüsse der deutschen Bundesversammlung), 3. Aufl., 1859, S. 253. An der Sitzung nahmen folgende Gesandte teil: von Münch-Bellinghausen (für Österreich), von Nagler (für Preußen), von Lerchenfeld (für Bayern und Württemberg), von Manteuffel (für Sachsen), von Stralenheim (für Hannover), von Blittersdorff (für Baden), von Rieß (für Kurhessen), von Gruben (für Hessen-Darmstadt), von Pechlin (für Dänemark wegen Holstein und Lauenburg), von Grünne (für die Niederlande wegen Luxemburg), von Beust (für Großherzogtum und Herzogtümer Sachsen), von Marschall (für Braunschweig und Nassau), von Schack (für Mecklenburg), von Both (für Oldenburg, Anhalt und Schwarzburg), von Leonhardi (für Hohenzollem, Liechtenstein, Reuß, Schaumburg-Lippe, Lippe und Waldeck), Curtius (für Lübeck, Frankfurt, Bremen und Hamburg).

742

§ 3: Deutscher Bund

[Dok. 31 - 84]

[S. 1176] §.361. Die Sicherstellung der Rechte der Schriftsteller und Verleger gegen den | Nachdruck, in Folge des Art. IS'^ der deutschen Bundesacte betr. ...[S.1177]... Hierauf wurde | beschlossen:^ Um nach Artikel 1 ^^ der Deutschen Bundesacte** die Rechte der Schriftsteller, Herausgeber I und Verleger gegen den Nachdruck von Gegenständen des Buch= und Kunst=Handels sicher | zu stellen, vereinigen sich die souverainen Fürsten und freien Städte Deutschlands vorerst über den | Grundsatz, daß bei Anwendung der gesetzlichen Vorschriften und Maaßregeln wider den Nachdruck, | in Zukunft der Unterschied zwischen den eigenen Unterthanen eines Bundesstaates und jenen der | übrigen im Deutschen Bunde vereinten Staaten gegenseitig und im ganzen Umfange des | Bundes in der Art aufgehoben werden soll, daß die Herausgeber, Verleger und Schriftsteller | eines Bundesstaates sich in jedem andern Bundesstaate des dort gesetzlich bestehenden Schutzes gegen | den Nachdruck zu erfreuen haben werden. Die höchsten und hohen Regierungen werden die zur Vollziehung dieses Beschlusses | nöthigen Verfugungen erlassen, wie dieses geschehen, so wie überhaupt von den gegen den Nach= I druck bestehenden Gesetzen und Anordnungen binnen zwei Monaten der Bundesversammlung Mit= I theilung machen.

[54] Bundesbeschluß hinsichtlich der „Bestellung einer CentralBehörde wegen eines gegen den Bestand des Deutschen Bundes und die öffentliche Ordnung in Deutschland gerichteten Complotts" vom 20. Juni 1833 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einfuhrungen" die Darstellungen unter [85.] [142.]. Quelle: Protokolle der deutschen Bundes-Versammlung, 26. Sitzung vom 20. Juni 1833, § 258, S. 568 (575) - 576 (gedruckt). Sonstige Fundstellen: E. R. Huber (Hrsg.), Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte, Bd. 1: Deutsche Verfassungsdokumente 1803 - 1850, 3. Aufl., 1978, Nr. 46; P. A. G. Meyer (Hrsg.), Corpus Juris Germaniae Confoederationis oder Staatsacten für Geschichte und öffentliches Recht des Deutschen Bundes, Teil II (Beschlüsse der deutschen Bundesversammlung), 3. Aufl., 1859, S. 285 - 286. [S. 568] §. 258. Das gegen den Bestand des Deutschen Bundes und gegen die öffentliche Ordnung | in Deutschland gerichtete Complott, insbesondere den am 3. April d. J. zu | Frankfurt erfolgten Angriff betreffend.

An der Sitzung nahmen folgende Gesandte teil: von Münch-Bellinghausen (für Österreich), von Nagler (für Preußen), von Lerchenfeld (für Bayern und Württemberg), von Manteuffel (für Sachsen), von Stralenheim (für Hannover), von Blittersdorff (für Baden), von Rieß (für Kurhessen), von Gruben (für Hessen-Darmstadt), von PechHn (für Dänemark wegen Holstein und Lauenburg), von Grünne (für die Niederlande wegen Luxemburg), von Beust (für Großherzogtum und Herzogtümer Sachsen), von Marschall (für Braunschweig und Nassau), von Schack (für Mecklenburg), von Both (für Oldenburg, Anhalt und Schwarzburg), von Leonhardi (für Hohenzollem, Liechtenstein, Reuß, Schaumburg-Lippe, Lippe und Waldeck), Curtius (für Lübeck, Frankfurt, Bremen und Hamburg). Dok. 31.

[54] Bundesbeschluß vom 20. Juni 1833

743

...[S. 575] . . . Beschluß.^ Artikel 1. Von Bundeswegen wird eine Centralbehörde niedergesetzt, deren Aufgabe | ist, die näheren Umstände, den Umfang und den Zusammenhang des gegen den Bestand | des Bundes und gegen die öffentHche Ordnung in Deutschland gerichteten Complotts, insbe= | sondere des am 3. April 1. J. zu Frankfurt statt gehabten Attentats, zu erheben und fort= | während von sämmtlichen Verhandlungen der verschiedenen, mit Untersuchungen wegen Theil= | nähme an dem gedachten Complotte in den einzelnen Bundesstaaten beschäftigten Behörden I im Interesse der Gesammtheit Kenntniß zu nehmen, auch gegenseitige Mittheilungen und I Aufschlüsse unter denselben zu befördern, endlich für die Gründlichkeit, Vollständigkeit und I Beschleunigung der anhängigen Untersuchungen Sorge zu tragen. Diese Behörde versammelt sich 14 Tage nach gegenwärtigem Beschlüsse zu Frankfurt | am Main. [S. 576] Artikel 2. Die Bundesversammlung wählt die Regierungen von Oesterreich, | Preussen, Bayern, Würtemberg und Großherzogthum Hessen, deren jede | ein Mitglied der Centralbehörde des Bundes zu ernennen hat. Der Vorsitz bei dieser Behörde richtet sich nach der Abstimmungsordnung in der Bun= | desversammlung. Artikel 3. Zu Mitgliedern dieser Behörde können nur durch Erfahrung im Unter= | suchungsfach erprobte Beamte des Richterstandes ernannt werden. Einem jeden derselben wird von der betreffenden Regierung ein auf das Protokoll ver= | pflichteter Actuar oder ein Canzlist beigegeben und im Uebrigen der Behörde die Bildung | ihrer Canzlei überlassen. Die Beschlüsse werden nach der Stimmenmehrheit gefaßt; der weitere Geschäftsgang | wird von der Centralbehörde selbst festgesetzt. Artikel 4. Die Regierungen, in deren Staaten Untersuchungen wegen des Complotts | gegen den Bund und die einzelnen Bundesregierungen statt finden, werden der Bundesver= | Sammlung die damit beauftragten Landesbehörden bezeichnen. Artikel 5. Diese Landesbehörden werden von ihren Regierungen angewiesen werden, | der Centralbehörde des Bundes fortwährend und schleunigst Alles, was sich auf die Unter= | suchungen bezieht und zu ihrer Kenntniß gelangt, mitzutheilen, so wie auch den Requisitionen I derselben, welche die Ausmittlung des Thatbestandes, des Ursprungs und der Verzweigungen I des Complotts betreffen, unverzüglich und vollständig zu genügen. An der Sitzung nahmen folgende Gesandte teil: von Münch-Bellinghausen (für Österreich), von Nagler (für Preußen), von Trott (für Bayern und Württemberg), von Manteuffel (für Sachsen), von Stralenheim (für Hannover), von Blittersdorff (flir Baden), von Rieß (für Kurhessen), von Gruben (für Hessen-Darmstadt), von Pechlin (für Dänemark wegen Holstein und Lauenburg sowie für Braunschweig und Nassau), von Grünne (für die Niederlande wegen Luxemburg), von Beust (für Großherzogtum und Herzogtümer Sachsen), von Schack (für Mecklenburg), von Both (für Oldenburg, Anhalt und Schwarzburg), von Leonhardi (flir Hohenzollem, Liechtenstein, Reuß, Schaumburg-Lippe, Lippe und Waldeck), Thomas (für Lübeck, Frankfurt, Bremen und Hamburg).

744

§ 3: Deutscher Bund

[Dok. 3 1 - 8 4 ]

Artikel 6. Die Centralbehörde des Bundes hat die Befugniß, an alle Orte, wo | solche Untersuchungen im Gange sind, eines ihrer Mitglieder abzuordnen, um die Acten ein= | zusehen, und den Verhören der Angeschuldigten beizuwohnen, ohne jedoch an der Untersuchung | selbst, welche der Landesbehörde zusteht, unmittelbaren Antheil zu nehmen. Im Falle solcher Entsendungen oder anderer Verhinderungen, wird die Bundesversamm= | lung für die Vollständigkeit der Centralbehörde durch Wahl anderer Regierungen zu zeitwei= | liger Beiordnung von Stellvertretern nach Bedürfniß Sorge tragen; als solche Regierun= | gen werden Kurhessen und Nassau bezeichnet. Artikel 7. ^Die Centralbehörde des Bundes erstattet ihre Berichte an den in Folge des | Art. 28 der Wiener Schlußacte ernannten Bundestags=Ausschuß. '^An diesen richtet sie ihre | Anträge über die Leitung und Beförderung der Untersuchungen, insbesondere bei sich zeigenden | Anständen, und eben so legt sie demselben von Zeit zu Zeit das Ergebniß der Untersu= | chungen vor. Sie hat alle über die aufrührischen Complotte in den einzelnen Deutschen Bundesstaaten I ihr zugehenden Notizen zusammenzustellen, die Thatsachen aufzuklären, die Urheber und Theil^ | nehmer zu ermitteln, und hiermit ihre Anträge wegen gründlicher Hebung des Uebels zu ver= | binden, Artikel 8. Die Kosten der gedachten Centralbehörde werden von dem Bunde ge= | tragen und aus der Matrikularcasse bestritten. Artikel 9. Die Bundesregierungen werden den Vollzug dieses Beschlusses, in so weit | er eine jede betrifft, der Bundesversammlung unverweilt anzeigen.

[54/1] Bundesbeschluß vom 8. August 1833 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einführungen" die Darstellungen unter [85.] [142.]. Quelle: Protokolle der deutschen Bundes-Versammlung, 34. Sitzung vom 8. August 1833, § 356), S. 733 (734) - 735 (gedruckt [Loco dictaturae]). Sonstige Fundstelle: P. A. G. Meyer (Hrsg.), Corpus Juris Germaniae Confoederationis oder Staatsacten für Geschichte und öffentliches Recht des Deutschen Bundes, Teil II (Beschlüsse der deutschen Bundesversammlung), 3. Aufl., 1859, S. 286. [S. 733] . . . §. 356. Das gegen den Bestand des Deutschen Bundes und gegen die öffentliche Ordnung | in Deutschland gerichtete Complott, insbesondere den am 3. April d. J. zu | Frankfurt erfolgten Angriff betreffend.

[54/2] Bundesbeschluß vom 10. Oktober 1833

745

...fS. 734J . .. Sämmtliche Gesandtschaften stimmten diesen Präsidialanträgen bei; daher | Beschluß:^ 1) Die durch Bundesbeschluß vom 20. Juni d. J.** (Prot, der 26. Sitzung, §. 258) | niedergesetzte Centralbehörde des Bundes wird als constituirt erklärt, und die in Folge des I Art. 28 der Wiener Schlußacte^ gewählte Bundestags=Commission sonach ersucht, dieser | Centralbehörde den eben besagten Beschluß als Instruction zur Erfüllung des ihr ertheilten | Auftrags mitzuteilen, deßgleichen an dieselbe die Anzeigen der betreffenden Regierungen über | die Behörden, welche mit den eingeleiteten oder noch einzuleitenden Untersuchungen beauftragt | sind, gelangen zu lassen. 2) Die Verwaltung der Bundesmatrikular^Casse wird angewiesen, den Mitgliedem der I durch Bundesbeschluß vom 20. Juni d. J. gebildeten Centralbehörde, so wie den ihnen bei= | gegebenen Beamten die ihnen gebührenden Genüsse zu verabfolgen, deßgleichen die durch | [S. 735] diese Centralbehörde veranlaßten sonstigen Ausgaben aus der Bundesmatrikulai^Casse zu | bestreiten und in Rechnung zu bringen. 3) lieber den Auftrag und die erfolgte Constituirung der Centralbehörde ist in die | Frankfurter Zeitungen ein officieller Artikel in der vom Präsidio angegebenen Weise ein= I rücken zu lassen.

[54/2] Bundesbeschluß vom 10. Oktober 1833 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einführungen" die Darstellung unter [142.]. Quelle: Protokolle der deutschen Bundes^Versammlung, 43. Sitzung vom 10. Oktober 1833, § 454, S. (949 - )952 (gedruckt [Loco dictaturae]). Sonstige Fundstelle: P. A. G. Meyer (Hrsg.), Corpus Juris Germaniae Confoederationis oder Staatsacten für Geschichte und öffentliches Recht des Deutschen Bundes, Teil II (Beschlüsse der deutschen Bundesversammlung), 3. Aufl., 1859, S. 287. [S. 949] §. 454. Mittheilung der Verhandlungen der mit der Untersuchung staatsverbrecherischer Un= | nehmungen beauftragten Landesbehörden an die Centralbehörde des Bundes. ...[S. 953] Sämmtliche Gesandtschaften waren mit den Commissionsanträgen einver= | standen; daher | Beschluß: Die höchsten und hohen Regierungen werden wiederholt aufgefordert, sämmtliche mit | Untersuchungen wegen des Complotts, das alle gegen den Bund, die einzelnen Regierungen I und die öffentliche Sicherheit überhaupt gerichteten verbrecherischen Unternehmungen umfaßt, in | ihren Staaten beauftragten Behörden anzuweisen:

An der Sitzung nahmen folgende Gesandte teil: von Münch-Bellinghausen (für Österreich), von Nagler (für Preußen), von Mieg (für Bayern und Württemberg), von Manteuffel (für Sachsen und Hannover), von Trott (für Württemberg), von Gruben (für Baden und Hessen-Darmstadt), von Rieß (für Kurhessen), von Schack (für Dänemark wegen Holstein und Lauenburg sowie für Mecklenburg), von Both (für die Niederlande wegen Luxemburg sowie für Oldenburg, Anhalt und Schwarzburg), von Beust (für das Großherzogtum und Herzogtümer Sachsen), von Marschall (für Braunschweig und Nassau), von Leonhardi (für HohenzoUem, Liechtenstein, Reuß, Schaumburg-Lippe, Lippe und Waldeck), Thomas (für Lübeck, Frankfürt, Bremen und Hamburg). Dok. 54. Dok. 43.

746

§3: Deutscher Bund

[Dok. 3 1 - 8 4 ]

1) der Centralbehörde alles, was sich auf die von ihnen in dem bezeichneten Umfange I geführten Untersuchungen bezieht und zu ihrer Kenntniß gelangt, mithin auch die I Resultate der Untersuchungen, vollständig mitzutheilen, ohne eine vorgängige Auf= I forderung deßhalb abzuwarten, nicht weniger die in Folge einer solchen Mittheilung | von jener Behörde als erforderlich bezeichneten Acten in Ur= oder legalisirten Ab= | Schriften zu übersenden; 2) den Requisitionen der Centralbehörde, welche die Ausmittlung des Tatbestandes, | des Ursprungs und der Verzweigungen jenes Complotts betreffen, unverzüglich und I vollständig zu genügen. Die Centralbehörde des Bundes ist aus ihren Bericht von 25, September von gegen= | wärtigem Beschlüsse in Kenntniß zu setzen. Nagler. | Mieg. | Manteuffel. | Stralenheim. | Trott. | Blittersdorff | Rieß. | Gruben. | Pechlin. | Grünne. | Beust, auch für die 15. Stimme. | Marschall. | Schack. | Leonhardi. | Thomas.

[55] Geheimer Bundesbeschluß („Sechzig Artikel" - Schlußprotokol! der Wiener IVlinisterkonferenzen) vom 12. Juni 1834 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einführungen" die Darstellungen unter [143.] [155.] [178.]. Quelle: Bundesarchiv Koblenz, Sign.: DB 1 -U/43, Bl. 1 - 6 9 (handschriftliche Ausfertigung). Sonstige Fundstelle: E. R. Huber (Hrsg.), Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte, Bd. 1: Deutsche Verfassungsdokumente 1803 - 1850, 3. Aufl., 1978, Nr. 47. [BL 1] Die I souverainen Fürsten und | freien Städte Deutschlands | haben in pflichtmäßiger Fürsorge für Erhal= | tung der durch die Bundesacte bestimmten, und | durch die Schlußacte ausgebildeten Verfassung | des deutschen Bundes, wie für die durch diese | Grundgesetze verbürgte Sicherung der landes= | herrlichen Autorität und der öffentlichen Ord= | nung und Ruhe in den einzelnen Bundesstaaten, | endlich in dem festen Entschlüsse, den in Deutsch= I land bestehenden Rechtszustand gegen jeden | Versuch zu dessen Verletzung durch alle in | ihren Rechten, wie in ihren Pflichten liegen^ | den Mittel gewissenhaft zu bewahren, zur | Beratschlagung über die zur Erreichung die= | ses gemeinsamen Zweckes von allen | Regierungen gleichmäßig festzuhaltenden | [Bl 2] Grundsätze und zu treffenden Maßregeln | nachstehende Bevollmächtigte ernannt, näm= | lieh: Seine Majestät der Kaiser von Oesterreich, König von | Ungarn und Böhmen, &c. &c. &c. Den Durchlauchtig=Hochgebomen Herrn | Clemens Wenzel Lothar Fürsten von Mettemich= | Winneburg, Herzog von Portella, Graf von Königswart p. p. Grand von Spanien erster | Classe, Ritter des goldenen Vließes, Großkreuz | des kön. Ungarischen St. Stephans=Ordens in | Brillanten, des goldenen Civil=Verdienstzei= | chens und des Ordens des heiligen Johannes von | Jerusalem, Ritter der russisch==kaiserlichen | Orden des Heil. Andreas, des Heil. Alexander= | Newsky und der Heil. Anna \^^ Classe, der | Orden des Heil. Geistes und der übrigen kön. | französischen Orden, des kön. sardinischen I Ordens der Anunciade, des kön. dänischen | Elephanten=, des kön. Preußischen schwarzen | und des rothen Adler, dann des kön. schwe= | dischen Saraphinen=Ordens, Großkreuz des | köii. spanischen Ordens Carl III., des kön. | [Bl. 3] portugiesischen Geistes= und des kais. brasili= | anischen Ordens vom Südlichen Kreuze, Ritter des kön. sicilianischen St. Ferdinand^ | und Verdienst=Ordens, Ritter des königlich | baye-

[55] Geheimer Bundesbeschluß vom 12. Juni 1834

747

rischen St. Hubert^ und Großkreuz des | großherzoglich toskanischen St. Joseph=Ordens, Ritter des kön. württembergischen Krone= und | des sächsischen Ordens der Rautenkrone, I Großkreuz des kön. hannoverschen Guelphen= | des kön. Niederländischen Löwen= des chur= ] fürstlich hessischen Löwen= und des großherz.= | hessischen Ludwig=Ordens, Ritter des groß= | herzoglich badischen Ordens der Treue, | Großkreuz des großherzoglich sächsischen | Falken und des constantinischen St. Georgs= | Ordens von Parma, Kanzler des militär. | Maria=Theresien=Ordens, Seiner Oesterr: | Kaiserlichen Majestät wirkl: Kämmerer | und Geheimen Rath p. p. Staats und Kon= | ferenz=Minister, dann Haus= und Hof= und | Staats=Kanzler, und den Herrn Joachim Eduard Grafen von | Münch=Bellinghausen, Großkreuz des | [Bl 4] kaiserlich Oesterreichischen Leopold und Ritter | des königlich Ungarischen St. Stephans=Ordens, | Inhaber des silbernen Civil=Ehren=Kreuzes, | Ritter des Königlich Preußischen rothen Adler= | Ordens erster Classe, Großkreuz des Civil= | Verdienst=Ordens der Königlich bayerischen | Krone, des Königlich dänischen Dannebrog= 1 und des Königlich Sächsischen Civil=Verdienst= | Ordens, Großkreuz des K. Hannoverischen | Guelphen=, des Kurfürstlich Hessischen golde= | nen Löwen und des Großherzoglich Hessischen | Haus=Ordens, Seiner Kaiserlich=Königlichen | Majestät wirklichen geheimen Rath und | präsidirenden Gesandten der Hohen deut= | sehen Bundesversammlung, Seine Majestät der König von Preußen Ihren wirklichengeheimen Staats^ und | Kabinets=Minister, Chef des Ministeriums | der auswärtigen Angelegenheiten Herrn | Friedrich Ancillon, Ritter des Königlich | preußischen großen rothen Adler=Ordens | mit Eichenlaub, und des eisernen Kreuzes | am weißen Bande, dann der Kais, russischen | [Bl. 5] Orden des heiligen Alexander Newski, der | heil. Anna und des heiligen Stanislaus erster [ Classe, Großkreuz des Kön. bayerischen | Civil=Verdienst=Ordens, des Kön. sardini= | sehen Ordens der Heiligen Mauritius und | Lazarus, des Kön. Schwedischen Nordstem= | Ordens, des KürfurstHch Hessischen Ordens | vom Löwen, des Großherzoglich Sächsischen | Falken=Ordens p. und Ihren wirklichen Kammerherm und | geheimen Justizrath, Mitglied des Staats= | raths, Herrn Grafen Albrecht von | Alvensleben auf Erxleben, Ritter des | Kön. Preußischen rothen Adler und Johan= | niter Ordens p. Seine Majestät der König von Bayern Ihren Staatsminister des Königlichen Hau= | ses und des Aeußeren, Herm Friedrich | August Freiherm von Gise, Königlich. | Kämmerer, wirklichen Staats^ und | geheimen Rath, Großkreuz des Civil= | Verdienst=Ordens der bayerischen Krone, | so wie des Kais, österreichischen Leopold= | [Bl 6] Ordens und des Kaiserlich=Russischen St. Alexan= | der Newsky Ordens in Diamanten, des Königl. | Niederländischen Löwen=Ordens=Comman= | deur p. p. und nach dessen Abberufung | Ihren Gesandten bei der deutschen Bundes= | Versammlung und Staatsrath, Herm Arnold | von Mieg, Kommandeur des Civil=Verdienst= | Ordens der bayerischen Krone, Ritter des | Kön. preußischen rothen Adler=Ordens erster | Classe und Großkreuz des kön. sächsischen | Civil=Verdienst=Ordens p. Seine Majestät der König von Sachsen und | Seine Kön: Hoheit der Prinz Friedrich, Mitregent Ihren Staats=Minister für die auswärti= | gen Angelegenheiten und General=Major | der Cavallerie, Herm Johann von Minkwitz, | Ritter des k. sächsischen Militärischen St.=Heinrich= | Ordens, des Kais. Russischen St. Anna=Ordens | 1^®^ Classe, und des Kön. preußischen rothen | Adler=Ordens 1^^^ Classe, Großkreuz des kön. | Bayerischen Civil=Verdienst=Ordens, und des | Großherzoglich Weimarischen Ordens vom | weißen Falken, Großoffizier der französ: [Bl 7] Ehrenlegion p. p.

748

§ 3: Deutscher Bund

[Dok. 31 - 84]

Seine Majestät der König von Großbritannien und | Hannover Ihren Staats= und Kabinets=Minister Herrn | Ludwig Conrad von Ampteda, Großkreuz I des Kön. Hannoverischen Guelphen= und des | Kön. Preußischen rothen Adler=Ordens p. Seine Majestät der König von Württemberg Ihren Geheimen Rath, Minister des aus= | wärtigen und General=Lieutenant; Herm | Joseph Grafen von Beroldingen, Großkreuz | des Kön. Württembergischen Ordens der Krone, | Ritter des Friedrich= und des militär. [ Verdienst=Ordens, Ritter des Kön. bayerischen | Hubert=Ordens in Brillanten, des Kön. preu= | ßischen rothen Adler=Ordens in Brillanten, | der Kön. französischen Ehrenlegion, des Kön. | Hannoverischen Guelphen=Ordens, und des | großherzoglich weimarischen Ordens vom | weißen Falken, des Johanniter=Ordens | Ehren=Ritter p. [Bl 8] Seine Königliche Hoheit der Großherzog von Baden Ihren Staats= und Kabinets=Minister, auch | Präsidenten des Staatsministeriums Herm | Sigmund Carl Johann Freiherr v. Reizenstein, | Großkreuz des Großherzoglich Badischen Haus= I Ordens der Treue und des Zähringer Löwen= | Ordens P. und Ihren außerordentlichen Gesandten und | bevollmächtigten Minister am k. k. Oesterr: | Hofe, General-Lieutenat und General=Ad= | jutanten, Herm Friedrich Freiherr von | Tettenbom, Großkreuz des großherzoglich | badischen Hausordens der Treue und des | Zähringer Löwen, und Commandeur des | Militärischen Carl Friedrich Verdienstordens, I Ritter des militärischen Marien=Theresien= [ und des österreichisch Kaiserlichen Or= I dens der Heil. Anna erster, des Heiligen | Wladimir zweiter, und des Heil. Georgs dritter | Klasse, Offizier der Kön. französischen Ehren= | legion, Commandeur des k. preußischen | rothen Adler= und kön. schwedischen | [Bl. 9] Schwert=Ordens, Großkreuz des Großherzogl. | Hessischen Ludwigs und des Kurhessischen | Löwen=Ordens, Ritter des kön. bayeri= | sehen Militär-Ordens p. Seine Kön: Hoheit der Kurprinz und Mitregent | von Hessen. Ihren Staatsminister der auswärtigen | Angelegenheiten, den Herm Friedrich Frei= | herm von Trott, Commandeur des Kur= | hessischen Hausordens vom goldenen Lö= | wen, und Ritter des Kön. preußischen ro= | then Adler=Ordens erster Klasse p. Seine Kön: Hoheit der Großherzog von Hessen. Ihren dirigirenden Staatsminister Herm | Carl Dussos Freiherm Du Thil, Großkreuz | des großherzoglich Hessischen Ludwigsordens, | des kaiserl. Österreich. Leopold, des kön. preuß. | rothen Adlerordens in Brillanten, des [ Civil=Verdienstordens der kön. bayerischen | Krone und des kurfürstlich Hessischen Löwen= | Ordens, und nach dessen Abbemfung | Ihren wirklichen Geheimen Rath und | Kammerherm, außerordentlichen | [Bl 10] Gesandten und bevollmächtigten Minister | am Bundestage und bei dem kön. bayeri= | sehen Hofe, Herm Joseph Freiherm von | Gmben, Großkreuz des Großh. Hessischen I Ludwig=Ordens und des Civil=Verdienst= | Ordens der kön. bayerischen Krone, Com= I mandeur des kön. Ungarischen St. Stephans^ | Ordens p. Seine Majestät der König von Dänemark, Herzog | von Holstein und Lauenburg Ihren Kammerherm und Mitglied des | Höchsten Justizcollegiums Ihrer zum deutschen | Bunde gehörigen Staaten, Herm Heinrich | Grafen von Reventlow-Criminil p. Seine Majestät der König der Niederlande, Groß= | herzog von Luxemburg Ihren Minister der auswärtigen Angele= | genheiten, Herm Johann Gysbert Freiherm | Verstolk van Soelen, Mitglied der Rittet^ | schaft von Holland, Großkreuz des Ordens | des kön. Niederländischen Löwen p. Seine Kön. Hoheit der Großherzog von Sachsen^ | Weimar und Ihre Durchlauchten die Herzoge von | [Bl 11] Sachsen=Coburg=Gotha, Sachsen=Meiningen=Hild= | burghausen und Sachsen=Altenburg

[55] Geheimer Bundesbeschluß vom 12. Juni 1834

749

den Großherzoglich Sachen^Weimarischen | wirklichen geheimen Rath und Staatsminister I Herrn Carl Wilhelm Freiherr von Fritsch, | Großkreuz des großherzoglich weimarischen I Ordens vom weißen Falken, des königlich | preußischen rothen Adler=Ordens, des kön. | sächsischen Civilverdienstordens, und des | Großherzoglich badischen Ordens vom | Zähringer Löwen p. Ihre Durchlauchten die Herzoge von Braunschweig | und von Nassau den kön. Großbritannisch=Hannövrischen | Herrn Staats= und Kabinets= Minister p. | Ludwig Conrad Georg Freiherr von Ompteda, Ihre königl. Hoheiten die Großherzoge von | Mecklenburg=Schwerin und Strelitz Den großherzoglich Mecklenburg Schweri= | nischen Kammerherm, wirklichen geheim I men Rath, Staats= und Kabinets=Minister | Herrn Leopold Hartwig Freiherr v. Plessen, | Großkreuz des kais. österreichischen | [Bl 12] Leopold^ und des kön. dänischen Danebrog=Or= | dens, Ritter des kön. Preußischen rothen | Adler=Ordens erster Klasse. Seine kön. Hoheit der Großherzog von Oldenburg, | und Ihre Durchlauchten die Herzoge von Anhalt= | Dessau, Bemburg und Cöthen, und die Fürsten von | Schwarzburg Sondershausen und Schwarzburg= | Rudolstadt, den Großherzoglich Oldenburgischen wirkli= | chen Geheimen Rath und Mitglied des | Staats= und Kabinets=Ministeriums, | Herrn Günther Heinrich von Berg, | Commandeur des kön. Ungarischen | St. Stephans=Ordens und des k. Hannover^ | sehen Guelphen=Ordens, Ritter des kön. | Preußischen rothen Adler=Ordens zweiter | Classe p. Ihre Durchlauchten die Fürsten von Hohenzollem= | Hechingen, Hohenzollem=Siegmaringen, Liechtenstein | Reuß älterer und jüngerer Linie, Schaumburg=Lippe, | Lippe= Detmold und Waldeck, den fürstlich Reußischen Kanzler, Regie= | rungs= und Consistorial=Präsidenten | [Bl. IS] Herrn Gustav Adolph von Strauch, Ritter | des kön. preußischen rothen Adlerordens I dritter Klasse und des kön. sächsischen Civil= | Verdienst=Ordens p. Die freien Städte Lübeck, Frankfurt, Bremen | und Hamburg, den Bürgermeister der freien Stadt | Bremen und der Rechte Doctor, Herrn | Johann Smidt, welche zu Wien, nach geschehener Aus= | wechselung ihrer richtig befundenenVoll= | machten, in Kabinets=Konferenzen zusam= | men getreten, und zu einer einhelligen | definitiven Vereinbarung über folgende | Artikel gelangt sind: Art. I. ^Das im Artikel 57. der Wiener Schluß= | acte^ anerkannte Grundprinzip des deutschen | Bundes, gemäß welchem die gesammte | Staatsgewalt in dem Oberhaupte des Staats | [Bl 14] vereinigt bleiben muß, und der Souverain | durch eine landständische Verfassung nur I in der Ausübung bestimmter Rechte an die | Mitwirkung der Stände gebunden werden I kann, ist in seinem vollen Umfang un= | verletzt zu erhalten. ^Jede demselben | widerstrebende, auf eine Theilung der | Staatsgewalt abzielende Behauptung ist | unvereinbar mit dem Staatsrechte der | im deutschen Bunde vereinigten Staaten, | und kann bei keiner deutschen Verfas= | sung in Anwendung kommen. Die Regierungen werden demnach | eine mit den Souverainitätsrechten | unvereinbare Erweiterung ständischer | Befugnisse in keinem Falle zugestehen. Art. IL ^Wenn Stände, in der Absicht, ihre Be= | fiignisse zu erweitem, Zweifel über den | Sinn einzelner Stellen der Verfassungs= | Urkunden erregen sollten, so werden | [BL 15] die Re^ Dok.43.

750

§ 3: Deutscher Bund

[Dok. 31 - 84]

gierungen, die den obigen Grund= | Sätzen entsprechende Deutung aufrecht er= | halten. ^Sollten die Stände sich bei dieser | Deutung nicht beruhigen, so wird die betref= | fende Regierung den erhobenen Anstand | auf dem, im folgenden Artikel zur Ent= | Scheidung solcher Irrungen bezeichneten | Wege zur Erledigung bringen. Art. III. Für den Fall, daß in einem Bundes= | Staate zwischen der Regierung und den | Ständen über die Auslegung der Verfas= | sung oder über die Gränzen der bei Aus= | Übung bestimmter Rechte des Regenten | den Ständen eingeräumten Mitwirkung | namentlich durch Verweigerung der zur | Führung einer den Bundespflichten und | der Landes Verfassung entsprechenden Re= | gierung erforderlichen Mittel Irrungen | entstehen, und alle verfassungsmäßigen I und mit den Gesetzen vereinbarlichen | [Bl 16] Wege zu deren genügenden Beseitigung | ohne Erfolg eingeschlagen worden sind, ver= | pflichten sich die Bundesglieder als solche | gegen einander, ehe sie die Dazwischen= | kunft des Bundes nachsuchen, die Entscheid | dung solcher Streitigkeiten durch Schieds= | richter auf dem in den folgenden Arti= I kein bezeichneten Wege zu veranlassen. Art. IV. ^Um das Schiedsgericht zu bilden, er= | nennt jede der siebzehn Stimmen des en= | gern Raths der Bundesversammlung aus | den von ihr repräsentirten Staaten, von | drei zu drei Jahren, zwei durch Charakter | und Gesinnung ausgezeichnete Männer, | welche durch mehrjährigen Dienst hinläng= | liehe Kenntnisse und Geschäftsbildung, der | Eine im juridischen, der Andere im ad= | ministrativen Fache erprobt haben. ^Die | erfolgten Ernennungen werden von den | einzelnen Regierungen der Bundes= | [Bl. 17] Versammlung angezeigt, und von dieser, so= | bald die Anzeigen von allen 17 Stimmen ein= | gegangen sind, öffentlich bekannt gemacht. | ^Ebenso werden die durch freiwilligen Rücktritt, | durch Krankheit oder Tod eines Spruchmanns, | vor Ablauf der bestimmten Zeit eintreten^ | den Erledigungen von den Regierungen | für die noch übrige Dauer der dreijährigen | Frist sofort ergänzt. Das Verhältniß dieser 34 Spruchmänner | zu den Regierungen, welche sie ernannt | haben, bleibt unverändert, und es gibt ih= | nen die Ernennung zum Spruchmanne | auf Gehalt oder Rang keinen Anspruch. Art. V. ^Wenn in dem, Art. 3 bezeichneten Falle | der Weg einer schiedsrichterlichen Entscheid | dung betreten wird, so erstattet die betreff | fende Regierung hievon Anzeige an die | Bundesversammlung, und es werden | aus der bekannt gemachten Liste der | [Bl. 18] 34 Spruchmänner in der Regel sechs Schieds= | richter, und zwar drei von der Regierung, | und drei von den Ständen ausgewählt. -^Die | von der betheiligten Regierung ernannten | Spruchmänner sind von der Wahl zu Schieds= | richtem für den gegebenen Fall ausge= | schlossen, sofern nicht beide Theile mit de= | ren Zulassung einverstanden sind. ^Es | bleibt dem Uebereinkommen beider | Theile überlassen, sich auf die Wahl von | zwei oder vier Schiedsrichtern zu beschränk | ken, oder deren Zahl anfacht auszudehnen. ^Die gewählten Schiedsrichter werden von | der betreffenden Regierung der Bundes^ | Versammlung angezeigt. -^Erfolgt, in | dem Falle der Vereinbarung über die | Berufung an das Schiedsgericht, und nach= | dem die Regierung den Ständen die | Liste der Spruchmänner mitgetheilt hat, | die Wahl der Schiedsrichter nicht binnen | vier Wochen, so ernennt die Bundes^ | Versammlung die letzteren statt des | säumigen Theiles.

[55] Geheimer Bundesbeschluß vom 12. Juni 1834

751

[Bl 19] Art. VI. Die Schiedsrichter werden von der Bun= | desversammlung, mittelst ihrer Regie= | rung, von der auf sie gefallenen Emen= | nung in Kenntniß gesetzt und aufgefor= | dert, einen Obmann aus der Zahl der | übrigen Spruchmänner zu wählen; bei | Gleichheit der Stimmen wird ein Obmann | von der Bundesversammlung ernannt. Art. VII. Die von der betreffenden Regierung | bei der Bundesversammlung eingereichten | Akten, in welchen die Streitfragen bereits | durch gegenseitige Denkschriften oder auf | andere Art festgestellt seyn müssen, wer= | den dem Obmann übersendet, welcher die Abfassung der Relation und Corre= | lation zwei Schiedsrichtern überträgt, | deren Einer aus den von der Regierung, | der Andere aus den von den Ständen Er= | wählten zu nehmen ist. [Bl 20] Art. VIII. Demnächst versammeln sich die Schieds= | richter, einschließlich des Obmannes, an ei= I nem von beiden Theilen zu bestimmenden | oder in Ermangelung einer Uebereinkunft, I von der Bundesversammlung zu bezeich= | nenden Orte, und entscheiden, nach ihrem I Gewissen und eigener Einsicht den strei= | tigen Fall durch Mehrheit der Stimmen. Art. IX. Sollten die Schiedsrichter zur Fällung | des definitiven Spruches eine nähere Er= | mittelung oder Aufklärung von Thatsachen | fiir unumgänglich nothwendig erachten, | so werden sie dieß der Bundesversamm= | lung anzeigen, welche die Ergänzung der | Akten durch den Bundestags=Gesandten | der betheiligten Regierung bewirken läßt. Art.X. Sofern nicht in dem zuletzt bezeichneten | [Bl 21] Falle eine Verzögerung unvermeidlich I wird, muß die Entscheidung spätestens bin= | nen vier Monaten, von der Ernennung | des Obmannes an gerechnet, erfolgen, | und bei der Bundesversammlung zur | weitem Mittheilung an die betheiligte | Regierung eingereicht werden. Art. XI. Der schiedsrichterliche Ausspruch hat die | Kraft und Wirkung eines austrägalge= | richtlichen Erkenntnisses, und die bundes= | gesetzliche Executions=Ordnung findet | hierauf ihre Anwendung. Bei Streitigkeiten über die Ansätze eines | Budgets insbesondere erstreckt sich diese | Kraft und Wirkung auf die Dauer der | Steuerbewilligungs=Periode, welche das | in Frage stehende Budget umfaßt. Art. XIL Sollten sich über den Betrag der durch | [Bl 22] das schiedsrichterliche Verfahren veranlaß= | ten, dem betheiligten Staate in ihrem ganzen Umfange zur Last fallenden Kosten, | Anstände ergeben, so werden diese durch | Festsetzung von Seiten der Bundes= | Versammlung erledigt. Art. XIIL Das in den vorstehenden Art: 3 bis 12 | näher bezeichnete Schiedsgericht findet | auch zur Schlichtung der in den freien Städten | zwischen den Senaten und den verfassungs= | mäßigen bürgerlichen Behörden derselben | sich etwa ergebenden Irrungen und Strei= | tigkeiten analoge Anwendung.

752

§ 3 : Deutscher Bund

[Dok. 3 1 - 8 4 ]

Der 46. Artikel der Wiener Congreß= | acte vom Jahr 1815 in Betreff der Ver= | fassung der freien Stadt Frankfurt er= | hält jedoch hierdurch keine Abänderung. Art. XIV. Da es den Mitgliedern des Bundes | [Bl 23] unbenommen bleibt, sich darüber einzu= | verstehen, daß die zwischen ihnen entstande= | nen Streitigkeiten auf dem Wege des | Art. 4 gebildeten Schiedsgerichts ausge= | tragen werden, so wird die Bundesver= | Sammlung, eintretenden Falles, auf | die hievon von den streitenden Bundes^^ | gliedern gleichzeitig gemachte Anzeige, | nach Maaßgabe der Art. 5 - 12 die Ein=^ | leitung des schiedsrichterlichen Verfahrens | veranlassen. Art. XV. ^Stände können von ihren eigenen | Beschlüssen oder von jenen einer früheren | Ständeversammlung, wenn sie in ver= | fassungsmäßiger Form erfolgt, und | von der Regierung genehmigt sind, ohne | deren Zustimmung mit rechtlicher | Wirksamkeit nicht abgehen. ^Dies ver= | steht sich auch von Beschlüssen, welche für | einen ausdrücklich bestimmten Zeit= I räum gefaßt sind, während der | [Bl 24] Dauer desselben. Wo Landtagsabschiede üblich sind, werden | die Regierungen in der bisherigen Form | und Weise deren Abfassung keine Abän= | derung eintreten lassen, welche den lan= | desherrlichen Rechten zum Nachtheil ge= | reichen könnte. Art. XVI. Verordnungen, welche von der Re= | gierung vermöge der Regierungsge= | wait in verfassungsmäßiger Form | erlassen worden sind, haben für die | Unterthanen verbindliche Kraft, und | werden von ersterer mit Nachdruck | gehandhabt werden. Den etwa gegen solche Verordnung | gen gerichteten Competenz=Uebei^ | griffen der Gerichte werden die | betreffenden Regierungen auf jede | mit den Gesetzen vereinbare Weise | standhaft begegnen. Ein Nichtanerkennen solcher | [Bl 25] Verordnungen durch die Stände kann die | Regierungen in Handhabung derselben | nicht hemmen, so lange die ständische Be= | schwerde nicht auf verfassungsmäßigem | Wege als begründet erkannt worden | ist. Ueberhaupt kann der Gang der Re= | gierungen durch ständische Einsprüche, | in welcher Form diese nur immer vor= | kommen mögen, nicht gestört werden, | sondern dieselben haben ihre Erledigung | stets im gesetzlichen Wege zu erwarten. Die Regierungen werden in den Ge= | setzentwürfen, welche von ihrer Seite | den Ständen vorgelegt werden, die ei= | gentlich gesetzlichen Bestimmungen | sorgfaltig von einfachen Vollzugsbe= I Stimmungen trennen. Art. XVII. Die Regierungen werden nicht ge= | statten, daß die Stände über die Gültige | keit der Bundesbeschlüsse berathen und | [Bl 26] beschließen. Art. XVIII. Die Regierungen werden Stände^ | Versammlungen, welche die zur Hand= | habung der Bundesbeschlüsse vom 28. Juni | 1832 erforderlichen Leistungen verwei= | gern, nach fruchtloser Anwendung al= 11er gesetzl= und verfassungsmäßigen | Mittel /: und zwar nach Umständen mit | Bezeichnung des Grundes :/ auflösen, | und es soll ihnen in solchem Falle die I Hülfe des Bundes nach Maßgabe der | Art: 25 - 27 der Schlußakte zugesichert | sein. Diese Bestimmungen gelten | auch für den Fall einer gänzlichen | Verweigerung der Steuern.

[55] Geheimer Bundesbeschluß vom 12. Juni 1834

753

Art. XIX. Bedingungen, welche bei Bewilligung | der zur Führung der Regierung | [Bl 27] erforderlichen Steuern nach Art. 2 des Bun= | desbeschlusses vom 28. Juni 1832^ unzulässig | sind, können auch unter der Benennung | von Voraussetzungen oder unter ir= | gend einer andern Form nicht geltend | gemacht werden, Art. XX. ^Das Recht der Steuerbewilligung ist | nicht gleichbedeutend mit dem Rechte, das | Staatsausgaben Budjet zu regeln. -^Die | Regierungen werden diesen Unter= | schied bei den Verhandlungen über das | Budjet genau im Auge behalten, und | die durch die einzelnen Landesverfas= | sungen gezogenen Gränzen mit ge= | höriger Sorgfalt fiir die erforderlichen I Dispositions= und Reservfonds strenge | beobachten lassen. Aus diesem Unterschiede folgt, daß | Ständen das Recht, einzelne innerhalb | des Betrages der im Allgemeinen | bestimmten Etatssummen vorkommende | [Bl 28] Ausgabeposten festzusetzen oder zu streichen | nicht zusteht, insofern ihre Zustimmung | dazu nicht ausdrücklich durch Verfassungen | oder Gesetze vorbehalten ist. Werden bereits erfolgte Ausgaben von | den (worunter in jenen Staaten, | deren Stände in zwei Kammem getheilt | sind, immer beide Kammern verstan= | den werden) nicht anerkannt oder ge= | strichen, so können letztere zwar eine | Verwahrung für künftige Fälle einlegen I oder nach Umständen einen andern nach | der Verfassung jedes Landes zulässigen | Weg einschlagen; es können aber der= | gleichen als wirklich verausgabt nachge= | wiesene Summen nicht als effektive | Kassenvorräthe von den Ständen in An= | schlag gebracht werden. Die Frage über die Rechtmäßigkeit ei= | ner erweislich erfolgten Ausgabe wird | auf verfassungsmäßigem Wege ent= | schieden, und wenn diese Entscheidung verneinend ausfällt, so steht nur der | kompetenten landesherrlichen Behörde | [Bl. 29] und nicht den Ständen, der Aus Spruch über | die Ersatzverbindlichkeit zu. Art. XXI. Damit die Berathung der Stände über | das Budget in der nöthigen Frist um so ge= | wisser beendet werden könne, werden | die Regierungen die Stände zu rechter | Zeit einberufen, und denselben das Budget | in der Regel bei dem Beginne der Sitzun= | gen vorlegen. Sollte die Erledigung der Budgetfrage | nicht auf irgend einem gesetzlichen oder | durch freies Uebereinkommen bestimm^ | ten Wege, vor Ablauf der gesetzlichen | Steuerbewilligungs=Feriode zu bewirken | gewesen seyn, so wollen die betheiligten | Regierangen die Entscheidung der strei= | tig gewordenen Punkte durch ein nach | den Bestimmungen des Art: 3 zu bilden^ | des Schiedsgericht so zeitig einleiten, daß | die Entscheidung jedenfalls binnen sechs | Monaten vom Ablauf der letzten [Bl 30] Steuerbewilligungs=Periode an ertheilt werden kann. Würden sich die Stände auch zu einer | einstweiligen, den Fortgang des Staats= | haushalts bis zur Entscheidung sichernden | Steuerbewilligung nicht verstanden haben, | oder sich einem schiedsrichterlichen Aus= | Sprache gar nicht unterwerfen wollen, | während die Regierang den oben er= | wähnten Bestimmungen nachgekommen | ist, so steht letzterer das Recht zu, die zu | Erfüllung der Bundespflicht und zu Füh= | rang einer der Landesverfassung ent= I sprechenden, geordneten Verwaltung | erforderlichen Steuern fortzuerheben, I ohne jedoch, den Fall außerordenthcher | Bundesleistungen oder anderer au= | ßerordentlicher und dringender Ereig= | nisse ausgenommen, den Betrag | der letzten Steuerbewilligung I zu überschreiten, und der Bund wird | nöthigenfalls die Bundeshülfe nach |

^ Dok.50.

754

§ 3 : Deutscher Bund

[Dok. 3 1 - 8 4 ]

Art: 25. und 26. der Schlußacte^ und Art. 2 des Bundesbeschlusses vom 28. Juni 1832** [ [Bl 31] eintreten lassen. Art. XXII. Die verbündeten Souveraine werden | sich bemühen zu bewirken, daß da, wo | das Einkommen des Regenten nicht | verfassungsmäßig auf andere Weise | gesichert ist, die Civillisten auf Domanial= | gefalle gegründet, und jedenfalls in der | Art mit den Ständen fixirt werden, | daß sie sowohl während der Lebenszeit jedes | Regenten, als bei einem neuen Re= I gierungsantritt nicht ohne des Landes^ | herm Einwilligung vermindert, aber | auch nicht ohne Zustimmung der Stände | erhöht werden können. Art. XXIII. Man wird den Grundsatz | festhalten, daß Staatsbeamte zu ihrem | Eintritte in ständische Kammern | der Genehmigung des Landesherm bedürfen. [Bl 32] Art. XXIV. Die Regierungen werden einer Be= | eidigung des Militärs auf die Verfassung | nirgends und zu keiner Zeit Statt geben. Art. XXV. Die Regierungen werden zur Be= | Wirkung eines gleichförmigen und k r ä ^ | tigen Vollzuges des Art. V des Bundes^ | Beschlusses vom 28. Juni 1832 und | der demselben vorausgegangenen I Vorschriften der Schlußacte, im Betreff | der Oeffentlichkeit landständischer I Verhandlungen, inso weit nicht durch | die bestehenden Geschäfts=Ordnungen | bereits genügend fiirgesorgt ist, die nöthi= | gen Anordnungen treffen und zu diesem | Ende ihre, den Ständesitzungen beiwohnenden | Kommissarien mit den geeigneten In= | struktionen versehen. Art. XXVI. ^Man wird insbesondere darüber | [Bl 33] wachen, daß die Präsidenten der ständi= | sehen Kammern nicht verabsäumen, die | Redner wegen Mißbrauch des Worts, /: sey es zu Angriffen auf den Bund oder | einzelne Bundes=Regierungen, sey es | zur Verbreitung die rechtmäßige Staats^ | Ordnung untergrabender, oder ruhestö= | render Grundsätze und Lehren :/ zur I Ordnung zu verweisen, und nöthigen | Falls die weitem verfassungsmäßigen | Einschreitungen veranlassen. ^Sollte | eine Ständeversammlung in ihrer | Mehrheit solche ahndungswürdige Ausfäl= | le einzelner Mitglieder billigen, oder | denselben nicht entgegentreten, so I werden die Regierungen nach erfolg= | loser Anwendung anderer ihnen zu | Gebote stehender Mittel, die Vertagung | und selbst die Auflösung der Kammern, | unter ausdrücklicher Anfuhrung des | Grundes, verfügen. Art. XXVIL Jedesmal, wenn die Berathung in | [Bl 34] öffentlicher Sitzung über die Mittel zur | Ausführung von Bundesbeschlüssen, in | so weit ständische Mitwirkung dazu ver= | fassungsmäßig nöthig ist, von nachtheili= | gem Einflüsse auf die Bundesverhält= | nisse oder auf die auswärtige Politik | des deutschen Bundes seyn könnte, wer= | den die Regierungen auf geeignetem | Wege dahin wirken, daß die öffentli= | chen Sitzungen in geheime verwandelt werden.

^ Dok. 43. ^ Dok. 50.

[55] Geheimer Bundesbeschluß vom 12. Juni 1834

755

Art. XXVIII. Um die zur Erhaltung der Ruhe | Deutschlands übernommene gegensei= | tige Verpflichtung einer wachsamen | und strengen Aufsicht über die in den | verbündeten Staaten erscheinenden I Zeitungen, Zeit= und Flugschriften in | gleichem Sinne vollständig zu erfüllen I und die dem provisorischen Preßgesetze | gemäß bestehende Censur auf die | zweckmäßigste Weise gleichförmig zu | [Bl 35] handhaben, werden die Regierungen: 1. das Censor=Amt nur Männern | von erprobter Gesinnung und Fähigkeit | übertragen, und diesen eine dem ehren= | vollen Vertrauen, welche dasselbe voraus= | setzt, entsprechende Stellung, sey es in | selbstständiger Eigenschaft oder in Ver= | bindung mit andern angesehenen | Aemtem, sichern; 2. den Censoren bestimmte Instrukti= | onen ertheilen; 3. Censurlücken nirgends dulden; 4. in denjenigen Bundesstaaten, in | welchen nicht durch die Verfassung oder | durch die Landesgesetze anderweit Für= | sorge getroffen ist, wird, unbeschadet des= | sen, was im §.6. des provisorischen Preß= | gesetzes vom Jahre 1819^ verfugt ist, eine | höhere Behörde mit den Funktionen | eines Ober=Censur=Collegii beauf= | tragt werden, und als solches theils über | die pflichtmäßige Erfüllung der Oblie= | genheiten der Censoren zu wachen, | theils auch die Beschwerden der | [Bl 36] Schriftsteller über das Verfahren und die | Aussprüche der Censoren zu erledigen. Art. XXIX. Von den Nachtheilen einer übermä= | ßigen Anzahl politischer Tagblätter über= | zeugt, werden die Regierungen auf | eine allmälig herbeizuführende Vermin= | derung solcher Blätter, so weit dieses ohne | Kränkung erworbener Rechte thunlich | ist, Bedacht nehmen. Art. XXX. ^Kraft der ihnen zustehenden oberpo= | lizeilichen Aufsicht werden die Regie= | rungen die Herausgabe neuer politi= | scher Tageblätter ohne die vorgängige | Erwirkung einer dießfalligen Conces= | sion nicht gestatten. ^Es wird diese | nur mit Rücksicht auf vorstehenden I Art: 29. nach gewonnener Uiberzeugung | [Bl 37] von der Befähigung des Redakteurs und I nur mit der Klausel völlig uneinge= | schränkter Widermflichkeit ertheilt werden. Art. XXXI. Das in einem Bundesstaate einer | Druckschrift von einem Censor ertheilte | Imprimatur befreyt diese Schrift nicht von | den in andern Bundesländern bestehen^ | den Aufsichtsregeln. Art. XXXII. Die Bestimmungen des Bundes^ | Beschlusses vom 5— Juli 1832, betreffend die | Zulassung der außerhalb des Bundes=Ge= | biets in deutscher Sprache erscheinenden | Zeit= oder nicht über 20 Bogen betragen^ | den Druckschriften politischen Inhalts^, | sollen fortwährend strenge vollzogen | werden. ^Rücksichtlich der in fremden Sprachen | [Bl 38] erscheinenden Zeitungen vereinigen sich die | Regierungen zu der Bestimmung, daß | Abonnements auf dieselben von den Postäm= I tem nur nach einem von der Regierung | genehmigten Verzeichniße solcher Blätter I angenommen werden dürfen. -^Die auf | diese Weise nicht zugelassenen Zeitungen | dürfen zwar von Einzelnen verschrieben, | aber nicht öffentlich ausgelegt werden. ^ Dok.40. ^ Dok.51.

756

§ 3 : Deutscher Bund

[Dok. 3 1 - 8 4 ]

Art. XXXIII. ^Es wird auf geeignetem Wege dafür | Sorge getragen werden, daß beim Drucke | der ständischen Protokolle, wo solcher Statt | findet, alle jene Aeußerungen hinweg^ | gelassen werden, welche nach Bestimmung | des Art. 26. eine Verweisung zur Ordnung | veranlaßt haben. ^Wenn die ständischen | Protokolle in Zeitungen oder sonstigen | periodischen Schriften abgedruckt werden, | so unterliegt dieser Abdruck allen für | die Redaction, Censur und Beaufsichti= | gung dieser letztem bestehenden | [Bl 39] Vorschriften. ^Gleiches gilt von der auszugs= | weisen Bekanntmachung ständischer Ver= | handlungen in periodischen Blättern. Art. XXXIV. Die beaufsichtigenden Behörden und | die Censoren der Zeitblätter werden | angewiesen werden, auch in Betreff der | Aufnahme der faktischen Umstände an= | derer deutschen Stände Versammlungen | mit gleicher Umsicht, und nach denselben | Regeln wie bei jener des eigenen Staa= | tes zu verfahren. Art. XXXV. Da, wo Oeffentlichkeit gerichtlicher [ Verhandlungen in Strafsachen besteht, | wollen die Regierungen der Bekannt= | machung dieser letzem durch den Druck | nur unter Beobachtung solcher, mit den | Gesetzen vereinbaren Vorsichtsmaßregeln | [Bl. 40] Statt geben, durch welche eine nachtheilige | Einwirkung auf öffentliche Ruhe und Ord= | nung verhütet werden kann. Art. XXXVI. Die Regierungen vereinbaren sich da= | hin, daß der Nachdruck im Umfange des | ganzen Bundesgebiets zu verbieten und | das schriftstellerische Eigenthum nach gleich= | förmigen Grundsätzen festzustellen und | zu schützen sey. Art. XXXVII. Es soll am Bundestage eine Commis= | sion ernannt werden, um in Erwägung | zu ziehen, inwiefern über die Organisa= | tion des deutschen Buchhandels ein Ueber= | einkommen sämmtlicher Bundesglieder | zu treffen sey. Zu diesem Ende werden die Regie= | rungen geachtete Buchhändler ihrer | [Bl 41] Staaten über diesen Gegenstand vemeh= | men, und die Ergebnisse dieser Begutach= | tung an die Bundestags=Commission | gelangen lassen. Art. XXXVIII. Damit die nach Bundesbeschluß vom | 20. September 1819^ für die Universitäten | bestellten landesherrlichen Bevollmäch= | tigten ihre Obliegenheiten mit gesicher= | tem Erfolge ausüben können, werden | sich die Regierungen die denselben er= | theilten Instructionen nach vorgenom= | mener Revision gegenseitig durch den | Weg der Bundesversammlung mit= I theilen, und solche zur Erzielung mög= | liebster Gleichförmigkeit in ihren Anord= I nungen auf den verschiedenen Uni= | versitäten benützen. Art. XXXIX. Privatdocenten werden auf den | [Bl 42] Universitäten nur zugelassen, wenn | sie mindestens die für die Candidaten des | öffentlichen Dienstes in dem erwählten | Fache vorgeschriebene Prüfung und diese | mit Auszeichnung bestanden haben; die | Regierungen werden übrigens, sofern | die bestehenden Einrichtungen es zulassen, | darauf Bedacht nehmen, ^ Dok. 39.

[55] Geheimer Bundesbeschluß vom 12. Juni 1834

757

daß diejenigen, | welche in Wissenschaften, deren Studium | zur Vorbereitung auf den Staatsdienst | gehört, Unterricht ertheilen wollen, sich | vorher auf dem, für den wirklichen Dienst | vorgezeichneten Vorbereitungswege mit | den Geschäften bekannt machen. Die venia legendi wird nur mit Geneh= | migung der - der Universität vorgesetz= | ten Behörde und stets widerruflich ertheilt | werden. Kein Studierender wird an derselben | Universität, auf welcher er studirt hat, vor | Ablauf von zwei Jahren nach seinem Abgan= | ge von dort als Privatdocent zuge= | lassen werden. [Bl 43] Art. XXXX. Kein akademischer Lehrer soll, ohne | Genehmigung der vorgesetzten Behörde, | Vorlesungen über Wissenschaften halten, | die einer andern Fakultät als der seini= | gen angehören. Es wird da, wo es noch nicht geschehen ist, | die Einrichtung getroffen werden, daß die | Honorare für die Vorlesungen von den | Studierenden nicht unmittelbar an die | Professoren bezahlt, sondern durch ei= | nen von der Universitätsbehörde QV= \ nannten Einnehmer erhoben, und von | diesem den Lehrern ausgehändiget wer= | den. Art. XXXXI. Die Regierungen werden sich ver= | einigen, die Ferien an den Universi= | täten, dem Anfangs^ und End=Termine | nach, möglichst übereinstimmend zu | ordnen. Den Studierenden soll übrigens au= | ßer den Ferien in der Regel keine | [Bl. 44] Erlaubniß zu Reisen ertheilt werden, und | ausnahmsweise nur dann, wenn die Eltern | oder deren Stellvertreter, sowohl der Zeit, | als den bestimmt anzugebenden Gegenden | nach, die Reise genehmigen, oder der | Nachsuchende dringende Motive zu einer | Reise glaubwürdig darthun kann. Es soll Studierenden, welche an gehei= | men Verbindungen Theil genommen, | oder sich einer tadelhaften Aufführung | schuldig gemacht haben, auch während der | Ferien nur die Reise nach ihrer Heimath | gestattet, und die Reiseroute wo möglich | nicht über eine Universitätsstadt gerich= | tet werden. Art. XXXXIL Die Regierungen werden auf ihren | Universitäten für die Immatriculation | eine eigene Commission niedersetzen, | welcher der außerordentliche Regierungs= | bevollmächtigte oder ein von der Regie= | rung dazu ernannter Stellvertreter | [Bl. 45] desselben beiwohnen wird. ^Alle Studierenden sind verbunden, | sich bei dieser Commission innerhalb zwei | Tagen nach ihrer Ankunft zur Immatri= | culation zu melden. -^Acht Tage nach | dem vorschriftmäßigen Beginnen der | Vorlesungen darf, ohne Genehmigung der, | von der Regierung hierzu bestimmten | Behörde, keine Immatrikulation mehr | Statt finden. ^Diese Genehmigung wird I insbesondere alsdaim erfolgen, | wenn ein Studierender die Verzögerung | seiner Anmeldung durch Nachweisung | gültiger Verhinderungsgründe zu ent= | schuldigen vermag. Auch die auf einer Universität be= | reits immatriculirten Studierenden | müssen sich beim Anfange eines | jeden Semesters in den zur | Immatriculation angesetzten | Stunden bei der Kommission melden, | und sich über den inzwischen gemachten | Aufenthalt ausweisen.

758

§ 3: Deutscher Bund

[DoL 3 1 - 8 4 ]

[Bl 46] Art. XXXXIII. Ein Studierender, welcher um die Im= | matriculation nachsucht, muß der | Commission vorlegen: 1. Wenn er das akademische Studium | beginnt, ein Zeugniß seiner Wissenschaft^ | liehen Vorbereitung zu demselben, und | seines sittlichen Betragens, wie solches durch I die Gesetze des Landes, dem er angehört, | vorgeschrieben ist. Wo noch keine Verordnungen hierüber | bestehen, werden sie erlassen werden. Die Regierungen werden einander von | ihren über diese Zeugnisse erlassenen | Gesetzen, durch deren Mittheilung an die | Bundesversammlung in Kenntniß setzen. 2. Wenn der Studierende sich von ei= | ner Universität auf eine andere bege= | ben hat, auch von jeder früher besuchten | ein Zeugniß des Fleißes und sittlichen | Betragens. 3. Wenn er die akademischen Studien | eine Zeitlang unterbrochen hat, ein Zeug= | niß über sein Betragen von der Obrigkeit | des Orts, wo er sich im letzten Jahre längere | [Bl 47] Zeit aufgehalten hat, in welchem zugleich zu | bemerken ist, daß von ihm eine öffentli= | che Lehranstalt nicht besucht sey. Pässe und Privatzeugnisse genügen | nicht. Doch kann bei solchen, welche aus | Orten außer Deutschland kommen, hierin | einige Nachsicht Statt finden. 4. Jedenfalls bei solchen Studierenden, | die einer väterlichen oder vormund= | schaftlichen Gewalt noch unterworfen sind, | ein obrigkeitlich beglaubigtes Zeugniß | der Eltern oder derer, welche ihre Stelle | vertreten, daß der Studierende von ihnen | auf die Universität, wo er aufgenommen | zu werden verlangt, gesandt sey. Diese Zeugnisse sind von der Im= | matriculations=Commission nebst dem | Passe des Studierenden bis zu seinem | Abgange aufzubewahren. Ist alles gehörig beobachtet, so erhält | der Studierende die gewöhnliche Matri= | kel; die Regierungen der Bundes= | Staaten werden aber Verfügung tref= | fen, daß diese in keinem derselben | [Bl 48] statt eines Passes angenommen werden | kann. Art. XXXXIV. ^In den Zeugnissen über das Betragen | sind die etwa erkannten Strafen nebst der | Ursache derselben anzuführen, und zwar | in allen Fällen, wo irgendeine Strafe | wegen verbotener Verbindung erkannt | ist. ^Die Anführung der Bestrafung we= | gen anderer nicht erheblicher Contraven= | tionen kann nach dem Ermessen der Be= | hörde entweder ganz unterbleiben, oder | nur im Allgemeinen angedeutet werden. | ^In allen Zeugnissen ist /: wo möglich mit | Angabe der Gründe :/ zu bemerken, ob der | Inhaber der Theilnahme an verbotenen I Verbindungen verdächtig geworden sey, | oder nicht. ^Jeder ist verpflichtet um diese Zeugnisse | so zeitig nachzusuchen, daß er sie bei | der Immatriculation vorzeigen kann, und | die Behörden sind gehalten, solche ohne | [Bl 49] Aufenthalt auszufertigen, falls nicht Grün= | de der Verweigerung vorliegen, welche auf | Verlangen des Studierenden, bescheinigt | werden müssen. ^Gegen die Verweige= | rung kann derselbe den Recurs an die | Oberbehörde nehmen. ^Kann ein Studierender bei dem Ge= | suche um Immatriculation die erfo= | rderlichen Zeugnisse nicht vorlegen, ver= | spricht er jedoch deren Nachlieferung, so | kann er, nach dem Ermessen der Im= | matrikulations=Commission, vorerst ohne | Immatriculation, auf die akademischen | Gesetze verpflichtet, und zum Besuche der | Collegien zugelassen werden. ^Von I Seiten der Universität soll aber sofort an | die Behörde, welche die Zeugnisse auszu= I stellen oder zu beglaubigen hat, um Nach= | rieht geschrieben werden, welche von der= I selben ohne Aufenthalt zu ertheilen ist.

[55] Geheimer Bundesbeschluß vom 12. Juni 1834

759

Art. XXXXV. Die Immatriculation ist zu | [Bl. 50] verweigem: 1. Wemi ein Studierender sich zu spät dazu | meldet, und sich deßhalb nicht genügend ent= I schuldigen kann /: Art. 42 :/. 2. Wenn er die erforderlichen Zeugnisse | nicht vorlegen kann. Erfolgt auf die Erkun= I digung von Seiten der Universität längstens | binnen vier Wochen, vom Abgangstage des I Schreibens gerechnet, keine Antwort, oder | wird die Ertheilung eines Zeugnisses, aus | welchem Grunde es auch sey, verweigert, /: Art. 43, 44 :/, so muß der Angekommene | in der Regel sofort die Universität ver= | lassen, wenn sich die Regierung nicht aus | besonders rücksichtswürdigen Gründen be= | wogen findet, ihm den Besuch der Collegien | unter der im vorstehenden Artikel enthal= | tenen Beschränkung noch auf eine bestimmte | Zeit zu gestatten. Auch bleibt ihm unbe= I nommen, wenn er später mit den erfor= | derlichen Zeugnissen versehen ist, sich wieder | zu melden. 3. Wenn der Ankommende von einer | andern Universität mittelst des consilii | [Bl 51] abeundi weggewiesen ist. Ein solcher kann | von einer Universität nur dann wieder | aufgenommen werden, wenn die Regie= | rung dieser Universität nach vorgängi= I ger nothwendiger, mittelst des Regierungs= | Bevollmächtigten zu pflegender Rücksprache | mit der Regierung der Universität, wel= | che die Wegweisung verfügt hat, es ge= | stattet. Zu der Aufnahme eines Relegir= | ten ist nebst dem die Einwilligung der | Regierung des Landes, dem er angehört, | erforderlich. 4. Wenn sich gegen den Ankommen^ | den ein dringender Verdacht ergibt, | daß er einer verbotenen Verbindung 1 angehört, und er sich von demselben auf | eine befriedigende Weise nicht zu rei= | nigen vermag. Die Regierungs=Commissäre | werden darüber wachen, daß die Uni= | versitäten jede Wegweisung eines | Studierenden von der Universität, | nebst der genau zu bezeichnenden Ur= I Sache und einem Signalement des | [Bl 52] Weggewiesenen, sich gegenseitig mittheil= | en, zugleich aber auch die Eltern des Weg= | gewiesenen oder deren Stellvertreter I davon benachrichtigen. Art. XXXXVI. Jedem Studirenden werden vor der | Immatriculation die Vorschriften der | §§.3. und 4. des Bundesbeschlusses vom 20— | September 1819 über die in Ansehung der | Universitäten zu ergreifenden Maßregeln^, | so wie die Bestimmungen der hier folgenden | §§. in einem wörtlichen Abdrucke einge= | händigt, welcher sich mit folgendem Revers | schließt: „Ich Endesunterzeichneter verspreche | mittelst meiner Namensunterschrift auf | Ehre und Gewissen: 1. daß ich an keiner verbotenen oder | unerlaubten Verbindung der Studie^ | renden, insbesondere an keiner burschen= | schaftlichen Verbindung, welchen Namen | dieselbe auch fuhren mag, Theil nehmen, | [Bl 53] mich an dergleichen Verbindungen in kei= | ner Beziehung näher oder entfernter | anschließen, noch solche auf irgend eine Art | befördern werde. 2. daß ich, weder zu dem Zwecke ge= | meinschaftlicher Beratschlagungen über | die bestehenden Gesetze und Einrichtun= | gen des Landes, noch zu jenem der | wirklichen Auflehnung gegen obrig= | keitliche Maßregeln mit andern mich | vereinigen werde. Insbesondere erkläre ich mich für ver= | pflichtet, den Forderungen, welche die die= I sem Reverse vorgedruckten Bestim= | mungen enthalten, stets nachzukom-

Dok. 39.

760

§3: Deutscher Bund

[Dok. 3 1 - 8 4 ]

men, | widrigenfalls aber mich allen gegen de= | ren Uebertreter daselbst ausgesproche= I nen Strafen und nachtheiligen Folgen | unweigerlich zu unterwerfen." ^Erst nachdem dieser Revers unterschrie= | ben worden ist, findet die Immatriculation | Statt. ^Wer diese Unterschrift verweigert, | ist sofort und ohne alle Nachsicht von der | Universität zu verweisen. [Bl 54] Art. XXXXVII. ^Vereinigungen der Studirenden zu | wissenschaftlichen oder geselligen Zwecken | sind unter den von den Regierungen | festzusetzenden Bedingungen erlaubt. | ^Alle andern Verbindungen der Studie= | renden, sowohl unter sich, als mit sonsti= | gen geheimen Gesellschaften, sind als | verboten zu betrachten. Art. XXXXVIII. Die Theilnahme an verbotenen Ver= | bindungen soll, unbeschadet der in einzel= | nen Staaten bestehenden strengeren Be= | Stimmungen, nach folgenden Abstuftin= | gen bestraft werden: 1: Die Stifter einer verbotenen Verbin= | dung und alle diejenigen, welche Andere | zum Beitritte verleitet oder zu verleiten | gesucht haben, sollen niemals mit bloßer | Carcerstrafe, sondern jedenfalls mit dem | consilio abeundi, oder, nach Befinden, mit I der Relegation, die den Umständen | nach zu schärfen ist, belegt werden. [Bl. 55] 2. Die übrigen Mitglieder solcher Verbindun= | gen sollen mit strenger Carcerstrafe, bei wieder= | holter oder fortgesetzter Theilnahme aber, | wenn schon eine Strafe wegen verbotener | Verbindungen vorangegangen ist, oder an= | dere Verschärfiingsgründe vorliegen, mit | der Unterschrift des consilii abeundi oder dem | consilio abeundi selbst, oder, bei besonders er= | schwerenden Umständen, mit der Relegation, I die dem Befinden nach zu schärfen ist, belegt | werden. 3. In so fem aber eine Verbindung mit | Studierenden anderer Universitäten zur | Beförderung verbotener Verbindungen, | Briefe wechselt, oder durch Deputirte com= | municirt, so sollen alle diejenigen Mit= | glieder, welche an dieser Correspondenz einen | thätigen Antheil genommen haben, mit der | Relegation bestraft werden. 4. Auch diejenigen, welche, ohne Mitglie= | der der Gesellschaft zu seyn, dennoch für I die Verbindung thätig gewesen sind, sol= | len, nach Befinden der Umstände, nach I obigen Straf ab stufungen, bestraft werden. [Bl 56] 5. Wer wegen verbotener Verbindungen | bestraft wird, verliert nach Umständen zu= | gleich die akademischen Benefizien, die ihm | aus öffentlichen Fondskassen, oder von I Städten, Stiftern, aus Kirchenregistem p. p. | verliehen seyn möchten, oder deren Genuß I aus irgend einem andern Grunde an die | Zustimmung der Staatsbehörden gebun= I den ist. Deßgleichen verliert er die seither | etwa genossene Befreiung bei Bezahlung | der Honorarien für Vorlesungen. 6. Wer wegen verbotener Verbindungen | mit dem consilio abeundi belegt ist, dem kann | die zur Wiederaufnahme auf eine Univer= | sität erforderliche Erlaubniß /: Art. 45 N- 3 :/ | vor Ablauf von sechs Monaten, und dem, | der mit der Relegation bestraft worden ist, | vor Ablauf von einem Jahre nicht ertheilt | werden. Sollte die eine oder andere Strafe theils | wegen verbotener Verbindungen, theils | wegen anderer Vergehen erkannt werden, | und das in Betreff verbotener Verbindung I gen zur Last fallende Verschulden nicht so | [Bl. 57] groß gewesen seyn, daß deßhalb allein | auf Wegweisung erkannt worden seyn | würde; so sind die oben bezeichneten I Zeiträume auf die Hälfte beschränkt.

[55] Geheimer Bundesbeschluß vom 12. Juni 1834

761

7. Bei allen in den akademischen Ge= | setzen des betreffenden Staates erwähn= | ten Vergehungen der Studierenden ist, | bei dem Daseyn von Indicien, nachzu= | forschen, ob dazu eine verbotene Ver= | bindung näheren oder entfernteren | Anlaß gegeben habe. Wenn dieß der | Fall ist, so soll es als erschwerender Um= | stand angesehen werden. 8. Dem Gesuche um Aufhebung der | Strafe der Wegweisung von einer Uni= | versität in den Fällen und nach Ablauf | der festgesetzten Zeit, wo Begnadigung | stattfinden kann /: N- 6 oben :/ wollen die | Regierungen niemals willfahren, | wenn der Nachsuchende nicht glaubhaft | darthut, daß er die Zeit der Verweisung | von der Universität nützlich verwendet, | sich eines untadelhaften Lebenswandels | beflissen hat, und keine glaubhaften | [Bl 58] Anzeigen, daß er an verbotenen Verbin= | düngen Antheil genommen, vorliegen. Art. XXXXIX. Die Mitglieder einer burschenschaft= | liehen oder einer auf politische Zwecke | unter irgend einem Namen gerichte= | ten unerlaubten Verbindung trifft | /.• vorbehaltlich der etwa zu verhängen= | den Criminal=Strafen :l geschärfte | Relegation; außerdem sollen diesel= | ben so wenig zum Civildienste, als zu | einem kirchlichen oder Schulamte, zu | einer akademischen Würde, zur Advo= | catur, zur ärztlichen oder chirurgischen | Praxis innerhalb der Staaten des deutschen | Bundes zugelassen werden. Würde sich eine Regierung durch | besonders erhebliche Gründe bewogen | finden, eine gegen einen ihrer Unter= | thanen wegen Verbindungen der be= | zeichneten Art erkannte Strafe im | Gnadenwege zu mildem oder nachzulassen, | [Bl 59] so wird dieses nie ohne sorgfältige Erwä= | gung aller Umstände, ohne Ueberzeu= | gung von dem Austritte des Verirrten | aus jeder gesetzwidrigen Verbindung | und ohne Anordnung der erforderlichen | Aufsicht geschehen. Art. L. Die Regierungen werden das Erfordere | liehe verfugen, damit in Fällen, wo poli= | tische Verbindungen der Studierenden auf | Universitäten vorkommen, sämmtli= | che übrige Universitäten alsbald hiervon | benachrichtigt werden. Art. LI. Bei allen, mit academischen Strafen | zu belegenden Gesetzwidrigkeiten, bleibt | die criminelle Bestrafung nach Beschaffen= | heit der verübten gesetzwidrigen That, | und insbesondere auch dann vorbehalten, | wenn die Zwecke einer Verbindung [ [Bl 60] der Studierenden oder die in Folge dersel= | ben begangenen Handlungen die Anwen= | dung härterer Strafgesetze nothwendig | machen. Art. LIL ^Wer gegen eine Universität, ein | Institut, eine Behörde, oder einen acade= | mischen Lehrer eine sogenannte Verrufs^ | erklärung direct oder indirect unternimmt, | soll von allen Deutschen Universitäten | ausgeschlossen seyn, und es soll diese Aus= | Schließung öffentlich bekannt gemacht werden. | ^Diejenigen, welche die Ausführung solcher | Vermfserklärung vorsatzlich befördern, | werden, nach den Umständen, mit dem | consilio abeundi, oder mit der Relegation | bestraft werden, und es wird in Ansehung | ihrer Aufnahme auf einer andern Uni= | versität dasjenige Statt finden, was oben | Art. 48. §. 6. bestimmt ist. Gleiche Strafe, wie Beförderer vor= | gedachter Verrufserklärungen, wird | [Bl 61] diejenigen Studierenden treffen, welche | sich Verrufserklärungen gegen Privat= | personen erlauben, oder daran Theil | nehmen.

762

§3: Deutscher Bund

[Dok. 3 1 - 8 4 ]

Der Landesgesetzgebung bleibt die | Bestimmung überlassen, in wie weit | Verrufserklärungen außerdem als | Injurien zu behandeln seyen. Art. LIII. ^Jeder, der auf einer Universität stu= | dirt hat, und in den Staatsdienst treten | will, ist verpflichtet, bei dem Abgange von | der Universität sich mit einem Zeug= | nisse über die Vorlesungen, die er be= | sucht hat, über seinen Fleiß und seine | Auffuhrung zu versehen. ^Ohne die | Vorlage dieser Zeugnisse wird keiner | in einem deutschen Bundesstaate zu | einem Examen zugelassen, und also | auch nicht im Staatsdienste angestellt | werden. ^Die Regierungen werden | solche Verfugungen treffen, daß die | [Bl 62] auszustellenden Zeugnisse ein möglichst ge= | naues und bestimmtes Urtheil geben. "^Vor^ | züglich haben diese Zeugnisse sich auch auf | die Frage der Theilnahme an verbotenen | Verbindungen zu erstrecken. ^Die au= | ßerordentlichen Regiemngsbevollmäch= | tigten werden angewiesen werden, über | den gewissenhaften Vollzug dieser An= | Ordnung zu wachen. Art. LIV. ^Die akademischen Gremien, als solche, | werden der von ihnen bisher ausgeübten | Strafgerichtsbarkeit in Criminal^ und all= | gemeinen Polizeisachen über die Studie= | renden allenthalben enthoben. ^Die Be= | Zeichnung und Zusammensetzung der= | jenigen Behörden, welchen diese Gerichts= | barkeit übertragen werden soll, bleibt | den einzelnen Landesregierungen über= | lassen. Vorstehende Bestimmung bezieht | sich jedoch eben so wenig auf einfache, | [Bl. 63] die Studierenden ausschließlich betreffende | Disciplinar=Gegenstände, namentlich die | Aufsicht auf Studien, Sitten und Beobach= | tung der academischen Statuten, als auf | Erkennung eigentlich academischer Strafen. Art. LV. Die Bestimmungen der Artikel 28 bis | 34, dann 39 bis 53 sollen auf sechs Jahre | als eine verbindliche Verabredung be= | stehen, vorbehaltlich einer weitem Ue= | bereinkunfl, wenn sie nach den inzwi= | sehen gesammelten Erfahrungen für | angemessen erachtet werden. Art. LVI. ^Die Artikel 3 9 - 5 3 . sollen auch auf | andere öffentliche sowohl, als Privat= Lehr= | und Erziehungs=Anstalten, so weit es | ihrer Natur nach thunlich ist, angewen= | det werden. ^Die Regierungen wer= [ den auch bei diesen die zweckmäßigste | [Bl. 64] Fürsorge eintreten lassen, daß dem Ver= | bindungswesen, namentlich so weit dasselbe | eine politische Tendenz hat, kräftigst vorge= | beugt, und sonach die Vorschriften des §. 2. | des Bundesbeschlusses vom 20. September 1819.^ | insbesondere auf die Privat=Institute | ausgedehnt werden. Art. LVII. Da sich ergeben hat, daß die im Art. 12. | der Bundesacte** enthaltene Bestimmung, | wegen Verschickung der Akten auf eine | deutsche Universität oder an einen | Schöppenstuhl zur Abfassung des Endurtheils, | zum Theil auch auf Polizei= und Criminal^ | Erkenntnisse ausgedehnt worden ist; eine | solche Auslegung aber nicht in dem Sinne | jenes Artikels liegt: so vereinigen sich | die Regierungen zu der Erklärung, | daß der gedachte Art: 12. der Bundesacte | nur auf Civilstreitigkeiten Anwendung | zufinden habe. ^ Dok. 39. ^ Dok. 31.

[55] Geheimer Bundesbeschluß vom 12. Juni 1834

763

[Bl 65] Art. LVIIL Da die in den vorstehenden Artikeln | enthaltenen Bestimmungen, insbeson= | dere jene, welche die ständischen Ver= | hältnisse betreffen, und eine weitere | Entwicklung der in den Art: 5 4 - 6 1 . der | Wiener Schlußakte festgestellten Grund= | sätze bezwecken, nach Maßgabe des Art: 62. | derselben auch auf die freien Städte /: auf die freie Stadt Frankfurt mit besonderer | Rücksicht auf die Wienei=Congreßacte 1 von 1815 :/ Anwendung finden, und deren | verfassungsmäßigen Obrigkeiten daher | jederzeit die Mittel zu Gebote stehen müs= I sen, um den bestehenden Rechtszustand, | die öffentliche Ruhe und gesetzliche Ord= I nung aufrecht zu erhalten, so wie na= | mentlich allen aus dem Bundesverhält= | nisse hervorgehenden Obliegenheiten | Beachtung und Ausführung zu verschaff | fen, so werden auch die Senate der | freien Städte alle ihnen durch die ver= | schiedenen Verfassungen derselben | dargebotenen Mittel zu einer conse= | quenten Festhaltung jener analogen | [Bl. 66] Anwendung geltend machen. Art. LIX. Die vertragsmäßige Verbindlichkeit | zur Erfüllung der durch vorstehende Ar= | tikel eingegangenen Verpflichtungen | kann durch Hindemisse, welche dem | alsbaldigen Vollzuge der gemeinsam | men Verabredungen in einzelnen | Fällen durch bestehende Verfassungen I oder bereits geltende gesetzliche Vor= | Schriften im Wege stehen, nicht beein= | trächtigt werden; es wird vielmehr | auf Beseitigung dieser Hindemisse | von den betreffenden Regiemngen | hingewirkt wer= | den. Art.LX. Die Regiemngen werden sich ge= | genseitig an vorstehende Artikel, als | [Bl 67] das Resultat einer Vereinbamng zwischen | den Bundesgliedem eben so fur gebunden | erachten, als wenn dieselben zu förm= | liehen Bundesbeschlüssen erhoben worden | wären. Die Artikel /: III bis XIV :/ werden sofort | mittelst Präsidial=Vortrags an den | Bundestag gebracht, und dort in Folge | gleichlautender Erklämngen der Bun= | desregiemngen zu Bundesbeschlüssen | erhoben werden.^ Hinsichtlich der übrigen im gegen= | wärtigen, in das geheime Bundes=Prä= | sidial=Archiv niederzulegenden Schluß= | Protokolle enthaltenen, derzeit zur Ver= | lautbamng nicht bestimmten Artikel | werden die Regiemngen ihren Ge= | sandtschaften am Bundestage, unter | Aufbietung strenger Geheimhaltung | sowohl zur Bezeichnung der allgemein | nen Richtung als zur Anwendung | auf vorkommende spezielle Fälle | die geeigneten, mit den durch | [Bl. 68] Gegenwärtiges übemommenen Verpflichtun= | gen übereinstimmenden Instmktionen er= | theilen. Zur Urkunde dessen haben persönliche | hier versammelte Bevollmächtigte den | gegenwärtigen Akt am heutigen Tage | unterzeichnet, und mit ihren Wappen un= | tersiegelt. So geschehen zu Wien den zwölf^ Juni | im Jahre Eintausend und Achthundert vier und I dreißig. Fürst V. Mettemich | Graf Münch=Bellinghausen | Ancillon 1 Berlin/25. Juni | Alvensleben I Mieg | Minkwitz | Ompteda, zugleich fur | Braunschweig und Nassau | Graf von Beroldingen | Freih. von Reizenstein | Tettenbom | [Bl. 69] Trott zu Solz | Freiherr v. Gmben | Reventlow-Criminil | Verstolk van Soelen | Graf v. Fritsch [ Freiherr von Plessen | von Berg I von Strauch | Smidt**

^ Geschehen durch Beschluß vom 30. Oktober 1834 (Dok. 57). ^ Eigenhändige Unterschriften nebst Siegel.

764

§3: Deutscher Bund

[Dok. 3 1 - 8 4 ]

[56] Bundesbeschluß „über die UnStatthaftigkeit der Einmischung fremder Mächte in die inneren Angelegenheiten des Deutschen Bundes" vom 18. September 1834 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einfuhrungen" die Darstellung unter [155.]. Quelle: Protokolle der deutschen Bundes-Versammlung, 34. Sitzung vom 18. September 1834, § 455, S. 864 (867) - 869 (gedruckt). Sonstige Fundstellen: E. R. Huber (Hrsg.), Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte, Bd. 1: Deutsche Verfassungsdokumente 1803 - 1850, 3. Aufl., 1978, Nr. 52; P. A. G. Meyer (Hrsg.), Corpus Juris Germaniae Confoederationis oder Staatsacten für Geschichte und öffentliches Recht des Deutschen Bundes, Teil II (Beschlüsse der deutschen Bundesversammlung), 3. Aufl., 1859, S. 310 - 311. [S. 864]. .. §. 455. Beantwortung der Note des Königlich=Französischen bevollmächtigten Ministers, Herrn | Baron Alleye de Cyprey, vom 30. Juni, und jener des Königlich^ | Großbritannischen bevollmächtigten Ministers, Herrn Cartwright, vom | 18. Juli d. J., die Verhältnisse der freien Stadt Frankfurt betr. ...[S. 867] . .. Hierauf wurde einhelHg | beschlossen:^ In Erwägung, | daß der Deutsche Bund ausschliessend nur von den souverainen Fürsten und freien | Städten Deutschlands errichtet worden ist (Art. 1 der Bundesacte^), daß durch die Einverleibung des Bundesvertrags in die Congreßacte den fremden Mäch= I ten, welche die Congreßacte mit unterzeichnet haben, weder ein Recht, die Aufrechthaltung I der in der Deutschen Bundesacte sanctionirten Grundsätze zu beaufsichtigen, eingeräumt, noch | eine Verpflichtung, die Unabhängigkeit der einzelnen Glieder des Deutschen Bundes zu be= | schützen, übertragen worden, daß vielmehr daraus für gedachte Mächte die Verbindlichkeit, sich vermöge der vertrags= I mäßigen Grundverfassung des Bundes jeder Einmischung in dessen innere Angelegenheiten I zu enthalten, hervorgegangen ist, daß es dagegen der eigenthche Zweck des Deutschen Bundes ist, die innere und äussere | Sicherheit Deutschlands, und die Unabhängigkeit und Unverletzbarkeit der einzelnen Deutschen I Staaten selbst zu erhalten (Art. 2 der Bundesacte); [S. 868] in fernerer Erwägung, | daß der Bundesversammlung das Recht zusteht, die Grundgesetze des Bundes abzu= | fassen und abzuändern (Art. 6), und daß die Bundesglieder unter sich über diejenigen Fälle übereingekommen sind, in | welchen die Bundesversammlung durch Stimmenmehrheit oder Stimmeneinhelligkeit gültige I Beschlüsse zu fassen berechtigt ist (Art. 7), An der Sitzung nahmen folgende Gesandte teil: von Nagler für von Münch-Bellinghausen (für Österreich), von Nagler (für Preußen), von Mieg (für Bayern), von Manteuffel (für Sachsen), von Stralenheim (für Hannover), von Mieg für von Trott (für Württemberg), von Blittersdorff (für Baden), von Rieß (für Kurhessen), von Gruben (für Hessen-Darmstadt), von Pechlin (für Dänemark wegen Holstein und Lauenburg sowie für Mecklenburg), von Mieg für von Grünne (für die Niederlande wegen Luxemburg), von Beust (für Großherzogtum und Herzogtümer Sachsen), von Stralenheim (für Braunschweig und Nassau), von Both (für Oldenburg, Anhalt und Schwarzburg), von Leonhardi (für Hohenzollem, Liechtenstein, Reuß, Schaumburg-Lippe, Lippe und Waldeck), Smidt (für Lübeck, Frankfurt, Bremen und Hamburg). Dok. 31.

[56] Bundesbeschluß vom 18. September 1834

765

daß femer die organische Einrichtung des Bundes, in Rücksicht auf seine militärischen, | inneren und auswärtigen Angelegenheiten, ausdrücklich der Bundesversammlung zugewiesen | ist (Art. 10),daß alle Mitglieder des Bundes in der Bundesacte (ohne irgendwo und irgendwie die | Garantie fremder Mächte in Anspruch zu nehmen) versprochen haben, sowohl ganz Deutsch= I land, als jeden einzelnen Bundesstaat gegen Angriff in Schutz zu nehmen, und sich gegen= | seitig ihre sämmtlichen unter dem Bunde begriffenen Besitzungen zu garantiren(Art. 11); in Erwägung endlich, daß Deutschland mittelst der Bundesverfassung ein eigener, durch sich selbst entstandener, I fur innere und äussere Zwecke so vollständig gebildeter und so fest begründeter politischer I Körper geworden ist, daß es als ein Hauptbestandtheil des Europäischen Staatengebäudes I alle Mittel besitzt, um ohne fremde Beihülfe seine innere Ruhe eben so, als die unverbrüch= | liehe Sicherheit und Selbständigkeit der im Bunde vereinten souverainen Fürsten und | freien Städte, zu verbürgen; in Erwägung aller dieser Verhältnisse, kann der Deutsche Bund in dem Inhalte | der Note des Königlich=Französischen bevollmächtigten Ministers vom 30. Juni, und jener | des Königlich=Großbritannischen bevollmächtigten Ministers vom 18. JuH d. J. nur eine fremde | Einmischung in seine inneren Angelegenheiten, und eine Anforderung von Rechten und Be= I fugnissen erkennen, welche, wenn sie, dem Bundesvertrage und der Congreßacte zuwider, zuge= I standen würde, das ganze Verhältniß des Bundes verrücken, seine Selbständigkeit gefährden, | und dem Bunde eine den Absichten und Zwecken seiner Stifter widerstrebende Abhängigkeit | gegen das Ausland geben würde. Diesemnach beschließt die Bundesversammlung: 1) daß der Deutsche Bund sich gegen die in den Noten des Königlich=Französischen | und des Königlich=Großbritannischen Ministers vom 30. Juni und vom 18. Juli d. J. I aufgestellten Theorien, als mit der Deutschen Bundesacte im directen Widersprüche stehend, | feierlich verwahre; daß derselbe den fremden Mächten, als Mitunterzeichnem der Con= | greßacte, in Bundesangelegenheiten niemals Rechte zugestehen werde, welche, nach dem | Wortlaute des Bundesvertrages und eben so nach dem Inhalte der Congreßacte, aus= | drücklich nur den Gliedern des Deutschen Bundes und dessen Gesammtheit zustehen; daß | der wahre Schutz und Schirm der einzelnen Bundesstaaten gegen Verletzung ihrer Unab= | hängigkeit in der ausschliessend nur von den Bundesgliedem gegenseitig übernommenen | Garantie ihrer im Bunde begriffenen Besitzungen liege, und daß der Bund in der ruhigen | und consequenten Entwicklung und Ausbildung seiner Gesetzgebung nach Maaßgabe der Bun= | deszwecke, und in der gewissenhaften und treuen Anwendung der im Bundesvertrage zwischen | den Gliedern des Deutschen Bundes festgesetzten Grundsätze, sich durch keinen Versuch irgend | einer Einmischung stören lassen werde. 2) Der Bundesversammlung und besonders dem Präsidium dient gegenwärtiger Be= | schluß zur Richtschnur für die Fälle, wenn wider Vermuthen von Seiten fremder Mächte I [S. 869] sich ähnliche Einschreitungen in die inneren Angelegenheiten des Bundes, oder eine Bestreik | tung der Competenz der Bundesversammlung erneuern sollten; und es werden sonach Noten | solchen Inhalts diesen Grundsätzen gemäß behandelt werden, ohne sich in weitere Erklärung | gen einzulassen. 3) In der durch das Präsidium zu bewirkenden Mittheilung von Abschriften dieses | Beschlusses an die Gesandtschaften von Frankreich und Großbritannien, werden die bevoll= | mächtigten Minister genannter Höfe die Beantwortung ihrer Noten vom 30. Juni und 1 vom 18. Juli d. J. finden.

766

§ 3: Deutscher Bund

[Dok. 31 - 84]

[57] Bundesschiedsgerichtsverfassung vom 30, Oktober 1834 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einfuhrungen" die Darstellungen unter [86.] [96.] [108.] [144.] [145.] [155.] [236.]. Quelle: Protokolle der deutschen Bundes-Versammlung, Plenarversammlung vom 30. Oktober 1834, S. 934 - 936 (gedruckt). Sonstige Fundstellen: E. R. Huber (Hrsg.), Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte, Bd. 1: Deutsche Verfassungsdokumente 1803-1850, 3. Aufl., 1978, Nr. 45; P.A. G. Meyer (Hrsg.), Corpus Juris Germaniae Confoederationis oder Staatsacten für Geschichte und öffentliches Recht des Deutschen Bundes, Teil II (Beschltisse der deutschen Bundesversammlung), 3. Aufl., 1859, S. 316-317; //. ^. Zachariae (Hrsg.), Die deutschen Verfassungsgesetze der Gegenwart, 1855, S. 34 - 40. [S. 934] Hiemach wurde | beschlossen:^ Die nachstehenden, die Errichtung eines Schiedsgerichtes zur Entscheidung der Streitig= I keiten zwischen den Regierungen und den Ständen betreffenden zwölf Artikel werden durch I einhellige Zustimmung hiermit zum Bundesgesetze erhoben.^ Artikel I. Für den Fall, daß in einem Bundesstaate zwischen der Regierung und den Ständen | über die Auslegung der Verfassung, oder über die Grenzen der bei Ausübung bestimmter Rechte I des Regenten den Ständen eingeräumten Mitwirkung, namentlich durch Verweigerung der I zur Führung einer den Bundespflichten und der Landesverfassung entsprechenden Regierung I erforderlichen Mittel, Irrungen entstehen, und alle verfassungsmäßigen und mit den Ge= | setzen vereinbarlichen Wege zu deren genügenden Beseitigung ohne Erfolg eingeschlagen worden | sind, verpflichten sich die Bundesglieder, als solche, gegen einander, ehe sie die Dazwischen^ | kunft des Bundes nachsuchen, die Entscheidung solcher Streitigkeiten durch Schiedsrichter auf | dem in den folgenden Artikeln bezeichneten Wege zu veranlassen. Artikel IL ^Um das Schiedsgericht zu bilden, ernennt jede der siebzehn Stimmen des engem Rathes I der Bundesversammlung aus den von ihr repräsentirten Staaten, von drei zu drei Jahren, I zwei durch Charakter und Gesinnung ausgezeichnete Männer, welche durch mehrjährigen I Dienst hinlängliche Kenntnisse und Geschäftsbildung, der eine im juridischen, der andere im | administrativen Fache, erprobt haben. ^Die erfolgten Emennungen werden von den einzelnen | Regiemngen der Bundesversammlung angezeigt, und von dieser, sobald die Anzeigen von | allen siebzehn Stimmen eingegangen sind, öffentlich bekannt gemacht. ^Eben so werden die | durch freiwilligen Rückritt, durch Krankheit oder Tod eines SpmchAn der Sitzung nahmen folgende Gesandte teil: von Münch-Bellinghausen (für Österreich), von Nagler (für Preußen), von Manteuffel (für Sachsen), von Mieg (für Bayern), von Stralenheim (für Hannover sowie für Braunschweig und Nassau), von Trott (für Württemberg), von Blittersdorff (für Baden), von Rieß (für Kurhessen), von Gruben (für Hessen-Darmstadt), von Pechlin (für Dänemark wegen Holstein und Lauenburg), von Mieg für von Grünne (für die Niederlande wegen Luxemburg), von Schack (für Mecklenburg), von Beust (für Großherzogtum und Herzogtümer Sachsen), von Both (für Oldenburg, Anhalt, Schwarzburg), von Leonhardi (für Hohenzollem, Liechtenstein, Reuß, Schaumburg-Lippe, Lippe und Waldeck), Smidt (für Lübeck, Bremen und Hamburg), Thomas (für Frankfurt). Entspricht den Art. III - XIV der „Sechzig Artikel" vom 12. Juni 1834 (Dok. 55).

[57] Bundesschiedsgerichtsverfassung vom 30. Oktober 1834

767

mannes, vor Ablauf | der bestimmten Zeit eintretenden Erledigungen von den Regierungen für die noch übrige | Dauer der dreijährigen Frist sofort ergänzt. Das Verhältniß dieser 34 Spruchmänner zu den Regierungen, welche sie ernannt haben, | bleibt unverändert, und es gibt ihnen die Ernennung zum Spruchmann auf Gehalt oder | Rang keinen Anspruch. [S. 935] Artikel III. ^Wenn, in dem Art. 1 bezeichneten Falle, der Weg einer schiedsrichterlichen Entschei= | dung betreten wird, so erstattet die betreffende Regierung hievon Anzeige an die Bundesver= I Sammlung, und es werden aus der bekannt gemachten Liste der 34 Spruchmänner in der I Regel sechs Schiedsrichter, und zwar drei von der Regierung und drei von den Ständen, aus= I gewählt; die von der betheiligten Regierung ernannten Spruchmänner sind von der Wahl | zu Schiedsrichtern för den gegebenen Fall ausgeschlossen, sofern nicht beide Theile mit deren | Zulassung einverstanden sind. ^Es bleibt dem Uebereinkommen beider Theile überlassen, sich | auf die Wahl von zwei oder vier Schiedsrichtern zu beschränken, oder deren Zahl auf acht | auszudehnen. ^Die gewählten Schiedsrichter werden von der betreffenden Regierung der Bundesver= | Sammlung angezeigt. ^Erfolgt, in dem Falle der Vereinbarung über die Berufung an das | Schiedsgericht, und nachdem die Regierung den Ständen die Liste der Spruchmänner mit= | getheilt hat, die Wahl der Schiedsrichter nicht binnen vier Wochen, so ernennt die Bundes= I Versammlung die letzteren statt des säumigen Theiles. Artikel IV. Die Schiedsrichter werden von der Bundesversammlung, mittelst ihrer Regierung, von | der auf sie gefallenen Ernennung in Kenntniß gesetzt, und aufgefordert, einen Obmann aus | der Zahl der übrigen Spruchmänner zu wählen; bei Gleichheit der Stimmen wird ein Ob= | mann von der Bundesversammlung ernannt. Artikel V. Die von der betreffenden Regierung bei der Bundesversammlung eingereichten Acten, | in welchen die Streitfragen bereits durch gegenseitige Denkschriften oder auf andere Art fest= I gestellt seyn müssen, werden dem Obmann übersendet, welcher die Abfassung der Relation | und Correlation zwei Schiedsrichtern überträgt, deren Einer aus den von der Regierung, I der Andere aus den von den Ständen Erwählten zu nehmen ist. Artikel VI. Demnächst versammeln sich die Schiedsrichter, einschließlich des Obmannes, an einem I von beiden Theilen zu bestimmenden, oder, in Ermangelung einer Uebereinkunft, von der | Bundesversammlung zu bezeichnenden Orte, und entscheiden, nach ihrem Gewissen und eigener | Einsicht, den streitigen Fall durch Mehrheit der Stimmen. Artikel VII. Sollten die Schiedsrichter zur Fällung des definitiven Spruches eine nähere Ermittelung | oder Aufklärung von Thatsachen für unumgänglich nothwendig erachten, so werden sie dieß I der Bundesversammlung anzeigen, welche die Ergänzung der Acten durch den Bundestags= | gesandten der betheiligten Regierung bewirken läßt. Artikel VIII. Sofern nicht in dem zuletzt bezeichneten Falle eine Verzögerung unvermeidlich wird, | muß die Entscheidung spätestens binnen vier Monaten, von der Ernennung des Obmannes |

768

§3: Deutscher Bund

[Dok. 3 1 - 8 4 ]

an gerechnet, erfolgen, und bei der Bundesversammlung zur weitem Mittheilung an die | betheiligte Regierung eingereicht werden. Artikel IX. Der schiedsrichterliche Ausspruch hat die Kraft und Wirkung eines austrägalgerichtlichen I Erkenntnisses, und die bundesgesetzliche Executionsordnung findet hierauf ihre Anwendung. [S. 936] Bei Streitigkeiten über die Ansätze eines Budgets insbesondere, erstreckt sich diese Kraft | und Wirkung auf die Dauer der Steuerbewilligungs=Periode, welche das in Frage stehende | Budget umfaßt. Artikel X. Sollten sich über den Betrag der durch das schiedsrichterliche Verfahren veranlaßten, | dem betheiligten Staate in ihrem ganzen Umfange zur Last fallenden Kosten, Anstände er= I geben, so werden diese durch Festsetzung von Seiten der Bundesversammlung erledigt. Artikel XL Das in den vorstehenden Art. I bis X näher bezeichnete Schiedsgericht findet auch zur | Schlichtung der in den freien Städten zwischen den Senaten und den verfassungsmäßigen bürger= | liehen Behörden derselben sich etwa ergebenden Irrungen und Streitigkeiten analoge Anwendung. Der 46. Art. der Wiener Congreßacte vom Jahr 1815 in Betreff der Verfassung der | freien Stadt Frankfurt erhält jedoch hierdurch keine Abänderung. Artikel XII. Da es den Mitgliedern des Bundes unbenommen bleibt, sich darüber einzuverstehen, | daß die zwischen ihnen entstandenen Streitigkeiten auf dem Wege des, Art. II, gebildeten | Schiedsgerichtes ausgetragen werden, so wird die Bundesversammlung, eintretenden Falles, I auf die hievon von den streitenden Bundesgliedem gleichzeitig gemachte Anzeige, nach Maaß= | gäbe der Art. III - X, die Einleitung des schiedsrichterlichen Verfahrens veranlassen. Münch=Bellinghausen. | Nagler. | Manteuffel. | Mieg. [ Stralenheim. | Trott. | Blittersdorff. I Rieß. | Gruben. | Pechlin. | Grünne. | Schack. | Beust. | Both. | Leonhardi. | Smidt. | Thomas.

[58] Bundesbeschluß über „gemeinsame Maßregeln in Betreff der Universitäten und Erziehungsanstalten Deutschlands" Bundes-Universitätsgesetz - vom 13. November 1834 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einführungen" die Darstellungen unter [144.] [146.] [155.]. Quelle: Protokolle der deutschen Bundes-Versammlung, 39. Sitzung vom 13. November 1834, § 546, S. 976 (982) - 988 (gedruckt). Sonstige Fundstelle: P. A. G. Meyer (Hrsg.), Corpus Juris Germaniae Confoederationis oder Staatsacten fur Geschichte und öffentliches Recht des Deutschen Bundes, Teil II (Beschlüsse der deutschen Bundesversammlung), 3. Aufl., 1859, S. 320 - 323.

[58] Bundes-Universitätsgesetz vom 13. November 1834

769

[S. 976] . . . §.546. Gemeinsame Maaßregeln in Betreff der Universitäten und andere Lehr= und | Erziehungs=Anstalten Deutschlands. ...[S. 982] Sämmtliche Gesandtschaften erklärten ihre Zustimmung zu den Commissions= | antragen, es wurde demnach | beschlossen:^ 1) Die nachstehenden fünfzehn Artikel, die Universitäten und andere Lehr= und Er= | ziehungs=Anstalten betreffend, werden hiermit zum Bundesbeschlusse erhoben.** 2) Die höchsten und hohen Regierungen werden ersucht, in Gemäßheit der in diesen | Artikeln enthaltenen Bestimmungen in möglichst kurzer Frist die erforderlichen Einrichtungen | zu treffen, und selbige bei der Bundesversammlung zur Anzeige zu bringen. [S. 983] Artikel I. Die Regierungen werden auf ihren Universitäten für die Immatrikulation eine eigene | Commission niedersetzen, welcher der ausserordentliche Regierungsbevollmächtigte oder ein I von der Regierung dazu ernannter Stellvertreter desselben beiwohnen wird. ^Alle Studirenden sind verbunden, sich bei dieser Commission innerhalb zwei Tagen nach I ihrer Ankunft zur Immatrikulation zu melden. "^Acht Tage nach dem vorschriftmäßigen Be= I ginnen der Vorlesungen darf, ohne Genehmigung der von der Regierung hierzu bestimmten | Behörde, keine Immatrikulation mehr statt finden. ^Diese Genehmigung wird insbesondere | alsdann erfolgen, wenn ein Studirender die Verzögerung seiner Anmeldung durch Nachwei= | sung gültiger Verhinderungsgründe zu entschuldigen vermag. Auch die auf einer Universität bereits immatrikulirten Studirenden müssen sich beim | Anfange eines jeden Semesters in den zur Immatrikulation angesetzten Stunden bei der | Commission melden und sich über den inzwischen gemachten Aufenthalt ausweisen. Artikel II. Ein Studirender, welcher um die Immatrikulation nachsucht, muß der Commission | vorlegen: 1) wenn er das akademische Studium beginnt - ein Zeugniß seiner wissenschaftlichen I Vorbereitung zu demselben und seines sittlichen Betragens, wie solches durch die Gesetze | des Landes, dem er angehört, vorgeschrieben ist. Wo noch keine Verordnungen hierüber bestehen, werden sie erlassen werden. | Die Regierungen werden einander von ihren über diese Zeugnisse erlassenen Gesetzen, | durch deren Mittheilung an die Bundesversammlung, in Kenntniß setzen. 2) wenn der Studirende sich von einer Universität auf eine andere begeben hat, auch | von jeder früher besuchten - ein Zeugniß des Fleisses und sittlichen Betragens; 3) wenn er die akademischen Studien eine zeitlang unterbrochen hat - ein Zeugniß | über sein Betragen von der Obrigkeit des Orts, wo er sich im letztem Jahre längere An der Sitzung nahmen folgende Gesandte teil: von Münch-Bellinghausen (für Österreich), von Nagler (für Preußen), von Mieg (für Bayern), von Manteuffel (für Sachsen), von Stralenheim (für Hannover), von Mieg für von Trott (fur Württemberg), von Blittersdorff (für Baden), von Rieß (für Kurhessen), von Gruben (für Hessen-Darmstadt), von Pechlin (für Dänemark wegen Holstein und Lauenburg), von Grünne (für die Niederlande wegen Luxemburg), von Beust (für Großherzogtum und Herzogtümer Sachsen), von Röntgen (für Braunschweig und Nassau), von Schack (für Mecklenburg), von Both (für Oldenburg, Anhalt und Schwarzburg), von Leonhardi (für Hohenzollem, Liechtenstein, Reuß, Schaumburg-Lippe, Lippe und Waldeck), Smidt (für Lübeck, Frankfurt, Bremen und Hamburg). Entsprechen den Art. XXXVIII - LVI der „Sechzig Artikel'Vom 12. Juni 1834 (Dok. 55).

770

§ 3: Deutscher Bund

[Dok. 31 - 84]

Zeit I aufgehalten hat, in welchem zugleich zu bemerken ist, daß von ihm eine öffentliche Lehr= | anstalt nicht besucht sey. Pässe und Privatzeugnisse genügen nicht; doch kann bei solchen, welche aus Orten I ausser Deutschland kommen, hierin einige Nachsicht statt finden. 4) jedenfalls bei solchen Studirenden, die einer väterlichen oder vormundschaftlichen | Gewalt noch unterworfen sind - ein obrigkeitlich beglaubigtes Zeugniß der Eltern oder derer, | welche ihre Stelle vertreten, daß der Studirende von ihnen auf die Universität, wo er I aufgenommen zu werden verlangt, gesandt sey. Diese Zeugnisse sind von der Immatrikulationscommission nebst dem Passe des Stu= I direnden bis zu seinem Abgange aufzubewahren. Ist alles gehörig beobachtet, so erhält der Studirende die gewöhnliche Matrikel; die | Regierungen der Bundesstaaten werden aber Verfügung treffen, daß diese in keinem dep= | selben statt eines Passes angenommen werden kann. Artikel III. ^In den Zeugnissen über das Betragen sind die etwa erkannten Strafen nebst der Ur= | Sache derselben anzufiihren, und zwar in allen Fällen, wo irgend eine Strafe wegen ver= | [S. 984] botener Verbindung erkannt ist. '^Die Anflihrung der Bestrafimg wegen anderer nicht er= | heblicher Contraventionen kann nach dem Ermessen der Behörde entweder ganz unterbleiben, | oder nur im Allgemeinen angedeutet werden. ^In allen Zeugnissen ist (wo möglich mit An= | gäbe der Gründe) zu bemerken, ob der Inhaber der Teilnahme an verbotenen Verbin= | düngen verdächtig geworden sey oder nicht. ^Jeder ist verpflichtet, um diese Zeugnisse so zeitig nachzusuchen, daß er sie bei der | Immatrikulation vorzeigen kann, und die Behörden sind gehalten, solche ohne Aufenthalt | auszufertigen, falls nicht Gründe der Verweigerung vorliegen, welche auf Verlangen des | Studirenden bescheinigt werden müssen. "^Gegen die Verweigerung kann derselbe den Recurs I an die Oberbebörde nehmen. ^Kann ein Studirender bei dem Gesuche um Immatrikulation die erforderlichen Zeug= | nisse nicht vorlegen, verspricht er jedoch deren Nachlieferung, so kann er, nach dem Ermessen I der Immatrikulationscommission, vorerst ohne Immatrikulation, auf die akademischen Gesetze ] verpflichtet und zum Besuche der Collegien zugelassen werden. ^^Von Seiten der Universität | soll aber sofort an die Behörde, welche die Zeugnisse auszustellen oder zu beglaubigen hat, | um Nachricht geschrieben werden, welche von derselben ohne Aufenthalt zu ertheilen ist. Artikel IV. Die Immatrikulation ist zu verweigern: 1) wenn ein Studirender sich zu spät dazu meldet, und sich deßhalb nicht genügend | entschuldigen kann (Art. 1), 2) wenn er die erforderlichen Zeugnisse nicht vorlegen kann. Erfolgt auf die Erkundigung von Seiten der Universität längstens binnen vier Wochen, I vom Abgangstage des Schreibens an gerechnet, keine Antwort, oder wird die Ertheilung eines | Zeugnisses, aus welchem Grunde es auch sey, verweigert (Art. II u. III), so muß der | Angekommene in der Regel sofort die Universität verlassen, wenn sich die Regierung nicht aus | besonders rücksichtswürdigen Gründen bewogen findet, ihm den Besuch der Collegien unter | der im vorstehenden Artikel enthaltenen Beschränkung noch auf eine bestimmte Zeit zu ge= | statten. Auch bleibt ihm unbenommen, wenn er später mit den erforderlichen Zeugnissen ver= | sehen ist, sich wieder zu melden. 3) wenn der Ankommende von einer andern Universität mittelst des consilii abeundi | weggewiesen ist.

[58] Bundes-Universitätsgesetz vom 13. November 1834

771

Ein solcher kann von einer Universität nur dann wieder aufgenommen werden, | wenn die Regierung dieser Universität, nach vorgängiger nothwendiger, mittelst des Regie= | mngsbevollmächtigten zu pflegender Rücksprache mit der Regierung der Universität, welche die Wegweisung verfügt hat, es gestattet. Zu der Aufnahme eines Relegirten ist | nebstdem die Einwilligung der Regierung des Landes, dem er angehört, erforderlich. 4) wenn sich gegen den Ankommenden ein dringender Verdacht ergibt, daß er einer | verbotenen Verbindung angehört und er sich von demselben auf eine befriedigende Weise nicht | zu reinigen vermag. Die Regierungscommissäre werden darüber wachen, daß die Universitäten jede Weg= I Weisung eines Studirenden von der Universität, nebst der genau zu bezeichnenden Ursache | und einem Signalement des Weggewiesenen, sich gegenseitig mittheilen, zugleich aber auch | die Eltern des Weggewiesenen oder deren Stellvertreter davon benachrichtigen. [S985] Artikel V. Jedem Studirenden werden vor der Immatrikulation die Vorschriften der §§. 3 u. 4 | des Bundesbeschlusses vom 20. September 1819^ über die in Ansehung der Universitäten | zu ergreifenden Maaßregeln, so wie die Bestimmungen der hier folgenden Artikel, in einem | wörtlichen Abdrucke eingehändigt, welcher sich mit folgendem Reverse schließt: „Ich Endesunterzeichneter verspreche mittelst meiner Namensunterschrift auf | Ehre und Gewissen: 1) daß ich an keiner verbotenen oder unerlaubten Verbindung der Studirenden, ins= I besondere an keiner burschenschaftlichen Verbindung, welchen Namen dieselbe auch | führen mag, Theil nehmen, mich an dergleichen Verbindungen in keiner Beziehung | näher oder entfernter anschhessen, noch solche auf irgend eine Art befördern werde; 2) daß ich weder zu dem Zwecke gemeinschaftlicher Berathschlagungen über die be= I stehenden Gesetze und Einrichtungen des Landes, noch zu jenem der wirklichen | Auflehnung gegen obrigkeitliche Maaßregeln mit Andern mich vereinigen werde. Insbesondere erkläre ich mich fur verpflichtet, den Forderungen, welche die | diesem Reverse vorgedruckten Bestimmungen enthalten, stets nachzukommen, widrigen^ | falls aber mich allen gegen deren Uebertreter daselbst ausgesprochenen Strafen und | nachtheiligen Folgen unweigerlich zu unterwerfen." ^Erst nachdem dieser Revers unterschrieben worden ist, findet die Immatrikulation statt. I ^Wer diese Unterschrift verweigert, ist sofort und ohne alle Nachsicht von der Universität zu I verweisen. Artikel VI. ^Vereinigungen der Studirenden zu wissenschaftlichen oder geselligen Zwecken, können mit I Erlaubniß der Regierung, unter den von letzterer festzusetzenden Bedingungen, statt finden. | ^Alle anderen Verbindungen der Studirenden, sowohl unter sich als mit sonstigen geheimen | Gesellschaften, sind als verboten zu betrachten.

^ Dok.39.

772

§3: Deutscher Bund

[Dok. 3 1 - 8 4 ]

Artikel VII. Die Theilnahme an verbotenen Verbindungen soll, unbeschadet der in einzelnen Staa= | ten bestehenden strengeren Bestimmungen, nach folgenden Abstufungen bestraft werden: 1) Die Stifter einer verbotenen Verbindung und alle diejenigen, welche Andere zum | Beitritte verleitet oder zu verleiten gesucht haben, sollen niemals mit bloßer Carcerstrafe, son= | dem jedenfalls mit dem consilio abeundi, oder, nach Befinden, mit der Relegation, die | den Umständen nach zu schärfen ist, belegt werden. 2) Die übrigen Mitglieder solcher Verbindungen sollen mit strenger Carcerstrafe, bei | wiederholter oder fortgesetzter Theilnahme aber, wenn schon eine Strafe wegen verbotener | Verbindungen vorangegangen ist, oder andere Verschärftingsgründe vorliegen, mit der Un= | terschrift des consilii abeundi, oder dem consilio abeundi selbst, oder, bei besonders er= | schwerenden Umständen, mit der Relegation, die dem Befinden nach zu schärfen ist, belegt | werden. 3) In so fem aber eine Verbindung mit Studirenden anderer Universitäten, zur | Befördemng verbotener Verbindungen, Briefe wechselt, oder durch Deputirte communicirt, I [S. 986] so sollen alle diejenigen Mitglieder, welche an dieser Correspondenz einen thätigen Antheil | genommen haben, mit der Relegation bestraft werden. 4) Auch diejenigen, welche, ohne Mitglieder der Gesellschaft zu seyn, dennoch für die I Verbindung thätig gewesen sind, sollen, nach Befinden der Umstände, nach obigen Straf= | abstufungen bestraft werden. 5) Wer wegen verbotener Verbindungen bestraft wird, verliert nach Umständen zugleich I die akademischen Beneficien, die ihm aus öffentlichen Fondscassen oder von Städten, Stif= | tem, aus Kirchenregistem etc. verliehen seyn möchten, oder deren Genuß aus irgend einem | andem Gmnde an die Zustimmung der Staatsbehörden gebunden ist. Deßgleichen verliert | er die seither etwa genossene Befreiung bei Bezahlung der Honorarien für Vorlesungen. 6) Wer wegen verbotener Verbindungen mit dem consilio abeundi belegt ist, dem | kann die zur Wiederaufnahme auf eine Universität erforderliche Erlaubniß (Art. IV, Num. 3) I vor Ablauf von sechs Monaten, und dem, der mit der Relegation bestraft worden ist, vor | Ablauf von einem Jahre nicht ertheilt werden. Sollte die eine oder andere Strafe theils wegen verbotener Verbindungen, theils wegen I anderer Vergehen erkannt werden, und das in Betreff verbotener Verbindungen zur Last | fallende Verschulden nicht so groß gewesen seyn, daß deßhalb allein auf Wegweisung er= | kannt worden seyn würde, so sind die oben bezeichneten Zeiträume auf die Hälfte beschränkt. 7) Bei allen in den akademischen Gesetzen des betreffenden Staates erwähnten Ver= | gebungen der Studirenden, ist, bei dem Daseyn von Indicien, nachzuforschen, ob dazu I eine verbotene Verbindung näheren oder entfemteren Anlaß gegeben habe. Wenn dieß der | Fall ist, so soll es als erschwerender Umstand angesehen werden. 8) Dem Gesuche um Aufhebung der Strafe der Wegweisung von einer Universität | in den Fällen und nach Ablauf der festgesetzten Zeit, wo Begnadigung statt finden kann, | (Num. 6 oben) wollen die Regiemngen niemals willfahren, wenn der Nachsuchende nicht I glaubhaft darthut, daß er die Zeit der Verweisung von der Universität nützlich verwendet, | sich eines untadelhaften Lebenswandels beflissen hat, und keine glaubhaften Anzeigen, daß | er an verbotenen Verbindungen Antheil genommen, vorliegen. Artikel VIII. ^Die Mitglieder einer burschenschaftlichen oder einer auf politische Zwecke unter irgend einem | Namen gerichteten unerlaubten Verbindung trifft (vorbehaltlich der etwa zu verhängenden | Criminalstrafen) geschärfte Relegation. '^Die künftig aus solchem Gmnde

[58] Bundes-Universitätsgesetz vom 13. November 1834

773

mit geschärfter | Relegation Bestraften sollen eben so wenig zum Civildienste, als zu einem kirchlichen oder | Schul=Amte, zu einer akademischen Würde, zur Advocatur, zur ärztlichen oder chirurgischen | Praxis, innerhalb der Staaten des Deutschen Bundes zugelassen werden. Würde sich eine Regierung durch besonders erhebliche Gründe bewogen finden, eine 1 gegen einen ihrer Unterthanen wegen Verbindungen der bezeichneten Art erkannte Strafe | im Gnadenwege zu mildem oder nachzulassen, so wird dieses nie ohne sorgfältige Erwägung I aller Umstände, ohne Ueberzeugung von dem Austritte des Verirrten aus jeder gesetzwidrigen I Verbindung und ohne Anordnung der erforderlichen Aufsicht geschehen. [S. 987] Artikel IX. Die Regierungen werden das Erforderliche verfugen, damit in Fällen, wo politische | Verbindungen der Studirenden auf Universitäten vorkommen, sämmtliche übrige Univer= | sitäten alsbald hiervon benachrichtigt werden. Artikel X. Bei allen mit akademischen Strafen zu belegenden Gesetzwidrigkeiten bleibt die criminelle I Bestrafung, nach Beschaffenheit der verübten gesetzwidrigen That, und insbesondere auch dann | vorbehalten, wenn die Zwecke einer Verbindung der Studirenden oder die in Folge der= | selben begangenen Handlungen die Anwendung härterer Strafgesetze nothwendig machen. Artikel XL ^Wer gegen eine Universität, ein Institut, eine Behörde oder einen akademischen Lehrer I eine sogenannte Vermfserklämng direct oder indirect unternimmt, soll von allen Deutschen I Universitäten ausgeschlossen seyn, und es soll diese Ausschliessung öffentlich bekannt gemacht | werden. "^Diejenigen, welche die Ausführung solcher Vermfserklärung vorsätzHch befördern, | werden, nach den Umständen, mit dem consilio abeundi oder mit der Relegation be= | straft werden, und es wird in Ansehung ihrer Aufnahme auf einer andern Universität das= | jenige statt finden, was oben Art. VII, Num. 6 bestimmt ist. Gleiche Strafe, wie Beförderer vorgedachter Verrufserklärungen, wird diejenigen Stu= | direnden treffen, welche sich Verrufserklämngen gegen Privatpersonen erlauben oder daran I Theil nehmen. Der Landesgesetzgebung bleibt die Bestimmung überlassen, in wie weit Verrufserklärungen I ausserdem als Injurien zu behandeln seyen. Artikel XII. Jeder, der auf einer Universität studirt hat und in den Staatsdienst treten will, ist | verpflichtet, bei dem Abgange von der Universität sich mit einem Zeugnisse über die Vor= | lesungen, die er besucht hat, über seinen Fleiß und seine Auffuhrung zu versehen. ^Ohne die Vorlage dieser Zeugnisse wird keiner in einem Deutschen Bundesstaate zu | einem Examen zugelassen und also auch nicht im Staatsdienste angestellt werden. "^Die | Regierungen werden solche Verfügungen treffen, daß die auszustellenden Zeugnisse ein mög= I liehst genaues und bestimmtes Urtheil geben. ^Vorzüglich haben diese Zeugnisse sich auch auf die Frage der Theilnahme an verbotenen I Verbindungen zu erstrecken. ^Die ausserordentlichen Regierungsbevollmächtigten werden ange= | wiesen werden, über den gewissenhaften Vollzug dieser Anordnung zu wachen.

774

§3: Deutscher Bund

[Dok. 3 1 - 8 4 ]

Artikel XIIL ^Die akademischen Gremien, als solche, werden der von ihnen bisher ausgeübten Straf= I gerichtsbarkeit in Criminal= und allgemeinen Polizei =Sachen über die Studirenden allent= | halben enthoben. '^Die Bezeichnung und Zusammensetzung derjenigen Behörden, welchen | diese Gerichtsbarkeit übertragen werden soll, bleibt den einzelnen Landesregierungen über= I lassen. [S. 988] Vorstehende Bestimmung bezieht sich jedoch eben so wenig auf einfache, die Studi= | renden ausschließlich betreffende Disciplinar=Gegenstände, namentlich die Aufsicht auf Studien, | Sitten und Beobachtung der akademischen Statuten, als auf Erkennung eigentlich akade= J mischer Strafen. Artikel XIV. Die Bestimmungen der Artikel I bis XII sollen auf sechs Jahre als eine verbindliche | Verabredung bestehen, vorbehaltlich einer weitem Uebereinkunft, wenn sie nach den in= | zwischen gesammelten Erfahrungen für angemessen erachtet werden. Artikel XV. ^Die Artikel I bis XII sollen auch auf andere öffentliche sowohl als Privat^ Lehr= und | Erziehungs=Anstalten, so weit es ihrer Natur nach thunlich ist, angewendet werden. "^Die | Regierungen werden auch bei diesen die zweckmäßigste Fürsorge eintreten lassen, daß dem I Verbindungswesen, namentlich so weit dasselbe eine politische Tendenz hat, kräftigst vorge= I beugt und sonach die Vorschriften des §. 2 des Bundesbeschlusses vom 20. September I 1819^ insbesondere auf die Privatinstitute ausgedehnt werden.

[58/1] Verlängerung des Bundesbeschlusses durch Beschluß vom 29. Juli 1841 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einführungen" die Darstellung unter [146.]. Quelle: Protokolle der deutschen Bundes-Versammlung, 22. Sitzung vom 29. Juli 1841, § 243, S. 491 - 492 (gedruckt [Loco dictaturae]). Sonstige Fundstelle: P. A. G. Meyer (Hrsg.), Corpus Juris Germaniae Confoederationis oder Staatsacten für Geschichte und öffentliches Recht des Deutschen Bundes, Teil II (Beschlüsse der deutschen Bundesversammlung), 3. Aufl., 1859, S. 397 - 398. [S. 491] §.243. Verlängerung der Gültigkeit der Bestimmungen des Beschlusses vom 13. November | 1834 in Betreff der Universitäten und anderer Lehr= und Erziehungs=An= |stalten.

« Dok. 39.

[59] Bundesbeschluß vom 13. November 1834

775

...fS. 492] . . . Sämmtliche Gesandtschaften erklärten sich hierauf ermächtigt, dem Präsidial^ | antrage beizutreten, und es wurde sonach | beschlossen:^ daß die Bestimmungen der Art. I bis XII des in der 39. Bundestagssitzung vom | 13. November 1834 (§. 546 des Prot.) in Betreff der Universitäten und anderer Lehr= | und Erziehungs=Anstalten gefaßten Beschlusses^ auf fernere sechs Jahre, vom Tage des | heutigen Beschlusses gerechnet, als eine verbindliche Verabredung bestehen sollen, vorbe= | haltlich einer weitem Uebereinkunft, wenn sie nach den inzwischen gemachten Erfahrungen I für angemessen erachtet werden.

[59] Authentische Interpretation der in Art. 12 der Bundesacte enthaltenen Bestimmungen wegen Verschickung der Acten auf eine deutsche Fakultät oder an einen Schöppenstuhl Bundesbeschluß über das Verbot der Aktenversendung vom 13. November 1834 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einführungen" die Darstellungen unter [144.] [147.] [155.] [212.]. Quelle: Protokolle der deutschen Bundes-Versammlung, 39. Sitzung vom 13. November 1834, § 547, S. 988 - 989 (gedruckt). Sonstige Fundstelle: P. A. G. Meyer (Hrsg.), Corpus Juris Germaniae Confoederationis oder Staatsacten für Geschichte und öffentliches Recht des Deutschen Bundes, Teil II (Beschlüsse der deutschen Bundesversammlung), 3. Aufl., 1859, S. 323 - 324. [S. 988]. . . §. 547. Auslegung der im Artikel 12 der Deutschen Bundesacte enthaltenen Bestimmungen | wegen Verschickung der Acten auf eine Deutsche Facultät oder an einen | Schöppenstuhl. Sämmtliche Gesandtschaften stimmten diesem Antrage bei, und es erfolgte | sonach der einhellige | Beschluß:*^ Da sich ergeben hat, daß die im Artikel 12 der Bundesacte^ enthaltene Bestimmung | wegen Verschickung der Acten auf eine Deutsche Facultät oder an einen Schöppenstuhl |

An der Sitzung nahmen folgende Gesandte teil: von Münch-Bellinghausen (für Österreich und Preußen), von Mieg (für Bayern), Nostitz und Jänckendorf (für Sachsen), von Stralenheim (für Hannover), von Blomberg (für Württemberg), von Dusch (für Baden), von Gruben (für Kurhessen und Hessen-Darmstadt), von Pechlin (für Dänemark wegen Holstein und Lauenburg), von Grünne (für die Niederlande wegen Luxemburg), von Fritsch (Großherzogtum Sachsen und herzoglich sächsische Häuser), von Röntgen (für Braunschweig und Nassau sowie Hohenzollern, Liechtenstein, Reuß, Schaumburg-Lippe, Lippe, und Waldeck), von Schack (für Mecklenburg), von Both (Oldenburg, Anhalt und Schwarzburg), von Meyer (für Lübeck, Frankfurt, Bremen und Hamburg). Dok. 58. An der Sitzung nahmen folgende Gesandte teil: von Münch-Bellinghausen (für Österreich), von Nagler (für Preußen), von Mieg (für Bayern und Württemberg), von Manteuffel (für Sachsen), von Stralenheim (für Hannover), von Blittersdorff (für Baden), von Rieß (für Kurhessen), von Gruben (für Hessen-Darmstadt), von Pechlin (für Dänemark wegen Holstein und Lauenburg), von Grünne (für die Niederlande wegen Luxemburg), von Beust (für Großherzogtum und Herzogtümer Sachsen), von Röntgen (für Braunschweig und Nassau), von Schack (für Mecklenburg), von Both (für Oldenburg, Anhalt und Schwarzburg), von Leonhardi (für Hohenzollern, Liechtenstein, Reuß, Schaumburg-Lippe, Lippe und Waldeck), Smidt (für Lübeck, Frankfurt, Bremen und Hamburg).

776

§ 3: Deutscher Bund

[Dok. 31 - 84]

zur Abfassung des Endurtheils zum Theil auch auf Polizei= und Criminal=Erkenntnisse aus= I [S. 989] gedehnt worden ist, eine solche Auslegung aber nicht in dem Sinne jenes Artikels liegt, so | erklärt die Bundesversammlung, daß der gedachte Artikel 12 der Bundesacte nur auf Civil= | Streitigkeiten Anwendung zu finden habe.^

[60] Bundesbeschluß zum Verbot der Aktenversendung vom 27. November 1834 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einführungen" die Darstellungen unter [44.] [147.] [155.]. Quelle: Protokolle der deutschen Bundes-Versammlung, 41. Sitzung vom 27. November 1834, § 584, S. 1035 (1037) - 1038 (gedruckt [Loco dictaturae]). [S. 1035] . . . §. 584. Die Verschickung der Acten auf eine Deutsche Facultät oder an einen Schöppen= | stuhl zur Urtheilsfällung betr. ...[S. 1037] . . . Sämmtliche Gesandtschaften stimmten dem Antrage des Ausschusses bei, | und es wurde sonach | beschlossen:*^ 1) Die Bundesversammlung spricht ihre volle Ueberzeugung von der Nothwendigkeit | aus, daß dem Uebelstande der Verschickung der Acten auf eine Facultät oder an einen I [S. 1038] Schöppenstuhl, wo nicht in allen Strafsachen, doch in Untersuchungen, die sich auf politische Strafe | Sachen beziehen, im Interesse der Gesammtheit des Bundes für die Zukunft abzuhelfen sey. 2) Die höchsten und hohen Regierungen werden ersucht, der Bundesversammlung | binnen eines Termins von sechs Wochen anzuzeigen, in welcher Weise sie dem bezeichneten I Uebelstande abzuhelfen gedenken, damit die Bundesversammlung, falls es erforderlich seyn | sollte, diesen Gegenstand weiterer Berathung unterziehen könne.

[61] Bundesbeschluß über „das Wandern, auch die Versammlungen und Verbindungen der deutschen Handwerksgesellen" vom 15. Januar 1835 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einfiihrungen" die Darstellungen unter [153.] [155.]. Quelle: Protokolle der deutschen Bundes-Versammlung, 3. Sitzung vom 15. Januar 1835, § 36, S. 56 (gedruckt). Sonstige Fundstellen: E. R. Huber (Hrsg.), Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte, Bd. 1: Deutsche Verfassungsdokumente 1803 - 1850, 3. Aufl., 1978, Nr. 49; P. A. G.

Dok. 31. Entspricht Art. LVII der „Sechzig Artikel'Vom 12. Juni 1834 (Dok. 55). An der Sitzung nahmen folgende Gesandte teil: von Münch-Bellinghausen (für Österreich und Preußen), von Trott (für Bayern und Württemberg), von Manteuffel (für Sachsen), von Stralenheim (für Hannover), von Blittersdorff (für Baden), von Rieß (für Kurhessen), von Gruben (für HessenDarmstadt), von Pechlin (für Dänemark wegen Holstein und Lauenburg), von Grünne (für die Niederlande wegen Luxemburg), von Beust (für Großherzogtum und Herzogtümer Sachsen), von Röntgen (für Braunschweig und Nassau), von Schack (für Mecklenburg), von Both (für Oldenburg, Anhalt und Schwarzburg), von Leonhardi (für HohenzoUem, Liechtenstein, Reuß, Schaumburg-Lippe, Lippe und Waldeck), Smidt (für Lübeck, Frankfurt, Bremen und Hamburg).

[62] Bundesbeschluß vom 5. November 1835

777

Meyer (Hrsg.), Corpus Juris Germaniae Confoederationis oder Staatsacten für Geschichte und öffentHches Recht des Deutschen Bundes, Teil II (Beschlüsse der deutschen Bundesversammlung), 3. Aufl., 1859, S. 324. [S. 56] §.36. Das Wandern, auch die Versammlungen und Verbindungen der deutschen Hand= | werksgesellen betr. Beschluß:^ Da es im Interesse des Deutschen Bundes liegt, daß die deutschen Handwerksgesellen | an keinen Associationen und Versammlungen Theil nehmen, wodurch die öffentliche Ruhe I im In= oder Auslande bedroht oder gestört werden könnte, so soll 1) das Wandern der den Deutschen Bundesstaaten angehörigen Handwerksgesellen nach I denjenigen Ländern und Orten, in welchen offenkundig dergleichen Associationen und I Versammlungen geduldet werden, so lange diese Duldung notorisch besteht, ver= | boten seyn. 2) In Absicht auf die Zurückberufung der gegenwärtig in solchen Ländern, worin | Associationen und Versammlungen der obgedachten Art geduldet werden, befind= | liehen Handwerksgesellen und deren Beaufsichtigung bei ihrer Rückkehr nach der | Heimath, werden von den höchsten und hohen Regierungen dem Zwecke entspre= | chende Verfügungen getroffen werden. 3) Ueber die in Deutschland wandernden Handwerksgesellen wird strenge polizeiliche I Aufsicht, insbesondere rücksichtlich der Verbindungen, in welche sie sich einlassen I könnten, gefuhrt werden. 4) Die Bundesregierungen werden sich durch ihre Bundestagsgesandtschaften in fort= I währender Kenntniß erhalten, nach welchen Ländern und Orten sie wegen darin | notorisch statt findender Associationen und Versammlungen der oben erwähnten Art I das Wandern der Handwerksgesellen verboten haben.

[62] Bundesbeschluß über das Verbot der Aktenversendung in Polizei- und Strafsachen vom 5. November 1835 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einführungen" die Darstellungen unter [147.] [212.]. Quelle: Protokolle der deutschen Bundes-Versammlung, 27. Sitzung vom 5. November 1835, § 447, S. 930 - 945 (945) gedruckt. Sonstige Fundstelle: P.A. G. Meyer (Hrsg.), Corpus Juris Germaniae Confoederationis oder Staatsacten fur Geschichte und öffentliches Recht des Deutschen Bundes, Teil II (Beschlüsse der deutschen Bundesversammlung), 3. Aufl., 1859, S. 324.

An der Sitzung nahmen folgende Gesandte teil: von Münch-Bellinghausen (fär Österreich und Preußen), von Mieg (für Bayern und Württemberg), von Manteuffel (für Sachsen), von Stralenheim (für Hannover sowie für Braunschweig und Nassau), von Blittersdorff (für Baden), von Rieß (für Kurhessen), von Gruben (für Hessen-Darmstadt), von Pechlin (für Dänemark wegen Holstein und Lauenburg), von Mieg für von Grünne (für die Niederlande wegen Luxemburg), von Beust (für Großherzogtum und Herzogtümer Sachsen), von Schack (für Mecklenburg), von Both (für Oldenburg, Anhalt und Schwarzburg), von Leonhardi (für Hohenzollem, Liechtenstein, Reuß, SchaumburgLippe, Lippe und Waldeck), Sieveking (für Lübeck, Frankfurt, Bremen und Hamburg).

778

§ 3 : Deutscher Bund

[Dok.31-84]

[S. 930] . .. §. 447. Die Verschickung der Acten auf eine deutsche Facultät oder an einen Schoppen^ | stuhl zur Urtheilsfällung betr. ...[S. 945] . . . Sämmtliche übrigen Gesandtschaften stimmten dem Commissionsantrage | bei; daher Beschluß:^ Die Bundesstaaten, in denen die Verschickung der Acten in Polizei^ und Criminal^ | Sachen an Facultäten und Schöppenstühle dermalen noch gestattet ist, werden veranlaßt, | solche Anordnungen zu treffen, daß diese Verschickung der Acten, es sey an deutsche oder I ausländische Universitäten, spätestens von dem 1. Januar 1837 an aufhöre. Die Regierungen, in deren Staaten Universitäten bestehen, werden ersucht, den Univer= I sitäten, von dem gleichen Termine an, die Annahme solcher Acten zum Spruche zu unter= | sagen.

[63] Bundesbeschluß „über Bestrafung von Vergehen gegen den Deutschen Bund und Auslieferung politischer Verbrecher auf deutschem Bundesgebiete" vom 18. August 1836 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einfuhrungen" die Darstellungen unter [144.] [155.]. Quelle: Protokolle der deutschen Bundes-Versammlung, 16. Sitzung vom 18. August 1836, § 226, S. 561, 562 (gedruckt). Sonstige Fundstellen: E. R. Huber (Hrsg.), Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte, Bd. 1: Deutsche Verfassungsdokumente 1803 - 1850, 3. Aufl., 1978, Nr. 51; P. Ä. G. Meyer (Hrsg.), Corpus Juris Germaniae Confoederationis oder Staatsacten für Geschichte und öffentliches Recht des Deutschen Bundes, Teil II (Beschlüsse der deutschen Bundesversammlung), 3. Aufl., 1859, S. 347. [S. 561] . . . §. 226. Bestimmungen wegen Bestrafiing von Vergehen gegen den Deutschen Bund, und | wegen Auslieferung politischer Verbrecher auf dem deutschen Bundesgebiete.

An der Sitzung nahmen folgende Gesandte teil: von Münch-Bellinghausen (für Österreich), von Schöler (für Preußen), von Mieg (für Bayern), von Manteuffel (für Sachsen und Hannover), von Trott (für Württemberg), von Gruben (für Baden und Hessen-Darmstadt), von Pechlin (für Dänemark wegen Holstein und Lauenburg und für Kurhessen), von Mieg (für die Niederlande wegen Luxemburg), von Beust (für Großherzogtum Sachsen und Herzogtümer Sachsen), von Röntgen (für Braunschweig und Nassau), von Schack (für Mecklenburg), von Both (für Oldenburg, Anhalt und Schwarzburg), von Leonhardi (für Hohenzollem, Liechtenstein, Reuß, Schaumburg-Lippe, Lippe und Waldeck), Sieverking (für Lübeck, Frankfurt, Bremen und Hamburg).

[64] Bundesbeschluß vom 9. November 1837

779

...[S. 562] Beschluß:^ Artikel 1. Da nicht nur der Zweck des Deutschen Bundes in der Erhaltung der Unab= | hängigkeit und Unverletzbarkeit der deutschen Staaten, so wie in jener der äussern und innem | Ruhe und Sicherheit Deutschlands besteht, sondern auch die Verfassung des Bundes wegen ihres I wesentlichen Zusammenhanges mit den Verfassungen der einzelnen Bundesstaaten als ein I nothwendiger Bestandtheil der letzteren anzusehen ist, mithin ein gegen den Bund oder dessen | Verfassung gerichteter Angriff zugleich einen Angriff gegen jeden einzelnen Bundesstaat in I sich begreift; so ist jedes Unternehmen gegen die Existenz, die Integrität, die Sicherheit oder | die Verfassung des Deutschen Bundes, in den einzelnen Bundesstaaten, nach Maaßgabe der | in den letzteren bestehenden oder künftig in Wirksamkeit tretenden Gesetze, nach welchen eine | gleiche gegen den einzelnen Bundesstaat begangene Handlung als Hochverrath, Landesver= | rath oder unter einer andern Benennung zu richten wäre, zu beurtheilen und zu bestrafen. Artikel 2. ^Die Bundesstaaten verpflichten sich gegen einander, Individuen, welche der | Anstiftung eines gegen den Souverain, oder gegen die Existenz, Integrität, Verfassung | oder Sicherheit eines andern Bundesstaates gerichteten Unternehmens, oder einer darauf abzie= | lenden Verbindung, der Theilnahme daran, oder der Begünstigung derselben beinzichtigt sind, I dem verletzten oder bedrohten Staate auf Verlangen auszuliefern, — vorausgesetzt, daß ein | solches Individuum nicht entweder ein Unterthan des um die Auslieferung angegangenen Staates | selbst, oder in demselben schon wegen anderer ihm zur Last fallenden Verbrechen zu untersuchen | oder zu bestrafen ist. ^Sollte das Unternehmen, dessen der Auszuliefernde beinzichtigt ist, | gegen mehrere einzelne Bundesstaaten gerichtet seyn, so hat die Auslieferung an jenen dieser | Staaten zu geschehen, welcher darum zuerst das Ansuchen stellt.

[64] Bundesbeschluß über „die Annahme gleichförmiger Grundsätze gegen den Nachdruck" vom 9. November 1837 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einfuhrungen" die Darstellung unter [244.]. Quelle: Protokolle der deutschen Bundes-Versammlung, 31. Sitzung vom 9. November 1837, Separatprotokoll, S. 846a (846g) - 846h (gedruckt [loco dictaturae]). Sonstige Fundstelle: P. A. G. Meyer (Hrsg.), Corpus Juris Germaniae Confoederationis oder Staatsacten für Geschichte und öffentliches Recht des Deutschen Bundes, Teil 11 (Beschlüsse der deutschen Bundesversammlung), 3. Aufl., 1859, S. 351 - 352.

An der Sitzung nahmen folgende Gesandte teil: von Münch-Bellinghausen (für Österreich), von Schöler (für Preußen), von Manteuffel (für Bayern, Sachsen, Hannover und Württemberg), von Friederich (für Baden), von Gruben (für Kurhessen und Hessen-Darmstadt), von Pechlin (für Dänemark wegen Holstein und Lauenburg), von Mieg (für die Niederlande wegen Luxemburg), von Beust (für Großherzogtum und Herzogtümer Sachsen), von Röntgen (für Braunschweig und Nassau), von Schack (für Mecklenburg), von Both (für Oldenburg, Anhalt und Schwarzburg), von Leonhardi (für Hohenzollem, Liechtenstein, Reuß, Schaumburg-Lippe, Lippe und Waldeck), Curtius (für Lübeck, Frankfurt, Bremen und Hamburg).

780

§3: Deutscher Bund

[Dok. 3 1 - 8 4 ]

[S. 846a] Aufstellung gleichförmiger Grundsätze gegen den Nachdruck. (29. Sitz. Sep. Prot. v. J. 1837) . . . /'S. 846g] . . . Hierauf wurde | beschlossen: Die im Deutschen Bunde vereinigten Regierungen kommen überein, zu Gunsten der | im Umfange des Bundesgebiets erscheinenden literarischen und artistischen Erzeugnisse fol= | gende Grundsätze in Anwendung zu bringen: Art. 1. Literarische Erzeugnisse aller Art, so wie Werke der Kunst, sie mögen | bereits veröffentlicht seyn oder nicht, dürfen ohne Einwilligung des Urhebers oder | Deßjenigen, welchem derselbe seine Rechte an dem Original übertragen hat, auf | mechanischem Wege nicht vervielfältigt werden. Art. 2. Das im Artikel 1 bezeichnete Recht des Urhebers oder Dessen, der | das Eigenthum des literarischen oder artistischen Werkes erworben hat, geht auf | dessen Erben und Rechtsnachfolger über, und soll, in so fem auf dem Werke der | Herausgeber oder Verleger genannt ist, in sämmtlichen Bundesstaaten mindestens | während eines Zeitraums von zehn Jahren anerkannt und geschützt werden. Diese Frist von zehn Jahren ist für die in den letztverflossenen zwanzig | Jahren im Umfange des deutschen Bundesgebiets erschienenen Druckschriften oder | artistischen Erzeugnisse vom Tage des gegenwärtigen Bundesbeschlusses, bei den | künftig erscheinenden Werken vom Jahre ihres Erscheinens an, zu rechnen. Bei den in mehreren Abtheilungen herauskommenden Werken ist diese Frist | für das ganze Werk erst von Herausgabe des letzten Bandes oder Heftes zu zählen, | vorausgesetzt, daß zwischen der Herausgabe der einzelnen Bände oder Hefte kein | längerer als ein dreijähriger Zeitraum verflossen ist. Art. 3. Zu Gunsten von Urhebern, Herausgebern oder Verlegern von großen, | mit bedeutenden Vorauslagen verbundenen Werken der Wissenschaft und Kunst | (Art. 1) wird das ausgesprochene Minimum des Schutzes der Gesammtheit gegen | den Nachdruck (Art. 2) auch bis zu einem langem, höchstens zwanzigjährigen, Zeit= | räum ausgedehnt, und hinsichtlich derjenigen Regiemngen, deren Landesgesetzgebung | diese verlängerte Schutzfrist nicht ohnehin erreicht, dießfalls eine Vereinbamng am | [S. 846h] Bundestage getroffen werden, wenn die betreffende Regiemng drei Jahre nach dem | öffentlichen Erscheinen des Werkes hierzu den Antrag stellt. Art. 4. Dem Urheber, Verleger und Herausgeber der Originalen nachge= | dmckter oder nachgebildeter Werke steht der Anspmch auf volle Entschädigung zu. Ausser den in Gemäßheit der Landesgesetze gegen den Nachdruck zu verhängenden | Strafen soll in allen Fällen die Wegnahme der nachgedruckten Exemplare, und bei | Werken der Kunst auch noch die Beschlagnahme der zur Nachbildung gemachten Voi= | richtungen, also der Formen, Platten, Steine u. s. w., statt finden. Art. 5. ^Der Debit aller Nachdmcke und Nachbildungen der unter 1 bezeich= | neten Gegenstände, sie mögen im deutschen Bundesgebiete oder ausserhalb desselben | veranstaltet seyn,

[64/1] Verlängerung des Bundesbeschlusses durch Beschluß vom 19. Juni 1845

781

soll in allen Bundesstaaten, bei Vermeidung der Wegnahme und | der durch die Landesgesetze angedrohten Strafen, untersagt seyn. ^Es versteht sich | übrigens von selbst, daß die Bundesregierungen, in deren Staaten bis jetzt der | Nachdruck gesetzlich nicht verboten war, selbst zu bestimmen haben, ob und auf wie | lange sie im Bereiche ihrer Staaten den Vertrieb der vorräthigen, bisher erschie= | neuen Nachdrücke gestatten wollen. Art. 6. Es wird der Bundesversammlung davon, wie die vorstehenden all= | gemeinen Grundsätze von den Bundesregierungen durch specielle Gesetze oder Verord= | nungen in Ausführung gebracht werden sollen, Nachricht gegeben, und dabei zugleich | angezeigt werden, welche Förmlichkeit in den einzelnen Staaten erforderlich sey, um den | Charakter einer Originalausgabe und den Zeitpunct des Erscheinens nachzuweisen. Da übrigens eine große Mehrheit der Bundesregierungen sich dafür erklärt hat, daß | den Schriftstellern und Verlegern eine noch ausgedehntere Schutzfrist im gesammten Um= | fange des Bundesgebiets gesichert werden möge, als diejenige ist, welche in dem Art. 2 | des gegenwärtigen Bundesbeschlusses als Minimum ausgesprochen wird, so soll mit Eintritt I des Jahres 1842, wenn sich das Bedürfhiß hiezu nicht früher zeigen sollte, am Bundes= I tage sowohl die Frage wegen einer verlängerten Dauer des den Rechten der Schriftsteller I und Verleger von der Gesammtheit der Bundesglieder zu bewilligenden Schutzes neuerdings | gemeinsam berathen, als auch überhaupt der Einfluß in Erwägung gezogen werden, welchen, | nach den immittelst gesammelten Erfahrungen, die gegenwärtigen Bestimmungen auf Kunst | und Literatur, auf die Interessen des Publikums und auf den Flor des Kunst= und Buch= | handels bewährt haben. Münch=Bellinghausen. | Schöler. | Mieg. | Manteuffel. | Trott, auch für Holstein=Lauenburg u. Mecklenburg. I Friederich. | Rieß. | Gruben. | Grunne. | Beust. | Röntgen. | Both. | Leonhardi | Meyer.

[64/1] Verlängerung des Bundesbeschlusses durch Beschluß vom 19.Junl1845 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einführungen" die Darstellung unter [244.]. Quelle: Protokolle der deutschen Bundes-Versammlung, 21. Sitzung vom 19. Juni 1845, § 228, S. 538 - 539 (gedruckt [loco dictaturae]). [S. 538] §. 228. Allgemeine Grundsätze in Betreff des Schutzes von Werken der Wissenschaft und | Kunst gegen Nachdruck und unbefugte Nachbildung, insbesondere die dieß= | fallsigen Commissionsanträge vom 20. Juh 1843 betr. (22. Sitz. §.221; 26, Sitz. §. 279 u. 27. Sitz. §. 284 v. J. 1843. - 1. Sitz. §. 11; 3. Sitz. §.31; 7. Sitz. §. 67; | 8. Sitz. §. 79; 12. Sitz. §. 112; 13. Sitz. §. 128; 15. Sitz. §. 144; 17. Sitz. §. 164; 20. Sitz. §. 185; 28. Sitz. §. | 264 u. 29. Sitz. §. 275 v. J. 1844. ~ 4. Sitz. §.51; 5. Sitz. §. 59; 8. Sitz. §. 83; 11. Sitz. §.111; 12. Sitz. §. | 127; 16. Sitz. §. 161; 17. Sitz. §. 174; 18. Sitz. §. 192 u. 19. Sitz. §. 202 v. J. 1845.) Nachdem der Königlich=Dänische und der Königlich=Niederländische | Herr Bundestagsgesandte, deßgleichen jener der freien Städte für Lübeck, | Frankfurt, Bremen und Hamburg erklärt hatten, daß sie ermächtigt seyen, dem | vom Präsidio in der 11. dießj ährigen Sitzung vorgelegten Beschlußentwurf, den Schutz | gegen den Nachdruck betref-

782

§ 3: Deutscher Bund

[Dok. 31 - 84]

fend, beizutreten, bemerkte Präsidium, daß dieser Entwurf] nunmehr einhellig genehmigt sey; daher | Beschluß:^ Nachdem der Bundesbeschluß vom 9. November 1837** nur das geringste Maaß | des Schutzes festgestellt hat, welcher innerhalb des deutschen Bundesgebiets den dort er= | scheinenden literarischen und artistischen Erzeugnissen gegen den Nachdruck und jede andere I unbefugte Vervielfältigung auf mechanischem Wege zu gewähren war, eine weitere Verein= | barung über gemeinsame Gewährung eines völlig ausreichenden Schutzes aber gleichzeitig | vorbehalten worden ist, so sind sämmtliche deutsche Regierungen über folgende Bestimmun= | gen zur Ergänzung des Beschlusses vom 9. November 1837 übereingekommen: 1) Der durch den Artikel 2 des Beschlusses vom 9. November 1837 für mindestens | zehn Jahre von dem Erscheinen eines literarischen Erzeugnisses oder Werkes | der Kunst an zugesicherte Schutz gegen den Nachdruck und jede andere unbefugte | Vervielfältigung auf mechanischem Wege wird fortan innerhalb des ganzen deutschen I Bundesgebiets für die Lebensdauer der Urheber solcher literarischen Erzeugnisse I und Werke der Kunst, und auf dreißig Jahre nach dem Tode derselben gewährt. 2) Werke anonymer oder pseudonymer Autoren, so wie posthume und solche Werke, | welche von moralischen Personen (Academieen, Universitäten u. s. w.) herrühren, | genießen solchen Schutzes während dreißig Jahren, von dem Jahre ihres Erschei= | nens an. 3) Um diesen Schutz in allen deutschen Bundesstaaten in Anspruch nehmen zu können, I genügt es, die Bedingungen und Förmlichkeiten erfüllt zu haben, welche dieser= I halb in dem deutschen Staate, in welchem das Originalwerk erscheint, gesetzlich I vorgeschrieben sind. 4) Die Verbindlichkeit zu voller Schadloshaltung der durch Nachdruck u. s. w. Ver= | letzten liegt dem Nachdrucker und demjenigen, welcher mit Nachdruck wissentlich I Handel treibt, ob, und zwar solidarisch, in so weit nicht allgemeine Rechts= | Grundsätze dem entgegenstehen. 5) Die Entschädigung hat in dem Verkaufspreise einer richterlich festzusetzenden An= I zahl von Exemplaren des Originalwerkes zu bestehen, welche bis auf 1000 Exem= I [S. 539] plare ansteigen kann, und eine noch höhere seyn soll, wenn von dem Verletzen | ein noch größerer Schaden nachgewiesen worden ist. 6) Ausserdem sind gegen den Nachdruck und andere unbefugte Vervielfältigung auf | mechanischem Wege, auf den Antrag des Verletzten, in allen Bundesstaaten, | wo die Landesgesetzgebung nicht noch höhere Strafen vorschreibt, Geldbußen bis zu | 1000 Gulden zu verhängen. 7) Die über dergleichen Vergehen erkennenden Richter haben, nach näherer Bestim= | mung der Landesgesetze, in denjenigen Fällen, wo ihrem Ermessen zufolge der | Befund von Sachverständigen einzuholen ist, bei literarischen Werken das Gut= | achten von Schriftstellern, Gelehrten und Buchhändlern, bei musikalischen und | An der Sitzung nahmen folgende Gesandte teil: von Münch-Bellinghausen (für Österreich), von Dönhoff (für Preußen), von Oberkamp (für Bayern), von Fritsch (für Königreich, Großherzogtum und Herzogtümer Sachsen), von Lenthe (für Hannover), von Blomberg (für Württemberg), von Blittersdorf (für Baden), von Rieß (für Kurhessen), von Gruben (für Hessen-Darmstadt), von Pechlin (für Dänemark wegen Holstein und Lauenburg), von Scherff (für die Niederlande wegen Luxemburg), von Wintzingeroda (für Braunschweig und Nassau), von Schack (für Mecklenburg), von Both (Oldenburg, Anhalt und Schwarzburg), von Holzhausen (für Hohenzollem, Liechtenstein, Reuß, Schaumburg-Lippe, Lippe, Waldeck und Hessen-Homburg), von Meyer (für Lübeck, Frankfurt, Bremen und Hamburg). Dok. 64.

[65] Bundesbeschluß über die Stimme Hessen-Homburgs vom 17. Mai 1838

783

Kunstwerken das von Künstlern, Kunstverständigen und Musik= oder Kunst= | händlem einzuholen. Zugleich wurde beliebt, diesen Beschluß durch die hiesigen Zeitungen zur öffentlichen | Kenntniß bringen zu lassen.

[64/2] Verlängerung des Bundesbeschlusses durch Beschluß vom 6. November 1856 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einfuhrungen" die Darstellung unter [244.]. Quelle: Protokolle der deutschen Bundes-Versammlung, 28. Sitzung vom 6. November 1856, § 296, S. 701 (gedruckt). [S. 701] . . . §.296. Antrag von Preußen auf Erweiterung der den Nachdruck betreffenden Bundesbe= | Schlüsse vom 9. November 1837 und 19. Juni 1845. Die Bundesversammlung hat hierauf in Gemäßheit des in der 13. dießjäh= | rigen Sitzung (Prot. §. 130) eingebrachten Ausschußantrags einstimmig | beschlossen:^ Der durch den Artikel 2 des Bundesbeschlusses vom 9. November 1837** und den | Bundesbeschluß vom 10. Juni 1845*^ für Werke der Literatur und der Kunst gegen Nachdruck | und mechanische Vervielfältigung gewährte Schutz, sowie derjenige Schutz, welcher durch be= I sondere Bundesbeschlüsse im Wege des Privilegiums für die Werke einzelner bestimmter I Autoren gewährt worden ist, wird dahin erweitert, daß dieser Schutz zu Gunsten der Werke | derjenigen Autoren, welche vor dem Bundesbeschlusse vom 9. November 1837 verstorben | sind, noch bis zum 9. November 1867 in Kraft bleibt. Jedoch findet der gegenwärtige Bundesbeschluß nur auf solche Werke Anwendung, | welche zur Zeit noch im Umfange des ganzen Bundesgebietes durch Gesetze oder Privilegien I gegen Nachdruck oder Nachbildung geschützt sind.

[65] Bundesbeschluß über die Stimme Hessen-Homburgs in der Bundesversammlung vom 17. Mai 1838 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einführungen" die Darstellungen unter [89.] [90.]. Quelle: Protokolle der deutschen Bundes-Versammlung, S.Sitzung vom 17. Mai 1838, § 113, S. 304 - (306) 307 (gedruckt). Sonstige Fundstelle: P. A. G. Meyer (Hrsg.), Corpus Juris Germaniae Confoederationis oder Staatsacten fiir Geschichte und öffentliches Recht des Deutschen Bundes, Teil II (Beschlüsse der deutschen Bundesversammlung), 3. Aufl., 1859, S. 352. An der Sitzung nahmen folgende Gesandte teil: Rechberg von Rothenlöwen (für Österreich), von Bismarck-Schönhausen (für Preußen), von Schrenk (für Bayern), Nostitz und Jänckendorf (für Sachsen), von Heimbruch (für Hannover), von Reinhard (für Württemberg), Marschall von Bieberstein (für Baden), von Dömberg (für Kurhessen), von Münch-Bellinghausen (für Hessen-Darmstadt), von Bülow (für Dänemark wegen Holstein und Lauenburg), von Scherff (für die Niederlande wegen Luxemburg), von Fritsch (für Großherzogtum und Herzogtümer Sachsen), von Düngern (für Braunschweig und Nassau), von Oertzen (für Mecklenburg), von Eisendecher (Oldenburg, Anhalt und Schwarzburg), von Holzhausen (für HohenzoUem, Liechtenstein, Reuß, Schaumburg-Lippe, Lippe, Waldeck und Hessen-Homburg), Hamier (für Lübeck, Frankfurt, Bremen und Hamburg). Dok. 64. Dok. 64/1.

784

§3: Deutscher Bund

[DoL31-84]

[S. 304] ... §=113. Stimmverhältnis Seiner Durchlaucht des souverainen Landgrafen zu Hessen= | Homburg. ...fS. 306] . .. Hiemach wurde | beschlossen:^ 1) Seine Durchlaucht den Landgrafen zu Hessen=Homburg in pleno mit einer Stimme I zu betheilen, und Denselben, unbeschadet seines Ranges, den souverainen Fürsten in der Weise | anzureihen, daß er den Platz vor den freien Städten einnehme; 2) Seine Durchlaucht zu veranlassen, sich im engem Rathe den zur 16. Gesammt= | stimme vereinigten Fürsten anzuschließen, dem gemäß wegen Begrüßung und Verständigung I mit den Gliedem der 16. Curie hinsichtlich der erforderlichen innem Organisation die ge= | eignete Einleitung zu treffen; 3) Seine Durchlaucht den Herm Landgrafen, in Erwiedemng auf sein Schreiben vom | 9. October v. J., durch das Präsidium von diesen Beschlüssen mit dem Bemerken in Kennt= | niß zu setzen, daß, nach erfolgter Einigung mit den Gliedem der 16. Curie, der bundesver= | fassungsmäßigen Ausübung seines Stimmrechts in der engem Versammlung kein Hindemiß | im Wege stehen werde; 4) die Fürstlichen Glieder der 16. Gesammtstimme, unter Anerkennung ihrer Bereit= | Willigkeit wegen Aufnahme des Landgrafen von Hessen=Homburg in ihrer Mitte, durch ihre | Gesandtschaft zu ersuchen, sich wegen der nothwendig werdenden Verändemng in der innem | Organisation der Curie mit dem Landgrafen von Hessen in das Einvemehmen setzen, und | seiner Zeit über die statt gefundene Verständigung wegen Ausübung des Stimmrechts | in der engem Versammlung die Anzeige anher machen zu wollen.

[66] Bundesbeschluß über „den Schutz musikalischer und dramatischer Werke gegen unbefugte Aufführung" vom 22.April1841 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einfiihmngen" die Darstellung unter [245.]. Quelle: Protokolle der deutschen Bundes-Versammlung, 10. Sitzung vom 22. April 1841, § 130, S. 234-235 (gedmckt). Sonstige Fundstelle: P.A. G. Meyer (Hrsg.), Corpus Juris Germaniae Confoederationis oder Staatsacten für Geschichte und öffentliches Recht des Deutschen Bundes, Teil II (Beschlüsse der deutschen Bundesversammlung), 3. Aufl., 1859, S. 389 - 390.

An der Sitzung nahmen folgende Gesandte teil: von Münch-Bellinghausen (für Österreich), von Schöler (für Preußen), von Trott (für Bayern und Württemberg), von Manteuffel (für Sachsen), von Stralenheim (für Hannover sowie für Braunschweig und Nassau), von Dusch (für Baden), von Rieß (für Kurhessen), von Gruben (für Hessen-Darmstadt), von Schack (für Dänemark wegen Holstein und Lauenburg, Mecklenburg), von Grunne (fiir die Niederlande wegen Luxemburg), von Beust (für Großherzogtum und Herzogtümer Sachsen sowie für Oldenburg, Anhalt und Schwarzburg), von Leonhardi (für Hohenzollem, Liechtenstein, Reuß, Schaumburg-Lippe, Lippe und Waldeck), von Meyer (für Lübeck, Frankfurt, Bremen und Hamburg).

[66] Bundesbeschluß vom 22. April 1841

785

[S. 234] ... §. 130. Den Schutz musikalischer und dramatischer Werke gegen unbefugte Aufführung betr. (14. Sitz. §. 193: 19. Sitz. §. 229; 20. Sitz. §. 238; 21. Sitz. §. 245; 24. Sitz. §. 287; 26. Sitz. §. 300 u. 27. Sitz. I §. 319 v. J. 1840. - 1. Sitz. §. 11; 3. Sitz. §. 40; 6. Sitz. §. 86; 7. Sitz. §. 103 u. 9. Sitz. §. 119V.J. 1841.) Päsidium bemerkt, daß über die in der Sitzung vom 30. Juli v. J. gestellten | Commissionsanträge wegen des Schutzes dramatischer und musikalischer Werke gegen unbe= | fugte Auffuhrung nur noch die Abstimmung für Luxemburg rückständig sey. [S. 235] Nachdem der Königlich=Niederländische Herr Gesandte hierauf geäussert | hatte, daß er den Beschluß nicht aufhalten wolle, legte Präsidium den Entwurf des | Beschlusses vor. Derselbe wurde hiemächst erörtert und dessen Fassung definitiv festgestellt, | wobei die in den einzelnen Abstimmungen enthaltenen Bemerkungen und Anträge, so weit | es ohne tiefes Eingreifen in die besonderen Landesgesetzgebungen thunlich war, berücksich= | tigt wurden. Diesem gemäß wurde sodann | beschlossen:^ Die im Deutschen Bunde vereinten Regierungen werden zum Schutze der inländischen [ Verfasser musikalischer Compositionen und dramatischer Werke gegen unbefugte Auffuhrung I und Darstellung derselben im Umfange des Bundesgebiet folgende Bestimmungen in Anwen= | dung bringen: 1) die öffentliche Auffuhrung eines dramatischen oder musikalischen Werks im Ganzen I oder mit Abkürzungen darf nur mit Erlaubniß des Autors, seiner Erben oder sonstigen | Rechtsnachfolger statt finden, so lange das Werk nicht durch den Druck veröffentlicht worden ist; 2) dieses ausschließende Recht des Autors, seiner Erben oder sonstigen Rechts= | nachfolger soll wenigstens während zehn Jahren von der ersten rechtmäßigen Auffuhrung I des Werks an in sämmtlichen Bundesstaaten anerkannt und geschützt werden. Hat jedoch | der Autor die Auffuhrung seines Werks ohne Nennung seines Familien= oder offenkundigen | Autor==Namens irgend Jemanden gestattet, so findet auch gegen Andere kein ausschließendes | Recht statt; 3) dem Autor oder dessen Rechtsnachfolgern steht gegen jeden, welcher dessen aus= | schließliches Recht durch öffentliche Aufführung eines noch nicht gedruckten dramatischen oder I musikalischen Werks beeinträchtigt, Anspruch auf Entschädigung zu; 4) die Bestimmung dieser letztem und der Art, wie dieselbe gesichert und verwirklicht I werden soll, so wie die Festsetzung der etwa noch neben dem Schadensersatze zu leistenden | Geldbußen, bleibt den Landesgesetzen vorbehalten; stets ist jedoch der ganze Betrag der | Einnahme von jeder unbefugten Auffuhrung, ohne Abzug der auf dieselbe verwendeten | Kosten und ohne Unterschied, ob das Stück allein oder in Verbindung mit einem andem | den Gegenstand der Aufführung ausgemacht hat, in Beschlag zu nehmen.

An der Sitzung nahmen folgende Gesandte teil: von Münch-Bellinghausen (für Österreich und Preußen), von Mieg (für Bayern und Württemberg), Nostitz und Jänckendorf (für Sachsen), von Stralenheim (für Hannover sowie für Braunschweig und Nassau), von Dusch (fiir Baden), von Rieß (für Kurhessen), von Gruben (für Hessen-Darmstadt), von Pechlin (für Dänemark wegen Holstein und Lauenburg), von Grünne (für die Niederlande wegen Luxemburg), von Fritsch (für Großherzogtum und Herzogtümer Sachsen), von Schack (für Mecklenburg), von Both (für Oldenburg, Anhalt und Schwarzburg), von Röntgen (für HohenzoUem, Liechtenstein, Reuß, Schaumburg-Lippe, Lippe und Waldeck), von Meyer (für Lübeck, Frankfurt, Bremen und Hamburg).

786

§ 3: Deutscher Bund

[Dok. 3 1 - 8 4 ]

[66/1] Erweiterung des Bundesbeschlusses durch Beschluß vom 12. März 1857 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einfuhrungen" die Darstellung unter [245.]. Quelle: Protokolle der deutschen Bundes-Versammlung, 10. Sitzung vom 12. März 1857, § 131,8.227-228 (gedruckt). [S. 227] .. . §.131. Antrag von Preußen, den Schutz musikalischer und dramatischer Werke gegen un= | befugte Aufführung betreffend. (6. Sitz. §. 82 V. J. 1857.) Präsidium. Bei Gelegenheit der in der Sitzung vom 12. Februar d. J. (Prot. | §.82) gepflogenen Abstimmung über die von dem betreffenden Ausschusse in der 28. vor= | [S. 225/jährigen Sitzung (Prot. §. 297) eingebrachten Anträge wegen des Schutzes musikalischer I und dramatischer Werke gegen unbefugte Aufführung war der Gesandte von Däne= I mark wegen Holstein und Lauenburg nicht mit Instruction versehen, weshalb hohe | Bundesversammlung die Beschlußziehung noch aussetzte. Nachdem hierauf der substituirte Gesandte erklärte, ermächtigt zu seyn, Namens der | Königlich=Dänischen, Herzoglich=Holstein=Lauenburgischen Regierung den gedachten Anträgen | beizutreten, hat die Bundesversammlung | beschlossen:^ Die durch den Bundesbeschluß vom 22. April 1841 zum Schutze der inländischen | Verfasser dramatischer und musikalischer Werke gegen unbefugte Aufführung und Darstel= | lung derselben^ im Umfange des Bundesgebietes vereinbarten Bestimmungen werden wie folgt I erweitert: 1) Die öffentliche Auffuhrung eines dramatischen oder musikalischen Werkes im Ganzen | oder mit Abkürzungen darf nur mit Erlaubniß des Autors, seiner Erben oder I sonstigen Rechtsnachfolger stattfinden, so lange das Werk nicht durch den Druck ver= | öffentlicht worden ist. Das ausschließende Recht, diese Erlaubniß zu ertheilen, steht | dem Autor lebenslänglich und seinen Erben oder sonstigen Rechtsnachfolgern noch I zehn Jahre nach seinem Tode zu. 2) Auch in dem Falle, daß der Autor eines dramatischen oder musikalischen Werkes | sein Werk durch den Druck veröffentlicht, kann er sich und seinen Erben oder son= I stigen Rechtsnachfolgern das ausschließende Recht, die Erlaubniß zur öffentlichen I Auffuhrung zu ertheilen, durch eine mit seinem darunter gedruckten Namen versehene | Erklärung vorbehalten, die jedem einzelnen Exemplare seines Werkes aus demTitel= | blatte vorgedruckt seyn muß. Ein solcher Vorbehalt bleibt wirksam aus Lebenszeit | des Autors selbst und zu Gunsten seiner Erben oder sonstigen Rechtsnachfolger noch | zehn Jahre nach seinem Tode.

An der Sitzung nahmen folgende Gesandte teil: von Rechberg und Rothenlöwen (für Österreich), von Bismarck-Schönhausen (für Preußen), von Schrenk (für Bayern), Nostitz und Jänckendorf (für Sachsen), von Heimbruch (für Hannover), von Reinhard (für Württemberg), Marschall von Bieberstein (für Baden), von Dömberg (für Kurhessen), von Münch-Bellinghausen (für HessenDarmstadt), von Bülow (für Dänemark wegen Holstein und Lauenburg), von Scherff (für die Niederlande wegen Luxemburg), von Fritsch (für Großherzogtum und Herzogtümer Sachsen), von Düngern (für Braunschweig und Nassau), von Oertzen (für Mecklenburg), von Eisendecher (für Oldenburg, Anhalt und Schwarzburg), von Linde (für Liechtenstein, Reuß, Schaumburg-Lippe, Lippe, Waldeck und Hessen-Homburg), Hamier (für Lübeck, Frankfurt, Bremen und Hamburg). Dok. 66.

[67] Bundesbeschluß vom 15. September 1842

787

3) Dem Autor oder dessen Rechtsnachfolgern steht gegen Jeden, welcher dessen aus= | schließendes Recht durch öffentliche Auffuhrung eines noch nicht durch den Druck I veröffentlichten, oder mit der unter Ziffer 2 erwähnten Erklärung durch den Druck I veröffentlichten dramatischen oder musikalischen Werkes beeinträchtigt, Anspruch auf | Entschädigung zu. 4) Diese erweiterten Bestimmungen werden vom 1. Juli 1857 an in Wirksamkeit | gesetzt werden. 5) Ziffer 1, 2 und 3 des Bundesbeschlusses vom 22. April 1841 sind hiemach auf= | gehoben, wogegen es bei Ziffer 4 hinsichtlich der Entschädigungen etc. sein Bewen= I den behält.

[67] Bundesbeschluß über „Committirung einer richterlichen Instanz für die Mediatisierten" vom 15. September 1842 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einführungen" die Darstellungen unter [86.] [236.]. Quelle: Protokolle der deutschen Bundes-Versammlung, 26. Sitzung vom 15. September 1842, § 283, S. 625 (634) - 635 (gedruckt). Sonstige Fundstelle: P. A. G. Meyer (Hrsg.), Corpus Juris Germaniae Confoederationis oder Staatsacten für Geschichte und öffentliches Recht des Deutschen Bundes, Teil II (Beschlüsse der deutschen Bundesversammlung), 3. Aufl., Frankfurt a. M. 1859, S. 408. [S. 625] §. 283. Beschwerden der Fürsten von Löwenstein gegen die Großherzoglich=Badische Re= | gierung wegen Nichtvollzug des 14. Artikels der Bundesacte^, dann | Committirung einer richterlichen Instanz für die Mediatisirten. ...[S. 634] . . . Nachdem Präsidium hierauf den Beschlußentwurf verlesen und die aufgenommenen Zu= I Sätze, so wie die gemachten Redactionsabänderungen näher bezeichnet hatte, vmrde der Beschluß= | entwurf im Einzelnen erörtert, und, nach dessen Genehmigung | [S. 635] beschlossen:** Da es in Folge des Art. 63 der Schlußacte*^ der Bundesversammlung zukommt, über | den Grund oder Ungrund von Beschwerden zu entscheiden, welche im Recurswege in Betreff | des durch Art. 14 der Bundesacte zugesicherten Rechtszustands der vormaligen Reichsange= I hörigen an sie gelangen, und demnächst über die Art, wie solche Entscheidung jedesmal I herbeizuführen seyn werde, bestimmte, den rechtlichen Ansprüchen der Betheiligten angemes= | sene Vorschriften zu geben; so wird auf das dießfalls eingebrachte Gesuch mehrerer vorma= | ligen Reichsstände festgestellt: 1) Bei Reclamationen, welche von mittelbar gewordenen ehemaligen Reichs ständen, | oder von Gliedern des vormaligen unmittelbaren Reichsadels, auf den Grund des Dok. 31. An der Sitzung nahmen folgende Gesandte teil: von Münch-Bellinghausen (für Österreich), von Dönhoff (fiir Preußen), von Lerchenfeld (für Bayern), Nostitz und Jänckendorf (für Sachsen und Württemberg), von Pechlin (für Hannover und Dänemark wegen Holstein und Lauenburg), von Gruben (für Baden und Hessen-Darmstadt), von Rieß (für Kurhessen sowie für Oldenburg, Anhalt und Schwarzburg), von Scherff (für die Niederlande wegen Luxemburg), von Holzhausen (für Großherzogtum und Herzogtümer Sachsen sowie für Hohenzollem, Liechtenstein, Reuß, Schaumburg-Lippe, Lippe und Waldeck), von Röntgen (für Braunschweig und Nassau), von Schack (für Mecklenburg), Smidt (für Lübeck, Frankfurt, Bremen und Hamburg). Dok. 43.

788

§3: Deutscher Bund

2)

3)

4)

5)

[Dok. 3 1 - 8 4 ]

Art. 63 I der Schlußacte, gegen die zur Vollziehung des Art. 14 der Bundesacte erlassenen landes= | herrlichen Verordnungen, in so fem diese nicht auf Vertrag beruhen oder ohne dagegen ei^ | hobene Beschwerde in unbestrittener Wirksamkeit bestehen, bei der Bundesversammlung an= | gebracht werden, soll jedesmal, und bei Reclamationen gegen spätere einseitige legislative | Erklärungen der durch die Bundesacte ihnen zugesicherten Rechte, so oft das Bedürfniß | dazu sich zeigt, dem in anderweiten Rechtssachen der Reclamanten zuständigen Landes= | gerichte zweiter Instanz von der Bundesversammlung durch die betreffende Landesregierung I der nicht abzulehnende Auftrag ertheilt werden, den Streitfall in seinem ganzen Umfange | fiir eine definitive Entscheidung, nach der von dem Gerichtshofe überhaupt beobachteten | particular= oder gemeinrechtlichen Proceßordnung innerhalb der kürzest möglichen Frist zu | instruiren. Die definitive Entscheidung ist hiemächst nach den Umständen von der | Bundesversammlung, oder, auf einen durch Stimmenmehrheit zu fassenden Beschluß, | von einer richterlichen Instanz, soweit derselben der Streitfall von der Bundesver= | Sammlung zugewiesen wird, in deren Auftrag und Namen zu erlassen. Diese richterliche Instanz wird für jeden einzelnen Fall dadurch gebildet wer= | den, daß die Bundesversammlung durch Stimmenmehrheit vier Mitglieder für dieselbe aus I der Liste der Spmchmänner für das Bundes=Schiedsgericht erwählt, und in Abgangs= | oder Sterb=Fällen ersetzt, so wie daß von diesen erwählten vier Mitgliedem, oder, bei | Stimmengleichheit unter ihnen, von der Bundesversammlung ein fünftes Mitglied als Ob= | mann aus derselben Liste gewählt wird. Von dieser Instanz ist jedesmal zugleich darüber zu erkennen, von welcher Seite, | oder in welchem Maaße von beiden Seiten antheilig die Kosten des richterlichen Verfahrens | zu tragen seyen. Alle Bestimmungen des Bundesbeschlusses vom 30. October 1834^ über das | Bundes=Schiedsgericht, mit Ausnahme derjenigen, welche sich auf die anders normirte I Bildung und die Kosten des Bundes=Schiedsgerichts und auf nur zwischen Regiemngen | und Ständen vorkommende Streitigkeiten beziehen, sollen auch bei dieser richterlichen In= | stanz und ihren Aussprüchen eintreten.

[68] Bundesbeschluß über „die Revision des Austrägalverfahrens, insbesondere den in der 37. Bundestagssitzung vom Jahre 1820 vorgelegten Entwurf eines dießfälligen Beschlusses'' vom 15. September 1842 Quelle: Protokolle der deutschen Bundes-Versammlung, 26. Sitzung vom 15. September 1842, § 287, S. 638 - 639 (gedruckt). Sonstige Fundstelle: P. A. G. Meyer (Hrsg.), Corpus Juris Germaniae Confoederationis oder Staatsacten für Geschichte und öffentliches Recht des Deutschen Bundes, Teil II (Beschlüsse der deutschen Bundesversammlung), 3. Aufl., Frankfurt a. M. 1859, S. 409. [S. 638] . .. §. 287. Die Revision des AusträgalVerfahrens, insbesondere den in der 37. Bundestagssitzung | vom Jahre 1820 vorgelegten Entwurf eines dießfälligen Beschlusses betreffend. (25. Sitz. §. 274 V. J. 1842)

Dok. 57.

[69] Bundesbeschluß zur Unterdrückung des Sklavenhandels vom 19. Juni 1845

789

Präsidium bemerkte, daß nunmehr die Abstimmungen sämmtlicher Regierungen über | den am 21. December 1820 vorgelegten Entwurf eines Beschlusses wegen des Verfahrens | in Streitigkeiten der Bundesglieder unter einander vorlägen, und da sich bei der hierauf er= I folgten Erörterung dieses Gegenstandes ergab, daß sämmtliche Gesandtschaften der in I der 7. dießjährigen Satzung (§. 74 des Protokolls) geäusserten Ansicht des Kaiserlich^ | Königlich=Oesterreichischen Hofes über den Gang, den die in Rede stehende Verhandlung I dermal in zweckbeförderlichster Weise einzuhalten hätte, beitraten, so wurde | beschlossen:* 1) Diejenigen höchsten und hohen Regierungen bei deren obersten Gerichten Austträgal= I ProceßVerhandlungen bis jetzt statt gefunden haben, oder welche bei solchen als Selbstbe= | theiligte aufgetreten und - und welche sonach die in der bestehenden Ordnung obwalten= | den Mangel und zu stellenden Desiderien aus eigner Erfahrung zu beurteilen am besten | in der Lage waren - werden eingeladen, ihre dießfälligen Ansichten und Wünsche der Bun= | desversammlung sofort vorzulegen, wonach sodann [S. 639] 2) die für die Revision der Austrägalordnung bestehende Commission sich der Arbeit | zu unterziehen haben wird, den im Jahre 1820 vorgelegten Entwurf, mit Hinsicht a. auf I die über dessen Inhalt in der ersten Zeit eingelaufenen Abstimmungen, b. auf die seit | Vorlage desselben ergangenen, einzelne Puncte des Austrägalverfahrens betreffenden Bundes | beschlüsse, - c. auf die in Bezug auf dieses Verfahren seitdem gemachten praktischen Er= | fahrungen, welche der Commission theils aus eigener Prüfung, theils aus den Eröffnungen | beteiligter Regierungen zur Kenntniß gelangen sollten, - umzuarbeiten, auch hierbei auf | die Art. 18, 19 und 20 der Wiener Schlußacte** und insbesodere auf die, den Schutz | des Besitzstandes betreffenden Bestimmungen derselben Rücksicht zu nehmen, und das Pro= | duct dieser Arbeit in thunlich kürzester Frist der Bundesversammlung, zum Behufe neu zu I beginnender Erörterung und Abstimmung, vorzulegen.

[69] Bundesbeschluß zur Unterdrückung des Sklavenhandels vom 19. Juni 1845 Quelle: Protokolle der deutschen Bundes-Versammlung, 21. Sitzung vom 19. Juni 1845, § 227, S. 537 - 538 (gedruckt [loco dictaturae]). Sonstige Fundstelle: P. A. G. Meyer (Hrsg.), Corpus Juris Germaniae Confoederationis oder Staatsacten für Geschichte und öffentliches Recht des Deutschen Bundes, Teil II (Beschlüsse der deutschen Bundesversammlung), 3. Aufl., Frankfurt a. M. 1859, S. 433.

An der Sitzung nahmen folgende Gesandte teil: von Münch-Bellinghausen (für Österreich), von Dönhoff (für Preußen), von Lerchenfeld (für Bayern), Nostitz und Jänckendorf (für Sachsen), von Pechlin (für Hannover und Dänemark wegen Holstein und Lauenburg), von Blomberg (für Württemberg), von Gruben (für Baden und Hessen-Darmstadt), von Rieß (für Kurhessen), von Scherff (für die Niederlande wegen Luxemburg), von Fritsch (für Großherzogtum und Herzogtümer Sachsen), von Röntgen (für Braunschweig und Nassau), von Schack (für Mecklenburg), von Both (für Oldenburg, Anhalt und Schwarzburg), von Holzhausen (für HohenzoUem, Liechtenstein, Reuß, Schaumburg-Lippe, Lippe, Waldeck und Hessen-Homburg), Smidt (für Lübeck, Frankfurt, Bremen und Hamburg). Dok. 43.

790

§ 3: Deutscher Bund

[Dok. 3 1 - 8 4 ]

[S. 537] . .. §. 227. Die Unterdrückung des Sclavenhandels betreffend. (2. Sitz. §. 17; 3. Sitz. §. 35; 4. Sitz. §. 53; 6. Sitz. §. 64; 8. Sitz. 3. 83; 9. Sitz. §. 97; 10. Sitz. §. 104; 11. I Sitz. §. 112; 12. Sitz. §. 125, 13. Sitz. §. 138; 14. Sitz. §. 150; 17. Sitz. §. 178; 19. Sitz. §. 205 u. 20. Sitz. | §. 219 v. J. 1845.) Präsidium legt den nach Maaßgabe der erfolgten Abstimmungen verfaßten Beschluß= | entwurf in Betreff der Unterdrückung des Sclaven== oder Negerhandels vor. Nachdem man denselben erörtert und sich über dessen Fassung vereinigt hatte, er= | folgte der | Beschluß:* In voller und gerechter Anerkennung der Gesinnungen und Grundsätze christlicher | Menschenliebe, welche die Höfe von Großbritannien, Oesterreich, Preussen und Rußland | zu dem wegen Unterdrückung des Negerhandels (traite des negres) am 20. December | 1841 geschlossenen Uebereinkommen veranlagt haben, und von dem Wunsche beseelt, so viel | von ihnen abhängt, auch ihrer Seits zur gänzlichen Ausrottung dieses verbrecherischen | Handels mitzuwirken, haben sich sämmtliche deutsche Regierungen dahin vereinbart, daß | von denselben der Negerhandel allgemein verboten werde. Demgemäß soll, wo dießfalls | durch bestehende Strafgesetze nicht bereits Fürsorge getroffen ist, der Negerhandel gleich dem I Seeraube bestraft, in denjenigen Bundesstaaten aber, deren Gesetzgebung des Seeraubes I nicht besonders erwähnt, mit der Strafe des Menschenraubes oder mit einer ähnlichen I schweren Strafe belegt werden. [S. 538] Auf Präsidialvorschlag wurde zugleich verabredet, den bei dem Deutschen Bunde | accreditirten auswärtigen Gesandtschaften mittelst Präsidialnote eine Abschrift des Beschlusses I mitzutheilen, so wie auch denselben durch die hiesigen Zeitungen veröffentlichen zu lassen.

[70] Bundesbeschluß über die „communistischen Vereine" vom 6. August 1846 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einführungen" die Darstellung unter [139.]. Quelle: Protokolle der deutschen Bundes-Versammlung, 23. Sitzung vom 6. August 1846, § 210, S. (536 - 537) 538 (gedruckt [Loco dictaturae]). Sonstige Fundstelle: P. A. G. Meyer (Hrsg.), Corpus Juris Germaniae Confoederationis oder Staatsacten für Geschichte und öffentliches Recht des Deutschen Bundes, Teil II (Beschlüsse der deutschen Bundesversammlung), 3. Aufl., 1859, S. 440 - 441. [S. 536] §.210. Präsidialproposition wegen Vollziehung des §. 2 des Bundesbeschlusses vom 5. Juli 1832 hinsichtlich des Verbots der Vereine für politische Zwecke.

An der Sitzung nahmen folgende Gesandte teil: von Münch-Bellinghausen (für Österreich), von Dönhoff (für Preußen), von Oberkamp (für Bayern), Nostitz und Jänckendorf (für Sachsen), von Lenthe (für Hannover), von Blomberg (für Württemberg), von Blittersdorff (für Baden), von Rieß (für Kurhessen), von Gruben (für Hessen-Darmstadt), von Pechlin (für Dänemark wegen Holstein und Lauenburg), von Scherff (für die Niederlande wegen Luxemburg), von Fritsch (für Großherzogtum und Herzogtümer Sachsen), von Wintzingeroda (für Braunschweig und Nassau), von Schack (für Mecklenburg), von Both (für Oldenburg, Anhalt und Schwarzburg), von Holzhausen (für Hohenzollern, Liechtenstein, Reuß, Schaumburg-Lippe, Lippe, Waldeck und Hessen-Homburg), von Meyer (für Lübeck, Frankfurt, Bremen und Hamburg).

[71 ] Bundesbeschluß über die Einführung der Preßfreiheit vom 3. März 1848

791

...[S. 538]... Es wurde sonach dem Präsidialantrage gemäß | beschlossen:^ daß communistische Vereine als unter die Bestimmungen des §. 2 der Beschlüsse vom | 5. Juli 1832^ ausdrücklich zu subsumiren angesehen werden, wobei sich von selbst verstehe, I daß die Urheber, Häupter und Theilnehmer solcher Vereine, soweit dieselben hochverräthe= | rische Zwecke verfolgen, in allen Bundesstaaten die Strafe des Hochverrates, nach Maaß= I gäbe der bestehenden Landesgesetze, zu gewärtigen haben sollen.

[71] Bundesbeschluß über die Einführung der Preßfreiheit vom 3. IVIärz 1848 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einführungen" die Darstellung unter [126.]. Quelle: Protokolle der deutschen Bundes-Versammlung, 12. Sitzung vom 3. März 1848, § 119, S. 201 (202 - 203) - gedruckt. Sonstige Fundstellen: E. R. Huber (Hrsg.), Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte, Bd. 1: Deutsche Verfassungsdokumente 1803 - 1850, 3. Aufl., 1978, Nr. 75; P. A. G. Meyer (Hrsg.), Corpus Juris Germaniae Confoederationis oder Staatsacten für Geschichte und öffentliches Recht des Deutschen Bundes, Teil II (Beschlüsse der deutschen Bundesversammlung), 3. Aufl., Frankfurt a. M. 1859, S. 461. [S. 201] §.119. Die Bundes=Preßangelegenheiten betreffend. ...[S. 202] Bei der hierauf gehaltenen | Umfrage | erklären sich - mit Ausnahme der Stimmen von Oesterreich, Hannover und Kur= | hessen, wobei der Königlich Hannoverische Herr Gesandte insbesondere | bemerkte, dass er, noch zur Zeit ohne Instruction, sich außer Stande sehe, abzustimmen | und, im Hinblick auf den Artikel 65 der Wiener Schlußacte vom 15. Mai 1820*^, zu dem | Beschlüsse mitzuwirken, vielmehr seiner allerhöchsten Regierung Erklärung vorbehalte - | sämmtliche übrigen Stimmen mit dem beantragten Beschlüsse einverstanden, wobei

An der Sitzung nahmen folgende Gesandte teil: von Münch-Bellinghausen (für Österreich und Preußen), von Blittersdorff (für Bayern und Baden), Nostitz und Jänckendorf (fur Sachsen), von Lenthe (für Hannover), von Blomberg (Württemberg), von Schack (für Kurhessen sowie für Mecklenburg), von Gruben (für Hessen-Darmstadt), von Pechlin (für Dänemark wegen Holstein und Lauenburg), von Grünne (für die Niederlande wegen Luxemburg), von Beust (für Großherzogtum und Herzogtümer Sachsen), von Scherff (für Braunschweig und Nassau), von Both (für Oldenburg, Anhalt und Schwarzburg), von Holzhausen (für Hohenzollem, Liechtenstein, Reuß, Schaumburg-Lippe, Lippe, Waldeck und Hessen-Homburg), Smidt (für Lübeck, Frankfurt, Bremen und Hamburg). Dok. 51. Dok. 43.

792

§3: Deutscher Bund

[Dok. 3 1 - 8 4 ]

[S. 203] Beschluß:^ 1) Jedem deutschen Bundesstaate wird freigestellt, die Censur aufzuheben und Preß= | freiheit einzuführen. 2) Dieß darf jedoch nur unter Garantieen geschehen, welche die anderen deutschen Bun= I desstaaten und den ganzen Bund gegen den Mißbrauch der Preßfreiheit möglichst sicher= | stellen. 3) Vorstehende Bestimmungen sind sofort öffentlich zu verkündigen.

[72] Bundesbeschluß über Wappen und Farben des Deutschen Bundes vom vom 9. März 1848 Quelle: Protokolle der deutschen Bundes-Versammlung, 16. Sitzung vom 9. März 1848, § 137, S. 234 (235)-gedruckt. Sonstige Fundstellen: E. R, Huber (Hrsg.), Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte, Bd. 1: Deutsche Verfassungsdokumente 1803 - 1850, 3. Aufl., 1978, Nr. 76; P. A. G. Meyer (Hrsg.), Corpus Juris Germaniae Confoederationis oder Staatsacten für Geschichte und öffentliches Recht des Deutschen Bundes, Teil II (Beschlüsse der deutschen Bundesversammlung), 3. Aufl., Frankfurt a. M. 1859, S. 465. [S. 234] §. 137. Das Wappen und die Farben des Deutschen Bundes betreffend. Nach ausführlicher Besprechung dieses Gegenstandes, wurde dem Ausschußantrage ein= I hellig beigestimmt, wobei der Königlich=Niederländische Großherzoglich= | Luxemburgische Herr Gesandte insbesondere äusserte, daß er der allgemeinen | Maaßregel der Annahme eines Bundeswappens unter dem Vorbehalte einer weitem Er= | klärung über die Anwendung desselben beitrete. Es erfolgte demnach der | Beschluß: Die Bundesversammlung erklärt den alten deutschen Reichsadler mit der Umschrift | „Deutscher Bund" und die Farben des ehemaligen deutschen Reichspaniers - schwarz, [S. 235] roth, gold - zu Wappen und Farben des Deutschen Bundes, und behält sich vor, | wegen der Anwendung derselben nach Erstattung des Ausschußvortrags das Weitere zu | beschließen. Dönhoff I Gasser. | Nostitz und Jänkendorf | Lenthe. | Blomberg. | Blittersdorff | Rieß. | Gruben. | Pechlin. | Scherff | Fritsch. | Wintzingerode. | Schack. | Both. | Holzhausen. | Curtius.

An der Sitzung nahmen folgende Gesandte teil: von Dönhoff (für Österreich und Preußen), von Gasser (für Bayern), Nostitz und Jänckendorf (für Sachsen), von Lenthe (für Hannover), von Blomberg (für Württemberg), von Blittersdorff (für Baden), von Rieß (für Kurhessen), von Gruben (für Hessen-Darmstadt), von Pechlin (für Dänemark wegen Holstein und Lauenburg), von Scherff (für die Niederlande wegen Luxemburg), von Fritsch (für Großherzogtum und Herzogtümer Sachsen), von Wintzingeroda (für Braunschweig und Nassau), von Schack (für Mecklenburg), von Both (für Oldenburg, Anhalt und Schwarzburg), von Holzhausen (für Hohenzollem, Liechtenstein, Reuß, Schaumburg-Lippe, Lippe und Waldeck), Curtius (für Lübeck, Frankfurt, Bremen und Hamburg).

[74] Bundesbeschluß vom 30. März 1848

793

[73] Bundesbeschluß über die Berufung von Männern des allgemeinen Vertrauens vom 10. März 1848 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einführungen" die Darstellung unter [270,]. Quelle: Protokolle der deutschen Bundes-Versammlung, 17. Sitzung vom 10. März 1848, §140, S. 237 (238)-gedruckt Sonstige Fundstellen: E. R. Huber (Hrsg.), Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte, Bd. 1: Deutsche Verfassungsdokumente 1803 - 1850, 3. Aufl., 1978, Nr. 77; P. A. G. Meyer (Hrsg.), Corpus Juris Germaniae Confoederationis oder Staatsacten für Geschichte und öffentliches Recht des Deutschen Bundes, Teil II (Beschlüsse der deutschen Bundesversammlung), 3. Aufl., Frankfurt a. M. 1859, S. 466. [S. 237] §. 140. Die dermalige Lage des Deutschen Bundes, insbesondere die Revision der Bundes= | Verfassung betreffend. ...[S. 238] . . . Nach ausführlicher Erörterung des Ausschußantrages erfolgte der | Beschluß: sämmtliche Bundesregierungen einzuladen, Männer des allgemeinen Vertrauens, und | zwar für jede der 17 Stimmen des engem Raths einen, alsbald (spätestens bis zu Ende | dieses Monats) mit dem Auftrage hierher abzuordnen, der Bundesversammlung und deren | Ausschüssen zum Behufe der Vorbereitung der Revision der Bundesverfassung mit gutacht= I lichem Beirath an die Hand zu gehen. Dönhoff I Gasser. | Nostitz und Jänkendorf. | Lenthe. | Blomberg. | Blittersdorff | Rieß. | Gruben. | Pechlin. | Scherff | Fritsch. | Wintzingerode. | Schack. | Both. | Holzhausen. | Curtius.

[74] (Erster) Bundesbeschluß über die Wahl der deutschen Nationalversammlung vom 30. März 1848 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einführungen" die Darstellung unter [270.]. Quelle: Protokolle der deutschen Bundes-Versammlung, 26. Sitzung vom 30. März 1848, §209, S. 315 (317)-gedruckt. Sonstige Fundstellen: E. R. Huber (Hrsg.), Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte, Bd. 1: Deutsche Verfassungsdokumente 1803 - 1850, 3. Aufl., 1978, Nr. 82; P. A. G. Meyer (Hrsg.), Corpus Juris Germaniae Confoederationis oder Staatsacten für Geschichte und öffentliches Recht des Deutschen Bundes, Teil II (Beschlüsse der deutschen Bundesversammlung), 3. Aufl., Frankfurt a. M. 1859, S. 470. [S 315] §. 209. Die Revision der Bundesverfassung betreffend. ...[S317]...

Beschluß: Zu beschleunigter Entwerfung der Grundlagen einer neuen Bundesverfassung hat die | Bundesversammlung mit einleitenden Arbeiten zu diesem Zwecke unter Zuziehung von Män= I nem des öffentlichen Vertrauens bereits begonnen. Zu weiterer Förderung dieser wichtigen Angelegenheit beschließt dieselbe, die Bundes= I regierungen aufzufordern, in ihren sämmtlichen, dem deutschen Staatensystem angehörigen | Provinzen auf verfassungsmäßig bestehendem oder sofort einzuführendem Wege Wahlen von | Nationalvertretem anzuordnen, welche am Sitze der Bundesversammlung an

794

§ 3: Deutscher Bund

[Dok. 31 - 84]

einem schleunigst | festzustellenden, möglichst kurzen Termine zusammenzutreten haben, um zwischen den Regie= | rungen und dem Volke das deutsche Verfassungswerk zu Stande zu bringen. Da der Drang der Umstände die einstweilige Annahme eines bestimmten Maaßstabes | der Bevölkerung, nach welchem die gedachten Volksvertreter in jedem Bundesstaate zu er= I wählen sind, erforderlich macht, so erscheint es zweckmäßig, in Bezug auf die bisherigen I Bestandtheile des Bundes das bestehende Bundes=Matrikularverhältniß dabei zum Grunde | zu legen, und die Aufforderung dahin zu richten, daß auf 70,000 Seelen der Bevölkerung I jedes Bundesstaates ein Vertreter zu wählen, auch denjenigen Staaten, deren Bevölkerung | nicht 70,000 Seelen beträgt, die Wahl eines Vertreters zuzugestehen. Zugleich wurde verabredet, vorstehenden Beschluß durch die hiesigen Zeitungen zu ver= I öffentlichen. Colloredo. 1 Dönhoff. | Willich. | Nostitz und Jänkendorf | Lenthe. | Blomberg. | Welcker. I Rieß. | Lepel. | Pechlin. | Scherff | Fritsch. | Wintzingerode. | Schack. | Both. | Holzhausen. I Curtius.

[75] Bundesbeschluß über die Aufhebung der Bundes-Ausnahmegesetze aus dem Jahre 1819 vom 2. April 1848 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einführungen" die Darstellungen unter [121.] [123.] [155.] [212.] [243.]. Quelle: Protokolle der deutschen Bundes-Versammlung, 27. Sitzung vom 2. April 1848, § 209, S. 326 - 327 (gedruckt). Sonstige Fundstellen: P. A. G. Meyer (Hrsg.), Corpus Juris Germaniae Confoederationis oder Staatsacten für Geschichte und öffentliches Recht des Deutschen Bundes, Teil II (Beschlüsse der deutschen Bundesversammlung), 3. Aufl., Frankfurt a. M. 1859, S. 475 - 476; H. A. Zachariae (Hrsg.), Die deutschen Verfassungsgesetze der Gegenwart, 1855, S. 41 43. [S. 326] §.214. Antrag der freien Stadt Frankfurt wegen Aufhebung der seit dem Jahre 1819 er= | lassenen Ausnahmegesetze. Beschlußentwurf Auf den in der 22. Sitzung vom 23. März d. J. §. 176 erfolgten Antrag der | freien Städte für Frankfurt, daß, da die seit dem Jahre 1819 erlassenen sogenannten | Ausnahmsgesetze des Deutschen Bundes unter veränderten Umständen bereits allenthalben | [S. 327] ausser Wirksamkeit getreten, dieselben auch von Seiten des Deutschen Bundes | förmlich als aufgehoben und beseitigt zu erklären seyen; beschließt die Bundesversamm= | lung: daß die gedachten beanstandeten Ausnahmsgesetze und Beschlüsse für sämmtliche | Bundesstaaten aufgehoben, mithin als bereits völlig beseitigt zu betrachten, und wo | es noch erforderlich befunden werden sollte, darüber die nöthigen Bekanntmachungen | zu erlassen seyen.

[76] „Bundeswahlgesetz" vom 7. April 1848

795

Nach statt gefundener Erörterung wurde der vorstehend beantragte Beschluß genehmigt.*

[76] (Zweiter) Bundesbeschluß über die Wahl der deutschen Nationalversammlung („Bundeswahlgesetz") vom 7. April 1848 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einführungen" die Darstellung unter [273.]. Quelle: Protokolle der deutschen Bundes-Versammlung, 29. Sitzung vom 7. April 1848, § 238, S. 348 (353) - gedruckt. Sonstige Fundstellen: E. R. Huber (Hrsg.), Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte, Bd. 1: Deutsche Verfassungsdokumente 1803 - 1850, 3. Aufl., 1978, Nr. 83; P. A. G. Meyer (Hrsg.), Corpus Juris Germaniae Confoederationis oder Staatsacten für Geschichte und öffentliches Recht des Deutschen Bundes, Teil II (Beschlüsse der deutschen Bundesversammlung), 3. Aufl., Frankfurt a. M. 1859, S. 479 - 448. [S. 348] §. 238. Die Revision der Bundesverfassung betreffend. ...[S. 353] .. . Bei der Umfrage, bei welcher der Königlich=Dänische, Herzoglich=Hol= | stein= und Lauenburgische Gesandte sich der Abstimmung enthielt, traten sämmt= | liehe übrigen Gesandtschaften den Anträgen des Ausschusses bei; daher Beschluß:*' Daß die Bundesversammlung, in Berücksichtigung des immittelst bekannt gewordenen | öffentlichen Wunsches und gestützt auf das einstimmige Gutachten der ihr beigeordneten | Männer des öffentlichen Vertrauens, ihren Beschluß vom 30. v. M. in Beziehung auf | die Verhältnißzahl der Vertretung dahin abändere und femer in der Weise vervollständige, daß 1) die Wahl der Vertreter des Volks zu der constituirenden deutschen Nationalver= | Sammlung so zu geschehen habe, daß, unter Beibehaltung des Verhältnisses der Bundes= | matrikel, je nach 50,000 Seelen ein Vertreter gewählt werde, daß, wenn der Ueberschuß | der Bevölkerung 25,000 Seelen übersteigt, ein weiterer Abgeordneter zu wählen sey, und | daß jeder kleinere Staat, dessen Bevölkerung nicht 50,000 Seelen erreicht, einen Vertreter | zu wählen habe;

An der Sitzung nahmen folgende Gesandte teil: von Colloredo-Wallsee (für Österreich), von Dönhoff (für Preußen), Willich (für Bayern), Nostitz und Jänckendorf (für Sachsen), von Lenthe (für Hannover und Kurhessen), von Blomberg (für Württemberg), Welcker (für Baden), von Lepel (für Hessen-Darmstadt), von Pechlin (für Dänemark wegen Holstein und Lauenburg), von Scherff (für die Niederlande wegen Luxemburg), von Fritsch (für Großherzogtum und Herzogtümer Sachsen), von Wintzingeroda (für Braunschweig und Nassau), von Schack (für Mecklenburg), von Both (für Oldenburg, Anhalt und Schwarzburg), von Holzhausen (für Hohenzollern, Liechtenstein, Reuß, Schaumburg-Lippe, Lippe und Waldeck), Curtius (für Lübeck, Frankfurt, Bremen und Hamburg). An der Sitzung nahmen folgende Gesandte teil: von Colloredo-Wallsee (für Österreich), von Dönhoff (für Preußen), Willich (für Bayern), Nostitz und Jänckendorf (für Sachsen), von Lenthe (für Hannover), von Blomberg (für Württemberg), von Wintzingerode (für Baden und für Braunschweig und Nassau), von Schack (für Kurhessen sowie für Mecklenburg), von Lepel (für HessenDarmstadt), von Pechlin (für Dänemark wegen Holstein und Lauenburg), von Scherff (für die Niederlande wegen Luxemburg), von Fritsch (für Großherzogtum und Herzogtümer Sachsen), von Both (für Oldenburg, Anhalt und Schwarzburg), von Holzhausen (für Hohenzollern, Liechtenstein, Reuß, Schaumburg-Lippe, Lippe und Waldeck), Curtius (für Lübeck, Frankfurt, Bremen und Hamburg).

796

§3: Deutscher Bund

[Dok. 3 1 - 8 4 ]

2) daß in Beziehung auf die Wahl der Abgeordneten zur constituirenden Versamm= | lung auf jeden Fall bei der Wählbarkeit keine Beschränkung durch Vorschriften über gewisse | Eigenschaften in Beziehung auf Wahlcensus oder Bekenntniß einer bestimmten Religion vor= | kommen und eine Wahl nach bestimmten Ständen nicht angeordnet werden könne; 3) daß als wahlberechtigt und als wählbar jeder volljährige, selbständige Staats^ | angehörige zu betrachten sey; 4) daß jeder Deutsche, wenn er die voranstehenden Eigenschaften besitzt, wählbar, | und dann es nicht nothwendig sey, daß er dem Staate angehöre, welchen er bei der Ver= I Sammlung vertreten soll; 5) daß auch die politischen Flüchtlinge, wenn sie nach Deutschland zurückkehren und I ihr Staatsbürgerrecht wieder angetreten haben, wahlberechtigt und wählbar sind; 6) endlich, daß dieselbe die höchsten Regierungen ersuche, diese Wahlen so zu beschleus I nigen, daß, wo möglich, die Sitzungen der Nationalversammlung am 1. Mai beginnen | können.

[77] Erklärung der Bundesversammlung zur Übertragung ihrer Zuständigkeiten auf die provisorische Reichsgewalt vom 12. Juli 1848 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einftihrungen" die Darstellung unter [275.] [328.]. Quelle: Protokolle der deutschen Bundes-Versammlung, 71. Sitzung vom 12. Juli 1848, S. 755 - 756 (gedruckt). [S. 755] Präsidium eröffnete die heutige Plenarversammlung mit der Anzeige, daß Seine Kai= | serliche Hoheit der Durchlauchtigste Herr Erzherzog=Reichsverweser die | hohe Würde eines Regenten Deutschlands in einer diesen Vormittag stattfindenden feierlichen | Sitzung der deutschen Nationalversammlung antreten werde und die Bundesversammlung in Folge | dessen Seine Kaiserliche Hoheit durch eine an Höchstdieselben zu entsendende Deputation geziemend | einzuladen hätte, nach Beendigung jener Feierlichkeit in ihrer Mitte erscheinen zu wollen, | um die Ausübung der verfassungsmäßigen Befugnisse und Verpflichtungen, welche der Bun= | desversammlung zugestanden haben und nunmehr Namens der deutschen Regierungen auf die | provisorische Centralgewalt zu übertragen, beziehungsweise in die Hände Seiner Kaiserlichen | Hoheit als Verweser des deutschen Reiches zu legen seyn werden, mit der von der Bundes^ | Versammlung als Organ dieser Regierungen gleichzeitig abzugebenden Zusicherung entgegen^ | zunehmen, daß dieselben der Centralgewalt ihre Mitwirkung zu allen Verfugungen, welche | Deutschlands Macht im Innern wie nach Aussen begründen und befestigen sollen, freudig | bieten werden.

[78] „Bundesreaktionsbeschluß" vom 23, August 1851

797

Diesem Präsidialantrage wurde allseitig beigestimmt, und sonach | beschlossen:^ zu geeigneter Stunde eine Deputation an seine Kaiserliche Hoheit den Herrn | Erzherzog=Reichsverweser zu entsenden [S. 756] Hierauf wurden die Einleitungen besprochen, welche behufs der Geschäftsübergabe an | die Organe der provisorischen Reichs=Centralgewalt erforderhch seyn werden, und ward in I Folge dieser Berathung der einhellige | Beschluß | gefaßt: das Präsidium zu ermächtigen, nicht nur bezüglich dieser Uebergabe, sondern auch bis | zur Beendigung derselben alle nöthigen Verfugungen zu treffen, welche ein ununterbrochener I Gang der bisherigen laufenden Verwaltungsgeschäfte der Bundesversammlung nöthig machen | wird,

[78] Bundesbeschluß „zur Wahrung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung im Deutschen Bund zu treffenden IVIaßregeln" („Bundesreaktionsbeschluß") vom 23. August 1851 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einführungen" die Darstellung unter [156.]. Quelle: Protokolle der deutschen Bundes-Versammlung, 20. Sitzung vom 23. August 1851, § 120, S. 269 (271) - 272 (gedruckt). Sonstige Fundstellen: E. R. Huber (Hrsg.), Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte, Bd. 2: Deutsche Verfassungsdokumente 1851-1900, 3. Aufl., 1986, Nr. 1; P.A. G. Meyer (Hrsg.), Corpus Juris Germaniae Confoederationis oder Staatsacten für Geschichte und öffentliches Recht des Deutschen Bundes, Teil II (Beschlüsse der deutschen Bundesversammlung), 3. Aufl., Frankfurt a. M. 1859, S. 560-561; H. A. Zachariae (Hrsg.), Die deutschen Verfassungsgesetze der Gegenwart, 1855, S. 43 - 50. [S. 269] §. 120. Die zur Wahrung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung im Deutschen Bunde | zu treffenden Maaßregeln betreffend. ...[S. 271] . . . Mit Stimmenmehrheit erfolgte nunmehr in Gemäßheit der Ausschußanträge der Beschluß:^

An der Sitzung nahmen folgende Gesandte teil: von Schmerling (für Österreich), von Usedom (für Preußen), Todt (für Sachsen und Hessen-Darmstadt), von Closen (für Bayern), von Wangenheim (für Hannover), von Stemenfels (für Württemberg), von Madai (für Baden und für Dänemark wegen Holstein), Jordan (für Kurhessen), von Scherff (fiir die Niederlande wegen Luxemburg), Karsten (für Mecklenburg), Liebe (für Nassau und Braunschweig), Perthes (für Großherzogtum Sachsen, Sachsen-Meiningen-Hildburghausen und Sachsen-Altenburg), von Stockmar (für Sachsen-CoburgGotha), Mosle (für Oldenburg, Anhalt, Schwarzburg), von Holzhausen (für Hohenzollem, Liechtenstein, Waldeck, Reuß, Schaumburg-Lippe und Hessen-Homburg), Petri (für Lippe), von der Hude (für Lübeck und Bremen), Souchay (für Frankfurt), Lutteroth-Legat (für Hamburg). An der Sitzung nahmen folgende Gesandte teil: von Thun-Hohenstein (für Österreich), von Rochow (für Preußen), von Xylander (für Bayern), Nostitz und Jänckendorf (für Sachsen), von Scheie (fiir Hannover), von Reinhard (für Württemberg), Marschall von Bieberstein (für Baden), von Trott (für Kurhessen), von Münch-Bellinghausen (für Hessen-Darmstadt), Kammerherr von Bülow (für Dänemark wegen Holstein und Lauenburg), von Scherff (für die Niederlande wegen Luxemburg), von Fritsch (für Großherzogtum und Herzogtümer Sachsen sowie für Oldenburg, Anhalt und Schwarzburg), von Düngern (für Braunschweig und Nassau), von Oertzen (für Mecklenburg), von Holzhau-

798

§ 3 : Deutscher Bund

[Dok. 3 1 - 8 4 ]

I. Durch Art. II der Bundesacte^ und Art. I der Wiener Schlußacte**, welche als | Zweck des Bundes die äußere und innere Sicherheit des Bundes voranstellen, und in Er= | wägung, daß die Sicherheit des ganzen Bundes nothwendig von der Ruhe und Ordnung | in den einzelnen Bundesstaaten bedingt ist, hält sich die Bundesversammlung, gestützt auf | die Bestimmungen der Bundesgrundgesetze, für berechtigt und für verpflichtet, dafür Sorge | zu tragen, daß in keinem Bundesstaate Institutionen und Zustände bestehen, welche für die | innere Ruhe und Ordnung desselben und dadurch für die allgemeine Sicherheit des Bundes | bedrohlich sind. Die Bundesversammlung fordert daher die hohen Bundesregierungen auf, I die in den einzelnen Bundesstaaten, namentlich seit dem Jahre 1848 getroffenen staatlichen Ein== | richtungen und erlassenen gesetzlichen Bestimmungen einer sorgfältigen Prüfung zu unterwer= | fen und dann, wenn sie mit den Grundgesetzen des Bundes nicht in Einklang stehen, diese | nothwendige Uebereinstimmung ohne Verzug wieder zu bewirken. Wenn die Bundesversammlung nun auch die zuversichtliche Erwartung hegt, daß alle | hohen Bundesregierungen diese unerläßliche Uebereinstimmung durch alle gesetzlichen Mittel | herzustellen bemüht seyn, und durch ihr eigenes Verhalten in Fragen der öffentlichen Ord= | nung den Grundgesetzen des Bundes volle Genüge leisten werden, so muß sie sich ihre ver= | fassungsmäßige Einwirkung doch für die Fälle vorbehalten, wenn solche als nothwendig | erkannte Abänderungen auf Hindemisse stoßen sollten, und sie wird hierbei in Erwägung | ziehen, welche innerhalb ihrer Competenz liegenden Mittel und Wege, namentlich ob die Ab= | sendung von besonders zu instmirenden Commissionen zur Erreichung des oben ausgespro= | ebenen Zweckes in Anwendung zu bringen sind. Sie beschließt, einen eigenen Ausschuß aus ihrer Mitte zu bestellen, welcher über die | zu einer solchen Einwirkung sich eignenden Fälle ohne Verzug Bericht zu erstatten und | dabei jedesmal über die Art und Weise derselben sein Gutachten abzugeben haben wird. II. Die Bundesversammlung beauftragt femer den am 10. Juli in Folge der in | Dresden abgehaltenen Ministerialconferenzen niedergesetzten politischen Ausschuß mit möglich= | ster Beschleunigung allgemeine Bundesbestimmungen zu Verhindemng des Mißbrauchs der | Preßfreiheit in Vorschlag zu bringen, und fordert die höchsten und hohen Bundesregiemngen | auf, auch vor Erlassung dieser Vorschriften durch alle gesetzlichen Mittel die Unterdrückung | der Zeitungen und Zeitschriften unter Bestrafung der Schuldigen herbeizuführen, welche | atheistische, socialistische oder communistische, oder auf den Umsturz der Monarchie gerichtete | Zwecke verfolgen und insbesondere auch dafür Sorge zu tragen, daß es an ausreichenden | gesetzlichen Mitteln hierzu in den einzelnen Bundesländern nicht fehle. [S. 272] Damit dem Ausschusse die Fördemng der Bundes=Preßgesetzgebung möglich werde, | ist die Bundesversammlung geneigt, demselben einen oder mehrere Fachmänner zu Bearbeitung | der Vorlagen beizuordnen und sieht den Anträgen des Ausschusses über die Wahl derselben | entgegen.

sen (für Hohenzollern, Liechtenstein, Reuß, Schaumburg-Lippe, Lippe und Waldeck), Brehmer (für Lübeck, Frankfurt, Bremen und Hamburg). Dok. 31. Dok. 43.

[80] Geschäftsordnung der Bundesversammlung vom 16. Juni 1854

799

[79] Bundesbeschluß über die Aufhebung der „Grundrechte des deutschen Volkes" vom 23. August 1851 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einfuhrungen" die Darstellungen unter [170.] [243.]. Quelle: Protokolle der deutschen Bundes-Versammlung, 20. Sitzung vom 23. August 1851, § 121, S. 272 (274)-gedruckt. Sonstige Fundstellen: E. R. Huber (Hrsg.), Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte, Bd. 2: Deutsche Verfassungsdokumente 1851-1900, 3. Aufl., 1986, Nr. 2; P. A. G. Meyer (Hrsg.), Corpus Juris Germaniae Confoederationis oder Staatsacten für Geschichte und öffentliches Recht des Deutschen Bundes, Teil II (Beschlüsse der deutschen Bundesversammlung), 3. Aufl., Frankfurt a. M. 1859, S. 561. [S. 272] . . . §.121. Antrag von Oesterreich und Preussen in Betreff der sogenannten Grundrechte des | deutschen Volks. ...[S. 274] Es wurde hierauf mit Stimmenmehrheit | beschlossen:^ die in Frankfurt unter dem 27. December 1848 erlassenen**, in dem Entwürfe einer | Verfassung des deutschen Reichs vom 28. März 1849*^ wiederholten sogenannten Grund= | rechte des deutschen Volks können weder als Reichsgesetz, noch, so weit sie nur auf Grund | des Einflihrungsgesetzes vom 27. December 1848, oder als Theil der Reichsverfassung in I den einzelnen Staaten fur verbindlich erklärt sind, für rechtsgültig gehalten werden. Sie I sind deßhalb in so weit in allen Bundesstaaten als aufgehoben zu erklären. Die Regiemn= | gen derjenigen Staaten, in denen Bestimmungen der Grundrechte durch besondere Gesetze | in's Leben gerufen sind, sind verpflichtet, sofort die erforderlichen Einleitungen zu treffen, | um diese Bestimmungen außer Wirksamkeit zu setzen, in so fem sie mit den Bundesgesetzen | oder den ausgesprochenen Bundeszwecken in Widerspruch stehen.

[80] Geschäftsordnung der Bundesversammlung vom 16. Juni 1854 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einführungen" die Darstellung unter [98.]. Quelle: Protokolle der deutschen Bundes-Versammlung, 17. Sitzung vom 16. Juni 1854, § 181 S. 528-529 (Beschluß), Beilage zu § 181, S. 549-556 (Geschäftsordnung) - gedruckt. Sonstige Fundstelle: P. A. G. Meyer (Hrsg.), Corpus Juris Germaniae Confoederationis oder Staatsacten für Geschichte und öffentliches Recht des Deutschen Bundes, Teil II (Beschlüsse der deutschen Bundesversammlung), 3. Aufl., Frankfurt a. M. 1859, S. 596 - 601 (Text der Geschäftsordnung). An der Sitzung nahmen folgende Gesandte teil: von Prokesch-Osten (für Österreich), von BismarckSchönhausen (für Preußen), von Schrenk (für Bayern), Nostitz und Jänckendorf (für Sachsen), von Kielmannsegge (für Hannover), von Reinhard (für Württemberg), Marschall von Bieberstein (für Baden), von Trott (für Kurhessen), von Münch-Bellinghausen (für Hessen-Darmstadt), von Bülow (für Dänemark wegen Holstein und Lauenburg), von Scherff (für die Niederlande wegen Luxemburg), von Fritsch (für Großherzogtum und Herzogtümer Sachsen), von Düngern (für Braunschweig und Nassau), von Oertzen (für Mecklenburg), von Eisendecher (für Oldenburg, Anhalt und Schwarzburg), von Holzhausen (für Hohenzollem, Liechtenstein, Reuß, Schaumburg-Lippe, Lippe und Waldeck), Smidt (für Lübeck, Frankfurt, Bremen und Hamburg). Dok. 105. Dok. 106.

800

§ 3 : Deutscher Bund

[Dok. 3 1 - 8 4 ]

fS. 528] . . . §.181. Die Revision der Geschäftsordnung der Deutschen Bundesversammlung betr. (12. Sitz. §. 140 v.J. 1854.) Präsidium schreitet hierauf zur Abstimmung über den in der Bundestags=Sitzung | vom 4. V. M., Protokoll §. 140, von dem betreffenden Ausschusse vorgelegten Entwurf] einer revidirten Geschäftsordnung. Derselbe war in zwei vertraulichen Sitzungen einer ausfiihrlichen Berathung unterwor= | fen worden, in Folge deren zu I, §§, 8, 18, 20; II, §. 5; III, §§. 2, 3; V, §. 1 | einige nur die Fassung betreffende Aenderungen, zu I, §. 12 aber behufs Beseitigung er= | [S. 529] hobener Zweifel ein dem Geiste der Bundesgrundgesetze entsprechender Zusatz beliebt | worden waren. Nachdem nur der Gesandte von Württemberg bemerkt hatte, daß er zwar für | Beibehaltung der seitherigen Bestimmungen des §. 12 einzig unter der Abänderung der Zahl 46 in 44 I zu stimmen habe, weil dieselben zu gleicher Zeit die Grenzen der Fähigkeit der Bundesversammlung | zu Ziehung von Beschlüssen, soweit dieß die Besetzung des Collegiums betrifft, präciser festsetzten, | falls aber die diesseitige Ansicht nicht die Mehrheit der Stimmen flir sich gewinnen sollte, nicht ge= | gen die Annahme des neuen Entwurfs der Geschäftsordnung stimmen solle, - wurde unter all= | seitiger Zustimmung | beschlossen:^ die in der Beilage zu gegenwärtigem Protokolle enthaltenen Bestimmungen, unter Auf= I hebung der vorläufigen Geschäftsordnung vom 14. November 1816** und der dieselbe ergän= | zenden Beschlüsse, in soweit sie hier einer Abänderung unterworfen werden, zu genehmigen | und als definitive Geschäftsordnung der Bundesversammlung bei den Ver= | handlungen derselben fortan zur Richtschnur zu nehmen. [S. 549] Beilage | zu §. 181 des Protokolls der 17. Sitzung der Deutschen Bundesver= | Sammlung vom 16. Juni 1854. Geschäftsordnung der Deutschen Bundesversammlung. I. Ordnung der Sitzungen. §.1. Die Sitzungen der Bundesversammlung werden bis auf Weiteres im Taxis'sehen Palaste, I mindestens wöchentlich einmal, und zwar regelmäßig Donnerstags, gehalten.

An der Sitzung nahmen folgende Gesandte teil: von Prokesch-Osten (für Österreich), von BismarckSchönhausen (für Preußen), von Schrenk (für Bayern), Nostitz und Jänckendorf (für Sachsen), von Kielmannsegge (für Hannover), von Reinhard (für Württemberg), Marschall von Bieberstein (für Baden), von Trott (für Kurhessen), von Münch-Bellinghausen (für Hessen-Darmstadt), von Bülow (für Dänemark wegen Holstein und Lauenburg), von Scherff (für die Niederlande wegen Luxemburg), von Fritsch (für Großherzogtum und Herzogtümer Sachsen), von Düngern (für Braunschweig und Nassau), von Oertzen (für Mecklenburg), von Eisendecher (für Oldenburg, Anhalt und Schwarzburg), von Strauß (für Liechtenstein, Reuß, Schaumburg-Lippe, Lippe, Waldeck und Hessen-Homburg), Smidt (für Lübeck, Frankfurt, Bremen und Hamburg). Dok. 32.

[80] Geschäftsordnving der Bundesversammlung vom 16. Juni 1854

801

§•2.

^Bei gehäuften Geschäften, oder in besonderen Fällen, oder auf den Antrag einzelner | Gesandten, finden außerordentliche Sitzungen in Gemäßheit deßfallsiger Verabredungen oder I einer Ansage des Präsidiums statt. Hn der Einladung wird der Grund der außerordent= I liehen Sitzung angegeben. §.3. Aus der Beschaffenheit der jedesmaligen Gegenstände der Verhandlung geht hervor, ob I sich, nach Maßgabe der Bundesacte, bloß die engere Bundesversammlung oder auch das I Plenum mit denselben zu beschäftigen habe. §.4. Die Sitzungen sind theils formlich, theils vertraulich. §.5. ^Die vertraulichen Sitzungen dienen zum Zweck vorläufiger Erörterung und Austauschung I der Ansichten. '^Sie sind ohne amtliche Form und Wirkung. ^Es wird deßhalb während der= I selben kein Protokoll aufgenommen, und kein Gesandter ist an die hierin abgegebenen Aeuße= I Hingen gebunden. §.6. ^Mit formlichen und vertraulichen Berathungen wird, den Umständen nach auch in der | nämlichen Sitzung abgewechselt. ^Insbesondere soll eine vertrauliche Erörterung und Bespre= | chung jeweils stattfinden, bevor Termin zur Abstimmung über einen Gegenstand angesetzt wird, | oder wo nach erfolgter Abstimmung noch eine Verschiedenheit der Ansichten auszugleichen ist. §.7. ^Die Ansage und, bei eintretender Verhinderung, die Absage der Sitzung steht dem | Präsidium zu. ^Der Grund der Absagung wird in dem betreffenden Notificatorium angege= I ben, welches am Tage vor der Sitzung erfolgt. [S. 550] §.8. Die Ansagezettel enthalten die Adresse der Gesandten sowie Zeit und Form der Ver= | Sammlung, und sollen, mit Ausnahme ganz dringender Fälle, am Tage vor derselben, späte= I stens bis drei Uhr Nachmittags, jedem Gesandten zugestellt werden. §.9. Die Gegenstände der Berathung werden in dem Ansagezettel soweit möglich angegeben, I und muß dieß geschehen, in so fem eine Abstimmung behufs einer in die Sache selbst I eingehenden Schlußfassung oder die Wahl eines Ausschusses stattfinden soll. §.10. ^Jeder Gesandte hat im Falle seiner Abwesenheit oder sonstigen Verhinderung einen | anderen Gesandten zu substituiren und solches dem Vorsitzenden, wo möglich am Tage vor der I nächsten Sitzung, anzuzeigen. ^Unterläßt er dieß, so wird seine Stimme zur Vervollständigung I der Mehrheit oder Einstimmigkeit zugezählt.

802

§3: Deutscher Bund

[Dok. 3 1 - 8 4 ]

§.11. ^Zu einer gültigen Beschlußgnahme gewöhnlicher Art wird im engeren Rathe der Bundes= I Versammlung die absolute Stimmenmehrheit, im Plenum die Mehrheit von zwei Drittheilen | der Stimmen erfordert. ^Hierbei kommen sämmtliche zur Abstimmung berechtigte Stimm= I fiihrer, jedoch ohne Rücksicht auf diejenigen, welche sich etwa im einzelnen Falle aus genü= | gend befundenen Gründen der Abstimmung enthalten, in Betracht. §. 12. Wo es indessen auf Annahme neuer Grundgesetze oder Abänderung der bestehenden, auf I organische Bundeseinrichtungen, jura singulorum, Aufnahme neuer Mitglieder in den Bund I und Religionsangelegenheiten ankommt, findet kein Beschluß durch Stimmenmehrheit statt. §. 13. ^Bei etwaigem Todessfalle eines Gesandten, in welchem, in Ermanglung einer sonstigen I gesandtschafllichen Person oder ihr geschehenen Substitution, die Obsignation von dem I Präsidium zu besorgen ist, bleibt, wenn der Verstorbene eine Substitution ertheilt hatte, diese | so lange, bis dessen Committent wegen Führung seiner Stimme eine andere Verfugung ge= I troffen hat, bei Gültigkeit. ^Ist dieß nicht der Fall gewesen, so hat die Bundesversammlung I zu der Wiederbesetzung der Gesandtschaftsstelle oder einstweiligen Uebertragung der Stimme | an einen anderen Gesandten, nach Verhältniß der Entfernungen, eine möglichst kurze Frist | zu bestimmen, widrigenfalls die betreffende Bundesregierung bei allen Beschlüssen, welche | späterhin zu fassen sind, der Mehrheit oder Einstimmigkeit beitretend geachtet wird. §.14. Der Präsidirende ist befugt, die Sitzung zu eröffnen, sobald die bestimmte Stunde | geschlagen hat. §.15. Die vorläufige Ordnung der Sitze und der Abstimmungen richtet sich in der engeren | Bundesversammlung nach der Reihenfolge, in welcher die Bundesstaaten im vierten Artikel I der Bundesacte* aufgeführt sind, sowie bei den Plenarsitzungen nach derjenigen, welche der I sechste Artikel derselben angibt, mit Rücksicht auf diejenigen Aenderungen, welche sich hierin | im Laufe der Zeit ergeben haben und zur Kenntniß der Bundesversammlung gebracht wor= | den sind. §.16. Jeder Gesandte, welcher die Plenarstimmen mehrerer Bundesstaaten fuhrt, hat solche | einzeln und in der gedachten Ordnung abzugeben. [S. 55IJ §.17. ^Die Gesandten derjenigen Bundesstaaten, welche in der engeren Bundesversammlung | zu einer Gesammtstimme vereinigt sind, und unter denen ein Turnus in der Stimmführung | stattfindet, dürfen in den Sitzungen der engeren Bundesversammlung, obgleich daselbst jede I Gesammtstimme nur von Einem solcher Gesandten gefuhrt werden kann, gegenwärtig seyn, | und zum Zwecke der Erörterung und zur Beförderung eines allgemeinen Einverständnisses I ihre besonderen Ansichten und Gründe darlegen. ^Ebenso können zu allen Commisionen auch | diejenigen Gesandten der Curiatstimmen gewählt werden und ihre Ar^ Dok. 31.

[80] Geschäftsordnung der Bundesversammlung vom 16. Juni 1854

803

beiten bei der Com= | mission fortsetzen, welche zur Zeit der Wahl oder der Fortsetzung der Commissionsarbeiten | den Sitzungen der Bundesversammlung ohne Stimmführung beiwohnen. IL Ordnung der Gegenstände der Verhandlung und der Berathung | derselben. §.18. Die Gegenstände der Verhandlungen der Bundesversammlung sind entweder A) bereits durch die Bundesacte vorgeschrieben, oder B) der Antrag und Vorschlag derselben geschieht durch einzelne Bundesstaaten, oder C) sie werden durch sonstige Anträge an die Versammlung veranlaßt. §.19. ^Die Anträge der einzelnen Bundesstaaten werden durch deren Stimmführer selbst an | die Versammlung gebracht und derselben schriftlich übergeben, nachdem solche dem Präsidium I so zeitig schriftlich mitgeteilt worden sind, daß der betreffende Gegenstand noch auf die nächste | Tagesordnung gesetzt werden kann. ^Auf Anträge, die sich im Verlaufe der Discussion ei= | nes auf die Tagesordnung gesetzten Gegenstandes entwickelten, hat letzteres jedoch keinen | Bezug. §. 20. ^Sonstige Anträge, sowie überhaupt alle an die Bundesversammlung eingehenden Schrei= | ben gelangen zunächst in die Hände des Präsidirenden. ^Dieser wird dieselben mit der Bemer= | kung der Empfangszeit versehen, sie nach Nummern mit kurzer Anführung der Personen | und des Gegenstandes in ein Register eintragen lassen, und davon in der nächsten ordentli= | chen Sitzung die Anzeige und Verzeichnung in's Protokoll verfügen. ^Während drei Tagen | nach derselben werden solche Schriftstücke zur Einsicht der Gesandten in dem Bureau der | Canzleidirection ausgelegt. "^Hinsichtlich derjenigen Eingaben, welche vom Präsidium nach Form | oder Gegenstand gänzlich unstatthaft gefiinden werden, geschieht die Vorlage behufs deren | definitiven Beseitigung nur vertraulich in der nächsten Sitzung. §.21. Alle bei der Bundesversammlung einkommenden Anträge und Vorschläge, sowie über= I haupt alle an dieselbe gelangenden, nach Form oder Gegenstand nicht gänzlich unstatthaften I Eingaben sollen sofort und längstens innerhalb vierzehn Tagen nach ihrem Eingange zur geschäft= | liehen Behandlung in der Bundesversammlung gebracht werden. §.22. Die Ausschußberichte sollen, wo es sich nicht um ganz einfache oder besonders dringende I Gegenstände handelt und deßhalb der Ausschuß das Gegentheill beschließt, schon vor der | [S. 552] Sitzung, in welcher der Gegenstand zur Verhandlung kommt, gedruckt und spätestens mit | den Ansagezetteln unter die Gesandten verteilt werden. §.23. Um in allen Fallen die Schlußfassung thunlichst zu beschleunigen, werden die Re= | gierungen ihre Bevollmächtigten soweit möglich schon im Voraus mit ausreichender Instruct | tion versehen.

804

§ 3: Deutscher Bund ^

[Dok. 3 1 - 8 4 ]

§. 24. ^Wo es der Einholung einer besonderen Instruction bedarf, oder wo überhaupt ein auf | Aussetzung der Abstimmung gerichteter Antrag Unterstützung findet, ist in allen nicht sehr I dringenden Sachen die Abstimmung und Schlußfassung auszusetzen, und zu diesem Zwecke eine | Frist zu bewilligen, welche in der Regel nicht weniger als vierzehn Tage und nicht mehr als | vier Wochen betragen soll. ^Hierdurch sind jedoch diejenigen Gesandten, welche ihre Ab= | Stimmung sofort oder doch vor dem festgesetzten Termine zu Protokoll geben wollen, daran | nicht gehindert. Nach Ablauf dieser Frist erfolgt im Uebrigen die Abstimmung in der vom Präsidium | hierzu anberaumten Sitzung; ein weiterer Aufschub derselben ist nur statthaft, wenn die Ver= I Sammlung dieß aus besonderen Gründen beschließt. §.25. Die Stimmen derjenigen Bevollmächtigten, welche den zur Abstimmung festgesetzten Ter= I min versäumen, werden, wenn ihnen nicht ein weiterer Aufschub aus von der Bundesver= | Sammlung für erheblich erkannten Gründen bewilligt wird, zur Vervollständigung der Mehr= | heit oder Einstimmigkeit ohne Weiteres zugezählt. Dasselbe findet auf diejenigen Anwendung, welche, obschon anwesend, ohne erhebliche, I von der Bundesversammlung für genügend erkannte Gründe der Abstimmung sich enthalten. III. Ordnunng des Geschäftsganges in den Sitzungen. §. 26. Den Anfang der Sitzung macht die Verlesung, beziehungsweise Berichtigung des Pro= | tokolls der letzten Sitzung, falls dasselbe bis dahin nicht bereits allseitig anerkannt und un= I terzeichnet ist. §. 27. Hierauf folgen die von dem Präsidium und den einzelnen Gesandten Namens ihrer | Regierungen zu machenden Mittheilungen und einzubringenden Anträge, nebst vorläufiger | Berathung und Schlußfassung über jede einzelne derselben, wodurch bestimmt wird, ob a) der Gegenstand sich ausnahmsweise sofort oder nach Umlauf einer zu bestimmenden I Frist zur Berathung oder Schlußfassung eigne, oder ob b) die vorgängige Verweisung an einen Ausschuß erforderlich geachtet werde, und | letzterenfalls c) ob ein bereits vorhandener Ausschuß damit zu beauftragen oder ein neuer zu wählen I sey und aus wie viel Mitgliedern dieser zu bestehen habe; bei Ausschüssen von fünf I und mehr Mitgliedern werden zugleich zwei, bei Ausschüssen von weniger Mitgliedern | ein Stellvertreter gewählt. ^Die Wahl geschieht in der Art, daß mittelst geheimer Abstimmung so viel Namen be= | zeichnet werden, als der Ausschuß Mitglieder enthalten soll. "^Diejenigen Gesandten, auf welche | [S. 553] die meisten Stimmen gefallen, sind Mitglieder, und diejenige, welche nach ihnen die meisten | haben, Stellvertreter des Ausschusses. ^Tritt Stimmengleichheit ein, so werden sich die Be= | treffenden darüber einigen, wer in den Ausschuß eintritt; in Ermanglung einer deßfallsigen Ver= | ständigung entscheidet hierüber das Präsidium. '*Die Wahl der Referenten erfolgt auf Vor= | schlag des Vorsitzenden des Abschusses, mittelst Vereinbarung oder in Ermanglung einer | solchen durch Abstimmung des Ausschusses. Jedes Ausschußmitglied hat das Recht, die Anberaumung einer Sitzung des Ausschusses I zu verlangen.

[80] Geschäftsordnung der Bundesversammlung vom 16. Juni 1854

805

§.28. Sodann folgt die Vornahme der weiter auf die Tagesordnung gesetzten oder sonst, dem | Antrage des Präsidiums gemäß, zu verhandelnden Gegenstände, sey es zur Berichterstattung, I vorläufigen Abstimmung, Erörterung, Vorbereitung derselben für etwaige Behandlung im I Plenum, Ansetzung eines Termins zur Abstimmung, endlich die Abstimmung, oder die | Schlußziehung und deren Genehmigung, auch Bestimmung über etwaige Bekanntmachung I des gefaßten Beschlusses. §.29. Endlich findet Verabredung bezüglich der nächsten Zusammenkunft und vorläufige An= I zeige der Gegenstände statt, welche darin vorkommen dürften. §.30. Als allgemeine Bestimmungen über den Geschäftsgang gelten noch folgende Regeln: a) Die drei Hauptstufen, welche für die Behandlung eines jeden Gegenstandes anzuneh= I men sind, nämlich: | der erste Antrag, | die Erörterung, und | die endliche Abstimmung darüber | werden in der Regel in drei Sitzungen vertheilt, wozu unter Umständen eine vierte | zur Schlußziehung kommt. Die Berathung eines Gegenstandes kann in derselben | Sitzung, in welcher er eingebracht worden ist, nicht stattfinden, wenn nicht alle | Stimmen hiermit einverstanden sind. b) Das Präsidium kann, um Zweifel über die einzelnen Abstimmungen zu heben, wie | auch um die Zahl der Abstimmenden flir die eine oder andere Meinung zu berich= | tigen, eine wiederholte Umfrage anstellen. c) Deßgleichen kann ein Mitglied, welches bereits gestimmt hat, sey es, daß etwa in | späteren Abstimmungen neue Gründe vorgebracht worden, die bei der Erörterung | nicht vorgekommen und von denen es sich überzeugt fühlt, oder wenn es solches | sonst zur Aufklärung von Mißverständnissen rathsam glaubt, nach beendigter Um= I frage um Aufschub der Schlußziehung ersuchen, nach dessen Bewilligung sodann die wei= | tere Erörterung vorgenommen wird. d) Die endlichen Abstimmungen über einen Gegenstand werden, sobald zu solchen eine I Frist festgesetzt worden, schriftlich eingegeben oder zum Protokoll dictirt. Wird hierbei | die definitive Redaction der Abstimmung vorbehalten, so muß diese spätestens am | Tage nach der Sitzung dem Protokollführer zugestellt werden. e) Die Veröffentlichung der Bundestags=Verhandlungen findet nach Maßgabe des Bun= I desbeschlusses vom 7. November 1851 und der Bestimmungen statt, welche in Folge | der eingeleiteten Revision desselben festgesetzt werden. fS. 554] f) Auf Eingaben und Schreiben, welche der Bundesversammlung zukommen, wird durch I Zusendung von Auszügen aus dem Protokolle geantwortet, welche den deßfallsigen | Beschluß, den Umständen nach, mit oder ohne Hinzufiigung der Gründe enthalten. | Handelt es sich nur um eine Auskunft über die Lage einer Sache, so ist die Canz= | leidirection eine solche zu ertheilen ermächtigt. Die Form solcher Beschlüsse ist: | Auszug des Protokolls der . . . Sitzung der deutschen Bundesversammlung vom etc. | Die deutsche Bundesversammlung hat beschlossen etc. I Frankfurt den etc. | (L. S.) Die Bundes=Canzlei. g) In den Sachen, wo an eine Bundesregierung ein besonderes Ersuchen gerichtet | oder ein Beschluß in ihrer Angelegenheit gezogen wird, ist ein Auszug aus dem Pro= I tokoll, von dem Präsidium ausgefertigt, unterschrieben und untersiegelt, der betreff 1 fenden Gesandtschaft zuzustellen.

806

§3: Deutscher Bund

[Dok. 3 1 - 8 4 ]

h) Das Siegel, dessen sich die Bundesversammlung und die Bundescanzlei bedient, ist I der deutsche Reichsadler mit der Umschrift: | „Deutscher Bund" respective „Deutsche Bundes=Canzley." | Die Adresse der Bundesversammlung ist: | An die hohe deutsche Bundesversammlung. IV. Ordnung der Protokollführung, der Canzlei und des Archivs. §.31. ^Der Canzleidirector, der zugleich mit der Protokollführung in den Bundestags=Sitzun= | gen beauftragt ist, sowie die übrigen Bundesbeamten werden auf den Vorschlag des Präsi= | diums von der Bundesversammlung ernannt. ^Die Ernennung geschieht mittelst geheimer | Abstimmung; nimmt die Bundesversammlung ein vorgeschlagenes Individuum nicht an, so hat | dieß einen neuen Vorschlag zur Folge. ^Der Gewählte wird von dem Vorsitzenden, und | zwar der Canzleidirector in der Bundesversammlung, in Eid und Pflicht für den Bund ge= | nommen. Im Fall der Abwesenheit oder Verhinderung des Canzleidirectors trifft die Bundes^ | Versammlung wegen Vertretung desselben, auf Vorschlag des Präsidiums, die erforderlichen I Vorkehrungen. Die Entlassung der Cassen=, Registratur^ und Canzlei=Beamten und Diener aus den Bundes^ | diensten, sowie die Versetzung auf eine andere Stelle kann nur auf Grund eines Beschlus= I ses der Bundesversammlung geschehen. Hinsichtlich der Heimaths=, Pensions^ und Gerichtsbarkeits=Verhältnisse dieser Beamten I und Diener behält es bei dem Bundesbeschlusse vom 6. Mai 1841 sein Bewenden. §.32. Das Protokoll enthält die Anzeige der bei einer Sitzung anwesenden stimmführen= | den Gesandten und des Protokollführers, die Erklärungen und Anträge, die Ausschußvorträge, | und die sonst in den Verhandlungen vorgetragenen Hauptgründe, ohne namentliche An= | führung desjenigen, welcher dieselben vorgebracht, die Abstimmung jedes Einzelnen, die | Beschlüsse, zuletzt das Verzeichniß der Eingaben. [S. 555] Schriftlich übergebene oder dictirte Abstimmungen werden wörtlich zum Protokoll ge= |

§.33. ^Sobald das Protokoll gehörig geordnet ist, und zwar regelmäßig vor der nächsten Sitzung, I circulirt dasselbe zur Einsicht und Unterschrift der einzelnen Gesandtschaften. ^Wird dasselbe nicht | sofort allseitig anerkannt und unterzeichnet, so wird es nach Hebung der deßfallsigen Anstände | in der nächsten Sitzung vollzogen. §.34. Die gedruckten Protokolle, Erklärungen, Anträge und Vorträge, deren Vorausdruck | beschlossen worden ist, sowie die der Versammlung etwa in hinreichender Zahl zugesandten | Eingaben werden unverzüglich zur Vertheilung gebracht. Auf diesen Actenstücken wird von der Bundeskanzlei das Datum der Vertheilung bemerkt. §. 35. ^Die Aufsicht über die Urkunden und Acten steht jederzeit dem Vorsitzenden zu, jedem | Bundestagsgesandten aber der Zutritt zu dem Archive, die Einsichtnahme der einzelnen

[80] Geschäftsordnung der Bundesversammlung vom 16. Juni 1854

807

Ac= I tenstücke und die Verabfolgung begehrter Abschriften. ^Wo die Ausft)lgung einzelner Origi= I naldocumente Anstand finden sollte, entscheidet hierüber die Versammlung. V. Vertagung der Bundesversammlung. §. 36. ^Die Vertagung findet in der Regel innerhalb der Monate Juli bis October statt. | ^Der Anfangs^ und Endtermin, sowie die Verlegung der Vertagung auf eine andere Jahres= | zeit oder deren gänzliche Aussetzung in einem einzelnen Jahre hängt von dem Stande der | Geschäfte ab. ^Nach vorgängiger vertraulicher Erörterung beschließt hierüber die Versammlung. §.37. Das Bundestags=Prasidium und die Bundescanzlei werden als fortwährend im Amte, | daher auch das Einreichungsprotokoll immer als eröffnet betrachtet. §.38. Der präsidirende Gesandte muß jederzeit wenn er abgeht, also auch bei eintretender | Vertagung der Bundesversammlung, einen anderen Bundestagsgesandten zu den Präsidial= I geschäften substituiren. §.39. Außer dem Präsidialgesandten oder dessen Stellvertreter müssen zum wenigsten vier | Bundestagsgesandten sich am Sitze des Bundetags befinden, welche jedoch nur einzig | dazu im Vereine mit dem Präsidialgesandten sich zu versammeln haben, a) um in Kenntniß der Eingaben und Geschäftslage erhalten zu werden; b) um mit dem Präsidium zu ermessen, ob ein dringender Fall vorhanden sey, welcher die I frühere Einberufung der Herren Gesandten erheische. Tritt dieser Fall der Eile ein, I so wird die Einberufung durch den präsidirenden Gesandten geschehen; und wäre der | Präsidirende selbst abwesend, so hat dessen Stellvertreter ihn, er selbst aber die Bundes= | tagsgesandten von dem Orte aus, wo er sich aufhält, alsbald zur Rückkehr einzuladen; c) um, wenn im Laufe der Ferien Fälle vorkommen, welche auf der einen Seite nicht | gestatten, die dabei zu ergreifenden Maßregeln bis zur Wiedereröfftiung der Sitzun= I gen zu verschieben, aus der anderen aber nicht wichtig genug sind, um eine frühere | [S. 556] Einbemfiing der Bundestagsgesandten zu veranlassen, zusammenzutreten, darauf das= | jenige zu verfugen, was keinen Aufschub leidet, unter der Verpflichtung, bei Wieder^ | eröffhung der Sitzungen davon der Bundesversammlung Bericht abzustatten, und deren | Bestätigung zu bewirken. Es versteht sich übrigens von selbst, daß alle in Frankfurt anwesenden Herren Bun= | destagsgesandten an diesen Geschäften des sonach aus dem Präsidium, oder dessen Stellvertreter I und sämmtlichen Anwesenden, wenigstens aber aus vier zu wählenden Bundestagsgesandten I bestehenden Ausschusses Theil zu nehmen berechtigt sind, somit von selbst zu demselben gehören. §. 40. ^Die Auswahl derjenigen vier Bundestagsgesandten, welche bei diesem Ausschusse zu | verbleiben sich verbindlich zu machen hätten, geschieht durch vertrauliche Einigung derselben I unter sich, wobei jedoch, erforderlichenfalls, die Stimmenmehrheit entscheidet. ^Keiner der | Bundestagsgesandten kann gegen seinen Willen zweimal unmittelbar nach einander dazu verbun= | den seyn.

808

§ 3 : Deutscher Bund

[Dok. 3 1 - 8 4 ]

§.41. Wenn vor der Vertagung vorbereitende Commissionen ernannt sind, so kann jene die ungehinderte Fortsetzung ihrer Arbeiten nicht hindern. §.42. Nach wieder eröffnetem Bundestage hat der Ausschuß eine Anzeige seiner seitherigen et= I waigen Geschäftsthätigkeit zu übergeben.

[81] Bundesbeschluß über „Allgemeine Bestimmungen zur Verhinderung des Mißbrauchs der Preßfreiheit" Bundespreßgesetz - vom 6. Juli 1854 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einfuhrungen" die Darstellungen unter [172.] [243.]. Quelle: Protokolle der deutschen Bundes-Versammlung, 20. Sitzung vom 6. Juli 1854, § 213, S. 616 (619) - 624 (gedruckt). Sonstige Fundstellen: E. R. Huber (Hrsg.), Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte, Bd. 2: Deutsche Verfassungsdokumente 1851-1900, 3. Aufl., 1986, Nr. 3; P. A. G. Meyer (Hrsg.), Corpus Juris Germaniae Confoederationis oder Staatsacten fur Geschichte und öffentliches Recht des Deutschen Bundes, Teil II (Beschlüsse der deutschen Bundesversammlung), 3. Aufl., Frankfurt a. M. 1859, S. 602 - 604; H. A. Zachariae (Hrsg.), Die deutschen Verfassungsgesetze der Gegenwart, 1855, S. 51 - 57. [S. 616] . . . §.213. Allgemeine Bundesbestimmungen zur Verhinderung des Mißbrauchs der Preßfreiheit. ...[S. 619] Nach hierauf stattgefundener Erörterung, wobei die Bundesversammlung die in der | Abstimmung Mecklenburgs ausgesprochene Voraussetzung als begründet anerkannte, | wurde | beschlossen:^ Unter Vorbehalt der Befugniß der höchsten und hohen Bundesregierungen, nach Be= | dürfhiß eingreifendere Anordnungen zu treffen, werden nachstehende allgemeine Bestim= | mungen zur Verhinderung des Mißbrauchs der Presse festgesetzt: §.1. Alles was durch gegenwärtigen Bundesbeschluß in Bezug auf Druckschriften ange= | ordnet wird, findet nicht bloß auf Erzeugnisse der Buchdruckerpresse, sondern auch auf | alle anderen durch mechanische Mittel vorgenommenen Vervielfältigungen von Schriften | und bildlichen Darstellungen seine Anwendung.

An der Sitzung nahmen folgende Gesandte teil: von Prokesch-Osten (für Österreich und Preußen), von Schrenk (für Bayern), Nostitz und Jänckendorf (für Sachsen), von Kielmannsegge (für Hannover), von Reinhard (für Württemberg), Marschall von Bieberstein (für Baden), von Trott (für Kurhessen), von Münch-Bellinghausen (für Hessen-Darmstadt), von Bülow (für Dänemark wegen Holstein und Lauenburg), von Scherff (für die Niederlande wegen Luxemburg), von Fritsch (für Großherzogtum und Herzogtümer Sachsen), von Düngern (für Braunschweig und Nassau), von Oertzen (für Mecklenburg), von Eisendecher (für Oldenburg, Anhalt und Schwarzburg), von Holzhausen (für Hohenzollem, Liechtenstein, Reuß, Schaumburg-Lippe, Lippe und Waldeck), Smidt (für Lübeck, Frankfurt, Bremen und Hamburg).

[81] Bundespreßgesetz vom 6. Juli 1854

809

§•2. Zur Ausübung des Gewerbes eines Buch= oder Steindruckers, Buch= oder Kunst?= | handlers, Antiquars, Inhabers einer LeihbibHothek oder eines Lesecabinets und Verkäufers | von Zeitungen, Flugschriften und bildlichen Darstellungen soll in allen Bundesstaaten die Erlan= | gung einer besonderen persönlichen Concession (obrigkeitlichen Bewilligung) erforderlich und I [S. 62OJ nur denjenigen Gewerbetreibenden, welche eine solche Concession (obrigkeitliche Bewilligung) | erlangt haben, die Erzeugung von Druckschriften und der gewerbsmäßige Verkehr mit den= | selben, nach Maßgabe der Concession (obrigkeitlichen Bewilligung), gestattet seyn. Die Einziehung der Concession (obrigkeitlichen Bewilligung) im Falle des Mißbrauchs | des Gewerbebetriebes kann nicht nur in Folge gerichtHcher Vemrtheilung, sondern auch | auf administrativem Wege erfolgen; auf letzterem jedoch nur dann, wenn nach vorausge= | gangener wiederholter schriftlicher Verwarnung oder nach erfolgter gerichtlicher Bestrafung I die vorerwähnten Gewerbetreibenden ihre Beschäftigung beharrlich zur Verbreitung von straf= | baren, insonderheit staatsgefährlichen Druckschriften mißbrauchen. Concessionen, welche in widerruflicher Weise ertheilt sind, können auch ohne derartige I vorhergegangene Einschreitungen auf administrativem Wege eingezogen werden. §.3. Nur mit obrigkeitlicher Erlaubniß und innerhalb der Grenzen derselben darf mit | Druckschriften hausirt und dürfen dieselben an öffentlichen Orten ausgestreut, angeboten, ver= | theilt oder angeschlagen werden. Diese Erlaubniß kann jederzeit zurückgenommen werden. §.4. Auf jeder im Bundesgebiete erscheinenden Druckschrift muß der Name und Wohnort | des Druckers, und, wenn dieselbe für den Buchhandel oder zur öffentlichen Verbreitung auf I anderem Wege bestimmt ist, auch der Name und Wohnort desjenigen, bei dem die Druck= I Schrift als Verlags^ oder Commissionsartikel erscheint, oder beim Selbstvertriebe der Name | und Wohnort des Verfassers oder Herausgebers genannt seyn. §•5. Von jeder die Presse verlassenden Druckschrift soll vor deren Ausgabe, oder min= | destens sobald die Austheilung oder Versendung beginnt, ein Exemplar der von der Lan= | desregierung dazu bestimmten Behörde überreicht werden. Es ist den einzelnen Bundesregierungen überlassen, Druckschriften, welche zwanzig Druck= I bogen und darüber stark sind, von dieser Bestimmung auszunehmen und die Zeitfristen I der Ueberreichung dem Zwecke entsprechend festzusetzen. §.6. Von der Erfüllung der in den §§.4 und 5 enthaltenen Vorschriften sind bloß | die den Bedürfhissen des Verkehrs oder des geselligen Lebens dienenden Drucksachen, als | Formulare, Etiquetten, Visitenkarten und ähnliche diesen gleich zu achtende kleinere Preß= | erzeugnisse auszunehmen. §.7. ^Für jede im Bundesgebiete erscheinende periodische Druckschrift (Zeitung, Zeitschrift) I muß ein fur deren ganzen Inhalt verantwortlicher Redacteur bestellt und dessen Name auf | jedem Blatte oder Hefte (Nummer) genannt seyn. ^Eine Ausnahme von diesem Grund= | satze ist nur bezüglich jener Zeitschriften zulässig, welche alle politischen und socialen Fra= I gen von der Besprechung ausschließen.

810

§ 3: Deutscher Bund

[Dok. 31 - 84]

Der verantwortliche Redacteur einer periodischen Druckschrift muß unbedingt dispo= | sitionsfahig seyn, im Genüsse der staatsbürgerlichen Rechte sich befinden und bei Zeit= | [S. 621] Schriften, welche nicht bloß wissenschafi;lichen, artistischen oder technischen Inhalts sind, in | dem Staatsgebiete, in welchem die Druckschrift erscheint, seinen regelmäßigen Wohn= I sitz haben. Die Redaction von Zeitschriften wissenschaftlichen, technischen oder artistischen Inhalts I kann indessen ausnahmsweise von den Landesregierungen auch Personen gestattet werden, | welche die vorbezeichneten Eigenschaften, namentlich die Dispositionsfähigkeit nicht besitzen. Personen, welche sich in Strafe oder Untersuchungshaft befinden, kann während der | Dauer der Haft die Führung der verantwortlichen Redaction untersagt werden. §.9. ^Für jede im Bundesgebiete erscheinende periodische Druckschrift muß eine Caution be= I stellt werden. V o n dieser Verpflichtung können nach dem Ermessen der einzelnen Bundes^ | regierungen nur amtliche und solche Blätter befreit werden, welche alle pohtischen und socialen | Fragen von der Besprechung ausschließen. §.10. ^Die Caution für eine periodisch erscheinende Druckschrift soll in der Regel 5000 | Thaler Preussisch Courant, beziehungsweise 8000 Gulden rheinisch betragen. ^Es bleibt | jedoch den einzelnen Bundesregierungen anheimgegeben, die Cautionssumme, unter Berücksich= I tigung der Bevölkerungs= und Vermögensverhältnisse der Verlagsorte und ihrer nächsten | Umgebung, sowie der Zeitabschnitte des Erscheinens der Druckschriften, auf geringere Be= I träge festzustellen. Bei Zeitschriften, welche wöchentlich öfter als dreimal erscheinen, kann aber dabei | nicht unter 1000 Thaler Preussisch Courant, beziehungsweise 1600 Gulden rheinisch, bei | solchen, die dreimal, oder weniger als dreimal wöchentlich erscheinen, nicht unter 500 | Thaler Preussisch Courant, beziehungsweise 800 Gulden rheinisch herabgegangen werden. §.11. Die Caution hat für alle aus Anlaß der Druckschrift, für welche sie bestellt worden | ist, zuerkannten Strafen, dann für die Kosten der Untersuchung und der Strafvollstreckung, | ohne Rücksicht auf die Person des Verurtheilten, zu haften. Jede Caution ist im Falle eingetretener Verminderung derselben spätestens in vier | Wochen wieder auf den vollen Betrag zu ergänzen. §.12. Die Herausgabe einer cautionspflichtigen Druckschrift darf erst dann erfolgen, wenn | die Bedingungen, an welche das Recht hierzu geknüpft ist, vollständig erfüllt sind. §.13. Jede periodische Druckschrift, welche Anzeigen aufiiimmt, soll von den öffentlichen Be= I hörden zur Kundmachung amtlicher Erlasse gegen Vergütung der üblichen Einrückungsge= | bühren, in so weit nicht nach den Landesgesetzen die unentgeltliche Aufnahme gefordert werden | kann, in Anspruch genommen werden können. §.14. Gerichtliche Entscheidungen und amtliche Verwarnungen, welche aus Anlaß einer | periodischen Druckschrift erlassen worden sind, müssen von dem Herausgeber derselben auf |

[81 ] Bundespreßgesetz vom 6. Juli 1854

811

Anordnung der zuständigen inländischen Behörde unentgeltlich und ohne Zusätze und Bemer= | kungen eingerückt werden. [S. 622] Sind derartige Entscheidungen durch Ehrenverletzungen veranlaßt, so sind die Bethei= | ligten befugt, deren Veröffentlichung zu beantragen, und es hat das Gericht über Zulässige | keit des Antrags zu entscheiden und dessen Vollzug festzusetzen. Für amtliche oder amtlich beglaubigte Berichtigungen oder Widerlegungen in einer pe= I riodischen Druckschrift vorgebrachter Thatsachen soll der betheiligten Behörde oder Privat= I person mindestens der Raum des Artikels, der zu der Entgegnung Anlaß bot, kostenfrei I und in einer der beiden nächsten nach erfolgter Aufforderung erscheinenden Nummern zur I Verfügung gestellt werden. §. 15. Zuwiderhandlungen gegen die Bestimmungen der vorhergehenden Paragraphen, nament= | lieh wissentlich falsche Angaben in Erfüllung der in den §§.4 und 7 enthaltenen Vor= I Schriften, sind mit angemessener Strafe zu bedrohen. §.16. In allen Bundesstaaten muß der Mißbrauch der Presse durch Aufforderung, Anrei= | zung oder Verleitung zu Handlungen, welche durch die allgemeinen Strafgesetze verboten sind, I mit entsprechender Strafe bedroht seyn. Insbesondere muß durch die Strafgesetzgebung Vorsorge getroffen werden für die Fälle | der Aufforderung, Anreizung oder Verleitung zum Hoch= und Landesverrathe und zum Aufruhr, sowie der Militärpersonen oder | Beamten zum Treubruche oder Ungehorsam; zur Widersetzung oder zum gewaltsamen Widerstände gegen die Obrigkeit, zu Gewalt= I thätigkeiten, zu ungesetzlichen Versammlungen oder Zusammenrottungen, zu ungesetzlicher Be== | waffnung; zum Ungehorsam gegen die Gesetze und gegen Anordnungen der Obrigkeit, zur Ver== | Weigerung der Zahlung von Steuern, zu verbotenen Geldsammlungen; zu Angriffen auf das Eigenthum oder auf die persönliche Sicherheit. Die Strafbarkeit solcher durch die Presse begangenen Handlungen soll auch dann eintre= | ten, wenn die Aufforderung ohne Zusammenhang mit einer anderen verbrecherischen Hand= | lung steht und ohne Erfolg geblieben ist. §.17. Die Strafgesetzgebung jedes Bundesstaates hat gegen nachfolgende Angriffe durch die | Presse ausreichenden Schutz zu gewähren und solche mit angemessenen Strafen zu bedrohen: Angriffe auf die Religion oder auf die Lehren, Gebräuche und Gegenstände der Ver= | ehrung einer anerkannten Religionsgesellschaft; Angriffe auf die Grundlagen des Staates und der Staatseinrichtungen, auf die letz= | teren selbst, auf die Anordnungen der Obrigkeit, auf die zur Handhabung derselben be= | rufenen Personen, die Beleidigungen der letzteren, der Regierungen und des Oberhauptes | eines fremden Staates. Als strafbarer Angriff ist jeder anzusehen, welcher durch Kundgabe erdichteter, oder | entstellter Thatsachen, oder durch die Form der Darstellung den Gegenstand des Angriffs | dem Hasse oder der Mißachtung auszusetzen geeignet ist.

812

§3: Deutscher Bund

[Dok. 3 1 - 8 4 ]

§. 18. Alle in den §§.16 und 17 bezeichneten Handlungen sollen entweder von Amtswegen | oder auf Antrag verfolgt und bestraft werden, sie mögen gegen die Staatseinrichtungen, | [S. 623] Maßregeln, Behörden oder Personen des Staates, in welchem die Druckschrift erschienen, I oder eines anderen Bundesstaates gerichtet seyn. Beleidigungen des Oberhauptes eines auswärtigen Staates sollen verfolgt und bestraft | werden, in so weit der auswärtige Staat den Grundsatz der Gegenseitigkeit angenom= | men hat. §. 19. Die Strafen wegen Uebertretung preßpolizeilicher Vorschriften oder der von den compel I tenten Behörden erlassenen besonderen Verbote sind, abgesehen von den durch den Inhalt I der Druckschrift etwa sonst verwirkten Strafen, zu erkennen. §.20. Für die durch den Inhalt einer Druckschrift begangenen strafbaren Handlungen ist | Jeder verantwortlich zu erachten, welcher nach allgemein strafrechtlichen Grundsätzen als | Urheber oder Theilnehmer strafbar erscheint. Der Drucker, Verleger oder Commissionär (im engeren Sinne, d. h. derjenige, welcher | ohne Namhaftmachung eines Verlegers auf der Schrift als die Person benannt ist, durch | welche der Vertrieb besorgt wird), in so fem sie nicht als Urheber oder Theilnehmer ohne= I dieß zur Strafe gezogen werden, sind mit angemessenen Geld= oder Gefängnißstrafen auch I für die Fälle zu bedrohen, wo der Verfasser nicht genannt, oder nicht im Bereiche der Gerichtsbarkeit eines deutschen Bundesstaates ist, oder wo eine Uebertretung preßpolizeilicher Bestimmungen verübt wurde. Dieselben können von der deßfallsigen Haftung nach dem Ermessen der einzelnen Bun= I desregierungen nur dann befreit werden, wenn sie bei der ersten verantwortlichen Vernehmung | den Autor benennen und dieser sich im Bundesgebiete befindet. Der verantwortliche Redacteur einer periodischen Druckschrift ist wegen des strafba= | ren Inhalts derselben in jenen Ausnahmsfallen, wo er nicht als Urheber oder Theilnehmer | zur Strafe gezogen werden kann, mit einer besonderen Geld= oder Gefangnißstrafe zu | bedrohen. §.21. Wenn Druckschriften den Thatbestand einer strafbaren Handlung enthalten, so ist auf | ihre Unterdrückung oder Vernichtung zu erkennen, auch wenn die Verurtheilung einer straf= 1 baren Person nicht damit verbunden werden kann, oder überhaupt eine Person, gegen I welche eine Anklage gerichtet werden könnte, nicht gegeben ist. §.22. ^Ueber die Zuständigkeit der Gerichte zur Aburtheilung der durch den Inhalt von | Druckschriften begangenen Verbrechen oder Vergehen, sowie über die Zuständigkeit derselben I oder der Administrativbehörden zu dem Erkenntnisse über Unterdrückung von Druckschriften | entscheiden die Landesgesetze. ^Eine vorzugsweise Verweisung der durch die Presse began= | genen strafbaren Handlungen vor das Geschwomengericht oder zur öffentlichen Verhandlung | soll jedoch nicht stattfinden.

[82] Bundesvereinsgesetz vom 13. Juli 1854

813

§.23. Die Verwaltungs= und Gerichtsbehörden sind befugt, zum Behufe der Einleitung | des hierauf alsbald anzuregenden Strafverfahrens, Druckschriften und die zu ihrer Ver= | vielfältigung bestimmten Platten und Formen mit Beschlag zu belegen. fS. 624] Druckschriften, welche wegen strafbaren Inhalts oder wegen Uebertretung der §§. 4 | und 7 mit Beschlag belegt wurden, dürfen, so lange die Beschlagnahme nicht wieder a u ^ | gehoben ist, weder verbreitet, noch durch anderweiten Abdruck vervielfältigt werden. §. 24. Veröffentlichung von Gerichtsacten, Gerichtsverhandlungen und Abstimmungen, von Ver= I handlungen anderer Behörden oder politischen Körperschaften, dann über Truppenbewe= I gungen und Vertheidigungsmittel des Landes oder des Deutschen Bundes in Zeiten von I Kriegsgefahr oder inneren Unruhen können von der zuständigen Behörde aus Rücksichten I für den öffentlichen Dienst oder die Staatsinteressen, unter Androhung angemessener Strafen, | verboten oder beschränkt werden. ^Die Namen der Geschwomen dürfen in Zeitungen nur bei der Mittheilung über die | Bildung des Schwurgerichts genannt werden. ^Ebenso darf die Anklageschrift oder ein an= I deres Schriftstück eines Criminalprocesses nicht eher veröffentlicht werden, als bis die münd= | liehe Verhandlung stattgefunden oder der Proceß auf anderem Wege sein Ende er= I reicht hat. §. 25. Sämmtliche Bundesregierungen werden dafiir Sorge tragen, daß die vorstehenden | allgemeinen Grundsätze in Wirksamkeit treten, und daß ihre Preß= und Strafgesetze mit den= I selben in Uebereinstimmung gebracht werden; sie werden davon, wie dieses geschehen, der I Bundesversammlung in möglichst kurzer Frist Anzeige erstatten lassen. §.26. Der politische Ausschuß wird beauftragt, nach Umfluß von zwei Jahren, unter Berück= | sichtigung der bis dahin gemachten Erfahrungen, in nähere Erwägung zu ziehen, ob die | in gegenwärtigem Beschlüsse enthaltenen Bestimmungen sich zur Verhütung des Mißbrauchs | der Preßfreiheit als genügend erwiesen haben, und hierüber der Bundesversammlung, unter | Begutachtung der etwa ftir nöthig erachteten weiteren Anträge, Bericht zu erstatten.

[82] Bundesbeschluß über „Maßregeln zur Aufrechterhaltung der gesetzlichen Ruhe und Ordnung im Deutschen Bunde, insbesondere das Vereinswesen betreffend" Bundesvereinsgesetz - vom 13. Juli 1854 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einführungen" die Darstellung unter [173.]. Quelle: Protokolle der deutschen Bundes-Versammlung, 21. Sitzung vom 13. Juli 1854, § 219, S. 635 (636) - 637 (gedruckt). Sonstige Fundstellen: E. R. Huber (Hrsg.), Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte, Bd. 2: Deutsche Verfassungsdokumente 1851-1900, 3. Aufl., 1986, Nr. 4; P.A.G. Meyer (Hrsg.), Corpus Juris Germaniae Confoederationis oder Staatsacten für Geschichte und öffentliches Recht des Deutschen Bundes, Teil II (Beschlüsse der deutschen Bundesversammlung), 3. Aufl., Frankfurt a. M. 1859, S. 604-605; H, A. Zachariae (Hrsg.), Die deutschen Verfassungsgesetze der Gegenwart, 1855, S. 57 - 58.

814

§3: Deutscher Bund

[Dok. 3 1 - 8 4 ]

fS. 635] §.219. Maßregeln zur Aufrechthaltung der gesetzlichen Ordnung und Ruhe im Deutschen | Bunde, insbesondere das Vereinswesen betreffend. ...[S. 636] . .. In Gemäßheit der Ausschußanträge und mit Rücksicht auf die obenerwähnten Re= | dactionsänderungen erfolgte nunmehr der Beschluß:^ Da es im Interesse der gemeinsamen Sicherheit und Ordnung geboten erscheint, | allgemeine Grundsätze fiir das Vereinswesen in den sämmtlichen deutschen Bundesstaaten | aufzustellen, so haben sich die höchsten und hohen Bundesregierungen über nachstehende Be= I Stimmungen vereinigt: §.1. In allen deutschen Bundesstaaten dürfen nur solche Vereine geduldet werden, die sich | darüber genügend auszuweisen vermögen, daß ihre Zwecke mit der Bundes= und Landes= | Gesetzgebung im Einklänge stehen und die öffentliche Ordnung und Sicherheit nicht gefährden. §•2. Die einzelnen Bundesregierungen werden demnach die nöthigen Anordnungen treffen, | um von der Einrichtung und den Zwecken eines jeden Vereines, sowohl im Beginne als | im Laufe seiner Existenz und Wirksamkeit, Kenntniß nehmen zu können. §.3. In Beziehung auf politische Vereine insbesondere muß, sofern derartige Vereine | nicht nach Maßgabe der Landesgesetzgebung überhaupt untersagt sind, oder doch einer für | jeden Fall besonders zu ertheilenden obrigkeitlichen Genehmigung bedürfen, die betreffende I Staatsregierung sich in der Lage befinden, nach Maßgabe der Umstände, besondere vor= I übergehende Beschränkungen und Verbote erlassen zu können. §•4.

Allgemein sind für politische Vereine noch folgende Beschränkungen zur Geltung zu | bringen: 1) Minderjährige, Lehrlinge und Schüler dürfen sich an solchen Vereinen nicht be= | theiligen. 2) Jede Verbindung mit anderen Vereinen ist unstatthaft. §•5. In allen Bundesstaaten muß der Landesregierung nicht nur das Recht zustehen, | die Versammlungen solcher Vereine, welche, ohne im Besitze einer besonderen staat= | liehen Anerkennung, beziehungsweise Genehmigung zu seyn, sich mit öffentlichen Angele= | An der Sitzung nahmen folgende Gesandte teil: von Prokesch-Osten (für Österreich), von BismarckSchönhausen (für Preußen), von Schrenk (für Bayern), Nostitz und Jänckendorf (für Sachsen), von Kielmannsegge (für Hannover), von Reinhard (für Württemberg), Marschall von Bieberstein (für Baden), von Trott (für Kurhessen), von Münch-Bellinghausen (für Hessen-Darmstadt), von Bülow (für Dänemark wegen Holstein und Lauenburg), von Scherff (für die Niederlande wegen Luxemburg), von Fritsch (für Großherzogtum und Herzogtümer Sachsen), von Düngern (für Braunschweig und Nassau), von Oertzen (für Mecklenburg), von Eisendecher (für Oldenburg, Anhalt und Schwarzburg), von Holzhausen (für Hohenzollem, Liechtenstein, Reuß, Schaumburg-Lippe, Lippe und Waldeck), Smidt (für Lübeck, Frankfurt, Bremen und Hamburg).

[83] Revidierte Fassung der Näheren Bestimmungen ... vom 4. Januar 1855

815

genheiten beschäftigen, obrigkeitlich überwachen zu lassen, sondern es muß den betreffenden I obrigkeitlichen Abgeordneten auch überall die Befiigniß eingeräumt werden, jede Versamm= | lung eines solchen Vereins aufzulösen, sofern entweder die ihren Zusammentritt bedingen= | den Förmlichkeiten nicht beobachtet worden sind, oder aber der Inhalt der Verhandlungen | eine in der Nothwendigkeit der Aufrechthaltung der Gesetze, sowie der öffentlichen Sicherheit | und Ordnung begründete Veranlassung darbietet. §.6. Die bewaffnete Macht darf sich nicht anders als auf Befehl versammeln und | weder in noch außer dem Dienste berathschlagen; Versammlungen und Vereine jedes Theils | der stehenden Heere und der Landwehr zur Berathung oder Beschlußfassung über militä= 1 [S. 637] rische Befehle und Anordnungen sind auch dann, wenn dieselben nicht zusammenberufen sind, I untersagt. §.7. Zuwiderhandlungen gegen die aus Anlaß vorstehender Bestimmungen in den einzelnen | Bundesstaaten getroffenen Anordnungen sind mit entsprechenden Strafen zu belegen. §.8. Im Interesse der gemeinsamen Sicherheit verpflichten sich sämmtliche Bundesregierung I gen femer, die in ihren Gebieten etwa noch bestehenden Arbeitervereine und Verbrüderungen, I welche politische, socialistische oder communistische Zwecke verfolgen, binnen zwei Monaten | aufzuheben, und die Neubildung solcher Verbindungen bei Strafe zu verbieten.

[83] Revidierte Fassung der Näheren Bestinnmungen über die Kriegsverfassung vom 4. Januar 1855 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einführungen" die Darstellungen unter [201.] [203.]. Quelle: Protokolle der deutschen Bundes-Versammlung, 1. Sitzung vom 4. Januar 1855, § 6, S. 13 (21 [Beschluß]), Beilage zu § 6, S. 2 9 - 4 4 („Nähere Bestimmungen"), S. 4 4 a 44e (Sachwortregister) -jeweils gedruckt. Sonstige Fundstelle: P. A. G. Meyer (Hrsg.), Corpus Juris Germaniae Confoederationis oder Staatsacten für Geschichte und öffentliches Recht des Deutschen Bundes, Teil II (Beschlüsse der deutschen Bundesversammlung), 3. Aufl., Frankfurt a. M. 1859, S. 622 - 633. [S.

13]...

§.6. Den neuen Entwurf der näheren Bestimmungen der Kriegsverfassung des Deutschen | Bundes betreffend. ...[S.21],.. In Folge der vorstehenden Abstimmungen wurde theils einstimmig, theils durch | Mehrheit I beschlossen:^ An der Sitzung nahmen folgende Gesandte teil: von Prokesch-Osten (für Österreich), von BismarckSchönhausen (für Preußen), von Schrenk (für Bayern), Nostitz und Jänckendorf (für Sachsen), von Kielmannsegge (für Hannover), von Reinhard (für Württemberg), Marschall von Bieberstein (für Baden), von Münch-Bellinghausen (für Kurhessen und Hessen-Darmstadt), von Bülow (für Dänemark wegen Holstein und Lauenburg), von Scherff (für die Niederlande wegen Luxemburg), von Fritsch (für Großherzogtum und Herzogtümer Sachsen), von Düngern (für Braunschweig und Nassau), von Oertzen (für Mecklenburg), von Eisendecher (für Oldenburg, Anhalt und Schwarzburg),

816 1.

§ 3: Deutscher Bund

[Dok. 3 1 - 8 4 ]

Der von der Militärcommission mit dem Separatprotokoll vom 23. Juni 1854 | vor gelegte neue Entwurf der fünf ersten Abschnitte der näheren Bestimmungen der Kriegs^ | Verfassung des Deutschen Bundes wird, mit Vorbehalt der Entscheidung über die §§. 15, 18, | 19 und 22, in der, in der Beilage zu diesem Protokoll*^ enthaltenen Fassung genehmigt. *) Sie ist unter Ziffer 2 hier angefügt.^

[S. 22] 2. Bis zur erfolgten Entscheidung, ob die Befreiung der Stellung der Reiterei auf= | gehoben wird, haben diejenigen Staaten, welche dermalen Reiterei aufgestellt haben, dieselbe | beizubehalten, sowie selbstredend hinsichtlich derjenigen Puncte, welche Gegenstand der einst= | weilen noch zurückgestellten vier Paragraphen sind, die bisherigen bundesgesetzlichen Bestim= | mungen bis zu anderweiter bundesgesetzlicher Regelung in Kraft bleiben. 3. Die höchsten und hohen Regierungen werden ersucht, die erforderlichen Anordnung I gen zum Vollzug der sub num. 1 angenommenen Bestimmungen zu treffen. 4. Der Militärcommission ist in Erledigung ihres Berichtes vom 23. Juni 1854 | von dem vorliegenden Beschlüsse Kenntniß zu geben. [S. 29] Beilage 2. | zu §. 6 Nähere Bestimmungen der Kriegsverfassung des Deutschen Bundes Erster Abschnitt. | Stärke des Bundesheeres und Allgemeine Bestimmungen. §.1. Kriegsmacht, Contingent. ^Die Kriegsmacht des Bundes ist aus den Contingenten aller Bundesstaaten | zusammengesetzt. "^Jedes dieser Bundescontingente besteht aus dem Haupt=, dem Reserve^ | und dem Ersatz=Contingent. ^Die beiden ersteren sind bestimmt, als Bestandtheile des | Bundesheeres in das Feld zu rücken und die Bundesfestungen zu besetzen; das letztere bleibt | zur Bildung des dem Heere nachzusendenden Ersatzes im eigenen Staate zurück. Diese Contingente werden nach der im Bundesbeschlusse vom 14. April 1842 festge= | setzten Matrikel, welche in der Anlage zu Ziffer 1 *) beigefügt ist, berechnet, und betragen | für jeden Bundesstaat an streitbarer Mannschaft im Hauptcontingent ein und ein Sechstel (l/Vg) im Reservecontingent ein Drittel (V3) im Ersatzcontingent ein Sechstel (VÖ) | Procent dieser Matrikel. *) Die zu diesen fünf ersten Abschnitten der näheren Bestimmungen des Bundes=Kriegsverfassung gehörigen 11 Bei= | lagen werden erst nach Feststellung sämmtlicher Paragraphen ausgearbeitet und zur Beilage gebracht werden.'' §. 2. Aufgebot und Ersatz. Das Bundesheer muß in der Stärke, in welcher dasselbe vom Bunde aufgeboten wird, | in allen seinen Theilen vollständig gestellt und vollzählig erhalten werden. Damit aber bei größeren Verlusten einzelner Bundescontingente unverhältnißmäßige | Leistungen vermieden werden, soll der Ersatz an Mannschaft für das Heer in einem | Kriegsjahre ein halbes Procent der Matrikel nicht übersteigen. von Holzhausen (für Hohenzollern, Liechtenstein, Reuß, Schaumburg-Lippe, Lippe und Waldeck), Harnier (für Lübeck, Frankfurt, Bremen und Hamburg). ^ Anmerkung im Original. ^ Anmerkung im Original.

[83] Revidierte Fassung der Näheren Bestimmungen ... vom 4. Januar 1855

817

§.3. Größere Anstrengungen. ^Größere Anstrengungen müssen durch besondere Bundesbeschlüsse bestimmt werden. | ^Sind solche größere Anstrengungen ausnahmsweise auf Ersuchen des Bundes von | einzelnen Bundesstaaten geleistet worden, so sind die dadurch veranlassten Kosten alsbald | nach der Matrikel auszugleichen. §. 4. Streitbare und nicht streitbare Mannschaft. In der Zahl der §. 1 erwähnten Contingente ist nur die streitbare Mannschaft | aller Waffengattungen begriffen. Zur streitbaren Mannschaft werden gerechnet: die Officiere, Unterofficiere, Gemeine, | Spiel= und Zimmerleute, dann die Artilleriefuhrwesens=Soldaten, soweit sie nach §. 10 | [S. 30] hinzugezählt werden dürfen, femer von Musikern höchstens acht bei jedem Bataillon, in I so fem sie auch als wirkliche Spielleute (d. i. Signalisten) verwendet werden können. Dagegen sind über die als Contingente festgesetzten Zahlen zu stellen: alle Beamte und | Mannschaften, welche dem Heere als Geistlichkeit, als Gerichtspersonal, femer flir das | Armeefiihrwesen, für die Verpflegung mit Einschluß der Bäckerei, sowie flir das Sanitäts= | und Lazarethwesen zugetheilt werden, dergleichen diejenigen Schreiber, Officierdiener und I Handwerker, welche nach den Dienstvorschriften des betreffenden Bundescontingents nicht in | Reih' und Glied einzutreten bestimmt sind. §.5. Reservekontingente. Die Reservecontingente müssen den Hauptcontingenten ganz gleich organisirt und bereit I gehalten werden. §. 6 Landwehr, Landsturm, Bürgerwehr Es bleibt den Bundesstaaten überlassen, zur Bildung ihrer Bundescontingente auch | Landwehr zu verwenden, doch muß dieselbe gleich den Linientmppen geübt, ausgerüstet, | schlagfertig und mit in der Linie gebildeten Officieren besetzt seyn (vgl. §. 24). Als Gmndsatz wird hierbei angenommen, daß kein Bundescontingent zum größeren | Theile aus Landwehr bestehen könne. Der Landsturm, die Bürgerwehr, Miliz und ähnliche Volksbewaffiiungen gehören nicht | in das geregelte System des Krieges, sondem sind zu den Anstalten zu zählen, welche im | Augenblicke der Gefahr ihre Bestimmung erhalten, und dem eigenen Ermessen der einzelnen I Bundesstaaten überlassen bleiben. Zweiter Abschnitt. | Verhältniß der Waffengattungen und Chargen. §.7. Reiterei. Das numerische Verhältniß der Reiterei des Bundesheeres wird auf ein Achtel der | Gesammtzahl eines jeden Contingents angenommen (vergl. §§. 18 und 23). Wenigstens zwei vom Hundert dieser Reiterei wird als Feldgensdarmerie (§. 97) gestellt und in jener eingerechnet. §.8. Feldartillerie. Für die Feldartillerie wird das Verhältniß dergestalt festgesetzt, dass zwei und ein | halb Stück Geschütz für jedes Tausend Mann des Haupt= und Reservecontingents als | Minimum gerechnet werden. Die Feldartillerie jedes Bundes=Armeecorps soll in der Regel bestehen aus | einem Viertheil Haubitzen, | einem Viertheil Zwöl^flindem, | zwei Viertheilen Sechspfiindem; |

818

§ 3: Deutscher Bund

[Dok. 31 - 84]

ein Fünftheil der Gesammtzahl soll reitende Artillerie oder Reitereigeschütz seyn | (vgl. §§.18 und 23). [S. 31] ^Die Stellung schwerer Feldgeschütze als Zwöl^flinder, oder einer größeren Anzahl | der letzteren und der Haubitzen, sowie der reitenden Artillerie wird der Convenienz der be= I treffenden Staaten überlassen, und in diesem Falle von der Zahl der leichten Fuß=(fah-renden) | Geschütze abgerechnet. ^Ebenso bleibt es den einzelnen Staaten überlassen, außer der fest= | gesetzten Geschützzahl noch Raketenbatterien zu stellen (vgl. §. 10). §. 9. Belagerungspark. Außer den Feldgeschützen wird ein Belagerungspark für das gesammte Bundes= | heer, welcher aus | 100 schweren Kanonen, | 30 Belagerungshaubitzen und | 70 Mörsern | bestehen soll, nach den unter Ziffer 2 bis 4 beiliegenden Uebersichten gestellt, und im Falle | eines Krieges nach den Bestimmungen des Oberfeldherm auf einem oder mehreren Puncten | vereinigt. In den gemischten Armeecorps ist die conventionsmäßig übernommene Leistung der | einzelnen Glieder derselben für den Belagerungspark (vergl. §. 19) in den erwähnten Aus= | weisen aufgeführt. §.10. Artilleriemannschaft. Für die Bedienung der Feldgeschütze werden im Durchschnitt auf jedes Stück 30 | Mann an Stäben, Bedienungsmannschaft und Fahrern der Geschütze sowie der Munitions= | wagen der Batterien gerechnet. Was über diese Zahl fiir die Munitionscolonnen und für das sonstige Artilleriefuhr= | wesen an Mannschaften nöthig ist, wird ohne Einrechnung in die Contingente durchschnitt= I lieh mit 10 bis 15 Mann auf jedes Geschütz gestellt, - Raketeure aber, wo diese nach §. 8 I erforderlich sind, können als Streitbare angerechnet werden. Die zur Bedienung des Belagerungsparkes gehörende Artilleriemannschaft, sowie | die zu den Besatzungen der Bundesfestungen erforderliche wird außer der Mannschaft der | Feldartillerie von denjenigen Bundesstaaten als Streitbare gestellt (vergl. §. 13), welche diese | Geschütze des Belagerungsparkes oder die Besatzungen der Bundesfestungen geben, und zwar | beziehungsweise nach den (den §§.9 und 44) unter Ziffer 4 und 11 beiliegenden Tabellen. §.11. Brückentrain. Ein jedes Armeecorps ohne Unterschied, ob gemischt oder ungemischt (vergl. §. 15), stellt I einen Brückentrain ftir eine Flußbreite von 400 Fuß und außerdem für die Avantgarde I eine vollständige Birago'ische Brückenequipage von 150 bis 200 Fuß Länge (vergl. §. 19). §. 12. Pioniere, Genietruppen. Für Pioniere und Pontoniere wird das Verhältniß des einhundertsten Theiles der | Armee festgesetzt. Außer diesem hundertsten Theil der Armee werden die nach Anlage Ziffer 4 zum Be= | lagerungspark gehörenden Sappeure und Mineure von denjenigen Bundesstaaten gestellt, | bei welchen sich diese Truppen bereits im Frieden organisirt befinden, imgleichen die nach I Anlage Ziffer 11 zu den Besatzungen der Bundesfestungen erforderlichen Pionniere und Ge= | nietruppen von den diese Besatzungen gebenden Bundesstaaten.

[83] Revidierte Fassung der Näheren Bestimmungen ... vom 4. Januar 1855

819

[S. 32] §.13. Infanterie und Jäger. Das numerische Verhältniß der Infanterie ergibt sich von selbst, wenn die Reiterei, | die Bedienung der Feldgeschütze, der etwa gestellten Raketen und des Belagemngsparkes, die | Festungsartillerie, so wie die Pioniere und Genietruppen von der Gesammtzahl des ganzen | Heeres abgezogen werden. Ungefähr der fünfzehnte Theil der Infanterie soll aus Jägern, Büchsenschützen oder | mit gezogenen Gewehren bewaffneten Scharfschützen bestehen. §.14. Zahlenverhältniß der Chargen, Aerzte etc. zur streitbaren [ Mannschaft. Bei den Truppen soll das Zahlenverhältniß der Chargen zur streitbaren Mann= | schaft im Haupt= und Reserve^, so wie im Ersatz=Contingent - nach Maaßgabe der verschie= | denen Organisationen - als Minimum betragen 1 Officier auf 45 bis 50 Streitbare bei der Infanterie, 30 bis 35 Streitbare bei den anderen Waffengattungen, 1 Unterofficier auf 12 bis 15 Streitbare bei der Infanterie, 10 bis 12 Streitbare bei den anderen Waffengattungen, 1 Spielmann auf ..45 bis 60 Streitbare bei der Infanterie, den Pionnieren und Genietruppen, 40 bis 50 Streitbare bei der Reiterei und Artillerie. Die höheren Stäbe bis einschließlich der Brigadestäbe, die höheren Artillerie= und | Geniestäbe (das Ingenieurcorps) und der Generalstab (vgl. Ruhr. 5, 6 und 7 der | Standesübersicht, Anlage Ziffer 5) sind in den nach den vorstehenden Ansätzen sich ergebenden Bedarf nicht eingeschlossen. Ingleichen sind von den Unterofficieren die Bombardiere, die Rottmeister und | Gefreite und von den Spielleuten (SignaHsten und Trompetern) sämmtliche Musiker bei | obigen Feststellungen ausgeschlossen. An geprüften Militärärzten soll mindestens gestellt werden: für die Truppen ein Arzt auf 300 Streitbare, fur stehende und ambulante Feldlazarethe ein Arzt auf 30 Kranke, | das heißt auf 300 bis 360 Mann des Haupt= und Reservecontingents. Das nach dem Bedarf zu stellende höhere ärztliche Personal ist in dieser Zahl mit= | begriffen. Für alle Waffengattungen sind nach Bedarf der Truppenabtheilungen die nöthigen | Thierärzte, Curschmiede, Büchsenschmiede, Sattler und sonstigen Handwerker zu | stellen. Dritter Abschnitt. | Eintheilung des Bundesheeres. §.15. Armeecorps und Uebersicht. (ausgesetzt). §.16. Bestandtheile. Mindestens soll enthalten 1 Armeecorps 2 Divisionen, | [S. 33] 1 Division 2 Brigaden, | 1 Brigade 2 Regimenter oder 4 Bataillone, | 1 Infanterieregiment 2 Bataillone, | 1 Reiterregiment 4 Schwadronen. Der Regel nach muß stark seyn 1 Bataillon mindestens 800, höchstens 1200 Streitbare, 1 Infanteriecompagnie mindestens 120, höchstens 250 Streitbare, 1 Schwadron mindestens 120, höchstens 180 Streitbare, 1 Batterie mindestens 6, höchstens 8 Geschütze.

820

§3: Deutscher Bund

[Dok. 3 1 - 8 4 ]

§.17. Minima in den Waffengattungen. Hinsichtlich der einzelnen Waffengattungen beträgt das Minimum im Haupt= und | Reservecontingent zusammen bei der Reiterei 1 Division von 300 Pferden, bei der Artillerie 1 Batterie von 6 Geschützen. ^Die Bundescontingente, welche in der Infanterie die Stärke eines Bataillons nicht | erreichen, sind zu combinirten Bataillons zu vereinigen. '^Letztere müssen ganz gleich organisirt, I bewafftiet und geübt seyn. Wo die Vereinigung zu combinirten Bataillons nicht ausfuhrbar ist, muß die selbst^ | ständige Organisation der Infanterie den vorerwähnten Normen desjenigen Truppenverbandes I entsprechen, welchem sie zugetheilt ist. Die in §. 13 vorgeschriebenen Scharfschützen werden entweder in besonderen Ab= | theilungen formirt oder den Bataillonen zugetheilt. §.18. Vertretung in den Spezialwaffen. (ausgesetzt). §.19. Anzeige von Vereinbarungen und Veränderungen. (ausgesetzt). §. 20. Commandostellen. 1) Das aufgestellte Kriegsheer des Bundes wird von einem Oberfeldherm befehligt | (§. 45 etc.). 2) Jede Armeeabtheilung, welche als Theil des Bundesheeres nach §.35 aufgestellt | wird, so wie jedes Armeecorps erhält einen Commandanten (vergl. §§.46 und 67 etc.). Das Commando der übrigen taktischen Körper muß in der Regel von folgenden | Dienstgraden geführt werden: 3) der Division von einem Generallieutenant, mindestens von einem Generalmajor, 4) der Brigade von einem Generalmajor, mindestens von einem Obersten, 5) des Infanterieregiments von einem Obersten, mindestens von einem Oberstlieutenant, des Reiterregiments | oder von sechs Batterien | von einem Obersten, mindestens von einem Major, [S. 34] 6) des Infanteriebataillons | der Reiterdivision | oder von zwei Batterien von einem Major, höchstens von einem Oberstlieutenant, 7) der Compagnie, Schwadron | oder Batterie | von einem Hauptmann (Rittmeister). ^Bei Zusammenstoßen verschiedener Abtheilungen entscheidet über die Führung des Com= I mando's der Functionsgrad, welcher nach obiger Nummemfolge bekleidet wird. ^Zwischen | Officieren von gleichem Functionsgrad entscheidet der Dienstgrad. "'Sind sich Functions= | und Dienstgrad gleich, dann entscheidet das Datum des Patents, und sollte zufällig auch I dieses gleich seyn, die Reihenfolge der Matrikel (s. §.1). Vierter Abschnitt. | Bereithaltung im Frieden. §.21. Umfang derselben. Die Heeresmacht des Bundes muß sich stets in einem Zustande befinden, welcher ge= | eignet ist, allen Wechsellfällen zu genügen und im eintretenden Falle den Uebergang aus der I Friedens= in die Kriegsbereitschaft mit der erforderlichen Beschleunigung zu bewirken.

[83] Revidierte Fassung der Näheren Bestimmungen ... vom 4. Januar 1855

821

Die Friedensbereitschaft muß daher die Mittel gewähren, in möglichst kurzer Zeit, er= | forderlichen Falls gleichzeitig das Haupt= und Reservercontingent in allen Waffengattungen marsch= und | schlagfertig für das Feld und die Besatzung der Bundesfestungen aufzustellen, so wie die Ersatztruppen zu formiren. Die zur Erreichung dieses Zweckes für die Friedensbereitschaft der drei Contingente | nachstehend ertheilten Bestimmungen sind nur als Minima der Bundesforderungen zu | betrachten, unbeschadet desjenigen, was über diese Contingente und deren Friedensbereit^ | Schaft hinaus für die bestehenden Landes= und sonstigen Verhältnisse der betreffenden einzel= I nen Bundesstaaten noch weiter geboten und dieserhalb von deren Regierungen zur voll= I ständigen Sicherung der Bereitschaft, sowie zur Erhaltung der inneren Ordnung und I zur Besetzung der Landesfestungen aufgestellt wird. §. 22. Dienstverpflichtung, ununterbrochene und Gesammt=Präsenz. (ausgesetzt^). §.23. Bereithaltung der Mannschaft und der Pferde. Das Haupt= und Reservecontingent des Bundesheeres muß auch im Frieden | bis auf die im §. 26 gestatteten Vacanzen in ausgebildeter, felddienstfähiger Mannschaft | und geeigneten Pferden vollständig erhalten werden. *Für die Ersatztruppen müssen im Friedensetat jedes Bundescontingents die Mittel | vorhanden seyn, um die Mannschaft unverzüglich mit ihren Cadres an Officieren, Unter= | officieren und Spielleuten versehen zu können, ohne die §. 14 festgestellten Verhältnisse für | das Haupt= und Reservecontingent zu beeinträchtigen. ^Es dürfen diese Chargen jedoch | höchstens bis zur halben Zahl des Bedarfs, aus auf Wartegeld Stehenden oder Halb= | invaliden bestehen. [S. 35] An Gemeinen müssen bei erster Formation der Ersatztruppen mindestens jeder Ab= | theilung der Infanterie der dritte Theil, jeder Abtheilung der anderen Waffen die Hälfte | ihrer Stärke in ausgebildeter Mannschaft überwiesen werden können, und sind diese daher | stets evident zu erhalten. §. 24. Präsenzstand. Zur Ersparang des Soldes und der Verpflegung kann zwar im Frieden, so weit es die | Landeseinrichtungen unbeschadet des Zweckes gestatten, eine Beurlaubung oder Vacanthaltung | (vergl. §§.25 und 26) stattfinden; der nachstehend festgesetzte Theil der Mannschaft und | der Pferde muß jedoch bei den Fahnen und im Dienst gehalten werden, in so weit sich nicht | schon ein höherer Präsenzstand durch die Bestimmungen des §. 22 ergibt. I. Für Haupt= und Reservecontingent - es mag eine Formation mit oder | ohne Landwehr bestehen (vergl. §. 6) - sind zusammengerechnet im Frieden mindestens | präsent zu halten: 1) bei allen Waffengattungen: fünf Sechstel (^4) der Officiere, 2) bei der Infanterie: drei Viertel (^74) der Unterofficiere und Spielleute, ein Sechstel (Ve) der Gemeinen; 3) bei der Reiterei: a) drei Viertel (^74) bis vier Füftel C/s) der Unterofficiere, Trompeter und Ge= | meinen nebst Pferden, wo nach §. 26 bezüglich ein Viertel (V4) oder ein Fünf= | tel (V5) der Pferde vacant gehalten wird, ^ Vgl. dazu Dok. 83/1.

822

§3: Deutscher Bund

[Dok. 3 1 - 8 4 ]

b) zwei Drittel (V3) der Unterofficiere; Trompeter und Gemeinen nebst Pferden, wo I Landwehi^Reiterei besteht, c) ein Drittel (Vc (V3) derselben, wo eine Beurlaubung mit Pferden und mit Sold statt= I findet; 4) bei der Fußartillerie: drei Viertel (%) der Unterofficiere und Spielleute, | ein Drittel (V3) der Gemeinen und Reitpferde; 5) bei der reitenden Artillerie: wie unter 3 bei der Reiterei, und 6) bei der Festungsartillerie: die Unterofficiere und Spielleute, wie unter 4 | bei der Fußartillerie, die Gemeinen wie unter 2 bei der Infanterie; 7) bei den Pionnieren und Genietruppen: | wie unter 4 bei der Fußartillerie angegeben ist. Rekruten dürfen bei der Infanterie, der Fußartillerie, den Pionnieren und Genie= | truppen in den sechs Monaten ihrer Ausbildung (vergl. §. 29) nicht in die vorerwähnten | Präsenzstände eingerechnet werden. ^Bei der Artillerie muß außerdem die Fahrmannschaft, welche zu der im Frieden | beizubehaltenden Bespannung für drei Achtel sämmtlicher Geschütze und ersten Munitions^ | wagen gehört, in so weit diese Mannschaft nicht schon in den oben unter 4 und 6 festgestell= I ten Präsenzständen enthalten ist, stets im Dienste seyn. "^Die Vertheilung erwähnter präsent | zu haltender Pferde auf einige oder auf sämmtliche Batterien bleibt überlassen. [S. 35] Die Präsenzstärke während der Uebungen ist §. 30 angeordnet. IL Für die Ersatztruppen sind die Mittel (vergl. §, 23) zur Stellung min= | destens der Hälfte der nach §.14 erforderlichen Officiere, Unterofficiere und Spielleute prä= | sent zu halten, - ingleichen eine angemessene Anzahl von Pferden in denjenigen Bundes= | Staaten, in welchen die Erlangung des Pferdebedarfes Schwierigkeiten bietet. III. Von Nichtstreitbaren ist wenigstens der dritte Teil sämmtlicher nach §. 14 | erforderlichen Aerzte präsent zu halten, | die sonstigen Nichtstreitbaren in dem Maaße, als es der Gesundheitsdienst, das Gerichts= | wesen, die Verwaltung und das Fuhrwesen, insbesondere bei der Artillerie nach §. 10 | erfordert. §.25. Beurlaubung. Als beurlaubt müssen diejenigen Mannschaften, sowohl streitbare, wie nichtstreitbare, | ingleichen alle Pferde nachgewiesen werden, welche das Haupt= und Reservecontingent | nach seiner den Bundesanforderungen entsprechenden Kriegsformation außer den Präsentgehal= I tenen (§. 24) und den in §. 26 gestatteten Vacanzen enthalten soll. Auch für die Ersatztruppen sind die §. 23 geforderten Mannschaften zu berechnen. Die Beurlaubung darf bei keinem Mann früher eintreten, bevor er die §. 22 fest= | gestellte Zeit der ununterbrochenen Präsenz beendigt hat. Sie darf in den verschiedenen Waffengattungen nur in der Art staatfinden, daß die | kleinsten taktischen Körper (Compagnien, Schwadronen, Batterien) wenigstens als Stämme I bestehen bleiben. §. 26. Vacanthaltung. Eine dauernde Vacanthaltung ist im Haupt= und Reservecontingent a) bei Officier= und Unterofficier=Stellen nur in so weit und nur in den | nach §. 24 nicht präsent zu haltenden zulässig, als die Mittel genügend nachgewiesen wer= | den, diese Stellen bei dem Eintritte der Mobilmachung sofort angemessen zu besetzen. Sie I darf sich aber in der Gesammtzahl höchstens | auf den zwölften Theil (V12) der Officiere, und zwar in den untersten Stellen, und | auf den sechsten Theil (Ve) der Unterofficiere erstrecken.

[83] Revidierte Fassung der Näheren Bestimmungen ... vom 4. Januar 1855

823

b) Bei Spielleuten und Gemeinen ist eine solche dauernde Vacanthaltung nicht | zulässig. Es müssen dagegen an Gemeinen resp. Unterofficieren so viele mehr nachgewiesen I werden, als die etwaige Vacanz an Unterofficieren oder Officieren beträgt. c) Bei den Nichtstreitbaren darf der dritte Theil der Ärzte, welche nach §. 14 | im Ganzen erforderlich sind, vacant gehalten werden, in so fem in gleicher Weise, wie unter | a. erwähnt, der Gesammtbedarf sicher gestellt ist. Die anderweiten Nichtstreitbaren sind, so weit sie nicht unter die Präsenten oder | Beurlaubten bereits zählen, nach dem Kriegsbedarf zu ermitteln und in Listen zu führen. d) Bei den Pferden darf im Frieden nur vacant gehalten werden | ein Fünftel (V5) bis ein Viertel (V4) der Reitpferde der Reiterei und der reitenden Artillerie, | in so fem eine Landwehr=Einrichtung oder Beurlaubung der Dienstpferde nicht stattfindet, | zwei Drittel (^/s) der Reitpferde der Fußartillerie, | fünf Achtel (^/g) der Zugpferde der Geschütze und ersten Munitionswagen, femer | die ganze Bespannung für die den Batterien nicht unmittelbar angehörenden Munitions= | wagen, so wie aller anderen Fuhrwerke des Contingents. [S. 37] ^Es sind aber die Landeseinrichtungen der Art zu treffen, daß im Falle der Mobil= | machung des Heeres (Abschnitt V) die sämmtlichen vacant gehaltenen Pferde rechtzeitig | eingestellt werden können. ^Hierzu wird eine genaue und fortlaufende Controle der in jedem | Landestheile vorhandenen Pferde und ihrer Beschaffenheit nöthig. §. 27. Kriegsmaterial. Für den completen Stand des Haupt= und Reservecontingents, so wie für die Er= | satzmannschaft muß auch im Frieden das erforderliche ICriegsmaterial stets in gehöriger | Anzahl und Eigenschaft vorhanden sein. ^Es betrifft dieses die Waffen, die Munition, die Bekleidung, die Equipimng und Feld= | geräthe jeder Art, die gesammte Pferdeausrüstung und Beschirmng für die Reiterei, Artille= I rie und die Trains, so wie die nöthigen Fuhrwerke für dieselben (§. 43). ^Insbesondere I muß bei den Fußtmppen eine doppelte Gamitur Stiefel (Schuhe) bereit gehalten werden. ^In den Zeughäusem müssen außerdem die erforderlichen Vorräthe liegen, um jeden | Abgang schnell ersetzen zu können. ^Dahin gehören für die Haupt= und Reservecontin= | gente berechnet, als Minimum 1) an Geschützen, Munitionswagen und sonstigen Fahrzeugen ein Drittel (1/3) der Batte= I rien als Feldreserve, 2) an Infanterie^^Gewehren und Jägerbüchsen eine vollständige zweite Gamitur, | von welcher zunächst der erste Ersatzstamm bewaffnet werden kann, 3) an Carabinem; Pistolen und blanken Waffen die Hälfte des zur Bewaffiiung Erfor= | derlichen. Den Bedarf zur ersten Ausrüstung für die Feldgeschütze und Feuergewehre zeigt Anlage I Ziffer 6. Für die Mannschaft als Taschenmunition, für die Batterien und bespannten Mu= | nitionscolonnen sind hiervon bestimmt für jeden Infanteristen 150 Schuß, für jeden Reiter 60 Schuß, für jede 6pfünder=Kanone 260 Schuß, für jede 12pfünder=Kanone 225 Schuß, für jede Haubitze 175 Schuß. Eine Reservechargimng von gleicher Höhe, für die Depots bestimmt, muß mindestens | zur Hälfte fertig in Material verfügbar seyn (vgl. §. 40).

824

§ 3: Deutscher Bund

[Dok. 31 - 84]

Der Munitionsbedarf fiir den Belagemngspark ist aus Tabelle 2 ersichtlich und | im Material vorräthig zu halten. Die Arznei, Verbandrequisiten und Hospitalbedürfhisse sind, auf den zehnten bis zwölf= I ten Theil der Stärke des Haupt= und Reservecontingentes berechnet, stets vorräthig zu I halten oder müssen, was die Arznei betrifft, durch Contracte sicher gestellt seyn. §. 28. Caliber. In Hinsicht der Bewaffnung, des Calibers der Gewehre und Geschütze soll in jedem | Armeecorps eine solche Uebereinstimmung stattfinden, daß die Munition der Artillerie und I vorzüglich jene der Feuergewehre gegenseitig gebraucht werden kann. [S. 38] Im Falle der Neuanschaffung von Geschützen für den Belagerungspark haben sich die | drei gemischten Armeecorps in Rücksicht des Calibers an Oesterreich, Preußen oder Bayern I anzuschließen. §. 29. Erste Ausbildung, Felddienst und Schießübungen. ^Ein Zeitraum von sechs Monaten ist als das Minimum anzusehen, welches zur Aus= | bildung eines eingeübten Soldaten angenommen werden muß. ^Bis zum Ablauf dieses | Zeitraumes ist er als Rekrut zu betrachten. (Hinsichtlich der Präsenzberechnung desselben | vergl. §§. 22und24.) Nächstdem bilden die Felddienst= und Schießübungen einen Uebungszweig, der | während der ferneren ununterbrochenen Präsenz vorzugsweise in Ausführung zu bringen ist. Für die Schießübungen wird als Norm festgesetzt, daß jährlich | bei den Jägern und Scharfschützen jeder Subaltemofficier, Unterofficier und Ge= | meine 90, | bei der Infanterie jeder Mann wenigstens 30 scharfe Patronen verschießt. Kein Mann darf beurlaubt werden, bevor derselbe die zweite Schießübung abge= | halten hat. Die Artillerie hält alljährlich Uebungen im Scharfschießen und zwar nach Maßgabe | ihrer Bestimmung als Feld=, Belagemngs= und Festungs=Geschützen ab, wobei sämmtliche | für die verschiedenen Geschütze bestimmten Geschoßarten zur Anwendung kommen müssen. Diesen Uebungen ist eine solche Ausdehnung zu geben, daß jeder Mann in der Bedie= | nung des Geschützes mit scharfer Munition die fur den Krieg erforderliche Fertigkeit er= | langen kann. Die für die Ergänzung der Trainsoldaten, insbesondere der Fahrer, ausgehobene | Mannschaft ist entsprechenden ersten Einübungen zu unterwerfen. §. 30. Größere Uebungen. In so fem der in §. 24 festgesetzte Präsenzstand nicht schon eine höhere Uebungsstärke | bedingt, und eine längere Dauer der Uebungen gestattet, sind in jedem Bundesstaate | die verschiedenen Waffengattungen alle Jahre wenigstens in der halben Kriegsstärke des Haupt= 1 und Reservercontingents mindestens vier Wochen hindurch im Dienst und im Gebrauch I der Waffen zu üben, jedoch ohne bei der Artillerie den Präsenzstand der Pferde erhöhen I zu müssen. Es sind Vorkehrungen zu treffen, daß jeder einzelne taktische Körper, insbesondere | jedes combinirte Bataillon jährlich vereinigt und mindestens alle zwei Jahre abwechselnd | Antheil an Uebungen von Brigaden oder Divisionen nehme, und daß jedes Armeecorps sich I wenigstens alle sechs Jahre zu gemeinschaftlichen Uebungen vereinige.

[83] Revidierte Fassung der Näheren Bestimmungen ... vom 4. Januar 1855

825

§.31. Anderweite BildungsmitteL Um den kleineren Bundescontingenten die Mittel zu erleichtem, ihren Ersatz an mili= | tärisch gehörig gebildeten Officieren zu sichern, ist durch Uebereinkünfte den Officieraspiran= | ten und Officieren der Zutritt zu den Militär=Bildungsanstalten und Prüfungen | der größeren Bundesstaaten zu eröffnen. Zur Gewinnung tüchtiger Unterofficiere müssen nicht nur überall Bataillons= (Regi= | ments=) Schulen bestehen, sondern es empfiehlt sich, daß auch durch Zulagen an Län= | [S. 38] gerdienende (Capitulanten) und da, wo Stellvertretung stattfindet, durch vorzugsweise I Berücksichtigung gedienter Leute obiger wichtige Zweck gefördert werde. §.32. Reglements. Auf eine möglichste Uebereinstimmung der Hauptgrundlagen des militärischen Dienstes I ist in dem ganzen Bundesheer hinzuarbeiten. Insbesondere sollen in Hinsicht der Waffenübungen und der Dienstreglements | wenigstens in der Hauptsache bei jedem Armeecorps gleiche Grundsätze beobachtet werden. §.33. Standesübersichten. Spätestens am 1. Febraur jedes Jahres wird der Bundesversammlung von jedem | Bundesstaate eine nach beiliegendem Schema Ziffer 7, angefertigte Standesübersicht | des Bundescontingents vorgelegt. Aus diesen einzelnen Standesübersichten wird alsdann eine Generalübersicht des | Bundesheeres zusammengestellt. §. 34. Musterung. Die Contingente der einzelnen Bundesstaaten sollen mindestens alle fünf Jahre einer | durch die Bundesversammlung angeordneten Musterung unterworfen werden. ^Die Instruction fur die zur Musterung abgeordneten Generale ist in der Anlage | Ziffer 8 enthalten. ^Dieser generellen Instruction sind nöthigenfalls für einzelne Zwecke | specielle Zusätze beizufügen. In besonderen Fällen behält sich die Bundesversammlung auch außer den funl^ ährigen | Musterungen in kurzer Frist zu bestimmende neue Inspicimngen einzelner Bundescontin= | gente vor. Diejenigen Bundesglieder, welche zusammen einen gemischten Truppentheil bilden, haben I sich unter einander für eine häufiger wiederkehrende Musterung mindestens in der Division | zu vereinigen (§. 19). Fünfter Abschnitt. [ Mobilmachung und Besatzungen der Bundesfestungen. §.35. Umfang der Mobilmachung. Der Bund wird beschließen, ob von jedem Bundesstaate nur ein Theil oder das | Ganze des Hauptcontingents, oder ob erforderlichenfalls gleichzeitig auch das Reserve= | contingent zu stellen sey, sowie auch ob nur einzelne Bundescontingente zur Erfüllung | bestimmter Bundeszwecke aufgestellt werden sollen. §.36. Zeiterfordemiß fur die Mobilmachung. Spätestens vier Wochen nach der vom Bunde erfolgten Aufforderung müssen die | Contingente der einzelnen Bundesstaaten in der nach §.35 aufgebotenen Stärke voll= | ständig marsch= und schlagfertig zur Verfügung des Oberfeldherm auf den für jedes Ar= | meecorps in seinem Bezirk im Voraus zu bestimmenden Sammenplätzen aufgestellt seyn. Gleichzeitig werden die Ersatzabtheilungen (§.39) gebildet.

826

§ 3 : Deutscher Bund

[Dok. 3 1 - 8 4 ]

[S. 40] Am vierzehnten Tage nach dem Eingange des Bundesbeschlusses bei den betreffenden | Regierungen müssen die zur Kriegsbesatzung der Bundesfestungen bestimmten Trup= | pen (§. 44) zum Abrücken bereit seyn. §. 37. Stäbe und Truppen. ^Der Oberfeldherr und der Generallieutenant des Bundes werden nach §. 45 | und 51 von der Bundesversammlung gewählt. "^Dasselbe findet mit dem Oberbefehls= | haber statt, wenn nur ein Theil des Bundesheeres aufgeboten wird. Die Corpscommandanten der zusammengesetzten Armeecorps werden nach §. 68 | ernannt, und die Stäbe des Hauptquartiers, so wie der Armeecorps nach §.81 und 74 | gebildet. ^Die Eintheilung des Bundesheeres ist in §. 15 angegeben. ^Dem Oberfeldherren | werden Standesübersichten und Ordres de bataille der verschiedenen Armeecorps übergeben, | in welchen letzteren auf die Bildung einer starken Reiter= und Geschützreserve Rücksicht ge= I nommen wird. In dem besonderen Falle, wenn ausnahmsweiseein Tmppencorps aus Bestandtheilen | eines oder mehrere Armeecorps des Bundesheeres oder aus einzelnen Bundescontingenten | zusammengesetzt werden soll, wird durch Bundesbeschluß auch die Eintheilung dieses Corps I näher vorgeschrieben werden. Bei Aufstellung des Bundesheeres wird vom Oberfeldherm für alle Bundescontingente | ein gemeinschaftliches Erkennungszeichen vorgeschrieben. §. 38. Abgang. ^Der bei jedem aufgestellten Bundescontingent sich ergebende Abgang an Mannschaft, | Pferden und Material wird monatlich durch den Commandanten des Armeecorps mittelst | einer nach Anlage Ziffer 9 aufzustellenden Liste der betreffenden Regierung behufs Veran= I lassung der Nachsendung des Ersatzes mitgetheilt. '^Ein Duplicat dieser Liste wird dem Ober= | feldherm zur Kenntnißnahme überschickt und durch den letzteren auch der Bundesversammlung | die erforderlich Anzeige gemacht. Unter dem Abgange an Mannschaft werden verstanden 1) alle Todten, Gefangenen und Deserteure, gleich nach Eintritt des Falles, 2) alle Vermißten, nach einem Zeiträume von vier Wochen, 3) alle im Hospital befindlichen Verwundeten und Kranken, welche nach drei Monaten als I felddienstuntauglich anerkannt werden, 4) alle übrigen Verwundeten und Kranken nur, wenn sie den zehnten Theil des aufgestell= I ten Bundescontingents übersteigen. §.39. Ersatztruppen und Nachschub. Um die Vollständigkeit des Heeres fortwährend zu sichem, müssen, sobald den Regierun= I gen der Bundesbeschluß zur Aufstellung von Bundestruppen zugeht, auch die Ersatztrup= I pen in dem Verhältniß von ein Sechstel Procent der Matrikel (§. 1), jedoch bei | nur theilweiser Aufstellung des Hauptcontingents auch nur nach Maßgabe der nach §. 35 | wirklich aufgebotenen Streitkräfte, sowohl an Mannschaft (§. 23), wie an Pferden auf= | gestellt und unausgesetzt vollzählig erhalten werden (vergl. §. 2). [S, 41] Recruten, welche eine geeignete Ausbildung erlangt haben, können den abrückenden | Truppen belassen werden; die übrigen sind den Ersatztruppen zu überweisen. Sechs Wochen nach dem Ausrücken des Bundesheeres wird der bis dahin angezeigte | Abgang an Mannschaft sowohl, als an Pferden und Material durch eine Nachsendung | voll-

[83] Revidierte Fassung der Näheren Bestimmungen ... vom 4. Januar 1855

827

ständig ersetzt, und weiter mit diesen Nachsendungen nach Maßgabe des Bedarfes von | zwei zu zwei Monaten fortgefahren. ^Der Nachschub ist - falls der Ersatz nicht durch ältere Truppenkörper geleistet | wird möglichst in Marschbataillone und Marschschwadronen zu formiren, und bri= | gade=, divisions= oder corpsweise der Armee nachzusenden. ^Bei der Armee angekom= | men, werden die Marschbataillone und Marschschadronen aufgelöst. §. 40. Munitionscolonnen. Was zur ersten Ausrüstung an Munition für die Feldgeschütze und Feuergewehre | als erfordedich erachtet worden, ist §. 27 und in der Anlage Ziffer 6 angegeben. ^Von diesem Munitionsbedarf wird die Hälfte als Taschenmunition ausgegeben, theils | dem Heere sofort mit eigener Bespannung nachgeföhrt. ^Die andere Hälfte wird in Depots, welche | nicht über 24 Meilen von der ersten Aufstellung des Bundesheeres entfernt seyn dürfen, | zur Abfiihrung bereit gehalten. ^Für diesen Theil wird eigene Bespannung nicht gefordert. §.41. Hospitäler. Von den auf den zehnten (Vio) bis zwölften (V^) Theil der Stärke des ausgerück= | ten Bundesheeres zu berechnenden Feldhospitälem ist die Hälfte zu stehenden, und | die andere Hälfte zu beweglichen Hospitälern einzurichten (§. 27), und nach §.14 mit | einem hinlänglichen ärztlichen und Hospital=Personal zu versehen. Das Bundes=Sanitätsreglement enthält die näheren Bestimmungen. §. 42. Proviantcolonnen. Zugleich mit der Aufstellung des Heeres erfolgt die Bildung der Proviantcolonnen | in der Art, daß bei jedem Armeecorps, außer demjenigen, was die Truppen bei sich haben, | die Naturalverpflegung für die Mannschaft wenigstens auf vier Tage mit eigener Bespan= | nung mitgeführt werden kann. ^Bei jedem Armeecorps sollen so viele Backöfen mitgefiihrt werden, daß in 24 Stun= | den für den vierten Theil der Mannschaft gebacken werden kann. "^Das Bäckerpersonal (§. 4), welches militärisch organisirt und bewaffiiet werden soll, um nöthigenfalls ftir die | Vertheidigung der Magazine verwendet werden zu können, muß so berechnet werden, daß | auf jedes Tausend Mann vier Bäcker mit Einschluß der Oberbäcker kommen. Das nähere Detail der Verpflegung (vergl. Abschnitt IX) enthält das Bundes=Ver= | pflegungsreglement. §. 43. Bagagetains, Feldpost, Pferdedepots und Uebersicht des Fuhrwesens. Zur Fortschaffiang der übrigen vorschriftsmäßigen Tmppenbedürfiiisse müssen die auf | das Nothwendigste zu beschränkenden Fuhrwerke nebst Bespannung vorhanden seyn, die in I Bagagetrains vereinigt werden können. Für den Feldpostdienst ist bei jedem Armeecorps das erforderliche Personal anzu= | stellen, das Fuhrwerk und die Pferde anzuschaffen. [S. 42] Zum schleunigen Ersatz der bei dem Heere im Felde abgehenden Pferde hat jedes | Armeecorps ein Pferdedepot mitzuführen. Der Stand an Mannschaft und an Pferden für das gesammte Fuhrwesen des | Gepäcks, der Munition, der Lebensmittel, der Hospitalerfordemisse, der Feldpost und des | Pferdedepots ist nach beiliegendem Schema Ziffer 10ftirjedes Armeecorps nachzuweisen.

828

§3: Deutscher Bund

[Dok. 3 1 - 8 4 ]

§. 44. Besatzungen der Bundesfestungen. Die Besatzungen der Bundesfestungen bestehen aus den Truppen, welche die in | Anlage Ziffer 11 namhaft gemachten Bundes Staaten, nach den bestehenden Staats verträgen | und Bundesbeschlüssen ftir diesen Zweck zu stellen haben. Das Specielle sowohl hinsichtlich der Friedensbesatzung, des Minimums und der | vollen Kriegsbesatzung und wegen des nach dem Beürfhiß der Plätze ermittelten | Verhältnisses der verschiedenen Waffengattungen ist aus vorerwähnter Anlage zu ersehen. [S. 43] Inhalts verzeichniß. Erster Abschnitt. | Stärke des Bundesheeres und Allgemeine Bestimmungen. §.1. Kriegsmacht, Contingent. §. 2. Aufgebot und Ersatz. §.3. Größere Anstrengungen. §. 4. Streitbare und nicht streitbare Mannschaft. §.5. Reservekontingente. §. 6. Landwehr, Landsturm, Bürgerwehr. Zweiter Abschnitt. | Verhältniß der Waffengattungen und Chargen. §.7. Reiterei. §.8. Feldartillerie. §. 9 Belagerungspark. §.10. Artilleriemannschaft. §.11. Brückentrain. §.12. Pioniere, Genietruppen. §.13. Infanterie und Jäger. §.14. Zahlenverhältniß der Chargen, Aerzte etc. zur streitbaren Mannschaft. Dritter Abschnitt. | Eintheilung des Bundesheeres. §.15. Armeecorps und Uebersicht. (ausgesetzt). §.16. Bestandtheile. §.17. Minima in den Waffengattungen. §.18. Vertretung in den Spezialwaffen. (ausgesetzt). §.19. Anzeige von Vereinbarungen und Veränderungen, (ausgesetzt). §. 20. Commandostellen. Vierter Abschnitt. | Bereithaltung im Frieden. §.21. Umfang derselben. §. 22. Dienstverpflichtung, ununterbrochene und Gesammt=Präsenz. §.23. Bereithaltung der Mannschaft und der Pferde. §. 24. Präsenzstand. [S. 44] §. 25. Beurlaubung. §. 26. Vacanthaltung. §. 27. Kriegsmaterial. §. 28. Caliber. §. 29. Erste Ausbildung, Felddienst und Schießübungen. §.30. Größere Uebungen. §.31. Anderweite Bildungsmittel. §.32. Reglements. §.33. Standesübersichten. §. 34. Musterung. Fünfter Abschnitt. | Mobilmachung und Besatzungen der Bundesfestungen. §.35. Umfang der Mobilmachung.

[83/1] Bundesbeschluß vom 15. November 1855

829

§. 36. Zeiterfordemiß für die Mobilmachung. §. 37. Stäbe und Truppen. §. 38. Abgang. §.39. Ersatztruppen und Nachschub. §. 40. Munitionscolonnen. §.41. Hospitäler. §. 42. Proviantcolonnen. §.43. Bagagetains, Feldpost, Pferdedepots und Uebersicht des Fuhrwesens. §. 44. Besatzungen der Bundesfestungen. [S. 44a] Register | zu den fünf ersten Abschnitten der Näheren Bestimmungen der Kriegsverfassung I des Deutschen Bundes vom 4. Januar 1855*).^ *) Die Verhandlungen über die §§. 15, 18 und 19 (Armeecorps u. Uebersicht - Vertretung in den Specialwaffen - | Anzeige von Vereinbarungen und Veränderungen) sind noch in der Schwebe; auch werden die in den §§. 1,9, 15, | 27, 33, 34, 38, 43 u. 44 angezogenen eilf tabellar. Beilagen erst noch von der Militärcommission ausgearbeitet und | später nachgebracht.** [S, 44b - 44e]

[83/1] Bundesbeschluß vom 15. November 1855 Quelle: Protokolle der deutschen Bundes-Versammlung, 28. Sitzung vom 15. November 1855, § 311, S. 957 (961)-961 (gedruckt). Sonstige Fundstelle: P. A. G. Meyer (Hrsg.), Corpus Juris Germaniae Confoederationis oder Staatsacten für Geschichte und öffentliches Recht des Deutschen Bundes, Teil II (Beschlüsse der deutschen Bundesversammlung), 3. Aufl., Frankfurt a. M. 1859, S. 641. [S. 957] §.311. Den §. 22 der revidirten Näheren Bestimmungen der Kriegsverfassung des Deutschen | Bundes betr. ...[S. 961] . . . Die Bundesversammlung hat hierauf, nach weiterer Erörterung einer in Vor= | schlag gebrachten Redaktionsveränderung in Num. 2 des in Rede stehenden §. 22 der Nähe= | ren Bestimmungen der Bundes=Kriegsverfassung, | beschlossen: I. Dem §. 22 der revidirten Näheren Bestimmungen der Kriegsverfassung des Deutschen Bundes | folgende Fassung zu geben: §.22. Dienstverpflichtung und Gesammtpräsenz. 1) Die Dienstverpflichtung eines in die Bundescontingente einzurechnenden Mannes | beträgt mindestens sechs Jahre;

^ Vom Abdruck des alphabetisch geordneten Sachwortregisters wurde abgesehen. Lediglich die unter „*)" bezeichnete Anmerkung ist insoweit berücksichtigt. ^ Hierzu kam es in der Folgezeit indes nicht mehr.

830

§3: Deutscher Bund

[Dok. 3 1 - 8 4 ]

2) die Gesammtpräsenz bei der Infanterie V2, weniigstens 2 Jahre. 1/ M bei der Reiterei 3 " 1/ M bei der Fuß= und Festungsartillerie 2 " '2, 1/ M bei der reitenden Artillerie 3 " /25 M bei den Pionnieren und Genietruppen 1 / 2 " Die vorstehenden Bestimmungen über die Dienstverpflichtung und Präsenzzeit sind I nicht durchschnittlich, sondern für jeden einzelnen Mann einzuhalten. Die Berechnung der Präsenzzeit desselben beginnt mit seiner Einstellung bei I dem Truppentheil, wenngleich die Rekruten bei der Infanterie etc. nach §. 24 unter | I und §. 29 - nicht zum Präsenzstand gerechnet werden dürfen. 3) Ausnahmen von vorstehenden Bestimmungen auf Grund besonderer Verhältnisse I sind der Entscheidung der Bundesversammlung vorbehalten. IL Der Militärcommission hiervon Mittheilung zu machen.

[83/2] Bundesbeschluß vom 12. März 1857 Quelle: Protokolle der deutschen Bundes-Versammlung, 10. Sitzung vom 12. März 1857, § 128, S. 224 (225) - 225 (gedruckt). Sonstige Fundstelle: P. A. G. Meyer (Hrsg.), Corpus Juris Germaniae Confoederationis oder Staatsacten für Geschichte und öffentliches Recht des Deutschen Bundes, Teil II (Beschlüsse der deutschen Bundesversammlung), 3. Aufl., Frankfurt a. M. 1859, S. 668. [S. 224] §. 128. Die Anwendung des §. 22 der revidirten näheren Bestimmungen der Kriegsver= | fassung des Deutschen Bundes auf das Bundescontingent der freien Stadt | Frankfurt betreffend. ...[S. 225] . . . Die Bundesversammlung hat hierauf, aus Anlaß des von der freien Stadt | Frankfurt in der Bundestags^Sitzung vom 30. October v. J. gestellten Antrags, | beschlossen: 1) daß die Dienstverpflichtung derjenigen Mannschaften des Bundescontingents der | freien Stadt Frankfurt, welche durch Werbung eingestellt, und stets präsent gehalten werden, | mindestens vier Jahre zu betragen habe; 2) daß vorstehender Beschluß der freien Stadt Frankfurt durch Vermittlung ihres | Herrn Bundestagsgesandten zur Kenntniß zu bringen, auch die Militärcommission davon in Er= | wiederung ihres Berichts vom 22. December v. J. zu benachrichtigen sey.

[83/3] Bundesbeschluß vom 29. Oktober 1857 Quelle: Protokolle der deutschen Bundes-Versammlung, 10. Sitzung vom 29. Oktober 1857, § 318, S. 644 (646) - 646 (gedruckt). Sonstige Fundstelle: P. A. G. Meyer (Hrsg.), Corpus Juris Germaniae Confoederationis oder Staatsacten für Geschichte und öffentliches Recht des Deutschen Bundes, Teil II (Beschlüsse der deutschen Bundesversammlung), 3. Aufl., Frankfurt a. M. 1859, S. 675,

[83/4] Bundesbeschluß vom 27. April 1861

831

[S. 644] §.318. Anwendung des §. 22 der revidirten näheren Bestimmungen der Kriegs Verfassung | des Deutschen Bundes auf das Bundescontingent der freien Stadt Bremen betreffend. ...[S, 646]... Die Bundesversammlung hat hierauf, aus Anlaß des von der freien Stadt | Bremen in der Bundestagssitzung vom 18. Juni 1. J. gestellten Antrags | beschlossen: 1) daß die Dienstverpflichtung derjenigen Mannschaften des Bundescontingents der | freien Stadt Bremen, welche durch Werbung eingestellt, und stets präsent gehalten werden, | mindestens vier Jahre zu betragen habe; 2) vorstehenden Beschluß der freien Stadt Bremen durch Vermittlung ihres Herrn | Bundestagsgesandten zur Kenntniß zu bringen, auch die Militärcommission davon in Erwie= | derung ihres Berichtes vom 11. Juli v. J. zu benachrichtigen.

[83/4] Bundesbeschluß vom 27. April 1861 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einfuhrungen" die Darstellung unter [203.]. Quelle: Protokolle der deutschen Bundes-Versammlung, 14. Sitzung vom 27. April 1861, § 118, S. 176 (177) - 178 (gedruckt). Sonstige Fundstelle: P. Ä. G. Meyer (Hrsg.), Corpus Juris Germaniae Confoederationis oder Staatsacten für Geschichte und öffentliches Recht des Deutschen Bundes, Teil III (Protokolle und Beschlüsse der Deutschen Bundesversammlung), Frankfurt a. M. 1869, S.29-30. [S. 176] §.118. Revision der Kriegsverfassung des Deutschen Bundes. ...[S.177]...

Umfrage. Oesterreich, Preussen, Bayern, Königreich Sachsen, Hannover, | Württemberg, Baden, Kurhessen, Großherzogthum Hessen und Däne= | mark wegen Holstein und Lauenburg: treten dem Beschlußentwurfe bei. Niederlande wegen Luxemburg und Limburg. Wenn auch die Bestim= | mungen des vorliegenden Beschlusses noch nicht als feststehende Entscheidungen, sondern nur | als Directive zu betrachten sind, nach welchen die Militärcommission eingeladen wird, der | Bundesversammlung nähere, definitive Vorschläge zur Abänderung der Bundes=Kriegsver= |. fassung zu machen, so hält der Gesandte sich doch schon jetzt für verpflichtet, zu erklären, | daß er der Bestimmung unter Num. 2 nicht beizutreten vermag, indem seine allerhöchste | Regierung zu der vorgeschlagenen Abänderung des Artikels XI der in einer Bundes=Plenar= | sitzung einstimmig angenommenen Allgemeinen Umrisse der Kriegsverfassung, welche da= | durch den Charakter einer organischen Bundeseinrichtung erlangt haben, ihre Zustimmung | nicht ertheilen kann. Er sieht sich daher in dem Falle, seiner allerhöchsten Regierung dieserhalb alle Zu= | ständigkeiten und weitere Erklärungen vorzubehalten, während er den übrigen Bestimmungen des Beschlüsse beitritt. Sämtliche übrigen Gesandten ertheilten dem Beschlußentwurfe die | Zustimmung. Die Bundesversammlung hat hierauf | beschlossen: 1) daß unter den obwaltenden Umständen von Revision der Bundes= | matrikel abzusehen sei;

832

§ 3: Deutscher Bund

[Dok. 3 1 - 8 4 ]

2) daß die Unterscheidung von Haupt= und Reservecontingent wegfallen und diese | beiden Contingente fortan unter der Benennung „Hauptcontingent" zusammengefasst und I dem Ersatzcontingente gegenüber gestellt werden sollen; 3) daß aus der Vereinigung des bisherigen Haupt= und Reservecontingents ge= | bildete Hauptcontingent 1V2 Procent der Matrikel betragen solle; 4) daß das Ersatzcontingent von Ve auf V3 Procent der Matrikel zu erhöhen sei; 5) daß die Bestimmung im §. 1 der revidirten Abschnitte der Kriegs Verfassung, wo= | nach das Ersatzcontingent zur Bildung des dem Heere nachzusendenden Ersatzes im eigenen | Staate zurückbleibt, unverändert beizubehalten sei; [S. 178] 6) daß die Reserve=Infanteriedivision unter Fortdauer der Befreiung von Stellung | der Specialwaffen beizubehalten sei. 7) daß der Militärcommission in Erwiederung ihres Berichtes vom 4. Juni v. J. | hiervon mit dem Auftrage Kenntniß zu geben sei, die Revision der Kriegsverfassung uner= | wartet der auf ihre Berichte vom 11. und 29. April v. J. erforderlichen Beschlußnahme | fortzusetzen, dabei insbesondere auch auf diejenigen Punkte Bedacht zu nehmen, deren gleich= | förmige Regelung im Interesse der Schlagfertigkeit des deutschen Bundesheeres unter allen | Umständen nöthig und wünschenswerth ist, und femer über die gesammte Armeecorpsein= | theilung, sowie auf Grund des Bundesbeschlusses vom 9. December 1830 über die Ein= | theilung und Verwendung der Contingente der Reserve=Infanteriedivision zur Kriegsbesatzung | der Bundesfestungen neuerdings zu berathen und bei der dießfalligen Berichterstattung zweck= I mäßige Vorschläge hierüber zu machen.

[83/5] Bundesbeschluß vom 23. Januar 1862 Quelle: Protokolle der deutschen Bundes-Versammlung, 4. Sitzung vom 23. Januar 1862, §36, S. 39 (41)-41 (gedruckt). Sonstige Fundstelle: P. A. G. Meyer (Hrsg.), Corpus Juris Germaniae Confoederationis oder Staatsacten für Geschichte und öffentliches Recht des Deutschen Bundes, Teil III (Protokolle und Beschlüsse der Deutschen Bundesversammlung), Frankfiirt a. M. 1869, S. 2 6 0 - 2 6 1 . [S.

39]... §.36. Revision der Kriegsverfassung des Deutschen Bundes.

...[S.41]... Es erfolgte hierauf der | Beschluß: 1) die höchsten und hohen Regierungen zu veranlassen, die unter dem 27. April | v. J. (Prot. §. 118) beschlossene Erhöhung der Ersatzcontingente auf V3 Procent der | Matrikel unverzüglich auszuführen und spätestens in den am 1. Februar 1863 einzureichen= | den Standeslisten als vollzogen nachzuweisen; 2) der Militärcommission in Erwiederung ihres Berichtes vom 9. Juli v. J. von | diesem Beschlüsse und seinen Motiven Kenntniß zu geben.

[84] Bundesbeschluß vom 24. August 1866

833

[84] Bundesbeschluß über die definitive Einstellung des Sitzungsbetriebs der Bundesversammlung vom 24. August 1866 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einführungen" die Darstellung unter [336.]. Quelle: Protokolle der deutschen Bundes-Versammlung, 40. Sitzung vom 24. August 1866, § 261, S. 441 - 442 (gedruckt). Sonstige Fundstelle: P. A. G. Meyer (Hrsg.), Corpus Juris Germaniae Confoederationis oder Staatsacten fur Geschichte und öffentliches Recht des Deutschen Bundes, Teil III (Beschlüsse der deutschen Bundesversammlung), 1869, S. 664 - 665. [S. 441] §.261. Beendigung der Thätigkeit der Deutschen Bundesversammlung und Fürsorge für | Leitung und Abwickelung der seitherigen Bundesgeschäfte. Präsidium. Nachdem in Folge der Kriegsereignisse und der Friedensverhandlungen | der Deutsche Bund als aufgelöst betrachtet werden muß, beantragt das Präsidium, hohe Bundes= I Versammlung wolle beschließen: 1) ihre Thätigkeit mit der heutigen Sitzung zu beendigen; 2) hiervon die bei dem Deutschen Bunde beglaubigten Vertreter fremder Mächte, sowie 3) die Militärkommission, die Gouverneure der Bundesfestungen und den bisherigen | Bundescommissär für Kurhessen zu benachrichtigen. Umfrage. Oesterreich, Bayern, Königreich Sachsen und Württemberg: | treten dem Präsidialantrage bei. Hannover. Der Gesandte stimmt dem Antrage zu, indem er seinem Allerhöchsten | Souverain alle und jede aus dem Bundesvertrage und den Bundesgrundgesetzen her= | fließenden Rechte und Ansprüche vorbehält. Kurhessen. Der Gesandte befindet sich in Folge der fortdauernden Gefangenhaltung | Seiner Königlichen Hoheit des Kurfürsten ohne specielle Instruction, kann indessen dem An= I trage, daß die Bundesversammlung aus Anlaß der stattgehabten Ereignisse ihre Thätigkeit I einstelle, nicht widersprechen und muß seinem allerhöchsten Mandanten alle aus dem Bun= | des Verhältnisse herzuleitenden Rechte und Zuständigkeiten jeder Art feierlichst vorbehalten. [S. 442] Großherzogthum Hessen und die dreizehnte Stimme: treten dem Präsi= | dialantrage bei. Sechzehnte Stimme. Nach den über den Fortbestand des Deutschen Bundes | und der Bundesversammlung, sowie über den Austritt und über die Beendigung der | Thätigkeit der deutschen Bundesversammlung eben erfolgten verschiedenen Erklärungen in | dieser hohen Versammlung bleibt dem Gesandten der sechzehnten Stimme nunmehr gegen= | über dem eingetretenen thatsächlichen Bestände noch übrig, für die Fürstlich=Liechtensteinische | Regierung die aus dem Bundesverhältnisse zustehenden Rechte und alle sonstigen Zuständig= I keiten ausdrücklich zu wahren. Der Präsidialantrag wurde hierauf zum Beschlüsse erhoben. In Betreff der interimistischen Fürsorge für Leitung und Abwicklung der seitherigen | Bundesgeschäfte hat die Bundesversammlung, unbeschadet der den einzelnen Regierungen I zustehenden Rechte und Ansprüche an das Bundeseigenthum, sowie der in den Frie-

834

§ 3: Deutscher Bund

[Dok. 31 - 8 4 ]

densver= | trägen mit Preussen wegen Auseinandersetzung des Bundeseigenthums zu treffen Bestim= | mungen, einhellig | beschlossen:^ 1) auszusprechen, daß den früher im Bunde vereinigt gewesenen Regierungen anheimzu= | geben sei, baldmöglichst, etwa durch Niedersetzung einer Commission, für geeignete Vereini= | gung der aus dem seitherigen Bunde entsprungenen und noch nicht erledigten Verhältnisse | Sorge tragen zu wollen; 2) folgende Anordnungen zu treffen: Bis zur demnächst stattfindenden Liquidirung des Bundeseigenthums wird eine Deputation I der Militärcommission die laufenden Verwaltungsgeschäfte der Bundesfestung besorgen, wobei | sie für die größtmögliche Sparsamkeit verantwortlich gemacht wird. Bis dahin und bis zur Abwicklung des Liquidationsgeschäftes hat die Bundescanzlei= I Direction in Thätigkeit zu verbleiben. Es liegt ihr zunächst die Ueberwachung der Casse= | geschäfte und des Beamtenpersonals, sowie auch die Anweisung der in Folge von Bundes^ | beschlüssen und für die Regieverwaltung aus der Bundescasse auszuzahlenden Beträge ob. Die in Militärangelegenheiten unumgänglich nothwendigen Zahlungsanweisungen erfolgen | unter gemeinschaftlicher Zeichnung der Bundescanzlei=Direction und der Deputation der Mili= | tärcommission; 3) von diesen provisorischen Anordnungen der Militärcommission, den Gouverneuren I der Bundesfestungen, der Bundescanzlei=Direction und der Bundescassen= Verwaltung Kennt= | niß zu geben.

An der Sitzung nahmen folgende Gesandte teil: von Kübeck (für Österreich), von Schrenk (für Bayern), von Böse (für Sachsen), von Heimbruch (für Hannover), von Linden (für Württemberg), von Meyer (für Kurhessen), von Biegleben (für Hessen-Darmstadt), zu Sayn-Wittgenstein-Berleburg (für die 13. Stimme), von Linde (für die 16. Stimme).

§ 4: Deutscher Zollverein

[85] Zollvereinigungsvertrag vom 22. März 1833

837

[85] Zollvereinigungsvertrag (Preußen, Kurhessen und HessenDarmstadt./. Bayern und Württemberg) vom 22. März 1833 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einfuhrungen" die Darstellungen unter [251.] [390.]. Quelle: Gesetz-Sammlung für die Königlichen Preußischen Staaten, (vom 5. Dezember) 1833, Nr. 21, S. 145 - 162 (gedruckt).^ Sonstige Fundstellen: Der Zoll-Vereinigungs-Vertrag zwischen Württemberg und Bayern einerseits und Preußen, den beiden Hessen, Sachsen u. s. w. andererseits nebst Zoll-Cartel, Zoll-Ordnung und Zoll-Tarif, Amtliche Ausgabe (Stuttgart, J. B. Metzler'sehe Buchhandlung), 1833; Verträge und Verhandlungen aus dem Zeiträume von 1833 bis einschließHch 1836 über die Bildung und Ausführung des deutschen Zoll- und Handels-Vereins, Erster Band, 1845, S. 1 - 12; Ä Boldt (Hrsg.), Reich und Länder, Texte zur deutschen Verfassungsgeschichte im 19. und 20. Jahrhundert, 1987, S. 233-252; G. Dürig I W. Rudolf (Hrsg.), Texte zur deutschen Verfassungsgeschichte, 3. Aufl., 1996, S. 7 8 - 9 3 . [S. 145] (No. 1472.) Zollvereinigungs=Vertrag zwischen Seiner Majestät dem Könige von Preußen, I Seiner Hoheit dem Kurprinzen und Mitregenten von Hessen und Seiner [ Königlichen Hoheit dem Großherzoge von Hessen einerseits, dann Seiner | Majestät dem Könige von Bayern und seiner Majestät dem Könige von | Württemberg andererseits. Vom 22sten März 1833. Seine Majestät der König von Preußen, Seine Hoheit der Kurprinz und | Mitregent von Hessen und Seine Königliche Hoheit der Großherzog von | Hessen einerseits, und Seine Majestät der König von Bayern und Seine Majestät der König von | Württemberg andererseits, haben in fortgesetzter Fürsorge für die Beförderung der Freiheit des Handels | und gewerblichen Verkehrs zwischen Ihren Staaten und hiedurch zugleich in | Deutschland überhaupt, über die weitere Entwickelung der zwischen ihnen beste= | henden diesfälligen Verträge Unterhandlungen eröffnen lassen, und zu diesem | Zwecke bevollmächtigt: Seine Majestät der König von Preußen: Allerhöchst=Ihren Geheimen Staats^ und Finanzminister Carl Georg | Maassen, Ritter des Königlich Preußischen rothen Adler=Ordens erster | Klasse, Inhaber des eisernen Kreuzes zweiter Klasse am weißen Bande, | Großkreuz des Civil=Verdiens1?=0rdens der Königlich Bayerischen Krone, | Kommenthur des Ordens der Königlich=Württembergischen Krone, | Großkreuz des Kurfürstlich=Hessischen Löwen=Ordens, des Großherzog= | lich=Hessischen Ludwigs=Ordens und des Großherzoglich=Sachsen=Wei= | marischen Haus=Ordens vom weißen Falken, und Allerhöchst=Ihren Wirklichen Geheimen Legationsrath und Direktor im | Ministerium der auswärtigen Angelegenheiten, Albrecht Friedrich | Eichhom, Ritter des Königlich= Preußischen rothen Adlei^Ordens drit= | ter Klasse mit der Schleife, Inhaber des eisernen Kreuzes zweiter | Klasse am weißen Bande, Ritter des Kaiserlich=Russischen St. Annen= | Ordens zweiter Klasse, Commandeur des Civil=Verdienst=Ordens der | [S. 146] Königlich=Bayerischen Krone, Kommenthur des Ordens der Königlich= | Württembergischen Krone und des Königlich==Hannöverischen Guelphen= | Ordens, Commandeur erster Klasse des Kurfurstlich^Hessischen Haus= | Ordens vom goldenen Löwen und des Großherzoglich=Hessischen Lud= | wigs=Ordens, Commandeur des Großherzoglich=Sachsen==Weimarischen 1 Ordens vom weißen Falken; Separat-Artikel, Schluß-ProtokoU und weitere Urkunden zu diesem Vertrag, abgedruckt in: Verträge und Verhandlungen aus dem Zeiträume von 1833 bis einschließlich 1836 über die Bildung und Ausführung des deutschen Zoll- und Handels-Vereins, Erster Band, Berlin 1845, S. 13-111.

838

§ 4: Deutscher Zollverein

[DoL 85-102]

Seine Hoheit der Kurprinz und Mitregent von Hessen: Höchst=Ihren Wirklichen Geheimen Legationsrath, außerordentlichen | Gesandten und bevollmächtigten Minister an den Königlich=Preußischen | und Königlich=Sächsichen Höfen, Heinrich Wilhelm von Steuber, | Commandeur des Kurfurstlich=Hessischen Haus= Ordens vom goldenen | Löwen, Ritter des Kurhessischen Ordens vom eisernen Helme, Ritter I des Königlich=Dänischen Danebrog=Ordens, Kommenthur des Königlich^ | Sächsischen Civil=Verdienst=Ordens, und Höchst=Ihren Geheimen Ober=Bergrath, Heinrich Theodor Lud= | wig Schwedes, Ritter des Kurfürstlich=Hessischen Haus=Ordens vom \ goldenen Löwen; Seine Königliche Hoheit der Großherzog von Hessen: Höchst=Iliren Wirklichen Geheimen Rath und Präsidenten der Ober= | Finanzkammer, Wilhelm von Kopp, Commandeur erster Klasse des | Großherzoglich=Hessischen Ludwigs^Ordens, Ritter des Königlich=Preußi= | sehen rothen Adler^Ordens zweiter Klasse, Commandeur erster Klasse des | Kurfurstlich=Hessischen Haus^Ordens vom goldenen Löwen; Seine Majestät der König von Bayern: Allerhöchst^Ihren Wirklichen Staatsrath im ordentlichen Dienste, | Staatsminister der Finanzen, Arnold Friedrich von Mieg, Com= | mandeur des Civil=Verdienst=Ordens der Königlich=Bayerischen Krone, | und Allerhöchst=Ihren Kämmerer, Staatsrath, außerordentlichen Gesandten | und bevollmächtigten Minister an den Königlich=Preußischen, Königlich= | Sächsischen, Großherzoglich=Sächsischen und Herzoglich=Sächsischen | Höfen, Friedrich Christian Johann Graf von Luxburg, Groß= | kreuz des Civil=Verdienst=Ordens der Königlich=Bayerischen Krone, I Ritter des Königlich Preußischen rothen Adler=Ordens erster Klasse, | Großkreuz des Königlich=Sächsischen Civil=Verdienst==Ordens und Ritter | des Königlich^ Württembergischen Friedrichs=Ordens; Seine Majestät der König von Württemberg: Allerhöchst=Ihren Major im Generalstabe, Geschäftsträger am Königlich^ | Preußischen Hofe, Franz a Paula Friedrich Freiherr von Linden, [S. 147] von welchen Bevollmächtigten nachstehender anderweiter Vertrag unter Vorbe= | halt der Ratification abgeschlossen worden ist. Art. 1. Die dermalen zwischen den genannten Staaten bestehenden Zollvereine | werden für die Zukunft einen durch ein gemeinsames Zoll= und Handelssystem | verbundenen und alle darin begriffenen Länder umfassenden Gesammtverein bilden. Art. 2. In diesen Gesammtverein werden insbesondere auch diejenigen Staaten | einbegriffen, welche schon früher entweder mit ihrem ganzen Gebiete oder mit | einem Theile desselben dem Zoll= und Handelssysteme eines oder des anderen | der contrahirenden Staaten beigetreten sind, unter Berücksichtigung ihrer auf den | Beitrittsverträgen beruhenden besonderen Verhältnisse zu den Staaten, mit wel= | chen sie jene Verträge abgeschlossen haben.

[85] Zollvereinigungsvertrag vom 22. März 1833

839

Art. 3. Dagegen bleiben von dem Gesammtvereine vorläufig ausgeschlossen | diejenigen einzelnen Landestheile der contrahirenden Staaten, welche sich ihrer Lage | wegen weder in dem Preußisch=Hessischen oder in dem Bayerisch^Württemberg | gischen Zollverbande bis jetzt befunden haben, noch desselben Grundes wegen sich | zur Aufnahme in den neuen Gesammtverein eignen. Es werden jedoch diejenigen Anordnungen aufrecht erhalten, welche rück= | sichtlich des erleichterten Verkehrs dieser Landestheile mit dem Hauptlande ge= | genwärtig bestehen. Weitere Begünstigungen dieser Art können nur im gemeinschaftlichen Ein= | verständniß der contrahirenden Staaten bewilligt werden. Art. 4. In den Gebieten der contrahirenden Staaten sollen übereinstimmende | Gesetze über Eingangs=, Ausgangs^ und Durchgangs=Abgaben bestehen, jedoch | mit Modificationen, welche, ohne dem gemeinsamen Zwecke Abbruch zu thun, | aus der Eigenthümlichkeit der allgemeinen Gesetzgebung eines jeden theilnehmen= | den Staates oder aus lokalen Interessen sich als nothwendig ergeben. Bei dem Zolltarife namentlich sollen hiedurch in Bezug auf Eingangs^ | und Ausgangs=Abgaben bei einzelnen, weniger für den größeren Handelsverkehr | geeigneten Gegenständen, und in Bezug auf Durchgangs^Abgaben, je nachdem | der Zug der Handelsstraßen es erfordert, solche Abweichungen von den allgemein | angenommenen Erhebungssätzen, welche für einzelne Staaten als vorzugsweise [ wünschenswerth erscheinen, nicht ausgeschlossen seyn, sofern sie auf die allgemeinen | Interessen des Vereins nicht nachtheilig einwirken. Desgleichen soll auch die Verwaltung der Eingangs==, Ausgangs^ und | Durchgangs^ Abgaben, und die Organisation der dazu dienenden Behörden in | allen Ländern des Gesammtvereins unter Berücksichtigung der in denselben be= | stehenden eigenthümlichen Verhältnisse auf gleichen Fuß gebracht werden. Die nach diesen Gesichtspunkten zwischen den contrahirenden Staaten zu | vereinbarenden Gesetze und Ordnungen, namentlich: | [S. 148] das Zollgesetz, | der Zolltarif, | die Zollordnung, | sollen als integrirende Bestandtheile des gegenwärtigen Vertrages angesehen und I gleichzeitig mit demselben publicirt werden. Art. 5. Veränderungen in der Zollgesetzgebung mit Einschluß des Zolltarifs und | der Zollordnung (Artikel 4.), so wie Zusätze und Ausnahmen können nur auf | demselben Wege und mit gleicher Uebereinstimmung aller Contrahenten bewirkt | werden, wie die Einführung der Gesetze erfolgt. ^Dies gilt auch von allen An= | Ordnungen, welche in Beziehung auf die Zollverwaltung allgemein abändernde | Normen aufstellen. Art. 6. Mit der Ausführung des gegenwärtigen Vertrages tritt zwischen den | contrahirenden Staaten Freiheit des Handels und Verkehrs und zugleich Gemein^ | schaft der Einnahmen an Zöllen ein, wie beide in den folgenden Artikeln be= | stimmt werden.

840

§ 4: Deutscher Zollverein

[Dok. 85 -102]

Art. 7. Es hören von diesem Zeitpunkte an alle Eingangs^, Ausgangs^ und | Durchgangs=Abgaben an den gemeinschaftlichen Landesgrenzen des bisherigen | Preußisch=Hessischen und des bisherigen Bayerisch=Württembergischen Zollvereins | auf, und es können alle im freien Verkehr des einen Gebiets bereits befindliche | Gegenstände auch frei und unbeschwert in das andere Gebiet eingeführt werden, | mit alleinigem Vorbehalte: a) der zu den Staatsmonopolien gehörigen Gegenstände (Spielkarten und | Salz) nach Maaßgabe der Artikel 9. und 10.; b) der im Innern der contrahirenden Staaten gegenwärtig entweder mit | Steuern von verschiedener Höhe, oder in dem einen Staate gar nicht, in | dem andern aber mit Steuern belegten und deshalb einer Ausgleichungs= | Abgabe unterworfenen inländischen Erzeugnisse, nach Maaßgabe des Arti= | kels 11., und endlich c) solcher Gegenstände, welche ohne Eingriff in die von einem der contrahi= | renden Staaten ertheilten Erfindungspatente oder Privilegien nicht nach= | gemacht oder eingeführt werden können, und daher für die Dauer der | Patente oder Privilegien von der Einfuhr in den Staat, welcher diesel= | ben ertheilt hat, noch ausgeschlossen bleiben müssen. Art. 8. Der im Artikel 7. festgesetzten Verkehrs^ und Abgabenfreiheit unbe= | schadet, wird der Uebergang solcher Handelsgegenstände, welche nach dem gemein= | samen Zolltarif einer Eingangs= oder Ausgangs Steuer an den Außengrenzen untei^ | liegen, auch aus den Königlich=Bayerischen und Königlich=Württembergischen [ Landen in die Königlich^ Preußischen, Kurfürstlich=Hessischen und Großherzoglich= | Hessischen Lande und umgekehrt, nur unter Innehaltung der gewöhnlichen Land= | und Heerstraßen und auf den schiffbaren Strömen Statt finden, und es werden | [S. 149] an den Binnengrenzen gemeinschaftliche Anmeldestellen eingerichtet werden, bei | welchen die Waarenführer, unter Vorzeigung ihrer Frachtbriefe oder Transport^ | Zettel, die aus dem einen in das andere Gebiet überzuführenden Gegenstände an= | zugeben haben. ^Auf den Verkehr mit rohen Producten in geringeren Quantitäten, so wie | überall auf den kleineren Grenz= und Marktverkehr und auf das Gepäck von | Reisenden findet diese Bestimmung keine Anwendung. ^Auch wird keine Waaren= | Revision Statt finden, außer insoweit, als die Sicherung der Ausgleichungs= | Abgaben (Artikel 7. b.) es erfordern könnte. Art. 9. Hinsichtlich der Einfuhr von Spielkarten behält es in jedem der zum | Vereine gehörigen Staaten bei den bestehenden Verbots^ oder Beschränkungs= | Gesetzen sein Bewenden. Art. 10. In Betreff des Salzes wird Folgendes festgesetzt: a) die Einfuhr des Salzes und aller Gegenstände, aus welchen Kochsalz ausge= | schieden zu werden pflegt, aus fremden, nicht zum Vereine gehörigen | Ländern in die Vereins Staaten, ist verboten, in so weit dieselbe nicht für | eigene Rechnung einer der vereinten Regierungen und zum unmittelbaren | Verkaufe in ihren Salz= Aemtem, Faktoreien oder Niederlagen geschieht; b) die Durchfuhr des Salzes und der vorbezeichneten Gegenstände aus den | zum Vereine nicht gehörigen Ländern in andere solche Länder soll nur mit | Genehmigung der Vereins Staaten, deren Gebiet bei der Durchfuhr be= | rührt wird, und unter den Vorsichtsmaaßregeln Statt finden, welche von | denselben für nöthig erachtet werden;

[85] Zollvereinigungsvertrag vom 22. März 1833

841

c) die Ausfuhr des Salzes in fremde, nicht zum Vereine gehörige Staaten | ist frei; d) was den Salzhandel innerhalb der Vereins Staaten betrifft, so ist die Ein= | fuhr des Salzes von einem in den anderen nur in dem Falle erlaubt, | wenn zwischen den Landesregierungen besondere Verträge deshalb bestehen; e) wenn eine Regierung von der anderen innerhalb des Vereins aus Staats= | und Privatsalinen Salz beziehen will, so müssen die Sendungen mit Päs= | sen von Öffentlichen Behörden begleitet werden. Zu diesem Ende verpflichten sich die betheiligten Regierungen, auf | den Privatsalinen einen öffentlichen Beamten aufzustellen, der den Umfang | der Production und des Absatzes derselben überhaupt zu beobachten hat; f) wenn ein Vereinsstaat durch einen anderen aus dem Auslande oder aus | einem dritten Vereinsstaate seinen Salzbedarf beziehen, oder durch einen | solchen sein Salz in fremde, nicht zum Vereine gehörige Staaten versen= | den lassen will, so soll diesen Sendungen kein Hindemiß in den Weg ge= | legt werden; jedoch werden, insofern dieses nicht schon durch frühere | Verträge bestimmt ist, durch vorgängige Uebereinkunft der betheiligten | [S. 150] Staaten die Straßen für den Transport und die erforderlichen Sicherheits= | Maaßregeln zur Verhinderung der Einschwärzung verabredet werden; g) wenn in unmittelbar aneinander grenzenden Vereinsstaaten eine solche Ver= | schiedenheit der Salzpreise bestände, daß daraus für einen oder den ande= | ren dieser Staaten eine Gefahr der Salz=Einschwärzung hervorginge, so | macht sich derjenige Staat, in welchem der niedrigere Salzpreis besteht, | verbindlich, die Verabfolgung des Salzes in die Grenzorte, binnen eines | Bezirks von wenigstens sechs Stunden landeinwärts, auf den genau zu | ermittelnden Bedarf jener Orte zu beschränken, und darüber den bethei= | ligten Nachbarstaaten genügende Nachweisung und Sicherheit zu gewähren. Die näheren Bestimmungen bleiben einer besonderen Verabredung der | betheiligten Regierung vorbehalten. Art. 11. ^In Bezug auf diejenigen Erzeugnisse, bei welchen hinsichtlich der | Besteuerung im Innern noch eine Verschiedenheit der Gesetzgebung unter den ein= | zelnen Vereinslanden Statt findet (Artikel 7. b.), wird von allen Theilen als wün= | schenswerth anerkannt, auch hierin eine Uebereinstimmung der Gesetzgebung und | der Besteuerungssätze in ihren Staaten hergestellt zu sehen, und es wird daher | ihr Bestreben auf die Herbeiführung einer solchen Gleichmäßigkeit gerichtet blei= | ben. ^Bis dahin, wo dieses Ziel erreicht worden, können zur Vermeidung der | Nachtheile, welche für die Producenten des eigenen Staates im Verhältnisse zu | den Producenten in anderen Vereinsstaaten aus der ungleichen Besteuerung er= I wachsen würden, Ergänzungs^ oder Ausgleichungs=Abgaben von folgenden Gegen= | ständen erhoben werden: a) Im Königreiche Preußen von | Bier, | Branntwein, |Taback, | Traubenmost und Wein. b) Im Königreiche Bayern (zur Zeit mit Ausschluß des Rheinkreises) von | Bier, | Branntwein, | geschrotetem Malz. c) Im Königreiche Württemberg von | Bier, | Branntwein, | geschrotetem Malz. d) Im Kurfürstenthume Hessen von | Bier, | Branntwein, | [S. 151] Taback, | Traubenmost und Wein. e) Im Großherzogthume Hessen von | Bier. Es soll bei der Bestimmung und Erhebung der gedachten Abgabe nach | folgenden Grundsätzen verfahren werden:

842

§ 4: Deutscher Zollverein

[Dok. 85 - 102]

1) Die Ausgleichungs=Abgaben werden nach dem Abstände der gesetzlichen | Steuer im Lande der Bestimmung von der denselben Gegenstand betreib | fenden Steuer im Lande der Herkunft bemessen, und fallen daher im | Verhältnisse gegen diejenigen Vereinslande gänzlich weg, wo eine gleich | hohe oder eine höhere Steuer auf dasselbe Erzeugniß gelegt ist. 2) Veränderungen, welche in den Steuern von inländischen Erzeugnissen der be= | theiligten Staaten eintreten, haben auch Veränderungen in den Ausgleichungs= | Abgaben, jedoch stets unter Anwendung des vorher (1.) aufgestellten Gmnd= | Satzes zur Folge. Wo auf den Grund einer solchen Veränderung eine Ausgleichungs= | Abgabe zu erhöhen seyn würde, muß, falls die Erhöhung wirklich in An= | Spruch genommen wird, eine Verhandlung darüber zwischen den betheilig= | ten Staaten, und eine vollständige Nachweisung der Zulässigkeit nach den | Bestimmungen des gegenwärtigen Vertrages vorausgehen. 3) Die gegenwärtig in Preußen gesetzlich bestehenden Sätze der Steuern von | inländischem Traubenmost und Wein, vom Tabacksbau und Branntwein, | so wie die gegenwärtig in Bayern bestehende Steuer von inländischem | geschroteten Malz und Bier (Malzaufschlag) sollen jedenfalls den höchsten | Satz desjenigen bilden, was in einem Vereinsstaate, welcher jene Steuern | eingeführt hat oder künftig etwa einführen sollte, an Ausgleichungs=Abgaben | von diesen Artikeln bei deren Eingang aus einem Lande, in welchem keine | Steuer auf dieselben Erzeugnisse gelegt ist, erhoben werden darf, wenn | auch die betreffende Steuer des Staates, welcher die Ausgleichungs=Ab= | gäbe bezieht, diesen höchsten Satz übersteigen sollte. 4) Rückvergütungen der inländischen Staatssteuem sollen bei der Ueberfuhr | der besteuerten Gegenstände in ein anderes Vereinsland nicht gewährt werden. 5) Auf andere Erzeugnisse als Bier und Malz, Branntwein, Tabacksblätter, | Traubenmost und Wein, soll unter keinen Umständen eine Ausgleichungs= | Abgabe gelegt werden. 6) In allen Staaten, in welche von Taback, Traubenmost und Wein eine | Ausgleichungs=Abgabe erhoben wird, soll in keinem Falle eine weitere Ab== | [S. 152] gäbe von diesen Erzeugnissen, weder für Rechnung des Staates, noch für | Rechnung der Kommunen beibehalten oder eingeführt werden. 7) Der Ausgleichungs=Abgabe sind solche Gegenstände nicht unterworfen, von | welchen auf die in der Zollordnung vorgeschriebene Weise dargethan ist, | daß sie als ausländisches Ein= oder Durchgangsgut die zollamtliche Be= | handlung bei einer Erhebungsbehörde des Vereins bereits bestanden haben, | oder derselben noch unterliegen, und eben so wenig diejenigen im Umfange | des Vereins erzeugten Gegenstände, welche nur durch einen Vereinsstaat | transitiren, um entweder in einen anderen Vereinsstaat oder nach dem | Auslande geführt zu werden. 8) Die Ausgleichungs^Abgabe kommt den Kassen desjenigen Staates zu | Gute, wohin die Versendung erfolgt. Insofem sie nicht schon im Lande | der Versendung für Rechnung des abgabeberechtigten Staates erhoben | worden, wird die Erhebung im Gebiete des letzteren erfolgen. 9) Es sollen in jedem der contrahirenden Staaten solche Einrichtungen ge= | troffen werden, vermöge welcher die Ausgleichungs=Abgabe in dem Ver= | einslande, aus welchem die Versendung erfolgt, am Orte der Versendung | oder bei der gelegensten Zoll= oder Steuerbehörde entrichtet, oder ihre | Entrichtung durch Anmeldung sicher gestellt werden kann. 10) So lange, bis diese Einrichtungen durch besondere Uebereinkunft festgesetzt | seyn werden, bleibt der Verkehr mit Gegenständen, welche einer Ausglei= | chungs=Abgabe unterliegen, in der Art beschränkt, daß dieselben, ohne Un== | terschied der

[85] Zollvereinigungsvertrag vom 22. März 1833

843

transportirten Quanititäten, in das Gebiet des abgabeberech= | tigten Staates nur auf den im Artikel 8. bezeichneten, oder noch ander= | weit zu bestimmenden Straßen eingeführt und an den dort einzurichtenden | Anmelde^ und Hebestellen angemeldet und resp. versteuert werden müssen, | ohne daß jedoch in Folge hievon der Verkehr mit den Gegenständen, von | welchen eine Ausgleichungs=Abgabe nicht zu entrichten ist, einer weiteren, als | der in dem obengedachten Artikel angeordneten Aufsicht unterworfen | sein wird. Art. 12. Hinsichtlich der Verbrauchs^Abgaben, welche in dem Bereiche der | Vereinsländer von anderen, als den im Artikel 11. bezeichneten Gegenständen erho= | ben werden, so wie der im Großherzogthume Hessen zur Erhebung kommenden | Steuern von Getränken, wird eine gegenseitige Gleichmäßigkeit der Behandlung | Statt finden, dergestalt, daß das Erzeugniß eines anderen Vereinsstaates unter | keinem Vorwande höher belastet werden darf, als das inländische. Derselbe Grundsatz findet auch bei den Zuschlags=Abgaben und Octrois | Statt, welche für Rechnung einzelner Gemeinen erhoben werden, so weit derglei= | chen Abgaben nicht überhaupt nach der Bestimmung des Artikels 11. Nr. 6. un= | zulässig sind. Art. 13. Die contrahirenden Staaten erneuern gegenseitig die Verabredung über | den Grundsatz, daß Chausseegelder oder andere statt derselben bestehende Abga= | ben, wie z. B. der in den Königreichen Bayern und Württemberg zur Surro== | girung des Wegegeldes von eingehenden Gütern eingeführte fixe Zollbeischlag, | eben so Pflaster^, Damm=, Brücken= und Fährgelder, oder unter welchem an= | deren Namen dergleichen Abgaben bestehen, ohne Unterschied, ob die Erhebung | für Rechnung des Staates oder eines Privatberechtigten, namentlich einer Com= | mune geschieht, nur in dem Betrage beibehalten oder neu eingeführt werden | können, als sie den gewöhnlichen Herstellungs= und Unterhaltungskosten ange= | messen sind. Das dermalen in Preußen nach dem allgemeinen Tarife vom Jahre 1828. | bestehende Chaussegeld soll als der höchste Satz angesehen und hinführo in kei= | nem der contrahirenden Staaten überschritten werden. Besondere Erhebungen von Thorsperr= und Pflastergeldem sollen auf | chaussirten Straßen da, wo sie noch bestehen, dem vorstehenden Grundsätze ge= | maß aufgehoben, und die Ortspflaster den Chausseestrecken dergestalt eingerechnet | werden, daß davon nur die Chausseegelder nach dem allgemeinen Tarif zur Er= | hebung kommen. Art. 14. Die contrahirenden Regierungen wollen dahin wirken, daß in ihren | Landen ein gleiches Münz=, Maaß= und Gewichtssystem,in Anwendung komme, | hierüber sofort besondere Unterhandlungen einleiten lassen, und die nächste Sorge | auf die Annahme eines gemeinschaftlichen Zollgewichtes richten. Sofern die desfallsige Einigung nicht bereits bei der Ausführung des | Vertrages zum Grunde gelegt werden könnte, werden die contrahirenden Staa= | ten zur Erleichterung der Versendung von Waaren und zur schnelleren Abferti= | gung dieser Sendungen an den Zollstellen (soweit dies noch nicht zur Ausfüh= | rung gebracht seyn sollte) bei den in ihren Zolltarifen vorkommenden Maaß= und | Gewichtsbestimmungen eine Reduction auf die Maaße und Gewichte, welche in | den Tarifen der anderen contrahirenden Staaten angenommen sind, entwerfen, | und zum Gebrauche sowohl ihrer Zoll=Aemter als des Handel treibenden Publikums 1 öffentlich bekannt machen lassen.

844

§ 4: Deutscher Zollverein

[Dok. 85 - 102]

Der gemeinschaftliche Zolltarif (Artikel 4.) soll in zwei Haupt=Abtheilun= | gen, nach dem Preußischen und nach dem Bayerischen Maaß=, Gewichts== und | Münzsystem ausgefertigt werden. ^Die Declaration, die Abwägung und Messung der zollbaren Gegenstände | soll in Preußen nach Preußischem, in Bayern und Württemberg nach Bayeri= | schem Maaße und Gewichte, in den Hessischen Landen nach dem daselbst gesetzlich | eingeführten Maaße und Gewichte geschehen. ^In den Ausfertigungen der Zoll= | Behörden ist aber die Quantität der Waaren zugleich nach einer der beiden Haupt= | Abtheilungen des gemeinschaftlichen Tarifs auszudrücken. [S. 154] So lange, bis die contrahirenden Staaten über ein gemeinschaftliches | Münzsystem übereingekommen seyn werden, soll die Bezahlung der Zoll=Abgaben | in jedem Staate nach dem Münzfuße geschehen, nach welchem die Entrichtung | der übrigen Landes=Abgaben Statt findet. Es sollen aber schon jetzt die Gold== und Silbermünzen der sämmtlichen | contrahirenden Staaten - mit Ausnahme der Scheidemünze - bei allen Hebe= | stellen des gemeinsamen Zollvereins angenommen und zu diesem Behufe die Val= | vationstabellen öffentlich bekannt gemacht werden. Art. 15. Die Wasserzölle oder auch Wegegeldgebühren auf Flüssen, mit Ein= | schluß derjenigen, welche das Schiffsgefäß treffen (Recognitionsgebühren), sind von | der Schiffahrt auf solchen Flüssen, auf welche die Bestimmungen des Wiener= | Congresses oder besondere Staats vertrage Anwendung finden, femer gegenseitig | nach jenen Bestimmungen zu entrichten, insofern hierüber nichts Besonderes | verabredet wird. In letzterer Hinsicht wollen die contrahirenden Staaten, was insbeson= | dere die Schifffahrt auf dem Rheine und dessen Nebenflüsse betrifft, unverzüg= | lieh in Unterhandlung treten, um zu einer Vereinbarung zu gelangen, in Folge | deren die Ein=, Aus= und Durchfiihr der Erzeugnisse der sämmtlichen Vereins^ | lande auf den genannten Flüssen in den Schiffahrt=Abgaben, mit stetem Vor= | behalten der Recognitionsgebühren, wo nicht ganz befreiet, doch möglichst erleich= | tert wird. Alle Begünstigungen, welche ein Vereinsstaat dem Schiffahrtsbetriebe sei= | ner Unterthanen auf den Eingangs genannten Flüssen zugestehen möchte, sollen in | gleichem Maaße auch der Schiffahrt der Unterthanen der anderen Vereinsstaaten [ zu Gute kommen. ^Auf den übrigen Flüssen, bei welchen weder die Wienep=Congreßacte noch | andere Staatsverträge Anwendung finden, werden die Wasserzölle nach den pri= | vativen Anordnungen der betreffenden Regierungen erhoben. '^Doch sollen auch | auf diesen Flüssen die Unterthanen der contrahirenden Staaten und deren Waa= | ren und Schiffsgefäße überall gleich behandelt werden. Art. 16. Von dem Tage an, wo die gemeinschaftliche Zollordnung des Vei^ | eins in Vollzug gesetzt wird, sollen in den zum Zollvereine gehörigen Gebiete alle | etwa noch bestehenden Stapel= und Umschlagsrechte aufhören, und Niemand soll zur | Anhaltung, Verladung oder Lagerung gezwungen werden können, als in den | Fällen, in welchen die gemeinschaftliche Zollordnung oder die betreffenden Schiffe | fahrtsreglements es zulassen oder vorschreiben. Art. 17. Kanal=, Schleusen^, Brücken^, Fähr=, Hafen=, Waage=, Krahnen= | und Niederlage^Gebühren und Leistungen für Anstalten, die zur Erleichterung | des Verkehrs bestimmt sind, sollen nur bei Benutzung wirklich bestehender Ein= | [S. 155] richtungen erhoben,

[85] Zollvereinigungsvertrag vom 22. März 1833

845

und für letztere nicht erhöhet, auch überall von den Untep= | thanen der anderen contrahirenden Staaten auf völlig gleiche Weise, wie von | den eigenen Unterthanen erhoben werden. Findet der Gebrauch einer Waage= oder Krahnen=Einrichtung nur zum | Behufe einer zollamtlichen Controle Statt, so tritt eine Gebühren=Erhebung bei | schon einmal zollamtlich verwogenen Waaren nicht ein. Art. 18. Die contrahirenden Staaten wollen auch femer gemeinschaftlich dahin | wirken, daß durch Annahme gleichförmiger Grundsätze die Gewerbsamkeit beför= | dert und der Befugniß der Unterthanen des einen Staates, in dem anderen | Arbeit und Erwerb zu suchen, möglichst freier Spielraum gegeben werde. Von den Unterthanen des einen der contrahirenden Staaten, welche in | dem Gebiete eines anderen derselben Handel und Gewerbe treiben, oder Arbeit | suchen, soll von dem Zeitpunkte ab, wo der gegenwärtige Vertrag in Kraft tre== | ten wird, keine Abgabe entrichtet werden, welcher nicht gleichmäßig die in dem= | selben Gewerbsverhältnisse stehenden eigenen Unterthanen unterworfen sind. Desgleichen sollen Fabrikanten und Gewerbtreibende, welche blos für das | von ihnen betriebende Geschäft Ankäufe machen, oder Reisende, welche nicht | Waaren selbst, sondern nur Muster derselben bei sich führen, um Bestellungen | zu suchen, wenn sie die Berechtigung zu diesem Gewerbbetriebe in dem Vereins= | Staate, in welchem sie ihren Wohnsitz haben, durch Entrichtung der gesetzlichen | Abgaben erworben haben, oder im Dienste solcher inländischen Gewerbtreiben= | den oder Kaufleute stehen, in den anderen Staaten keine weitere Abgabe hiefür | zu entrichten verpflichtet seyn. Auch sollen beim Besuche der Märkte und Messen zur Ausübung des | Handels und zum Absätze eigener Erzeugnisse oder Fabrikate in jedem Vereins== | Staate die Unterthanen der übrigen contrahirenden Staaten eben so wie die eige= | nen Unterthanen behandelt werden. Art. 19. Die Preußischen Seehäfen sollen dem Handel der Unterthanen sämmt= | lieber Vereinsstaaten gegen völlig gleiche Abgaben, wie solche von den Königlich= | Preußischen Unterthanen entrichtet werden, offen stehen; auch sollen die in frem= | den See= und anderen Handelsplätzen angestellten Consuln einer oder der | anderen der contrahirenden Staaten veranlaßt werden, der Unterthanen der | übrigen contrahirenden Staaten sich in vorkommenden Fällen möglichst mit Rath | und That anzunehmen. Art. 20. Zum Schutze ihres gemeinschaftlichen Zollsystems gegen den Schleich= | handel und ihrer inneren Verbrauchs^Abgaben gegen Defraudationen haben die | contrahirenden Staaten ein gemeinsames Cartel abgeschlossen, welches sobald | als möglich, spätestens aber gleichzeitig mit dem gegenwärtigen Vertrage in | Ausführung gebracht werden soll. [S, 156] Art. 21. Die als Folge des gegenwärtigen Vertrages eintretende Gemeinschaft | der Einnahme der contrahirenden Staaten bezieht sich auf den Ertrag der Ein= | gangs=. Ausgangs^ und Durchgangs=Abgaben in den Preußischen Staaten, | den Königreichen Bayern und Württemberg, dem Kurfürstenthume und dem | Großherzogthume Hessen mit Einschluß der den Zollsystemen der contrahirenden | Staaten bisher schon beigetretenen Länder. Von der Gemeinschaft sind ausgeschlossen und bleiben dem privativen | Genüsse der betreffenden Staatsregierungen vorbehalten:

846

§ 4: Deutscher Zollverein

[Dok. 85 -102]

1) die Steuern, welche im Innern eines jeden Staates von inländischen Er= | Zeugnissen erhoben werden, einschließlich der im Artikel 11. vorbehaltenen | Ausgleichungs=Abgaben; 2) die im Artikel 15. erwähnten Wasserzölle; 3) Chaussee^Abgaben, Pflaster^, Damm=, Brücken^, Fähr=, Kanal=, Schleu= | sen=, Hafengelder, so wie Waage= und Niederlage=Gebühren oder | gleichartige Erhebungen, wie sie auch sonst genannt werden; 4) die Zollstrafen und Confiscate, welche, vorbehaltlich der Antheile der De= | nuncianten, jeder Staatsregierung in ihrem Gebiete verbleiben. Art. 22. Der Ertrag der in die Gemeinschaft fallenden Abgaben wird nach | Abzug 1) der Kosten, wovon weiter unten im Artikel 30. die Rede ist; 2) der Rückerstattungen für unrichtige Erhebungen; 3) der auf den Grund besonderer gemeinschaftlicher Verabredungen erfolgten | Steuervergütungen und Ermäßigungen unter den vereinten Staaten nach dem Verhältnisse der Bevölkerung, mit wel= | eher sie im Vereine sich befinden, vertheilt. Die Bevölkerung solcher Staaten, welche durch Vertrag mit einem oder | dem anderen der contrahirenden Staaten unter Verabredung einer von diesem | jährlich für ihre Antheile an den gemeinschaftlichen Zollrevenüen zu leistenden | Zahlung dem Zollverbande beigetreten sind, oder noch beitreten werden, wird in | die Bevölkerung desjenigen Staates eingerechnet, welcher diese Zahlung leistet. Der Stand der Bevölkerung in den einzelnen Vereinsstaaten wird alle | drei Jahre von einem noch zu verabredenden Termine an ausgemittelt, und die | Nachweisung derselben von den einzelnen Staaten einander gegenseitig mitge= | theilt werden. Art. 23. Vergünstigungen für Gewerbetreibende hinsichtlich der Steuer=Entrich= | tung, welche nicht in der Zollgesetzgebung selbst begründet sind, fallen der Staats= | Kasse derjenigen Regierung, welche sie bewilliget hat, zur Last, Die Maaßgaben, unter welchen solche Vergünstigungen zu bewilligen sind, | werden näherer Verabredung vorbehalten. [S. 157] Art. 24. Dem zur Förderung freier und natürlicher Bewegung des allgemeinen | Verkehrs gerichteten Zwecke des Zollvereins gemäß, sollen besondere Zollbegün= [ stigungen einzelner Meßplätze, namentlich Rabattprivilegien da, wo sie dermalen | in den Vereinsstaaten noch bestehen, nicht erweitert, sondern vielmehr unter | geeigneter Berücksichtigung sowohl der Nahrungsverhältnisse bisher begünstigter | Meßplätze, als der bisherigen Handelsbeziehungen mit dem Auslande, thunlichst [ beschränkt und ihrer baldigen gänzlichen Aufhebung entgegengeführt, neue aber | ohne allerseitige Zustimmung auf keinen Fall ertheilt werden. Art. 25. Von der tarifmäßigen Abgaben=Entrichtung bleiben die Gegenstände, | welche fiir die Hofhaltung der hohen Souveraine und Ihrer Regentenhäuser, | oder für die bei ihren Höfen accreditirten Botschafter, Gesandten, Geschäftsträ= | ger etc. eingehen, nicht ausgenommen, und wenn dafür Rückvergütungen Statt | haben, so werden solche der Gemeinschaft nicht in Rechnung gebracht. Eben so wenig anrechnungsfähig sind Entschädigungen, welche in einem | oder dem anderen Staate den vormals unmittelbaren Reichsständen, oder an | Communen oder einzelne

[85] Zollvereinigungsvertrag vom 22. März 1833

847

Privatberechtigte für eingezogene Zollrechte oder für | aufgehobene Befreiungen gezahlt werden müssen. ^Dagegen bleibt es jedem Staate unbenommen, einzelne Gegenstände auf | Freipässe ohne Abgaben=Entrichtung in seinem Gebiete ein=, aus= oder durch= | gehen zu lassen. ^Dergleichen Gegenstände werden jedoch zollgesetzlich behandelt, | und in Freiregistem, mit denen es wie mit den übrigen Zollregistem zu hal= | ten ist, notirt, und die Abgaben, welche davon zu erheben gewesen wären, kom= | men bei der demnächstigen Revenuen^Ausgleichung demjenigen Theile, von wel= | chem die Freipässe ausgegangen sind, in Abrechnung. Art. 26. Das Begnadigungs= und Strafverwandlungs=Recht bleibt jedem der | contrahirenden Staaten in seinem Gebiete vorbehalten. Auf Verlangen werden periodische Uebersichten der erfolgten Straf=Erlasse | gegenseitig mitgetheilt werden. Art. 27. Die Ernennung der Beamten und Diener bei den Lokal== und Be= | zirksstellen für die Zoll=Erhebung und Aufsicht, welche in Gemäßheit der hierüber | getroffenen besonderen Uebereinkunft nach gleichförmigen Bestimmungen angeord= | net, besetzt und instruirt werden sollen, bleibt einer jeden der contrahirenden Re= | gierungen innerhalb ihres Gebietes überlassen. Art. 28. In jedem Vereinsstaate wird die Leitung des Dienstes der Lokal= und | Bezirks^ Zollbehörden, so wie die Vollziehung der gemeinschaftlichen Zollgesetze | überhaupt, einer, oder, wo sich das Bedürfhiß hierzu zeigt, mehreren Zolldirec= | tionen übertragen, welche dem einschlägigen Ministerium des betreffenden Staa= | tes untergeordnet sind. Die Bildung der Zolldirectionen und die Einrichtung ihres Geschäfts^ | ganges bleibt den einzelnen Staatsregierungen überlassen; der Wirkungskreis | [S. 158] derselben aber wird, insoweit er nicht schon durch den Grundvertrag und die | gemeinschaftlichen Zollgesetze bestimmt ist, durch eine gemeinschaftlich zu verabre= | dende Instruction bezeichnet werden. Art. 29. Die von den Zoll=Erhebungsbehörden nach Ablauf eines jeden Viertel^ | Jahres aufzustellenden Quartals^Extracte, und die nach dem Jahres= und Bü= | cherschlusse aufzustellenden Final=Abschlüsse über die resp. im Laufe des Viertel^ | Jahres und während des Rechnungsjahres fällig gewordenen Zoll=Einnahmen, | werden von den betreffenden Zolldirectionen nach vorangegangener Prüfung in | Haupt=Uebersichten zusammengetragen, und diese sodann an ein Centralbüreau | eingesendet, zu welchem ein jeder Vereinsstaat einen Beamten zu ernennen die | Befugniß hat. Dieses Bureau fertigt auf den Grund jener Vorlagen die provisorischen | Abrechnungen zwischen den vereinigten Staaten von drei zu drei Monaten, sen= | det dieselben den Central^Finanzstellen der letzteren, und bereit die definitive | Jahres=Abrechnung vor. Wenn aus den Quartal=Abrechnungen hervorgeht, daß die wirkliche Ein= | nähme eines Vereinsstaates um mehr als einen Monatsbetrag gegen den ihm | verhältnismäßig an der Gesammt=Einnahme zuständigen Revenüen=Antheil zu= | rückgeblieben ist, so muß alsbald das Erforderliche zur Ausgleichung dieses Aus= | falles durch Herauszahlung von Seiten des oder derjenigen Staaten, bei denen | eine Mehr=Einnahme Statt gefimden hat, eingeleitet werden.

848

§ 4: Deutscher Zollverein

[Dok. 85 - 102]

Art. 30. In Absicht der Erhebungs= und Verwaltungskosten sollen folgende | Grundsätze in Anwendung kommen: 1) Man wird keine Gemeinschaft dabei eintreten lassen, vielmehr übernimmt | jede Regierung alle in ihrem Gebiete vorkommende Erhebungs= und Ver= | waltungskosten, es mögen diese durch die Einrichtung und Unterhaltung | der Haupt= und Neben=Zoll=Aemter, der inneren Steuer=Aemter, Hall= | Aemter und Packhöfe und der Zolldirectionen, oder durch den Unterhalt | des dabei angestellten Personals und durch die dem letzteren zu bewilli= | genden Pensionen, oder endlich aus irgend einem anderen Bedürfnisse der | Zollverwaltung entstehen. 2) Hinsichtlich desjenigen Theils des Bedarfs aber, welcher an den gegen | das Ausland gelegenen Grenzen und innerhalb des dazu gehörigen Grenz= | Bezirks für die Zoll=Erhebungs= und Aufsichts= oder Controlbehörden | und Zoll=Schutzwachen erforderlich ist, wird man sich über Pauschsummen | vereinigen, welche jeder der contrahirenden Staaten von der jährlich auf= | kommenden und der Gemeinschaft zu berechnenden Brutto=Einnahme an | Zollgefällen in Abzug bringen kann. 3) Bei dieser Ausmittelung des Bedarfs soll da, wo die Perception privativ | [S. 159] ver Abgaben mit der Zoll=Erhebung verbunden ist, von den Gehalten und | Amtsbedürfnissen der Zollbeamten nur derjenige Theil in Anrechnung kom== | men, welcher dem Verhältnisse ihrer Geschäfte für den Zolldienst zu ihren | Amtsgeschäften überhaupt entspricht. 4) Man wird sich über allgemeine Normen vereinigen, um die Besoldungs= | Verhältnisse der Beamten bei den Zoll=Erhebungs= und Aufsichtsbehörden, | imgleichen bei den Zolldirectionen in möglichste Uebereinstimmung zu bringen. Art. 31. Die contrahirenden Staaten gestehen sich gegenseitig das Recht zu, den | Haupt=Zoll= Aemtem auf den Grenzen anderer Vereinsstaaten Controleure beizu= | ordnen, welche von allen Geschäften derselben und der Neben^Aemter in Bezie= | hung auf das Abfertigungsverfahren und die Grenzbewachung Kenntniß zu neh= | men, und auf Einhaltung eines gesetzlichen Verfahrens, imgleichen auf die Ab= | Stellung etwaiger Mängel einzuwirken, übrigens sich jeder eigenen Verfügung zu | enthalten haben. Einer näher zu verabredenden Dienstordnung bleibt es vorbehalten, ob | und welchen Antheil dieselben an den laufenden Geschäften zu nehmen haben. Art. 32. Jeder der contrahirenden Staaten hat das Recht, an die Zoll= | Directionen der anderen vereinten Staaten Beamte zu dem Zwecke abzuordnen, um | sich von allen vorkommenden Verwaltungsgeschäften, welche sich auf die durch den | gegenwärtigen Vertrag eingegangene Gemeinschaft beziehen, vollständige Kenntniß | zu verschaffen. Eine besondere Instruction wird das Geschäftsverhältniß dieser Beamten | näher bestimmen, als dessen Grundlage die unbeschränkte Offenheit von Seiten | des Staates, bei welchem die Abgeordneten fungiren, in Bezug auf alle Gegen= | stände der gemeinschaftlichen Zollverwaltung, und die Erleichterung jedes Mittels, | durch welches sie sich die Information hierüber verschaffen können, anzusehen ist, | während andererseits ihre Sorgfalt nicht minder aufrichtig dahin gerichtet seyn | muß, eintretende Anstände und Meinungsverschiedenheiten auf eine dem gemein= | samen Zwecke und dem Verhältnisse verbündeter Staaten entsprechende Weise | zu erledigen. Die Ministerien der sämmtlichen Vereinsstaaten werden sich gegenseitig | auf Verlangen jede gewünschte Auskunft über die gemeinschaftlichen Zoll=Ange= | legenheiten mittheilen, und insofern zu diesem Behufe die zeitweise oder dauernde | Abordnung eines höheren

[85] Zollvereinigungsvertrag vom 22. März 1833

849

Beamten, oder die Beauftragung eines anderweit bei | der Regierung beglaubigten Bevollmächtigten beliebt würde, so ist demselben nach | dem oben ausgesprochenen Grundsatze aller Gelegenheit zur vollständigen Kennt= | nißnahme von den Verhältnissen der gemeinschaftlichen Zollverwaltung bereitwil= | lig zu gewähren. Art. 33. Jährlich in den ersten Tagen des Juni findet zum Zwecke gemeinsam | [S. 160] mer Berathung ein Zusammentritt von Bevollmächtigten der Vereinsregierungen | Statt, zu welchem eine jede der letzteren einen Bevollmächtigten abzuordnen be= i fugt ist. Für die formelle Leitung der Verhandlungen wird von den Conferenz= | Bevollmächtigten aus ihrer Mitte ein Vorsitzender gewählt, welchem übrigens | kein Vorzug vor den übrigen Bevollmächtigten zusteht. ^Der erste Zusammentritt wird in München Statt finden. ^Wo derselbe | künftig erfolgen soll, wird bei dem Schlüsse einer jeden jährlichen Versamm= | lung mit Rücksicht auf die Natur der Gegenstände, deren Verhandlung in der | folgenden Conferenz zu erwarten ist, verabredet werden. Art. 34. Vor die Versammlung dieser Conferenz^Bevollmächtigten gehört: a) die Verhandlung über alle Beschwerden und Mängel, welche in Bezie== | hung auf die Ausführung des Grundvertrages und der besonderen Ueber= | einkünfte des Zollgesetzes, der Zollordnung und Tarife, in einem oder dem | anderen Vereinsstaate wahrgenommen, und die nicht bereits im Laufe des | Jahres in Folge der darüber zwischen den Ministerien geführten Corre= | spondenz erledigt worden sind; b) die definitive Abrechnung zwischen den Vereins Staaten über die gemein= | schaftliche Einnahme auf den Grund der von den obersten Zollbehörden | aufgestellten, durch das Centralbüreau vorzulegenden Nachweisungen, wie | solche der Zweck einer dem gemeinsamen Interesse angemessenen Prüfiing | erheischt; c) die Berathung über Wünsche und Vorschläge, welche von einzelnen Staats^ | Regierungen zur Verbesserung der Verwaltung gemacht werden; d) die Verhandlungen über Abänderungen des Zollgesetzes, des Zolltarifs, | der Zollordnung und der Verwaltungs=Organisation, welche von einem | der contrahirenden Staaten in Antrag gebracht werden, überhaupt über | die zweckmäßige Entwickelung und Ausbildung des gemeinsamen Zoll= und | Handelssystems. Art. 35. Treten im Laufe des Jahres außer der gewöhnlichen Zeit der Ver= | Sammlung der Conferenz=Bevollmächtigten außerordentliche Ereignisse ein, welche | unverzügliche Maaßregeln oder Verfügungen abseiten der Vereinsstaaten erheischen; | so werden sich die contrahirenden Theile darüber im diplomatischen Wege ver= | einigen, oder eine außerordentliche Zusammenkunft ihrer Bevollmächtigten vei= | anlassen. Art. 36. Den Aufwand für die Bevollmächtigten und deren etwaige Gehül= | fen bestreitet die Regierung, welche sie absendet. Das Kanzlei=Dienstpersonale und das Lokale wird unentgeldlich von | [S. 161] der Regierung gestellt, in deren Gebiete der Zusammentritt der Conferenz | Statt findet.

850

§ 4: Deutscher Zollverein

[Dok. 85 - 102]

Art. 37. Sollte zur Zeit der Vollziehung des gegenwärtigen Vertrages eine 1 Uebereinstimmung der Eingangs=Zollsätze in den Landen der contrahirenden Regie= \ rangen nicht bereits im Wesentlichen bestehen; so verpflichten sich dieselben zu allen | Maaßregeln, welche erforderlich sind, damit nicht die Zoll=Einkünfte des Gesammt= | Vereins durch die Einfährang und Anhäufung unverzollter oder gegen geringere | Steuersätze, als der Vereinstarif enthält, verzollter Waarenvorräthe beeinträch= | tigt werden. Art. 38. Für den Fall, daß andere deutsche Staaten den Wunsch zu erkennen | geben sollten, in den durch gegenwärtigen Vertrag errichteten Zollverein aufge= | nommen zu werden, erklären sich die hohen Contrahenten bereit, diesem Wun= | sehe, so weit es unter gehöriger Berücksichtigung der besonderen Interessen der | Vereinsmitglieder möglich erscheint, durch desfalls abzuschließende Verträge Folge | zu geben. Art. 39. Auch werden Sie Sich bemühen, durch Handelsverträge mit anderen | Staaten dem Verkehr Ihrer Angehörigen jede mögliche Erleichterang und Erwei= | terang zu verschaffen. Art. 40. Alles, was sich auf die Detail^Ausfiihrang der im gegenwärtigen | Vertrage und dessen Beilagen enthaltenen Verabredungen, insbesondere auf den | Vollzug der gemeinschaftlich festgesetzten organischen Bestimmungen, Reglements | und Instractionen bezieht, soll durch gemeinschaftliche Commissarien vorberei= | tet werden. Art. 4L ^Die Dauer des gegenwärtigen Vertrages, welcher mit dem ersten | Januar 1834. in Ausführang gebracht werden soll, wird vorläufig bis | zum ersten Januar 1842. festgesetzt. ^Wird derselbe während dieser Zeit | und spätestens zwei Jahre vor Ablauf der Frist nicht gekündigt, so soll er | auf 12 Jahre, und so fort von 12 zu 12 Jahren als verlängert angese= | hen werden. Letztere Verabredung wird jedoch nur für den Fall getroffen, daß nicht [ in der Zwischenzeit sämmtliche deutsche Bundesstaaten über gemeinsame Maaß= | regeln übereinkommen, welche den mit der Absicht des Artikels 19. der deut= | sehen Bundes=Acte^ in Uebereinstimmung stehenden Zweck des gegenwärtigen Zoll= | Vereins vollständig erfüllen. Auch sollen im Falle etwaiger gemeinsamer Maaßregeln über den freien | Verkehr mit Lebensmitteln in sämmtlichen deutschen Bundesstaaten die betreib I fenden Bestimmungen des nach gegenwärtigem Vertrage bestehenden Vereins^ | Tarifs demgemäß modificirt werden. Gegenwärtiger Vertrag soll alsbald zur Ratification der hohen contrahi= | [S. 162] renden Höfe vorgelegt, und die Auswechselung der Ratifications=Urkunden soll | spätestens binnen sechs Wochen in Berlin bewirkt werden.'' So geschehen Berlin, den 22sten März 1833.

b

Dok. 31. Der Austausch der Ratifikationsurkunden erfolgte indes erst am 28. November 1833.

[86] Zollvereinigungserweiterungsvertrag vom 30= März 1833

851

E. G. Maassen. H. W. v. Steuber. Wilhelm | v. Kopp. Am. Fried. | v. Mieg. (L. S.) (L. S.) (L. S.) (L. S.) Franz a Paula | Friedrich | Frh. v. Linden. Albert Friedrich | Eichhorn. (L.S.) (L.S.) Heinrich Theodor | Ludwig Schwedes. Friedrich Ch. | Johann Gf. v. | Luxburg. (L. S.) (L. S.)

[86] Zollvereinigungserweiterungsvertrag (Preußen, Bayern, Württemberg, Kurhessen und Hessen-Darmstadt./. Sachsen) vom 30. März 1833 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einführungen" die Darstellungen unter [251.] [390.]. Quelle: Gesetz-Sammlung für die Könighchen Preußischen Staaten, 1833, S. 210-228 (gedruckt).^ Sonstige Fundstelle: Verträge und Verhandlungen aus dem Zeiträume von 1833 bis einschließlich 1836 über die Bildung und Ausführung des deutschen Zoll- und HandelsVereins, Erster Band, 1845, S. 112-127. [S. 210] (No. 1473.) Zollvereinigungs=Vertrag zwischen Seiner Majestät dem König von Preußen, | Seiner Hoheit dem Kurprinzen und Mitregenten von Hessen und Seiner | Königlichen Hoheit dem Großherzoge von Hessen, dann Seiner Majestät | dem Könige von Bayern und Seiner Majestät dem Könige von Würt= | temberg einerseits, und Seiner Majestät dem Könige und Seiner Kö= | niglichen Hoheit dem Prinzen Mitregenten von Sachsen andererseits. I Vom 30sten März 1833. Seine Majestät der König von Preußen, Seine Hoheit der Kurprinz und | Mitregent von Hessen und Seine Königliche Hoheit der Großherzog von Hessen, | dann Seine Majestät der König von Bayern und Seine Majestät der König | von Württemberg einerseits, und Seine Majestät der König und Seine Königliche Hoheit der Prinz Mitregent | von Sachsen andererseits, haben, von dem Wunsche beseelt, Ihre Unterthanen der Wohlthaten eines ge= | genseitig freien Handels und gewerblichen Verkehrs in möglichster Ausdehnung | theilhaftig zu machen, und hiedurch zugleich die Entwickelung der Verkehrsfrei= | heit in Deutschland überhaupt mehr und mehr zu befördern, Unterhandlungen | eröffnen lassen, und zu diesem Zwecke bevollmächtigt: Seine Majestät der König von Preußen: Allerhöchst^Ihren Geheimen Staats= und Finanzminister, Carl Georg | Maassen, Ritter des Königlich=Preußischen rothen Adler=Ordens erster | Klasse, Inhaber des eisernen Kreuzes zweiter Klasse am weißen Bande, | Großkreuz des Civil=Verdienst=Ordens der Königlich=Bayerischen Krone, | Kommenthur des Ordens der Königlich^ Württembergischen Krone, | Großkreuz des Kurfurstlich=Hessischen Löwen=Ordens, des Großherzog== | lich=Hessischen Ludwigs=Ordens und des Großherzoglich=Sachsen=Wei= | marischen Haus=Ordens vom weißen Falken, und Allerhöchst=Ihren Wirklichen Geheimen Legationsrath und Direktor im | Ministerium der auswärtigen Angelegenheiten, Albrecht Friedrich | Eichhom, Ritter des Königlich^ Preußischen rothen Adler=Ordens | dritter Klasse mit der Schleife, Inhaber des eisernen

Separat-Artikel, Schluß-Protokoll und weitere Urkunden zu diesem Vertrag, abgedruckt in: Verträge und Verhandlungen aus dem Zeiträume von 1833 bis einschließlich 1836 über die Bildung und Ausführung des deutschen Zoll- und Handels-Vereins, Erster Band, Berlin 1845, S. 128-154.

852

§ 4: Deutscher Zollverein

[Dok. 85 - 102]

Kreuzes zweiter | Klasse am weißen Bande, Ritter des Kaiserlich=Russischen St. Annen= | Ordens zweiter Klasse, Commandeur des Civil=Verdienst=Ordens der | Königlich^ Bayerischen Krone, Kommenthur des Ordens der Königlich^ | Württembergischen Krone und des Königlich=Hannöverischen Guelphen= | Ordens, Commandeur erster Klasse des Kurfurstlich=Hessischen Haus= | Ordens vom goldenen Löwen und des Großherzoglich= Hessischen Lud= I wigs=Ordens, Commandeur des Großherzoglich=Sachsen=Weimarischen | Ordens vom weißen Falken; [S. 211] Seine Hoheit der Kurprinz und Mitregent von Hessen: Höchst=Ihren Wirklichen Geheimen Legationsrath, außerordentlichen | Gesandten und bevollmächtigten Minister an den Königlich=Preußischen | und Königlich=Sächsischen Höfen, Heinrich Wilhelm von Steuber, | Commandeur des Kurfürstlich^Hessischen Haus=Ordens vom goldenen | Löwen, Ritter des Kurhessischen Ordens vom eisernen Helme, Ritter | des Königlich=Dänischen Danebrog=Ordens, Kommenthur des Königlich^ | Sächsischen Civil=Verdienst=Ordens, und Höchst=Ihren Geheimen Ober=Bergrath, Heinrich Theodor | Ludwig Schwedes, Ritter des Kurfurstlich=Hessischen Haus^Ordens | vom goldenen Löwen; Seine Königliche Hoheit der Großherzog von Hessen: Höchst^Ihren Wirklichen Geheimen Rath und Präsidenten der Ober= | Finanzkammer, Wilhelm von Kopp, Commandeur erster Klasse des | Großherzoglich^Hessischen Ludwigs=Ordens, Ritter des Königlich=Preu== | ßischen rothen Adlep=Ordens zweiter Klasse, Commandeur erster Klasse | des Kurfurstlich=Hessischen Haus^Ordens vom goldenen Löwen; Seine Majestät der König von Bayern: Allerhöchst=Ihren Wirklichen Staatsrath im ordentlichen Dienste, | Staatsminister der Finanzen, Arnold Friedrich von Mieg, Com= | mandeur des Civil=Verdienst=Ordens der Königlich=Bayerischen Krone, | und Allerhöchst=Ihren Kämmerer, Staatsrath, außerordentlichen Gesandten | und bevollmächtigten Minister an den Königlich=Preußischen, Königlich^ | Sächsischen, Großherzoglich=Sächsischen und den Herzoglich=Sächsischen | Höfen, Friedrich Christian Johann Graf von Luxburg, Großkreuz | des Civil=Verdienst=Ordens der Königlich=Bayerischen Krone, Ritter | des Königlich==Preußischen rothen Adler=Ordens erster Klasse, Großkreuz | des Königlichesächsischen Civil=Verdienst=Ordens und Ritter des Kö= | niglich= Württembergischen Friedrichs=Ordens; Seine Majestät der König von Württemberg: AUerhöchst^Ihren Major im Generalstabe, Geschäftsträger am Königlich= | Preußischen Hofe, Franz a Paula Friedrich Freiherr von Linden; Seine Majestät der König und Seine Königliche Hoheit der Prinz Mit= | regent von Sachsen: Allerhöchst=Ihren Staats^ und Finanzminister, Heinrich Anton | von Zechau, Commandeur des Königlich=Sächsischen Civil=Verdienst= | Ordens, und Allerhöchst=Ihren General==Lieutenant der Cavallerie, General==Adjutan= | [S. 212] ten, außerordentlichen Gesandten und bevollmächtigten Minister am Kö== | niglich^Preußischen Hofe, Carl Friedrich Ludwig von Watzdorff, | Ritter des Königlich=Sächsischen Rauten=Ordens, Commandeur erster | Klasse des Königlich=Sächsischen Militair=St. Heinrichs=Ordens, Rit= | ter des Königlich=Bayerischen St. Hubertus=Ordens; von welchen Bevollmächtigten nachstehender Vertrag unter Vorbehalt der Ra= | tification abgeschlossen worden ist.

[86] Zollvereinigungserweitemngsvertrag vom 30. März 1833

853

Art. 1. ^Seine Majestät der König und Seine Königliche Hoheit der Prinz | Mitregent von Sachsen treten mit Ihren Landen dem vermittelst Vertrages | vom 22sten März d. J. zwischen Preußen, Kurhessen und dem Großherzogthume | Hessen einerseits, dann Bayern und Württemberg andererseits geschlossenen Zoll= | Vereine^ mit der Wirkung für das Königreich Sachsen bei, als wenn Allerhöchst^ | und Höchstdieselben unmittelbar an dem Abschlüsse jenes Vertrages Antheil ge= | nommen, und die darin gegenseitig zugestandenen Rechte und übernommenen | Verbindlichkeiten gleichzeitig hätten verabreden lassen. ^Es wird demgemäß das | Königreich Sachsen mit allen in diesem Vereine begriffenen Ländern für die I Zukunft einen Gesammtverein bilden, und der Inhalt des Vertrages vom 22sten | März d. J. auf dasselbe Anwendung finden, zu welchem Ende die einzelnen Be= | Stimmungen des letzteren, jedoch mit den dabei für das besondere Verhältniß des | Königreichs Sachsen verabredeten Modificationen, hier, wie nachsteht, aufgenom= | men werden. Art. 2. In den Gesammtverein werden insbesondere auch diejenigen Staaten | einbegriffen, welche schon früher entweder mit ihrem ganzen Gebiete, oder mit einem | Theile desselben dem Zoll= und Handelssysteme eines oder des anderen der con= | trahirenden Staaten beigetreten sind, unter Berücksichtigung ihrer auf den Bei= | trittsverträgen beruhenden besonderen Verhältnisse zu den Staaten, mit welchen | sie jene Verträge abgeschlossen haben. Art. 3. Dagegen bleiben von dem Gesammtvereine vorläufig ausgeschlossen | diejenigen einzelnen Landestheile der contrahirenden Staaten, welche sich ihrer Lage | wegen zur Aufnahme in den neuen Gesammtverein nicht eignen. Es werden jedoch diejenigen Anordnungen aufrecht erhalten, welche rück= | sichtlich des erleichterten Verkehrs dieser Landestheile mit dem Hauptlande gegen= | wärtig in Preußen, Kurhessen und in dem Großherzogthume Hessen, desgleichen | in Bayern und Württemberg bestehen, auch sollen ganz ähnliche Anordnungen | im Königreiche Sachsen für einzelne Landestheile, welche sich ebenfalls zur Auf= | nähme in den Gesammtverein nicht eignen, zugelassen, diese, wie fernere Begün= | stigungen derselben Art aber nur im gemeinschaftlichen Einverständnisse der con= | trahirenden Staaten bewilligt werden. Art. 4. In den Gebieten der contrahirenden Staaten sollen übereinstimmende | [S. 213] Gesetze über Eingangs^, Ausgangs^ und Durchgangs=Abgaben bestehen, jedoch | mit Modificationen, welche, ohne dem gemeinsamen Zwecke Abbruch zu thun, | aus der Eigenthümlichkeit der allgemeinen Gesetzgebung eines jeden theilnehmen= | den Staates oder aus lokalen Interessen sich als nothwendig ergeben. Bei dem Zolltarife namentlich sollen hiedurch in Bezug auf Eingangs= | und Ausgangs=Abgaben bei einzelnen, weniger für den größeren Handelsverkehr | geeigneten Gegenständen, und in Bezug auf Durchgangs=Abgaben, je nachdem | der Zug der Handelsstraßen es erfordert, solche Abweichungen von den allge= [ mein angenommenen Erhebungsssätzen, welche für einzelne Staaten als Vorzugs^ | weise wünschenswerth erscheinen, nicht ausgeschlossen seyn, sofern sie auf die all= | gemeinen Interessen des Vereins nicht nachtheilig einwirken. Desgleichen soll auch die Verwaltung der Eingangs=, Ausgangs= und | Durchgangs^ Abgaben, und die Organisation der dazu dienenden Behörden in | allen Ländern des Ge-

Dok. 85.

854

§ 4: Deutscher Zollverein

[Dok. 85-102]

sammtvereins unter Berücksichtigung der in denselben be= | stehenden eigenthümlichen Verhältnisse auf gleichen Fuß gebracht werden. Die nach diesen Gesichtspunkten zwischen den contrahirenden Staaten zu | vereinbarenden Gesetze und Ordnungen, namentlich: das Zollgesetz, | der Zolltarif, | die Zollordnung, sollen als integrirende Bestandtheile des gegenwärtigen Vertrages angesehen, und | gleichzeitig mit demselben publicirt werden. Art. 5. ^Veränderungen in der Zollgesetzgebung mit Einschluß des Zolltarifs | und der Zollordnung (Artikel 4.), so wie Zusätze und Ausnahmen können nur auf | demselben Wege und mit gleicher Uebereinstimmung aller Contrahenten bewirkt | werden, wie die Einführung der Gesetze erfolgt. "^Dies gilt auch von allen An= | Ordnungen, welche in Beziehung auf die Zollverwaltung allgemein abändernde | Normen aufstellen. Art. 6. Mit der Ausführung des gegenwärtigen Vertrages tritt zwischen den | contrahirenden Staaten Freiheit des Handels und Verkehrs und zugleich Gemein= | schaft der Einnahme an Zöllen ein, wie beide in den folgenden Artikeln be= | stimmt werden. Art. 7. Es hören von diesem Zeitpunkte an alle Eingangs^, Ausgangs= und | Durchgangsabgaben an den gemeinschaftlichen Landesgrenzen des bisherigen | Preußisch=Hessischen und des bisherigen Bayerisch=Württembergischen Zollvereins, | imgleichen des Königreichs Sachsen auf, und es können alle im freien Verkehr | des einen Gebiets bereits befindliche Gegenstände auch frei und unbeschwert in | das andere Gebiet eingeführt werden, mit alleinigem Vorbehalte: a) der zu den Staatsmonopolien gehörigen Gegenstände (Spielkarten und | Salz) nach Maaßgabe der Artikel 9. und 10.; [S, 214] b) der im Innern der contrahirenden Staaten gegenwärtig entweder mit | Steuern von verschiedener Höhe, oder in dem einen Staate gar nicht, in | dem anderen aber mit Steuem belegten und deshalb einer Ausgleichungs= | Abgabe unterworfenen inländischen Erzeugnisse, nach Maaßgabe des Arti= | kels 11., und endlich c) solcher Gegenstände, welche ohne Eingriff in die von einem der contrahi= | renden Staaten ertheilten Erfindungspatente oder Privilegien nicht nach= | gemacht oder eingeführt werden könne, und daher für die Dauer der | Patente oder Privilegien von der Einfuhr in den Staat, welcher diesel= | ben ertheilt hat, noch ausgeschlossen bleiben müssen. Art. 8. Der im Artikel 7. festgesetzten Verkehrs^ und Abgabenfreiheit unbe= | schadet, wird der Uebergang solcher Handelsgegenstände, welche nach dem gemein^ | samen Zolltarif einer Eingangs== oder Ausgangs Steuer an den Außengrenzen un= | terliegen, auch aus den Königlich=Bayerischen und Königlich=Württembergischen | Landen in die Königlich=Preußischen. Königlichesächsischen, Kurfürstlich=Hessi= | sehen und Großherzoglich=Hessischen Lande und umgekehrt, nur unter Innehal= | tung der gewöhnlichen Land= und Heerstraßen und auf den schiffbaren Strömen | Statt finden, und es werden an den Binnengrenzen gemeinschaftliche Anmeldestellen | eingerichtet werden, bei welchen die Waarenführer unter Vorzeigung ihrer Fracht= | briefe oder Transportzettel die aus dem einen in das andere Gebiet überzufüh= | renden Gegenstände anzugeben haben.

[86] Zollvereinigungserweiterungsvertrag vom 30. März 1833

855

^Auf den Verkehr mit rohen Producten in geringeren Quantitäten, so | wie überall auf den kleineren Grenz= und Marktverkehr, und auf das Gepäck | von Reisenden findet obige Bestimmung keine Anwendung. ^Auch wird keinerlei | Waarenrevision Statt finden, außer insoweit, als die Sicherung der Ausglei= | chungs=Abgaben (Artikel 7. b.) es erfordern könnte. Art. 9. Hinsichtlich der Einfuhr von Spielkarten behält es in jedem der zum \ Vereine gehörigen Staaten bei den bestehenden Verbots^ oder Bescliränkungs= | Gesetzen sein Bewenden. Art. 10. In Betreff des Salzes wird Folgendes festgesetzt: a) die Einfuhr des Salzes und aller Gegenstände, aus welchen Kochsalz aus= | geschieden zu werden pflegt, aus fremden, nicht zum Vereine gehörigen | Ländern in die Vereins Staaten, ist verboten, insoweit dieselbe nicht für | eigene Rechnung einer der vereinten Regierungen und zum unmittelbaren | Verkaufe in ihren Salz=Aemtem, Faktoreien oder Niederlagen geschieht; b) die Durchfuhr des Salzes und der vorbezeichneten Gegenstände aus den | zum Vereine nicht gehörigen Ländern in andere solche Länder soll nur | mit Genehmigung der Vereinsstaaten, deren Gebiet bei der Durchfuhr | berührt wird, und unter den Vorsichtsmaaßregeln Statt finden, welche | von denselben für nöthig erachtet werden; [S. 215] c) die Ausfuhr des Salzes in fremde, nicht zum Vereine gehörige Staaten | ist frei; d) was den Salzhandel innerhalb der Vereinsstaaten betrifft, so ist die Ein= | fiahr des Salzes von einem in den anderen nur in dem Falle erlaubt, | wenn zwischen den Landesregierungen besondere Verträge deshalb bestehen; e) wenn eine Regierung von der anderen innerhalb des Vereins aus Staats^ | oder Privatsalinen Salz beziehen will, so müssen die Sendungen mit Päs= | sen von öffentlichen Behörden begleitet werden. Zu diesem Ende verpflichten sich die betheiligten Regierungen, auf | den Privatsalinen einen öffentlichen Beamten aufzustellen, der den Umfang | der Production und des Absatzes derselben überhaupt zu beobachten hat; f) wenn ein Vereinsstaat durch einen anderen aus dem Auslande oder aus | einem dritten Vereinsstaate seinen Salzbedarf beziehen, oder durch einen | solchen sein Salz in fremde nicht zum Vereine gehörige Staaten versen= | den lassen will, so soll diesen Sendungen kein Hindemiß in den Weg [ gelegt werden; jedoch werden, insofern dieses nicht schon durch frühere | Verträge bestimmt ist, durch vorgängige Uebereinkunft der betheiligten | Staaten die Straßen für den Transport und die erforderlichen Sicher= | heitsmaaßregeln zur Verhinderung der Einschwärzung verabredet werden; g) wenn in den unmittelbar aneinander grenzenden Vereinsstaaten eine solche | Verschiedenheit der Salzpreise bestände, daß daraus für einen oder den | anderen dieser Staaten eine Gefahr der Salz=Einschwärzung hervorginge, | so macht sich derjenige Staat, in welchem der niedrigere Salzpreis be= | steht, verbindlich, die Verabfolgung des Salzes in die Grenzorte, binnen | eines Bezirks von wenigstens sechs Stunden landeinwärts, auf den genau | zu ermittelnden Bedarf jener Orte zu beschränken, und darüber den bethei= | ligten Nachbarstaaten genügende Nachweisung und Sicherheit zu gewähren. Die näheren Bestimmungen bleiben einer besonderen Verabredung der | betheiligten Regierungen vorbehalten.

856

§ 4: Deutscher Zollverein

[Dok. 85-102]

Art. 11. ^In Bezug auf diejenigen Erzeugnisse, bei welchen hinsichtlich der | Besteuerung im Innern noch eine Verschiedenheit der Gesetzgebung unter den ein= | zelnen Vereinslanden Statt findet (Artikel 7. b.), wird von allen Theilen als wtin= | schenswerth anerkannt, auch hierin eine Uebereinstimmung der Gesetzgebung und | der Besteuerungssätze in ihren Staaten hergestellt zu sehen, und es wird daher | ihr Bestreben auf die Herbeiführung einer solchen Gleichmäßigkeit gerichtet blei= 1 ben. "^Bis dahin, wo dieses Ziel erreicht worden, können zur Vermeidung der | Nachtheile, welche für die Producenten des eigenen Staates im Verhältnisse zu | den Producenten in anderen Vereinsstaaten, aus der ungleichen Besteuerung er= I wachsen würden, Ergänzungs= oder Ausgleichungs=Abgaben von folgenden GQ= I genständen erhoben werden: [S. 216] a) Im Königreiche Preußen von | Bier, | Branntwein, | Taback, | Traubenmost und Wein. b) Im Kurfürstenthume Hessen von | Bier, j Branntwein, | Taback, | Traubenmost und Wein. c) Im Großherzogthume Hessen von | Bier. d) Im Königreiche Bayern (zur Zeit mit Ausschluß des Rheinkreises) von | Bier, | Branntwein, | geschrotetem Malz. e) Im Königreiche Württemberg von | Bier, | Branntwein, | geschrotetem Malz. f) Im Königreiche Sachsen von | Bier, | Branntwein, [ Taback, | Traubenmost und Wein. Es soll bei der Bestimmung und Erhebung der gedachten Abgaben nach | folgenden Grundsätzen verfahren werden: 1) Die Ausgleichungs=Abgaben werden nach dem Abstände der gesetzlichen | Steuer im Lande der Bestimmung von der denselben Gegenstand betrej^ | fenden Steuer im Lande der Herkunft bemessen, und fallen daher im | Verhältnisse gegen diejenigen Vereinslande gänzlich weg, wo eine gleich | hohe oder eine höhere Steuer auf dasselbe Erzeugniß gelegt ist. 2) Veränderungen, welche in den Steuern von inländischen Erzeugnissen der | betheiligten Staaten eintreten, haben auch Veränderungen in den Aus= | gleichungs=Abgaben, jedoch stets unter Anwendung des vorher (1.) aufge= | stellten Grundsatzes zur Folge. Wo auf den Grund einer solchen Veränderung eine Ausgleichungs= | Abgabe zu erhöhen seyn würde, muß, falls die Erhöhung wirklich in An= | spruch genommen wird, eine Verhandlung darüber zwischen den betheilig= | [S. 217] ten Staaten, und eine vollständige Nachweisung der Zulässigkeit nach den | Bestimmungen des gegenwärtigen Vertrages vorausgehen. 3) Die gegenwärtig in Preußen gesetzlich bestehenden Sätze der Steuern von | inländischen Traubenmost und Wein, vom Tabacksbau und Branntwein, | so wie die gegenwärtig in Bayern bestehende Steuer von inländischem | geschroteten Malz und Bier (Malzaufschlag) sollen jedenfalls den höchsten | Satz desjenigen bilden, was in einem Vereinsstaate, welcher jene Steuern j eingeführt hat, oder künftig etwa einführen sollte, an Ausgleichungs=Abga= | ben von diesen Artikeln bei deren Eingang aus einem Lande, in welchem | keine Steuer auf dieselben Erzeugnisse gelegt ist, erhoben werden darf, | wenn auch die betreffende Steuer des Staates, welcher die Ausgleichungs= | Abgabe bezieht, diesen höchsten Satz übersteigen sollte. 4) Rückvergütungen der inländischen Staatssteuem sollen bei der Ueberfuhr | der besteuerten Gegenstände in ein anderes Vereinsland nicht gewährt | werden.

[86] Zollvereinigungserweitemngsvertrag vom 30. März 1833

857

5) Auf andere Erzeugnisse als Bier und Malz, Branntwein, Tabacksblätter, | Traubenmost und Wein soll unter keinen Umständen eine Ausgleichungs= | Abgabe gelegt werden. 6) In allen Staaten, in welchen von Taback, Traubenmost und Wein eine | Ausgleichungs=Abgabe erhoben wird, soll in keinem Falle eine weitere Ab= | gäbe von diesen Erzeugnissen, weder fur Rechnung des Staates, noch für | Rechnung der Communen beibehalten oder eingeführt werden. 7) Der Ausgleichungs=Abgabe sind solche Gegenstände nicht unterworfen, von | welchen auf die in der Zollordnung vorgeschriebene Weise dargethan ist, | daß sie als ausländisches Ein= oder Durchgangsgut die zollamtliche Be= | handlung bei einer Erhebungsbehörde des Vereins bereits bestanden haben, | oder derselben noch unterliegen, und eben so wenig diejenigen im Umfange | des Vereins erzeugten Gegenstände, welche nur durch einen Vereinsstaat | transitiren, um entweder in einen anderen Vereinsstaat oder nach dem | Auslande gefuhrt zu werden. 8) Die Ausgleichungs=Abgabe kommt den Kassen desjenigen Staates zu | Gute, wohin die Versendung erfolgt. Insofern sie nicht schon im Lande | der Versendung für Rechnung des abgabeberechtigten Staates erhoben | worden, wird die Erhebung im Gebiete des letzteren erfolgen. 9) Es sollen in jedem der contrahirenden Staaten solche Einrichtungen ge= | troffen werden, vermöge welcher die Ausgleichungs=Abgabe in dem Ver= | einslande, aus welchem die Versendung erfolgt, am Orte der Versendung | [S. 218] oder bei den gelegensten Zoll= oder Steuerbehörde entrichtet, oder ihre | Entrichtung durch Anmeldung sicher gestellt werden kann. 10 So lange, bis diese Einrichtungen durch besondere Uebereinkunft festgesetzt | seyn werden, bleibt der Verkehr mit Gegenständen, welche einer Ausglei= | chungs=Abgabe unterliegen, in der Art beschränkt, daß dieselben, ohne Un= | terschied der transportirten Quantitäten, in das Gebiet des abgabeberech= | tigten Staates nur auf den im Artikel 8. bezeichneten, oder noch ander= | weit zu bestimmenden Straßen eingeführt, und an den dort einzurichten^ | den Anmelde^ und Hebestellen angemeldet und resp. versteuert werden | müssen, ohne daß jedoch in Folge hievon der Verkehr mit den Gegen= | ständen, von welchen eine Ausgleichungs=Abgabe nicht zu entrichten ist, ei= | ner weiteren, als der in dem oben gedachten Artikel angeordneten Aufsicht I unterworfen seyn wird. Art. 12. Hinsichtlich der Verbrauchs=Abgaben, welche in dem Bereiche der | Vereinsländer von anderen, als den im Artikel 11. bezeichneten Gegenständen erho= | ben werden, so wie der im Großherzogthume Hessen zur Erhebung kommenden | Steuern von Getränken, wird eine gegenseitige Gleichmäßigkeit der Behandlung | Statt finden, dergestalt, daß das Erzeugniß eines anderen Vereinsstaates unter | keinem Vorwande höher belastet werden darf, als das inländische. Derselbe Grundsatz findet auch bei den Zuschlags^Abgaben und Octrois | Statt, welche für Rechnung einzelner Gemeinden erhoben werden, so weit derglei= | chen Abgaben nicht überhaupt nach der Bestimmung des Artikels 11. Nr. 6. | unzulässig sind. Art. 13« Chausseegelder oder andere statt derselben bestehende Abgaben, wie | z. B. der in den Königreichen Bayern und Württemberg zur Surrogierung des | Wegegeldes von eingehenden Gütern eingeführte fixe Zollbeischlag, eben so Pflaster^, | Damm=, Brücken^ und Fährgelder, oder unter welchem anderen Namen der= | gleichen Abgaben bestehen ohne Unterschied, ob die Erhebung für Rechnung des | Staates oder eines Privatberechtigten,

858

§ 4: Deutscher Zollverein

^

[Dok. 85-102]

namentlich einer Commune geschieht, sol= | len nur in dem Betrage beibehalten oder neu eingeführt werden können, als sie | den gewöhnlichen Herstellungs= und Unterhaltungskosten angemessen sind. Das dermalen in Preußen nach dem allgemeinen Tarif vom Jahre 1828. | bestehende Chausseegeld soll als der höchste Satz angesehen, und hinfuhro in kei= | nem der contrahirenden Staaten überschritten werden. Besondere Erhebungen von Thorsperr= und Pflastergeldem sollen auf | chaussirten Straßen, da wo sie noch bestehen, dem vorstehenden Grandsatze ge= | maß aufgehoben, und die Ortspflaster den Chausseestrecken dergestalt eingerechnet | werden, daß davon nur die Chausseegelder nach dem allgemeinen Tarif zur Er= | hebung kommen. [S. 219] Art. 14. Die contrahirenden Regierangen wollen dahin wirken, daß in ihren | Landen ein gleiches Münz=, Maaß= und Gewichtssystem in Anwendung komme, | hierüber sofort besondere Unterhandlungen einleiten lassen, und die nächste Sorge | auf die Annahme eines gemeinschaftlichen Zollgewichts richten. ^Sofem die desfallsige Einigung nicht bereits bei der Ausführang des | Vertrages zum Grande gelegt werden könnte, werden die contrahirenden Staa= | ten zur Erleichterang der Versendung von Waaren und zur schnelleren Abferti= | gung dieser Sendungen an den Zollstellen, so weit dies noch nicht zur Ausfüh= | rang gebracht seyn sollte, bei den in ihren Zolltarifen vorkommenden Maaß= und | Gewichtsbestimmungen eine Reduction auf die Maaße und Gewichte, welche in | den Tarifen der anderen contrahirenden Staaten angenommen sind, entwerfen, | und zum Gebrauche sowohl ihrer Zoll=Aemter als des Handel treibenden Publi= | kums öffentlich bekannt machen lassen. ^Der gemeinschaftliche Zolltarif (Artikel 4.) | soll in zwei Haupt=Abtheilungen, nach dem Preußischen und nach dem Bayeri= | sehen Maaß=, Gewichts= und Münzsystem ausgefertigt werden. ^Die Declaration, die Abwägung und Messung der zollbaren Gegenstände | soll bis auf weitere Verabredung wegen eines gemeinsamen Maaßes und Ge= | wichtes in Preußen nach Preußischem, in Bayern und Württemberg nach Baye= | rischem Maaße und Gewichte, in Sachsen und in den Hessischen Landen nach | dem daselbst gesetzlich eingeführten Maaße und Gewichte geschehen. Hn den | Ausfertigungen der Zollbehörden im Königreiche Sachsen und in den Hessischen | Landen ist aber die Quantität der Waaren zugleich nach einer der beiden Haupt= | Abtheilungen des gemeinschaftlichen Tarifs auszudracken. Die Zoll=Abgabe soll im Königreiche Sachsen nach dem Preußischen | Münzfuße berechnet, und kann entweder in Preußischen Vi bis Ve Stücken, oder in | Sächsischem Gelde, nach einem noch zu bestimmenden Verhältnisse, geleistet werden. Es sollen auch schon jetzt die Gold= und Silbermünzen der sämmtlichen | contrahirenden Staaten - mit Ausnahme der Scheidemünze - bei allen Hebe= | stellen des gemeinsamen Zollvereins angenommen und zu diesem Behufe Valva= | tionstabellen öffentlich bekannt gemacht werden. Art. 15. Die Wasserzölle oder auch Wegegeldgebühren auf Flüssen mit Ein= | schluß derjenigen, welche das Schiffsgefäß treffen (Recognitionsgebühren) sind von | der Schiffahrt auf solchen Flüssen, auf welche die Bestimmungen des Wiener=Con= | gresses oder besondere Staatsverträge Anwendung finden, femer gegenseitig nach | jenen Bestimmungen zu entrichten, insofem hierüber nichts Besonderes verab= | redet wird. Ueber den Verkehr mittelst der Elbe und wegen der Erhebung der con= | ventionellen Elbschiffahrts=Abgaben wird zwischen der Königlich=Preußischen und | Königlich=Sächsischen Regierang Folgendes verabredet:

[86] Zollvereinigungserweitemngsvertrag vom 30. März 1833

859

[S. 220] 1) Waaren, welche vermittelst der Elbe durch das Preußische und Sächsische 1 Gebiet unmittelbar durchgeführt werden, bleiben den vollen Elbschiffahrts= | Abgaben, wie solche conventionsmäßig festgesetzt sind, unterworfen. Findet | bei der Durchfuhr eine Umladung oder Lagerung zur Spedition oder zum | Zwischenhandel Statt; so kann von der Regierung des Staates, in dessen | Gebiete der Umschlag erfolgt, ein Erlaß an dem Eibzolle, jedoch nicht hö= | her als zu V4 der conventionsmäßigen Sätze, welche sie zu erheben hat, | bewilligt werden. 2) Der Waarentransport auf der Elbe aus dem Gebiete eines der beiden | gedachten Staaten nach dem Gebiete des anderen, oder aus einem dieser | Staaten nach dem Auslande oder umgekehrt aus dem Auslande nach dem | Gebiete eines der gedachten Staaten, ist in der Regel von aller Zoll= | Entrichtung frei, unterliegt jedoch der Entrichtung des conventionsmäßigen | Recognitionsgeldes. 3) Hievon findet in dem Falle eine Ausnahme Statt, wo bei der Einfuhr aus | dem Auslande das Gebiet eines der beiden Staaten ohne Löschung und | Lagerung der Ladung durchfahren wird, in welchem Falle neben dem Re== | cognitionsgelde ein Viertheil des Elbzoll=Antheils des letzteren Staates | entrichtet wird. 4) Waaren, welche auf der Elbe in das Gebiet eines der beiden Staaten | eingehen, um zu Lande wieder ausgeführt zu werden, oder welche umge= | kehrt zu Lande in das Gebiet eines der beiden Staaten eingehen, um mit= | telst der Elbe ausgeführt zu werden, unterliegen neben dem conventions^ | mäßigen Recognitionsgelde der Durchgangs=Abgabe nach dem Zolltarif, | welchem in dem vorbemerkten Falle zu 3. der dort bestimmte Wasserzoll | zutritt. Alle Begünstigungen, welche ein Vereinsstaat dem Schiffahrtsbetriebe | seiner Unterthanen auf den Eingangs genannten Flüssen zugestehen möchte, sollen | in gleichem Maaße auch der Schiffahrt der Unterthanen der anderen Vereins^ | Staaten zu Gute kommen. ^Auf den übrigen Flüssen, bei welchen weder die Wiener=Congreßacte noch | andere Staatsverträge Anwendung finden, werden die Wasserzölle nach den pri= | vativen Anordnungen der betreffenden Regierungen erhoben. ^Doch sollen auch | auf diesen Flüssen die Unterthanen der contrahirenden Staaten und deren Waaren | und Schiffsgefäße überall gleich behandelt werden. Art. 16. Von dem Tage an, wo die gemeinschaftliche Zollordnung des Vereins | in Vollzug gesetzt wird, sollen in den zum Zollvereine gehörigen Gebieten alle | etwa noch bestehenden Stapel= und Umschlagsrechte aufhören, und Niemand soll | [S. 221] zur Anhaltung, Verladung oder Lagerung gezwungen werden können, als in den | Fällen, in welchen die gemeinschaftliche Zollordnung oder die betreffenden Schiff= | fahrtsreglements es zulassen oder vorschreiben. Art. 17. Kanal=, Schleusen^, Brücken^, Fähr=, Hafen=, Waage=, Krahnen= und | Niederlage=Gebühren und Leistungen für Anstalten, die zur Erleichterung des Ver= | kehrs bestimmt sind, sollen nur bei Benutzung wirklich bestehender Einrichtungen | erhoben, und für letztere nicht erhöhet, auch überall von den Unterthanen der | anderen contrahirenden Staaten auf völlig gleiche Weise, wie von den eigenen | Unterthanen erhoben werden. Findet der Gebrauch einer Waage= oder Krahnen=Einrichtung nur zum | Behufe einer zollamtlichen Controle Statt, so tritt eine Gebühren=Erhebung bei | schon einmal zollamtlich verwogenen Waaren nicht ein.

860

§ 4: Deutscher Zollverein

[Dok. 85 - 102]

Art. 18. Die contrahirenden Staaten wollen auch femer gemeinschaftlich dahin | wirken, daß durch Annahme gleichförmiger Grundsätze die Gewerbsamkeit beför= | dert, und der Befiigniß der Unterthanen des einen Staates, in dem anderen | Arbeit und Erwerb zu suchen, möglichst freier Spielraum gegeben werde. Von den Unterthanen des einen der contrahirenden Staaten, welche in | dem Gebiete eines anderen derselben Handel und Gewerbe treiben, oder Arbeit | suchen, soll von dem Zeitpunkte ab, wo der gegenwärtige Vertrag in Kraft tre= | ten wird, keine Abgabe entrichtet werden, welcher nicht gleichmäßig die in dem= | selben Gewerbsverhältnisse stehenden eigenen Unterthanen unterworfen sind. Desgleichen sollen Fabrikanten und Gewerbtreibende, welche blos für das 1 von ihnen betriebene Geschäft Ankäufe machen, oder Reisende, welche nicht | Waaren selbst, sondern nur Muster derselben bei sich führen, um Bestellungen | zu suchen, wenn sie die Berechtigung zu diesem Gewerbebetriebe in dem Vereins^ | Staate, in welchem sie ihren Wohnsitz haben, durch Entrichtung der gesetzlichen | Abgaben erworben haben, oder im Dienste solcher inländischen Gewerbtreibenden | oder Kaufleute stehen, in den anderen Staaten keine weitere Abgabe hiefür zu | entrichten verpflichtet seyn. Auch sollen beim Besuche der Märkte und Messen zur Ausübung des | Handels und zum Absätze eigener Erzeugnisse oder Fabrikate in jedem Vereins^ | Staate die Unterthanen der übrigen contrahirenden Staaten eben so wie die | eigenen Unterthanen behandelt werden. Art. 19. Die Preußischen Seehäfen sollen dem Handel der Unterthanen sämmt= | lieber Vereinsstaaten gegen völlig gleiche Abgaben, wie solche von den Königlich= | Preußischen Unterthanen entrichtet werden, offen stehen, auch sollen die in frem= | den See= und anderen Handelsplätzen angestellten Consuln eines oder der ande= | ren der contrahirenden Staaten veranlaßt werden, der Unterthanen der übrigen | [S. 222] contrahirenden Staaten sich in vorkommenden Fällen möglichst mit Rath und | That anzunehmen. Art. 20. Die Königlich=Sächsische Regierung wird mittelst besonderer Ueberein= | kunft dem Zoll=Curatel beitreten, welches zwischen den übrigen contrahirenden | Theilen zum Schutze ihres gemeinschaftlichen Zollsystems gegen den Schleich^ | handel und ihrer inneren Verbrauchs=Abgaben gegen Defraudationen bereits | abgeschlossen worden ist. Art. 21. Die als Folge des gegenwärtigen Vertrages eintretende Gemeinschaft | der Einnahme der contrahirenden Staaten bezieht sich auf den Ertrag der Ein= | gangs=, Ausgangs= und Durchgangs=Abgaben in den Preußischen Staaten, | den Königreichen Bayern, Sachsen und Württemberg, dem Kurfürstenthume | und dem Großherzogthume Hessen mit Einschluß der den Zollsystemen der con= | trahirenden Staaten bisher schon beigetretenen Länder. Von der Gemeinschaft sind ausgeschlossen und bleiben, sofern nicht Sepa= | ratverträge zwischen einzelnen Vereinsstaaten ein Anderes bestimmen, dem pri= | vativen Genüsse der betreffenden Staatsregierungen vorbehalten: 1) die Steuern, welche im Innern eines jeden Staates von inländischen | Erzeugnissen erhoben werden, einschließlich der im Artikel 11. vorbehalte^ | nen Ausgleichungs=Abgaben; 2) die im Artikel 15. erwähnten Wasserzölle; 3) Chaussee=Abgaben, Pflaster^, Damm=, Brücken^, Fähr=, Kanal=, Schleu= | sen=, Hafengelder, so wie Waage= und Niederlage^Gebühren oder gleich= | artige Erhebungen, wie sie auch sonst ernannt werden;

[86] Zollvereinigungserweitemngsvertrag vom 30. März 1833

861

4) die Zollstrafen und Confiscate, welche, vorbehaltlich der Antheile der De= | nuncianten, jeder Staatsregierung in ihrem Gebiete verbleiben. Art. 22. Der Ertrag der in die Gemeinschaft fallenden Abgaben wird nach Abzug 1) der Kosten, wovon weiter unten im Artikel 30. die Rede ist; 2) der Rückerstattungen für unrichtige Erhebungen; 3) der auf den Grund besonderer gemeinschaftlicher Verabredungen erfolgten | Steuervergütungen und Ermäßigungen unter den vereinigten Staaten nach dem Verhältnisse der Bevölkerung, mit | welcher sie im Vereine sich befinden, vertheilt. Die Bevölkerung solcher Staaten, welche durch Vertrag mit einem oder | dem anderen der contrahirenden Staaten unter Verabredung einer von diesem | jährlich für ihre Antheile an den gemeinschaftlichen Zollrevenüen zu leistenden | Zahlung dem Zollverbande beigetreten sind, oder noch beitreten werden, wird in | die Bevölkerung desjenigen Staates eingerechnet, welcher diese Zahlung leistet. [S, 223] Der Stand der Bevölkerung in den einzelnen Vereinsstaaten wird alle | drei Jahre von einem noch zu verabredenden Termine an ausgemittelt, und die | Nachweisung derselben von den einzelnen Staaten einander gegenseitig mitge= | theilt werden. Art. 23. Vergünstigungen für Gewerbtreibende hinsichtlich der Steuer=Einrich= | tung, welche nicht in der Zollgesetzgebung selbst begründet sind, fallen der Staatskasse | derjenigen Regierung, welche sie bewilligt hat, zur Last. Die Maaßgaben, unter welchen solche Vergünstigungen zu bewilligen sind, | werden näherer Verabredung vorbehalten. Art. 24. Dem auf Förderung freier und natürlicher Bewegung des allgemeinen | Verkehrs gerichteten Zwecke des Zollvereines gemäß, sollen besondere Zollbegün= | stigungen einzelner Meßplätze, namentlich Rabattprivilegien, da wo sie derma= | len in den Vereinsstaaten noch bestehen, nicht erweitert, sondern vielmehr, unter | geeigneter Berücksichtigung sowohl der Nahmngsverhältnisse bisher begünstigter | Meßplätze, als der bisherigen Handelsbeziehungen mit dem Auslande, thunlichst | beschränkt und ihrer baldigen gänzlichen Aufhebung entgegengefuhrt, neue aber | ohne allerseitige Zustimmung auf keinen Fall ertheilt werden, Art. 25. Von der tarifmäßigen Abgaben=Entrichtung bleiben die Gegenstände, | welche für die Hofhaltung der hohen Souverain= und Ihrer Regentenhäuser, oder für | die bei Ihren Höfen accreditirten Botschafter, Gesandten, Geschäftsträger etc. | eingehen, nicht ausgenommen, und wenn dafür Rückvergütungen Statt haben, so | wenden solche der Gemeinschaft nicht in Rechnung gebracht. Eben so wenig anrechnungsfähig sind Entschädigungen, welche in einem | oder dem anderen Staaten den vormals unmittelbaren Reichsständen, oder an | Communen oder einzelne Privatberechtigte für eingezogene Zollrechte oder für | aufgehobene Befreiungen gezahlt werden müssen. ^Dagegen bleibt es jedem Staate unbenommen, einzelne Gegenstände auf | Freipässe ohne Abgaben=Entrichtung in seinem Gebiete ein=, aus= oder durch= | gehen zu lassen. ^Dergleichen Gegenstände werden jedoch zollgesetzlich behandelt | und in Freiregistem,

862

§ 4: Deutscher Zollverein

[Dok. 85-102]

mit denen es wie mit den übrigen Zollregistem zu halten | ist, notirt, und die Abgaben, welche davon zu erheben gewesen wären, kommen | bei der demnächstigen Revenüen=Ausgleichung demjenigen Theile, von welchem | die Freipässe ausgegangen sind, in Abrechnung. Art. 26. Das Begnadigungs= und Strafverwandlungs^Recht bleibt jedem der | contrahirenden Staaten in seinem Gebiete vorbehalten. Auf Verlangen werden periodische Uebersichten der erfolgten Straf=Erlasse | gegenseitig mitgetheilt werden. [S. 224] Art. 27. Die Ernennung der Beamten und Diener bei den Lokal= und Bezirks= | Stellen für die Zoll=Erhebung und Aufsicht, welche in Gemäßheit der hierüber \ getroffenen besonderen Uebereinkunft nach gleichförmigen Bestimmungen ange= | ordnet, besetzt und instruirt werden sollen, bleibt einer jeden der contrahirenden | Regierungen innerhalb ihres Gebietes überlassen. Art. 28. In jedem Vereinsstaate wird die Leitung des Dienstes der Lokal= und ] Bezirks=Zollbehörden, so wie die Vollziehung der gemeinschaftlichen Zollgesetze | überhaupt, einer, oder, wo sich das Bedürfniß hierzu zeigt, mehreren Zolldirec= | tionen übertragen, welche dem einschlägigen Ministerium des betreffenden Staates | untergeordnet sind. Die Bildung der Zolldirectionen und die Einrichtung ihres Geschäftsgang | ges bleibt den einzelnen Staatsregierungen überlassen; der Wirkungskreis der= | selben aber wird, insoweit er nicht schon durch den Grundvertrag und die ge= | meinschaftlichen Zollgesetze bestimmt ist, durch eine gemeinschaftlich zu verabredende | Instruction bezeichnet werden. Art. 29. Die von der Zoll=Erhebungsbehörden nach Ablauf eines jeden Viertel== | Jahres aufzustellenden Quartals=Extracte, und die nach dem Jahres= und Bücher= | Schlüsse aufzustellenden Final=Abschlüsse über die resp. im Laufe des Vierteljahres | und während des Rechnungsjahres fällig gewordenen Zoll=Einnahmen, werden von | den betreffenden Zolldirectionen nach vorangegangener Prüfung in Haupt=Ueber^ | sichten zusammengetragen, und diese sodann an ein Centralbüreau eingesendet, zu | welchem ein jeder Vereinsstaat einen Beamten zu ernennen die Befugniß hat. Dieses Bureau fertigt auf den Grund jener Vorlagen die provisorischen | Abrechnungen zwischen den vereinigten Staaten von drei zu drei Monaten, sen= | det dieselben den Central=Finanzstellen der letzteren, und bereitet die definitive Jah= | res=Abrechnung vor. Wenn aus den Quartal^Abrechnungen hervorgeht, daß die wirkliche Ein= | nähme eines Vereinsstaates um mehr als einen Monatsbetrag gegen den ihm | verhältnißmäßig an der Gesammt=Einnahme zuständigen Revenüen=Antheil zurück= | geblieben ist, so muß alsbald das Erforderliche zur Ausgleichung dieses Ausfalles | durch Herauszahlung von Seiten des oder derjenigen Staaten, bei denen eine | Mehr=Einnahme Statt gefunden hat, eingeleitet werden. Art. 30. In Absicht der Erhebungs= und Verwaltungskosten sollen folgende | Grundsätze in Anwendung kommen: 1) Man wird keine Gemeinschaft dabei eintreten lassen, vielmehr übernimmt | jede Regierung alle in ihrem Gebiete vorkommenden Erhebungs= und Ver= | waltungs-

[86] Zollvereinigungserweiterungsvertrag vom 30. März 1833

863

kosten, es mögen diese durch die Einrichtung und Unterhaltung | der Haupt= und Neben=Zoll=Aemter, der inneren Steuer=Aemter, Hall=Aemter, | [S. 225] und Packhöfe und der Zolldirectionen, oder durch den Unterhalt des dabei | angestellten Personals und durch die dem letzteren zu bewilligenden Pensionen, | oder endlich aus irgend einem anderen Bedürfnisse der Zollverwaltung | entstehen. 2) Hinsichtlich desjenigen Theils des Bedarfs aber, welcher an den gegen das | Ausland gelegenen Grenzen und innerhalb des dazu gehörigen Grenz=Bezirks fur die Zoll=Erhebungs= und Aufsichts= oder Controlbehörden und | Zoll=Schutzwachen erforderlich ist, wird man sich über Pauschsummen vereini= | gen, welche jeder der contrahirenden Staaten von der jährlich aufkommen= | den und der Gemeinschaft zu berechnenden Bmtto=Einnahme an Zollgefällen | in Abzug bringen kann. 3) Bei dieser Ausmittelung des Bedarfs soll, da wo die Perception privativ | ver Abgaben mit der Zoll=Erhebung verbunden ist, von den Gehalten und | Amtsbedürfnissen der Zollbeamten nur derjenige Theil in Anrechnung kom= | men, welcher dem Verhältnisse ihrer Geschäfte für den Zolldienst zu ihren | Amtsgeschäften überhaupt entspricht. 4) Man wird sich über allgemeine Normen vereinigen, um die Besoldungs= | Verhältnisse der Beamten bei den Zoll=Erhebungs= und Aufsichtsbehörden, | imgleichen bei den Zolldirectionen in möglichste Uebereinstimmung zu bringen. Art. 31. Die contrahirenden Staaten gestehen sich gegenseitig das Recht zu, den | Haupt=Zoll= Aemtem auf den Grenzen anderer Vereinsstaaten Controleure beizuord= | nen, welche von allen Geschäften derselben und der Neben=Aemter in Beziehung | auf das Abfertigungsverfahren und die Grenzbewachung Kenntniß zu nehmen | und auf Einhaltung eines gesetzlichen Verfahrens, imgleichen auf die Abstellung | etwaiger Mängel einzuwirken, übrigens sich jeder eigenen Verfügung zu ent= | halten haben. Einer näher zu verabredenden Dienstordnung bleibt es vorbehalten, ob | und welchen Antheil dieselben an den laufenden Geschäften zu nehmen haben. Art. 32. Jeder der contrahirenden Staaten hat das Recht, an die Zolldirectionen | der anderen vereinten Staaten Beamte zu dem Zwecke abzuordnen, um sich von | allen vorkommenden Verwaltungsgeschäften, welche sich auf die durch den gegen= | wärtigen Vertrag eingegangene Gemeinschaft beziehen, vollständige Kenntniß zu | verschaffen. Eine besondere Instruction wird das Geschäftsverhältniß dieser Beamten | näher bestimmen, als dessen Grundlage die unbeschränkte Offenheit von Seiten | des Staates, bei welchem die Abgeordneten fiingiren, in Bezug auf alle Gegen= | stände der gemeinschaftlichen Zollverwaltung, und die Erleichterung jedes Mittels, | durch welches sie sich die Information hierüber verschaffen können, anzusehen ist, | [S. 226] während andererseits ihre Sorgfalt nicht minder aufrichtig dahin gerichtet seyn | muß, eintretende Anstände und Meinungsverschiedenheiten auf eine dem gemein= | samen Zwecke und dem Verhältnisse verbündeter Staaten entsprechende Weise | zu erledigen. Die Ministerien der sämmtlichen Vereinsstaaten werden sich gegenseitig | auf Verlangen jede gewünschte Auskunft über die gemeinschaftlichen Zoll=Angelegen= | heiten mittheilen, und insofern zu diesem Behufe die zeitweise oder dauernde | Abordnung eines höheren Beamten, oder die Beauftragung eines anderweit bei | der Regierung beglaubigten Bevollmächtigten beliebt würde, ist demselben nach | dem oben ausgesprochenen Grundsatze alle Gelegenheit zur vollständigen Kennt= | nißnahme von den Verhältnissen der gemeinschaftlichen Zollverwaltung bereit= | willig zu gewähren.

864

§4: Deutscher Zollverein

[Dok. 85 -102]

Art. 33. Jährlich in den ersten Tagen des Juni findet zum Zwecke gemeinsamer | Berathung ein Zusammentritt von Bevollmächtigten der Vereinsregierungen | Statt, zu welchem eine jede der letzteren einen Bevollmächtigten abzuordnen | befugt ist. Für die formelle Leitung der Verhandlungen wird von den Conferenz== | Bevollmächtigten aus ihrer Mitte ein Vorsitzender gewählt, welchem übrigens \ kein Vorzug vor den übrigen Bevollmächtigten zusteht. ^Der erste Zusammentritt wird in München Statt finden. ^Wo derselbe | künftig erfolgen soll, wird bei dem Schlüsse einer jeden jährlichen Versammlung | mit Rücksicht auf die Natur der Gegenstände, deren Verhandlung in der folgen= | den Conferenz zu erwarten ist, verabredet werden. Art. 34. Vor die Versammlung dieser Conferenz=Bevollmächtigten gehört: a) die Verhandlung über alle Beschwerden und Mängel, welche in Bezie= | hung auf die Ausführung des Grundvertrages und der besonderen Ueber= | einkünfte, des Zollgesetzes, der Zollordnung und Tarife, in einem oder dem | anderen Vereinsstaate wahrgenommen, und die nicht bereits im Laufe des | Jahres in Folge der darüber zwischen den Ministerien geführten Corre= | spondenz erledigt worden sind; b) die definitive Abrechnung zwischen den Vereinsstaaten über die gemein^ | schaftliche Einnahme auf den Grund der von den obersten Zollbehörden | aufgestellten, durch das Centralbüreau vorzulegenden Nachweisungen, wie | solche der Zweck einer dem gemeinsamen Interesse angemessenen Prüfung | erheischt; c) die Berathung über Wünsche und Vorschläge, welche von einzelnen Staats^ | Regierungen zur Verbesserung der Verwaltung gemacht werden; d) die Verhandlungen über Abänderungen des Zollgesetzes, des Zolltarifs, der | Zollordnung und der Verwaltungs=Organisation, welche von einem der con= | [S. 227] trahirenden Staaten in Antrag gebracht werden, überhaupt über die zweck= | mäßige Entwickelung und Ausbildung des gemeinsamen Zoll= und Handels^ | Systems. Art. 35. Treten im Laufe des Jahres außer der gewöhnlichen Zeit der Versamm= | lung der Conferenz=Bevollmächtigten außerordentliche Ereignisse ein, welche unver= | zügliche Maaßregeln oder Verfügungen abseiten der Vereinsstaaten erheischen; | so werden sich die contrahirenden Theile darüber im diplomatischen Wege ver= | einigen, oder eine außerordentliche Zusammenkunft ihrer Bevollmächtigten ver= | anlassen. Art. 36. Den Aufwand für die Bevollmächtigten und deren etwaige Gehülfen | bestreitet die Regierung, welche sie absendet. Das Kanzlei=Dienstpersonale und das Lokale wird unentgeldlich von der | Regierung gestellt, in deren Gebiete der Zusammentritt der Conferenz Statt findet. Art. 37. Sollte zur Zeit der Vollziehung des gegenwärtigen Vertrages eine [ Uebereinstimmung der Eingangs=Zollsätze in den Landen der contrahirenden Regierun= | gen nicht bereits im Wesentlichen bestehen, so verpflichten sich dieselben zu allen | Maaßregeln, welche erforderlich sind, damit nicht die Zoll=Einkünfte des Gesammt= | Vereins durch die Einführung und Anhäufung unverzollter oder gegen geringere | Steuersätze, als der Vereinstarif enthält, verzollter Waarenvorräthe beeinträch= | tigt werden.

[86] Zollvereinigungserweitemngsvertrag vom 30. März 1833

865

Art. 38. Für den Fall, daß andere deutsche Staaten den Wunsch zu erkennen | geben sollten, in den durch gegenwärtigen Vertrag errichteten Zollverein aufge= j nommen zu werden, erklären sich die hohen Contrahenten bereit, diesem Wunsche, | so weit es unter gehöriger Berücksichtigung der besonderen Interessen der Ver= | einsmitglieder möglich erscheint, durch desfalls abzuschließende Verträge Folge | zu geben. Art. 39. Auch werden Sie Sich bemühen, durch Handelsverträge mit anderen | Staaten dem Verkehr Ihrer Angehörigen jede mögliche Erleichterung und Erwei= | terung zu verschaffen. Art. 40. Alles, was sich auf die Detail=Ausfühmng der in dem gegenwärtigen | Vertrage und dessen Beilagen enthaltenen Verabredungen, insbesondere auf den | Vollzug der gemeinschaftlich festgesetzten organischen Bestimmungen, Reglements | und Instructionen bezieht, soll durch gemeinschaftliche Commissarien vorbereitet | werden. Art. 4L ^Die Dauer des gegenwärtigen Vertrages, welcher mit dem ersten Ja= | nuar 1834. in Ausführung gebracht werden soll, wird vorläufig bis zum ersten Januar | [S. 228] 1842. festgesetzt. "^Wird derselbe während dieser Zeit und spätestens zwei Jahre | vor Ablauf der Frist nicht gekündigt, so soll er auf 12 Jahre, und so fort von | 12 zu 12 Jahren als verlängert angesehen werden. Letztere Verabredung wird jedoch nur für den Fall getroffen, daß nicht | in der Zwischenzeit sämmtliche deutsche Bundesstaaten über gemeinsame Maaß= | regeln übereinkommen, welche den mit der Absicht des Artikels 19. der deut= | sehen Bundes=Acte^ in Uebereinstimmung stehenden Zweck des gegenwärtigen Zoll= | Vereins vollständig erfüllen. Auch sollen im Falle etwaiger gemeinsamer Maaßregeln über den freien | Verkehr mit Lebensmitteln in sämmtlichen deutschen Bundesstaaten die betreff | fenden Bestimmungen des nach gegenwärtigem Vertrage bestehenden Vereins^ | Tarifs demgemäß modificirt werden. Gegenwärtiger Vertrag soll alsbald zur Ratification der hohen contrahi= | renden Höfe vorgelegt, und die Auswechselung der Ratifications=Urkunden soll spä= | tenstens binnen sechs Wochen in Berlin bewirkt werden.'* So geschehen Berlin, den 30sten März 1833. C. G. Maassen. H. W. | v. Steuber. Wilhelm | v. Kopp. Am. Fried. | v. Mieg. Franz a Paula | (L. S.) (L. S.) (L. S.) (L. S.) (L. S.) Friedrich | Frh. v. Linden. Heinr. Ant. | v. Zeschau. | Albr. Fried. | Eichhorn. (L. S.) (L. S.) (L. S.) Heinr. Theod. | Ludwig | Schwedes. Friedrich Ch. | Johann | Gf v. Luxburg. (L.S.) (L.S.) Garl Fried. | Ludwig | v. Watzdoff (L. S.)

^ Dok.31. ^ Der Austausch der Ratifikationsurkunden erfolgte indes erst am 28. November 1833.

866

§ 4: Deutscher Zollverein

[Dok. 85-102]

[87] Zollvereinigungserweiterungsvertrag (Preußen, Bayern, Württemberg, Sachsen, Kurhessen und Hessen-Darmstadt./. dem Thüringer Zoll- und Handelsverein angehörende Staaten) vom 11. Mai 1833 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einfuhrungen" die Darstellungen unter [251.] [390.]. Quelle: Gesetz-Sammlung für die Königlichen Preußischen Staaten, 1833, S. 240-257 (gedruckt).^ Sonstige Fundstelle: Verträge und Verhandlungen aus dem Zeiträume von 1833 bis einschließlich 1836 über die Bildung und Ausführung des deutschen Zoll- und HandelsVereins, Erster Band, 1845, S. 177 - 191. [S.240] (No. 1476.) Vertrag zwischen Preußen, Kurhessen und dem Großherzogthume Hessen, fer= I ner Bayern und Württemberg, sodann Sachsen einerseits, und den zu | dem Thüringischen Zoll= und Handelsvereine verbundenen Staaten an= | dererseits, wegen Anschließung des letzteren Vereins an den Gesammt= | Zollverein der ersteren Staaten. Vom 1 Iten Mai 1833. Nachdem die zu dem Thüringischen Zoll= und Handelsvereine verbundenen | Regierungen sich in dem Wunsche vereiniget haben, zur ferneren möglichsten För= | derung eines freien Verkehrs den gedachten Verein dem zwischen den Könige | reichen Preußen, Bayern, Sachsen und Württemberg, imgleichen dem Kurför= | stenthume und dem Großherzogthume Hessen begründeten Zollverbande anzuschlie= | ßen, die Regierungen dieser Staaten aber der Eröffnung des diesfälligen Wun= | sches mit derjenigen Bereitwilligkeit entgegen gekommen sind, welche ihrer Für= | sorge für die fortschreitende Entwickelung eines freien Handels und gewerblichen | Verkehrs in Deutschland entspricht: so sind zur Erreichung dieses Zweckes Ver= \ handlungen gepflogen worden, wozu als Bevollmächtigte ernannt haben: einerseits: Seine Majestät der König von Preußen, Seine Hoheit der Kurprinz und Mit= | regent von Hessen und Seine Königliche Hoheit der Großherzog von Hessen, | und zwar: Seine Majestät der König von Preußen: Allerhöchst=Ihren Geheimen Ober=Finanzrath, Ludwig Bogislaus | Samuel Kühne, Ritter des Königlich=Preußischen rothen Adler= 1 Ordens dritter Klasse mit der Schleife und Commandeur zweiter | Klasse des Kurfurstlich=Hessischen Haus^Ordens vom goldenen Löwen, I und Allerhöchst=Ihren Geheimen Legationsrath, Ernst Michaelis, Ritter | des Königlich^ Preußischen rothen Adler=Ordens vierter Klasse, Offizier | der Königlich^ Französischen Ehrenlegion und Commandeur zweiter Klasse | des Kurfurstlich=Hessischen Haus= Ordens vom goldenen Löwen; Seine Hoheit der Kurprinz und Mitregent von Hessen: Höchst=Ihren Wirklichen Geheimen Legationsrath, außerordentlichen | Gesandten und bevollmächtigten Minister an dem Königlich=Preußischen | Hofe, Carl Friedrich von Wilkens=Hohenau, Commandeur des | Kurfurstlich=Hessischen Haus=Ordens vom goldenen Löwen, Ritter des | Königlich=Preußischen rothen Adler=Ordens dritter Klasse und des Kö= I niglich=Preußischen St. Johanniter=Ordens, und

Separat-Artikel, Schluß-Protokoll und weitere Urkunden zu diesem Vertrag, abgedruckt in: Verträge und Verhandlungen aus dem Zeiträume von 1833 bis einschließlich 1836 über die Bildung und Ausführung des deutschen Zoll- und Handels-Vereins, Erster Band, Berlin 1845, S. 192 - 252.

[87] Zollvereinigungserweiterungsvertrag vom 11. Mai 1833

867

Höchst=Ihren Geheimen Obep=Bergrath, Heinrich Theodor Lud= | [S. 241] wig Schwedes, Ritter des Kurfiirstlich^Hessischen Haus=Ordens | vom goldenen Löwen; Seine Königliche Hoheit der Großherzog von Hessen: Höchst=Ihren Wirklichen Geheimen Rath und Präsidenten der Ober= | Finanzkammer, Wilhelm von Kopp, Commandeur erster Klasse des | Großherzoglich=Hessischen Ludwigs=Ordens, Ritter des Königlich=Preu= | Bischen rothen Adler=Ordens zweiter Klasse, Commandeur erster Klasse | des Kurfurstlich^^Hessischen Haus=Ordens vom goldenen Löwen; femer: Seine Majestät der König von Bayern und Seine Majestät der König von | Württemberg, und zwar: Seine Majestät der König von Bayern: Allerhöchst=Ihren Kämmerer, Staatsrath, außerordentlichen Gesandten | und bevollmächtigten Minister an den Königlich=Preußischen, Königlich= | Sächsischen, Großherzoglich=Sächsischen und den Herzoglich=Sächsischen | Höfen, Friedrich Christian Johann Graf von Luxburg, Groß= | kreuz des Civil=Verdienst=Ordens der Königlich=Bayerischen Krone, | Ritter des Königlich=Preußischen rothen Adler=Ordens erster Klasse, | Großkreuz des Königlich=Sächsischen Civil=Verdienst=Ordens und Rit= | ter des Königlich= Württembergischen Friedrichs=Ordens; Seine Majestät der König von Württemberg: Allerhöchst=Ihren Major im Generalstabe, Geschäftsträger am Königlich^ | Preußischen Hofe, Franz a Paula Friedrich Freiherr von Linden; sodann: Seine Majestät der König und Seine Königliche Hoheit der Prinz Mitregent | von Sachsen: Allerhöchst^Ihren General=Lieutenant der Cavallerie, General=Adjutan= | ten, außerordentlichen Gesandten und bevollmächtigten Minister am König= | lich=Preußischen Hofe, Carl Friedrich Ludwig von Watzdorff, Rit== | ter des Königlich=Sächsischen Rauten^Ordens, Commandeur erster | Klasse des Königlich=Sächsischen Militair=St. Heinrichs=Ordens, | Ritter des Königlich=Bayerischen St. Hubertus=Ordens; andererseits: Die bei dem Thüringischen Zoll= und Handelsvereine betheiligten Souveraine, | nämlich, außer Seiner Majestät dem Könige von Preußen und Seiner Hoheit | dem Kurprinzen und Mitregenten von Hessen: Seine Königliche Hoheit der Großherzog von Sachsen=Weimar=Eisenach: Höchst=Ihren Minister=Residenten am Königlich=Preußischen Hofe, den | General^ Major Ludwig Heinrich von L'Estocq, Ritter des Könige | [S. 242] lich=Preußischen rothen Adler=Ordens zweiter Klasse mit Eichenlaub | und des Königlich=Preußischen Militair=Verdienst=Ordens, Comman= | deur des Großherzoglich=Sächsischen Haus=Ordens vom weißen Falken, | und Höchst^Ihren Kammerrath, Ottokar Thon, Ritter des Königlich= | Preußischen rothen Adler=Ordens dritter Klasse; Seine Durchlaucht der Herzog von Sachsen=Meiningen: Höchst=Ihren Minister=Residenten am Königlich=Preußischen Hofe, den | Kammerherm Ludwig August von Rebeur, Ritter des Königlich= | Preußischen rothen Adler=^Ordens dritter Klasse, Höchst=Ihren Wirklichen Geheimen Legationsrath und Kammerherm, | Jacob Ignatz von Cruickshank, Ritter des Königlich=Preußischen | rothen Adler=Ordens dritter Klasse und des Großherzoglich=Sächsi= | sehen Ordens vom weißen Falken, und

868

§ 4: Deutscher Zollverein

[Dok. 85-102]

Höchst=Ihren Ministerialrath, Carl August Friedrich Adolph von | Fischern, Ritter des Königlich=Freußischen rothen Adler=Ordens | dritter Klasse und des Königlich=Sächsischen Civil=Verdienst=Ordens; Seine Durchlaucht der Herzog von Sachsen^Altenburg: Höchst=Ihren Wirklichen Geheimen Rath, Minister und Kammer^ | Präsidenten, Carl Johann Heinrich Ernst Edler von Braun, | Commandeur des Königlich=Sächsischen Civil=Verdienst=Ordens und | des Großherzoglich=Sächsischen Haus=Ordens vom weißen Falken, | Ritter des Ordens der Königlich=Württembergischen Krone; Seine Durchlaucht der Herzog von Sachsen=Coburg=Gotha: Höchst=Ihren Kammerherm und Minister=Residenten am Königlich^ | Preußischen Hofe, den Oberst^Lieutenant Otto Wilhelm Carl von | Röder; Seine Durchlaucht der Fürst von Schwarzburg=Sondershausen: Höchst=Ihren Kammer^Präsidenten, Carl Friedrich Wilhelm von | Weise, Ritter des Königlich=Preußisehen rothen Adler=Ordens drit= | ter Klasse; Seine Durchlaucht der Fürst von Schwarzburg=Rudolstadt: Höchst=Ihren Oberstallmeister, Friedrich Wilhelm von Witzleben; Seine Durchlaucht der Fürst von Reuß=Schleitz, Seine Durchlaucht der Fürst von Reuß=Greitz und Seine Durchlaucht der Fürst von Reuß=Lobenstein und Ebersdorf: Höchst=Ihren Kanzler, Regierungs= und Consistorial^Präsidenten, Gu= | stav Adolph von Strauch, Ritter des Königlich=Preußischen rothen | [S. 243] Adler=Ordens dritter Klasse und des Königlich=Sächsischen Civil= | Verdienst=Ordens; von welchen Bevollmächtigten unter dem Vorbehalt der Ratification folgender | Vertrag geschlossen worden ist. Art. 1. Die zu dem Thüringischen Zoll= und Handelsvereine verbundenen | Regierungen treten in ihrer Gesammtheit dem zwischen den Königreichen Preußen, | Bayern, Sachsen und Württemberg, imgleichen dem Kurfürstenthume und dem | Großherzogthume Hessen Behufs eines gemeinsamen Zoll= und Handelssystems | errichteten Gesammtvereine auf der Grundlage der darüber unter dem 22sten | und 3Osten März d. J. abgeschlossenen Verträge^ mit der Wirkung bei, daß | diese, jedoch unter den aus der Natur der besonderen Verhältnisse folgenden | Maaßgaben, auch auf die Thüringischen Vereinslande Anwendung finden, und I daher die letzteren in ihrer Gesammtheit gegen Uebemahme gleicher Verbindlich^ | keiten auch gleicher Rechte, wie die übrigen Staaten des Gesammtvereins, theil= | haftig werden. Die Bestimmungen der gedachten Verträge werden mit den dabei für | angemessenen befundenen Veränderungen und Zusätzen hier, wie nachstehet, aufge= | nommen. Art. 2. In dem Gesammtvereine, welchem die Lande und Landestheile des | Thüringischen Vereins sich anschließen, sind insbesondere auch diejenigen Staaten | einbegriffen, welche schon früher entweder mit ihrem ganzen Gebiete, oder mit | einem Theile desselben, dem Zoll= und Handelssysteme eines oder des anderen | der contrahirenden Staaten beigetreten sind, unter Berücksichtigung ihrer auf 1 den Beitrittsverträgen beruhenden besonderen Verhältnisse zu den Staaten, mit | welchen sie jene Verträge abgeschlossen haben.

Dok. 85 und Dok. 86.

[87] Zollvereinigungserweitemngsvertrag vom 11. Mai 1833

869

Art. 3. Dagegen bleiben von dem Gesammtvereine vorläufig ausgeschlossen | diejenigen einzelnen Landestheile der contrahirenden Staaten, welche sich ihrer | Lage wegen zur Aufnahme in den neuen Gesammtverein nicht eignen. Es werden jedoch diejenigen Anordnungen aufrecht erhalten, welche rück= | sichtlich des erleichterten Verkehrs dieser Landestheile mit dem Hauptlande | gegenwärtig bestehen. Weitere Begünstigungen dieser Art können nur im gemeinschaftlichen | Einverständnisse der Vereinsglieder bewilligt werden. Art. 4. In den Gebieten der contrahirenden Staaten sollen übereinstimmende | Gesetze über Eingangs^, Ausgangs^ und Durchgangs=Abgaben bestehen, jedoch | mit Modificationen, welche, ohne dem gemeinsamen Zwecke Abbruch zu thun, | aus der Eigenthümlichkeit der allgemeinen Gesetzgebung eines jeden Theil neh= | menden Staates oder aus lokalen Interessen sich als nothwendig ergeben. Bei dem Zolltarife namentlich sollen hiedurch in Bezug auf Eingangs^ | [S. 244] und Ausgangs^Abgaben bei einzelnen, weniger für den größeren Handelsverkehr | geeigneten Gegenständen, und in Bezug auf Durchgangs^Abgaben, je nachdem | der Zug der Handelsstraßen es erfordert, solche Abweichungen von den allgemein | angenommenen Erhebungssätzen, welche fiir einzelne Staaten als vorzugsweise | wünschenswerth erscheinen, nicht ausgeschlossen seyn, sofern sie auf die allgemein | nen Interessen des Vereins nicht nachtheilig einwirken. Desgleichen soll auch die Verwaltung der Eingangs=, Ausgangs^ und | Durchgangs^ Abgaben und die Organisation der dazu dienenden Behörden in | allen Ländern des Gesammtvereins, unter Berücksichtigung der in denselben beste= | henden eigenthümlichen Verhältnisse, auf gleichen Fuß gebracht werden. Die nach diesen Gesichtspunkten zwischen den contrahirenden Staaten zu | vereinbarenden Gesetze und Ordnungen, namentlich: | das Zollgesetz, | der Zolltarif, | die Zollordnung, sollen als integrirende Bestandtheile des gegenwärtigen Vertrages angesehen | und gleichzeitg mit demselben publicirt werden. Art. 5. Veränderungen in der Zollgesetzgebung mit Einschluß des Zolltarifs | und der Zollordnung (Artikel 4.), so wie Zusätze und Ausnahmen, können nur auf | demselben Wege und mit gleicher Uebereinstimmung sämmtlicher Glieder des | Gesammtvereins bewirkt werden, wie die Einführung der Gesetze erfolgt. Dies gilt auch von allen Anordnungen, welche in Beziehung auf die | Zollverwaltung allgemein abändernde Normen aufstellen. Art. 6. Mit der Ausführung des gegenwärtigen Vertrages tritt zwischen den | contrahirenden Staaten Freiheit des Handels und Verkehrs und zugleich Ge= | meinschaft der Einnahme an Zöllen ein, wie beide in den folgenden Artikeln | bestimmt werden. Art. 7. Es hören von diesem Zeitpunkte an alle Eingangs^, Ausgangs^ und | Durchgangs^Abgaben an den gemeinschaftlichen Landesgrenzen des bisherigen | Preußisch=Hessischen und des bisherigen Bayerisch=Württembergischen Zollvereins, | imgleichen des Königreichs Sachsen und der Thüringischen Staaten auf, und es | können alle im freien Verkehr des einen zu dem Gesammtvereine gehörigen Ge= | bietes bereits befindlichen Gegenstände

870

§ 4: Deutscher Zollverein

[Dok. 85 - 102]

auch frei und unbeschwert in jedes andere | zu diesem Vereine gehörige Gebiet eingeführt werden, mit alleinigem VOP= | behalte: a) der zu den Staatsmonopolien gehörigen Gegenstände (Spielkarten und | Salz), nach Maaßgabe der Artikel 9. und 10.; b) der im Innern der contrahirenden Staaten gegenwärtig entweder mit | Steuern von verschiedenen Höhe, oder in dem einen Staate gar nicht, | [S. 245] in dem anderen aber mit einer Steuer belegten, und deshalb einer Aus= | gleichungs=Abgabe unterworfenen inländischen Erzeugnisse, nach Maaßgabe | des Artikels IL, und endlich c) solcher Gegenstände, welche ohne Eingriffe in die von einem der contrahi= | renden Staaten ertheilten Erfmdungspatente oder Privilegien nicht nach= | gemacht oder eingeführt werden können, und daher für die Dauer der | Patente oder Privilegien von der Einfuhr in den Staat, welcher diesel= | ben ertheilt hat, noch ausgeschlossen bleiben müssen. Art. 8. Der im Artikel 7. festgesetzten Verkehrs= und Abgabenfreiheit unbe= | schadet, wird der Uebergang solcher Handelsgegenstände, welche nach dem gemein= | samen Zolltarife einer Eingangs= oder Ausgangs Steuer an den Außengrenzen unterließ | gen, auch aus den Königlich=Bayerischen und Königlich=Württembergischen | Landen in das Gebiet des Thüringischen Vereines und umgekehrt, nur unter | Innehaltung der gewöhnlichen Land= und Heerstraßen Statt finden, und es wer= | den an den Binnengrenzen gemeinschaftliche Anmeldestellen eingerichtet werden, | bei welchen die Waarenführer unter Vorzeigung ihrer Frachtbriefe oder Trans= | portzettel die aus dem einen in das andere Gebiet überzuführenden Gegenstände I anzugeben haben. ^Auf den Verkehr mit rohen Producten in geringeren Quantitäten, so wie | überall auf den kleineren Grenz= und Marktverkehr, und auf das Gepäck von | Reisenden findet obige Bestimmung keine Anwendung. "^Auch wird keinerlei | Waarenrevision Statt finden, außer insoweit, als die Sicherung der Aus= | gleichungs=Abgaben (Artikel 7. b.) es erfordern könnte. Art. 9. Hinsichtlich der Einfuhr von Spielkarten behält es in jedem der | zum Gesammtvereine gehörigen Staaten bei den bestehenden Verbots^ oder | Beschränkungsgesetzen sein Bewenden. Art. 10. In Betreff des Salzes wird Folgendes festgesetzt: a) Die Einfuhr des Salzes und aller Gegenstände, aus welchen Kochsalz | ausgeschieden zu werden pflegt, aus fremden, nicht zum Vereine gehörigen | Ländern in die Vereinsstaaten, ist verboten, insoweit dieselbe nicht fur | eigene Rechnung einer der vereinten Regierungen, und zum unmittelbaren | Verkaufe in ihren Salz=Aemtem, Faktoreien oder Niederlagen geschieht. b) Die Durchfuhr des Salzes und der vorbezeichneten Gegenstände aus den | zum Vereine nicht gehörigen Ländern in andere solche Länder soll nur mit | Genehmigung der Vereins Staaten, deren Gebiet bei der Durchfuhr berührt | wird, und unter den Vorsichtsmaaßregeln Statt finden, welche von den= | selben für nöthig erachtet werden. c) Die Ausfuhr des Salzes in fremde, nicht zum Vereine gehörige Staa= | ten ist frei.

[87] Zollvereinigungserweitemngsvertrag vom 11. Mai 1833

871

[S. 246] d) Was den Salzhandel innerhalb der Vereinsstaaten betrifft, so ist die Ein= | fuhr des Salzes von einem in den anderen nur in dem Falle erlaubt, | wenn zwischen den Landesregierungen besondere Verträge deshalb bestehen. e) Wenn eine Regierung von einer anderen innerhalb des Gesammtvereins | aus Staats^ oder Privatsalinen Salz beziehen will, so müssen die Sen= | düngen mit Pässen von öffentlichen Behörden begleitet werden. f) Wenn ein Vereinsstaat durch einen anderen aus dem Auslande oder aus | einem dritten Vereinsstaate seinen Salzbedarf beziehen, oder durch einen | solchen sein Salz in fremde, nicht zum Vereine gehörige Staaten versen= | den lassen will, so soll diesen Sendungen kein Hindemiß in den Weg ge= | legt werden, jedoch werden, insofern dieses nicht schon durch frühere | Verträge bestimmt ist, durch vorhergängige Uebereinkunft der betheiligten | Staaten die Straßen für den Transport und die erforderlichen Sicher^ | heitsmaaßregeln zur Verhinderung der Einschwärzung verabredet werden. g) Zur wirksamen Verhütung des Schleichhandels mit Salz machen die Re= | gierungen der zu dem Thüringischen Vereine gehörigen Staaten sich ver= | bindlich, gleich wie solches früher schon zwischen Preußen und Kurhessen | verabredet worden ist, aus den in ihren Landen belegenen, gleichviel, ob | landesherrlichen oder Privatsalinen, nur ein solches Quantum Kochsalz zum | inländischen Debit abzugeben und abgeben zu lassen, als für den Ver= | brauch innerhalb ihrer Gebiete nach einer auskömmlich zuzulegenden Be= | rechnung erforderlich ist, auch fürerst den Debitspreis von 8 V3 Rthlr. für | die Tonne zu 400 Pfund Preußisches Gewicht mit 5 Pfund Gutgewicht, | als den niedrigsten, welcher in dem Gesammtvereine dermalen besteht, in | ihren Landen und Landestheilen als Minimum einzuführen. Die näheren | Bestimmungen über die Regie=Verwaltung bleiben einer besonderen Ver= I abredung der betheiligten Regierungen vorbehalten. Art. 11. ^In Bezug auf diejenigen Erzeugnisse, bei welchen hinsichtlich der | Besteuerung im Innern noch eine Verschiedenheit der Gesetzgebung unter den ein= | zelnen Vereinslanden Statt findet (Artikel 7. Litt. B.), wird von allen Thei= | len als wünschenswerth anerkannt, auch hierin eine Uebereinstimmung der Ge= | setzgebung und der Besteuerungssätze in ihren Staaten hergestellt zu sehen, und | es wird daher ihr Bestreben auf die Herbeiführung einer solchen Gleichmäßig= | keit gerichtet bleiben. •^Bis dahin, wo dieses Ziel erreicht worden, können zur | Vermeidung der Nachtheile, welche für die Producenten des eigenen Staates im | Verhältnisse zu den Producenten in anderen Vereinsstaaten aus der ungleichen | Besteuerung erwachsen würden, von anderen Gliedern des Gesammtvereins ge= | gen den Thüringischen Verein und umgekehrt, Ergänzungs= oder Ausgleichungs= | Abgaben von folgenden Gegenständen erhoben werden: [S.247] a) im Königreiche Bayern (zur Zeit mit Ausschluß des Rheinkreises) | von Bier, | geschrotetem Malz; b) im Königreiche Württemberg | von Bier, | geschrotetem Malz; c) in den zum Thüringischen Vereine gehörigen Staaten | von Branntwein, | Taback, | Traubenmost und Wein. Es soll bei der Bestimmung und Erhebung der gedachten Abgaben nach fol= | genden Grundsätzen verfahren werden: 1) Die Ausgleichungs=Abgaben werden nach dem Abstände der gesetzlichen | Steuer im Lande der Bestimmung von der denselben Gegenstand betreib | fenden Steuer im Lande der Herkunft bemessen, und fallen daher im | Verhältnisse gegen diejeni-

872

§4: Deutscher Zollverein

[Dok. 85-102]

gen Vereinslande gänzlich weg, wo eine gleich | hohe oder eine höhere Steuer auf dasselbe Erzeugniß gelegt ist. 2) Veränderungen, welche in den Steuern von inländischen Erzeugnissen der | betheiligten Staaten eintreten, haben auch Veränderungen in den Aus= | gleichungs=Abgaben, jedoch stets unter Anwendung des vorher (1.) aufge= | stellten Grundsatzes, zur Folge. Wo auf den Grund einer solchen Veränderung eine Ausgleichungs= | Abgabe zu erhöhen seyn würde, muß, falls die Erhöhung wirklich in An= | Spruch genommen wird, eine Verhandlung darüber zwischen den betheilig= | ten Staaten, und eine vollständige Nachweisung der Zulässigkeit nach den | Bestimmungen des gegenwärtigen Vertrages vorausgehen. 3) Die gegenwärtig in Preußen gesetzlich bestehenden Sätze der Steuern von | inländischem Traubenmost und Wein, vom Tabacksbau und Branntwein, | so wie die gegenwärtig in Bayern bestehende Steuer von inländischem | geschroteten Malz und Bier (Malzaufschlag), sollen jedenfalls den höch= | sten Satz desjenigen bilden, was in einem Vereinsstaate, welcher jene | Steuer eingeführt hat, oder künftig etwa einführen sollte, an Ausglei= 1 chungs=Abgaben von diesen Artikeln bei deren Eingange aus einem Lande, | in welchem keine Steuer auf dieselben Erzeugnisse gelegt ist, erhoben wer= | den darf, wenn auch die betreffende Steuer des Staates, welcher die Aus= | gleichungs=Abgabe bezieht, diesen höchsten Satz übersteigen sollte. 4) Rückvergütungen der inländischen Staatssteuem sollen bei der Ueberfiihr | der besteuerten Gegenstände in ein anderes Vereinsland nicht gewährt | werden. [S. 248] 5) Auf andere Erzeugnisse als Bier und Malz, Branntwein, Tabacksblätter, | Traubenmost und Wein soll unter keinen Umständen eine Ausgleichungs= | Abgabe gelegt werden. 6) In allen Staaten, in welchen von Taback, Traubenmost und Wein eine | Ausgleichungs=Abgabe erhoben wird, soll von diesen Erzeugnissen in keinem | Falle eine weitere Abgabe weder für Rechnung des Staates noch für | Rechnung der Communen beibehalten oder eingeführt werden. 7) Der Ausgleichungs=Abgabe sind solche Gegenstände nicht unterworfen, von | welchen auf die in der Zollordnung vorgeschriebene Weise dargethan ist, | daß sie als ausländisches Ein= oder Durchgangsgut die zollamtliche Be= | handlung bei einer Erhebungsbehörde des Vereins bereits bestanden haben, | oder derselben noch unterliegen, und eben so wenig diejenigen im Umfange | des Vereins erzeugten Gegenstände, welche nur durch einen Vereinsstaat | transitiren, um entweder in einen anderen Vereinsstaat oder nach dem | Auslande geführt zu werden. 8) Die Ausgleichungs=Abgabe kommt den Kassen desjenigen Staates zu Gute, | wohin die Versendung erfolgt. Insofem sie nicht schon im Lande der | Versendung für Rechnung des abgabeberechtigten Staates erhoben wor= [ den, wird die Erhebung im Gebiete des letzteren erfolgen. 9) Es sollen in jedem der contrahirenden Staaten solche Einrichtungen ge= | troffen werden, vermöge welcher die Ausgleichungs=Abgabe in dem Ver= | einslande, aus welchem die Versendung erfolgt, am Orte der Versendung | oder bei der gelegensten Zoll= oder Steuerbehörde entrichtet, oder ihre | Entrichtung durch Anmeldung sicher gestellt werden kann. 10) So lange, bis diese Einrichtungen durch besondere Uebereinkunft festgesetzt | seyn werden, bleibt der Verkehr mit Gegenständen, welche einer Aus= | gleichungs=Abgabe unterliegen, in der Art beschränkt, daß dieselben, ohne| Unterschied der transportirten Quantitäten, in das Gebiet des abgabebe= | rechtigten Staates nur auf den im Artikel 8. bezeichneten oder noch an= i derweit zu bestimmenden Straßen

[87] Zollvereinigungserweitemngsvertrag vom IL Mai 1833

873

eingeführt, und an den dort einzurich= | tenden Anmelde^ und Hebestellen angemeldet und resp. versteuert werden [ müssen, ohne daß jedoch in Folge hievon der Verkehr mit den Gegen= | ständen, von welchen eine Ausgleichungs=Abgabe nicht zu entrichten ist, | einer weiteren, als der in dem obengedachten Artikel angeordneten Aufsicht I unterworfen seyn wird. Art. 12. ^Hinsichtlich der Verbrauchs=Abgaben, welche im Bereiche der Vereins^ | Länder von anderen, als den im Artikel 11. bezeichneten Gegenständen erhoben | werden, so wie der im Großherzogthume Hessen zur Erhebung kommenden | Steuern von Getränken, wird überall eine gegenseitige Gleichmäßigkeit der Be= | [S. 249] handlung Statt finden, dergestalt, daß das Erzeugniß eines anderen Vereins= | Staates unter keinem Vorwande höher belastet werden darf, als das inländische. | ^Derselbe Grundsatz findet auch bei den Zuschlags=^Abgaben und Octrois Statt, | welche für Rechnung einzelner Gemeinden erhoben werden, so weit dergleichen | Abgaben nicht überhaupt nach der Bestimmung des Artikels 11. Nr. 6. unzu= | lässig sind. Art. 13. Chausseegelder oder andere statt derselben bestehende Abgaben, wie z. B. der in den Königreichen Bayern und Württemberg zur Surrogirung des | Wegegeldes von eingehenden Gütern eingeführte fixe Zollbeischlag, ebenso Pflaster^, | Damm=, Brücken= und Fährgelder, oder unter welchem anderen Namen der= | gleichen Abgaben bestehen, ohne Unterschied, ob die Erhebung für Rechnung des | Staates oder eines Privatberechtigten, namentlich einer Commune geschieht, sol= | len nur in dem Betrage beibehalten oder neu eingeführt werden können, als sie | den gewöhnlichen Herstellungs= und Unterhaltungskosten angemessen sind. Das dermalen in Preußen nach dem allgemeinen Tarife vom Jahre 1828. | bestehende Chausseegeld soll als der höchste Satz angesehen, und hinführo in kei== | nem der contrahirenden Staaten überschritten werden. Besondere Erhebungen von Thorsperr= und Pflastergeldem sollen auf | chaussirten Straßen da, wo sie noch bestehen, dem vorstehenden Grundsatze ge= | maß aufgehoben, und die Ortspflaster den Chausseestrecken dergestalt eingerechnet | werden, daß davon nur die Chausseegelder nach dem allgemeinen Tarife zur Er= | hebung kommen. Art. 14. Die contrahirenden Regierungen wollen dahin wirken, daß in ihren | Landen ein gleiches Münz=, Maaß= und Gewichtssystem allgemein in Anwendung | komme, und hierüber sofort besondere Unterhandlungen einleiten lassen. Vorläufig sind dieselben übereingekommen, daß schon von der Ausführung | des gegenwärtigen Vertrages an ein gemeinschaftliches Zollgewicht, und zwar | der bereits in dem Großherzogthume Hessen gesetzlich eingeführte Centner in | Anwendung kommen, und der gemeinschaftliche Zolltarif überall mit Zugmndle= | gung dieser Gewichts=Einheit ausgearbeitet und publicirt werden soll. Den contrahirenden Regierungen bleibt es überlassen, zur schnelleren Ab= | fertigung der Waarensendungen an den Zollstätten, und zur leichteren Berech= | nung des vorgedachten gemeinschaftlichen Zollgewichts bei den in dem Zolltarife | vorkommenden Maaß^^ und Gewichtsbestimmungen eine Reduction sowohl auf | die Maaße, welche in den Tarifen der anderen contrahirenden Staaten ange= | nommen sind, als auch auf das Gewicht, welches in ihren Landen anderweit | gesetzlich oder landüblich eingeführt ist, entwerfen und öffentlich bekannt machen 1 zu lassen.

874

§ 4: Deutscher Zollverein

[Dok. 85-102]

Die Zoll=Abgabe soll in den Thüringischen Vereinslanden nach dem | [S. 250] Preußischen Münzfuße berechnet, und kann entweder in Preußischen Vi bis Vg | Thalerstücken, oder in Conventionsgelde, und zwar den Preußischen Thaler gleich | 1 ^U Rheinischen Gulden oder 23 V3 gGr. gerechnet, geleistet werden, und bleibt es | in denjenigen Thüringischen Vereinsstaaten, in welchen die Rechnung nach Gul= | den gebräuchlich ist, den Regierungen überlassen, dem Tarife eine Reduction auf | Guldenwährung beizufügen. Es sollen auch schon jetzt die Gold= und Silbermünzen der sämmtlichen | contrahirenden Staaten - mit Ausnahme der Scheidemünze - bei allen He= | bestellen des Gesammtvereins angenommen, und zu diesem Behufe Valvations= | Tabellen öffentlich bekannt gemacht werden. Art. 15. Alle Begünstigungen, welche ein Vereinsstaat dem Schiffahrts= | Betriebe seiner Unterthanen zugestehen möchte, sollen in gleichem Maaße auch der | Schiffahrt der Unterthanen der anderen Vereinsstaaten zu Gute kommen. Art. 16. Von dem Tage an, wo die gemeinschaftliche Zollordnung des Vereins | in Vollzug gesetzt wird, sollen in den zum Zollvereine gehörigen Gebieten alle | etwa noch bestehenden Stapel= und Umschlagsrechte aufhören, und Niemand soll | zur Anhaltung, Verladung oder Lagerung gezwungen werden können, als in den | Fällen, in welchen die gemeinschaftliche Zollordnung oder die betreffenden | Schiffahrtsreglements es zulassen oder vorschreiben. Art. 17. Kanal=, Schleusen^, Brücken^, Fähr=, Hafen=, Waage=, Krahnen= und | Niederlage=Gebühren und Leistungen fiir Anstalten, die zur Erleichterung des Ver= | kehrs bestimmt sind, sollen nur bei Benutzung wirklich bestehender Einrichtungen | erhoben und fiir letztere nicht erhöhet, auch überall von den Unterthanen der | anderen contrahirenden Staaten auf völlig gleiche Weise, wie von den eigenen | Unterthanen erhoben werden. Findet der Gebrauch einer Waage= oder Krahnen=Einrichtung nur zum | Behufe einer zollamtlichen Controle Statt, so tritt eine Gebühren=Erhebung bei | schon einmal zollamtlich verwogenen Waaren nicht ein. Art. 18. Die hohen Contrahenten wollen auch femer gemeinschaftlich dahin | wirken, daß durch Annahme gleichförmiger Grundsätze die Gewerbsamkeit befördert, | und der Befugniß der Unterthanen des einen Staates, in dem anderen Arbeit | und Erwerb zu suchen, möglichst freier Spielraum gegeben werde. Von den Unterthanen des einen der contrahirenden Staaten, welche in | dem Gebiete eines anderen derselben Handel und Gewerbe treiben, oder Arbeit | suchen, soll von dem Zeitpunkte an, wo der gegenwärtige Vertrag in Kraft tre= | ten wird, keine Abgabe entrichtet werden, welcher nicht gleichmäßig die in dem= | selben Gewerbsverhältnisse stehenden eigenen Unterthanen unterworfen sind. Desgleichen sollen Fabrikanten und Gewerbtreibende, welche blos ftir das | von ihnen betriebene Geschäft Ankäufe machen, oder Reisende, welche nicht Waa= | [S. 251] ren selbst, sondern nur Muster derselben bei sich fuhren, um Bestellungen zu | suchen, wenn sie die Berechtigung zu diesem Gewerbsbetriebe in dem Vereins^ | Staate, in welchem sie ihren Wohnsitz haben, durch Entrichtung der gesetzlichen | Abgaben erworben haben, oder im Dienste solcher inländischen Gewerbtreiben= | den oder Kaufleute stehen, in den anderen Staaten keine weitere Abgabe hiefür | zu entrichten verpflichtet seyn.

[87] Zollvereinigungserweiterungsvertrag vom 11. Mai 1833

875

Auch sollen beim Besuche der Märkte und Messen zur Ausübung des | Handels und zum Absätze eigener Erzeugnisse oder Fabrikate in jedem Vereins== | Staate die Unterthanen der übrigen contrahirenden Staaten eben so wie die eige= | nen Unterthanen behandelt werden. Art. 19. Die Preußischen Seehäfen sollen dem Handel der Unterthanen sämmt= | lieber Vereinsstaaten gegen völlig gleiche Abgaben, wie solche von den Königlich^ | Preußischen Unterthanen entrichtet werden, offen stehen; auch sollen die in frem= | den See= und anderen Handelsplätzen angestellten Consuln eines oder der an= | deren der contrahirenden Staaten veranlaßt werden, der Unterthanen der übrigen | contrahirenden Staaten sich in vorkommenden Fällen möglichst mit Rath | und That anzunehmen. Art. 20. Zum Schutze ihres gemeinschaftlichen Zollsystems gegen den Schleich^ | handel und ihrer inneren Verbrauchs=Abgaben gegen Defraudationen haben die | contrahirenden Staaten ein gemeinsames Cartel abgeschlossen, welches so bald als | möglich, spätestens aber gleichzeitig mit dem gegenwärtigen Vertrage in Ausfüh= | rung gebracht werden soll. Art. 21. Die als Folge des gegenwärtigen Vertrages eintretende Gemeinschaft | der Einnahme der contrahirenden Staaten bezieht sich auf den Ertrag der Eingangs=, | Ausgangs^ und Durchgangs=Abgaben in den Königlich=Preußischen Staaten, | den Königreichen Bayern, Sachsen und Württemberg, dem Kurfürstenthume | und dem Großherzogthume Hessen und dem Thüringischen Zoll= und Handels^ | Vereine, mit Einschluß der den Zollsystemen der contrahirenden Staaten bisher | schon beigetretenen Länder. Von der Gemeinschaft sind ausgeschlossen und bleiben, sofern nicht Se== | paratverträge zwischen einzelnen Vereinsstaaten ein Anderes bestimmen, dem pri= | vativen Genüsse der betreffenden Staatsregierungen vorbehalten: 1) die Steuern, welche im Innern eines jeden Staates von inländischen | Erzeugnissen erhoben werden, einschließlich der im Artikel 11. vorbehalten^ | nen Ausgleichungs=Abgaben; 2) die Wasserzölle; 3) Chaussee=Abgaben, Pflaster^, Damm=, Brücken^, Fähp=, Kanal=, Schleu= | sen=, Hafengelder, so wie Waage= und Niederlage=Gebühren oder | gleichartige Erhebungen, wie sie auch sonst genannt werden; [S.252] 4) die Zollstrafen und Confiscate, welche, vorbehaltlich der Antheile der De= | nuncianten, jeder Staatsregierung in ihrem Gebiete verbleiben. Art. 22. Der Ertrag der in die Gemeinschaft fallenden Abgaben wird nach | Abzug 1) der Kosten, wovon weiter unten im Artikel 30. die Rede ist; 2) der Rückerstattungen für unrichtige Erhebungen; 3) der auf dem Grunde besonderer gemeinschaftlicher Verabredungen erfolgten | Steuervergütungen und Ermäßigungen zwischen Preußen, Bayern, Sachsen, Württemberg, Kurhessen, dem Großher= | zogthume Hessen und dem Thüringischen Vereine nach dem Verhältnisse der | Bevölkerung, mit welcher sie in dem Gesammtvereine sich befinden, vertheilt. Die Bevölkerung solcher Staaten, welche durch Vertrag mit einem oder | dem anderen der contrahirenden Staaten unter Verabredung einer von diesem | jährlich für ihre Antheile an den gemeinschaftlichen Zollrevenüen zu leistenden | Zahlung dem Zollverbande beige-

876

§ 4: Deutscher Zollverein

[Dok. 85-102]

treten sind, oder noch beitreten werden, wird in | die Bevölkerung desjenigen Staates eingerechnet, welcher diese Zahlung leistet. Der Stand der Bevölkerung in den einzelnen Vereinsstaaten wird alle | drei Jahre von einem noch zu verabredenden Termine an ausgemittelt, und die | Nachweisung derselben von den oben gedachten Vereinsgliedem einander gegen= | seitig mitgetheilt werden. Art. 23. Vergünstigungen für Gewerbtreibende hinsichtlich der Steuer=Entrich= | tung, welche nicht in der Zollgesetzgebung selbst begründet sind, fallen der Staats^ | Kasse derjenigen Regierung, welche sie bewilligt hat, zur Last; die Maaßgaben, | unter welchen solche Vergünstigungen zu bewilligen sind, werden näherer Verab= | redung vorbehalten. Art. 24. Dem auf Förderung freier und natürlicher Bewegung des allgemeinen | Verkehrs gerichteten Zwecke des Zollvereines gemäß, sollen besondere Zollbegün= | stigungen einzelner Meßplätze, namentlich Rabattprivilegien, da wo sie derma= | len in den Vereinsstaaten noch bestehen, nicht erweitert, sondern vielmehr unter | geeigneter Berücksichtigung sowohl der Nahrungsverhältnisse bisher begünstigter | Meßplätze, als der bisherigen Handelsbeziehungen mit dem Auslande, thunlichst | beschränkt und ihrer baldigen gänzlichen Aufhebung entgegengeführt, neue aber | ohne allerseitige Zustimmung auf keinen Fall ertheilt werden. Art. 25. Von der tarifmäßigen Abgaben=Entrichtung bleiben die Gegenstände, | welche für die Hofhaltung der hohen Souveraine und Ihrer Regentenhäuser, | oder für die bei Ihren Höfen accreditirten Botschafter, Gesandten, Geschäfts^ | träger u. s. w. eingehen, nicht ausgenommen, und wenn dafür Rückvergütungen | Statt haben, so werden solche der Gemeinschaft nicht in Rechnung gebracht. Eben so wenig anrechnungsfähig sind Entschädigungen, welche in einem | fS. 253] oder dem anderen Staate den vormals unmittelbaren Reichsständen, oder an | Communen oder einzelne Privatberechtigte für eingezogene Zollrechte oder für | aufgehobene Befreiungen gezahlt werden müssen. Art. 26. ^Das Begnadigungs= und Strafverwandlungs=Recht bleibt jedem der | contrahirenden Staaten in seinem Gebiete vorbehalten. ^Auf Verlangen werden | periodische Uebersichten der erfolgten Straf=Erlasse gegenseitig mitgetheilt werden. Art. 27. Die Ernennung der Beamten und Diener bei den Bezirks^ und Lokal= | Stellen für die Zoll=Erhebung und Aufsicht, welche nach der hierüber getroffenen | besonderen Uebereinkunft nach gleichförmigen Bestimmungen angeordnet, besetzt | und instruirt werden sollen, bleibt, wie jedem der übrigen contrahirenden Staa= | ten, so auch dem Thüringischen Vereine innerhalb seines Gebietes überlassen. Art. 28. In jedem Vereinsstaate, mit Ausnahme des Thüringischen Vereins^ | Gebietes, wird die Leitung des Dienstes der Lokal= und Bezirks=Zollbehörden, so wie | die Vollziehung der gemeinschaftlichen Zollgesetze überhaupt, einer, oder, wo sich | das Bedürfniß hierzu zeigt, mehreren ZoUdirectionen übertragen.

[87] Zollvereinigungserweitemngsvertrag vom IL Mai 1833

877

In dem Thüringischen Vereinsgebiete wird der auf dem Grunde der \ diesfälligen Bestimmungen des Vereinsvertrages gemeinschafthch zu bestellende j General=Inspector in den Berührungen mit den Zollbehörden der anderen Ver= | einsstaaten die Stelle einer Zolldirection vertreten, Art. 29. Die von den ZolHErhebungsbehörden nach Ablauf eines jeden Viertel^ | Jahres aufzustellenden Quartals=Extracte, und die nach dem Jahres= und Bücher=^ | Schlüsse aufzustellenden Final=Abschlüsse über die resp. im Laufe des Vierteljahres | und während des Rechnungsjahres fällig gewordenen Zoll=Einnahmen werden | von den betreffenden Zolldirectionen, im Thüringischen Vereine von dem General^ | Inspector, nach vorangegangener Prüfung in Haupt=Uebersichten zusammengetra= | gen, und diese sodann an ein Centralbüreau eingesendet, zu welchem auch die | Gesammtheit des Thüringischen Vereins, wie jedes andere Glied des Gesammt= | Vereins, einen Beamten zu ernennen die Befugniß hat. Dieses Bureau fertigt auf den Grund jener Vorlagen die provisorischen | Abrechnungen zwischen den vereinigten Staaten von drei zu drei Monaten, sen= | det dieselben den Central=Finanzstellen der letzteren, für den Thüringischen Verein | jedoch dem General=Inspector, welcher sofort den einzelnen Regierungen dieses ! Vereins davon Mittheilung zu machen hat, und bereitet die definitive Jahres= | Abrechnung vor. Wenn aus den Quartals=Abrechnungen hervorgeht, daß die wirkliche Ein= | nähme eines Vereinsgliedes um mehr als einen Monatsbetrag gegen den ihm | verhältnißmäßig an der Gesammt=Einnahme zuständigen Revenüen=Antheil zurück= | geblieben ist, so muß alsbald das Erforderliche zur Ausgleichung dieses Ausfalles | [S. 254] durch Herauszahlung von Seiten des oder derjenigen Staaten, bei denen eine | Mehp=Einnahme Statt gefunden hat, eingeleitet werden. Art. 30. In Absicht der Erhebungs= und Verwaltungskosten sollen folgende | Grundsätze in Anwendung kommen: 1) Man wird keine Gemeinschaft dabei eintreten lassen, vielmehr übernimmt | jede Regierung alle in ihrem Gebiete vorkommenden Erhebungs= und Ver= | waltungskosten, es mögen diese durch die Einrichtung und Unterhaltung | der Haupt= und Neben=Zoll=Aemter, der inneren Steuer=Aemter, Hall=Aemter | und Packhöfe und der Zolldirectionen, oder durch die dem letzteren zu bewilligenden Pen= | sionen, oder endlich aus irgend einem anderen Bedürfnisse der Zollverwal= J tung entstehen. 2) Hinsichthch desjenigen Theils des Bedarfs aber, welcher an den gegen | das Ausland gelegenen Grenzen und innerhalb des dazu gehörigen Grenz= | Bezirks fur die Zoll=Erhebungs= und Aufsichts= oder Controlbehörden und | Zoll=Schutzwachen erforderlich ist, wird man sich über Pauschsummen vereinig | gen, welche jeder der contrahirenden Staaten von der jährlich aufkommen^ | den und der Gemeinschaft zu berechnenden Brutto-Einnahme an Zollgefäl= | len in Abzug bringen kann. 3) Bei dieser Ausmittelung des Bedarfs soll da, wo die Perception privati=^ | ver Abgaben mit der Zoll=Erhebung verbunden ist, von den Gehalten und | Amtsbedürfnissen der Zollbeamten nur derjenige Theil in Anrechnung kom= | men, welcher dem Verhältnisse ihrer Geschäfte fur den Zolldienst zu ihren | Amtsgeschäften überhaupt entspricht. Art. 31. ^Wie dem Thüringischen Vereine das Recht eingeräumt wird, an die | Zolldirectionen der anderen vereinten Staaten Beamte zu dem Zwecke zu senden, 1 um sich von allen vor-

878

§ 4: Deutscher Zollverein

[Dok.85-lQ2]

kommenden Verwaltungsgeschäften, welche sich auf die | durch den gegenwärtigen Vertrag eingegangene Gemeinschaft beziehen, vollstän= | dige Kenntniß zu verschaffen, so steht auch jedem der anderen vereinten Staaten | die Befiigniß zu, Beamte zu gleichem Zwecke an die GeneraMnspection zu | Erfurt abzuordnen. ^Eine besondere Instruction wird das Geschäftsverhältniß | dieser Beamten näher bestimmen, als dessen Grundlage die unbeschränkte Offen= I heit von Seiten der Verwaltung, bei welcher die Abgeordneten fungiren, in I Bezug auf alle Gegenstände der gemeinschaftlichen Zollverwaltung, und die Ei= | leichterung jedes Mittels, durch welches sie sich die Information hierüber ver= | schaffen können, anzusehen ist, während andererseits ihre Sorgfalt nicht minder | aufrichtig dahin gerichtet seyn muß, eintretende Anstände und Meinungsverschie= | denheiten auf eine dem gemeinsamen Zwecke und dem Verhältnisse verbündeter | Staaten entsprechende Weise zu erledigen. [S. 255] Die Ministerien oder obersten Verwaltungsstellen der sämmtlichen Vep= | einsstaaten werden sich gegenseitig auf Verlangen jede gewünschte Auskunft über | die gemeinschaftlichen Zoll=Angelegenheiten mittheilen, und insofern zu diesem | Behufe die zeitweise oder dauernde Abordnung eines höheren Beamten, oder die | Beauftragung eines anderweit bei der Regierung beglaubigten Bevollmächtigten | beliebt würde, was beides rücksichtlich der Thüringischen Staaten nur Namens der | Gesammtheit Statt finden kann, so ist demselben nach dem oben ausgesprochenen | Grundsatze alle Gelegenheit zur vollständigen Kenntnißnahme von den Verhält^ | nissen der gemeinschaftlichen Zollverwaltung bereitwillig zu gewähren. Art. 32. ^Jährlich in den ersten Tagen des Juni findet zum Zwecke gemeinsamer | Berathung ein Zusammentritt von Bevollmächtigten der Vereinsglieder Statt, | zu welchem auch der Thüringische Verein einen Bevollmächtigten abzuordnen | befugt ist. ^Für die formelle Leitung der Verhandlungen wird von den Confe= | renz=Bevollmächtigten aus ihrer Mitte ein Vorsitzender gewählt, welchem übrigens | kein Vorzug vor den übrigen Bevollmächtigten zusteht. ^Der erste Zusammentritt wird in München Statt finden. '^Wo derselbe | künftig erfolgen soll, wird bei dem Schlüsse einer jeden jährlichen Versammlung | mit Rücksicht auf die Natur der Gegenstände, deren Verhandlung in der fol= | genden Conferenz zu erwarten ist, verabredet werden. Art. 33. Vor die Versammlung dieser Conferenz=Bevollmächtigten gehört: a) die Verhandlung über alle Beschwerden und Mängel, welche in Bezie= | hung auf die Ausführung des Grundvertrages und der besonderen Ueber= [ einkünfte, des Zollgesetzes, der Zollordnung und Tarife, in einem oder | dem anderen Vereins Staate wahrgenommen, und die nicht bereits im Laufe ] des Jahres in Folge der darüber zwischen den Ministerien und obersten | Verwaltungsstellen geführten Correspondenz erledigt worden sind; b) die definitive Abrechnung zwischen den Vereinsgliedem über die gemein= | schaftliche Einnahme auf dem Grunde der von den obersten Zollbehörden | und in dem Thüringischen Vereine von dem GeneraMnspector aufge= | stellten, durch das Centralbüreau vorzulegenden Nachweisungen, wie solche | der Zweck einer dem gemeinsamen Interesse angemessene Prüfung er= | heischt; c) die Berathung über Wünsche und Vorschläge, welche von einzelnen | Staatsregierungen zur Verbesserung der Verwaltung gemacht werden;

[87] Zollvereinigungserweitemngsvertrag vom 11. Mai 1833

879

d) die Verhandlungen über Abänderungen des Zollgesetzes, der Zollordnung, | des Zolltarifs und der Verwaltungs=Organisation, welche von einem der | contrahirenden Staaten in Antrag gebracht werden, überhaupt über die | zweckmäßige Entwickelung und Ausbildung des gemeinsamen Handels^ und | Zollsystems. [S. 256] Art. 34. Treten im Laufe des Jahres außer der gewöhnlichen Zeit der Ver= | Sammlung der Conferenz=Bevollmächtigten außerordentliche Ereignisse ein, welche un= | verzügliche Maaßregeln oder Verfugungen abseiten der Vereinsstaaten erheischen, | so werden sich die contrahirenden Theile darüber im diplomatischen Wege ver= | einigen, oder eine außerordentliche Zusammenkunft ihrer Bevollmächtigten ver= | anlassen. Art. 35. ^Den Aufwand für die Bevollmächtigten und deren etwaige Gehülfen | bestreitet dasjenige Glied des Gesammtvereins, welches sie absendet. ^Das Kanz= | lei=Dienstpersonale und das Lokale wird unentgeldlich von der Regierung gestellt, | in deren Gebiete der Zusammentritt der Conferenz Statt findet. Art. 36. Sollte zur Zeit der Vollziehung des gegenwärtigen Vertrages eine | Uebereinstimmung der Eingangs=Zollsätze in den Landen der contrahirenden Re= | gierungen nicht bereits im Wesentlichen bestehen, so verpflichten sich dieselben zu | allen Maaßregeln, welche erforderlich sind, damit nicht die Zoll=Einkünfte des | Gesammtvereins durch die Einführung und Anhäufung unverzollter oder gegen | geringere Steuersätze, als der Vereinstarif enthält, verzollter Waarenvorräthe | beeinträchtigt werden. Art. 37. Für den Fall, daß andere deutsche Staaten den Wunsch zu erkennen | geben sollten, in den durch gegenwärtigen Vertrag errichteten Zollverein aufgenom= | men zu werden, erklären sich die hohen Contrahenten bereit, diesem Wunsche, | so weit es unter gehöriger Berücksichtigung der besonderen Interessen der Ver= | einsmitglieder möglich erscheint, durch desfalls abzuschließende Verträge Folge | zu geben. Art. 38. Auch werden Sie Sich bemühen, durch Handelsverträge mit anderen | Staaten dem Verkehr Ihrer Angehörigen jede mögliche Erleichterung und Er= | Weiterung zu verschaffen. Art. 39. Alles, was sich auf die Detail=Ausfuhrung der in dem gegenwärtigen | Vertrage und dessen Beilagen enthaltenen Verabredungen bezieht, soll durch | gemeinschaftliche Commissarien vorbereitet werden. Art. 40. ^Die Dauer des gegenwärtigen Vertrages, welcher mit dem Isten Ja= | nuar 1834. in Ausführung gebracht werden soll, wird vorläufig bis zum 1 sten Januar | 1842. festgesetzt. ^Wird derselbe während dieser Zeit und spätestens zwei Jahre | vor Ablauf der Frist nicht gekündigt, so soll er auf 12 Jahre, und so fort von | 12 zu 12 Jahren als verlängert angesehen werden. Letztere Verabredung wird jedoch nur für den Fall getroffen, daß nicht | in der Zwischenzeit sämmtliche deutsche Bundesstaaten über gemeinsame Maaß= | regeln überein-

880

§ 4: Deutscher Zollverein

[Dok. 85-102]

kommen, welche den mit der Absicht des Artikels 19. der deutschen | Bundes=Acte^ in Uebereinstimmung stehenden Zweck des gegenwärtigen Zollver= | eins vollständig erfüllen. [S. 257] Auch sollen im Falle etwaiger gemeinsamer Maaßregeln über den freien | Verkehr mit Lebensmitteln in sämmtlichen deutschen Bundesstaaten die betreffen= | den Bestimmungen des nach gegenwärtigem Vertrage bestehenden Vereinsta= | rifs demgemäß modificirt werden. Gegenwärtiger Vertrag soll alsbald zur Ratification der hohen contrahi= | renden Höfe vorgelegt, und die Auswechselung der Ratifications^Urkunden soll | spätestens binnen sechs Wochen in Berlin bewirkt werden.** So geschehen Berlin, den 1 Iten Mai 1833. Ludwig Kühne. Ernst Michaelis. Carl Friedrich v. Wilkens. (L. S.) (L. S.) (L. S.) Heinrich Theodor Ludwig Schwedes. Wilhelm v. Kopp. Gf v. Luxburg. (L. S.) (L. S.) (L. S.) Franz a Paula Friedrich Frh. v. Linden. Carl Friedrich Ludwig v. Watzdorff (L. S.) (L. S.) Ludwig Heinrich v. L'Estocq. Ottokar Thon. Ludwig v. Rebeur. (L. S.) (L. S.) (L. S.) Jacob Ignatz v. Cruickshank. Carl August Friedrich Adolph v. Fischern. (L. S.) (L. S.) Carl Johann Heinrich Ernst Edler v. Braun. Otto Wilhelm Carl v. Röder. (L. S.) (L. S.) Carl Friedrich Wilhelm v. Weise. Friedrich Wilhelm v. Witzleben. (L. S.) (L. S.) Gustav Adolph v. Strauch. (L. S.)

[88] Zollvereinigungserweiterungsvertrag (Preußen, Bayern, Württemberg, Sachsen, Kurhessen, Hessen-Darmstadt sowie Thüringer Zoll- und Handelsverein ./. Baden) vom 12. Mai 1835 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einfuhrungen" die Darstellungen unter [251.] [390.]. Quelle: Gesetz-Sammlung für die Königlichen Preußischen Staaten, (vom 8. August) 1835, Nr. 17, S. 145 - 165 (gedruckt).^ Sonstige Fundstelle: Verträge und Verhandlungen aus dem Zeiträume von 1833 bis einschließlich 1836 über die Bildung und Ausführung des deutschen Zoll- und HandelsVereins, Zweiter Band, 1845, S. 1 - 16.

Dok. 31. Der Austausch der Ratifikationsurkunden erfolgte indes erst am 2. Dezember 1833. Separat-Artikel, Schluß-Protokoll und weitere Urkunden zu diesem Vertrag, abgedruckt in: Verträge und Verhandlungen aus dem Zeiträume von 1833 bis einschließlich 1836 über die Bildung und Ausführung des deutschen Zoll- und Handels-Vereins, Zweiter Band, Berlin 1845, S. 1 7 - 7 3 .

[88] Zollvereinigungserweitemngsvertrag vom 12. Mai 1835

881

[S. 145] (No. 1626.) Vertrag zwischen Preußen, Bayern, Sachsen, Württemberg, Kurhessen, dem | Großherzogthume Hessen und den zu dem Thüringischen Zoll= und Handels= | Vereine verbundenen Staaten einerseits und Baden andererseits, wegen | Anschließung des Großherzogthums Baden an den Gesammt=Zollverein der | ersteren Staaten, D. d. den 12ten Mai 1835. Nachdem Seine Königliche Hoheit der Großherzog von Baden, den Zweck | des zwischen Preußen, Bayern, Sachsen, Württemberg, Kurhessen, dem Groß= | herzogthume Hessen und den an dem Thüringischen Vereine Theil nehmenden | Regierungen errichteten Zoll= und Handelsvereins Sich aneignend, den Entschluß | zu erkennen gegeben haben, auch mit Ihren Landen Letzterem beizutreten; so ha= | ben Behufs der deshalb zu pflegenden Verhandlungen zu Bevollmächtigten er= | nannt: einer Seits für Sich und in Vertretung der Krone Sachsen und der zu dem | Thüringischen Zoll= und Handelsvereine gehörigen Staaten: Seine Majestät der König von Preußen; Allerhöchst^Ihren Kammerherm, Wirklichen Geheimen Rath und in= [ terimistischen Chef des Finanzministerii, Albrecht Graf von Alvens= | leben, Ritter des Königlich=Preußischen Rothen Adler=Ordens dritter | Klasse mit der Schleife, des St. Johanniter=Ordens und Komman= | deur des KönigIich=Ungarischen St. Stephan=Ordens, und Allerhöchst^ | Ihren Wirklichen Geheimen Legationsrath und Direktor im Minister | rium der auswärtigen Angelegenheiten, Albrecht Friedrich Eich= | hom, Ritter des Königlich=Preußischen Rothen Adler=Ordens zweiter | Klasse, Inhaber des eisernen Kreuzes zweiter Klasse am weißen Bande, | Ritter des Kaiserlich^Russischen St. Annen=Ordens zweiter Klasse, | Kommandeur des Civil=Verdienstordens der Königlich=Bayerischen | Krone, des Königlich= Sächsischen Civil=Verdienstordens, Kommenthur | des Königlich=Hannöverischen Guelphen=Ordens und des Ordens der | Königlich=Württembergischen Krone, Kommandeur erster Klasse des | [S. 146] Kurfurstlich^Hessischen Haus=Ordens vom goldenen Löwen und des | Großherzoglich=Hessischen Ludwigs=Ordens, Großkreuz des Großherzog= | lich=Sächsischen Haus=Ordens vom weißen Falken; Seine Majestät der König von Bayern: Allerhöchst=Ihren Kämmerer, Staatsrath, außerordentlichen Gesandten | und bevollmächtigten Minister an den Königlich=Preußischen, Königlich^ | Sächsischen, Großherzoglich=Sächsischen und den Herzoglich=Sächsischen | Höfen, Friedrich Christian Johann Graf von Luxburg, Groß= | kreuz des Civil=Verdienstordens der Königlich^Bayerischen Krone, Rit= | ter des Königlich=Preußischen Rothen Adler^Ordens erster Klasse, Groß= | kreuz des Königlich=Sächsischen Civil=Verdienstordens, Ritter des Kö= | niglich= Württembergischen Friedrichs=Ordens und Großkreuz des Groß= | herzoglich=Sächsischen Haus=Ordens vom weißen Falken; Seine Majestät der König von Württemberg: Allerhöchst=Ihren Kammerherm, Legationsrath, Geschäftsträger am Kö= | niglich= Preußischen Hofe, Franz von Paula Freiherr von Linden, | Ritter des Ordens der Königlich^Württembergischen Krone, Ritter | des Civil=Verdienstordens der Königlich== Bayerischen Krone, Kommen^ | thur des Großherzoglich=Sächsischen Haus=Ordens vom weißen Falken, | und Allerhöchst=Ihren Finanzrath Philipp Gustav Hauber, Ritter des | Königlich^ Preußischen Rothen Adler=Ordens dritter Klasse, Ritter erster | Klasse des Großherzoglich=Hessischen Ludwigs=Ordens; Seine Hoheit der Kurprinz und Mitregent von Hessen: Höchst=Ihren Wirklichen Geheimen Legationsrath, außerordentlichen | Gesandten und bevollmächtigten Minister am Königlich=Preußischen Hofe, | Carl Friedrich von Wilkens=Hohenau, Kommandeur des Kur= | furstlich=Hessischen Haus^Orden vom goldenen

882

§ 4: Deutscher Zollverein

[Dok. 85 - 102]

Löwen, Ritter des Kö= | niglich=Preußischen Rothen Adler=Ordens dritter Klasse und des Kö= I niglich=Preußischen St. Johanniter=Ordens, Kommandeur erster Klasse | des Großherzoglich=Hessischen Ludwigs=Ordens, Kommenthur des Groß= | herzoglich=Sächsischen Haus=Ordens vom weißen Falken, und Höchst=Ihren Wirklichen Geheimen Ober=Bergrath Heinrich Theo= | dor Ludwig Schwedes, Ritter des Kurfurstlich=Hessischen Haus=Or= | dens vom goldenen Löwen und Kommenthur des Großherzoglich=Sächsi= | sehen Haus=Ordens vom weißen Falken; Seine Königliche Hoheit der Großherzog von Hessen: Höchst=Ihren Kammerherm, Major und Flügel=Adjutanten, Geschäfts^ | träger am Königlich=Preußischen Hofe, Friedrich Ferdinand Wil= | [S. 147] heim Freiherr Schäffer von Bernstein, Kommandeur zweiter | Klasse des Großherzoglich=Hessischen Ludwigs= Ordens, Inhaber des | militairischen Dienst=Ehrenzeichens, Ritter des Kaiserlich^ Oesterreichischen | Leopolds=Ordens, der Königlich=Französischen Ehrenlegion, des König^^ | lich= Hannoverschen Guelphen= und des Königlich=Württembergischen | Militair=Verdienstordens, und Höchst=Ihren Ober^Finanzrath Heinrich Ludwig Biersack, Ritter | erster Klasse des Großherzoglich=Hessischen Ludwigs=Ordens, Ritter des | Königlich=Preußischen Rothen Adler=Ordens dritter Klasse, des Civil= | Verdienstordens der Königlich=Bayerischen Krone und des Ordens der | Königlich^Württembergischen Krone; anderer Seits Seine Königliche Hoheit der Großherzog von Baden: Höchst=Ihren Geheimen Referendair Wilhelm Philipp Goßwey= 11er, und Höchst=Ihren Major und Flügel=Adjutanten, Geschäftsträger am Kö= | niglich= Preußischen Hofe, Carl Ludwig Heinrich von Francken= | berg=Ludwigsdorff, Ritter des Großherzoglich=Badischen Militair= | Carl=Friedrich=Verdienstordens, des Zähringer Löwen= Ordens, und In= | haber des Militair=Dienst=Auszeichnungs=Kreuzes, Ritter des Königlich= I Preußischen St. Johanniter=Ordens und des Kaiserlich=Russischen St. | Wladimir= Ordens vierter Klasse mit der Schleife; von welchen Bevollmächtigten, unter dem Vorbehalte der Ratifikation, folgender | Vertrag geschlossen worden ist. Artikel 1. Das Großherzogthum Baden tritt dem zwischen den Königreichen Preu= | ßen, Bayern, Sachsen und Württemberg, dem Kurfiirstenthume und dem Groß= | herzogthume Hessen und den zu dem Thüringischen Zoll= und Handelsvereine | verbundenen Staaten, Behufs eines gemeinsamen Zoll= und Handelssystems, er= | richteten Vereine auf der Grundlage der unter dem 22sten* und 30sten März^ | und 1 Iten Mai 1833.*^ hierüber abgeschlossenen Verträge mit der Wirkung bei, | daß diese, jedoch unter den wegen besonderer Verhältnisse verabredeten Modifi= | kationen, auch auf das Großherzogthum Baden Anwendung finden, und daher | letzteres gegen Uebemahme gleicher Verbindlichkeiten auch gleicher Rechte, wie I die übrigen Staaten des Gesammtvereins, theilhaftig wird. Die Bestimmungen der gedachten Verträge werden, mit jenen Modifika= | tionen hier, wie nachstehet aufgenommen. Artikel 2. In diesem Gesammtvereine sind insbesondere auch diejenigen Staaten einbe= | [S. 148] griffen, welche schon früher entweder mit ihrem ganzen Gebiete oder mit einem | Theile Dok. 85. Dok. 86. Dok. 87.

[88] Zollvereinigungserweitemngsvertrag vom 12. Mai 1835

883

desselben, dem Zoll= und Handelssysteme eines oder des anderen der kon= [ trahirenden Staaten beigetreten sind, unter Berücksichtigung ihrer auf den Bei= | trittsverträgen beruhenden besonderen Verhältnisse zu den Staaten, mit welchen | sie jene Verträge abgeschlossen haben. Artikel 3. Dagegen bleiben von dem Gesammtvereine vorläufig ausgeschlossen die= | jenigen einzelnen Landestheile der kontrahirenden Staaten, welche sich ihrer Lage | wegen zur Aufnahme in den Gesammtverein nicht eignen. Es werden jedoch diejenigen Anordnungen aufrecht erhalten, welche rück= | sichtlich des erleichterten Verkehrs dieser Landestheile mit dem Hauptlande ge= | genwärtig bestehen. Weitere Begünstigungen dieser Art können nur im gemeinschaftlichen | Einverständnisse der Vereinsglieder bewilligt werden. Artikel 4. In den Gebieten der kontrahirenden Staaten sollen übereinstimmende | Gesetze über Eingangs^, Ausgangs^ und Durchgangsabgaben bestehen, jedoch | mit Modifikationen, welche, ohne dem gemeinsamen Zwecke Abbruch zu thun, | aus der Eigenthümlichkeit der allgemeinen Gesetzgebung eines jeden Theil neh= | menden Staates oder aus lokalen Interessen sich als nothwendig ergeben. Bei dem Zolltarife namentlich sollen hiedurch in Bezug auf Eingangs^ | und Ausgangsabgaben bei einzelnen, weniger fur den größeren Handelsverkehr | geeigneten Gegenständen, und in Bezug auf Durchgangsabgaben, je nachdem der | Zug der Handelsstraßen es erfordert, solche Abweichungen von den allgemein | angenommenen Erhebungssätzen, welche für einzelne Staaten als vorzugsweise | wünschenwerth erscheinen, nicht ausgeschlossen seyn, sofern sie auf die allgemeinen | Interessen des Vereins nicht nachtheilig einwirken. Desgleichen soll auch die Verwaltung der Eingangs^, Ausgangs^ und | Durchgangsabgaben und die Organisation der dazu dienenden Behörden in allen | Ländern des Gesammtvereins, unter Berücksichtigung der in denselben bestehen^ | den eigenthümlichen Verhältnisse, auf gleichen Fuß gebracht werden. Artikel 5. Veränderungen in der Zollgesetzgebung mit Einschluß des Zolltarifs und | der Zollordnung, so wie Zusätze und Ausnahmen können nur auf demselben | Wege und mit gleicher Uebereinstimmung sämmtlicher Glieder des Gesammt= | Vereins bewirkt werden, wie die Einführung der Gesetze erfolgt. Dies gilt auch von allen Anordnungen, welche in Beziehung auf die Zoll= | Verwaltung allgemein abändernde Normen aufstellen. [S. 149] Artikel 6. Mit der Ausführung des gegenwärtigen Vertrages tritt zwischen den | kontrahirenden Vereins Staaten und dem Großherzogthume Baden Freiheit des | Handels und Verkehrs und zugleich Gemeinschaft der Einnahme an Zöllen ein, | wie beide in den folgenden Artikeln bestimmt werden. Artikel 7. Es hören von diesem Zeitpunkte an alle Eingangs^, Ausgangs= und | Durchgangsabgaben an den gemeinschaftlichen Landesgrenzen der Staaten des | bisherigen Zollvereins und des Großherzogthums Baden auf, und es können | alle im freien Verkehr des einen Gebietes

884

§ 4: Deutscher Zollverein

[Dok. 85 - 102]

bereits befindlichen Gegenstände auch | frei und unbeschwert in das andere Gebiet gegenseitig eingeführt werden, mit | alleinigem Vorbehalte: a) der zu den Staatsmonopolien gehörigen Gegenstände (Spielkarten und | Salz) nach Maaßgabe der Art. 9. und 10.; b) der im Innern der kontrahirenden Staaten gegenwärtig entweder mit | Steuern von verschiedener Höhe, oder in dem einen Staate gar nicht, | in dem anderen aber mit einer Steuer belegten, und deshalb einer Aus= | gleichungsabgabe unterworfenen inländischen Erzeugnisse, nach Maaßgabe | des Art. 11., und endlich c) solcher Gegenstände, welche ohne Eingriffe in die von einem der kontrahi= | renden Staaten ertheilten Erfindungspatente oder Privilegien nicht nach= | gemacht oder eingeführt werden können, und daher fur die Dauer der | Patente oder Privilegien von der Einfuhr in den Staat, welcher dieselben | ertheilt hat, noch ausgeschlossen bleiben müssen. Artikel 8. Der im Artikel 7. festgesetzten Verkehrs^ und Abgabenfreiheit unbescha= | det, wird der Uebergang solcher Handelsgegenstände, welche nach dem gemeinsam | men Zolltarife einer Eingangs^ oder Ausgangssteuer an den Außengrenzen unter= | liegen, aus den Königlich=Bayerischen, Königlich=Württembergischen und Groß= | herzoglich=Badischen Landen in die Königlich=Preußischen, Königlich=Sächsischen, | Kurfurstlich=Hessischen und Großherzoglich=Hessischen Lande, ingleichen in das Ge= | biet des Thüringischen Vereins und umgekehrt, nur unter Innehaltung der ge= | wohnlichen Land= und Heerstraßen und auf den schiffbaren Strömen stattfinden, | und es werden an den Binnengrenzen gemeinschaftliche Anmeldestellen eingerich= | tet werden, bei welchen die Waarenfuhrer unter Vorzeigung ihrer Frachtbriefe | oder Transportzettel die aus dem einen in das andere Gebiet überzuführenden I Gegenstände anzugeben haben. ^ Auf den Verkehr mit rohen Produkten in geringeren Quantitäten, so wie | [S. 150] überall auf den kleineren Grenz= und Marktverkehr, und auf das Gepäck von | Reisenden findet die vorstehende Bestimmung keine Anwendung. '^Auch wird kei= | nerlei Waarenrevision stattfinden, außer insoweit, als die Sicherung der Ausglei= | chungsabgaben (Art. 7. b.) es erfordern könnte. Artikel 9. Hinsichtlich der Einfuhr von Spielkarten behält es bei den in den kon= | trahirenden Vereinsstaaten bestehenden Verbots== oder Beschränkungsgesetzen sein | Bewenden. Artikel 10. In Betreff des Salzes tritt die Großherzoglich=Badische Regierung der | zwischen den kontrahirenden Vereins=Regiemngen getroffenen Verabredung in | folgender Art bei: a) Die Einfuhr des Salzes und aller Gegenstände, aus welchen Kochsalz | ausgeschieden zu werden pflegt, aus fremden, nicht zum Vereine gehörigen | Ländern in die Vereinsstaaten, ist verboten, insoweit dieselbe nicht für | eigene Rechnung einer der vereinten Regierungen, und zum unmittelbar | ren Verkaufe in ihren Salzämtem, Faktoreien oder Niederlagen geschieht. b) Die Durchfuhr des Salzes und der vorbezeichneten Gegenstände aus den | zum Vereine nicht gehörigen Ländern in andere solche Länder, soll nur | mit Genehmigung der Vereinsstaaten, deren Gebiet bei der Durchfuhr | berührt wird, und unter den Vorsichtsmaaßregeln stattfinden, welche von | denselben für nöthig erachtet werden. c) Die Ausfuhr des Salzes in fremde, nicht zum Vereine gehörige Staa= | ten ist frei.

[88] Zollvereinigungserweiterungsvertrag vom 12. Mai 1835

885

d) Was den Salzhandel innerhalb der Vereinsstaaten betrifft, so ist die | Einfuhr des Salzes von einem in den anderen nur in dem Falle erlaubt, | wenn zwischen den Landes=Regiemngen besondere Verträge deshalb bestehen. e) Wenn eine Regierung von einer anderen innerhalb des Gesammtvereins | aus Staats= oder Privat=Salinen Salz beziehen will, so müssen die | Sendungen mit Pässen von öffentlichen Behörden begleitet werden. f) Wenn ein Vereinsstaat durch einen anderen aus dem Auslande oder | aus einem dritten Vereinsstaate seinen Salzbedarf beziehen, oder durch | einen solchen sein Salz in fremde, nicht zum Vereine gehörige Staaten | versenden lassen will, so soll diesen Sendungen kein Hindemiß in den | Weg gelegt werden, jedoch werden, insofern dieses nicht schon durch frü= | here Verträge bestimmt ist, durch vorhergängige Uebereinkunft der bethei= | ligten Staaten die Straßen für den Transport und die erforderlichen | [S. 151] Sicherheitsmaaßregeln zur Verhinderung der Einschwärzung verabredet | werden. g) Wenn zwischen den Salzpreisen des Großherzogthums Baden und eines | an dasselbe grenzenden Vereinsstaates eine solche Verschiedenheit bestände, | daß daraus für den einen oder den anderen dieser Staaten eine Gefahr | der Salz= Einschwärzung hervorginge, so werden die hierbei betheiligten | Regierungen, sich über Maaßregeln vereinbaren, welche diese Gefahr mög= | liehst beseitigen, ohne den freien Verkehr mit anderen Gegenständen zu | belästigen. Artikeln. ^In Bezug auf diejenigen Erzeugnisse, bei welchen hinsichtlich der Be= | Steuerung im Innern noch eine Verschiedenheit der Gesetzgebung unter den ein= | zelnen Vereinslanden statt findet (Art. 7. litt, b.), wird auch von der Großher^ | zoglich=Badischen Regierung als wünschenswerth anerkannt, hierin ebenfalls eine | Uebereinstimmung der Gesetzgebung und der Besteuerungssätze hergestellt zu sehen, | und es wird daher auch ihr Bestreben auf die Herbeiführung einer solchen | Gleichmäßigkeit gerichtet bleiben. "^Bis dahin, wo dieses Ziel erreicht worden, | können zur Vermeidung der Nachtheile, welche für die Produzenten des eigenen 1 Staates im Verhältnisse zu den Produzenten in anderen Vereinsstaaten aus der I ungleichen Besteuerung erwachsen würden, Ergänzungs== oder Ausgleichungs= | Abgaben von folgenden Gegenständen erhoben werden. A. in den bisherigen Vereinsstaaten a) im Königreiche Preußen von | Bier, | Branntwein, | Taback, | Traubenmost und Wein; b) im Königreiche Bayern (zur Zeit mit Ausschluß des | Rheinkreises) von | Bier, | Branntwein, | geschrotetem Malz; c) im Königreiche Sachsen von | Bier, | Branntwein, | Taback, | Traubenmost und Wein; [S. 152] d) im Königreiche Württemberg von | Bier, | Branntwein, | geschrotetem Malz; e) im Kurfürstenthume Hessen von | Bier, | Branntwein, | Taback, | Traubenmost und Wein; f) im Großherzogthume Hessen von | Bier; g) in den zum Thüringischen Vereine gehörigen | Staaten von | Bier, | Branntwein, I Taback, | Traubenmost und Wein; B. im Großherzogthume Baden von | Bier. Es soll bei der Bestimmung und Erhebung der gedachten Abgaben nach | folgenden Grundsätzen verfahren werden: 1) Die Ausgleichungs=Abgaben werden nach dem Abstände der gesetzlichen | Steuer im Lande der Bestimmung von der denselben Gegenstand betref= | fenden Steuer

6

§ 4: Deutscher Zollverein

[Dok. 85-102]

im Lande der Herkunft bemessen, und fallen daher im Vei^ | hältnisse gegen diejenigen Vereinslande gänzlich weg, wo eine gleich hohe | oder eine höhere Steuer auf dasselbe Erzeugniß gelegt ist. 2) Veränderungen, welche in den Steuern von inländischen Erzeugnissen der | betheiligten Staaten eintreten, haben auch Veränderung in den Ausglei= | chungsabgaben, jedoch stets unter Anwendung des vorher (1.) aufgestellt | ten Grundsatzes zur Folge. Wo auf den Grund einer solchen Veränderung eine Ausgleichungs= | Abgabe zu erhöhen seyn würde, muß, falls die Erhöhung wirklich in An= | Spruch genommen wird, eine Verhandlung darüber zwischen den betheilig= | ten Staaten, und eine vollständige Nachweisung der Zulässigkeit nach den | Bestimmungen des gegenwärtigen Vertrages vorausgehen. 3) Die gegenwärtig in Preußen gesetzlich bestehenden Sätze der Steuern | [S. 153] vom inländischen Traubenmost und Wein, vom Tabacksbau und Brannt= | wein, so wie die gegenwärtig in Bayern bestehende Steuer | vom inländi= | sehen geschroteten Malz und Bier (Malzaufschlag) sollen jedenfalls den | höchsten Satz desjenigen bilden, was in einem Vereinsstaate, welcher jene | Steuern eingeführt hat, oder künftig etwa einführen sollte, an Ausglei= \ chungs^Abgaben von diesen Artikeln bei deren Eingange aus einem Lande, | in welchem keine Steuer auf dieselben Erzeugnisse gelegt ist, erhoben wer= | den darf, wenn auch die betreffende Steuer des Staates, welcher die | Ausgleichungsabgabe bezieht, diesen höchsten Satz übersteigen sollte. 4) Rückvergütungen der inländischen Staatssteuem sollen bei der Ueberfuhr | der besteuerten Gegenstände in ein anderes Vereinsland nicht gewährt | werden, insofem nicht wegen besonderer örtlicher Verhältnisse die bethei= | ligten Nachbarstaaten sich wegen Ausnahmen von diesem Grundsätze ver== | einigt haben. 5) Auf andere Erzeugnisse als Bier und Malz, Branntwein, Tabacksblätter, | Traubenmost und Wein soll unter keinen Umständen eine Ausgleichungs= | Abgabe gelegt werden. 6) In allen Staaten, in welchen von Taback, Traubenmost und Wein eine | Ausgleichungsabgabe erhoben wird, soll von diesen Erzeugnissen in kei= | nem Falle eine weitere Abgabe weder für Rechnung des Staates noch | für Rechnung der Kommunen beibehalten oder eingeführt werden. 7) Der Ausgleichungsabgabe sind solche Gegenstände nicht unterworfen, von | welchen auf die in der Zollordnung vorgeschriebene Weise dargethan ist, | daß sie als ausländisches Ein= und Durchgangsgut die zollamtliche Be= | handlung bei einer Erhebungsbehörde des Vereins bereits bestanden ha= | ben, oder derselben noch unterliegen, und eben so wenig diejenigen im | Umfange des Vereins erzeugten Gegenstände, welche nur durch einen | Vereinsstaat transitiren, um entweder in einen anderen Vereinsstaat oder | nach dem Auslande geführt zu werden. 8) Die Ausgleichungsabgabe kommt den Kassen desjenigen Staates zu | Gute, wohin die Versendung erfolgt. Insofem sie nicht schon im Lande | der Versendung für Rechnung des abgabeberechtigten Staates erhoben | worden, wird die Erhebung im Gebiete des Letzteren erfolgen. 9) Es sollen in jedem der kontrahirenden Staaten solche Einrichtungen ge= | troffen werden, vermöge welcher die Ausgleichungs=Abgabe in dem Ver= | einslande, aus welchem die Versendung erfolgt, am Orte der Versen= | [S. 154] dung oder bei der gelegensten Zoll= oder Steuerbehörde entrichtet, oder | ihre Entrichtung durch Anmeldung sicher gestellt werden kann. 10) So lange, bis diese Einrichtungen durch besondere Uebereinkunft festge= | setzt seyn werden, bleibt der Verkehr mit Gegenständen, welche eine Aus= | gleichungs-

[88] Zollvereinigungserweitemngsvertrag vom 12. Mai 1835

887

abgäbe unterliegen, in der Art beschränkt, daß dieselben, ohne | Unterschied der transportirten Quantitäten, in das Gebiet des abgabebe= | rechtigten Staates nur auf den im Art. 8. bezeichneten oder noch ander= | weit zu bestimmenden Straßen eingeführt, und an den dort einzurichten^ | den Anmelde^ und Hebestellen angemeldet und resp. versteuert werden | müssen, ohne daß jedoch in Folge hiervon der Verkehr mit den Gegen= | ständen, von welchen eine Ausgleichungsabgabe nicht zu entrichten ist, | einer weiteren, als der in dem oben gedachten Artikel angeordneten Auf= I sieht unterworfen seyn wird. Artikel 12. ^Hinsichtlich der Verbrauchsabgaben, welche im Bereiche der Vereinslän= | der von anderen, als den im Art. 11. bezeichneten Gegenständen, oder auch von \ diesen Gegenständen in solchen Ländern, in denen darauf keine Ausgleichungs= | Abgabe liegt, erhoben werden, wird nicht minder im Verhältniß der kontrahi= | renden Vereinsstaaten unter sich als zum Großherzogthum Baden eine gegen= | seitige Gleichmäßigkeit der Behandlung stattfinden; dergestalt, daß das Erzeuge | niß eines anderen Vereinsstaates unter keinem Vorwande höher belastet werden | darf, als das inländische. ^Dieselbe Gleichmäßigkeit findet auch bei den Zuschlags^ | Abgaben und Oktrois statt, welche für Rechnung einzelner Gemeinden erhoben | werden, soweit dergleichen Abgaben nicht überhaupt nach der Bestimmung des I Art. 11. No. 6. unzulässig sind. Artikel 13. Chausseegelder oder andere statt derselben bestehende Abgaben, ebenso | Pflaster^, Damm=, Brücken^ und Fährgelder, oder unter welchem anderen Na= | men dergleichen Abgaben bestehen, ohne Unterschied, ob die Erhebung für Rech= | nung des Staates oder eines Privatberechtigten, namentlich einer Kommune ge= | schiebt, sollen sowohl auf Chausseen als auch auf allen unchaussirten Land== und | Heerstraßen nur in dem Vertrage beibehalten, oder neu eingeführt werden kön= | nen, als sie den gewöhnlichen Herstellungs= und Unterhaltungskosten angemes= | sen sind. Das dermalen in Preußen nach dem allgemeinen Tarife vom Jahre | 1828. bestehende Chausseegeld soll als der höchste Satz angesehen, und hinführo | in keinem der kontrahirenden Staaten überschritten werden. [S. 155] Besondere Erhebungen von Thorsperr= und Pflastergeldem sollen auf | chaussirten Straßen, da, wo sie noch bestehen, dem vorstehenden Grundsätze ge= | maß aufgehoben, und die Ortspflaster den Chausseestrecken dergestalt eingerechnet | werden, daß davon nur die Chausseegelder nach dem allgemeinen Tarife zur Er= | hebung kommen. Artikel 14. Die kontrahirenden Regierungen wollen dahin wirken, daß in ihren Lan= | den ein gleiches Münz=, Maaß= und Gewichtssystem in Anwendung komme, und | hierüber sofort besondere Unterhandlungen einleiten lassen. ^Das Großherzogthum Baden tritt der zwischen den Vereinsgliedem be= | reits bestehenden Uebereinkunft bei, wonach der Großherzoglich=Hessische Centner, | welcher dem Großherzoglich=Badischen und dem halben Rhein=Bayerischen Centner | (50 Kilogramme) gleich kommt, als Einheit für das gemeinschaftliche Zollge= | wicht angenommen worden ist. ^Es wird also im Großherzogthume Baden die | Deklaration, Abwägung und Verzollung der nach dem Gewichte zollbaren Ge= | genstände ausschließlich nach diesem dort schon gesetzlichen Gewichte geschehen. | ^Die Deklaration, Messung und Verzollung der nach dem Maaße zu verzollen^ | den Gegenstände wird daselbst im landesgesetzlichen Maaße so lange erfolgen, | bis man über ein gemeinschaftliches Maaß ebenfalls übereinge-

888

§ 4: Deutscher Zollverein

[Dok. 85-102]

kommen seyn wird. | "^Die Großherzoglich=Badische Regierung wird zur Erleichterung der Versendung | von Waaren und zur schnelleren Abfertigung dieser Sendungen an den Zollstät= I ten, die Reduktionen der Maaße und Gewichte, welche in den Tarifen der an= | deren kontrahirenden Staaten angenommen sind, zum Gebrauche sowohl der | Großherzoglich=Badischen Zollämter, als des handeltreibenden Publikums amt= | lieh bekannt machen lassen. So lange, bis die kontrahirenden Staaten über ein gemeinschaftliches | Münzsystem übereingekommen seyn werden, soll die Bezahlung der Zollabgaben, | wie in den anderen Vereinsstaaten, so auch im Großherzogthume Baden nach | dem Münzfuße geschehen, nach welchem die Entrichtung der übrigen Landesab= | gaben daselbst stattfindet. Es sollen aber schon jetzt die Gold== und Silbermünzen der sämmtlichen | kontrahirenden Staaten - mit Ausnahme der Scheidemünze - bei allen He= | bestellen des Gesammtvereins, und von allen Zahlungspflichtigen ohne Unterschied | angenommen, und zu diesem Behufe die Valvationstabellen, über welche zwi= | sehen den bisherigen Vereinsgliedem bereits die erforderliche Einigung stattge= | funden hat, im Großherzogthume Baden, wie umgekehrt die hiemach zu berech= | nende Valvation der Großherzoglich=Badischen Münzen in den anderen Ver= | einsstaaten, öffentlich bekannt gemacht werden. [S. 156] Artikel 15. Die Wasserzölle oder auch Wegegeldgebühren auf Flüssen, mit Einschluß | derjenigen, welche das Schiffsgefäß treffen (Rekognitionsgebühren), sind von der | Schiffahrt auf solchen Flüssen, auf welche die Bestimmungen des Wiener Kon= | gresses oder besondere Staatsverträge Anwendung finden, femer gegenseitig nach | jenen Bestimmungen zu entrichten, insofem hierüber nichts Besonderes verabre== | det wird. In letzterer Hinsicht wollen, was insbesondere den Rhein und dessen Ne= | benflüsse betrifft, die bei der Schiffahrt dieser Flüsse betheiligten Vereinsstaaten | unverzüglich in Unterhandlung treten, um zu einer Vereinbamng zu gelangen, | in Folge deren die Ein=, Aus= und Durchfuhr der Erzeugnisse der sämmtlichen | Vereinslande auf den genannten Flüssen in den Schiffahrtsabgaben, mit stetem | Vorbehalte der Rekognitionsgebühren, wo nicht ganz befreiet, doch möglichst er= | leichtert wird. Alle Begünstigungen, welche ein Vereinsstaat dem Schiffahrts=Betriebe [ seiner Unterthanen auf den Eingangs genannten Flüssen zugestehen möchte, sol= | len in gleichem Maaße auch der Schiffahrt der Unterthanen der anderen Ver= | einsstaaten zu Gute kommen. ^Auf den übrigen Flüssen, bei welchen weder die Wiener Kongreßakte | noch andere Staatsverträge Anwendung finden, werden die Wasserzölle nach | den privativen Anordnungen der betreffenden Regiemngen erhoben. '^Doch sol= | len auch auf diesen Flüssen die Unterthanen der kontrahirenden Staaten und de= | ren Waaren und Schiffsgefäße überall gleich behandelt werden. Artikel 16. Von dem Tage an, wo die gemeinschaftliche Zollordnung des Vereins | in Vollzug gesetzt wird, sollen im Großherzogthume Baden, wie bereits in den | übrigen zum Zollvereine gehörigen Gebieten geschehen ist, alle etwa noch beste= | henden Stapel^ und Umschlagsrechte aufhören, und Niemand soll zur Anhal= | tung, Verladung oder Lagemng gezwungen werden können, als in den Fällen, | in welchen die gemeinschaftliche Zollordnung oder die betreffenden Schiffahrts= | Reglements es zulassen oder vorschreiben. Artikel 17. Kanal=, Schleusen=, Brücken=, Fähr=, Hafen=, Waage=, Krahnen= und | Niederlagegebühren und Leistungen für Anstalten, die zur Erleichtemng des Ver= | kehrs bestimmt sind,

[88] Zollvereinigungserweitemngsvertrag vom 12. Mai 1835

889

sollen nur bei Benutzung wirklich bestehender Einrichtungen i erhoben und in der Regel nicht, keinenfalls aber tiber den Betrag der gewöhn= | liehen Herstellungs= und Unterhaltungskosten hinaus, erhöhet, auch überall von | [S. 157] den Unterthanen der anderen kontrahirenden Staaten auf völlig gleiche Weise, | wie von den eigenen Unterthanen, ingleichen ohne Rücksicht auf die Bestimmung | der Waaren erhoben werden. Findet der Gebrauch einer Waage=Einrichtung nur zum Behufe der Zoll= | Ermittelung oder überhaupt einer zollamtlichen Kontrole Statt, so tritt eine Ge= | bühren=Erhebung nicht ein. Artikel 18. Die Großherzoglich=Badische Regierung wird auch ihrerseits gemeinschaft= | lieh mit den kontrahirenden Vereins Staaten dahin wirken, daß durch Annahme | gleichförmiger Grundsätze die Gewerbsamkeit befördert, und der Befugniß der | Unterthanen des einen Staates, in dem anderen Arbeit und Erwerb zu suchen, | möglichst freier Spielraum gegeben werde. Von den Unterthanen des einen der kontrahirenden Staaten, welche in | dem Gebiete eines anderen derselben Handel und Gewerbe treiben, oder Arbeit | suchen, soll von dem Zeitpunkte an, wo der gegenwärtige Vertrag in Kraft tre= | ten wird, keine Abgabe entrichtet werden, welcher nicht gleichmäßig die in dem= | selben Gewerbsverhältnisse stehenden eigenen Unterthanen unterworfen sind. Desgleichen sollen Fabrikanten und Gewerbtreibende, welche blos für das | von ihnen betriebene Geschäft Ankäufe machen, oder Reisende, welche nicht Waa= | ren selbst, sondern nur Muster derselben bei sich führen, um Bestellungen zu su= | chen, wenn sie die Berechtigung zu diesem Gewerbsbetriebe in dem Vereins^ | Staate, in welchem sie ihren Wohnsitz haben, durch Entrichtung der gesetzlichen | Abgaben erworben haben, oder im Dienste solcher inländischen Gewerbtreibenden | oder Kaufleute stehen, in den anderen Staaten keine weitere Abgabe hiefür zu | entrichten verpflichten seyn. Auch sollen beim Besuche der Märkte und Messen zur Ausübung des | Handels und zum Absätze eigener Erzeugnisse oder Fabrikate in jedem Vereins= | Staate die Unterthanen der übrigen kontrahirenden Staaten eben so wie die eige= | nen Unterthanen behandelt werden. Artikel 19. Die Preußischen Seehäfen sollen dem Handel der Großherzoglich=Badi= | sehen Unterthanen, wie deren der übrigen Vereins Staaten, gegen völlig gleiche | Abgaben, wie solche von den Königlich=Preußischen Unterthanen entrichtet wer= | den, offen stehen; auch sollen die in fremden See= und anderen Handelsplätzen | angestellten Konsuln eines oder der anderen der kontrahirenden Staaten veran= | laßt werden, der Unterthanen der übrigen kontrahirenden Staaten sich in VOP= | kommenden Fällen möglichst mit Rath und That anzunehmen. [S. 158] Artikel 20. ^Seine Königliche Hoheit der Großherzog von Baden treten hiedurch dem | zwischen den bisherigen Vereinsgliedem zum Schutze ihres gemeinschaftlichen | Zollsystems gegen den Schleichhandel, und ihrer inneren Verbrauchsabgaben ge= | gen Defraudationen unter dem Uten Mai 1833. abgeschlossenen Zollkartel für | die Dauer des gegenwärtigen Vertrages bei, und werden die betreffenden Arti= | kel desselben gleichzeitig mit Letzterem in Ihren Landen publiziren lassen. ^Nicht | minder werden auch von Seiten der übrigen Vereinsglieder die erforderlichen | Anordnungen getroffen werden, damit in den gegenseitigen Verhältnissen den | Bestimmungen dieses Zollkartels überall Anwendung gegeben werde.

890

§ 4: Deutscher Zollverein

[Dok. 85-102]

Artikel 2 L Die als Folge des gegenwärtigen Vertrages eintretende Gemeinschaft der | Einnahme der kontrahirenden Staaten bezieht sich auf den Ertrag der Eingangs^, | Ausgangs= und Durchgangsabgaben in den Königlich=Preußischen Staaten, den | Königreichen Bayern, Sachsen und Württemberg, dem Großherzogthume Ba= | den, dem Kurfiirstenthume und dem Großherzogthume Hessen und dem Thürin= | gischen Zoll= und Handelsvereine, mit Einschluß der den Zollsystemen der kon= | trahirenden Staaten bisher schon beigetretenen Länder. Von der Gemeinschaft sind ausgeschlossen und bleiben, sofern nicht Se= | paratverträge zwischen einzelnen Vereinsstaaten ein Anderes bestimmen, dem pri= | vativen Genüsse der betreffenden Staatsregierungen vorbehalten: 1) die Steuern, welche im Innern eines jeden Staates von inländischen | Erzeugnissen erhoben werden, einschließlich der im Artikel 11. vorbehal= \ tenen Ausgleichungsabgaben; 2) die Wasserzölle; 3) Chaussee=Abgaben, Pflaster=, Damm=, Brücken=, Fähr=, Kanal=, Schleu= j sen=, Hafengelder, so wie Waage= und Niederlagegebtihren oder gleich^ | artige Erhebungen, wie sie auch sonst genannt werden; 4) die Zollstrafen und Konfiskate, welche, vorbehaltlich der Antheile der | Denunzianten, jeder Staatsregierung in ihrem Gebiete verbleiben. Artikel 22. Der Ertrag der in die Gemeinschaft fallenden Abgaben wird nach Abzug 1) der Kosten, wovon weiter unten im Artikel 30. die Rede ist; 2) der Rückerstattungen für unrichtige Erhebungen; 3) der auf dem Grunde besonderer gemeinschaftlicher Verabredungen erfolg= | ten Steuervergütungen und Ermäßigungen [S. 159] zwischen den Vereinsgliedem nach dem Verhältnisse der Bevölkerung, mit wel=^ | eher sie in dem Gesammtvereine sich befinden, vertheilt. Die Bevölkerung solcher Staaten, welche durch Vertrag mit einem oder | dem anderen der kontrahirenden Staaten unter Verabredungen einer von diesem | jährlich für ihre Antheile an den gemeinschaftlichen Zollrevenüen zu leistenden | Zahlung dem Zollverbande beigetreten sind, oder noch beitreten werden, wird in | die Bevölkerung desjenigen Staates eingerechnet, welcher diese Zahlung leistet. Der Stand der Bevölkerung in den einzelnen Vereins Staaten wird alle | drei Jahre ausgemittelt, und die Nachweisung derselben von den obengedachten | Vereinsgliedem einander gegenseitig mitgetheilt werden. Artikel 23. Vergünstigungen für Gewerbtreibende hinsichtlich der Steuer=Entrichtung, | welche nicht in der Zollgesetzgebung selbst begründet sind, fallen der Staatskasse | derjenigen Regierung, welche sie bewilligt hat, zur Last; die Maaßgaben, unter | welchen solche Vergünstigungen zu bewilligen sind^ werden näherer Verabredung | vorbehalten. Artikel 24. Dem auf Förderung freier und natürlicher Bewegung des allgemeinen | Verkehrs gerichteten Zwecke des Zollvereines gemäß, sollen besondere Zollbegün= | stigungen einzelner Meßplätze, namentlich Rabattprivilegien, da wo sie dermalen | in den Vereinsstaaten noch bestehen, nicht erweitert, sondern vielmehr unter geeig= | neter Berücksichtigung sowohl der Nahrungsverhältnisse bisher begünstigter Meß= | platze, als der bisherigen Handelsbeziehungen mit dem Auslande, thunlichst be= | schränkt und ihrer baldigen gänzlichen Auf-

[88] Zollvereinigungserweitemngsvertrag vom 12. Mai 1835

891

hebung entgegengefuhrt, neue aber ohne | allerseitige Zustimmung auf keinen Fall ertheilt werden. Artikel 25. Von der tarifmäßigen Abgaben=Entrichtung bleiben die Gegenstände, welche | für die Hofhaltung der hohen Souveraine und ihrer Regentenhäuser, oder für | die bei ihren Höfen akkreditirten Botschafter, Gesandten, Geschäftsträger u. s. w. | eingehen, nicht ausgenommen, und wenn dafür Rückvergütungen statthaben, so | werden solche der Gemeinschaft nicht in Rechnung gebracht. ^Eben so wenig anrechnungsfähig sind Entschädigungen, welche in einem [ oder dem anderen Staate den vormals unmittelbaren Reichs ständen, oder an | Kommunen oder einzelne Privatberechtigte für eingezogene Zollrechte oder für | aufgehobene Befreiungen gezahlt werden müssen. ^Dagegen bleibt es einem jeden | Staate unbenommen, einzelne Gegenstände auf Freipässe ohne Abgaben=Entrich= | [S. 160] tung ein=, aus= oder durchgehen zu lassen. ^Dergleichen Gegenstände werden je= | doch zollgesetzlich behandelt, und in Freiregistem, mit denen es wie mit den übri= | gen Zollregistem zu halten ist, notirt, und die Abgaben, welche davon zu erheben | gewesen wären, kommen bei der demnächstigen Revenuen^Ausgleichung demjeni= | gen Theile, von welchem die Freipässe ausgegangen sind, in Abrechnung. Artikel 26. ^Das Begnadigungs= und Strafverwandlungs=Recht bleibt jedem der | kontrahirenden Staaten in seinem Gebiete vorbehalten. ^Auf Verlangen wer= | den periodische Uebersichten der erfolgten Straferlasse gegenseitig mitgetheilt werden. Artikel 27. Die Ernennung der Beamten und Diener bei den Lokal= und Bezirks^ | stellen für die Zollerhebung und Aufsicht, welche nach der hierüber getroffenen | besonderen Uebereinkunft nach gleichförmigen Bestimmungen angeordnet, besetzt | und instmirt werden sollen, bleibt der Großherzoglich=Badischen Regierung, wie | sämmtlichen Gliedern des Gesammtvereins, innerhalb ihres Gebietes überlassen. Artikel 28. ^Nicht minder wird auch im Großherzogthume Baden die Leitung des | Dienstes der Lokal= und Bezirkszollbehörden, so wie die Vollziehung der ge= | meinschaftlichen Zollgesetze überhaupt, einer Zolldirektion übertragen, welche dem | einschlägigen Ministerium untergeordnet ist. ^Die Bildung dieser Direktion und | die Einrichtung ihres Geschäftsganges bleibt der Großherzoglichen Regierung | überlassen; der Wirkungskreis derselben aber wird, insoweit er nicht schon | durch gegenwärtigen Vertrag und die gemeinschaftlichen Zollgesetze bestimmt ist, | durch eine gemeinschaftlich zu verabredende Instruktion bezeichnet werden. Artikel 29. Die von den Zoll=Erhebungsbehörden nach Ablauf eines jeden Vierteljah= | res aufzustellenden Quartalsextrakte und die nach dem Jahres= und Bücherschlusse | aufzustellenden Finalabschlüsse über die resp. im Laufe des Vierteljahres und wäh= | rend des Rechnungsjahres fällig gewordenen Zolleinnahmen werden von der | Großherzoglich=Badischen, eben so wie von den betreffenden Zolldirektionen der | kontrahirenden Vereinsstaaten, nach vorangegangener Prüfung, in Hauptübersich= | ten zusammengetragen und diese sodann an das in Berlin bestehende Central^ | Bureau eingesendet, zu welchem Baden, wie jedes Glied des Gesammt=Vereins | einen Beamten zu ernennen die Befugniß hat.

892

§ 4: Deutscher Zollverein

[Dok. 85-102]

Dieses Bureau fertigt auf den Grund jener Vorlagen die provisorischen | Abrechnungen zwischen den vereinigten Staaten von drei zu drei Monaten, sen= | [S. 161] det dieselben den Centralfinanzstellen der letzteren, und bereitet die definitive Jah= | resabrechnung vor. Wenn aus den Quartalsabrechnungen hervorgeht, daß die wirkliche Ein= | nähme eines Vereingliedes um mehr als einen Monatsbetrag gegen den ihm | verhältnißmäßig an der Gesammteinnahme zuständigen Revenüenantheil zurückge= | blieben ist, so muß alsbald das Erforderliche zur Ausgleichung dieses Ausfalles | durch Herauszahlung von Seiten des oder derjenigen Staaten, bei denen eine 1 Mehreinnahme stattgefunden hat, eingeleitet werden. Artikel 30. In Absicht der Erhebungs= und Verwaltungskosten sollen, auch im Ver= | hältniß des Großherzogthums Baden zu den kontrahirenden Vereinsstaaten, fol= | gende Grundsätze in Anwendung kommen: 1) Man wird keine Gemeinschaft dabei eintreten lassen, vielmehr übernimmt | jede Regierung alle in ihrem Gebiete vorkommenden Erhebungs= und | Verwaltungskosten, es mögen diese durch die Einrichtung und Unterhalt | tung der Haupt= und Nebenzollämter, der inneren Steuerämter, Hall= | Aemter und Packhöfe und der Zolldirektionen, oder durch den Unterhalt | des dabei angestellten Personales und durch die dem letzteren zu bewilli= | genden Pensionen, oder endlich aus irgend einem anderen Bedürfnisse der | Zollverwaltung entstehen. 2) Hinsichtlich desjenigen Theils des Bedarfs aber, welcher an den gegen | das Ausland gelegenen Grenzen und innerhalb des dazu gehörigen Grenz= | Bezirks für die Zollerhebungs= und Aufsichts= oder Kontroibehörden und | Zollschutzwachen erforderlich ist, wird man sich über Pauschsummen verei= | nigen, welche jeder der kontrahirenden Staaten von der jährlich aufkom= | menden und der Gemeinschaft zu berechnenden Bruttoeinnahmen an Zoll= | gefallen in Abzug bringen kann. 3) Bei dieser Ausmittelung des Bedarfs soll da, wo die Perzeption priva= | tiver Abgaben mit der Zollerhebung verbunden ist, von den Gehalten | und Amtsbedürfnissen der Zollbeamten nur derjenige Theil in Anrechnung | kommen, welcher dem Verhältnisse ihrer Geschäfte für den Zolldienst zu | ihren Amtsgeschäften überhaupt entspricht. 4) Man wird sich mit der Großherzoglich=Badischen Regierung über allge= | meine Normen vereinigen, um die Besoldungsverhältnisse der Beamten [ bei den Zollerhebungs= und Aufsichtsbehörden, ingleichen bei den Zoll=^ | Direktionen, auch in Beziehung auf das Großherzogthum Baden in | möglichste Uebereinstimmung zu bringen. [S. 162] Artikel 31. Die kontrahirenden Theile gestehen sich gegenseitig das Recht zu, den | Hauptzollämtem auf den Grenzen anderer Vereins Staaten Kontroleure beizuord= | nen, welche von allen Geschäften derselben und der Nebenämter in Beziehung | auf das Abfertigungsverfahren und die Grenzbewachung Kenntniß zu nehmen, | und auf Einhaltung eines gesetzlichen Verfahrens, ingleichen auf die Abstellung | etwaiger Mängel einzuwirken, übrigens sich jeder eigenen Verfügung zu enthalt | ten haben. Einer näher zu verabredenden Dienstordnung bleibt es vorbehalten, ob | und welchen Antheil dieselben an den laufenden Geschäften zu nehmen haben. Artikel 32. ^Der Großherzoglich=Badischen Regierung steht das Recht zu, an die | Zolldirektionen der anderen Vereinsglieder, wie umgekehrt den letzteren an die | Großherzoglich=Badische Zolldirektion, Beamte zu dem Zwecke abzuordnen, um | sich von allen vorkommenden

[88] Zollvereinigungserweiterungsvertrag vom 12. Mai 1835

893

Verwaltungsgeschäften, welche sich auf die durch | den genwärtigen Vertrag eingegangene Gemeinschaft beziehen, vollständige | Kenntniß zu verschaffen. "^Das Geschäftsverhältniß dieser Beamten wird, über= | einstimmend mit demjenigen, welches fiir die Abgeordneten bei den Zolldirektio= | nen der anderen Vereinsglieder bereits besteht, durch eine besondere Instruktion | näher bestimmt werden, als deren Grundlage die unbeschränkte Offenheit von | Seiten der Verwaltung, bei welcher die Abgeordneten fungiren, in Bezug auf | alle Gegenstände der gemeinschaftlichen Zollverwaltung und die Erleichterung | jedes Mittels, durch welches sie sich die Information hierüber verschaffen kön= | nen, anzusehen ist, während anderer seits ihre Sorgfalt nicht minder aufrichtig | dahin gerichtet seyn muß, eintretende Anstände und Meinungsverschiedenheit! auf eine dem gemeinsamen Zwecke und dem Verhältnisse verbündeter Staaten | entsprechende Weise zu erledigen. Die Ministerien oder obersten Verwaltungsstellen der sämmtlichen Vereins= | Staaten werden sich gegenseitig auf Verlangen jede gewünschte Auskunft über | die gemeinschaftlichen Zollangelegenheiten mittheilen, und insofern zu diesem Be= | hufe die zeitweise oder dauernde Abordnung eines höheren Beamten, oder die 1 Beauftragung eines anderweit bei der Regierung beglaubigten Bevollmächtigten | beliebt würde, so ist demselben nach dem oben ausgesprochenen Grundsatze alle | Gelegenheit zur vollständigen Kenntnißnahme von den Verhältnissen der gemein^ | schaftlichen Zollverwaltung bereitwillig zu gewähren. Artikel 33. ^Jährlich in den ersten Tagen des Juni findet zum Zwecke gemeinsamer | Berathung ein Zusammentritt von Bevollmächtigten der Vereinsglieder Statt, | [S. 163] zu welchem ein jedes der letzteren einen Bevollmächtigten abzuordnen befugt ist. | ^Für die formelle Leitung der Verhandlungen wird von den Konferenzbevoll= | mächtigten aus ihrer Mitte ein Vorsitzender gewählt, welchem übrigens kein | Vorzug vor den übrigen Bevollmächtigten zusteht. Bei dem Schlüsse einer jeden jährlichen Versammlung wird mit Rück= | sieht auf die Natur der Gegenstände, deren Verhandlung in der folgenden Kon= | ferenz zu erwarten ist, verabredet werden, wo letztere erfolgen soll. Artikel 34. Vor die Versammlung dieser Konferenzbevollmächtigten gehört: a) die Verhandlung über alle Beschwerden und Mängel, welche in Bezie= | hung auf die Ausführung des Grundvertrages und der besonderen Ueber= | einkünfte; des Zollgesetzes, der Zollordnung und Tarife, in einem oder | dem anderen Vereinsstaate wahrgenommen, und die nicht bereits im Laufe | des Jahres in Folge der darüber zwischen den Ministerien und obersten | Verwaltungsstellen geführten Korrespondenz erledigt worden sind; b) die definitive Abrechnung zwischen den Vereinsgliedem über die gemein= | schaftliche Einnahme auf dem Grunde der von den obersten Zollbehörden | aufgestellten, durch das Centralbureau vorzulegenden Nachweisungen, wie | solche der Zweck einer dem gemeinsamen Interesse angemessenen Prüfung | erheischt; c) die Berathung über Wünsche und Vorschläge, welche von einzelnen | Staatsregierungen zur Verbesserung der Verwaltung gemacht werden; d) die Verhandlungen über Abänderungen des Zollgesetzes, der Zollordnung, | des Zolltarifs und der Verwaltungsorganisation, welche von einem der | kontrahirenden Staaten in Antrag gebracht werden, überhaupt über die | zweckmäßige Entwickelung und Ausbildung des gemeinsamen Handels^ | und Zollsystems.

894

§ 4: Deutscher Zollverein

[Dok. 85 - 102]

Artikel 35. Treten im Laufe des Jahres außer der gewöhnlichen Zeit der Versamm= | lung der Konferenzbevollmächtigten außerordentliche Ereignisse ein, welche unver= | zügliche Maaßregeln oder Verfügungen abseiten der Vereinsstaaten erheischen, | so werden sich die kontrahirenden Theile darüber im diplomatischen Wege ver= | einigen, oder eine außerordentliche Zusammenkunft ihrer Bevollmächtigten ver= | anlassen. Artikel 36. ^Den Aufwand für die Bevollmächtigten und deren etwaige Gehülfen be= | streitet dasjenige Glied des Gesammtvereins, welches sie absendet. •^Das Kanz== | fS. 164] lei^Dienstpersonale und das Lokale wird unentgeltlich von der Regierung gestellt, | in deren Gebiete der Zusammentritt der Konferenz stattfindet. Artikel 37. Da die im Großherzogthume Baden dermalen bestehenden Zölle vieler | Waarengattungen um ein Ansehnliches niedriger sind, als der künftige Vereins^ | Zolltarif es mit sich bringt, so verpflichtet sich die Großherzoglich=Badische Re= | gierung, diejenigen Maaßregeln zu ergreifen, welche erforderlich sind, damit nicht | die Zolleinkünfte des Gesammtvereins durch die Einfuhrung und Anhäufung ge= | ringer verzollter Waarenvorräthe beeinträchtigt werden. Artikel 38. Für den Fall, daß andere Deutsche Staaten den Wunsch zu erkennen | geben sollten, in den durch gegenwärtigen Vertrag errichteten Zollverein aufge= | nommen zu werden, erklären sich die hohen Kontrahenten bereit, diesem Wun= | sehe, so weit es unter gehöriger Berücksichtigung der besonderen Interessen der | Vereinsmitglieder möglich erscheint, durch desfalls abzuschließende Verträge Folge | zu geben. Artikel 39. Auch werden sie sich bemühen, durch Handelsverträge mit anderen Staa= | ten dem Verkehr ihrer Angehörigen jede mögliche Erleichterung und Erweiterung | zu verschaffen. Artikel 40. Alles, was sich auf die Detailausfiihrung der in dem gegenwärtigen Ver= | trage und dessen Beilagen enthaltenen Verabredungen bezieht, soll durch gemein^ | schaftliche Kommissarien vorbereitet werden. Artikel 41. ^Die Dauer des gegenwärtigen Vertrages wird vorläufig bis zum Isten | Januar 1842. festgesetzt. ^Wird derselbe während dieser Zeit und spätestens | zwei Jahre vor Ablauf der Frist nicht gekündigt, so soll er auf 12 Jahre, und | sofort von 12 zu 12 Jahren als verlängert angesehen werden. Letztere Verabredung wird jedoch nur für den Fall getroffen, daß nicht | in der Zwischenzeit sämmtliche Deutsche Bundesstaaten über gemeinschaftliche | Maaßregeln übereinkommen, welche den mit der Absicht des Art. 19. der Deut= | sehen Bundesakte^ in Uebereinstimmung stehenden Zwecks des gegenwärtigen Zoll= | Vereins vollständig erfüllen. Auch sollen im Falle etwaiger gemeinsamer Maaßregeln über den freien | Verkehr mit Lebensmitteln in sämmtlichen Deutschen Bundesstaaten die betref= | [S. 165] fenden Be^ Dok. 31.

[89] Zollvereinigungserweiterungsvertrag vom 10. Dezember 1835

895

Stimmungen des nach gegenwärtigem Vertrage bestehenden Vereins= | Tarifs demgemäß modifizirt werden. Gegenwärtiger Vertrag soll alsbald zur Ratifikation der hohen kontrahi= | renden Höfe vorgelegt, und die Auswechselung der Ratifikationsurkunden soll | spätestens binnen sechs Wochen in Berlin bewirkt werden. So geschehen Berlin, den 12ten Mai 1835. Alvensleben. Friedrich | Graf v. | Luxburg. Fz. v. Paula | Freiherr v. | Linden. (L. S.) (L. S.) (L. S.) Carl Friedr. | v. Wilkens= | Hohenau. Friedr. Ferd. | Wilh. Frh, | Schäffer v. | Bernstein. (L. S.) (L. S.) Wilh. Philipp I Goßweyler. (L. S.) Albrecht Friedr. | Eichhorn. Phil. Gustav | Hauber. Heinr. Theod. | Ludw. Schwedes. (L. S.) (L. S.) (L. S.) Heinr. Ludw. | Biersack. C. L. H. v. | Franckenberg= | Ludwigsdorff (L.S.) (L.S.) Der vorstehende Vertrag ist ratifizirt, und die Ratifications=Urkunden desselben | sind am 3 Isten Juli zu Berlin ausgewechselt worden.

[89] Zollvereinigungserweiterungsvertrag (Preußen, Bayern, Württemberg, Sachsen, Baden, Kurhessen, Hessen-Darmstadt sowie Thüringer Zoll- und Handelsverein ./. Nassau) vom 10. Dezember 1835 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einführungen" die Darstellungen unter [251.] [390.]. Quelle: Gesetz-Sammlung für die Königlichen Preußischen Staaten, 1836, S. 126-140 (gedruckt).^ Sonstige Fundstelle: Verträge und Verhandlungen aus dem Zeiträume von 1833 bis einschHeßhch 1836 über die Bildung und Ausführung des deutschen Zoll- und HandelsVereins, Zweiter Band, 1845, S. 200 - 213. [S. 126] (No. 1697.) Vertrag zwischen Preußen, Bayern, Sachsen, Württemberg, Baden, Kurhessen, I dem Großherzogthume Hessen und den zu dem Thüringischen Zoll= und | Handelsvereine verbundenen Staaten einerseits und dem Herzothume | Nassau andererseits wegen Anschließung des letzteren an den Gesammt= | Zollverein der ersteren Staaten. D. d. den lOten Dezember 1835. Nachdem Seine Herzogliche Durchlaucht der Herzog von Nassau die Absicht | zu erkennen gegeben haben, dem zwischen Preußen, Bayern, Sachsen, Würt= | temberg, Baden, Kurhessen, dem Großherzogthume Hessen und den zu dem | Thüringischen Vereine gehörigen Landen bestehenden Zoll= und Handelsvereine | beizutreten, so haben Behufs der deshalb zu pflegenden Verhandlungen zu Be= | vollmächtigten ernannt:

Separat-Artikel, Schluß-ProtokoU und weitere Urkunden zu diesem Vertrag, abgedruckt in: Verträge und Verhandlungen aus dem Zeiträume von 1833 bis einschließlich 1836 über die Bildung und Ausführung des deutschen Zoll- und Handels-Vereins, Zweiter Band, Berlin 1845, S. 214 - 240.

896

§ 4: Deutscher Zollverein

[Dok. 85 - 102]

einerseits für Sich und in Vertretung der Kronen Bayern, Sachsen und | Württemberg, ingleichen des Großherzogthums Baden und der zum | Thüringischen Vereine gehörigen Staaten: Seine Majestät der König von Preußen: Allerhöchst=Ihren Kammerherm, Wirklichen Geheimen Rath und in= | terimistischen Chef des Finanzministerii, Albrecht Graf von Alvens= | leben, Ritter des Königlich=Preußischen Rothen Adler=Ordens dritter | Klasse mit der Schleife, des St. Johanniter=Ordens, Kommandeur | des Königlich=Ungarischen St. Stephans=Ordens und Großkreuz des | Großherzoglich=Badischen Zähringer Löwen=Ordens; und Allerhöchst^ | Ihren Wirklichen Geheimen Legationsrath und Direktor im Ministe= | rium der auswärtigen Angelegenheiten, Albrecht Friedrich Eich= | hom, Ritter des Königlich=Preußischen Rothen Adler=Ordens zweiter | Klasse, Inhaber des eisernen Kreuzes zweiter Klasse am weißen Bande, I Ritter des Kaiserlich=Russischen St. Annen=Ordens zweiter Klasse, | Kommandeur des Civil=Verdienst=Ordens der Königlich==Bayerischen | Krone, des Königlich^ Sächsischen Civil==Verdienst=Ordens, Kommenthur | des Königlich^Hannöverischen Guelphen= Ordens und des Ordens der | Königlich=Württembergischen Krone, Großkreuz des Großherzoglich= | Badischen Zähringer Löwen=Ordens, Kommandeur erster Klasse des | Kurfürstlich=Hessischen Haus=Ordens vom goldenen Löwen und des | Großherzoglich=Hessischen Ludewigs==Ordens, Großkreuz des Großherzog= | lich=Sächsischen Haus=Ordens vom weißen Falken und des Herzoglich^ | Sachsen=Emestinischen Haus= Ordens; Seine Hoheit der Kurprinz und Mitregent von Hessen: Höchst=Ihren Wirklichen Geheimen Legationsrath, außerordentlichen | Gesandten und bevollmächtigten Minister am Königlich=Preußischen | Hofe, Carl Friedrich von Wilkens=Hohenau, Kommandeur des | Kurfürstlich=Hessischen Haus=Ordens vom goldenen Löwen, Ritter des | Königlich=Preußischen Rothen Adler=Ordens dritter Klasse und des Kö= I niglich=Preußischen St. Johanniter=Ordens, Großkreuz des Großher= | zoglich= Badischen Zähringer Löwen=Ordens, Kommandeur erster Klasse | des Großherzoglich= Hessischen Ludewigs=Ordens, Kommenthur des Groß= | herzoglich==Sächsischen Haus= Ordens vom weißen Falken, und | [S. 127] Höchst=Ihren Ober=Berg= und Salzwerks=Direktor Heinrich Theo= 1 dor Ludwig Schwedes, Ritter des Kurfürstlich=Hessischen Haus= | Ordens vom goldenen Löwen, Kommenthur des Großherzoglich=Badi= | sehen Zähringer Löwen=Ordens und des Großherzoglich=Sächsischen | Haus^Ordens vom weißen Falken; Seine Königliche Hoheit der Großherzog von Hessen: Höchst=Ihren Kammerherm, Major und Flügel=Adjutanten, Geschäfts= | träger am Königlich=Preußischen Hofe, Friedrich Ferdinand Wil= | heim Freiherr Schäffer von Bernstein, Kommandeur zweiter | Klasse des Großherzoglich=Hessischen Ludewigs=Ordens, Inhaber des | militairischen Dienst=Ehrenzeichens, Ritter des Kaiserlich=Oesterreichi= | sehen Leopold=Ordens, der Königlich=Französischen Ehrenlegion, des | Königlich= Hannoverischen Guelphen= und des Königlich=Württembergi= | sehen Militair=Verdienst= Ordens, und Kommandeur des Großherzoglich= | Badischen Zähringer Löwen=Ordens, und Höchst=Ihren Ober=Finanzrath Heinrich Ludwig Biersack, Ritter | erster Klasse des Großherzoglich==Hessischen Ludwigs=Ordens, Ritter des | Königlich=Preußischen Rothen Adler=Ordens dritter Klasse, des Civil= | Verdienst=Ordens der Königlich=Bayerischen Krone, des Ordens der | Königlich=Württembergischen Krone, und des Großherzoglich= Badischen | Zähringer Löwen=Ordens; andererseits Seine Herzogliche Durchlaucht der Herzog von Nassau: Höchst=Ihren Regierungs=Direktor Wilhelm Magdeburg; von welchen Bevollmächtigten, unter dem Vorbehalte der Ratifikation, folgender | Vertrag abgeschlossen worden ist.

[89] Zollvereinigungserweitemngsvertrag vom 10. Dezember 1835

897

Art. 1. Seine Herzogliche Durchlaucht der Herzog von Nassau treten | mit Ihren Landen dem zwischen den Königreichen Preußen, Bayern, Sachsen | und Württemberg, dem Großherzogthume Baden, dem Kurfurstenthume und | dem Großherzogthume Hessen, imgleichen den zu dem Thüringischen Zoll= und | Handelsvereine verbundenen Staaten Behufs eines gemeinsamen Zoll= und Han= | delssystems errichteten Vereine bei, wie solcher auf den Grund der darüber ab= | geschlossenen Verträge vom 22sten^ und 3Osten März^, imgleichen vom 1 Iten Mai | 1833.^ und vom 12ten Mai 1835.** bestehet. In Folge dieses Beitritts wird das Herzogthum Nassau mit den zu dem gedach= | ten Vereine gehörigen Ländern gegen Uebemahme gleicher Verbindlichkeiten und Er= | langung gleicher Rechte, wie diese, einen Gesammt=Zoll= und Handelsverein bilden. Die Bestimmungen der angeführten Verträge werden daher mit den für | den jetzigen Beitritt des Herzogthums Nassau dazu verabredeten Modifikationen | hier, wie nachstehet, aufgenommen. Art. 2. ^Da in den Gebieten der kontrahirenden Staaten übereinstim^ | mende Gesetze über Eingangs=. Ausgangs^ und Durchgangsabgaben bestehen | sollen, jedoch mit Modifikationen, welche, ohne dem gemeinsamen Zwecke Abbruch | zu thun, aus der Eigenthümlichkeit der allgemeinen Gesetzgebung eines jeden | Theil nehmenden Landes oder aus lokalen Interessen sich als nothwendig erge= | ben, so wird dieses auch für das Herzogthum Nassau Anwendung finden. ^Bei | dem Zolltarif namentlich sollen hierdurch in Bezug auf Eingangs^ und Ausgangs^ | [S. 128] Abgaben bei einzelnen, weniger für den größeren Verkehr geeigneten Gegenständ | den, und in Bezug auf Durchgangsabgaben, je nachdem der Zug der Handels^ | Straßen es erfordert, solche Abweichungen von den allgemein angenommenen | Erhebungssätzen, welche für einzelne Länder als vorzugsweise wünschenswerth er= | scheinen, nicht ausgeschlossen seyn, sofern sie auf die allgemeinen Interessen des | Vereins nicht nachttheilig einwirken. ^Desgleichen soll auch die Verwaltung der | Eingangs^, Ausgangs= und Durchgangsabgaben und die Organisation der dazu | dienenden Behörden in dem Herzogthume Nassau, unter Berücksichtigung der | in demselben bestehenden eigenthümlichen Verhältnisse, auf gleichen Fuß mit der | in allen Ländern des Gesammtvereins bestehenden Zollverwaltung und Organisa= | tion gebracht werden. Art. 3. Veränderungen in der Zollgesetzgebung mit Einschluß des Zoll= | Tarifs und der Zollordnung, so wie Zusätze und Ausnahmen können nur auf | demselben Wege und mit gleicher Uebereinstimmung sämmtlicher Glieder des | Gesammtvereins bewirkt werden, wie die Einführung der Gesetze erfolgt. Dies gilt auch von allen Anordnungen, welche in Beziehung auf die | Zollverwaltung allgemein abändernde Normen aufstellen. Art. 4. Mit der Ausführung des gegenwärtigen Vertrages tritt zwi= | sehen den kontrahirenden Vereins Staaten und dem Herzogthume Nassau Freiheit \ des Handels und Verkehrs und zugleich Gemeinschaft der Einnahme an Zöllen | ein, wie beides in den folgenden Artikeln bestimmt ist. Dok. 85. Dok. 86. Dok. 87. Dok. 88.

898

§ 4: Deutscher Zollverein

[Dok. 85 -102]

Art. 5. Von diesem Zeitpunkte an, hören alle Eingangs==, Ausgangs= | und Durchgangsabgaben an den gemeinschaftlichen Landesgrenzen des bisherigen | Zollvereins und des Herzogthums Nassau auf, und es können alle im freien | Verkehr des einen Gebietes bereits befindlichen Gegenstände auch frei und unbe= | schwert in das andere eingeführt werden, mit alleinigem Vorbehalte: a) der zu den Staatsmonopolien gehörigen Gegenstände (Spielkarten und [ Salz) nach Maßgabe der Art, 6. und 7.; b) der im Inneren der kontrahirenden Staaten gegenwärtig mit Steuern | von verschiedener Höhe; oder in dem einen Staate gar nicht, in dem | anderen aber mit einer Steuer belegten, und deshalb einer Ausgleichungs= | Abgabe unterworfenen inländischen Erzeugnisse, nach Maaßgabe des Art. 8., | und endlich c) solcher Gegenstände, welche ohne Eingriff in die von einem der kontra= | hirenden Staaten ertheilten Erfindungsprivilegien (Patente) nicht nachge= | macht oder eingeführt werden können, und daher für die Dauer der Pri= | vilegien (Patente) von der Einfiihr in den Staat, welcher dieselben er= | theilt hat, noch ausgeschlossen bleiben müssen. Art. 6. Hinsichtlich der Einfiihr von Spielkarten behält es in jedem | der kontrahirenden Staaten bei den bestehenden Verbots^ oder Beschränkungs= | Gesetzen sein Bewenden. Art. 7. In Betreff des Salzes treten Seine Herzogliche Durchlaucht | der Herzog von Nassau der zwischen den kontrahirenden Vereins=Regierungen | getroffenen Verabredung in folgender Art bei: a) die Einfuhr des Salzes und aller Gegenstände, aus welchen Kochsalz aus= | geschieden zu werden pflegt, aus fremden, nicht zum Vereine gehörigen | Ländern in die Vereinsstaaten, ist verboten, in soweit dieselbe nicht für | [S. 129] eigene Rechnung einer der vereinten Regierungen, und zum unmittelbar | ren Verkaufe in ihren Salzämtem, Faktoreien oder Niederlagen geschieht; b) die Durchfiihr des Salzes und der vorbezeichneten Gegenstände aus den | zum Vereine nicht gehörigen Ländern in andere solche Länder soll nur | mit Genehmigung der Vereinsstaaten, deren Gebiet bei der Durchfuhr | berührt wird, und unter den Vorsichtsmaaßregeln stattfinden, welche von | denselben für nöthig erachtet werden; c) die Ausfuhr des Salzes in fremde, nicht zum Vereine gehörige Staaten | ist frei; d) was den Salzhandel innerhalb der Vereins Staaten betrifft, so ist die Ein= | fuhr des Salzes von einem in den anderen nur in dem Falle erlaubt, | wenn zwischen den Landes=Regierungen besondere Verträge deshalb be== | stehen; e) wenn eine Regierung von der anderen innerhalb des Gesammtvereins | aus Staats^ oder Privat=Salinen Salz beziehen will, so müssen die | Sendungen mit Pässen von öffentlichen Behörden begleitet werden; f) wenn ein Vereinsstaat durch einen andern aus dem Auslande oder aus | einem dritten Vereins Staate seinen Salzbedarf beziehen, oder durch einen | solchen sein Salz in fremde, nicht zum Vereine gehörige Staaten ver= | senden lassen will, so soll diesen Sendungen kein Hindemiß in den Weg | gelegt werden, jedoch werden, in sofern dieses nicht schon durch frühere | Verträge bestimmt ist, durch vorhergängige Uebereinkunft der betheilig= | ten Staaten die Straßen für den Transport, und die erforderlichen I Sicherheits=Maaßregeln zur Verhinderung der Einschwärzung verabredet I werden;

[89] Zollvereinigungserweitemngsvertrag vom 10. Dezember 1835

899

g) wenn zwischen den Salzpreisen des Herzogthums Nassau und eines an | dasselbe grenzenden Vereinsstaates eine solche Verschiedenheit bestände, daß | daraus für einen oder den anderen dieser Staaten eine Gefahr der Salz= | Einschwärzung hervorginge, so werden die hierbei betheiligten Regiemn== | gen sich über Maaßregeln vereinbaren, welche diese Gefahr möglichst be= | seitigen, ohne den freien Verkehr mit anderen Gegenständen zu belästigen. Art. 8. ^In Bezug auf diejenigen Erzeugnisse, bei welchen hinsichtlich | der Besteuerung im Innern eine Verschiedenheit der Gesetzgebung selbst unter | den einzelnen kontrahirenden Vereinsstaaten noch stattfindet (Art. 5. litt, b.), wird | auch von Sr. Herzoglichen Durchlaucht dem Herzoge von Nassau als wün= | schenswerth anerkannt, hierin ebenfalls eine Uebereinstimmung der Gesetzgebung | und der Besteuerungssätze hergestellt zu sehen, und es wird daher auch Ihr Be= | streben auf die Herbeiführung einer solchen Gleichmäßigkeit gerichtet seyn. ^Bis | dahin, wo dieses Ziel erreicht worden, können zur Vermeidung der Nachtheile, | welche für die Produzenten des eigenen Staates im Verhältnisse zu den Pro= | duzenten in anderen Vereinsstaaten aus der ungleichen Besteuerung erwachsen | würden, Ergänzungs= und Ausgleichungsabgaben von folgenden Gegenständen | erhoben werden: a) im Königreiche Preußen von | Bier, | Branntwein, | [S. 130] Taback, | Traubenmost und Wein; b) im Königreiche Bayern (zur Zeit mit Ausschluß des Rhein= | kreises) von | Bier, | Branntwein, | geschrotetem Malz; c) im Königreiche Sachsen von | Bier, | Branntwein, | Taback, | Traubenmost und Wein; d) im Königreiche Württemberg von | Bier, | Branntwein, | geschrotetem Malz; e) im Großherzogthume Baden von | Bier; f) im KurfQrstenthume Hessen von | Bier, | Branntwein, | Taback, | Traubenmost und Wein; g) im Großherzogthume Hessen von | Bier; h) in den zu dem Thüringischen Vereine gehörigen Staa= | ten von | Bier, | Branntwein, I Taback, | Traubenmost und Wein. ^Im Herzogthume Nassau werden, da weder die Produktion des Wei= | nes und Tabacks, noch die Fabrikation von Bier und Branntwein, daselbst mit | besonderen Steuem belastet ist, keine Ausgleichungsabgaben erhoben. "^Für den | Fall jedoch, daß die Herzogliche Regierung es künftig angemessen finden sollte, | jene Erzeugnisse sämmtlich oder zum Theil bei sich mit einer Produktions= oder | Fabrikationssteuer zu belegen, bleibt derselben auch das Recht zur Erhebung von | Ausgleichungsabgaben unter denselben Umständen vorbehalten, unter welchen die | anderen Vereinsstaaten solches gegen einander ausüben. Es soll bei der Bestimmung und Erhebung der gedachten Abgaben nach | folgenden Grundsätzen verfahren werden: 1) Die Ausgleichungs=Abgaben werden nach dem Abstände der gesetzlichen | Steuer im Lande der Bestimmung von der denselben Gegenstand betreib | fenden Steuer im Lande der Herkunft bemessen, und fallen daher im | Verhältnisse gegen diejenigen Vereinslande gänzlich weg, wo eine gleich | hohe oder eine höhere Steuer auf dasselbe Erzeugniß gelegt ist. [S. 131] 2) Veränderungen, welche in den Steuem von inländischen Erzeugnissen der | betheiligten Staaten eintreten, haben auch Veränderung in den Ausglei= | chungsabgaben, jedoch stets unter Anwendung des vorher (1.) aufgestell= | ten Grundsatzes zur Folge.

900

§ 4: Deutscher Zollverein

[Dok. 85-102]

Wo auf den Grund einer solchen Veränderung eine Ausgleichungs= | Abgabe zu erhöhen seyn würde, muß, Falls die Erhöhung wirklich in An= | Spruch genommen wird, eine Verhandlung darüber zwischen den betheilig= | ten Staaten, und eine vollständige Nachweisung der Zulässigkeit nach den | Bestimmungen des gegenwärtigen Vertrages vorausgehen. 3) Die gegenwärtig in Preußen gesetzlich bestehenden Sätze der Steuern | von inländischem Traubenmost und Wein, vom Tabacksbau und Brannt= | wein, so wie die gegenwärtig in Bayern bestehende Steuer von inlän= | ischem geschrotetem Malz und Bier (Malzaufschlag) sollen jedenfalls den | höchsten Satz desjenigen bilden, was in einem Vereinsstaate, welcher jene | Steuern eingeführt hat, oder künftig etwa einführen sollte, an Ausglei= | chnungsabgaben von diesen Artikeln bei deren Eingange aus einem Lande, | in welchem keine Steuer auf dieselben Erzeugnisse gelegt ist, erhoben wer= | den darf, wenn auch die betreffende Steuer des Staates, welcher die I Ausgleichungsabgabe bezieht, diesen höchsten Satz übersteigen sollte. 4) Rückvergütungen der inländischen Staatssteuem sollen bei der Ueberfuhr | der besteuerten Gegenstände in ein anderes Vereinsland nicht gewährt | werden, in sofern nicht wegen besonderer örtlicher Verhältnisse die bethei== | ligten Nachbarstaaten sich wegen Ausnahmen von diesem Grundsatze ver= | einigt haben. 5) Auf andere Erzeugnisse als Bier und Malz, Branntwein, Tabacksblätter, | Traubenmost und Wein soll unter keinen Umständen eine Ausgleichungs= | Abgabe gelegt werden. 6) In allen Staaten, in welchen von Taback, Traubenmost und Wein eine | Ausgleichungsabgabe erhoben wird, soll von diesen Erzeugnissen in keinem | Falle eine weitere Abgabe weder für Rechnung des Staates, noch für | Rechnung der Kommunen beibehalten oder eingeführt werden. 7) Der Ausgleichungsabgabe sind solche Gegenstände nicht unterworfen, von | welchen auf die in der Zollordnung vorgeschriebene Weise dargethan ist, | daß sie als ausländisches Ein= und Durchgangsgut die zollamtliche Be= | handlung bei einer Erhebungsbehörde des Vereins bereits bestanden ha= | ben, oder derselben noch unterliegen, und eben so wenig diejenigen im | Umfange des Vereins erzeugten Gegenstände, welche nur durch einen | Vereinsstaat transitiren, um entweder in einen anderen Vereinsstaat oder | nach dem Auslande geführt zu werden. 8) Die Ausgleichungsabgabe kommt den Kassen desjenigen Staates zu | Gute, wohin die Versendung erfolgt. In sofern sie nicht schon im Lande | der Versendung für Rechnung des abgabeberechtigten Staates erhoben | worden, wird die Erhebung im Gebiete des Letzteren erfolgen. 9) Es sollen in jedem der kontrahirenden Staaten solche Einrichtungen ge= | troffen werden, vermöge welcher die Ausgleichungsabgabe in dem Ver= | einslande, aus welchem die Versendung erfolgt, am Orte der Versen= | [S, 132] dung oder bei der gelegensten Zoll= oder Steuerbehörde entrichtet, oder | ihre Entrichtung durch Anmeldung sicher gestellt werden kann. 10) So lange bis diese Einrichtungen durch besondere Uebereinkunft festge= | setzt seyn werden, bleibt der Verkehr mit Gegenständen, welche einer Aus= | gleichungsabgabe unterliegen, in der Art beschränkt, daß dieselben, ohne | Unterschied der transportirten Quantitäten, in das Gebiet des abgabebe= | rechtigten Staates nur unter Innehaltung besonders zu bestimmender 1 Straßen und auf den schiffbaren Strömen eingeführt, und an den dort | einzurichtenden Anmelde^ und Hebestellen angemeldet und resp. versteuert | werden müssen.

[89] Zollvereinigungserweiterungsvertrag vom 10. Dezember 1835

901

Art. 9. Hinsichtlich der Verbrauchsabgaben, welche im Bereiche der | Vereinsländer von anderen, als den im Art. 8. bezeichneten Gegenständen, oder | auch von diesen Gegenständen in solchen Ländern, in welchen darauf keine Aus= | gleichungsabgabe liegt, erhoben werden, wird im Verhältnisse der kontrahirenden | Vereinsstaaten zu dem Herzogthume Nassau, eine gegenseitige Gleichmäßigkeit | der Behandlung stattfinden, dergestalt, daß das Erzeugniß eines anderen Ver= | einsstaates unter keinem Vorwande höher belastet werden darf, als das in= | ländische. Dieselbe Gleichmäßigkeit findet auch bei den Zuschlagsabgaben und Oktrois | statt, welche für Rechnung einzelner Gemeinden erhoben werden, so weit derglei= | chen Abgaben nicht überhaupt nach der Bestimmung des Art. 8. No. 6. unzu= | lässig sind. Art. 10. Chausseegelder oder andere statt derselben bestehende Abgaben, | ebenso Pflaster=, Damm=, Brücken= und Fährgelder, oder unter welchem ande= | ren Namen dergleichen Abgaben bestehen, ohne Unterschied, ob die Erhebung | für Rechnung des Staates oder eines Privatberechtigten, namentlich einer Kom== | mune geschieht, sollen sowohl auf Chausseen als auch auf allen unchaussirten Land=^ | und Heerstraßen nur in dem Betrage beibehalten oder neu eingeführt werden | können, als sie den gewöhnlichen Herstellungs= und Unterhaltungskosten ange= | messen sind. Das dermalen in Preußen nach dem allgemeinen Tarife vom Jahre | 1828. bestehende Chausseegeld soll als der höchste Satz angesehen, und hinführo | in keinem der kontrahirenden Staaten überschritten werden. Besondere Erhebungen von Thorsperr= und Pflastergeldem sollen auf | chaussirten Straßen, da, wo sie noch bestehen, dem vorstehenden Grundsatze ge= | maß aufgehoben, und die Ortspflaster den Chausseestrecken dergestalt eingerechnet | werden, daß davon nur die Chausseegelder nach dem allgemeinen Tarife zur Er= | hebung kommen. Art. 11. ^Seine Herzogliche Durchlaucht der Herzog von Nassau wol= | len Ihrerseits auch mitwirken, daß in allen Ländern der kontrahirenden Regie= | rungen ein gleiches Münz=, Maaß= und Gewichtssystem in Anwendung komme, | und an den hierüber einzuleitenden Unterhandlungen Theil nehmen. ^Höchstdie= | selben treten der zwischen den Vereinsgliedem bereits bestehenden Uebereinkunft | bei, wonach der Großherzoglich Hessische Centner, welcher dem Herzoglich Nas= | sauischen Centner gleich ist, als Einheit für das gemeinschaftliche Zollgewicht an= | genommen worden ist. ^Die Deklaration, Messung und Verzollung der nach | fS. 133] dem Maaße zu verzollenden Gegenstände wird im Herzogthume Nassau im lan= | desgesetzlichen Maaße so lange erfolgen, bis man über ein gemeinschaftliches I Maaß ebenfalls übereingekommen seyn wird. Die Herzoglich Nassauische Regierung wird zur Erleichterung der Ver= | sendung von Waaren und zur schnelleren Abfertigung dieser Sendungen an den | Zollstätten, die Reduktionen der Maaße und Gewichte, welche in den Tarifen | der anderen kontrahirenden Staaten angenommen sind, zum Gebrauche sowohl | der Herzoglich=Nassauischen Zollämter, als des handeltreibenden Publikums amt= | lieh bekannt machen lassen. So lange, bis die kontrahirenden Staaten über ein gemeinschaftliches | Münzsystem übereingekommen seyn werden, soll die Bezahlung der Zollabgaben, | wie in den anderen Vereinsstaaten, so auch im Herzogthume Nassau nach dem | Münzfuße geschehen, nach welchem die Entrichtung der übrigen Landesabgaben | daselbst stattfindet. Es sollen aber schon jetzt die Gold= und Silbermünzen der sämmtlichen | kontrahirenden Staaten - mit Ausnahme der Scheidemünze - bei allen He= | bestellen des Gesammtvereins, und von allen Zahlungspflichtigen ohne Untere | schied, angenommen und zu die-

902

§ 4: Deutscher Zollverein

[Dok. 85 - 102]

sem Behufe die Valvationstabellen, über welche | zwischen den bisherigen Vereinsgliedem bereits die erforderliche Einigung statt= | gefunden hat, im Herzogthume Nassau, wie umgekehrt die hiemach zu berech= | nende Valvation der Herzoglich^Nassauischen Münzen in den anderen Vereins^ | Staaten, öffentlich bekannt gemacht werden. Art. 12. Die Wasserzölle oder auch Wegegeldgebühren auf Flüssen, | mit Einschluß derjenigen, welche das Schiffsgefaß treffen (Rekognitionsgebüh= | ren) sind von der Schiffahrt auf solchen Flüssen, auf welche die Bestimmung | gen des Wiener Kongresses oder besondere Staatsverträge Anwendung finden, | femer gegenseitig nach jenen Bestimmungen zu entrichten, in sofem nichts be= | sonderes verabredet wird. Alle Begünstigungen, welche ein Vereinsstaat dem Schiffahrtsbetriebe | seiner Unterthanen auf den vorerwähnten Flüssen zugestehen möchte, sollen in | gleichem Maaße der Schiffahrt der Unterthanen der anderen Vereinsstaaten | zu Gute kommen. ^Auf den übrigen Flüssen, bei welchen weder die Wiener Kongreßakte, | noch andere Staatsverträge Anwendung finden, werden die Wasserzölle nach | den privativen Anordnungen der betreffenden Regierungen erhoben. "^Doch sol= | len auch auf diesen Flüssen die Unterthanen der kontrahirenden Staaten und de= | ren Waaren und Schiffsgefäße überall gleich behandelt werden, Art. 13. Kanal=, Schleusen^, Brücken^, Fähr=, Hafen=, Waage=, Krah= | nen= und Niederlagegebühren und Leistungen fur Anstalten, die zur Erleichte= | rung des Verkehrs bestimmt sind, sollen nur bei Benutzung wirklich bestehender | Einrichtungen erhoben und in der Regel nicht, keinenfalls aber über den Be= | trag der gewöhnlichen Herstellungs= und Unterhaltungskosten hinaus, erhöhet, | auch überall von den Unterthanen der anderen kontrahirenden Staaten auf völ= | lig gleiche Weise, wie von den eigenen Unterthanen, ingleichen ohne Rücksicht | auf die Bestimmung der Waaren erhoben werden. [S. 134] Findet der Gebrauch einer Waageeinrichtung nur zum Behufe der Zoll= | ermittelung oder überhaupt einer zollamtlichen Kontrole Statt, so tritt eine Ge= | bührenerhebung nicht ein. Art. 14. Seine Herzogliche Durchlaucht der Herzog von Nassau wol=^ | len auch Ihrerseits gemeinschaftlich mit den kontrahirenden Vereinsstaaten da= | hin wirken, daß durch Annahme gleichförmiger Grundsätze die Gewerbsamkeit | gefördert, und der Befiigniß der Unterthanen des einen Staates, in dem ande= | ren Arbeit und Erwerb zu suchen, möglichst freier Spielraum gegeben werde. Von den Unterthanen des einen der kontrahirenden Staaten, welche in | dem Gebiete eines anderen derselben Handel und Gewerbe treiben, oder Arbeit | suchen, soll von dem Zeitpunkte an, wo der gegenwärtige Vertrag in Kraft | treten wird, keine Abgabe entrichtet werden, welcher nicht gleichmäßig die in dem= | selben Gewerbsverhältnisse stehenden eigenen Unterthanen unterworfen sind. Desgleichen sollen Fabrikanten und Gewerbtreibende, welche bloß für | das von ihnen betriebene Geschäft Ankäufe machen, oder Reisende, welche nicht | Waaren selbst, sondern nur Muster derselben bei sich fuhren, um Bestellungen | zu suchen, wenn sie die Berechtigung zu diesem Gewerbsbetriebe in dem Ver= | einsstaate, in welchem sie ihren Wohnsitz haben, durch Entrichtung der gesetzli= | chen Abgaben erworben haben, oder im Dienste solcher inländischen Gewerbtrei== | benden oder Kaufleute stehen, in den anderen Staaten keine weitere Abgabe | hierfür zu entrichten verpflichtet seyn.

[89] Zollvereinigungserweitemngsvertrag vom 10. Dezember 1835

903

Auch sollen beim Besuche der Märkte und Messen zur Ausübung des | Handels und zum Absätze eigener Erzeugnisse oder Fabrikate in jedem Vereins^ | Staate die Unterthanen der übrigen kontrahirenden Staaten eben so wie die | eigenen Unterthanen behandelt werden. Art. 15. Die Preußischen Seehäfen sollen dem Handel der Herzogl. | Nassauischen Unterthanen, wie dem der übrigen Vereins Staaten, gegen völlig | gleiche Abgaben, wie solche von den Königlich=Preußischen Unterthanen entrich= | tet werden, offen stehen, auch sollen die in fremden See= und anderen Handels== | platzen angestellten Konsuln eines oder der anderen der kontrahirenden Staaten | veranlaßt werden, der Unterthanen der übrigen kontrahirenden Staaten sich in | vorkommenden Fällen möglichst mit Rath und That anzunehmen. Art. 16. ^ Seine Herzogliche Durchlaucht der Herzog von Nassau tre== | ten hiedurch dem zwischen den bisherigen Vereinsgliedem zum Schutze ihres \ gemeinschaftlichen Zollsystems gegen den Schleichhandel, und ihrer inneren Ver= | brauchs=Abgaben gegen Defraudationen unter dem 1 Iten Mai 1833. abgeschlossen | nen Zollkartel für die Dauer des gegenwärtigen Vertrages bei, und werden die | betreffenden Artikel desselben gleichzeitig mit letzterem in Ihren Landen publizi= | ren lassen. '^Nicht minder werden auch von Seiten der übrigen Vereinsglieder | die erforderlichen Anordnungen getroffen werden, damit in den gegenseitigen 1 Verhältnissen den Bestimmungen dieses Zollkartels überall Anwendung gege= | ben werde. Art. 17. Die als Folge des gegenwärtigen Vertrages eintretende Ge= | meinschaft der Einnahme der kontrahirenden Staaten bezieht sich auf den Er= | [S. 135] trag der Eingangs=, Ausgangs= und Durchgangsabgaben in den Königlich Preu= | ßischen Staaten, den Königreichen Bayern, Sachsen und Württemberg dem | Großherzogthume Baden, dem Kurfürstenthume Hessen, dem Großherzogthume | Hessen, dem Thüringischen Zoll= und Handelsvereine und dem Herzogthume | Nassau, mit Einschluß der den Zollsystemen der kontrahirenden Staaten bisher | schon beigetretenen Länder. Von der Gemeinschaft sind ausgeschlossen und bleiben, sofern nicht Se= | paratverträge zwischen einzelnen Vereinsstaaten ein Anderes bestimmen, dem pri= | vativen Genüsse der betreffenden Staatsregierungen vorbehalten: 1) die Steuern, welche im Inneren eines jeden Staates von inländischen | Erzeugnissen erhoben werden, einschließlich der im Art. 8. vorbehaltenen | Ausgleichungsabgaben; 2) die Wasserzölle; 3) Chausseeabgaben, Pflaster^, Damm=, Brücken=, Fähr=, Kanal=, Schleu= | sen=, Hafengelder, so wie Waage= und Niederlagegebühren oder gleich^ | artige Erhebungen, wie sie auch sonst genannt werden; 4) die Zollstrafen und Konfiskate, welche, vorbehaltlich der Antheile der De= | nunzianten, jeder Staatsregierung in ihrem Gebiete verbleiben. Art. 18. Der Ertrag der in die Gemeinschaft fallenden Abgaben wird | nach Abzug 1) der Kosten, wovon weiter unten im Art. 26. die Rede ist; 2) der Rückerstattungen für unrichtige Erhebungen; 3) der auf dem Grunde besonderer gemeinschaftlicher Verabredungen erfolg= | ten Steuervergütungen und Ermäßigungen

904

§ 4: Deutscher Zollverein

[Dok. 85 - 102]

zwischen den Vereinsgliedem nach dem Verhältnisse der Bevölkerung, mit wel= | eher sie in dem Gesammtvereine sich befinden, vertheilt. Die Bevölkerung solcher Staaten, welcher durch Vertrag mit einem oder | dem anderen der kontrahirenden Staaten unter Verabredung einer von diesem | jährlich für ihre Antheile an den gemeinschaftlichen Zollvereinen einer von diesem | jährlich für ihre Antheile an den gemeinschaftlichen Zollvereinen zu leistenden | Zahlung dem Zollverbande beigetreten sind, oder noch beitreten werden, wird in | die Bevölkerung desjenigen Staates eingerechnet, welcher diese Zahlung leistet. Der Stand der Bevölkerung in den einzelnen Vereins Staaten wird alle | 3 Jahre ausgemittelt und die Nachweisung derselben von den oben gedachten | Vereinsgliedem einander gegenseitig mitgetheilt werden. Art. 19. Vergünstigungen für Gewerbtreibende hinsichtlich der Steuer^ | Entrichtung, welche nicht in der Zollgesetzgebung selbst begründet sind, fallen der | Staatskasse derjenigen Regierung, welche sie bewilligt hat, zur Last, die Maaß= | gaben, unter welchen solche Vergünstigungen zu bewilligen sind, werden näherer | Verabredung vorbehalten. Art. 20. Dem auf Förderung freier und natürlicher Bewegung des all= | gemeinen Verkehrs gerichteten Zwecke des Zollvereins gemäß sollen besondere | Zollbegünstigungen einzelner Meßplätze, namentlich Rabattprivilegien, da wo sie | dermalen in den Vereins Staaten noch bestehen nicht erweitert, sondern vielmehr | unter geeigneter Berücksichtigung sowohl der Nahrungsverhältnisse bisher be= | günstigter Meßplätze, als der bisherigen Handelsbeziehungen mit dem Auslande, | [S. 136] thunlichst beschränkt und ihrer baldigen gänzlichen Aufhebung entgegengefuhrt, | neue aber ohne allerseitige Zustimmung auf keinen Fall ertheilt werden. Art. 21. Von der tarifmäßigen Abgabenentrichtung bleiben die Gegen= | stände, welche für die Hofhaltungen der hohen Souveraine und ihrer Regenten^ | häuser, oder für die bei ihren Höfen akkreditirten Botschafter, Gesandten, Ge= | schäftsträger u. s. w. eingehen, nicht ausgenommen, und wenn dafür Rück= | Vergütungen Statt haben, so werden solche der Gemeinschaft nicht in Rechnung | gebracht, Eben so wenig anrechnungsfähig sind Entschädigungen, welche in einem | oder dem anderen Staate den vormals unmittelbaren Reichsständen, oder an | Kommunen oder einzelne Privatberechtigte für eingezogene Zollrechte oder für | aufgehobene Befreiungen gezahlt werden müssen. ^Dagegen bleibt es einem jeden Staate unbenommen, einzelne Gegen= | stände auf Freipässe ohne Abgabenentrichtung ein=, aus= oder durchgehen zu | lassen. "^Dergleichen Gegenstände werden jedoch zollgesetzlich behandelt, und in | Freiregistem, mit denen es wie mit den übrigen Zollregistem zu halten ist, no= | tirt, und die Abgaben, welche davon zu erheben gewesen wären, kommen bei der | demnächstigen Revenüenausgleichung demjenigen Theile, von welchem die Frei= | passe ausgegangen sind, in Abrechnung. Art. 22. ^Das Begnadigungs= und Strafverwandlungsrecht bleibt jedem | der kontrahirenden Vereins Staaten in seinem Gebiete vorbehalten. "^Auf Verlan= | gen werden periodische Uebersichten der erfolgten Straferlasse gegenseitig mitge= | theilt werden.

[89] Zollvereinigungsefweitemngsvertrag vom 10. Dezember 1835

905

Art. 23. Die Ernennung der Beamten und Diener bei den Lokal= und | Bezirks stellen für die Zollerhebung und Aufsicht, welche nach der hierüber ge= | troffenen besonderen Uebereinkunft nach gleichförmigen Bestimmungen angeordnet, | besetzt und instmirt werden sollen, bleibt der Herzoglich=Nassauischen Regierung | wie sämmtlichen Gliedern des Gesammtvereins, innerhalb ihres Gebietes über= | lassen. Art. 24. ^Nicht minder wird auch im Herzogthume Nassau die Leitung | des Dienstes der Lokalzollbehörden, so wie die Vollziehung der gemeinschaftlichen | Zollgesetze überhaupt, einer Zolldirektion übertragen, welche dem Herzoglichen | Ministerium untergeordnet ist. '^Die Bildung dieser Direktion und die Einrich= | tung ihres Geschäftsganges bleibt der Herzoglichen Regierung überlassen, der | Wirkungskreis derselben aber wird, in so weit er nicht schon durch gegenwärtig | gen Vertrag und die gemeinschaftlichen Zollgesetze bestimmt ist, durch eine ge== | meinschaftlich zu verabredende Instruktion bezeichnet werden. Art. 25. ^Die von den Zollerhebungsbehörden nach Ablaufeines jeden | Vierteljahres aufzustellenden Quartalsextrakte, und die nach dem Jahres= und | Bücherschlusse aufzustellenden Finalabschlüsse über die resp. im Laufe des Vier= | teljahres und während des Rechnungsjahres fällig gewordenen Zolleinahmen | werden von der Herzoglich=Nassauischen, eben so wie von den betreffenden Zoll= | Direktionen der kontrahirenden Vereinsstaaten, nach vorangegangener Prüfung | in Hauptübersichten zusammengetragen, und diese sodann an das in Berlin be= | stehende Centralbüreau eingesendet. ^Dieses Bureau fertigt auf den Grund jener | [S. 137] Vorlagen die provisorischen Abrechnungen zwischen den vereinigten Staaten von | drei zu drei Monaten, sendet dieselben den Centralfmanzstellen der letzteren, und I bereitet die definitive Jahresabrechnung vor. Wenn aus den Quartalabrechnungen hervorgeht, daß die wirkliche Ein= | nähme eines Vereinsgliedes um mehr als einen Monatsbetrag gegen den ihm | verhältnißmäßig an der Gesammteinnahme zuständigen Revenüenantheil zurückge= | blieben ist, so muß alsbald das Erforderliche zur Ausgleichung dieses Ausfalles | durch Herauszahlung von Seiten des oder derjenigen Staaten, bei denen eine | Mehreinnahme stattgefunden hat, eingeleitet werden. Art. 26. In Absicht der Erhebungs= und Verwaltungskosten sollen auch | im Verhältnisse des Herzogthums Nassau zu den kontrahirenden Vereinsstaaten, | folgende Grundsätze in Anwendung kommen: 1) Man wird keine Gemeinschaft dabei eintreten lassen, vielmehr übernimmt | jede Regierung alle in ihrem Gebiete vorkommenden Erhebungs= und | Verwaltungskosten, es mögen diese durch die Einrichtung und Unterhalt | tung der Haupt= und Nebenzollämter, der inneren Steuerämter, Hall= | Aemter und Packhöfe und der Zolldirektionen, oder durch den Unterhalt | des dabei angestellten Personals und durch die dem letzteren zu bewilli= | genden Pensionen, oder endlich aus irgend einem anderen Bedürfhisse der | Zollverwaltung entstehen. 2) Hinsichtlich desjenigen Theiles des Bedarfs aber, welcher an den gegen | das Ausland gelegenen Grenzen und innerhalb des dazu gehörigen Grenz= | Bezirks für die Zollerhebungs= und Aufsichts= oder Kontroibehörden und | Zollschutzwachen erforderlich ist, wird man sich über Pauschsummen ver= | einigen, welche jeder der kontrahirenden Staaten von der jährlich auf= | kommenden und der Gemeinschaft zu berechnenden Bruttoeinnahme an | Zollgefällen in Abzug bringen kann.

906

§ 4: Deutscher Zollverein

[Dok. 85 - 102]

3) Bei dieser Ausmittelung des Bedarfs soll da, wo die Perzeption priva= | tiver Abgaben mit der Zollerhebung verbunden ist, von den Gehalten und | Amtsbedürfnissen der Zollbeamten nur derjenige Theil in Anrechnung kom= | men, welcher dem Verhältnisse ihrer Geschäfte für den Zolldienst zu | ihren Amtsgeschäften überhaupt entspricht. 4) Man wird sich mit der Herzoglich=Nassauischen Regierung über allge= | meine Normen vereinigen, um die Besoldungsverhältnisse der Beamten | bei den Zollerhebungs= und Aufsichtsbehörden auch in Beziehung auf das | Herzogthum Nassau in möglichste Uebereinstimmung zu bringen. Art. 27. Die kontrahirenden Theile gestehen sich gegenseitig das Recht | zu, den Hauptzollämtem auf den Grenzen anderer Vereinsstaaten Kontroleure | beizuordnen, welche von allen Geschäften derselben und der Nebenämter in Be= | ziehung auf das Abfertigungsverfahren und die Grenzbewachung Kenntniß zu | nehmen, und auf Einhaltung eines gesetzlichen Verfahrens, imgleichen auf die | Abstellung etwaniger Mängel einzuwirken, übrigens sich jeder eigenen Verfügung | zu enthalten haben. Einer näher zu verabredenden Dienstordnung bleibt es vorbehalten, ob | und welchen Antheil dieselben an den laufenden Geschäften zu nehmen haben. [S. 138] Art. 28. ^Der Herzoglich=Nassauischen Regierung steht das Recht zu, | an die Zolldirektionen der kontrahirenden Vereins Staaten, wie umgekehrt den letz== | teren an die Herzoglich= Nassauische Zolldirektion, Beamte zu dem Zwecke abzu= | ordnen, um sich von allen vorkommenden Verwaltungsgeschäften, welche sich auf | die durch den gegenwärtigen Vertrag eingegangene Gemeinschaft beziehen, voll= | ständige Kenntniß zu verschaffen. "^Das Geschäftsverhältniß dieser Beamten wird, | übereinstimmend mit demjenigen, welches für die Abgeordneten bei den Zolldirek= | tionen der anderen Vereinsglieder bereits besteht, durch eine besondere Instruk= | tion näher bestimmt werden, als deren Grundlage die unbeschränkte Offenheit | von Seiten der Verwaltung, bei welcher die Abgeordneten fungiren, in Bezug I auf alle Gegenstände der gemeinschaftlichen Zollverwaltung, und die Erleichterung I jedes Mittels, durch welches sie sich die Information hierüber verschaffen kön= | nen, anzusehen ist, während andererseits ihre Sorgfalt nicht minder aufrichtig | dahin gerichtet seyn muß, eintretende Anstände und Meinungsverschiedenheiten | auf eine dem gemeinsamen Zwecke und dem Verhältnisse verbündeter Staaten | entsprechende Weise zu erledigen. Die Ministerien oder obersten Verwaltungsstellen der sämmtlichen Ver= | einsstaaten werden sich gegenseitig auf Verlangen jede gewünschte Auskunft über | die gemeinschaftlichen Zollangelegenheiten mittheilen, und in sofern zu diesem | Behufe die zeitweise oder dauernde Abordnung eines höheren Beamten, oder die | Beauftragung eines anderweit bei der Regierung beglaubigten Bevollmächtigten | beliebt würde, so ist demselben nach dem oben ausgesprochenen Grundsatze alle | Gelegenheit zur vollständigen Kenntnißnahme von den Verhältnissen der gemein= | schaftlichen Zollverwaltung bereitwillig zu gewähren. Art. 29. Jährlich in den ersten Tagen des Juni findet zum Zwecke | gemeinsamer Berathung eine Zusammenkunft der von den Vereinsstaaten abzu= | ordnenden Bevollmächtigten Statt. Für die formelle Leitung der Verhandlungen wird von den Konferenz^ | Bevollmächtigten aus ihrer Mitte ein Vorsitzender gewählt, welchem übrigens | kein Vorzug vor den übrigen Bevollmächtigten zusteht.

[89] Zollvereinigungserweitemngsvertrag vom 10. Dezember 1835

907

Bei dem Schlüsse einer jeden jährlichen Versammlung wird mit Rücksicht | auf die Natur der Gegenstände, deren Verhandlung in der folgenden Konferenz | zu erwarten ist, verabredet werden, wo letztere erfolgen soll Art. 30. Vor die Versammlung dieser Konferenz=Bevollmächtigten | gehört: a) die Verhandlung über alle Beschwerden und Mängel, welche in Bezie= | hung auf die Ausführung des Grundvertrages und der besonderen Ueber= | einkünfte, des Zollgesetzes, der Zollordnung und Tarife, in einem oder | dem andern Vereinsstaate wahrgenommen, und die nicht bereits im Laufe | des Jahres in Folge der darüber zwischen den Ministerien und obersten | Verwaltungsstellen geführten Korrespondenz erledigt worden sind; b) die definitive Abrechnung zwischen den Vereinsgliedem über die gemein^ | schaftliche Einnahme auf dem Grunde der von den obersten Zollbehörden | aufgestellten, durch das Central=Büreau vorzulegenden Nachweisungen | [S. 139] wie solche der Zweck einer dem gemeinsamen Interesse angemessenen | Prüfung erheischt; c) die Berathung über Wünsche und Vorschläge, welche von einzelnen | Staats= Regierungen zur Verbesserung der Verwaltung gemacht werden; d) die Verhandlungen über Abänderungen des Zollgesetzes, der Zollordnung, | des Zolltarifs und der Verwaltungs=Organisation, welche von einem der | kontrahirenden Staaten in Antrag gebracht worden, überhaupt über die | zweckmäßige Entwickelung und Ausbildung des gemeinsamen Handels^ | und Zollsystems. Art. 31. Treten im Laufe des Jahres außer der gewöhnlichen Zeit der | Versammlung der Konferenz=Bevollmächtigten außerordentliche Ereignisse ein, | welche unverzügliche Maaßregeln oder Verfügungen abseifen der Vereinsstaaten | erheischen, so werden sich die kontrahirenden Theile darüber im diplomatischen | Wege vereinigen, oder eine außerordentliche Zusammenkunft ihrer Bevollmäch= | tigten veranlassen. Art. 32. ^Den Aufwand für die Bevollmächtigten und deren etwaige | Gehülfen bestreitet dasjenige Glied des Gesammtvereins, welches sie absendet. | ^Das Kanzleidienstpersonale und das Lokale wird unentgeldlich von der Regie= | rung gestellt, in deren Gebiete der Zusammentritt der Konferenz stattfindet. Art. 33. Die Herzoglich=Nassauische Regierung verpflichtet sich zu den= | jenigen Maaßregeln, welche erforderlich sind, damit nicht die Zolleinkünfte des | Gesammtvereins durch die Einführung und Anhäufung geringer verzollter Waa= | renvorräthe beeinträchtigt werden. Art. 34. Für den Fall, daß andere deutsche Staaten den Wunsch zu | erkennen geben sollten, in den Zollverein aufgenommen zu werden, erklären sich | die hohen Kontrahenten bereit, so weit es unter gehöriger Berücksichtigung der | besonderen Interessen der Vereinsmitglieder möglich erscheint, diesem Wunsche | durch deshalb abzuschließende Verträge Folge zu geben. Art. 35. Auch werden sie sich bemühen, durch Handelsverträge mit | anderen Staaten dem Verkehr ihrer Angehörigen jede mögliche Erleichterung | und Erweiterung zu verschaffen.

908

§ 4: Deutscher Zollverein

[Dok. 85-102]

Art. 36. Alles, was sich auf die Detail^Ausführung der in dem gegen= | wärtigen Vertrage und dessen Beilagen enthaltenen Verabredungen bezieht, soll | durch gemeinschaftliche Kommissarien vorbereitet werden. Art. 37. ^Die Dauer des gegenwärtigen Vertrages, welcher mit dem | Isten Januar 1836. in Ausfuhrung gebracht werden soll, wird vorläufig bis zum | Isten Januar 1842. festgesetzt. ^Wird derselbe während dieser Zeit und spätestens | zwei Jahre vor Ablauf der Frist nicht gekündigt, so soll er auf 12 Jahre, und | so fort von 12 zu 12 Jahren als verlängert angesehen werden. Letztere Verabredung wird jedoch nur für den Fall getroffen, daß nicht | in der Zwischenzeit sämmtliche deutsche Bundesstaaten über gemeinschaftliche | Maaßregeln übereinkommen, welche den mit der Absicht des Art. 19. der deut= | sehen Bundesakte^ in Uebereinstimmung stehenden Zweck des gegenwärtigen Zoll= | Vereins vollständig erfüllen. [S. 140] Auch sollen im Falle etwaniger gemeinsamer Maaßregeln über den freien | Verkehr mit Lebensmitteln in sämmtlichen deutschen Bundesstaaten die betreffen^ | den Bestimmungen des nach gegenwärtigem Vertrage bestehenden Vereinstarifs | demgemäß modifizirt werden. Gegenwärtiger Vertrag soll alsbald zur Ratifikation der hohen kontrahi= | renden Höfe vorgelegt, und die Auswechselung der Ratifikations=Urkunden soll | mit möglichster Beschleunigung in Berlin bewirkt werden. So geschehen Berlin, den lOten Dezember 1835. Alvensleben. v. Wilkens. Frh. Schäffer=Bemstein. Magdeburg. (L. S.) (L. S.) (L. S.) (L. S.) Albr. Friedr. | Eichhorn. Heinr. Theod. | L. Schwedes. Heinr. Ludw. | Biersack. (L. S.) (L. S.) (L. S.) Der vorstehende Vertrag ist ratifizirt, und die Ratifications=Urkunden desselben | sind am 24sten Februar zu Berlin ausgewechselt worden.

[90] Zollvereinigungserweiterungsvertrag (Preußen, Bayern, Württemberg, Sachsen, Baden, Kurhessen, Hessen-Darmstadt, Nassau sowie Thüringer Zoll- und Handelsverein ./. Freie Stadt Frankfurt) vom 2. Januar 1836 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einfuhrungen" die Darstellungen unter [251.] [390.]. Quelle: Gesetz-Sammlung für die Königlichen Preußischen Staaten, (vom 10. März) 1836, Nr. 7, S. Ml-lSÖCgedruckt).»» Sonstige Fundstelle: Verträge und Verhandlungen aus dem Zeiträume von 1833 bis einschließlich 1836 über die Bildung und Ausführung des deutschen Zoll- und HandelsVereins, Zweiter Band, 1845, S. 269 - 281.

Dok. 31. Separat-Artikel, Schluß-Protokoll und weitere Urkunden zu diesem Vertrag, abgedruckt in: Verträge und Verhandlungen aus dem Zeiträume von 1833 bis einschließlich 1836 über die Bildung und Ausführung des deutschen Zoll- und Handels-Vereins, Zweiter Band, Berlin 1845, S. 282 - 322.

[90] Zollvereinigungserweiterungsvertrag vom 2. Januar 1836

909

[S. 141] (No. 1699.) Vertrag zwischen Preußen, Bayern, Sachsen, Württemberg, Baden, Kurhessen, I dem Großherzogthume Hessen und den zu dem Thüringischen Zoll= und | Handels=Vereine verbundenen Staaten einer Seits, und der freien | Stadt Frankfurt anderer Seits, wegen Anschließung der Letzteren an | den Gesammt=Zollverein der ersteren Staaten. Vom 2ten Januar 1836. Nachdem der Senat der freien Stadt Frankfurt den Wunsch zu erkennen | gegeben hat, dem zwischen Preußen, Bayern, Sachsen, Württemberg, Baden, | Kurhessen, dem Großherzogthume Hessen und den zu dem Thüringischen Ver= | eine gehörigen Landen bestehenden Zoll= und Handelsvereine beizutreten; so ha= | ben, Behufs der deshalb zu pflegenden Verhandlungen zu Bevollmächtigen er= | nannt: einer Seits, für Sich und in Vertretung der Krone Sachsen, des | Großherzogthums Baden und der zum Thüringischen Vereine | gehörigen Staaten: Seine Majestät der König von Preußen: Allerhöchst=Ihren Kammerherm, Wirklichen Geheimen Rath und in= | terimistischen Chef des Finanzministerii, Albrecht Graf von Alvens= | leben, Ritter des Königlich=Preußischen Rothen Adler=Ordens dritter | Klasse mit der Schleife, des St. Johanniter=Ordens, Kommandeur | des Königlich=Ungarischen St. Stephans==Ordens und Großkreuz des I Großherzoglich=Badischen Zähringer Löwen=Ordens; und Allerhöchst=Ihren Wirklichen Geheimen Legationsrath und Direktor im Mi== | nisterium der auswärtigen Angelegenheiten, Albrecht Friedrich Eichhorn, | Ritter des Königlich^ Preußischen Rothen Adler=Ordens zweiter Klasse, | Inhaber des Eisernen Kreuzes zweiter Klasse am weißen Bande, Ritter | des Kaiserlich=Russischen St. Annen=Ordens zweiter Klasse, Kommandeur | des Civil=Verdienst?=Ordens der Königlich=Bayerischen Krone, des Kö= I niglich=Sächsischen Civil=Verdienst=Ordens, Kommenthur des Königlich= 1 [S. 142] Hannoverischen Guelphen=Ordens und des Ordens der Königlich^ | Württembergischen Krone, Großkreuz des Großherzoglich=Badischen | Zähringer Löwen= Ordens, Kommandeur erster Klasse des Kurfürstlich^ [ Hessischen Haus=Ordens vom Goldenen Löwen und des Großherzoglich== | Hessischen Ludewigs=Ordens, Großkreuz des Großherzoglich=Sächsischen | Haus=Ordens vom Weißen Falken und des Herzoglich=Sachsen= | Emestinischen Haus^Ordens; Seine Majestät der König von Bayern: Allerhöchst=Ihren Kämmerer, Staatsrath, außerordentlichen Gesandten | und bevollmächtigten Minister an den Königlich=Preußischen, Königlich^ | Sächsischen, Großherzoglich=Sächsischen und Herzoglich=Sächsischen | Höfen, Friedrich Christian Johann Graf von Luxburg, Groß= | kreuz des Civil=Verdienst=Ordens der Königlich=Bayerischen Krone, I Ritter des Königlich=Preußischen Rothen Adler=Ordens erster Klasse, | Großkreuz des Königlich^Sächsischen Civil=Verdienst=Ordens, Ritter | des Königlich^ Württembergischen Friedrichs=Ordens, Großkreuz des | Großherzoglich=Badischen Zähringer Löwen= Ordens und des Groß= | herzoglich=Sächsischen Haus^Ordens vom Weißen Falken; Seine Majestät der König von Württemberg: Allerhöchst=Ihren Kammerherm, Legations^Rath und Geschäftsträger | am Königlich=Preußischen Hofe, Franz von Paula Friedrich Frei= | herr von Linden, Ritter des Ordens der Königlich=Württembergi= | sehen Krone, Ritter des Civil=Verdienst=Ordens der Königlich=Bayeri= | sehen Krone, Kommandeur des Großherzoglich=Badischen Zähringer I Löwen=Ordens und Kommenthur des Großherzoglich=Sächsischen | Haus=Ordens vom Weißen Falken, und Allerhöchst=Ihren Finanz=Rath Philipp Gustav Hauber, Ritter des | Königlich^^Preußischen Rothen Adler=Ordens dritter Klasse, des Groß= | herzoglich=Badischen Zähringer Löwen==Ordens und Ritter erster Klasse | des Großherzoglich=Hessischen Ludwigs=Ordens;

910

§ 4: Deutscher Zollverein

[Dok. 85 - 102]

Seine Hoheit der Kurprinz und Mitregent von Hessen: Höchst==Ihren Wirklichen Geheimen Legations=Rath, außerordentlichen | Gesandten und bevollmächtigten Minister am Königlich^Preußischen | Hofe, Carl Friedrich von Wilkens^Hohenau, Kommandeur | des Kurfurstlich=Hessischen Haus=Ordens vom Goldenen Löwen, Rit= | [S. 143] ter des Königlich=Preußischen Rothen Adler=Ordens dritter Klasse | und des Königlich=Preußischen St. Johanniter=Ordens, Großkreuz des | Großherzoglich= Badischen Zähringer Löwen=Ordens, Kommandeur er= | ster Klasse des Großherzoglich= Hessischen Ludwigs=Ordens, Kommen= | thur des Großherzoglich^Sächsischen Haus^Ordens vom Weißen Fal= | ken, und Höchst=Ihren Ober=Berg= und Salzwerks=Direktor Heinrich Theo= | dor Ludwig Schwedes, Ritter des Kurfurstlich=Hessischen Haus= | Ordens vom Goldenen Löwen, Kommenthur des Großherzoglich=Ba= | dischen Zähringer Löwen=Ordens und des Großherzoglich=Sächsischen | Haus=Ordens vom Weißen Falken; Seine Königliche Hoheit der Großherzog von Hessen: Höchst=Ihren Kammerherm, Major und Flügel=Adjutanten, Geschäfts^ | träger am Königlich=Preußischen Hofe, Friedrich Ferdinand Wil= | heim Freiherr Schäffer von Bernstein, Kommandeur zweiter | Klasse des Großherzoglich=Hessischen Ludwigs^Ordens, Inhaber des I militairischen Dienst==Ehrenzeichens, Ritter des Kaiserlich=Oesterreichischen | Leopold=Ordens, der Königlich^Französischen Ehrenlegion, des Könige | lich= Hannoverischen Guelphen= und des Königlich=Württembergischen | Militair=Verdienst=Ordens, und Kommandeur des Großherzoglich= | Badischen Zähringer Löwen=Ordens, und Höchst=Ihren Ober^Finanzrath Heinrich Ludwig Biersack, Rit= | ter erster Klasse des Großherzoglich=Hessischen Ludwigs==Ordens, Ritter | des Königlich=Preußischen Rothen Adler=Ordens dritter Klasse, des | Civil=Verdienst=Ordens der Königlich=Bayerischen Krone, des Ordens | der Königlich=Württembergischen Krone und des Großherzoglich=Ba== I dischen Zähringer Löwen=Ordens; anderer Seits der Senat der freien Stadt Frankfurt: den Schöff und Senator George Friedrich von Guaita, und | den Senator Conrad Adolph Bansa, von welchen Bevollmächtigten, unter dem Vorbehalte der Ratifikation, folgender | Vertrag abgeschlossen worden ist: Artikel 1. Die freie Stadt Frankfurt mit ihrem Gebiete tritt dem | zwischen den Königreichen Preußen, Bayern, Sachsen und Württemberg, dem | [S. 144] Großherzogthume Baden, dem Kurfürstenthume und dem Großherzogthume | Hessen und den zu dem Thüringischen Zoll= und Handelsvereine verbundenen | Staaten Behufs eines gemeinsamen Zoll= und Handelssystems errichteten Ver= | eine bei, wie solcher auf den Grund der darüber abgeschlossenen Verträge vom | 22sten^ und 30sten März**, ingleichen vom 1 Iten Mai 1833.*^ und vom 12ten Mai I 1835.^ besteht, dergestalt, daß dieselbe unter den durch gegenwärtigen Vertrag | bestimmten Maaßgaben gleiche Verbindlichkeiten mit den vorgedachten Staaten | übernimmt, und gleicher Rechte mit selbigen theilhaftig wird.

Dok. 85. Dok. 86. Dok. 87. Dok. 88.

[90] Zollvereinigungserweiterungsvertrag vom 2. Januar 1836

911

Artikel 2. In Folge dieses Beitritts wird die freie Stadt Frankfurt, | mit Aufhebung der gegenwärtig in derselben und ihrem Gebiete über Eingangs^, | Ausgangs= und Durchgangs=Abgaben und deren Verwaltung bestehenden GQ= \ setze und Einrichtungen, das für dieselbe vereinbarte Zollgesetz nebst der Zoll= | Ordnung und dem Zoll=Strafgesetze, ingleichen den Zolltarif, welche als integri= | rende Bestandtheile des gegenwärtigen Vertrages angesehen werden sollen, gleich^ | zeitig mit Letzterem publiziren und in Ausführung bringen lassen. Artikel 3. Veränderungen in der Vereins=Zollgesetzgebung mit Ein= | schluß des Zolltarifs und der Zollordnung, sowie Zusätze und Ausnahmen, kön= | nen nur auf demselben Wege und mit gleicher Uebereinstimmung sämmtlicher | Glieder des Gesammtvereins bewirkt werden, wie die Einführung der Gesetze | erfolgt. Dies gilt auch von allen Anordnungen, welche in Beziehung auf die | Zollverwaltung allgemein abändernde Normen aufstellen. Artikel 4. Mit der vollständigen Ausführung des gegenwärtigen Ver= | träges tritt zwischen den kontrahirenden Vereinsstaaten und der freien Stadt | Frankfurt Freiheit des Handels und Verkehrs und zugleich Gemeinschaft der | Einnahme an Zöllen ein, wie beides in den folgenden Artikeln bestimmt ist. Artikel 5. Mit dem Eintritte des freien Verkehrs hören alle Ein= | gangs=, Ausgangs^ und Durchgangs=Abgaben an den gemeinschaftlichen Landes= | Grenzen des bisherigen Zollvereins und der freien Stadt Frankfurt auf, und | es können alle im freien Verkehr des einen Gebietes bereits befindlichen Gegen= | stände auch frei und unbeschwert in das andere eingeführt werden, mit alleini= | gem Vorbehalte: a) der zu den Staatsmonopolien gehörigen Gegenstände (Spielkarten und | Salz) nach Maaßgabe der Artikel 6. und 7.; [S. 145] b) der im Inneren der kontrahirenden Staaten gegenwärtig mit Steuern | von verschiedener Höhe; oder in dem einen Staate gar nicht, in dem | anderen aber mit einer Steuer belegten, und deshalb einer Ausglei^ | chungs=Abgabe unterworfenen inländischen Erzeugnisse, nach Maaßgabe | des Artikels 8., und endlich c) solcher Gegenstände, welche ohne Eingriff in die von einem der kon== | trahirenden Staaten ertheilten Erfindungs=Privilegien (Patente) nicht | nachgemacht oder eingeführt werden können, und daher für die Dauer | der Privilegien (Patente) von der Einfuhr in den Staat, welcher die= | selben ertheilt hat, noch ausgeschlossen bleiben müssen. Artikel 6. Hinsichtlich der Einfuhr von Spielkarten behält es in jedem | der kontrahirenden Staaten bei den bestehenden Verbots^ oder Beschränkungs= | Gesetzen sein Bewenden. Artikel 7. In Betreff des Salzes tritt die freie Stadt Frankfurt der | zwischen den kontrahirenden Vereins=Regierungen getroffenen Verabredung, so | weit letztere auf dortige Verhältnisse Anwendung findet, in folgender Art bei: a) Die Einfuhr des Salzes und aller Gegenstände, aus welchen Kochsalz | ausgeschieden zu werden pflegt, aus fremden, nicht zum Vereine gehö= | rigen Ländern in die

912

§ 4: Deutscher Zollverein

[Dok. 85-102]

Vereinsstaaten, ist verboten, insoweit dieselbe | nicht für eigene Rechnung einer der vereinten Regierungen und zum | unmittelbaren Verkaufe in ihren Salz=Aemtem, Faktoreien oder Nie= | derlagen geschiehet. b) Die Durchfuhr des Salzes und der vorbezeichneten Gegenstände aus | den zum Vereine nicht gehörigen Ländern in andere solche Länder, soll | nur mit Genehmigung der Vereins Staaten, deren Gebiet bei der Durch= | fuhr berührt wird, und unter den Vorsichtsmaaßregeln stattfinden, | welche von denselben für nöthig erachtet werden. c) Die Ausfuhr des Salzes in fremde, nicht zum Vereine gehörige Staa= | ten, ist frei. d) Was den Salzhandel innerhalb der Vereinsstaaten betrifft, so ist die | Einfuhr des Salzes von einem in den anderen nur in dem Falle er= | laubt, wenn zwischen den Landes=Regiemngen besondere Verträge des= | halb bestehen. e) Wenn eine Regierung von der anderen innerhalb des Gesammtvereins | aus Staats= oder Privatsalinen Salz beziehen will, so müssen die | Sendungen mit Pässen von öffentlichen Behörden begleitet werden. [S. 146] f) Wenn ein Vereinsstaat durch einen anderen aus dem Auslande oder | aus einem dritten Vereinsstaate seinen Salzbedarf beziehen, oder durch | einen solchen sein Salz in fremde, nicht zum Vereine gehörige Staa= | ten versenden lassen will, so soll diesen Sendungen kein Hindemiß in | den Weg gelegt werden, jedoch werden, insofern dieses nicht schon | durch frühere Verträge bestimmt ist, durch vorhergängige Uebereinkunft | der betheiligten Staaten die Straßen für den Transport, und die I erforderlichen Sicherheitsmaaßregeln zur Verhinderung der Einschwär= | zung verabredet werden. g) Wenn in unmittelbar an einander grenzenden Vereinsstaaten eine solche 1 Verschiedenheit der Salzpreise bestände, daß daraus für einen oder den | anderen dieser Staaten eine Gefahr der Salz=Einschwärzung hervor= | ginge, so werden die hierbei betheiligten Regierungen sich über Maaß= | regeln vereinbaren, welche diese Gefahr möglichst beseitigen, ohne den | freien Verkehr mit anderen Gegenständen zu belästigen. Artikel 8. In Bezug auf diejenigen Erzeugnisse, bei welchen hinsieht^ | lieh der Besteuerung im Innern eine Verschiedenheit der Gesetzgebung selbst | unter den einzelnen kontrahirenden Vereinsstaaten noch stattfindet (Art. 5. | litt, b.), wird auch von der freien Stadt Frankfurt als wünschenswerth aner= | kannt, hierin ebenfalls eine Uebereinstimmung der Gesetzgebung und der Besteue= | rungssätze hergestellt zu sehen, und es wird daher auch Ihr Bestreben auf die | Herbeiführung einer solchen Gleichmäßigkeit gerichtet seyn. Bis dahin, wo dieses Ziel erreicht worden, können zur Vermeidung der | Nachtheile, welche für die Produzenten des eigenen Landes im Verhältnisse zu | den Produzenten in anderen Vereinsstaaten aus der ungleichen Besteuerung er= | wachsen würden, Ergänzungs= oder Ausgleichungs^Abgaben von folgenden Ge= | genständen erhoben werden: A. in den bisherigen Vereinsstaaten, a) im Königreiche Preußen von | Bier, | Branntwein, | Taback, | Traubenmost und Wein; b) im Königreiche Bayern (zur Zeit mit Ausschluß des Rhein= | kreises) von | Bier, | [S. 147] Branntwein, | geschrotetem Malz; c) im Königreiche Sachsen von | Bier, | Branntwein, [ Taback, | Traubenmost und Wein; d) im Königreiche Württemberg von | Bier, | Branntwein, | geschrotetem Malz; e) im Großherzogthume Baden von | Bier;

[90] Zollvereinigungserweitemngsvertrag vom 2. Januar 1836

913

f) im Kurfiirstenthume Hessen von | Bier, | Branntwein, | Taback, | Traubenmost und Wein; g) im Großherzogthume Hessen von | Bier; h) in den zu dem Thüringischen Vereine gehörigen Staa= | ten von | Bier, | Branntwein, | Taback, | Traubenmost und Wein; B. in der Stadt Frankfurt von | Bier. Es soll bei der Bestimmung und Erhebung der gedachten Abgaben nach | folgenden Grundsätzen verfahren werden: 1) Die Ausgleichungs=Abgaben werden nach dem Abstände der gesetzlichen | Steuer im Lande der Bestimmung von der denselben Gegenstand be= | treffenden Steuer im Lande der Herkunft bemessen, und fallen daher | im Verhältnisse gegen diejenigen Vereinslande gänzlich weg, wo eine | gleich hohe oder eine höhere Steuer auf dasselbe Erzeugniß gelegt ist; 2) Veränderungen, welche in den Steuern von inländischen Erzeugnissen | der betheiligten Staaten eintreten, haben auch Veränderung in den | Ausgleichungs=Abgaben, jedoch stets unter Anwendung des vorher (1.) | aufgestellten Grundsatzes zur Folge. [S. 148] Wo auf den Grund einer solchen Veränderung eine Ausglei= | chungs=Abgabe zu erhöhen seyn würde, muß, Falls die Erhöhung wirk= | lieh in Anspruch genommen wird, eine Verhandlung darüber zwischen \ den betheiligten Staaten, und eine vollständige Nachweisung der Zu= \ lässigkeit nach den Bestimmungen des gegenwärtigen Vertrages vor= | ausgehen. 3) Die gegenwärtig in Preußen gesetzlich bestehenden Sätze der Steuern | von inländischem Traubenmost und Wein, vom Tabacksbau und | Branntwein, sowie die gegenwärtig in Bayern bestehende Steuer von | inländischem geschrotetem Malz und Bier (Malzaufschlag) sollen jeden | Falls den höchsten Satz desjenigen bilden, was in einem Vereinsstaate, | welcher jene Steuern eingeführt hat, oder künftig etwa einführen sollte, I an Ausgleichnungs=Abgaben von diesen Artikeln bei deren Eingange aus I einem Lande, in welchem keine Steuer auf dieselben Erzeugnisse gelegt | ist, erhoben werden darf, wenn auch die betreffende Steuer des Staa= | tes, welcher die Ausgleichungs= | Abgabe bezieht, diesen höchsten Satz | übersteigen sollte. 4) Rückvergütungen der inländischen Staatssteuem sollen bei der Ueber= | fuhr der besteuerten Gegenstände in ein anderes Vereinsland nicht ge= | währt werden, insofern nicht wegen besonderer örtlicher Verhältnisse | die betheiligten Nachbarstaaten sich wegen Ausnahmen von diesem Gmnd= | satze vereinigt haben. 5) Auf andere Erzeugnisse als Bier und Malz, Branntwein, Tabacks= | Blätter, Traubenmost und Wein, soll unter keinen Umständen eine | Ausgleichungs=Abgabe gelegt werden. 6) In allen Staaten, in welchen von Taback, Traubenmost und Wein | eine Ausgleichungs==Abgabe erhoben wird, soll von diesen Erzeugnissen in | keinem Falle eine weitere Abgabe weder für Rechnung des Staates | noch für Rechnung der Kommunen beibehalten oder eingeführt werden. 7) Der Ausgleichungs=Abgabe sind solche Gegenstände nicht unterworfen, \ von welchen auf die in der Zollordnung vorgeschriebene Weise darge= | than ist, daß sie als ausländisches Ein= und Durchgangsgut die zoll= | amtliche Behandlung bei einer Erhebungsbehörde des Vereins bereits | bestanden haben, oder derselben noch unterliegen, und eben so wenig | diejenigen im Umfange des Vereins erzeugten Gegenstände, welche nur | durch einen Vereinsstaat transitiren, um entweder in einen anderen | Vereinsstaat oder nach dem Auslande geführt zu werden. 8) Die Ausgleichungs=Abgabe kommt den Kassen desjenigen Staates zu | Gute, wohin die Versendung erfolgt. Insofern sie nicht schon im | [S. 149] Lande der Versen-

914

§ 4: Deutscher Zollverein

[Dok. 85 - 102]

dung für Rechnung des abgabeberechtigten Staates | erhoben worden, wird die Erhebung im Gebiete des Letzteren erfolgen. 9) Es sollen in jedem der kontrahirenden Staaten solche Einrichtungen | getroffen werden, vermöge welcher die Ausgleichungs=Abgabe in dem | Vereinslande, aus welchem die Versendung erfolgt, am Orte der Ver= | Sendung oder bei der gelegensten Zoll= oder Steuerbehörde entrichtet, | oder ihre Entrichtung durch Anmeldung sicher gestellt werden kann. 10) So lange, bis diese Einrichtungen durch besondere Uebereinkunft fest= | gesetzt seyn werden, bleibt der Verkehr mit Gegenständen, welche einer | Ausgleichungs=Abgabe unterliegen, in der Art beschränkt, daß dieselben, | ohne Unterschied der transportirten Quantitäten, in das Gebiet des | abgabeberechtigten Staates nur unter Innehaltung besonders zu bestim= | mender Straßen und auf den schiffbaren Strömen eingeführt, und an | den dort einzurichtenden Anmelde^ und Hebestellen angemeldet und resp. | versteuert werden müssen. Artikel 9. ^Hinsichtlich der Verbrauchs=Abgaben, welche im Bereiche | der Vereinsländer von anderen, als den im Artikel 8. bezeichneten Gegenstän= | den, oder auch von diesen Gegenständen in solchen Ländern, in welchen darauf | keine Ausgleichungs=Abgabe liegt, erhoben werden, wird im Verhältnisse der | kontrahirenden Staaten zu der freien Stadt Frankfurt eine gegenseitige Gleich= | mäßigkeit der Behandlung stattfinden, dergestalt, daß das Erzeugniß eines ande= | ren Vereinsstaates unter keinem Vorwande höher belastet werden darf, als das | inländische. "^Dieselbe Gleichmäßigkeit findet auch bei den Zuschlagsabgaben und I Oktrois Statt, welche für Rechnung einzelner Gemeinden erhoben werden, so= | weit dergleichen Abgaben nicht überhaupt nach der Bestimmung des Art. 8. | Nr. 6. unzulässig sind. Artikel 10. Chausseegelder oder andere statt derselben bestehende Ab= | gaben, ebenso Pflaster=, Damm=, Brücken= und Fährgelder, oder unter welchem | anderen Namen dergleichen Abgaben bestehen, ohne Unterschied, ob die Erhe= | bung fur Rechnung des Staats oder eines Privatberechtigten, namentlich einer | Kommune geschieht, sollen sowohl auf Chausseen als auch auf allen unchaussir= | ten Land= und Heerstraßen nur in dem Betrage beibehalten oder neu eingeführt | werden können, als sie den gewöhnlichen Herstellungs= und Unterhaltungskosten I angemessen sind. Das dermalen in Preußen nach dem allgemeinen Tarife vom Jahre | 1828. bestehende Chausseegeld soll als der höchste Satz angesehen, und hinführo | in keinem der kontrahirenden Staaten überschritten werden. Besondere Erhebungen von Thorsperr= und Pflastergeldem sollen auf | chaussirten Straßen, da, wo sie noch bestehen, dem vorstehenden Grundsatze ge= | [S. 150] maß aufgehoben, und die Ortspflaster den Chausseestrecken dergestalt eingerechnet | werden, daß davon nur die Chausseegelder nach dem allgemeinen Tarife zur Er= | hebung kommen. Artikeln. Die freie Stadt Frankfurt wird dahin mitwirken, daß in | allen Ländern der kontrahirenden Regierungen ein gleiches Münz=, Maaß= und | Gewichtssystem in Anwendung komme, und an den hierüber einzuleitenden Unter= | handlungen Theil nehmen. Dieselbe tritt der zwischen den Vereinsgliedem bereits bestehenden Ueber= | einkunft bei, wonach der Großherzoglich=Hessische Zentner als Einheit für das | gemeinschaftliche Zollgewicht angenommen worden ist.

[90] Zollvereinigungserweitemngsvertrag vom 2. Januar 1836

915

Es wird hiemach schon von Ausführung des Vertrages ab, die Abwä= | gung der Waaren in der freien Stadt Frankfurt nach diesem Zollzentner, die | Zollentrichtung aber nach dem Vierundzwanzig Guldenfuße erfolgen. ^Die Deklaration, Messung und Verzollung der nach dem Maaße zu ver= | zollenden Gegenstände wird daselbst im bisherigen gesetzlichen Maaße so lange | geschehen, bis man über ein gemeinschaftliches Maaß ebenfalls übereingekommen | seyn wird. ^Der Senat der freien Stadt wird zur Erleichterung der Versen= | dung von Waaren und zur schnelleren Abfertigung dieser Sendungen an den | Zollstätten, die Reduktionen der Maaße und Gewichte, welche in den Tarifen | der anderen kontrahirenden Staaten angenommen sind, zum Gebrauche sowohl I der Zollverwaltung in Frankfurt, als des handeltreibenden Publikums amtlich I bekannt machen lassen. Es sollen auch schon jetzt die Gold= und Silbermünzen der sämmtlichen | kontrahirenden Staaten - mit Ausnahme der Scheidemünze - bei allen Hebe= | stellen der freien Stadt Frankfurt so, wie bei allen Hebestellen des Gesammt= | Vereins, und von allen Zahlungspflichtigen ohne Unterschied zur Berichtigung | der tarifmäßigen Zollgefälle angenommen, und zu diesem Behufe die Valvations= | Tabellen, über welche zwischen den bisherigen Vereinsgliedem bereits die erfor= | derliche Einigung stattgefunden hat, in der freien Stadt Frankfurt öffentlich be= | kannt gemacht werden. Artikel 12. Die Wasserzölle oder auch Wegegeld=Gebühren auf Flüs= [ sen, mit Einschluß derjenigen, welche das Schiffsgefäß treffen (Rekognitions= | Gebühren), sind von der Schiffahrt auf solchen Flüssen, auf welche die Bestimm | mun=gen des Wiener=Kongresses oder besondere Staatsverträge Anwendung fin= | den, femer gegenseitig nach jenen Bestimmungen zu entrichten, insofem hierüber | nichts besonderes verabredet wird. In letzterer Hinsicht wollen, was insbesondere den Main als einen Ne= | benfluß des Rheins betrifft, die kontrahirenden Theile unverzüglich in Unterband^ | lung treten, um zu einer Vereinbamng zu gelangen, in Folge deren die Ein= | [S. 151] Aus= und Durchfuhr der Erzeugnisse der sämmtlichen Vereinslande auf den ge= | nannten Flüssen in den Schifffahrtsabgaben, mit stetem Vorbehalte der Rekogni= | tionsgebühren, wo nicht ganz befreit, doch möglichst erleichtert wird. Alle Begünstigungen, welche ein Vereinsstaat dem Schiffahrtsbetriebe | seiner Unterthanen auf den Eingangs genannten Flüssen zugestehen möchte, sollen | in gleichem Maaße der Schiffahrt der Unterthanen der anderen Vereins= | Staaten zu Gute kommen. Auf den übrigen Flüssen, bei welchen weder die Wiener Kongreßakte, | noch andere Staatsverträge Anwendung finden, werden die Wasserzölle nach | den privativen Anordnungen der betreffenden Regiemngen erhoben, doch sollen | auch auf diesen Flüssen die Unterthanen der kontrahirenden Staaten und deren | Waaren und Schiffsgefäße überall gleich behandelt werden. Artikel 13. Kanal==, Schleusen^, Brücken^, Fähp=, Hafen=, Waage==, | Krahnen= und Niederlage=Gebühren und Leistungen für Anstalten, die zur Er= | leichtemng des Verkehrs bestimmt sind, sollen nur bei Benutzung wirklich beste= | hender Einrichtungen erhoben, und in der Regel nicht, keinen Falls aber über den | Betrag der gewöhnlichen Herstellungs= und Unterhaltungskosten hinaus, erhöhet, | auch überall von den Angehörigen der anderen kontrahirenden Staaten auf völ= | lig gleiche Weise, wie von den eigenen Angehörigen, ingleichen ohne Rücksicht | auf die Bestimmung der Waaren erhoben werden. Findet der Gebrauch einer Waage=Einrichtung nur zum Behufe der Zoll= | Ermittelung oder überhaupt einer zollamtlichen Kontrole Statt, so tritt eine | Gebühren=Erhebung nicht ein.

916

§ 4: Deutscher Zollverein

[Dok. 85-102]

Artikel 14. Die freie Stadt Frankfurt will auch Ihrerseits gemein= | schaftlich mit den kontrahirenden Vereins Staaten dahin wirken, daß durch An= | nähme gleichförmiger Grundsätze die Gewerbsamkeit gefördert, und der Befugniß | der Unterthanen des einen Staates, in dem anderen Arbeit und Erwerb zu su= | chen, möglichst freier Spielraum gegeben werde. Von den Angehörigen des einen der kontrahirenden Staaten, welche in | dem Gebiete eines anderen derselben Handel und Gewerbe treiben oder Arbeit | suchen, soll von dem Zeitpunkte an, wo der gegenwärtige Vertrag in Kraft tre= | ten wird, keine Abgabe entrichtet werden, welcher nicht gleichmäßig die in dem= | selben Gewerbsverhältnisse stehenden eigenen Angehörigen unterworfen sind. Desgleichen sollen Fabrikanten und Gewerbtreibende, welche blos für das | von ihnen betriebene Geschäft Ankäufe machen, oder Reisende, welche nicht Waa= | ren selbst, sondern nur Muster derselben bei sich führen, um Bestellungen zu su= | chen, wenn sie die Berechtigung zu diesem Gewerbsbetriebe in dem Vereins^ | Staate, in welchem sie ihren Wohnsitz haben, durch Entrichtung der gesetzlichen | Abgaben erworben haben, oder im Dienste solcher inländischen Gewerbtreibenden | [S. 152] oder Kaufleute stehen, in den anderen Staaten keine weitere Abgabe hierfür zu | entrichten verpflichtet seyn. Auch sollen beim Besuche der Märkte und Messen zur Ausübung des | Handels und zum Absätze eigener Erzeugnisse oder Fabrikate in jedem Vereins^ | Staate die Angehörigen der übrigen kontrahirenden Staaten ebenso wie die | eigenen Angehörigen behandelt werden. Artikel 15. Die Preußischen Seehäfen sollen dem Handel der Ein= | wohner der Stadt Frankfurt, wie dem der übrigen Vereinsstaaten, gegen völlig | gleiche Abgaben, wie solche von den Königlich=Preußischen Unterthanen entrich= | tet werden, offen stehen; auch sollen die in fremden See= und anderen Handels^ | Plätzen angestellten Konsuln eines oder der anderen der kontrahirenden Staaten | veranlaßt werden, der Unterthanen der übrigen kontrahirenden Staaten sich in | vorkommenden Fällen möglichst mit Rath und That anzunehmen. Artikel 16. ^Die freie Stadt Frankfurt tritt hierdurch dem zwischen | den bisherigen Vereinsgliedem zum Schutze ihres gemeinschaftlichen Zollsystems | gegen den Schleichhandel, und ihrer inneren Verbrauchs^Abgaben gegen Defrau= | dationen unter dem Uten Mai 1833. abgeschlossenen Zollkartel für die Dauer | des gegenwärtigen Vertrages bei, und wird die betreffenden Artikel desselben | gleichzeitig mit letzterem publiziren lassen. ^Nicht minder werden auch von Sei= | ten der übrigen Vereinsglieder die erforderlichen Anordnungen getroffen werden, | damit in den gegenseitigen Verhältnissen den Bestimmungen dieses Zollkartels I überall Anwendung gegeben werde. Artikel 17. Die Gemeinschaft der Einnahme, in welche die freie Stadt | Frankfiirt mit den jetzigen Vereinsstaaten in Folge des gegenwärtigen Vertra= | ges tritt, bezieht sich auf den Ertrag der Eingangs^, Ausgangs^ und Durchgangs^ 1 Abgaben in den Königlich=Preußischen Staaten, den Königreichen Bayern, | Sachsen und Württemberg dem Großherzogthume Baden, dem Kurfürsten= | thume Hessen, dem Großherzogthume Hessen, dem Thüringischen Zoll= und Han= | delsvereine, mit Einschluß der den Zollsystemen der kontrahirenden Staaten bis=^ I her schon beigetretenen Länder, und der freien Stadt Frankfurt. Von der Gemeinschaft sind ausgeschlossen und bleiben, sofern nicht Se= | paratverträge zwischen einzelnen Vereinsstaaten ein Anderes bestimmen, dem pri= | vativen Genüsse der betreffenden Staats=Regierungen vorbehalten:

[90] Zollvereinigungserweitemngsvertrag vom 2. Januar 1836

917

1) die Steuern, welche im Inneren eines jeden Staates von inländischen | Erzeugnissen erhoben werden, einschließlich der im Art. 8. vorbehalte= | nen Ausgleichungs= Abgaben; 2) die Wasserzölle; 3) Chaussee^Abgaben, Pflaster^, Damm=, Brücken=, Fähr=, Kanal=, | [S. 153] Schleusen^, Hafengelder, so wie Waage= und Niederlage=Gebühren | oder gleichartige Erhebungen, wie sie auch sonst genannt werden; 4) die Zollstrafen und Konfiskate, welche, vorbehaltlich der Antheile der | Denunzianten, jeder Staats=Regierung in ihrem Gebiete verbleiben. Artikel 18. Der Ertrag der in die Gemeinschaft fallenden Abgaben | wird nach Abzug 1) der Kosten, welche an den gegen das Ausland gelegenen Grenzen und | in dem Grenzbezirke für den Schutz und die Erhebung der Zölle er= | forderlich sind; 2) der Rückerstattungen für unrichtige Erhebungen; 3) der auf dem Grande besonderer gemeinschaftlicher Verabredungen er= | folgten Steuervergütungen und Ermäßigungen, zwischen den Vereinsgliedem nach dem Verhältnisse der Bevölkemng, mit wel= | eher sie in dem Gesammtvereine sich befinden, vertheilt. Die Bevölkerang solcher Staaten, welche durch Vertrag mit einem oder | dem anderen der kontrahirenden Staaten unter Verabredung einer von diesem | jährlich für ihre Antheile an den gemeinschaftlichen Zollrevenüen zu leistenden | Zahlung dem Zollverbande beigetreten sind, oder noch beitreten werden, wird in | die Bevölkerang desjenigen Staates eingerechnet, welcher diese Zahlung leistet. Der Stand der Bevölkerang in den einzelnen Vereinsstaaten wird alle | drei Jahre ausgemittelt und die Nachweisung derselben von den oben gedachten | Vereinsgliedem einander gegenseitig mitgetheilt werden. Unter Berücksichtigung der hinsichtlich des Verbrauchs an Waaren, | welche den Vereinsabgaben unterliegen, bei der freien Stadt Frankfurt eintre= | tenden ganz besonderen Verhältnisse, werden sich die kontrahirenden Vereins^ | Staaten mit derselben über ein jährliches Aversum mittelst besonderen Abkom= | mens vereinigen. Artikel 19. Vergünstigungen für Gewerbtreibende hinsichtlich der Steuer= | Entrichtung, welche nicht in der Zollgesetzgebung selbst begründet sind, fallen der | Staatskasse derjenigen Regierang, welche sie bewilligt hat, zur Last, die Maaß= | gaben, unter welchen solche Vergünstigungen zu bewilligen sind, werden näherer | Verabredung vorbehalten. Artikel 20. Dem auf Förderang freier und natürlicher Bewegung des | allgemeinen Verkehrs gerichteten Zwecke des Zollvereins gemäß, sollen besondere | Zollbegünstigungen einzelner Meßplätze, namentlich Rabatt=Privilegien, da wo | sie dermalen in den Vereins Staaten noch bestehen, nicht erweitert, sondem viel= | mehr unter geeigneter Berücksichtigung sowohl der Nahrangs=Verhältnisse bis= | her begünstigter Meßplätze, als der bisherigen Handelsbeziehungen mit dem Aus= | [S. 154] lande, thunlichst beschränkt und ihrer baldigen gänzlichen Aufhebung entgegen ge= | führt, neue aber ohne allerseitige Zustimmung auf keinen Fall ertheilt werden. Artikel 21. Von der tarifmäßigen Abgaben=Entrichtung bleiben die | Gegenstände, welche für die Hofhaltungen der hohen Souveraine und ihrer | Regentenhäuser, oder für die innerhalb des

918

§ 4: Deutscher Zollverein

[Dok. 85-102]

Vereinsgebietes residirenden Bot= | schafter, Gesandten, Geschäftsträger u. s. w. eingehen, nicht ausgenommen, und | wenn dafiir Rückvergütungen Statt haben, so werden solche der Gemeinschaft | nicht in Rechnung gebracht. '^Eben so wenig anrechnungsfähig sind Entschädi= I gungen, welche in einem oder dem anderen Staate den vormals unmittelbaren | Reichs ständen, oder an Kommunen oder einzelne Privatberechtigte fiir eingezo= | gene Zollrechte oder fiir aufgehobene Befreiungen gezahlt werden müssen. ^Dagegen bleibt es einem jeden Staate unbenommen, einzelne Gegen= | stände auf Freipässe ohne Abgaben=Entrichtung ein=, aus= oder durchgehen zu | lassen. ^Dergleichen Gegenstände werden jedoch zollgesetzlich behandelt, und in | Freiregistem, mit denen es wie mit den übrigen Zollregistem zu halten ist, no= | tirt, und die Abgaben, welche davon zu erheben gewesen wären, kommen bei | der demnächstigen Revenuen^Ausgleichung demjenigen Theile, von welchem die | Freipässe ausgegangen sind, in Abrechnung. Artikel 22. ^Das Begnadigungs= und Strafverwandlungsrecht bleibt | auch der freien Stadt Frankfurt vorbehalten. ^Auf Verlangen werden periodic | sehe Uebersichten der erfolgten Straferlasse gegenseitig mitgetheilt werden. Artikel 23. Die Ernennung der Beamten und Diener für die Zoll= | erhebung und Aufsicht, welche nach gleichförmigen Bestimmungen wie in den | übrigen Vereinsstaaten, jedoch unter Berücksichtigung der bei der Stadt Frank= | ftirt eintretenden eigenthümlichen Verhältnisse, angeordnet, besetzt und instmirt | werden sollen, bleibt der freien Stadt Frankfurt überlassen. Artikel 24. Die Leitung des Dienstes der Zollbehörde, so wie die | Vollziehung der gemeinschaftlichen Zollgesetze ist in der freien Stadt Frankfurt | dem Senate untergeordnet. Artikel 25. Sämmtliche Vereinsstaaten werden sich gegenseitig auf | Verlangen jede gewünschte Auskunft über die gemeinschaftlichen Zollangelegen= | heiten mittheilen, und insofern zu diesem Behufe die zeitweise Abordnung | eines höheren Beamten, oder die Beauftragung eines anderweit bei der betreff | fenden Vereins=Regierung beglaubigten Bevollmächtigten beliebt wird, ist demsel= | ben alle Gelegenheit zur vollständigen Kenntnißnahme von den Verhältnissen der | gemeinschaftlichen Zoll=Verwaltung zu geben. Artikel 26. Jährlich in den ersten Tagen des Juni findet zum Zwecke | gemeinsamer Berathung eine Zusammenkunft der von den Vereinsstaaten abzu= | ordnenden Bevollmächtigten Statt. [S. 155] Für die formelle Leitung der Verhandlungen wird von den Konferenz^ | Bevollmächtigten aus ihrer Mitte ein Vorsitzender gewählt, welchem übrigens | kein Vorzug vor den übrigen Bevollmächtigten zusteht. Bei dem Schlüsse einer jeden jährlichen Versammlung wird mit Rück= | sieht auf die Natur der Gegenstände, deren Verhandlung in der folgenden Kon^ | ferenz zu erwarten ist, verabredet werden, wo letztere erfolgen soll.

[90] Zollvereinigungserweiterungsvertrag vom 2. Januar 1836

919

Artikel 27. Vor die Versammlung dieser Konferenz=Bevollmächtig | ten gehört: a) die Verhandlung über alle Beschwerden und Mängel, welche in Bezie= | hung auf die Ausführung des Grundvertrages und der besonderen Ueber= | einkünfte, des Zollgesetzes, der Zollordnung und Tarife in einem oder | dem anderen Vereinsstaate wahrgenommen, und die nicht bereits im | Laufe des Jahres in Folge der darüber zwischen den Ministerien und | obersten Verwaltungsstellen geführten Korrespondenz erledigt worden sind; b) die definitive Abrechnung zwischen den Vereinsgliedem über die gemein= | schaftliche Einnahme auf dem Grunde der von den obersten Zollbehörden | aufgestellten, durch das Centralbüreau vorzulegenden Nachweisungen, wie | solche der Zweck einer dem gemeinsamen Interesse angemessenen Prü= | fung erheischt; c) die Berathung über Wünsche und Vorschläge, welche von einzelnen | Staats= Regierungen zur Verbesserung der Verwaltung gemacht werden; d) die Verhandlungen über Abänderungen des Zollgesetzes, der Zollordnung, | des Zolltarifs und der Verwaltungsorganisation, welche von einem der | kontrahirenden Staaten in Antrag gebracht worden, überhaupt über die | zweckmäßige Entwickelung und Ausbildung des gemeinsamen Handels^ | und Zollsystems. Artikel 28. Treten im Laufe des Jahres außer der gewöhnlichen Zeit | der Versammlung der Konferenzbevollmächtigten außerordentliche Ereignisse ein, | welche unverzügliche Maaßregeln oder Verfügungen abseiten der Vereinsstaaten | erheischen, so werden sich die kontrahirenden Theile darüber im diplomatischen | Wege vereinigen, oder eine außerordentliche Zusammenkunft ihrer Bevollmäch= | tigten veranlassen. Artikel 29. Die freie Stadt Frankfurt verpflichtet sich, diejenigen | Maaßregeln zu ergreifen, welche erforderlich sind, damit nicht die Zolleinkünfte | des Gesammtvereins durch die Einführung und Anhäufung unverzollter, oder | gegen geringere Steuersätze, als der Vereinstarif enthält, verzollter, zur Zeit der | Vollziehung des gegenwärtigen Vertrages in derselben befindlicher Waaren= | Vorräthe beeinträchtigt werden. Artikel 30. Der für den Fall getroffenen Verabredung, daß andere | [S. 156] Deutsche Staaten den Wunsch zu erkennen geben sollten, in den durch die Ver= | träge vom 22sten und 3Osten März und Uten Mai 1833. begründeten Zoll= | Verein^ aufgenommen zu werden, tritt die freie Stadt Frankfurt auch Ihrer= | seits bei. Artikel 31. Auch ist die freie Stadt Frankfurt damit einverstanden, | daß die kontrahirenden Regierungen sich bemühen, durch Handelsverträge mit | anderen Staaten dem Verkehr ihrer Angehörigen jede mögliche Erleichterung | und Erweiterung zu verschaffen. Artikel 32. Alles was sich auf die Detailausfiihrung der in dem ge= | genwärtigen Vertrage und dessen Beilagen enthaltenen Verabredungen bezieht, | soll durch gemeinschaftliche Kommissarien vorbereitet werden.

Dok. 85, Dok. 86 und Dok. 87.

920

§ 4: Deutscher Zollverein

[Dok. 85 -102]

Artikel 33. ^Die Dauer des gegenwärtigen Vertrages wird vorläufig | bis zum Isten Januar 1842. festgesetzt. ^Wird derselbe während dieser Zeit und | spätestens zwei Jahre vor Ablauf der Frist nicht gekündigt, so soll er auf 12 | Jahre, und so fort von 12 zu 12 Jahren als verlängert angesehen werden. ^Letztere Verabredung wird jedoch nur für den Fall getroffen, daß nicht | in der Zwischenzeit sämmtliche Deutsche Bundesstaaten über gemeinschaftliche | Maaßregeln übereinkommen, welche den mit der Absicht des Artikels 19. der | Deutschen Bundesakte^ in Uebereinstimmung stehenden Zweck des gegenwärtigen | Zollvereins vollständig erfüllen. ^Auch sollen im Falle etwaniger gemeinsamer | Maaßregeln über den freien Verkehr mit Lebensmitteln in sämmtlichen Deutschen | Bundesstaaten die betreffenden Bestimmungen des nach gegenwärtigem Vertrage | bestehenden Vereinstarifs demgemäß modifizirt werden. Gegenwärtiger Vertrag soll alsbald zur Ratifikation der hohen Kontra= | henten vorgelegt, und die Auswechselung der Ratifikations=Urkunden soll mit mög= | liebster Beschleunigung in Berlin bewirkt werden. So geschehen Berlin, den 2ten Januar 1836. Alvensleben. Luxburg. Frh. v. Linden. | für sich und den ab= | wesenden Fh. G. Hauber. (L. S.) (L. S.) (L. S.) V. Wilkens. Frh. Schäffer | v. Bernstein v. Guaita. (L. S.) (L. S.) (L. S.) Albr. Friedr. | Eichhorn. Heinr. Th. | L. Schwedes. Heinr. Ludw. | Biersack. E. A.Bansa. (L. S.) (L. S.) (L. S.) (L. S.) Der vorstehende Vertrag ist ratifizirt, und die Ratifications=Urkunden desselben | sind am 7ten März zu Berlin ausgewechselt worden.

[91] Vertrag der bisherigen Zollvereinsmitglieder über die Verlängerung des Zollvereins vom 8. Mai 1841 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einführungen" die Darstellungen unter [251.] [252.] [390.]. Quelle: Gesetz-Sammlung für die Königlichen Preußischen Staaten, (vom 14. August) 1841, Nr. 14, S. 141 ~ 150 (gedruckt).'' Sonstige Fundstelle: Verträge und Verhandlungen aus dem Zeiträume von 1833 bis einschließlich 1856 über die Bildung und Ausführung des deutschen Zoll- und HandelsVereins, Dritter Band, 1856, S. 1 - 8. [S. 141] (Nr. 2186.) Vertrag zwischen Preußen, Bayern, Sachsen, Württemberg, Baden, Kurhessen, | dem Großherzogthume Hessen, den zu dem Thüringischen Zoll= und Handels^ | Vereine gehörigen Staaten, Nassau und der freien Stadt Frankfurt, die | Fortdauer des Zoll= und Handelsvereins betreffend. Vom 8. Mai 1841.

Dok. 31. Separat-Artikel, Schluß-ProtokoU und weitere Urkunden zu diesem Vertrag, abgedruckt in: Verträge und Verhandlungen aus dem Zeiträume von 1833 bis einschließlich 1856 über die Bildung und Ausführung des deutschen Zoll- und Handels-Vereins, Dritter Band, Berlin 1856, S. 9 - 169.

[91 ] Verlängerungsvertrag vom 8. Mai 1841

921

Nachdem die in Gemäßheit der Verträge vom 22.^ und 23. März^ und | 11. Mai 1833.'^, vom 12. Mai^ und 10. Dezember 1835.® und vom 2. Januar | 1836.*^ zu einem Zoll= und Handelsvereine verbundenen Regierungen, - im An= | erkenntnisse der wohlthätigen Wirkungen, welche derselbe, Ihren bei dessen Grün= | dung und Erweiterung gehegten Absichten entsprechend, fur den Handel und | gewerblichen Verkehr der Vereinsstaaten, und hierdurch zugleich für die Beför= | derung der Verkehrsfreiheit in Deutschland überhaupt, herbeigeführt hat, - in | dem Wunsche übereingekommen sind, den Fortbestand dieses Vereins auf eine | eben so den Interessen der Gesammtheit, als den besonderen Verhältnissen ein= | zelner Vereinsglieder zusagende Weise sicher zu stellen: so sind zur Erreichung | dieses Zweckes Verhandlungen gepflogen worden, wozu als Bevollmächtigte ei^ | nannt haben: Seine Majestät der König von Preußen: Allerhöchst Ihren Wirklichen Geheimen Ober=Finanzrath und General=Direk= | tor der Steuern, August Heinrich Kuhlmeyer, Ritter des Königlich | Preußischen rothen Adler=Ordens zweiter Klasse mit dem Stern und | Eichenlaub, Commandeur des Civil=Verdienst=Ordens der Königlich Baye= | rischen Krone, Kommenthur des Königlich Sächsischen Civil=Verdienst= | Ordens, Kommenthur des Ordens der Königlich Württembergischen Krone | und Allerhöchst Ihren Wirklichen Geheimen Legationsrath und Direktor der | 2ten Abtheilung im Ministerium der auswärtigen Angelegenheiten, Franz | August Eichmann, Ritter des Königlich Preußischen rothen Adler= | [S. 142] Ordens zweiter Klasse mit Eichenlaub und des Kaiserlich Oesterreichischen | Leopold=Ordens; Seine Majestät der König von Bayern: Allerhöchst Ihren Ministerial=Rath und General=Zoll=Administrator, Carl | Friedrich Bever, Ritter des Königlich Bayerischen Verdienst=Ordens | vom heiligen Michael, des Königlich Preußischen rothen Adler=Ordens | dritter Klasse, des Ordens der Königlich Württembergischen Krone und | des Großherzoglich Badischen Ordens vom Zähringer Löwen; Seine Majestät der König von Sachsen: Allerhöchst Ihren Zoll= und Steuer=Direktor Ludwig von Zahn, Com= | mandeur des Großherzoglich Sächsischen Haus=Ordens vom weißen | Falken; Seine Majestät der König von Württemberg: Allerhöchst Ihren Kammerherm und Legationsrath, Geschäftsträger am Kö= | niglich Preußischen Hofe, Franz von Paula Freiherm von Linden, | Ritter des Ordens der Königlich Württembergischen Krone, Ritter des | Civil=Verdienst=Ordens der Königlich Bayerischen Krone, Commandeur | des Großherzoglich Badischen Ordens vom Zähringer Löwen, Comman= | deur des Großherzoglich Sächsischen Haus=Ordens vom weißen Falken, | des Maltheser==Ordens Ritter, | und Allerhöchst Ihren Ober=Finanzrath Gustav Hauber, Ritter des Königlich | Preußischen rothen Adler=Ordens dritter Klasse, des Civil=Verdienst= | Ordens der Königlich Bayerischen Krone, des Großherzoglich Badischen [ Ordens vom Zähringer Löwen, und Ritter erster Klasse des Großherzog= | lieh Hessischen Ludwigs=Ordens; Seine Königliche Hoheit der Großherzog von Baden:

Dok. 85. Dok. 86 - der „23. März" ist offenkundig ein Druckfehler, gemeint war der „30. März". Dok. 87. Dok. 88. Dok. 89. Dok. 90.

922

§ 4: Deutscher Zollverein

[Dok. 85-102]

Höchst Ihren Geheimen Referendar Franz Anton Regenauer, Comman= | deur des Großherzoglich Badischen Ordens vom Zähringer Löwen und | Commandeur zweiter Klasse des Kurfürstlich Hessischen Haus=Ordens | vom goldenen Löwen, und Höchst Ihren Minister=Residenten am Königlich Preußischen Hofe, Obrist= | Lieutenant und Flügel=Adjutanten, Carl von Franckenberg=Ludwigs= | dorff, Commandeur des Großherzoglich Badischen Ordens vom Zäh= | ringer Löwen, Ritter des Großherzoglich Badischen Carl Friedrich Mili= | tair=Verdienst=Ordens, Ritter des Königlich Preußischen St. Johanniter^ | Ordens, Commandeur des Civil=Verdienst=Ordens der Königlich Bayeri= | sehen Krone, Commandeur 2ter Klasse des Großherzoglich Hessischen Lude= | [S. 143] wigs=Ordens, und Ritter des Kaiserlich Russischen St. Wladimip=Or== [ dens 4ter Klasse mit der Schleife; Seine Hoheit der Kurprinz und Mitregent von Hessen: Höchst Ihren Ober=Berg= und Salzwerks=Direktor Heinrich Theodor | Ludwig Schwedes, Commandeur zweiter Klasse des Kurflirstlich Hes= | sischen Haus=Ordens vom goldenen Löwen, Ritter des Königlich Preu= | ßischen rothen Adler=Ordens zweiter Klasse, Commandeur des Großher= | zoglich Badischen Ordens vom Zähringer Löwen, und Commandeur des I Großherzoglich Sächsischen Haus=Ordens vom weißen Falken; Seine Königliche Hoheit der Großherzog von Hessen und | bei Rhein: Höchst Ihren Minister=Residenten am Königlich Preußischen Hofe, Kammer^ | herm, Oberstlieutenant im Generalstaabe und Flügel^Adjutanten, Frei= | herm von Schäffer=Bemstein, Commandeur 2ter Klasse des Groß= | herzoglich Hessischen Ludewigs=Ordens, Ritter des Königlich Preußischen | St. Johanniter=Ordens, des Kaiserlich Russischen St. Stanislaus= | Ordens 2ter Klasse, des Kaiserlich Oesterreichischen Leopold=Ordens, der I Königlich Französischen Ehren^Legion, des Königlich Hannoverischen | Guelphen=, und des Königlich Württembergischen Militaip=Verdienst= | Ordens, Commandeur des Großherzoglich Badischen Ordens vom Zäh= | ringer Löwen, und Höchst Ihren Geheimen Ober==Finanzrath Heinrich Ludwig Biersack, | Ritter erster Klasse des Großherzoglich Hessischen Ludewigs=Ordens, | Ritter des Königlich Preußischen rothen Adler=Ordens 3ter Klasse, des | Civil=Verdienst=Ordens der Königlich Bayerischen Krone, des Ordens | der Königlich Württembergischen Krone und Commandeur des Groß= I herzoglich Badischen Ordens vom Zähringer Löwen; die bei dem Thüringischen Zoll= und Handelsvereine betheiligten | Souveraine, nämlich außer Seiner Majestät dem Könige von Preußen und | Seiner Hoheit dem Kurprinzen und Mitregenten von Hessen: Seine Königliche Hoheit der Großherzog von Sachsen=Weimar= | Eisenach, Seine Herzogliche Durchlaucht der Herzog von Sachsen=Mei= | ningen, Seine Herzogliche Durchlaucht der Herzog von Sachsen=Alten= | bürg, Seine Herzogliche Durchlaucht der Herzog von Sachsen=Coburg | und Gotha, [S. 144] Seine Durchlaucht der Fürst von Schwarzburg=Rudolstadt, Seine Durchlaucht der Fürst von Schwarzburg=Sondershausen, Seine Durchlaucht der Fürst Reuß älterer Linie, Seine Durchlaucht der Fürst von Reuß=Schleitz | und Seine Durchlaucht der Fürst von Reuß=Lobenstein und Ebersdorf: den Großherzoglich Sächsischen Geheimen Legationsrath Ottokar Thon, | Ritter des Großherzoglich Sächsischen Haus=Ordens vom weißen Fal= | ken, des Herzoglich Sachsen=Emestinischen Haus=Ordens, des Königlich | Preußischen rothen Adler=Ordens 3ter Klasse, des Civil=Verdienst=Or= | dens der Königlich Bayerischen Krone und des König-

[91] Verlängerungsvertrag vom 8. Mai 1841

923

lieh Sächsischen | Civil=Verdienst=Ordens, und Commandeur zweiter Klasse des Kurfurst= I lieh Hessischen Haus=Ordens vom goldenen Löwen; Seine Herzogliche Durchlaucht der Herzog von Nassau: Höchst Ihren Geheimen Rath und Regiemngs==Direktor Wilhelm | Magdeburg, Ritter des Königlich Preußischen rothen Adler=Ordens | 2ter Klasse und Commandeur Ister Klasse des Herzoglich Sachsen=Er= | nestinischen Haus^Ordens; der Senat der freien Stadt Frankfurt: den Senator Eduard Franz Souchay, Doktor beider Rechte, Rit= | ter des Civil=Verdienst=Ordens der Königlich Bayerischen Krone, von welchen Bevollmächtigten, unter dem Vorbehalt der Ratifikation, folgender | Vertrag abgeschlossen worden ist. Artikel 1. ^Die Fortdauer des Zoll= und Handelsvereins wird vorläufig auf weitere | zwölf Jahre, vom 1. Januar 1842. anfangend, also bis zum letzten Dezember | 1853. festgesetzt. ^Für diesen Zeitraum bleiben die Zollvereinigungs=Verträge | vom 22.^ und 30. März"* und 11. Mai 1833.*^, vom 12. Mai^ und 10. Dezember 1835.^ | und vom 2. Januar 1836.^ auch femer, jedoch mit den in den folgenden Arti= | kein enthaltenen Modifikationen und zusätzlichen Bestimmungen, in Kraft. Artikel 2. Der die gemeinschaftlichen Anmeldestellen an den Binnengrenzen zwischen | Bayern, Württemberg und Baden einerseits und den übrigen Vereinslanden | andererseits betreffende Artikels, der Zollvereinigungs=Verträge vom 22. und | 30. März und 11. Mai 1833., und vom 12. Mai 1835. tritt außer Wirk= | samkeit, und es unterliegt in der Folge der Verkehr mit Handels=Gegenstän= | den an den bezeichneten Binnengrenzen keiner weiteren Beaufsichtigung, als je= | ner, die zum Behufe der Erhebung innerer Steuern (Artikel 3.) in dem einen | oder anderen Vereinsstaate erforderlich ist. [S. 145] Artikel 3. ^Was die in den Artikeln 11. und 12. der Zollvereinigungs=Verträge | vom 22. und 30. März und vom 11. Mai 1833., femer vom 12, Mai 1835., | ingleichen in den Artikeln 8. und 9 der Zollvereinigungs=Verträge vom 10. De= | zember 1835. und 2. Januar 1836. gedachten inneren Steuem betrifft, welche | in den einzelnen Vereinsstaaten theils auf die Hervorbringung oder Zubereitung, | theils unmittelbar auf den Verbrauch gewisser Erzeugnisse gelegt sind, so wird | es auch femer von allen Theilen als wünschenswerth anerkannt, hierin eine | Uebereinstimmung der Gesetzgebung und der Besteuemngssätze in ihren Staaten I thunlichst hergestellt zu sehen, weshalb ihr Bestreben auf Herbeifiihmng einer | solchen Gleichmäßigkeit, insbesondere durch Vereinigung mehrerer Staaten zu | gleichen inneren Steuer=Einrichtungen, mit oder ohne Gemeinschaftlichkeit der | Steuer=Erträge, gerichtet bleiben wird. ^Bis dahin, wo dieses Ziel erreicht wor= | den, sollen hinsichtlich der vorbemerkten Steuem und des Verkehrs mit den | davon betroffenen Gegenständen unter den Vereinsstaaten, zur Vermeidung der | Nachtheile, welche aus einer Verschiedenartigkeit der inneren Steuersysteme über= | haupt, und namentlich aus der Ungleichheit der Dok. 85. Dok. 86. Dok. 87. Dok. 88. Dok. 89. Dok. 90.

924

§ 4: Deutscher Zollverein

[Dok. 85 - 102]

Steuersätze, sowohl für die | Produzenten, als für die Steuer=Einnahme der einzelnen Vereinsstaaten er= I wachsen könnten, - abgesehen von der Besteuerung des im Umfange des Zoll= I Vereins erzeugten Rübenzuckers, weshalb auf die besonders getroffenen Vereinbar I rungen Bezug genommen wird, ~ folgende Grundsätze in Anwendung kommen, I. Hinsichtlich der ausländischen Erzeugnisse. Von allen Erzeugnissen, von welchen entweder auf die in der Zoll=Ord= | nung vorgeschriebene Weise dargethan wird, daß sie als ausländisches Ein= oder | Durchgangsgut die zollamtliche Behandlung bei einer Erhebungsbehörde des | Vereins bereits bestanden haben oder derselben noch unterliegen, oder von welchen, | dafem sie zu den tarifmäßig zollfreien gehören, durch Bescheinigungen der Grenz= | Zoll=Aemter nachgewiesen wird, daß sie vom Auslande eingeführt worden sind, | darf keine weitere Abgabe irgend einer Art, sey es für Rechnung des Staats, | oder für Rechnung von Kommunen und Korporationen erhoben werden; jedoch | - was das Eingangsgut betrifft - mit Vorbehalt derjenigen inneren Steuern, I welche in einem Vereinsstaate auf die weitere Verarbeitung oder auf anderweite | Bereitungen aus solchen Erzeugnissen, ohne Unterschied des ausländischen, inlän= | dischen oder vereinsländischen Ursprungs allgemein gelegt sind. IL Hinsichtlich der inländischen und vereinsländischen Erzeugnisse. 1. Von den innerhalb des Vereins erzeugten Gegenständen, welche nur | durch einen Vereins Staat transitiren, um entweder in einen anderen Ver== | eins Staat oder nach dem Auslande geführt zu werden, dürfen innere | [S. 146] Steuern weder für Rechnung des Staats, noch für Rechnung von | Kommunen oder Korporationen erhoben werden. 2. Jedem Vereinsstaate bleibt es zwar freigestellt, die auf der Hervorbrin= | gung, der Zubereitung oder dem Verbrauche von Erzeugnissen ruhenden | inneren Steuern beizubehalten, zu verändern oder aufzuheben, so wie | neue Steuern dieser Art einzuführen, jedoch sollen a) dergleichen Abgaben für jetzt nur auf folgende inländische und | gleichnamige vereinsländische Erzeugnisse, als: Branntwein, Bier, | Essig, Malz, Wein, Most, Cider (Obstwein), Taback, Mehl | und andere Mühlenfabrikate, desgleichen Backwaaren, Fleisch= | waaren und Fett gelegt werden dürfen. Auch wird man sich, b) so weit nöthig, über bestimmte Sätze verständigen, deren Betrag | bei Abmessung der Steuern nicht überschritten werden soll. 3. Bei allen Abgaben, welche in dem Bereiche der Vereinsländer hiemach | zur Erhebung kommen, wird eine gegenseitige Gleichmäßigkeit der Be= | handlung dergestalt Statt finden, daß das Erzeugniß eines anderen Ver= | einsstaates unter keinem Vorwande höher oder in einer lästigeren Weise, | als das inländische oder als das Erzeugniß der übrigen Vereinsstaaten, | besteuert werden darf In Gemäßheit dieses Grundsatzes wird Folgen^ | des festgesetzt: a) Vereinsstaaten, welche von einem inländischen Erzeugnisse keine | innere Steuer erheben, dürfen auch das gleiche vereinsländische | Erzeugniß nicht besteuern. Jedoch soll ausnahmsweise denjenigen | Vereinsstaaten, in welchen kein Wein erzeugt wird, freistehen, | eine Abgabe von dem vereinsländischen Weine nach den beson= | ders getroffenen Verabredungen zu erheben. b) Diejenigen Staaten, in welchen innere Steuern von einem Kon= | sumtions= Gegenstande bei dem Kaufe oder Verkaufe oder bei der | Verzehrung desselben erhoben werden, dürfen diese Steuern von | den, aus anderen Vereins Staaten herrührenden Erzeugnissen der | nämlichen Gattung nur in gleicher Weise fordern; sie können da= | gegen die Abgabe von den, nach anderen Vereinsstaaten überge= | henden Gegenständen unerhoben oder ganz oder theilweise zurück= | geben lassen.

[91] Verlängemngsvertrag vom 8. Mai 1841

925

c) Diejenigen Staaten, welche innere Steuern auf die Hervorbrin= | gung oder Zubereitung eines Konsumtions=Gegenstandes gelegt | haben, können den gesetzlichen Betrag derselben bei der Einfuhr | des Gegenstandes aus anderen Vereinsstaaten voll erheben, und | [S. 147] bei der Ausfuhr nach diesen Staaten theilweise oder bis zum vol= | len Betrage zurückerstatten lassen. Welche, dem dermaligen Stande der Gesetzgebung in den | gedachten Staaten entsprechende Beträge hiemach zur Erhebung | kommen und beziehungsweise zurückerstattet werden können, ist be= | sonders verabredet worden. Treten späterhin irgendwo Verän= | derungen in den für die inneren Erzeugnisse zur Zeit bestehenden | Steuersätzen ein, so wird die betreffende Regierung den übrigen | Vereins=Regierungen davon Mittheilung machen, und hiermit | den Nachweis verbinden, daß die Steuer=Beträge, welche, in | Folge der eingetretenen oder beabsichtigten Veränderung, von den | vereinsländischen Erzeugnissen erhoben, und bei der Ausfuhr der | besteuerten Gegenstände vergütet werden sollen, den vereinbarten | Grundsätzen entsprechend bemessen seyen. d) So weit zwischen mehreren, zum Zollvereine gehörigen Staaten | eine Vereinigung zu gleichen Steuer=Einrichtungen besteht, wer= | den diese Staaten in Ansehung der Befiigniß, die betreffenden | Steuern gleichmäßig auch von vereinsländischen Erzeugnissen zu | erheben, als ein Ganzes betrachtet. 4. Die Erhebung der innem Steuern von den damit betroffenen vereins= | ländischen Gegenständen soll in der Regel in dem Lande des Bestim= | mungsortes Statt finden, in sofern solche nicht, nach besonderen Verein= | barungen, entweder durch gemeinschaftliche Hebestellen an den Binnen= | grenzen, oder im Lande der Versendung für Rechnung des abgabe= | berechtigten Staates erfolgt. Auch sollen die, zur Sicherung der Steuer= | Erhebung erforderlichen Anordnungen, soweit sie die, bei der Versendung | aus einem Vereinsstaate in den anderen, einzuhaltenden Straßen und | Kontrolen betreffen, auf eine, den Verkehr möglichst wenig beschränkende I Weise und nur nach gegenseitiger Verabredung, auch, dafem bei dem I Transporte ein dritter Vereinsstaat berührt wird, nur unter Zustimmung | des letzteren, getroffen werden. 5. Die Erhebung von Abgaben für Rechnung von Kommunen oder Kor= ] porationen, sey es durch Zuschläge zu den Staatssteuem oder für sich | bestehend, soll nur für Gegenstände, die zur örtlichen Konsumtion be= | stimmt sind, nach den deshalb getroffenen besonderen Vereinbarungen | bewilligt werden, und es sollen dabei die vorstehend unter IL 2. b. gege= | bene Bestimmung und der unter IL 3. ausgesprochene allgemeine Grund= | satz wegen gegenseitiger Gleichmäßigkeit der Behandlung der Erzeugnisse | anderer Vereinsstaaten, eben so, wie bei den Staatssteuem, in Anwen= | dung kommen. [S. 148] Vom Taback dürfen Abgaben für Rechnung von Kommunen | oder Korporationen überall nicht erhoben werden. 6. Die Regiemngen der Vereinsstaaten werden sich gegenseitig, a) was die hier in Rede stehenden Staatssteuem betrifft, von allen | noch gültigen Gesetzen und Verordnungen, femer von allen in der | Folge eintretenden Verändemngen, so wie von den Gesetzen und | Verordnungen über neu einzuführende Steuem, b) hinsichtlich der Kommunal= etc. Abgaben aber darüber, in welchen | Orten, von welchen Kommunen oder Korporationen, von welchen | Gegenständen, in welchem Betrage und aufweiche Weise die= | selben erhoben werden, vollständige Mittheilung machen.

926

§ 4: Deutscher Zollverein

[Dok. 85 - 102]

Artikel 4. Da die hohen kontrahirenden Theile eine Besteuerung des im Umfange | des Vereins aus Runkelrüben bereiteten Zuckers für nothwendig erachtet haben, | so ist hierüber die anliegende besondere Uebereinkunft getroffen worden, die einen | Bestandtheil des gegenwärtigen Vertrages bilden, und ganz so angesehen wer= | den soll, als wenn sie in diesen selbst aufgenommen wäre.^ Dieselben sind femer dahin einverstanden, daß, wenn die Fabrikation | vom Zucker oder Syrup aus anderen inländischen Erzeugnissen, als aus Run= | kelrüben, z. B. aus Stärke, im Zollvereine einen erheblichen Umfang gewinnen | sollte, diese Fabrikation ebenfalls in sämmtlichen Vereinsstaaten einer überein= | stimmenden Besteuerung nach den für die Rübenzuckersteuer verabredeten Grund= | Sätzen zu unterwerfen seyn würden. Artikel 5. ^In Bezug auf das Münzwesen haben die kontrahirenden Regierungen | sich bereits durch die Konvention vom 30. Juli 1838. über die Annahme einer | gleichen Grundlage für ihr Münzsystem, und über die Ausprägung einer gemein^ | schaftlichen, in allen Vereinsstaaten gleich dem eigenen Landesgelde anzunehmen^ | den Vereinsmünze geeinigt, und es werden dieselben auch femerhin der weiteren | Ausbildung ihrer Münzverfassung auf der hierdurch gegebenen gemeinschaftlichen | Grundlage ihre Sorgfalt widmen. ^Hiernach bewendet es bei den Stipulationen | der bisherigen Zollvereinigungs^Verträge dahin, daß 1) der gemeinschaftliche Zolltarif auch fortan in zwei Hauptabtheilungen nach | dem 14 Thalerfuße und nach dem 24 V2 Guldenfuße ausgefertigt wird, | und daß 2) die Silbermünzen der sämmtlichen kontrahirenden Staaten - mit Aus= | nähme der Scheidemünze - nach der durch die vorgedachte Münz= | Konvention festgestellten Gleichwerthung von Vier Thalem gegen Sieben | Gulden bei allen Zoll=Hebestellen des Vereins angenommen werden. [S. 149] Was aber 3) die Goldmünzen betrifft, so bleibt einer jeden Vereins=Regierung die Be= | Stimmung, ob und in welchem Silberwerthe dieselben bei den Zoll=Hebe= | stellen ihres Landes angenommen werden sollen, überlassen. Artikel 6. ^Für das Zollgewicht wird auch femer der bereits in dem jetzt geltenden | Vereins=Zolltarif in Anwendung gebrachte Zoll=Centner die gemeinschaftliche | Norm geben. ^Daneben aber werden die kontrahirenden Regiemngen femer ihre | Sorgfalt dahin richten, auch für das Maaß= und Gewichtssystem ihrer Länder | im Allgemeinen die zur Fördemng des gegenseitigen Verkehrs wünschenswerthe | Uebereinstimmung herbeizuführen. Artikel 7, In Hinsicht auf die Vertheilung der in die Gemeinschaft fallenden Ab= | gaben soll statt der Bestimmungen des Artikels 22. der Zollvereinigungs=Ver= | träge vom 22. und 30. März, auch 11. Mai 1833., so wie vom 12. Mai 1835., | imgleichen des Artikels 18. der

Gemeint ist die als „Beilage zum Artikel 4. des Vertrages." getroffene „Uebereinkunft zwischen Preußen, Bayern, Sachsen, Württemberg, Baden, Kurhessen, dem Großherzogthume Hessen, den zu dem Thüringischen Zoll- und Handelsvereine verbundenen Staaten, Nassau und der freien Stadt Frankfurt, wegen der Besteuerung des Runkelrübenzuckers" vom 8. Mai 1841 (Gesetz-Sammlung für die Königlichen Preußischen Staaten, [vom 14. August] 1841, Nr. 14, S. 141 - 153), von deren Abdruck hier abgesehen wird.

[91 ] Verlängerungsvertrag vom 8. Mai 1841

927

Zollveremigungs=Verträge vom 10. Dezember | 1835. und 2. Januar 1836.^ Folgendes in Anwendung kommen: 1. Der Ertrag der Eingangs^Abgaben wird nach Abzug a) der Kosten, welche an den gegen das Ausland gelegenen Grenzen | und in dem Grenzbezirke für den Schutz und die Erhebung der | Zölle erforderlich sind (Artikel 30. der Verträge vom 22. und | 30. März, auch 11. Mai 1833., so wie vom 12. Mai 1835., | und Artikel 26. des Vertrages vom 10. Dezember 1835.), b) der Rückerstattungen für unrichtige Erhebungen, c) der auf dem Grunde besonderer gemeinschaftlicher Verabredungen | erfolgten Steuervergütungen und Ermäßigungen, zwischen sämmtlichen Vereinsgliedem nach dem Verhältnisse der Bevöl= | kerung, mit welcher sie in dem Gesammtverein sich befinden, vertheilt. 2. Der Ertrag der Aus= und Durchgangs^Abgaben wird, a) so weit diese Abgaben bei den Hebestellen in den östlichen Pro= | vinzen des Königreichs Preußen (also mit Ausnahme der Provinz | Westphalen und der Rheinprovinz), im Königreiche Sachsen und \ im Gebiete des Thüringischen Zoll= und Handelsvereins eingehen, | zwischen Preußen, Sachsen und den Staaten des Thüringischen | Vereins nach dem von ihnen zu verabredenden Theilungsfuße, I dagegen b) soweit dieselben bei den Hebestellen in den übrigen Vereinstheilen [ eingehen, nach der Bevölkerung dieser Vereinstheile unter die | betreffenden Staaten | [S. 150] vertheilt, und zwar lediglich nach Abzug der Rückerstattungen für unrich= I tige Erhebungen, und der auf dem Grunde besonderer gemeinschaftlicher I Verabredungen erfolgten Steuervergütungen und Ermäßigungen. 3. Bei der nach den Sätzen 1. und 2. Statt findenden Vertheilung der | Ein=, Aus= und Durchgangs=Abgaben wird die Bevölkerung solcher | Staaten, welche durch Vertrag mit einem oder dem anderen der kontra= | hirenden Staaten, unter Verabredung einer von diesem jährlich für ihre | Antheile an den gemeinschaftlichen Zollrevenüen zu leistenden Zahlung, | dem Zollsysteme desselben beigetreten sind oder etwa künftig noch beitreten | werden, in die Bevölkerung desjenigen Staates eingerechnet, welcher | diese Zahlung leistet. 4. Der Stand der Bevölkerung in den einzelnen Vereinsstaaten wird alle | drei Jahre ausgemittelt, und die Nachweisung derselben von den Vereins^ | gliedern einander gegenseitig mitgetheilt werden. 5. Unter Berücksichtigung der besonderen Verhältnisse, welche hinsichtlich des | Verbrauchs an zollpfiichtigen Waaren bei der freien Stadt Frankfurt | obwalten, ist wegen des Antheils derselben an den gemeinschaftlichen Ein= | nahmen ein besonderes Abkommen getroffen. Artikel 8. Sofern der gegenwärtige Vertrag nicht spätestens zwei Jahre vor dessen | Ablaufe gekündigt wird, soll derselbe auf weitere zwölf Jahre, und so fort von | zwölf zu zwölf Jahren als verlängert angesehen werden. Derselbe soll unverzüglich zur Ratifikation der hohen kontrahirenden | Theile vorgelegt, und die Auswechselung der Ratifikations=Urkunden soll späte= | stens binnen acht Wochen in Berlin bewirkt werden.

^ Dok. 85, Dok. 86, Dok. 87, Dok. 88, Dok. 89 und Dok. 90.

928

§ 4: Deutscher Zollverein

[Dok. 85 - 102]

So geschehen Berlin, den 8. Mai 1841. Kuhlmeyer. Eichmann. Bever. v. Zahn. Frh. v» Linden. | Hauber. Regenauer. (L. S.) (L. S.) (L. S.) (L. S.) (L. S.)| (L. S.) (L. S.) V. Franckenberg=Ludwigsdorff. Schwedes. | Frh. v. Schäffer=Bemstein. Biersack. (L. S.) (L. S.)| (L. S.) (L. S.) Thon. Magdeburg. Souchay. (L. S.) (L. S.) (L. S.) Die Ratifications=Urkunden des vorstehenden Vertrages sind am 31. Juli, | 5. und 9. August 1841. zu Berlin ausgewechselt worden.

[92] Zollvereinigungserweiterungsvertrag (Zollvereinsstaaten ./. Lippe-Detmold) vom 18. Oktober 1841 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einführungen" die Darstellung unter [251.]. Quelle: Gesetz-Sammlung für die Königlichen Preußischen Staaten, (vom 21. Dezember) 1841, Nr. 23, S. 337 - 344 (gedruckt).^ Sonstige Fundstelle: Verträge und Verhandlungen aus dem Zeiträume von 1833 bis einschließlich 1856 über die Bildung und Ausführung des deutschen Zoll- und HandelsVereins, Dritter Band, 1856, S. 170 - 176. [S. 337] (Nr. 2210.) Vertrag zwischen Preußen, Bayern, Sachsen, Württemberg, Baden, Kurhessen, | dem Großherzogthume Hessen, den zu dem Thüringischen Zoll= und Han= | dels=Vereine gehörigen Staaten, Nassau und der freien Stadt Frankfurt | einerseits und Lippe andererseits, den Anschluß des Fürstenthums Lippe an | das Zollsystem Preußens und der übrigen Staaten des Zollvereins be= | treffend. Vom 18. Oktober 1841. Nachdem Seine Durchlaucht der Fürst zur Lippe den Wunsch zu erkennen ge= | geben haben, dem Fürstenthume Lippe durch eine nähere Verbindung desselben | mit Preußen und den übrigen Staaten des Deutschen Zoll= und Handelsvereins | die Vortheile eines möglichst freien gegenseitigen Verkehrs zuzuwenden; so ha= | ben, Behufs der deshalb zu pflegenden Verhandlungen, zu Bevollmächtigten | ernannt: Seine Majestät der König von Preußen für Sich und in Vertre= | tung der übrigen Mitglieder des, krafl der Verträge vom 22.** und 30. März^ | und 11. Mai 1833.^, 12. Mai^ und 10. Dezember 1835.^, 2. Januar 1836.^ | und 8. Mai 1841.*» bestehenden Zoll= und Handelsvereins, nämlich der | Kronen Bayern, Sachsen und Württemberg, des Großherzogthums Ba= I den, des Kurfurstenthums Hessen, des Großherzogthums Hessen, der den | Thüringischen Zoll= und Handelsverein bildenden Staaten, - nament= | lieh des Großherzogthums Sachsen, der Herzogthümer Sachsen=Mei= | ningen, Sachsen^Altenburg und Sachsen^Coburg und Gotha, und der | Fürstenthümer Schwarzburg^Rudolstadt und Schwarz^ Separat-Artikel, Schluß-Protokoll und weitere Urkunden zu diesem Vertrag, abgedruckt in: Verträge und Verhandlungen aus dem Zeiträume von 1833 bis einschließlich 1856 über die Bildung und Ausführung des deutschen Zoll- und Handels-Vereins, Dritter Band, Berlin 1856, S. 177 - 213. ^ Dok. 85. "" Dok. 86. ^ Dok. 87. ^ Dok. 88. ^ Dok. 89. 8 Dok. 90. ^ Dok. 91.

[92] Zollvereinigungserweitemngsvertrag vom 18. Oktober 1841

929

burg=Sondershau= | sen, Reuß=Greiz, und Reuß=Schleiz und Reuß=Lobenstein und Ebers= I dorf, - des Herzogthums Nassau und der freien Stadt Frankfurt, Allerhöchst Ihren Wirklichen Geheimen Legations=Rath und Direktor der | 2ten Abtheilung im Ministerium der auswärtigen Angelegenheiten, Franz | August Eichmann, Ritter des Königlich Preußischen rothen Adler= | Ordens zweiter Klasse mit Eichenlaub, des Kaiserlich Oesterreichischen | Leopold=Ordens, Kommandeur des Civil=Verdienst=Ordens der Königlich | [S. 338] Bayerischen Krone, Komthur des Königlich Sächsischen Civil= Verdienst= | Ordens, Kommenthur des Ordens der Königlich Württembergischen | Krone, Kommandeur Ister Klasse des Großherzoglich Badischen Ordens | vom Zähringer Löwen und des Großherzoglich Hessischen Ludewigs= | Ordens, Kommandeur des Großherzoglich Sächsischen Hausordens vom weißen Falken, und Kommandeur 1 ster Klasse des Herzoglich Braun= | schweigischen Ordens Heinrichs des Löwen, | und Allerhöchst Ihren Geheimen Ober=Finanzrath Adolph Georg Theodor Poch= [ hammer, Ritter des Königlich Preußischen rothen Adler=Ordens 3ter | Klasse mit der Schleife, Kommandeur des Königlich Bayerischen Ver= | dienst=Ordens vom heiligen Michael, Ritter des Civil=Verdienst=Ordens | der Königlich Bayerischen Krone, Kommandeur Ister Klasse des Kö= | niglich Hannoverischen Guelphen=Ordens, Ritter des Ordens der Königlich 1 Württembergischen Krone, Kommandeur 2ter Klasse des GroßherzogHch | Hessischen Ludewigs=Ordens; Seine Durchlaucht der Fürst zur Lippe: Höchst Ihren Regierungs= und Kammer=Präsidenten Wilhelm Arnold | Eschenburg, Ritter des Königlich Hannoverischen Guelphen=Ordens, | und Höchst Ihren Minister=Residenten am Königlich Preußischen Hofe, den Oberst= | Lieutenant und Kammerherm Otto Wilhelm Karl von Röder, | Ritter des Königlich Preußischen rothen Adler=Ordens 3ter Klasse, | Komthur Ister Klasse des Herzoglich Braunschweigischen Ordens Heinrichs | des Löwen, Ritter des Civil=Verdienst=Ordens der Königlich Bayrischen | Krone und Kommandeur des Königlich Belgischen Leopolds=Ordens, von welchen Bevollmächtigten, unter dem Vorbehalte der Ratifikation, folgen^ | der Vertrag abgeschlossen worden ist. Artikel 1. Seine Durchlaucht der Fürst zur Lippe treten mit Ihren Landen, unbe=^ | schadet Ihrer landesherrlichen Hoheitsrechte, dem Zollsysteme des Königreichs | Preußen und der mit diesem zu einem Zollvereine verbundenen Staaten bei. Artikel 2. In Folge dieses Beitritts werden Seine Durchlaucht der Fürst zur Lippe, | mit Aufhebung der gegenwärtig in Ihren Landen über Eingangs=, Ausgangs^ | und Durchgangs=Abgaben und deren Verwaltung bestehenden Gesetze und Ein= | richtungen, daselbst die Verwaltung der Eingangs^, Ausgangs= und Durchgangs^ | Abgaben in Übereinstimmung mit den desfallsigen Gesetzen, Tarifen, Verord= | nungen und sonstigen administrativen Bestimmungen, wie solche in Preußen der= | [S. 339] malen bestehen, eintreten, und zu diesem Zwecke die erforderlichen Gesetze, Tarife | und Verordnungen publiziren, sonstige Verfügungen aber, nach denen die Un= | terthanen oder Steuerpflichtigen sich zu richten haben, durch Ihre Regierung zur | öffentlichen Kenntniß bringen lassen. Artikels. ^Etwanige künftige Abänderungen der im vorstehenden Artikel gedachten, | in Preußen bestehenden gesetzlichen Bestimmungen oder neue derartige Bestim= | mungen, welche der Übereinstimmung wegen auch im Fürstenthume Lippe zur | Ausführung kommen müßten, bedürfen der Zustimmung der Fürstlich Lippischen | Regierung. "^Diese Zustimmung wird

930

§ 4: Deutscher Zollverein

[Dok. 85-102]

nicht verweigert werden, wenn solche Ab= | ändemngen in den Königlich Preußischen Staaten allgemein getroffen werden. Artikel 4. Mit der Ausführung des gegenwärtigen Vertrages hören alle Eingangs^, | Ausgangs= und Durchgangs=Abgaben an den Grenzen zwischen Preußen und | dem Fürstenthume Lippe auf, und es können alle Gegenstände aus letzterem frei | und unbeschwert in die Preußischen und in die mit Preußen im Zollvereine be= | findlichen Staaten, und umgekehrt aus diesen in das Fürstenthum Lippe einge= | führt werden, mit alleinigem Vorbehalte: a) der zu den Staatsmonopolen gehörigen Gegenstände (Salz), ingleichen | der Spielkarten und der Kalender, nach Maaßgabe der Artikel 5. und 6., b) der im Innern des Zollvereins mit einer Steuer belegten inländischen Ei^ | Zeugnisse, nach Maaßgabe des Artikels 7., und endlich c) solcher Gegenstände, welche ohne Eingriff in die von einem der kontrahi= | renden Staaten ertheilten Erfindungs=Privilegien (Patente) nicht nachge= | macht oder eingeführt werden können, und daher für die Dauer der Pri= | vilegien (Patente) von der Einfuhr in den Staat, welcher dieselben ertheilt | hat, noch ausgeschlossen bleiben müssen. Artikel 5. 1. In Betreff des Salzes treten Se. Durchlaucht der Fürst zur Lippe | den zwischen den Mitgliedern des Zollvereins bestehenden Verabredungen in fol= | gender Art bei: a) die Einfuhr des Salzes und aller Gegenstände, aus welchen Kochsalz | ausgeschieden zu werden pflegt, aus fremden nicht zum Vereine gehö= | rigen Ländern in die Vereinsstaaten, ist verboten, insoweit dieselbe | nicht für eigene Rechnung einer der vereinten Regierungen und zum | unmittelbaren Verkaufe in ihren Salzämtem, Faktoreien oder Nie= | derlagen geschieht; b) die Durchfuhr des Salzes und der vorbezeichneten Gegenstände aus | den zum Vereine nicht gehörigen Ländern in andere solche Länder soll | nur mit Genehmigung der Vereinsstaaten, deren Gebiet bei der Durch= | fuhr berührt wird, und unter den Vorsichtsmaaßregeln stattfinden, | welche von selbigen für nothwendig erachtet werden; [S.340] c) die Ausfuhr des Salzes in fremde nicht zum Vereine gehörige Staa= | ten ist frei; d) was den Salzhandel innerhalb der Vereinsstaaten betrifft, so ist die | Einfuhr des Salzes von einem in die anderen nur in dem Falle er= | laubt, wenn zwischen den Landes=Regierungen besondere Verträge des= | halb bestehen; e) wenn eine Regierung von der anderen innerhalb des Gesammtvereins | aus Staats= oder Privat=Salinen Salz beziehen will, so müssen die | Sendungen mit Pässen von öffentlichen Behörden begleitet werden; f) wenn ein Vereinsstaat durch das Gebiet eines anderen aus dem Aus= | lande, oder aus einem dritten Vereinsstaate seinen Salzbedarf bezie= | hen, oder durch einen solchen sein Salz in fremde nicht zum Vereine | gehörige Länder versenden lassen will, so soll diesen Sendungen kein | Hindemiß in den Weg gelegt werden; jedoch werden, insofern dieses | nicht schon durch frühere Verträge bestimmt ist, durch vorgängige | Übereinkunft der betheiligten Staaten die Straßen für den Trans= | port, und die erforderlichen Sicherheitsmaaßregeln zur Verhinderung I der Einschwärzung verabredet werden. 2. Rücksichtlich der den Landesbedarf übersteigenden Salzfabrikation im | Fürstenthume Lippe, und der sowohl daraus als aus der Verschiedenheit der | Salzpreise in

[92] Zollvereinigungserweitemngsvertrag vom 18. Oktober 1841

931

den beiden kontrahirenden Staaten für das Königreich Preußen | hervorgehenden Gefahr der Salzeinschwärzung werden beide Regierungen sich | über Maaßregeln vereinigen, welche diese Gefahr möglichst beseitigen, ohne den | freien Verkehr mit anderen Gegenständen zu belästigen. Artikel 6. Hinsichtlich der Einfuhr von Spielkarten und Kalendern kommt der | Grundsatz, wonach es in sämmtlichen zum Zollvereine gehörigen Staaten und | Gebietstheilen bei den bestehenden Verbots= oder Beschränkungs=Gesetzen und | Debits=Einrichtungen sein Bewenden behält, auch in Beziehung auf das Für= | stenthum Lippe in Anwendung. Artikel 7. ^Die in Betreff der innem Steuern, welche in den einzelnen Vereins^ | Staaten theils auf die Hervorbringung oder Zubereitung, theils unmittelbar auf | den Verbrauch gewisser Erzeugnisse gelegt sind, so wie hinsichtlich des Verkehrs | mit solchen Erzeugnissen, durch den Vertrag vom 8. Mai d. J.^ unter den | Vereins Staaten vereinbarten Bestimmungen werden auch in dem Fürstenthume | Lippe Anwendung erhalten. "^Demgemäß wird, in Rücksicht auf die Steuern, | welche in letzterem von inneren Erzeugnissen nach den in dem besonderen Ver= I trage zwischen Preußen und Lippe vom heutigen Tage deshalb getroffenen Ver= I abredungen zur Erhebung kommen, zwischen Preußen und den Fürstlichen Lan= | den gegenseitig von sämmtlichen inneren Erzeugnissen, bei dem Übergange in | das andere Gebiet, weder eine Rückvergütung der Steuern geleistet, noch eine | [S. 34IJ Übergangs=Abgabe erhoben werden, dagegen den übrigen Staaten des Zoll= | Vereins gegenüber das Fürstenthum Lippe hinsichtlich der zu gewährenden Rück= | Vergütungen und der zu erhebenden Übergangs=Abgaben in dasselbe Verhält= | niß, wie Preußen, treten. Artikel 8. Seine Fürstliche Durchlaucht treten der zwischen den Staaten des Zoll= | Vereins unter dem 8. Mai d. J. getroffenen Übereinkunft wegen Besteue= | rung des im Umfange des Vereins aus Runkelrüben bereiteten Zuckers bei, | und erklären Sich auch damit einverstanden, daß, wenn die Fabrikation von | Zucker oder Syrup aus anderen inländischen Erzeugnissen, als aus Runkelrü= | ben, z. B. aus Stärke, im Zollvereine einen erheblichen Umfang gewinnen | sollte, diese Fabrikation ebenfalls in sämmtlichen Vereinsstaaten einer überein= I stimmenden Besteuerung nach den für die Rübenzucker=Steuer verabredeten | Grundsätzen zu unterwerfen seyn würde. Artikel 9. Seine Fürstliche Durchlaucht treten den Verabredungen bei, welche in | den zwischen Preußen und anderen Deutschen Staaten abgeschlossenen, der Fürst= | liehen Regierung mitgetheilten Zollvereinigungs=Verträgen über folgende Gegen= | stände getroffen worden sind: 1. wegen der Höhe und Erhebung der Chaussee^, Pflaster=, Damm=, | Brücken= und Fährgelder, der Thorsperr= und Pflastergelder, ohne Un= | terschied, ob alle diese Hebungen für Rechnung der landesherrlichen Kas== | sen oder eines Privatberechtigten, namentlich einer Gemeinde, Statt | finden; 2. wegen Herbeiführung eines gleichen Münz=, Maaß= und Gewichtssystems; 3. wegen Annahme gleichförmiger Grundsätze zur Beförderung der Gewerb= | samkeit, insbesondere:

^ Dok.91.

932

§ 4: Deutscher Zollverein

[Dok. 85-102]

a) wegen der Befiigniß der Unterthanen des einen Staates, in dem Ge= | biete eines anderen, zum Zollvereine gehörigen Staates, Arbeit und | Erwerb zu suchen; b) wegen der, von den Unterthanen des einen Vereinsstaates, welche in | dem Gebiete eines anderen Vereinsstaates Handel und Gewerbe trei= | ben oder Arbeit suchen, zu entrichtenden Abgaben; c) wegen der freien Zulassung von Fabrikanten und sonstigen Gewerbe= | treibenden, welche bloß für das von ihnen betriebene Geschäft Ankäufe | machen, oder von Reisenden, welche nicht Waaren selbst, sondern nur | Muster derselben bei sich führen, um Bestellungen zu suchen; d) wegen des Besuches der Messen und Märkte; 4. wegen der Gebühren und Leistungen für Anstalten, die zur Erleichterung | des Verkehrs bestimmt sind. Insbesondere schließen Se. Durchlaucht der zwischen den Regierungen | [S. 342] der zu dem Zoll= und Handelsvereine gehörigen Staaten unter dem 30. Juli | 1838. abgeschlossenen allgemeinen Münzkonvention hierdurch mit der Erklärung | Sich an, den Vierzehn=Thalerfuß in dem Fürstenthum Lippe als Landesmünz= | fuß annehmen zu wollen. Artikel 10. Die Wasserzölle oder auch Wegegeld=Gebühren auf Flüssen, mit Ein= | schluß derjenigen, welche das Schiffsgefäß treffen (Rekognitions=Gebühren), sind | von der Schiffahrt auf solchen Flüssen, aufweiche die Bestimmungen des Wie= | ner Kongresses, oder besondere Staatsverträge Anwendung finden, femer ge= | gegenseitig nach jenen Bestimmungen zu entrichten, in sofern hierüber nichts Be= | sonderes verabredet wird. Alle Begünstigungen, welche ein Vereinsstaat dem Schiffahrtsbetriebe | seiner Unterthanen auf den Eingangs genannten Flüssen zugestehen möchte, sol= | len in gleichem Maaße auch der Schiffahrt der Unterthanen der anderen Vep= | einsstaaten zu Gute kommen. ^Auf den übrigen Flüssen, bei welchen weder die Wiener Kongreßakte, | noch andere Staatsverträge Anwendung finden, werden die Wasserzölle nach | den privativen Anordnungen der betreffenden Regierungen erhoben. '^Doch sol= | len auch auf diesen Flüssen die Unterthanen der kontrahirenden Staaten und | deren Waaren und Schiffsgefäße überall gleich behandelt werden. Artikeln. Von dem Tage an, wo die gemeinschaftliche Zoll=Ordnung des Vereins | in Vollzug gesetzt wird, sollen im Fürstenthume Lippe, wie bereits in den übri= | gen zum Zollvereine gehörigen Gebieten geschehen ist, alle etwa noch bestehenden | Stapel^ und Umschlagsrechte aufhören, und Niemand soll zur Anhaltung, Ver= | ladung oder Lagerung gezwungen werden können, als in den Fällen, in welchen | die gemeinschaftliche Zoll=Ordnung oder die betreffenden Schiffahrts=Reglements | es zulassen oder vorschreiben. Artikel 12. Seine Fürstliche Durchlaucht treten hierdurch dem zwischen den Gliedern | des Zoll= und Handelsvereins zum Schutze ihres gemeinschaftlichen Zollsystems | gegen den Schleichhandel und ihrer innem Verbrauchs^Abgaben gegen Defrau= | dationen bestehenden ZoUkartel bei, und werden die betreffenden Artikel desselben | gleichzeitig mit dem gegenwärtigen Vertrage in dem Fürstenthume publiziren | lassen; auch die übrigen Vereinsstaaten werden die erforderlichen Anordnungen | treffen, damit in den gegenseitigen Verhältnissen den Bestimmungen dieses Zoll= | kartels überall Anwendung gegeben werde.

[92] Zollvereinigungserweitemngsvertrag vom 18. Oktober 1841

933

Artikel 13. Die den im Artikel 2. erwähnten Gesetzen und Verordnungen entspre= | chende Einrichtung der Verwaltung im Fürstenthume Lippe, insbesondere die | Bildung des Grenzbezirks, und die Bestimmung, Einrichtung und amtliche Be= | fiigniß der zur Erhebung und Abfertigung erforderlichen Dienststellen, sollen in | [S. 343] gegenseitigem Einvernehmen mit Hülfe der von beiden Seiten zu diesem Be= | hufe zu ernennenden Ausfuhrungs=Kommissarien angeordnet werden. Seine Durchlaucht der Fürst zur Lippe wollen die gedachte Verwaltung | dem Verwaltungsbezirke der Königlich Preußischen Provinzial=Steuer=Direktion | zu Münster zutheilen. Bei Bildung des Grenzbezirks und der Bestimmung der Binnenlinie | wird darauf gesehen werden, den Verkehr so wenig, als die bestehenden Vor= | Schriften und der gemeinsame Zweck dies irgend gestatten, zu erschweren. Die Zollstraßen sollen mit Tafeln bezeichnet, und der Zug der Binnen= | linie soll öffentlich bekannt gemacht werden. Die zu errichtenden Hebe= und Abfertigungsstellen sollen als gemeinschaft= | liehe angesehen werden. Artikel 14. Seine Durchlaucht der Fürst zur Lippe werden für die ordnungsmäßige | Besetzung der im Fürstenthume Lippe zu errichtenden gemeinschaftlichen Hebe= | und Abfertigungsstellen, sowie der daselbst erforderlichen Aufsichts=Beamtenstellen | nach Maaßgabe der deshalb getroffenen näheren Uebereinkunft Sorge tragen. Die in Folge dessen im Fürstenthume Lippe fungirenden Zoll= und Steuer^ | beamten werden von der Fürstlich Lippischen Regierung für beide Landesherren | in Eid und Pflicht genommen, und mit Legitimationen zur Ausübung des Dien= | stes versehen werden. In Beziehung auf ihre Dienst^Obliegenheiten, namentlich auch in Ab= | sieht der Dienst^Disziplin, werden dieselben jedoch nur der Königlich Preußischen | Provinzial=Steuer=Direktion in Münster untergeordnet seyn. Die Schilder vor den Lokalen der Hebe= und Abfertigungsstellen im Für= | stenthume Lippe sollen das Fürstlich Lippische Hoheitszeichen, die einfache Inschrift | „Haupt=Steueramt", „Zoll=Amt", oder „Steuer=Amt" | erhalten, und gleich den Zolltafeln, Schlagbäumen etc. mit den Lippischen Lan= | desfarben versehen werden. Die bei den Abfertigungen anzuwendenden Stempel und Siegel sollen | ebenfalls nur das Fürstlich Lippische Hoheitszeichen fuhren. Artikel 15. Die Untersuchung und Bestrafung der im Fürstenthume Lippe begange= | nen Zollvergehen erfolgt nach Maaßgabe des daselbst zu publizirenden Zoll=Straf= | Gesetzes, und zwar beim administrativen Verfahren, von dem im Fürstenthume | Lippe zu errichtenden Haupt=Steuer=Amte und dessen vorgesetzten Verwaltungs= | Behörden, im gerichtlichen Verfahren aber von den Fürstlichen Gerichts=Behör= | den, nach den bestehenden Normen und Kompetenzbestimmungen. Artikel 16. Die Ausübung des Begnadigungs= und Strafverwandlungs=Rechts über | die, wegen verschuldeter Zollvergehen im Fürstenthume Lippe vemrtheilten Per= | sonen bleibt Sr. Durchlaucht dem Fürsten zur Lippe vorbehalten.

934

§ 4: Deutscher Zollverein

[Dok. 85 -102]

[S. 344] Artikel 17. In Folge des gegenwärtigen Vertrags wird zwischen dem Königreiche | Preußen und dem Fürstenthume Lippe eine Gemeinschaft der Einkünfte an Ein= | gangs=, Ausgangs^ und Durchgangs=Abgaben Statt finden, und der Ertrag | dieser Einkünfte, den dieserhalb getroffenen näheren Verabredungen gemäß, nach | dem Verhältnisse der Bevölkerung getheilt werden. Artikel 18. Da die in den Staaten des Zollvereins besteuerten ausländischen Waa= | ren in dem Fürstenthume Lippe, mit wenigen Ausnahmen, gegenwärtig mit kei= | ner Abgabe belegt sind, so verpflichtet sich die Fürstlich Lippische Regierung, vor | Herstellung des freien Verkehrs zwischen dem Fürstenthume und dem Gebiete | des Zollvereins, diejenigen Maßregeln zu ergreifen, welche erforderlich sind, da= | mit nicht die Zolleinkünfte des Vereins durch die Anhäufung und Einführung | unverzollter Waarenvorräthe beeinträchtigt werden. Artikel 19. Die Dauer des gegenwärtigen Vertrages wird bis zum letzten Dezem= | ber 1853. festgesetzt. Erfolgt nicht spätestens ein Jahr vor dem Ablaufe dieses Zeitraums von | der einen oder der anderen Seite eine Aufkündigung, so wird der Vertrag auf [ weitere zwölf Jahre, und so fort von zwölf zu zwölf Jahren als verlängert | angesehen. Derselbe soll alsbald sämmtlichen betheiligten Regierungen zur Ratifika= | tion vorgelegt und die Auswechselung mit möglichster Beschleunigung, spätestens | aber binnen sechs Wochen in Berlin bewirkt werden.^ So geschehen Berlin, den 18. Oktober 1841. Franz August Eichmann. Wilhelm Arnold Eschenburg. (L. S.) (L. S.) Adolph Georg Theodor | Pochhammer. Otto Wilhelm Karl von Roeder. (L. S.) (L. S.)

[93] Zollvereinigungserweiterungsvertrag (Zollvereinsstaaten ./. Braunschweig) vom 19. Oktober 1841 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einfuhrungen" die Darstellungen unter [251.] [390.]. Quelle: Gesetz-Sammlung für die Königlichen Preußischen Staaten, (vom 21. Dezember) 1841, Nr. 23, S. 353 - 370 (gedruckt).^ Sonstige Fundstelle: Verträge und Verhandlungen aus dem Zeiträume von 1833 bis einschließlich 1856 über die Bildung und Ausführung des deutschen Zoll- und HandelsVereins, Dritter Band, 1856, S. 214 - 228. [S. 353] (Nr. 2213.) Vertrag zwischen Preußen, Bayern, Sachsen, Württemberg, Baden, Kurhessen, | dem Großherzogthume Hessen, den zu dem Thüringischen Zoll= und Han= | delsvereine gehörigen Staaten, Nassau und der freien Stadt Frankfurt | einerseits und Braunschweig an^ Erfolgte am 14. Dezember 1841. ^ Separat-Artikel, Schluß-Protokoll und weitere Urkunden zu diesem Vertrag, abgedruckt in: Verträge und Verhandlungen aus dem Zeiträume von 1833 bis einschließlich 1856 über die Bildung und Ausführung des deutschen Zoll- und Handels-Vereins, Dritter Band, Berlin 1856, S. 229 - 283.

[93] Zollvereinigungserweitemngsvertrag vom 19. Oktober 1841

935

dererseits, wegen des Anschlusses des Her= | zogthums Braunschweig an den Gesanimt=Zollverein der ersteren Staaten. | Vom 19. Oktober 1841. Nachdem Seine Herzogliche Durchlaucht der Herzog von Braunschweig und | Lüneburg den Wunsch zu erkennen gegeben haben, dem zwischen Preußen, Bayern, | Sachsen, Württemberg, Baden, Kurhessen, dem Großherzogthume Hessen, den | zu dem Thüringischen Vereine gehörigen Staaten, Nassau und der freien Stadt | Frankfurt bestehenden Zoll= und Handelsvereine beizutreten, so haben, Behufs | der deshalb zu pflegenden Verhandlungen zu Bevollmächtigten ernannt: Seine Majestät der König von Preußen für Sich und in Vertretung | der übrigen Mitglieder des, kraft der Verträge vom 22.^ und 30. März^ | und 11. Mai 1833.^ 12. Mai^ und 10. Dezember 1835.^ 2. Januar 1836.^ | und 8. Mai 1841.8 bestehenden Zoll= und Handelsvereins, nämlich der | Kronen Bayern, Sachsen und Württemberg, des Großherzogthums Ba= I den, des Kurfürstenthums Hessen, des Großherzogthums Hessen, der den | Thüringischen Zoll= und Handelsverein bildenden Staaten, - nament= | lieh des Großherzogthums Sachsen, der Herzogthümer Sachsen=Meinin= | gen, Sachsen=Altenburg und Sachsen=Coburg und Gotha, und der Für= | stenthümer Schwarzburg=Rudolstadt und Schwarzburg= Sondershausen, | Reuß=Greiz, Reuß=Schleiz und Reuß^Lobenstein und Ebersdorf, - des | Herzogthums Nassau und der freien Stadt Frankfurt, Allerhöchst Ihren Wirklichen Geheimen Legations=Rath und Direktor der | 2ten Abtheilung im Ministerium der auswärtigen Angelegenheiten, Franz | August Eichmann, Ritter des Königlich Preußischen rothen Adler= | Ordens 2ter Klasse mit Eichenlaub, des Kaiserlich Österreichischen Leo= | pold=Ordens, Kommandeur des Civil=Verdienst=Ordens der Königlich | Bayerischen Krone und des Königlich Sächsischen Civil=Verdienst=Or= | dens, Kommenthur des Ordens der Königlich Württembergischen Krone, | Kommandeur Ister Klasse des Großherzoglich Badischen Ordens vom | Zähringer Löwen und des Großherzoglich Hessischen Ludewigs=Ordens, | Kommandeur des Großherzoglich Sächsischen Haus=Ordens vom weißen | Falken und Kommandeur Ister Klasse des Herzoglich Braunschweigischen I Ordens Heinrichs des Löwen, | und Allerhöchst Ihren Geheimen Ober=Finanzrath Adolph Georg Theodor | Pochhammer, Ritter des Königlich Preußischen rothen Adler=Ordens | 3ter Klasse mit der Schleife, Kommandeur des Königlich Bayerischen | Verdienst=Ordens vom heiligen Michael, Ritter des Civil=Verdienst=Or= | dens der Königlich Bayerischen Krone, Kommandeur Ister Klasse des | [S. 354] Königlich Hannoverischen Guelphen=Ordens, Ritter des Ordens der Kö= I niglich Württembergischen Krone und Kommandeur 2ter Klasse des Groß= | herzoglich Hessischen Ludewigs=Ordens; | und Seine Durchlaucht der Herzog von Braunschweig und Lüneburg: Höchst Ihren Finanz=Direktor und Geheimen Legations=Rath August Phi= | lipp Christian Theodor von Amsberg, Kommandeur 1 ster Klasse | vom Herzoglich Braunschweigischen Orden Heinrichs des Löwen, Ritter | des Königlich Preußischen rothen Adler=Ordens 2ter Klasse, Komman= | deur 1 ster Klasse des Königlich Hannoverischen Guelphen=Ordens, Kom= | mandeur des Kurfürstlich Hessischen Haus=Ordens vom goldenen Löwen, | Ritter des Königlich Sächsischen Civil=Verdienst=Ordens und Inhaber | des Waterloo^ Ehrenzeichens, I und Dok. 85. Dok. 86. Dok. 87. Dok. 88. Dok. 89. f Dok. 90. 8 Dok. 91.

936

§ 4: Deutscher Zollverein

[Dok. 85-102]

Höchst Ihren Minister^Residenten am Königlich Preußischen Hofe, den Oberst= | Lieutenant und Kammerherm Otto Wilhelm Karl von Röder, Rit= | ter des Königlich Preußischen rothen Adler=Ordens 3ter Klasse, Komthur | des Herzoglich Braunschweigischen Ordens Heinrichs des Löwen, Kom= | thur Ister Klasse des Herzoglich Sachsen=Emestinischen Haus=Ordens, | Ritter des Civil=Verdienst=Ordens der Königlich Bayerischen Krone, | Kommandeur des Königlich Belgischen Leopold=Ordens, von welchen Bevollmächtigten, unter dem Vorbehalte der Ratifikation, folgen= | der Vertrag abgeschlossen worden ist. Artikel 1. Seine Herzogliche Durchlaucht der Herzog von Braunschweig und Lüne= | bürg treten mit Ihren Landen dem zwischen den Königreichen Preußen, Bayern, | Sachsen und Württemberg, dem Großherzogthume Baden, dem Kurfürsten^ | thume und dem Großherzogthume Hessen, den zu dem Thüringischen Zoll= und | Handelsvereine verbundenen Staaten, dem Herzogthume Nassau und der freien | Stadt Frankfurt, Behufs eines gemeinsamen Zoll= und Handelssystems errich= | teten Vereine bei, wie solcher auf den Grund der darüber abgeschlossenen Ver= | träge vom 22. und 30. März und 11. Mai 1833., vom 12. Mai und 10. De= | zember 1835., vom 2. Januar 1836. und vom 8. Mai 1841.^ besteht, indem | Höchstdieselben übrigens das Fürstenthum Blankenburg nebst dem Stiftsamte | Walkenried und das Amt Calvörde in Beziehung auf die Zollverwaltung und | die indirekten Steuern, nach Maaßgabe des hierüber abgeschlossenen besonderen | Vertrages, in nähere Verbindung mit Preußen setzen. In Folge dieses Beitritts wird das Herzogthum Braunschweig mit den | zu dem gedachten Vereine gehörigen Staaten, gegen Uebemahme gleicher Ver= | bindlichkeiten und Erlangung gleicher Rechte, wie diese, einen Gesammt==Zoll= | und Handelsverein bilden. Der Inhalt der gedachten Verträge wird daher hier mit den für den | [S. 355] jetzigen Beitritt des Herzogthums Braunschweig verabredeten besonderen Be= | Stimmungen in Nachstehendem aufgenommen. Artikel 2. In diesen Gesammtverein sind insbesondere auch diejenigen Staaten ein= | begriffen, welche schon früher entweder mit ihrem ganzen Gebiete, oder mit einem | Theile desselben dem Zoll= und Handelssysteme eines oder des anderen der kon= | trahirenden Staaten beigetreten sind, unter Berücksichtigung ihrer auf den Bei= | trittsverträgen beruhenden besonderen Verhältnisse zu den Staaten, mit welchen | sie jene Verträge abgeschlossen haben. Artikel 3. Dagegen bleiben von dem Gesammtvereine vorläufig ausgeschlossen, die= | jenigen einzelnen Landestheile der kontrahirenden Staaten, welche sich ihrer Lage | wegen zur Aufnahme in den Gesammtverein nicht eignen. Hierbei werden jedoch in Beziehung auf die schon jetzt zum Zollvereine | gehörigen Staaten, diejenigen Anordnungen aufrecht erhalten, welche rücksichtlich | des erleichterten Verkehrs der ausgeschlossenen Landestheile mit dem Hauptlande | gegenwärtig bestehen. Weitere Begünstigungen dieser Art können nur im gemeinschaftlichen | Einverständnisse der Vereinsglieder bewilligt werden. Artikel 4. ^Da in den Gebieten der kontrahirenden Staaten übereinstimmende Ge= | setze über Eingangs=. Ausgangs^ und Durchgangs=Abgaben bestehen, dabei jedoch | diejenigen Modifi^ Dok. 85, Dok. 86, Dok. 87, Dok. 88, Dok. 89, Dok. 90 und Dok. 91

[93] Zollvereinigungserweiterungsvertrag vom 19. Oktober 1841

937

kationen zulässig seyn sollen, welche, ohne dem gemeinsamen | Zwecke Abbruch zu thun, aus der Eigenthümlichkeit der allgemeinen Gesetzgebung | eines jeden Theil nehmenden Staates oder aus lokalen Interessen sich als noth= | wendig ergeben, so wird dieses auch für das Herzogthum Braunschweig Anwen= | dung finden. "^Bei dem Zolltarife namentlich sollen hierdurch in Bezug auf | Eingangs^ und Ausgangs^Abgaben bei einzelnen, weniger fär den größeren Han= | delsverkehr geeigneten Gegenständen, und in Bezug auf Durchgangs^Abgaben, I je nachdem der Zug der Handelsstraßen es erfordert, solche Abweichungen von I den allgemein angenommenen Erhebungssätzen, welche für einzelne Staaten als | vorzugsweise wünschenswerth erscheinen, nicht ausgeschlossen seyn, sofern sie auf | die allgemeinen Interessen des Vereins nicht nachtheilig einwirken. Desgleichen soll auch die Verwaltung der Eingangs^, Ausgangs= und | Durchgangs^Abgaben und die Organisation der dazu dienenden Behörden in | allen Ländern des Gesammt=Vereins, unter Berücksichtigung der in denselben | bestehenden eigenthümlichen Verhältnisse auf gleichen Fuß gebracht werden. Artikel 5. Veränderungen in der Zollgesetzgebung, mit Einschluß des Zolltarifs und | der Zoll= Ordnung, so wie Zusätze und Ausnahmen können nur auf demselben | Weg und mit gleicher Übereinstimmung sämmtlicher Glieder des Gesammt^^ | Vereins bewirkt werden, wie die Einführung der Gesetze erfolgt. [S. 356] Dies gilt auch von allen Anordnungen, welche in Beziehung auf die | Zollverwaltung allgemein abändernde Normen aufstellen. Artikel 6. Mit der Ausführung des gegenwärtigen Vertrages tritt zwischen den | kontrahirenden Vereinsstaaten und dem Herzogthume Braunschweig Freiheit | des Handels und Verkehrs und zugleich Gemeinschaft der Einnahme an Zöllen | ein, wie beide in den folgenden Artikeln bestimmt werden. Artikel 7. Es hören von diesem Zeitpunkte an alle Eingangs^, Ausgangs^ und | Durchgangs^Abgaben an den gemeinschaftlichen Landesgrenzen der Staaten des | bisherigen Zollvereins und des Herzogthums Braunschweig auf, und es können | alle im freien Verkehr des einen Gebietes bereits befindlichen Gegenstände auch | frei und unbeschwert in das andre Gebiet gegenseitig eingeführt werden, mit | alleinigem Vorbehalte a) der zu den Staats=Monopolien gehörigen Gegenstände (Spielkarten und | Salz) nach Maaßgabe der Artikel 8. und 9., b) der im Innern der kontrahirenden Staaten mit einer Steuer belegten | inländischen Erzeugnisse, nach Maaßgabe des Artikels 10., und endlich c) solcher Gegenstände, welche ohne Eingriff in die von einem der kontrahi= | renden Staaten ertheilten Erfindungspatente oder Privilegien nicht nach= | gemacht oder eingeführt werden können, und daher für die Dauer der | Patente oder Privilegien von der Einfuhr in den Staat, welcher die= | selben ertheilt hat, noch ausgeschlossen bleiben müssen. Artikels. Hinsichtlich der Einfuhr von Spielkarten behält es bei den in den kon= | trahirenden Vereinsstaaten bestehenden Verbots^ oder Beschränkungs=Gesetzen | sein Bewenden.

938

§ 4: Deutscher Zollverein

[Dok. 85-102]

Artikel 9. In Betreff des Salzes tritt die Herzoglich Braunschweigische Regierung | den zwischen den kontrahirenden Vereins=Regierungen getroffenen Verabredungen | in folgender Art bei: a) Die Einfuhr des Salzes und aller Gegenstände, aus welchen Kochsalz | ausgeschieden zu werden pflegt, aus fremden, nicht zum Vereine gehöri= | gen Ländern in die Vereinsstaaten ist verboten, in soweit dieselbe nicht | für eigene Rechnung einer der vereinten Regierungen, und zum unmit= | telbaren Verkaufe in ihren Salz=Ämtem, Faktoreien oder Niederlagen | geschieht. b) Die Durchfuhr des Salzes und der vorbezeichneten Gegenstände aus | den zum Vereine nicht gehörigen Ländern in andere solche Länder soll | nur mit Genehmigung der Vereinsstaaten, deren Gebiet bei der Durch= | [S. 357] fuhr berührt wird, und unter den Vorsichtsmaaßregeln Statt finden, | welche von demselben für nöthig erachtet werden. c) Die Ausfuhr des Salzes in fremde, nicht zum Vereine gehörige Staa= | ten ist frei. d) Was den Salzhandel innerhalb der Vereinsstaaten betrifft, so ist die | Einfuhr des Salzes von einem in die andern nur in dem Falle erlaubt, | wenn zwischen den Landes=Regierungen besondere Verträge deshalb be= | stehen. e) Wenn eine Regierung von der anderen innerhalb des Gesammt=Ver= | eins aus Staats^ oder Privat=Salinen Salz beziehen will, so müssen | die Sendungen mit Pässen von öffentlichen Behörden begleitet werden. f) Wenn ein Vereinsstaat durch einen anderen aus dem Auslande oder | aus einem dritten Vereinsstaate seinen Salzbedarf beziehen oder durch | einen solchen sein Salz in fremde, nicht zum Vereine gehörige Staaten | versenden lassen will, so soll diesen Sendungen kein Hindemiß in den | Weg gelegt werden; jedoch werden, in sofern dieses nicht schon | durch frühere Verträge bestimmt ist, durch vorgängige Übereinkunft der bethei= | ligten Staaten die Straßen für den Transport und die erforderlichen I Sicherheits=Maaßregeln zur Verhinderung der Einschwärzung verabredet I werden. g) Wenn zwischen den Salzpreisen des Herzogthums Braunschweig und | eines der jetzt oder künftig an dasselbe grenzenden Vereinsstaaten eine | solche Verschiedenheit bestände, daß daraus für den einen oder den an== | deren dieser Staaten eine Gefahr der Salz=Einschwärzung hervorginge, | so werden die hiebei betheiligten Regierungen sich über Maaßregeln ver= | einbaren, welche diese Gefahr möglichst beseitigen, ohne den freien Ver= | kehr mit anderen Gegenständen zu belästigen. Artikel 10. ^In Bezug auf diejenigen Erzeugnisse, welche in den einzelnen Vereins^ | Staaten theils bei ihrer Hervorbringung oder Zubereitung, theils unmittelbar bei | ihrem Verbrauche mit einer inneren Steuer belegt sind (Art. 7. Litt, b.), wird | es von der Herzoglich Braunschweigischen Regierung in gleichem Maaße, wie | von sämmtlichen anderen kontrahirenden Theilen als wünschenswerth anerkannt, | hierin eine Übereinstimmung der Gesetzgebung und der Besteuerungssätze in den | Vereinsstaaten thunlichst hergestellt zu sehen, und es wird daher auch ihr Be= | streben auf Herbeiführung einer solchen Gleichmäßigkeit, insbesondere durch Ver= | einigung mehrerer Staaten zu gleichen inneren Steuer=Einrichtungen, mit oder | ohne Gemeinschaftlichkeit der Steuer=Erträge, gerichtet seyn. "^Bis dahin, wo | dieses Ziel erreicht worden, sollen hinsichtlich der vorbemerkten Steuern und des I Verkehrs mit den davon betroffenen Gegenständen unter den Vereinsstaaten, | zur Vermeidung der Nachtheile, welche aus einer Verschiedenartigkeit der in= | neren Steuer=Systeme überhaupt, und namentlich aus der Ungleichheit der | Steuersätze, sowohl für die Produzenten, als für die Steuer=Einnahme der ein= | [S. 258] zelnen Vereinsstaaten,

[93] Zollvereinigungserweitemngsvertrag vom 19. Oktober 1841

939

erwachsen könnten, - abgesehen von der Besteuerung | des im Umfange des Zollvereins erzeugten Rübenzuckers, weshalb auf die be= | sonders getroffenen Vereinbarungen Bezug genommen wird, - folgende Gmnd= | sätze in Anwendung kommen. I. Hinsichtlich der ausländischen Erzeugnisse. Von allen Erzeugnissen, von welchen entweder auf die in der Zollord= | nung vorgeschriebene Weise dargethan wird, daß sie als ausländisches Ein= oder | Durchgangsgut die zollamtliche Behandlung bei einer Erhebungs=Behörde des | Vereins bereits bestanden haben oder derselben noch unterliegen, oder von wel= | chen, dafem sie zu den tarifmäßig zollfreien gehören, durch Bescheinigungen der | Grenz==Zollämter nachgewiesen wird, daß sie vom Auslande eingeführt worden | sind, darf keine weitere Abgabe irgend einer Art, sey es für Rechnung des Staats, | oder für Rechnung von Kommunen und Korporationen erhoben werden: jedoch | - was das Eingangsgut betrifft - mit Vorbehalt derjenigen inneren Steuern, | welche in einem Vereinsstaate auf die weitere Verarbeitung oder auf anderweite | Bereitungen aus solchen Erzeugnissen, ohne Unterschied des ausländischen, inlän= | dischen oder vereinsländischen Ursprungs allgemein gelegt sind. IL Hinsichtlich der inländischen und vereinsländischen Erzeugnisse. 1. Von den innerhalb des Vereins erzeugten Gegenständen, welche nur | durch einen Vereinsstaat transitiren, um entweder in einen andern Vereinsstaat | oder nach dem Auslande geführt zu werden, dürfen innere Steuern weder für | Rechnung des Staats, noch für Rechnung von Kommunen oder Korporationen | erhoben werden. 2. Jedem Vereinsstaate bleibt es zwar freigestellt, die auf der Hervor^ | bringung, der Zubereitung oder dem Verbrauche von Erzeugnissen ruhenden in= | neren Steuern beizubehalten, zu verändern oder aufzuheben, so wie neue Steuern | dieser Art einzuführen, jedoch sollen a) dergleichen Abgaben für jetzt nur auf folgende inländische und gleichnamige | vereinsländische Erzeugnisse, als: Branntwein, Bier, Essig, Malz, Wein, | Most, Cider (Obstwein), Taback, Mehl und andere Mühlenfabrikate, des= | gleichen Backwaaren, Fleisch, Fleischwaaren und Fett gelegt werden dürfen. | Auch wird man sich b) so weit nöthig, über bestimmte Sätze verständigen, deren Betrag bei Ab= | messung der Steuern nicht überschritten werden soll. 3. Bei allen Abgaben, welche in dem Bereiche der Vereinsländer hier= | nach zur Erhebung kommen, wird eine gegenseitige Gleichmäßigkeit der Behand= | lung dergestalt Statt finden, daß das Erzeugniß eines anderen Vereinsstaates | unter keinem Vorwande höher oder in einer lästigeren Weise, als das inländische | oder als das Erzeugniß der übrigen Vereinsstaaten, besteuert werden darf In | Gemäßheit dieses Grundsatzes wird Folgendes festgesetzt: a) Vereinsstaaten, welche von einem inländischen Erzeugnisse keine innere | Steuer erheben, dürfen auch das gleiche vereinsländische Erzeugniß nicht | [S. 359] besteuern. Jedoch soll ausnahmsweise denjenigen Vereinsstaaten, in wel= | chen kein Wein erzeugt wird, freistehen, eine Abgabe von dem vereinslän= | dischen Weine nach den besonders getroffenen Verabredungen zu erheben. b) Diejenigen Staaten, in welchen innere Steuern von einem Konsumtions= | Gegenstande bei dem Kaufe oder Verkaufe oder bei der Verzehrung | desselben erhoben werden, dürfen diese Steuern von den, aus anderen | Vereins Staaten herrührenden Erzeugnissen der nämlichen Gattung nur in | gleicher Weise fordern; sie können dagegen die Abgabe von den nach | anderen Vereinsstaaten übergehenden Gegenständen unerhoben, oder ganz | oder theilweise zurückgeben lassen. c) Diejenigen Staaten, welche innere Steuern auf die Hervorbringung oder | Zubereitung eines Konsumtions=Gegenstandes gelegt haben, können den | gesetzli-

940

§ 4: Deutscher Zollverein

[Dok. 85-102]

chen Betrag derselben bei der Einfuhr des Gegenstandes aus an= | deren Vereinsstaaten voll erheben, und bei der Ausfuhr nach diesen | Staaten theilweise oder bis zum vollen Betrage zurückerstatten lassen. Welche, dem dermaligen Stande der Gesetzgebung in den gedachten | Staaten entsprechende Beträge hiemach zur Erhebung kommen und be= | ziehungsweise zurückerstattet werden können, ist besonders verabredet wor= | den. Treten späterhin irgendwo Veränderungen in den fur die inneren | Erzeugnisse zur Zeit bestehenden Steuersätzen ein, so wird die betreffende | Regierung den übrigen Vereins=Regiemngen davon Mittheilung machen, | und hiermit den Nachweis verbinden, daß die Steuer=Beträge, welche, [ in Folge der eingetretenen oder beabsichtigten Veränderung, von den ver= | einsländischen Erzeugnissen erhoben, und bei der Ausfuhr der besteuerten | Gegenstände vergütet werden sollen, den vereinbarten Grundsätzen ent= | sprechend bemessen seyen. d) So weit zwischen mehreren, zum Zollvereine gehörigen Staaten eine | Vereinigung zu gleichen Steuer=Einrichtungen besteht, werden diese | Staaten in Ansehung der Befugniß, die betreffenden Steuern gleichmäßig | auch von vereinsländischen Erzeugnissen zu erheben, als ein Ganzes | betrachtet. 4. Die Erhebung der inneren Steuern von den damit betroffenen ver= | einsländischen Gegenständen soll in der Regeln in dem Lande des Bestimmungs= | Ortes Statt finden, in sofern solche nicht, nach besonderen Vereinbarungen, | entweder durch gemeinschaftliche Hebestellen an den Binnengrenzen, oder im Lande | der Versendung für Rechnung des abgabeberechtigten Staates erfolgt. Auch | sollen die, zur Sicherung der Steuei^Erhebung erforderlichen Anordnungen, | soweit sie die, bei der Versendung aus einem Vereinsstaate in den anderen, | einzuhaltenden Straßen und Kontrolen betreffen, auf eine, den Verkehr möglichst | wenig beschränkende Weise und nur nach gegenseitiger Verabredung, auch, dafem | bei dem Transporte ein dritter Vereins Staat berührt wird, nur unter Zustim= | mung des letzteren, getroffen werden. 5. Die Erhebung von Abgaben für Rechnung von Kommunen oder | Korporationen, sey es durch Zuschläge zu den Staatssteuem oder für sich be= | [S. 360] stehend, soll nur für Gegenstände, die zur örtlichen Konsumtion bestimmt sind, | nach den deshalb getroffenen besonderen Vereinbarungen bewilligt werden, und | es sollen dabei die vorstehend unter IL 2. b. gegebene Bestimmung und der | unter IL 3. ausgesprochene allgemeine Grundsatz wegen gegenseitiger Gleichmäßige | keit der Behandlung der Erzeugnisse anderer Vereinsstaaten, eben so, wie bei | den Staatssteuem, in Anwendung kommen. Vom Taback dürfen Abgaben fur Rechnung von Kommunen oder Kor= | porationen überall nicht erhoben werden. 6. Die Regiemngen der Vereinsstaaten werden sich gegenseitig a) was die hier in Rede stehenden Staatssteuem betrifft, von allen noch | gültigen Gesetzen und Verordnungen, femer von allen in der Folge ein= | tretenden Verändemngen, sowie von den Gesetzen und Verordnungen | über neu einzuführende Steuem, b) hinsichtlich der Kommunal= etc. Abgaben aber darüber, in welchen Orten, | von welchen Kommunen oder Korporationen, von welchen Gegenständen, | in welchem Betrage und aufweiche Weise dieselben erhoben werden, vollständige Mittheilung machen. Artikeln. Seine Herzogliche Durchlaucht der Herzog von Braunschweig treten | der Übereinkunft bei, welche die zu dem Zoll= und Handelsvereine gehörigen | Regiemngen wegen Besteue-

[93] Zollvereinigungserweitemngsvertrag vom 19. Oktober 1841

941

rung des im Umfange des Vereins aus Runkel= | rüben bereiteten Zuckers unterm 8. Mai d. J. geschlossen haben, und erklären | Sich femer damit einverstanden, daß, wenn die Fabrikation von Zucker oder | Syrup aus anderen inländischen Erzeugnissen, als aus Runkelrüben, z. B. aus I Stärke, im Zollvereine einen erheblichen Umfang gewinnen sollte, diese Fabrikation | ebenfalls in sämmtlichen Vereinsstaaten einer übereinstimmenden Besteuerung I nach den fur die Rübenzuckersteuer verabredeten Grundsätzen zu unterwerfen | seyn würde. Artikel 12. Chausseegelder oder andere statt derselben bestehende Abgaben, ebenso | Pflaster=, Damm=, Brücken= und Fährgelder, oder unter welchem anderen | Namen dergleichen Abgaben bestehen, ohne Unterschied, ob die Erhebung fur | Rechnung des Staats oder eines Privat=Berechtigten, namentlich einer Kom= | mune, geschieht, sollen sowohl auf Chausseen, als auch auf unchaussirten Land= | und Heerstraßen, welche die unmittelbare Verbindung zwischen den an einander | grenzenden Vereinsstaaten bilden und auf denen ein größerer Handels^ und | Reiseverkehr Statt findet, nur in dem Betrage beibehalten oder neu eingeführt | werden können, als sie den gewöhnlichen Herstellungs= und Unterhaltungskosten I angemessen sind. Das in dem Preußischen Chausseegeld^Tarife vom Jahre 1828. be= | stimmte Chausseegeld soll als der höchste Satz angesehen, und hinfuhro in kei= | nem der kontrahirenden Staaten überschritten werden, mit alleiniger Ausnahme | [S. 361] des Chausseegeldes auf solchen Chausseen, welche von Korporationen oder Pri= | vatpersonen oder auf Aktien angelegt sind oder angelegt werden möchten, in | sofern dieselben nur Nebenstraßen sind oder blos lokale Verbindungen einzelner | Ortschaften oder Gegenden mit größeren Städten oder mit den eigentlichen | Haupt=Handelsstraßen bezwecken. Besondere Erhebungen von Thorsperr= und Pflastergeldem sollen auf | chaussirten Straßen, da, wo sie noch bestehen, dem vorstehenden Grundsatze ge= | maß aufgehoben, und die Ortspflaster den Chausseestrecken dergestalt eingerech= | net werden, daß davon nur die Chausseegelder nach dem allgemeinen Tarife zur | Erhebung kommen. Artikel 13. Seine Herzogliche Durchlaucht der Herzog von Braunschweig schließen | Sich den Verabredungen an, welche zwischen den, zu dem Zoll= und Handels= | vereine gehörigen Regierungen wegen Herbeiführung eines gleichen Münz=, | Maaß= und Gewichtssystems getroffen worden sind, und treten insbesondere der | zwischen den gedachten Regierungen unter dem 30. Juli 1838 abgeschlossenen | allgemeinen Münz=Konvention hierdurch mit der Erklärung bei, den 14=Tha= | lerfuß, welcher im Herzogthume Braunschweig bereits der Landes=Münzfuß ist | als solchen auch femer beibehalten zu wollen. Demgemäß kommen die Stipulationen der bisherigen Zollvereinigungs= | Verträge, wonach 1) der gemeinschaftliche Zolltarif in zwei Haupt=Abtheilungen nach dem | 14=Thalerfuße und nach dem 24 Vi^Guldenfuße ausgefertigt wird; 2) die Silbermünzen der sämmtlichen kontrahirenden Staaten - mit Aus= | nähme der Scheidemünze - nach der durch die vorgedachte Münz== | Konvention festgestellten Gleichwerthung von Vier Thalem gegen Sie= | ben Gulden bei allen Zoll=Hebestellen des Vereins angenommen werden; | dagegen 3) hinsichtlich der Goldmünzen einer jeden Vereins=Regiemng die Bestim= | mung überlassen bleibt, ob und in welchem Silberwerthe dieselben bei | den Zoll= Hebestellen ihres Landes angenommen werden sollen, auch für das Herzogthum Braunschweig zur Anwendung.

942

§ 4: Deutscher Zollverein

[Dok. 85-102]

^In Betreff des Gewichtes treten Seine Herzogliche Durchlaucht der | Herzog von Braunschweig der in dem Zollvereine vertragsmäßig bestehenden | Einrichtung bei, wonach der Großherzoglich Badische und Hessische Centner | (50 Kilogramme) als Einheit fur das gemeinschaftliche Zollgewicht angenommen | ist. "^Es wird daher im Herzogthume Braunschweig die Deklaration, Verwie= | gung und Verzollung der nach dem Gewichte zollpflichtigen Gegenstände aus== | schließlich nach jenem Gewichte geschehen. Die Deklaration, Messung und Verzollung der nach dem Maaße zu | verzollenden Gegenstände wird in allen Theilen des Vereins und mithin auch | in dem Herzogthume Braunschweig so lange nach dem landesgesetzlichen Maaße | [S. 362] erfolgen, bis man sich über ein gemeinschaftliches Maaß ebenfalls vereinigt ha= | ben wird. Uebrigens werden die kontrahirenden Regierungen ihre Sorgfalt dahin | richten, auch für das Maaß= und Gewichtssystem ihrer Länder im Allgemeinen | die zur Förderung des gegenseitigen Verkehrs wünschenswerthe Übereinstim= | mung herbeizuführen. Artikel 14. Die Wasserzölle oder auch Wegegeld=Gebühren auf Flüssen, mit Ein= | schluß derjenigen, welche das Schiffsgefäß treffen (Rekognitions^Gebühren), | sind von der Schiffahrt auf solchen Flüssen, aufweiche die Bestimmungen des | Wiener Kongresses oder besondere Staatsverträge Anwendung finden, femer | gegenseitig nach jenen Bestimmungen zu entrichten, in sofern hierüber nichts | Besonderes verabredet wird. Alle Begünstigungen, welche ein Vereinsstaat dem Schiffahrtsbetriebe | seiner Unterthanen auf den Eingangs genannten Flüssen zugestehen möchte, sollen | in gleichem Maaße auch der Schiffahrt der Unterthanen der anderen Vereins== | Staaten zu Gute kommen. ^Auf den übrigen Flüssen, bei welchen weder die Wiener Kongreß^Akte | noch andere Staatsverträge Anwendung finden, werden die Wasserzölle nach | den privativen Anordnungen der betreffenden Regierungen erhoben. '^Doch sollen | auch auf diesen Flüssen die Unterthanen der kontrahirenden Staaten und deren | Waaren und Schiffsgefäße überall gleich behandelt werden. Artikel 15. Von dem Tage an, wo die gemeinschaftliche Zollordnung des Vereins | in Vollzug gesetzt wird, sollen im Herzogthume Braunschweig, wie bereits in | den übrigen zum Zollvereine gehörigen Gebieten geschehen ist, alle etwa noch be= | stehenden Stapel= und Umschlagsrechte aufhören, und Niemand soll zur An= | haltung, Verladung oder Lagerung gezwungen werden können, als in den Fällen, | in welchen die gemeinschaftliche Zollordnung oder die betreffenden Schiffahrts= | Reglements es zulassen oder vorschreiben. Artikel 16. Kanal=, Schleusen^, Fähr=, Hafen=, Waage=, Krahnen= und Nieder^ | lagegebühren und Leistungen für Anstalten, die zur Erleichterung des Verkehrs | bestimmt sind, sollen nur bei Benutzung wirklich bestehender Einrichtungen er= | hoben, und in der Regel nicht, keinenfalls aber über den Betrag der gewöhn^ | liehen Herstellungs= und Unterhaltungskosten hinaus, erhöhet, auch überall von | den Unterthanen der anderen kontrahirenden Staaten auf völlig gleiche Weise, | wie von den eigenen Unterthanen, ingleichen ohne Rücksicht auf die Bestim= | mung der Waaren erhoben werden. Findet der Gebrauch einer Waage=Einrichtung nur zum Behufe der | Zoll=Ermittelung oder überhaupt einer zollamtlichen Kontrole Statt, so tritt | eine Gebühren=Erhebung nicht ein.

[93] Zollvereinigungserweiterungsvertrag vom 19. Oktober 1841

943

[S, 363] Artikel 17. Die Herzoglich Braunschweigische Regierung wird auch ihrerseits ge= | meinschaftlich mit den kontrahirenden Vereins Staaten dahin wirken, daß durch | Annahme gleichförmiger Grundsätze die Gewerbsamkeit befördert, und der Be= | fugniß der Unterthanen des einen Staates, in dem anderen Arbeit und Erwerb | zu suchen, möglichst freier Spielraum gegeben werde. Von den Unterthanen des einen der kontrahirenden Staaten, welche in | dem Gebiete eines anderen derselben Handel und Gewerbe treiben, oder Arbeit | suchen, soll von dem Zeitpunkte an, wo der gegenwärtige Vertrag in Kraft | treten wird, keine Abgabe entrichtet werden, welcher nicht gleichmäßig die in | demselben Gewerbsverhältnisse stehenden eigenen Unterthanen unterworfen sind. Desgleichen sollen Fabrikanten und Gewerbetreibenden, welche blos für | das von ihnen betriebene Geschäft Ankäufe machen, oder Reisende, welche nicht | Waaren selbst, sondern nur Muster derselben bei sich führen, um Bestellungen | zu suchen, wenn sie die Berechtigung zu diesem Gewerbsbetriebe in dem Ver= | einsstaate, in welchem sie ihren Wohnsitz haben, durch Entrichtung der gesetz= | liehen Abgaben erworben haben, oder im Dienste solcher inländischen Gewerbe^ | treibenden oder Kaufleute stehen, in den anderen Staaten keine weitere Abgabe | hiefür zu entrichten verpflichtet seyn. Auch sollen beim Besuche der Märkte und Messen zur Ausübung des | Handels und zum Absätze eigener Erzeugnisse oder Fabrikate in jedem Vereins= | Staate die Unterthanen der übrigen kontrahirenden Staaten eben so wie die | eigenen Unterthanen behandelt werden. Artikel 18. Die Preußischen Seehäfen sollen dem Handel der Herzoglich Braun= | schweigischen Unterthanen, wie dem der übrigen Vereinsstaaten, gegen völlig | gleiche Abgaben, wie solche von den Königlich Preußischen Unterthanen entrich= | tet werden, offenstehen; auch sollen die in fremden See= und anderen Handels^ | platzen angestellten Konsuln eines oder des anderen der kontrahirenden Staaten | veranlaßt werden, der Unterthanen der übrigen kontrahirenden Staaten sich in | vorkommenden Fällen möglichst mit Rath und That anzunehmen. Artikel 19. ^ Seine Herzogliche Durchlaucht der Herzog von Braunschweig treten [ hierdurch dem zwischen den bisherigen Vereinsgliedem zum Schutze ihres ge= | meinschaftlichen Zollsystems gegen den Schleichhandel, und ihrer inneren Ver= | brauchstAbgaben gegen Defraudationen unter dem 11. Mai 1833. abgeschlos= | senen Zollkartel für die Dauer des gegenwärtigen Vertrages bei, und werden | die betreffenden Artikel desselben gleichzeitig mit letzterem in ihren Landen publi= | ziren lassen. ^Nicht minder werden auch von Seiten der übrigen Vereinsglieder | die erforderlichen Anordnungen getroffen werden, damit in den gegenseitigen | Verhältnissen den Bestimmungen dieses Zollkartels überall Anwendung gege= I ben werde. [S. 364] Artikel 20. Die als Folge des gegenwärtigen Vertrages eintretende Gemeinschaft der | Einnahme der kontrahirenden Staaten bezieht sich auf den Ertrag der Eingangs^, | Ausgangs^ und Durchgangs=Abgaben in den Königlich Preußischen Staaten, | den Königreichen Bayern, Sachsen und Württenberg, dem Großherzogthume | Baden, dem Kurfürstenthume und dem Großherzogthume Hessen, dem Thürin= | gischen Zoll= und Handelsvereine, dem Herzogthume Braunschweig, dem Herzoge | thume Nassau und der freien Stadt Frankfurt, mit Einschluß der, den Zollsy= | stemen der kontrahirenden Staaten bisher schon beigetretenen Länder.

944

§ 4: Deutscher Zollverein

[Dok. 85-102]

Von der Gemeinschaft sind ausgeschlossen und bleiben, sofern nicht Se= | parat=Verträge zwischen einzelnen Vereinsstaaten ein Anderes bestimmen, dem | privativen Genüsse der betreffenden Staats=Regierungen vorbehalten: 1. die Steuern, welche im Innern eines jeden Staates von inländischen Er= | Zeugnissen erhoben werden, einschließlich der nach Art. 10. von den vereins= | ländischen Erzeugnissen der nämlichen Gattung zur Erhebung kommenden | Übergangs= Abgaben; 2. die Wasserzölle; 3. Chaussee=Abgaben, Pflaster=, Damm=, Brücken^, Fähr=, Kanal=, Schien^ [ sen=, Hafengelder, so wie Waage= und Niederlage=Gebühren oder gleich^ | artige Erhebungen, wie sie auch sonst genannt werden mögen; 4. die Zollstrafen und Konfiskate, welche, vorbehaltlich der Antheile der De= | nunzianten, jeder Staats=Regierung in ihrem Gebiete verbleiben. Artikel 21. In Hinsicht auf die Vertheilung der in die Gemeinschaft fallenden Ab= | gaben ist Folgendes verabredet worden: 1. Der Ertrag der Eingangs=Abgaben wird nach Abzug a) der Kosten, welche an den gegen das Ausland gelegenen Grenzen und in | dem Grenzbezirke für den Schutz und die Erhebung der Zölle erforderlich | sind (Artikel 30. der Verträge vom 22. und 30. März, auch 11. Mai 1833. | so wie vom 12. Mai 1835. und Artikel 26. des Vertrages vom 10. De= | zember 1835.^); b) der Rückerstattungen für unrichtige Erhebungen; c) der auf dem Grunde besonderer gemeinschaftlicher Verabredungen erfolgten | Steuervergütungen und Ermäßigungen; zwischen sämmtlichen Vereinsgliedem nach dem Verhältnisse der Bevölkerung, | mit welcher sie in dem Gesammtvereine sich befinden, vertheilt. 2. Der Ertrag der Aus= und Durchgangs=Abgaben wird, a) so weit diese Abgaben bei den Hebestellen in den östlichen Provinzen des | Königreichs Preußen (also mit Ausnahme der Provinz Westphalen und | der Rheinprovinz) im Königreiche Sachsen, im Gebiete des Thüringischen | Zoll= und Handels=Vereins und im Herzogthume Braunschweig, mit | [S. 365] Ausschluß der Kreisdirektions=Bezirke Holzminden und Gandersheim, so | wie des Amtes Harzburg eingehen, zwischen Preußen, Sachsen, den Staa= | ten des Thüringischen Vereins und Braunschweig nach dem von ihnen | zu verabredenden Theilungsfiiße, dagegen b) so weit dieselben bei den Hebestellen in den übrigen Vereinstheilen einge= | hen, nach der Bevölkerung dieser Vereinstheile unter die betreffenden | Staaten vertheilt, und zwar lediglich nach Abzug der Rückerstattungen für unrichtige Ev= \ hebungen, und der auf dem Grunde besonderer gemeinschaftlicher Verabredung | gen erfolgten Steuervergütungen und Ermäßigungen. 3. Bei der nach den Sätzen 1. und 2. Statt findenden Vertheilung der | Ein=, Aus= und Durchgangs=Abgaben wird die Bevölkerung solcher Staaten, | welche durch Vertrag mit einem oder dem anderen der kontrahirenden Staaten, | unter Verabredung einer von diesem jährlich für ihre Antheile an den gemein= | schaftlichen Zollrevenüen zu leistenden Zahlung, dem Zollsysteme desselben beige= | treten sind oder etwa künftig noch beitreten werden, in die Bevölkerung desje= | nigen Staates eingerechnet, welcher diese Zahlung leistet.

Dok. 85, Dok. 86, Dok. 87, Dok. 88 und Dok. 89.

[93] Zollvereinigungserweitemngsvertrag vom 19. Oktober 1841

945

4. Der Stand der Bevölkerung in den einzelnen Vereinsstaaten wird | alle drei Jahre ausgemittelt, und die Nachweisung derselben von den Vereins^ | gliedern einander gegenseitig mitgetheilt werden. 5. Unter Berücksichtigung der besonderen Verhältnisse, welche hinsichtlich | des Verbrauchs an zollpflichtigen Waaren bei der freien Stadt Frankfurt ob= | walten, ist wegen des Antheils derselben an den gemeinschaftlichen Einnahmen | ein besonderes Abkommen getroffen. Artikel 22. Vergünstigungen für Gewerbetreibende hinsichtlich der Zoll=Entrichtung, | welche nicht in der Zollgesetzgebung selbst begründet sind, fallen der Staatskasse | derjenigen Regierung, welche sie bewilligt hat, zur Last. ^Hinsichtlich der Maaß= | gaben, unter welchen solche Vergünstigungen zu bewilligen sind, bewendet es bei | den darüber zwischen den bisherigen Vereinsgliedem bereits bestehenden Verab= | redungen. Artikel 23. Dem auf Förderung freier und natürlicher Bewegung des allgemeinen | Verkehrs gerichteten Zwecke des Zollvereins gemäß, sollen besondere Zollbegün= | stigungen einzelner Meßplätze, namentlich Rabattprivilegien, da, wo sie dermalen | in den Vereins Staaten noch bestehen, nicht erweitert, sondern vielmehr unter | geeigneter Berücksichtigung sowohl der Nahrungs=Verhältnisse bisher begünstigter | Meßplätze, als der bisherigen Handelsbeziehungen mit dem Auslande, thunlichst | beschränkt und ihrer baldigen gänzlichen Aufhebung entgegen geführt, neue aber | ohne allerseitige Zustimmung auf keinen Fall ertheilt werden. Artikel 24. Von der tarifmäßigen Abgaben=Entrichtung bleiben die Gegenstände, | welche für die Hofhaltung der hohen Souveraine und ihrer Regentenhäuser, | [S. 366] oder für die bei ihren Höfen akkreditirten Botschafter, Gesandten, Geschäftsträger | u. s. w. eingehen, nicht ausgenommen, und wenn dafür Rückvergütungen Statt | haben, so werden solche der Gemeinschaft nicht in Rechnung gebracht. Eben so wenig anrechnungsfahig sind Entschädigungen, welche in einem | oder dem anderen Staate den vormals unmittelbaren Reichs ständen, oder an | Kommunen oder einzelne Privatberechtigte für eingezogene Zollrechte oder für | aufgehobene Befreiungen gezahlt werden müssen. ^Dagegen bleibt es einem jeden Staate unbenommen, einzelne Gegenstände | auf Freipässe ohne Abgaben^Entrichtung ein=, aus= oder durchgehen zu lassen. | ^Dergleichen Gegenstände werden jedoch zollgesetzlich behandelt, und in Freiregistem | mit denen es wie mit den übrigen Zollregistem zu halten ist, notirt, und die | Abgaben, welche davon zu erheben gewesen wären, kommen bei der demnächstigen | Revenüen=Ausgleichung demjenigen Theile, von welchem die Freipässe ausgegangen | sind, in Abrechnung. Artikel 25. ^Das Begnadigungs= und Strafverwandelungs=Recht bleibt jedem der | kontrahirenden Staaten in seinem Gebiete vorbehalten. ^Auf Verlangen wer= | den periodische Uebersichten der erfolgten Straf=Erlasse gegenseitig mitgetheilt | werden. Artikel 26. Die Ernennung der Beamten und Diener bei den Lokal= und Bezirks^ | stellen für die Zoll=Erhebung und Aufsicht, welche nach der hierüber getroffenen | besonderen Übereinkunft nach gleichförmigen Bestimmungen angeordnet, besetzt | und instruirt werden sollen,

946

§ 4: Deutscher Zollverein

[Dok. 85 - 102]

bleibt der Herzoglich Braunschweigischen Regie= | rung, wie sämmtlichen Gliedern des Gesammtvereins, innerhalb ihres Gebie= | tes überlassen. Artikel 27= ^Nicht minder wird auch im Herzogthume Braunschweig die Leitung des | Dienstes der Lokal= und Bezirks=Behörden, so wie die Vollziehung der ge= | meinschaftlichen Zollgesetze überhaupt, einer Zolldirektion übertragen, welche dem | Staats=Ministerium untergeordnet ist. •^Die Bildung dieser Direktion und die | Einrichtung ihres Geschäftsganges bleibt der Herzoglich Braunschweigischen Re= | gierung überlassen; der Wirkungskreis derselben aber wird, in soweit er nicht | schon durch gegenwärtigen Vertrag und die gemeinschaftlichen Zollgesetze bestimmt | ist, durch eine gemeinschaftlich zu verabredende Instruktion bezeichnet werden. Artikel 28. Die von den Zollerhebungs=Behörden nach Ablauf eines jeden Vierte 1= | Jahres aufzustellenden Quartalextrakte, und die nach dem Jahres== und Bücher= | Schlüsse aufzustellenden Final=Abschlüsse über die resp. im Laufe des Viertel] ah== | res und während des Rechnungsjahrs fällig gewordenen Zolleinnahmen werden | von der Herzoglich Braunschweigischen, ebenso wie von den Zoll=Direktionen | der anderen kontrahirenden Vereins Staaten, nach vorangegangener Prüfung in | [S. 367] Haupt=Übersichten zusammengetragen, und diese an das in Berlin bestehende | Central=Bureau des Zollvereins eingesendet. Auf den Grund jener Übersichten wird von dem Central=Bureau von | drei zu drei Monaten die provisorische Abrechnung zwischen den vereinigten | Staaten gefertigt, dieselbe den Central=Finanzstellen der letzteren übersandt und | zugleich Einleitung getroffen, und die etwaige Minder=Einnahme einzelner Ver= | einsglieder gegen den ihnen verhältnißmäßig an der Gesammt=Einnahme zustän= | digen Revenüen=Antheil durch Herauszahlung von Seiten des oder derjenigen | Staaten, bei denen eine Mehr=Einnahme Statt gefunden hat, auszugleichen. Demnächst bereitet das Central^Bureau auch die definitive Jahres=Ab= | rechnung vor. Artikel 29. In Absicht der Erhebungs= und Verwaltungskosten sollen, auch im Ver= | hältnisse des Herzogthums Braunschweig zu den kontrahirenden Vereinsstaaten, | folgende Grundsätze in Anwendung kommen: 1. Man wird keine Gemeinschaft dabei eintreten lassen, vielmehr übernimmt | jede Regierung alle in ihrem Gebiete vorkommenden Erhebungs= und | Verwaltungskosten, es mögen diese durch die Einrichtung und Unterhal== | tung der Haupt= und Neben=Zollämter, der inneren Steuerämter, Hall= | ämter und Packhöfe, und der Zolldirektionen, oder durch den Unterhalt | des dabei angestellten Personals und durch die den letzteren zu bewilli= 1 genden Pensionen, oder endlich aus irgend einem anderen Bedürfnisse | der Zollverwaltung entstehen. 2. Hinsichtlich desjenigen Theils des Bedarfs aber, welcher an den gegen | das Ausland gelegenen Grenzen und innerhalb des dazu gehörigen | Grenzbezirks für die Zollerhebungs= und Aufsichts= oder Kontrol=Behör= | den und Zollschutzwachen erforderlich ist, wird man sich über Pausch= | summen vereinigen, welche jeder der kontrahirenden Staaten von der | jährlich aufkommenden und der Gemeinschaft zu berechnenden Brutto^ | Einnahme an Zollgefällen in Abzug bringen kann. 3. Bei dieser Ausmittelung des Bedarfs soll da, wo die Perzeption priva= | tiver Abgaben mit der Zollerhebung verbunden ist, von den Gehalten | und Amtsbedürfnissen der Zoll=Beamten nur derjenige Theil in Anrech= | nung kommen, welcher dem

[93] Zollvereinigungserweitemngsvertrag vom 19. Oktober 1841

947

Verhältnisse ihrer Geschäfte für den Zoll= | dienst zu ihren Amtsgeschäften überhaupt entspricht. 4. Man wird sich mit der Herzoglich Braunschweigischen Regierung über | allgemeine Normen vereinigen, um die Besoldungsverhältnisse der Be= | amten bei den Zollerhebungs= und Aufsichts=Behörden, ingleichen bei den | Zoll=Direktionen, auch in Beziehung auf das Herzogthum Braunschweig | in möglichste Übereinstimmung zu bringen. Artikel 30. Die kontrahirenden Theile gestehen sich gegenseitig das Recht zu, den | Haupt=Zollämtem anderer Vereinsstaaten, sowohl an den Grenzen, als im In= | [S. 368] nem (Haupt= Steuerämter mit Niederlage) Kontroleure beizuordnen, welche von | allen Geschäften derselben und der Neben=Ämter in Beziehung auf das Abfer= | tigungs=Verfahren und die Grenzbewachung Kenntniß zu nehmen, und auf Ein= | haltung eines gesetzlichen Verfahrens, ingleichen auf die Abstellung etwaiger | Mängel einzuwirken, übrigens sich jeder eigenen Verfügung zu enthalten haben. Einer näher zu verabredenden Dienst=Ordnung bleibt es vorbehalten, ob | und welchen Antheil dieselben an den laufenden Geschäften zu nehmen haben. Artikel 31. ^Der Herzoglich Braunschweigischen Regierung steht das Recht zu, an | die Zoll=Direktionen der anderen Vereinsstaaten, wie umgekehrt den letzteren | an die Herzoglich Braunschweigische Zoll=Direktion, Beamte zu dem Zwecke | abzuordnen, um sich von allen vorkommenden Verwaltungs=Geschäften, welche | sich auf die durch den gegenwärtigen Vertrag eingegangene Gemeinschaft bezie= | hen, vollständige Kenntniß zu verschaffen. "^Das Geschäfts=Verhältniß dieser | Beamten wird, übereinstimmend mit demjenigen, welches für die Abgeordneten | bei den Zoll=Direktionen der anderen Vereinsglieder bereits besteht, durch eine | besondere Instruktion näher bestimmt werden, als deren Grundlage die unbe= | schränkte Offenheit von Seiten der Verwaltung, bei welcher die Abgeordneten I fiingiren, in Bezug auf alle Gegenstände der gemeinschaftlichen Zollverwaltung, | und die Erleichterung jedes Mittels, durch welches sie sich die Information | hierüber verschaffen können, anzusehen ist, während andererseits ihre Sorgfalt | nicht minder aufrichtig dahin gerichtet seyn muß, eintretende Anstände und Mei= [ nungsverschiedenheiten auf eine, dem gemeinsamen Zwecke und dem Verhält^ | nisse verbündeter Staaten entsprechende Weise zu erledigen. Die Ministerien oder obersten Verwaltungsstellen der sämmtlichen Ver= | einsstaaten werden sich gegenseitig auf Verlangen jede gewünschte Auskunft über | die gemeinschaftlichen Zoll=Angelegenheiten mittheilen, und in sofern zu diesem | Behufe zeitweise oder dauernd die Abordnung eines höheren Beamten, oder die | Beauftragung eines anderweit bei der Regierung beglaubigten Bevollmächtig= | ten beliebt würde, so ist demselben nach dem oben ausgesprochenen Grundsatze | alle Gelegenheit zur vollständigen Kenntnißnahme von den Verhältnissen der | gemeinschaftlichen Zollverwaltung bereitwillig zu gewähren. Artikel 32. Jährlich in den ersten Tagen des Juni findet zum Zwecke gemeinsamer | Berathung ein Zusammentritt von Bevollmächtigten der Vereinsglieder Statt. Für die formelle Leitung der Verhandlungen wird von den Konferenz^ [ Bevollmächtigten aus ihre Mitte ein Vorsitzender gewählt, welchem übrigens | kein Vorzug vor den übrigen Bevollmächtigten zusteht.

948

§ 4: Deutscher Zollverein

[Dok. 85-102]

Bei dem Schlüsse einer jeden jährlichen Versammlung wird mit Rück= | sieht auf die Natur der Gegenstände, deren Verhandlung in der folgenden | Konferenz zu erwarten ist, verabredet werden, wo letztere erfolgen soll. Artikel 33. Vor die Versammlung dieser Konferenz=Bevollmächtigten gehört: [S. 369] a) die Verhandlung über alle Beschwerden und Mängel, welche in Be= | ziehung auf die Ausführung des Grundvertrages und der besonderen | Übereinkünfte, des Zollgesetzes, der Zollordnung und Tarife, in einem | oder dem anderen Vereinsstaate wahrgenommen, und die nicht bereits | im Laufe des Jahres in Folge der darüber zwischen den Ministerien | und obersten Verwaltungsstellen geführen Korrespondenz erledigt wor= | den sind; b) die definitive Abrechnung zwischen den Vereinsgliedem über die ge= | meinschaftliche Einnahme auf dem Grunde der von den obersten Zoll= | Behörden aufgestellten, durch das Central=Büreau vorzulegenden Nach= | Weisungen, wie solche der Zweck einer dem gemeinsamen Interesse an= | gemessenen Prüfung erheischt; c) die Berathung über Wünsche und Vorschläge, welche von einzelnen [ Staats^ Regierungen zur Verbesserung der Verwaltung gemacht | werden; d) die Verhandlungen über Abänderungen des Zollgesetzes, der Zollord= | nung, des Zoll=Tarifs und der Verwaltungs=Organisation, welche von | einem der kontrahirenden Staaten in Antrag gebracht worden, übep= | haupt über die zweckmäßige Entwickelung und Ausbildung des gemein^ | samen Handels^ und Zollsystems. Artikel 34. Treten im Laufe des Jahres, außer der gewöhnlichen Zeit der Ver= | Sammlung der Konferenz=Bevollmächtigten, außerordentliche Ereignisse ein, | welche unverzügliche Maaßregeln oder Verfügungen abseiten der Vereinsstaaten | erheischen, so werden sich die kontrahirenden Theile darüber im diplomatischen | Wege vereinigen, oder eine außerordentliche Zusammenkunft ihrer Bevollmäch= | tigten veranlassen. Artikel 35. Den Aufwand für die Bevollmächtigten und deren etwaige Gehülfen | bestreitet dasjenige Glied des Gesammtvereins, welches sie absendet. Das Kanzlei=Dienstpersonale und das Lokale wird unentgeldlich von der | Regierung gestellt, in deren Gebiete der Zusammentritt der Konferenz Statt | findet. Artikel 36. Da die im Herzogthume Braunschweig dermalen bestehenden Eingangs^ | Abgaben von vielen Waarengattungen um ein Ansehnliches niedriger sind, als | der künftige Vereins== Zolltarif es mit sich bringt, so verpflichtet sich die Herzoge | lieh Braunschweigische Regierung, diejenigen Maaßregeln zu ergreifen, welche | erforderlich sind, damit nicht die Zoll=Einkünfte des Gesammt=Vereins durch | die Einführung und Anhäufung geringer verzollter Waaren=Vorräthe beein= | trächtigt werden. [S. 370] Artikel 37. Für den Fall, daß andere Deutsche Staaten den Wunsch zu erkennen | geben sollten, in den Zoll=Verein aufgenommen zu werden, erklären sich die ho= | hen Kontrahenten bereit, diesem Wunsche, soweit es unter gehöriger Berücksich= | tigung der besonderen Interessen der Vereins=Mitglieder möglich erscheint, durch | desfalls abzuschließende Verträge Folge zu geben.

[94] Zollvereinigungserweiterungsvertrag vom 8. Februar 1842

949

Artikel 38. Auch werden sie sich bemühen, durch Handelsverträge mit anderen Staa= | ten dem Verkehr ihrer Angehörigen jede mögliche Erleichterung und Erweiterung | zu verschaffen. Artikel 39. Alles was sich auf die Detail^Ausführung der in dem gegenwärtigen | Vertrage und dessen Beilagen enthaltenen Verabredungen bezieht, soll durch | gemeinschaftliche Kommissarien vorbereitet werden. Artikel 40. ^Die Dauer des gegenwärtigen Vertrages, welcher mit dem 1. Ja= | nuar 1842. in Ausfuhrung gebracht werden soll, wird vorläufig auf zwölf Jahre, | also bis zum letzten Dezember 1853. festgesetzt. "^Wird derselbe während dieser | Zeit und spätestens zwei Jahre vor Ablauf des Frist nicht gekündigt, so soll er | auf weitere zwölf Jahre und so fort von zwölf zu zwölf Jahren als verlängert | angesehen werden. Derselbe soll alsbald zur Ratifikation der hohen kontrahirenden Theile | vorgelegt und die Auswechselung der Ratifikations=Urkunden spätestens binnen | sechs Wochen in Berlin bewirkt werden.^ So geschehen Berlin, den 19. Oktober 1841. Franz August Eichmann. August Philipp Christian Theodor | v. Amsberg. (L. S.) (L. S.) Adolph Georg Theodor | Pochhammer. Otto Wilhelm Karl von Roeder. (L. S.) (L. S.)

[94] Zollvereinigungserweiterungsvertrag (Zollvereinsstaaten ./. Luxemburg) vom 8. Februar 1842 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einführungen" die Darstellung unter [251.]. Quelle: Gesetz-Sammlung für die Königlichen Preußischen Staaten, 1842, S. 92 - 101 (gedruckt).»' Sonstige Fundstelle: Verträge und Verhandlungen aus dem Zeiträume von 1833 bis einschließlich 1856 über die Bildung und Ausführung des deutschen Zoll- und HandelsVereins, Dritter Band, 1856, S. 364 - 370. [S. 92] (Nr. 2253.) Vertrag zwischen Preußen, Bayem, Sachsen, Württemberg, Baden, Kurhessen, I dem Großherzogthume Hessen, den zu dem Thüringer Zoll= und Handels^ | Vereine gehörigen Staaten, den Herzogthümem Braunschweig und Nassau | und der freien Stadt Frankfurt einerseits, und dem Großherzogthum | Luxemburg andererseits, wegen des Anschlusses des Großherzogthums | Luxemburg an das Zollsystem Preußen's und der übrigen Staaten des | Zollvereins. D. d. Haag, den 8. Februar 1842. Nachdem Seine Majestät der König der Niederlande, Großherzog von Luxem= | bürg, den Wunsch zu erkennen gegeben haben, dem Großherzogthume Luxemburg | durch eine nähere Verbindung desselben mit dem Deutschen Zoll= und Handels^ | vereine die Vor-

Erfolgte am 16. Dezember 1841. Separat-Artikel, Schluß-Protokoll und weitere Urkunden zu diesem Vertrag, abgedruckt in: Verträge und Verhandlungen aus dem Zeiträume von 1833 bis einschließlich 1856 über die Bildung und Ausführung des deutschen Zoll- und Handels-Vereins, Dritter Band, Berlin 1856, S. 371 - 394.

950

§ 4: Deutscher Zollverein

[Dok. 85-102]

theile eines möglichst freien gegenseitigen Verkehrs zuzuwenden; | so haben, Behufs der deshalb zu pflegenden Verhandlungen, zu Bevollmäch== i tigten ernannt: einerseits Seine Majestät der König von Preußen für Sich und in Vertre= | tung der übrigen Mitglieder des, kraft der Verträge vom 22.^ und 30. | März** und 11. Mai 1833.^ 12. Mai^ und 10. Dezember 1835.^ | 2. Januar 1836.^ und 8. Mai 1841.8 bestehenden Zoll= und Handels= I Vereins, nämlich der Kronen Bayern, Sachsen und Württemberg, des | Großherzogthums Baden, des Kurfürstenthums Hessen, des Großher= | zogthums Hessen, der den Thüringischen Zoll= und Handelsverein bilden^ | den Staaten, - namentlich des Großherzogthums Sachsen, der Her= [ zogthümer Sachsen=Meiningen, Sachsen=Altenburg und Sachsen^ Coburg | und Gotha, und der Fürstenthümer Schwarzburg=Rudolstadt und Schwarz^ | burg=Sondershausen, Reuß=Greitz, Reuß=Schleitz und Reuß=Lobenstein | und Ebersdorf, - der Herzogthümer Braunschweig und Nassau, und | der freien Stadt Frankfurt, Allerhöchst Ihren Kammerherm und außerordentlichen Gesandten und be= | vollmächtigten Minister am Königlich Niederländischen Hofe, Herr= | mann Friedrich Reichsgrafen von Wylich und Lottum, Ritter | des Königlich Preußischen rothen Adler=Ordens 2ter Klasse mit dem | Stern, des Johanniter=Ordens und des eisernen Kreuzes 2ter Klasse, und andererseits Seine Majestät der König der Niederlande, Großherzog von | Luxemburg Allerhöchst Ihren Kammerherm und interimistischen Staats=Kanzler für das | Großherzogthum Luxemburg, Friedrich Georg Prosper Freiherm | von Blochausen, Ritter von dem Stern des Großherzoglich Luxem= | [S. 93] burgischen Ordens der Eichenkrone, und des Königlich Niederländi= | sehen Löwen=Ordens, von welchen Bevollmächtigten, in Gemäßheit der denselben von ihren respektiven | Souverainen ertheilten speziellen Instruktionen, unter dem Vorbehalte der Ra= 1 tifikation, folgender Vertrag abgeschlossen worden ist. Artikel 1. Seine Majestät der König von Niederlande, Großherzog von Luxemburg, | treten mit Allerhöchst Ihrem Großherzogthume Luxemburg dem Zollsysteme des | Königreichs Preußen und der mit diesem zu einem Zollvereine verbundenen | Staaten bei. Artikel 2. In Folge dieses Beitritts werden Seine Majestät der König Großher= | zog, mit Aufhebung der gegenwärtig in dem gedachten Großherzogthume über | Eingangs^, Ausgangs^ und Durchgangs^Abgaben und deren Verwaltung be= | stehenden Gesetze und Einrichtungen, daselbst die Verwaltung der Eingangs=, | Ausgangs= und Durchgangs=Abgaben in Uebereinstimmung mit den desfallsigen | Gesetzen, Tarifen, Verordnungen und sonstigen administrativen Bestimmungen | des Zollvereins, wie solche in den an das Großherzogthum angrenzenden Preu= | ßischen Provinzen gegenwärtig bestehen, oder künftig bestehen werden, eintreten, | und zu diesem Zwecke die erforderlichen Gesetze, Tarife und Verordnungen publi= I ziren, sonstige Verfügungen aber, nach denen die Unterthanen oder Steu-

^ ^ *= ^ ^ ^ s

Dok. 85. Dok. 86. Dok. 87. Dok. 88. Dok. 89. Dok. 90. Dok. 92.

[94] Zollvereinigungserweiterungsvertrag vom 8. Februar 1842

951

erpflich= | tigen sich zu richten haben, durch die betreffende oberste Verwaltungsbehörde zu I Luxemburg zur öffentlichen Kenntniß bringen lassen. Artikel 3. Etwanige künftige Abänderungen der im vorstehenden Artikel gedachten, | in den an das Großherzogthum angrenzenden Preußischen Provinzen bestehenden | gesetzlichen Bestimmungen, bedürfen der Zustimmung der Großherzoglichen Re= | gierung; diese Zustimmung wird nicht verweigert werden, wenn solche Abände= | rungen in den Vereinsstaaten allgemein getroffen werden. Artikel 4. Um gleichzeitig mit dem Anschlüsse des Großherzogthums Luxemburg an | das Zoll= System Preußens und der übrigen Staaten des Zollvereins, auch alle | Hindemisse zu entfernen, welche einer völligen Freiheit des Verkehrs zwischen | dem gedachten Großherzogthume und dem dasselbe angrenzenden Königlich Preu= | ßischen Gebiete in der Verschiedenheit der Abgabe vom Salze und der Besteue= | rung innerer Erzeugnisse entgegenstehen würden, ist femer Folgendes verabredet | worden: [S. 94] A. Wegen des Brannweins aus mehligen Substanzen, | und B. Wegen des Biers: | wollen Seine Majestät der König Großherzog die dermalen schon von der Fa= | brikation dieser Getränke im Großherzogthume zu entrichtende Abgabe nicht un= | ter den Betrag der dieserhalb in Preußen bestehenden Steuer herabsetzen. Was das Branntweinbrennen aus Obst und Trestem und allen sonsti= | gen nicht mehligen Substanzen anlangt, so werden Seine Majestät dasselbe, | nach Ratifikation des gegenwärtigen Vertrags, einer Steuer unterwerfen, deren | Betrag nicht geringer, als die dafür in Preußen bestehende seyn wird. C. Nicht minder werden Seine Majestät gleichzeitig eine Besteuemng | des Weinmostes in Uebereinstimmung mit den deshalb in Preußen angenommen | nen Steuersätzen einführen. D. Wegen des Salzes ertheilen Seine Majestät der Zusichemng, den | Salzdebitspreis während der Dauer des Vertrages nicht unter den Betrag | des Salzpreises in Preußen herabzusetzen. E. Für den Fall, daß im Großherzogthume Tabacksbau betrieben wer= | den und einen irgend erheblichen Umfang erreichen sollte, versprechen Seine | Majestät die in Preußen bestehende oder eine derselben im Betrage gleichkom= | mende Besteuemng des inländischen Tabacksbaues einführen zu lassen. Artikel 5. Mit der vollständigen Ausfühmng des gegenwärtigen Vertrages hören | die Eingangs^, Ausgangs= und Durchgangs=Abgaben an den Grenzen zwischen | Preußen und dem Großherzogthume Luxemburg auf, und es können alle Ge= | genstände des freien Verkehrs aus letzterem frei und unbeschwert in die Preu= | ßischen und die mit Preußen im Zollvereine befindlichen Staaten und umgekehrt | aus diesen in jenes, eingeführt werden, mit alleinigem Vorbehalt: a) der zu den Staatsmonopolien gehörigen Gegenstände (Salz), ingleichen | der Spielkarten und Kalender nach Maaßgabe der Artikel 6. und 7.; b) der im Innem der zu dem Zollvereine gehörigen Staaten mit einer | Steuer belegten inländischen Erzeugnisse nach Maaßgabe des Artikels 8. | und endlich c) solcher Gegenstände, welche ohne Eingriff in die von einem der kontra= | hirenden Staaten ertheilten Erfmdungs^Privilegien (Patente) nicht nach= | gemacht oder ein-

952

§ 4: Deutscher Zollverein

[Dok. 85-102]

gefuhrt werden können, und daher für die Dauer der | [S. 95] Privilegien (Patente) von der Einfuhr in den Staat, welcher dieselben i ertheilt hat, ausgeschlossen bleiben müssen. Artikel 6. In Betreff des Salzes treten Seine Majestät der König Großherzog | den zwischen den Mitgliedern des Zollvereins bestehenden Verabredungen in | folgender Art bei: a) die Einfuhr des Salzes und aller Gegenstände, aus welchen Kochsalz aus= | geschieden zu werden pflegt, aus fremden, nicht zum Vereine gehörenden | Ländern, in die Vereinsstaaten, ist verboten, insoweit dieselbe nicht für | eigene Rechnung einer der vereinten Regierungen und zum unmittelbaren | Verkauf in deren Salzämter, Faktoreien oder Niederlagen geschieht. b) Die Durchfuhr des Salzes und der vorbezeichneten Gegenstände, aus | den zum Vereine nicht gehörigen Ländern, in andere solche Länder, soll | nur mit Genehmigung der Vereinsstaaten, deren Gebiet bei der Durch= | fuhr berührt wird, und unter den Vorsichtsmaaßregeln stattfinden, welche | von selbigen für nöthig erachtet werden. c) Die Ausfuhr des Salzes in fremde, nicht zum Vereine gehörige Staa= J ten, ist frei. d) Was den Salzhandel innerhalb der Vereinsstaaten betrifft, so ist die | Einfuhr des Salzes von einem in den anderen nur in dem Falle erlaubt, | wenn zwischen den Landes=Regierungen besondere Verträge deshalb be= | stehen. e) Wenn eine Regierung von der anderen innerhalb des Gesammtvereins | aus Staats= oder Privat=Salinen Salz beziehen will, so müssen die | Sendungen mit Pässen von öffentlichen Behörden begleitet werden. f) Wenn ein Vereinsstaat durch das Gebiet eines anderen, aus dem Aus= | lande, oder aus einem dritten Vereinsstaate seinen Salzbedarf beziehen, | oder durch einen solchen sein Salz in fremde, nicht zum Verein gehö= | rige Länder, versenden lassen will, so soll diesen Sendungen kein Hin= | demiß in den Weg gelegt werden; jedoch werden, insofern dieses nicht | schon durch frühere Verträge bestimmt ist, durch vorgängige Ueberein= | kunft der betheiligten Staaten die Straßen für den Transport, und die | erforderlichen Sicherheitsmaaßregeln zur Verhinderung der Einschwärzung, | verabredet werden. Artikel 7. Hinsichtlich der Einfuhr von Spielkarten und Kalendern kommt der | Grundsatz, wonach es in sämmtlichen zu dem Zollvereine gehörigen Staaten | [S. 96] und Gebietstheilen bei den bestehenden Verbots= oder Beschränkungs=Gesetzen | und Debits=Einrichtungen sein Bewenden behält, auch in Beziehung auf das | Großherzogthum Luxemburg in Anwendung. Artikel 8. Indem die in dem Gebiete des Zollvereins in Betreff der inneren | Steuern, welche in den einzelnen Vereins Staaten theils auf die Hervorbringung | oder Zubereitung, theils unmittelbar auf den Verbrauch gewisser Erzeugnisse | gelegt sind, so wie hinsichtlich des Verkehrs mit solchen Erzeugnissen unter den | Vereinsstaaten vertragsmäßig bestehenden Bestimmungen auch auf das Groß= | herzogthum Luxemburg in Anwendung kommen, wird, in Rücksicht auf die | Steuern, welche in letzterem auf inneren Erzeugnissen haften und auf die im | Artikel 4. deshalb getroffenen Verabredungen, zwischen Preußen und dem Groß= | herzogthum gegenseitig von sämmtlichen inneren Erzeugnissen, bei dem Ueber= | gange in das andere Gebiet, weder eine Rückvergütung der Steuern geleistet, | noch eine Uebergangs=Abgabe erhoben werden, dagegen den übrigen Staaten | des Zollvereins gegenüber das Großherzogthum hinsichtlich der zu gewährenden | Rückvergütungen und der zu erhe-

[94] Zollvereinigungserweitemngsvertrag vom 8. Februar 1842

953

benden Uebergangs=Abgaben in dasselbe Ver= | hältniß, wie Preußen rücksichtlich der Preußischen Rheinprovinz, treten. Artikel 9. Seine Majestät der König Großherzog treten der zwischen den Staaten | des Zollvereins getroffenen Uebereinkunft wegen Besteuerung des im Umfange | des Vereins aus Runkelrüben bereiteten Zuckers bei und erklären Sich auch | damit einverstanden, daß, wenn die Fabrikation von Zucker oder Syrup aus | andern inländischen Erzeugnissen, als aus Runkelrüben, z. B. aus Stärke, im | Zollvereine einen erheblichen Umfang gewinnen sollte, diese Fabrikation nach den | für die Rübenzucker=Steuer verabredeten Grundsätzen zu unterwerfen seyn würde. Artikel 10. Chausseegelder oder andere statt derselben bestehende Abgaben, eben so | Pflaster^, Damm=, Brücken^ und Fährgelder, oder unter welchem anderen Na= | men dergleichen Abgaben bestehen, ohne Unterschied, ob die Erhebung für Rech= | nung des Staates oder eines Privat=Berechtigten, namentlich einer Kommune, | geschieht, sollen, sowohl auf Chausseen, als auch auf allen unchaussirten Land= | und Heerstraßen, nur in dem Betrage beibehalten oder neu eingeführt werden | können, als sie den gewöhnlichen Herstellungs= und Unterhaltungskosten ange= | messen sind. Das in dem Preußischen Chausseegeld=Tarife vom Jahre 1828. bestimmte | [S. 97] Chausseegeld soll als der höchste Satz angesehen und auch in dem Großherzog= | thume Luxemburg nicht überschritten werden. Besondere Erhebungen von Thorsperr= und Pflastergeldem sollen auf | chaussirten Straßen, da, wo sie noch bestehen, dem vorstehenden Grundsatze ge= | maß, aufgehoben, und die Ortspflaster den Chausseestrecken dergestalt eingerechnet | werden, daß davon nur die Chausseegelder nach dem allgemeinen Tarife zur | Erhebung kommen. Artikeln. Seine Majestät der König Großherzog schließen Sich für das Groß= | herzogthum Luxemburg den Verabredungen an, welche zwischen den zu dem Zoll= | und Handelsvereine gehörigen Regierungen wegen Herbeiführung eines gleichen | Münz=, Maaß= und Gewichts=Systems getroffen worden sind, und treten ins= | besondere hierdurch der zwischen den gedachten Regierungen unter dem 30. Juli | 1838. abgeschlossenen allgemeinen Münz=Konvention bei, indem Allerhöchstdie= | selben zugleich erklären, entweder den 14 Thalerfuß oder den 24 V2 Guldenfuß in | dem Großherzogthume Luxemburg als Landesmünzfuß annehmen zu wollen. Artikel 12. Die Wasserzölle oder auch Wegegeld=Gebühren auf Flüssen, mit Ein= | schluß derjenigen, welche das Schiffsgefäß treffen (Rekognitionsgebühren), sind | von der Schiffahrt auf solchen Flüssen, auf welche die Bestimmungen des Wie= | ner Kongresses oder besondere Staats^Verträge Anwendung finden, femer ge= | genseitig nach jenen Bestimmungen zu entrichten, insofern hierüber nichts beson= | deres verabredet wird. In letzterer Hinsicht erklären Seine Majestät der König Großherzog, | was insbesondere den Rhein und dessen Nebenflüsse betrifft, Ihr Einverständniß | mit dem, in den Artikeln 15. resp. 12. der Zollvereinigungs=Verträge vom 22. | März 1833.% 12. Mai 1835.^ und

^ Dok.85. ^ Dok. 88.

954

§ 4: Deutscher Zollverein

[Dok. 85-102]

2. Januar 1836.^ ausgesprochenen Zwecke, | durch weitere Unterhandlung zu einer Vereinbarung zu gelangen, in Folge deren | die Ein=, Aus= und Durchfuhr der Erzeugnisse der sämmtlichen Vereinslande | auf den genannten Flüssen in den Schiffahrts=Abgaben, mit stetem Vorbehalte | der Rekognitionsgebühren, wo nicht ganz befreit, doch möglichst erleichtert wird. Alle Begünstigungen, welche ein Vereinsstaat dem Schiffahrts=Betriebe | seiner Unterthanen auf den Eingangs gedachten Flüssen zugestehen möchte, sollen | in gleichem Maaße auch der Schiffahrt der Unterthanen der andern Vereins^ | Staaten zu Gute kommen. Auf den übrigen Flüssen, bei welchen weder die Wiener Kongreß=Akten | noch andere Staatsverträge Anwendung finden, werden die Wasserzölle nach | den privativen Anordnungen der betreffenden Regierungen erhoben. Doch sollen | [S. 98] auch auf diesen Flüssen die Unterthanen der kontrahirenden Staaten und deren | Waaren und Schiffsgefäße überall gleich behandelt werden. Die betheiligten Regierungen behalten sich vor, nach Maaßgabe der vor= | stehenden Grundsätze über alle die Schiffahrt auf der Mosel und, so weit die | Schiffbarkeit derselben solches erfordert, auf der Sauer, erleichternde und beför= | demde Maaßregeln durch eine auf völliger Reziprozität beruhende Uebereinkunft | sich weiter zu verständigen. Artikel 13. ^Kanal=, Schleusen=, Brücken=, Fähr=, Hafen=, Waage=, Kjrahnen= und Nie= | derlage=Gebühren und Leistungen für Anstalten, die zur Erleichterung des Ver= | kehrs bestimmt sind, sollen nur bei Benutzung wirklich bestehender Einrichtungen | erhoben, und fur letztere nicht erhöhet, auch überall von den Unterthanen des | andern kontrahirenden Theiles auf völlig gleiche Weise, wie von den eigenen | Unterthanen, erhoben werden. ^Findet der Gebrauch einer Waage=Einrichtung | nur zum Behufe der Zoll=Ermittelung oder einer zollamtlichen Kontrolle Statt, | so tritt eine Gebühren^Erhebung nicht ein. Artikel 14. Von den Großherzoglich Luxemburgischen Unterthanen, welche in den Ge= | bieten der zollvereinten Staaten Handel und Gewerbe treiben, oder Arbeit suchen, | soll von dem Zeitpunkte ab, mit welchem der gegenwärtige Vertrag in Kraft | treten wird, keine Abgabe entrichtet werden, welcher nicht gleichmäßig die in dem= | selben Gewerbsverhältniß stehenden eigenen Unterthanen dieser Staaten unter= | worfen sind. Desgleichen sollen Fabrikanten und Gewerbtreibende aus dem Großher= | zogthum Luxemburg, welche blos fur das von ihnen betriebene Geschäft Ankäufe | machen, oder Reisende aus selbigem, welche nicht Waaren selbst, sondern nur | Muster derselben bei sich fuhren, um Bestellungen zu suchen, wenn sie die Be= 1 rechtigung zu diesem Gewerbsbetriebe in ihrem Wohnorte durch Entrichtung der | gesetzlichen Abgaben erworben haben, oder im Dienste solcher dortigen Gewerbe== | treibenden oder Kaufleute stehen, in den andern Staaten des Zollvereins keine | weitere Abgabe hierfür zu entrichten verpflichtet seyn. Auch sollen bei dem Besuche der Messen und Märkte zur Ausübung des | Handels und zum Absätze eigener Erzeugnisse oder Fabrikate, die Großherzog= | liehen Unterthanen in jedem Vereinsstaate den eigenen Unterthanen gleich be= | handelt werden. Auf ganz gleiche Weise soll es mit den Unterthanen aus sämmtlichen, | [S. 99] zum Zollvereine gehörigen Staaten in den vorerwähnten Fällen bei ihrem Ver= | kehr in dem Großherzogthume Luxemburg gehalten werden.

Dok. 90.

[94] Zollvereinigungserweiterungsvertrag vom 8. Febraar 1842

955

Artikel 15. Seine Majestät der König Großherzog treten hierdurch dem zwischen den | Gliedern des Zoll= und Handelsvereins zum Schutze ihres gemeinschaftlichen | Zollsystems gegen den Schleichhandel, und ihrer innem Verbrauchsabgaben gegen | Defraudationen bestehenden Zollkartel bei, und werden die betreffenden Artikel | desselben gleichzeitig mit gegenwärtigem Vertrage in dem Großherzogthume pu= | bliziren lassen; auch die übrigen Vereinsstaaten werden die erforderlichen Anord= | nungen treffen, damit in den gegenseitigen Verhältnissen den Bestimmungen | dieses Zollkartels überall Anwendung gegeben werde. Artikel 16. Die Ernennung der Beamten und Diener bei den Bezirks^ und Lokal= | stellen für die Zoll=Erhebung und Aufsicht, welche nach gleichförmigen Bestim= | mungen, wie in den übrigen Vereinsstaaten, anzuordnen, zu besetzen und zu in= | struiren sind, bleibt Seiner Majestät dem Könige Großherzog überlassen. Auch sind die Vereinsstaaten damit einverstanden, daß die Vollziehung | der gemeinschaftlichen Zollgesetze, so wie die Leitung des Dienstes, einer Zoll= | Direktion in Luxemburg übertragen werde. ^Da jedoch die Vereinsstaaten ein großes Interesse dabei haben, daß durch | die mit der Aufnahme des Großherzogthums in den Verein eintretende Verle= | gung der Zollgrenze die Sicherheit in der Erhebung der Abgaben nicht gemin= | dert werde, so wollen Seine Majestät der König Großherzog alle Einrichtungen | der Verwaltung dergestalt treffen lassen, daß diese durch die Art sowohl ihrer | Organisation, als ihrer Handhabung, den Vereinsstaaten eine volle Bürgschaft | für die genaue Ausführung der Zollgesetze gewähren. "^Das Nähere hierüber soll | in einer besonderen Uebereinkunft verabredet werden. Artikel 17. Die Ausführung aller im gegenwärtigen Vertrage enthaltenen Verabre= | düngen, namentlich derjenigen, welche auf die Einrichtung, Bestimmung und | amtliche Befugniß der zur Erhebung und Abfertigung erforderlichen Dienst= | Stellen sich beziehen, femer die Bildung des Grenzbezirks im Großherzogthume | soll in gegenseitigem Einvernehmen mit Hülfe der von beiden Seiten zu diesem | Behufe zu ernennenden Kommissarien, bewirkt werden. Artikel 18. Der Großherzoglichen Regierung bleibt es vorbehalten, die für den Zoll= | dienst angestellten Beamten in dem Großherzogthume, soweit es ohne Beeinträch= | [S. 100] tigung ihrer eigentlichen Dienst=Obliegenheiten geschehen kann, auch mit der Er= | hebung und Kontrole Großherzoglich privativer Steuern, imgleichen der Chaussee^ | und Wegegelder zu beauftragen. Artikel 19. Die Untersuchung und Bestrafung der im Großherzogthume Luxemburg | begangenen Zollvergehen erfolgt, in sofern dabei nicht ein administratives Ver= | fahren eintritt, von den Großherzoglichen Gerichten. Artikel 20. Die Ausübung des Begnadigungs= und Strafverwandlungs=Rechts über | die wegen verschuldeter Zollvergehen von Luxemburgischen Gerichten vemrtheilten | Personen bleibt Seiner Majestät dem Könige Großherzog vorbehalten.

956

§ 4: Deutscher Zollverein

[Dok. 85-102]

Artikel 21. In Folge des gegenwärtigen Vertrages wird zwischen dem Königreiche | Preußen nebst dem mit ihm zu einem Zollvereine verbundenen Staaten, und dem | Großherzogthume Luxemburg, eine Gemeinschaft der Einkünfte an Eingangs^, | Ausgangs^ und Durchgangs^ Abgaben Statt finden, und der Ertrag dieser Ein= | künfte nach dem Verhältnisse der Bevölkerung getheilt werden. Artikel 22. ^Die beiderseitigen hohen Kontrahenten sind dahin übereingekommen, daß | Dieselben sogleich nach Auswechselung der Ratifikations=Urkunden sich über den= | jenigen Grenzverkehr und dessen Sicherung verständigen wollen, welcher zwischen dem | Großherzogthum Luxemburg einerseits und dem in Gemäßheit des Traktats vom | 19. April 1839. dem Königreiche Belgien verbliebenen Theile des gedachten | Großherzogthums andererseits, besteht, während Seine Majestät der König von | Preußen außerdem erklären, daß Allerhöchstdieselben die Absicht haben, alles Mög= | liehe zu thun, um, wenn das Königlich Belgische Gesetz vom 6. Juni 1839. | etwa aufgehoben werden sollte, die Luxemburger Unterthanen rücksichtlich der ihnen | aus einer solchen Aufhebung erwachsenden Nachtheile zufrieden zustellen. "^Und da | Seine Majestät der König Großherzog den Wunsch geäußert haben, daß die An= | zahl und die Dauer der Dienstzeit der im Großherzogthume Luxemburg anzustellenden | Königlich Preußischen Douanen=Beamten möglichst beschränkt werde, so wollen | Seine Majestät der König von Preußen diesem Wunsche entsprechen, insoweit I als dies mit dem Dienste und der Organisation des Zollvereins vereinbar ist. Artikel 23. ^Die Dauer des gegenwärtigen Vertrags, welcher mit dem 1. April 1842. | zur Ausführung gebracht werden soll, wird bis zum letzten März 1846. festge= | [S. 101] setzt. "^Erfolgt spätestens neun Monate vor dem Ablaufe dieses Zeitraums keine [ Aufkündigung von der einen oder der anderen Seite, so wird der Vertrag als | auf sechs Jahre, und in gleicher Weise stets weiter von sechs zu sechs Jahren | verlängert angesehen. Derselbe soll alsbald sämmtlichen betheiligten Regierungen vorgelegt und | sollen die Ratifikations=Urkunden mit möglichster Beschleunigung, spätestens aber | binnen sechs Wochen, zu Berlin ausgewechselt werden. So geschehen Haag, den 8. Februar 1842. Herrmann Friedrich Reichsgraf von | Wylich und Lottum. | (L. S.) Frederic Georges Prospere de | Blochausen. | (L. S.) Die Auswechselung der Ratifikations=Urkunden des vorstehenden Vertrages | hat Statt gefunden.

[95] Verlängerungsvertrag (Zollvereinsstaaten ./. Luxemburg) vom 2. April 1847

957

[95] Verlängerungsvertrag (Zollvereinsstaaten ./. Luxemburg) vom 2. April 1847 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einfuhrungen" die Darstellung unter [251.]. Quelle: Gesetz-Sammlung für die Königlichen Preußischen Staaten, (vom 12. August) 1847, Nr. 31, S. 283 - 285 (gedruckt).^ Sonstige Fundstelle: Verträge und Verhandlungen aus dem Zeiträume von 1833 bis einschließlich 1856 über die Bildung und Ausführung des deutschen Zoll- und HandelsVereins, Dritter Band, 1856, S. 393 - 394. [S. 283] (Nr. 2874.) Vertrag zwischen Preußen, Bayern, Sachsen, Württemberg, Baden, Kurhes= | sen, Großherzogthum Hessen, den zu dem Thüringer Zoll= und Handels= | vereine gehörigen Staaten, den Herzogthümem Braunschweig und Nassau | und der freien Stadt Frankfurt einerseits, und dem Großherzogthume Luxem= | bürg andererseits wegen Fortdauer des Anschlusses des Großherzogthums | Luxemburg an das Zollsystem Preußens und der übrigen Staaten des Zoll= | Vereins, Vom 2. April; ratifizirt am 15. Juli 1847. Da die Dauer des mit Seiner Majestät dem Könige der Niederlande, Groß= | herzöge von Luxemburg, wegen des Anschlusses des Großherzogthumes Luxem= | bürg an das Zollsystem Preußens und der übrigen Staaten des Zollvereines | am 8. Februar 1842 abgeschlossenen Vertrages** mit dem letzten März des vo= | rigen Jahres abgelaufen, es aber die Absicht der kontrahirenden Theile ist, | diesen Vertrag, in Anerkennung der wohlthätigen Wirkungen des gedachten | Zollanschlusses fur den Handel und Verkehr der beiderseitigen Unterthanen, | zu verlängern und nur bei einzelnen Bestimmungen für die neue Zeitperiode | Abänderungen zu treffen, so haben zu diesem Zwecke zu Bevollmächtigten | ernannt, einerseits Seine Majestät der König von Preußen fiir Sich und in Ver= | tretung der übrigen Mitglieder des, kraft der Verträge vom 22.^ und | 30. März^ und 11. Mai 1833.% 12. Mai^ und 10. Dezember 1835.S, | 2. Januar 1836.'* und 8. Mai 1841.' bestehenden Zoll= und Handels= I Vereins, nämlich der Kronen Bayern, Sachsen und Württemberg, des | Großherzogthums Baden, des Kurfürstenthumes Hessen, des Großher= | zogthumes Hessen, zugleich das Landgräflich Hessische Amt Homburg | vertretend, der den Thüringischen Zoll= und Handelsverein bildenden | Staaten - namentlich des Großherzogthums Sachsen, der Herzogthü= | mer Sachsen=Meiningen, Sachsen=Altenburg und Sachsen=Coburg= und | Gotha, und der Fürstenthümer Schwarzburg=Rudolstadt und Schwarz= | burg= Sonderhausen, Reuß=Greitz, Reuß=Schleitz und Reuß=Lobenstein | [S. 284] und Ebersdorf - des Herzogthumes Braunschweig, des Herzogthumes | Nassau und der freien Stadt Frankfurt,

^ Separat-Artikel, Schluß-Protokoll und weitere Urkunden zu diesem Vertrag, abgedruckt in: Verträge und Verhandlungen aus dem Zeiträume von 1833 bis einschließlich 1856 über die Bildung und Ausführung des deutschen Zoll- und Handels-Vereins, Dritter Band, Berlin 1856, S. 395 - 407. ^ Dok.88. ' Dok.85. d Dok.86. ^ Dok.87. ^ Dok.88. 8 Dok.89. h Dok.90. ^ Dok.91.

958

§ 4: Deutscher Zollverein

[Dok. 85-102]

Allerhöchst Ihren Kammerherm, außerordentlichen Gesandten und | bevollmächtigten Minister am Königlich Niederländischen Hofe, Hans | Carl Albrecht Grafen von Königsmarck etc. etc. und andererseits Seine Majestät der König der Niederlande, Großherzog von | Luxemburg, Allerhöchstihren Kammerherm und Staatskanzler für | das Großherzogthum Luxemburg Friedrich Georg Prosper Freiherm 1 von Blochausen etc. etc. welche, nach vorausgegangener Unterhandlung, über nachstehende Artikel, unter | Vorbehalt der Genehmigung übereingekommen sind. Artikel 1. Der wegen des Beitritts Seiner Majestät des Königs der Niederlande, | Großherzoges von Luxemburg, mit dem Großherzogthume Luxemburg zu dem | Zollsysteme Preußens und der übrigen Staaten des Zollvereines am 8. Februar | 1842. abgeschlossene Vertrag soll bis zum letzten Dezember 1853., jedoch mit | nachfolgenden Abänderungen verlängert werden. Artikel 2. In Berücksichtigung der Schwierigkeiten, mit welchen die Einführung | eines neuen Münz=, Maaß= und Gewichtssystems verbunden ist, erklären die | Staaten des Zollvereines sich damit einverstanden, daß der im Art. 11. des | Vertrages vom 8. Februar 1842. getroffenen Verabredung ungeachtet, daß das im | Großherzogthume Luxemburg eingeführte Dezimal= (Maaß= und Gewichts=) | System, so wie der französische Münzfuß fur die Dauer des gegenwärtigen | Vertrages beibehalten werden. Artikel 3. So weit, nach den während der Dauer des Vertrages vom 8. Februar | 1842. gemachten Erfahrungen über die in Gemäßheit des Art. 16. dieses Ver= | träges wegen Einrichtung der Zollverwaltung im Großherzogthum Luxemburg | durch besondere Uebereinkunft getroffenen Verabredungen, eine Abänderung der | letzteren aus örtlichen oder sonstigen Rücksichten angemessen und zulässig er= | schienen ist, sind die für zweckmäßig erachteten Modifikationen durch eine ander= | weite besondere Uebereinkunft festgestellt worden. Artikel 4. Sofern der gegenwärtige Vertrag nicht spätestens zwei Jahre vor dessen | Ablaufe gekündiget wird, soll derselbe auf Zwölf Jahre, und so fort von Zwölf | zu Zwölf Jahren als verlängert angesehen werden. fS. 285] Derselbe soll alsbald sämmtlichen betheiligten Regierungen vorgelegt und | sollen die Ratifikations=Urkunden mit möglichster Beschleunigung, spätestens aber | binnen zwei Monaten zu Berlin ausgewechselt werden. Zur Urkund dessen haben die beiderseitigen Bevollmächtigten den gegen= | wärtigen Vertrag unterzeichnet und demselben die Siegel ihrer Wappen bei= | gedruckt. So geschehen im Haag, den 2. April Ein Tausend Achthundert Sieben | und Vierzig. Königsmarck. | (L. S.) de Blochausen. | (L. S.) Der vorstehende Vertrag ist ratifizirt und die Auswechselung der Ratifikations= | Urkunden im Haag am 15. Juli 1847 bewirkt worden.

[96] Vertrag vom 7. September 1851

959

[96] Vertrag (Preußen ./. Hannover) wegen der Vereinigung von Steuer- und Zollverein vom 7. September 1851 Quelle: Gesetz-Sammlung für die Königlichen Preußischen Staaten, (vom 28. Juni) 1853, Nr. 27, S. 349 - 354 (gedruckt).^ Sonstige Fundstelle: Verträge und Verhandlungen aus dem Zeiträume von 1833 bis einschließlich 1856 über die Bildung und Ausführung des deutschen Zoll- und HandelsVereins, Dritter Band, 1856, S. 408 - 411. [S. 349] (Nr. 3769.) Vertrag zwischen Sr. Majestät dem Könige von Preußen und Sr. Majestät | dem Könige von Hannover, die Vereinigung des Steuervereins mit dem | Zollvereine betreffend. Vom 7. September 185I.Seine Majestät der König von Preußen | und Seine Majestät der König von Hannover, indem Allerhöchsten die Begründung eines gegenseitig freien Handels- und | gewerblichen Verkehrs zwischen Ihren Staaten und dessen möglichst umfassende | Ausdehnung auf Deutsche Nachbarländer als für die Wohlfahrt Ihrer Unter= | thanen in hohem Grade erspießlich und zugleich als einen wesentlichen Vor= | schritt zur allgemeinen Handels^ und Verkehrsfreiheit innerhalb Deutschlands | betrachten, und diese Zwecke durch einen, bestehende Verschiedenheiten berücksich= | tigenden und möglichst ausgleichenden Vertrag zu erreichen wünschen, haben | zur Abschließung eines solchen Vertrages, Seine Majestät der König von Preußen, Allerhöchst Ihren Minister=Präsidenten und Minister der auswärtigen | Angelegenheiten, Freiherm von Manteuffel, Allerhöchst Ihren Minister fur Handel, Gewerbe und öffentliche Arbei= | ten, von der Heydt, und Allerhöchst Ihren Finanzminister von Bodelschwingh; [S. 350] Seine Majestät der König von Hannover, Allerhöchst Ihren Minister=Präsidenten und Minister der auswärtigen | Angelegenheiten etc., Freiherm von Münchhausen, und Allerhöchst Ihren Finanz=Minister, Freiherm von Hammerstein, bevollmächtigt. Diese sind nach geschehener Auswechslung und gegenseitiger | Anerkennung ihrer Vollmachten, unter Vorbehalt der Allerhöchsten Ratifikationen, | über folgende Bestimmungen einig geworden: Artikel 1. Vom 1. Januar 1854. an soll zwischen Preußen und den alsdann mit | Preußen zollvereinten Staaten einerseits, und Hannover nebst den, diesem Ver= | trage beitretenden Steuervereins=Staaten andererseits, gegenseitig | freier Handelsverkehr, eine übereinstimmende Gesetzgebung über die Ein=, Aus= 1 und Durchgangsabgaben, sowie über die Besteuemng der inländischen Rüben= | zuckerfabrikation, und eine Gemeinsamkeit der Erträge dieser Abgaben bestehen. Die Gmndlage dieser Vereinigung bilden die im Zollvereine bestehenden | Gmndsätze und Einrichtungen unter den nachstehenden Vorbehalten und Mo= | difikationen.

Separat-Artikel und weitere Urkunden zu diesem Vertrag, abgedruckt in: Verträge und Verhandlungen aus dem Zeiträume von 1833 bis einschUeßlich 1856 über die Bildung und Ausführung des deutschen Zoll- und Handels-Vereins, Dritter Band, Berlin 1856, S. 412 - 423.

960

§ 4: Deutscher Zollverein

[Dok. 85-102]

Artikel 2. In Hannover sollen von inländischem Taback und Wein dieselben Steuern | erhoben werden, welche diese Gegenstände in Preußen und den dieserhalb mit | Preußen im Verbände stehenden Staaten unterliegen. In Folge dessen soll in allen diesen Staaten freier gegenseitiger Verkehr | mit Wein, Most, Taback und Tabacksfabrikaten stattfinden, und es soll von | diesen Erzeugnissen, wenn solche aus nicht zu jenem Verbände gehörenden Zoll= | Vereinsstaaten übergehen, die nämliche Abgabe, welcher dieselben jetzt in Preußen | unterworfen sind, und zwar für gemeinschaftliche Rechnung, erhoben werden. Artikel 3. Die Steuer von der Branntweinfabrikation soll in Hannover zu gleichen | [S. 35IJ Sätzen und in gleicher Weise wie in Preußen und den dieserhalb mit Preußen | im Verbände stehenden Staaten erhoben werden. Die Ausfuhrvergütung für inländischen Branntwein soll beiderseits gleich= | mäßig und zwar dergestalt bestimmt werden, daß sie die Fabrikationsabgabe | auch bei günstigem Betriebe nicht übersteigt. Artikel 4. Rücksichtlich der Fabrikationsabgabe vom inländischen Bier wird Han= | nover nicht beschränkt, unbeschadet seiner Verpflichtung, den zwischen den Zoll= | Vereinstaaten verabredeten höchsten Steuersatz von 1 V2 Rthlr. für 120 Quart | Preußisch nicht zu überschreiten. Artikel 5. Da es nach der bestimmten Erklärung der hannoverschen Regierung un= | übersteigliche Schwierigkeiten findet, im dortigen Gebiete den Verkauf des Salzes | en gros, wie dies im übrigen Gebiete des Zollvereines geschieht, auf Rechnung | des Staates zu übernehmen und zu beschränken, oder doch den jetzigen Betrag | seiner Salzsteuer zu erhöhen, so wird Hannover, um die alsdann zu besorgende | Einschwärzung von Salz in die angrenzenden Vereinssaaten, auch ohne die, | in Folge der Zollvereinigung wegfallende strenge Grenzbewachung abzuwenden, | an Stelle der Vereinbarung im Art. 10 littr. g. der Zollvereinsverträge, die I verbotene Salzeinfuhr nach den angrenzenden Vereinsstaaten mit nachdrücklichen | Strafen bedrohen und durch andere geeignete Mittel zu deren Verhinderung | mitzuwirken. Artikel 6. Statt der Verbindlichkeit, welche im Artikel 13. der Zollvereinsverträge | in Beziehung auf die Höhe der Chausseegelder eingegangen ist, übernimmt Han= | nover nur die Verpflichtung, seine dermaligen Chausseegeldsätze nicht zu erhöhen. Artikel 7. Rücksichtlich der Hannoverschen Flußzölle und Schiffahrtsabgaben be= | hält es dem Artikel 15. der Zollvereinsverträge sein Bewenden. [S. 352] Artikel 8. Die in den Artikeln 15. und 19. der Zollvereinsverträge zugesicherte Gleich^ [ Stellung der Angehörigen aller Vereinsstaaten hinsichtlich der Flußschiffahrt und | hinsichtlich des Handels in den Seehäfen erstreckt sich auch auf die gegenseitige | Zulassung der Schiffe beider kontrahirenden Staaten zur Binnenschiffahrt oder | Kabotage, ohne daß dafür andere oder höhere Abgaben von Schiff und Ladung, | als von den Schiffen des eigenen Staates zu entrichten sind.

[96] Vertrag vom 7. September 1851

961

Artikel 9, ^Beide kontrahirenden Theile werden in ihren wichtigeren Seeplätzen örtlich | mit dem Hafen in Verbindung stehende freie Niderlage=Anstalten in der Art | zulassen, daß innerhalb derselben die zollamtliche Kontrolle nur insoweit statt== | findet, um Einschwärzungen nach dem Inlande vorzubeugen, daß die Behand= | lung, Theilung und Umpackung der Waaren innerhalb jener Anstalt ungehin= | dert bleibt, und daß eine Verabredung nur nach Maaßgabe der aus der Nie= | derlage nach dem Inlande oder zum Durchgange abgefertigten Mengen eintritt. | ^Man wird sich über ein übereinstimmendes Regulativ für diese Anstalten ver= I ständigen. Artikel 10. Der im §. 44. des Zollgesetzes und §. 84. der Zollordnung enthaltenen | Vorschrift gemäß, bleibt es auch Hannover vorbehalten, Erleichterungen in den [ hinsichtlich der Kontrolle im Grenzbezirk bestehenden Bestimmungen da eintreten | zu lassen, wo dies ohne Gefährdung der Zollsicherheit geschehen kann und durch | ein örtliches Bedürfniß geboten ist. Artikeln. Zur Ausgleichung des bedeutend stärkeren Verbrauchs hochbesteuerter Ge= | genstände, welcher in Hannover stattgefunden hat und voraussichtlich auch femer | stattfinden wird, sowie des höheren Einkommens, welches Hannover aus den | Ein=, Aus= und Durchgangsabgaben bezogen hat, und beim einseitigen | [S. 353] Vorschreitenden zu den Tarifsätzen des Zollvereins noch wesentlich würde steigern | können, ist Folgendes verabredet worden. Nachdem der Ertrag der Eingangs^, Ausgangs^ und Durchgangsabga= | ben und der Steuer vom inländischen Rübenzucker nach Abzug 1) der Rückerstattungen für unrichtige Erhebungen, 2) der auf Grund besonderer gemeinschaftlicher Verabredungen erfolgten | Steuerermäßigungen und Vergütungen festgestellt und der auf Hannover im Verhältniß seiner, dem Vereine angehö= | renden Bevölkerung zur Gesammtbevölkerung des Vereins, beziehungsweise be= | sonderen Verbandes (Art. 12.) fallende Antheil an jenem Ertrage ermittelt sein | wird, soll dieser Antheil um drei Viertheile, jedoch was die Antheile an der | Eingangsabgabe nebst Rübenzuckersteuer betrifft, um höchstens zwanzig Silber= | groschen in einem Jahre für jeden Einwohner vermehrt, und die dadurch sich ergebende Geldsumme für Hannover vorab genommen werden und dessen Antheil | an den in die Gemeinschaft fallenden Abgaben bilden. In gleicher Weise wird bei Vertheilung der gemeinschaftlichen Ueber= | gangsabgaben verfahren werden (Art. 2.). Der von Hannover zu tragende Antheil an den gemeinschaftlichen Ver= | waltungskosten wird nach Maaßgabe des Verhältnisses berechnet werden, in | welchem die einfache Kopfzahl Hannovers zu der Gesammtbevölkerung im | Vereine steht. Artikel 12. Rücksichtlich der Vertheilung des Ertrages der Ausgangs= und Durch= | gangsabgaben wird Hannover dem westlichen Verbände des Zollvereins an= | gehören. Artikel 13. Eine Nachsteuer für gemeinsame Rechnung soll für die beim Anschlüsse | an den Verein in Hannover vorhandenen Waaren nicht erhoben werden.

962

§ 4: Deutscher Zollverein

[Dok. 85 -102]

[S, 354] Artikel 14. ^Die Dauer dieses Vertrages erstreckt sich auf den Zeitraum vom 1. Ja= | nuar 1854. bis zum 31. Dezember 1865. '^Kommt jedoch schon vor dem letzt= | gedachten Zeitpunkte eine Zolleinigung aller Deutschen Staaten zur Ausführung, | so erlischt derselbe gleichzeitig mit dem Beginne der letzteren. Artikel 15. Die Ratifikationen zu diesem Vertrage sollen binnen längstens vier | Wochen ausgewechselt werden. So geschehen und vollzogen Berlin, den siebten September Eintau= [ send acht hundert und Ein und fünfzig. Otto von Manteuffel. Aug. von der Hey dt. von Bodelschwingh. | A. von Münchhausen. (L. S.) (L. S.) (L. S.) (L.S.) W. Frhr. von Hammerstein. (L.S.) Die Ratifikations=Urkunden des vorstehenden Vertrages sind zu Hannover | ausgewechselt worden.

[97] Vertrag (Hannover./. Schaumburg Lippe) wegen des Zollvereinsbeitritts Schaumburg-Lippes vom 25. September 1851 Quelle: Verträge und Verhandlungen aus dem Zeiträume von 1833 bis einschließlich 1856 über die Bildung und Ausführung des deutschen Zoll- und Handels-Vereins, Dritter Band, 1856, S. 424 - 425 (gedruckt).^ [S. 424] Seine Majestät der König von Hannover und | Seine Durchlaucht der Fürst zu Schaumburg=Lippe, gleichmäßig von dem Wunsche geleitet, die zwischen den beiderseitigen Ländern beste= I hende Handels^ und Verkehrsfreiheit auch künftig unter den durch den Vertrag | zwischen Hannover und Preußen vom 7ten d. M«** herbeigeführten Verhältnissen sicher | zu stellen, haben zur Verhandlung und zur Abschließung eines Vertrages hierüber Seine Majestät der König von Hannover: Allerhöchst Ihren General=Direktor der indirekten Steuern und Zölle Dr. Klenze, Seine Durchlaucht der Fürst zu Schaumburg=Lippe: Höchst Ihren Regiemngs=Präsidenten, Freiherm von Lauer=Münchhofen, und Höchst Ihren Regierungsrath von Campe bevollmächtigt. Diese sind nach geschehener Auswechselung und gegenseitiger Anerkennung | ihrer Vollmachten, über folgende Bestimmungen einig geworden.

^ Vollziehungsprotokoll zu diesem Vertrag, abgedruckt in: Verträge und Verhandlungen aus dem Zeiträume von 1833 bis einschließlich 1856 über die Bildung und Ausführung des deutschen Zollund Handels-Vereins, Dritter Band, Berlin 1856, S. 426 - 427. ^ Dok. 96.

[97] Vertrag vom 25. September 1 8 5 1 9 6 3 Artikel 1. Schaumburg=Lippe tritt dem am 7ten d. M. zu Berlin abgeschlossenen Ver= | trage zwischen Hannover und Preußen, die Vereinigung des Steuervereins mit dem | Zollverein betreffend, nebst Separat^Artikeln, hiermit bei. Artikel 2. ^Rücksichtlich der Fabrikations=Abgabe vom inländischen Branntwein soll zwi= | sehen Hannover und Schaumburg=Lippe während der Vertragsperiode nicht allein | Uebereinstimmung der Gesetzgebung, sondern auch Gemeinschaftlichkeit der Erträge | und Theilung derselben nach Verhältniß der Bevölkerung Statt finden. ^Dasselbe soll | rücksichtlich der Uebergangs=Abgabe für vereinsländischen Branntwein, der Fabrika= | tions=Abgabe von inländischem Bier, so lange eine solche in Hannover bestehen wird, | so wie der etwaigen Uebergangs=Abgabe von vereinsländischem Bier gelten. Artikel 3. Rücksichtlich der Salzsteuer bleibt es Schaumburg=Lippe vorbehalten, entweder | die bisherige Gemeinschaft und Verkehrsfreiheit mit Hannover fortzusetzen oder aber | nach zuvoriger Verständigung mit Preußen den Salzverkauf en gros regierungsseitig | zu übernehmen.Im erstem Falle wird Schaumburg=Lippe die im Separat=Artikel 3. zum | Vertrage vom 7ten d. M. bezeichneten Verpflichtungen auch seinerseits übernehmen. Artikel 4. Die Verkündigung der auf den Zollvereins^Verträgen beruhenden und der in | den Art. 2. und 3. in Bezug genommenen Gesetze, Tarife, Verordnungen, Regle= | ments etc. soll in Schaumburg=Lippe zeitig erfolgen. [S. 425] ^Zu Aenderungen der bestehenden Vereinsverträge, Gesetze und Tarife ist, | bevor dieselben für Schaumburg=Lippe verbindlich werden, die Zustimmung der dor= | tigen Regierung erforderlich. '^Dieselbe wird jedoch nicht versagt werden, insofern | jene Aenderungen allgemein auch für Hannover zur Anwendung kommen. Artikel 5. Auf Ersuchen Seiner Durchlaucht des Fürsten zu Schaumburg=Lippe, und | unbeschadet der Hoheitsrechte Höchstdesselben, übernimmt Hannover sowohl die Ver= [ waltung der gemeinschaftlichen Abgaben (Art. 1. 2.) im Fürstenthum Schaumburg= | Lippe und die Anstellung der daselbst zu stationirenden Zoll= und Steuerbeamten, | als auch die Vertretung des Fürstenthums bei den im Separat^Artikel 13. des Ver= | träges vom 7ten d. M. erwähnten, so wie bei ferneren auf Gegenstände des Ver= | eins etc. sich beziehenden Verhandlungen mit den übrigen Vereinsstaaten. Artikel 6. ^Bei Vertheilung der gemeinschaftlichen Einkünfte und Verwaltungskosten kon= | kurrirt Schaumburg=Lippe im Verhältniß seiner Bevölkerung zu derjenigen des Han= | no verschen Verwaltungsbezirks, wird jedoch vierteljährig Abschlagszahlungen, welche | seinem Antheile an den Reinerträgen etwa entsprechen, von Hannover empfangen. | ^Ueber den Zeitpunkt der jährlichen Abrechnungen bleibt weitere Verabredung vorbehalten. Artikel 7. ^Es soll dieser Vertrag mit dem Isten Januar 1854 zur Ausführung kom= | men. ^Rücksichtlich der an die Stelle der Nachsteuer tretenden frühem Einfühmng | des künfti-

964

§ 4: Deutscher Zollverein

[Dok.85-102]

gen Tarifs (Sep.=Art. 11. zu dem Vertrage vom 7ten September d. J.) | beginnt jedoch jene Ausführung, sobald in Hannover die Einführung jenes neuen | Tarifs Statt findet. Artikel 8. Die Ratifikationen zu diesem Vertrage sollen binnen 8 Tagen ausgewech= | seit werden. So geschehen Hannover, den 25sten September 1851. (gez.) Dr. Klenze. | (L. S.) Eduard Freiherr von Lauer=Münchhofen, | (L. S.) Alexander von Campe. | (L. S.)

[98] Vertrag (Preußen und Hannover./. Oldenburg) wegen des oldenburgischen Zollvereinsbeitritts vom 1. März 1852 Quelle: Gesetz-Sammlung für die Königlichen Preußischen Staaten, (vom 28. Juni) 1853, Nr. 27, S. 355 - 356 (gedruckt).^ Sonstige Fundstelle: Verträge und Verhandlungen aus dem Zeiträume von 1833 bis einschließlich 1856 über die Bildung und Ausführung des deutschen Zoll- und HandelsVereins, Dritter Band, 1856, S. 428. [S. 355] (Nr. 3110.) Vertrag zwischen Preußen und Hannover einerseits und Oldenburg andererseits, I den Beitritt Oldenburgs zu dem Vertrage zwischen Preußen und Hanno= | ver vom 7. September 1851. über die Vereinigung des Steuervereins mit | dem Zollverein betreffend. Vom I.März 1852. Seine Majestät der König von Preußen, Seine Majestät der König von | Hannover und Seine Königliche Hoheit der Großherzog von Oldenburg, gleich= | mäßig geleitet von dem Wunsche, die Vereinigung des Steuervereins mit dem | Zollverein auch in Beziehung auf das Herzogthum Oldenburg sicher zu stellen, | haben zur Verhandlung und Abschließung eines Vertrages hierüber Seine Majestät der König von Preußen Allerhöchst Ihren Geheimen Finanzrath Dach, Seine Majestät der König von Hannover Allerhöchst Ihren Generaldirektor der indirekten Steuern und Zölle, | Dr. Klenze, und Seine Königliche Hoheit der Großherzog von Oldenburg Höchst Ihren Steuerdirektor Meyer, bevollmächtigt. Diese sind, nach geschehener Auswechselung und Anerkennung ihrer Voll= | machten, unter Vorbehalt der Allerhöchsten und Höchsten Ratifikationen, über | folgende Bestimmungen einig geworden: Artikel 1. Das Herzogthum Oldenburg tritt dem am 7. September 1851. zwischen | Preußen und Hannover abgeschlossenen Vertrage, die Vereinigung des Steuer= | Vereins mit dem Zollvereine betreffend^, in allen Punkten bei, und wird dadurch | rücksichtlich aller durch jenen Vertrag begründeten Rechte und Verbindlichkei= | ten, soweit die Gegenstände derselben im Herzogthum Oldenburg vorhanden sind, | Hannover völlig gleichgestellt. Protokolle zu diesem Vertrag, abgedruckt in: Verträge und Verhandlungen aus dem Zeiträume von 1833 bis einschließlich 1856 über die Bildung und Ausführung des deutschen Zoll- und HandelsVereins, Dritter Band, Beriin 1856, S. 429 - 430. Dok. 96.

[99] Verlängemngs- bzw. Emeuerungsvertrag vom 4. April 1853

965

[S. 356] Artikel 2. Die landesherrlichen Ratifikationen zu diesem Vertrage sollen binnen acht | Tagen ausgewechselt werden. So geschehen Hannover, den ersten März Eintausend acht hundert zwei | und fünfzig. Eduard Dach. | (L. S.) Dr. Otto Klenze. | (L. S.) Carl Meyer. | (L. S.) Die Ratifikations-Urkunden des vorstehenden Vertrages sind zu Berlin | ausgewechselt worden.

[99] Verlängemngs- bzw. Erneuerungsvertrag vom 4. April 1853 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einfuhrungen" die Darstellungen unter [251.] [390.]. Quelle: Gesetz-Sammlung für die Königlichen Preußischen Staaten, 1853, S. 406-430 (gedruckt).^ Sonstige Fundstelle: Verträge und Verhandlungen aus dem Zeiträume von 1833 bis einschließlich 1858 über die Bildung und Ausführung des deutschen Zoll- und HandelsVereins, Vierter Band, 1858, S. 1 - 17. [S. 406] (Nr, 1)111.) Vertrag zwischen Preußen, Bayern, Sachsen, Württemberg, Baden, | Kurhessen, dem Großherzogthume Hessen, den zu dem Thüringischen Zoll= | und Handelsvereine gehörigen Staaten, Braunschweig, Oldenburg, Nassau | und der freien Stadt Frankfurt, die Fortdauer und Erweiterung des Zoll= | und Handelsvereines betreffend. Vom 4. April 1853. Nachdem die Regierungen von Preußen, Bayern, Sachsen, Hannover, Würt= | temberg, Baden, Kurhessen, Großherzogthum Hessen, der bei dem Thüringischen | Zoll= und Handelsvereine betheiligten Staaten, Braunschweig, Oldenburg, Nas= | sau und der freien Stadt Frankfurt, im Anerkenntniß der wohlthätigen Wirkungen, welche der auf den Ver= | trägen vom 22.»» und 30. März*^ und 11. Mai 1833.^ vom 12. Mai^ und 10. De= | zember 1835.^ vom 2. Januar 1836.^ und vom 8. Mai,*» 19. Oktober» und | 13. November 1841.J beruhende Zoll= und Handelsverein, den bei dessen Grün= | dung gehegten Absichten entsprechend, für den Handel und gewerblichen Ver= | kehr der daran betheiligten Staaten herbeigeführt hat, und welche von einer | weiteren Ausdehnung des gegenseitig freien Handels und gewerblichen Verkehrs | zwischen Ihren Staaten für die Wohlfahrt Ihrer Unterthanen und zugleich | fur ^ Separat-Artikel, Schluß-Protokoll und weitere Urkunden zu diesem Vertrag, abgedruckt in: Verträge und Verhandlungen aus dem Zeiträume von 1833 bis einschließlich 1858 über die Bildung und Ausführung des deutschen Zoll- und Handels-Vereins, Vierter Band, Berlin 1858, S. 17 - 98. " Dok.85. *^ Dok.86, ^ Dok.87. ^ Dok.88. f Dok.89. s Dok.90. ^ Dok.91. ' Dok.93. J Betrifft den Anschluß der Grafschaft Schaumburg an den Zollverein (abgedruckt in: Verträge und Verhandlungen aus dem Zeiträume von 1833 bis einschließlich 1856 über die Bildung und Ausführung des deutschen Zoll- und Handels-Vereins, Dritter Band, 1856, S. 284 - 288).

966

§ 4: Deutscher Zollverein

[Dok. 85 - 102]

die Beförderung der allgemeinen Handels^ und Verkehrsfreiheit in Deutsch^ | land zu erwarten stehen, in dem Wunsche übereingekommen sind, sowohl den Fortbestand des ge= | dachten Zoll= und Handelsvereins sicherzustellen, als auch den Steuerverein, auf | Grund des zwischen den Regierungen von Preußen und Hannover am 7. Sep= | tember 1851.^ abgeschlossenen Vertrages, welchem Oldenburg durch Vertrag | vom 1. März 1852.** beigetreten ist, mit diesem Vereine zu vereinigen: so sind | zur Erreichung dieser Zwecke Verhandlungen gepflogen worden, wozu als Be= | vollmächtigte ernannt haben: Seine Majestät der König von Preußen: Allerhöcht Ihren Generaldirektor der Steuern Johann Friedrich | von Pommer Esche, Allerhöchst Ihren Geheimen Legationsrath Alexander Max | Philipsbom | und Allerhöchst Ihren Geheimen Regierungsrath Martin Friedrich | Rudolph Delbrück; Seine Majestät der König von Bayern: Allerhöchst Ihren Ministerialrath Carl Meixner; Seine Majestät der König von Sachsen: Allerhöchst Ihren Zoll= und Steuerdirektor Bruno von Schimpff; [S. 407] Seine Majestät der König von Hannover: Allerhöchst Ihren Generaldirektor der indirekten Steuern und Zölle | Dr. Otto Klenze; Seine Majestät der König von Württemberg: Allerhöchst Ihren Direktor im Finanzministerium Carl Friedrich von | Sigel: Seine Königliche Hoheit der Regent von Baden: Höchst Ihren Ministerialrath Joseph Hack; Seine Königliche Hoheit der Kurfürst von Hessen: Höchst Ihren Geheimen Obep^Finanzrath Wilhelm Duysing; Seine Königliche Hoheit der Großherzog von Hessen und bei | Rhein: Höchst Ihren Ministerialrath Maximilian von Biegeleben; Die bei dem Thüringischen Zoll= und Handelsverein betheiligten | Souveraine, nämlich außer Seiner Majestät dem Könige von Preußen und | Seiner Königlichen Hoheit dem Kurfürst von Hessen: Seine Königliche Hoheit der Großherzog von Sachsen=Weimap= | Eisenach, Seine Hoheit der Herzog von Sachsen=Meiningen, Seine Hoheit der Herzog von Sachsen=Altenburg, Seine Hoheit der Herzog von Sachsen=Coburg=Gotha, Seine Durchlaucht der Fürst von Schwarzburg=Rudolstadt, Seine Durchlaucht der Fürst von Schwarzburg=Sondershausen, Seine Durchlaucht der Fürst von Reuß älterer Linie | und Seine Durchlaucht der Fürst von Reuß jüngerer Linie: den Großherzoglich Sächsischen Geheimen Staatsrath Gustav Thon; Seine Hoheit der Herzog von Braunschweig und Lüneburg: Höchst Ihren Finanzdirektor Wilhelm Erdmann Florian von | Thielau; Seine Königliche Hoheit der Großherzog von Oldenburg: Höchst Ihren Geschäftsträger am Königlich Preußischen Hofe Legations= | rath Dr. Friedrich August Liebe;

^ Dok. 96. ^ Dok. 98.

[99] Verlängerungs- bzw. Emeuemngsvertrag vom 4. April 1853

967

[S. 408] Seine Hoheit der Herzog von Nassau: Höchst Ihren Domainenrath Ernst Freiherm Marschall von | Bieberstein; der Senat der freien Stadt Frankfurt: den Schöffen und Senator Coester; von welchen Bevollmächtigten, unter dem Vorbehalte der Ratifikation, folgender | Vertrag abgeschlossen worden ist. Artikel 1. Der zwischen den Königreichen Preußen, Bayern, Sachsen und Würt= | temberg, dem Großherzogthum Baden, dem Kurfürstenthum und dem Groß= | herzogthum Hessen, den zum Thüringischen Zoll= und Handelsvereine verbünde^ | nen Staaten, den Herzogthümem Braunschweig und Nassau und der freien | Stadt Frankfurt, Behufs eines gemeinsamen Zoll= und Handelssystems errichtete | Verein wird vorläufig auf weitere zwölf Jahre, vom 1. Januar 1854. an= | fangend, also bis zum letzten Dezember 1865., fortgesetzt. Für diesen Zeitraum bleiben die Zollvereinigungsverträge vom 22. und | 30. März und IL Mai 1833., vom 12. Mai und 10. Dezember 1835., vom] 2. Januar 1836. und vom 8. Mai, 19. Oktober^ und 13. November 1841. auch | femer in Kraft Artikel 2. Der zwischen dem Königreich Hannover, dem Herzogthum Oldenburg | und den ihnen angeschlossenen Gebieten dermalen bestehende Steuerverein wird, | vom 1. Januar 1854. an, mit dem zwischen den übrigen kontrahirenden Staa= | ten im Artikel 1. erneuerten Zoll= und Handelsvereine verbunden, dergestalt, | daß beide Vereine für die Dauer der im Artikel 1. erwähnten Vertragsperiode | einen durch ein gemeinsames Zoll= und Handelssystem verbundenen, und alle | darin begriffenen Länder umfassenden Gesammtverein bilden. ^Die Rechte und Verpflichtungen, welche in den, im Artikel 1. genannten | Zollvereinigungsverträgen gegenseitig zugestanden und übernommen sind, sollen, | soweit nicht etwas Anderes besonders verabredet ist, auch dem Königreiche Han= | nover und dem Herzogthum Oldenburg zustehen und obliegen und zwar sowohl | in dem Verhältniß beider Staaten zu einander, als auch in dem Verhältniß | eines jeden derselben zu den übrigen kontrahirenden Staaten. ^Zur Feststellung | der erwähnten Rechte und Verpflichtungen wird der Inhalt jener Verträge mit | diesen besonderen Verabredungen in Nachstehendem aufgenommen. Artikel 3. In den Gesammtverein sind insbesondere auch diejenigen Staaten einbe= | [S. 409] griffen, welche schon früher entweder mit ihrem ganzen Gebiete, oder mit einem | Theile desselben dem Zoll= und Handelssysteme eines oder des anderen der kon= | trahirenden Staaten beigetreten sind, unter Berücksichtigung ihrer auf den Bei= | trittsverträgen beruhenden besonderen Verhältnissen zu den Staaten, mit welchen | sie jene Verträge abgeschlossen haben. Artikel 4. Dagegen bleiben von dem Gesammtvereine vorläufig ausgeschlossen die= | jenigen einzelnen Landestheile der kontrahirenden Staaten, welche sich ihrer | Lage wegen zur Aufnahme in den Gesammtverein nicht eignen.

Dok. 85, Dok. 86, Dok. 87, Dok. 88, Dok. 89, Dok. 90, Dok. 91 und Dok. 93.

968

§ 4: Deutscher Zollverein

[Dok. 85 - 102]

Hierbei werden jedoch in Beziehung auf die schon bisher zum Zollvereine | gehörigen Staaten diejenigen Anordnungen aufrecht erhalten, welche rücksichtlich | des erleichterten Verkehrs der ausgeschlossenen Landestheile mit dem Haupt= | lande gegenwärtig bestehen. Weitere Begünstigungen dieser Art können nur im gemeinschaftlichen | Einverständnisse der Vereinsglieder bewilligt werden. Artikel 5. ^In den Gebieten der kontrahirenden Staaten sollen übereinstimmende | Gesetze über Eingangs^, Ausgangs^ und Durchgangsabgaben bestehen, dabei | jedoch diejenigen Modifikationen zulässig sein, welche, ohne dem gemeinsamen | Zwecke Abbruch zu thun, aus der Eigenthümlichkeit der allgemeinen Gesetzge= | bung eines jeden Theil nehmenden Staates oder aus lokalen Interessen sich | als nothwendig ergeben. ^Bei dem Zolltarife namentlich sollen hierdurch in Be= | zug auf Eingangs^ und Ausgangsabgaben bei einzelnen, weniger für den grö= | ßeren Handelsverkehr geeigneten Gegenständen, und in Bezug auf Durchgangs= | abgaben, je nachdem der Zug der Handelsstraßen es erfordert, solche Abwei= I chungen von den allgemein angenommenen Erhebungssätzen, welche für einzelne | Staaten als vorzugsweise wünschenswerth erscheinen, nicht ausgeschlossen sein, | sofern sie auf die allgemeinen Interessen des Vereins nicht nachtheilig ein= | wirken. Desgleichen soll auch die Verwaltung der Eingangs^, Ausgangs= und | Durchgangsabgaben und die Organisation der dazu dienenden Behörden in | allen Ländern des Gesammtvereins, unter Berücksichtigung der in denselben be= | stehenden eigenthümlichen Verhältnisse, auf gleichen Fuß gebracht werden. Artikel 6. Veränderungen in der Zollgesetzgebung, mit Einschluß des Zolltarifs und | der Zollordnung, sowie Zusätze und Ausnahmen können nur auf demselben | Wege und mit gleicher Uebereinstimmung sämmtlicher Glieder des Gesammt= | Vereins bewirkt werden, wie die Einführung der Gesetze erfolgt. Dies gilt auch von allen Anordnungen, welche in Beziehung auf die | Zollverwaltung allgemein abändernde Normen aufstellen. Artikel 7. Mit der Ausführung des gegenwärtigen Vertrages tritt zwischen den | kontrahirenden Staaten Freiheit des Handels und Verkehrs und zugleich Ge= \ meinschaft der Einnahme an Zöllen ein, wie beide in den folgenden Artikeln | bestimmt werden. Artikel 8. Es hören von diesem Zeitpunkte an alle Eingangs^, Ausgangs= und | Durchgangsabgaben an den gemeinschaftlichen Landesgrenzen der schon jetzt | zum Zollverein gehörenden Staaten und der dermalen zum Steuerverein gehö= | renden Staaten auf, und es können alle im freien Verkehr des einen Gebietes | bereits befindlichen Gegenstände auch frei und unbeschwert in das andere Gebiet | gegenseitig eingeführt werden, mit alleinigem Vorbehalte a) der zu den Staatsmonopolien gehörigen Gegenstände (Spielkarten und | Salz), nach Maaßgabe der Artikel 9. und 10.; b) der im Innern der kontrahirenden Staaten mit einer Steuer belegten | inländischen Erzeugnisse, nach Maaßgabe des Artikels 11. Artikel 9. Hinsichtlich der Einfuhr von Spielkarten behält es bei den in den kon= | trahirenden Staaten bestehenden Verbots^ oder Beschränkungsgesetzen sein | Bewenden.

[99] Verlängerungs- bzw. Emeuerungsvertrag vom 4. April 1853

969

Artikel 10. In Betreff des Salzes treten die Königlich Hannoversche und die Groß= | herzoglich Oldenburgische Regierung den zwischen den kontrahirendne Verein= | regierungen getroffenen Verabredungen in folgender Art bei: a) Die Einfiihr des Salzes und aller Gegenstände, aus welchen Kochsalz | ausgeschieden zu werden pflegt, aus fremden, nicht zum Vereine gehörigen | Ländern in die Vereinsstaaten ist verboten, in soweit dieselbe nicht für | eigene Rechnung einer der vereinten Regierungen, und zum unmittelbaren | Verkaufe in ihren Salzämtem, Faktoreien oder Niederlagen geschieht. b) Die Durchfuhr des Salzes und der vorbezeichneten Gegenstände aus den | zum Vereine nicht gehörigen Ländern in andere solche Länder soll nur | mit Genehmigung der Vereinsstaaten, deren Gebiet bei der Durchfuhr | berührt wird, und unter den Vorsichtsmaaßregeln stattfinden, welche von | denselben für nöthig erachtet werden. c) Die Ausfuhr des Salzes in fremde, nicht zum Verein gehörige Staaten | ist frei. d) Was den Salzhandel innerhalb der Vereinsstaaten betrifft, so ist die | [S. 411] Einfuhr des Salzes von einem in den anderen nur in dem Falle erlaubt, | wenn zwischen den Landesregierungen besondere Verträge deshalb bestehen. e) Wenn eine Regierung von einer anderen innerhalb des Gesammtvereins | aus Staats^ und Privatsalinen Salz beziehen will, so müssen die Sen= | düngen mit Pässen von öffentlichen Behörden begleitet werden. Zu diesem Ende verpflichten sich die betheiligten Regierungen, auf | den Privatsalinen einen öffentlichen Beamten aufzustellen, der den Um= | fang der Produktion und des Absatzes derselben überhaupt zu beob= | achten hat. f) Wenn ein Vereinsstaat durch einen anderen aus dem Auslande oder | aus einem dritten Vereinsstaate seinen Salzbedarf beziehen, oder durch | einen solchen sein Salz in fremde, nicht zum Vereine gehörige Staaten | versenden lassen will, so soll diesen Sendungen kein Hindemiß in den | Weg gelegt werden, jedoch werden, insofern dieses nicht schon durch | frühere Verträge bestimmt ist, durch vorgängige Uebereinkunft der be= | theiligten Staaten die Straßen für den Transport und die erforder= | liehen Sicherheitsmaaßregeln zur Verhinderung der Einschwärzung vei^ | abredet werden. g) Da es, nach der bestimmten Erklärung der Königlich Hannoverschen Re= | gierung, unübersteigliche Schwierigkeiten findet, im dortigen Gebiete den | Verkauf des Salzes en gros, wie dies im übrigen Gebiete des Zoll= | Vereins geschieht, auf Rechnung des Staates zu übernehmen und zu be= | schränken, oder doch den jetzigen Betrag ihrer Salzsteuer zu erhöhen, so | werden die Regierungen von Hannover und Oldenburg, um Einschwär= | zungen von Salz in die angrenzenden Vereinsstaaten, auch ohne die, in | Folge der Zollvereinigung wegfallende strenge Grenzbewachung abzuwen= | den, die verbotene Salzeinfuhr nach diesen Staaten mit nachdrücklichen I Strafen bedrohen und durch andere, näher verabredete Mittel zu deren | Verhinderung mitwirken. Artikeln. ^In Bezug auf diejenigen Erzeugnissen, welche in den einzelnen Vereins^ | Staaten theils bei ihrer Hervorbringung oder Zubereitung, theils unmittelbar bei | ihrem Verbrauche mit einer inneren Steuer belegt sind (Artikel 8. Litt, b.), | wird es von sämmtlichen kontrahirenden Theilen als wünschenswerth anerkannt, | hierin eine Uebereinstimmung der Gesetzgebung und der Besteuerungssätze in den | Vereinsstaaten thunlichst hergestellt zu sehen, und es wird daher auch ihr Be== | streben auf Herbeiführung einer solchen Gleichmäßigkeit, insbesondere durch Ver= | einigung mehrerer Staaten zu gleichen inneren Steuereinrichtungen,

970

§ 4: Deutscher Zollverein

[DoL 8 5 - 102]

mit oder | ohne Gemeinschaftlichkeit der Steuererträge, gerichtet sein. ^Bis dahin, wo dieses I Ziel erreicht worden, sollen hinsichtlich der vorbemerkten Steuern und des Ver= | kehrs mit den davon betroffenen Gegenständen unter den Vereins Staaten, zur | Vermeidung der Nachtheile, welche aus einer Verschiedenartigkeit der inneren | Steuersysteme überhaupt, und namentlich aus der Ungleichheit der Steuersätze, | sowohl für die Produzenten, als für die Steuereinnahme der einzelnen Vereins= | [S. 412] Staaten erwachsen könnten abgesehen von der Besteuerung des im Umfange | des Zollvereins erzeugten Rübenzuckers, weshalb auf die besonders getroffenen | Vereinbarungen Bezug genommen wird - folgende Grundsätze in Anwendung | kommen. I. Hinsichtlich der ausländischen Erzeugnisse. Von allen Erzeugnissen, von welchen entweder auf die in der Zollord= | nung vorgeschriebene Weise dargethan wird, daß sie als ausländisches Ein= | oder Durchgangsgut die zollamtliche Behandlung bei einer Erhebungsbehörde | des Vereins bereits bestanden haben oder derselben noch unterliegen, oder von | welchen, dafem sie zu den tarifmäßig zollfreien gehören, durch Bescheinigungen | der Grenzzollämter nachgewiesen wird, daß sie vom Auslande eingeführt wor= | den sind, darf keine weitere Abgabe irgend einer Art, sei es für Rechnung des | Staats oder für Rechnung von Kommunen und Korporationen, erhoben wer= I den, jedoch - was das Eingangsgut betrifft - mit Vorbehalt derjenigen in== | neren Steuern, welche in einem Vereinsstaate auf die weitere Verarbeitung oder | auf anderweite Bereitungen aus solchen Erzeugnissen, ohne Unterschied des aus= | ländischen, inländischen oder vereinsländischen Ursprungs allgemein gelegt sind. II. Hinsichtlich der inländischen und vereinsländischen Erzeugnisse. 1. Von den innerhalb des Vereins erzeugten Gegenständen, welche nur | durch einen Vereinsstaat transitiren, um entweder in einen anderen Vereins= | Staat oder nach dem Auslande geführt zu werden, dürfen innere Steuern weder | für Rechnung des Staats, noch für Rechnung von Kommunen oder Korpo= | rationen erhoben werden. 2. Jedem Vereinsstaate bleibt es zwar freigestellt, die auf der Hervop= | bringung, der Zubereitung oder dem Verbrauche von Erzeugnissen ruhenden | inneren Steuern beizubehalten, zu verändern oder aufzuheben, sowie neue Steuem | dieser Art einzuführen, jedoch sollen a) dergleichen Abgaben für jetzt nur auf folgende inländische und gleich= | namige vereinsländische Erzeugnisse, als: Branntwein, Bier, Essig, | Malz, Wein, Most, Cider (Obstwein), Taback, Mehl und andere Müh= | lenfabrikate, desgleichen Backwaaren, Fleisch, Fleischwaaren und Fett ge= | legt werden dürfen. Auch wird man sich b) soweit nöthig, über bestimmte Sätze verständigen, deren Betrag bei Ab= | messung der Steuem nicht überschritten werden soll. 3. Bei allen Abgaben, welche in dem Bereiche der Vereinsländer | hiemach zur Erhebung kommen, wird eine gegenseitige Gleichmäßigkeit der Be= | handlung dergestalt stattfinden, daß das Erzeugniß eines anderen Vereinsstaates | unter keinem Vorwande höher oder in einer lästigeren Weise, als das inländi= | sehe oder als das Erzeugniß der übrigen Vereinsstaaten, besteuert werden darf | In Gemäßheit diesses Gmndsatzes wird Folgendes festgesetzt: [S. 412] a) Vereinsstaaten, welche von einem inländischen Erzeugnisse keine innere | Steuer erheben, dürfen auch das gleiche vereinsländische Erzeugniß nicht | besteuem. Jedoch soll ausnahmsweise denjenigen Vereinsstaaten, in wel= | chen kein Wein erzeugt wird, frei stehen, eine Abgabe von dem vereinst | ländischen Weine nach den besonders getroffenen Verabredungen zu | erheben. b) Diejenigen Staaten, in welchen innere Steuem von einem Konsumtions= | gegenstände bei dem Kaufe oder Verkaufe oder bei der Verzehmng des= | selben

[99] Verlängerungs- bzw. Emeuerungsvertrag vom 4. April 1853

971

erhoben werden, dürfen diese Steuern von den aus anderen Ver= | einsstaaten herrührenden Erzeugnissen der nämlichen Gattung nur in glei= | eher Weise fordern; sie körmen dagegen die Abgabe von den nach anderen | Vereinsstaaten übergehenden Gegenständen unerhoben, oder ganz oder | theilweise zurückgeben lassen. c) Diejenigen Staaten, welche innere Steuern auf die Hervorbringung oder | Zubereitung eines Konsumtionsgegenstandes gelegt haben, können den | gesetzlichen Betrag derselben bei der Einfuhr des Gegenstandes aus an= | deren Vereinsstaaten voll erheben, und bei der Ausfuhr nach diesen Staa= | ten theilweise oder bis zum vollen Betrage zurückerstatten lassen. Welche, dem dermaligen Stande der Gesetzgebung in den gedachten | Staaten entsprechende Beträge hiemach zur Erhebung kommen und be= | ziehungsweise zurückerstattet werden können, ist besonders verabredet wor= | den. Treten späterhin irgendwo Veränderungen in den für die inneren | Erzeugnisse zur Zeit bestehenden Steuersätzen ein, so wird die betreffende | Regierung den übrigen Vereinsregierungen davon Mittheilung machen, | und hiermit den Nachweis verbinden, daß die Steuerbeträge, welche, in | Folge der eingetretenen oder beabsichtigten Veränderung, von den vereinst | ländischen Erzeugnissen erhoben, und bei der Ausfuhr der besteuerten | Gegenstände vergütet werden sollen, den vereinbarten Grundsätzen ent= | sprechend bemessen seien. d) Soweit zwischen mehreren, zum Zollvereine gehörigen Staaten eine | Vereinigung zu gleichen Steuereinrichtungen besteht, werden diese Staaten | in Ansehung der Befugniß, die betreffenden Steuern gleichmäßig auch | von vereinsländischen Erzeugnissen zu erheben, als ein Ganzes betrachtet. 4. Die Erhebung der inneren Steuern von den damit betroffenen ver= | einsländischen Gegenständen soll in der Regel in dem Lande des Bestimmungs= | ortes stattfinden, in sofern solche nicht, nach besonderen Vereinbarungen, ent= | weder durch gemeinschaftliche Hebestellen an den Binnengrenzen, oder im Lande | der Versendung für Rechnung des abgabeberechtigten Staates erfolgt. Auch | sollen die, zur Sicherung der Steuererhebung erforderlichen Anordnungen, so= | weit sie die, bei der Versendung aus einem Vereinsstaate in den anderen ein= | zuhaltenden Straßen und Kontrolen betreffen, auf eine, den Verkehr möglichst | wenig beschränkende Weise und nur nach gegenseitiger Verabredung, auch, da= | fem bei dem Transporte ein dritter Vereins Staat berührt wird, nur unter Zu= | Stimmung des letzteren getroffen werden. [S. 414] 5. Die Erhebung von Abgaben für Rechnung von Kommunen oder | Korporationen, sei es durch Zuschläge zu den Staatssteuem oder für sich beste= | hend, soll nur für Gegenstände, die zur örtlichen Konsumtion bestimmt sind, | nach den deshalb getroffenen besonderen Vereinbamngen bewilligt werden, und | es sollen dabei die vorstehend unter IL 2. b. gegebene Bestimmung und der | unter IL 3. ausgesprochene allgemeine Gmndsatz wegen gegenseitiger Gleich= | mäßigkeit der Behandlung der Erzeugnisse anderer Vereinsstaaten, ebenso wie | bei den Staatssteuem in Anwendung kommen. Vom Taback dürfen Abgaben für Rechnung von Kommunen oder Kor= [ porationen überall nicht erhoben werden. 6. Die Regiemngen der Vereinsstaaten werden sich gegenseitig a) was die hier in Rede stehenden Staatssteuem betrifft, von allen noch | gültigen Gesetzen und Verordnungen, femer von allen in der Folge ein= | tretenden Verändemngen, sowie von den Gesetzen und Verordnungen | über neu einzuführende Steuem,

972

§ 4: Deutscher Zollverein

[Dok. 85 - 102]

b) hinsichtlich der Konimunal= etc. Abgaben aber darüber, in welchen Orten, | von welchen Kommunen oder Korporationen, von welchen Gegenständen, | in welchem Betrage und aufweiche Weise dieselben erhoben werden, vollständige Mittheilung zu machen. Artikel 12. Ueber die Besteuerung des im Umfange des Vereins auf Rüben berei= | teten Zuckers ist unter den kontrahirenden Theilen die anliegende besondere Ueber= | einkunft getroffen worden*, welche einen Bestandtheil des gegenwärtigen Ver= | träges bilden und ganz so angesehen werden soll, als wenn sie in diesen selbst | aufgenommen wären. Die kontrahirenden Theile sind femer dahin einverstanden, daß, wenn die | Fabrikation von Zucker oder Syrup aus anderen inländischen Erzeugnissen, als | aus Rüben, z, B. aus Stärke, im Zollvereine einen erheblichen Umfang gewin= | nen sollte, diese Fabrikation ebenfalls in sämmtlichen Vereinsstaaten einer über= ] einstimmenden Besteuerung nach den für die Rübenzuckersteuer verabredeten | Grundsätzen zu unterwerfen sein würde. Artikel 13. Chausseegelder oder andere statt derselben bestehende Abgaben, ebenso | Pflaster=, Damm=, Brücken^ und Fährgelder, oder unter welchem andern Na= | men dergleichen Abgaben bestehen, ohne Unterschied, ob die Erhebung für Rech= | nung des Staats oder eines Privatberechtigten, namentlich einer Kommune | geschieht, sollen sowohl auf Chausseen, als auch auf unchaussirten Land= und | Heerstraßen, welche die unmittelbare Verbindung zwischen den an einander gren= | zenden Vereinsstaaten bilden und auf denen ein größerer Handels= und Reise= | verkehr stattfindet, nur in dem Betrage beibehalten oder neu eingeführt werden | [S. 415] können, als sie den gewöhnlichen Herstellungs^ und Unterhaltungskosten ange= | messen sind. Das in dem Preußischen Chausseegeld=Tarife vom Jahre 1828. bestimmte | Chausseegeld soll als der höchste Satz angesehen, und hinführo in keinem der | kontrahirenden Staaten überschritten werden, mit alleiniger Ausnahme des Chaus= | seegeldes auf solchen Chausseen, welche von Korporationen oder Privatpersonen | oder auf Aktien angelegt sind oder angelegt werden möchten, in sofern diesel= | ben nur Nebenstraßen sind oder bloß lokale Verbindungen einzelner Ortschaft | ten oder Gegenden mit größeren Städten oder mit den eigentlichen Haupthan= | delsstraßen bezwecken. Statt der vorstehend in Beziehung auf die Höhe der Chausseegelder ein= | gegangenen Verbindlichkeit, übernehmen Hannover und Oldenburg nur die Ver= | pflichtung, ihre dermaligen Chausseegeldsätze nicht zu erhöhen. Besondere Erhebungen von Thorsperr= und Pflastergeldem sollen auf | chaussirten Straßen da, wo sie noch bestehen, dem vorstehenden Grundsatze | gemäß aufgehoben und die Ortspflaster den Chausseestrecken dergestalt eingerech= | net werden, daß davon nur die Chausseegelder nach dem allgemeinen Tarife zur | Erhebung kommen. Artikel 14. Seine Majestät der König von Hannover und Seine Königliche Hoheit | der Großherzog von Oldenburg schließen sich den Verabredungen an, welche | zwischen den, zu dem Zoll= und Handelsvereine gehörigen Regierungen wegen | Herbeiführung eines gleichen Münz=, Gemeint ist die als „Anlage zu Artikel 12. des Vertrages." getroffene „Uebereinkunft zwischen Preußen, Bayern, Sachsen, Hannover, Württemberg, Baden, Kurhessen, dem Großherzogthum Hessen, den zu dem Thüringischen Zoll- und Handelsvereine gehörigen Staaten, Braunschweig, Oldenburg, Nassau und der freien Stadt Frankfurt, wegen der Besteuerung des Rübenzuckers" vom 4. April 1853 (Gesetz-Sammlung für die Königlichen Preußischen Staaten, 1853, S. 427 - 430), von deren Abdruck hier abgesehen wird.

[99] Verlängemngs- bzw. Emeuerungsvertrag vom 4. April 1853

973

Maaß= und Gewichtssystems getroffen | worden sind, und treten insbesondere sowohl der zwischen den gedachten Regie= | rungen unter dem 30. Juli 1838. abgeschlossenen allgemeinen Münzkonvention, | als auch dem unter denselben am 21. Oktober 1845. abgeschlossenen Münzkar= | tel, und zwar der ersteren mit der Erklärung bei, den 14=Thalerfuß, welcher I im Königreich Hannover und im Herzogthum Oldenburg bereits der Landes= | Münzfuß ist, als solchen auch femer beibehalten zu wollen. Demgemäß kommen die Stipulationen der bisherigen Zollvereinigungs= | Verträge, wonach 1) der gemeinschaftliche Zolltarif in zwei Hauptabtheilungen nach dem | 14=Thalerfiiße und nach dem 24 V2=Guldenfuße ausgefertigt wird; 2) die Silbermünzen der sämmtlichen kontrahirenden Staaten - mit Aus= | nähme der Scheidemünze - nach der durch die vorgedachte Münzkon= | vention festgestellten Gleichwerthung von vier Thalem gegen sieben | Gulden bei allen Zollhebestellen des Vereins angenommen werden; | dagegen 3) hinsichtlich der Goldmünzen einer jeden Vereinsregierung die Bestimm | mung überlassen bleibt, ob und in welchem Silberwerthe dieselben bei | den Zollhebestellen ihres Landes angenommen werden sollen, auch für das Königreich Hannover und das Herzogthum Oldenburg zur An= | wendung. [S. 416] Die Einheit für das gemeinschaftliche Zollgewicht bildet der Großherzog= | lieh Badische und Hessische Zentner (50 Kilogramme) und es wird daher im | gesammten Verein die Deklaration, Verwiegung und Verzollung der nach dem | Gewichte zollpflichtigen Gegenstände ausschließlich nach jenem Gewichte geschehen. Die Deklaration, Messung und Verzollung der nach dem Maaße zu ver= | zollenden Gegenstände wird in allen Theilen des Vereins so lange nach dem | landesgesetzlichen Maaße erfolgen, bis man sich über ein gemeinschaftliches | Maaß ebenfalls vereinigt haben wird. Uebrigens werden die kontrahirenden Regierungen ihre Sorgfalt dahin | richten, auch für das Maaß= und Gewichtssystem ihrer Länder im Allgemeinen | die zur Förderung des gegenseitigen Verkehrs wünschenswerthe Uebereinstim= | mung herbeizuführen. Artikel 15. Die Wasserzölle oder auch Wegegeldgebühren auf Flüssen, mit Ein= | schluß derjenigen, welche das Schiffsgefäß treffen (Rekognitionsgebühren), sind | von der Schiffahrt auf solchen Flüssen, auf welche die Bestimmungen des Wie= | ner Kongresses oder besondere Staatsverträge Anwendung finden, femer gegen= | seitig nach jenen Bestimmungen zu entrichten, insofem hierüber nichts Beson= | deres verabredet wird. Alle Begünstigungen, welche ein Vereinsstaat dem Schiffahrtsbetriebe | seiner Unterthanen auf den Eingangs genannten Flüssen zugestehen möchte, sol= | len in gleichem Maaße auch der Schiffahrt der Unterthanen der anderen Vep= | einsstaaten zu Gute kommen. ^Auf den übrigen Flüssen, bei welchen weder die Wiener Kongreßakte | noch andere Staatsverträge Anwendung finden, werden die Wasserzölle nach | den privativen Anordnungen der betreffenden Regiemngen erhoben. "^Doch sol== | len auch auf diesen Flüssen die Unterthanen der kontrahirenden Staaten und | deren Waaren und Schiffsgefäße überall gleich behandelt werden. Artikel 16. Von dem Tage an, wo die gemeinschaftliche Zollordnung des Vereins | in Vollzug gesetzt wird, sollen im Königreich Hannover und im Herzogthum | Oldenburg, wie bereits in den übrigen zum Zollvereine gehörigen Gebieten ge= | schehen ist, alle etwa noch bestehenden Stapel^ und Umschlagsrechte aufhören, | und Niemand soll zur Anhaltung, Verla-

974

§ 4: Deutscher Zollverein

[Dok. 85-102]

dung oder Lagerung gezwungen wer= | den können, als in den Fällen, in welchen die gemeinschaftliche Zollordnung | oder die betreffenden Schiffahrts==Reglements es zulassen oder vorschreiben. Artikel 17. Kanal=, Schleusen^, Brücken^, Fähr=, Hafen=, Waage=, Krahnen= und | Niederlage=Gebühren und Leistungen für Anstalten, die zur Erleichterung des | Verkehrs bestimmt sind, sollen nur bei Benutzung wirklich bestehender Einrich= | [S. 417] tungen erhoben, und in der Regel nicht, keinenfalls aber über den Betrag der | gewöhnlichen Herstellungs= und Unterhaltungskosten hinaus, erhöhet, auch überall | von den Unterthanen der anderen kontrahirenden Staaten auf völlig gleiche | Weise, wie von den eigenen Unterthanen, ingleichen ohne Rücksicht auf die Be= | Stimmung der Waaren erhoben werden. Findet der Gebrauch einer Waage^Einrichtung nur zum Behufe der Zoll= | ermittelung oder überhaupt einer zollamtlichen Kontrole statt, so tritt eine Ge= | bührenerhebung nicht ein. Artikel 18. Die kontrahirenden Staaten werden gemeinschaftlich dahin wirken, daß | durch Annahme gleichförmiger Grundsätze die Gewerbsamkeit befördert, und der | Befugniß der Unterthanen des einen Staates, in dem anderen Arbeit und Er= | werb zu suchen, möglichst freier Spielraum gegeben werde. Von den Unterthanen des einen der kontrahirenden Staaten, welche in | dem Gebiete eines anderen derselben Handel und Gewerbe treiben, oder Arbeit | suchen, soll von dem Zeitpunkte an, wo der gegenwärtige Vertrag in Kraft treten | wird, keine Abgabe entrichtet werden, welcher nicht gleichmäßig die in demsel== | ben Gewerbsverhältnisse stehenden eigenen Unterthanen unterworfen sind. Desgleichen sollen Fabrikanten und Gewerbetreibende, welche blos für | das von ihnen betriebene Geschäft Ankäufe machen, oder Reisende, welche nicht | Waaren selbst, sondern nur Muster derselben bei sich führen, um Bestellungen | zu suchen, wenn sie die Berechtigung zu diesem Gewerbsbetriebe in dem Ver= | einsstaate, in welchem sie ihren Wohnsitz haben, durch Entrichtung der gesetz= | liehen Abgaben erworben haben, oder im Dienste solcher inländischen Gewerbe== | treibenden oder Kaufleute stehen, in den anderen Staaten keine weitere Abgabe | hierfür zu entrichten verpflichtet sein. Auch sollen beim Besuche der Märkte und Messen zur Ausübung des | Handels und zum Absätze eigener Erzeugnisse oder Fabrikate in jedem Vereins= | Staate die Unterthanen der übrigen kontrahirenden Staaten ebenso wie die eige= | nen Unterthanen behandelt werden. Artikel 19. Preußen, Hannover und Oldenburg werden gegenseitig ihre Seeschiffe | und deren Ladungen unter denselben Bedingungen und gegen dieselben Abga= | ben, wie die eigenen Seeschiffe zulassen und von diesem Grundsatze namentlich | auch in Betreff der Binnenschiffahrt oder Kabotage keine Ausnahme machen. Ihre Seehäfen sollen dem Handel der Unterthanen jedes anderen Ver= | einsstaates gegen völlig gleiche Abgaben, wie solche von den eigenen Untertha= | nen entrichtet werden, offen stehen; auch sollen die in fremden See= und ande= | ren Handelsplätzen angestellten Konsuln eines oder des anderen der kontrahi= | renden Staaten veranlaßt werden, der Unterthanen der übrigen kontrahirenden | Staaten sich in vorkommenden Fällen möglichst mit Rath und That anzu= | nehmen.

[99] Verlängemngs- bzw. Emeuemngsvertrag vom 4. April 1853

975

[S. 418] Artikel 20. ^Seine Majestät der König von Hannover und Seine Königliche Hoheit | der Großherzog von Oldenburg treten hiedurch den zwischen den bisherigen | Vereinsgliedem zum Schutze ihres gemeinschaftlichen Zollsystems gegen den | Schleichhandel und ihrer inneren Verbrauchsabgaben gegen Defraudationen | unter dem 11. Mai 1833. abgeschlossenen Zollkartel für die Dauer des gegen= | wärtigen Vertrages bei, und werden die betreffenden Artikel desselben gleich^ | zeitig mit letzterem in Ihren Landen publiziren lassen. "^Nicht minder werden | auch von Seiten der übrigen Vereinsglieder der erforderlichen Anordnungen ge= | troffen werden, damit in den gegenseitigen Verhältnissen den Bestimmungen die= [ ses Zollkarteis überall Anwendung gegeben werde. Artikel 21. Die als Folge des gegenwärtigen Vertrages eintretende Gemeinschaft | der Einnahme der kontrahirenden Staaten bezieht sich auf den Ertrag der Ein= | gangs=, Ausgangs^ und Durchgangsabgaben in den Königlich Preußischen | Staaten, den Königreichen Bayern, Sachsen, Hannover und Württemberg, dem | Großherzogthume Baden, dem Kurfürstenthume und dem Großherzogthume | Hessen, dem Thüringischen Zoll= und Handelsvereine, den Herzogthümem Braun= | schweig, Oldenburg und Nassau und der freien Stadt Frankfurt, mit Einschluß | der, den Zollsystemen der kontrahirenden Staaten bisher schon beigetretenen I Länder. Von der Gemeinschaft sind ausgeschlossen, und bleiben, sofern nicht Se= | peratverträge zwischen einzelnen Vereinsstaaten ein Anderes bestimmen, dem [ privativen Genüsse der betreffenden Staatsregierungen vorbehalten: 1) die Steuern, welche im Innern eines jeden Staates von inländischen | Erzeugnissen erhoben werden, einschließlich der nach Art. 11. von den | vereinsländischen Erzeugnissen der nämlichen Gattung zur Erhebung kom= | menden Uebergangsabgaben; 2) die Wasserzölle; 3) Chausseeabgaben, Pflaster=, Damm=, Brücken=, Fähr=, Kanal=, Schleu= | sen=, Hafengelder, sowie Waage= und Niederlagegebühren oder gleichar= | tige Erhebungen, wie sie auch sonst genannt werden mögen; 4) die Zollstrafen und Konfiskate, welche, vorbehaltlich der Antheile der De= | nunzianten, jeder Staatsregierung in ihrem Gebiete verbleiben. Artikel 22. In Hinsicht auf die Vertheilung der in die Gemeinschaft fallenden Ab= | gaben ist Folgendes verabredet worden. Sowohl bei den Eingangsabgaben, als auch bei den Ausgangs= und | Durchgangsabgaben wird der nach Abzug [S. 419] a) der Rückerstattungen für unrichtige Erhebungen, b) der auf dem Grunde besonderer gemeinschaftlicher Verabredungen er= | folgten Steuervergütungen und Ermäßigungen verbleibende Bruttoertrag der Vertheilung zu Grunde gelegt. 1. Bei den Eingangsabgaben bildet derjenige Theil des Bruttoertrages, | welcher dem Verhältniß der dem Vereine angehörenden Bevölkerung des Kö= | nigreichs Hannover und des Herzogthums Oldenburg zur Gesammtbevölkerung | des Vereins entspricht, nachdem er um drei Viertheile seines einfachen Betrat | ges vermehrt worden, den Antheil des Königreichs Hannover und des Herzoge | thums Oldenburg,

976

§ 4: Deutscher Zollverein

[Dok. 85 - 102]

der übrige Theil den Antheil der anderen kontrahirenden | Staaten an dem Bruttoerträge. Der hiemach dem Königreich Hannover und dem Herzogthum 01den= | bürg über das Verhältniß ihrer Bevölkerung hinaus zukommende Antheil am | Bruttoertrage der Eingangsabgaben soll jedoch, unter Hinzurechnung des diesen | Staaten an dem Bruttoertrage der Rübenzuckersteuer zugestandenen gleichen | Zuschlages von drei Viertheilen, den Betrag von zwanzig Silbergroschen | fur jeden ihrer, dem Vereine angehörenden Einwohner in keinem Jahre | übersteigen. Die gemeinschaftlichen Verwaltungskosten werden auf das Königreich | Hannover und das Herzogthum Oldenburg einerseits und auf die übrigen | kontrahirenden Staaten andrerseits nach dem Verhältniß ihrer, dem Vereine | angehörenden Bevölkerung vertheilt und es wird der von jeder dieser beiden | Gruppen zu tragende Antheil von dem Antheil derselben am Bruttoertrage in | Abzug gebracht. Der hieraus für jede der beiden Gruppen sich ergebende Antheil am | Nettoertrage der Eingangsabgaben wird zwischen den betheiligten Staaten | nach dem Verhältniß ihrer, dem Vereine angehörenden Bevölkerung vertheilt. Der Bruttoertrag der Aus= und Durchgangsabgaben wird a) soweit diese Abgaben bei den Hebestellen in den östlichen Provinzen | des Königreichs Preußen (also mit Ausnahme der Provinz Westpha= | len und der Rheinprovinz), im Königreich Sachsen, im Gebiete des | Thüringischen Zoll= und Handelsvereins und im Herzogthum Braun= | schweig, mit Ausschluß der Kreisdirektions=Bezirke Holzminden und | Gandersheim, sowie des Amtes Thedinghausen, eingehen, zwischen | Preußen, Sachsen, den Staaten des Thüringischen Vereins und | Braunschweig nach dem von ihnen zu verabredenden Theilungsfuße | vertheilt, dagegen b) soweit dieselben bei den Hebestellen in den westlichen Provinzen des | Königreichs Preußen, den Königreichen Bayern, Hannover und Würt== | temberg, dem Großherzogthum Baden, dem Kurfürstenthum und dem | Großherzogthum Hessen, den Kreisdirektions=Bezirken Holzminden und | Gandersheim, sowie dem Amte Thedinghausen des Herzogthums | Braunschweig, den Herzogthümem Oldenburg und Nassau und der | freien Stadt Frankfurt eingehen, in der Weise vertheilt, daß derjenige | [S. 420] Theil des Bruttoertrages, welcher dem Verhältniß der dem Vereine | angehörenden Bevölkerung des Königreichs Hannover und des Herzoge | thums Oldenburg zur Gesammtbevölkemng der vorgenannten Vereins= | theile entspricht, nachdem er um drei Viertheile seines einfachen Be= | träges vermehrt worden, den Antheil des Königreichs Hannover und I des Herzogthums Oldenburg, der übrige Theil den Antheil der ande= | ren betreffenden Staaten bildet, welche Antheile sodann zwischen den | vorgenannten Staaten, nach dem Verhältniß ihrer, dem Vereine an= | gehörenden Bevölkerung, beziehungsweise der Bevölkerung ihrer vorge= | nannten Landestheile zur Vertheilung kommen. Bei der nach den Sätzen 1. und 2. stattfindenden Vertheilung | der Ein=, Aus= und Durchgangsabgaben wird a) die Bevölkerung des Fürstenthums Schaumburg=Lippe und der Hanno= | ver=Braunschweigischen Kommunion=Besitzungen in die Bevölkerung | des Königreichs Hannover, b) die Bevölkerung anderer Staaten, welche durch Vertrag mit einem | oder dem anderen der kontrahirenden Staaten unter Verabredung | einer von diesem jährlich für ihre Antheile an den gemeinschaftlichen | Zollrevenüen zu leistenden Zahlung dem Zollsysteme desselben beige= | treten sind, oder etwa künftig

[99] Verlängerungs- bzw. Emeuerungsvertrag vom 4. April 1853

977

noch beitreten werden, in die Be= | völkerung desjenigen Staates eingerechnet, welcher diese Zahlung leistet. 4. Der Stand der Bevölkerung in den einzelnen Vereinsstaaten wird | alle drei Jahre ausgemittelt, und die Nachweisung derselben von den Vereins^ | gliedern einander gegenseitig mitgetheilt werden. 5. Unter Berücksichtigung der besonderen Verhältnisse, welche hinsieht^ | lieh des Verbrauchs an zollpflichtigen Waaren bei der freien Stadt Frankfurt | obwalten, ist wegen des Antheils derselben an den gemeinschaftlichen Einnah= | men ein besonderes Abkommen getroffen. Artikel 23. Vergünstigungen für Gewerbetreibenden hinsichtlich der Zollentrichtung, | welche nicht in der Zollgesetzgebung selbst begründet sind, fallen der Staats^ | kasse derjenigen Regierung, welche sie bewilligt hat, zur Last. "^Hinsichtlich | der Maaßgaben, unter welchen solche Vergünstigungen zu bewilligen sind, | bewendet es bei den darüber im Zollvereine bereits bestehenden Verabre= | düngen. Artikel 24. Dem auf Förderung freier und natürlicher Bewegung des allgemeinen | Verkehrs gerichteten Zwecke des Zollvereins gemäß, sollen besondere Zoll= | begünstigungen einzelner Meßplätze, namentlich Rabattprivilegien, da wo sie | dermalen in den Vereinsstaaten noch bestehen, nicht erweitert, sondern viel= | [S. 421] mehr, unter geeigneter Berücksichtigung sowohl der Nahrungsverhältnisse | bisher begünstiger Meßplätze, als der bisherigen Handelsbeziehungen mit I dem Auslande, thunlichst beschränkt und ihrer baldigen gänzlichen Aufhebung | entgegen geführt, neue aber ohne allseitige Zustimmung auf keinen Fall | ertheilt werden. Artikel 25. Von der tarifmäßigen Abgabenentrichtung bleiben die Gegenstände, | welche für die Hofhaltung der hohen Souveraine und ihrer Regentenhäuser, | oder für die bei ihren Höfen akkreditirten Botschafter, Gesandten, Geschäfts= | träger u. s. w. eingehen, nicht ausgenommen, und wenn dafür Rückver= | gütungen Statt haben, so werden solche der Gemeinschaft nicht in Rech== | nung gebracht. Ebenso wenig anrechnungsfähig sind Entschädigungen, welche in einem | oder dem anderen Staaten den vormals unmittelbaren Reichs ständen, oder an | Kommunen oder einzelne Privatberechtigte für eingezogene Zollrechte oder für | aufgehobene Befreiungen gezahlt werden müssen. ^Dagegen bleibt es einem jeden Staate unbenommen, einzelne Gegen= | stände auf Freipässe ohne Abgabenentrichtung ein=, aus= oder durchgehen zu | lassen. "^Dergleichen Gegenstände werden jedoch zollgesetzlich behandelt, und in | Freiregistem, mit denen es wie mit den übrigen Zollregistem zu halten ist, | notirt, und die Abgaben, welche davon zu erheben gewesen wären, kommen | bei der demnächstigen Revenüen=Ausgleichung demjenigen Theile, von welchem | die Freipässe ausgegangen sind, in Abrechnung. Artikel 26. ^Das Begnadigungs= und Strafverwandlungsrecht bleibt jedem der kon= | trahirenden Staaten in seinem Gebiete vorbehalten. "^Auf Verlangen werden | periodische Uebersichten der erfolgten Straferlasse gegenseitig mitgetheilt werden.

978

§ 4: Deutscher Zollverein

[Dok. 85 - 102]

Artikel 27. Die Ernennung der Beamten und Diener bei den Lokal= und Bezirks^ | stellen fur die Zollerhebung und Aufsicht, welche nach der hierüber getroffenen | besonderen Uebereinkunft nach gleichförmigen Bestimmungen angeordnet, besetzt | und instmirt werden sollen, bleibt sämmtlichen Gliedern des Gesammtvereins | innerhalb ihres Gebietes überlassen. Artikel 28. ^Die Leitung des Dienstes der Lokal= und Bezirksbehörden, sowie die | Vollziehung der gemeinschaftlichen Zollgesetze überhaupt, wird im Königreich \ Hannover und im Herzogthum Oldenburg einer gemeinschaftlichen Zolldirektion | übertragen, welche dem Königlich Hannoverschen Finanzministerium und dem | [S. 422] GroßherzogHch Oldenburgischen Staatsministerium untergeordnet ist. '^Die Bil= | dung dieser Direktion und die Einrichtung ihres Geschäftsganges bleibt den | Regierungen von Hannover und Oldenburg überlassen; der Wirkungskreis der= | selben aber wird, in soweit er nicht schon durch gegenwärtigen Vertrag und | die gemeinschaftlichen Zollgesetze bestimmt ist, gleichwie der Wirkungskreis der | übrigen im Verein bestehenden Direktionen, durch eine gemeinschaftlich zu ver= I abredende Instruktion bezeichnet werden.

Artikel 29. Die von den Zoll=Erhebungsbehörden nach Ablauf eines jeden Viertel= | Jahres aufzustellenden Quartalextrakte und die nach dem Jahres= und Bücher= | Schlüsse aufzustellenden Finalabschlüsse über die resp. im Laufe des Vierteljahres | und während des Rechnungsjahres fällig gewordenen Zolleinnahmen werden | von den Zolldirektionen nach vorangegangener Prüfung in Hauptübersichten | zusammengetragen, und diese an das in Berlin bestehende Centralbüreau des | Zollvereins eingesendet, zu welchem Hannover einen Beamten zu ernennen die | Befligniß hat. Auf den Grund jener Uebersichten wird von dem Centralbüreau von | drei zu drei Monaten die provisorische Abrechnung zwischen den vereinigten | Staaten gefertigt, dieselbe den Centralfinanzstellen der letzteren übersandt und | zugleich Einleitung getroffen, um die etwaige Mindereinnahme einzelner Ver= | einsglieder gegen den ihnen verhältnißmäßig an der Gesammteinnahme zustän= | digen Revenüenantheil durch Herauszahlung von Seiten des oder derjenigen | Staaten, bei denen eine Mehreinnahme stattgefunden hat, auszugleichen. Demnächst bereitet das Centralbüreau auch die definitive Jahresabrech= | nung vor. Artikel 30. In Absicht der Erhebungs= und Verwaltungskosten kommen folgende | Grundsätze in Anwendung: 1. Man wird, soweit nicht ausnahmsweise etwas Anderes verabredet ist, | keine Gemeinschaft dabei eintreten lassen, vielmehr übernimmt jede Re= | gierung alle in ihrem Gebiete vorkommenden Erhebungs= und Ver= | waltungskosten, es mögen diese durch die Einrichtung und Unterhaltung | der Haupt= und Nebenzollämter, der inneren Steuerämter, Hallämter | und Packhöfe, und der Zolldirektionen, oder durch den Unterhalt des | dabei angestellten Personals und durch die den letzteren zu bewilligen= | den Pensionen, oder endlich aus irgend einem anderen Bedürfnisse der | Zollverwaltung entstehen. 2. Hinsichtlich desjenigen Theils des Bedarfs aber, welcher an den gegen | das Ausland gelegenen Grenzen und innerhalb des dazu gehörigen | Grenzbezirks für die Zollerhebungs= und Aufsichts= oder Kontrol= | behörden und Zollschutzwachen erforderlich ist, wird man sich über | [S. 423] Pauschsummen vereinigen, welche

[99] Verlängemngs- bzw. Emeuerungsvertrag vom 4. April 1853

979

von der jährlich aufkommenden und | der Gemeinschaft zu berechnenden Bruttoeinnahme an Zollgefällen nach | der im Artikel 22. unter 1. getroffenen Vereinbarung in Abzug gebracht | werden. 3. Bei dieser Ausmittelung des Bedarfs soll da, wo die Perzeption pri= | vativer Abgaben mit der Zollerhebung verbunden ist, von den Gehalten | und Amtsbedürfnissen der Zollbeamten nur derjenige Theil in Anrech= | nung kommen, welcher dem Verhältnisse ihrer Geschäfte für den Zoll= | dienst zu ihren Amtsgeschäften überhaupt entspricht. 4. Man wird sich mit der Königlich Hannoverschen und mit der Groß= | herzoglich Oldenburgischen Regierung über allgemeine Normen vereinig | gen, um die Besoldungsverhältnisse der Beamten bei den Zollerhebungs= | und Aufsichtsbehörden, ingleichen bei den Zolldirektionen, auch in Be= | ziehung auf das Königreich Hannover und das Herzogthum Oldenburg | in möglichste Uebereinstimmung zu bringen. Artikel 31. Die kontrahirenden Theile gestehen sich gegenseitig das Recht zu, den | Hauptzollämtem anderer Vereinsstaaten sowohl an den Grenzen, als im | Innern (Hauptsteuerämter mit Niederlage) Kontroleure beizuordnen, welche von | allen Geschäften derselben und der Nebenämter in Beziehung auf das Abfep= | tigungsverfahren und die Grenzbewachung Kenntniß zu nehmen, und auf Ein= | haltung eines gesetzlichen Verfahrens, imgleichen auf die Abstellung etwaiger | Mängel einzuwirken, übrigens sich jeder eigenen Verfugung zu enthalten haben. Einer näher zu verabredenden Dienstordnung bleibt es vorbehalten, ob | und welchen Antheil dieselben an den laufenden Geschäften zu nehmen haben. Artikel 32. ^Jedem der kontrahirenden Staaten steht das Recht zu, an die Zoll= | Direktionen der anderen Vereinsstaaten Beamte zu dem Zwecke abzuordnen, | um sich von allen vorkommenden Verwaltungsgeschäften, welche sich auf die | durch den gegenwärtigen Vertrag eingegangene Gemeinschaft beziehen, vollstän= | dige Kenntniß zu verschaffen. "^Das Geschäftsverhältniß dieser Beamten wird | durch eine besondere Instruktion näher bestimmt, als deren Grundlage die un= | beschränkte Offenheit von Seiten der Verwaltung, bei welcher die Abgeordneten | fungiren, in Bezug auf alle Gegenstände der gemeinschaftlichen Zollverwaltung, I und die Erleichterung jedes Mittels, durch welches sie sich die Information | hierüber verschaffen können, anzusehen ist, während andererseits ihre Sorgfalt] nicht minder aufrichtig dahin gerichtet sein muß, eintretende Anstände und | Meinungsverschiedenheiten auf eine, dem gemeinsamen Zwecke und dem Ver= | hältnisse verbündeter Staaten entsprechende Weise zu erledigen. Die Ministerien oder obersten Verwaltungsstellen der sämmtlichen Ver= | einsstaaten werden sich gegenseitig auf Verlangen jede gewünschte Auskunft | über die gemeinschaftlichen Zollangelegenheiten mittheilen, und insofern zu | [S. 424] diesem Behufe zeitweise oder dauernd die Abordnung eines höheren Beamten, | oder die Beauftragung eines anderweit bei der Regierung beglaubigten Bevoll= | mächtigten beliebt würde, so ist demselben nach dem oben ausgesprochenen | Grundsätze alle Gelegenheit zur vollständigen Kenntnißnahme von den Verhält^ | nissen der gemeinschaftlichen Zollverwaltung bereitwillig zu gewähren. Artikel 33. Jährlich in den ersten Tagen des Juni findet zum Zwecke gemeinsamer | Berathung ein Zusammentritt von Bevollmächtigten der Vereinsglieder Statt.

980

§ 4: Deutscher Zollverein

[Dok.85-102]

Für die formelle Leitung der Verhandlungen wird von den Konferenz= | Bevollmächtigten aus ihre Mitte ein Vorsitzender gewählt, welchem übrigens | kein Vorzug vor den übrigen Bevollmächtigten zusteht. Bei dem Schlüsse einer jeden jährlichen Versammlung wird mit Rücksicht | auf die Natur der Gegenstände, deren Verhandlung in der folgenden Konferenz | zu erwarten ist, verabredet werden, wo letztere erfolgen soll. Artikel 34. Vor die Versammlung dieser Konferenz=Bevollmächtigten gehört: a) die Verhandlung über alle Beschwerden und Mängel, welche in Be= | ziehung auf die Ausführung des Grundvertrages und der besonderen | Uebereinkünfte, des Zollgesetzes, der Zollordnung und Tarife, in einem | oder dem anderen Vereinsstaate wahrgenommen, und die nicht bereits | im Laufe des Jahres in Folge der darüber zwischen den Ministerien | und obersten Verwaltungsstellen geführten Korrespondenz erledigt wor= | den sind; b) die definitive Abrechnung zwischen den Vereinsgliedem über die gemein^ | schaftliche Einnahme auf dem Grunde der von den obersten Zollbehör= | den aufgestellten, durch das Centralbüreau vorzulegenden Nachweisungen, | wie solche der Zweck einer dem gemeinsamen Interesse angemessenen | Prüfung erheischt; c) die Berathung über Wünsche und Vorschläge, welche von einzelnen | Staatsregierungen zur Verbesserung der Verwaltung gemacht werden; d) die Verhandlungen über Abänderungen des Zollgesetzes, der Zollordnung, | des Zolltarifs und der Verwaltungs=Organisation, welche von einem | der kontrahirenden Staaten in Antrag gebracht werden, überhaupt über [ die zweckmäßige Entwickelung und Ausbildung des gemeinsamen Han= | dels= und Zollsystems. Artikel 35. Treten im Laufe des Jahres, außer der gewöhnlichen Zeit der Ver= | Sammlung der Konferenz=Bevollmächtigten, außerordentliche Ereignisse ein, | welche unverzügliche Maaßregeln oder Verfügungen abseiten der Vereinsstaaten | erheischen, so werden sich die kontrahirenden Theile darüber im diplomatischen | [S. 425] \ Wege vereinigen, oder eine außerordentliche Zusammenkunft ihrer Bevollmäch= | tigten veranlassen. Artikel 36. Den Aufwand für die Bevollmächtigten und deren etwaige Gehülfen | bestreitet dasjenige Glied des Gesammtvereins, welches sie absendet. Das Kanzlei^Dienstpersonale und das Lokale wird unentgeltlich von der | Regierung gestellt, in deren Gebiete der Zusammentritt der Konferenz statt= | findet. Artikel 37. Eine Nachsteuer für gemeinsame Rechnung soll für die beim Anschlüsse | an den Verein im Königreich Hannover und im Herzogthume Oldenburg vor= | handenen Waaren nicht erhoben werden. Ueber die Maaßregeln, welche erforderlich sind, damit nicht die Zoll= | Einkünfte des Gesammtvereins durch die Einfuhrung und Anhäufung geringer | verzollter Waarenvorräthe beeinträchtigt werden, ist eine besondere Vereinbarung | getroffen worden. Artikel 38. Für den Fall, daß andere Deutsche Staaten den Wunsch zu erkennen | geben sollten, in den Zollverein aufgenommen zu werden, erklären sich die hohen | Kontrahenten bereit, diesem Wunsche, soweit es unter gehöriger Berücksichtigung | der besonderen Interessen der

[99] Verlängemngs- bzw. Emeuerungsvertrag vom 4. April 1853

981

Vereinsmitglieder möglich erscheint, durch des= | falls abzuschließende Verträge Folge zu geben. Artikel 39. Auch werden sie sich bemühen, durch Handelsverträge mit anderen Staaten | dem Verkehr ihrer Angehörigen jede mögliche Erleichterung und Erweiterung | zu verschaffen, Artikel 40. Alles was sich auf die Detail=Ausführung der in dem gegenwärtigen | Vertrage und dessen Beilagen enthaltenen Verabredungen bezieht, soll durch | gemeinschaftliche Kommissarien vorbereitet werden. Artikel 41. In Folge der Erneuerung der Zollvereinsverträge treten die daran be= | theiligten Deutschen Staaten, nach stattgehabter Prüfung, dem zwischen Preußen | und Oesterreich abgeschlossenen Handels^ und Zollvertrage vom 19. Februar | 1853.^, nach Maaßgabe des Artikels 26. des letztgedachten Vertrages, hiermit | förmlich bei, dergestalt, daß dessen sämmtliche Bestimmungen auch auf die oben | [S. 426] gedachten Deutschen Staaten vom 1. Januar 1854. ab Anwendung finden | werden. Artikel 42 Sofern der gegenwärtige Vertrag nicht vor dem 1. Januar 1864. von | dem einen oder dem anderen der kontrahirenden Staaten aufgekündigt wird, | so soll er auf weitere zwölf Jahre und so fort von zwölf zu zwölf Jahren | als verlängert angesehen werden. Letztere Verabredung wird jedoch nur für den Fall getroffen, daß nicht | in der Zwischenzeit sämmtliche Deutsche Bundesstaaten über gemeinsame Maaß= | regeln übereinkommen, welche den mit der Absicht des Artikels 19. der Deutschen | Bundesakte'' in Uebereinstimmung stehenden Zweck des gegenwärtigen Zollvereins | vollständig erfüllen. Gegenwärtiger Vertrag soll alsbald zur Ratifikation der hohen kontra^ | hirenden Theile vorgelegt und die Auswechselung der Ratifikations=Urkunden | spätestens binnen sechs Wochen in Berlin bewirkt werden. So geschehen Berlin, den 4. April 1853. von Pommer Esche. Philipsbom. Delbrück. Meixner. | von Schimpff. Klenze. (L. S.) (L. S.) (L. S.) (L. S.)| (L. S.) (L. S.) von Sigel. Hack. | Duysing. von Biegeleben. Thon. von Thielau. | Liebe. (L. S.) (L, S.)| (L. S.) (L. S.)| (L. S.) (L. S.) | (L. S.) Marschall von Bieberstein. Coester. (L. S.) (L. S.) Die Ratifikations=Urkunden des vorstehenden Vertrages sind zu Berlin | ausgewechselt worden.*^

Abgedruckt in: Verträge und Verhandlungen aus dem Zeiträume von 1833 bis einschließlich 1858 über die Bildung und Ausführung des deutschen Zoll- und Handels-Vereins, Vierter Band, 1858, S. 226-235. Dok. 31. Geschah am 2. Juni 1853.

982

§ 4: Deutscher Zollverein

[Dok. 85-102]

[100] Vertrag (Zollvereinsstaaten ./. Luxemburg) wegen Fortdauer des Anschlusses Luxemburgs an den Zollverein vom 26./31. Dezember 1853 Quelle: Gesetz-Sammlung für die Königlichen Preußischen Staaten, 1854, S. 155-157 (gedruckt).^ Sonstige Fundstelle: Verträge und Verhandlungen aus dem Zeiträume von 1833 bis einschließHch 1856 über die Bildung und Ausführung des deutschen Zoll- und HandelsVereins, Dritter Band, 1856, S. 399 - 401. [S. 155] (Nr. 3978.) Vertrag zwischen Preußen, Bayern, Sachsen, Hannover, Württemberg, Baden, I Kurhessen, dem Großherzogthume Hessen, den zum Thüringischen Zoll= | und Handelsvereine gehörigen Staaten, Braunschweig, Oldenburg, Nassau ] und der freien Stadt Frankfurt einerseits, und dem Großherzogthum Luxem= | bürg andererseits, wegen Fortdauer des Anschlusses des Großherzogthums | Luxemburg an das Zollsystem Preußens und der übrigen Staaten des | Zollvereins. Vom ^^7 31. Dezember 1853. Bei dem bevorstehenden Ablaufe des Vertrages vom 2. April 1847.**, durch | welchen der Anschluß des Großherzogthums Luxemburg an das Zollsystem | Preußens und der übrigen Staaten des Zollvereins über den in dem Vertrage | vom 8. Februar 1842.*^ deshalb verabredeten Zeitraum hinaus aufrecht erhalten | worden war, haben die kontrahirenden Theile in Anerkennung der wohltätigen | Wirkungen des gedachten Zollanschlusses für den Handel und Verkehr der bei= | derseitigen Unterthanen, zum Zweck der Verlängerung jener Verträge Untei= | handlungen eröffnen lassen und deshalb zu Bevollmächtigten ernannt: einerseits Seine Majestät der König von Preußen für Sich und in Vertre= | tung der übrigen MitgUeder des ICraft der Verträge vom 22. und | 30. März und 11. Mai 1833., 12. Mai und 10. Dezember 1835., | 2. Januar 1836., 8. Mai und 19. October und 13. November 1841., | endlich vom 4. April 1853., bestehenden Zoll- und Handels Vereins, näm= | hch der Kronen Baden, des Kurfurstenthums Hessen, des Großher= | zogthums Hessen, der den Thüringischen Zoll= und Handelsverein bilden= | den Staaten - namentlich des Großherzogthums Sachsen, der Herzog= | [S. 156] thümer Sachsen-Meiningen, Sachsen-Altenburg und Sachsen-Koburg= [ Gotha, und der Fürstenthümer Schwarzburg-Rudolstadt und Schwarz= | burg-Sondershausen, der Fürstlich Reußischen Länder älterer und jüngerer | Linie - des Herzogthums Braunschweig, des Großherzogthums 01den= | bürg, des Herzogthums Nassau und der freien Stadt Frankfurt: Allerhöchst Ihren Geheimen Ober-Finanzrath Friedrich Leopold | Henning | und Allerhöchst Ihren Geheimen Legationsrath Alexander Max | Philipsbom, und andererseits Seine Majestät der König der Niederlande, Großherzog von | Luxemburg: Allerhöchst Ihren General=Administrator des Inneren im Großherzog= | thum Luxemburg Wendelin Jurion | und Allerhöchst Ihren Rath am Obergericht des Großherzogthums Luxem= | bürg Paul von Scherff,

Separat- und Schlußprotokoll zu diesem Vertrag, abgedruckt in: Verträge und Verhandlungen aus dem Zeiträume von 1833 bis einschließlich 1856 über die Bildung und Ausführung des deutschen Zoll- und Handels-Vereins, Dritter Band, Berlin 1856, S. 401 - 407. Dok. 95. Dok. 94.

[101] Zollvereinsvertrag vom 16. Mai 1865

983

welche, nach vorausgegangener Unterhandlung, unter Vorbehalt der Ratifika= | tion, folgenden Vertrag abgeschlossen haben. Artikel 1. Die wegen des Beitritts Seiner Majestät des Königs der Niederlande, | Großherzogs von Luxemburg mit dem Großherzogthum Luxemburg zu dem | Zollsysteme Preußens und der übrigen Staaten des Zollvereins am 8. Februar | 1842. und 2. April 1847. abgeschlossenen Verträge, sollen bis zum letzten | Dezember 1865. in Kraft bleiben. Artikel 2. Soweit nach den bisherigen Erfahrungen einzelne Abänderungen, Ergän= | zungen und nähere Bestimmungen der bisherigen Vereinbarungen erforderlich | erscheinen, sind deshalb besondere Verabredungen getroffen worden. Artikel 3. Sofern der gegenwärtige Vetrag nicht spätestens zwei Jahre vor dessen [ Ablaufe gekündigt wird, soll derselbe auf zwölf Jahre und so fort von zwölf | zu zwölf Jahren als verlängert angesehen werden. Derselbe soll alsbald sämmtlichen betheiligten Regierungen vorgelegt, und | [S. 157] sollen die Ratifikations^Urkunden mit möglichster Beschleunigung, spätestens aber | bis zum 31. Januar 1854., zu Berlin ausgewechselt werden. Zu Urkund dessen haben die beiderseitigen Bevollmächtigten den gegen= | wärtigen Vertrag unterzeichnet und untersiegelt. So geschehen Berlin, den 26. Dezember 1853. und Luxemburg, den | 31. Dezember 1853. Friedrich Leopold Henning. Alexander Max Philipsbom. Wendelin Jurion. (L. S.) (L. S.) (L. S.) Paul V. Scherff (L. S.) Der Austausch der Ratifikationen des vorstehenden Vertrages hat statt= | gefunden.

[101] Zollvereinsvertrag vom 16. Mai 1865 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einführungen" die Darstellungen unter [253.] [386.] [390.]. Quelle: Gesetz-Sammlung für die Königlichen Preußischen Staaten, (vom T.Juli) 1865, Nr. 27, S. 641 - 674 (gedruckt).^ Sonstige Fundstelle: Verträge und Verhandlungen aus dem Zeiträume von 1833 bis einschließlich 1870 über die Bildung und Ausführung des deutschen Zoll- und HandelsVereins, Fünfter Band, 1871, S. 43 - 67. [S. 641] (Nr. 6116.) Vertrag zwischen Preußen, Bayern, Sachsen, Hannover, Württemberg, Baden, | Kurhessen, dem Großherzogthume Hessen, den zum Thüringischen Zoll= | und Handels-

Schluß-Protokolle und weitere Urkunden zu diesem Vertrag, abgedruckt in: Verträge und Verhandlungen aus dem Zeiträume von 1833 bis einschließlich 1870 über die Bildung und Ausführung des deutschen Zoll- und Handels-Vereins, Fünfter Band, Berlin 1871, S. 68 - 78.

984

§ 4: Deutscher Zollverein

[Dok. 85-102]

vereine gehörigen Staaten, Braunschweig, Oldenburg, Nassau | und der freien Stadt Frankfurt, die Fortdauer des Zoll= und Handels^ | Vereins betreffend. Vom 16. Mai 1865. Nachdem die Regierungen von Preußen, Bayern, Sachsen, Hannover, Würt= | temberg, Baden, Kurhessen, Großherzogthum Hessen, der bei dem Thüringischen | Zoll== und Handelsvereine betheiligten Staaten, Braunschweig, Oldenburg, Nassau | und der freien Stadt Frankfurt, im Anerkenntniß der wohlthätigen Wirkungen, welche der auf den Ver= | trägen vom 22.^ und 30. März^ und 11. Mai 1833.^ vom 12. Mai** und 10. De= | zember 1835.^ vom 2. Januar 1836.^ vom 8. Mai^, 19. Oktober*» und 13. N o - | vember 1841. und vom 4. April 1853.* beruhende Zoll= und Handelsverein, den | bei dessen Gründung und Erweiterung gehegten Absichten entsprechend, für den | Handel und gewerblichen Verkehr der daran betheiligten Staaten und hierdurch | zugleich für die Beförderung der Handels- und Verkehrsfreiheit in Deutschland | überhaupt herbeigeführt hat, in dem Wunsche übereingekommen sind, den Fortbestand des gedachten | Zoll- und Handelsvereins sicherzustellen, so sind zur Erreichung dieser Zwecke | Verhandlungen gepflogen worden, wozu als Bevollmächtigte ernannt haben: Seine Majestät der König von Preußen: Allerhöchstihren Wirklichen Geheimen Rath Johann Friedrich von | Pommer Esche, Allerhöchstihren Ministerialdirektor Alexander Max Philipsbom | und Allerhöchstihren Ministerialdirektor Martin Friedrich Rudolph Del- | brück; Seine Majestät der König von Bayern: Allerhöchstihren Ober-Zollrath Franz Berks; [S. 642] Seine Majestät der König von Sachsen: Allerhöchstihren Geheimen Finanzrath Julius Hans von Thümmel; Seine Majestät der König von Hannover: Allerhöchstihren General-Zolldirektor Franz Georg Carl Albrecht; Seine Majestät der König von Württemberg: Allerhöchstihren Ober-Finanzrath Dr. Julius Freiherm von Valois; Seine Königliche Hoheit der Großherzog von Baden: Allerhöchstihren Ministerialrath Friedrich Wilhelm Heinrich Schmidt; Seine Königliche Hoheit der Kurfürst von Hessen: Allerhöchstihren Geheimen Ober-Finanzrath Wilhelm Cramer; Seine Königliche Hoheit der Großherzog von Hessen und bei | Rhein: Allerhöchstihren Geheimen Obei=Steuerrath Ludwig Wilhelm | Ewald; Die bei den Thüringischen Zoll- und Handelsvereine bethei- | ligten Souveraine, nämlich außer Seiner Majestät dem Könige | von Preußen und Seiner Königlichen Hoheit dem Kurfürsten von [ Hessen: Seine Königliche Hoheit der Großherzog von Sachsen- | Weimar-Eisenach, Seine Hoheit der Herzog von Sachsen-Meiningen, Seine Hoheit der Herzog von Sachsen-Altenburg, ^ Dok. 85. *» Dok. 86. ^ Dok. 87. ** Dok. 88. ^ Dok. 89. ^ Dok. 90. s Dok. 91. *» Dok. 93. * Dok. 99.

[101] Zollvereinsvertrag vom 16. Mai 1865

985

Seine Hoheit der Herzog von Sachsen=Coburg=Gotha, Seine Durchlaucht der Fürst von Schwarzburg=Rudol= | Stadt, Seine Durchlaucht der Fürst von Schwarzburg=Son= | dershausen, Ihre Durchlaucht die Fürstin=Regentin von Reuß älte= | rer Linie, Seine Durchlaucht der Fürst von Reuß jüngerer Linie, den Großherzoglich Sächsischen Wirklichen Geheimrath Gustav | Thon; Seine Hoheit der Herzog von Braunschweig und Lüneburg: Höchstihren Finanzdirektor Wilhelm Erdmann Florian von | Thielau; [S. 643] Seine Königliche Hoheit der Großherzog von Oldenburg: Allerhöchstihren Ober=Zollrath Carl Meyer; Seine Hoheit der Herzog von Nassau: Höchstihren Ober=Steuerrath Philipp Heinrich Schellenberg; der Senat der freien Stadt Frankfurt: den Zoll=Direktionsrath Dr. Paul Eduard Mettenius; von welchen Bevollmächtigten, unter dem Vorbehalte der Ratifikation, folgen^ | der Vertrag abgeschlossen worden ist. Artikel 1. Der zwischen den Königreichen Preußen, Bayern, Sachsen, Hannover | und Württemberg, dem Großherzogthum Baden, dem Kurfürstenthum und dem | Großherzogthum Hessen, den zum Thüringischen Zoll= und Handelsvereine ver= | bundenen Staaten, den Herzogthümem Braunschweig, Oldenburg und Nassau | und der freien Stadt Frankfurt, Behufs eines gemeinsamen Zoll= und Han= | delssystems errichtete Verein wird vorläufig auf weitere zwölf Jahre, vom | 1. Januar 1866. anfangend, also bis zum letzten Dezember 1877., fortgesetzt. Für diesen Zeitraum bleiben die Zollvereinigungs=Verträge vom 22. und | 30. März und 11. Mai 1833., vom 12. Mai und 10. Dezember 1835., vom | 2. Januar 1836., vom 8. Mai, 19. Oktober und 13. November 1841. und vom | 4. April 1853.^ nebst den zu ihnen gehörenden Separat=Artikeln auch femer in | Kraft, soweit sie bisher noch in Kraft waren und nicht durch die folgenden | Artikel abgeändert sind. Artikel 2. In den Gesammtverein sind insbesondere auch diejenigen Staaten ein= | begriffen, welche schon früher entweder mit ihrem Gebiete, oder mit einem | Theile desselben dem Zoll= und Handelssysteme eines oder des anderen der kon= | trahirenden Staaten beigetreten sind, unter Berücksichtigung ihrer auf den Bei= | trittsverträgen beruhenden besonderen Verhältnisse zu den Staaten, mit welchen | sie jene Verträge abgeschlossen haben. Diese Staaten sind zur Zeit: 1) Mecklenburg=Schwerin, vermöge seines Vertrages mit Preußen | vom 2. Dezember 1826. in Beziehung auf seine von Preußen umschlos= | senen Gebietstheile Rossow, Netzeband und Schönberg; 2) Sachsen=Coburg=Gotha, vermöge seines Vertrages mit Bayern | und Württemberg vom 14. Juni 1831. in Beziehung auf das Amt | Königsberg; 3) Schwarzburg=Rudolstadt, vermöge seines Vertrages mit Preußen | vom 25. Mai 1833. in Beziehung auf seine von Preußen umschlossenen [ Landestheile; [S. 644] 4) Sachsen=Weimar=Eisenach, vermöge seines Vertrages mit Preußen | vom 30. Mai 1833. in Beziehung auf die Aemter Allstedt und 01dis= | leben; ^ Dok. 85, Dok. 86, Dok. 87, Dok. 88, Dok. 89, Dok. 90, Dok. 91, Dok. 93 und Dok. 99.

986

§ 4: Deutscher Zollverein

[Dok. 85-102]

5) Schwarzburg=Sondershausen, vermöge seines Vertrages mit | Preußen vom 8. Juni 1833. in Beziehung auf die in dem Preußischen | Gebiete eingeschlossenen Theile des Fürstenthums; 6) Sachsen=Coburg=Gotha, vermöge seines Vertrages mit Preußen | vom 26. Juni 1833. in Beziehung auf das Amt Volkenrode; 7) Hessen=Homburg, vermögen seiner Verträge mit dem Großherzog= | thum Hessen vom 20. Februar 1835. und 26. /29. Oktober 1841. in | Beziehung auf das Amt Homburg; 8) Oldenburg, vermöge seines Vertrages mit Preußen vom 31. De= 1 zember 1836. in Beziehung auf das Fürstenthum Birkenfeld; 9) Hessen=Homburg, vermöge seines Vertrages mit Preußen vom | 5. Dezember 1840. in Beziehung auf das Oberamt Meisenheim; 10) Lippe, vermöge seines Vertrages mit Preußen und den übrigen Mit= | gliedern des Zollvereins vom 18. Oktober 1841.^ in Beziehung auf das | Fürstenthum Lippe und vermöge seines Vertrages mit Preußen von | demselben Tage in Beziehung auf die Fürstlichen Gebietstheile Lippe= | rode, Cappel und Grevenhagen; 11) Sachsen=Weimar=Eisenach, vermöge seines Vertrages mit Bayern | vom 24, Mai 1843. in Beziehung auf das Vordergericht Ostheim; 12) Waldeck und Pyrmont, vermöge seines Vertrages mit Preußen | vom 3. September 1853. in Beziehung auf das Fürstenthum Waldeck | und vermöge seines Vertrages mit Preußen und den übrigen Mitglied | dem des Zollvereins von demselben Tage in Beziehung auf das Fürsten^ | thum Pyrmont; 13) Anhalt, vermöge des Vertrages mit Preußen vom 20. Dezember | 1853., die Fortdauer des Anschlusses der Herzogthümer Anhalt=Dessau= [ Cöthen und Anhalt=Bemburg an das Zollsystem Preußens betreffend; 14) Luxemburg, vermöge seines Vertrages mit Preußen und den übrigen | Mitgliedern des Zollvereins vom 26. / 31. Dezember 1853.** wegen Fort= | dauer des Anschlusses des Großherzogthums Luxemburg an das Zoll= | system Preußens und der übrigen Staaten des Zollvereins; 15) die freie Hansestadt Bremen, vermöge ihrer Verträge mit Han= | nover vom 29. September 1854. und mit Preußen, Hannover, Kur= | hessen und den übrigen Mitgliedern des Zollvereins vom 26. Januar | 1856. in Beziehung auf die in diesen Verträgen näher bezeichneten | Gebietstheile; fS. 645] 16) Schaumburg=Lippe, vermöge seines Vertrages mit Hannover vom | 21. März 1865. Sollte einer der vorgedachten Verträge vor oder nach Ausführung des | gegenwärtigen Vertrages ablaufen, ohne daß er ausdrücklich oder stillschweigend | erneuert würde, so werden sich die kontrahirenden Regierungen hiervon gegen= | seitig Mittheilung machen. Die Hannover=Braunschweigischen Kommunion=Besitzungen werden hin= | sichtlich aller aus dem gegenwärtigen Vertrage herrührenden Rechte und Ver== | bindlichkeiten eben so betrachtet, als wenn sie einen Theil des Königreichs Han= | nover bildeten. Artikel 3. Von dem Gesammtvereine bleiben vorläufig ausgeschlossen diejenigen ein= | zelnen Landestheile der kontrahirenden Staaten, welche sich ihrer Lage wegen | zur Aufnahme in den Gesammtverein nicht eignen.

^ Dok. 92. ^ Dok. 100.

[101] Zollvereinsvertrag vom 16. Mai 1865

987

Hierbei werden jedoch in Beziehung auf die schon bisher zum Zollvereine | gehörigen Staaten diejenigen Anordnungen aufrecht erhalten, welche rücksichtlich | des erleichterten Verkehrs der ausgeschlossenen Landestheile mit dem Hauptlande | gegenwärtig bestehen. Weitere Begünstigungen dieser Art können nur im gemeinschaftlichen | Einverständnisse der Vereinsglieder bewilligt werden. Zur Zeit sind vom Gesammtvereine ausgeschlossen: 1) Preußische Landestheile, und zwar: die Ortschaften Drenikow, Porep | und Suckow, die Kolonie und das Erbpachtsvorwerk Groß=Menow, die | Rittergüter und Dörfer Zettemin mit Peenwerder, Duckow, Rottmanns= | hagen, Rützenfelde, Karlsruh und Pinnow; 2) Hannoversche Landestheile, und zwar: der Hafenort Geestemünde, das | Fort Wilhelm in Bremerhaven, die Eibinseln Altenwerder, Krusen= | busch, Finkenwerder, Finkenwerderblumensand, Kattwieck, Hohenschaar, | Overhacken, Neuhof und Wilhelmsburg, die Vogtei Kirchwerder und | die Dorfschaft Aumund; 3) Badische Landestheile, und zwar: die Insel Reichenau, der Ort Büsingen, | der Bittenharter Hof, die Orte und Höfe Jestetten mit Flachshof, Gunzen= | riederhof und Reutehof, Lottstetten mit Balm, Dietenberg, Nack, Locher= | hof und Volkenbach, Dettighofen mit Häuserhof, Altenburg, Balters= | weil, Berwangen und Albführenhof bei Weisweil; 4) Oldenburgische Landestheile, und zwar: der Hafenort Brake. Artikel 4. ^In den Gebieten der kontrahirenden Staaten sollen übereinstimmende | Gesetze über Eingangs^ und Ausgangsabgaben, sowie über die Durchfuhr be= | stehen, dabei jedoch diejenigen Modifikationen zulässig sein, welche, ohne dem | [S. 646] gemeinsamen Zwecke Abbruch zu thun, aus der Eigenthümlichkeit der allge= | meinen Gesetzgebung eines jeden Theil nehmenden Staates oder aus lokalen | Interessen sich als nothwendig ergeben. ^Bei dem Zolltarife namentlich sollen | hierdurch in Bezug auf Eingangs^ und Ausgangsabgaben bei einzelnen, weniger | fur den größeren Handelsverkehr geeigneten Gegenständen solche Abweichungen | von den allgemein angenommenen Erhebungssätzen, welche fiir einzelne Staaten | als vorzugsweise wünschenswerth erscheinen, nicht ausgeschlossen sein, sofern sie I auf die allgemeinen Interessen des Vereins nicht nachtheilig einwirken. Desgleichen soll auch die Verwaltung der Eingangs^ und Ausgangs^ | abgaben und die Organisation der dazu dienenden Behörden in allen Ländern des | Gesammtvereins, unter Berücksichtigung der in denselben bestehenden eigen= | thümlichen Verhältnisse, auf gleichen Fuß gebracht werden. ^Die kontrahirenden Staaten werden demgemäß | das Zollgesetz, | die Zollordnung und | die Grundsätze, das Zollstrafgesetz betreffend, | wie solche zwischen ihnen vereinbart worden sind, auch femer in Anwendung | bringen. "^Unter dem in diesen Gesetzen und in den vereinbarten Verwaltungs= | Vorschriften erwähnten allgemeinen Eingangszoll oder allgemeinen Eingangs^ | abgäbe ist fortan ein Zollsatz von 15 Groschen oder 52 V2 Kreuzer zu verstehen. ^Der inzwischen bereits verkündete gemeinschaftliche Tarif für die Ein= | gangs= und Ausgangsabgaben ist diesem Vertrage beigefügt. ^Die Verabredung | im Separat^Artikel 7. zum Artikel 6. des Vertrages vom 4. April 1853. wird | nicht erneuert. Von der Durchfuhr werden Abgaben nicht erhoben und es treten die | Verabredungen außer Wirksamkeit, welche in den im Artikel 1. genannten Vei= | trägen über die Durchgangsabgaben getroffen sind.

988

§ 4: Deutscher Zollverein

[Dok. 85 - 102]

Artikel 5. Veränderungen in der Zollgesetzgebung, mit Einschluß des Zolltarifs und | der Zollordnung, sowie Zusätze und Ausnahmen können nur auf demselben | Wege und mit gleicher Uebereinstimmung sämmtlicher Glieder des Gesammt= | Vereins bewirkt werden, wie die Einführung der Gesetze erfolgt. Dies gilt auch von allen Anordnungen, welche in Beziehung auf die | Zollverwaltung allgemein abändernde Normen aufstellen. Artikel 6. Es verbleibt bei der zwischen den kontrahirenden Staaten bestehenden | Freiheit des Handels und Verkehrs und Gemeinschaft der Einnahme an Zöllen, | wie beide in den folgenden Artikel bestimmt werden. Artikel 7. Eingangs=, Ausgangs^ und Durchgangs abgaben werden an den gemein= | [S. 647] schaftlichen Landesgrenzen der kontrahirenden Staaten nicht erhoben, und es | können alle im freien Verkehr des einen Gebietes bereits befindlichen Gegenstände | auch frei und unbeschwert in das andere Gebiet gegenseitig eingeführt werden, | mit alleinigem Vorbehalte a) der zu den Staatsmonopolien gehörigen Gegenstände (Spielkarten und | Salz), nach Maaßgabe der Artikel 9. und 10.; b) der im Innern der kontrahirenden Staaten mit einer Steuer belegten | inländischen Erzeugnissen, nach Maaßgabe des Artikels 11. Die Freiheit des Handels und Verkehrs zwischen den kontrahirenden | Staaten soll auch dann keine Ausnahme leiden, wenn bei dem Eintritte außer= | ordentlicher Umstände, insbesondere auch bei einem drohenden oder ausgebroche= | nen Bundeskriege, einer jener Staaten sich veranlaßt finden sollte, die Ausfuhr | gewisser im inneren freien Verkehr befindlicher Erzeugnisse oder Fabrikate in | das Ausland, für die Dauer jener außerordentlichen Umstände, zu verbieten. In einem solchen Falle wird man darauf Bedacht nehmen, daß ein | gleiches Verbot von allen kontrahirenden Staaten erlassen werde. Sollte jedoch einer oder der andere dieser Staaten es seinem Interesse | nicht angemessen finden, auch seinerseits jenes Verbot anzuordnen, so bleibt | demjenigen oder denjenigen Staaten, welche solches zu erlassen für nöthig finden, | die Befugniß vorbehalten, dasselbe auch auf den Umfang des ihrem Beschlüsse | nicht beitretenden Vereinsstaates auszudehnen. ^Die kontrahirenden Staaten räumen sich femer auch gegenseitig das Recht | ein, zur Abwehr gefährlicher ansteckender Krankheiten flir Menschen und Vieh | die erforderlichen Maaßregeln zu ergreifen. "^Im Verhältnisse von einem Ver= | einslande zu dem anderen dürfen jedoch keine hemmenderen Einrichtungen ge= | troffen werden, als unter gleichen Umständen den inneren Verkehr des Staats | treffen, welcher sie anordnet. Artikel 8. ^Die kontrahirenden Staaten erneuern die am 21. September 1842. ab= | geschlossene Uebereinkunft wegen Ertheilung von Erfindungspatenten und Pri= | vilegien mit der Maaßgabe, daß jeder von ihnen, auch während der Dauer des | gegenwärtigen Vertrages, befugt ist, von derselben zurückzutreten, wenn er seinen | Rücktritt drei Monate vor der Ausführung den übrigen kontrahirenden Staaten | erklärt hat. "^Auf die Verbindlichkeit der Uebereinkunft unter den letzteren hat | ein solcher Rücktritt keinen Einfluß. ^Um jedoch jedes in den Erfmdungspatenten oder Privilegien liegende Ver= | kehrshindemiß auch in Zukunft fem zu halten, soll die Bestimmung unter | Nr. III. der erwähnten Uebereinkunft auch für diejenigen Staaten verbindlich | bleiben, welche von der letzteren

[101] Zollvereinsvertrag vom 16. Mai 1865

989

zurücktreten möchten. "^Nicht minder werden | diese Staaten fortfahren, die Unterthanen der übrigen kontrahirenden Staaten | sowohl in Betreff der Verleihung von Patenten als auch hinsichtlich des | Schutzes für die, durch die Patentertheilung begründeten Befiignisse den eigenen | Unterthanen gleich zu behandeln. [S. 648] Artikel 9. Hinsichtlich der Einfuhr von Spielkarten behält es bei den in den kon= | trahirenden Staaten bestehenden Verbots= oder Beschränkungsgesetzen sein Be= | wenden. Denjenigen der kontrahirenden Staaten, in welchen hinsichtlich der Ein= | fuhr von Spielkarten Verbots^ oder Beschränkungsgesetze gegenwärtig noch nicht | bestehen, bleibt es unbenommen, solche Gesetze zu erlassen. Artikel 10. In Betreff des Salzes ist unter den kontrahirenden Staaten Folgendes | verabredet worden. §. 1a) Die Einfuhr des Salzes und aller Gegenstände, aus welchen Kochsalz | ausgeschieden zu werden pflegt, aus fremden, nicht zum Vereine gehö= | rigen Ländern in die Vereinsstaaten ist verboten, insoweit dieselbe nicht | für eigene Rechnung einer der vereinten Regierungen, und zum unmittel= | baren Verkaufe in ihren Salzämtem, Faktoreien oder Niederlagen | geschieht. b) Die Durchfuhr des Salzes und der vorbezeichneten Gegenstände aus | den zum Vereine nicht gehörigen Ländern in andere solche Länder soll | nur mit Genehmigung der Vereinsstaaten, deren Gebiete bei der Durch= | fuhr berührt wird, und unter den Vorsichtsmaaßregeln stattfinden, welche | von denselben für nöthig erachtet werden. c) Die Ausfuhr des Salzes in fremde, nicht zum Vereine gehörige Staaten | ist frei. d) Was den Salzhandel innerhalb der Vereinsstaaten betrifft, so ist die | Einfuhr des Salzes von einem in den anderen nur in dem Falle er= | laubt, wenn zwischen den Landesregierungen besondere Verträge deshalb | bestehen, oder in dem Falle, wo zwischen einer Vereinsregierung und | einer Saline in einem anderen Vereinslande ein Vertrag über die Lie= | ferung von Salz besteht, und die Verabfolgung des letzteren unter | Beobachtung der auf der Saline angeordneten Kontrolmaaßregeln | geschieht. e) Wenn eine Regierung von einer anderen innerhalb des Gesammtver= | eins aus Staats^ oder Privatsalinen Salz beziehen will, so müssen | die Sendungen mit Pässen von öffentlichen Behörden begleitet werden. Zu diesem Ende verpflichten sich die betheiligten Regierungen, | auf den Privatsalinen einen öffentlichen Beamten aufzustellen, der | den Umfang der Produktion und des Absatzes derselben überhaupt zu | beobachten hat. f) Wenn ein Vereinsstaat durch einen anderen aus dem Auslande oder | aus einem dritten Vereinsstaate seinen Salzbedarf beziehen, oder durch | einen solchen sein Salz in fremde, nicht zum Vereine gehörige Staaten | versenden lassen will, so soll diesen Sendungen kein Hindemiß in den | Weg gelegt werden, jedoch werden, insofern dieses nicht schon durch | frühere Verträge bestimmt ist, durch vorgängige Uebereinkunft der be= | theiligten Staaten die Straßen für den Transport und die erfordere I liehen Sicherheitsmaaßregeln zur Verhinderung der Einschwärzung ver= | abredet werden.

990

§ 4: Deutscher Zollverein

[Dok. 85 - 102]

§.2. Preußen, Bayern, Sachsen, Württemberg, Baden, Kurhessen, Groß= | herzogthum Hessen, die zum Thüringischen Zoll= und Handelsvereine gehörigen | Staaten, Braunschweig, Nassau und die freie Stadt Frankfurt werden den | Salzhandel en gros im Innern ihrer Staaten auch femer nur auf Staatsregie | stattfinden lassen. Sie erneuern die Zusage, daß sie, um die Verkehrsbeschränkungen mög= | liehst zu beseitigen, welche zur Zeit - wegen der Verschiedenheit der Salz= | preise und des hierin liegenden Anreizes zum Schleichhandel - zur Abwehr | des letzteren noch nothwendig sind, ihre Bemühungen dahin vereinigen wollen, | daß in ihren Gebieten ein möglichst gleicher Salzdebitspreis hergestellt werde. §.3. Hannover und Oldenburg werden, spätestens vom 1. Januar 1866. an, | die Steuer vom Salz auf den Betrag von zwei Thalem vom Zollzentner | erhöhen. Zur Verhinderung von Salzeinschwärzungen aus Hannover und 01den= [ bürg in die benachbarten Vereinsländer sind außerdem folgende Maaßregeln | verabredet: a) Beide Regierungen werden, wie bisher, ihren Staatsangehörigen und | den innerhalb ihrer Gebiete sich aufhaltenden Fremden unter Androhung | einer, in jedem Wiederholungsfalle auf das Doppelte des zuletzt vep= | wirkten Betrages zu erhöhenden, und im Falle der Zahlungsunfähigkeit | durch Gefängniß abzubüßenden Geldstrafe von 10 Thalem für jeden | Transport von einem Zollzentner oder weniger, und bei größeren Trans= | porten von 10 Thalem für jeden Zollzentner, die Einfühmng von Salz I in das Gebiet eines der angrenzenden Vereins Staaten, sowie den Ver= | kauf von Salz an Angehörige dieser Staaten verbieten, und ihre Steuer=, | Zoll= und Polizeibeamten zur Verhütung und eventuell zur Anzeige von | Uebertretungen jenes Verbots verpflichten. Sie werden femer gleichzeitig mit dem Eintreten der im Ein= | gange verabredeten Steuererhöhung Anhäufungen oder Ablagen von | Salz, welche die Einschwärzung nach den angrenzenden Vereinsstaaten | zum Zwecke haben, unter Androhung angemessener, im Wiederholungs= | falle zu verschärfender Strafen verbieten. fS. 650] b) Den Steuer^, Zoll= und Polizeibeamten des angrenzenden Vereins= | Staates sollen in Hannover und Oldenburg rücksichtlich der Verfolgung | von Salzeinschwärzungen die gleichen Befugnisse zustehen, welche das | Zollkartel den Zollbeamten eines anderen Vereinsstaates für die Ver== | folgung von Zollkontraventionen einräumt. c) Bei jeder Hannoverschen und Oldenburgischen Saline soll ein Register, [ nicht blos über die Salzversteuemngen, sondem auch über die Salz= [ Versendungen geführt werden, aus welchem die Käufer, die Transport | tauten und die Bestimmungsorte des abgegebenen Salzes ersichtlich | sind. Dasselbe soll nebst Beilagen den Steuerbeamten des angrenzen^ | den Vereinsstaates bis zum Oberkontroleur abwärts, auf jedesmaliges | Ersuchen der dortigen Hauptamtsdirigenten, sowie auch den Vereins= I bevollmächtigten und Stationskontroleuren zur Einsicht vorgelegt werden. Bei den Privatsalinen wird dieses Register, von dem Eintritt | der im Eingange verabredeten Steuererhöhung an, durch einen, von der | Landesregiemng anzustellenden, von den Salineninteressenten unabhän= | gigen Beamten geführt werden. d) Von dem nämlichen Zeitpunkte an treten die unter Nr. 4. des Separat^ | artikels 9. zum Zollvereinigungs=Vertrage vom 4. April 1853. verabrede^ | ten Beschränkungen des Verkehrs mit Salz außer Wirksamkeit. Sollte | jedoch die Erfahmng ergeben, daß, ungeachtet der im Eingange ver= [ abredeten Erhöhung der Salzsteuer, an einzelnen derjenigen Grenz= | strecken, wo jene Beschränkungen gegenwärtig be-

[101] Zollvereinsvertrag vom 16. Mai 1865

991

stehen, umfangreiche | Salzeinschwärzungen aus Hannover nach einem angrenzenden Ver= I einsstaate stattfinden, und dieser Staat sich in Folge dessen genöthigt | sehen, an einer solchen Strecke die unter Nr. 5. des Separatartikels | näher bezeichnete Salzverbrauchskontrole wieder einzufuhren, so wird | Hannover an der nämlichen Strecke die oben erwähnten Beschränkungen | wiederum eintreten lassen. Sollte in Zukunft in den an Hannover angrenzenden älteren Ver= | einsstaaten der Regiepreis des Salzes um mehr als 16 Gr. vom Zoll= | zentner ermäßigt, oder, im Falle der Aufhebung der Staatsregie, eine | geringere Salzsteuer, als von 2 Thalem vom Zollzentner erhoben werden, | so bleibt es Hannover und Oldenburg vorbehalten, nach vorheriger Ver= | ständigung mit diesen Staaten, ihre Salzsteuer insoweit zu ermäßigen, | daß dieselbe den Betrag der in den gedachten Staaten auf dem Salze I ruhenden Abgabe nicht übersteigt. Die Verabredungen in den beiden letzten Absätzen des Separat= | artikels 9. zum Zollvereinigungs==Vertrage vom 4. April 1853. werden | nicht emeuert.

Artikeln. ^In Bezug auf diejenigen Erzeugnisse, welche in den einzelnen Vereins^ | Staaten theils bei ihrer Hervorbringung oder Zubereitung, theils unmittelbar bei | [S. 651] \ ihrem Verbrauche mit einer inneren Steuer belegt sind (Artikel 7. Litt, b), | wird es von sämmtlichen kontrahirenden Regierungen als wünschenswerth an= | erkannt, hierin eine Uebereinstimmung der Gesetzgebung und der Besteuemngs= | sätze in den Vereinsstaaten thunlichst hergestellt zu sehen, und es wird daher | auch ihr Bestreben auf Herbeiführung einer solchen Gleichmäßigkeit, insbesondere | durch Vereinigung mehrerer Staaten zu glei-chen inneren Steuereinrichtungen, | mit oder ohne Gemeinschaftlichkeit der Steuererträge, gerichtet sein. "^Bis dahin, | wo dieses Ziel erreicht worden, sollen hinsichtlich der vorbemerkten Steuern und | des Verkehrs mit den davon betroffenen Gegenständen unter den Vereinsstaaten, | zur Vermeidung der Nachtheile, welche aus einer Verschiedenartigkeit der inneren | Steuersysteme überhaupt, und namentlich aus der Ungleichheit der Steuersätze, | sowohl für die Produzenten, als fur die Steuereinnahme der einzelnen Vereins^ | Staaten erwachsen könnten - abgesehen von der Besteuerung des im Unfange | des Zollvereins erzeugten Rübenzuckers, weshalb auf die besonders getroffenen | Vereinbarungen Bezug genommen wird - folgende Grundsätze in Anwendung | kommen. I. Hinsichtlich der ausländischen Erzeugnisse. Von allen bei der Einfuhr mit mehr als 15 Gr. - 52 V2 Kr. - vom | Zentner belegten Erzeugnissen, von welchen entweder auf die in der Zollordnung | vorgeschriebene Weise dargethan wird, daß sie als ausländisches Ein== oder | Durchgangsgut die zollamtliche Behandlung bei einer Erhebungsbehörde des | Vereins bereits bestanden haben oder derselben noch unterliegen, darf keine | weitere Abgabe irgend einer Art, sei es für Rechnung des Staats oder für | Rechnung für Kommunen und Korporationen, erhoben werden, jedoch - was | das Eingangsgut betrifft - mit Vorbehalt derjenigen inneren Steuern, welche | in einem Vereinsstaate auf die weitere Verarbeitung oder auf anderweite Be= | reitungen aus solchen Erzeugnissen, ohne Unterschied des ausländischen, inlän= | dischen oder vereinsländischen Ursprungs, allgemein gelegt sind. Unter diesen Steuern sind für jetzt die Steuern von der Fabrikation des | Branntweins, Biers und Essigs, ingleichen die Mahl= und Schlachtsteuer zu | verstehen, welchen daher das ausländische Getreide, Malz und Vieh im gleichen | Maaße, wie das inländische und vereinsländische unterliegt. In denjenigen Staaten, in welchen die inneren Steuern von Getränken | so angelegt sind, daß sie bei der Einlage der letzteren erhoben oder den Steuer^ | Pflichtigen zur Last gestellt werden, findet der Grundsatz der Freilassung vep= | zollter ausländischer Erzeugnisse von

992

§ 4: Deutscher Zollverein

[Dok. 85 - 102]

inneren Abgaben in der Art Anwendung, | daß die erste Einlage verzollter ausländischer Getränke, d. h. diejenige, welche | dem direkten Bezüge aus dem Auslande oder dem Bezüge aus öffentlichen | Niederlagen oder Privatlägem unmittelbar folgt, von jeder inneren Steuer | befreit bleibt. Diese Bestimmung gilt auch da, wo die Erhebung einer inneren Getränke^ | Steuer für Rechnung von Kommunen oder Korporationen stattfindet. Ausländische Erzeugnisse, welche beim Eingange zollfrei, oder mit einer | Abgabe von nicht mehr als 15 Gr. - 52 V2 Kr. - belegt sind, unterliegen, | [S. 652] sobald der dem Artikel 4. beigefügte Zolltarif in Wirksamkeit tritt, den nach== | stehend unter Nr. IL getroffenen Bestimmungen. IL Hinsichtlich der inländischen und vereinsländischen Erzeugnisse. §•!•

Von den innerhalb des Vereins erzeugten Gegenständen, welche nur | durch einen Vereinsstaat transitiren, um entweder in einen anderen Vereinsstaat | oder nach dem Auslande gefuhrt zu werden, dürfen innere Steuern weder für \ Rechnung des Staats, noch für Rechnung von Kommunen oder Korporationen | erhoben werden. §.2. Jedem Vereinsstaate bleibt es zwar freigestellt, die auf der Hervor^ | bringung, der Zubereitung oder dem Verbrauche von Erzeugnissen ruhenden | inneren Steuern beizubehalten, zu verändern oder aufzuheben, sowie neue | Steuern dieser Art einzuführen, jedoch sollen dergleichen Abgaben für jetzt nur | auf folgende inländische und gleichnamige vereinsländische Erzeugnisse, als: | Brannwein, Bier, Essig, Malz, Wein, Most, Cider (Obstwein), Tabak, Mehl | und anderen Mühlenfabrikate, desgleichen Backwaaren, Fleisch, Fleischwaaren | und Fett, gelegt werden dürfen. Ausnahmsweise kann in der freien Stadt Frankfurt auch von Brenn= | materialien, Getreide und Fourage eine Steuer, wie bisher, erhoben werden. Für Branntwein, Bier, Wein und Tabak sollen die folgenden Sätze als | das höchste Maaß betrachtet werden, bis zu welchem in den Vereinsstaaten | eine Besteuerung der genannten Erzeugnissen für Rechnung des Staates soll | stattfinden können, nämlich: a) für Branntwein 10 Rthlr. von der Ohm zu 120 Quart Preußisch und | bei einer Alkoholstärke von 50 Prozent nach Tralles; b) für Bier 1 Rthlr. 15 Gr. von der Ohm zu 120 Quart Preußisch; c) für Wein, und zwar: aa) wenn die Abgabe nach dem Werthe des Weines erhoben wird, | 1 V2 Rthlr. vom Zollzentner (5 Rthlr. von der Ohm zu 120 Quart | Preußisch); bb) wenn die Abgabe ohne Rücksicht auf den Werth des Weines er= | hoben wird, 25 Gr. vom Zollzentner (2 Rthlr. 23 V3 Gr. von der | Ohm zu 120 Quart Preußisch); cc) wenn die Abgabe nach einer Klassifikation der Weinberge erhoben | wird, ist die Beschränkung derselben auf ein Maximum nicht für | erforderlich erachtet worden. In Bezug auf die freie Stadt Frankfurt, wo vom Weine ge= | genwärtig eine Abgabe von 5 Fl. 20 Kr. (3 Rthlr. 1 V12 Gr.) für die | [S. 653] Frankfurter Ohm erhoben wird, soll von einer Ermäßigung dieser Ab= | gäbe auf den unter bb. gedachten Satz abgesehen werden; d) für Tabak 20 Gr. vom Zollzentner. Auch für die anderen, einer inneren Steuer unterworfenen Erzeugnisse | wird man sich, soweit nöthig, über bestimmte Sätze verständigen, deren Be= | trag bei Abmessung der Steuer nicht überschritten werden soll.

[101] Zollvereinsvertrag vom 16. Mai 1865

993

Sollte ein bis jetzt noch nicht gewöhnliches Getränk oder Nahrungs= | mittel, mag dessen Bereitung aus Erzeugnissen des Vereins^ In= oder Aus= | landes erfolgen, in Aufnahme kommen, und dessen Besteuerung von einem oder | dem anderen Vereinsstaate für angemessen erachtet werden, so bleibt eine solche | Besteuerung, sei es für eigene Rechnung oder gemeinschaftlich mit anderen Ver= | eins Staaten, nach vorgängiger Benachrichtigung sämmtlicher Vereinsglieder, und | unter Beobachtung der nachstehend in den §§.3. bis 6. getroffenen Verein= | barungen wegen gleichmäßiger Behandlung des nämlichen Erzeugnisses der I übrigen Vereins Staaten, gestattet. §.3. ^Bei allen Abgaben, welche in dem Bereiche der Vereinsländer nach der | Bestimmung im §. 2. zur Erhebung kommen, wird eine gegenseitige Gleich= | mäßigkeit der Behandlung dergestalt stattfinden, daß das Erzeugniß eines an= | deren Vereins Staates unter keinem Vorwande höher oder in einer lästigeren | Weise, als das inländische oder als das Erzeugniß der übrigen Vereinsstaaten, | besteuert werden darf ^In Gemäßheit dieses Grundsatzes wird Folgendes | festgesetzt: a) Vereins Staaten, welche von einem inländischen Erzeugnisse keine innere | Steuer erheben, dürfen auch das gleiche vereinsländische Erzeugniß nicht | besteuern. b) Wo innere Steuern nach dem Werthe der Waare erhoben werden, | sind nicht nur die nämlichen Erhebungssätze auf das inländische, wie | auf das vereinsländische Erzeugniß gleichmäßig in Anwendung zu brin= | gen, sondern es darf auch bei Feststellung des zu besteuernden Werthes | das inländische Erzeugniß nicht vor dem vereinsländischen begünstigt | werden. c) Diejenigen Staaten, in welchen innere Steuern von einem Konsum^ | tionsgegenstande bei dem Kaufe oder Verkaufe oder bei der Verzehrung | desselben erhoben werden, dürfen diese Steuern von den aus anderen | Vereinsstaaten herrührenden Erzeugnissen der nämlichen Gattung nur | in gleicher Weise fordern. d) Diejenigen Staaten, welche innere Steuern auf die Hervorbringung | oder Zubereitung eines Konsumtions=Gegenstandes gelegt haben, können | den gesetzlichen Betrag derselben bei der Einfuhr des Gegenstandes aus | anderen Vereinsstaaten voll erheben lassen. [S. 654] e) Preußen, Sachsen, Hannover, Kurhessen, die zum Thüringischen Zoll= | und Handelsvereine gehörenden Staaten, Braunschweig und Oldenburg | werden von dem Zeitpunkte ab, mit welchem der dem Artikel 4. bei= | gefugte Zolltarif in Wirksamkeit tritt, von dem in den übrigen Ver= | einsstaaten erzeugten Wein und Traubenmost eine Uebergangsabgabe | nicht erheben. Eine solche Abgabe wird auch von denjenigen Vereinsstaaten | nicht erhoben werden, welche etwa während der Dauer dieses Vertra= | ges die Hervorbringung von Wein einer inneren Steuer unterwerfen | möchten. f) Versendungen vereinsländischer unbearbeiteter Tabakblätter, wenn sie | in Mengen von 10 Pfund oder weniger als Proben aus einem Ver= | einsstaate in den anderen, oder aus einem Steuergebiete (Litt, g.) in | das andere mit der Post übergehen, sollen von den Uebergangsabgaben | und damit auch von der Begleitung mit zoll= oder steueramtlichen Be= | zettelungen freigelassen werden. Die Uebergangsabgabe von Tabak wird in Preußen, Sachsen, | Hannover, Kurhessen, im Gebiete des Thüringischen Vereins, in Braun= | schweig und in Oldenburg von den aus den anderen Vereinsstaaten | übergehenden Tabakfabrikaten dann nicht erhoben, wenn letztere, bei | unmittelbarer Versendung aus den Fabriken, mit einer Bescheinigung | des Amtes im Versendungsorte versehen sind, daß sie nur aus aus= I ländischen Blättern bestehen.

994

§ 4: Deutscher Zollverein

[Dok. 85 - 102]

g) So weit zwischen mehreren, zum Zollvereine gehörigen Staaten eine | Vereinigung zu gleichen Steuereinrichtungen besteht, werden diese Staa= | ten in Ansehung der Befugniß, die betreffenden Steuern gleichmäßig i auch von vereinsländischen Erzeugnissen zu erheben, als ein Ganzes | betrachtet. §•4. Diejenigen Staaten, welche eine innere Steuer auf den Kauf oder Ver= | kauf, die Verzehrung, die Hervorbringung oder die Zubereitung eines Konsum^ | tionsgegenstandes gelegt haben, können, bei der Ausfuhr des Gegenstandes nach | anderen Vereins Staaten, diese Steuer unerhoben lassen, beziehungsweise den ge= | setzlichen Betrag derselben ganz oder theilweise zurückerstatten. Wegen Ausübung dieser Befiigniß ist Folgendes verabredet worden: a) Eine Zurückerstattung soll überhaupt nur insoweit stattfinden dürfen, | als in dem betreffenden Staate bei der Ausfuhr des nämlichen Er= | Zeugnisses nach dem Vereins^Auslande eine Steuervergütung gewährt | wird, und auch nur höchstens bis zum Betrage der letzteren. b) Die betreffenden Vereinsregierungen werden ihr besonderes Augen= | merk darauf richten, daß in keinem Falle mehr, als der wirklich be= | zahlte Steuerbetrag erstattet werde, und diese Vergütung nicht die | Natur und Wirkung einer Ausfuhrprämie erhalte. [S. 655] c) Preußen fur seine östlichen Provinzen, Sachsen und der Thüringische | Verein werden, im Falle der Fortdauer der zur Zeit bestehenden Pro= | duktionssteuer vom Wein, von der Befugniß zur vollen oder theilweisen | Zurückerstattung dieser Steuer keine Gebrauch machen. d) Beim Tabak bleibt die Befugniß zur Steuererstattung auf die nach | anderen Vereinsstaaten übergehenden rohen Tabakblätter beschränkt. e) Die Entlastung von der Verbindlichkeit zur Steuerzahlung soll nicht | eher eintreten, beziehungsweise die Zurückerstattung der Steuer nicht | eher geleistet werden, als bis der Eingang der besteuerten Erzeugnisse | in dem angrenzenden Vereinsstaate, oder beziehungsweise in dem Lande | des Bestimmungsortes auf die unter den betreffenden Vereinsstaaten | verabredete Weise nachgewiesen worden sein wird. f) Die kontrahirenden Staaten werden die innere Steuer von dem zur | Essigbereitung verwendeten Branntwein nicht erlassen und, abgesehen | von dem Falle der Ausfuhr des Essigs nach dem Auslande, nicht | erstatten. §.5. ^Welche, dem dermaligen Stande der Gesetzgebung in den Vereinsstaaten | entsprechende Beiträge nach den Bestimmungen der §§.3 und 4. zur Erhebung | kommen und beziehungsweise zurückerstattet werden können, ist besonders ver= | abredet worden. "^Treten späterhin irgendwo Veränderungen in den für die | inneren Erzeugnisse zur Zeit bestehenden Steuersätzen ein, so wird die betreffende | Regierung den übrigen Vereinsregierungen davon Mittheilung machen, und | hiermit den Nachweis verbinden, daß die Steuerbeträge, welche, in Folge der | eingetretenen oder beabsichtigten Veränderung, von den vereinsländischen Er= I Zeugnissen erhoben, und bei der Ausfuhr der besteuerten Gegenstände vergütet I werden sollen, den vereinbarten Grundsätzen entsprechend bemessen sein. Sollten eine oder mehrere Regierungen gegen die mitgetheilten Steuer= | betrage Erinnerungen zu machen haben, so wird hierdurch diejenige Regierung, | welche die Veränderung vorgenommen hat oder vornehmen will, in der An= | Wendung der mitgetheilten Steuerbeträge nicht behindert, vielmehr sind etwaige | Erinnerungen dagegen im Korrespondenzwege oder auf den Generalkonferenzen | zur Erledigung zu bringen.

[101] Zollvereinsvertrag vom 16. Mai 1865

995

In Preußen, ausschließlich der Hohenzollemschen Lande, in Sachsen, | Kurhessen, dem Thüringischen Vereine und Braunschweig werden die Ueber= | gangsabgaben von Tabakblättern und Tabakfabrikaten und von Bier mit den | zur Zeit bestehenden Sätzen von ^3 Rthlr., beziehungsweise V4 Rthlr. vom Zoll= | zentner erhoben. Das Nämliche gilt in Hannover und Oldenburg rücksichtlich der Ueber= | gangsabgabe von Tabakblättern und Tabakfabrikaten. §.6. ^Die Erhebung der inneren Steuern von den damit betroffenen vereinst | [S. 656] ländischen Gegenständen soll in der Regel in dem Lande des Bestimmungsortes | stattfinden, in sofern solche nicht, nach besonderen Vereinbarungen, entweder | durch gemeinschaftliche Hebestellen an den Binnengrenzen, oder im Lande der | Versendung für Rechnung des abgabeberechtigten Staates erfolgt. "^Auch sollen | die zur Sicherung der Steuererhebung erforderlichen Anordnungen, soweit sie | die bei der Versendung aus einem Vereins Staate in den anderen einzuhaltenden | Straßen und Kontrolen betreffen, auf eine den Verkehr möglichst wenig be= | schränkende Weise und nur nach gegenseitiger Verabredung, auch, dafem bei | dem Transporte ein dritter Vereinsstaat berührt wird, nur unter Zustimmung | des letzteren getroffen werden. Wo innere Steuern nach dem Werthe des Gegenstandes erhoben werden, | wird, in Absicht der aus anderen Vereinsstaaten übergehenden Erzeugnisse, auf | Kontrol= Einrichtungen Bedacht genommen werden, nach welchen die Ermittelung | des Werthes in der Regel erst im Bestimmungsorte, mit Vermeidung zeitrau= | bender und den Verkehr belästigender Untersuchungen an den Binnengrenzen | oder auf dem Wege zwischen dem Versendungs= und Bestimmungsorte, | eintritt. §.7. Die Erhebung von Abgaben für Rechnung von Kommunen oder Kor= | porationen, sei es durch Zuschläge zu den Staatssteuem oder für sich bestehend, | soll nur für Gegenstände, die zur örtlichen Konsumtion bestimmt sind, bewilligt | werden, und es soll dabei der im §.3. dieses Artikels ausgesprochene allge= | meine Grundsatz wegen gegenseitiger Gleichmäßigkeit der Behandlung der Er= | Zeugnisse anderer Vereinsstaaten ebenso wie bei den Staatssteuem in Anwen= | dung kommen. Zu den, zur örtlichen Konsumtion bestimmten Gegenständen, von welchen | hiemach die Erhebung einer Abgabe für Rechnung von Kommunen oder Kor= | porationen allein soll stattfinden dürfen, sind allgemein zu rechnen: Bier, Essig, | Malz, Cider (Obstwein) und die der Mahl= und Schlachtsteuer unterliegenden | Erzeugnisse, femer Brennmaterialien, Marktviktualien und Fourage. Vom Weine soll die Erhebung einer Abgabe der vorgedachten Art nur | in denjenigen Vereinsstaaten, welche zu den eigentlichen Weinländem gehören | (Bayem, Württemberg, Baden, Großherzogthum Hessen und Nassau), zu= | lässig sein. So weit in einzelnen Orten der zum Zollvereine gehörigen Staaten die | Erhebung einer Abgabe von Branntwein für Rechnung von Kommunen oder | Korporationen gegenwärtig stattfindet, oder (wie in Kurhessen) nach der beste= | henden Gesetzgebung nicht versagt werden kann, wird es dabei ausnahmsweise | bewenden. ^Es sollen aber die für Rechnung von Kommunen oder Korporationen | zur Erhebung kommenden Abgaben von Wein und Branntwein, ingleichen von | Bier, in Absicht ihres Betrages der Beschränkung unterliegen, daß solche beim | Branntwein, mit der Staatssteuer zusammen, den im §.2. dieses Artikels fest= | gesetzten Maximalsatz von 10 Thalem für die Ohm, und beim Wein und Bier | den Satz von 20 Prozent der für die Staatssteuem ebendaselbst verabredeten | [S. 657] Maximalsätze nicht überschreiten dürfen. "^Ausnahmen

996

§ 4: Deutscher Zollverein

[Dok. 85-102]

hiervon sollen nur inso= | weit zulässig sein, als einzelne Kommunen oder Korporationen schon gegenwärtig | eine höhere Abgabe erheben, welchen Falls letztere fortbestehen kann. ^Sollten in einem oder dem anderen Orte auch noch von anderen, als | den vorstehend genannten Gegenständen, Abgaben erhoben werden, so soll die | Erhebung der letzteren zwar einstweilen fortbestehen können, die betreffenden | Regierungen werden es sich jedoch angelegen sein lassen, solche Abgaben bei | der ersten passenden Gelegenheit zu beseitigen. ^Ueber den Erfolg der dies= | fälligen Bemühungen wird den übrigen Vereinsregierungen auf den jährlichen | Generalkonferenzen von Zeit zu Zeit Mittheilung gemacht werden. Vom Tabak dürfen Abgaben für Rechnung von Kommunen oder Kor= | porationen überall nicht erhoben werden. Abgaben für Rechnung von Kommunen oder Korporationen dürfen bei | dem Uebergange der besteuerten Gegenstände nach anderen Vereinsstaaten, gleich | den Staatssteuem, ganz oder theilweise zurückerstattet werden, soweit eine solche | Vergütung bei dem Uebergange der besteuerten Gegenstände nach anderen Orten | desselben Landes stattfindet.

Die Regierungen der Vereinsstaaten werden sich gegenseitig: a) von allen in der Folge eintretenden Veränderungen ihrer Gesetze und | Verordnungen über die im §.2. dieses Artikels bezeichneten Staats= | steuern, sowie von den Gesetzen und Verordnungen über neu einzu== | führende Steuern, b) hinsichtlich der Kommunal^ etc. Abgaben aber darüber, in welchen | Orten, von welchen Kommunen oder Korporationen, von welchen Ge= | genständen, in welchem Betrage und aufweiche Weise dieselben er= | hoben werden, vollständige Mittheilung machen. Artikel 12. lieber die Besteuerung des im Umfange des Vereins aus Rüben berei= | teten Zuckers ist unter den kontrahirenden Staaten die anliegende besondere | Uebereinkunft getroffen worden^, welche einen Bestandtheil des gegenwärtigen | Vertrages bilden und ganz so angesehen werden soll, als wenn sie in diesen | selbst aufgenommen wäre. Die kontrahirenden Regierungen sind femer dahin einverstanden, daß, 1 wenn die Fabrikation von Zucker oder Syrup aus anderen inländischen Erzeuge | nissen, als aus Rüben, z. B. aus Stärke, im Zollvereine einen erheblichen j Umfang gewinnen sollte, diese Fabrikation ebenfalls in sämmtlichen Vereins^ | Staaten einer übereinstimmenden Besteuerung nach den für die Rübenzuckersteuer | verabredeten Grundsätzen zu unterwerfen sein würde. [S. 658] Artikel 13. Chausseegelder oder andere statt derselben bestehende Abgaben, ebenso | Pflaster^, Damm=, Brücken= und Fährgelder, oder unter welchem anderen | Namen dergleichen Abgaben bestehen, ohne Unterschied, ob die Erhebung für | Rechnung des Staates oder eines Privatberechtigten, namentlich einer Kommune | geschieht, sollen sowohl auf Chausseen, als auch auf unchaussirten Land= und | Heerstraßen, welche die unmittelbare Verbindung zwischen den an einander | grenzenden Vereinsstaaten bilden, und auf denen ein größerer Handels== und | Reiseverkehr stattfindet, nur in dem Betrage beibehalten oder neu eingeführt I werden können, als sie den gewöhnlichen Herstellungs= | und Unterhaltungskosten | angemessen sind. Gemeint ist die „Uebereinkunft wegen der Besteuerung des Rübenzuckers" vom 16. Mai 1865 (Gesetz-Sammlung für die Königlichen Preußischen Staaten, [vom 7. Juli] 1865, S. 673 - 674), von deren Abdruck hier abgesehen wird.

[101] Zollvereinsvertrag vom 16. Mai 1865

997

Das in dem Preußischen Chausseegeld=Tarife vom Jahre 1828. bestimmte | Chausseegeld soll als der höchste Satz angesehen, und hinfiihro in keinem der | kontrahirenden Staaten überschritten werden, mit alleiniger Ausnahme des | Chausseegeldes auf solchen Chausseen, welche von Korporationen oder Privat= | personen oder auf Aktien angelegt sind oder angelegt werden möchten, insofern | dieselben nur Nebenstraßen sind oder blos lokale Verbindungen einzelner Ort= | schatten oder Gegenden mit größeren Städten oder mit den eigentlichen Haupt= I handelsstraßen bezwecken. Statt der vorstehend in Beziehung auf die Höhe der Chausseegelder ein= | gegangenen Verbindlichkeit, haben Hannover und Oldenburg nur die Ver= | pflichtung übernommen, ihre dermaligen Chausseegeldsätze nicht zu erhöhen. Besondere Erhebungen von Thorsperr= und Pflastergeldem sollen auf | chaussirten Straßen da, wo sie noch bestehen, dem vorstehenden Grundsätze ge= | maß aufgehoben und die Ortspflaster den Chausseestrecken dergestalt eingerechnet | werden, daß davon nur die Chausseegelder nach dem allgemeinen Tarife zur | Erhebung kommen, Artikel 14. Der gemeinschaftliche Zolltarif wird in zwei Hauptabtheilungen, und | zwar nach dem durch den Münzvertrag vom 24. Januar 1857. festgestell= | ten Dreißig=Thalerfuße und Zweiundfünfzig^ und =einhalb= Guldenfuße, aus= | gefertigt. ^Die Silbermünzen der sämmtlichen kontrahirenden Staaten - mit Aus= | nähme der Scheidemünze - werden nach der auf dem vorgedachten Münz== | vertrage beruhenden Gleichwerthung von vier Thalem gegen sieben Gulden | bei allen Zollhebestellen des Vereins angenommen. ^Hinsichtlich der Annahme | der Goldmünzen bei diesen Hebestellen bewendet es bei den die Annahme dieser | Münzen im Allgemeinen betreffenden Bestimmungen des Münzvertrages. Die Einheit für das gemeinschaftliche Zollgewicht bildet der in sämmt= | liehen kontrahirenden Staaten, mit Ausnahme des Königreichs Bayern, als | allgemeines Landesgewicht bestehende Zentner (50 Kilogramme). Es wird | daher im gesammten Vereine die Deklaration, Verwiegung und Verzollung der | [S. 659] nach dem Gewichte zollpflichtigen Gegenstände ausschließlich nach jenem Ge= | wichte geschehen. Die Deklaration, Messung und Verzollung der nach dem Maaße zu | verzollenden Gegenstände wird in allen Theilen des Vereins so lange nach dem | landesgesetzlichen Maaß erfolgen, bis man sich über ein gemeinschaftliches Maaß | ebenfalls vereinigt haben wird. Uebrigens werden die kontrahirenden Regierungen ihre Sorgfalt dahin | richten, auch für das Maaßsystem und, soweit nöthig, für das Gewichtssystem | ihrer Länder im Allgemeinen die zur Förderung des gegenseitigen Verkehrs wün= | schenswerthe Uebereinstimmung herbeizuführen. Artikel 15. Die Wasserzölle oder auch Wegegeldgebühren auf Flüssen, mit Einschluß | derjenigen, welche das Schiffsgefäß treffen (Rekognitionsgebühren), sind von | der Schifffahrt auf solchen Flüssen, auf welche die Bestimmungen des Wiener | Kongresses oder besondere Staatsverträge Anwendung finden, femer gegenseitig | nach jenen Bestimmungen zu entrichten, insofern hierüber nichts besonderes ver= | abredet worden ist, oder verabredet werden wird. ^Auf den übrigen Flüssen, bei welchen weder die Wiener Kongreßakte noch | andere Staatsverträge Anwendung finden, werden die Wasserzölle oder Wasser= | Wegegelder nach den privativen Anordnungen der betreffenden Regierungen er= | hoben. ^Diese Abgaben sollen jedoch den Betrag von V4 Gr. vom Zollzentner | oder 1 Kr. vom Bayerischen Zentner für die Meile nicht übersteigen.

998

§ 4: Deutscher Zollverein

[Dok. 85 - 102]

Auf allen diesen Flüssen wird jeder Vereinsstaat die Unterthanen der | anderen kontrahirenden Staaten, deren Waaren und Schiffsgefäße in jeder | Beziehung, insbesondere auch hinsichtlich der Binnenschifffahrt, gleich seinen | eigenen behandeln. Artikel 16. ^In den Gebieten der kontrahirenden Staaten sollen Stapel= und Um= | schlagsrechte auch femer nicht zulässig sein. ^Niemand soll zur Anhaltung, Ver= | ladung oder Lagerung gezwungen werden können, als in den Fällen, in welchen | die gemeinschaftliche Zollordnung oder betreffenden Schifffahrtsreglements | es zulassen oder vorschreiben. Artikel 17. Kanal=, Schleusen^, Brücken^, Fähr=, Hafen=, Waage=, Krahnen= und | Niederlagegebühren und Leistungen für Anstalten, die zur Erleichterung des | Verkehrs bestimmt sind, sollen nur bei Benutzung wirklich bestehender Einrich= | tungen erhoben, und in der Regel nicht, keinenfalls aber über den Betrag der | gewöhnlichen Herstellungs= und Unterhaltungskosten hinaus, erhöhet, auch überall | von den Unterthanen der anderen kontrahirenden Staaten auf völlig gleiche | Weise, wie von den eigenen Unterthanen, ingleichen ohne Rücksicht auf die Be= | Stimmung der Waaren erhoben werden. fS. 660] Findet der Gebrauch einer Waageeinrichtung nur zum Behufe der Zoll= | ermittelung oder überhaupt einer zollamtlichen Kontrole statt, so tritt eine Ge= | bührenerhebung nicht ein. Artikel 18. Die kontrahirenden Regierungen werden gemeinschaftlich dahin wirken, | daß durch Annahme gleichförmiger Grundsätze die Gewerbsamkeit befördert, | und der Beftigniß der Unterthanen des einen Staates, in dem anderen Arbeit | und Erwerb zu suchen, möglichst freier Spielraum gegeben werde. Von den Unterthanen des einen der kontrahirenden Staaten, welche in | dem Gebiete eines anderen derselben Handel und Gewerbe treiben, oder Arbeit | suchen, soll keine Abgabe entrichtet werden, welcher nicht gleichmäßig die in | demselben Gewerbsverhältnisse stehenden eigenen Unterthanen unterworfen sind. Desgleichen sollen Kaufleute, Fabrikanten und andere Gewerbetreibende | welche sich darüber ausweisen, daß sie in dem Vereinsstaate, wo sie ihren | Wohnsitz haben, die gesetzlichen Abgaben für das von ihnen betriebene Geschäft | entrichten, wenn sie blos für dieses Geschäft persönlich oder durch in ihren | Diensten stehende Reisende Ankäufe machen, oder Bestellungen, nur unter Mit= | führung von Mustern, suchen, in den anderen Staaten keine weitere Abgabe | hierfür zu entrichten verpflichtet sein. Auch sollen beim Besuche der Märkte und Messen zur Ausübung des | Handels und zum Absätze eigener Erzeugnisse oder Fabrikate in jedem VQV= | einsstaate die Unterthanen der übrigen kontrahirenden Staaten ebenso wie die | eigenen Unterthanen behandelt werden. Artikel 19. Preußen, Hannover und Oldenburg werden gegenseitig ihre Seeschiffe | und deren Ladungen unter denselben Bedingungen und gegen dieselben Abgaben, | wie die eigenen Seeschiffe zulassen und von diesem Grundsätze namentlich auch | in Betreff der Binnenschifffahrt oder Kabotage keine Ausnahme machen. Ihre Seehäfen sollen dem Handel der Unterthanen jedes anderen Ver= | einsstaates gegen völlig gleiche Abgaben, wie solche von den eigenen Unter= | thanen entrichtet werden, offen stehen; auch sollen die in fremden See= und | anderen Handelsplätzen angestellten Konsuln eines oder des anderen der kontra^ | hirenden Staaten veranlaßt werden, der Un-

[101] Zollvereinsvertrag vom 16. Mai 1865

999

terthanen der übrigen kontrahiren= | den Staaten sich in vorkommenden Fällen möglichst mit Rath und That an= | zunehmen. Artikel 20. Die kontrahirenden Staaten erneuern das zum Schutze ihres gemeinschaft= | liehen Zollsystems gegen den Schleichhandel und ihrer inneren Verbrauchsab= | gaben gegen Defraudation zwischen ihnen bestehende Zollkartei vom 11. Mai 1833. Artikel 21. Die auf Grund des gegenwärtigen Vertrages stattfindende Gemeinschaft | [S. 661] der Einnahme der kontrahirenden Staaten bezieht sich auf den Ertrag der Ein= | gangs= und Ausgangsabgaben in den Königreichen Preußen, Bayern, Sachsen, | Hannover und Württemberg, dem Großherzogthum Baden, dem Kurfürsten^ | thum und dem Großherzogthum Hessen, dem Thüringischen Zoll= und Handels^ | vereine, den Herzogthümem Braunschweig, Oldenburg und Nassau und der | freien Stadt Frankfurt, mit Einschluß der, den Zollsystemen der kontrahirenden | Staaten bisher schon beigetretenen Länder. Von der Gemeinschaft sind ausgeschlossen, und bleiben, sofern nicht Se= | paratverträge zwischen einzelnen Vereinsstaaten ein Anderes bestimmen, dem | privativen Genüsse der betreffenden Staatsregiemngen vorbehalten: 1) die Steuern, welche im Innern eines jeden Staates von inländischen | Erzeugnissen erhoben werden, einschließlich der nach Artikel 11. von den | vereinsländischen Erzeugnissen der nämlichen Gattung zur Erhebung | kommenden Uebergangsabgaben; 2) die Wasserzölle; 3) Chausseeabgaben, Pflaster=, Damm=, Brücken==, Fähr=, Kanal=, Schleusen^, | Hafengelder, sowie Waage^ und Niederlagegebühren oder gleichartige | Erhebungen, wie sie auch sonst genannt werden mögen; 4) die Zollstrafen und Konfiskate, welche, vorbehaltlich der Antheile der | Denunzianten, jeder Staatsregierung in ihrem Gebiete verbleiben. Artikel 22. Ueber die Vertheilung der in die Gemeinschaft fallenden Abgaben wird | Folgendes festgesetzt: Der Ertrag der Eingangs= und Ausgangsabgaben wird nach Abzug: a) der Kosten, welche an den gegen das Ausland gelegenen Grenzen und | in dem Grenzbezirke für den Schutz und die Erhebung der Zölle er= | forderlich sind (Artikel 30. der Verträge vom 22. und 30. März und | 11. Mai 1833., sowie vom 12. Mai 1835.^ Artikel 18. der Verträge | vom 10. Dezember 1835. und 2. Januar 1836.^, Artikel 29. des Ver= | träges vom 19. Oktober 1841.*^, Artikel 30. der Verträge vom 4. April I 1853.^ und vom heutigen Tage), b) der Rückerstattungen für unrichtige Erhebungen, c) der auf dem Grunde besonderer gemeinschaftlicher Verabredungen ei= | folgten Steuervergütungen und Ermäßigungen zwischen sämmtlichen Vereinsgliedem nach dem Verhältnisse der Bevölkerung, | mit welcher sie in dem Gesammtvereine sich befinden, vertheilt.

^ ^ ^ ^

Dok. 85, Dok. 86, Dok. 87, Dok. 88. Dok. 89, Dok. 90. Dok. 93. Dok. 99.

1 OOP

§ 4: Deutscher Zollverein

[Dok. 85-102]

Der dem Königreich Hannover und dem Herzogthum Oldenburg hiemach | zustehende Antheil wird, wenn er hinter dem Betrage von 27 V2 Gr. - 1. Fl. I 36 V4 Kr. - auf den Kopf der, dem Vereine angehörenden Bevölkerung des | Königreichs Hannover und des Herzogthums Oldenburg zurückbleibt, aus dem | [S. 662] Antheile der anderen kontrahirenden Staaten bis auf den Betrag von 27 V2 Gr. | - 1 Fl, 36 V4 Kr. - ergänzt. Die Bevölkerung solcher Staaten, welche durch Vertrag mit einem | oder dem anderen der kontrahirenden Staaten, unter Verabredung einer von | diesem jährlich fur ihre Antheile an den gemeinschaftlichen Zollrevenüen zu leisten= | den Zahlung, dem Zollsysteme desselben beigetreten sind, wird in die Bevöl= | kerung desjenigen Staates eingerechnet, welcher diese Zahlung leistet. ^Die Bevölkerung der Hannover=Braunschweigischen Kommunion=Be= | Sitzungen und der dem Herzogthum Oldenburg angeschlossenen Gebietstheile | Preußens wird in die Bevölkerung Hannovers, beziehungsweise Oldenburgs ein= | gerechnet. ^Das Nämliche gilt von der Bevölkerung des Fürstenthums Schaum= | burg=Lippe, sofern letzteres, bei Erneuerung seines Zollanschlusses an Hannover, | die von ihm in den Artikeln 2. und 3. des Anschlußvertrages vom 25. Sep= | tember 1851.^ eingegangenen Verpflichtungen wiederum übernimmt, und von der | Bevölkerung der dem Zollverein etwa femer anzuschließenden Gebietstheile der | freien Hansestadt Bremen, Der Stand der Bevölkemng in den einzelnen Vereins Staaten wird alle | drei Jahre ausgemittelt, und die Nachweisung derselben von den Vereinsgliedem | einander gegenseitig mitgetheilt werden. Unter Berücksichtigung der besonderen Verhältnisse, welche hinsichtlich des | Verbrauchs an zollpflichtigen Waaren bei der freien Stadt Frankfurt obwalten, | bewendet es wegen des Antheils derselben an den gemeinschaftlichen Einnahmen | bei den deshalb im Separat=Artikel 8, des Vertrages vom 2, Januar 1836. ge= | troffenen Verabredungen, Artikel 23, Vergünstigungen für Gewerbetreibende hinsichtlich der Zollentrichtung, | welche nicht in der Zollgesetzgebung selbst begründet sind, fallen der Staatskasse | derjenigen Regiemng, welche sie bewilligt hat, zur Last, "^Hinsichtlich der Maaß= | gaben, unter welchen solche Vergünstigungen zu bewilligen sind, bewendet es bei | den darüber bestehenden Verabredungen. Zollbegünstigungen für Maschinen und Maschinentheile, auf welche die | Zollsätze des dem Artikel 4. beigefügten Zolltarifs Anwendung finden, sollen je= | doch auf privative Rechnung nicht mehr gewährt werden. Artikel 24. Dem auf Fördemng freier und natürlicher Bewegung des allgemeinen | Verkehrs gerichteten Zwecke des Zollvereins gemäß, sollen besondere Zollbe= | günstigungen einzelner Meßplätze, namentlich Rabattprivilegien, da wo sie der= | malen in den Vereinsstaaten noch bestehen, nicht erweitert, sondem vielmehr, | unter geeigneter Berücksichtigung sowohl der Nahmngsverhältnisse bisher be= | günstigter Meßplätze, als der bisherigen Handelsbeziehungen mit dem Auslande, | thunlichst beschränkt und ihrer baldigen gänzlichen Aufhebung entgegen geführt, | neue aber ohne allseitige Zustimmung auf keine Fall ertheilt werden. [S. 663] Artikel 25. Von der tarifmäßigen Abgabenentrichtung bleiben die Gegenstände, welche | für die Hofhaltung der Hohen Souveraine und ihrer Regentenhäuser, oder für [ die bei ihren Höfen ^ Dok. 97.

[101] Zollvereinsvertrag vom 16. Mai 1865

1001

akkreditirten Botschafter, Gesandten, Geschäftsträger u. s. w. | eingehen, nicht ausgenommen, und wenn dafür Rückvergütungen statthaben, so | werden solche der Gemeinschaft nicht in Rechnung gebracht. Eben so wenig anrechnungsfähig sind Entschädigungen, welche in einem | oder dem anderen Staate den vormals unmittelbaren Reichsständen, oder | an Kommunen oder einzelne Privatberechtigte für eingezogene Zollrechte oder | für aufgehobene Befreiungen gezahlt werden müssen. ^Dagegen bleibt es einem jeden Staate unbenommen, einzelne Gegen= | stände auf Freipässe ohne Abgabenentrichtung ein= oder ausgehen zu lassen. | ^Dergleichen Gegenstände werden jedoch zollgesetzlich behandelt, und in Frei= | registem, mit denen es wie mit den übrigen Zollregistem zu halten ist, notirt, | und die Abgaben, welche davon zu erheben gewesen wären, kommen bei der | demnächstigen Revenüenausgleichung demjenigen Theile, von welchem die Frei= | passe ausgegangen sind, in Abrechnung. Artikel 26. ^Das Begnadigungs= und Strafverwandlungsrecht bleibt jedem der | kontrahirenden Staaten in seinem Gebiete vorbehalten. ^Auf Verlangen wer= | den periodische Uebersichten der erfolgten Straferlasse gegenseitig mitgetheilt | werden. Artikel 27. Die Ernennung der Beamten und Diener bei den Lokal= und Bezirks= | stellen für die Zollerhebung und Aufsicht, welche nach der hierüber getroffenen | besonderen Uebereinkunft nach gleichförmigen Bestimmungen angeordnet, besetzt | und instruirt werden sollen, bleibt sämmtlichen Gliedern des Gesammtvereins | innerhalb ihres Gebietes überlassen. Artikel 28. ^^In jedem Vereinsstaate, mit Ausnahme des Thüringischen Vereinsgebie= | tes, wird die Leitung des Dienstes der Lokal= und Bezirksbehörden, sowie die | Vollziehung der gemeinschaftlichen Zollgesetze überhaupt, einer, oder, wo sich | das Bedürfniß hierzu zeigt, mehreren Zolldirektionen übertragen, welche dem | einschlägigen Ministerium des betreffenden Staates untergeordnet sind. '^Die | Bildung der Zolldirektionen und die Einrichtung ihres Geschäftsganges bleibt | den einzelnen Staatsregierungen überlassen; der Wirkungskreis derselben aber | wird, insoweit er nicht schon durch gegenwärtigen Vertrag und die gemeinschaft= | liehen Zollgesetze bestimmt ist, durch eine gemeinschaftlich zu verabredende In= I struktion bezeichnet. In dem Thüringischen Vereinsgebiete vertritt der gemeinschaftliche Ge= | [S. 664] neralinspektor in den Berührungen mit den Zollbehörden der anderen Vereins= | Staaten die Stelle einer Zolldirektion. Ueber einige Abänderungen in der Organisation der Zolldirektion in Frank= | fürt ist eine besondere Uebereinkunft getroffen worden. Artikel 29. Die von den Zollerhebungsbehörden nach Ablauf eines jeden Vierteljahres | aufzustellenden Quartalextrakte und die nach dem Jahres= und Bücherschlusse | aufzustellenden Finalabschlüsse über die im Laufe des Vierteljahres, beziehungs= | weise während des Rechnungsjahres fällig gewordenen Zolleinnahmen werden | von den Zolldirektionen nach vorangegangener Prüfung in Hauptübersichten zu= | sammengetragen, und diese an das in Berlin bestehende Cenralbüreau des Zoll= | Vereins eingesendet. Auf den Grund dieser Uebersichten wird von dem Centralbüreau von | drei zu drei Monaten die provisorische Abrechnung zwischen den vereinigten | Staaten gefertigt, dieselbe den Central=Finanzstellen der letzteren übersandt und | zugleich Einleitung getroffen, um

1002

§ 4: Deutscher Zollverein

[Dok. 85 - 102]

die etwaige Mindereinnahme einzelner Ver= | einsglieder gegen den ihnen verhältnismäßig an der Gesammteinnahme zustän= | digen Revenüenantheil durch Herauszahlung von Seiten des oder derjenigen | Staaten, bei denen eine Mehreinnahme stattgefunden hat, auszugleichen. Demnächst bereitet das Centralbüreau auch die definitive Jahresabrech= | nung vor. Damit diejenigen Regierungen, welche in den Fall kommen, Herauszah= | lungen zur Ausgleichung ihrer Mindereinnahmen von den Kassen anderer Re= | gierungen zu empfangen, jedesmal sobald wie möglich zu ihrem Guthaben ge= | langen, wird von dem Centralbüreau gleichzeitig mit jeder vierteljährlichen | Abrechnung ein Vertheilungsplan entworfen, worin die Geldbeträge, welche | einzelne Vereinsregierungen zu dem angegebenen Zwecke aus den Kassen anderer | Vereinsstaaten zu empfangen haben, in runden Summen ausgeworfen, und die | Kassen, von denen die Zahlung zu leisten ist, bezeichnet werden. ^Nach diesem Vertheilungsplane, welcher zugleich mit der jedesmaligen | Abrechnung an die Central=Finanzstellen der Vereinsregierungen gelangt, wird | verfahren, und das Erforderliche zu dessen Ausführung veranlasst, insofern nicht | etwa gegen denselben erhebliche Anstände obwalten, in welchem Falle diese den [ anderen betheiligten Vereinsregiemngen unverzüglich mitzutheilen sind. '^Wegen | Forderungen, welche mit der Zollabrechnung nicht in Verbindung stehen, werden | die herauszuzahlenden Beträge nicht zurückgehalten werden. Bei der Uebersendung des erwähnten Vertheilungsplans wird das Cen= | tralbüreau angeben, inwiefern bei dessen Entwerfung nach den bereits zum Vor= | aus geäußerten Wünschen einzelner Vereinsglieder verfahren worden ist, und | somit deren ausdrückliche Billigung der desfallsigen Vorschläge mit Bestimmt^ | heit angenommen werden kann. ^Die kontrahirenden Staaten bleiben nach Maaßgabe der bestehenden | Verträge befugt, einen Beamten zu dem Centralbüreau zu ernennen. •^Jedem | Staat, welcher einen solchen Beamten nicht ernannt hat, steht die Befugniß | [S. 665] zu, von den Arbeiten dieses Bureaus durch zeitweise Abordnung eines seiner | Beamten nähere Kenntniß zu nehmen, welchem alsdann hierüber jede Auskunft | mit Bereitwilligkeit gewährt, und die Einsichtnahme sämmtlicher Akten gestattet | werden wird. Artikel 30. In Absicht der Erhebungs= und Verwaltungskosten kommen folgende | Grundsätze zur Anwendung: 1) Man wird, soweit nicht ausnahmsweise etwas Anderes verabredet ist, | keine Gemeinschaft dabei eintreten lassen, vielmehr übernimmt jede Re= | gierung alle in ihrem Gebiete vorkommenden Erhebungs= und Verwal= | tungskosten, es mögen diese durch die Einrichtung und Unterhaltung | der Haupt= und Nebenzollämter, der inneren Steuerämter, Hallämter | und Packhöfe, und der Zolldirektionen, oder durch den Unterhalt des | dabei angestellten Personals und durch die den letzteren zu bewilligenden I Pensionen, oder endlich aus irgend einem anderen Bedürfnisse der ZolH I Verwaltung entstehen. 2) Hinsichtlich desjenigen Theils des Bedarfs aber, welcher an den gegen | das Ausland gelegenen Grenzen und innerhalb des dazu gehörigen | Grenzbezirks für die Zollerhebungs== und Aufsichts= ode Kontrol= | behörden und Zollschutzwachen erforderlich ist, wird man sich über | Pauschsummen vereinigen, welche von der jährlich aufkommenden und | der Gemeinschaft zu berechnenden Bruttoeinnahmen an Zollgefällen nach | der im Artikel 22. getroffenen Vereinbarung in Abzug gebracht werden. 3) Bei dieser Ausmittelung des Bedarfs soll da, wo die Perzeption pri= | vativer Abgaben mit der Zollerhebung verbunden ist, von den Gehältern | und Amtsbedürfnissen der Zollbeamten nur derjenige Theil in Anrech= | nung kommen, welcher dem Ver-

[101] Zollvereinsvertrag vom 16. Mai 1865

1003

hältnisse ihrer Geschäfte für den Zoll= [ dienst zu ihren Amtsgeschäften überhaupt entspricht. 4) Man wird auch femer darauf bedacht sein, durch Feststellung allge= | meiner Normen die Besoldungsverhältnisse der Beamten bei den Zoll= | erhebungs= und Aufsichtsbehörden, ingleichen bei den Zolldirektionen in | möglichste Uebereinstimmung zu bringen. Die kontrahirenden Staaten machen sich verbindlich, für die Diensttreue | der bei der Zollverwaltung von ihnen angestellten Beamten und Diener und | für die Sicherheit der Kassenlokale und Geldtransporte in der Art zu haften, | daß Ausfälle, welche an den Zolleinnahmen durch Dienstuntreue eines Angestellten | erfolgen, oder aus der Entwendung bereits eingezahlter Gelder entstehen, von | derjenigen Regierung, welche den Beamten angestellt hat, oder welche die ent= | wendeten Bestände erhoben hatte, ganz allein zu vertreten sind und bei der | Revenüentheilung dem betreffenden Staate zur Last fallen. In Betracht, daß die Kosten für die inneren Steuerämter oder Hall= | ämter oder Packhöfe einem jeden der kontrahirenden Staaten zur Last fallen, | [S, 666] bleibt es jedem derselben überlassen, solche Aemter innerhalb seines Gebietes in | beliebiger Zahl zu errichten, so daß in Beziehung auf deren Kompetenz und | Personalbestellung keine anderen als diejenigen Beschränkungen eintreten, welche | aus der Vereins=Zollordnung und den bestehenden Instruktionen und Verab= | redungen hervorgehen. Der gesammte amtliche Schriftwechsel in den gemeinschaftlichen Zoll= | angelegenheiten zwischen den Behörden und Beamten der Vereinsstaaten im | ganzen Umfange des Zollvereins soll auf den Briefe und Fahrposten portofrei | befördert werden und es ist zur Begründung dieser Portofreiheit die Korrespondenz | der gedachten Art mit der äußeren Bezeichnung „Zollvereinssache" zu versehen. Artikel 31. Die kontrahirenden Staaten gestehen sich gegenseitig das Recht zu, den | Haupt= Zollämtern anderer Vereinsstaaten sowohl an den Grenzen, als im | Innern (Haupt=Steuerämtem mit Niederlage) Kontroleure beizuordnen, welche | von allen Geschäften derselben und der Nebenämter in Beziehung auf das | Abfertigungsverfahren und die Grenzbewachung Kenntniß zu nehmen, und auf | Einhaltung eines gesetzlichen Verfahrens, ingleichen auf die Abstellung etwaiger | Mängel einzuwirken, übrigens sich jeder eigenen Verfügung zu enthalten I haben. Bei keinem Haupt= Zoll= resp. Haupt=Steueramte sollen jedoch gleichzeitig | mehrere Kontroleure anderer Vereinsstaaten stationirt werden. Ueber die dienstliche Stellung und die Befugnisse dieser Kontroleure haben | sich die kontrahirenden Staaten besonders verständigt. Artikel 32. ^Jedem der kontrahirenden Staaten steht das Recht zu, an die Zolldirek= | tionen der anderen Vereinsstaaten Beamte zu dem Zwecke abzuordnen, um sich | von allen vorkommenden Verwaltungsgeschäften, welche sich auf die durch den | gegenwärtigen Vertrag eingegangene Gemeinschaft beziehen, vollständige Kenntniß | zu verschaffen. '^Es soll jedoch, damit die Geschäfte nicht unnöthig verzögert | werden, bei keiner Zolldirektion mehr, als Ein Abgeordneter seinen bleibenden | Aufenthalt nehmen, und es werden sich die kontrahirenden Staaten in der | Regel von drei zu drei Jahren über die Vertheilung dieser Abgeordneten vei= I einbaren. Das Geschäftsverhältniß der letzteren ist durch eine besondere Instruktion | näher bestimmt, als deren Grundlage die unbeschränkte Offenheit von Seiten | der Verwaltung, bei welcher die Abgeordneten fungiren, in Bezug auf alle | Gegenstände der gemeinschaftlichen Zollverwaltung, und die Erleichterung jedes 1 Mittels, durch welches sie sich die In-

1004

§ 4: Deutscher Zollverein

[Dok. 85-102]

formation hierüber verschaffen können, | angenommen ist, während andererseits ihre Sorgfalt nicht minder aufrichtig | dahin gerichtet sein soll, eintretende Anstände und Meinungsverschiedenheiten I auf eine dem gemeinsamen Zwecke und dem Verhältnisse verbündeter Staaten | entsprechende Weise zu erledigen. [S. 667] Die Ministerien oder obersten Verwaltungsstellen der sämmtlichen Ver= | einsstaaten werden sich gegenseitig auf Verlangen jede gewünschte Auskunft 1 über die gemeinschaftlichen Zollangelegenheiten mittheilen, und insofern zu | diesem Behufe zeitweise oder dauernd die Abordnung eines höheren Beamten, | oder die Beauftragung eines anderweit bei der Regierung beglaubigten Bevoll= | mächtigten beliebt würde, so ist demselben nach dem oben ausgesprochenen | Grundsatz alle Gelegenheit zur vollständigen Kenntnißnahme von den Verhalle | nissen der gemeinschaftlichen Zollverwaltung bereitwillig zu gewähren. Jeder Vereinsregierung ist es überlassen, den Bevollmächtigten eines | anderen Staates auch in ihrem Namen zu beglaubigen, in welchem Falle \ er ihre Aufträge übernehmen und an sie die erforderlichen Mittheilungen | machen wird. ^Die Gehälter und alle übrigen Kosten der Abgeordneten, sowie der etwa | bei den Ministerien der Vereinsstaaten beglaubigten Beamten, trägt der abord= | nende Staat. '^Insofern aber dritte Vereinsstaaten einen fremden Abgeordneten | auch in ihrem Namen beglaubigen, werden sie mit der Regierung, welche den= | selben ernannt hat, über einen angemessenen Beitrag zu der Bestreitung seines | Gehalts übereinkommen. Artikel 33. Jährlich in den ersten Tagen des Juni findet zum Zwecke gemeinsamer | Berathung ein Zusammentritt von Bevollmächtigten der Vereinsglieder statt. Für die formelle Leitung der Verhandlungen wird von den Konferenz^ | Bevollmächtigten aus ihrer Mitte ein Vorsitzender gewählt, welchem übrigens | kein Vorzug vor den übrigen Bevollmächtigten zusteht. Bei dem Schlüsse einer jeden jährlichen Versammlung wird mit Rück= | sieht auf die Natur der Gegenstände, deren Verhandlungen in der folgenden | Konferenz zu erwarten ist, verabredet werden, wo letztere erfolgen soll. Da der Zweck der Berathungen in diesen Versammlungen sich schwer | erreichen läßt, wenn die Versammlung zu zahlreich wird, und es deshalb wün= | schenswerth erscheint, daß mehrere Vereinsregierungen einen gemeinschaftlichen | Bevollmächtigten abordnen, so werden sämmtliche Vereinsglieder zu solchen | Einrichtungen bereitwilligst die Hand bieten. Der Separat^Artikel 14. zum Vertrage vom 2. Januar 1836. wird nicht | erneuert. Artikel 34. Vor die Versammlung der Konferenzbevollmächtigten gehört: a) die Verhandlung über alle Beschwerden und Mängel, welche in Be= | ziehung auf die Ausführung des Grundvertrages und der besonderen | Uebereinkünfte, des Zollgesetzes, der Zollordnung und Tarife, in einem | oder dem anderen Vereinsstaate wahrgenommen, und die nicht bereits | im Laufe des Jahres in Folge der darüber zwischen den Ministerien | und obersten Verwaltungsstellen geführten Korrespondenz erledigt wor= | den sind; [S. 668] b) die definitive Abrechnung zwischen den Vereinsgliedem über die gemein= | schaftliche Einnahme auf dem Grunde der von den obersten Zollbehör== | den aufgestellten, durch das Centralbüreau vorzulegenden Nachweisungen, | wie solche der Zweck einer dem gemeinsamen Interesse angemessenen | Prüfung erheischt;

[101] Zollvereinsvertrag vom 16. Mai 1865

1005

c) die Berathung über Wünsche und Vorschläge, welche von einzelnen | Staatsregiemngen zur Verbesserung der Verwaltung gemacht werden; d) die Verhandlungen über Abänderungen des Zollgesetzes, der Zollord= | nung, des Zolltarifs und der Verwaltungsorganisation, welche von | einem der kontrahirenden Staaten in Antrag gebracht werden, über= | haupt über die zweckmäßige Entwickelung und Ausbildung des gemein= | samen Handels^ und Zollsystems. Bei der Verhandlung dieser Gegenstände wird die Hauptsorge der Kon= | ferenzbevollmächtigten dahin gerichtet sein, bei jedem vorkommenden Gegenstande [ durch eine gründliche und erschöpfende Erörterung desselben eine allgemeine | Uebereinstimmung herbeizuführen. *Wird nach einer solchen vorausgegangenen Erörterung, hinsichtlich eines | der unter a. und b. aufgeführten Gegenstände, dieser Zweck nicht erreicht, so | haben die Bevollmächtigten durch Einhelhgkeit der Stimmen einen Schiedst | richter zu erwählen, welchem die Entscheidung zu übertragen ist. ^Den in einem | solchen Falle ergangenen schiedsrichterlichen Ausspruch werden die betheiligten | Regierungen sofort in Ausführung bringen lassen, jedoch soll durch selbigen | kein Präjudiz für die Entscheidung künftig etwa vorkommender ähnlicher Diffe= | renzen begründet werden, sondern hierbei stets von neuem schiedsrichterlicher I Ausspruch eintreten. Bei der Berathung über solche Gegenstände, welche in die Kategorie | Litt. c. und d. fallen, haben sich die Bevollmächtigten nach ihren Instruktionen | zu richten, und die gefaßten Beschlüsse unterliegen der Ratifikation der kon= | trahirenden Regierungen, vor deren allseitigem Eintreffen sie nirgends Gültige | keit haben, noch verkündet und vollzogen werden sollen. Ihre Verkündung, in soweit sie sich zur Bekanntmachung eignen, ge= | schiebt, wie die Verkündung der gemeinschaftlichen Verträge, Gesetze und Ver= | Ordnungen überhaupt, in jedem der vereinten Staaten im Namen der Regierung. Artikel 35. Treten im Laufe des Jahres, außer der gewöhnlichen Zeit der Versamm= | lung der Konferenzbevollmächtigten, außerordentliche Ereignisse ein, welche un= | verzügliche Maaßregeln oder Verfügungen von Seiten der Vereinsstaaten er= | heischen, so werden sich die kontrahirenden Regierungen darüber im diplomatischen | Wege vereinigen, oder eine außerordentliche Zusammenkunft ihrer Bevollmäch= | tigten veranlassen. [S. 669] Artikel 36. Den Aufwand für die Bevollmächtigten und deren etwaige Gehülfen | bestreitet dasjenige Glied des Gesammtvereins, welches sie absendet. Das Kanzlei=Dienstpersonal und das Lokale wird unentgeltlich von der | Regierung gestellt, in deren Gebiete der Zusammentritt der Konferenz stattfindet. Artikel 37. Für den Fall, daß andere Deutsche Staaten den Wunsch zu erkennen | geben sollten, in den Zollverein aufgenommen zu werden, erklären sich die kon= | trahirenden Regierungen bereit, diesem Wunsche, soweit es unter gehöriger Be= | rücksichtigung der besonderen Interessen der Vereinsmitglieder möglich erscheint, | durch desfalls abzuschließende Verträge Folge zu geben. Die Unterhandlung solcher Verträge wird in der Regel denjenigen unter | den kontrahirenden Staaten überlassen bleiben, deren Gebiet an das Land der | Deutschen Regierung angrenzt, von welcher die Aufnahme in den Verein ge= | wünscht wird. Sollte von Seiten eines Deutschen Staates, welcher dem Vereine bei= | zutreten wünscht, die desfallsige Verhandlung einem ihm nicht angrenzenden | Vereinsstaate angeboten wer-

1006

§ 4: Deutscher Zollverein

[Dok. 85 - 102]

den, so ist dieser letztere verpflichtet, den= oder die= | jenigen Vereinsstaaten, welche mit ersterem angrenzen, zur Mitunterhandlung | mit selbigem einzuladen. Jede Einleitung solcher Unterhandlungen, deren Richtung und Umfang | durch die Grundsätze des gegenwärtigen Vertrages bestimmt ist, muß den übri= | gen Vereinsmitgliedem alsbald bekannt gemacht werden, auch ist diesen vor | dem förmlichen Abschlüsse der diesfällige Vertrag zur Einsicht und Zustimmung | mitzutheilen. Die Zustimmung soll nicht versagt werden, wenn die Bestimmungen, | welche der gegenwärtige Vertrag umfaßt, eingehalten sind. Artikel 38. ^Das Recht, mit anderen außerhalb des Zollverbandes gelegenen Staaten | Verträge zur Erleichterung des Verkehrs und Handels zu errichten, verbleibt | den kontrahirenden Regierungen auch nach dem Abschlüsse des gegenwärtigen [ Vertrages. "^Sie werden sich bemühen, durch solche Verträge dem Verkehr ihrer | Angehörigen jede mögliche Erleichterung und Erweiterung zu verschaffen. ^Es dürfen jedoch durch solche Verträge die Bestimmungen des gegen= | wärtigen Vertrages in keiner Art verletzt werden. ^Auch ist dabei der Gesichts= | punkt festzuhalten, daß sowohl die Erleichterungen und Vortheile, welche auf | der einen Seite ein außerhalb des Vereins gelegener Staat dem mit ihm kon= | trahirenden Vereinsstaate zugesteht, auch den Angehörigen und Erzeugnissen der | übrigen Vereinsstaaten gesichert, als auch die dem außerhalb des Vereins ge= | legenen Staate auf der anderen Seite gemachten Zugeständnisse nicht blos in | dem Verhältnisse zu dem einzelnen kontrahirenden Vereinsstaate, sondern auch I [S. 670] in der Rückwirkung auf den Verein überhaupt, durch die dem letzteren mittel= I bar oder unmittelbar zugehenden Verkehrs^ und Handelsvortheile möglichst | aufgewogen werden. In diesem Ende übernehmen die kontrahirenden Regierungen, wenn sie in | den Fall kommen, mit einem außer dem Vereine gelegenen Staate über Er= | leichtemng des Verkehrs und Handels einen Vertrag zu errichten, die Verbind^ | lichkeit, nicht nur vor Eröffnung der Unterhandlung die übrigen Mitglieder des | Vereins zur Mittheilung aller erforderlichen Notizen über ihre besonderen In= | teressen einzuladen, sondern auch vor der förmlichen Ratifikation den übrigen | Vereinsgliedem den vollständigen Inhalt solcher Verträge zum Zwecke ihrer | zustimmenden Erklärung zu eröffnen. Schifffahrtsverträge, insofern sie die Natur von Handelsverträgen an= | nehmen, sind nach gleichen Grundsätzen zu behandeln. In Rücksicht auf die besonderen Verhältnisse, worin die Königlich Preu= | ßische Regierung nach den Bestimmungen der Wiener Kongreßakte mit einem | Theile ihrer Provinzen zu dem Gebiete des Königreichs Polen und zu einem | Theile der Russischen Provinzen steht, wird derselben hinsichtlich der Errichtung | von Handelsverträgen mit Rußland und Polen völlig freie Hand gelassen, wo= | gegen sie sich verpflichtet, die Interessen der anderen Vereinsstaaten gleichmäßig | mit den ihrigen wahrzunehmen. Artikel 39. Erleiden Handel und Verkehr der Vereinsstaaten in fremden Ländern | nachtheilige Beschränkungen, so bleibt jedem Vereinsgliede das Recht vorbe= | halten, solche durch angemessene Maaßregeln zu vergelten. Diejenigen Staaten, welche sich hiemach in der Lage befinden, auf ihrem | Gebiete Vergeltungsmaaßregeln gegen das Ausland anzuordnen, sind jedenfalls [ verpflichtet, bei dieser Ausübung das Interesse des ganzen Vereins wahrzunehmen. Insbesondere 1) haben dieselben zuvor von dem Bedürfnisse einer solchen Maaßregel, und | von der Auswahl derselben den übrigen Vereinsgliedem Anzeige zu | machen und sie ein-

[101] Zollvereinsvertrag vom 16. Mai 1865

1007

zuladen, binnen einer Frist von höchstens acht Wochen | ihre etwanigen Bedenken gegen die Maaßregel überhaupt, oder ihre | Wünsche über die Art und Auswahl der Vergeltung mitzutheilen, wenn | nicht nach abgelaufener Frist ihre Zustimmung als gegeben angenommen | werden soll 2) Eine hierbei sich ergebende Differenz soll, falls auf dem Wege weiterer | Erörterung zwischen den betreffenden Vereinsgliedem eine Verständi= | gung nicht erreicht würde, durch Kompromiß auf schiedsrichterlichen Aus= | Spruch erledigt werden. Fällt dieser Ausspruch gegen die Zweckmäßig= | keit der inmittelst etwa bereits angeordneten Vergeltungsmaaßregel aus, | so ist diese nach näherem Inhalte der Entscheidung entweder aufzuheben, | oder abzuändern. [S. 671] Um Repressalien oder Retorsionsmaaßregeln im Namen des ganzen Ver= | eins anzukündigen und auszuführen, ist die vorgängige Zustimmung sämmtlicher | Vereinsglieder erforderlich. Artikel 40. Gegenwärtiger Vertrag tritt vom 1. Januar 1866. ab an die Stelle: 1) des Vertrages zwischen Preußen, Sachsen, Baden, Kurhessen, den bei | dem Thüringischen Zoll= und Handelsvereine betheiligten Staaten, Braun= | schweig und der freien Stadt Frankfurt, die Fortdauer des Zoll= und | Handelsvereins betreffend, vom 28. Juni 1864; 2) des Vertrages zwischen den vorgenannten Staaten einerseits und Han= | nover sowie Oldenburg andererseits, betreffend den Beitritt Hannovers | und Oldenburgs zu dem Zollvereinigungs=Vertrage vom 28. Juni 1864. | und zu dem Vertrage über den Verkehr mit Tabak und Wein von | demselben Tage, vom 11. Juli 1864., soweit derselbe auf den vor= | stehend unter Nr. 1. bezeichneten Vertrag Bezug hat; 3) des Vertrages zwischen den vorstehend unter Nr. 1. und 2. genannten | Staaten einerseits und Bayern, Württemberg, Großherzogthum Hessen | und Nassau andererseits, betreffend den Beitritt Bayerns, Württem= | bergs, des Großherzogthums Hessen und Nassaus zu den Zollvereini= | gungs=Verträgen vom 28. Juni und 11. Juli 1864., vom 12. Okto= | ber 1864. Vom 1. Januar 1866. ab tritt die Uebereinkunft zwischen Preußen, | Sachsen, den zum Thüringischen Zoll= und Handelsvereine gehörigen Staaten | und Braunschweig, betreffend die Theilung der gemeinschaftlichen Ausgangs= | und Durchgangsabgaben, vom 4. April 1853. außer Wirksamkeit. Artikel 41. Sofern der gegenwärtige Vertrag nicht vor dem 1. Januar 1876. von | dem einen oder dem andern der kontrahirenden Staaten aufgekündigt wird, | so soll er auf weitere zwölf Jahre und so fort von zwölf zu zwölf Jahren | als verlängert angesehen werden. Letztere Verabredung wird jedoch nur für den Fall getroffen, daß nicht | in der Zwischenzeit sämmtliche Deutsche Bundesstaaten über gemeinsame Maaß= | regeln übereinkommen, welche den mit der Absicht des Artikels 19. der Deut= | sehen Bundesakte^ in Uebereinstimmung stehenden Zweck des gegenwärtigen Zoll= \ Vereins vollständig erfüllen. Gegenwärtiger Vertrag soll alsbald zur Ratifikation der kontrahirenden | [S. 672] Regierungen vorgelegt und die Auswechselung der Ratifikations=Urkunden spä= | testens binnen vier Wochen in Berlin bewirkt werden.

Dok.31.

1008

§ 4: Deutscher Zollverein

So geschehen Berlin, den 16. Mai 1865. V. Pommer Esche. Philipsbom. Delbrück. (L. S.) (L. S.) (L. S.) Frhr. v. Valois. Schmidt. | Cramer. Ewald. (L. S.) (L. S.)| (L. S.) (L. S.) Mettenius. (L. S.)

[Dok. 85-102]

Berks. | v. Thümmel. Albrecht. (L. S.)| (L. S.) (L. S.) Thon. v. Thielau. | Meyer. Schellenberg. (L. S.) (L. S.) | (L. S.) (L. S.)

[102] Vertrag (Norddeutscher Bund ./. Bayern, Württemberg, Baden und Hessen) über die Fortdauer des Zoll- und Handelsvereins (Zoll- und Handelsvereinsvertrag) vom 8. Juli 1867 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einführungen" die Darstellungen unter [338.] [359.] [393.] [423.] [425.] [438.] [449.] [456.] [552.]. Quelle: Bundesgesetzblatt des Norddeutschen Bundes, (Nr. 9 vom 13. November) 1867, S. 8 1 - 1 0 6 (gedruckt).^ Sonstige Fundstellen: Verträge und Verhandlungen aus dem Zeiträume von 1833 bis einschließlich 1870 über die Bildung und Ausführung des deutschen Zoll- und HandelsVereins, Fünfter Band, 1871, S. 82 - 103; F. Stoerk (Hrsg.), Handbuch der deutschen Verfassungen, 2. Aufl., 1913, S. 44 - 58. [S. 81] (Nr. 20.) Vertrag zwischen dem Norddeutschen Bunde, Bayern, Württemberg, Baden und | Hessen, die Fortdauer des Zoll= und Handelsvereins betreffend. Vom | 8. Juli 1867. Seine Majestät der König von Preußen im Namen des Norddeutschen Bundes, | Seine Majestät der König von Bayern, Seine Majestät der König von Württemberg, Seine Königliche Hoheit der Großherzog von Baden und Seine Königliche | Hoheit der Großherzog von Hessen und bei Rhein für die zu dem Norddeutschen | Bunde nicht gehörenden Theile des Großherzogthums, von der Absicht geleitet, | die Fortdauer des Deutschen Zoll= und Handelsvereins sicher zu stellen und dessen | Einrichtungen in einer den gegenwärtigen Bedürfnissen entsprechenden Weise fort= | zubilden, haben Verhandlung eröffnen lassen und zu Bevollmächtigten ernannt, und zwar: Seine Majestät der König von Preußen: Allerhöchstihren Wirklichen Geheimen Rath Johann Friedrich von | Pommer Esche, Allerhöchstihren Ministerialdirektor Alexander Max von Philipsbom | und Allerhöchstihren Ministerialdirektor Martin Friedrich Rudolph Del= | brück; und von den übrigen Mitgliedern des Norddeutschen Bundes: Seine Majestät der König von Sachsen: Allerhöchstihren Geheimen Finanzrath Julius Hans von Thümmel; Seine Königliche Hoheit der Großherzog von Hessen und bei Rhein: Allerhöchstihren Geheimen Ober=Steuerrath Ludwig Wilhelm Ewald; [S. 82] die außer Seiner Majestät dem Könige von Preußen bei dem Thüringi= | sehen Zoll= und Handelsvereine betheiligten Souveraine, nämlich: Seine Königliche Hoheit der Großherzog von Sachsen= | Weimar==Eisenach, Seine Hoheit der Herzog von Sachsen=Meiningen, Schlußprotokoll zu diesem Vertrag nebst den Anlagen ist abgedruckt in: Bundes-Gesetzblatt des Norddeutschen Bundes, Nr. 9 (13. November) 1867, S. 107-124; Verträge und Verhandlungen aus dem Zeiträume von 1833 bis einschließlich 1870 über die Bildung und Ausführung des deutschen Zoll- und Handels-Vereins, Fünfter Band, Berlin 1871, S. 104 - 118.

[ 102] Zoll- und Handels Vereins vertrag vom 8. Juli 1867

1009

Seine Hoheit der Herzog von Sachsen==Altenburg, Seine Hoheit der Herzog von Sachsen=Koburg=Gotha, Seine Durchlaucht der Fürst von Schwarzburg=Rudol= | Stadt, Seine Durchlaucht der Fürst von Schwarzburg=Sonders= | hausen, Seine Durchlaucht der Fürst von Reuß älterer Linie, Seine Durchlaucht der Fürst von Reuß jüngerer Linie: den Großherzoglich Sächsischen Wirklichen Geheimrath Gustav | Thon; Seine Hoheit der Herzog von Braunschweig=Lüneburg: Höchstihren Minister=Residenten an dem Königlich Preußischen Hofe, | Geheimen Rath Dr. Friedrich August von Liebe; Seine Königliche Hoheit der Großherzog von Oldenburg: den Herzoglich Braunschweigischen Minister=Residenten, Geheimen Rath | Dr. Friedrich August von Liebe; femer: Seine Majestät der König von Bayern: Allerhöchstihren Ministerialrath Wilhelm Weber | und Allerhöchstihren Ober=Zollrath Georg Ludwig Carl Gerbig; Seine Majestät der König von Württemberg: Allerhöchstihren Kammemherm, außerordentlichen Gesandten und bevoll= | mächtigten Minister an dem Königlich Preußischen Hofe, Geheimen | Legationsrath Friedrich Heinrich Carl Freiherm von Spitzemberg | und Allerhöchstihren Finanzrath Carl Victor Riecke; [S. 83] Seine Königliche Hoheit der Großherzog von Baden: Allerhöchstihren Staatsminister der Finanzen und Präsidenten des Staats^ | ministeriums Carl Mathy; Seine Königliche Hoheit der Großherzog von Hessen und bei Rhein | für die zu dem Norddeutschen Bunde nicht gehörenden Theile des Groß= | herzogthums: Allerhöchstihren Geheimen Ober^Steuerrath Ludwig Wilhelm Ewald; von welchen Bevollmächtigten, unter dem Vorbehalt der Ratifikation, folgender | Vertrag abgeschlossen worden ist: Artikel L Die vertragenden Theile setzen den, Behufs eines gemeinsamen Zoll= und | Handelssystems errichteten, auf dem Vertrage über die Fortdauer des Zoll= | und Handelsvereins vom 16. Mai 1865^, beruhenden Verein bis zum letzten | Dezember 1877. fort. Bis dahin bleiben die Zollvereinbarungs=Verträge vom 22.*^ und 30. März^ | und 11. Mai 1833.^ vom 12. Mai^ und 10. Dezember 1835.^ vom 2. Januar | 1836.^, vom 8. Mai^ 19. Oktober' und 13. November 1841., vom 4. April 1853.J | und vom 16. Mai 1865^ nebst ^ ^ ^ ^ ^ ^ 8 ^ ^ j ^

Dok. 101. Dok. 85. Dok. 86. Dok. 87. Dok. 88. Dok. 89. Dok. 90. Dok. 91. Dok. 93. Dok. 99. Dok. 101.

1010

§ 4: Deutscher Zollverein

[Dok. 85 - 102]

den zu ihnen gehörenden Separatartikeln zwischen | den vertragenden Theilen femer in Kraft, soweit sie bisher noch in Kraft waren | und nicht durch die folgenden Artikel abgeändert sind. Mit diesen Beschränkungen und vorbehaltlich der Verabredung im Artikel 6. | finden die Bestimmungen der gedachten Verträge auch auf diejenigen zum Nord= | deutschen Bunde gehörenden Staaten und Gebietstheile Anwendung, welche dem | Zoll== und Handelsvereine noch nicht angehörten. Artikel 2. In dem Gesammtverein bleiben diejenigen Staaten oder Gebietstheile ein= | begriffen, welche dem Zoll= und Handelssysteme der vertragenden Theile oder | eines von ihnen angeschlossen sind, unter Berücksichtigung ihrer auf den Anschluß= | vertragen beruhenden besonderen Verhältnisse. Artikel 3. Ueber die Gemeinschaft der Gesetzgebung und der Verwaltungseinrichtungen | ist zwischen den vertragenden Theilen Folgendes verabredet worden: §•1. ^In den Gebieten der vertragenden Theile sollen übereinstimmende Gesetze | über Eingangs= und Ausgangsabgaben, sowie über die Durchfuhr bestehen, | dabei jedoch diejenigen Modifikationen zulässig sein, welche, ohne dem gemeinsamen | Zwecke Abbruch zu thun, aus der Eigenthümlichkeit der allgemeinen Gesetzgebung | [S. 84] eines jeden Theil nehmenden Staates oder aus lokalen Interessen sich als noth= | wendig ergeben. ^Bei dem Zolltarife sollen hierdurch in Bezug auf | einzelne, weniger für den größeren Handelsverkehr geeignete Gegenstände solche | Abweichungen von den allgemein angenommenen Erhebungssätzen, welche für | einzelne Staaten als vorzugsweise wünschenswerth erscheinen, nicht ausgeschlossen | sein, sofern sie auf die allgemeinen Interessen des Vereins nicht nachtheilig | einwirken. Von der Durchfuhr werden Abgaben nicht erhoben und es treten die | Verabredungen außer Wirksamkeit, welche in den im Artikel 1. genannten Ver= | trägen über die Durchgangsabgaben getroffen sind. §.2. Der gemeinschaftliche Zolltarif wird in zwei Hauptabtheilungen, und zwar | nach dem durch den Münzvertrag vom 24. Januar 1857. festgestellten Dreißig^ | Thalerfuße und Zweiundfunzig= und =einhalb=Guldenfuße ausgefertigt. ^Die Einheit für das gemeinschaftliche Zollgewicht bildet der in sämmt= | liehen Vereinsstaaten, die Ausnahme des Königreichs Bayern, als allgemeines | Landesgewicht bestehenden Zentner (50 Kilogramme). ^Es wird daher im ge= | sammten Vereine die Deklaration, Verwiegung und Verzollung der nach dem | Gewichte zollpflichtigen Gegenstände ausschließlich nach jenem Gewichte geschehen. §.3. In den Gebieten der vertragenden Theile sollen übereinstimmende Gesetze | über die Besteuerung des im Umfange des Vereins gewonnenen Salzes und | aus Rüben bereiteten Zuckers bestehen. Die vertragenden Theile sind darüber einverstanden, daß, wenn die | Fabrikation von Zucker oder Syrup aus anderen inländischen Erzeugnissen, als | aus Rüben, z. B. aus Stärke, im Zollvereine einen erheblichen Umfang ge= | winnen sollte, diese Fabrikation eben-

[102] Zoll- und Handelsvereinsvertrag vom 8. Juli 1867

1011

falls in sämmtlichen Vereinsstaaten einer | übereinstimmenden Besteuerung nach den fur die Rübenzuckersteuer verabredeten | Grundsätzen zu unterwerfen sein würde. §•4. Der im Umfange des Vereins gewonnene oder zubereitete Taback soll einer | übereinstimmenden Besteuerung unterworfen werden. §•5 In den Gebieten der vertragenden Theile sollen übereinstimmende Maaß= | regeln zum Schutze des gemeinschaftlichen Zollsystems gegen den Schleichhandel | und der inneren Verbrauchsabgaben gegen Hinterziehungen bestehen. §.6 Die Verwaltung der in den §§. 1. 3. und 4. bezeichneten Abgaben und | [S. 85] die Organisation der dazu dienenden Behörden soll in allen Ländern des Ge= | sammtvereins, unter Berücksichtigung der in denselben bestehenden eigenthümlichen | Verhältnisse, auf gleichen Fuß gebracht werden. §•7. In Gemäßheit der vorstehenden Verabredungen werden die vertragenden | Theile das Zollgesetz, | die Zollordnung, | den Zolltarif, | die Grundsätze, das Zollstrafgesetz betreffend, wie solche zwischen ihnen vereinbart sind, femer die Uebereinkunft wegen Erhebung einer Abgabe von Salz vom 8. Mai | dieses Jahres, | die Uebereinkunft wegen Besteuerung des Rübenzuckers vom 16. Mai 1865., | das Zollkartei vom 11. Mai 1833., zur Anwendung bringen. Unter dem, in den gemeinschaftlichen Gesetzen und Verwaltungsvorschriften | erwähnten allgemeinen Eingangszoll oder der allgemeinen Eingangsabgabe ist ein | Zollsatz von 15 Groschen oder 52 V2 Kreuzern zu verstehen. Artikel 4. Eingangs^, Ausgangs= und Durchgangsabgaben werden an den gemein= | schaftlichen Landesgrenzen der vertragenden Theile nicht erhoben, und es können | alle im freien Verkehr des einen Gebiets bereits befindlichen Gegenstände auch | frei und unbeschwert in das andere Gebiet gegenseitig eingeführt werden, mit | alleinigem Vorbehalte der im Innern der vertragenden Theile mit einer nicht | gemeinschaftlichen Steuer belegten inländischen Erzeugnisse, nach Maaßgabe des | Artikels 5. Die Freiheit des Handels und Verkehrs zwischen den vertragenden Theilen | soll auch dann keine Ausnahme leiden, wenn bei dem Eintritte außerordentlicher | Umstände, insbesondere auch bei einem drohenden oder ausgebrochenen Kriege, | einer von ihnen sich veranlaßt finden sollte, die Ausfuhr gewisser im inneren 1 freien Verkehr befindlichen Erzeugnisse oder Fabrikate in das Ausland für die | Dauer jener außerordentlichen Umstände zu verbieten. In einem solchen Falle wird man darauf Bedacht nehmen, daß ein gleiches | Verbot von allen vertragenden Theilen erlassen werde. Sollte jedoch einer oder der andere derselben es seinem Interesse nicht an= | gemessen finden, auch seinerseits jenes Verbot anzuordnen, so bleibt demjenigen | oder denjenigen Theilen, welche solches zu erlassen für nöthig finden, die Befugniß [ vorbehalten, dasselbe auch auf den Umfang des ihrem Beschlüsse nicht beitretenden [ Theiles auszudehnen.

1012

§ 4: Deutscher Zollverein

[Dok. 85-102]

[S. 86] ^Die vertragenden Theile räumen sich femer auch gegenseitig das Recht | ein, zur Abwehr gefährlicher ansteckender Krankheiten für Menschen und Vieh | die erforderlichen Maaßregeln zu ergreifen. ^Im Verhältnisse von einem Vereins^ | lande zu dem andern dürfen jedoch keine hemmenderen Einrichtungen getroffen | werden, als unter gleichen Umständen den inneren Verkehr des Staates treffen, | welcher sie anordnet.

Artikel 5. ^Die vertragenden Theile werden ihr Bestreben darauf richten, eine Ueber= | einstimmung der Gesetzgebung über die Besteuerung der in ihren Gebieten theils | bei der Hervorbringung oder Zubereitung, theils unmittelbar bei dem Verbrauche | mit einer inneren Steuer belegten, nicht unter die §§.3. und 4. des | Artikels 3. fallenden Erzeugnisse im Wege des Vertrages herbeizuführen. ^Bis 1 dahin, wo dieses Ziel erreicht worden, sollen hinsichtlich der vorbemerkten Steuern | und des Verkehrs mit den davon betroffenen Gegenständen unter den Vereins= | Staaten, zur Vermeidung der Nachtheile, welche aus einer Verschiedenartigkeit der I inneren Steuersysteme überhaupt, und namentlich aus der Ungleichheit der Steuer^ | sätze, sowohl für die Produzenten, als für die Steuereinnahme der einzelnen | Vereinsstaaten erwachsen könnten, folgende Grundsätze in Anwendung kommen. I. Hinsichtlich der ausländischen Erzeugnisse Von allen bei der Einfuhr mit mehr als 15 Gr. - 52 V2 Kr. - vom | Zentner belegten Erzeugnissen, von welchen entweder auf die in der Zollordnung | vorgeschriebene Weise dargethan wird, daß sie als ausländisches Ein= und Durch= | gangsgut die zollamtliche Behandlung bei einer Erhebungsbehörde des Vereins | bereits bestanden haben oder derselben noch unterliegen, darf keine weitere Ab= | gäbe irgend einer Art, sei es für Rechnung des Staates oder für Rechnung von | Kommunen und Korporationen, erhoben werden; jedoch was das Eingangs= | gut betrifft - mit Vorbehalt derjenigen inneren Steuern, welche in einem Ver= I einsstaate auf die weitere Verarbeitung oder auf anderweite Bereitungen aus | solchen Erzeugnissen, ohne Unterschied des ausländischen, inländischen oder ver= | einsländischen Ursprungs, allgemein gelegt sind. Unter diesen Steuern sind für jetzt die Steuern von der Fabrikation des | Branntweins, Biers und Essigs, ingleichen die Mahl== und Schlachtsteuer zu ver= | stehen, welchen daher das ausländische Getreide, Malz und Vieh im gleichen | Maaße, wie das inländische und vereinsländische, unterliegt. In denjenigen Staaten, in welchen die inneren Steuern von Getränken | so angelegt sind, daß sie bei der Einlage der letzteren erhoben oder den Steuer^ | Pflichtigen zur Last gestellt werden, findet der Grundsatz der Freilassung ver= | zollter ausländischer Erzeugnisse von inneren Abgaben in der Art Anwendung, | daß die erste Einlage verzollter ausländischer Getränke, d. h. diejenige, welche | dem direkten Bezüge aus dem Auslande oder dem Bezug aus öffentlichen | Niederlagen oder Privatlägem unmittelbar folgt, von jeder inneren Steuer be= I freit bleibt. [S. 87] Diese Bestimmung gilt auch da, wo die Erhebung einer inneren Getränke^ | Steuer für Rechnung von Kommunen oder Korporationen stattfindet. Ausländische Erzeugnisse, welche beim Eingange zollfrei, oder mit einer | Abgabe von nicht mehr als 15 Gr. - 52 V^ Kr. - belegt sind, unterliegen den | nachstehend unter Nr. II. getroffenen Bestimmungen.

[ 102] Zoll- und Handels Vereins vertrag vom 8. Juli 1867

1013

IL Hinsichtlich der inländischen und vereinsländischen Erzeugnisse. §. 1Von den innerhalb des Vereins erzeugten Gegenständen, welche nur durch | einen Vereinsstaat transitiren, um entweder in einen anderen Vereinsstaat oder | nach dem Auslande gefuhrt zu werden, dürfen innere Steuern weder für Rech= | nung des Staates, noch für Rechnung von Kommunen oder Korporationen er= | hoben werden. §•2. Jedem der vertragenden Theile bleibt es zwar freigestellt, die auf der | Hervorbringung, der Zubereitung oder dem Verbrauche von Erzeugnissen ruhenden | inneren Steuern beizubehalten, zu verändern oder aufzuheben, sowie neue Steuern | dieser Art einzufuhren, jedoch sollen dergleichen Abgaben fiir jetzt nur auf folgende | inländische und gleichnamige vereinsländische Erzeugnisse, als: Branntwein, Bier, | Essig, Malz, Wein, Most, Cider (Obstwein), Mehl und andere Mühlenfabrikate, | desgleichen Backwaaren, Fleisch, Fleischwaaren und Fett gelegt werden dürfen. Für Branntwein, Bier und Wein sollen die folgenden Sätze als das | höchste Maaß betrachtet werden, bis zu welchem in den Vereinsstaaten eine Be= | Steuerung der genannten Erzeugnisse fur Rechnung des Staates soll stattfinden | können, nämlich: a) für Branntwein 10 Rthlr. von der Ohm zu 120 Quart Preußisch und | bei einer Alkoholstärke von 50 Prozent nach Tralles; b) für Bier 1 Rthlr. 15 Sgr. von der Ohm zu 120 Quart Preußisch; c) für Wein, und zwar: aa) wenn die Abgabe nach dem Werthe des Weines erhoben wird, | 1 V2 Rhlr. vom Zollzentner (5 Rthlr. von der Ohm zu 120 Quart \ Preußisch); bb) wen die Abgabe ohne Rücksicht auf den Werth des Weines erhoben | wird, 25 Gr. vom Zollzentner (2 Rthlr. 23 V3 Gr. von der Ohm | zu 120 Quart Preußisch); cc) wenn die Abgabe nach einer Klassifikation der Weinberge erhoben | wird, ist die Beschränkung derselben auf ein Maximum nicht für | erforderlich erachtet worden. Auch für die anderen, einer inneren Steuer unterworfenen Erzeugnisse wer= | [S. 88] den, soweit nöthig, bestimmte Sätze festgesetzt werden, deren Betrag bei Abmessung | der Steuer nicht überschritten werden soll. §.3. ^Bei allen Abgaben, welche in dem Bereiche der Vereinsländer nach der | Bestimmung im §. 2. zur Erhebung kommen, wird eine gegenseitige Gleichmäßige | keit der Behandlung dergestalt stattfinden, daß das Erzeugniß eines anderen Ver= | einsstaates unter keinem Vorwande höher oder in einer lästigeren Weise, als das | inländische oder als das Erzeugniß der übrigen Vereinsstaaten, besteuert werden | darf ^In Gemäßheit dieses Grundsatzes wird Folgendes festgesetzt: a) Vereins Staaten, welche von einem inländischen Erzeugnisse keine innere | Steuer erheben, dürfen auch das gleiche vereinsländische Erzeugniß nicht | besteuern; b) wo innere Steuern nach dem Werthe der Waare erhoben werden, sind nicht nur die nämlichen Erhebungssätze auf das inländische, wie auf das | vereinsländische Erzeugnis gleichmäßig in Anwendung zu bringen, sondern | es darf auch bei Feststellung des zu besteuernden Werthes das inländische | Erzeugniß nicht vor dem vereinsländischen begünstigt werden; c) diejenigen Staaten, in welchen innere Steuern von einem Konsumtions== | gegenstände bei dem Kaufe oder Verkaufe oder bei der Verzehrung | desselben erhoben

1014

§ 4: Deutscher Zollverein

[Dok. 85-102]

werden, dürfen diese Steuern von den aus anderen | Vereins Staaten herrührenden Erzeugnissen der nämlichen Gattung nur in | gleicher Weise fordern; d) diejenigen Staaten, welche innere Steuern auf die Hervorbringung oder | Zubereitung eines Konsumtionsgegenstandes gelegt haben, können den | gesetzlichen Betrag derselben bei der Einfuhr des Gegenstandes aus an= | deren Vereinsstaaten voll erheben lassen; e) im Norddeutschen Bunde wird von dem in den übrigen Vereinsstaaten | erzeugten Wein und Traubenmost eine Uebergangsabgabe nicht erhoben | werden. Eine solche Abgabe wird auch von denjenigen Vereinsstaaten nicht | erhoben werden, welche etwa während der Dauer dieses Vertrages die | Hervorbringung von Wein einer inneren Steuer unterwerfen möchten; f) soweit zwischen mehreren Vereinsstaaten eine Vereinigung zu gleichen | Steuereinrichtungen besteht, werden diese Staaten in Ansehung der Be= | fugniß, die betreffenden Steuern gleichmäßig auch von vereinsländischen | Erzeugnissen zu erheben, als ein Ganzes betrachtet. §•4.

Diejenigen Staaten, welche eine innere Steuer auf den Kauf oder YQY= \ kauf, die Verzehrung, die Hervorbringung oder die Zubereitung eines Konsum^ | tionsgegenstandes gelegt haben, können, bei der Ausfuhr des Gegenstandes nach | [S. 89] anderen Vereinsstaaten, diese Steuer unerhoben lassen, beziehungsweise den gesetz= | liehen Betrag derselben ganz oder theilweise zurückerstatten. Wegen Ausübung dieser Befugniß ist Folgendes verabredet worden: a) Eine Zurückerstattung soll überhaupt nur insoweit stattfinden dürfen, als | in dem betreffenden Staate bei der Ausfuhr des nämlichen Erzeugnisses | nach dem Vereinsauslande eine Steuervergütung gewährt wird, und auch | nur höchstens bis zum Betrage der letzteren. b) Die betreffenden Vereinsregierungen werden ihr besonderes Augenmerk | darauf richten, daß in keinem Falle mehr, als der wirklich bezahlte | Steuerbetrag erstattet werde, und diese Vergütung nicht die Natur und | Wirkung einer Ausfuhrprämie erhalte. c) Die Entlastung von der Verbindlichkeit zur Steuerzahlung soll nicht eher | eintreten, beziehungsweise die Zurückerstattung der Steuer nicht eher ge= | leistet werden, als bis der Eingang der besteuerten Erzeugnisse in dem | angrenzenden Vereinsstaate, oder beziehungsweise in dem Lande des Be= | Stimmungsortes auf die unter den betreffenden Vereinsstaaten verabredete | Weise nachgewiesen worden sein wird. d) Die innere Steuer von dem zur Essigbereitung verwendeten Branntwein | wird nicht erlassen und, abgesehen von dem Fall der Ausfuhr des | Essigs nach dem Auslande, nicht erstattet werden. §.5. ^Welche, dem dermaligen Stande der Gesetzgebung in den Vereinsstaaten | entsprechende Beträge nach den Bestimmungen der §§. 3, und 4. zur Erhebung | kommen und beziehungsweise zurückerstattet werden können, ist besonders ver= | abredet worden. ^Treten späterhin irgendwo Veränderungen in den für die inneren | Erzeugnisse zur Zeit bestehenden Steuersätzen ein, so wird die betreffende Regierung | dem Bundesrathe des Zollvereins (Artikel 8.) davon Mittheilung machen, und | hiermit den Nachweis verbinden, daß die Steuerbeträge, welche, in Folge der | eingetretenen oder beabsichtigten Veränderung, von den vereinsländischen Erzeuge | nissen erhoben, und bei der Ausfuhr der besteuerten Gegenstände vergütet werden \ sollen, den vereinbarten Grundsätzen entsprechend bemessen seien.

[102] Zoll- und Handelsvereinsvertrag vom 8. Juli 1867

1015

Wo die Uebergangsabgabe von Bier nach dem Gewichte erhoben wird, | bleibt der Zollzentner Maaßstab der Erhebung. §.6. ^Die Erhebung der inneren Steuern von den damit betroffenen vereins= | ländischen Gegenständen soll in der Regel in dem Lande des Bestimmungsortes | stattfinden, insofern solche nicht, nach besonderen Vereinbarungen, entweder durch | gemeinschaftliche Hebestellen an den Binnengrenzen, oder im Lande der Versendung | für Rechnung des abgabeberechtigten Staates erfolgt. ^Auch sollen die zur Siche= | rung der Steuererhebung erforderlichen Anordnungen, soweit sie die bei der Ver= | [S. 90] sendung aus einem Vereinsstaate in den anderen einzuhaltenden Straßen und | Kontrolen betreffen, auf eine den Verkehr möglichst wenig beschränkende Weise | und nur nach gegenseitiger Verabredung, auch, dafem bei dem Transporte ein | dritter Vereinsstaat berührt wird, nur unter Zustimmung des letzteren getroffen | werden. Wo innere Steuern nach dem Werthe des Gegenstandes erhoben werden, | wird, in Absicht der aus anderen Vereinsstaaten übergehenden Erzeugnisse, auf | Kontroieinrichtungen Bedacht genommen werden, nach welchen die Ermittelung | des Werthes in der Regel erst im Bestimmungsorte, mit Vermeidung zeitrauben= | der und den Verkehr belästigender Untersuchungen an den Binnengrenzen oder | auf dem Wege zwischen dem Versendungs= und Bestimmungsorte, eintritt. §.7. Die Erhebung von Abgaben für Rechnung von Kommunen oder Korpo= | rationen, sei es durch Zuschläge zu den Staatssteuem oder für sich bestehend, soll | nur für Gegenstände, die zu örtlichen Konsumtion bestimmt sind, bewilligt werden | und es soll dabei der im §. 3. dieses Artikels ausgesprochene allgemeine Grund= | satz wegen gegenseitige Gleichmäßigkeit der Behandlung der Erzeugnisse anderer | Vereinsstaaten, ebenso wie bei den Staatssteuem in Anwendung kommen. Zu den zur örtlichen Konsumtion bestimmten Gegenständen, von welchen | hiemach die Erhebung einer Abgabe für Rechnung von Kommunen oder Korpo== | rationen allein soll stattfinden dürfen, sind allgemein zu rechnen: Bier, Essig, | Malz, Cider (Obstwein) und die der Mahl= und Schlachtsteuer unterliegenden | Erzeugnisse, femer Brennmaterialien, Marktviktualien und Fourage. Vom Weine soll die Erhebung einer Abgabe der vorgedachten Art auch | femer nur in denjenigen Theilen des Vereins zulässig sein, welche zu den eigent= | liehen Weinländem gehören. Soweit in einzelnen Orten der zum Zollvereine gehörigen Staaten die | Erhebung einer Abgabe von Branntwein für Rechnung von Kommunen oder | Korporationen gegenwärtig stattfindet, oder nach der bestehenden Gesetzgebung | nicht versagt werden kann, wird es dabei ausnahmsweise bewenden. *Es sollen aber die für Rechnung von Kommunen oder Korporationen zur | Erhebung kommenden Abgaben von Wein und Branntwein, in gleichen von Bier, | in Absicht ihres Betrages der Beschränkung unterliegen, daß solche beim Brannt?= | wein, mit der Staatssteuer zusammen, den im §. 2. dieses Artikels festgesetzten [ Maximalsatz von 10 Thalem für die Ohm, und beim Wein und Bier den Satz | von 20 Prozent der für die Staatssteuem ebendaselbst verabredeten Maximal= | sätze nicht überschreiten dürfen. ^Ausnahmen hiervon sollen nur insoweit zulässig | sein, als einzelne Kommunen oder Korporationen schon gegenwärtig eine höhere | Abgabe erheben, welchen Falls letztere fortbestehen kann, ^Sollten in einem oder dem anderen Orte auch noch von anderen, als | den vorstehend genanten Gegenständen, Abgaben erhoben werden, so soll die | Erhebung der letzteren zwar einstweilen fortbestehen können, die betreffenden | Regiemngen werden es sich jedoch an-

1016

§4: Deutscher Zollverein

[Dok. 85-102]

gelegen sein lassen, solche Abgaben bei der | ersten passenden Gelegenheit zu beseitigen. ^lieber den Erfolg der diesfälligen | [S. 91] Bemühungen wird dem Bundesrathe des Zollvereins von Zeit zu Zeit Mitthei= | lung gemacht werden. Abgaben für Rechnung von Kommunen oder Korparationen dürfen bei | dem Uebergange der besteuerten Gegenstände nach anderen Vereinsstaaten, gleich | den Staatssteuem, ganz oder theilweise zurückerstattet werden, soweit eine solche | Vergütung bei dem Uebergange der besteuerten Gegenstände nach anderen Orten | desselben Landes stattfindet.

Die Regierungen der Vereins Staaten werden dem Bundesrathe des Zoll= | Vereins: a) von allen in der Folge eintretenden Veränderungen ihrer Gesetze und | Verordnungen über die im §. 2. dieses Artikels bezeichneten Staatssteuem, b) hinsichtlich der Kommunal^ etc. Abgaben aber von den Veränderungen, | welche in Beziehung auf die Hebungsberechtigten, die Orte, die Gegen= | stände, den Betrag und die Art und Weise der Erhebung eintreten, vollständige Mittheilung machen. Artikel 6. Die Bestimmungen in den Artikeln 3. 4. und 5., sowie in den Artikeln | 10. bis 20. und 22 finden vorläufig keine Anwendung: 1) auf die nachfolgend genannten Staaten und Gebietstheile des Nord= | deutschen Bundes, und zwar: a) in Preußen: auf die Ortschaften Drenikow, Porep und Sukow, | die Kolonie und das Erbpachts=Vorwerk Groß=Menow, die Ritter= | guter und Dörfer Zettemin und Peenwerder, Duckow, Rottmanns= | hagen, Rützenfelde, Karlsmh und Pinnow, den Hafenort Geeste= | münde, das Fort Wilhelm in Bremerhaven, die Elbinseln Alten= | werder, Krusenbusch, Finkenwerder, Finkenwerderblumensand, Katt= | wieck, Hohenschaar, Overhacken, Neuhof und Wilhelmsburg, die I Voigtei Kirchwerder und die Dorfschafl Aumund: b) Auf die Großherzogthümer Mecklenburg=Schwerin und Mecklenburgs [ Strelitz, ersteres mit Ausnahme seiner von Preußen umschlossenen | Gebietstheile Rossow, Netzeband und Schönberg; c) in Oldenburg: auf den Hafenort Brake; d) auf das Herzogthum Lauenburg; e) auf die Hansestädte Lübeck, Bremen und Hamburg mit einem, dem | Zwecke entsprechenden Bezirke ihres oder des umliegenden Gebietes; 2) auf die nachfolgend genannten Gebietstheile Badens, und zwar: die Insel Reichenau, den Ort Büsingen, den Bittenharter Hof, die | Orte und Höfe Jestetten mit Flachshof, Gunzenrieder=Hof und | [S. 92] Reutehof, Lottstetten mit Balm, Dietenberg, Rack, Locherhof und | Volkenbach, Dettighofen mit Häuserhof, Altenburg, Baltersweil, | Berwangen und Albführenhof bei Weisweil. ^Sobald die Gründe aufgehört haben, welche die volle Anwendung des | gegenwärtigen Vertrages auf den einen oder anderen der unter Nr. 1. genannten | Staaten und Gebietstheile zur Zeit ausschließen, wird das Präsidium des Nord= | deutschen Bundes den Regierungen der übrigen vertragenden Theile Nachricht | geben. ^Der Bundesrath des Zollvereins beschließt alsdann über den Zeitpunkt, | an welchem die Bestimmungen der Artikel 3. bis 5. und 10. bis 20. in diesem | Staate oder Gebietstheile in Wirksamkeit treten. Artikel?. ^Die Gesetzgebung über die in dem Artikel 3. bezeichneten Angelegenheiten, | sowie über die in den Zollausschlüssen (Artikel 6.) zur Sicherung der gemein^ | schaftlichen Zoll-

[ 102] Zoll- und Handelsvereinsvertrag vom 8. Juli 1867

1017

grenze erforderlichen Maaßregeln, wird ausgeübt durch den Bun= | desrath des Zollvereins als gemeinschaftliches Organ der Regierungen und durch | das Zollparlament als gemeinschaftliche Vertretung der Bevölkerungen. ^Die | Uebereinstimmung der Mehrheitsbeschlüsse beider Versammlungen ist zu einem | Vereinsgesetze erforderlich und ausreichend; auf andere als die vorstehend bezeich== | neten Angelegenheiten erstreckt sich die Zuständigkeit derselben nicht. Die Verkündung der Vereinsgesetze in den Gebieten der vertragenden Theile | erfolgt in den daselbst geltenden Formen. Artikel 8. Ueber die Einrichtung und die Zuständigkeit des Bundesrathes des Zoll= | Vereins ist Folgendes verabredet: §.1. Der Bundesrath besteht aus den Vertretern der Mitglieder des Nord= | deutschen Bundes und der Süddeutschen Staaten. In dem Bundesrathe führen Preußen 17 Stimmen, Bayern 6 " Sachsen 4 " Württemberg 4 " Baden 3 " Hessen 3 " Mecklenburg^Schwerin 2 " Sachsen^Weimar Mecklenburg=Strelitz Oldenburg Braunschweig 2 Sachsen=Meiningen [S. 93 J Sachsen^Altenburg Stimme, Sachsen=Koburg=Gotha Anhalt Schwarzburg=Rudolstadt Schwarzburg=Sondershausen.. Waldeck Reuß ältere Linie Reuß jüngere Linie Schaumburg==Lippe Lippe Lübeck Bremen Hamburg zusammen 58 Stimmen. §•2. ^Jeder Vereinsstaat kann so viel Bevollmächtigte zum Bundesrathe emen= | nen, wie er Stimmen hat; doch kann die Gesammtheit der zuständigen Stimmen | nur einheitlich abgegeben werden. '^Nicht vertretene oder nicht instmirte Stimmen | werden nicht gezählt.

1018

§4: Deutscher Zollverein

[Dok. 85 - 102] §•3.

Der Bundesrath bildet aus seiner Mitte dauernde Ausschüsse: 1) für Zoll= und Steuerwesen, 2) für Handel und Verkehr, 3) für Rechnungswesen. ^In jedem dieser Ausschüsse werden außer dem Präsidium mindestens vier | Vereinsstaaten vertreten sein, und führt innerhalb derselben jeder Staat nur Eine | Stimme. '^Die Mitglieder der Ausschüsse werden von dem Bundesrathe gewählt. | ^Die Zusammensetzung dieser Ausschüsse ist für jede Session des Bundesrathes | resp. mit jedem Jahre zu erneuern, wobei die ausscheidenden Mitglieder wieder | wählbar sind. "^Den Ausschüssen werden die zu ihren Arbeiten nötigen Beamten | zur Verfügung gestellt. §•4. ^Jedes Mitglied des Bundesrathes hat das Recht, im Zollparlament zu | erscheinen, und muß daselbst auf Verlangen jederzeit gehört werden, um die An= | sichten seiner Regierung zu vertreten, auch dann, wenn dieselben von der Majorität | des Bundesrathes nicht adoptirt worden sind. ^Niemand kann gleichzeitig Mit= | glied des Bundesrathes und des Zollparlaments sein. §.5. Dem Präsidium liegt es ob, den Mitgliedern des Bundesrathes den | üblichen diplomatischen Schutz zu gewähren. [S. 94] §.6. Das Präsidium steht der Krone Preußen zu, welche in Ausübung desselben | berechtigt ist, im Namen der vertragenden Theile Handels^ und Schiffahrtsvertrage | mit fremden Staaten einzugehen. Zum Abschluß dieser Verträge, durch welche die Bestimmungen des gegen= | wärtigen Vertrages in keiner Art verletzt werden dürfen, ist die Zustimmung des | Bundesrathes und zu ihrer Gültigkeit die Genehmigung des Zollparlaments er= | forderlich. §•7. Dem Präsidium steht es zu, den Bundesrath zu berufen, zu eröffnen, zu | vertagen und zu schließen.

^Die Bemfting des Bundesrathes fmdet alljährlich statt. "^Das Zoll= | parlament kann nicht ohne den Bundesrath berufen werden. §•9. Die Berufung des Bundesrathes muß erfolgen, sobald sie von einem | Drittel der Stimmenzahl verlangt wird. §. 10. Der Vorsitz im Bundesrathe und die Leitung der Geschäfte steht dem | dazu designirten Vertreter Preußens zu. Derselbe kann sich in Leitung der Geschäfte durch jedes andere Mitglied | des Bundesrathes vermöge schriftlicher Substituion vertreten lassen.

[102] Zoll- und Handels Vereins vertrag vom 8. Juli 1867

1019

§.11. Das Präsidium hat die erforderlichen Vorlagen nach Maaßgabe der Be= | Schlüsse des Bundesrathes an das Zollparlament zu bringen, wo sie durch Mit= | glieder des Bundesrathes oder durch besondere, von letzterem zu ernennende | Kommissarien vertreten werden. §.12. Der Beschlußnahme des Bundesrathes unterliegen: 1) die dem Zollparlament vorzulegenden oder von demselben angenommenen, | unter die Bestimmung des Artikels 7. fallenden gesetzlichen Anordnungen, | einschließlich der Handels= und Schiffahrtsverträge; 2) die zur Ausführung der gemeinschaftlichen Gesetzgebung (Artikel 7.) die= | nenden Verwaltungs=Vorschriften und Einrichtungen; 3) Mängel, welche bei der Ausführung der gemeinschaftlichen Gesetzgebung | (Artikel 7.) hervortreten; [S. 95] 4) die von dem Ausschuß für Rechnungswesen vorgelegte schließliche Fest= | Stellung des Ertrages der Zölle und der im Artikel 3. §§. 3. und 4. bezeichneten Steuern. ^ Jeder über die Gegenstände zu 1. bis 3. von einem der Vereinsstaaten | oder über die Gegenstände zu 3. von einem kontrolirenden Beamten (Artikel 20.) | gestellte Antrag unterliegt der gemeinschaftlichen Beschlußnahme. "^Im Falle der | Meinungsverschiedenheit giebt die Stimme des Präsidiums bei den zu 1. und 2. | bezeichneten alsdann den Ausschlag, wenn sie sich für Aufrechthaltung der beste= | henden Vorschrift oder Einrichtung ausspricht; in allen übrigen Fällen entscheidet | die Mehrheit der Stimmen, bei Stimmengleichheit die Stimme des Präsidiums. Artikel 9. Ueber die Einrichtung und die Zuständigkeit des Zollparlaments ist Fol= | gendes verabredet: §.1. Das Zollparlament besteht aus den Mitgliedern des Reichstages des | Norddeutschen Bundes und aus Abgeordneten aus den Süddeutschen Staaten, | welche durch allgemeine und direkte Wahl mit geheimer Abstimmung nach Maaß= | gäbe des Gesetzes gewählt werden, auf Grund dessen die Wahlen zum ersten | Reichstage des Norddeutschen Bundes stattgefunden haben. Es bleibt der Gesetzgebung der Süddeutschen Staaten vorbehalten, über die | Staatsangehörigkeit Bestimmung zu treffen, durch welche die Wählbarkeit | zum Abgeordneten für das Zollparlament bedingt ist. §.2. Beamte bedürfen keines Urlaubs zum Eintritt in das Zollparlament. Wenn ein Mitglied des Zollparlaments in einem Vereinsstaate ein besol= | detes Staatsamt annimmt oder im Staatsdienste in ein Amt eintritt, mit | welchem ein höherer Rang oder ein höheres Gehalt verbunden ist, so verliert es | Sitz und Stimme in dem Zollparlament und kann seine Stelle in demselben nur | durch neue Wahl wieder erlangen. §.3. Die Verhandlungen des Zollparlaments sind öffentlich. Wahrheitsgetreue Berichte über Verhandlungen in den öffentlichen Sitzungen | des Zollparlaments bleiben von jeder Verantwortlichkeit frei.

1020

§ 4: Deutscher Zollverein

[Dok. 85-102]

§.4. Innerhalb des Kreises der im Artikel 7. bezeichneten Angelegenheiten hat | das Zollparlament das Recht, Gesetze vorzuschlagen und an dasselbe gerichtete | Petitionen dem Bundesrathe des Zollvereins resp. dessen Vorsitzendem zu überweisen. [S. 96] §.5. Die Berufung, Eröffnung, Vertagung und Schließung des Zollparlaments | erfolgt durch das Präsidium. Die Berufung findet nicht in regelmäßig wiederkehrenden Zeitabschnitten, | sondern dann statt, wenn das legislative Bedürfniß den Zusammentritt erforderlich | macht, oder ein Drittheil der Stimmen im Bundesrathe denselben verlangt. §.6. ^Die Abgeordneten aus den Süddeutschen Staaten werden auf drei Jahre | gewählt. ^Nach Ablauf dieses Zeitraums finden neue Wahlen statt. ^Die ersten | Wahlen erfolgen, sobald der gegenwärtige Vertrag in Wirksamkeit getreten ist. §.7. ^Zur Auflösung des Zollparlaments ist ein Beschluß des Bundesrathes des | Zollvereins unter Zustimmung des Präsidiums erforderlich. "^Im Falle der Auf= | lösung müssen innerhalb eines Zeitraums von 60 Tagen nach derselben die | Wähler und innerhalb eines Zeitraums von 90 Tagen nach der Auflösung das | Zollparlament versammelt werden. Die Auflösung des Norddeutschen Reichstages macht neue Wahlen in den | Süddeutschen Staaten nicht erforderlich.

Ohne Zustimmung des Zollparlaments darf die Vertagung desselben die | Frist von 30 Tagen nicht übersteigen und während derselben Session nicht wieder== | holt werden. §•9.

^Das Zollparlament prüft die Legitimation seiner Mitglieder und entscheidet | darüber insoweit, als nicht bereits vor seinem Zusammentritt über die Legitimation | seiner, dem Norddeutschen Reichstage angehörenden Mitglieder entschieden ist. | •^Es regelt selbständig seinen Geschäftsgang und seine Disziplin durch eine Ge= | Schäftsordnung und erwählt selbstständig seinen Präsidenten, seine Vizepräsidenten | und Schriftführer. §.10. ^Das Zollparlament beschließt nach absoluter Stimmenmehrheit. ^Zur | Gültigkeit der Beschlußfassung ist die Anwesenheit der Mehrheit der gesetzlichen | Anzahl der Mitglieder erforderlich. §.11.

Die Mitglieder des Zollparlaments sind Vertreter des gesammten Volkes 1 und an Aufträge und Instruktionen nicht gebunden. [S. 97] §. 12. Kein Mitglied des Zollparlaments darf zu irgend einer Zeit wegen seiner | Abstimmung oder wegen der in Ausübung seines Berufs gethanen Aeußerungen | gerichtlich oder disziplinarisch verfolgt oder sonst außerhalb der Versammlung | zur Verantwortung gezogen werden.

[ 102] Zoll- und Handels Vereins vertrag vom 8. Juli 1867

1021

§.13. Ohne Genehmigung des Zollparlaments kann kein Mitglied desselben | während der Sitzungsperiode wegen einer mit Strafe bedrohten Handlung zur | Untersuchung gezogen oder verhaftet werden, außer wenn es bei Ausübung der | That oder im Laufe des nächstfolgenden Tages ergriffen wird. Gleiche Genehmigung ist bei einer Verhaftung wegen Schulden erforderlich. Auf Verlangen des Zollparlaments wird jedes Strafverfahren gegen ein | Mitglied desselben und jede Untersuchungs= oder Civilhaft fur die Dauer der | Sitzungsperiode aufgehoben. §.14. Die Mitglieder des Zollparlaments dürfen als solche keine Besoldung oder | Entschädigung beziehen. Artikel 10. ^Der Ertrag der Eingangs^ und Ausgangsabgaben, der Salzsteuer und | Rübenzuckersteuer in den, der gemeinschaftlichen Gesetzgebung (Artikel 3.) unter= | worfenen Gebieten der vertragenden Theile, einschließlich der im Artikel 2. er= | wähnten Staaten oder Gebietstheile, ist gemeinschaftlich. "^Diese Gemeinschaft | erstreckt sich auf den Ertrag der Tabacksteuer, sobald die Bestimmung im §. 4. | des Artikels 3. zur Ausführung gelangt sein wird. Von der Gemeinschaft sind ausgeschlossen und bleiben, sofern nicht Separa1?= | vertrage zwischen einzelnen Vereinsstaaten ein Anderes bestimmen, dem privativen | Genüsse der betreffenden Staatsregierungen vorbehalten: 1) die Steuern, welche im Innern eines jeden Staates von inländischen | Erzeugnissen erhoben werden, einschließlich der nach Artikel 5. von den | vereinsländischen Erzeugnissen der nämlichen Gattung zur Erhebung kom= | menden Uebergangsabgaben; 2) die Wasserzölle; 3) Chausseeabgaben, Pflaster^, Damm=, Brücken^, Kanal=, Schleusen^, | Hafengelder, sowie Waage= und Niederlagegebühren oder gleichartige | Erhebungen, wie sie auch sonst genannt werden mögen; 4) die Zoll= und Steuerstrafen und Konfiskate, welche, vorbehaltlich der | Antheile der Denunzianten, jeder Staatsregierung in ihrem Gebiet ver= | bleiben. [S. 98] Artikeln. Der Ertrag der in die Gemeinschaft fallenden Abgaben wird zwischen den | vertragenden Theilen, einschließlich der im Artikel 2. erwähnten Staaten oder | Gebietstheile, nach dem Verhältniß der Bevölkerung ihrer, der gemeinschaftlichen | Gesetzgebung (Artikel 3.) unterworfenen Gebiete vertheilt. Dieser Ertrag besteht aus der gesammten Einnahme von den Abgaben, | nach Abzug 1) der auf Gesetzen oder allgemeinen Verwaltungsvorschriften beruhenden | Steuer=Vergütungen und Ermäßigungen, 2) der Rückerstattungen für unrichtige Erhebung, 3) der Erhebungs= und Verwaltungskosten, und zwar: a) bei den Eingangs= und Ausgangsabgaben der Kosten, welche an | den gegen das Ausland gelegenen Grenzen und in dem Grenz= | bezirke für den Schutz und die Erhebung der Zölle erforderlich sind | (Artikel 30. der Verträge vom 22. und 30. März und 11. Mai 1 1833., sowie vom 12. Mai 1835.% Artikel 18. ^ Dok. 85, Dok. 86 und Dok. 87.

1022

§ 4: Deutscher Zollverein

[Dok. 85-102]

der Verträge vom | 10. Dezember 1835. und 2. Januar 1836.% Artikel 29. des Ver= I träges vom 19. Oktober 1841.'', Artikel 30. der Verträge vom | 4. April 1853. und 16. Mai 1865.*^ und Artikel 16. des Vertrages | vom heutigen Tage), b) bei der Salzsteuer der Kosten, welche zur Besoldung der mit Erhebung und Kontrolimng dieser Steuer auf den Salzwerken beauf= | tragten Beamten aufgewendet werden (Artikel 3. der Uebereinkunft | vom 8. Mai 1867.), c) bei der Rübenzuckersteuer der Vergütung, welche nach den jeweiligen | Verabredungen den einzelnen Vereinsregierungen für die Kosten | der Verwaltung dieser Steuer zu gewähren ist (Artikel 2. der | Uebereinkunft vom 16. Mai 1865.). Der Stand der Bevölkerung in den Gebieten der vertragenden Theile | wird alle drei Jahre ausgemittelt und die Nachweisung derselben dem Bundes= | rathe vorgelegt. Artikel 12. ^Die dem Münzvertrage vom 24. Januar 1857. entsprechenden Silber= | münzen der Vereinsstaaten - mit Ausnahme der Scheidemünze - werden nach | der auf diesem Vertrage beruhenden Gleichwerthung von vier Thalem gegen | sieben Gulden bei allen Zollhebestellen es Vereins angenommen. "^Hinsichtlich | der Annahme der Goldmünzen bei diesen Hebestellen bewendet es bei den die | Annahme dieser Münzen im Allgemeinen betreffenden Bestimmungen des Münz= | Vertrages. [S. 99] Artikel 13. ^Vergünstigungen für Gewerbetreibende hinsichtlich der Zollentrichtung, welche | nicht in der Zollgesetzgebung selbst begründet sind, fallen der Staatskasse der= | jenigen Regierung, welche sie bewilligt hat, zur Last. ^Hinsichtlich der Maaß= | gaben, unter welchen solche Vergünstigungen zu bewilligen sind, bewendet es bei | den darüber bestehenden Verabredungen. Zollbegünstigungen für Maschinen und Maschinentheile sollen auch auf | privative Rechnung nicht gewährt werden. Artikel 14. Dem auf Förderung freier und natürlicher Bewegung des allgemeinen | Verkehrs gerichteten Zwecke des Zollvereins gemäß sollen besondere Zollbegün= | stigungen einzelner Meßplätze, namentlich Rabattprivilegien, da wo sie dermalen | in den Vereinsstaaten noch bestehen, nicht erweitert, sondern vielmehr, unter | geeigneter Berücksichtigung sowohl der Nahrungsverhältnisse bisher begünstigter | Meßplätze, als der bisherigen Handelsbeziehungen mit dem Auslande, thunlichst | beschränkt und ihrer baldigen gänzlichen Aufhebung entgegengeführt, neue aber | ohne allseitige Zustimmung auf keinen Fall ertheilt werden. Artikel 15. Von der tarifmäßigen Abgabenentrichtung bleiben die Gegenstände, welche | für die Hofhaltung der hohen Souveraine und ihrer Regentenhäuser, oder für | die bei ihren Höfen akkreditirten Botschafter, Gesandten, Geschäftsträger u. s. w. | eingehen, nicht ausgenommen, und wenn dafür Rückvergütungen statthaben, so | werden solche der Gemeinschaft nicht in Rechnung gebracht. Eben so wenig anrechnungsfähig sind Entschädigungen, welche in einem | oder dem anderen Staate den vormals unmittelbaren Reichs ständen, oder an | Kommunen oder einzelne ^ Dok. 89 und Dok. 90. ^ Dok. 93. •^ Dok. 99 und Dok. 101.

[102] Zoll- und Handelsvereinsvertrag vom 8. Juli 1867

1023

Privatberechtigte für eingezogene Zollrechte oder für | aufgehobene Befreiungen gezahlt werden müssen. ^Dagegen bleibt es einem jeden Staate unbenommen, einzelne Gegenstände | auf Freipässe ohne Abgabenentrichtung ein= oder ausgehen zu lassen. "^Dergleichen | Gegenstände werden jedoch zollgesetzlich behandelt, und in Freiregistem, mit denen | es wie mit den übrigen Zollregistem zu halten ist, notirt, und die Abgaben, | welche davon zu erheben gewesen wären, kommen bei der demnächstigen Reve= | nuenausgleichung demjenigen Staate, von welchem die Freipässe ausgegangen sind, | in Abrechnung. Artikel 16. In Absicht der Erhebungs== und Verwaltungskosten für die Eingangs= und | Ausgangsabgaben kommen folgende Grundsätze zur Anwendung: 1) Man wird, so weit nicht ausnahmsweise etwas Anderes verabredet ist, | keine Gemeinschaft dabei eintreten lassen, vielmehr übernimmt jede Regie= | rung alle in ihrem Gebiete vorkommenden Erhebungs= und Verwaltungs= | fS. 100] kosten, es mögen diese auch die Einrichtung und Unterhaltung der | Haupt= und Neben^Zollämter, der inneren Steuerämter, Hallämter und | Packhöfe, und der Zolldirektionen, oder durch den Unterhalt des dabei | angestellten Personals und durch die dem letzteren zu bewilligenden Pen= | sionen, oder endlich aus irgend einem anderen Bedürfnisse der Zoll= | Verwaltung entstehen. 2) Hinsichtlich desjenigen Theils des Bedarfs aber, welcher an den gegen | das Ausland gelegenen Grenzen und innerhalb des dazu gehörigen | Grenzbezirks für die Zoll=Erhebungs= und Aufsichts= oder Kontrol= | Behörden und Zollschutzwachen erforderlich ist, wird man sich über | Pauschsummen vereinigen, welche von der jährlich aufkommenden und | der Gemeinschaft zu berechnenden B.mtto=Einnahme an ZoUgefällen | nach der im Artikel 11. getroffenen Vereinbarung in Abzug gebracht I werden. 3) Bei dieser Ausmittelung des Bedarfs soll da, wo die Perzeption priva= | tiver Abgaben mit der Zollerhebung verbunden ist, von den Gehältern | und Amtsbedürfnissen der Zollbeamten nur derjenige Theil in Anrech= | nung kommen, welcher dem Verhältnisse ihrer Geschäfte für den Zoll= | dienst zu ihren Amtsgeschäften überhaupt entspricht. 4) Man wird auch femer darauf bedacht sein, durch Feststellung allgemeiner | Normen die Besoldungsverhältnisse der Beamten bei den Zoll=Erhebungs= | und Aufsichtsbehörden, ingleichen bei den Zolldirektionen in möglichste | Uebereinstimmung zu bringen. Die Vereinsstaaten machen sich verbindlich, für die Diensttreue der bei | der Zollverwaltung von ihnen angestellten Beamten und Diener und für die | Sicherheit der Kassenlokale und Geldtransporte in der Art zu haften, daß Aus= | fälle, welche an den Zolleinnahmen durch Dienstuntreue eines Angestellten erfolgen, | oder aus der Entwendung bereits eingezahlter Gelder entstehen, von derjenigen | Regierung, welche den Beamten angestellt hat, oder welche die entwendeten Be= | stände erhoben hatte, ganz allein zu vertreten sind und bei der Revenüentheilung | dem betreffenden Staate zur Last fallen. In Betracht, daß die Kosten für die inneren Steuerämter oder Hallämter | oder Packhöfe einem jeden Vereinsstaate zur Last fallen, bleibt es jedem derselben | überlassen, solche Aemter innerhalb seines Gebietes in beliebiger Zahl zu errichten, | so daß in Beziehung auf deren Kompetenz und Personalbestellung keine anderen | als diejenigen Beschränkungen eintreten, welche aus der Vereins^Zollordnung und | den bestehenden Instruktionen und Verabredungen hervorgehen. Der gesammte amtliche Schriftwechsel in den gemeinschaftlichen Zoll= | angelegenheiten zwischen den Behörden und Beamten der Vereinsstaaten im | ganzen Umfange des

1024

§ 4: Deutscher Zollverein

[Dok. 85 - 102]

Zollvereins soll auf den Briefe und Fahrposten portofrei | befördert werden, und es ist zur Begründung dieser Portofreiheit die Korrespon= | denz der gedachten Art mit der äußeren Bezeichnung „Zollvereinssache" zu | versehen. [S. 101] Artikel 17. ^Die von den Erhebungsbehörden nach Ablauf eines jeden Vierteljahres | aufzustellenden Quartal=Extrakte und die nach dem Jahres= und Bücherschlusse | aufzustellenden Finalabschlüsse über die im Laufe des Vierteljahres, beziehungs= | weise während des Rechnungsjahres fällig gewordenen Einnahmen an den ge= | meinschaftlichen Abgaben werden von den Direktivbehörden nach vorangegangener | Prüfung in Hauptübersichten zusammengetragen, in welchen jede Abgabe geson= | dert nachzuweisen ist, und es werden die Uebersichten an den Ausschuß des | Bundesrathes für das Rechnungswesen (Artikel 8. §.3.) eingesendet. ^Außerdem | erhält derselbe je bis zum letzten März für die am letzten Dezember des Vor= | Jahres abgelaufenen vier Monate und bis zum 10. November für die am letzten | August abgelaufenen acht Monate eine Hauptübersicht der konstatirten Einnahme I an Rübenzuckersteuer und der in Anrechnung zu bringenden Kosten für die Ver= | waltung dieser Steuer. ^Der Ausschuß fertigt auf den Grund dieser Uebersichten, und zwar für | die Zölle und die Salzsteuer von drei zu drei Monaten, für die Rübenzucker^ | Steuer im April und November jeden Jahres, die provisorische Abrechnung zwischen | den vertragenden Theilen, übersendet dieselbe den Central=Finanzstellen der letz== | teren und trifft zugleich Einleitung, um die etwaige Mindereinnahme des einen | oder anderen vertragenden Theils gegen den ihm verhältnißmäßig an der Ge= | sammteinnahme zuständigen Revenüenantheil durch Herauszahlung von Seiten | des oder derjenigen Theile, bei denen eine Mehreinnahme stattgefunden hat, aus= | zugleichen. "^Herauszahlungen, welche auf Grund der Abrechnung über die Rüben= | zuckersteuer für die vier Monate vom 1. September bis letzten Dezember | zu leisten sind, werden am 1. September des folgenden Jahres fällig. Damit diejenigen der vertragenden Theile, welche in den Fall kommen, | Herauszahlungen zur Ausgleichung ihrer Mindereinnahmen von den Kassen ande= | rer Regierungen zu empfangen, jedes Mal sobald wie möglich zu ihrem Guthaben | gelangen, wird von dem Ausschuß gleichzeitig mit jeder vierteljährlichen Abrech= | nung ein Vertheilungsplan entworfen, worin die Geldbeträge, welche einzelne der | vertragenden Theile zu dem angegebenen Zwecke aus den Kassen eines anderen | zu empfangen haben, in runden Summen ausgeworfen und die Kassen, von | denen die Zahlung zu leisten ist, bezeichnet werden. ^Nach diesem Vertheilungsplane, welcher zugleich mit der jedesmaligen Ab= | rechnung an die Central=Finanzstellen gelangt, wird verfahren und das Erfor= | derliche zu dessen Ausführung veranlaßt, insofern nicht etwa gegen denselben er= | hebliche Anstände obwalten, in welchem Falle diese dem Bundesrathe unverzüglich | mitzutheilen sind. ^Wegen Forderungen, welche mit der Zollabrechnung nicht in | Verbindung stehen, werden die herauszuzahlenden Beträge nicht zurückgehalten | werden. Bei der Uebersendung des erwähnten Vertheilungsplans wird der Aus= | schuß angeben, inwiefern bei dessen Entwerfiang nach den bereits zum Voraus [ veräußerten Wünschen der vertragenden Theile verfahren worden ist, und somit | deren ausdrückliche Billigung der desfallsigen Vorschläge mit Bestimmtheit an= | genommen werden kann. [S. 102] Die definitiven Jahresabrechnungen legt der Ausschuß mit seinen Bemer= | kungen dem Bundesrathe zur Beschlußnahme vor.

[ 102] Zoll- und Handelsvereinsvertrag vom 8. Juli 1867

1025

Artikel 18. ^Das Begnadigungs= und Strafverwandlungsrecht bleibt jedem Vereins^ | Staate in seinem Gebiete vorbehalten. ^Auf Verlangen werden periodische Ueber= | sichten der erfolgten Straferlasse dem Bundesrathe des Zollvereins mitgetheilt | werden. Artikel 19. Die Erhebung und Verwaltung der gemeinschaftlichen Abgaben (Artikel 10.) | bleibt jedem Vereinsstaate, soweit derselbe sie bisher ausgeübt hat, innerhalb sei= | nes Gebietes überlassen. Es werden daher in jedem dieser Staaten bei den Lokal= und Bezirks=stellen für die Erhebung und Aufsicht, welche nach der hierüber getroffenen be= | sonderen Uebereinkunft nach gleichförmigen Bestimmungen angeordnet, besetzt und | instruirt werden sollen, die Beamten und Diener auch femer von der Landes= | regierung ernannt. ^In jedem dieser Vereinsstaaten, mit Ausnahme des Thüringischen Vereins^ | gebietes, wird die Leitung des Dienstes der Lokal= und Bezirksbehörden, sowie | die Vollziehung der gemeinschaftlichen Zollgesetze überhaupt, einer, oder, wo sich | das Bedürfniß hierzu zeigt, mehreren Zolldirektionen übertragen, welche dem ein= | schlägigen Ministerium des betreffenden Staates untergeordnet sind. '^Die Bil= | dung der Zolldirektionen und die Einrichtung ihres Geschäftsganges bleibt den | einzelnen Staatsregierungen überlassen; der Wirkungskreis derselben aber kann | insoweit er nicht schon durch gegenwärtigen Vertrag und die gemeinschaftlichen | Zollgesetze bestimmt ist, durch eine vom Bundesrathe des Zollvereins festzustel= | lende Instruktion bezeichnet werden. In dem Thüringischen Vereinsgebiete vertritt der gemeinschaftliche General^ | Inspektor in den Berührungen mit dem Bundesrathe und mit den Zollbehörden | der anderen Vereinsstaaten die Stelle einer Zolldirektion. Artikel 20. Für Einhaltung des gesetzlichen Verfahrens bei der Erhebung und Ver= | waltung der gemeinschaftlichen Abgaben hat das Präsidium Sorge zu tragen. Es ordnet zu diesem Zwecke, nach Vernehmung des Ausschusses des | Bundesrathes für Zoll= und Steuerwesen (Artikel 8. §.3.), den Haupt=Zoll= | ämtem sowohl an den Grenzen als im Innern (Haupt=Steuerämtem mit Nieder^ | lagen), und den Direktivbehörden Vereinsbeamte bei. ^Die den Hauptämtern beigeordneten Kontroleure haben von allen GQ= \ Schäften derselben und der Nebenämter in Beziehung auf die Grenzbewachung | und das Verfahren bei der Zoll= und Steuererhebung Kenntniß zu nehmen und | auf Einhaltung eines gesetzlichen Verfahrens, ingleichen auf die Abstellung etwaiger | Mängel einzuwirken, übrigens sich jeder eigenen Verfügung zu enthalten. '^Ihre | dienstliche Stellung und ihre Befugnisse werden durch eine Instruktion geregelt. [S. 103] Die den Direktivbehörden beigeordneten Bevollmächtigten haben sich von | allen vorkommenden Verwaltungsgeschäften, welche sich auf die durch den gegen= | wärtigen Vertrag eingegangene Gemeinschaft beziehen, vollständige Kenntniß zu | verschaffen. Ihr Geschäftsverhältniß ist durch eine besondere Instruktion näher bestimmt, | als deren Grundlage die unbeschränkte Offenheit von Seiten der Verwaltung, | bei welcher die Bevollmächtigten fungiren, in Bezug auf alle Gegenstände der | gemeinschaftlichen Verwaltung, und die Erleichterung jedes Mittels, durch welches | sie sich die Information hierüber verschaffen können, angenommen ist, während | andererseits ihre Sorgfalt nicht minder aufrichtig dahin gerichtet sein soll, ein= | tretende Anstände und Meinungsverschiedenheiten auf eine dem gemeinsamen Zwecke | und dem Verhältnisse verbündeter Staaten entsprechende Weise zu erledigen.

1026

§ 4: Deutscher Zollverein

[Dok. 85 - 102]

Die Ministerien oder obersten Verwaltungsstellen der Vereinsstaaten wer= | den überdies dem Bundesrathe auf Verlangen jede gewünschte Auskunft über die | gemeinschaftlichen Angelegenheiten mittheilen. Die Gehälter und alle übrigen Kosten der Vereins=Kontroleure und Bevoll= | mächtigten trägt der Verein. Artikel 21. Die vertragenden Theile werden Erfindungspatente und Privilegien nur | unter Beachtung der in der Uebereinkunft vom 21. September 1842. festgestellten | Grundsätze ertheilen. ^Sollte einer von ihnen während der Dauer des gegenwärtigen Vertrages | von dieser Verpflichtung zurücktreten wollen, so wird er seinen Rücktritt den übrigen | vertragenden Theilen drei Monate vor der Ausführung erklären. ^Dieser Rück= | tritt darf sich jedoch weder auf die Bestimmung unter Nr. III der gedachten | Uebereinkunft, noch auf die Verpflichtung erstrecken, die Angehörigen der übrigen | vertragenden Theile sowohl in Betreff der Verleihung von Patenten, als auch | hinsichtlich des Schutzes für die durch die Patentertheilung begründeten Befug= | nisse den eigenen Angehörigen gleich zu behandeln. Artikel 22. Chausseegelder oder andere statt derselben bestehende Abgaben, ebenso | Pflaster^, Damm=, Brücken^ und Fährgelder, oder unter welchem anderen Namen | dergleichen Abgaben bestehen, ohne Unterschied, ob die Erhebung fur Rechnung | des Staates oder eines Privatberechtigten, namentlich einer Kommune geschieht, | sollen sowohl auf Chausseen, als auch auf unchaussirten Land= und Heerstraßen, | welche die unmittelbare Verbindung zwischen den an einander grenzenden Vereins= | Staaten bilden und auf denen ein größerer Handels^ und Reiseverkehr stattfindet, nur | in dem Betrage beibehalten oder neu eingeführt werden können, als sie den ge= | wohnlichen Herstellungs= und Unterhaltungskosten angemessen sind. Das in dem Preußischen Chausseegeld=Tarife vom Jahre 1828. bestimmte | Chausseegeld soll als der höchste Satz angesehen, und hinfuhro in den Gebieten | keines der vertragenden Theile überschritten werden, mit alleiniger Ausnahme | des Chausseegeldes auf solchen Chausseen, welche von Korporationen oder Privat= | [S. 104] personen oder auf Aktien angelegt sind oder angelegt werden möchten, insofern | dieselben nur Nebenstraßen sind oder blos lokale Verbindungen einzelner Ort= | schaffen oder Gegenden mit größeren Städten oder mit den eigentlichen Haupt= | handelsstraßen bezwecken. An Stelle der vorstehend in Beziehung auf die Höhe der Chausseegelder | eingegangenen Verbindlichkeiten tritt für Oldenburg die Verpflichtung, die dermaligen | Chauseegeldsätze nicht zu erhöhen. Besondere Erhebungen von Thorsperr= und Pflastergeldem sollen auf | chaussirten Straßen da, wo sie noch bestehen, dem vorstehenden Grundsatze gemäß | aufgehoben und die Ortspflaster den Chausseestrecken dergestalt eingerechnet wer= | den, daß davon nur die Chausseegelder nach dem allgemeinen Tarife zur Erhebung | kommen. Artikel 23. Die Wasserzölle oder auch Wegegeldgebühren auf Flüssen, mit Einschluß | derjenigen, welche das Schiffsgefäß treffen (Rekognitionsgebühren), sind von der [ Schiffahrt auf solchen Flüssen, auf welche die Bestimmungen des Wiener Kon= | gresses oder besondere Staatsverträge Anwendung finden, femer gegenseitig nach | jenen Bestimmungen zu entrichten, insofern hierüber nichts Besonderes verab= | redet worden ist, oder verabredet werden wird.

[102] Zoll- und Handelsvereinsvertrag vom 8. Juli 1867

1027

^Auf den übrigen Flüssen, bei welchen weder die Wiener Kongreßakte noch | andere Staatsverträge Anwendung finden, werden die Wasserzölle oder Wasser= | Wegegelder nach den privativen Anordnungen der betreffenden Regierungen | erhoben. "^Diese Abgaben sollen jedoch den Betrag von V4 Gr. vom Zollzentner oder 1 Kr. vom Bayerischen Zentner für die Meile nicht übersteigen. Auf allen diesen Flüssen wird jeder Vereinsstaat die Angehörigen der | anderen Vereinsstaaten, deren Waaren und Schiffsgefäße in jeder Beziehung, | insbesondere auch hinsichtlich der Binnenschiffahrt, gleich seinen eigenen behandeln. Artikel 24. *In den Gebieten der vertragenden Theile sollen Stapel^ und Umschlags^ | rechte auch femer nicht zulässig sein. ^Niemand soll zur Anhaltung, Verladung | oder Lagerung gezwungen werden können, als in den Fällen, in welchen die | gemeinschaftliche Zollordnung oder die betreffenden Schiffahrts=Reglements es \ zulassen oder vorschreiben. Artikel 25. ^Kanal=, Schleusen^, Brücken^, Fähr=, Hafen=, Waage=, Krahnen= und | Niederlagegebühren und Leistungen für Anstalten, die zur Erleichterung des | Verkehrs bestimmt sind, sollen nur bei Benutzung wirklich bestehender Einrichtungen | erhoben werden und, mit Ausnahme der Abgaben für die Befahrung der nicht | im Staatseigenthum befindlichen künstlichen Wasserstraßen, die zur Unterhaltung | und gewöhnlichen Herstellung erforderlichen Kosten nicht übersteigen. ^Alle diese | Abgaben sollen von den Angehörigen aller Vereinsstaaten auf völlig gleiche Weise, | wie von den eigenen Angehörigen, ingleichen ohne Rücksicht auf die Bestimmung | der Waaren erhoben werden. [S. 105] Findet der Gebrauch einer Waageeinrichtung nur zum Behufe der Zoll= | ermittlung oder überhaupt einer zollamtlichen Kontrole statt, so tritt eine Gebühren^ | erhebung nicht ein. Artikel 26. Die vertragenden Theile werden gemeinschaftlich dahin wirken, daß durch | Annahme gleichförmiger Grundsätze die Gewerbsamkeit befördert, und der Befugniß | der Angehörigen des einen Staates, in dem anderen Arbeit und Erwerb zu suchen, | möglichst freier Spielraum gegeben werde. Von den Angehörigen eines Vereinsstaates, welche in dem Gebiete eines | anderen Handel und Gewerbe treiben, oder Arbeit suchen, soll keine Abgabe | entrichtet werden, welcher nicht gleichmäßig die in demselben Gewerbsverhältnisse | stehenden eigenen Angehörigen unterworfen sind. Desgleichen sollen Kaufleute, Fabrikanten und andere Gewerbetreibende, | welche sich darüber ausweisen, daß sie in dem Vereinsstaate, wo sie ihren Wohnsitz | haben, die gesetzlichen Abgaben für das von ihnen betriebene Geschäft entrichten, | wenn sie persönlich oder durch in ihren Diensten stehende Reisende Ankäufe machen, | oder Bestellungen, nur unter Mitführung von Mustern, suchen, in den anderen | Staaten keine weitere Abgabe hierfür zu entrichten verpflichtet sein. Auch sollen beim Besuche der Märkte und Messen zur Ausübung des | Handels und zum Absätze eigener Erzeugnisse oder Fabrikate in jedem Vereins^ | Staate die Angehörigen der anderen Vereinsstaaten ebenso wie die eigenen An= | gehörigen behandelt werden.

1028

§ 4: Deutscher Zollverein

[Dok. 85 - 102]

Artikel 27. Die vertragenden Theile werden gemeinschaftlich dahin wirken, für das | Maaßsystem und, soweit nöthig, für das Gewichtssystem ihrer Gebiete die zur | Förderung des gegenseitigen Verkehrs wünschenswerthe Uebereinstimmung herbei= | fuhren. Artikel 28. Die Seehäfen der Staaten des Norddeutschen Bundes sollen dem Handel | der Angehörigen der übrigen vertragenden Theile gegen völlig gleiche Abgaben, | wie solche von den eigenen Angehörigen entrichtet werden, offen stehen; auch | sollen die in fremden See= und anderen Handelsplätzen angestellten Konsuln eines | oder des anderen der vertragenden Theile veranlaßt werden, der Angehörigen der | übrigen Vereinsstaaten sich in vorkommenden Fällen möglichst mit Rath und | That anzunehmen. Artikel 29, Der gegenwärtige Vertrag tritt mit dem 1. Januar 1868. in Wirksamkeit. Er soll, sofern er nicht vor dem 1. Januar 1876. von dem einen oder | dem anderen der vertragenden Theile aufgekündigt wird, auf weitere zwölf Jahre | und so fort von zwölf zu zwölf Jahren als verlängert angesehen werden. [S. 106] Er soll alsbald zur Ratifikation der vertragenden Theile vorgelegt und | die Auswechselung der Ratifikations=Urkunden spätestens am 31. Oktober des | laufenden Jahres in Berlin bewirkt werden. So geschehen Berlin, den 8. Juli 1867. V. Pommer Esche, v. Philipsbom. Delbrück. Weber. [ Gerbig. v. Thünmiel. (L. S.) (L. S.) (L. S.) (L. S.)| (L. S.) (L. S.) V. Spitzemberg. Riecke. | Mathy. Ewald. Thon. v. Liebe. (L. S.) (L.S.)I (L. S.) (L. S.) (L. S.) (L. S.) Die Ratifikations=Urkunden des vorstehenden Vertrages sind zu Berlin | ausgewechselt worden.

§ 5: Einheitsbestrebungen (1848 - 50)

[103] Reichsgesetz vom 28. Juni 1848

1031

[103] Reichsgesetz iiber die Einfuhrung einer provisorischen Zentralgewalt fiir Deutschland vom 28. Juni 1848 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einfuhrangen" die Darstellungen unter [275.] [301.]. Quelle: Reichsgesetzblatt, (1. Stiick vom 29. September) 1848, S. 3 - 4 (gedmckt). Sonstige Fundstelle: E. R. Huber (Hrsg.), Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte, Bd. 1: Deutsche Verfassungsdokumente 1803 - 1850, 3. Aufl., 1986, Nr. 85. [S. 3] Gesetz | tiber Einfuhrung einer provisorischen Centralgewalt fur Deutschland. 1) Bis zur definitiven Begrundung einer Regierungsgewalt fiir Deutschland soil | eine provisorische Centralgewalt fur alle gemeinsamen Angelegenheiten der deutschen | Nation bestellt werden. 2) Dieselbe hat a) die vollziehende Gewalt zu tiben in alien Angelegenheiten, welche die allge= | meine Sicherheit und Wohlfahrt des deutschen Bundesstaates betreffen; b) die Oberleitung der gesammten bewaffneten Macht zu tibemehmen, und | namentlich die Oberbefehlshaber derselben zu emennen; c) die volkerrechtliche und handelspolitische Vertretung Deutschlands auszuiiben, | und zu diesem Ende Gesandte und Consuln zu emennen. 3) Die Errichtung des Verfassungswerks bleibt von der Wirksamkeit der Central^ | gewalt ausgeschlossen. 4) Ueber Krieg und Frieden und iiber Vertrage mit auswartigen Machten beschlieBt | die Centralgewalt im EinverstandniB mit der Nationalversammlung. 5) Die provisorische Centralgewalt wird einem Reichsverweser tibertragen, welcher | von der Nationalversammlung gewahlt wird. 6) Der Reichsverweser tibt seine Gewalt durch von ihm emannte, der National== | [S. 4] versammlung verantwortliche Minister aus. Alle Anordnungen desselben bediirfen zu | ihrer Gtiltigkeit der Gegenzeichnung wenigstens eines verantwortlichen Ministers. 7) Der Reichsverweser ist unverantwortlich. 8) Ueber die Verantwortlichkeit der Minister wird die Nationalversammlung ein | besonderes Gesetz erlassen. 9) Die Minister haben das Recht, den Berathungen der Nationalversammlung | beizuwohnen und von derselben gehort zu werden. 10) Die Minister haben die Verpflichtung, auf Verlangen der Nationalversammlung in derselben zu erscheinen und Auskunft zu ertheilen. 11) Die Minister haben das Stimmrecht in der Nationalversammlung nur dann, | wenn sie als deren Mitglieder gewahlt sind. 12) Die Stellung des Reichsverwesers ist mit der eines Abgeordneten der National^ | versammlung unvereinbar. 13) Mit dem Eintritt der Wirksamkeit der provisorischen Centralgewalt hort das | Bestehen des Bundestages auf. 14) Die Centralgewalt hat sich in Beziehung auf die VollziehungsmaBregeln, so | weit thunlich, mit den Bevollmachtigten der Landesregiemngen ins Einvemehmen zu setzen. 15) Sobald das Verfassungswerk fur Deutschland vollendet und in Ausflihrung | gebracht ist, hort die Thatigkeit der provisorischen Centralgewalt auf

1032

§ 5: Einheitsbestrebungen (1848 - 50)

[Dok. 103 - 110]

Angenommen in der 26. offentlichen Sitzung vom 28. Juni 1848 mit 450 gegen 100 Stimmen. Zur Beurkundung Frankfurt, den 27. September 1848. Der President der deutschen Reichsversammlung | H. v. Gagem. Der Schriftfiihrer | Dr. Ed. Simson.

[104] Reichsgesetz iJber die Verkundung der Reichsgesetze und der Verfiigungen der provisorischen Zentralgewalt vom 27. September 1848 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einfuhmngen" die Darstellung unter [284.]. Quelle: Reichsgesetzblatt, (1. Stiick vom 29. September) 1848, S. 1 - 2 (gedmckt). Sonstige Fundstelle: E. R. Huber (Hrsg.), Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte, Bd. 1: Deutsche Verfassungsdokumente 1803 - 1850, 3. Aufl., 1986, Nr. 94. [S.l] Gesetz, | betreffend die Verkundung der Reichsgesetze und der Verfiigungen der provisorischen I Centralgewalt. Der Reichsverweser, in Ausiibung des Beschlusses der Reichsversammlung | vom 23. September 1848, verkiindet als Gesetz: Art. 1. ^Die Verktindigung der Reichsgesetze geschieht durch den Reichsverweser. ^Er voll= | zieht dieselbe durch die Reichsminister. Art. 2. Der betreffende Minister macht das Gesetz durch Abdruck in dem Reichsgesetzblatte | bekannt, und theilt es zugleich den Einzel=Regierungen zum Zwecke der ortlichen Ver= | offentlichung mit. Art. 3. ^Die verbindende ICraft eines Gesetzes beginnt - falls es nicht selbst einen anderen | Zeitpunkt feststellt - fur ganz Deutschland mit dem zwanzigsten Tage nach dem Ab= | laufe desjenigen Tages, an welchem das betreffende Stuck des Reichsgesetzblattes in | Frankfurt ausgegeben wird. ^Der Tag der Herausgabe in Frankfurt wird auf dem Blatte | angegeben. [S.2] Art. 4. Das Reichsgesetzblatt ist auch das amtliche Organ zur Veroffentlichung der Voll= | ziehungsverordnungen der provisorischen Centralgewalt. Frankfurt, den 27. September 1848. Der Reichsverweser | Erzherzog Johann. Die Reichsminister | Schmerling. Peucker. v Beckerath. Duckwitz. R. Mohl.

[105] Gesetz vom 27. Dezember 1848

1033

[105] Gesetz, betreffend die Grundrechte des Deutschen Volkes nebst Einfiihrungsgesetz, vom 27. Dezember 1848 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einfiihrungen" die Darstellungen unter [243.] [280.] [282.] bis [284.] [298.]. Quelle: Reichsgesetzblatt, (8. Stuck vom 28. Dezember) 1848, S. 49 bzw. 5 7 - 6 0 (gedruckt). Sonstige Fundstelle: H. A. Oppermann, Zur Geschichte des Konigreichs Hannover vom 1832 bis 1860, 2. Bd.: 1848 - 1860, 1862, Beilage, S. 73 - 79. [S. 49] Gesetz, | betreffend die Grundrechte des deutschen Volks. Der Reichsverweser, in Ausfuhrung des Beschlusses der Reichsversammlung | vom 21. December 1848, verkundet als Gesetz: I. Grundrechte des deutschen Volks. Dem deutschen Volke sollen die nachstehenden Grundrechte gewahrleistet sein. Sie | sollen den Verfassungen der deutschen Einzelstaaten zur Norm dienen, und keine Verfas= | sung Oder Gesetzgebung eines deutschen Einzelstaates soil dieselben je aufheben oder be= | schranken konnen. Artikel 1. §.1. Das deutsche Volk besteht aus den Angehorigen der Staaten, welche das deutsche | Reich bilden. §•2. ^Jeder Deutsche hat das deutsche Reichsbtirgerrecht. ^Die ihm Kraft dessen zustehenden I Rechte karin er in jedem deutschen Lande ausiiben. ^Ueber das Recht, zur deutschen | Reichsversammlung zu wahlen, verfugt das Reichswahlgesetz. §.3. Jeder Deutsche hat das Recht, an jedem Orte des Reichsgebietes seinen Aufenthalt | und Wohnsitz zu nehmen, Liegenschaften jeder Art zu erwerben und dartiber zu verfiigen, | jeden Nahmngszweig zu betreiben, das Gemeindebiirgerrecht zu gewinnen. [S. 50] Die Bedingungen fur den Aufenthalt und Wohnsitz werden durch ein Heimaths=^ | gesetz, jene fiir den Gewerbebetrieb durch eine Gewerbeordnung fur ganz Deutschland | von der Reichsgewalt festgesetzt. §•4. Kein deutscher Staat darf zwischen seinen Angehorigen und andem Deutschen einen | Unterschied im biirgerlichen, peinlichen und ProzeB=Rechte machen, welcher die letzteren | als Auslander zuriicksetzt. §.5. Die Strafe des biirgerlichen Todes soil nicht stattfinden, und da, wo sie bereits | ausgesprochen ist, in ihren Wirkungen aufhoren, soweit nicht hierdurch erworbene Pri= | vatrechte verletzt werden.

1034

§ 5: Einheitsbestrebungen (1848 - 50)

[Dok. 103 - 110]

§.6. Die Auswanderungsfreiheit ist von Staats wegen nicht beschrankt; Abzugsgelder | dtirfen nicht erhoben werden. Die Auswanderungsangelegenheit steht unter dem Schutze und der Ftirsorge des | Reichs. Artikel 2. §.7. Vor dem Gesetze gilt kein Unterschied der Stande. Der Adel als Stand ist auf^ | gehoben. Alle Standesvorrechte sind abgeschafft. Die Deutschen sind vor dem Gesetze gleich. Alle Titel, in soweit sie nicht mit einem Amte verbunden sind, sind aufgehoben | und diirfen nie wieder eingefiihrt werden. Kein Staatsangehoriger darf von einem auswartigen Staate einen Orden annehmen. Die offentlichen Aemter sind fur alle Befahigten gleich zuganglich. Die Wehrpflicht ist fur Alle gleich; Stellvertretung bei derselben findet nicht statt. Artikel 3.

Die Freiheit der Person ist unverletzlich. ^Die Verhaftung einer Person soil, auBer im Falle der Ergreifung auf frischer | That, nur geschehen in Kraft eines richterlichen, mit Griinden versehenen Befehls. [S. 51] ^Dieser | Befehl muB im Augenblicke der Verhaftung oder innerhalb der nachsten vier und | zwanzig Stunden dem Verhafteten zugestellt werden. Die Polizeibehorde muB Jeden, den sie in Verwahrung genommen hat, im Laufe | des folgenden Tages entweder freilassen oder der richterlichen Behorde tibergeben. Jeder Angeschuldigte soil gegen Stellung einer vom Gericht zu bestimmenden | Caution oder Btirgschaft der Haft entlassen werden, sofem nicht dringende Anzeigen | eines schweren peinlichen Verbrechens gegen denselben vorliegen. Im Falle einer widerrechtlich verfugten oder verlangerten Gefangenschaft ist der | Schuldige und nothigenfalls der Staat dem Verletzten zur Genugthuung und Entscha= | digung verpflichtet. Die fur das Heer= und Seewesen erforderlichen Modificationen dieser Bestimmungen | werden besonderen Gesetzen vorbehalten. §.9. Die Todesstrafe, ausgenommen wo das Kriegsrecht sie vorschreibt, oder das See= | recht im Fall von Meutereien sie zulaBt, so wie die Strafen des Prangers, der Brand= | markung und der korperlichen Ziichtigung, sind abgeschafft. §. 10. Die Wohnung ist unverletzlich. Eine Haussuchung ist nur zulassig: 1) In Kraft eines richterlichen mit Grtinden versehenen Befehls, welcher sofort oder | innerhalb der nachsten vier und zwanzig Stunden dem Betheiligten zugestellt | werden soil, 2) Im Falle der Verfolgung auf frischer That, durch den gesetzlich berechtigten Beamten,

[105] Gesetz vom 27. Dezember 1848

1035

3) In den Fallen und Formen, in welchen das Gesetz ausnahmsweise bestimmten | Beamten auch ohne richterlichen Befehl dieselbe gestattet. Die Haussuchung muB, wenn thunlich, mit Zuziehung von Hausgenossen erfolgen. Die Unverletzlichkeit der Wohnung ist kein HindemiB der Verhaftung eines ge= | richtlich Verfolgten. §. 11. Die Beschlagnahme von Briefen und Papieren darf, auBer bei einer Verhaftung | oder Haussuchung, nur in Kraft eines richterlichen, mit Griinden versehenen Befehls | vorgenommen werden, welcher sofort oder innerhalb der nachsten vier und zwanzig Stun= | den dem Betheiligten zugestellt v^erden soil. [S. 52] §.12. Das BriefgeheimniB ist gewahrleistet. Die bei strafgerichtlichen Untersuchungen und in Kriegsfallen nothwendigen Be= | schrankungen sind durch die Gesetzgebung festzustellen. Artikel 4. §. 13. Jeder Deutsche hat das Recht, durch Wort, Schrift, Druck und bildliche Dar= | stellung seine Meinung frei zu auBem. Die PreBfreiheit darf unter keinen Umstanden und in keiner Weise durch vorbeu= | gende MaBregeln, namentlich Censur, Concessionen, Sicherheitsbestellungen, Staats= | auflagen, Beschrankungen der Druckereien oder des Buchhandels, Postverbote oder andere | Hemmungen des freien Verkehrs beschrankt, suspendirt oder aufgehoben werden. Ueber PreBvergehen, welche von Amts wegen verfolgt werden, wird durch Schwur= | gerichte geurtheilt. Bin PreBgesetz wird vom Reiche erlassen werden. Artikel 5. §.14. Jeder Deutsche hat voile Glaubens= und Gewissensfreiheit. Niemand ist verpflichtet, seine religiose Ueberzeugung zu offenbaren. §. 15. Jeder Deutsche ist unbeschrankt in der gemeinsamen hauslichen und offentlichen | Uebung seiner Religion. Verbrechen und Vergehen, welche bei Austibung dieser Freiheit begangen werden, | sind nach dem Gesetze zu betrafen. §. 16. ^Durch das religiose BekenntniB wird der GenuB der btirgerlichen und staatsbtirger= | lichen Rechte weder bedingt noch beschrankt. '^Den staatsbtirgerlichen Pflichten darf das= | selbe keinen Abbruch thun.

1036

§ 5: Einheitsbestrebungen (1848 - 50)

[Dok. 103 - 110]

§.17. Jede Religionsgesellschaft ordnet und verwaltet ihre Angelegenheiten selbststandig, | bleibt aber den allgemeinen Staatsgesetzen unterworfen. [S. 53] Keine Religionsgesellschaft genieBt vor andem Vorrechte durch den Staat; es besteht | femerhin keine Staatskirche. Neue Religionsgesellschaften diirfen sich bilden; einer Anerkennung ihres Bekennt= | nisses durch den Staat bedarf es nicht. §.18. Niemand soil zu einer kirchlichen Handlung oder Feierlichkeit gezwungen werden. §.19. Die Formel des Eides soil kiinftig lauten: „So wahr mir Gott helfe". §.20. Die biirgerliche Gtiltigkeit der Ehe ist nur von der Vollziehung des Civilactes ab= | hangig; die kirchliche Trauung kann nur nach der Vollziehung des Civilactes stattfinden. Die Religionsverschiedenheit ist kein btirgerliches EhehindemiB. §.21. Die Standesbtlcher werden von den btirgerlichen Behorden geftihrt. Artikel 6. §. 22. Die Wissenschafl und ihre Lehre ist frei. §.23. Das Unterrichts= und Erziehungswesen steht unter der Oberaufsicht des Staats, | und ist, abgesehen vom Religionsunterricht, der Beaufsichtigung der Geistlichkeit als | solcher enthoben. §.24. Unterrichts= und Erziehungsanstalten zu griinden, zu leiten und an solchen Unter= | richt zu ertheilen, steht jedem Deutschen frei, wenn er seine Befahigung der betreffenden | Staatsbehorde nachgewiesen hat. Der hausliche Unterricht unterliegt keiner Beschrankung. §.25. Ftir die Bildung der deutschen Jugend soil durch offentliche Schulen tiberall genu= | gend gesorgt werden. Eltem Oder deren Stellvertreter diirfen ihre Kinder oder Pflegebefohlenen nicht | ohne den Unterricht lassen, welcher fur die unteren Volksschulen vorgeschrieben ist. [S. 54] §.26. Die offentlichen Lehrer haben die Rechte der Staatsdiener. Der Staat stellt unter gesetzlich geordneter Betheiligung der Gemeinden aus der | Zahl der Geprtiften die Lehrer der Volksschulen an.

[ 105] Gesetz vom 27. Dezember 1848

1037

§.27. Ftir den Unterricht in Volksschulen und niederen Gewerbeschulen wird kein Schul= | geld bezahlt. Unbemittelten soil auf alien offentlichen Unterrichtsanstalten freier Unterricht ge= | wahrt werden. §. 28. Es steht einem Jeden frei, seinen Bemf zu wahlen und sich fur denselben auszu= | bilden, wie und wo er will. Artikel 7. §.29. Die Deutschen haben das Recht, sich friedlich und ohne Waffen zu versammeln; | einer besonderen ErlaubniB dazu bedarf es nicht. Volksversammlungen unter freiem Himmel konnen bei dringender Gefahr ftir die | 6ffentliche Ordnung und Sicherheit verboten werden. §. 30. ^Die Deutschen haben das Recht, Vereine zu bilden. ^Dieses Recht soil durch keine | vorbeugende MaBregel beschrankt werden. §.31. Die in den §§.29 und 30 enthaltenen Bestimmungen finden auf das Heer und | die Kriegsflotte Anwendung, insoweit die militarischen Disciplinarvorschriften nicht ent= | gegenstehen. Artikel 8. §.32. Das Eigenthum ist unverletzlich. Eine Enteignung kann nur aus Rticksichten des gemeinen Besten, nur auf Grund | eines Gesetzes und gegen gerechte Entschadigung vorgenommen werden. Das geistige Eigenthum soil durch die Reichsgesetzgebung geschiitzt werden. [S. 55] §.33. ^Jeder Grundeigenthiimer kann seinen Grundbesitz unter Lebenden und von Todes [ wegen ganz oder theilweise verauBem. ^Den Einzelstaaten bleibt liberlassen, die Durch= | fiihrung des Grundsatzes der Theilbarkeit alles Grundeigenthums durch Uebergangsgesetze | zu vermitteln. Ftir die todte Hand sind Beschrankungen des Rechts, Liegenschaften zu erwerben | und iiber sie zu verfiigen, im Wege der Gesetzgebung aus Griinden des offentlichen | Wohls zulassig. §.34. Jeder Unterthanigkeits= und Horigkeitsverband hort fiir immer auf

1038

§ 5: Einheitsbestrebungen (1848 - 50)

[Dok. 103 - 110]

§. 35. Ohne Entschadigung sind aufgehoben: 1) Die Patrimonialgerichtsbarkeit und die grundherrliche Polizei, sammt den aus | diesen Rechten flieBenden Befiignissen, Exemtionen und Abgaben. 2) Die aus dem guts= und schutzherrlichen Verbande flieBenden personlichen Abgaben I und Leistungen. Mit diesen Rechten fallen auch die Gegenleistungen und Lasten weg, welche dem | bisher Berechtigten daftir oblagen. §.36. Alle auf Grund und Boden haftenden Abgaben und Leistungen, insbesondere die | Zehnten, sind ablosbar: ob nur auf Antrag des Belasteten oder auch des Berechtigten, | und in welcher Weise, bleibt der Gesetzgebung der einzelnen Staaten tiberlassen. Es soil fortan kein Grundstiick mit einer unablosbaren Abgabe oder Leistung be= | lastet werden. §.37. Im Grundeigenthum liegt die Berechtigung zur Jagd auf eignem Grund und | Boden. Die Jagdgerechtigkeit auf fremdem Grund und Boden, Jagddienste, Jagdfrohnden | und andere Leistungen fur Jagdzwecke sind ohne Entschadigung aufgehoben. Nur ablosbar jedoch ist die Jagdgerechtigkeit, welche erweislich durch einen lastigen | mit dem Eigenthiimer des belasteten Grundstiickes abgeschlossenen Vertrag erworben ist; | iiber die Art und Weise der Ablosung haben die Landesgesetzgebungen das Weitere zu | bestimmen. [S. 56] Die Ausiibung des Jagdrechts aus Griinden der offentlichen Sicherheit und des | gemeinen Wohls zu ordnen, bleibt der Landesgesetzgebung vorbehalten. Die Jagdgerechtigkeit auf fremdem Grund und Boden darf in Zukunft nicht wieder | als Grundgerechtigkeit bestellt werden. §.38. ^Die Familienfideicommisse sind aufzuheben. ^Die Art und Bedingungen der Auf= | hebung bestimmt die Gesetzgebung der einzelnen Staaten. Ueber die Familienfideicommisse der regierenden furstlichen Hauser bleiben die Be= | stimmungen den Landesgesetzgebungen vorbehalten. §.39. ^Aller Lehensverband ist aufzuheben. ^Das Nahere tiber die Art und Weise der | Ausflihrung haben die Gesetzgebungen der Einzelstaaten anzuordnen. §.40. Die Strafe der Vermogenseinziehung soil nicht stattfinden.

[105] Gesetz vom 27. Dezember 1848

1039

Artikel 9. §.41. ^Alle Gerichtsbarkeit geht vom Staate aus. ^Es sollen keine Patrimonialgerichte | bestehen. §.42. ^Die richterliche Gewalt wird selbststandig von den Gerichten geiibt. ^Cabinets= und | Ministerialjustiz ist unstatthaft. ^Niemand darf seinem gesetzlichen Richter entzogen werden. '^Ausnahmegerichte sollen I nie stattfinden. §.43. Es soil keinen privilegirten Gerichtsstand der Personen oder Gtiter geben. Die Militargerichtsbarkeit ist auf die Aburtheilung militarischer Verbrechen und | Vergehen, so wie der Militar=Disciplinarvergehen beschrankt, vorbehaltlich der Bestim== | mungen fiir den Kriegsstand. §. 44. Kein Richter darf, auBer durch Urtheil und Recht, von seinem Amt entfemt, oder | an Rang und Gehalt beeintrachtigt werden. Suspension darf nicht ohne gerichtlichen BeschluB erfolgen. [S. 57] Kein Richter darf wider seinen Willen, auBer durch gerichtlichen BeschluB in den | durch das Gesetz bestimmten Fallen und Formen, zu einer andem Stelle versetzt oder | in Ruhestand gesetzt werden. §.45. Das Gerichtsverfahren soil offentlich und mtindlich sein. Ausnahmen von der Oeffentlichkeit bestimmt im Interesse der Sittlichkeit das Gesetz. §.46. In Strafsachen gilt der AnklageprozeB. Schwurgerichte sollen jedenfalls in schwereren Strafsachen und bei alien politischen | Vergehen urtheilen. §.47. Die biirgerliche Rechtspflege soil in Sachen besonderer Berufserfahrung durch sach= | kundige, von den Bemfsgenossen frei gewahlte Richter getibt oder mitgeiibt werden. §. 48. Rechtspflege und Verwaltung sollen getrennt und von einander unabhangig sein. Ueber Competenzconflicte zwischen den Verwaltungs= und Gerichtsbehorden in den | Einzelstaaten entscheidet ein durch das Gesetz zu bestimmender Gerichtshof §.49. Die Verwaltungsrechtspflege hort auf; liber alle Rechtsverletzungen entscheiden die | Gerichte. Der Polizei steht keine Strafgerichtsbarkeit zu.

1040

§ 5: Einheitsbestrebungen (1848 -- 50)

[Dok. 103 - 110]

§.50. Rechtskraftige Urtheile deutscher Gerichte sind in alien deutschen Landen gleich | wirksam und vollziehbar. Ein Reichsgesetz wird das Nahere bestimmen. 11. Einflihrungs-Gesetz. Die Grundrechte des deutschen Volks werden im ganzen Umfange des deutschen | Reichs unter nachfolgenden Bestimmungen hiermit eingefuhrt: Art. 1. Mit diesem Reichsgesetze treten in Kraft die Bestimmungen: 1) der Paragraphen eins und zwei, 2) des Paragraphen drei, jedoch in Beziehung auf Aufenthalt, Wohnsitz und Ge= | werbebetrieb unter Vorbehalt der in Aussicht gestellten Reichsgesetze, [S. 58] 3) der Paragraphen vier, ftinf und sechs, 4) des Paragraphen sieben unter Vorbehalt der in Art. 3. und 8. dieses Gesetzes | enthaltenen Beschrankungen, 5) des Paragraphen acht, und zwar riicksichtlich des letzten, Herr= und Seewesen | betreffenden, Absatzes unter Verweisung auf Art. 3. dieses Gesetzes, 6) des Paragraphen zehn, unter Vorbehalt der unter Art. 3 und 7. enthaltenen | Bestimmungen, 7) der Paragraphen eilf und zwolf, 8) des Paragraphen dreizehn, mit der MaBgabe, daB, wo Schwurgerichte noch | nicht eingefuhrt sind, bis zu deren Einfiihrung uber PreBvergehen die bestehen= | den Gerichte entscheiden, 9) der Paragraphen vierzehn, fanfzehn, sechszehn, so wie des zweiten und | dritten Absatzes in Paragraphen siebenzehn, und des Paragraphen achtzehn, 10) der Paragraphen zweiundzwanzig, viemndzwanzig, fiinfundzwanzig | und achtundzwanzig, 11) der Paragraphen neunundzwanzig, dreiBig und einunddreiBig, 12) des Paragraphen zweiunddreiBig, des zweiten Absatzes im Paragraphen drei= | unddreiBig, der Paragraphen vierunddreiBig, flinfunddreiBig, mit | Ausnahme des ersten Absatzes (Art. 3. 8), des zweiten Absatzes im Paragraphen | sechsunddreiBig, dann siebenunddreiBig unter Vorbehalt der liber die | Ablosung der betreffenden Jagdgerechtigkeiten und iiber die Austibung des Jagd= | rechts zu erlassenden Gesetze (Art. 4.), 13) des Paragraphen zweiundvierzig und des ersten Absatzes im Paragraphen | vierundvierzig. Alle Bestimmungen einzelner Landesrechte, welche hiermit in Widerspruch stehen, | treten auBer Kraft. Art. 2. In Beziehung auf den im Paragraphen siebenzehn ausgesprochenen Grundsatz | der Selbststandigkeit der Religionsgesellschaften sollen die organischen Einrichtungen | und Gesetze, welche fur die bestehenden Kirchen zur Durchfuhrung dieses Princips | erforderlich sind, in den Einzelstaaten moglichst bald getroffen und erlassen werden.

[105] Gesetz vom 27. Dezember 1848

1041

Art. 3. Abandemngen oder Erganzungen der Landesgesetzgebungen, soweit dieselben durch | [S. 59] die folgenden Bestimmungen der Gmndrechte geboten sind, sollen ungesaumt auf ver= I fassungsmaBigem Wege getroffen werden, und zwar 1) statt der im Paragraphen neun und Paragraphen vierzig abgeschafften Strafen | des Todes, des Prangers, der Brandmarkung, der korperlichen Ztichtigung und | der Vermogenseinziehung durch gesetzliche Feststellung einer anderweiten Be= | strafung der betreffenden Verbrechen; 2) durch Ausfullung der Lticken, welche in Folge der im Paragraphen sieben | ausgesprochenen Aufhebung der Standesunterschiede im Privatrechte eintreten; 3) durch Regelung der Wehrpflicht auf Grund der im Paragraphen sieben enthal= | tenen Vorschrift; 4) durch Feststellung der beim Heer= und Seewesen vorbehaltenen Modificationen | des Paragraphen acht; 5) durch Erlassung der Gesetze, welche den dritten im Paragraphen zehn erwahnten | Fall der Haussuchung ordnen; 6) durch Erlassung der nach Paragraph neunzehn, zwanzig und einundzwanzig | erforderlichen Vorschriften liber Eid, Ehe und Standesbticher; 7) durch Einrichtung des Schulwesens auf Grund der Paragraphen dreiundzwanzig, | sechsundzwanzig und siebenundzwanzig; 8) durch Aenderungen im Gerichts= und Verwaltungswesen gemaB den Bestimmungen I des Paragraphen fiinfunddreiBig im ersten Absatz, der Paragraphen einund= | vierzig, dreiundvierzig, vierundvierzig im zweiten und dritten Absatze, | sowie der Paragraphen fiinfundvierzig bis einschlieBlich neunundvierzig. Art. 4. Ebenso ist ungesaumt die weitere Feststellung der in den Paragraphen dreiund= | dreiBig, sechsunddreiBig bis einschlieBlich neununddreiBig geordneten Eigen= | thumsverhaltnisse in den einzelnen Staaten vorzunehmen. Art. 5. Die Erlassung und Ausfiihrung der vorstehend gedachten neuen Gesetze sollen von] Reichs wegen tiberwacht werden. Art. 6. Bis zur Erlassung der in den Paragraphen drei, dreizehn, zweiunddreiBig | und fiinfzig erwahnten Reichsgesetze sind die betreffenden Verhaltnisse der Landes= | gesetzgebung unterworfen. [S. 60] Art. 7. ^In den Fallen, in welchen nach dem Vorstehenden neue Gesetze erforderlich oder | in Aussicht gestellt sind, bleiben bis zur Erlassung derselben fur die betreffenden Ver= | haltnisse die bisherigen Gesetze in Kraft. ^Riicksichtlich der Haussuchung bleibt denje= | nigen offentlichen Beamten, welche zum Schutz der Abgabenerhebung und des Wald= | eigenthums zur Haussuchung befugt sind, vorlaufig diese BefugniB. Art. 8. Abandemngen der Grundverfassung einzelner deutscher Staaten, welche durch die | Abschaffung der Standesvorrechte nothwendig werden, sollen innerhalb sechs Monaten | durch die gegenwartigen Organe der Landesgesetzgebung nach folgenden Bestimmungen | herbeigeftihrt werden:

1042

§ 5: Einheitsbestrebungen (1848 - 50)

[Dok. 103-110]

1) die durch die Verfassungsurkunden fur den Fall der Verfassungsanderungen vorge= I schriebenen Erschwerungen der BeschluBnahme finden keine Anwendung, vielmehr | ist in den Formen der gewohnlichen Gesetzgebung zu verfahren; 2) wenn in Staaten, wo zwei Kammem bestehen, dieser Weg keine Vereinigung | herbeifiihren sollte, so treten diese zusammen, um in einer Versammlung durch | einfache Stimmenmehrheit die erforderlichen Beschliisse zu fassen. Uebrigens bleibt es bei den gegenwartigen Organen der Landesgesetzgebung unbenom=^ I men, sich daruber, daB die gedachten Abandemngen durch eine neu zu wahlende Lan= I desversammlung vorgenommen werden, zu vereinbaren, fur welche Vereinbarung die Be= | stimmungen unter 1) und 2) gleichfalls maBgebend sind. Sind in der bezeichneten Frist die betreffenden Gesetze nicht erlassen, so hat die Reichs= | gewalt die Regierung des einzelnen Staates aufzufordem, ungesaumt auf Grundlage des | Reichswahlgesetzes eine aus einer einzigen Kammer bestehende Landesversammlung zur Revi= | sion der Landesverfassung und tibrigen Gesetzgebung in Uebereinstimmung mit den Beschliissen | der Nationalversammlung zu berufen. Frankfurt, den 27. December 1848. Der Reichsverweser | Erzherzog Johann. Die Reichsminister | H. v. Gagem. v. Peucker. v. Beckerath. Duckwitz. R. Mohl.

[106] Verfassung des Deutschen Reiches (^Frankfurter Reichsverfassung") vom 28. Marz 1849 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einfuhrungen" die Darstellungen unter [176.] [270.] [282.] [285.] bis [306.] [310.] Quelle: Reichs-Gesetz-Blatt, (16. Stiick vom28. April) 1849, S. 101 - 147 (gedruckt). Sonstige Fundstellen: W. Altmann (Hrsg.), Ausgewahlte Urkunden zur deutschen Verfassungsgeschichte seit 1806, 1. Teil, 1898, S. 262 ff.; Bergstrdsser, Die Verfassung des Deutschen Reiches vom Jahre 1849 mit Vorentwtirfen, Gegenvorschlagen und Modifikationen bis zum Erfurter Parlament, 1913, S. 5 ff.; i^. Binding (Hrsg.), Deutsche Staatsgrundgesetze in diplomatisch genauem Abdruck, 3. Abdruck., 2. Heft, 1905, S. 1; 4. Aufl., 2. Heft (Deutsches Reich), 1914, S. 1 ff.; Dennewitz, Die Verfassungen der modemen Staaten, Bd. Ill, 1948, S. 46ff.; G. DUriglW. Rudolf (Rrsg), Texte zur deutschen Verfassungsgeschichte vomehmlich fur den Studiengebrauch, 3. Aufl., 1996, S. 95-134; D. Hansemann, Die Deutsche Verfassung vom 28.3.1849, Berlin 1849, S. 3 ff.; E. R. Huber (Hrsg.), Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte, Bd. 1: Deutsche Verfassungsdokumente 1803 1850, 3. Aufl., 1986, Nr. 108; H. A. Oppermann, Zur Geschichte des Konigreichs Hannover vom 1832 bis 1860, 2. Bd.: 1848 - 1860, 1862, Beilage, S. 95 - 106 (ohne die Grundrechte); A. Rauch (Hrsg.), Parlamentarisches Taschenbuch, enthaltend die Verfassungen von ..., 4. Lief., Erlangen 1867, S. 181 ff.; P.Roth/H. Merck (Hrsg.), Quellensammlung zum deutschen offentlichen Recht seit 1848, Bd. II, 1852, S. 198 ff.; Verfassung des Deutschen Reichs, Supplement zum deutschen politischen Tagebuch fur 1849 (Druckausgabe), 1849, S. 1 ff.; Weil, Quellen und Aktenstucke zur deutschen Verfassungsgeschichte, 1850, S. 133 ff.; D. Willoweit, Dietmar /1/.-Se//(Hrsg.), Europaische Verfassungsgeschichte, 2003; S. 562 - 588; Zuchardt, Modeme Staatsverfassungen, 1919, S. 20 ff. [S. 101] Verfassung des deutschen Reiches. Die deutsche verfassungsgebende Nationalversammlung hat beschlossen, und vep= | ktindigt als Reichsverfassung:

[106] Verfassung des Deutschen Reiches vom 28. Marz 1849

1043

Verfassung des deutschen Reiches. Abschnitt I. Das Reich. Artikel I. §.1. Das deutsche Reich besteht aus dem Gebiete des bisherigen deutschen Bundes. Die Festsetzung der Verhaltnisse des Herzogthums Schleswig bleibt vorbehalten. §.2. ^Hat ein deutsches Land mit einem nichtdeutschen Lande dasselbe Staatsoberhaupt, | so soil das deutsche Land eine von dem nichtdeutschen Lande getrennte eigene Verfassung, | Regiemng und Verwaltung haben. "^In die Regierung und Verwaltung des deutschen | Landes dtirfen nur deutsche Staatsbiirger berufen werden. Die Reichsverfassung und Reichsgesetzgebung hat in einem solchen deutschen Lande | dieselbe verbindliche Kraft, wie in den tibrigen deutschen Landem. §.3. Hat ein deutsches Land mit einem nichtdeutschen Lande dasselbe Staatsoberhaupt, | so muB dieses entweder in seinem deutschen Lande residiren, oder es muB auf verfassungs= | [S. 102] maBigem Wege in demselben eine Regentschaft niedergesetzt werden, zu welcher nur I Deutsche berufen werden dtirfen. §.4. Abgesehen von den bereits bestehenden Verbindungen deutscher und nichtdeutscher | Lander soil kein Staatsoberhaupt eines nichtdeutschen Landes zugleich zur Regierung | eines deutschen Landes gelangen, noch darf ein in Deutschland regierender Ftirst, ohne | seine deutsche Regiemng abzutreten, eine fremde Krone annehmen. §.5 Die einzelnen deutschen Staaten behalten ihre Selbststandigkeit, soweit dieselbe nicht | durch die Reichsverfassung beschrankt ist; sie haben alle staatlichen Hoheiten und Rechte, | soweit diese nicht der Reichsgewalt ausdriicklich tibertragen sind. Abschnitt IL Die Reichsgewalt. Artikel L §.6. Die Reichsgewalt ausschlieBlich tibt dem Auslande gegentiber die volkerrechtliche | Vertretung Deutschlands und der einzelnen deutschen Staaten aus. ^Die Reichsgewalt stellt die Reichsgesandten und die Consuln an. ^Sie fiihrt den | diplomatischen Verkehr, schlieBt die Btindnisse und Vertrage mit dem Auslande, nament= | lich auch die Handels= und Schifffahrtsvertrage, sowie die Ausliefemngsvertrage ab. ^Sie | ordnet alle volkerrechtlichen MaaBregeln an. §.7. Die einzelnen deutschen Regierungen haben nicht das Recht, standige Gesandte zu | empfangen oder solche zu halten. ^Auch dtirfen dieselben keine besonderen Consuln halten. ^Die Consuln fremder Staa= | ten erhalten ihr Exequatur von der Reichsgewalt.

1044

§ 5: Einheitsbestrebungen (1848 - 50)

[Dok. 103 - 110]

Die Absendung von Bevollmachtigten an das Reichsoberhaupt ist den einzelnen Re= | giemngen unbenommen.

Die einzelnen deutschen Regierungen sind befugt, Vertrage mit anderen deutschen | Regierungen abzuschlieBen. Ihre BefiigniB zu Vertragen mit nichtdeutschen Regierungen beschrankt sich auf | Gegenstande des Privatrechts, des nachbarlichen Verkehrs und der Polizei. [S. 103] §.9. Alle Vertrage nicht rein privatrechtlichen Inhalts, welche eine deutsche Regierung mit | einer anderen deutschen oder nichtdeutschen abschHeBt, sind der Reichsgewalt zur Kennt= | niBnahme und, insofem das Reichsinteresse dabei betheihgt ist, zur Bestatigung vorzulegen. Artikel 11. §.10. Der Reichsgewalt ausschlieBlich steht das Recht des Krieges und Friedens zu. Artikel III. §.11. Der Reichsgewalt steht die gesammte bewaffnete Macht Deutschlands zur Verfugung. §.12. ^Das Reichsheer besteht aus der gesammten, zum Zwecke des Kriegs bestimmten | Landmacht der einzelnen deutschen Staaten. ^Die Starke und Beschaffenheit des Reichs= | heeres wird durch das Gesetz liber die Wehrverfassung bestimmt. Diejenigen Staaten, welche weniger als 500,000 Einwohner haben, sind durch die | Reichsgewalt zu groBeren militarischen Ganzen, welche dann unter der unmittelbaren | Leitung der Reichsgewalt stehen, zu vereinigen, oder einem angrenzenden groBeren | Staate anzuschlieBen. Die naheren Bedingungen einer solchen Vereinigung sind in beiden Fallen durch | Vereinbarung der betheiligten Staaten unter Vermittelung und Genehmigung der Reichs= | gewalt festzustellen. §.13. Die Reichsgewalt ausschlieBlich hat in Betreff des Heerwesens die Gesetzgebung | und die Organisation; sie tiberwacht deren Durchfuhrung in den einzelnen Staaten durch | fortdauemde Controle. ^Den einzelnen Staaten steht die Ausbildung ihres Kriegswesens auf Grund der | Reichsgesetze und der Anordnungen der Reichsgewalt und beziehungsweise in den Gren= | zen der nach §.12 getroffenen Vereinbarungen zu. ^Sie haben die Verfugung tiber ihre | bewaffnete Macht, soweit dieselbe nicht fur den Dienst des Reiches in Anspruch genom= | men wird. §. 14. In den Fahneneid ist die Verpflichtung zur Treue gegen das Reichsoberhaupt und | die Reichsverfassung an erster Stelle aufzunehmen.

[106] Verfassung des Deutschen Reiches vom 28. Marz 1849

1045

[S. 104] §.15. Alle durch Verwendung von Truppen zu Reichszwecken entstehenden Kosten, welche | den durch das Reich festgesetzten Friedensstand iibersteigen, fallen dem Reiche zur Last. §. 16. Ueber eine allgemeine fur ganz Deutschland gleiche Wehrverfassung ergeht ein be= | sonderes Reichsgesetz. §. 17. Den Regierungen der einzelnen Staaten bleibt die Emennung der Befehlshaber | und Offiziere ihrer Truppen, soweit deren Starke sie erheischt, uberlassen. Fiir die groBeren militarischen Ganzen, zu denen Truppen mehrerer Staaten ver= | einigt sind, emennt die Reichsgewalt die gemeinschaftlichen Befehlshaber. Ftir den Krieg emennt die Reichsgewalt die commandirenden Generale der selbst= | standigen Corps, sowie das Personale der Hauptquartiere. §.18. Der Reichsgewalt steht die BefiigniB zu, Reichsfestungen und Kiistenvertheidigungs= | werke anzulegen und, insoweit die Sicherheit des Reiches es erfordert, vorhandene Festun= I gen gegen billige Ausgleichung, namentlich fur das tiberlieferte Kriegsmaterial, zu Reichs= | festungen zu erklaren. Die Reichsfestungen und Ktistenvertheidigungswerke des Reiches werden auf Reichs= | kosten unterhalten. 19. Die Seemacht ist ausschlieBlich Sache des ies Reiches. ^Es ist keinem Einzelstaate ge= | stattet, Kriegsschiffe fur sich zu halten oder Kaperbriefe auszugeben. ^Die Bemannung der Kriegsflotte bildet einen Theil der deutschen Wehrmacht. ^Sie | ist unabhangig von der Landmacht. ^Die Mannschaft, welche aus einem einzelnen Staate fur die Kriegsflotte gestellt | wird, ist von der Zahl der von demselben zu haltenden Landtruppen abzurechnen. '^Das | Nahere hiertiber, sowie tiber die Kostenausgleichung zwischen dem Reiche und den Einzel= | staaten, bestimmt ein Reichsgesetz. Die Emennung der Offiziere und Beamten der Seemacht geht allein vom Reiche aus. Der Reichsgewalt liegt die Sorge fiir die Ausriistung, Ausbildung und Unterhal= | tung der Kriegsflotte und die Anlegung, Ausriistung und Unterhaltung von Kriegshafen | und See=Arsenalen ob. Ueber die zur Errichtung von Kriegshafen und Marine=Etablissements nothigen | [S. 105] Enteignungen, so wie tiber die Befugnisse der dabei anzustellenden Reichsbehorden, be= | stimmen die zu erlassenden Reichsgesetze. Artikel IV. §.20. ^Die Schifffahrtsanstalten am Meere und in den Mundungen der deutschen Fliisse | (Hafen, Seetonnen, Leuchtschiffe, das Lootsenwesen, das Fahrwasser u. s. w.) bleiben der | Ftirsorge der einzelnen Uferstaaten iiberlassen. ^Die Uferstaaten unterhalten dieselben aus | eigenen Mitteln. Ein Reichsgesetz wird bestimmen, wie weit die Mundungen der einzelnen Fltisse | zu rechnen sind.

1046

§ 5: Einheitsbestrebungen (1848 - 50)

[Dok. 103 ~ 110]

§.21. Die Reichsgewalt hat die Oberaufsicht tiber diese Anstalten und Einrichtungen. Es steht ihr zu, die betreffenden Staaten zu gehoriger Unterhaltung derselben an= | zuhalten, auch dieselben aus den Mitteln des Reiches zu vermehren und zu erweitem. §.22. ^Die Abgaben, welche in den Seeuferstaaten von den Schiffen und deren Ladungen | fur die Benutzung der Schifffahrtsanstalten erhoben werden, dtirfen die zur Unterhaltung | dieser Anstalten nothwendigen Kosten nicht tibersteigen. ^Sie unterliegen der Genehmigung | der Reichsgewalt. §.23. In Betreff dieser Abgaben sind alle deutschen Schiffe und deren Ladungen gleich= | zustellen. Eine hohere Belegung fremder Schifffahrt kann nur von der Reichsgewalt ausgehen. Die Mehrabgabe von fremder Schifffahrt flieBt in die Reichskasse. Artikel V. §.24. Die Reichsgewalt hat das Recht der Gesetzgebung und die Oberaufsicht tiber die | in ihrem schiffbaren Lauf mehrere Staaten durchstromenden oder begrenzenden Fliisse und | Seen und tiber die Miindungen der in dieselben fallenden Nebenfliisse, so wie tiber den | Schifffahrtsbetrieb und die FloBerei auf denselben. Auf welche Weise die Schiffbarkeit dieser Fliisse erhalten oder verbessert werden | soil, bestimmt ein Reichsgesetz. [S. 106] ^Die ubrigen WasserstraBen bleiben der Ftirsorge der Einzelstaaten tiberlassen. "^Doch | steht es der Reichsgewalt zu, wenn sie es im Interesse des allgemeinen Verkehrs fiir | nothwendig erachtet, allgemeine Bestimmungen liber den Schifffahrtsbetrieb und die Flo= | Berei auf denselben zu erlassen, so wie einzelne Fliisse unter derselben Voraussetzung den | oben erwahnten gemeinsamen Fliissen gleich zu stellen. Die Reichsgewalt ist befiigt, die Einzelstaaten zu gehoriger Erhaltung der Schiff= | barkeit dieser WasserstraBen anzuhalten. §. 25. ^Alle deutschen Fliisse sollen fiir deutsche Schifffahrt von FluBzollen frei sein. ^Auch | die FloBerei soil auf schiffbaren FluBstrecken solchen Abgaben nicht unterliegen. ^Das | Nahere bestimmt ein Reichsgesetz. Bei den mehrere Staaten durchstromenden oder begrenzenden Fliissen tritt ftir die | Aufhebung dieser FluBzolle eine billige Ausgleichung ein. §.26. ^Die Hafen=, Krahn=, Waag=, Lager=, Schleusen= und dergleichen Gebiihren, welche | an den gemeinschaftlichen Fliissen und den Miindungen der in dieselben sich ergieBenden | Nebenfliisse erhoben werden, diirfen die zur Unterhaltung derartiger Anstalten nothigen | Kosten nicht tibersteigen. ^Sie unterliegen der Genehmigung der Reichsgewalt. Es darf in Betreff dieser Gebiihren keinerlei Begiinstigung der Angehorigen eines | deutschen Staates vor denen anderer deutscher Staaten stattfinden.

[106] Verfassung des Deutschen Reiches vom 28. Marz 1849

1047

§.27. FluBzolle und FluBschifffahrtsabgaben dtirfen auf fremde Schiffe und deren Ladungen | nur durch die Reichsgewalt gelegt werden. Artikel VI. §.28. ^Die Reichsgewalt hat liber die Eisenbahnen und deren Betrieb, soweit es der Schutz | des Reiches oder das Interesse des allgemeinen Verkehrs erheischt, die Oberaufsicht und | das Recht der Gesetzgebung. ^Ein Reichsgesetz wird bestimmen, welche Gegenstande da= | hin zu rechnen sind. §. 29. ^Die Reichsgewalt hat das Recht, soweit sie es zum Schutze des Reiches oder im | Interesse des allgemeinen Verkehrs fur nothwendig erachtet, die Anlage von Eisenbahnen | zu bewilligen, so wie selbst Eisenbahnen anzulegen, wenn der Einzelstaat, in dessen Gebiet | [S. 107] die Anlage erfolgen soil, deren Ausfuhrung ablehnt. ^Die Benutzung der Eisenbahnen I fur Reichszwecke steht der Reichsgewalt jederzeit gegen Entschadigung frei. §. 30. Bei der Anlage oder Bewilligung von Eisenbahnen durch die einzelnen Staaten ist | die Reichsgewalt befugt, den Schutz des Reiches und das Interesse des allgemeinen | Verkehrs wahrzunehmen. §.31. ^Die Reichsgewalt hat liber die LandstraBen die Oberaufsicht und das Recht der | Gesetzgebung, soweit es der Schutz des Reiches oder das Interesse des allgemeinen Ver= | kehrs erheischt. "^Ein Reichsgesetz wird bestimmen, welche Gegenstande dahin zu rechnen sind. §.32. Die Reichsgewalt hat das Recht, soweit sie es zum Schutze des Reiches oder im | Interesse des allgemeinen Verkehrs ftir nothwendig erachtet, zu verfugen, daB Landstra= | Ben und Kanale angelegt, Fllisse schiffbar gemacht oder deren Schiffbarkeit erweitert werde. Die Anordnung der dazu erforderlichen baulichen Werke erfolgt nach vorgangigem | Benehmen mit den betheiligten Einzelstaaten durch die Reichsgewalt. Die Ausfuhrung und Unterhaltung der neuen Anlagen geschieht von Reichs= | wegen und auf Reichskosten, wenn eine Verstandigung mit den Einzelstaaten nicht er= | zielt wird. Artikel VII. §.33. Das deutsche Reich soil Ein Zoll= und Handelsgebiet bilden, umgeben von gemein= | schaftlicher ZoUgrenze, mit Wegfall aller Binnengrenzzolle. Die Aussonderung einzelner Orte und Gebietstheile aus der Zolllinie bleibt der | Reichsgewalt vorbehalten. Der Reichsgewalt bleibt es femer vorbehalten, auch nicht zum Reiche gehorige | Lander und Landestheile mittelst besonderer Vertrage dem deutschen Zollgebiete anzu= | schlieBen.

1048

§ 5: Einheitsbestrebungen (1848 - 50)

[Dok. 103 - 110]

§.34. ^Die Reichsgewalt ausschlieBlich hat die Gesetzgebung tiber das gesammte Zollwesen, | so wie tiber gemeinschaftliche Produktions= und Verbrauchs=Steuem. ^Welche Produktions= I und Verbrauchs=Steuem gemeinschaftlich sein sollen, bestimmt die Reichsgesetzgebung. §. 35. Die Erhebung und Verwaltung der Zolle, so wie der gemeinschaftlichen Produktions= | [S. 108] und Verbrauchs=Steuem, geschieht nach Anordnung und unter Oberaufsicht der Reichs= | gewalt. Aus dem Ertrage wird ein bestimmter Theil nach MaaBgabe des ordentHchen | Budgets fur die Ausgaben des Reiches vorweggenommen, das Uebrige wird an die | einzelnen Staaten vertheilt. Ein besonderes Reichsgesetz wird hieriiber das Nahere feststellen„ §.36. Auf welche Gegenstande die einzelnen Staaten Produktions= oder Verbrauchs=Steuem | fur Rechnung des Staates oder einzelner Gemeinden legen dtirfen und welche Be= | dingungen und Beschrankungen dabei eintreten sollen, wird durch die Reichsgesetzgebung | bestimmt. §.37. Die einzelnen deutschen Staaten sind nicht befugt, auf Gtiter, welche tiber die | Reichsgrenze ein= oder ausgehen, Zolle zu legen. §.38. Die Reichsgewalt hat das Recht der Gesetzgebung tiber den Handel und die | Schifffahrt, und tiberwacht die Ausfuhrung der dartiber erlassenen Reichsgesetze. §.39. Der Reichsgewalt steht es zu, tiber das Gewerbewesen Reichsgesetze zu erlassen | und die Ausfuhrung derselben zu tiberwachen. §. 40. Erfindungs=Patente werden ausschlieBlich von Reichswegen auf Grundlage eines | Reichsgesetzes ertheilt; auch steht der Reichsgewalt ausschlieBlich die Gesetzgebung gegen I den Nachdruck von Btichem, jedes unbeftigte Nachahmen von Kunstwerken, Fabrikzeichen, | Mustem und Formen und gegen andere Beeintrachtigungen des geistigen Eigenthums zu. Artikel VIII. §.41. Die Reichsgewalt hat das Recht der Gesetzgebung und die Oberaufsicht tiber das | Postwesen, namentlich tiber Organisation, Tarife, Transit, Portotheilung und die Ver= | haltnisse zwischen den einzelnen Postverwaltungen. Dieselbe sorgt fiir gleichmaBige Anwendung der Gesetze durch Vollzugsverordnungen, | und tiberwacht deren Durchflihrung in den einzelnen Staaten durch fortdauemde Controle. [S. 109] Der Reichsgewalt steht es zu, die innerhalb mehrerer Postgebiete sich bewegenden | Course im Interesse des allgemeinen Verkehrs zu ordnen.

[106] Verfassung des Deutschen Reiches vom 28. Marz 1849

1049

§.42. Postvertrage mit auslandischen Postverwaltungen diirfen nur von der Reichsgewalt | oder mit deren Genehmigung geschlossen werden. §.43. Die Reichsgewalt hat die BefugniB, insofem es ihr nothig scheint, das deutsche | Postwesen flir Rechnung des Reiches in GemaBheit eines Reichsgesetzes zu libemehmen, | vorbehaltlich billiger Entschadigung der Berechtigten. §.44. Die Reichsgewalt ist befiigt, Telegraphenlinien anzulegen, und die vorhandenen | gegen Entschadigung zu benutzen, oder auf dem Wege der Enteignung zu erwerben. Weitere Bestimmungen hieriiber, so wie iiber Benutzung von Telegraphen fur den | Privatverkehr, sind einem Reichsgesetz vorbehalten. Artikel IX. §.45. ^Die Reichsgewalt ausschlieBlich hat die Gesetzgebung und die Oberaufsicht iiber | das Mtinzwesen. "^Es liegt ihr ob, fur ganz Deutschland dasselbe Mtinzsystem einzu= | flihren. Sie hat das Recht, Reichsmiinzen zu pragen. §. 46. Der Reichsgewalt liegt es ob, in ganz Deutschland dasselbe System fiir MaaB | und Gewicht, so wie fiir den Feingehalt der Gold= und Silberwaaren zu begrunden. §.47. ^Die Reichsgewalt hat das Recht, das Bankwesen und das Ausgeben von Papier= | geld durch die Reichsgesetzgebung zu regeln. '^Sie tiberwacht die Ausftihrung der dar= | liber erlassenen Reichsgesetze. Artikel X. §. 48. Die Ausgaben fiir alle MaaBregeln und Einrichtungen, welche von Reichswegen | ausgeftihrt werden, sind von der Reichsgewalt aus den Mitteln des Reiches zu bestreiten. [S. 110] §. 49. Zur Bestreitung seiner Ausgaben ist das Reich zunachst auf seinen Antheil an den | Einkiinften aus den Zollen und den gemeinsamen Produktions= und Verbrauchs=Steuera | angewiesen. §.50. Die Reichsgewalt hat das Recht, insoweit die sonstigen Einkiinfte nicht ausreichen, | Matrikularbeitrage aufzunehmen. §.5L Die Reichsgewalt ist befugt, in auBerordentlichen Fallen Reichssteuem aufzulegen | und zu erheben oder erheben zu lassen, so wie Anleihen zu machen oder sonstige Schul= | den zu contrahiren.

1050

§ 5: Einheitsbestrebungen (1848 - 50)

[Dok. 103 - 110]

Artikel XL §. 52. Den Umfang der Gerichtsbarkeit des Reiches bestimmt der Abschnitt vom Reichs= | gericht. Artikel XIL §.53. Der Reichsgewalt liegt es ob, die kraft der Reichsverfassung alien Deutschen ver= | biirgten Rechte oberaufsehend zu wahren. §.54. Der Reichsgewalt liegt die Wahrung des Reichsfriedens ob. Sie hat die fur die Aufrechthaltung der innem Sicherheit und Ordnung erforder= | lichen MaaBregeln zu treffen: 1) wenn ein deutscher Staat von einem andem deutschen Staate in seinem Frieden | gestort Oder gefahrdet wird; 2) wenn in einem deutschen Staate die Sicherheit und Ordnung durch Einheimische | oder Fremde gestort oder gefahrdet wird. Doch soil in diesem Falle von der | Reichsgewalt nur dann eingeschritten werden, wenn die betreffende Regierung | sie selbst dazu auffordert, es sei denn, daB dieselbe dazu notorisch auBer Stande | ist oder der gemeine Reichsfrieden bedroht erscheint; 3) wenn die Verfassung eines deutschen Staates gewaltsam oder einseitig aufgehoben | oder verandert wird, und durch das Anrufen des Reichsgerichtes unverziigliche | Htilfe nicht zu erwirken ist.

[S. Ill] §.55. Die MaaBregeln, welche von der Reichsgewalt zur Wahrung des Reichsfriedens ergriffen I werden konnen, sind: 1) Erlasse, 2) Absendung von Commissarien, 3) Anwen= | dung von bewaffneter Macht. Ein Reichsgesetz wird die Grundsatze bestimmen, nach welchen die durch solche | MaaBregeln veranlaBten Kosten zu tragen sind. §. 56. Der Reichsgewalt liegt es ob, die Falle und Formen, in welchen die bewaffnete | Macht gegen Storungen der offentlichen Ordnung angewendet werden soil, durch ein | Reichsgesetz zu bestimmen. §.57. Der Reichsgewalt liegt es ob, die gesetzlichen Normen liber Erwerb und Verlust | des Reichs= und Staatsbiirgerrechts festzusetzen. §. 58. Der Reichsgewalt steht es zu, liber das Heimathsrecht Reichsgesetze zu erlassen | und die Ausfuhrung derselben zu liberwachen. §.59. Der Reichsgewalt steht es zu, unbeschadet des durch die Grundrechte gewahrleisteten | Rechts der freien Vereinigung und Versammlung, Reichsgesetze liber das Associations= | wesen zu erlassen.

[ 106] Verfassung des Deutschen Reiches vom 28. Marz 1849

1051

§.60. Die Reichsgesetzgebung hat fur die Auftiahme offentlicher Urkunden diejenigen EP= | fordemisse festzustellen, welche die Anerkeimung ihrer Aechtheit in ganz Deutschland | bedingen.

§.61. Die Reichsgewalt ist befugt, im Interesse des Gesammtwohls allgemeine MaaB= | regeln fiir die Gesundheitspflege zu treffen. Artikel XIII. §.62. Die Reichsgewalt hat die Gesetzgebung, soweit es zur Ausfiihrung der ihr ver= | fassungsmaBig iibertragenen Befugnisse und zum Schutze der ihr tiberlassenen Anstalten | erforderlich ist. [S. 112] §. 63. Die Reichsgewalt ist befugt, wenn sie im Gesammtinteresse Deutschlands gemein= | same Einrichtungen und MaaBregeln nothwendig findet, die zur Begrtindung derselben | erforderlichen Gesetze in den fiir die Veranderung der Verfassung vorgeschriebenen For= | men zu erlassen. §.64. Der Reichsgewalt liegt es ob, durch die Erlassung allgemeiner Gesetzbticher liber | btirgerliches Recht, Handels= und Wechselrecht, Strafrecht und gerichtliches Verfahren | die Rechtseinheit im deutschen Volke zu begriinden. §. 65. Alle Gesetze und Verordnungen der Reichsgewalt erhalten verbindliche Kraft durch | ihre Verkiindigung von Reichswegen. §. ^6. Reichsgesetze gehen den Gesetzen der Einzelstaaten vor, insofem ihnen nicht aus= | drticklich eine nur subsidiare Geltung beigelegt ist. Artikel XIV. §.67. Die Anstellung der Reichsbeamten geht vom Reiche aus. Die Dienstpragmatik des Reiches wird ein Reichsgesetz feststellen. Abschnitt III. Das Reichsoberhaupt. Artikel I. §.68. Die Wiirde des Reichsoberhauptes wird einem der regierenden deutschen Ftirsten | tibertragen. §.69. ^Diese Wtirde ist erblich im Hause des Ftirsten, dem sie tibertragen worden. ^Sie | vererbt im Mannsstamme nach dem Rechte der Erstgeburt.

1052

§ 5: Einheitsbestrebungen (1848 - 50)

[Dok. 103 - 110]

§.70. Das Reichsoberhaupt fuhrt den Titel: Kaiser der Deutschen. §.71. ^Die Residenz des Kaisers ist am Sitze der Reichsregiemng. ^Wenigstens wahrend | der Dauer des Reichstags wird der Kaiser dort bleibend residiren. [S. 113] So oft sich der Kaiser nicht am Sitze der Reichsregiemng befindet, muB einer der | Reichsminister in seiner unmittelbaren Umgebung sein. Die Bestimmungen iiber den Sitz der Reichsregiemng bleiben einem Reichsgesetz | vorbehalten. §.72. Der Kaiser bezieht eine Civilliste, welche der Reichstag festsetzt. Artikel 11. §.73. Die Person des Kaisers ist unverletzhch. Der Kaiser iibt die ihm tibertragene Gewalt durch verantwortliche von ihm er= | nannte Minister aus. §.74. Alle Regiemngshandlungen des Kaisers bedtirfen zu ihrer Gtiltigkeit der Gegen= | zeichnung von wenigstens einem der Reichsminister, welcher dadurch die Verantwortung | iibemimmt. Artikel III. §. 75. ^Der Kaiser tibt die volkerrechtliche Vertretung des deutschen Reiches und der ein= | zelnen deutschen Staaten aus. ^Er stellt die Reichsgesandten und die Consuln an und | ftihrt den diplomatischen Verkehr. §. 76. Der Kaiser erklart Krieg und schlieBt Frieden. §.77. Der Kaiser schlieBt die Biindnisse und Vertrage mit den auswartigen Machten ab, | und zwar unter Mitwirkung des Reichstages, insoweit diese in der Verfassung vorbe= | halten ist. §. 78. Alle Vertrage nicht rein privatrechtlichen Inhalts, welche deutsche Regiemngen | unter sich Oder mit auswartigen Regiemngen abschlieBen, sind dem Kaiser zur KenntniB= | nahme, und insofem das Reichsinteresse dabei betheiligt ist, zur Bestatigung vorzulegen. §.79. Der Kaiser bemft und schlieBt den Reichstag; er hat das Recht, das Volkshaus | aufzulo-

[106] Verfassung des Deutschen Reiches vom 28. Marz 1849

1053

[S. 114] §.80. ^Der Kaiser hat das Recht des Gesetzvorschlages. "^Er tibt die gesetzgebende Ge= | wait in Gemeinschaft mit dem Reichstage unter den verfassungsmaBigen Beschrankungen | aus. ^Er verkiindigt die Reichsgesetze und erlaBt die zur Vollziehung derselben nothigen | Verordnungen. §.81. ^In Strafsachen, welche zur Zustandigkeit des Reichsgerichts gehoren, hat der Kaiser | das Recht der Begnadigung und Strafmilderung. "^Das Verbot der Einleitung oder | Fortsetzung von Untersuchungen kann der Kaiser nur mit Zustimmung des Reichstages | erlassen. ^Zu Gunsten eines wegen seiner Amtshandlungen vemrtheilten Reichsministers kann | der Kaiser das Recht der Begnadigung und Strafmilderung nur dann austiben, wenn | dasjenige Haus, von welchem die Anklage ausgegangen ist, darauf antragt. ^Zu Gun= | sten von Landesministem steht ihm ein solches Recht nicht zu. §. 82. Dem Kaiser liegt die Wahrung des Reichsfriedens ob. §.83. Der Kaiser hat die Verfugung liber die bewaffnete Macht. §.84. ^Ueberhaupt hat der Kaiser die Regierungsgewalt in alien Angelegenheiten des | Reiches nach MaaBgabe der Reichsverfassung. ^Ihm als Trager dieser Gewalt stehen | diejenigen Rechte und Befugnisse zu, welche in der Reichsverfassung der Reichsgewalt | beigelegt und dem Reichstage nicht zugewiesen sind. Abschnitt IV. Der Reichstag. Artikel I. §.85. Der Reichstag besteht aus zwei Hausem, dem Staatenhaus und dem Volkshaus. Artikel II. §.86. Das Staatenhaus wird gebildet aus den Vertretem der deutschen Staaten. [S. 115] §. 87. Die Zahl der Mitglieder vertheilt sich nach folgendem VerhaltniB: PreuBen 40 Mitglieder. Oesterreich 38 " Bayem 18 " Sachsen 10 " Hannover 10 " Wiirtemberg 10 " Baden 9 " Kurhessen 6 " GroBherzogthum Hessen 6 " Holstein (=Schleswig, s. Reich §. 1.) 6 " Mecklenburg=Schwerin 4 "

1054

[Dok. 103-110]

§ 5: Einheitsbestrebungen (1848 - 50) Luxemburg=Limburg Nassau Braunschweig. Oldenburg Sachsen=Weimar... Sachsen=Coburg=Gotha Sachsen=Meiningen=Hildburghausen Sachen=Altenburg Mecklenburg=Strelitz... Anhalt=Dessau Anhalt=Bemburg Anhalt=Kothen... Schwarzburg^Sondershausen Schwarzburg=Rudolstadt Hohenzollem^Hechingen..., Liechtenstein Hohenzollem=Sigmaringen..,.» Waldeck.. Reui3 altere Linie ReuB jtingere Linie.....

3 " 3 " 2 " 2 " 2 " 1 Mitglied

184Mitglieder. [S. 116] Schaumburg=Lippe. Lippe^Detmold Hessen=Homburg.... Lauenburg Liibeck Frankfurt...... Bremen........... Hamburg....

Transport: 184 Mitglieder Mitglied

192 Mitglieder. So lange die deutsch=osterreichischen Lande an dem Bundesstaate nicht Theil neh= | men, erhalten nachfolgende Staaten eine groBere Anzahl von Stimmen im Staaten=^ | hause; namlich: Bayem „ 20 Sachsen........... 12 Hannover. 12 Wiirtemberg 12 Baden .10 GroBherzogthum Hessen 8 Kurhessen................. 7 Nassau. 4 Hamburg 2

[106] Verfassung des Deutschen Reiches vom 28. Marz 1849

1055

§.88. Die Mitglieder des Staatenhauses werden zur Halfte durch die Regierung und zur | Halfte durch die Volksvertretung der betreffenden Staaten emannt. In denjenigen deutschen Staaten, welche aus mehreren Provinzen oder Landem | mit abgesonderter Verfassung oder Verwaltung bestehen, sind die durch die Volksvertre= | tung dieses Staates zu emennenden Mitglieder des Staatenhauses nicht von der allge= | meinen Landesvertretung, sondem von den Vertretungen der einzelnen Lander oder Pro= | vinzen (Provinzialstanden) zu emennen. Das VerhaltniB, nach welchem die Zahl der diesen Staaten zukommenden Mitglie= | der unter die einzelnen Lander oder Provinzen zu vertheilen ist, bleibt der Landesgesetz= | gebung vorbehalten. [S. 117] Wo zwei Kammem bestehen und eine Vertretung nach Provinzen nicht Statt findet, | wahlen beide Kammem in gemeinsamer Sitzung nach absoluter Stimmenmehrheit. §.89. In denjenigen Staaten, welche nur Bin Mitglied in das Staatenhaus senden, | schlagt die Regierung drei Candidaten vor, aus denen die Volksvertretung mit absoluter | Stimmenmehrheit wahlt. Auf dieselbe Weise ist in denjenigen Staaten, welche eine ungerade Zahl von Mit= | gliedem senden, in Betreff des letzten derselben zu verfahren. §.90. Wenn mehrere deutsche Staaten zu einem Ganzen verbunden werden, so entscheidet | ein Reichsgesetz tiber die dadurch etwa nothwendig werdende Abanderung in der Zusam= | mensetzung des Staatenhauses. §.91. Mitglied des Staatenhauses kann nur sein, wer 1) Staatsbiirger des Staates ist, welcher ihn sendet, 2) das 30ste Lebensjahr zuriickgelegt hat, 3) sich im vollen GenuB der biirgerlichen und staatsbtirgerlichen Rechte befindet. §. 92. ^Die Mitglieder des Staatenhauses werden auf sechs Jahre gewahlt. '^Sie werden | alle drei Jahre zur Halfte emeuert. ^Auf welche Weise nach den ersten drei Jahren das Ausscheiden der einen Halfte | Statt finden soil, wird durch ein Reichsgesetz bestimmt. ^Die Ausscheidenden sind stets | wieder wahlbar. Wird nach Ablauf dieser drei Jahre und vor Vollendung der neuen Wahlen flir | das Staatenhaus ein auBerordenthcher Reichstag berufen, so treten, so weit die neuen | Wahlen noch nicht stattgefunden haben, die fniheren Mitglieder ein. Artikel III. §. 93. Das Volkshaus besteht aus den Abgeordneten des deutschen Volkes. §.94. Die Mitglieder des Volkshauses werden fiir das erste Mai auf vier Jahre, dem= | nachst immer auf drei Jahre gewahlt. Die Wahl geschieht nach den in dem Reichswahlgesetze enthaltenen Vorschriften.

1056

§ 5: Einheitsbestrebungen (1848 - 50)

[Dok. 103 - 110]

[S, 118] Artikel IV. §.95. ^Die Mitglieder des Reichstages beziehen aus der Reichskasse ein gleichmaBiges Tage= I geld und Entschadigung fiir ihre Reisekosten. ^Das Nahere bestimmt ein Reichsgesetz. §.96. Die Mitglieder beider Hauser konnen durch Instmktionen nicht gebunden werden. §. 97. Niemand kann gleichzeitig Mitglied von beiden Hausem sein. Artikel V. §. 98. Zu einem BeschluB eines jeden Hauses des Reichstages ist die Theilnahme von | wenigstens der Halfte der gesetzlichen Anzahl seiner Mitglieder und die einfache Stim= i menmehrheit erforderlich. Im Falle der Stimmengleichheit wird ein Antrag als abgelehnt betrachtet. §.99. Das Recht des Gesetzvorschlages, der Beschwerde, der Adresse und der Erhebung | von Thatsachen, sowie der Anklage der Minister steht jedem Hause zu. §. 100. Ein ReichstagsbeschluB kann nur durch die Uebereinstimmung beider Hauser giiltig | zu Stande kommen. §.101. Ein ReichstagsbeschluB, welcher die Zustimmung der Reichsregierung nicht erlangt | hat, darf in derselben Sitzungsperiode nicht wiederholt werden. ^Ist von dem Reichstage in drei sich unmittelbar folgenden ordentlichen Sitzungs= | perioden derselbe BeschluB unverandert gefaBt worden, so wird derselbe, auch wenn die | Zustimmung der Reichsregierung nicht erfolgt, mit dem Schlusse des dritten Reichstages | zum Gesetz. ^Eine ordentliche Sitzungsperiode, welche nicht wenigstens vier Wochen | dauert, wird in dieser Reihenfolge nicht mitgezahlt. §.102. Ein ReichstagsbeschluB ist in folgenden Fallen erforderlich: 1) Wenn es sich um die Erlassung, Aufhebung, Abanderung oder Auslegung von | Reichsgesetzen handelt. [S. 119] 2) Wenn der Reichshaushalt festgestellt wird, wenn Anleihen contrahirt werden, wenn | das Reich eine im Budget nicht vorgesehene Ausgabe tibemimmt, oder Matri= | kularbeitrage oder Steuem erhebt. 3) Wenn fremde See= und FluBschifffahrt mit hoheren Abgaben belegt werden soil. 4) Wenn Landesfestungen zu Reichsfestungen erklart werden sollen. 5) Wenn Handels=, Schifffahrts= und Auslieferungsvertrage mit dem Auslande ge= | schlossen werden, sowie iiberhaupt volkerrechtliche Vertrage, insofem sie das Reich I belasten.

[106] Verfassung des Deutschen Reiches vom 28. Marz 1849

1057

6) Wenn nicht zum Reich gehorige Lander oder Landestheile dem deutschen Zollge= | biete angeschlossen, oder einzelne Orte oder Gebietstheile von der Zolllinie aus= | geschlossen werden sollen, 7) Wenn deutsche Landestheile abgetreten, oder wenn nichtdeutsche Gebiete dem Reiche | einverleibt oder auf andere Weise mit demselben verbunden werden sollen. §. 103. Bei Feststellung des Reichshaushaltes treten folgende Bestimmungen ein: 1) AUe die Finanzen betreffenden Vorlagen der Reichsregierung gelangen zunachst an I das Volkshaus. 2) Bewilligungen von Ausgaben diirfen nur auf Antrag der Reichsregierung und bis | zum Belauf dieses Antrages erfolgen. Jede Bewilligung gilt nur fur den be= | sonderen Zweck, flir welchen sie bestimmt worden. Die Verwendung darf nur | innerhalb der Grenze der Bewilligung erfolgen. 3) Die Dauer der Finanzperiode und Budgetbewilligung ist ein Jahr. 4) Das Budget liber die regelmaBigen Ausgaben des Reiches und liber den Reserve^ | fond, so wie liber die fiir beides erforderlichen Deckungsmittel, wird auf dem | ersten Reichstage durch Reichstagsbeschllisse festgestellt. Line Erhohung dieses | Budgets auf spateren Reichstagen erfordert gleichfalls einen ReichstagsbeschluB. 5) Dieses ordentliche Budget wird auf jedem Reichstage zuerst dem Volkshause vor= | gelegt, von diesem in seinen einzelnen Ansatzen nach den Erlauterungen und | Belegen, welche die Reichsregierung vorzulegen hat, gepriift und ganz oder theil= | weise bewilligt oder verworfen. 6) Nach erfolgter Prlifung und Bewilligung durch das Volkshaus wird das Budget | an das Staatenhaus abgegeben. Diesem steht, innerhalb des Gesammtbetrages | des ordentlichen Budgets, so wie derselbe auf dem ersten Reichstage oder durch | [S. 120] spatere Reichstagsbeschllisse festgestellt ist, nur das Recht zu, Erinnemngen und | Ausstellungen zu machen, liber welche das Volkshaus endgliltig beschlieBt. 7) Alle auBerordentlichen Ausgaben und deren Deckungsmittel bedlirfen, gleich der | Erhohung des ordentlichen Budgets, eines Reichstagsbeschlusses. 8) Die Nachweisung liber die Verwendung der Reichsgelder wird dem Reichstage, | und zwar zuerst dem Volkshause, zur Prlifung und zum AbschluB vorgelegt. ArtikelVI. §. 104. ^Der Reichstag versammelt sich jedes Jahr am Sitze der Reichsregierung. ^Die | Zeit der Zusammenkunft wird vom Reichsoberhaupt bei der Einberufung angegeben, in= | sofem nicht ein Reichsgesetz dieselbe festsetzt. AuBerdem kann der Reichstag zu auBerordentlichen Sitzungen jederzeit vom Reichs= | oberhaupt einberufen werden. §. 105. ^Die ordentlichen der Landtage in den Einzelstaaten sollen mit | denen tien Sitzungsperioden de des Reichstages in ^Das Nahere bleibt einem | Reichsgen der Regel nicht zusammenfallen. zusan setz vorbehalten. §.106. Das Volkshaus kann durch das Reichsoberhaupt aufgelost werden. In dem Falle der Auflosung ist der Reichstag binnen drei Monaten wieder zu | versammeln.

1058

§ 5: Einheitsbestrebungen (1848 - 50)

[Dok. 103 - 110]

§. 107. Die Auflosung des Volkshauses hat die gleichzeitige Vertagung des Staatenhauses | bis zur Wiederbemfung des Reichstages zur Folge. Die Sitzungsperioden beider Hauser sind dieselben. §. 108. Das Ende der Sitzungsperiode des Reichstages wird vom Reichsoberhaupt bestimmt. §. 109. Eine Vertagung des Reichstages oder eines der beiden Hauser durch das Reichs= | oberhaupt bedarf, wenn sie nach Eroffnung der Sitzung auf langer als vierzehn Tage | ausgesprochen werden soil, der Zustimmung des Reichstages oder des betreffenden Hauses. Auch der Reichstag selbst so wie jedes der beiden Hauser, kann sich auf vierzehn Tage vertagen. [S. 121] Artikel VII. §.110. Jedes der beiden Hauser wahlt seinen Prasidenten, seine Viceprasidenten und seine | Schriftfiihrer. §.111. ^Die Sitzungen beider Hauser sind offentlich. "^Die Geschaftsordnung eines jeden | Hauses bestimmt, unter welchen Bedingungen vertrauliche Sitzungen stattfinden konnen. §.112. Jedes Haus priift die Vollmachten seiner Mitglieder und entscheidet liber die Zu= | lassung derselben. §.113. Jedes Mitglied leistet bei seinem Eintritt den Eid: „Ich schwore, die deutsche | Reichsverfassung getreulich zu beobachten und aufrecht zu erhalten, so wahr mir Gott | helfe." §.114. ^Jedes Haus hat das Recht, seine Mitglieder wegen unwiirdigen Verhaltens im | Hause zu bestrafen und auBersten Falls auszuschlieBen. ^Das Nahere bestimmt die Ge= | schaftsordnung jedes Hauses. Eine AusschlieBung kann nur dann ausgesprochen werden, wenn eine Mehrheit | von zwei Dritteln der Stimmen sich dafiir entscheidet. §.115. Weder Ueberbringer von Bittschriften noch tiberhaupt Deputationen sollen in den | Hausem zugelassen werden. §.116. ^Jedes Haus hat das Recht, sich seine Geschaftsordnung selbst zu geben. ^Die | geschaftlichen Beziehungen zwischen beiden Hausem werden durch Uebereinkunft beider | Hauser geordnet.

[106] Verfassung des Deutschen Reiches vom 28. Marz 1849

1059

Artikel VIII. §•117. Ein Mitglied des Reichstages darf wahrend der Dauer der Sitzungsperiode ohne | Zustimmung des Hauses, zu welchem es gehort, wegen strafrechtlicher Anschuldigungen | weder verhaftet, noch in Untersuchung gezogen werden, mit alleiniger Ausnahme der | Ergreifung auf frischer That. [S. 122] §.118. ^In diesem letzteren Falle ist dem betreffenden Hause von der angeordneten MaaB= | regel sofort KenntniB zu geben. '^Es steht demselben zu, die Aufhebung der Haft oder | Untersuchung bis zum Schlusse der Sitzungsperiode zu verfligen. §.119. Dieselbe BefugniB steht jedem Hause in Betreff einer Verhaftung oder Untersuchung | zu, welche liber ein Mitglied desselben zur Zeit seiner Wahl verhangt gewesen, oder | nach dieser bis zu Eroffnung der Sitzungen verhangt worden ist. §. 120. Kein Mitglied des Reichstages darf zu irgend einer Zeit wegen seiner Abstimmung | oder wegen der in Austibung seines Berufes gethanen AeuBerungen gerichtlich oder | disciplinarisch verfolgt oder sonst auBerhalb der Versammlung zur Verantwortung gezo= | gen werden. Artikel IX. §.121. Die Reichsminister haben das Recht, den Verhandlungen beider Hauser des Reichs= | tages beizuwohnen und jederzeit von denselben gehort zu werden. §. 122. Die Reichsminister haben die Verpflichtung, auf Verlangen jedes der Hauser des | Reichstages in demselben zu erscheinen und Auskunft zu ertheilen, oder den Grund an= | zugeben, weshalb dieselbe nicht ertheilt werden konne. §. 123. Die Reichsminister konnen nicht Mitglieder des Staatenhauses sein. §. 124. Wenn ein Mitglied des Volkshauses im Reichsdienst ein Amt oder eine Beforde= | rung annimmt, so muB es sich einer neuen Wahl unterwerfen; es behalt seinen Sitz im | Hause, bis die neue Wahl stattgefunden hat. Abschnitt V. Das Reichsgericht. Artikel I. §. 125. Die dem Reiche zustehende Gerichtsbarkeit wird durch ein Reichsgericht ausgeiibt. [S. 123] §. 126. Zur Zustandigkeit des Reichsgerichts gehoren: a) Klagen eines Einzelstaates gegen die Reichsgewalt wegen Verletzung der Reichs= | verfassung durch Erlassung von Reichsgesetzen und durch MaaBregeln der

1060

b)

c) d) e) f)

g)

h) i) k) 1)

m) n)

§ 5: Einheitsbestrebungen (1848 - 50)

[Dok. 103 - 110]

Reichs= | regierung, sowie Klagen der Reichsgewalt gegen einen Einzelstaat wegen Ver= I letzung der Reichsverfassung. Streitigkeiten zwischen dem Staatenhause und dem Volkshause unter sich und zwi= I schen jedem von ihnen und der Reichsregierung, welche die Auslegung der | Reichsverfassung betreffen, wenn die streitenden Theile sich vereinigen, die Ent= | scheidung des Reichsgerichts einzuholen. Politische und privatrechtHche Streitigkeiten aller Art zwischen den einzelnen deut= I schen Staaten. Streitigkeiten iiber Thronfolge, Regierungsfahigkeit und Regentschaft in den Ein= | zelstaaten. Streitigkeiten zwischen der Regierung eines Einzelstaates und dessen Volksvertre= | tung iiber die Gtiltigkeit oder Auslegung der Landesverfassung. Klagen der Angehorigen eines Einzelstaates gegen die Regierung desselben, wegen I Aufhebung oder verfassungswidriger Veranderung der Landesverfassung. | Klagen der Angehorigen eines Einzelstaates gegen die Regierung wegen | Verletzung der Landesverfassung konnen bei dem Reichsgericht nur angebracht | werden, wenn die in der Landesverfassung gegebenen Mittel der Abhtilfe nicht | zur Anwendung gebracht werden konnen. Klagen deutscher Staatsbiirger wegen Verletzung der durch die Reichsverfassung | ihnen gewahrten Rechte. Die naheren Bestimmungen liber den Umfang dieses | Klagerechts und die Art und Weise, dasselbe geltend zu machen, bleiben der | Reichsgesetzgebung vorbehalten. Beschwerden wegen verweigerter oder gehemmter Rechtspflege, wenn die landes= I gesetzlichen Mittel der Abhtilfe erschopft sind. Strafgerichtsbarkeit tiber die Anklagen gegen die Reichsminister, insofem sie deren | ministerielle Verantwortlichkeit betreffen. Strafgerichtsbarkeit tiber die Anklagen gegen die Minister der Einzelstaaten, in= | sofem sie deren ministerielle Verantwortlichkeit betreffen. Strafgerichtsbarkeit in den Fallen des Hoch= und Landesverraths gegen das Reich. | [S. 124] Ob noch andere Verbrechen gegen das Reich der Strafgerichtsbarkeit des | Reichsgerichts zu iiberweisen sind, wird spateren Reichsgesetzen vorbehalten. Klagen gegen den Reichsfiscus. Klagen gegen deutsche Staaten, wenn die Verpflichtung, dem Anspruche Gentige | zu leisten, zwischen mehreren Staaten zweifelhaft oder bestritten ist, so wie wenn | die gemeinschaftliche Verpflichtung gegen mehrere Staaten in einer Klage geltend | gemacht wird.

§.127. Ueber die Frage, ob ein Fall zur Entscheidung des Reichsgerichts geeignet sei, | erkennt einzig und allein das Reichsgericht selbst. §. 128. Ueber die Einsetzung und Organisation des Reichsgerichts, tiber das Verfahren und | die Vollziehung der reichsgerichtlichen Entscheidungen und Verfligungen wird ein beson= | deres Gesetz ergehen. Diesem Gesetze wird auch die Bestimmung, ob und in welchen Fallen bei dem | Reichsgericht die Urtheilsfallung durch Geschworene erfolgen soil, vorbehalten. Ebenso bleibt vorbehalten: ob und wie weit dieses Gesetz als organisches Verfas= | sungsgesetz zu betrachten ist.

[106] Verfassung des Deutschen Reiches vom 28. Marz 1849

1061

§. 129. Der Reichsgesetzgebung bleibt es vorbehalten, Admiralitats= und Seegerichte zu | errichten, so wie Bestimmungen liber die Gerichtsbarkeit der Gesandten und Consuln | des Reiches zu treffen, Abschnitt VI. Die Grundrechte des deutschen Volkes. §. 130. Dem deutschen Volke sollen die nachstehenden Grundrechte gewahrleistet sein. Sie | sollen den Verfassungen der deutschen Einzelstaaten zur Norm dienen, und keine Verfas= | sung Oder Gesetzgebung eines deutschen Einzelstaates soil dieselben je aufheben oder be= | schranken konnen. Artikel I. §.131. Das deutsche Volk besteht aus den Angehorigen der Staaten, welche das deutsche | Reich bilden. [S. 125] §. 132. ^Jeder Deutsche hat das deutsche Reichsbtirgerrecht. "^Die ihm Kraft dessen zustehenden I Rechte kann er in jedem deutschen Lande ausiiben. ^Ueber das Recht, zur deutschen | Reichsversammlung zu wahlen, verfiigt das Reichswahlgesetz. §. 133. Jeder Deutsche hat das Recht, an jedem Orte des Reichsgebietes seinen Aufenthalt | und Wohnsitz zu nehmen, Liegenschaften jeder Art zu erwerben und dariiber zu verfiigen, | jeden Nahrungszweig zu betreiben, das Gemeindebtirgerrecht zu gewinnen. Die Bedingungen fiir den Aufenthalt und Wohnsitz werden durch ein Heimaths= | gesetz, jene fur den Gewerbebetrieb durch eine Gewerbeordnung fur ganz Deutschland | von der Reichsgewalt festgesetzt. §. 134. Kein deutscher Staat darf zwischen seinen Angehorigen und andem Deutschen einen | Unterschied im btirgerlichen, peinlichen und ProzeB=Rechte machen, welcher die letzteren | als Auslander zuriicksetzt. §. 135. Die Strafe des btirgerlichen Todes soil nicht stattfinden, und da, wo sie bereits | ausgesprochen ist, in ihren Wirkungen aufhoren, soweit nicht hierdurch erworbene Privat= | rechte verletzt werden. §. 136. Die Auswanderungsfreiheit ist von Staatswegen nicht beschrankt; Abzugsgelder | dtirfen nicht erhoben werden. Die Auswanderungsangelegenheit steht unter dem Schutze und der Fursorge des | Reiches.

1062

§ 5: Einheitsbestrebungen (1848 - 50)

[Dok. 103 - 110]

Artikel 11. §. 137. Vor dem Gesetze gilt kein Unterschied der Stande. '^Der Adel als Stand ist | aufgehoben. Alle Standesvorrechte sind abgeschafft. Die Deutschen sind vor dem Gesetze gleich. Alle Titel, insoweit sie nicht mit einem Amte verbunden sind, sind aufgehoben und | diirfen nie wieder eingefiihrt werden. Kein Staatsangehoriger darf von einem auswartigen Staate einen Orden annehmen. Die offentlichen Aemter sind fiir alle Befahigten gleich zuganglich. [S. 126] Die Wehrpflicht ist fiir Alle gleich; Stellvertretung bei derselben findet nicht Statt. Artikel III. §. 138. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. Die Verhaftung einer Person soil, auBer im Falle der Ergreifling auf frischer | That, nur geschehen in Kraft eines richterlichen, mit Griinden versehenen Befehls. Dieser | Befehl muB im Augenblicke der Verhaftung oder innerhalb der nachsten vier und zwanzig | Stunden dem Verhafteten zugestellt werden. Die Polizeibehorde muB Jeden, den sie in Verwahrung genommen hat, im Laufe | des folgenden Tages entweder freilassen oder der richterlichen Behorde tibergeben. Jeder Angeschuldigte soil gegen Stellung einer vom Gerichte zu bestimmenden | Caution oder Biirgschaft der Haft entlassen werden, sofem nicht dringende Anzeigen eines | schweren peinlichen Verbrechens gegen denselben vorliegen. Im Falle einer widerrechtlich verfiigen oder verlangerten Gefangenschaft ist der | Schuldige und nothigenfalls der Staat dem Verletzten zur Genugthuung und Entschadi= | gung verpflichtet. Die fur das Heer= und Seewesen erforderlichen Modificationen dieser Bestimmun= | gen werden besonderen Gesetzen vorbehalten. §. 139. Die Todesstrafe, ausgenommen wo das Kriegsrecht sie vorschreibt, oder das See= | recht im Fall von Meutereien sie zulaBt, so wie die Strafen des Prangers, der Brand= | markung und der korperlichen Ztichtigung, sind abgeschafft. §. 140. Die Wohnung ist unverletzlich. Eine Haussuchung ist nur zulassig: 1) in Kraft eines richterlichen, mit Griinden versehenen Befehls, welcher sofort oder | innerhalb der nachsten vier und zwanzig Stunden dem Betheiligten zugestellt | werden soil, 2) im Falle der Verfolgung auf frischer That, durch den gesetzlich berechtigten Beamten, 3) in den Fallen und Formen, in welchen das Gesetz ausnahmsweise bestimmten Be= | amten auch ohne richterlichen Befehl dieselbe gestattet. Die Haussuchung muB, wenn thunlich, mit Zuziehung von Hausgenossen erfolgen. [S. 127] Die Unverletzlichkeit der Wohnung ist kein HindemiB der Verhaftung eines gericht= | lich Verfolgten.

[106] Verfassung des Deutschen Reiches vom 28. Marz 1849

1063

§. 141. Die Beschlagnahme von Briefen und Papieren darf, auBer bei einer Verhaflung | oder Haussuchung, nur in Kraft eines richterlichen, mit Griinden versehenen Befehls | vorgenommen werden, welcher sofort oder innerhalb der nachsten vier und zwanzig Stun= | den dem Betheiligten zugestellt werden soil. §. 142. Das BriefgeheimniB ist gewahrleistet. Die bei strafgerichtlichen Untersuchungen und in Kriegsfallen nothwendigen Be= | schrankungen sind durch die Gesetzgebung festzustellen. Artikel IV. §. 143. Jeder Deutsche hat das Recht, durch Wort, Schrift, Druck und bildliche Dai^ | stellung seine Meinung frei zu auBem. Die PreBfreiheit darf unter keinen Umstanden und in keiner Weise durch vorbeu= | gende MaBregeln, namentlich Censur, Concessionen, Sicherheitsbestellungen, Staats= | auflagen, Beschrankungen der Druckereien oder des Buchhandels, Postverbote oder andere | Hemmungen des freien Verkehrs beschrankt, suspendirt oder aufgehoben werden. Ueber PreBvergehen, welche von Amts wegen verfolgt werden, wird durch Schwur= | gerichte geurtheilt. Ein PreBgesetz wird vom Reiche erlassen werden. Artikel V. §. 144. Jeder Deutsche hat voile Glaubens= und Gewissensfreiheit. Niemand ist verpflichtet, seine religiose Ueberzeugung zu offenbaren. §. 145. Jeder Deutsche ist unbeschrankt in der gemeinsamen hauslichen und offentlichen | Uebung seiner Religion. Verbrechen und Vergehen, welche bei Ausiibung dieser Freiheit begangen werden, | sind nach dem Gesetze zu betrafen. [S. 128] §. 146. ^Durch das religiose BekenntniB wird der GenuB der burgerlichen und staatsburger= | lichen Rechte weder bedingt noch beschrankt. "^Den staatsbiirgerlichen Pflichten darf das= | selbe keinen Abbruch thun. §. 147. Jede Religionsgesellschaft ordnet und verwaltet ihre Angelegenheiten selbststandig, | bleibt aber den allgemeinen Staatsgesetzen unterworfen. Keine Religionsgesellschaft genieBt vor andem Vorrechte durch den Staat; es besteht | femerhin keine Staatskirche. Neue Religionsgesellschaften dtirfen sich bilden; einer Anerkennung ihres Bekennt= | nisses durch den Staat bedarf es nicht. §. 148. Niemand soil zu einer kirchlichen Handlung oder Feierlichkeit gezwungen werden.

1064

§ 5: Einheitsbestrebungen (1848 - 50)

[Dok. 103 - 110]

§. 149. Die Formel des Eides soil kiinftig lauten: „So wahr mir Gott helfe". §. 150. Die btirgerliche Giiltigkeit der Ehe ist nur von der Vollziehung des Civilactes ab= | hangig; die kirchliche Trauung kann nur nach der Vollziehung des Civilactes Statt finden. Die Religionsverschiedenheit ist kein biirgerliches EhehindemiB. §.151. Die Standesbticher werden von den btirgerlichen Behorden gefuhrt. Artikel VI. §. 152. Die Wissenschaft und ihre Lehre ist frei. §. 153. Das Unterrichts= und Erziehungswesen steht unter der Oberaufsicht des Staats, | und ist, abgesehen vom Religionsunterricht, der Beaufsichtigung der Geistlichkeit als | solcher enthoben. [S. 129] §. 154. Unterrichts= und Erziehungsanstalten zu griinden, zu leiten und an solchen Unter= | richt zu ertheilen, steht jedem Deutschen frei, wenn er seine Befahigung der betreffenden | Staatsbehorde nachgewiesen hat. Der hausliche Unterricht unterliegt keiner Beschrankung. §. 155. Fiir die Bildung der deutschen Jugend soil durch offentliche Schulen tiberall genti= | gend gesorgt werden. Eltem Oder deren Stellvertreter dtirfen ihre Kinder oder Pflegebefohlenen nicht | ohne den Unterricht lassen, welcher fur die unteren Volksschulen vorgeschrieben ist. §. 156. Die offentlichen Lehrer haben das Recht der Staatsdiener. Der Staat stellt unter gesetzlich geordneter Betheiligung der Gemeinden aus der | Zahl der Gepriiften die Lehrer der Volksschulen an. §. 157. Fiir den Unterricht in Volksschulen und niederen Gewerbeschulen wird kein Schul= | geld bezahlt. Unbemittelten soil auf alien offentlichen Unterrichtsanstalten freier Unterricht gewahrt | werden. §. 158. Es steht einem Jeden frei, seinen Bemf zu wahlen und sich fur denselben auszu= | bilden, wie und wo er will.

[106] Verfassung des Deutschen Reiches vom 28, Marz 1849

1065

Artikel VII. §. 159. Jeder Deutsche hat das Recht, sich mit Bitten und Beschwerden schriftlich an die | Behorden, an die Volksvertretungen und an den Reichstag zu wenden. Dieses Recht kann sowohl von Einzelnen als von Corporationen und von Mehreren | im Vereine ausgetibt werden; beim Heer und der Kriegsflotte jedoch nur in der Weise, | wie es die Disciplinarvorschriften bestimmen. §. 160. Eine vorgangige Genehmigung der Behorden ist nicht nothwendig, um offentliche | Beamte wegen ihrer amtlichen Handlungen gerichtlich zu verfolgen. [S. 130] Artikel VIII. §.161. Die Deutschen haben das Recht, sich friedlich und ohne Waffen zu versammeln; | einer besonderen ErlaubniB dazu bedarf es nicht. Volksversammlungen unter freiem Himmel konnen bei dringender Gefahr fiir die | offentliche Ordnung und Sicherheit verboten werden. §. 162. ^Die Deutschen haben das Recht, Vereine zu bilden. ^Dieses Recht soil durch keine | vorbeugende MaaBregel beschrankt werden. §. 163. Die in den §§. 161 und 162 enthaltenen Bestimmungen finden auf das Heer und | die Kriegsflotte Anwendung, insoweit die militarischen Disciplinarvorschriften nicht ent= | gegenstehen. Artikel IX. §. 164. Das Eigenthum ist unverletzlich. Eine Enteignung kann nur aus Rticksichten des gemeinen Besten, nur auf Grund | eines Gesetzes und gegen gerechte Entschadigung vorgenommen werden. Das geistige Eigenthum soil durch die Reichsgesetzgebung geschiitzt werden. §. 165. ^Jeder Grundeigenthtimer kann seinen Grundbesitz unter Lebenden und von Todes | wegen ganz Oder theilweise verauBem. "^Den Einzelstaaten bleibt tiberlassen, die Durch= | ftihrung des Grundsatzes der Theilbarkeit alles Grundeigenthums durch Uebergangs= | gesetze zu vermitteln. Ftir die todte Hand sind Beschrankungen des Rechts, Liegenschaften zu erwerben | und liber sie zu verfligen, im Wege der Gesetzgebung aus Griinden des offentlichen | Wohls zulassig. §. 166. Jeder Unterthanigkeits= und Horigkeitsverband hort fur immer auf §. 167. Ohne Entschadigung sind aufgehoben: 1) Die Patrimonialgerichtsbarkeit und die gmndherrliche Polizei, sammt den aus | diesen Rechten flieBenden Befiignissen, Exemtionen und Abgaben.

1066

§ 5: Einheitsbestrebungen (1848 - 50)

[Dok. 103 - 110]

[S. 131] 2) Die aus dem guts= und schutzherrlichen Verbande flieBenden personlichen Abgaben I und Leistungen. Mit diesen Rechten fallen auch die Gegenleistungen und Lasten weg, welche dem | bisher Berechtigten dafur oblagen. §. 168. Alle auf Grund und Boden haftenden Abgaben und Leistungen, insbesondere die | Zehnten, sind ablosbar: ob nur auf Antrag des Belasteten oder auch des Berechtigten, | und in welcher Weise, bleibt der Gesetzgebung der einzelnen Staaten tiberlassen. Es soil fortan kein Grundstuck mit einer unablosbaren Abgabe oder Leistung belastet | werden. §. 169, Im Grundeigenthum liegt die Berechtigung zur Jagd auf eignem Grund und Boden. Die Jagdgerechtigkeit auf fremdem Grund und Boden, Jagddienste, Jagdfrohnden | und andere Leistungen fiir Jagdzwecke sind ohne Entschadigung aufgehoben. Nur ablosbar jedoch ist die Jagdgerechtigkeit, welche erweislich durch einen lastigen | mit dem Eigenthtimer des belasteten Grundstiickes abgeschlossenen Vertrag erworben ist; | tiber die Art und Weise der Ablosung haben die Landesgesetzgebungen das Weitere | zu bestimmen. Die Ausiibung des Jagdrechts aus Griinden der offentlichen Sicherheit und des | gemeinen Wohls zu ordnen, bleibt der Landesgesetzgebung vorbehalten. Die Jagdgerechtigkeit auf fremdem Grund und Boden darf in Zukunft nicht wieder | als Grundgerechtigkeit bestellt werden. §. 170. ^Die Familienfideicommisse sind aufzuheben. ^Die Art und Bedingungen der Auf= | hebung bestimmt die Gesetzgebung der einzelnen Staaten. Ueber die Familienfideicommisse der regierenden furstlichen Hauser bleiben die Be= | stimmungen den Landesgesetzgebungen vorbehalten. §.171. ^Aller Lehensverband ist aufzuheben. ^Das Nahere tiber die Art und Weise der | Ausfiihrung haben die Gesetzgebungen der Einzelstaaten anzuordnen. §. 172. Die Strafe der Vermogenseinziehung soil nicht stattfinden. [S. 132] §. 173. Die Besteuerung soil so geordnet werden, daB die Bevorzugung einzelner Stande | und Gtiter in Staat und Gemeinde aufhort. Artikel X. §. 174. ^Alle Gerichtsbarkeit geht vom Staate aus. "^Es sollen keine Patrimonialgerichte | bestehen.

[106] Verfassung des Deutschen Reiches vom 28. Marz 1849

1067

§. 175. ^Die richterliche Gewalt wird selbststandig von den Gerichten geiibt. ^Cabinets= | und Ministerialjustiz ist unstatthaft. ^Niemand darf seinem gesetzlichen Richter entzogen werden. ^Ausnahmegerichte sol= | len nie stattfinden. §. 176, Es soil keinen privilegirten Gerichtsstand der Personen oder Gtiter geben. Die Militargerichtsbarkeit ist auf die Aburtheilung militarischer Verbrechen und | Vergehen, so wie der Militar=Disciplinarvergehen beschrankt, vorbehaltlich der Be= | stimmungen fur den Kriegsstand. §. 177. Kein Richter darf, auBer durch Urtheil und Recht, von seinem Amt entfemt, oder | an Rang und Gehalt beeintrachtigt werden. Suspension darf nicht ohne gerichtlichen BeschluB erfolgen. Kein Richter darf wider seinen Willen, auBer durch gerichtlichen BeschluB in den | durch das Gesetz bestimmten Fallen und Formen, zu einer andem Stelle versetzt oder | in Ruhestand gesetzt werden. §. 178. Das Gerichtsverfahren soil offentlich und mtindlich sein. Ausnahmen von der Oeffentlichkeit bestimmt im Interesse der Sittlichkeit das Gesetz. §. 179. In Strafsachen gilt der AnklageprozeB. Schwurgerichte sollen jedenfalls in schwereren Strafsachen und bei alien politischen [ Vergehen urtheilen. §. 180. Die btirgerliche Rechtspflege soil in Sachen besonderer Berufserfahrung durch sach= | kundige, von den Berufsgenossen frei gewahlte Richter getibt oder mitgetibt werden. [S. 133] §.181. Rechtspflege und Verwaltung sollen getrennt und von einander unabhangig sein. Ueber Competenzconflicte zwischen den Verwaltungs= und Gerichtsbehorden in den | Einzelstaaten entscheidet ein durch das Gesetz zu bestimmender Gerichtshof §. 182. Die Verwaltungsrechtspflege hort auf; liber alle Rechtsverletzungen entscheiden die | Gerichte. Der Polizei steht keine Strafgerichtsbarkeit zu. §. 183. Rechtskraftige Urtheile deutscher Gerichte sind in alien deutschen Landen gleich | wirksam und vollziehbar. Ein Reichsgesetz wird das Nahere bestimmen.

1068

§ 5: Einheitsbestrebungen (1848 - 50)

[Dok. 103 - 110]

Artikel XL §. 184 Jede Gemeinde hat als Grundrechte ihrer Verfassung: a. die Wahl ihrer Vorsteher und Vertreter; b. die selbststandige Verwaltung ihrer Gemeindeangelegenheiten mit EinschluB der | Ortspolizei, unter gesetzlich geordneter Oberaufsicht des Staates; c. die Veroffentlichung ihres Gemeindehaushaltes; d. Oeffentlichkeit der Verhandlungen als RegeL §. 185. Jedes Grundsttick soil einem Gemeindeverbande angehoren. Beschrankungen wegen Waldungen und Wtisteneien bleiben der Landesgesetzgebung | vorbehalten. Artikel XIL §. 186. Jeder deutsche Staat soil eine Verfassung mit Volksvertretung haben. Die Minister sind der Volksvertretung verantwortlich. §. 187. Die Volksvertretung hat eine entscheidende Stimme bei der Gesetzgebung, bei der | Besteuerung, bei der Ordnung des Staatshaushaltes; auch hat sie - wo zwei Kam= | [S. 134] mem vorhanden sind, jede Kammer ftir sich - das Recht des Gesetzvorschlags, der | Beschwerde, der Adresse, so wie der Anklage der Minister. Die Sitzungen der Landtage sind in der Regel offentlich. Artikel XIII. §. 188. Den nicht deutsch redenden Volksstammen Deutschlands ist ihre volksthtimliche | Entwickelung gewahrleistet, namentlich die Gleichberechtigung ihrer Sprachen, so weit | deren Gebiete reichen, in dem Kirchenwesen, dem Unterrichte, der innem Verwaltung | und der Rechtspflege. Artikel XIV. §. 189. Jeder deutsche Staatsbiirger in der Fremde steht unter dem Schutze des Reiches. Abschnitt VII. Die Gewahr der Verfassung. Artikel I. §. 190. ^Bei jedem Regierungswechsel tritt der Reichstag, falls er nicht schon versammelt ist, | ohne Berufung zusammen, in der Art, wie er das letzte Mai zusammengesetzt war. ^Der | Kaiser, welcher die Regierung antritt, leistet vor den zu einer Sitzung vereinigten beiden | Hausem des Reichstages einen Eid auf die Reichsverfassung. Der Eid lautet: „Ich schwore, das Reich und die Rechte des deutschen Volkes zu | schirmen, die Reichsverfassung aufrecht zu erhalten und sie gewissenhaft zu vollziehen. | So wahr mit Gott helfe". Erst nach geleistetem Eide ist der Kaiser berechtigt, Regierungshandlungen vorzu= | nehmen.

[106] Verfassung des Deutschen Reiches vom 28. Marz 1849

1069

§.191. ^Die Reichsbeamten haben beim Antritt ihres Amtes einen Eid auf die Reichsver= | fassung zu leisten. ^Das Nahere bestimmt die Dienstpragmatik des Reiches. §. 192. Ueber die Verantwortlichkeit der Reichsminister soil ein Reichsgesetz erlassen werden. [S. 135] §. 193. Die Verpflichtung auf die Reichsverfassung wird in den Einzelstaaten mit der Ver= | pflichtung auf die Landesverfassung verbunden und dieser vorangesetzt. Artikel II. §. 194. Keine Bestimmung in der Verfassung oder in den Gesetzen eines Einzelstaates darf | mit der Reichsverfassung in Widerspruch stehen. §. 195. ^Eine Aenderung der Regierungsform in einem Einzelstaate kann nur mit Zustim= | mung der Reichsgewalt erfolgen. •^Diese Zustimmung muB in den fur Aenderungen der | Reichsverfassung vorgeschriebenen Formen gegeben werden. Artikel III. §. 196. Abandemngen in der Reichsverfassung konnen nur durch einen BeschluB beider | Hauser und mit Zustimmung des Reichsoberhauptes erfolgen. Zu einem solchen BeschluB bedarf es in jedem der beiden Hauser: 1) der Anwesenheit von wenigstens zwei Dritteln der Mitglieder; 2) zweier Abstimmungen, zwischen welchen ein Zeitraum von wenigstens acht Tagen I liegen muB; 3) einer Stimmenmehrheit von wenigstens zwei Dritteln der anwesenden Mitglieder | bei jeder der beiden Abstimmungen. ^Der Zustimmung des Reichsoberhaupts bedarf es nicht, wenn in drei sich unmittel= | bar folgenden ordentlichen Sitzungsperioden derselbe ReichstagsbeschluB unverandert gefaBt I worden. ^Eine ordentliche Sitzungsperiode, welche nicht wenigstens vier Wochen dauert, | wird in dieser Reihenfolge nicht mitgezahlt. Artikel IV. §. 197. Im Falle des Kriegs oder Aufruhrs konnen die Bestimmungen der Grundrechte | liber Verhaftung, Haussuchung und Versammlungsrecht von der Reichsregierung oder der | Regierung eines Einzelstaates fiir einzelne Bezirke auBer Kraft gesetzt werden; | jedoch nur unter folgenden Bedingungen: [S. 136] 1) Die Verfugung muB in jedem einzelnen Falle von dem Gesammtministerium des | Reiches oder Einzelstaates ausgehen; 2) das Ministerium des Reiches hat die Zustimmung des Reichstages, das Ministerium I des Einzelstaates die des Landtages, wenn dieselben zur Zeit versammelt sind, I sofort einzuholen. Wenn dieselben nicht versammelt sind, so darf die Verfugung I nicht langer als 14 Tage dauem, ohne daB dieselben zusammenberufen und die I getroffenen MaBregeln zu ihrer Genehmigung vorgelegt werden. Weitere Bestimmungen bleiben einem Reichsgesetz vorbehalten.

1070

§ 5: Einheitsbestrebungen (1848 - 50)

[Dok. 103 - 110]

Ftir die Verkiindigung des Belagerungszustandes in Festungen bleiben die bestehen= | den gesetzlichen Vorschriften in Kjaft. Zur Beurkundung: | Frankfurt a. M., den 28. Mdrz 1849. Martin Eduard Simson von Konigsberg in PreuBen, d. Z. Prasident der verfassung= | gebenden Reichsversammlung. | Carl KirchgeBner aus Wtirzburg, d. Z. II. Stellvertreter des Vorsitzenden, Abgeordneter | des Wahlbezirkes Weiler in Bayem. | Friedrich Siegm. Jucho aus Frankfurt a. M., I. Schriftfuhrer. | Karl August Fetzer aus Stuttgart, Schriftfuhrer. | Dr. Anton Riehl aus Wien, Abgeordneter fur Zwettl, Schriftfuhrer. | Karl Biedermann aus Leipzig, Abgeordneter fur den XL sachsischen Wahlbezirk, Schriftfuhrer. | Gustav Robert V. Maltzahn aus Ciistrin, Abgeordneter fur den Wahlkreis Konigs= | berg i. d. R., Schriftfuhrer. I Max Neumayr aus Munchen, Abgeordneter fur den X. oberbayerischen Wahlbezirk, I Schriftfuhrer. | Dr. Heinrich von Gagem, aus Monsheim in Rheinhessen, Abgeordneter fur den Wahlkreis | Bensheim in der BergstraBe. | Dr. Konrad Dietrich HaBler, Abgeordneter von Ulm, Mitglied der Redactions=Konimission. | Franz Wigard, Abgeordneter von Dresden, Mitglied der Redactions=Kommission. | Gottlob Tafel aus Stuttgart, Abgeordneter fur den Wahlbezirk Schomdorf=Welzheim. | Dr. Alois Boczek, Abgeordneter fur Tischnowitz in Mahren. | Joh. Gerh. Roben, Abgeordneter fur den 26. hannoverischen Wahlbezirk aus Norden in | Ostfriesland. | Friedrich Evertsbusch aus Altena in Westfalen. | [S. 137] Friedrich Ernst Scheller, Abgeordneter fur den Wahlbezirk Frankfiart a. d. O. | Friedrich Heinrich Leonhard Albert, Abgeordneter fur den 5. preuB.=sachs. Wahlbezirk. | Wilhelm Joseph Wichmann, Abgeordneter ftir die Kreise Osterburg und Stendal. | K. Nauwerck, Abgeordneter aus Berlin. | Boch=Buschmann, | Jul. Ostendorf, Abgeordneter fur den Wahlbezirk Soest=Hanim. | Conrad Rappard aus Glambek, Abgeordneter ftir den Angermiinder Wahlkreis. | J. A. Jtzstein aus Mainz, Burger in Mannheim. | C. Schom, Abgeordneter fur Essen. | Carl Overweg von Haus Ruhr, Abgeordneter von Iserlohn. | Bermbach, Abgeordneter ftir den Siegkreis (RheinpreuBen). | von Saltzwedell, Abgeordneter ftir Gumbinnen und Stalluponen. | Werner, Abgeordneter fur Melk aus Niederosterreich. | Julius Gerlach, Abgeordneter ftir Tilsit=Niederung. | Fr. Sauken=Tarputschen, Abgeordneter fiir Angerburg in Litthauen. | Kamillo Wagner, Abgeordneter ftir Steyr in Oberosterreich. G. Siemens Dr., Abgeordneter fur Schaumburg=Lippe. | F. J. D. Junghanns aus Mosbach in Baden. | E. Wedekind aus Bruchhausen, Abgeordneter des 5. hannoverischen Wahlbezirks. I Dr. Guido Pattay, Abgeordneter aus Graz in Steiermark. | Carl Joh. Lud. Dham aus Schmallenberg, Abgeordneter fur Meschede und Brilon in | Westphalen. | Schrotter, Abgeordneter ftir Pr. Holland und Mohmngen. | Presting, Abgeordneter fur Memel und Heydekrug. | Johann Carl Christian Meyer, Abgeordneter ftir den Wahlbezirk Liegnitz^Liiben. | Lorenz Gotz, Abgeordneter aus Neuwied, fur den Wahlbezirk Neuwied in RheinpreuBen. | Gustaf Hofken, Abgeordneter fur den Wahlbezirk Bochum=Dortmund. | Friedrich Wilhelm Schubert aus Konigsberg, Abgeordneter ftir Sensburg=Ortelsburg Pr. | Carl v. Breuning, Abgeordneter ftir Landkreis Aachen=Geilenkirchen. | Christian Heldmann, Abgeordneter ftir den Wahlbezirk Nidda in Hessen. | H. R. Claussen, Abgeordneter ftir den 1. holsteinischen Wahldisdrict. | K. Th. Gier, Abgeordneter ftir den Wahlbezirk Miihlhausen=Langensalza. | Friedrich Moiling, Abgeordneter aus Oldenburg. | Karl Hehner, Abgeordneter aus Nassau. | Gustav Blumroder, Abgeordneter des Wahlbezirks Wunsiedel. | Karl Degenkolb aus Eilenburg, Abgeordneter ftir den Wahlbezirk Delitzsch=Bitterfeld. | J. Mtinch, Abgeordneter aus Wetzlar in der preuBischen Rheinprovinz. | Wilhelm Sachs, Abgeordneter ftir Mannheim. | J. B. Haggenmiiller, Abgeordneter des Wahlbezirkes Kempten. I W. Loewe, Abgeordneter ftir Wahlbezirk Calbe und Jerichow 1.1 Dominikus Kuenzer von Konstanz, Abgeordneter aus dem GroBherzogthum Baden. | Franz Tafel aus Zweibriicken, Abgeordneter ftir den 10. Wahlbezirk der Bairischen Rheinpfalz. | [S. 138] Bemhard Eisenstuck, Abgeordneter des 18. sachsischen Wahlbezirkes. | Schulz von Darmstadt, Ab-

[ 106] Verfassung des Deutschen Reiches vom 28. Marz 1849

1071

geordneter des 1. Wahlbezirks des GroBh. Hessen. | Karl Friedrich Rheinwald, Abgeordneter des Wtirtembergischen Wahlbezirks Tuttlingen. | Karl Nicol, Abgeordneter des ersten Hannovrischen Wahlbezirks. | A. Grumbrecht aus Ltineburg, Abgeordneter des 12. Hannoverschen Wahldistricts (Ltichow). | Ferd. Nagele aus Murrhardt, Abgeordneter des Bezirks Backnang=Weinsberg in Wtirtemberg. | Griiel aus Burg, Abgeordneter fur die Jerichow'schen Kreise in der Provinz Sachsen. | Salomon Fehrenbach aus Sackingen, Abgeordneter aus dem GroBherzogthum Baden. | C. W. Weigle, Abgeordneter des 6. Wahlbezirks in Wtirtemberg. | Franz Raveaux von Koln. | Bruno Hildebrand aus Marburg, Abgeordneter des 8. Kurhessichen Wahlbezirks. | Karl Hagen aus Heidelberg, Abgeordneter des Wahlbezirks Heidelberg. | Ernst Heubner aus Zwickau, Abgeordneter des 16. (Zschopau) sachsischen Wahlbezirks. | C. Th. Gravenhorst aus Ltineburg, Abgeordneter des 11. Hannoverschen Wahldistricts | (Harburg). | Nik. Schmitt aus Kaiserslautem, Abgeordneter des 4. pfalzischen Wahlbezirks. | Emil Rahm aus Stettin, Abgeordneter far den 6. pommerschen Wahlbezirk. | August Culmann aus Zweibrticken, Abgeordneter des rheinbairischen Wahlbezirks Landau. | Baron von Scherpenzel=Heusch, Abgeordneter des Herzogthums Limburg, Wahlbezirk | Roermonde. | Alexander von Bally aus Oberbeuthen. | Joseph Huck aus Ulm, Abgeordneter fiir Ellwangen=Neresheim. | Wilhelm Jordan von Berlin, Abgeordneter fiir den Ober=Bamimschen Kreis. | Robert Mohl aus Heidelberg, Abgeordneter von Mergentheim=Gerabronn in Wtirtemberg. | A. L. J. Michelsen von Jena, Abgeordneter von Fehmam und Hadersleben in Schleswig. | Theodor Brescius aus Ztillichau, Abgeordneter fiir den 23. Brandenburger Wahlbezirk. | Constantin, Ftirst v. Waldenburg=Zeil= Trauchburg. | Alexander Schneer, Abgeordneter des 19. Schlesischen Wahlbezirks. | Marquard Adolph Barth aus Kaufbeuren, Abgeordneter fur den Wahlbezirk Kaufbeuren in | Bayem. | Agathon Wemich aus Elbing, Abgeordneter fur den Wahlbezirk Elbing=Marienburg I in PreuBen. | Wilhelm Bachmayer aus Forchheim, Abgeordneter fiir den Wahlbezirk Forchheim. | Gustav Adolf Stenzel aus Breslau, Abgeordneter fiir Neumarkt und Striegau in Schlesien. | Franz August Mammen aus Plauen, Abgeordneter fur den 12. sachsischen Wahlbezirk. | Ernst Rizze aus Stralsund, fiir den 15. Pommerschen Wahlbezirk. | Heinrich Carl Esmarch aus Schleswig, fur den ftinften Schleswigschen Wahldistrict. | G. Gulden von Zweibriicken, Abgeordneter fiir den 3. pfalzischen Wahlbezirk. | Friedrich Schulz von Weilburg, Abgeordneter fur den 3. Nassauischen Wahlbezirk. | A. Fr. Gfrorer von Calw, Abgeordneter fur Ehingen=Miinsingen. | Richard Pinckert aus Zeitz, fiir die Wahlbezirke Zeitz=Weissenfels, Provinz Sachsen. | Heinrich Henkel aus Cassel, fur den 1. kurhessischen Wahlbezirk. | Wilhelm Gysae aus dem Wahlbezirk Prenzlau, Provinz Brandenburg. | [S. 139] A. Christ aus Bruchsal in Baden. | Josef Rank aus Wien. | Ambrosch aus dem Wahlbezirk Ohlau und Strehlen in PreuB. Schlesien. | Bocking, Abgeordneter des 11. rheinpreuBischen Wahlbezirks. | Fr. Vischer aus Ttibingen. | C. Schwarz aus Halle. | Hermann Loew aus Posen. | Cyprian Leleck aus Hultschin in Oberschlesien. | Kohler aus Seehausen. | Heinrich Waldmann aus Heiligenstadt. | Hillart Cropp aus Oldenburg, Abgeordneter fur Kniphausen. | Dr. H. C. Scholten aus Wardt bei Xanten, fur den 31. rheinpreuBischen Wahlbezirk. | Heimbrod aus Sohrau, fur den 35. Schlesischen Wahlbezirk. | Engel aus Culm. | Friedrich Gottlieb Becker aus Gotha. | Deiters, Abgeordneter des 16. rheinpreuBischen Wahlbezirks Bonn=Rheinbach. | Grubert aus Breslau. | Albert Julius V. Gladis, Abgeordneter des 14. preuB. schlesischen Wahlbezirks. | Carl Rattig, Abgeordneter fur den Wahlbezirk Potsdam, Prov. Brandenburg. | Conrad Cucumus aus Miinchen, Abgeordneter fur Schweinfurt. | E. M. Amdt aus Bonn, Reichstagsmann fur den Kreis Solingen. I John A. Droege aus Bremen, Abgeordneter des 18. hannov. Wahlbezirks. | Friedrich Wilhelm Schepp aus Wiesbaden, Abgeordneter des 4. nassauischen Wahlbezirks. | Wilhelm Jacobi, Abgeordneter des funften Kurhessischen Wahlbezirks. | Albert Sprengel aus Waren, Abgeordneter des 7. Mecklenburgischen Wahlbezirks. | Albert Schott aus Stuttgart, Abgeordneter des dritten wurtemb. Wahlbezirks des Neckar= | kreises (Boblingen). | Friedrich

1072

§ 5: Einheitsbestrebungen (1848 - 50)

[Dok. 103 - 110]

V. Selasinsky aus Berlin, Abgeordneter des 13. Brandenb. Wahlbezirks. | Soiron aus Mannheim. I Riesser aus Hamburg, Abgeordneter fur Lauenburg. | G. Beseler aus Greifswalde. | Stephan Matthies aus Greifswalde, fur den Wahlbezirk Grimmen. | Dr. Kahlert aus Leobschiitz in Schlesien. | Ch. Mtinchen aus und fur Luxemburg. | Hans v. Raumer aus Dinkelsbiihl in Bay em. | Dr. Stieber aus Budissin, Abgeordneter des 3. sachsischen Wahlbezirks. | Titus Mareck aus Steiermark. | C. Welcker von Heidelberg. | Bauer aus Bamberg, Abgeordneter des 5. mittelfrankischen Wahlbezirks. | Theodor Paur aus Neisse, Abgeordneter des 29. schlesischen Wahlbezirks (Grottkau=Falkenberg). | August Heinrich Oberg aus Hildesheim. | C. F. Wurm, fur den 1. Wahlbezirk im wtirtemb. Neckarkreise. | [S. 140] W. Schrader, Abgeordneter ftir Brandenburg a. H. | Dr. Wilhelm Krafft aus Niimberg. | Breusing aus Osnabriick. | Herrmann Metzke von Sagan, fur Sagan=Sprottau. | Dr. F. Lammers aus Erlangen. | Ernst Erasmus Vogel aus Guben, Abgeordneter fiir den 23. brandenburgischen Wahlbezirk. | Hermann von Kosteritz, Abgeordneter fur Elberfeld. | Karl Zittel aus Heidelberg, Abgeordneter fur Karlsruhe. | Heinrich Schirmeister, Abgeordneter ftir Insterburg und Niederung. | Franz v. Schleusing, Abgeordneter fur Rastenburg und Lotzen. | Johannes Zeltner aus Ntimberg, fur den Wahlbezirk Ftirth. | Albert Kosmann aus Stettin, Abgeordneter fur den 10. Wahlbezirk von Pommem. | Ernst Deecke, Abgeordneter der freien Stadt Ltibeck. | Dr. Gustav Schwetschke aus Halle, Wahlbezirk Sangerhausen=Querfurth. | Giesebrecht aus Stettin. | C. Marcus aus Bartenstein, fur den Wahlbezirk Friedland und Gerdauen. | Nerreter, fur den Wahlbezirk Fraustadt in Deutsch=Posen. | Backhaus, fur Waldeck und Pyrmont, | J. B. Mann jun. aus Rostock. | Gustav Hofmann, Abgeordneter des 8. Wahlbezirks im GroBherzogthum Hessen. | Wilhelm Stahl aus Erlangen, Abgeordneter ftir den Wahlbezirk Ellingen in Bayem. | Schierenberg aus Detmold, Abgeordneter fur Lippe. | Carl Kotschy, Pastor aus Ustron, Abgeordneter fur den Bielitzer Wahlbezirk im osterreichischen | Schlesien. | Viebig aus Posen. | Franz Moller, Abgeordneter des Wahlbezirks Reichenberg in Bohmen. | Wilhelm Junkmann aus Mtinster, Wahlkreis Recklinghausen, Haltem, Dorsten, Dtilmen. | Frisch aus Stuttgart. | Ph. J. Caspers aus Coblenz. 1 Aug. Drechsler aus Rostock, Abgeordneter des 5. Mecklenburg=Schwerin'schen Wahlkreises. | Freese aus Stargard in Pommem. | Gustav Rob. GroB, Abg. fiir den Wahlbezirk Nimes in Bohmen. | Aloysius Mutius Ottow, Abgeordneter ftir die Kreise Wehlau und Labiau in OstpreuBen. | Max. Heinr. Rtider aus und ftir Oldenburg. | Wemer Johannes, Abgeordneter ftir Meiningen. | Graf von Giech, fur Hof. | Theodor Reh von Darmstadt, Abgeordneter ftir den GroBherzoglich Hessischen Wahlbezirk | Offenbach. | Golz, Abgeordneter ftir die Wahlkreise Brieg=Namslau. | Martiny aus Pr. Friedland, Abg. ftir den Wahlkreis Schlochau=Flatow in WestpreuBen. | F. Zacharia, Abgeordneter von Anhalt=Bemburg. | Adolf von Zerzog aus Regensburg. | [S. 141] Gustav Langerfeldt von Wolfenbtittel. | Hennig aus Dempowalonka in WestpreuBen. | August Klett von Heilbronn, Abgeordneter des 8. Wtirttembergischen Wahlbezirks (Neckarkreis). | Borries, Abgeordneter fur den Wahlkreis Carthaus=Neustadt. | Carl Laudien aus Konigsberg in PreuBen, Abgeordneter ftir den Wahlkreis Goldap=01etzno. | J. P. Welter, Vertreter ftir den Wahlbezirk Merzig (in RheinpreuBen). | Dr. Maximilian Carl Friedrich Wilhelm Gravell, Vertreter des Rothenburg= Hoyerswerdaer Kreises | in der Oberlausitz. | Ludwig Ehrlich aus Murzinek, Abgeord. fiir den Kreis Inowraclaw. | Georg Bemhard Simson aus Konigsberg, Vertreter des Kreises preuBisch Stargardt und | Schwetz. | Robert Schick, Abgeordneter fiir den Wahlbezirk Weissensee=Erflirt in PreuBen. | Dr. Paul Herzog aus Ebermannstadt, Vertreter des Wahlbezirks Pottenstein, bair. Ober= | franken. \ Teichert aus Berlin. | Goden aus Krotoschin. [ Brons aus Emden. | Schultze aus Liebau. | Franz Stark aus Kmmau. | Julius Jordan aus Gollnow. I Carl Friedrich Bandelow aus Kranz. | Franz Hedrich aus Prag. | Emil Wagner aus Jastrow. | Heinrich Simon aus Breslau, Abgeordneter fur Magdeburg. | Wilhelm Leverkus aus Oldenburg, ftir den rheinpreuBischen Wahlkreis Lennep. | Georg Waitz aus Gottingen (Abg. v. Kiel). | August Hirschberg aus Sondershausen. | August Hergenhahn aus

[106] Verfassung des Deutschen Reiches vom 28. Marz 1849

1073

Wiesbaden. | Wilhelm Oertel aus Mittelwalde. | Heinrich Reitter aus Prag, fiir Bohmisch=Leipa. | Eberhard Kaefferlein aus Bayreuth. | August Emmerling aus Darmstadt. | R. Haym aus Halle. | Joseph Kutzen aus Breslau. | Carl Fuchs aus Breslau. | Sturm aus Sorau. I Siehr aus Gumbinnen. | Franz Bresgen aus Ahrweiler. | L. F. Houben, fur Geldem. | Ph. Schwarzenberg aus Cassel. | Joh. Gustav Droysen aus Kiel. | Kerst aus Merseritz. | Lette aus Berlin. | [S. 142] Sylvester Jordan. | C. Spatz aus Frankenthal. | Moritz Hartmann fur Leitmeritz in Bohmen. | Carl Francke aus Schleswig. | A. Hollandt aus Braunschweig. | Gustav Graf Keller aus Erfurt. | Eugen Bock aus pr. Minden. | Werthmiiller aus Fulda. | Otto V. Keudell aus Berlin. | Gottlieb Ch. Schiiler aus Jena. | C. W. Wippermann aus Cassel. | Thomas Mayer aus Ottobeuem, bairischen Wahlbezirks Memmingen. | Schenck aus Dillenburg. | Max Simon aus Breslau, Abg. des 13. schlesischen Wahlbezirks (Steinau=Wohlau= Guhrau). | Moritz Mayfeld aus Wien. | Wilhelm Weissenbom aus Eisenach. | Franz Heisterbergk aus Rochlitz. | K. Jiirgens, Abg. fur den 3. braunschweigischen Wahlbezirk. I v. Buttel aus Oldenburg. | A.Cramer aus Cothen. | Kaspar Arnold Gottf Jos. Engel, Abgeordneter aus Holstein. j Adolph Schmidt aus Berlin, Abgeordneter des 1. Brandenburg'schen Wahlbezirks (Berlin). | J. Pinder, Abgeordneter des Wahlkreises Lauban in Schlesien. | W. v. Kalkstein, Abgeordneter des Wahlkreises preuBisch Eilau in OstpreuBen. | Karl Mertel, Abgeordneter des Wahlbezirks Cronach in Baiem. | Heinrich Anz, Abgeordneter des Wahlbezirks Graudenz in WestpreuBen. | Eduard Heinrich Wilhelm Tannen aus Zielenzig, Abgeordneter fur den 22. Brandenburg'schen | Wahlbezirk. | Carl Versen aus Rieheim, Abgeordneter des 6. westphalischen Wahlbezirks (Hoxter=Warburg). | Alexander Kiintzel aus Wolka, Abgeordneter des Neidenburg=Osteroder Wahlbezirks in | OstpreuBen. | Reissinger aus Freistadt in Ober=Oesterreich. | Robert Rothe aus Berlin, fur den Wahlbezirk Marienwerder=Rosenberg. | Carl Cetto aus Trier, fur den vierten rheinpreuBischen Wahlbezirk (St. Wendel=Ottweiler). | Wilhelm v. Neischiitz aus Konigsberg, fur den Wahlbezirk Konigsberg=Fischhausen. | Erdwin von der Horst II. aus Rotenburg, 17. hannoverscher Wahlbezirk. | Christian Minkus aus Marienfeld, fur den Kreutzburger und Rosenberger Wahlbezirk. | Gottlieb Wilhelm Freudentheil aus Stade, 16. hannoverscher Wahlbezirk. | August Prinzinger aus Salzburg, fur den Wahlbezirk St. Polten in Nieder=Oesterreich. | Carl v. Sanger aus der Provinz Posen, fur den Wirsitz=Chadzieswer Wahlbezirk. | Johann Carl Ernst Kunth aus Bunzlau in Schlesien. | Jacob Guido Theodor Giilich aus Schleswig. | J. L. Tellkampf aus Breslau, fiir den 24. schlesischen Wahlbezirk. | [S. 143] J. M. von Radowitz aus Riithen. | Ernst Eduard Eckert, fur den Wahlkreis Bromberg. I Friedrich August Fritzsche aus Roda, fur das Herzogthum Altenburg. | Karl Emanuel GroB aus Leer in Ostfriesland, Abgeordneter des 24. Hannoverschen | Wahlbezirks. | Arnold Schltiter aus Paderbom. | Karl Sellmer aus Landsberg an der Warthe. | Gustav Freiherr von Amstetter, fiir den 21. schlesischen Wahlbezirk (Breslau). | Alexander Falk, fiir Militsch=Wartenberg in Schlesien. | Carl Heinrich Ebmeier, fur den Wahlbezirk Ltibbecke in Westphalen. | Friedrich Roeder aus Neustettin, fur den 5. Pommerschen Wahlbezirk. | Ch. Becker, fur die rheinpreuBischen Wahlkreise Daun, Priim und Bitburg. | Joseph Brockhausen, fur den Wahlkreis Miinster in Westphalen. | J. Forster aus Htinfeld, Abgeordneter des 11. kurhessischen Wahlbezirks. | Johann Demel, fur den Wahlbezirk Teschen in osterreichisch Schlesien. | August Ernst Braun aus Coslin, fur den 4. pommerschen Wahlbezirk. ! Otto Plathner, fur den Wahlkreis Halberstadt=Wemigerode. | Carl Bemhardi aus Cassel, fur den 2. kurhessischen Wahlbezirk. | Wilhelm Behncke, fiir den 4. hannoverschen Wahlbezirk. | Franz Tappehom, fur den Wahlbezirk Oldenburg. | Christian Heinrich PlaB aus Stade, Abgeordneter des 19. hannoverschen Wahlbezirks. | Adolph Richter aus Danzig, Abgeordneter fur die Kreise Danzig und Berendt. | August Hermann Ziegert, Abgeordneter fur den Wahlbezirk Minden in Westphalen. | J. Friedrich Schiitz aus Mainz, Abgeordneter des 11. Wahlbezirks des GroBherzogthums | Hessen. | Friedrich Federer aus Stuttgart. | Georg Pfahler aus Tettnang, Abgeordneter des 4. Oberschwabischen Wahlbezirks, Konig-

1074

§ 5: Einheitsbestrebungen (1848 - 50)

[Dok. 103 - 110]

reich | Wtirtemberg. | Friedrich Anders aus Goldberg, Abgeordneter fiir den 8. schlesischen Wahlbezirk. | Wilhelm August Zollner, Abgeordneter ftir den 2. Wahlbezirk des Konigreichs Sachsen. | Ludwig Reinhard, Abgeordneter fur Mecklenburg=Schwerin. | F. C. Hoenniger, Abgeordneter fur Schwarzburg=Rudolstadt. | Anderson aus Frankfurt a. d. Oder, ftir den 16. brandenburg'schen Wahlbezirk. | Emil Franz RoBler aus Wien, Abgeordneter fur Gaaz in Bohmen. | Franz Makowiczka, Abgeordneter fiir Komotau in Bohmen. | Julius Scharre, Abgeordneter des 4. Wahlbezirks des Konigreichs Sachsen. | Friedrich Low aus Magdeburg, Abgeordneter fur den Kreis Neuhaldensleben in der preuBi= | schen Provinz Sachsen. | Wilhelm Erdmann Florian von Thielau, Abgeordneter fur den 4. braunschweig'schen | Wahlbezirk. | Gustav Carl Albrecht Ftirchtegott, Graf von der Goltz, Abgeordneter fiir den Wahlbezirk | Czamikow=Chodziesen, Konigreich PreuBen, Departement Bromberg. | Carl Hahn, Abgeordneter der Kreise Allenstein und Rossel (PreuBen). | [S. 144] Rudolph Christmann aus Dtirkheim, Abgeordneter fur den Neustadter=Dtirkheimer Wahl= | kreis in Rheinbaiem. | Friedrich Wilhelm Schloffel aus Halbendorf, Abgeordneter fxir den Kreis Hirschberg in | Schlesien. | Hellmuth Wohler aus Schwerin, Abgeordneter des 2. Meckl.=Schwer. Wahlbezirks. | Ernst Ludwig Mauckisch, Abgeordneter ftir den 17. Wahlbezirk im Konigreich Sachsen. | Carl Helbing, Abgeordneter fiir den Wahlbezirk Stadt= und Land=Amt Freyburg und Amt | Breisach in Baden. | Eduard Strache, Kaufmann aus Rumburg, ftir den Wahlbezirk Tetschen in Bohmen. | Jos. Schneider, Dr. J. aus Wien, gewahlt im Wahlbezirk Miiglitz in Mahren. | Ad. Kolaczek, ftir den Wahlbezirk Ostrau in osterr, Schlesien. | Wilhelm Otto Liebmann aus Perleberg, fur den 7. brandenburgischen Wahlbezirk. | Gustav Adolph Rosier, Gymnasiallehrer aus Oels, gewahlt ftir den schlesischen Wahlbezirk | Oels=Wartenberg. | Gustav Moritz Hallbauer aus MeiBen, ftir den 20. Wahlbezirk im Konigreich Sachsen. | Heinrich Guischard v. Quintus=Jcilius aus Fallingbostel, ftir den 15. Hannover'schen | Wahlbezirk. | Ferdinand Haubenschmied aus Passau, ftir den Wahlbezirk Passau. | Johann Jacob Lauk aus Mtinchen, fiir den Wahlbezirk Amstein. | Paur aus Augsburg. | H. Bocler aus Schwerin, ftir den 3. Mecklenburg^Schwerin'schen Wahlbezirk. | Traugott Trabert aus Rausche (Gorlitz. Haide), ftir den Wahlbezirk Gorlitz (2. schles.), | luth. evang. Pfarrer. | Friedrich von Raumer aus Berlin. | Robert Walter aus Neustadt o / S., Abgeordneter ftir den 39. schlesischen Wahlbezirk. | Franz Scholz aus Neisse, Abgeordneter fiir den 28. preuBisch=schlesischen Wahlbezirk. | Dr. Mohr von Oberingelheim, Wahlbezirk Worms, Rheinhessen. | Wilhelm Adolph von Triitzschler, Abgeordneter des 13. K. Sachsischen Wahlbezirks. | J. Biirgers, Abgeordneter fur Landkreis Koln und Miihlheim am Rhein, RheinpreuBen. | Philipp Geigel, Abgeordneter des Bezirks Kitzingen in Bayem. | Werner von Selchow, Abgeordneter fiir den Bezirk Lauenburg=Biitow in Pommem. | Julius von Treskow, Abgeordneter ftir Schubin in Deutsch=Posen. | Moritz Briegleb, Abgeordneter ftir Coburg. | Med. D. W. Raus, gewahlt ftir Kromau in Mahren. | Christian Lodemann, Regierungsrath zu Ltineburg, Abgeordneter des 13.Hannov. Wahl= | districts.] Wilhelm Schulze aus Potsdam, ftir den 8. Brandenburgischen Wahlbezirk (Ruppin und | Ost=Priegnitz). | Mittermaier aus Heidelberg. I Dr. Eisenmann aus Wtirzburg, Abgeordneter ftir Wtirzburg. | Friedrich Wilhelm von Reden aus Hannover, Abgeordneter ftir den Harz. | Carl von Stremayr, Abgeordneter fiir den Wahlbezirk Kindberg in Steyermark. | Carl Theodor Gevekoht, Abgeordneter fiir Bremen. I [S. 145] Carl Vogt, Abgeordneter ftir den 6. hessischen Wahlbezirk (GieBen=Biedenkopf=Vohl). | Gustav Kratz, Abgeordneter fiir den 2. pommer'schen Wahlbezirk (Stolpe). I Robert Plehn, Abgeordneter ftir den 32. preuBischen Wahlbezirk, | Gustav Mevissen, Abgeordneter ftir Siegen. | Moritz Veit, Abgeordneter fiir Berlin. | Franz Schmidt, Abgeordneter fiir Lowenberg. | Max Duncker, Abgeordneter fiir Halle und den Saalkreis. | Julius Carl Pannier, Abgeordneter ftir Anhalt=Dessau. | Carl Ludwig Langbein aus Wurzen, Abgeordneter des 5. Wahlbezirks im Konigreich | Sachsen. | Gustav Rtimelin, Abgeordneter des Wahlbezirks Kirchheim=Ntirtigen in Wtirtemberg. | Heinrich Thol, Ab-

[106] Verfassung des Deutschen Reiches vom 28. Marz 1849

1075

geordneter fiir Mecklenburg=Strelitz. | Adolph Cnyrim, Abgeordneter fur Kurhessen. | Friedrich Ludwig Jahn von Freiburg an der Unstrut, Abgeordneter des 16. Wahlbezirks von I PreuBisch=Sachsen. | Schaedler Karl, Abgeordneter des Fiirstenthums Liechtenstein. | Gustav Godeffroy, Abgeordneter fur Hamburg. | Hermann, Freiherr von Rotenhan aus Rentweinsdorf, Abgeordneter fur den Wahlbezirk | Nordlingen. | Christian Widenmann aus Dtisseldorf, Abgeordneter fur den rheinpreuBischen Wahlbezirk | Gladbach. | Emmanuel Servais aus Luxemburg, Abgeordneter fur Luxemburg. | Wilhelm Michael Schaffrath, Abgeordneter fur den 24. Wahlbezirk des Konigreichs Sachsen [ (Stolpen), aus Neustadt bei Stolpen. I Ernst Wilhelm Eduard Zimmermann, Dr. j . u., Obergerichtsassessor, Btirgermeister von | Spandow, Abgeordneter zur deutschen Reichsversammlung fiir den Lukkauer Wahlbezirk. | Anton Pius Gustav Wilhelm von Wegnem, Landrath, Abgeordneter fiir den Wahlbezirk | Lyck und Johannisburg in OstpreuBen. | Ludwig Bogen von Michelstadt im Odenwald, Abgeordneter des 4. Wahlbezirks, GroBher= | zogthum Hessen. | Hermann von Massow aus der Grafschaft Glatz. | Aug. Frhr. v. Ende, Landrath, aus Waldenburg in Schlesien. I Joh. Carl Lud. Schreiber, Abgeordneter fur den 3. westfalischen Wahlbezirk. | J. Benedey (aus Coin) fiir Hessen=Homburg. | W. Wiest aus Ttibingen, fiir den 5. wiirtembergischen Wahlbezirk. | Dr. E. Giskra aus Wien, abgeordnet vom Wahlbezirke Mahrisch^Trtibau. | Eduard Marcks aus Duisburg, Abgeordneter des 30. (rhein.) preuB. Wahlbezirks. | Friedrich Wilhelm Levysohn, Dr. phil. und Buchhandler aus Griinberg in Schlesien, Abge= | ordneter fiir den 12. schlesischen Wahlbezirk (Grunberg=Freistadt). | Johann Friedrich Kiemlff, Oberappellationsrath aus Rostock, Abgeordneter fiir den ersten | Mecklenburg=Schwerin'schen Wahldistrikt. | Ludwig Simon von Trier. | Adolph Wiesner von Wien, Abgeordneter fur den Wahlbezirk Feldsberg in Niederosterreich. | Wiirth aus Sigmaringen. | [S. 146] Wilhelm Zimmermann aus Stuttgart. | Karl Damm aus Tauberbischofsheim in Baden. | Friedrich Stavenhagen, Oberst, Abgeordneter fur Berlin. | Louis Miiller aus Sonnenberg, Abgeordneter fur Meiningen. | Gustav Fischer aus Jena, Abgeordneter fur den vierten Wahlkreis des GroBherzogthums | Weimar. | Johann Gottlieb August Naumann aus Frankfurt an der Oder, Abgeordneter fur den | Wahlbezirk des Cottbus= und Spremberger Kreises der Provinz Brandenburg. | Johann Georg Gunther aus Leipzig, Abgeordneter des X. Wahlbezirks im Konigreich \ Sachsen. | Julius Frobel aus GrieBheim im Fiirstenthum Schwarzburg=Rudolstadt, Abgeordneter fiir | ReuB jtingerer Linie. | Carl Ludwig Rudolph Hoppenstedt, aus Hannover, Abgeordneter fiir den zweiten Wahl= | distrikt im Konigreich Hannover. | Ph. Umbscheiden, gewahlt im ersten pfalzischen Wahlbezirke zu Bergzabem (Bayem). | Ludwig Bonardy aus Greiz, Abgeordneter des Fiirstenthums ReuB alterer Linie. | Joseph Hermann Kudlich, Abgeordneter fur den osterr. schlesischen Wahlbezirk Benisch. | Wilhelm Hoffbauer aus Nordhausen, als Abgeordneter gewahlt fur den Wahlbezirk Nord= | hausen=Worbis in der preuBischen Provinz Sachsen. | Johann Friedrich Rodinger, Rechtsconsulent in Stuttgart, Abgeordneter fiir den wtirtem^ | bergischen Wahlbezirk Oehringen=Kiinzelsau. | Johannes Fallati, Abgeordneter fur Horb=Herrenberg=Ragold in Wtirtemberg. | Wilhelm Wemher von Nierstein, Abgeordneter fur Alsfeld in Hessen. | Remigius Vogel, Abgeordneter des Wahlbezirks Dillingen. | August Reitmayr, Kreis= und Stadtgerichtsrath aus Regensburg fur den Wahlbezirk Weiden | in der Oberpfalz. | Emil Adolf RoBmaBler, Abgeordneter des XXIL sachsischen Wahlbezirks. | August Rtihl, Abgeordneter von Hanau. | Friedrich Theophil Hensel aus Kamenz, Abgeordneter des XXIII. Wahlbezirks im Konigreich | Sachsen. | G. F. Kolb, Btirgermeister von Speyer, Abgeordneter fiir den pfalzischen Wahlbezirk Speyer= | Edenkoben=Germersheim. | Karl Matthy. | Bassermann, aus Stadtprozelten in Bayem. | Emst Merck, Kaufmann aus Hamburg, fur Hamburg. | Theodor Dietzsch, Abgeordneter fiir den 13. sachsischen Wahlbezirk. | Friedrich Christoph Dahlmann, Abgeordneter des 6. holsteinischen Wahlbezirks. I Johann Friedrich Nagel aus Balingen, Abgeordneter des 2. wiirtembergischen Wahlbezirks | im Schwarzwaldkreise. | Heinrich Albert Zacharia aus Gottingen, Abgeord-

1076

§ 5: Einheitsbestrebungen (1848 - 50)

[Dok. 103 - 110]

neter des 6. haiinoverschen Wahlbezirks. | August Reinstein aus Naumburg a. S., Abgeordneter des Wahlbezirks Naumburg=Eckarts= | berga (Pr. Sachsen). | August Pfeiffer, Abgeordneter fur den Wahlbezirk Soldin=Amswalde in der Neumark | (PreuBen). | [S. 147] Adolph Schober aus Stuttgart, Abgeordneter fiir die Wahlbezirk Besigheim=Brackenheim | im Konigreich Wtirtemberg. | Hermann von Beckerath, Abgeordneter fur Crefeld. | Ernst Friedrich Gottschalk aus Schopfheim, Abgeordneter fur den Aemter Staufen, Mul= | heim, Schonau und St. Blasien (Baden). | Heinrich Julius Kammel, Subrector am Gymnasium in Zittau, Abgeordneter fur den ersten | Wahlbezirk des Konigreichs Sachsen. | Heinrich Ahrends aus Salzgitter, Abgeordneter fur den hannoverschen Wahlbezirk Goslar= | Halle=Alfeld=Bockenem. | Oskar von Wydenbrugk, Abgeordneter des 1. Wahlbezirks des GroBherzogthums Sachsen= | Weimar.

[107] Biindnisvertrag zwischen PreuBen, Sachsen und Hannover („Dreik6nigsbundnis") vom 26. Mai 1849 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einflihrungen" die Darstellungen unter [176.] [307.] [316.] [319.] [344.]. Quelle: Aktenstiicke betreffend das BtindniB vom 26^*®'' Mai und die Deutsche VerfassungsAngelegenheit, Erster Band, 1849, S. 85 - 88 (gedruckt). Sonstige Fundstellen: Vor-Akten in der Deutschen Verfassungs-Angelegenheit, nebst BundniBvertrag vom 26. Mai 1849. Erster Band. Vom 28. April 1849 bis 11. Juni 1849, 1849, S. 7 8 - 81; E. R. Huber (Hrsg.), Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte, Bd. 1: Deutsche Verfassungsdokumente 1803 - 1850, 3. Aufl., 1986, Nr. 203. [S, 85] Statut des Btindnisses vom 26. Mai 1849. Da unter den gegenwartigen Verhaltnissen die vom Deutschen Bunde | gewahrte innere und auBere Sicherheit Deutschlands gefahrdet ist, und | daher die Umstande zu Herstellung einer einheitlichen Leitung der Deut= | schen Angelegenheiten, eine engere Vereinigung derjenigen Regierungen, | welche entschlossen sind, nach gleichen Grundsatzen zu verfahren, noth= | wendig machen, so ist unter den Regierungen von PreuBen, Sachsen | und Hannover folgender Vertrag geschlossen worden: Art. I. Die Koniglichen Regierungen von PreuBen, Sachsen und Han= | nover schlieBen in GemaBheit des Art. 11. der Deutschen Bundes=Akte | vom 8 Juni 1815^, ein BtindniB | zum Zwecke der Erhaltung der auBem und innem Sicherheit | Deutschlands und der Unabhangigkeit und Unverletzlichkeit der | einzelnen Deutschen Staaten. Sie behalten dabei sammtlichen Gliedem des Deutschen Bundes alle | aus diesem hervorgehenden Rechte und die diesen Rechten entsprechenden | Verpflichtungen ausdriicklich vor. Art. II. Der Beitritt zu diesem BtindniB bleibt alien Gliedem des Deut= | schen Bundes off en; der Beitretende erlangt durch den Beitritt das | Recht auf Leistung der durch den ausgesprochenen Zweck des Btind= | nisses bedingten Hulfe. Diese Hiilfe wird theils in Vermittelung oder Beforderung gtit= | lichen oder rechtlichen Austrags sich ergebender Ansprtiche und Streitig= | keiten, theils in militairischem Schutze gegen unrechtmaBige Gewalt | jeder Art bestehen.

Dok. 31.

[107] „Dreikonigsbundnis" vom 26. Mai 1849

1077

Art. III. §.1. Die Oberleitung der zur Erreichung des Zweckes dieses Bund= 1 nisses zu ergreifenden MaaBregeln wird der Krone PreuBen tibertragen. Ftir die Austibung dieser Oberleitung sind fiir die Dauer Eines | Jahres, vom 1. Juni anfangend, die unten folgenden weiteren Ver= | abredungen getroffen. ^Sollte vor Ablauf diese Jahres die Reichs=Verfassung ins Leben | treten, so finden lediglich die Bestimmungen derselben ihre Anwendung. ^Ware aber mit Ablauf eines Jahres die verfassungsmaBige Ordnung | in Deutschland noch nicht wieder hergestellt, so wird die Verlangerung | dieser Verabredung vorbehalten. [S. 86] §.2. Zur Fiihrung der auf die Erreichung des Zweckes des Btindnisses | beziiglichen Geschafte soil ein Verwaltungs=Rath gebildet werden, zu | welchem jeder der Verbiindeten einen Oder mehrere Bevollmachtigte | absendet. Dieser Verwaltungs=Rath tritt sofort nach der Ratifikation des | gegenwartigen Vertrages zu Berlin zusammen. Der Verwaltungs=Rath hat von alien, in GemaBheit des gegen= | wartigen Btindnisses vorkommenden Geschaften KenntniB zu nehmen, | liber solche zu berathen, und nicksichtlich derjenigen Geschafte, welche | allgemeine und dauemde Anordnungen, so wie namentlich die Ver= | mittelung und Erledigung von Beschwerden und sonstigen Rechts=Ver= | haltnissen betreffen, entscheidend zu beschlieBen, tiber diejenigen Ge= | schafte aber, welche lediglich die Vollziehung getroffener Anordnungen, | so wie im einzelnen Falle zu treffende MaaBregeln angehen, sein Gut= | achten zur vollziehenden BeschluBnahme der Krone PreuBen abzugeben. Ueberdies liegt den Mitgliedem des Verwaltungs=Rathes ob, alle | Kommunikationen zwischen der Krone PreuBen und ihren resp. Re= | gierungen tiber die Angelegenheiten, welche mit dem gegenwartigen | Btindnisse zusammenhangen, zu vermitteln, und wird deshalb die Krone | PreuBen nur auf diesem Wege mit den Regierungen kommuniziren. §.3. Zu denjenigen Angelegenheiten, welche der definitiven BeschluB= | nahme des Verwaltungs=Rathes unterliegen, gehoren: 1. Die Aufhahme neuer Mitglieder in das BiindniB, die Festellung | der desfallsigen Beitritts=Urkunden, und der zu stellenden Be= | dingungen in Bezug auf Theilnahme an der Verwaltung der | Geschafte, auf zu leistende Hiilfe, auf Prtifiing und Abstellung I derjenigen gegen die Theilnehmer angebrachten Beschwerden, durch | welche Storungen der inneren Sicherheit hervorgerufen sein mochten. 2. Die MaaBregeln behufs Berufung des tiber die Verfassung be= | schlieBenden Reichstags und Leitung der Verhandlungen desselben. 3. Bei vorkommenden Gesuchen und Htilfsleistungen, im Falle innerer | Unruhen, die Emennung und Instruktion der den militairischen | Operationen beizugebenden Civil=Kommissarien; die Entscheidung | der Frage, ob tiber die etwaigen Beschwerden eine Vermittelung | zu versuchen, oder solche an das Bundes=Schiedsgericht zu ver= I weisen seien; so wie Erstattung der Kosten der Htilfsleistung, und | das schlieBlicheLiquidations=Geschaft.

1078

§ 5: Einheitsbestrebungen (1848 - 50)

[Dok. 103 - 110]

§•4. ^Werden diplomatische Verhandlungen, sei es zur Abwendung der | Gefahr auBem Krieges, oder zum AbschluB von Allianzen, oder behufs | Herstellung des gestorten Friedens nothwendig: so sollen dieselben durch | die Krone PreuBen gefuhrt und der Verwaltungs=Rath iiber den Gang | derselben in vollstandiger KenntniB erhalten werden. ^Demselben steht | es frei zu bestimmen, ob in besonderen Fallen die verbiindeten Re= | giemngen eigene Bevollmachtigten zur unmittelbaren Theilnahme an | [S. 87] den Verhandlungen absenden, oder ob deren diplomatische Agenten an | Ort und Stelle lediglich die Verhandlung zu unterstutzen haben. §.5. Die militairischen Operationen werden durch die Krone PreuBen | geleitet, welcher die Verbiindeten zu diesem Ende alle diejenigen Be= | fugnisse einraumen, welche nach der Kriegs=Verfassung des Deutschen | Bundes in den §§. 50, 53, 54, 5 7 - 6 4 dem Oberfeldherm zustehen; | wie denn tiberhaupt in Bezug auf die militairischen Verhaltnisse die | Bestimmungen dieses Bundesgesetzes analoge Anwendung fmden sollen. ^Die Verbiindeten werden zu diesem Zwecke ihre Kriegsmacht in | Bereitschaft halten. ^Die naheren Bestimmungen iiber die Zahl der | zu stellenden Truppen, die Art der Stellung derselben u.s.w. bleiben | weiteren Verabredungen vorbehalten, ^Im Allgemeinen soil die Verwendung der Truppen zum Zweck der | Erhaltung innerer Ordnung in der Art geschehen, daB zunachst jedem | der Verbiindeten die Erhaltung der Ruhe im eigenen Lande und den | unmittelbar angranzenden Gebieten obliegt. '^Es kann daher in Fallen | dringender Eile jede der verbiindeten Regierungen den benachbarten | Bundesgliedem die begehrte Hiilfe ohne weitere Riickfrage leisten. Sobald jedoch militairische Operationen von umfassenderem Cha= | rakter erforderlich werden, soil die ganze zur Disposition gestellte Trup= | penmacht als Eine Armee betrachtet und als solche verwendet werden. Art. IV. Um den emsten Willen zu bethatigen, die Verhaltnisse Deutsch= | lands in Zukunft nach den Bediirfnissen der Zeit und den Grundsatzen | der Gerechtigkeit zu ordnen, verpflichten sich die Verbiindeten, dem | Deutschen Volke eine Verfassung nach MaaBgabe des unter ihnen ver= | einbarten und diesem Vertrage anzuschlieBenden Entwurfs zu gewahren. Sie werden diesen Entwurf einer, nach MaBgabe der in denselben | enthaltenen Bestimmungen iiber den Reichstag, und des neben dem j Entwurfe vereinbarten Wahlgesetzes lediglich zu diesem Zwecke zu be= | rufenden Reichs=Versammlung vorlegen. Abanderungen, welche von dieser Reichs=Versammlung beantragt | werden, bedtirfen zu ihrer Giiltigkeit der Zustimmung der Verbiindeten. Dieselben behalten sich vor, iiber Zeit und Ort der Reichs=Ver= | sammlung, so wie iiber die Form der Berufung das Weitere festzusetzen. Art. V. §. 1Nicht minder verpflichten sich dieselben, spatestens am 1. M i ein | provisorisches Bundes=Schiedsgericht ins Leben treten zu lassen, dessen | schiedsrichterlicher Entscheidung sie sich nach MaaBgabe der im §. 3. | dieses Artikels enthaltenen Kompetenz=Bestimmungen unterwerfen.

[108] „Erfiirter Unionsverfassung" vom 28. Mai 1849

1079

§•2. Dieses Schiedsgericht wird zusammengesetzt aus Bundes=Schieds= | richtem, von denen [S. 88] PreuBen «,3, Sachsen 2, Hannover ,. 2 emennen. Jedem Staate bleibt vorbehalten, bei diesen Emennungen seinen | Standen eine Mitwirkung einzuraumen. §•3. Das Gericht soil seinen Sitz zu Erfurt nehmen, den Vorsitz ftihrt | das alteste der von PreuBen emannten Mitglieder. §.4. Die Verbtindeten unterwerfen sich dem Urtheile dieses provisorischen | Bundesschiedsgerichts, 1) in alien denjenigen Fallen, welche §§. 124 und 125. des Ent= | wurfs der Reichs=Verfassung dem Reichsgericht tiberwiesen sind, | insoweit solche vor definitiver Einftihrung der Reichs=Verfassung | in Frage kommen konnen, also namentlich in den Fallen c, d, e, | f, h, k, n des §. 124, Femer tiberweisen sie der Kompetenz des provisorischen Bundes= | Schiedsgerichts 2) alle diejenigen Beschwerden, welche als Veranlassung von St6= | mngen der inneren Sicherheit zur Sprache kommen und nicht | durch den Verwaltungs=Rath oder die Civil=Kommissarien im | Wege gtitlicher Verhandlung zu erledigen oder lediglich den | Landesgerichten zur Entscheidung zu tiberweisen sein mochten; 3) alle Rechshandel, welche unter den Verbtindeten selbst aus der | Vollziehung des gegenwartigen Btindnisses erwachsen, insofem | auch hier die Gerichte eines einzelnen Staates nicht kompetent | sein mochten. §.5. Der Beitritt zu dem gegenwartigen BtindniB wird keiner Regie= | rung verstattet, welche sich nicht in gleichem MaaBe der Entscheidung | des provisorischen Bundes=Schiedsgerichts unterwirft. §.6. ^Die naheren Bestimmungen tiber die Einsetzung des Gerichts, das \ Verfahren von demselben und die Vollziehungen seiner Entscheidungen | sollen durch den Verwaltungs=Rath erlassen werden. ^Die Mitglieder | des Gerichts werden mit der Bearbeitung der desfallsigen Gesetz= | Entwtirfe beauftragt.

[108] „Erfurter Unionsverfassung" vom 28. Mai 1849 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einfuhrungen" die Darstellungen unter [176.] [310.] [320.] [323.]. Quelle: Vor-Akten in der Deutschen Verfassungs-Angelegenheit, nebst BtindniBvertrag vom 26. Mai 1849. Erster Band. Vom 28. April 1849 bis 1L Juni 1849, 1849, S. 48 - 73 (gedruckt). Sonstige Fundstellen: Aktenstticke betreffend das BtindniB vom 26^^®"^ Mai und die Deutsche Verfassungs-Angelegenheit, Erster Band, 1849, S. 55 - 78; E. R. Huber (Hrsg.), Do-

1080

§ 5: Einheitsbestrebungen (1848 - 50)

[Dok. 103 - 110]

kumente zur deutschen Verfassungsgeschichte, Bd. 1: Deutsche Verfassungsdokumente 1803 - 1850, 3. Aufl., 1986, Nr. 209. [S. 48] Entwurf | der | Verfassung des deutschen Reichs. Abschnitt I. | Das Reich. Artikell. §•1. Das Deutsche Reich besteht aus dem Gebiete derjenigen Staaten des bisherigen Deutschen I Bundes, welche die Reichsverfassung anerkennen. Die Festsetzung des Verhaltnisses Oesterreichs zu dem deutschen Reiche bleibt gegen= | seitiger Verstandigung vorbehalten. ^Hat ein deutsches Land mit einem nichtdeutschen Lande dasselbe Staatsoberhaupt, | so soil das Deutsche Land eine von dem Nichtdeutschen Lande getrennte eigene Verfassung, | Regierung und Verwaltung haben. ^In die Regierung und Verwaltung des Deutschen | Landes dtirfen nur Deutsche Staatsbtirger berufen werden. Die Reichsverfassung und Reichsgesetzgebung hat in einem solchen Deutschen Lande dieselbe verbindliche Kraft, wie in den iibrigen deutschen Landem. §.3. Hat ein Deutsches Land mit einem Nichtdeutschen Lande dasselbe Staatsoberhaupt, | so muB dieses entweder in seinem Deutschen Lande residiren, oder es muB auf verfassungs= | maBigem Wege in demselben eine Regentschaft niedergesetzt werden, zu welcher nur Deutsche | berufen werden dtirfen. §.4. Abgesehen von den bereits bestehenden Verbindungen Deutscher und Nichtdeutscher | Lander soil kein Staatsoberhaupt eines Nichtdeutschen Landes zugleich zur Regierung eines I Deutschen Landes gelangen, noch darf ein im Reiche regierender Ftirst, ohne seine Deutsche | Regierung abzutreten, eine fremde Krone annehmen. §.5. Die einzelnen Deutschen Staaten behalten ihre Selbststandigkeit, so weit dieselbe nicht | durch die Reichsverfassung beschrankt ist; sie haben alle staatlichen Hoheiten und Rechte, | so weit diese nicht der Reichsgewalt ausdriicklich tibertragen sind. [S. 49] Abschnitt II. | Die Reichsgewalt. Artikel I. §•6. Die Reichsgewalt tibt dem Auslande gegentiber die volkerrechtliche Vertretung des | Reiches und der einzelnen Deutschen Staaten aus. ^Die Reichsgewalt stellt die Reichsgesandten und die Konsuln an. ^Sie fiihrt den | diplomatischen Verkehr, schlieBt die Biindnisse und Vertrage mit dem Auslande, namentlich | auch die Handels und Schifffahrtsvertrage, so wie die Auslieferungsvertrage ab. ^Sie ordnet alle volkerrechtlichen MaBregeln an.

[ 108] „Erftirter Unionsverfassung" vom 28. Mai 1849

1081

§.7. Die einzelnen deutschen Regiemngen haben ihr Recht, standige Gesandte zu empfangen I Oder solche zu halten, auf die Reichsgewalt tibertragen. ^Auch werden dieselben keine besonderen Konsuln halten. ^Die Konsuln fremder Staaten I erhalten ihr Exequatur von der Reichsgewalt. Die Absendung von Bevollmachtigten an den Reichsvorstand oder andere Deutsche | Regiemngen ist den einzelnen Regiemngen unbenommen.

Die einzelnen deutschen Regiemngen sind befugt, Vertrage mit andem Deutschen | Regiemngen abzuschlieBen. Ihre BefugniB zu Vertragen mit Nichtdeutschen Regiemngen beschrankt sich auf | Gegenstande, welche nicht der Zustandigkeit der Reichsgewalt zugewiesen sind. §•9. Alle Vertrage nicht rein privatrechtlichen Inhalts, welche eine Deutsche Regiemng | mit einer anderen deutschen oder Nichtdeutschen abschlieBt, sind der Reichsgewalt zur Kennt= | niBnahme und, insofem das Reichsinteresse dabei betheiligt ist, zur Bestatigung vorzulegen. Artikel II. §.10. Der Reichsgewalt ausschlieBlich steht das Recht des Krieges und Friedens zu. Artikel III. §.11. Im Kriege, oder in Fallen nothwendiger SicherheitsmaBregeln im Frieden, steht | der Reichsgewalt die gesammte bewaffnete Macht des Reiches zur Verfugung. §.12. Das Reichsheer besteht aus der zum Zwecke des Kriegs bestimmten gesammten | Landmacht der einzelnen Deutschen Staaten. Diejenigen Staaten, welche weniger als 500,000 Einwohner haben, sind durch die | Reichsgewalt zu groBeren militairischen Ganzen zu vereinigen oder einem angrenzenden | groBeren Staate anzuschlieBen. Ueber die Bedingungen solcher Zusammenlegung haben sich die betreffenden Regie=^ | mngen unter Vermittelung und Genehmigung der Reichsgewalt zu vereinbaren. [S. 50] §. 13. ^Die Reichsgewalt hat in Betreff des Heerwesens die allgemeine Gesetzgebung und | tiberwacht die Durchfuhmng derselben in den einzelnen Staaten durch fortdauemde Kon= | trole. ^Den einzelnen Staaten steht die Ausbildung ihres Kriegswesens auf Gmnd der | Reichsgesetze, der Wehrverfassung und in den Grenzen der nach §.12. abgeschlossenen | Vereinbamngen zu; sie haben die Verfugung iiber ihre bewaffnete Macht, so weit dieselbe nicht I nach §. 11. fiir den Dienst des Reiches in Anspmch genommen wird. §. 14. Der von der Reichsgewalt emannte Feldherr und diejenigen Generale, welche von | diesem zum selbststandigen Kommando einzelner Korps bestimmt werden, so wie die Gou= | vemeure, Kommandanten und hoheren Festungsbeamten der Reichsfestungen, leisten dem | Reichs= [ vorstande und der Reichsverfassung den Eid der Treue.

1082

§ 5: Einheitsbestrebungen (1848 - 50)

[Dok. 103 - 110]

§.15. Alle durch Verwendung von Truppen zu Reichszwecken entstehenden Kosten, welche \ den durch das Reich festgesetzten Friedensstand tibersteigen, fallen dem Reich zur Last. §. 16. Ueber eine allgemeine fur das ganze Reich gleiche Wehrverfassung ergeht ein | besonderes Reichsgesetz. §. 17. Die Besetzung der Befehlshaberstellen und die Emennung der Offiziere in den ein= | zelnen Kontingenten bis zu den diesen Kontingenten entsprechenden Graden, ist den betref= | fenden Regiemngen tiberlassen; nur wo die Kontingente zweier oder mehrerer Staaten zu | groBeren Ganzen kombinirt sind, emennt die Reichsgewalt unmittelbar die Befehlshaber | dieser Corps, insofem deren Grad nicht innerhalb der EmennungsbefiigniB einer der be= | theiligten Regiemngen liegt. Ftir den Krieg emennt die Reichsgewalt die kommandirenden Generale der auf den | verschiedenen Kriegstheatem operirenden selbststandigen Corps. §. 18» Der Reichsgewalt steht die BefugniB zu, Reichsfestungen und Kiistenvertheidigungs= | werke anzulegen und, insoweit die Sicherheit des Reiches es erfordert, vorhandene Festungen I gegen billige Ausgleichung, namentlich fur das tiberlieferte Kriegsmaterial, zu Reichs= | festungen zu erklaren. Die Reichsfestungen und Ktistenvertheidigungswerke des Reiches werden auf Reichs== | kosten unterhalten. §.19. ^Die Seemacht ist ausschlieBlich Sache des Reiches. '^Es ist keinem Einzelstaate ge= | stattet, Kriegsschiffe fiir sich zu halten oder Kaperbriefe auszugeben. *Die Bemannung der Kriegsflotte bildet einen Theil der deutschen Wehrmacht, ^Sie | ist unabhangig von der Landmacht. ^Die Mannschaft, welche aus einem einzelnen Staate fiir die Kriegsflotte gestellt | wird, ist von der Zahl der von demselben zu haltenden Landtmppen abzurechnen. '^Das | Nahere hieriiber, so wie iiber die Kostenausgleichung zwischen dem Reiche und den Einzel= | staaten, bestimmt ein Reichsgesetz. Die Emennung der Offiziere und Beamten der Seemacht geht allein vom Reiche aus. Der Reichsgewalt liegt die Sorge fiir die Ausriistung, Ausbildung und Unterhal= | [S. 51] tung der Kriegsflotte und die Anlegung, Ausriistung und Unterhaltung von Kriegshafen | und See=Arsenalen ob. Ueber die zu Errichtung von Kriegshafen und Marine=Etablissements nothigen Ent= | eignungen, so wie iiber die Befugnisse der dabei anzustellenden Reichsbehorden, bestimmen | die zu erlassenden Reichsgesetze. Artikel IV. §.20. ^Die Schifffahrts=Anstalten am Meere und in den Mtindungen der deutschen Fliisse | (Hafen, Seetonnen, Leuchtschiffe, das Lootsenwesen, das Fahrwasser u. s. w.) bleiben der | Ftirsorge der einzelnen Uferstaaten tiberlassen. ^Die Uferstaaten unterhalten dieselben aus 1 eigenen Mitteln. Ein Reichsgesetz wird bestimmen, wie weit die Mtindungen der einzelnen Fltisse zu | rechnen sind.

[108] „Erflirter Unionsverfassung" vom 28. Mai 1849

1083

§.21. Die Reichsgewalt hat die Oberaufsicht tiber diese Anstalten und Einrichtungen. Es steht ihr zu, die betreffenden Staaten zu gehoriger Unterhaltung derselben an= \ zuhalten. §.22. Die Abgaben, welche in den Seeuferstaaten von den Schiffen fur die Benutzung | der Schifffahrts=Anstalten erhoben werden, diirfen die zur Unterhaltung dieser Anstalten | nothwendigen Kosten nicht libersteigen. §.23. In Betreff dieser Abgaben sind alle deutschen Schiffe gleichzustellen. Eine hohere Belegung fremder Schifffahrt kann nur von der Reichsgewalt ausgehen. Die Mehrabgabe von fremder Schifffahrt flieBt in die Reichskasse. Artikel V. §.24. ^Die Reichsgewalt allein hat die Gesetzgebung (iber den Schifffahrtsbetrieb und tiber | die FloBerei auf denjenigen Fltissen, Kanalen und Seen, welche mehrere deutsche Staa= | ten im schiffbaren oder floBbaren Zustande durchstromen oder begrenzen. ^Sie iiberwacht | die Ausfiihrung der dariiber erlassenen Gesetze. ^Sie hat die Oberaufsicht | tiber die eben= \ bezeichneten WasserstraBen und tiber die Mtindungen der in dieselben sich ergieBenden | Nebenfltisse. *Es steht ihr zu, im Interesse des allgemeinen deutschen Verkehrs die einzelnen | Staaten zur gehorigen Erhaltung und Verbesserung der Schiffbarkeit jener WasserstraBen | und FluBmiindungen anzuhalten. ^Die Wahl der Verbessemngs=MaBregeln und deren Aus= | fiihrung verbleibt den einzelnen deutschen Staaten. ^Ueber die Aufbringung der erforderlichen Mit= | tel ist nach MaBgabe der reichsgesetzlichen Bestimmung zu entscheiden. "^Alle librigen Fltisse, | Kanale und See'n bleiben der Ftirsorge der einzelnen Staaten tiberlassen. §. 25. ^Alle Deutschen Fltisse sollen fur Deutsche Schifffahrt von FluBzollen frei sein. '^Auch | die FloBerei soil auf schiffbaren FluBstrecken solchen Abgaben nicht unterliegen. ^Das | Nahere bestimmt ein Reichsgesetz. [S. 52] Bei den mehrere Staaten durchstromenden oder begrenzenden Fltissen tritt gleich= | zeitig fiir die Aufhebung dieser FluBzolle eine billige Ausgleichung ein. §.26. Die Hafen=, Krahn=, Waag=, Lager=, Schleusen= und dergleichen Gebtihren, welche | an den gemeinschaftlichen Fltissen und den Mtindungen der in dieselben sich ergieBenden | Nebenfltisse erhoben werden, dtirfen die zur Unterhaltung derartiger Anstalten nothigen | Kosten nicht tibersteigen. Es darf in Betreff dieser Gebtihren keinerlei Begtinstigung der Angehorigen eines | Deutschen Staates vor denen anderer Deutscher Staaten stattfinden. §.27. FluBzolle und FluBschifffahrtsabgaben dtirfen auf fremde Schiffe und deren Ladun=! gen nur durch die Reichsgewalt gelegt werden.

1084

§ 5: Einheitsbestrebungen (1848 - 50)

[Dok. 103 - 110]

Artikel VI. §. 28. ^Die Reichsgewalt hat liber die Eisenbahnen und deren Betrieb, so weit es der | Schutz des Reiches oder das Interesse des allgemeinen Verkehrs erheischt, die Oberaufsicht | und das Recht der Gesetzgebung. ^Ein Reichsgesetz wird bestimmen, welche Gegenstande | dahin zu rechnen sind. §.29. ^Die Reichsgewalt hat das Recht, so weit sie es zum Schutze des Reiches oder im | Interesse des allgemeinen Verkehrs fur nothwendig erachtet, Eisenbahnen anzulegen, wenn | der Einzelstaat, in dessen Gebiet die Anlage erfolgen soil, deren Ausfiihrung ablehnt. ^Die | Benutzung der Eisenbahnen fur Reichszwecke steht der Reichsgewalt jederzeit gegen Ent= I schadigung frei. §.30. Bei der Anlage oder Bewilligung von Eisenbahnen durch die einzelnen Staaten ist | die Reichsgewalt befugt, den Schutz des Reiches und das Interesse des allgemeinen Ver= | kehrs wahrzunehmen. §.31. ^Die Reichsgewalt hat tiber die LandstraBen die Oberaufsicht und das Recht der | Gesetzgebung, so weit es der Schutz des Reiches oder das Interesse des allgemeinen Ver= | kehrs erheischt. ^Ein Reichsgesetz wird bestimmen, welche Gegenstande darin zu rech= | nen sind. §.32. ^Der Reichsgewalt steht das Recht zu, zum Schutze des Reiches oder im Interesse | des allgemeinen Deutschen Verkehrs zu verfiigen, daB aus Reichsmitteln LandstraBen und | Kanale angelegt, Fltisse schiffbar gemacht oder in ihrer Schiffbarkeit erweitert werde. ^Die | Anordnung der dazu erforderlichen wasserbaulichen Werke erfolgt nach vorgangiger Verstan= I digung mit den betheiligten einzelnen Staaten; diesen bleibt die Ausflihrung und auf I Reichskosten die Unterhaltung der neuen Anlagen tiberlassen. Artikel VII. §.33. Das Deutsche Reich soil Ein Zoll= und Handelsgebiet bilden, umgeben von gemein= | schaftlicher Zollgrenze, mit Wegfall aller Binnengrenzzolle. [S.53] Die Aussonderung einzelner Orte und Gebietstheile aus der Zolllinie bleibt der | Reichsgewalt vorbehalten. Der Reichsgewalt bleibt es femer vorbehalten, auch nicht zum Reiche gehorige | Lander und Landestheile mittelst besonderer Vertrage dem Deutschen Zollgebiete an= | zuschlieBen. §. 34. ^Die Reichsgewalt ausschlieBlich hat die Gesetzgebung tiber das gesammte Zoll= j wesen, so wie tiber gemeinschaftliche Produktions== | und Verbrauchssteuem. ^Welche | Produktions= und Verbrauchssteuem gemeinschaftlich sein sollen, bestimmt die Reichs= | gesetzgebung.

[108] „Erfurter Unionsverfassung" vom 28. Mai 1849

1085

§.35. Die Erhebung und Verwaltung der ZoUe, so wie der gemeinschaftlichen Produktions= | und Verbrauchs=Steuem, geschieht unter Oberaufsicht der Reichsgewalt. §. 36. Auf welche Gegenstande die einzelnen Staaten Produktions= oder Verbrauchs= | Steuem fur Rechnung des Staats oder einzelner Gemeinden legen dtirfen und welche | Bedingungen und Beschrankungen dabei eintreten sollen, wird durch die Reichsgesetzgebung | bestimmt. §.37. Die einzelnen Deutschen Staaten sind nicht befugt, auf Gtiter, welche tiber die | Reichsgrenze ein= oder ausgehen, Zolle zu legen. §.38. Die Reichsgewalt hat das Recht der Gesetzgebung iiber den Handel und die Schiff= | fahrt und tiberwacht die Ausfuhrung der dariiber erlassenen Reichsgesetze. §.39. Der Reichsgewalt steht es zu, iiber das Gewerbewesen Reichsgesetze zu erlassen und | die Ausfahrung derselben zu iiberwachen, §.40. Erfindungs=Patente werden ausschlieBlich von Reichs wegen auf Grundlage eines | Reichsgesetzes ertheilt; auch steht der Reichsgewalt ausschlieBlich die Gesetzgebung gegen I den Nachdruck von Btichem, jedes unbefugte Nachahmen von Kunstwerken, Fabrik= I zeichen, Mustem und Formen und gegen andere Beeintrachtigung des geistigen Eigen= I thums zu. Artikel VIII. §.41. Die Reichsgewalt hat das Recht der Gesetzgebung und die Oberaufsicht iiber das | Postwesen, namentlich iiber Organisation, Tarife, Transit, Portotheilung und die Verhalt= | nisse zwischen den einzelnen Postverwaltungen. §. 42. Postvertrage mit auslandischen Postverwaltungen diirfen nur mit Genehmigung der | Reichsgewalt geschlossen werden. §.43. Die Reichsgewalt ist befugt, Telegraphenlinien anzulegen und die vorhandenen | gegen Entschadigung zu benutzen oder auf dem Wege der Enteignung zu erwerben. Weitere Bestimmungen hieriiber, so wie iiber Benutzung von Telegraphen fur den | Privatverkehr, sind einem Reichsgesetz vorbehalten. [S. 54] Artikel IX. §. 44. ^Die Reichsgewalt ausschlieBlich hat die Gesetzgebung und die Oberaufsicht iiber das | Munzwesen. ^Es liegt ihr ob, fiir ganze Reich dasselbe Miinzsystem einzufuhren. Sie hat das Recht, Reichsmiinzen zu pragen.

1086

§ 5: Einheitsbestrebungen (1848 - 50)

[Dok. 103 ~ 110]

§.45. Der Reichsgewalt liegt es ob, im ganzen Reiche dasselbe System fiir MaB und | Gewicht, so wie fur den Feingehalt der Gold= und Silberwaaren zu begriinden, §. 46. Der Reichsgewalt steht tiber das Bankwesen und das Ausgeben von Papiergeld die | Erlassung allgemeiner Gesetze und die Oberaufsicht zu. Artikel X. §.47. Die Ausgaben fur alle MaBregeln und Einrichtungen, | welche von Reichswegen | ausgefuhrt werden, sind von der Reichsgewalt aus den Mitteln des Reiches zu bestreiten. §.48. Zur Bestreitung seiner Ausgaben ist das Reich zunachst auf die Matrikularbeitrage | der einzelnen Staaten angewiesen. §.49. Die Reichsgewalt ist befiigt, in auBerordentlichen Fallen Anleihen zu machen oder | sonstige Schulden zu contrahiren. Artikel XL §.50. Den Umfang der Gerichtsbarkeit des Reiches bestimmt der Abschnitt vom Reichsgericht. Artikel XIL §.51. Der Reichsgewalt liegt es ob, die kraft der Reichsverfassung alien Deutschen ver= | biirgten Rechte oberaufsehend zu wahren. §. 52. Der Reichsgewalt liegt die Wahrung des Reichsfriedens ob. Sie hat die fiir die Aufrechthaltung der inneren Sicherheit und Ordnung erforder= | lichen MaBregeln zu treffen: 1) wenn ein Deutscher Staat von einem anderen Deutschen Staate in | seinem Frie= | den gestort oder gefahrdet wlrd; 2) wenn in einem Deutschen Staate die Sicherheit und Ordnung durch Einheimische | oder Fremde gestort oder gefahrdet wird. Doch soil in diesem Falle von der | Reichsgewalt nur dann eingeschritten werden, wenn die betreffende Regierung sie ] selbst dazu auffordert, es sei denn, daB dieselbe dazu notorisch auBer Stande ist | oder der gemeine Reichsfrieden bedroht erscheint; 3) wenn die Verfassung eines Deutschen Staates gewaltsam oder einseitig aufgeho= | ben oder verandert wird, und durch das Anrufen des Reichsgerichtes unverziig= | liche Htilfe nicht zu erwirken ist.

[108] „Erfiirter Unionsverfassung" vom 28. Mai 1849

1087

[S. 55] §. 53. Die MaBregeln, welche von der Reichsgewalt zur Wahrung des Reichsfriedens ep= | griffen werden konnen, sind: 1) Erlasse, 2) Absendung von Kommissarien, 3) Anwendung | von bewaffheter Macht. Ein Reichsgesetz wird die Grundsatze bestimmen, nach welchen die durch solche MaB= I regeln veranlaBten Kosten zu tragen sind. §. 54. Der Reichsgewalt liegt es ob, die Falle und Foraien, in welchen die bewaffnete | Macht gegen Storungen der offentlichen Ordnung angewendet werden soil, durch ein Reichs= | gesetz zu bestimmen. §.55. Der Reichsgewalt liegt es ob, die gesetzlichen Normen iiber Erwerb und Verlust | des Reichs= und Staatsbtirgerrechts festzusetzen. §. 56. Der Reichsgewalt steht es zu, liber das Heimathsrecht Reichsgesetze zu erlassen | die Ausfiihrung derselben zu iiberwachen. §.57. Der Reichsgewalt steht es zu, unbeschadet des durch die Grundrechte gewahrleisteten | Rechts der freien Vereinigung und Versammlung, Reichsgesetze tiber das Associationswesen I zu erlassen. §.58. Die Reichsgesetzgebung hat fur die Aufnahme offentlicher Urkunden diejenigen Er= | fordemisse festzustellen, welche die Anerkennung ihrer Aechtheit im ganzen Reiche bedingen. §.59. Die Reichsgewalt ist befugt, im Interesse des Gesammtwohls allgemeine MaBre= | geln fur die Gesundheitspflege zu treffen. Artikel XIII. §.60. Die Reichsgewalt hat die Gesetzgebung, soweit es zur Ausfiihrung der ihr ver= | fassungsmaBig tibertragenen Befugnisse und zum Schutze der ihr liberlassenen Anstalten er= | forderlich ist. §.61. Der Reichsgewalt liegt es ob, durch die Erlassung allgemeiner Gesetzbticher iiber | btirgerliches Recht, Handels= und Wechselrecht, Strafrecht und gerichtliches Verfahren die | Rechtseinheit im Deutschen Volke zu begriinden. §.62. Alle Gesetze und Verordnungen der Reichsgewalt erhalten verbindliche Kraft durch | ihre Verktindigung von Reichswegen.

1088

§ 5: Einheitsbestrebungen (1848 - 50)

[Dok. 103 - 110]

§.63. Reichsgesetze gehen den Gesetzen der Einzelstaaten vor, insofem ihnen nicht aus= | drticklich eine nur subsidiaire Geltung beigelegt ist. Artikel XIV. §. 64. Die Anstellung der Reichsbeamten geht yom Reiche aus. Die Dienstpragmatik des Reiches wird ein Reichsgesetz feststellen. [S. 56] Abschnitt III. | Das Reichs=Oberhaupt. Artikel I. §. 65. Die Regierung des Reichs wird von einem Reichsvorstande an der Spitze eines | Fiirsten=Kollegiums gefiihrt.

Die Wtirde des Reichsvorstandes ist mit der Krone von PreuBen verbunden. §.67. Das Ftxrsten=Kollegium besteht aus 6 Stimmen, und zwar: 1) PreuBen, 2) Baiem, 3) Sachsen, Saclisen=Weimar, Sachsen=Coburg=Gotha, Sachsen=Meiningen=Hildburg= I hausen, Sachsen=Altenburg, Anhalt=Dessau, Anhalt=Bemburg, Anhalt= Cothen, | Schwarzburg=Sondershausen, Schwarzburg=Rudolstadt, ReuB a. L., ReuB j.L. 4) Hannover, Braunschweig, Holstein, Mecklenburg=Schwerin, Mecklenburg=Strelitz, I Oldenburg, Liibeck, Bremen, Hamburg. 5) Wiirttemberg, Baden, Hohenzollem=Hechingen, Hohenzollem=Sigmaringen, Liech= I tenstein. 6) Kurhessen, GroBherzogthum Hessen, Luxemburg und Limburg, Nassau, Waldeck, | Schaumburg=Lippe, Lippe=Detmold, Hessen=Homburg und Frankfurt a. M. Die Staaten, welche einen gemeinschaftlichen Bevollmachtigen zum Ftirstenkollegium | bestellen, haben sich liber dessen Wahl zu verstandigen; flir den Fall der Nichtverstandigung I wird ein Reichsgesetz die Mitwirkung der Betheiligten bestimmen. Artikel II. §. 68. Der Reichsvorstand wird wahrend der Dauer des Reichstags am Sitze der Reichs= | Regierung residiren. So oft sich der Reichsvorstand nicht am Sitze der Reichsregierung befindet, muB | einer der Reichsminister in seiner unmittelbaren Umgebung sein= §.69. Der Reichsvorstand tibt die ihm tibertragene Gewalt durch verantwortliche von ihm | ernannte Minister aus.

[ 108] „Erfurter Unionsverfassung" vom 28. Mai 1849

1089

§.70. Alle Regiemngshandlungen des Reichsvorstandes bedtirfen zu ihrer Gtiltigkeit der | Gegenzeichnung von wenigstens einem der Reichsminister, welcher dadurch die Verantwor= | tung tibemimmt. [S. 63] Artikel III. §.7L ^Der Reichsvorstand iibt die volkerrechtliche Vertretung des Deutschen Reichs und der | einzelnen Deutschen Staaten aus. "^Er stellt | die Reichsgesandten und die Konsuln an und | flihrt den diplomatischen Verkehr. [S. 57] §.72. Der Reichsvorstand erklart Krieg und schlieBt Frieden. §. 73. Der Reichsvorstand schlieBt die Biindnisse und Vertrage mit den auswartigen Machten | ab, und zwar unter Mitwirkung des Reichstags, insoweit diese in der Verfassung vorbe= | halten ist. §.74. Alle Vertrage nicht rein privatlichen Inhalts, welche Deutsche Regierungen unter | sich Oder mit auswartigen Regierungen abschlieBen, sind dem Reichsvorstande zur KenntniB= | nahme und, in sofem das Reichs=Interesse dabei betheiligt ist, zur Bestatigung vorzulegen. §.75. Der Reichsvorstand beruft und schlieBt den Reichstag; er hat das Recht, das Volks= | haus aufzulosen. §.76. ^Das Fiirsten=Kollegium unter dem Vorsitze des Reichsvorstandes, oder in dessen Ver= I hinderung unter dem Vorsitze Bayems, hat das Recht des Gesetzesvorschlages. "^Es iibt I die gesetzgebende Gewalt in Gemeinschaft mit dem Reichstage unter den verfassungsmaBigen | Beschrankungen aus. §.77. ^Das Ftirsten=Kollegium faBt seine Beschltisse durch absolute Majoritat der anwesenden I Bevollmachtigten. ^Bei gleicher Stimmenzahl entscheidet die Stimme des Vorsitzenden. §.78. Der Reichsvorstand verkiindigt die Reichsgesetze und erlaBt die zur Vollziehung der= | selben nothigen Verordnungen. §.79. ^In Strafsachen, welche zur Zustandigkeit des Reichsgerichts gehoren, hat der Reichs= | vorstand das Recht der Begnadigung und Strafmilderung. ^Das Verbot der Einleitung | oder Fortsetzung von Untersuchungen kann der Reichsvorstand nur mit Zustimmung des | Reichstags erlassen. ^Zu Gunsten eines wegen seiner Amtshandlungen verurtheilten Reichs= | Ministers kann der Reichsvorstand das Recht der Begnadigung und Strafmilderung nur I dann austiben, wenn dasjenige Haus, von welchem die Anklage ausgegangen ist, darauf | antragt. "^Zu Gunsten von Landes=Ministem steht ihm ein solches Recht nicht zu.

1090

§ 5: Einheitsbestrebungen (1848 - 50)

[Dok. 103 - 110]

§.80. Dem Reichsvorstand liegt die Wahrung des Reichsfriedens ob. §.81. Der Reichsvorstand hat die Verfugung tiber die bewaffnete Macht. §.82. ^Ueberhaupt hat der Reichsvorstand in alien Angelegenheiten des Reiches nach MaB= | gabe der Reichsverfassung die Regiemngsgewalt, welche derselbe nach §. 76. als Theilhaber I an der gesetzgebenden Gewalt unter Zustimmung und in Verbindung mit dem Ftirsten= I Kollegium austibt. ^Dem Reichsvorstand stehen diejenigen Rechte und Befugnisse zu, 1 welche in der Verfassung der Reichsgewalt beigelegt und dem Reichstage nicht zugewiesen sind. [S. 58] Abschnitt IV. | Der Reichstag. Artikel I. §. 83. Der Reichstag besteht aus zwei Hausem, dem Staatenhaus und dem Volkshaus. Artikel II. §.84. Das Staatenhaus wird gebildet aus den Vertretem der Deutschen Staaten. §. 85. So lange die Deutsch=Oesterreichischen Lande an dem Bundesstaate nicht Theil | nehmen, vertheilt sich die Zahl der Mitglieder des Staatenhauses nach folgendem Ver= | haltniB: PreuBen 40 Mitglieder. Bayem ....20 " Sachsen 12 " Hannover ., 12 " Wtirttemberg 12 " Baden 10 " Kurhessen 7 " GroBherzogthum Hessen 7 " Holstein 6 " Mecklenburg=Schwerin 4 " Luxemburg=Limburg 3 " Nassau 4 " Braunschweig 2 " Oldenburg 2 " Sachsen=Weimar 2 " Sachsen=Coburg=Gotha Sachsen=Meiningen=Hildburghausen Sachen=Altenburg Mecklenburg=Strelitz Anhalt=Dessau Anhalt^Bemburg Anhalt=Kothen Schwarzburg=Sondershausen

[108] „Erflirter Unionsverfassung" vom 28. Mai 1849

1091

Schwarzburg=Rudolstadt Hohenzollem=Hechingen.... Liechtenstein Hohenzollem=Sigmaringen. Waldeck , ReuB altere Linie Latus

157 Mitglieder.

[S. 59] Transport

157 Mitglieder.

ReuB jtingere Linie Schaumburg=Lippe Lippe=Detmold Hessen=Homburg Lauenburg Ltibeck Frankfurt Bremen Hamburg 167 Mitglieder. §.86. Die Mitglieder des Staatenhauses werden zur Halfte durch die Regierung und zur | Halfte durch die Volksvertretung der betreffenden Staaten emannt. Wo zwei Kammem bestehen, wird die Halfte von jeder Kammer gewahlt; bei | ungleichen Halften fallt die groBere auf das Volkshaus. §.87. In denjenigen Staaten, welche nur Bin Mitglied in das Staatenhaus senden, schlagt | die Regierung drei Kandidaten vor, aus denen die Volksvertretung mit absoluter Stim= | menmehrheit wahlt. Auf dieselbe Weise ist in denjenigen Staaten, welche eine ungerade Zahl von Mit= | gliedem senden, in Betreff des letzten derselben zu verfahren. §. 88. Wenn mehrere Deutsche Staaten zu einem Ganzen verbunden werden, so entscheidet | ein Reichsgesetz liber die dadurch etwa nothwendig werdende Abanderung in der Zusammen= | setzung des Staatenhauses. §.89. Mitglied des Staatenhauses kann nur sein, wer 1. Staatsbtirger des Staates ist, welcher ihn sendet, 2. das 30ste Lebensjahr zuriickgelegt hat, 3. sich im vollen GenuB der biirgerlichen und staatsbtirgerlichen Rechte befindet.

1092

§ 5: Einheitsbestrebungen (1848 - 50)

[Dok. 103 - 110]

§.90. ^Die Mitglieder des Staatenhauses werden auf sechs Jahre gewahlt. '^Sie werden | alle drei Jahre zur Halfte emeuert. ^Auf welche Weise nach den ersten drei Jahren das Ausscheiden der einen Halfte | stattfinden soil, wird durch ein Reichsgesetz bestimmt. ^Die Ausscheidenden sind stets wieder | wahlbar. Wird nach Ablauf dieser drei Jahre und vor Vollendung der neuen Wahlen fiir | das Staatenhaus ein auBerordentlicher Reichstag berufen, so treten, so weit die neuen | Wahlen noch nicht stattgefunden haben, die friiheren Mitglieder ein. Artikel III. §.91. Das Volkshaus besteht aus den Abgeordneten des Deutschen Volks. [S. 60] §.92. Die Mitglieder des Volkshauses werden auf vier Jahre gewahlt. Die Wahl geschieht nach den in dem Reichswahlgesetze enthaltenen Vorschriften. Artikel IV. §.93. ^Die Mitglieder des Reichstages beziehen aus der Reichskasse ein gleichmaBiges | Tagegeld und Entschadigung fur ihre Reisekosten. ^Das Nahere bestimmt ein Reichsgesetz. §.94. Die Mitglieder beider Hauser konnen durch Instmktionen nicht gebunden werden. §.95. Niemand kann gleichzeitig Mitglied von beiden Hausem sein. Artikel V. §. 96. Zu einem BeschluB eines jeden Hauses des Reichstages ist die Theilnahme von | wenigstens der Halfte der gesetzlichen Anzahl seiner Mitglieder und die einfache Stimmen= | mehrheit erforderlich. Im Falle der Stimmengleichheit wird ein Antrag als abgelehnt betrachtet. §. 97. Das Recht des Gesetzvorschlags, der Beschwerde, der Adresse und der Erhebung | von Thatsachen, so wie der Anklage der Minister, steht jedem Hause zu. §. 98. Ein ReichstagsbeschluB kann nur durch die Uebereinstimmung beider Hauser giiltig | zu Stande kommen. §.99. Ein ReichsbeschluB kann nur durch die Uebereinstimmung beider Hauser einerseits, | so wie des Reichsvorstandes und Ftirstenkollegiums andererseits, giiltig zu Stande kommen. Ein ReichstagsbeschluB, welcher die Zustimmung der Reichsregierung nicht erlangt | hat, darf in derselben Sitzungsperiode nicht wiederholt werden.

[108] „Erfurter Unionsverfassung" vom 28. Mai 1849

1093

§. 100. Ein ReichstagsbeschluB ist in folgenden Fallen erforderlich: 1. Wenn es sich um die Erlassung, Aufhebung, Abanderung oder Auslegung von 1 Reichsgesetzen handelt. 2. Wenn der Reichshaushalt festgestellt wird, wenn Anleihen kontrahirt werden, | wenn das Reich eine im Budget nicht vorgesehene Ausgabe tibemimmt oder | Matrikularbeitrage | erhebt. 3. Wenn fremde See= und FluBschifffahrt mit hoheren Abgaben belegt werden soil. 4. Wenn Landesfestungen zu Reichsfestungen erklart werden sollen. 5. Wenn Handels=, Schifffahrts= und Auslieferungsvertrage mit dem Auslande | geschlossen werden, so wie tiberhaupt volkerrechtliche Vertrage, insofem sie das | Reich belasten. 6. Wenn nicht zum Reich gehorige Lander oder Landestheile dem Deutschen Zoll= | gebiete angeschlossen oder einzelne Orte oder Gebietstheile von der Zolllinie | ausgeschlossen werden sollen. [S. 61] 7. Wenn Deutsche Landestheile abgetreten oder wenn Nichtdeutsche Gebiete dem | Reiche einverleibt oder auf andere Weise mit demselben verbunden werden | sollen. §.101. Bei Feststellung des Reichshaushaltes treten folgende Bestimmungen ein: 1. Alle die Finanzen betreffenden Vorlagen der Reichsregierung gelangen zunachst | an das Volkshaus und sodann an das Staatenhaus. 2. Bewilligungen von Ausgaben diirfen nur auf Antrag der Reichsregierung und | bis zum Belauf dieses Antrages erfolgen. Jede Bewilligung gilt nur fiir den | besonderen Zweck, fur welchen sie bestimmt worden. Die Verwendung darf nur | innerhalb der Grenze der Bewilligung erfolgen. 3. Die Dauer der Finanzperiode und Budgetbewilligung ist drei Jahre. 4. Das Budget tiber die regelmaBigen Ausgaben des Reiches und iiber den Reserve= | fonds, so wie iiber die fur beides erforderlichen Deckungsmittel, wird auf dem | ersten Reichstage durch Reichstagsbeschltisse festgestellt. Eine Erhohung dieses | Budgets auf spateren Reichstagen erfordert gleichfalls einen ReichstagsbeschluB. 5. Dieses ordentliche Budget wird auf jedem Reichstage zuerst dem Volkshause vor= | gelegt, und diesem in seinen einzelnen Ansatzen nach den Erlauterungen und | Belegen, welche die Reichsregierung vorzulegen hat, geprtift und ganz oder theil= | weise bewilligt oder verworfen. 6. Nach erfolgter Prtifiing und Bewilligung durch das Volkshaus wird das Budget | an das Staatenhaus zur Berathung und BeschluBnahme abgegeben. Wenn dieser | BeschluB nicht mit dem des Volkshauses iibereinstimmt, so geht das Budget zu | femerer Verhandlung an das Volkshaus zuruck. Ein endgiiltiger BeschluB kann | nur durch die Uebereinstimmung beider Hauser zu Stande kommen. 7. Alle auBerordentlichen Ausgaben und deren Deckungsmittel bediirfen, gleich der | Erhohung des ordentlichen Budgets, eines Reichstagsbeschlusses. 8. Die Nachweisung tiber die Verwendung der Reichsgelder wird dem Reichstage, \ und zwar zuerst dem Volkshause, zur Priifung und zum AbschluB vorgelegt.

1094

§ 5: Einheitsbestrebungen (1848 - 50)

[Dok. 103 - 110]

Artikel VI. §. 102. ^Der Reichstag versammelt sich jedes Jahr am Sitze der Reichsregierung. ^Die Zeit | der Zusammenkunft wird vom Reichsoberhaupt bei der Einberufung angegeben, in sofem | nicht ein Reichsgesetz dieselbe festsetzt. AuBerdem kann der Reichstag zu auBerordentlichen Sitzungen jederzeit vom Reichs= | oberhaupt einbemfen werden. §. 103. ^Die ordentlichen Sitzungsperioden der Landtage in den Einzelstaaten sollen mit | denen des Reichstages in der Regel nicht zusammenfallen. ^Das Nahere bleibt einem | Reichsgesetz vorbehalten. §. 104. Das Volkshaus kann durch das Reichsoberhaupt aufgelost werden. In dem Falle der Auflosung ist der Reichstag binnen drei Monaten wieder zu | versammeln. [S. 62] §. 105. Die Auflosung des Volkshauses hat die gleichzeitige Vertagung des Staatenhauses | bis zur Wiederberufung des Reichstages zur Folge. Die Sitzungsperioden beider Hauser sind dieselben. §. 106. Das Ende der Sitzungsperiode des Reichstages wird vom Reichsoberhaupt bestimmt. §. 107. Eine Vertagung des Reichstages oder eines der beiden Hauser durch das Reichs= | oberhaupt bedarf, wenn sie nach Eroffnung der Sitzung auf langer als vierzehn Tage aus= | gesprochen werden soil, der Zustimmung des Reichstages oder des betreffenden Hauses. Auch der Reichstag selbst, sowie jedes der beiden Hauser, kann sich auf vierzehn | Tage vertagen. Artikel VII. §. 108. Jedes der beiden Hauser wahlt seinen Prasidenten, seine Viceprasidenten und seine | Schriftfuhrer. §. 109. ^Die Sitzungen beider Hauser sind offentlich. ^Die Geschaftsordnung eines jeden | Hauses bestimmt, unter welchen Bedingungen vertrauliche Sitzungen stattfinden konnen. §.110. Jedes Haus priift die Vollmachten seiner Mitglieder und entscheidet tiber die Zu= | lassung derselben, §.111. Jedes Mitglied leistet bei seinem Eintritt den Eid: „Ich schwore, die Deutsche | Reichsverfassung getreulich zu beobachten und aufrecht zu erhalten, so wahr mir Gott helfe."

[ 108] „Erfurter Unionsverfassung" vom 28. Mai 1849

1095

§.112. ^ Jedes Haus hat das Recht, seine Mitglieder wegen unwiirdigen Verhaltens zu be= | strafen und auBersten Falls auszuschlieBen. ^Das Nahere bestimmt die Geschaftsordnung | jedes Hauses. Eine AusschlieBung kann nur dann ausgesprochen werden, wenn eine Mehrheit von | zwei Dritteln der Stimmen sich dafiir entscheidet. §.113. Weder Ueberbringer von Bittschriften noch tiberhaupt Deputationen sollen in den | Hausem zugelassen werden. §.114. ^Es soil eine allgemeine Geschaftsordnung unter Zustimmung beider Hauser erlassen | werden. ^Die Anwendung dieser Geschaftsordnung im Einzelnen, bleibt den Beschliissen jedes I Hauses vorbehalten. Artikel VIII, §.115. Ein Mitglied des Reichstags darf wahrend der Dauer der Sitzungsperiode ohne | Zustimmung des Hauses, zu welchem es gehort, wegen strafrechtlicher Anschuldigungen weder I verhaftet, noch in Untersuchung gezogen werden, mit alleiniger Ausnahme der Ergreifung I auf frischer That. [S. 63] §.116. In diesem letzteren Falle ist dem betreffenden Hause von der angeordneten MaB= | regel sofort KenntniB zu geben. §.117. Jedes Haus ist befiigt, fur die Dauer seiner Sitzungsperiode die Aufhebung der= | jenigen Verhaftungen zu verfiigen, welche iiber ein Mitglied desselben zur Zeit seiner Wahl | verhangt gewesen, oder nach dieser zu Eroffnung der Sitzungen verhangt worden ist. §.118. Kein Mitglied des Reichstags darf von Staatswegen zu irgend einer Zeit wegen | seiner Abstimmung oder wegen der in Ausiibung seines Berufes gethanen AeuBerungen | gerichtlich oder disziplinarisch verfolgt oder sonst auBerhalb der Versammlung zur Verant= | wortung gezogen werden. Artikel IX. §.119. Die Reichsminister und die von ihnen bezeichneten Kommissarien haben das Recht, | den Verhandlungen beider Hauser des Reichstages beizuwohnen und jederzeit von denselben I gehort zu werden. §. 120. Die Reichsminister haben die Verpflichtung, auf Verlangen jedes der Hauser des 1 Reichstages in demselben zu erscheinen | und Auskunft zu ertheilen, oder den Grund anzu= I geben, weshalb dieselbe nicht ertheilt werden konne. §.121. Die Reichsminister konnen nicht Mitglieder des Staatenhauses sein.

1096

§ 5: Einheitsbestrebungen (1848 - 50)

[Dok. 103 - 110]

§. 122. Wenn ein Mitglied des Volkshauses im Reichsdienst ein Amt oder eine Beforde= | rang annimmt, so muB es sich einer neuen Wahl unterwerfen; es behalt seinen Sitz im | Hause, bis die neue Wahl stattgefunden hat. Abschnitt V. | Das Reichsgericht. Artikel I. §. 123. Die dem Reiche zustehende Gerichtsbarkeit wird durch ein Reichsgericht ausgeiibt. §. 124. Zur Zustandigkeit des Reichsgerichts gehoren: a) Klagen eines Einzelstaates gegen die Reichsgewalt wegen Verletzung der Reichs= | verfassung durch Erlassung von Reichsgesetzen und durch MaBregeln der Reichs== | regierang, so wie Klagen der Reichsgewalt gegen einen Einzelstaat wegen Ver= | letzung der Reichsverfassung. b) Streitigkeiten zwischen dem Staatenhause und dem Volkshause unter sich und | zwischen jedem von ihnen und der Reichsregierang, welche die Auslegung der | Reichsverfassung betreffen, wenn die streitenden Theile sich vereinigen, die Ent= | scheidung des Reichsgerichts einzuholen. [S. 64] c) Politische und privatrechtliche Streitigkeiten aller Art zwischen den einzelnen | Deutschen Staaten. d) Streitigkeiten iiber Thronfolge, Regierangsfahigkeit und Regentschaft in den | Einzelstaaten. e) Streitigkeiten zwischen der Regierang eines Einzelstaates und dessen Volksvertre= | tung iiber die Gtiltigkeit oder Auslegung der Landesverfassung. f) Klagen der Angehorigen eines Einzelstaates gegen die Regierang desselben, we= | gen Aufhebung oder verfassungswidriger Veranderang der Landesverfassung. Klagen der Angehorigen eines Einzelstaates gegen die Regierang wegen | Verletzung der Landesverfassung konnen bei dem Reichsgericht nur angebracht werden, wenn die in der Landesverfassung gegebenen Mittel der Abhtilfe nicht | zur Anwendung gebracht werden konnen. g) Klagen Deutscher Staatsbtirger wegen Verletzung der durch die Reichsverfassung | ihnen gewahrten Rechte. Die naheren Bestimmungen iiber den Umfang dieses | Klagerechts und die Art und Weise, dasselbe geltend zu machen, bleiben der | Reichsgesetzgebung vorbehalten. h) Beschwerden wegen verweigerter oder gehemmter Rechtspflege, wenn die landes= I gesetzlichen Mittel der Abhiilfe erschopft sind. i) Strafgerichtsbarkeit iiber die Anklagen gegen die Reichsminister, insofem sie deren | ministerielle Verantwortlichkeit betreffen. k) Strafgerichtsbarkeit iiber die Anklagen gegen die Minister der Einzelstaaten, in= | sofem sie deren ministerielle Verantwortlichkeit betreffen und die Gerichte der ] Einzelstaaten dazu nicht kompetent sind. 1) Strafgerichtsbarkeit in den Fallen des Hoch= und Landesverraths gegen das | Reich. Ob noch andere Verbrechen gegen das Reich der Strafgerichtsbarkeit des | Reichsgerichts zu iiberweisen sind, wird spateren Reichsgesetzen vorbehalten. m) Klagen gegen den Reichsfiskus, wo ein gemeinrechtlicher Gerichtsstand nicht be= | griindet sein sollte.

[108] „ErfurterUnionsverfassung" vom 28. Mai 1849

1097

n) Klagen gegen Deutsche Staaten, wenn die Verpflichtung, dem Anspruche Gentige | zu leisten, zwischen mehreren Staaten zweifelhaft oder bestritten ist, so wie wenn | die gemeinschaftliche Verpflichtung gegen mehrere Staaten in einer Klage geltend | gemacht wird. §. 125. Ueber die Frage, ob ein Fall zur Entscheidung des Reichsgerichts geeignet sei, er= | kennt einzig und allein das Reichsgericht selbst. §.126. Ueber die Einsetzung und Organisation des Reichsgerichts, liber das Verfahren und | die Vollziehung der reichsgerichtlichen Entscheidungen und Verfugungen wird ein besonderes I Gesetz ergehen. Diesem Gesetze wird auch die Bestimmung, ob und in welchen | Fallen bei dem | Reichsgericht die Urtheilsfallung durch Geschworene erfolgen soil, vorbehalten. Eben so bleibt vorbehalten: ob und wie weit dieses Gesetz als organisches Ver= | fassungsgesetz zu betrachten ist. [S. 65] §. 127. Der Reichsgesetzgebung bleibt es vorbehalten, Admiralitats= und Seegerichte zu | errichten, so wie Bestimmungen tiber die Gerichtsbarkeit der Gesandten und Konsuln | des Reichs zu treffen. Abschnitt VI. | Die Grundrechte des Deutschen Volkes. §. 128. ^Dem Deutschen Volke sollen die nachstehenden Grundrechte gewahrleistet sein. ^Sie | dienen den Verfassungen der Deutschen Einzelstaaten zur Norm und werden ihre Anwen= | dung auf deren besondere Verhaltnisse in den Gesetzgebungen dieser Staaten fmden. Artikel I. §. 129. Das Deutsche Volk besteht aus den Angehorigen der Staaten, welche das Deutsche | Reich bilden. §.130. ^Jeder Deutsche hat das Deutsche Reichsbtirgerrecht. '^Die ihm kraft dessen zustehenden I Rechte kann er in jedem Deutschen Lande ausiiben. ^Ueber das Recht, zur Deutschen | Reichsversammlung zu wahlen, verftigt das Reichswahlgesetz. §.131. Jeder Deutsche hat das Recht, an jedem Orte des Reichsgebietes seinen Aufenthalt | und Wohnsitz zu nehmen, Liegenschaften jeder Art zu erwerben und dariiber zu verfligen, | jeden Nahrungszweig zu betreiben, das Gemeindebtirgerrecht zu gewinnen. Die Bedingungen fur den Aufenthalt und die Wohnberechtigung in den Einzelstaaten | werden durch ein allgemeines Heimathsgesetz, jene | fiir den Gewerbebetrieb durch eine | allgemeine Gewerbe=Ordnung von der Reichsgewalt festgesetzt.

1098

§ 5: Einheitsbestrebungen (1848 - 50)

[Dok. 103 - 110]

§.132. Kein Deutscher Staat darf zwischen seinen Angehorigen und anderen Deutschen | einen Unterschied im biirgerlichen, peinlichen und ProzeBrechte machen, welcher die letzteren | als Auslander zuriicksetzt. §. 133. Die Strafe des biirgerlichen Todes soil nicht stattfinden, und da, wo sie bereits | ausgesprochen ist, in ihren Wirkungen aufhoren, so weit nicht hierdurch erworbene Privat= | rechte verletzt werden. §. 134. Die Auswanderungsfreiheit ist von Staats wegen nicht beschrankt; Abzugsgelder | dtirfen nicht erhoben werden. Die Auswanderungs=Angelegenheit steht unter dem Schutze und der Ftirsorge des | Reiches. Artikel II. §. 135. Vor dem Gesetze gilt kein Unterschied der Stande. Alle Standesvorrechte sind abgeschafft. fS. 66] Die Deutschen sind vor dem Gesetze gleich. Die offentlichen Aemter sind fiir alle Befahigten gleich zuganglich. ^Die Wehrpflicht ist fur Alle gleich; Stellvertretung bei derselben fmdet nicht Statt. | ^Das Nahere hieriiber wird durch das Wehrgesetz bestimmt. Artikel III. §. 136. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. ^Die Verhaftung einer Person soil, auBer im Falle der Ergreifung auf frischer That, I nur geschehen in Kraft eines richterlichen, mit Grtinden versehenen Befehls. ^Dieser Befehl | muB im Augenblicke der Verhaftung oder innerhalb der nachsten vier und zwanzig Stunden I dem Verhafteten zugestellt werden. Die Polizeibehorde muB Jeden, den sie in Verwahrung genommen hat, im Laufe | des folgenden Tages entweder freilassen, oder der zustandigen Behorde libergeben. Jeder Angeschuldigte soil gegen Stellung einer vom Gericht zu bestimmenden Kaution | oder Btirgschaft der Haft entlassen werden, sofem nicht dringende Anzeigen eines schweren | peinlichen Verbrechens gegen denselben vorliegen. Im Falle einer widerrechtlich verfiigen oder verlangerten Gefangenschaft ist der | Schuldige und nothigenfalls der Staat dem Verletzten zur Genugthuung und Entschadi= | gung verpflichtet. Die fur das Heep= und Seewesen erforderlichen Modifikationen dieser Bestimmungen | werden besonderen Gesetzen vorbehalten. §. 137. Die Strafen des Prangers, der Brandmarkung und der korperlichen Ztichtigung | sind abgeschafft.

[108] „Erftirter Unionsverfassung" vom 28. Mai 1849

1099

§. 138. Die Wohnung ist unverletzlich. Eine Haussuchung ist nur zulassig: 1. in Kraft eines richterlichen, mit Griinden versehenen Befehls, welcher sofort oder | innerhalb der nachsten vier und zwanzig Stunden dem Betheiligten zugestellt wep= | den soil, 2. im Falle der Verfolgung auf frischer That, durch den gesetzlich berechtigten Beamten, 3. in den Fallen und Formen, in welchen das Gesetz ausnahmsweise bestimmten Beamten | auch ohne richterlichen Befehl dieselbe gestattet. Die Haussuchung muB, wenn thunlich, mit Zuziehung von Hausgenossen erfolgen. Die Unverletzlichkeit der Wohnung ist kein HindemiB der Verhaftung eines gerichtlich Verfolgten. §. 139. Die Beschlagnahme von Briefen und Papieren darf, auBer bei einer Verhaftung | oder Haussuchung, nur in Kraft eines richterlichen, mit Griinden versehenen Befehls vor= | genommen werden, welcher sofort oder innerhalb der nachsten vier und zwanzig Stunden | dem Betheiligten zugestellt werden soil. §. 140. Das BriefgeheimniB ist gewahrleistet. Die bei strafgerichtlichen Untersuchungen und in Kriegsfallen nothwendigen Beschran= | kungen sind durch die Gesetzgebung festzustellen. [S. 67] Artikel IV. §.141. Jeder Deutsche hat das Recht, durch Wort, Schrift, Druck und bildliche Darstellung | seine Meinung frei zu auBem. Die Censur darf nicht eingefiihrt werden. Bin PreBgesetz zur Wahrung der offentlichen Sicherheit und der Rechte Dritter wird | vom Reiche erlassen werden. Ueber PreBvergehen, welche von Amts wegen verfolgt werden, wird durch Schwur= | gerichte geurtheilt. Artikel V. §. 142. Jeder Deutsche hat voile Glaubens= und Gewissensfreiheit. §. 143. Jeder Deutsche ist unbeschrankt in der gemeinsamen hauslichen und offentlichen Uebung | seiner Religion. Verbrechen und Vergehen, welche bei Austibung dieser Freiheit begangen werden, | sind nach dem Gesetze zu bestrafen. §. 144. ^Durch das religiose BekenntniB wird der GenuB der | btirgerlichen und staatsbiirger= | lichen Rechte weder bedingt noch beschrankt. ^Den staatsbtirgerlichen Pflichten darf dasselbe I keinen Abbruch thun.

1100

§ 5: Einheitsbestrebungen (1848 - 50)

[Dok. 103 - 110]

§. 145. Jede Religionsgesellschaft ordnet und verwaltet ihre Angelegenheiten selbststandig und | bleibt im Besitz und GenuB der fiir ihre Kultus=, Unterrichts= und Wohlthatigkeitszwecke | bestimmten Anstalten, Stiftungen und Fonds. Es besteht femerhin keine Staatskirche. Neue Religionsgesellschaften diirfen sich bilden; einer Anerkennung ihres Bekennt= | nisses durch den Staat bedarf es nicht. §.146. Niemand soil von Staats wegen zu einer kirchlichen Handlung oder Feierlichkeit | gezwungen werden. §. 147. Die Formel des Eides soil kunftig lauten: „So wahr mir Gott helfe". §. 148. Die btirgerliche Giiltigkeit der Ehe ist nur von der Vollziehung des Civilaktes ab= | hangig, die kirchliche Trauung kann nur nach der Vollziehung des Civilaktes stattfinden. Die Religionsverschiedenheit ist kein btirgerliches EhehindemiB. §. 149. Die Standesbticher werden von den btirgerlichen Behorden gefuhrt. Artikel VI. §. 150. Die Wissenschaft und ihre Lehre ist frei. [S. 68] §.151. Das Unterrichts= und Erziehungswesen steht unter der Oberaufsicht des Staats; er | tibt sie durch eigene von ihm emannte Behorden aus. §. 152. Unterrichts= und Erziehungs=Anstalten zu griinden, zu leiten und an solchen Unter= | richt zu ertheilen, steht jedem Deutschen frei, wenn er seine Befahigung der betreffenden | Staatsbehorde nachgewiesen hat. Der hausliche Unterricht unterliegt keiner Beschrankung. §. 153. Fiir die Bildung der Deutschen Jugend soil durch offentliche Schulen tiberall ge= | niigend gesorgt werden. Eltem oder deren Stellvertreter diirfen ihre Kinder oder Pflegebefohlenen nicht ohne | den Unterricht lassen, welcher fiir die unteren Volksschulen vorgeschrieben ist. §. 154. Die offentlichen Lehrer haben die Rechte der Staatsdiener. Der Staat stellt unter gesetzlich geordneter Betheiligung der Gemeinden aus der | Zahl der Gepriiften die Lehrer der Volksschulen an. §. 155. Unbemittelten soil in alien Volksschulen und niederen Gewerbeschulen freier Unterricht ! ertheilt werden.

[108] „Erfurter Unionsverfassung" vom 28. Mai 1849

1101

§. 156. Es steht einem Jeden frei, seinen Bemf zu wahlen und sich fiir denselben auszu= | bilden, wie und wo er will. Artikel VII. §. 157. Jeder Deutsche hat das Recht, sich mit Bitten und Beschwerden schriftlich an die | Behorden, an die Volksvertretungen und an den Reichstag zu wenden. Dieses Recht kann sowohl von Einzelnen als von Korporationen ausgetibt werden, | beim Heer und der Kriegsflotte jedoch nur in der | Weise, wie es die Disziplinarvorschriften I bestimmen. §. 158. Eine vorgangige Genehmigung der Behorden ist nicht nothwendig, um offentliche \ Beamte wegen ihrer amtlichen Handlungen gerichtlich zu verfolgen, Artikel VIII. §. 159. Die Deutschen haben das Recht, sich friedlich und ohne Waffen zu versammeln, | einer besonderen ErlaubniB dazu bedarf es nicht. Volksversammlungen unter freiem Himmel konnen bei dringender Gefahr fur die | offentliche Ordnung und Sicherheit verboten werden. §. 160. ^Die Deutschen haben das Recht, Vereine zu bilden. ^Dieses Recht soil durch keine | vorbeugende MaBregel beschrankt werden. [S. 68] Die Ausiibung der in diesem Paragraphen und im §. 159. festgestellten Rechte soil zur Wah= I rung der offentlichen Sicherheit durch das Gesetz geregelt werden. §.161. Die in den §§. 159. und 160. enthaltenen Bestimmungen finden auf das Heer und | die Kriegsflotte Anwendung, insoweit die militairischen Disziplinarvorschriften nicht ent= | gegenstehen. Artikel IX. §. 162. Das Eigenthum ist unverletzlich. Eine Enteignung kann nur aus Riicksichten des gemeinen Besten, nur auf Grund | eines Gesetzes und gegen gerechte Entschadigung vorgenommen werden. Das geistige Eigenthum soil durch die Reichsgesetzgebung geschiitzt werden. §.163. Die Bestimmungen liber die VerauBerlichkeit und Theilbarkeit des Grundeigenthums, | sowohl unter Lebenden als von Todes wegen, bleiben der Gesetzgebung der Einzelstaaten | iiberlassen. Fiir die todte Hand sind Beschrankungen des Rechts, Liegenschaften zu erwerben | und liber sie zu verfugen, im Wege der Gesetzgebung aus Grlinden des offentlichen Wohls | zulassig.

1102

§ 5: Einheitsbestrebungen (1848 - 50)

[Dok. 103-110]

§. 164. Jeder Unterthanigkeits= und Horigkeitsverband hort fur immer auf. §. 165. Ohne Entschadigung sind aufgehoben: L Die Patrimonialgerichtsbarkeit und die grundherrliche Polizei, sammt den aus | diesen Rechten flieBenden Befugnissen, Exemtionen und Abgaben. 2. Die aus dem guts= und schutzherrlichen Verbande flieBenden personlichen Abgslben I und Leistungen. Mit diesen Rechten fallen auch die Gegenleistungen und Lasten weg, welche dem J bisher Berechtigten dafur oblagen. §. 166. Alle auf Grund und Boden haftenden privatrechtlichen Abgaben und Leistungen, | insbesondere die Zehnten, sind ablosbar: ob nur auf Antrag des Belasteten oder auch | des Berechtigten, und in welcher Weise, bleibt der Gesetzgebung der einzelnen Staaten | tiberlassen. Es soil fortan kein Grundsttick mit einer unablosbaren Abgabe oder Leistung belastet | werden. §. 167. Im Grundeigenthum liegt die Berechtigung zur Jagd auf eigenem Grund und | Boden. ^Die Jagdgerechtigkeit auf fremdem Grund und Boden, Jagddienste, Jagdfrohnden | und andere Leistungen fur Jagdzwecke sind aufgehoben. ^Die Entschadigung bleibt der | Landesgesetzgebung tiberlassen. Nur ablosbar jedoch ist die Jagdgerechtigkeit, welche erweislich durch einen lastigen | mit dem Eigenthiimer des belasteten Grundsttickes abgeschlossenen Vertrag erworben ist; | [S. 70] iiber die Art und Weise der Ablosung haben die Landesgesetzgebungen das Weitere zu I bestimmen. Die Austibung des Jagdrechts aus Grtinden der offentlichen Sicherheit und des | gemeinen Wohls zu ordnen, bleibt der Landesgesetzgebung vorbehalten. Die Jagdgerechtigkeit auf fremdem Grund und Boden darf in Zukunft nicht wieder | als Grundgerechtigkeit bestellt werden. §. 168. ^Die Familienfideikommisse sind aufzuheben. ^Die Art und Bedingungen der Auf= | hebung bestimmt die Gesetzgebung der einzelnen Staaten. Ueber die Familienfideikommisse der regierenden flirstlichen Hauser bleiben die Be= | stimmungen den Landesgesetzgebungen vorbehalten. §.169. ^Aller Lehnsverband ist aufzuheben. ^Das Nahere tiber die Art und Weise der Aus= | fuhrung haben die Gesetzgebungen der Einzelstaaten anzuordnen. §.170. Die Strafe der Vermogens=Einziehung soil nicht stattfinden. §.171. Die Besteuerung soil so geordnet werden, daB die Bevorzugung einzelner Stande | und Giiter in Staat und Gemeinde aufhort.

[108] „Erfiirter Unionsverfassung" vom 28. Mai 1849

1103

Artikel X. §. 172. ^Alle Gerichtsbarkeit geht vom Staate aus. ^Es sollen keine Patrimonialgerichte | bestehen. 173. Die richterliche Gewalt wirdd selbststandig selbststan< von den Gerichten geiibt. ^Kabinets= und | Ministerial=Justiz ist unstatthaft. ^Niemand darf seinem gesetzlichen Richter entzogen werden. ^Ausnahmegerichte sollen I nie stattfinden. §. 174. Es soil keinen privilegirten Gerichtsstand der Personen oder Giiter geben. Der Militairgerichtsbarkeit verbleibt jedoch die Aburtheilung der von Militairpersonen | veriibten Verbrechen und Vergehen, mit EinschluB der Disziplinarfalle. §. 175. Kein Richter darf, auBer durch Urtheil und Recht, von seinem Amt entfemt oder | an Rang und Gehalt beeintrachtigt werden. Suspension darf nicht ohne gerichtlichen BeschluB erfolgen. Kein Richter darf wider seinen Willen, auBer durch gerichtlichen BeschluB in den | durch das Gesetz bestimmten Fallen und Formen, zu einer anderen Stelle versetzt oder in | Ruhestand gesetzt werden. §. 176. Das Gerichtsverfahren soil offentlich und mundlich sein. Ausnahmen von der Oeffentlichkeit bestimmt im Interesse der Sittlichkeit das Gesetz. /-S. 71] §. 177. In Strafsachen gilt der AnklageprozeB. Schwurgerichte sollen jedenfalls tiber schwerere Strafsachen und schwerere politische | Vergehen urtheilen. §. 178. Die btirgerliche Rechtspflege soil in Sachen besonderer Berufserfahrung durch sach= | kundige, von den Bemfsgenossen frei gewahlte Richter geiibt oder mitgetibt werden. §. 179. Rechtspflege und Verwaltung sollen getrennt und von einander unabhangig sein. Ueber Kompetenzkonflikte zwischen den Verwaltungs= und Gerichtsbehorden in den | Einzelstaaten entscheidet ein durch das Gesetz zu bestimmender Gerichtshof §. 180. Die Verwaltungsrechtspflege hort auf; tiber alle Rechtsverletzungen entscheiden die | Gerichte. Der Polizei steht keine Strafgerichtsbarkeit zu. §.181. Rechtskraftige Urtheile Deutscher Gerichte sind in alien Deutschen Landen gleich wirksam und vollziehbar. Ein Reichsgesetz wird das Nahere bestimmen.

1104

§ 5: Einheitsbestrebungen (1848 - 50)

[Dok. 103 - 110]

Artikel XL §.182. Jede Gemeinde hat als Gmndrechte ihrer Verfassung: a) die Wahl ihrer Vorsteher und Vertreter; b) die selbststandige Verwaltung ihrer Gemeinde=Angelegenheiten | unter gesetzlich | geordneter Oberaufsicht des Staates; c) die Veroffentlichung ihres Gemeindehaushaltes; d) Oeffentlichkeit der Verhandlungen als Kegel. §. 183. Jedes Grundstuck soil einem Gemeindeverbande angehoren. Beschrankungen wegen Waldungen und Wtisteneien bleiben der Landesgesetzgebung [ vorbehalten. Artikel XIL §. 184. Jeder Deutsche Staat soil eine Verfassung mit Volksvertretung haben. Die Minister sind der Volksvertretung verantwortlich. §. 185. Die Volksvertretung hat eine entscheidende Stimme bei der Gesetzgebung, bei der | Besteuerung, bei der Ordnung des Staatshaushaltes; auch hat sie das Recht des Gesetz= | vorschlags, der Beschwerde, der Adresse, so wie der Anklage der Minister. Die Sitzungen der Landtage sind in der Kegel offentlich. Artikel XIII. §. 186. Den nicht Deutsch redenden Volksstammen des Keichs ist ihre volksthiimliche Ent= | wickelung gewahrleistet, namentlich die Gleichberechtigung ihrer Sprachen, so weit deren | [S. 72] Gebiete reichen, in dem Kirchenwesen, dem Unterrichte, der inneren Verwaltung und der | Kechtspflege. Artikel XIV. §. 187. Jeder Deutsche Staatsbtirger in der Fremde steht unter dem Schutze des Keiches. Abschnitt VII. | Die Gewahr der Verfassung. Artikel I. §. 188. Der Keichsvorstand leistet auf die Keichsverfassung folgendes eidliches GelobniB: „Ich | schwore, das Keich und die Kechte des Deutschen Volkes zu schirmen, die Keichsverfassung I aufrecht zu erhalten und sie gewissenhaft zu vollziehen. So wahr mit Gott helfe!" Der Eid der Bevollmachtigten zum Ftirstenkollegium lautet wie folgt: „Ich schwore | das Keich und die Kechte des Deutschen Volkes zu schirmen und die Keichsverfassung auf= I recht zu halten. So wahr mir Gott helfe!" ^Diese Eidesleistungen geschehen bei Einfiihrung gegenwartiger Verfassung vor den zu | einer Sitzung vereinigten beiden Hausem des Keichstages. ^Bei spaterem Wechsel wird der I Eid im versammelten Ftirstenkollegium abgelegt, und die dariiber aufgenommene Urkunde | dem nachsten Keichstage tibergeben.

[108] „Erfurter Unionsverfassung" vom 28. Mai 1849

1105

§. 189. ^Die Reichsbeamten haben beim Antritt ihres Amtes einen Eid auf die Reichs= | verfassung zu leisten. ^Das Nahere bestimmt die Dienstpragmatik des Reiches. §. 190. Ueber die Verantwortlichkeit der Reichsminister soil ein Reichsgesetz erlassen werden. §•191. Die Verpflichtung auf die Reichsverfassung wird in den Einzelstaaten mit der Ver= | pflichtung auf die Landesverfassung verbunden und dieser vorangesetzt. Artikel II. §. 192. Keine Bestimmung in der Verfassung oder in den Gesetzen eines Einzelstaates darf | mit der Reichsverfassung in Widerspruch stehen. §. 193. ^Eine Aenderung der Regiemngsform in einem Einzelstaate kann nur mit Zustimmung | der Reichsgewalt erfolgen. '^Dies Zustimmung muB in den fur Aenderungen der Reichs= | verfassung vorgeschriebenen Formen gegeben werden. Artikel III. §. 194. Abanderungen in der Reichsverfassung konnen nur durch einen BeschluB beider Hauser I und mit Zustimmung sowohl des Reichsvorstandes, als des Ftirstenkollegiums erfolgen. [S. 73] Zu einem solchen BeschluB bedarf es in jedem der beiden Hauser: 1. Der Anwesenheit von wenigstens zwei Dritteln der Mitglieder; 2. zweier Abstimmungen, zwischen welchen ein Zeitraum von wenigstens acht Tagen I liegen muB; 3. einer Stimmenmehrheit von wenigstens zwei Dritteln der anwesenden Mitglieder | bei jeder der beiden Abstimmungen. Artikel IV. §. 195. Im Falle des Kriegs oder Aufruhrs konnen die Bestimmungen der Grundrechte | iiber den Gerichtsstand, die Presse, Verhaftung, Haussuchung und Versammlungsrecht von | der Reichsregierung oder der Regierung eines Einzelstaates far einzelne Bezirke zeitweise | auBer Kraft gesetzt werden; jedoch nur unter folgenden Bedingungen: 1. die Verfugung muB in jedem einzelnen Falle von dem Gesammtministerium | des Reiches oder Einzelstaates ausgehen; 2. das Ministerium des Reiches hat die Zustimmung des Reichstages, das Mi= | nisterium des Einzelstaates die des Landtags, wenn | dieselben zur Zeit ver= | sammelt sind, sofort einzuholen. Wenn dieselben nicht versammelt sind, so | mtissen bei ihrem Zusammentreffen die getroffenen MaBregeln ihnen sofort zur | Genehmigung vorgelegt werden. Weitere Bestimmungen bleiben einem Reichsgesetz vorbehalten. Ftir die Verkiindigung des Belagerungszustandes in Festungen bleiben bis dahin die bestehenden | gesetzlichen Vorschriften in Kraft.

1106

§ 5: Einheitsbestrebungen (1848 - 50)

[Dok. 103 - 110]

[109] Additionalakte zur Erfurter Unionsverfassung vom 26. Februar1850 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einfiihrungen" die Darstellungen unter [320.] [323.]. Quelle: Stenographischer Bericht liber die Verhandlungen des Deutschen Parlaments zu Erfurt (Neu hrsg. als Nachdruck von W. Schubert), Bd. 2, Staatenhaus, 1. Sitzung vom 20. Marz 1850, S. 28 (gedmckt). Sonstige Fundstellen: Stenographischer Bericht tiber die Verhandlungen des Deutschen Parlaments zu Erfurt (Neu hrsg. als Nachdruck von W. Schubert), Bd. 1, Volkshaus, 1. Sitzung vom 20. Marz 1850, S. 28; E. R. Huber (Hrsg.), Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte, Bd. 1: Deutsche Verfassungsdokumente 1803-1850, 3. Aufl., 1986, Nr.210. [S 28 Spalte 2] Additional=Akte zu dem Entwurf der Verfassung des | Deutschen Reichs. So lange nicht alle im §. 67. der Reichsverfassung genannten | Staaten des Deutschen Bundes aus freiem EntschluB der vorste= | henden Reichs=Verfassung beigetreten sind, gelten folgende Bestim= | mungen: Art. I. ^Die Gesammtheit derjenigen Staaten, welche die | Reichs=Verfassung anerkennen, bildet den Deutschen Bundesstaat | unter dem Namen „Deutsche Union". "^Das Volks= und Staaten= | haus fuhren den Namen: „Parlament der Deutschen Union". ^Dem | entsprechend werden sammtliche Bezeichnungen in der offiziellen | Sprache gebildet. Art. 11. Das VerhaltniB der Union zu den, derselben nicht | beitretenden Deutschen Staaten bleibt der naheren gegenseitigen Ver= | standigung vorbehalten. Art. III. Die Deutsche Union tibt als politische Gesammtheit | in dem Deutschen Bunde alle diejenigen Rechte aus und erfiillt | alle diejenigen Pflichten, welche sammtlichen in dieser begriffenen | Einzel=Regierungen zustehen und obliegen. Art. IV. Die der Unionsgewalt zustehende volkerrechtliche | Vertretung des ganzen Bundesstaates (§. 6. und 7. der Reichs= | Verfassung) wird auch den nicht zur Union gehorenden Deutschen I Staaten gegentiber ausgetibt. Art.V. ^Das der Unionsgewalt zustehende Recht des Krieges | und Friedens (§. 10. der Reichs=Verfassung) darf den, auBer der | Union verbleibenden Deutschen Staaten gegeniiber nicht ausgeubt | werden; vielmehr bleiben im VerhaltniB zu diesen die den Land= | frieden betreffenden Bestimmungen der Gesetzgebung des Bundes | von 1815 in Kraft. ^Das Heerwesen der Union wird in einer | Weise geordnet, welche sich der Kriegs==Verfassung des Deutschen | Bundes anschlieBt. Art. VI. ^Das Ftirsten^Kollegium besteht aus folgenden Stim= | men: 1) PreuBen, 2) Sachsen, Sachsen=Weimar, Sachsen=Mei= | ningen=Hildburghausen, Sachsen=Koburg=Gotha,

[109/1] BeschluB vom 27. April 1850

1107

Sachsen=Altenburg, | Anhalt=Dessau, Anhalt=Bemburg, Anhalt=Kothen, Schwarzburg= \ Sondershausen, Schwarzburg=Rudolstadt, ReuB a. L., ReuB j , L., | 3) Hannover, Braunschweig, Mecklenburg=Schwerin, Mecklenbiirg= | Strelitz, Oldenburg, Ltibeck, Bremen, Hamburg, 4) Baden, 5) Kur= | hessen, GroBherzogthum Hessen, Nassau, Waldeck, Schaumburg= | Lippe, Lippe. "^Neu eintretende Staaten riicken da ein, wo sie in | dem §.67. der Reichs=Verfassung verzeichnet sind. Art. VII. ^Bei dem dermaligen Umfange des Bundesstaats | vertheilt sich die Zahl der Mitglieder des Staatenhauses in fol= | gender Weise: PreuBen 40 Stimmen, Sachsen 12, Hannover 12, | Baden 10, Kurhessen 7, GroBherzogthum Hessen 7, Mecklenburg^ | Schwerin 4, Nassau 4, Braunschweig 2, Oldenburg 2, Sachsen= | Weimar 2, Sachsen=Meiningen=Hildburghausen 1, Sachsen=Koburg= I Gotha 1, Sachsen=Altenburg 1, Mecklenburg=Strelitz 1, Anhalt= | Dessau 1, Anhalt=Bemburg 1, Anhalt=K6then 1, Schwarzburg= | Sondershausen 1, Schwarzburg=Rudolstadt 1, Waldeck 1, ReuB | a. L. 1, ReuB j . L. 1, Schaumburg^Lippe 1, Lippe=Detmold 1, | Ltibeck 1, Bremen 1, Hamburg 2 Stimmen, zusammen 120 Stim= | men. ^Neu eintretende Deutsche Staaten entsenden diejenige Zahl | von Mitgliedem in das Staatenhaus, welche der §.85. der Reichs=^ | Verfassung fiir sie angiebt. Art. VIII. ^Diejenigen Mitglieder der Union, welche mit | Staaten auBerhalb der Union in Zollvereinsvertragen stehen oder | durch Handelsvertrage volkerrechtliche Verbindlichkeiten eingegangen | sind, konnen in der Erflillung der dadurch tibemommenen Pflichten | nicht behindert werden. ^Es bleiben mithin die darauf beztiglichen | Bestimmungen des Abschn. II. Art. 7. der Reichs=Verfassung suspen= | dirt, bis jene Vertrage abgelaufen sind. Art. IX. Die Einschrankungen des vorstehenden Paragraphen | finden auch auf den Abschn. 11. Art. 9. der Reichs=Verfassung in | so weit Anwendung, als in Beziehung auf Mtinzwesen, Papiergeld, | MaB und Gewicht hindemde Vertrage bestehen mochten. Art. X. ^Der Beitritt eines Deutschen Staates zu der Union | ist nicht als Abanderung der Verfassung zu betrachten, sondem QV= \ folgt kraft eines Beschlusses der Unionsgewalt. ^Unter Vorbehalt | desselben kann die Auftiahme durch den Unionsvorstand einstweilen | verfiigt werden. - ^Vorstehende Artikel bilden fiir den im Eingange | bezeichneten Zeitraum einen integrirenden Theil der Reichs=Ver= | fassung mit gleicher hindemder Kraft, wie die Verfassung selbst.)

[109/1]

BeschluB vom 27. April 1850

Quelle: Stenographischer Bericht liber die Verhandlungen des Deutschen Parlaments zu Erfurt (Neu hrsg. als Nachdruck von W. Schubert), Bd. 2, Staatenhaus, S. 229 (231)-232 (gedruckt). [S. 229) Beglaubigte Abschrift | der | von beiden Hausem des Deutschen Parlaments in Veranlassung der ihnen gemachten Vorlagen, | . , . Der Additional=Akte zu dem Entwurf der Verfassung des Deutschen Reichs, | iibereinstimmend gefassten Beschltisse.

1108

§ 5: Einheitsbestrebungen (1848 - 50)

[Dok. 103 - 110]

I. Das Deutsche Parlament ertheilt dem unter den Regie= | mngen vereinbarten und dem Statut des Btindnisses | vom 26. Mai 1849* beigeschlossenen Entwurf der Verfassung des Deutschen Reichs*' und der denselben interpretirenden Denkschrift, | sowie dem gleichzeitig vereinbarten Entwurf eines die Wahlen | der Abgeordneten zum Volkshause betreffenden Gesetzes, seine | voile und unbedingte Zustimmung. IL Das Deutsche Parlament ertheilt der mit der Er== | offhungsbotschaft vom 20. Marz 1850 vorgelegten Additional^ | Akte*^ zu dem Entwurfe der Verfassung des Deutschen Reichs | gleichfalls seine voile und unbedingte Zustimmung. III. Das Deutsche Parlament beschlieBt, dem Verwal= | tungsrathe der verbtindeten Regierungen vorzuschlagen: ...[S. 231 Spalte 2] .. . C) In der AdditionalAkte nachstehende Aenderungen und Zusatze | zu beschlieBen: 1) Artikel V. Das der Unionsgewalt zustehende Recht | des Krieges und Friedens (§.10 der Reichsverfassung) | ubt dieselbe unbeschadet der Rechte und Pflichten aus, I welche der Union aus dem Bunde von 1815 erwachsen. | Es darf daher den auBer der Union verbleibenden | deutschen Staaten gegeniiber nicht ausgetibt werden; | vielmehr bleiben im VerhaltniB zu diesen die den Land= | frieden betreffenden Bestimmungen der Gesetzgebung des | Bundes von 1815 in Kraft. [S. 232 Spalte 1] Das Heerwesen der Union wird in einer Weise | geordnet werden, welche sich der kunftigen Gestaltung | des Deutschen Bundes anschlieBt. 2) Die Ausfiihrung der in den §§.2 und 3 der Ver= | fassung enthaltenen Bestimmungen wird einer naheren | Verstandigung mit den betreffenden Regierungen vor= | behalten. 3) Wahrend des bis zur vollendeten Einflihrung der Ver= | fassung verflieBenden Zeitraums soil die Austibung der= | jenigen Rechte der Regierungen und der Volksvertretung | in den einzelnen Staaten, welche nach der Verfassung | auf die Unions=Regierung und das Parlament tiber= | gehen, nach Zeit und Umfang nur in dem MaBe in | den einzelnen Staaten aufhoren, als deren Austibung | durch die Unions=Regierung unter verfassungsmaBiger | Mitwirkung des Parlaments iibemommen werden kann | und tibemommen wird; indem tibrigens dem Ermessen | des Verwaltungsraths und beziehungsweise der Unions^ | Regierung anheimgestellt wird, bis zur nachsten Parla= | mentssitzung die fortschreitende Einfahrung und Aus= Ifiihrungder Verfassung in geeigneter Zeit und Weise | zu bewirken. D) Ftir den Fall, daB sammtliche von dem Staatenhause und | dem Volkshause tibereinstimmend beschlossenen Abanderungs= | vorschlage, oder einzelne derselben, durch das Organ des | Verwaltungsraths oder der Reichsregierung die Genehmi= | gung der verbtindeten Regierungen erhalten, ertheilt das | Parlament hierdurch seine Zustimmung:

* Dok. 107. ^ Dok. 108. ^ Dok. 109.

[110] „Vierk6mgsbundnis" vom 27. Februar 1850

1109

[S. 232 Spalte 2] „DaB die Verfassung, das Wahlgesetz und die Additional^ | Akte nach MaBgabe der genehmigten Vorschlage abgeand= | dert und in dieser abgeanderten Gestalt promulgirt wer= | den, wobei das Parlament jedoch gleichzeitig damit ein= | verstanden ist, und erklart, daB es, in so weit jene Vor= | schlage ganz oder theilweise die gedachte Genehmigung | nicht erhalten, bei den in Folge der Zustimmung des | Reichstages festgestelltenBestimmungenjenerUrkunden | verbleibe." Beglaubigt | Erfurt, am 27. April 1850, von dem Prasidenten des Staatenhauses: | (S. St.) v. Auerswald. des Volkshauses: | (S. St.) Simson.

[110] Ubereinkunft zwischen Bayern, Sachsen und Wurttemberg ijber die Hauptgrundsatze fiir eine Revision der Bundesverfassung („Vierkonigsbundnis") vom 27. Februar 1850 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einfiihrungen" die Darstellung unter [321.]. Quelle: Bayerisches Hauptstaatsarchiv Mtinchen, Bayern Urkunden 3753 (handschriftliche Ausfertigung). Sonstige Fundstellen: Protokollarische Verhandlungen des Verwaltungsraths der auf Grund des Vertrages vom 26ten Mai 1849 verbtindeten Deutschen Regiemngen. Vierter Band, 1850, Anlagen zu dem Protokoll der 98. Sitzung vom 30. Marz 1850, S. 4 7 - 5 1 ; E. R. Huber (Hrsg.), Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte, Bd. 1: Deutsche Verfassungsdokumente 1803-1850, 3. Aufl., 1986, Nr. 214; G. F. v. Martens, Nouveau Recueil general des traites, Bd. 15, 1857, S. 100 ff. [Bl 1] Uebereinkunft In Erwagung, daB die durch die BundesbeschliiBe vom 30^®^ Marz | und 7" April 1848 in Aussicht gestellte Revision der deutschen Bundes= | Verfassung ein dringendes BedtirfniB ist, daB es aber nicht gelungen ist, | mit der zu diesem Zwecke berufenen Nationalversammlung eine neue | Verfassung zu vereinbaren, und daB auch die spater unter mehreren | deutschen Regiemngen gepflogenen Verhandlungen nicht dazu gefuhrt | haben, den Entwurf einer alle Bundesglieder vereinigenden Verfas= | sung aufzustellen, haben es die Koniglichen Regiemngen von | Bayem, Sachsen und Wurttemberg fiir eine Pflicht gegen ihre Lan= | der sowohl als gegen das Gesammtvaterland erachtet, sich tiber einen | Vorschlag zur Ausftihmng jener BundesbeschliiBe zu einigen. DemgemaB sind die Unterzeichneten und zuvor: Fiir Bayem der Konigliche StaatsMinister des Koniglichen Hauses | und des AeuBem Ludwig von der Pfordten, fiir Sachsen der Konigliche Geschaftstrager Adolf Graf von | Hohenthal fur Wurttemberg der Konigliche auBerordentliche Gesandte und | bevollmachtigte Minister Ferdinand Graf von Degenfeld | Schomberg, am heutigen Tage zusammengetreten und auf Gmnd der zwischen \ ihren hohen Regiemngen gepflogenen vertraulichen Verhandlungen | unter Vorbehalt der Genehmigung tiber nachstehende Artikel tiberein= | gekommen, welche den Inhalt eines solchen gemeinschaftlichen Vorschlages | bilden und die Gmndztige fur die Revision der deutschen Bundesver= | fassung darlegen sollen, durch welche es unter den gegebenen Verhalt= | nissen moglich wird, eine unheilvolle Spaltung Deutschlands zu | [Bl. 2] vermeiden und diejenigen Zusagen zu erfiillen, welche sammtliche | Bundesregiemngen der Nation durch die angefiihrten Bundes= | beschltiBe gegeben haben.

1110

§ 5: Einheitsbestrebungen (1848 - 50)

[Dok. 103 - 110]

Art: 1. Als gemeinsame Bundesangelegenheiten werden anerkannt: 1.) die volkerrechtliche Vertretung Deutschlands in seinen allge= | meinen VerhaltniBen zum Auslande. Das Gesandtschaftsrecht | der einzelnen Staaten wird nicht aufgehoben, 2.) die Entscheidung liber Krieg und Frieden, 3.) die Oberleitung der bewaffneten Macht zu Land und zur | See, 4.) die Erhaltung des Landfriedens, der inneren Ruhe und | Sicherheit, 5.) die Oberaufsicht auf die gemeinsamen Handels= und Zoll= | Angelegenheiten, 6.) die Oberaufsicht liber die Anstalten fiir den Verkehr: Schifffahrt, Posten, Eisenbahnen, Telegraphen 7.) die Forderung eines EinverstandniBes liber die wlinschens= | werthe Gleichheit in Munze, MaB und Gewicht, 8.) die Beischaffling der zu dem gemeinsamen Aufwande er= \ forderlichen Geldmittel durch Matrikularbeitrage 9.) die Gewahr derjenigen Rechte, welche den Angehorigen aller [ deutschen Bundesstaaten zugesichert sind, 10.) die Gesetzgebung in den gemeinsamen Bundesangelegenheiten | unbeschadet der Unabhangigkeit der innem Landes=Verwal= | tung der einzelnen Staaten, 11.) die Gerichtsbarkeit in gemeinsamen Bundesangelegenheiten. Art: 2. Die Bundesorgane sind: 1. die Bundesregierung, 2. die Nationalvertretung, [BL 3] 3. das Bundesgericht. Art: 3. Die Bundesregierung wird durch sieben Mitglieder gebildet, welche | von folgenden Bundesgliedem emannt werden: 1. Oesterreich, 2. PreuBen, 3. Bayem, 4. Sachsen, 5. Hannover, 6. Wlirtemberg. 7. KurheBen und GroBherzogthum HeBen. ^Den librigen Bundesgliedem ist es, so weit nicht agnatische oder | sonstige erbrechtliche Beziehungen deren Verbindung mit der einen | oder anderen Stimme bedingen, freigestellt, mit welcher derselben sie | sich vereinigen woUen. "^Die Art und Weise der Betheiligung der | solchergestalt mit vertretenen Staaten an der Auslibung des Rechts | der Beschickung der Bundesregierung bleibt dem freien Ueberein= | kommen liberlassen. Art: 4. ^Die Bundesregierung hat ihren Sitz zu Frankfurt a. M. ^Sie | besorgt alle gemeinsamen Bundesangelegenheiten, mit Ausnahme | der Gerichtsbarkeit, theils allein, theils unter Mitwirkung der | Nationalvertretung. Sie tritt mit den Regiemngen der einzelnen Bundesstaaten durch | Bevollmachtigte derselben oder in deren Ermangelung durch unmittel= | bare Korrespondenz in Verbindung.

[110] „Vierk6nigsbundnis" vom 27. Febmar 1850

1111

Art: 5. ^Die Bundes Regierung faBt ihre BeschltiBe in der Regel nach ein= | facher Stimmenmehrheit. '^Nur wo es sich um Abanderung der Bun= | desverfassung handelt. ist Stimmen Einhelligkeit erforderlich. Art: 6. ^Die Mitglieder der Bundesregierung sind an die Instmktionen | [Bl 4] ihrer Staatsregierung gebunden. ^Sie dtirfen jedoch die Abstimmung | nicht wegen Mangels einer Instruktion verweigem. Die Geschaftsordnung hat ftir wichtige Fragen eine billige Frist | zur Einholung von Instruktionen zu gewahren, nach deren Ablauf | die Abstimmung erfolgen muB. Art: 7. Die Bundesregierung emennt die nothwendigen Bundesbeamten. Art: 8. ^Die Nationalvertretung besteht aus 300. gewahlten Mitgliedem. | ^Von diesen werden in Oesterreich 100., in PreuBen 100., und in den | iibrigen Bundesstaaten 100. gewahlt, gleichviel, ob Oesterreich und | PreuBen mit ihren Gesammtstaaten, oder nur mit dem groBem I Theile derselben dem Bunde beitreten. ^In jedem Bundesstaate | wird wenigstens ein Mitglied gewahlt. Art: 9. Die Nationalvertreter werden durch die Landesvertretungen | in den einzelnen Bundesstaaten gewahlt. Art: 10. ^Die Bundesregierung beruft die Nationalvertretung und ist be= | rechtigt, dieselbe zu vertagen oder aufzulosen. ^Im Falle der Auflo= | sung muB binnen sechs Monaten die neue Wahl vollzogen und | die Versammlung berufen werden. Art: 11. ^Der Nationalvertretung steht die Mitwirkung zur Bundesge= | setzgebung zu. ^Ohne Zustimmung derselben kann die Bundes= | Regierung kein Bundesgesetz erlaBen. Die Nationalvertretung hat das Recht der Initiative zur Gesetz= | gebung in alien Angelegenheiten, welche der Bundesgesetzgebung | zugewiesen sind. Art: 12. Die Zustimmung der Nationalvertretung ist erforderlich zur Fest= | [Bl 5] stellung der Bundesausgaben und der zu erhebenden Matrikular Umla= | gen. Der Voranschlag hierfiir so wie der Nachweis tiber die Verwendung | wird alle drei Jahre von der Bundesregierung vorgelegt. Die Matrikularbeitrage werden auf die einzelnen Bundesstaaten | nach dem in Art: 8. festgesetzten MaBe ihrer Betheiligung an der | Nationalvertretung vertheilt. Ueber die Frage, welche Ausgaben als solche Bundesausgaben zu | betrachten sind, daB auf sie dieser MaBstab angewendet werden | kann, bleibt besonderer Verabredung vorbehalten. Art: 13. Die Nationalvertretung kann Antrage oder Wiinsche beztiglich | aller gemeinsamen Bundesangelegenheiten an die Bundesregierung | bringen.

1112

§ 5: Einheitsbestrebungen (1848 - 50)

[Dok. 103 - 110]

Art: 14. In folgenden Fallen kann ein BeschluB der Nationalvertretung | nur durch eine Stimmenmehrheit von zwei Drittheilen gtiltig ge= | faBt werden: 1.) wo es auf Abfassung oder Abandemng von Grundgesetzen des Bundes | ankommt, 2.) bei Aufhahme neuer Mitglieder in den Bund, 3.) in Religionsangelegenheiten. Art: 15. Es wird ein standiges Bundesgericht eingesetzt. Art: 16. Sobald sammtliche Mitglieder des bisherigen deutschen Bundes | ihre Zustimmung zu vorstehenden Artikeln gegeben haben, wird | die Bundesregierung nach Art. 3. gebildet, und tritt an die Stelle | der gemaB Convention vom 30 September 1849 eingesetzten | provisorischen Bundes Commission. Art: 17. Diese Bundesregierung hat sofort auf der Gmndlage vorstehender | [Bl 6] Artikel ein Bundesgrundgesetz zu entwerfen, welches bestimmt ist, | nach erfolgter Zustimmung sammtlicher Mitglieder des bisherigen | deutschen Bundes an die Stelle der Bundesakte

Art: 18. Dieses Grundgesetz wird von den Regiemngen der einzelnen | Bundesstaaten den Landesvertretungen mit der Aufforderung | mitgetheilt, die Wahl der Nationalvertreter vorzunehmen. Art: 19. Nach vollendeten Wahlen wird die Nationalvertretung einbe= | rufen und derselben das Bundesgrundgesetz zur Vereinbarung | vorgelegt. Nach erfolgter Genehmigung, welche gegenseitig mit moglichster | Beschleunigung anzuzeigen ist, werden die drei Koniglichen Regie= | rungen sofort gemeinschaftHch ihren Vorschlag zunachst an die Kaiser= | lich Koniglich Oesterreichische und Koniglich PreuBische Regierung ge= | langen lassen und der provisorischen Bundes Commission davon KenntniB geben. Gegenwartiger Akt ist in drei gleichlautenden Exemplaren ausge= | fertigt worden. Gegeben zu Mtinchen im Ministerium des Koniglichen Hauses und | des AeuBem am 27*'^Februarl850. Ludwig von der Pfordten | K. bayr. Staatsminister des K. Hauses u. des AeuBem. Adolf Graf von Hohenthal. Ferdinand Graf von Degenfeld Schomberg.

Dok. 31. Dok. 43.

§ 6: Norddeutscher Bund

[ I l l ] Praliminarfrieden (PreuBen ./. Osterreich) vonNikolsburg vom 26. M i 1866

1115

[111] Praliminarfrieden (PreuBen ./. Osterreich) von Nikolsburg vom 26. Juli1866 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einfiihrungen" die Darstellungen unter [82.] [331.] [332.] [334.] [335.] [342.]. Quelle: Geheimes Staatsarchiv PreuBischer Kulturbesitz, III. Hauptabteilung, Ministerium der Auswartigen Angelegenheiten, I Nr. 6131, Bl. 3v.-7v. (handschriftliche Ausfertigung). Sonstige Fundstelle: E. R Huber (Hrsg.), Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte, Bd. 2: Deutsche Verfassungsdokumente 1851 - 1900, 3. Aufl., 1986, Nr. 184. [Bl 3vJ Ihre Majestaten der Konig von | PreuBen und der Kaiser von Oester= | reich, beseelt von dem Wunsche, Ihren | Landem die Wohltaten des Friedens | wiederzugeben, haben zu diesem En= | de und Behufs Feststellung von Frie= | dens^Praliminarien zu Ihren Bevoll= | machtigten emannt: Seine Majestat der Konig von PreuBen: Ihren Minister=Prasidenten und | Minister der auswartigen An= | gelegenheiten Otto Grafen von | Bismarck-Schonhausen, Seine Majestat der Kaiser von | Oesterreich: Ihren Wirklichen Geheimen Rath | und Kammerer, auBerordentlichen | Gesandten und bevollmachtigten | Minister Alois Grafen Karolyi | von Nagy-Karolyi, | [Bl. 3rJ und | Ihren Wirklichen Geheimen Rath und | Kammerer, auBerordentlichen Ge= | sandten und bevollmachtigten Mi= I nister Adolph Freiherm von Brenner-1 Felsach, welche, nachdem ihre Vollmachten aus= | getauscht und in guter und richtiger | Form befunden, uber folgende Grund= | ztige als Basis des demnachst abzu= | schlieBenden Friedens iibereingekom= | men sind: Artikel 1. ^Der Territorialbestand der Oester= | reichischen Monarchic, mit Ausnahme | des Lombardisch=Venetianischen Ko= | nigreichs, bleibt unverandert. ^Seine | Majestat der Konig von PreuBen | verpflichtet Sich, Seine Truppen | aus den bisher von denselben occu= | pirten Oesterreichischen Territorien | zuruckzuziehen, sobald der Friede | abgeschlossen sein wird, vorbehaltlich | [BL 4vJ der im definitiven Friedensschltisse zu | treffenden MaaBregeln wegen einer | Garantie der Zahlung der Kriegs= | Entschadigungen. Artikel 2. ^Seine Majestat der Kaiser von | Oesterreich erkennt die Auflosung des | bisherigen deutschen Bundes an, und | giebt Seine Zustimmung zu einer | neuen Gestaltung Deutschlands ohne | Betheiligung des Oesterreichischen Kai= | serstaates. ^Eben so verspricht Seine | Majestat, das engere Bundesver= | haltniB anzuerkennen, welches Seine | Majestat der Konig von PreuBen | nordlich von der Linie des Mains \ begriinden wird, und erklart Sich I damit einverstanden, daB die sudlich | von dieser Linie gelegenen deutschen | Staaten in einen Verein zusammen= | treten, dessen nationale Verbindung | mit dem norddeutschen Bunde der na= | heren Verstandigung zwischen beiden | [Bl. 4r.J vorbehalten bleibt. Artikel 3. Seine Majestat der Kaiser von | Oesterreich tibertragt auf Seine Ma= | jestat den Konig von PreuBen alle | Seine im Wiener Frieden vom 30. | Oktober 1864 erworbenen Rechte auf I die Herzogthiimer Holstein und Schles= | wig, mit der MaBgabe, daB die | Bevolke-

1116

§ 6: Norddeutscher Bund

[Dok. 111 - 128a]

rungen der nordlichen Districte | von Schleswig, wenn sie durch freie | Abstimmung den Wunsch zu erkennen | geben, mit Danemark vereinigt zu | werden, an Danemark abgetreten I werden sollen. Artikel 4. ^Seine Majestat der Kaiser von | Oesterreich verpflichtet Sich, Behufs | Deckung eines Theils der fiir Preu= | Ben aus dem Kriege erwachsenen Kosten, | an Seine Majestat den Konig von | PreuBen eine Summe von 40 Millionen | Thaler zu zahlen. ^Von dieser Summe I [Bl. 5vJ soil jedoch der Betrag der Kriegskosten, | welche Seine Majestat der Kaiser | von Oesterreich laut Artikel XII des | gedachten Wiener Friedens vom 30. | Oktober 1864 noch an die Herzogthu= | mer Schleswig und Holstein zu | fordem hat, mit 15 Millionen Thaler, | und als Aquivalent der freien | Verpflegung, welche die PreuBische | Armee bis zum Friedensschlusse in | den von ihr occupirten Oesterreichi= | schen Landestheilen haben wird, | mit 5 Millionen in Abzug gebracht | werden, so daB nur 20 Millionen baar | zu zahlen bleiben. Artikel 5. Auf den Wunsch Seiner Majestat | des Kaisers von Oesterreich erklart | Seine Majestat der Konig von Preu= | Ben sich bereit, bei den bevorste= | henden Veranderungen in Deutschland | den gegenwartigen Territorialbestand | des Konigreichs Sachsen in seinem | [BL 5r] bisherigen Umfange bestehen zu lassen, | indem Er Sich dagegen vorbehalt, den | Beitrag Sachsens zu den Kriegskosten | und die kunftige Stellung des K6nig= | reichs Sachsen innerhalb des Nord= | deutschen Bundes durch einen mit | Seiner Majestat dem Konige von | Sachsen abzuschlieBenden besondem | Friedensvertrag naher zu regeln. Dagegen verspricht Seine Ma= | jestat der Kaiser von Oesterreich, | die von Seiner Majestat dem Konige | von PreuBen in Norddeutschland | herzustellenden neuen Einrichtungen, | einschlieBlich der Territorial=Ver= | anderungen, anzuerkennen. Artikel 6. Seine Majestat der Konig von | PreuBen macht Sich anheischig, die | Zustimmung Seines Verbtindeten, | Seiner Majestat des Konigs von | Italien, zu den Friedenspralimina= I rien und zu dem auf dieselben | [B. 6vJ zu begrundenden Waffenstillstande zu | beschaffen, sobald das Venetianische | Konigreich durch Erklamng Seiner | Majestat des Kaisers der Franzo= | sen zur Disposition Seiner Majestat | des Konigs von Italien gestellt | sein wird Artikel 7. Die Ratificationen der gegenwar= | tigen Uebereinkunft werden binnen | langstens 2 Tagen in Nikolsburg | ausgetauscht werden. Artikel 8. Gleich nach erfolgter und aus= | getauschter Ratification der gegen= | wartigen Uebereinkunft, werden | Ihre beiden Majestaten Bevoll= | machtigte emennen, um an einem | noch naher zu bestimmenden Orte | zusammenzukommen und auf der | Basis des gegenwartigen Pralimi= | narvertrages den Frieden abzu= | schlieBen und tiber die Detailbedin= | [BL 6rJ gungen desselben zu verhandeln. Artikel 9. ^Zu diesem Zwecke werden die | contrahirenden Staaten, nach Fest= | stellung dieser Praliminarien, einen | Waffenstillstand fiir die Koniglich | PreuBischen Streitkrafte einerseits I und die Kaiserlich Oesterreichischen | und Koniglich Sachsischen anderer= | seits

[112] Friedensvertrag PreuBen ./. Wtirttemberg vom 13o August 1866

1117

abschlieBen, dessen nahere Be= | dingungen in militarischer Hinsicht | sofort geregelt werden sollen. '^Dieser | Waffenstillstand wird am 2^®" | August beginnen, und die im | Augenblick bestehende Waffen= | ruhe bis dahin verlangert. ^Der | Waffenstillstand wird gleich=) zeitig mit Bayem hier ab= | geschlossen, und der General | Freiherr von Manteuffel be= | auftragt werden, mit Wurttem= | berg, Baden und Hessen-Darm= | stadt einen am 2^^° August | [Bl 7v.] beginnenden Waffenstillstand auf | der Grundlage des militarischen | Besitzstandes abzuschlieBen, sobald | die genannten Staaten es beantra= | gen. Zu Urkund des Gegenwartigen | haben die Gesandten Bevollmachtig= | ten diese Uebereinkunft unterzeich= | net und ihr Siegel beigedriickt. Nikolsburg, den 26'"^ Juli 1866. (L. S.) V. Bismarck. (L. S.) Karolyi. (L. S.) Brenner.

[112] Friedensvertrag PreuBen ./. Wiirttemberg vom 13. August 1866 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einfuhrungen" die Darstellungen unter [233.] [386.]. Quelle: Geheimes Staatsarchiv PreuBischer Kulturbesitz, III. Hauptabteilung, Ministerium der Auswartigen Angelegenheiten, I Nr. 4440, Bl. 2v. - 5r. (handschriftliche Ausfertigung). Sonstige Fundstelle: E. R. Huber (Hrsg.), Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte, Bd. 2: Deutsche Verfassungsdokumente 1851 - 1900, 3. Aufl., 1986, Nr. 190 (auszugsweise). [Bl 2vJ Ihre Majestaten der Konig von PreuBen | und der Konig von Wtirttemberg, gelei= | tet von dem Wunsche, Ihren Volkem die | Segnungen des Friedens zu sichem, haben | beschlossen, Sich liber die Bestimmungen | eines zwischen Ihnen abzuschlieBenden Frie= | densvertrages zu verstandigen. Zu diesem Zwecke haben Ihre Majesta= | ten zu Ihren Bevollmachtigten emannt | und zwar: Seine Majestat der Konig von PreuBen | Seinen Minister=Prasidenten und Mini= | ster der auswartigen Angelegenheiten, | Grafen Otto von Bismarck-1 Schonhausen, Ritter des Schwarzen | Adler=Ordens u. s. w. und Seinen Wirklichen Geheimen Rath, Kam= | merherm und Gesandten, Carl Frie= 1 drich von Savigny, Ritter des | Rothen Adler=Ordens V^^^ Klasse u. s. w., u. s. w. [BL 2r.J Seine Majestat der Konig von Wtirttemberg | den Minister der Familien=Angelegenheiten I des Koniglichen Hauses und der auswarti= | gen Angelegenheiten, Freiherm Carl | von Vambiiler von und zu Hem= | mingen, GroBkreuz des Ordens der | Wiirttembergischen Krone und des Frie= | drichs=Ordens u. s. w., u. s. w., sowie Der Kriegsminister, General=Lieutenant | Oskar von Hardegg, GroBkreuz des | Wiirttembergischen Friedrichs=Ordens, Rit= | ter des Ordens der Wiirttembergischen | Krone u. s. w., u. s. w. Die Bevollmachtigten haben ihre Vollmach= | ten ausgetauscht und sind, nachdem diese in I guter Ordnung befunden worden waren, | liber nachfolgende Vertragsbestimmungen | libereingekommen. Artikel I. Zwischen Seiner Majestat dem Konige von | PreuBen und Seiner Majestat dem Konige | [BL 3vJ von Wiirttemberg, deren Erben und Nach= | folgem, deren Staaten und Unterthanen, | soil fortan Friede und Freundschaft auf | ewige Zeiten bestehen.

1118

§ 6: Norddeutscher Bund

[Dok. 111 - 128a]

Artikel IT. Seine Majestat der Konig von Wtirttem= | berg verpflichtet Sich, Behufs Deckung | eines Theils der fur PreuBen aus dem | Kriege erwachsenen Kosten, an Seine | Majestat den Konig von PreuBen die Summe von — | Acht Millionen Gulden | binnen zwei Monaten zu bezahlen. Durch Bezahlung dieser Summe ent= | ledigt Sich Seine Majestat der Konig | von Wtirttemberg der in den §§9 und | 10 des Waffenstillstands=Vertrages de dato | Eisingen bei Wtirzburg den Isten Au= | gust 1866, iibemommenen Entschadigungs= | Verbindlichkeiten. Artikel TIL ^Seine Majestat der Konig von Wurttem= | [Bl 3rJ berg leistet fiir die Bezahlung dieser I Summe Garantie durch Hinterlegung | 3 V2 prozentiger und 4 prozentiger Wtirt= | tembergischer Staats=Obligationen bis | zum Betrage der zu garantirenden | Summe. "^Die zu deponirenden Papiere | werden zum Tagescurse berechnet und | die Garantie=Summe wird um 10%ep=|hoht. Artikel IV. Seiner Majestat dem Konige von Wtir1?= | temberg steht das Recht zu, obige Entscha= | digung ganz oder theilweise unter Ab= | zug eines Disconto von 5 % pro Jahr | friiher zu bezahlen.

Artikel V. ^Unmittelbar nach geleisteter Garantie | in GemaBheit des Artikel III, oder nach | erfolgter Zahlung der Kriegsentschadigung, | wird Seine Majestat der Konig von Preu= | Ben Seine Truppen aus dem Wiirttem= | bergischen Gebiete zuriickziehen. '^Die [BL 4vJ Verpflegung der Truppen bei ihrem Ruck= | marsch erfolgt nach dem bisherigen Bun= | des=Verpflegungs=Reglement. Artikel VI. Die Auseinandersetzung der durch den | frtiheren deutschen Bund begriindeten Ei= | genthums=Verhaltnisse bleibt besonderer | Vereinbarung vorbehalten. Artikel VII. Die hohen Contrahenten werden unmit= | telbar nach dem AbschluB des Friedens wegen I Regelung der Zollvereins=Verhaltnisse in | Verhandlung treten. Einstweilen sollen der Zollvereinigungs= | Vertrag vom 16ten Mai 1865 und die mit | ihm in Verbindung stehenden Vereinbarun= | gen, welche durch den Ausbruch des Krieges I auBer Wirksamkeit gesetzt sind, vom Tage | des Austausches der Ratificationen des ge= I gegenwartigen Vertrages an, mit der MaaB= | gabe wieder in Kraft treten, daB jedem | der hohen Contrahenten vorbehalten bleibt, | [BL 4rJ dieselben nach einer Anktindigung von I sechs Monaten auBer Wirksamkeit tre= I ten zu lassen.

[113] Schutz- und Trutzbtindnis PreuBen ./. Wtirttemberg vom 13. August 1866

1119

Artikel VIII. Die hohen Contrahenten werden unmit= | telbar nach Herstellung des Friedens in | Deutschland den Zusammentritt von Com= | missarien zu dem Zwecke veranlassen, | um Normen zu vereinbaren, welche geeig= | net sind, den Personen= und Giiter=Ver= | kehr auf den Eisenbahnen moglichst zu f6r= \ dem, namentlich die Concurrenz=Ver= | haltnisse in angemessener Weise zu re= | geln und den allgemeinen Verkehrs= | Interessen nachtheiligen Bestrebungen | der einzelnen Verwaltungen entgegen= | zutreten. Indem die hohen Contrahenten dariiber | einverstanden sind, daB die Herstellung | jeder im allgemeinen Interesse begrun= | deten neuen Eisenbahn= | Verbindung zu= | zulassen und so viel als thunlich zu for= | [Bl. 5v.] dem ist, werden Sie durch die vorbezeich= | neten Commissarien auch in dieser | Beziehung die durch die allgemeinen | Verkehrs=Interessen gebotenen Grand= | satze aufstellen las sen. Artikel IX. Seine Majestat der Konig von Wtirt= | temberg erkennt die Bestimmungen | des zwischen PreuBen und Oesterreich | zu Nicolsburg am 26sten M i 1866 ab= | geschlossenen Praliminar=Vertrages an | und tritt denselben, soweit sie die Zu= | kunft Deutschlands betreffen, auch Sei= | nerseits bei. Artikel X. Die Ratification des gegenwartigen | Vertrages erfolgt bis spatestens zum | 21sten August d. J. Zu Urkund dessen haben die Ein= | gangs genannten Bevollmachtigten | diesen Vertrag in doppelter Ausfer= | [Bl 5r.J tigung am heutigen Tage mit ihrer | Namens=Unterschrift und ihrem Sie= | gel versehen. So geschehen Berlin, den 13 ten August | Eintausend Achthundert Sechs und Sechzig. (L. S.) Bismarck (L. S.) Vambiiler (L. S.) Savigny (L. S.) Hardegg

[113] Schutz- und Trutzbundnis Preuflen ./. Wurttemberg vom 13. August 1866 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einfuhmngen" die Darstellungen unter [333.] [399.] [402.] [407.]. Quelle: Geheimes Staatsarchiv PreuBischer Kulturbesitz, III. Hauptabteilung, Ministerium der Auswartigen Angelegenheiten, I Nr. 4440, Bl. 6v. - 7r. (handschriftliche Ausfertigung). [Bl 6vJ Seine Majestat der Konig von | PreuBen und Seine Majestat der | Konig von Wtirttemberg, beseelt von | dem Wunsche, das kiinftige VerhaltniB | der Souveraine und Ihrer Staaten I moglichst innig zu gestalten, haben | zur Bekraftigung des zwischen Ihnen | abgeschlossenen Friedens=Vertrages | vom 13^^^ August 1866 beschlossen, weitere | Verhandlung zu pflegen, und haben | mit dieser beauftragt, und zwar Seine Majestat der Konig von PreuBen | Seinen Minister=Prasidenten und | Minister der auswartigen Angelegen= | heiten, Grafen Otto von Bismarck-1 Schonhausen, Ritter des Schwarzen | Adler=Ordens u. s. w. und Seinen Wirklichen Geheimen Rath, | Kammerherm und Gesandten, Carl | Friedrich von Savigny, Ritter | des Rothen Adler=Ordens l^*^'^ Klasse, | [Bl 6rJ u. s. w., u. s. w.

1120

§ 6: Norddeutscher Bund

[Dok. 111 - 128a]

Seine Majestat der Konig von | Wiirttemberg den Minister der | Familien=Angelegenheiten des Ko= | niglichen Hauses und der auswartigen | Angelegenheiten, Freiherm Carl von I Vambtiler von und zu Hemmingen, | GroBkreuz des Ordens der Wurttem= | bergischen Krone und des Friedrichs= | Ordens pp., sowie den Kriegs=Minister, | General=Lieutenant Oscar von Hardegg, | GroBkreuz des Wtirttembergischen Frie= | drichs=Ordens, Ritter des Ordens der | Wurttembergischen | Krone u. s. w. Dieselben haben ihre Vollmachten | ausgetauscht und haben sich, nachdem | diese in guter Ordnung befunden wor= | den waren, iiber nachfolgende Ver= | tragsbestimmungen geeinigt. Artikel 1. Zwischen Seiner Majestat dem Konige | von PreuBen und Seiner Majestat | [Bl 7v.] dem Konige von Wiirttemberg wird | hiermit ein Schutz= und TrutzbtindniB | geschlossen. Es garantiren Sich die hohen Contra= | henten gegenseitig die Integritat | des Gebietes Ihrer beziiglichen Lander, | und verpflichten Sich im Falle eines | Krieges Ihre voile Kriegsmacht zu die= | sem Zwecke einander zur Verfiigung | zu stellen. Artikel 2. Seine Majestat der Konig von Wtirttem= | berg tibertragt fiir diesen Fall den | Oberbefehl iiber Seine Truppen Seiner | Majestat dem Konige von PreuBen. Artikel 3. Die hohen Contrahenten verpflichten Sich | diesen Vertrag vorerst geheim zu halten. Artikel 4. Die Ratifikation des vorstehenden | Vertrages erfolgt gleichzeitig mit | [Bl Jr.] der Ratifikation des unter dem heu= \ tigen Tage abgeschlossenen Friedens= | Vertrages, also bis spatestens zum | 21^^®^ August d. Js. Zu Urkund dessen haben die Ein= | gangs genannten Bevollmachtigten | diesen Vertrag in doppelter Ausfer= | tigung am heutigen Tage mit ihrer | Namensunterschrift und ihrem Siegel I versehen. So geschehen Berlin, den 13^^" August | Eintausend Achthundert Sechs und Sechzig. (L. S.) Bismarck (L. S.) Vambiiler (L. S.) Savigny (L. S.) Hardegg

[114] Friedensvertrag PreuRen ./. Baden vom 17. August 1866 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einfiihrungen" die Darstellungen unter [82.] [333.] [386.]. Quelle: Geheimes Staatsarchiv PreuBischer Kulturbesitz, III. Hauptabteilung, Ministerium der Auswartigen Angelegenheiten, I Nr. 2345, Bl. 3v. - 6v. (handschriftliche Ausfertigung). Sonstige Fundstelle: E. R. Huber (Hrsg.), Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte, Bd. 2: Deutsche Verfassungsdokumente 1851 - 1900, 3. Aufl., 1986, Nr. 191 (auszugsweise). [Bl 3vJ Seine Majestat der Konig von PreuBen | und Seine Konigliche Hoheit der GroBherzog von I Baden, geleitet von dem Wunsche Ihren | Volkem die Segnungen des Friedens zu sichem, I haben beschlossen Sich iiber die Bestimmungen | eines zwischen Ihnen abzuschlieBenden Frie= | densvertrages zu verstandigen und zu Ihren | Bevollmachtigten emannt, namlich:

[114] Friedensvertrag PreuBen ./. Baden vom 17. August 1866

1121

Seine Majestat der Konig von PreuBen: Seinen Minister^Prasidenten und Minister | der auswartigen Angelegenheiten Grafen | Otto von Bismarck-Schonhausen, Ritter | des Schwarzen Adler=Ordens u. s. w. u. s. w. Seine Konigliche Hoheit der GroBherzog von Baden: den Prasidenten Allerhochst Ihres Ministeriums | des Hauses und der auswartigen Angele= I genheiten, Kammerherm Rudolf von Freydorf | welche nach erfolgtem Austausch ihrer | in guter Ordnung befundenen Vollmachten iiber nach= | folgende Vertragsbestimmungen ubereinge= | kommen sind: [Bl 3rJ Artikel L Zwischen Seiner Majestat dem Konige von | PreuBen und Seiner Koniglichen Hoheit | dem GroBherzog von Baden, deren Erben | und Nachfolgem, deren Staaten und Un= | terthanen soil fortan Friede und Freund= | schaft auf ewige Zeiten bestehen. Artikel 2. ^Seine Konigliche Hoheit der GroBherzog von | Baden verpflichtet Sich Behufs Deckung | eines Theils der ftir PreuBen aus dem | Kriege erwachsenen Kosten an Seine | | — Sechs Millionen Gulden -— | Majestat den Konig von PreuBen die | Summe von binnen zwei Monaten zu bezahlen. ^Durch | Bezahlung dieser Summe entledigt Sich | Seine Konigliche Hoheit der GroBherzog | von Baden der im §. 7. des Waffenstill= | stands=Vertrages d. d. Wtirzburg | den 3*^^ August 1866 iibemommenen Entscha= | digungs= I Verbindlichkeiten. [BL 4vJ Artikel 3. Seine Konigliche Hoheit der GroBherzog | von Baden leistet fur die Bezahlung | dieser Summe Garantie durch Hinter= | legung von Badischen Staatspa= | pieren oder durch Beibringung der | der Biirgschaft der Direktion der Disconto= | Gesellschaft dafur. Artikel 4, Seiner Koniglichen Hoheit dem GroBherzoge | von Baden steht das Recht zu, obige Ent= I schadigung ganz oder theilweise unter | Abzug eines Disconto von 5 % pro Jahr | frtiher zu bezahleUo Artikel 5. ^Unmittelbar nach geleisteter Garantie in | GemaBheit des Artikel 3 oder nach er= | folgter Zahlung der Kriegsentschadigung | wird Seine Majestat der Konig von | PreuBen Seine Truppen aus dem Badischen Gebiete zunickziehen. ^Die Verpflegung | der Truppen bei ihrem Rtickmarsch erfolgt | [BL 4r.J nach dem bisherigen Bundes=Verpflegungs=Re= | glement. Artikel 6. Die Auseinandersetzung der durch den | frtiheren Deutschen Bund begriindeten | Eigenthumsverhaltnisse bleibt besonderer | Vereinbarung vorbehalten. Artikel 7. ^Die hohen Contrahenten werden unmittel= | bar nach dem AbschluB des Friedens wegen I Regelung der Zollvereinsverhaltnisse in | Verhandlung treten. "^Einstweilen sollen | der Zollvereinigungsvertrag vom 16^®" Mai | 1865 und die mit ihm in Verbindung | stehenden Vereinbarungen, welche durch | den Ausbruch des Krieges auBer Wirk= | samkeit gesetzt sind, vom Tage des Aus= | tausches der Ratifikationen des gegegenwar= | tigen Vertrages an mit der MaaBgabe | wieder in Kraft treten, daB jedem | der hohen Contrahenten vorbehal-

1122

§ 6: Norddeutscher Bund

[Dok. 111 - 128a]

ten bleibt, | dieselben nach einer Ankiindigung von | [Bl 5vJ sechs Monaten auBer Wirksamkeit treten | zu lassen. Artikel 8. ^Die hohen Contrahenten werden unmit= | telbar nach Herstellung des Friedens | in Deutschland den Zusammentritt von | Kommissarien zu dem Zwecke veranlassen, | um Normen zu vereinbaren, welche ge= | eignet sind, den Personen= und Gutep= | Verkehr auf den Eisenbahnen moglichst zu | fordem, namentlich die Concurrenz=Vei^ | haltnisse in angemessener Weise zu regeln | und den allgemeinen Verkehrsinteressen | nachtheiligen Bestrebungen der einzelnen | Verwaltungen entgegenzutreten. "^In^ | dem die hohen Contrahenten dartiber ein= | verstanden sind, daB die Herstellung | jeder im allgemeinen Interesse begrun= | deten neuen Eisenbahnverbindung zuzu= | lassen und so viel als thunlich zu fordem I ist, werden Sie durch die vorbezeichneten | Commissarien auch in dieser Beziehung die I [BL 5rJ durch die allgemeinen Verkehrsinteressen gebo= | tenen Grundsatze aufstellen lassen. Artikel 9. Die hohen Contrahenten werden vom 1^®" | Januar 1867 ab die Erhebung von Schifffahrts= I Abgaben auf dem Rhein, und zwar sowohl | der Schiffsgebtihr^Tarif B. zur Uebereinkunft I vom 31^®^ Marz 1831 - als auch des Zolles | von der Ladungs - Zusatz=Artikel XVI und | XVII zu der Uebereinkunft vom 31. Marz 1831 - | vollig einstellen, sofem die tibrigen deutschen | Uferstaaten des Rheines gleichzeitig die | gleiche MaaBregel treffen. Artikel 10. Seine Konigliche Hoheit der GroBherzog | von Baden erkennt die Bestimmungen | des zwischen PreuBen und Oesterreich zu | Nicolsburg am 26. Juli 1866 abgeschlossenen | Praliminar=Vertrages an und tritt denselben, | soweit sie die Zukunft Deutschlands betref= | fen, auch Seinerseits bei. Artikel 11. [BL 6v.J Die Ratifikation des gegenwartigen Vertrages | erfolgt bis spatestens zum 21^^" August d.J. Zu Urkund dessen haben die beiderseitigen | Bevollmachtigten diesen Vertrag in doppel= I ten Exemplaren unterzeichnet und ihre | Siegel beigedrtickt. So geschehen zu Berlin, den 17^^^ August 1866. (L. S.) Bismarck (L. S.) v. Freydorf

[115] Schutz- und Trutzbtindnis PreuBen ./. Baden vom 17. August 1866

1123

[115] Schutz- und Trutzbtindnis Preuden ./. Baden vom 17. August 1866 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einfuhrungen" die Darstellung unter [333.] [399.] [402.] [407.]. Quelle: Geheimes Staatsarchiv PreuBischer Kulturbesitz, III. Hauptabteilung, Ministerium der Auswartigen Angelegenheiten, I Nr. 2345, Bl. 7v. - 8v. (handschriftliche Ausfertigung). [Bl 7vJ Seine Majestat der Konig | von PreuBen und Seine Konigliche | Hoheit der GroBherzog von Baden, beseelt | von dem Wunsche, das kiinftige Ver= | haltniB der Souveraine und Hirer I Staaten moglichst innig zu gestalten, | haben zu Bekraftigung des zwischen | Ihnen abgeschlossenen Friedensvertrages | vom 17^®^ August 1866 beschlossen, | weitere Verhandlung zu pflegen, und | haben mit dieser beauftragt, und zwar Seine Majestat der Konig von | PreuBen Seinen Minister=Prasidenten und | Minister der auswartigen Ange= | legenheiten Grafen Otto von Bismarck-1 Schonhausen Ritter des Schwarzen | Adler Ordens u. s. w. u. s. w. Seine Konigliche Hoheit der GroBherzog | von Baden [BL 7r.] den Prasidenten Allerhochst Ihres | Ministeriums des Hauses und der | auswartigen Angelegenheiten, Kam== I merherm Rudolf von Freydorf. Dieselben haben ihre Vollmachten aus= | getauscht und haben sich, nachdem diese | in guter Ordnung befunden worden waren, | liber nachfolgende Vertragsbestimmungen | geeinigt. Artikel 1. Zwischen Seiner Majestat dem | Konige von PreuBen und Seiner | Koniglichen Hoheit dem GroBherzoge | von Baden wird hiermit ein Schutz= | und TrutzbiindniB geschlossen: Es garantiren Sich die hohen Con= | trahenten gegenseitig die Integritat | des Gebietes Ihrer beziiglichen Lander, | und verpflichten Sich im Falle eines | Krieges Ihre voile Kriegsmacht zu | diesem Zwecke einander zur Ver= | fiigung zu stellen.

[Bl 8v.J Artikel 2. Seine Konigliche Hoheit der GroBherzog von | Baden tibertragt fur diesen Fall den Oberbefehl | uber Seine Truppen Seiner Majestat dem | Konige von PreuBen. Artikel 3. Die hohen Contrahenten verpflichten Sich diesen | Vertrag vorerst geheim zu halten.

1124

§ 6: Norddeutscher Bund

[Dok. 111 - 128a]

Artikel 4. Die Ratifikation des vorstehenden Ver= | trages erfolgt gleichzeitig mit der Ratifikation | des unter dem heutigen Tage abgeschlossenen | Friedensvertrages, also bis spatestens zum | 21^'"^ August d. J. Zu Urkund dessen haben die beiderseitigen | Bevollmachtigten diesen Vertrag in doppelten I Exemplaren unterzeichnet und ihre Siegel | beigedriickt. So geschehen zu Berlin, den 17^^" August 1866. (L. S.) Bismarck (L. S.) v. Freydorf.

[116] BiJndnisvertrag PreuRen ./. Norddeutsche Staaten „August-Bundnis" - vom 18. August 1866 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einfuhrungen" die Darstellungen unter [342.] bis [344.], [349.] [353] [443.] [446.]. Quelle: Gesetz-Sammlung fur die Koniglichen FreuBischen Staaten, (vom 24, Oktober) 1866, Nr. 54, S. 626 - 630 (gedruckt). Sonstige Fundstellen: Fr. v. Holzendorfl E. Bezold (Hrsg.), Materialien der Deutschen Reichsverfassung, Bd. I, 1873, S. 23 - 2 7 ; E. R Huber (Hrsg.), Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte, Bd. 2: Deutsche Verfassungsdokumente 1851-1900, 3. Aufl., 1986, Nr. 196; E. v. Puttkamer, Federative Elemente im deutschen Staatsrecht seit 1648, 1955, S. 131-132. [S. 626] (Nr. 6436.) BiindniBvertrag zwischen PreuBen, Sachsen=Weimar, Oldenburg, Braunschweig, I Sachsen=Altenburg, Sachsen=Coburg=Gotha, Anhalt, Schwarzburg= | Sondershausen, Schwarzburg=Rudolstadt, Waldeck, ReuB jtingerer Linie, | Schaumburg=Lippe, Lippe, Liibeck, Bremen und Hamburg. Vom | 18. August 1866. Um der auf Grundlage der FreuBischen identischen Noten vom 16. Juni | 1866. ins Leben getretenen Bundesgenossenschaft zwischen FreuBen, Mecklenburg= | Schwerin, Sachsen=Weimar, Mecklenburg^Strelitz, Oldenburg, Braunschweig, | Sachsen=Altenburg, Sachsen=Coburg=Gotha, Anhalt, Schwarzburg=Sonders= | hausen, Schwarzburg=Rudolstadt, Waldeck, ReuB jungerer Linie, Schaumburg= | Lippe, Lippe, Ltibeck, Bremen und Hamburg einen vertragsmaBigen Ausdruck zu | geben, haben die verbiindeten Staaten den AbschluB eines Btindnisvertrages be= | schlossen und zu diesem Zwecke mit Vollmacht versehen: Seine Majestat der Konig von FreuBen: Seinen Ministerprasidenten und Minister der auswartigen Ange= | legenheiten, Grafen Otto V. Bismarck=Schonhausen, | Ritter des Schwarzen Adler=Ordens u. s. w.; Seine Konigliche Hoheit der GroBherzog von Sachsen: Seinen auBerordentlichen Gesandten und bevollmachtigten Minister | am Koniglich FreuBischen Hofe, Grafen v. Beust, Ritter des | Koniglich FreuBischen Rothen Adler=Or-

[116] Btindesvertrag PreuBen ./. Norddeutsche Staaten vom 18. August 1866

1125

dens I. Klasse, GroB= | kreuz des GroBherzoglich Sachsischen Falken= und des Herzog= | lich Sachsen Emestinischen Haus=Ordens, sowie des Herzoglich | Anhaltischen Haus=Ordens Albrechts des Baren; Seine Konigliche Hoheit der GroBherzog von Oldenburg: Seinen Kammerherm Peter Friedrich Ludwig v. Rossing, | Minister des GroBherzoglichen Hauses und der auswartigen | Angelegenheiten, Vorsitzenden des Staatsministeriums, Inhaber | des GroBkreuzes vom GroBherzoglich Oldenburgischen Haus= | und Verdienst= Ordens des Herzogs Peter Friedrich Ludwig, | Ritter des Koniglich PreuBischen Rothen Adlei^Ordens I. Klasse | u. s. w.; Seine Hoheit der Herzog von Braunschweig, Liineburg und | Oels: Seinen Geheimen Legationsrath und Ministerresidenten am Konig= | lich PreuBischen Hofe, Freiherm Friedrich v. Lohneysen, | Komthur IL Klasse des Herzoglich Braunschweigischen Ordens | [S. 627] Heinrichs des Lowen, Ehren=GroBkomthur des GroBherzoglich | Oldenburgischen Haus= und Verdienst=Ordens Herzog Peter | Friedrich Ludwig; Seine Hoheit der Herzog von Sachsen=Altenburg: Den GroBherzoglich Sachsischen auBerordentlichen Gesandten und | bevollmachtigten Minister am Koniglich PreuBischen Hofe, Grafen | v. Beust, herzoglich Sachsischen Wirklichen Geheimen Rath | und Ministerresidenten an demselben Hofe, Ritter des Koniglich | PreuBischen Rothen Adler=Ordens I. Klasse u. s. w.; Seine Hoheit der Herzog von Sachsen=Coburg=Gotha: Seinen Wirklichen Geheimen Rath und Staatsminister, Doktor der | Rechte, Camillo Richard Freiherm v. Seebach, Ritter des | Koniglich PreuBischen Kronen=Ordens und des Rothen Adler= | Ordens L Klasse, GroBkreuz des Herzoglich Sachsen Emestini= | schen Haus=Ordens, des GroBherzoglich Sachsischen Falken= | Ordens u. s. w.; Seine Hoheit der Herzog von Anhalt: den GroBherzoglich Sachsischen auBerordentlichen Gesandten und | bevollmachtigten Minister am Koniglich PreuBischen Hofe, Grafen | v. Beust, Herzoglich Anhaltischen Ministerresidenten an dem= | selben Hofe, Ritter des Koniglich PreuBischen Rothen Adler= | Ordens I. Klasse u. s. w.; Seine Durchlaucht der Fiirst von Schwarzburg=Rudolstadt: den GroBherzoglich Sachsischen auBerordentlichen Gesandten und | bevollmachtigten Minister am Koniglich PreuBischen Hofe, Grafen | v. Beust, Fiirstlich Schwarzburgischen Ministerresidenten an | demselben Hofe, Ritter des Koniglich PreuBischen Rothen Adler= | Ordens L Klasse u. s. w.; Seine Durchlaucht der Ftirst von Schwarzburg=Sondershausen: den GroBherzoglich Sachsischen auBerordentlichen Gesandten und | bevollmachtigten Minister am Koniglich PreuBischen Hofe, Grafen | v. Beust, Fiirstlich Schwarzburgischen Ministerresidenten an | demselben Hofe, Ritter des Koniglich PreuBischen Rothen Adler= | Ordens L Klasse u. s. w.; Seine Durchlaucht der Fiirst zu Waldeck und Pyrmont: Seinen Regierungsrath, Dirigenten der Abtheilungen des Innem | [S. 628] und fiir Militairsachen, Ludwig Klapp, Ritter des Koniglich | PreuBischen Kronen=Ordens III. Klasse; Seine Durchlaucht der Fiirst ReuB jiingerer Linie: Den GroBherzoglich Sachsischen auBerordentlichen Gesandten und | bevollmachtigten Minister am Koniglich PreuBischen Hofe, Grafen | v. Beust, Fiirstlich Reussischen Ministerresidenten an demselben | Hofe, Ritter des Koniglich PreuBischen Rothen Adler=Ordens 11. Klasse u. s. w.; Seine Durchlaucht der Fiirst zu Schaumburg=Lippe: Seinen Prasidenten der Landesregierung, Rudolph Eduard Frie= | drich Wilhelm Freiherm V. Lauer=Miinchhofen, Ritter | des Koniglich PreuBischen Kronen=Ordens II. Klasse,

1126

§ 6: Norddeutscher Bund

[Dok. 111 - 128a]

des Rothen | Adler=Ordens IV. Klasse, Inhaber der Kriegsdenkmtinze fur die | Feldztige von 1813/14. und der Erinnerungsdenkmunze von 1863; Seine Durchlaucht der Fiirst zur Lippe: Seinen Kabinetsminister, Alexander v. Oheimb, Ritter des | Koniglich PreuBischen Kronen^Ordens II. Klase mit Stem, | des Johanniter^Ordens, des Schwarzburgischen Ehrenkreuzes 11. Klasse; der Senat der freien und Hansestadt Ltibeck: Den Hanseatischen Ministerresidenten am Koniglich PreuBischen | Hofe, Doktor der Rechte, Friedrich Heinrich Geffcken, GroBkreuz | des Koniglich Belgischen Leopold=Ordens, Ritter des | Koniglich PreuBischen Kronen=Ordens IL Klasse mit Stem, GroB= | komthur des Kaiserlich Tiirkischen Medjidje=Ordens, sowie des | GroBherzoglich Oldenburgischen Haus= und Verdienst=Ordens; der Senat der freien und Hansestadt Bremen: den Hanseatischen Ministerresidenten am Koniglich PreuBischen Hofe, | Doktor der Rechte, Friedrich Heinrich Geffcken, GroBkreuz | des Koniglich Belgischen Leopold^Ordens, Ritter des Koniglich | PreuBischen Kronen=Ordens II. Klasse mit Stem, GroBtomthur | des Kaiserlich Tiirkischen Medjidje=Ordens, sowie des GroB= | herzoglich Oldenburgischen Haus= und Verdienst^Ordens, und der Senat der freien Hansestadt Hamburg: den Hanseatischen Ministerresidenten am Koniglich PreuBischen Hofe, | Doktor der Rechte, Friedrich Heinrich Geffcken, GroB= | kreuz des Koniglichen Belgischen Leopold= Ordens, Ritter des 1 [S. 629] Koniglich PreuBischen Kronen=Ordens IL Klasse mit Stem, | GroBkomthur des Kaiserlich Tiirkischen Medjidje^Ordens, sowie | des GroBherzoglich Oldenburgischen Haus= und Verdienst=Ordens, welche, nachdem sie ihre Vollmachten ausgetauscht und in guter und richtiger | Form befunden haben, iiber nachstehende Artikel tibereingekommen sind. Artikel 1. Die Regiemngen von PreuBen, Sachsen=Weimar, Oldenburg, Braun= | schweig, Sachsen=Altenburg, Sachsen=Coburg=Gotha, Anhalt, Schwarzburg= | Sondershausen, Schwarzburg=Rudolstadt, Waldeck, ReuB jungerer Linie, | Schaumburg^Lippe, Lippe, Ltibeck, Bremen und Hamburg schlieBen ein Offensive | und Defensiv=Btindnis zur Erhaltung der Unabhangigkeit und Integritat, sowie | der innem und auBem Sicherheit ihrer Staaten, und treten sofort zur gemein= | schaftlichen Vertheidigung ihres Besitzstandes ein, welchen sie sich gegenseitig durch | dieses Btindnis garantieren. Artikel 2. Die Zwecke des Btindnisses sollen definitiv durch eine Bundesverfassung | auf der Basis der PreuBischen Gmndztige vom 10. Juni 1866. sichergestellt | werden, unter Mitwirkung eines gemeinschaftlich zu bemfenden Parlaments. Artikel 3. Alle zwischen den Verbtindeten bestehenden Vertrage und Uebereinktinfte | bleiben in Kraft, soweit sie nicht durch gegenwartiges Btindnis ausdriicklich | modifizirt werden. Artikel 4. Die Tmppen der Verbtindeten stehen unter dem Oberbefehl Seiner Ma= | jetat des Konigs von PreuBen. Die Leistungen wahrend des Krieges werden durch besondere Verab= | redungen geregelt.

[117] Btindesvertrag PreuBen ./. Meckl.-Schwerin u. -Strelitz vom 21. August 1866

1127

Artikel 5. ^Die verbtindeten Regierungen werden gleichzeitig mit PreuBen die auf | Grund des Reichswahlgesetzes vom 12. April 1849. vorzunehmenden Wahlen | der Abgeordneten zum Parlament anordnen und Letzteres gemeinschaftlich mit | PreuBen einbemfen. ^Zugleich werden sie Bevollmachtigte nach Berlin senden, | um nach der MaaBgabe der Grundziige vom 10. Juni d. J. den Bundesver= | fassungs=Entwurf festzustellen, welcher dem Parlament zur Beratung und | Vereinbarung vorgelegt werden soil. [S. 630] Artikel 6. Die Dauer des Biindnisses ist bis zum AbschluB des neuen Bundes= | verhaltnisses, eventuell auf ein Jahr festgesetzt, wenn der neue Bund nicht vor | Ablauf eines Jahres geschlossen sein sollte. Artikel 7, Der vorstehende BtindniBvertrag soil ratifiziert und die Ratifikations=Ur= | kunden so bald als moglich, spatestens aber innerhalb dreier Wochen, vom | Datum des Abschlusses an, in Berlin ausgewechselt werden. Zur Urkund dessen haben sammtliche Bevollmachtigte den gegenwartigen | BtindniBvertrag unterzeichnet und untersiegelt. So geschehen Berlin, den 18. August 1866. (L. S.) Gr. V. Bismarck. (L. S.) Gr. v. Beust. (L. S.) V. Rossing. (L. S.) F. v. Lohneysen. (L. S.) V. Seebach. (L. S.) L. Klapp. (L. S.) V. Lauer. (L. S.) v. Oheimb. (L. S.) Geffcken. Vorstehender BtindniBvertrag ist ratifizirt und die Ratifikations=Urkunden | sind am 8. September d. J. in Berlin ausgewechselt worden. Berlin, den 14. Oktober 1866. Der Minister der auswartigen Angelegenheiten. | Im Auftrage: | v. Thile.

[117] Biindnisvertrag Preuden ./. Mecklenburg-Schwerin und -Strelitz vom21. August 1866 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einfuhrungen" die Darstellung unter [342.]. Quelle: Gesetz-Sammlung fur die Koniglichen PreuBischen Staaten, (Nr. 54 vom 24. Oktober) 1866, S. 631 - 633 (gedruckt). [S. 631] (Nr. 6437.) Biindnisvertrag zwischen PreuBen, Mecklenburg=Schwerin und Mecklenburg= I Strelitz. Vom 21. August 1866. Um der bestehenden Bundesgenossenschaft zwischen PreuBen, Mecklenburg^ | Schwerin und Mecklenburg=Strelitz einen vertragsmaBigen Ausdruck zu geben, | haben diese Staaten den AbschluB eines BiindniBvertrages beschlossen und zu | diesem Zwecke mit Vollmacht versehen: Seine Majestat der Konig von PreuBen: Seinen Ministerprasidenten und Minister der auswartigen Ange= | legenheiten, Grafen Otto V. Bismarck=Schonhausen, | Ritter des Schwarzen Adler=Ordens u. s. w.; Seine Konigliche Hoheit der GroBherzog von Mecklenburg^ | Schwerin:

1128

§ 6: Norddeiatscher Bund

[Dok. I l l - 128a]

Seinen Prasidenten des Staatsministeriums und Minister der | auswartigen Angelegenheiten, Jasper v. Oertzen, GroBkreuz | des GroBherzoglich Mecklenburgischen Haus= Ordens der Wen= | dischen Krone, Ritter des Koniglich PreuBischen Rothen Adler= | Ordens I. Klasse und des Koniglich PreuBischen Kronen=Ordens 11. Klasse u. s. w.; Seine Konigliche Hoheit der GroBherzog von Mecklenburg^ | Strelitz: Seinen Staatsminister Bemhard v. Biilow, GroBkreuz des | GroBherzoglich Mecklenburgischen Haus=Ordens der Wendischen | Krone und des Koniglich Danischen Ordens vom Danebrog, | Ritter des Kaiserlich Oesterreichischen Ordens der Eisemen Krone | und des Kaiserlich Russischen St. Annen=Ordens I. Klasse u. s. w., welche, nachdem sie ihre Vollmachten ausgetauscht und in guter und richtiger | Form befunden haben, liber nachstehende Artikel iibereingekommen sind. Artikel 1. Die Regierungen von PreuBen, Mecklenburg=Schwerin und Mecklenburg^ | Strelitz schlieBen ein Offensiv= und Defensiv=Biindnis zur Erhaltung der Unab= | hanigkeit und Integritat, sowie der innem und auBem Sicherheit ihrer | Staaten und treten sofort zur gemeinschaftlichen Vertheidigung ihres Besitz= | standes ein, welchen sie sich gegenseitig durch dieses Btindnis garantiren. Artikel 2. Die Zwecke des Btindnisses sollen defmitiv durch eine Bundesverfassung | [S. 632] auf der Basis der PreuBischen Grundztige vom 10. Juni 1866. sichergestellt | werden, unter Mitwirkung eines gemeinschaftlich zu berufenden Parlaments. Artikel 3. Alle zwischen den Verbiindeten bestehenden Vertrage und Uebereinkunfte | bleiben in Kraft, soweit sie nicht durch gegenwartiges Btindnis ausdriickHch | modifizirt werden. Artikel 4. Die Truppen der Verbiindeten stehen unter dem Oberbefehl Seiner | Majestat des Konigs von PreuBen. Die Leistungen wahrend des Krieges werden durch besondere Verab= | redungen geregelt. Artikel 5. ^Die Verbiindeten Regierungen werden gleichzeitig mit PreuBen und den= | jenigen Staaten, mit welchen PreuBen ein gleiches Btindnis abgeschlossen hat, | die auf Grund des Reichswahlgesetzes vom 12. April 1849. vorzunehmenden | Wahlen der Abgeordneten zum Parlament anordnen und Letzteres gemeinschaft= | lich mit PreuBen einberufen, "^Zugleich werden sie Bevollmachtigte nach Berlin | senden, um nach MaaBgabe der Grundztige vom 10. Juni d. J. den Bundes= | verfassungs=Entwurf festzustellen, welcher dem Parlament zur Berathung und | Vereinbarung vorgelegt werden soil. Artikel 6. Da die Regierungen von Mecklenburg=Schwerin und Mecklenburg=Strelitz j nach der in beiden GroBherzogthlimem bestehenden Verfassung einen Theil der= | jenigen Gegenstande, welche der BlindniBvertrag dem Parlamente zuweist, nicht | ohne Zustimmung ihrer Landstande im Wege der Gesetzgebung ordnen, und | daher in diesen Beziehungen positive Vertragspflichten anderen Staaten gegen= | liber nicht ohne Weiteres libemehmen konnen, so mlissen die GroBherzoglichen | Regierungen von Mecklenburg bei der Unterzeichnung dieses Blindnisvertrages | ihre weitere definitive Erklarung zur Zeit noch vorhalten, jedoch

[118] Friedensvertrag PreuBen J. Bayem vom 22. August 1866

1129

nur in Bezug | auf Artikel 2. und 5. des Vertrages, indem sie den tibrigen Inhalt desselben | schon jetzt acceptiren. PreuBen wiinscht den obigen Vorbehalt bezuglich der Artikel 2. und 5. | baldmoglichst erledigt zu sehen, und beide Mecklenburg versprechen, die Erle= 1 digung sofort einzuleiten und thunlichst zu beschleunigen. Artikel 7. Die Dauer des Btindnisses ist bis zum AbschluB des neuen Bundes= | [S. 633] verhaltnisses, eventuell auf ein Jahr festgesetzt, wenn der neue Bund nicht vor | Ablauf eines Jahres geschlossen sein sollte. Artikel 8. Der vorstehende BiindniBvertrag soil ratifizirt und die Ratifikations=Ur= | kunden so bald als moglich, spatestens aber innerhalb dreier Wochen, vom | Datum des Abschlusses an, in Berlin ausgewechselt werden. Zur Urkund dessen haben die Bevollmachtigten den gegenwartigen Bund= | niBvertrag unterzeichnet und untersiegelt. So geschehen Berlin, den 21. August 1866. (L. S.) Gr. V. Bismarck (L. S.) v. Oertzen. (L. S.) B. v. Btilow. Vorstehender BiindniBvertrag ist ratifizirt und die Ratifikations=Urkunden | sind am 10. September d. J. in Berlin ausgewechselt werden. Berlin, den 14. Oktober 1866. Der Minister der auswartigen Angelegenheiten. | Im Auftrage: | v. Thile.

[118] Friedensvertrag PreuBen ./. Bayern vom 22. August 1866 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einflihrungen" die Darstellungen unter [82.] [333.] [386.]. Quelle: Geheimes Staatsarchiv PreuBischer Kulturbesitz, III. Hauptabteilung, Ministerium der Auswartigen Angelegenheiten, I Nr. 2534, Bl. 6 v . - l l r . (handschriftliche Ausfertigung). Sonstige Funds telle: E. R. Huber (Hrsg.), Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte, Bd. 2: Deutsche Verfassungsdokumente 1851 - 1900, 3. Aufl., 1986, Nr. 189 (auszugsweise). [Bl 6v.] Ihre Majestaten, der Konig von PreuBen und der | Konig von Bayem, von dem Wunsche geleitet, [ Ihren Volkem die Segnungen des Friedens zu sichem, | haben beschlossen, Sich tiber die Bestimmungen eines | zwischen Ihnen abzuschlieBenden Friedensvertrages | zu verstandigen. Zu diesem Zwecke haben Ihre Majestaten zu Ihren | Bevollmachtigten emannt und zwar: Seine Majestat der Konig von PreuBen: Seinen Minister=Prasidenten und Minister | der auswartigen Angelegenheiten, Grafen | Otto von Bismarck-Schonhausen, Ritter | des Schwarzen Adler=Ordens u. s. w. u. s. w. und Seinen Wirklichen Geheimen Rath, Kammerherm | und Gesandten, Carl Friedrich von Savigny | Ritter des Rothen Adler=Ordens T Klasse u. s. w. Seine Majestat der Konig von Bayem:

1130

§ 6: Norddeutscher Bund

[Dok. 111 - 128a]

Seinen Staats=Minister des Koniglichen Hauses | und des AeuBem, Ludwig Freiherm von der | Pfordten, Ritter des Hausordens vom heiligen | Hubertus und GroBkreuz des Verdienst=Ordens | [Bl 6rJ der Bayerischen Krone u. s. w. und Seinen auBerordentlichen Gesandten und bevollmach= | tigten Minister am Kaiserlich Oesterreichischen Hofe, | Otto Grafen Bray-Steinburg, Staatsminister | auBer Dienst und erblicher Reichsrath, GroBkreuz | des Verdienst=Ordens der Bayerischen Krone und | vom Heiligen Michael u. s. w., welche nach erfolgtem Austausch ihrer in guter Ord= | nung befundenen Vollmachten tiber nachfolgende | Vertrags=Bestimmungen tibereingekommen sind. Artikel I. Zwischen Seiner Majestat dem Konige von PreuBen | und Seiner Majestat dem Konige von Bay em, deren | Erben und Nachfolgem, deren Staaten und Unterthanen, | soil fortan Friede und Freundschaft auf ewige | Zeiten bestehen. Artikel 11. ^ Seine Majestat der Konig von Bay em verpflichtet | Sich, behufs Deckung eines Theils der fur PreuBen | aus dem Kriege erwachsenen Kosten an Seine Ma= | jestat den Konig von PreuBen die Summe von | dreiBig Millionen Gulden in Silberthalem oder | [BL 7vJ Silberbarren zu bezahlen. "^Davon werden zehn Mil= | lionen bei Austausch der Ratificationen des gegen= | wartigen Vertrages unter Vergtitung eines Dis= | conto auf zwei Monate nach dem Satze von 5 % | per Jahr, zehn Millionen innerhalb dreier Monate und | zehn Millionen innerhalb sechs Monaten nach der | Ratification gezahlt. ^Die letzten beiden Raten wer= | den von Anfang des dritten Monats nach der Rati= | fication an mit 5 % verzinst. Artikel III. ^Seine Majestat der Konig von Bayem leistet fur | die Bezahlung dieser Summe Garantie durch Hinter= | legung von 6 %tiger Bayerischen Staats=Kassen= | Anweisungen, beziehungsweise von Bayerischen oder Wiirttembergischen Staats=Obligationen und Wechseln | erster Hauser auf die Bank in Ntimberg, welche | mit dem Giro der Koniglichen Seehandlung versehen | sind. '^Die 3 V2 % tigen Staats=Obligationen werden | zum Course von 70 %, die 4 % tigen von 80 %, | die 4 V2 % tigen von 90 %, die 5 % igen von 95 % berechnet. [BL 7r.J Artikel IV. ^Nach erfolgtem Austausch der Ratificationen des ge= | genwartigen Vertrages wird das Koniglich PreuBi= | sche 2^^ Reserve=Corps den Rtickmarsch aus Bayem | antreten und mit thunlichster Beschleunigung das | Bayerische Gebiet raumen. ^Unmittelbar nach | geleisteter Garantie in GemaBheit des Artikel III, | oder nach erfolgter Zahlung der Kriegsentschadigung I wird Seine Majestat der Konig von PreuBen | Seine sammtlichen Tmppen aus dem I Bayerischen Gebiete zuriickziehen und dieselben wer= | den dieses Gebiet mit moglichster Beschleunigung | ganz verlassen. ^Die Verpflegung der Tmppen bei | ihrem Rtickmarsch erfolgt nach dem bisherigen Bun= | des=Verpflegungs=Reglement. Artikel V. Seine Majestat der Konig von Bayem erkennt die | Bestimmungen des zwischen PreuBen und Oesterreich | zu Nicolsburg am 26. Juli 1866 abgeschlossenen | Praliminar=Vertrages an und tritt denselben, soweit | sie die Zukunft Deutschlands betreffen, auch Seiner= | seits bei.

[118] Friedensvertrag PreuBen ./. Bayem vom 22. August 1866

1131

[Bl 8vJ Artikel VL Die Auseinandersetzung der durch den friiheren [ Deutschen Bund begriindeten Eigenthums=Verhaltnisse | bleibt besonderer Vereinbarung vorbehalten. Artikel VII. ^Die hohen Contrahenten werden unmittelbar nach | dem AbschluB des Friedens wegen Regelung der Zollvereins= | Verhaltnisse in Verhandlung treten. ^Einstweilen sol= | len der Zollvereinigungs=Vertrag vom 16. Mai 1865 | und die mit ihm in Verbindung stehenden Vereinba= | rungen, welche durch den Ausbruch des Krieges | auBer Wirksamkeit gesetzt sind, vom Tage des | Austausches der Ratificationen des gegegenwartigen | Vertrages an, mit der MaaBgabe wieder in | Kraft treten, daB jedem der hohen Contrahenten | vorbehalten bleibt, dieselben nach einer Ankiindi= | gung von sechs Monaten auBer Wirksamkeit | treten zu lassen. Artikel VIII. Alle tibrigen zwischen den hohen vertragsschlieBenden | Theilen vor dem Kriege abgeschlossenen Vertrage | und Uebereinktinfle werden hiermit neuerdings | [BL 8r.J in Kraft gesetzt. Artikel IX. ^Die hohen Contrahenten werden unmittelbar nach | Herstellung des Friedens in Deutschland den Zu= | sammentritt von Commissarien zu dem Zwek= | ke veranlassen, um Normen zu vereinbaren, | welche geeignet sind, den Personen= und Guter= | verkehr auf den Eisenbahnen moglichst zu fordem, | namentlich die Concurrenz=Verhaltnisse in ange= I messener Weise zu regeln und den allgemei= | nen Verkehrs=Interessen nachtheiligen Bestrebun= | gen der einzelnen Verwaltungen entgegen zu tre= | ten. ^Indem die hohen Contrahenten dariiber | einverstanden sind, daB die Herstellung jeder im | allgemeinen Interesse begriindeten neuen Ei= | senbahn=Verbindung zuzulassen und soviel als | thunlich zu fordem ist, werden Sie durch die vorbe= | zeichneten Commissarien auch in dieser Beziehung | die durch die allgemeinen Verkehrs=Interessen ge= | botenen Grundsatze aufstellen lassen. Artikel X. Die hohen Contrahenten werden vom 1. Januar | [BL 9vJ 1867 ab, die Erhebung von Schifffahrtsabgaben auf | dem Rheine und zwar sowohl der Schiffsgebiihr - Tarif B zur Uebereinkunft vom 31. Marz 1831 - | als auch des Zolles von der Ladung - Zusatz= | Artikel XVI und XVII zu der Uebereinkunft vom | 31. Marz 1831 - voUig einstellen, sofem die tibrigen [ deutschen Uferstaaten des Rheines gleichzeitig die | gleiche MaaBregel treffen. Die hohen Contrahenten tibemehmen dieselbe Ver= | pflichtung beziiglich der noch bestehenden Schiff= | fahrtsabgaben auf dem Main. Artikel XI. ^Die innerhalb des Gebietes des Norddeutschen Bundes | und des GroBherzogthums Hessen belegenen Bayeri= | schen Telegraphen=Stationen gehen auf PreuBen tiber. "^Die Zuriickziehung der gedachten Stationen, sowie der | Bayerischen Telegraphen^Station in Mainz wird | binnen langstens sechs Wochen vom Tage des Aus= | tausches der Ratification des gegenwartigen Ver= | trages erfolgen. ^Das Betriebsmaterial dieser Tele= | graphen bleibt Eigenthum Bayems.

1132

§ 6: Norddeutscher Bund

[Dok. 111 - 128a]

Artikel XIL Die in dem Koniglich Bayerischen Archive zu Bam= | [Bl 9rJ berg befindlichen, im Wege kommissarischer Ver= | handlung zu bezeichnenden Urkunden und sonstigen | Archivalien, welche eine besondere und ausschlieB= | liche Beziehung auf die ehemaligen Burggrafen | von Ntimberg und die Markgrafen von Bran= | denburg Frankischer Linie haben, werden an | PreuBen ausgeliefert. Artikel XIII. ^Da von Seiten PreuBens Eigenthumsanspriiche an | die fruher in Diisseldorf befindlich gewesene, | spater nach Mtinchen gebrachte Gemaldegallerie i erhoben worden sind, so wollen die hohen Contrahen= | ten die Entscheidung iiber diese Anspriiche einem | Schiedsgerichte unterwerfen. ^Zu diesem Behufe wird | Bayem drei deutsche Appellationsgerichte namhaft | machen, unter welchen PreuBen dasjenige bezeichnet, | welches den Schiedsspruch zu fallen hat, Artikel XIV. Nachdem zur Wahrung strategischer und Verkehrs= | Interessen eine Grenzregulierung als erforderlich | befunden worden ist, tritt Seine Majestat der | Konig von Bayem das Bezirksamt Gersfeld und | [Bl lOvJ einen Bezirk um Orb nach anliegender Grenz= | beschreibung, sowie die zwischen Saalfeld und dem | PreuBischen Landkreis Ziegenrtick gelegene | Enklave Caulsdorf an Seine Majestat den | Konig von PreuBen ab. ^Die hohen Contrahenten werden sofort nach dem | Austausch der Ratificationen des gegenwartigen | Vertrages Commissarien emennen, welche die Re= | gulirung der Grenze vorzunehmen haben. ^Die Ueber= | gabe der vorgenannten Landestheile erfolgt inner= | halb vier Wochen nach der Ratification dieses Vertrages. Artikel XV. Unmittelbar nach der Ratification dieses Vertrages | wird alles weggefuhrte oder zuriickbehaltene Material | der Staats= und Privat=Eisenbahnen frei gegeben | und nothigenfalls in Hof, Lichtenfels, oder | Aschaffenburg abgeliefert werden. Artikel XVI. Alle Kriegsgefangenen werden innerhalb acht Tagen | nach Auswechselung der Ratificationen gegenwartigen | Vertrages in Hof oder Aschaffenburg freigegeben | und kostenfrei dahin befordert werden. [Bl lOrJ Bei Kranken oder Verwundeten erfolgt diese Frei= | lassung, sobald sie genesen sind. Zur Uebergabe und Uebemahme werden beidei^ | seits Officiere in Hof und Aschaffenburg, so lange | nothig, stationirt werden. Artikel XVII. Die aus der Bruderschaftskasse in Kissingen, einem | Untersttitzungsvereine armer Salinenarbeiter durch | die Koniglich PreuBischen Truppen entnommenen | Obligationen im Betrage von 33,000 fl. | werden sofort an die Koniglich Bayerische | Regierung zuruckgegeben oder ersetzt wer= | den. Artikel XVIII. Die Ratification des gegenwartigen Vertrages | erfolgt spatestens binnen zwolf Tagen | von heute an und es wird fur diese Zeit | der Waffenstillstand und die Geltung | der verabredeten Demarkationslinie | verlangert„

[119] Schutz- und Trutzbtindnis PreuBen ./. Bayem vom 22. August 1866

1133

Zu Urkund dessen haben die Eingangs ge= | [Bl llvj nannten Bevollmachtigten diesen Vertrag in | doppelter Ausfertigung am heutigen Tage mit | ihrer Namensunterschrift und Ihrem Siegel ver= | sehen. So geschehen Berlin, den zwei und zwanzigsten | August Eintausend Achthundert Sechs und Sechszig. (L. S.) Bismarck (L. S.) Graf v. d. Pfordten (L. S.) Savigny (L. S.) Graf von Bray-Steinburg

[119] Schutz- und Trutzbundnis PreuBen ./. Bayern vom 22. August 1866 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einfiihrungen" die Darstellungen unter [333.] [399.] [402.] [407.]. Quelle: Geheimes Staatsarchiv PreuBischer Kulturbesitz, III. Hauptabteilung, Ministerium der Auswartigen Angelegenheiten, I Nr. 2534, Bl. 18v.-- 19v, (handschriftliche Ausfertigung). Sonstige Fundstelle: E. R. Huber (Hrsg.), Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte, Bd. 2: Deutsche Verfassungsdokumente 1851 - 1900, 3. Aufl., 1986, Nr. 191 (auszugsweise). [Bl. 18vJ Seine Majestat der Konig von PreuBen und | Seine Majestat der Konig von Bayem beseelt I von dem Wunsche, das kiinftige VerhaltniB der | Souveraine und Ihrer Staaten moglichst innig | zu gestalten, haben zu Bekraftigung des zwi= | schen Ihnen abgeschlossenen Friedens=Vertrages | vom 22^®" August 1866 beschlossen, weitere Ver= | handlung zu pflegen, und haben mit diesen | beauftragt, und zwar: Seine Majestat der Konig von PreuBen: Seinen Ministep=Prasidenten und Minister | der auswartigen Angelegenheiten, Graf en | Otto von Bismarck-Schonhausen, | Ritter des Schwarzen Adler=Ordens u. s. w. u. s. w. | und Seinen Wirklichen Geheimen Rath, Kammer= | herm und Gesandten, Carl Friedrich von Sa= I vigny, Ritter des Rothen Adler=Ordens 1^®^ | Klasse u. s. w. u. s. w. Seine Majestat der Konig von Bayem: Seinen Staatsminister des Koniglichen Hauses | und des AeuBem, Ludwig Freiherm von I der Pfordten, Ritter des Hausordens vom | [BL 18rJ heiligen Hubertus und GroBkreuz des Ver= | dienst^Ordens der Bayerischen Krone pp. und Seinen auBerordentlichen Gesandten und | bevollmachtigten Minister am Kaiserlich | Oesterreichischen Hofe, Otto Grafen Bray= | Steinburg, Staatsminister auBer Dienst und | erblicher Reichsrath, GroBkreuz des Verdienst= | ordens der Bayerischen Krone und vom | Heiligen Michael pp. Dieselben haben ihre Vollmachten ausgetauscht | und haben sich, nachdem diese in guter Ordnung | befiinden worden waren, tiber nachfolgende | Vertragsbestimmungen geeinigt. Artikel 1. Zwischen Seiner Majestat dem Konige von Preu= | Ben und Seiner Majestat dem Konige von I Bayem wird hiermit ein Schutz= und Tmtz-=Biindnis geschlossen. Es garantiren Sich die hohen Contrahenten | gegenseitig die Integritat des Gebietes Ihrer I beztiglichen Lander, und verpflichten Sich im | Falle eines Krieges Ihre voile Kriegsmacht I zu diesem Zwecke einander zur Verfiigung zu stellen.

1134

§ 6: Norddeutscher Bund

[Dok. 111-128a]

[Bl 19v.] Artikel 2. Seine Majestat der Konig von Bay em tibertragt | fur diesen Fall den Oberbefehl tiber Seine Truppen | Seiner Majestat dem Konige von PreuBen. Artikel 3. Die hohen Contrahenten verpflichten Sich, diesen | Vertrag vorerst geheim zu halten. Artikel 4. Die Ratification des vorstehenden Vertrages | erfolgt gleichzeitig mit der Ratification des un= | ter dem heutigen Tage abgeschlossenen Friedens= | Vertrages, also bis spatestens zum 3. ktinftigen Monats. Zu Urkund dessen haben die Eingangs ge= | nannten Bevollmachtigten diesen Vertrag in I doppelter Ausfertigung am heutigen Tage mit | ihrer Namensunterschrift und ihrem Siegel ver= | sehen. So geschehen Berlin, den 22^^"" August 1866. (L. S.) Bismarck (L. S.) Graf v. d. Pfordten (L. S.) Savigny (L. S.) Graf von Bray-Steinburg.

[120] Friedensvertrag von Prag (PreuBen ./. Osterreich) vom 23. August 1866 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einfuhmngen" die Darstellungen unter [82.] [335.] [337.] [338.] [401.] [448.]. Quelle: Reichs-Gesetz-Blatt fur das Kaiserthum Oesterreich, (43. Stuck vom 2. September) 1866, S. 247 - 251 (eigentlicher Vertrag), S. 251 - 253 (beigelegtes Protokoll) - gedruckt. Sonstige Fundstelle: E. R Huber (Hrsg.), Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte, Bd. 2: Deutsche Verfassungsdokumente 1851 - 1900, 3. Aufl., 1986, Nr. 185 (auszugsweise). [S. 247] Friedensvertrag zwischen Oesterreich und PreuBen | vom 23. August 1866, (Unterzeichnet zu Prag am 23. August 1866, und in den Ratificationen daselbst ausgewechselt am | 30. August 1866.) Wir Franz Joseph der Erste, | von Gottes Gnaden Kaiser von Oesterreich; | Konig von Hungam und Bohmen, Konig der Lombardei und Venedigs, von | Dalmatien, Kroatien, Slawonien, Galizien, Lodomerien und Illirien, Konig | von Jerusalem etc.; Erzherzog von Oesterreich, GroBherzog von Toscana und | Krakau; Herzog von Lothringen, von Salzburg, Steyer, Kamten, Krain und der | Bukowina; | GroBfiirst von Siebenbiirgen; Markgraf von Mahren; Herzog von | Ober- und Nieder-Schlesien, von Modena, Parma, Piacenza und Guastalla, von | Auschwitz und Zator, von Teschen, Friaul, Ragusa und Zara; gefiirsteter Graf I von Habsburg und Tirol, von Kyburg, Gorz und Gradiska; Ftirst von Trient | und Brixen; Markgraf von Ober- und Nieder-Lausitz und in Istrien; Graf von | Hohenembs, Feldkirch, Bregenz, Sonnenberg etc.; Herr von Triest, von Cattaro | und auf der windischen Mark; GroBwojwod der Wojwodschaft Serbien etc. etc. Thun kund und bekennen hiemit:

[120] Friedensvertrag von Prag (PreuBen ./. Osterreich) vom 23. August 1866

1135

Nachdem zwischen Unserem Bevollmachtigten und jenem des Konigs | von PreuBen zu Prag am 23. d. M. ein Friedensvertrag^ abgeschlossen und | unterzeichnet worden ist, welcher wortlich lautet, wie folgt: [S. 248] Im Namen der Allerheiligsten und untheilbaren Dreieinigkeit! Seine Majestat der Kaiser von Oesterreich und Seine Majestat der Konig von PreuBen, | beseelt von dem Wunsche, Ihren Landem die Wohltaten des Friedens wiederzugeben, haben I beschlossen, die zu Nikolsburg am 26. Juli 1866 unterzeichneten Praliminarien** in einen | definitiven Friedensvertrag umzugestalten. Zu diesem Ende haben Ihre Majestaten zu Ihren Bevollmachtigten emannt, und zwar: Seine Majestat der Kaiser von Oesterreich: Ihren wirklichen geheimen Rath und Kammerer, auBerordentlichen Gesandten und bevoll= I machtigten Minister Adolph Maria Freiherm von Brenner=Felsach, Commandeur des I kaiserl. osterreichischen Leopoldordens und Ritter des konigl. preuBischen Adlerordens 11. Classe etc. etc. und Seine Majestat der Konig von PreuBen: Ihren Kammerherm, wirklichen geheimen Rath und Bevollmachtigten Karl Freiherm | von Werther, GroBkreuz des konigl. preuBischen Rothen Adlerordens mit Eichenlaub und | des kaiserl. osterreichischen Leopoldordens etc. etc. Welche in Prag zu einer Conferenz zusammengetreten sind, und nach Auswechselung ihrer | in guter und richtiger Form befundenen Vollmachten liber nachstehende Artikel sich vereinigt | haben: Artikel I. Es soil in Zukunft und fur bestandig Friede und Freundschaft zwischen Seiner Maje= | Stat dem Kaiser von Oesterreich und Seiner Majestat dem Konige von PreuBen, sowie zwischen I deren Erben und Nachkommen und den beiderseitigen Staaten und Unterthanen herrschen. Artikel II. Behzfs Ausfuhrung des Artikels VI der in Nikolsburg am 26. Juni 1866 abge= | schlossenen Friedenspraliminarien, und nachdem Seine Majestat der Kaiser der Franzosen | durch seinen bei Seiner Majestat dem Konige von PreuBen beglaubigten Botschafter amt= 1 lich zu Nikolsburg am 29. Juli 1866 hat erklaren lassen: „qu'en ce qui'conceme le | „Gouvernement de I'Empereur, la Venetie est acquise a I'ltalie pour lui etre remise a | „la paix," tritt Seine Majestat der Kaiser von Oesterreich dieser Erklarung auch Seiner= | seits bei und gibt Seine Zustimmung zu der Vereinigung des lombardo=venetianischen K6nig= | reiches mit dem Konigreiche Italien ohne andere lastige Bedingung als die Liquidirung der= | jenigen Schulden, welche als auf den abgetretenen Landestheilen haftend, werden anerkannt | werden, in Uebereinstimmung mit dem Vorgange des Tractates von Ztirich. Artikel III. Die Kriegsgefangenen werden beiderseits sofort freigegeben werden. Artikel IV. ^Seine Majestat der Kaiser von Oesterreich erkennt die Auflosung des bisherigen deut= | schen Bundes an, und gibt Seine Zustimmung zu einer neuen Gestaltung Deutschlands ohne I Betheiligung des osterreichischen Kaiserstaates. ^Ebenso verspricht Seine Majestat das ^ Dok.73. ^ Dok.73.

1136

§ 6: Norddeutscher Bund

[Dok. 111 - 128a]

engere | BundesverhaltniB anzuerkennen, welches Seine Majestat der Konig von PreuBen nordlich von | [S. 249] der Linie des Main begmnden wird und erklart Sich damit einverstanden, daB die siidlich von | dieser Linie gelegenen deutschen Staaten in einen Verein zusammentreten, dessen nationale | Verbindung mit dem norddeutschen Bunde der naheren Verstandigung zwischen beiden vorbe= | halten bleibt, und der eine Internationale unabhangige Existenz haben wird. Artikel V. Seine Majestat der Kaiser von Oesterreich tibertragt auf Seine Majestat den Konig von | PreuBen alle Seine im Wiener Frieden vom 30. October 1864 erworbenen Rechte auf die | Herzogthiimer Holstein und Schleswig mit der MaBgabe, daB die Bevolkerungen der nordlichen | Districte von Schleswig, wenn sie durch freie Abstimmung den Wunsch zu erkennen geben, mit | Danemark vereinigt zu werden, an Danemark abgetreten werden sollen. Artikel VI. Auf den Wunsch Seiner Majestat des Kaisers von Oesterreich erklart Seine Majestat | der Konig von PreuBen Sich bereit, bei den bevorstehenden Veranderungen in Deutschland I den gegenwartigen Territorialbestand des Konigreichs Sachsen in seinem bisherigen Umfange | bestehen zu lassen, indem Er sich dagegen vorbehalt, den Beitrag Sachsen's zu den Kriegs= | kosten und die kiinftige Stellung des Konigreiches Sachsen innerhalb des norddeutschen Bundes | durch einen mit Seiner Majestat dem Konige von Sachsen abzuschlieBenden besonderen Frie= | densvertrag naher zu regeln. Dagegen verspricht Seine Majestat der Kaiser von Oesterreich die von Seiner Majestat | dem Konige von PreuBen in Norddeutschland herzustellenden neuen Einrichtungen einschlieBlich | der Territorialveranderungen anzuerkennen. Artikel VIL ^Behufs Auseinandersetzung tiber das bisherige Bundeseigenthum wird binnen langstens I sechs Wochen nach Ratification des gegenwartigen Vertrages eine Commission zu Frankfurt | a. M. zusammentreten, bei welcher sammtliche Forderungen und Anspriiche an den deutschen | Bund anzumelden und binnen sechs Monaten zu liqidiren sind. ^Oesterreich und PreuBen wer= | den sich in dieser Commission vertreten lassen und es steht alien tibrigen bisherigen Bundes= | regierungen zu, ein Gleiches zu thun. Artikel VIII. Oesterreich bleibt berechtigt, aus den Bundesfestungen das kaiserliche Eigenthum und | von dem beweglichen Bundeseigenthume den matrikularmaBigen Antheil Oesterreichs fortzu= I fuhren oder sonst dartiber zu verftigen; dasselbe gilt von dem gesammten beweglichen Verm6= | gen des Bundes. Artikel IX. Den etatmaBigen Beamten, Dienem und Pensionisten des Bundes werden die ihnen ge= | biihrenden, beziehungsweise bereits bewilligten Pensionen pro rata der Matrikel zugesichert. Jedoch iibemimmt die konigl. preuBische Regierung die bisher aus der Bundes=Matriku= I larcasse bestrittenen Pensionen und Unterstiitzungen fur Officiere der vormaligen schleswig=hol= | steinischen Armee und deren Hinterlassene. Artikel X. Der Bezug der von der k. k. osterreichischen Statthalterschaft in Holstein zugesicherten | Pensionen bleibt den Interessenten bewilligt.

[120] Friedensvertrag von Prag (PreuBen ./. Osterreich) vom 23. August 1866

1137

[S. 250] Die im Gewahrsam der k. k. osterreichischen Regierung befindliche Summe von | 449.500 Thalem danischer Reichsmtinze in vierpercentigen danischen Staatsobligationen, | welche den holsteinischen Finanzen angehort, wird denselben unmittelbar nach der Ratification I des gegenwartigen Vertrages zuruckerstattet. Kein Angehoriger der Herzogthtimer Holstein und Schleswig und kein Unterthan Ihrer | Majestaten des Kaisers von Oesterreich und des Konigs von PreuBen wird wegen seines poli= I tischen Verhaltens wahrend der letzten Ereignisse und des Krieges verfolgt, beunruhigt oder I in seiner Person oder seinem Eigenthume beanstandet werden. Artikel XL ^ Seine Majestat der Kaiser von Oesterreich verpflichtet sich Behufs Deckung eines Theils I der fur PreuBen aus dem Kriege erwachsenen Kosten an Seine Majestat den Konig von I PreuBen die Summe von vierzig Millionen preuBischen Thalem zu zahlen. "^Von dieser Summe | soil jedoch der Betrag der Kriegskosten, welche Seine Majestat der Kaiser von Oesterreich | laut Art. XII des gedachten Wiener Friedens vom 30. October 1864 noch an die Herzog= | thiimer Schleswig und Holstein zu fordem hat, mit funfzehn Millionen preuBischen Thalem, | und als Aequivalent der freien Verpflegung, welche die preuBische Armee bis zum Friedens= | schlusse in den von ihr occupirten osterreichischen Landestheilen haben wird, mit funf Millionen | in Abzug gebracht werden, so daB nur zwanzig Millionen baar zu zahlen bleiben. Die Halfte dieser Summe wird gleichzeitig mit dem Austausche der Ratificationen des | gegenwartigen Vertrages, die zweite Halfte drei Wochen spater zu Oppeln baar berichtigt werden. Artikel XII. ^Die Raumung der von den konigl. preuBischen Tmppen besetzten osterreichischen Terri= I torien wird innerhalb dreier Wochen nach dem Austausche der Ratificationen des Friedens= I vertrages vollzogen sein. ^Von dem Tage des Ratifications=Austausches werden die preuBischen | General=Gouvemement ihre Functionen auf den rein militarischen Wirkungskreis beschranken. Die besonderen Bestimmungen, nach welchen diese Raumung stattzufinden hat, sind in | einem abgesonderten Protokolle festgestellt, welches eine Beilage des gegenwartigen Vertrages I bildet. Artikel XIII. ^Alle zwischen den hohen vertragsschlieBenden Theilen vor dem Kriege abgeschlossenen | Vertrage und Uebereinkiinfte werden, insofeme dieselben nicht ihrer Natur nach durch die | Auflosung des deutschen Bundesverhaltnisses ihre Wirkung verlieren miissen, hiermit neuer= | dings in Krafl gesetzt. ^Insbesondere wird die allgemeine Cartell=Convention zwischen den | deutschen Bundesstaaten vom 10. Febmar 1831, sammt den dazu gehorigen Nachtragsbe= | stimmungen ihre Giltigkeit zwischen Oesterreich und PreuBen behalten. ^Jedoch erklart die k. k. | osterreichische Regiemng, daB der am 24. Janner 1857 abgeschlossene Miinzvertrag durch die | Auflosung des deutschen Bundesverhaltnisses seinen wesentlichsten Werth fur Oesterreich verliere, | und die konigl. preuBische Regiemng erklart sich bereit in Verhandlungen wegen Aufhebung | dieses Vertrages mit Oesterreich und den tibrigen Theilnehmem an denselben einzutreten. ^Desgleichen behalten die hohen Contrahenten sich vor, tiber eine Revision des Handels= I und Zollvertrages vom 11. April 1865 im Sinne einer groBeren Erleichtemng des gegen= | [S. 251] seitigen Verkehres sobald als moglich in Verhandlung zu treten. ^Einstweilen soil der gedachte | Vertrag mit der MaBgabe wieder in Kraft treten, daB Jedem

1138

§ 6: Norddeutscher Bund

[Dok. 111 - 128a]

der hohen Contrahenten vorbe= | halten bleibt, denselben nach einer Anktindigung von sechs Monaten auBer Wirksamkeit treten zu lassen Artikel XIV. Die Ratificationen des gegenwartigen Vertrages sollen zu Prag binnen einer Frist von | acht Tagen oder wenn moglich friiher ausgewechselt werden. Urkund dessen haben die betreffenden BevoUmachtigten gegenwartigen Vertrag unter= | zeichnet und mit dem Insiegel ihrer Wappen versehen. So geschehen in Prag am 23. Tage des Monats August im Jahre des Heiles Achtzehn= | hundert sechzig und sechs. (L. S.) Brenner m. p. (L. S.) Werther m. p. Beilage. Protokoll I betreffend die Auslieferung der Kriegsgefangenen und die Raumung des k. k. osterrei= 1 chischen Territoriums durch die konigl. preuBischen Truppen. Zur Ausfiihrung der Artikel III und XII des am heutigen Tage geschlossenen Friedens= | Vertrages sind die hohen Contrahenten tiber folgende Bestimmungen iibereingekommen: 1. Am dritten Tage nach der Ratification des Vertrages werden in Oesterreichisch=Oderberg I (Bahnhof) sammtliche konigl preuBische Kriegsgefangene, und von demselben Tage an ebenda | die k. k. osterreichischen Kriegsgefangenen in echelons von ungefahr 1000 Mann ausgeliefert, | die sich in den nachsten tagen (nicht mehr als sechs echelons innerhalb 24 Stunden) folgen. 2. Die in den bohmischen Festungen und in Olmtitz vorhandenen konigl. preuBischen Kriegs= | gefangenen werden, sobald die Nachricht von der Ratification dieses Vertrages in diesen | Festungen einlangt, an den der Festung nachsten konigl. preuBischen Tmppentheil tibergeben | werden. 3. Von beiden Armeen werden in Oesterreichisch=Oderberg Commissare stationirt, welche I die Auslieferung, soweit sie in Oderberg stattfindet, besorgen, und den Eisenbahn= Transport | von Oderberg nach Stiden gemeinsam feststellen. K. k. osterreichischerseits wird in Oesterreichisch=Oderberg ein Truppen=Commando von I ungefahr 200 Mann zum Zweck der Uebemahme und Verpflegung stationirt werden. 4. Nicht transportfahige kranke Kriegsgefangene verbleiben in den beiderseitigen Lazarethen | unter der fur die eigenen Truppen reglementsmaBigen Behandlung und Verpflegung, bis ihre | Auslieferung in Oderberg moglich wird. [S. 352] 5. Die aus der Krankenverpflegung der zurtickbleibenden Kriegsgefangenen vom dritten Tage I nach der Ratification ab erwachsenden Kosten, werden beiderseits nach den in beiden Armeen | relementsmaBigen Lazareth=Verpflegungssatzen liquidirt und erstattet. 6. Zur Ausfiihrung der binnen drei Wochen nach der Ratification dieses Vertrages zu | bewirkenden Raumung des k. k. osterreichischen Territoriums wird konigl. preuBischerseits der I Landstrich siidlich der Linie Napagedl, Bninn, Iglau, Tabor (ausschlieBlich der genannten | Orte), am siebenten Tage und am fiinfzehnten Tage nach der Ratification alles Land geraumt | sein, welches siidlich der Eisenbahnlinie Pilsen=Prag=Littau und weiter einer geraden Linie von | Littau bis zur Mtindung der Oppa in die Oder liegt.

[120] Friedensvertrag von Prag (PreuBen ./. Osterreich) vom 23. August 1866

1139

Zur moglichen Beschleunigung dieser Raumung wird konigl. preuBischerseits bereits die I Zeit zwischen der Unterzeichnung und Ratification dieses Vertrages zu vorbereitenden MaB= I regeln bentitzt werden. 7. Die k. k. osterreichischen Truppen werden wahrend der Raumungsfristen bei der Wieder= I besetzung des Landes im Abstande von drei Meilen von der Queue der konigl. preuBischen | Colonnen sich halten. Die Zeiten des Nachriickens auf jeder Marschlinie bleiben hiemach der | Verstandigung der beiderseitigen Befehlshaber tiberlassen. 8. Die Beniitzung der tiber Pilsen nach dem Konigreiche Bayem flihrenden Bahnlinie wird I kaiserl. osterreichischerseits fiir die konigl. preuBischen Militartransporte Behufs Raumung | Bohmens zugestanden. 9. Der konigl. preuBischen Armee verbleibt wahrend der Raumungsfristen die uneinge= | schrankte Verfiigung tiber die in ihren Besatzungs=Rayons liegenden Eisenbahnlinien zum Rtick= I transporte von Truppen und Kriegsmaterial, unter Anwendung des am 17. August 1866,1 endgiltig festgestellten Uebereinkommens ddo. Brtinn vom 1. August. Als Grundsatz wird fest= | gehalten, daB auch wahrend der Raumung auf alien Eisenbahnlinien taglich ein Zug in jeder | Richtung fiir den offentlichen Verkehr bestehen bleibt; nur unvorhergesehenen Storungen der | Militartransporte konnen fiir den betreffenden Tag eine AuBerkraftsetzung dieses Grundsatzes | rechtfertigen. 10. Von dem auf die Ratification folgenden Tage ab iibemimmt die konigl. preuBische Regie= I rung alle Kosten der Verpflegung fiir die konigl. preuBischen Truppen, welche dagegen in den | von ihnen besetzten Territorien freies Quartier ohne Verpflegung erhalten. Den fiir die konigl. | preuBischen Truppen erforderlichen Vorspann sind die Ortsbehorden verpflichtet zu gestellen, | wofiir von den Truppen baare Vergtitung nach dem k. k. osterreichischen jetzt giltigen Vor= | spanns^^Normale sofort zu erfolgen hat. Diese Normale ist im Besitze der Landes= und Orts= | behorden. 11. Die nicht transportfahigen Kranken der konigl. preuBischen Armee verbleiben in den | Militar=Lazarethen, resp. Ortskrankenanstalten, soweit erforderlich unter Aufsicht und Behand= | [S. 253] lung der konigl. preuBischen Militararzte. Die k. k. osterreichische Regierung verspricht fiir die | sorgsamste Behandlung der Zunickgebliebenen Veranstaltung zu treffen, sowie daB den zu | Krankenpflege nothigen Requisitionen der Aerzte nach Thunlichkeit entsprochen werde. 12. Die konigl. preuBischen Armeecommandos werden noch vor der Raumung den k. k, | Statthalterschaften von Bohmen, resp. Mahren und Schlesien, durch Vermittlung des konigl. I preuBischen General=Gouvemements in Prag, resp. Brtinn, ein VerzeichniB der zurtickzulassenden | Kranken, unter Angabe des Ortes, wo dieselben liegen, zugehen lassen. 13. Behufs Uebergabe der Lazarethe in Brtinn, Prag, Pardubitz und Koniginhof werden | am Tage der Raumung dieser Stadte an den genannten Orten Commissare der beiderseitigen | Armeen zusammentreten und unter Aufnahme eines Protokolls die Uebergabe vollziehen. 14. Die fiir die Kranken erwachsenden Verpflegungskosten werden seitens der konigl. preuBi= I schen Regierung nach den fiir die k. k. osterreichischen Truppen feststehenden Reglements auf | erfolgende Liquidation ungesaumt erstattet werden.

1140

§ 6: Norddeutscher Bund

[Dok. 111 - 128a]

Prag, den 23. August 1866. Brenner m. p. Werther m. p. So haben Wir die sammtlichen Artikel dieses Vertrages, sowie des dem | Art. XII beigefugten Protokolles, genau gepriifl, gutgeheiBen und geneh= | migt, und versprechen mit Unserem kaiserlichen Worte fur Uns und Unsere Nachfolger, dieselben ihrem ganzen Inhalte nach getreu zu beobachten, und | deren Bestimmungen ptinctlich vollziehen zu lassen. Urkund dessen haben Wir gegenwartiges Ratifications=Instrument eigen= | handig unterzeichnet, und lassen demselben Unser kaiserliches Insiegel anhangen. So geschehen in Unserer Haupt= und Residenzstadt Wien, am sieben | und zwanzigsten Tage des Monats August, im Jahre des Herm Eintausend 1 Achthundert Sechzig und sechs, Unserer Reiche im Achtzehnten. Franz Joseph m. p. (L. S.) Alexander Graf von Mensdorff=Pouilly m. p., F. M. L. Auf Allerhochsten Befehl Seiner k. k. Apostolischen Majestat: | Rtidiger Freiherr von Aldenburg m. p. | Hof= und Ministerialrath.

[121] Friedensvertrag PreuBen ./. Hessen vom 3. September 1866 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einfuhrungen" die Darstellungen unter [82.] [333.] [386.]. Quelle: Geheimes Staatsarchiv PreuBischer Kulturbesitz, III. Hauptabteilung, Ministerium der Auswartigen Angelegenheiten, I Nr. 3183, Bl. 3v.-lOr. (handschriftliche Ausfertigung). Sonstige Fundstelle: E. R. Huber (Hrsg.), Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte, Bd. 2: Deutsche Verfassungsdokumente 1851 - 1900, 3. Aufl., 1986, Nr. 191 (auszugsweise). [Bl 3vJ Seine Majestat der Konig von | PreuBen und Seine Konigliche Hoheit | der GroBherzog von Hessen und bei | Rhein, souverainer Landgraf zu Hessen, | von dem Wunsche geleitet, Ihren Vol= | kern die Segnungen des Friedens zu | sichem, haben beschlossen, Sich iiber | die Bestimmungen eines zwischen Ihnen | abzuschlieBenden Friedensvertrages | zu verstandigen und zu Ihren Bevoll= | machtigten emannt, namlich: Seine Majestat der Konig von PreuBen: Seinen Minister=Prasidenten und Mi= | nister der auswartigen Angelegenheiten | Grafen Otto von Bismarck-Schonhausen, | Ritter des Schwarzen Adler=Ordens u. s. w. | und Seinen Wirklichen Geheimen Rath, | [Cammerherm und Gesandten,]* | Carl Friedrich von Savigny, Ritter | des Rothen Adler Ordens V^^^ \ Classe; [Bl. 3r.J Seine Konigliche Hoheit der GroB= | herzog von Hessen und bei Rhein etc.: den Prasidenten des GroBherzoglichen | Gesammtministeriums und Minister des | GroBherzoglichen Hauses und des AuBem, | sowie des Innem, Wirklichen Geheimen Rath | Freiherm Reinhard von Dalwigk zu | Lichtenfels und den vortragenden Rath in dem GroB= | herzoglichen Ministerium des GroBher= | zoglichen Hauses und des AuBem, GQ= \ heimen Legations=Rath Karl Hofmann, | welche nach erfolgtem Austausch ihrer | in guter Ordnung befundenen Voll= | machten tiber nachfolgende Vertrags= | bestimmungen tibereingekommen sind.

* Nachtragliche Einfiigung.

[121] Friedensvertrag PreuBen ./. Hessen vom 3. September 1866

1141

Artikel 1. Zwischen Seiner Majestat dem Konige | von PreuBen und Seiner Koniglichen | Hoheit dem GroBherzoge von Hessen | und bei Rhein etc., deren Erben und | Nachfolgem, deren Staaten und Unter= | [Bl 4v.] thanen, soil fortan Friede und Freund= | schaft auf ewige Zeiten bestehen. Artikel 2. Seine Konigliche Hoheit der GroBherzog | von Hessen und bei Rhein etc. verpflichtet | Sich, Behufs Deckung eines Theils der | fur PreuBen aus dem Kriege erwachse= | nen Kosten, an Seine Majestat den Konig | von PreuBen die Summe von: | — drei Millionen Gulden — I binnen zwei Monaten zu bezahlen. Durch Bezahlung dieser Summe ent= | ledigt Sich Seine Konigliche Hoheit der | GroBherzog von Hessen und bei Rhein etc. | der im §. 8. des Waffenstillstands=Ver= | trages d. d. Eisingen bei Wiirzburg den | 1. August 1866 iibemommenen Entscha= | digungsverbindlichkeiten. Artikel 3. Seine Konigliche Hoheit der GroBherzog | von Hessen und bei Rhein etc. leistet | fur die Bezahlung dieser Summe | [Bl. 4rJ Garantie durch Hinterlegung von Ob=ligationen GroBherzoglich Hessischer Staats=Anlehen, wobei die 4 % igen Obligationen | zum Curse von 80 und die 3 V2 % igen | zum Curse von 70 angenommen werden. Artikel 4. Seiner Koniglichen Hoheit dem GroBher= | zoge von Hessen und bei Rhein etc. steht [ das Recht zu, obige Entschadigung ganz | oder theilweise unter Abzug eines Dis= | conto von 5 % per Jahr friiher zu be= | zahlen. Artikel 5. ^Unmittelbar nach geleisteter Garantie | in GemaBheit des Artikel 3 oder nach | erfolgter Zahlung der Kriegs=Entschadi= | gung wird Seine Majestat der Konig | von PreuBen Seine Truppen aus dem | GroBherzoglich Hessischen Gebiete zuruck= | Ziehen. "^Die Verpflegung der Truppen | bei ihrem Rtickmarsch erfolgt nach dem | bisherigen Bundesverpflegungs= Reglement. [BL 5vJ Artikel 6. Die Auseinandersetzung der, durch | den fruheren Deutschen Bund begrun= | deten Eigenthums=Verhaltnisse bleibt | besonderer Vereinbarung vorbehalten. Artikel 7. ^Die hohen Contrahenten werden | unmittelbar nach dem AbschluB des Friedens | wegen Regelung der Zollvereins=Ver= | haltnisse in Verhandlung treten. ^Einst= | weilen sollen der Zollvereinigungsvertrag | vom 16. Mai 1865 und die mit ihm | in Verbindung stehenden Vereinbamngen, | welche durch den Ausbruch des Krieges | auBer Wirksamkeit gesetzt sind, vom | Tage des Austausches der Ratifikationen des gegegenwartigen Vertrages an | mit der MaaBgabe wieder in Kraft | treten, daB Jedem der hohen Contra= | henten vorbehalten bleibt dieselben | nach einer Ankiindigung von sechs | Monaten auBer Wirksamkeit treten I [BL 5rJ zu lassen. Artikel 8. Alle tibrigen zwischen den hohen | Contrahenten vor dem Kriege ab= | geschlossenen Vertrage und Ueberein= | kiinfte werden hiermit neuerdings in | Kraft gesetzt.

1142

§ 6: Norddeutscher Bund

[Dok. 111 - 128a]

Artikel 9. ^Die hohen Contrahenten werden un= | mittelbar nach Herstellung des Frie= | dens in Deutschland den Zusammentritt | von Commissarien zu dem Zwecke ver= | anlassen, um Normen zu vereinba= | ren, welche geeignet sind den Pei^ | sonen= und Giiterverkehr auf den I Eisenbahnen moglichst zu fordem, | namentlich die Concurrenz=Verhaltnisse | in angemessener Weise zu regeln | und den allgemeinen Verkehrs=In= | teressen nachtheiligen Bestrebungen | der einzelnen Verwaltungen entgegen | zu tre= | ten. ^Indem die hohen Contrahenten | [Bl 6v.] dariiber | einverstanden sind, daB die | Herstellung jeder im allgemeinen I Interesse begriindeten neuen Eisenbahn= | Verbindung zuzulassen und soviel als | thunlich zu fordem ist, werden sie | durch die vorbezeichneten Commissarien | auch in dieser Beziehung die durch die | allgemeinen Verkehrs^Interessen ge= | botenen Grundsatze aufstellen lassen. Artikel 10. Die GroBherzoglich Hessische Regierung | erklart sich im Voraus mit den Ab= | reden einverstanden, welche PreuBen | mit dem Ftirstlichen Hause Taxis wegen | Beseitigung des Thum und Taxisschen | Postwesens trifft. In Folge dessen wird das gesammte | Postwesen im GroBherzogthum Hessen | an PreuBen iibergehen. Artikel 11. Die GroBherzoglich Hessische Regierung | verpflichtet sich, in Mainz keine andere | [BL 6rJ als eine PreuBische Telegraphen=Station | zu gestatten. In gleicher Weise raumt die GroBher= | zogliche Regierung der PreuBischen | auch in den iibrigen Gebietstheilen | des GroBherzogthums das Recht zur | unbeschrankten Anlegung und Benutzung | von Telegraphen=Linien und Telegraphen= | Stationen ein. Artikel 12. Die GroBherzoglich Hessische Regierung | wird die Erhebung von Schiffahrts=Abgaben I auf dem Rhein, und zwar sowohl der | Schiffsgebtihr - Tarif B. zur Ueber= | einkunft vom 31. Marz 1831 - als auch | des Zolles von der Ladung - Zusatz= Ar= | tikel XVI und XVII zu der Uebereinkunft | vom 31. Marz 1831 - von dem Tage | ab vollig einstellen, an welchem in | den iibrigen deutschen Uferstaaten | des Rheines die gleiche MaaBregel zur | Ausfuhrung gebracht werden wird. [BL 7vJ Die hohen Contrahenten tibemehmen | dieselbe Verpflichtung beztiglich der | noch bestehenden Schiffahrtsabgaben auf | dem Main. Artikel 13. Seine Konigliche Hoheit der GroBherzog | von Hessen und bei Rhein etc. erkennt | die Bestimmungen des zwischen PreuBen | und Oesterreich zu Nikolsburg am 26. | Juli 1866 abgeschlossenen Praliminap= | Vertrages an und tritt denselben, | soweit sie die Zukunft Deutschlands be= | treffen, auch Seinerseits bei. Artikel 14. Seine Konigliche Hoheit der GroBherzog | von Hessen und bei Rhein etc. tritt an | Seine Majestat den Konig von PreuBen | mit alien Souverainetats= und Doma= | nialrechten ab: I, Die Landgrafschaft Hessen=Homburg, | einschlieBlich des Oberamtsbezirks | Meisenheim, jedoch ausschlieBlich der | [Bl Jr.] beiden, in der Koniglich PreuBischen | Provinz Sachsen belegenen Hessen=Hom= | burgischen Domanialgtiter Hotensleben I und Obisfelde;

[121] Friedensvertrag PreuBen ./. Hessen vom 3. September 1866

1143

II, Folgende bisher zur Provinz Oberhessen | gehorende Gebietstheile, namlich: 1, den Kreis Biedenkopf; 2, den Kreis Vohl, einschlieBlich der | Enclaven Eimelrod und Horinghausen; 3, den nordwestlichen Theil des Kreises | Giessen, welcher die Orte Frankenbach, I Krumbach, Konigsberg, Fellingshausen, | Bieber, Haina, Rodheim, Waldgirmes, | Naunheim und Hermannstein mit | ihren Gemarkungen umfaBt; 4, den Ortsbezirk Rodelheim; 5, den unter GroBherzoglich Hessischer Souverainetat stehenden Theil des | Ortsbezirks Nieder=Ursel. Mit Seinen sammtlichen nordlich des | Mains liegenden Gebietstheileii tritt | Seine K6nigliche Hoheit der GroBherzog | [Bl 8v.J von Hessen und bei Rhein etc. auf der | Basis der in den Reform^Vorschlagen vom 10^^" Juni d. Js. aufgestellten Grund= | satzen, in den Norddeutschen Bund ein, | indem Er Sich verpflichtet, die geeig= | nete Einleitung fur die Parlaments= | Wahlen, dem Bevolkerungsverhaltnisse | entsprechend, zu treffen. Das in Folge dessen auszusondemde | zum Norddeutschen Bunde gehorige GroB= | herzoglich hessische Contingent tritt unter | Oberbefehl des Konigs von PreuBen | nach MaBgabe der auf der Basis der | Bundesreform=Vorschlage vom 10^^" | Juni d. Js. zu vereinbarenden Bestim= | mungen. Artikel 15. Seine Majestat der Konig von PreuBen | tritt an Seine Konigliche Hoheit den GroB= | herzog von Hessen und bei Rhein etc., | Behufs Herstellung territorialer Einheit | in der Provinz Oberhessen, folgende | [BL 8rJ Gebietstheile mit alien Souverainetats= | und Domanialrechten ab: 1, den vormals Kurhessischen District Katzen= | berg mit den Ortschaften Ohmes, Vocken= [ rode, Ruhlkirchen, Seibelsdorf; 2, das vormals Kurhessische Amt Nauheim | mit den sammtlichen landesherrlichen | Eigenthumsrechten und den in Nauheim | befmdlichen Bade, Anstalten und Salinen, | sowie den Ortschaften Dorheim, Nauheim, | Schwalheim, Rodgen; 3, das ostlich davon belegene vormals | Nassauische Amt Reichelsheim, mit den | Ortschaften Reichelsheim und Domassen= | heim; 4, die vormals Kurhessische Enclave Treis | an der Lumda; 5, den vormals Kurhessischen, zwischen den | GroBherzoglich Hessischen Ortschaften I Altenstedt und Bohnstadt belegenen | Domanial=Walddistrict; 6, die vormals Frankfiirtischen Ortsbezirke | [BL 9v.J Dortelweil und Nieder=Erlenbach; 7, den vormals Kurhessischen Ortsbezirk | Massenheim; 8, den vormals Nassauischen Ortsbezirk | Haarheim; 9, den vormals Kurhessischen, etwa | 1700 Morgen umfassenden Gebiets= | theil des Amtsbezirks Mittelgriindau. Diese Gebietheile (^.- zu 1 - 9 :) tre= | ten in die Provinz Oberhessen und in die | fiir dieselbe geltenden staatsrechtlichen | Verhaltnisse (: Artikel 13 :) ein. Hochstdem wird der auf dem linken | Main=Ufer gelegene vormals Kurhessische | Gebietstheil, mit dem Orte Rumpenheim | ebenfalls an Seine Konigliche Hoheit | mit alien Souverainetats= und Doma= | nialrechten abgetreten. Die betreffenden Grenzbeschreibun= | gen liegen bei. Artikel 16. Die Auseinandersetzung zwischen | [BL 9r.J den beiden hohen Contrahenten be= | ztiglich der gegenseitig abgetrete= | nen Gebietstheile, der Archive, der | Beamten, Militairs pp, bleibt beson= | derer Verstandigung durch beiderseitige \ Commissarien vorbehalten.

1144

§ 6: Norddeutscher Bund

[Dok. 111 - 128a]

Artikel 17. Die vor dem Jahre 1794 in der K6l= | nischen Dombibliothek befindlich gewese= | nen, zur Zeit in dem GroBherzoglichen | Museum und der GroBherzoglichen Bi= | bliothek aufbewahrten Bticher, Hand= | schriften und andere Inventarien= | stucke werden der Regierung Seiner | Majestat des Konigs von PreuBen | fur das Kolner Domkapitel zur Ver= | ftigung gestellt werden. Die Entscheidung tiber die Zubeh6rig= | keit der einzelnen Stucke wird durch | einen Commissarius Seiner Majestat | des Konigs von PreuBen in Gemein= | schaft mit einem Commissarius Seiner | [Bl lOvJ Koniglichen Hoheit des GroBherzogs | von Hessen und bei Rhein etc., in strei= | tigen Fallen durch einen von beiden | zu wahlenden unparteiischen Obmann | endgtiltig getroffen werden. Artikel 18. ^Die GroBherzogliche Regierung ver= | pflichtet sich den, zwischen einer Anzahl | Badehausbesitzem in Kreuznach und | der GroBherzoglichen Saline Carls-1 Theodors-Halle abgeschlossenen, bis | zum Jahre 1872 laufenden Contract | wegen Lieferung von Soole und Mutter= I lauge bis auf Weiteres, jedenfalls bis | zu dem Zeitpunkte, zu welchem die Preus= I sische Regierung sich zu dem Erwerb | der gedachten Saline veranlaBt finden | sollte, mit der sofort eintretenden | MaBgabe zu verlangem, daB die Stadt | Kreuznach in Stelle der bisherigen Con= | trahenten den nothigen Bedarf an | Soole und Mutterlauge erhalt. ^Auch I [Bl. lOrJ wird GroBherzoglich Hessischer Seits die | Legung einer Rohrenleitung fiir den | Bezug der Solle aus den Salinen= | brunnen nach der Stadt Kreuznach ge= | stattet. Artikel 19. Die Ratifikation des gegenwartigen | Vertrages erfolgt bis spatestens | zum 15*^^ September d. J. Zu Urkund dessen haben die beider= | seitigen Bevollmachtigten diesen Ver= | trag in doppelten Exemplaren unter= | zeichnet und ihre Siegel beigednickt. So geschehen zu Berlin, den 3^®" September 1866. (L. S.) Bismarck (L. S.) Dalwigk (L. S.) Savigny (L. S.) Hofmann.

[122] Friedensvertrag Preuflen ./. Reufl a. L. vom 26. September 1866 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einfuhrungen" die Darstellungen unter [82.] [334.] [387.]. Quelle: Geheimes Staatsarchiv PreuBischer Kulturbesitz, III. Hauptabteilung, Ministerium der Auswartigen Angelegenheiten, I Nr. 3735, Bl. 3v. - 4r. (handschriftliche Ausfertigung). [Bl 3vJ Seine Majestat der Konig von PreuBen | und Ihre Durchlaucht die Ftirstin=Regentin | von ReuB alterer Linie, von dem Wunsche | geleitet, die gegenseitigen freundschaftlichen | Beziehungen herzustellen und fur die Zu= | kunft zu regeln, haben Behufs Verhandlung | eines dartiber abzuschlieBenden Vertrages | zu Ihren Bevollmachtigten emannt, Seine Majestat der Konig von PreuBen: Seinen Wirklichen Geheimen Rath, Kammer= | herm und Gesandten Carl Friedrich von I Savigny Ritter des rothen Adleror= | dens 1^^ | Klasse u. s. w. u. s. w. Ihre Durchlaucht die Furstin=Regentin von | ReuB alterer Linie: Ihren Regiemngsprasidenten Dr. Hugo | Moritz Herrmann und

[122] Friedensvertrag PreuBen ./. ReuB a. L. vom 26. September 1866

1145

Ihren Regiemngsrath Moritz Kunze, | welche nach erfolgtem Austausch ihrer in guter | Ordnung befundenen Vollmachten liber | nachfolgende Vertragsbestimmungen uberein= | gekommen sind. Art. L Ihre Durchlaucht die Ftirstin Regentin, in= | dem Sie die Bestimmungen des zwischen | PreuBen und Oesterreich zu Nicolsburg am | 26ten Juli 1866 abgeschlossenen Praliminar= | Vertrags, so weit sie sich auf die Zukunft | Deutschlands beziehen, anerkennt und | acceptirt, tritt Ihrerseits fur das Ftirsten= | thum ReuB a. L. den Art. I bis VI des am 18ten | August d. J. zu Berlin zwischen Seiner Ma= | jestat dem Konige von PreuBen einerseits | und Seiner Koniglichen Hoheit dem GroB= | herzog von Sachsen=Weimar und anderen Norddeutschen Regierungen andererseits | geschlossenen Biindnisses bei, und erklart | dieselben fur Sich und das Ftirstenthum | ReuB a. L. verbindlich, so wie Seine Majes= | tat der Konig von PreuBen die darin ge= | gebenen Zusagen ebenfalls auf das Fursten= | thum ReuB a. L. ausdehnt. [Bl 4vJ Art. II. Seine Majestat der Konig von PreuBen ver= | spricht alle militarischen MaBregeln gegen das Ftirstenthum ReuB a. L. sofort aufzuheben, und | genehmigt die ungehinderte Rtickkehr des in | Rastatt befmdlichen Ftirstlich ReuBischen Contin= | gents mit Waffen in die Heimath. Art. III. Ihre Durchlaucht die Ftirstin=Regentin ver= | pflichtet Sich binnen sechs Monaten nach erfolgter | Auswechselung der Ratificationen dieses Ver= | trages zu dem auf Befehl Seiner Majestat | des Konigs von PreuBen gebildeten Fonds zur | Unterstutzung der invaliden Offiziere und | Soldaten der PreuBischen Armee, so wie der | Hinterbliebenen Wittwen und Waisen die Summe von — | „Einhundert Tausend Thalem" | zu zahlen. Art. IV. Die zwischen den hohen contrahirenden | Theilen vor dem Ausbruch der Feindseligkeiten I [Bl. 4r.J bestandenen Vertrage und Uebereinkiinfte | bleiben in Kraft, soweit sie nicht durch die in | Art. I. erwahnten Bestimmungen und den | Zutritt zu dem demnachstigen Norddeutschen | Bunde beriihrt werden. Art. V. Die Ratification des gegenwartigen | Vertrages soil binnen 14. Tagen von heute | ab erfolgen. Zu Urkund dessen haben die beider= | seitigen Bevollmachtigten diesen Vertrag | in doppelten Exemplaren unterzeichnet | und ihre Siegel beigedriickt. So geschehen zu Berlin den 26*^" September 1866. (L. S.) Savigny (L. S.) Herrmann (L. S.) M. Kunze.

1146

§ 6: Norddeutscher Bund

[Dok. 111 - 128a]

[123] Friedensvertrag PreuBen ./. Sachsen-Meiningen vom 8. Oktober1866 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einflihrungen" die Darstellungen unter [82.] [334.] [387.]. Quelle: Geheimes Staatsarchiv PreuBischer Kulturbesitz, III. Hauptabteilung, Ministerium der Auswartigen Angelegenheiten, I Nr. 4038, Bl. 2r. - 5v. (handschriftliche Ausfertigung). [Bl 2r.J Seine Majestat der Konig von PreuBen | und Seine Hoheit der Herzog von Sachsen= | Meiningen=Hildenburghausen, von dem Wunsche | geleitet, die gegenseitigen freundschaftlichen) Beziehungen herzustellen und fur die Zu= | kunft zu regeln, haben Behufs Verhandlung | eines dartiber abzuschlieBenden Vertrages | zu Ihren Bevollmachtigten ernannt, Seine Majestat der Konig von PreuBen: Seinen Wirklichen Geheimen Rath, Kammerherm und Gesandten Carl Friedrich von | Savigny Ritter des rothen Adleror= | dens 1^®^ | Klasse u. s. w. u. s. w. Seine Hoheit der Herzog von Sachsen=Meiningen=Hildburghausen: Den Ministei^Resident Herm Graf von Beust, | welche nach erfolgtem Austausch ihrer in guter | Ordnung befundenen Vollmachten iiber | nachfolgende Vertragsbestimmungen uberein= | gekommen sind. Artikel I. Seine Hoheit der Herzog von Sachsen=Meiningen, in= | dem Er die Bestimmungen des zwischen | PreuBen und Oesterreich zu Nicolsburg am | 26ten JuH 1866 abgeschlossenen Praliminar= | Vertrags, so weit sie sich auf die Zukunft | Deutschlands beziehen, anerkennt und I acceptirt, tritt Seinerseits fur das Herzogthum Sachsen Meiningen den Art. I bis VI des am 18ten | August d. J. zu Berlin zwischen Seiner Ma= | jestat dem Konige von PreuBen I [BL Sv.J einerseits und Seiner Koniglichen Hoheit | dem GroBherzog von Sachsen^Weimar I und anderen Norddeutschen Regierungen | andererseits geschlossenen Btindnisses bei, | und erklart dieselben fiir Sich und das Herzogthum Sachsen=Meiningen=Hildburghausen | verbindlich, sowie Seine Majestat der | Konig von PreuBen die in diesen Artikeln I enthaltenen Zusagen ebenfalls auf Seine | Hoheit den Herzog von Sachsen=Meiningen= I Hildburghausen ausdehnt. Artikel 11. Die zwischen den hohen contrahirenden | Theilen vor dem Ausbruch der Feind= | seligkeiten bestandenen Vertrage und | Uebereinktinfte, namentlich die Zoll= | vereinigungs=Vertrage vom 27. Juni | 1864 und vom 16. Mai 1865 und die da= | mit in Verbindung stehenden Verein= | barungen, treten vom Tage des Aus= | [Bl. 3r.J tausches der Ratificationen des gegen= | wartigen Vertrages wieder in Kraft, | so weit und solange sie nicht durch die | in Artikel I. erwahnten Bestimmungen, | durch den Zutritt Seiner Hoheit des Her= I zogs zum Norddeutschen Bunde, und durch | die in letzterem einzuftihrenden Ein= | richtungen beruhrt oder abgeandert werden. Artikel III. ^Seine Hoheit der Herzog erklart Sich | im Voraus mit den Abreden einver= | standen, welche PreuBen mit dem Furst= | lichen Hause Taxis wegen Beseitigung | des Thum= und Taxisschen Postwesens | trifft. "^In Folge dessen wird das gesammte | Postwesen im Herzogthum Meiningen | an PreuBen tibergehen.

[124] Friedensvertrag PreuBen ./. Konigreich Sachsen vom 21. Oktober 1866

1147

Die durch die Einrichtung eines Preus= | sischen Feldpost=Relais in Meiningen | entstandenen Kosten erklart Seine | [Bl 4vJ Hoheit der Herzog Sich bereit, nach | vorbehaltener Feststellung derselben, | an die Koniglich PreuBische Regiemng | zu erstatten. Artikel IV. Seine Hoheit der Herzog raumt der | Koniglich PreuBischen Regiemng in | alien Gebietstheilen des Herzogthums | das ausschlieBliche Recht zur unbeschrank= | ten Anlagerung und Benutzung von | Telegraphenlinien und Telegraphen= | Stationen ein. Artikel V. Seine Hoheit der Herzog verzichtet auf | alle bisher von Ihm ausgetibten Hoheits= | rechte in dem Dorfe Alt=Lobnitz, und | tritt dieselben ohne Entschadigung an | Seine Majestat den Konig von PreuBen | ab. Artikel VI. Seine Hoheit der Herzog willigt in | die Ausformung des bisher in die | Parochie Metzels im Herzogthum Sachsen= | Meiningen eingepfarrten PreuBischen | Filials Christes, femer in die Aus= | pfarrung der bisher zur Parochie Lenge= | feld im Herzogthum Sachsen=Meiningen I eingepfarrten PreuBischen Filiale | Bischofrod, Eichenberg und Kloster Vehsra | mit Forsthaus Zollbriick und daran | liegender Zoll=Einnahme und dem ein= | gepfarrten Amtschaften Keubrod, Ahl= | staedt und Neuhof, und zwar ohne | Entschadigung von PreuBischen Seiten, | dergestalt, daB die von den genann= | ten Meiningenschen Parochien zu ei= | hebenden Entschadigungs=Anspruche ledig= | lich von der Herzoglich Sachsen=Mei= | ningenschen Regiemng tibemommen werden. Artikel VII. Die Ratification des gegenwartigen | [BL 5vJ Vertrages erfolgt binnen acht Tagen. Zu Urkund dessen haben die bei= 1 derseitigen Bevollmachtigten diesen | Vertrag in doppelten Exemplaren | unterzeichnet und ihre Siegel beige= | driickt. So geschehen zu Berlin, den 8^®" | September 1866. (L. S.) Savigny (L. S.) Graf Beust.

[124] Friedensvertrag Preuden ./. Konigreich Sachsen vom 21. Oktober 1866 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einfahmngen" die Darstellungen unter [82.] [387.]. Quelle: Gesetz- und Verordnungsblatt fur das Konigreich Sachsen, (21. Stiick vom Jahre) 1866, Nr. 119, S. 211 - 221 (nebst Besondere Bestimmungen und Protokoll) - gedmckt. [S. 211] No. 119. Verordnung, | den zwischen dem Konigreiche PreuBen und Sachsen abgeschlossenen Frieden | betreffend; | vom 26. October 1866.

1148

§ 6: Norddeutscher Bund

[Dok. 111 - 128a]

Nachdem die Auswechslung der Ratifikationen des am 21. October 1866 zwischen | Sr. Majestat dem Konige von PreuBen und Sr. Majestat dem Konige von Sachsen abge= | schlossenen Friedens am 24. October 1866 stattgefunden hat, wird dieser Vertrag in der | Beilage mit Genehmigung Sr. Majestat des Konigs zur allgemeinen KenntniB gebracht. Dresden, den 26. October 1866. Sammtliche Ministerien. Frhr. v. Falkenstein. Frhr. v. Friesen. D. Schneider. V. Weber. Seine Majestat der Konig von Sachsen und Seine Majestat der Konig | von PreuBen, von dem Wunsche geleitet, die durch den Krieg unterbrochenen gegenseitigen | freundschaftlichen Beziehungen herzustellen und fiir die Zukunft zu regeln, haben behufs Ver= | handlung eines dariiber abzuschlieBenden Friedensvertrages zu Ihren Bevollmachtigten ernannt, | und zwar: Seine Majestat der Konig von Sachsen, Seinen Staatsminister der Finanzen Richard Freiherm von Friesen, GroB= | kreuz des Koniglich Sachsischen Civil=Verdienst=Ordens u. s. w. | und Seinen Wirklich Geheimen Rath Carl Adolph Grafen von Hohenthal, | GroBkreuz des Koniglich Sachsischen Civil=Verdienst=Ordens und des Koniglich | PreuBischen Rothen Adlerordens 1. Klasse u. s. w. [S. 212] und I Seine Majestat der Konig von PreuBen, Seinen Wirklichen Geheimen Rath, Kammerherm und Gesandten, Carl Friedrich | von Savigny, Ritter des Koniglich PreuBischen Rothen Adlerordens 1. Klasse, | GroBkreuz des Koniglich Sachsischen Albrecht=Ordens, Comthur des Koniglich | Sachsischen Civil=Verdienst=Ordens u. s. w., welche nach erfolgtem Austausche ihrer in guter Ordnung befundenen Vollmachten liber nach= I folgende Vertrags=Bestimmungen tibereingekommen sind. Artikel 1. Zwischen Seiner Majestat dem Konige von PreuBen und Seiner Majestat dem Konige | von Sachsen, deren Erben und Nachfolgem, deren Staaten und Unterthanen, soil fortan | Friede und Freundschaft auf ewige Zeiten bestehen. Artikel 2. Seine Majestat der Konig von Sachsen, indem Er die Bestimmungen des zwischen | PreuBen und Oesterreich zu Nicolsburg am 26. M i 1866 abgeschlossenen Praliminar= | Vertrages^, soweit sie sich auf die Zukunft Deutschlands und insbesondere Sachsens beziehen, I anerkennt und acceptirt, tritt fiir Sich, Seine Erben und Nachfolger far das Konigreich | Sachsen den Artikelnl bis VI des am 18. August d. J. zu Berlin zwischen Seiner Ma= I jestat dem Konige von PreuBen einerseits und Seiner Koniglichen Hoheit dem GroBherzoge | von Sachsen=Weimar und anderen Norddeutschen Regierungen andererseits geschlossenen Btind= | nisses*^ bei und erklart dieselben far Sich, Seine Erben und Nachfolger fur das Konigreich | Sachsen verbindlich, sowie Seine Majestat der Konig von PreuBen die darin gegebenen Zu= | sagen ebenfalls auf das Konigreich Sachsen ausdehnt.

^ Dok. 73. ^ Dok. 75.

[124] Friedensvertrag PreuBen ./. Konigreich Sachsen vom 21. Oktober 1866

1149

Artikel 3. Die hiemach nothige Reorganisation der Sachsischen Truppen, welche einen integrirenden I Theil der Norddeutschen Bundes=Armee zu bilden und als solche unter den Oberbefehl des | Konigs von PreuBen zu treten haben werden, erfolgt, sobald die fur den Norddeutschen Bund I zu treffenden allgemeinen Bestimmungen auf der Basis der Bundes=Reform= Vorschlage vom | 10. Juni d. J. festgestellt sein werden. Artikel 4. Inzwischen treten in Beziehung auf die Besatzungs^Verhaltnisse der Festung Konigstein, I die Rtickkehr der Sachsischen Truppen nach Sachsen, die nothige Beurlaubung der Mann= | schaften und die vorlaufige Gamisonirung der auf den Friedensstand zuriickversetzten Sachsischen | Truppen, die gleichzeitig mit dem Abschlusse des gegenwartigen Vertrages getroffenen besonderen | Bestimmungen in Kraft. [S. 213] Artikel 5. Auch in Beziehung auf die volkerrechtliche Vertretung Sachsens erklart die Koniglich | Sachsische Regierung sich bereit, dieselbe ihrerseits nach den Grundsatzen zu regeln, welche fiir I den Norddeutschen Bund im Allgemeinen maBgebend sein werden. Artikel 6. Seine Majestat der Konig von Sachsen verpflichtet Sich behufs Deckung eines Theils | der fiir PreuBen aus dem Kriege erwachsenen Kosten und in Erledigung des im Artikel V | des Nicolsburger Praliminar=Vertrages vom 26. Juli 1866 gemachten Vorbehalts an Seine | Majestat den Konig von PreuBen die Summe von | Zehn Millionen Thalem | in drei gleichen Raten zu bezahlen. Die erste Rate ist fallig am 31. December dieses Jahres, die zweite am 28. Februar | und die dritte am 30. April ktinftigen Jahres. Artikel 7. ^Seine Majestat der Konig von Sachsen leistet far die Bezahlung dieser Summe Garantie I durch Hinterlegung von Koniglich Sachsischen 4procentigen Staatsschulden= Kassenscheinen, | Koniglich Sachsischen 3procentigen Landschaftlichen Obligationen vom Jahre 1830 Oder I Koniglich Sachsischen zu 3 V3 % verzinzlichen Landrentenbriefen bis zum Betrage der zu garan= | tirenden Summe. ^Die zu deponirenden Papiere werden zum Tagescourse berechnet und die | Garantie=Summe wird um 10 % erhoht. Artikel 8. Seiner Majestat dem Konige von Sachsen steht das Recht zu, obige Entschadigung ganz I Oder theilweise unter Abzug eines Disconto von fiinf Procent fur das Jahr friiher zu bezahlen. Artikel 9. Mit erfolgtem Austausche der Ratificationen dieses Vertrages treten, unbeschadet der im I Artikel 4 vorgesehenen besonderen Bestimmungen, das Koniglich PreuBische Militar=Gouver= | nement fur Sachsen, sowie das Koniglich PreuBische Civil=Commissariat in Dresden auBer | Wirksamkeit; auch hort mit demselben Zeitpunkte bis an letzteres seither geleistete tagliche Zahl= | ung von 10,000 Thalem auf Artikel 10. Die Auseinandersetzung der durch den frtiheren Deutschen Bund begriindeten Eigenthums= I Verhaltnisse bleibt besonderer Vereinbarung vorbehalten.

1150

§ 6: Norddeutscher Bund

[Dok. 111-128a]

Insbesondere behalt Sich Seine Majestat der Konig von Sachsen einen Anspruch | auf liber 200,000 Thaler, welche Sachsen anlaBlich der Bundes^Execution in Holstein auf= | gewendet und liquidirt hat, ausdriicklich vor. [S. 214] Artikelll. Vorbehaltlich der, auf der Basis der Bundesreform=Vorschlage vom 10. Juni d. J. in | der Verfassung des Norddeutschen Bundes zu treffenden Bestimmungen tiber Zoll= und Handels= | verhaltnisse sollen einstweilen der Zollvereinsvertrag vom 16. Mai 1865^ und die mit ihm | in Verbindung stehenden Vereinbarungen, welche durch den Ausbruch des Krieges auBer Wirk= | samkeit gesetzt sind, unter den Hohen Contrahenten, vom Tage des Austausches der Ratifica= | tionen des gegenwartigen Vertrages an, mit der MaBgabe wieder in Kraft treten, dass jedem | der Hohen Contrahenten vorbehalten bleibt, dieselben nach einer Aufkundigung von sechs Monaten | auBer Wirksamkeit treten zu lassen. Artikel 12, Alle tibrigen, zwischen den Hohen vertragsschlieBenden Theilen vor dem Kriege abgeschlos= I senen Vertrage und Uebereinkiinfte werden hiermit wieder in Kraft gesetzt, soweit sie nicht durch | die im Artikel 2 erwahnten Bestimmungen und den Zutritt zum Norddeutschen Bunde bertihrt | werden. Artikel 13. ^Die hohen Contrahenten verpflichten sich gegenseitig, die Herstellung einer unmittelbar I von Leipzig ausgehenden und dort in directem Schienenanschlusse mit der Thtiringischen und | der Berlin=Anhaltischen Bahn stehenden Eisenbahn - geeigneten Falles unter streckenweiser | Mitbenutzung einer der beiden genannten Bahnen - liber Pegau nach Zeitz zu gestatten und | zu fordem. '^Seine Majestat der Konig von Sachsen wird derjenigen Gesellschaft, welche fiir | den im PreuBischen Gebiete belegenen Theil dieser Bahn die Concession erhalten wird, diese | letztere auch fiir die auf Sachischem Gebiete gelegene Strecke unter denselben Bedingungen er= | theilen, welche in neuerer Zeit den in Sachsen concessionirten Privat=Eisenbahn=Gesellschaften | tiberhaupt gestellt worden sind. Die zur Ausfiihrung dieser Eisenbahn erforderlichen Einzel=Bestimmungen werden durch I einen besonderen Staats=Vertrag geregelt werden, zu welchem Behufe beiderseitige Bevoll= I machtigte in kiirzester Frist an einem noch naher zu vereinbarenden Orte zusammentreten | werden. Artikel 14. Die Hohen Contrahenten sind tibereingekommen, dass das Eigenthum der Koniglich Sach= I sischen Regierung an der auf PreuBischem Gebiete belegenen Strecke der Gorlitz=Dresdener | Eisenbahn, einschlieBlich des antheiligen Eigenthumsrechtes an dem Bahnhofe in Gorlitz mit | der Ratifikation des gegenwartigen Vertrages auf die Koniglich PreuBische Regierung tibep= | gehen soil. ^Dagegen wird die Koniglich Sachsische Regierung vorlaufig bis zum Ablaufe der im | Artikel XIV des Staats=Vertrages vom 24. Juli 1843 festgesetzten dreiBigjahrigen Frist | [S. 215] und vorbehalthch der alsdarm zu treffenden weiteren Verstandigung in der Austibung des | Betriebes auf der Strecke von der beiderseitigen Landesgrenze bis Gorlitz und in der unent= | geltlichen Mitbenutzung des Bahnhofes in Gorlitz verbleiben. "^Sie wird den rechnungsmaBigen | Reinertrag, welchen der Betrieb auf der gedachten Strecke ergibt, alljahrlich an die Koniglich | PreuBische Regierung anliefem. ^Die Koniglich PreuBische Regierung verpflichtet sich bei der | von ihr beabsichtigten Umgestaltung des Gorlitzer Bahn^ Dok. 63.

[ 124] Friedensvertrag PreuBen ./. Konigreich Sachsen vom 21. Oktober 1866

1151

hofes dafiir Sorge zu tragen, daB der | Koniglich Sachsischen Bahnverwaltung die zur ungestorten Fortsetzung ihres Betriebes erforder= | lichen Raumlichkeiten und Bahnhofs=Anlagen in dem, dem Bedtirfhisse entsprechenden MaaBe | auch femerweit verfiigbar gehalten werden. ArtikellS. Um der Koniglich Sachsischen Regierung die in dem Staats=Vertrage vom 24. Juli | 1843 fiir den Fall der spateren Abtretung ihres Eigenthums an der Eisenbahnstrecke von der I Landesgrenze bis Gorlitz und ihres Miteigenthums an dem Bahnhofe in Gorlitz in Aussicht I genommene Entschadigung zu gewahren, wollen Seine Majestat der Konig von PreuBen von | der im Artikel 6 des gegenwartigen Vertrages festgesetzten Kriegskosten=Entschadigung den | Betrag von Finer Million Thalem als eine Compensation fur die von Seiner Majestat dem | Konige von Sachsen im Artikel 14 des gegenwartigen Vertrages zugestandenen Eigenthums= | Abtretungen in Abrechnung bringen lassen. Artikel 16. Da nach Artikel 6 unter 10 der Reform=Vorschlage vom 10. Juni d. J. das Postwesen | zu denjenigen Angelegenheiten gehort, welche der Gesetzgebung und Oberaufsicht der Bundes= | gewalt unterliegen, nun aber Seine Majestat der Konig von Sachsen auf Grund dieser Vor= | schlage dem Norddeutschen Bunde beitritt, so verspricht Derselbe auch schon von jetzt an, weder | durch AbschluB von Vertragen mit anderen Staaten, noch sonst etwas vomehmen zu lassen, | wodurch der definitiven Ordnung des Postwesens im Norddeutschen Bunde irgendwie vor= | gegriffen werden konnte. Artikel 17. ^Die Koniglich Sachsische Regierung tibertragt der Koniglich PreuBischen Regierung das I Recht zur Austibung des Telegraphenwesens innerhalb des Konigreichs Sachsen in demselben | Umfange, in welchem dieses Recht zur Zeit der Koniglich Sachsischen Regierung zusteht. I ^Soweit die Koniglich Sachsische Regierung in anderen Staaten Telegraphen=Anstalten zu | unterhalten berechtigt ist, tritt dieselbe ihre Rechte aus den hieriiber bestehenden Vertragen an | die Koniglich PreuBische Regierung ab, welcher die Verhandlungen mit den betreffenden dritten | Regierungen iiber die Austibung dieser Rechte vorbehalten bleiben. ^Den Depeschen Seiner Majestat des Konigs von Sachsen, der Mitglieder des Konige | lichen Hauses, der Koniglichen Hofamter, der Ministerien und aller sonstigen offentlichen | [S. 216] Behorden des Konigreichs Sachsen bleiben dieselben Bevorzugungen vorbehalten, welche den | gleichartigen Koniglich PreuBischen Depeschen zustehen. ^Den Eisenbahn=Verwaltungen im | Konigreiche Sachsen bleibt selbstverstandlich die Benutzung eines Betriebs=Telegraphen tiberlassen. Zur Ausfuhrung sammtlicher, in gegenwartigen Artikel enthaltenen Bestimmungen werden I unmittelbar nach dem Austausche der Ratificationen des Friedensvertrages beiderseitige Com= | missarien zusammentreten. Artikel 18. Seine Majestat der Konig von Sachsen erklart Sich damit einverstanden, daB das in | Sachsen, wie in der Mehrzahl der iibrigen bisherigen Zollvereins=Staaten bestehende Salz= I Monopol aufgehoben wird, sobald die Aufhebung in PreuBen erfolgt, und daB von dem Zeit= | punkte dieser Aufhebung ab die Besteuerung des Salzes fur gemeinschaftliche Rechnung | sammtlicher betheiligten Staaten bewirkt wird. Die naheren Bestimmungen bleiben weiterer Vereinbarung vorbehalten.

1152

§ 6: Norddeutscher Bund

[Dok. 111 - 128a]

Artikel 19. ^Seine Majestat der Konig von Sachsen erklart, daB keiner Seiner Unterthanen, oder wer I sonst den Sachsischen Gesetzen unterworfen ist, wegen eines in Bezug auf die Verhaltnisse | zwischen PreuBen und Sachsen wahrend der Dauer des Kriegszustandes begangenen Vergehens | oder Verbrechens gegen die Person Seiner Majestat oder wegen Hochverraths, Staatsverraths | oder sonst wegen einer die Sicherheit des Staates gefahrdenden Handlung oder endlich wegen | seines politischen Verhaltens wahrend jener Zeit liberhaupt strafrechtlich, polizeirechtlich oder dis= | ciplinarisch zur Verantwortung gezogen, oder in seinen Ehrenrechten beeintrachtigt werden soil. | ^Die etwa bereits eingeleiteten Untersuchungen dieser Art sollen, einschlieBlich der Untersuchungs= | kosten, niedergeschlagen werden. Seine Majestat der Konig von PreuBen erklart Sich damit einverstanden, daB nach diesen I Grundsatzen auch hinsichtlich derjenigen Verbrechen und Vergehen der oben gedachten Art ver= | fahren werde, welche wahrend jener Zeit in Sachsen gegen die Person Seiner Majestat des | Konigs von PreuBen oder gegen den PreuBischen Staat etwa begangen worden sind. Die aus Sachsen entfemten und etwa noch in PreuBischer Haft befindlichen Personen | sollen, soweit dieB nach den PreuBischen Gesetzen zulassig ist, aus derselben sofort entlassen I werden. Artikel 20. ^Seine Majestat der Konig von Sachsen erkennt das unbeschrankte jus reformandi Seiner I Majestat des Konigs von PreuBen in Betreff der Stifter Merseburg, Naumburg und Zeitz I an, willigt in die Aufhebung der bisher der Universitat Leipzig zugestandenen Berechtigungen | auf gewisse Canonicate an diesen Stiftem und verzichtet auf alle Rechte und Anspriiche, welche | der Koniglich Sachsischen Regierung oder der Universitat Leipzig aus den Statuten der Stifter | [S. 217] aber aus friiheren Vertragen und Conventionen, deren etwa entgegenstehende Bestimmungen | hiermit ausdriicklich aufgehoben werden, zustehen mochte. ^Die Entschadigung der Universitat | Leipzig fur die ganzliche Beseitigung ihrer Beziehungen zu den Stiftem, sowie der jetzigen | Inhaber ad dies muneris tibemimmt die Koniglich Sachsische Regierung und macht sich | anheischig, die Koniglich PreuBische Regierung gegen alle Entschadigungsansprtiche der Uni= | versitat oder einzelner Fakultaten und Professoren an derselben zu vertreten. Artikel 21. Seine Majestat der Konig von Sachsen willigt in die Auspfarrung 1) des bisher in die Sachsische Parochie Stentzsch eingepfarrten PreuBischen Filials Werben; 2) des bisher in die Sachsische Parochie GroB=Dalzig eingepfarrten PreuBischen Filials I Zitzschen; 3) der bisher in die Sachsische Parochie Quesitz eingepfarrten PreuBischen Gemeinde Dohlen; 4) der bisher in die Sachsische Parochie Auligk eingepfarrten PreuBischen Gemeinden I Konnteritz, Minkwitz und Traubitz; 5) der bisher in die Sachsische Parochie Puchau eingepfarrten PreuBischen Gemeinde | CoBen und 6) der bisher in die Sachsische Parochie Thalwitz eingepfarrten PreuBischen Gemeinden I CoUau und Punitz und zwar ohne Entschadigung von PreuBischer Seite, dergestalt, daB die von den genannten I Sachsischen Parochien zu erhebenden Entschadigungs=Anspruche lediglich von der Koniglich | Sachsischen Regierung tibemommen werden.

[124] Friedensvertrag PreuBen ./, Konigreich Sachsen vom 2L Oktober 1866

1153

Artikel 22. ^Insoweit wahrend des Krieges in Sachsen weggenommene, im Staatseigenthume befind= I liche Gegenstande, welche nach den bestehenden volkerrechtlichen Gmndsatzen nicht als Kriegs= | beute anzusehen sind, noch nicht zurtickgegeben sein sollten, werden Seine Majestat der Konig | von PreuBen Anordnung treffen, daB deren Zuriickgabe alsbald erfolgt. ^Hierzu gehoren ins= | besondere die auf den Staats=Eisenbahnen in Beschlag genommenen Locomotiven, Tender, Wagen | und Schienen, sowie die auf den Koniglichen Htittenwerken bei Freiberg weggenommenen Vor= | rathe an edlen Metallen und sonst verkauflichen Producten. ^Hinsichtlich der letzteren ist bei | der dariiber erforderlichen Auseinandersetzung davon auszugehen, daB das darunter befindliche | Werkblei der Koniglich Sachsischen Regierung gegen Erstattung des Werthes des darin en1?= | haltenen Bleies zurtickgegeben wird. Artikel 23. Die Ratification des gegenwartigen Vertrages erfolgt bis spatestens den 28. d. Mts. | und Jahres. [S. 218] Zu Urkund haben die beiderseitigen Bevollmachtigten diesen Vertrag in doppelten | Exemplaren unterzeichnet und ihre Siegel beigedruckt. So geschehen Berlin, den 21. October 1866. (L. S.) (gez.) von Friese. (L. S.) (gez.) Savigny. (L. S.) (gez.) Hohenthal Besondere Bestimmungen. In Ausfuhrung des Artikels 4 des Friedens=Vertrages; vom 21. October 1866. Mit Bezug auf Artikel 4 des Friedensvertrages vom heutigen Tage sind die unterzeichneten | Bevollmachtigten liber folgende Punkte iibereingekommen: 1) Seine Majestat der Konig von Sachsen wird unverztiglich und noch bevor die Rati= I ficationen des gedachten Friedensvertrages ausgewechselt werden, die Festung Konigstein Seiner | Majestat dem Konige von PreuBen einraumen. 2) Die Besetzung der Festung erfolgt in der Art, daB die daselbst befindliche Koniglich I Sachsische Infanterie durch eine Koniglich PreuBische Infanterie=Abtheilung unter gegenseitiger | militarische Ehrenbezeugung abgelost wird und der Koniglich Sachsische Gouvemeur (Com= | mandant) seine Functionen dem von Seiner Majetat dem Konige von PreuBen zu emennen= | den Gouvemeur (Commandant) tibergiebt. Die Sachsische Infanterie=Besatzung marschirt | mit Waffen und Gepack ab, um sich zunachst nach den diesen Truppentheilen zu bezeichnenden Standquartieren zu begeben. 3) Alles auf der Festung befindliche und noch dahin zu verbringende Sachsische Material I an Geschiitzen, Waffen, Munition und Ausrtistungsstiicken, Vorrathen, Lebensmitteln und | alles sonst sich daselbst befindende Staatseigenthum verbleibt unbestrittenes Eigenthum der | Koniglich Sachsischen Regierung. Die Letztere behalt demnach die freie und ungehinderte Verfiigung liber alle genannten | Gegenstande, so daB sie dieselben auf dem Konigstein belassen oder von da jederzeit zuriick= | ziehen kann. 4) Zur Bewahrung des vorgedachten Koniglich Sachsischen=Eigenthums verbleibt, | jedoch unter dem Oberbefehle des Koniglich PreuBischen Gouvemements (Commandantur), das | Koniglich Sachsische Artillerie=Detachement als Theil der Besatzung in der Festung; mit ihm \ der Unter=Commandant, der Festungs=Ingenieur, der Adjutant, sowie alle Festungs=Beamte | und Handwerker.

1154

§ 6: Norddeutscher Bund

[Dok. 111 - 128a]

[S. 219] Der Koniglich PreuBischen Besatzung der Festung steht es frei, die dortigen Magazine I und Vorrathe aller Art zu ihrem Unterhalte gegen Abrechnung zu benutzen. 5) Unmittelbar nach erfolgtem Austausche der Ratificationen des Friedens=Vertrages wird I Seine Majestat der Konig von Sachsen bei alien von Seiner Majestat nicht zur Friedens= | besatzung von Dresden bestimmten Truppentheilen, innerhalb der militarisch zulassigen Grenzen, | eine Beurlaubung in ausgedehntem MaBstabe, und zwar noch vor deren Rtickkehr nach Sachsen, | eintreten lassen. Die im Uebrigen noch nothige Demobilisirung bei den einzelnen Truppen=Gorps erfolgt I unmittelbar nach deren Riickkkehr nach Sachsen. Auch tritt dann die vollstandige Beurlaubung | aller entbehrlichen Mannschaft ein. 6) Dresden erhalt eine gemeinschaftliche Besatzung von PreuBischen und Sachsischen | Truppen. Die hierzu bestimmten Koniglich Sachsischen Truppen werden einen Prasenzstand | von 2 bis 3000 Mann, exclusive der Chargen, nicht tiberschreiten. 7) In Beziehung auf die nicht fur die Gamision in Dresden bestimmten Koniglich Sachsi= I schen Truppentheile wird die erforderliche Unterkunft ihrer Cadres, Pferde, Waffen und Aus= | riistung unter Vemehmung mit dem Hochstcommandirenden Koniglich PreuBischen General in | Sachsen geregelt werden. Auch wird demselben Sachsischer Seits das Marsch=Tableau fiir | die aus Oesterreich zurlickkehrenden Koniglich Sachsischen Truppen rechtzeitig mitgetheilt werden. 8) Sobald die einzelnen Sachsischen Truppentheile auf Sachsisches Gebiet zuriickgekehrt | sein werden, treten sie bis auf weitere Bestimmung unter den Oberbefehl des Hochstcomman= | direnden Koniglich PreuBischen Generals in Sachsen. 9) Ftir die Stadt Dresden und die dort angelegten Festungswerke emennt Seine Majestat I der Konig von PreuBen den Gouvemeur, Seine Majestat der Konig von Sachsen den Com= | mandanten. Das gegenseitige VerhaltniB dieser Behorden zu einander und zu den beider= | seitigen Besatzungs=Contingenten von Dresden wird vorlaufig nach Analogic der friiheren | Bundesfestungen geregelt. Die tibrigen damit verkntipften Fragen bleiben dem weiteren Einvemehmen vorbehalten. 10) Bis die Reorganisation der Sachsischen Truppen im Wesentlichen durchgefiihrt und I deren Einreihung in die Armee des Norddeutschen Bundes erfolgt sein wird, fahrt PreuBen | fort, die fiir die Besatzung des Konigreichs Sachsen nothige Anzahl von Truppen seinerseits | zu stellen. Die hieraus entspringenden gegenseitigen Verpflichtungen werden zwischen den beiden be= | theiligten Hohen Regierungen durch besondere Vereinbarung naher geregelt werden. Sammtliche, fiir die Ausfiihrung vorstehender Bestimmungen sonst noch nothigen Anord= | nungen bleiben einer Verstandigung zwischen der Koniglich Sachsischen Regierung und dem | Hochstcommandirenden Koniglich PreuBischen General iiberlassen. [S. 220] Vorstehende Bestimmungen sollen als mit der Ratifikation des Friedens=Vertrages ratificirt I angesehen werden. Berlin, den 21. October 1866. (L. S.) (gez.) von Friesen. (L. S.) (gez.) Savigny. (L. S.) (gez.) Hohenthal.

[125] Militarkonvention PreuBen ./. Konigreich Sachsen vom 7. Februar 1867

1155

Protokoll. Verhandelt 1 Berlin, den 21. October 1866. Bei der heutigen Unterzeichnung des zwischen Sachsen und PreuBen abgeschlossenen Friedens= | vertrages erklaren die Koniglich Sachsischen Bevollmachtigten unter Bezugnahme auf Artikel 5 | Folgendes: Die Koniglich Sachsische Regierung, von dem lebhaften Wunsche beseelt, die vollkommene | Uebereinstimmung zu besthatigen, welche zwischen ihr und der Koniglich PreuBischen Regierung | beztiglich der von jetzt an gemeinsam zu verfolgenden politischen Richtung besteht, ist bereit a) sofort und bis zu dem Zeitpunkte, wo die Frage wegen der intemationalen Reprasen= I tation des Norddeutschen Bundes in definitiver Weise geordnet sein wird, ihre eigene volker= | rechtliche Vertretung beztiglich derjenigen Hofe und Regierungen, bei welchen dieselbe gegen= | wartig diplomatische Agenten nicht unterhalt, auf die PreuBischen Missionen zu tibertragen und b) dasselbe VerbaltniB denjenigen Hofen und Regierungen gegeniiber, bei welchen dermalen | Sachsische Missionen bestehen, in alien Fallen temporarer Vacanz, auf deren Dauer eintreten | zu lassen, c) auch in diesem Sinne die Koniglich Sachsischen Vertreter im Auslande mit entsprechen^ | der Instruction zu versehen, so daB sich Sachsen im Geiste des mit PreuBen abgeschlossenen | Btindnisses schon jetzt in intemationaler Beziehung der PreuBischen Politik fest anschlieBt. Der Koniglich PreuBische Bevollmachtigte erklart seinerseits, daB seine Regierung bereit | ist, die in Rede stehende Vertretung zu tibemehmen und hierbei die Interessen, sowohl der | Koniglich Sachsischen Regierung, als auch die der Koniglich Sachsischen Staatsangehorigen, | gleich wie ihre eigenen allenthalben zu wahren. SchlieBlich waren die beiderseitigen Bevollmachtigten dahin einig, daB durch vorstehende | interimistische Bestimmungen das Recht Seiner Majestat des Konigs von Sachsen, in einzelnen | Fallen auBerordentliche Bevollmachtigte zu senden, in keiner Weise alterirt werden solle. [S. 221] Vorstehendes Protokoll soil als mit der Ratification des Friedens=Vertrages ratificirt an= I gesehen werden. Geschehen wie oben. (L. S.) (gez.) von Friesen. (L. S.) (gez.) Savigny. (L. S.) (gez.) Hohenthal.

[125] Militarkonvention PreuBen ./. Konigreich Sachsen vom 7. Februar 1867 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einfiihrungen" die Darstellungen unter [334.] [367.]. Quelle: Sachsisches Hauptstaatsarchiv Dresden, Bestand 10717, Ministerium der Auswartigen Angelegenheiten, Nr. 1030, Bl. 225 - 233 (handschriftliche Ausfertigung). Sonstige Fundstelle: E. R Huber (Hrsg.), Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte, Bd. 2: Deutsche Verfassungsdokumente 1851 - 1900, 3. Aufl., 1986, Nr. 202 (auszugsweise). [Bl 225V.J Abschrift.^

Abschrift der am 7. Februar 1867 in Berlin unterzeichneten Urkunde; hierbei handelt es sich um ein Exemplar, welches mittels Anlage zu einem auf den 16. Februar 1867 datierten Anschreiben des

1156

§ 6: Norddeutscher Bund

[Dok. 111 - 128a]

Um die Bestimmungen der Vep= | fassung des Norddeutschen Bundes | tiber das Bundeskriegswesen den | besonderen Verhaltnissen des Ko= | nigreichs Sachsen anzupassen | sind Seine Majestat der Konig von | PreuBen als Bundesfeldherr mit | Seiner Majestat dem Konige von | Sachsen libereingekommen, solche, | wie folgt, zu erganzen und auf | der Grundlage des Friedensver= | trages vom 21. Oktober 1866. | eine besondere Verabredung zu I treffen, welche unabhangig von | alien femeren darauf beztiglichen | Verhandlungen in Kraft treten | und bleiben soil. Zu diesem Behufe haben bevoll= | machtigt etc. etc. Art. 1. Die Koniglich Sachsischen Truppen for= | miren ein in sich geschlossenes Ar= | mee=Corps, das in den 4 Waffen, | Trains und Administrationen nach | [Bl. 225r.] den Verhaltnissen eines PreuBischen | Armee=Corps zusammengesetzt und | gebildet ist, und welches ebenso wie dieses im Falle der Mobilmachung | oder Kriegsbereitschaft die entsprechende | Anzahl von Ersatz= und Besatzungs=Truppen bildet. Die Neuorganisation soil am | 1. October vollendet sein. Alsdann bilden die Konigl. Sachs. | Truppen das 12. Armee=Corps des | Norddeutschen Bundesheeres und fuhren | dabei ihre eigenen Fahnen und Feld= | zeichen. Die Divisionen, Brigaden, Re= | gimenter und selbststandigen Ba= | taillone erhalten die laufende | Nummer im AnschluB an die an= | deren 11 Bundes=Armee=Corps, vor= | gesehen von der Numerierung im | Konigl. Sachs. Verbande. Unbeschadet der nach Art. 60 des | Bundes=Verfassungsentwurfs | fur den Norddeutschen Bund Seiner Ma= | [Bl. 236v.J jestat dem Konige von Preussen | zustehenden Berechtigung, iiber | die einzelnen Truppen anderweit | zu disponiren, soil der Verband und | die Gliederung des Konigl. Sachs. Ar= | mee=Corps moglichst erhalten werden. Art. 2. Die Konigl. Sachs. Regierung wird | die preuBischen Exerzir= und son= | stigen Reglements fur die Aus= | bildung und Verwendung der Trup= | pen bei den Konigl. Sachs. Truppen | umgesaumt zur Anwendung bringen. ^Zu diesem Zwecke wird wird* der | Bundesfeldherr Allerhochstselbst | die zur Zeit giltigen, sowie alle | noch spater zu erlassenden Be= | stimmungen, Gesetze, Reglements | u. s. w. Seiner Majestat dem Konige von Sachsen unmittelbar zugehen lassen. ^In gleicher Weise wird der | Konig von Sachsen bis zum 1. Oktober | sowie ktinftig gleichzeitig mit | dem ErlaB an die Truppen ein | [BL 226r.J Exemplar aller an die Konigl. Sachs. | Truppen ergehenden organisatorischen | Bestimmungen dem Bundesfeld= | herm mittheilen. Zu Vermittelung der laufenden | dienstlichen Beziehungen dagegen | dient spater der MiHtair=Aus= | schuB, in welchem die Konigl. Sachs. Regierung vertreten sein wird. Art. 3. Wiewohl Seine Majestat der Konig | von Preussen nicht in die innere | Verwaltung des Konigl. Sachs. Armee= | Corps eingreifen wollen, so bleibt | doch der in Art. 59 N.** enthaltenen | Bestimmung gemaB, die Konigl. Sachs. | Regierung verpflichtet, ihrerseits | den von der etatmaBigen Unter= | haltung des Armee=Corps incl. | Neuanschafflingen, Bau-

sachsischen Bevollmachtigten von Fabrice an den sachsischen AuBenminister iibersandt wurde (Sachsisches Hauptstaatsarchiv Dresden, AuBenministerium, Nr. 1030, Bl. 224). Doppelung im Original. Gemeint ist die noch im Entwurfstadium befindliche spatere Verfassung des Norddeutschen Bundes (Dok. 63).

[125] Militarkonvention PreuBen ./. Konigreich Sachsen vom 7. Februar 1867

1157

ten, Ein= | richtungen u. s. w. nicht absorbirten | Theil der auf Sachsen fallenden | Geldleistung an die Bundes= | [Bl 227v.] Kriegs=Casse abzufuhren. Die Konigl. Sachs. Armee tritt | mit dem 1. Januar 1868. in den | Etat und die Abrechnung des Bun= | desheeres. Dementsprechend participirt | aber auch das Konigl. Sachs. Amiee=Corps an den Einrichtungen des | Gesammtheeres, der Central= | Militair= | Verwaltung, der h6he= | ren Militair=Bildungs=Anstalten | incl. der Kriegsschulen, den Exami= | nations=Commissionen, sowie den | militair wissenschaftlichen und tech= | nischen Instituten, femer dem Lehr= | bataillon, der Militair=Reitschule, | der SchieBschule, Central^ | Tum=Anstalt und dem groBen | Generalstab, in welchem das Konigl. | Sachs. Armee=Corps verhaltnismaBig I vertreten sein wird; die flir die Konigl. | Sachs. Truppen nothwendigen Waffen | ist die Konigl. PreuBische Regierung | zu liefem erbotig. [B. 227r.] Art. 4. Zur Beforderung der Gleich= | maBigkeit in der Ausbildung | und dem innem Dienst der Truppen | werden nach gegenseitiger Verab= | redung einige Konigl. Sachs. Offiziere auf 1 - 2 Jahre in die Konigl. Preu= | Bische und Konigl. PreuBische Offiziere | in die Konigl. Sachsische Armee zur | Dienstleistung commandirt. Der Bundesfeldherr, welchem nach | Art. 60 N.^ das Recht zusteht, sich je= | derzeit durch Inspectionen von der | Verfassung der einzelnen Contingen= | te zu tiberzeugen, wird die Konigl. | Sachs. Truppen alljahrlich mindestens | ein Mai entweder Allerhochst= I selbst oder durch zu emennende | Inspecteure, deren Persona vorher | Seiner Majestat dem Konige von Sachsen | bezeichnet werden sollen, in den | Gamisonen oder bei den Hebungen | inspiciren lassen. Die in Folge solcher Inspicirungen | [Bl. 228v.] bemerkten sachlichen oder personlichen I MiBstande wird der Bundesfeld= | herr dem Konige von Sachsen | mittheilen, welcher seinerseits | dieselben abzustellen, sich verpflich= | tet und von dem Geschehenen dann | dem Bundesfeldherm Anzeige | machen laBt. Art. 5. Obwohl Seiner Majestat dem Konige | von Preussen als Bundesfeldherm | nach Art. 60 N.** das Recht | zusteht, die Dislocation aller | Theile des Bundesheeres und die | Besatzungs= und Starke=Verhaltnisse | desselben in den einzelnen Bundes= | staaten im Kriege, wie im Frieden | anzuordnen, so will Allerhochst= | derselbe doch fur die Dauer fried= | licher Verhaltnisse von dieser Be= | rechtigung nur Gebrauch machen, wenn | Seine Majestat sich im Interesse des | Bundesdienstes zu einer solchen | MaBregel bewogen finden. [Bl 228r.J Seine Majestat der Konig von PreuBen | wollen in solchen Fallen sich vorher | mit Seiner Majestat dem Konige von | Sachsen in Vemehmen setzen. Fixr die nachste Zeit behalt sich | Seine Majestat der Konig von PreuBen | im EinverstandniB mit Seiner Majestat | dem Konige von Sachsen und in | GemaBheit der, gegenwartiger Convention beigeftigten Separat= | Protokolls die Besatzung der in | Letzterem benannten Platze im | Konigreich Sachsen vor.

^ Gemeint ist die noch im Entwurfstadium befindliche spatere Verfassung des Norddeutschen Bundes (Dok.63). ^ Gemeint ist die noch im Entwurfstadium befindliche spatere Verfassung des Norddeutschen Bundes (Dok. 63).

1158

§ 6: Norddeutscher Bund

[Dok. 111 - 128a]

Art. 6. Die Verpflichtung der Konigl. Sachs. | Truppen, den Befehlen des Bundes= \ feldherm unbedingt Folge zu | leisten, wird in den bisherigen | Fahneneid in der Weise aufgenommen, | daB es an der betreffenden Stelle | heiBt: „daB ich Seiner Majestat dem Konige | wahrend meiner Dienstzeit | als Soldat treu dienen, dem | [BL 229v.J Bundesfeldherm und den Kriegs= | gesetzen Gehorsam leisten und | mich stets als ein tapferer | und ehrliebender Soldat ver= | halten will. So wahr mir Gott | helfe". Art. 7. Die Emennung der Commandos | fiihrenden Generale der Konigl. Sachs. | Truppen mit Ausnahme des Hochst= | commandirenden des Armee= | Corps, wollen Seine Majestat der I Konig von Sachsen in der Weise | vollziehen, daB Allerhochstdieselben | jede einzelne Emennung von dem | EinverstandniB des Bundesfeld= | herm abhangig machen. Die Emennung des Hochstcom= | mandirenden des Armee=Corps | selbst, erfolgt auf Gmnd der | Vorschlage Seiner Majestat des Konigs | von Sachsen durch Seine Majestat j den Konig von Preussen, gemaB | Art. 61 des Verfassungsentwurfes. [BL 229r.J Die erstgenannten Generale der | Konigl. Sachs. Truppen haben nach | erfolgter Emennung zu ihrer Charge | und vor Antritt ihres Dienstes | als solche, folgendes eidliche Versprechen | protocollarisch abzugeben, eigen= | handig zu unterschreiben und an | Seine Majestat den Konig von Preu= | Ben einzusenden: „Ich verspreche hierdurch an Eides= | statt, auf Ehre und Pflicht, daB, | nachdem Seine Majestat der Konig | von Sachsen mich zu Hochstseinem | Generalmajor /: Generallieutenant u. s. w. :/ emannt haben, ich das | mir anvertraute Commando /: Amt:/ nur in Uebereinstimmung mit | den Befehlen des Bundesfeldherm, | Seiner Majestat des Konigs von PreuBen, | handhaben und verwalten will." Der Hochstkommandirende des | Armee^Corps hat folgenden Eid ab= | zulegen: „Ich schwore zu Gott dem All= | machtigen und Allwissenden einen | [BL 230vJ leiblichen Eid, daB, nachdem Seine | Majestat der Konig von Preussen | mich zum commandirenden Ge= I neral des 12ten Bundes=Armee= | Corps emannt hat, ich dieses | Amt nur in Uebereinstimmung | mit den Befehlen des Bundes= | feldherm handhaben und ver= | walten will: So wahr mir | Gott helfe!" ^Dem Artikel61. des Bundes= | Verfassungs=Entwurfes entsprechend | wird Seine Majestat der Konig von | Preussen die Commandanten | /: Gouvemeure :/ der im Konigreich | Sachsen belegenen festen Platze | emennen. ^Dieselben haben, wenn | sie den Konigl. Sachs. Tmppen ange= | horen, nachfolgenden Eid zu leisten: „Ich schwore zu Gott dem All= | machtigen und Allwissenden | einen leiblichen Eid, daB, nach= | dem Seine Majestat der Konig | von Preussen mich zum Com= | [BL 23Or.] mandanten /: Gouvemeur :/ der Festung emannt haben, | ich dieses Amt nur in Ueber= I einstimmung mit den Befehlen | des Bundesfeldherm handhaben | und verwalten will; insbeson= | dere gelobe ich, daB ich die | mir als Commandant /: Gou= | vemeur :/ anvertraute Festung | jeder Zeit wider alle feindliche | Gewalt aufs Sorgfaltigste und i Eifrigste verwehren, sie auch | in Belagemngsfallen gegen | jede Art des Angriffs mit | der tapfersten Gegenwehr | und mit Daransetzung Leibs | und Lebens, bis auf das AeuBer= | ste vertheidigen will. So | wahr mir Gott helfe!" Um der Beurtheilung aller | dieser Emennungen eine Gmnd= | lage zu gewahren, werden auf jedes= | mahges Verlangen liber alle Gene= | rale, mit Ausnahme des H6chstcom= | [BL 23Iv.] mandirenden, liber alle Regiments= | Commandeure und liber alle diesen | Chargen gleichstehenden Offizieren | der Konigl. Sachs. Truppen Personal^ [

[125] Militarkonvention PreuBen ./. Konigreich Sachsen vom 7. Febmar 1867

1159

und Qualificationsberichte nach Preu= | Bischem Schema, von den directen | Vorgesetzten der Betreffenden aus= | gestellt, an Seine Majestat den Konig | von PreuBen eingesendet. Art. 8. Beztiglich der Erhaltung, Zerstorung | oder Neuanlage von Festungen 1 und Verschanzungen, woriiber die | Bestimmung nach Art. 62 des Bun= | des=Verfassungs= Entwurfes dem I Bundesfeldherm zusteht, wird noch | besonders bemerkt, daB fur die | im Konigreich Sachsen vorhandenen | Werke, sowie deren Armirung | keinerlei Entschadigung bezahlt I wird, und daB dieselben gleich | alien anderen, im Gebiete des | Norddeutschen Bundes belegenen | Festungen in den Besitz des Letzteren | [Bl 231r.] tibergehen. Die territorialen Souveranitats= | rechte sollen durch diese Bestimmung | eben so wenig, wie die femer gel= | tenden Privatbesitz= | Verhaltnisse | eine Aenderung erleiden. Ein Rayon^Gesetz wird der | Bundesgesetzgebung vorbehalten. Bis dahin sollen die fiir die Festung | Mainz gegebenen Bestimmun= | gen in Anwendung kommen. Art. 9. Verstarkungen der Konigl. Sachs. | Truppen durch Einziehung der | Beurlaubten, sowie die Kriegs= | formationen derselben und end= | Hch deren Mobilmachung han= | gen von den Anordnungen des | Bundesfeldherm ab. "^Solchen | Anordnungen ist allezeit und | im ganzen Umfange Folge zu | leisten. Die hierdurch erwachsenden | Kosten tragt die Bundes^Casse, | [Bl 252v.7 jedoch sind die Konigl. Sachs. Cassen | verpflichtet, die nothwendigen Gel= | der, insoweit ihre vorhandenen I Fonds ausreichen, vorzuschieBen. Art. 10. Vorstehende, bis auf anderweite | Bestimmung geheim zu haltende | Uebereinkunft soil ratificirt | und die Ratification in 8. Tagen | zu Berlin ausgewechselt werden. Berlin, d. 7. Febmar 1867. von Fabrice. von Storch. Protokoll. Verhandelt Berlin d. 7. Febr. 1867. Als Erganzung des Art. 5. der | Uebereinkunft vom heutigen Tage | wird hiermit verabredet: 1.) Wenn bis zum 1. Juli dieses | Jahres die Verfassung des Nord= | deutschen Bundes angenommen | und publicirt, und die Reorganisa= | tion des Konigl. Sachs. Armee= | Corps als soweit vorgeschritten | [Bl 232r.] anerkannt sein wird, um deren | Fortstellung und Durchfiihrung mit | Zuversicht entgegensehen zu konnen, | will Seine Majestat der Konig von | PreuBen unter Wahmehmung | aller in GemaBheit der Conven= | tion vom heutigen Tage Aller= | hochstihm zustehenden Rechte, | bis zu dem genannten Tage die | Konigl. PreuBischen Tmppen aus | dem Konigreich Sachsen zuruck= | ziehen, jedoch bis auf Weiteres | Konigstein, Leipzig und Bautzen | besetzt halten. Wenn Seine Majestat der Konig | von Sachsen es wiinschen sollten, | so wird hingegen eine gleiche | Anzahl sachsische Tmppen in Preu= | Bische, der Sachs. Grenze nahe | gelegene Garaisonen dislocirt | werden.

1160

§ 6: Norddeutscher Bund

[Dok. 111 - 128a]

2.) Alle nach dem 1. Juli durch | auBerordentliche Dislocation | entstehenden besonderen Ausgaben | [Bl 233vJ werden aus der Bundescasse re= | stituirt. Als Grundlage der gegenseitigen Abrechnung | dienen diejenigen Betrage, | welche nach den PreuBischen | Bestimmungen fur den Etat | liquid sind. Nachweisbare | nothwendige hohere Kosten | sollen ebenfalls von der | Bundescasse getragen werden. 3.) Die Konigl. Sachs. Regierung | ubemimmt die Kosten der | noch ausstehenden Expropria= | tion fur die bei Dresden | angelegten Befestigungen | und wird letztere, so lange | Seine Majestat der Konig von | PreuBen solches fur erforder= | lich halten sollte, auf eigne | Kosten in dem dermaligen | Zustand erhalten und ver= | walten. 4.) Im Hinblick auf die lokalen | Verhaltnisse und materiellen | [BL 233rJ Interessen der Stadt wollen | Seine Majestat der Konig von Preu= | Ben die Residenzstadt Dresden | als einen festen Platz oder eine Bundesfestung zur Zeit nicht an= | sehen und erklaren, auch ge= | dachten bereits vorhandenen | Befestigungen fiir die Dauer I friedlicher Verhaltnisse eine | groBere Ausdehnung als die | bisherige nicht geben und | auf solche Zeit die Besatzung | von Dresden aus besondrer | Riicksichtnahme fur Seine Majestat | den Konig von Sachsen dem 12. | Armee=Corps, von dem sub 1. be= | zeichneten Termin ab, tiberlassen. 5.) Mit dem 1. April dieses Jahres | treten die k. Sachs. Truppen unter [ den directen Oberbefehl des Bun= | desfeldherm. Das vorstehende Protokoll wird durch die Ratification | der Uebereinkunft vom 7. Februar 1867 mit rati= | ficirt. von Fabrice. von Storch.

[126] Militarkonvention PreuBen ./. Hessen vom 7, April 1867 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einfuhrungen" die Darstellungen unter [333.] [368.]. Quelle: GroBherzoglich Hessisches Regiemngsblatt auf das Jahr 1867, (Nr. 37 vom 17. September) 1867, S. 409-415 (gedruckt). Sonstige Fundstelle: E. R Huber (Hrsg.), Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte, Bd. 2: Deutsche Verfassungsdokumente 1851 - 1900, 3. Aufl., 1986, Nr. 203. [S. 409] Bekanntmachung, | die zwischen dem GroBherzogthum Hessen und dem Konigreich PreuBen abgeschlossene Militar= | convention betreffend. Die nachstehende zwischen Seiner Koniglichen Hoheit dem GroBherzog von Hessen und I bei Rhein etc. und seiner Majestat dem Konig von PreuBen am 7. April 1. J. zu | Berlin abgeschlossene Militarconvention wird, nachdem dieselbe inzwischen beiderseits ratificirt, | und die Auswechslung der Ratifikationen am 21. April 1. J. bewirkt, auch die vorbehaltene | Zustimmung der Stande des GroBherzogthums zu derselben eingeholt worden ist, nebst dem I dazu gehorigen SchluBprotocoll - hiermit zur offentlichen Kenntnis gebracht. Darmstadt, den 10. September 1867. Aus Allerhochstem Auftrage: | GroBherzogliches Ministerium des GroBherzoglichen Hauses und des AuBem. | v. Dalwigk. | Rothe. [S. 410] Seine Konigliche Hoheit der GroBherzog von Hessen und bei Rhein und Seine Majestat der I Konig von PreuBen haben beschlossen, liber den AnschluB der GroBherzoglich Hessischen Truppen an | das PreuBische Heer Verabredungen zu treffen und zu diesem Behufe zu Bevollmachtigten emannt: Seine Konigliche Hoheit der GroBherzog von Hessen: Allerhochst Ihrem auBerordentlichen Gesandten und bevollmachtigten Minister Geheimen Legationsrath | Carl Hofmann,

[126] Militarkonvention PreuBen ./. Hessen vom 7. April 1867

1161

Allerhochst Ihren Flugel=Adjutanten Oberst Adolph von Grolman und Allerhochst Ihrem Oberstlieutenant im GroBherzoglichen Artillerie=Corps Friedrich Hartmann, Seine Majestat der Konig von PreuBen: Allerhochst Ihren Oberlieutenant und dienstleitenden Abtheilungschef im Kriegsministerium | Eberhard von Hartmann, welche, nachdem Sie ihre Vollmachten ausgetauscht und in guter und gehoriger Form befunden haben, | iiber folgende Bestimmungen tibereinkommen sind: Artikell. Die gesammten GroBherzoglich Hessischen Truppen treten fur Krieg und Frieden als eine ge= | schlossene Division in den Verband eines der Armee=Corps des Koniglich PreuBischen Heeres und damit | unter den Oberbefehl Seiner Majestat von PreuBen. Artikel 2. Zu diesem Zwecke findet eine entsprechende Umformation der GroBherzoglich Hessischen Division nach | PreuBischem Organisations=Modus fur Krieg und Frieden statt (conf Anlage), welche in den Haupt?= | punkten mit dem 1. October d. J. vollendet sein wird. Es kommt fiir das GroBherzogthum Hessen diejenige Wehrverfassung zur Einfuhrung, welche fiir | die Koniglich PreuBische Armee durch die Artikel 53, 55 und 56 des Entwurfs der Verfassung des Nord= | deutschen Bundes*) festgesetzt ist, resp. durch spatere Bundesgesetze festgesetzt werden wird. *) Artikel 57, 59 und 60 der Verfassung des Norddeutschen Bundes. Artikel 3. Um jedoch den Uebergang in die neue Heeres verfassung zu erleichtem, wird ausnahmsweise und | unbeschadet der im Artikel 53 der Verfassung des Norddeutschen Bundes*) bestimmten Wehrpflichtigkeit | fiir die nachsten 5 Jahre noch eine Stellvertretung von Dienstpflichtigen durch ausgediente Unterofficiere | und Spielleute und ein Tausch Dienstpflichtiger mit freigeloosten nicht Dienstpflichtigen unter Controle des | Staates gestattet. *) Artikel 57 der Verfassung des Norddeutschen Bundes. [S. 411] Artikel 4. GroBherzogliche Unterthanen, denen die Berechtigung zum einjahrigen freiwilligen Dienst zusteht, | konnen dieser Dienstpflicht unter gleichen Bedingungen, wie jeder PreuBe, auch in der Koniglichen Armee | gentigen; dasselbe findet vice versa statt. Artikel 5. ^In dem GroBherzogthum Hessen ist mit AusschluB der Militar=Kirchen=Ordnung die gesammte | PreuBische Militar^Gesetzgebung bis zum 1. October d. J. einzuflihren und zwar sowohl die Gesetze selbst | als die zu ihrer Ausftihrung, Erlauterung oder Erganzung erlassenen Reglements, Instructionen und | Rescripte, namentlich also das Militar=Strafgesetzbuch vom 3. April 1845, die Militar=Strafgerichts= | Ordnung vom gleichen Tage, die Verordnung liber die Ehrengerichte vom 20. M i 1843, die fiir | Krieg und Frieden ergangenen Bestimmungen liber Aushebung, Dienstzeit, Servis= und Verpflegungs= | wesen, Einquatierung, Ersatz von Flurbeschadigungen, tiber Mobilmachung etc. sowie auch liber Organi= | sation, Gliederung, Ausbildung, liber den Ersatz des Officier=Corps und liber das Millitar=Erziehungs= | und Bildungswesen. ^Sammtliche nach den PreuBischen Militar= Strafbestimmungen liber die Competenz | der Divisions=Commandeure hinausgehenden gerichtsherrlichen Befugnise, sowie das Bestatigungs= und | Begnadigungsrecht bei Erkenntnissen gegen Angehorige der GroBherzoglichen Division werden fiir Friedens= | zei-

1162

§ 6: Norddeutscher Bund

[Dok. 111 - 128a]

ten von Seiner Koniglichen Hoheit dem GroBherzog, beziehungsweise von den GroBherzoglichen Mili= | tarbehorden ausgetibt. ^Die durch die vorstehenden Verabredungen bedingte Umformung der GroBherzoglichen Military | Administration wird, soweit irgend moglich bis zum 1. October c, durchgefiihrt sein; wo die Innehaltung | dieses Termins in einzelnen Zweigen der Verwaltung nicht angangig gewesen ist, wird GroBherzog= | lich Hessischer Seits die auBerste Beschleunigung zugesichert. '^Auch die Zukunft ergehenden Modifi= | cationen werden fiir die GroBherzogliche Division zur Einfiihrung gebracht. Artikel 6. ^Zum Behufe der Einfiihmng im GroBherzogthum wird Seine Majestat der Konig von PreuBen | Allerhochst Selbst die zur Zeit gtiltigen, sowie alle noch spater zu treffenden derartigen Festsetzungen etc. | Seiner Koniglichen Hoheit dem GroBherzog unmittelbar zugehen lassen. ^In gleicher Weise wird Seine | Konighche Hoheit der GroBherzog gleichzeitig mit dem ErlaB an die GroBherzogHche Division ein | Exemplar aller dieselbe betreffenden, organisatorischen Bestimmungen Seiner Majestat dem Konige mit= | theilen. Zur Vermittlung der laufenden, dienstlichen Beziehungen, fmdet ein directer Schriftwechsel zwi= | schen dem Koniglich PreuBischen Kriegs=Ministerium, sowie dem General=Commando des in Art. 1 auf= | gefuhrten Armee=Corps einerseits und dem GroBherzoglich Hessischen Kriegs=Ministerium beziehungsweise | dem GroBherzoglichen Divisions=Commando andererseits statt. Artikel 7. ^Wie wohl Seiner Majestat dem Konige als Bundesfeldherm (nach Art. 59 der Bundes=Verfassung)*) das Recht zusteht die Dislocation aller Theile des Bundesheeres und die Starke=Verhaltnisse in den einzelnen | [S. 412] Contingenten im Kriege und im Frieden anzuordnen, so will Allerhochst Derselbe doch fiir die Dauer fried= | licher Verhaltnisse beziiglich der zum Norddeutschen Bundesheere gehorigen Quote der GroBherzoglichen | Division von dieser Berechtigung nur Gebrauch machen, wenn Seine Majestat Sich im Interesse des | Bundesdienstes zu einer solchen MaBregel bewogen finden. "^Seine Majestat der Konig von PreuBen | wollen in solchen Fallen Sich vorher mit Seiner Koniglichen Hoheit dem GroBherzog in Benehmen | setzten. *) Artikel 63 der Verfassung des Norddeutschen Bundes. Artikel 8. Die Benutzung GroBherzoglichen Gebiets in der Umgegend von Mainz zu militarischen Uebungen | steht der Koniglich PreuBischen Gamison in derselben Weise und event, gegen dieselben Entschadigungen | zu, wie den Truppen der GroBherzoglichen Division. Machen kriegerische Verhaltnisse eine die Belegungsfahigkeit der Mainzer Kasemen und Baracken | iibersteigende Verstarkung der dortigen Gamison oder eine Zusammenziehung von Norddeutschen Bun= | destruppen bei Mainz notwendig, so werden die Truppen nach vorgangigem Einvemehmen mit der | GroBherzoglichen Regierung in den Mainz nachst gelegenen GroBherzoglichen Ortschaften vortibergehend | ebenso untergebracht, wie dies mit GroBherzoglichen Truppen geschehen wtirde. Von Anordnungen, wie solche im gegenwartigen Artikel in Aussicht genommen sind, machen | die betreffenden Koniglich PreuBischen Commandobehorden dem GroBherzoglichen Territorial=Commissar | in Mainz Mittheilung und berathen mit demselben die Mittel und Wege, wie die militarischen Zwecke | mit moglichster Beriicksichtigung der Interessen des Landes und der Einwohner zu erreichen sind. Bis zur vollstandigen Einfiihrung der im Artikel 5 specificirten Bestimmungen tiber Uebungen, | Einquartierung, Flurentschadigung etc. behalt es in dieser Hinsicht bei dem

[126] Militarkonvention PreuBen 7, Hessen vom 7. April 1867

1163

bisher in Bezug auf die | Felddienstiibungen etc. der Mainzer Gamison tiblichen Verfahren sein Bewenden. Artikel 9. ^Seine Majestat der Konig von PreuBen wird die GroBherzogliche Division alljahrig mindestens | einmal entweder Allerhochst Selbst inspiciren, oder durch zu emennende Inspecteure, deren Personen | vorher Seiner Koniglichen Hoheit dem GroBherzog bezeichnet werden sollen, in den Gamisonen oder | bei den Uebungen, zu welchen die GroBherzoglichen Truppen auf diesfallige Anordnung auch auBerhalb | des GroBherzogthums herangezogen werden konnen, inspiciren lassen. "^Die in Folge solcher Inspicirun= | gen bemerkten sachlichen oder personlichen MiBstande wird Seine Majestat der Konig Seiner Koniglichen I Hoheit dem GroBherzog mittheilen, welcher Seinerseits dieselben abzustellen Sich verpflichtet, und von | dem Geschehenen dann Seiner Majestat dem Konige Anzeige machen laBt. Artikel 10. Zur Beforderung der GleichmaBigkeit in der Ausbildung der Officier=Corps, participiren die GroB= | herzoglich Hessischen Officiere und Officier=Aspiranten an den betreffenden Einrichtungen des PreuBischen | Heeres, als da sind, die hoheren Militar^Ausbildungs=Anstalten, incl. der Kriegsschulen, die Examinations^ | Commissionen, die militarwissenschaftlichen und technischen Institute, femer das Lehr=Bataillon, die | Militar=Reitschule, Militar=SchieBschule, die Central=Tum=Anstalt, der groBe Generalstab etc. Um dieselbe GleichmaBigkeit auch hinsichtlich der Ausbildung und des inneren Dienstes der Truppen | zu fordem, konnen nach gegenseitiger Verabredung einige GroBherzoglich Hessische Officiere auf ein bis | zwei Jahre in die Koniglich PreuBische, und Koniglich PreuBische Officiere fur einen gleichen Zeitraum | in die GroBherzoglich Hessische Armee zur Dienstleistung commandirt werden. [S. 413] Artikel 11. Die Emennung des Hochstcommandirenden der GroBherzoglichen Division wollen Seine Konigliche | Hoheit der GroBherzog in der Weise vollziehen, daB Allerhochstderselbe die Emennung von dem Einver= | standniB seiner Majestat des Konigs von PreuBen abhangig macht. In GemaBheit des Artikel 60 des Bundes=Verfassungs=Entwurfes*) bleibt seiner Majestat dem I Konige von PreuBen das Recht vorbehalten, aus der Zahl der GroBherzoglich Hessischen Officiere den= | jenigen hoheren Officier zu emennen, welcher als Hochstcommandirender der zum Norddeutschen Bunde | gehorigen Quote der GroBherzoglich Hessischen Division zu betrachten ist. ^Um der Beurtheilung dieser Emennungen eine Grundlage zu gewahren, werden tiber Officiere der | GroBherzoglichen Division vom Stabsofficier an aufwarts jahrlich Personal^ und Qualificationsberichte, | nach PreuBischem Schema von dem Divisions=Commandeur aufgestellt, an Seine Majestat den Konig | von PreuBen eingesendet. ^Hinsichtlich etwa wiinschenswerther Versetzung einzelner Officiere aus GroBherzog^ | lich Hessischen Diensten in die Koniglich PreuBische Armee oder umgekehrt haben in jedem Spezialfalle | besondere Verabredungen stattzufinden. *) Artikel 64 der Verfassung des Norddeutschen Bundes. Artikel 12. ^Die Unterstellung der GroBherzoglichen Division unter den Oberbefehl Seiner Majestat des Konigs | von PreuBen und die Austibung der dem Letzteren zustehenden Rechte beginnt mit dem 1. October d. J. | ^Zu diesem Termine wird auch die Verpflichtung der GroBher-

1164

§ 6: Norddeutscher Bund

[Dok. 111 - 128a]

zoglichen Truppen zum Gehorsam gegen Seine | Majestat den Konig von PreuBen, unter dessen Befehl die GroBherzogliche Division gestellt ist, in ge= | eigneter Weise die Einschaltung einer entsprechenden Formel in den Fahneneid stattfinden. Artikel 13. ^Durch militarische oder politische Verhaltnisse gebotene Verstarkungen der GroBherzoglichen Truppen | durch Einziehung der Beurlaubten, sowie die Kriegsformation derselben und endlich deren Mobilmachung | hangen von den Anordnungen Seiner Majestat des Konigs von PreuBen ab, und wird den dieBfalligen | Bestimmungen jederzeit im ganzen Umfange Folge gegeben werden. ^Die Kosten derselben, soweit sie 1 nicht nach Artikel 14, als der Provinz Oberhessen zufallend, vom Norddeutschen Bunde gemeinschafllich | getragen werden, fallen der GroBherzoglichen Regierung zur Last. Artikel 14. Der Aufwand fur die Unterhaltung der GroBherzoglichen Truppen wird in selbststandiger Ver= | waltung von der GroBherzoglichen Regierung bestritten, jedoch ist dieselbe verpflichtet, als Beitrag zu den | General=Kosten (Central=Administration, Festungen, Unterhaltung der Artikel 10 genannten Institute etc.) | denjenigen Geldbetrag pro Kopf der Friedensprasenzstarke in die Kasse des Norddeutschen Bundes zu | zahlen, welcher in der Gesammtsumme von je 225 Thaler pro Kopf fur derartige Ausgabe=Positionen | enthalten ist. ^Der betreffenden speciellen Berechnung dieser Quote wird das PreuBische Militarbudget zum Grunde | gelegt. V o n den an dem Ausgabeetat der GroBherzoglich Hessischen Division gemachten jahrlichen Er= | spamissen wird derjenige Theil an die Bundeskasse abgefiihrt, welcher einem Procent der Bevolkerung | [S. 414] der Provinz Oberhessen pro 1867 entspricht. ^In demselben Verhaltnis participirt auch die GroB= | herzogliche Regierung an den Matriculap=Umlagen, welche zu extraordinairen Militar=Bedurfhissen, Mo= | bilisirungen, Neubauten etc. auf die einzelnen verbiindeten Staaten sollen ausgeschrieben werden. Die flir die GroBherzoglich Hessischen Truppen etwa notwendig werdenden Waffen, Munition, Aus= | riistungsstucke etc. ist die Koniglich PreuBische Regierung gegen besondere Abrechnung auf Wunsch zu | liefem erbotig. Die nach Vorstehendem einzugehenden Verpflichtungen beiderseits beginnen mit dem 1. October d. J. Artikel 15. Vorstehende GroBherzoglich Hessischer Seits unter ausdriicklichem Vorbehalt der einzuholenden Zustim= | mung der dortigen Landesvertretung abgeschlossene Uebereinkunft soil ratificirt und die Ratification in | vierzehn Tagen zu Berlin ausgewechselt werden. Zu Urkund dessen haben die Bevollmachtigten die gegenwartige Convention in zwei Exemplaren | unterzeichnet und besiegelt. Berlin, den 7. April 1867. (gez.) Hofmann. v. Grolman. Hartmann. Konig. von Hartmann. (L. S.) (L. S.) (L. S.) (L. S.) (L. S.) Anlage. Friedensformation der GroBherzoglichen Division. 1 Divisions=Commando, | 2 Infanterie=Brigade=Commandos's, | 1 Cavallerie=Brigade= Commando, | 4 Infanterie=Regimenter a 2 Bataillone, | 2 Jagerbataillone, | 2 Cavallerie= Regimenter a 5 Escadrons, | 1 ArtilleriesAbtheilung mit | 1 reitenden 4pfundigen Batterie a

[126] Militarkonvention PreuBen ./. Hessen vom 7. April 1867

1165

4 bespannten Geschutzen, | 2 - 6pfundigen FuB=Batterien a 4 bespannten Geschiitzen, | 3 4pfundigen Fufi=Batterien a 4 bespannten Geschutzen, | 1 Pioniep==Compagnie, | 1 Train= Abtheilung. Kriegsformation. 1) Feldtmppen: Stabe wie vorstehend, | Jager wie vorstehend, | Cavallerie, die 2 Regimenter a 4 Escadrons, | Artillerie, die Batterie a 6 Geschutzen, dazu 3 Munitionskolonnen, | [S. 415] 1 leichter Feldbrticken^Train, | 1 Proviant=Amt, | 1 Feldbackerei, | 1 Proviant=Colonne, | 2 Feld=Lazarethe, | 1 Feld^Post, | 1 Pferde=Depot. 2) Ersatztruppen: 1 Infanterie=Depot=Regiment a 4 Bataillone, | 2 Jagep=Depot=Compagnien, | 2 Ersatz=Escadrons, | 2 Ersatz=Batterien, | 1 Pionier= | 1 Train= | Depot== Abtheilung. Sammtliche Truppen in Kriegs= und Friedensformation nach Koniglich PreuBischen | Etatsstarken. Berlin, 7. April 1867. Bei der fur heute verabredeten Unterzeichnung der Militarconvention haben sich die Bevoll= I machtigten noch liber nachstehende Punkte geeinigt: 1) Von dem laut alinea 2 des Artikels 11 der Convention Seiner Majestat dem Konige von I PreuBen zustehenden Rechte wollen Allerhochstdieselben nur dann Gebrauch machen, wenn dazu | eine besondere Veranlassung im Interesse des Bundesdienstes vorliegen sollte. 2) Die nach Artikel 12 der Convention in den Fahneneid einzuschaltende Verpflichtungsformel | lautet fiir die GroBherzogliche Division: Ich etc. bis: willig hingeben. Seiner Majestat dem Konige von PreuBen als Ober= | befehlshaber, alien Generalen etc. bis SchluB. 3) Der Hochstcommandirende der GroBherzoglichen Division hat nach erfolgter Ernennung folgendes | protocollarische Versprechen abzugeben und eigenhandig unterzeichnet Seiner Majestat dem Konige | von PreuBen einzusenden: Ich etc verspreche hierdurch auf Ehre und Pflicht, daB nachdem Seine Konigliche Hoheit | der GroBherzog von Hessen und bei Rhein mich zum Commandirenden Allerhochst Seiner | Division emannt haben, ich das mir anvertraute Commando nur in Uebereinstimmung | mit den Befehlen Seiner Majestat des Konigs von PreuBen als Oberbefehlshaber hand= | haben will. 4) In Betreff der Ausfuhrung des Artikels 4 bleibt nahere Vereinbarung vorbehalten. 5) Die GroBherzogliche Division tritt bis auf anderweitige Verstandigung in den Verband des | Koniglich PreuBischen 11. Armeecorps. Die Bevollmachtigten ertheilen sich gegenseitig die Zusicherung, daB die im gegenwartigen Protocoll | enthaltenen Verabredungen mit der Ratification des Vertrages als genehmigt angesehen werden sollen. Der Vertrag ward hierauf unterzeichnet und besiegelt. (gez.) Hofmann. v. Grolman. Hartmann. Konig. von Hartmann.

1166

§ 6: Norddeutscher Bund

[Dok. 111 - 128a]

[127] Schutz- und Trutzbiindnis PreuBen ./. Hessen vom 11. April 1867 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einfuhmngen" die Darstellungen unter [333.] [399.] [402.] [407.]. Quelle: Geheimes Staatsarchiv PreuBischer Kulturbesitz, IIL Hauptabteilung, Ministerium der Auswartigen Angelegenheiten, I Nr. 3193, Bl. 2v.-3v. (handschriftliche Ausfertigung).^ Sonstige Fundstelle: E. R. Huber (Hrsg.), Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte, Bd. 2: Deutsche Verfassungsdokumente 1851 - 1900, 3. Aufl., 1986, Nr. 191 (auszugsweise). [Bl 2v.] Seine Majestat der Konig von PreuBen | und Seine Konigliche Hoheit der GroBherzog von I Hessen und bei Rhein p. beseelt von dem Wunsche, | das ktinftige VerhaltniB der Souveraine und | Ihrer Staaten moglichst innig zu gestalten, | haben zu Bekraftigung des zwischen Ihnen ab= | geschlossenen Friedensvertrags vom 3. Sep= | tember 1866'' beschlossen, weitere Verhandlung | zu pflegen und haben mit dieser beauftragt | und zwar: Seine Majestat der Konig von PreuBen: Seinen Wirklichen Geheimen Rath, Kammer= | herm Karl Friedrich von Savigny, Seine Konigliche Hoheit der GroBherzog von Hessen: Seinen auBerordentlichen Gesandten und be= | vollmachtigten Minister, Geheimen Legations= | rath Karl Hofmann. Dieselben haben ihre Vollmachten ausgetauscht | und sich, nachdem diese in guter Ordnung befun= | den worden waren, liber nachfolgende Ver= | [Bl 2r.J trags= | Bestimmungen geeinigt. Artikel 1. Unbeschadet des Bundesverhaltnisses, welches | zwischen Seiner Majestat dem Konige von Preu= | Ben und Seiner Koniglichen Hoheit dem GroB= | herzoge von Hessen in Beziehung auf die dem | norddeutschen Bunde angehorigen Theile des | GroBherzogthums Hessen bereits besteht, wird | zwischen Seiner Majestat dem Konige von | PreuBen und Seiner Koniglichen Hoheit dem | GroBherzoge von Hessen hiermit ein Schutz= | und Trutzbiindnis geschlossen. Es garantiren Sich die hohen Contrahenten | gegenseitig die Integritat des Gebietes | Ihrer beziiglichen Lander und verpflichten | Sich, im Falle eines Krieges Ihre voile | Kriegsmacht zu diesem Zwecke einander | zur Verfligung zu stellen. Artikel 2. In Beziehung auf den Oberbefehl Seiner Ma= | [Bl 3v.] jestat des Konigs von PreuBen liber die | GroBherzoglich Hessischen Truppen bewendet | es bei den Bestimmungen des Entwurfs der | Verfassung des Norddeutschen Bundes und der | am 7. d. M. abgeschlossenen Militairconvention^.

Die von GroBherzog Ludwig IIL am 17. April 1867 ratifizierte Vertragsurkunde befindet sich a.. O., INr. 3191/1,B1. l-2v. Dok. 121. Dok. 126.

[128] Verfassung des Norddeutschen Bundes vom 16. April 1867

1167

Artikel 3. Die Ratification des vorstehenden Vertrags | erfolgt gleichzeitig mit der Ratifikation | der in Artikel 2 erwahnten Militair=Con= | vention, also spatestens bis zum 21. April d. J. Zu Urkund dessen haben die beiderseitigen Bevoll= | machtigten diesen Vertrag in doppelten Exem= | plaren unterzeichnet und ihre Siegel beigedruckt. So geschehen zu Berlin, den 11. April 1867. (L. S.) V. Savigny (L. S.) Hofmann Vertrag | betreffend den AbschluB eines | Schutz= und Trutzbtindnisses | zwischen PreuBen und Hessen.

[128] Verfassung des Norddeutschen Bundes vom 16. April 1867 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einfiihrungen" die Darstellungen unter [338.] [354.], [355.] bis [382.], [383.] [388.] [398.] [407.] [413.] [425.] [438.] [443.] [449.] [518.] [539.]. Quelle: Bundesgesetzblatt des Norddeutschen Bundes, (Nr. 1 vom 2, August) 1867, S. 1 23 (gedruckt). Sonstige Fundstellen: K. Binding, Deutsche Staatsgrundgesetze in diplomatisch genauem Abdruck, 4. Aufl., 1. Heft (Norddeutscher Bund, Deutsches Reich), 1907, S. 2 ff.; 5. Aufl., 1. Heft (Norddeutscher Bund, Deutsches Reich), 1909, S. 2 ff; 6. Aufl., 1. Heft (Norddeutscher Bund, Deutsches Reich), 1911, S. 2 ff; Hiersemenzel, Die Verfassung des Norddeutschen Bundes erlautert mit Hilfe und unter voUstandiger Mitteilung ihrer Entstehungsgeschichte, 1867, S. 1 ff; Hoinghaus, Gesetz-Sammlung fiir das Deutsche Reich 1867 - 1870 incL, chronologische Zusammenstellung der in dem Bundesgesetzblatt enthaltenen Gesetze, Verordnungen, Kabinett-Ordres, Erlasse etc. Nebst Verfassung fiir das Deutsche Reich, 1871, S. XIV; Fr. v. HolzendorflE. Bezold (Hrsg.), Materialien der Deutschen Reichsverfassung, Bd. I, 1873, S. 2 - 2 2 ; E. R. Huber (Hrsg.), Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte, Bd. 2: Deutsche Verfassungsdokumente 1851-1900, 3. Aufl., 1986, Nr. 198; F. Martens, Nouveau Recueil General de traites (N.R.G.), Bd. XVIII, 1873, S. 499 ff; A. Ranch (Hrsg.), Parlamentarisches Taschenbuch, 10. - 11. Lief., 1868, S. 2 ff; H. Triepel, Quellensammlung zum Deutschen Reichsstaatsrecht, 4. Aufl., 1926, S. 333 ff

[S.l] (Nr. 1.) Publikandum. Vom 26. Juli 1867. Wir Wilhelm, von Gottes Gnaden Konig von PreuBen etc., thun kund und fugen hiermit im Namen des Norddeutschen Bundes zu wissen: Nachdem die Verfassung des Norddeutschen Bundes von Uns, Seiner | Majestat dem Konige von Sachsen, Seiner Koniglichen Hoheit dem GroBherzoge | von Hessen und bei Rhein, Seiner Koniglichen Hoheit dem GroBherzoge von | Mecklenburg=Schwerin, Seiner Koniglichen Hoheit dem GroBherzoge von | Sachsen=Weimar=Eisenach, Seiner Koniglichen Hoheit dem GroBherzoge von | Mecklenburg=Strelitz, Seiner Koniglichen Hoheit dem GroBherzoge von 01den= | burg, Seiner Hoheit dem Herzoge von Braunschweig und Liineburg. Seiner | Hoheit dem Herzoge von Sachsen=Meiningen und Hildburghausen, Seiner Hoheit I dem Herzoge zu Sachsen=Altenburg, Seiner Hoheit dem Herzoge zu Sachsen= | Koburg und Gotha, Seiner Hoheit dem Herzoge von Anhalt, Seiner Durch= | laucht dem Ftirsten zu Schwarzburg=Rudolstadt, Seiner Durchlaucht dem Fiir= | sten zu Schwarzburg=Sondershausen, Seiner Durchlaucht dem Ftirsten zu Waldeck | und Pyrmont, Ihrer Durchlaucht der Fiirstin und Seiner Durchlaucht dem | Ftirsten ReuB alterer Linie, Seiner Durchlaucht dem Ftirsten ReuB jungerer | Linie, Seiner Durchlaucht dem Ftirsten von Schaumburg=Lippe, Seiner Durch= | laucht dem Ftirsten zur Lippe, dem Senate der freien

1168

§ 6: Norddeutscher Bund

[Dok. 111 - 128a]

und Hansestadt Ltibeck, | dem Senate der freien Hansestadt Bremen, dem Senate der freien und Hanse= | stadt Hamburg, mit dem zu diesem Zwecke berufenen Reichstage vereinbart | worden, ist dieselbe in dem ganzen Umfange des Norddeutschen Bundesgebietes, | wie folgt: [S. 2J Verfassung | des | Norddeutschen Bundes. Seine Majestat der Konig von PreuBen, Seine Majestat der Konig von | Sachsen, Seine Konigliche Hoheit der GroBherzog von Mecklenburg=Schwerin, Seine | Konigliche Hoheit der GroBherzog von Sachsen=Weimar=Eisenach, Seine Konig= | liche Hoheit der GroBherzog von Mecklenburg=Strelitz, Seine Konigliche Hoheit | der GroBherzog von Oldenburg, Seine Hoheit der Herzog von Braunschweig und | Liineburg, Seine Hoheit der Herzog von Sachsen=Meiningen und Hildburghausen, | Seine Hoheit der Herzog zu Sachsen=Altenburg, Seine Hoheit der Herzog zu | Sachsen==Koburg und Gotha, Seine Hoheit der Herzog von Anhalt, Seine Durch= | laucht der Ftirst zu Schwarzburg=Rudolstadt, Seine Durchlaucht der Ftirst zu | Schwarzburg=Sondershausen, Seine Durchlaucht der Ftirst zu Waldeck und Pyr= | mont, Ihre Durchlaucht die Ftirstin ReuB alterer Linie, Seine Durchlaucht der | Ftirst ReuB jtingerer Linie, Seine Durchlaucht der Ftirst von Schaumburg=Lippe, | Seine Durchlaucht der Ftirst zur Lippe, der Senat der freien und Hansestadt | Ltibeck, der Senat der freien Hansestadt Bremen, der Senat der freien und Hanse= | stadt Hamburg, jeder fur den gesammten Umfang ihres Staatsgebietes, und Seine | Konigliche Hoheit der GroBherzog von Hessen und bei Rhein, fiir die nordlich | vom Main belegenen Theile des GroBherzogthums Hessen, schlieBen einen ewigen | Bund zum Schutze des Bundesgebietes und des innerhalb desselben gtiltigen | Rechtes, sowie zur Fflege der Wohlfahrt des Deutschen Volkes. Dieser Bund | wird den Namen des Norddeutschen flihren und wird nachstehende | Verfassung | haben. I. Bundesgebiet. Artikel 1. Das Bundesgebiet besteht aus den Staaten PreuBen mit Lauenburg, | Sachsen, Mecklenburg=Schwerin, Sachsen=Weimar, Mecklenburg=Strelitz, 01den= | burg, Braunschweig, Sachsen=Meiningen, Sachsen=Altenburg, Sachsen=Coburg= | Gotha, Anhalt, Schwarzburg=Rudolstadt, Schwarzburg=Sondershausen, Waldeck, | ReuB alterer Linie, ReuB jtingerer Linie, Schaumburg=Lippe, Lippe, Ltibeck, | Bremen, Hamburg, und aus den nordlich vom Main belegenen Theilen des | GroBherzogthums Hessen. 11. Bundesgesetzgebung. Artikel 2. ^Innerhalb dieses Bundesgebietes tibt der Bund das Recht der Gesetzgebung | nach [S. 3] MaaBgabe des Inhalts dieser Verfassung und mit der Wirkung aus, daB | die Bundesgesetze den Landesgesetzen vorgehen. "^Die Bundesgesetze erhalten ihre | verbindliche Kraft durch ihre Verktindigung von Bundes wegen, welche vermittelst | eines Bundesgesetzblattes geschieht. ^Sofem nicht in dem publizirten Gesetze ein | anderer Anfangstermin seiner verbindlichen Kraft bestimmt ist, beginnt die letztere | mit dem vierzehnten Tage nach dem Ablauf desjenigen Tages, an welchem das | betreffende Sttick des Bundesgesetzblattes in Berlin ausgegeben worden ist. Artikel 3. Ftir den ganzen Umfang des Bundesgebietes besteht ein gemeinsames | Indigenat mit der Wirkung, daB der Angehorige (Unterthan, Staatsbtirger) | eines jeden Bundesstaates in je-

[128] Verfassung des Norddeutschen Bundes vom 16. April 1867

1169

dem anderen Bundesstaate als Inlander zu be= | handeln und demgemaB zum festen Wohnsitz, zum Gewerbebetriebe, zu offentlichen | Aemtem, zur Erwerbung von Grundstticken, zur Erlangung des Staatsburger= | rechts und zum Genusse aller sonstigen biirgerlichen Rechte unter denselben Vor= | aussetzungen wie der Einheimische zuzulassen, auch in Betreff der Rechtsverfolgung | und des Rechtsschutzes demselben gleich zu behandeln ist. In der Austibung dieser BefugniB darf der Bundesangehorige weder durch | die Obrigkeit seiner Heimath, noch durch die Obrigkeit eines anderen Bundesstaates | beschrankt werden. Diejenigen Bestimmungen, welche die Armenversorgung und die Aufnahme | in den lokalen Gemeindeverband betreffen, werden durch den im ersten Absatz aus= | gesprochenen Grundsatz nicht beriihrt. Ebenso bleiben bis auf Weiteres die Vertrage in Kraft, welche zwischen | den einzelnen Bundesstaaten in Beziehung auf die Uebemahme von Auszuweisen= | den, die Verpflegung erkrankter und die Beerdigung verstorbener Staatsangehorigen | bestehen. Hinsichtlich der Erfiillung der Militairpflicht im VerhaltniB zu dem Hei= | mathslande wird im Wege der Bundesgesetzgebung das Nothige geordnet werden. Dem Auslande gegentiber haben alle Bundesangehorigen gleichmaBig An= | spruch auf den Bundesschutz. Artikel 4. Der Beaufsichtigung Seitens des Bundes und der Gesetzgebung desselben | unterliegen die nachstehenden Angelegenheiten: 1) die Bestimmungen tiber Freizugigkeit, Heimaths= und Niederlassungsver= | haltnisse, Staatsbtirgerrecht, PaBwesen und Fremdenpolizei und tiber den | Gewerbebetrieb, einschlieBlich des Versicherungswesens, soweit diese Gegen= | stande nicht schon durch den Artikel 3. dieser Verfassung erledigt sind, | desgleichen tiber die Kolonisation und die Auswanderung nach auBer= | deutschen Landem; 2) die Zoll= und Handelsgesetzgebung und die flir Bundeszwecke zu ver= | wendenden Steuem; [S.4] 3) die Ordnung des MaaB=, Mtinz= und Gewichtssystems, nebst Feststellung | der Grundsatze tiber die Emission von fundirtem und unfundirtem | Papiergelde; 4) die allgemeinen Bestimmungen tiber das Bankwesen; 5) die Erfindungspatente; 6) der Schutz des geistigen Eigenthums; 7) Organisation eines gemeinsamen Schutzes des Deutschen Handels im | Auslande, der Deutschen Schiffahrt und ihrer Flagge zur See und An= | ordnung gemeinsamer konsularischer Vertretung, welche vom Bunde aus= | gestattet wird; 8) das Eisenbahnwesen und die Herstellung von Land= und WasserstraBen | im Interesse der Landesvertheidigung und des allgemeinen Verkehrs; 9) der FloBerei= und Schiffahrtsbetrieb auf den mehreren Staaten gemein= | samen WasserstraBen und der Zustand der letzteren, sowie die FluB= und | sonstigen Wasserzolle; 10) das Post= und Telegraphenwesen; 11) Bestimmungen tiber die wechselseitige Vollstreckung von Erkenntnissen in | Civilsachen und Erledigung von Requisitionen tiberhaupt, 12) sowie tiber die Beglaubigung von offentlichen Urkunden; 13) die gemeinsame Gesetzgebung tiber das Obligationenrecht, Strafrecht, | Handels= und Wechselrecht und das gerichtliche Verfahren; 14) das Militairwesen des Bundes und die Kriegsmarine; 15) MaaBregeln der Medizinal= und Veterinairpolizei.

1170

§ 6: Norddeutscher Bund

[Dok. 111 - 128a]

Artikel 5. ^Die Bundesgesetzgebung wird ausgetibt durch den Bundesrath und den | Reichstag. ^Die Uebereinstimmung der Mehrheitsbeschltisse beider Versammlungen | ist zu einem Bundesgesetze erforderlich und ausreichend. Bei Gesetzesvorschlagen tiber das Militairwesen und die Kriegsmarine giebt, | wenn im Bundesrathe eine Meinungsverschiedenheit stattfindet, die Stimme des | Prasidiums den Ausschlag, wenn sie sich fur die Aufrechterhaltung der bestehen= | den Einrichtungen ausspricht. [S.5] III. Bundesrath. Artikel 6. Der Bundesrath besteht aus den Vertretem der Mitglieder des Bundes, | unter welchen die Stimmfiihrung sich nach MaaBgabe der Vorschriften fiir das | Plenum des ehemaligen Deutschen Bundes vertheilt, so daB PreuBen mit den | ehemaligen Stimmen von Hannover, Kurhessen, Holstein, Nassau und Frankfurt 17 Stimmen fuhrt, Sachsen 4 Hessen 1 Mecklenburg=Schwerin 2 Sachsen=Weimar Mecklenburg=Strelitz Oldenburg Braunschweig 2 Sachsen=Meiningen Sachsen=Altenburg , ,. Sachsen=Coburg=Gotha Anhalt Schwarzburg=Rudolstadt Schwarzburg=Sondershausen Waldeck ReuB alt. Linie ReuBjting. Linie Schaumburg=Lippe Lippe Ltibeck Bremen Hamburg Summa

43.

Artikel 7. ^Jedes Mitglied des Bundes kann so viel BevoUmachtigte zum Bundes= | rathe emennen, wie es Stimmen hat; doch kann die Gesammtheit der zustandigen | [S. 6] Stimmen nur einheitlich abgegeben werden. ^Nicht vertretene oder nicht instruirte | Stimmen werden nicht gezahlt. ^Jedes Bundesglied ist befugt, Vorschlage zu machen und in Vortrag | zu bringen, und das Presidium ist verpflichtet, dieselben der Berathung zu tiber= | geben. '^Die BeschluBfassung erfolgt mit einfacher Mehrheit. ^Bei Stimmengleich= | heit giebt die Prasidialstimme den Ausschlag.

[ 128] Verfassung des Norddeutschen Bundes vom 16. April 1867

1171

. Artikel 8. Der Bundesrath bildet aus seiner Mitte dauemde Ausschiisse 1) fur das Landheer und die Festungen; 2) fiir das Seewesen; 3) fiir Zoll= und Steuerwesen; 4) fiir Handel und Verkehr; 5) fiir Eisenbahnen, Post und Telegraphen; 6) fur Justizwesen; 7) fiir Rechnungswesen. ^In jedem dieser Ausschiisse werden auBer dem Prasidium mindestens zwei | Bundesstaaten vertreten sein, und fiihrt innerhalb derselben jeder Staat nur | Eine Stimme. ^Die Mitglieder der Ausschiisse zu 1. und 2. werden von dem | Bundesfeldherm emannt, die der tibrigen von dem Bundesrathe gewahlt. ^Die | Zusammensetzung dieser Ausschiisse ist fiir jede Session des Bundesrathes resp. | mit jedem Jahre zu emeuem, wobei die ausscheidenden Mitglieder wieder wahl= | bar sind. "^Den Ausschlissen werden die zu ihren Arbeiten nothigen Beamten zur | Verfiigung gestellt. Artikel 9. ^Jedes Mitglied des Bundesrathes hat das Recht, im Reichstage zu ev= \ scheinen und muB daselbst auf Verlangen jederzeit gehort werden, um die An= | sichten seiner Regierung zu vertreten, auch dann, wenn dieselben von der Majo= | ritat des Bundesrathes nicht adoptirt worden sind. ^Niemand kann gleichzeitig | Mitglied des Bundesrathes und des Reichstages sein. Artikel 10. Dem Bundesprasidium liegt es ob, den Mitgliedem des Bundesrathes den | liblichen diplomatischen Schutz zu gewahren. [S.7] IV. Bundesprasidium. Artikel 11. Das Prasidium des Bundes steht der Krone PreuBen zu, welche in Aus= | libung desselben den Bund volkerrechtlich zu vertreten, im Namen des Bundes | Krieg zu erklaren und Frieden zu schlieBen, Blindnisse und andere Vertrage mit | fremden Staaten einzugehen, Gesandte zu beglaubigen und zu empfangen berechtigt ist. Insoweit die Vertrage mit fremden Staaten sich auf solche Gegenstande | beziehen, welche nach Artikel 4. in den Bereich der Bundesgesetzgebung gehoren, ist | zu ihrem AbschluB die Zustimmung des Bundesrathes und zu ihrer Gliltigkeit | die Genehmigung des Reichstages erforderlich. Artikel 12. Dem Prasidium steht es zu, den Bundesrath und den Reichstag zu be= | rufen, zu eroffnen, zu vertagen und zu schlieBen. Artikel 13. Die Berufiing des Bundesrathes und des Reichstages findet alljahrlich \ statt, und kann der Bundesrath zur Vorbereitung der Arbeiten ohne den Reichs= | tag, letzterer aber nicht ohne den Bundesrath berufen werden.

1172

§ 6: Norddeutscher Bund

[Dok. 111 - 128a]

Artikel 14. Die Berufung des Bundesrathes muB erfolgen, sobald sie von einem Drittel | der Stimmenzahl verlangt wird. Artikel 15. Der Vorsitz im Bundesrathe und die Leitung der Geschafte steht dem | Bundeskanzler zu, welcher vom Prasidium zu emennen ist. Derselbe kann sich durch jedes andere Mitglied des Bundesrathes vermoge | schriftlicher Substitution vertreten lassen. Artikel 16. Das Prasidium hat die erforderlichen Vorlagen nach MaaBgabe der Be= | schliisse des Bundesrathes an den Reichstag zu bringen, wo sie durch Mitglieder | des Bundesrathes oder durch besondere von letzterem zu emennende Kommissarien | vertreten werden. Artikel 17. ^Dem Prasidium steht die Ausfertigung und Verkiindigung der Bundes= | gesetze und die Ueberwachung der Ausfuhrung derselben zu. ^Die Anordnungen | [S. 8] und Verfiigungen des Bundesprasidiums werden im Namen des Bundes erlassen | und bedtirfen zu ihrer Gtiltigkeit der Gegenzeichnung des Bundeskanzlers, welcher | dadurch die Verantwortlichkeit tibemimmt. Artikel 18. Das Prasidium emennt die Bundesbeamten, hat dieselben fiir den Bund | zu vereidigen und erforderlichen Falles ihre Entlassung zu verfugen. Artikel 19. Wenn Bundesglieder ihre verfassungsmaBigen Bundespflichten nicht er= | fullen, so konnen sie dazu im Wege der Exekution angehalten werden. Diese | Exekution ist a) in Betreff militairischer Leistungen, wenn Gefahr im Verzuge, von dem | Bundesfeldherm anzuordnen und zu vollziehen, b) in alien anderen Fallen aber von dem Bundesrathe zu beschlieBen und | von dem Bundesfeldherm zu vollstrecken. ^Die Exekution kann bis zur Sequestration des betreffenden Landes und | seiner Regierungsgewalt ausgedehnt werden. ^In den unter a. bezeichneten Fallen | ist dem Bundesrathe von Anordnung der Exekution, unter Darlegung der Beweg= | grunde, ungesaumt KenntniB zu geben. V. Reichstag. Artikel 20. Der Reichstag geht aus allgemeinen und direkten Wahlen mit geheimer | Abstimmung hervor, welche bis zum ErlaB eines Reichswahlgesetzes nach MaaB= | gabe des Gesetzes zu erfolgen haben, auf Grand dessen der erste Reichstag des | Norddeutschen Bundes gewahlt worden ist. Artikel 21. Beamte bedtirfen keines Urlaubs zum Eintritt in den Reichstag. Wenn ein Mitglied des Reichstages in dem Bunde oder einem Bundes= | staat ein besoldetes Staatsamt annimmt oder im Bundes= oder Staatsdienste in | ein Amt eintritt, mit welchem ein hoherer Rang oder ein hoheres Gehalt vep= | bunden ist, so verliert es Sitz und

[128] Verfassung des Norddeutschen Bundes vom 16. April 1867

1173

Stimme in dem Reichtag und kann seine | Stelle in demselben nur durch neue Wahl wieder erlangen. Artikel 22. Die Verhandlungen des Reichstages sind offentlich. [S.9] Wahrheitsgetreue Berichte tiber Verhandlungen in den offentlichen Sitzungen | des Reichstages bleiben von jeder Verantwortlichkeit frei. Artikel 23. Der Reichstag hat das Recht, innerhalb der Kompetenz des Bundes Ge= | setze vorzuschlagen und an ihn gerichtete Petitionen dem Bundesrathe resp. | Bundeskanzler zu tiberweisen. Artikel 24. ^Die Legislaturperiode des Reichstages dauert drei Jahre. "^Zur Auf= | losung des Reichstages wahrend derselben ist ein BeschluB des Bundesrathes | unter Zustimmung des Prasidiums erforderlich. Artikel 25. Im Falle der Auflosung des Reichstages mtissen innerhalb eines Zeit= | raumes von 60 Tagen nach derselben die Wahler und innerhalb eines Zeitraumes | von 90 Tagen nach der Auflosung der Reichstag versammelt werden. Artikel 26. Ohne Zustimmung des Reichstages darf die Vertagung desselben die Frist | von 30 Tagen nicht tibersteigen und wahrend derselben Session nicht wieder= | holt werden. Artikel 27. ^Der Reichstag priift die Legitimation seiner Mitglieder und entscheidet | dariiber. "^Er regelt seinen Geschaftsgang und seine Disziplin durch eine Ge= | schaftsordnung und erwahlt seinen Prasidenten, seine Vizeprasidenten und Schrift= | fuhrer. Artikel 28. ^Der Reichstag beschlieBt nach absoluter Stimmenmehrheit. "^Zur Giiltigkeit | der BeschluBfassung ist die Anwesenheit der Mehrheit der gesetzlichen Anzahl der | Mitglieder erforderlich. Artikel 29. Die Mitglieder des Reichstages sind Vertreter des gesammten Volkes und | an Auftrage und Instruktionen nicht gebunden. Artikel 30. Kein Mitglied des Reichstages darf zu irgend einer Zeit wegen seiner Ab= | stimmung Oder wegen der in Austibung seines Berufes gethanen AeuBerungen | gerichtlich oder disziplinarisch verfolgt oder sonst auBerhalb der Versammlung | zur Verantwortung gezogen werden. [S. 10] Artikel 31. Ohne Genehmigung des Reichstages kann kein Mitglied desselben wahrend | der Sitzungsperiode wegen einer mit Strafe bedrohten Handlung zur Unter= | suchung gezogen

1174

§ 6: Norddeutscher Bund

[Dok. 111 - 128a]

Oder verhaftet werden, auBer wenn es bei Austibung der That | oder im Laufe des nachstfolgenden Tages ergriffen wird. Gleiche Genehmigung ist bei einer Verhaftung wegen Schulden erfor= | derlich. Auf Verlangen des Reichstages wird jedes StrafVerfahren gegen ein | Mitglied desselben und jede Untersuchungs= oder Civilhaft fur die Dauer der | Sitzungsperiode aufgehoben. Artikel 32. Die Mitglieder des Reichstages dtirfen als solche keine Besoldung oder Entschadigung beziehen. VI. Zoll= und Handelswesen. Artikel 33. ^Der Bund bildet ein Zoll= und Handelsgebiet, umgeben von gemein= | schaftlicher Zollgrenze. "^Ausgeschlossen bleiben die wegen ihrer Lage zur Ein= | schlieBung in die Zollgrenze nicht geeigneten einzelnen Gebietstheile. Alle Gegenstande, welche im freien Verkehr eines Bundesstaates befindlich | sind, konnen in jeden anderen Bundesstaat eingefuhrt und dtirfen in letzterem | einer Abgabe nur insoweit unterworfen werden, als daselbst gleichartige in= | landische Erzeugnisse einer inneren Steuer unterliegen. Artikel 34. Die Hansestadte Ltibeck, Bremen und Hamburg mit einem dem Zweck ent= | sprechenden Bezirke ihres oder des umliegenden Gebietes bleiben als Freihafen | auBerhalb der gemeinschaftlichen Zollgrenze, bis sie ihren EinschluB in dieselbe | beantragen. Artikel 35. Der Bund ausschlieBlich hat die Gesetzgebung liber das gesammte Zoll= | wesen, tiber die Besteuerung des Verbrauches von einheimischem Zucker, Brannt= | wein, Salz, Bier und Taback, sowie uber die MaaBregeln, welche in den Zoll= | ausschltissen zur Sicherung der gemeinschaftlichen Zollgrenze erforderlich sind. Artikel 36. Die Erhebung und Verwaltung der Zolle und Verbrauchssteuem (Art. 35.) | bleibt jedem Bundesstaate, soweit derselbe sie bisher ausgetibt hat, innerhalb seines | Gebietes tiberlassen. [S. 11] Das Bundesprasidium iiberwacht die Einhaltung des gesetzlichen Ver= | fahrens durch Bundesbeamte, welche es den Zoll= oder Steueramtem und den | Direktivbehorden der einzelnen Staaten, nach Vemehmung des Ausschusses des | Bundesrathes fur Zoll= und Steuerwesen, beiordnet. Artikel 37. Der Bundesrath beschlieBt: 1) tiber die dem Reichstage vorzulegenden oder von demselben angenom= | menen unter die Bestimmung des Art. 35. fallenden gesetzlichen Anord= | nungen einschlieBlich der Handels= und Schiffahrtsvertrage; 2) tiber die zur Ausflihrung der gemeinschaftlichen Gesetzgebung (Art. 35.) | dienenden Verwaltungsvorschriften und Einrichtungen; 3) tiber Mangel, welche bei der Ausflihrung der gemeinschaftlichen Gesetz= | gebung (Art. 35.) hervortreten;

[ 128] Verfassung des Norddeutschen Bundes vom 16. April 1867

1175

4) tiber die von seiner Rechnungsbehorde ihm vorgelegte schlieBliche Fest= | stellung der in die Bundeskasse flieBenden Abgaben (Art. 39.). ^Jeder tiber die Gegenstande zu 1. bis 3. von einem Bundesstaate oder | tiber die Gegenstande zu 3. von einem kontrolirenden Beamten bei dem Bun= | desrathe gestellte Antrag unterliegt der gemeinschaftlichen BeschluBnahme. ^Im | Falle der Meinungsverschiedenheit giebt die Stimme des Prasidiums bei den zu | 1. und 2. bezeichneten alsdann den Ausschlag, wenn sie sich fur Aufrechthaltung | der bestehenden Vorschrift oder Einrichtung ausspricht, in alien tibrigen Fallen | entscheidet die Mehrheit der Stimmen nach dem in Artikel 6. dieser Verfassung | festgestellten StimmverhaltniB. Artikel 38. Der Ertrag der Zolle und der in Art. 35. bezeichneten Verbrauchsabgaben | flieBt in die Bundeskasse. Dieser Ertrag besteht aus der gesammten von den Zollen und Verbrauchs= | abgaben aufgekommenen Einnahme nach Abzug: 1) der auf Gesetzen oder allgemeinen Verwaltungsvorschriften beruhenden | Steuer=Vergtitungen und ErmaBigungen; 2) der Erhebungs= und Verwaltungskosten, und zwar: a) bei den Zollen und der Steuer von inlandischem Zucker, soweit | diese Kosten nach den Verabredungen unter den Mitgliedem des | Deutschen Zoll= und Handelsvereins der Gemeinschaft aufgerechnet | werden konnten; b) bei der Steuer von inlandischem Salze - sobald solche, sowie ein | Zoll von auslandischem Salze unter Aufhebung des Salzmonopols | eingefuhrt sein wird mit dem Betrage der auf Salzwerken er= | wachsenden Erhebungs= und Aufsichtskosten; c) bei den tibrigen Steuem mit funfzehn Prozent der Gesammteinnahme. [S. 12] Die auBerhalb der gemeinschaftlichen Zollgrenze liegenden Gebiete tragen | zu den Bundesausgaben durch Zahlung eines Aversums bei. Artikel 39. Die von den Erhebungsbehorden der Bundesstaaten nach Ablauf eines | jeden Vierteljahres aufzustellenden Quartalextrakte und die nach dem Jahres= und | Bticherschlusse aufzustellenden Finalabschltisse tiber die im Laufe des Vierteljahres | beziehungsweise wahrend des Rechnungsjahres fallig gewordenen Einnahmen an | Zollen und Verbrauchsabgaben werden von den Direktivbehorden der Bundes= | staaten, nach vorangegangener Prtifung, in Haupttibersichten zusammengestellt | und diese an den AusschuB des Bundesrathes flir das Rechnungswesen eingesandt. Der Letztere stellt auf Grund dieser Uebersichten von drei zu drei Monaten | den von der Kasse jedes Bundesstaates der Bundeskasse schuldigen Betrag vor= | laufig fest und setzt von dieser Feststellung den Bundesrath und die Bundesstaaten [ in KenntniB, legt auch alljahrlich die schlieBliche Feststellung jener Betrage mit | seinen Bemerkungen dem Bundesrathe zur BeschluBnahme vor. Artikel 40. Die Bestimmungen in dem Zollvereinigungs=Vertrage vom 16. Mai 1865.^, | in dem Vertrage tiber die gleiche Besteuerung innerer Erzeugnisse vom 28. Juni | 1864., in dem Vertrage tiber den Verkehr mit Taback und Wein von demselben \ Tage und im Artikel 2. des Zoll= und AnschluBvertrages vom 11. Juli 1864., | desgleichen in den Thtiringischen ^ Dok. 101.

1176

§ 6: Norddeutscher Bund

[Dok. 111 - 128a]

Vereinsvertragen bleiben zwischen den bei diesen | Vertragen betheiligten Bundesstaaten in Kraft, soweit sie nicht durch die Vor= | schriften der gegenwartigen Verfassung abgeandert sind und so lange sie nicht auf | dem im Artikel 37. vorgezeichneten Wege abgeandert werden. Mit diesen Beschrankungen finden die Bestimmungen des Zollvereinigungs= | Vertrages vom 16. Mai 1865. auch auf diejenigen Bundesstaaten und Gebiets= | theile Anwendung, welche dem Deutschen Zoll= und Handelsvereine zur Zeit | nicht angehoren. VII. Eisenbahnwesen. Artikel 41. Eisenbahnen, welche im Interesse der Vertheidigung des Bundesgebietes | oder im Interesse des gemeinsamen Verkehrs fur nothwendig erachtet werden, | konnen kraft eines Bun-desgesetzes auch gegen den Widerspruch der Bundesglieder, | deren Gebiet die Eisenbahnen durchschneiden, unbeschadet der Landeshoheitsrechte, | far Rechnung des Bundes angelegt oder an Privatuntemehmer zur Ausfiihrung | konzessionirt und mit dem Expropriationsrechte ausgestattet werden. Jede bestehende Eisenbahnverwaltung ist verpflichtet, sich den AnschluB neu | angelegter Eisenbahnen auf Kosten der letzteren gefallen zu lassen. [S. 13] ^Die gesetzlichen Bestimmungen, welche bestehenden Eisenbahn=Untemehmungen | ein Widerspmchsrecht gegen die Anlegung von Parallel^ oder Konkurrenzbahnen | einraumen, werden, unbeschadet bereits erworbener Rechte, fur das ganze Bundes= | gebiet hierdurch aufgehoben. "^Ein solches Widerspmchsrecht kann auch in den | ktinftig zu ertheilenden Konzessionen nicht weiter verliehen werden. Artikel 42. Die Bundesregiemngen verpflichten sich, die im Bundesgebiete belegenen | Eisenbahnen im Interesse des allgemeinen Verkehrs wie ein einheitliches Netz | verwalten und zu diesem Behuf auch die neu herzustellenden Bahnen nach einheit= | lichen Normen anlegen und ausriisten zu lassen. Artikel 43. ^Es sollen demgemaB in thunlichster Beschleunigung tibereinstimmende Be= | triebseinrichtungen getroffen, insbesondere gleiche Bahnpolizei=Reglements eingefiihrt | werden. ^Der Bund hat dafur Sorge zu tragen, daB die Eisenbahnverwaltungen | die Bahnen jederzeit in einem, die nothige Sicherheit gewahrenden baulichen Zu= | stande erhalten und dieselben mit Betriebsmaterial so ausriisten, wie das Ver= | kehrsbedtirfhiB es erheischt. Artikel 44. Die Eisenbahnverwaltungen sind verpflichtet, die fur den durchgehenden | Verkehr und zur Herstellung ineinander greifender Fahrplane nothigen Personenztige | mit entsprechender Fahrgeschwindigkeit, desgleichen die zur Bewaltigung des Gtiter= | verkehrs nothigen Giiterztige einzuflihren, auch direkte Expeditionen im Personen= | und Gtiterverkehr, unter Gestattung des Ueberganges der Transportmittel von | einer Bahn auf die andere, gegen die tibliche Vergiitung einzurichten.

[ 128] Verfassung des Norddeutschen Bundes vom 16. April 1867

1177

Artikel 45. ^Dem Bunde steht die Kontrole iiber das Tarifwesen zu. ^Derselbe wird | namentlich dahin wirken: 1) daB baldigst auf den Eisenbahnen im Gebiete des Bundes iibereinstimmende | Betriebsreglements eingeftihrt werden; 2) daB die moglichste GleichmaBigkeit und Herabsetzung der Tarife erzielt, | insbesondere, daB bei groBeren Entfemungen fiir den Transport von | Kohlen, Koaks, Holz, Erzen, Steinen, Salz, Roheisen, Dtingungsmitteln | und ahnlichen Gegenstanden ein dem BedtirfhiB der Landwirthschaft und | Industrie entsprechender ermaBigter Tarif, und zwar zunachst thunlichst [ der Ein=Pfennig=Tarif eingefuhrt werde. Artikel 46. Bei eintretenden Nothstanden, insbesondere bei ungewohnlicher Theuerung | der Lebensmittel, sind die Eisenbahnverwaltungen verpflichtet, fur den Transport, | [S. 14] namentlich von Getreide, Mehl, Hiilsenfriichten und Kartoffeln, zeitweise einen | dem BediirfniB entsprechenden, von dem Bundesprasidium auf Vorschlag des | betreffenden Bundesraths=Ausschusses festzustellenden, niedrigen Spezialtarif ein= | zufiihren, welcher jedoch nicht unter den niedrigsten auf der betreffenden Bahn | fiir Rohprodukte geltenden Satz herabgehen darf. Artikel 47. ^Den Anforderungen der Bundesbehorden in Betreff der Benutzung der | Eisenbahnen zum Zweck der Vertheidigung des Bundesgebietes haben sammtliche | Eisenbahnverwaltungen unweigerlich Folge zu leisten. ^Insbesondere ist das | Militair und alles Kriegsmaterial zu gleichen ermaBigten Satzen zu befordem. VIII. Post= und Telegraphenwesen. Artikel 48. Das Postwesen und das Telegraphenwesen werden fur das gesammte | Gebiet des Norddeutschen Bundes als einheitliche Staatsverkehrs=Anstalten ein= | gerichtet und verwaltet. Die im Artikel 4. vorgesehene Gesetzgebung des Bundes in Post= und | Telegraphen=Angelegenheiten erstreckt sich nicht auf diejenigen Gegenstande, deren | Regelung nach den gegenwartig in der PreuBischen Post= und Telegraphenver= | waltung maaBgebenden Grundsatzen der reglementarischen Festsetzung oder admini= | strativen Anordnung iiberlassen ist. Artikel 49. ^Die Einnahmen des Post= und Telegraphenwesens sind fur den ganzen | Bund gemeinschaftlich. ^Die Ausgaben werden aus den gemeinschaftlichen Ein= | nahmen bestritten. ^Die Uberschiisse flieBen in die Bundeskasse (Abschnitt XII.). Artikel 50. ^Dem Bundesprasidium gehort die obere Leitung der Post= und Telegra= | phenverwaltung an. ^Dasselbe hat die Pflicht und das Recht, daflir zu sorgen, | daB Einheit in der Organisation der Verwaltung und im Betriebe des Dienstes, | sowie in der Qualifikation der Beamten hergestellt und erhalten wird. Das Prasidium hat fur den ErlaB der reglementarischen Festsetzungen und | allgemeinen administrativen Anordnungen, sowie fur die ausschlieBliche Wahr= | nehmung der Beziehungen zu anderen Deutschen oder auBerdeutschen Post= und | Telegraphenverwaltungen Sorge zu tragen.

1178

§ 6: Norddeutscher Bund

[Dok. 111 - 128a]

^Sammtliche Beamte der Post= und Telegraphenverwaltung sind verpflichtet, | den Anordnungen des Bundesprasidiums Folge zu leisten. '^Diese Verpflichtung | ist in den Diensteid aufzunehmen. [S. 15] ^Die Anstellung der bei den Verwaltungsbehorden der Post und Tele= | graphie in den verschiedenen Bezirken erforderlichen oberen Beamten (z. B. der | Direktoren, Rathe, Ober=Inspektoren), femer die Anstellung der zur Wahmehmung | des Aufsiclits= u. s. w. Dienstes in den einzelnen Bezirken als Organe der ei^ | wahnten Behorden fungirenden Post= und Telegraphenbeamten (z. B. Inspektoren, | Kontroleure) geht fur das ganze Gebiet des Norddeutschen Bundes von dem | Prasidium aus, welchem diese Beamten den Diensteid leisten. ^Den einzelnen | Landesregiemngen wird von den in Rede stehenden Emennungen, soweit dieselben | ihre Gebiete betreffen, Behufs der landesherrlichen Bestatigung und Publikation | rechtzeitig Mittheilung gemacht werden. Die anderen bei den Verwaltungsbehorden der Post und Telegraphie er= | forderlichen Beamten, sowie alle fur den lokalen und technischen Betrieb bestimm= | ten, mithin bei den eigentlichen Betriebsstellen fungirenden Beamten u. s. w. | werden von den betreffenden Landesregiemngen angestellt. Wo eine selbststandige Landes=Post= resp. Telegraphen=Verwaltung nicht be= | steht, entscheiden die Bestimmungen der besonderen Vertrage. ArtikelSl. ^Zur Beseitigung der Zersplitterung des Post= und Telegraphenwesens in | den Hansestadten wird die Verwaltung und der Betrieb der verschiedenen dort | befindlichen staatlichen Post= und Telegraphen=Anstalten nach naherer Anordnung | des Bundesprasidiums, welches den Senaten Gelegenheit zur AeuBerung ihrer | hierauf beziiglichen Wtinsche geben wird, vereinigt. ^Hinsichts der dort befindlichen | Deutschen Anstalten ist diese Vereinigung sofort auszufuhren. Mit den auBerdeutschen Regierungen, welche in den Hansestadten noch | Postrechte besitzen oder austiben, werden die zu dem vorstehenden Zweck nothigen | Vereinbarungen getroffen werden. Artikel 52. Bei Ueberweisung des Ueberschusses der Postverwaltung fur allgemeine | Bundeszwecke (Artikel 49.) soil, in Betracht der bisherigen Verschiedenheit der | von den Landes= Postverwaltungen der einzelnen Gebiete erzielten Rein=Einnahmen, | zum Zwecke einer entsprechenden Ausgleichung wahrend der unten festgesetzten | Uebergangszeit folgendes Verfahren beobachtet werden. Aus den Postuberschiissen, welche in den einzelnen Postbezirken wahrend | der fiinf Jahre 1861. bis 1865. aufgekommen sind, wird ein durchschnittlicher | JahrestiberschuB berechnet, und der Antheil, welchen jeder einzelne Postbezirk | an dem fur das gesammte Gebiet des Norddeutschen Bundes sich damach heraus= | stellenden Postiiberschusse gehabt hat, nach Prozenten festgestellt. Nach MaaBgabe des auf diese Weise festgestellten Verhaltnisses werden aus | den im Bunde aufkommenden Postuberschiissen wahrend der nachsten acht Jahre | den einzelnen Staaten die sich fiir dieselben ergebenden Quoten auf ihre sonstigen | Beitrage zu Bundeszwecken zu Gute gerechnet. Nach Ablauf der acht Jahre hort jene Unterscheidung auf, und flieBen die | Postiiberschiisse in ungetheilter Aufrechnung nach dem in Artikel 49. enthaltenen | Grundsatz der Bundeskasse zu.

[128] Verfassung des Norddeutschen Bundes vom 16. April 1867

1179

[S. 16] Von der wahrend der vorgedachten acht Jahre fiir die Hansestadte sich her= | ausstellenden Quoten des Postiiberschusses wird alljahrlich vorweg die Halfte dem | Bundesprasidium zur Disposition gestellt zu dem Zwecke, daraus zunachst die | Kosten fur die Herstellung normaler Posteinrichtungen in den Hansestadten zu | bestreiten. IX. Marine und Schiffahrt. Artikel 53. ^Die Bundes=Kriegsmarine ist eine einheitliche unter PreuBischem Ober= | befehl. ^Die Organisation und Zusammensetzung derselben liegt Seiner Majestat | dem Konige von PreuBen ob, welcher die Offiziere und Beamten der Marine | emennt, und fur welchen dieselben nebst den Mannschaften eidlich in Pflicht zu | nehmen sind. Der Kieler Hafen und der Jadehafen sind Bundes=Kriegshafen. Der zur Grundung und Erhaltung der Kriegsflotte und der damit zu= | sammenhangenden Anstalten erforderliche Aufwand wird aus der Bundeskasse | bestritten. Die gesammte seemannische Bevolkemng des Bundes, einschlieBlich des | Maschinenpersonals und der Schiffshandwerker, ist vom Dienste im Landheere | befreit, dagegen zum Dienste in der Bundesmarine verpflichtet. Die Vertheilung des Ersatzbedarfes findet nach MaaBgabe der vorhandenen | seemannischen Bevolkemng statt, und die hiemach von jedem Staate gestellte Quote | kommt auf die Gestellung zum Landheere in Abrechnung. Artikel 54. Die Kauffahrteischiffe aller Bundesstaaten bilden eine einheitliche Handels= | marine. Der Bund hat das Verfahren zur Ermittelung der Ladungsfahigkeit der [ Seeschiffe zu bestimmen, die Ausstellung der MeBbriefe, sowie der Schiffscertifikate | zu regeln und die Bedingungen festzustellen, von welchen die ErlaubniB zur Ftih= | rung eines Seeschiffes abhangig ist. ^In den Seehafen und auf alien natiirlichen und kunstlichen WasserstraBen | der einzelnen Bundesstaaten werden die Kauffahrteischiffe sammtlicher Bundesstaaten | gleichmaBig zugelassen und behandelt. '^Die Abgaben, welche in den Seehafen von | den Seeschiffen Oder deren Ladungen fur die Benutzung der Schiffahrtsanstalten | erhoben werden, dtirfen die zur Unterhaltung und gewohnlichen Herstellung dieser | Anstalten erforderlichen Kosten nicht iibersteigen. ^Auf alien naturlichen WasserstraBen dtirfen Abgaben nur flir die Benutzung [ besonderer Anstalten, die zur Erleichterung des Verkehrs bestimmt sind, erhoben | werden. ^Diese Abgaben, sowie die Abgaben fur die Befahrung solcher ktinstlichen | WasserstraBen, welche Staatseigenthum sind, dtirfen die zur Unterhaltung und | gewohnlichen Herstellung der Anstalten und Anlagen erforderlichen Kosten nicht tiber= | [S. 17] iibersteigen. ^Auf die FloBerei finden diese Bestimmungen insoweit Anwendung, | als dieselbe auf schiffbaren WasserstraBen betrieben wird. Auf fremde Schiffe oder deren Ladungen andere oder hohere Abgaben zu | legen, als von den Schiffen der Bundesstaaten oder deren Ladungen zu entrichten | sind, steht keinem Einzelstaate, sondem nur dem Bunde zu. Artikel 55. Die Flagge der Kriegs= und Handelsmarine ist schwarz=weiB=roth.

1180

§ 6: Norddeutscher Bund

[Dok. 111 - 128a] X. Konsulatwesen.

Artikel 56. Das gesammte Norddeutsche Konsulatwesen steht unter der Aufsicht des | Bundesprasidiums, welches die Konsuln, nach Vemehmung des Ausschusses des | Bundesrathes fiir Handel und Verkehr, anstellt. ^In dem Amtsbezirk der Bundeskonsuln diirfen neue Landeskonsulate nicht | errichtet werden. "^Die Bundeskonsuln tiben fur die in ihrem Bezirk nicht ver= | tretenen Bundesstaaten die Funktionen eines Landeskonsuls aus. ^Die sammtlichen | bestehenden Landeskonsulate werden aufgehoben, sobald die Organisation der Bundes= | konsulate dergestalt vollendet ist, daB die Vertretung der Einzelinteressen aller | Bundesstaaten als durch die Bundeskonsulate gesichert von dem Bundesrathe an= | erkannt wird. XL Bundes=Kriegswesen. Artikel 57. Jeder Norddeutsche ist wehrpflichtig und kann sich in Austibung dieser | Pflicht nicht vertreten lassen. Artikel 58. ^Die Kosten und Lasten des gesammten Kriegswesens des Bundes sind von | alien Bundesstaaten und ihren Angehorigen gleichmaBig zu tragen, so daB weder | Bevorzugungen, noch Pragravationen einzelner Staaten oder Klassen grundsatzlich | zulassig sind. ^Wo die gleiche Vertheilung der Lasten sich in natura nicht her= | stellen laBt, ohne die offentliche Wohlfahrt zu schadigen, ist die Ausgleichung nach | den Grundsatzen der Gerechtigkeit im Wege der Gesetzgebung festzustellen. Artikel 59. ^Jeder wehrfahige Norddeutsche gehort sieben Jahre lang, in der Kegel vom | vollendeten 20. bis zum beginnenden 28. Lebensjahre, dem stehenden Heere -1 [S. 18] und zwar die ersten drei Jahre bei den Fahnen, die letzten vier Jahre in der | Reserve - und die folgenden fiinf Lebensjahre der Landwehr an. ^In den= | jenigen Bundesstaaten, in denen bisher eine langere als zwolfjahrige Gesammt= | dienstzeit gesetzlich war, findet die allmalige Herabsetzung der Verpflichtung nur | in dem MaaBe statt, als dies die Riicksicht auf die Kriegsbereitschaft des Bundes= | heeres zulaBt. In Bezug auf die Auswanderung der Reservisten sollen lediglich diejenigen | Bestimmungen maaBgebend sein, welche fur die Auswanderung der Landwehr= | manner gelten. Artikel 60. ^Die Friedens=Prasenzstarke des Bundesheeres wird bis zum 31. Dezember | 1871. auf Bin Prozent der Bevolkerung von 1867. normirt, und wird pro rata | derselben von den einzelnen Bundesstaaten gestellt. ^Fiir die spatere Zeit wird | die Friedens=Prasenzstarke des Heeres im Wege der Bundesgesetzgebung fest= | gestellt. Artikel 61. ^Nach Publikation dieser Verfassung ist in dem ganzen Bundesgebiete die | gesammte PreuBische Militairgesetzgebung ungesaumt einzufuhren, sowohl die 1 Gesetze selbst, als die zu ihrer Ausfuhrung, Erlauterung oder Erganzung er= | lassenen Reglements, Instmktionen und Reskripte, namentlich also das Militair= | Strafgesetzbuch vom 3. April 1845., die Militair=Strafgerichtsordnung vom | 3. April 1845., die Verordnung iiber die Ehrengerichte vom 20. Juli 1843., die | Bestimmungen tiber Aushebung, Dienstzeit, Servis= und Verpfle-

[ 128] Verfassung des Norddeutschen Bundes vom 16. April 1867

1181

gungswesen, Ein= | quartierung, Ersatz von Flurbeschadigungen, Mobilmachung u. s. w. fur Krieg | und Frieden. "^Die Militair=Kirchenordnung ist jedoch ausgeschlossen. Nach gleichmaBiger Durchflihrung der Bundes=Kriegsorganisation wird das | Bundesprasidium ein umfassendes Bundes=Militairgesetz dem Reichstage und dem | Bundesrathe zur verfassungsmaBigen BeschluBfassung vorlegen. Artikel 62. ^Zur Bestreitung des Aufwandes fiir das gesammte Bundesheer und die | zu demselben gehorigen Einrichtungen sind bis zum 31. Dezember 1871. dem | Bundesfeldherm jahrlich sovielmal 225 Thaler, in Worten zweihundert funf | und zwanzig Thaler, als die Kopfzahl der Friedensstarke des Heeres nach Artikel 60. | betragt, zur Verfugung zu stellen. ^Vergl. Abschnitt XII. Die Zahlung dieser Beitrage beginnt mit dem ersten des Monats nach | Publikation der Bundesverfassung. ^Nach dem 31. Dezember 1871. miissen diese Betrage von den einzelnen | Staaten des Bundes zur Bundeskasse fortgezahlt werden. "^Zur Berechnung der= | selben wird die im Artikel 60. interimistisch festgestellte Friedens=Prasenzstarke so | lange festgehalten, bis sie durch ein Bundesgesetz abgeandert ist. Die Verausgabung dieser Summe fur das gesammte Bundesheer und | dessen Einrichtungen wird durch das Etatsgesetz festgestellt. Bei der Feststellung des Militair=Ausgabe=Etats wird die auf Grundlage | dieser Verfassung gesetzlich feststehende Organisation des Bundesheeres zu | Grunde gelegt. [S. 19] Artikel 63. Die gesammte Landmacht des Bundes wird ein einheitliches Heer bilden, | welches in Krieg und Frieden unter dem Befehle Seiner Majestat des Konigs | von PreuBen als Bundesfeldherm steht. ^Die Regimenter etc. flihren fortlaufende Nummem durch die ganze Bundes= | Armee. ^Ftir die Bekleidung sind die Grundfarben und der Schnitt der Koniglich | PreuBischen Armee maaBgebend. ^Dem betreffenden Kontingentsherm bleibt es | tiberlassen, die auBeren Abzeichen (Kokarden etc.) zu bestimmen. ^Der Bundesfeldherr hat die Pflicht und das Recht, dafiir Sorge zu tragen, | daB innerhalb des Bundesheeres alle Truppentheile vollzahlig und kriegsttichtig | vorhanden sind und daB Einheit in der Organisation und Formation, in Be= | waffnung und Kommando, in der Ausbildung der Mannschaften, sowie in der | Qualifikation der Offiziere hergestellt und erhalten wird. ^Zu diesem Behufe ist | der Bundesfeldherr berechtigt, sich jederzeit durch Inspektionen von der Verfassung | der einzelnen Kontingente zu tiberzeugen und die Abstellung der dabei vor= | gefiandenen Mangel anzuordnen. Der Bundesfeldherr bestimmt den Prasenzstand, die Gliederung und Ein= | theilung der Kontingente der Bundesarmee, sowie die Organisation der Land= | wehr, und hat das Recht, innerhalb des Bundesgebietes die Gamisonen zu be= | stimmen, sowie die kriegsbereite Aufstellung eines jeden Theils der Bundesarmee | anzuordnen. Behufs Erhaltung der unentbehrlichen Einheit in der Administration, Ver= | pflegung, Bewaffhung und Ausrtistung aller Truppentheile des Bundesheeres | sind die beztiglichen ktinftig ergehenden Anordnungen fur die PreuBische Armee den | Kommandeuren der tibrigen Bundeskontingente, durch den Artikel 8. Nr. 1. be= | zeichneten AusschuB fiir das Landheer und die Festungen, zur Nachachtung in | geeigneter Weise mitzutheilen. Artikel 64. ^Alle Bundestruppen sind verpflichtet, den Befehlen des Bundesfeldherm | unbedingte Folge zu leisten. ^Diese Verpflichtung ist in den Fahneneid auf= | zunehmen. ^Der Hochst-

1182

§ 6: Norddeutscher Bund

[Dok. 111 - 128a]

kommandirende eines Kontingents, sowie alle Offiziere, welche | Truppen mehr als eines Kontingents befehligen, und alle Festungskomman= | danten werden von dem Bundesfeldherm emannt. '^Die von Demselben emannten | Offiziere leisten Ihm den Fahneneid. ^Bei Generalen und den Generalstellungen | versehenden Offizieren innerhalb des Bundeskontingents ist die Emennung von | der jedesmaligen Zustimmung des Bundesfeldherm abhangig zu machen. Der Bundesfeldherr ist berechtigt, Behufs Versetzung mit oder ohne Be= | forderung fur die von Ihm im Bundesdienste, sei es im PreuBischen Heere, oder | in anderen Kontingenten zu besetzenden Stellen aus den Offizieren aller Kontingente | des Bundesheeres zu wahlen. Artikel 65. Das Recht, Festungen innerhalb des Bundesgebietes anzulegen, steht dem | [S. 20] Bundesfeldherm zu, welcher die Bewilligung der dazu erforderlichen Mittel, soweit | das Ordinarium sie nicht gewahrt, nach Abschnitt XII. beantragt. Artikel 66. ^Wo nicht besondere Konventionen ein Anderes bestimmen, emennen die | Bundesfiirsten, beziehentlich die Senate die Offiziere ihrer Kontingente, mit der Ein=^ | schrankung des Artikels 64. '^Sie sind Chefs aller ihren Gebieten angehorenden | Truppentheile und genieBen die damit verbundenen Ehren. ^Sie haben nament= | lich das Recht der Inspizirung zu jeder Zeit und erhalten, auBer den regelmaBigen | Rapporten und Meldungen tiber vorkommende Veranderungen, Behufs der nothigen | landesherrlichen Publikation, rechtzeitige Mittheilung von den die betreffenden | Truppentheile beruhrenden Avancements und Ernennungen. Auch steht ihnen das Recht zu, zu polizeilichen Zwecken nicht bios ihre | eigenen Truppen zu verwenden, sondem auch alle anderen Truppentheile der | Bundesarmee, welche in ihren Landergebieten dislocirt sind, zu requiriren. Artikel 67. Erspamisse an dem Militairetat fallen unter keinen Umstanden einer ein= | zelnen Regierung, sondem jederzeit der Bundeskasse zu. Artikel 68. ^Der Bundesfeldherr kann, wenn die offentliche Sicherheit in dem Bundes= | gebiete bedroht ist, einen jeden Theil desselben in Kriegszustand erklaren. "^Bis | zum ErlaB eines die Voraussetzungen, die Form der Verkiindigung und die | Wirkungen einer solchen Erklamng regelnden Bundesgesetzes gelten dafur die | Vorschriften des PreuBischen Gesetzes vom 4. Juni 1851. (Gesetz=Samml. fiir | 1851. S. 451. ff). XII. Bundesfinanzen. Artikel 69. ^Alle Einnahmen und Ausgaben des Bundes miissen ftir jedes Jahr ver= | anschlagt und auf den Bundeshaushaltsetat gebracht werden. ^Letzterer wird | vor Beginn des Etatsjahres nach folgenden Gmndsatzen durch ein Gesetz fest= | gestellt. Artikel 70. ^Zur Bestreitung aller gemeinschaftlichen Ausgaben dienen zunachst die | etwaigen Ueberschtisse der Vorjahre, sowie die aus den Zollen, den gemeinschaft= | lichen Verbrauchssteuem und aus dem Post= und Telegraphenwesen flieBenden | gemeinschaftlichen Ein-

[128] Verfassung des Norddeutschen Bundes vom 16. April 1867

1183

nahmen. ^Insoweit dieselben durch diese Einnahmen nicht | gedeckt werden, sind sie, so lange Bundessteuem nicht eingefuhrt sind, durch Bei= | trage der einzelnen Bundesstaaten nach MaaBgabe ihrer Bevolkerung aufzubringen, | [S. 21] welche bis zur Hohe des budgetmaBigen Betrages durch das Prasidium aus= | geschrieben werden. Artikel71. Die gemeinschaftlichen Ausgaben werden in der Kegel fur ein Jahr be= | willigt, konnen jedoch in besonderen Fallen auch fur eine langere Dauer bewilligt | werden. Wahrend der im Art. 60. normirten Uebergangszeit ist der nach Titeln | geordnete Etat iiber die Ausgaben fur das Bundesheer dem Bundesrathe und | dem Reichstage nur zur KenntniBnahme und zur Erinnerung vorzulegen. Artikel 72. Ueber die Verwendung aller Einnahmen des Bundes ist von dem Pra= | sidium dem Bundesrathe und dem Reichstage zur Entlastung jahrlich Rechnung | zu legen. Artikel 73. In Fallen eines auBerordentlichen Bediirfnisses konnen im Wege der | Bundesgesetzgebung die Aufnahme einer Anleihe, sowie die Uebemahme einer | Garantie zu Lasten des Bundes erfolgen. XIII. Schlichtung von Streitigkeiten und Strafbestimmungen. Artikel 74. Jedes Untemehmen gegen die Existenz, die Integritat, die Sicherheit oder | die Verfassung des Norddeutschen Bundes, endlich die Beleidigung des Bundes= | rathes, des Reichstages, eines Mitgliedes des Bundesrathes oder des Reichstages, | einer Behorde oder eines offentlichen Beamten des Bundes, wahrend dieselben | in der Austibung ihres Berufes begriffen sind oder in Beziehung auf ihren | Beruf, durch Wort, Schrift, Druck, Zeichen, bildliche oder andere Darstellung, | werden in den einzelnen Bundesstaaten beurtheilt und bestraft nach MaaBgabe der | in den letzteren bestehenden oder kiinftig in Wirksamkeit tretenden Gesetze, nach | welchen eine gleiche gegen den einzelnen Bundesstaat, seine Verfassung, seine | Kammem oder Stande, seine Kammer= oder Standemitglieder, seine Behorden | und Beamten begangene Handlung zu richten ware. Artikel 75. Fiir diejenigen in Art. 74. bezeichneten Untemehmungen gegen den Nord= | deutschen Bund, welche, wenn gegen einen der einzelnen Bundesstaaten gerichtet, | als Hochverrath oder Landesverrath zu qualifiziren waren, ist das gemeinschaft= | liche Ober^Appellationsgericht der drei freien und Hansestadte in Ltibeck die zustan= | dige Spruchbehorde in erster und letzter Instanz. [S. 22] ^Die naheren Bestimmungen iiber die Zustandigkeit und das Verfahren des | Ober=Appellationsgerichts erfolgen im Wege der Bundesgesetzgebung. "^Bis zum | Erlasse eines Bundesgesetzes bewendet es bei der seitherigen Zustandigkeit der | Gerichte in den einzelnen Bundesstaaten und den auf das Verfahren dieser | Gerichte sich beziehenden Bestimmungen.

1184

§ 6: Norddeutscher Bund

[Dok. 111 - 128a]

Artikel 76. Streitigkeiten zwischen verschiedenen Bundesstaaten, sofem dieselben nicht | privatrechtlicher Natur und daher von den kompetenten Gerichtsbehorden zu | entscheiden sind, werden auf Anrufen des einen Theils von dem Bundesrathe | erledigt. Verfassungsstreitigkeiten in solchen Bundesstaaten, in deren Verfassung | nicht eine Behorde zur Entscheidung solcher Streitigkeiten bestimmt ist, hat auf | Anrufen eines Theiles der Bundesrath gtxtlich auszugleichen oder, wenn das | nicht gelingt, im Wege der Bundesgesetzgebung zur Erledigung zu bringen. Artikel 77. Wenn in einem Bundesstaate der Fall einer Justizverweigerung eintritt, | und auf gesetzlichen Wegen ausreichende Htxlfe nicht erlangt werden kann, so liegt | dem Bundesrathe ob, erwiesene, nach der Verfassung und den bestehenden Ge= \ setzen des betreffenden Bundesstaates zu beurtheilende Beschwerden liber verweigerte | oder gehemmte Rechtspflege anzunehmen, und darauf die gerichtliche Hiilfe bei | der Bundesregierung, die zu der Beschwerde AnlaB gegeben hat, zu bewirken. XIV. Allgemeine Bestimmung. Artikel 78. Veranderungen der Verfassung erfolgen im Wege der Gesetzgebung, jedoch | ist zu denselben im Bundesrathe eine Mehrheit von zwei Dritteln der vertretenen | Stimmen erforderlich. XV. VerhaltniB zu den Stiddeutschen Staaten. Artikel 79. Die Beziehungen des Bundes zu den Stiddeutschen Staaten werden sofort | nach Feststellung der Verfassung des Norddeutschen Bundes, durch besondere dem | Reichstage zur Genehmigung vorzulegende Vertrage, geregelt werden. Der Eintritt der Stiddeutschen Staaten oder eines derselben in den Bund | erfolgt auf den Vorschlag des Bundesprasidiums im Wege der Bundesgesetzgebung. | [S. 23] unter dem 25. Juni d. J. verkiindet worden und hat am 1. M i d. J. die | Gesetzeskraft erlangt. Indem Wir dies hiermit zur offentlichen KenntniB bringen, tibemehmen | Wir die Uns durch die Verfassung des Norddeutschen Bundes tibertragenen | Rechte, Befugnisse und Pflichten fiir Uns und Unsere Nachfolger in der Krone | PreuBen. Wir befehlen, dieses Publikandum durch das Bundesgesetzblatt des Nord= | deutschen Bundes zu veroffentlichen. Urkundlich unter Unserer Hochsteigenhandigen Unterschrift und beigedmcktem | K6niglichen Insiegel. Gegeben Bad Ems, den 26. Juli 1867. (L. S.) Wilhelm. Gr. V. Bismarck=Schonhausen.

[128a] Wahlgesetz fiir den Reichstag des Norddeutschen Bundes vom 31. Mai 1869

1185

[128/1] Gesetz zur interimistischen Verlangerung der Legislaturperiode des Reichstages vom 21. Juli 1870 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einfuhrungen" die Darstellung unter [382.]. Quelle: Bundesgesetzblatt des Norddeutschen Bundes, (Nr. 29 vom 22. Juli) 1870, S. 498 (gedruckt). [S. 498] . .. (Nr. 539.) Gesetz, betreffend eine zusatzliche Bestimmung zum ersten Satz des Artikels 24. I der Verfassung des Norddeutschen Bundes. Vom 21. Juli 1870. Wir Wilhelm, von Gottes Gnaden Konig von PreuBen etc., | verordnen im Namen des Norddeutschen Bundes, nach erfolgter verfassungs= | maBiger Zustimmung des Bundesrathes und des Reichstages, was folgt: Einziger Artikel. Die Legislatur=Periode des am 31. August 1867. gewahlten Reichstages | wird fur die Dauer des gegenwartigen Krieges mit Frankreich, jedoch nicht liber | den 31. Dezember 1870. hinaus, verlangert. Urkundlich unter Unserer Hochsteigenhandigen Unterschrift und beigedrucktem | Bundes=Insiegel. Gegeben Berlin, den 21. JuU 1870. (L. S.) Wilhelm. Gr. V. Bismarck=Schonhausen.

[128a] Wahlgesetz fiir den Reichstag des Norddeutschen Bundes vom 31. Mai 1869 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einfuhrungen" die Darstellungen unter [378.] Quelle: Bundesgesetzblatt des Norddeutschen Bundes, (Nr. 17 vom 9. Juni) 1869, S. 145 148 (gedruckt). Sonstige Fundstelle: E. R. Huber (Hrsg.), Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte, Bd. 2: Deutsche Verfassungsdokumente 1851 - 1900, 3. Aufl., 1986, Nr. 209. [S. 145] Wir Wilhelm, von Gottes Gnaden Konig von PreuBen etc., | verordnen im Namen des Norddeutschen Bundes, nach erfolgter Zustimmung | des Bundesrathes und des Reichstages, was folgt: §.1. Wahler fiir den Reichstag des Norddeutschen Bundes ist jeder Norddeutsche, | welcher das funfundzwanzigste Lebensjahr zuriickgelegt hat, in dem Bundesstaate, | wo er seinen Wohnsitz, hat. §. 2. Ftir Personen des Soldatenstandes des Heeres und der Marine ruht die | Berechtigung zum Wahlen so lange, als dieselben sich bei der Fahne befinden.

1186

§ 6: Norddeutscher Bund

[Dok. 111 - 128a]

§•3. Von der Berechtigung zum Wahlen sind ausgeschlossen: 1) Personen, welche unter Vormundschaft oder Kuratel stehen; 2) Personen, tiber deren Vermogen Konkurs= oder Fallitzustand gerichtlich | eroffhet worden ist und zwar wahrend der Dauer dieses Konkurs= oder | Fallit=Verfahrens; 3) Personen, welche eine Armenuntersttitzung aus offentlichen oder Gemeinde= | Mitteln beziehen oder im letzten der Wahl vorhergegangenen Jahre be= | zogen haben; 4) Personen, denen in Folge rechtskraftigen Erkenntnisses der VollgenuB | der staatsbtirgerlichen Rechte entzogen ist, fiir die Zeit der Entziehung, | sofem sie nicht in diese Rechte wieder eingesetzt sind. Ist der VollgenuB der staatsbtirgerlichen Rechte wegen politischer | Vergehen oder Verbrechen entzogen, so tritt die Berechtigung zum | Wahlen wieder ein, sobald die auBerdem erkannte Strafe vollstreckt, oder | durch Begnadigung erlassen ist. [S. 146] §.4. Wahlbar zum Abgeordneten ist im ganzen Bundesgebiete jeder Norddeutsche, | welcher das fiinfundzwanzigste Lebensjahr zuriickgelegt und einem zum Bunde | gehorigen Staate seit mindestens einem Jahre angehort hat, sofem er nicht durch | die Bestimmungen in dem §. 3 von der Berechtigung zum Wahlen aus= | geschlossen ist. §.5. ^In jedem Bundesstaate wird auf durchschnittlich 100,000 Seelen derjenigen | Bevolkerungszahl, welche den Wahlen zum verfassunggebenden Reichstage zu | Grunde gelegen hat, Ein Abgeordneter gewahlt. ^Ein UeberschuB von minde= | stens 50,000 Seelen der Gesammtbevolkerung eines Bundesstaates wird vollen | 100,000 Seelen gleich gerechnet. ^In einem Bundesstaate, dessen Bevolkerung | 100,000 Seelen nicht erreicht, wird Ein Abgeordneter gewahlt. Demnach betragt die Zahl der Abgeordneten 297 und kommen auf | PreuBen 235, Sachsen 23, Hessen 3, Mecklenburg=Schwerin 6, Sachsen= | Weimar 3, Mecklenburg=Strelitz 1, Oldenburg 3, Braunschweig 3, Sachsen= | Meiningen 2, Sachsen=Altenburg 1, Sachsen=Koburg=Gotha 2, Anhalt 2, | Schwarzburg=Rudolstadt 1, Schwarzburg=Sondershausen 1, Waldeck 1, ReuB | altere Linie 1, ReuB jiingere Linie 1, Schaumburg=Lippe 1, Lippe 1, Lauen= | burg 1, Ltibeck 1, Bremen 1, Hamburg 3. Eine Vermehrung der Zahl der Abgeordneten in Folge der steigenden | Bevolkerung wird durch das Gesetz bestimmt. §.6. Jeder Abgeordnete wird in einem besonderen Wahlkreise gewahlt. Jeder Wahlkreis wird zum Zwecke der Stimmabgabe in kleinere Bezirke | getheilt, welche moglichst mit den Ortsgemeinden zusammenfallen sollen, sofem | nicht bei volkreichen Ortsgemeinden eine Unterabtheilung erforderlich wird. Mit AusschluB der Exklaven miissen die Wahlkreise, sowie die Wahlbezirke | raumlich abgegrenzt und thunlichst abgemndet sein. ^Ein Bundesgesetz wird die Abgrenzung der Wahlkreise bestimmen. ^Bis | dahin sind die gegenwartigen Wahlkreise beizubehalten, mit Ausnahme derjenigen, | welche zur Zeit nicht ortlich abgegrenzt und zu einem raumlich zusammenhangen= | den Bezirke abgemndet sind. ^Diese mtissen zum Zwecke der nachsten allgemeinen | Wahlen gemaB der Vorschrift des dritten Absatzes gebildet werden.

[128a] Wahlgesetz fur den Reichstag des Norddeutschen Bundes vom 31. Mai 1869

1187

§.7. Wer das Wahlrecht in einem Wahlbezirke austiben will, muB in demselben, | oder, im Falle eine Gemeinde in mehrere Wahlbezirke getheilt ist, in einem der= | selben zur Zeit der Wahl seinen Wohnsitz haben. Jeder darf nur an Einem Orte wahlen. §. 8. In jedem Bezirke sind zum Zwecke der Wahlen Listen anzulegen, in welche | [S. 147] die zum Wahlen Berechtigten nach Zu= und Vomamen, Alter, Gewerbe und | Wohnort eingetragen werden. ^Diese Listen sind spatestens vier Wochen vor dem zur Wahl bestimmten | Tage zu Jedermanns Einsicht auszulegen, und ist dies zuvor unter Hinweisung | auf die Einsprachefrist offentlich bekannt zu machen. ^Einsprachen gegen die Listen | sind binnen acht Tagen nach Beginn der Auslegung bei der Behorde, welche | die Bekanntmachung erlassen hat, anzubringen und innerhalb der nachsten vier= | zehn Tage zu erledigen, worauf die Listen geschlossen werden. ^Nur diejenigen | sind zur Theilnahme an der Wahl berechtigt, welche in die Listen aufgenom= | men sind. Bei einzelnen Neuwahlen, welche innerhalb Lines Jahres nach der letzten | allgemeinen Wahl stattfinden, bedarf es einer neuen Aufstellung und Auslegung | der Wahlliste nicht. §.9. Die Wahlhandlung, sowie die Ermittelung des Wahlergebnisses, sind | offentlich. Die Funktion der Vorsteher, Beisitzer und Protokollfiihrer bei der Wahl= | handlung in den Wahlbezirken und der Beisitzer bei der Ermittelung des Wahl= | ergebnisses in den Wahlkreisen ist ein unentgeltliches Ehrenamt und kann nur | von Personen ausgetibt werden, welche kein unmittelbares Staatsamt bekleiden. §.10. Das Wahlrecht wird in Person durch verdeckte, in eine Wahlume nieder= | zulegende Stimmzettel ohne Unterschrift ausgetibt. Die Stimmzettel mtissen von weiBem Papier und diirfen mit keinem | auBeren Kennzeichen versehen sein. §.11. Die Stimmzettel sind auBerhalb des Wahllokals mit dem Namen des | Kandidaten, welchem der Wahler seine Stimme geben will, handschriftlich oder | im Wege der Vervielfaltigung zu versehen. §. 12. ^Die Wahl ist direkt. ^Sie erfolgt durch absolute Stimmenmehrheit aller | in einem Wahlkreise abgegebenen Stimmen. ^Stellt bei einer Wahl eine absolute | Stimmenmehrheit sich nicht heraus, so ist nur unter den zwei Kandidaten zu | wahlen, welche die meisten Stimmen erhalten haben. Bei Stimmengleichheit entscheidet das Loos. §. 13. Ueber die Gtiltigkeit oder Ungtiltigkeit der Wahlzettel entscheidet mit Vor= | behalt der Prufung des Reichstages allein der Vorstand des Wahlbezirkes nach | Stimmenmehrheit seiner Mitglieder.

1188

§ 6: Norddeutscher Bund

[Dok. 111 - 128a]

[S. 148] ^Die ungtiltigen Stimmzettel sind zum Zwecke der Prtifung durch den | Reichstag dem Wahlprotokoll beizufugen. ^Die giiltig befiindenen bewahrt der | Vorsteher der Wahlhandlung in dem Wahlbezirke so lange versiegelt, bis der | Reichstag die Wahl definitiv giiltig erklart hat. §.14. Die allgemeinen Wahlen sind im ganzen Bundesgebiete an dem von dem | Bundesprasidium bestimmten Tage vorzunehmen. §.15. Der Bundesrath ordnet das Wahlverfahren, soweit dasselbe nicht durch | das gegenwartige Gesetz festgestellt worden ist, durch ein einheitliches, fur das | ganze Bundesgebiet gtiltiges Wahlreglement. Dasselbe kann nur unter Zustimmung des Reichstages abgeandert werden. §.16. Die Kosten fiir die Druckformulare zu den Wahlprotokollen und flir die | Ermittelung des Wahlergebnisses in den Wahlkreisen werden von den Bundes= | staaten, alle tibrigen Kosten des Wahlverfahrens werden von den Gemeinden | getragen. §.17. Die Wahlberechtigten haben das Recht, zum Betrieb der den Reichstag | betreffenden Wahlangelegenheiten Vereine zu bilden und in geschlossenen Raumen | unbewaffnet offentliche Versammlungen zu veranstalten. Die Bestimmungen der Landesgesetze iiber die Anzeige der Versammlun= | gen und Vereine, sowie iiber die Ueberwachungen derselben, bleiben unberiihrt. §.18. ^Das gegenwartige Gesetz tritt bei der ersten nach dessen Verkiindigung | stattfindenden Neuwahl des Reichstages in Kraft. ^Von dem namlichen Zeit= | punkte an verlieren alle bisherigen Wahlgesetze fur den Reichstag nebst den dazu | erlassenen Ausftihrungsgesetzen, Verordnungen und Reglements ihre Giiltigkeit. Urkundlich unter Unserer Hochsteigenen Unterschrift und beigedrucktem | Bundes=Insiegel. Gegeben SchloB Babelsberg, den 31. Mai 1869. (L. S.) Wilhelm. Gr. V. Bismarck=Schonhausen.

§ 7: Deutscher Bund/Deutsches Reich (1870/71-1918)

A

.SSiifeg.

[ 129] Vertrag tiber Griindung des Deutschen Bundes vom 15. November 1870

1191

[129] Vertrag (Norddeutscher Bund J. Baden und Hessen) tiber die Griindung des Deutschen Bundes und Annahme der Bundesverfassung vom 15. November 1870 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einfuhrungen" die Darstellungen unter [413.] [414.] [416.] [418.] [426.] [439.] [444.] [449.] [453]. Quelle: Bundes-Gesetzblatt des Norddeutschen Bundes, (Nr. 51 vom 31. Dezem-ber) 1870, S. 650 - 653 (gedrackt). Sonstige Fundstellen: E. Bock, Das Staatsrecht des Deutschen Reichs, 1902, S. 3 5 - 3 7 ; J. V. Held, Die Verfassung des Deutschen Reiches, 1872, S. 242 - 247; E. R. Huber (Hrsg.), Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte, Bd. 2: Deutsche Verfassungsdokumente 1851 - 1900, 3. Aufl., 1986, Nr. 219; F. Stoerk (Hrsg.), Handbuch der deutschen Verfassungen, 2. Aufl., 1913, S. 2 6 - 3 1 . [S. 650] Protokoll, betreffend die Vereinbarung zwischen dem Norddeutschen Bunde, | Baden und Hessen iiber Griindung des Deutschen Bundes und Annahme | der Bundesverfassung. Vom 15. November 1870. Verhandelt Versailles, den 15. November 1870. Nachdem Seine Majestat der Konig von PreuBen, im Namen des Norddeut= | schen Bundes, Seine Konigliche Hoheit der GroBherzog von Baden und Seine | Konigliche Hoheit der GroBherzog von Hessen und bei Rhein libereingekommen | sind, tiber die Griindung eines Deutschen Bundes in Verhandlung zu treten und | zu diesem Zwecke bevollmachtigt haben, und zwar: Seine Majestat der Konig von PreuBen, im Namen des Nord= | deutschen Bundes: den Kanzler des Norddeutschen Bundes, Allerhochstihren Prasidenten | des Staatsministeriums und Minister der auswartigen Ange= | legenheiten Grafen Otto v. Bismarck=Sch6nhausen, | den Koniglich Sachsischen Staatsminister der Finanzen und der | auswartigen Angelegenheiten Richard Freiherm v. Friesen | und | den Prasidenten des Bundeskanzler=Amts, Allerhochstihren Staats= | Minister Martin Friedrich Rudolph Delbnick; Seine Konigliche Hoheit der GroBherzog von Baden: Allerhochstihren Prasidenten des Staatsministeriums und Staats= | minister des Innem Dr. Julius Jolly und | Allerhochstihren Prasidenten des Ministeriums des GroBherzog= | lichen Hauses und der auswartigen Angelegenheiten Rudolf | von Freydorf; Seine Konigliche Hoheit der GroBherzog von Hessen und bei | Rhein: Allerhochstihren Prasidenten des Gesammtministeriums und Mi= | nister des GroBherzoglichen Hauses und des AeuBem sowie des | Innem, Wirklichen Geheimen Rath Freiherm Reinhard | v. Dalwigk zu Lichtenfels und | Allerhochstihren auBerordentlichen Gesandten und bevollmachtigten | Minister, Geheimen Legationsrath Karl Hofmann,

1192

§ 7: Deutscher Bund/Deutsches Reich (1870/71 - 1918)

[Dok. 129 - 147]

sind diese Bevollmachtigten in Versailles zusammengetreten und haben sich, nach | gegenseitiger Vorlegung und Anerkennung ihrer Vollmachten, tiber die anliegende | Verfassung des Deutschen Bundes^ verstandigt. [S. 651] Sie sind femer dartiber einverstanden, daB diese Verfassung, vorbehaltlich | der weiter unten zu erwahnenden MaaBgaben, mit dem 1. Januar 1871. in | Wirksamkeit treten soil, und ertheilen sich deshalb gegenseitig die Zusage, daB | sie unverziiglich den gesetzgebenden Faktoren des Norddeutschen Bundes, bezie= | hungsweise Badens und Hessens, zur verfassungsmaBigen Zustimmung vorgelegt | und, nach Ertheilung dieser Zustimmung, im Laufe des Monats Dezember rati= | fizirt werden soil. Der Austausch der Ratifikations=Erklarungen soil in Berlin | erfolgen. In Betracht der groBen Schwierigkeiten, welche theils die vorgeruckte Zeit, | theils die Fortdauer des Krieges, theils endlich die in einigen betheiligten Staa= | ten bereits erfolgte Regulirung des Landesbudgets der Aufstellung eines Etats | fur die Militairverwaltung des Deutschen Bundes fur das Jahr 1871. entgegen= | stellen, ist man tibereingekommen, daB die Gemeinschaft der Ausgaben fur das | Landheer erst mit dem 1. Januar 1872. beginnen soil. Bis zu diesem Tage | wird daher der Ertrag der im Artikel 35. bezeichneten gemeinschaftlichen Abga= | ben nicht zur Bundeskasse flieBen, sondem den Staatskassen Badens und Hessens, | letzterer rucksichtlich des auf Siidhessen fallenden Antheils, verbleiben und es wird | der Beitrag dieser Staaten zu den Bundesausgaben durch Matrikularbeitrage | aufgebracht werden, wegen deren Feststellung dem im nachsten Jahre zu beru= | fenden Reichstage eine Vorlage gemacht werden wird. Auch die Bestimmungen in den Artikeln 49 - 52. der Bundesverfassung | sollen fur Baden erst mit dem 1. Januar 1872. in Wirksamkeit treten, damit | die fur die Ueberleitung der Landesverwaltung der Posten und Telegraphen in | die Bundesverwaltung erforderliche Zeit gewonnen werde. Im Uebrigen wurden noch nachstehende, im Laufe der Verhandlungen ab= | gegebene Erklarungen in gegenwartiges Protokoll niedergelegt: Man war dartiber einverstanden, 1) zu Artikel 18. der Verfassung, daB zu den, einem Beamten zuste= | henden Rechten im Sinne des zweiten Absatzes dieses Artikels diejenigen | Rechte nicht gehoren, welche seinen Hinterbliebenen in Beziehung auf | Pensionen oder Unterstutzungen etwa zustehen; 2) zu den Artikeln 35. und 38. der Verfassung, daB die nach MaaB= | gabe der Zollvereinsvertrage auch femer zu erhebenden Ubergangsabgaben | von Branntwein und Bier ebenso anzusehen sind, wie die auf die Be= | reitung dieser Getranke gelegten Abgaben; 3) zu Artikel 38. der Verfassung, daB, so lange die jetzige Besteu= | erung des Bieres in Hessen fortbesteht, nur der dem Betrage der Nord= | deutschen Braumalzsteuer entsprechende Theil der Hessischen Biersteuer in | die Bundeskasse flieBen wird; 4) zum VIII. Abschnitt der Verfassung, daB die Vertrage, durch | welche das VerhaltniB des Post= und Telegraphenwesens in Hessen zum | Norddeutschen Bunde jetzt geregelt ist, durch die Bundesverfassung nicht | aufgehoben sind. Insbesondere hehalt es hinsichtlich der Zahlung des | Kanons und der Chausseegeld=Entschadigung, sowie der Entschadigung | [S. 652] fur Wege= und Brtickengelder und sonstige Kommunikationsabgaben, | femer hinsichtlich der Vergtitung ftir Benutzung der Staats= und Privat= | batmen, und hinsichtlich der Behandlung des Portofreiheitswesens in | Sudhessen, bis zum Ende des Jahres 1875. sein Bewenden bei dem I jetzt bestehenden Zustande. Ftir die Zeit vom 1. Januar 1876. ab fallt | die ^ Dok. 134.

[129] Vertrag tiber Gnindung des Deutschen Bundes vom 15. November 1870

1193

Zahlung des Kanons und der Chausseegeld=Entschadigung weg. Wie | es in Bezug auf die Vergtitung fur die postalische Benutzung der Eisen= | bahnen, sowie in Bezug auf die Siidhessischen Portofreiheiten fiir die 1 Zeit nach dem 1. Januar 1876. zu halten sei, bleibt spaterer Verstandi= | gung vorbehalten. Die Entschadigung fiir Wege= und Briickengelder | und sonstige Kommunikationsabgaben wird auch nach dem 1. Januar 1876. | an die GroBherzoglich Hessische Regierung gezahlt, wogegen diese die Ent= | schadigung der Berechtigten auch fur die Zukunft wie bisher tibernimmt; 5) zu Artikel 52. der Verfassung wurde von den Badischen Bevoll= | machtigten bemerkt, daB die finanziellen Ergebnisse der Post== und Tele= | graphenverwaltung des Bundes, wie sie sich bisher gestaltet hatten und | in dem Bundeshaushalts=Etat fur 1871. veranschlagt seien, ungeachtet | der in Artikel 52. getroffenen Bestimmung, keine Gewahr dafiir leisteten, | daB der auf Baden fallende Antheil an den Einnahmen dieser Verwal= | tungen auch nur annahemd diejenige Einnahme ergeben werde, welche | es gegenwartig aus seiner eigenen Verwaltxing zum Betrage von durch= I schnitthch 130,000 Rthlm. beziehe. Sie hielten es deshalb fur billig, | daB Baden durch eine besondere Verabredung vor einem, seinen Haus= | halt empfindlich benihrenden Einnahme^Ausfall gesichert werde. Wenngleich von anderen Seiten die BesorgniB der Badischen Be= | vollmachtigten als begrundet nicht anerkannt werden konnte, so einigte | man sich doch dahin, daB, wenn im Laufe der Uebergangsperiode der | nach dem ProzentverhaltniB sich ergebende Antheil Badens an den im | Bunde aufkommenden Postuberschiissen in einem Jahre die Summe von | 100,000 Rthlm. nicht erreichen sollte, der an dieser Summe fehlende | Betrag Baden auf seine Matrikularbeitrage zu Gute gerechnet werden | soil. Eine solche Anrechnung wird jedoch nicht stattfmden in einem | Jahre, in welches kriegerische Ereignisse fallen, an denen der Bund be= | theiligt ist; 6) zu Artikel 56. der Verfassung bemerkten die Bevollmachtigten des | Norddeutschen Bundes auf Anfrage der GroBherzoglich Badischen Be= | vollmachtigten, daB das Bundesprasidium schon bisher, nach Vemeh= | mung des zustandigen Ausschusses des Bundesrathes, Bundeskonsulate | errichtet habe, wenn eine solche Einrichtung an einem bestimmten Platze | durch das Interesse auch nur Eines Bundesstaates geboten worden sei. | Sie verbanden damit die Zusage, daB in diesem Sinne auch in Zukunft I werde verfahren werden; 7) zu Artikel 62. der Verfassung wurde verabredet, daB die Zahlung | der nach diesem Artikel von Baden aufzubringenden Beitrage mit dem | ersten Tage des Monats beginnen soil, welcher auf die Anordnung zur | [S. 653] Rtickkehr der Badischen Truppen von dem Kriegszustande auf den Frie= | densfuB folgt; 8) zu Artikel 78. der Verfassung wurde allseitig als selbstverstandlich | angesehen, daB diejenigen Vorschriften der Verfassung, durch welche be= | stimmte Rechte einzelner Bundesstaaten in deren VerhaltniB zur Ge= | sammtheit festgestellt sind, nur mit Zustimmung des berechtigten Bundes= | staates abgeandert werden konnen;

1194 9)

§ 7: Deutscher Bund/Deutsches Reich (1870/71 - 1918)

[Dok. 129 - 147]

zu Artikel 80. der Verfassung war man in Beziehung auf das | Gesetz, betreffend die Errichtung eines obersten Gerichtshofes fiir Handels= | sachen, vom 12. Juni V. J. dariiber einig, daB eine entsprechende Ver= | mehmng der Mitglieder dieses Gerichtshofes durch einen Nachtrag zu | dessen Etat fur 1871. in Vorschlag zu bringen sein werde.

Es wurde femer allseitig anerkannt, daB zu den im Norddeutschen | Bunde ergangenen Gesetzen, deren Erklarung zu Gesetzen des Deutschen | Bundes der Bundesgesetzgebung vorbehalten bleibt, das Gesetz vom | 21. Juli d. J., betreffend den auBerordentlichen Geldbedarf der Militair= | und Marineverwaltung, nicht gehort, und daB das Gesetz vom 31. Mai d. J., I betreffend die St. Gotthard=Eisenbahn, jedenfalls nicht ohne Veranderung | seines Inhalts zum Bundesgesetze wtirde erklart werden konnen. Gegenwartiges Protokoll ist vorgelesen, genehmigt und von den im Ein= | gauge genannten Bevollmachtigten in Einem, in das Archiv des Bundeskanzler= | Amts zu Berlin niederzulegenden Exemplare voUzogen worden. V. Bismarck. Jolly. v. Dalwigk (L. S.) (L. S.) (L. S.) V. Friesen. v. Freydorf Hofmann. (L. S.) (L. S.) (L. S.) Delbrtick. (L. S.) Die Auswechselung der Ratifikations=Urkunden hat in Berlin stattgefunden.

[130] Vertrag (Norddeutscher Bund ./. Bayern) uber den Beitritt Bayerns zur Verfassung des Deutschen Bundes vom 23. November 1870 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einfuhrungen" die Darstellungen unter [370.] [414.] [418.] [438.] [441.] [444.] [449.] [453.] [454.] [556]. Quelle: Bundes-Gesetzblatt des Norddeutschen Bundes, (Nr. 1 vom 31. Januar) 1871, S. 9 - 22 (gedruckt). Sonstige Fundstellen: O.Becker, Bismarcks Ringen um Deutschlands Gestaltung, 1958, S. 760 f (Geheime Verabredung); E. Bock, Das Staatsrecht des Deutschen Reichs, 1902, S. 37 - 44 (Art. Ill - V und SchluBprotokoll); J. v. Held, Die Verfassung des Deutschen Reiches, 1872, S. 262 - 283 (ohne Geheime Verabredung); E. R. Huber (Hrsg.), Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte, Bd. 2: Deutsche Verfassungsdokumente 1 8 5 1 1900, 3. Aufl., 1986, Nm. 220-222; E. v. Puttkamer, Foderative Elemente im deutschen Staatsrecht seit 1648, 1955, S. 146-149 (Art. Ill); F. Stoerk (Hrsg.), Handbuch der deutschen Verfassungen, 2. Aufl., 1913, S. 36 - 43 (ohne Geheime Verabredung). [S.9] Vertrag, betreffend den Beitritt Bayerns zur Verfassung des Deutschen Bundes. | Vom 23. November 1870.; nebst Schlussprotokoll von demselben Tage. Seine Majestat der Konig von PreuBen im Namen des Norddeutschen Bundes | und Seine Majestat der Konig von Bayern haben in der Absicht, die Sicherheit | des Deutschen Gebietes zu gewahrleisten, dem Deutschen Rechte eine gedeihliche | Entwickelung zu sichem und die Wohlfahrt des Deutschen Volkes zu pflegen, be= | schlossen, tiber Griindung eines Deutschen Bundes Verhandlungen zu eroffnen | und zu diesem Behufe zu Bevollmachtigen emannt:

[130] Vertrag liber den Beitritt Bayems vom 23. November 1870

1195

Seine Majestat der Konig von PreuBen, im Namen des Nord= | deutschen Bundes: den Kanzler des Norddeutschen Bundes, Allerhochstihren Prasidenten | des Staats= Ministeriums und Minister der auswartigen Ange= | legenheiten, Grafen Otto von Bismarck=Sch6nhausen und,| Allerhochstihren Kriegs= und Marineminister, General der Infanterie | Albert v. Roon; Seine Majestat der Konig von Bay em: Allerhochstihren Staatsminister des Koniglichen Hauses und des | AeuBem Grafen Otto V. Bray=Steinburg, | Allerhochstihren Kriegsminister, Generallieutenant Sigmund Frei= | herm v. Prankh und | Allerhochstihren Staatsminister der Justiz Johann v. Lutz. Diese Bevollmachtigten sind in Versailles zusammengetreten, haben ihre | Vollmachten ausgetauscht und haben sich, nachdem diese letzteren in guter Ord= | nung befunden waren, liber nachfolgende Vertragsbestimmungen geeinigt. I. Die Staaten des Norddeutschen Bundes und das Konigreich Bayem | schlieBen einen ewigen Bund, welchem das GroBherzogthum Baden und das | [S. 10] GroBherzogthum Hessen fiir dessen slidlich vom Main belegenes Staatsgebiet | schon beigetreten sind und zu welchem der Beitritt des Konigreichs Wlirttemberg | in Aussicht steht. Dieser Bund heiBt der Deutsche Bund. 11. Die Verfassung des Deutschen Bundes ist die des bisherigen Norddeut= | schen Bundes, jedoch mit folgenden Abanderungen. §1. Der Artikel 1. der Norddeutschen Bundesverfassung wird klinftig lauten, | wie folgt: Das Bundesgebiet besteht aus den Staaten PreuBen mit Lauenburg, | Bayem, Sachsen, Wlirttemberg, Baden, Hessen, Mecklenburg=Schwerin, | Sachsen=Weimar, Mecklenburg=Strelitz, Oldenburg, Braunschweig, | Sachsen=Meiningen, Sachsen=Altenburg, Sachsen=Koburg=Gotha, Anhalt, | Schwarzburg=Rudolstadt, Schwarzburg=Sondershausen, Waldeck, ReuB | alterer Linie, ReuB jlingerer Linie, Schaumburg=Lippe, Lippe, Lubeck, | Bremen und Hamburg. §2. Zu Artikel 4. wird folgender Zusatz vereinbart: Ziffer 16. Die Bestimmungen liber die Presse und das Vereinswesen. §3. Das zweite Alinea des Artikels 5. lautet klinftig wie folgt: Bei Gesetzes=Vorschlagen liber das Militairwesen, die Kriegsmarine | und die im Artikel 35. bezeichneten Abgaben giebt, wenn im Bundes= | rathe eine Meinungsverschiedenheit stattfindet, die Stimme des Prasidi= | ums den Ausschlag, wenn sie sich flir die Aufrechterhaltung der bestehen= | den Einrichtung ausspricht. §4. Artikel 6. erhalt folgende Fassung: Der Bundesrath besteht aus den Vertretem der Mitglieder des | Bundes, unter welchen die Stimmfiihmng sich in der Weise vertheilt, | daB PreuBen mit den ehemaligen Stimmen von Hannover, Kurhessen, | Holstein, Nassau und Frankfurt 17 Stimmen flihrt, Bayem 6, Sachsen 4, | Wlirttemberg 4, Baden 3, Hessen 3, Mecklenburg=Schwerin 2, Sachsen= | Weimar 1, Mecklenburg=Strelitz 1, Oldenburg 1, Braunschweig 2, | Sach-

1196

§ 7: Deutscher Bund/Deutsches Reich (1870/71 - 1918)

[Dok. 129 - 147]

sen=Meiningen 1, Sachsen=Altenburg 1, Sachsen=Koburg=Gotha 1, | Anhalt 1, Schwarzbiirg=Rudolstadt 1, Schwarzburg=Sondershausen 1, | Waldeck 1, ReuB alterer Linie 1, ReuB jtingerer Linie 1, Schaumburg= | Lippe 1, Lippe 1, Ltibeck 1, Bremen 1, Hamburg 1, in Summa 58 | Stimmen. Jedes Mitglied des Bundes kann soviel Bevollmachtigte zum | Bundesrathe emennen, wie es Stimmen hat, doch kann die Gesammt^ | heit der zustandigen Stimmen nur einheitlich abgegeben werden. [S. 11] §5. An die Stelle des Artikels 7. tritt folgende Bestimmung. Der Bundesrath beschheBt: 1) iiber die dem Reichstage zu machenden Vorlagen und die von dem= | selben gefaBten Beschltisse; 2) iiber die zur Ausfuhrung der Bundesgesetze erforderlichen allgemei= | nen Verwaltungsvorschriften und Einrichtungen, sofem nicht in | dem Gesetze selbst etwas Anderes bestimmt ist; 3) iiber Mangel, welche bei der Ausfuhrung der Reichsgesetze oder der | vorstehend erwahnten Vorschriften oder Einrichtungen hervortreten. Jedes Bundesglied ist befugt, Vorschlage zu machen und in Vor= | trag zu bringen, und das Prasidium ist verpflichtet, dieselben der Bera= | thung zu iibergeben. Die BeschluBfassung erfolgt, vorbehaltlich der Bestimmungen in | den Artikeln 5., 37., und 78., mit einfacher Mehrheit. Nicht vertretene | oder nicht instruirte Stimmen werden nicht gezahlt. Bei Stimmengleich= | heit giebt die Prasidialstimme den Ausschlag. Bei der BeschluBfassung iiber eine Angelegenheit, welche nach den | Bestimmungen dieser Verfassung nicht dem ganzen Bunde gemeinschaft= | lich ist, werden die Stimmen nur derjenigen Bundesstaaten gezahlt, | welchen die Angelegenheit gemeinschaftlich ist. §6. Artikel 8. erhalt folgende Fassung: Der Bundesrath bildet aus seiner Mitte dauemde Ausschiisse 1) ftir das Landheer und die Festungen, 2) fiir das Seewesen, 3) fur Zoll= und Steuerwesen, 4) fur Handel und Verkehr, 5) fur Eisenbahnen, Post und Telegraphen, 6) fiir Justizwesen, 7) fur Rechnungswesen. In jedem dieser Ausschiisse werden auBer dem Prasidium minde= | stens vier Bundesstaaten vertreten sein, und fiihrt innerhalb derselben [ jeder Staat nur eine Stimme. In dem Ausschusse fur das Landheer und die Festungen hat | Bayem einen standigen Sitz, die iibrigen Mitglieder desselben, sowie die | Mitglieder des Ausschusses far das Seewesen, werden von dem Bundes= | feldherm emannt; die Mitglieder der anderen Ausschiisse werden vom | Bundesrathe gewahlt. Die Zusammensetzung dieser Aus-

[130] Vertrag liber den Beitritt Bayems vom 23. November 1870

1197

schiisse ist fur | jede Session des Bundesrathes, resp. mit jedem Jahre zu emeuem, wobei I die ausscheidenden Mitglieder wieder wahlbar sind. [S. 12] AuBerdem wird im Bundesrathe aus den BevoUmachtigten der | Konigreiche Bayem, Sachsen und Wiirttemberg unter dem Vorsitze | Bayems ein AusschuB fiir die auswartigen Angelegenheiten gebildet. Den Ausschtissen werden die zu ihren Arbeiten nothigen Beamten | zur Verfiigung gestellt §7. In Artikel 11. wird nach dem ersten Absatze folgende Zusatzbestimmung | eingeschaltet: Zur Erklarung des Krieges im Namen des Bundes ist die Zu= | stimmung des Bundesrathes erforderlich, es sei denn, daB ein Angriff | auf das Bundesgebiet oder dessen Kiisten erfolgt. §8. Artikel 18. erhalt am Schlusse folgenden Zusatz: Den zu einem Bundesamte berufenen Beamten eines Bundes= | staates stehen, sofem nicht vor ihrem Eintritt in den Bundesdienst im | Wege der Bundesgesetzgebung etwas Anderes bestimmt ist, dem Bunde | gegentiber diejenigen Rechte zu, welche ihnen in ihrem Heimathlande aus | ihrer dienstlichen Stellung zugestanden hatten. §9. Artikel 19. lautet fortan wie folgt: Wenn Bundesglieder ihre verfassungsmaBigen Bundespflichten nicht | erfullen, so konnen sie dazu im Wege der Exekution angehalten werden. | Diese Exekution ist vom Bundesrathe zu beschlieBen und vom Bundes= | presidium zu vollstrecken. §10. Artikel 20. erhalt folgende Fassung: Der Reichstag geht aus allgemeinen und direkten Wahlen mit | geheimer Abstimmung hervor. Bis zu der gesetzlichen Regelung, im § 5. des Wahlgesetzes | vom 31. Mai 1869. (Artikel 79. Nr. 13.) vorbehalten ist, werden in | Bayem 48, in Wiirttemberg 17, in Baden 14, in Hessen slidlich des | Main 6 Abgeordnete gewahlt und betragt demnach die Gesammtzahl | der Abgeordneten 382. §11. Artikel 28. erhalt folgenden Zusatz: Bei der BeschluBfassung liber eine Angelegenheit, welche nach den | Bestimmungen dieser Verfassung nicht dem ganzen Bunde gemeinschaft= | lich ist, werden die Stimmen nur derjenigen Mitglieder gezahlt, die | in Bundesstaaten gewahlt sind, welchen die Angelegenheit gemeinschaft= | lich ist.

1198

§ 7: Deutscher Bund/Deutsches Reich (1870/71 - 1918)

[Dok. 129 - 147]

§12. Aus Artikel 34. wird das Wort „Lubeck" gestrichen. [S. 13] §13. Artikel 35. erhalt folgende Fassung: Der Bund ausschlieBlich hat die Gesetzgebung iiber das gesammte | Zollwesen, tiber die Besteuemng des im Bundesgebiete gewonnenen | Salzes und Tabacks, bereiteten Branntweins und Biers und aus Riiben | oder anderen inlandischen Erzeugnissen dargestellten Zuckers und Syrups, | tiber den gegenseitigen Schutz der in den einzelnen Bundesstaaten erho= | benen Verbrauchsabgaben gegen Hinterziehungen, sowie tiber die MaB= I regeln, welche in den Zollausschltissen zur Sicherung der gemeinsamen | Zollgrenze erforderlich sind. In Bayem, Wtirttemberg und Baden bleibt die Besteuemng des | inlandischen Branntweins und Biers der Landesgesetzgebung vorbehalten. | Die Bundesstaaten werden jedoch ihr Bestreben darauf richten, eine | Ubereinstimmung der Gesetzgebung tiber die Besteuemng auch dieser | Gegenstande herbeizufuhren. §14. Zu Artikel 36. wird am Schlusse folgender Zusatz beigefugt: Die von diesen Beamten tiber Mangel bei der Ausflihmng der | gemeinschaftlichen Gesetzgebung gemachten Anzeigen (Art. 35.) werden | dem Bundesrathe zur BeschluBnahme vorgelegt. §15. Artikel 37. wird ktinftig lauten, wie folgt: Bei der BeschluBnahme tiber die zur Ausfuhrung der gemein= | schaftlichen Gesetzgebung (Art. 35) dienenden Verwaltungsvorschriften und | Einrichtungen giebt die Stimme des Prasidiums alsdann den Ausschlag, | wenn sie sich fiir die Aufrechterhaltung der bestehenden Vorschrifl oder Ein= | richtung ausspricht. §16. Artikel 38. wird wie folgt gefaBt: Der Ertrag der Zolle und der anderen in Art. 35. bezeichneten | Abgaben, letzterer soweit sie der Bundesgesetzgebung unterliegen, flieBt in | die Bundeskasse. Dieser Ertrag besteht aus der gesammten von den Zollen und den | tibrigen Abgaben aufgekommenen Einnahme nach Abzug 1) der auf Gesetzen oder allgemeinen Verwaltungsvorschriften bemhen= | den Steuervergtitungen und ErmaBigungen, 2) der Rtickerstattungen fiir unrichtige Erhebungen, 3) der Erhebungs= und Verwaltungskosten, und zwar: a) bei den Zollen der Kosten, welche an den gegen das Ausland | gelegenen Grenzen und in dem Grenzbezirke fiir den Schutz und | die Erhebung der Zolle erforderlich sind, b) bei der Salzsteuer der Kosten, welche zur Besoldung der mit | Erhebung und Kontrolimng dieser Steuer auf den Salzwerken | beauftragten Beamten aufgewendet werden,

[130] Vertrag ilber den Beitritt Bayems vom 23. November 1870

1199

[S. 14] c) bei der Riibenzuckersteuer und Tabacksteuer der Vergtitung, welche | nach den jeweiligen Beschliissen des Bundesrathes den einzelnen | Bundesregierungen ftir die Kosten der Verwaltung dieser Steuem | zu gewahren ist, d) bei den tibrigen Steuem mit fiinfzehn Prozent der Gesammt= | einnahme. Die auBerhalb der gemeinschaftlichen Zollgrenze liegenden Gebiete | tragen zu den Bundesausgaben durch Zahlung eines Aversums bei. Bay em, Wtirttemberg und Baden haben an dem in die Bundes= | kasse flieBenden Ertrage der Steuem von Branntwein und Bier und an | dem diesem Ertrage entsprechenden Theile des vorstehend erwahnten | Aversums keinen Theil. §17. Artikel 39. erhalt nachstehende Fassung: Die von den Erhebungsbehorden der Bundesstaaten nach Ablauf | eines jeden Vierteljahres aufzustellenden Quartalextrakte und die nach | dem Jahres= und Bticherschlusse aufzustellenden Finalabschliisse tiber die | im Laufe des Vierteljahres beziehungsweise wahrend des Rechnungs= | jahres fallig gewordenen Einnahmen an Zollen und nach Artikel 38. I zur Bundeskasse flieBenden Verbrauchsabgaben werden von den Direktiv= | behorden der Bundesstaaten, nach vorangegangener Prtifung, in Haupt= | tibersichten zusammengestellt, in welchen jede Abgabe gesondert nachzu= | weisen ist, und es werden diese Ubersichten an den AusschuB des Bun= | desrathes fur das Rechnungswesen eingesandt. Der Letztere stellt auf Gmnd dieser Ubersichten von drei zu drei | Monaten den von der Kasse jedes Bundesstaates der Bundeskasse schul= | digen Betrag vorlaufig fest und setzt von dieser Feststellung den Bundes= | rath und die Bundesstaaten in KenntniB, legt auch alljahrlich die schlieB= | liche Feststellung jener Betrage mit seinen Bemerkungen dem Bundes= | rathe vor. Der Bundesrath beschlieBt tiber diese Feststellung. §18. Artikel 40. hat zu lauten: Die Bestimmungen in dem Zollvereinigungs=Vertrage vom 8. Juli | 1867. bleiben in Kraft, soweit sie nicht durch die Vorschriften dieser Ver= | fassung abgeandert sind und solange sie nicht auf dem im Artikel 7., | beziehungsv^eise 78. bezeichneten Wege abgeandert werden. §19. Artikel 48. Absatz 2 wird wie folgt gefaBt: Die im Artikel 4. vorgesehene Gesetzgebung des Bundes in Post= | und Telegraphen=Angelegenheiten erstreckt sich nicht auf diejenigen Gegen= | stande, deren Regelung nach den gegenwartig in der Norddeutschen Post= | und Telegraphenverwaltung maBgebenden Gmndsatzen der reglementarischen | Festsetzung oder administrativen Anordnung tiberlassen ist. [S. 15] §20. An die Stelle der bisherigen Artikel 50. und 51. tritt folgende Fassung: Artikel 50. Dem Bundesprasidium gehort die obere Leitung der Post= | und Telegraphenverwaltung an. Dasselbe hat die Pflicht und das Recht, | dafur zu sorgen, daB Einheit in der Organisation der Verwaltung und | im Betriebe des Dienstes, sowie in der Qualifikation der Beamten hep= | gestellt und erhalten wird.

1200

§ 7: Deutscher Bund/Deutsches Reich (1870/71 - 1918)

[Dok. 129 - 147]

Das Prasidium hat fiir den ErlaB der reglementarischen Fest= | setzungen und allgemeinen administrativen Anordnungen, sowie fur die | ausschlieBliche Wahmehmung der Beziehungen zu anderen Post= und | Telegraphenverwaltungen Sorge zu tragen. Sammtliche Beamte der Post= und Telegraphenverwaltung sind | verpflichtet, den Anordnungen des Bundesprasidiums Folge zu leisten. | Diese Verpflichtung ist in den Diensteid aufzunehmen. Artikel 51. Die Anstellung der bei den Verwaltungsbehorden | der Post und Telegraphic in den verschiedenen Bezirken erforderlichen | oberen Beamten (z. B. der Direktoren, Rathe, Oberinspektoren), femer | die Anstellung der zur Wahmehmung des Aufsichts= u. s. w. Dienstes | in den einzelnen Bezirken als Organe der erwahnten Behorden fungiren= | den Post= und Telegraphenbeamten (z. B. Inspektoren, Kontroleure) | geht fiir das ganze Gebiet des Deutschen Bundes von dem Prasidium | aus, welchem diese Beamten den Diensteid leisten. Den einzelnen Lan== | desregiemngen wird von den in Rede stehenden Emennungen, soweit | dieselben ihre Gebiete betreffen, Behufs der landesherrlichen Bestatigung | und Publikation rechtzeitig Mittheilung gemacht werden. Die anderen | bei den Verwaltungsbehorden der Post und Telegraphic erforderlichen | Beamten, sowie alle fiir den lokalen und technischen Betrieb bestimmten, | mithin bei den eigcntlichen Betriebsstellen fiingirenden Beamten u. s. w. | werden von den betreffenden Landesregicmngen angestellt. Wo cine selbststandige Landespost= resp. Telegraphenverwaltung | nicht bestcht, entscheiden die Bestimmungen der besonderen Vertrage. §21. Artikel 52. Absatz 3. lautet fiir die Folge: Nach MaaBgabe des auf diese Weisc festgestelltcn Verhaltnisses | werden den einzelnen Staaten wahrend der auf ihren Eintritt in die | Bundes=Postverwaltung folgcnden acht Jahre die sich fiir sie aus den | im Bunde aufkommenden Postiiberschtissen ergebenden Quoten auf ihre | sonstigen Beitrage zu Bundeszwecken zu Gute gerechnet. §22. Artikel 56. lautet fortan in seinem Eingange: Das gesammte Konsulatwesen des Deutschen Bundes steht unter | der Aufsicht etc. [S. 16] §23. In den Artikeln 57. und 59. tritt an die Stelle des Wortes „Nord= | deutsche" der Ausdruck: „Deutsche Bundesangehorige". §24. Aus Artikel 62. fallt der zweite Absatz aus. §25. Artikel 78. lautet wie folgt: Veranderungen der Verfassung erfolgen im Wege der Gesetzgebung. | Sie gclten als abgelehnt, wenn sie im Bundesrathe 14 Stimmen gegen | sich haben.

[130] Vertrag liber den Beitritt Bayems vom 23. November 1870

1201

§26. Der bisherige Artikel 79. der Bundesverfassung fallt weg. An dessen Stelle tritt folgende XV. Uebergangs=Bestimmung. Artikel 79. Die nachstehend genannten, im Norddeutschen Bunde ergangenen | Gesetze werden zu Gesetzen des Deutschen Bundes erklart und als solche | von den nachstehend genannten Zeitpunkten an in das gesammte Bundes= | gebiet mit der Wirkung eingefuhrt, daB, wo in diesen Gesetzen von dem | Norddeutschen Bunde, dessen Verfassung, Gebiet, Mitgliedem oder Staa= | ten, Indigenat, verfassungsmaBigen Organen, Angehorigen, Beamten, I Flagge u. s. w. die Rede ist, der Deutsche Bund und dessen entsprechende | Beziehungen zu verstehen sind, namlich: I. vom Tage der Wirksamkeit der gegenwartigen Verfassung an: 1) das Gesetz liber das PaBwesen vom 12, Oktober 1867., 2) das Gesetz liber die Nationalitat der Kauffahrteischiffe vom | 25. Oktober 1867., 3) das Gesetz liber die Freizligigkeit vom 1. November 1867., 4) das Gesetz liber die Bundeskonsulate vom 8. November 1867., 5) das Wehrgesetz vom 9. November 1867., 6) das Gesetz liber die vertragsmaBigen Zinsen vom 14. Novem= | ber 1867., 7) das Gesetz liber die Beseitigung polizeilicher Ehebeschrankungen | vom 4. Mai 1868., 8) das Gesetz liber die Aufhebung der Schuldhaft, vom 29. Mai | 1868., 9) das Gesetz liber die Unterstlitzung Schleswig=Holsteinischer Offi= | ziere vom 14. Mai 1868., [S. 17] 10) das Gesetz liber die Erwerbs= und Wirtschaftsgenossenschaften | vom 4. Juli 1868., 11) das Gesetz liber die MaaB= und Gewichtsordnung vom 17. | August 1868., 12) das Gesetz uber die Rinderpest vom 7. April 1869., 13) das Gesetz liber die Kautionen der Bundesbeamten vom 2. Juni | 1869., 14) das Gesetz liber die Einfiihrung der Wechselordnung vom 5. Juni | 1869., 15) das Gesetz liber die Wechselstempelsteuer vom 10. Juni 1869., 16) das Gesetz liber das Bundes=Oberhandelsgericht vom 12. Juni | 1869., 17) das Gesetz liber die Beschlagnahme des Arbeitslohnes vom 21. | Juni 1869., 18) das Gesetz liber die Gewahrung der Rechtshlilfe vom 21. Juni | 1869., 19) das Gesetz liber die Gleichberechtigung der Konfessionen vom | 3. Juli 1869., 20) das Gesetz liber die Beseitigung der Doppelbesteuerung vom | 13. Mai 1870., 21) das Gesetz liber die Abgaben von der FloBerei vom 1. Juni 1870., 22) das Gesetz liber den Erwerb und Verlust der Bundesangehorig= | keit vom 1. Juni 1870., 23) das Gesetz liber das Urheberrecht an Schriftwerken vom 11. | Juni 1870., 24) das Gesetz liber die Kommanditgesellschaflen auf Aktien und | Aktiengesellschaften vom 11. Juni 1870., 25) das Gesetz liber die Ausgabe von Papiergeld vom 16. Juni 1870., 26) das Gesetz liber die EheschlieBung vor Bundeskonsuln vom 16. | Juni 1870., 27) das Gesetz liber die Unterstlitzung Schleswig=Holsteinischer Sol= | daten vom 3.Marzl870.;

1202

§ 7: Deutscher Bund/Deutsches Reich (1870/71 - 1918)

[Dok. 129 - 147]

11. vom 1. Januar 1872. an: 1) das Gesetz iiber das Postwesen vom 2. November 1867., 2) das Gesetz tiber Posttaxwesen vom 4. November 1867., 3) das Gesetz tiber Telegraphen=Freimarken vom 16. Mai 1869., 4) das Gesetz tiber Portofreiheiten vom 5. Juni 1869., 5) das Gesetz tiber Banknoten vom 27. Marz 1870., 6) das Einfiihrungsgesetz zum Strafgesetz vom 31. Mai 1870., 7) das Strafgesetzbuch. [S. 18] In Hessen stidlich des Mains werden als Bundesgesetze eingefuhrt, | und zwar: I. vom Tage der Wirksamkeit der Verfassung an: das Gesetz, betreffend die SchlieBung und Beschrankung der offent= | lichen Spielbanken, vom 1. M i 1868., das Gesetz tiber die Einflihrung der Telegraphen=Freimarken vom | 16. Mai 1869. II. vom 1. M i 1871. an: das Gesetz tiber den Untersttitzungswohnsitz vom 6. Juni 1870. In die Hohenzollemschen Lande wird vom Tage der Wirksamkeit der | Verfassung an eingefuhrt das Gesetz, betreffend die Wechselstempelsteuer, vom | 10. Juni 1869. Die Erklarung der tibrigen im Norddeutschen Bunde ergangenen Gesetze 1 zu Bundesgesetzen bleibt, soweit diese Gesetze sich auf Angelegenheiten beziehen, | welche verfassungsmaBig der Gesetzgebung des Deutschen Bundes unterliegen, | der Bundesgesetzgebung vorbehalten. III. Die vorstehend festgestellte Verfassung des Deutschen Bundes erleidet hin= | sichtlich ihrer Anwendung auf das Konigreich Bayem nachstehende Beschran= | kungen: §.1. Das Recht der Handhabung der Aufsicht Seitens des Bundes | tiber die Heimaths= und Niederlassungsverhaltnisse und dessen Recht | der Gesetzgebung tiber diesen Gegenstand erstreckt sich nicht auf das | Konigreich Bayem. Das Recht des Bundes auf Handhabung der Aufsicht und | Gesetzgebung tiber das Eisenbahnwesen, dann tiber das Post= und | Telegraphenwesen erstreckt sich auf das Konigreich Bayem nur nach | MaBgabe der in den §§.3, und 4. enthaltenen Bestimmungen. §.2. Ftir die erste Wahl zum Reichstage wird die Abgrenzung der | Wahlbezirke in Bayem in Ermangelung der bundesgesetzlichen Fest= | stellung von der Koniglich Bayerischen Regiemng bestimmt werden. §.3. Die Artikel 42. bis einschlieBlich 46. der Bundesverfassung sind | auf das Konigreich Bayem nicht anwendbar. Dem Bunde steht jedoch auch dem Konigreiche Bayem gegen= | tiber das Recht zu, im Wege der Gesetzgebung einheitliche Normen far | die Konstmktion und Ausrtistung der ftir die Landesvertheidigung wich= | tigen Eisenbahnen aufzustellen.

[130] Vertrag liber den Beitritt Bayems vom 23. November 1870

1203

[S. 19] §.4. Die Artikel 48. bis einschlieBlich 52. der Bundesverfassung finden | auf das Konigreich Bayem keine Anwendung. Das Konigreich Bayem | behalt die freie und selbststandige Verwaltung seines Post= und Tele= | graphenwesens. Dem Bunde steht jedoch auch fur das Konigreich Bayem die | Gesetzgebung tiber die Vorrechte der Post und Telegraphic, tiber die | rechtlichen Verhaltnisse beider Anstalten zum Publikum, tiber die Porto= | freiheiten und das Posttaxwesen, soweit beide letzteren nicht lediglich | den inneren Verkehr in Bayem betreffen, sowie unter gleicher Be= | schrankung die Feststellung der Gcbtihren fur die telegraphische Korre= | spondenz, endlich die Regelung des Post= und Telegraphenverkehrs | mit dem Auslande zu. An den zur Bundeskasse flicBendcn Einnahmen des Post= und | Telegraphenwesens hat Bayem keinen Antheil. §.5. Anlangend die Artikel 57. bis 68. von dem Bundes=Kriegs= | wesen, so findet Artikel 57. Anwendung auf das Konigreich Bayem; Artikel 58. ist gleichfalls fur das Konigreich Bayem gtiltig. Dieser Artikel erhalt jedoch fiir Bayem folgenden Zusatz: Der in diesem Artikel bezeichneten Verpflichtung wird von Bayem | in der Art entsprochen, daB es die Kosten und Lasten seines Kriegs= | wesens, den Unterhalt der auf seinem Gebiete belegenen festen Platze | und sonstigen Fortifikationen einbegriffen, ausschlieBlich und allein | tragt. Artikel 59. hat gleichwie der Artikel 60. fur Bayem gesetzliche | Geltung. Die Artikel 61. bis 68. finden auf Bayem keine Anwendung. An deren Stelle treten folgende Bestimmungen: I. Bayem behalt zunachst seine Militairgesetzgebung nebst den dazu | gehorigen Vollzugs=Instmktionen, Verordnungen, Erlautemngen etc. | bis zur verfassungsmaBigen BeschluBfassung tiber die der Bundes= | gesetzgebung anheimfallenden Materien, resp. bis zur freien Ver= | standigung beztighch der Einfuhmng der bereits vor dem Eintritte | Bayems in den Bund in dieser Hinsicht erlassenen Gesetze und | sonstigen Bestimmungen. II. Bayem verpflichtet sich, fur sein Kontingent und die zu demselben | gehorigen Einrichtungen einen gleichen Geldbetrag zu verwenden, wie | nach VerhaltniB der Kopfstarke durch den Militair=Etat des Deutschen | Bundes fur die tibrigen Theile des Bundesheeres ausgesetzt wird. [S. 20] Dieser Geldbetrag wird im Bundesbudget fiir das Koniglich [ Bayerische Kontingent in einer Summe ausgeworfen. Seine | Verausgabung wird durch Spezial=Etats geregelt, deren Aufstellung | Bayem tiberlassen bleibt. Hierftir werden im Allgemeinen diejenigen Etatsansatze nach | VerhaltniB zur Richtschnur dienen, welche fur das tibrige Bundes= | heer in den einzelnen Titeln ausgeworfen sind. III. Das Bayerische Heer bildet einen in sich geschlossenen Bestandtheil | des Deutschen Bundesheeres mit selbststandiger Verwaltung, unter | der Militairhoheit Seiner Majestat des Konigs von Bayem; im | Kriege ~ und zwar mit Beginn der Mobilisimng - unter dem | Befehle des Bundesfeldherm. In Bezug auf Organisation, Formation, Ausbildung und | Gcbtihren, dann hinsichtlich der Mobilmachung wird Bayem voile | Ubereinstimmung mit den fur das Bundesheer bestehenden Normen I herstellen.

1204

§ 7: Deutscher Bund/Deutsches Reich (1870/71 - 1918)

[Dok. 129 - 147]

Beziiglich der Bewaffhung und Ausriistxing, sowie der Grad= | abzeichen behalt sich die Koniglich Bayerische Regiemng die Her= | stellung der vollen Ubereinstimmung mit dem Bundesheere vor. Der Bundesfeldherr hat die Pflicht und das Recht, sich | durch Inspektionen von der Ubereinstimmung in Organisation, | Formation und Ausbildung, sowie von der Vollzahligkeit und | Kriegstiichtigkeit des Bayerischen Kontingents Uberzeugung zu ver= | schaffen und v^ird sich liber die Modalitaten der jeweiligen Vor= | nahme und iiber das ErgebniB dieser Inspektionen mit Seiner Ma= I jestat dem Konige von Bay em ins Vemehmen setzen. Die Anordnung der Kriegsbereitschaft (Mobilisirung) des | Bayerischen Kontingents oder eines Theils desselben erfolgt auf | Veranlassung des Bundesfeldherm durch Seine Majestat den Konig | von Bay em. Zur steten gegenseitigen Information in den durch diese Ver= | einbarung geschaffenen militairischen Beziehungen erhalten die Mi= [ litair=Bevollmachtigten in Berlin und Mtinchen iiber die einschla= | gigen Anordnungen entsprechende Mittheilung durch die resp. Kriegs^ | ministerien. IV. Im Kriege sind die Bayerischen Truppen verpflichtet, den Befehlen | des Bundesfeldherm unbedingt Folge zu leisten. Diese Verpflichtung wird in den Fahneneid aufgenommen. V. Die Anlage von neuen Befestigungen auf Bayerischem Gebiete im | Interesse der gesammtdeutschen Vertheidigung wird Bay em im Wege | jeweiliger spezieller Vereinbamng zugestehen. An den Kosten fiir den Bau und die Ausriistung solcher Be= | festigungsanlagen auf seinem Gebiete betheiligt sich Bayem in dem | seiner Bevolkerungszahl entsprechenden Verhaltnisse gleichmaBig mit | [S. 21] den anderen Staaten des Deutschen Bundes; ebenso an den fiir | sonstige Festungsanlagen etwa Seitens des Bundes zu bewilligenden | Extraordinarien. VI. Die Voraussetzungen, unter welchen wegen Bedrohung der offent= | lichen Sicherheit das Bundesgebiet oder ein Theil desselben durch | den Bundesfeldherm in ICriegszustand erklart werden kann, die Form | der Verkiindung und die Wirkungen einer solchen Erklarung werden | durch Bundesgesetz geregelt. VII. Vorstehende Bestimmungen treten mit dem 1. Januar 1872. in | Wirksamkeit. §.6. Die Artikel 69. und 71. der Bundesverfassung finden auf die von | Bayem far sein Heer zu machenden Ausgaben nur nach MaBgabe der | Bestimmungen des vorstehenden Paragraphen Anwendung, Artikel 72. | aber nur insoweit, als dem Bundesrathe und dem Reichstage lediglich | die Uberweisung der fiir das Bayerische Heer erforderlichen Summe an | Bayem nachzuweisen ist. §.7. Die in den vorstehenden §§ 1. bis 6. enthaltenen Bestimmungen | sind als ein integrirender Bestandtheil der Bundesverfassung zu betrachten. In alien Fallen, in welchen zwischen diesen Bestimmungen und | dem Texte der Deutschen Verfassungsurkunde eine Verschiedenheit besteht, | haben fiir Bayem lediglich die ersteren Geltung und Verbindlichkeit.

[130] Vertrag tiber den Beitritt Bayems vom 23. November 1870

1205

§.81. Die unter Zifferll. §. 26. dieses Vertrages aufgefuhrte Ueber= | gangsbestimmung des nunmehrigen Artikels 79. der Verfassung findet | auf Bayem in Anbetracht der vorgeriickten Zeit und der Nothwendigkeit | mannigfaltiger Umgestaltung anderer mit dem Gegenstande der Bundes= | gesetzgebung in Zusammenhang stehender Gesetze und Einrichtungen An= | wendung nur in Betreff des Wahlgesetzes fiir den Reichstag des Nord= I deutschen Bundes vom 31. Mai 1869. (Art. 79. Nr. 13.). Im Uebrigen bleibt die Erklamng der im Norddeutschen Bunde | ergangenen Gesetze zu Bundesgesetzen fur das Konigreich Bayem, soweit | diese Gesetze auf Angelegenheiten sich beziehen, welche verfassungsmaBig | der Gesetzgebung des Deutschen Bundes unterliegen, der Bundesgesetz= | gebung vorbehalten. IV. Da in Anbetracht der groBen Schwierigkeiten, welche theils die vorgertickte | Zeit, theils die Fortdauer des Krieges der Aufstellung eines Etats fiir die Mi= | litairverwaltung des Deutschen Bundes fur das Jahr 1871. und beziehungsweise | [S. 22] der Feststellung der von Bayem auf sein Heer zu verwendenden Gesammtsumme | fur dieses Jahr entgegenstellen, die Bestimmungen unter III. §. 5. dieses Ver= | trages erst mit dem 1. Januar 1872. in Wirksamkeit treten, wird der Ertrag | der im Artikel 35. bezeichneten gemeinschaftlichen Abgaben fiir das Jahr 1871. nicht zur Bundeskasse flieBen, sondem der Staatskasse Bayems verbleiben, da= | gegen aber der Beitrag Bayems zu den Bundesausgaben durch Matrikular= I beitrage aufgebracht werden. V. Diejenigen Vorschriften der Verfassung, durch welche bestimmte Rechte | einzelner Bundesstaaten in deren VerhaltniB zur Gesammtheit festgestellt sind, | insbesondere, soviel Bayem angeht, die unter Ziffer III. dieses Vertrages auf= | gefiihrten Bestimmungen konnen nur mit Zustimmung des berechtigten Bundes= | staates abgeandert werden. VI. Gegenwartiger Vertrag tritt mit dem 1. Januar 1871. in Wirksamkeit. Die vertragsschlieBenden Theile geben sich deshalb die Zusage, daB derselbe | unverweilt den gesetzgebenden Faktoren des Norddeutschen Bundes und Bayems | zur verfassungsmaBigen Zustimmung vorgelegt und, nach Ertheilung dieser Zu= | stimmung, im Laufe des Monats Dezember ratifizirt werden wird. Die Ratifikations=Erklamngen sollen in Berlin ausgetauscht werden. Zu Urkund dessen haben die Eingangs genannten Bevollmachtigten diesen | Vertrag in doppelter Ausfertigung am heutigen Tage mit ihrer Namensunter= | schrift und ihrem Siegel versehen. So geschehen Versailles, den 23. November 1870. V. Bismarck. | (L. S.) Bray=Steinburg. | (L. S.) V. Roon. I (L. S.) Frh. v. Pranckh. | (L. S.) V. Lutz. I (L. S.) Die Auswechselung der Ratifikationsurkunden hat in Berlin stattgefunden.

1206

§ 7: Deutscher Bund/Deutsches Reich (1870/71 - 1918)

[Dok. 129 - 147]

[130/1] SchluBprotokoll zum Vertrag vom 23. November 1870 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einfuhmngen" die Darstellungen unter [414.] [434.] [444.] [449.]. Quelle: Bundes-Gesetzblatt des Norddeutschen Bundes, (Nr. 1 vom 31.Januar) 1871, S. 23 - 26 (gedruckt). [S. 23] Schlussprotokoll Bei der Unterzeichnung des Vertrages tiber den AbschluB eines Verfassungs= | btindnisses zwischen Seiner Majestat dem Konige von PreuBen Namens des | Norddeutschen Bundes und Seiner Majestat dem Konige von Bayem sind die | unterzeichneten Bevollmachtigten noch tiber nachstehende vertragsmaBige Zusagen | und Erklarungen tibereingekommen: I. Es wurde auf Anregung der Koniglich Bayerischen Bevollmachtigten von | Seite des Koniglich PreuBischen Bevollmachtigten anerkannt, daB, nachdem sich | das Gesetzgebungsrecht des Bundes beztiglich der Heimaths^ und Niederlassungs= | verhaltnisse auf das Konigreich Bayem nicht erstreckt, die Bundes=Legislative auch | nicht zustandig sei, das Verehelichungswesen mit verbindlicher Kraft fur Bayem | zu regeln, und daB also das fur den Norddeutschen Bund erlassene Gesetz vom | 4. Mai 1868., die Aufhebung der polizeilichen Beschrankungen der EheschlieBungen | betreffend, jedenfalls nicht zu denjenigen Gesetzen gehort, deren Wirksamkeit auf | Bayem ausgedehnt werden kormte. 11. Von Seite des Koniglich PreuBischen Bevollmachtigten wurde anerkannt, | daB unter der GesetzgebungsbefugniB des Bundes tiber Staatsbtirgerrecht nur | das Recht verstanden werden solle, die Bundes= und Staatsangehorigkeit zu | regeln und den Gmndsatz der politischen Gleichberechtigung aller Konfessionen | durchzufuhren, daB sich im Ubrigen diese Legislative nicht auf die Frage erstrecken | solle, unter welchen Voraussetzungen Jemand zur Austibung politischer Rechte 1 in einem einzelnen Staate befugt sei. III. Die unterzeichneten Bevollmachtigten kamen dahin tiberein, daB in An= | betracht der unter Ziffer I. statuirten Ausnahme von der Bundes=Legislative der | Gothaer Vertrag vom 15. M i 1851. wegen gegenseitiger Uebemahme der Aus= | gewiesenen und Heimathslosen, dann die sogenannte Eisenacher Konvention vom | 11. Juli 1853. wegen Verpflegung erkrankter und Beerdigung verstorbener | Unterthanen fur das VerhaltniB Bayems zu dem tibrigen Bundesgebiete fort= | dauemde Geltung haben sollten. IV. Als vertragsmaBige Bestimmung wurde in Anbetracht der in Bayem be= | stehenden besonderen Verhaltnisse des Immobiliar=Versichemngswesens | [S. 24] und des engen Zusammenhanges derselben mit dem Hypothekar=Kreditwesen fest= | gestellt, daB, wenn sich die Gesetzgebung des Bundes mit dem Immobiliar=Ver= | sicherungswesen befassen sollte, die vom Bunde zu erlassenden gesetzlichen Bestim= | mungen in Bayem nur mit Zustimmung der Bayerischen Regiemng Geltung | erlangen konnen.

[130/1] SchluBprotokolI zum Vertrag vom 23. November 1870

1207

V. Der Koniglich PreuBische Bevollmachtigte gab die Zusicherung, daB Bay em | bei der femeren Ausarbeitung des Entwurfes eines Allgemeinen Deutschen Civil= | prozeB=Gesetzbuches entsprechend betheiligt werde. VL Als unbestritten wurde von dem Koniglich PreuBischen Bevollmachtigten | zugegeben, daB selbst beztiglich der der Bundes=Legislative zugewiesenen Gegenstande | die in den einzelnen Staaten geltenden Gesetze und Verordnungen in so lange in | Kraft bleiben und auf dem bisherigen Wege der Einzelngesetzgebung abgeandert | werden konnen, bis eine bindende Norm vom Bunde ausgegangen ist. VII. Der Koniglich PreuBische Bevollmachtigte gab die Erklarung ab, daB Seine | Majestat der Konig von PreuBen kraft der Allerhochstihnen zustehenden Prasidial= | rechte, mit Zustimmung Seiner Majestat des Konigs von Bayem, den Koniglich | Bayerischen Gesandten an den Hofen, an welchen solche beglaubigt sind, Voll= | macht ertheilen werden, die Bundesgesandten in Verhinderungsfallen zu vertreten. Indem diese Erklarung von den Koniglich Bayerischen Bevollmachtigten | acceptirt wurde, fugten diese bei, daB die bayerischen Gesandten angewiesen sein | wiirden, in alien Fallen, in welchen dies zur Geltendmachung allgemein Deutscher | Interessen erforderlich Oder von Nutzen sein wird, den Bundesgesandten ihre Bei= | htilfe zu leisten. VIIL Der Bund tibemimmt in Anbetracht der Leistungen der Bayerischen Re= | gierung fur den diplomatischen Dienst desselben durch die unter Ziffer VII. er= | wahnte Bereitstellung ihrer Gesandtschaften und in Erwagung des Umstandes, | daB an denjenigen Orten, an welchen Bayem eigene Gesandtschaften unterhalten | wird, die Vertretung der Bayerischen Angelegenheiten dem Bundesgesandten nicht | obliegt, die Verpflichtung, bei Feststellung der Ausgaben fiir den diplomatischen | Dienst des Bundes der Bayerischen Regiemng eine angemessene Vergiitung in-1 Anrechnung zu bringen. Ueber Festsetzung der GroBe dieser Vergiitung bleibt weitere Vereinbamng | vorbehalten. IX. Der Koniglich PreuBische Bevollmachtigte erkannte es als ein Recht der | Bayerischen Regiemng an, daB ihr Vertreter im Falle der Verhindemng PreuBens | den Vorsitz im Bundesrathe fiihre. fS. 25]

1208

§ 7: Deutscher Bund/Deutsches Reich (1870/71 - 1918)

[Dok. 129 - 147]

X. Zu den Artikeln 35. und 38. der Bundesverfassung war man dartiber ein= | verstanden, daB die nach MaBgabe der Zollvereinsvertrage auch femer zu er= | hebenden Uebergangsabgaben von Branntwein und Bier ebenso anzusehen sind, | wie die auf die Bereitung dieser Getranke gelegten Abgaben. XL Es wurde allseits anerkannt, daB bei dem Abschlusse von Post= und Tele= | graphen=Vertragen mit auBerdeutschen Staaten zur Wahrung der besonderen | Landesinteressen Vertreter der an die betreffenden auBerdeutschen Staaten an= | grenzenden Bundesstaaten zugezogen werden sollen, und daB den einzelnen Bundes= | staaten unbenommen ist, mit anderen Staaten Vertrage tiber das Post= und | Telegraphenwesen abzuschlieBen, sofem sie lediglich den Grenzverkehr betreffen. XII. Zu Artikel 56. der Bundesverfassung wurde allseitig anerkannt, | daB den einzelnen Bundesstaaten das Recht zustehe, auswartige Konsuln bei sich zu em= | pfangen und fiir ihr Gebiet mit dem Exequatur zu versehen. Femer wurde die Zusicherung gegeben, daB Bundeskonsuln an auswartigen | Orten auch dann aufgestellt werden sollen, wenn es nur das Interesse eines ein= | zelnen Bundesstaates als wtinschenswerth erscheinen laBt, daB dies geschehe. XIII. Es wurde femer allseitig anerkannt, daB zu den im Norddeutschen Bunde | ergangenen Gesetzen, deren Erklamng zu Gesetzen des Deutschen Bundes der | Bundesgesetzgebung vorbehalten bleibt, das Gesetz vom 21. Juli d. J., betreffend | den auBerordentlichen Geldbedarf der Militair= und Marineverwaltung, nicht ge= | hort, und daB das Gesetz vom 31. Mai d. J., betreffend die St. Gotthard=Eisen= | bahn, jedenfalls nicht ohne Verandemng seines Inhalts zum Bundesgesetze wiirde | erklart werden konnen. XIV. In Erwagung der in Ziffer III. §.5. enthaltenen Bestimmungen tiber | das Kriegswesen wurde - mit besonderer Beziehung auf die Festungen - noch | Nachfolgendes vereinbart: §•1. Bayem erhalt die Festungen Ingolstadt und Germersheim, sowie die Forti= | fikation von Neu=Ulm und die im Bayerischen Gebiete auf gemeinsame Kosten | etwa kiinftig angelegt werdenden Befestigungen in vollkommen vertheidigungs= | fahigem Stande.

[130/1] SchluBprotokoll zum Vertrag vom 23. November 1870

1209

§.2. ^Solche neu angelegten Befestigungen treten beztiglich ihres immobilen Ma= | terials in das ausschlieBliche Eigenthum Bay ems. '^Ihr mobiles Material hin^ | gegen wird gemeinsames Eigenthum der Staaten des Bundes. ^In Betreff dieses | Materials gilt bis auf Weiteres die Uebereinkunft vom 6. Juli 1869., welche auch | [S. 26] hinsichtlich des mobilen Festungsmaterials der vormaligen Deutschen Bundes^^ | festungen Mainz, Rastatt und Ulm in Kraft bleibt. §.3. Die Festung Landau wird unmittelbar nach dem gegenwartigen Kriege als | solche aufgehoben. Die Ausrtistung dieses Platzes, soweit sie gemeinsames Eigenthum, wird | nach den der Uebereinkunft vom 6. Juli 1869. zu Grunde liegenden Prinzipien | behandelt. §•4. Diejenigen Gegenstande des Bayerischen Kriegswesens, Betreffs welcher der | Bundesvertrag vom Heutigen oder das vorliegende Protokoll nicht ausdruckliche | Bestimmungen enthalten - sohin insbesondere die Bezeichnung der Regimenter etc., | die Uniformirung, Gamisonirung, das Personal= und Militair=Bildungswesen 1 u. s. w. - werden durch dieselbe nicht bertihrt. Die Betheiligung Bayerischer Offiziere an den fur hohere militairwissen= | schaftliche oder technische Ausbildung bestehenden Anstalten des Bundes wird | spezieller Vereinbarung vorbehalten. XV. Wenn sich in Folge des mangelhaft dahier vorliegenden Materials ergeben | sollte, daB bei Auffuhrung des nunmehrigen Wortlautes der Bundesverfassung | unter Zifferll. §.1. bis 26. ein Irrthum unterlaufen ist, behalten sich die kon= | trahirenden Theile dessen Berichtigung vor. XVI. Die Bestimmungen dieses SchluBprotokolls sollen ebenso verbindlich sein, | wie der Vertrag vom Heutigen iiber den AbschluB eines Deutschen Verfassungs= | btindnisses selbst, und sollen mit diesen gleichzeitig ratifizirt werden. So geschehen Versailles, den 23. November 1870. V. Bismarck. | (L. S.) Bray=Steinburg. | (L. S.) Frh. V. Pranckh. | (L. S.) V. Lutz. I (L. S.)

1210

§ 7: Deutscher Bund/Deutsches Reich (1870/71 - 1918)

[Dok. 129 - 147]

[130/2] Geheime Verabredung (PreuBen ./. Bayern) vom 23. November 1870 VgL dazu in „Teil 1: Historische Einfuhrungen" die Darstellungen unter [370] [414.] [435.]. Quelle: Bayerisches Hauptstaatsarchiv Miinchen, Bayern Urkunden 3660, S. 1 - 2 (gedruckte Ausfertigung).

[S.l] Im AnschluB an die heute geschlossene | Uebereinkunft wird zwischen Seiner | Majestat dem Konige von Bayern und | Seiner Majestat dem Konige von PreuBen | verabredet: 1. daB bei Friedens-Vertragen, wel= | che nach einem Bundeskriege geschlos= | sen werden, stets auch ein Bevoll== | machtigter Seiner Majestat des | Konigs von Bayem zugezogen | werden wird, welcher sich an den | Verhandlungen betheiligen und | durch das Bundes-Kanzleramt | seine Instructionen erhalten wird; 2. daB den durch Artikel XIII des | Berliner Friedens-Vertrages vom | 22. August 1866 erhobenen Anspriichen | PreuBens auf die vormalige Dtissel= | dorfer Gemaldegallerie eine Folge | nicht gegeben werden soil, womit | [S. 2] auf obige Anspriiche, ein fiir alle | Mai verzichtet wird. 3. Die heute vollzogene Verabredung | iiber das VerfassungsbtindniB | zwischen Bayem und dem Norddeut= | schen Bunde ist in der Voraussicht | des Beitrittes Wtirttembergs ge= | schlossen, soil aber auch, bis dieser | Beitritt erfolgt, insoweit die | Bestimmungen desselben Wtirttem= | berg nicht beruhren, Gtiltigkeit | haben. 4. Vorstehende Verabredung wird | die Ratification der beiden Aller= | hochsten Monarchen erhalten. Versailles den 23. November 1870. V. Bismarck. Bray=Steinburg. Frh. V. Pranckh. V. Lutz.

[130/3] Aufgrund des Art. XV des SchluRprotokolles vorgenommene Berichtigungen des Wortlauts der Bundesverfassung vom 28. November 1870 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einfuhmngen" die Darstellungen unter [434.]. Quelle: Gesetzblatt fiir das Konigreich Bayern, (Nr. 22 vom 1. Februar) 1871, Beilage III., Sp. 193/194 - 199 /200 (gedmckt). [Sp, 193/194] Beilage III. Berlin, den 28. November 1870. In XV des SchluBprotokolls zu dem zwischen seiner Majestat dem Konige | von PreuBen im Namen des Norddeutschen Bundes und Seiner Majestat dem | Konige von Bayern am 23. ds. Mts. zu Versailles abgeschlossenen Vertrage tiber | [Sp. 195/196] Griindung eines Deutschen Bundes haben die hohen vertragenden Theile sich die Berichtigung der | Irrthtimer vorbehalten, welche bei Auffiihrung des nunmehrigen Wortlautes der Bundes= | verfassung unter Ziffer II §. 1 bis 26 des Vertrages, in Folge des mangelhaft vorlie= | genden Materials, vorgekommen sein mochten.

[ 130/3] Berichtigungen vom 28. November 1870

1211

Auf Gmnd dieser Bestimmung hat der Wortlaut des Vertrages vom 23. November | 1870 folgende Aendemngen zu erleiden: 1) Im §. 5 Nr. 2 ist statt der Worte: „sofem nicht in dem Gesetze selbst etwas Anderes I bestimmt ist," zu lesen: „sofem nicht durch Bundesgesetz etwas Anderes bestimmt ist." 2) Der im §. 10 wiedergegebene Artikel 20 lautet wie folgt: Der Reichstag geht aus allgemeinen und directen Wahlen mit geheimer | Abstimmung hervor. Bis zu der gesetzlichen Regelung, welche im §. 5 des Gesetzes vom 31. Mai | 1869 (Artikel 80 Nr. 13) vorbehalten ist, werden in Bayem 48, in Wiirt= | temberg 17, in Baden 14, in Hessen stidlich des Mains 6 Abgeordnete ge= | wahlt und betragt demnach die Gesammtzahl der Abgeordneten 382. 3) In dem in den §.14 aufgenommenen Zusatz zu Artikel 36 ist die Parenthese | „(Art. 35)" hinter das Wort „Gesetzgebung" zu setzen und hinter dem Worte „An= | zeigen" zu streichen. 4) Der im §.20 wiedergegebene Artikel 51 erhalt hinter den Worten: „rechtzeitig Mit= I theilung gemacht werden" einen Absatz. 5) Hinter den Artikel 52 wird folgender Artikel eingeschaltet: „An Stelle der im VIII. Abschnitt der Verfassung enthaltenen gelten fur | Wtirttemberg folgende Bestimmungen: Dem Bunde ausschlieBlich steht die Gesetzgebung liber die Vorrechte der Post | und Telegraphic, liber die rechtlichen Verhaltnisse beider Anstalten zum Publicum, | liber die Portofreiheiten und das Post=Taxwesen, jedoch ausschlieBlich der | reglementarischen und Tarif=Bestimmungen fur den intemen Verkehr innerhalb | Wlirttembergs, sowie, unter gleicher Beschrankung, die Feststellung der Ge= | blihren fur die telegraphische Correspondenz zu. Ebenso steht dem Bunde die Regelung des Post= und Telegraphen=Verkehrs | mit dem Auslande zu, ausgenommen den eigenen unmittelbaren Verkehr Wlirt= | tembergs, mit seinen dem Deutschen Bunde nicht angehorenden Nachbarstaaten, | [Sp. 197/198] wegen dessen Regelung es bei der Bestimmung im Artikel 49 des Postver= I trages vom 23. November 1867 bewendet. An den zur Bundescasse flicBenden Einnahmen des Post= und Telegraphen= | wesens hat Wlirttemberg keinen Theil." 6) Der nach §.23 in die Artikel 57 und 59 aufzunehmende Ausdruck lautet: „Bundes= I angehorige", nicht: „deutsche Bundesangehorige." 7) An den Artikel 68 wird folgende Bestimmung angeschlossen: „In Wlirttemberg kommen die im XL Abschnitt der Verfassung enthaltenen | Vorschriften nach naherer Bestimmung der Militar=Convention vom 21./25. | November 1870^ in Anwendung. 8) Der Artikel 79 - bisher 80 - welchen der §. 26 wiedergibt, erhalt a) unter I als Nr. 13 die Einschaltung: | „das Wahlgesetz ftir den Reichstag des Norddeutschen Bundes vom 31. | Mai 1869" | wonach die folgenden Nummem 13 bis 27 in 14 bis 28 sich umwandeln, b) unter II hinter den Worten: „vom 1. Januar 1872 an" den Zusatz: | „jedoch unbeschadet der frliheren Geltung im Gebiete des Norddeutschen Bundes",

^ Dok. 131/2.

1212

§ 7: Deutscher Bund/Deutsches Reich (1870/71 - 1918)

[Dok. 129 - 147]

c) diejenigen Aendemngen, welche sich daraus ergeben, daB ftir Wtirttemberg 1) die Einfiihrung der nachstehend genannten Gesetze des Norddeutschen Bundes | als Bundesgesetze, statt von den im Artikel 80 ~ jetzt 79 - festgesetzten, | von den nachstehend genannten Zeitpunkten an erfolgt, namlich: I. vom 1. Juli 1871 an: 1) des Gesetzes, betreffend die vertragsmaBigen Zinsen vom 14. November 1867, 2) des Gesetzes, betreffend die Errichtung eines obersten Gerichtshofes fiir Handels= | sachen vom 12. Juni 1869; II. vom 1, Januar 1872 an: 1) des Gesetzes, betreffend die Beschlagnahme des Arbeits= oder Dienstlohns vom | 21. Juni 1869, 2) des Gesetzes liber die Ausgabe von Papiergeld vom 16. Juni 1870; 2) die Einfiihrung des Gesetzes, MaBregeln gegen die Rinderpest betreffend vom I 7. April 1869, sowie der im Artikel 80 -jetzt 79 - unter II Nr. 4 ge=- | nannten Gesetze als Bundesgesetze der Bundesgesetzgebung vorbehalten bleibt; [Sp. 199/200] 3) das Gesetz, betreffend die SchlieBung und Beschrankung der offentlichen Spiel= I banken vom 1. Juli 1868, vom Tage der Wirksamkeit der Bundesverfassung | an als Bundesgesetz eingefuhrt wird.

[131] Vertrag (Norddeutscher Bund, Baden und Hessen ./. Wurttemberg) iiber den Beitritt Wiirttembergs zur Verfassung des Deutschen Bundes vom 25. November 1870 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einfahrungen" die Darstellungen unter [414.] [437.] [444.] [449.] [454]. Quelle: Bundes-Gesetzblatt des Norddeutschen Bundes, (Nr. 51 vom 31. Dezember) 1870, S. 654 - 656 (gedmckt). Sonstige Fundstellen: E. Bock, Das Staatsrecht des Deutschen Reichs, 1902, S. 3 1 - 3 5 (SchluBprotokoll und Militarkonvention); J. v. Held, Die Verfassung des Deutschen Reiches, 1872, S. 2 4 8 - 2 6 1 ; E. R. Huber (Hrsg.), Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte, Bd. 2: Deutsche Verfassungsdokumente 1851 - 1900, 3. Aufl., 1986, Nm. 223 225; F. Stoerk (Hrsg.), Handbuch der deutschen Verfassungen, 2. Aufl., 1913, S. 31 - 36. [S. 654] Vertrag zwischen dem Norddeutschen Bunde, Baden und Hessen einerseits und | Wtirttemberg andererseits, betreffend den Beitritt Wiirttembergs zu Ver= | fassung des Deutschen Bundes, nebst dazu gehorigem Protokoll. Vom | 25, November 1870. Seine Majestat der Konig von PreuBen im Namen des Norddeutschen Bundes, | Seine Konigliche Hoheit der GroBherzog von Baden und Seine Konigliche | Hoheit der GroBherzog von Hessen und bei Rhein einerseits und Seine Majestat | der Konig von Wtirttemberg andererseits, vom Wunsche geleitet, die Geltung | der zwischen dem Norddeutschen Bunde, Baden und Hessen vereinbarten Ver= | fassung des Deutschen Bundes, den iiber dieselbe gepflogenen Verhandlungen | entsprechend, auf Wtirttemberg auszudehnen, haben zu diesem Zwecke Bevoll= | machtigte emannt, und zwar:

[131] Vertrag iiber den Beitritt Wtirttembergs vom 25. November 1870

1213

Seine Majestat der Konig von PreuBen, im Namen des Nord= | deutschen Bundes: den Koniglich Sachsischen Staatsminister der Finanzen und der aus= | wartigen Angelegenheiten, Richard Freiherm v. Friesen und | den Prasidenten des Bundeskanzler=Amts, Allerhochstihren Staats= | minister Martin Friedrich Rudolf Delbruck, Seine Konigliche Hoheit der GroBherzog von Baden: Allerhochstihren Prasidenten des Ministeriums des GroBherzoglichen | Hauses und der auswartigen Angelegenheiten Rudolf v. Frey= | dorf, und | Allerhochstihren auBerordentlichen Gesandten und bevollmachtigten | Minister, Hans Freiherm v. Tiirckheim, | und Seine Konigliche Hoheit der GroBherzog von Hessen und bei | Rhein: Allerhochstihren auBerordentlichen Gesandten und bevollmachtigten | Minister, Geheimen Legationsrath Karl Hofmann, | und Seine Majestat der Konig von Wiirttemberg: Allerhochstihren Justiz=Minister Hermann v. Mittnacht, und | Allerhochtsihren Kriegsminister und Generallieutenant Albert | v. Suckow, von welchen Bevollmachtigten, nach gegenseitiger Vorlegung und Anerkennung | ihrer Vollmachten, der nachstehende Vertrag verabredet und geschlossen ist. Artikel 1. Wiirttemberg tritt der zwischen dem Norddeutschen Bunde, Baden und | Hessen vereinbarten, der Verhandlung d. d. Versailles den 15. November d. J. | [S. 655] beigefligten Verfassung dergestalt bei, daB alle in dieser Verfassung enthaltenen | Bestimmungen, mit den im nachstehenden Artikel 2. naher bezeichneten MaaB= | gaben auf Wiirttemberg voile Anwendung finden. Artikel 2. Die MaaBgaben, unter welchen die Verfassung des Deutschen Bundes auf | Wiirttemberg Anwendung findet, sind folgende: 1) Zu Artikel 6. der Verfassung. Im Bundesrathe fiihrt Wiirttemberg vier Stimmen, und es betragt | daher die Gesammtzahl der Stimmen im Bundesrathe 52. 2) Zu Artikel 20. der Verfassung. In Wiirttemberg werden, bis zu der im §. 5. des Wahlgesetzes | vom 31. Mai 1869, vorbehaltenen gesetzlichen Regelung, 17 Ab= | geordnete gewahlt, und es betragt daher die Gesamtzahl der Ab= | geordneten 334. 3) Zu den Artikeln 35. und 38. der Verfassung. Die im letzten Absatze der vorgenannten Artikel in Beziehung auf | Baden getroffene Bestimmung findet auch auf Wiirttemberg An= | wendung. 4) Zum VIII. Abschnitt der Verfassung. An Stelle der im VIII. Abschnitt der Verfassung enthaltenen | gelten flir Wiirttemberg folgende Bestimmungen: Dem Bunde ausschlieBlich steht die Gesetzgebung liber die 1 Vorrechte der Post und Telegraphic, liber die rechtlichen Verhalt= | nisse beider Anstalten zum Publikum, liber die Portofreiheiten und | das Posttaxwesen, jedoch ausschlieBlich der reglementarischen und | Tarif=Bestimmungen fur den intemen Verkehr innerhalb Wlirttem= I bergs, sowie, unter gleicher Beschrankung, die Feststellung der Ge= | blihren fiir die telegraphische Korrespondenz zu.

1214

§ 7: Deutscher Bund/Deutsches Reich (1870/71 - 1918)

[Dok. 129 - 147]

Ebenso steht dem Bunde die Regelung des Post= und Tele= | graphenverkehrs mit dem Auslande zu, ausgenommen den eigenen | unmittelbaren Verkehr Wtirttembergs mit seinen dem Deutschen | Bunde nicht angehorenden Nachbarstaaten, wegen dessen | Regelung es bei der Bestimmung im Artikel 49. des Postvertrages vom I 23. November 1867. bewendet. An den zur Bundeskasse flieBenden Einnahmen des Post= | und Telegraphenwesens hat Wiirttemberg keinen Theil. 5) Zum XL Abschnitt der Verfassung. In Wiirttemberg kommen die im XL Abschnitt der Verfassung | enthaltenen Vor~ schriften nach naherer Bestimmung der Militair= | Konvention vom '^^'lis. November 1870. in Anwendung. [S. 656] 6) Zum Artikel 80. der Verfassung. Die Einfiihrung der nachstehend genannten Gesetze des Norddeutschen | Bundes als Bundesgesetze erfolgt fiir Wiirttemberg, statt von den | im Artikel 80. festgesetzten, von den nachstehend genannten Zeit= | punkten an, namlich: L vom 1. Juli 1871. an: 1) des Gesetzes, betreffend die vertragsmaBigen Zinsen, vom | 14. November 1867., 2) des Gesetzes, betreffend die Errichtung eines obersten Gerichts= | hofes fiir Handelssachen, vom 12. Juni 1869.; IL vom 1. Januar 1872. an: 1) des Gesetzes, betreffend die Beschlagnahme des Arbeits= oder | Dienstlohns, vom 21. Juni 1869., 2) des Gesetzes liber die Ausgabe von Papiergeld vom | 16. Juni 1870. Die Einfiihrung des Gesetzes, MaaBregeln gegen die Rinderpest | betreffend, vom 7. April 1869. als Bundesgesetz bleibt flir Wlirttem= | berg der Bundesgesetzgebung vorbehalten. Dasselbe gilt mit der, | aus der vorstehenden Bestimmung unter Nr. 4. sich | ergebenden Beschrankung von den im Artikel 80. unter IL Nr. 4. genannten, I auf das Post= und Telegraphenwesen bezliglichen Gesetzen. Das Gesetz, betreffend die SchlieBung und Beschrankung der | offentlichen Spielbanken, vom 1. Juli 1868. wird in Wiirttemberg, vom Tage der Wirksamkeit der Bundesverfassung an, als Bundes= | gesetz eingefahrt. Artikel 3. Der gegenwartige Vertrag soil unverzuglich den gesetzgebenden Faktoren | des Norddeutschen Bundes, Badens und Hessens, beziehungsweise Wlirttembergs zur verfassungsmaBigen Zustimmung vorgelegt und, nach Ertheilung dieser Zu= | stimmung, ratifizirt werden. Der Austausch der Ratifikations=Urkunden soil im Laufe des Monats | Dezember d. J. in Berlin erfolgen. So geschehen Berlin, den 25. November 1870. V. Friesen. | (L. S.) v. Freydorf | (L. S.) Hofmann. | (L. S.) Mittnacht | (L. S.) Delbnick. | (L. S.) Tlirckheim. | (L. S.) v. Suckow. | (L. S.) Die Auswechselung der Ratifikations=Urkunden hat in Berlin stattgefunden.

[131/1] SchluBprotokoll zum Vertrag vom 25. November 1870

1215

[131/1] SchluBprotokoll zum Vertrag vom 25. November 1870 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einfuhrungen" die Darstellungen unter [414.] [437.] [444.] [449.] [453]. Quelle: Bundes-Gesetzblatt des Norddeutschen Bundes, (Nr. 51 vom 31. Dezember) 1870, S. 657 (gedruckt). [S. 657] Verhandelt Berlin, den 25. November 1870. Bei Unterzeichnung des am heutigen Tage tiber den Beitritt Wiirttembergs zu | der zwischen dem Norddeutschen Bunde, Baden und Hessen vereinbarten Ver= | fassung des Deutschen Bundes abgeschlossenen Vertrages haben sich die unter= | zeichneten Bevollmachtigten tiber nachstehende Punkte verstandigt: 1) die in dem Protokoll d. d. Versailles den 15. November d. J. zwischen | den Bevollmachtigten des Norddeutschen Bundes, Badens und Hessens | getroffenen Verabredungen beziehungsweise von den Bevollmachtigten des | Norddeutschen Bundes abgegebenen Erklarungen: a) tiber den Beginn der Wirksamkeit der Verfassung, b) tiber den Zeitpunkt fur den Beginn der Gemeinschaft der Ausgaben | fur das Landheer, c) zu Artikel 18. der Verfassung, d) zu den Artikeln 35. und 38. der Verfassung, e) zu Artikel 56. der Verfassung, f) zu Artikel 62. der Verfassung, g) zu Artikel 78. der Verfassung, und h) zu Artikel 80. der Verfassung finden auch auf Wtirttemberg Anwendung. 2) Zu Artikel 45. der Verfassung wurde anerkannt, daB auf den Wtirttem= | bergischen Eisenbahnen bei ihren Bau=, Betriebs= und Verkehrsverhalt= | nissen nicht alle in diesem Artikel aufgefiihrten Transportgegenstande in | alien Gattungen von Verkehren zum Einpfennig=Satz befordert werden | konnen. 3) Zum Artikel 2. Nr. 4. des Vertrages vom heutigen Tage war man | dartiber einverstanden, daB die Ausdehnung der im Norddeutschen Bunde | tiber die Vorrechte der Post geltenden Bestimmungen auf den intemen | Verkehr Wtirttembergs insoweit von der Zustimmung Wtirttembergs ab= | hangen soil, als diese Bestimmungen der Post Vorrechte beilegen, welche | derselben nach der gegenwartigen Gesetzgebung in Wtirttemberg nicht | zustehen. Vorgelesen, genehmigt und unterschrieben. V. Friesen. v. Freydorf Hofmann. Mittnacht. Delbriick. Ttirckheim. v. Suckow.

1216

§ 7: Deutscher Bund/Deutsches Reich (1870/71 - 1918)

[Dok. 129 - 147]

[131/2] Militarkonvention (Norddeutscher Bund ./. Wurttemberg) vom 21./25. November 1870 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einfuhmngen" die Darstellungen unter [370.] [414.] [431.] [438.] bis [440.] [444.] [449.]. Quelle: Bundes-Gesetzblatt des Norddeutschen Bundes, (Nr. 51 vom 31. Dezember) 1870, S. 658 - 665 (gedruckt). [S. 658] Militair=Konvention | zwischen | dem Norddeutschen Bunde und Wurttemberg, | d. d. Versailles, / Berlin, den 21 ./25. November 1870. Seine Majestat der Konig von PreuBen im Namen des Norddeutschen Bundes | und Seine Majestat der Konig von Wtirttemberg, in der Absicht, die Bestim= | mungen der zwischen Ihnen vereinbarten Verfassung des Deutschen Bundes liber | das Bundeskriegswesen den besonderen Verhaltnissen des Konigreichs Wurttem= | berg anzupassen, haben Unterhandlungen eroffhen lassen und zu Ihren Bevoll= | machtigten emannt, und zwar: Seine Majestat der Konig von PreuBen: Allerhochstihren Staats=, Kj:iegs= und Marineminister, General der | Infanterie Albrecht v. Roon, Seine Majestat der Konig von Wurttemberg: Allerhochstihren Kriegsminister, Generallieutenant Albert v. Suckow, von welchen Bevollmachtigten, nach Vorlegung und gegenseitiger Anerkennung | ihrer Vollmachten, die nachstehende | M i l i t a i r = K o n v e n t i o n | verabredet und geschlossen ist. Artikel 1. Die Koniglich Wiirttembergischen Truppen als Theil des Deutschen Bundes= | heeres bilden ein in sich geschlossenes Armeekorps nach der anliegenden Formation | nebst der entsprechenden Anzahl von Ersatz= und Besatzungstruppen nach Preu= | Bischen Normen im Falle der Mobilmachung oder Kriegsbereitschaft. Artikel 2. Die hierdurch bedingte neue Organisation der Koniglich Wiirttembergischen | Truppen soil in drei Jahren nach erfolgter Anordnung zur Rtickkehr von dem | gegenwartigen Kriegsstand auf den FriedensfuB vollendet sein. Artikel 3. Von dieser Rtickkehr an bilden, beginnend mit einem noch naher zu be= | stimmenden Tage, die Koniglich Wiirttembergischen Truppen das vierzehnte Deutsche | Bundes=Armeekorps mit ihren eigenen Fahnen und Feldzeichen und erhalten die | Divisionen, Brigaden, Regimenter und selbststandigen Bataillone des Armeekorps | die entsprechende laufende Nummer in dem Deutschen Bundesheere neben der | Nummerirung im Koniglich Wiirttembergischen Verbande.

[131/2] Militarkonvention vom 2L/25. November 1870

1217

[S. 659] Artikel 4. Die Unterstellung der Koniglich Wiirttembergischen Truppen unter den | Oberbefehl Seiner Majestat des Konigs von PreuBen als Bundesfeldherm be= | ginnt ebenfalls an einem noch naher zu bestimmenden Tage und wird in den | bisherigen Fahneneid in der Weise aufgenommen, daB es an der betreffenden Stelle heiBt: „daB ich Seiner Majestat dem Konige wahrend meiner Dienstzeit als | Soldat treu dienen, dem Bundesfeldherm und den Kriegsgesetzen Ge= | horsam leisten und mich stets als tapferer und ehrliebender Soldat ver= | halten will. So wahr mir Gott helfe." Artikel 5. ^Die Emennung, Beforderung, Versetzung u. s. w. der Offiziere und Be= | amten des Kdniglich Wiirttembergischen Armeekorps erfolgt durch Seine Ma= | jestat den Konig von Wtirttemberg, diejenige des Hochstkommandirenden fur das | Armeekorps nach vorgangiger Zustimmung Seiner Majestat des Konigs von | PreuBen als Bundesfeldherr. "^Seine Majestat der Konig von Wtirttemberg ge= | nieBt als Chef Seiner Truppen die Ihm Allerhochst zustehenden Ehren und | Rechte und tibt die entsprechenden gerichtsherrlichen Befugnisse sammt dem Be= | statigungs= und Begnadigungsrecht bei Erkenntnissen gegen Angehorige des Arme= | korps aus, welche liber die Befugnisse des Armeekorps=Kommandanten, beziehungs^ | weise des Koniglich Wiirttembergischen Kriegsministeriums hinausgehen. Artikel 6. Unbeschadet der dem Bundesfeldherm gemaB der Bundesverfassung zu= | stehenden Rechte der Disponimng liber alle Bundestmppen und ihrer Dis= | locimng soil fur die Dauer friedlicher Verhaltnisse das Wlirttembergische | Armeekorps in seinem Verband und in seiner Gliedemng erhalten bleiben und | im eigenen Lande dislocirt sein; | eine hiervon abweichende Anordnung des Bundes= | feldherm, sowie die Dislocimng anderer Deutscher Tmppentheile in das Konigs | reich Wtirttemberg soil in friedlichen Zeiten nur mit Zustimmung Seiner Ma== | jestat des Konigs von Wtirttemberg erfolgen, sofem es sich nicht um die Besetzung | Stiddeutscher oder Westdeutscher Festungen handelt. Artikel 7. Ueber die Emennung der Kommandanten fur die im Konigreiche Wtirt= | temberg gelegenen festen Platze, welche nach Artikel 64. der Bundesverfassung | dem Bundesfeldherm zusteht, sowie liber die Demselben gleichermaBen zustehende | Berechtigung, neue Befestigungen innerhalb des Konigreichs anzulegen, wird sich | der Bundesfeldherr eintretenden Falls mit dem Konige von Wtirttemberg vorher in | Vemehmen setzen; ebenso wenn der Bundesfeldherr einen von Ihm zu emen= | nenden Offizier aus dem Koniglich Wiirttembergischen Armeekorps wahlen will. [S. 660] Um der Beurtheilung dieser Emennungen eine Gmndlage zu gewahren, | werden liber die Offiziere des Koniglich Wiirttembergischen Armeekorps vom | Stabsoffizier aufwarts alljahrlich Personal= und Qualifikationsberichte nach Preu= | Bischem Schema aufgestellt und Seiner Majestat dem Bundesfeldherm vorgelegt.

1218

§ 7: Deutscher BundA3eutsches Reich (1870/71 - 1918)

[Dok. 129 - 147]

Artikel 8. Zur Befordemng der GleichmaBigkeit in der Ausbildung und dem inneren | Dienst der Truppen werden nach gegenseitiger Verabredung einige Koniglich | Wtirttembergische Offiziere je auf 1 - 2 Jahre in die Koniglich PreuBische Armee | und Koniglich PreuBische Offiziere in das Koniglich Wtirttembergische Armeekorps | kommandirt. Hinsichtlich etwa wtinschenswerther Versetzung einzelner Offiziere aus Konig= | lich Wtirttembergischen Diensten in die Koniglich PreuBische Armee oder um= | gekehrt haben in jedem Spezialfalle besondere Verabredungen stattzufinden. Artikel 9. Der Bundesfeldherr, welchem nach Artikel 63. das Recht zusteht, sich jeder= | zeit durch Inspektionen von der Verfassung der einzelnen Kontingente zu uber= | zeugen, wird die Koniglich Wtirttembergischen Truppen alljahrlich mindestens ein= | mal entweder Allerhochstselbst inspiziren, oder durch zu emennende Inspekteure, | deren Personen vorher Seiner Majestat dem Konige von Wtirttemberg bezeichnet | werden sollen, in den Gamisonen oder bei den Ubungen inspiziren lassen. Die in Folge solcher Inspizirungen bemerkten sachlichen und personlichen | MiBstande wird der Bundesfeldherr dem Konige von Wtirttemberg mittheilen, | welcher Seinerseits dieselben abstellen und von dem Geschehenen alsdann dem | Bundesfeldherm Anzeige machen laBt. Artikel 10. Ftir die Organisation des Koniglich Wtirttembergischen Armeekorps sind - 1 so lange und insoweit nicht auf dem Wege der Bundesgesetzgebung anders be= | stimmt wird - die derzeitigen PreuBischen Normen maaBgebend. Es kommen demgemaB in dem Konigreiche Wtirttemberg, auBer dem Nord= | deutschen Gesetz tiber die Verpflichtung zum Kriegsdienste vom 9. November 1867., | nebst der dazu gehorigen Militair=Ersatzinstruktion vom 26. Marz 1868., ins= | besondere alle PreuBischen Exerzier^^ | und sonstigen Reglements, Instmktionen und | Reskripte zur Ausfiihrung, namentlich die Verordnung tiber die Ehrengerichte | vom 20. Juli 1843., die fiir JCrieg und Frieden gegebenen Bestimmungen tiber | Aushebung, Dienstzeit, Servis=, Verpflegungs= und Invalidenwesen, Mobil= | machung u. s. w., tiber den Ersatz des Offizierkorps und tiber das Militair= | Erziehungs= und Bildungswesen. Ausgenommen sind von der Gemeinsamkeit in den Einrichtungen des Konig= | lich Wtirttembergischen Armeekorps mit denjenigen der Koniglich PreuBischen | Armee: die Militair=Kirchenordnung, das Militair=Strafgesetzbuch und die | Militair=Strafgerichtsordnung, sowie die Bestimmungen tiber Einquartierung und | [S. 661] Ersatz von Flurbeschadigungen, wortiber in dem Konigreiche Wtirttemberg die | derzeit bestehenden Gesetze und Einrichtungen vorerst und bis zur Regelung im | Wege der Bundesgesetzgebung in Geltung verbleiben. ^Die Gradabzeichen, sowie die Benennungen und der Modus der Verwal= | tung sind in dem Koniglich Wtirttembergischen Armeekorps dieselben wie in der | Koniglich PreuBischen Armee. "^Die Bestimmungen tiber die Bekleidung fur das | Koniglich Wtirttembergische Armeekorps werden von Seiner Majestat dem Konige | von Wtirttemberg gegeben und es soil dabei den Verhaltnissen der Bundesarmee | die moglichste Rechnung getragen werden.

[131/2] Militarkonvention vom 21./25. November 1870

1219

Artikelll. Im Falle eines Krieges steht von dessen Ausbruch bis zu dessen Beendigung | die obere Leitung des Telegraphenwesens, soweit solches fur die Kriegszwecke ein= | gerichtet ist, dem Bundesfeldherm zu. Die Koniglich Wtirttembergische Regierung v^ird bereits wahrend des | Friedens die beztiglichen Einrichtungen in Uebereinstimmung mit denjenigen des | Norddeutschen Bundes treffen, und insbesondere bei dem Ausbau des Telegraphen= | netzes darauf Bedacht nehmen, auch eine der Kriegsstarke Ihres Armeekorps ent= |sprechende Feldtelegraphie zu organisiren. Artikel 12. ^Aus der von Wtirttemberg nach Artikel 62. der Bundesverfassung zur Ver= | fugung zu stellenden Summe bestreitet die Koniglich Wurttembergische Regierung, | nach MaaBgabe des Bundeshaushalts=Etats, den Aufwand fur die Unterhaltung | des Koniglich Wtirttembergischen Armeekorps, einschlieBlich Neuanschaffungen, | Bauten, Einrichtxingen u. s. w. in selbststandiger Verwaltung, sowie den Antheil | Wtirttembergs an den Kosten fur die gemeinschaftlichen Einrichtungen des GQ= \ sammtheeres - Central=Administration, Festungen, Unterhaltung der Militair= | bildungs=Anstalten, einschlieBlich der Kriegsschulen und militairarztlichen Bildungs== | Anstalten, der Examinations=Kommissionen, der militairwissenschaftlichen und tech= | nischen Institute, des Lehrbataillons, der Militair= und Artillerie=SchieBschule, | der Militair=Reitschule, der Central=Tumanstalt und des groBen Generalstabs. | ^Erspamisse, welche unter voller Erfullung der Bundespflichten als Ergebnisse der | obwaltenden besonderen Verhaltnisse moghch werden, verbleiben zur Verfiigung I Wtirttembergs. Das Koniglich Wtirttembergische Armeekorps partizipirt an den gemein= | schaftlichen Einrichtungen und wird im groBen Generalstabe ver= | haltnismaBig vertreten sein. Artikel 13. ^Die Zahlung der von Wtirttemberg nach Artikel 62. der Bundesverfassung | aufzubringenden Summe beginnt mit dem ersten Tage des Monats, welcher auf | die Anordnung zur Rtickkehr der Koniglich Wtirttembergischen Truppen von dem | Kriegszustande auf den FriedensfuB folgt. "^In den Etat und die Abrechnung | des Bundesheeres tritt das Koniglich Wtirttembergische Armeekorps jedoch erst | mit dem 1. Januar 1872. ein. [S. 662] Wahrend der im Artikel 2. verabredeten dreijahrigen Uebergangszeit wird | fur den Etat des Koniglich Wtirttembergischen Armeekorps die Rticksicht auf die, | in dieser Feriode zu vollziehende neue Organisation maaBgebend sein, und zwar | sowohl in Beziehung auf die in Ansatz zu bringenden Betrage, als auch in Be= | ziehung auf die Zulassigkeit der gegenseitigen Uebertragung einzelner Titel und der | Uebertragung gleichnamiger Titel aus einem Jahre ins andere. Artikel 14. Verstarkungen der Koniglich Wtirttembergischen Truppen durch Einziehung | der Beurlaubten, sowie die Kriegsformationen derselben und endlich deren Mobil= | machung hangen von den Anordnungen des Bundesfeldherm ab. '^Solchen An= | ordnungen ist allezeit und im ganzen Umfange Folge zu leisten. ^Die hierdurch | erwachsenden Kosten tragt die Bundeskasse, jedoch sind die Koniglich Wtirttem= | bergischen Kassen verpflichtet, insoweit ihre vorhandenen Fonds ausreichen, die | nothwendigen Gelder vorzuschieBen.

1220

§ 7: Deutscher Bund/Deutsches Reich (1870/71 - 1918)

[Dok. 129 - 147]

Artikel 15. Zur Vermittelung der dienstlichen Beziehungen des Koniglich Wtirttem= | bergischen Armeekorps zu dem Deutschen Bundesheer findet ein direkter Schrift= | wechsel zwischen dem Koniglich PreuBischen und dem Koniglich Wtirttembergischen | Kriegsministerium statt und erhalt letzteres auf diese Weise alle betreffenden zur | Zeit gtiltigen oder spater zu erlassenden Reglements, Bestimmungen u. s. w. zur | entsprechenden Ausfuhmng. Nebendem wird die Koniglich Wtirttembergische Regierung jederzeit in dem | BundesausschuB fur das Landheer und die Festungen vertreten sein. Artikel 16. Die gegenwartige Konvention soil nach erfolgter Genehmigung durch die | legislativen Organe ratifizirt und es sollen die Ratifikations=Urkunden gleichzeitig | mit den Erklarungen liber die Ratifikation der am heutigen Tage vereinbarten | Verfassung des Deutschen Bundes in Berlin ausgetauscht werden. Zu Urkund dessen haben die Bevollmachtigten die gegenwartige Konvention | in doppelter Ausfertigung vollzogen und untersiegelt. So geschehen Hauptquartier Versailles, den 21. November 1870./Berlin, den 25. November 1870. von Roon. | (L. S.) von Suckow. | (L. S.) Die Auswechselung der Ratifikations=Urkunden hat in Berlin stattgefunden. [S. 663] Friedens=Formation | des | Koniglich Wtirttembergischen Armee=Korps. Ein General=Kommando, zwei Divsions=Kommandos, vier Infanterie=Brigade=Kommandos, zweiKavallerie=Brigade=Kommandos, ein Artillerie=Brigade=Kommando, acht Infanterie=Regimenter a drei Bataillone, vier Kavallerieregimenter a ftinf Eskadrons, ein Feld=Artillerie=Regiment mit | drei FuB=Abtheilungen a vier Batterien, eine Festungs=ArtilleriesAbtheilung mit | vier Festungs=Kompagnien, ein Pionier=Bataillon, ein Train=Bataillon, sechzehn Landwehr=Bezirks=Kommandos, die entsprechenden Administrationen. Kriegs=Formation | des | Koniglich Wtirttembergischen Armee^Korps. Feldtmppen: a) Kommando^Behorden: ein General=Kommando (nebst Feld=Gendarmerie=Detachement und | Stabswache), 1 zwei Infanterie=Divisions=Kommandos, | zwei Kavallerie=Brigade= Kommandos, | ein Kommando der Reserve=Artillerie. b) Infanterie, die Regimenter a 3 Bataillone, c) Kavallerie, die Regimenter a 4 Eskadrons, [S. 664] d) Artillerie. Die im Frieden vorhandenen Abtheilungsstabe; | die Batterien a 6 Geschtitze, | dazu eine Kolonnen=Abtheilung, bestehend aus dem Stabe, 4 In= I fanterie= und 4 Artillerie=Munitions=Kolonnen. e) Pioniere, 3 selbststandige Kompagnien, nebst leichtem Feldbriickentrain, | Schanzzeug=Kolonne und Ponton=Kolonne. I.

[131/2] Militarkonvention vom 21./25. November 1870

1221

f) Trains: | Stab des Train=Bataillons, | 5 Proviant=Kolonnen, | 3 Sanitats= Detachements, einschlieBlich Krankentrager=Kompagnien, | 1 Pferde=Depot, | 1 Feldbackerei=Kolonne, | 1 Train=Begleitungs=Eskadron, | Fuhrpark= Kolonnen (circa 5 a 80 Fahrzeuge). g) Administrationen: 1) die Intendatur, und zwar: | die Korps=Intendatur, | drei Divisions^ Intendaturen (je eine fur die beiden Infanterie= | Divisionen, eine fiir die Reserve=Artillerie), 2) die Korps=Kriegs=Kasse, 3) die Feld=Proviant=Aemter, und zwar: | ein Feld=Haupt=Proviant=Amt, | drei Feld=Proviant=Aemter (je eins fur die beiden Infanterie= | Divisionen, eins fiir die Pferde=Artillerie), 4) das dirigirende arztliche Personal, 5) zv^olfFeld=Lazarethe, 6) das Lazareth=Reserve=Personal, 7) ein Lazareth=Reserve=Depot, 8) die Feldpost, und zwar: | ein Feldpost=Amt, | vier Feldpost=Expeditionen, von welchen letzteren je eine fiir die | beiden Infanterie=Divisionen, eine fiir die Reserve (Kavallerie | und Artillerie) bestimmt ist; die vierte bleibt zunachst dem | Feldpost^Amt attachirt und wird nach MaaBgabe des ein= | tretenden Bediirfhisses der Avantgarde etc. tiberwiesen, 9) das Auditoriat, 10)dieGeistlichkeit [S. 665] II. Immobile Behorden: ein stellvertretendes General=Kommando, | vier stellvertretende Infanterie=Brigade=Kommandos, | eine Inspektion der Ersatz==Eskadrons, | ein Kommando der immobilen Artillerie, | eine immobile Intendantur, | ein stellvertretender Korps= General=Arzt. III. Ersatz=Truppen: acht Ersatz=Bataillone, | vier Ersatz=Eskadrons, | eine Artillerie=Ersatz=Abtheilung a 2 Batterien zu je 6 Geschtitzen, | eine Pionier=Ersatz=Kompagnie, | eine Train=Ersatz=Abtlieilung. IV. Besatzungs=Truppen: 16 Landwehr=Bataillone, | 1 bis 2 Besatzungs=Kavallerie=Regimenter, | 3 Reserve=FuB=Batterien a 6 Geschtitze, | 8 Festungs=Artillerie=Kompagnien, mit den erforderlichen Abtheilungs= | staben, | 3 Festungs=Pionier=Kompagnien. Sammtliche Truppen in Kriegs= und Friedens=Formation nach Koniglich | PreuBischen Etatstarken; insoweit hiemach die Friedensstarke den verfassungs= | maBigen Prozentsatz der BevolkerungZiffer tibersteigt, bleiben die erforderlichen | Modifikationen besonderer Vereinbarung vorbehalten.

1222

§ 7: Deutscher Bund/Deutsches Reich (1870/71 - 1918)

[Dok. 129 - 147]

[132] Militarkonvention (PreuBen ./. Baden) vom 25. November 1870 Quelle: Gesetzes- und Verordnungs-Blatt fur das GroBherzogthum Baden, (Nr. 72 vom Sl.Dezember) 1870, S. 738-744 (eigentliche Militarkonvention), S. 745-746 (SchluBprotokoll) - gedruckt. [S. 738] Militarconvention zwischen Baden und PreuBen. Seine Konigliche Hoheit der GroBherzog von Baden und Seine Majestat der Konig | von PreuBen als Bundesfeldherr haben im AnschluB an die, das Bundes=Kriegswesen betref= I fenden Bestimmungen der vereinbarten Verfassung des Deutschen Bundes, behufs Regelung der Ver= | haltnisse des GroBherzoglich Badischen Contingents zur Koniglich PreuBischen, beziehungsweise Bun= | desarmee, Unterhandlungen eroffnen lassen und zu ihren Bevollmachtigten emannt, und zv^ar: Seine Konigliche Hoheit der GroBherzog von Baden: AllerhochstSeinen Prasidenten des Staatsministeriums und Staatsminister des Innem, Dr. I Julius Jolly | und AllerhochstSeinen Generaladjutanten, Generallieutenant Freiherm Wilhelm von Neubronn. Seine Majestat der Konig von PreuBen: AllerhochstSeinen Staats=, Kriegs= und Marine=Minister, General der Infanterie Albrecht | von Roon, welche, nachdem sie ihre Vollmachten einander mitgetheilt und richtig befunden, nachstehende | M i l i t a r c o n v e n t i o n | abgeschlossenhaben. Artikel 1. Das GroBherzoglich Badische Contingent wird unmittelbarer Betstandtheil der Deutschen, be= I ziehungsweise der Koniglich PreuBischen Armee, in der Art, daB Seine Majestat der Konig von | PreuBen als Bundes=Feldherr alle Rechte und Pflichten des Contingents= und Kriegsherm, ein= | schlieBlich der Fiirsorge fur die Festung Rastatt, unter Vorbehalt der Badischen Territorial=Hoheit | ubemimmt, wogegen das GroBherzogthum Baden die dasselbe jeweils bundesverfassungsgemaB tref= | fende Summe fur das Bundes=Landheer der Koniglich PreuBischen Kriegsverwaltung fur Bundes= | rechnung zu freier Verfugung tiberlaBt. AuBer dieser Summe hat das GroBherzogthum Baden fur die ihm zur Erhaltung des Land= | heeres obliegenden Leistungen weder an Special= noch an Generalkosten weitere Zahlungen zu uber= | nehmen, vorbehaltlich seiner matricularmaBigen Beitrage zu etwaigen bundesgesetzlich festgestellten | besonderen Leistungen fur das Bundes=Landheer. Artikel 2. Das GroBherzoglich Badische Contingent wird ungetrennt in die entsprechende groBere Abthei= | lung der Deutschen Bundes=, beziehungsweise der Koniglich PreuBischen Armee eingereiht werden. Artikel 3. Die Badischen Truppen erhalten unter der Bezeichnung: n tes Badisches Infanterie^ etc. I Regiment Nr. x. eine Regiments=Nummer in der Deutschen Bundes=, beziehungsweise der Koniglich | PreuBischen Armee. Die Regimenter behalten die bisher gefiihrten Fahnen, beziehungsweise Standarten.

[132] Militarkonvention (PreuBen ./. Baden) vom 25. November 1870

1223

Der Fahneneid wird von den ihrer Militarpflicht gentigenden Badischen Staatsangehorigen in | der bisherigen Weise geleistet, unter Einschaltung der Verpflichtung des Gehorsams gegen den Bun= | desfeldherm in GemaBheit des Artikels 64 der Bundesverfassung. Die Offiziere, Protepeefahnriche, Aerzte und Militarbeamten im Offiziersrange leisten den Fah= | neneid Seiner Majestat dem Konige von PreuBen als Bundes=Feldherm und verpflichten sich zu= | gleich mittels Reverses: das Wohl und Beste Seiner Koniglichen Hoheit des GroBherzogs zu | fordem, Schaden und Nachtheile von Hochstdemselben und Seinem Hause und Lande abzuwenden. Die Offiziere legen eine silbeme Scharpe und desgleichen Portepee in den durch Art. 55 der I Bundesverfassung festgestellten Bundesfarben an. An den Helmen tragen die Angehorigen des Contingents - vorbehaltlich einer ktinftigen an= I derweiten Bestimmung tiber eine einheitliche Helmzier - das Badische Wappen, und - bis zur I Einfiihrung einer allgemeinen Bundescocarde - die Landescocarde, die Offiziere etc. daneben die | PreuBische Cocarde. Artikel 4. ^Um den Wehrpflichtigen die Ableistung ihrer Dienstpflicht zu erleichtem, werden Seine Maje= I Stat der Konig von PreuBen dem Badischen Contingente soweit als moglich standige Gamisonen | innerhalb der Grenzen des GroBherzogthums anweisen, und von dem Allerhochstlhm als Bundes= | Feldherr verfassungsmaBig zustehenden Dislocationsrechte nur vortibergehend und in auBergewohn= | lichen, durch militarische oder politische Interessen gebotenen Fallen Gebrauch machen. ^Ebenso sollen | nur, sofem ahnliche Rticksichten es erfordem, Ortschaften des GroBherzogthums anderen Bundes= | truppen als Gamison angewiesen werden, vorbehaltlich besonderer Verfugung in Betreff der Besetzung der Festung Rastatt. Artikel 5. Seine Konigliche Hoheit der GroBherzog von Baden und die GroBherzogliche Familie erhalten | [S. 740] von den im GroBherzogthum gamisonirenden Truppen die dem Landesherm und Hochstdesscn An= | gehorigen zukommenden Ehrenbezeugungen. ^Seine Konigliche Hoheit der GroBherzog stehen zu den Truppen in dem VerhaltniB eines com= | mandirenden Generals, tiben auch als solcher neben den beztiglichen Ehrenrechten die entsprechende | Disciplinar=Strafgewalt aus und erlassen in dieser Beziehung Hochstlhre Befehle direct an die be= | treffenden Abtheilungs^Commandeure. "^Ebenso steht Hochstdemselben die freie Verfugung tiber die im | GroBherzogthum dislocirten Bundestruppen zu Zwecken des innem Dienstes zu und haben in dieser | Beziehung die Truppencommandeure Hochstdesscn Befehlen Folge zu geben. Die Badischen Hoheitszeichen werden in Wappen und Farben an den dem Bundesmilitar einge= | raumten Locatlitaten, beziehungsweise sammtlichen Gamisonseinrichtungen beibehalten, sofem nicht | Bundeszeichen und Farben an die Stelle treten. Artikel 6. Seine Konigliche Hoheit der GroBherzog haben das Recht, bei Hochstlhrer Person, beziehungs= | weise den Badischen Truppenabtheilungen, Offiziere a la suite nach freier Wahl zu emennen, deren | etwaige Besoldung und dereinstige Pensionirung jedoch nicht aus Bundesmitteln erfolgt. Die nach dem Inslebentreten dieser Convention emannten Offiziere a la suite, ingleichen die I nach diesem Termin ins PensionsverhaltniB tretenden Offiziere, welche innerhalb des GroBherzog= | thums ihren Wohnsitz nehmen, sind nach MaBgabe der betreffenden Koniglich PreuBischen Vorschriften | dem Disciplinary, Militargerichts= und Ehrengerichtlichen Verfahren vorkommenden Falls unter= I worfen.

1224

§ 7: Deutscher Bund/Deutsches Reich (1870/71 - 1918)

[Dok. 129 - 147]

^Seine konigliche Hoheit sollen in der Auswahl und dem Wechsel Hochstlhrer Adjutanten, so= I wie von Ordonanzoffizieren fiir die GroBherzoglichen Prinzen insofem unbeschrankt sein, als nicht | dienstliche Rticksichten entgegenstehen. "^Die Besoldung dieser Offiziere erfolgt aus Bundesmitteln. Artikel 7. In Betreff der Badischen Tmppenabtheilungen sollen bei Anstellung und Versetzung von Offi= I zieren die etwaigen Wtinsche Seiner Koniglichen Hoheit des GroBherzogs thunlichste Berucksichti= | gung finden. Artikel 8. Seiner Koniglichen Hoheit dem GroBherzog sind die bei den Badischen Truppen vorkommenden | wichtigeren Vorfalle jedesmal zu melden und von den betreffenden Commandostellen die folgenden Eingaben und Meldungen zu machen: ein Monats-Rapport, der Ubungsplan fiir langere Zeitraume im Voraus, Meldung tiber groBere Manover unter Mittheilung der Dispositionen, Anzeige von Aenderungen im Offizierscorps, von Commandos zu Bildungsanstalten etc., Verhei= | rathungen, Ordensverleihungen etc. [S. 741] Seine Konigliche Hoheit wird aus den Eingaben und Meldungen, so wie aus Seinen directen | Wahmehmungen AnlaB nehmen, die Ihm sich darbietenden Bemerkungen tiber den Zustand des | Contingents zur KenntniB Seiner Majestat des Konigs zu bringen. Artikel 9. In Betreff der Rekrutirung und der Landwehr=Angelegenheiten treten die jetzt im Nord= I deutschen Bunde geltenden Bestimmungen mit der MaBgabe in Kraft, daB das GroBherzoglich | Badische Ministerium des Innem beztiglich des GroBherzogthums Baden dieselben Functionen wahr= | nimmt, wie das Koniglich PreuBische Ministerium des Innem fiir PreuBen. Das GroBherzogthum Baden bildet einen Erganzungsbezirk fur sich. Etwaige Aenderungen der Eintheilung des GroBherzogthums in Landwehr=Bataillons= und 1 Aushebungs=Bezirke, sowie die Aushebung selbst, geschehen unter Mitwirkung der concurriren= | den GroBherzoglichen Civilbehorden. Die Vertheilung des vom GroBherzogthum Baden jahrlich aufzubringenden Rekruten=Contin= | gents auf die einzelnen Erganzungsbezirke erfolgt durch das GroBherzogliche Ministerium des | Innem. Artikel 10. Die hoheren Lehranstalten des GroBherzogthums Baden stellen unter den gleichen Voraus= I setzungen, wie die der anderen Bundesstaaten, Zeugnisse fur Zulassung zum einjahrigen Frei= | willigendienste aus.

[132] Militarkonvention (PreuBen ./. Baden) vom 25. November 1870

1225

Artikelll. Die Gamisons=Einrichtungen an Gebauden und Grundstiicken, tiber deren Bestand genaue | Mittheilung erfolgen wird, verbleiben Badisches Staats=, beziehungsweise Gemeindeeigenthum, und | sind nur als im NieBbrauch der Truppen befindlich anzusehen. Artikel 12. Die Aufstellung von Wachen und Wachtposten auBer bei den dem Militar eingeraumten I Etablissements und im unmittelbaren Dienst der Truppenabteilungen, die Abhaltung von Paraden, | Uebungen und Aufstellung von Truppen auBerhalb der dem Militar dazu eingeraumten Uebungs= | platze und SchieBstande, auf offentlichen StraBen, Platzen und Anlagen ist durch die vorgangige | allgemeine oder besondere Zustimmung der Civilbehorde bedingt. Artikel 13. ^Wenn bei Stomngen der offentlichen Ruhe die Polizei den Beistand des Militars in An= I spruch nimmt, so ist dieser Requisition durch den betreffenden Befehlshaber Folge zu geben und | geht damit die Leitung der zur Herstellung der Ordnung zu ergreifenden MaaBregeln auf den | letzteren tiber; ein selbststandiges militarisches Einschreiten ohne vorherige Requisition der zustandi= | [S. 742] gen Civilbehorde ist nicht statthaft, womit jedoch die Zuriickweisung von Angriffen oder Wider= | setzlichkeiten gegen Militarwachen oder Patrouillen nicht ausgeschlossen sein soil. "^Alle Militars | haben den behufs Erhaltung der offentlichen Ordnung ergehenden Weisungen der Polizeibeamten | Folge zu leisten. In Beziehung auf Vergehen und Contraventionen der Militarpersonen steht zwar den Badi= I schen Civilbehorden bei Betretung auf der That das Recht der einstweiligen Sistirung zu, indessen | ist der unter solchen Umstanden Sistirte unverweilt unter Mittheilung oder alsbaldiger Nachliefe= | rung eines Berichts an die nachste Militar=Beh6rde oder Wache abzuliefem. Die Falle und Formen, in welchen das Militar gegen Civilpersonen einschreiten und von I seinen Waffen Gebrauch machen darf, werden durch eine, unter Beriicksichtigung der betreffenden | PreuBischen Reglements, Badischer Seits zu erlassende Verordnung geregelt. Artikel 14. Offiziere, Mannschaften, Aerzte und Militarbeamte der im GroBherzogthum gamisonirenden | Truppenabthcilungen sind daselbst den Badischen Gesetzen und Rechtsnormen, sowie den Badischen | Behorden und Gerichten unterworfen, soweit nicht die nach der Verfassung des Bundes in Wirk= | samkeit tretenden PreuBischen Militargesetze oder die gegenwartige Convention besondere Ausnahmen | bestimmen. In alien Fallen, wo in jenen Gesetzen das PreuBische Civil=Strafgesetzbuch und Landrecht I genannt sind, treten bis zur Hinflihrung des AUgemeinen Deutschen Strafgesetzbuchs im GroB= | herzogthum Baden die Badischen Gesetze, Verordnungen und Rechtsnormen in Wirksamkeit. ^Die Militargerichtsbarkeit wird von den Militargerichtsherren ausgetibt; die Bestatigung der I von Militargerichten ergangenen Erkenntnisse erfolgt auf dem militarischen Instanzenwege. "^Das | Begnadigungsrecht steht Seiner Majestat dem Konige von PreuBen als Bundes=Feldherm zu, | jedoch werden Wiinsche Seiner Koniglichen Hoheit des GroBherzogs in dieser Richtung, Badische | Unterthanen betreffend, thunlichste Beriicksichtigung finden.

1226

§ 7: Deutscher Bund/Deutsches Reich (1870/71 - 1918)

[Dok. 129 - 147]

Artikel 15. ^Die personlichen Verhaltnisse der dem GroBherzogthum nicht angehorigen Personen, welche | bei den im GroBherzogthum gamisonirenden Truppen dienen, sammt deren Familien, werden durch | die Verlegung ihres Domicils in das GroBherzogthum nicht verandert; vielmehr bleiben jene | Personen in ihrem bisherigen UnterthanenverhaltniB. "^Ihr eheliches Gtiterrecht, die Erbfolge in | ihre Verlassenschaft, die Bevormundung ihrer Hinterbliebenen richtet sich nach den Rechtsnor= | men ihrer Heimath. Das Gleiche gilt fur die dem GroBherzogthum Baden angehorigen Personen, welche bei einem | auBerhalb des GroBherzogthums gamisonirenden Truppentheile dienen. ^Die Besteuerung der Offiziere, Aerzte und Militarbeamten richtet sich nach dem Bundesgesetz | liber die Beseitigung der Doppelbesteuerung. "^Sie sind von Comunalabgaben befreit, soweit diese | nicht von Grund=, Hauser=, Gefall und Gewerbe=Steuer=Capitalien entrichtet werden. ^Den | [S. 743J indirecten Steuem und Abgaben sind sie jedoch unterworfen. "^Das Diensteinkommen der | Militarpersonen unter Offiziersrang darf uberhaupt nicht, weder zu Staats= noch zu Gemeinde= | zwecken, besteuert werden. Artikel 16. Die gegenwartig der Badischen Militarformation angehorenden Offiziere, Portepeefahnriche, Aerzte | und Militarbeamten von Offiziersrang werden, insofem sie es wtinschen und soweit sie PreuBischer | Seits geeignet befunden werden, unter Beibehalt ihres Ranges und ihrer Anciennetat in die Koniglich | PreuBische Armee tibemommen, hinsichtlich der Anciennetat jedoch mit der MaaBgabe, daB sie durch | diesen Uebertritt nicht besser zu stehen kommen durfen, als wenn sie von Anfang an in der PreuBi= | schen Armee gedient hatten. ^Diejenigen Offiziere, welche wegen besonderer Quahfication und Leistungen etwa bevorzugte Be= | fordemng erfahren haben, sollen die erlangte Anciennetat thunlichst gewahrt erhalten. "^In Betreff | der Gehalts=Competenzen treten die Offiziere etc. in den GenuB der in PreuBen etatsmaBigen Char= | genbeziige, behalten aber ihr gesammtes jetziges Diensteinkommen, wenn dasselbe die PreuBischen | Competenzen ihrer Charge tibersteigt, eventuell bis dahin, daB sie nach PreuBischen Etat in eine | hohere Einnahme einriicken, beziehungsweise pensionirt werden. Die Belassung etwa bisher genossener hoherer Bezuge beim Uebertritt in den PreuBischen Dienst | findet auch auf die Unteroffiziere etc. statt. Artikel 17. ^Die in die PreuBische Armee tibertretenden Offiziere, Unteroffiziere etc., Aerzte und Militarbe= | amten werden bei demnachst eintretender Invaliditat nach PreuBischen Normen pensionirt; betragt | jedoch die so berechnete Pension weniger als diejenige, welche die betreffenden Personen zu dem Zeit= | punkte des Inkrafttretens dieser Convention nach badischen Normen bereits erworben haben wtirden, so | sollen dieselben den letzteren Betrag als Pension erhalten. ^Fiir jeden Einzelnen soil dieser Betrag | auf den erwahnten Zeitpunkt berechnet und dariiber von der betreffenden Badischen Militarbehorde | demnachst ein namentliches VerzeichniB aufgestellt und mitgetheilt werden. Wer zum Uebertritt nicht geeignet befunden worden, beziehungsweise nicht geneigt ist, wird nach | den flir ihn gtinstigsten Normen (PreuBischen oder Badischen) pensionirt. Die sammtlichen Pensionen des Badischen Militar=Pensionsetats, wie solche am Tage des In= I krafttretens der gegenwartigen Convention sich herausstellen werden, iibemimmt von da ab PreuBen | fur Bundesrechnung, und zwar nach den zur Zeit der Bewilligung in Geltung gewesenen Gmnd= | satzen in Betreff des Zahlungsmodus u. s. w.

[132] Militarkonvention (PreuBen ./. Baden) vom 25. November 1870

1227

Artikel 18. ^Die sammtlichen vorhandenen Materialbestande fiir das Badische Contingent an Bekleidung, Be= | waffhung, Munition, Feldequipage, Fahrzeugen, Pferden, Utensilien und Proviant gehen an den | Bund liber. "^Dieser ubemimmt nach Beendigung des Krieges die Wiederinstandsetzung des gesammten | [S. 744] Materials, wogegen Baden den Theil der auf dasselbe fallenden Kriegskosten=Entschadigung, welcher | von Bundeswegen fur Wiederherstellung des Kriegsmaterials bestimmt werden wird, fur diesen | Zweck zur Disposition stellt. Artikel 19. Die Koniglich PreuBische Regierung sichert der GroBherzoglich Badischen die Gewahrung aller | derjenigen auf das Bundes=Kriegsv^esen beztigliche Vortheile und Erleichterungen zu, welche, abge= | sehen von besonderen Zugestandnissen in Beziehung auf Geldleistungen, in PreuBen eingefiihrt oder | irgend einem Staat des Norddeutschen Bundes gewahrt sind oder werden. Artikel 20. Diese Convention tritt mit dem Ersten des auf die Demobilisirung des Badischen Contingents I folgenden Monats in Kraft. Artikel 21. Die gegenwartige Konvention kann nur im beiderseitigen Einverstandnisse aufgehoben oder ab= | geandert werden und soil alsbald den betheiligten Regierungen zur Genehmigung vorgelegt und die | Ausfertigung und Auswechselung der Ratificationen baldthunlichst bewirkt werden. So geschehen Versailles, den 25. November 1870. (L. S.) Jolly. (L. S.) V. Roon. (L. S.) V. Neubronn. [S. 745] SchluB-Protokoll. Zu der am heutigen Tage zwischen den bevollmachtigten Seiner Koniglichen Hoheit | des GroBherzogs von Baden und Seiner Majestat des Konigs von PreuBen | abgeschlossenen Militarconvention haben Dieselben noch folgende Zusatzbestimmungen vereinbart, | beziehungsweise Erklarungen abgegeben: 1. Die Bevollmachtigten waren dartiber einverstanden, daB in Folge der im Artikel 1 der | Convention ausgesprochenen Einverleibung des Badischen Contingents in die Deutsche, beziehungs== | weise PreuBische Armee die Badischen Staatsangehorigen, wie in alien auf das Militarwesen sich | beziehenden Verhaltnissen, so namentlich auch in Betreff der Benutzung der vorhandenen oder noch | zu errichtenden militarischen Bildungs= und Erziehungsanstalten, den PreuBischen Staatsange= | horigen vollig gleich gestellt sein sollen. Als Rayongesetz fur die im GroBherzogthum vorhandenen oder etwa noch anzulegenden I Festungen und Befestigungen soil, bis zum ErlaB eines Bundes=Rayongesetzes, das dermalen fur | Rastatt geltende Rayongesetz in Kraft bleiben beziehungsweise treten. 2. Die Bevollmachtigten erachten als selbstverstandlich, daB die Seiner Koniglichen Hoheit I dem GroBherzog verliehenen Regiments=Inhaberstellen und ebenso die beztiglichen Auszeichnungen | an den Uniformen der betreffenden Regimenter verbleiben.

1228

§ 7: Deutscher Bund/Deutsches Reich (1870/71 - 1918)

[Dok. 129 - 147]

3. Die GroBherzoglich Badischen BevoUmachtigten erklarten, daB Seine Konigliche Hoheit der | GroBherzog von der BefugniB, Seine Adjutantur zu bestellen, dahin Gebrauch zu machen gedenke, | daB dieselbe aus einem General=Adjutanten bis zum Range eines General=Lieutenants und zwei | Fliigeladjutanten bis zum Range von Obersten bestehe. 4. Zu Artikel 9 der Convention wurde auf Wunsch der GroBherzoglich Badischen Bevoll= I machtigten von anderer Seite zugesagt, daB zu dem neuen Aushebungsverfahren mit thunlichster | Schonung der seitherigen betreffenden Vorschriften und Einrichtungen tibergegangen werden wird. 5. Zu Artikel 11 wird bemerkt, daB mit dem NieBbrauch auch die Erhaltungspflicht und die I Uebemahme von Lasten, die auf den Gebauden und Grundstiicken ruhen, wie z. B. Feuerver= | sicherungsvertrage, soweit tiberhaupt Versicherungen beibehalten werden, verbunden ist. Wo der | Besitz auf Miethvertragen beruht, tritt PreuBen in diese ein. Nach Orten, in denen die erforderlichen Kasemirungseinrichtungen nicht vorhanden sind, wird | nur aus besonders dringenden Griinden eine standige Gamison verlegt werden. 6. Zu Artikel 12 der Convention waltete daruber EinverstandniB ob, daB die bei besonderer | Veranlassung und nur zeitweise erforderliche Aufstellung von Ehren= und Sicherheitswachen zu | militarischen Zwecken, sowie deren Posten, einer besonderen Zustimmung der Civilbehorde nicht | [S. 746] bedtirfe; daB jedoch, falls die Aufstellung eine nicht ganz vortibergehende ist, der betreffenden | Civilbehorde Anzeige liber die erfolgte Aufstellung gemacht werde. 7. Zu Artikel 13 der Convention waltete daruber EinverstandniB ob, daB die Abgabe der | zur Bewachung der Strafanstalten erforderlichen Militarcommandos fortzudauem habe. 8. Zu Artikel 14 der Convention erklarte der Bevollmachtigte Seiner Majestat des Konigs, I daB Allerhochstdieselben das Begnadigungsrecht iiber Badische Staatsangehorige in Fallen von | Verurtheilungen wegen nicht militarischer Vergehen Seiner Koniglichen Hoheit dem GroBherzog | geme tiberlassen werde. 9. Zu Artikel 17 waren die BevoUmachtigten daruber einverstanden, daB tiberhaupt wohler= | worbene Rechte nicht verkiirzt oder aufgehoben werden konnen, daB insbesondere auch die bis= | herigen personlichen und Rechtsverhaltnisse der beim Inkrafttreten der Convention bereits vorhandenen | Pensionare durch die Uebemahme von deren Pensionen auf die Bundescasse in keiner Weise ge= | andert werden und daB solche Badische Offiziere etc., Aerzte und Militarbeamte, welche bei ihrem | spateren Ausscheiden aus dem Dienste nach PreuBischem Gesetze eine Pension nicht zu beanspruchen I hatten, wahrend sie nach Badischem Rechte dazu berechtigt sind, vorkommenden Falls nach dem | letzteren zu behandeln sein werden. 10. Wegen der GroBherzoglich Badischen Militarwittwencasse soil, sobald als moglich, wenn | thunlich vor dem Inslebentreten der Convention, eine besondere Vereinbarung getroffen werden, | die auf dem Grundsatze der Wahrung wohlerworbener Rechte zu beruhen hat. Bis dahin bleiben | die Verhaltnisse jener Casse, einschlieBlich der aus dem Militarfiscus ihr zuflieBenden Beztige | unverandert, und die sammtlichen dermaligen Badischen Offiziere, Aerzte und Militarbeamten, auch | wenn sie zu einem anderen Contingent versetzt werden, zur Mitgliedschaft verpflichtet.

[133] Vereinbarung vom 8. Dezember 1870

1229

11. Zu Artikel 18 war man dariiber einverstanden, daB, soweit die laufenden Liefemngs= | und Miethvertrage zur Zeit des Inkrafttretens der Convention noch in Geltung sind, in deren | Betreff PreuBen in die Verpflichtungen Badens einzutreten hat. Die in der Ausfuhrung begriffenen Bauten und Anlagen fur militarische Zwecke werden fur | Rechnung der Bundescasse, soweit dies fur erforderlich erachtet wird, weiter gefuhrt werden. 12. Die Convention bezieht sich nicht auf das GroBherzoglich Badische Gendarmerie=Corps. | Dasselbe behalt jedoch seinen militarischen Charakter; wegen Fortfuhrung der militarischen Ge= | richtsbarkeit liber die Angehorigen des Corps bleibt nahere Verstandigung vorbehalten. Versailles, den 25. November 1870. (L. S.) Jolly. (L. S.) V. Roon. (L. S.) V. Neubronn.

[133] Vereinbarung (Norddeutscher Bund ./. Bayern, Wiirttemberg, Baden und Hessen) uber die Verfassung des Deutschen Bundes vom 8. Dezember 1870 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einfuhrungen" die Darstellungen unter [370.] [441.]. Quelle: Gesetzblatt fur das Konigreich Bayern 1870/71, (Nr. 22 vom 1. Februar) 1871, Beilage IV zur Koniglichen Deklaration, die deutschen Btindnisvertrage betreffend. Sp. 199/200 - 201/202 (gedruckt).^ Sonstige Fundstelle: E. R. Huber (Hrsg.), Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte, Bd. 2: Deutsche Verfassungsdokumente 1851 - 1900, 3. Aufl., 1986, Nr. 231. [Sp. 199/200] Beilage IV. Verhandelt Berlin, den 8. December 1870. Nachdem zwischen Seiner Majestat dem Konige von PreuBen, im Namen | des Norddeutschen Bundes, Seiner Koniglichen Hoheit dem GroBherzoge von | Baden und Seiner Koniglichen Hoheit dem GroBherzoge von Hessen und | bei Rhein eine Verfassung des Deutschen Bundes vereinbart wordenb, und Seine Maje= | stat der Konig von Wiirttemberg dieser Verfassung beigetreten istc, und nachdem | Seine Majestat der Konig von PreuBen, im Namen des Norddeutschen Bundes, | und Seine Majestat der Konig von Bayern einen Vertrag tiber den AbschluB | eines Verfassungs= Btindnisses geschlossen habend, sind die unterzeichneten Bevollmachtigten, | namlich: Fiir den Norddeutschen Bund der Koniglich Sachsische Staatsminister der Finanzen und der auswartigen Ange= | legenheiten, Richard Freiherr v. Friesen und | der Prasident des Bundeskanzleramtes, Koniglich PreuBischer Staatsminister | Martin Friedrich Rudolph Delbrtick; fur Bayern: der Koniglich Bayerische Staatsminister der Justiz, Johann von Lutz; fur Wiirttemberg: der Koniglich Wiirttemberg'sche Justizminister Hermann von Mittnacht; ^ ^ ^ ^

Wurde im Bundes- / bzw. Reichsgesetzblatt nicht veroffentlicht. Dok. 129. Dok. 131. Dok. 130.

1230

§ 7: Deutscher Bund/Deutsches Reich (1870/71 - 1918)

[Dok. 129 - 147]

fiir Baden: der GroBherzoglich Badische Prasident des Ministeriums des GroBherzoglichen | Hauses und der auswartigen Angelegenheiten, Rudolf von Freydorf, und | der GroBherzoglich Badische auBerordentliche Gesandte und bevollmachtigte der GroBherzoglich Badische Mi= I nister, Hans Freiherr von Ttirckheim; fur Hessen: der GroBherzoglich Hessische auBerordentliche Gesandte und bevollmachtigte Mi= | nister, Geheimer Legationsrath Karl Hofmann, [Sp. 201/202] in Berlin zusammen getreten, um die Zustimmung Wtirttembergs, Badens und Hessens zu | dem im Eingange erwahnten Vertrage zwischen dem Norddeutschen Bunde und Bay em und, I soweit dieB noch erforderlich ist, die Zustimmung Bayems zu der zwischen dem Norddeut= | schen Bunde, Baden und Hessen vereinbarten Verfassung und dem, iiber den Beitritt zu | dieser Verfassung mit Wtirttemberg abgeschlossenen Vertrage festzustellen. Die unterzeichneten Bevollmachtigten haben, nach gegenseitiger Vorlegung und Anerken= I nung ihrer Vollmachten, constatirt, daB Wtirttemberg, Baden und Hessen dem zwischen dem I Norddeutschen Bunde und Bayem liber den AbschluB eines Verfassungs= Biindnisses am 23. | November d. Js. zu Versailles abgeschlossenen Vertrage nebst dem dazu gehorigen SchluB= | protokolle von demselben Tage zustimmen, und daB Bayem, soweit dieB in Betracht der | Verabredung unter I des eben gedachten Vertrages noch erforderlich ist, der zwischen dem | Norddeutschen Bunde, Baden und Hessen vereinbarten, dem Protokolle d. d. Versailles den | 15. November d. Js. angeschlossenen Verfassung des Deutschen Bundes und den in diesem Protokolle | getroffenen Verabredungena, sowie dem zu Berlin am 25. November d. Js. un= | terzeichneten Vertrage zwischen dem Norddeutschen Bunde, Baden und Hessen einerseits, und | Wtirttemberg andererseits liber den Beitritt der letzteren zu der vorerwahnten Verfassung, den | in dem SchluBprotokolle zu diesem Vertrage getroffenen Verabredungen und der Militar= | Convention zwischen dem Norddeutschen Bunde und Wlirttemberg vom 21./25. Novem= | ber d, Js.b zustimmt. Die Unterzeichneten waren darliber einverstanden, daB der Inhalt der gegenwartigen | Verhandlung als durch die Ratification derjenigen Urkunden genehmigt angesehen werden | soil, auf welche sich die gegenwartige Verhandlung bezieht. gez. V. Friesen. | Delbrlick. | v. Lutz. | Mittnacht. gez. V. Freydorf | Hofmann. | Tlirckheim.

^ Dok. 129 und Dok. 134. ^ Dok. 131, Dok. 131/1 und Dok. 131/2.

[ 134] Verfassung des Deutschen Bundes vom 1. Januar 1871

1231

[134] Verfassung des Deutschen Bundes (Beilage zu den „Versailler Vertragen") vom 1. Januar 1871 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einfuhmngen" die Darstellungen unter [416.] [419.] [426.] [438.] [446.] [449.] [456.] [518.] [539]. Quelle: Bundes=Gesetzblatt des Norddeutschen Bundes (Nr. 51 vom 31. Dezember) 1870, S. 627 - 649 (gedmckt). [S. 627] Verfassung | des | Deutschen Bundes Seine Majestat der Konig von PreuBen im Namen des Norddeutschen Bundes, | Seine Konigliche Hoheit der GroBherzog von Baden und Seine Konigliche Ho= | heit der GroBherzog von Hessen und bei Rhein fur die stidlich vom Main be= | legenen Theile des GroBherzogthums Hessen, schlieBen einen ewigen Bund zum | Schutze des Bundesgebietes und des innerhalb desselben giiltigen Rechtes, sowie | zur Pflege der Wohlfahrt des Deutschen Volkes. Dieser Bund wird den Namen | Deutsches Reich fiihren und wird nachstehende | V e r f a s s u n g I haben. I. Bundesgebiet. Artikel 1. Das Bundesgebiet besteht aus den Staaten PreuBen mit Lauenburg, | Sachsen, Baden, Hessen, Mecklenburg=Schwerin, Sachsen=Weimar, Mecklenburg= | Strelitz, Oldenburg, Braunschweig, Sachsen^Meiningen, Sachsen=Altenburg, | Sachsen=Koburg=Gotha, Anhalt, I Schwarzburg=Rudolstadt, Schwarzburg= | Sondershausen, Waldeck, ReuB alterer Linie, ReuB jtingerer Linie, Schaumburg= | Lippe, Lippe, Ltibeck, Bremen und Hamburg. II. Bundesgesetzgebung. Artikel 2. ^Innerhalb dieses Bundesgebietes tibt der Bund das Recht der Gesetzgebung | nach MaaBgabe des Inhalts dieser Verfassung und mit der Wirkung aus, daB | [S. 628] die Bundesgesetze den Landesgesetzen vorgehen. '^Die Bundesgesetze erhalten ihre verbindliche Kraft durch ihre | Verktindigung von Bundes wegen, welche vermit= | telst eines Bundesgesetzblattes geschieht. ^Sofem nicht in dem publizirten Gesetze | ein anderer Anfangstermin seiner verbindlichen Kraft bestimmt ist, beginnt die | letztere mit dem vierzehnten Tage nach dem Ablauf desjenigen Tages, an welchem | das betreffende Stuck des Bundesgesetzblattes in Berlin ausgegeben worden ist.

1232

§ 7: Deutscher Bund/Deutsches Reich (1870/71 - 1918)

[Dok. 129 - 147]

Artikel 3. Ftir den ganzen Umfang des Bundesgebietes besteht ein gemeinsames Indi= | genat mit der Wirkung, daB der Angehorige (Unterthan, Staatsbtirger) eines | jeden Bundesstaates in jedem andem Bundesstaate als Inlander zu behandeln | und demgemaB zum festen Wohnsitz, zum Gewerbebetriebe, zu offentlichen Aem= | tern, zur Erwerbung von Grundstucken, zur Erlangung des Staatsbiirgerrechtes | und zum Genusse aller sonstigen btirgerlichen Rechte unter denselben Voraus= | setzungen wie der Einheimische zuzulassen, auch in Betreff der Rechtsverfolgung | und des Rechtsschutzes demselben gleich zu behandeln ist. In der Austibung dieser BefugniB darf der Bundesangehorige weder durch | die Obrigkeit seiner Heimath, noch durch die Obrigkeit eines anderen Bundes= | staates beschrankt werden. Diejenigen Bestimmungen, welche die Armenversorgung und die Aufnahme | in den lokalen Gemeindeverband betreffen, werden durch den im ersten Absatz | ausgesprochenen Grundsatz nicht beriihrt. Ebenso bleiben bis auf Weiteres die Vertrage in Kraft, welche zwischen | den einzelnen Bundesstaaten in Beziehung auf die Uebemahme von Auszuweisen= | den, die Verpflegung erkrankter und die Beerdigung verstorbener Staatsange= | horiger bestehen. HinsichtHch der Erflillung der Militairpflicht im VerhaltniB zu dem Hei=^ | mathslande wird im Wege der Bundesgesetzgebung das Nothige geordnet | werden. Dem Auslande gegentiber haben alle Bundesangehorigen gleichmaBig An= | spruch auf den Bundesschutz. Artikel 4. Der Beaufsichtigung Seitens des Bundes und der Gesetzgebung desselben | unterliegen die nachstehenden Angelegenheiten: 1) die Bestimmungen liber Freiztigigkeit, Heimaths= und Niederlassungs= | verhaltnisse, Staatsbiirgerrecht, PaBwesen und Fremdenpolizei und tiber | den Gewerbebetrieb, einschlieBlich des Versichemngswesens, soweit diese | Gegenstande nicht schon durch den Artikel 3. dieser Verfassung erledigt | sind, desgleichen tiber die Kolonisation und die Auswanderung nach | auBerdeutschen Landem; 2) die Zoll== und Handelsgesetzgebung und die far Bundeszwecke zu verwen= | denden Steuem; [S. 629] 3) die Ordnung des MaaB=, Mtinz= und Gewichtssystems, nebst Feststellung | der Grundsatze tiber die Emission von fundirtem und unfundirtem | Papiergelde; 4) die allgemeinen Bestimmungen tiber das Bankwesen; 5) die Erfindungspatente; 6) der Schutz des geistigen Eigenthums; 7) Organisation eines gemeinsamen Schutzes des Deutschen Handels im | Auslande, der Deutschen Schiffahrt und ihrer Flagge zur See und | Anordnung gemeinsamer konsularischer Vertretung, welche vom Bunde | ausgestattet wird; 8) das Eisenbahnwesen und die Herstellung von Land= und WasserstraBen | im Interesse der Landesvertheidigung und des allgemeinen Verkehrs; 9) der FloBerei= und Schiffahrtsbetrieb auf den mehreren Staaten gemein= | samen WasserstraBen und der Zustand der letzteren, sowie die FluB= und | sonstigen Wasserzolle; 10) das Post= und Telegraphenwesen; 11) Bestimmungen tiber die wechselseitige Vollstreckung von Erkenntnissen in | Civilsachen und Erledigung von Requisitionen tiberhaupt; 12) sowie tiber die Beglaubigung von offentlichen Urkunden;

[134] Verfassung des Deutschen Bundes vom 1. Januar 1871

1233

13) die gemeinsame Gesetzgebung iiber das Obligationenrecht, Strafrecht, Han== | dels== und Wechselrecht und das gerichtliche Verfahren; 14) das Militairwesen des Bundes und die Kriegsmarine; 15) MaaBregeln der Medizinal= und Veterinairpolizei; 16) die Bestimmungen liber die Presse und das Vereinswesen. Artikel 5. ^Die Bundesgesetzgebung wird ausgeubt durch den Bundesrath und den | Reichstag. ^Die Uebereinstimmung der Mehrheitsbeschlusse beider Versammlungen | ist zu einem Bundesgesetze erforderlich und ausreichend. Bei Gesetzesvorschlagen tiber das Militairwesen, die Kriegsmarine und | die im Artikel 35. bezeichneten Abgaben giebt, wenn im Bundesrathe eine j Meinungsverschiedenheit stattfindet, die Stimme des Prasidiums den Ausschlag, | wenn sie sich fur die Aufrechterhaltung der bestehenden Einrichtungen ausspricht. III. Bundesrath. Artikel 6. Der Bundesrath besteht aus den Vertretem der Mitglieder des Bundes, | unter welchen die Stimmfuhrung sich nach MaaBgabe der Vorschriften fur das | [S. 630] Plenum des ehemaligen Deutschen Bundes vertheilt, so daB PreuBen mit den | ehemaligen Stimmen von Hannover, Kurhessen, Holstein, Nassau und Frankfurt 17 Stimmen fiihrt, Sachsen 4 Baden 3 Hessen ,. 3 Mecklenburg=Schwerin 2 Sachsen=Weimar Mecklenburg=Strelitz , Oldenburg Braunschweig 2 Sachsen=Meiningen Sachsen=Altenburg Sachsen=Koburg=Gotha Anhalt Schwarzburg=Rudolstadt Schwarzburg=Sondershausen Waldeck. ReuB alterer Linie ReuB j lingerer Linie Schaumburg=Lippe Lippe Ltibeck Bremen Hamburg zusammen 48 Stimmen.

1234

§ 7: Deutscher Bund/Deutsches Reich (1870/71-1918)

[Dok. 129-147]

Jedes Mitglied des Bundes kann soviel Bevollmachtigte zum Bundes= | rathe emennen, wie es Stimmen hat, doch kann die Gesammtheit der zustandigen | Stimmen nur einheitlich abgegeben werden. Artikel 7. Der Bundesrath beschlieBt: 1) tiber die dem Reichstage zu machenden Vorlagen und die von demselben | gefaBten Beschltisse; 2) tiber die zur Ausfiihrung der Bundesgesetze erforderlichen allgemeinen | Verwaltungsvorschriften und Einrichtungen, sofem nicht durch Bundes= | gesetz etwas Anderes bestimmt ist; 3) tiber Mangel, welche bei der Ausfiihrung der Reichsgesetze oder der | vorstehend erwahnten Vorschriften oder Einrichtungen hervortreten. Jedes Bundesglied ist befugt, Vorschlage zu machen und in Vortrag zu | bringen, und das Prasidium ist verpflichtet, dieselben der Berathung zu tibergeben. ^Die BeschluBfassung erfolgt, vorbehaltlich der Bestimmungen in den Ar= | tikeln 5. 37. und 78., mit einfacher Mehrheit. "^Nicht vertretene oder nicht in= | [S. 631] struirte Stimmen werden nicht gezahlt. ^Bei Stimmengleichheit giebt die Pra= | sidialstimme den Ausschlag. Bei der BeschluBfassung tiber eine Angelegenheit, welche nach den Bestim= | mungen dieser Verfassung nicht dem ganzen Bunde gemeinschaftlich ist, werden | die Stimmen nur derjenigen Bundesstaaten gezahlt, welchen die Angelegenheit | gemeinschaftlich ist. Artikel 8. Der Bundesrath bildet aus seiner Mitte dauemde Ausschtisse 1) fur das Landheer und die Festungen; 2) far das Seewesen; 3) far Zoll= und Steuerwesen; 4) ftir Handel und Verkehr; 5) far Eisenbahnen, Post und Telegraphen; 6) far Justizwesen; 7) fiir Rechnungswesen. ^In jedem dieser Ausschtisse werden auBer dem Prasidium mindestens vier | Bundesstaaten vertreten sein, und fahrt innerhalb derselben jeder Staat nur Eine | Stimme. ^Die Mitglieder der Ausschtisse zu 1. und 2. werden von dem Bundes= | feldherm emannt, die der tibrigen von dem Bundesrathe gewahlt. ^Die Zusam= | mensetzung dieser Ausschtisse ist far jede Session des Bundesrathes resp. mit | jedem Jahre zu emeuem, wobei die ausscheidenden Mitglieder wieder wahlbar | sind. "^Den Ausschtissen werden die zu ihren Arbeiten nothigen Beamten zur | Verfagung gestellt. Artikel 9. ^Jedes Mitglied des Bundesrathes hat das Recht, im Reichstage zu erscheinen | und muB daselbst auf Verlangen jederzeit gehort werden, um die Ansichten seiner | Regierung zu vertreten, auch dann, wenn dieselben von der Majoritat des Bundes= | rathes nicht adoptirt worden sind. "^Niemand kann gleichzeitig Mitglied des Bundes= | rathes und des Reichstages sein.

[ 134] Verfassung des Deutschen Bundes vom 1. Januar 1871

1235

Artikel 10. Dem Bundesprasidium liegt es ob, den Mitgliedem des Bundesrathes den | tiblichen diplomatischen Schutz zu gewahren. IV. Bundesprasidium. Artikel 11. ^Das Prasidium des Bundes steht dem Konig von PreuBen zu, welcher | den Namen Deutscher Kaiser fiihrt. '^Der Kaiser hat das Reich volkerrechtlich | [S. 632] zu vertreten, im Namen des Reiches Krieg zu erklaren und Frieden zu schlieBen, | Btindnisse und andere Vertrage mit fremden Staaten einzugehen, Gesandte zu | beglaubigen und zu empfangen. Zur Erklamng des Krieges im Namen des Bundes ist die Zustimmung | des Bundesrathes erforderlich, es sei denn, daB ein Angriff auf das Bundesgebiet | oder dessen Ktisten erfolgt. Insoweit die Vertrage mit fremden Staaten sich auf solche Gegenstande | beziehen, welche nach Artikel 4. in den Bereich der Bundesgesetzgebung gehoren, | ist zu ihrem AbschluB die Zustimmung des Bundesrathes und zu ihrer Gtiltigkeit | die Genehmigung des Reichstages erforderlich. Artikel 12. Dem Prasidium steht es zu, den Bundesrath und den Reichstag zu be= | rufen, zu eroffnen, zu vertagen und zu schlieBen. Artikel 13. Die Berufung des Bundesrathes und des Reichstages findet alljahrlich | statt, und kann der Bundesrath zur Vorbereitung der Arbeiten ohne den Reichs= | tag, letzterer aber nicht ohne den Bundesrath berufen werden. Artikel 14. Die Berufung des Bundesrathes muB erfolgen, sobald sie von einem | Drittel der Stimmenzahl verlangt wird. Artikel 15. Der Vorsitz im Bundesrathe und die Leitung der Geschafte steht dem | Bundeskanzler zu, welcher vom Prasidium zu emennen ist. Derselbe kann sich durch jedes andere Mitghed des Bundesrathes vermoge | schriftlicher Substitution vertreten lassen. Artikel 16. Das Prasidium hat die erforderlichen Vorlagen nach MaaBgabe der Be= | schltisse des Bundesrathes an den Reichstag zu bringen, wo sie durch Mitglieder | des Bundesrathes oder durch besondere von letzterem zu emennende Kommissarien I vertreten werden.

1236

§ 7: Deutscher Bund/Deutsches Reich (1870/71 - 1918)

[Dok. 129 - 147]

Artikel 17. /^Dem Prasidium steht die Ausfertigung und Verkiindigung der Bundes= | gesetze und die Ueberwachung der Ausfiihrang derselben zu. ^Die Anordnungen | und Verftigungen des Bundesprasidiums werden im Namen des Bundes erlassen | und bediirfen zu ihrer Gtiltigkeit der Gegenzeichnung des Bundeskanzlers, welcher | dadurch die Verantwortlichkeit ubemimmt. [S. 633] Artikel 18. Das Prasidium emennt die Bundesbeamten, hat dieselben fur den Bund | zu vereidigen und erforderlichen Falles ihre Entlassung zu verftigen. Den zu einem Bundesamte berufenen Beamten eines Bundesstaates stehen, | sofem nicht vor ihrem Eintritt in den Bundesdienst im Wege der Bundesgesetz= | gebung etwas Anderes bestimmt ist, dem Bunde gegeniiber diejenigen Rechte | zu, welche ihnen in ihrem Heimathlande aus ihrer dienstlichen Stellung zuge= | standen hatten. Artikel 19. ^Wenn Bundesglieder ihre verfassungsmaBigen Bundespflichten nicht er= | fallen, konnen sie dazu im Wege der Exekution angehalten werden. '^Diese | Exekution ist vom Bundesrathe zu | vollstrecken. V. Reichstag. Artikel 20. Der Reichstag geht aus allgemeinen und direkten Wahlen mit geheimer | Abstimmung hervor. Bis zu der gesetzlichen Regelung, welche im § 5 des Gesetzes vom 31. Mai | 1869. (Art. 80. Nr. 13.) vorbehalten ist, werden in Baden 14, in Hessen sud= | lich des Mains 6 Abgeordnete gewahlt, und betragt demnach die Gesammtzahl | der Abgeordneten 317. Artikel 21. Beamte bedtirfen keines Urlaubs zum Eintritt in den Reichstag. Wenn ein Mitglied des Reichstages in dem Bunde oder einem Bundes= | staat ein besoldetes Staatsamt annimmt oder im Bundes= oder Staatsdienste in | ein Amt eintritt, mit welchem ein hoherer Rang oder ein hoheres Gehalt ver= | bunden ist, so verliert es Sitz und Stimme in dem Reichstag und kann seine | Stelle in demselben nur durch neue Wahl wieder erlangen. Artikel 22. Die Verhandlungen des Reichstages sind offentlich. Wahrheitsgetreue Berichte liber Verhandlungen in den offentlichen Sitzungen | des Reichstages bleiben von jeder Verantwortlichkeit frei.

[ 134] Verfassung des Deutschen Bundes vom 1. Januar 1871

1237

Artikel23. Der Reichstag hat das Recht, innerhalb der Kompetenz des Bundes Gesetze | vorzuschlagen und an ihn gerichtete Petitionen dem Bundesrathe resp. Bundes= | kanzler zu tiberweisen. [S. 634] Artikel 24. ^Die Legislaturperiode des Reichstages dauert drei Jahre. ^Zur Auflosung | des Reichstages wahrend derselben ist ein BeschluB des Bundesrathes unter Zu= | stimmung des Prasidiums erforderlich. Artikel 25. Im Falle der Auflosung des Reichstages mtissen innerhalb eines Zeitraumes | von 60 Tagen nach derselben die Wahler und innerhalb eines Zeitraumes von | 90 Tagen nach der Auflosung der Reichstag versammelt werden. Artikel 26. Ohne Zustimmung des Reichstages darf die Vertagung desselben die Frist | von 30 Tagen nicht iibersteigen und wahrend derselben Session nicht wiederholt | werden. Artikel 27. ^Der Reichstag priift die Legitimation seiner Mitglieder und entscheidet | daruber. ^Er regelt seinen Geschaftsgang und seine Disziplin durch eine Ge= | schafts=Ordnung und erwahlt seinen Prasidenten, seine Vizeprasidenten und | Schriftfuhrer. Artikel 28. ^Der Reichstag beschlieBt nach absoluter Stimmenmehrheit. '^Zur Giiltigkeit | der BeschluBfassung ist die Anwesenheit der Mehrheit der gesetzlichen Anzahl der | Mitglieder erforderlich. Bei der BeschluBfassung tiber eine Angelegenheit, welche nach den Bestim= | mungen dieser Verfassung nicht dem ganzen Bunde gemeinschaftlich ist, werden | die Stimmen nur derjenigen Mitglieder gezahlt, die in Bundesstaaten gewahlt | sind, welchen die Angelegenheit gemeinschaftlich ist. Artikel 29. Die Mitglieder des Reichstages sind Vertreter des gesammten Volkes und | an Auflrage und Instmktionen nicht gebunden. Artikel 30. Kein Mitglied des Reichstages darf zu irgend einer Zeit wegen seiner Ab= | stimmung oder wegen der in Ausiibung seines Berufes gethanen AeuBerungen | gerichtlich oder disziplinarisch verfolgt oder sonst auBerhalb der Versammlung zur | Verantwortung gezogen werden.

1238

§ 7: Deutscher Bund/Deutsches Reich (1870/71 - 1918)

[Dok. 129 - 147]

ArtikelSl. Ohne Genehmigung des Reichstages kann kein Mitglied desselben wahrend | der Sitzungsperiode wegen einer mit Strafe bedrohten Handlung zur Untersuchung | [S. 635] gezogen Oder verhaftet werden, auBer weim es bei Ausiibung der That oder im | Laufe des nachstfolgenden Tages ergriffen wird. Gleiche Genehmigung ist bei einer Verhaftung wegen Schulden erforderlich. Auf Verlangen des Reichstages wird jedes Strafverfahren gegen ein Mit= | glied desselben und jede Untersuchungs= oder Civilhaft fur die Dauer der Sitzungs== | periode aufgehoben. Artikel 32. Die Mitglieder des Reichstages dtirfen als solche keine Besoldung oder | Entschadigung beziehen. VI. Zoll= und Handelswesen. Artikel 33. ^Der Bund bildet ein Zoll= und Handelsgebiet, umgeben von gemeinschaft= | licher Zollgrenze. ^Ausgeschlossen bleiben die wegen ihrer Lage zur EinschlieBung | in die Zollgrenze nicht geeigneten einzelnen Gebietstheile. Alle Gegenstande, welche im freien Verkehr eines Bundesstaates befindlich | sind, konnen in jeden anderen Bundesstaat eingefuhrt und dtirfen in letzterem | einer Abgabe nur insoweit unterworfen werden, als daselbst gleichartige inlandische | Erzeugnisse einer inneren Steuer unterliegen. Artikel 34. Die Hansestadte Bremen und Hamburg mit einem dem Zweck entsprechen= | den Bezirke ihres oder des umliegenden Gebietes bleiben als Freihafen auBerhalb | der gemeinschaftlichen Zollgrenze, bis sie ihren EinschluB in dieselbe beantragen. Artikel 35. Der Bund ausschlieBlich hat die Gesetzgebung liber das gesammte Zoll= | wesen, liber die Besteuerung des im Bundesgebiete gewonnenen Salzes und Ta= | backs, bereiteten Branntweins und Bieres und aus Rliben oder anderen inlandischen | Erzeugnissen dargestellten Zuckers und Syrups, liber den gegenseitigen Schutz der | in den einzelnen Bundesstaaten erhobenen Verbrauchsabgaben gegen Hinter= | ziehungen, sowie liber die MaaBregeln, welche in den Zollausschllissen zur Siche= | rung der gemeinsamen Zollgrenze erforderlich sind. ^In Baden bleibt die Besteuerung des inlandischen Branntweins und Bieres | der Landesgesetzgebung vorbehalten. ^Die Bundesstaaten werden jedoch ihr Be= | streben darauf richten, eine Uebereinstimmung der Gesetzgebung liber die Besteu= | erung auch dieser Gegenstande herbeizufuhren.

[ 134] Verfassung des Deutschen Bundes vom 1. Januar 1871

1239

Artikel 36. Die Erhebung und Verwaltung der Zolle und Verbrauchssteuem (Art. 35.) | bleibt jedem Bundesstaate, soweit derselbe sie bisher ausgetibt hat, irmerhalb | seines Gebietes tiberlassen. [S. 636] Das Bundesprasidium tiberwacht die Einhaltung des gesetzlichen Verfahrens | durch Bundesbeamte, welche es den Zoll= oder Steueramtem und den Direktiv= | behorden der einzelnen Staaten, nach Vemehmung des Ausschusses des Bundes= | rathes fur Zoll= und Steuerwesen, beiordnet. Die von diesen Beamten tiber Mangel bei der Ausfuhrung der gemein= | schaftlichen Gesetzgebung (Art. 35.) gemachten Anzeigen werden dem Bundesrathe | zur BeschluBnahme vorgelegt. Artikel 37. Bei der BeschluBnahme tiber die zur Ausfuhrung der gemeinschaftlichen | Gesetzgebung (Art. 35.) dienenden Verwaltungsvorschriften und Einrichtungen | giebt die Stimme des Prasidiums alsdann den Ausschlag, wenn sie sich fur die Auf= | rechthaltung der bestehenden Vorschrift oder Einrichtung ausspricht. Artikel 38. Der Ertrag der Zolle und der anderen, in Artikel 35. bezeichneten Abgaben, | letzterer soweit sie der Bundesgesetzgebung unterliegen, flieBt in die Bundeskasse. Dieser Ertrag besteht aus der gesammten von den Zollen und den tibrigen Ab= | gaben aufgekommenen Einnahme nach Abzug: 1) der auf Gesetzen oder allgemeinen Verwaltungsvorschriften beruhenden | Steuervergtitungen und ErmaBigungen, 2) der Rtickerstattungen fiir unrichtige Erhebungen, 3) der Erhebungs= und Verwaltungskosten, und zwar: a) bei den Zollen der Kosten, welche an den gegen das Ausland ge= | legenen Grenzen und in dem Grenzbezirke fur den Schutz und die | Erhebung der Zolle erforderlich sind, b) bei der Salzsteuer der Kosten, welche zur Besoldung der mit Er= | hebung und Kontrolimng dieser Steuer auf den Salzwerken beauf= | tragten Beamten aufgewendet werden, c) bei der Rtibenzuckersteuer und Tabacksteuer der Vergiitung, welche | nach den jeweiligen Beschltissen des Bundesrathes den einzelnen | Bundesregierungen far die Kosten der Verwaltung dieser Steuem | zu gewahren ist, d) bei den tibrigen Steuem mit fiinfzehn Prozent der Gesammt= | einnahme. Die auBerhalb der gemeinschaftlichen Zollgrenze liegenden Gebiete tragen | zu den Bundesausgaben durch Zahlung eines Aversums bei. Baden hat an dem in die Bundeskasse flieBenden Ertrage der Steuem von | Branntwein und Bier und an dem, diesem Ertrage entsprechenden Theile des | vorstehend erwahnten Aversums keinen Theil. Artikel 39. Die von den Erhebungsbehorden der Bundesstaaten nach Ablauf eines jeden | Vierteljahres aufzustellenden Quartal=Extrakte und die nach dem Jahres= und | [S. 637] Bticherschlusse aufzustellenden Finalabschltisse tiber die im Laufe des Vierteljahres | beziehungsweise wahrend des Rechnungsjahres fallig gewordenen Einnahmen an | Zollen und nach Artikel 38. zur Bundeskasse flieBenden Verbrauchsabgaben wer=^ | den von den Direktivbehorden der Bundesstaaten, nach vorangegangener Prtifung, | in Hauptiibersichten zusam-

1240

§ 7: Deutscher Bund/Deutsches Reich (1870/71 - 1918)

[Dok. 129 - 147]

mengestellt, in welchen jede Abgabe gesondert nachzu= | weisen ist, und es werden diese Uebersichten an den AusschuB des Bundesrathes | ftir das Rechnungswesen eingesandt. *Der letztere stellt auf Grund dieser Uebersichten von drei zu drei Monaten | den von der Kasse jedes Bundesstaates der Bundeskasse schuldigen Betrag vor= | laufig fest und setzt von dieser Feststellung den Bundesrath und die Bundes= | staaten in KenntniB, legt auch alljahrlich die schlieBliche Feststellung jener Betrage | mit seinen Bemerkungen dem Bundesrathe vor. ^Der Bundesrath beschlieBt liber | diese Feststellung. Artikel 40. Die Bestimmungen in dem Zollvereinigungsvertrage vom 8. Juli 1867. | bleiben in Kraft, soweit sie nicht durch die Vorschriften dieser Verfassung ab= | geandert sind und solange sie nicht auf dem im Artikel 7., beziehungsweise 78. | bezeichneten Wege abgeandert werden. VII. Eisenbahnwesen. Artikel 41. Eisenbahnen, welche im Interesse der Vertheidigung des Bundesgebietes | oder im Interesse des gemeinsamen Verkehrs fur nothwendig erachtet werden, | konnen kraft eines Bundesgesetzes auch gegen den Widerspruch der Bundesglieder, | deren Gebiet die Eisenbahnen durchschneiden, unbeschadet der Landeshoheitsrechte, | fiir Rechnung des Bundes angelegt oder an Privatuntemehmer zur Ausfiihrung | konzessionirt und mit dem Expropriationsrechte ausgestattet werden. Jede bestehende Eisenbahnverwaltung ist verpflichtet, sich den AnschluB neu | angelegter Eisenbahnen auf Kosten der letzteren gefallen zu lassen. ^Die gesetzlichen Bestimmungen, welche bestehenden Eisenbahn=Unter= | nehmungen ein Widerspruchsrecht gegen die Anlegung von Parallel== oder Kon= | kurrenzbahnen einraumen, werden, unbeschadet bereits erworbener Rechte, fiir das ganze Bundesgebiet hierdurch aufgehoben. "^Ein solches Widerspruchsrecht kann | auch in den ktinflig zu ertheilenden Konzessionen nicht weiter verliehen werden. Artikel 42. Die Bundesregiemngen verpflichten sich, die im Bundesgebiete belegenen | Eisenbahnen im Interesse des allgemeinen Verkehrs wie ein einheitliches Netz ver= | walten und zu diesem Behuf auch die neue herzustellenden Bahnen nach einheit= | lichen Normen anlegen und ausriisten zu lassen. [S. 638] Artikel 43. ^Es sollen demgemaB in thunlichster Beschleunigung tibereinstimmende Be= | triebseinrichtungen getroffen, insbesondere gleiche Bahnpolizei=Reglements ein= | gefuhrt werden. ^Der Bund hat dafiir Sorge zu tragen, daB die Eisenbahn= | verwaltungen die Bahnen jederzeit in einem die nothige Sicherheit gewahrenden | baulichen Zustande erhalten und dieselben mit Betriebsmaterial so ausriisten, wie | das VerkehrsbedtirfniB es erheischt. Artikel 44. Die Eisenbahnverwaltungen sind verpflichtet, die fur den durchgehenden | Verkehr und zur Herstellung ineinander greifender Fahrplane nothigen Personen= | ztige mit entsprechender Fahrgeschwindigkeit, desgleichen die zur Bewaltigung des | Gtiterverkehrs nothigen Gtiterziige einzufuhren, auch direkte Expeditionen im Per= | sonen= und Gtiterverkehr, unter Gestattung des Ueberganges der Transportmittel | von einer Bahn auf die andere, gegen die tibliche Vergiitung einzurichten.

[ 134] Verfassung des Deutschen Bundes vom 1. Januar 1871

1241

Artikel 45. ^Dem Bunde steht die Kontrole tiber das Tarifwesen zu. '^Derselbe wird | namentlich dahin wirken: 1) daB baldigst auf den Eisenbahnen im Gebiete des Bundes tibereinstim^ | mende Betriebsreglements eingefuhrt werden; 2) daB die moglichste GleichmaBigkeit und Herabsetzung der Tarife erzielt, | insbesondere, daB bei groBeren Entfemungen fiir den Transport von | Kohlen, Koaks, Holz, Erzen, Steinen, Salz, Roheisen, Dtingungsmitteln | und ahnlichen Gegenstanden ein dem BediirfniB der Landwirthschaft und | Industrie entsprechender ermaBigter Tarif, und zwar zunachst thunlichst | der Einpfennig=Tarif eingefuhrt werde. Artikel 46. Bei eintretenden Nothstanden, insbesondere bei ungewohnlicher Theuerung | der Lebensmittel, sind die Eisenbahnverwaltungen verpflichtet, fur den Transport, | namentlich von Getreide, Mehl, Htilsenfruchten und Kartoffeln, zeitweise einen | dem BedtirftiiB entsprechenden, von dem Bundesprasidium auf Vorschlag des | betreffenden Bundesraths=Ausschusses festzustellenden, niedrigen Spezialtarif ein= | zufuhren, welcher jedoch nicht unter den niedrigsten auf der betreffenden Bahn | fiir Rohprodukte geltenden Satz herabgehen darf Artikel 47. ^Den Anforderungen der Bundesbehorden in Betreff der Benutzung der | Eisenbahnen zum Zweck der Vertheidigung des Bundesgebietes haben sammtliche | Eisenbahnverwaltungen unweigerlich Folge zu leisten. "^Insbesondere ist das | Militair und alles Kriegsmaterial zu gleichen ermaBigten Satzen zu befordem. [S. 639] VIII. Post= und Telegraphenwesen. Artikel 48. Das Postwesen und das Telegraphenwesen werden fur das gesammte | Gebiet des Deutschen Bundes als einheitliche Staatsverkehrs=Anstalten eingerichtet | und verwaltet. Die im Artikel 4. vorgesehene Gesetzgebung des Bundes in Post= und | Telegraphen=Angelegenheiten erstreckt sich nicht auf diejenigen Gegenstande, deren | Regelung nach den gegenwartig in der Norddeutschen Post= und Telegraphen= | verwaltung maBgebenden Grundsatzen der reglementarischen Festsetzung oder | administrativen Anordnung tiberlassen ist. Artikel 49. ^Die Einnahmen des Post= und Telegraphenwesens sind fur den ganzen | Bund gemeinschaftlich. "^Die Ausgaben werden aus den gemeinschaftlichen Ein= | nahmen bestritten. ^Die Ueberschtisse flieBen in die Bundeskasse (Abschnitt XII.). Artikel 50. ^Dem Bundesprasidium gehort die obere Leitung der Post= und Tele== | graphenverwaltung an. "^Dasselbe hat die Pflicht und das Recht, dafur zu | sorgen, daB Einheit in der Organisation der Verwaltung und im Betriebe des Dienstes, sowie in der Qualifikation der Beamten hergestellt und erhalten wird. Das Prasidium hat fur den ErlaB der reglementarischen Festsetzungen und | allgemeinen administrativen Anordnungen, sowie fur die ausschlieBliche Wahr= | nehmung der Beziehungen zu anderen Post= und Telegraphenverwaltungen Sorge | zu tragen.

1242

§ 7: Deutscher Bund/Deutsches Reich (1870/71 - 1918)

[Dok. 129 - 147]

^Sammtliche Beamte der Post= und Telegraphenverwaltung sind ver= | pflichtet, den Anordnungen des Bundesprasidiums Folge zu leisten. ^Diese Ver= | pflichtung ist in den Diensteid aufzunehmen. ArtikelSl. ^Die Anstellung der bei den Verwaltungsbehorden der Post und Telegraphie | in den verschiedenen Bezirken erforderlichen oberen Beamten (z. B. der Direk= | toren, Rathe, Ober=Inspektoren), femer die Anstellung der zur Wahmehmung | des Aufsichts= u. s. w. Dienstes in den einzelnen Bezirken als Organe der er= | wahnten Behorden fangirenden Post= und Telegraphenbeamten (z. B. Inspektoren, | Kontroleure) geht fur das ganze Gebiet des Deutschen Bundes von dem | Prasidium aus, welchem diese Beamten den Diensteid leisten. ^Den einzelnen | Landesregierungen wird von den in Rede stehenden Emennungen, soweit dieselben | ihre Gebiete betreffen, Behufs der landesherrlichen Bestatigung und Publikation | rechtzeitig Mittheilung gemacht werden. Die anderen bei den Verwaltungsbehorden der Post und Telegraphie | erforderlichen Beamten, sowie alle fur den lokalen und technischen Betrieb be= | [S. 640] stimmten, mithin bei den eigentlichen Betriebsstellen fungirenden Beamten u.s.w. | werden von den betreffenden Landesregierungen angestellt. Wo eine selbststandige Landespost= resp. Telegraphenverwaltung nicht be= | steht, entscheiden die Bestimmungen der besonderen Vertrage. Artikel 52. Bei Ueberweisung des Ueberschusses der Postverwaltung fiir allgemeine | Bundeszwecke (Artikel 49.) soil, in Betracht der bisherigen Verschiedenheit der | von den Landes=Postverwaltungen der einzelnen Gebiete erzielten Reineinnahmen, | zum Zwecke einer entsprechenden Ausgleichung wahrend der unten festgesetzten | Uebergangszeit folgendes Verfahren beobachtet werden. Aus den Postiiberschtissen, welche in den einzelnen Postbezirken wahrend | der ftinf Jahre 1861. bis 1865. aufgekommen sind, wird ein durchschnittlicher | JahrestiberschuB berechnet, und der Antheil, welchen jeder einzelne Postbezirk an | dem fur das gesammte Gebiet des Bundes sich damach herausstellenden Post= | tiberschusse gehabt hat, nach Prozenten festgestellt. Nach MaaBgabe des auf diese Weise festgestellten Verhaltnisses werden | den einzelnen Staaten wahrend der auf ihren Eintritt in die Bundes=Postver= | waltung folgenden acht Jahre, die sich aus den im Bunde aufkommenden | Postiiberschtissen ergebenden Quoten auf ihre sonstigen Beitrage zu Bundeszwecken | zu Gute gerechnet. Nach Ablauf der acht Jahre hort jene Unterscheidung auf, und flieBen die | Postiiberschtisse in ungetheilter Aufrechnung nach dem in Artikel 49. enthaltenen | Grundsatz der Bundeskasse zu. Von den wahrend der vorgedachten acht Jahre fur die Hansestadte sich | herausstellenden Quoten des Postiiberschusses wird alljahrlich vorweg die Halfte | dem Bundesprasidium zur Disposition gestellt zu dem Zwecke, daraus zunachst [ die Kosten fur die Herstellung normaler Posteinrichtungen in den Hansestadten | zu bestreiten. IX. Marine und Schiffahrt. Artikel 53. ^Die Bundes=Kriegsmarine ist eine einheitliche unter PreuBischem Ober= | befehl. "^Die Organisation und Zusammensetzung derselben liegt Seiner Majestat | dem Konige von PreuBen ob, welcher die Offiziere und Beamten der Marine | emennt, und fiir welchen dieselben nebst den Mannschaften eidlich in Pflicht zu I nehmen sind.

[ 134] Verfassung des Deutschen Bundes vom 1. Januar 1871

1243

Der Kieler Hafen und der Jadehafen sind Bundeskriegshafen. Der zur Griindung und Erhaltung der Kriegsflotte und der damit zu= | sammenhangenden Anstalten erforderliche Aufwand wird aus der Bundeskasse | bestritten. Die gesammte seemannische Bevolkerung des Bundes, einschlieBlich des | Maschinenpersonals und der Schiffshandwerker, ist vom Dienste im Landheere | befreit, dagegen zum Dienste in der Bundesmarine verpflichtet. [S. 641] Die Vertheilung des Ersatzbedarfes findet nach MaaBgabe der vorhandenen | seemannischen Bevolkerung statt, und die hiemach von jedem Staate gestellte | Quote kommt auf die Gestellung zum Landheere in Abrechnung. Artikel 54. Die Kauffahrteischiffe aller Bundesstaaten bilden eine einheitliche Handels= | marine. Der Bund hat das Verfahren zur Ermittelung der Ladungsfahigkeit der | Seeschiffe zu bestimmen, die Ausstellung der MeBbriefe, sowie der Schiffscertifikate | zu regeln und die Bedingungen festzustellen, von welchen die ErlaubniB zur | Ftihrung eines Seeschiffes abhangig ist. ^In den Seehafen und auf alien natiirlichen und ktinstlichen WasserstraBen | der einzelnen Bundesstaaten werden die Kauffahrteischiffe sammtlicher Bundes= | staaten gleichmaBig zugelassen und behandelt. ^Die Abgaben, welche in den See= | hafen von den Seeschiffen Oder deren Ladungen flir die Benutzung der Schiff= | fahrtsanstalten erhoben werden, diirfen die zur Unterhaltung und gewohnlichen | Herstellung dieser Anstalten erforderlichen Kosten nicht tibersteigen. ^Auf alien natiirlichen WasserstraBen diirfen Abgaben nur fur die Benutzung | besonderer Anstalten, die zur Erleichterung des Verkehrs bestimmt sind, erhoben | werden. ^Diese Abgaben, sowie die Abgaben fiir die Befahrung solcher kiinst= | lichen WasserstraBen, welche Staatseigenthum sind, diirfen die zur Unterhaltung | und gewohnlichen Herstellung der Anstalten und Anlagen erforderlichen Kosten | nicht tibersteigen. ^Auf die FloBerei finden diese Bestimmungen insoweit Anwen= | dung, als dieselbe auf schiffbaren WasserstraBen betrieben wird. Auf fremde Schiffe oder deren Ladungen andere oder hohere Abgaben zu | legen, als von den Schiffen der Bundesstaaten oder deren Ladungen zu entrichten | sind, steht keinem Einzelstaate, sondem nur dem Bunde zu. Artikel 55. Die Flagge der Kriegs= und Handelsmarine ist schwarz=weiB=roth. X. Konsulatwesen. Artikel 56. Das gesammte Konsulatwesen des Deutschen Bundes steht unter der Auf= | sicht des Bundesprasidiums, welches die Konsuln, nach Vemehmung des Aus= | schusses des Bundesrathes fiir Handel und Verkehr, anstellt. ^In dem Amtsbezirk der Bundeskonsuln diirfen neue Landeskonsulate nicht [ errichtet werden. '^Die Bundeskonsuln iiben fur die in ihrem Bezirk nicht ver= | tretenen Bundesstaaten die Funktionen eines Landeskonsuls aus. ^Die sammtlichen | bestehenden Landeskonsulate werden aufgehoben, sobald die Organisation der | Bundeskonsulate dergestalt vollendet ist, daB die Vertretung der Einzelinteressen | aller Bundesstaaten als durch die Bundeskonsulate gesichert von dem Bundes= | rathe anerkannt wird.

1244

§ 7: Deutscher Bund/Deutsches Reich (1870/71 - 1918)

[Dok. 129 - 147]

[S. 642] XL Bundeskriegswesen. Artikel 57. Jeder Bundesangehorige ist wehrpflichtig und kann sich in Austibung | dieser Pflicht nicht vertreten lassen. Artikel 58. ^Die Kosten und Lasten des gesammten Kriegswesens des Bundes sind von | alien Bundesstaaten und ihren Angehorigen gleichmaBig zu tragen, so daB weder | Bevorzugungen, noch Pragravationen einzelner Staaten oder Klassen gmndsatzlich | zulassig sind. •^Wo die gleiche Vertheilung der Lasten sich in natura nicht her= | stellen laBt, ohne die offentliche Wohlfahrt zu schadigen, ist die Ausgleichung nach | den Grundsatzen der Gerechtigkeit im Wege der Gesetzgebung festzustellen. Artikel 59. ^Jeder wehrfahige Bundesangehorige gehort sieben Jahre lang, in der | Regel vom vollendeten 20. bis zum beginnenden 28. Lebensjahre, dem stehenden | Heere - und zwar die ersten drei Jahre bei den Fahnen, die letzten vier Jahre | in der Reserve - und die folgenden fiinf Lebensjahre der Landwehr an. "^In | denjenigen Bundesstaaten, in denen bisher eine langere als zwolfjahrige Gesanimt= | dienstzeit gesetzlich war, findet die allmalige Herabsetzung der Verpflichtung nur | in dem MaaBe statt, als dies die Rticksicht auf die Kriegsbereitschaft des Bundes= | heeres zulaBt. In Bezug auf die Auswanderung der Reservisten sollen lediglich diejenigen | Bestimmungen maaBgebend sein, welche fur die Auswanderung der Landwehr^ | manner gelten. Artikel 60. ^Die Friedens^Prasenzstarke des Bundesheeres wird bis zum 31. Dezember | 1871. auf Ein Prozent der Bevolkerung von 1867. normirt, und wird pro rata | derselben von den einzelnen Bundesstaaten gestellt. "^Ftir die spatere Zeit wird die | Friedens=Prasenzstarke des Heeres im Wege der Bundesgesetzgebung festgestellt. Artikel 61. ^Nach Publikation dieser Verfassung ist in dem ganzen Bundesgebiete die | gesammte PreuBische Militairgesetzgebung ungesaumt einzufiihren, sowohl die Gesetze | selbst, als die zu ihrer Ausfiihrung, Erlauterung oder Erganzung erlassenen Re= | glements, Instmktionen und Reskripte, namentlich also das Militair^Strafgesetzbuch | vom 3. April 1845., die Militair=Strafgerichtsordnung vom 3. April 1845., | die Verordnung liber die Ehrengerichte vom 20. Juli 1843., die Bestimmungen | uber Aushebung, Dienstzeit, Servis= und Verpflegungswesen, Einquartierung, | Ersatz von Flurbeschadigungen, Mobilmachung u. s. w. fiir Krieg und Frieden. | ^Die Militair=Kirchenordnung ist jedoch ausgeschlossen. [S. 643] Nach gleichmaBiger Durchfiihrung der Bundes=Kriegsorganisation wird das | Bundesprasidium ein umfassendes Bundes=Militairgesetz dem Reichstage und dem | Bundesrathe zur verfassungsmaBigen BeschluBfassung vorlegen.

[134] Verfassung des Deutschen Bundes vom 1. Januar 1871

1245

Artikel 62. ^Zur Bestreitung des Aufwandes fiir das gesammte Bundesheer und die | zu demselben gehorigen Einrichtungen sind bis zum 31. Dezember 1871. dem | Bundesfeldherm jahrlich sovielmal 225 Thaler, in Worten zweihundert fiinf und | zwanzig Thaler, als die Kopfzahl der Friedensstarke des Heeres nach Artikel 60. | betragt, zur Verfugung zu stellen. "^Vergl. Abschnitt XII. ^Nach dem 31. Dezember 1871. mtissen diese Beitrage von den einzelnen | Staaten des Bundes zur Bundeskasse fortgezahlt werden. ^Zur Berechnung | derselben wird die im Artikel 60. interimistisch festgestellte Friedens=Prasenzstarke | so lange festgehalten, bis sie durch ein Bundesgesetz abgeandert ist. Die Verausgabung dieser Summe fiir das gesammte Bundesheer und | dessen Einrichtungen wird durch das Etatsgesetz festgestellt. Bei der Feststellung des Militaii^Ausgabe=Etats wird die auf Gmndlage dieser | Verfassung gesetzlich feststehende Organisation des Bundesheeres zu Grunde gelegt. Artikel 63. Die gesammte Landmacht des Bundes wird ein einheitliches Heer bilden, | welches in Krieg und Frieden unter dem Befehle Seiner Majestat des Konigs | von PreuBen als Bundesfeldherm steht. ^Die Regimenter etc. fiihren fortlaufende Nummem durch die ganze Bundes= | Armee. ^Ftir die Bekleidung sind die Grundfarben und der Schnitt der Koniglich | PreuBischen Armee maaBgebend. ^Dem betreffenden Kontingentsherm bleibt es | tiberlassen, die auBeren Abzeichen (Kokarden etc.) zu bestimmen. ^Der Bundesfeldherr hat die Pflicht und das Recht, dafiir Sorge zu tragen, | daB innerhalb des Bundesheeres alle Tmppentheile vollzahlig und kriegsttichtig | vorhanden sind und daB Einheit in der Organisation und Formation, in Be= | waffnung und Kommando, in der Ausbildung der Mannschaften, sowie in der | Qualifikation der Offiziere hergestellt und erhalten wird. "^Zu diesem Behufe ist | der Bundesfeldherr berechtigt, sich jederzeit durch Inspektionen von der Verfassung | der einzelnen Kontingente zu tiberzeugen und die Abstellung der dabei vorgefun= | denen Mangel anzuordnen. Der Bundesfeldherr bestimmt den Prasenzstand, die Gliedemng und Ein= | theilung der Kontingente der Bundesarmee, sowie die Organisation der Landwehr, | und hat das Recht, innerhalb des Bundesgebietes die Gamisonen zu bestimmen, | sowie die kriegsbereite Aufstellung eines jeden Theils der Bundesarmee an= | zuordnen. Behufs Erhaltung der unentbehrlichen Einheit in der Administration, | Verpflegung, Bewaffnung und Ausriistung aller Tmppentheile des Bundesheeres | sind die bezuglichen ktinftig ergehenden Anordnungen fur die PreuBische Armee | den Kommandeuren der tibrigen Bundeskontingente, durch den Artikel 8. Nr. 1. | bezeichneten AusschuB fur das Landheer und die Festungen, zur Nachachtung in | geeigneter Weise mitzutheilen.

1246

§ 7: Deutscher Bund/Deutsches Reich (1870/71 - 1918)

[Dok. 129 - 147]

[S. 644] Artikel 64. ^Alle Bundestmppen sind verpflichtet, den Befehlen des Bundesfeldherm | unbedingte Folge zu leisten. "^Diese Verpflichtung ist in den Fahneneid auf= | zunehmen. ^Der Hochstkommandirende eines Kontingents, sowie alle Offiziere, welche | Truppen mehr als eines Kontingents befehligen, und alle Festungskommandanten | werden von dem Bundesfeldherm emannt. ^Die von Demselben emannten | Offiziere leisten ihm den Fahneneid. ^Bei Generalen und den Generalstellungen | versehenden Offizieren innerhalb des Bundeskontingents ist die Emennung von | der jedesmaligen Zustimmung des Bundesfeldherm abhangig zu machen. Der Bundesfeldherr ist berechtigt, Behufs Versetzung mit oder ohne Be= | fordemng far die von Ihm im Bundesdienste, sei es im PreuBischen Heere, | oder in anderen Kontingenten zu besetzenden Stellen aus den Offizieren aller | Kontingente des Bundesheeres zu wahlen. Artikel 65. Das Recht, Festungen innerhalb des Bundesgebietes anzulegen, steht dem | Bundesfeldherm zu, welcher die Bewilligung der dazu erforderlichen Mittel, so= | weit das Ordinarium sie nicht gewahrt, nach Abschnitt XII. beantragt. Artikel 66. ^Wo nicht besondere Konventionen ein Anderes bestimmen, emennen die | Bundesfursten, beziehentlich die Senate die Offiziere ihrer Kontingente, mit der | Einschrankung des Artikels 64. ^Sie sind Chefs aller ihren Gebieten angehoren= | den Tmppentheile und genieBen die damit verbundenen Ehren. ^Sie haben na= | mentlich das Recht der Inspizimng zu jeder Zeit und erhalten, auBer den regel= | maBigen Rapporten und Meldungen liber vorkommende Verandemngen, Behufs | der nothigen landesherrlichen Publikation, rechtzeitige Mittheilung von den die | betreffenden Tmppentheile beruhrenden Avancements und Ernennungen. Auch steht ihnen das Recht zu, zu polizeilichen Zwecken nicht bios ihre | eigenen Tmppen zu verwenden, sondem auch alle anderen Tmppentheile der | Bundesarmee, v^elche in ihren Landergebieten dislocirt sind, zu requiriren. Artikel 67. Erspamisse an dem Militair=Etat fallen unter keinen Umstanden einer ein= | zelnen Regiemng, sondem jederzeit der Bundeskasse zu. Artikel 68. ^Der Bundesfeldherr kann, wenn die offentliche Sicherheit in dem Bundes= | gebiete bedroht ist, einen jeden Theil desselben in Kriegszustand erklaren. "^Bis | zum ErlaB eines die Voraussetzungen, die Form der Verkundigung und die Wir= | kungen einer solchen Erklamng regelnden Bundesgesetzes gelten dafiir die Vor= | schriften des PreuBischen Gesetzes vom 4. Juni 1851. (Gesetz=Samml. fur 1851. | S. 451 ff.).

[ 134] Verfassung des Deutschen Bundes vom 1. Januar 1871

1247

[S 645] XII. Bundesfinanzen. Artikel 69. ^Alle Einnahmen und Ausgaben des Bundes miissen fiir jedes Jahr ver= | anschlagt und auf den Bundeshaushalts=Etat gebracht werden. "^Letzterer wird vor | Beginn des Etatsjahres nach folgenden Grundsatzen durch ein Gesetz festgestellt. Artikel 70. ^Zur Bestreitung aller gemeinschaftlichen Ausgaben dienen zunachst die | etwaigen Ueberschusse der Vorjahre, sowie die aus den Zollen, den gemeinschaft= | lichen Verbrauchssteuem und aus dem Post= und Telegraphenwesen flieBenden | gemeinschaftlichen Einnahmen. ^Insoweit dieselben durch diese Einnahmen nicht | gedeckt werden, sind sie, so lange Bundessteuem nicht eingeflihrt sind, durch Bei= | trage der einzelnen Bundesstaaten nach MaaBgabe ihrer Bevolkerung aufzubringen, | welche bis zur Hohe des budgetmaBigen Betrages durch das Prasidium ausge= | schrieben werden. Artikel 71. Die gemeinschaftlichen Ausgaben werden in der Kegel ftir ein Jahr be= | willigt, konnen jedoch in besonderen Fallen auch fiir eine langere Dauer be= | willigt werden. Wahrend der im Artikel 60. normirten Uebergangszeit ist der nach Titeln | geordnete Etat tiber die Ausgaben fiir das Bundesheer dem Bundesrathe und | dem Reichstage nur zur KenntniBnahme und zur Erinnerung vorzulegen. Artikel 72. Ueber die Verwendung aller Einnahmen des Bundes ist von dem Pra= | sidium dem Bundesrathe und dem Reichstage zur Entlastung jahrlich Rechnung | zu legen. Artikel 73. In Fallen eines auBerordentlichen Bedtirfhisses konnen im Wege der Bun= | desgesetzgebung die Aufiiahme einer Anleihe, sowie die Uebemahme einer Garantie | zu Lasten des Bundes erfolgen. XIII. Schlichtung von Streitigkeiten und Strafl^estimmungen. Artikel 74. Jedes Untemehmen gegen die Existenz, die Integritat, die Sicherheit oder | die Verfassung des Deutschen Bundes, endlich die Beleidigung des Bundes= | rathes, des Reichstages, eines Mitgliedes des Bundesrathes oder des Reichstages, | [S. 646] einer Behorde oder eines offentlichen Beamten des Bundes, wahrend dieselben in | der Austibung ihres Berufes begriffen sind oder in Beziehung auf ihren Beruf, | durch Wort, Schrift, Druck, Zeichen, bildliche oder andere Darstellung, werden | in den einzelnen Bundesstaaten beurtheilt und bestraft nach MaaBgabe der in den | letzteren bestehenden oder ktinftig in Wirksamkeit tretenden Gesetze, nach welchen | eine gleiche gegen den einzelnen Bundesstaat, seine Verfassung, seine Kammem | oder Stande, seine Kammer= oder Standemitglieder, seine Behorden und Beamten | begangene Handlung zu richten ware.

1248

§ 7: Deutscher Bund/Deutsches Reich (1870/71 - 1918)

[Dok. 129 - 147]

Artikel 75. Fiir diejenigen in Artikel 74. bezeichneten Untemehmungen gegen den | Deutschen Bund, welche, wenn gegen einen der einzelnen Bundesstaaten gerichtet, | als Hochverrath oder Landesverrath zu qualifiziren waren, ist das gemeinschaft= | liche Ober=Appellationsgericht der drei freien und Hansestadte in Ltibeck die zu= | standige Spmchbehorde in erster und letzter Instanz. ^Die naheren Bestimmungen iiber die Zustandigkeit und das Verfahren des | Ober=Appellationsgerichts erfolgen im Wege der Bundesgesetzgebung. ^Bis zum | Erlasse eines Bundesgesetzes bewendet es bei der seitherigen Zustandigkeit der Ge= | richte in den einzelnen Bundesstaaten und den auf das Verfahren dieser Gerichte | sich beziehenden Bestimmungen. Artikel 76. Streitigkeiten zwischen verschiedenen Bundesstaaten, sofem dieselben nicht | privatrechtlicher Natur und daher von den kompetenten Gerichtsbehorden zu ent= | scheiden sind, werden auf Anrufen des einen Theils von dem Bundesrathe erledigt. Verfassungsstreitigkeiten in solchen Bundesstaaten, in deren Verfassung nicht | eine Behorde zur Entscheidung solcher Streitigkeiten bestimmt ist, hat auf An== | rufen eines Theiles der Bundesrath giitlich auszugleichen oder, wenn das nicht | gelingt, im Wege der Bundesgesetzgebung zur Erledigung zu bringen. Artikel 77. Wenn in einem Bundesstaate der Fall einer Justizverweigerung eintritt, | und auf gesetzlichen Wegen ausreichende Htilfe nicht erlangt werden kann, so | liegt dem Bundesrathe ob, erwiesene, nach der Verfassung und den bestehenden | Gesetzen des betreffenden Bundesstaates zu beurtheilende Beschwerden tiber ver= | weigerte oder gehemmte Rechtspflege anzunehmen, und darauf die gerichtliche | Htilfe bei der Bundesregierung, die zu der Beschwerde AnlaB gegeben hat, zu | bewirken. XIV. Allgemeine Bestimmungen. Artikel 78. Veranderungen der Verfassung erfolgen im Wege der Gesetzgebung, jedoch | ist zu denselben im Bundesrathe eine Mehrheit von drei Viertheilen der ver= | tretenen Stimmen erforderlich. [S. 647] Artikel 79. Der Eintritt eines dem Bunde nicht angehorenden Deutschen Staates in | den Bund erfolgt auf den Vorschlag des Bundesprasidiums im Wege der Bun= | desgesetzgebung.

[ 134] Verfassung des Deutschen Bundes vom 1. Januar 1871

1249

XV. Uebergangsbestimmung. Artikel 80. Die nachstehend genannten, im Norddeutschen Bunde ergangenen Gesetze | werden zu Gesetzen des Deutschen Bundes erklart und als solche von den nach== | stehend genannten Zeitpunkten an in das gesammte Bundesgebiet mit der Wir= | kung eingefuhrt, daB, wo in diesen Gesetzen von dem Norddeutschen Bunde, | dessen Verfassung, Gebiet, Mitgliedem Oder Staaten, Indigenat, verfassungs= | maBigen Organen, Angehorigen, Beamten, Flagge u. s. w. die Rede ist, der | Deutsche Bund und dessen entsprechende Beziehungen zu verstehen sind, namlich: I. vom Tage der Wirksamkeit der gegenwartigen Verfassung an: 1) das Gesetz liber das PaBwesen, vom 12. Oktober 1867., 2) das Gesetz, betreffend die Nationalitat der Kauffahrteischiffe und ihre Be= | fugnisse zur Ftihrung der Bundesflagge, vom 25. Oktober 1867., 3) das Gesetz tiber die Freiziigigkeit vom 1. November 1867., 4) das Gesetz, betreffend die Organisation der Bundeskonsulate, sowie die | Amtsrechte und Pflichten der Bundeskonsuln, vom 8. November 1867., 5) das Gesetz, betreffend die Verpflichtung zum Kriegsdienste, vom 9. No= | vember 1867., 6) das Gesetz, betreffend die vertragsmaBigen Zinsen, vom 14. November 1867., 7) das Gesetz tiber die Aufhebung der polizeilichen Beschrankungen der Ehe= | schHeBung, vom 4. Mai 1868., 8) das Gesetz, betreffend die Aufhebung der Schuldhaft, vom 29. Mai 1868., 9) das Gesetz, betreffend die Bewilligung von lebenslanglichen Pensionen | und Untersttitzungen an Offiziere und obere Militairbeamte der vor= | maligen Schleswig^^Holsteinischen Armee, sowie an deren Wittwen und Waisen, vom 14.Junil868., 10) das Gesetz, betreffend die privatrechtliche Stellung der Erwerbs= und | Wirtschafts=Genossenschaften, vom 4. M i 1868., 11) die MaaB= und Gewichtsordnung fur den Norddeutschen Bund vom | 17. August 1868., 12) das Gesetz, MaaBregeln gegen die Rinderpest betreffend, vom 7. April | 1869., 13) das Wahlgesetz fiir den Reichstag des Norddeutschen Bundes vom | 31. Mai 1869., [S. 648] 14) das Gesetz, betreffend die Kautionen der Bundesbeamten, vom 2. Juni | 1869., 15) das Gesetz, betreffend die Einflihrung der allgemeinen Wechselordnung, | der Ntimberger Wechselnovellen und des Allgemeinen Deutschen Handels= | gesetzbuchs als Bundesgesetze, vom 5. Juni 1869., 16) das Gesetz, betreffend die Wechselstempelsteuer im Norddeutschen Bunde, | vom 10. Juni 1869., 17) das Gesetz, betreffend die Errichtung eines obersten Gerichtshofs fur | Handelssachen, vom 12. Juni 1869., 18) das Gesetz, betreffend die Beschlagnahme des Arbeits= oder Dienstlohnes, | vom 21. Juni 1869., 19) das Gesetz, betreffend die Gewahrung der Rechtshtilfe, vom 21. Juni 1869., 20) das Gesetz, betreffend die Gleichberechtigung der Konfessionen in btirger= | licher und staatsbtirgerlicher Beziehung, vom 3. Juli 1869., 21) das Gesetz, betreffend die Bewilligung von lebenslanglichen Pensionen | und Untersttitzungen an Militairpersonen der Unterklassen der vormaligen | Schles-

1250

§ 7: Deutscher Bund/Deutsches Reich (1870/71 - 1918)

[Dok. 129 - 147]

wig=Holsteinischen Armee, sowie an deren Wittwen und Waisen, | vom 3.Marzl870., 22) das Gesetz wegen Beseitigung der Doppelbesteuemng vom 13. Mai 1870., 23) das Gesetz liber die Abgaben von der FloBerei vom 1. Juni 1870., 24) das Gesetz liber die Erwerbung und den Verlust der Bundes= und | Staatsangehorigkeitvom 1. Juni 1870., 25) das Gesetz, betreffend das Urheberrecht an Schriftwerken, Abbildungen, | musikalischen Kompositionen und dramatischen Werken, vom 11. Juni | 1870., 26) das Gesetz, betreffend die Kommanditgesellschaften auf Aktien und die | Aktiengesellschaften, vom 11. Juni 1870., 27) das Gesetz iiber die Ausgabe von Papiergeld vom 16. Juni 1870.; 28) das Gesetz liber die BefugniB der Bundeskonsuln zu EheschlieBungen | u. s. w. vom4. Mai 1870.; 11. vom 1. Januar 1872. an, jedoch unbeschadet der frliheren Geltung | im Gebiete des Norddeutschen Bundes: 1) das Gesetz liber die Ausgabe von Banknoten vom 27. Marz 1870. und | im AusschluB von Hessen sudlich des Main, 2) das Einfiihrungsgesetz zum Strafgesetzbuch fur den Norddeutschen Bund | vom 31. Mai 1870, [S. 649] 3) das Strafgesetzbuch ftir den Norddeutschen Bund, vom 31. Mai 1870. und | 4) die Gesetze uber das Postwesen des Norddeutschen Bundes vom 2. No= | vember 1867., liber das Posttaxwesen im Gebiete des Norddeutschen | Bundes vom 4. November 1867., betreffend die Einftihrung von Tele= | graphen=Freimarken vom 16. Mai 1869. und betreffend die Portofrei= | heiten im Gebiete des Norddeutschen Bundes vom 5. Juni 1869. In Hessen, slidlich des Main, werden als Bundesgesetze eingefiihrt, und zwar: vom Tage der Wirksamkeit dieser Verfassung an: das Gesetz, betreffend die SchlieBung und Beschrankung der offent= | lichen Spielbanken, vom 1. Juli 1868., das Gesetz, betreffend die Einfuhrung von Telegraphen=Freimarken, | vom 16. Mai 1869., die Gewerbeordnung fur den Norddeutschen Bund vom 21. Juni 1869., das Einfiihrungsgesetz zum Strafgesetzbuch ftir den Norddeutschen | Bund vom 31. Mai 1870. und das Strafgesetzbuch fur den Norddeutschen Bund vom 31. Mai 1870., vom 1. Juli 1871. an: das Gesetz liber den Unterstlitzungswohnsitz vom 6. Juni 1870. In die Hohenzollemschen Lande wird vom Tage der Wirksamkeit dieser | Verfassung an eingefiihrt, das Gesetz, betreffend die Wechselstempelsteuer im Nord= | deutschen Bunde, vom 10. Juni 1869. Die Erklarung der librigen im Norddeutschen Bunde ergangenen Gesetze | zu Bundesgesetzen bleibt, soweit diese Gesetze sich auf Angelegenheiten beziehen, | welche verfassungsmaBig der Gesetzgebung des Deutschen Bundes unterliegen, der | Bundesgesetzgebung vorbehalten.

[135] Praliminar-Friedensvertrag von Versailles vom 26. Februar 1871

1251

[134/1] BeschluB des Norddeutschen Bundesrats und Reichstags liber die EinfiJhrung der Bezeichnungen „Deutsches Reich" und „Deutscher Kaiser" vom 9./10. Dezember 1870 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einfuhmngen" die Darstellungen unter [382.] [442.]. Quelle: Verhandlungen des Norddeutschen Reichstags, 1870, IL auBerordentHche Session, 10. Sitzung vom 9. Dezember 1870, S. 151 (gedruckt). Sonstige Fundstellen: Gesetzblatt fiir das Konigreich Bayem 1870/71, (Nr. 22 vom L Februar) 1871, Beilage V zur Koniglichen Deklaration, die deutschen Btindnisvertrage betreffend, Sp. 204/204; E. R. Huber (Hrsg.), Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte, Bd. 2: Deutsche Verfassungsdokumente 1851 - 1900, 3. Aufl., 1986, Nr. 232. [S. 151] 1. Im Eingang der Bundesverfassung ist an Stelle der Worte: „Dieser Bund wird den Namen Deutscher Bund fuhren" zu setzen: „Dieser Bund wird den Namen Deutsches Reich fuhren". 2. Der erste Absatz des Artikels 11 der Bundesverfassung erhalt nachstehende Fassung:^ „Das Prasidium des Bundes steht dem Konige von PreuBen zu, welcher den Namen Deutscher Kaiser fuhrt. Der Kaiser hat das Reich volkerrechtlich zu vertreten, im Namen des Reiches Krieg zu erklaren und Frieden zu schlieBen, Biindnisse und andere Vertrage mit fremden Staaten einzugehen, Gesandte zu beglaubigen und zu empfangen."

[135] Praliminar-Friedensvertrag von Versailles (Deutsches Reich ./, Frankreich) vom 26. Februar 1871 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einfuhmngen" die Darstellung unter [411.]. Quelle: Reichs-Gesetzblatt, (Nr. 26 vom 19. Juni) 1871, S. 215 - 222 (gedruckte Ausfertigung - franzosisch/deutsch). Sonstige Fundstelle: E. R. Huber (Hrsg.), Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte, Bd. 2: Deutsche Verfassungsdokumente 1851 - 1900, 3. Aufl., 1986, Nr. 259 (auszugsweise). [S. 215 - linke SpJ (Nr. 656.) Preliminaires de paix entre I'Em-1 pire allemand et la France. Du | 26 Fevrier 1871. Entre le Chancelier de I'Empire | germanique Monsieur le Comte | Otto de BismarckSchon-1 hausen muni des pleins-pou-1 voirs de Sa Majeste I'Empereur | d'Allemagne, Roi de Prusse, le Ministre d'Etat et des Affaires | Etrangeres de Sa Majeste le Roi | de Baviere, Monsieur le Comte | Otto de Bray-Steinburg, le Ministre des Affaires Etrangeres | de Sa Majeste le Roi de Wurt-1 temberg. Monsieur le Baron | Auguste de Wachter,

In der bayerischen Fassung lautet der Satz: „Der erste Absatz des Artikels 11 der Bundesverfassung hat nachstehende Fassung erhalten:"

1252

§ 7: Deutscher Bund/Deutsches Reich (1870/71 - 1918)

[Dok. 129 - 147]

le Ministre d'Etat, President du | Conseil des Ministres de Son Al-1 tesse Royale, Monseigneur le | Grand-Due de Bade, Monsieur | Jules Jolly, representant I'Empire germa-1 nique, | d'un cote, | et de I'autre le Chef du Pouvoir executif de | la Republique frangaise. Monsieur | Thiers, et le Ministre des Affaires Etran-1 geres. Monsieur Jules Favre, representant la France, [S.216-linkeSp.] les pleins-pouvoirs des deux parties | contractantes ayant ete trouves en | bonne et due forme, il a ete con-1 venu ce qui suit, pour servir de | base preliminaire a la paix defmi-1 tive a conclure ulterieurement. Article I. La France renonce en faveur de | I'Empire allemand a tous ses droits | et titres sur les territoires situes a | Test de la frontiere ciapres designee. ^La ligne de demarcation com-1 mence a la frontiere nord-ouest du | canton de Cattenom vers le Grand-1 Duche de Luxembourg, suit vers le | sud les frontieres occidentales des | cantons de Cattenom et Thionville, | passe par le canton de Briey en | longeant les frontieres occidentales | des communes de Montois-la-Mon-1 tagne et Roncourt ainsique les fron-1 tieres orientales des communes de | St. Marie-aux-chenes, St. Aie, Habon-1 ville, atteint la frontiere du canton | de Gorze qu'elle traverse le long | des frontieres communales de VionI ville, Buxieres et Onville, suit la | frontiere sud-ouest resp. sud de | I'arrondissement de Metz, la fron-1 tiere occidentale de I'arrondissement de Chateau-Salins jusqu'a la com-1 mune de Pettoncourt dont elle em-1 brasse les frontieres occidentale et | meridionale pour suivre la crete des | montagnes entre la Seille et le Moncel | jusqu'a la frontiere de I'arrondisse-1 ment de Sarrebourg au sud de Garde. ^La demarcation coincide ensuite avec | la frontiere de cet arrondissement | jusqu'a la commune de Tanconville | dont elle atteint la frontiere au nord, | de la elle suit la crete des mon-1 tagnes entre les sources de la Sarre | [S. 217 -linke Sp.J blanche et la Vezouze jusqu'a la | frontiere du canton de Schirmeck, | longe la frontiere occidentale de ce | canton, embrasse les communes de | Saales, BourgBruche, Colroy-la-1 Roche, Plaine, Ranrupt, Saulxures | et St. Blaise-la-Roche du canton de I Saales et coincide avec la frontiere | occidentale des departements du Bas-1 Rhin et du Haut-Rhin jusqu'au canton | de Belfort dont elle quitte la fron-1 tiere meridionale non loin de Vour-1 venans, pour traverser le canton de | Delle aux limites meridionales des | communes de Bourogne et de Froide | fontaine, et atteindre la frontiere | Suisse en longeant les frontieres | orientales des communes de Jonchery | et Delle. ^L'Empire allemand possedera ces | territoires a perpetuite en toute sou-1 verainete et propriete. "^Une com-1 mission Internationale composee de | representants des Hautes Parties con-1 tractantes en nombre egal des deux | cotes sera chargee, immediatement | apres I'echange des ratifications du | present traite, d'executer sur le ter-1 rain le trace de la nouvelle frontiere, | conformement aux stipulations pre-1 cedentes. Cette commission presidera au | portage des biens-fonds et capitaux | qui jusqu'ici ont appartenu en com-1 mun a des districts ou des com-1 munes separes par la nouvelle fron-1 tiere; en cas de desaccord sur le | trace et les mesures d'execution, les | membres de la commission en re-1 fereront a leurs Gouvemements re-1 spectifs. La frontiere telle qu'elle vient | d'etre decrite, se trouve marquee en | vert sur deux exemplaires conformes | de la carte du territoire formant le | gouvemement general d'Alsaee, pu-1 [S. 218 - linke Sp.J bliee a Berlin, en Septembre 1870, | par la division geographique et sta-1 tistique de I'etat-major general, et | dont un exemplaire sera joint a cha-1 cune des deux expeditions du pre-1 sent traite.

[135] Praliminar-Friedensvertrag von Versailles vom 26. Februar 1871

1253

^Toutefois le trace indique a subi | les modifications suivantes de 1'accord | des deux parties contractantes: ^Dans | I'ancien departement de la Moselle | les villages de St. Marieaux-chenes | pres de St. Privat-la-Montagne et de | Vionville, a I'ouest de Rezonville, | seront cedes a TAllemagne. ^Par | contre la ville et les fortifications | de Belfort resteront a la France avec | un rayon qui sera determine ulte-1 rieurement. Article II. La France paiera a Sa Majeste | I'Empereur d'Allemagne la somme de | cinq milliards de francs. Le paiement d'au moins un mil-1 Hard de francs aura lieu dans le | courant de I'annee 1871 et celui de | tout le reste de la dette dans un | espace de trois annees a partir de | la ratification des presentes. Article III. ^L'evacuation des territoires fran- | 9ais occupes par les troupes alle-1 mandes commencera apres la rati-1 fication du present traite par Fas-1 semblee nationale siegeant a Bor-1 deaux. '^Immediatement apres cette | ratification les troupes allemandes | quitteront I'interieur de la ville de | Paris ainsi que les forts situes a la | rive gauche de la Seine, et dans le I plus bref delai possible fixe par une | entente entre les autorites militaires | des deux pays, elles evacueront en-1 tierement les departements du Cal-1 [S. 219 - linke SpJ vados, de rOme, de la Sarthe, d'Eure | et Loir, du Loiret, de Loir et Cher, | d'Indre et Loire, de I'Yonne, et de | plus les departements de la Seine | inferieure, de I'Eure, de Seine et | Oise, de Seine et Mame, de 1'Aube, | et de la Cote d'Or, jusqu'a la rive | gauche de la Seine. ^Les troupesfi*an-| 9aises se retireront en meme temps | derriere la Loire qu'elles ne pourront | depasser avant la signature du traite | de paix definitif "^Sont exceptees de | cette disposition la gamison de Paris, | dont le nombre ne pourra pas de-1 passer quarante mille hommes et les I gamisons indispensables a la surete | des places fortes. L'evacuation des departements | situes entre la rive droite de la Seine | et la frontiere de Test par les troupes | allemandes s'operera graduellement | apres la ratification du traite de paix I definitif, et le paiement du premier | demi-milliard de la contribution sti-1 pulee par r article 11., en commencant | par les departements les plus rap-1 proches de Paris, et se continuera | au fur et a mesure que les verse-1 ments de la contribution seront | effectues; apres le premier verse-1 ment d'un demi-milliard cette eva-1 cuation aura lieu dans les departe-1 ments suivants: Somme, Oise et les | parties des departements de la Seine | inferieure, Seine et Oise, Seine et | Mame, situees sur la rive droite de | la Seine, ainsi que la partie du de-1 partement de la Seine et les forts | situes sur la rive droite. Apres le paiement de deux mil-1 Hards, Foccupation allemande ne | comprendra plus que les departe-1 ments de la Mame, des Ardennes, | de la Haute-Mame, de la Meuse, des | Vosges, de la Meurthe, ainsi que la | forteresse de Belfort avec son terri-1 [S. 220 - linke SpJ toire, qui serviront de gage pour les | trois milliards restants, et ou le | nombre des troupes allemandes ne 1 depassera pas cinquante mille hom-1 mes. Sa Majeste I'Empereur sera | dispose a substituer a la garantie | territoriale consistant dans Foccu-1 pation partielle du territoire frangais | une garantie financiere si elle est | offerte par le Gouvemement fran9ais | dans les conditions reconnues suffi-1 santes par Sa Majeste I'Empereur | et Roi pour les interets de I'Alle-1 magne. Les trois milliards dont | Facquittement aura ete differe, porte-1 ront interet a cinq pour cent a partir | de la ratification de la presente con-1 vention.

1254

§ 7: Deutscher Bund/Deutsches Reich (1870/71-1918)

[Dok. 129 - 147]

Article IV. ^Les troupes allemandes s'abstien-1 dront de faire des requisitions soit | en argent soit en nature dans les | departements occupes. ^Par contre 11'alimentation des troupes allemandes | qui resteront en France aura lieu aux | frais du Gouvemement fran^ais dans | la mesure convenue par une entente | avec Tintendance militaire allemande. Article V. ^Les interets des habitants des | territoires cedes par la France, en | tout ce qui conceme leur commerce | et leurs droits civiles seront regies | aussi favorablement que possible | lorsque seront arretees les conditions | de la paix definitive. H\ sera fixe, | a cet effet, un espace de temps pen-1 dant lequel ils jouiront de facilites | particulieres pour la circulation de I leurs produits. ^Le Gouvemement | allemand n'apportera aucun obstacle | a la libre emigration des habitants | des territoires cedes et ne pourra | prendre contre eux aucune mesure I [S. 221 - linke Sp.J atteignant leurs personnes ou leurs | proprietes. Article VI. ^Les prisonniers de guerre, qui | n'auront pas deja ete mis en liberte | par voie d'echange seront rendus | immediatement apres la ratification | des presents preliminaires. ^Afin | d'accelerer le transport des prison-1 niers fran^ais, le Gouvemement | fran9ais mettra a la disposition des | autorites allemandes a I'interieur du | territoire allemand une partie du | materiel roulant de ses chemins de | fer dans une mesure qui sera de-1 terminee par des arrangements spe-1 ciaux et aux prix payes en France | par le Gouvemement fran9ais pour | les transports militaires. Article VII. L'ouverture des negociations pour | le traite de paix definitif a conclure | sur la base des presents preliminaires | aura lieu a Bmxelles immediatement | apres la ratification de ces demiers | par I'assemblee nationale et par Sa | Majeste I'Empereur d'AUemagne. Article VIII. ^Apres la conclusion et la rati-1 fication du traite de paix definitif | 1'administration des departements de-1 vant encore rester occupes par les | troupes allemandes sera remise aux | autorites frangaises. •^Mais ces der-1 nieres seront tenues de se conformer | aux ordres que les commandants des | troupes allemandes croiraient devoir | donner sans I'interet de la surete, | de I'entretien et de la distribution | des troupes. Dans les departements occupes | la perception des impots apres la | ratification du present traite s'operera | [S. 222 - linke Sp.J pour le compte du Gouvemement | fran9ais et par le moyen de ses em-1 ployes. Article IX. II est bien entendu que les pre-1 sentes ne peuvent donner a Tauto-1 rite militaire allemande aucun droit | sur les parties du territoire qu'elle | n'occupe point actuellement.

[135] Praliminar-Friedensvertrag von Versailles vom 26. Februar 1871

1255

Article X. Les presentes seront immediate-1 ment soumises a la ratification de | Sa Majeste I'Empereur d'Allemagne | et de I'Assemblee nationale frangaise | siegeant a Bordeaux. En foi de quoi les soussignes ont | revetu le present traite preliminaire | de leurs signatures et de leurs | sceaux. Fait a Versailles le 26 Fevrier 1871. V. Bismarck. | (L. S.) A. Thiers. | (L. S.) Jules Favre. | (L. S.) Les royaumes de Baviere et de | Wurttemberg et le Grand Duche de | Bade ay ant pris part a la, guerre | actuelle comme allies de la Prusse | et faisant partie maintenant de I'Em-1 pire germanique, les soussignes ad-1 herent a la presente convention au | nom de leurs souverains respectifs. Versailles le 26 Fevrier 1871. Comte de Bray-Steinburg. | Baron de Wachter. | Mittnacht. | Jolly. (Deutsche Ubersetzung) [S. 215 - rechte SpJ (Nr. 656.) (Uebersetzung.) Friedens-Pralimi= | narien zwischen dem Deutschen Reich | und Frankreich. Vom 26. Februar | 1871. Zwischen dem Kanzler des Deutschen | Reichs, Herm Grafen Otto v. Bis= | marck= Schonhausen, der mit Voll= | macht Seitens seiner Majestat des | Deutschen Kaisers und Konigs von | PreuBen versehen ist, dem Staatsminister des Aeusseren | seiner Majestat des Konigs von | Bayem, Herm Grafen Otto V. Bray= | Steinburg, dem Minister der auswartigen An= | gelegenheiten seiner Majestat des | Konigs von Wtirttemberg, Herm | Freiherm August v. Wachter, dem Staatsminister, Prasidenten des | Staats=Ministeriums seiner Konig= | lichen Hoheit des GroBherzogs von | Baden, Herm Julius Jolly, welche das Deutsche Reich ver= | treten, | einerseits, und dem Chef der Exekutivgewalt | der Franzosischen Republik, Herm | Thiers, und dem Minister der auswartigen An= | gelegenheiten, Herm Jules Favre, welche Frankreich vertreten, | andererseits, [S. 216-rechteSpJ ist, nachdem die Vollmachten der beiden | vertragenden Theile in guter und regel= | rechter Form befunden worden, nach= | stehende Vereinbarung getroffen worden, | welche als vorlaufige Gmndlage fiir den | spater abzuschlieBenden endgtiltigen Frie= | den dienen soil. Artikel I. Frankreich verzichtet zu Gunsten des | Deutschen Reichs auf alle seine Rechte | und Ansprtiche auf diejenigen Gebiete, | welche ostlich von der nachstehend ver= | zeichneten Grenze belegen sind. ^Die Demarkationslinie beginnt an | der nordwestlichen Grenze des Kantons | Cattenom gegen das GroBherzogthum | Luxemburg, folgt stidwarts den westlichen | Grenzen der Kantons Cattenom und | Thionville, durchschneidet den Kanton | Briey, indem Sie langs der westlichen | Grenzen der Gemeinden Montois=la== | Montague und Roncourt, sowie der ost= I lichen Grenzen der Gemeinden St. Marie= | aux=Chenes, St. Ail Habonville hin= | lauft, bertihrt die Grenze des Kantons | Gorze^ welche sie langs der Grenzen der | Gemeinden Vionville, Buxieres und | Onville durchschneidet, folgt der Stid= | west= beziehungsweise Siidgrenze des | Arrondissements Metz, der Westgrenze | des Arrondissements Cha-

1256

§ 7: Deutscher Bund/Deutsches Reich (1870/71 - 1918)

[Dok. 129 - 147]

teau==Salins bis | zur Gemeinde Pettoncourt, von der sie | die West= und Siidgrenze einschlieBt, und | folgt dann dem Kamme der zwischen der | Seille und dem Moncel gelegenen Berge | bis zur Grenze des Arrondissements | Saarburg sudlich von Garde. ^Sodann | fallt die Demarkationslinie mit der | Grenze dieses Arrondissements bis zur | Gemeinde Tanconville zusammen, deren | Nordgrenze sie bertihrt, von dort folgt | sie dem Kamme der zwischen den Quellen | der weiBen Saar und der Bezouze be= | findlichen Bergztige bis zur Grenze des | Kantons Schirmeck, geht entlang der \ [S. 217 - rechte SpJ westlichen Grenze dieses Kantons, schlieBt | die Gemeinden Saales, Bourg=Bruche, | Colroy=la=Roche, Plaine, Ranrupt, | Saulxures und St. Blaise=la=Roche im | Kanton Saales ein und fallt dann mit | der westlichen Grenze der Departements | Nieder= und Oberrhein bis zum Kanton | Belfort zusammen. ^Sie verlaBt dessen | Siidgrenze unweit von Vourvenans, | durchschneidet den Kanton Delle an den | Stidgrenzen der Gemeinden Bourogne | und Froide=Fontaine und erreicht die | Schweizergrenze, indem sie langs der Ost= | grenzen der Gemeinden Jonchery und I Delle hinlauft. ^Das Deutsche Reich wird diese Ge= \ biete fur immer mit vollem Souveraine= | tats= und Eigenthumsrechte besitzen. "^Eine | intemationale Kommission, welche beider= | seits aus der gleichen Zahl von Vertretem | der Hohen vertragenden Theile gebildet | wird, soil unmittelbar nach dem Aus= | tausche der Ratifikationen des gegen= | wartigen Vertrages beauftragt werden, | an Ort und Stelle die neue Grenzlinie | in GemaBheit der vorstehenden Verab= | redungen festzustellen. Diese Kommission wird die Ver= | theilung des Grundbesitzes und der Ka= | pitalien leiten, welche bis jetzt Distrikten | oder Gemeinden, die durch die neue | Grenze getrennt werden, gemeinschaftlich | angehort haben, im Falle einer ]V[einungs= | Verschiedenheit iiber die Grenze und die | Ausfuhmngs=Bestimmungen werden die | Kommissionsmitglieder die Entscheidung | ihrer Regierungen einholen. ^Die Grenze, wie sie vorstehend fest= | gesetzt ist, findet sich mit griiner Farbe auf | zwei libereinstimmenden Exemplaren der | Karte von den „Gebietstheilen, welche das | GeneralGouvemement des ElsaB bilden", | [S. 218-rechte SpJ eingetragen, welche im September 1870 I in Berlin durch die geographische | statistische Abtheilung des GroBen General= | stabes herausgegeben worden ist. | ^Ein Exemplar derselben wird jeder der beiden | Ausfertigungen des gegenwartigen Ver= | trages angefiigt. ^Die angegebene Grenzlinie hat in= | dessen mit Uebereinstimmung beider ver= | tragenden Theile folgende Abanderungen | erfahren: ^Im ehemaligen Mosel=Departe= | ment werden die Dorfer St. Marie=aux= | Chenes bei St. Privat=la=Montagne und Vionville, westlich von Rezonville, an | Deutschland abgetreten. ^Dagegen werden 1 die Stadt und die Festungswerke von | Belfort mit einem spater festzusetzenden | Rayon bei Frankreich verbleiben. Artikel II. Frankreich wird Seiner Majestat dem | Deutschen Kaiser die Summe von funf | Milliarden Franks zahlen. Mindestens Eine Milliarde Franks | wird im Laufe des Jahres 1871. und | der ganze Rest der Schuld wird im | Laufe dreier Jahre, von der Ratifikation | des gegenwartigen Vertrages ab, gezahlt | werden.

[135] Praliminar-Friedensvertrag von Versailles vom 26. Febmar 1871

1257

Artikel III. ^Die Raumung der Franzosischen, durch | die Deutschen Tmppen besetzten Gebiete | wird nach der Ratifikation des gegen= | wartigen Vertrages durch die in Bordeaux | tagende National=Versammlung beginnen. | ^Die Deutschen Tmppen werden unmittel= | bar nach dieser Ratifikation das Innere | der Stadt Paris, sowie die am linken | Ufer der Seine belegenen Forts ver= | lassen und in moglichst kurzer, durch ein | Einvemehmen zwischen den Militairbehor= | den beider Lander festgesetzter Frist die | Departements Calvados, Ome, Sarthe, | Eure et Loir, Loiret, Loir et Cher, Jndre \ [S. 219- rechte SpJ et Loire und Yonne vollstandig, sowie die | Departements Seine inferieure, Eure, | Seine et Oise, Seine et Marne, Aube und | Cote d'or bis zum linken Ufer der Seine | raumen. ^Die Franzosischen Tmppen 1 werden sich gleichzeitig hinter die Loire | zuruckziehen, welche sie vor Unterzeichnung I des endgtiltigen Friedensvertrages nicht | tiberschreiten durfen. "^Ausgenommen von | dieser Bestimmung sind die Gamison von | Paris, deren Starke die Zahl von | 40.000 Mann nicht tiberschreiten darf, | und die zur Sicherheit der festen Platze | unerlaBlichen Gamisonen. ^Die Raumung der zwischen dem | rechten Ufer der Seine und der Ostgrenze | gelegenen Departements durch die Deut= | schen Tmppen soil nach der Ratifikation | des endgtiltigen Friedensvertrages und | der Zahlung der ersten halben Milliarde | der im Artikel IL verabredeten Kontribu= | tion allmalig erfolgen, indem sie mit den | Paris am nachsten gelegenen Departements | beginnt, und je nachdem die Zahlungen der | Kontribution bewirkt sein werden, fortgesetzt | wird. ^Nach der ersten Zahlung einer | halben Milliarde wird diese Raumung | in folgenden Departements stattfinden: | Somme, Oise und den Teilen der De= | partements Seine inferieure, Seine et | Oise, Seine et Mame, welche auf dem | rechten Seine=Ufer gelegen sind, sowie | in dem Theile des Departements Seine und | in den Forts auf dem rechten Seine=Ufer. Nach der Zahlung von zwei Milliar= | den wird die Deutsche Besetzung nur | noch die Departements Mame, Ardennes, | Haute Mame, Meuse, Vosges, Meurthe, | sowie die Festung Belfort mit ihrem | Gebiete umfassen, die als Pfand fiir die | riickstandigen drei Milliarden dienen sollen. [S. 220 - rechte SpJ ^Die Zahl der in denselben befindlichen | Deutschen Tmppen wird 50,000 Mann | nicht tiberschreiten. ^Se. Majestat der | Kaiser wird geneigt sein, an die Stelle | der in der theilweisen Besetzung des | Franzosischen Gebietes bestehenden Terri= | torialgarantie eine finanzielle Garantie | treten zu lassen, wenn dieselbe von der | Franzosischen Regiemng unter Bedingun= | gen angeboten wird, welche von Sr. Ma | jestat dem Kaiser und Konig als fur die I Interessen Deutschlands ausreichend an= | erkannt werden. ^Die drei Milliarden, | deren Zahlung verschoben sein wird, sollen | vom Tage der Ratifikation der gegen= | wartigen Uebereinkunfl ab mit fiinf Pro= I zent verzinst werden.

1258

§ 7: Deutscher Bund/Deutsches Reich (1870/71 - 1918)

[Dok. 129 - 147]

Artikel IV. ^Die Deutschen Tmppen werden in | den besetzten Departements Requisitionen, | sei es in Geld, sei es in Naturalien, nicht | vomehmen. '^Dafur wird die Verpflegung | der Deutschen Tmppen, welche in Frank= | reich zuruckbleiben, auf Kosten der Fran= | zosischen Regiemng erfolgen, und zwar | in dem mit der Deutschen Militair=In= | tendantur vereinbarten MaaBe. Artikel V. ^Die Interessen der Einwohner in dem | von Frankreich abgetretenen Gebiete wer= | den in Allem, was ihren Handel und | ihre Privatrechte angeht, so gtinstig als | moglich geregelt werden, sobald die Be= | dingungen des endgtiltigen Friedens fest= | gestellt sein werden. ^Zu diesem Zweck | wird ein Zeitraum festgesetzt werden, | innerhalb dessen sie besondere Erleichte= | rungen fur den Verkehr mit ihren Er= | zeugnissen genieBen sollen. ^Die Deutsche I Regiemng wird der ungehinderten Aus= | wandemng der Einwohner der abgetre= | tenen Gebietstheile nichts in den Weg | legen und keine MaaBregel gegen dieselben | [S. 221 - rechte SpJ ergreifen dtirfen, welche deren Person | oder Eigenthum antastet. Artikel VI. ^Die Kriegsgefangenen, welche nicht | bereits auf dem Wege der Auswechselung | in Freiheit gesetzt worden sind, werden | unverztiglich nach der Ratifikation der | gegenwartigen Praliminarien zuruckgegeben | werden. '^Um den Transport der Fran= | zosischen Gefangenen zu beschleunigen, | wird die Franzosische Regiemng einen | Theil des Fahrmaterials ihrer Eisenbah= | nen innerhalb des Deutschen Gebiets zur | Verfiigung der Deutschen Behorden stellen, | und zwar in einer, durch besondere Ver= | abredung festzustellenden Ausdehnung, | sowie zu denjenigen Preisen, welche in | Frankreich von der Franzosischen Regiemng | fur Militairtransporte gezahlt werden. Artikel VIL Die Eroffhung der Verhandlungen | tiber den auf Gmndlage der gegenwartigen | Praliminarien abzuschlieBenden endgtiltigen | Frieden wird in Brtissel unverztiglich nach | Ratifikation der ersteren durch die Natio= | nalversammlung und durch Se. Majestat | den Deutschen Kaiser stattfinden. Artikel VIII. ^Nach AbschluB und Ratifikation des | endgtiltigen Friedensvertrages wird die | Verwaltung der Departements, welche | noch von Deutschen Tmppen besetzt blei= | ben sollen, den Franzosischen Behorden | wieder tibergeben werden. "^Doch sollen | diese letzteren gehalten sein, den Befehlen, | welche die Befehlshaber der Deutschen | Tmppen im Interesse der Sicherheit, | des Unterhalts und der Vertheilung ihrer | Tmppen erlassen zu mtissen glauben, | Folge zu leisten. Die Erhebung der Steuem in den | besetzten Departements wird nach Rati= | fikation des gegenwartigen Vertrages fiir | fS. 222 - rechte SpJ Rechnung der Franzosischen Regiemng I und durch deren Beamte bewirkt werden.

[136] Gesetz, betreffend die Verfassung des Deutschen Reichs vom 16. April 1871

1259

Artikel IX. Es ist ausgemacht, daB durch Gegen= | wartiges der Deutschen Militarbehorde | keinerlei Recht auf die zur Zeit nicht von | ihr besetzten Gebietsteile gegeben wer= | den kann. Artikel X. Gegenwartiges soil der Ratifikation | Sr. Majestat des Deutschen Kaisers, so= | wie der Franzosischen Nationalversamm^ | lung, welche ihren Sitz in Bordeaux hat, | unverztiglich unterbreitet werden. Zu Urkund dessen haben die Unter= | zeichneten den gegenwartigen Praliminar= | Vertrag mit ihren Unterschriften und | ihren Siegeln versehen. Geschehen Versailles, den 26. Fe= | bruar 1871. V. Bismarck. | (L. S.) A. Thiers. | (L. S.) Jules Favre. | (L. S.) [S. 222] Da die Konigreiche Bayem und | Wtirttemberg und das GroBherzogthum | Baden als Verbiindete PreuBens an dem | gegenwartigen Kriege theilgenommen haben | und jetzt zum Deutschen Reiche gehoren, | so treten die Unterzeichneten der gegen== | wartigen Uebereinkunft im Namen ihrer | Souveraine bei. Versailles, den 26. Februar 1871. Graf V. Bray=Steinburg. | Freiherr v. Wachter. | Mittnacht. | Jolly. Der Austausch der Ratifikationen ist am 2. Marz 1871. zu Versailles erfolgt.

[136] Gesetz, betreffend die Verfassung des Deutschen Reichs („Reichsverfassung") vom 16, April 1871 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einfuhrungen" die Darstellungen unter [177.] [337.] [450.] [452.] [455.] bis [542.]. Quelle: Bundes-Gesetzblatt des Deutschen Bundes, (Nr. 16 vom 20. April) 1871, S. 63 - 64 (Publikationsgesetz) 64 - 85 (Verfassung) - gedruckt. Sonstige Fundstellen: A. Arndt, Die Verfassungsurkunde fur den preuBischen Staat, 4. Aufl., 1911; 5. Aufl., 1913; AT. Binding (Hrsg.), Deutsche Staatsgrundgesetze in diplomatisch genauem Abdruck, 4. Aufl., 1. Heft (Norddeutscher Bund, Deutsches Reich), 1907, 5. 3; 5. Aufl., 1. Heft (Norddeutscher Bund, Deutsches Reich), 1909, S. 3; 6. Aufl., 1. Heft (Norddeutscher Bund, Deutsches Reich), 1911, S. 3; E. Bock, Das Staatsrecht des Deutschen Reichs, 1902, S. 11 - 30; L. Dambitsch, Die Verfassung des Deutschen Reichs mit Erlautemngen, 1910, S. 1 - 2 (nur Publikationsgesetz); Dennewitz, Die Verfassungen der modemen Staaten, Bd. Ill, 1948, S. 90 ff; G. DuriglW. Rudolf (Rvsg.), Texte zur deutschen Verfassungsgeschichte vomehmHch fur den Studiengebrauch, 3. Aufl., 1996, S. 153 ff; G. Franz (Hrsg.), Staatsverfassungen, 2. Aufl., 1964, S. 168-191; GrotefendlCretschmar, PreuBisch-deutsche Gesetz-Sammlung 1806-1904, 4. Aufl., Bd. 1, Teil 1, 1904, S. 13 ff; J. V. Held, Die Verfassung des Deutschen Reiches, 1872, S. 213-241; Fr.v.HolzendorflE. Bezold (Hrsg.), Materialien der Deutschen Reichsverfassung, Bd. 3, 1873, S. 2 22; E. R. Huber (Hrsg.), Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte, Bd. 2: Deutsche Verfassungsdokumente 1851 - 1900, 3. Aufl., 1986, Nr. 261; Hue de Grais, Handbuch der Gesetzgebung in PreuBen und im Deutschen Reich - Das Deutsche Reich, Bd. 1, 1901, S. 2 ff; E. Jagemann, Die Deutsche Reichsverfassung, 1904, S. IX-XXIV; Jens, Gesetze des Deutschen Reiches und des Hamburgischen Staates, 4. Aufl., 1912, S. 1 ff, 5. Aufl., 1917, S. 1 ff; Korn, Die Grundgesetze der Verfassung des Deutschen Reiches und des Ko-

1260

§ 7: Deutscher Bund/Deutsches Reich (1870/71 - 1918)

[Dok. 129 - 147]

nigreichs PreuBen, 1911, S. 52 ff.; Martens, Nouveau Recueil General de Traites (N.R.G.), Bd. XVIII, 1873, S. 582 ff.; Plate, Handbuch fur das preuBische Abgeordnetenhaus, 1904, S. 55 ff.; Posener, Die Staatsverfassungen des Erdballs, 1909, S. 45 ff,; Proebst, Die Verfassung des Deutschen Reichs vom 16.4.1871, 3. Aufl., 1905, S. 4 ff; O. Reincke, Die Verfassung des Deutschen Reichs nebst Ausfuhrungsgesetzen, 1906, S. 1 - 2 5 ; L. v. Ronne, Verfassung des Deutschen Reichs, 10. Aufl., 1912, S. 18 ff f Stoerk (Hrsg.), Handbuch der deutschen Verfassungen, 1. Aufl., 1884, S. 5 ff.; 2. Aufl., 1913, S. 7 ff; K Triepel, Quellensammlung zum Deutschen Reichsstaatsrecht, 4. Aufl., 1926, S. 370; D. Willoweit/U. Self (Hrsg.), Europaische Verfassungsgeschichte, 2003, S. 589-609; Zuchardt, Modeme Staatsverfassungen, 1919, S. 45 ff [S. 63] (Nr. 628) Gesetz, betreffend die Verfassung des Deutschen Reichs. Vom 16. April 1871. Wir Wilhelm, von Gottes Gnaden Deutscher Kaiser, Konig | von PreuBen etc. | verordnen hiermit im Namen des Deutschen Reichs, nach erfolgter Zustimmung | des Bundesrathes und des Reichstages, was folgt: §•1. An die Stelle der zwischen dem Norddeutschen Bunde und den GroBherzog= | thtimem Baden und Hessen vereinbarten Verfassung des Deutschen Bundes^ | (Bundesgesetzbl. vom Jahre 1870. S. 627. ff), sowie der mit den Konigreichen | Bayem^ und Wiirttemberg^ iiber den Beitritt zu dieser Verfassung geschlossenen | Vertrage vom 23. und 25. November 1870. (Bundesgesetzbl. vom Jahre 1871. | S. 9. ff und vom Jahre 1870. S. 654. ff.) tritt die beigefligte | Verfassungs=Urkunde fur das Deutsche Reich. §•2. Die Bestimmungen in Artikel 80. der in §.1. gedachten Verfassung des | Deutschen Bundes (Bundesgesetzbl. vom Jahre 1870. S. 647), unter III. §. 8. | des Vertrages mit Bayem vom 23. November 1870. (Bundesgesetzbl. vom | Jahre 1871. S. 21. ff), in Artikel 2. Nr, 6. des Vertrages mit Wtirttemberg | vom 25. November 1870. (Bundesgesetzbl. vom Jahre 1870. S. 656.), tiber | die Einflihrung der im Norddeutschen Bunde ergangenen Gesetze in die sen Staaten | bleiben in Kraft. ^Die dort bezeichneten Gesetze sind Reichsgesetze. '^Wo in denselben von | dem Norddeutschen Bunde, dessen Verfassung, Gebiet, Mitgliedem oder Staaten, | Indigenat, verfassungsmaBigen Organen, Angehorigen, Beamten, Flagge u. s. w. | die Rede ist, sind das Deutsche Reich und dessen entsprechende Beziehungen zu | verstehen. [S. 64] Dasselbe gilt von denjenigen im Norddeutschen Bunde ergangenen Gesetzen, [ welche in der Folge in einem der genannten Staaten eingefiihrt werden. §.3. Die Vereinbarungen in dem zu Versailles am 15. November 1870. a u ^ | genommenen Protokolle (Bundesgesetzbl. vom Jahre 1870. S. 650. ff), in der | Verhandlung zu Berlin vom 25. November 1870. (Bundesgesetzbl. vom Jahre | 1870. S. 657.), dem SchluBprotokolle vom 23. November 1870. (Bundes= | gesetzbl. vom Jahre 1871. S. 23. ff), sowie unter IV. des Vertrages mit Bayem | vom 23. November 1870. (a. a. O. S. 21. ff) werden durch dieses Gesetz | nicht bertihrt. ^ Dok. 129 und 134. ^ Dok. 131 und 130/1. •^ Dok. 131 und 131/1.

[136] Gesetz, betreffend die Verfassung des Deutschen Reichs vom 16. April 1871

1261

Urkundlich unter Unserer Hochsteigenhandigen Unterschrift und beigedrucktem | Kaiserlichen Insiegel. Gegeben Berlin, den 16. April 1871. (L. S.) Wilhelm. Ftirst V. Bismarck. Verfassung | des | Deutschen Reichs. Seine Majestat der Konig von PreuBen im Namen des Norddeutschen Bundes, | Seine Majestat der Konig von Bay em, Seine Majestat der Konig von Wiirt= | temberg, Seine Konigliche Hoheit der GroBherzog von Baden und Seine Konigliche | Hoheit der GroBherzog von Hessen und bei Rhein fur die stidlich vom Main be= | legenen Theile des GroBherzogthums Hessen, schlieBen einen ewigen Bund zum | Schutze des Bundesgebietes und des innerhalb desselben gtiltigen Rechtes, sowie | zur Pflege der Wohlfahrt des Deutschen Volkes. Dieser Bund wird den Namen | Deutsches Reich fiihren und wird nachstehende Verfassung haben. I. Bundesgebiet. Artikel 1. Das Bundesgebiet besteht aus den Staaten PreuBen mit Lauenburg, | Bayem, Sachsen, Wtirttemberg, Baden, Hessen, Mecklenburg^Schwerin, Sachsen= | Weimar, Mecklenburg=Strelitz, Oldenburg, Braunschweig, Sachsen=Meiningen, | [S. 65] Sachsen=Altenburg, Sachsen=Koburg=Gotha, Anhalt, Schwarzburg=Rudolstadt, | Schwarzburg=Sondershausen, Waldeck, ReuB alterer Linie, ReuB jtingerer Linie, | Schaumburg=Lippe, Lippe, Ltibeck, Bremen und Hamburg. II. Reichsgesetzgebung. Artikel 2. ^Innerhalb dieses Bundesgebietes tibt der Bund das Recht der Gesetzgebung | nach MaaBgabe des Inhalts dieser Verfassung und mit der Wirkung aus, daB | die Reichsgesetze den Landesgesetzen vorgehen. ^Die Reichsgesetze erhalten ihre | verbindliche Kraft durch ihre Verkundigung von Reichswegen, welche vermittelst | eines Reichsgesetzblattes geschieht. ^Sofem nicht in dem publizirten Gesetze ein | anderer Anfangstermin seiner verbindlichen Kraft bestimmt ist, beginnt die | letztere mit dem vierzehnten Tage nach dem Ablauf desjenigen Tages, an welchem | das betreffende Stiick des Reichsgesetzblattes in Berlin ausgegeben worden ist. Artikel 3. Fur ganz Deutschland besteht ein gemeinsames Indigenat mit der Wirkung, | daB der Angehorige (Unterthan, Staatsbtirger) eines jeden Bundesstaates in jedem | andem Bundesstaate als Inlander zu behandeln und demgemaB zum festen | Wohnsitz, zum Gewerbebetriebe, zu offentlichen Aemtem, zur Erwerbung von | Grundstucken, zur Erlangung des Staatsbtirgerrechtes und zum Genusse aller | sonstigen btirgerlichen Rechte unter denselben Voraussetzungen wie der Einheimische | zuzulassen, auch in Betreff der Rechtsverfolgung und des Rechtsschutzes demselben | gleich zu behandeln ist. Kein Deutscher darf in der Austibung dieser BefugniB durch die Obrigkeit | seiner Heimath, noch durch die Obrigkeit eines anderen Bundesstaates beschrankt | werden.

1262

§ 7: Deutscher Bund/Deutsches Reich (1870/71 - 1918)

[Dok. 129 - 147]

Diejenigen Bestimmungen, welche die Armenversorgung und die Aufnahme | in den lokalen Gemeindeverband betreffen, werden durch den im ersten Absatz | ausgesprochenen Grundsatz nicht beriihrt. Ebenso bleiben bis auf Weiteres die Vertrage in Kraft, welche zwischen | den einzelnen Bundesstaaten in Beziehung auf die Ubemahme von Auszuweisen= | den, die Verpflegung erkrankter und die Beerdigung verstorbener Staatsange= | horiger bestehen. Hinsichtlich der Erfullung der Militairpflicht im VerhaltniB zu dem Hei= | mathslande wird im Wege der Reichsgesetzgebung das Nothige geordnet | werden. Dem Auslande gegeniiber haben alle Deutschen gleichmaBig Anspruch auf | den Schutz des Reichs. Artikel 4. Der Beaufsichtigung Seitens des Reichs und der Gesetzgebung desselben | unterliegen die nachstehenden Angelegenheiten: 1) die Bestimmungen liber Freiztigigkeit, Heimaths= und Niederlassungs= | Verhaltnisse, Staatsbtirgerrecht, PaBwesen und Fremdenpolizei und tiber | [S. 66] den Gewerbebetrieb, einschlieBlich des Versicherungswesens, soweit diese | Gegenstande nicht schon durch den Artikel 3. dieser Verfassung erledigt | sind, in Bayem jedoch mit AusschluB der Heimaths= und Niederlassungs= | Verhaltnisse, desgleichen tiber die Kolonisation und die Auswanderung | nach auBerdeutschen Landem; 2) die Zoll= und Handelsgesetzgebung und die fiir die Zwecke des Reichs zu | verwendenden Steuem; 3) die Ordnung des MaaB=, Mtinz= und Gewichtssystems, nebst Feststellung | der Grundsatze tiber die Emission von fundirtem und unfundirtem | Papiergelde; 4) die allgemeinen Bestimmungen tiber das Bankwesen; 5) die Erfindungspatente; 6) der Schutz des geistigen Eigenthums; 7) Organisation eines gemeinsamen Schutzes des Deutschen Handels im | Auslande, der Deutschen Schiffahrt und ihrer Flagge zur See und | Anordnung gemeinsamer konsularischer Vertretung, welche vom Reiche | ausgestattet wird; 8) das Eisenbahnwesen, in Bayem vorbehaltlich der Bestimmung im Ar= | tikel 46., und die Herstellung von Land= und WasserstraBen im Interesse | der Landesvertheidigung und des allgemeinen Verkehrs; 9) der FloBerei= und Schiffahrtsbetrieb auf den mehreren Staaten gemein= | samen WasserstraBen und der Zustand der letzteren, sowie die FluB= und | sonstigen Wasserzolle; 10) das Post= und Telegraphenwesen, jedoch in Bayem und Wiirttemberg | nur nach MaBgabe der Bestimmung in Artikel 52.; 11) Bestimmungen tiber die wechselseitige Vollstreckung von Erkenntnissen in | Civilsachen und Erledigung von Requisitionen tiberhaupt; 12) sowie tiber die Beglaubigung von offentlichen Urkunden; 13) die gemeinsame Gesetzgebung tiber das Obligationenrecht, Strafrecht, Han= | dels= und Wechselrecht und das gerichtliche Verfahren; 14) das Militairwesen des Reichs und die Kriegsmarine; 15) MaBregeln der Medizinal= und Veterinairpolizei; 16) die Bestimmungen tiber die Presse und das Vereinswesen.

[136] Gesetz, betreffend die Verfassung des Deutschen Reichs vom 16. April 1871

1263

Artikel 5. ^Die Bundesgesetzgebung wird ausgeiibt durch den Bundesrath und den | Reichstag. ^Die Ubereinstimmung der Mehrheitsbeschltisse beider Versammlungen | ist zu einem Reichsgesetze erforderlich und ausreichend. Bei Gesetzesvorschlagen tiber das Militairwesen, die Kriegsmarine und | die im Artikel 35. bezeichneten Abgaben giebt, wenn im Bundesrathe eine | Meinungsverschiedenheit stattfindet, die Stimme des Prasidiums den Ausschlag, | wenn sie sich fur die Aufrechterhaltung der bestehenden Einrichtungen ausspricht. [S. 67] III. Bundesrath. Artikel 6. Der Bundesrath besteht aus den Vertretem der Mitglieder des Bundes, | unter welchen die Stimmfuhrung sich in der Weise vertheilt, daB PreuBen mit | den ehemaligen Stimmen 17 Stimmen von I Hannover, Kurhessen, Holstein, Nassau und Frankfurt fiihrt, Bayem 6 Sachsen 4 Wiirttemberg 4 Baden 3 Hessen 3 Mecklenburg=Schwerin 2 Sachsen=Weimar Mecklenburg=Strelitz Oldenburg Braunschweig 2 Sachsen=Meiningen Sachsen=Altenburg Sachsen=Koburg=Gotha Anhalt Schwarzburg=Rudolstadt Schwarzburg=Sondershausen Waldeck ReuB alterer Linie ReuB jtingerer Linie Schaumburg^Lippe Lippe Ltibeck Bremen Hamburg zusammen 58 Stimmen Jedes Mitglied des Bundes kann soviel Bevollmachtigte zum Bundes= | rathe emennen, wie es Stimmen hat, doch kann die Gesammtheit der zustandigen | Stimmen nur einheitlich abgegeben werden.

1264

§ 7: Deutscher Bund/Deutsches Reich (1870/71 - 1918)

[Dok. 129 - 147]

Artikel 7. Der Bundesrath beschlieBt: 1) liber die dem Reichstage zu machenden Vorlagen und die von demselben | gefaBten Beschltisse; 2) tiber die zur Ausfuhmng der Reichsgesetze erforderlichen allgemeinen | Verwaltungsvorschriften und Einrichtungen, sofem nicht durch Reichs= | gesetz etwas Anderes bestimmt ist; [S. 68] 3) liber Mangel, welche bei der Ausfiihrung der Reichsgesetze oder der | vorstehend erwahnten Vorschriften oder Einrichtungen hervortreten. Jedes Bundesglied ist befugt, Vorschlage zu machen und in Vortrag zu | bringen, und das Prasidium ist verpflichtet, dieselben der Berathung zu tibergeben. ^Die BeschluBfassung erfolgt, vorbehaltlich der Bestimmungen in den Ar= | tikeln 5. 37. und 78., mit einfacher Mehrheit. "^Nicht vertretene oder nicht in= | struirte Stimmen werden nicht gezahlt. ^Bei Stimmengleichheit giebt die Pra= | sidialstimme den Ausschlag. Bei der BeschluBfassung tiber eine Angelegenheit, welche nach den Bestim= | mungen dieser Verfassung nicht dem ganzen Reiche gemeinschaftlich ist, werden | die Stimmen nur derjenigen Bundesstaaten gezahlt, welchen die Angelegenheit | gemeinschaftlich ist. Artikel 8. Der Bundesrath bildet aus seiner Mitte dauemde Ausschiisse 1) fiir das Landheer und die Festungen; 2) fiir das Seewesen; 3) fiir Zoll= und Steuerwesen; 4) fiir Handel und Verkehr; 5) fiir Eisenbahnen, Post und Telegraphen; 6) fur Justizwesen; 7) fiir Rechnungswesen. ^In jedem dieser Ausschiisse werden auBer dem Prasidium mindestens vier | Bundesstaaten vertreten sein, und fiihrt innerhalb derselben jeder Staat nur Eine | Stimme. "^In dem AusschuB fiir das Landherr und die Festungen hat Bayem | einen standigen Sitz, die iibrigen Mitglieder desselben, sowie die Mitglieder des | Ausschusses fiir das Seewesen werden vom Kaiser emannt; die Mitglieder der | anderen Ausschiisse werden von dem Bundesrathe gewahlt. ^Die Zusammensetzung | dieser Ausschiisse ist fiir jede Session des Bundesrathes resp. mit jedem Jahre | zu emeuem, wobei die ausscheidenden Mitglieder wieder wahlbar sind. AuBerdem wird im Bundesrathe aus den BevoUmachtigten der Konigreiche | Bayem, Sachsen und Wlirttemberg und zwei, vom Bundesrathe alljahrlich zu | wahlenden BevoUmachtigten anderer Bundesstaaten ein AusschuB fiir die aus= | wartigen Angelegenheiten gebildet, in welchem Bayem den Vorsitz fiihrt. Den Ausschlissen werden die zu ihren Arbeiten nothigen Beamten zur | Verfiigung gestellt. Artikel 9. ^Jedes Mitglied des Bundesrathes hat das Recht, im Reichstage zu erscheinen | und muB daselbst auf Verlangen jederzeit gehort werden, um die Ansichten seiner | Regiemng zu vertreten, auch dann, wenn dieselben von der Majoritat des Bundes= | rathes nicht adoptirt worden sind. ^Niemand kann gleichzeitig Mitglied des Bundes= | rathes und des Reichstages sein.

[136] Gesetz, betreffend die Verfassung des Deutschen Reichs vom 16. April 1871

1265

[S. 69] Artikel 10. Dem Kaiser liegt es ob, den Mitgliedem des Bundesrathes den tiblichen | diplomatischen Schutz zu gewahren. IV. Prasidium. Artikel 11. ^Das Prasidium des Bundes steht dem Konig von PreuBen zu, welcher | den Namen Deutscher Kaiser fuhrt. ^Der Kaiser hat das Reich volkerrechtlich | zu vertreten, im Namen des Reichs Krieg zu erklaren und Frieden zu schlieBen, | Btindnisse und andere Vertrage mit fremden Staaten einzugehen, Gesandte zu | beglaubigen und zu empfangen. Zur Erklarung des Krieges im Namen des Reichs ist die Zustimmung | des Bundesrathes erforderlich, es sei derm, daB ein Angriff auf das Bundesgebiet | oder dessen Ktisten erfolgt. Insoweit die Vertrage mit fremden Staaten sich auf solche Gegenstande | beziehen, welche nach Artikel 4. in den Bereich der Reichsgesetzgebung gehoren, | ist zu ihrem AbschluB die Zustimmung des Bundesrathes und zu ihrer Gtiltigkeit | die Genehmigung des Reichstages erforderlich. Artikel 12. Dem Kaiser steht es zu, den Bundesrath und den Reichstag zu berufen, | zu eroffhen, zu vertagen und zu schlieBen. Artikel 13. Die Bemfung des Bundesrathes und des Reichstages findet alljahrlich | statt und kann der Bundesrath zur Vorbereitung der Arbeiten ohne den Reichs== | tag, letzterer aber nicht ohne den Bundesrath berufen werden. Artikel 14. Die Bemfung des Bundesrathes muB erfolgen, sobald sie von einem | Drittel der Stimmenzahl verlangt wird. Artikel 15. Der Vorsitz im Bundesrathe und die Leitung der Geschafte steht dem | Reichskanzler zu, welcher vom Kaiser zu emennen ist. Der Reichskanzler kann sich durch jedes andere Mitglied des Bundesrathes | vermoge schriftlicher Substitution vertreten lassen. Artikel 16. Die erforderlichen Vorlagen werden nach MaaBgabe der Beschliisse des Bun= | desrathes im Namen des Kaisers an den Reichstag gebracht, wo sie durch Mit= | glieder des Bundesrathes oder durch besondere von letzterem zu emennende | Kommissarien vertreten werden.

1266

§ 7: Deutscher Bund/Deutsches Reich (1870/71 - 1918)

[DoL 129 - 147]

[S. 70] Artikel 17. ^Dem Kaiser steht die Ausfertigung und Verkiindigung der Reichsgesetze | und die Ueberwachung der Ausfuhmng derselben zu. "^Die Anordnungen und | Verfugungen des Kaisers werden im Namen des Reichs erlassen und bedtirfen zu | ihrer Gtiltigkeit der Gegenzeichnung des Reichskanzlers, welcher dadurch die Vei^ | antwortlichkeit tibemimmt. Artikel 18. Der Kaiser emennt die Reichsbeamten, laBt dieselben fiir das Reich ver= | eidigen und verfiigt erforderlichen Falles deren Entlassung. Den zu einem Reichsamte berufenen Beamten eines Bundesstaates stehen, | sofem nicht vor ihrem Eintritt in den Reichsdienst im Wege der Reichsgesetzgebung | etwas Anderes bestimmt ist, dem Reiche gegentiber diejenigen Rechte zu, welche | ihnen in ihrem Heimathslande aus ihrer dienstlichen Stellung zugestanden hatten. Artikel 19. ^Wenn Bundesglieder ihre verfassungsmaBigen Bundespflichten nicht er= | fullen, konnen sie dazu im Wege der Exekution angehalten werden. "^Diese | Exekution ist vom Bundesrathe zu beschlieBen und vom Kaiser zu vollstrecken. V. Reichstag. Artikel 20. Der Reichstag geht aus allgemeinen und direkten Wahlen mit geheimer | Abstimmung hervor Bis zu der gesetzlichen Regelung, welche im §.5. des Wahlgesetzes vom | 31. Mai 1869. (Bundesgesetzbl. 1869. S. 145.) vorbehalten ist, werden in | Bayem 48, .in Wtirttemberg 17, in Baden 14, in Hessen stidlich des Main 6 Ab= | geordnete gewahlt, und betragt demnach die Gesammtzahl der Abgeordneten 382. Artikel 21. Beamte bedtirfen keines Urlaubs zum Eintritt in den Reichstag. Wenn ein Mitglied des Reichstages ein besoldetes Reichsamt oder in | einem Bundesstaat ein besoldetes Staatsamt annimmt oder im Reichs= oder | Staatsdienste in ein Amt eintritt, mit welchem ein hoherer Rang oder ein | hoheres Gehalt verbunden ist, so verliert es Sitz und Stimme in dem Reichstag | und kann seine Stelle in demselben nur durch neue Wahl wieder erlangen. Artikel 22. Die Verhandlungen des Reichstages sind offentlich. Wahrheitsgetreue Berichte liber Verhandlungen in den offentlichen Sitzungen | des Reichstages bleiben von jeder Verantwortlichkeit frei. [S. 71] Artikel 23. Der Reichstag hat das Recht, innerhalb der Kompetenz des Reichs Gesetze | vorzuschlagen und an ihn gerichtete Petitionen dem Bundesrathe resp. Reichs= | kanzler zu tiberweisen.

[136] Gesetz, betreffend die Verfassung des Deutschen Reichs vom 16. April 1871

1267

Artikel 24. ^Die Legislaturperiode des Reichstages dauert drei Jahre. "^Zur Auflosung | des Reichstages wahrend derselben ist ein BeschluB des Bundesrathes unter Zu= | stimmung des Kaisers erforderlich. Artikel 25. Im Falle der Auflosung des Reichstages mtissen innerhalb eines Zeitraumes | von 60 Tagen nach derselben die Wahler und innerhalb eines Zeitraumes von | 90 Tagen nach der Auflosung der Reichstag versammelt werden. Artikel 26. Ohne Zustimmung des Reichstages darf die Vertagung desselben die Frist | von 30 Tagen nicht iibersteigen und wahrend derselben Session nicht wiederholt | werden. Artikel 27. ^Der Reichstag priift die Legitimation seiner Mitglieder und entscheidet | dariiber. ^Er regelt seinen Geschaftsgang und seine Disziplin durch eine Ge= | schafts=Ordnung und erwahlt seinen Prasidenten, seine Vizeprasidenten und | Schriftfahrer. Artikel 28. ^Der Reichstag beschlieBt nach absoluter Stimmenmehrheit. "^Zur Gtiltigkeit | der BeschluBfassung ist die Anwesenheit der Mehrheit der gesetzlichen Anzahl der | Mitglieder erforderlich. Bei der BeschluBfassung liber eine Angelegenheit, welche nach den Bestim= | mungen dieser Verfassung nicht dem ganzen Reiche gemeinschaftlich ist, werden | die Stimmen nur derjenigen Mitglieder gezahlt, die in Bundesstaaten gewahlt | sind, welchen die Angelegenheit gemeinschaftlich ist. Artikel 29. Die Mitglieder des Reichstages sind Vertreter des gesammten Volkes und | an Auftrage und Instruktionen nicht gebunden. Artikel 30. Kein Mitglied des Reichstages darf zu irgend einer Zeit wegen seiner Ab= | stimmung Oder wegen der in Austibung seines Berufes gethanen AeuBemngen | [S. 72] gerichtlich Oder disziplinarisch verfolgt oder sonst auBerhalb der Versammlung zur | Verantwortung gezogen werden. Artikel 31. Ohne Genehmigung des Reichstages kann kein Mitglied desselben wahrend | der Sitzungsperiode wegen einer mit Strafe bedrohten Handlung zur Untersuchung | gezogen oder verhaftet werden, auBer wenn es bei Austibung der That oder im | Laufe des nachstfolgenden Tages ergriffen wird. Gleiche Genehmigung ist bei einer Verhaftung wegen Schulden erforderlich. Auf Verlangen des Reichstages wird jedes Strafverfahren gegen ein Mit= | glied desselben und jede Untersuchungs^ oder Civilhaft fur die Dauer der Sitzungs= | periode aufgehoben.

1268

§ 7: Deutscher Bund/Deutsches Reich (1870/71 - 1918)

[Dok. 129 - 147]

Artikel 32. Die Mitglieder des Reichstages dtirfen als solche keine Besoldung oder | Entschadigung beziehen. VI. Zoll= und Handelswesen. Artikel 33. ^Deutschland bildet ein Zoll= und Handelsgebiet, umgeben von gemeinschaft= | licher Zollgrenze. ^Ausgeschlossen bleiben die wegen ihrer Lage zur EinschlieBung | in die Zollgrenze nicht geeigneten einzelnen Gebietstheile. Alle Gegenstande, welche im freien Verkehr eines Bundesstaates befmdlich | sind, konnen in jeden anderen Bundesstaat eingefuhrt und diirfen in letzterem | einer Abgabe nur insoweit unterworfen werden, als daselbst gleichartige inlandische | Erzeugnisse einer inneren Steuer unterliegen. Artikel 34. Die Hansestadte Bremen und Hamburg mit einem dem Zweck entsprechen= | den Bezirke ihres oder des umliegenden Gebietes bleiben als Freihafen auBerhalb | der gemeinschaftlichen Zollgrenze, bis sie ihren EinschluB in dieselbe beantragen. Artikel 35. Das Reich ausschlieBlich hat die Gesetzgebung iiber das gesammte Zoll= | wesen, liber die Besteuerung des im Bundesgebiete gewonnenen Salzes und Ta= | backs, bereiteten Branntweins und Bieres und aus Rtiben oder anderen inlandischen | Erzeugnissen dargestellten Zuckers und Syrups, tiber den gegenseitigen Schutz der | in den einzelnen Bundesstaaten erhobenen Verbrauchsabgaben gegen Hinter= | ziehungen, sowie tiber die MaBregeln, welche in den Zollausschliissen zur Siche= | rung der gemeinsamen Zollgrenze erforderlich sind. [S. 73] ^In Bayem, Wtirttemberg und Baden bleibt die Besteuerung des inlandischen | Branntweins und Bieres der Landesgesetzgebung vorbehalten. ^Die Bundesstaaten | werden jedoch ihr Bestreben darauf richten, eine Ubereinstimmung der Gesetz= | gebung tiber die Besteuerung auch dieser Gegenstande herbeizufuhren. Artikel 36. Die Erhebung und Verwaltung der Zolle und Verbrauchssteuem (Art. 35.) | bleibt jedem Bundesstaate, soweit derselbe sie bisher ausgetibt hat, innerhalb | seines Gebietes tiberlassen. Der Kaiser tiberwacht die Einhaltung des gesetzlichen Verfahrens durch Reichs= | beamte, welche er den Zoll= oder Steueramtem und den Direktivbehorden der | einzelnen Staaten, nach Vemehmung des Ausschusses des Bundesrathes fur Zoll= | und Steuerwesen, beiordnet. Die von diesen Beamten tiber Mangel bei der Ausfuhrung der gemein= | schaftlichen Gesetzgebung (Art. 35.) gemachten Anzeigen werden dem Bundesrathe | zur BeschluBnahme vorgelegt.

[136] Gesetz, betreffend die Verfassung des Deutschen Reichs vom 16. April 1871

1269

Artikel 37. Bei der BeschluBnahme liber die zur Ausfiihrung der gemeinschaftlichen | Gesetzgebung (Art. 35.) dienenden Verwaltungsvorschriften und Einrichtungen | giebt die Stimme des Prasidiums alsdann den Ausschlag, wenn sie sich far die Auf= | rechthaltung der bestehenden Vorschrift oder Einrichtxing ausspricht. Artikel 38. Der Ertrag der Zolle und der anderen, in Artikel 35. bezeichneten Abgaben, | letzterer soweit sie der Reichsgesetzgebung unterliegen, flieBt in die Reichskasse. Dieser Ertrag besteht aus der gesammten von den Zollen und den tibrigen | Abgaben aufgekommenen Einnahme nach Abzug: 1) der auf Gesetzen oder allgemeinen Verwaltungsvorschriften bemhenden | Steuervergtitungen und ErmaBigungen, 2) der Rtickerstattungen fur unrichtige Erhebungen, 3) der Erhebungs= und Verwaltungskosten, und zwar: a) bei den Zollen der Kosten, welche an den gegen das Ausland ge= | legenen Grenzen und in dem Grenzbezirke fiir den Schutz und die | Erhebung der Zolle erforderlich sind, b) bei der Salzsteuer der Kosten, welche zur Besoldung der mit EY= \ hebung und Kontrolirung dieser Steuer auf den Salzwerken beauf= | tragten Beamten aufgewendet werden, c) bei der Rtibenzuckersteuer und Tabacksteuer der Vergtitung, welche | nach den jeweiligen Beschltissen des Bundesrathes den einzelnen | Bundesregierungen far die Kosten der Verwaltung dieser Steuem | zu gewahren ist, [S. 74] d) bei den tibrigen Steuem mit funfzehn Prozent der Gesammt= | einnahme. Die auBerhalb der gemeinschaftlichen Zollgrenze liegenden Gebiete tragen | zu den Ausgaben des Reichs durch Zahlung eines Aversums bei. Bay em, Wiirttemberg und Baden haben an dem in die Reichskasse flieBen= | den Ertrage der Steuem von Branntwein und Bier und an dem diesem Ertrage | entsprechenden Theile des vorstehend erwahnten Aversums keinen Theil. Artikel 39. Die von den Erhebungsbehorden der Bundesstaaten nach Ablauf eines jeden | Vierteljahres aufzustellenden Quartal^Extrakte und die nach dem Jahres= und | Bticherschlusse aufzustellenden Finalabschltisse tiber die im Laufe des Vierteljahres | beziehungsweise wahrend des Rechnungsjahres fallig gewordenen Einnahmen an | Zollen und nach Artikel 38. zur Reichskasse flieBenden Verbrauchsabgaben wer= | den von den Direktivbehorden der Bundesstaaten, nach vorangegangener Priifung, | in Haupttibersichten zusammengestellt, in welchen jede Abgabe gesondert nachzu= | weisen ist, und es werden diese Uebersichten an den AusschuB des Bundesrathes | far das Rechnungswesen eingesandt. ^Der letztere stellt auf Gmnd dieser Uebersichten von drei zu drei Monaten | den von der Kasse jedes Bundesstaates der Reichskasse schuldigen Betrag vor= | laufig fest und setzt von dieser Feststellung den Bundesrath und die Bundes= | staaten in KenntniB, legt auch alljahrlich die schlieBliche Feststellung jener Betrage | mit seinen Bemerkungen dem Bundesrathe vor. ^Der Bundesrath beschlieBt tiber | diese Feststellung.

1270

§ 7: Deutscher Bund/Deutsches Reich (1870/71 - 1918)

[Dok. 129 - 147]

Artikel 40. Die Bestimmungen in dem Zollvereinigungsvertrage vom 8. M i 1867.^ | bleiben in Kraft, soweit sie nicht durch die Vorschriften dieser Verfassung ab= | geandert sind und solange sie nicht auf dem im Artikel 7., beziehungsweise 78. | bezeichneten Wege abgeandert werden. VII. Eisenbahnwesen. Artikel 41. Eisenbahnen, welche im Interesse der Vertheidigung des Deutschlandes oder im | Interesse des gemeinsamen Verkehrs fur nothwendig erachtet werden, konnen | kraft eines Reichsgesetzes auch gegen den Widerspruch der Bundesglieder, deren | Gebiet die Eisenbahnen durchschneiden, unbeschadet der Landeshoheitsrechte, fiir | Rechnung des Reichs angelegt oder an Privatuntemehmer zur Ausfiihmng kon= | zessionirt und mit dem Expropriationsrechte ausgestattet werden. Jede bestehende Eisenbahnverwaltung ist verpflichtet, sich den AnschluB neu | angelegter Eisenbahnen auf Kosten der letzteren gefallen zu lassen. [S. 75] ^Die gesetzlichen Bestimmungen, welche bestehenden Eisenbahn=Unter= | nehmungen ein Widerspruchsrecht gegen die Anlegung von Parallel^ oder Kon= | kurrenzbahnen einraumen, werden, unbeschadet bereits erworbener Rechte, fiir das | ganze Reich hierdurch aufgehoben. ^Ein solches Widerspruchsrecht kann auch in | den kiinftig zu ertheilenden Konzessionen nicht weiter verliehen werden. Artikel 42. Die Bundesregierungen verpflichten sich, die Deutschen Eisenbahnen im | Interesse des allgemeinen Verkehrs wie ein einheitliches Netz verwalten und zu | diesem Behuf auch die neue herzustellenden Bahnen nach einheitlichen Normen | anlegen und ausriisten zu lassen. Artikel 43. ^Es sollen demgemaB in thunlichster Beschleunigung tibereinstimmende Be== | triebseinrichtungen getroffen, insbesondere gleiche Bahnpolizei=Reglements ein= | gefiihrt werden. ^Das Reich hat daflir Sorge zu tragen, daB die Eisenbahn= | verwaltungen die Bahnen jederzeit in einem die nothige Sicherheit gewahrenden | baulichen Zustande erhalten und dieselben mit Betriebsmaterial so ausriisten, wie | das VerkehrsbedtirfniB es erheischt. Artikel 44. Die Eisenbahnverwaltungen sind verpflichtet, die fiir den durchgehenden | Verkehr und zur Herstellung ineinander greifender Fahrplane nothigen Personen= | ztige mit entsprechender Fahrgeschwindigkeit, desgleichen die zur Bewaltigung des | Gtiterverkehrs nothigen Gtiterziige einzufahren, auch direkte Expeditionen im Per= | sonen= und Gtiterverkehr, unter Gestattung des Ueberganges der Transportmittel | von einer Bahn auf die andere, gegen die iibliche Vergtitung einzurichten.

Dok. 102.

[136] Gesetz, betreffend die Verfassung des Deutschen Reichs vom 16. April 1871

1271

Artikel 45. ^Dem Reiche steht die Kontrole liber das Tarifwesen zu. '^Derselbe wird | namentlich dahin wirken: 1) daB baldigst auf alien Deutschen Eisenbahnen ubereinstimmende Betriebs= | reglements eingeflihrt werden; 2) daB die moglichste GleichmaBigkeit und Herabsetzung der Tarife erzielt, | insbesondere, daB bei groBeren Entfemungen fur den Transport von | Kohlen, Koaks, Holz, Erzen, Steinen, Salz, Roheisen, Dtingungsmitteln | und ahnlichen Gegenstanden ein dem BedtirfniB der Landwirthschaft und | Industrie entsprechender ermaBigter Tarif, und zwar zunachst thunlichst | der Einpfennig=Tarif eingefuhrt werde. Artikel 46. Bei eintretenden Nothstanden, insbesondere bei ungewohnlicher Theuerung | der Lebensmittel, sind die Eisenbahnverwaltungen verpflichtet, fiir den Transport, | [S. 76] namentlich von Getreide, Mehl, Htilsenfrtichten und Kartoffeln, zeitweise einen | dem BedtirfniB entsprechenden, von dem Kaiser auf Vorschlag des betreffenden | Bundesraths= Ausschusses festzustellenden, niedrigen Spezialtarif einzuflihren, welcher | jedoch nicht unter den niedrigsten auf der betreffenden Bahn fur Rohprodukte | geltenden Satz herabgehen darf Die vorstehenden, sowie die in den Artikeln 42. bis 45. getroffenen Be= | stimmungen sind auf Bayem nicht anwendbar. Dem Reiche steht jedoch auch Bayem gegentiber das Recht zu, im Wege | der Gesetzgebung einheitliche Normen fiir die Konstruktion und Ausrtistung der | fiir die Landesvertheidigung wichtigen Eisenbahnen aufzustellen. Artikel 47. ^Den Anforderungen des Reichs in Betreff der Benutzung | der Eisenbahnen zum Zweck der Vertheidigung Deutschlands haben sammtliche | Eisenbahnverwaltungen unweigerlich Folge zu leisten. "^Insbesondere ist das | Militair und alles Kriegsmaterial zu gleichen ermaBigten Satzen zu befordem. VIII. Post= und Telegraphenwesen. Artikel 48. Das Postwesen und das Telegraphenwesen werden fiir das gesammte | Gebiet des Deutschen Reichs als einheitliche Staatsverkehrs=Anstalten eingerichtet | und verwaltet. Die im Artikel 4. vorgesehene Gesetzgebung des Reichs in Post^ und | Telegraphen=Angelegenheiten erstreckt sich nicht auf diejenigen Gegenstande, deren | Regelung nach den in der Norddeutschen Post= und Telegraphenverwaltung | maBgebenden gewesenen Grundsatzen der reglementarischen Festsetzung oder admini^ | strativen Anordnung iiberlassen ist. Artikel 49. ^Die Einnahmen des Post= und Telegraphenwesens sind fiir das ganzen | Reich gemeinschaftlich. "^Die Ausgaben werden aus den gemeinschaftlichen Ein= | nahmen bestritten. ^Die Uberschtisse flieBen in die Reichskasse (Abschnitt XII.).

1272

§ 7: Deutscher Bund/Deutsches Reich (1870/71 - 1918)

[Dok. 129 - 147]

Artikel 50. ^Dem Kaiser gehort die obere Leitung der Post= und Telegraphenvep= | waltung an. ^Die von ihm bestellten Behorden haben die Pflicht und das Recht, | dafiir zu sorgen, daB Einheit in der Organisation der Verwaltung und im Be= | triebe des Dienstes, sowie in der Qualifikation der Beamten hergestellt und er= | halten wird. [S. 77] Dem Kaiser steht der ErlaB der reglementarischen Festsetzungen und allge= | meinen administrativen Anordnungen, sowie fur die ausschlieBliche Wahmehmung | der Beziehungen zu anderen Post= und Telegraphenverwaltungen zu. ^Sammtliche Beamte der Post= und Telegraphenverwaltung sind ver= | pflichtet, den Kaiserlichen Anordnungen des Bundesprasidiums Folge zu leisten. ^Diese Verpflichtung ist I in den Diensteid aufzunehmen. ^Die Anstellung der bei den Verwaltungsbehorden der Post und Telegraphic | in den verschiedenen Bezirken erforderlichen oberen Beamten (z. B. der Direk= | toren, Rathe, Ober=Inspektoren), femer die Anstellung der zur Wahmehmung | des Aufsichts= u. s. w. Dienstes in den einzelnen Bezirken als Organe der er= | wahnten Behorden fungirenden Post= und Telegraphenbeamten (z. B. Inspektoren, | Kontroleure) geht fur das ganze Gebiet des Deutschen Reichs vom Kaiser | aus, welchem diese Beamten den Diensteid leisten. ^Den einzelnen Landes= | regierungen wird von den in Rede stehenden Emennungen, soweit dieselben ihre | Gebiete betreffen, Behufs der landesherrlichen Bestatigung und Publikation recht= | zeitig Mitteilung gemacht werden. Die anderen bei den Verwaltungsbehorden der Post und Telegraphic | erforderlichen Beamten, sowie alle fiir den lokalen und technischen Betrieb be= | stimmten, mithin bei den eigentlichen Betricbsstellen fixngirenden Beamten u. s. w. | werden von den betreffenden Landesregierungen angestellt. Wo eine selbststandige Landespost= resp. Telegraphenverwaltung nicht be= | steht, entscheiden die Bestimmungen der besonderen Vertrage. Artikel 51. Bei Uberweisung des Ueberschusses der Postverwaltung far allgemeine | Reichszwecke (Art. 49.) soil, in Betracht der bisherigen Verschiedenheit der | von den Landes=Postverwaltungen der einzelnen Gebiete erzielten Reineinnahmen, | zum Zwecke einer entsprechenden Ausgleichung wahrend der unten festgesetzten | Ubergangszeit folgendes Verfahren beobachtet werden. Aus den Postiiberschtissen, welche in den einzelnen Postbezirken wahrend | der fiinf Jahre 1861. bis 1865. aufgekommen sind, wird ein durchschnittlicher | JahrestiberschuB berechnet, und der Antheil, welchen jeder einzelne Postbezirk an | dem far das gesammte Gebiet des Reichs sich damach herausstellenden Post= | iiberschusse gehabt hat, nach Prozenten festgestcllt. Nach MaBgabe des auf diese Weise festgestellten Verhaltnisses werden [ den einzelnen Staaten wahrend der auf ihren Eintritt in die Reichs=Postver= | waltung folgenden acht Jahre die sich far sie aus den im Reiche aufkommenden | Postiiberschtissen ergebenden Quoten auf ihre sonstigen Beitrage zu Reichszwecken | zu Gute gerechnet. Nach Ablauf der acht Jahre hort jene Unterscheidung auf, und flieBen die | Posttiberschiisse in ungetheilter Aufrechnung nach dem im Artikel 49. enthaltenen | Grundsatz der Reichskasse zu. Von der wahrend der vorgedachten acht Jahre ftir die Hansestadte sich | herausstellenden Quote des Postiiberschusses wird alljahrlich vorweg die Halfte | dem Kaiser zur Disposition gestellt zu dem Zwecke, daraus zunachst die Kosten | fiir die Herstellung normaler Posteinrichtungen in den Hansestadten zu bestreiten.

[136] Gesetz, betreffend die Verfassung des Deutschen Reichs vom 16. April 1871

1273

[S. 78] Artikel 52. ^Die Bestimmungen in den vorstehenden Artikeln48. bis 55. finden auf| Bayem und Wtirttemberg keine Anwendung. ^An ihrer Stelle gelten fur beide | Bundesstaaten folgende Bestimmungen. Dem Reiche ausschlieBlich steht die Gesetzgebung iiber die Vorrechte der | Post und Telegraphie, iiber die rechtlichen Verhaltnisse beider Anstalten zum | Publikum, tiber die Portofreiheiten und das Posttaxwesen, jedoch ausschlieBlich | der reglementarischen und Tarif=Bestimmungen fur den intemen Verkehr innerhalb | Bayems, beziehungsweise Wtirttembergs, sowie, unter gleicher Beschrankung, die | Feststellung der Gebiihren fur die telegraphische Korrespondenz zu. Ebenso steht dem Reiche die Regelung des Post= und Telegraphenverkehrs | mit dem Auslande zu, ausgenommen den eigenen unmittelbaren Verkehr Bayems, | beziehungsweise Wtirttembergs mit seinen dem Reiche nicht angehorenden Nachbar= | staaten, wegen dessen Regelung es bei der Bestimmung im Artikel 49. des Posl^ | vertrages vom 23. November 1867.^ bewendet. An den zur Reichskasse flieBenden Einnahmen des Post= und Telegraphen= | wesens haben Bayem und Wtirttemberg keinen Theil.

Text (Bundes-Gesetzblatt des Norddeutschen Bundes, [vom 20. April] 1868, Nr. 8, S. 41 [63]): „Artikel 49 Die Behandlung der Sendungen im Verkehr mit auswartigen Postgebieten | richtet sich nach den Postvertragen mit den betreffenden fremden Regierungen, | beziehungsweise nach den Uebereinkiinften mit auswartigen Transport=Unter= | nehmungen. Bei dem Abschlusse von Postvertragen mit fremden Regierungen wird, | wenn zwei oder mehrere der Theilnehmer des gegenwartigen Vertrages mit einem | und demselben auslandischen Staate in unmittelbarem Postverkehr stehen oder in | solchen eintreten wollen, diejenige Postverwaltung, welche den AbschluB eines | neuen Vertrages beabsichtigt, den anderen beim direkten Postverkehr mit dem I betreffenden Lande betheiUgten Post^erwaltungen von ihrer Absicht KenntniB | geben zum Zwecke der Herbeifiihrung einer Verstandigung tiber das im Ver= | haltnisse zu dem fremden Lande einzuhaltende tibereinstimmende Verfahren | und der Geltendmachung der beztigUch des Deutschen Postwesens bestehenden gemein= |samen Interessen. Insoweit als eine solche Verstandigung stattgefunden hat, werden die dabei | betheiligten Postverwaltungen sich bemiihen, den AbschluB der neuen Vertrage | in Gemeinschaft zu bewirken, wobei eine Bevollmachtigung eines der kontrahiren= | den Theile durch den anderen nicht ausgeschlossen ist. In alien Fallen wird durch die Vertrage dahin Vorsorge getroffen wer= | den, daB die Erleichterungen, welche dem Postverkehr des betreffenden Auslandes | mit dem Gebiet der vertragschlieBenden Deutschen Verwaltung zu Theil werden, | in gleicher Weise und unter denselben Bedingungen auch auf den durch diese | Verwaltung stiickweise vermittelten Korrespondenzverkehr anderer Deutscher Post= I gebiete mit dem betreffenden Auslande zur Anwendung gelangen. Die Annahme der in den Vertragen mit dem Auslande vereinbarten Be= | stimmungen soil fiir alle Theilnehmer des gegenwartigen Vertrages obligatorisch | sein, sobald bei den Festsetzungen iiber den Portobezug nicht unter das interne | Deutsche Porto herunter gegangen ist. Hat in besonderen Fallen ein niedrigeres | Porto vereinbart werden miissen, so bleibt die Theilnahme an den Bestimmungen I des beztiglichen Vertrages dem Ermessen der einzelnen Postverwaltungen anheim= | gestellt."

1274

§ 7: Deutscher Bund/Deutsches Reich (1870/71 - 1918)

[Dok. 129 - 147]

IX. Marine und Schifffahrt. Artikel 53. ^Die Kriegsmarine ist eine einheitliche unter dem Oberbefehl | des Kaisers. ^Die Organisation und Zusammensetzung derselben liegt dem Kaiser | ob, welcher die Offiziere und Beamten der Marine emennt, und ftir welchen | dieselben nebst den Mannschaften eidlich in Pflicht zu nehmen sind. Der Kieler Hafen und der Jadehafen sind Reichskriegshafen. Der zur Griindung und Erhaltung der Kriegsflotte und der damit zu= | sammenhangenden Anstalten erforderliche Aufwand wird aus der Reichskasse | bestritten. Die gesammte seemannische Bevolkerung des Reichs, einschlieBlich des 1 Maschinenpersonals und der Schiffshandwerker, ist vom Dienste im Landheere | befreit, dagegen zum Dienste in der Kaiserliche Marine verpflichtet. Die Vertheilung des Ersatzbedarfes findet nach MaaBgabe der vorhandenen | seemannischen Bevolkerung statt, und die hiemach von jedem Staate gestellte | Quote kommt auf die Gestellung zum Landheere in Abrechnung. Artikel 54. Die Kauffahrteischiffe aller Bundesstaaten bilden eine einheitliche Handels= | marine. Das Reich hat das Verfahren zur Ermittelung der Ladungsfahigkeit der | Seeschiffe zu bestimmen, die Ausstellung der MeBbriefe, sowie der Schiffscertifikate | [S. 79] zu regeln und die Bedingungen festzustellen, von welchen die ErlaubniB zur | Ftihrung eines Seeschiffes abhangig ist. ^In den Seehafen und auf alien naturlichen und ktinstlichen WasserstraBen | der einzelnen Bundesstaaten werden die Kauffahrteischiffe sammtlicher Bundes= | staaten gleichmaBig zugelassen und behandelt. ^Die Abgaben, v^elche in den See= | hafen von den Seeschiffen Oder deren Ladungen fur die Benutzung der Schiff= | fahrtsanstalten erhoben werden, diirfen die zur Unterhaltung und gewohnlichen | Herstellung dieser Anstalten erforderlichen Kosten nicht tibersteigen. ^Auf alien naturlichen WasserstraBen dtirfen Abgaben nur fiir die Benutzung | besonderer Anstalten, die zur Erleichterung des Verkehrs bestimmt sind, erhoben | werden. "^Diese Abgaben, sowie die Abgaben fiir die Befahrung solcher kunst= | lichen WasserstraBen, welche Staatseigenthum sind, dtirfen die zur Unterhaltung | und gewohnlichen Herstellung der Anstalten und Anlagen erforderlichen Kosten | nicht tibersteigen. ^Auf die FloBerei finden diese Bestimmungen insoweit Anwen= | dung, als dieselbe auf schiffbaren WasserstraBen betrieben wird. Auf fremde Schiffe oder deren Ladungen andere oder hohere Abgaben zu | legen, als von den Schiffen der Bundesstaaten oder deren Ladungen zu entrichten | sind, steht keinem Einzelstaate, sondem nur dem Reiche zu. Artikel 55. Die Flagge der Kriegs= und Handelsmarine ist schwarz=weiB=roth.

[136] Gesetz, betreffend die Verfassung des Deutschen Reichs vom 16. April 1871

1275

X. Konsulatwesen. Artikel 56. Das gesammte Konsulatwesen des Deutschen Reichs steht unter der Auf= | sicht des Kaisers, welcher die Konsuln, nach Vemehmung des Ausschusses des | Bundesrathes fur Handel und Verkehr, anstellt. ^In dem Amtsbezirk der Deutschen Konsuln dtirfen neue Landeskonsulate | nicht errichtet werden. "^Die Deutschen Konsuln liben fur die in ihrem Bezirk | nicht vertretenen Bundesstaaten die Funktionen eines Landeskonsuls aus. ^Die | sammtlichen bestehenden Landeskonsulate werden aufgehoben, sobald die Organisation | der Deutschen Konsulate dergestalt vollendet ist, daB die Vertretung der Einzelinteressen | aller Bundesstaaten als durch die Deutschen Konsulate gesichert von dem Bundes= | rathe anerkannt wird. XL Reichskriegswesen. Artikel 57. Jeder Deutsche ist wehrpflichtig und kann sich in Austibung dieser Pflicht | nicht vertreten lassen. [S. 80] Artikel 58. ^Die Kosten und Lasten des gesammten Kriegswesens des Reichs sind von | alien Bundesstaaten und ihren Angehorigen gleichmaBig zu tragen, so daB weder | Bevorzugungen, noch Pragravationen einzelner Staaten oder Klassen grundsatzlich | zulassig sind. ^Wo die gleiche Vertheilung der Lasten sich in natura nicht her= | stellen laBt, ohne die offentliche Wohlfahrt zu schadigen, ist die Ausgleichung nach | den Grundsatzen der Gerechtigkeit im Wege der Gesetzgebung festzustellen. Artikel 59. ^Jeder wehrfahige Deutsche gehort sieben Jahre lang, in der Regel vom | vollendeten 20. bis zum beginnenden 28. Lebensjahre, dem stehenden Heere | - und zwar die ersten drei Jahre bei den Fahnen, die letzten vier Jahre in der | Reserve - und die folgenden flinf Lebensjahre der Landwehr an. ^In den= | jenigen Bundesstaaten, in denen bisher eine langere als zwolfjahrige Gesammt= | dienstzeit gesetzlich war, fmdet die allmalige Herabsetzung der Verpflichtung nur | in dem MaaBe statt, als dies die Rticksicht auf die Kriegsbereitschaft des Reichs= | heeres zulaBt. In Bezug auf die Auswanderung der Reservisten sollen lediglich diejenigen | Bestimmungen maaBgebend sein, welche fur die Auswanderung der Landwehr= | manner gelten. Artikel 60. ^Die Friedens^Prasenzstarke des Deutschen Heeres wird bis zum 31. Dezem== | ber 1871. auf Ein Prozent der Bevolkerung von 1867. normirt, und wird pro | rata derselben von den einzelnen Bundesstaaten gestellt. "^Ftir die spatere Zeit wird | die Friedens=Prasenzstarke des Heeres im Wege der Reichsgesetzgebung festgestellt.

1276

§ 7: Deutscher Bund/Deutsches Reich (1870/71 - 1918)

[Dok. 129 - 147]

Artikel6L ^Nach Publikation dieser Verfassung ist in dem ganzen Reiche die ge= | sammte PreuBische Militairgesetzgebung ungesaumt einzufuhren, sowohl die Gesetze | selbst, als die zu ihrer Ausfuhrung, Erlautemng oder Erganzung erlassenen Re= | glements, Instmktionen und Reskripte, namentlich also das Militair=Strafgesetzbuch | vom 3. April 1845., die Militaii^Strafgerichtsordnung vom 3. April 1845., | die Verordnung liber die Ehrengerichte vom 20. Juli 1843., die Bestimmungen | tiber Aushebung, Dienstzeit, Servis= und Verpflegungswesen, Einquartierung, | Ersatz von Flurbeschadigungen, Mobilmachung u. s. w. fiir Krieg und Frieden. | ^Die Militair=Kirchenordnung ist jedoch ausgeschlossen. Nach gleichmaBiger Durchfuhrung der Kriegsorganisation des Deutschen | Heeres wird ein umfassendes Reichs=Militairgesetz dem Reichstage und dem Bundes= | rathe zur verfassungsmaBigen BeschluBfassung vorleget werden. Artikel 62. ^Zur Bestreitung des Aufwandes fur das gesammte Deutsche Heer und | die zu demselben gehorigen Einrichtungen sind bis zum 31. Dezember 1871. | [S. 81] dem Kaiser jahrlich sovielmal 225 Thaler, in Worten zweihundert funf und zwan= | zig Thaler, als die Kopfzahl der Friedensstarke des Heeres nach Artikel 60. be= | tragt, zur Verfiigung zu stellen. ^Vergl. Abschnitt XII. ^Nach dem 31. Dezember 1871. mtissen diese Betrage von den einzelnen | Staaten des Bundes zur Reichskasse fortgezahlt werden. "^Zur Berechnung | derselben wird die im Artikel 60. interimistisch festgestellte Friedens=Prasenzstarke | so lange festgehalten, bis sie durch ein Reichsgesetz abgeandert ist. Die Verausgabung dieser Summe fur das gesammte Reichsheer und | dessen Einrichtungen wird durch das Etatsgesetz festgestellt. Bei der Feststellung des Militair=Ausgabe=Etats wird die auf Gmnd= | lage dieser Verfassung gesetzlich feststehende Organisation des Reichsheeres zu | Grunde gelegt. Artikel 63. Die gesammte Landmacht des Reichs wird ein einheithches Heer bilden, | welches in Krieg und Frieden unter dem Befehle des Kaisers steht. ^Die Regimenter etc. fuhren fortlaufende Nummem durch das ganze Deutsche | Heer. ^Ftir die Bekleidung sind die Grundfarben und der Schnitt der Koniglich | PreuBischen Armee maaBgebend. ^Dem betreffenden Kontingentsherm bleibt es | tiberlassen, die auBeren Abzeichen (Kokarden etc.) zu bestimmen. ^Der Kaiser hat die Pflicht und das Recht, daflir Sorge zu tragen, daB | innerhalb des Deutschen Heeres alle Truppentheile vollzahlig und kriegstiichtig | vorhanden sind und daB Einheit in der Organisation und Formation, in Be= | waffhung und Kommando, in der Ausbildung der Mannschaften, sowie in der | Qualifikation der Offiziere hergestellt und erhalten wird. "^Zu diesem Behufe ist | der Kaiser berechtigt, sich jederzeit durch Inspektionen von der Verfassung der ein= | zelnen Kontingente zu tiberzeugen und die Abstellung der dabei vorgefundenen | Mangel anzuordnen. Der Kaiser bestimmt den Prasenzstand, die Gliedemng und Eintheilung | der Kontingente des Reichsheeres, sowie die Organisation der Landwehr, und hat | das Recht, innerhalb des Bundesgebietes die Gamisonen zu bestimmen, sowie die | kriegsbereite Aufstellung eines jeden Theils des Reichsheeres anzuordnen. Behufs Erhaltung der unentbehrlichen Einheit in der Administration, | Verpflegung, Bewaffaung und Ausriistung aller Truppentheile des Deutschen Heeres | sind die beziiglichen kunftig ergehenden Anordnungen fur die PreuBische Armee | den Kommandeuren der iibrigen Kontingente, durch den Artikel 8. Nr. 1. bezeich= | neten AusschuB fur das Landheer und die Festungen, zur Nachachtung in geeig= | neter Weise mitzutheilen.

[136] Gesetz, betreffend die Verfassung des Deutschen Reichs vom 16. April 1871

1277

Artikel 64. ^Alle Deutschen Truppen sind verpflichtet, den Befehlen des Kaisers unbe= | dingte Folge zu leisten. ^Diese Verpflichtung ist in den Fahneneid aufzunehmen. ^Der Hochstkommandirende eines Kontingents, sowie alle Offiziere, welche | Truppen mehr als eines Kontingents befehligen, und alle Festungskommandanten | werden von dem Kaiser emannt. ^Die von Demselben emannten Offiziere leisten | Ilim den Fahneneid. ^Bei Generalen und den Generalstellungen versehenden | [S. 82] Offizieren innerhalb des Kontingents ist die Emennung von der jedesmaligen | Zustimmung des Kaisers abhangig zu machen. Der Kaiser ist berechtigt, Behufs Versetzung mit oder ohne Beforderung | fur die von Ihm im Reichsdienste, sei es im PreuBischen Heere, oder in anderen | Kontingenten zu besetzenden Stellen aus den Offizieren aller Kontingente des | Reichsheeres zu wahlen. Artikel 65. Das Recht, Festungen innerhalb des Bundesgebietes anzulegen, steht dem | Kaiser zu, welcher die Bewilligung der dazu erforderlichen Mittel, soweit das | Ordinarium sie nicht gewahrt, nach Abschnitt XII. beantragt. Artikel 66. ^Wo nicht besondere Konventionen ein Anderes bestimmen, emennen die | Bundesfursten, beziehentlich die Senate die Offiziere ihrer Kontingente, mit der | Einschrankung des Artikels 64. "^Sie sind Chefs aller ihren Gebieten angehoren= | den Tmppentheile und genieBen die damit verbundenen Ehren. ^Sie haben na= | mentlich das Recht der Inspizirung zu jeder Zeit und erhalten, auBer den regel= | maBigen Rapporten und Meldungen tiber vorkommende Veranderungen, Behufs | der nothigen landesherrlichen Publikation, rechtzeitige Mittheilung von den die | betreffenden Tmppentheile beriihrenden Avancements und Ernennungen. Auch steht ihnen das Recht zu, zu polizeilichen Zwecken nicht bios ihre | eigenen Truppen zu verwenden, sondem auch alle anderen Tmppentheile des | Reichsheeres, welche in ihren Landergebieten dislocirt sind, zu requiriren. Artikel 67. Erspamisse an dem Militair=Etat fallen unter keinen Umstanden einer ein= | zelnen Regiemng, sondem jederzeit der Reichskasse zu. Artikel 68. ^Der Kaiser kann, wenn die offentliche Sicherheit in dem Bundesgebiete | bedroht ist, einen jeden Theil desselben in Kriegszustand erklaren. "^Bis zum | ErlaB eines die Voraussetzungen, die Form der Verktindigung und die Wirkungen | einer solchen Erklamng regelnden Reichsgesetzes gelten dafur die Vorschriften des | PreuBischen Gesetzes vom 4. Juni 1851. (Gesetz=Samml. fur 1851. S. 451 ff).

1278

§ 7: Deutscher Bund/Deutsches Reich (1870/71 - 1918)

[Dok. 129 - 147]

SchluBbestimmung zum XL Abschnitt. Die in diesem Abschnitt enthaltenen Vorschriften kommen in Bayem nach | naherer Bestimmung des BtindniBvertrages vom 23. November 1870.^ (Bundes= | gesetzbl. 1871. S. 9.) unter III. §. 5., in Wtirttemberg nach naherer Bestim= | mung der Militairkonvention vom 2L/25. November 1870.^ (Bundesgesetzbl. 1870. | S. 658.) zur Anwendung. [S. 83] XII. Reichsfinanzen. Artikel 69. ^Alle Einnahmen und Ausgaben des Reichs mtissen fur jedes Jahr ver= | anschlagt und auf den Reichshaushalts=Etat gebracht werden. '^Letzterer wird vor | Beginn des Etatsjahres nach folgenden Grundsatzen durch ein Gesetz festgestellt. Artikel 70. ^Zur Bestreitung aller gemeinschaftlichen Ausgaben dienen zunachst die | etwaigen Uberschiisse der Vorjahre, sowie die aus den Zollen, den gemeinschaft= | lichen Verbrauchssteuem und aus dem Post= und Telegraphenwesen flieBenden | gemeinschaftlichen Einnahmen. ^Insoweit dieselben durch diese Einnahmen nicht | gedeckt werden, sind sie, so lange Reichssteuem nicht eingefuhrt sind, durch Bei= | trage der einzelnen Bundesstaaten nach MaaBgabe ihrer Bevolkerung aufzubringen, | welche bis zur Hohe des budgetmaBigen Betrages durch den Reichskanzler aus= | geschrieben werden. Artikel 71. Die gemeinschaftlichen Ausgaben werden in der Regel fur ein Jahr be= | willigt, konnen jedoch in besonderen Fallen auch fur eine langere Dauer be= | willigt werden. Wahrend der im Artikel 60. normirten Ubergangszeit ist der nach Titeln | geordnete Etat tiber die Ausgaben fur das Heer dem Bundesrathe und dem | Reichstage nur zur KenntniBnahme und zur Erinnerung vorzulegen. Artikel 72. Uber die Verwendung aller Einnahmen des Reichs ist durch den Reichs= | kanzler dem Bundesrathe und dem Reichstage zur Entlastung jahrlich Rechnung | zu legen. Artikel 73. In Fallen eines auBerordentlichen Bediirfnisses kann im Wege der Reichs= | gesetzgebung die Aufnahme einer Anleihe, sowie die Ubemahme einer Garantie | zu Lasten des Bundes erfolgen. SchluBbestimmung zum XII. Abschnitt. Auf die Ausgaben fur das Bayerische Heer finden die Artikel 69. und 71. | nur nach MaBgabe der in der SchluBbestimmung zum XL Abschnitt erwahnten | Bestimmungen des Vertrages vom 23. November 1870.^ und der Artikel 72. | nur insoweit Anwendung, als dem Bundesrathe und dem Reichstage die Ueber= | weisung der fur das Bayerische Heer erforderliche Summe an Bayem nach= | zuweisen ist.

Dok. 130. Dok. 131/2. Dok. 130.

[136] Gesetz, betreffend die Verfassung des Deutschen Reichs vom 16. April 1871

1279

fS. 84] XIII. Schlichtung von Streitigkeiten und Strafbestimmungen. Artikel 74. Jedes Untemehmen gegen die Existenz, die Integritat, die Sicherheit oder | die Verfassung des Deutschen Reichs, endlich die Beleidigung des Bundes= | rathes, des Reichstages, eines Mitgliedes des Bundesrathes oder des Reichstages, | einer Behorde oder eines offentlichen Beamten des Reichs, wahrend dieselben in | der Austibung ihres Berufes begriffen sind oder in Beziehung auf ihren Beruf, | durch Wort, Schrift, Druck, Zeichen, bildliche oder andere Darstellung, werden | in den einzelnen Bundesstaaten beurtheilt und bestraft nach MaaBgabe der in den | letzteren bestehenden oder ktinftig in Wirksamkeit tretenden Gesetze, nach welchen | eine gleiche gegen den einzelnen Bundesstaat, seine Verfassung, seine Kammem | oder Stande, seine Kammer= oder Standemitglieder, seine Behorden und Beamten | begangene Handlung zu richten ware. Artikel 75. Ftir diejenigen in Artikel 74. bezeichneten Untemehmungen gegen das | Deutsche Reich, welche, wenn gegen einen der einzelnen Bundesstaaten gerichtet, | als Hochverrath oder Landesverrath zu qualifiziren waren, ist das gemeinschaft= | liche Ober= Appellationsgericht der drei freien und Hansestadte in Ltibeck die zu= | standige Spruchbehorde in erster und letzter Instanz. ^Die naheren Bestimmungen liber die Zustandigkeit und das Verfahren des | Ober= Appellationsgerichts erfolgen im Wege der Reichsgesetzgebung. ^Bis zum | Erlasse eines Reichsgesetzes bewendet es bei der seitherigen Zustandigkeit der Ge= | richte in den einzelnen Bundesstaaten und den auf das Verfahren dieser Gerichte | sich beziehenden Bestimmungen. Artikel 76. Streitigkeiten zwischen verschiedenen Bundesstaaten, sofem dieselben nicht | privatrechtlicher Natur und daher von den kompetenten Gerichtsbehorden zu ent= | scheiden sind, werden auf Anrufen des einen Theils von dem Bundesrathe erledigt. Verfassungsstreitigkeiten in solchen Bundesstaaten, in deren Verfassung nicht | eine Behorde zur Entscheidung solcher Streitigkeiten bestimmt ist, hat auf An= | rufen eines Theiles der Bundesrath gtitlich auszugleichen oder, wenn das nicht | gelingt, im Wege der Reichsgesetzgebung zur Erledigung zu bringen. Artikel 77. Wenn in einem Bundesstaate der Fall einer Justizverweigerung eintritt, | und auf gesetzlichen Wegen ausreichende Htilfe nicht erlangt werden kann, so | liegt dem Bundesrathe ob, erwiesene, nach der Verfassung und den bestehenden | Gesetzen des betreffenden Bundesstaates zu beurtheilende Beschwerden liber ver= | [S. 85] weigerte oder gehemmte Rechtspflege anzunehmen, und darauf die gerichtliche | Hlilfe bei der Bundesregierung, die zu der Beschwerde AnlaB gegeben hat, zu | bewirken.

1280

§ 7: Deutscher Bund/Deutsches Reich (1870/71 - 1918)

[Dok. 129 - 147]

XIV. Allgemeine Bestimmungen. Artikel 78. Verandemngen der Verfassung erfolgen im Wege der Gesetzgebung. "^Sie | gelten als abgelehnt, wenn sie im Bundesrathe 14 Stimmen gegen sich haben. Diejenigen Vorschriften der Reichsverfassung, durch welche bestimmte Rechte | einzelner Bundesstaaten in deren VerhaltniB zur Gesammtheit festgestellt sind, | konnen nur mit Zustimmung des berechtigten Bundesstaates abgeandert werden.

[136/1] Gesetz, betreffend die Abanderung des Artikels 28 der Reichsverfassung, vom 24. Februar 1873 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einfuhrungen" die Darstellungen unter [540.] [543.]. Quelle: Reichs-Gesetzblatt, (Nr. 6 vom 27. Februar) 1873, S. 45 (gedmckt). [S. 45] (Nr. 909.) Gesetz, betreffend die Abanderung des Artikels 28 der Reichsverfassung. Vom | 24. Februar 1873. Wir Wilhelm, von Gottes Gnaden Deutscher Kaiser, Konig | von PreuBen etc. verordnen im Namen des Deutschen Reichs, nach erfolgter Zustimmung des | Bundesrathes und des Reichstages, was folgt: Einziger Artikel. Der Absatz 2 des Artikels 28 der Reichsverfassung ist aufgehoben. Urkundlich unter Unserer Hochsteigenhandigen Unterschrift und beigedmcktem | Kaiserlichen Insiegel. Gegeben Berlin, den 24. Februar 1873. (L. S.) Wilhelm. Ftirst V. Bismarck.

[136/2] Gesetz, betreffend einen Zusatz zu dem Artikel 4 Nr. 9 der Reichsverfassung, vom 3. IVIarz 1873 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einflihrungen" die Darstellungen unter [494.] [543.]. Quelle: Reichs-Gesetzblatt, (Nr. 7 vom 7. Marz) 1873, S. 47 (gedmckt). [S. 47] (Nr. 911.) Gesetz, betreffend einen Zusatz zu dem Artikel 4 Nr. 9 der Reichsverfassung. | Vom 3. Marz 1873. Wir Wilhelm, von Gottes Gnaden Deutscher Kaiser, Konig | von PreuBen etc. verordnen im Namen des Deutschen Reichs, nach erfolgter Zustimmung des | Bundesrathes und des Reichstages, was folgt: Einziger Paragraph. Im Artikel 4 der Reichsverfassung ist der Nr. 9 hinzuzufiigen: desgleichen die Seeschifffahrtszeichen (Leuchtfeuer, Tonnen, Baken und 1 sonstige Tagesmarken).

[136/4] Art. I des Gesetzes vom 11. Februar 1888

1281

Urkundlich unter Unserer Hochsteigenhandigen Unterschrift und beigedrucktem | Kaiserlichen Insiegel. Gegeben Berlin, den 3. Marz 1873. (L. S.) Wilhelm. Fiirst V. Bismarck.

[136/3] Gesetz, betreffend die Abanderung der Nr. 13 des Artikels 4 der Verfassung des Deutschen Reichs, vom 20. Dezember 1873 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einfiihrungen" die Darstellungen unter [498.] [543.]. Quelle: Reichs-Gesetzblatt, (Nr. 34 vom 29. Dezember) 1873, S. 379 (gedmckt). [S. 379] (Nr. 978.) Gesetz, betreffend die Abanderung derNr. 13 des Artikels 4 der Verfassung des | Deutschen Reichs. Vom 20. Dezember 1873. Wir Wilhelm, von Gottes Gnaden Deutscher Kaiser, Konig | von PreuBen etc. | verordnen im Namen des Deutschen Reichs, nach erfolgter Zustimmung des | Bundesraths und des Reichstages, was folgt: Einziger Paragraph. An die Stelle der Nr. 13 des Artikels 4 der Verfassung des Deutschen | Reichs tritt die nachfolgende Bestimmung: Die gemeinsame Gesetzgebung tiber das gesammte btirgerliche Recht, | das Strafrecht und das gerichtliche Verfahren. Urkundlich unter Unserer Hochsteigenhandigen Unterschrift und beigedrucktem | Kaiserlichen Insiegel. Gegeben Berlin, den 20. Dezember 1873. (L. S.) Wilhelm. Ftirst V. Bismarck.

[136/4] Art. I des Gesetzes, betreffend Aenderungen der Wehrpflicht, vom 11. Februar 1888 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einfiihrungen" die Darstellungen unter [503.] [543.] [544.]. Quelle: Reichs-Gesetzblatt, (Nr. 4 vom 14. Februar) 1888, S. 11 - 21 (gedmckt). [S. 11] (Nr. 1767.) Gesetz, betreffend Aenderungen der Wehrpflicht. Vom 11. Februar 1888. Wir Wilhelm, von Gottes Gnaden Deutscher Kaiser, Konig | von PreuBen etc. | verordnen im Namen des Deutschen Reichs, nach erfolgter Zustimmung des Bundesraths | und des Reichstages, was folgt:

1282

§ 7: Deutscher Bund/Deutsches Reich (1870/71 - 1918)

[Dok. 129 - 147]

Artikel I. Der erste Satz des Artikels 59. der Verfassung des Deutschen Reichs vom | 16. April 1871 (Bundes=Gesetzbl. 1871 Nr. 16) erhalt folgende Fassung: Jeder wehrfahige Deutsche gehort sieben Jahre lang, in der Regel | vom vollendeten zwanzigsten bis zum beginnenden achtundzwanzigsten | Lebensjahre, dem stehenden Heere - und zwar die ersten drei Jahre bei den Fahnen, die letzten vier Jahre | in der Reserve - , die folgenden | fiinf Lebensjahre der Landwehr ersten Aufgebots und sodann bis zum | 31. Marz desjenigen Kalenderjahres, in welchem das neununddreiBigste I Lebensjahr vollendet wird, der Landwehr zweiten Aufgebots an. Artikel II. ...[S.21]

Ftinfter Abschnitt. | Schlussbestimmungen. §. 35. Dieses Gesetz tritt mit dem Tage seiner Verktindung in Kraft. Zu dem gleichen Zeitpunkte treten alle demselben entgegenstehenden Bestim= | mungen, insbesondere der letzte Absatz des §.3, der §.13 Nr. 7b und 8 und | der §.16 des Gesetzes, betreffend die Verpflichtung zum Kriegsdienste, vom | 9. November 1867 (Bundes=Gesetzbl. 1867 S. 131), die §§. 23 bis 29 und | §. 69 des Reichs=Militargesetzes vom 2. Mai 1874 (Reichs=Gesetzbl, 1874 S. 45), | das Gesetz tiber den Landsturm vom 12. Februar 1875 (Reichs-Gesetzbl. 1875 | S. 63), der Artikel I §. 3 des Gesetzes, betreffend Erganzungen und Aenderungen | des Reichs=Militargesetzes vom 2. Mai 1874, vom 6. Mai 1880 (Reichs=Gesetz-bl. | 1880 S. 103), auBer Kraft. §. 36. Die Ausftihrungsbestimmungen zu diesem Gesetze erlaBt der Kaiser. §• 37. Gegenwartiges Gesetz kommt in Bayem nach naherer Bestimmung des | BtindniBvertrages vom 23. November 1870 (Bundes^Gesetzbl. 1871 S. 9) | unter III §. 5, in Wtirttemberg nach naherer Bestimmung der Militarkonvention | vom 21./25. November 1870 (Bundes=Gesetzbl. 1870 S. 658) zur Anw^endung. Urkundlich unter Unserer Hochsteigenhandigen Unterschrift und beigedrucktem Kaiserlichen Insiegel. Gegeben Berlin, den 11. Februar 1888. (L. S.) Wilhelm. Flirst V. Bismarck.

[136/6] Gesetz, betreffend die Ersatzvertheilung, vom 25. Mai 1893

1283

[136/5] Gesetz, betreffend die Abanderung des Artikels 24 der Reichsverfassung, vom 19. Marz 1888 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einfiihrungen" die Darstellungen unter [516.] [543.]. Quelle: Reichs-Gesetzblatt, (Nr. 13 vom 26. Marz) 1888, S. 110 (gedmckt). [S. 110] (Nr. 1783.) Gesetz, betreffend die Abanderung des Artikels 24 der Reichsverfassung. Vom | 19. Marz 1888. Wir Wilhelm, von Gottes Gnaden Deutscher Kaiser, Konig | von PreuBen etc. | verordnen im Namen des Deutschen Reichs, nach erfolgter Zustimmung des Bundesraths | und des Reichstages, was folgt:

An die Stelle des Artikels 24 der Reichsverfassung tritt folgende Bestimmung: Artikel 24. Die Legislaturperiode des Reichstags dauert fiinf Jahre. Zur | Auflosung des Reichstags wahrend derselben ist ein BeschluB des Bundes= | raths unter Zustimmung des Kaisers erforderlich. §.2. Dieses Gesetz tritt mit Ablauf der gegenwartigen Legislaturperiode des | Reichstags in Kraft. Urkundlich unter Unserer Hochsteigenhandigen Unterschrift und beigedmcktem | Kaiserlichen Insiegel. Gegeben Charlottenburg, den 19. Marz 1888. (L. S.) Friedrich. von Boetticher.

[136/6] Gesetz, betreffend die Ersatzvertheilung, vom 25. Mai 1893 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einfiihrungen" die Darstellungen unter [503.] [543.] [545.]. Quelle: Reichs-Gesetzblatt, (Nr. 20 vom 29. Mai) 1893,S. 185-186 (gedmckt). [S. 185] (Nr. 2103.) Gesetz, betreffend die Ersatzvertheilung. Vom 26. Mai 1893. Wir Wilhelm, von Gottes Gnaden Deutscher Kaiser, Konig | von PreuBen etc. | verordnen im Namen des Deutschen Reichs, nach erfolgter Zustimmung des Bundesraths | und des Reichstages, v^as folgt:

1284

§ 7: Deutscher Bund/Deutsches Reich (1870/71 - 1918)

[Dok. 129 - 147]

Artikel I. Der Artikel 53 der Reichsverfassung erhalt folgende Fassung: Artikel 53. Die Kriegsmarine des Reichs ist eine einheitliche unter dem Ober= | befehl des Kaisers. Die Organisation und Zusammensetzung derselben | liegt dem Kaiser ob, welcher die Offiziere und Beamten der Marine | emennt, und fur welchen dieselben neb St den Mannschaften eidlich in | Pflicht zu nehmen sind. Der Kieler Hafen und der Jadehafen sind Reichskriegshafen. Der zur Griindung und Erhaltung der Kriegsflotte und der | damit zusammenhangenden Anstalten erforderliche Aufwand wird aus | der Reichskasse bestritten. Die gesammte seemannische Bevolkerung des Reichs, einschlieBlich | des Maschinenpersonals und der Schiffshandwerker, ist vom Dienste | im Landheere befreit, dagegen zum Dienste in der kaiserlichen Marine | verpflichtet. Artikel II. §.1. Der Kaiser bestimmt fur jedes Jahr die Zahl der in das Heer und in die | Marine einzustellenden Rekruten. Der Gesammtbedarf an Rekruten wird fur das unter preuBischer Ver= | waltung stehende Reichs=Militarkontigent durch das preuBische Kriegsministerium, | [S. 186] fiir die tibrigen Reichs=Militarkontingente durch die betreffenden Kriegsministerien | auf die Armeekorps=Bezirke vertheilt, und zwar nach dem VerhaltniB der im | laufenden Jahre in diesen Bezirken vorhandenen, zur Einstellung in den aktiven | Dienst tauglichen Militarpflichtigen ausschlieBlich derjenigen der seemannischen | Bevolkerung. ^Die Vertheilung des Ersatzbedarfs fiir die Marine findet durch das preuBische | Kriegsministerium nach MaBgabe der vorhandenen, zur Einstellung in den aktiven | Dienst tauglichen Militarpflichtigen der seemannischen Bevolkerung statt. ^Beim | Mangel an Ersatzmannschaften der seemannischen Bevolkerung wird der Bedarf | durch Hintibergreifen auf geeignete Militarpflichtige der Landbevolkemng unter | Zurechnung zu den fiir das Landheer aufzubringenden Rekruten gedeckt. Vermag ein Armeekorps=Bezirk seinen Rekrutenantheil nicht aufzubringen, so | wird der Ausfall auf die anderen Armeekorps=Bezirke dessen Reichs=Militar= | kontingents nach MaBgabe der vorhandenen Ueberzahligen vertheilt. ^Die unter selbstandiger Militarverwaltung stehenden Armeekorps=Bezirke | konnen im Bedarfsfall im Frieden zur Rekrutengestellung fur Armeekorps anderer | Reichs=Militarkontingente nur in dem MaBe herangezogen werden, als Angehorige | der betreffenden Kontingente bei ihnen in GemaBheit des §.12 des Reichs=Militar= | gesetzes vom 2. Mai 1874 in der Fassung des Gesetzes vom 6. Mai 1880 (Reichs= | Gesetzbl. S. 103) zur Aushebung gelangen. ^Beziiglichen Ausgleich regeln die | Kriegsministerien unter einander. Ftir die Zutheilung der auszuhebenden Rekruten an die Gruppen des Reichs= | heeres ist im Uebrigen das militarische BediirfiniB maBgebend.

[136/7] Gesetz, betreffend Anderangen im Finanzwesen ..., vom 14. Mai 1904

1285

§•2. Dieses Gesetz tritt mit dem Tage der Verkiindigung in Kraft. Zu demselben Zeitpunkte treten der der §. 9 des Gesetzes, betreffend die Ver= | pflichtung zum Kriegsdienste, vom 9. November 1867 (Bundes==Gesetzbl. S. 131 ff.) | und der §. 9 des Reichs=Militargesetzes vom 2. Mai 1874 (Reichs=^Gesetzbl. | S. 45 ff) auBer Kraft. §•3. Die Ausfahrungsbestimmungen zu diesem Gesetze erlaBt der Kaiser. §•4. Gegenwartiges Gesetz kommt in Bayem nach naherer Bestimmung des | BtindniBvertrages vom 23. November 1870 (Bundesgesetzbl. 1871 S. 9) | unter III §. 5, in Wtirttemberg nach naherer Bestimmung der Militarkonvention | vom 21./25. November 1870 Bundes=Gesetzbl. 1870 S. 658) zur Anwendung. Urkundlich unter Unserer Hochsteigenhandigen Unterschrift und beigedrucktem | Kaiserlichen Insiegel. Gegeben Prokelwitz, den 26. Mai 1893. (L. S.) Wilhelm. von Boetticher.

[136/7] Gesetz, betreffend Anderungen im Finanzwesen des Reichs, vom 14. Mai 1904 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einfiihrungen" die Darstellungen unter [533.] [543.]. Quelle: Reichs-Gesetzblatt, (Nr. 22 vom 19. Mai) 1904, S. 169 - 170 (gedruckt). [S. 169] (Nr. 3041.) Gesetz, betreffend Anderungen im Finanzwesen des Reichs. Vom 14. Mai 1904. Wir Wilhelm, von Gottes Gnaden Deutscher Kaiser, Konig | von PreuBen etc. | verordnen im Namen des Deutschen Reichs, nach erfolgter Zustimmung des Bundesrats | und des Reichstags, was folgt: .. § 1Die Vorschrift iiber die Uberweisung eines Teiles des Ertrags der Zolle | und der Tabaksteuer an die Bundesstaaten (§ 8 des durch die Bekanntmachung | vom 24. Mai 1885, Reichs=Gesetzbl. S. I l l , veroffentlichtenZolltarifgesetzes) | wirdaufgehoben. Der Reinertrag der Maischbottich= und Branntweinsteuer ist den | einzelnen Bundesstaaten nach MaBgabe der matrikularmaBigen Bevolkerung, mit | welcher sie zum Gebiete der Branntweinsteuergemeinschaft gehoren, zu tiberweisen.

1286

§ 7: Deutscher Bund/Deutsches Reich (1870/71 - 1918)

[Dok. 129 - 147]

§2. Artikel 70 der Verfassung erhalt folgende Fassung: Artikel 70 Zur Bestreitung aller gemeinschaftlichen Ausgaben dienen zunachst | die aus den Zollen und gemeinsamen Steuem, aus dem Eisenbahn=, | Post= und Telegraphenwesen sowie aus den tibrigen Verwaltungs= | zweigen flieBenden gemeinschaftlichen Einnahmen. Insoweit die Aus= | gaben durch diese Einnahmen nicht gedeckt werden, sind sie durch | Beitrage der einzelnen Bundesstaaten nach MaBgabe ilirer Bevolkemng | aufzubringen, welche in Hohe des budgetmaBigen Betrags durch den I Reichskanzler ausgeschrieben werden. Insoweit diese Beitrage in den | Uberweisungen keine Deckung finden, sind sie den Bundesstaaten am | [S. 170] JahresschluB in dem MaBe zu erstatten, als die tibrigen ordentlichen | Einnahmen des Reichs dessen Bedarf tibersteigen. Etwaige Uberschiisse aus den Vorjahren dienen, insoweit durch | das Gesetz liber den Reichshaushalts=Etat nicht ein anderes bestimmt | wird, zur Deckung gemeinschaftlicher auBerordentlicher Ausgaben. §.3. Dieses Gesetz tritt mit Wirkung vom 1. April 1904 in Kraft. Urkundlich unter Unserer Hochsteigenhandigen Unterschrift und beigedrucktem | Kaiserlichen Insiegel. Gegeben Metz, den 14. Mai 1904. (L. S.) Wilhelm. Graf von Biilow.

[136/8] Gesetz, betreffend Anderung der Wehrpflicht, vom 15. April 1905 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einfuhrungen" die Darstellungen unter [503.] [543.] [544.]. Quelle: Reichs-Gesetzblatt, (Nr. 16 vom 25. April) 1905, S. 249 - 250 (gedmckt). [S. 249] (Nr. 3125.) Gesetz, betreffend Anderung der Wehrpflicht. Vom 15. April 1905. Wir Wilhelm, von Gottes Gnaden Deutscher Kaiser, Konig | von PreuBen etc. | verordnen im Namen des Reichs, nach erfolgter Zustimmung des Bundesrats | und des Reichstags, was folgt: Artikel I. An die Stelle des ersten Absatzes des Artikel 59 der Verfassung des | Deutschen Reichs vom 16. April 1871 (Bundes=Gesetzbl. 1871 Nr. 16) tritt | folgendes: Jeder wehrfahige Deutsche gehort sieben Jahre lang, in der Regel | vom vollendeten zwanzigsten bis zum beginnenden achtundzwanzigsten | Lebensjahre, dem stehenden Heere, die folgenden flinf Lebensjahre der | Landwehr ersten Aufgebots und sodann bis zum 31. Marz des Kalender= | jahrs, in welchem das neununddreiBigste Lebensjahr vollendet wird, | der Landwehr zweiten Aufgebots an.

[136/8] Gesetz, betreffend Anderung der Wehrpflicht, vom 15. April 1905

1287

Wahrend der Dauer der Dienstpflicht im stehenden Heere sind | die Mannschaften der Kavallerie und reitenden Feldartillerie die ersten | drei, alle tibrigen Mannschaften die ersten zwei Jahre zum ununter= | brochenen Dienste bei den Fahnen verpflichtet. Art. IL §1. ^Im Falle nothwendiger Verstarkungen konnen auf Anordnung des Kaisers | die nach der Bestimmung des Artikel 1 letzter Absatz zu entlassenden Mannschaften | im aktiven Dienst zurtickbehalten werden. '^Eine solche Zuriickbehaltung zahlt fiir | eine Ubung in sinngemaBer Anwendung des letzten Absatzes des § 6 des Gesetzes, | betreffend die Verpflichtung zum Kriegsdienste, vom 9. November 1867 (Bundes= | Gesetzbl. 1867 S. 131). §2. Mannschaften der FuBtruppen, der fahrenden Feldartillerie und des Trains, | welche freiwillig, und Mannschaften der Kavallerie und reitenden Feldartillerie, | welche gemaB ihrer Dienstverpflichtung im stehenden Heere drei Jahre aktiv gedient | haben, dienen in der Landwehr ersten Aufgebots nur drei Jahre. §.3. Mannschaften der Landwehrinfanterie konnen wahrend der Dienstzeit in der | Landwehr ersten Aufgebots zweimal zu Ubungen in besonderen, aus Mannschaften | des Beurlaubtenstandes gebildeten Formationen auf acht bis vierzehn Tage, vom | Tage des Eintreffens beim Truppenteil an gerechnet, einberufen werden. Die Landwehrkavallerie wird im Frieden zu Ubungen nicht herangezogen. [S. 250] Die Landwehrmannschaften aller tibrigen Waffengattungen tiben in dem= | selben Umfange wie die der Infanterie in besonderen Formationen oder im An= | schluB an die betreffenden Linientruppenteile. §4. Die Zeit fur die Ubungen der Personen des Beurlaubtenstandes ist unter | moglichster Beriicksichtigung der Interessen der biirgerlichen Berufskreise, namentlich | der Emteverhaltnisse, festzusetzen. Artikel III. §5. Dieses Gesetz tritt mit dem 1. April 1905 in Kraft. Zu dem gleichen Zeitpunkte treten die Bestimmungen im § 6 Abs. 2 und | im § 7 Abs. 4 und 5 des Gesetzes, betreffend die Verpflichtung zum Kriegsdienste, | vom 9. November 1867, sowie im Artikel I des Gesetzes betreffend Andemngen | der Wehrpflicht, vom 11. Februar 1888 auBer Kraft.

1288

§ 7: Deutscher Bund/Deutsches Reich (1870/71 - 1918)

[Dok. 129 - 147]

§.6. Gegenwartiges Gesetz kommt in Bayem nach naherer Bestimmung des | Btindnisvertrags vom 23. November 1870 (Bundes=Gesetzbl. 1871 S. 9) | unter III. §. 5, in Wtirttemberg nach naherer Bestimmung der Militarkonvention | vom 21./25. November 1870 (Bundes=Gesetzbl. 1870 S. 658) zur Anwendung. Urkundlich unter Unserer Hochsteigenhandigen Unterschrift und beigedmcktem | Kaiserlichen Insiegel. Gegeben Taormina, den 15. April 1905. (L. S.) Wilhelm. Graf von Posadowsky.

[136/9] Gesetz, betreffend die Anderung des Artikels 32 der Reichsverfassung, vom 21. Mai 1906 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einfuhrungen" die Darstellungen unter [518.] [543.]. Quelle: Reichs-Gesetzblatt, (Nr. 25 vom 25. Mai) 1906, S. 467 (gedruckt). [S. 467] (Nr. 3235.) Gesetz, betreffend die Anderung des Artikels 32 der Reichsverfassung. Vom | 21. Mai 1906. Wir Wilhelm, von Gottes Gnaden Deutscher Kaiser, Konig | von PreuBen etc. | verordnen im Namen des Deutschen Reichs, nach erfolgter Zustimmung des Bundesrats | und des Reichstages, was folgt: §.1. An Stelle des Artikels 32 der Reichsverfassung treten folgende Vorschriften: Die Mitglieder des Reichstags dtirfen als solche keine Besoldung | beziehen. Sie erhalten eine Entschadigung nach MaBgabe des Gesetzes. §.2. Dieses Gesetz tritt mit dem Tage seiner Verktindung in Kraft. Urkundlich unter Unserer Hochsteigenhandigen Unterschrift und beigedmcktem | Kaiserlichen Insiegel. Gegeben Neues Palais, den 21. Mai 1906. (L. S.) Wilhelm. Graf von Posadowsky.

[136/11] Gesetz liber die Verfassung ElsaB-Lothringens vom 31. Mai 1911 1289

[136/10] § 5 des Gesetzes, betreffend die Ordnung des Reichshaushalts und die Tilgung der Reichsschuld, vom 3. Juni 1906 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einfuhrungen" die Darstellungen unter [480.] [534.] [543.]. Quelle: Reichs-Gesetzblatt, (Nr. 31 vom 11. Juni) 1906, S. 620 - 622 (gedmckt). [S. 620] (Nr. 3248.) Gesetz, betreffend die Ordnung des Reichshaushalts und die Tilgung der Reichs= | schuld. Vom 3. Juni 1906. Wir Wilhelm, von Gottes Gnaden Deutscher Kaiser, Konig | von PreuBen etc. | verordnen im Namen des Deutschen Reichs, nach erfolgter Zustimmung des Bundesrats | und des Reichstages, was folgt: ...[S. 621] . .. §5. Erhebungs= und Verwaltungskosten der Brausteuer. ^Die Vorschrift des Artikels 38 Abs. 2 Ziffer 3 d der Reichsverfassung wird | in Anlehnung der Brausteuer aufgehoben. "^Die den Bundesstaaten zu gewahrende | Vergutung der Erhebungs= und Verwaltungskosten der Brausteuer wird durch | den Bundesrat festgelegt. ...[S. 622] . .. §.8. Dieses Gesetz tritt hinsichtlich der Vorschriften liber die Besteuerung der | Personenfahrkarten mit dem 1. August 1906, im tibrigen mit dem 1. Juli 1906 | in Kraft. Urkundlich unter Unserer Hochsteigenhandigen Unterschrift und beigedrucktem | Kaiserlichen Insiegel. Gegeben Neues Palais, den 3. Juni 1906. (L. S.) Wilhelm. Ftirst von Biilow.^

[136/11] Gesetz iiber die Verfassung ElsaR-Lothringens vom 31. Mai 1911 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einfahmngen" die Darstellungen unter [543.] [547.]. Quelle: Reichs-Gesetzblatt, (Nr. 29 vom 6. Juni) 1911, S. 225 - 233 (gedmckt). [S. 225] (Nr. 3897.) Gesetz tiber die Verfassung ElsaB=Lothringens. Vom 31. Mai 1911. Wir Wilhelm, von Gottes Gnaden Deutscher Kaiser, Konig | von PreuBen etc. | verordnen im Namen des Deutschen Reichs, nach erfolgter Zustimmung des Bundesrats | und des Reichstages, was folgt:

Auf den Abdruck der sich anschlieBenden Beilagenl - 4 (Gesetze wegen Anderung des Brausteuergesetzes, wegen Besteuerung der Zigaretten, wegen Anderung des Reichsstempelgesetzes und wegen Besteuerung der Erbschaften) wurde ebenfalls verzichtet.

1290

§ 7: Deutscher Bund/Deutsches Reich (1870/71 - 1918)

[Dok. 129 - 147]

Artikel I. In die Reichsverfassung wird als Artikel 6a folgende Vorschrift eingestellt: ElsaB==Lothringen fiihrt im Bundesrate drei Stimmen, solange die Vor= | schriften im Artikel II § 1, § 2 Abs. 1 und 3 des Gesetzes tiber die Verfassung | ElsaB=Lothringens vom 31. Mai 1911 in Kraft sind. Die elsaB^lothringischen Stimmen werden nicht gezahlt, wenn die Prasidial= | stimme nur durch den Hinzutritt dieser Stimmen die Mehrheit fur sich erlangen | Oder im Sinne des Artikel 7 Abs. 3 Satz 3 den Ausschlag geben wtirde. Das | Gleiche gilt bei der BeschluBfassung tiber Andemngen der Verfassung. ElsaB=Lothringen gilt im Sinne des Artikel 6 Abs. 2 und der Artikel 7 | und 8 als Bundesstaat. Artikel II. ElsaB=Lothringen erhalt folgende Verfassung: .,.^[3.233]...

Artikel III. ^Dieses Gesetz tritt hinsichtlich der Bestimmungen iiber die Bildung des | Landtags (Artikel II § 6 Abs. 1, 2, § 7, § 8 Abs. 2, § 9) mit dem Tage | seiner Verktindung, im tibrigen an einem durch Kaiserliche Verordnung fest= | zusetzenden Tage, spatestens am 1. Januar 1912 in Kraft. "^Es kann nur durch | Reichsgesetz aufgehoben werden. Urkundlich unter Unserer Hochsteigenhandigen Unterschrift und beigedmcktem | Kaiserlichen Insiegel. Gegeben Neues Palais, den 31. Mai 1911. (L. S.) Wilhelm. von Bethmann Hollweg.

[136/12] Art. I des Gesetzes, betreffend den Ausbau der deutschen WasserstraRen und die Erhebung von Schiffahrtsabgaben, vom 24. Dezember 1911 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einfiihrungen" die Darstellungen unter [543.] [552.]. Quelle: Reichs-Gesetzblatt, (Nr. 72 vom 30. Dezember) 1911, S. 1137 - 1149 (gedruckt). [S. 1137] (Nr. 3995.) Gesetz, betreffend den Ausbau der deutschen WasserstraBen und die Erhebung | von Schiffahrtsabgaben. Vom 24. Dezember 1911. Wir Wilhelm, von Gottes Gnaden Deutscher Kaiser, Konig | von PreuBen etc. | verordnen im Namen des Deutschen Reichs, nach erfolgter Zustimmung des Bundesrats | und des Reichstages, was folgt:

Der Text der Verfassung findet sich in dem ElsaB-Lothringen gewidmeten Abschnitt.

[136/13] Gesetz tiber Verlangemng der Legislaturperiode ... vom 16. Oktober 1916

1291

Artikel I. ^Im Artikel 54 der Reichsverfassung wird der Abs. 3 Satz 2 gestrichen. | ^Anstatt des Abs. 4 werden folgende Absatze eingertickt: „Auf naturlichen WasserstraBen dtirfen Abgaben nur fiir solche | Anstalten (Werke und Einrichtungen) erhoben werden, die zur Erleich= | terung des Verkehrs bestimmt sind. Sie dtirfen bei staatlichen und | kommunalen Anstalten die zur Herstellung und Unterhaltung erforder= | lichen Kosten nicht tibersteigen. Die Herstellungs= und Unterhaltungs= | kosten fur Anstalten, die nicht nur zur Erleichtemng des Verkehrs, | sondem auch zur Forderung anderer Zwecke und Interessen bestimmt I sind, dtirfen nur zu einem verhaltnismaBigen Anteil durch Schiffahrts= | abgaben aufgebracht werden. Als Kosten der Herstellung gelten die | Zinsen und Tilgungsbetrage far die aufgewendeten Kapitalien. Die Vorschriften des Abs. 4 finden auch Anwendung auf die | Abgaben, die fiir ktinstliche WasserstraBen und fur Anstalten an solchen | sowie in Hafen erhoben werden. [S. 1138] Der Bemessung von Befahrungsabgaben konnen im Bereich der | Binnenschiffahrt die Gesamtkosten fur eine WasserstraBe, ein Strom= | gebiet oder ein WasserstraBennetz zu Grunde gelegt werden. Auf die FloBerei finden diese Bestimmungen insoweit Anwendung, | als sie auf schiffbaren WasserstraBen betrieben wird." Art. II. ...[S. 1149] . .. Artikel VII. Der Zeitpunkt, mit dem dieses Gesetz in Kraft tritt, wird durch Kaiserliche | Verordnung mit Zustimmung des Bundesrats festgesetzt. Dieser Zeitpunkt kann hinsichtlich der Bestimmungen des Artikel II ab= | weichend von dem Abs. 1 gewahlten Zeitpunkt und fur die einzelnen Strom= | gebiete verschieden festgesetzt werden. Urkundlich unter Unserer Hochsteigenhandigen Unterschrift und beigedrucktem | Kaiserlichen Insiegel. Gegeben Neues Palais, Heiligabend, den 24. Dezember 1911. (L. S.) Wilhelm. von Bethmann Hollweg.

[136/13] Gesetz uber die Verlangemng der Legislaturperiode des Reichstags vom 16. Oktober 1916 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einfiihrungen" die Darstellungen unter [516.] [543.] [563.]. Quelle: Reichs-Gesetzblatt, (Nr. 233 vom 20. Oktober) 1916, S. 1169 (gedmckt). [S. 1169] (Nr. 5512) Gesetz tiber die Verlangemng der Legislaturperiode des Reichstags. Vom | 16. Oktober 1916. Wir Wilhelm, von Gottes Gnaden Deutscher Kaiser, Konig | von PreuBen etc. | verordnen hiermit im Namen des Reichs, nach erfolgter Zustimmung des Bundes= | rats und des Reichstags, was folgt:

1292

§ 7: Deutscher Bund/Deutsches Reich (1870/71 - 1918)

[Dok. 129 - 147]

Die Legislaturperiode des am 12. Januar 1912 gewahlten Reichstags wird | um ein Jahr verlangert. Urkundlich unter Unserer Hochsteigenhandigen Unterschrift und beigedmcktem | Kaiserlichen Insiegel. Gegeben GroBes Hauptquartier, den 16. Oktober 1916. (Siegel) Wilhelm. Dr. Helfferich.

[136/14] Gesetz ijber die nochmalige Verlangerung der Legislaturperiode des Reichstags vom 23. Juli 1917 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einfuhmngen" die Darstellungen unter [516.] [543.] [563.]. Quelle: Reichs-Gesetzblatt, (Nr. 139 vom 27. Juli) 1917, S. 657 (gedruckt). [S. 657] (Nr. 5960) Gesetz iiber die nochmalige Verlangerung der Legislaturperiode des Reichstags. | Vom 23. M i 1917. Wir Wilhelm, von Gottes Gnaden Deutscher Kaiser, Konig | von PreuBen etc. | verordnen im Namen des Reichs, nach erfolgter Zustimmung des Bundesrats und | des Reichstags, was folgt: Die durch das Gesetz liber die Verlangerung der Legislaturperiode | des Reichstags vom 16. Oktober 1916^ (Reichs=Gesetzbl. S. 1169) um | ein Jahr verlangerte Legislaturperiode des am 12. Januar 1912 ge= | wahlten Reichstags wird um ein weiteres Jahr verlangert. Urkundlich unter Unserer Hochsteigenhandigen Unterschrift und beigedmcktem | Kaiserlichen Insiegel. Gegeben GroBes Hauptquartier, den 23. Juli 1917. (Siegel) Wilhelm. Dr. Helfferich.

[136/15] Gesetz iJber die abermalige Verlangerung der Legislaturperiode des Reichstags vom 18. Juli 1918 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einfuhmngen" die Darstellungen unter [516.] [543.] [563.]. Quelle: Reichs-Gesetzblatt, (Nr. 91 vom 25. Juli) 1918, S. 745 (gedruckt). [S. 745] (Nr. 6387) Gesetz liber die abermalige Verlangerung der Legislaturperiode des Reichstags. | Vom 18. Juli 1918. Wir Wilhelm, von Gottes Gnaden Deutscher Kaiser, Konig | von PreuBen etc. | verordnen im Namen des Reichs, nach erfolgter Zustimmung des Bundesrats und | des Reichstags, was folgt: Die Legislaturperiode des am 12. Januar 1912 gewahlten Reichstags | wird bis zum 12. Januar 1920 verlangert.

Dok. 136/13.

[136/16] Gesetz vom 28. Oktober 1918

1293

Urkundlich unter Unserer Hochsteigenhandigen Unterschrift und beigedmcktem | Kaiserlichen Insiegel. Gegeben GroBes Hauptquartier, den 18. Juli 1918. (Siegel) Wilhelm. von Payer.

[136/16] Gesetz zurAbanderung der Reichsverfassung und des Gesetzes, betreffend die Stellvertretung des Reichskanzlers, vom 17. Marz 1878, vom 28. Oktober 1918 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einfuhrungen" die Darstellungen unter [523.] [525.] [543.] [573.]. Quelle: Reichs-Gesetzblatt, (Nr. 144 vom 28.0ktober) 1918, S. 1273 - 1274 (gedmckt). [S. 1273] (Nr. 6503) Gesetz zur Abanderung der Reichsverfassung und des Gesetzes, betreffend die | Stellvertretung des Reichskanzlers, vom 17. Marz 1878. Vom 28. Ok= | tober 1918. Wir Wilhelm, von Gottes Gnaden Deutscher Kaiser, Konig | von PreuBen etc. | verordnen im Namen des Reichs, nach erfolgter Zustimmung des Bundesrats | und des Reichstags, was folgt: §1 Der Artikel 21 Abs. 2 der Reichsverfassung wird aufgehoben. §2 Im Gesetz, betreffend die Stellvertretung des Reichskanzlers, vom | 17. Marz 1878^ (Reichs=Gesetzbl. S. 7) werden im § 1 die Worte „nach MaB= | gabe der folgenden Bestimmungen" und im § 2 der zweite Satz gestrichen, femer | im § 1 folgender Abs. 2 angefiigt: Die Stellvertreter des Reichskanzlers mtissen im Reichstag auf | Verlangen jederzeit gehort werden. [S. 1274] §.3. Dieses Gesetz tritt am Tage der Verkiindung in Kraft, Urkundlich unter Unserer Hochsteigenhandigen Unterschrift und beigedrucktem | Kaiserlichen Insiegel. Gegeben GroBes Hauptquartier, den 28. Oktober 1918. (Siegel) Wilhelm Max Prinz von Baden

^ Dok.138.

1294

§ 7: Deutscher Bund/Deutsches Reich (1870/71 --1918)

[Dok. 129 - 147]

[136/17] Gesetz zur Abanderung der Reichsverfassung vom 28. Oktober1918 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einfiihrungen" die Darstellungen unter [543.] [574.]. Quelle: Reichs-Gesetzblatt, (Nr. 144 vom 28. Oktober) 1918, S. 1274 - 1275 (gedruckt). [S. 1274] (Nr. 6504) Gesetz zur Abanderung der Reichsverfassung. Vom 28. Oktober 1918. Wir Wilhelm, von Gottes Gnaden Deutscher Kaiser, Konig | von PreuBen etc. | verordnen im Namen des Reichs, nach erfolgter Zustimmung des Bundesrats | und des Reichstags, was folgt: Die Reichsverfassung wird wie folgt abgeandert. 1. In Artikel 11 werden die Absatze 2 und 3 durch folgende Bestim= | mungen ersetzt: Zur Erklarung des Krieges im Namen des Reichs ist die | Zustimmung des Bundesrats und des Reichstags erforderlich. Friedensvertrage so wie diejenigen Vertrage mit fremden | Staaten, welche sich auf Gegenstande der Reichsgesetzgebung | beziehen, bediirfen der Zustimmung des Bundesrats und des | Reichstags. 2. Im Artikel 15 werden folgende Absatze hinzugefagt: Der Reichskanzler bedarf zu seiner Amtsfuhmng des Ver= | trauens des Reichstags. Der Reichskanzler tragt die Verantwortung fur alle Hand= | lungen von politischer Bedeutung, die der Kaiser in Ausiibung | der ihm nach der Reichsverfassung zustehenden Befugnisse vor= | nimmt. Der Reichskanzler und seine Stellvertreter sind fiir ihre | Amtsfuhrung dem Bundesrat und dem Reichstag verantwortlich. [S. 1275] 3. Im Artikel 17 werden die Worte gestrichen: „welcher dadurch die Verantwortlichkeit tibemimmt". 4. Im Artikel 53 Abs. 1 wird folgender Satz hinzugefugt: Die Emennung, Versetzung, Beforderung und Verabschiedung der | Offiziere und Beamten der Marine erfolgt unter Gegenzeichnung | des Reichskanzlers. 5. Im Artikel 64 Abs. 2 werden im ersten Satze hinter dem Worte | „Kaiser" die Worte eingeschaltet: „unter Gegenzeichnung des Reichskanzlers". 6. Im Artikel 66 werden folgende Absatze 3 und 4 hinzugefiigt: Die Emennung, Versetzung, Beforderung und Verabschiedung der | Offiziere und Militarbeamten eines Kontingents erfolgt unter | Gegenzeichnung des Kriegsministers des Kontingents. Die ICriegs= 1 minister sind dem Bundesrat und dem Reichstag fur die Ver= | waltung ihres Kontingents verantwortlich. Urkundlich unter Unserer Hochsteigenhandigen Unterschrift und beigedmcktem | KaiserHchen Insiegel. Gegeben GroBes Hauptquartier, den 28. Oktober 1918. (Siegel) Wilhelm Max Prinz von Baden

[136a] Gesetz vom 22. April 1871

1295

[136a] Gesetz, betreffend die Einfiihrung Norddeutscher Bundesgesetze in Bayern, vom 22. April 1871 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einfiihmngen" die Darstellungen unter [419.] bis [433.] Quelle: Bundes-Gesetzblatt, (Nr. 17 vom 29. April) 1871, S. 87 - 90 (gedmckt). [S. 87] (Nr. 632.) Gesetz, betreffend die Einfiihrung Norddeutscher Bundesgesetze in Bayern. Vom I 22. April 1871. Wir Wilhelm, von Gottes Gnaden Deutscher Kaiser, Konig | von PreuBen etc. | verordnen im Namen des Reichs, nach erfolgter Zustimmung des | Bundesrathes und des Reichstages, was folgt: §•1. Die in den nachfolgenden Paragraphen aufgefuhrten Gesetze des Nord= | deutschen Bundes werden nach MaBgabe der in diesen Paragraphen enthaltenen | naheren Bestimmungen als Reichsgesetze im Konigreiche Bayem eingefiihrt. I.

§•2. Vom Tage der Wirksamkeit des gegenwartigen Gesetzes an treten in | Kraft: 1) das Gesetz liber das PaBwesen, vom 12. Oktober 1867., 2) das Gesetz, betreffend die Nationalitat der Kauffahrteischiffe und ihre Be= | fugniB zur Ftihrung der Bundesflagge, vom 25. Oktober 1867., 3) das Gesetz liber die Freizligigkeit vom 1. November 1867., 4) das Gesetz, betreffend die Aufhebung der Schuldhaft, vom 29. Mai | 1868., 5) das Gesetz, betreffend die Bewilligung von lebenslanglichen Pensionen | und Unterstlitzungen an Offiziere und obere Militairbeamte der vor= | maligen Schleswig=Holsteinischen Armee, sowie an deren Wittwen und | Waisen, vom 14. Juni 1868., 6) das Gesetz, betreffend die SchlieBung und Beschrankung der offentlichen | Spielbanken, vom 1. Juli 1868.,

[S. 88] 7) das Gesetz, betreffend die Kautionen der Bundesbeamten, vom 2. Juni | 1869., 8) das Gesetz, betreffend die Einfiihrung der allgemeinen Wechsel^ | ordnung, der Nlimberger Wechselnovellen und des Allgemeinen Deutschen | Handelsgesetzbuchs als Bundesgesetze, vom 5. Juni 1869., 9) das Gesetz, betreffend die Beschlagnahme des Arbeits= oder Dienstlohnes, | vom 21. Juni 1869., 10) das Gesetz, betreffend die Gleichberechtigung der Konfessionen in blirgerlicher I und staatsblirgerlicher Beziehung, vom 3. Juli 1869., 11) das Gesetz, betreffend die Bewilligung von lebenslanglichen Pensionen | und Unterstlitzungen an Militairpersonen der Unterklassen der vormaligen | Schleswig=Holsteinischen Armee, sowie an deren Wittwen und Waisen, | vom 3.Marzl870., 12) das Gesetz, betreffend die EheschlieBung und die Beurkundung des Personen= | standes von Bundesangehorigen im Auslande, vom 4. Mai 1870;

1296

§ 7: Deutscher Bund/Deutsches Reich (1870/71 - 1918)

[Dok. 129 - 147]

femer: II. a m l . J u l i l 8 7 1 : das Gesetz wegen Beseitigung der Doppelbesteuerung vom 13. Mai 1870., III. am 1. Januar 1872: 1) das Gesetz tiber die Ausgabe von Banknoten vom 27. Marz 1870., 2) das Gesetz tiber die Ausgabe von Papiergeld vom 16. Juni 1870. §.3. ^Das Gesetz vom 8. November 1867., betreffend die Organisation der [ Bundeskonsulate, sowie die Amtsrechte und Pflichten der Bundeskonsuln, tritt | mit dem Tage der Wirksamkeit des gegenwartigen Gesetzes in Kraft. "^Der §.24. | erhalt noch folgenden Zusatz: Die durch den ersten Absatz begriindete Zustandigkeit des PreuBischen | Obertribunals geht vom 1. Juli 1871. an auf das Bundes=Oberhandels= | gericht tiber. Wird in den an dasselbe gelangenden Sachen eine Mit= | wirkung der Staatsanwaltschaft erforderlich, so ist zu deren Vertretung | von dem Prasidenten des Bundes=Oberhandelsgerichts ein Mitglied des | letzteren, ein in Leipzig angestellter Staatsanwalt Oder ein dort wohnen= | der Advokat zu emennen. §•4. Das Gesetz, betreffend die Wechselstempelsteuer, vom 10. Juni 1869. tritt | am 1. Juli 1871. in Kraft. Der Koniglich Bayerischen Staatsregierung bleibt iiberlassen, diejenigen | anderen Behorden zu bezeichnen, welche bei Anwendung der im §. 18. dieses | Gesetzes erwahnten Vorschriften an die Stelle der Zollbehorden zu treten haben. [S. 89] §.5. Die Wirksamkeit des Gesetzes, betreffend die Errichtung eines obersten | Gerichtshofes fiir Handelssachen, vom 12. Juni 1869. beginnt am 1. Juli 1871. In den nach dem Bayerischen ProzeBrechte zu verhandelnden Sachen treten | an die Stelle des letzten Satzes des §. 18. dieses Gesetzes folgende Bestimmungen: Handelt es sich um eine zur Zustandigkeit des Bundes==Oberhandels= | gerichts gehorige Nichtigkeitsbeschwerde, so hat der oberste Landesgerichts= | hof, sobald die vorgeschriebene Hinterlegung der Akten erfolgt ist oder | eine Frist hierfar nicht mehr lauft, nach Vemehmung des Staatsanwalts | mittelst eines in geheimer Sitzung zu fassenden Beschlusses die Abgabe | der Akten an das Bundes=Oberhandelsgericht zu verfiigen. Den abzugebenden Akten ist in alien Fallen ein schriftliches Requisitorium | des Staatsanwalts beizulegen.

Das Gesetz vom 21. Juni 1869., die Gewahrung der Rechtshtilfe betreffend, | wird vom 1. Juli 1871. an mit dem nachstehenden Zusatz zu §. 39. eingefuhrt: Ftir die Anwendung derjenigen Vorschriften der Bayerischen CivilprozeB= | ordnung, welche den Gerichtsstand oder die Personalhaft betreffen oder | tiberhaupt auf der Annahme beruhen, daB die Rechtsverfolgung im Aus= | lande die Geltendmachung eines Anspruches erschwere, ist gleichfalls das | gesammte Gebiet des Deutschen Reichs als Inland zu betrachten.

[136a] Gesetz vom 22. April 1871

1297

§.7. Das Strafgesetzbuch vom 31. Mai 1870. und das Einfuhrungsgesetz zu | demselben treten am 1. Januar 1872. in Geltung. An Stelle der Vorschriften des §. 4. des gedachten Einfuhrungsgessetzes | hat es fur Bayem bis auf Weiteres bei den einschlagigen Bestimmungen des | Militairstrafrechts, sowie bei den sonstigen gesetzlichen Vorschriften iiber das Stand= | recht sein Bewenden.

Das Gesetz iiber die Abgaben von der FloBerei vom 1. Juni 1870. wird | mit dem Tage der Wirksamkeit des gegenwartigen Gesetzes eingefuhrt. Die nach §. 2 desselben zu leistende Entschadigung besteht in dem acht= | zehnfachen Betrage des durchschnittHchen Reinertrages der Abgabe aus den letzten | drei Kalenderjahren vor dem Aufhoren der Erhebung. Der Antrag auf Entschadigung ist bei Vermeidung der Praklusion inner= | halb sechs Monaten nach dem Tage, mit welchem die Erhebung der Abgabe auf= | gehort hat, an das Reichskanzleramt zu richten. §•9. Das Gesetz liber die Erwerbung und den Verlust der Bundes= und Staats= | angehorigkeit vom 1. Juni 1870. tritt mit dem Tage der Wirksamkeit des gegen= | wartigen Gesetzes in Kraft, jedoch mit Ausnahme der Bestimmungen in §. 1. | Absatz 2., §. 8. Absatz 3. und §.16. [S. 90] §.10. Das Gesetz vom 11. Juni 1870., betreffend die Kommanditgesellschaften | auf Aktien und die Aktiengesellschaften, erlangt vom Tage der Wirksamkeit des | gegenwartigen Gesetzes an mit nachstehenden Vorschriften Geltung: Die bis zu dem bezeichneten Tage vollzogenen Eintragungen in dem von | den Bayerischen Bezirksgerichten gefiihrten besonderen Register fur Aktien= | gesellschaften, bei welchen der Gegenstand des Untemehmens nicht in | Handelsgeschaften besteht, gelten als Eintragungen im Handelsregister, | und bleiben in Wirksamkeit, auch wenn die Voraussetzungen nicht vor= | handen sind, welche nach dem Gesetze vom 11. Juni 1870. flir die Er= | richtung der Gesellschaft erforderlich sein wtirden. §.11. Das Gesetz, betreffend das Urheberrecht an Schriftwerken, Abbildungen, | musikalischen Kompositionen und dramatischen Werken, vom 11. Juni 1870. tritt | am 1. Januar 1872, in Wirksamkeit, unbeschadet der fortdauemden Geltung | des Artikels 68. des Bayerischen Gesetzes liber den Schutz der Urheberrechte an | literarischen Erzeugnissen und Werken der Kunst vom 28. Juni 1865.

1298

§ 7: Deutscher Bund/Deutsches Reich (1870/71 - 1918)

[Dok. 129 - 147]

§. 12. Die in den §§.3. 8. und 9. getroffenen Abanderungen der dort bezeich= | neten Gesetze finden im ganzen Reiche Anwendung, die Bestimmung im letzten | Absatze des §.8. auch in denjenigen Fallen, in welchen vor ErlaB dieses Ge== | setzes unzulassige Abgaben von der FloBerei durch Kaiserliche Verordnung auBer | Hebung gesetzt worden sind. Urkundlich unter Unserer Hochsteigenhandigen Unterschrift und beigedmcktem | Kaiserlichen Insiegel. Gegeben Berlin, den 22. April 1871. (L. S.) Wilhelm. Ftirst V. Bismarck.

[137] Friedensvertrag von Frankfurt (Deutsches Reich ./. Frankreich) vom 10. Mai 1871 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einfiihrungen" die Darstellung unter [412.]. Quelle: Bundes-Gesetzblatt, (Nr. 26 vom 19. Juni) 1871, S. 223 - 244 (gedruckte Ausfertigung - franzosisch / deutsch). Sonstige Fundstelle: E. R. Huber (Hrsg.), Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte, Bd. 2: Deutsche Verfassungsdokumente 1851 - 1900, 3. Aufl., 1986, Nr. 260 (auszugsweise).

[S. 223 - linke SpJ (Nr. 657.) Traite de paix entre I'Empire | allemand et la France. Du | 10 Mai 1871. Le Prince Othon de Bismarck-1 Schoenhausen, Chancelier de | I'Empire germanique, le Comte Harry d'Amim, | Envoye extraordinaire et Ministre | plenipotentiaire de S. M. I'Empe-1 reur d'Allemagne pres du St. Siege, stipulant au nom de S. M. I'Empe-1 reur d'Allemagne, | d'un cote, | de 1'autre M. Jules Favre, Ministre des | affaires etrangeres de la Republique | fran^aise, M. Augustin Thomas Joseph | Pouyer-Quertier, Ministre des | finances de la Republique fran9aise, | et M. Marc Thomas Eugene de | Goulard, Membre de I'Assemblee | nationale, stipulant au nom de la Republique | frangaise, s'etant mis d'accord pour convertir | en traite de paix definitif le traite | de preliminaire de paix du 26 fevrier^ | de I'annee courante, modifie ainsi | qu'il va I'etre par les dispositions | qui suivent, | ont arrete: Article 1. La distance de la ville de Belfort | a la ligne de frontiere telle qu'elle | a ete d'abord proposee lors des nego-1 ciations de Versailles et telle qu'elle | se trouve marquee sur carte anI [S. 224 - linke SpJ nexee a I'instmment ratifie du traite | des preliminaires du 26 fevrier^, est I consideree comme indiquant la mesure | du rayon qui, en vertu de la clause | y relative du premier Article des | preliminaires, doit rester a la France | avec la ville et les fortifications de I Belfort.

^ Dok. 135. ^ Dok. 135.

[137] Friedensvertrag von Frankfurt vom 10, Mai 1871

1299

Le Gouvemement allemand est | dispose a elargir ce rayon de maniere | qu'il comprenne les cantons de Bel-1 fort, de Delle et de Giromagny, ainsi 1 que la partie occidentale du canton I de Fontaine a I'ouest d'une ligne a | tracer du point ou le canal du Rhin | au Rhone sort du canton de Delle | au sud de Montreux-Chateau jusqu'a | la limite nord du canton entre Bourg I et Felon ou cette ligne joindrait la | limite est du canton de Giromagny. Le Gouvemement allemand, toute-1 fois, ne cedera les territoires sus-1 indiques qu'a la condition que la | Republique fran9aise, de son cote, | consentira a une rectification de fronI tiere le long des limites occidentales | des cantons de Cattenom et de Thion-1 ville qui laisseront a I'Allemagne le | terrain a Test d'une ligne partant de | la frontiere du Luxembourg entre | Hussigny et Redingen, laissant a la | France les villages de Thil et de | Villerupt, se prolongeant entre Erron-1 ville et Aumetz, entre Beuvillers | et Boulange, entre Trieux et Lorn-1 meringen, et joignant I'ancienne ligne | de frontiere entre Avril et Moyeuvre. La Commission intemationale dont | il est question dans I'art. V^ des | preliminaires, se rendra sur le terrain | immediatement apres I'echange des | ratifications du present traite pour I executer les travaux qui lui incom-1 bent et pour faire le trace de la | nouvelle frontiere conformement aux | dispositions precedentes.

[S.225-lmkeSpJ Article 2. ^Les sujets fran9ais originaires des | territoires cedes domicilies actuelle-1 ment sur ce territoire qui entendront | conserver la nationalite fran^aise, | jouiront jusqu'au premier octobre I 1872 et moyennant une declaration | prealable, faite a I'autorite compe-1 tente, de la faculte de transporter | leur domicile en France et de s'y | fixer, sans que ce droit puisse etre | altere par les lois sur le service | militaire, auquel cas la qualite de | citoyen fran9ais leur sera maintenue. | ^Ils seront libres de conserver leurs | immeubles situes sur le territoire I reuni a I'Allemagne. Aucun habitant des territoires | cedes ne pourra etre poursuivi, in-1 quiete ou recherche dans sa persorme | ou dans ses biens a raison de ses | actes politiques ou militaires pendant | la guerre. Article 3. ^Le Gouvemement fran^ais re-1 mettra au Gouvemement allemand | les archives, documents et registres | concemant I'administration civile, mi-1 litaire et judiciaire des territoires I cedes. ^Si quelquesuns de ces titres | avaient ete deplaces, ils seront resti-1 tues par le Gouvemement fran9ais | sur la demande du Gouvemement | allemand. Article 4. Le Gouvemement fran9ais re-1 mettra au Gouvemement de I'Empire | d'Allemagne dans le terme de six | mois a dater de I'echange des ratifi-1 cations de ce traite: lo le montant des sommes deposees | par les departements, les com-1 [S. 226-linke Sp.J munes et les etablissements | publics des territoires cedes; 2o le montant des primes d'enrole-1 ment et de remplacement apparte-1 nant aux militaires et marins | originaires des territoires cedes | qui auront opte pour la natio-1 nalite allemande; 3o le montant des cautionnements | des comptables de I'Etat; 4o le montant des sommes versees | pour consignations judiciaires | par suite de mesures prises par | les autorites administratives ou | judiciaires dans les territoires | cedes.

1300

§ 7: Deutscher Bund/Deutsches Reich (1870/71 - 1918)

[DoL 129 - 147]

Article 5. ^Les deux nations jouiront d'un | traitement egal en ce qui conceme | la navigation sur la Moselle, le canal | du Rhin a la Marae, le canal du | Rhone au Rhin, le canal de la Sarre | et les eaux navigables communiquant | avec ces voies de navigation. ^Le | droit de flottage sera maintenu. Article 6. Les Hautes Parties contractantes, | etant d'avis que les circonscriptions | diocesaines des territoires cedes a | TEmpire allemand doivent coincider | avec la nouvelle frontiere determinee | par Particle 1^^ ci-dessus, se concer-1 teront apres la ratification du present | traite, sans retard, sur les mesures | a prendre en commun a cet effet. Les communautes appartenant, | soit a I'eglise reformee, soit a la con-1 fession d'Augsbourg, etablies sur les | territoires cedes par la France, cesse-1 ront de relever de I'autorite eccle-1 siastique fran9aise. [S.227-linkeSp.] Les communautes de I'eglise de | la confession d'Augsbourg etablies | dans les territoires fran9ais cesseront | de relever du consistoire superieur et | du directeur siegeant a Strasbourg. Les communautes Israelites des | territoires situes a Test de la nouvelle | frontiere cesseront de dependre du | consistoire central Israelite siegeant | a Paris. Article 7. ^Le payement de cinq cent millions | aura lieu dans les trente jours qui | suivront le retablissement de I'autorite | du Gouvemement fran9ais dans la | ville de Paris. ^Un milliard sera paye | dans le courant de I'annee et un demi-1 milliard au 1^^ mai mil huit cent | soixantedouze. ^Les trois demiers | milliards resteront payables au 2 mars | mil huit cent soixantequatorze, ainsi | qu'il a ete stipule par le traite de | paix preliminaire^. "^A partir du 2 mars | de I'annee courante, les interets de | ces trois milliards de francs seront | payes chaque annee, le 3 mars, a | raison de cinq pour cent par an. Toute somme payee en avance | sur les trois demiers milliards cessera | de porter des interets a partir du | jour du payement effectue. Tous les payements ne pourront | etre faits que dans les principales | villes de commerce de I'Allemagne | et seront effectues en metal, or ou | argent, en billets de la banque d'Angle-1 terre, billets de la banque de Prusse, | billets de la banque royale des Pays-1 Bas, billets de la banque nationale | de Belgique, en billets a ordre ou | en lettres de change negociables de | premier ordre valeur comptant. Le Gouvemement allemand ayant | fixe en France la valeur du thaler | [S. 228 - linke Sp.J pmssien a trois francs soixante-quinze | centimes, le Gouvemement fran9ais | accepte la conversion des monnaies | des deux pays au taux ci-dessus | indique. Le Gouvemement francais infor-1 mera le Gouvemement allemand, trois | mois d'avance, de tout payement qu'il | compte faire aux caisses de I'Empire | allemand. ^Apres le payement du premier | demi-milliard et la ratification du traite | de paix definitif, les departements de | la Somme, de la Seine-Inferieure et | de I'Eure seront evacues en tant I qu'ils se trouveront encore occupes | par les troupes allemandes. ^L'evacua-1 tion des departements de I'Oise, de | Seine-et-Oise, de Seine-et-Mame et | de la Seine, ainsi que celle des forts | de Paris, aura lieu aussitot que le | Gouvemement allemand jugera le | retablissement de I'ordre, tant en | France que dans Paris, suffisant pour | assurer I'execution des engagements | contractus par la France. ^ Dok. 135.

[137] Friedensvertrag von Frankfurt vom 10. Mai 1871

1301

Dans tons les cas cette evacua-1 tion aura lieu lors du payement du | troisieme demimilliard. Les troupes allemandes, dans | I'interet de leur securite, auront, la | disposition de la zone neutre situee | entre la ligne, de demarcation alle-1 mande et 1'enceinte de Paris sur la | rive droite de la Seine. *Les stipulations du traite du | 26 fevrier^ relatives a 1'occupation des | territoires fran9ais apres le payement | de deux milliards resteront en vigueur. | ^Aucune des deductions que le Gou-1 vemement fran^ais serait en droit de | faire ne pourra etre exercee sur le | payement des cinq cents premiers millions. [S.229-lmkeSp.] Article 8. Les troupes allemandes conti-1 nueront a s'abstenir des requisitions | en nature et en argent dans les terri-1 toires occupes; cette obligation de | leur part etant correlative aux obli-1 gations contractees pour leur entre-1 tien par le Gouvemement fran9ais, - | dans le cas ou malgre des reclama-1 tions reiterees du Gouvemement alle-1 mand le Gouvemement fran9ais serait en retard d'executer lesdites obliga-1 tions, les troupes allemandes auront | le droit de se procurer ce qui sera | necessaire a leurs besoins en levant | des impots et des requisitions dans I les departements occupes et meme en | dehors de ceux-ci, si leurs ressources I n'etaient pas suffisantes. Relativement a 1'alimentation des | troupes allemandes, le regime ac-1 tuellement en vigueur sera maintenu | jusqu'a Tevacuation des forts de | Paris. En vertu de la Convention de | Ferrieres du 11 mars 1871, les reduc-1 tions indiquees par cette convention | seront mises a execution apres I'eva-1 cuation des forts. Des que I'effectif de I'armee alle-1 mande sera reduit au-dessous du | chiffre de cinq cent mille hommes, | il sera tenu compte des reductions | operees au-dessous de ce chiffre pour I etablir une diminution proportionnelle | dans le prix d'entretien des troupes | paye par le Gouvemement fran9ais. Article 9. Le traitement exceptionnel ac-1 corde maintenant aux produits de | 1'Industrie des territoires cedes pour | 1'importation en France sera main-1 tenu pour un espace de temps de | six mois, depuis le 1^^ mars, dans | [S. 230-linke Sp.J les conditions faites avec les dele-1 gues de 1'Alsace. Article 10. ^Le Gouvemement allemand con-1 tinuera a faire rentrer les prisonniers | de guerre en s'entendant avec le | Gouvemement fran9ais. "^Le Gouver-1 nement fran9ais renverra dans leurs 1 foyers ceux de ces prisonniers qui | sont liberales. ^Quant a ceux qui | n'ont point acheve leur temps de | service, ils se retireront derriere la | Loire. "^11 est entendu que I'armee | de Paris et de Versailles, apres le | retablissement de I'autorite du Gou-1 vemement fran9ais a Paris et jusqu'a | 1'evacuation des forts par les troupes | allemandes, n'excedera pas quatre-1 vingt mille hommes. Jusqu'a cette evacuation, le Gou-1 vemement fran9ais ne pourra faire | aucune concentration de troupes | sur la rive droite de la Loire, mais | il pourvoira aux gamisons regulieres I des villes placees dans cette zone, | suivant les necessites du maintien | de I'ordre et de la paix publique.

^ Dok. 135.

1302

§ 7: Deutscher Bund/Deutsches Reich (1870/71 - 1918)

[Dok. 129 - 147]

Au fur et a mesure que s'operera | 1'evacuation, les chefs de corps con-1 viendront ensemble d'une zone neutre | entre les armees des deux nations. Vingt mille prisonniers seront | diriges sans delai sur Lyon, a la | condition qu'ils seront expedies im-1 mediatement en Algerie apres leur | organisation pour etre employes dans | cette colonic. Article 11. Les traites de commerce avec les | differents Etats de I'Allemagne ayant | ete annules par la guerre, le Gou-1 vemement allemand et le Gouveme-1 [S. 231 - linke Sp.J ment fran^ais prendront pour base de | leurs relations commercials le regime | du traitement reciproque sur le pied | de la nation la plus favorisee. Sont compris dans cette regie les | droits d'entree et de sortie, le tran-1 sit, les formalites douanieres, I'ad-1 mission et le traitement des sujets | des deux nations ainsi que de leurs | agents. Toutefois, seront exceptees de la | regie susdite les faveurs qu'une des | parties contractantes, par des traites | de commerce, a accordees ou accor-1 dera a des Etats autres que ceux I qui suivent: I'Angleterre, la Bel-1 gique, les Pays-Bas, la Suisse, I'Au-1 triche, la Russie. Les traites de navigation, ainsi | que la convention relative au ser-1 vice international des chemins de fer | dans ses rapports avec la douane et | la convention pour la garantie reci-1 proque de la propriete des oeuvres | d'esprit et d'art seront remis en vi-1 gueur. Neanmoins, le Gouvemement | fran9ais se reserve la faculte d'etablir, | sur les navires allemands et leurs | cargaisons, des droits de tonnage et | de pavilion, sous la reserve que ces I droits ne soient pas plus eleves que | ceux qui greveront les batiments et | les cargaisons des nations susmen-1 tionnees. Article 12. Tous les Allemands expulses con-1 serveront la jouissance pleine et en-1 tiere de tous les biens qu'ils ont | acquis en France. Ceux des Allemands qui avaient | obtenu I'autorisation exigee par les | lois fran^aises pour fixer leur domi-1 cile en France sont reintegres dans | tous leurs droits et peuvent, en con-1 [S. 232 - linke Sp.] sequence, etablir de nouveau leur | domicile sur le territoire fran9ais. Le delai stipule par les lois fran-1 9aises pour obtenir la naturalisation | sera considere comme n'etant pas | interrompu par I'etat de guerre pour [ les personnes qui profiteront de la I faculte ci-dessus mentionnee de re-1 venir en France dans un delai de | six mois apres I'echange des rati-1 fications de ce traite, et il sera tenu | compte du temps ecoule entre leur I expulsion et leur retour sur le terri-1 toire fran^ais, comme s'ils n'avaient | jamais cesse de resider eu France. Les conditions ci-dessus seront | appliquees en parfaite reciprocite | aux sujets fran9ais residant ou de-1 sirant resider en Allemagne. Article 13. Les batiments allemands qui | etaient condamnes par les conseils | de prise avant le 2 mars 1871 seront | consideres comme condamnes defini-1 tivement. ^Ceux qui n'auraient pas ete con-1 damnes a la date sus-indiquee seront | rendus avec la cargaison en tant | qu'elle existe encore. '^Si la restitu-1 tion des batiments et de la cargai-1 son n'est plus possible, leur valeur, | fixee d'apres le prix de la vente, | sera rendue a leurs proprietaires.

[137] Friedensvertrag von Frankfurt vom 10. Mai 1871

1303

Article 14. ^Chacune des deux parties con-1 tinuera sur son territoire les travaux | entrepris pour la canalisation de la | Moselle. '^Les interets communs des | parties separees des deux departe-1 ments de la Meurthe et de la Mo-1 selle seront liquides. Article 15. Les Hautes Parties contractantes | s'engagent mutuellement a etendre | aux sujets respectifs les mesures | [S. 233 - linke SpJ qu'elles pourront juger utiles d'adopter | en faveur de ceux de leurs nationaux | qui, par suite des evenements de la | guerre, auraient ete mis dans I'im-1 possibilite d'arriver en temps utile | a la sauvegarde ou a la conservation | de leurs droits. Article 16. Les deux Gouvemements, alle-1 mand et fran^ais, s'engagent reci-1 proquement a faire respecter et entre-1 tenir les tombeaux des soldats en-1 sevelis sur leurs territoires respectifs. Article 17. Le reglement des points acces-1 soires sur lesquels un accord doit | etre etabli, en consequence de ce I traite et du traite preliminaire, sera | I'objet de negociations ulterieures qui | auront lieu a Francfort. Article 18. Les ratifications du present traite | par Sa Majeste I'Empereur d'Alle-1 magne | d'un cote, I et de Tautre | par I'Assemblee nationale et par le | Chef du Pouvoir executif de la Re-1 publique fran9aise, seront echangees | a Francfort dans le delai de dix | jours ou plus tot si faire se pent. En foi de quoi les Plenipoten-1 tiaires respectifs Font signe et y ont | appose le cachet de leurs armes. Fait a Francfort, le 10 mai 1871. V. Bismarck. | (L. S.) Jules Favre. | (L. S.) Amim. | (L. S.) Pouyer-Quertier. | (L. S.) E. de Goulard. | (L. S.) [S. 234 - linke Sp.] Articles additionnels. Article 1. ^D'ici a I'epoque fixee pour | I'echange des ratifications du present | traite, le Gouvernement fran^ais usera | de son droit de rachat de la con-1 cession donnee a la Compagnie des I chemins de fer de I'Est. '^Le Gou-1 vemement allemand sera subroge a | tous les droits que le Gouvemement | franfais aura acquis par le rachat | des concessions en ce qui conceme | les chemins de fer situes dans les | territoires cedes, soit acheves, soit | en construction.

1304

§ 7: Deutscher Bund/Deutsches Reich (1870/71 - 1918)

[Dok. 129 - 147]

Seront compris dans cette | concession: lo tons les terrains appartenant a | ladite Compagnie, quelle que | soit leur destination, ainsi que: | etablissements de gares et de | stations, hangars, ateliers et ma-1 gasins, maisons de gardes de voie, | etc., etc.; 2o tous les immeubles qui en de-1 pendent, ainsi que: barrieres, | clotures, changements de voie, | aiguilles, plaques toumantes, | prises d'eaux, grues hydrau-1 liques, machines fixes etc., etc.; 3o tous les materiaux, combustibles | et approvisionnements de tout | genre, mobiliers des gares, ou-1 tillages des ateliers et des gares, | etc., etc.; 4o les sommes dues a la Compagnie | des chemins de fer de I'Est a | titre de subvention accordees | par des corporations ou per-1 sonnes domiciliees dans les terri-1 toires cedes. [S. 235 - linke SpJ §•3. ^Sera exclu de cette cession | le materiel roulant. \Q Gouveme-1 ment allemand remettra la part du | materiel roulant avec ses accessoires | qui se trouverait en sa possession au | Gouvemement fran9ais. §.4. ^Le Gouvemement frangais | s'engage a liberer envers I'Empire | allemand entierement les chemins de | fer cedes ainsi, que leurs dependances | de tous les droits que des tiers pour-1 raient faire valoir, nommement des | droits des obligatoires. ^11 s'engage | egalement a se substituer, le cas | echeant, au Gouvemement allemand, | relativement aux reclamations qui I pourraient etre elevees vis-a-vis du | Gouvemement allemand par les | creanciers des chemins de fer en | question. §.5. Le Gouvemement fran^ais | prendra a sa charge les reclamations | que la Compagnie des chemins de fer de I'Est pourrait elever vis-a-vis | du Gouvemement allemand ou de | ses mandataires par rapport a I'ex-1 ploitation desdits chemins de fer et | a I'usage des objets indiques dans le | §. 2 ainsi que du materiel roulant, Le Gouvemement allemand com-1 muniquera au Gouvemement fran^ais, | a sa demande, tous les documents | et toutes les indications qui pour-1 raient servir a constater les faits sur | lesquels s'appuieront les reclamations | susmentionnees. §.6. Le Gouvemement allemand | payera au Gouvemement fran9ais, | pour la cession des droits de pro-1 priete indiques dans les §§. 1 et 2 | et en titre d'equivalent pour Ten-1 gagement pris par le Gouvemement | fran^ais dans le §.4, la somme | de trois cent vingt-cinq millions | (325,000,000) de francs. [S. 236-linkeSpJ ^On defalquera cette somme de | I'indemnite de guerre stipulee dans | Particle 7. "^Vu que la situation qui | a servi de base a la convention con-1 clue entre la Compagnie des chemins I de fer de 1 Est et la Societe Royale | Grand-Ducale des chemins de fer | GuillaumeLuxembourg en date du | 6 juin 1857 et du 21 Janvier 1868, | et celle conclue entre le Gouveme- I ment du Grand-Duche de Luxem-1 bourg et les Societes des chemins | de fer Guillaume-Luxembourg et de | I'Est fran^ais en date du 5 decembre | 1868 a ete modifiee essentiellement | de maniere qu'elles ne sont appH-1 cables a I'etat des choses cree par | les stipulations contenues dans le | §. 1, le Gouvemement allemand se | declare pret a se substituer aux droits | et aux charges resultant de ces con | ventions pour la Compagnie des che-1 mins de fer de I'Est

[137] Friedensvertrag von Frankfurt vom 10. Mai 1871

1305

Pour le cas ou le Gouvemement | fran9ais serait subroge, soit par le | rachat de la concession de la Com-1 pagnie de I'Est, soit par une entente | speciale, aux droits acquis par cette I societe en vertu des conventions sus-1 indiquees, il s'engage a ceder gra-1 tuitement dans un delai de six se-1 maines ces droits au Gouvemement | allemand. Pour le cas ou ladite subrogation | ne s'effectuerait pas, le Gouveme-1 ment fran^ais n'accordera des con-1 cessions pour les lignes de chemin | de fer appartenant a la Compagnie I de TEst et situees dans le territoire | fran9ais que sous la condition ex- j presse que le concessionnaire n'ex-1 ploite point les lignes de chemin de | fer situees dans le GrandDuche de | Luxembourg. [S.237-linkeSp.] Article 2. Le Gouvemement allemand offre | deux millions de francs pour les | droits et les proprietes que possede | la Compagnie des chemins de fer | de I'Est sur la partie de son reseau | situee sur le territoire Suisse, de la | frontiere a Bale, si le Gouvemement | fran9ais lui fait tenir le consentement | dans le delai d'un mois. Article 3. La cession de territoire aupres | de Belfort, offerte par le Gouveme-1 ment allemand dans Particle l^'^ du | present traite en echange de la rec-1 tification de frontiere demandee a I I'ouest de Thionville, sera augmentee | des territoires des villages suivants: | Rougemont, Leval, Petite-Fontaine, | Romagny, Felon, La Chapelle-sous-1 Rougemont, Angeot, Vauthiermont, | La Riviere, La Grange, Reppe, Fon-1 taine, Frais, Foussemagne, Cune-1 lieres, Montreux-Chateaux, Bretagne, | Chavannes-les-Grands, Chavanatte, | Suarce. La route de Giromagny a Remire-1 mont passant au ballon d'Alsace | restera a la France dans tout son 1 parcours et servira de limite, en | tant qu'elle est situee en dehors du | canton de Giromagny. Fait a Francfort, le 10 mai 1871. V. Bismarck. Jules Favre. Amim. Pouyer-Quertier. E. de Goulard. (Deutsche Ubersetzung) [S. 223 - rechte SpJ (Nr. 657.) (Uebersetzung) Friedens-Vertrag | zwischen dem Deutschen Reich | und Frankreich. VomlO.Mail 1871. Der Ftirst Otto von Bismarck= | Schonhausen, Kanzler des Deut= | schen Reichs, der Graf Harry von Amim, auBer= | ordentlicher Gesandter und bevoll= | machtigter Minister Sr. Majestat | des Deutschen Kaisers bei dem | Papstlichen Stuhle, handelnd im Rahmen Sr. Majestat des Deutschen Kaisers, | einerseits, | andererseits, Herr Jules Favre, Minister der | auswartigen Angelegenheiten der | Franzosischen Republik, Herr Augustin Thomas Joseph | Pouyer-Quertier, Finanzminister | der Franzosischen Republik, und Herr Marc Thomas Eugen de | Goulard, Mitglied der National^ | versammlung, handelnd im Namen der Franzosischen | Republik, sind tibereingekommen, den Praliminar= | Friedensvertrag vom 26. Febmar d. J.^ | mit den durch die nachfolgenden Be-1 stimmungen vorzunehmenden Abande= | rangen in einen endgtiltigen Friedensver= | trag zu verwandeln und haben festgesetzt, | was folgt: ^ Dok. 135.

1306

§ 7: Deutscher Bund/Deutsches Reich (1870/71 - 1918)

[Dok. 129 - 147]

Artikel 1. Die Entfemung zwischen der Stadt | Belfort und derjenigen Grenzlinie, welche | ursprtinglich bei den Unterhandlungen | von Versailles vorgeschlagen und auf | der, der ratifizirten Urkunde des Prali= | [S. 224 - rechte Sp.J minar=Vertrages vom 26. Febmar bei= | gefugten Karte eingetragen ist, soil als | Bezeichnung des MaBes fiir den Rayon | angesehen werden, welcher zufolge der | beztiglichen Verabredung im ersten Art= | tikel der Praliminarien mit der Stadt | und den Befestigungen von Belfort bei | Frankreich bleiben soil. Die Deutsche Regierung ist bereit, | diesen Rayon dergestalt zu erweitem, | daB derselbe umfaBt: die Kantons Belfort, | Delle und Giromagny und den westlichen | Theil des Kantons von Fontaine, west= | lich einer Linie von dem Punkte, wo | der Rhein==Rhone=Kanal aus dem Kann= | ton von Delle austritt, im Stiden von | Montreux=Chateau bis zur Nordgrenze | des Kantons zwischen Bourg und Felon, | wo diese Linie die Ostgrenze des Kantons I von Giromagny erreicht. Die Deutsche Regierung wird indessen | die vorerwahnten Gebietstheile nur unter | der Bedingung abtreten, daB die Fran= | zosische Republik ihrerseits in eine Grenz= | berichtigung langs den westlichen Grenzen | der Kantone von Cattenom und Thion= | ville willigt, welche an Deutschland das | Gebiet ostlich einer Linie tiberlaBt, | die von der Grenze gegen Luxemburg zwischen | Hussigny und Redingen ausgeht, | die Dorfer Thil und Villempt bei Frank= | reich laBt, sich zwischen Erronville und | Aumetz, zwischen Beuvillers und Bou= | lange, zwischen Trieux und Lomeringen, | fortsetzt und die alte Grenzlinie zwischen | Avril und Moyeuvre erreicht. Die Internationale Kommission, derer | im Artikel L der Praliminarien erwahnt | ist, wird sich sogleich nach der Auswech= | selung der Ratifikationen des gegenwar= | tigen Vertrages an Ort und Stelle be= | geben, um die ihr obliegenden Arbeiten | auszufiihren und die Linie der neuen | Grenze gemaB der vorstehenden Bestim= | mungen zu Ziehen. [S. 225-rechteSp.J Artikel 2. ^Den aus den abgetretenen Gebieten | herstammenden, gegenwartig in diesem | Gebiete wohnhaften Franzosischen Unter= | thanen, welche beabsichtigen, die Franz= | zosische Nationalitat zu behalten, steht bis | zum 1. Oktober 1872. und vermoge einer | vorgangigen Erklamng an die zustandige | Behorde die BefugniB zu, ihren Wohnsitz | nach Frankreich zu verlegen und sich dort | niederzulassen, ohne daB dieser BefugniB | durch die Gesetze tjber den Militairdienst | Eintrag geschehen konnte, in welchem | Falle ihnen die Eigenschaft als Fran= | zosische Btirger erhalten bleiben wird. | ^Es steht ihnen frei, ihren auf den mit I Deutschland vereinigten Gebieten bele= | genen Grundbesitz zu behalten. Kein Bewohner der abgetretenen Ge= | biete darf in seiner Person oder seinem | Vermogen wegen seiner Person oder seinem | Vermogen wegen seiner politischen oder | militairischen Handlungen wahrend des | Krieges verfolgt, gestort oder zur Unter= | suchung gezogen werden. Artikel 3. ^Die Franzosische Regierung wird der | Deutschen Regierung die Archive, Doku= | mente und Register iibergeben, welche die | btirgerliche, militairische oder gerichtliche | Verwaltung der abgetretenen Gebiete be= | treffen. "^Sollten einige dieser Aktenstticke | fortgeschafft worden sein, so wird die | Franzosische Regierung dieselben auf Ver= | langen der Deutschen Regierung wieder | zuriickgeben.

[137] Friedensvertrag von Frankfurt vom 10. Mai 1871

1307

Artikel 4. Die Franzosische Regierung wird der | Regiemng des Deutschen Reichs inner= | halb einer Frist von sechs Monaten, von | der Auswechselung der Ratifikationen dieses | Vertrages an gerechnet, tibergeben: 1) den Betrag der von den Departe= | ments, Gemeinden und offentlichen | [S. 226rechte SpJ Anstalten der abgetretenen Gebiete | deponirten Summen; 2) den Betrag der Anwerbungs= und | Stellvertretungs==Pramien, welche | den aus den abgetretenen Gebieten | herstammenden Soldaten und See= | leuten gehoren, die sich fur die | Deutsche Nationalitat entschieden | haben; 3) den Betrag der Kautionen der Rech= | nungsbeamten des Staates; 4) den Betrag der fur gerichtliche Kon= | signationen in Folge von MaR= \ regeln der Verwaltungs= und Justiz= | behorden in den abgetretenen Ge= | bieten eingezahlten Geldsummen. Artikel 5. ^Beide Nationen sollen in Bezug auf | die Schiffahrt auf der Mosel, dem | Rhein= Rh6ne=, dem Saar= | Kanal und den mit diesen Wasserwegen | in Verbindung stehenden schiffbaren GQ= \ wassem der gleichen Behandlung genieBen. | ^Das FloBrecht wird beibehalten. Artikel 6. Da die Hohen vertragenden Theile | der Meinung sind, daB die Diozesan= | grenzen der an das Deutsche Reich | abgetretenen Gebiete mit der neuen, | durch obenstehenden Artikel 1. bestimm= | ten Grenze zusammenfallen mtissen, so | werden sie sich nach der Ratifikation des | gegenwartigen Vertrages unverziiglich liber | die zu diesem Zwecke gemeinschaftlich zu | ergreifenden MaBregeln verstandigen. Die der reformirten Kirche oder der | Augsburger Konfession angehorigen, auf | den von Frankreich abgetretenen Gebieten | bestehenden Gemeinden werden aufhoren, | von der Franzosischen kirchlichen Behorde | abhangig zu sein. [S.227-rechteSpJ Die zur Kirche der Augsburger Kon= | fession gehorigen, auf Franzosischem Ge= | biete bestehenden Gemeinden werden auf= | horen, von dem Ober=Konsi-torium und | von dem Direktor in StraBburg abhangig | zu sein. Die israelitischen Gemeinden in den | Gebieten ostlich der neuen Grenze wer= | den aufhoren, von dem israelitischen Cen= | tral=Konsistorium zu Paris abhangig zu | sein. Artikel 7. ^Die Zahlung von 500 Millionen Franks soil | erfolgen innerhalb der dreiBig Tage, welche I der Wiederherstellung der Autoritat der | Franzosischen Regierung in der Stadt | Paris folgen werden. ^Eine Milliarde | soil im Laufe des Jahres und eine halbe | Milliarde am 1. Mai 1872. bezahlt wer= | den. ^Die letzten drei Milliarden bleiben | zahlbar am 2. Marz 1874., so wie es | durch den Praliminar=Friedensvertrag^ | vereinbart worden ist. "^Vom 2. Marz | des laufenden Jahres an werden die | Zinsen dieser drei Milliarden Franks jedes | Jahr am 3. Marz mit 5 Prozent fur | das Jahr bezahlt werden. Jede im Voraus auf die letzten | Milliarden abgezahlte Summe wird vom | Tage der geleisteten Zahlung an auf== | horen, Zinsen zu tragen. Alle Zahlungen konnen nur in den | hauptsachlichsten Handelsplatzen Deutsch= | lands gemacht und werden in Metall, | Gold oder Silber, in Noten der Bank | von England, in Noten der PreuBischen | Bank, in Noten der Koniglichen Bank | der Niederlande, in Noten der ^ Dok. 135.

1308

§ 7: Deutscher Bund/Deutsches Reich (1870/71 - 1918)

[Dok. 129 - 147]

National= | bank von Belgien, in Anweisungen auf | Order oder diskontirbaren Wechseln ersten | Ranges, sofort zahlbar, geleistet werden. Da die Deutsche Regiemng in Frank= | reich den Werth des PreuBischen Thalers | [S. 228 - rechte Sp.J auf 3 Frks. 75 Cts. festgestellt hat, so | nimmt die Franzosische Regiemng die Um= | rechnung der Mtinzen beider Lander zu | oben bezeichnetem Kurse an. Die Franzosische Regiemng wird die | Deutsche Regiemng drei Monate zuvor | von jeder Zahlung benachrichtigen, welche | sie den Kassen des Deutschen Reichs zu | leisten beabsichtigt. ^Nach Zahlung der ersten halben Mil= | liarde und der Ratifikation des definitiven | Friedensvertrages werden die Departe= | ments Somme, Seine Inferieure und | Eure, soweit sie noch von den Deut= | schen Tmppen besetzt sind, geraumt. | ^Die Raumung der Departements Oise, | Seine=et=Oise, Seine=et=Mame und | und Seine sowie die Forts von Paris wird I stattfmden, sobald die Deutsche Regiemng | die Herstellung der Ordnung sowohl in | Frankreich als in Paris fur gentigend | erachtet, um die Ausfuhmng der von | Frankreich tibemommenen Verpflichtungen | sicher zu stellen. In alien Fallen wird diese Raumung | bei Zahlung der dritten halben Milliarde | stattfinden. Die Deutschen Tmppen behalten im | Interesse ihrer Sicherheit die Verfugung | liber die neutrale Zone zwischen der Deut= | schen Demarkationslinie und der Umwal= | lung von Paris auf dem rechten Ufer | der Seine. ^Die Bestimmungen des Vertrages vom | 26. Febmar^ tiber die Besetzung Franzosi= | schen Gebietes nach Zahlung von zwei | Milliarden bleiben in Kraft. "^Von der | Zahlung der ersten fiinfhundert Millionen | konnen Abztige, zu welchen die Franzo= | sische Regiemng berechtigt sein konnte, | nicht gemacht werden. [S. 229 - rechte Sp.J Artikel 8. Die Deutschen Tmppen werden auch | femer in den besetzten Gebieten sich der Re= | quisitionen in Naturalien und in Geld ent= | halten; da aber dieser ihrer Verpflichtung | die von der Franzosischen Regiemng wegen | ihrer Verpflegung tibemommenen Ver= | pflichtungen gegenuberstehen, so sollen | die Deutschen Tmppen, wenn die Franzosische | Regiemng ungeachtet wiederholter Auf= | fordemngen der Deutschen Regiemng in | Ausfuhmng der gedachten Verpflichtungen | zuriickbleiben sollte, das Recht haben, sich | das Nothige fur ihre Bediirfnisse durch | Erhebung von Steuem und Requisitionen | in den besetzten Departements und, wenn | deren Htilfsmittel nicht hinreichen sollten, | selbst auBerhalb derselben zu beschaffen. Beziiglich der Verpflegung der Deut= | schen Tmppen werden die gegenwartig in | Kraft stehenden Anordnungen bis zur | Raumung der Forts von Paris aufrecht | erhalten. Kraft der Uebereinkunft von Ferrieres | vom 11. Marz 1871. werden die durch | diese Uebereinkunft angegebenen Reduk= | tionen nach Raumung der Forts zur Aus= | fiihmng kommen. Sobald der Effektivstand des Deut= | schen Heeres unter die Zahl von 500,000 | Mann gesunken sein wird, sollen die unter | diese Zahl eingetretenen Vermindemngen | in Anrechnung gebracht werden, um eine | verhaltnismaBige Vermindemng der von | der Franzosischen Regiemng fur die Tmp= | pen bezahlten Unterhaltungskosten festzu= | stellen.

Dok. 135.

[137] Friedensvertrag von Frankfurt vom 10. Mai 1871

1309

Artikel 9. Die gegenwartig den Gewerbs=Er= | zeugnissen der abgetretenen Gebiete bei der | Einfuhr nach Frankreich gestattete Aus= | nahmebehandlung wird fur einen Zeitraum | von sechs Monaten, vom 1. Marz an ge= | rechnet, unter den mit den Deligirten des | [S. 230rechte Sp.J ElsaB vereinbarten Bedingungen aufrecht= | erhalten. Artikel 10. ^Die Deutsche Regierung wird fort= | fahren, im Einvemehmen mit der Fran= | zosischen Regierung, die Kriegsgefangenen | zurtickkehren zu lassen. "^Die Franzosische | Regierung wird diejenigen dieser Gefan= | genen, welche verabschiedet werden konnen, | in ihre Heimath zurticksenden. ^Diejenigen, | welche ihre Dienstzeit noch nicht zuruck== | gelegt haben, sollen sich hinter die Loire | zuruckziehen. ''ES ist vereinbart, daB die | Armee von Paris und von Versailles, | nach Herstellung der Autoritat der Fran= | zosischen Regierung in Paris und bis zur | Raumung der Forts durch die Deutschen | Truppen, 80,000 Mann nicht tibersteigen soil. Bis zu dieser Raumung darf die Fran= | zosische Regierung eine Truppenzusammen= | ziehung auf dem rechten Ufer der Loire | nicht vomehmen, jedoch wird sie flir die | regelmaBigen Besatzungen der in dieser | Zone gelegenen Stadte, nach MaBgabe | des Bedarfs fiir die Aufrechterhaltung der 1 Ordnung und der offentlichen Ruhe, Sorge | tragen. Nach MaBgabe des Fortschritts der | Raumung werden sich die Befehlshaber | der Truppen tiber eine neutrale Zone | zwischen den Armeen der beiden Nationen | verstandigen. 20,000 Gefangene sollen ohne Verzug | nach Lyon dirigirt werden, unter der Be= | dingung, daB sie nach ihrer Organisirung | sofort nach Algerien geschickt werden, um | in dieser Kolonie zur Verwendung zu | kommen. Artikel 11. Da die Handelsvertrage mit den ver= | schiedenen Staaten Deutschlands | durch den Krieg aufgehoben sind, so werden die | Deutsche Regierung und die Franzosische | [S. 231 - rechte Sp.] Regierung den Grundsatz der gegenseitigen | Behandlung auf dem FuBe der meistbe= | gtinstigten Nation ihren Handelsbezie= | hungen zu Gmnde legen. Diese Regel umfaBt die Eingangs= | und Ausgangsabgaben, den Durchgangs= | Verkehr, die Zollformlichkeiten, die Zu= | lassung und Behandlung der Angehorigen | beider Nationen und der Vertreter der= | selben. Jedoch sind ausgenommen von der | vorgedachten Regel die Begtinstigungen, | welche einer der vertragenden Theile durch | Handelsvertrage anderen Landem gewahrt | hat oder gewahren wird, als den fol= | genden: England, Belgien, Niederland, | Schweiz, Oesterreich, RuBland. Die Schiffahrtsvertrage und die Ueber= | einkunft, betreffend die Zollabfertigung des | intemationalen Verkehrs auf den Eisen= | bahnen, sowie die Uebereinkunft wegen | gegenseitigen Schutzes der Rechte an li= |terarischen Erzeugnissen und Werken der | Kunst sollen wieder in Kraft treten. Indessen behalt sich die Franzosische | Regierung die Befugnis vor, von den | Deutschen Schiffen und deren Ladungen | Tonnen= und Flaggengebtihren zu er= | heben, mit dem Vorbehalte, daB diese | Gebtihren die von den Schiffen und La= | dungen der vorerwahnten Nationen er= | hoben nicht tibersteigen.

1310

§ 7: DeutscherBund/Deutsches Reich (1870/71 - 1918)

[Dok. 129-147]

Artikel 12. Alle ausgewiesene Deutsche bleiben im | vollen Genusse alles Eigentums, welches | sie in Frankreich erworben haben. Diejenigen Deutschen, welche die von | den Franzosischen Gesetzen verlangte Er= | machtigung erhalten haben, ihren Wohnsitz | in Frankreich aufzuschlagen, werden in alle | ihre Rechte wieder eingesetzt und konnen in | [S. 232 - rechte Sp.J Folge dessen auf Franzosischem Gebiete | von Neuem ihren Wohnsitz nehmen. Ftir diejenigen Personen, welche von | der vorerwahnten Befugnis, nach Frank= | reich zurtickzukehren, binnen sechs Mo= | naten nach Austausch der Ratifikationen | dieses Vertrages Gebrauch machen, wird 1 die durch die Franzosischen Gesetze festge= | stellte Frist zur Erlangung der Naturali= | sation als durch den Kriegszustand nicht unterbrochen betrachtet, und die zwischen | ihrer Ausweitung und ihrer Rtickkehr auf | Franzosischen Boden verflossene Zeit soil | dergestalt gerechnet werden, als ob sie nie | aufgehort batten, in Frankreich zu wohnen. Vorstehende Bedingungen sind in vol= | ler Gegenseitigkeit auf die Franzosischen | Unterthanen anwendbar, welche in Deutsche | land wohnen oder zu wohnen wtinschen. Artikel 13. Die Deutschen Schiffe, welche durch | Prisengerichte vor dem 2. Marz 1871. | kondeminirt waren, sollen als endgiiltig | kondemnirt angesehen werden. ^Diejenigen, welche an besagtem Tage | nicht kondemnirt waren, sollen mit der | Ladung, soweit solche noch vorhanden, | zurtickgegeben werden. '^Wenn die Rtick= | gabe der Schiffe und Ladungen nicht mehr | moglich ist, so soil ihr nach dem Ver= | kaufspreise bemessener Werth ihren Eigen= | thtimem erstattet werden. Artikel 14. ^ Jeder der vertragenden Theile wird | auf seinem Gebiete die zur Kanalisirung | der Mosel untemommenen Arbeiten fort= | fiihren. '^Die gemeinsamen Interessen der | getrennten Theile der beiden Departe= | ments Meurthe und Mosel sollen liquidirt | werden. Artikel 15. Die hohen vertragenden Theile ver= | pflichten sich gegenseitig, auf die beidep= | seitigen Unterthanen die MaBregeln aus= | [S. 233 - rechte Sp.J zudehnen, welche sie zu Gunsten derjenigen | ihrer Angehorigen zu treffen fiir ntitzlich | erachteten mochten, die in Folge der Kriegs= | ereignisse in die Unmoglichkeit versetzt wor= | den waren, die Wahmehmung Oder Auf= | rechterhaltung ihrer Rechte zu bewirken. Artikel 16. Beide Regierangen, die Deutsche und die Franzosische, verpflichten sich gegen= | seitig, die Graber der auf ihren Gebieten | beerdigten Soldaten respektiren und unter= | halten zu lassen.

[137] Friedensvertrag von Frankfurt vom 10. Mai 1871

1311

Artikel 17. Die Regulimng der nebensachlichen | Punkte, tiber welche in Folge dieses Ver= | trages und des Praliminar=Vertrages^ eine | Verstandigung zu erfolgen hat, wird der | Gegenstand weiterer Verhandlungen sein, | welche in Frankfurt stattfinden werden. Artikel 18. Die Ratifikationen des gegenwartigen | Vertrages durch Seine Majestat den | Deutschen Kaiser einerseits und anderer= | seits durch die Nationalversammlung und | durch das Oberhaupt der vollziehenden | Gewalt der Franzosischen Republik wep= | den in Frankfurt binnen zehn Tagen oder | wo moglich friiher ausgetauscht werden. Zur Beglaubigung dessen haben die | beiderseitigen Bevollmachtigten denselben | vollzogen und untersiegelt. Geschehen zu Frankfurt, den 10. Mai | 1871. V. Bismarck. | (L. S.) Jules Favre. | (L. S.) Amim. | (L. S.) Pouyer=Quertier. | (L. S.) E. de Goulard. | (L. S.) [S. 234 - rechte SpJ Zusatz-Artikel. Artikel 1. §.1. ^Die Franzosische Regierung wird | innerhalb der fiir den Austausch der Ra= | tifikationen des gegenwartigen Vertrages | festgesetzten Frist von dem ihr zustehenden | Rechte zum Riickkauf der Ostbahn= | gesellschaft ertheilten Konzession Gebrauch | machen. "^Die Deutsche Regierung wird, | soweit es sich um die in den abgetretenen | Gebieten gelegenen, vollendeten aber im | Bau begriffenen Eisenbahnen handelt, in | alle Rechte eintreten, welche die Franzosische | Regierung durch den Riickkauf der Kon=| zessionen erworben haben wird. §.2. In diese Konzession sind ein= | begriffen: 1) alle der gedachten Gesellschaft zuge= | horigen Grundstucke, ohne Unter= | schied ihrer Bestimmung, z. B. Bahn= | hofs= und Stationsgebaude, Schup= | pen, Werkstatten und Niederlagen, | Bahnwarterhauser u. s. w.; 2) alle dazu gehorigen festen Pertinenz= | grundstiicke, wie: Barrieren, Zaune, Wei= | chen, Weichenstellungen, Drehschei= | ben, Pumpen, hydraulische Krahnen, | feste Maschinenu. s. w.; 3) alle Materialien, Brennstoffe und | Vorrathe aller Art, Bahnhofs=Mo= | biliar, Werkzeuge in den Werkstatten | und Bahnhofen u. s. w.; 4) die Forderungen der Ostbahngesell= | schaft an Korporationen oder Per= | sonen, welche in den abgetretenen | Gebieten ihren Wohnsitz haben, auf | Zahlung von Subventionen.

Dok. 135.

1312

§ 7: Deutscher Bund/Deutsches Reich (1870/71 - 1918)

[Dok. 129 - 147]

[S.235-rechteSp.] §3. ^Ausgeschlossen von dieser Ab== | tretung ist das Betriebsmaterial. ^Die | Deutsche Regierung wird den etwa in | ihrem Besitz befindlichen Theil des Be= | triebsmaterials nebst Zubehor der Fran= | zosischen Regierung zurtickgeben. §4. ^Die Franzosische Regierung ver= | pflichtet sich, die abgetretenen Eisenbahnen | nebst Zubehor dem deutschen Reich gegen= | liber von alien Rechtsansprtichen zu be= | freien, welche dritte Personen darauf gel= | tend machen konnten, namentlich von den | Anspruchen der Darlehnsglaubiger. '^Gleich= | falls verpflichtet Sie sich, eintretenden Falls | fur die Deutsche Regierung in Bezug auf | die Anspniche einzutreten, welche gegen | die Deutsche Regierung von Glaubigem | der in Rede stehenden Bahnen erhoben | werden mochten. §5. Die Franzosische Regierung iiber= | nimmt die Vertretung der Ansprtiche, welche | die Ostbahngesellschaft gegen die Deutsche | Regierung oder deren Beauftragte in Bezug | auf den Betrieb der gedachten Eisenbahnen | und auf den Gebrauch der im §.2. be= | zeichneten Gegenstande, sowie des Be= | triebsmaterials erheben konnte. Die Deutsche Regierung wird der | Franzosischen Regierung auf deren Ver= | langen alle Schriftstucke und Nachrichten | mittheilen, welche zur Feststellung der den | vorerwahnten Anspriichen zu Grunde lie= | genden Thatsachen dienen konnten. §.6. ^Die Deutsche Regierung wird | der Franzosischen Regierung ftir die Ab= | tretung der in den §§.1 und 2. erwahnten | Eigentumsrechte und als Gegenleistung | fur die im §. 4. von der Franzosischen | Regierung tibemommene Verpflichtung | die Summe von dreihundertfanfundzwan= | zig Millionen (325,000,000) Frks. zahlen. | [S. 235 - rechte Sp.J ^Diese Summe wird von der im Ar= | tikel 7. festegesetzten Kriegsentschadigung in | Abzug gebracht. In Erwagung, daB die Lage, auf | welcher die zwischen der Ostbahngesellschaft | und der Koniglich GroBherzoglichen Ge= \ sellschaft der Wilhelm==Luxemburg=Bahnen | am 6. Juni 1857. und am 21. Januar | 1868. abgeschlossenen Konventionen, sowie | diejenige Konvention beruht, welche zwi= | schen der Regierung des GroBherzogthums | Luxemburg und den Gesellschaften der Wil= | helm=Luxemburg=Bahnen und der Fran= | zosischen Ostbahn unter dem 5. Dezember | 1868. abgeschlossen ist, eine so wesentliche | Veranderung erfahren hat, daB diese Kon= | ventionen zu der Sachlage nicht mehr | passen, wie solche durch die im §. 1. ent= | haltenen Verabredungen geschaffen ist, er= | klart die Deutsche Regierung sich bereit, | ihrerseits fiir die aus diesen Konventionen | fur die Ostbahngesellschaft erwachsenden | Rechte und Pflichten einzutreten. Die Franzosische Regierung verpflichtet | sich, fur den Fall, daB sie, sei es durch | Rtickkauf der Konzession der Ostbahn= | gesellschaft, sei es durch besondere | Uebereinkunft in die von dieser Gesell= | schaft auf Grund der vorgedachten Kon= | zession erworbenen Rechte eintritt, diese | Rechte innerhalb einer Frist von sechs | Wochen unentgeltlich an die Deutsche Re= | gierung abzutreten. Ftir den Fall, daB dieser Eintritt in | die Rechte der Ostbahngesellschaft nicht | erfolgt, wird die Franzosische Regierung | Konzessionen fur die der Ostbahngesell= | schaft gehorigen und auf Franzosischem | Boden gelegenen Linien nur unter der | ausdnicklichen Bedingung ertheilen, daB | der Konzessionar nicht die im GroBherzog= | thum Luxemburg gelegenen Linien aus= | beute.

[137] Friedensvertrag von Frankfurt vom 10. Mai 1871

1313

[S.237-rechteSpJ Artikel 2. Die Deutsche Regierung bietet zwei | Millionen Franks fur die Rechte und das | Eigenthum an, welche die Ostbahngesell= | schaft auf dem Theile ihres Netzes besitzt, | der auf Schweizerischem Gebiete von der | Grenze bis Basel liegt, wenn die Fran= | zosische Regierung ihr die Zustimmung | dazu binnen einem Monat beschafft. Artikel 3. Die Gebietsabtretung bei Belfort, | welche die Deutsche Regierung in Ar= | tikel 1. des gegenwartigen Vertrages zum | Austausch fur die im Westen von Thion= | ville verlangte Grenzberechtigung anbietet, | wird um die Bezirke der folgenden Dorfer | vermehrt: Rougemont, Leval, Petite^ | Fontaine, | Romagny, Felon, La Chapelle= | sous^^Rougemont, Angeot, Vauthiermont, | La Riviere, La Grange, Reppe, Fon= | taine, Frais, Foussemagne, Cunelieres, | Montreux=Chateaux, Bretagne, Chavannes= | les^Grands, Chavanatte, Suarce. Die StraBe von Giromagny nach | Remiremont, welche tiber den Walsch= | belchen geht, wird in ihrer ganzen Lange | bei Frankreich bleiben und, soweit sie | auBerhalb des Kantons Giromagny liegt, | als Grenze dienen. Geschehen zu Frankfurt, den 10. Mai | 1871. V. Bismarck. Jules Favre. Amim. Pouyer=Quertier. E. de Goulard. [S. 238 - linke SpJ Fait a Francfort s. M., | le 10 mai 1871. Les soussignes, apres avoir entendu | la lecture du traite de paix definitif, | Font trouve conforme a ce qui a ete | convenu entre eux. En vertu de quoi ils Font muni | de leurs signatures. Les trois articles additionnels ont | ete signes separement. II est entendu | qu'ils feront partie integrale du traite | de paix. Le soussigne Chancelier de I'Em-1 pire allemand a declare qu'il se | charge de communiquer le traite | aux Gouvemements de Baviere, de | Wurtemberg et de Bade et d'obtenir | leurs accessions. V. Bismarck. Jules Favre. Amim. Pouyer-Quertier. E. de Goulard. (Deutsche Ubersetzung) [S. 238-rechteSpJ Geschehen zu Frankfurt a. M., | den 10. Mai 1871. Die Unterzeichneten, nachdem sie die | Vorlesung des endgtiltigen Friedens=Vep= | trages angehort haben, finden denselben in | Uebereinstimmung mit dem, was zwischen | ihnen verabredet worden ist. In Folge dessen haben Sie denselben | mit ihren Unterschriften versehen. Die drei Zusatz=Artikel sind besonders | unterzeichnet worden. Es ist vereinbart | worden, dass Sie einen integrirenden Theil | des Friedens^Vertrages bilden. Der unterzeichnete Kanzler des Deut= | schen Reichs erklarte, daB er es uber= | nehme, den Vertrag den Regiemngen von | Bayem, Wtirttemberg und Baden mitzu= | theilen und ihren Beitritt zu bewirken. V. Bismarck. Amim.

Jules Favre. Pouyer=Quertier. E. de Goulard.

1314

§ 7: Deutscher Bund/Deutsches Reich (1870/71 - 1918)

[Dok. 129 - 147]

[S. 238] Protokoll, betreffend den Beitritt Bayems, Wiirttembergs und Badens zu dem Friedens= | Vertrage vom 10. Mai 1871. Vom 15. Mai 1871. Geschehen Berlin, den 15. Mai 1871. Der Kaiserlich Deutsche auBerordentliche Gesandte und bevollmachtigte Minister | am Papstlichen Hofe Graf Harry von Amim, der Koniglich Bayerische be= | vollmachtigte Minister Graf Friedrich Wilhelm von Quadt, Wykrad Jsny, | der Koniglich Wtirttembergische Geheime Legationsrath Graf August von Uxkull | und der GroBherzoglich Badische Geheime Rath Freiherr Allesina von Schweizer | waren heute zusammengetreten, als Bevollmachtigte, beziehungsweise Seiner | Majestat des Deutschen Kaiser und Konigs von PreuBen, Seiner Majestat des | Konigs von Bayem, Seiner Majestat des Konigs von Wtirttemberg und Seiner | Koniglichen Hoheit des GroBherzogs von Baden, durch die theils bei den Friedens= | Verhandlungen in Brtissel, theils heute vorgelegten und allerseits gut und richtig | befundenen Vollmachten legitimirt, um die nachtragliche Vollziehung des am 10. | d. Mts. in Frankfurt a. M. unterzeichneten Friedensvertrages zwischen Deutsche | land und Frankreich durch die genannten drei Stiddeutschen BevoUmachtigten zu | bewirken. [S. 239] Der Graf Amim legte die Originalien 1) des Vertrages welcher also anfangt: Le Prince Othon de Bismarck-Schoenhausen, | Chancelier de I'Empire Germanique, le Comte Harry d'Amim, Envoye Extraordinaire et | Ministre Plenipotentiaire de Sa Majeste I'Empereur d'Alle-1 magne, und also schlieBt: Article 18. Les ratifications du present traite par Sa Majeste I'Em-1 pereur d'Allemagne, | d'un cote I et de 1'autre par I'Assemblee nationale et par le Chef du Pouvoir executif | de la Republique fran9aise, seront echangees a Francfort | dans le delai de dix jours ou plus tot si faire se pent. En foi de quoi les Plenipotentiaires respectifs Font | signe et y ont appose le cachet de leurs armes. Fait a Francfort le 10 Mai 1871. (L.S.) V. Bismarck. (L.S.) Jules Favre. (L.S.) Amim. (L.S.) Pouyer-Quertier. (L.S.) E. de Goulard. 2) der Articles additionnels, welche also anfangen: Article 1. §.1. D'ici a I'epoque fixee pour I'echange des ratifica-1 tions du present traite und also schlieBen: servira de limite en tant qu'elle est situee en dehors du canton | de Giromagny.

[137] Friedensvertrag von Frankfurt vom 10. Mai 1871

1315

Fait a Francfort le 10 Mai 1871. | folgen dieselben Unterschriften wie oben, 3) des Protokolls, welches also anfangt: Fait a Francfort le 10 Mai 1871. Les soussignes, apres avoir entendu la lecture du traite | de paix definitif und also schlieBt: d'obtenir leurs accessions. | folgen dieselben Unterschriften wie oben, vor. [S. 240] Nachdem diese drei Dokumente vorgelesen, haben die drei Stiddeutschen | Bevollmachtigten den Inhalt derselben, unter Bezugnahme auf die von dem | Grafen von Bray=Steinburg, dem Freiherm von Wachter, dem Minister | Mittnacht und dem Minister Jolly bei der Unterzeichnung des Praliminar= | Friedens d. d. Versailles, den 26. Februar d. J. abgegebene Erklarung, ge= | nehmigt, wie denn die bezeichneten drei Schriftstiicke Wort fiir Wort dem gegen= | wartigen Protokolle eingeriickt waren. Zu Urkund dessen ist dieses Protokoll nach erfolgter Vorlesung und Ge= | nehmigung von den Anwesenden unter Beidriickung ihrer Siegel wie folgt unter= | zeichnet worden. (L. S.) Amim. | (L. S.) Quadt. | (L. S.) v. Uxkull. | (L. S.) Schweizer. [S. 240 - linke Sp.] Geschehen Frankfurt am Main, | den 20. Mai 1871. Die Unterzeichneten, der Ftirst v. Bismarck, Kanzler | des Deutschen Reichs, der Kaiserlich Deutsche auBerordent= | liche Gesandte und bevollmachtigte Mi= | nister am Papstlichen Stuhle, Graf | Harry v. Amim, einerseits, und der Minister der auswartigen An= | gelegenheiten der Franzosischen Re= | publik, Jules Favre, der Finanzminister der Franzosischen | Republik Augustin Thomas Jo= | seph Pouyer=Quertier, das Mitglied der Franzosischen Na= | tional=Versammlung Marc Thomas | Eugene de Goulard, andererseits, [S. 241 - linke Sp.] waren heute zusammengetreten, um den | Austausch der Ratifikationen des am | 10. d. M. hierselbst unterzeichneten defi= | nitiven Friedensvertrages zwischen dem | Deutschen Reich und der Franzosischen | Republik zu bewirken. Der Ftirst | v. Bismarck und der Graf V. Amim | legten die von Seiner Majestat dem | Deutschen Kaiser und Konige von Preu= | Ben am 16. d. M. vollzogene Ratifika= | tions=Urkunde vor, sowie die Ausfertigung | des Protokolls, d. d. Berlin, den 15. | d. M., welches der Deutschen Ratifi= | kations-Urkunde einverleibt ist und In= | halts dessen Seine Majestat der Konig | von Bayem, Seine Majestat der Konig | von Wtirttemberg und Seine Konigliche | Hoheit der GroBherzog von Baden durch I Ihre Bevollmachtigten ausdriicklich dem | Friedensvertrage vom 10. d. M. beige= | treten sind, die Minister Jules Favre | und Pouyer-Quertier die von dem | Chef du Pouvoir executif der Franz= | zosischen Republik am 18. d. M. voll= | zogene Ratifikations=Urkunde vor, sowie | eine in gehoriger Form erfolgte Ausfer= | tigung des am 18. d. M. von der Na= | tional=Versammlung angenommenen, den | Friedensvertrag ratifizirenden Gesetzes, | durch dessen zweiten Artikel die National^ | Versammlung der Grenzberichtigung zu= I stimmt, welche in dem dritten Absatz des | Artikels 1. des Friedensvertrages vor= I geschlagen ist als Gegenleistung fiir die | Erweiterung des im zweiten Absatz des |

1316

§ 7: Deutscher Bund/Deutsches Reich (1870/71 - 1918)

[Dok. 129 - 147]

genannten Artikels und in dem dritten | Additional=Artikel bezeichneten Rayons | um Belfort. Nachdem beide Dokumente vorgelesen | waren, nahmen die Deutschen Bevoll= | machtigten Akt von dem oben bezeichne= | ten, durch die National=Versammlung | votirten Gesetze, die Franzosischen Bevoll= | machtigten von dem Beitritt zu dem | Vertrage, welchen die Bevollmachtigten | seiner Majestat des Konigs von Bayem, | [S. 242 - linke SpJ Seiner Majestat des Konigs von Wurt= | temberg und Seiner Koniglichen Hoheit | des GroBherzogs von Baden im Namen | ihrer Souveraine erklart haben. Die beiderseitigen Bevollmachtigten | sind daruber einverstanden,^ daB die Sti= | pulationen liber den Austausch, von dem | im Artikel 1. und im dritten Additional^ | Artikel die Rede ist, nachdem sie von | der Franzosischen Regierung angenommen | sind, einen integrirenden Bestandtheil des | Friedensvertrages ausmachen, und daB | demgemaB die Feststellung der Grenze | zwischen dem Deutschen Reich und Frank= | reich zu bewirken ist. Die Deutschen Bevollmachtigten ha== | ben darauf die Franzosische, die Fran= | zosischen Bevollmachtigten die Deutsche | Ratifikation in Empfang genommen. Zu Urkund dessen ist das gegenwar= | tige Protokoll zweimal, einmal in Deut= | scher und einmal in Franzosischer Sprache | aufgenommen und nach erfolgter Vor= | lesung und Genehmigung unterzeichnet | worden. Das Franzosische Exemplar | haben die Deutschen, das Deutsche die | Franzosischen Bevollmachtigten an sich | genommen. V. Bismarck. | (L. S.) Jules Favre. | (L. S.) Amim. | (L. S.) Pouyer=Quertier. | (L. S.) E. de Goulard. | (L. S.) [S. 240 - rechte SpJ Fait a Francfort s. M., | le 20 mai 1871. Les Soussignes, M. Jules Favre, ministre des | affaires etrangeres de la Republique | fran9aise, M. Augustin Thomas Joseph | Pouyer-Quertier, ministre des | finances de la Republique fran^aise, | et M. Marc Thomas Eugene de | Goulard, membre de I'Assemblee | nationale, d'un cote, | de I'autre le Prince de Bismarck, chan-1 celier de I'Empire germanique, le Comte Harry d'Amim, | envoye extraordinaire et ministre | plenipotentiaire de Sa Majeste I I'Empereur d'Allemagne pres le | St. Siege, fS. 241 - rechte SpJ se sont reunis aujourd'hui pour pro-1 ceder a I'echange des ratifications du | traite definitif de paix, entre la Re-1 publique fran9aise et TEmpire ger-1 manique, signe dans cette ville le I dix mai de I'annee courante. M. Jules Favre et M. Pouyer-1 Quertier presenterent 1'instrument | de ratification signe par le Chef du | Pouvoir executif de la Republique | fran9aise le 18 mai, ainsi qu'une | expedition en due forme de la loi | ratificative du traite vote par I'As-1 semblee nationale le 18 mai, par | I'article 2 de laquelle I'Assemblee | nationale consent a la rectification | de frontiere proposee par le para-1 graphe 3 de I'article 1®^ du traite en | echange de I'elargissement du rayon | autour de Belfort tel qu'il est indique | par le paragraphe 3 du dit article | et par le troisieme des articles addi-1 tionnels. Le Prince de Bismarck et le | comte d'Amim presenterent de leur | cote 1'instrument de ratification signe | par Sa Majeste I'Empereur d'Alle-1 magne et Roi de Prusse le 16 du moi I courant, ainsi que 1'expedition du pro-1 tocole en date de Berlin, le 15 mai, | et insere dans I'instmment de ratifi-1 cation allemand, en vertu duquel | Sa Majeste le Roi de Baviere, Sa | Majeste le Roi de Wurtemberg et | Son Altesse Royale le Grand-Due | de Bade

[137] Friedensvertrag von Frankfurt vom 10. Mai 1871

1317

ont accede expressement, | par leurs plenipotentiaires respectifs | au traite de paix du 10 de ce mois. Lecture ayant ete donnee de ces | deux documents, les plenipotentiaires | frangais ont pris acte de 1'adhesion | donnee au traite par les plenipoten-1 tiaires de Leurs Majestes les Rois I de Baviere et de Wurtemberg et de | Son Altesse Royale le Grand-Due | de Bade au nom de leurs Souverains | fS. 242 - rechte SpJ respectifs, les plenipotentiaires alle-1 mands de la loi sus-indiquee votee | par I'Assemblee nationale fran9aise. Les plenipotentiaires des deux | pays sont convenus que les stipula-1 tions d'echange, dont il est question | dans Particle V^ et le troisieme des | articles additionnels, apres avoir | ete acceptees par le gouvemement | fran9ais, feront partie integrante au | traite de paix et que la delimitation | de frontieres entre la France et | I'Empire germanique sera effectuee | en consequence. L'echange des lettres de ratifica-1 tion a eu lieu ensuite de maniere | que 1'instrument allemand a ete de-1 livre aux plenipotentiaires frangais | et Tin-strument fran9ais aux plenipoI tentiaires allemands. En foi de quoi le present proto-1 cole, redige en deux exemplaires, | dont Tun en langue fran9aise et 11'autre en langue allemande, a ete | signe par les plenipotentiaires respec-1 tifs, apres avoir ete lu et approuve. | L'exemplaire allemand a ete remis | aux plenipotentiaires fran9ais, I'exem-1 plaire fran9ais aux plenipotentiaires | allemands. V. Bismarck. | (L. S.) Jules Favre. | (L. S.) Amim. | (L. S.) Pouyer-Quertier. | (L. S.) E. de Goulard. | (L. S.) [S. 243 - linke SpJ Les Soussignes sont convenus et | ont arrete ce qui suit: D'apres Particle 7 du traite defi-1 nitif de paix entre I'Empire germa-1 nique et la Republique fran9aise du | 10 mai courant le premier payement | de cinq cents millions aura lieu dans I les trente jours qui suivront le reta-1 blissement de I'autorite du gouveme-1 ment fran9ais dans la ville de Paris. Le mode de payement est fixe | dans ce meme article. Les Soussignes sont cependant | convenus que, pour cette fois seule-1 ment, les conditions du payement | stipulees seront modifiees de sorte | que 125 millions de francs seront | acceptes en payement en billets de | la banque de France dans les con-1 ditions suivantes: 1. quarante millions seront payes | jusqu'au I®'" juin courant, autres | quarante millions jusqu'au 8 juin | courant, les demiers quarante-1 cinq millions de francs jusqu'au | 15 juin courant; 2. la partie la plus grande possible | de chaque payement se fera en | billets de banque de cent, cin-1 quante ou vingt francs; les paye-1 ments seront effectues a Stras-1 bourg, Metz ou Mulhouse. Une somme de 125 millions a | compte du second payement d'un | milliard fixe dans r article 7 du traite | definitif de paix du 10 mai courant | devra etre payee dans les soixante | jours qui suivront I'epoque fixee pour | le payement du premier demi-milliard. [S. 244 - linke SpJ Ce payement de 125 millions sera | effectue dans les valeurs prescrites | audit article 7 a moins qu'un autre | arrangement n'aurait eu lieu. Fait en double a Francfort, ce | 21 mai 1871. V. Bismarck. Jules Favre. Pouyer-Quertier.

1318

§ 7: Deutscher Bund/Deutsches Reich (1870/71 - 1918)

[Dok. 129 - 147]

[S.243-rechteSpJ (Uebersetzung.) Die Unterzeichneten sind ubereingekom= | men und haben beschlossen, wie folgt: Nach Artikel 7. des endgtiltigen Frie= | densvertrages zwischen dem Deutschen | Reich und der Franzosischen Republik | vom 10. Mai d. J. soil die erste Zah= | lung von funfhundert Millionen inner= | halb der auf die Wiederherstellung der | Autoritat der Franzosischen Regierung | in der Stadt Paris folgenden dreiBig | Tage stattfmden. Die Art der Zahlung ist in demselben | Artikel festgestellt. Die Unterzeichneten sind indessen tiber= | eingekommen, daB fiir dieses eine Mai | die fiir die Zahlung vereinbarten Bedin= | gungen dahin abgeandert werden sollen, | daB 125 Millionen Franks in Noten der | Bank von Frankreich in Zahlung ange== | nommen werden unter folgenden Bedin= | gungen: 1) vierzig Millionen werden bis zum | nachsten 1. Juni bezahlt, weitere | vierzig Millionen bis zum nachsten | 8. Juni, die letzten funfundvierzig | Millionen bis zum nachsten 15. Juni; 2) der groBtmogliche Theil jeder Zah= | lung erfolgt in Banknoten von Ein= | hundert, funfzig Oder zwanzig Franks; | die Zahlungen werden in StraBburg, | Metz oder Mtihlhausen geleistet. Eine Summe von 125 Millionen auf | Abschlag der zweiten, im Artikel 7. des end= | gtiltigen Friedensvertrages vom 10. Mai | d. J. festgesetzten Zahl= |ung Finer Milliarde | soil innerhalb der auf den Zahlungstermin | der ersten halben Milliarde folgenden | sechzig Tage gezahlt werden. Diese Zah=^ | [S. 244 - rechte SpJ lung von 125 Millionen wird in den | im genannten Artikel 7. vorgeschriebenen | Valuten erfolgen, sofem nicht ein ande= | res Abkommen stattgefiinden haben wird. Geschehen, in doppelter Ausfertigung, | zu Frankfurt, am 21. Mai 1871. V. Bismarck. Jules Favre. Pouyer=Quertier.

[138] Gesetz, betreffend die Stellvertretung des Reichskanzlers, vom 17.Marz1878 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einfiihrungen" die Darstellungen unter [523.] [573.] [578.]. Quelle: Reichs-Gesetzblatt, (Nr. 4 vom 21. Marz) 1878, S. 7 - 8 (gedmckt). fS.7J (Nr. 1224.) Gesetz, betreffend die Stellvertretung des Reichskanzlers. Vom 17. Marz 1878. Wir Wilhelm, von Gottes Gnaden Deutscher Kaiser, Konig | von PreuBen etc. | verordnen im Namen des Reichs, nach erfolgter Zustimmung des Bundesraths | und des Reichstags, was folgt: §.1. Die zur Gtiltigkeit der Anordnungen und Verfligungen des Kaisers er= | forderliche Gegenzeichnung des Reichskanzlers, sowie die sonstigen demselben | durch die Verfassung und die Gesetze des Reichs tibertragenen Obliegenheiten | konnen nach MaBgabe der folgenden Bestimmungen durch Stellvertreter wahr= | genommen werden, welche der Kaiser auf Antrag des Reichskanzlers in Fallen | der Behinderung desselben emennt.

[139] Gesetz vom 15. Dezember 1890

1319

§.2. ^Es kann ein Stellvertreter allgemein fiir den gesammten Umfang der Ge= | schafte und Obliegenheiten des Reichskanzlers emannt werden, "^Auch konnen | fur diejenigen einzelnen Amtszweige, welche sich in der eigenen und unmittel= | baren Verwaltung des Reichs befmden, die Vorstande der dem Reichskanzler | untergeordneten obersten Reichsbehorden mit der Stellvertretung desselben im | ganzen Umfang oder in einzelnen Theilen ihres Geschaftskreises beauftragt | werden. §.3. Dem Reichskanzler ist vorbehalten, jede Amtshandlung auch wahrend der | Dauer einer Stellvertretung selbst vorzunehmen. [S.8] §.4. Die Bestimmung des Artikel 15 der Reichsverfassung wird durch dieses | Gesetz nicht beriihrt. Urkundlich unter Unserer Hochsteigenhandigen Unterschrift und beigedrucktem | Kaiserlichen Insiegel. Gegeben Berlin, den 17. Marz 1878. (L. S.) Wilhelm. Ftirst V. Bismarck.

[139] Gesetz, betreffend die Vereinigung von Helgoland mit dem Deutschen Reich, vom 15. Dezember 1890 VgL dazu in „Teil 1: Historische Einfiihrungen" die Darstellung unter [546.]. Quelle: Reichs-Gesetzblatt, (Nr. 36 vom 18. Dezember) 1890, S. 207-208 (gedmckt). [S, 207] (Nr. 1926.) Gesetz, betreffend die Vereinigung von Helgoland mit dem Deutschen Reich. | Voml5. Dezember 1890. Wir Wilhelm, von Gottes Gnaden Deutscher Kaiser, Konig | von PreuBen etc. | verordnen im Namen des Reichs, nach erfolgter Zustimmung des Bundesraths | und des Reichstages, was folgt: §.1. Die Insel Helgoland nebst Zubehorungen tritt dem Bundesgebiete hinzu. Das Reich ertheilt seine Zustimmung dazu, daB die Insel dem preuBischen | Staate einverleibt wird. §•2. ^Mit dem Tage der Einverleibung in den preuBischen Staat tritt die Ver= | fassung des Deutschen Reichs, mit Ausnahme des Abschnitts VI liber das Zoll= | und Handelswesen, auf der Insel in Geltung. '^Zu den Ausgaben des Reichs | tragt PreuBen fiir das Gebiet der Insel durch Zahlung eines Aversums nach | MaBgabe des Artikels 38 Absatz 3 der Reichsverfassung bei. §.3. Die von der Insel herstammenden Personen und ihre vor dem 11. August 1890 | geborenen Kinder sind von der Wehrpflicht befreit.

1320

§7:DeutscherBund/DeutschesReich(1870/71-1918)

[Dok. 129-147]

§•4. ^Das Wahlgesetz fur den deutschen Reichstag tritt mit dem im §. 2 bezeich= | neten Tage gleichfalls auf der Insel in Kraft. ^Durch BeschluB des Bundesraths | wird die Insel einem Wahlkreise zugetheilt. §.5. Durch Kaiserliche Verordnung unter Zustimmung des Bundesraths wird | festgestellt, inwieweit die Vorschriften in den §§. 2, 3, 4, 7, 8 des Gesetzes, be= | [S. 208] treffend die Reichskriegshafen, vom 19. Juni 1883 (Reichs=Gesetzbl. S. 105) fur | die Insel und ihre Gewasser zur Anwendung gelangen. §.6. Ftir die tibrigen, vor dem im §. 2 bezeichneten Tage erlassenen Reichsgesetze | wird der Zeitpunkt, mit welchem dieselben ganz oder theilweise in Kraft treten, | durch Kaiserliche Verordnung unter Zustimmung des Bundesraths festgesetzt. ^Insoweit die Schonung der auf der Insel bestehenden Gesetze und Gewohn= | heiten es erheischt, konnen auf dem im Absatz 1 bezeichneten Wege an Stelle | einzelner Vorschriften der einzufuhrenden Reichsgesetze Uebergangsbestimmungen er= | lassen werden. ^Die Geltung solcher Bestimmungen erstreckt sich nicht tiber den | 31. Dezember 1893. §.7. Dieses Gesetz tritt mit der Verkiindung in Kraft. Urkundlich unter Unserer Hochsteigenhandigen Unterschrift und beigedrucktem | Kaiserlichen Insiegel. Gegeben Berlin SchloB, den 15. Dezember 1890. (L. S.) Wilhelm. von Boetticher.

[140] Verordnung, betreffend die Erklarung des Kriegszustandes, vom31. Juli 1914 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einfiihrungen" die Darstellung unter [556.]. Quelle: Reichs-Gesetzblatt, (Nr. 47 vom 31. Juli) 1914, S. 263 (gedmckt). [S. 263] (Nr. 4417.) Verordnung, betreffend die Erklarung des Kriegszustandes. Vom 31. Juli 1914. Wir Wilhelm, von Gottes Gnaden Deutscher Kaiser, Konig | von PreuBen etc. | verordnen auf Grund des Artikels 68 der Verfassung des Deutschen Reichs im | Namen des Reichs, was folgt: Das Reichsgebiet ausschlieBlich der Koniglich Bayerischen Gebietsteile wird | hierdurch in Kriegszustand erklart. Diese Verordnung tritt am Tage ihrer Verktindung in Kraft. Urkundlich unter Unserer Hochsteigenhandigen Unterschrift und beigedrucktem | Kaiserlichen Insiegel. Gegeben Neues Palais, den 31. Juli 1914. (L. S.) Wilhelm. von Bethmann HoUweg.

[141] §§ 3 und 4 des Gesetzes vom 4. August 1914

1321

[141] §§ 3 und 4 des Gesetzes uber die Ermachtigung des Bundesrats zu wirtschaftlichen MaBnahmen und iiber die Verlangerung der Fristen des Wechsel- und Scheckrechts im Falle kriegerischer Ereignisse vom 4. August 1914 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einfuhmngen" die Darstellung unter [557.]. Quelle: Reichs-Gesetzblatt, (Nr. 53 vom 4. August) 1914, S. 327 - 328 (gedmckt).

[S. 327] (Nr. 4436.) Gesetz, iiber die Ermachtigung des Bundesrats zu wirtschaftlichen MaBnahmen | und liber die Verlangerung der Fristen des Wechsel= und Scheckrechts im | Falle kriegerischer Ereignisse. Vom 4. August 1914. Wir Wilhelm, von Gottes Gnaden Deutscher Kaiser, Konig | von PreuBen etc. | verordnen im Namen des Deutschen Reichs, nach erfolgter Zustimmung des Bundesrats | und des Reichstags, was folgt: ...[S. 328] .. . §3. Der Bundesrat wird ermachtigt, wahrend der Zeit des Krieges diejenigen | gesetzlichen MaBnahmen anzuordnen, welche sich zur Abhilfe wirtschaftlicher Schadigungen | als notwendig erweisen. Diese MaBnahmen sind dem Reichstag bei seinem nachsten Zusammentritt zur | Kenntnis zu bringen und auf sein Verlangen aufzuheben. §4. ^Dieses Gesetz tritt mit seiner Verktindung in Kraft. "^Der Zeitpunkt, in dem | das Gesetz auBer Kraft tritt, wird durch Kaiserliche Verordnung mit Zustimmung | des Bundesrats bestimmt. Urkundlich unter Unserer Hochsteigenhandigen Unterschrift und beigedracktem | Kaiserlichen Insiegel. Gegeben Berlin im SchloB, den 4. August 1914. (L. S.) Wilhelm. Delbriick.

1322

§ 7: Deutscher Bund/Deutsches Reich (1870/71 - 1918)

[Dok. 129 - 147]

[142] Allerhochster ErIaB iiber die Ermachtigung des Reichskanzlers zur selbstandigen Eriedigung von Regierungsgeschaften im Bereiche der Reichsverwaltung vom 16. August 1914 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einflihrungen" die Darstellung unter [562.]. Quelle: Reichs-Gesetzblatt, (Nr. 64 vom 20. August) 1914, S. 379 - 380 (gedruckt). [S. 379] (Nr. 4473.) Allerhochster ErlaB uber die Ermachtigung des Reichskanzlers zur selbstandigen I Eriedigung von Regierungsgeschaften im Bereiche der Reichsverwaltung. | Vom 16. August 1914. In dem Wunsche, wahrend Meiner Abwesenheit im Felde die unverziigliche | Eriedigung der Regierungsgeschafte zu sichem, will Ich den Reichskanzler bis | auf weiteres ermachtigen, folgende sonst zu Meiner Entscheidung gelangende An= | gelegenheiten im Bereiche der Reichsverwaltung selbstandig zu erledigen: 1. Bewilligungen aus Meinen Dispositionsfonds bei der Reichshauptkasse, | soweit es sich um die Weiterbewilligung laufender Untersttitzungen oder | um die Bewilligung einmaliger Untersttitzungen handelt; 2. ErlaB von Forderungen, Erstattung vom Reiche vereinnahmter Betrage | und Niederschlagung von Fehlbetragen; 3. Abanderungen von Vertragen; 4. Genehmigung von Schenkungen und Zuwendungen; 5. Verleihung der Anstellungsberechtigung; 6. Emennung und Entlassung der Prasidenten und Mitglieder der Kaiser= | lichen Disziplinarbehorden, der Mitglieder der Technischen Kommission | flir Seeschiffahrt und des Versicherungsbeirats, der standigen Mit= | glieder im Nebenamte sowie der richterlichen Beamten und Mitglieder | hochster Verwaltungsgerichtshofe bei dem Aufsichtsamte fiir Private | versicherung, der nichtstandigen Mitglieder des Patentamts, des Vor= | sitzenden und der Beisitzer des Oberseeamts und des Oberprisengerichts, | bei den Reichsbankhauptstellen; 7. Versetzung von Beamten in den Ruhestand; [S. 380] 8. Bewilligung von Pensionszuschtissen auf Grund des Artikel I Ziffer 11 des Gesetzes vom 22. Mai 1895 (Reichs=Gesetzbl. S. 237). Die demnach ergehenden Erlasse sind zu zeichnen: „Auf Grund Allerhochster Ermachtigung Seiner Majestat des Kaisers. | Der Reichskanzler." Berlin, SchloB, den 16. August 1914. (L. S.) Wilhelm. von Bethmann Hollweg. An den Reichskanzler.

[143] Gesetz vom 16. August 1918

1323

[143] Gesetz uber die Zusammensetzung des Reichstags und die Verhaltniswahi in groRen Reichstagswahlkreisen vom 16. August 1918 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einfuhmngen" die Darstellungen unter [515.] [564.]. Quelle: Reichs-Gesetzblatt, (Nr. 115 vom 29. August) 1918, S. 1079 - 1083 (gedruckt). [S. 1079] (Nr. 6444) Gesetz liber die Zusammensetzung des Reichstags und die Verhaltniswahi in | groBen Reichstagswahlkreisen. Vom 24. August 1918. Wir Wilhelm, von Gottes Gnaden Deutscher Kaiser, Konig | von PreuBen etc. | verordnen im Namen des Reichs, nach erfolgter Zustimmung des Bundesrats | und des Reichstags, was folgt: §1 Die Zahl der Mitglieder des Reichstags wird auf 441 erhoht. §2 Die Stadtgebiete von Berlin, Breslau, Frankfurt a. M., Mtinchen und | Dresden sowie das Hamburgische Staatsgebiet bilden einen Wahlkreis. §3 Zu je einem Wahlkreis werden vereinigt: 1. die Wahlkreise Coin 1 und 2 sowie der zur Stadt Coin gehorende | Teil des Wahlkreises Coin 6 (Wahlkreis Coin), 2. der Wahlkreis Dtisseldorf 4 mit dem zur Stadt Dusseldorf gehorenden | Telle des Wahlkreises Dtisseldorf 12 (Wahlkreis Dtisseldorf), 3. der Wahlkreis Dtisseldorf 2 mit dem zur Stadt Elberfeld gehorenden | Telle des Wahlkreises Dtisseldorf 1 (Wahlkreis Elberfeld), 4. der Wahlkreis Dtisseldorf 5 mit dem zur Stadt Essen a. d. Ruhr | gehorenden Telle des Wahlkreises Dtisseldorf 6 (Wahlkreis Essen), 5o der Wahlkreis Dtisseldorf 6 mit dem zur Stadt Oberhausen gehorenden | Telle des Wahlkreises Dtisseldorf 5 (Wahlkreis Duisburg), [S. 1080] 6. der Wahlkreis Hannover 8 mit dem zur Stadt Linden gehorenden | Telle des Wahlkreises Hannover 9 (Wahlkreis Hannover), 7. der Wahlkreis Sachsen 12 und 13 (Wahlkreis Leipzig), 8. der Wahlkreis Wtirttemberg 2 (Wahlkreis Stuttgart). §4 Fur die nach den §§2 und 3 gebildeten Wahlkreise sowie die Wahlkreise: Potsdam 6 (Wahlkreis Niederbamim), | Potsdam 10 (Wahlkreis Teltow), | Oppeln 5 (Wahlkreis Konigshtitte), | Oppeln 6 (Wahlkreis Hindenburg), | Schleswig=Holstein 7 (Wahlkreis Kiel), | Mtinster 3 (Wahlkreis Recklinghausen), | Amsberg 5 (Wahlkreis Bochum), I Amsberg 6 (Wahlkreis Dortmund), | Mittelfranken 1 (Wahlkreis Ntimberg), | Sachsen 16 (Wahlkreis Chemnitz), | Baden 11 (Wahlkreis Mannheim) und | Bremen (Wahlkreis Bremen) treten an die Stelle des § 6 Abs. 1 und der §§ 11 und 12 des Wahlgesetzes | ftir den Deutschen Reichstag vom 31. Mai 1869 (Bundesgesetzbl. S. 145) die | Vorschriften der folgenden§§5, 7 b i s l 5 .

1324

§ 7: DeutscherBund/Deutsches Reich (1870/71 - 1918)

[Dok. 129 - 147]

§5 Im Wahlkreis Berlin werden 10, im Wahlkreis Teltow 7, im Walil= | kreis Hamburg 5, in den Wahlkreisen Bochum und Leipzig je 4, in den | Wahlkreisen Coin, Breslau, Duisburg, Dortmund, Essen, Niederbamim, Mtinchen | und Dresden je 3 und in den tibrigen in §§ 2 bis 4 genannten Wahlkreisen je | 2 Abgeordnete nach den Grundsatzen der Verhaltniswahl gewahlt.

Betragt die Zahl der auf einen Wahlkreis entfallenden reichsdeutschen Ein= | wohner nach den beiden letzten allgemeinen Volkszahlungen mehr als 300000, | so tritt bei der nachsten allgemeinen Wahl fiir jede weiteren angefangenen 200000 | reichsdeutschen Einwohner je ein neuer Abgeordneter hinzu. Die Abgeordneten dieser Wahlkreise sind nach den Grundsatzen der Vep= | haltniswahl zu wahlen. §7 ^Bei dem Wahlkommissar sind spatestens am 21. Tage vor dem Wahltag Wahlvorschlage einzureichen. "^Die Wahlvorschlage mtissen von mindestens 50 im | [S. 1081 J Wahlkreis zur Austibung der Wahl berechtigten Personen unterzeichnet sein. ^Sie | dtirfen hochstens zwei Namen mehr enthalten, als Abgeordnete im Wahlkreis | zu wahlen sind. Von jedem vorgeschlagenen Bewerber ist eine Erklarung liber seine Zu= | stimmung zur Aufnahme in den Wahlvorschlag anzuschlieBen. In demselben Wahlkreis darf ein Bewerber nur einmal vorgeschlagen werden.

Mehrere Wahlvorschlage konnen miteinander verbunden werden. Die Verbindung muB von den Unterzeichnem der betreffenden Wahl= | vorschlage oder ihren Bevollmachtigten tibereinstimmend spatestens am 7. Tage vor | dem Wahltag beim Wahlkommissar schriftlich erklart werden. Verbundene Wahlvorschlage konnen nur gemeinschaftlich zuriickgenommen | werden. Die verbundenen Wahlvorschlage gelten den anderen Wahlvorschlagen | gegentiber als ein Wahlvorschlag. §9 ^Ftir die Priifung der Wahlvorschlage und ihrer Verbindung wird fur | jeden Wahlkreis ein WahlausschuB gebildet, der aus dem Wahlkommissar als | Vorsitzenden und vier Beisitzem besteht. ^Auf die Beisitzer fmdet § 9 Abs. 2 des | Wahlgesetzes vom 31. Mai 1869 Anwendung. Der WahlausschuB faBt seine Beschltisse mit Stimmenmehrheit. Nach der offentlichen Bekanntgabe der zugelassenen Wahlvorschlage konnen | diese nicht mehr zuriickgenommen und ihre Verbindung kann nicht mehr auf= | gehoben werden. §10 Die Stimmzettel sind auBerhalb des Wahlraums mit den Namen der | Bewerber, denen der Wahler seine Stimme geben will, handschriftlich oder im | Wege der Vervielfaltigung zu versehen. Die Namen auf den einzelnen Stimmzetteln dtirfen nur einem der offent= | lich bekanntgegebenen Wahlvorschlage entnommen sein.

[143] Gesetz vom 16. August 1918

1325

§11 Behufs Ermittlung des Wahlergebnisses ist festzustellen, wie viel gtiltige | Stimmen abgegeben und wie viele hiervon auf jeden Wahlvorschlag und auf | die verbundenen Wahlvorschlage gemeinschaftlich entfallen sind. §12 ^Die Abgeordnetensitze werden auf die Wahlvorschlage nach dem Verhaltnis | der ihnen nach § 11 zustehenden Stimmen verteilt. "^Zu dem Zwecke werden | [S. 1082] diese Stimmenzahlen nacheinander durch 1, 2, 3, 4 usw. geteilt und von den | sich hierbei ergebenden Teilzahlen so viele Hochstzahlen der GroBe nach ausge= | sondert, als Abgeordnete zu wahlen sind. ^Jeder Wahlvorschlag erhalt so viel | Abgeordnetensitze, als auf ihn Hochstzahlen entfallen. "^Wenn die an letzter Stelle | stehende Hochstzahl auf mehrere Wahlvorschlage zugleich entfallt, entscheidet | das Los. ^Verbundene Wahlvorschlage werden hierbei mit der Gesamtzahl der ihnen | nach § 11 zustehenden Stimmen als ein Wahlvorschlag in Rechnung gestellt. | ^Die ihnen zukommenden Abgeordnetensitze werden auf die einzelnen Wahlvorschlage | nach Abs. 1 verteilt. Wenn ein Wahlvorschlag oder eine Gruppe verbundener Wahlvorschlage | weniger Bewerber enthalt, als auf sie Hochstzahlen entfallen, so gehen die libera | schtissigen Sitze auf die Hochstzahlen der anderen Wahlvorschlage liber. §13 Fiir die Verteilung der einem Wahlvorschlage zugeteilten Abgeordnetensitze | unter die einzelnen Bewerber ist die Reihenfolge der Benennungen auf den Wahl= | vorschlagen maBgebend. §14 Den Wahlvorstanden und den Wahlkommissaren konnen fur die Priifung | der Abstimmung und die Ermittlung des Wahlergebnisses Beamte als Hilfs= | arbeiter beigegeben werden. Die Hilfsarbeiter nehmen an der BeschluBfassung nicht teil. §15 Wenn ein Abgeordneter die Wahl ablehnt oder nachtraglich aus dem Reichs= | tag ausscheidet, tritt an seine Stelle ohne die Vomahme einer Ersatzwahl der | Bewerber, der demselben Wahlvorschlag, oder wenn dieser erschopft ist, einem | mit ihm verbundenen Wahlvorschlag angehort und nach dem Grundsatz des | § 13 hinter dem Abgeordneten an erster Stelle berufen erscheint. Ist ein solcher Bewerber nicht vorhanden, so bleibt der Abgeordnetensitz | far den Rest der Legislaturperiode unbesetzt. §16 Die noch erforderlichen Einzelvorschriften und Ausfiihrungsbestimmungen | tiber die Beschaffenheit und Pnifung der Wahlvorschlage, die Priifung der Stimm= | zettel, die Ermittlung des Wahlergebnisses und die Bestimmung von Ersatzmannem | erlaBt der Bundesrat in einer Wahlordnung. Die Wahlordnung sowie jede Anderung derselben bedarf der Zustimmung | des Reichstags. [S. 1083] §17 Dieses Gesetz tritt mit Ausnahme des § 16 erst mit Ablauf der gegen= | wartigen Legislaturperiode in Kraft.

1326

§ 7: Deutscher Bund/Deutsches Reich (1870/71 - 1918)

[Dok. 129 - 147]

Urkundlich unter Unserer Hochsteigenhandigen Unterschrift und beigedrucktem | Kaiserlichen Insiegel. Gegeben GroBes Hauptquartier, den 24. August 1918. (Siegel) Wilhelm Dr. Graf von Hertling

[144] Bekanntmachung iiber die Thronentsagung des Kaisers und den Thronverziclit des Kronprinzen vom 9. November 1918 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einfuhmngen" die Darstellung unter [583.]. Quelle: Deutscher Reichsanzeiger und Koniglich PreuBischer Staatsanzeiger, Nr. 267, Berlin, Sonnabend, den 9. November 1918, Abends, Titelseite, linke Spalte (gedruckt). [Titelseite - linke SpJ Amtliches. Der Kaiser und Konig hat sich entschlossen, dem | Throne zu entsagen. Der Reichskanzler bleibt noch solange im Amte, bis die | mit der Abdankung des Kaisers, dem Thronverzicht des | Kronprinzen des Deutschen Reiches und von PreuBen und | der Einsetzung der Regentschaft verbundenen Fragen ge= | regelt sind. Er beabsichtigt, dem Regenten die Emennung | des Abgeordneten Ebert zum Reichskanzler und die Vorlage | eines Gesetzentwurfes wegen der sofortigen Ausschreibung | allgemeiner Wahlen fur eine verfassungsgebende | Deutsche Nationalversammlung vorzuschlagen, | der es obliegen wtirde, die ktinftige Staatsform des deutschen | Volkes einschlieBlich der Volksteile, die ihren Eintritt in die | Reichsgrenzen wtinschen sollten, endgtiltig festzustellen. Berlin, den 9. November 1918. Der Reichskanzler. Max Prinz von Baden.

[145] Aufruf des Rats der Volksbeauftragten an das deutsche Volk vom 12. November 1918 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einfiihrungen" die Darstellungen unter [556.] [587.]. Quelle: Reichs-Gesetzblatt, (Nr. 153 vom 14. November) 1918, S. 1303 - 1304 (gedruckt).

[S. 1303] (Nr. 6528) Aufruf des Rats der Volksbeauftragten an das deutsche Volk. Vom 12.No=|vemberl918 An das deutsche Volk! Die aus der Revolution hervorgegangene Regierung, deren politische Lei= | tung rein sozialistisch ist, setzt sich die Aufgabe, das sozialistische Programm zu | verwirklichen. Sie verktindet schon jetzt mit Gesetzeskraft folgendes: 1. Der Belagerungszustand wird aufgehoben. 2. Das Vereins= und Versammlungsrecht unterliegt keiner Beschrankung, | auch nicht fur Beamte und Staatsarbeiter. 3. Eine Zensur findet nicht statt. Die Theaterzensur wird aufgehoben. 4. MeinungsauBerang in Wort und Schrift ist frei. 5. Die Freiheit der Religionsaustibung wird gewahrleistet. Niemand darf | zu einer religiosen Handlung gezwungen werden.

[ 146] Abdankungserklarung Kaiser Wilhelms 11. vom 28. November 1918

1327

6. Ftir alle politischen Straftaten wird Amnestie gewahrt. Die wegen | solcher Straftaten anhangigen Verfahren werden niedergeschlagen. 7. Das Gesetz liber den vaterlandischen Hilfsdienst wird aufgehoben, mit | der Ausnahme der sich auf die Schlichtung von Streitigkeiten beziehenden | Bestimmungen. 8. Die Gesindeverordnungen werden auBer Kraft gesetzt, ebenso die Aus= | nahmegesetze gegen die Landarbeiter. 9. Die bei Beginn des Krieges aufgehobenen Arbeiterschutzbestimmungen | werden hiermit wieder in Kraft gesetzt. [S, 1304] Weitere sozialpolitische Verordnungen werden binnen kurzem veroffentlicht | werden. Spatestens am 1. Januar 1919 wird der achtstiindige Maximalarbeits= | tag in Kraft treten. Die Regierung wird alles tun, um ftir ausreichende | Arbeitsgelegenheit zu sorgen. Eine Verordnung liber die Unterstlitzung von Er= | werbslosen ist fertiggestellt. Sie verteilt die Lasten auf Reich, Staat und | Gemeinde. Auf dem Gebiete der Krankenversicherung wird die Versicherungspflicht | liber die bisherige Grenze von 2500 Mark ausgedehnt werden. Die Wohnungsnot wird durch Bereitstellung von Wohnungen bekampft | werden. Auf die Sicherung einer geregelten Volksemahrung wird hingearbeitet werden. Die Regierung wird die geordnete Produktion aufrechterhalten, das Eigen= | tum gegen Eingriffe Privater sowie die Freiheit und Sicherheit der Person schlitzen. Alle Wahlen zu offentlichen Korperschaften sind fortan nach dem gleichen, | geheimen, direkten, allgemeinen Wahlrecht auf Grund des proportionalen Wahl= | systems ftir alle mindestens 20 Jahre alten mannlichen und weiblichen Personen | zu vollziehen. Auch ftir die Konstituierende Versammlung, liber die nahere Bestimmung | noch erfolgen wird, gilt dieses Wahlrecht. Berlin, den 12. November 1918 Ebert Haase Scheidemann Landsberg Dittmann Barth

[146] Abdankungserklarung Kaiser Wilhelms if. vom 28. November 1918 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einftihrungen" die Darstellung unter [587.]. Quelle: Beilage des Berliner Tageblatts „Der Weltspiegel" Nr. 49, vom 8. Dezember 1918 (Faksimile der maschinenschriftlich verfaBten, von Kaiser Wilhelmll. unterschriebenen und besiegelten - im Original indes verschollenen - Abdankungsurkunde). Sonstige Fundstelle: Deutscher Reichsanzeiger und Koniglich PreuBischer Staatsanzeiger, Nr. 283, Berlin Sonnabend, den 30. November 1918, Abends, Seite 2, rechte Spalte im oberen Drittel (gedruckt). [Text:] Ich verzichte hierdurch ftir alle Zukunft auf die Rechte | an der Krone Preussens und die damit verbundenen Rechte an der | deutschen Kaiserkrone. Zugleich entbinde Ich alle Beamten des Deutschen Reichs | und Preussens sowie alle Offiziere, Unteroffiziere und Mann-1 schaften der Marine, des Preussischen Heeres und der Truppen [ der Bundeskontingente des Treueides, den sie Mir als ihrem | Kaiser, Konig und Obersten Befehlshaber geleistet haben. Ich | erwarte von ihnen, dass sie bis zur Neuordnung des Deutschen | Reichs den Inhabem der tatsachlichen Gewalt in Deutschland | helfen, das Deutsche Volk gegen die drohenden Gefahren der | Anarchic, der Hungersnot und der Fremdherrschaft zu schlitzen.

1328

§ 7: Deutscher Bund/Deutsches Reich (1870/71 - 1918)

[Dok. 129 - 147]

Urkundlich unter Unserer Hochsteigenhandigen Unter-1 schrift und beigedrucktem Kaiserlichen Insiegel. Gegeben Amerongen, den 28. November 1918. (L. S.) Wilhelm.

[147] Thronfolgeverzicht des Kronprinzen Wilhelm vom 1. Dezember1918 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einfuhmngen" die Darstellung unter [587.]. Quelle: Geheimes Staatsarchiv PreuBischer Kulturbesitz (GStA PK), BPH, Rep. 54 Kronprinz Wilhelm, E II Nr. 1 (Beglaubigte Abschrift [maschinenschriftlich] des Thronverzichts; Original ist zwar im Findbuch des GStA PK verzeichnet [BPH, Rep. 53 Kaiser Wilhelm II., E III Nr. 10], doch im Bestand nicht auffindbar. Sonstige Fundstelle: Deutscher Reichsanzeiger und Koniglich PreuBischer Staatsanzeiger, Nr. 288, Berlin Freitag, den 6. Dezember 1918, Abends, Seite 2, Spalte 3 oben (gedruckt). [Text:] Ich verzichte hiermit ausdriicklich und endgtiltig auf | alle Rechte an der Krone PreuBen und an der Kaiserkrone, | die Mir, sei es auf Grund der Thronentsagung Seiner Maje= | stat des Kaisers und Konigs, sei es aus einem anderen | Rechtsgrunde, zustehen mogen. Urkundlich unter Unserer Hochsteigenhandigen Unter= | schrift. Gegeben in Wieringen am 1. Dezember 1918. gez. Wilhelm.

2. Abschnitt: Verfassungsdokumente der deutschen Einzelstaaten

(1806-1918)

§ 8: Anhalt

[148] Landschaftsordnung und Geschaftsordnung ... vom 18. Juli/31. August 1859

1333

[148] Landschaftsordnung und Geschaftsordnung fur die anhaltischen Herzogtiimer vom 18. Juli/31. August 1859 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einfuhrungen" die Darstellungen unter [685.] [686.] bis [693.] [694.] [705.]. Quelle: Gesetz-Sammlung fur das Herzogthum Anhalt-Dessau-Kothen, Nr. 573 vom 17. September 1859, Bd. 11, 1863, S. 3453-3454 (Publikationspatent), 3455-3464 (Landschaftsordnung), 3465 - 3472 (Geschaftsordnung) - jeweils gedruckt. Sonstige Fundstellen: Gesetz-Sammlung flir das Herzogthum Anhalt-Bemburg, Bd. 13 [enthaltend die Gesetze und Verordnungen der Jahre 1859 bis 1863], Bemburg o. J., S. 48 55 (Landschaftsordnung) und 5 6 - 6 1 (Geschaftsordnung); insoweit erstmals publiziert im „Regirungs- und Intelligenz-Blatt ftir das Herzogthum Anhalt-Bemburg", Nr. 75 vom 17. September 1859 (jeweils gedruckt). F.Stoerk (Hrsg.), Handbuch der deutschen Verfassungen, l.Aufl., 1884, S. 465-472 (Landschaftsordnung); 2. Aufl., 1913, S. 62 - 69 (Landschaftsordnung). [S. 3453] Landschafts^Ordnung und Geschafts=Ordnung flir die | Anhaltischen Herzogthiimer, Publikations=Patent. Von Gottes Gnaden Wir, Leopold Friedrich, altestregierender, | und Wir, Alexander Carl, regierender Herzog zu Anhalt, | Herzoge zu Sachsen, Engem und Westphalen, Grafen zu Askanien, | Herren zu Bemburg und Zerbst etc., und Wir, Friederike, | Herzogin=Mitregentin zu Anhalt etc., haben im gegenseitigen Einvemehmen, um die landstandische Vertretung | Unserer Herzogthtimer, unter Beriicksichtigung der alteren und neueren land= | standischen Verfassungs=Verhaltnisse, zu regeln, im Einverstandnisse mit den | noch vorhandenen Mitgliedem des engem und weitem Ausschusses der An= | haltischen Gesammtlandschaft, und beziiglich des Herzogthums Anhalt=Bem=^ | burg^ unter Zustimmung des auf Gmnd des Landes=Verfassungsgesetzes vom | 28. Febmar 1850 bestehenden Landtages dieses Herzogthums, die anliegende | Landschafts=Ordnung und Geschafts=Ordnung flir die Anhaltischen Herzog= | thiimer errichtet und verordnen demnach, was ft)lgt: §.1. Diese Landschafts=Ordnung und Geschafts=Ordnung treten am 1. Oktober | 1859 in gesetzliche Kraft. [S. 3454] §•2. Der bisherige Landschafts=Unter=Direktor und die beiden vorhandenen | Landrathe, sowie der Landrentmeister bleiben unverandert in ihren Stel= | lungen.

Dok. 162.

1334

§ 8: Anhalt

[Dok. 148 - 154]

§. 3. Unsere Staats=Ministerien sind mit der Ausfiihrung dieser Gesetze | beauftragt. Urkundlich unter Unseren Hochsteigenhandigen Unterschriften und bei= | gedmckten Herzoglichen Insiegeln. Dessau, am 18. Juli 1859. Hoym, am 31. August 1859. Leopold Friedrich, Alexander Carl, Friederike, Herzog zu Anhalt. Herzog zu Anhalt. Herzogin zu Anhalt. (L. S.) (L. S.) V. Ploetz. V. SchaetzelL [S. 3455] Landschafts-Ordnung. §•1. Es besteht fur die Anhaltischen Herzogthiimer eine Gesammt=Landschaft, | welche nach MaBgabe dieser Landschafts=Ordnung entweder in ihrer Ge= | sammtheit auf einem Gesammt=Landtage oder, fur die beiden Herzog= | thtimer gesondert, auf Sonder=Landtagen verhandelt. §.2. [Gesammt=Landttag. ]^ Der Gesammt=Landtag wird gebildet: 1) durch zwolf Vertreter der Ritterschaft, 2) durch zwolf Vertreter der Stadte, 3) durch zwolf Vertreter der Landgemeinden.

[Ritterschaft.] Von den zwolf ritterschaftlichen Stimmen kommen acht auf die Ritter= | schaft des Herzogthums Anhalt=Dessau=Kothen und vier auf die Ritterschaft | des Herzogthums Anhalt=Bemburg. §.4. Die Ritterschaft wird vertreten: 1) durch diejenigen adeligen Familien, denen in GemaBheit dieser Land= | schafts= Ordnung ein Sonder=Stimmrecht beigelegt werden wird; 2) durch Abgeordnete, welche die Rittergutsbesitzer der beiden Her= | zogthtimer, getrennt von einander, aus ihrer Mitte wahlen. §.5. Wir behalten Unserem landesherrlichen Ermessen vor, gewissen adeligen | Familien aus Unseren Herzogthiimem Sonder=Stimmrechte zu verleihen.

Bei dem hier und nachfolgend in eckige Klammem gestellten Wortem handelt es sich um eine im Original am Rand des jeweiligen Paragraphen gesondert abgedruckte Hervorhebung.

[148] Landschaftsordnung und Geschaftsordnung ... vom 18. Juli/31. Aiagust 1859

1335

[S. 3456] §.6. Zur Stimmfiihrung haben sammtliche Familienglieder aus ihrer Mitte | eines zu wahlen. An der Wahl konnen nur diejenigen Familienglieder mannlichen Ge= | schlechts Theil nehmen, welche die Volljahrigkeit erreicht haben, sich zur | christlichen Religion bekennen, sich in dem VollgenuB der btirgerlichen Ehren= | rechte befinden, nicht unter Zustands^ Vormundschaft stehen, tiber deren Ver= | mogen nicht ein Konkurs eroffhet ist und welche mindestens mit der gesammten | Hand an einem der in Unseren Herzogthtimem belegenen, der Familie zu= | gehorigen Lehngiiter beliehen sind, Zur Wahlbarkeit gehort Landstandsfahigkeit (§. 14) und der Besitz | eines in Unseren Herzogthtimem belegenen Rittergutes. Die Wahl erfolgt auf die Lebenszeit des Gewahlten, welcher nur dann die | Landstandschaft verliert, wenn er aufhort, landstandsfahig zu sein, oder im | Besitz eines in Unseren Herzogthtimem belegenen Rittergutes sich zu befmden. Ist in der Familie zeitweilig kein wahlbares Mitglied vorhanden, so | mhet das der Familie beiwohnende Stimmrecht auf so lange. §• 7. Es werden so viele Abgeordnete der Ritterschaft gewahlt, als mit Hin= | zurechnung der einzelnen Familien beigelegten Sonderstimmen zur Erfullung | der der Ritterschaft tiberhaupt gebtihrenden zwolf Stimmen erforderlich ist. Fiir die Zeit, in welcher ein Sonderstimmrecht mhet (§. 6.), wird | daher ein Abgeordneter mehr gewahlt. Zur Theilnahme an der Wahl berechtigt der Besitz eines in Unseren | Herzogthtimem belegenen Rittergutes und Landstandsfahigkeit (§. 14.), letztere | jedoch mit der MaBgabe, daB der Wahlende nicht das dreiBigste Lebensjahr, | sondem nur die Volljahrigkeit erreicht zu haben braucht. §.8. [Stadte.] Vertreter der Anhalt=Dessau=Kothenschen Stadte sind: 1) die Btirgermeister der Stadte Dessau, Zerbst und Kothen, 2) flinf von den Gemeinderathen sammtlicher Stadte gewahlte Ab= | geordnete. Von diesen wahlen: a. die Gemeinderathe der Stadte des ersten Kreises des Herzog= | thums zwei Abgeordnete; [S. 3457] b. die Gemeinderathe der Stadte des zweiten KLreises zwei Ab= | geordnete; c. die Gemeinderathe der Stadte des dritten Kreises einen | Abgeordneten. §. 9. Vertreter der Anhalt=Bemburgischen Stadte sind: 1) der Btirgermeister der Stadt Bemburg, 2) ein von den Gemeinderathen der Stadte Bemburg und Coswig, 3) zwei von den Gemeinderathen der Stadte Ballenstedt, Harzgerode, | Gemrode, Hoym und Gtinthersberge zu wahlende Abgeordnete. §.10. Die stadtischen Abgeordneten sind aus der Zahl Derer zu wahlen, die | das Btirgerrecht innerhalb desjenigen Herzogthums erworben haben, welchem | die zur Wahl bemfenen Gemeinderathe angehoren.

1336

§ 8: Anhalt

[Dok. 148 - 154]

§.11. [Landgemeinden. ] Von den zwolf landlichen Abgeordneten sind acht durch die Schulzen | der Landgemeinden des Herzogtums Anhalt=Dessau=Kothen aus ihrer Mitte | oder aus der Zahl der im Herzogthume ansassigen bauerlichen Grundbesitzer | - Hiifner, Voll= und Ganzspanner und vier durch die Schulzen der | Landgemeinden des Herzogthums Anhalt=Bemburg aus ihrer Mitte oder aus | der Zahl der im Herzogthume ansassigen bauerlichen Grundbesitzer Htifher, | Voll= und Ganzspanner - zu wahlen. §.12. Die Schulzen im Herzogthume Anhalt=Dessau=Kothen wahlen in den | drei Kreisen des Herzogtums, und zwar: 1) drei Abgeordnete im ersten Kreise (Dessau), 2) drei Abgeordnete im zweiten Kreise (Kothen), 3) zwei Abgeordnete im dritten Kreise (Zerbst). §.13. Die Schulzen im Herzogthume Anhalt=Bemburg wahlen in folgenden | Bezirken: [S. 3458] 1) einen Abgeordneten im Bezirke des Kreisamtes Bemburg, 2) einen Abgeordneten im Bezirke des Kreisamtes Coswig, 3) zwei Abgeordnete im Bezirke des Kreisamtes Ballenstedt. §.14. [Allgemeine Bestimmun= | gen.] Landstandsfahig sind, abgesehen von den in den vorigen Paragraphen | festgestellten besonderen Erfordemissen, nur Manner, welche das dreiBigste | Jahr zurtickgelegt haben, sich zur christlichen ReHgion bekennen, sich im | Vollgenusse der biirgerlichen Ehrenrechte befinden, nicht unter Zustands=Vor= | mundschaft stehen, tiber deren Vermogen nicht ein Konkurs eroffhet ist, und | welche, insofem sie den Abgeordneten der Stadt= und Landgemeinden an= I gehoren, mindestens seit drei Jahren in einem Unserer Herzogthtimer ihren | Wohnsitz haben. Beamte (auch die pensionirten oder zur Disposition gestellten) bedtirfen | zum Eintritt in den Landtag Unserer Genehmigung. Die nach der Wahl erst eintretende Landstandsunfahigkeit eines Abgeord= | neten macht dessen Eigenschaft erloschen. §.15. Die Wahl der Abgeordneten geschieht regelmaBig auf sechs Jahre. Sie erfolgt unter Leitung von Kommissarien, welche Wir fur je Unsere | Herzogthtimer gesondert bestellen, und nach MaBgabe der von den betreffenden | Regierungen zu erlassenden Wahlinstmktion und des Wahlausschreibens. §.16. [Einberufung des Ge= | sammt=Landtags.] Wir werden den Gesamt=Landtag Unserer Herzogthtimer zusammen= | berufen, so bald und so oft es Uns angemessen erscheint, jedenfalls aber aller | drei Jahre.

[148] Landschaftsordnung und Geschaftsordnung ... vom 18. Juli/31. August 1859

1337

§. 17. [Ort.] Den Ort, an welchem die Verhandlungen des Gesammt=Landtages | Statt finden sollen, werden wir fur jede Sitzung besonders bestimmen. §. 18. [Verhandlungen.] Wir wollen Uns des Beiraths Unseres Gesanimt=Landtags zu alien | das gemeine Wohl und das Beste des Landes angehenden Gesetzen und | zu sonstigen Angelegenheiten, welche Wir fur dazu geeignet halten, be=^ | dienen. [S. 3459] §.19. ^Die Zustimmung der Landstande werden Wir zum ErlaB solcher Gesetze | einholen, welche eine Abanderung der Landes=Verfassung und Landschafts= | Ordnung enthalten, Unsere Unterthanen mit neuen Abgaben belasten oder | wohlerworbene Rechte, insonderheit das Eigenthum einzelner Unterthanen | oder ganzer Klassen derselben, aufheben Oder beschranken. "^Ausgeschlossen | von der Zustimmung des Landtags sind jedoch diese Gesetze, soweit sie zur | Ausflihrung der Beschltisse des Deutschen Bundes oder als Ausfltisse bereits | bestehender Staatsvertrage dienen. ^Ingleichen wollen Wir zur Aufhahme | von Landesschulden, einschlieBlich der Ausgabe neuer Kassenanweisungen, zur | VerauBerung von Domanen und Forsten, welche zum Stammgut gehoren, | zur Abtretung von Landestheilen an andere Staaten, soweit es sich nicht | um einfache Grenzregulimngen handelt, so wie zum AbschluB von Staats= | vertragen, welche Unseren Unterthanen neue Lasten auferlegen, die Zustim= | mung Unserer Stande einholen. §. 20. Wenn die offentliche Wohlfahrt, die Sicherheit Unseres Herzogthums | oder andere dringliche Umstande es erforderlich machen, Gesetze ohne vor= | herige Vemehmung des Gesammt=Landtags (beziehentlich des Sonder=Land= | tags) zu erlassen, so wollen Wir demselben diese provisorischen Gesetze nach= | traglich zur Abgabe seines Gutachtens (§. 18.), beziehentlich seiner Zustim= | mung (§. 19.) vorlegen lassen. Auch sollen solche Gesetze sofort nach ihrer Veroffentlichung dem land= | standischen AusschuB mit dem Anheimstellen vorgelegt werden, ob Seitens | desselben die alsbaldige Zusammenberufung eines Landtags ftir erforderlich | erachtet werde. §.21. Wir behalten Uns vor, jede an sich zur Zustandigkeit des Gesammt= | Landtags gehorige Angelegenheit nach Unserem landesherrlichen Ermessen ftir | eine Angelegenheit Unseres Sonder^Landtags zu erklaren, wenn entweder | unter Uns liber die Nothwendigkeit eines zu erlassenden Gesetzes oder abzu= | schlieBenden Staatsvertrags eine Uebereinstimmung nicht besteht, oder wenn | der Gesammt=Landtag einer Vorlage seine Zustimmung nicht ertheilt, so | wie solche Angelegenheiten, welche wesentlich nur das Interesse eines Her= | zogthums beriihren, lediglich bei Unseren Sonder=Landtagen verhandeln zu | lassen. [S. 3460] §.22. Der Gesammt?=Landtag soil das Recht haben, Beschwerden und An= | trage an Uns zu richten. Ein gleiches Recht wollen Wir den einzelnen Standen beilegen, wenn | sie sich durch den BeschluB der Mehrheit beschwert glauben.

1338

§ 8: Anhalt

[Dok. 148 - 154]

§. 23. Ausgeschlossen von der Berathung des Gesammt=Landtags sind: die ge= | sammte Finaiiz=Gesetzgebung der Herzogthtimer, insbesondere die Feststellung | des Staatshaushalts, die Abnahme der Rechnungen, die Steuem, die Ab= | gaben und Landesschulden. §. 24. ^Die Erofftiung des Gesammt=Landtags soil durch den altestregierenden | Herzog als Landschafts=Ober=Direktor in Person oder durch Kommissarien | erfolgen, von denen Wir je einen besonders emennen werden. ^Diese Kom= | missarien und die von ihnen etwa welter bevollmachtigten Beamten haben | zugleich das Recht, den Landtags=Verhandlungen beizuwohnen und zu jeder | Zeit das Wort zu ergreifen. §. 25. ^Die Verhandlungen des Gesammt^Landtags sind nach der anliegenden | Geschafts= Ordnung zu fuhren. ^Eine Oeffentlichkeit der Verhandlungen fmdet | nicht Statt, dagegen soil - insofem Wir nicht ftir einen einzelnen Fall | durch Unsere Kommissarien etwas Anderes anordnen oder der Landtag etwas | Anderes beschlieBt - eine Veroffentlichung der Landtags=Protokolle Statt | finden. §.26. Die auf die Dauer einer Landtags=Periode gewahlten Abgeordneten | und die zur Vertretung der Stadte berufenen Btirgermeister erhalten wah= | rend der Dauer des Landtages drei Thaler Tagegelder. §. 27. Die Entlassung des Gesammt=Landtags erfolgt in gleicher Weise wie | die Eroffnung. §.28. ^Fiir die dazu geeigneten Falle behalten Wir uns vor, den Gesammt= | Landtag aufzulosen. "^Die Auflosung bewirkt, daB alle auf die Dauer einer | [S. 3461] Landtags=Periode gewahlten Abgeordnete ihre Eigenschaft als solche ver= | Keren und Neuwahlen eintreten mtissen. §. 29. [Sonder=Landtag.] Der Sonder=Landtag des Herzogthums Anhalt=Dessau=Kothen be= | steht aus den vierundzwanzig Anhalt=Dessau==Kothenschen Mitgliedem, der | des Herzogthums Anhalt= Bemburg aus den zwolf Anhalt=Bemburgischen | Mitgliedem des Gesammt=Landtags. §. 30. [Einberufung.] Wir werden die Sonder=Landtage ftir alle dazu geeigneten Falle in | den Stadten Dessau, beziehentlich Bemburg, zusammenbemfen, jedenfalls | aller drei Jahre. §.31. [Verhandlungen.] Die Sonder=Landtage haben die Sonder=^Angelegenheiten der einzelnen | Herzogthtimer zu verhandeln. AuBer denjenigen, welche Wir ihnen ausdrticklich tiberweisen, gehoren | als Sonder= Angelegenheiten zur Zustandigkeit der Sonder=Landtage die | gesammte Finanz=Gesetzgebung der einzelnen Herzogthtimer, namentlich das | Recht, die Auflegung neuer Steuem,

[148] Landschaftsordnung und Geschaftsordnung ... vom 18. Juli/31, August 1859

1339

beziiglich des Herzogthums Anhalt= | Bemburg das Ausschreiben der unter der Benennung Kriegssteuer bestehenden | Erganzungssteuer, die Auflegung neuer Abgaben oder sonstiger Verpflichtun= | gen, so wie die Eingehung neuer Landesschulden, die Emittirung von Pa= | piergeld und die Verpfandung und VerauBerung von Landeseigenthum zu | bewilligen, und die BefugniB, die Tilgung der Landesschulden mit zu | respiziren, die jahrlichen Staatshaushalts^Rechnungen zu priifen und die | Ausgaben fur je eine Etatsperiode, welche einen Zeitraum von drei Jahren | nicht ubersteigen soil, festzustellen. §.32. Die Eroffhung und Entlassung der Sonder=Landtage erfolgt durch | Uns oder von Uns zu emennende Kommissarien, von denen und deren | beauftragten Beamten im Uebrigen dasselbe gilt, was tiber die Kommissarien | zu dem Gesammt=Landtage bestimmt worden ist(§.24.). §.33. In gleicher Weise, wie die Auflosung des Gesammt=Landtags (§. 28.), be= | halten Wir einem Jeden von Uns auch die Auflosung der Sonder=Landtage vor. [S, 3462] §. 34. Die Bestimmungen in den Paragraphen 22. und 26., so wie die fur | den Gesammt= Landtag erlassene Geschafts=Ordnung gelten auch fur die | Sonder=Landtage. §.35. [Vom standischen Aus= | schusse.] Der standische AusschuB besteht aus: 1) neun von dem Landtage aus seiner Mitte gewahlten Mitgliedem; 2) den beiden Landschafts=Syndiken. §.36. Der standische AusschuB verhandelt entweder in seiner Gesammtheit als | Gesammt= AusschuB, oder fur die beiden Herzogthtimer gesondert in | Sonder=Ausschussen, §.37. Zur Bildung desselben wahlt: 1) der Sonder^Landtag des Herzogthums Anhalt=Dessau=Kothen sechs, 2) der Sonder=Landtag des Herzogthums Anhalt=Bemburg drei Mit= | glieder. Die Wahlen erfolgen getrennt durch die einzelnen Stande aus ihrer Mitte. Die hiemach der Ritterschaft angehorigen drei AusschuB=Mitglieder | fiihren den Titel „standische Landrathe". Diejenigen Mitglieder des Landtags, welche demselben auf Lebenszeit | (§. 6.) oder fiir die Dauer ihrer Amtsftihrung (§. 9.) angehoren, sind, | wenn sie in den AusschuB gewahlt werden, standige Mitglieder desselben. Aus der Mitte der standischen Landrathe werden Wir den Landschafts= | Unter==Direktor emennen. Der Landschafts=Unter=Direktor fiihrt den Vorsitz im Gesammt=Ausschusse | und in dem Sonder=Ausschusse desjenigen Herzogthums, welchem er angehort. Den Vorsitz in dem Sonder=Ausschusse des andem Herzogthums fuhrt | der Landrath, welcher, wenn dem Ausschusse zwei Landrathe angehoren, von | Uns zu emennen ist.

1340

§ 8: Anhalt

[Dok. 148 - 154]

§.38. Der Gesammt=AusschuB sowohl als die Sonder^Ausschtisse bleiben in | unausgesetzter Wirksamkeit, und auch die Auflosung der Landtage (§. 28.) | hat nur zur Folge, daB die dem Ausschusse angehorigen, auf die Dauer | einer Wahlperiode gewahlten Landtags=Mitglieder ausscheiden. [S. 3463] An die Stelle der durch Tod oder eintretende Landstandsunfahigkeit | ausscheidenden AusschuB=Mitglieder sind baldmoglichst andere zu wahlen. §,39. ^Der Gesammt=AusschuB verwaltet selbststandig die Tranksteuerkasse bis | dahin, wo die sammtlichen auf derselben ruhenden Verbindlichkeiten erfiillt | sein werden. "^Sobald diese Verbindlichkeiten erfiillt sein werden, soil eine | Auflosung der Kasse nach Zuziehung des Gesammt=Landtags in gesetzlicher | Weise erfolgen. §.40. Der Gesammt=AusschuB soil die BefijgniB haben, jederzeit Beschwerden | liber den Stand der Gesetzgebung oder tiber sonstige zur Zustandigkeit des | Gesammt=Landtags gehorige Angelegenheiten an Uns zu bringen und An= | trage dieserhalb zu richten. §.41. Die Sonder^Ausschtisse sollen flir jedes Herzogthum, welchem sie ange= | horen, eine gleiche BefiigniB beziiglich der den Sonder=Landtagen nach §, 31 | iiberwiesenen Angelegenheiten austiben. AuBerdem haben dieselben aus ihrer Mitte die standischen Mitglieder | der Staatsschulden=Tilgungs=Kommissionen zu emennen. §.42. Der Sonder=Landtag jedes Herzogthums erwahlt je einen Landschafts== | Syndikus, dessen Bestatigung Wir Uns vorbehalten. §.43. ^Die beiden Landschafts=Syndiken bilden den juristischen Beirath des | Gesanimt= Landtags; sie haben die Protokolle tiber des sen Verhandlungen zu | fiihren, die vorkommenden Ausfertigungen zu besorgen, das Archiv unter | ihrer Aufsicht und Ordnung zu erhalten, Gutachten in standischen An= | gelegenheiten zu ertheilen und die sonstigen Obliegenheiten von Sekretaren | zu tibemehmen. '^Ein Stimmrecht haben dieselben nicht. §.44. Ftir jeden Sonder=Landtag hat der von demselben gewahlte Syndikus | alles dasjenige zu thun und zu besorgen, was fiir den Gesanimt=Landtag | beiden Syndiken zusammen obliegt. [S. 3464] §.45. Die Syndiken haben die Rechte und Pflichten der Staatsdiener; ein | Disziplinar=Verfahren soil jedoch gegen dieselben nur mit Zustimmung Un=^ | serer Stande eingeleitet werden. §.46. Die Besoldung der Syndiken erfolgt nach MaBgabe der zwischen Uns | und den einzelnen Sonder=Landtagen zu treffenden Vereinbarung.

[ 148] Landschaftsordnung und Geschaftsordnung ... vom 18. Juli/31. August 1859

1341

§.47. Ftir den Fall, daB Eine Unserer Herzoglichen Speziallinien aussterben | sollte, fallen alle die Sonder=Landtage und Sonder=Ausschusse betreffenden | Bestimmungen (§.21., 23., 29. und folgende) in der Weise weg, daB als= | dann die Gesammt=Landschaft und deren AusschuB in Bezug auf das ver= | einigte Herzogthum in die durch diese Bestimmungen den Sonder=Landtagen | und deren Ausschtissen angewiesene Stellung eintritt. §.48. Diese Landschafts=Ordnung wird unter die Gewahr des Deutschen Bundes | gestellt. Urkundlich unter Unseren Hochsteigenhandigen Unterschriften und bei= | gedmckten Herzoglichen Insiegeln. Dessau, am 18. Juli 1859. Hoym, am 31. August 1859. Leopold Friedrich, Alexander Carl, Friederike, Herzog zu Anhalt. Herzog zu Anhalt. Herzogin zu Anhalt. (L. S.) (L. S.) V. Ploetz. V. Schaetzell. [S. 3465] Geschafts=Ordnung. §.1. [Gesammt=Landtag. ]^ Der Gesammt=Landtag ist beschluBfahig, sobald zwei Drittheile seiner | Mitglieder versammelt sind. §.2. Der Landschafts=Unter=Direktor ist der Vorsitzende des Gesammt= | Landtags. Zur Vertretung desselben in Behinderungsfallen wahlt der Landtag | nach absoluter Stimmenmehrheit einen stellvertretenden Vorsitzenden, dessen | landesherrliche Bestatigung Wir Uns vorbehalten. Der Vorsitzende leitet die Verhandlungen, wacht liber die innere Ord= | nung und Beobachtung der Geschafts=Vorschriften, bewilligt den Mitgliedem | in der Reihe, wie sie sich gemeldet haben, das Wort, setzt die Fragen zur Ab= | stimmung fest und theilt das ErgebniB der Abstimmung der Versammlung mit. Will er sich an der Verhandlung selbst betheiligen, so muB er den Vorsitz | auf so lange an seinen Stellvertreter abgeben. Findet sich ein Mitglied durch das Verfahren des Vorsitzenden verletzt, | so steht ihm die Berufiing an den Gesammt=Landtag zu, bei dessen BeschluB | es bewendet. §.3. Der Vorsitzende eroffhet und schlieBt die Sitzungen, er ktindigt die mit | Zustimmung der landesherrlichen Kommissarien und der Versammlung fest= | zustellende Tagesordnung fiir die nachste Sitzung an und bestimmt far die | letztere die Zeit. §.4. Den Landschafts=Syndiken liegt die Joumal= und Protokollfiihrung, | so wie die Aufzeichnung der Beschltisse und Abstimmungen ob. AuBerdem haben dieselben die Aufsicht iiber die Kanzlei und das Archiv I zu fuhren. Bei dem hier in eckige Klammer gestellten Wort handelt es sich um eine im Original am Rand des Artikels gesondert abgedruckte Hervorhebung.

1342

§ 8: Anhalt

[Dok. 148 - 154]

[S. 3466] Zur Vorberathung der zur Verhandlung kommenden Gegenstande wird | der Gesammt=Landtag ein fiir alle Mai dergestalt in drei Abtheilungen ge= | gliedert, daB die Mitglieder desselben Standes je eine Abtheilung bilden.

Jede Abtheilung wahlt fiir jede Sache einen Referenten, die gewahlten | Referenten treten, nachdem die Berathungen in den Abtheilungen geschlossen | sind, zu einem Ausschusse zusammen und wahlen aus ihrer Mitte wieder | einen Berichterstatter, welcher demnachst bei der Verhandlung in der Ver= | sammlung Namens des Ausschusses schriftlich oder mundlich referirt. §.7. Bediirfen der Landtag oder dessen Abtheilungen Nachrichten, Nachwei= | sungen oder sonstige Htilfsmittel zu ihren Arbeiten, so haben sie sich deshalb | an den Vorsitzenden zu wenden, welcher die erforderliche Requisition an die | landesherrlichen Kommissarien erlaBt.

Ftir die landesherrlichen Kommissarien und deren Beauftragte, fiir die | Mitglieder des standischen Ausschusses und die Syndiken sind bestimmte Platze vorzubehalten. §.9. Jedes Mitglied bedarf fiir sein Ausbleiben von den Verhandlungen des | Urlaubs des Vorsitzenden. Ein gewahltes Mitglied, welches sich ohne Urlaub acht Tage lang den | Verhandlungen entzieht, wird als ausgeschieden angesehen. §.10. Die Sitzung beginnt mit der Verlesung des Protokolls der vorigen | Sitzung. Das Protokoll muB enthalten: 1) den wesentlichen Inhalt der Antrage und die Namen der Antragsteller, 2) die zur Abstimmung gebrachten Verhandlungen in wortlicher Fassung, 3) die Ergebnisse der Abstimmung. Wird gegen die Fassung des Protokolls Einspruch erhoben, welcher sich | durch die Erklamngen der dariiber zu horenden Syndiken nicht erledigen | [S. 3467] laBt, so befragt der Vorsitzende die Versammlung, und wenn der Einspruch | ftir begrtindet erachtet wird, muB noch wahrend der Sitzung eine neue | Fassung der betreffenden Stelle erfolgen. Das Protokoll wird von dem Vorsitzenden und den Syndiken unter= | schriftlich vollzogen. §.11. Nach erfolgter Genehmigung des Protokolls wird der Versammlung | durch den Vorsitzenden von den Eingangen KenntniB gegeben. §.12. Kein Mitglied darf reden, ohne vorher bei dem Vorsitzenden das Wort | verlangt und erhalten zu haben.

[148] Landschaftsordnung und Geschaftsordnung ,.. vom 18. Juli/31. August 1859

1343

§. 13. Die sofortige Ertheilung des Worts konnen stets verlangen: 1) die landesherrlichen Kommissarien und deren Beauftragte; 2) diejenigen, welche darauf antragen wollen, zur Tagesordnung tiber= | zugehen oder die Verhandlung auf eine bestimmte Zeit zu vertagen; 3) diejenigen, welche tiber die Fragestellung, der Verweisung auf die | Geschaftsordnung, die Berichtigung einer Thatsache oder eine per= | sonliche Angelegenheit reden wollen. §.14. Die Vorfrage, ob ein Gegenstand tiberhaupt zur Verhandlung geeignet | sei, kommt vor der Hauptfrage zur Berathung und Abstimmung, und dabei | wird zugleich tiber die Dringlichkeit desselben entschieden; wird dabei die | Dringlichkeit anerkannt, so kommt er sofort zur Berathung. Abandemngs=Vorschlage(Amendements) miissen bei dem Vorsitzenden | schriftlich eingereicht werden. Sie mtissen wenigstens bei zwei Mitgliedem Unterstiitzung finden. ^Die Verhandlung und Abstimmung dariiber geht dem Hauptgegenstande | vor. '^Dem Abanderungsvorschlage geht ein dariiber eingebrachter neuer | Vorschlag bei gleicher Unterstiitzung vor. ^Ein Verbesserungs=Vorschlag, welcher | den urspriinglichen Antrag ganz aufhebt, geht alien anderen, welche ihn nur | zu andem beabsichtigen, vor. "^Ein Antrag auf Aussetzung des Beschlusses | bis zu einer spatem Zeit ist vor alien materiellen Abanderungs=Vorschlagen | zur Entscheidung zu bringen. ^Bei Zeitbestimmungen ist immer tiber die langere Zeit zuerst zu ent= | scheiden. ^Verschiedene Antrage mehrerer Mitglieder tiber denselben Gegen= | stand, die materiell auseinandergehen, werden nach der Zeitfolge ihrer Ein= | bringung zur Abstimmung gebracht. §.15. Es wird vom Platze aus geredet und die Rede jederzeit an den Vor= | sitzenden gerichtet. Die Redenden erheben sich nach erfolgter Aufforderung durch den Vor= | sitzenden von ihren Sitzen und nehmen solche nach Beendigung der Rede | wieder ein. §.16. ^Wenn ein Mitglied vom Gegenstande der Verhandlung abschweift oder | die Ordnung stort, so wird es von dem Vorsitzenden namentlich darauf zu= | riickgewiesen. ^Wiederholt es diese Stoning oder erlaubt sich ein Mitglied | Unterbrechungen der Reden, Personlichkeiten und beleidigende AeuBerungen, | so wird es von dem Vorsitzenden zur Ordnung gerufen. ^Ist dies in der namlichen Weise zwei Mai geschehen und der Redner | fahrt in der geriigten Weise fort, so muB der Vorsitzende dem Redner das | Wort tiber den vorliegenden Gegenstand entziehen. "^Gegen derartige Aus= | spriiche des Vorsitzenden steht dem Mitgliede die Bemfung auf die Entschei= | dung des Gesammt=Landtags zu. Beruhigt sich das Mitglied auch hierbei nicht und auBert sich in nicht | achtender Weise tiber den BeschluB des Gesammt=Landtags, oder fagt sich | dasselbe tiberhaupt nicht, so ist dasselbe durch den Vorsitzenden flir die Sitzung | auszuweisen. AUe vorstehenden Anordnungen, soweit sie tiber die bloBe Zuriickweisung | auf die Ordnung hinausgehen, miissen in das Protokoll aufgenommen werden.

1344

§ 8: Anhalt

[Dok. 148 - 154]

§. 17= Die Mitglieder der Versammlung, so wie die landesherrlichen Kom= | missarien oder deren Beauftragte konnen den Vorsitzenden eriimem, den nach | §. 16 gegen die Ordnung verstoBenden Redner zur Sache oder zur Ord= | nung zu rufen. §, 18. ^Die Versammlung kann die Berathung ftir geschlossen erklaren, wenn | der Vorsitzende den SchluB vorschlagt oder ein Mitglied darauf antragt und | [S. 3469] dessen Antrag von fiinf Mitgliedem untersttitzt wird. ^Auch kann sie jeder= | zeit beschlieBen, eine angefangene Arbeit zu unterbrechen und deren Fort= | setzung auf eine andere Sitzung zu verschieben, oder den Gegenstand an die | Abtheilungen zuriickzuweisen und sodann zu weitem Tages^Ordnung zu | schreiten. §.19. Ftir und gegen den SchluB kann in diesem Falle nur je einem Mit= | gliede oder einem landesherrlichen Kommissarius das Wort gegeben werden. §• 20. Nach dem Schlusse der Berathung stellt der Vorsitzende die Frage, | welche so gefaBt sein muB, daB sie einfach durch „Ja" oder „Nein" be= | antwortet werden kann. Ueber die Stellung der Frage kann von Neuem verhandelt werden. Die Versammlung beschlieBt dariiber. Enthalt eine Frage oder ein Gesetz=Vorschlag mehrere Gegenstande, so | kann die Theilung verlangt werden. Hat eine solche Theilung stattgefunden, so kann mit Genehmigung der | Versammlung nach der Abstimmung liber die einzelnen Theile noch eine | Abstimmung iiber das Ganze erfolgen. Unmittelbar vor der Abstimmung ist die Frage durch einen Syndikus | zu verlesen. §.21. Die Abstimmung erfolgt durch Aufstehen oder Sitzenbleiben. Bei Stimmengleichheit gilt der Vorschlag als abgelehnt. §. 22. ^Der Gesammt=Landtag hat sich in den Sitzungen, mit Ausnahme der | letzten Sitzung jeder Woche, zunachst mit der Berathung und BeschluBnahme | iiber die landesherrlichen Vorlagen zu beschaftigen. "^Abweichungen hiervon | sind nur mit Genehmigung der landesherrlichen Kommissarien zulassig. §.23. Nach Erstattung des Berichts (§. 6.) - von dem eine Abschrift min= | destens drei Tage vor der Berathung den landesherrlichen Kommissarien | mitgetheilt werden muB - wird die erste Verhandlung liber das Prinzip | des Vorschlags eroffhet. [S. 3470] Hierauf findet eine Verhandlung Statt liber die einzelnen Artikel der | Reihenfolge nach und liber die sich darauf beziehenden Abanderungsvorschlage. §. 24. Nach Feststellung der Beschllisse liber die einzelnen Artikel und liber | die Abanderungs=Vorschlage wird in einer folgenden Sitzung, welche min= | destens einen Tag spater angesetzt werden muB liber das Ganze des Gesetz= | Vorschlags abgestimmt.

[148] Landschaftsordnung und Geschaftsordnung ... vom 18. Mi/31. August 1859

1345

§.25. Der Vorsitzende verkiindet hierauf das Ergebnis der Abstimmung. Dasselbe wird durch die Syndiken ausgesetzt, in der nachsten Sitzung | vorgelesen, nach erfolgter Genehmigung von dem Vorsitzenden und den Syn= | diken vollzogen und dem Landtags=Archive einverleibt; beglaubigte Abschriften | erhalten die landesherrlichen Kommissarien. §. 26. ^Werden zu einem Gesetz=Entwurfe Zusatze oder Abanderungen von dem | Landtage vorgeschlagen, welche die landesherrliche Bestatigung nicht erhalten, | und gelangt demnachst der Gesetz=Entwurf entweder unverandert oder unter | Beriicksichtigung einzelner Aenderangs=Vorschlage wieder an den Landtag, | so ist der Letztere verpflichtet, das Gesetz im Ganzen anzunehmen oder abzu= | lehnen. '^Antrage auf Abanderungen und Zusatze oder Bedingungen konnen | alsdann von den Mitgliedem nicht mehr vorgebracht werden. §.27. ^Jedem Mitgliede steht zwar das Recht zu, einen BeschluB des Gesanimt= | Landtags dahin zu erwirken, daB der ErlaB eines Gesetzes beantragt werde; | jedoch darf ein solcher Antrag nicht in Form eines Gesetz=Entwurfs vor= | gebracht werden. ^Ingleichen konnen Petitionen von Korperschaften oder | Einzelnen an den Landtag nur durch Vermittelung eines Mitgliedes, welches | die Antrage zu den seinigen macht, gebracht werden. §. 28. Jedem Abgeordneten steht es frei, liber irgend einen in den Wirkungs= | kreis des Landtags gehorigen Gegenstand einen Vorschlag zu machen, woriiber | dem Vorsitzenden eine schriftliche Anzeige zugehen muB. [S. 3471] Alle Anfragen an die landesherrlichen Kommissarien sind schriftlich bei | dem Vorsitzenden einzureichen; sie mtissen wie andere Antrage untersttitzt und | ihre Berathung auf die Tages=Ordnung gebracht werden. §.29. ^Die Vorschlage der Mitglieder werden nach der Ordnung der Anzeige | zum Vortrag gebracht, wenn nicht die Versammlung anders beschlieBt. '^Der | Antragsteller verliest seinen Antrag, entwickelt mtindlich die Gninde desselben | und hat nach ausgesprochenem Schlusse der Erorterung das letzte Wort. §.30. Wird der Antrag von zwei Mitgliedem untersttitzt, so entscheidet die | Versammlung, ob er tiberhaupt in Betracht gezogen und sofort zur Eror= | terung gestellt, oder an die Abtheilungen verwiesen, ob er vertagt oder als | auf sich beruhend angesehen werden soil. §.31. Der Antragsteller kann seinen Vorschlag jederzeit zuriicknehmen; wenn | aber die Berathung desselben beschlossen ist, so kann ein Anderer die Fort= | setzung der Verhandlung daniber fordem. §. 32. Wenn sich ein einzelner Stand durch einen Landtags^BeschluB verletzt | glaubt, so kann er gesondert zusammentreten und eine besondere Erklarung | an die landesherrlichen Kommissarien beschlieBen.

1346

§ 8: Anhalt

[Dok. 148 - 154]

§. 33. In auBerordentlichen und dringenden Fallen kann der Landtag im | Einverstandnisse mit den landesherrlichen Kommissarien die Formen der Be= | rathung und Entscheidung abkiir-

§.34. ^Sobald die Auflosung, Entlassung oder Vertagung des Landtages | ausgesprochen ist, tritt er auseinander und darf als solcher nicht weiter ver= | handeln. "^Die Akten und Verhandlungen desselben werden im Landtags^ | Archive aufbewahrt. [S. 3472] §. 35. [Sonder=Landtag.]^ Die vorstehenden Bestimmungen finden auch fur die Verhandlungen | der Sonder=Landtage, jedoch mit folgender MaBgabe, Anwendung: Die Verhandlungen des Sonder=Landtags desjenigen Herzogthums, | welchem der Landschafts=Untep=Direktor angehort, werden von diesem ge= | leitet; die des Sonder= Landtags des andem Herzogthums von dem stan= | dischen Landrathe, welcher den Vorsitz in dem Sonder=Ausschusse desselben | Herzogthums fuhrt. (§.39. der Landschaftsordnung.) Jeder Sondep=Landtag wahlt auBerdem sofort nach Beginn der Sitzun= | gen fiir die Dauer einer Landtags=Periode einen Stellvertreter seines Vor= | sitzenden nach absoluter Stimmenmehrheit. Diese Wahl bedarf Unserer landesherrlichen Bestatigung. Bei Abstimmungen liber Geldbewilligungen wird stets liber die groBere | zuerst gestimmt. Urkundlich unter Unseren Hochsteigenhandigen Unterschriften und bei= | gedmckten Herzoglichen Insiegeln. Dessau, am 18. Juli 1859. Hoym, am 31. August 1859. Leopold Friedrich, Alexander Carl, Friederike, Herzog zu Anhalt. Herzog zu Anhalt. Herzogin zu Anhalt. (L. S.) (L. S.) V. Ploetz. V. Schaetzell.

Bei dem hier in eckige Klammer gestellten Wort handelt es sich um eine im Original am Rand des Artikels gesondert abgedruckte Hervorhebung.

[148/1] Gesetz, die Auseinandersetzung ... betreffend, vom 28. Juni 1869

1347

[148/1] Gesetz, die Auseinandersetzung des Herzoglichen Hauses und des Landes bezuglich des Domaniums betreffend, vom 28. Juni 1869 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einfiihrungen" die Darstellung unter [699.]. Quelle: Gesetzsammlung far das Herzogthum Anhalt, Nr. 194 vom 3. Juli 1869, Bd. 4, 1870, S. 1329-1338 (gedruckt). Auszug [S. 1329] (Offentlich bekannt gemacht und ausgegeben am 3. Juli 1869.) Gesetz, | die Auseinandersetzung des Herzoglichen Hauses und des Landes beziiglich | des Domaniums betreffend. Wir, Leopold Friedrich, von Gottes Gnaden Herzog von An= | halt Herzog zu Sachsen, Engem und Westphalen, Graf zu Askanien, | Herr zu Zerbst, Bemburg und Grobzig etc. etc. etc., verkunden die im Einverstandnisse mit Unserem vielgeliebten Sohne, des Erb= | prinzen Friedrich von Anhalt Liebden, mit getreuer Landschaft zur Feststellung | der Uns und Unserem Herzoglichen Hause an Unserem inlandischen Privatgute | und an dem Anhaltischen Stammgute zustehenden Eigenthums= und Nutzungsrechte | unter dem 23. Juni d. J. getroffene Verabschiedung unter landschaftsordnungs= | maBiger Zustimmung des Landtags, hiermit in Gesetzes=Kraft, wie folgt: . .. [S. 1337] . .. Art. XVL Gegenv^artiges Gesetz tritt mit dem Tage seiner Publikation in Kraft. Mit dem im Art. VII. bezeichneten Zeitpunkte^ verliert die im §. 19. | der Landschafts=Ordnung vom ^^'^^^31. August 1859^ enthaltene Bestimmung, nach | welcher es zur Zeit zur VerauBerung von Domanen und Forsten, welche zu Unserem | Stammgut gehoren, der Zustimmung des Landtages bedarf, ihre Wirksamkeit. Dagegen bedarf es in Zukunft, mit Vorbehalt anderweiter gesetzlicher Re= | gelung, der landschaftsordnungsmaBigen Zustimmung zu alien VerauBerungen | von unbeweglichem Landeseigenthum. Urkundlich unter Unserer Hochsteigenhandigen Unterschrift und beigedrucktem | Herzoglichen Insiegel. Magdesprung, den 28. Juni 1869. Leopold Friedrich, | Herzog von Anhalt. | (L. S.) V. Larisch. Hagemann.

^ 1. Juli 1871. ^ Dok. 148.

1348

§ 8: Anhalt

[Dok, 148 - 154]

[148/2] Gesetz, betreffend die Abanderung einiger Bestimmungen der Landschafts- und Geschaftsordnung, vom 15. Juli 1871 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einfiihmngen" die Darstellungen unter [700.] [705.]. Quelle: Gesetzsammlung fur das Herzogthum Anhalt, Nr. 264 vom 26. Juli 1871, Bd. 5, 1872, S. 1773 - 1777 (gedruckt). [S. 1773] (Offentlich bekannt gemacht und ausgegeben am 26. Juli 1871.) Gesetz, | betreffend die Abanderung einiger Bestimmungen der Landschafls= und | Geschafts=Ordnung. Wir, Friedrich, von Gottes Gnaden Herzog von Anhalt, Herzog | zu Sachsen, Engem und Westphalen, Graf zu Askanien, Herr zu | Zerbst, Bemburg und Grobzig etc. etc. etc., verordnen hierdurch wegen Einfiihrung der vom Landtage gewiinschten Oeffent= | lichkeit seiner Sitzung auf Antrag Unseres Staats=Ministeriums und mit Zu= | stimmung des Landtags, was folgt: Art. I. (Zu §.25 der Landschafts=Ordnung.) Die Bestimmung im §.25. der Landschafts=Ordnung, welche also lautet | „Eine Oeffentlichkeit der Verhandlungen findet nicht Statt", wird aufgehoben | an Stelle derselben treten folgende Bestimmungen: ^Die Sitzungen des Landtags sind in der Regel offentlich. ^Geheime Sitzun== | gen fmden nur Statt: 1) went! die landesherrlichen Kommissarien es verlangen, 2) wenn der Vorsitzende es im Interesse der Ordnung fur nothig erachtet 3) wenn ein Drittel der Abgeordneten darauf antragt, 4) wenn eine vorberathende Kommission zur Erstattung des Berichts Aus= | schlieBung der Oeffentlichkeit beantragt. [S. 1774] In jeder geheimen Sitzung hat der Landtag zunachst BeschluB dariiber zu | fassen, ob der in Frage befangene Gegenstand geheim verhandelt werden soil, | oder nicht; den landesherrHchen Kommissarien bleibt jedoch in jedem einzelnen | Falle vorbehalten, ihre Erklarungen und Mittheilungen in geheimer Sitzung | abzugeben. Eine Veroffentlichung der Protokolle liber geheime Sitzungen findet nur | alsdann und nur insoweit Statt, als dariiber EinverstandniB zwischen dem | Landtage und den landesherrlichen Kommissarien vorhanden ist. Der Uebergang aus einer geheimen Sitzung in eine offentliche kann vom | Landtage unter Zustimmung der landesherrlichen Kommissarien jederzeit beschlossen | werden. Art. II. (Zu §. 2 der Geschafts=Ordnung.) In Abanderung des §.2. der Geschafts=Ordnung und beziehungsweise als | Zusatz zu demselben wird folgendes bestimmt: Zur Vertretung des Landschafts=Unterdirektors wahlt der Landtag ftir die | Dauer einer Landtags=Periode nach absoluter Stimmenmehrheit einen ersten und | einen zweiten stellvertretenden Vorsitzenden, deren landesherrliche Bestatigung Wir | Uns vorbehalten. ^Dem Vorsitzenden des Landtags steht die Handhabung der Polizei im | Sitzungslokale 7M. •^Zuhorer, welche Zeichen des Beifalls oder MiBfallens geben, | oder sonst die Ordnung oder den Anstand verletzen, werden auf der Stelle ent= | femt. ^Entsteht eine storende Un-

[148/2] Anderungsgesetz vom 15, Juli 1871

1349

ruhe im Zuhorerraume, so kann der Vorsitzende | anordnen, daB sammtliche Zuhorer das Sitzungslokal verlassen. Art. III. (Zusatz zu §. 4. der Geschafts=Ordnung.) Dem Landschafts=Syndikus wird die nothige Beihtilfe durch Zuordnung | eines oder mehrerer Stenographer! gewahrt. Art. IV. (Zu §§.5. und 6. der Geschafts=Ordnung.) An Stelle der §§, 5. und 6, der Geschafts=Ordnung, welche hiermit auf= | gehoben werden, treten nachstehende Bestimmungen: 1. Alle Regierungsvorlagen werden, insofem nicht mit Zustimmung der landes= | herrlichen Kommissarien hiervon eine Ausnahme gemacht wird, bevor sie zur Be= | [S. 1775] rathung im Plenum des Landtags kommen, an eine Kommission zur Vorberathung | und Berichterstattung liberwiesen. Auch kann die Ueberweisung an mehrere | Kommissionen zur gemeinschaftlichen Vorberathung erfolgen. Ob auch die sonstigen Eingange einer Kommission zur Vorberathung und | Berichterstattung liberwiesen werden sollen, dariiber befindet zunachst der Vor= | sitzende bei Mittheilung der Eingange an die Versammlung, jedoch kann der | Landtag die desfallsigen Anordnungen abandem. Eingange, welche einer Kom= | mission nicht zugetheilt werden, tragt der Vorsitzende entweder selbst vor, oder | er emennt einen Referenten zu Vortrag derselben. 2. Als standige Kommissionen werden jedesmal ftir die Dauer einer Land= | tags=Diat niedergesetzt: 1) eine Kommission ftir juridische Angelegenheiten, 2) eine Kommission fiir Angelegenheiten der innem Verwaltung, 3) eine Kommission fur Finanz=Angelegenheiten, 4) eine Kommission fiir Kirchen= und Schul=Angelegenheiten. AuBerdem kann der Landtag nach seinem Ermessen fur einzelne wichtigere | Angelegenheiten besondere Kommissionen emennen. 3. Jede standige Kommission hat aus sechs Mitgliedem zu bestehen, von | welchen jede Abtheilung des Landtags (§. 2. der Landschafts^Ordnung) zwei | wahlt, ohne bei der Wahl auf die Mitglieder der betheiligten Abtheilung be= | schrankt zu sein; der Landtag kann jedoch die Bildung der Kommissionen auch | dem Vorsitzenden tiberlassen. 4. Die Kommissionen konnen nur dann berathen und gtiltige Beschltisse fassen, | wenn die Mehrzahl ihrer Mitglieder anwesend ist. Jede Kommission wahlt unter sich einen standigen Vorsitzenden und ftir | jede ihr tiberwiesene Angelegenheit einen Referenten. Von den getroffenen Wahlen | ist dem Vorsitzenden des Landtags ungesaumt Anzeige zu machen. Den Kommissionen steht es frei, sich ftir einzelne Berathungsgegenstande durch | Cooptation anderer Landtags=Mitglieder, welchen indeB nur eine berathende | Stimme zusteht, zu verstarken.

1350

§ 8: Anhalt

[Dok. 148 - 154]

Jedes Landtags=Mitglied ist befligt, den Sitzungen der Kommissionen als | Zuhorer beizuwohnen. [S. 1776] 5. Der Vorsitzende hat die Kommissions=Sitzungen anzuberaumen und davon, | sowie von dem Gegenstande der Verhandlung jedesmal dem Vorsitzenden des | Landtags und den landesherrlichen Kommissarien in der Kegel am Tage vorher, | in dringlichen Fallen aber spatestens zwei Stunden vor der Sitzung Anzeige | zu erstatten. Die landesherrlichen Kommissarien und deren Beauftragte konnen den | Kommissions=Sitzungen beiwohnen und in denselben jederzeit das Wort verlangen. 6. Wenn die Kommission nach vorgangigem Sachvortrage des Referenten und | stattgehabter Vorberathung sich schliissig gemacht hat, so fertigt der Referent | demnachst einen schriftlichen Bericht an den Landtag, welcher im Konzepte von | sammtlichen bei der BeschluBfassung anwesend gewesenen Kommissions=Mitgliedem | signirt und dem Vorsitzenden des Landtags zugestellt wird. Der Kommissionsbericht muB enthalten: 1) die bestimmt formulirten Antrage der Majoritat der Kommission nebst | deren Grtinden, 2) die etwaigen bestimmt formulirten Antrage der Minoritat. Letzterer steht es frei, die Begnindung ihrer abweichenden Ansichten als | besondere Beilage dem Kommissionsberichte beizugeben, auch aus ihrer Mitte | einen Vertheidiger derselben (Minoritats=Referenten) zu bestellen. 7. Von der Regel schriftlicher Berichterstattung kann nur auf BeschluB des | Landtags oder einstimmigen BeschluB der Kommission abgegangen werden. Die Beschltisse und Antrage der Kommission sind dem Vorsitzenden des | Landtags und den landesherrlichen Kommissarien in jedem Falle mitzutheilen.

Die Kommissionsberichte liber Gesetz=Entwtirfe und den Haupt=Finanz= | Etat werden sammt den etwaigen Ausflihrungen der Minoritat gedruckt und | mindestens zwei Tage vor der Verhandlung im Landtage an die Abgeordneten | und landesherrlichen Kommissarien vertheilt. Von dieser Bestimmung darf nur | mit Zustimmung des Landtags und der landesherrlichen Kommissarien ab= | gewichen werden. [S. 1777] Die Kommissionsberichte iiber andere Gegenstande werden nur dann ge= | druckt, wenn die betreffende Kommission oder der Landtag dies ausdrticklich be= | schlieBt. Von alien Kommissionsberichten, welche nicht zum Druck gelangen, ist je= | doch ebenfalls zwei Tage vor der betreffenden Berathung im Plenum den lan= | desherrlichen Kommissarien eine Abschrift zuzustellen und eine zweite im Sitzungs= | zimmer der Kommission zur KenntniBnahme fur die Landtags=Mitglieder | auszulegen. Die vorstehend unter Zahl 6. bis 8. iiber schriftliche Abfassung der Be= | richte und deren Mittheilung an den Vorsitzenden des Landtages und die lan= | desherrlichen Kommissarien gegebenen Vorschriften gelten auch fiir die von Einzel= | Referenten erstatteten Berichte. Dieselben werden indeB nur auf ausdriicklichen | BeschluB des Landtags gedruckt.

[148/3] Andemngsgesetz vom 19. Februar 1872

1351

Art. V. (Zusatz zu §. 9. der Geschafts=Ordnung.) Ftir die Dauer des Urlaubs oder der sonstigen Behinderung der Theilnahme | an den Landtagsgeschaften werden Diaten nicht gewahrt. Art. VI. Zu §. 7 und 18 der Geschafts=Ordnung. Die Vorschriften der §§.7. und 18. der Geschafts=Ordnung, welche die | Abtheilungen des Landtags betreffen, gelten in Zukunft fur die oben gedachten | Kommissionen. Urkundlich unter Unserer Hochsteigenhandigen Unterschrift und beigedrucktem | Herzoglichen Insiegel. Worlitz,denl5. Julil871. Friedrich, | Herzog von Anhalt. | (L. S.) V. Larisch.

[148/3] Gesetz, betreffend die Abanderung einiger weiterer Bestimmungen der Landschaftsordnung, vom 19. Februar 1872 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einfuhrungen" die Darstellungen unter [701.] [705.] [706.] [708.]. Quelle: Gesetzsammlung fur das Herzogthum Anhalt, Nr. 288 vom 20. Februar 1872, Bd. 6, 1875, S. 3 7 - 4 1 (gedruckt). [S. 37] (Offentlich bekannt gemacht und ausgegeben am 20. Februar 1872.) Gesetz, | betreffend die Abanderung einiger weiterer Bestimmungen der Landschafts= | Ordnung. Wir, Friedrich, von Gottes Gnaden Herzog von Anhalt Herzog | zu Sachsen, Engem und Westphalen, Graf zu Askanien, Herr zu | Zerbst, Bemburg und Grobzig etc. etc. etc., verordnen auf Antrag Unseres Staats=Ministeriums und mit Zustimmung des | Landtags, was folgt: Zusammensetzung des Landtags. §. 1. Der Landtag besteht ktinftig aus 1. zwei vom Herzog far die Dauer der Landtags=Periode zu emennen= | den und 2. acht von den meistbesteuerten Gmndbesitzem, 3. zwei von den meistbesteuerten Handel= und Gewerbetreibenden, 4. vierzehn von den iibrigen Wahlberechtigten. der Stadte, 5. zehn von den iibrigen Wahlberechtigten des platten Landes | zu wahlenden Mitgliedem.

1352

§ 8: Anhalt

[Dok. 148 - 154]

[S. 38] Allgemeine Bedingung der Wahlfahigkeit. §=2. ^Wahler zum Landtage ist, abgesehn von den besondem Erfordemissen | (§§. 3. 4.) jeder Anhaltiner, welcher das 25, Lebensjahr iiberschritten hat. ^Von | der Berechtigung zum Wahlen sind ausgeschlossen Personen 1. welche unter Vormundschaft oder Kuratel stehen, 2. liber deren Vermogen der Konkurs erofftiet ist, wahrend der Dauer des | Konkursverfahrens, 3. welche eine Armenuntersttitzung aus offentlichen oder Gemeindemitteln be= | Ziehen, oder im letzten der Wahl vorhergegangenen Jahre bezogen haben, 4. denen in Folge rechtskraftigen Erkenntnisses der VollgenuB der staats= | btirgerlichen Rechte entzogen ist, fiir die Zeit der Entziehung, sofem sie | nicht in diese Rechte wieder eingesetzt sind. Besondere Wahlfahigkeitsbedingungen fur die einzelnen | Wahlerklassen. §.3. Stimmberechtigt zu den Wahlen der meistbesteuerten Grundbesitzer sind die= | jenigen Grundbesitzer, welche aus dem Grundeinkommen von innerhalb des Herzog= | thums belegenen Grundstucken 7 Thlr. oder mehr zur Einheit der Erganzungs= | steuer zahlen (vergl. § . 2 - 7 . des Gesetzes Nr. 100. und §. 1. des Gesetzes | Nr. 160). Der Besitz aus vaterlichem oder ehemannischem NieBbrauchsrechte und der | fideikommissarische Besitz wird dem Eigenthumsbesitz gleichgeachtet. §•4. Stimmberechtigt zu den Wahlen der meistbesteuerten Handel= und Gewerbe= | treibenden sind diejenigen Gewerbesteuerpflichtigen, welche 5 Thlr. oder mehr zur | Einheit der Erganzungssteuer in GemaBheit des §. 7. des Gesetzes Nr. 100. | und §.1. des Gesetzes Nr. 160. entrichten. §.5. Wenn ein Wahlberechtigter sowohl der Klasse der meistbesteuerten Grund= | besitzer, als auch der Klasse der meistbesteuerten Handel= und Gewerbetreibenden | angehort, so steht demselben die Bestimmung dariiber zu, in welcher Klasse er | sein Wahlrecht austiben will. [S. 39] §.6. Die Wahlberechtigten des platten Landes wahlen in zehn Wahlbezirken je | einen Abgeordneten. ^Die Abgrenzung dieser Wahlbezirke erfolgt durch die laut §.10. dieses | Gesetzes von dem Staatsministerium zu erlassende Verordnung. ^Dasselbe gilt | fur die von den Stadten zu wahlenden 14 Abgeordneten. §.7. Wahlberechtigt zu den Wahlen der Stadte und des platten Landes sind | Alle, welche die im §.2. gedachten Erfordemisse besitzen, nicht zu den Meist= | besteuerten (§.3. und 4.) gehoren, und innerhalb des Wahlbezirks zur Zeit der | Wahllisten=Aufstellung ihren Wohnsitz haben.

[148/3] Anderungsgesetz vom 19. Februar 1872

1353

Wahlbarkeit, Landtagsfahigkeit.

Wahlbar, beziehentlich landtagsfahig ist Jeder, welcher die im §. 2 ge= | dachten allgemeinen Erfordemisse besitzt und derjenigen Wahlerklasse angehort, | von welcher die Wahl erfolgt. Aktive Staatsbeamte bedtirfen zur Annahme der Wahl der landesherr= | lichen Genehmigung. Mit dem Erloschen der Wahlfahigkeit erlischt auch die Landtagsfahigkeit. Wahlverfahren.

AUe Wahlen erfolgen in geheimer Abstimmung durch Stimmzettel und nach | absoluter Majoritat der abgegebenen Stimmzettel. ^Zum Zweck der Wahlen der Abgeordneten fur die Stadte und das platte | Land (§.1. Nr. 4. und 5.) wahlen die Wahlberechtigten aus ihrer Mitte | Wahlmanner, dergestalt, daB auf eine Zahl von 150 bis 200 Seelen ein | Wahlmann entfallt. '^Die Abgeordneten werden von den Wahlmannem gewahlt. §.10. Die naheren Vorschriften iiber die Abgrenzung der Urwahlbezirke fiir die | Stadte und das platte Land, tiber die Veroffentlichung der Wahlerlisten fiir die | einzelnen Wahlklassen, sowie tiber das gesammte Wahlverfahren und was dem | anhangig, werden durch eine, von dem Staatsministerium zu erlassende Ver= | ordnung bestimmt, welche dem auf Grund dieses Gesetzes demnachst zusammen= | [S. 40] tretenden Landtage behufs gesetzlicher Regelung fiir die Zukunfl, vorzulegen ist. | ^Bei ErlaB dieser Verordnung hat das Staatsministerium die gesetzlichen und | reglementarischen Vorschriften tiber das Verfahren bei den Reichstagswahlen in= | soweit zu Grunde zu legen, als dieses im Hinblick auf die obigen Bestimmungen | anfanglich ist. VerhaltniB der Landesvertretung. §.11. Sammtliche Mitglieder des Landtags haben sich bei den Verhandlungen | und Abstimmungen lediglich das Wohl und Beste des ganzen Landes ohne Rtick= | sicht auf besondere Lokal=, Standes= oder Klassen^^Interessen vor Augen zu | halten und sind an Auftrage und Instruktionen nicht gebunden. Der Landtags=Vorstand. §.12. ^Der Landtags=Vorstand wird aus dem Landtags=Prasidenten und zwei | Stellvertreter desselben gebildet. "^Der Landtags=Prasident tibt sammtliche auf | den Landtag beztigliche Funktionen aus, welche nach der Landschafts=Ordnung | dem Landschaftsunterdirektor zustehen. §. 13. Der Landtags=Prasident wird vom Herzog aus drei Kandidaten, welche | der Landtag durch Stimmzettel nach absoluter Majoritat aus seiner Mitte | wahlt und prasentirt, fiir die Dauer der Landtags=Periode emannt.

1354

§ 8: Anhalt

[Dok. 148 - 154]

^Zur Unterstiitzung und Vertretung des Prasidenten erwahlt der Landtag | in getrennten Wahlakten einen ersten und einen zweiten Stellvertreter (Landtags^ | Viceprasident). ^Diese Wahlen unterliegen der landesherrlichen Bestatigung. §. 14. Die Funktionen der Mitglieder des Landtags=Vorstandes erloschen mit | dem Aufhoren ihres Wahlmandats. §.15. Alle Wahlen zu Landtags=Ausschussen und Kommissionen erfolgen durch | das Plenum des Landtags. [S. 41] §.16. Alle dem Vorstehenden widersprechenden Bestimmungen der Landschafts= | Ordnung und des Gesetzes Nr. 264. werden hierdurch aufgehoben. §. 17. Gegenwartiges Gesetz tritt mit dem 1. Oktober d. J. in Kraft und be=^ | ginnt mit dem 14. November d. J. eine neue Landtags=Periode. Urkundlich unter Unserer Hochsteigenhandigen Unterschrift und beigedrucktem | Herzoglichen Insiegel. So gegeben Dessau, den 19. Februar 1872. Friedrich, | Herzog von Anhalt. | (L. S.) V. Larisch.

[148/4] Gesetz, betreffend einen Zusatz zu § 21 der Geschaftsordnung fur den Landtag, vom 29. Dezember 1873 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einfuhrungen" die Darstellung unter [703.]. Quelle: Gesetzsammlung fiir das Herzogthum Anhalt, Nr. 333 vom 3L Dezember 1873, Bd. 6, 1875, S. 305 - 306; Nr. 338 vom 14. Januar 1874, a. a. O., S. 321 („Berichtigung") jeweils gedmckt. [S. 305] (Offentlich bekannt gemacht und ausgegeben am 31. Dezember 1873.) Gesetz, | betreffend einen Zusatz zu §. 21 der Geschafts=Ordnung fiir den Landtag. Wir, Friedrich, von Gottes Gnaden Herzog von Anhalt, | Herzog zu Sachsen, Engem und Westphalen, Graf zu Askanien, | Herr zu Zerbst, Bemburg und Grobzig etc. etc. etc., verordnen hierdurch auf Antrag unseres Staats=Ministeriums und mit Zustimmung | des Landtags: Einziger §. Der Paragraph 21. der Geschaftsordnung fiir den Landtag vom '^^•^^^31. August I 1859* erhalt nach seinem ersten Alinea folgenden Zusatz: Namentliche Abstimmung muB erfolgen, sobald entweder Unsere landes= | herrlichen Kommissarien oder fiinf Abgeordnete darauf antragen. Die namen= | tliche Abstimmung erfolgt in der Weise, daB der Syndikus die Namen der an= | wesenden Abgeordneten nach der alphabetischen Folge der Anfangs= | buchstaben einzeln aufruft und jeder Abgeordnete bei Nennung seines Namens | mit „Ja" oder „Nein" stimmt. Bei jeder nachstfolgenden nament-

[148/5] Andemngsgesetz vom 4. Februar 1874

1355

lichen Ab= | [S. 306] stimmung ist nach der namlichen Reihenfolge mit dem Anfangsbuchstaben, bei | welchem die Abstimmung beginnt, zu wechseln. Urkundlich unter Unserer eigenhandigen Unterschrift und beigedrucktem | Herzoglichen Insiegel. Dessau, den 29. Dezember 1873. Friedrich, | Herzog von Anhalt. | (L. S.) V. Larisch. */'5'. 321] Berichtigung. In dem unterm 29. Dezember 1873 fur das Herzogthum Anhalt er= | lassenen Gesetze, betreffend einen Zusatz zu §. 21 der Geschaftsordnung fur den | Landtag (Nr. 333 der Gesetz=Sammlung) muB es in der ersten Reihe des ein= | zigen Paragraphen anstatt: „'''""/3i. August 1859-heiBen: „^'-'"V3i. August 1859".

[148/5] Gesetz, die Abanderung des § 26 der Landschaftsordnung betreffend, vom 4. Februar 1874 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einfuhrungen" die Darstellung unter [704.]. Quelle: Gesetzsammlung fur das Herzogthum Anhalt, Nr. 343 vom 23. Februar 1874, Bd. 6, 1875, S.415(gedmckt). [S. 415] (Offentlich bekannt gemacht und ausgegeben am 23. Februar 1874.) Gesetz, | die Abanderung des §. 26. der Landschaftsordnung betreffend. Wir, Friedrich, von Gottes Gnaden Herzog von Anhalt Herzog | zu Sachsen, Engem und Westphalen, Graf zu Askanien, Herr zu | Zerbst, Bemburg und Grobzig etc. etc. etc., verordnen hierdurch auf Antrag Unseres Staats=Ministeriums und mit Zu= | stimmung des Landtags, wie nachsteht: Einziger Artikel. Der §.26. der Landschafts=Ordnung ist aufgehoben und tritt an Stelle | desselben folgende Bestimmung: Die Mitglieder des Landtags erhalten wahrend der Dauer des Land= | tags vier Thahler Tagesgeld. Urkundlich unter Unserer eigenhandigen Unterschrift und beigedrucktem | Herzoglichen Insiegel. Dessau, den 4. Februar 1874. Friedrich, 1 Herzog von Anhalt. | (L. S.) V. Larisch.

1356

§ 8: Anhalt

[Dok. 148 - 154]

[148/6] Gesetz, die Einfuhrung zu einer neuen Geschaftsordnung fiir den Landtag betreffend, vom 24. Januar 1876 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einfuhrungen" die Darstellungen unter [700.] [702.] [703.] [709.]. Quelle: Gesetzsammlung fiir das Herzogthum Anhalt, Nr. 412 vom ll.Februar 1876, Bd. 8, 1878, S. 65 - 66 (Einfiihrungsgesetz), S. 67 - 82 (Geschaftsordnung) - gedruckt. [S. 65] (Offentlich bekannt gemacht und ausgegeben am 11. Februar 1876.) Gesetz, | die Einfiihrung einer neuen Geschaftsordnung fiir den Landtag | betreffend. Wir, Friedrich, von Gottes Gnaden Herzog von Anhalt, | Herzog zu Sachsen, Engem und Westphalen, Graf zu Ascanien, | Herr zu Zerbst, Bemburg und Grobzig etc. etc. etc., verordnen hiermit auf Antrag Unseres Staatsministeriums und mit Zu= | stimmung des Landtags, wie nachsteht: §1. Die anliegende neue Geschaftsordnung fiir den Landtag tritt mit | der Veroffentlichung gegenwartigen Gesetzes in Wirksamkeit. §2. Mit dem gleichen Zeitpunkte sind die entgegenstehenden bisherigen | Vorschriften, namlich: die Geschaftsordnung vom 18. Juli/31. August 1859^ (Band XI, S. 3465 | bis 3472 des Dessau=Kothenschen und Band XIII, S. 56 bis | 61 der Bemburgischen Gesetz=Sammlung, das Gesetz, betreffend die Abanderung einiger Bestimmungen der | Landschafts= und Geschaftsordnung vom 15. JuH 1871^ (Nr. | 264. der Anhaltischen Gesetz=Sammlung), [S. 66] die §§. 12. bis 16. des Gesetzes, betreffend die Abanderung einiger | weitem Bestimmungen der Landschaftsordnung vom 19. Fe= | bruar 1872*= (Nr. 288. der Anhaltischen Gesetz=Sammlung) und das Gesetz, betreffend einen Zusatz zu §.21. der Geschaftsord= | nung fiir den Landtag vom 29. Dezember 1873^ (Nr. 333. | der Anhaltischen Gesetz=Sammlung), aufgehoben. Urkundlich unter Unserer eigenhandigen Unterschrift und beigedmcktem | Herzoglichen Insiegel. Dessau, den 24. Januar 1876. Friedrich, | Herzog von Anhalt. | (L. S.) V. Krosigk.

^ ^ ^ ^

Dok. 148. Dok. 148/2. Dok. 148/3. Dok. 148/4.

[148/6] Gesetz vom 24. Januar 1876

1357

[S. 67] Geschaftsordnung fur den Landtag. I. Zusammentritt des Landtags und Priifung der Wahlen. Zusammentritt des Landtags. ^Beim Beginne einer neuen Landtagsperiode treten nach Eroff= | nung des Landtags die Mitglieder unter dem Vorsitze ihres altesten Mit= | gliedes zusammen. '^Das Amt des Altersprasidenten kann von dem dazu | Berufenen auf das ihm im Lebensalter am nachsten stehende Mitglied | tibertragen werden. BeschluBfahigkeit. §.2. ^Der Landtag ist beschluBfahig, und kann nur dann Wahlen vor= | nehmen, wenn mindestens zwei Drittheile seiner Mitglieder versammelt | sind. ^Erledigte Wahlmandate werden nicht mitgezahlt. Priifung der Wahlen. §.3. Die Vorprtifung der Wahlen geschieht durch eine alsbald nach Er= | offnung des Landtags in Einem Wahlgange zu wahlende Kommission | von fiinf Mitgliedem. §•4. Findet die Kommission ein erhebliches Bedenken oder liegt eine Wahl= | anfechtung Oder von Seiten eines Landtagsmitgliedes Einsprache vor, so | ist der Sachverhalt dem Landtage zur Entscheidung vorzulegen. Wahlanfechtungen und Einsprachen, welche spater als zehn Tage | nach Eroffnung des Landtags und bei Nachwahlen, die wahrend einer | Diat stattfinden, nach Feststellung des Wahlergebnisses erfolgen, bleiben | unberiicksichtigt. [S. 67] §.5. Wahlen, bei denen keiner der obigen Falle eintritt, werden vom | Prasidenten nachrichtlich zur KenntniB des Landtags gebracht, und wenn | bis dahin der zehnte Tag (§. 4.) noch nicht verflossen, einstweilen als | giiltig betrachtet; nach Ablauf der zehntagigen Frist sind sie definitiv | giiltig.

Bis zur Ungiiltigkeitserklarang einer Wahl hat der Gewahlte Sitz | und Stimme im Landtage. Mitglieder, deren Wahl beanstandet wird, diirfen in Beziehung auf | ihre Wahl alle ihnen nothig scheinenden Aufklamngen geben, nicht aber | an der Abstimmung Theil nehmen.

1358

§ 8: Anhalt

[Dok. 148 - 154] IL Vorstand und Beamte des Landtags. Wahl der Prasidenten.

§.7. Beim Beginn einer Landtagsperiode wahlt der Landtag in drei ge= | trennten Wahlgangen drei Kandidaten fur das Prasidentenamt nach absoluter Stimmenmehrheit. ^Wird eine solche nicht sofort erzielt, so findet eine engere Wahl | unter denjenigen statt, welche die meisten Stimmen er= | halten haben. ^Bei Ausmittlung dieser zwei Kandidaten entscheidet bei | Stimmengleichheit das Loos, Ergiebt sich bei der engeren Wahl Stimmengleichheit, so entscheidet | das Loos. Die Wahl erfolgt durch Stimmzettel. Der Herzog emennt aus den drei gewahlten Kandidaten den Land= | tagsprasidenten auf die Dauer der Landtagsperiode.

In gleicher Weise wahlt der Landtag in getrennten Wahlgangen | einen ersten und einen zweiten Vizeprasidenten auf die Dauer der Land= | tagsperiode; diese Wahlen bedtirfen der landesherrlichen Bestatigung. fS. 69] §•9. Der President und die Vizeprasidenten bilden den Landtags=Vorstand. Sie miissen Mitglieder des Landtags sein; ihre amtlichen Funktionen er= | loschen mit dem Aufhoren ihres Wahlmandats. Wahl des Syndikus. §. 10. ^Die Wahl des Syndikus erfolgt in gleicher Art und Weise, wie | die Wahl der Mitglieder des Landtags=Vorstandes, auf die Dauer der | Landtagsperiode. ^Der Syndikus kann nicht zugleich Mitglied des Landtags sein. ^Seine Wahl bedarf der landesherrlichen Bestatigung. Der President. §.11. ^Dem Prasidenten liegt die Leitung der Verhandlungen, die Hand= | habung der Ordnung und die Vertretung des Landtags nach auBen ob. | ^Er hat das Recht, den Sitzungen der Kommissionen mit berathender | Stimme beizuwohnen. Er ist der amtliche Vorgesetzte des Syndikus; das beim Landtage | beschaftigte Verwaltungs= und Dienstpersonal steht beztiglich dieser Funk= | tionen unter seiner Oberaufsicht. Die Vizeprasidenten haben den Prasidenten bei der Wahmehmung seiner | amtlichen Funktionen zu unterstiitzen und in Behinderungsfallen nach der | Reihenfolge ihrer Emennung zu vertreten. §.12. Der Prasident beschlieBt in Gemeinschaft mit den Vizeprasidenten | tiber die Annahme und Entlassung des far den Landtag erforderlichen | Verwaltungs= und Dienstpersonals, namentlich auch fiir den BediirMB= | fall von Stenographen; er weist die Ausgaben zur Deckung der Bedtirf= | nisse des Landtags innerhalb des festgestellten Voranschlages zur Aus= I gabe auf die Staatskasse an.

[148/6] Gesetz vom 24. Januar 1876

1359

Der Syndikus. §. 13. Der Syndikus verwaltet das Schriftfiihreramt; er hat demgemaB | fur die Aufnahme der Protokolle und fur den Druck der Verhandlungen | [S. 70] zu sorgen, eintretenden Falls die Revision der stenographischen Berichte | zu tiberwachen; er liest die Schriftstucke vor, halt den Namensaufruf, | vermerkt die Stimmen und verwaltet das Landtagsarchiv und die Land= | tagsbibliothek. Die Kanzleibeamten des Landtags und die sonstigen zur Dienst= | leistung angenommenen Personen stehen unter seiner nachsten dienstlichen | Aufsicht. AuBerdem hat er dem Landtage so wie dessen Kommissionen auf | Verlangen juristischen Beirath zu ertheilen, Wahrend der Dauer seiner Amtsfiihrung finden die Bestimmungen | in den Abschnitten VI. und VIL des Gesetzes Nr. 408., den Civilstaats= | dienst betreffend, auf ihn Anwendung; ein Disziplinarverfahren gegen | ihn soil jedoch nur mit Zustimmung des Landtags eingeleitet werden. Seine Besoldung wird far die Dauer der Wahlperiode durch | Vereinbarung der Staatsregierung mit dem Landtage festgestellt. Ein Pensionsanspruch kann ihm nur durch eine gleiche Vereinbarung | verliehen werden. §.14. Mit dem Ablauf einer Landtagsperiode und im Fall einer Auflosung | des Landtags erloschen die Funktionen des Prasidenten sofort, der | Syndikus dagegen hat seine Geschafte bis zur anderweiten Wahl eines Syn= | dikus weiter zu ftihren. Im Uebrigen bleiben die Prasidenten und der Syndikus wahrend | der ganzen Landtagsperiode in amtlicher Funktion. III. Vertreter der Staatsregierung. §.15. Die Staatsregierung wird beim Landtage durch die landesherrlichen | Kommissare und deren Beauftragte (Regierungs=Kommissare) vertreten. Bediirfen der Landtag oder dessen Kommissionen Nachrichten, | Nachweisungen oder sonstiger Htilfsmittel zu ihren Arbeiten, so haben sie | sich deshalb an ihre Vorsitzenden zu wenden, welche die erforderliche Re= | quisition an die Landesherrlichen Kommissarien erlassen. IV. Behandlung der Vorlagen, Antrage und Petitionen. §.16. ^Wenn ein Mitglied vom Gegenstande der Verhandlung abschweift oder | die Ordnung stort, so wird es von dem Vorsitzenden namentlich darauf zu= | rtickgewiesen. "^Wiederholt es diese Stoning oder erlaubt sich ein Mitglied | Unterbrechungen der Reden, Personlichkeiten und beleidigende AeuBerungen, | so wird es von dem Vorsitzenden zur Ordnung gerufen. Die Vorlagen der Staatsregierung sowie alle formlich (§. 22.) ein= | [S. 71] gebrachten Antrage von Abgeordneten werden vom Prasidenten in der | Regel zum Druck und zur Vertheilung an die Mitglieder des Landtags | befordert. Ausnahmen konnen nur beschlossen werden, wenn die Vertreter der | Staatsregierung zustimmen und nicht 5 anwesende Mitglieder widersprechen. Hiemachst tritt der in den nachfolgenden §§. vorgeschriebene Ge= | schaftsgang ein.

1360

§ 8: Anhalt

[Dok. 148 - 154] a. Im Plenum.

§.17. Die erste Berathung tiber Gesetzentwtirfe erfolgt friihestens am | dritten Tage nachdem der Gesetzentwurf gedmckt in die Hande der Mit= | glieder gekommen ist, und ist auf eine allgemeine Diskussion tiber die Grundsatze des Entwurfs zu beschranken. Vor SchluB der ersten Berathung auf die Vorlage selbst bezugliche | Abandemngsvorschlage einzubringen, ist nicht gestattet. Nach dem SchluB der ersten Berathung beschlieBt der Landtag, ob | eine Kommission mit der Vorberathung des Entwurfs zu betrauen ist. Die Verweisung der Regierungsvorlagen an eine Kommission muB | erfolgen, sobald die Vertreter der Staatsregierung es verlangen. Die allgemeine Diskussion kann auch auf einzelne Abtheilungen des | Entwurfs gerichtet und abtheilungsweise zu Ende gefiihrt werden. §.18. Die zweite Berathung erfolgt friihestens am zweiten Tage nach | dem Abschlusse der ersten Berathung, und wenn eine Kommission einge= | setzt ist, friihestens am zweiten Tage, nachdem die Kommissionsantrage | gedmckt in die Hande der MitgHeder gekommen sind. ^Ueber jeden einzelnen Artikel wird in der Reihenfolge nach die Dis= | kussion erofftiet und geschlossen und die Abstimmung herbeigefiihrt. "^Auf | BeschluB des Landtags kann die Reihenfolge verlassen, in gleicher Weise | die Diskussion iiber mehrere Artikel verbunden oder tiber verschiedene | zu demselben Artikel gestellte Abanderungsvorschlage getrennt werden. ^Abanderungsvorschlage konnen in der Zwischenzeit und im Laufe | der Verhandlung eingebracht werden. ^Sie bedtirfen keiner Untersttitzung. Nach dem Schlusse der zweiten Berathung stellt der President unter | [S. 72] Zuziehung des Syndikus, die gefaBten Beschltisse zusammen, falls durch | dieselben Abanderungen der Vorlage eingetreten sind. Die Zusammenstellung bildet die Grandlage der dritten Be= | rathung. Sind in der zweiten Berathung keine Abanderungen beschlossen | worden, so dient die unveranderte Vorlage als Gmndlage der dritten | Berathung. §.19. Die dritte Berathung erfolgt friihestens am zweiten Tage nach | dem AbschluB der zweiten Berathung, beziehungsweise nach der Vei= | theilung der Zusammenstellung. (§. 18) ^Abanderungsvorschlage zu einzelnen Artikeln konnen in der Zwischen= | zeit und im Laufe der Verhandlung eingebracht werden. "^Sie bedtirfen, | falls sie von Mitgliedem des Landtags ausgehen, der Untersttitzung von 5 Mitgliedem. Die Diskussion erfolgt zunachst tiber die Gmndsatze des Entwurfs | nach MaBgabe des §.17 und hieran schlieBt sich unmittelbar die Dis= | kussion tiber die einzelnen Artikel nach MaBgabe des §. 18. ^Am Schlusse der Berathung wird tiber die Annahme oder Ab= | lehnung des Gesetzentwurfs abgestimmt. '^Sind Verbessemngs=Antrage | angenommen worden, so wird die SchluBabstimmung ausgesetzt, bis | der Syndikus die Beschltisse zusammengestellt hat. §.20. Eine Abkiirzung des in den § § , 1 6 - 1 9 angeordneten Verfahrens, | und der darin bestimmten Fristen kann nur dann beschlossen werden, | wenn die Vertreter der Staatsregiemng zustimmen und nicht 5 anwesende | Mitglieder widersprechen.

[148/6] Gesetz vom 24. Januar 1876

1361

Der Landtag kann, wie am Schlusse der ersten (§. 17), so in jedem | Stadium einer folgenden Berathung bis zum Beginn der Fragestellung | den Gesetz=Entwurf oder einen Theil desselben an eine Kommission vep= | weisen, welche sich nur mit dem ihr tiberwiesenen Gegenstande zu be= | schaftigen hat. §.21. Jedem Mitgliede steht zwar das Recht zu, einen BeschluB des Lan= | tags dahin zu erwirken, daB der ErlaB eines Gesetzes beantragt werde; | jedoch darf ein solcher Antrag nicht in Form eines Gesetz=Entwurfs ein= | gebracht werden. [S. 73] §. 22. Alle von Mitgliedem des Landtags ausgehende Antrage - mit | Ausnahme der im §. 18 abgehandelten Abanderungsvorschlage - mtissen | von mindestens 5 Mitgliedem unterzeichnet und mit der Eingangsformel | „der Landtag wolle beschlieBen" | versehen sein. In einer folgenden Sitzung, jedoch frtihestens am dritten Tage, | nachdem der Antrag gedruckt und in die Hande der Mitglieder gekommen | ist erhalt der Antragssteller das Wort zur Begriindung. ^Derartige Antrage der Mitglieder bediirfen nur einer einmaligen | Berathung und Abstimmung. ^Uebrigens finden alle Bestimmungen | liber die Behandlung von Gesetz^Entwtirfen auf sie Anwendung. Die Berathung und Abstimmung tiber den Antrag kann, und zwar | auch ohne daB er gedruckt vorliegt, in derselben Sitzung, in welcher | er eingebracht ist, unter Zustimmung des Antragsstellers stattfinden, | wenn nicht die Vertreter der Staatsregierung oder ein Mitglied des I Landtags widersprechen. §.23. Jeder Antrag kann zurtickgezogen werden, jedoch von jedem andem Mit= | gliede wieder aufgenommen werden. Er bedarf alsdann keiner weitem Unterstiitzung. §.24. Antrage der Staatsregierung, auch wenn sie Gesetz=Entwtirfe nicht | enthalten, sind nach den Vorschriften der §§. 17 - 20 zu behandeln, | wenn nicht mit Zustimmung der Vertreter der Staatsregierung das im | §. 22. vorgeschriebene abgekiirzte Verfahren beschlossen wird. §.25. Beziiglich solcher Gegenstande, welche nicht an eine Kommission ver= | wiesen werden, wird vom Prasidenten fiir die Berathung im Plenum | ein Referent und beziehentlich auch ein Korreferent bestellt. b. in den Kommissionen. §.26. Ftir die Bearbeitung derjenigen Geschafte, welche [S. 74] 1) die eingehenden Petitionen, 2) den Finanzetat, 3) die sonstigen Finanzangelegenheiten, 4) die innere Verwaltung, einschlieBlich des Schulwesens, betreffen, konnen besondere Kommissionen nach MaBgabe des sich heraus= | stellenden Bedtirfhisses auf die Dauer einer Diat gewahlt werden.

1362

§ 8: Anhalt

[Dok. 148 - 154]

AuBerdem kann der Landtag fiir einzelne Angelegenheiten die | Bildung besonderer Kommissionen beschlieBen. Die Zahl der Mitglieder und die Art und Weise der Wahl derselben | wird vom Landtage festgestellt. §• 27. Die Kommissionen konstituiren sich unter einem aus ihrer Mitte zu | wahlenden Vorsitzenden und sind beschluBfahig, sobald mindestens die | Halfte der Mitglieder anwesend ist. Ftir jeden einzelnen Gegenstand wahlt die Kommission einen Bericlit= | erstatter, der demnachst die Ansichten und Antrage der Kommission | in einem Bericht zusammenstellt. Denjenigen Mitgliedem der Kommission, welche gegen den BeschluB | gestimmt haben, steht es frei, ihre abweichenden Ansichten zu begninden | und als besondere Beilage dem Kommissionsbericht beizugeben, auch aus | ihrer Mitte einen Vertheidiger derselben (Minoritats^Referenten) zu bestellen. Der Kommissionsbericht wird gedruckt und mindestens zwei Tage | vor der Berathung im Landtage an sammtliche Abgeordnete vertheilt, | auch den Landesherrlichen Kommissarien in mindestens 5 Exemplaren | tibersandt. Die Kommissionen sind auch befiigt, durch die gewahlten Bericht= | erstatter ohne schriftlichen Bericht im Landtage mtindlich Bericht erstatten | zu lassen, jedoch ist auch in diesem Falle den Vertretem der Staats= | regierung von den Beschltissen und Antragen der Kommission mindestens | 2 Tage vor der Berathung im Landtage Mittheilung zu machen. Der Landtag kann aber in jedem Falle schriftlichen Bericht verlangen | und zu diesem Behufe die Sache an die Kommission zuriickweisen. Wird einer Kommission die Vorberathung eines von Mitgliedem | des Landtags gestellten Antrags tiberwiesen, so nimmt der Antragsteller | und, falls der Antrag von mehreren Mitgliedem ausgegangen ist, das | zuerst unterzeichnete Mitglied, auch wenn es nicht Mitglied der Kommission | ist, an den Berathungen derselben mit berathender Stimme Theil. [S.75] Sammtliche Mitglieder des Landtags haben das Recht, den Kom= | missionsberathungen als Zuhorer beizuwohnen. §.28. Die Kommissionen haben von ihrer Konstituirung und den durch | sie vorgenommenen Wahlen unverziiglich dem Prasidenten Anzeige zu machen. Von den Kommissions=Sitzungen, welche von dem Vorsitzenden | anberaumt werden, ist durch den Letztem in der Regel am Tage vor= | her, in dringenden Fallen spatestens zwei Stunden vor der Sitzung, dem | Prasidenten und den landesherrlichen Kommissarien Mittheilung zu machen. §.29. Die Kommissionen regeln ihre Tagesordnung selbst; auBerdem | ist der President befiigt, Sitzungen derselben anzuberaumen. §.30. Die Vertreter der Staatsregierung konnen den Sitzungen der Kom= | missionen mit berathender Stimme beiwohnen; sie sind berechtigt, jeder= | zeit das Wort zu verlangen. §.31. Sind die Gegenstande der Verhandlungen durch die Kommissionen | vorbereitet, so wird solches dem Prasidenten mitgetheilt, welcher die Ein= | bringung derselben auf die Tagesordnung verfiigt und den Tag der Ver= | handlung im Plenum feststellt. (§. 34).

[148/6] Gesetz vom 24. Januar 1876

1363

V. Behandlung der Anfragen an die Vertreter der Staatsregierung. §. 32. Anfragen an die Vertreter der Staatsregierung miissen bestimmt | formulirt und von 5 Mitgliedem unterzeichnet dem Prasidenten iibep= | reicht werden, welcher dieselben den landesherrlichen Kommissarien ab= | schriftlich mittheilt und diese in der nachsten Sitzung des Landtags zur | Erklarung dariiber auffordert, ob und wann sie die Anfragen beant= | worten werden. Erklaren dieselben sich zur Beantwortung bereit, so wird an dem | von ihnen bestimmten Tage dasjenige Mitglied des Landtags, welches | die Anfrage an erster Stelle unterzeichnet hat, zur nahem Motivimng | und Ausfiihrung seiner Frage verstattet. [S. 76] §.33. ^An die Beantwortung der Anfragen oder deren Ablehnung darf sich | eine sofortige Besprechung des Gegenstandes derselben anschlieBen, wenn | mindestens 10 Mitglieder darauf antragen. "^Die Stellung eines Antrags | bei dieser Besprechung ist unzulassig. ^Es bleibt aber jedem Mitgliede | iiberlassen, den Gegenstand in Form eines Antrages weiter zu verfolgen. VL Geschaftsvorschriften far die Plenarsitzungen. a. Tagesordnung. §.34. Die Tagesordnung fur das Plenum wird durch den Prasidenten | vor dem Schlusse jeder Sitzung fur die nachste Sitzung verkiindigt. ^Wenn sich dagegen Widerspruch erhebt, so entscheidet der Landtag | dariiber, ob der Widerspruch begriindet ist. - "^Der Landtag kann den | Prasidenten ermachtigen, die nachste Sitzung und deren Tagesordnung | auch auBerhalb einer Sitzung festzustellen. ^Die Vorlagen der Staatsregierung mtissen den tibrigen Gegenstanden | der Tagesordnung vorangestellt werden. ^Abweichungen hiervon sind nur | mit Zustimmung der Vertreter der Staatsregierung zulassig. Die Tagesordnung ist in jedem Falle den Abgeordneten und den | Landesherrlichen Kommissarien durch den Druck mitzutheilen. b. die Sitzungen des Landtags. §.35. Die Sitzungen des Landtags sind offentlich. Der Landtag tritt auf den Antrag der Vertreter der Staats= | regierung, des Prasidenten oder von 5 Mitgliedem zu einer geheimen | Sitzung zusammen, in welcher dann zunachst tiber den Antrag auf Aus= | schluB der Offentlichkeit zu beschlieBen ist. Den Vertretem der Staatsregierung bleibt jedoch in jedem ein= | zelnen Falle das Recht vorbehalten, ihre Erklarungen und Mittheilungen | in geheimer Sitzung abzugeben. Eine Veroffentlichung der Protokolle tiber geheime Sitzungen findet | nicht statt. §.36. Der President erofftiet und schlieBt die Sitzung; er verklindet Tag | und Stunde der nachsten Sitzung.

1364

§ 8: Anhalt

[Dok. 148 - 154]

[S. 77] c. Sitzungs^Protokolle. §. 37. Das Protokoll jeder Sitzung liegt wahrend der nachsten oder | einer der nachsten Sitzungen zur Einsicht aus und wird, wenn dagegen | bis zum SchluB der Sitzung kein Einspruch erhoben ist, als genehmigt | erachtet, Der Landtag kann unter Zustimmung der Vertreter der Staats | regierung den Prasidenten ermachtigen, von dieser Auslegung in einzelnen | Fallen abzusehen. §. 38. Das Protokoll hat zu enthalten: 1) die Antrage nach ihrem Wortlaute und die Namen der An= | tragsteller, 2) die Anfragen an die Vertreter der Staatsregierung (§. 32) | in wortlicher Fassung nebst Bemerkung, ob sie beantwortet sind, 3) die gefaBten Beschltisse in wortlicher Anfuhrung sowie die Er= | gebnisse der Abstimmungen (nach Zahl und beziehentlich Namen), 4) die amtlichen Anzeigen des Prasidenten, 5) die Namen der beurlaubten und der ohne Urlaub fehlenden | Mitglieder. §.39. Wird gegen die Fassung des Protokolls Einspruch erhoben, welcher | sich durch die Erklarung des dartiber zu horenden Syndikus nicht heben | laBt, so befragt der President die Versammlung; im Fall der Einspruch | fur begriindet erachtet wird, muB noch wahrend der Sitzung eine neue Fassung | der betreffenden Stelle vorgelegt werden. §.40. Das Protokoll wird von dem Prasidenten und dem Syndikus vollzogen. d. Rede=Ordnung. §.41. ^Kein Mitglied darf sprechen, ohne vorher das Wort verlangt und | von dem Prasidenten erhalten zu haben. '^Will der Prasident sich an | der Debatte betheiligen, so muB er den Vorsitz abtreten. [S. 78] §.42. ^Sofortige Zulassung zum Worte konnen nur diejenigen Mitglieder | verlangen, welche liber die Verweisung auf die Geschafts=Ordnung reden | wollen. ^Personliche Bemerkungen sind erst nach dem SchluB der De= | batte oder im Falle der Vertagung derselben am Schlusse der Sitzung | gestattet. ^Faktische Bemerkungen sind unzulassig. §.43. ^Es wird vom Platze geredet. "^Jedes Vorlesen ist ohne Genehmigung | des Prasidenten oder der Versammlung unstatthaft. §.44. Der Prasident ist berechtigt, den Redner auf den Gegenstand der | Verhandlung zurtickzuweisen und zur Ordnung zu rufen. (§. 57) Ist das eine oder das andere in der namlichen Rede zweimal ge= | schehen, und fahrt der Redner fort, sich vom Gegenstande oder von der | Ordnung zu entfemen, so kann die Ver-

[148/6] Gesetz vom 24. Januar 1876

1365

sammlung auf die Anfrage des | Prasidenten ohne Debatte beschlieBen, daB ihm das Wort liber den vor= | liegenden Gegenstand genommen werden solle, wenn er zuvor auf diese | Folge vom Prasidenten aufmerksam gemacht ist. Die beziiglichen Vorgange sind in das ProtokoU aufzunehmen. §. 45. Bei alien Diskussionen ertheilt der President demjenigen Mitgliede | das Wort, welches nach Eroffhung der Diskussion oder nach Beendigung | der vorhergehenden Rede zuerst darum nachsucht. Antragsteller und Berichterstatter erhalten, wenn sie es verlangen, | das Wort sowohl am Beginne, wie nach dem SchluB der Diskussion. §^ 46. Die Vertreter der Staatsregierung mtissen auf ihr Ver= | langen zu jeder Zeit gehort werden. §. 47. Nimmt ein Vertreter der Staatsregierung nach dem SchluB der | Diskussion das Wort, so gilt diese auf s Neue als eroffhet. [S. 79] e. Abanderungsvorschlage und Antrage auf motivirte | Tagesordnung. §.48. Abanderungs=Vorschlage (Amendements) oder Antrage auf motivirte Tagesordnung konnen zu jeder Zeit vor dem SchluB der Verhandlungen | gestellt werden. Dieselben mtissen mit der Hauptfrage in wesentlicher Verbindung | stehen und werden dem Prasidenten schriftlich tibergeben. Ueber Amendements und Antrage auf motivirte Tagesordnung, welche | dem Landtage nicht gedmckt vorgelegen haben, muB, sofem sie angenom= | men werden, in der nachsten Sitzung nach deren Drucke und | Vertheilung nochmals ohne Discussion abgestimmt werden. f SchluB der Debatte. §. 49. ^Der President stellt die Fragen; iiber die Stellung derselben kann | das Wort begehrt werden. '^Der Landtag beschlieBt dariiber. ^Sind mehrere | Fragen vorhanden, so hat der President solche sammtlich der Reihenfolge | nach vorzulegen. ''Die Fragen sind so zu stellen, daB sie einfach durch Ja | oder Nein beantwortet werden konnen. ^Bei Stimmen=Gleichheit wird die | Frage als vemeint angesehen,. §.50. ^Die Theilung der Frage kann jeder Einzelne verlangen. '^Wenn | tiber deren Zulassigkeit Zweifel entstehen, so entscheidet bei Antragen der | Antragsteller, in alien andem Fallen der Landtag. §.5L ^Der Antrag auf die Vertagung oder den SchluB der Debatte | bedarf der Untersttitzung von 5 Mitgliedem. "^Wenn solche erfolgt, so | kann fiir und gegen den Antrag nur je einem Mitgliede das Wort | ertheilt werden; hiemachst wird tiber den Antrag abgestimmt. ^Der Antrag auf einfache Tagesordnung kann zu jeder Zeit gestellt | werden und bedarf keiner Untersttitzung. '^Nachdem ein Redner ftir und | ein Redner gegen denselben gehort

1366

§ 8: Anhalt

[Dok. 148 - 154]

worden, erfolgt dariiber der BeschluB | der Versammlung. ^Im Laufe derselben Diskussion darf der einmal ver= | worfene Antrag auf Tagesordnung nicht wiederholt werden. [S. 80] Die Antrage auf motivirte Tagesordnung (§. 48) sind wie die | tibrigen Amendements zur Abstimmung zu bringen. Ueber Antrage der Staatsregierung kann nicht zur Tagesordnung | tibergegangen werden, g. Abstimmung. §. 52. Unmittelbar vor der Abstimmung ist die Frage zu verlesen. §.53. ^Die Abstimmung geschieht nach absoluter Mehrheit durch Aufstehen | oder Sitzenbleiben. ^In Zweifelsfallen wird die Gegenprobe gemacht. §. 54. Unmittelbar nach erfolgter Abstimmung verkundet der Prasident | das ErgebniB. §.55. ^Namentliche Abstimmung muB erfolgen, sobald die Vertreter der Staats= | regierung Oder 5 Abgeordnete darauf antragen. "^Dieselbe erfolgt in der | Weise, daB der Syndikus die Namen der anwesenden Abgeordneten nach | der alphabetischen Folge der Anfangsbuchstaben einzeln aufruft und | jeder Abgeordnete bei Nennung seines Namens mit Ja oder Nein stimmt. | ^Bei jeder nachstfolgenden namentlichen Abstimmung ist unter Festhaltung | der alphabetischen Reihenfolge mit einem andem Anfangsbuchstaben zu beginnen. §. 56. Mit der Verktindung des Ergebnisses der namentlichen Abstimmung | ist nach §. 54 zu verfahren. VII. Ordnungs=Bestimmungen. §. 57. Wenn ein Mitglied die Ordnung verletzt, so wird es vom Prasi= | denten mit Nennung des Namens darauf zuriickgewiesen. Das zur Ordnung gerufene Mitglied ist berechtigt, dagegen schrift= | lich Einspruch zu thun, worauf der Landtag, jedoch erst in der nachst= | [S. 81] folgenden Sitzung, dariiber ohne Diskussion entscheidet, ob der Ordnungs= | ruf gerechtfertigt ist. §.58. Wenn in der Versammlung storende Unruhe entsteht, so kann der | Prasident die Sitzung auf bestimmte Zeit aussetzen oder ganz aufheben. Die in diesem und dem §.57 abgehandelten Vorgange sind in das | Protokoll aufzunehmen. Ordnung in den Zuhorerraumen. §. 59. Dem Prasidenten steht die Handhabung der Polizei in den Land= | tags= und in den Zuhorerraumen zu.

[148/6] Gesetz vom 24. Januar 1876

1367

§.60. Wer von der Tribtine Zeichen des Beifalls oder MiBfallens giebt | oder sonst die Ordnung und den Anstand verletzt, wird auf der Stelle | entfemt. §.61. Entsteht eine larmende Unruhe auf der Tribune, so kann der Prasi= | dent anordnen, daB alle, die sich zur Zeit darauf befmden, die Tribune raumen. VIII. Urlaub, Ausscheiden und Neuwahl der Mitglieder. Urlaub. §.62. ^Fiir die Abwesenheit eines Mitgliedes bis zur Dauer von 8 Tagen | ist der President Urlaub zu ertheilen berechtigt, ftir eine langere Zeit | ertheilt denselben der Landtag. ^Urlaubsgesuche auf unbestimmte Zeit | sind unstatthaft. ^Ueber die Urlaubsgesuche und Abwesenheitsfalle wird | ein Register gefiihrt; auBerdem werden dieselben im Protokolle auf= I gefiihrt. §.63. Ein gewahltes Mitglied (§. 1., Zahl 2 - 5 . des Ges. Nr. 288.), | welches sich ohne Urlaub und trotz Aufforderung des Prasidenten, | [S. 82] an den Verhandlungen Theil zu nehmen, langere Zeit denselben ent= | zieht, kann auf Antrag der Staatsregierung, des Landtagsvorstandes | oder von zehn Mitgliedem durch LandtagsbeschluB seines Wahlmandates | verlustig erklart werden. Ausscheiden nach Neuwahl. §.64. Wenn aus irgend einer Ursache die Stelle eines Landtags=Mitgliedes | erledigt wird, so macht der President der Staatsregierung davon An= | zeige, um in der kiirzesten Frist die Neuwahl zu veranlassen. IX. Allgemeine Bestimmungen. §.65. Soweit nicht beziiglich der vom Landtage vorzunehmenden Wahlen | in dieser Geschaftsordnung etwas Anderes bestimmt ist (§, 26.), erfolgen | dieselben im Plenum nach absoluter Stimmenmehrheit unter beztiglicher | Anwendung der Vorschriften in den §§.7. folgende. §. 66. Ueber alle erfolgten Beschliisse ist den landesherrlichen Kommissarien | schriftliche Mittheilung zu machen, Gesetzentwtirfe werden denselben in | einer nach den Beschltissen des Landtags zu entwerfenden, vom Syndikus | zu vollziehenden urkundlichen Ausfertigung zugestellt. §. 67. Der Landtag kann unter Zustimmung der Vertreter der Staats= | regierung beschlieBen, die Plenarsitzungen auf eine bestimmte Zeit ganzlich | auszusetzen und nur eine oder meh-

1368

§ 8: Anhalt

[Dok. 148 - 154]

rere Kommissionen zur Vorberathung der | ihnen tiberwiesenen Gegenstande in Thatigkeit belassen. X. Ubergangsbestimmungen. §.68. Die auf Grund der bisherigen gesetzlichen Bestimmungen gewahlten | Prasidenten, sowie der jetzige Syndikus bleiben auf die Dauer ihrer | friiher festgestellten Amts=Periode in ihren amtlichen Stellungen.

[148/7] Gesetz, die Anpassung verschiedener auf die Staatserganzungssteuer bezuglichen Gesetzesvorschriften an das System der Einkommensteuer und derfesten Grundsteuer betreffend, vom 7. April 1887 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einfiihrungen" die Darstellung unter [706.]. Quelle: Gesetzsammlung fiir das Herzogthum Anhalt, Nr. 746 vom 26. April 1887, Bd. 12, 1888, S. 383-385 (gedruckt). [S. 383] (Offentlich bekannt gemacht und ausgegeben am 26. April 1887.) Gesetz, | die Anpassung verschiedener auf die Staatserganzungssteuer | bezuglichen Gesetzesvorschriften an das System der Einkommensteuer und der | festen Grundsteuer betreffend. Wir, Friedrich, von Gottes Gnaden Herzog von Anhalt, | Herzog zu Sachsen, Engem und Westphalen, Graf zu Askanien, | Herr zu Zerbst, Bemburg und Grobzig etc. etc. etc., verordnen Behufs Anpassung der seit dem Gesetz vom 24. April 1866 - | Nr. 100 der Gesetz=Sammlung -, die Einfiihrung einer Erganzungs= | steuer betreffend, erlassenen gesetzlichen Vorschriften, welche auf die Er= | ganzungssteuer und die damit zusammenhangenden Einrichtungen Bezug | nehmen, an die durch Gesetz vom 18. April 1886 eingeftihrte klassifizirte | Einkommensteuer und feste Grundsteuer auf den Antrag Unseres Staats= | Ministeriums und mit Zustimmung des Landtags, was folgt: §•1In alien den Fallen, wo in den nach dem 24. April 1866 erlassenen | Gesetzen und Verordnungen die Staatserganzungssteuer (direkte Staats= | steuer) oder der StaatserganzungssteuerfuB fiir die Vertheilung offentlicher | Lasten auf die Steuerpflichtigen eines bestimmten Bezirks oder auf die | einzelnen Theile eines zusammengesetzten Bezirks den MaBstab abgiebt, | tritt, soweit nicht nachstehend oder anderweit auf dem Wege der Gesetz= | gebung das VerhaltniB speziell geregelt wird, an Stelle der Staats= | [S. 384] erganzungssteuer=Einheit eine Einheit der Einkommensteuer, erhoht um | den dritten Theil einer Einheit der festen Grundsteuer. Diese Bestimmung findet namentlich Anwendung auf §. 9 des Gesetzes, die Ausflihrang des Bundesgesetzes liber | den Untersttitzungswohnsitz betreffend, vom 29. Juni 1871, | Nr. 263, §.31 und §. 37 Absatz 2 des Wegegesetzes vom 1. Oc= | tober 1871, Nr. 272, §. 31 Nr. 6 der Kirchengemeinde=Ordnung vom | 6. Februar 1875, Nr. 372, Art. IV des Gesetzes, die Synodal=Ordnung betreffend, | Nr. 515, und

[148/7] Gesetz vom 7. April 1887

1369

§.15 des Gesetzes, die Bildung von Amtsbezirken | und die Abanderung einiger Bestimmungen der Gemeinde= | Stadt= etc. Ordnung betreffend, vom 7. April 1878, Nr. 489. §.3. Die nachstehend aufgefiihrten gesetzlichen Bestimmungen, in denen | das Wahlrecht von der Hohe der Besteuerung abhangig gemacht wird, | werden zur Anpassung an das neue Steuergesetz wie folgt, abgeandert. 1. §.3 Absatz 1 des Gesetzes, betreffend die Abanderung einiger | weiterer Bestimmungen der Landschaftsordnung vom | 19. Februar 1872, Nr. 288^, indem an Stelle der Worte „welche | aus dem Gmndeinkommen von innerhalb des Herzogthums be= I legenen Grundstiicken 7 Thlr. oder mehr zur Einheit der Ergan= | zungssteuer zahlen (vergl. § § . 2 - 7 des Gesetzes Nr. 100 und | §. 1 des Gesetzes Nr. 160)" die Worte „welclie nach §.61 des | Gesetzes Nr. 724 63 Moder mehr zur festen Grundsteuer zahlen" | zu setzen sind. 2. §.4 desselben Gesetzes, indem an Stelle der Worte „diejenigen | Gewerbesteuerpflichtigen, welche 5 Thlr. mehr zur Einheit | der Erganzungssteuer in GemaBheit des §. 7 des Gesetzes Nr. 100 | und §. 1 des Gesetzes Nr. 160 entrichten" die Worte zu setzen | sind „diejenigen Handel= und Gev^erbetreibenden, welche mit einem | Einkommen von mindestens 18000 Mzur Einkommensteuer ver= | anlagt sind". [S. 385] Auf die §§.37 und 38 des die Landtagswahlen regelnden | Ausftahrungs=Gesetzes vom 8. Januar 1873, Nr. 306, fmden die | vorstehend unter 1 und 2 getroffenen Abanderungen des Gesetzes Nr. 288 | sinngemaBe Anwendung. §.4. In §. 35 des Subhastationsgesetzes vom 10. Mai 1879, Nr. 525, | kommen im zweiten Absatze unter Zahl 1 die Worte: „oder von dem | Einkommen aus einer solchen" in Wegfall. §.5. Die Berechnung in GemaBheit des §. 25 des Deichgesetzes vom | 28. Februar 1868, Nr. 161, erfolgt nach dem Inkrafttreten des neuen | Steuergesetzes nach der Hohe der festen Grundsteuer der Betheiligten. | ^Ftir Hausgrundstucke sind die fur die Landesbrandkasse festgestellten | Versicherungswerthe maBgebend.

Fiir die Feststellung des Grundstiickskatasterwerths in GemaBheit | des §. 11 des Schullastengesetzes vom 21. Februar 1873, Nr. 316, | und des §.9 des Gesetzes, betreffend die Regelung der Parochial= | baulast, vom 21. Februar 1873, Nr. 315, bleiben die fur die Zwecke | der festen Grundsteuer bestehenden Kataster maBgebend; fiir die Hauser= | werthe sind die fur die Landesbrandkasse festgestellten Versicherungswerthe | einzustellen. §.7. Die vorstehenden Bestimmungen treten zugleich mit dem Gesetze vom | 18. April 1886 (Nr. 724 der Gesetz=Sammlung), die Einfuhrung | einer Einkommensteuer und einer festen Grundsteuer betreffend, in Kraft.

^ Dok. 148/3.

1370

§ 8: Anhalt

[Dok. 148 - 154]

Urkundlich unter Unserer eigenhandigen Unterschrift und beigedmcktem | Herzoglichen InsiegeL Dessau, den 7. April 1887. Friedrich, | Herzog von Anhalt. | (L. S.) V. Krosigk.

[148/8] Gesetz, betreffend eine anderweite Abanderung des § 4 des Gesetzes Nr. 288 vom 19. Februar 1872, die Abanderung von Bestimmungen der Landschaftsordnung betreffend, vom 1.Marz1890 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einftihrungen" die Darstellung unter [706.]. Quelle: Gesetzsammlung fur das Herzogthum Anhalt, Nr. 821 vom 14. Marz 1890, Bd. 13, 1891, S. 333-334 (gedruckt). [S. 333] (Offentlich bekannt gemacht und ausgegeben am 14. Marz 1890.) Gesetz, | betreffend eine anderweitige Abanderung des §. 4 des Gesetzes Nr. 288 | vom 19. Februar 1872, die Abanderung von Bestimmungen | der Landschaftsordnung betreffend. Wir, Friedrich, von Gottes Gnaden Herzog von Anhalt, | Herzog zu Sachsen, Engem und Westphalen, Graf zu Askanien, | Herr zu Zerbst, Bemburg und Grobzig etc. etc. etc., verordnen auf Antrag Unseres Staatsministeriums unter Zustimmung | des Landtags, was folgt: Der durch §. 3 unter 2 des Gesetzes Nr. 746 vom 7. April 1887, | die Anpassung verschiedener auf die Staatserganzungssteuer beziiglichen | Gesetzesvorschriften an das System der Einkommensteuer und der festen | Grundsteuer betreffend^, abgeanderte §.4 des Gesetzes Nr. 288 vom | 19. Februar 1872, betreffend die Abanderung einiger weiteren Be== | stimmungen der Landschaftsordnung**, erhalt folgende Fassung: Stimmberechtigt zu den Wahlen der meistbesteuerten Handel= | und Gewerbetreibenden sind diejenigen gemaB §. 2 wahlfahigen Per= | sonen, welche als Kaufleute im Sinne des allgemeinen Deutschen | Handelsgesetzbuchs anzusehen oder Eigenthtimer von Berg= und Htitten= | [S. 334] werken sind und mit einem aus dem kaufmannischen Handels= und | Gewerbebetrieb, bezw. aus dem Berg= und Htittenwerksbetrieb her= | riihrenden Einkommens von mindestens 18 000 Mark zur Einkommen= | steuer veranlagt sind. Urkundlich unter Unserer eigenhandigen Unterschrift und beigedmcktem | Herzoglichen InsiegeL Meran, den 1. Marz 1890. Friedrich, | Herzog von Anhalt. | (L. S.) V. Krosigk.

^ Dok. 148/7. ^ Dok. 148/3.

[148/9] Andemngsgesetz vom 26. Februar 1891

1371

[148/9] Gesetz, die Abanderung einiger Bestimmungen der Geschaftsordnung fur den Landtag und der Landschaftsordnung betreffend, vom 26. Februar 1891 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einfuhmngen" die Darstellungen unter [707.] [709.]. Quelle: Gesetzsammlung flir das Herzogthum Anhalt, Nr. 848 vom 28. Februar 1891, Bd. 13, 1891, S. 469-470 (gedmckt). [S. 469] (Offentlich bekannt gemacht und ausgegeben am 28. Februar 1891.) Gesetz, | die Abanderung einiger Bestimmungen der Geschaftsordnung fur den | Landtag und der Landschaftsordnung betreffend. Wir, Friedrich, von Gottes Gnaden Herzog von Anhalt, | Herzog zu Sachsen, Engem und Westphalen, Graf zu Askanien, | Herr zu Zerbst, Bemburg und Grobzig etc. etc. etc., verordnen hierdurch in Abanderung einiger Bestimmungen der Geschafts= | ordnung fiir den Landtag^ (Anl. zum Gesetz vom 24. Januar 1876 - Nr. 412 d. G.=S. - ), bezw. der Landschaftsordnung vom 18. Juli 1859^ | auf Antrag Unseres Staatsministeriums unter Zustimmung des Land= | tags, was folgt: Artikel 1. Das Amt des Landschafts=Syndikus wird aufgehoben. Artikel 2. Die mit dem Schriftftihreramt des Syndikus (§.13 Abs. 1 der | Geschafts=Ordnung) verbundenen Geschafte werden nebenamtlich einem | geeigneten Staatsbeamten tibertragen, welchen das Staatsministerium [S. 470] a. beim Beginn einer neuen Landtagsperiode fiir die Zeit bis | zur Emennung resp. Bestatigung des neugewahlten Landtags= | vorstands provisorisch und b. sobald der neue Landtagsvorstand in Thatigkeit getreten ist, nach Verstandigung mit dem Landtagsprasidenten fur die ganze | Dauer der Landtagsperiode definitiv bestellt. Artikel 3. Die Aufsicht liber die Kanzleibeamten des Landtags, soweit sie | bisher dem Syndikus oblag, tibemimmt der Landtagsprasident und fiir | die Zwischenzeit vom Ablauf einer Landtagsperiode bis zum Beginn der | neuen das Staatsministerium. Urkundlich unter Unserer eigenhandigen Unterschrift und beigedrucktem | Herzoglichen Insiegel. Dessau, den 26. Februar 1891. Friedrich. | Herzog von Anhalt. (L. S.) V. Krosigk.

^ Dok. 148/6. ^ Dok. 148.

1372

§ 8: Anhalt

[Dok. 148 -- 154]

[148/10] Gesetz, betreffend die Abanderung der Landschaftsordnung, vom 19. Mai 1895 Vgl dazu in „Teil 1: Historische Einfuhrungen" die Darstellung unter [708.]. Quelle: Gesetzsammlung fur das Herzogthum Anhalt, Nr. 938 vom 23. Mai 1895, Bd. 14, 1895, S. 531-533 (gedruckt). [S. 531] (Offentlich bekannt gemacht und ausgegeben am 23. Mai 1895.) Gesetz, | betreffend eine Abanderung der Landschaftsordnung. Wir, Friedrich, von Gottes Gnaden Herzog von Anhalt, | Herzog zu Sachsen, Engem und Westphalen, Graf zu Askanien, | Herr zu Zerbst, Bemburg und Grobzig etc. etc. etc., verordnen im AnschluB an das Gesetz Nr. 288 vom 19. Februar 1872, | betreffend die Abanderung einiger weiterer Bestimmungen der Landschafts= | ordnung*, und im AnschluB an das Gesetz zur Ausfiihrung dieses Ge= | setzes, Nr. 306 vom 8. Januar 1873, auf Antrag Unseres Staats=Mi= | nisteriums und mit Zustimmung des Landtags, was folgt: Artikel 1. An Stelle des § 7 des Gesetzes Nr. 288 vom 19. Februar 1872 | tritt die nachstehende Bestimmung. §7. Wahlberechtigt zu den Wahlen der Stadte und des platten Landes | sind Alle, welche neben den im § 2 gedachten Erfordemissen die Be= | fahigung zu den Gemeindewahlen nach §§52 bezw. 110 der Gemeinde= | ordnung besitzen, nicht zu den Meistbesteuerten (§§3 und 4) gehoren | und innerhalb des Herzogthums seit mindestens sechs Monaten ihren | Wohnsitz haben. [S. 532] Hinsichtlich der Bewohner der selbstandigen SchloB= und Guts= | bezirke gelten ftir die Wahlberechtigung die Erfordemisse desjenigen | Wahlbezirks, welchem sie zugehoren. Artikel 2. An Stelle des § 9 desselben Gesetzes Nr. 288 treten folgende | Bestimmungen. §9. Alle Wahlen erfolgen in geheimer Abstimmung durch Stimmzettel | und nach absoluter Mehrheit der abgegebenen Stimmzettel. Zum | Zwecke der Wahlen der Abgeordneten far die Stadte und das platte | Land (§1 Nr. 4 und 5) wahlen die Wahlberechtigten aus ihrer Mitte | Wahlmanner dergestalt, daB auf eine Zahl von 25 bis 30 Wahl= I berechtigten ein Wahlmann entfallt. Die Abgeordneten werden von | den Wahlmannem gewahlt. Artikel 3. An Stelle des § 5 des Gesetzes Nr. 306 vom 8. Januar 1873 | treten folgende Bestimmungen.

Dok. 148/3.

[148/11] Landtagswahlgesetz vom 27. April 1913

1373

§5. Hierbei sind, abgesehen von der gesetzlichen Vorschrift, wonach auf | eine Zahl von 25 bis 30 Wahlberechtigten ein Wahlmann entfallt, | folgende Grundsatze maBgebend: a) Die Urwahlbezirke sind moglichst so abzugrenzen, daB ihre Grenzen | mit denjenigen der Gemeinde= beziehentlich selbststandigen Guts= | bezirke zusammenfallen, es darf jedoch kein Urwahlbezirk mehr | als 120 Wahlberechtigte haben. I Gemeinden etc. von mehr als 120 Wahlberechtigten sind daher | in mehrere Urwahlbezirke einzuteilen, Gemeinden etc., welche | weniger als 25 Wahlberechtigte haben, sind mit benachbarten | Gemeinden etc. behufs Bildung gemeinschaftlicher Urwahlbezirke | zu vereinigen. [S. 533] b) In der Kegel sind die Urwahlbezirke so zu bilden, daB auf 30 | bezw. nahezu 30 Wahlberechtigte ein Wahlmann entfallt, jedoch sind c) Ortschaften mit 25 bis 30 Wahlberechtigten moglichst als selbst= | standige Urwahlbezirke zu belassen. Urkundlich unter Unserer eigenhandigen Unterschrift und beigedrucktem | Herzoglichen Insiegel. Worlitz, denl9. Mai 1895. Friedrich, | Herzog von Anhalt. | (L. S.) V. Krosigk.

[148/11] Landtagswahlgesetz vom 27. April 1913 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einfuhrungen" die Darstellung unter [709.]. Quelle: Gesetzsammlung fiir das Herzogtum Anhalt, Nr. 1372 vom 9. Mai 1913, Bd. 20, 1916, S. 189-199(gedmckt). [S. 189] (Offentlich bekannt gemacht und ausgegeben am 9. Mai 1913.) Landtagswahlgesetz. | Vom 27. April 1913. Wir, Friedrich, von Gottes Gnaden Herzog von Anhalt, | Herzog zu Sachsen, Engem und Westfalen, Graf zu Askanien, | Herr zu Zerbst, Bemburg und Grobzig etc. etc. etc., verordnen auf Antrag Unseres Staatsministeriums und mit Zustimmung | des Landtags, was folgt: Abschnitt I. | Zusammensetzung des Landtags. § 1Der Landtag besteht aus 46 Abgeordneten, namlich 1. zwei vom Herzog emannten Abgeordneten, 2. acht Abgeordneten der meistbesteuerten Grundbesitzer, 3. fiinf Abgeordneten der meistbesteuerten Handel= und Gewerbe= | treibenden, 4. einem Abgeordneten der Handelskammer, 5. einem Abgeordneten der Landwirtschaftskammer, 6. einem Abgeordneten der Handwerkskammer, 7. einem Abgeordneten der Arbeitskammem, 8. sechzehn Abgeordneten der Stadte, 9. elf Abgeordneten des platten Landes.

1374

§ 8: Anhalt

[Dok. 148 - 154]

Die unter Z, 2 bis 2 aufgefuhrten Abgeordneten werden gewahlt. fS. 190] Abschnitt IT. | Berechtigung zum Wahlen. §2. Stimmberechtigt bei den Wahlen zum Landtage sind, unbeschadet der | besonderen Vorschriften der §§ 3 bis 8, diejenigen mannlichen deutschen | Reichsangehorigen, die zur Zeit derWahl 1. das 25. Lebensjahr zurtickgelegt haben, 2. seit mindestens drei Jahren ihren Wohnsitz im Herzogtume | haben. Von der Berechtigung zum Wahlen sind ausgeschlossen Personen, 1. die entmiindigt oder unter vorlaufige Vormundschaft gestellt | sind, fur die Dauer der Entmtindigung oder Vormundschaft, 2. iiber deren Vermogen der Konkurs eroffnet ist, wahrend der | Dauer des Konkursverfahrens, 3. denen durch rechtskraftiges Urteil die biirgerlichen Ehrenrechte | aberkannt sind, ftir die Dauer der Aberkennung, 4. die zur Zeit der Wahl eine Armenunterstutzung beziehen oder | im letzten der Wahl vorhergegangenen Jahre bezogen haben. §3. Stimmberechtigt bei den Wahlen der meistbesteuerten Grundbesitzer | sind: 1. Personen, die mit mindestens 21 Mzur Einheit der Staats= | grundsteuer veranlagt sind, 2. Pachter Herzoglicher und landesfiskalischer inlandischer Domanen, | sofem sie aus dem inlandischen Betriebe der Landwirtschaft | mit einem Einkommen von mindestens 18 000 Mzur Staats= | einkommensteuer veranlagt sind. §4. Stimmberechtigt bei den Wahlen der meistbesteuerten Handel= und | Gewerbetreibenden sind: 1. Kaufleute im Sinne des Handelsgesetzbuchs, die mit einem | aus ihrem Geschaftsbetriebe herriihrenden Einkommen von | mindestens 18 000 M zur Staatseinkommensteuer veranlagt | sind, [S. 191] 2. Mitglieder des Vorstandes einer Aktiengesellschaft, Gesellschaft | mit beschrankter Haftxing, Gewerkschaft oder eingetragenen Ge= | nossenschaft, sofem die Gesellschaft, Gewerkschaft oder Genossen= | schaft aus ihrem Geschaftsbetrieb und das Vorstandsmitglied | aus seiner Tatigkeit in diesem Geschaftsbetriebe mit mindestens I 18 000 Mzur Staatseinkommensteuer veranlagt ist. Den | Vorstandsmitgliedem einer Aktiengesellschaft stehen die zur | Vertretung der Gesellschaft berechtigten personlich haftenden | Gesellschafter einer Kommanditgesellschaft auf Aktien gleich. §5. Die meistbesteuerten Grundbesitzer und die meistbesteuerten Handel= | und Gewerbetreibenden sind von der Berechtigung zur Teilnahme an den | Wahlen in den Stadten und auf dem platten Lande so lange aus= | geschlossen, als sie nach den §§ 3, 4 stimmberechtigt sind. Personen, die nach § 3 und zugleich nach § 4 stimmberechtigt sind, | konnen ihr Stimmrecht nur in einer der beiden Wahlergmppen ausiiben.

[148/11] Landtagswahlgesetz vom 27. April 1913

1375

§6. Stimmberechtigt bei den Wahlen der Handelskammer, der Land= | wirtschaftskammer, der Handwerkskammer und der Arbeitskammem sind | die Mitglieder der betreffenden Kammem, auch wenn sie die allgemeinen | Wahlereigenschaften (§ 2) nicht besitzen. Sofem der Bezirk der Arbeitskammem sich nicht auf das Herzogtum | beschrankt, sind bei den Wahlen derselben nur die dem Herzogtum an= | gehorenden MitgHeder stimmberechtigt. Durch die Ausiibung des Stimmrechts wird das den Mitgliedem der | Kammem zustehende Stimmrecht bei den Wahlen der Meistbesteuerten | oder bei den Wahlen in den Stadten Oder auf dem platten Lande nicht | beriihrt. §7. Die Wahl der Abgeordneten der Stadte und des platten Landes | erfolgt in zwei Abteilungen, Stimmberechtigt in der ersten Abteilung sind alle Personen, welche | die allgemeinen Wahlereigenschaften (§ 2) besitzen. Stimmberechtigt in der zweiten Abteilung sind diejenigen Personen, [S. 192] 1. die mit mindestens 3600 Mzur Staatseinkommensteuer ver= | anlagt sind | oder 2. die im Wahlkreise Grundstticke besitzen und hierfur mit mindestens | 1,25 M zur Einheit der Staatsgrundsteuer veranlagt sind | oder 3. die im Wahlkreise Gebaude besitzen und hierfur gemaB § 20 des | Gemeindeabgabengesetzes mit mindestens 8,80 M zur Einheit | der Hausersteuer veranlagt sind oder veranlagt werden konnten. | Die Stadte Dessau und Bemburg gelten im Sinne dieser | Bestimmung als je ein Wahlkreis. Durch die Ausiibung des Stimmrechts in der zweiten Abteilung | wird das den Wahlberechtigten dieser Abteilung zustehende Stimmrecht | in der ersten Abteilung nicht beriihrt.

Wer das Stimmrecht in einem stadtischen oder landlichen Wahlkreis | ausiiben will, muB zur Zeit der Wahl seinen Wohnsitz im Wahlkreise, | bei Stadten mit mehreren Wahlkreisen seinen Wohnsitz in der be= | treffenden Stadt haben. "^Kein Wahler darf das Stimmrecht an mehr | als einem Orte ausiiben. §9. Soweit die Stimmberechtigung von der Veranlagung zur Grundsteuer, | Einkommensteuer oder Hochststeuer abhangt, gelten folgende Grundsatze: 1. Gmndbesitz, Pachtung, Gewerbebetrieb und Einkommen der | Ehefrau werden dem Ehemanne, Gmndbesitz, Pachtung, Ge= | werbebetrieb und Eigentum der Kinder, die sich in der | elterlichen Gewalt des Vater befinden, werden diesem an= | gerechnet; 2. Inhaber von Familienstiftungen und Familienfideikommissen | sowie Vorerben stehen Eigentiimem gleich; 3. die nach dem Einkommensteuergesetze von dem steuerpflichtigen | Einkommen abzugsfahigen gesetzlichen Beitrage zur Kranken=, | Unfall=, Invaliden=, Hinterbliebenen= und Angestelltenver= | sichemng werden dem veranlagten Einkommen hinzugerechnet.

1376

§ 8: Anhalt

[DoL 148 - 154] Abschnitt III | Wahlbarkeit.

§ 10.^ ^Wahlbar als Abgeordnete der meistbesteuerten Grundbesitzer, der | meistbesteuerten Handel= und Gewerbetreibenden, der Stadte und des | platten Landes sind solche Personen, die in der Wahlergmppe und | Abteilung, von der die Wahl erfolgt, stimmberechtigt (§§2 bis 8) sind. | ^Als Abgeordnete des platten Landes sind jedoch nur solche Personen wahl= | bar, die ihren Wohnsitz seit mindestens drei Jahren im Wahlkreise haben. §11. Wahlbar als Abgeordnete der Handelskammer sind solche Personen, | welche die allgemeinen Wahlereigenschaften (§ 2) besitzen und zu Mit= | gliedem der Handelskammer oder der Kleinhandelsabteilung gewahlt | werden konnen, mit Ausnahme der meistbesteuerten Handel= und Ge= | werbetreibenden. Wahlbar als Abgeordnete der Landwirtschaftskammer sind solche | Personen, welche die allgemeinen Wahlereigenschaften (§2) besitzen und | zu Mitgliedem der Landwirtschaftskammer gewahlt werden konnen, mit | Ausnahme der meistbesteuerten Grundbesitzer. Wahlbar als Abgeordnete der Handwerkskammer sind solche dem | Handwerkerstand angehorigen Personen, welche die allgemeinen Wahler= | eigenschaften (§2) besitzen und zu Mitgliedem der Handwerkskammer gewahlt werden konnen. Wahlbar als Abgeordnete der Arbeitskammem sind solche dem Stande | der Arbeitnehmer angehorigen Personen, welche die allgemeinen Wahler= | eigenschaften (§ 2) besitzen und zu Mitgliedem der Arbeitskammem ge= | wahlt werden konnen. Abschnitt IV, | Die Wahlen. A. Allgemeine Bestimmungen. §12. Die Wahlhandlung und die Ermittlung des Wahlergebnisses sind | offentlich. [S. 194] §13. Das Wahlrecht wird in Person durch Stimmzettel ausgetibt, die | in amtlich gestempelten Umschlagen abzugeben und in die Wahlume zu | legen sind. Die Stimmzettel und Umschlage dtirfen mit keinem auBeren Kenn= | zeichen und keiner Unterschrift versehen sein. §14. Die Stimmzettel sind auBerhalb des Wahlraums mit dem Namen | derjenigen Person, welcher der Wahler seine Stimme geben will, hand= | schrifthch oder im Wege der Vervielfaltigung zu versehen. §15. ^Die Wahl ist indirekt. "^Sie erfolgt durch absolute Mehrheit der ab= | gegebenen Stimmen. Ergibt sich bei einer Wahl keine absolute Mehrheit, so findet | Stichwahl zwischen den Personen statt, welche die meisten Stimmen | erhalten haben. Bei Stimmengleichheit entscheidet das Los.

[148/11] Landtagswahlgesetz vom 27. April 1913

1377

§ 16. Uber die Gtiltigkeit oder Ungtiltigkeit der Stimmzettel entscheidet, vor= | behaltlich der Prtifung durch den Landtag, der Wahlvorstand nach | Stimmenmehrheit seiner Mitglieder. ^Die ungiiltigen Stimmzettel sind zum Zwecke der Prufung durch den | Landtag der Niederschrift iiber die Wahlhandlung beizufugen. ^Die giiltig | befundenen bewahrt der Vorsteher der Wahlhandlung so lange versiegelt | auf, bis der Landtag die Wahl fur giiltig erklart hat. § 17. Die naheren Vorschriften liber das Wahlverfahren werden vom | Staatsministerium im Wege der Verordnung erlassen. B. Die Wahlen der Abgeordneten der Stadte und des platten Landes §18. ^Die Wahlen der Abgeordneten der Stadte und des platten Landes | (allgemeine Wahlen) erfolgen in Wahlkreisen. "^In jedem Wahlkreise wird | [S. 195] ein Abgeordneter gewahlt. ^Der Umfang der Wahlkreise ist aus der Anlage ersichtlich. Die Abgrenzung der Wahlkreise in den Stadten Dessau und Bem= | burg erfolgt durch das Staatsministerium. §19. ^ Jeder Wahlkreis wird zum Zwecke der Stimmabgabe in Wahl= | bezirke geteilt, welche so abzugrenzen sind, daB sie moglichst mit den | Grenzen der Gemeinde= oder Gutsbezirke zusammenfallen. ^GroBere Ge== | meinden sind in mehrere Wahlbezirke einzuteilen. §20. In jedem Bezirke sind zum Zwecke der Wahl Listen anzulegen, in | welche die zum Wahlen Berechtigten nach Zu= und Vomamen, Alter, | Gewerbe und Wohnort eingetragen werden. ^Diese Listen sind spatestens vier Wochen vor dem zur Wahl bestimmten | Tage eine Woche lang zu jedermanns Einsicht auszulegen; der tag des | Beginns der Auslegung ist vorher offentlich bekannt zu machen. ^Einspriiche | gegen die Listen sind binnen einer Woche nach Beginn der Auslegung bei | der Behorde anzubringen, welche die Bekanntmachung erlassen hat. ^Uber | die Einspriiche entscheidet die Regierung, Abteilung des Innem, endgiiltig. Zur Teilnahme an der Wahl sind nur diejenigen Personen berechtigt, | die in die Listen aufgenommen sind. Bei einzelnen Neuwahlen, welche innerhalb eines Jahres nach den | letzten allgemeinen Wahlen stattfinden, bedarf es der neuen Ausstellung | und Auslegung der Wahlerliste nicht. §2L Die Vorsteher, Beisitzer und Protokollfuhrer bei der Wahlhandlung | in den Wahlbezirken und die Beisitzer bei der Ermittlung des Wahlergebnisses | in den Wahlkreisen versehen ihre Tatigkeit als unentgeltliches Ehrenamt, § 22. Die Wahlen der Abgeordneten der Stadte und des platten Landes | sind im ganzen Staatsgebiet an einem vom Staatsministerium zu be= | stimmenden Tage vorzunehmen, der mindestens acht Wochen vorher offentlich | bekannt zu machen ist. Die gleiche Frist ist bei der Neuwahl einzelner Abgeordneter innezuhalten,

1378

§ 8: Anhalt

[Dok. 148 - 154]

[S. 196] Die Stichwahlen finden an einem vom Staatsministerium fiir das | ganze Staatsgebiet festzusetzenden Tage, jedoch nicht spater als zwei | Wochen nach der Hauptwahl, statt. C. Die Wahlen der Abgeordneten der Meistbesteuerten. § 23. Wahlkreis fiir die Wahlen der Abgeordneten der meistbesteuerten | Grundbesitzer und der meistbesteuerten Handel= und Gewerbetreibenden | ist das Herzogtum. §24. Die Regierung, Abteilung des Innem, stellt die Liste der nach | §§ 2, 3 stimmberechtigten meistbesteuerten Grundbesitzer und der nach | §§ 2, 4 stimmberechtigten meistbesteuerten Handel= und Gewerbetreibenden | auf und tragt die Stimmberechtigten nach Zu= und Vomamen, Alter, | Gewerbe und Wohnort ein. ^Die Listen sind spatestens vier Wochen vor dem zur Wahl bestimmten | Tage durch den Anhaltischen Staats=Anzeiger mit der Aufforderung zu | veroffentlichen, Einspriiche gegen ihren Inhalt binnen einer Woche nach | dem Tage der Veroffentlichung bei der Regierung, Abteilung des Innem, | anzubringen. ^Uber die Einspriiche entscheidet das Staatsministerium. ^Nach Erledigung der Einspriiche werden die endgtiltig festgestellten Listen | im Anhaltischen Staats=Anzeiger durch die Regierung, Abteilung des | Innem, offentlich bekannt gemacht. Die Vorschriften des § 20 Abs. 3, 4 finden entsprechende Anwendung. §25. ^Wahlberechtigte, denen sowohl nach § 3 als auch nach § 4 ein | Stimmrecht zusteht, sind in der von der Regiemng, Abteilung des Innem, | nach § 24 Abs. 2 Satz 1 zu erlassenden Bekanntmachung offentlich auf= | zu fordem, innerhalb einer Woche nach ErlaB der Bekanntmachung der | Regiemng, Abteilung des Innem, zu erklaren, in welchem Wahlkorper I sie ihr Stimmrecht wahrend der Dauer der Wahlperiode austiben wollen. | ^Wer innerhalb dieser Frist keine Erklamng abgibt, wird fiir die Dauer | der Wahlperiode der Gmppe der meistbesteuerten Gmndbesitzer zugewiesen. [S. 197] §26. Die Wahlen sind an einem vom Staatsministerium fiir jeden Wahl= | korper zu bestimmenden Tage vorzunehmen und werden durch einen Be= | auftragten des Staatsministeriums geleitet. Der Beauftragte bemft jeden Wahler mittels einer schriftlichen Zu= | fertigung, die Wahlort, Wahlraum und die Zeit des Beginns der | Wahlhandlung angeben muB, zur Wahl. §27. Die Abgeordneten der meistbesteuerten Gmndbesitzer werden in acht, | die Abgeordneten der meistbesteuerten Handel= und Gewerbetreibenden in | fiinf getrennten Wahlgangen gewahlt.

[148/11] Landtagswahlgesetz vom 27, April 1913

1379

D, Die Wahlen der Abgeordneten der Handelskammer, der Landwirtschaftskammer, der Handwerkskammer, der Handelskammer und der Arbeitskammem §28. Die Wahlen der Handelskammer, der Landwirtschaftskammer und | der Handwerkskammer erfolgen durch die Vollversammlung, und zwar | von jeder Kammer gesondert, an einem vom Staatsministerium zu | bestimmenden Tage. Die Wahlen der Arbeitskammem erfolgen nach MaBgabe einer vom | Staatsministerium im Wege der Verordnung zu erlassenden Wahlordnung. Abschnitt V. | Die Mitglieder des Landtags. §29. Die Wahl der Abgeordneten erfolgt auf sechs Jahre (Landtagsperiode). Die endgtiltige Entscheidung iiber die Giiltigkeit der Wahlen steht | dem Landtage zu. Wird eine Wahl vom Landtage fiir ungiiltig erklart, so ist eine | Neuwahl anzuordnen. §30. Die Eigenschaft als Abgeordneter erlischt, wenn seit dem Tage der | allgemeinen Wahlen (§18 Abs. 1) sechs Jahre verstrichen sind. Dasselbe gilt, wenn bei einem Abgeordneten eine der Voraus= | setzungen fur die Wahlbarkeit(§§ 10, ll)wegfallt. fS. 198] §31. Die Abgeordneten haben bei den Verhandlungen und Abstimmungen | das Wohl des ganzen Landes zu beachten und sind an Auftrage oder | Weisungen nicht gebunden. §32. Die Abgeordneten erhalten fur jede ordentliche Tagung des Landtags | aus der Staatskasse eine Aufwandsentschadigung von 600 M, die je zur | Halfte beim Beginn und am Schlusse der Tagung zahlbar ist. Abgeordnete, die einer ganzen Tagung fembleiben, erhalten eine | Aufwandsentschadigung nicht, Abgeordnete, die wahrend einer Tagung | der Mehrzahl der Plenarsitzungen fembleiben, erhalten nur die Halfte | der Aufwandsentschadigung. Wahrend der Dauer einer auBerordentlichen Landtagstagung erhalten | die Mitglieder an Stelle der Aufwandsentschadigung 12 MTagegelder. Abschnitt VI. | SchluB= und Ubergangsbestimmungen. §33. Die bei den allgemeinen Wahlen erwachsenen Kosten fur die Um= | schlage der Stimmzettel, fur die Dmckformulare zu den Niederschriften | iiber die Wahlhandlung und fur die Ermittlung des Wahlergebnisses | in den Wahlkreisen werden vom Staate, alle tibrigen Kosten des Wahl= | verfahrens bei diesen Wahlen von den Gemeinden getragen. Die Kosten des Wahlverfahrens bei den Wahlen der Meistbesteuerten | fallen dem Staate, die Kosten des Wahlverfahrens bei den Wahlen der | Handelskammer, der Landwirtschaftskammer, der Handwerkskammer und der | Arbeitskammem fallen mit Ausnahme der vom Staate zu tragenden Kosten fiir die Umschlage der Stimmzettel der betreffenden Kammer zur Last.

1380

§ 8: Anhalt

[Dok. 148 - 154]

§34. Solange Arbeitskammem fiir das Herzogtum nicht bestehen, raht | das diesen Kammern im § 1 Z. 7 eingeraumte Wahlrecht. §35. ^Dieses Gesetz tritt am 14. November 1914 in Kraft. ^Das Staats= | ministerium wird ermachtigt, die zu seiner Durchfuhrung erforderlichen | MaBnahmen bereits vor diesem Zeitpunkte zu treffen. [S. 199] Mit dem Inkrafttreten des Gesetzes werden alle entgegenstehenden Be= | stimmungen aufgehoben, insbesondere 1. das Gesetz, betreffend die Abanderung einiger weiterer Be= | stimmungen der Landschaftsordnung, vom 19. Februar 1872^ | (Nr. 288) der Gesetz=Sammlung), 2. die Ministerialverordnung zur Ausfuhrung des Gesetzes vom | 19. Februar 1872, die Abanderung einiger weiterer Bestim= | mungen der Landschaftsordnung betreffend, vom 23. August 1872 | (Nr. 296 der Gesetz=Sammlung), 3. das Gesetz zur Ausfuhrung des Gesetzes vom 19. Februar 1872, | die Abanderung einiger weiterer Bestimmungen der Landschafts= | ordnung betreffend, vom 8. Januar 1873 (Nr. 306 der Gesetz= | Sammlung), 4. das Gesetz, die Abanderung des § 26 der Landschaftsordnung | betreffend, vom 4. Februar 1874^ (Nr. 342 der Gesetz=Sammlung), 5. der § 3 des Gesetzes, die Anpassung verschiedener auf die | Staatserganzungssteuer beziiglichen Gesetzesvorschriften an das | System der Einkommensteuer und der festen Grundsteuer | betreffend, vom 7. April 1887*^ (Nr. 746 der Gesetz=Sammlung), 6. das Gesetz, betreffend eine anderweite Abanderung des § 4 des | Gesetzes Nr. 288 vom 19. Februar 1872, die Abanderung | von Bestimmungen der Landschaftsordnung betreffend, vom | 1. Marz 1890** (Nr. 821 der Gesetz=Sammlung), 7. das Gesetz, betreffend eine Abanderung der Landschaftsordnung, | vom 19. Mai 1895^ (Nr. 938 der Gesetz-Sammlung). Urkundlich unter Unserer eigenhandigen Unterschrift und beigedmcktem | Herzoglichen Insiegel. Dessau, den 27. April 1913. Friedrich. (L. S.) Dr. Laue.

[148/12] Gesetz, betreffend die Einfiihrung einer neuen Geschaftsordnung fiir den Landtag, vom 16. April 1914 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einfuhrungen" die Darstellung unter [709.]. Quelle: Gesetzsammlung fiir das Herzogtum Anhalt, Nr. 1398 vom 8. Mai 1914, Bd. 20, 1916, S. 471 - 472 (Einfiihrungsgesetz), S. 473 - 504 (Geschaftsordnung) - gedmckt.

Dok. 148/3. Dok. 148/5. Dok. 148/7. Dok. 148/8. Dok. 148/10.

[148/12] Gesetz vom 16. April 1914

1381

[S. 471] (Offentlich bekannt gemacht und ausgegeben am 8. Mai 1914.) Gesetz, | betreffend die Einfiihrung einer neuen Geschaftsordnung fiir den Landtag. | Vom 16. April 1914. Wir, Friedrich, von Gottes Gnaden Herzog von Anhalt, | Herzog zu Sachsen, Engem und Westfalen, Graf zu Askanien, | Herr zu Zerbst, Bemburg und Grobzig etc. etc. etc., verordnen auf Antrag Unseres Staatsministeriums und mit Zustimmung | des Landtags, was folgt: Artikel 1. Die anliegende Geschaftsordnung far den Landtag tritt am 14. No= | vember 1914 in Kraft. Artikel 2. Mit dem gleichen Zeitpunkte werden 1. das Gesetz, die Einfiihrung einer neuen Geschaftsordnung fiir | den Landtag betreffend, vom 24. Januar 1876^ (Nr. 412 der | Gesetz=Sammlung), [S. 472] 2. das Gesetz, die Abanderung einiger Bestimmungen der Geschafts= | ordnung fiir den Landtag und der Landschaftsordnung betreffend, | vom 26. Februar 1891^ (Nr. 848 der Gesetz=Sammlung) aufgehoben. Urkundlich unter Unserer eigenhandigen Unterschrift und beigedrucktem | Herzoglichen Insiegel. Dessau, den 16. April 1914. Friedrich. (L. S.) Dr. Laue. [S. 473] Geschaftsordnung fur den Landtag. L Abschnitt. | Zusammentritt und BeschluBfahigkeit des Landtags. §1. ^Der Landtag tritt auf landesherrliche Berufung zusammen. ^Zeit | und Ort des Zusammentritts wird im Anhaltischen Staats=Anzeiger ver= | offentlicht und den Abgeordneten beim Beginn der neuen Landtagsperiode | durch das Staatsministerium, im tibrigen durch den vom Staatsministerium | mit entsprechender Nachricht zu versehenden Prasidenten des Landtags | mittels besonderen Schreibens bekannt gegeben. §2. Beim Beginn einer neuen Landtagsperiode treten bis zur Er= | nennung des Prasidenten die Mitglieder des Landtags unter dem Vorsitze | des altesten anwesenden Abgeordneten (Altersprasident) zusammen. Der Altersprasident kann den Vorsitz dem ihm im Lebensalter am | nachsten stehenden Mitglied tibertragen.

^ Dok. 148/6. ^ Dok. 148/9.

1382

§ 8: Anhalt

[Dok. 148 - 154]

§3. Der Landtag ist beschluBfahig, wenn mindestens die Halfte der | gesetzlichen Anzahl der Abgeordneten anwesend ist. [S. 474] 11. Abschnitt. | Mitglieder, Organe und Beamte des Landtags. A. Mitglieder des Landtags. §4. Die Abgeordneten sind verpflichtet, jeder Sitzung des Landtags und, | wenn sie Mitglieder eines Ausschusses sind, auch jeder Sitzung des Aus= | schusses beizuwohnen. Im Falle der Verhinderung hat der Abgeordnete beim Prasidenten | des Landtags oder beim Vorsitzenden des Ausschusses um Urlaub nach= | zusuchen. ^Urlaub wird den Abgeordneten bis zur Dauer einer Woche durch | den Prasidenten, fur eine langere Zeitdauer durch den Landtag erteilt. ^Urlaubsgesuche auf unbestimmte Zeit sind unstatthaft. Mitglieder, welche dem Reichstag angehoren, bediirfen zur Teil= | nahme an dessen Verhandlungen eines Urlaubs nicht, haben aber diesen | Behindemngsgrund dem Prasidenten anzuzeigen. Beurlaubungen und Abwesenheitsfalle werden vom Schriftfiihrer in ein Verzeichnis eingetragen. §5. Die Abgeordneten haben beim Beginne jeder Landtagstagung ihren | Namen, Geburtstag und Wohnort sowie die Wohnung, die sie wahrend | der Tagung beziehen, in ein im Geschaftszimmer des Landtags aus= | liegendes Buch unverztiglich einzutragen. §6. ^Ein gewahltes Mitglied des Landtags (§ 1 Z. 2 bis 9. des Landtags^ | wahlgesetzes vom 27. April 1913^ - Nr. 1372 der Gesetz=sammlung - ) , welches den Sitzungen des Landtags langere Zeit ohne Urlaub fembleibt | oder den erhaltenen Urlaub iiberschreitet, auch auf zweimalige Aufforderung | des Prasidenten weder seiner Verpflichtung zum Erscheinen nachkommt, | noch sein Ausbleiben durch gentigend dargelegte Griinde rechtfertigt, kann | auf Antrag des Landtagsvorstandes seines Abgeordnetensitzes durch Land= | tagsbeschluB verlustig erklart werden. ^Der BeschluB des Landtags muB | herbeigefiihrt werden, wenn die Staatsregierung oder 12 Mitglieder | darauf antragen. [S. 475] ^Zwischen der zweiten Aufforderung des Prasidenten und der Be= | schluBfassung des Landtags soil eine Frist von einer Woche liegen. "^Halt | sich der Abgeordnete auBerhalb des Deutschen Reichs auf oder ist sein | Aufenthalt unbekannt, so ist die Aufforderung dem Gemeindevorstande | des Ortes, wo der Abgeordnete zuletzt im Inlande seinen Wohnsitz hatte, I zur Weiterbeforderung an den Abwesenden zuzustellen; diese Zustellung | hat die Wirkung der Zufertigung an den abwesenden Abgeordneten. ^In gleicher Weise ist in solchem Falle der BeschluB des Landtags zuzustellen.

Dok. 148/11.

[148/12] Gesetz vom 16. April 1914

1383

§7. ^Die Verabfolgung von Akten des Landtags an Abgeordnete findet | nur zum Gebrauch innerhalb der Landtagsraume und nur insoweit statt, | als dadurch die Arbeiten des Landtags und der Ausschtisse, insbesondere | der Berichterstatter, nicht verzogert werden. '^Ausnahmen hiervon be= | dtirfen der ausdnicklichen Genehmigung des Prasidenten. §8. Die Niederlegung des Landtagsmandats erfolgt durch schriftliche | Erklamng gegentiber dem Prasidenten des Landtags. §9. Der Prasident hat jede Erledigung eines Landtagsmandats unver= | ztiglich dem Staatsministerium zum Zwecke der Anberaumung einer | Ersatzwahl anzuzeigen. Priifung der Wahlen der Abgeordneten. §.10. Der Entscheidung tiber die Gtxltigkeit der Wahlen (§ 29 Abs. 2 des | Gesetzes Nr. 1372) geht eine Vorpnifung durch den zustandigen AusschuB | (§ 29) voraus. Wahlpriifungsangelegenheiten sind als dringlich zu behandeln. Die Staatsregierung ist berechtigt, an alien Verhandlungen iiber die | Gultigkeit der Wahlen teilzunehmen. [S. 476] §11. Der AusschuB hat hinsichtlich samtlicher Abgeordneten zu priifen, | ob die gesetzlichen Voraussetzungen fur die Wahlbarkeit zur Zeit der Wahl | vorhanden gewesen und noch vorhanden sind. Im tibrigen stellt der AusschuB fest, ob an der Gtiltigkeit Zweifel | vorliegen, die eine besondere Priifung erfordem. §12. Eine besondere Priifung ist erforderlich, 1. wenn die Staatsregierung eine solche beantragt oder ein | Abgeordneter rechtzeitig Einspruch gegen die Wahl erhebt; 2. wenn die Wahl rechtzeitig angefochten ist; 3. wenn bei einer Vorpriifung die Mehrheit des Ausschusses die | Gtiltigkeit beanstandet; 4. wenn bei der Vorpriifung ein anwesendes AusschuBmitglied | aus den Wahlakten einen bestimmt bezeichneten Zweifel an der | Gtiltigkeit entnimmt. §13. Wahlanfechtungen und Einspriiche, die spater als lOTage nach der | Eroffhung des Landtags und bei Wahlen, die wahrend der Tagung des | Landtags stattfinden, spater als lOTage nach dem Tage der Feststellung | des Wahlergebnisses beim Landtag eingehen, bleiben unberiicksichtigt. §.14. ^Wahlen, die keiner besonderen Priifung bediirfen, werden nach Ablauf | der im § 13 bezeichneten Frist als gtiltig angesehen. '^Der Vorsitzende des | Ausschusses teilt die Wahlen, die eine besondere Priifung nicht erfordem, | dem Prasidenten mit; letzterer bringt die hiernach gtiltigen Wahlen als= | bald zur Kenntnis des Landtags.

1384

§ 8: Anhalt

[Dok. 148 - 154]

§. 15. ^Uber den Ausfall der besonderen Prufung berichtet der AusschuB | an den Landtag. ^Letzterer entscheidet tiber die Gtiltigkeit der Wahl; bei | Stimmengleichheit ist die Wahl als gtiltig anzusehen. Gibt die Vorpriifiing AnlaB zu Ausstellungen, die eine besondere | Prufung der Wahl nicht erfordem, so berichtet der AusschuB auch daniber | an den Landtag. fS. 477] Antrage von Abgeordneten zu Berichten des Wahlprtifungsausschusses | bedtirfen keiner Untersttitzung. §16. Bis zur Ungtiltigkeitserklarung einer Wahl hat der Gewahlte Sitz und | Stimme im Landtage. ^Abgeordnete, deren Wahl beanstandet wird, diirfen Angaben tiber | ihre Wahl machen; an der Abstimmung tiber die Gtiltigkeit ihrer Wahl | nehmen sie jedoch weder im Ausschusse, noch im Landtage teil. "^Der | AusschuB und der Landtag konnen beschlieBen, daB Abgeordnete, deren | Wahl beanstandet wird, auch an der Besprechung daniber nicht teil= | nehmen diirfen und wahrend der Besprechung und Abstimmung tiber | ihre Wahl den Sitzungssaal zu verlassen haben. §17. Abgeordnete, deren Wahl demnachst far ungtiltig erklart wird, ep= | halten far die Dauer ihrer Teilnahme an den Landtagsverhandlungen | die im § 32 Abs. 3 des Gesetzes vom 27. April 1913^ (Nr. 1372 der | Gesetz=Sammlung) vorgesehene Aufwandsentschadigung, jedoch nicht tiber | denjenigen Betrag hinaus, der ihnen nach § 32 Abs. 1, 2 desselben GQ= \ setzes zukommen wtirde. C. Der Vorstand und die Beamten des Landtags.

Der Landtagsvorstand besteht aus dem Prasidenten sowie dem ersten | und dem zweiten Vizeprasidenten. §19. Beim Beginn einer Landtagsperiode wahlt der Landtag alsbald nach | seinem Zusammentritt in drei getrennten Wahlgangen drei Anwarter fiir | das Prasidentenamt durch Stimmzettel. Gewahlt ist, wer mehr als die Halfte der abgegebenen gtiltigen | Stimmen erhalten hat. ^Ergibt sich keine solche Stimmenmehrheit, so fmdet eine Stichwahl unter | den beiden Abgeordneten statt, welche die meisten Stimmen erhalten haben. | ^Bei Ausmittelung dieser beiden Abgeordneten entscheidet unter Anwartem | mit gleicher Stimmenzahl das Los. [S, 478] Ergibt sich bei der Stichwahl Stimmengleichheit, so entscheidet | das Los. ^Das Los wird durch die Hand des Vorsitzenden gezogen. "^Der | Herzog emennt aus den drei Gewahlten den Landtagsprasidenten auf die | Dauer einer Landtagsperiode.

Dok. 148/11.

[148/12] Gesetz vom 16. April 1914

1385

§20. ^Nach der Emennung des Landtagsprasidenten wahlt der Landtag | in gleicher Weise (§ 19) in zwei getrennten Wahlgangen den ersten und | den zweiten Vizeprasidenten auf die Dauer der Landtagsperiode. "^Diese | Wahlen bedtirfen der landesherrlichen Bestatigung. §21. Die beiden Vizeprasidenten konnen auf Vorschlag eines Abgeordneten | durch Zumf gewahlt werden, wenn sich kein Widerspruch erhebt. §22. ^Die Gewahlten konnen die Wahl ablehnen. "^Eine Niederlegung des | tibemommenen Amtes ist zulassig. Im Falle der Erledigung eines Amtes wird fur den Rest der Amts= | dauer ein Nachfolger in der gleichen Weise gewahlt. §23. ^Der President regelt die Geschafte des Landtags, leitet die Ver= | handlungen, handhabt die Ordnung und die Polizei in den Landtags= | raumen und vertritt den Landtag nach auBen. ^Er fiihrt die Aufsicht | liber den Schriftfuhrer die Stenographen Kanzleibeamten und Boten und | weist die Ausgaben zur Deckung der Bedtirfhisse des Landtags innerhalb | des Voranschlags auf die Staatskasse zur Zahlung an. Der Prasident hat auch nach Ablauf der Landtagsperiode die ein= | schlagigen laufenden Geschafte noch zu erledigen. §24. Der Prasident wird im Behinderungsfalle durch den ersten oder den | zweiten Vizeprasidenten nach der Reihenfolge ihrer Wahl vertreten. Solange Vizeprasidenten nicht vorhanden oder sofem beide Vize= | prasidenten behindert sind, nimmt der Altersprasident (§ 2) deren Ob= | liegenheiten wahr. [S. 479] §25. Das Amt des Schriftflihrers wird nebenamtlich einem Staats= | beamten tibertragen, den das Staatsministerium beim Beginn einer neuen | Landtagsperiode fur die Zeit bis zur Ernennung des Landtagsprasidenten | vorlaufig und nach der Emennung des Landtagsprasidenten im Einver= | nehmen mit diesem far die Dauer der Landtagsperiode und die Zeit bis I zum Beginne der nachsten Landtagsperiode endgtiltig emennt. Die erforderlichen Stenographen, Kanzleibeamten und Boten werden | dem Landtage vom Staatsministerium zur Verfiigung gestellt. Disziplinarbefugnisse gegen den Schriftfiihrer, die Stenographen, | Kanzleibeamten und Boten stehen dem Prasidenten nicht zu. §26. ^Der Schriftfiihrer fuhrt das Protokoll (§ 89), sorgt far den Druck | der Verhandlungen und tiberwacht die Prtifung und Berichtigung der | stenographischen Auftiahmen durch die Abgeordneten. ^Er liest in den | Sitzungen Schriftstiicke vor, fahrt, falls er vom Prasidenten damit be= | auftragt ist, die Rednerliste, halt den Namensaufruf, vermerkt und zahlt | die Stimmen und unterstiitzt den Prasidenten in der Besorgung aller | Angelegenheiten des Landtags. ^Er hat eine Bestands= und Anwesenheits= | liste der Abgeordneten zu fahren, far Beschaffung der Bureaubedtirfiiisse | zu sorgen, die Sekretatiats= und Registraturgeschafte des Landtags zu er= | ledigen und die Kanzleigeschafte zu tiberwachen.

1386

§ 8: Anhalt

[Dok. 148 - 154] D. Seniorenkonvent, Ausschtisse (Kommissionen).

§27. ^Der Seniorenkonvent besteht aus dem Landtagsvorstande (§ 18) | und ftinf weiteren Abgeordneten. ^Die letzteren werden beim Beginne | der Landtagsperiode fiir deren Dauer durch namentliche Abstimmungen | nach MaBgabe der folgenden Vorschriften gewahlt. Bei der Wahl hat jeder Abgeordnete nur einen Namen zu benennen. ^Im ersten Wahlgange gelten diejenigen als gewahlt, welche min= | destens neun Stimmen auf sich vereinigen. ^Die Abgeordneten, deren | Vertreter im ersten Wahlgange gewahlt ist, nehmen an der weiteren | Wahl nicht teil; sind auf einen Abgeordneten mehr als 9 Stimmen | entfallen, so scheiden fur die weitere Wahl nach der | [S. 480] Stimmabgabe nur die ersten neun Abgeordneten aus, welche ihre Stimme | fiir diesen Abgeordneten abgegeben haben, die tibrigen nehmen auch an | dem zweiten Wahlgange teil. ^Im zweiten Wahlgange gelten wiedemm diejenigen als gewahlt, | welche mindestens neun Stimmen erhalten haben. ^Die Ausscheidung | der Abgeordneten, die ihre Stimme fur sie abgegeben haben, von der [ Teilnahme am dritten Wahlgang erfolgt gemaB Abs. 3. Im dritten Wahlgange gelten nach der Zahl der noch zu besetzenden | Sitze im Seniorenkonvent diejenigen als gewahlt, welche die meisten | Stimmen auf sich vereinigt haben. ^Wird von mindestens 9 Abgeordneten ein Vertreter ftir den Senioren= | konvent dem Prasidenten schriftlich bezeichnet, so gilt dieser ohne weiteres | als gewahlt und es bedarf insoweit keines Wahlverfahrens. ^Unterschreibt | ein Abgeordneter mehr als einen derartigen Wahlvorschlag, so wird sein | Name nur auf dem zuerst eingereichten Wahlvorschlage gezahlt und auf den | tibrigen Wahlvorschlagen gestrichen. ^Sind die Wahlvorschlage, die von I demselben Abgeordneten unterzeichnet sind, gleichzeitig eingegangen oder | besteht tiber die Reihenfolge des Einganges Zweifel, so hat der President | eine Erklarung des Abgeordneten herbeizufiihren, auf welchem Wahl= | vorschlage seine Unterschrift gelten soil; erfolgt eine Erklarung nicht | oder erscheint ihre Herbeifiihrung untunlich, so entscheidet das Los. "^Im | tibrigen ist auch bei Einreichung von Wahlvorschlagen nach den Vor= | schriften der Absatze 2 bis 5 zu verfahren; wegen des Ausscheidens der | Unterzeichner von Wahlvorschlagen von der Beteiligung an der weiteren | Wahl gilt Abs. 3 mit der MaBgabe, daB an die Stelle der Reihenfolge | der Stimmabgabe die Reihenfolge der Unterschriften auf dem Wahlvor^ | schlage tritt. §28. ^Der Seniorenkonvent tritt auf Einladung des Prasidenten oder | seines Vertreters oder des altesten Mitglieds zusammen. ^Er soil eine | freie Verstandigung tiber gemeinsame Angelegenheiten, insbesondere auch | den Arbeitsplan des Landtags, herbeifuhren und dariiber in die dem Landtage | vorzuschlagende Besetzung der Ausschtisse (§ 29) Vereinbarung treffen. §29. Bei Beginne jeder Tagung bestellt der Landtag fiir deren Dauer | folgende Ausschtisse (Kommissionen) zur Vorberatung der Verhandlungen: [S. 481] 1. fur die Petitionen (PetitionsausschuB), 2. fur den Haupt=Finanz=Etat (EtatsausschuB), 3. fiir die sonstigen Finanzangelegenheiten (FinanzausschuB), 4. fiir die Angelegenheiten der inneren Verwaltung, einschlieBlich [ des Schulwesens, (AusschuB fiir Angelegenheiten der inneren | Verwaltung), 5. fur die Wahlprtifungen und zur Begutachtung von Fragen der | Geschaftsordnung (GeschaftsordnungsausschuB).

[148/12] Gesetz vom 16. April 1914

1387

AuBerdem kann der Landtag fur einzelne Gegenstande besondere | Ausschtisse bestellen. ^Beim Beginn einer Landtagsperiode bestimmt der Landtag fur deren | Dauer drei Abgeordnete, die bis zum Zusammentritte des neugewahlten | Landtags auch auBerhalb der Tagungen der Staatsregierung in den | Angelegenheiten der staatlichen Salzbergwerke als Beirat dienen (Salz= | werksdelegierte). ^Diese Abgeordneten mtissen Mitglieder des Etatsausschusses I Oder des Finanzausschusses sein, und zwar muB jeder dieser Abgeordneten | mindestens je einem der beiden Ausschtisse und ebenso jedem der beiden | Ausschtisse mindestens je einer dieser Abgeordneten angehoren. ^Die Ausschtisse sind in der Regel aus einer ungeraden Zahl von | Mitgliedem, und zwar aus nicht weniger als 7, nicht mehr als 11 | Mitgliedem zu bilden. "^Die MitgHederzahl jedes Ausschusses wird vom Landtage festgesetzt, §30. ^Die Mitglieder der Ausschtisse werden vom Landtage mit einfacher | Stimmenmehrheit gewahlt. "^Die Wahl kann durch Zuruf erfolgen. ^Ersatzmanner werden gewahlt, wenn ein AusschuBmitglied aus dem | Landtag ausscheidet oder dauemd verhindert ist, an den Sitzungen des | Ausschusses teilzunehmen. ^Ist ein AusschuBmitglied nur voriibergehend | verhindert, an den AusschuBsitzungen teilzunehmen, so ist auf Antrag | des AusschuBvorsitzenden ein Stellvertreter fiir die Dauer der Ver= I hinderung zu wahlen. AusschuBmitglieder, die den Sitzungen eines Ausschusses wiederholt | ohne Urlaub fembleiben, konnen auf Antrag des Ausschusses durch Land= | tagsbeschluB der Mitgliedschaft in dem Ausschusse verlustig erklart werden; | tiber die Vomahme einer Ersatzwahl beschlieBt der Landtag. §31. ^Unverziiglich nach der Wahl jedes Ausschusses tritt derselbe auf | [S. 482] Einladung unter dem Vorsitze seines altesten Mitglieds zusammen | und wahlt aus seiner Mitte den Vorsitzenden und des sen Stellvertreter. "^Die Wahl erfolgt mit einfacher Stimmenmehrheit. Der AusschuBvorsitzende zeigt den Zusammentritt des Ausschusses | und das Ergebnis der Wahlen unverztiglich dem Prasidenten an, welcher | die Namen der Mitglieder und Vorsitzenden der Ausschtisse dem Landes= | herrlichen Landtagskommissar (§ 32) mitteilt und den Aushang eines ent= | sprechenden Verzeichnisses in den Landtagsraumen veranlaBt. in. Abschnitt. | Vertretung der Staatsregierung. §32. ^Die Staatsregierung wird beim Landtage durch den Landesherrlichen | Kommissar vertreten, '^Derselbe hat das Recht, Regiemngskommissare zu be= | stellen, die in seinem Auftrag in Tatigkeit treten. §33. ^Die Vertreter der Staatsregierung sind berechtigt, den Sitzungen des Landtags und der Ausschtisse beizuwohnen, und mtissen auf ihr Ver= | langen zu jeder Zeit gehort werden. ^Sie unterstehen nicht der Disziplin des Prasidenten oder der Vorsitzenden der Ausschtisse.

1388

§ 8: Anhalt

[Dok. 148 - 154]

§34. Wenn der Landtag, die Ausschusse oder einzelne Abgeordnete zu ihren | Arbeiten Akten der Behorden, Nachweisungen oder sonstiges Material notig | haben, so wenden sie sich an den Landesherrlichen Landtagskommissar. §35. Samtliche Drucksachen des Landtags sind in der erforderlichen Anzahl | von Stiicken dem Landesherrlichen Landtagskommissar zu tibersenden. [S. 483] IV. Abschnitt. | Behandlung der Vorlagen und Antrage. § 36. ^Uber die Vorlagen der Staatsregiemng und alle sonstigen Eingange | hat der Schriftfiihrer ein Verzeichnis in der Reihenfolge des Einganges | anzulegen und darin die Art der Erledigung zu vermerken. '^Der Gegen= | stand der Eingange wird in der nachsten Sitzung zur Kenntnis des | Landtags gebracht. §37. ^Die Vorlagen der Staatsregiemng gelangen in der Regel gedruckt | in der zur Verteilung an die Abgeordneten notwendigen Anzahl von | Stiicken an den Landtag. •^Sofem dies nicht geschehen ist, bedarf die | Drucklegung der Zustimmung der Staatsregiemng, ^Urantrage von Abgeordneten (§ 46) laBt der Prasident vervielfaltigen | und verteilen. ^Ausnahmen hiervon konnen beschlossen werden, wenn | die Staatsregiemng zustimmt und nicht 8 anwesende Abgeordnete wider= | sprechen. §38. Alle Gesetzentwtirfe und sonstigen Regiemngsvorlagen werden in | drei Lesungen beraten. Wenn Regiemngsvorlagen keine Gesetzentwtirfe enthalten, so kann | der Landtag mit Zustimmung der Staatsregiemng einmalige Beratung und | Abstimmung beschlieBen. ^Uber Urantrage wird nur einmal beraten und abgestimmt. "^Ab^ | andemngsvorschlage bedtirfen hierbei der Untersttitzung von mindestens | 10 Abgeordneten. tjber besondere EntschlieBungen (Resolutionen) wird nur einmal | beraten und abgestimmt; stehen sie im Zusammenhange mit Gesetz= | entwiirfen, so findet die Beratung und Abstimmung in der dritten | Lesung statt. §39. ^Die erste Lesung beginnt friihestens am dritten Tage, nachdem die Vorlage den Abgeordneten zugestellt worden ist. "^Sie beschrankt sich | auf eine allgemeine Erortemng der Gmndsatze der Vorlage, kann aber | auch getrennt nach Abschnitten derselben durchgefiihrt werden. [S. 484] Vor Beendigung der ersten Lesung dtirfen Abandemngsantrage | nicht eingebracht werden. ^Nach Beendigung der ersten Lesung beschlieBt der Landtag, ob 1 die Vorlage einem Ausschusse zur Vorberatung tiberwiesen werden soil, ^Die Verweisung an einen AusschuB muB auf Verlangen der Staats= | regiemng erfolgen.

[148/12] Gesetz vom 16. April 1914

1389

§.40. Fur diejenigen Gegenstande, die einem Ausschusse nicht tiberwiesen | werden, wird vom Prasidenten je ein Berichterstatter und ein Mitberichterstatter bestellt. §41. Die zweite Lesung beginnt friihestens am zweiten Tage nach der | Beendigung der ersten und, wenn ein AusschuB mit der Beratung | betraut war, friihestens am zweiten Tage, nachdem dessen Antrage den | Abgeordneten zugegangen sind. Eine allgemeine Erorterung findet nicht statt. ^Uber jede selbstandige Einzelbestimmung (Artikel, Paragraph, Titel, | Nummer) und liber die Abschnittstiberschriften wird der Reihenfolge | nach zuletzt iiber die Einleitung und Uberschrift der Vorlage, beraten und | abgestimmt. ^Ist einer selbstandigen Einzelbestimmung eine Anlage bei= | gefiigt, so erstreckt sich die Beratung und BeschluBfassung liber die selbstandige Einzelbestimmung zugleich auf deren Anlage. ^Auf BeschluB des | Landtags kann die Reihenfolge verlassen, die Beratung liber mehrere | Einzelbestimmungen verbunden oder liber einzelne Telle einer Einzel= | bestimmung und liber verschiedene, zu demselben Gegenstande gestellte Ab= | andemngsantrage getrennt werden. Abanderungsantrage zu Einzelbestimmungen konnen in der zweiten | Lesung bis zur Abstimmung jederzeit ohne Unterstlitzung eingereicht werden. §42. Nach Beendigung der zweiten Lesung stellt der Schriftfiihrer die | gefaBten Beschllisse zusammen, falls dadurch Abanderungen der Vorlage | eingetreten sind. ^Das Ergebnis der zweiten Lesung bildet die Grundlage fiir die | dritte Lesung. "^Findet in der dritten Lesung die Fassung der zweiten | Lesung keine Annahme, so ist nochmals liber die Fassung der Regierungs= | vorlage oder des Teils, der nach der Fassung der zweiten Lesung ab= I gelehnt worden ist, abzustimmen. [S. 485] Werden alle Telle der Vorlage in zweiter Lesung abgelehnt, so | findet eine dritte Lesung nicht statt. §43. ^Die dritte Lesung beginnt friihestens am zweiten Tage, nachdem | die zweite Lesung beendigt oder die Zusammenstellung (§ 42) verteilt | worden ist. ^Hat die Vorlage durch die Beschllisse der zweiten Lesung | eine Anderung nicht erfahren, so kann die Dritte Lesung ohne Inne= | haltung einer Frist stattfinden. Die Besprechung erstreckt sich zunachst wie bei der ersten Lesung | auf die Grundsatze des Entwurfs, sodann wie bei der zweiten Lesung | auf die Einzelbestimmungen, bei der Beratung des Hauptfinanzetats | jedoch nur auf die einzelnen Titel im ganzen. Abanderungsantrage, die von Mitgliedem des Landtags gestellt werden, bedlirfen der Unterstlitzung von 10, Antrage auf besondere Ent= | schlieBungen (Resolutionen) der Unterstlitzung von 8 Abgeordneten. Am Schlusse der dritten Lesung wird liber die Annahme der | Vorlage im ganzen abgestimmt. §44. Die Vorlage kann auch im Verlaufe der zweiten und der dritten | Lesung vor der letzten Einzelabstimmung jederzeit ganz oder teilweise | einem AusschuB liberwiesen oder an ihn zuriickverwiesen werden, der sich | alsdann nur mit dem ihm liberwiesenen Gegenstande zu beschaftigen hat.

1390

§ 8: Anhalt

[Dok. 148 - 154]

Nach beendigter Einzelabstimmung kann die Vorlage nicht mehr | einem AusschuB iiberwiesen oder an ihn zurtickverwiesen werden. §45. ^Der Landtag kann mit Zustimmung der Staatsregierung beschlieBen, | die vorgeschriebene Frist zwischen erster und zweiter Lesung (§41) zu | ktirzen oder beide Lesungen in derselben Sitzung vorzunehmen. "^Von | der Innehaltung der tibrigen Fristen (§§ 39, 43) kann nur abgesehen | werden, wenn die Staatsregierung zustimmt und nicht 8 anwesende | Abgeordnete widersprechen.

Urantrage der Abgeordneten dtirfen nicht in Form eines Gesetz= | entwurfs eingebracht werden; sie mtissen von mindestens 8 Abgeordneten | unterzeichnet sein und mit den Worten beginnen: „der Landtag wolle beschlieBen". [S. 486] Line kurze schriftliche Begrtindung kann beigegeben werden. Ftir die geschaftliche Behandlung gelten sinngemaB die Vorschriften | der §§ 36 bis 45. Zur Begrundung erhalt der Unterzeichner das Wort fruhestens | am dritten Tage, nachdem der Antrag den Abgeordneten zugegangen ist | (§ 37). Mit Zustimmung der Staatsregierung und der Antragsteller kann | durch BeschluB des Landtags die Frist verktirzt oder von der Innehaltung | einer Frist ganz abgesehen werden. ^Ein ordnungsmaBig eingebrachter Antrag bleibt bestehen, solange | er noch die Unterschrift von mindestens 5 Abgeordneten tragt. ^Ein | ordnungsmaBig eingebrachter, demnachst zuruckgezogener Antrag kann | innerhalb dreier Tage nach Bekanntgabe der Zunickziehung im Land= | tage von mindestens 5 Abgeordneten wieder aufgenommen werden. §47. Bei der Berechnung der vorgeschriebenen Fristen zwischen zwei | Lesungen eines Gesetzentwurfs, zwischen der Verteilung von Drucksachen | und ihrer Beratung wird der Tag nicht eingerechnet, an dem die vorher= | gehende Lesung (Abstimmung) beendigt oder die Verteilung erfolgt ist.

§48. Abanderungsantrage konnen bis zum Schlusse der Besprechung des | Gegenstandes, auf den sie sich beziehen, jederzeit schriftlich eingereicht | werden. Zur Begrundung wird das Wort nur in der Reihenfolge der Redner | erteilt. § 49. ^Antrage auf einfachen oder auf begriindeten Ubergang zur Tages= | ordnung konnen bei der Verhandlung liber Antrage von Abgeordneten | jederzeit bis zur Abstimmung gestellt werden. "^Der Unterstiitzung bedtirfen sie nicht. tjber Antrage der Staatsregierung kann nicht zur Tagesordnung tibergegangen werden. § 50. Ist ein Antrag auf einfachen Ubergang zur Tagesordnung gestellt, | so wird nur einem Redner dafur, auf Verlangen auch einem Redner | dagegen das Wort erteilt und dann sofort abgestimmt.

[148/12] Gesetz vom 16. April 1914

1391

[S. 487] Ftir die geschaftliche Behandlung eines Antrags auf begriindeten | Ubergang zur Tagesordnung gelten die Vorschriften des § 48. Ein solcher Antrag wird vor etwaigen Abanderungsantragen zur | Abstimmung gestellt. V. Abschnitt, | Behandlung der Anfragen an die Staatsregiemng. §52. ^Formliche Anfragen an die Staatsregiemng (Interpellationen) | mtissen bestimmt gefaBt und von mindestens 8 Abgeordneten unterzeichnet | dem Prasidenten eingereicht werden. ^Eine kurze schriftliche Begriindung | kann beigegeben werden. ^Der Prasident tibermittelt die Anfrage dem | Landesherrlichen Landtagskommissar und ersucht ihn um eine Erklarung, I ob und wann er sie beantworten will. ''An dem von dem Landesherr= | lichen Landtagskommissar bestimmten Tage wird die Anfrage auf die | Tagesordnung gesetzt. ^Einer der Unterzeichner erhalt das Wort zur Be= | gnindung. ^Hierauf erfolgt die Antwort des Vertreters der Staatsregiemng. §53. ^An die Beantwortung der Anfrage oder die Ablehnung der Beant= | wortung schlieBt sich die Besprechung an, wenn mindestens 12 anwesende | Abgeordnete es verlangen. "^Die Besprechung kann auch in einer spateren | Sitzung erfolgen, werm keiner der Unterzeichner der Anfrage widerspricht. | ^SchlieBt sich die die Besprechung an die Ablehnung an, so erhalt zunachst I einer der Unterzeichner das Wort. §54. Antrage dtirfen bei Besprechung der Anfragen nicht gestellt werden, | jedoch kann der Gegenstand in GemaBheit des § 46 weiter behandelt | werden. [S. 488] VI. Abschnitt. | Behandlung der Petitionen. §55. Petitionen jeder Art (Vorstellungen, Bitten, Beschwerden) werden vom | Prasidenten ohne vorgangige Erortemng einem AusschuB tiberwiesen, | wenn nicht im einzelnen Falle der Landtag auf Vorschlag des Prasidenten | beschlieBt, daB von einer geschaftlichen Behandlung der Petition abgesehen | werden soil. Eingaben von Ungenannten werden vom Prasidenten ohne geschaft= | liche Behandlung zu den Akten genommen. ^Die Petitionen werden in der Regel dem PetitionsausschuB tiber= | wiesen. ^Petitionen, welche mit einem Gegenstand in Verbindung stehen, | mit dessen Beratung ein anderer AusschuB betraut ist, konnen diesem | vom Prasidenten tiberwiesen werden, wenn jedoch die Petitionen bereits an | den PetitionsausschuB abgegeben war, nur auf Antrag des letzteren. | ^Die Ausschiisse sind berechtigt, beim Prasidenten Uberweisung einer | ihnen zugewiesenen Petition an einen anderen AusschuB zu beantragen.

1392

§ 8: Anhalt

[Dok. 148 - 154]

§56, Die Ausschtisse konnen die Petitioner! entweder | „als zur Erorterung im Landtag ungeeignet" | erklaren oder 1. „Ubergang zur Tagesordnung", 2. „Uberweisung an die Staatsregierung" beantragen. Die Uberweisung kann nur erfolgen: a) „zur Kenntnisnahme", b) „zur Erwagung", c) „zur Bemcksichtigung". § 57. Uber Petitionen, welche als zur Erorterung im Landtage geeignet | erscheinen, berichtet der AusschuB dem Landtage; der Bericht schlieBt mit | einem Antrage. Petitionen, die als „zur Erorterung im Landtag ungeeignet" QY= | klart werden, sind durch den Prasidenten bekannt zu geben. [S. 489] §58. Als „zur Erorterung im Landtag ungeeignet" kann eine Petition | insbesondere dann erklart werden, wenn ihr Inhalt unverstandlich oder | anstoBig ist, Beleidigungen enthalt oder sonst gegen die Strafgesetze | oder gegen die guten Sitten verstoBt. Ohne sachliche Erorterung wird zur Tagesordnung tibergegangen, | wenn der behordliche Instanzenzug noch nicht erschopft ist oder der | Gegenstand der Petition der richterlichen Entscheidung unterliegt, femer | wenn die Petition ihrem wesentlichen Inhalte nach nur ein Gesuch, tiber | welches in der gleichen Landtagsperiode bereits ein sachlicher BeschluB | gefaBt ist, ohne Angabe und Glaubhaftmachung neuer tatsachlicher Unter= | lagen wiederholt, wenn die Petition auf eine bereits erledigte Vorlage | sich bezieht, wenn nach den Erklamngen der Staatsregierung das Gesuch | bereits beriicksichtigt ist oder demnachst beriicksichtigt wird oder aus anderen | Griinden gegenstandslos geworden und die Petition daher als erledigt | anzusehen ist oder wenn die Staatsregierung zur Durchfuhrung des I Gesuchs nicht zustandig ist. Die Uberweisung erfolgt in der Kegel „zur Kenntnisnahme", wenn das Gesuch nicht vollig unbegrtindet | erscheint, zurzeit jedoch kein AnlaB zu einer bestimmten | Stellungnahme des Landtags vorliegt, oder wenn es | fiir geeignet erachtet wird, den MaBnahmen der Ge= | setzgebung und Verwaltung als Unterlage fiir die Ent= | schlieBungen zu dienen; „zur Erwagung", wenn die in der Eingabe gegebenen An= | regungen einer weiteren Behandlung empfohlen werden | sollen oder das vorgebrachte personliche Anliegen zwar I nicht in jeder Beziehung, jedoch so weit begriindet er= | scheint, daB eine weitere oder emeute Priifung und | Verfolgung der Angelegenheit erwtinscht ist; „zur Beriicksichtigung", wenn das Gesuch in jeder Hinsicht als | begriindet und durchfuhrbar sich darstellt, so daB des sen | baldige Erfullung angenommen wird. § 59. ^tjber die Erledigung der Petition macht der President dem Gesuch= | steller Mitteilung. ^Ist die Petition von mehreren eingereicht, so ergeht | die Mitteilung an den zuerst Unterzeichneten.

[148/12] Gesetz vom 16. April 1914

1393

[S. 490] VII. Abschnitt. | Geschaftsvorschriften fur die Sitzungen des Landtags. A. Tagesordnung. §60, ^Zeit und Tagesordnung der nachsten Sitzung des Landtags wird | durch den Prasidenten vor dem Schlusse jeder Sitzung verkiindigt. ^Er= | hebt sich Widerspruch, so entscheidet der Landtag. Der President kann Zeit und Tagesordnung der nachsten Sitzung | auch auBerhalb einer Sitzung selbstandig festsetzen, wenn der Landtag | ihn dazu ermachtigt oder infolge Aufhebung der Sitzung wegen BeschluB= | unfahigkeit oder Ruhestorung nicht entscheiden kann. ^Die Vorlagen der Staatsregierung miissen den tibrigen Gegen= | standen der Tagesordnung vorangestellt werden. ^Femer mtissen der | Haupt=Finanz=Etat und die von der Staatsregierung als vordringlich be= | zeichneten Vorlagen vor anderen Verhandlungsgegenstanden zur Beratung | und BeschluBfassung gelangen. ^Abweichungen hiervon sind nur mit Zu= I stimmung der Staatsregierung zulassig. §61. Die Tagesordnung wird vervielfaltigt, den Abgeordneten und dem | Landesherrlichen Landtagskommissar mitgeteilt und im Sitzungssaale | sowie an sonst geeigneter Stelle in den Landtagsraumen ausgehangt. ^Wird am gleichen Tage eine weitere Sitzung anberaumt, so geniigt | die mtindliche Verkundung durch den Prasidenten. ^In diesem Falle | dtirfen Verhandlungsgegenstande, welche nicht auf der Tagesordnung der | ersten Sitzung standen, nur mit Zustimmung der Staatsregierung auf | die neue Tagesordnung gesetzt werden. §62. Eine Verhandlung des Landtags kann nur tiber die Gegenstande | stattfinden, die geschaftsordnungsmaBig auf die Tagesordnung gesetzt sind. ^Zur Darlegung personlicher oder dringlicher Angelegenheiten sowie | zu etwaigen Berichtigungen ist den Vertretem der Staatsregierung auch | auBerhalb der Tagesordnung das Wort zu erteilen. '^In diesem Falle | ist jeder Abgeordnete berechtigt, die sofortige Besprechung der vorgetragenen | Angelegenheit zu verlangen. [S. 491] AuBerhalb der Tagesordnung, und zwar vor Eintritt in dieselbe | oder nach deren Erledigung oder Abbrechung, werden die geschaftlichen An= | gelegenheiten behandelt. ^Nach Eroffhung der Sitzung erfolgen vor Eintritt in die Tages= | ordnung die Mitteilungen des Prasidenten tiber das Protokoll der | vorigen Sitzung und tiber etwaige Beurlaubungen. ^Im Anschlusse hieran | werden die einen BeschluB des Landtags erfordemden Urlaubsgesuche | ohne Besprechung erledigt, ^Es folgen sodann die Mitteilungen des Prasi= | denten tiber den Eintritt neuer Mitglieder, das Erloschen der Mitglied= | schaft von Abgeordneten und die in den Ausschtissen vorgenommenen | Wahlen. "^Der President kann Anfragen an die Ausschtisse tiber den | Stand ihrer Geschafte gestatten, welche von den Vorsitzenden oder Bericht= | erstattem der Ausschtisse sofort zu beantworten sind; an die Be= | antwortung der Anfragen darf sich eine Besprechung nicht kntipfen. Sodann gibt der Prasident die Eingange bekannt. ^AuBerhalb der Tagesordnung kann der Prasident femer den Ab= | geordneten ausnahmsweise zur Richtigstellung der in friiheren Verhand= | lungen aufgestellten tatsachlichen Behauptungen das Wort erteilen, wenn | innerhalb der Tagesordnung Gelegenheit zur

1394

§8:Anhalt

[Dok. 148-154]

Berichtigung nicht gegeben | ist. ^Die Richtigstellung hat sich auf tatsachliche Angaben zu beschranken. ^Die auf die Tagesordnung gesetzten Gegenstande gelangen in der | festgestellten Reihenfolge zur Verhandlung. "^Soweit die Bestimmungen | der Geschaftsordnung nicht entgegenstehen, kann der Landtag mit Zu= 1 stimmung der Staatsregierung die Absetzung einzelner Gegenstande von | der Tagesordnung oder Anderungen in der Reihenfolge beschlieBen. ^Die I Absetzung oder Hinausschiebung der Regierungsvorlagen muB erfolgen, | wenn dies von der Staatsregierung beantragt wird. B. Sitzungsordnung. §63, Streitigkeiten tiber die Sitzplatze der Abgeordneten sind durch den | Prasidenten oder den Seniorenkonvent beizulegen; gelingt eine Ver= | standigung nicht, so entscheidet der Landtag. §64. Die Sitzungen des Landtags sind offentlich. [S. 492] Geheime Sitzungen finden statt: 1. auf Verlangen der Staatsregierung, 2. auf Antrag von mindestens 8 Abgeordneten, 3. wenn der Landtagsvorstand es fiir notwendig erachtet, 4. wenn ein AusschuB es zur Erstattung seines Berichts ein= | stimmig fiir notwendig erachtet. In den Fallen unter 2, 3 und 4 ist beim Beginne der geheimen | Sitzung zunachst dariiber BeschluB zu fassen, ob geheim verhandelt | werden soil. ^Eine Veroffentlichung der Protokolle tiber geheime Sitzungen findet | nicht statt. ^Uber die in geheimen Sitzungen abgegebenen Erklamngen | und Mitteilungen der Staatsregierung darf ohne Zustimmung der letzteren | nicht in offentlicher Sitzung verhandelt werden. ^Uber alles in geheimen | Sitzungen Verhandelte ist Stillschweigen zu beobachten; Abweichungen hier= | von konnen nur mit Zustimmung der Staatsregierung beschlossen werden. §65. ^Der President eroffhet, leitet und schlieBt die Sitzung. '^Durch ein | Glockenzeichen gebietet er Ruhe und unterbricht er den Redner. ^Seinen | Anordnungen zur Aufrechterhaltung der Ordnung muB entsprochen werden. §66. Wer im Zuhorerraum Zeichen des Beifalls oder der MiBbilligung | gibt oder sonst die Ordnung oder den Anstand verletzt, wird sofort | entfemt. Entsteht storende Unruhe im Zuhorerraum, so kann der Prasident | anordnen, daB alle, die sich darin befinden, ihn verlassen. §67. ^Wenn ein Abgeordneter in der Sitzung die Ordnung verletzt, so | wird er vom Prasidenten mit Nennung des Namens zur Ordnung ge= | rufen. "^Leichtere Falle der Verletzung der Ordnung kann der Prasident | rtigen. ^Wenn ein Abgeordneter wahrend der Behandlung desselben | Gegenstandes der Tagesordnung, bei der zweiten Lesung des Etats des= | selben Titels, in derselben Sitzung zum zweiten Male zur Ordnung ge= | rufen ist, so hat der Prasident einen BeschluB des Landtags dariiber | herbeizufiihren, ob der Abgeordnete tiber die-

[148/12] Gesetz vom 16. April 1914

1395

sen Gegenstand noch welter | zum Worte zuzulassen ist; die BeschluBfassung findet, nachdem dem | [S. 493] Abgeordneten Gelegenheit zur Erklamng gegeben ist, ohne vorherige | Besprechung statt. "^Wenn ein Abgeordneter wahrend der Behandlung | desselben Gegenstandes der Tagesordnung, bei der zweiten Lesung des | Etats desselben Titels, in derselben Sitzung dreimal zur Ordnung ge= | rufen ist, so ist ihm damit ohne weiteres bis zum Schlusse der Ver= | handlung tiber diesen Gegenstand oder tiber diesen Etatstitel das Wort entzogen, Riige oder Ordnungsruf werden vom Prasidenten in der betreffenden | oder spatestens in der nachstfolgenden Sitzung des Landtags ausgesprochen. ^Im Falle besonders grober, die Wiirde des Landtags oder die sach= | liche Fortfuhrung der Verhandlungen gefahrdender Verletzung der Ordnung | wird der Abgeordnete vom Prasidenten fur den Rest des Tages von der | Sitzung ausgeschlossen. •^Der President triffl die erforderlichen MaBnahmen, | um dien AusschlieBung durchzufuhren; insbesondere kann er hierzu die | Sitzung auf bestimmte Zeit aussetzen, die Raumung des Sitzungssaals | und des Zuhorerraums sowie die Entfemung des ausgeschlossenen Ab= | geordneten anordnen. ^Wird ein Abgeordneter im Verlauf einer Tagung dreimal von der | Sitzung ausgeschlossen, so kann er auf Antrag des Landtagsvorstandes | oder von mindestens 12 Abgeordneten durch LandtagsbeschluB auf die | Dauer einer Woche von den Sitzungen ausgeschlossen werden. "^Vor | der BeschluBfassung ist der betreffende Abgeordnete zu horen. AuBerungen eines Abgeordneten, welche vom Prasidenten mit einem | Ordnungsrufe belegt sind, dtirfen nicht von den folgenden Rednem zum | Gegenstand einer personlichen Entgegnung gemacht werden. ^Gegen die Rtige, den Ordnungsruf oder die AusschlieBung durch den | Prasidenten kann der betroffene Abgeordnete Einspruch erheben. •^Der | Einspruch ist beim Prasidenten spatestens am folgenden Werktage schriftlich | einzulegen. ^Uber den Einspruch entscheidet in der nachsten Sitzung nach | dessen Eingang der Landtag; vor der BeschluBfassung stellt der Prasident | den Sachverhalt dar, der Abgeordnete wird gehort, im tibrigen findet eine | Besprechung nicht statt. "^Die Entscheidung tiber den Einspruch gegen | eine Rtige oder einen Ordnungsruf unterbleibt, wenn der Prasident | dieselben nachtraglich in offentlicher Sitzung zurtickgenommen hat. ^Wird I ein Abgeordneter durch den Prasidenten von der Sitzung ausgeschlossen, I so kann er eine sofortige BeschluBfassung des Landtags fordem; vor Durch== I fiihrung der AusschlieBung ist er zu befragen, ob er von diesem Rechte | Gebrauch machen will. [S. 494] §68. Wenn infolge groblicher Verletzung der Ordnung oder aus sonstigen | Ursachen die Ruhe im Sitzungssaale derartig gestort wird, daB eine sach= | gemaBe Verhandlung nicht moglich ist, kann der Prasident die Sitzung | auf bestimmte Zeit aussetzen oder ganz aufheben. C. Redeordnung. §69. Kein Abgeordneter darf sprechen, ohne vorher das Wort verlangt | und von dem Prasidenten erhalten zu haben. Will der Prasident sich als Redner an der Beratung beteiligen, | so muB er den Vorsitz abtreten.

1396

§ 8: Anhalt

[Dok. 148 - 154]

§ 70, ^Die Abgeordneten melden sich zum Worte fiir die Gegenstande | der Tagesordnung bei dem Prasidenten, sofem dieser die Rednerliste selbst | fiihrt, andemfalls bei dem Schriftfiihrer. "^Die Meldungen erfolgen in | der Kegel miindlich. ^Der Prasident erteilt den Rednem das Wort nach der Reihen= | folge der Meldungen. ^Bei gleichzeitiger Meldung mehrerer Redner be= | stimmt der Prasident die Reihenfolge nach eigenem Ermessen. Jeder in der Rednerliste eingetragene Abgeordnete kann seinen | Platz einem anderen Abgeordneten abtreten oder auf das Wort verzichten. ^Antragsteller und Berichterstatter konnen sowohl beim Beginn als | auch nach dem Schlusse der Besprechung das Wort beanspmchen. "^Der | Antragsteller ist befugt, das Wort an einen derjenigen Abgeordneten | abzutreten, welche den Antrag unterstutzt haben. §7L Das Wort zur Geschaftsordnung erteilt der Prasident auBerhalb | der Reihenfolge der Meldungen. Bemerkungen zur Geschaftsordnung dtirfen sich nur auf die geschaft= | liche Behandlung des zur Beratung stehenden oder soeben verhandelten | Gegenstandes und auf die dabei getroffenen MaBnahmen, beim Beginn | oder am Schlusse einer Sitzung auch auf den Geschaftsplan des Landtags | beziehen und die Dauer von flinf Minuten nicht tibersteigen. [S. 492] §72. ^Zu personlichen Bemerkungen kann erst nach dem Schlusse der Be= | sprechung oder am Schlusse der Sitzung das Wort verlangt werden. ^Sie dtirfen nur personliche Angriffe zuruckweisen und eigene Aus= | fiihrungen berichtigen. §73. Sachliche Ausfiihrungen sind in Bemerkungen zur Geschaftsordnung | und in personlichen Bemerkungen nicht gestattet. §74. Die Redner sprechen stehend vom Platze. ^Den Abgeordneten ist das Vorlesen von Schriftstucken nur mit Ge= | nehmigung des Prasidenten gestattet. ^Unzulassig ist die Verlesung oder sonstige Verwendung anonymer Schriftstixcke sowie das Vorbringen von | Geriichten, fiir die der Abgeordnete tatsachliche Unterlagen nicht anzu= | fiihren vermag. §75. ^Der Prasident kann Abgeordnete, die in der Rede vom Verhandlungs= | gegenstand abschweifen, zur Sache rufen. "^Ist dies dreimal in der= | selben Rede geschehen, so hat der Landtag ohne vorherige Besprechung | dariiber zu beschlieBen, ob dem Redner das Wort belassen werden soil. ^Beim zweiten Rufe zur Sache muB der Prasident den Redner auf diese I Folge hinweisen. Einem Abgeordneten, dem das Wort entzogen worden ist, darf es | zu demselben Verhandlungsgegenstand in der gleichen Sitzung nicht wieder | erteilt werden. Bei Bemerkungen zur Geschaftsordnung und bei personlichen Be= | merkungen kann der Prasident, wenn er den Sprechenden erfolglos zum | Gegenstande seiner Bemerkungen zurtickgerufen oder zur Ordnung ge= | rufen hat, das Wort entziehen, ohne daB es eines Beschlusses des Land= | tags bedarf

[148/12] Gesetz vom 16. April 1914

1397

D. SchluB und Vertagung der Besprechung. §76. Der Prasident schlieBt die Besprechung nach Erschopfung der Redner= | liste oder auf BeschluB des Landtags. [S. 496] §77. ^Der Antrag auf Vertagung oder auf SchluB der Besprechung | bedarf der Untersttitzung von 8 Abgeordneten. ^Findet er diese Unter= | sttitzung, so kann fiir und gegen den Antrag nur je einem Mitgliede | fiir die Dauer von hochstens je 5 Minuten das Wort erteilt werden; | danach wird tiber den Antrag abgestimmt. Auch in einer Besprechung zur Geschaftsordnung oder tiber die | Feststellung der Tagesordnung ist ein SchluBantrag zulassig. §78. Als neu eroffhet gilt eine Besprechung, wenn nach ihrem Schlusse | ein Vertreter der Staatsregierung das Wort nimmt. E. Abstimmung. §79. Nach dem Schlusse der Besprechung stellt der Prasident die Fragen | und verkiindet, wenn mehrere Fragen zu stellen sind, die Reihenfolge, | in der er sie zur Abstimmung bringen will. ^Zur Fragestellung kann das Wort verlangt werden. ^Wird den | Vorschlagen des Prasidenten widersprochen, so entscheidet der Landtag. §80. Die Fragen miissen so gefaBt sein, daB sie mit „Ja" oder „Nein" | beantwortet werden konnen. Hinsichtlich der Reihenfolge der zur Abstimmung zu bringenden | Fragen gilt der Grundsatz, daB tiber Fragen zur Geschaftsordnung vor | Fragen zur Sache abgestimmt wird. Unter mehreren Antragen zur Geschaftsordnung gelangt zuerst der= | jenige zur Abstimmung, welcher der Weiterbehandlung des Gegenstandes | am meisten widerspricht, der Antrag auf Vertagung vor dem Antrag | auf SchluB der Besprechung. Die Abstimmung tiber Abanderungsantrage geht der Abstimmung | tiber die Vorlage oder tiber den Hauptantrag voraus; unter mehreren | Abanderungsantragen hat der von der Vorlage oder dem Hauptantrag 1 am weitesten abweichende den Vorrang. Besondere EntschlieBungen (Resolutionen) kommen erst nach der | BeschluBfassung tiber die Hauptfrage zur Abstimmung. [S. 497] §81. ^Jeder Abgeordnete kann die Teilung der Frage fordem. "^Entstehen | Zweifel tiber die Zulassigkeit der Teilung, so entscheidet bei Ur= und | Abanderungsantragen der Antragsteller, im tibrigen der Landtag. § 82. Unmittelbar vor der Abstimmung ist die festgestellte Frage zu ver= | lesen, falls nicht der Landtag darauf verzichtet, Bei der Abstimmung sollen die Abgeordneten ihre Platze einnehmen.

1398

§ 8: Anhalt

[Dok. 148 - 154]

§83, Die Abstimmung erfolgt in der Regel durch Aufstehen oder Sitzen= | bleiben. Namentliche Abstimmung kann von der Staatsregiemng oder von | mindestens 12 Abgeordneten verlangt werden bei der BeschluBfassung 1. tiber Vorlagen der Staatsregiemng sowie liber Ur= und Ab= | andemngsantrage im ganzen oder in einzelnen Teilen, 2. tiber Antrage auf Ubergang zur Tagesordnung, 3. tiber Einspriiche gegen MaBnahmen des Prasidenten zur Auf= | rechterhaltung der Ordnung (§ 67 Abs. 6), 4. tiber Antrage auf AusschlieBung eines Abgeordneten vom | Landtagsmandat, von der Austibung desselben auf bestimmte | Zeit oder von der Mitgliedschaft in den Ausschtissen (§§ 6, 30 | Abs. 3, § 67 Abs. 4). §84. ^Die namentliche Abstimmung geschieht in der Weise, daB der Schrift= | flihrer die Namen der Abgeordneten nach der alphabetischen Folge der | Anfangsbuchstaben einzeln aufruft und jeder Abgeordnete bei Nennung | seines Namens mit „Ja" oder „Nein" stimmt oder erklart, daB er sich | der Abstimmung enthalte. ^Bei jeder nachstfolgenden namentlichen Ab= I stimmung ist unter Beibehaltung der alphabetischen Reihenfolge mit einem | anderen Anfangsbuchstaben zu beginnen. Der Namen der Abstimmenden und ihre Abstimmung werden in | den stenographischen Bericht der Sitzung aufgenommen. fS. 498] §85. Die Abstimmung geschieht nach Stimmenmehrheit; bei Stimmen= | gleichheit gilt die Frage als vemeint. Ist das Ergebnis nach der Ansicht des Prasidenten zweifelhaft, so | wird die Gegenprobe gemacht. Stimmenthaltungen zahlen bei der Feststellung der BeschluBfahigkeit, | jedoch nicht bei der Berechnung der Mehrheit mit. §86. ^Der Landtag gilt so lange als beschluBfahig, bis das Gegenteil | gelegentlich einer namhaften Abstimmung oder durch eine auf Antrag | der Staatsregiemng oder eines Abgeordneten stattfindende Zahlung fest= | gestellt ist. "^Der Antrag auf Zahlung kann nur unmittelbar vor Beginn der Abstimmung gestellt werden. Ergibt sich die BeschluBunfahigkeit des Landtags, so fmdet die | spatere Abstimmung ohne Besprechung und nur dann in der Form der | namentlichen Abstimmung statt, wenn dies von neuem beantragt wird. §87. Urmiittelbar nach Beendigung einer Abstimmung verkundet der Pra= | sident ihr Ergebnis. F. Wahlen.

Die vom Landtage vorzunehmenden Wahlen finden, soweit nicht etwas | anderes bestimmt ist (§§19 ff, 27, 30, 31), sinngemaB nach den gleichen | Gmndsatzen statt wie die Abstimmungen. Die Wahl durch Zumf ist zulassig, wenn kein Abgeordneter widerspricht.

[148/12] Gesetz vom 16. April 1914

1399

^Auf Antrag der Staatsregierung oder von mindestens 8 Abgeord= | neten muB geheime Wahl durch Stimmzettel stattfinden. "^In diesem Falle | ist sinngemaB nach § 19 Abs. 2 bis 5 zu verfahren. Gewahlt ist, wer mehr als die Halfte der abgegebenen gtiltigen | Stimmen erhalten hat. Sind mehrere Personen zu einem Zwecke zu wahlen, so entscheidet der | Landtag, ob die Wahl einheitlich oder in getrennten Wahlgangen voll= | zogen werden soil. [S. 499] ^Findet die Wahl mehrerer Personen in einem Wahlgange durch | Stimmzettel statt, so geschieht sie durch gleichzeitiges Aufschreiben der | erforderlichen Zahl von Namen auf einen Stimmzettel. ^Erhalt nicht | schon im ersten Wahlgange die zu wahlende Zahl von Personen mehr als die Halfte der abgegebenen gtiltigen Stimmen, so werden nur die an der | erforderlichen Zahl fehlenden in der Stichwahl gewahlt. ^Bei letzterer | werden von denjenigen Personen, welche verhaltnismaBig die meisten | Stimmen erhalten haben, doppelt so viele zur Wahl gestellt, als noch 1 zu wahlen sindo "^Dartiber, wer von mehreren Personen mit gleicher | Stimmenzahl in die Stichwahl zu bringen ist, entscheidet erforderlichen^ | falls das Los. ^In der Stichwahl sind als gewahlt diejenigen anzusehen, | welche die meisten Stimmen erhalten haben; bei Stimmengleichheit ent= | scheidet das Los. ^Stimmzettel sind ungiiltig, wenn sie keinen Namen oder den Namen | einer nicht wahlbaren Person oder eine Verwahrung oder einen Vorbehalt | gegentiber dem Gewahlten enthalten oder die Person des Gewahlten nicht | unzweifelhaft erkennen lassen. "^Enthalt bei einheitlicher Wahl mehrerer | Personen ein Stimmzettel weniger Namen als die Zahl der zu wahlenden, so ist er gleichwohl gtiltig. ^Enthalt er mehr Namen, so ist nur die | erforderliche Zahl, und zwar nach der Reihenfolge, in der die Namen auf= | gefiihrt sind, zu beriicksichtigen; ist die Reihenfolge nicht zu erkennen, so | ist der Stimmzettel ungiiltig. "^Befinden sich unter den mehreren ver= | zeichneten Personen nur einzelne, welche nicht wahlbar oder nicht un= | zweifelhaft erkennbar sind oder hinsichtlich deren eine Verwahrung oder | ein Vorbehalt gemacht ist, so gelten ihre Namen als nicht geschrieben, | der Stimmzettel ist im tibrigen aber als gtiltig zu behandeln. ^Zweifel | des Prasidenten liber die Gtiltigkeit eines Stimmzettels entscheidet der | Landtag; der Entscheidung bedarf es nicht, wenn die Gtiltigkeit fur die | Feststellung des Wahlergebnisses unerheblich ist. G. Sitzungsprotokolle und Sitzungsberichte. § 89. ^Uber jede Sitzung wird ein Protokoll aufgenommen. ^Es muB enthalten: 1. die Tagesordnung, 2. die Zeit der Eroffhung und SchlieBung der Sitzung, 3. die Namen der anwesenden Vertreter der Staatsregierung, [S. 500] 4. die Namen der beurlaubten oder ohne Urlaub fehlenden | Abgeordneten, 5. die Feststellung iiber das Ausliegen des Protokolls der vorigen | Sitzung, 6. die Eingange, 7. einen kurzen Bericht tiber den Verlauf der Sitzung, insbesondere 8. die Antrage nach ihrem Wortlaut und die Namen der Antragsteller, 9. die formHchen Anfragen an die Staatsregierung in wortlicher | Fassung nebst der Bemerkung, ob sie beantwortet sind, 10. die Beschltisse in wortlicher Anfuhmng und die Ergebnisse | der Abstimmungen, 11. die Vorgange gemaB ^^66 bis 68 und § 75, 12. die geschaftlichen Mitteilungen des Prasidenten, 13. Zeit und Tagesordnung der nachsten Sitzung.

1400

§ 8: Anhalt

[Dok. 148 - 154]

Dem Protokolle werden die in der Sitzung behandelten Vorlagen | der Staatsregiemng, soweit sie nicht als geheim bezeichnet sind, als An= | lagen beigefiigt, und zwar dem Protokoll iiber den Beginn der zweiten, | gegebenenfalls der einzigen Lesung. ^Das ProtokoU wird von dem Prasidenten und dem Schriftflihrer | vollzogen. ^Es liegt in der nachsten Sitzung zur Einsicht aus und gilt | als genehmigt, wenn bis zum Schlusse der Sitzung kein Einspruch er= | folgt ist. ^Uber Einsprtiche beschlieBt der Landtag; das abgeanderte | ProtokoU ist in der nachsten Sitzung nochmals auszulegen. ^Der Landtag kann mit Zustimmung der Staatsregiemng den | Prasidenten ermachtigen, von der Auslegung in einzelnen Fallen abzu= | sehen, ^Das ProtokoU iiber die letzte Sitzung einer Tagung wird, sofem | eine solche Ermachtigung nicht erteilt wird, vom Landtagsvorstande ge= | priift, genehmigt und vollzogen, § 90. ^Uber jede offentliche Sitzung wird ein stenographischer Bericht | angefertigt. "^Er soil enthalten: 1. die Namen der anwesenden Vertreter der Staatsregiemng, 2. die Zeit der Eroffhung und SchlieBung der Sitzung sowie die | Tagesordnung, 3. die Wiedergabe alles in der Sitzung Gesprochenen nach der steno= | graphischen Aufhahme, [S. 501] 4. das Namensverzeichnis der Abgeordneten, die an einer nament= | lichen Abstimmung teilgenommen haben, und ihre Abstimmung, 5. sonstige geschaftliche Mitteilungen. Jeder Abgeordnete erhalt einen Abdmck dieses Berichts. §91. ^Vor der Dmcklegung der stenographischen Berichte wird jedem | Redner eine Ubertragung des Stenogramms seiner Rede zur etwaigen | Berichtigung zugestellt. ^Die Zustellung und die Riickgabe ist nach | Moglichkeit zu beschleunigen. ^Der President kann hiertiber nahere An= | ordnungen treffen. ''ist die Zustellung an den Redner nicht alsbald | nach der Fertigstellung der Ubertragung moglich, oder gibt der Redner | die Ubertragung nicht innerhalb der vom Prasidenten festgesetzten Frist | und in Ermangelung einer besonderen Festsetzung innerhalb dreier Tage | nach der Zustellung zuruck, so wird die Ubertragung unberichtigt oder | tiberhaupt nicht in den Sitzungsbericht aufgenommen. ^Ausnahmen kann | nur der Prasident genehmigen. ^Der Schriftfiihrer hat darauf zu sehen, daB durch die Berichtigung | nicht der Sinn des Gesprochenen geandert wird. "^Beanstandet der Schrift= | flihrer die Berichtigung, so teilt er dies dem Prasidenten mit, der nach | Anhomng des Abgeordneten entscheidet. VIII. Abschnitt. | Sitzungen der Ausschtisse. §92. ^Die Ausschtisse (§ 29) regeln nach MaBgabe der gegenwartigen | Geschaftsordnung ihre Geschaflsfuhmng selbst. "^Sie sind beschluBfahig, | wenn mehr als die Halfte ihrer Mitglieder anwesend ist. ^Zeit und Tagesordnung der AusschuBsitzungen werden vom Vor= | sitzenden (§31) bestimmt und sind durch ihn in der Regel am Tage | vorher dem Prasidenten und dem Landesherrlichen Landtagskommissar | mitzuteilen; in dringenden Fallen kann von der Innehaltung einer Frist | abgesehen werden. ^Der Prasident ist befugt, auch seinerseits Sitzungen der Ausschtisse anzuberaumen. ^Zeit und Tagesordnung der AusschuB= | sitzungen wird durch Anschlag in der Landtagskanzlei bekannt gegeben.

[148/12] Gesetz vom 16. April 1914

1401

[S.502] § 93. Samtliche Abgeordnete haben das Recht, den AusschuBsitzungen als | Zuhorer beizuwohnen. Dem Prasidenten steht es frei, an denselben mit beratender Stimme | teilzunehmen. ^Ist einem AusschuB ein Urantrag (§ 46) zur Vorberatung iiberwiesen | worden, so nimmt der Antragsteller oder einer der mehreren Unterzeichner | des Antrags an den AusschuBberatungen teil; er hat jedoch kein Stimm= | recht, wenn er nicht Mitglied des Ausschusses ist. ^Die Ausschtisse konnen | in besonderen Fallen auch andere Abgeordnete auf deren Antrag oder mit | deren Zustimmung ohne Stimmrecht zu den Verhandlungen zuziehen. Andere Personen, abgesehen von den Vertretem der Staatsregierung | (§ 33), werden zu den AusschuBsitzungen nicht zugelassen. §94. ^Der AusschuB wahlt fur jeden Gegenstand einen Berichterstatter | und erforderlichenfalls einen Mitberichterstatter. "^Den Berichterstattem | ist auf ihr Verlangen fiir Zwecke der Berichterstattung zu jeder Zeit | das Wort zu erteilen. ^Der Bericht soil eine zusammenfassende sachliche | Darlegung des Ganges und Inhalts der AusschuBverhandlungen, der | Antrage und der Beschltisse des Ausschusses geben. ^Diejenigen Mitglieder des Ausschusses, welche gegen den BeschluB | gestimmt haben, sind berechtigt, ihre abweichende Ansicht zum Ausdruck | zu bringen, einem schriftlichen Bericht auch eine Begriindung ihrer | Stellungnahme als Anlage beizufugen und aus ihrer Mitte einen Ver= | treter flir die Landtagsverhandlungen zu bestellen. ^Die Erstattung des | Berichts des Ausschusses darf hierdurch nicht verzogert werden. ^Der Bericht wird, wenn der AusschuB nicht ausnahmsweise schriftliche Berichterstattung beschlieBt, miindlich erstattet; die Beschltisse und | Antrage des Ausschusses mtissen vervielfaltigt und den Abgeordneten | sowie dem Landesherrlichen Landtagskommissar mindestens 2 Tage vor | der Beratung im Landtage zugestellt werden. "^Der Landtag kann schrift= I lichen Bericht fordem und hierzu die Sache an den AusschuB zuriickverweisen. § 95. Die Verhandlungen der Ausschtisse sind nach auBen als vertraulich | zu behandeln, solange und soweit nicht der AusschuB Bericht erstattet | hat; auch in dem Berichte diirfen aus diesen Verhandlungen weder die | [S. 503] Namen noch in der Kegel die Parteizugehorigkeit der Antragsteller und | der Redner gegeben werden. §96. Sobald die Ausschtisse ihre Beartungen beendet haben, teilt der | Vorsitzende dies dem Prasidenten mit.

1402

§ 8: Anhalt

[Dok. 148 - 154] IX. Abschnitt. | Allgemeine Bestimmungen.

§97. Alle Beschliisse des Landtags teilt der Prasident dem Landesherrlichen | Landtagskommissar schriftlich mit. Gesetzesvorlagen werden dem Landesherrlichen Landtagskommissar in | einer nach den Beschltissen des Landtags entsprechenden urkundlichen Ausferti= | gung von dem Prasidenten zugestellt. §98. Mit dem Ablaufe der Tagung, in der sie eingebracht sind, werden | alle Vorlagen, Antrage und Petitionen auch dann als erledigt betrachtet, | wenn ein BeschluB dariiber noch nicht gefaBt ist. §99. Der Landtag kann mit Zustimmung der Staatsregierung beschlieBen, | die Sitzungen des Landtags auf bestimmte Zeit auszusetzen und nur einen | oder mehrere Ausschiisse zur Vorberatung der ihnen tiberwiesenen Gegen= | stande in Tatigkeit zu belassen. §100. ^Zweifel liber die Auslegung der Geschaftsordnung, die in einem | Einzelfalle hervortreten, entscheidet der Prasident; er ist jedoch berechtigt, | einen BeschluB des Landtags herbeizufiihren. "^Eine grundsatzliche, tiber den Einzelfall hinausgehende Auslegung einer Vorschrift der Geschafts= | ordnung kann nur auf Grund eines formlichen Antrags (§ 46) nach Vor= I beratung durch den GeschaftsordnungsausschuB (§ 29) und mit Zustimmung | der Staatsregierung vom Landtage beschlossen werden. [S. 504] §101. ^Soweit die gegenwartige Geschaftsordnung Abweichungen nicht aus= | driicklich vorsieht, konnen solche nur bei besonderem Bediirfhisse fiir den | einzelnen Fall beschlossen werden; der BeschluB bedarf der Zustimmung | der Staatsregierung. '^Auf Verlangen von mindestens 10 Abgeordneten | hat der BeschluBfassung eine Vorberatung durch den Geschaftsordnungs= | ausschuB (§ 29) vorauszugehen.

[148/13] Gesetz, betreffend die Abanderung des Landtagswahlgesetzes, des Gesetzes uberdie Einfuhrung einer neuen Gescliaftsordnung fur den Landtag und der Gemeindeordnung, vom 29. August 1914 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einflihrungen" die Darstellung unter [709.]. Quelle: Gesetzsammlung fiir das Herzogtum Anhalt, Nr. 1404 vom 3. September 1914, Bd. 20, 1916, S. 593 - 594 (gedruckt). [S. 593] (Offentlich bekannt gemacht und ausgegeben am 3. September 1914.) Gesetz, | betreffend die Abanderung des Landtagswahlgesetzes, des Gesetzes tiber die | Einfiihmng einer neuen Geschaftsordnung fur den Landtag und der Gemeinde= | ordnung. Vom29. August 1914.

[148/14] Gesetz vom 12. Febmar 1915

1403

Wir, Friedrich, von Gottes Gnaden Herzog von Anhalt, | Herzog zu Sachsen, Engem und Westfalen, Graf zu Askanien, | Herr zu Zerbst, Bemburg und Grobzig etc. etc. etc., verordnen auf Antrag Unseres Staatsministeriums und mit Zustimmung | des Landtags, was folgt: Artikel 1. ^Das Landtagswahlgesetz vom 27. April 1913^ (Nr. 1372 der | Gesetz^Sammlung), das Gesetz, betreffend die Einfuhrung einer neuen | Geschaftsordnung fiir den Landtag, vom 16. April 1914 (Nr. 1398 | der Gesetz=Sammlung) und die mit demselben erlassenen Geschaftsordnung^ sowie die Gemeindeordnung | vom 16. Juli 1914 (Nr. 1402 der Gesetz= | Sammlung) treten erst am 1. Januar 1916 in Kraft. '^Durch Landes= | herrliche Verordnung kann ein friiherer Zeitpunkt festgesetzt werden. Artikel 2. Die bei Veroffentlichung dieses Gesetzes laufende Landtagsperiode | wird bis zum Inkrafttreten des Landtagswahlgesetzes verlangert. [S. 594] Artikel 3. Dieses Gesetz tritt mit dem Tage seiner Veroffentlichung in KLraft. Urkundlich unter Unserer eigenhandigen Unterschrift und beigedmcktem | Herzoglichen Insiegel. Dessau, den 29. August 1914. Friedrich. (L. S.) Dr. Laue.

[148/14] Gesetz, betreffend das Inkrafttreten des Landtagswahlgesetzes, des Gesetzes uberdie Einfuhrung einer neuen Geschaftsordnung fiir den Landtag und der Gemeindeordnung, vom 12. Februar 1915 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einfuhrungen" die Darstellung unter [709.]. Quelle: Gesetzsammlung fur das Herzogtum Anhalt, Nr. 1410 vom 17. Februar 1915, Bd. 20, 1916, S. 621 - 622 (gedruckt). [S. 621] (Offentlich bekannt gemacht und ausgegeben am 17. Februar 1915.) Gesetz, | betreffend das Inkrafttreten des Landtagswahlgesetzes, des Gesetzes liber die | Einftihrung einer neuen Geschaftsordnung fiir den Landtag und der Gemeinde= | ordnung. Vom 12. Februar 1915. Wir, Friedrich, von Gottes Gnaden Herzog von Anhalt, | Herzog zu Sachsen, Engem und Westfalen, Graf zu Askanien, | Herr zu Zerbst, Bemburg und Grobzig etc. etc. etc., verordnen auf Antrag Unseres Staatsministeriums und mit Zustimmung | des Landtags, was folgt:

Dok. 148/11. Dok. 148/12.

1404

§ 8: Anhalt

[Dok. 148 - 154]

Artikel 1. ^Die Gemeindeordnung vom 16. Juli 1914 (Nr. 1402 der Gesetz= | Sammlung) tritt erst am 1. Juli 1916, das Landtagswahlgesetz vom | 27. April 1913^ (Nr. 1372 der Gesetz=Sammlung), das Gesetz, betreffend | die Einfiihrung einer neuen Geschaftsordnung fiir den Landtag, vom | 16. April 1914 (Nr. 1398 der Gesetz=Sammlung) und die mit demselben I erlassene Geschaftsordnung'' treten erst am 14. November 1916 in Kraft. | ^Durch Landesherrliche Verordnung kann ein friiherer Zeitpunkt festgesetzt | werden. Artikel 2. Die bei Veroffentlichung dieses Gesetzes laufende Landtagsperiode | wird bis zum Inkrafttreten des Landtagswahlgesetzes verlangert. [S. 622] Artikel 3. Im § 270 der Gemeindeordnung vom 16. Juli 1914 erhalt Abs. 2 | folgenden Zusatz: „Jedoch ist die Aufsichtsbehorde berechtigt und auf Antrag | eines Drittels der gesetzlichen oder ortsstatuarischen Anzahl | der Gemeinderatsmitglieder verpflichtet, Ersatzwahlen anzu= | ordnen, wenn sich in einer Gemeinde weniger als zwei Drittel I der gesetzlichen oder ortsstatuarischen Anzahl der Gemeinde= | verordneten (Stadtverordneten) im Amte befinden. Auf die | bei den Ersatzwahlen Gewahlten findet die Bestimmung des | Abs. 1 Anwendung." Artikel 4. ^Dieses Gesetz tritt mit dem Tage seiner Veroffentlichung in Kraft. •^Mit dem gleichen Tage tritt das Gesetz, betreffend die Abanderung | des Landtagswahlgesetzes, des Gesetzes uber die Einfiihrung einer neuen | Geschaftsordnung fiir den Landtag und der Gemeindeordnung, vom I 29. August 1914*^ (Nr. 1404 der Gesetz=Sammlung) auBer Kraft. Urkundlich unter Unserer eigenhandigen Unterschrift und beigedrucktem | Herzoglichen Insiegel. Dessau, den 12. Februar 1915. Friedrich. (L. S.) Dr. Laue.

[148/15] Gesetz, betreffend das Inkrafttreten des Landtagswahlgesetzes, des Gesetzes uber die Einfiihrung einer neuen Geschaftsordnung fiir den Landtag und der Gemeindeordnung, vom 14. Februar 1916 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einfiihrungen" die Darstellung unter [709.]. Quelle: Gesetzsammlung fiir das Herzogtum Anhalt, Nr. 1430 vom 24. Februar 1916, Bd. 20, 1916, S. 733 - 734 (gedruckt).

Dok. 148/11. Dok. 148/12. Dok. 148/13.

[148/16] Gesetz vom 26. September 1916

1405

[S. 733] (Offentlich bekannt gemacht und ausgegeben am 24. Februar 1916.) Gesetz, | betreffend das Inkrafttreten des Landtagswahlgesetzes, des Gesetzes liber die | Einfuhrung einer neuen Geschaftsordnung ftir den Landtag und der Gemeinde= | ordnung. Vom 14. Februar 1916. Wir, Friedrich, von Gottes Gnaden Herzog von Anhalt, | Herzog zu Sachsen, Engem und Westfalen, Graf zu Askanien, | Herr zu Zerbst, Bemburg und Grobzig etc. etc. etc., verordnen auf Antrag Unseres Staatsministeriums und mit Zustimmung | des Landtags, was folgt: Einziger Artikel. Das Gesetz vom 12. Februar 1915 (Nr. 1410 der | Gesetz=Sammlung) wird abgeandert, wie folgt: 1. Der Artikel 1 erhalt folgende Fassung: „Die Gemeindeordnung vom 16. Juli 1914 (Nr. 1402 der | Gesetz=Sammlung) tritt erst am l.Juli 1917, das Landtags= | wahlgesetz vom 27. April 1913 (Nr. 1372 der Gesetz=Sammlung), | das Gesetz, betreffend die Einfiihrung einer neuen Geschaftsordnung | flir den Landtag, vom 16. April 1914 (Nr. 1398 der Gesetz= [ Sammlung) und die mit demselben erlassene Geschaftsordnung | treten erst am 14. November 1917 in Kraft. Durch Landes= | herrliche Verordnung kann ein friiherer Zeitpunkt festgesetzt werden." [S. 734] 2. Im Artikel 2 wird nachstehende Bestimmung als Absatz 2 hinzugefugt: „Der Landtagsprasident hat nach Ablauf der Landtagsperiode | die einschlagigen laufenden Geschafte noch zu erledigen." Urkundlich unter Unserer eigenhandigen Unterschrift und beigedrucktem | Herzoglichen Insiegel. Dessau, den 14. Februar 1916. Friedrich (L. S.) Dr. Laue.

[148/16] Gesetz, betreffend das Inkrafttreten des Landtagswahlgesetzes, des Gesetzes iiberdie Einfuhrung einer neuen Geschaftsordnung fur den Landtag und der Gemeindeordnung, vom 26. September 1916 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einfuhrungen" die Darstellung unter [709.]. Quelle: Gesetzsammlung ftir das Herzogtum Anhalt, Nr. 1438 vom 30. September 1916, Bd. 21, 1919, S. 9(gedruckt). [S. 9] (Offentlich bekannt gemacht und ausgegeben am 30. September 1916.) Gesetz, | betreffend das Inkrafttreten des Landtagswahlgesetzes, des Gesetzes liber die | Einfuhrung einer neuen Geschaftsordnung ftir den Landtag und der \ Gemeindeordnung. Vom 26. September 1916. Wir, Friedrich, von Gottes Gnaden Herzog von Anhalt, | Herzog zu Sachsen, Engem und Westphalen, Graf zu Askanien, | Herr zu Zerbst, Bemburg und Grobzig etc, etc. etc., verordnen auf Antrag Unseres Staats=Ministeriums und mit Zustimmung | des Landtags, was folgt:

1406

§ 8: Anhalt

[Dok. 148 - 154]

Einziger Artikel. Im Artikel 1 des Gesetzes vom 12. Februar 1915^ (Nr. 1410 der | Gesetzsammlung) in der Fassung des Gesetzes vom 14. Februar 1916'' (Nr. 1430 der Gesetzsammlung) tritt in Zeile 2 und Zeile 7 an die Stelle der Zahl ,,1917" die Zahl ,,1918". Urkundlich unter Unserer eigenhandigen Unterschrift und beigedrucktem | Herzoglichen Insiegel. Ballenstedt, den 26. September 1916. Friedrich (L. S.) Dr. Laue.

[149] Bekanntmachung, die Besitznahme des Herzogthums AnhaltBernburg betreffend, vom 20./22. August 1863 Quelle: Gesetz-Sammlung fur das Herzogthum Anhalt-Dessau-Kothen, Nr. 623 vom 25. August 1863, Bd. 11, 1863, S. 3847 (Bekanntmachung vom 22. August 1863), 3849 3850 (Besitznahmepatent vom 20. August 1863) - jeweils gedruckt. Gesetz-Sammlung fur das Herzogthum Anhalt-Bemburg, Bd. 13 [enthaltend die Gesetze und Verordnungen der Jahre 1859 bis 1863], Bemburg o. J., S. 475 - 4 7 7 (nur Besitznahmepatent) - (gedruckt)*^.

[150] Verordnung, die Annahme des Titels: „Herzog von Anhalt" betreffend, vom 30. August 1863 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einfiihrungen" die Darstellung unter [697.]. Quelle: Gesetzsammlung fur das Herzogthum Anhalt, Nr. 1 vom 11. September 1863, Bd. 1, 1865, S. 1 (gedruckt). [S. 1] (Offentlich bekannt gemacht und ausgegeben am 11. September 1863.) Verordnung, 1 die Annahme des Titels: „Herzog von Anhalt" betreffend. Wir, Leopold Friedrich, von Gottes Gnaden Herzog von An= | halt Herzog zu Sachsen, Engem und Westphalen, Graf zu Askanien, | Herr zu Zerbst, Bemburg und Grobzig etc. etc. etc., I fiigen hiermit zu wissen: daB Wir nach der, in Folge des Ablebens Unseres Herm Vetters, | des weiland regierenden Herzogs Alexander Carl zu Anhalt=Bem= | burg, Liebden, nunmehr bewirkten Wiedervereinigung der gesammten | Anhaltischen Landestheile, fur Uns und Unsere Regiemngs=Nach= | folger den Titel: „Herzog von Anhalt" angenommen haben. Wir befehlen Unseren Behorden und Unseren getreuen Unterthanen, | sich hiemach zu achten. Urkundlich unter Unserer Hochsteigenhandigen Unterschrift und beige= | drucktem Herzoglichen Insiegel.

^ Dok. 148/14. ^ Dok. 148/15. "" Abgedruckt als Dok. 168 (fiir Bemburg) und Dok. 178 (fiir Dessau-Kothen).

[ 152] Patent vom 13. September 1918

1407

So geschehen Dessau, am 30. August 1863. Leopold Friedrich, | Herzog zu Anhalt. | (L. S.) Dr. Sintenis.

[151] Publikationspatent iiber die Verfassung des Norddeutschen Bundes vom 25. Juni 1867 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einfuhrungen" die Darstellung unter [695.]. Quelle: Gesetzsammlung fur das Herzogthum Anhalt, Nr. 137 vom 25. Juni 1867, Bd. 3, 1868, S. 855 (Publikationspatent), S. 857 - 880 (Verfassung des Norddeutschen Bundes) jeweils gedruckt. [S. 855] (Offentlich bekannt gemacht und ausgegeben am 25. Juni 1867.) Publikations=Patent | liber die Verfassung des Norddeutschen Bundes. Wir, Leopold Friedrich, von Gottes Gnaden Herzog von An= | halt, Herzog zu Sachsen, Engem und Westphalen, Graf zu Askanien, | Herr zu Zerbst, Bemburg und Grobzig etc. etc. etc., I thun kund und fiigen hiermit zu wissen: Nachdem die Verfassung des Norddeutschen Bundes von den verbiindeten | Ftirsten und freien Stadten mit dem Reichstage vereinbart worden ist und die | Zustimmung des Landtags erhalten hat, verktinden Wir nachstehend^ die gedachte | Verfassung und bestimmen zugleich, daB dieselbe in Unserem Herzogthume am | 1. Juli 1867 in Kraft treten soil. Urkundlich unter Unserer Hochsteigenhandigen Unterschrift und beige= | drucktem Herzoglichen Insiegel. Dessau, den 25. Juni 1867. Leopold Friedrich, | Herzog von Anhalt. | (L. S.) Dr. Sintenis. Stockmarr. v. Zerbst. Hagemann.

[152] Patent, betreffend die Thronfolge des Herzogs Joachim Ernst von Anhalt, vom 13. September 1918 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einflihrungen" die Darstellungen unter [678.] [710.]. Quelle: Gesetzsammlung fur das Herzogtum Anhalt, Nr. 1491 vom 13. September 1918, Bd. 21, 1919, S. 303 (gedruckt). [S. 303] (Offentlich bekannt gemacht und ausgegeben am 13. September 1918.) Patent, | betreffend die Thronfolge Seiner Hoheit des Herzogs Joachim Ernst von Anhalt. | Vom 13. September 1918. Im Namen Seiner Hoheit des Herzogs! | Wir Aribert, von Gottes Gnaden Prinz von Anhalt, I thun hiermit kund und zu wissen: Nach Gottes unerforschlichem RatschluB ist Unseres vielgeliebten | Herm Bruders, des durchlauchtigsten Herzogs und Herm Eduard, | Herzog von Anhalt, Hoheit zu Unserem und des Landes tiefsten Schmerz [ aus diesem Leben gerufen worden. Aufgrund des bestehenden Erbfolgerechts ist die Regierung des | Herzogtums Anhalt auf den Herzog Joachim Ernst, Hoheit, tiber= | gegangen. Kraft des in Unserem Hause geltenden Rechts sind Wir | Aribert, Prinz von Anhalt, fiir die Zeit der Minderjahrigkeit des | Her-

In der anhaltischen Gesetzsammlung abgedruckt auf den S. 857 - 880 (vom Abdruck wurde an dieser Stelle abgesehen). - Der Text der Verfassung fmdet sich jedoch unter Dok. 128.

1408

§8:Anhalt

[Dok. 148-154]

zogs zur Regentschaft berufen und werden solche im Namen des | Herzogs nach den Gesetzen des Landes ftihren. Urkundlich unter Unserer eigenhandigen Unterschrift und beigedrucktem \ Herzoglichen Insiegel. Berchtesgaden, den 13. September 1918. Aribert. (L. S.) Dr. von Laue.

[153] Abdankungserklamng des Prinzregenten Aribert vom 12. November 1918 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einfiihrungen" die Darstellungen unter [710.]. Quelle: Anhaltischer Staatsanzeiger, Dessauer Neueste Nachrichten, Dessau, Dienstag, 12. November 1918, S. 1 (gedruckt).

[S.l] An das anhaltische Volk! Um dem anhaltischen Volke den inneren Frieden zu erhalten und das offentliche Leben im Herzogtum | vor schwereren Erschiittemngen zu bewahren, habe Ich Mich entschlossen, fiir Seine Hoheit den Herzog Joachim Ernst | auf den Thron sowie fur das Herzogliche Haus auf das Thronfolgerecht zu verzichten und Meinerseits die | Regentschaft des Herzogtums niederzulegen. Geleitet von dem seit Eintritt Meiner Regentschaft bestatigten aufrichtigen Bestreben, die volkstumliche | Entwicklung der Staatsform im Herzogtum in ruhigen Bahnen zu fordem, richte Ich an das anhaltische Volk | die Bitte, daB jeder an seinem Platze und mit alien seinen Kraften bei der Aufrechterhaltung der Ordnung | auch weiterhin mitwirke, und entbinde die offentlichen Beamten von dem Meinem Hause geleisteten Treu= | gelobnisse, indem Ich sie ersuche, die tibrigen in ihrem Eide iibemommenen Pflichten auch in Zukunft gewissenhaft | zu erfullen. Moge die Neugestaltung der Verhaltnisse fiir das anhaltische Volk, dessen Geschicke mit denen Meines | Hauses seit altesten Zeiten verbunden waren, immerdar von Segen begleitet sein! Dessau, den 12. November 1918. Aribert. Dr. Gutknecht.

[154] Verordnung, betreffend die Auflosung des Landtags, vom 15. November 1918 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einfiihrungen" die Darstellungen unter [710.]. Quelle: Gesetzsammlung fiir das Herzogtum Anhalt, Nr, 1500 vom 16. November 1918, Bd. 21, 1919, S. 345 (gedruckt). [S. 345] (OffentHch bekannt gemacht und ausgegeben am 16. November 1918.) Verordnung, | betreffend die Auflosung des Landtags. | Vom 15. November 1918. Der Staatsrat fiir Anhalt verordnet, was folgt: Der Landtag wird hierdurch aufgelost. Dessau, den 15. November 1918. Der Staatsrat fiir Anhalt Heine, Vorsitzender. I Dr. Cohn. Deist. Hesse. Lux. Paulick. Voigt.

§ 9: Anhalt-Bernburg

[ 155] Landesherrliche Verordnung vom 12. Dezember 1832

1411

[155] ^Landesherrliche Verordnung, die hochste Installirung des Geheimen Conferenzraths betreffend", vom 12. Dezember 1832 Quelle: Gesetz-Sammlung ftir das Herzogthum Anhalt-Bemburg, Bd. 3 (enthaltend Regierungsgesetze, Zweite Abth. vom Jahre 1800-1832), Bemburg o. J., S. 758-760 (gedruckt). [S. 758] Landesherrliche Verordnung vom 12. December 1832, die hochste Installirung | des Geheimen Conferenzraths betreffend. Von Gottes Gnaden, Wir Alexius Friedrich Christian, | altestregierener Herzog zu Anhalt etc. etc., | fiigen hiermit zu wissen, daB Wir bei dem Bestreben, das Wohl des Landes und Unserer | getreuen Unterthanen immer mehr zu befordem, zu der EntschlieBung gekommen sind, eine | Behorde einzusetzen, welche einen Vereinigungspunkt der obem Staatsbehorden bilden, und | den Nahmen | Geheimer Conferenzrath | fiihren soil. Wir verordnen demnach Folgendes: §.1-

Der Geheime Conferenzrath ist von Uns zur berathenden Behorde bestimmt, und | nimmt unter den obem Landesbehorden die erste Stelle ein. [S. 759] §.2. Die Wirksamkeit desselben wird von Uns in Anspruch genommen: I. bei wichtigen Haus= und Staatsangelegenheiten, welche Wir zur Berathung und | Begutachtung an denselben bringen; II. bei Gegenstanden der Landesverwaltung, wo eine Vereinigung der Ansichten der | Landesbehorden, oder die Bearbeitung von Planen zu Verbesserungen erforderlich | wird. §.3. Der Geheime Conferenzrath ist befugt, mit den Landesbehorden schriftlich zu com= | municiren, und an Uns Vortrage und Berichte tiber Landesangelegenheiten, auch ohne | Aufforderung, zu erstatten. §.4. ^In besondem Fallen, wo Wir dem Geheimen Conferenzrath Anordnungen zu | treffen und Verfiigungen zu erlassen den Auftrag zu geben fiir gut finden, soil derselbe | bei jeder Ausfertigung tiber die gewohnliche Unterschrift seiner Mitglieder, „auf Befehl | des Herzogs," setzen, und Uns besonders verantwortlich sein. '^Der BeschluB des Ge= | heimen Conferenzrathes wird durch die Mehrheit der Stimmen gebildet. §.5. Der Geheime Conferenzrath soil bestehen: I. aus drei ordentlichen Mitgliedem und zwar aus dem jedesmaligen Prasidenten | Unserer Landesregierung, aus dem jedesmaligen Prasidenten Unserer Cammer und | aus einem weltlichen Staatsbeamten Unserer freien Wahl, IL aus Staatsbeamten, die Wir fur bestandig oder auf einige Zeit, oder ftir ein= | zelne Falle zu auBerordentlichen Mitgliedem emennen. Denselben steht jedoch nur | ein votum consultativum zu.

1412

§ 9: Anhalt-Bemburg

[Dok. 155 - 168]

Den Vorsitz werden Wir nach MaBgabe der Umstande einem der ordentlichen | Mitglieder tibertragen. §. 7.' Ftir jetzt haben Wir zu ordentlichen Mitgliedem bestimmt: den Regiemngs=Prasidenten von Kersten als Vorsitzenden, den Cammer^Prasidenten von Braun, und den Obristen von Sonnenberg.

Der Geheime Conferenzrath versammelt sich in Unserm Residenzschlosse zu Bem= | burg, Oder auf Unsere Anweisung da, wo Wir Unser Hoflager halten. Im Anfange jedes Monats wird eine, nach ErfordemiB aber auch mehrere | Sitzungen wahrend des Verlaufs eines Monats, gehalten. [S. 760] §.9. Der Geheime Conferenzrath tritt im ersten Monate des Jahres 1833 in Wirk= | samkeit. §. 10. Das ftir den Geheimen Conferenzrath nothige Hilfspersonal wird auf Antrag | des Prasidenten besonders bestimmt. §.11. SchlieBlich wollen Wir den Geheimen Conferenzrath als eine bleibende berathende | Behorde fiir Uns und Unsere Regierungsnachfolger zu den ausgewahlten wichtigen Zwecken | hierdurch bestimmt haben, Urkundlich haben Wir diese Landesherrliche Verordnung Hochsteigenhandig unter= | schrieben und mit Unserm Herzoglichen Siegel bedrucken lassen. Gegeben, Ballenstedt, am 12. December 1832. (L. S.) Alexius Friedrich Christian, Herzog zu Anhalt.

[156] „Landesherrliche Verordnung, den Geheimen Conferenzrath betreffend", vom 30. Marz 1834 Quelle: Gesetz-Sammlung fiir das Herzogthum Anhalt-Bemburg, Bd. 5 (enthaltend die gesetzlichen Verordnungen vom Marz 1834 - Ende 1838), Bemburg o. J., S. 2 (gedruckt). [S.2] Landesherrliche Verordnung, den Geheimen Conferenzrath betreffend, | vom 30. Marz 1834. Von Gottes Gnaden Wir, Alexander Carl, regierender Her= | zog zu Anhalt etc. etc. | thun kund und fiigen hiermit zu wissen: Von dem Wunsche beseelt, das Wohl des Landes und Unserer geliebten Unter= | thanen auf alle mogliche Weise zu fordem, und die Regierung im Geiste Unseres nun= | mehr in Gott ruhenden Herm Vaters Gnaden fortzufiihren, haben Wir die EntschlieBung | gefaBt,

[ 156] Landesherrliche Verordnung vom 30. Marz 1834

1413

dem von Hochdemselben unterm 12. December 1832^ als oberste Landesbehorde | eingesetzten Geheimen Conferenzrath einen umfassenderen Wirkungskreis zu geben, | und demgemaB folgendes zu verordnen fiir nothig gefunden: §•!• Der Wirkungskreis des Geheimen Conferenzrathes erstreckt sich nicht allein auf | die im 2. §. der Verordnung vom 12. December 1832** genannten Gegenstande und Falle, | sondem auf alle Haus=, Hof= und Staatsangelegenheiten und tiberhaupt auf die ge= | sammte Landesverwaltung. §.2. Ftir jetzt haben Wir wegen der vermehrten Geschafte die Anzahl der ordentlichen | Mitglieder auf flinfe erhohet, und wochentlich zwei regelmaBige Sitzungen, Montags und | Freitags, bestimmt. §.3. Alle an Uns gerichteten Sachen in den §.1. genannten Angelegenheiten werden | statt an die bisherige Geheime Kanzlei, deren Geschafte an den Geheimen Conferenzrath | tibergegangen sind, an den letztem abgegeben, und nach erfolgter Berathung in GemaB= | heit der speciellen Geschaftsinstruction, womit Wir den Geheimen Conferenzrath versehen | werden, Uns zur Entscheidung vorgetragen. §.4 Alle von Uns ausgehenden und mit Unserer Namensunterschrift versehenen Ge= | setze, Verordnungen und sonstige Verfugungen und Resolutionen sollen zum Beweise, daB | sie instmctionsmaBig berathen worden sind, und daB Uns dariiber pflichtmaBiger Vortrag | gemacht worden ist, mit der Contrasignatur von wenigstens drei ordentlichen Mitgliedem | des Geheimen Conferenzrathes versehen sein. §.5. Wir befehlen hierdurch, sich nach dieser Unserer Verordnung wegen des erweiter= | ten Wirkungskreises des Geheimen Conferenzrathes tiberall zu achten. Urkundlich unter Unserer Hochsteigenhandigen Unterschrift und beigedrucktem Her= | zoglichen Insiegel. Gegeben Bemburg, am 30. Marz 1834. (L. S.) Alexander Carl, Herzog zu Anhalt

Dok, 155. Dok. 155.

1414

§ 9: Anhalt-Bemburg

[Dok. 155 - 168]

[157] Patent wegen einer dem Herzogthum Anhalt-Bernburg zu verleihenden Verfassung vom 16. Marz 1848 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einfiihmngen" die Darstellung unter [639.]. Quelle: Gesetz-Sammlung fiir das Herzogthum Anhalt-Bemburg, Bd. 8 (enthaltend die gesetzlichen Verordnungen vom Jahre 1845 - Ende 1848), Bemburg o. J., S. 346 (gedruckt). [S.346] Von Gottes Gnaden, | Wir Alexander Carl, [ regierender Herzog zu Anhalt, Herzog zu Sachsen, Engem und | Westphalen, Graf zu Askanien, Herr zu Bemburg und Zerbst etc. etc., I thun hiermit kund und fiigen zu wissen: Wenn Wir gleich des festen Vertrauens sind, daB Unsere getreuen Unter= | thanen an Unserer Absicht, Unserm Lande eine den Bediirfhissen der Zeit entspre= | chende Landstandische Verfassung zu ertheilen nie gezweifelt haben, so wollen Wir | doch, um alle Bedenken, welche aus der „Nachtraglichen Bekanntmachung" Unsers | Herm Vetters, des altestregierenden Herzogs zu Anhalt=Dessau Liebden, vom 14. | d. M. dieserhalb entstehen konnten, zu beseitigen, Unsem Unterthanen hiermit die | Versichemng geben, daB Wir des Vorsatzes sind, Unserm Lande eine von der be= | stehenden Anhaltischen Gesammtlandschaft unabhangige Verfassung zu verleihen. Wir werden mit den Vorarbeiten dazu ungesaumt beginnen lassen, ver= | sichem Unsem getreuen Unterthanen, daB lediglich das gelauterte und wohlverstan= | dene BediirfniB der Zeit Uns dabei leiten wird, und daB Wir den Entwurf zu der | neuen Verfassungsurkunde vorher mit den Standen Unsers Herzogthums berathen | lassen werden. Bemburg, den 16. Marz 1848. Alexander Carl, Herzog zu Anhalt. V. Kersten. v. Braun. Frhr. v. Salmuth. v. Krosigk.

[158] Landesherrliche Verordnung, die Aufhebung des Geheimen Conferenzrathes und die Bildung eines Staatsministeriums betreffend, vom 24. Juli 1848 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einfiihmngen" die Darstellung unter [642.]. Quelle: Gesetz-Sammlung fur das Herzogthum Anhalt-Bemburg, Bd. 8 (enthaltend die gesetzhchen Verordnungen vom Jahre 1845 -Ende 1848), Bemburg o. J., S. 407-408 (gedmckt). [S. 407] Landesherrliche Verordnung, | die Auflosung des Geheimen Conferenzrathes und die Bildung eines | Staatsministeriums betreffend, | vom 24. Julius 1848. Wir, Alexander Carl, von Gottes Gnaden, | regierender Herzog zu Anhalt etc. etc., | haben Uns veranlaBt gefunden, Unsem Geheimen Conferenzrath, wie hiermit ge= | schiehet, aufzulosen, und | ein Staatsministerium | einzusetzen. | DemgemaB verordnen Wir was folgt: §.1. Das Staatsministerium vereinigt in sich die oberste Leitung aller Zweige | der gesammten Staatsverwaltung, sowohl der innem als auBem Angelegenheiten, | und tibt als landesherrliches Organ die dirigirende, verfiigende und oberaufsehende | Gewalt aus.

[159] Bekanntmachung vom 14. Dezember 1848

1415

§•2. ^Alle Landes=Beh6rden haben demselben als der ihnen vorgesetzten obersten | Landesbehorde schuldige Folge zu leisten. "^Auch haben dieselben in alien Fallen, in | welchen sie bisher ihre Berichte und Eingaben unmittelbar an Uns gelangen lieBen, | an das Staatsministerium zu richten, und von diesem, nach erfolgtem Vortrage | an Uns, Resolution zu erwarten. ^In minder wichtigen Angelegenheiten ist jedoch | das Staatsministerium befiigt, sofort selbststandige Verfugungen zu treffen. §•3. Alle von Uns in Regiemngs=Angelegenheiten zu erlassenden Verordnungen | und Verfugungen sind von wenigstens Einem Mitgliede des Staatsministeriums | mit Gegenzeichnung zu versehen. §.4. Das Staatsministerium ist verantwortlich, und es wird wegen dieser seiner | Verantwortlichkeit der ErlaB eines besondem Gesetzes vorbehalten. §.5. Diejenigen Mitglieder des aufgelosten Geheimen Conferenzrathes, welche in | das Staatsministerium iibertreten, scheiden aus den Landes=Collegien, in welchen | sie bisher fungirten, aus, und konnen, so lange sie Mitglieder des Staatsmini= | steriums sind, nicht wieder in dieselben eintreten. [S. 408] §.6. Die gegenwartige Verordnung tritt mit dem Tage ihrer Publication in | Wirksamkeit. Urkundlich unter Unserer eigenhandigen Unterschrift und beigedrucktem Her= | zoglichen Insiegel. Alexisbad, am 24. Julius 1848. Alexander Carl, Herzog zu Anhalt. | (L. S.) V. Kersten. v. Braun. Frhr. v. Salmuth. v. Krosigk.

[159] Bekanntmachung in Betreff des Landesverfassungsgesetzes vom 14. Dezember 1848 Quelle: Gesetz-Sammlung fiir das Herzogthum Anhalt-Bemburg, Bd. 8 (enthaltend die gesetzHchen Verordnungen vom Jahre 1845 -Ende 1848), Bemburg o. J., S. 495-496 (gedruckt). [S. 495] Bekanntmachung | in Betreff des Landesverfassungs=Gesetzes, | vom 14. December 1848. Wir, Alexander Carl, von Gottes Gnaden, | regierender Herzog zu Anhalt etc. etc. | fiigen hiermit zu wissen: Nachdem Wir den unter dem 25. Juni dieses Jahres | veroffentlichten Entwurf zum Landesverfassungsgesetze der zu dessen Berathung be= | rufenen Versammlung der Volksvertreter hatten vorlegen lassen, hat dieselbe einen | andem Entwurf dazu ausgearbeitet. Es haben dariiber Verhandlungen zwischen | dem Landtage und Unserm Ministerium stattgefunden, worauf Uns dieser Entwurf | zur Ertheilung Unserer Sanction tiberreicht worden ist.

1416

§ 9: Anhalt-Bemburg

[Dok. 155 - 168]

Wir hatten denselben erwogen, muBten aber zu Unserm Bedauem Bedenken | tragen, alle darin enthaltenen Bestimmungen zu sanctioniren. Der Landtag hat sich inzwischen durch einen am 29. vorigen Monats, | Unsere Ehre und Wiirde tief verletzenden BeschluB ganz auBer Stand gesetzt, liber | das Verfassungswerk femer mit Uns zu verhandeln. Wir haben bei dieser Lage | der Sache, und um den Staatsangehorigen die Vortheile, welche eine wahrhaft | zeitgemaBe constitutionelle Verfassung ihnen gewahrt, bald zu verschaffen, und um | sie uber die ktinftige Gestaltung der Verhaltnisse des Herzogthumes sofort zu be= | ruhigen, beschlossen, nach den mit dem Landtage stattgefundenen Berathungen und | Vereinbamngen mit den fur nothig erachteten Abanderungen und Modificationen, | beziehentlich nach den Beschltissen der Deutschen National=Versammlung ein Landes= | verfassungsgesetz far das Herzogthum zu erlassen, welches unterm heutigen Tage | promulgirt werden soil. Wir wollen, daB dieses Landesverfassungsgesetz auf dem nachsten ordentlichen | Landtage einer Revision unterworfen werde, und werden Wir gem die Hand dazu | bieten, dabei alle zulassigen und dem wahren Wohle des Landes zutraglichen Ver= | besserungen eintreten zu lassen. Die Staatsangehorigen werden aus dem Inhalte des gedachten Gesetzes | entnehmen, daB ihnen die verheiBenen Rechte und Freiheiten vollstandig gewahrt | worden sind. Wir werden Unser unablassiges Streben dahin gerichtet sein lassen, | daB sie der Segnungen der Verfassung durch die aus derselben hervorgehenden neuen | organischen Einrichtungen und durch die Erlassung der darin verheiBenen neuen | Gesetze baldigst theilhaftig werden; und haben das Vertrauen, daB alle Bewohner | des Herzogthumes, von denen Wir auch in der letzten Zeit so viele, von Uns mit | [S. 496] dankbarem Herzen erkannte, Beweise von Anhanglichkeit erhalten haben, in ihrer | alten bewahrten Treue beharren werden. Wir erwarten aber auch, daB von jetzt | an Ruhe, Ordnung und Gesetzlichkeit da, wo sie gestort waren, in vollem MaBe | wiederkehren werden und haben Unsere Behorden angewiesen, darauf mit alien dem | Staate zu Gebote stehenden Mitteln kraftig hinzuwirken. Da die Wirksamkeit des Landtags nach der von Uns tiber die Sanction | der Verfassung gefaBten BeschluBnahme aufgehort hat, so haben Wir den SchluB | seiner Verhandlungen unter heutigem Tage angeordnet, zugleich aber wegen baldiger | Einbemfiing eines neuen ordentlichen Landtages die nothigen Befehle erlassen. Ballenstedt, am 14. December 1848. Alexander Carl, Herzog zu Anhalt. | (L. S.) V. Krosigk.

[160] Landesverfassungsgesetz (Oktroyierte Verfassung) fur das Herzogtum Anhalt-Bernburg vom 14. Dezember 1848 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einfuhrungen" die Darstellungen unter [611.], [655.] bis [662.]. Quelle: Gesetz-Sammlung ftir das Herzogthum Anhalt-Bemburg, Bd. 8 (enthaltend die gesetzlichen Verordnungen vom Jahre 1845 -Ende 1848), Bemburg o. J., S. 4 7 4 - 4 9 0 (gedruckt). [S. 474] Landesverfassungsgesetz far das Herzogthum | Anhalt=Bemburg. | vom 14. December 1848. Wir, Alexander Carl, von Gottes Gnaden, | regierender Herzog zu Anhalt etc. etc., | thun kund und fugen hiermit zu wissen:

[160] Landesverfassungsgesetz vom 14. Dezember 1848

1417

In GemaBheit der Patente vom 16.^ und 24. Marz d. J, haben Wir das | nachstehende Landesverfassungsgesetz nach Berathung mit den auf Gmnd der Ver= | ordnung vom 3. April d. J. gewahlten und von Uns zusammenberufenen Volks= | vertretem erlassen und dartiber gegenwartige Urkunde errichtet: [S. 475] Tit. I. I Vom Staatsgebiete. §.1. Das Herzogthum Anhalt=Bemburg bildet bis zu seiner Wiederver= | einigung mit den andem Anhaltischen Landen einen untheilbaren, unter dem gegen= | wartigen Verfassungsgesetze vereinigten Staat des deutschen Reichs, §.2 Das Staatsgebiet darf ohne Zustimmung des Landtags nicht ver= | andert werden. Geringftigige Berichtigungen streitiger Landesgrenzen begrtinden hiervon eine | Ausnahme, vorausgesetzt, daB dabei nicht Wohnsitze von Staatsangehorigen an den | betheiligten Nachbarstaat abgetreten werden. Die Recesse tiber Grenzberichtigungen sind dem Landtage zur Genehmigung | vorzulegen. Tit. II. I Von den Grundrechten der Staatsangehorigen. §.3. Das Staatsburgerrecht wird unter den im Gesetze aufgestellten Be= | dingungen erworben und verloren. §• 4. ^Vor dem Gesetze gilt kein Unterschied der Stande. '^Alle Standes= | rechte sind aufgehoben. ^Der Adel als Stand ist abgeschafft. "^Alle Titel, insoweit | sie nicht mit einem Amte verbunden sind, sind aufgehoben und dtirfen nie wieder | eingefuhrt werden. Die offentlichen Aemter sind fur alle Befahigten gleich zuganglich. Kein Staatsangehoriger darf von einem auswartigen Staate einen Orden | annehmen. §.5. ^Die Freiheit der Person ist unverletzlich. "^Die Verhaftung einer | Person soil, auBer im Falle der Ergreifung auf frischer That, nur geschehen in | Kraft eines richterlichen, mit Grtinden versehenen Befehls. ^Dieser Befehl muB im | Augenblicke der Verhaftung oder innerhalb der nachsten 24 Stunden dem Verhaf= | teten zugestellt werden. ^Die Polizeibehorde muB Jeden, den sie in Verwahrung genommen hat, im | Laufe des folgenden Tages entweder freilassen, oder der richterlichen Behorden tiber= | geben. "^Jeder Angeschuldigte soil gegen Stellung einer vom Gerichte zu bestimmen= | den Caution oder Btirgschaft der Haft entlassen werden, sofem nicht dringende | Anzeigen eines schweren peinlichen Verbrechens gegen denselben vorliegen. ^Im Falle | einer widerrechtlich verfligten oder verlangerten Gefangenschaft ist der Schuldige | und nothigenfalls der Staat dem Verletzten zur Genugthuung und Entschadigung | verpflichtet. [S. 476] Die fiir das Militair erforderlichen Modificationen dieser Bestimmungen | werden besondem Gesetzen vorbehalten.

Dok. 157.

1418

§ 9: Anhalt-Bemburg

[Dok. 155 - 168]

^Die Wohnung ist unverletzlich. "^Eine Haussuchung ist nur zulassig, 1) in Kraft eines richterlichen mit Grtinden versehenen Befehls, welcher sofort | oder innerhalb der nachsten 24 Stunden dem Betheiligten zugestellt wer= | den soil; 2) im Falle der Verfolgung auf frischer That durch den gesetzlich berechtigten | Beamten; 3) in Fallen und Formen, in welchen das Gesetz ausnahmsweise bestimmten | Beamten auch ohne richterlichen Befehl dieselbe gestattet. Die Haus= | suchung muB, wenn thunlich, mit Zuziehung der Hausgenossen erfolgen. Die Unverletzlichkeit der Wohnung ist kein HindemiB der Verhaftung eines | gerichtlich Verfolgten. §.7. ^Niemand darf seinem gesetzlichen Richter entzogen werden. ^Aus== | nahme=Gerichte und auBerordentliche Commissionen sind unstatthaft. ^Strafen dtirfen | nur in GemaBheit eines Gesetzes angedroht oder verhangt werden. §.8. ^Jeder hat das Recht, durch Wort, Schrift, Drack und bildliche | Darstellung seine Meinung frei zu auBem. "^Die PreBfreiheit darf unter keinen Um= | standen und in keiner Weise durch vorbeugende MaBregeln, namentlich Censur, Con= | cessionen, Sicherheitsbestellungen, Staatsauflagen, Beschrankungen der Druckereien | oder des Buchhandels, Postverbote oder andere Hemmungen des freien Verkehrs | beschrankt, suspendirt oder aufgehoben werden. ^Es darf nichts gedruckt werden ohne offentliche Angabe von des Druckers | wahrem Namen. "^MiBbrauch der Rede= und PreBfreiheit unterliegt bis zum Ei= | scheinen eines ReichspreBgesetzes den allgemeinen Strafgesetzen, und die Verantwort= | lichkeit trifft nach der Reihe den Verfasser, Herausgeber, Verleger und Drucker, | so daB die Bestrafung des Vorangehenden die Folgenden befreiet.

^Alle Staatsbiirger haben das Recht, sich sowohl in geschlossenen | Raumen, als im Freien friedlich und ohne Waffen zu versammeln. ^Es bedarf da= | zu keiner besondem obrigkeitlichen ErlaubniB, jedoch sind bis zum Erlasse weiterer | gesetzlicher Bestimmungen Versammlungen im Freien der Ortspolizei 24 Stunden | vorher anzuzeigen. §. 10. Alle Staatsangehorige haben das Recht, sich zu solchen Zwecken, | welche den Strafgesetzen nicht zuwiderlaufen, in Gesellschaften zu vereinigen. §.11. ^Es haben sowohl Einzelne als Mehrere in Vereinigung das Recht, | Bittschriften und Beschwerden an die Staatsregierung oder an den Landtag zu | richten. ^Petitionen unter einem Gesammt=Namen konnen nur von Behorden und | Corporationen ausgehen. [S. 477] ^Jeder hat das Recht, Beschwerden iiber gesetzwidriges Verfahren der Ver= | waltungsbeamten nach vergeblichem Anruf der vorgesetzten Behorden bei dem Land= | tage anzubringen. "^Abschlagige Antworten der Verwaltungsbehorden miissen mit 1 Grtinden versehen

[160] Landesverfassungsgesetz vom 14„ Dezember 1848

1419

§.12. ^Das BriefgeheimniB ist gewahrleistet. ^Die bei strafgerichtlichen | Untersuchungen und in Kriegsfallen notwendigen Beschrankungen sind durch die | Gesetzgebung festzustellen. Die Beschlagnahme von Brief en und Papieren darf, auBer bei einer Ver= | haftung oder Haussuchung, nur in Kraft eines richterlichen mit Grtinden ver= | sehenen Befehls vorgenommen werden, welcher sofort oder innerhalb der nachsten | 24 Stunden dem Betheiligten zugestellt werden soil. §. 13. Die Todesstrafe, ausgenommen wo das Kriegsrecht sie vorschreibt, | so wie die Strafen des Prangers, der Brandmarkung und der korperlichen Zuch= | tigung sind abgeschafft. §. 14. Die Strafe der Gtitereinziehung fmdet nicht mehr Statt. §. 15, ^Jedem Staatsbtirger steht das Recht der Auswandemng zu. •^Ab^ 1 zugsgelder dtirfen nicht mehr erhoben werden. §. 16. Jeder hat voile Glaubens= und Gewissensfreiheit und ist unbe= | schrankt in der gemeinsamen hauslichen und offentlichen Uebung seiner Religion. ^Vergehen, welche bei Ausiibung des Cultus vorkommen, unterliegen den | allgemeinen Strafgesetzen. '^Religionsgesellschaften bedtirfen keiner Anerkennung durch | den Staat. ^Das Kirchenpatronat hort auf "^Die Folgen der Aufhebung regelt | ein Gesetz. §.17. ^Durch das religiose BekenntniB wird der GenuB der btirgerlichen | und staatsbtirgerlichen Rechte weder bedingt noch beschrankt. ^Den staatsbtirger= | lichen Pflichten darf dasselbe keinen Abbruch thun. §.18. Jede Religionsgesellschaft ist als solche unabhangig von der Staats= | gewalt, ordnet und verwaltet ihre Angelegenheiten selbststandig, bleibt aber, wie | jede andere Gesellschaft im Staate, den Staatsgesetzen unterworfen. ^Jede Religionsgesellschaft bleibt im Besitze und Genusse der fur ihre Cul= | tus=, Unterrichts= und Wohlthatigkeits=Zwecke bestimmten Anstalten, Stiftungen | und Fonds. ^Zur Ordnung der kirchlichen Verhaltnisse sollen Kirchen=Gemeinde= | vertreter gewahlt werden. §.19. Keine Religionsgesellschaft genieBt vor andem Vorrechte durch den | Staat; es besteht femerhin keine Staatskirche. [S. 478] §. 20. ^Der Orden der Jesuiten, Ligorianer und Redemptoristen ist auf | alle Zeit aus Anhalt=Bemburg verbannt. ^Die Errichtung von Klostem ist nicht | gestattet.

1420

§ 9: Anhalt-Bemburg

[Dok. 155 - 168]

§.21. ^Niemand soil zu einer kirchlichen Handlung oder Feierlichkeit ge= | zwungen werden. ^Die Form des Eides soil fiir Alle gleichmaBig und an kein be= | stimmtes religioses BekeimtniB gebunden sein. •

§. 2 2 ,

^Die btirgerliche Gultigkeit der Ehe ist nur von der Vollziehung | des Civilacts abhangig. ^Die kirchliche Trauung kann erst nach Vollziehung des= | selben Statt finden. Die Religionsverschiedenheit ist kein biirgerliches EhehindemiB. Die Standesbticher sind von den bijrgerlichen Behorden zu fuhren. §. 23. Die Wissenschaft und ihre Lehre sind frei. Jeder als qualificirt Anerkannte kann Unterricht ertheilen und Unterrichts= | anstalten grunden. Es steht einem Jeden frei, seinen Beruf zu wahlen und sich fur denselben | auszubilden, wie und wo er will. Dem Unterrichte in den Elementargegenstanden darf kein Kind entzogen | werden. §.24. Die Schule ist Staatsanstalt und von der Aufsicht der Kirche | befreit; dagegen bleibt der Religionsunterricht der Kirche tiberlassen. §.25. Alle die Volksbildung und den Lehrerstand betreffende wesentliche | Gesetze werden von einer, von dem gesammten Lehrerstande des Landes zu erwah= | lenden Deputation berathen, dem Befinden nach entworfen und insofem und inso= | weit der Entwurf von der Staatsregierung gebilligt wird, von dieser dem Land= | tage vorgelegt. §.26. ^In den Volks= und niedem Gewerbsschulen wird der Unterricht | unentgeltlich ertheilt. ^Unbemittelte von der nothigen Befahigung sollen denselben | auch auf hohem Bildungsanstalten des Landes kostenfrei genieBen. §.27. ^Das Schulvermogen ist fortan vom Kirchenvermogen zu trennen | und unterliegt einer besondem Verwaltung. "^Zum Schulvermogen sind auch sammt= | liche bisherige Leistungen der Kirche ftir Schulzwecke zu rechnen. Den nothigen ZuschuB zum Aufwande fur das Unterrichtswesen beschafft | der Staat. §.28. Ein neues Gesetz hat das ganze Unterrichtswesen auf Grund vor= | stehender Bestimmungen zu regeln. [S. 479] Grundsatzlich soil hierbei eine der Freiheit entsprechende Bildung des Volkes | und eine der Wtirde des Lehrerstandes entsprechende Stellung der Lehrer erzielt | werden und deshalb Lehrer als solche vom Kirchendienste befreiet sein.

[160] Landesverfassungsgesetz vom 14. Dezember 1848

1421

§.29. ^Alle Gerichtsbarkeit geht vom Staate aus. ^Die Patrimonialge= | richte werden aufgehoben, und zwar ohne Eritschadigung. ^Inwiefem die Beamten | auf den Staat tibergehen, wird durch ein Gesetz bestimmt. §. 30, Es soil fur Personen und Sachen keinen befreiten Gerichtsstand | mehr geben. §.31. Die Gerichte sind innerhalb ihrer Zustandigkeit vollig unabhangig. Die Richter konnen nur durch Urtel und Recht in den gesetzlich bestimmten | Fallen ihres Amtes entsetzt, zeitweise enthoben und unfreiwillig versetzt werden. Versetzungen in Folge einer Reorganisation der Gerichte sind ausgenommen. Auch die Versetzung in den Ruhestand darf nur in Folge eines vom obem | Justiz=Collegium des Landes abgegebenen Ausspruchs tiber die eingetretene Unfahig= | keit des Richters zur femem Versehung des Amtes geschehen. Kabinets= und Ministerialjustiz darf nicht geiibt werden. §.32. Der Richter darf kein anderes Staatsamt verwalten und weder | Orden noch Gratificationen annehmen, §. 33. Das Gerichtsverfahren soil offentlich und mtindlich sein. Die Oeffentlichkeit der Gerichtsverhandlungen kann, sobald sie der Ordnung | oder den guten Sitten Gefahr drohet, durch richterliches Urtheil ausgeschlossen werden. Alle Erkenntnisse mtissen mit Gninden versehen und offentlich verktindigt | werden. §.34. In Strafsachen gilt der AnklageproceB. Ftir peinliche Falle, politische Vergehen und solche PreBvergehen, welche | von Amtswegen verfolgt werden, werden Schwurgerichte eingefiihrt. §.35. Zu Austibung der biirgerlichen Rechtspflege sollen in Sachen be= | sonderer Berufserfahrung sachverstandige Manner aus dem Volke mitwirkend zuge= | zogen und an denjenigen Orten, wo es das BedtirfniB erfordert, bleibende Handels=, | Fabrik= und Landwirthschaftsgerichte eingerichtet werden. §.36. Es werden Schiedsgerichte eingefahrt. §.37. Die Rechtspflege wird von der Verwaltung getrennt. ^Die Verwaltungsrechtspflege hort auf. ^Ueber alle Rechtsverletzungen ent= | scheiden die Gerichte. Es werden Notariate eingefiihrt. [S. 480] ^Ob sich eine Sache zum Gerichtsverfahren eigne, wird durch die zustandi= | gen Gerichte im gewohnlichen Instanzenzuge entschieden. ^Streitigkeiten zwischen | Verwal-

1422

§ 9: Anhalt-Bemburg

[Dok. 155 - 168]

turigs= und Justizbehorden iiber ihre Competenz werden durch das hohere | Gericht in gleicher Weise entschieden. §.38. ^Die Wehrpflicht ist ftir alle Staatsbtirger gleich. '^Stellvertretung | findet nicht Statt. Auf das Militar finden die in den §§. 5, 9 und 10 enthaltenen Bestim= | mungen nur insoweit Anwendung, als die militarischen Disciplinarvorschriften nicht | entgegenstehen. Neben dem stehenden Militar besteht das Institut der Volkswehr mit dem | Rechte zur Selbstwahl seiner Officiers, dessen Bemf Schutz der Verfassung und | Aufrechthaltung der gesetzlichen Ordnung ist. Das stehende Militar ist im Kriege und wegen Dienstvergehen der Militar= | strafgerichtsbarkeit und den Militarstrafgesetzen unterworfen. Das stehende Militar darf nicht berathschlagen. §.39. Das Eigenthum ist unverletzlich. Eine Enteignung kann nur aus Riicksichten auf das gemeine Beste, nur | auf Grund des Gesetzes und nach gerechter Entschadigung vorgenommen werden. §.40. Das Eigenthumsrecht an Erzeugnissen der Literatur und Kunst | wird jedem Autor auf Lebenszeit und 30 Jahre lang nach seinem Tode dessen | Erben gewahrleistet. Nachdruck und alle andem unrechtmaBigen Vervielfaltigungen sind strafge= | setzlich zu beurtheilen. §.41. Quellen, Bache, nicht schiffbare Fltisse und stehende Gewasser wer= | den nach Privatrecht besessen, mit Vorbehalt des Rechts der Wasserbenutzung zu | industriellen Zwecken. Schiffbare Gewasser sind Staatseigenthum. Die Fischerei gehort dem Eigenthtimer des Wassers. Haben die Ufer verschiedene Eigenthtimer, so fischen dieselben gemeinschaftlich. Wo bisherige Ansprtiche diesen Bestimmungen riicksichtlich der Fischerei ent= | gegentreten, da sind dieselben ohne Entschadigung aufgehoben. §.42. Die Jagdgerechtigkeit auf fremdem Grund und Boden, Jagddienste, | Jagdfrohnden und andere Leistungen fur Jagdzwecke sind ohne Entschadigung auf= | gehoben. Jedem steht das Jagdrecht auf eigenem Grund und Boden zu. Die Gesetzgebung wird die Austibung desselben regeln. Wo bisherige Ansuche diesen Bestimmungen entgegentreten, da sind die= | selben ohne Entschadigung aufgehoben. [S. 481] §.43. Das Bergregal beschrankt sich auf diejenigen Fossilien, aus denen | Metalle gewonnen werden, sowie auf Steinkohlen und Salz. ^Alle tibrigen Fossilien, namentlich auch Braunkohlen, sind Privateigenthum. | ^Ihr Betrieb unterliegt jedoch den gesetzlichen Bestimmungen. ^Dem Eigenthtimer | des Grund und Bodens muB ein bestimmter Antheil am Reingewinne der Berg= | und Salzwerke gewahrt werden. Das Weitere bestimmt eine neue Bergordnung.

[160] Landesverfassungsgesetz vom 14. Dezember 1848

1423

§. 44. ^Das Recht des Staates auf Nutzung des Holzaufschlags auf | fremden Grundstticken ist aufgehoben. "^Die staatliche Aufsicht iiber Privatwaldungen | findet fortan nicht mehr Statt. . §.45. Ein Unterthanigkeits= und Horigkeits=Verband findet nicht Statt. Ohne Entschadigung sind aufgehoben: 1) die gewissen Grundstucken zustehenden Hoheitsrechte; wogegen die Lasten | und Leistungen wegfallen, welche den bisher Berechtigten in den obigen | Beziehungen oblagen; 2) die aus diesen Befugnissen aus der Schutzherrlichkeit und der friiheren | Erbunterthanigkeit herstammenden personlichen Leistungen und Abgaben. §.46. Alle iibrigen, auf Grund und Boden haflenden Abgaben und Lei= | stungen sind ablosbar, ohne Rticksicht auf die Person und das VerhaltniB des Be= | rechtigten oder des Verpflichteten, insofem die Gesetzgebung nicht die unentgeldliche | Aufhebung einer oder der andem begriindet. Es soil fortan kein Grundstiick mit einer unablosbaren Rente in irgend | einer Art belastet werden. §.47. Aller Lehnsverband hort auf ^Die Errichtung neuer Familien=Fidei=Commisse, Majorate, Seniorate und | Minorate ist untersagt. ^Bestehende Stiftungen dieser Art sind aufgehoben. Vorstehende Bestimmungen finden auf das Stammgut und Familien=Fidei=ConimiB des Herzogl. Hauses keine Anwendung. Sind mit einer solchen Stiftung Wohlthatigkeitsanstalten verbunden, so | sind dieselben bei der Aufhebung der Stiftung abzusondem oder zu entschadigen. ^Die Art und Weise, sowie die Bedingungen der Auflosung des Lehnsver== | bandes und der Familien=Fidei=Conimisse u. s. w., sowie auch die Entschadigung, | werden in einem besondem Gesetze geregelt. ^Die Theilbarkeit des Grund=Eigen= | thums wird gewahrleistet. §. 48. ^Alle Staatsangehorige sind verbunden, zur Aufbringung des Staats= | bedarfs nach dem MaaBe ihrer Steuerkraft beizutragen. ^Steuerfreiheit und Steuer= | vorrechte sind aufgehoben. ^Es wird eine, nach dem Besitze und nach dem Einkom= | [S. 482] men der Staatsangehorigen gleichmaBig geregelte Vertheilung der zur Aufbringung | des Staatsbedarfs nothwendigen Lasten und Steuem eintreten. §.49. Es wird eine freie Gemeinde=Verfassung gewahrt mit folgenden | Grundrechten der Gemeinden: a) Wahl ihrer Beamten und Vertreter, b) selbststandige Verwaltung ihrer Gemeindeangelegenheiten mit EinschluB der | Polizei, c) Veroffentlichung des Gemeindehaushalts, d) OeffentHchkeit der Verhandlungen, e) Verwaltung der Armenpflege, f) allgemeine Btirgerwehr.

1424

§ 9: Anhalt-Bemburg

[Dok. 155 - 168]

§.50. Jedes Grundstuck muB einem Gemeindeverbande angehoren, Tit, III. I Von der Volksvertretung. §.5L Die Gesammtheit der Staatsangehorigen wird in Einer Kammer | durch Abgeordnete vertreten, welche nach MaaBgabe des dieser Verfassung beige= | fugten Wahlgesetzes gewahlt werden. Ihre Versammlung bildet nach erfolgtem Zusammentritt den Landtag des | Herzogthums. Sammtliche neu eintretende Abgeordnete leisten folgendes, vom Herzogl. | Commissar entgegen zu nehmendes AngelobniB: Ich gelobe, daB ich die Staats=Verfassung treu bewahren und in der Abge= | ordneten=Versammlung das Wohl des gesammten Vaterlandes, des Herzogs, | wie des Volkes, nach meinem besten Wissen und Gewissen bei alien meinen | Antragen und Abstimmungen vor Augen haben will. §. 52. Jeder Abgeordnete ist Vertreter der Gesammtheit der Staatsan= | gehorigen, nicht einzelner Landestheile oder Volksclassen. §.53. Die Abgeordneten konnen ihr Stimmrecht nur personlich ausiiben. Sie sind von Auftragen und Instructionen ihrer Wahler unabhangig und | fur den Inhalt ihrer freien Abstimmung nicht verantwortlich. §.54. Beamte bedtirfen keines Urlaubs zum Eintritte in den Landtag. §.55. Dem Landtage allein steht die Entscheidung liber die Gtiltigkeit | der Wahlen zu. §.56. Die Landtagsverhandlungen werden durch eine Geschafts=Ordnung | geregelt, welche der Sanction des Staatsoberhaupts bedarf. [S. 483] §.57. ^Die Sitzungen des Landtags sind offentlich und die Verhand= | lungen mtissen durch den Druck bekannt gemacht werden. ^Ausnahmen von dieser | Regel konnen nur auf BeschluB des Landtags stattfinden, §.58. Der Herzog ordnet mit Bestimmung der Zeit und des Ortes die | Zusammenkunft der Abgeordneten an, so oft er solches zur Erledigung wichtiger | und dringender Landesangelegenheiten fur nothig erachtet. RegelmaBig muB diese Zusammenberufiing alle Jahre erfolgen und zwar | zum 15, October. Geschieht dieses nicht, so tritt der Landtag am 1. November gesetzlich aus | eigener Machtvollkommenheit zusammen.

[160] Landesverfassungsgesetz vom 14. Dezember 1848

1425

Das Ableben des Herzogs verpflichtet die Abgeordneten, resp. deren Stell= | vertreter, zum sofortigen Zusammentritt in der Hauptstadt. §.59. Die Wahlen der Abgeordneten geschehen auf die Zeit von drei | Jahren. Nach Ablauf dieses Zeitraumes finden neue Wahlen statt, bei denen jedoch | die abgehenden Volksvertreter wieder gewahlt werden konnen, Die Abgeordneten, sowie deren Stellvertreter, verlieren diese ihre Eigenschaft, 1) wenn Umstande eintreten, welche Wahlbarkeit verhindert haben | wtirden, 2) wenn ihnen Staatsamter tibertragen oder sie im Staatsdienste befor= | dert werden; 3) wenn sie ihr Mandat aus eigenem Antriebe niederlegen; 4) wenn der Herzog den Landtag auflost. In den letzten drei Fallen dtirfen sie von Neuem gewahlt werden. §.60. ^Im Falle der Auflosung des Landtags muB ein neuer binnen spa= 1 testens 60 Tagen einberufen werden, widrigenfalls die Neugewahlten, oder wenn | eine neue Wahl nicht stattgefunden hat, die friiheren Abgeordneten aus eigener | Machtvollkommenheit zusammentreten. "^Auch muB bei Auflosung des Landtags die | Urkunde zugleich die neuen Wahlen anordnen. §.61. Ein Abgeordneter darf vom Augenblicke der auf ihn gefallenen | Wahl, ein Stellvertreter vom Augenblicke, wo das Mandat seines Vorgangers er= | lischt, wahrend der Dauer des Landtags ohne Zustimmung der Versammlung weder | verhaftet noch in strafrechtliche Untersuchung gezogen werden, mit alleiniger Aus= | nahme der Ergreifung auf frischer That. ^In diesem letzten Falle ist der Versammlung von der getroffenen MaaB= | regel sofort KenntniB zu geben, und es steht ihr zu, liber die Entlassung des Be= | theiligten aus der Haft oder Untersuchung bis zum Schlusse des Landtags zu ent= | scheiden. "^Dieselbe BefugniB steht der Versammlung in Betreff einer Verhaftung | [S. 484] oder Untersuchung zu, welche liber einen Abgeordneten zur Zeit seiner Wahl bereits | verhangt gewesen ist. §.62. Kein Abgeordneter darf zu irgend einer Zeit wegen seiner Abstim= | mung in der Versammlung oder wegen der bei Austibung seines Bemfs gethanen | AeuBerungen gerichtlich verfolgt oder sonst auBerhalb zur Verantwortung gezogen | werden, wenn nicht der Fall unter den Gesichtspunct einer Injurie, Verlaumdung | oder eines in den Gesetzen mit Strafe bedroheten sonstigen Vergehens fallt. §. 63. Das Staatsministerium hat Zutritt zu den Landtagsverhandlungen; | es muB auf sein Verlangen mit selbststandigen Antragen und sonst mit Bemer= | kungen jeder Zeit gehort werden. Ein Stimmrecht haben die Mitglieder desselben nur dann, wenn sie zugleich | Landtags=Abgeordnete sind. §••64. Das Staatsministerium ist berechtigt, zu seiner Vertretung bei den | Landtagssitzungen Commissarien abzuordnen, welchen dann dieselben Befugnisse wie | jenen zustehen. Die Minister sind fur ihre Vertreter verantwortlich.

1426

§ 9: Anhalt-Bemburg

[Dok. 155 - 168]

§.65. Der Landtag ist berechtigt, beztiglich der ihm vorliegenden Arbeiten | die zweckdienlichen Aufklarungen von den Mitgliedem des Staatsministeriums oder | deren Commissarien einzuholen. §• ^6. Der Landtag kann nur dann Beschliisse fassen, wenn zwei Drit= | theile seiner Mitglieder versammelt sind. Der BeschluB wird regelmaBig durch absolute Stimmenmehrheit festgesetzt, | und die Abstimmung muB durch Namensaufmf geschehen, sobald ein Mitglied darauf 1 antragt und dieser Antrag gehorig unterstiitzt wird. Geheimes Abstimmen ist nicht erlaubt. ^Tritt Stimmengleichheit ein, so kann auf nochmalige Abstimmung ange= | tragen werden. ^Bei gleichem Erfolge gilt der Antrag fur abgelehnt. Die Wahl von Mitgliedem zu besondem Functionen wird im Falle der | Stimmengleichheit durch das Loos entschieden; Beschliisse iiber Erlautemngen oder | Abanderungen der Verfassungs=Urkunde bedtirfen drei Viertel der Stimmen, um | gtiltig zu sein. ^Bei einer etwa vorkommenden Bmchzahl gilt ftir voll, was liber | V2 ist. Abgelehnte Antrage konnen in derselben Diat nicht wiederholt werden. §.67. Der Landtag steht nur mit dem Staatsministerium in unmittel= | barer Geschaftsbeziehung. §.68. Ohne Zustimmung des Landtags kann kein Gesetz erlassen, abge= | andert oder aufgehoben, noch eine authentische Gesetzauslegung gegeben werden. Auch zu Staatsvertragen ist die Genehmigung des Landtags erforderlich. [S. 485] §.69. Der Landtag hat das Recht, die Vorlage neuer und die Abande= | rung oder Aufhebung bestehender Gesetze zu beantragen, sowie selbst Gesetzentwlirfe | auszuarbeiten, und dieselben zur Berathung und BeschluBnahme zu bringen. §. 70. Das Handels= und Gewerbewesen wird durch specielle Gesetze neu | regulirt; Handels= und Gewerbe=Privilegien, sowie Concessionen, welche den be= | stehenden Privilegien zuwiderlaufen, dlirfen ohne Zustimmung des Landtags nicht | ertheilt werden; dagegen bleibt die Ertheilung von Erfindungspatenten der Staats= | regierung vorbehalten. §.71. Der Landtag ist befugt, Bitten und Beschwerden von Personen | oder Korperschaflen anzunehmen, und dariiber zu berathen. ^Solche Eingaben dlirfen jedoch nicht personlich liberreicht, mlissen vielmehr | dem Vorsitzenden der Versammlung eingesandt, oder durch einen Abgeordneten vor= | gelegt werden. ^Nur ein Mitglied darf eigene Vorstellungen selbst libergeben. §. 72. Rlicksichtlich der vom hiesigen Lande ausgehenden Besetzung der | Richterstelle in dem Oberappellations=Gerichte muB eine Vereinbarung zwischen dem | Herzoge und dem Landtage stattfmden.

[160] Landesverfassungsgesetz vom 14. Dezember 1848

1427

§.73. ^Der Landtag priift den Staatshaushalt und controllirt denselben. | ^Hierzu mtissen ihm alljahrlich der Hauptfinanzetat und die demselben zum Grunde | liegenden besondem Etats vorgelegt und die demselben zum Grunde liegenden be= | sondem Etats vorgelegt und die abgeschlossenen Jahresrechnungen nebst Belegen | zur Prtifung und Decharge mitgetheilt werden. Gleichzeitig hat er das Recht, die Bestande nachzusehen. Die durch plotzlich eingetretene Ereignisse zwischen den Landtagen nothwen= | dig gemachten Ausgaben, welche dem letzten Landtage nicht zur Genehmigung vor= | gelegt werden konnten, bedtirfen der nachtraglichen Genehmigung des folgenden | Landtags. §.74. ^Der Landtag bewilligt jahrlich die Steuem; er setzt dieselben durch | Berathung und Abstimmung fest, und das dariiber ausgefertigte Gesetz hat nur fur | Ein Jahr Kraft, wenn es nicht wieder emeuert wird. "^Ohne solches Gesetz konnen | keine Steuem erhoben werden. ^Die Bewilligungen diirfen von dem Landtage nicht | an die Bedingung der Erfiillung bestimmter das Budget nicht betreffenden Antrage | gekntipft werden. §. 75. Ohne Einwilligung des Landtags dtirfen keine neuen Schulden | contrahirt werden. ^Als neue Landesschulden sind jedoch nicht diejenigen Anlehen zu betrachten, | welche Behufs Tilgung alterer Schulden aufgenommen werden, '^Ebensowenig die | [S. 486] Ausstellung neuer Schuldurkunden in die Stelle alterer Obligationen (Convertirung); | dagegen ist zur Creirung von Cassenscheinen unbedingt die Zustimmung des Land= | tags erforderlich. §. 76. In auBerordentlichen Fallen, wo die Aufnahme von Capitalien | dringend erforderlich wird, die Einberufung des Landtags aber unausfuhrbar ist, | kann die Staatsregierung die erforderlichen Summen anlehnsweise aufnehmen, vor= | behaltlich der Nachweisung ihrer Notwendigkeit unter Verantwortlichkeit des Staats= | ministeriums. §.77. ^Der Landtag hat das Recht zu Vorstellungen, zu Beschwerde= | fiihrungen tiber Mangel und MiBbrauche in der Landesverwaltung und iiber gesetz= | widriges Verfahren der Verwaltungsbehorden, zur Beantragung gesetzmaBiger Be= | strafung schuldiger Staatsdiener und zur Anklage gegen die Minister. "^Die nahem | Bestimmungen tiber die Verantwortlichkeit derselben, das Verfahren und das Straf= | maaB werden einem besondem Gesetze vorbehalten. Tit. IV. I Von dem Herzoge und der Staatsregierang. §. 78. Die Regiemngsform ist constitutionell=monarchisch mit Volksver= | tretung. §. 79. ^Der Herzog ist das Oberhaupt des Staates; seine Person ist un= | verletzlich und unverantwortHch, ^Die Minister sind verantwortlich. ^Der Landtag | kann, wenn auf den desfalL sigen, von fiinf Mitgliedem angebrachten und unter= | schriebenen Antrag, und nach erschopfender Erortemng aller Griinde in einer aus | sieben Mitgliedem bestehenden Commission, welche binnen 3 Tagen berichten muB, | sowie in den Sitzungen des Landtags nach

1428

§ 9: Anhalt-Bemburg

[Dok. 155 - 168]

angehorter Vertheidigung des Ministe= | riums und bei namentlicher Abstimmung die Mehrheit dafiir spricht, dem Herzoge | die gehorig motivirte schriftliche Erklamng abgeben, daB das Ministerium das Ver= | trauen des Landes verloren habe. '*In Folge dieser Erklamng kann der Herzog | das Ministerium entweder entlassen, oder die Entlassung einzelner und den Hinzu= | tritt neuer Mitglieder desselben beschlieBen, oder den Landtag auflosen. ^Wird jene | Erklamng von der Mehrheit des aus neuen Wahlen hervorgegangenen nachsten I Landtags unter den obigen Formen wiederholt, so muB das Ministerium entlassen | werden, oder wie oben bemerkt, eine theilweise vorzunehmende Verandemng in dessen | Personal stattfinden. Die in Folge eines MiBtrauens^^Votums entlassenen Minister konnen eine | anderweite Anstellung im Staatsdienste unter Beriicksichtigung des vor ihrem Ein= | tritte in das Ministerium bekleideten Ranges und bezogenen Gehaltes beanspmchen. [S. 487] Die Verantwortlichkeit ftir eine Verfiigung trifft jedes Mitglied, welches | sie mit unterzeichnet hat. §. 80. Der Herzog tibt die gesetzgebende Gewalt verfassungsmaBig in | Gemeinschaft mit den Vertretem des Volkes, die vollziehende Gewalt allein aus. Die zur Vollstreckung und Handhabung der Gesetze erforderlichen, sowie | die aus dem Aufsichts= und Verwaltungsrechte herflieBenden Verordnungen und | Verfiigungen zu treffen, steht der Staatsregiemng ohne Mitwirkung des Landtags zu. §.81. Alle Staatsamter, soweit nicht in der Verfassung ausdrucklich eine | Beschrankung enthalten ist, werden durch den Herzog besetzt. ^Ein Staats= und Hofamt darf nicht in einer Person vereinigt sein. "^Der | Herzog fuhrt den Oberbefehl tiber das Militar. ^Der Herzog schlieBt Staatsvertrage mit andem Regiemngen. "^Zur Gtiltig= | keit derselben ist die Genehmigung des Landtags erforderlich, unbeschadet einer pro= | visorischen Ausfuhmng in besonders dringenden Fallen. §.82. Orden werden von Staatswegen nicht verliehen. §.83. ^Der Herzog hat das Recht der Begnadigung, Strafmildemng und | Abolition. ^Beziiglich der gegen die verantwortlichen Minister vorgebrachten Anklagen | wegen Verletzung der Verfassung sowie der in Folge dessen erkannten Strafen kann | er diese Rechte nur mit Zustimmung des Landtags austiben. §.84. ^Der Herzog mft den Landtag zur gesetzlichen Zeit wie auch in | auBerordentlichen Fallen zusammen und schlieBt denselben; auch hat er das Recht, | ihn zu vertagen und aufzulosen. "^Die Vertagung darf ohne Zustimmung des Land= | tags weder die Frist von 30 Tagen tiberschreiten, noch wahrend derselben Diat | sich wiederholen. §.85. ^Der Herzog hat das Recht, dem Landtage Gesetze vorzuschlagen. | ^Es tritt kein Landesgesetz in Gtiltigkeit, bevor es von dem Herzoge sanctionirt und | verkiindigt worden ist.

[160] Landesverfassungsgesetz vom 14, Dezember 1848

1429

Die Verkiindigung der Gesetze geschieht unter Bezugnahme auf die erfolgte | Zustimmung des Landtags., §.86. Die Nachfolge in der Regiemng des Herzogthums ist erblich, | nach den im Gesammthause Anhalt abgeschlossenen Vertragen und nach den be= i stehenden Gesetzen, §. 87. Alle rechtsgiiltigen Regentenhandlungen und Gesetze sind von dem | Regiemngsnachfolger unbedingt anzuerkennen und zu vertreten. §.88. Der Herzog und die Mitglieder des Herzoglichen Hauses werden | mit dem zuriickgelegten ein und zwanzigsten Jahre volljahrig. [S. 488] Vor Antritt seiner Regiemng leistet der Herzog den versammelten Ver= | tretem des Volks das feierliche Versprechen: Ich gelobe, die Verfassung des Herzogthums fest und unverbruchlich | zu halten und in Uebereinstimmung mit ihr und den Gesetzen zu regieren. ^Die dartiber aufgenommene Urkunde wird offentlich bekannt gemacht und | dem Landtags=Archive einverleibt. "^Dann erfolgt die Huldigung zuerst von den | Mitgliedem des Landtags. §.89. ^Ist der Herzog minderjahrig oder befindet er sich in der Unmog= | lichkeit zu regieren, so tritt fur die Dauer der Minderjahrigkeit oder der sonstigen | Verhinderung eine Regentschaft ein. ^Diese gebtihrt in Beziehung auf den minder= | jahrigen Landesfiirsten zunachst dessen leiblicher Mutter und wenn diese nicht mehr | lebt oder anderweitig vermahlt oder sonst verhindert ist, dem nachsten volljahrigen | zur Regierung fahigen Prinzen unter den Agnaten des Herzoglichen Hauses. Fiir den obengedachten Fall der Verhinderung des Landesherm kommt die | Regentschaft dessen Gemahlin zu, in deren Ermangelung oder Behinderung dem | zur Erbfolge zunachst berechtigten volljahrigen Agnaten. Die nothige Einleitung zur Regentschaft hat das Staatsministerium im | Einvemehmen mit dem Landtage zu treffen. Ueber Streitigkeiten in Betreff der Regentschaft entscheidet in Ermangelung | eines gewillkuhrten Austrages das deutsche Reichsgericht. Die Regentschaft tibt die Staatsgewalt in demselben Umfange, wie sie | dem Herzoge zusteht, in dessen Namen verfassungsmaBig aus. §.90. Der Herzog bezieht auBer denjenigen Reventien, welche aus dem | Gute Zeitz mit sammtlicher Zubehor und seinen im Auslande belegenen Besitzungen | entspringen, und auBer der freien Benutzung der Schlosser und Hofgebaude mit | Inventarien, Anlagen und Garten, eine aus den Aufkiinften der Herzoglichen Stamm= | und FideicommiB= sowie aus seinen Allodialgtitem vorab zu entnehmende Civilliste, | deren Betrag auf die Lebensdauer des jetzt regierenden Herzogs auf die Summe | von Funfzigtausend Thalem Courant jahrlich festgestellt wird und in monatlichen | Vorausbezahlungen aus der Staatscasse abzufiihren ist. Von dieser Civilliste sind alle Ausgaben der Chatoulle des Herzogs, die | Hand=, Spill= und Nadelgelder der Herzogin, die sammtlichen Ausgaben der Hof= | haltung, einschlieB-

1430

§ 9: Anhalt-Bemburg

[Dok. 155 - 168]

lich der Besoldungen und ktinftigen Ruhe=Gehalte der im activen | Hofdienste verbleibenden Hofdienerschaft, zu bestreiten. AuBerdem werden fiir die Lebenszeit des jetzt regierenden Herzogs jahrlich | Zehntausend Thaler Courant zur Erhaltung der Capelle und des Theaters aus der | [S. 489] Staatscasse gezahlt, deren Verwendung auf Verlangen dem Landtage nachgewiesen | werden soil. §.91. Es flieBen fortan alle Einkiinfte von den sammtlichen Herzoglichen | Domainen, beziehentlich Stamm= und FideicommiBguter des Herzogs, sowie von | den inlandischen Privatgtitem des Herzogs, mit Ausnahme der zum Gute Zeitz | gehorigen Grundstucke, Forsten, einzelnen Grundstticken, Herzoglichen Gebauden, | Berg= und Htittenwerken, Fischereien, Lehn= und grundherrlichen Rechten und Ge= | fallen, sowie Regalien und fiscalischen Gefallen, tiberhaupt alle bisherigen Cammer= | einkunfte, nicht minder alle directen und indirecten Steuem zur Staatscasse, welche | dagegen sammtliche Staatsausgaben mit EinschluB der Herzogl. Civilliste zu be= | streiten und nicksichtlich der Verzinsung und Tilgung der Cammerschulden alle der | Cammercasse rechtlich obliegenden Verpflichtungen zu erfullen hat. §.92. Nach dem Absterben des jetzt regierenden Herzogs ist der uber= | lebenden Herzogin aus den Reventien der Stamm= und FideicommiBgtiter des | Herzogs das derselben nach den Ehepacten zustandige Witthum zu gewahren. §.93. Die Domainen=, Stamm= und FideicommiBgtiter des Herzogs | durfen ohne Einwilligung des Landtags nicht verauBert werden; hinsichtlich der | Herzoglichen inlandischen Allodialgtiter gilt fur die Lebensdauer des Herzogs die= | selbe Bestimmung. Eigenthumsveranderungen in Folge richterlichen Erkenntnisses, und beztiglich | einzelner Parcellen mittelst Ablosung, Austausches oder Vergleichs zur Beforderung | der Landescultur oder zur Berichtigung zweifelhafter Grenzen bedtirfen nicht der | Zustimmung des Landtags. §. 94. Das Staatsgut, die Stamm= und FideicommiBgtiter des Herzog= | lichen Hauses sowie das Allodialgrundvermogen des Herzogs sollen mit Zuziehung | des Landtags und der tibrigen Betheiligten festgestellt werden. Allgemeine Bestimmungen. §.95. Sollten durch die fur Deutschland festzusetzende Verfassung Ab= | anderungen dieses Landesverfassungsgesetzes nothig werden, so werden dieselben dem | Landtage zur Berichtigung der beztiglichen Punkte der Verfassung mitgetheilt werden. §.96. Alle Civil= und Militar=Beamte, sowie das Militar tiberhaupt, | werden auf die Verfassung vereidigt.

[160/1] Verfassungszusatz vom 16. Dezember 1848

1431

§.97. Zur Ausfiihrung der in den §§. 3, 5, 6, 9, 12, 16, 21, 22, | 28, 29, 33, 34, 36, 37, 38, 42, 43, 46, 47, 48, 49, 70 und 77 ausge= | sprochenen Grundsatze werden ohne SaumniB besondere Gesetze ergehen. [S.490] ^Bis zum ErlaB dieser Gesetze bleiben die in Bezug auf die Gegenstande | derselben bestehenden Vorschriften und Rechtsnormen in Giiltigkeit. ^Alle den tibrigen | Bestimmungen der Verfassung entgegenstehenden gesetzlichen Vorschriften treten sofort | auBer Kraft. ^Alle durch die gegenwartige Verfassung nicht beruhrten Gesetze und | Rechtsnormen bleiben dagegen in voller Geltung. §.98. ^Zur Vorberathung und Entwerfting von Gesetzesvorlagen mtissen, | insofem es sich um technische Kenntnisse und Erfahrungen handelt, Sachverstandige | zugezogen werden. ^Auch sollen die Gesetzentwtirfe vor der Berathung durch den | Landtag in der Regel durch den Druck zur offentlichen KenntniB gebracht werden. §.99. Bei Streitigkeiten, welche zwischen der Staatsregierung und dem | Landtage liber den Sinn und die Anwendung der Verfassung sich erheben konnten, | soil zuvorderst durch Beauftragte des Herzogs und Abgeordnete des Landtags ein | Versuch der Ausgleichung gemacht werden; wenn aber diese nicht erreicht wird, die | Entscheidung des Reichsgerichts eintreten. Indem wir dieses Landesverfassungs=Gesetz zur allgemeinen Befolgung und | genauen Beobachtung in seinem ganzen Inhalte einschlieBlich des hierzu gehorigen | Wahlgesetzes hierdurch verktindigen, versichem Wir zugleich feierlich, daB Wir diese | Verfassung nicht nur Selbst treu und unverbruchlich halten, sondem auch gegen | alle Eingriffe und Verletzungen kraftigst zu schtitzen und zu erhalten stets bedacht | sein werden. Urkundlich haben Wir dieses Landesverfassungsgesetz eigenhandig vollzogen | und Unser Herzogliches Siegel beidrucken lassen. Ballenstedt, den 14. December 1848. Alexander Carl, Herzog zu Anhalt. | (L. S.) V. Krosigk.

[160/1] „Zusatzzu dem unterm 14. December c. eriassenen Landesverfassungs-Gesetze", vom 16. Dezember 1848 Quelle: Gesetz-Sammlung ftir das Herzogthum Anhalt-Bemburg, Bd. 8 (enthaltend die gesetzHchen Verordnungen vom Jahre 1845-Ende 1848), Bemburg o. J., S. 496-497 (gedruckt). [S. 496] Zusatz I zu dem unterm 14. December c. eriassenen Landesverfassungs=Gesetze, | vom 16. December 1848. Wir, Alexander Carl, von Gottes Gnaden, | regierender Herzog zu Anhalt etc. etc. | thun kund und fiigen hiermit zu wissen: Da im §. 79 des Landesverfassungsgesetzes diese Bestimmung: „Jede Verfugung des Herzogs in Staatsangelegenheiten bedarf zu ihrer | Giiltigkeit der ministeriellen Gegenzeichnung",

1432

§ 9: Anhalt-Bemburg

[Dok. 155 - 168]

ausgelassen worden ist, so verordnen Wir, daB dieselbe als Zusatz zum genannten | Paragraphen gelten soil. [S. 497] Urkundlich unter Unser eigenhandigen Unterschrift und Unserm Herzog= | lichen Siegel. Ballenstedt, am 16. December 1848.

[160/2] „Landesherrliche Verordnung, die Eriauterung der§§ 61 und 74 des Verfassungsgesetzes betreffend", vom 29. Marz 1849 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einftihrungen" die Darstellung unter [664.]. Quelle: Gesetz-Sammlung far das Herzogthum Anhalt-Bemburg, Bd. 9 (enthaltend die Gesetze und Verordnungen der Jahre 1849 und 1850), Bemburg o. J., S. 2 0 - 2 1 (gedruckt). [S. 20] Landesherrliche Verordnung, | die Eriauterung der §§.61 und 74 des Verfassungsgesetzes betreffend, | vom 29. Marz 1849. Wir, Alexander Carl, von Gottes Gnaden, | regierender Herzog zu Anhalt etc. etc., | fugen hiermit zu wissen: Da liber den Sinn der §§.61 und 74 des Landesverfassungsgesetzes vom | 14. December vorigen Jahres verschiedene Ansichten Statt fmden, so haben Wir | Uns bewogen gefunden, zur Hebung dieser Zweifel folgende Erlautemngen zu geben: 1) Die §.61 enthaltenen Bestimmungen sind in einem beschrankten mit | der Bedeutung der Worte: „v^ahrend der Dauer des Landtags" vereinbarlichen | Sinne zu nehmen. Der mit andem Verfassungen deutscher Staaten tibereinstim= | mende Grundsatz, daB der Schutz der Abgeordneten nur wahrend der Dauer der | Arbeiten des Landtags zu gewahren sei, ist festzuhalten. Wir verordnen daher zur | Eriauterung §.61, daB die Bestimmung: | [S. 21] „Ein Abgeordneter darf vom Augenblicke der auf ihn gefallenen Wahl, | ein Stellvertreter vom Augenblicke, wo das Mandat seines Vorgangers | erlischt, wahrend der Dauer des Landtags ohne Zustimmung der Ver= | sammlung weder verhaftet noch in strafrechtliche Untersuchung gezogen | werden," | nur auf solche Wahlen zu beziehen ist, welche wahrend des Landtags vorkommen. 2) Nach dem in § 48 aufgestellten Grundsatze soil das Steuerwesen regu= | lirt werden, in welcher Beziehung dem nachsten Landtage ein Gesetzentwurf vorge= | legt werden wird. Es ist daher nothwendig, daB die jetzt bestehenden, gesetzlich | nicht aufgehobenen Steuem und Abgaben bis zum Erlasse des Steuergesetzes erho= | ben werden. Wir verordnen nun, daB die §. 74 enthaltene Bestimmung: | „ohne solches Gesetz konnen keine Steuem erhoben werden" | sich nur auf die mit Zustimmung des Landtags festgesetzten neuen Steuem bezieht | und bis dahin die jetzt bestehenden Steuem und Abgaben in Gtiltigkeit bleiben. Urkundlich haben Wir diese Verordnung eigenhandig vollzogen und Unser | Herzogliches Siegel beidmcken lassen. Ballenstedt, am 29. Marz 1849. Alexander Carl, Herzog zu Anhalt. | (L. S.) V. Krosigk. v. Hempel.

[160/4] Provisorisches Gesetz vom 5. Dezember 1849

1433

[160/3] „Nachtrag zur Verfassungsurkunde vom 14. December 1848", vom 12. Juli 1849 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einfuhrangen" die Darstellung unter [666.]. Quelle: Gesetz-Sammlung fiir das Herzogthum Anhalt-Bemburg, Bd. 9 (enthaltend die Gesetze und Verordnungen der Jahre 1849 und 1850), Bemburg o. J., S. 48 (gedruckt). [S. 48] Nachtrag zur Verfassungsurkunde vom 14. December 1848, | vom 12. Juli 1849. Wir, Alexander Carl, von Gottes Gnaden, | regierender Herzog zu Anhalt etc. etc., | haben in Betracht, daB 1) das Landesverfassungsgesetz vom 14. December 1848 einer Bestimmung | liber den ErlaB provisorischer Gesetze, welche durch das Staatswohl | dringend geboten sind und keinen Aufschub bis zum nachsten Landtage | leiden, entbehrt, 2) daB nach mehreren Verfassungen deutscher Staaten die Regierungen als= | dann wahrend der Zwischenzeit der standischen Versammlungen proviso^ | rische gesetzliche Bestimmungen erlassen konnen, wenn sie durch das | Staatswohl dringend geboten werden, 3) die Erganzung der Verfassungsurkunde in dieser Beziehung um so noth= | wendiger wird, als durch den Beitritt des hiesigen Staates zu dem | Btindnisse und dem Verfassungsentwurfe der koniglichen Regierungen | der ErlaB solcher provisorischen Gesetze erforderlich werden kann, verordnet und folgende den §. 80 der Verfassungsurkunde erganzende Bestimmung | getroffen: „Gesetze, die das Staatswohl dringend und ohne Verzug gebietet, erlaBt | der Herzog ohne Zustimmung des Landtags. Dergleichen provisorische | Gesetze mtissen aber von sammtlichen Ministem unterzeichnet und dem | nachsten Landtage zur Genehmigung vorgelegt werden." Urkundlich haben Wir diesen Nachtrag zum Landesverfassungsgesetze eigen= | handig vollzogen und Unser Herzogliches Siegel beidrucken lassen. Alexisbad, am 12. Julius 1849. Alexander Carl, Herzog zu Anhalt. | (L. S.) V. Krosigk. v. Hempel.

[160/4] ^Provisorisches Gesetz wegen Abanderung des ersten Satzes des § 66 der Verfassung" vom 5. Dezember 1849 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einfuhrungen" die Darstellung unter [666.]. Quelle: Gesetz-Sammlung fiir das Herzogthum Anhalt-Bemburg, Bd. 9 (enthaltend die Gesetze und Verordnungen der Jahre 1849 und 1850), Bemburg o. J., S. 109 - 110 (gedmckt). [S. 109] Provisorisches Gesetz | wegen Abandemng des ersten Satzes des §. 66 der Verfassung, | vom 5. December 1849. Wir, Alexander Carl, von Gottes Gnaden, | regierender Herzog zu Anhalt etc. etc., | haben in Erwagung, daB die Bestimmung des §. 66 der Verfassung: | „Der Landtag kann nur dann Beschltisse fassen, wenn zwei Dritttheile | seiner Mitglieder versammelt sind", 1) dem Staatswohle nicht entsprechend ist, weil bei der Abwesenheit | von nur 9 Mitgliedem, also der Minoritat, die Verhandlungen des | Landtags mhen mtissen

1434

§ 9: Anhalt-Bemburg

[Dok. 155 - 168]

und die wichtigsten Angelegenheiten des | Landes nicht erledigt werden konnen, die Wirksamkeit des Landtags | mithin ganz vemichtet werden und in gewissen Fallen nur von der | Minoritat des Landtags abhangen wiirde, die zum offentlichen | Wohle und zur Fortdauer der Regierung nothwendigen Beschliisse | des Landtags unwirksam zu machen; 2) die bedeutendsten Verfassungen deutscher Lander hie von abweichende 1 Bestimmungen enthalten, welche darin bestehen, daB entweder die | Halfte der Mitglieder Oder die Anwesenheit der absoluten Majo= | [S. 110] ritat des Landtags zur Verhandlung und BeschluBfassung genu= | gend ist; 3) aus dem Verfahren eines Theils der Landtags=Mitglieder bei der | in der Sitzung vom 4. December d. J. geschehenen Berathung iiber | diesen vom Staatsministerio angeregten Gegenstand die BesorgniB, | daB die oben angefuhrte Bestimmung der Verfassung zur Verhinde= | rung von Landtagsbeschliissen gemiBbraucht werden mochte, sich | herausgestellt hat; 4) nach der als Nachtrag zu der Verfassung publicirten Verordnung | vom 12. M i d. J. Gesetze die das Staatswohl dringend und | ohne Verzug gebietet, von Uns ohne Zustimmung des Landtags | erlassen werden konnen, verordnet und folgende den ersten Satz des §. 66 der Verfassung abandemde | Bestimmung getroffen: 1) „Der Landtag kann nur dann giiltig verhandeln und Beschliisse fassen, | wenn die absolute Mehrheit seiner Mitglieder anwesend ist. 2) Dieses provisorische Gesetz soil dem Landtage bei Revision der Ver= | fassung zur Berathung und Genehmigung vorgelegt werden." Urkundlich haben Wir dieses Gesetz eigenhandig vollzogen und Unser | Herzogliches Siegel beidrucken lassen. Ballenstedt, am 5. December 1849. Alexander Carl, Herzog zu Anhalt. | (L. S.) V. Krosigk, v. Hempel.

[161] Gesetz, betreffend die Grundrechte des deutschen Volkes, vom 28. Dezember1848 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einfuhrungen" die Darstellung unter [663.]. Quelle: Gesetz-Sammlung fiir das Herzogthum Anhalt-Bemburg, Bd. 8 (enthaltend die gesetzHchen Verordnungen vom Jahre 1845 -Ende 1848), Bemburg o. J., S. 455-465 (gedruckt). Auszug [S. 455] Gesetz, | betreffend die Grundrechte des deutschen Volks, | vom 28. December 1848. Der Reichsverweser, in Ausfuhrung des Beschlusses der Reichsversammlung | vom 21. Dezember 1848, verktindet als Gesetz:^ [S. 455 - 462]: „L Grundrechte des deutschen Volks." [S. 462 - 465]: Jl. Einfahrungs-Gesetz."

Die „Gmndrechte des deutschen Volks" und das „Einfuhrungsgesetz" sind bereits als Dok. 105 abgedruckt.

[162] „Revidierte Verfassung" vom 28. Februar 1850

1435

[162] Landesverfassungsgesetz (Revidierte Verfassung) des Herzogtums Anhalt-Bernburg vom 28. Februar 1850 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einfuhmngen" die Darstellung unter [667.]. Quelle: Gesetz-Sammlung fiir das Herzogthum Anhalt-Bemburg, Bd. 9 (enthaltend die Gesetze und Verordnungen der Jahre 1849 und 1850), Bemburg o. J., S. 140-156 (gedmckt). Sonstige Fundstelle: H. A. Zacharid (Hrsg.), Die deutschen Verfassungsgesetze der Gegenwart, Bd. 1, 1855, S. 960 - 974. [S. 140] Landesverfassungsgesetz fiir das Herzogthum Anhalt= | Bemburg, 1 vom 28. Februar 1850. Wir, Alexander Carl, von Gottes Gnaden, | regierender Herzog zu Anhalt etc. etc., | thun kund und fugen hiermit zu wissen: | daB Wir, nachdem die von Uns unterm 14. December 1848 vorbe= | haltlich der Revision verkiindigte Verfassung der angeordneten Revison | unterworfen ist, die Verfassung in Uebereinstimmung mit dem ersten | ordentlichen Landtage endgtiltig festgestellt und dariiber gegenwartige | Urkunde errichtet haben: Tit. I. I Vom Staatsgebiete. §.1. Das Herzogthum Anhalt=Bemburg bildet einen untheilbaren unter ein | und demselben Verfassungsgesetze vereinigten Staat. §•2.

Das Staatsgebiet darf ohne Zustimmung des Landtags nicht verandert | werden. Geringfiigige Berichtigungen streitiger Landesgrenzen begrtinden hiervon | eine Ausnahme, vorausgesetzt, daB dabei nicht Wohnsitze von Staatsangehorigen | an den betheiligten Nachbarstaat abgetreten werden. Tit. II. I Von den Grundrechten der Staatsangehorigen. §.3. Das Staatsbtirgerrecht wird unter den im Gesetze aufgestellten Bedin= | gungen erworben und verloren. §.4. Alle Standesunterschiede und Standesvorrechte sind aufgehoben. Titel, welche nicht zur Bezeichnung des Amtes dienen, werden nicht | verliehen, Die offentlichen Aemter sind fiir alle Befahigte gleich zuganglich. [S.141] §.5. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. ^Die Verhaftung einer Person soil, auBer im Falle der Ergreifiing auf | frischer Tat nur geschehen in Kraft eines richterlichen mit Griinden versehenen | Befehls. ^Dieser Befehl muB im Augenblicke der Verhaftung oder innerhalb der | nachsten 24 Stunden dem Verhafteten zugestellt werden. Die Polizeibehorde muB Jeden, den sie in Verwahrung genommen hat, | im Laufe des folgenden Tages entweder frei lassen oder der richterlichen Behorde | tibergeben.

1436

§ 9: Anhalt-Bemburg

[Dok. 155 - 168]

Jeder Angeschuldigte soil gegen Stellung einer vom Berichte zu bestim= | menden Caution Oder Btirgschaft der Haft entlassen werden, sofem nicht drin= | gende Anzeigen eines schweren peinlichen Verbrechens gegen denselben vorliegen. Im Falle einer widerrechtlich verftigten oder verlangerten Gefangenschaft | ist der Schuldige und nothigenfalls der Staat dem Verletzten zur Genugthuung | und Entschadigung verpflichtet. §=6. ^Die Wohnung ist unverletzlich. ^Eine Haussuchung ist nur zulassig: 1) in Kraft eines richterlichen, mit Grunden versehenen Befehls, welcher | soft)rt oder innerhalb der nachsten 24 Stunden dem Betheiligten zu= | gestellt werden muB; 2) im Falle der Verft)lgung auf frischer That durch den gesetzlich berecli= | tigten Beamten; 3) in den Fallen und Formen, in welchen das Gesetz ausnahmsweise | bestimmten Beamten auch ohne richterlichen Befehl dieselbe gestattet. | Die Haussuchung muB, wenn thunlich, mit Zuziehung der Hausge= | nossen erft)lgen. Die Unverletzlichkeit der Wohnung ist kein HindemiB der Verhaftung | eines gerichtlich Verft)lgten. §.7. ^Niemand darf seinem gesetzlichen Richter entzogen werden. ^Strafen diir= | fen nur in GemaBheit eines Gesetzes angedrohet oder verhangt werden.

Jeder hat das Recht, durch Wort, Schrift, Druck und bildliche Dar= | stellung seine Meinungfi-eizu auBem. Die Censur darf nicht eingeftihrt werden. MiBbrauch der Redefreiheit unterliegt den Strafgesetzen. Die naheren Bestimmungen zur Wahrung der offentlichen Sicherheit und | der Rechte Dritter gegen MiBbrauch der PreBfreiheit enthalt das PreBgesetz. §.9. Alle Staatsbtirger sind berechtigt, sich friedlich und ohne Waffen in | geschlossenen Raumen zu versammeln. [S. 142] Volksversammlungen unter freiem Himmel konnen bei dringender Gefahr | fur die offentliche Ordnung und Sicherheit verboten werden. §.10. Alle Staatsangehorige haben das Recht, sich zu solchen Zwecken, welche | den Strafgesetzen nicht zuwiderlaufen, in Gesellschaften zu vereinigen. §.11. ^Es haben sowohl Einzelne als Mehrere in Vereinigung das Recht, Bitt= | schriften und Beschwerden an die Staatsregierung oder an den Landtag zu rich= | ten. "^Petitionen unter einem Gesammtnamen konnen nur von Behorden und | Corporationen ausgehen. Jeder hat das Recht, Beschwerden tiber gesetzwidriges Verfahren der | Verwaltungsbeamten nach vergeblichem Anruf der vorgesetzten Behorden bei dem | Landtage anzubringen. Abschlagige Antworten der Verwaltungsbehorden mtissen mit Grunden | versehen sein.

[162] „Revidierte Verfassung" vom 28. Febmar 1850

1437

§.12. ^Das BriefgeheimniB ist gewahrleistet. "^Die bei strafgerichtlichen Untersu= | chungen und in Kriegsfallen nothwendigen Beschrankungen sind durch die Gesetz= | gebung festzustellen. Die Beschlagnahme von Briefen und Papieren darf auBer bei einer Ver= | haftung oder Haussuchung nur in Kraft eines richterlichen mit Griinden verse= | henen Befehls vorgenommen werden, welcher sofort oder innerhalb der nachsten | 24 Stunden dem Betheiligten zugestellt werden soil. §.13. Die Todesstrafe, ausgenommen wo das Kriegsrecht dieselbe vorschreibt, | die Strafen des Prangers und der Brandmarkung sind abgeschafft. Korperliche Ziichtigung darf, auBer in Correctionsanstalten, von Behorden | nicht verftigt oder erkannt werden. §.14. Die Strafe der Gtitereinziehung fmdet nicht Statt. §.15. Jedem Staatsbtirger steht das Recht der Auswanderung zu, welches nur | wahrend der Dauer der Wehrpflicht beschrankt werden kann. Abzugsgelder dtirfen nicht erhoben werden. §.16. Jeder hat voile Glaubens= und BekenntniBfreiheit und ist unbeschrankt | in der Uebung seiner Religion. §.17. Durch das religiose BekenntniB wird der GenuB der btirgerlichen und | staatsbtirgerlichen Rechte weder bedingt noch beschrankt. ^Den staatsbiirgerlichen | Pflichten darf dasselbe keinen Abbruch thun. [S. 143] §. 18. Die Bildung und das Fortbestehen von Religionsgenossenschaften so wie | die gemeinsame hausliche und offentliche Ausiibung der Religion sind nur an | die Bedingung gekntipft, daB Gesetze nicht entgegenstehen. Die Religionsgenossenschaften so wie geistliche Gesellschaften, welche keine | Corporationsrechte haben, konnen diese nur durch besondere Gesetze erlangen. §.19. Der Staat gewahrleistet den verschiedenen Religionsgenossenschaften den | Besitz und GenuB der fiir ihre Wohlthatigkeits=, Cultus= und Unterrichtszwecke, | soweit die letztem auf den durch den Cultus bedingten Unterricht sich beziehen, | bestimmten Anstalten, Stiftungen und Fonds, insoweit dieselben ein Recht | darauf haben oder erwerben. §.20. Keine Religionsgenossenschaft genieBt vor andem Vorrechte durch den | Staat; es besteht keine Staatskirche. Die christliche Religion wird, so lange sie die ReHgion der groBen Mehr= | zahl der Staatsangehorigen ist, bei religios=btirgerlichen Anordnungen des Staats, | soweit dieselben erforderlich sind, unbeschadet der Freiheit anderer Confessionen, | zu Grunde gelegt.

1438

§ 9: Anhalt-Bemburg

[Dok. 155 - 168]

§.21. Die verschiedenen Religionsgenossenschaften ordnen und verwalten ihre | Angelegenheiten selbstandig unter Oberaufsicht des Staats. Das landesherrliche Kirchenregiment hat die Ueberleitung der evangelischen | Landeskirche zu einer selbststandigen Verfassung herbeizufuhren, damit sie die in | diesem Paragraphen ihr tibertragenen Rechte iibemehmen und ausfiihren kann. Das Kirchenpatronat hort auf. ^Die Art und Weise der Aufhebung re= | gelt ein Gesetz. §.22. Die Form des Eides, welche fur alle gleichmaBig und an kein bestimm= | tes religioses BekenntniB gekniipft sein soil, wird auf dem Wege der Gesetzge= 1 bung bestimmt. §. 23. Die btirgerliche Gtiltigkeit der Ehe ist von der Vollziehung entweder der | kirchlichen Trauung oder des Civilactes abhangig. Die Religionsverschiedenheit ist kein biirgerliches EhehindemiB. Die Beamten zur Ftihrung der Standesbticher werden vom Staate bestellt. §.24. Die Wissenschaft und ihre Lehre ist frei. Die Bestimmungen gegen den MiBbrauch dieser Freiheit enthalt das | Unterrichtsgesetz. Es steht einem Jeden frei, seinen Beruf zu wahlen und sich fiir densel= | ben auszubilden wie und wo er will. [S. 144] §.25. Die Schule ist Staatsanstalt und, abgesehen vom Religionsunterrichte, | der Beaufsichtigung der Geistlichkeit als solcher enthoben. Bei Einrichtung der offentlichen Volksschulen sind die confessionellen | Verhaltnisse moglichst zu beriicksichtigen. Das Schulpatronat wird aufgehoben; die Folgen regelt ein Gesetz. §.26. Jeder von der betreffenden Staatsbehorde als qualificirt Anerkannte kann | offentlichen Unterricht ertheilen und Unterrichts= und Erziehungsanstalten griinden. Der hausliche Unterricht unterliegt nur der Beschrankung, daB kein Kind | dem fiir die offentlichen Volksschulen vorgeschriebenen Unterrichte entzogen wer= | den darf §.27. Der Staat stellt unter gesetzlich geordneter Betheiligung der Gemeinden | aus der Zahl der Befahigten die Lehrer der Volksschulen an. •§. 28. Unbemittelten soil der Unterricht in alien Volks= und niedem Gewerbe== | schulen, so wie bei besonderer Befahigung auch auf hohem Bildungsanstalten | des Landes kostenfrei ertheilt werden. §. 29. ^Das Schulvermogen ist fortan vom Kirchenvermogen zu trennen. ^Das der | Schule als solcher gegenwartig zugehorende Vermogen verbleibt derselben. ^Die bishe= | rigen Leistungen der Kirche far Schulzwecke bezieht die Schule so lange, bis | durch spatere Uebereinkunft oder Rechtsspriiche etwas Anderes festgestellt sein wird.

[162] „Revidierte Verfassung" vom 28. Febmar 1850

1439

^Die nothigen Mittel zum Aufwande fiir das Unterrichtswesen beschafft | der Staat. ^Die Beitragspflicht der Gemeinden zur Errichtung, Erhaltung und | Erweitemng der offentlichen Volksschulen regelt das Gesetz. Die auf besondem Rechtstiteln bemhenden Verpflichtungen dritter Per= | sonen bleiben bestehen, §.30. ^Die offentlichen Lehrer haben die Rechte und Pflichten der Staatsdiener. | ^Der Staat gewahrleistet denselben ein bestimmtes auskommliches Gehalt. Ein besonderes Gesetz hat das ganze Unterrichtswesen auf Grund vor= | stehender Bestimmungen zu regeln. §.3L Alle Gerichtsbarkeit geht vom Staate aus. Die Patrimonialgerichte werden aufgehoben und zwar ohne Entschadigung. Inwiefem die Beamten auf den Staat iibergehen, wird durch ein Gesetz | bestimmt. §.32. Es soil fiir Personen und Sachen keinen befreiten Gerichtsstand geben. [S. 145] §.33. ^Die Gerichte sind innerhalb ihrer Zustandigkeit vollig unabhangig. Kein Richter darf auBer durch Urtheil und Recht von seinem Amte ent= | setzt oder an Rang und Gehalt beeintrachtigt werden. ^Suspension darf nicht | ohne gerichtlichen BeschluB erfolgen. ^Kein Richter darf wider seinen Willen | auBer in den durch das Gesetz bestimmten Fallen und Formen zu einer andem | Stelle versetzt oder in Ruhestand gesetzt werden. Auf die Versetzungen, welche durch Verandemngen in der Organisation | der Gerichte oder ihrer Bezirke nothig werden, findet diese Bestimmung keine | Anwendung. Cabinets= und Ministerialjustiz darf nicht getibt werden. §.34. Der Richter darf kein anderes Staatsamt verwalten und weder Orden | noch Gratificationen annehmen. §. 35, ^Das Gerichtsverfahren soil offentlich und mtindlich sein. "^Ausnahmen | von der Oeffentlichkeit bestimmt das Gesetz. Alle Erkenntnisse miissen mit Grixnden versehen sein und offentlich ver= | ktindigt werden. §. 36. In Strafsachen gilt der AnklageproceB. ^In peinlichen Fallen, bei politischen Vergehen und solchen PreBverge= | hen, welche von Amtswegen verfolgt werden, erfolgt die Entscheidung liber die | Schuld des Angeklagten durch Geschwome. '^Die Bildung des Geschwomenge= | richts regelt das Gesetz. §.37. Es werden Schiedsgerichte eingefiihrt.

1440

§ 9: Anhalt-Bemburg

[Dok. 155-168]

§.38. ^Die Rechtspflege wird von der Verwaltung getrennt. '^Die Verwaltungs= | rechtspflege hort auf. ^Ueber alle Rechtsverletzungen entscheiden die Gerichte. Der Polizei steht keine Strafgerichtsbarkeit zu. Es werden Notariate eingefiihrt. ^Die Competenz der Gerichts= und Verwaltungsbehorden wird durch das | Gesetz bestimmt. ^Ueber Competenzstreitigkeiten entscheiden die zustandigen Gerichte | im gewohnlichen Instanzenzuge. Das Recht, offentliche Civil= und Militairbeamte wegen amtswidriger | Handlungen gerichtlich zu verfolgen, darf in keiner Weise beschrankt werden. §. 39. ^Die Wehrpflicht ist fur alle Staatsbtirger gleich. "^Stellvertretung fmdet | nicht statt. Auf das Militair finden die in den §§. 5. 6. 9. 10. und 11. enthalte= | nen Bestimmungen nur insoweit Anwendung, als die militairischen Gesetze und | Disciplinarvorschriften nicht entgegenstehen. [S. 146] Zur Aufrechterhaltung der Ordnung kann nach naherer Bestimmung des | Gesetzes durch GemeindebeschluB eine Btirgerwehr errichtet werden. Das stehende Militair ist der Militairstrafgerichtsbarkeit und den Mili= | tairstrafgesetzen unterworfen. Das stehende Militair darf nicht berathschlagen. §.40. Die bewaffhete Macht kann zur Unterdriickung innerer Unruhen und zur | Ausftihrung der Gesetze nur auf Requisition der Civilbehorden und in den durch | das Gesetz bestimmten Fallen und Formen verwendet werden. §.41. Das Eigenthum ist unverletzlich. Eine Enteignung kann nur aus Rticksichten auf das gemeine Beste, nur | auf Grund des Gesetzes und gegen gerechte Entschadigung vorgenommen werden. §.42. Das Eigenthumsrecht an Erzeugnissen der Literatur und Kunst wird je= | dem Autor auf Lebenszeit und dreiBig Jahre lang nach seinem Tode des sen | Erben gewahrleistet. Nachdruck und alle andem unrechtmaBigen Vervielfaltigungen sind straf= | gesetzlich zu beurtheilen. §.43. ^Schiffbare Fltisse sind Staatseigenthum. '^Quellen, Bache, nicht schiff= | bare Fliisse und stehende Gewasser werden dagegen nach Privatrecht besessen. Das Fischereiregal hort auf Die weitem Bestimmungen tiber die Benutzung der Gewasser, die Ufer= | bauten etc. ordnet ein besonderes Gesetz. §. 44. ^Die Jagdgerechtigkeit auf fremdem Grund und Boden, Jagddienste, Jagd= | frohnden und andere Leistungen fur Jagdzwecke sind ohne Entschadigung aufge= | hoben. ^Nur ablosbar jedoch ist die Jagdgerechtigkeit, welche erweislich durch | einen lastigen mit dem Eigenthiimer des belasteten Grundstucks abgeschlossenen | Vertrag erworben ist.

[162] „Revidierte Verfassung" vom 28. Februar 1850

1441

^Jedem steht das Jagdrecht auf eigenem Gmnd und Boden zu. "^Die | Austibung regelt das Gesetz. Wo bisherige Anspriiche diesen Bestimmungen entgegentreten, da sind | dieselben ohne Entschadigung aufgehoben. I 45. ^Das Bergregal beschrankt sich auf diejenigen Fossilien, aus denen Me= | talle gewonnen werden, so wie auf Steinkohlen und Salz. "^Alle tibrigen Fos= | silien, namentlich aucti Braunkohlen, sind Privateigenthum. ^Ihr Betrieb untei^ | liegt jedoch den gesetzlichen Bestimmungen. Das Weitere bestimmt eine neue Bergordnung. [S. 147] §. 46. Das Recht des Staates auf Nutzung des Holzaufschlags aus fremden | Grundstiicken ist aufgehoben. Dem Staate steht hinsichtlich der Privatwaldungen nur ein Oberauf= | sichtsrecht zu. §. 47. Ein Unterthanigkeits== und Horigkeitsverband findet nicht Statt. Ohne Entschadigung sind aufgehoben: 1) die gewissen Grundstiicken zustehenden Hoheitsrechte; wogegen die | Lasten und Leistungen wegfallen, welche den bisher Berechtigten in | den obigen Beziehungen oblagen; 2) die aus diesen Befugnissen aus der Schutzherrlichkeit und der friihem | Erbunterthanigkeit herstammenden personlichen Leistungen und Abgaben. §. 48. Alle tibrigen auf Gmnd und Boden haftenden privatrechtlichen Abgaben | und Leistungen sind ablosbar ohne Rticksicht auf die Person und das Verhalt= | niB des Berechtigten Oder des Verpflichteten, insofem die Gesetzgebung nicht | die unentgeltliche Aufhebung einer oder der andem begriindet. Es soil fortan kein Grundstiick mit einer unablosbaren Rente in irgend | einer Art belastet werden. §.49. Aller Lehnsverband hort auf ^Die Errichtung von Lehen und die Stiftung von FamiHenfideicommissen, | Majoraten, Senioraten und Minoraten ist untersagt. "^Die bestehenden Lehen und | Familienfideicommisse etc. etc. sollen durch gesetzHche Anordnung in freies Eigen= | thum verwandelt werden. Vorstehende Bestimmungen finden auf das Stammgut und Familienfidei= | commiB des Herzoglichen Hauses so wie auf Familienstiftungen keine Anwendung. §.50. Das Recht der freien Verfiigung iiber das Grundeigenthum unterliegt | keinen andem Beschrankungen, als denen der allgemeinen Gesetzgebung. Die Theilbarkeit des Gmndeigenthums wird gewahrleistet. Ftir die todte Hand sind Beschrankungen des Rechts, Liegenschaften zu | erwerben und tiber sie zu verfugen, aus Griinden des offentlichen Wohles im | Wege der Gesetzgebung zulassig.

1442

§ 9: Anhalt-Bemburg

[Dok. 155 - 168]

§.51. Das Handels= und Gewerbewesen regelt ein specielles Gesetz. §.52. Alle Staatsangehorige sind verbunden, zur Ausbringung des Staats= | bedarfs nach dem MaBe ihrer Steuerkrafl beizutragen. Steuerfreiheit und Steuervorrechte sind aufgehoben. Die Ausfiihrung wird durch ein besonderes Gesetz geregelt. [S. 148] §.53. Es wird eine freie Gemeindeverfassung gewahrt mit folgenden Grund= | rechten der Gemeinden: 1) Wahl ihrer Beamten und Vertreter; 2) Selbststandige Verwaltung ihrer Gemeindeangelegenheiten unter gesetz= | Hch geordneter Oberaufsicht des Staates; 3) Veroffentlichung des Gemeindehaushalts; 4) Oeffentlichkeit der Verhandlungen. §.54. Jedes Grundsttick muB einem Gemeindebezirke angehoren. Tit. III. I Von der Volksvertretung. §.55. ^Die Gesammtheit der Staatsangehorigen wird in Einer Kammer durch | Abgeordnete vertreten, welche nach MaBgabe des dieser Verfassung beigefiigten | Wahlgesetzes gewahlt werden. "^Ihre Versammlung bildet nach erfolgtem Zusam= | mentritt den Landtag des Herzogthums. SammtHche neu eintretende Abgeordnete leisten folgendes vom Herzog= | Hchen Commissar entgegenzunehmendes AngelobniB: Ich gelobe, daB ich die Staatsverfassung treu bewahren und im Land= | tage das Wohl des gesammten Vaterlandes, des Herzogs wie des | Volkes, nach meinem besten Wissen und Gewissen bei alien meinen | Antragen und Abstimmungen vor Augen haben will. §.56. Jeder Abgeordnete ist Vertreter der Gesammtheit der Staatsangehorigen, | nicht einzelner Landestheile oder Volksklassen. §.57. ^Die Abgeordneten konnen ihr Stimmrecht nur personlich austiben. "^Sie | sind von Auftragen und Instructionen ihrer Wahler unabhangig und fur den | Inhalt ihrer freien Abstimmung nicht verantwortlich. §. 58. Beamte bedtirfen keines Urlaubs zum Eintritte in den Landtag; auch | haben sie nicht fur ihre Stellvertretung im Amte zu sorgen. §.59. Dem Landtage allem steht die endgultige Entscheidung iiber die Wahlen zu.

[ 162] „Revidierte Verfassung" vom 28. Februar 1850

1443

§.60. Die Landtagsverhandlungen werden durch eine Geschaftsordnung geregelt, | welche der Sanction des Staatsoberhaupts bedarf. [S.149] §.61. ^Die Sitzungen des Landtags sind offentlich und die Verhandlungen mus= | sen durch den Druck bekannt gemacht werden. "^Ausnahmen von dieser Kegel | konnen nur auf BeschluB des Landtags Statt fmden. §. 62. Der Herzog ordnet mit Bestimmung der Zeit und des Ortes die Zusam= | menkunft der Abgeordneten an, so oft er solches zur Erledigung wichtiger und | dringender Landesangelegenheiten fur nothig erachtet. ^RegelmaBig muB diese Zusammenberufting alle Jahre erfolgen und zwar | zum 15. October. ^Geschieht dieses nicht, so tritt der Landtag am 1. November | gesetzlich aus eigener Machtvollkommenheit zusammen. Das Ableben des Herzogs verpflichtet die Abgeordneten, beziehendlich de= | ren Stellvertreter, zum sofortigen Zusammentritt in der Hauptstadt. §.63. ^Die Wahlen der Abgeordneten geschehen auf die Zeit von drei Jahren. | ^Nach Ablauf dieses Zeitraums finden neue Wahlen Statt, bei denen jedoch die | abgehenden Volksvertreter wieder gewahlt werden konnen. ^Die Abgeordneten verlieren diese Eigenschaft, 1) wenn Umstande eintreten, welche ihre Wahlbarkeit verhindert haben | wtirden, 2) wenn ihnen Staatsamter iibertragen oder sie im Staatsdienste befor= | dert werden, 3) wenn sie ihr Mandat aus eigenem Antriebe niederlegen, 4) wenn der Herzog den Landtag auflost. ^In den letzten drei Fallen dtirfen sie von Neuem gewahlt werden. §.64. ^Im Falle der Auflosung des Landtags muB ein neuer binnen spatestens | sechzig Tagen einbemfen werden; widrigenfalls die Neugewahlten, oder, wenn | eine neue Wahl nicht Statt gefunden hat, die friihem Abgeordneten aus eige= | ner Machtvollkommenheit zusammentreten. '^Auch muB bei Auflosung des Land= | tags die Urkunde zugleich die neuen Wahlen anordnen. §.65. ^Wahrend der Dauer der Sitzungsperiode darf kein Mitglied des Landtags | ohne Zustimmung des letztem verhaftet oder in strafrechtliche Untersuchung gezo= | gen werden; mit alleiniger Ausnahme der Ergreifung auf frischer That. ^In | diesem letzten Falle ist der Versammlung von der getroffenen MaBregel sofort | KenntniB zu geben, und es steht ihr zu, tiber die Entlassung des Betheiligten aus | der Haft oder Untersuchung bis zum Schlusse des Landtags zu entscheiden. Dieselbe BefiigniB steht der Versammlung in Betreff einer Verhaftung | oder Untersuchung zu, welche tiber einen Abgeordneten zur Zeit seiner Wahl | bereits verhangt gewesen ist.

1444

§ 9: Anhalt-Bemburg

[Dok. 155-168]

[S, 150] §.66. Kein Abgeordneter darf zu irgend einer Zeit wegen seiner Abstimmung | in der Versammlung oder wegen der bei Austibung seines Bemfs gethanen | AuBemngen gerichtlich verfolgt oder sonst auBerhalb zur Verantwortung gezo= | gen werden, wenn nicht der Fall unter den Gesichtspunkt einer Injurie, Ver= | leumdung, oder eines in den Gesetzen mit Strafe bedrohten sonstigen Verge= | hens fallt. §.67. Das Staatsministerium hat Zutritt zu den Landtagsverhandlungen; es | muB auf sein Verlangen mit selbstandigen Antragen und sonst mit Bemerkun= | gen jederzeit gehort werden. Ein Stimmrecht haben die Mitglieder desselben nur dann, wenn sie zu= | gleich Landtagsabgeordnete sind.

Das Staatsministerium ist berechtigt, zu seiner Vertretung bei den Land= | tagssitzungen Commissarien abzuordnen, welchen dann dieselben Befugnisse wie | ihm selbst zustehen. Die Minister sind ftir ihre Vertreter verantwortlich. §.69. Der Landtag ist berechtigt, beztiglich der ihm vorliegenden Arbeiten die | zweckdienlichen Aufklamngen von den Mitgliedem des Staatsministeriums oder | deren Commissarien einzuholen. §.70. Der Landtag kann nur dann gtiltig verhandeln und Beschliisse fassen, | wenn die absolute Mehrheit seiner Mitglieder anwesend ist. Die Beschltisse werden regelmaBig durch absolute Stimmenmehrheit gefaBt. Beschliisse tiber Erlauterungen oder Abanderungen der Verfassungsurkunde | bediirfen der Stimmen von zwei Dritttheilen sammtlicher Abgeordneten, um giil= | tig zu sein. §.71. Der Landtag steht nur mit dem Staatsministerium in unmittelbarer Ge= | schaftsbeziehung. §.72. Ohne Zustimmung des Landtags kann kein Gesetz erlassen, abgeandert | oder aufgehoben, noch eine authentische Gesetzauslegung gegeben werden. Staatsvertrage bediirfen zu ihrer Gtiltigkeit der Genehmigung des Land= | tags. §.73. Der Landtag hat das Recht, die Vorlage neuer und die Abanderung oder | Aufhebung bestehender Gesetze zu beantragen, so wie selbst Gesetzentwtirfe aus= | zuarbeiten und dieselben zur Berathung und BeschluBnahme zu bringen. [S. 151] §. 74. ^Der Landtag ist befugt, Bitten und Beschwerden von Personen oder | Korperschaften anzunehmen und dartiber zu berathen. "^Solche Eingaben dtirfen [ jedoch nicht personlich tiberreicht, miissen vielmehr dem Vorsitzenden der Versamm= | lung eingesandt oder durch einen Abgeordneten vorgelegt werden. ^Nur ein Mit= | glied darf eigene Vorstellungen selbst tibergeben.

[ 162] „Revidierte Verfassung" vom 28. Februar 1850

1445

§.75. ^Der Landtag prtift den Staatshaushaltsetat und setzt denselben fest und | zwar jedesmal auf Bin Jahr. '^Hiezu mtissen ihm jahrlich bei seinem Zusam= | mentritte im Monat October der Hauptfinanzetat des folgenden Jahres und die | demselben zum Grunde liegenden besondem Etats zur Genehmigung mitgetheilt, | auch die abgeschlossenen Rechnungen des vorigen Jahres nebst Belegen zur Pru= | fiing und Decharge vorgelegt werden. Gleichzeitig hat der Landtag das Recht, die Bestande nachzusehen. ^Zu Etatstiberschreitungen ist die Genehmigung des Landtags erforderHch. | ^Diese konnen nur durch plotzHch eingetretene Ereignisse oder unvorhergesehene | Umstande gerechtfertigt werden. §. 76. ^Der Landtag bewilligt jahrHch den Betrag der auszuschreibenden Steuem | und setzt denselben durch Berathung und Abstimmung fest. '^Das darliber aus= | gefertigte Gesetz hat nur fur Ein Jahr Kraft, wenn es nicht wieder emeuert | wird. ^Ohne solches Gesetz dtirfen Steuem weder ausgeschrieben noch erhohet | werden. Die alten Steuem (Steuem und ordinaire Quarten) so wie die auf | Vertragen bemhenden indirecten Steuem werden so lange ununterbrochen fort= | erhoben, bis sie durch ein Gesetz aufgehoben oder abgeandert sind. §. 77. ^Ohne Einwilligung des Landtags dtirfen keine neuen Schulden contra= | hirt werden. ^Als neue Landesschulden sind jedoch nicht diejenigen Anlehen zu | betrachten, welche Behufs Tilgung alterer Schulden aufgenommen werden; ebenso= | wenig die Ausstellung neuer Schuldurkunden in die Stelle alterer Obligationen; | dagegen ist zur Creimng von Kassenscheinen unbedingt die Zustimmung des Land= | tags erforderHch. §.78. In auBerordentlichen Fallen, wo die Aufhahme von Kapitalien dringend | erforderHch wird, die Einbemfung des Landtags aber unausflihrbar ist, kann die | Staatsregiemng die erforderlichen Summen anlehnsweise ausnehmen, vorbehalt= | lich der Nachweisung ihrer Nothwendigkeit unter Verantwortlichkeit des Staats= | ministeriums. fS. 152] §.79. Der ErlaB nickstandiger Steuem, Abgaben, Strafgelder und Gerichts= | kosten in einzelnen Fallen bleibt dem Ermessen der Staatsregiemng unter deren | Verantwortlichkeit tiberlassen. §.80. Der Landtag hat das Recht zu Vorstellungen, zu Beschwerdefiihmngen | liber Mangel und MiBbrauche in der Landesverwaltung und iiber gesetzwidriges | Verfahren der Verwaltungsbehorden, zur Beantragung gesetzmaBiger Bestrafung | schuldiger Staatsdiener und zur Anklage gegen die Minister. Die nahem Bestimmungen tiber die Verantwortlichkeit der Minister, das | Verfahren, die Ersatzverbindlichkeit und die Strafen werden einem besondem I Gesetze vorbehalten.

1446

§ 9: Anhalt-Bemburg

[Dok. 155 - 168]

Tit. IV, I Von dem Herzoge und der Staatsregiemng. §.81. Die Regiemngsform ist constitutionell=monarchisch mit Volksvertretung. §.82. Der Herzog ist das Oberhaupt des Staates, seine Person ist unverletzt== | lich und unverantwortlich. Die Minister sind verantwortlich. Jede Verftigung in Staatsangelegenheiten bedarf zu ihrer Gtiltigkeit der | Gegenzeichnung wenigstens Eines Ministers, welcher dadurch die Verantwortlich^ | keit tibemimmt. §. 83. Der Herzog tibt die gesetzgebende Gewalt verfassungsmaBig in Gemein= | schaft mit den Vertretem des Volkes, die vollziehende Gewalt allein aus. ^Nur im Falle, wenn die Aufrechterhaltung der offentlichen Sicherheit oder | die Beseitigung eines ungewohnlichen Nothstandes es dringend erfordert, konnen, | insofem der Landtag nicht versammelt ist, unter Verantwortlichkeit des Staats= | ministeriums Verordnungen, die den Bestimmungen der Verfassung nicht zuwider= | laufen, mit Gesetzeskraft erlassen werden. ^Dieselben sind aber dem Landtage bei | seinem nachsten Zusammentritte zur Genehmigung sofort vorzulegen. Die zur Vollstreckung und Handhabung der Gesetze erforderlichen, so | wie die aus dem Aufsichts= und Verwaltungsrechte herflieBenden Verordnungen | und Verfiigungen zu treffen, steht der Staatsregiemng ohne Mitwirkung des | Landtags zu. §.84. Alle Staatsamter werden durch den Herzog besetzt. Ein Staats= und Hofamt darf nicht in einer Person vereinigt sein. Der Herzog flihrt den Oberbefehl tiber das Militair. [S. 153] ^Der Herzog schlieBt die Staatsvertrage mit andem Regiemngen ab. "^Zur | Gtiltigkeit derselben ist die Genehmigung des Landtags erforderlich, unbeschadet | einer provisorischen Ausfuhrung in besonders dringenden Fallen. §. 85. ^Der Herzog hat das Recht der Begnadigung und Strafmilderung. '^Be^ | ztiglich der gegen die verantwortlichen Minister vorgebrachten Anklagen wegen | Verletzung der Verfassung so wie der in Folge dessen erkannten Strafen kann | er diese Rechte nur mit Zustimmung des Landtags austiben. §. 86. ^Der Herzog ruft den Landtag zur gesetzlichen Zeit wie auch in auBeror= | dentlichen Fallen zusammen und schlieBt denselben; auch hat er das Recht, ihn | zu vertagen und aufzulosen. ^Die Vertagung darf ohne Zustimmung des Land= | tags weder die Frist von 30 Tagen tiberschreiten, noch wahrend derselben Diat | sich wiederholen. §.87. Der Herzog hat das Recht, dem Landtage Gesetze vorzuschlagen. Es tritt kein Landesgesetz in Gtiltigkeit, bevor es von dem Herzoge san= | ctionirt und verktindet worden ist.

[ 162] „Revidierte Verfassung" vom 28. Februar 1850

1447

Die Verktindigung der Gesetze geschieht unter Bezugnahme auf die er= | folgte Zustimmung des Landtags. §.88. Die Nachfolge in der Regierung des Herzogthums ist erblich nach den | im Gesammthause Anhalt abgeschlossenen Vertragen und nach den bestehenden | Gesetzen, §. 89. Alle rechtsgtiltigen Regentenhandlungen und Gesetze sind von dem Re= | giemngsnachfolger unbedingt anzuerkennen und zu vertreten. §.90. Der Herzog und die Mitglieder des Herzoglichen Hauses werden mit dem | zuriickgelegten 21 sten Jahre vollj ahrig. Vor Antritt seiner Regierung leistet der Herzog den versammelten Ver= | tretem des Volkes das feierliche Versprechen: Ich gelobe, die Verfassung des Herzogtums fest und unverbruchlich | zu halten und in Uebereinstimmung mit ihr und den Gesetzen zu re= | gieren. ^Die dariiber aufgenommene Urkunde wird offentlich bekannt gemacht und 1 dem Landtagsarchive einverleibt. "^Dann erfolgt die Huldigung, zuerst von den | Mitgliedem des Landtags. §.9L ^Ist der Herzog minderjahrig, oder befindet er sich in der Unmoglichkeit | zu regieren, so tritt fiir die Dauer der Minderj ahrigkeit oder der sonstigen Ver= [ [S. 154] hinderung eine Regentschaft ein. ^Diese gebtihrt in Beziehung auf den minder= | jahrigen Landesfursten zunachst dessen leiblicher Mutter und, wenn diese nicht | mehr lebt oder anderweitig vermahlt oder sonst verhindert ist, dem nachsten voll= | jahrigen zur Regierung fahigen Prinzen unter den Agnaten des HerzogHchen | Hauses. Ftir den oben gedachten Fall der Verhinderung des Landesherm kommt | die Regentschaft dessen Gemahlin zu, in deren Ermangelung oder Behinderung | dem zur Erbfolge zunachst berechtigten vollj ahrigen Agnaten, Die nothige Einleitung zur Regentschaft hat das Staatsministerium im | Einvemehmen mit dem Landtage zu treffen. Ueber Streitigkeiten in Betreff der Regentschaft entscheidet in Ermange= | lung eines gewillkuhrten Austrages das deutsche Reichsgericht. Die Regentschaft tibt die Staatsgewalt in demselben Umfange, wie sie | dem Herzoge zusteht, in dessen Namen verfassungsmaBig aus. §.92. Der Herzog bezieht auBer denjenigen Reveniien, welche aus dem Gute | Zeitz mit sammtlichem Zubehor und seinen im Auslande belegenen Besitzungen | entspringen, und auBer der freien Benutzung der Schlosser und Hofgebaude mit | Inventarien, Anlagen und Garten eine aus den Ausktinften der Herzoglichen | Stamm= und FideicommiB= so wie aus seinen Allodialgtitem vorab zu entneh= | mende Civilliste, deren Betrag fiir die Lebensdauer des jetzt regierenden Herzogs | auf die Summe von flinf und sechszig Tausend Thalem Courant jahrlich fest= | gestellt wird und in monatlichen Vorausbezahlungen aus der Staatskasse abzu= 1 fiihren ist. Von dieser Civilliste sind alle Ausgaben der Chatoulle des Herzogs, | die Hand=, Spill= und Nadelgelder der Herzogin, die sammtlichen Ausgaben | der Hofhaltung einschlieBlich

1448

§ 9: Anhalt-Bemburg

[Dok. 155 - 168]

der Besoldungen und kiinftigen Ruhegehalte der | im activen Hofdienste verbleibenden Hofdienerschaft, mit EinschluB der Kapelle, | zu bestreiten. §= 93. Es flieBen fortan alle Einktinfte von den sammtlichen Herzoglichen Do= | mainen, beziehendlich Stamm= und FideicommiBgiitem des Herzogs, so wie von | den inlandischen Privatgtitem des Herzogs - mit Ausnahme der zum Gute | Zeitz gehorigen Gmndstticke -, Forsten, einzelnen Grundstticken, Herzoglichen | Gebauden, Berg= und Htittenwerken, Fischereien, lehn= und grundherrlichen Rech= | ten und Gefallen, so wie Regalien und fiscalischen Gefallen, tiberhaupt alle | bisherigen Kammereinkunfte, nicht minder alle directen und indirecten Steuem | zur Staatskasse, welche dagegen sammtliche Staatsausgaben mit EinschluB der | Herzoglichen Civilliste zu bestreiten und nicksichtlich der Verzinsung und Til= I gung der Kammerschulden alle der vormaligen Kammerkasse rechtlich obliegenden | Verpflichtungen zu erfiillen hat. [S. 155] §. 94. Nach dem Ableben des jetzt regierenden Herzogs ist der tiberlebenden | Herzogin das derselben nach den Ehepakten zustandige Witthum aus den Auf= | kunften der Herzoglichen Stamm= und FideicommiBgiiter zu gewahren und in | vierteljahrlichen Vorausbezahlungen aus der Staatskasse abzufuhren. §.95. Die Herzoglichen Stamm= und FideicommiBgiiter so wie alle sonstigen | Staatsgtiter und Einktinfte dtirfen ohne Einwilligung des Landtags weder ver= | auBert noch verpfandet werden; hinsichtlich der inlandischen Allodialgtiter des | Herzogs gilt fur die Lebensdauer des Herzogs dieselbe Bestimmung. Eigenthumsveranderungen in Folge richterlichen Erkenntnisses und beziig= | lich einzelner Parcellen mittelst Ablosung, Austausches oder Vergleiches zur Be= | forderung der Landescultur, zur Verausgabung von Baustellen oder zur Bericht= | tigung zweifelhafter Grenzen bedtirfen nicht der Zustimmung des Landtags. §. 96. Das Staatsgut und die Herzoglichen Stamm= und FideiecommiBgtiter so | wie das Allodialgrundvermogen des Herzogs sollen mit Zuziehung des Landtags | und der tibrigen Betheiligten festgestellt werben. Allgemeine Bestimmungen. §.97. Alle Staatsbeamte haben dem Herzoge und der Verfassung Treue und | Gehorsam zu schworen. §.98. Ftir den Fall eines Kriegs oder Aufruhrs konnen bei dringender Gefahr | fiir die gesetzliche Sicherheit die §§. 5. 6. 7. 8. 9. 10. zeit= und districtsweise | auBer Kraft gesetzt werden, jedoch nur unter folgenden Bedingungen: 1) die Verfiigung muB in jedem einzelnen Falle von dem Ministerium | ausgehen; 2) die Verfiigung muB dem nachsten Landtage zur Genehmigung vorge= 1 legt werden. Die nahem Bestimmungen dariiber bleiben einem besondem Gesetze vorbehalten,

[162] „Revidierte Verfassung" vom 28. Febraar 1850

1449

§•99. Gesetzentwtirfe sollen vor der Berathung durch den Landtag in der Re= | gel durch den Druck zur offentlichen KenntniB gebracht werden. §. 100. Bei Streitigkeiten, welche zwischen der Staatsregierung und dem Land= | tage tiber den Sinn und die Anwendung der Verfassung sich erheben konnten, | soil zuvorderst durch Beauftragte des Herzogs und Abgeordnete des Landtags | ein Versuch der Ausgleichung gemacht werden, wenn aber diese nicht erreicht | wird, die Entscheidung des Reichsgerichts eintreten. [S. 156] §. 101. Zur Ausfuhmng der in den §§. 3, 5, 6, 8, 9, 12, 21, 22, 23, 24, | 25, 30, 33, 35, 36, 37, 38, 39, 40, 43, 45, 49, 51, 52, 53, 80, 98 aus= | gesprochenen Grundsatze werden ohne SaumniB besondere Gesetze ergehen. Bis zum ErlaB dieser Gesetze bleiben die in Bezug auf die Gegenstande | derselben bestehenden Vorschriften und Rechtsnormen in Gtiltigkeit. Alle den tibrigen Bestimmungen der Verfassung entgegenstehenden gesetz= | lichen Vorschriften treten sofort auBer Kraft. Alle durch die gegenwartige Verfassung nicht beriihrten Gesetze und | Rechtsnormen bleiben dagegen in voller Geltung. §. 102. Sollten durch die fiir den Deutschen Bundesstaat festzustellende Verfas= | sung Abanderungen der gegenwartigen Verfassung nothwendig werden, so wird | der Herzog dieselben anordnen und diese Anordnungen dem Landtage bei dem | nachsten Zusammentritte desselben zur Berathung und BeschluBfassung mittheilen. Indem Wir dieses Landesverfassungsgesetz zur allgemeinen Befolgung | und genauen Beobachtung in seinem ganzen Inhalte einschlieBlich des hierzu ge= | horigen Wahlgesetzes hierdurch verktindigen, versichem Wir zugleich feierlich, daB | Wir diese Verfassung nicht nur Selbst treu und unverbrtichlich halten, sondem | auch gegen alle Eingriffe und Verletzungen kraftigst zu schiitzen und zu erhalten | stets Bedacht sein werden. Urkundlich haben Wir dieses Landesverfassungsgesetz eigenhandig vollzo= | gen und Unser Herzogliches Siegel beidrucken lassen. Ballenstedt, am 28. Februar 1850. Alexander Carl, | Herzog zu Anhalt. | (L. S.) V. Krosigk. V. Hempel.

1450

§ 9: Anhalt-Bemburg

[Dok. 155 - 168]

[162/1] „Gesetz, die Abanderung der §§ 13 und 36 des Verfassungsgesetzes, hinsichtlich der Todesstrafe und der Competenz der Schwurgerichte betreffend", vom 30. November 1851 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einfuhmngen" die Darstellungen unter [671.] [677.]. Quelle: Gesetz-Sammlung fiir das Herzogthum Anhalt-Bemburg, Bd. 10 (enthaltend die Gesetze und Verordnungen der Jahre 1851 und 1852), Bemburg o. J., S. 182 (gedruckt). [S, 182] Gesetz, | die Abanderung der §§. 13 und 36 des Landesverfassungsgesetztes, hinsichtlich der I Todesstrafe und der Competenz der Schwurgerichte, betreffend, | vom 30. November 1851 Wir, Alexander Carl, von Gottes Gnaden, | regierender Herzog zu Anhalt etc. etc., | verordnen auf den Antrag Unsers Staatsministeriums und mit Zustimmung des | Landtags was folgt: §.1. Der §.13 des Landesverfassungsgesetzes, welcher die Abfassung der | Todesstrafe, ausgenommen wo das Kriegsrecht dieselbe vorschreibt, bestimmt hat, | wird insoweit aufgehoben und bleibt mithin in folgender Fassung bestehen: „die Strafen des Prangers und der Brandmarkung sind abgeschafft. | Korperliche Ztichtigung darf, auBer in Correctionsanstalten, von Be= | horden nicht verfiigt oder erkannt werden." §.2. Der §.36 des Landesverfassungsgesetzes wird aufgehoben und dagegen | bestimmt: „in Strafsachen gilt der AnklageprozeB. Die Verbrechen, so wie die mit Freiheitsstrafen von mehr als | drei Jahren durch das Strafgesetz bedroheten PreBvergehen, gehoren | zur Competenz der Schwurgerichte." Urkundlich unter Unserer eigenhandigen Unterschrift und beigedmcktem | Herzoglichen Insiegel. Ballenstedt, am 30. November 1851. Alexander Carl, Herzog zu Anhalt (L. S.) V. Hempel. v. Schaetzell.

[162/2] „Gesetz uber die Auslegung der §§ 27 - 30 des Landesverfassungsgesetzes in Betreff des offentlichen Unterrichts" vom 4, Februar 1852 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einfiihrungen" die Darstellung unter [672.]. Quelle: Gesetz-Sammlung far das Herzogthum Anhalt-Bemburg, Bd. 10 (enthaltend die Gesetze und Verordnungen der Jahre 1851 und 1852), Bemburg o. L, S. 349-350 (gedmckt).

[162/3] Gesetz vom 5. Februar 1852

1451

[S. 349] Gesetz | tiber die Auslegung der §§. 27 - 30 des Landesverfassungsgesetzes in Betreff | des offentlichen Unterrichts, vom 4. Februar 1852. Wir, Alexander Carl, von Gottes Gnaden, | regierender Herzog zu Anhalt etc. etc., | verordnen auf Antrag Unsers Staatsministeriums und mit Zustimmung des Land= | tags, in Erwagung: 1) daB zwar nach einer richtigen Auslegung der Verfassungs=Urkunde | anzunehmen ist, daB sammtliche Bestimmungen tiber den Unterricht, | §. 26 bis 30, da diese erst durch ein Unterrichtsgesetz geregelt werden | sollen, nicht eher ins Leben treten konnen, als bis dieses Unterrichts= | gesetz publicirt worden ist, 2) jedoch die Deutung versucht worden, daB die Bestimmungen in den | §. 27 bis 29, besonders der §. 29 ausgesprochene Grundsatz: |„die nothigen Mittel zum Aufwande fiir das Unterrichtswesen | beschafft der Staat", | sofort in Kraft treten, wahrend die Beitragspflicht der Gemeinden | erst durch das Gesetz geregelt werden soil, da §. 27 bis 29 nicht | unter den §. 101 der Verfassung bezeichneten grundsatzlichen Bestim= | mungen enthalten sind, welche erst nach dem Erlasse der Ausfiihrungs= | gesetze in Kraft treten, | was folgt: „Bis zum Erlasse des §.30 der Verfassung vorgesehenen Unterrichts= I gesetzes bleibt das Gesetz vom 22. Januar 1846 tiber die Verpflich= | tung der Gemeinden zur Beschaffung der Bedtirfhisse fiir die Com= | munalschulen in Wirksamkeit." [S. 350] Urkundlich haben Wir dieses Gesetz eigenhandig vollzogen und Unser | Herzogliches Siegel beidrucken lassen. Ballenstedt, am 5. Februar 1852. Alexander Carl, Herzog zu Anhalt. | (L. S.) V. Hempel. v. Schaetzell.

[162/3] „Gesetz, I. tiber die Aufhebung des § 50 des Landesverfassungsgesetzes wegen Gewahrleistung der Theilbarkeit des Grundeigenthums, II. Zusatze zu den allgemeinen Bestimmungen des Landesverfassungsgesetzes wegen Publication und Rechtsgultigkeit der Gesetze und Verordnungen betreffend", vom 5. Februar 1852 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einfahrungen" die Darstellung unter [673.]. Quelle: Gesetz-Sammlung fiir das Herzogthum Anhalt-Bemburg, Bd. 10 (enthaltend die Gesetze und Verordnungen der Jahre 1851 und 1852), Bemburg o. J., S. 350-351 (gedruckt). [S. 350] Gesetz, I. tiber die Aufhebung der Bestimmung des §. 50 des Landesverfassungsgesetztes | wegen Gewahrleistung der Theilbarkeit des Grundeigenthums, II. Zusatze zu den allgemeinen Bestimmungen des Landesverfassungsgesetzes | wegen Publication und Rechtsgiiltigkeit der Gesetze und Verordnungen betreffend, vom 5. Februar 1852. Wir, Alexander Carl, von Gottes Gnaden, | regierender Herzog zu Anhalt etc. etc., | verordnen auf den Antrag Unsers Staatsministeriums und mit Zustimmung des | Landtags; was folgt:

1452

§ 9: Anhalt-Bemburg

[Dok. 155-168]

§•1Die Bestimmung im §.50 des Landesverfassungsgesetzes: | „Die Theilbarkeit des Grundeigenthums wird gewahrleistet", | wird aufgehoben. [S, 351] §.IL Zu den allgemeinen Bestimmungen des Landesverfassungsgesetzes treten | folgende hinzu: 1) Gesetze und Verordnungen sind verbindlich, wenn sie in der vom Ge= | setze vorgeschriebenen Form bekannt gemacht worden sind. 2) Die Priifung der Rechtsgtiltigkeit gehorig verktindeter Gesetze und | Verordnungen des Herzogs steht nicht den Behorden zu. Urkundlich unter Unser eigenhandigen Unterschrift und beigedrucktem | Herzoglichen Insiegel. Ballenstedt, am 5. Februar 1852. Alexander Carl, Herzog zu Anhalt. | (L. S.) V. Hempel. v. Schaetzell.

[162/4] „Gesetz, die Form des Eides betreffend", vom 2. Dezember 1852 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einfuhrungen" die Darstellung unter [674.]. Quelle: Gesetz-Sammlung flir das Herzogthum Anhalt-Bemburg, Bd. 10 (enthaltend die Gesetze und Verordnungen der Jahre 1851 und 1852), Bemburg o. J., S. 443 (gedruckt). [S. 443] Gesetz, | die Form des Eides betreffend, | vom 2. December 1852. Wir, Alexander Carl, von Gottes Gnaden, | regierender Herzog zu Anhalt etc. etc., | verordnen in Beziehung auf die im §.22 des Landesverfassungsgesetzes enthal= | tene Bestimmung auf Antrag Unsers Staatsministeriums und mit Zustimmung | des Landtags, wie folgt: §.1. Die Bestimmung in §. 22 des Landesverfassungsgesetzes vom 28. Febr. 1850: „die Form des Eides, welche fur Alle gleichmaBig und an kein be= | stimmtes religioses BekenntniB gekntipft sein soil, wird auf dem Wege | der Gesetzgebung bestimmt - " ist aufgehoben. §.2. Die far die Bekenner der christlichen Confessionen und fur die Juden | bestehenden Eidesformeln behalten unverandert ihre Geltung. §.3. Ftir die Mitglieder der auBer der christlichen Kirche stehenden sogenannten | freien Gemeinden wird folgende Eidesformel: Ich schwore zu Gott, dem Allmachtigen und Allwissenden, daB u. s. | w. - So wahr mir Gott helfe! als allein giiltig festgesetzt.

[162/6] Abandemngsgesetz vom 9. April 1855

1453

§•4. Die bestehenden Gesetze wegen verweigerter Eidesleistxing und wegen | Meineides habenauch nicksichtlich der im §. 3 erwahnten Religionsgenossen== | schaften Geltung. §.5. Alle diesem Gesetze entgegenstehenden altem Gesetze und Verordnungen | sind hiermit aufgehoben. Urkundlich unter Unserer eigenhandigen Unterschrift und beigedrucktem | Herzoglichen InsiegeL - Ballenstedt, am 2. December 1852. Alexander Carl, Herzog zu Anhalt. | (L. S=) V. Hempel. v. Schaetzell.

[162/5] „Gesetz, die Abanderung der §§ 4, 34 und 84 der Landes-Verfassungs-Urkunde vom 28. Februar 1850 betreffend", vom 5. Marz 1854 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einfiihrungen" die Darstellung unter [675.], Quelle: Gesetz-Sammlung fur das Herzogthum Anhalt-Bemburg, Bd. 11 (enthaltend die Gesetze und Verordnungen der Jahre 1853 und 1854), Bemburg o, J., S. 233 (gedruckt). [S. 233] Gesetz, | die Abanderung der §§. 4, 34 und 84 der Landes-Verfassungs-Urkunde vom | 28. Februar 1850 betreffend, | vom 5. Marz 1854. Wir, Alexander Carl, von Gottes Gnaden, | regierender Herzog zu Anhalt etc. etc., | verordnen auf Antrag Unsers Staats=Ministerii und mit Zustimmung des Land= | tags, was folgt: Die Bestimmung des §. 4 des Landes=Verfassungs=Gesetzes vom 28, Febr, | 1850 im zweiten Alinea, welche lautet: „Titel, welche nicht zur Bezeichnung des Amtes dienen, werden | nicht verliehen," femer der letzte Satz des §, 34, welcher lautet: „und weder Orden noch Gratificationen annehmen" und endlich die Bestimmung des zweiten Alineas des §. 84, welche lautet: „ein Staats= und Hofamt darf nicht in einer Person vereinigt sein" werden hierdurch aufgehoben. Urkundlich unter Unserer eigenhandigen Unterschrift und beigedrucktem | Herzoglichen InsiegeL Ballenstedt, am 5. Marz 1854. Alexander Carl, Herzog zu Anhalt. | (L. S.) V. Schaetzell.

[162/6] „Gesetz, die Abanderung der §§ 53, 54, 39 und 17 der Landes-Verfassungs-Urkunde vom 28. Februar 1850 betreffend", vom 9. April 1855 Vgl dazu in „Teil 1: Historische Einfiihrungen" die Darstellung unter [676.]. Quelle: Gesetz-Sammlung fur das Herzogthum Anhalt-Bemburg, Bd. 12 (enthaltend die Gesetze und Verordnungen der Jahre 1855 bis 1858), Bemburg o. J., S. 23 (gedmckt).

1454

§ 9: Anhalt-Bemburg

[Dok. 155 - 168]

[S. 23] Gesetz, | die Abanderung der §§. 53, 54, 39 und 17 der Landes-Verfassungs-1 Urkunde vom 28. Februar 1850 betreffend, | vom 9. April 1855. Wir, Alexander Carl, von Gottes Gnaden, | regierender Herzog zu Anhalt etc. etc., | verordnen auf Antrag Unsers Staats=Ministeriums und mit Zustimmung des Landtags, | was folgt: §•1. ^Die §§. 53 und 54 der Landesverfassungs^Urkunde vom 28. Februar 1850 sind | aufgehoben. "^An deren Stelle tritt folgende Bestimmung: §.2. Den Gemeinden steht, insoweit sie darin nicht gesetzlich beschrankt werden, die | selbststandige Verwaltung ihrer Angelegenheiten unter Oberaufsicht des Staates zu. §.3. Im dritten Alinea des §.39, welches lautet: „Zur Aufrechthaltung der Ordnung kann nach naherer Bestimmung des Gesetzes | durch GemeindebeschluB eine Btirgerwehr errichtet werden" sind die Worte: „durch GemeindebeschluB" aufgehoben. §•4. Der §.17 der Landes=Verfassungs=Urkunde gilt fortan in folgender Fassung: „Durch das religiose BekenntniB wird der GenuB der auBerlichen und staats= | btirgerlichen Rechte weder bedingt noch beschrankt, soweit nicht gesetzlich besondere I Ausnahmen festgestellt werden. Den staatsbtirgerlichen Pflichten darf das reli= | giose BekenntniB keinen Abbruch thun." Urkundlich unter Unserer eigenhandigen Unterschrift und beigedrucktem Herzoglichen | Insiegel. Ballenstedt, am 9. April 1855. Alexander Carl, Herzog zu Anhalt. | (L. S.) V. Schaetzell. /

[162/7] „Gesetz, die Abanderung des § 13 des Landes-VerfassungsGesetzes vom 28. Februar 1850 und die Aufhebung des § 2 des Gesetzes iiber die Einfiihrung der Preud. Verordnung iiber die Disciplinarbestrafung fur die hiesigen Truppen vom 14. IVIarz 1850 betreffend", vom 29. April 1855 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einftihrungen" die Darstellung unter [677.]. Quelle: Gesetz-Sammlung far das Herzogthum Anhalt-Bemburg, Bd. 12 (enthaltend die Gesetze und Verordnungen der Jahre 1855 bis 1858), Bemburg o. J., S. 65 - 66 (gedruckt). [S. 65] Gesetz, | die Abanderung des §. 13 des Landes-Verfassungsgesetzes vom 28. Februar 1850 | und I die Aufhebung des §. 2 des Gesetzes tiber die Einfuhrung der PreuB. Verordnung | iiber die Disciplinarbestrafung far die hiesigen Truppen vom 14. Marz 1850 | betreffend, | vom29. April 1855.

[ 162/8]Abandemngsgesetz vom 31. August 1859

1455

Wir, Alexander Carl, von Gottes Gnaden, | regierender Herzog zu Anhalt etc. etc., | verordnen auf Antrag Unsers Staats=Ministeriums und mit Zustimmung des | Landtags, was folgt: I. Die Bestimmung im §. 13 des Landes=Verfassungs=Gesetzes fiir das | Herzogthum Anhalt=Bemburg vom 28. Febmar 1850^ und im §. 1 des Gesetzes | vom 30. November 1851, die Abanderung der §§.13 und 36 des Landes= | Verfassungs=Gesetzes hinsichtlich der Todesstrafe und der Competenz der Schwur= | gerichte betreffend**, (Ges.=S. Bd. X., Seite 182, Nr. 633) welche also lautet: „die Strafen des Prangers und der Brandmarkung sind abgeschafft, | Korperliche Ziichtigung darf, auBer in Corrections==Anstalten, von Be= | horden nicht verfiigt Oder erkannt werden," wird dahin abgeandert: „Die Strafen der korperlichen Ziichtigung, des Prangers und der | Brandmarkung sind abgeschafft." II. Der §. 2 des Gesetzes tiber Einfuhrung der PreuBischen Verordnung \ [S. 66] uber die Disciplinarbestrafung ftir die hiesigen Truppen vom 14. Marz 1850 | (Ges.=S. Bd. IX., S. 240, Nr. 554) wird hiermit aufgehoben. Urkundlich unter Unserer eigenhandigen Unterschrift und beigedrucktem | Herzoglichen InsiegeL Ballenstedt, am 29, April 1855. Alexander Carl, Herzog zu Anhalt. | (L. S.) V. Schaetzell.

[162/8] „Gesetz, die Abanderung des Verfassungs-Gesetzes vom 28. Februar 1850 betreffend", vom 31. August 1859 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einfiihrungen" die Darstellung unter [678.]. Quelle: Gesetz-Sammlung flir das Herzogthum Anhalt-Bemburg, Bd. 13 (enthaltend die Gesetze und Verordnungen der Jahre 1859 bis 1863), Bemburg o. J., S. 45 - 46 (gedruckt). [S. 45] Gesetz, | die Abanderung des Verfassungs=Gesetzes vom 28. Februar 1850 betreffend. Von Gottes Gnaden Wir Alexander Carl, regierender Herzog | zu Anhalt etc. etc., | und Wir Friedrike, Herzogin=Mitregentin zu Anhalt etc. etc., | nachdem Wir in Gemeinschaft mit Sr. altestregierenden Hoheit, dem Herzoge | Leopold Friedrich zu Anhalt=Dessau=Cothen, Unseres Herm Vetters Liebden, | eine Landschafts=Ordnung fiir die Anhaltischen Herzogthtimer errichtet haben und | zu derselben unter dem 20. Junius 1859 der Landtag Unseres Herzogthums | seine verfassungsmaBige Zustimmung ertheilt hat, verordnen auf Antrag Unseres | Staatsministeriums und mit Zustimmung des Landtags, was folgt:

Dok. 162. Dok. 162/1.

1456

§ 9: Anhalt-Bemburg

[Dok. 155 - 168]

Art. L Die §§. 1, 2, 14, 16 - 30, 34, Alinea 2 des §,, 38, 49, 55 - 81,1 83 - 87, 97, 99 und 100 des Landes=Verfassungs=Gesetzes fur das Herzogthum | Anhalt=Bembnrg vom 28. Februar 1850 sind aufgehoben. Art. II. Die Bestimmung des §. 4 des Landes=Verfassungs=Gesetzes vom 28. Fe= | bmar 1850 im ersten Alinea, welche lautet: „Alle Standes=Unterschiede und Standes^Vorrechte sind aufgehoben" wird hiermit aufgehoben. Art. III. Der §.11 des Landes=Verfassungs=Gesetzes vom 28. Februar 1850 wird | dahin abgeandert: „Es haben sowohl Einzelne als Mehrere in Vereinigung das Recht, Bitt= | schriften und Beschwerden an die Staats=Regierung zu richten. Petitionen | unter einem Gesammtnamen konnen nur von Behorden und Corporationen | ausgehen." [S. 46] Art. IV, Die Bestimmung im §. 2 des Gesetzes vom 30. November 1851 welche | lautet: „Die Verbrechen, sowie die mit Freiheitsstrafe von mehr als drei Jahren | durch das Strafgesetz bedroheten PreBvergehen gehoren zur Competenz der I Schwurgerichte" wird hiermit ausgehoben. Art.V. Der §. 48 des Landes=Verfassungs=Gesetzes vom 28. Februar 1850 wird | unter Streichung des letzten Alinea dahin abgeandert: „Alle tibrigen aus Grund und Boden haftenden privatrechtlichen Abgaben | und Leistungen sind ablosbar ohne Riicksicht auf die Person und das Ver= | haltniB des Berechtigten oder des Verpflichteten, insofem die Gesetzgebung I nicht Ausnahmen verordnet." Art. VI. Das zweite Alinea des §. 90 des Landes=Verfassungs=Gesetzes, welches | also lautet: „Vor Antritt seiner Regierung leistet der Herzog den versammelten Ver= | tretem des Volks das feierliche Versprechen: ich gelobe, die Verfassung des Herzogthums fest und unverbriichlich | zu halten und in Uebereinstimmung mit ihr und den Gesetzen zu | regieren. Die dartiber aufgenommene Urkunde wird offentlich bekannt gemacht und | dem Landtags=Archive einverleibt. Dann erfolgt die Huldigung zunachst von den Mitgliedem des Landtags" ist aufgehoben. Art. VII. Das Wahlgesetz fiir das Herzogthum Anhalt=Bemburg vom 28. Fe= | bmar 1850 ist aufgehoben.

[163] Gesetz vom 10. Marz 1850

1457

Art. VIIL Die Geschafts^Ordnung fiir den Landtag des Herzogthums Anhalt=Bem= | burg vom 4. October 1849 ist aufgehoben. Urkundlich unter Unserer Hochsteigenhandigen Unterschrift und beigedmck= | tern Herzoglichen Insiegel. Hoym, am 31. August 1859. Alexander Carl, H, z. Anhalt. (L. S.) Friederike, H. z. Anhalt V. Schaetzell.

[163] Gesetz zum Schutze der Rechte aus den §§ 5, 6 und 12 der Verfassung vom 10. Marz 1850 Quelle: Gesetz-Sammlung fur das Herzogthum Anhalt-Bemburg, Bd. 9 (enthaltend die Gesetze und Verordnungen der Jahre 1849 und 1850), Bemburg o. J., S. 198 - 203 (gedruckt). [S. 198] Gesetz | zum Schutze der Rechte aus §. 5, 6 und 12 der Verfassung, | vom 10. Marz 1850. Wir, Alexander Carl, von Gottes Gnaden, | regierender Herzog zu Anhalt etc. etc., | verordnen auf Antrag Unsers Staatsministerii und mit Zustimmung des Landtags | zum Schutze derjenigen Rechte, welche in §. 5, 6 und 12 der Verfassungsur== | kunde gewahrt sind, wie folgt: §. 1Die Freiheit der Person ist unverletzlich. §.2. ^Die Verhaftung einer Person soil nur in Kraft eines richterlichen, mit | Grtinden versehenen Befehls geschehen. "^Dieser Befehl muB im Augenblicke der | Verhaftung oder innerhalb der nachsten 24 Stunden dem Verhafteten zugestellt | werden. §.3. Die vorlaufige Ergreifixng und Festnahme einer Person kann ohne | richterlichen Befehl, jedoch nur dann erfolgen, wenn: 1) die Person bei Ausfiihrung einer strafbaren Handlung oder gleich nach | derselben betroffen oder verfolgt wird, 2) sich, selbst spater, Umstande ergeben, welche die Person als Urheber | oder Theilnehmer einer strafbaren Handlung und zugleich der Flucht | dringend verdachtig machen. §.4. Zu der vorlaufigen Ergreifiing und Festnahme (§.3.) sind die Polizei= | behorden und andere Sicherheitsbeamte, welchen nach den bestehenden Gesetzen | die Pflicht obliegt, Verbrechen und Vergehen nachzuforschen, so wie die Wacht= | mannschaften, berechtigt, letztere jedoch nur in dem Falle des §. 3 Nr, 1. ^Wenn in dem Falle des §. 3 Nr. 1 der Thater flieht oder der Flucht | dringend verdachtig ist, oder wenn Grund zu der BesorgniB vorliegt, daB die | Identitat der Person sonst nicht festzustellen sein werde, so ist jede Privatperson | ermachtigt, den Thater zu ergreifen. ^Der Ergriffene muB jedoch sofort einem | der oben bezeichneten Beamten Behufs Bestimmung iiber die vorlaufige Festnahme | oder einer Wachtmannschaft zugefuhrt werden. [S. 199]

1458

§ 9: Anhalt-Bemburg

[Dok, 155 - 168]

§.5. Jeder Verhaftete ist sofort demjenigen Richter vorzufiihren, in dessen | Bezirk die Verhaftung erfolgt ist. Dieser hat ihn in der Kegel sofort, spatestens aber binnen 24 Stunden, | so zu vemehmen, daB ihm die Moglichkeit, ein MiBverstandniB aufzuklaren, ge= | geben wird. ^War die Verhaftung auf Requisition eines andem Gerichts erfolgt, so | muB der Verhaftete sofort nach seiner vorlaufigeri Vemehmung dem requiriren= | den Gerichte oder dem von dem requirirenden Gerichte bezeichneten Gerichte zu= | gefiihrt werden. "^Ist der Verhaftete ein hiesiger Staatsbtirger, so sind die Cartel^ | vertrage, welche mit fremden Staatsregiemngen geschlossen sind, und anerkannt | werden, maBgebend. §.6. Die Polizeibehorden sind befugt, Personen in polizeiliche Verwahrung | zu nehmen, wenn der eigene Schutz dieser Personen, oder die Aufrechthaltung | der offentlichen Sittlichkeit, Sicherheit und Ruhe, diese MaBregel dringend er= | fordem. Die pohzeilich in Verwahrung genommenen Personen mtissen jedoch spa= | testens im Laufe des folgenden Tages in Freiheit gesetzt, oder es muB in dieser | Zeit das Erforderliche veranlaBt werden, um sie der zustandigen Behorde zu | tiberweisen. §•7. Der Richter darf gegen den Angeschuldigten, hinsichtlich dessen ein genu= | gender Verdacht vorhanden ist, die Verhaftung aus folgenden Griinden erkennen: 1) wegen Gefahr der Flucht; 2) wegen gegriindeter BesorgniB, daB der Angeschuldigte seine Freiheit | zur Vereitelung oder Erschwerung der Untersuchung durch Verabredung [ mit seinen Mitschuldigen oder andem Personen, oder durch Vemichtung | der Spuren des Verbrechens miBbrauchen werde. Diese Haft darf aber nie langer dauem, als der Zweck der= | selben in dem einzelnen Falle sie fordert; 3) bei schweren peinlichen Verbrechen.

^Jeder Angeschuldigte, gegen den nicht dringende Anzeigen eines schweren | peinlichen Verbrechens vorliegen, muB aus der Haft entlassen werden, sobald er | eine gentigende, von dem Gerichte zu bestimmende Caution bestellt, welche auch | eine eidliche oder btirgschaftliche sein kann. ^Eine nach §. 7 sub 2 erkannte | Verhaftung kann jedoch durch Cautionsleistung nicht abgewendet werden. §.9. Die flir das Militair erforderlichen Modificationen dieser Vorschriften | bestimmt ein besonderes Gesetz. [S. 200] Haussuchung. §. 10. Die Wohnung ist unverletzlich. §.11. Wider den Willen des Hausherm darf Jemand nur in Folge ihm ge= | setzHch beigelegter BefiigniB eindringen.

[163] Gesetz vom 10. Marz 1850

1459

§.12. Eine Haussuchung ist nur zulassig: 1) in Kraft eines richterlichen mit Grunden versehenen Befehls, welcher | sofort oder innerhalb der nachsten 24 Stunden dem Betheiligten zu= | gestellt werden muB; 2) im Falle der Verfolgung eines Verbrechers auf frischer That durch den | gesetzlich berechtigten Beamten; 3) in den Fallen und Formen, in welchen dieses Gesetz ausnahmsweise | bestimmten Beamten auch ohne richterlichen Befehl dieselbe gestattet, §.13. Eine Haussuchung darf vom Richter aus folgenden Grunden angeordnet | werden: 1) wenn nach der Art des Verbrechens durch die Haussuchung ein fur | die Untersuchung wichtiges ErgebniB zu erwarten ist; 2) wenn gegen die Person, auf welche sich die Untersuchung erstreckt, | ein naher dringender Verdacht vorliegt; 3) wenn der zur Herausgabe gewisser zum Verbrecher Beziehung haben= | der Gegenstande rechtlich Verpflichtete die Auslieferung dieser Sachen | beharrlich verweigert; 4) wenn dringende Grunde dafiir sprechen, daB bei langerer Zogerung die | in einer Wohnung befindlichen Gegenstande, in Bezug auf welche eine | strafbare Handlung begangen worden, oder die daselbst vorhandenen | Beweismittel abhanden gebracht Oder gefahrdet werden mochten. §.14. In alien Fallen, wo Gefahr im Verzuge ist, insbesondere bei Zoll= und | Steuerdefraudationen, bei Verletzung des Waldeigenthums und bei Felddiebstah= | len ist die Ortspolizeibehorde, ohne eines gerichtlichen Befehls zu bediirfen, be= | rechtigt, auf den Antrag eines zur Anzeige derartiger Verbrechen verpflichteten | Beamten, so wie einer dritten unbescholtenen Person, unter Zuziehung des An= | tragstellers, sofort eine Haussuchung zu veranlassen. §.15. Die Haussuchung muB, wenn thunlich, mit Zuziehung der Hausgenossen | erfolgen. [S. 201] §.16. Die vom Richter angeordnete Haussuchung muB unter Leitung eines zum | Richteramte verpflichteten Beamten unter Zuziehung eines Protokollfiihrers vor= | genommen werden. §.17. Die Unverletzlichkeit der Wohnung ist kein HindemiB der Verhaftung | eines gerichtlich Verfolgten. BriefgeheimniB. §.18. Das BriefgeheimniB ist gewahrleistet.

1460

§ 9: Anhalt-Bemburg

[Dok. 155 - 168]

§.19. Bei strafrechtlichen Untersuchungen finden in dieser Beziehung folgende | Beschrankungen Statt: 1) 1st ein Angeklagter bereits verhaftet, so ist die Wegnahme der an | ihn gerichteten Oder von ihm abgesendeten Briefe nur aus dem Gmnde | gerechtfertigt, wenn ein Verbrechen vorliegt, das wahrscheinlich Ver= | zweigungen hat und durch die Wegnahme der Briefe dem Gange der | Untersuchung nachtheilige Collusionen verhindert werden konnen. 2) Ist ein Angeklagter, gegen den bereits so viel Verdachtsgrunde vor= | handen sind, daB er verhaftet werden darf, fltichtig oder abwesend, 1 so tritt die namliche BefugniB ein. 3) Der Richter darf die Briefe des bereits Verhafteten oder desjenigen, | gegen welchen ein Verhaftsbefehl erlassen ist, und die an solche In== | culpaten gerichteten Briefe im Beisein derselben oder eines emannten | Stellvertreters offnen und lesen. Briefe, von deren Mittheilung kein | nachtheiliger EinfluB fiir die Untersuchung zu besorgen ist, sind dem | Angeklagten oder dem, an welchen sie gerichtet sind, auszuantworten. 4) Werden Briefe eines noch nicht Verhafteten, sondem auf der Flucht | befindlichen oder abwesenden Inculpaten (2.) weggenommen, so muB | der Inquirent bei Eroffnung derselben eine dritte unbescholtene Person | zuziehen. §.20, Die Beschrankungen des Briefgeheimnisses in Kriegsfallen bleiben der | allgemeinen deutschen Gesetzgebung vorbehalten. [S, 202] Beschlagnahme von Papieren. §.21. Die Beschlagnahme von Briefen und Papieren darf, auBer bei einer | Verhaftung oder Haussuchung, nur in Kraft eines richterlichen mit Grunden | versehenen Befehls vorgenommen werden, welcher sofort oder innerhalb der nach= | sten 24 Stunden dem anwesenden Betheiligten zugestellt werden soil. §.22. Die Anwendung dieses Mittels ist nur dann gerechtfertigt, wenn: 1) die Bedingungen vorhanden sind, welche zur Haussuchung nach §. 13 | erfordert werden. Daher muB schon der Thatbestand wahrscheinlich | und der Verdacht gegen denjenigen, dessen Papiere durchsucht werden | sollen, so begrundet sein, wie dies zur Haussuchung nothwendig ist; 2) die Untersuchung ein Verbrechen betrifft, fiir welches nach aller Wahr= | scheinlichkeit in den Papieren des Angeschuldigten zum Thatbestande | des Verbrechens gehorige Urkunden oder sonst wichtig schriftliche Be= | weise gefunden werden konnen. 3) Eine solche Beschlagnahme kann nur von dem competenten Untersu= | chungsrichter angeordnet werden. 4) Dieselbe muB vom richterlichen Beamten im Beisein des Inculpaten | oder seiner Hausgenossen, oder einer dritten unbescholtenen Person, | mit moglichster Schonung und mit Sorgfalt vorgenommen werden, so daB | alle dem Angeschuldigten nicht gehorige und alle unverdachtige Papiere | sogleich abgesondert werden und kein Gegenstand der Beschlagnahme | sind, und so, daB nur Papiere weggenommen werden, welche zu einem | Beweise in der Sache dienen konnen,

[164] Gesetz vom 30. November 1851

1461

5) Alle Vorschriften in Bezug auf die Vomahme der Haussuchung sind | auch hier anzuwenden. 6) Die richterliche Thatigkeit muB tiberhaupt nur auf den Beschlag der | ad 2 angefuhrten Papiere gerichtet sein. Schlussbestimmungen. ^Ftir eine jede Verletzung der personlichen Freiheit, des Hausrechts, oder | des Briefgeheimnisses auBerhalb der in diesem Gesetze vorgesehenen Falle ist der | Schuldige dem Verletzten zur Entschadigung verpflichtet. ^Fiir den Richter tritt | nothigenfalls der Staat ein. Ist der Gesichtspunkt ein strafrechtlicher, so findet das Strafgesetz An= | wendung. [S. 203] Urkundlich unter Unserer eigenhandigen Unterschrift und beigedmcktem | Herzoglichen Insiegel. Ballenstedt, am 10. Marz 1850. Alexander Carl, Herzog zu Anhalt. | (L. S.) V. Krosigk. V. Hempel.

[164] Gesetz, die Aufhebung der deutschen Grundrechte betreffend, vom 30. November 1851 Quelle: Gesetz-Sammlung fur das Herzogthum Anhalt-Bemburg, Bd. 10 (enthaltend die Gesetze und Verordnungen der Jahre 1851 und 1852), Bemburg o. J., S. 184 (gedmckt). [S. 184] Gesetz | die Aufhebung der deutschen Grundrechte betreffend, | vom 30. November 1851. Wir, Alexander Carl, von Gottes Gnaden, | regierender Herzog zu Anhalt etc. etc., verordnen in Erwagung, daB durch BundesbeschluB vom 23. August 1851^ die | in Frankfurt a. M. unterm 27. December 1848 erlassenen'', in dem Entwurfe | einer Verfassung des deutschen Reiches vom 28. Marz 1849*^ wiederholten soge= | nannten Grundrechte des deutschen Volkes weder als Reichsgesetz, noch soweit | sie nur auf Grund des Einftihrungsgesetzes vom 27. December 1848 oder als | Theil der Reichsverfassung in den einzelnen Staaten fur verbindlich erklart sind, | fur rechtsgiiltig gehalten werden konnen, und deshalb in alien Bundesstaaten | als aufgehoben zu erklaren seien, diese Grundrechte durch das hiesige Regierungs= | und Intelligenzblatt No. 2 vom Jahre 1849 besonders verkundet und in die | hiesige Gesetzsammlung** aufgenommen worden sind, auf Antrag Unsers Staats= | ministeriums und mit Zustimmung des Landtags was folgt: Diese als Reichsgesetz auf Grund des Einfuhrungsgesetzes vom 27. | December 1848 publicirten Grundrechte (Gesetzsammlung Bd. VIII. Seite | 454 bis 465) werden insoweit fur aufgehoben erklart. Urkundlich unter Unserer eigenhandigen Unterschrift und beigedmcktem | Herzoglichen Insiegel. Ballenstedt, am 30. November 1851. Alexander Carl, Herzog zu Anhalt. | (L. S.) V. Krosigk. V. Hempel.

^ ^ •^ ^

Dok.79. Dok. 105. Dok. 106. Dok. 161.

1462

§ 9: Anhalt-Bemburg

[Dok. 155 - 168]

[165] Verordnung iiber die Ernennung ihrer Hoheit der Herzogin Friederike zu Anhalt zur Mitregentin vom 8. Oktober 1855 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einfuhmngen" die Darstellung unter [669.]. Quelle: Gesetz-Sammlung fiir das Herzogthum Anhalt-Bemburg, Bd. 12 (enthaltend die Gesetze und Verordnungen der Jahre 1851 und 1852), Bemburg o. J., Nr. 22, S. 119 - 120. (gedmckt). [Angezeigt im Regiemngs- und Intelligenz-Blatt, Nr. 81 vom 10. Oktober 1855.] [S.119] Verordnung | liber die Ernennung Ihrer Hoheit der Herzogin Friederike zu Anhalt | zur Mitregentin, | vom 8. October 1855. Wir, Alexander Carl, von Gottes Gnaden, | regierender Herzog zu Anhalt etc. etc., | thun kund und fugen zu wissen, daB Wir, in Anbetracht Unserer geschwachten, | der moglichsten Schonung bediirftigen Gesundheit zur Erleichterung in Wahr= | nehmung der Uns obliegenden Regenten=Pflichten beschlossen haben, Unsere viel= | geliebte Gemahlin, die Herzogin Friederike, Hoheit und Liebden, zur Mitre= | gentin Unseres Herzogthums anzunehmen und hierdurch zu emennen. In GemaBheit und kraft dieser Unser Ernennung wird Unsere vielgeliebte | Gemahlin, die Herzogin, Hoheit und Liebden, die von Uns ergehenden Landes= | herrlichen Beschltisse und Verfiigungen gemeinsam mit Uns erlassen und vollziehen. | Wir wollen jedoch und verordnen hiermit, daB, wenn durch Gesundheits=Riick= | sichten gebotene Behinderungen Uns die Mitunterzeichnung unthunlich machen | wiirden, der alleinigen Unterschrift der Herzogin Mitregentin, Hoheit und Liebden, | bei alien einer Landesherrlichen Vollziehung benothigten Gesetzen, Verfugungen | und anderweiten Ausfertigungen, die voile Giiltigkeit und Bedeutung Unserer | eigenen Unterzeichnung beigelegt werden soil. Wir erwarten mit voUer Zuversicht von Unsem getreuen Standen, Un= | seren gesammten Behorden und Unterthanen und befehlen, daB dieselben Unserer | vielgeliebten Gemahlin, Hoheit und Liebden, als nunmehriger Mitregentin, | [S. 120] Treue und gehorsam nachst Uns Selbst zu erweisen, allezeit willig und bereit | sein werden. Urkundlich unter Unserer eigenhandigen Unterschrift und beigedmcktem | Herzoglichen Insiegel. So geschehen Ballenstedt, den 8. October 1855. Alexander Carl, Herzog zu Anhalt. | (L. S.) V. Schaetzell.

[166] „Publications-Patent" sowie Landschaftsordnung und Geschaftsordnung fiir die anhaltischen Herzogtumer vom 18. Juli/31. August 1859 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einflihrungen" die Darstellungen unter [685.]. Quelle: Gesetz-Sammlung fur das Herzogthum Anhalt-Bemburg, Bd. 13 [enthaltend die Gesetze und Verordnungen der Jahre 1859 bis 1863], Bemburg o. J., S. 47 („PublicationsPatent"), S. 48 - 55 (Landschaftsordnung) und S. 56 - 61 (Geschaftsordnung); erstmals publiziert im „Regimngs- und Intelligenz-Blatt fur das Herzogthum Anhalt-Bemburg", Nr. 75 vom 17. September 1859 (jeweils gedrackt).^

Text ist identisch mit dem unter Dok. 148, weshalb an dieser Stelle von dem Abdruck abgesehen wird.

[167] Erklarungen vom 18. Mi/31. August 1859

1463

[167] Erklarungen der Anhaltischen Herzoge zur kiinftigen Landschaftsordnung vom 18. Juli/31. August 1859 Quelle: Gesetz-Sammlung fur das Herzogthum Anhalt-Bemburg, Bd„ 13 [enthaltend die Gesetze und Verordnungen der Jahre 1859 bis 1863], Bemburg o. J,, S. 62 - 64 (gedruckt), [S. 62] Von Gottes Gnaden | Wir Leopold Friedrich, altestregierender, | und | Wir Alexander Carl, regierender Herzog zu Anhalt, | Herzoge zu Sachsen, Engem und Westphalen, Grafen zu Askanien, | Herren zu Bemburg und Zerbst etc. etc., und | Wir Friederike, Herzogin=Mitregentin zu Anhalt etc. etc. Fiir Uns, Unsere Erben und Nachfolger in der Regierung, urkunden und beken= | nen hiermit, nachdem Wir Uns unterm heutigen Tage liber Inhalt und Fassung | des Entwurfs einer Gesanimt=Landschafts=Ordnung fur Unsere Lande schlieBlich | geeinigt haben, im AnschluB an dieselbe, was folgt: Wir Alexander Carl, regierender Herzog zu Anhalt, obwohl aufs | Innigste tiberzeugt, dass, wenn nach Unserem dereinstigen, in Gottes heiligem | RathschluB stehenden Ableben Unser Herzogthum an Unseres Herm Vetters, | des altestregierenden Herzogs, Liebden fallen wird, Hochstderselbe Unsere bis= | herigen Unterthanen als Seinem Herzen eben so nahe stehend betrachten werde, | wie Seine alten Unterthanen, und nichts weniger als eine Ungleichheit beider | zum Nachtheil der ersteren und zum Vortheil der letzteren in der Besteuerung | eintreten lassen werde, und daB nicht wenige Hochstdessen Durchlauchtigste Nach= I folger in der Regierung in demselben Sinne landesvaterlicher Gerechtigkeit der= | einst das gesammte Herzogthum Anhalt regieren werden, - haben dennoch, von | Liebe zu den Uns von Gott verliehenen Unterthanen auch tiber Unsere Lebens= | zeit hinaus beseelt, einen von der dermaligen Landesvertretung Unseres Her= | zogthums Uns zu erkennen gegebenen, auf den gedachten Fall beztiglichen Wunsch | nicht unberucksichtigt lassen mogen. In der Erwartung namlich, daB die Steuem | in Unserem Herzogthume sich gegenwartig noch hoher belaufen, als im Herzog= | thum Anhalt=Dessau=Kothen, und daB bei den eintretenden Falls nothwendig | bevorstehenden mannigfaltigen Veranderungen, namentlich einer etwanigen Re= | gulimng des beiderseitigen Landes=Schulden= und Steuerwesens, bis zur schlieB= | [S. 63] lichen Ausgleichung des letztem, eine Periode eintreten konnte, in der die Bem= | burger Unterthanen beztiglich der Verzinsung und Tilgung der bei Unserem Ab= I leben bestehenden respektiven Staatsschuldensummen beider Herzogthtimer schwerer | belastet werden mochten, hat Unsere gedachte Landes=Vertretung Uns untertha= | nigst gebeten, Unseres Herm Vetters, des altestregierenden Herzogs, Liebden zu | erkennen zu geben, daB, wenn sie auch von gleichem Vertrauen, wie Wir, zu | Hochstdemselben im Voraus durchdmngen seien, sie dennoch in ihrer Eigenschaft | als Abgeordnete des Landes wiinschen muBten, dass bei der, mit der Herstellung | der Anhaltischen Gesammt=Landschaft bevorstehenden Abandemng der dermaligen | Verfassung Unseres Herzogthums, welche, wenn sie unverandert fortbestande, | solche Eventualitaten ausschlieBen wiirde, dafur irgend ein Ersatz vermittelt wer= | den moge. Und Wir Leopold Friedrich, altestregierender Herzog zu Anhalt, | nachdem Uns Unseres Herm Vetters, des Herzogs Alexander Carl zu Anhalt Liebden, hiervon Mittheilung gemacht, und da es ohnehin ganz Unserem | Willen entspricht, irgend welche Ungleichheit der gedachten Art nicht eintreten | zu lassen, indem es Uns ganz fem liegen wiirde, die ktinftig Uns nach Gottes | Willen anfallenden Bemburger Lande zum ausschlieBlichen Vortheil Unserer | jetzigen Lande mit unverhaltniBmaBigen Steuem zu belegen, haben Uns gem I bereit fmden lassen, Unseres gedachten Herm Vetters Liebden in dieser Hinsicht | eine bemhigende Versicherang zu geben, und erklaren daher hiermit Folgendes:

1464

§ 9: Anhalt-Bemburg

[Dok. 155 - 168]

Wenn dereinst das Herzogthum Anhalt=Bemburg durch Erloschen der | Herzoglich Anhalt=Bemburgischen Speziallinie Unseres Herzoglichen | Hauses an Uns oder Unsere Regierungs=Nachfolger fallen wird, so | ertheilen Wir hiermit die Versicherung, sobald nach dem Ermes= | sen des neuen Landesherm die Finanz=Verwaltung beider Anhaltischen [ Lander vereinigt wird, die Bemburger Unterthanen nicht mit hohem | Steuem behaftet werden sollen, als die Dessau=Kothenschen Unter= | thanen. AuBerdem sollen die Bemburger Unterthanen, soweit sie | zur Verzinsung und Abzahlung der Landesschulden durch Steuem I liberhaupt beizutragen haben, zur Verzinsung und Abtragung der zur | Zeit des Anfalls des Herzogthums Anhalt=Bemburg vorhandenen | Anhalt=Dessau=Kothenschen Schulden solange nicht herangezogen wer= | den, bis eine verhaltniBmaBige Gleichstellung der Schulden beider | jetzigen Lander erfolgt ist. Bis dahin sollen die Bemburger Unter= | thanen ausschlieBlich nur zum Zweck der Verzinsung und Abzahlung | der zum Zeitpunkt des Anfalls vorhandenen und von dem Regiemngs= | Nachfolger anzuerkennenden Bemburger Schulden, sowie der von der | Zeit des Anfalls ab kontrahirten gemeinschaftlichen Anhaltischen I Schulden besteuert werden. Wir beiderseits regierende Herzoge zu Anhalt sind demnachst tibereinge= | gekommen, daB gegenwartige Zusichemng, nachdem Wir der Herzog Alexander | [S. 64] Carl und Wir die Herzogin=Mitregentin Friederike dieselbe mit aufrichtigem | Danke hierdurch angenommen haben, seiner zeit gleichzeitig mit der nunmehr | zwischen Uns im Entwurf vereinbarten kiinftigen Gesammt=Landschafts=Ordnung, | sobald die letztere endgtiltig festgestellt sein wird, dem Deutschen Bunde iiber= | geben werden soil. Dessau, am 18. JuH 1859, Hoym, am 31. August 1859. Leopold Friedrich, Alexander Carl, Friederike, H. z. Anhalt. H. z. Anhalt. H. z. Anhalt. (L. S.) (L. S.) V. Ploetz. V. Schaetzell.

[168] Patent iiber die Inbesitznahme des Herzogtums AnhaltBernburg vom 20. August 1863 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einfiihmngen" die Darstellungen unter [694.] [696.]. Quelle: Gesetz-Sammlung fur das Herzogthum Anhalt-Bemburg, Bd. 13 (enthaltend die Gesetze und Verordnungen der Jahre 1859 bis 1863), Bemburg o. J., S. 475-477 (gedmckt). [S. 475] Besitznahme=Patent. Von Gottes Gnaden Wir, Leopold Friedrich, regierender Herzog von | Anhalt, Herzog zu Sachsen, Engem und Westphalen, Graf zu | Askanien, Herr zu Zerbst, Bemburg und Grobzig etc. etc. etc., | entbieten hiermit den sammtlichen Herzoglich Anhalt=Bemburgischen Hof=, I Militar=, Zivil=, auch geistlichen Behorden, insbesondere dem Herzoglichen | Staats=Ministerium, den Hofverwaltungsamtem, dem Appellationsgericht, | den Konsistorium, der Regiemng, dem Militar^Kommando, so wie den an= | deren Kollegien, den zur Justiz=, Polizei= und Finanz=Verwaltung verord= | neten Ober= und Unterbeamten, den Vasallen, den Offizieren, den Geistlichen, | Btirgermeistem und Rathsmitgliedem in den Stadten, SchultheiBen in den | Dorfem, Lehnleuten und librigen Unterthanen und Eingesessenen der Her= | zoglich Anhalt=Bemburgischen Lande Unsere Gnade und alles Gute, und | fiigen Ihnen allerseits Folgendes zu wissen: Nachdem es dem Allerhochsten in seinem unerforschlichen RathschluB | gefallen, Unseres vielgeliebten Herm Vetters, des weiland Durchlauchtigsten | [S. 476] Ftirsten Herm

[168] Besitznahmepatent vom 20. August 1863 1465 Alexander Carl, regierenden Herzogs zu Anhalt etc., Liebden, | ohne Hinterlassung mannlicher Ftirstlicher Nachkommenschaft aus dieser Welt | abberufen, und also die Herzoglich Anhalt=Bemburgische Linie erloschen, | hiermit aber, und nachdem schon frtiher auch die tibrigen Linien des Her= | zoglich Anhaltischen Hauses bis auf die Unserige ausgegangen, die bisher | der Herzoglich Anhalt=Bemburgischen Linie gehorigen Lande sammt den der= I selben zugestandenen zum Herzoglich Anhaltischen Gesammthaus=, Stamni= | und Familiengut gehorigen Domanen, Forsten, liegenden Griinden aller | Art sammt Schlossem und Gebauden, wie den dazu gehorigen Immobilien | und beweglichen Sachen an Uns, als das Haupt des nunmehr einzigen Her= | zoglich Anhaltischen Hauses zurtickgefallen und vererbt sind, so haben Wir | die Uebemahme der Regierung der bisherigen Herzoglich Anhalt=Bemburgischen | Lande, so wie die Ergreifung des Besitzes alles darin enthaltenen Herrschaft= | lichen Eigenthums an Immobilien und Mobilien durch Unsem dazu bevoll= | machtigten Wirklichen Geheimen Rath und Oberlandesgerichts=Prasidenten | Dr. Carl Sintenis am heutigen Tage vollziehen las sen, thun auch solches Kraft dieses in der | bestandigsten Form und Weise, wie es von Rechts=, Gewohnheits=, auch | Unserer Haus=Verfassung wegen am Besten geschehen kann. Und indem Wir die Regierung der erledigten Herzoglich Anhalt= | Bemburgischen Lande hiermit antreten, erinnem Wir hierdurch alle und jede | oben genannte bisherige Herzoglich Anhalt=Bemburgische Behorden, Ober= | und Unterbeamte, Vasallen, Offiziere, Geistliche, Magistratspersonen, Schult= | heiBen, Unterthanen und Einwohner jedes Standes, daB sie allesamt Uns und | Unsere Furstlichen Erben und Nachfolger fur Ihre rechtmaBige Landesherrschaft | und Obrigkeit erkennen, folglich mit Huldigung, Gehorsam und Unterthanigkeit | sich fortan an Niemand anders als an Uns und die Unserigen halten, ins= | besondere aber die Unterthanen jedes Standes die ihnen bisher vorgesetzten | Obrigkeiten, hohere und niedere, bis Wir ihnen ein Weiteres deshalb befehlen, | femer als ihre rechtmaBige Obrigkeit zu betrachten und ihnen zu gehorsamen | haben. Wir geben Ihnen dagegen die Versicherung, daB Wir Ihnen sammt | und sonders den gebixhrenden Schutz verleihen, mit Ihnen es treulich meinen | und Ihrer Aller Bestes auf alle Weise befordem wollen, sind aber auch | Ihrer allerseits treuen und pflichtmaBigen Gesinnungen und Ihres Gehor= | sams gegen Uns und die Ihnen vorgesetzten Behorden gewartig. [S. 477] Zu dessen Urkund haben Wir dieses Regierungs=Antritts= und Besitz= | nahme=Patent eigenhandig vollzogen und mit Unserm Herzoglichen Insiegel | bedrucken lassen. Gegeben zu Dessau, am 20. August 1863. Leopold Friedrich, | Herzog von Anhalt. | (L. S.) Dr. Sintenis.

§10: Anhalt-Dessau (-Kothen)

[ 169] Verfassungsurkunde vom 29. Oktober 1848

1469

[169] Verfassungsurkunde fur das Herzogtum Anhalt-Dessau vom 29. Oktober 1848 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einflihrungen" die Darstellungen unter [610.] [655.]. Quelle: Gesetzsammlung far das Herzogthum Anhalt-Dessau, Bd. 5, 1850, (ohne Gesetzesnumerierung, tiberdies fehlt fortlaufende Seitenzahlung), S. 1-24 (gedruckt). Sonstige Fundstellen: A. Ranch (Hrsg.), Parlamentarisches Taschenbuch, enthaltend die Verfassungen von . .. , 2. Lief., 1867, S. 38 ff

[S.l] Verfassungsurkunde | far das | Herzogthum Anhalt-Dessau. [S.3J Wir Leopold Friedrich, | altestregierender Herzog zu Anhalt, | Herzog zu Sachsen, Engem und Westphalen, Graf zu Aska= | nien, Herr zu Zerbst, Bemburg und Grobzig etc. etc. etc. I Mit aufrichtiger Bereitwilligkeit sind Wir den Wtinschen Unseres Volkes, welches | in einer zeitgemaBen Verfassung die dauemde Begriindung seines Gltickes erblickt, ent= | gegengekommen, und verkunden die von Uns mit den Volksvertretem des Landes ver= | einbarte gegenwartige Verfassungsurkunde mit dem Wunsche, daB sie der feste Gmnd= \ stein fiir die Freiheit Unseres Volkes werde und bleibe, daB sie das wahre Gliick aller | Staatsgenossen schaffen und Unserem theuem Vaterlande eine segensreiche Zukunft berei= | ten moge. Erster Titel. | Von der Verfassung des Herzogthums und dem Staatsgebiete | im Allgemeinen. §•1. Die altere landschaftliche Verfassung wird aufgehoben. §.2. Sammtliche zu dem Herzogthume Anhalt=Dessau gehorigen Lande bilden ein un= | theilbares, zur Theilnahme an einer und derselben Verfassung vereinigtes Ganzes. Dasselbe ist ein Bestandtheil des deutschen Staatsverbandes. [S.4] §.3. Von dem Staatsgebiete des Herzogthums kann kein Theil verauBert werden. Ein zur Ausgleichung mit den Nachbarstaaten etwa rathlich werdender Austausch | von Gebietstheilen und eine in Folge dessen nothig werdende GebietsverauBerung | kann nur mit Genehmigung des Landtags erfolgen. §. 4. Die Regierungsform ist die demokratisch=monarchische. §.5. Alle Gewalten gehen vom Volke aus.

1470

§ 10: Anhalt-Dessau (-Kothen)

[Dok, 169 - 178]

Zweiter TiteL | Von den Rechten des Volkes und von den Einrichtungen zur | Beforderung von Kunst, Wissenschaft, Handel, Gewerbe und | Ackerbau.

Das Staatsbtirgerrecht wird unter den im Gesetze aufgestellten Bedingungen erwor= | ben und verloren. §.7. Alle Staatsangehorige sind vor dem Gesetze und dem Richter gleich, ^Alle befreieten Gerichtsstande sind aufgehoben, "^Die Ausnahme bezuglich des Mili= | tairs bestimmt §,80.

Im Staate besteht kein Unterschied der Stande. ^Der Adel wird hiermit abgeschafft. '^Alle zur Bezeichnung des Adels dienenden | Ausdriicke verlieren diese Bedeutung und werden vom Staate weder anerkannt noch ge= | braucht. §•9. Alle Titel, welche nicht zur Bezeichnung des Amtes dienen, sind abgeschafft. §.10. Kein Staatsangehoriger darf einen Orden annehmen. Orden dtirfen von Staatswegen nicht mehr verliehen werden. [S.5] §.11. Jeder Staatsangehorige, ohne Unterschied der Geburt und Religion, kann jeden | gesetzlich erlaubten Erwerbszweig ergreifen und zu alien Aemtem gelangen. §.12. ^Allen Staatsangehorigen wird die Freiheit der Person gewahrleistet. "^Dieselbe ist | nur denjenigen Beschrankungen unterworfen, welche das Gesetz bestimmt. §.13. ^AuBer dem Fall der Ergreifung auf ft-ischer That darf Niemand anders verhaftet | werden, als in Folge eines vom Richter ausgegangenen, mit Griinden versehenen schrift= | lichen Befehls. ^Binnen spatestens 24 Stunden nach der Gefangennehmung muB jeder | Verhaftete tiber den Grund seiner Verhaftxing unterrichtet, dariiber verhort und seinem | ordentlichen Richter zugewiesen werden. ^Jede gesetzwidrige Verhaftung verpflichtet den Staat zur Entschadigung des Ver= | hafteten. '^Dem gesetzmaBig Verhafteten muB bei erfolgter Freisprechung wegen der Ver= | haftung eine angemessene Entschadigung vom Staate geleistet werden. ^Die Entscha= | digung wird durch ein besonderes Gesetz bestimmt. Hausdurchsuchungen dtirfen nur auf Grund eines richterlichen schriftlichen Befehls, | unter Beobachtung aller sonstigen gesetzlichen Formen, vorgenommen werden. §.14. Niemand kann gegen seinen Willen seinem ordentlichen Richter entzogen werden.

[169] Verfassungsurkunde vom 29. Oktober 1848

1471

§.15. Die voile Freiheit der Rede und Presse, so wie die BefiigniB zur Bildung von | Vereinen wird gewahrt. Es haben sowohl Einzelne als Mehrere in Vereinigung das Recht zu gemein= | schaftlichen Petitionen. Auch haben die Staatsangehorigen das Recht, sich friedlich und ohne Waffen zu | versammeln, und ist hierzu die obrigkeitliche ErlaubniB nicht erforderlich. Als MiBbrauch dieser Rechte kann eine Handlung nur dann angesehen werden, | wenn sie in das Gebiet der durch die Strafgesetze bedroheten gemeinen Verbrechen fallt. I 16. Zur Herausgabe periodischer Blatter bedarf es keiner Konzessionen noch der Be= | stellung von Kautionen. ^Auf jedem periodischen Blatte oder Hefte, sowie auf jeder sonstigen Druckschrift | muB der Name des Druckers angegeben sein, und tragt Letzterer, wenn nicht neben | [S. 6] ihm ein in Deutschland wohnender verantwortlicher Verleger oder Herausgeber bezeich= | net ist, die Verantwortlichkeit ftir den Inhalt der Druckschrift. ^Der Herausgeber, | Verleger oder Drucker ist von der Verantwortlichkeit frei, wenn er den Verfasser so | nennt, daB derselbe zur Verantwortung gezogen werden kann. Jede Verletzung der obigen Vorschrift, so wie jede falsche Angabe in Bezug auf | die fur den Inhalt der Druckschrift verantwortliche Person wird mit GefangniBstrafe | bis zu 6 Wochen, oder mit Geldstrafe bis zu 50 Thlm. geahndet. §.17. Jeder hat das Recht, Beschwerde tiber gesetzwidriges Verfahren der Verwaltungs= | behorden nach vergeblichem Anruf der vorgesetzten Behorden, bei dem Landtage an= | zubringen. Abschlagige Antworten der Verwaltungsbehorden miissen mit Grunden versehen sein. §.18. Das BriefgeheimniB ist unverletzlich. Die Beschlagnahme von Papieren und Briefen darf nur auf Grund eines gericht= | lichen Erkenntnisses erfolgen. Die Verletzung des Briefgeheimnisses auBerhalb dieser Ausnahmen ist peinlich | zu strafen. §.19. Die Auswandemngsfreiheit ist von Staatswegen nicht beschrankt. §.20. ^Die Todesstrafe ist ohne alle Ausnahme abgeschafft. "^An die Stelle der Todes= | strafe tritt Freiheitsstrafe. Die Strafe des btirgerlichen Todes findet nicht statt. Die Strafe der Vermogens=Konfiskation ist abgeschafft. §.21. Die Pranger= und Halseisenstrafe, so wie die Strafe der korperlichen Zuchtigung | ist abgeschafft, und muB statt derselben auf verhaltniBmaBige Freiheitsstrafe erkannt | werden.

1472

§ 10: Anhalt-Dessau (-Kothen)

[Dok. 169 - 178]

§.21 ^Gegen die in Untersuchung befangenen Angeschuldigten darf unter keinem Vor= | wande eine korperliche Ztichtigung oder eine Herabsetzung auf schlechtere Kost statt= | finden. "^Eine Erschwerung der Haft ist nur dann zulassig, wenn ein Versuch zur | Flucht gemacht ist, und ohne jene MaBregel die Haft nicht gesichert werden kann. [S.7] §.23. ^Keine Religionsgesellschaft genieBt vor der andem Vorrechte durch den Staat. ^Es | besteht femerhin keine Staatskirche. ^Jeder Staatsangehorige hat voile Glaubens= und Gewissenfreiheit. "^Niemand ist | verpflichtet, eine religiose Ueberzeugung zu offenbaren, oder sich irgend einer religiosen | Genossenschaft anzuschlieBen. Niemand soil zu einer kirchlichen Handlung oder Feierlichkeit gezwungen werden. Die Form des Eides soil eine fiir Alle gleichmaBige, an kein bestimmtes Reli= | gionsbekenntniB gekntipfte sein. ^Die btirgerliche Gultigkeit der Ehe ist nur von der Vollziehung des Zivilaktes ab= | hangig. "^Die kirchliche Trauung kann nur nach Vollziehung des Zivilaktes stattfmden. ^Die Religionsverschiedenheit ist kein biirgerliches EhehindemiB. "^Die Standesbticher | werden von den btirgerlichen Behorden geflihrt. ^Ein groBjahriger und geschaftsfahiger Staatsangehoriger bedarf zu seiner Verhei= | rathung keiner ErlaubniB des Staates oder der Kommune. "^Die sich als nothig her= | ausstellenden Beschrankungen dieses Grundsatzes bleiben der Gesetzgebung vorbehalten. Jeder Staatsangehorige ist unbeschrankt in der gemeinsamen hauslichen und offent= | lichen Uebung seiner Religion. Verbrechen und Vergehen, welche bei Austibung dieser Freiheit begangen werden, | sind nach den Gesetzen zu bestrafen. Durch das religiose BekenntniB wird der GenuB der btirgerlichen und staatsbtir= | gerlichen Rechte weder bedingt noch beschrankt. Den staatsbtirgerlichen Pflichten darf dasselbe keinen Abbruch thun. Jede Religionsgesellschaft ordnet und verwaltet ihre Angelegenheit selbststandig, | bleibt aber, wie jede andere Gesellschaft im Staate, den Staatsgesetzen unterworfen. Neue Religionsgesellschaften dtirfen sich bilden; einer Anerkennung ihres Bekennt= | nisses durch den Staat bedarf es nicht. ^Das Kirchen=Patronat ist aufgehoben. "^Die Folgen dieser Aufhebung regelt ein | Gesetz. ^Der Orden der Jesuiten, Ligorianer und Redemptoristen ist auf alle Zeiten aus | Anhalt?=Dessau verbannt. ^Die Errichtung von Klostem ist nicht gestattet. §.24. Die Schule ist Staatsanstalt. Das gesammte Unterrichts= und Erziehungswesen steht unter der Oberaufsicht des | Staates und ist der Beaufsichtigung der Geistlichkeit als solcher enthoben. Der Jugend wird durch gentigende offentliche Schulanstalten das Recht auf allge= | mein menschliche und staatsbtirgerliche Bildung gewahrleistet, so wie auch der Staat | [S. 8] behufs des hohem realen und humanen Unterrichts besondere Schulanstalten griindet | und erhalt. Die offentlichen Lehrer sind Staatsdiener. Ftir den Unterricht in den Staatsschulen wird kein Schulgeld bezahlt. Armenschulen finden nicht statt.

[169] Verfassungsurkunde vom 29. Oktober 1848

1473

Unterricht zu ertheilen, Erziehungs= und Unterrichtsanstalten zu griinden, steht | jedem Staatsbiirger frei, wenn er die moralische und wissenschaftliche resp. technische | Befahigung der betreffenden Staatsbehorde nachgewiesen hat. Die BefiigriiB der Aeltem oder Vormtinder, dariiber zu bestimmen, wo ihre | Kinder oder Pflegebefohlenen erzogen werden sollen, darf auf keine Weise beschrankt | werden. Niemand darf die seiner Obhut anvertraute Jugend ohne den Grad von Unterricht | lassen, der fur die unteren Volksschulen vorgeschrieben ist. Alle die Volksbildung und den Lehrerstand betreffenden wesentlichen Gesetze wer= | den von einer von dem gesammten Lehrerstande des Landes zu erwahlenden Deputation | berathen, dem Befinden nach entworfen und, insofem und insoweit der Entwurf von | der Staatsregierung gebilligt wird, von dieser dem Landtage vorgelegt werden. Es bleibt der freien Uebereinkuft der Schullehrer und Religionsgesellschaften uber= | lassen, ob und welche Dienste die ersteren den letzteren zu leisten haben. ^Der vom Lehrer in der Schule zu ertheilende Religionsunterricht kann nur ein | allgemeiner d. h. ein Unterricht in der auf religioser Gmndlage mhenden Sittenlehre | sein. •^Der kirchlich=konfessionelle ist ausgeschlossen und der Kirche zu tiberlassen. Das der Schule als solcher gegenwartig zugehorige, so wie das von ihr benutzte | Vermogen verbleibt der Schule, so weit dasselbe nicht als Remuneration flir kirchliche | Dienste Seitens des Lehrers zu betrachten ist. I 25. Ueber die Verhaltnisse der Staatsdiener, tiber die Anstellung im Staatsdienste, | sowie tiber die Entlassung aus demselben, nicht minder tiber die Disziplin im Staats= | dienste wird ein besonderes Gesetz erlassen werden. Es wird jedoch schon jetzt das bei den bisherigen Anstellungen der Staatsdiener | vorbehaltene Recht der Ktindigung aufgehoben. §.26. Allen Staatsangehorigen wird die Freiheit des Eigenthums gewahrleistet; es ist | diese nur den Beschrankungen unterworfen, welche auf Gesetz und Recht beruhen. Eine Enteignung kann nur aus Rticksichten des gemeinen Besten, nur auf Grund | eines Gesetzes und gegen gerechte Entschadigung vorgenommen werden, [S.9J §.27. Aller Lehnsverband hort hiermit auf ^Die Errichtung neuer Familien==Fideikommisse, Majorate, Seniorate und Minorate | ist untersagt. ^Bestehende Stiftungen dieser Art sind aufgehoben. Sind mit einer solchen Stiftung Wohlthatigkeitsanstalten verbunden, so sind die= | selben bei der Aufhebung der Stiftung abzusondem oder zu entschadigen. Die Art und Weise, so wie die Bedingungen der Auflosung des Lehnsverbandes | und der Familien=Fideikommisse u. s. w., wie auch die Entschadigung, werden in einem | besondem Gesetze geregelt. §.28. ^Alle am Besitz von Grund und Boden haftenden Frohnen, Zehnten und tibrigen | gutsherrlichen Natural^ und Geldleistungen, auch andere privatrechtliche Real=Lasten und | Grundabgaben sind ablosbar. '^Die desfallsigen Bedingungen und Entschadigungen regeln | die betreffenden Gesetze.

1474

§ 10: Anhalt-Dessau (-Kothen)

[Dok. 169 - 178]

Ohne Entschadigung sind aufgehoben: 1) Die gewissen Grundstticken zustehenden Hoheitsrechte, wogegen die Lasten | und Leistungen wegfallen, welche den bisher Berechtigten in den obigen Be= | ziehungen oblagen. 2) Die aus diesen Befiignissen, aus der Schutzherrlichkeit und der friihem | Erbunterthanigkeit herstammenden personlichen Leistungen und Abgaben. Kunftig darf ein Grundstuck in keiner Weise mehr mit unablosbaren Rechten und | Renten belastet werden. Die Theilbarkeit des Grundeigenthums wird gewahrleistet. §.29. Die Jagdgerechtigkeit auf fremdem Grund und Boden, Jagddienste, Jagdfrohnen | und andere Leistungen fiir Jagdzwecke sind ohne Entschadigung aufgehoben. Jedem steht das Jagdrecht auf eigenem Grand und Boden zu. Wie die Austibung dieses Rechts aus Griinden der offentlichen Sicherheit zu ord= | nen ist, bestimmt das Gesetz. Das Jagdrecht kann kunftig vom Grandeigenthume als ein dingliches Recht nicht | getrennt werden. §.30. Jeder durch das Wild verarsachte Schaden ist zu ersetzen. Die Feststellung und Abschatzung des Schadens erfolgt durch die betreffende | Kommunal=Behorde, sofem nicht ein Mitglied derselben personlich betheiligt ist, unter | Zuziehung von zwei unbetheiligten vereidigten Sachverstandigen. [S. 10] Sollte ein Mitglied der Kommunal=Behorde betheiligt sein, so hat das fiir den | Bezirk kompetente Gericht eine benachbarte unbetheiligte Kommunal^Behorde zu substituiren. §.31. Es wird eine nach dem Einkommen der Staatsangehorigen gleichmaBig geregelte | Vertheilung der zur Aufbringung des Staatsbedarfs nothwendigen Lasten und Steuem | eintreten. Alle bisherigen Steuerfreiheiten und Vorztige horen ohne Entschadigung auf und | konnen auf keine Weise wieder erworben werden. §.32. Der Staat wird fiir Pflege und Beforderang der Ktinste und Wissenschaften | sorgen. §.33. Alle Handel und Gewerbe betreffende Einrichtungen werden von Kommissionen re= | vidirt und begutachtet, zu welchen der Handels= und Gewerbestand selbst die Mitglie= | der wahlt. §.34. AusschlieBliche Handels= und Gewerbe=Privilegien sind ohne Zustimmung des | Landtags nicht zu ertheilen.

[169] Verfassungsurkunde vom 29. Oktober 1848

1475

§. 35. ^Das Medizinal=Wesen wird durch eine zu erlassende Medizinal^Ordnung regulirt. | "^Diese soil von einer von den Aerzten, Wundarzten und Apothekem des Landes zu wah= | lenden Deputation entworfen und demnachst, insofem und insoweit der Entwurf von der | Staatsregierung genehmigt wird, von dieser dem Landtage vorgelegt werden. §. 36. Die Kommunal=Behorden bilden in Vereinigung mit den in §. 33 erwahnten | Handels= und Gewerbe=Kollegien, so wie unter Zuziehung qualifizirter Arbeiter eine | Kommission, welche sich ausschlieBlich mit der Berathung derjenigen MaBregeln beschaf= | tigt, die das Wohl der arbeitenden Klassen zu befordem im Stande sind. §.37. Ueber Gesetze, welche wesentlich in die Landwirthschaft eingreifen, sollen zuvorderst | tiichtige und erprobte Landwirthe aller Klassen gehort und erforderlichen Falls Gutach= | ten landwirthschaftlicher Gesellschaften eingeholt werden. [S. 11] Dritter Titel. | Von der Volksvertretung. §.38. Der Landtag wird gebildet durch die vom Volke, nach dem dieser Verfassung bei= | gefiigten Gesetze gewahlten Vertreter. Ftir alle den Herzogthtimem Anhalt=Dessau und Anhalt=K6then gemeinsamen | Angelegenheiten treten die beiderseitigen Volksvertreter zu gemeinschaftlichen Landtagen | zusammen. Ftir die besonderen Angelegenheiten des Herzogthums Anhalt=Dessau bilden die | Volksvertreter desselben besondere Landtage. Die Zahl der von jedem Herzogthume zu wahlenden Volksvertreter betragt zwei | und zwanzig. §.39. Die Volksvertretung der Herzogthtimer bildet eine Kammer. §.40. ^Dem Landtage allein steht die Entscheidung liber die Gtiltigkeit der Wahlen zu. | •^Die naheren Bestimmungen tiber die Geschaftsbehandlung auf dem Landtage enthalt die | dieser Verfassung beigefugte Geschaftsordnung. §.41. *Die Volksvertreter konnen ihr Stimmrecht nur personlich austiben. ^Sie sind als | Vertreter des ganzen Volkes zu betrachten und nicht gehalten, von ihren Kommittenten | Instruktionen anzunehmen. §.42. Niemand kann zur Annahme des Amtes eines Volksvertreters gezwungen werden, | und steht es jedem Volksvertreter frei, sein Amt aufzugeben. §.43. ^Der Eintritt eines Abgeordneten in den Staatsdienst, so wie die Beforderung oder | Verbesserung eines zum Abgeordneten gewahlten Staatsdieners im Amte, bedingt eine | neue Wahl. "^Der Ausgeschiedene ist wieder wahlbar. (§. 47)

1476

§ 10: Anhalt-Dessau (-Kothen)

[Dok. 169 - 178]

§. 44, ^Ein Beamter, welcher zum Volksvertreter gewahlt ist, bedarf keines Urlaubs. ^Es | gentigt eine bloBe desfallsige Anzeige bei der vorgesetzten Behorde. [S.12] Ftir die Stellvertretung im Staatsamte eines gewahlten Abgeordneten hat der | Staat zu sorgen, auch tragt Letzterer die Kosten der Stellvertretung. , §.45. Die Sitzungen des Landtags sind offentlich. Ausnahmen konnen in Folge eines Antrags der Staatsregierung oder des Landtags | selbst nur auf BeschluB des Letztem und unter Zustimmung der Staatsregierung stattfmden. §.46. Der Herzog verordnet die Zusammenkunft des Landtags, so oft er solches zur | Erledigung dringender und wichtiger Landesangelegenheiten fiir nothig erachtet. Der Landtag muB jedoch alljahrlich zusammenbemfen werden. §.47. Nach Ablauf von zwei Jahren werden neue Volksvertreter gewahlt. Die abtretenden Volksvertreter konnen wieder gewahlt werden. Die erwahlten Volksvertreter verlieren diese ihre Eigenschaft, 1) wenn Umstande eintreten, welche ihre Wahlbarkeit verhindert haben wurden; 2) wenn ihnen Staatsamter tibertragen oder sie im Staatsdienste befordert | werden (§. 43); 3) wenn sie ihr Mandat aus eigenem Antriebe niederlegen; 4) wenn der Herzog den Landtag auflost. In den letzten drei Fallen dtirfen sie von neuem gewahlt werden. §.48. Der Herzog eroffhet und entlaBt den Landtag entweder in eigener Person oder | durch die dazu bevollmachtigten Kommissarien. Beim SchluB des Landtags wird der den Volksvertretem schon vorher mitgetheilte | Landtagsabschied verkiindet. §.49. ^Die Vertagung eines ordentlichen Landtags darf ohne Zustimmung der Volksver= | treter nur einmal stattfmden und nicht langer als 30 Tage dauem. ^Nach Ablauf die== | ser Frist tritt der Landtag aus eigener Machtvollkommenheit wieder zusammen. §.50. ^Im Fall der Ablosung eines Landtags muB die Anordnung neuer Wahlen binnen | 24 Stunden nach der Auflosung erfolgen. "^Die Frist fiir die Bemfiing des neugewahl= | ten Landtags darf nicht liber 60 Tage nach erfolgter Auflosung ausgedehnt werden. | [S. 13] ^Nach vergeblichem Ablauf dieser Frist tritt der neugewahlte, oder, sofem die neuen | Wahlen noch nicht stattgefiinden haben, der zuletzt versammelt gewesene Landtag aus | eigener Machtvollkommenheit wieder zusammen. §.51. ^Die Mitglieder des Landtags konnen wahrend der Dauer desselben, auBer der | Ergreifung auf frischer verbrecherischer That (in welchem Falle alsbald dem Landtage die | Anzeige des Vorfalls mit Darlegung der Griinde zu machen ist), nicht anders als mit | Geneh-

[ 169] Verfassungsurkunde vom 29. Oktober 1848

1477

migung des Landtags verhaftet und iiberhaupt in Untersuchung gezogen werden. | ^Wahrend einer Vertagung des Landtags kann nur in dringenden Fallen die Verhaftung | eines Abgeordneten nach vorgangiger Genehmigung des Landtags=Prasidenten statt= | finden. Befindet sich ein erwahlter Abgeordneter in Haft, so steht dem Landtage tiber die | Entlassung des Gewahlten aus der Haft und tiber die Einberufting desselben die Ent= | scheidung allein zu. Auch konnen die Volksvertreter zu keiner Zeit wegen der in der Landtags=^Ver= | sammlung geauBerten Ansichten zur Rechenschaft gezogen werden, wenn nicht der Fall | unter den Gesichtspunkt einer Injurie, Verleumdung, oder eines in den Gesetzen mit | Strafe bedroheten sonstigen Vergehens fallt. §.52. Der Landtag ist berechtigt, beziiglich der ihm vorliegenden Arbeiten die zweckdien= | lichen Aufklarungen von den Mitgliedem des Staats==Ministeriums oder deren Konimis= | sarien einzuholen. §.53. Der Landtag kann nur dann Beschltisse fassen, wenn zwei Drittheile seiner Mit= | glieder gegenwartig sind. Jeder BeschluB wird durch absolute Stimmenmehrheit festgesetzt. §.54. Line VerauBerung des Staatsvermogens bedarf, insoweit sie nicht als nothwen= | dige Folge gesetzlicher Bestimmungen oder auf den Grund richterlicher Entscheidungen | eintritt, der Genehmigung des Landtags, und nur in dem in §. 92 erwahnten Falle | der auBersten Noth steht es der Staatsregierung zu, zur Sicherheit einer Anleihe das | Staatsgut zu verpfanden. §.55. Der Landtag hat das Recht zu Vorstellungen, zu Beschwerdeftihrungen tiber | Mangel und MiBbrauche in der Landesverwaltung, tiber gesetzwidriges Verfahren der | [S. 14] Verwaltungsbehorden, zur Beantragung gesetzmaBiger Bestrafiing schuldiger Staats= | diener und zur Anklage gegen die Minister. §. 56. ^Der vereinigte Landtag kann, wenn auf den desfallsigen, von ftinf Mitgliedem | eingebrachten und unterschriebenen Antrag und nach erschopfender Erorterung aller | Gninde in einer aus sieben Mitgliedem bestehenden Kommission, welche binnen drei | Tagen berichten muB, so wie in den Sitzungen des vereinigten Landtags, nach ange= | horter Vertheidigung des Gesammt=Ministeriums und bei namentlicher Abstimmung die | Mehrheit dafiir spricht, dem Herzoge die gehorig motivirte, schriftliche Erklamng abgeben, | daB das Gesammt^Ministerium das Vertrauen des Landes verloren habe. ^In Folge | dieser Erklamng kann der Herzog das Gesammt=Ministerium entweder entlassen oder | durch die Entlassung einzelner und den Hinzutritt neuer Mitglieder eine andere Majo= | ritat der Stimmen in dem Kollegium des Gesammt=Ministeriums herbeiflihren, oder den | vereinigten Landtag auflosen. ^Wird jene Erklamng von der Mehrheit des aus neuen | Wahlen hervorgegangenen nachsten vereinigten Landtags unter den obigen Formen wie=| derholt, so muB das Gesammt=Ministerium entlassen werden, oder, wie oben bemerkt, [ eine die Majoritat in dem Kollegium verandemde Besetzung stattfinden. Wird der Antrag auf ein MiBtrauens=Votum in einem Sonderlandtage gestellt, | so muB der vereinigte Landtag sofort einbemfen werden.

1478

§ 10: Anhalt-Dessau (-Kothen)

[Dok. 169 - 178]

§. 57. Der (vereinigte) Landtag kann Petitionen annehmen und zur Berathung bringen, | jedoch diirfen solche Petitionen von Privaten und Korporationen nicht personlich tiber= | reicht, sondem sie mtissen durch ein Mitglied des Landtags vorgelegt werden. §. 58. ^Zu der Besetzung von Prasidenten=Stellen bei den obersten Justiz=Behorden ist die | Einwilligung des Landtags erforderlich. '^Bei Vakanzen, die zwischen den Landtagen | entstehen, findet nur provisorische Besetzung bis zum nachsten Landtage statt. §.59. Innerhalb 14 Tagen nach dem Absterben des Herzogs treten die zuletzt versam= | melt gewesenen Volksvertreter zusammen. [S. 15] Vierter Titel. | Von dem Herzoge und dem Herzoglichen Hause. §.60. Der Herzog ist das Oberhaupt des Staates und ubt alle Rechte der Staats= | gewalt auf verfassungsmaBige Weise aus. Seine Person ist unverletzlich und unverantwortlich. §.61. Die Nachfolge in der Regierung des Herzogthums ist erblich nach den in dem | Gesammthause Anhalt abgeschlossenen Vertragen und nach den bestehenden Gesetzen. §.62. Die Regierungshandlungen der Vorfahren sind von den Nachfolgem anzuerkennen | und zu vertreten, sofem sie ohne Ueberschreitung der verfassungsmaBigen und gesetzlichen BefugniB untemommen werden. §.63. Der Herzog und sammtliche Prinzen des Herzoglichen Hauses werden mit dem | zuriickgelegten ein und zwanzigsten Jahre groBjahrig und regierungsfahig. §. 64. 1st der Herzog minderjahrig, oder an der Austibung der Regierung auf langere | Zeit oder auf immer verhindert, ohne daB er selbst oder sein Vorfahr durch eine mit | Zustimmung des Landtags errichtete Verfiigung deshalb gentigende Vorsorge getroffen | hat, oder hat treffen konnen, so tritt fur die Dauer der Minderjahrigkeit oder der son= | stigen Verhinderung eine Regentschaft ein. Diese gebiihrt in Beziehung auf den minderjahrigen Herzog zunachst der leiblichen | Mutter desselben, und wenn diese sich nicht mehr am Leben befindet, oder anderweitig | vermahlt, oder sonst verhindert ist, dem den Jahren nach altesten, volljahrigen und zur | Regierung fahigen Prinzen unter den Agnaten im Herzoglichen Spezial=Hause. Bei der obgedachten Verhinderung des Herzogs kommt die Regentschaft der Ge= | mahlin desselben zu, wenn aus der gemeinschaftlichen Ehe ein zur unmittelbaren Nach= | folge berechtigter, noch minderjahriger Prinz vorhanden ist, und zwar fiir die Dauer der Minderjahrigkeit desselben; sobald dagegen ein zur unmittelbaren Nachfolge be= | rechtigter groBjahriger Prinz vorhanden ist, tibemimmt dieser die Regentschaft.

[169] Verfassungsurkunde vom 29. Oktober 1848

1479

Liegen diese Bedingung nicht vor, so steht die Regentschaft dem den Jahren | nach altesten, volljahrigen und regierungsfahigen Prinzen unter den Agnaten im Her= \ zoglichen Spezial=Hause zu. [S. 16] Ueber die Existenz und Wichtigkeit, so wie liber den EinfluB derjenigen Griinde, | welche die obige Verhinderung des Herzogs und die Anordnung einer Regentschaft zur | Folge haben, hat das Staats=Ministerium nach den nothwendigen faktischen Ermittelungen | einen Familienrath des Herzoglichen Hauses zu berufen, die Ansicht des Gesammthauses | einzuholen und dem Landtage die Resultate jener Erorterungen zur BeschluBnahme vor= | zulegen. ^In alien Fallen steht der Regentschaft ein Regentschaftsrath zur Seite. ^Derselbe | besteht aus drei Mitgliedem, von welchen der Regent eins, und der Landtag die beiden | tibrigen wahlt. ^Der Regent bedarf zu alien Regiemngshandlungen der Zustimmung | des Regentschaftsrathes. Sollte bei einem zunachst nach dem regierenden Herzoge zur Erbfolge berufenen | Prinzen eine solche Geistes= oder korperliche Beschaffenheit sich zeigen, welche es dem= | selben ftir immer unmoglich machen wiirde, die Regierung des Landes selbst zu fiih= | ren, so ist uber den kunftigen Eintritt der Regentschaft zeitig zu verftigen. §.65. ^Der Herzog gelobt bei dem Regiemngsantritt vor der soft)rt zu berufenden Land= | tagsversammlung, die Staatsverfassung aufrecht zu erhalten, und in GemaBheit der= | selben, so wie nach den Gesetzen zu regieren. ^Eine gleiche Pflicht liegt dem Regenten | beim Antritt der Regentschaft ob. Die Huldigung fmdet erst nach abgelegtem GelobniB, und zwar zuerst von den | versammelten Volksvertretem statt. ^Der Herzog oder Regent ist nicht eher zur Ausubung der Regierung resp. Re= | gentschaft befiigt, als bis das obgedachte GelobniB erft)lgt ist. ^In der Zwischenzeit | werden die verfassungsmaBigen Gev^alten desselben von dem Staats=Ministerium und | unter seiner Verantwortlichkeit im Namen des Volkes ausgetibt. §.66. Dem Herzoge gebtihrt die vollziehende Gewalt und er tibt die gesetzgebende Ge= [ wait im Vereine mit dem Volke und dessen Vertretem nach den Bestimmungen der | Verfassung aus. Der Herzog besetzt alle Staatsamter, so weit dies nicht in der Verfassung aus= | driicklich beschrankt ist. ^Er schlieBt Vertrage mit fremden Regierungen. "^Zur Gtiltigkeit derselben ist die | Genehmigung des Landtags erft)rderlich, unbeschadet einer provisorischen Ausfiihrung | in besonders dringenden Fallen. ^Der Herzog hat das Recht der Begnadigung, Strafinilderung und Abolition. | ^Beztiglich der gegen die verantwortlichen Minister vorgebrachten Anklagen wegen Ver= | [S. 17] letzung der Verfassung, so wie der in Folge dessen erkannten Strafen, kann er diese | Rechte nur mit Zustimmung des Landtags austiben. Der Herzog hat das Recht, dem Landtage Gesetze vorzuschlagen; die Sanktion | und Publikation der Gesetze steht ihm zu. Er hat das Recht, den Landtag zu berufen, zu entlassen, zu vertagen und auf= | zulosen, unter den in der Verfassung ausgesprochenen Beschrankungen,

1480

§ 10: Anhalt-Dessau (-Kothen)

[Dok. 169 - 178]

§. 67. ^AUe Verfiigungen des Herzogs in Staatsangelegenheiten mtissen von wenigstens | einem Mitgliede des Staats=Ministeriums mit unterzeichnet werden. '^Der Mangel einer | solchen Unterschrift macht die Verfiigung ungiiltig, §.68. Der Herzog darf den Sitz der Staatsregiemng nicht auBer Landes verlegen, | auch ohne Zustimmung des Landtags seinen wesentlichen Aufenthalt nicht auBerhalb | Landes nehmen. Auch die Prinzen des Herzoglichen Hauses diirfen, insofem sie nicht in aus= | wartigen Diensten stehen, oder zu ihrer Ausbildung im Auslande eine Zeit lang sich | aufzuhalten genothigt sind, femer die verwittweten Gemahlinnen der Herzoge und | der Prinzen, so wie die unverheiratheten Prinzessinnen des Herzoglichen Hauses, welche | eine besondere Apanage beziehen, einen dauemden Aufenthalt im Auslande, ohne Zu= | stimmung des Landtags, bei Verlust ihrer Apanagen zu Gunsten der Staatskasse, nicht nehmen. ^Bei Annahme auswartiger Dienste ist die Genehmigung des Landtags nothwendig. | ^Auch ist der Landtag befugt, die Prinzen aus auswartigem Dienste zurtickzuberufen. | ^Wird der Zuriickberufung nicht gentigt, so tritt Entziehung der Apanage ein. §. 69. Der Herzog erhalt auBer denjenigen Reveniien, welche aus dem im Auslande | belegenen Eigenthume entspringen, von dem Lande eine Zivil=Liste von 120,000 Thalem. Diese Summe wird jedoch nicht als reine Geldrente ausgesetzt; es wird vielmehr ein | Theil des Domanial=Vermogens, so wie der Herzoglichen Privatgtiter, Forsten und | Hauser, und zwar eine solche Quote, welche die obige Summe netto abwirft, dem | Herzoge belassen, und findet daruber zwischen dem Herzoge und dem Landtage eine Ver= | einbarung statt. Die Abschatzung dieses Theils der Domanen, Privatgtiter, Forsten u. s. w. ge= | schieht durch eine Deputation von acht Mitgliedem; drei derselben werden von der Staats= | regierung, vier von dem Landtage erwahlt, das achte Mitglied dagegen wird von dem | Herzoge zu Anhalt=Bemburg, welcher bei der Verfugung tiber die Domanen wegen | der ihm zustehenden agnatischen Rechte betheiligt ist, emannt. [S.18] Die Berechnung der Abschatzung geschieht nach Schurzen. Die Abschatzung und Uebergabe erfolgt erst dann, wenn die Vertheilung von | Grund und Boden an die Ortschaften geschehen ist. ^Der dem Herzoge tiberwiesene Theil des Domanial=Verm6gens, aus welchem der | gesammte Aufwand fiir das Herzogliche Haus und den Herzoglichen Hof, das geheime | Kabinet (die im General=Etat vom Jahre 1848. Tit. L IL TIL der Ausgabe auf= | gefiihrten Posten), so wie die sammtlichen gegenwartigen und zukiinftigen Apanagen fur | die Prinzen und Prinzessinnen des Hauses, desgleichen die Mitgift und Aussteuer flir die | Letzteren, die Nadelgelder fur die Gemahlin und Prinzessinnen und das Witthum fiir die | verwittweten Gemahlinnen der Herzoge und Prinzen bestritten werden mtissen, bildet nebst | den Herzoglichen Schlossem, Parken, Garten und dem Theater, so wie den Inventarien | derselben, ein Familien=FideikommiB. "^Die Kosten fiir die Kapelle und das Theater in | Dessau, deren obere Leitung und Aufsicht das Staats=Ministerium ausubt, im Durch= | schnittsbetrage von 22,500 Thlm., sind aus diesen Reventien in dieser Hohe zu bestreiten. | ^Die wirkliche Verwendung ist dem Landtage auf Verlangen nachzuweisen. Ueber die Uebemahme und Zahlung der Pensionen wird eine Vereinbarung zwi= | schen dem Herzoge und dem Landtage getroffen werden.

[169] Verfassungsurkunde vom 29. Oktober 1848

1481

Dies Familien=FideikommiB bleibt im Eigenthume des Herzoglichen Hauses und erbt | zunachst als FideikommiB in der Staats=Erbfolge der Herzogl. Spezial=Linie Anhalt= | Dessau fort; es werden iibrigens alle diejenigen eventuellen Erbrechte, welche nach den | bisher bestehenden Hausgesetzen, Vertragen oder letztwilligen Verfugungen an den inlan= | dischen Domanial=, Allodial=, Kammer= und Schatull=Gutem bestehen, an jenes Fidei= | kommiBgut verwiesen. Dasselbe kann ohne Genehmigung des Landtags, insoweit dies nicht als nothwen= | dige Folge gesetzlicher Bestimmungen oder richterlicher Entscheidungen eintritt, nicht ver= | auBert werden; die Verwaltung desselben, sowie des im Auslande belegenen Herzoglichen | Eigenthums wird von dem Staats=Ministerium durch die betreffenden Finanzbehorden, | ohne sonstige Mitwirkung des Landtags, geleitet, ohne daB die Zivil^Liste zu den Kosten | dazu beitragt. Das Eigenthum aller tibrigen im Inlande belegenen Domanen, Herzogl. Privat= | giiter, Forsten u. s. w. geht auf den Staat tiber. Dieser iibemimmt alle im General^Etat von 1848. sub Tit. IV. aufgefiihrten | Passiva als Staatsschulden, wogegen ihm aber auch die sammtlichen, in jenem General^ | Etat sub Tit. in. der Einnahmen aufgefiihrten Aktiva zufallen. Das in Vorstehendem errichtete Familien=FideikommiB besteht nur auf so lange, | als der Herzog und dessen verfassungsmaBiger Regiemngs=Nachfolger aus der Spezial^ | Linie Anhalt=Dessau die souveranen Regenten des Herzogthums Anhalt==Dessau sind. Wenn ein zur Nachfolge in der Regierung des Herzogthums berechtigtes Mitglied | der Herzogl. Spezial=Linie Anhalt=Dessau nicht mehr vorhanden ist, oder der Herzog | [S. 19] der Souveranetat verlustig wird, so treten beztiglich des Vermogens des Staats und | der Herzogl. Familie diejenigen Rechtsverhaltnisse wieder in Kraft, welche vor Errich= | tung der gegenwartigen Staatsverfassung bestanden haben. Die vorstehenden Bestimmungen beztiglich des fur das Herzogl. Haus gebildeten | Familien=Fideikommisses und Herzogl. Eigenthums konnen ohne Zustimmung des Herzogs | nicht abgeandert werden. Ftinfter Titel. | Von den Ministem. §. 70. ^Die Minister sind fiir alle von ihnen unterzeichneten Verftigungen und Handlungen | in ihrer Amtsflihrung verantwortlich. "^Die Art und Weise der Verantwortlichkeit ord= | net das Gesetz. §.71. Das Staats=Ministerium muB in jeder Landtagssitzung vertreten sein. ^Die Mitglieder des Staats=Ministeriums sind berechtigt, den Versammlungen des | Landtags, so wie den Kommissions=Sitzungen beizuwohnen. ^Desgleichen sind dieselben ver= I pflichtet, auf Ersuchen entweder selbst oder durch Kommissarien den Versammlungen der I Kommissionen beizuwohnen. ^Ein Stimmrecht tiben sie nicht aus. Zu Volksvertretem sind Minister nicht wahlbar. §.72. Die in Folge eines MiBtrauens=Votums entlassenen Minister werden im Staats= | dienste anderweit angestellt, oder erhalten eine Pension, welche jedoch, so wie deren Hohe, | von der Zustimmung des Landtags abhangig ist.

1482

§ 10: Anhalt-Dessau (-Kothen)

[Dok. 169 - 178]

Sechster Titel. | Von der richterlichen Gewalt. §.73. Die Rechtspflege ist vollig unabhangig von der Verwaltxing. Die Richter konnen nur durch ein ErkenntniB der Gerichtsbehorde aus ihrer rich= | terlichen Stelle entsetzt, sie konnen nicht wider ihren Willen entlassen oder versetzt werden [S. 20] Auch die Versetzung in den Rube stand darf nur in Folge eines vom obem Justiz= | Kollegium des Landes abgegebenen Ausspruchs tiber die eingetretene Unfahigkeit des Rich= | ters zar femem Versehung des Amtes geschehen. §. 74. Den Richtem dtirfen andere besoldete Staatsamter nicht tibertragen und Gratifi= | kationen nicht verliehen werden. §. 75. ^Die Rechtspflege wird durch offentliches und mtindliches Verfahren ausgetibt. | ^Nur wenn die Oeffentlichkeit in einzelnen Fallen fur die Sittlichkeit gefahrlich erscheint, | kann dieselbe durch BeschluB des Gerichtshofes beschrankt werden. Ftir das Gebiet der Strafrechtspflege, und somit auch fur die Aburtheilung der | PreBvergehen und politischen Verbrechen, werden Schwurgerichte eingefuhrt. §.76. Die Patrimonial=Gerichtsbarkeit ist ohne Entschadigung aufgehoben. Die in baarem Gelde oder in Naturalien bestehenden fixen Dienstgehalte der Patri= | monial=Gerichtshalter und der bei den Stadtrathen angestellten Gerichtspersonen werden | vom Staate tibemommen. Die betreffenden Gerichtspersonen sind jedoch verpflichtet, einen ihren bisherigen | Verhaltnissen angemessenen Staatsdienst auf Erfordem anzunehmen. §.77. Es werden Schiedsgerichte eingefuhrt, und sind die Schiedsrichter von dem Volke | zu erwahlen. §.78. Die Justiz ist von der Verwaltung zu trennen; bei einem Konflikt zwischen Ver= | waltungs= und Justizbehorden tiber die Kompetenz der Letzteren, so wie tiberhaupt tiber | die Frage, ob eine Sache zum Gerichtsverfahren sich eigene, entscheiden die Justizbeh6r= | den des Landes im gehorigen Instanzenzuge. Die entgegenstehenden gesetzlichen Bestimmungen im Kompetenzgesetze vom 5. Marz | 1842 werden hiermit aufgehoben. Das Hypotheken=Wesen wird durch ein besonderes Gesetz regulirt. [S. 21] Siebenter Titel. | Von der bewaffheten Macht. §. 79. Eine allgemeine Volkswehr wird eingefuhrt. ^Jeder Staatsburger vom vollendeten 20sten bis zum zunickgelegten 50sten Jahre | ist zum Dienste in der Volkswehr berechtigt und verpflichtet. ^Abweichungen hiervon | bestimmt das Gesetz. Die Volkswehr besteht aus zwei Abtheilungen.

[169] Verfassungsurkunde vom 29. Oktober 1848

1483

^Die Organisation der Volkswehr wird durch das Gesetz bestimmt. "^Das zum 1 deutschen Heere zu stellende Kontingent bildet einen besonders organisirten Theil der Volks= | wehr und wird aus der ersten Abtheilung derselben von den, den Jahren nach jtingsten | Mannschaften gestellt. ^Dieses Kontingent ist nur so lange, als es der Uebungen und des Dienstes wegen | erforderlich ist, bei der Fahne versammelt, und besonderen Dienst= und Disziplinar=Gesetzen unterworfen. ^Die Mannschaften desselben treten in der Zeit, wo sie nicht bei | der Fahne versammelt sind, oder nachdem ihre Dienstzeit beendigt ist, in die allgemeine | Volkswehr zuriick. ^Die Offiziere und Unteroffiziere des Kontingents sind Staatsdiener und werden | von der Staatsregierung angestellt. '^Die Offiziere und Unteroffiziere der tibrigen Volks= | wehr werden von den Mannschaften gewahlt. Der Regent hat als solcher den Oberbefehl und tibt denselben unter Kontrasig= | natur und Verantwortlichkeit des Staats=Ministeriums aus. Ohne besondem Befehl des Oberbefehlshabers ist die Volkswehr nur dann be= | rechtigt und verpflichtet, zur Unterdnickung von Unruhen oder tiberhaupt zur Aufrecht= | erhaltung der Ordnung einzuschreiten, wenn sie in den vom Gesetz bestimmten Fallen und | Normen von einer Zivil=Beh6rde hierzu requirirt worden ist. Jeder Wehrmann wird auf die Verfassung durch das vorgeschriebene GelobniB | verpflichtet. §.80. ^Die zum Kontingent gehorende Mannschaft hat im Frieden nur beziiglich der | Dienstverbrechen und Dienstvergehen einen eigenen Gerichtsstand. ^Im Kriege steht die= | selbe wegen aller Verbrechen und Vergehen, und im Felde auch beztiglich der btirgep= | lichen Angelegenheiten unter dem befreieten militarischen Gerichtsstande. [S. 22] Achter Titel. | Von der Gesetzgebung. §.81. Alle Gesetze und authentischen Gesetz=Auslegungen bedtirfen der Zustimmung des | Landtags und der Sanktion des Herzogs. §.82. Bei der Sanktions=Verweigerung mtissen die Gninde derselben angegeben werden. §. 83. Der Landtag hat das Recht, Gesetzvorschlage zu machen, auch vollstandige Gesetz= | entwtirfe einzubringen, zu berathen und dartiber BeschluB zu fassen. §.84. ^Wenn der Herzog einem Landtagsbeschlusse seine Zustimmung versagt hat, so kann | er, wenn derselbe BeschluB von dem nachstfolgenden neugewahlten Landtage nochmals | gefaBt wird, die Bestatigung desselben nicht verweigem. ^Erfolgt diese Bestatigung nicht | binnen vier Wochen, so erhalt der BeschluB des Landtags von selbst gesetzliche Kraft. §.85. Sollte in besonders dringenden Fallen der ErlaB von Verordnungen, welche einen | gesetzlichen Charakter an sich tragen, nothwendig sein und durchaus keinen Aufschub | leiden, so steht es der Staatsregierung zwar zu, Verordnungen jener Art zu erlassen, | es sind jedoch dieselben den nachstfolgenden Landtage zur Prufung und Billigung vor= | zulegen.

1484

§ 10: Aiihalt-Dessau (-Kothen)

[Dok. 169 ~ 178]

§. 86. Alle Gesetze mussen, bevor sie dem Landtage zur Genehmigung vorgelegt werden, | vorher erst im Druck erscheinen, wenn nicht eine besondere Dringlichkeit eine Ausnahme | rechtfertigt. §.87. Wenn der Herzog einem, die Abandemng der Verfassung bezweckenden und von | zwei, aus verschiedenen Wahlen hervorgegangenen Landtagen gefaBten Beschlusse die Sank= | tion verweigert hat, so muB derselbe binnen sechs Monaten der Gesammtheit derjenigen | Staatsbtirger, welche zur Wahl von Landtags=Abgeordneten berechtigt sind, in den ein= | zelnen Wahlbezirken vorgelegt werden. ^Nimmt die Majoritat der Wahlberechtigten den BeschluB an, so kann der Herzog | die Bestatigung desselben nicht verweigem. '^Erfolgt diese Bestatigung dennoch nicht | [S. 23] binnen vier Wochen nach erfolgter Vorlegung desselben durch den Landtag, so erhalt der | BeschluB von selbst gesetzliche Kraft. Es wird durch ein besonderes Gesetz die Art und Weise, wie in den obigen Fallen | die Beschliisse des Landtags der Gesammtheit der Wahlberechtigten vorzulegen sind, in | welcher Weise dieselben in den einzelnen Bezirken abstimmen, ihre Beschlusse fassen | und dem Landtage mittheilen, naher festgestellt werden. Neunter Titel. | Von der Finanz=Verwaltung.

Zur Einfiihrung neuer Steuem, zur Veranderung und Forterhebung der beste= | henden Steuem, so wie zur Aufnahme neuer Landesschulden bedarf es der Zustimmung | des Landtags. ^Als neue Landesschulden sind jedoch nicht diejenigen Vorschiisse zu betrachten, welche I behufs Tilgung von Landesschulden aufgenommen werden; eben so wenig die Ausstel= I lung neuer Schuldurkunden in die Stelle alterer Obligationen (Convertirung), sofem I damit eine Erhohung des ZinsfuBes nicht verbunden und kundbare Obligationen | nicht in unkundbare verwandelt werden. "^Dagegen ist zur Kreirung von Kassenscheinen | unbedingt die Zustimmung des Landtags erforderlich. §.89. ^Zur Ausstellung von Schuldurkunden tiber Gelder, welche die Verwalter der ge= | richtlichen Depositen und solcher milden Stiftungen, welche die Zinsen ihrer Kapitale | nicht in die todte Hand sammeln, zur Landesschulden=Kasse einzahlen, ist die Zustimmung | des Landtags nicht erforderlich. ^Diese Einlagen bilden ein walzendes Depositum bei | der Staatshaushaltung. ^Es muB stets eine hinreichende Deckung far das gesammte | Depositum vorhanden sein. §. 90. Es wird eine einjahrige Finanzperiode angenommen, und zwar beginnt solche vom | 1. Julil849an. ^Auf die Dauer jener Finanzperiode wird das Budget von dem Landtage bewilligt. | ^Nach Ablauf derselben wird dem Landtage tiber die Verwaltung Rechnung abgelegt.

[169/l]Abanderungsverordnung vom 18. November 1849

1485

§.91. ^Die Bewilligungen dtirfen von dem Landtage nicht an die Bedingung der Erfiil^ | lung bestimmter, das Budget nicht betreffende Antrage gekntipft werden. "^Es muB | [S. 24] jedoch demselben eine vollstandige Uebersicht und Nachweisung der Staatsbediirfnisse und | Einnahmen vorgelegt werden. §. 92. Sollten durch plotzlich eingetretene Ereignisse in Kriegszeiten auBerordentliche Aus= | gaben und desfallsige Anleihen nothwendig werden, so wird, wenn eine schleunige Zu= | sammenberufung des Landtags zur Bewilligung des Bedarfs nicht moglich war, die | getroffene MaBregel dem nachfolgenden Landtage zur Pnifung und Bewilligung vor== | gelegt. Zehnter Titel. | Von den Kommunal=Einrichtungen. §.93. Es wird eine freie Gemeinde=Verfassung mit selbststandiger Verwaltung der Ge= | meinde=Angelegenheiten und freier Wahl aller Kommunal=Beamten gewahrt. ^Sollten gegen die Wahl eines Kommunal^Beamten Bedenken erhoben werden, so | entscheidet dariiber der Landtag. ^Bis zu dieser Entscheidung fungirt der erwahlte Beamte. §.94. Die Armenpflege ist in den Kommunen durch die Kommunal=Behorden zu verwalten. Indem Wir die vorstehenden Bestimmungen hiermit als die Staats=Grundverfassung | des Herzogthums Anhalt=Dessau feststellen, versichem Wir hierdurch formlich und feier= | lich, daB Wir diese Verfassung nicht nur selbst treu und unverbrtichlich halten, sondem | dieselbe auch gegen alle Eingriffe und Verletzungen zu schtitzen und erhalten stets | bedacht sein werden. Dessen zu Urkunde haben Wir dieses Staats=Grundgesetz eigenhandig unterschrieben | und mit Unserem Insiegel bedrucken lassen. So geschehen Dessau, am 29. Oktober 1848. Leopold Friedrich, | Herzog zu Anhalt. | (L. S.) Habicht. A. Koppe.

[169/1] Verordnung, „die im ersten ordentlichen vereinigten Landtage beschlossene Abanderung einiger VerfassungsBestimmungen fur die Herzogthumer Anhalt-Dessau und Anhalt-Kothen betreffend", vom 18. November 1849 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einfiihrungen" die Darstellungen unter [625.] [629.]. Quelle: Gesetzsammlung fur das Herzogthum Anhalt-Dessau, Bd. 5, 1850, Nr. 285, S. 1603-1605 (gedruckt).^ [S. 1603] Verordnung, | die im ersten ordentlichen vereinigten Landtage beschlossene | Abanderung einiger Verfassungs=Bestimmungen fur die | Herzogthtimer Anhalt=Dessau und Anhalt=Kothen betreffend.

Dok. 185/2.

1486

§ 10: Anhalt-Dessau (-Kothen)

[Dok. 169 - 178]

(Offentlich bekannt gemacht und ausgegeben mit dem Staats=Anzeiger No. 93, | am 21. November 1849.) Wir, Leopold Friedrich, altestregierender Herzog zu Anhalt, | Herzog zu Sachsen, Engem und Westphalen, Graf zu Askanien, | Herr zu Zerbst, Bemburg und Grobzig, etc. etc. etc. I verordnen auf Antrag Unseres Gesammt=Staats=Ministeriums und unter Zustim= | mung des vereinigten Anhalt=Dessau=Kothenschen Landtags, was folgt: Art. L Zu §. 8 der Verfassung, welcher lautet: „Im Staate besteht kein Unterschied der Stande. Der Adel wird hiermit abgeschafft. Alle zur Bezeichnung des Adels | dienenden Ausdriicke verlieren diese Bedeutung und werden vom Staate | weder anerkannt noch gebraucht." kommen die Worte: „und werden vom Staate weder anerkannt noch gebraucht" in Wegfall. [S. 1604] Art. IL §.10, welcher lautet: „Kein Staatsangehoriger darf einen Orden annehmen. Orden dtirfen von Staatswegen nicht mehr verliehen werden." wird dahin abgeandert: „Kein Staatsangehoriger darf von einem nichtdeutschen Staate | einen Orden annehmen." Art. IIL Zum SchluBsatz des §.13, welcher lautet: „Hausdurchsuchungen dtirfen nur auf Grund eines richterlichen schrift= | lichen Befehls unter Beobachtung aller sonstigen gesetzlichen Formen | vorgenommen werden." wird hinzugefiigt: „Die Ausnahmen bestimmt das Gesetz." Art, IV. §.15 erhalt den Zusatz: „Der Volkswehr L Abtheilung ist die Verhandlung iiber militarische | Befehle und Anordnungen in Versammlungen und Vereinen nicht | gestattet." Art. V. Die Bestimmung des §.24: „Der vom Lehrer in der Schule zu ertheilende Religionsunterricht | kann nur ein allgemeiner, d. h. ein Unterricht in der auf religioser | Grundlage ruhenden Sittenlehre sein. Die kirchHch=konfessionelle ist | ausgeschlossen und der Kirche zu iiberlassen." wird aufgehoben. [S. 1605] Art. VL Der zweite Satz des §. 68, welcher lautet: „Auch die Prinzen des Herzoglichen Hauses dtirfen, insofem sie nicht in | auswartigen Diensten stehen, oder zu ihrer Ausbildung im Auslande eine | Zeit lang sich aufzuhalten genothigt sind, femer die verwittweten Gemah= | linnen der Herzoge

[ 169/2] Abanderungsverordnung vom 25. Marz 1850

1487

und Prinzen, sowie die unverheiratheten Prinzessin= | nen des Herzoglichen Hauses, welche eine besondere Apanage beziehen, | einen dauemden Aufenthalt im Auslande ohne Zustimmung des Land= | tags, bei Verlust ihrer Apanagen zu Gunsten der Staatskasse, nicht | nehmen." kommt in Wegfall; der SchluBsatz dieses Paragraphen erhalt folgende Fassung: „Die Prinzen des Herzoglichen Hauses bedtirfen zur Annahme aus= | wartiger Dienste der Genehmigung des Landtags. Auch ist der Land= | tag befugt, die Prinzen aus auswartigem Dienst zunickzubemfen. | Wird der Zurtickberufung nicht geniigt, so tritt Entziehung der | Apanage ein." Urkundlich unter Unserer eigenhandigen Unterschrift und beigedmcktem | Herzoglichen Insiegel. Dessau, 18. November 1849. Leopold Friedrich, | Herzog zu Anhalt. | (L. S.) GoBler. Plotz. Vierthaler.

[169/2] Verordnung, „die im zweiten ordentlichen vereinigten Landtage beschlossene Abanderung einiger VerfassungsBestimmungen fur die Herzogthiimer Anhalt-Dessau und Anhalt-Kothen betreffend", vom 25. Marz 1850 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einflihrungen" die Darstellung unter [629.]. Quelle: Gesetzsammlung fur das Herzogthum Anhalt-Dessau, Bd. 5, 1850, Nr. 298, S. 1665-1666 (gedruckt). [S. 1665J Verordnung, | die im zweiten ordentlichen vereinigten Landtage beschlossene | Abanderung einiger Verfassungs=Bestimmungen fiir die Herzog= | thiimer Anhalt=Dessau und Anhalt=Kothen betreffend. (Offentlich bekannt gemacht und ausgegeben mit dem Staats=Anzeiger No. 26. | am 30. Marz 1850.) Wir, Leopold Friedrich, altestregierender Herzog zu Anhalt, | Herzog zu Sachsen, Engem und Westphalen, Graf zu Askanien, | Herr zu Zerbst, Bemburg und Grobzig, etc. etc. etc. I verordnen hiermit, sowohl far Unser Herzogthum, als auch fiir Uns und Unseres | Herm Vettem, des regierenden Herzogs zu Anhalt=Bemburg, Herm Alexander | Karl, Liebden, fiir das Herzogthum Anhalt=K6then, auf Antrag Unseres | Gesammt=Staats= Ministeriums und unter Zustimmung des vereinigten Land= | tages, was folgt: Art. 1. Der §. 4 der Verfassungen fiir die Herzogthiimer Anhalt=Dessau und | Anhalt==Kothen, welcher dahin lautet: „Die Regiemngsform ist die demokratisch=monarchische." Wird dahin abgeandert: „Die Regiemngsform bemhet auf dem Gmndsatze der verfassungsmaBigen | Theilung der Gewalten zwischen Ftirst und Volk." Art. 2. Der §. 5 dieser Verfassungen kommt in Wegfall.

1488

§ 10: Anhalt-Dessau (-Kothen)

[Dok. 169 - 178]

Art. 3. Die Bestimmung in §.22, welche dahin lautet: „Ein groBjahriger und geschaftsfahiger Staatsangehoriger bedarf zu seiner | Verheirathung keiner ErlaubniB des Staates und der Kommune. | [S. 1666] Die sich als nothig herausstellenden Beschrankungen dieses Gmnd= | satzes bleiben der Gesetzgebung vorbehalten." wird abgeandert: „Ein geschaftsfahiger Staatsangehoriger, welcher das 24. Lebensjahr | zuriickgelegt hat, bedarf zu seiner Verheirathung keiner ErlaubniB des | Staates oder der Kommune, der er angehort. Die Beschrankungen dieses Grundsatzes bestimmt das Gesetz." Art. 4. Der in §. 24 ausgesprochene Grundsatz: „Fur den Unterricht in den Staatsschulen wird kein Schulgeld bezahlt." wird dahin modifizirt: „Fiir den Unterricht in den niederen Staatsschulen wird kein Schulgeld | bezahlt. Talentvolle Unbemittelte empfangen auch in den hoheren Staats= | schulen den Unterricht unentgeltlich." Art. 5. Der §.58 kommt in Wegfall. Art. 6. Der §. 84 erhalt den folgenden Zusatz: „Landtagsbeschltisse, welche auf eine Abanderung der Staatsverfassung | hinauslaufen, erfordem jedoch zu ihrer Gtiltigkeit 1) die Stimmen von zwei Dritttheilen der Gesammtzahl der Abge= | ordneten und eine nochmalige Lesung und BeschluBnahme in gleicher | Weise nach Verlauf von mindestens 14 Tagen, | so wie 2) unter alien Umstanden die Sanktion des Herzogs." Art. 7. Der §. 87 wird aufgehoben. Urkundlich haben Wir diese Verordnung Hochsteigenhandig vollzogen und | mit Unserem Herzoglichen Insiegel bedrucken lassen. Dessau, den 25. Marz 1850. Leopold Friedrich, | Herzog zu Anhalt. | (L. S.) Gossler. Plotz. Vierthaler.

[169/3] „Provisorische Gesetze uber die Presse und iiber das Versammlungs- und Vereinigungsrecht" nebst „PublikationsPatent" jeweils vom 26. Dezember 1850 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einftihrungen" die Darstellung unter [632.]. Quelle: Gesetzsammlung fiir das Herzogthum Anhalt-Dessau, Bd. 7, Dessau 1853, Nr. 322, S. 1891 - 1892 („Publikations-Patent"), S. 1893-1908 („Provisorisches Gesetz tiber die Presse"), S. 1909 - 1917 („Provisorisches Gesetz tiber die Verhtitung eines die gesetzliche

[169/3] Provisorische Gesetze vom 26. Dezember 1850

1489

Freiheit und Ordnung storenden MiBbrauchs des Versammlungs- und Vereinsrechtes") jeweils gedruckt. [S. 1881] Provisorische Gesetze | iiber die Presse und tiber das Versammlungs= und | Vereinigungsrecht. (Offentlich bekannt gemacht und ausgegeben mit dem Staats=Anzeiger No. 1. | am Januar 1851.) Publikations=Patent. Wir, Leopold Friedrich, von Gottes Gnaden altestregierender | Herzog zu Anhalt, Herzog zu Sachsen, Engem und Westphalen, | Graf zu Askanien, Herr zu Zerbst, Bemburg und Grobzig, etc. etc. etc. | verkiindigen hiermit sowohl tiir Unser Herzogthum, als auch fur Uns I und. Unseres Herm Vettem, des regierenden Herzogs zu Anhalt=Bemburg, | Herm Alexander Karl, Liebden, fur das Herzogthum Anhalt=Kothen, | in Erwagung, daB die durch das Staatsgrundgesetz gewahrte uneinge= | schrankte Freiheit der Presse und die BefugniB zu Bildung von Vereinen | in einer Weise gemiBbraucht worden sind, welche nicht bios die gesetzliche | Freiheit der Staatsangehorigen und die innere staatliche Ordnung, son= I dem auch Unsere freundliche Beziehungen zu den benachbarten Staaten | gefahrdet, zur Unterdruckung dieser MiBbrauche und zur Abwendung der | daraus entstehenden Gefahren, und zwar bei der Dringlichkeit der Sache | mit Rticksicht auf §.85. des Staatsgrundgesetzes, auf Antrag Unseres | Gesammt=Staats=Ministeriums und mit Vorbehalt der Zustimmung | [S. 1892] des vereinigten Landtages, die anliegenden provisorischen Gesetze tiber die | Presse und tiber das Versammlungs= und Vereinigungsrecht, und ver= | ordnen dabei Folgendes: §•!• Beide provisorischen Gesetze treten nach ihrer Publikation sofort in | Kraft. §•2. Die diesen Gesetzen entgegenstehenden Bestimmungen in den §§. 15. | und 16. des Staatsgrundgesetzes werden suspendirt. §.3. Die Vorschriften des PreBgesetzes beztiglich des Verfahrens und der | Strafen sich auch auf alle, vor seiner Verkiindigung begangenen PreB= | Verbrechen und Vergehen, jedoch mit Beriicksichtigung der Bestimmun= | gen in §. 3. des Publikations=Patents flir das Strafgesetzbuch u. s. w. | vom 28. Mai 1850, anzuwenden. Urkundlich unter Unserer eigenhandigen Unterschrift und beigedrucktem | Herzoglichen Insiegel. Dessau, am 26. Dezember 1850. Leopold Friedrich, | Herzog zu Anhalt. | (L. S.) GoBler. Plotz.

1490

§ 10: Anhalt-Dessau (-Kothen)

[Dok. 169 - 178]

[S. 1893] Provisorisches Gesetz | tiber | die Presse. Abschnitt I. | Vom Gewerbebetriebe. §. 1. I Beginn des Gewerbebetriebes. ^Zum Gewerbebetriebe eines Buch= oder Steindmckers, Buch= oder Kunst= | handlers, Antiquars, Leihbibliothekars, Inhabers von Lesekabinetten, Verkaufers | von Flugschriften und Bildem, ist die Genehmigung der Staatsregiemng nur | solchen Staatsangehorigen zu ertheilen, welche nicht allein ihre Unbescholtenheit [ und Zuverlassigkeit, sondem auch eine zum Betriebe des Gewerbes gentigende | allgemeine Bildung nachgewiesen haben. ^Dazu gehort bei denjenigen, welche | das Gewerbe eines Buchhandlers oder Buchdmckers beginnen wollen, der Nach= | weis, daB sie dasselbe ordnungsmaBig erlemt haben. Auch ist bei Ertheilung von dergleichen Konzessionen darauf Rticksicht zu | nehmen, daB eine Uberfiillung gleichartiger Gewerbe vermieden wird und die | noch bestehenden Privilegien nicht verletzt werden. §•2. Denjenigen Personen, welche sich beim ErlaB dieses Gesetzes bereits im | Besitz des Gewerbebetriebes befinden, soil die ErlaubniB zur Fortfuhrung desselben, | welche sie innerhalb 4 Wochen, vom Tage des erlassenen Gesetzes ab, einzu= | holen haben, nicht versagt werden, sofem nicht nach MaBgabe der ihnen friiher | ertheilten Konzessionen ein ausreichender Grund zur Entziehung desselben vor= | handen sein sollte. Eine Verlegung der jetzt bestehenden Buchdruckereien nach einem andem | Orte ist nur mit Genehmigung der Staatsregiemng gestattet, §.3. Nach dem Tode des Gewerbetreibenden darf das Gewerbe fiir Rechnung | der Wittwe wahrend des Wittwenstandes, oder wenn minderjahrige Erben vor= | [S. 1894] handen sind, fur deren Rechnung durch einen solchen Stellvertreter betrieben | werden, welcher der Staatsregiemng die fur den selbststandigen Gewerbebetrieb | vorgeschriebenen Eigenschaften (§. 1.) nachgewiesen hat Dasselbe gilt wahrend der Dauer einer Kuratel oder einer vom Gewerbe= | betreibenden zu verbtiBenden Haft. So fem das betriebene Gewerbe auf einem erblichen Privilegium bemhet, | sind die Erben verpflichtet, bis zu etwaiger VerauBemng, zum Fortbetrieb des= | selben einen mit den gesetzlichen Erfordemissen versehenen Stellvertreter zu bestellen. §•4. 1st einer der in diesen Paragraphen gedachten Gewerbebetreibenden eines | mittelst der Presse begangenen Verbrechens oder Vergehens schuldig erkannt | worden, so ist die Staatsregiemng berechtigt, ihm die femere Betreibung seines | Gewerbes zu untersagen. §. 5. I Ordnung der Presse. Von jeder Nummer, jedem Hefte oder Stiicke einer Zeitung, oder einer | in monatlichen oder ktirzeren Fristen erscheinenden Zeitschrift, welche im Inlande | herauskommen, muB der Herausgeber drei Stunden vor der Austheilung oder | Versendung ein mit seiner Unterschrift versehenes Exemplar, welches stets als | der erste Reindmck anzusehen ist, gegen eine ihm zu ertheilende Bescheinigung | bei der Kreis=Polizeibehorde oder dem damit von der Staatsregiemng beauf= | tragten Beamten einreichen.

[ 169/3] Provisorische Gesetze vom 26. Dezember 1850

1491

Von jeder andem, die Presse verlassenden Druckschrift oder Abbildung ist | der Drucker Oder, wenn von ihm die Ausgabe nicht erfolgt, der Verleger, | Selbstverleger oder Kommissionar verpflichtet, ein Exemplar zwolf Stunden vor | ihrer Ausgabe oder Versendung der Kreis=Polizeibehorde oder dem von der | Staatsregierung damit beauftragten Beamten gegen Empfangsbescheinigung ein= | zureichen. §.6. Wenn die Behorde in der vorgelegten Druckschrift etc. den Thatbestand | einer strafbaren Handlung erkennt, so hat sie entweder sofort der Staatsanwalt= | schaft davon Anzeige zu machen oder selbst nach §.19. weiter zu verfahren. Erkennt das Gericht in einer Schrift oder Abbildung den Thatbestand | einer strafbaren Handlung, so hat dasselbe auf den Antrag der Staatsanwalt= | schaft die Vemichtung zu verordnen, auch wenn eine gerichtliche Verfolgung | gegen eine bestimmte Person nicht hat eingeleitet werden konnen, oder der Be= | schuldigte freigesprochen worden ist. [S. 1895] §.7. An der bisherigen Verpflichtung der Verlegers, zwei Exemplare seiner | Verlags=Artikel an die Herzogliche Staatsregierung unentgeltlich einzusenden, | wird nichts geandert. §. 8. I Bezeichnung der Druckschriften. ^Auf jeder Druckschrift muB der Name und der Wohnort des Druckers | genannt sein. ^Auf Druckschriften, welche fiir den Buchhandel oder sonst zur | Verbreitung bestimmt sind, muB auBerdem der Name und Wohnort, entweder | des Verlegers, oder des Kommissionars, oder endlich des Verfassers oder Her= | ausgebers, welche ein Werk im Selbstverlage erscheinen lassen, genannt sein. §.9. Druckschriften, welche den vorstehenden Vorschriften nicht entsprechen, dtirfen | von Niemanden verbreitet werden. Diese Bestimmung findet jedoch auf die Druckschriften, welche vor Publi= | kation dieses Gesetzes erschienen sind, keine Anwendung, wenn sie den Gesetzen | liber die Ordnung der Presse entsprechen, welche zur Zeit ihres Erscheinens an | dem Orte desselben in Kraft waren. §. 10. ^Anschlagezettel und Plakate, welche einen andem Inhalt haben, als An= | ktindigungen tiber gesetzlich nicht verbotene Versammlungen, uber offentliche Ver= | gntigungen, tiber gestohlene, verlorene oder gefundene Sachen, tiber Verkaufe | oder andere Nachrichten ftir den gewerblichen Verkehr, dtirfen nicht angeschlagen, | angeheftet, oder in sonstiger Weise offentlich ausgestellt werden. '^In Stadten | und Ortschaften dtirfen Anschlagezettel und Plakate, auch wenn sie nach ihrem | Inhalte erlaubt sind, an denjenigen Stellen nicht angeschlagen, angeheftet, oder | in sonstiger Weise offentlich ausgestellt werden, welche als hierzu nicht geeignet | durch die Orts=Polizeibeh6rde bezeichnet worden sind. ^Auf die amtlichen Be= | kanntmachungen offentlicher Behorden sind die vorstehenden Bestimmungen nicht | anwendbar. §.11. ^Niemand darf auf offentlichen Wegen, StraBen oder Platzen Druckschriften | oder andere Schriften oder Bildwerke ausrufen, verkaufen, vertheilen, anheften | oder anschlagen, ohne daB er dazu die ErlaubniB der Orts=Polizeibeh6rde erlangt | hat, und ohne daB er den

1492

§ 10: Anhalt-Dessau (-Kothen)

[Dok. 169 - 178]

ErlaubniBschein, in welchem sein Name ausgedrtickt | sein muB, bei sich fiihrt. "^Die ErlaubniB kann jederzeit zuruckgenommen werden. [S. 1896] Abschnitt 11. [ Von der periodischen Presse. §. 12. I Redakteure. Jede Zeitung, Zeitschrift und tiberhaupt jedes in periodischen, wenn auch | unregelmaBigen Fristen erscheinende Blatt darf nur unter dem Namen und der | Verantwortlichkeit eines bestimmten Redakteurs erscheinen. Diese Bestimmung findet auf Druckschriften, welche von dem Landtage oder | den Herzoglichen Behorden herausgegeben werden, keine Anwendung. Als Redakteure diirfen nur solche einzelne Personen zugelassen werden, die | unbedingt rechtsfahig sind, sich im Vollbesitze der biirgerlichen Rechte befinden | und im Bereiche der inlandischen Gerichtsbarkeit ihren personlichen Gerichts== | stand haben. Militar=Personen, so wie alle unmittelbaren und mittelbaren Staatsbeamte, | auch solche, die ihr Amt unentgeltlich verwalten, bedtirfen, um als Redakteure | oder Herausgeber von Zeitungen oder Zeitschriften zugelassen zu werden, der | ErlaubniB ihrer vorgesetzten Dienstbehorde. §. 13. I Bezeichnung der einzelnen Stucke. Jede Nummer einer Zeitung oder Zeitschrift, jedes Stuck oder Heft eines | in bestimmten, wenn auch unregelmaBigen Fristen wiederkehrenden Blattes muB, | auBer dem Namen und Wohnorte des Druckers, den Namen und Wohnort des | verantwortlichen Redakteurs enthalten. §. 14 Der Herausgeber einer Zeitung oder einer in monatlichen oder ktirzeren | Fristen erscheinenden Zeitschrift, welche Anzeigen aufiiimmt, ist, sofem nicht | durch besondere mit der Staatsregierung abgeschlossene Kontrakte etwas Anderes | bestimmt worden, gegen Zahlung der tiblichen Einruckungs=Gebiihren verpflich= | tet, jede ihm von einer offentlichen Behorde mitgetheilte amtliche Bekannt= | machung auf deren Verlangen in eines der beiden nachsten Stucke des Blattes | aufzunehmen. §.15. Der Herausgeber einer Zeitung, oder einer in monatlichen oder ktirzeren, | wenn auch unregelmaBigen Fristen erscheinenden Zeitschrift ist verpflichtet, die | Entgegnung der zur Berichtigung in ihr erwahnten Thatsachen, zu welcher sich | die betheiligte offentliche Behorde oder angegriffene Privatperson veranlaBt | [S. 1897] fmdet, in eine der beiden nachsten Nummem, und wenn die Zeitschrift in gr6= | Beren Zwischenraumen als dem einer Woche erscheint, in die nachste Nummer | aufzunehmen. Die Entgegnung muB von dem Betheiligten unterschrieben sein. Die Aufinahme muB kostenfrei geschehen, so weit der Umfang der Ent= | gegnung die Lange des Artikels, welcher dazu Veranlassung gab, nicht tibersteigt. Ftir die tiber dieses MaB hinausgehenden Zeilen sind die tiblichen Ein= | rtickungsgebiihren zu zahlen.

[169/3] Provisorische Gesetze vom 26. Dezember 1850

1493

Abschnitt IIL | Von dem Straf=Verfahren, §. 16. I Eintheilung der durch die Presse venibten Gesetzes=Ubertretungen. Eine mittelst der Presse veriibte Handlung, welche mit einer GeldbuBe | bis zu funfzig Thalem, oder einer GefangniBstrafe bis zu sechs Wochen be= | drohet ist, ist eine PreBpolizei=Ubertretung. Eine mittelst der Presse veriibte Handlung, welche mit einer GeldbuBe | von mehr als funfzig Thalem, oder einer Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren | bedrohet ist, ist ein PreBvergehen. Eine mittelst der Presse veriibte Handlung, welche mit einer hohem, als | einer zweijahrigen Freiheitsstrafe bedrohet ist, ist ein PreBverbrechen. Die Qualifikation der Handlung wird dadurch, daB neben den hier er= | wahnten Geld= oder Freiheitsstrafen noch auf andere, durch das Gesetz ange= | droheten Strafen zu erkennen ist, nicht geandert. §. 17. |Kompetenz=Bestimmungen. Die Aburtelung der PreBpolizei=Ubertretungen und PreBvergehen gehort | vor die zur Entscheidung der Ubertretungen und Vergehen kompetenten Gerichte. Die Entscheidung iiber PreBverbrechen gehort vor die Schwurgerichte. §. 18. I Gerichtsstand. Der Gerichtsstand, die Einleitung und Fiihrung der Voruntersuchung, so | wie das Verfahren in der Haupt=Verhandlung, wird durch die allgemeinen | StrafprozeB=Vorschriften mit folgender MaBgabe bestimmt. [S. 1898] Ist die Beschlagnahme einer Druckschrift erfolgt (§. 19.), so ist der | Gerichtsstand auch bei demjenigen Gerichte begriindet, in dessen Bezirk die Be= | schlagnahme ausgeflihrt ist. Wenn wegen der namlichen Druckschrift ein Verfahren bei verschiedenen | Gerichten anhangig ist, so wird das Gericht, bei welchem die Verhandlung und | Entscheidung erfolgen soil, auf Anrufen der Staatsanwaltschaft durch das | Ober=Landesgericht bezeichnet. §. 19. ^Wenn eine zur Verbreitung bestimmte Druckschrift den Vorschriften der | §§.8. und 13. nicht entspricht, oder wenn sich ihr Inhalt als Thatbestand | einer strafbaren Handlung darstellt, so sind die Staatsanwaltschaft und deren | Organe berechtigt, die Druckschrift, wo sie solche zum Zwecke der Verbreitung | vorfinden, so wie die zur Vervielfaltigung bestimmten Platten und Formen | vorlaufig mit Beschlag zu belegen. ^Die Organe der Staatsanwaltschaft sind | verpflichtet, derselben innerhalb vier und zwanzig Stunden nach der Beschlag= | nahme die Verhandlungen vorzulegen, und diese ist, wenn sie die Beschlagnahme I nicht selbst unmittelbar wieder aufhebt, gehalten, innerhalb vier und zwanzig 1 Stunden, nach erfolgter Vorlegung, ihre Antrage bei der zustandigen Gerichts= | Behorde zu stellen, welche tiber die Fortdauer oder Aufhebung der verhangten | vorlaufigen Beschlagnahme schleunigst zu beschlieBen hat. §.20. Auf Druckschriflen, welche von dem Landtage oder von offentlichen Staats= | behorden ausgehen, fmden die Vorschriften des vorhergehenden Paragraphen | keine Anwendung.

1494

§ 10: Anhalt-Dessau (-Kothen)

[Dok. 169 - 178]

§.21. Organe der Staatsanwaltschaft im Sinne dieses Gesetzes sind die Polizei= | Behorden und andere Sicherheits=Beamte, welchen die Pflicht obliegt, Ver= | brechen und Vergehen zu ermitteln. Abschnitt IV. | Von der Verantwortlichkeit fiir die durch die Presse vertibten | Gesetzes=Ubertretungen. §. 22. Die Strafbarkeit wegen der durch die Presse begangenen Ubertretungen, | Vergehen oder Verbrechen beginnt mit der Veroffentlichung des PreBerzeugnisses. [S. 1899] Bei PreBpolizei^Ubertretungen soil aber der Angeschuldigte, wenn er sich | im Bereiche der inlandischen richterlichen Strafgewalt befindet, bevor ein Straf= | urtel wider ihn ergangen ist, nicht verhaftet werden. §.23. Die Veroffentlichung des PreBerzeugnisses ist erfolgt, sobald die Dmck= | schrift verkauft, versendet, verbreitet oder an Orten, welche dem Publikum zu= | ganglich sind, ausgestellt oder angeschlagen worden ist; bei Zeitungen, Zeit= | schriften und Flugblattem, sobald der Reindruck des ersten Exemplars vollendet | und der Kreispolizei=Behorde (§. 5.) eingereicht ist. §.24. I Verantwortlichkeit fiir Erzeugnisse der Presse. Allgemeiner Grundsatz. Ftir die durch eine Druckschrift begangenen Verbrechen, Vergehen oder | Ubertretungen ist Jeder verantwortlich, welcher nach den allgemeinen Grundsatzen | des Strafgesetzbuches als Urheber oder Theilnehmer strafbar erscheint. (Art. | 31. ff des Strafgesetzbuches.) §. 25. I Besondere Bestimmungen. Der Verfasser und Herausgeber einer strafbaren Druckschrift sind jederzeit | strafbar, es sei denn, daB der Erstere den Nachweis zu fahren vermag, daB | die Veroffentlichung ohne seinen Willen erfolgt ist. §.26. ^Ist der Drucker eines PreBerzeugnisses beschuldigt, so kann derselbe nur | dann auBer Verfolgung gesetzt werden, wenn der Verfasser gerichtlich festgestellt | und im Bereiche der inlandischen Strafgewalt ist. ^Der Drucker ist stets fur | den Inhalt einer Druckschrift verantwortlich, wenn a) auf der Schrift sein Name gar nicht, oder falschlich angegeben ist; b) die Druckschrift sich als eine solche darstellt, die zu den Plakaten | bestimmt ist; c) der Verfasser auf der Druckschrift gar nicht, oder mit Wissen des | Druckers falsch angegeben ist, oder der genannte Verfasser sich nicht | im Bereiche der inlandischen richterlichen Strafgewalt befindet. §.27. Der Verleger, Kommissionar, Sortiments=Buchhandler, Antiquar, wie | derjenige, welcher eine Druckschrift gewerbemaBig verbreitet, sind fiir den In= | halt verantwortlich: [S. 1900] a) wenn der Verfasser auf dem Titel gar nicht oder falschlich an= | gegeben ist; b) wenn der Verfasser sich nicht im Bereiche der inlandischen richter= | lichen Gewalt befindet;

[169/3] Provisorische Gesetze vom 26. Dezember 1850

1495

c) wenn die Druckschrift politischen oder religiosen Inhalts ist, und den | Umfang von funf Druckbogen nicht tibersteigt. §.28. Der Verleger und Kommissionar ist, wenn mittelst einer bei ihm ver= | legten oder in Kommission tibemommenen Druckschrift ein PreBvergehen be= | gangen worden, abgesehen von der sonst verwirkten Strafe, jedenfalls mit | einer GeldbuBe von funf und zwanzig bis zweihundert Thalem, und wenn ein | PreBverbrechen begangen worden, mit einer GeldbuBe von fiinfzig bis fiinf= | hundert Thalem zu bestrafen. §.29. Fiir den Inhalt eines Erzeugnisses der periodischen Presse ist jederzeit | auch der Redakteur verantwortlich, ohne daB es eines weitem Nachweises seiner | Mitschuld bedarf §.30. Der verantwortliche Redakteur eines periodischen Blattes ist, abgesehen | von der sonstigen gegen ihn oder andere Personen zu erkennenden Strafe, | wegen einer mittelst des Blattes begangenen PreBpolizei=Ubertretung mit | einer GeldbuBe von fiinf bis fiinfzig Thalem, wegen eines PreBvergehens mit | einer GeldbuBe von zehn bis zweihundert Thalem, wegen eines PreBverbrechens | mit einer GeldbuBe von Einhundert bis Eintausend Thalem zu belegen. Abschnitt V. | Von der Strafen. §.31. a. Wegen Verletzung der zur Ordnung der Presse gegebenen Vorschriften. ^Eine GeldbuBe von zehn bis funfzig Thalem hat derjenige Buchdmcker, | Steindmcker, oder Inhaber einer andem zur mechanischen Vervielfaltigung von | Schriften oder Bildwerken bestimmten gewerblichen Anstalt verwirkt, welcher | [S. 1901] den Bestimmungen der §§. 5. 8. und 13. zuwiderhandelt. ^Diese Strafe wird | im ersten Wiederholungsfalle verdoppelt, und kann bei femerem Rtickfalle, nach | dem Ermessen des Gerichts, bis zur Entziehung des Gewerbes erhohet werden. §. 32. Eine wissenthch falsche Angabe der in den §§.8 und 13. vorgeschriebe= | nen Vermerke zieht gegen den Zuwiderhandelnden eine GeldbuBe von Einhundert | bis Dreihundert Thalem nach sich. Im Wiederholungsfalle wird die Strafe verdoppelt und kann nach dem | Ermessen des Gerichts bis zur Entziehung des Gewerbes oder dem Verbote | des Blattes gesteigert werden. §.33. ^Wer den Vorschriften der §§.9. 10. und 11. zuwiderhandelt, hat eine | Strafe von fiinf bis funfzig Thalem oder eine GefangniBstrafe von acht Tagen | bis zu sechs Wochen verwirkt. - "^Bei femeren Zuwiderhandlungen wird diese | Strafe bis auf eine GeldbuBe von Dreihundert Thalem oder eine GefangniB= | strafe von zwei Jahren erhohet. §.34. ^Wer eine Dmckschrift verkauft oder verbreitet, deren Beschlagnahme ver= | hangt worden, hat, wenn diese Beschlagnahme offentlich bekannt gemacht, oder | zu seiner besondem KenntniB gebracht worden ist, eine GeldbuBe von Ein= | hundert bis Eintausend Thalem

1496

§ 10: Anhalt-Dessau (-Kothen)

[Dok. 169 - 178]

Oder eine GefangniBstrafe von zwei Monaten | bis zu drei Jahren, im Wiederholungsfalle das Doppelte dieser Strafe ver= | wirkt. "^Auch kann, wenn die ungesetzliche Verbreitung durch einen Buchdmcker, | Buch= oder Kunsthandler erfolgt ist, nach der Schwere der Verschuldung auf | den Verlust des Gewerbebetriebes erkannt werden. §.35. Der Herausgeber einer Zeitung oder Zeitschrift, welcher den Bestimmungen | der §§. 14. und 15. zuwiderhandelt, hat eine GeldbuBe von funfzig bis Ein== | hundert Thai em, oder eine GefangniBstrafe von einem bis zu drei Monaten, | im Wiederholungsfalle das Doppelte dieser Strafe verwirkt, auch kann bei | femeren Rtickfallen auf Unterdruckung des Blattes erkannt werden. Das Recht, den Zuwiderhandelnden im Wege der Exekution zur Er= | fallung der ihm nach den §§. 14. und 15. obliegenden Verbindlichkeit zu | zwingen, wird durch die Strafe nicht aufgehoben. [S. 1902] §.36. Wer zur Aufbringung der wegen eines PreBvergehens oder Verbrechens | verwirkten Geldstrafe offentlich auffordert, wird mit einer Geldstrafe von zehn | bis Ftinfhundert Thalem, im Wiederholungsfalle von zwanzig bis Tausend Tha= | lem belegt. §. 37. Sind seit der letzten Vemrtheilung wegen einer PreBpolizei=Ubertretung | fiinf Jahre verstrichen, ohne daB eine gerichtliche Verfolgung wegen einer | gleichen Ubertretung eingeleitet worden, so werden die friiher erkannten Strafen | bei Abmessung der neuen nicht mitgezahlt. §. 38. Die wegen Ubertretung angedroheten Strafen sind, abgesehen von den | durch den Inhalt der Druckschrift etwa sonst verwirkten Strafen, zu erkennen. §.39. Ist wegen des Inhalts einer Zeitung oder Zeitschrift eine Strafe erkannt, | so ist die Staatsregierung befiigt, die femere Debitirung des Blattes durch | die Postverwaltung einzustellen. §.40. b. Wegen der mittelst der Presse veriibten Vergehen und Verbrechen. Strafbare Aufforderung oder Anreizung. Wer mittelst einer Druckschrift zur Begehung einer strafbaren Handlung | auffordert oder anreizt, wird, wenn in Folge der Aufforderung oder Anreizung | eine strafbare Handlung oder strafbarer Versuch wirklich begangen worden ist, | mit der gesetzlichen Strafe der begangenen That oder des Versuches belegt. §.41. ^Wenn die offentliche Aufforderung oder Anreizung zu einer strafbaren | Handlung ohne irgend einen Erfolg geblieben ist, so trifft den Schuldigen Geld= | buBe von zwanzig bis Zweihundert Thalem, oder GefangniBstrafe von vier | Wochen bis zwei Jahren. '^Ist jedoch die That, zu welcher aufgefordert oder | angereizt wurde, im hochsten oder niedrigsten MaBe mit einer geringem Strafe | bedroht, so darf die Strafe der Aufforderung oder Anreizung dieses hochste | MaB nicht tibersteigen; sie kann bis auf dieses niedrigste MaB herabgesetzt | werden.

[169/3] Provisorische Gesetze vom 26. Dezember 1850

1497

§.42. Wenn die ohne Erfolg gebliebene Aufforderung oder Anreizung auf hoch= | verratherische Zwecke, Staatsverrath oder andere staatsgefahrliche Handlungen | [S. 1903] gerichtet ist, so soil GefangniB=, Festungs^ oder Arbeitshaus^Strafe von | drei Monaten bis zu vier Jahren eintreten. (Art. 80. ff. des Strafgesetzbuches.) §.43. I Beleidigung der Majestat des Herzogs und Beleidigung der Mitglieder des Herzoglichen Hauses. Ehrenverletzende AuBemngen der Presse tiber den Herzog oder dessen Re= | giemngshandlungen, desgleichen ehrenverletzende AuBeningen der Presse tiber ein | anderes Mitglied des Herzoglichen Hauses, wird mit GefangniB=, Festungs= | oder Arbeitshaus=Strafe von einem Monate bis zu vier Jahren bestraft. | (Art. 91. ff. des Strafgesetzbuches.) §.44. I Beleidigung auswartiger Regenten. Wer durch die Presse auswartige Regenten, deren Familienmitglieder, oder | mit reprasentativem Charakter bekleidete Bevollmachtigte derselben beleidigt, wird | mit GefangniB bis zu einem Jahre oder verhaltniBmaBiger Festxing bestraft. | (Art. 98. des Strafgesetzbuches.) §. 45» I Aufforderung zum Widerstand gegen die Staatsgewalt. Wer durch die Presse zum Ungehorsam gegen die Gesetze oder Verord= | nungen, oder gegen die Anordnungen der Obrigkeit auffordert, oder anreizt, | oder Handlungen, welche in den Gesetzen als Vergehen oder Verbrechen bezeich= | net sind, als erlaubte darstellt oder zu rechtfertigen sucht, wird mit GefangniB | von vier Wochen bis zu vier Monaten, oder verhaltniBmaBiger Festungs=Strafe | bestraft. (Art. 108. des Strafgesetzbuches.) §.46. Wer durch die Presse eine Person des Soldatenstandes dazu auffordert | oder anreizt, dem Befehle der Obem nicht Gehorsam zu leisten, wer insbesondere | eine Person, welche militarpflichtig ist oder zum Beurlaubtenstande gehort, dazu | auffordert oder anreizt, dem Gestellungsbefehle nicht zu folgen, wird mit Ge= | fangniB bis zu einem Jahre oder verhaltniBmaBiger Festungs=Strafe bestraft. | (Art. 88. des Strafgesetzbuches.) Vereinigt die Aufforderung oder Anreizung die Merkmale einer Handlung | in sich, welche die Gesetze mit schwererer Strafe bedrohen, so wird die schwe= | rere Strafe verhangt. §.47. I Vergehen gegen die offentliche Ordnung. Wer mittelst der Presse durch offentliche Behauptung oder Verbreitung | erdichteter oder entstellter Thatsachen, oder durch offentliche Schmahungen oder | [S. 1904] Verhohnungen die Einrichtungen des Staates oder die Anordnungen der Obrig= | keit dem Hasse oder der Verachtung aussetzt, wird mit GeldbuBe von zwanzig | bis Zweihundert Thalem, oder mit GefangniB von einem Monate bis zwei | Jahren bestraft. §.48. Wer durch die Presse versucht, den Landtag, ein Mitglied desselben, eine andere politische Korperschaft, eine offentliche Behorde, einen offentlichen Beamten, einen Religionsdiener, ein Mitglied der bewaffiieten Macht, einen Geschworenen,

1498

§ 10: Anhalt-Dessau (-Kothen)

[Dok. 169 - 178]

zur Fassung oder Unterlassung eines in ihrer BefligniB liegenden Beschlusses zu | zwingen, soil mit GefangniB von drei Wochen bis zu Festungs= oder Arbeits= | haus=Strafe von vier Jahren belegt werden. §.49. Die Namen der Geschworenen diirfen in Zeitungen, auBer dem im Art. 31. | der Straf=ProzeB=Ordnung erwahnten Falle, nur bei der Mittheilung iiber | die Bildung des Schwurgerichts genannt werden. ^Zuwiderhandlungen gegen diese Bestimmung ziehen eine GefangniBstrafe | von acht Tagen bis zu einem Jahre nach sich. ^Gleiche Strafe trifft denjenigen, | der eine Anklageschrift oder ein anderes Schriftstuck eines Kriminal^Prozesses | veroffentlicht, bevor die mtindliche Verhandlung Statt gefunden. §. 50. I Verletzungen derEhre. a. Verlaumdung. Wer einem Andem ein Verbrechen oder eine Handlung, welche ihn in | den Augen seiner Mitbtirger herabsetzt und seinen guten Ruf zu gefahrden ge= | eignet ist, mit dem BewuBtsein der Unwahrheit des Vorwurfs, durch die Presse | beimiBt, ist mit GefangniB bis zu sechs Monaten, oder, insofem die Strafe | sechs Wochen GefangniB nicht tibersteigt, mit verhaltniBmaBiger Geldstrafe zu | belegen. (Art. 185. des Strafgesetzbuches.) §.51. Gleiche Strafe trifft denjenigen, welcher eine von einer andem Person | ausgegangene tible Nachrede mit KenntniB von deren Unwahrheit durch die | Presse verbreitet. [S. 1905] Hatte derselbe keine KenntniB von der Unwahrheit der libeln Nachrede, | so wird er nach §.53. und 54. bestraft, es sei denn, daB durch die Umstande | des Falls eine ehrenkrankende Absichtbei der Mittheilung ausgeschlossen wird. | (Art. 186. des Strafgesetzbuches.) §.52. Die Erzahlung einer wahren Thatsache, wenn sie auch der Ehre eines | Andem Nachtheil bringt, ist straflos, vorbehaltlich der Bestrafung nach §. 53. | und 54., wenn sie in einer Weise geschehen ist, die an sich eine Ehrenkrankung | enthalt. (Art. 187. des Strafgesetzbuches.) §.53. b. Beleidigung. ^Wer sich vermittelst der Presse AuBemngen erlaubt, welche die Ehre eines | Andem kranken, oder nach der gemeinen Meinung Verachtung gegen denselben | ausdriicken, ist mit GefangniB bis zu drei Monaten oder verhaltniBmaBiger Geld= | buBe zu bestrafen. ^Gleiche Strafe trifft denjenigen, welcher wissentlich falsche, | einem Andem nachtheihge Nachrichten tiber dessen personliche Verhaltnisse durch | die Presse verbreitet. (Art. 189. des Strafgesetzbuches.) §.54. c. Namenlose Verlaumdung und Beleidigung. ^Werden Verlaumdungen oder Beleidigungen durch die Presse veroffentlicht | und ihr Urheber hat sich gar nicht oder nicht mit seinem wahren Namen, oder | es hat sich fur ihn ein Anderer genannt, so soil der Urheber oder dieser Andere | wegen ausgezeichneter Verlaumdung oder Beleidigung mit erhoheter Strafe belegt | werden, indem die hochsten Strafsatze dieser Verbrechen in solchen Fallen ver= | doppelt werden sollen. ^Mit gleicher Strafe

[169/3] Provisorische Gesetze vom 26. Dezember 1850

1499

sind zu belegen die verantwortlichen | Redakteure von Zeitschriften, es sei deim, daB sie den Urheber der Verlaumdung | oder Beleidigung benennen und dieser vor einen inlandischen Richter belangt werden | kann. (Art. 191. des Strafgesetzbuches.) §.55. Bei Zumessung der Strafen wegen der durch die Presse begangenen Verlaum= | dungen und Beleidigungen dienen die in Art. 192. des Strafgesetzbuches ent= | haltenen Bestimmungen zur Richtschnur. §.56 Die gerichtliche Verfolgung wegen der durch die Presse vertibten Ver= | laumdungen und Injurien findet nur auf Antrag der im Art. 193. des Straf= | gesetzbuches gedachten Personen und Behorden Statt. [S. 1906] §.57. Wird wegen einer durch die Presse vertibten Beleidigung oder Verlaum= | dung auf Strafe erkannt, so ist dem Verletzten auf Kosten des Verurtheilten | eine beglaubigte Abschrift des Straferkenntnisses zu ertheilen und auf sein Ver= | langen die erkannte Strafe durch die offentlichen Blatter, und zwar wo moglich | durch dieselbe Zeitschrift, auf Kosten des Schuldigen durch den Richter offentlich | bekannt zu machen und darauf das ErkenntniB ausdriicklich mit zu richten. | (Art. 194. des Strafgesetzbuches.) §. 58. I Vergehen, welche sich auf die Religion beziehen. Wer durch die Presse Gott lastert, ist mit GefangniB bis zu einem Jahre | oder mit Arbeitshaus bis zu zwei Jahren zu bestrafen. (Art. 180. des | Strafgesetzbuches.) §. 59. I Vergehen gegen die Sittlichkeit. Verletzungen der Sittlichkeit durch die Presse sind mit GefangniB bis zu | einem Jahre zu ahnden. (Art. 305. des Strafgesetzbuches.) §.60. Wenn bei Zeitungen, Zeitschriften und Flugblattem nur die Veroffentlichung | durch Einreichung eines Exemplars an die KreispoHzei=Behorde erfolgt (§.5. 23.), | demnachst aber jede weitere Verbreitung durch die Beschlagnahme der ganzen [ Auflage innerhalb der §. 5. bezeichneten Frist (§. 19.) verhindert ist, so soil | darin ein solcher Milderungsgrund liegen, daB der Richter die Strafe bis auf | die Halfte des MaBes herabzusetzen berechtigt ist, welche erkannt worden sein | wiirde, wenn das betreffende Blatt wirklich ausgegeben worden ware. §. 67. I Verjahrung. Hinsichtlich der Verjahrung der durch die Presse vertibten strafbaren Hand= | lungen kommen die allgemeinen Vorschriften der Art. 71. ff. des Strafgesetz= | buches zur Anwendung. [S. 1907] §.62. Wird in einer Schrift der Thatbestand einer strafbaren Handlung erkannt, | so ist durch das Urtel, selbst wenn der Beschuldigte freigesprochen wird, die | Vemichtung der far strafbar erklarten Schrift, oder der fur strafbar erklarten | Theile derselben, so wie aller zur Vervielfaltigung benutzten Formen und Platten | auszusprechen. ^Die Vemichtung erstreckt sich auf alle noch im Besitze des Verfassers, | Druckers, Herausgebers, Verlegers, Buchhandlers befindlichen, oder an offent= | lichen Orten ausge-

1500

§ 10: Anhalt-Dessau (-Kothen)

[Dok. 169-178]

legten Exemplare. "^Hat wegen einer Schrift, welche den | Thatbestand einer strafbaren Handlung darstellt, eine gerichtliche Verfolgung | nicht eingeleitet werden konnen, so ist die Vemichtung auf den schriftlichen An= 1 trag des Staatsanwalts zu erkennen. - of §. 6. §, 63. I Von den auBerhalb der Herzogthtimer erscheinenden Presserzeugnissen. Die Verbreitung von Dmckschriften, welche auBerhalb der beiden Herzog= | thtimer erscheinen, kann von dem Gesammt=Staats=Ministerium verboten werden. §.64. Wer einem solchen, offentlich oder ihm besonders bekannt gemachten Ver= | bote entgegen, eine Druckschrift verkauft, an Orten, welche dem Publikum zu= | ganglich sind, ausstellt Oder sonst gewerbsmaBig vertheilt oder verbreitet, wird | mit GeldbuBe von zehn bis Einhundert Thalem, oder mit GefangniBstrafe von | vierzehn Tagen bis zu einem Jahre bestraft. ^Die Anwendung der durch die Verbreitung von Schriften strafbaren Inhalts | etwa sonst verwirkten Strafen wird durch die Bestimmungen dieses Paragra= | phen nicht ausgeschlossen. "^Ist die strafbare Verbreitung durch einen der in | diesem Gesetze erwahnten Gewerbetreibenden erfolgt, so soil bei einer wieder= | holten Verurtheilung auf den Verlust des Gewerbebetriebes erkannt werden. §. 65. Alles was in diesem Gesetze von Dmckschriften, Erzeugnissen der Presse | gesagt ist, gilt von alien auf mechanischem Wege bewirkten und zur Verbrei= | tung bestimmten Vervielfaltigungen von Schriften, Bildwerken, bildlichen Dar= | stellungen mit oder ohne Schrift, Musikalien mit Text oder sonstigen Erlaute= | rungen, so wie von denjenigen, die diese Vervielfaltigung bewirkt, oder an | dieser Vervielfaltigung oder an der Verbreitung Theil genommen haben. [S. 1908] §^66. Statt der in diesem Gesetze vorgeschriebenen Geldstrafen ist fur den Fall | des Unvermogens in GemaBheit des Art. 15. des Strafgesetzbuches eventuell | verhaltniBmaBige GefangniBstrafe festzusetzen. §.67. Alle diesem Gesetze entgegenstehenden Bestimmungen sind aufgehoben. Urkundlich unter Unserer eigenhandigen Unterschrift und beigedrucktem | Herzoglichen Insiegel. Dessau, am 26. Dezember 1850. Leopold Friedrich, | Herzog zu Anhalt. | (L. S) GoBler. Plotz.

[169/3] Provisorische Gesetze vom 26. Dezember 1850

1501

[S. 1909] Provisorisches Gesetz | iiber | die Verhtitiang eines die gesetzliche Freiheit und Ord= | nung storenden MiBbrauchs des Versammlungs= und | Vereinigungsrechtes. A. I Von Versammlungen und Vereinen, welche eine Einwirkung | auf offentliche Angelegenheiten bezwecken. §•1^Von alien Versammlungen, in welchen offentliche Angelegenheiten erortert | oder berathen werden sollen, hat der Untemehmer mindestens vier und zwanzig | Stunden vor dem Beginne der Versammlung, unter genauer Angabe des Ortes, | der Zeit und des Zweckes, Anzeige bei der Polizei=Behorde zu machen. "^Diese | Behorde hat dartiber sofort eine Bescheinigung zu ertheilen, ^Begirmt die Ver= | sammlung nicht spatestens eine Stunde nach der in der Anzeige angegebenen | Zeit, so ist die spater beginnende Versammlung als vorschriftsmaBig angezeigt | nicht anzusehen. "^Dasselbe gilt, wenn eine Versammlung die langer als eine | Stunde ausgesetzten Verhandlungen wieder aufhimmt. §.2. Die Vorsteher von Vereinen, welche eine Einwirkung auf offentliche An= | gelegenheiten bezwecken, sind verpflichtet, Statuten des Vereins und das Na= | mensverzeichniB der Mitglieder des Vorstandes und des Vereins binnen drei | Tagen nach dessen Stiftung, und jede Anderung der Statuten, des Vorstandes | oder der Vereins=Mitglieder binnen drei Tagen, nachdem sie eingetreten ist, | der Polizei=Behorde zur KenntniBnahme einzureichen, derselben auch auf Erfor= | dem jede darauf beziigliche Auskunft zu ertheilen. [S. 1910] Bei schon bestehenden Vereinen sind diese Verpflichtungen innerhalb acht | Tagen nach Publikation dieser Verordnung zu erfiillen. Will ein Verein mit einem andem, bereits bestehenden Vereine, sei es | durch Komite's, Ausschiisse, Zentralorgane oder ahnliche Einrichtungen in Ver= | bindung treten, so muB er mindestens acht Tage vorher die Polizei=Behorde | von diesem Vorhaben, unter Einreichung eines Exemplars der Statuten dieses | Vereins, in KenntniB setzen. Uber die Erfiillung dieser Vorschrift sowohl, als liber die erfolgte Ein= | reichung der Statuten, der Vorstands= und Mitglieder=Verzeichnisse, oder deren | Abanderungen hat die Polizei=Behorde sofort eine Bescheinigung zu ertheilen. Die Landes=PoHzei=Beh6rde ist befugt, aus Grtinden der offentlichen | Sicherheit und Ordnung jede Verbindung der vorhin bezeichneten Art unter | verschiedenen Vereinen zu untersagen. §.3. Wenn fur die Versammlungen eines Vereins, welcher eine Einwirkung | auf offentliche Angelegenheiten beabsichtigt, Zweck, Zeit und Ort, vermoge des | Statutes oder eines besondem Beschlusses im Voraus genau festgestellt, und | mit dem einen oder andem wenigstens vier und zwanzig Stunden vor der ersten | Versammlung zur KenntniB der Polizei^Behorde gebracht worden sind, so | bedarf es einer besondem Anzeige, wie sie der §. 1. erfordert, fiir die einzelnen | Versammlungen nicht, §.4. Die Polizei=Beh6rden sind befugt, in jede Versammlung, in welcher | offentliche Angelegenheiten erortert oder berathen werden sollen, einen oder zwei | Polizei=Beamte oder eine oder zwei andere Personen als Abgeordnete zu senden.

1502

§ 10: Anhalt-Dessau (-Kothen)

[Dok. 169 - 178]

^Die Abgeordneten dtirfen, wenn sie Polizei=Beamte sind, nur unter aus= | driicklicher Kundgebung ihrer dienstlichen Eigenschafl erscheinen. "^Sind sie nicht | Polizei=Beamte, so mtissen sie durch besondere Abzeichen erkennbar sein. Den Abgeordneten muB ein angemessener Platz eingeraumt, ihnen auch | auf Erfordem durch den Vorsitzenden Auskunft iiber die Person der Redner | gegeben werden. §.5. Niemand darf in einer Versammlung (§. 1.) bewaffhet erscheinen, mit | Ausnahme der im Dienste befindlichen PoHzei=Beamten. [S. 1911] §.6. Versammlungen, die unter Zuwiderhandlung gegen die in den vorstehenden | Paragraphen enthaltenen Bestimmungen stattfinden, oder in denen Antrage | und Vorschlage erortert oder AuBerungen gethan werden, die an und fur sich | eine Verletzung der Strafgesetze oder eine Aufforderung oder Anreizung zu | strafbaren Handlungen enthalten, konnen von den Abgeordneten der Obrigkeit | sofort aufgelost werden. Diese Auflosung muB in alien Fallen stattfinden, wenn in der Versamm= | lung Bewaffnete erscheinen, die der Aufforderung des Abgeordneten der Obrig= | keit entgegen nicht sofort entfemt werden, oder wenn die Versammlung sonst | eine die offentliche Ruhe und die gesetzliche Ordnung gefahrdende Haltung | annimmt. §.7. Sobald ein Abgeordneter der Polizei=Behorde die Versammlung fur auf= | gelost erklart hat, sind alle Anwesenden verpflichtet, sich sofort zu entfemen. Diese Erklamng kann nothigenfalls durch die bewafftiete Macht zur Aus= | fiihrung gebracht werden.

^Sind die Thatsachen, welche zur Auflosung der Versammlung Veranlassung | gegeben, oder bei oder in Folge der Auflosung stattgefunden haben, nach dem | Ermessen der Polizei=Beh6rde zur Einleitung eines Strafverfahrens geeignet, | so kann sie, wenn es sich von den Versammlungen eines Vereins handelt, dessen | femere Versammlungen vorlaufig untersagen. ^Die Sache muB jedoch in diesem | Falle binnen acht und vierzig Stunden der zustandigen Behorde zur weitem | Verfolgung iibergeben werden. Wird in Folge dessen ein Strafverfahren wirklich eingeleitet, so bleiben | die Versammlungen bis zur ergangenen rechtskraftigen Entscheidung ausgesetzt. Das Gericht kann in seinem Erkeimtnisse die ganzliche SchlieBung des | Vereins anordnen. §•9. Vereine, die andere, als die in ihrem Statut angegebenen Zwecke verfolgen, | oder sich zur Erreichung derselben anderer als der dort angegebenen Mittel be= | dienen, konnen, vorbehaltlich der dadurch gesetzlich etwa verwirkten Strafen, | [S. 1912] durch eine motivirte Verfiigung der Polizei=Behorde aus Griinden der offent= | lichen Sicherheit und Ordnung vorlaufig geschlossen werden, ^Dieser BeschluB ist binnen vierzehn Tagen dem Ober=Landes=Gerichte zur | endgtiltigen Entscheidung der Frage vorzulegen, ob eine Abweichung von den | im Statut angegebenen Zwecken und Mitteln wirklich stattgefunden hat, oder | nicht. '^Wird diese Frage bejabend entschieden, so muB das Gericht gleichzeitig | die definitive SchlieBung des Vereins aussprechen.

[ 169/3] Provisorische Gesetze vom 26. Dezember 1850

1503

B. I Von politischen Vereinen insbesondere. §.10. Ftir politische Vereine gelten auBer den vorhergehenden Paragraphen noch | folgende B eschrankungen: a) Von der Berechtigung zur Theilnahme an politischen Vereinen oder | Versammlungen sind ganzlich ausgeschlossen: 1) Frauen, 2) alle minderjahrige Personen, 3) alle Diejenigen, welche den Vollbesitz der biirgerlichen oder staats= | btirgerlichen Rechte verloren und noch nicht wieder erlangt haben. b) Weder Vorstand noch Mitglied eines poUtischen Vereins kann sein, | wer nicht Staats=Angehoriger ist. c) Wer wegen eines Vergehens gegen das gegenwartige Gesetz ver= | urtheilt ist, kann an keiner Versammlung eines politischen Vereins | Theil nehmen, so lange er nicht die Strafe verbtiBt, beziehungsweise | deren Betrag erlegt hat. d) Zum Vorstande eines politischen Vereins darf, sei es als Leiter, | Ordner, Sprecher oder unter welchem sonstigen Namen, Niemand ge= | horen, der nicht auch gleichzeitig Mitglied des Vereins ist. | Ebenso dtirfen nur Mitglieder des Vereins in dessen Versammlungen | als Redner auftreten. | Besteht der Vorstand aus drei oder weniger Personen, so muB | jedenfalls eine, besteht derselbe aus vier oder mehr Personen, so I miissen wenigstens zwei von ihnen gleichzeitig Gemeindewahler des | Ortes sein, wo der Verein seinen Sitz hat. | [S. 1913] Das Vorhandensein dieser Bedingungen ist auf Erfordem den | Polizei=Beh6rden in den im §.2. angegebenen Formen und Fristen | nachzuweisen. e) Wird ein poHtischer Verein defmitiv geschlossen, so dtirfen seine Mit= | glieder in den nachsten sechs Monaten an keinem andem Vereine als \ Mitglieder Theil nehmen. f) Alle Versammlungen politischer Vereine, die unter Zuwiderhandlung | gegen Bestimmungen des gegenwartigen Gesetzes stattfinden oder in | denen Bestimmungen des gegenwartigen Gesetzes zuwider gehandelt | wird, konnen von den Abgeordneten der Polizei, vorbehaltlich der | gesetzlichen Bestrafung der Betheiligten, sofort aufgelost werden. | Wird die Auflosung im Laufe eines Jahres zum dritten Male | erforderlich, so kann die Landes=Polizei=Behorde den Verein ganzlich | schlieBen. C. I Von offentlichen Versammlungen unter freiem Himmel und Aufziigen. §.11. Von offentlichen Versammlungen unter freiem Himmel muB von dem | Untemehmer, Vorsteher, Ordner oder Leiter derselben, der Polizei^Behorde min= | destens acht und vierzig Stunden vor der Zusammenkunft Anzeige gemacht | werden. Die Genehmigung darf nur versagt werden, wenn aus Abhaltung der | Versammlung Gefahr fur die offentliche Sicherheit oder Ordnung zu be= | fiirchten ist. ^Soll die Versammlung auf offentlichen Platzen, in Stadten und Ort= | schaften oder auf offentlichen StraBen stattfinden, so hat die Polizei=Behorde | bei Ertheilung der ErlaubniB auch alle, dem Verkehr schuldige Rticksichten zu | beachten. "^Im Ubrigen finden auf solche Versammlungen die Bestimmungen | der §§. 1. 4. 5. 6. und 7. Anwendung.

1504

§ 10: Anhalt-Dessau (-Kothen)

[Dok. 169-178]

§. 12. ^Den in dem vorhergehenden Paragraphen erwahnten Versammlungen | werden offentliche Aufztige in Stadten und Ortschaften oder auf offentlichen | StraBen gleichgestellt. ^Bei Einholung der Genehmigung ist der beabsichtigte | Weg anzugeben,. ^Gewohnliche Leichenbegangnisse, so wie Ziige der Hochzeits= | [S. 1914] Versammlungen, wo diese hergebracht sind, kirchliche Prozessionen, wenn sie in | der hergebrachten Art stattfinden, bedtirfen weder einer vorgangigen Geneh= | migung, noch einer Anzeige. §.13. Innerhalb einer Meile von dem Orte der jedesmaligen Residenz des | Herzogs oder von dem Orte des Sitzes des Landtags dtirfen Volksversamm= | lungen unter freiem Himmel nicht stattfinden. Das letztere Verbot besteht nur fiir die Dauer der Sitzungs=Periode | des Landtags. D. I Strafbestimmungen. §.14. ^Wenn eine Versammlung ohne die im §. 1 vorgeschriebene Anzeige statt= | gefunden hat, so trifft den Untemehmer eine GeldbuBe von fiinf bis funfzig | Thalem, oder GefangniBstrafe von acht Tagen bis zu sechs Wochen. "^Derjenige, | der den Platz dazu eingeraumt hat, und Jeder, welcher in der Versammlung | als Vorsteher, Ordner, Leiter oder Redner aufgetreten ist, hat eine GeldbuBe | von fiinf bis fiinfzig Thalem verwirkt. §.15. ^Wenn, der Vorschrift des §. 2. entgegen, die Statuten eines Vereins | oder das VerzeichniB sammtlicher Vorsteher und Mitglieder, oder die ein= | getretenen Anderungen in der bestimmten Frist zur KenntniB der Polizei=Behorde | nicht gebracht worden sind, oder wenn eine von den Polizei=Behorden erforderte | Auskunft nicht ertheilt, oder eine Verbindung mit einem andem Vereine ohne | die vorgeschriebene Anzeige eingegangen, oder der nach §. 10 d. erforderliche | Nachweis nicht beigebracht ist: so wird jeder Vorsteher des Vereins mit Geld= | buBe von fiinf bis funfzig Thalem bestraft, insofem er nicht nachweisen kann, | daB die Erfiillung dieser Vorschriften ganz ohne sein Verschulden unterblieben | ist. ^Dieser Strafe tritt, unabhangig von den Bestimmungen der allgemeinen | Strafgesetze, eine GefangniBstrafe von acht Tagen bis sechs Wochen hinzu, | wenn die Vorsteher wissentlich unrichtige Statuten, Verzeichnisse oder Nach= | weise eingereicht, oder wissentlich unrichtige Auskunft ertheilt haben, oder eine | Verbindung mit einem andem Vereine ohne vorherige obrigkeitliche ErlaubniB | angekntipft worden ist. [S. 1915] §.16. ^Wenn in einer Versammlung, der Vorschrift des §. 4 entgegen, den | Abgeordneten der Polizei=Behorden der Zutritt oder die Einraumung eines an= | gemessenen Platzes verweigert worden ist, so trifft den Untemehmer und Jeden, | welcher in der Versammlung als Vorsteher, Ordner oder Leiter aufgetreten ist, | GeldbuBe von zehn bis Einhundert Thalem oder GefangniB von vierzehn Tagen | bis zu sechs Monaten. "^Dieselbe Strafe hat der Vorsitzende verwirkt, wenn er | sich weigert, den Abgeordneten der Polizei=Beh6rde Auskunft iiber die Person | der Redner zu geben, oder werm er wissentlich unrichtige Auskunft ertheilt.

[169/3] Provisorische Gesetze vom 26. Dezember 1850

1505

§.17. Wer sich nicht sofort entfemt, nachdem die Abgeordneten der Polizei= | Behorden die Versammlung fur aufgelost erklart haben (§§.7. 10.), wird mit | GeldbuBe von fiinf bis zu funfzig Thalem oder mit GefangniB von acht Tagen | bis zu drei Monaten bestraft.

Wer bei einem politschen Vereine sich am Vorstande betheiligt, ohne daB | dieser Vorstand den in §. 10 d. vorgeschriebenen Bedingungen entspricht, wer | als Vorsteher, Ordner und Leiter eines solchen Vereins, Personen, die von | den Bestimmungen des §. 10 a. b. c. d. e. betroffen werden, als Mitglieder | aufgenommen, oder zur Theilnahme an den Versammlungen oder zum Reden | in denselben zugelassen, hat, unerachtet ihm die jene Personen davon aus=^ | schlieBende Eigenschaft bekannt war, GeldbuBe von funf bis funfzig Thalem I oder GefangniB von acht Tagen bis drei Monaten verwirkt. Wer sich bei einem, sei es auch nur vorlaufig geschlossenen Vereine | (§§. 8. 9. 10. f.) als Mitglied femer betheiligt, wird mit GeldbuBe von funf | bis funfzig Thalem oder GefangniBstrafe von acht Tagen bis drei Monaten | belegt. Wer, den Vorschriften des §.10. entgegen, sich als Mitglied eines Ver= | eins aufnehmen laBt, oder an Versammlungen von Vereinen Theil nimmt, | oder darin als Redner auftritt, hat GeldbuBe von fiinf bis funfzig Thalem | verwirkt. §.19. Wer an einem Aufzuge oder an einer Versammlung unter freiem Himmel | Theil nimmt, zu welcher die nach dem gegenwartigen Gesetze erforderliche Ge= | nehmigung nicht ertheilt ist, wird mit einer GeldbuBe von einem bis ftinf | Thalem bestraft. [S. 1916] Wer zu einer solchen Versammlung oder zu einem solchen Aufzuge vor | Eingang der obrigkeitlichen ErlaubniB auffordert oder auffordem laBt, oder | darin als Ordner, Leiter oder Redner thatig ist, wird mit GeldbuBe von fiinf | bis funfzig Thalem oder mit GefangniB von acht Tagen bis zu drei Mo= | naten bestraft. ^Diese Strafen sind jederzeit verwirkt, wenn die Versammlung oder der | Aufzug in Stadten und Ortschaften oder auf offentlichen StraBen, oder wenn | eine Volksversammlung in den Fallen des §.13. stattgefunden hat. '^In alien | anderen Fallen sind die Theilnehmer und selbst diejenigen, welche als Redner | aufgetreten sind, nur dann strafbar, wenn die Versagung der Genehmigung | oder das nachtragliche Verbot vorher offentlich oder den Theilnehmem besonders | bekannt gemacht war. ^Wird die Richtgenehmigung oder das Verbot wahrend | der Versammlung oder wahrend des Aufzuges selbst bekarmt gemacht, so kann | sich wegen seiner spatem Betheiligung Niemand mit UnkenntniB der Nicht= | genehmigung oder des Verbotes entschuldigen. §.20. Wer gegen das Verbot des §. 5. in einer Versammlung bewaffhet er= | scheint, wird mit GefangniB bis zu sechs Monaten oder mit verhaltniBmaBiger | Festungsstrafe belegt. (§. 115. des Straf=Gesetzbuches.) §.21. Wer auffordert, in einer Versammlung mit Waffen zu erscheinen, oder | die Auffordemng hierzu verbreiten laBt, oder in einer Versammlung Waffen | austheilt, hat Festungsstrafe oder Arbeitshaus bis zu zwei Jahren verwirkt. | (§. 115. des Straf=Gesetzbuches.)

1506

§ 10: Anhalt-Dessau (-Kothen)

[Dok. 169 - 178]

E. I Gerichts=Zustandigkeit. §.22. . Die in dieser Verordnung mit Strafe bedroheten Handlungen sind, unbe= | schadet der Zustandigkeit der Schwurgerichte in Ansehung der in Versamm= | lungen begangenen politischen Vergehen, von der Kompetenz der Schwurgerichte | ausgeschlossen. In den Fallen, in welchen in diesem Gesetze bios Geldstrafen angedrohet | sind, hat der Richter fiir den Fall des Unvermogens entsprechende GefangniB= | strafe nach Analogic des Art. 15. des Straf=Gesetzbuches zu substituiren. [S.1917] F. I Ausnahmen. §.23. Auf die durch das Gesetz oder die gesetzlichen Autoritaten angeordneten | Versammlungen, so wie auf die Versammlungen der Mitglieder des Landtags | wahrend der Dauer der ordentlichen Sitzungs=Periode fmden die vorstehenden | Bestimmungen keine Anwendung. Urkundlich unter Unserer eigenhandigen Unterschrift und beigedmcktem | Herzoglichen Insiegel. Dessau, am 26. Dezember 1850. Leopold Friedrich, | Herzog zu Anhalt. | (L. S) GoBler. Plotz.

[169/4] Verordnung, „die Aufhebung der Verfassungsurkunde fur das Herzogthum Anhalt-Dessau betreffend", vom 4. November 1851 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einfiihrungen" die Darstellungen unter [636.] [679.]. Quelle: Gesetzsammlung fiir das Herzogthum Anhalt-Dessau, Bd. 7, Dessau 1853, Nr. 348, S. 2029-203 l(gedruckt). [S. 2029] Verordnung, | die Aufhebung der Verfassung fiir das Herzogthum | Anhalt-Dessau betreffend. (Offentlich bekannt gemacht und ausgegeben mit dem Staats=Anzeiger No. 90. | am 8. November 1851.) Wir, Leopold Friedrich, von Gottes Gnaden altestregierender | Herzog zu Anhalt, Herzog zu Sachsen, Engem und Westphalen, | Graf zu Askanien, Herr zu Zerbst, Bemburg und Grobzig, etc. etc. etc. | fiigen hiermit fiir Unser Herzogthum zu wissen, wie folgt: Als Wir die Verfassungs=Urkunde fiir Unser Herzogthum vom 29. Oktober | 1848 veroffentlichten, herrschte die allgemeine Voraussetzung vor, daB die da= | mals in Aussicht stehende Neugestaltung der inneren politischen Verhaltnisse und | staatlichen Organisationen sammtlicher deutscher Lander auf einer im Wesent= | lichen gleichen Grundlage verwirklicht werden wurde, wie diejenige, auf welcher | die gedachte Verfassung errichtet worden ist. Die Wendung der politischen Angelegenheiten in Deutschland im Laufe | des vorigen und dieses Jahres hat jedoch diese Voraussetzung, unter welcher | die Verfassung des Herzogthums allein Bestand haben konnte, nicht eintreten | lassen. Vielmehr ist das friihere Bundesrecht, da eine Einigung tiber die | erstrebte Neugestaltung Deutschlands nicht Statt

[ 169/4] Verordnung vom 4, November 1851

1507

geftinden, in voller Geltung | bestehen geblieben, und die deutschen Regierungen haben demzufolge durch die | unterm heutigen Tage von Uns in GemaBheit Unserer bundesfiirstlichen Pflicht I [S. 203OJ publizirten Bundesbeschltisse vom 23. August d. J. nicht nur die sogenannten | deutschen Grundrechte, soweit sie mit den Bundesgesetzen oder Bundeszwecken | im Widerspruche stehen, aufgehoben, sondem auch festgesetzt, daB die den | Bundes=Grundgesetzen zuwider laufenden, namentlich seit dem Jahre 1848 ge= | troffenen staatlichen Einrichtungen und gesetzlichen Bestimmungen mit den Bun= | desgesetzen wieder in Einklang zu bringen seien. Da nun die Verfassung vom 29. Oktober 1848 sammt ihren Nachtragen | vom 18. November 1849^ und 30. Marz 1850^* mit dem bundesrechtlichen | Grundsatze, daB die gesammte Staatsgewalt in dem Oberhaupt des Staats | vereinigt bleibe, und das monarchische Prinzip in der Austibung der den | Standen zugestandenen Rechte unverletzt erhalten werde, - insofem in Wider= | spruch steht, als nach derselben die Regiemngsform auf dem Prinzip der | Theilung der Gewalten zwischen Ftirst und Volk beruht, dieselbe auch die durch I den zweiten BundesbeschluB vom 23. August d. J.^ aufgehobenen Grundrechte | in sich aufgenommen hat, so wird der Fortbestand der Verfassung des Herzog= | thums, als Theiles des deutschen Bundes, unmoglich, und tritt dieselbe daher | mit der heute erfolgten Publikation der gedachten Bundesbeschltisse auBer Kraft | und Wirksamkeit. Anlangend die mit der Verfassung in Verbindung stehenden, namentlich | zur Ausfiihrung der in derselben enthaltenen Grundsatze getroffenen Einrichtungen | und erlassenen Gesetze, so verweisen Wir auf die von Uns hieruber ebenfalls | unterm heutigen Tage erlassene Verordnung. So weit aber durch die Verfassung selbst und namentlich deren Tit. II. | friiher bestandene staats= und privatrechtliche Normen unmittelbar aufgehoben | worden sind, verordnen Wir hiermit, daB dieselben fiir die betreffenden Zu= | stande und Verhaltnisse wieder in Kraft treten. Nur bei der in §.28 Nr. 1. | und 2. enthaltenen Aufhebung der, gewissen Grundstucken zugestandenen Hoheits= | rechte und der aus diesen Befugnissen, aus der Schutzherrlichkeit und Erb= | unterthanigkeit herstammenden personlichen Leistungen und Abgaben, behalt es | sein Bewenden. Femer versteht es sich von selbst, daB, so weit in dem ge= I nannten Titel der Verfassungs=Urkunde schon frtiher bestandene Rechtsnormen | nur eine ausdriickliche Anerkennung gefunden haben, diese als solche fortgelten. [S. 2031] Zugleich haben Wir Vorkehrung getroffen, die Verfassungs=Verhaltnisse fur | Unser Herzogthum Anhalt=Dessau wie fur das Herzogthum Anhalt=Kothen in | einer, den Bundesgesetzen entsprechenden Weise zu regeln, und haben zu dem | Ende eine Kommission emannt, welche auf Unsem Befehl am 1. Dezember d. J. | in Unserer Residenzstadt Dessau ihre Berathungen beginnen wird, worauf Wir | weitere EntschlieBung Uns vorbehalten. Urkundlich unter Unserer Hochsteigenhandigen Unterschrift und beigedmcktem | Herzoglichen Insiegel. Gegeben zu Dessau, am 4. November 1851. Leopold Friedrich, | Herzog zu Anhalt. | (L. S) Plotz.

Dok. 185/2. Dok. 185/3. Dok. 78.

1508

§ 10: Anhalt-Dessau (-Kothen)

[Dok. 169 - 178]

[170] Herzogliche Proklamation „An mein Volk!" vom 21. Juli 1851 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einflihmngen" die Darstellung unter [633.]. Quelle: Gesetzsammlung fiir das Herzogthum Anhalt-Dessau, Bd. 7, Dessau 1853, S. 2001-2002 (gedruckt). [S. 2001] An Mein Volk! Es sind nun mehr als drei Jahre verflossen, seitdem das traurige VerhangniB, |, welches ganz Europa erschiitterte, auch unser Land ergriff. Eine Macht, die | unter dem Namen des Volkswillens aufitrat, zerstorte in hastiger Eile unsere alten, | von so manchem Segen begleiteten Zustande und setzte die Werke einer krankhaft | aufgeregten Zeit an ihre Stelle. Die Kirche sollte vom Staate getrennt werden, obwohl sie der machtigste Grund= | pfeiler des Staates ist; das religiose BekenntniB sollte aus den Schulen verbannt, | die Religionslosigkeit durch das Gesetz geheiligt werden, obwohl die Religion der Urquell alles wahren innem Friedens, aller Selbstverlaugnung, aller gegenseitigen | Liebe und Eintracht ist; die Gemeinden sollten vom Staate abgesondert werden, | obwohl sich die Ersteren zu dem Letztem wie die einzelnen Glieder einer Kette zum | Ganzen verhalten, und eine falsche Freiheit, welche den geraden Gegensatz zu alle | Dem bildet, was bisher fiir ehrwiirdig und heilig gehalten wurde, sollte die Gluck= | seligkeit im Staatsleben ausmachen. Aber das traurige Beispiel fremder Lander | und die eigene Erfahrung haben uns zur Geniige gelehrt, zu welchem Abgrunde | solche Grundsatze und Einrichtungen fuhren! Die Deutschen Regierungen haben sich daher verbunden, einer weitem Auf^ | losung der Verhaltnisse kraftig entgegen zu treten; sie wollen nicht dulden, daB die | innere Ruhe und der Wohlstand der Volker, welcher auf ungestorter Austibung | des Handels und der Gewerbe, auf Achtung vor der gesetzlichen Autoritat, auf 1 Religion und Sittlichkeit, auf gegenseitigem Vertrauen, auf einem wohlgeordneten | Hausstande und glticklichem Familienleben beruhet, noch femer untergraben werde; | sie wollen nicht zulassen, daB das Deutsche Volk, - welches durch seine Tugenden | und durch die Treue und Liebe zu seinen angestammten Ftirsten groB geworden ist, | - seine edelsten Gtiter einbtiBe. Niemals ist es Meine Ansicht gewesen, daB durch jene Werke einer Zeit der | Unordnung und des Umsturzes die Wohlfahrt Meines Volkes dauemd begriindet | werden konne, und wenn Ich denselben dennoch im Drange der Umstande einen | Eingang in die Gesetze Meines Landes gestattete, so ist dies nur in der sichem | Hoffnung geschehen, daB deren verderblicher EinfluB sehr bald allgemein werde er= | kannt werden. Und in dieser Hoffnung habe Ich Mich nicht getauscht; der beste | [S. 2002] und bei Weitem groBte Theil Meines Volkes harrt mit Sehnsucht darauf, daB | die aus der Revolution hervorgegangenen Neuerungen, so weit sie tiber die Grenzen | eines wahren Fortschritts hinausgehen, beseitigt werden. Es vmrde Meinem Herzen wohl gethan haben, wenn Ich dieses Ziel auf | demjenigen Wege hatte erreichen konnen, welchen die von Mir sanktionirte Verfas= | sung vorschreibt; aber das hartnackige Widerstreben einiger wenigen Manner, | welche keine andere Berechtigung fiir sich haben, als den Zufall der Urwahlen, | zwingen Mich, diesen Weg nunmehr zu verlassen. Die gottliche Ordnung und die | daraus flieBenden uralten Rechte und Pflichten, welche nicht zerstort werden konnen | durch die Nothigung einer unbefiigten Gewalt, gebieten Mir jetzt, nicht langer | Zustande und Einrichtungen fortbestehen zu lassen, welche Ich, und mit Mir die | Besten des Volkes, als unheilsam und verderblich erkannt habe. Gem und be= | reitwillig werde Ich auch femer den Wtinschen Meines Volkes Rechnung tragen, | welche durch einsichtige und wiirdige Vertreter desselben Meiner Regiemng kund | gegeben werden. Damit ich diese Wtinsche aber auf zuverlassige Weise zu erfahren | im Stande

[171] Verordnung vom 21. M i 1851

1509

bin, ist vor alien Dingen nothig, daB ftir die Wahl der Abgeordneten | Anordnungen getroffen werden, welche gegen die verwerflichen Umtriebe der Revo= | lutions=Partei und die Verfiihrang des Volkes ausreichenden Schutz gewahren. | Ich habe daher durch die nachfolgende Verordnung Meine Rathe angewiesen, Mir | den Entwurf zu einem neuen Wahlgesetze fiir die Abgeordneten des Landtags vor= \ zulegen, und werde die Veroffentlichung desselben veranlassen, sobald die erforder= | liche Verstandigung dariiber mit Meinem Herm Vetter, dem Herzoge zu Anhalt= | Bemburg, Hoheit, erfolgt sein wird. Ftirchte Gott und befolge seine Befehle, das ist der Wahlspmch Meines | Hauses; mit ihm will Ich Mein hochstes Gesetz, die hochste Aufgabe Meines Lebens | - Mein Volk gliicklich zu machen - auch femer zu erftillen suchen, und so ver= | traue Ich derm, daB bei diesem neuen Abschnitte Meiner Regierung der gottliche | Segen nicht fehlen werden! Dessau, den 21. Juli 1851. Leopold Friedrich, | Herzog zu Anhalt. GoBler. Plotz.

[171] Verordnung, „die Auflosung der Landtage fiir die Herzogthiimer Anhalt-Dessau und Anhalt-Kothen betreffend", vom 21. Juli 1851 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einfuhrungen" die Darstellung unter [633.]. Quelle: Gesetzsammlung fur das Herzogthum Anhalt-Dessau, Bd. 7, Dessau 1853, Nr. 342, S. 2003-2004 (gedruckt). [S. 2003] Verordnung, | die Aufhebung der Landtage fiir die Herzogthiimer Anhalt=Dessau | und Anhalt=Kothen | betreffend. (Offentlich bekannt gemacht und ausgegeben mit dem Staats=Anzeiger No. 59. | am 23. Juli 1851.) Wir, Leopold Friedrich, von Gottes Gnaden altestregierender | Herzog zu Anhalt, Herzog zu Sachsen, Engem und Westphalen, | Graf zu Askanien, Herr zu Zerbst, Bemburg und Grobzig, etc. etc. etc. | in Erwagung, daB die Frist bis zum Wiederzusammentritt des am 27. V. M. I vertagten Anhalt=Dessauischen Sonderlandtages mit dem 26. d. M. ablauft, | innerhalb derselben es aber nicht moglich gewesen, diejenigen Vorbereitungen zu | treffen, welche, wenn eine Landes=Vertretung tiberhaupt unter den gegenwartigen | Verhaltnissen in Gemeinschaft mit Unserm Gesammt=Staats=Ministerium zum | wahren Wohle des Landes thatig werden soil, dazu unerlaBlich sind, auch der | gedachte Sonderlandtag in seiner derzeitigen Zusammensetzung fiir die Hoffhung, | mit ihm die desfallsigen erforderlichen Schritte berathen zu konnen, keine Btirg= | schaft darbietet, eine Auflosung desselben allein aber wegen seiner Verbindung mit | dem Anhalt=Kothenschen Sonderlandtage, als vereinigter Landtag, unthunlich ist, | verordnen auf Antrag Unseres Gesammt=Staats= Ministeriums, was folgt: Art. 1. Der vereinigte Anhalt=Dessau=Kothensche Landtag, sowie der Anhalt= | Dessauische und Anhalt=Kothensche Sonderlandtag, werden hiermit aufgelost. [S. 2004] Art. 2. Der §. 50 der Verfassung beider Herzogthiimer wird hiermit suspendirt.

1510

§ 10: Anhalt-Dessau (-Kothen)

[Dok. 169-178]

Art. 3. Unser Gesammt=Staats=Ministerium wird beauftragt, Behufs der Einbe= | bemfung eines neuen Landtages Uns den Entwurf eines provisorischen Gesetzes | vorzulegen. Urkundlich unter Unserer eigenhandigen Unterschrift und beigedracktem | Herzoglichen Insiegel. Dessau, den 21. Juli 1851. Leopold Friedrich, | Herzog zu Anhalt. | (L. S.) GoBler. Plotz.

[172]Verordnung „fur die Herzogthumer Anhalt-Dessau und AnhaltKothen, die Publication der in der diesjahrigen 20. BundestagsSitzung vom 23. August 1851 gefaflten Beschliisse, die zur Wahrung der offentlichen Sicherheit und Ordnung im deutschen Bunde zu treffenden MaRregeln und die Aufhebung der sogenannten deutschen Grundrechte betreffend", vom 4. November 1851 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einfiihrungen" die Darstellung unter [635.]. Quelle: Gesetzsammlung fur das Herzogthum Anhalt-Dessau, Bd. 7, Dessau 1853, Nr, 347, S. 2025 -" 2027 (gedruckt). [S. 2025] Verordnung, | fur die Herzogthtimer Anhalt=Dessau und Anhalt=Kothen, | die Publikation der in der diesjahrigen 20. Bundestags=Sitzung | vom 23. August 1851 gefaBten Beschliisse, die zur Wahrung | der offentlichen Sicherheit und Ordnung im deutschen Bunde | zu treffenden MaBregeln und die Aufhebung der sogenannten | deutschen Grundrechte betreffend. (Offentlich bekannt gemacht und ausgegeben mit dem Staats=Anzeiger No. 90. | am 8. November 1851.) Wir, Leopold Friedrich, von Gottes Gnaden altestregierender | Herzog zu Anhalt, Herzog zu Sachsen, Engem und Westphalen, | Graf zu Askanien, Herr zu Zerbst, Bemburg und Grobzig, etc. etc. etc. | fiigen hiermit, sowohl fiir Unser Herzogthum, als auch ftir Uns und Unseres | Herm Vettem, des regierenden Herzogs zu Anhalt=Bemburg, Herm Alexander | Karl, Liebden, ftir das Herzogthum Anhalt=Kothen, zu wissen, daB die Hohe | Deutsche Bundes=Versammlung in ihrer 20. Sitzung vom 23. August d. J., | wegen der zur Wahrung der offentlichen Sicherheit und Ordnung im deutschen | Bunde zu treffenden MaBregeln^, und wegen der sogenannten deutschen Grund= | rechte** folgende Beschliisse gefaBt hat: A. „Durch Art. II. der Bundesakte^ und Art. I. der Wiener SchluBakte**, | welche als Zweck des Bundes die auBere und innere Sicherheit des Bundes | [S. 2026] voranstellen, und in Erwagung, daB die Sicherheit des ganzen Bundes noth= | wendig von der Ruhe und Ordnung in den einzelnen Bundesstaaten bedingt | ist, halt sich die Bundes=Versammlung, gestiitzt auf die Bestimmungen | der Bundes=Grundgesetze, fiir berechtigt und fiir verpflichDok. 77. Dok. 78. Dok. 31. Dok. 43.

[ 172] Verordnung vom 4. November 1851

1511

tet, dafiir Sorge | zu tragen, daB in keinem Bundesstaate Institutionen und Zustande be= | stehen, welche fiir die innere Ruhe und Ordnung desselben und dadurch | fur die allgemeine Sicherheit des Bundes bedrohlich sind. Die Bundes= | Versammlung fordert daher die Hohen Bundes=Regiemngen auf, die in | den einzelnen Bundesstaaten, namentlich seit dem Jahre 1848 getroffenen | staatlichen Einrichtungen und erlassenen gesetzlichen Bestimmungen einer sorg= | faltigen Priifung zu unterwerfen und dann, wenn sie mit den Grund= | gesetzen des Bundes nicht in Einklang stehen, diese nothwendige Ueberein= | stimmung ohne Verzug wieder zu bewirken. Wenn die Bundes=Versammlung nun auch die zuversichtliche Erwar= | tung hegt, daB alle Hohen Bundes=Regierungen diese unerlaBliche Ueber= | einstimmung durch alle gesetzlichen Mittel herzustellen bemtiht sein, und | durch ihr eigenes Verhalten in Fragen der offentlichen Ordnung den Grund== | gesetzen des Bundes voile Gentige leisten werden, so muB sie sich ihre | verfassungsmaBige Einwirkung doch ftir die Falle vorbehalten, wenn solche I als nothwendig erkannte Abanderungen auf Hindemisse stoBen sollten, und | sie wird hierbei in Erwagung ziehen, welche innerhalb ihrer Kompetenz | liegenden Mittel und Wege, namentlich ob die Absendung von besonders | zu instmirenden Kommissionen, zur Erreichung des oben ausgesprochenen | Zweckes in Anwendung zu bringen sind. Sie beschlieBt, einen eigenen AusschuB aus ihrer Mitte zu bestellen, | welcher liber die zu einer solchen Einwirkung sich eignenden Falle ohne | Verzug Bericht zu erstatten und dabei jedesmal liber die Art und Weise | derselben sein Gutachten abzugeben haben wird." B. „Die in Frankfurt unter dem 27. Dezember 1848 erlassenen^, in | dem Entwurfe einer Verfassung des deutschen Reichs vom 28. Marz 1849 | wiederholten^ sogenannten Grundrechte des deutschen Volks konnen weder | [S. 2027] als Reichsgesetz, noch, so weit sie nur auf Grund des Einfiihrungs= | Gesetzes vom 27. Dezember 1848, oder als Theil der Reichsverfassung | in den einzelnen Staaten fiir verbindlich erklart sind, fiir rechtsgliltig ge= I halten werden. Sie sind deshalb in so weit in alien Bundesstaaten als | aufgehoben zu erklaren. Die Regierungen derjenigen Staaten, in denen | Bestimmungen der Grundrechte durch besondere Gesetze ins Leben gerufen | sind, sind verpflichtet, sofort die erforderlichen Einleitungen zu treffen, um | diese Bestimmungen auBer Wirksamkeit zu setzen, insofem sie mit den | Bundesgesetzen oder den ausgesprochenen Bundeszwecken in Widerspruch I stehen." - welche Beschllisse hierdurch zur allgemeinen KenntniB gebracht werden. Urkundhch unter Unserer Hochsteigenhandigen Unterschrift und beigedmcktem | Herzoglichen Insiegel. Gegeben zu Dessau, am 4. November 1851. Leopold Friedrich, | Herzog zu Anhalt. | (L. S) GoBler. Plotz.

Dok. 105. Dok. 106.

1512

§ 10:Anhalt-Dessau(-K6then)

[Dok. 169-178]

[173] Verordnung „fur die Herzogthumer Anhalt-Dessau und AnhaltKothen, die Aufhebung 1) derVerordnungen uberdie Verantwortlichkeit der IVIinister, 2) des Wahlgesetzes, 3) der Geschafts-Ordnung fur die Landtage, sowie das Fortbestehen der anderen, auf Grund der bisherigen Verfassungen eriassenen Gesetze betreffend", vom 4. November 1851 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einfuhrungen" die Darstellung unter [637.]. Quelle: Gesetzsammlung fiir das Herzogthum Anhalt-Dessau, Bd. 7, Dessau 1853, Nr. 349, S. 2033-2034 (gedruckt). [S. 2033] Verordnung | fur die Herzogthumer Anhalt=Dessau und Anhalt=Kothen, | die Aufhebung 1) der Verordnungen tiber die Verantwortlich= | keit der Minister, 2) des Wahlgesetzes, 3) der Geschafts=Ordnung | fur die Landtage, so wie das Fortbestehen der anderen, auf Grund | der bisherigen Verfassungen eriassenen Gesetze betreffend. (Offentlich bekannt gemacht und ausgegeben mit dem Staats=Anzeiger No. 90. | am 8. November 1851.) Wir, Leopold Friedrich, von Gottes Gnaden altestregierender | Herzog zu Anhalt, Herzog zu Sachsen, Engem und Westphalen, | Graf zu Askanien, Herr zu Zerbst, Bemburg und Grobzig, etc. etc. etc. | ftigen hiermit, sowohl fiir Unser Herzogthum, als auch fur Uns und Unseres | Herm Vettem, des regierenden Herzogs zu Anhalt=Bemburg, Herm Alexander | Karl, Liebden, fur das Herzogthum Anhalt=Kothen, zu wissen, wie folgt: Nachdem mit dem heutigen Tage die bisherige Verfassung Unseres Herzog= | thums Anhalt=Dessau sowohl, wie die des Herzogthums Anhalt=Kothen, vom | 28. resp. 29. Oktober 1848, auBer Kraft getreten ist, verordnen Wir beztiglich | der theils durch die Ereignisse des Jahres 1848 bedingten, theils zur Aus= | fuhrung der gedachten Verfassungen erfolgten Gesetzgebung, was folgt. §.!• Es werden hiermit folgende Verordnungen und Gesetze vollstandig aufge= | hoben und auBer Kraft gesetzt: 1) die Verordnungen tiber die Verantwortlichkeit der Minister vom 5. | April, resp. 25. Mai 1848. (Nr. 248. der Gesetzsammlung fiir das | [S. 2034] Herzogthum Anhalt=Dessau und Nr. 1102. der Gesetzsammlung fiir | das Herzogthum Anhalt= Kothen.) | Die Staats=Ministerien bestehen zwar wie bisher, ingleichen | das Gesammt=Staats=Ministerium fur die dem Herzogthume | Anhalt=Dessau und dem Herzogthume Anhalt=Kothen gemein= | schaftlichen Angelegenheiten, als oberste Landesbehorden fort, jedoch | in einer dergestalt veranderten Stellung, daB dieselben nur | Uns Selbst verantwortlich sind, und daB es zur Giiltigkeit Unserer | Gesetze, Verordnungen und Verfiigungen nicht einer ministeriellen | Gegenzeichnung bedarf 2) Das Wahlgesetz fiir die zu den vereinigten und besondem Landtagen | zu berufenden Volksvertreter, vom 24. Februar 1849. (Nr. 271. | der Gesetzsammlung ftir das Herzogthum Anhalt=Dessau und Nr. 1151.| der Gesetzsammlung fiir das Herzogthum Anhalt=Kothen.) 3) Die Geschafts=Ordnung ftir den vereinigten Landtag und die Sonder= | landtage vom l.Marz 1849. (Nr. 273. der Gesetzsammlung fiir | das Herzogthum Anhalt-Dessau und Nr. 1153. der Gesetzsammlung | fiir das Herzogthum Anhalt=Kothen.)

[ 174] Patent vom 7. Mai 1853

1513

§•2. Alle tibrigen seit dem April des Jahres 1848 bisher veroffentlichten 1 Gesetze, auch diejenigen, welche zur Ausfuhmng einzelner §§. der aufgehobenen | Verfassung erlassen worden sind, bleiben zwar bis auf Weiteres in Kraft, Wir | haben jedoch Unserm Gesammt=Staats=Ministerium Befehl ertheilt, dieselben | einer griindlichen Priifung zu unterziehen, inwiefem Grundsatze der aufgehobenen | Verfassung in dieselben tibergegangen sind, welche mit den nunmehr veranderten | Verhaltnissen nicht in Einklang stehen, oder sich nicht als zweckmaBig bewahrt | haben, und Uns tiber die erforderlichen Aenderungen und Erganzungen baldigst [ berichtliche Vorschlage zu machen. Urkundlich unter Unserer Hochsteigenhandigen Unterschrift und beigedmcktem | Herzoglichen InsiegeL Gegeben zu Dessau, am 4. November 1851. Leopold Friedrich, | Herzog zu Anhalt. | (L. S.) GoBler. Plotz.

[174] Patent „uber Entlassung der Herzoglich Anhalt-Kothenschen Staatsangehorigen aus ihrer Unterthanenpflicht gegen Se. Hoheit den regierenden Herzog zu Anhalt-Bernburg" vom 7. Mai 1853 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einfuhrungen" die Darstellung unter [683.]. Quelle: Gesetzsammlung fiir das Herzogthum Anhalt-Dessau, Bd. 7, Dessau 1853, Nr. 398, S. 2299 - 2300 (gedruckt). [S. 2299] Patent | tiber Entlassung der Herzoglich Anhalt=Kothenschen Staatsan= | gehorigen aus ihrer Unterthanenpflicht gegen Se. Hoheit den | regierenden Herzog zu Anhalt=Bemburg. (Offentlich bekannt gemacht und ausgegeben mit dem Staats=Anzeiger No. 78. | am 25. Mai 1853.) Wir, Alexander Karl, von Gottes Gnaden regierender Her= | zog zu Anhalt etc. entsagen hiermit in GemaBheit des hinsichtlich des Herzogthums Anhalt=Kothen | am 2./7. Mai d. J. abgeschlossenen Haus= und Familienvertrages des Herzog= | lichen Gesammthauses Anhalt zu Gunsten des altestregierenden Herzogs Leopold | Friedrich zu Anhalt, Hoheit und Liebden, als nachsten Agnaten und Mitre= | genten im Herzogthum Anhalt=Kothen und Hochdero Erben und Nachfolger | in der Regierung, in der Erwagung, daB die wegen dieses Herzogthums durch | das Besitznahme=Patent vom 23. November 1847 angeordnete interimistische | Regierung so wenig, als die nach dem am 22. Juni 1665 abgeschlossenen I und am 2. September 1666 durch des Kaisers Leopold L Majestat bestatigten | Haus= und Familienvertrags des Herzoglichen Gesammthauses Anhalt, Behufs | Anordnung einer definitiven Regierung nothwendig werdende Landestheilung, | dem wahren Wohle des Landes entspricht, der Mitregentschaft am Herzogthum | Anhalt=Kothen nebst alien davon abhangenden Souveranetats= und Hoheits= | rechten, ingleichen den Uns nach den alteren Hausvertragen und dem Vertrage | vom 16., 20. und 26. Julius 1847., das Anhalt=Kothensche Schuldenwesen | [S. 2300] betreffend, zustehenden Nutzungsrechten an dem im Herzogthum Anhalt=Kothen | belegenen Stamm=, FideikommiB= und Allodialvermogen des Herzoglichen Ge= | sammthauses Anhalt. Mittelst dieses Aktes entbinden Wir die sammtlichen Be= | horden und Beamten, die Militarpersonen, die Geistlichen, die Kirchen= und | Schuldiener, die Vasallen und alle tibrigen Unterthanen und Eingesessenen der I bisherigen Herzoglich Anhalt=Kothenschen Lande von den Uns als Mitregenten | des

1514

§ 10: Anhalt-Dessau (-Kothen)

[Dok. 169 - 178]

Herzogthums Anhalt=K6then geleisteten Eiden, beziehendlich Uns schuldigen | Unterthanenpflichten, und tibertragen Unsere desfallsigen Rechte und Anspriiche | an des altestregierenden Herzogs Leopold Friedrich zu Anhalt, Hoheit und | Liebden, als nunmehrigen alleinigen Regenten des Anhalt=Kothenschen Landes= | theiles. Vorstehende Unsere Verzichtleistung wird hierdurch zur offentlichen Kennt= | niB gebracht. Urkundlich unter Unserer eigenhandigen Unterschrift und beigedrucktem Her= | zoglichen Insiegel. Ballenstadt, am 7. Mai 1853. Alexander Carl, | Herzog zu Anhalt. | (L. S) V. Schatzell.

[175] Patent „wegen Vereinigung der Herzogthiimer Anhalt-Dessau und Anhalt-Kothen zu Einem Herzogthume'' vom 22. Mai 1853 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einfuhrungen" die Darstellung unter [683.]. Quelle: Gesetzsammlung fiir das Herzogthum Anhalt-Dessau, Bd. 7, Dessau 1853, Nr. 397, S. 2297 - 2298 (gedruckt). [S. 2297] Patent [ wegen Vereinigung der Herzogthiimer Anhalt==Dessau und | Anhalt Kothen zu Einem Herzogthume. (Offentlich bekannt gemacht und ausgegeben mit dem Staats=Anzeiger No. 78. | am 25. Mai 1853.) Wir, Leopold Friedrich, von Gottes Gnaden altestregierender | Herzog zu Anhalt, Herzog zu Sachsen, Engem und Westphalen, | Graf zu Askanien, Herr zu Zerbst, Bemburg und Grobzig, etc. etc. etc. | ftigen hiermit zu wissen, daB zwischen Uns und Unseres Herm Vettern, des I regierenden Herzogs zu Anhalt=Bemburg, Herm Alexander Karl, Hoheit und | Liebden, wegen Aufhebung der bisher zwischen Uns bestandenen Gemeinschaft der | Landeshoheits= und Regierungsrechte uber das Herzogthum Anhalt=K6then und | wegen Abtretung dieser Rechte, soweit sie bisher Unserm gedachten Herm Vet= | ter zustanden, an Uns, ein Vertrag unter dem 2. resp. 7. Mai d. J. abge= | schlossen worden ist, welchen Wir zu veroffentlichen befohlen haben. Diesem Vertrage zufolge sind nunmehr die Herzogthiimer Anhalt==Dessau | und Anhalt=Kothen zu Einem Herzogthume unter Unserer Regierung vereinigt, | und indem Wir erwarten, daB die sammtlichen Behorden und Beamten, die | Militarpersonen, Vasallen und alle tibrigen Unterthanen und Eingesessene der | bisherigen Herzoglich Anhalt=K6thenschen Lande Uns, als ihrem jetzt alleinigen | Landes= und Lehnsherm den schuldigen Gehorsam und die gelobte Treue bewah= | ren werden, versichem Wir denselben den gebiihrenden landesherrlichen Schutz | und Unsere femere Huld und Gnade. [S. 2298] Hiemachst erklaren Wir die vormaligen besondem Ministerien der Herzogs | thtimer Anhalt=Dessau und Anhal1?=Kothen zu Einem Ministerium, unter dem | Titel „Herzoglich Anhaltisches Staats=Ministerium" fiir vereinigt, welches seinen | Sitz in Dessau hat und von welchem alle von Uns demselben tibertragenen | Geschafte nunmehr ungetrennt zu bearbeiten sind. In gleicher Weise sollen nicht nur alle anderen Anhalt=Kothenschen Beh6r= | den mit den Anhalt=Dessauischen Behorden vereinigt werden, sondem Wir be= | fehlen auch, daB ftir jetzt schon, und bis die nach Artikel IX. des Vertrages be= | dungene Verbindung der Anhaltischen Gesammt=Truppen Statt finden kann, | die Vereinigung des vormaligen An-

[ 176] Bekanntmachung des Vertrages vom 23. Mai 1853

1515

halt=Kothenschen Kontingents mit dem An= | halt=Dessauischen Kontingent bewirkt werde. Wir beauftragen Unser Ministerium, die Vereinigung beider Lander hiei^ | nach vollstandig zur Ausfiihmng zu bringen und erwarten liber die zu diesem | Behuf sonst nothwendig werdenden MaBregeln und zu treffenden Einrichtungen | dessen Bericht zu Unserer BeschluBnahme und weitem Verordnung. Urkundlich unter Unserer eigenhandigen Unterschrift und beigedmcktem Her= | zoglichen Insiegel. Dessau, am 22. Mai 1853. Leopold Friedrich, | Herzog zu Anhalt. | (L. S) V. GoBler. Plotz.

[176] Bekanntmachung des Vertrages „wegen der Vereinigung der HerzogthiJmer Anhalt-Dessau und Anhalt-Kothen zu Einem Herzogthume" vom 23. Mai 1853 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einfiihrungen" die Darstellungen unter [669.] [683.]. Quelle: Gesetzsammlung flir das Herzogthum Anhalt-Dessau, Bd^ 7, Dessau 1853, Nr. 399, S. 2301-2307 (gedruckt). [S. 2301] Bekanntmachung | des Vertrages wegen der Vereinigung der Herzogthiimer Anhalt= | Dessau und Anhalt=Kothen zu Einem Herzogthume. (Offentlich bekannt gemacht und ausgegeben mit dem Staats=Anzeiger No. 78. | am 25. Mai 1853.) Mit Bezugnahme auf das landesherrliche Patent vom 22. Mai d. J., | Zahl 397. der Gesetzsammlung, wird der darin angezogene Vertrag vom | 2./7. d. Mts. auf hochsten Befehl nachstehend zur offentlichen KenntniB gebracht. Dessau, den 23. Mai 1853. Herzoglich Anhaltisches Staats==Ministerium. V. GoBler. v. Plotz. Wir Leopold Friedrich und Alexander Karl, von Gottes | Gnaden altestregierender und regierender Herzog zu Anhalt, Herzoge | zu Sachsen, Engem und Westphalen, Grafen zu Askanien, Herren | zu Bemburg und Zerbst, etc. etc. etc. | fur Uns, Unsere Erben und Nachfolger in der Regierung, haben wegen Auf= | hebung der bisher zwischen Uns bestandenen Gemeinschaftlichkeit der Souve= | ranetats= und Regierungsrechte tiber das, Uns nach dem Ableben Unseres | [S. 2302] hochseligen Herm Vetters, des Herzogs Heinrich, Hoheit und Liebden, am | 23. November 1847 angefallene Herzogthum Anhalt=Kothen den nachfolgen= I den Vertrag abschlieBen lassen, welcher wortlich also lautet: Nachdem das BedtirfniB fuhlbar geworden, die bisher zwischen den Durch= | lauchtigsten Herzogen zu Anhalt in Folge des Aussterbens der Herzoglich | Anhaltischen Augustaischen Linie bestandene Gemeinschaftlichkeit der Souverane= | tats= und Regierungsrechte iiber das Herzogthum Anhalt-Kothen aufzulosen | und Seine Hoheit der Herzog, Alexander Karl, Sich entschlossen haben, | die Hochstihnen zustehenden mitlandesherrlichen Rechte tiber Anhalt=Kothen | an Seine Hoheit, Leopold Friedrich, altestregierenden Herzog zu Anhalt, | abzutreten, so sind, um einen Vertrag hiertiber abzuschlieBen, Bevollmachtigte | emannt worden, namlich: von seiner Hoheit, Leopold Friedrich, altestregierendem Herzoge | zu Anhalt,

1516

§ 10: Anhalt-Dessau (-Kothen)

[Dok. 169-178]

Hochstihr wirklicher Geheimer Rath und Staats=Minister Albert | Friedrich von Plotz, Kommandeur 1. Klasse des Herzoglich An= | haltischen Gesammtliaus=Ordens Albrecht des Baren, des GroBherzog= | lich Sachsischen Hausordens vom weiBen Falken und des Herzoglich | Sachsen Ernestinischen Hausordens, von seiner Hoheit, Alexander Karl, regierendem Herzoge zu Anhalt, Hochstihr Geheimer Rath und Staats=Minister Victor Hempel, | Kommandeur 1. Klasse des Herzoglich Anhaltischen Gesammthaus= | Ordens Albrecht des Baren, so wie Ritter des Koniglich PreuBischen | rothen Adlerordens 2. Klasse, [ und ihr Hochst Geheimer Rath und Staats=Minister Maximilian | Theodor von Schatzell, Kommandeur 1. Klasse des Herzoglich | Anhaltischen Gesammthaus=Ordens Albrecht des Baren, Ritter des | Koniglich PreuBischen St. Johanniter= und des rothen Adlerordens | 4. Klasse, [S. 2303] welche auf den Grund ihrer gegenseitig als giiltig anerkannten Vollmachten | nachstehende Artikel, unter Vorbehalt der Hochsten Ratifikation, mit einander | verabredet und festgesetzt haben.. Art. I. Seine Hoheit, Alexander Karl, regierender Herzog zu Anhalt, treten | alle Hochstdenselben liber das Herzogthum Anhalt=K6then in seinem gegenwai= | tigen Umfange mit zustehenden Souveranetats= und Regierungsrechte fiir Sich, | Ihre Erben und Nachfolger an Seine Hoheit, Leopold Friedrich, altest= | regierender Herzog zu Anhalt, ab. Art. II. Seine Hoheit, Leopold Friedrich, altestregierender Herzog zu Anhalt, | nehmen die in Art. I. gemachte Abtretung an, erwerben auf Grund derselben | den ganzen Inbegriff der Landeshoheit iiber das Herzogthum Anhalt=Kothen | mit alien daran gekntipften Regierungs=, Lehen=, Domanen=, Forst= und | sonstigen nutzbaren Rechten, und werden dieselbe fortan ausschlieBlich in H6chst= | ihrem Namen austiben und ausiiben lassen. Art. III. Seine Hoheit, der altestregierende Herzog zu Anhalt, ubemehmen dagegen | alle Landesschulden und Staatslasten des Herzogthums Anhalt=Kothen, ins= | besondere alle Verpflichtungen aus dem zwischen den Durchlauchtigsten Herzogen | zu Anhalt abgeschlossenen und ratifizirten Vertrage d. d. Kothen, den 16. M i 1847, d. d. Dessau, den 20. Juli 1847, d. d. Alexisbad, den 26. Julius 1847, liber Regulirung des Kothenschen Landesschuldenwesens dergestalt, daB Seine | Hoheit, der Herzog Alexander Karl, von alien aus diesem Vertrage gegen | Hochstdieselben zu erhebenden Anspriichen der Staats=Glaubiger befreit werden. Art. IV. Seine Hoheit, der altestregierende Herzog zu Anhalt, werden Seiner | Hoheit, dem regierenden Herzoge zu Anhalt, Alexander Karl, als Ent= | schadigung fiir die durch Art. I. erfolgte Abtretung eine fixirte Jahres=Rente von [S. 2304] a. Sieben Tausend Thalem PreuB. Cour. vom 1. Januar 1851 ab bis | incl. des Jahres 1859;

[ 176] Bekanntmachung des Vertrages vom 23. Mai 1853

1517

b. Ftinf und zwanzig Tausend Thalem PreuB. Cour. vom 1. Januar 1860 | bis zum Ableben Seiner Hoheit, des Herzogs Alexander Karl, gewahren, die ad. a. fur die Jahre 1851 und 1852 rtickstandigen Jahres= | Renten von zusammen 14,000 Thlm. innerhalb drei Monaten, die iibrigen | Renten ad. a. und b. von 7,000 Thlm. resp. 25,000 Thlm. jahrlich in vier= | teljahrigen Raten praenumerando zahlen lassen. Da seine Hoheit, der altestregierende Herzog zu Anhalt, nach Art. III. | die sammtlichen Landesschulden und Staatslasten des Herzogthums Anhalt^ | Kothen ubemommen haben, so ist die Voraussetzung, daB nach Deckung der | Landesbedtirfhisse des Herzogthums Anhalt=Kothen und der zur Schuldentil= | gung und Verzinsung erforderlichen Summe des genannten Herzogthums ein | UeberschuB nicht verbleiben sollte, ohne EinfluB auf diese Rentenzahlungen, | welche daher stets baar und ohne irgend einen Abzug zu gewahren sind. Art. V. Seine Hoheit, der altestregierende Herzog zu Anhalt, verzichten femer | Seiner Hoheit, dem regierenden Herzoge zu Anhalt, Alexander Karl, ge= | geniiber auf die Verfolgung aller Anspriiche wegen der aus dem Zerbster Thei= | lungs=Rezesse entspringenden Allodial=Abfindungen von resp. 25,000 Thalem | und 54,333 V3 Thalem aus dem angezogenen Vertrage vom 16., 20. und 26. | M i 1847. Es hat jedoch bei der im vorgedachten Vertrage erfolgten Einverleibung | dieser Allodial=Abfmdungen in das Stammgut des Gesammthauses Anhalt | sein Bewenden. Art. VI. Seine Hoheit, der regierende Herzog Alexander Karl, verzichten auf | die Anspriiche an Renten fiir die friiheren Jahre seit dem Anfalle des Herzog= | thums Anhalt==Kothen bis mit EinschluB des Jahres 1850 und auf die | Ablegung einer Administrations=Rechnung liber die Finanz=Verwaltung des Het= | zogthums Anhalt=K6then. fS. 2305] Art. VII. Seine Hoheit, der altestregierende Herzog zu Anhalt, sichem Ihrer Hoheit, | der regierenden Herzogin zu Anhalt=Bemburg, Friederike, gebomen Prinzes= | sin von Holstein^Glticksburg, wahrend Hochstihren etwanigen Wittwenstandes | eine lebenslangliche, in vierteljahrigen Raten praenumerando zu zahlende Rente | von jahrlich: Sechs Tausend Thalem PreuB. Courant, zu, welche Rente | Hochstderselben auBer dem nach den Ehepakten zustandigen Witthum zu ge= | wahren ist. Dagegen wollen Seine Hoheit, der Herzog zu Anhalt, Alexander Karl, | fur den Fall, daB Hochstdieselben zur Beziehung der ad. b. Artikel IV. bestimm= | ten Rente von 25,000 Thlm. gelangen, von dem Zeitpunkte des Eintritts dieser | Rente angerechnet, eine ErmaBigung derselben um den gleichen Betrag von 6000 | Thlm. zugestehen, so daB Hochstihnen nur 19,000 Thlr. jahrlich zu zahlen sind. Wenn jedoch Ihre Hoheit, die regierende Herzogin zu Anhalt, gebome | Prinzessin von Holstein^Glticksburg, vor Hochstihrem Durchlauchtigsten Ge== | mahle mit Tode abgehen sollte, so findet diese ErmaBigung nicht Statt, und fallt | die Anrechnung dieser 6000 Thlr. resp. vom Zeitpunkte des Todes angerechnet weg. Art. VIII. Da die Anlegung einer Steinchaussee durch die Grafschaft Warmsdorf von | der Bemburger Grenze bis auf das PreuBische Territorium vor Aschersleben | fur Anhalt=Bemburg wtinschenswerth ist, so ertheilen Seine Hoheit, der altest= | regierende Herzog zu Anhalt, die Zusichemng, daB der Bau dieser Chaussee in | Angriff genommen und die Vollendung moglichst gefordert werden soil.

1518

§ 10: Anhalt-Dessau (-Kothen)

[Dok. 169 - 178]

Art. IX. Seine Hoheit, der altestregierende Herzog zu Anhalt, und Seine Hoheit, | der regierende Herzog zu Anhalt, haben Sich wegen der bevorstehenden Militar= | Organisation vereinbart, daB die Anhaltischen Kontingente von Bundeswegen kom= | binirt und als Anhaltische Gesanimt=Tmppen in GemaBheit des Bundesbe= | schlusses vom 10. Dezember 1840 in eine angemessene Verbindung mit dem | danach bezeichneten groBem Trappenkorper gebracht werden. Wegen Herbeifuhrung dieser Verbindung, bis zu deren Realisimng die | bisherigen Verhaltnisse aufrecht erhalten werden, behalten Hochstdieselben Sich | gegenseitig die weitem Antrage und MaBregeln vor. [S. 2306] Art. X. Wenn der Fall eintritt, daB das Herzogthum Anhalt=Bemburg durch | Erbgangsrecht Seiner Hoheit, Leopold Friedrich, altestregierendem Herzoge | zu Anhalt, oder Hochstdero Regierungs=Nachfolger anheim fallt, ertheilen | Hochstdieselben fur Sich und Ihre Regierungs=Nachfolger die Zusicherung, daB 1) der Sitz des Obergerichts fur ganz Anhalt, oder doch der Sitz einer | andem gemeinsamen Oberbehorde in Bemburg sein wird; 2) die Gehalte und Pensionen der Herzoglich Bemburgischen Hofbeam= | ten nach den Bestimmungen des Pensionsgesetzes vom 13. Dezember | 1841 von Hochstihnen tibemommen werden sollen, soweit die Hochst= | ihnen aus dem Herzogthum Anhalt=Bemburg zuflieBenden Reventien | dazu ausreichen, wobei Hochstdenselben jedoch vorbehalten bleibt, von | diesen Beamten bei Hochstihrer eigenen Hofhaltung oder dem Hof= | staate der Herzoglichen Familie Gebrauch zu machen. Art. XL Von dem Inhalte des gegenwartigen Vertrages soil nach erfolgter beider= | seitiger Hochster Ratifikation unter dessen integraler Mittheilung der Deutsche | Bund durch eine von Seiten Seiner Hoheit, des regierenden Herzogs, Alexan= | der Karl, abzugebenden Erklarung mit Beziehung auf den Art. 6. der Wie= | ner SchluBakte vom 15. Mai 1820 in KenntniB gesetzt, und diese Erklamng | von Seiten des altestregierenden Herzogs zu Anhalt, Hoheit, bestatigt werden. Art. XIL Gegenwartiger Vertrag wird von den beiden Durchlauchtigsten Herzogen | ratifizirt und die Auswechselung der Ratifikationen moglichst beschleunigt werden. Zu Urkund dessen haben die beiderseitigen Bevollmachtigten den gegenwar= | tigen Vertrag unterzeichnet und untersiegelt. So geschehen Dessau, am 4. Februar 1853. Albert Friedrich von Plotz. Victor Hempel. (L. S.) (L. S.) Maximilian Theodor von Schatzell. (L. S.) [S. 2307] Wir genehmigen hiermit diesen Vertrag in alien Punkten und Klauseln | und haben denselben dessen zu Urkund Hochsteigenhandig vollzogen und mit Un= | seren Herzoglichen Insiegeln bedrucken lassen. Dessau, | am 2. Mai 1853. Ballenstedt, | am 7. Mai 1853. Leopold Friedrich, Alexander Karl, Herzog zu Anhalt. | (L. S.) Herzog zu Anhalt. | (L. S.)

[ 178] Besitznahmepatent vom 20. August 1863

1519

[177] „Publications-Patent" sowie Landschaftsordnung und Geschaftsordnung fiir die anhaltinischen Herzogtumervom 18. Juli/31. August 1859 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einfiihmngen" die Darstellung unter [685.]. Quelle: Gesetz-Sammlung fur das Herzogthum Anhalt-Dessau-Kothen, Nr. 573 vom 17. September 1859, Bd. 11, S. 3453 - 3454 CPublications-Patent"), S. 3455 - 3464 (Landschaftsordnung) und S, 3465 - 3472 (Geschaftsordnung) - jeweils gedruckt.^

[178] Bekanntmachung, „die Besitznahme des Herzogthums AnhaltBernburg betreffend", vom 20. August 1863 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einfuhrungen" die Darstellungen unter [694.] [696.]. Quelle: Gesetz-Sammlung fur das Herzogthum Anhalt-Dessau-Kothen, Nr. 623 vom 25. August 1863, Bd. 11, 1863, S. 3847 (Bekanntmachung), S. 3849-3850 (BesitznahmePatent vom 20. August 1863) - gedrackt.^ [S. 3847] (Offentlich bekannt gemacht und ausgegeben am 23. August 1863.) Bekanntmachung, | die Besitznahme des Herzogthums Anhalt=Bemburg betreffend. Nachdem Se. Hoheit der regierende Herzog zu Anhalt=Bemburg, Alexander | Carl, am 19. August d. J., Nachmittags 5 Uhr, auf dem Herzoglichen | Residenzschlosse zu Hoym ohne Hinterlassung mannlicher Fiirstlicher Nach= | kommenschaft mit Tode abgegangen und also diese Herzoglich Anhaltische | Linie im Mannesstamme erloschen, das Herzogthum Anhalt=Bemburg erle= | digt und die Regierungsnachfolge fur Se. Hoheit, den bisher altestregieren= | den, nunmehr allein regierenden Herzog von Anhalt, Leopold Friedrich, I hausverfassungsmafiig eroffhet worden ist; so haben Hochstdieselben das | Herzogthum Anhalt=Bemburg in Besitz und dessen Regierung und Verwal= | tung laut anliegenden Besitznahme=Patents vom 20. August d. J. tiber= | nommen, was im Hochsten Auftrage hierdurch zur offentlichen KenntniB | gebracht wird. Dessau, 22. August 1863. Herzoglich Anhaltisches Staats-Ministerium. | Dr. Sintenis. [S. 3849] Besitznahme-Patent. Von Gottes Gnaden Wir, Leopold Friedrich, regierender | Herzog von Anhalt, Herzog zu Sachsen, Engem und Westphalen, | Graf zu Askanien, Herr zu Zerbst, Bemburg und Grobzig etc. etc. etc., | entbieten hiermit den sammtlichen Herzoglich Anhalt=Bemburgischen Hof=, I Militar=, Zivil=, auch geistlichen Behorden, insbesondere dem Herzoglichen | Staats=Ministerium, den Hofverwaltungsamtem, dem Appellationsgericht, | dem Konsistorium, der Regierung, dem Militar=Kommando, so wie den | anderen Kollegien, den zur Justiz=, Polizei= und Finanz=Verwaltung vei= | ordneten Ober= und Unterbeamten, den Vasallen, den Offizieren, den Geist= | lichen, Btirgermeistem und Rathsmitgliedem in den Stadten, SchultheiBen | in den Dorfem. Lehnleuten und tibrigen Unterthanen und Eingesessenen der | HerzogUch Anhalt=Bemburgischen Lande Unsere Gnade und alles Gute, | und fiigen Ihnen allerseits Folgendes zu wissen:

^ Der Text ist identisch mit dem unter Dok. 148, weshalb an dieser Stelle von dem Abdmck abgesehen wird. ^ Vgl. auch Dok. 168.

1520

§ 10: Anhalt-Dessau (-Kothen)

[Dok. 169 - 178]

Nachdem es dem Allerhochsten in seinem unerforschlichen RathschluB | gefallen, Unseres vielgeliebten Herm Vetters, des weiland Durchlauchtigsten | Ftirsten Herm Alexander Carl, regierenden Herzogs zu Anhalt etc., | Liebden, ohne Hinterlassung mannlicher Ftirstlicher Nachkommenschaft aus | dieser Welt abzurufen, und also die Herzoglich Anhalt=Bemburgische Linie | erloschen, hiermit aber, und nachdem schon friiher auch die tibrigen Linien | des Herzoglich Anhaltischen Hauses bis auf die Unserige ausgegangen, die | bisher der Herzoglich Anhalt=Bemburgischen Linie gehorigen Lande sammt | den derselben zugestandenen zum Herzoglich Anhaltischen Gesammthaus=, | Stanim= und Familiengut gehorigen Domanen, Forsten, liegenden Griinden | aller Art sammt Schlossem und Gebauden, wie den dazu gehorigen Im= | mobilien und beweglichen Sachen an Uns, als das Haupt des nunmehr | einzigen Herzoglich Anhaltischen Hauses zurtickgefallen und vererbt sind, so I haben Wir die Uebemahme der Regierung der bisherigen Herzoglich Anhalt= | Bemburgischen Lande, so wie die Ergreifung des Besitzes alles darin ent= | [S. 3850] haltenen Herrschaftlichen Eigenthums an Immobilien und Mobilien durch | Unsem dazu bevollmachtigten Wirklichen Geheimen Rath und Oberlandesgerichts= | Prasidenten Dr. Carl Sintenis am heutigen Tage vollziehen lassen, thun auch solches Kraft dieses in der | bestandigsten Form und Weise, wie es von Rechts=, Gewohnheits=, auch | Unserer Haus=Verfassung wegen am Besten geschehen kann. Und indem Wir die Regierung der erledigten Herzoglich Anhalt= | Bemburgischen Lande hiermit antreten, erinnem Wir hierdurch alle und | jede oben genannte bisherige Herzoglich Anhalt=Bemburgische Behorden, | Ober= und Unterbeamte, Vasallen, Offiziere, Geistliche, Magistratspersonen, | SchultheiBen, Unterthanen und Einwohner jedes Standes, daB sie allesamt | Uns und Unsere Ftirstlichen Erben und Nachfolger fur Ihre rechtmaBige | Landesherrschaft und Obrigkeit erkennen, folglich mit Huldigung, Gehorsam | und Unterthanigkeit sich fortan an Niemand anders als an Uns und die | Unserigen halten, insbesondere aber die Unterthanen jedes Standes die | ihnen bisher vorgesetzten Obrigkeiten, hohere und niedere, bis Wir ihnen | ein Weiteres deshalb befehlen, femer als ihre rechtmaBige Obrigkeit zu | betrachten und ihnen zu gehorsamen haben. Wir geben Ihnen dagegen die Versicherung, daB Wir Ihnen sammt | und sonders den gebtihrenden Schutz verleihen, mit Ihnen es treulich meinen | und Ihrer Aller Bestes auf alle Weise befordem wollen, sind aber auch | Ihrer allerseits treuen und pflichtmaBigen Gesinnungen und Ihres Gehor= | sams gegen Uns und die Ihnen vorgesetzten Behorden gewartig. Zu dessen Urkund haben Wir dieses Regiemngs= Antritts= und Besitz= | nahme=Patent eigenhandig vollzogen und mit Unserm Herzoglichen Insiegel | bedrucken lassen. Gegeben zu Dessau, am 20. August 1863. Leopold Friedrich, | Herzog zu Anhalt. | (L. S.) Dr. Sintenis.

§11:Anhalt-Kothen

[ 179] „Edict Einfuhrung Franzosischen Gesetzbuchs" vom 28. Dezember 1810

1523

[179] „Edict wegen Einfuhrung des Franzosischen Gesetzbuchs" vom 28. Dezember 1810 VgL dazu in „Teil 1: Historische Einfiihrungen" die Darstellung unter [593.]. Quelle: Sammlung der in dem Herzogthume Anhalt-Kothen in den Jahren 1800 bis 1822 ergangenen Gesetze, Verordnungen und Verfiigungen, Kothen (o. J.), S. 153-155 (gedruckt). [S. 153] Wir August Christian Friedrich, von Gottes Gnaden souverainer Herzog zu An= | halt &. In Erwagung, daB die bisherige Verfassung und Civilgesetzgebung Unseres Landes, nach I Auflosung der Deutschen Reichskonstitution, in mehreren Puncten durchaus nicht mehr passend | ist, und beseelt von dem Wunsche, das Gliick Unserer Unterthanen nach Kraften zu befor= | dem, glauben denselben keine heilbringendere Constitution geben zu konnen, als diejenige, | [ S. 154] welche der groBte Gesetzgeber der Welt, Napoleon der GroBe, seinen Volkem, welche er | als Vater liebt, gegeben hat. Wir haben daher beschlossen, und beschlieBen hiermit, in Unsem Landen das namliche | Gesetzbuch einzufuhren, welches Unser erhabenster Protector als das angemessenste befiinden | hat; haben decretirt und decretiren wie folgt: Artikel 1. Der Code Napoleon erhalt in Unsem Staaten gesetzliche Kraft vom ersten= | Marz kiinftigen Jahres an, und ist alleiniges Gesetzbuch; so wie der Code de procedure | die Bestimmungen fiir die ProceBordnung giebt. Die wenigen Erlautemngen, welche Wir dabei fur nothig erachten, werden Wir durch | ein besonderes Rescript noch bekannt machen. Art. 2. In Betreff der nach dem Code Napoleon erforderlichen Institute wird es | wie im Konigreiche Westphalen gehalten. Art. 3. Die Justiz wird in der ersten Instanz durch ein Civiltribunal verwaltet, je= | doch werden zur Entscheidung gewisser Streitigkeiten und zur gtitlichen Vermittelung der Pro= | cesse, nach dem Beispiele von Frankreich, Friedensgerichte angeordnet. Art. 4. Unsere bisherige Landesregirung wird aufgelost und das Personal derselben | beim Civiltribunal angestellt werden. Art. 5. Das Appellationsgericht wird seinen Sitz in der Stadt Nienburg haben, und | werden Wir, um Unsem Unterthanen alien Kostenaufwand soviel moglich zu ersparen, dem= | selben Unser SchloB zu den Sitzungen einraumen.

1524

§11: Anhalt-Kothen

[Dok. 179-187]

Art. 6, Der Kassationshof soil im Staatsrathe vereinigt seyn. Art. 7. Wir werden das Nahere wegen der Justizverwaltung und sammtlichen dazu | dienenden Personen noch be senders festsetzen. Art. 8. Alle Unsere Unterthanen sind vor dem Gesetze gleich. Art. 9. Der Adel besteht femerhin fort, hat jedoch auf Staats= und Hofchargen | kein ausschlieBliches Recht, da nur das Verdienst hierauf Anspmch hat. Art. 10. ^Alle Patrimonialgerichtsbarkeiten, als unvereinbarlich mit den neuen Gesetz= | buche, horen mit dem zur Einfiihrung desselben festgesetzten Zeitpunkte ganzlich auf. ^Die Patrimonialgerichtshalter dtirfen nach dieser Zeit keine Handlungen der Gerichtsbarkeit mehr verrich= | ten, noch Unsere Unterthanen solche anerkennen. Art. 11. Was die verschiedenen Dienste betrifft, welche auf Grundbesitzungen haften, | so konnen solche eben so wie im Konigreiche Westphalen abgelost werden. Art. 12. Das VerhaltniB der Lehne in Unserm Lande bleibt femer bestehen, jedoch | werden Wir auf einzelne Allodifications=Gesuche nach Umstanden Riicksicht zu nehmen nicht | unterlassen. Art. 13. Auch auf Unsere Unterthanen jtidischer Religion findet Art. 8 Anwendung, | jedoch haben dieselben alle btirgerlichen Verpflichtungen zu ubemehmen, und sind, wie alle | Unsere Unterthanen, der allgemeinen Conscription unterworfen. Art. 14. Alle Corporationen und Privilegien horen vom Tage der Einfiihrung an auf [S. 155 J Art. 15. Wir wollen jedoch diejenigen Innungen, welche dem allgemeinen Besten | nicht nachtheilig sind, fort bestehen lassen. Art. 16. Es wird sofort eine allgemeine Conscription vom 1. Januar 1811 an gul= | tig, so wie demnachst auch ein neues auf Grundsatzen der allgemeinen Gleichheit beruhendes | Steuersystem eingefiihrt und bekannt gemacht werden. Art. 17. Unser Land soil in zwei Departements, jedes zu zwei Districten, eingetheilt werden. Art. 18. Die Landesverwaltung wird unter Unserm Vorsitze vom Staatsrathe dirigirt.

[ 180] Verwaltungsordnung vom 19. Februar 1811

1525

Art. 19. Die bisherige Ritterschaft, als unvereinbarlich mit der neuen Constitution, | hort mit dem Tage der Unterschrift dieses Edictes auf, und werden an die Stelle derselben | die Landstande treten. Die Landstande bestehen aus zwolf Mitgliedem, deren achte aus der Klasse der Ackerbau treibenden Unterthanen, zweie aus der des Handelsstandes, und zweie aus der des gelehrten Standes, genommen werden Sie sollen in den wichtigen Angelegenheiten Unsers Landes das Organ Unserer getreuen I Unterthanen seyn, und Wir behalten Uns vor, wegen des Umfangs ihrer Wirksamkeit, so I wie wegen ihrer Wahl, das Nahere mittelst eines besonderen Rescripts zu bestimmen. Wir befehlen Unserm Staatsrathe, nicht nur die offentliche Bekanntmachung dieses Edicts I zu verfugen, sondem auch die weitem Vorbereitungen und Einrichtungen zu dessen genauester | Vollstreckung zu treffen. Gegeben, Kothen, den 28. December 1810. August Ch. F., H. z. Anhalt V. Brandt. Vorstehendes Landesherrliches Edict wird hierdurch zur offentlichen KenntniB gebracht. Kothen, den 2. Januar 1811. Herzogl. Anhalt. Staatsrath. | Berghauer.

[180] Verwaltungsordnung vom 19. Februar 1811 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einfiihrungen" die Darstellung unter [593.]. Quelle: Landeshauptarchiv Sachsen-Anhalt, Landesarchiv Oranienbaum, Abt. Kothen C 5 f, Nr. 12, Bl. 54 - 56r. (gedmckte Ausfertigung). [Bl 54v.J Wir August Christian Friedrich von | Gottes Gnaden, souverainer Herzog zu Anhalt &. &. In Beziehung auf Unser Edict vom 28sten December 1810.^ und in der | festen Ueberzeugung, daB nur die ganzliche Einfuhrung der franzosischen Consti= | tution das Gltick Unserer getreuen Unterthanen begrtinden kann, haben Wir fol= |gende Organisation Unsers Herzogthums festgesetzt. Art. 1. ^Unser Herzogthum wird in sechs Districte eingetheilt. | '^Der erste District | begreift das Land Kothen in sich; der zweite District das Land Wulfen; der drit= | Stadt und Land Nienburg; der vierte die hohe Grafschaft Warmsdorf; der | ftinfte Stadt und Amt Roslau; der sechste die Grafschaft Undau. Art. 2. ^Die Districte theilen sich in Cantons, die Cantons in Munizipalitaten. ^]Q= \ der Canton wird durch einen Canton=Maire verwaltet werden. ^Jede Munizi= | palitat besteht aus einem Maire und einem Munizipalrath.

^ Dok.179.

1526

§11: Anhalt-Kothen

[Dok. 179-187]

Art, 3. Das Herzogthum erhalt eine Constitution, wodurch die Gleichheit aller | Unterthanen vor dem Gesetze und die freie Austibung des Gottesdienstes aller, | vermoge der Verfassung aufgenommenen, Religionen festgesetzt ist. Art. 4. ^Schon unterm 19ten September 1809. haben Wir einen Staatsrath er= | richtet, welcher kunftig aus drei Mitgliedem bestehen wird. ^Wir selbst haben | den Vorsitz im Staatsrath. Art. 5. Alle Gesetze tiber Steuem, civil= und peinliche Gegenstande, eben so alle | Verwaltungs=Verordnungen werden vom Staatsrath verbreitet, diskutirt | und entworfen. Art. 6. Auch hat der Staatsrath tiber obwaltende Streitigkeiten zwischen den ver= | waltenden und gerichtlichen Behorden und auch tiber die Frage, ob angeklagte | Verwaltungs=Beamte vor Gericht gestellt werden sollen, zu entscheiden. Art. 7. ^Wir vertheilen die sammtlichen Zweige der Staats=Verwaltung unter die | Mitglieder des Staatsraths dergestalt, daB einem die Geschafte des Innem, der | [Bl. 54r.] Justiz und Polizei; einem die der Finanzen, Domainen und des Handels, und | einem die Geschafte der auswartigen Angelegenheiten und des Cultus anvertraut | sind. ^Jeder in seinem Fache, ist fur die Vollziehung der Gesetze und Vollstrek= | kung der daraus flieBenden Verfiigungen verantwortlich. Art. 8. Wir haben den Art. 17 Unsers Edicts vom 28. December 1810.^ in | Erwagung, daB das Ganze dadurch ohne daraus flieBende Beschwerde, verein= | facht wird, dahin abgeandert, daB Unsre Lande nur ein Departement bilden | sollen, und emennen Wir dieser Rticksicht einen Prafecten. Art. 9. Zur Entscheidung der Streitigkeiten, welche bei den Verwaltungs=Gegen= | standen vorkommen, wird ein Prafecturrath errichtet, dessen Mitglieder und Pra= | fectur=Secretar von Uns emannt werden. Art. 10. ^Es wird ein Departements=Collegium gebildet, dessen Mitglieder groBjahrig | seyn mtissen, und ihre Stelle lebenslanglich behalten. ^Wir emennen die Mit= | glieder des Departements=Collegium, deren Anzahl Achtzehn seyn wird. ^Die | Emennung besteht aus ^U der meistbegtiterten, Vg der reichsten aus dem Han= | delsstande und Ve aus den Gelehrten und Ktinstlem. "^Der Prafect legt dem De= | partements=Collegium jahrlich einen Bericht tiber dasjenige vor, was bin= | nen Jahresfrist im Departement geschehen, und zu dessen Wohl zu Stande ge= | kommen ist.

Dok. 179.

[ 180] Verwaltungsordnung vom 19. Febmar 1811

1527

Art. 11. ^Das Departements=Collegmm schlagt Uns die Mitglieder der Stande vor, 1 deren Anzahl Zwolf ist: Acht aus den Ackerbautreibenden Unterthanen, Zwey | aus dem Handels= und zwey aus dem Gelehrten=Stande. "^Wir selbst emennen | den Prasidenten der Stande. Art. 12. Zu jeder Emennung werden Uns dem Departements=ColIegium zwei | Candidaten vorgeschlagen, wovon nur einer ein Mitglied des Departements=Col= | legium seyn darf. Art. 13. ^Die Mitglieder der Stande sollen alle drey Jahre zu einem Drittheil er= | neuert werden, die erwahnten konnen unmittelbar wieder gewahlt werden. | [Bl 55vJ ^Die Stande versammeln sich auf die von Uns befohlene Zusammenberufung, und | werden dieselben auch von Uns wieder entlassen. ^Die Mitglieder der Stande er= | halten keinen Gehalt, sondem fur die Zeit ihres Zusammenseyns angemessene | Diaten. Art. 14. ^Den Standen sollen die im Staatsrath entworfene Gesetze mitgetheilt wer= | den. ^Die Stande diskutiren tiber die Gesetz=Entwtirfe, mit demjenigen Staats= | rath, welcher dazu den Auftrag erhalten hat. ^Die Bemerkungen und Modifica= | tionen der Stande werden Uns im Staatsrath zur Berathschlagung vorgelegt, | und dariiber beschlossen. Art. 15. ^Es soil fiir Unser ganzes Land, nach einer moglichst gleichen Eintheilung, | ein Steuersystem entworfen werden. ^Die Stempeltaxe und Protocollirung | (timbre et enregistrement) werden eben so wie in Westphalen hier eingefuhrt, und werden Uns iiberhaupt die in diesem Konigreich befmdliche, hierauf Bezug | habende Verftigungen zur Richtschnur dienen. Art. 16. ^Die Direction der Steuem (Landes=Einkunfte) wird von der Verwaltung | der Domainen und Regalien getrennt. "^Die Vorschlage zur Besteuerung werden | von Uns gepriift, und bestatigt. ^Mit der Steuei^Casse wird auch zugleich eine | Amortisations=Casse verbunden werden; woriiber Wir zuerst die Vorschlage Un= | seres Staatsrathes erwarten. Art. 17. Die Administration Unsrer Domainen und Regalien wird wie im Konig= | reich Wesphalen eingerichtet werden. Art. 18. ^In Betreff der Jagd haben Wir festgesetzt, daB deren Ausiibung jedem Jagd= | berechtigtem bleibt. "^Jedoch soil jeder Jagdberechtigte verpflichtet seyn: den Grund= | Eigenthiimem denjenigen Schaden zu ersetzen, welcher sowohl durch das Hoch= | wild, als auch durch die Austibung der Jagd angerichtet wird, und findet der | Art. 1385 des Code civil hierauf ebenfalls Anwendung. ^Auch haben | Wir verordnet, daB die Jagd in Unsem Landen jedesmal mit dem 4. September | anfangen, und mit dem 1. Febmar geschlossen seyn soil. [BL 55rJ Art. 19. Die allgemeine Militar=Conscription, welche vom 1 sten Januar 1811. | eingefuhrt ist, ist ein Grundgesetz Unseres Herzogthums.

1528

§11: Anhalt-Kothen

[Dok. 179-187]

Art. 20. ^Die Einfuhrung des Code civil vom 1. Marz 181L ist schon von Uns | verordnet. "^Die zu Strasburg in der Dmckerey des Herm Levrault far das Ko= | nigreich Westphalen erschienen officielle Ausgabe des Code Napoleon ist allein officiell fur Unsre Lande, Art. 21. Mit dieser Einfuhrung horen alle besondere Verfassungen der bisherigen | Aemter, Stadte, Korporationen, so wie auch die Privilegien einzelner Personen | und Familien, in Unsrem Herzogthum in so weit sie mit den Gesetzen in Wi= | derspruch stehen, in GemaBheit des Art. 14 Unsers Edikts vom 28sten Decem= | ber 1810.^ au£ Art. 22. Das gerichtliche Verfahren soil offentlich und in Civilsachen die im Konig= | reich Westphalen eingefuhrte ProzeBordnung und Sporteltaxe fiir Gerichte, Pro= | curatoren und Notarien, Norm seyn. Art. 23. In peinlichen Fallen sollen die geschworenen Gerichte, nach den Vorschriften, | wie im Konigreich Westphalen statt haben. Art. 24. In jedem Districte ist ein Friedensrichter, im ganzen Herzogthum ein Civil= | tribunal erster Instanz, und ein Appellations=Gerichtshof welcher zugleich pein= | licher Gerichtshof, so wie das Tribunal zugleich Corrections=Gericht ist. Art. 25. Die hochste Behorde in Rechtssachen ist das Cassations=Gericht, und sol= | len Unsre Staatsrathe Richter desselben seyn. Art. 26. ^Die Friedensrichter sollen vier Jahre lang im Amte bleiben und danach | sogleich wieder gewahlt werden, wenn sie als Candidaten von dem Departements== | Collegio vorgeschlagen werden. "^Daher die jetzt bei der Einfuhrung der Gerichts= | Verfassung angestellte von Uns nur provisorisch emannt sind. [Bl 56v.] Art. 27. Die Richter des Tribunals und Appellations^Gerichtshofs werden von Uns | emannt. Art. 28. ^Die Urtheile der Gerichtshofe, werden in Unserm Namen ausgesprochen. | ^Wir allein konnen daher nur Gnade ertheilen, die Strafe erlassen oder mildem. Art. 29. Da nach Art. 12. Unsers Edicts vom 28sten December 1810.** die Lehns= | verhaltnisse in Unsem Landen femerhin bestehen, so sollen solche, nach den bishe= | rigen Gesetzen, und den sammtlichen Lehnspflichtigen ertheilten Lehnsbriefen, jahrlich | nach Form der Civil=Sachen, und bei den angeordneten Behorden verhan= | delt und entschieden werden.

^ Dok. 179. ^ Dok. 179.

[181] Verwaltungsordnung vom 22. Februar 1811

1529

Art. 30. ^Die Beleihung mit den groBen Lehnen, wo der Vasall entweder personlich, | oder mit Unsrer Bewilligung, durch einen Bevollmachtigten, beliehen war, ge= | hort vor den Staatsrath. '^Hingegen von Uns herruhrende andere und Erbzins= | Lehne sind provisorisch dem Tribunal iiberstellt. Art. 31. ^Die von Uns am 31sten August 1803. gnadigst erlassene Wechselordnung | wird in der Art beinehalten, daB das Verfahren, nach der Westphalischen Pro= 1 zeBordnung eingerichtet wird, daher die Art. 2063, 2065, 2066 und 2067 | des Code-civil in Wechselsachen keine Anwendung finden. "^Diese Verfugung wird | jedoch bis zur Einfuhrung des Handelsgesetzbuchs als provisorisch betrachtet. Art. 32. Bei der Einfuhrung der Inscription und Transcription des Hypotheken= | wesens der Errichtung von Procuratoren, Notarien, und der Civilstandsbeamten ist | die Konigl. Westphalische Verfassung als Norm von Uns angenommen. Art. 33. ^Das Consistorium hat in seiner jetzigen Beschaffenheit an und ftir sich auf= | gehort, jedoch setzen Wir eine Behorde nieder, welche aus einem Tribunal=Rich= | ter und zwei von Uns dazu emannten Predigem bestehen soil, welche die Ge= \ schaften in Discipline Sachen, Priifiing der Kenntnisse, Inspection u. liber die i Geistlichen verwalten. ^Diese Behorde erhalt den Namen Consistorium. Art. 34. ^Das Polizei=System, welches im Konigreich Westphalen besteht, soil in | Unserm Herzogthum eingefiihrt werden, welches schon zum Theil geschehen ist. | ^Dariiber hin aus konnen Instructionen nach einer Verordnung erfolgen. [BL 56rJ Art. 35. Gegenwartige Organisation kann durch Unsre im Staatsrath diskutirte Ver= | ordnungen erganzt werden. Art. 36. Die Gesetze und Verwaltungs=Verordnungen soUen im Wochenblatt bekannt | gemacht werden, und ist zu ihrer Verbindlichkeit keine anderweite Publications^ | Formalitat nothig. Art. 37. Das bisherige Wochenblatt Unserer Residenz soil kiinftig den Namen An= | haltische Anzeige fiihren, und wochentlich zweimal Mittwochs und Sonnabends erscheinen. Gegeben in Unserer Residenz=Stadt Kothen am 19. Februar 1811. (L. S.) August Ch. Fr. H. zu Anhalt.

[181] Verwaltungsordnung vom 22. Februar 1811 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einfuhrungen" die Darstellung unter [593.]. Quelle: Landeshauptarchiv Sachsen-Anhalt, Landesarchiv Oranienbaum, Abt. Kothen C 5 f, Nr. 12, Bl. 81 - 84r. (gedruckte Ausfertigung).

1530

§11: Anhalt-Kothen

[Dok. 179 - 187]

[Bl 81vJ Wir August Christian Friedrich von | Gottes Gnaden souverainer Herzog zu Anhalt &. &. | setzen im Gefolge Unseres Edictes vom 19ten Februar 1811. folgende Verwaltungs= | ordnung fest: Erster Titel. §: 1. I Departementalbehorden. Art. 1. In GemaBheit der neuen Constitution soil ein Prafect, ein Generalsecretair | der Prafectur, ein Prafecturrath und ein Departementsrath seyn. Art. 2. Der Prafecturrath besteht aus zwei Mitgliedem, auBer dem Prafecten und | der Departementsrath aus sechs Mitgliedem, wozu aus jedem District eins er= | nannt wird. §. 2. I Von dem Prafecten. Erster Abschnitt. | Verwaltung. Art. 3. Der Prafect ist unter der Authoritat und Aufsicht von Uns, als dem Ober= | haupt des Landes und der Verwaltung, mit alien Zweigen dieser Verwaltung und | Insonderheit mit denen beauftraget, welche Bezug haben 1) auf die Aufsicht liber das Erziehungswesen, namentlich alle Schul= und | Unterrichtsanstalten jeglicher Art; 2) auf die Verwaltung und Verwendung der Etats oder Fonds, welche zur Ermunterung von Ackerbau, Kunst und Gewerbe, auch offentlicher Wohltha= | tigkeit bestehen; [Bl 81rJ 3) auf die Verwaltung der Hospitaler, Kranken= und Arbeitshauser, der | Gefangnisse und auf die Verbesserung dieser Anstalten; 4) auf die Untersttitzung der Armen und Aufsicht tiber Stipendien, milde | Stiftungen und sonstige wohltatige Anstalten; 5) auf die Erhaltung des offentlichen Eigenthums; 6) auf die Erhaltung der Walder, Wege, Gewasser und andere Gemein= | heitsgegenstande; 7) auf die Leitung und Vollendung der zur Anlegung und Unterhaltung der | HeerstraBen abzweckenden Arbeiten; 8) auf die Erbauung und Ausbesserung der Kirchen, Pfarrhauser und ande= | rer zur Ausiibung des Gottesdienstes nothigen Gegenstande; 9) auf die Erhaltung der Gesundheits= und Sicherheitsanstalten und der of= | fentlichen Ruhe, besonders auf Unterdriickung des Vagabundenwesens und der | Bettelei. Zweiter Abschnitt. Art. 4. Dem Prafecten soil femer alles was den Dienst der Gensdamerie betrifft, | tibertragen seyn. Art. 5. Derselbe hat uber die Erfiillung der Contrakte zu wachen, welche wegen Ver= | pflegung von Militar oder Gensdamerie, so wie wegen Lieferungen fiir selbige ge= | schlossen werden.

[181] Verwaltungsordnung vom 22. Februar 1811

1531

Art. 6. ^Derselbe leitet die Maasregeln behufs der Aufhebung der Conscribirten und | der Anfertigung der Listen von denen zum Dienst einberufenen Conscribirten; er | hat bei der Ziehung den Vorsitz und entscheidet nebst dem mit der Conscription be= | auftragten Officier iiber Dienstbefreiungen, nach MaaBgabe besonderer Verord= | nungen, welche Wir daniber erlassen werden. ^Ueber die Ausmusterung dagegen | entscheidet der Officier allein. [Bl 82vJ Dritter Abschnitt. Art. 7. Dem Prafect liegt endlich ob 1) die Steuerregister fertigen und die Vertheilung der Grundsteuer unter die | Steuerpflichtigen einer Municipalitat besorgen zu lassen; 2) tiber die Erhebung der indirekten und Konsumtionsauflagen die Aufsicht | zu fuhren; 3) tiber einen ganzlichen oder theilbaren SteuererlaB zu erkennen; 4) alles das, was sowohl die Erhebung und Abzahlung des Steuerertrags, | als die Dienstverrichtungen der Steuerbeamten betrift, zu reguliren und in Auf= | sicht zu halten; 5) Die Berichtigung der auf dem Steuerertrag angewiesenen Ausgaben an= | zuordnen und vollstrecken zu lassen. §. 3. I Streitige Gegenstande | Prafecturrath. Art. 8. Dem Prafecturrath liegt ob zu erkennen 1) tiber die Gesuche von Privatpersonen um Verminderung oder ErlaB ihres | Beitrags zur directen Steuer; 2) tiber alle Schwierigkeiten, welche wegen Beitreibung der indirecten und | Konsumtionsteuem entstehen konnen, so wie auch tiber die Defraudationen und | Uebetretungen, wobei sie die gesetzlichen Geldstrafen und Konfiskationen auszu= | sprechen haben; ausgenommen wenn die abgehaltenen Protokolle wegen Unrichtig= | keit angefochten worden sind oder eine der Partheien sich an das Criminalgericht | gewendet hat; 3) tiber die zwischen den Untemehmem offentlicher Arbeiten und den Verwal= | tungen entstehenden Streitigkeiten tiber die Auslegung und Vollstreckung der Con= | traktsbedingungen; [BL 82rJ 4) tiber die Ansprtiche von Privatpersonen, welche sich tiber Schaden be= | schweren, die ihnen durch die personliche Schuld der Untemehmer offentlicher Ar= | beiten bei deren Vollfiihrung zugefiigt werden; 5) tiber Entschadigungsgesuche von Privatpersonen wegen der beim StraBen= | oder Wasserbau, oder zu sonstigen offentlichen Arbeiten ihnen genommenen oder | beschadigten Landereien; 6) tiber die wegen der Brticken und Chausseen, der Leinpfade, Land und | HeerstraBen entstehenden Schwierigkeiten; 7) tiber Gesuche der Communen um ErlaubniB vor Gericht auftreten zu | dtirfen; 8) der Prafect soil den Sitzungen beiwohnen und den Vorsitz fiihren.

1532

§11: Anhalt-Kothen

[Dok. 179-187]

§. 4. I Vertheilung der Auflagen. Art. 9. ^Der Departementsrath soil sich alljahrlich einmal versammeln. "^Wir | werden die Zeit seiner Zusammenkunft bestimmen und sollen seine Sitzungen lang= | stens acht Tage dauem. Art. 10. ^Er hat eins seiner Mitglieder zum Prasidenten und eins zum Secretair zu | zu emennen. ^Der Prasident hat eine entscheidende Stimme. Art. 11. Der Departementsrath hat 1) die Vertheilung der directen Steuem unter die Distrikte zu nehmen; 2) auf die von einzelnen Communen eingehenden Gesuche um Steuerver= | minderung zu verfugen; 3) den Betrag der Steuerzulage, welche zur Bestreitung der Departements= | Ausgaben erforderlich ist, mit gesetzmaBiger Einschrankung festzusetzen; 4) die Rechnung des Prafecten liber die Verwendung dieser Steuerzulage | abzuhoren; [Bl 83vJ 5) sein Gutachten liber die Lage und Bedlirfhisse des Landes abzugeben. Art. 12. Der Departementsrath kann nur dann berathschlagen, wenn wenigstens zwei | Drittheile der Mitglieder zugegen sind. Art. 13. Er darf durchaus keine Verwaltungsakte machen, da solche ledighch dem | Prafecten zustehen. §. 5. I Secretariat und Archive. Art. 14. Der Generalsecretair ist der Vorsteher des Archives und Direktor der Ver= | waltungs= Bureaux. Art. 15. Er vertritt die Stelle des Prafecten bei dessen Abwesenheit oder Krankheit; | jedoch kann der Prafect hiezu auch einen Prafecturrath beauftragen. Er unterzeichnet die Ausfertigungen und ist der Gehlilfe des Prafecten bei | alien offentlichen Dienstverrichtungen. Zweiter Titel. | Von den Municipalitaten. Art. 16. Jede Municipalitat soil von Adjuncten verwaltet wer= | den; auch fiir jede ein Minicipalrath seyn. Art. 17. Die Verwaltung kommt dem Maire allein zu, nur vermoge seines Auftra= | ges oder wenn er abwesend, krank oder sonst gesetzlich behindert ist, konnen die | Adjuncten daran Theil nehmen.

[181] Verwaltungsordnung vom 22. Februar 1811

1533

Art. 18. Die Amtsverrichtungen des Maire stehen unter Aufsicht des Prafecten und | bestehen in folgenden: 1) die gemeinheitlichen Besitzungen und Einktinfle der Communen zu vep= | walten; 2) die Ausgaben zu bestreiten, welche aus den Gemeindegeldem bis zum | Belauf des vom Prafecten festgestellten Etats bezahlet werden mtissen; 3) die offentlichen Bauten und Arbeiten zu leiten und vollbringen zu lassen, | welche vom Municipalrath angeordnet worden sind; [Bl 85r.J 4) die zur Gemeinde gehorigen, aus ihren Mitteln zu unterhaltenden und | zum Besten ihrer Mitglieder ausdriicklich gestifteten offentlichen Anstalten zu ver= | walten; 5) dafiir zu sorgen, daB die Einwohner die Vortheile einer guten Polizey, | besonders in Hinsicht der Reinlichkeit, der Gesundheitspflege, der Sicherheit und | Ruhe in den StraBen und an offentlichen Orten und Hausem genieBen. Art. 19. Den Maires konnen auch Verrichtungen der Generalverwaltung tibertragen | werden, jedoch miissen solche von ihnen unter Autoritat des Prafecten vollstreckt | werden. Es sind folgende: 1) Vertheilung der directen Steuem unter die Gemeindeglieder; 2) Versteigerung der Erhebung dieser Steuer; 3) Aufsicht liber die Einnahme und Einlieferung der Steuem in die 6ffentli= | chen Cassen. 4) unmittelbare Leitung der offentlichen Arbeiten auf dem Gemeindebezirk; 5) unmittelbare Verwaltung der dem allgemeinen Besten gewidmeten offentli= | chen Anstalten. 6) Aufsicht und Verwaltung, welche die Erhaltung des offentlichen Eigen= | thums erfordert; 7) directe Aufsicht liber Ausbesserungen und Wiederherstellungen der zum Got= | tesdienst bestimmten Gebaude; 8) Besorgung der Amtshebung der Conscribirten des Orts. §. 2. I Municipalrath. Art. 20. Es sollen so viel Municipalrathe seyn, als die Zahl der Stadt= und Canton= | Maires betragt. Art. 21. Flir die Bevolkerung einer Stadt oder eines Cantons unter 2500 Einwoh= | ner, soil der Municipalrath acht, fiir eine starkere Bevolkerung aber aus | sechszehn Mitgliedem bestehen. Art. 22. ^Der Maire ist darin vorsitzendes Mitglied. "^Der Municipalrath emennt | eins seiner Mitglieder zum Secretair. [BL 86vJ Art. 23. Bei Abwesenheit und Krankheit, oder sonstiger Behinderung des Maire soil ein | anderes Mitglied statt seiner, nach der Ordnung ihrer Emennung, den Vorsitz | haben.

1534

§11: Anhalt-Kothen

[Dok. 179 - 187]

Art. 24. Der Municipalrath versammelt sich den 3ten November jeden Jahres und | kann 6 Tage zusammen bleiben. Art. 25. Der Municipalrath soil die Rechnung liber die Municipaleinnahmen und | Ausgaben abhoren und dagegen seine Bemerkungen machen; die letzte Ablegung | dieser Rechnung geschieht hiemachst dem Prafecten. Art. 26. Bei Vorlegung dieser Rechnung im Municipalrath giebt der Maire den Vor= | sitz ab, und wird durch ein anderes Mitglied ersetzt, welches durch geheime Samni= | lung der Stimmenmehrheit gewahlt wird. Art. 27. Der Municipalrath berathschlagt liber die Art der Vertheilung der gemein= | heitlichen Holzungen, Weiden, Emdten und sonstigen Nutzungen. Art. 28. Desgleichen liber besondere Ortsbedlirfhisse der Municipalitaten. Art. 29. Femer liber die Anleihen und Steuerzulagen, welche zur Bestreitung ihrer | Bedlirfhisse fiir nothig beftinden werden. Art. 30. Er ordnet die Vertheilung der zur Unterhaltung des Eigenthums erforderli= | chen und den Einwohnem obliegenden Arbeiten an. Art. 31. ^Der Prafect kann ihn im Laufe des Jahres auBerordentlich zusammenberu= | fen. '^Gleiches ist nothwendig, wenn es darauf ankommt, liber Erwerbung oder | VerauBerung von Grundstlicken, liber die Verwendung von Verkaufssummen | oder von rlickgezahlten und beigetriebenen Geldem, ingleichen liber das Beginnen | oder selbst liber die Fortsetzung eines Processes zu berathschlagen. Art. 32. Alle solche Vorausfestsetzungen, welche die Zusammenberufung erfordert, | konnen nur mit Bewilligung des Prafecten in Vollziehung gesetzt werden. [Bl 84r.] §. 3. I Secretariat und Archive. Art. 33. In jeder Municipalitat soil ein Secretair seyn, der die Ausfertigung un= | terzeichnet und das Archiv Aufsicht hat. Vierter Titel. | Von den Emennungen. Art. 34. Der Prafect, die Prafecturrathe, die Mitglieder des Departementsraths, | der Generalsecretair der Prafectur, die sammtlichen Maires und ihre Adjuncten, | die Mitglieder der Municipalrathe und der Polizey=Commissair werden von Uns | emannt.

[182] Publicandum (Reorganisations-Patent) vom 24. Oktober 1812

1535

Art. 35. Was jedoch die Mitglieder der Departements und Municipalrathe betrifft, | so geschiehet Unserer Seits deren Emennung auf geschehene Presentation durch | das Departements= Collegium. Art. 36. Die Secretairs der Maires der Stadte werden von Uns auf deren Vor= | schlag emannt; den tibrigen Cantonmaires aber wollen wir diese Wahl selbst | tiberlassen. Fiinfter Titel. | Von den Gefallen. Art. 37. Die Gehalte der Verwaltungsbeamten werden durch ein besonderes Regi= | ment bestimmt, so wie auch deren Bureaukosten. Art. 38. Gehalte und Kosten in Betreff der Municipalbeamten werden von den Ge= | meindeeinkunften bestritten. Art. 39. Unser Staatsrath ist mit der Vollstreckung dieses Decrets beauftraget. Gegeben, Kothen den 22. Februar 1811. (L. S.) August Ch. Fr. H. zu Anhalt.

[182] Publicandum (Reorganisations-Patent) vom 24. Oktober 1812 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einfuhmngen" die Darstellung unter [594.]. Quelle: Landeshauptarchiv Sachsen-Anhalt, Landesarchiv Oranienbaum, Abt. Kothen C 5 f, Nr. 49, Bl. 91 - 96 (handschriftliche Ausfertigung), lOOv. - 102r. (gedruckte Ausfertigung). [Bl lOOvJ Publicandum. Von Gottes Gnaden Wir Leopold Friedrich Franz, altester, | regierender, souverainer Herzog und Ftirst zu Anhalt u. Ritter der Konigl. PreuBischen | Orden des Schwarzen und rothen Adlers, auch GroBkreuz des GroBherzogl. Badenschen Ordens der Treue u. | in obhabender vormundschaftlicher Landesregierung des Herzogthums Anhalt==Cothen, fiigen hiermit zu | wissen: Nachdem Wir Uns aus den Uns erstatteten Berichten und Gutachteri mehrerer Rathe sowohl, als I den Bitten und Beschwerden der Landstande und Unterthanen iiberzeugt haben, daB die von des verstorbe= | nen Herzogs zu Anhalt=Cothen Liebden unterm 28sten December 1810^, ohne gehorige Vorbereitung und | Beriicksichtigung der Umstande, eingeflihrte neue Staats= und Justizverfassung eben so wenig dem Geiste | des groBen Musters, als dem Umfange des Landes angemessen ist, und bei dem ohnehin schon ganzlich | zernitteten Zustande der Finanzen durchaus nicht langer beibehalten werden kann, ohne den volligen Ruin | des Landes herbeizufuhren; gleichwie denn auch aus eben dieser Besorgnis schon in dem im vorigen Jahre | am 21sten September durch Vermittelung der Konigl. Sachsischen Commissarien abgeschlossenen | Vergleich mit den Standen, daB solche nur

^ Dok. 179.

1536

§ 11: Anhalt-Kothen

[Dok. 179 - 187]

auf ein Jahr zum Versuch beibehalten und in diesem Jahre ei= | ner Revision unterworfen werden solle, ausdmcklich festgesetzt worden: So haben Wir, nach reiflicher Er= | wagung aller Umstande, diese neue Staats= und Justiz=Einrichtung zu suspendiren und dafur pro= | visorisch, und bis eine allgemeine Einfuhrung dieser Verfassung dieselbe erleichtert, die vorige Staats= | und Justizverfassung, insoweit solche mit den anjetzt allgemein anerkannten Grundsatzen einer guten Staats= | und Justizverfassung und dem zerrtitteten Finanzzustande des Landes vertraglich ist, wieder herzustellen be= | schlossen. Wir setzen und verordnen deninach: 1. Soil vom Isten des nachstkommenden Monats November an die jetzige, von Unsers Herm Vet= | ters, des verstorbenen Herzogs zu Anhalt=Cothen Liebden, unterm 28sten December 1810 eingeftihrte | Staats= und Justizverfassung^, nebst den Gesetzen, auf welchen sie sich gnindete*^, und alien Behorden, wel= | che sie nothig gemacht hatte, fiir suspendirt angesehen werden. 2. Es darf daher nach gedachten Gesetzen nicht weiter, als in denjenigen Fallen, wo von Geschaften | und Handlungen, welche wahrend der Zeit der Gtiltigkeit derselben damach geschlossen worden sind, die | Frage ist, erkannt werden. [Bl lOOrJ 3. Es hat jedoch dieses auf die nach diesen Gesetzen geschehene Einziehung der Patrimonialgerichte kei= | ne Anwendung, vielmehr muB es, nach wie vor, bei dieser Einziehung verbleiben. 4. Eben so sollen Wir schon jetzt es bei der nach diesem Gesetze geschehenen Aufhebung der Gerade, | des Herrgerathes, der Curatelen der Weiber, des Arrestprocesses, ingleichen bei der Verfassung der israeli= | tischen Glaubensgenossen und deren Gleichstellung mit den christlichen Unterthanen bewenden, und wollen, | daB die hierauf Bezug habenden Gesetze noch femer bestehen sollen. 5. Nicht weniger muB es die Absicht der Grund= Personal= Gewerbe= und anderer Steuem, ingleichen | des Stempelimposts, bei den bisherigen Verordnungen bleiben, und deshalb insonderheit dem Vergleiche | mit den Standen vom 2Isten September 1811 so lange nachgegangen werden, bis die Umstande es gestatten, nach Unserm Wunsche die darin zugesagte Minderung der neuen Steuem zu bewirken. Es ver= | steht sich jedoch hierbei

von selbst, daB, was die Direction und Administration dieser Steuem und des Stempel=Im= I posts betrifft, solche hiervon unabhangig ist, und es deshalb nach demjenigen gehalten wird, was Wir | weiter unten iiber die Einrichtung des Finanz= und Cammer=Wesens verordnet haben. 7. An die Stelle der nach §.1. aufgehobenen Behorden treten vom 1. November c. a. an: ^ Dok. 179. ^ Vgl Dok. 180 und 181.

[182] Publicandum (Reorganisations-Patent) vom 24. Oktober 1812

1537

L Eine Landesregierung, welche auf eben die Art, wie die vorige Landesregierung vor dem 1. Marz 1811 a) als Verwaltungs=Collegium: | die auswartigen Staatsverhaltnisse, - die verwaltende und gerichtliche Polizei, - die Stipendien= und | Armensachen, - das Medicinal= Wesen, - alles was den Dienst und die Equipirung der Gensdap= | merie betrifft, die Angelegenheiten des Contingents, so wie tiberhaupt des ganzen Conscriptstionswe= I sens, - Handwerks= und Innungssachen, - und alle andere nicht namentlich zum Ressort der Cam= | mer verwiesene Sachen; b) als Lehnshof: | die Respicirung der Lehns=Gerechtsame, in Ansehung der Ritter= und Mannlehngtiter; [Bl lOlvJ c) als Gerichts= und Appellationshof: | die Gerichtsbarkeit in erster Instanz tiber die Privilegirten, und in zweiter Instanz tiber die Amtssassen; d) als Criminalhof fur das ganze Herzogthum Cothen: | Ertheilung der Erkenntnisse in wichtigen Criminal=Fallen, wo alsdann das Remidium ulte= [ rioris defensionis cum transmissione actorum statt findet; e) als Consitorium: | die Aufsicht tiber den Cultus, die Geistlichen, die Schullehrer und Kirchendiener, die Besetzung der geist= | lichen und Schulstellen, die Priifung der in Pfarr= Schul= und Kirchenamtem anzustellenden Subjecte | und tiberhaupt die obere Leitung des gesammten Kirchen= und Schulwesens, | zu besorgen hat. 9. IT. Eine Rent=Kammer. Welche an die Stelle des bisherigen Finanz=Collegiums und der einzelnen Directionen, die Verwaltung der | sammtlichen Staatseinktinfte und Ausgaben hat, und deren Competenz sich daher tiber alle hierauf Bezug | habende Gegenstande, als: 1.) die Grund= Personal^ Gewerbe= und andere Steuem, 2.) das Stempel=Impost, 3.) die Erbzinsen, Quarten und andere Gefalle, 4.) die Accise und Zolle, 5.) die Chausseen, 6.) die Aufsicht, Verpachtung und sonstige Benutzung der Domainen= | und Cammergtiter, Schlosser, Forsten, Jagden, Fischereien so wie 7.) tiber alles, was sonst vor dem Isten Marz 1811 zur Verwaltung | und Aufsicht der Cammer gehort hat, erstrecket, | und es sind, 10. zu dem Ende alle und jede Untereinnehmer in den Stadten und Aemtem in ihren Dienstsachen der Rent= | Cammer untergeben, und haben die ihnen tibertragenen Einnahmen an dieselbe zu berechnen und dariiber jahr= | liche Rechnung abzulegen. 11. Auch ist dieselbe, so wie vor dem 1. Marz 1811 authorisirt, auf vorgangige Unsere Genehmi= | gung, die Pacht= und Uebergabe=Geschafte, so wie alle die zu ihrem Ressort gehorigen Contracte, ohne | Zuziehung einer anderen Behorde, zu besorgen, und den dartiber auszufertigenden Urkunden, unter Vor= | druckung des Cammer=Siegels, offentlichen Glauben zu geben, und bei vorkommenden Streitigkeiten die | Gtite zu versuchen, in deren Entstehung aber, da ihr eine Gerichtsbarkeit nicht zustehet, die Sache an | ihre competente Obrigkeit zu verweisen.

1538

§ 11: Anhalt-Kothen

[Dok. 179 - 187]

[Bl lOlrJ 12. III. Ein Cammer=Cassen=Rendant: Welcher jedoch der Cammer untergeordnet ist, und darin weder Sitz noch Stimme, iibrigens aber die | sammtlichen Einnahmen und Ausgaben der Rentcammer, nach einem ihm von derselben mitzutheilenden | Etat, oder den auBergewohnlichen Ausgaben auf specielle Assignationen der Rentcammer zu besorgen hat. 13. IV. Eine Rechencammer, welche ebenfalls der Rentcammer untergeordnet ist, und auBer demjenigen, was ihr von Uns oder der | Rentcammer besonders aufgetragen wird, insonderheit den Rendanten dergestalt zu controlliren hat, daB | derselbe nichts vereinnahmen oder verausgaben darf, woruber nicht der von oder an ihn auszustellenden | Quittungen von der Rechencammer contrasignirt worden sind: so, daB daher auch dergleichen Quittungen | ohne diese Contrasignatur gegen die Rentcammer nicht als gtiltig angesehen oder vor dem Rendanten oder | einem Dritten zu einem giiltigen Beweise gegen dieselbe gebraucht werden konnen. 14. V. Sieben Justizamter: als: a) Ein Stadtgericht zu Cothen, dessen Gerichtsbarkeit sich tiber die Stadt und Vorstadte I Cothen und die dazu gehorige Mark erstreckt; b) das Justizamt Cothen, zu dessen Gerichtsbarkeit die Dorfer Baasdorf, Arensdorf, GroB I Badegast, Klein=Badegast, Pfriemsdorf, Libehna, Lockerau, Zirbigk, Prosigk, Klein Wtilknitz, | GroB Wtilknitz, Worbzig, Wendorf, Frenz, Trinum, GroB Paschleben, Greuz, Edderitz und | die Mtihle Pilsenhohe gehoren; c) das Justizamt Reinsdorf, dessen Bezirk sich tiber Reinsdorf, Cosa, Jemsdorf, Gnetsch, | Riesdorf, GroB=Solzau, Klein=S6lzau, Klein=Weissand, GroB= Weissand, I Gahrendorf, Priesdorf, Edsitz, Zaundorf, Schortewitz, Rohndorf, Trebbichen an der Fuhne, | Gorzig, Glautzig, Piethen, Maasdorf und Hohnsdorf erstreckt; d) das Justizamt Wulfen, welchem Wulfen und Bobda, Drosa, Diebzig, Zabitz, Pitzdorf, I Ostemienburg, Trebbichau bei Acken, Thurau, Sibbesdorf, Wtirtzau, Elsdorf, Porst, Zehrin= | gen, Merzin, Klubzig, Hohsdorf, Breesen, Osterkothen nebst der Hollandischen Mtihle und Klein | Zerbst zum Gerichtsbezirk beigelegt werden; e) das Justizamt Nienburg, zu dessen Bezirk die Stadt Nienburg und die Dorfer Grimmsch= | leben, Garbitz, Pobzig, Luttorf, Wedlitz, nebst dem Gasthofe und der Ziegelei, Wirzitz, Wedde= | gast, Borgersdorf, Neunfmger, Criichem, Klein= Paschleben, Wahlsdorf, Bimdorf, Molz, | Plamnitz nebst Zollhaus, und PreuBlitz bestimmt werden; f) das Justizamt Warmsdorf, welches wir vorher aus der Stadt Glisten, den Dorfem 11= I berstedt, Amesdorf, Giersleben, Strummdorf, Neundorf, Klein=Schlierstedt, und den Vorwerken | Bolbigk und Warmsdorf bestehet; und endlich g) das Justizamt RoBlau, nebst Lindau und Domburg, dessen Gerichtsbarkeit sich tiber | [Bl. 102v.J die Stadt Rosslau, den Flecken Lindau und alle jenseits der Elbe in dem Neu=Cothenschen belegene | Dorfer, Vorwerke und Ortschaften erstrecket. 15. Ein jedes dieser Justizamter bestehet aus einem Justizamtmann und einem Actuarius; die Stadt= I gerichte zu Cothen ausgenommen, bei welchen noch ein zweiter Actuarius angestellt worden ist.

[ 182] Publicandum (Reorganisations-Patent) vom 24. Oktober 1812

1539

16. Diese Justizamter, jedes in dem ihm allhier angewiesenen Bezirke, iiber die Civilgerichtsbarkeit | in der ersten Instanz iiber alle diejenigen, welche von ihrer Gerichtsbarkeit nicht ausdrucklich ausgenommen | und der Regiemng unmittelbar unterworfen sind, (zu welchen jedoch das Gesinde der Eximirten und die | bloBen Einwohner eines schriftsaBigen Grundstticks, wenn sie nicht ftir ihre Person privilegirt, nicht zu rech= | nen sind,) ingleichen die Criminalgerichtsbarkeit in alien ihren Bezirken sich ereignenden Criminalfallen, | aus; haben die Handlungen der willktihrlichen Gerichtsbarkeit, die bisher von den Notarien besorgt wur= | den, und das Hypothekenwesen; und besorgen das Lehn= und Erbzinswesen (mit AusschluB der Ritter= | und Mannlehne) die Vormundschaftssachen, das Polizeiwesen, die Einquartierung fremder Truppen, das | Conscriptionswesen und was bisher die Canton=Maires besorgt haben. Auch bilden die Justizamtleute im Altkothschen mit dem Superintendenten und im Neuk6then= | schen mit dem geistlichen Inspector zu Roslau die Kirchencommission, und haben als solche die Visitation | und Special=Aufsicht iiber die Kirchen und Schulen, und nehmen die Kirchenrechnungen ab. 17. VI. Die Stadtmagistrate: welche auf ein Mittel gesetzet werden, und: a) In der Stadt Cothen aus: einem Biirgermeister, einem Cammerer, einem Rathmanne und I dem Stadtschreiber, b) zu Nienburg, Giisten, Roslau und Lindau aus: einem Biirgermeister, einem Camme= I rer und einem Rathmanne bestehen sollen; besorgen die Polizei= und Innungsangelegenheiten, die Einquartiemngssachen und die Verwaltung der | Commungelder ihrer Stadte, aus welchen und den sonst gewohnlichen Cammereieinnahmen sie auch ihre | Besoldung empfangen. Mit Verwaltung der Justiz haben sie nichts zu thun und es ist daher die sonst dem Stadtrathe zu | Cothen zugestandene Ausiibung der willkiihrlichen Gerichtsbarkeit den Stadtgerichten daselbst verblieben. 18. VII. Die Richter und Schoppen: Denen in den Dorfem die Dorfpolizei, die Einquartierung und sonst alles dasjenige obliegt, was sie vorher | zu verrichten hatten oder ihnen sonst von den Behorden aufgetragen werden mogte. 19. Was die Gesetze betrifft, die an die Stelle der nach §. 1 suspendirten bisherigen Gesetze tre= I ten, so sind deshalb die vor dem 28sten December 1810 giiltig gewesenen Gesetze wieder zu beobachten | und mit den oben § . 2 - 6 bestimmten Modifikationen so lange zu befolgen, bis Wir solche einer Revision | zu unterwerfen und das Nothige darin, dem gemeinen Besten nach, abzuandem im Stande sind.

1540

§11: Anhalt-Kothen

[Dok. 179-187]

[Bl 102rJ 20. Zu dem Ende sollen, so viel insonderheit die ProzeBform betrifft, alle sowohl rechtshangige, als I kunftig pendent werdende Civil= und andere streitige Partei=Sachen nach der Anhaltischen ProzeBordnung, | wie solche vor dem ersten Marz 1811 im Herzogthume Anhalt=Cothen gegolten hat, in dem darin vorge= | schriebenen ProzeBgange fortgesetzt und verhandelt werden. Auf gleiche Art werden die anhangigen Crimi= | nal= und Corrections=Sachen fortgesetzt, jedoch daB, so viel die Bekanntmachung der Strafe betrifft, in Fal= I len, wo die alteren Anhalt=C6thenschen Gesetze solche gelinder bestimmen, als dieselbe in den neu eingefiihp= | ten angesetzet worden, nach jenen billig zu erkennen ist. 21. Damit auch in Absicht der Handlungen der willktihrlichen Gerichtsbarkeit, wenn solche der Form | nach giiltig vollzogen worden sind, in der Folge kein Streit entstehen moge, nach welchen Gesetzen die Sache | selbst oder das Materiale zu beurtheilen ist; so wollen Wir, daB solche nach den bisherigen neuen Gesetzen | entschieden werde, im Fall nicht die Interessenten binnen 8 Wochen eine andere Willensbestimmung, und | daB es ihre Absicht sei, die altem Anhalt=Cothenschen Gesetze zum Grunde zu legen, gerichtlich | erklaren. 22. Insonderheit wird dieses bei den Ehestiftungen und Testamenten, welche nach diesen neuen Gesetzen | bisher errichtet worden sind, nothig sein, und es soil daher die Regierung sofort, nach Wiederherstellung | der altem Verfassung, die Register der Notarien sich ausantworten lassen, solche revidiren, und hierauf den | betreffenden Gerichten zusenden, um die Interessenten daniber zu vemehmen, und deren Willensmeinung | zum Protocoll erklaren zu lassen. 23. Gleichergestalt soil, um das Hypothekenwesen, besonders derjenigen Aemter in Ordnung zu bringen, | welche entweder ganz oder zum Theil aus den eingezogenen kleinen Patrimonialgerichten zusammengesetzt sind, | von der Regierung eine Frist gesetzt werden, binnen welcher jeder, der Consense zu fordem, oder For= | derungen aus Kaufbriefen hat, solche bei den Gerichten des Orts anzugeben, und die Documente zu produ= | ciren hat, unter der Verwamung, daB widrigenfalls er es sich selbst beizumessen habe, wenn hiemachst bei I entstehenden Concursen seine Forderungen andem spatem Hypotheken nachgesetzt werden. Die Gerichte | aber haben das Nothige hierbei unentgeldlich zu expediren. Hierdurch geschiehet Unser Wille und Meinung und Wir verhoffen, daB ein jeder dieser Unserer Ein= | richtung und Willensmeinung gem unterthanigst nachkommen werde. Urkundlich haben Wir dieses Publicandum eigenhandig vollzogen und Unser Herzogl. Ftirstl. In= | siegel beidmcken lassen. Gegeben Dessau, den 24. October 1812. (L, S.) L. F. Franz Herzog zu Anhalt.

[183] Inbesitznahme-Patent vom 23. November 1847

1541

[183] Patent liber die Inbesitznahme Anhalt-Kothens durch den Herzog von Anhalt-Dessau vom 23. November 1847 Quelle: Sammlung der in dem Herzogthume Anhalt-Cothen vom Jahre 1842 bis zum 1. Februar 1850 ergangenen Gesetze, Verordnungen und Verftigungen, Vierter Theil, Zweite Abth., Cothen 1850, Nr. 1080, S. 133 - 135 (gedmckt). [S. 133] Besitznahme=Patent. Wir, Leopold Friedrich,von Gottes Gnaden altestregierender Herzog | zu Anhalt, Herzog zu Sachsen, Engem und Westphalen, Graf zu Ascanien, | Herr zu Zerbst, Bemburg und Grobzig etc. etc. etc. | entbieten hiermit den sammtlichen Herzoglich Anhalt=Cothenischen geistlichen, Hof=, Militair= | und Civil=Behorden, insbesondere den Herzoglichen Hofverwaltungs=Aemtem, dem Landesdi= | rections=Collegium, dem Gesamt= Oberappellationsgerichte, der Landesregierung, dem Consis= | torio, der Rent=Cammer, der Staatsschulden= und der Kriegs=Commission, dem Miltair= | Commando, dem Forstamte, sowie den andem Collegien, den zur Justiz=Polizei= und Finanz= | Verwaltung verordneten Obep= und Unterbeamten, den Vasallen, den Offizieren, den Geist= | lichen, Btirgermeistem und Rathsgliedem in den Stadten, SchultheiBen in den Dorfem, | Lehnleuten und librigen Unterthanen und Eingesessenen der Herzoglich Anhalt=Cothenschen | Lande, Unsere Gnade und alles Gute, und fugen Ihnen allerseits Folgendes zu wissen: Nachdem es dem Allerhochsten in seinem heiligen und unerforschlichen Rathschlusse ge= I fallen hat, Unseres vielgeliebten Herren Vetters, des weiland Durchlauchtigsten Ftirsten, Herm | Heinrich, altestregierenden Herzogs zu Anhalt, Herzogs zu Sachsen, Engem und Westpha== | len, Graf zu Ascanien, Herr zu Bemburg und Zerbst, etc., Liebden, ohne Hinterlassung | mannlicher Ftirstlicher Nachkommenschaft aus dieser Welt abzurufen, und also die Herzoglich | Anhalt=Cothensche Linie erloschen und die Anhalt=Cothenschen Lande nach den in Unserm Her= | zoglichen Gesammthause bestehenden Haus= und Familienvertragen auf die beiden tibrigen, | die Herzoglich Anhalt=Dessauische und Herzoglich Anhalt=Bemburgische, Linien verfallt worden, | Uns aber, als nunmehrigen Senior Unseres HerzogHchen Gesammthauses, nach dem am 22. | Juni 1665 abgeschlossenen und von des Kaisers Leopold I Majestat unter'm 2. September | 1666 bestatigten Haus== und Familien=Vertrage zustandig ist, das erledigte Herzogthum An= | halt Cothen, insbesondere auch das der nunmehr erloschenen Herzoglich Anhalt=Cothenschen | Augustaischen Linie zustandig gewesene Herzoglich Anhaltische Gesamthaus=, Stamm= und | Familien=Vermogen an Giitem, liegenden Grunden aller Art, Schlossem Gebauden, sammt allem | Zubehor und an beweglichen Sachen jeder Art, so wie alles iibrige durch den zwischen Uns, Un= I [S, 134] seres nunmehr in Gott mhenden, Herm Vetters, weiland Herzogs Heinrich zu Anhalt= | Cothen Liebden, und Unseres Herm Vetters, des Herzogs Alexander Carl zu Anhalt= | Bemburg Liebden, unter'm 16. 20. und 26. Juli 1847 errichteten, durch die Gesetzsammlung | der drei Herzogthtimer seiner Zeit veroffentlichten Hausvertrag von weiland Herzog Heinrich | Liebden gegen Unsere und Unseres Herm Vetters, des Herzogs Alexander Carl Liebden, | den Fall Unserer Nachfolge in der Regiemng des Herzogthums Anhalt=Cothen, dem Stamm= | gute einverleibte gesammte vormalige Herzoglich Anhalt=C6thensche Allodial^ und Privatver= | vermogen an Unbeweglichem und Beweglichem, wie solches Alles in §. 1 Zahl 2 dieses Ver= | trages naher bezeichnet ist, - fiir Unser Herzogliches Gesammthaus in Besitz zu nehmen | und die Verwaltung und Regiemng des Herzogthums bis zur weitem Vereinigung zwischen | Uns und Unseres vielgeliebten Vetters, des Herzogs Alexander Carl zu Anhalt= | Bemburg Liebden, zu iibemehmen; als haben Wir solches durch Unsere dazu bevollmachtigten | Rathe,

1542

§11: Anhalt-Kothen

[Dok. 179-187]

Unsem wirklichen Geheimenrath und Regierungs=Prasidenten Dr. Leopold von Morgenstem | und | Unsem Regiemngsrath Dr. Carl Sintenis, am heutigen Tage thun lassen, thun auch solches kraft dieses in der bestandigsten Form und I Weise wie es von Rechts, Gewohnheits, auch Unserer Hausverfassung wegen am besten ge= | schehen soil und mag. Und indem Wir Unsem Haus= und Familienvertragen gemaB, bis zu einer weitem Ueber= I einkunft mit Unseres Herm Vetters, des Herzogs Alexander Carl zu Anhalt= Bemburg I Liebden, die oberste Verwaltung des erledigten Herzogthums Anhalt=Cothen tibernehmen, er= | innem Wir hierdurch alle und jene oben genannte Herzoglich Anhalt=C6thensche Behorden, | obere und untere Beamten, Vasallen, Offiziere, Geistliche, Magistratspersonen, SchultheiBen, | Unterthanen und Einwohner jedes Standes, daB Sie allesamt Uns und Unsere Herm | Erben und Nachfolger fur Ihre rechtmaBige Landesherrschaft und Obrigkeit erkennen, folglich | mit Huldigung, Gehorsam und Unterthanigkeit sich fortan und kiinftig an Niemand Andem | ihnen bisher vorgesetzten Obrigkeiten, niedem und hohem, bis Wir ihnen ein Weiteres des= | halb befehlen, femer als ihre rechtmaBige Obrigkeit zu betrachten und ihnen zu gehor= | samen haben. Wir geben Ihnen dagegen die Versichemng, daB Wir Ihnen sammt und sonders den | gebiihrenden Schutz verleihen, mit Ihnen es treulich meinen, und bei ihren Gtitem und recht= I maBigen Freiheiten, auch wohl erlangten Rechte, auch dem Verhalten nach, wie es Jeder | verdient, bei Ehren, Stellen und Bedienungen lassen und Ihrer aller Bestes auf alle Weise | [S. 135] befordem wollen, sind aber auch Ihrer allerseits treuen und pflichtmaBigen Gesinnungen und | Ihres Gehorsams gegen Uns und die Ihnen vorgesetzten Behorden gewartig. Zu dessen Urkunde haben wir dieses Besitznahme=Patent eigenhandig vollzogen und | Unser Herzogliches Insiegel beidmcken lassen. Gegeben zu Dessau, am 23. November 1847. Leopold Friedrich, Herzog zu Anhalt. (L. S.)

[184] Bekanntmachung, „die Einfiihrung einer landstandischen Verfassung, die Aufhebung der Censur und Bildung einer Burgerwehr betreffend", vom 16./17. IVIarz 1848 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einfuhmngen" die Darstellung unter [602.]. Quelle: Sammlung der in dem Herzogthume Anhalt-Cothen vom Jahre 1842 bis zum 1. Febmar 1850 ergangenen Gesetze, Verordnungen und Verftigungen, Vierter Theil, Zweite Abth., Cothen 1850, Nr. 1091, S. 148 - 149 (gedmckt). [S. 148] Bekanntmachung, | die Einfuhmng einer landstandischen Verfassung, die Aufhebung | der Censur und Bildung einer Btirgerwehr betreffend. Nachstehende Hochste Resolution wird hierdurch mit dem Bemerken bekannt gemacht, | daB wegen Aufhebung der Censur und Bildung einer Btirgerwehr fur sammtliche Stadte | des Herzogthums das Erforderliche bereits veranlaBt ist. Cothen, den 17. Marz 1848. Herzogl. Landes=Directions=Collegium. | von GoBler. Nachfolgende so eben eingegangene Hochste Resolution wird hierdurch vorlaufig zur offent= I lichen KenntniB gebracht. Cothen, am 16. Marz 1848. Herzogl. Landes=Directions=Collegium. | von GoBler.

[185] Verfassungs-Urkunde vom 28. Oktober 1848

1543

Ich ermachtige das Landes==Directions=Collegmm auf die anliegende Vorstellung der | Cothenschen Btirgerschaft zu eroffnen: 1) daB, nachdem Meines vielgeliebten Herm Vetters, des Herzogs zu Anhalt=Bemburg I Liebden, sich bereits unterm 8. d. M. einverstanden erklart haben, eine zeitgemaBe | Reorganisation der Anhaltischen Landschaft fur ganz Anhalt eintreten zu lassen, nachsten | Mittwoch schon eine gemeinschaftliche Commission zur Vorberathung liber die Einberufung | der Landschaft und die derselben zu machenden Vorlagen in Cothen zusammentreten | wird; 2) daB, nachdem der Herzoglich Anhalt=Bemburgische Geheime Conferenzrath in einem | Mir prasentirten Antwortschreiben an die Abgeordneten der Burger und Einwohner des | Herzogthums Anhalt=Cothen vom heutigen Tage die Absicht Meines Herm Vetters, des | Herzogs zu Anhalt=Bemburg Liebden, als dahin gerichtet zu erkennen gegeben, daB | derselbe nicht anstehen werde, zu den MaBnahmen seine Zustimmung zu ertheilen, welche | Ich hinsichtlich der Einfuhrung einer zeitgemaBen landstandischen Verfassung fur das Her= | zogthum Anhalt=Cothen, Aufhebung der Censur und Organisirung von Btirgerwehren | treffen wiirde, seine Zustimmung nach dorthin eingegangener Communication zu erthei= | len, Ich nunmehr den Einwohnem des Herzogthums Anhalt=Cothen versichem kann, daB | sie dieselben staatsbiirgerlichen Rechte erhalten werden, wie die Unterthanen Meines | Landes, und daB auch der Beirath von freigewahlten Volksvertretem zur Berathung | der Verfassung auf der Grundlage einer allgemeinen Volksvertretung mit der Anhalti= | [S. 149] schen Landschaft aus Einwohnem des Herzogthums Anhalt=Cothen nach VerhaltniB der | Einwohnerzahl bestehen wird. 3) Das Landes=Directions=Collegium hat femer die Censur aufzuheben, und 4) eine Biirgerwehr flir sammtliche Stadte des Herzogthums zu bilden, wobei die Gmnd= | satze der Bekanntmachung des hiesigen Stadtraths vom 12. d. M. bis zum Erscheinen | eines daniber zu erlassenden Gesetzes, mit Beriicksichtigung der Lokalverhaltnisse zu be= | folgen sind; den Oberkommandanten der sammtlichen Btirgerwehren zu emennen behalte | Ich Mir vor. Dessau, den 16. Marz 1848. Leopold Friedrich, H. z. Anhalt.

[185] Verfassungs-Urkunde fur das Herzogthum Anhalt-Cothen vom 28. Oktober 1848 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einftihmngen" die Darstellungen unter [610.] [656] bis [663]. Quelle: Sammlung der in dem Herzogthume Anhalt-Cothen vom Jahre 1842 bis zum 1. Febmar 1850 ergangenen Gesetze, Verordnungen und Verfagungen, Vierter Theil, Zweite Abth., Cothen 1850, Nr. 1125, S. 226 - 244 (gedmckt). [S. 226] Verfassungs=Urkunde | fur das Herzogthum Anhalt=Cothen. Wir Leopold Friedrich, altestregierender Herzog zu Anhalt, Herzog zu Sachsen | Engem und Westphalen, Graf zu Ascanien, Herr zu Zerbst, Bemburg und Grobzig etc. etc. etc. | fur Uns und unter Zustimmung Unseres Herm Vetters, des regierenden Herzogs Alexander Carl zu Anhalt=^Bemburg Liebden, urkunden und bekennen hiermit: Nachdem Wir in GemaBheit der in Unserer Bekanntmachung vom 15. Marz d. J. und | in der ebenfalls veroffentlichten Resolution vom 16. Marz d. J. enthaltenen Zusiche= 1 mn-

1544

§11: Anhalt-Kothen

[Dok. 179-187]

gen*, beziiglich der Einfiihrung einer zeitgemaBen Verfassung fiir das Herzogthum | Anhalt=Cothen zur Vereinbarung einer solchen die Wahl von Volksvertretem veranlaBt | haben, welche auch in Folge unserer Einberufung vom 27. April d, J. am 24. Juni | fS. 227] d. J. zu diesem Behufe zusammengetreten sind, sich aber sodann auf ihren Antrag mit den | Anhalt-DeBauischen Volksvertretem zu einer gemeinschaftlichen Berathung vereinigt haben, I und nachdem zwischen diesen und Unserem durch Patent vom 23. M i d. J. emannten Ge= 1 sammt=Staats=Ministerium, resp. zwischen den Volksvertretem und dem Staats=Ministerium | des Herzogthums Anhalt=Cothen eine Vereinbamng tiber den auf Unsem Befehl vorgelegten | Verfassungs=Entwurf statt gefbnden hat, verktindigen Wir die Verfassung fur das Herzogthum | Anhalt=Cothen in gegenwartiger Urkunde, wie folgt: Erster Titel. | Von der Verfassung des Herzogthums und dem Staatsgebiete | im Allgemeinen. §•!• Die altere landschaftliche Verfassung wird aufgehoben. §.2. Das Herzogthum Anhalt=Cothen bildet bis zur Wiedervereinigung mit den andem An= | haltischen Herzogthtimem zu Einem Staate, einen eigenen Staat. Als Theil des Deutschen Staatsverbandes iibt Anhalt=Cothen die ihm nach der Deut= | schen Reichsverfassung zukommenden Rechte und Pflichten selbststandig aus, und wird beim | Deutschen Parlament selbststandig vertreten. §.3. Von dem Staatsgebiete des Herzogthums kann kein Theil verauBert werden. Ein zur Ausgleichung mit den Nachbarstaaten etwa rathlich werdender Austausch von | Gebietstheilen und eine in Folge dessen nothig werdende GebietsverauBemngen kann nur | mit Genehmigung des Landtages erfolgen. §.4. Die Regiemngsform ist die democratisch=monarchische. §.5. Alle Gewalten gehen vom Volke aus. Zweiter Titel. | Von den Rechten des Volks und von den Einrichtungen zur Befordemng | von Kunst, Wissenschaft, Handel, Gewerbe und Ackerbau.

Das Staatsbtirgerrecht wird unter den im Gesetze aufgestellten Bedingungen erworben | und verloren. §. 7. Alle Staatsangehorige sind vor dem Gesetze und dem Richter gleich. [S. 228] ^Alle befreieten Gerichtsstande sind aufgehoben. ^Die Ausnahme beziiglich des Militairs I bestimmt S. 80.

* Dok. 184.

[ 185] Verfassungs-Urkunde vom 28. Oktober 1848

1545

Im Staate besteht kein Unterschied der Stande. ^Der Adel wird hiermit abgeschafft. ^Alle zur Bezeichnung des Adels dienenden Ausdrticke | verlieren diese Bedeutung und werden vom Staate weder anerkannt noch gebraucht. §. 9. Alle Titel, welche nicht zur Bezeichnung des Amtes dienen, sind abgeschafft, §.10. Kein Staatsangehoriger darf einen Orden annehmen. Orden dtirfen von Staatswegen nicht mehr verliehen werden. §.11. Jeder Staatsangehorige ohne Unterschied der Geburt und Religion kann jeden gesetzHch I erlaubten Erwerbszweig ergreifen, und zu alien Aemtem gelangen. §. 12. ^Allen Staatsangehorigen wird die Freiheit der Person gewahrleistet. ^Dieselbe ist nur | denjenigen Beschrankungen unterworfen, welche das Gesetz bestimmt. §.13. ^AuBer dem Fall der Ergreifung auf frischer That, darf Niemand anders verhaftet werden, I als in Folge eines vom Richter ausgegangenen, mit Gninden versehenen schrifthchen Befehls. | ^Binnen spatestens 24 Stunden nach der Gefangennehmung, muB jeder Verhaftete tiber den | Grund seiner Verhaftung unterrichtet, dariiber verhort, und seinem ordentHchen Richter zuge= | wiesen werden. ^Jede gesetzwidrige Verhaftung verpflichtet den Staat zur Entschadigung des Verhafteten. I ^Dem gesetzmaBig Verhafteten muB bei erfolgter Freisprechung wegen der Verhaftung eine an= | gemessene Entschadigung vom Staate geleistet werden. ^Die Entschadigung wird durch ein besonderes Gesetz bestimmt. "^Hausdurchsuchungen | dtirfen nur auf Grund eines richterlichen schrifthchen Befehls unter Beobachtung aller sonstigen | gesetzlichen Formen vorgenommen werden. §.14. Niemand kann gegen seinen Willen seinem ordentHchen Richter entzogen werden. §. 15. Die voile Freiheit der Rede und Presse, so wie die BefugniB zur Bildung von Vereinen, | wird gewahrt. Es haben sowohl Einzelne als Mehrere in Vereinigung das Recht zu gemeinschaftlichen I Petitionen. Auch haben die Staatsangehorigen das Recht, sich friedlich und ohne Waffen zu ver== | sammeln, und ist hierzu die obrigkeitliche ErlaubniB nicht erforderlich. [S. 229] Als MiBbrauch dieser Rechte kann eine Handlung nur dann angesehen werden, wenn | sie in das Gebiet der durch die Strafgesetze bedroheten gemeinen Verbrechen fallt. §.16. Zur Herausgabe periodischer Blatter bedarf es keiner Concessionen, noch der Bestellung I von Cautionen.

1546

§11: Anhalt-Kothen

[Dok. 179-187]

^Auf jedem periodischen Blatte oder Hefte, sowie auf jeder sonstigen Druckschrift muB der I Name des Druckers angegeben sein, und tragt Letzterer, wenn nicht neben ihm ein in Deutsche I land wohnender verantwortlicher Verleger oder Herausgeber bezeichnet ist, die Verantwortlich= [ keit ftir den Inhalt der Druckschrift. "^Der Herausgeber, Verleger oder Drucker ist von der | Verantwortlichkeit frei, wenn er den Verfasser so nennt, daB derselbe zur Verantwortung ge= | zogen werden kann. Jede Verletzung der obigen Vorschrift, so wie jede falsche Angabe in Bezug auf die fur | den Inhalt der Druckschrift verantwortliche Person wird mit GefangniBstrafe bis zu 6 Wochen, I oder mit Geldstrafe bis zu 50 Thalem geahndet. §. 17. Jeder hat das Recht, Beschwerde iiber gesetzwidriges Verfahren der Verwaltungsbehor= I den nach vergeblichem Anruf der vorgesetzten Behorden bei dem Landtage anzubringen. Abschlagige Antworten der Verwaltungsbehorden mtissen mit Griinden versehen sein. §.18. Das BriefgeheimniB ist unverletzlich. Die Beschlagnahme von Papieren und Briefen darf nur auf Grund eines gerichtlichen | Erkenntnisses erfolgen. Die Verletzung des Briefgeheimnisses, auBerhalb dieser Ausnahmen, ist peinlich zu strafen. §•19. Die Auswanderungsfreiheit ist von Staatswegen nicht beschrankt. §. 20. ^Die Todesstrafe ist ohne alle Ausnahme abgeschaft. "^An die Stelle der Todesstrafe tritt | Freiheitsstrafe. Die Strafe des btirgerlichen Todes findet nicht Statt. Die Strafe der Vermogens=Confiscation ist abgeschafft. §.21. Die Pranger= und Halseisenstrafe, so wie die Strafe der korperlichen Ziichtigung ist ab= I geschafft, und muB statt derselben auf verhaltniBmaBige Freiheitsstrafe erkannt werden. §.22. ^Gegen die in Untersuchung befangenen Angeschuldigten darf unter keinem Vorwande | eine korperliche Ziichtigung, oder eine Herabsetzung auf schlechter Kost stattfinden. ^Eine Er= I schwerung der Haft ist nur dann zulassig, wenn ein Versuch zur Flucht gemacht ist, und ohne | jene MaBregel die Haft nicht gesichert werden kann. §.23. ^Keine Religionsgesellschaft genieBt vor der andem Vorrechte durch den Staat. •^Es besteht I femerhin keine Staatskirche. ^Jeder Staatsangehorige hat voile Glaubens= und Gewissenfreiheit. "^Niemand ist ver= | pflichtet eine religiose Ueberzeugung zu offenbaren, oder sich irgend einer religiosen Genossen= | schaft anzuschlieBen. Niemand soil zu einer kirchlichen Handlung oder Feierlichkeit gezwungen werden.

[185] Verfassungs-Urkunde vom 28. Oktober 1848

1547

Die Form des Eides soil eine far Alle gleichmaBige, an kein bestimmtes Religionsbekennt= | niB geknupfte sein. Die btirgerliche Giiltigkeit der Ehe ist nur von der VoUziehung des Civilactes abhangig. Die kirchliche Trauung kann nur nach VoUziehung des Civilactes stattfinden. Die Religionsverschiedenheit ist kein btirgerliches EhehindemiB; die Standesbticher werden | von den btirgerlichen Behorden gefuhrt. ^Ein groBjahriger und geschaftsfahiger Staatsangehoriger bedarf zu seiner Verheirathung | keiner ErlaubniB des Staates, oder der Commune. "^Die sich als nothig herausstellenden | Beschrankungen dieses Grundsatzes bleiben der Gesetzgebung vorbehalten. Jeder Staatsangehorige ist unbeschrankt in der gemeinsamen hauslichen und offentlichen I Uebung seiner Religion. Verbrechen und Vergehen, welche bei Austibung dieser Freiheit begangen werden, sind I nach den Gesetzen zu bestrafen. Durch das religiose BekenntniB wird der GenuB der btirgerlichen und staatsbtirgerlichen I Rechte weder bedingt noch beschrankt. Den staatsbtirgerlichen Pflichten darf dasselbe keinen Abbruch thun. Jede Religionsgesellschaft ordnet und verwaltet ihre Angelegenheit selbststandig, bleibt I aber, wie jede andere Gesellschaft im Staate, den Staatsgesetzen unterworfen. Neue Religionsgesellschaften diirfen sich bilden; einer Anerkennung ihres Bekenntnisses I durch den Staat bedarf es nicht. ^Das Kirchenpatronat ist aufgehoben. ^Die Folgen dieser Aufhebung regelt ein Gesetz. ^Der Orden der Jesuiten, Ligorianer nnd Redemptoristen ist auf alle Zeiten aus Anhalt= | Cothen verbannt. "^Die Errichtung von Klostem ist nicht gestattet. §.24. Die Schule ist Staats=Anstalt. Das gesammte Unterrichts= und Erziehungswesen steht unter der Oberaufsicht des Staates, I und ist der Beaufsichtigung der Geistlichkeit als solcher enthoben. Der Jugend wird durch gentigende offentliche Schulanstalten das Recht auf allgemeine, | menschliche und staatsbtirgerliche Bildung gewahrleistet, so wie auch der Staat Behufs des I hoheren realen und humanen Unterrichts besondere Schulanstalten griindet und erhalt. Die offentlichen Lehrer sind Staatsdiener. [S. 231] Ftir den Unterricht in den Staats=Schulen wird kein Schulgeld bezahlt. Armenschulen finden nicht statt. Unterricht zu ertheilen, Erziehungs= und Unterrichtsanstalten zu grtinden, steht jedem | Staatsbiirger frei, wenn er die moralische und wissenschaftliche resp. technische Befahigung I der betreffenden Staatsbehorde nachgewiesen hat. Die BefugniB der Aeltem oder Vormtinder daniber zu bestimmen, wo ihre Kinder oder | Pflegebefohlenen erzogen werden sollen, darf auf keine Weise beschrankt werden. Niemand darf die seiner Obhut anvertraute Jugend ohne den Grad von Unterricht lassen, I der ftir die untem Volksschulen vorgeschrieben ist. Alle die Volksbildung und den Lehrerstand betreffenden wesentlichen Gesetze, werden von I einer von dem gesammten Lehrerstande des Landes zu erwahlenden Deputation, berathen, dem | Befinden nach entworfen, und insofem und insoweit der Entwurf von der Staatsregierung | gebilligt wird, von dieser dem Landtage vorgelegt werden. Es bleibt der freien Uebereinkuft der Schullehrer und Religionsgesellschaften tiberlassen, I ob und welche Dienste die ersteren den letzteren zu leisten haben. Der vom Lehrer in der Schule zu ertheilende ReHgionsunterricht kann nur ein allge= | meiner d. h. ein Unterricht in der auf religioser Grundlage ruhenden Sittenlehre sein. Der kirchlich confessionelle ist ausgeschlossen und der Kirche zu tiberlassen.

1548

§11: Anhalt-Kothen

[Dok. 179-187]

Das der Schule als solcher gegenwartig zugehorig, so wie das von ihr benutzte Vermo= | gen verbleibt der Schule, soweit dasselbe nicht als Remuneration fur kirchliche Dienste Seitens I des Lehrers zu betrachten ist. §. 25. Ueber die Verhaltnisse der Staatsdiener, liber die Anstellung im Staatsdienste, sowie | tiber die Entlassung aus demselben, nicht minder tiber die Disciplin im Staatsdienste, wird | ein besonderes Gesetz erlassen werden. Es wird jedoch schon jetzt das bei den bisherigen Anstellungen der Staatsdiener vor= | behaltene Recht der Ktindigung aufgehoben. §.26. Allen Staatsangehorigen wird die Freiheit des Eigenthums gewahrleistet; es ist diese | nur den Beschrankungen unterworfen, welche auf Gesetz und Recht beruhen. Eine Enteignung kann nur aus Rticksichten des gemeinen Besten, nur auf Grund eines | Gesetzes und gegen gerechte Entschadigung vorgenommen werden. §. 27. Aller Lehnsverband hort hiermit auf. ^Die Errichtung neuer Familien=Fideicommisse, Majorate, Seniorate und Minorate ist | untersagt. "^Bestehende Stiftungen dieser Art sind aufgehoben. Sind mit einer solchen Stiftung Wohlthatigkeitsanstalten verbunden, so sind dieselben bei I der Aufhebung der Stiftung abzusondem, oder zu entschadigen. [S. 232] Die Art und Weise, so wie die Bedingungen der Auflosung des Lehnsverbandes und | der Familien=Fideicommisse u. s. w. wie auch die Entschadigung, werden in einem besondem I Gesetze geregelt. §. 28.^ ^AUe am Besitz von Grund und Boden haftenden Frohnen, Zehnten und tibrigen guts= | herrlichen Natural= und Geldleistungen, auch andere privatrechtliche Reallasten und Grund= | abgaben sind ablosbar. ^Die desfallsigen Bedingungen und Entschadigungen regeln die be= | treffenden Gesetze. Ohne Entschadigung sind aufgehoben: 1) Die gewissen Grundstticken zustehenden Hoheitsrechte, wogegen die Lasten und Leistun= | gen wegfallen, welche den bisher Berechtigten in den obigen Beziehungen oblagen. 2) Die aus diesen Befugnissen, aus der Schutzherrlichkeit und der frtiheren Erbuntertha= | nigkeit herstammenden personlichen Leistungen und Abgaben. Ktinftig darf ein Grundstiick in keiner Weise mehr mit unablosbaren Rechten und | Renten belastet werden. Die Theilbarkeit des Gmndeigenthums wird gewahrleistet.

Vgl. dazu auch das „Gesetz zur Ausfiihrung der in §. 28. der Verfassungsurkunde iiber die Ablosbarkeit der Grundabgaben enthaltenen Bestimmungen fur die Herzogthiimer Anhalt=Dessau und Anhalt=C6then betreffend", vom 8. Januar 1850 (Sammlung der in dem Herzogthume AnhaltCothen vom Jahre 1842 bis zum 1. Februar 1850 ergangenen Gesetze, Verordnungen und Verfugungen, Vierter Theil, Zweite Abth., Cothen 1850, Nr. 1196, S. 449 - 452).

[ 185] Verfassungs-Urkunde vom 28. Oktober 1848

1549

§. 29. Die Jagdgerechtigkeit auf fremdem Grund und Boden, Jagddienste, Jagdfrohnen und | andere Leistungen fiir Jagdzwecke sind ohne Entschadigung aufgehoben. Jedem steht das Jagdrecht auf eigenem Grund und Boden zu. Wie die Austibung dieses Rechts aus Grtinden der offentlichen Sicherheit zu ordnen ist, | bestimmt das Gesetz. Das Jagdrecht kann kunftig vom Grundeigenthume, als ein dingliches Recht nicht ge= | trennt werden. §.30. Jeder durch das Wild verursachte Schaden ist zu ersetzen. Die Feststellung und Abschatzung des Schadens erfolgt durch die betreffende Communal= I behorde, sofem nicht ein Mitglied derselben personlich betheiligt ist, unter Zuziehung von zwei | unbetheiligten vereidigten Sachverstandigen. Sollte ein Mitghed der Communalbehorden betheihgt sein, so hat das flir den Bezirk | competente Gericht eine benachbarte, unbetheiHgte Communalbehorde zu substituiren. §.31. Es wird eine nach dem Einkommen der Staatsangehorigen gleichmaBig geregelte Ver= | theilung der zur Aufbringung des Staatsbedarfs nothwendigen Lasten und Steuem eintreten. Alle bisherigen Steuerfreiheiten und Vorztige horen ohne Entschadigung auf und konnen | auf keine Wiese wieder erworben werden. §.32. Der Staat wird fur Pflege und Beforderung der Kiinste und Wissenschaften sorgen. [S. 233] §.33. Alle Handel und Gewerbe betreffende Einrichtungen werden von Commissionen revidirt I und begutachtet, zu welchen der Handels= und Gewerbestand selbst die Mitglieder wahlt. §.34. AusschlieBliche Handels= und Gewerbsprivilegien sind ohne Zustimmung des Landtags I nicht zu ertheilen. §.35. ^Das Medizinalwesen wird durch eine zu erlassende Medizinalordnung regulirt. ^Diese | soil von einer von den Aerzten, Wundarzten und Apothekem des Landes zu wahlenden Depu= I tation entworfen, und demnachst, insofem und insoweit der Entwurf von der Staatsregierung | genehmigt wird, von dieser dem Landtage vorgelegt werden. §.36. Die Communalbehorden bilden in Vereinigung mit den in §.33 erwahnten Handels= | und Gewerbecollegien, so wie unter Zuziehung qualificirter Arbeiter eine Commission, welche | sich ausschlieBlich mit der Berathung derjenigen MaBregeln beschaftigt, die das Wohl der ar= | beitenden Klassen zu befordem im Stande sind. §.37. Ueber Gesetze, welche wesentlich in die Landwirthschafl eingreifen, sollen zuvorderst | tuchtige und erprobte Landwirthe aller Klassen gehort, und erforderlichen Falls Gutachten | landwirthschaftlicher Gesellschaften eingeholt werden.

1550

§11: Anhalt-Kothen

[Dok. 179-187]

Dritter Titel. | Von der Volksvertretung. §.38. Der Landtag wird gebildet durch die vom Volke nach dem dieser Verfassung beigefiigten I Gesetze gewahlten Vertreter. Fiir alle den Herzogthtimem Anhalt=Dessau und Anhalt=Cothen gemeinsamen Angelegen= I heiten treten die beiderseitigen Volksvertreter zu gemeinschaftlichen Landtagen zusammen. Fur die besondem Angelegenheiten des Herzogthums Anhalt=Cothen bilden die Volksver= I treter desselben besondere Landtage. Die Zahl der von jedem Herzogthume zu wahlenden Volksvertreter betragt zwei und | zwanzig. §.39. Die Volksvertretung der HerzogtMmer bildet eine Kammer. §. 40. ^Dem Landtage allein steht die Entscheidung liber die Gtiltigkeit der Wahlen zu. ^Die | naheren Bestimmungen tiber die Geschaftsbehandlung auf dem Landtage enthalt die dieser Ver= I faBung beigefiigte Geschaftsordnung. [S. 234] §.41. ^Die Volksvertreter konnen ihr Stimmrecht nur personlich austiben. "^Sie sind als Ver= | treter des ganzen Volks zu betrachten, und nicht gehalten von ihren Committenten Instruktion I anzunehmen. §.42. Niemand kann zur Annahme des Amts eines Volksvertreters gezwungen werden, und | steht es jedem Volksvertreter frei, sein Amt aufzugeben. §.43. Der Eintritt eines Abgeordneten in den Staatsdienst, sowie die Beforderung oder Ver= | besserung eines zum Abgeordneten gewahlten Staatsdieners im Amte, bedingt eine neue Wahl. Der Ausgeschiedene ist wieder wahlbar. §.44. ^Ein Beamter, welcher zum Volksvertreter gewahlt ist, bedarf keines Urlaubs. ^Es gentigt I eine bloBe desfallsige Anzeige bei der vorgesetzten Behorde. Fiir die Stellvertretung im Staatsamte eines gewahlten Abgeordneten hat der Staat | zu sorgen, auch tragt letzterer die Kosten der Stellvertretung. §.45. Die Sitzungen des Landtags sind offentlich. Ausnahmen konnen in Folge eines Antrages der Staatsregierung oder des Landtags | selbst, nur auf BeschluB des letztem und unter Zustimmung der Staatsregierung stattfinden. §. 46. Der Herzog verordnet die Zusammenkunft des Landtags, so oft er solches zur Erledigung I dringender und wichtiger Landesangelegenheiten fiir nothig erachtet. Der Landtag muB jedoch alljahrlich zusammenberufen werden.

[185] Verfassungs-Urkunde vom 28. Oktober 1848

1551

§. 47. Nach Ablauf von zwei Jahren werden neue Volksvertreter gewahlt. Die abtretenden Volksvertreter konnen wieder gewahlt werden. Die erwahlten Volksvertreter verlieren diese ihre Eigenschaft 1) wenn Umstande eintreten, welche ihre Wahlbarkeit verhindert haben wtirden; 2) wenn ihnen Staatsamter tibertragen, oder sie im Staatsdienst befordert werden; 3) wenn sie ihr Mandat aus eigenem Antriebe niederlegen; 4) wenn der Herzog den Landtag auflost. In den letzten drei Fallen dtirfen sie von neuem gewahlt werden. §.48. Der Herzog eroffhet und entlaBt den Landtag, entweder in eigener Person oder durch die I dazu bevollmachtigten Commissarien. Beim SchluB des Landtags wird der den Volksvertretem schon vorher mitgetheilte Land= | tagsabschied verktindet. [S. 235] §. 49. ^Die Vertagung eines ordentlichen Landtags darf ohne Zustimmung der Volksvertreter | nur einmal stattfinden und nicht langer als dreiBig Tage dauem. "^Nach Ablauf dieser | Frist tritt der Landtag aus eigener Machtvollkommenheit wieder zusammen. §.50. ^Im Fall der Auflosung eines Landtages muB die Anordnung neuer Wahlen binnen 24 | Stunden nach der Auflosung erfolgen. ^Die Frist fiir die Berufung des neugewahlten Land= | tages darf nicht liber 60 Tage nach erfolgter Auflosung ausgedehnt werden, ^Nach vergeb= | lichem Ablauf dieser Frist tritt der neugewahlte, oder, sofem die neuen Wahlen noch nicht | stattgefunden haben, der zuletzt versammelt gewesene Landtag aus eigener Machtvollkommen= | heit zusammen. §.51. ^Die Mitglieder des Landtags konnen wahrend der Dauer desselben, auBer der Ergrei= | fung auf frischer verbrecherischer That (in welchem Falle alsbald dem Landtage die Anzeige I des Vorfalls mit Darlegung der Grtinde zu machen ist,) nicht anders als mit Genehmigung I des Landtags verhaftet und tiberhaupt in Untersuchung gezogen werden. '^Wahrend einer Ver= | tagung des Landtags kann nur in dringenden Fallen die Verhaftung eines Abgeordneten nach | vorgangiger Genehmigung des Landtags=Prasidenten stattfinden. Befindet sich ein erwahlter Abgeordneter in Haft, so steht dem Landtage tiber die Ent= | lassung des Gewahlten aus der Haft und tiber die Einberufung desselben die Entscheidung | allein zu. Auch konnen die Volksvertreter zu keiner Zeit wegen der in der Landtags=Versammlung I geauBerten Ansichten zur Rechenschaft gezogen werden, wenn nicht der Fall unter den Ge= | sichtspunkt einer Injurie, Verlaumdung oder eines in den Gesetzen mit Strafe bedroheten | sonstigen Vergehens fallt. §.52. Der Landtag ist berechtigt, bezuglich der ihm vorliegenden Arbeiten die zweckdienlichen I Aufklarungen von den Mitgliedem des Staats=Minsiteriums, oder deren Commissarien ein= I zuholen.

1552

§11: Anhalt-Kothen

[Dok. 179-187]

§.53. Der Landtag kann nur dann Beschltisse fassen, wenn zwei Dritttheile seiner Mitglieder | gegenwartig sind, Jeder BeschluB wird durch absolute Stimmenmehrheit festgesetzt. §. 54. Eine VerauBerung des Staatsvermogens bedarf, insoweit sie nicht als nothwendige Folge I gesetzlicher Bestimmungen, oder auf den Grund richterlicher Entscheidungen eintritt, der Ge= | nehmigung des Landtags und nur in dem in §. 92 erwahnten Falle der auBersten Noth steht [ es der Staatsregierung zu, zur Sicherheit einer Anleihe das Staatsgut zu verpfanden. [S. 236] §^55. Der Landtag hat das Recht zu Vorstellungen, zu Beschwerdefiihrungen liber Mangel | und MiBbrauche in der Landesverwaltung, iiber gesetzwidriges Verfahren der Verwaltungs= I behorden, zur Beantragung gesetzmaBiger Bestrafung schuldiger Staatsdiener und zur Anklage | gegen die Minister. §.56. ^Der vereinigte Landtag kann, wenn auf den desfallsigen, von 5 Mitgliedem eingebrachten I und unterschriebenen Antrag und nach erschopfender Erorterung aller Grunde in einer aus I 7 Mitgliedem bestehenden Commission, welche binnen 3 Tagen berichten muB, so wie in den | Sitzungen des vereinigten Landtags, nach angehorter Vertheidigung des Gesammt=Mini= | steriums und bei namentlicher Abstimmung die Mehrheit dafiir spricht, dem Herzog die | gehorig motivirte schriftliche Erklamng abgeben, daB das Gesammt=Ministerium das Vertrauen | des Landes verloren habe, "^In Folge dieser Erklamng kann der Herzog das Gesanimt=Mini= | sterium entweder entlassen, oder durch die Entlassung einzelner und den Hinzutritt neuer Mit= | glieder eine andere Majoritat der Stimmen in dem Collegium des Gesammt=Ministeriums herbei= | fuhren oder den vereinigten Landtag auflosen. ^Wird jene Erklamng von der Mehrheit des | aus neuen Wahlen hervorgegangenen nachsten vereinigten Landtags unter den obigen Formen | wiederholt, so muB das Gesammt=Ministerium entlassen werden, oder wie oben bemerkt, eine | die Majoritat in dem Collegium verandemde Besetzung stattfinden. Wird der Antrag auf ein MiBtrauens=Votum in einem Sonderlandtage gestellt, so muB | der vereinigte Landtag sofort einbemfen werden. §.57. Der (vereinigte) Landtag kann Petitionen annehmen und zur Berathung bringen, jedoch | dtirfen solche Petitionen von Privaten und Corporationen nicht personlich tiberreicht, sondem I sie mtissen durch ein Mitglied des Landtags vorgelegt werden. §. 58. ^Zu der Besetzung von Prasidentenstellen bei den obersten Justizbehorden ist die Einwilli= I gung des Landtags erforderlich. "^Bei Vacanzen, die zwischen den Landtagen entstehen, findet | nur provisorische Besetzung bis zum nachsten Landtage statt. §.59. Innerhalb 14 Tagen nach dem Absterben des Herzogs treten die zuletzt versammelt ge= | wesenen Volksvertreter zusammen.

[185] Verfassungs-Urkunde vom 28. Oktober 1848

1553

Vierter Titel. | Von dem Herzoge und dem Herzoglichen Hause. §.60. Der jedesmalige Senior des Gesammthauses Anhalt vereinigt in sich alle Rechte des | [S. 237] Staatsoberhauptes fur das Herzogthum Anhalt=Cothen und tibt diese Rechte fur sich und | den jtingem Herzog von der Anhaltischen Linie verfassungsmaBig aus. §.61. Die Nachfolge in der Regierung des Herzogthums ist erblich nach den in dem Ge= | sammthause Anhalt abgeschlossenen Vertragen und nach den bestehenden Gesetzen. §.62. Die Regierungshandlungen der Vorfahren sind von den Nachfolgem anzuerkennen und | zu vertreten, sofem sie ohne Ueberschreitung der verfassungsmaBigen und gesetzlichen BefugniB I untemommen werden. §.63. Der Herzog und sammtliche Prinzen des Herzoglichen Hauses werden mit dem zurtickge= I legten 21sten Jahre groBjahrig und regierungsfahig. §. 64. Ist der Herzog minderjahrig, oder an der Austibung der Regierung auf langere Zeit, | Oder auf immer verhindert, ohne daB er selbst oder sein Vorfahr durch eine mit Zustimmung des | Landtags errichtete Verfiigung deshalb gentigende Vorsorge getroffen hat, oder hat treffen | konnen, so tritt fur die Dauer der Minderjahrigkeit, oder der sonstigen Verhinderung eine | Regentschaft ein. Diese gebtihrt in Beziehung auf den minderjahrigen Herzog zunachst der leiblichen Mutter I desselben, und wenn diese sich nicht mehr am Leben befindet, oder anderweitig vermahlt oder | sonst verhindert ist, dem den Jahren nach altesten, volljahrigen und zur Regierung fahigen | Prinzen unter den Agnaten im Herzoglichen Specialhause. Bei der obgedachten Verhinderung des Herzogs kommt die Regentschaft der Gemahlin | desselben zu, wenn aus der gemeinschaftlichen Ehe ein zur unmittelbaren Nachfolge berechtig= | ter, noch minderjahriger Prinz vorhanden ist und zwar fur die Dauer dessen Minderjahrigkeit; I sobald dagegen ein zur unmittelbaren Nachfolge berechtigter groBjahriger Prinz vorhanden ist, | tibemimmt dieser die Regentschaft. Liegen diese Bedingungen nicht vor, so steht die Regentschaft dem den Jahren nach alte= I sten volljahrigen und regierungsfahigen Prinzen unter den Agnaten im Herzoglichen Special^ | hause zu. Ueber die Existenz und Wichtigkeit, so wie tiber den EinfluB derjenigen Griinde, welche I die obige Verhinderung des Herzogs und die Anordnung einer Regentschaft zur Folge haben, | hat das Staatsministerium nach den nothwendigen factischen Ermittelungen einen Familien= | rath des Herzoglichen Hauses zu berufen, die Ansicht des Gesammthauses einzuholen und dem | Landtage die Resultate jener Erortemngen zur BeschluBnahme vorzulegen. ^In alien Fallen steht der Regentschaft ein Regentschaftsrath zur Seite. ^Derselbe besteht I aus drei Mitgliedem, von welchen der Regent einen und der Landtag die beiden andem I [S. 238] wahlt. ^Der Regent bedarf zu alien Regierungshandlungen der Zustimmung des Regent= | schaftsrathes. Sollte bei einem zunachst nach dem regierenden Herzoge zur Erbfolge berufenen Prinzen I eine solche Geistes= oder korperliche Beschaffenheit sich zeigen, welche es demsel-

1554

§11: Anhalt-Kothen

[Dok. 179-187]

ben fiir immer [ unmoglich machen wtirde, die Regierung des Landes selbst zu fiihren, so ist iiber den kunf= | tigen Eintritt der Regentschaft zeitig zu verfiigen.§.65. ^Der Herzog gelobt bei dem Regierungsantritt vor der sofort zu bemfenden Landtags= | Versammlung, die Staatsverfassung aufrecht zu erhalten und in GemaBheit derselben, so wie I nach den Gesetzen zu regieren. "^Eine gleiche Pflicht liegt dem Regenten beim Antritt der I Regentschaft ob. ^Die Huldigung findet erst nach abgelegtem GelobniB, und zwar zuerst von den ver= | sammelten Volksvertretem statt. "^Der Herzog oder Regent ist nicht eher zur Austibung der | Regierung resp. Regentschaft befiigt, als bis das obgedachte GelobniB erfolgt ist. ^In der | Zwischenzeit werden die verfassungsmaBigen Gewalten desselben von dem Staatsministerium I und unter seiner Verantwortlichkeit im Namen des Volks ausgetibt. 166. Dem Herzoge gebiihrt die vollziehende Gewalt und er tibt die gesetzgebende Gewalt im I Vereine mit dem Volke und dessen Vertretem nach den Bestimmungen der Verfassung aus. Der Herzog besetzt alle Staatsamter, soweit dies nicht in der Verfassung ausdriicklich | beschrankt ist. ^Er schlieBt Vertrage mit fremden Regierungen. '^Zur Gtiltigkeit derselben ist die Geneh= I migung des Landes erforderlich, unbeschadet einer provisorischen Ausflihrung in besonders | dringenden Fallen. ^Der Herzog hat das Recht der Begnadigung, Strafmilderung und Abolition. "^Beztiglich | der gegen die verantwortlichen Minister vorgebrachten Anklagen wegen Verletzung der Ver= I fassung, so wie der in Folge dessen erkannten Strafen, kann er diese Rechte nur mit Zu= I stimmung des Landtages austiben. Der Herzog hat das Recht, dem Landtage Gesetze vorzuschlagen; die Sanction und Pu= | blication der Gesetze steht ihm zu. Er hat das Recht, den Landtag zu berufen, zu entlassen, zu vertagen und aufzulosen, | unter den in der Verfassung ausgesprochenen Beschrankungen. §.67. ^Alle Verfiigungen des Herzogs in Staats^Angelegenheiten mtissen von wenigstens einem | Mitgliede des Staats=Ministeriums mitunterzeichnet werden. "^Der Mangel einer solchen I Unterschrift macht die Verfligung ungtiltig.

Der Herzog darf den Sitz der Staats^Regierung nicht auBer Landes verlegen, auch | [S. 239] ohne Zustimmung des Landtages seinen wesentlichen Aufenthalt nicht auBerhalb Landes | nehmen. Auch die Prinzen des Herzoglichen Hauses dtirfen, insofem sie nicht in auswartigen | Diensten stehen, oder zu ihrer Ausbildung im Auslande cine Zeit lang sich aufzuhalten ge= I nothigt sind, femer die verwittweten Gemahlinnen der Herzoge und der Prinzen, so wie die | unverheiratheten Prinzessinnen des Herzoglichen Hauses, welche eine besondere Apanage be= | ziehen, einen dauemden Aufenthalt im Auslande ohne Zustimmung des Landtags, bei Ver= | lust ihrer Apanage zu Gunsten der Staatskasse nicht nehmen. ^Bei Annahme auswartiger Dienste ist die Genehmigung des Landtags nothwendig. ^Auch I ist der Landtag befugt, die Prinzen aus auswartigen Diensten zuriickzuberufen. ^Wird der | Zuriickberufung nicht gentigt, so tritt Entziehung der Apanage ein

[185] Verfassungs-Urkunde vom 28. Oktober 1848

1555

§.69. ^Ftir den Herzog wird eine Civil=Liste ausgesetzt. ^Diese wird radicirt auf einen Theil | des Domanial=Vermogens und zwar auf eine solche Quote desselben, deren (durch eine De= I putation des Landtages und der Staatsregierung zu ermittelnder) Ertrag der Hohe der Civil= I Liste gleichsteht. ^Dieser Theil des Domanial=Vermogens bildet nebst den Herzogl. Schlossem | und Garten ein Familien=FideicommiB und erbt in der Herzogl. Familie fort nach der Staats= | Erbfolge und nach den dariiber bestehenden Haus=Gesetzen und abgeschlossenen Vertragen. | '^Dasselbe besteht jedoch nur so lange, als die Herzoge und deren verfassungsmaBige Regiemngs= | Nachfolger aus dem Hause Anhalt die souveranen Regenten des Herzogthums Anhalt=Cothen | sind. ^Wenn ein zur Nachfolge in der Regierung des Herzogthums berechtigtes Mitglied der | Herzoglichen Familie nicht mehr vorhanden ist, oder die Herzoge der Souverainetat verlustig | werden, so erlischt das Familien^FideicommiB und die dazu fundirten Giiter treten in die | Eigenschaft zuriick, welche sie vor dessen Errichtung hatten. ^Bezuglich des Vermogens des | Staats und der Herzoglichen Familie treten dann diejenigen Rechts=Verhaltnisse wieder in | Kraft, welche vor Errichtung der gegenwartigen Staats=Verfassung bestanden haben. Ftir die nachsten 12 Jahre verzichtet jedoch der Herzog von Dessau, als jetziger Senior | des Hauses Anhalt ftir sich und ftir den Herzog von Anhalt=Bemburg und deren Nachfolger I auf die Civil=Liste zu Gunsten der Staats=Kasse, und bleibt die Feststellung derselben daher | bis zum Ablauf dieses Zeitraums ausgesetzt. Zu den den Prinzessinnen des Hauses rezeBmaBig zu gewahrenden Ausstattungen hat das I Herzogthum den antheilmaBigen Beitrag zu leisten. Ftinfter Titel. | Von den Ministem. §.70. ^Die Minister sind ftir alle von ihnen unterzeichneten Verftigungen und Handlungen in | ihrer Amtsftihrung verantwortlich. ^Die Art und Weise der Verantwortlichkeit ordnet das Gesetz. [S. 240] §.71. Das Staats=Ministerium muB in jeder Landtags^Sitzung vertreten sein. ^Die Mitglieder des Staats=Ministeriums sind berechtigt, den Versammlungen des Land= | tags, so wie den Commissions=Sitzungen beizuwohnen. "^Desgleichen sind dieselben verpflichtet, | auf Ersuchen entweder selbst, oder durch Commissarien den Versammlungen der Commissionen | beizuwohnen. ^Ein Stimm=Recht uben sie nicht aus. Zu Volksvertretem sind Minister nicht wahlbar. §. 72. Die in Folge eines MiBtrauens=Votums entlassenen Minister werden im Staatsdienste | anderweit angestellt, oder erhalten eine Pension, welche jedoch, so wie deren Hohe von der I Zustimmung des Landtags abhangig ist. Sechster Titel. | Von der richterlichen Gewalt. §.73. Die Rechtspflege ist vollig unabhangig von der Verwaltung. Die Richter konnen nur durch ein ErkenntniB der Gerichtsbehorde aus ihrer richterlichen I Stelle entsetzt, sie konnen nicht wider ihren Willen entlassen oder versetzt werden.

1556

§11: Anhalt-Kothen

[Dok. 179-187]

Auch die Versetzung in den Ruhestand darf nur in Folge eines vom obem Justizkolle= | gium des Landes abgegebenen Ausspruches liber die eingetretene Unfahigkeit des Richters zur I femeren Versehung des Amtes geschehen. §. 74. Den Richtem dtirfen andere besoldete Staatsamter nicht ubertragen und Gratificationen | nicht verliehen werden. §.75. ^Die Rechtspflege wird durch offentliches und miindliches Verfahren ausgetibt. "^Nur | wenn die Oeffentlichkeit in einzelnen Fallen fiir die Sittlichkeit gefahrlich erscheint, kann die I selbe durch BeschluB des Gerichtshofes beschrankt werden. Fiir das Gebiet der Strafrechtspflege und somit auch fiir die Aburtheilung der PreB= | vergehen und politischen Verbrechen werden Schwurgerichte eingefuhrt. §.76. Die Patrimonial=Gerichtsbarkeit ist ohne Entschadigung aufgehoben. ^Die in baarem Gelde, oder in Naturalien bestehenden fixen Dienstgehalte der Patrimo= I nial=Gerichtshalter und der bei den Stadtrathen angestellten Gerichtspersonen werden vom I Staate tibemommen. ^Die betreffenden Gerichtspersonen sind jedoch verpflichtet, einen ihren | bisherigen Verhaltnissen angemessenen Staatsdienst auf Erfordem anzunehmen. §.77. Es werden Schiedsgerichte eingefuhrt und sind die Schiedsrichter von dem Volke zu erwahlen. [S. 241] §.78. Die Justiz ist von der Verwaltung zu trennen; bei einem Conflikte zwischen Verwal= | tungs= und Justizbehorden tiber die Competenz der letzteren, so wie tiberhaupt tiber die Frage, | ob eine Sache zum Gerichtsverfahren sich eigene, entscheiden die Justizbehorden des Landes | im gehorigen Instanzenzuge. Das Hypothekenwesen wird durch ein besonderes Gesetz regulirt. Siebenter Titel. | Von der bewaffheten Macht. §.79. Eine allgemeine Volkswehr wird eingefuhrt. ^Jeder Staatsbtirger vom vollendeten 20sten bis zum zurtickgelegten 50sten Jahre ist zum I Dienste in der Volkswehr berechtigt und verpflichtet. ^Abweichungen hiervon bestimmt das | Gesetz. Die Volkswehr besteht aus 2 Abtheilungen. Die Organisation der Volkswehr wird durch das Gesetz bestimmt. Das zum deutschen Heere zu stellende Contingent bildet einen besonders organisirten | Theil der Volkswehr und wird aus der ersten Abtheilung derselben von den den Jahren nach I jtingsten Mannschaften gestellt. ^Dieses Contingent ist nur so lange als es der Uebungen und des Dienstes wegen erfor= | derlich ist, bei der Fahne versammelt und besonderen Dienst= und Disciplinargesetzen unter= I worfen. "^Die Mannschaften desselben treten in der Zeit, wo sie nicht bei der Fahne versam= | melt sind, oder nachdem ihre Dienstzeit beendigt ist, in die allgemeine Volkswehr zurtick.

[185] Verfassungs-Urkunde vom 28. Oktober 1848

1557

^Die Officiere und Unterofficiere des Contingents sind Staatsdiener und werden von der I Staatsregiemng angestellt. ^Die Officiere und Unterofficiere der tibrigen Volkswehr werden | von den Mannschaften gewahlt. Der Regent hat als solcher den Oberbefehl und ubt denselben unter Contrasignatur und | Verantwortlichkeit des Staats=Ministeriums aus. Ohne besondem Befehl des Oberbefehlshabers ist die Volkswehr nur dann berechtigt | und verpflichtet zur Unterdriickung von Unruhen, oder uberhaupt zur Aufrechthaltung der | Ordnung einzuschreiten, wenn sie in den vom Gesetz bestimmten Fallen und Normen von | einer Civil=Behorde hierzu requirirt worden ist. Jeder Wehrmann wird auf die Verfassung durch das vorgeschriebene GelobniB verpflichtet. §.80. ^Die zum Contingente gehorende Mannschaft hat im Frieden nur beztiglich der Dienst= | verbrechen und Dienstvergehen einen eignen Gerichtsstand. '^Im Kriege steht dieselbe wegen I aller Verbrechen und Vergehen und im Felde auch beztiglich der btirgerlichen Angelegenheiten | unter dem befreiten militarischen Gerichtsstande. fS. 242] Achter Titel. | Von der Gesetzgebung. §.81. Alle Gesetze und authentischen Gesetzauslegungen bedtirfen der Zustimmung des Land= | tages und der Sanction des Herzogs. §.82. Bei der Sanctionsverweigerung mtissen die Grtinde derselben angegeben werden. §.83. Der Landtag hat das Recht Gesetzvorschlage zu machen, auch vollstandige Gesetzentwtirfe I einzubringen, zu berathen und daruber BeschluB zu fassen. §.84. ^Wenn der Herzog einem Landtagsbeschlusse seine Zustimmung versagt hat, so kann er, I wenn derselbe BeschluB von dem nachstfolgenden neugewahlten Landtage nochmals gefaBt wird, | die Bestatigung desselben nicht verweigem. "^Erfolgt diese Bestatigung nicht binnen vier Wo= | chen, so erhalt der BeschluB des Landtags von selbst gesetzliche Kraft. §. 85. Sollte in besonders dringenden Fallen der ErlaB von Verordnungen, welche einen ge= | setzlichen Character an sich tragen, nothwendig sein und durchaus keinen Aufschub leiden, so I steht es der Staatsregiemng zwar zu, Verordnungen jener Art zu erlassen, es sind jedoch I dieselben den nachstfolgenden Landtage zur Priifung und Billigung vorzulegen. §. 86. Alle Gesetze mussen, bevor sie dem Landtage zur Genehmigung vorgelegt werden, vorher I erst im Druck erscheinen, wenn nicht eine besondere Dringlichkeit eine Ausnahme rechtfertigt.

1558

§11: Anhalt-Kothen

[Dok. 179 - 187]

§,87. Wenn der Herzog einem, die Abanderung der Verfassung bezweckenden und von zwei | aus verschiedenen Wahlen hervorgegangenen Landtagen gefaBten Beschlusse die Sanction ver= I weigert hat, so muB derselbe binnen sechs Monaten der Gesammtheit derjenigen Staatsbtirger, | welche zur Wahl von Landtagsabgeordneten berechtigt sind, in den einzelnen Wahlbezirken | vorgelegt werden. ^Nimmt die Majoritat der Wahlberechtigten den BeschluB an, so kann der Herzog die | Bestatigung desselben nicht verweigem. '^Erfolgt diese Bestatigung dennoch nicht binnen 4 I Wochen nach erfolgter Vorlegung desselben durch den Landtag, so erhalt der BeschluB von I selbst gesetzliche Kraft Es wird durch ein besonderes Gesetz die Art und Weise, wie in den obigen Fallen die | Beschltisse des Landtags der Gesammtheit der Wahlberechtigten vorzulegen sind, in welcher I Weise dieselben in den einzelnen Bezirken abstimmen, ihre Beschltisse fassen und dem Landtage | mittheilen, naher festgestellt werden. [S. 243] Neunter Titel. | Von der Finanz=Verwaltung.

Zur Einfiihrung neuer Steuem, zur Veranderung und Forterhebung der bestehenden | Steuem, so wie zur Aufnahme neuer Landesschulden, bedarf es der Zustimmung des Landtags. ^Als neue Landesschulden sind jedoch nicht diejenigen Vorschiisse zu betrachten, welche Be= I hufs Tilgung von Landesschulden aufgenommen werden; auch verbleibt der Staats=Schulden= | Commission die BefugniB zur Ausstellung neuer Schuld=Urkunden an die Stelle alterer | Obligationen (Convertirung), sofem damit eine Erhohung des ZinsfiaBes nicht verbunden und | unktindbare Obligationen nicht in ktindbare verwandelt werden. ^Dagegen bedarf dieselbe | zur ktinftigen Creirung von Cassenscheinen Behufs Einlosung zinstragender Schuld=Documente | der Zustimmung des Landtags. §.89. ^Die in dem Staats=Schulden=Etat vom 16. Februar 1846 aufgefiihrten Schulden, wep= | den als solche, welche das Land bezahlen muB, anerkannt, vorbehaltlich der Rectificirung der I einzelnen Betrage. '^Hinsichtlich der Amortisation derselben verbleibt es bei der Verordnung | vom 16. Februar 1846 und den Hausvertragen vom 16., 20. und 26. Juli 1847. So weit die Bestimmungen dieser Verordnung und dieser Vertrage mit der gegenwartigen I Verfassung nicht vereinbar sind, werden sie durch ein besonderes Gesetz mit derselben in Ein= | klang gebracht. §.90. Es wird eine einjahrige Finanzperiode angenommen und zwar beginnt solche vom 1. Juli I 1849 an. Auf die Dauer jener Finanzperiode wird das Budget von dem Landtage bewilligt. Nach Ablauf derselben wird dem Landtage tiber die Verwaltung Rechnung abgelegt. §.91. ^Die Bewilligungen dtirfe von dem Landtage nicht an die Bedingung der Erfiillung | bestimmter, das Budget nicht betreffende Antrage gekniipft werden. ^Es muB jedoch demselben I eine vollstandige Uebersicht und Nachweisung der Staatsbedtirfhisse und Einnahmen vorgelegt | werden.

[185/1] Bekanntmachung vom 16. November 1849

1559

§. 92. Sollten durch plotzlich eingetretene Ereignisse in Kriegszeiten auBerordentliche Ausgaben I und desfallsige Anleihen nothwendig werden, so wird, wenn eine schleunige Zusammenberufung | des Landtags zur Bewilligung des Bedarfs nicht moglich war, die getroffene MaBregel dem | nachfolgenden Landtage zur Priifung und Bewilligung vorgelegt. [S. 244] Zehnter Titel. | Von den Kommunal=Einrichtungen. §.93. Es wird eine freie Gemeindeverfassung mit selbststandiger Verwaltung der Gemeinde= | Angelegenheiten und freier Wahl aller Kommunal=Beamten gewahrt. ^Sollten gegen die Wahl eines Kommunal=Beamten Bedenken erhoben werden, so ent= I entscheidet dariiber der Landtag. ^Bis zu dieser Entscheidung fungirt der erwahlte Beamte. §.94. Die Armenpflege ist in den Kommunen durch die Kommunalbehorden zu verwalten. Indem Wir die vorstehenden Bestimmungen hiermit als die Staatsgrundverfassung des | Herzogthums Anhalt=Cothen feststellen, versichem Wir hierdurch formlich und feierlich, daB I Wir diese Verfassung nicht nur selbst treu und unverbriichlich halten, sondem dieselbe auch | gegen alle Eingriffe und Verletzungen zu schtitzen und erhalten stets bedacht sein werden. Dessen zu Urkund haben Wir dieses Staatsgrundgesetz eigenhandig unterschrieben und | mit Unserem Insiegel bedrucken lassen. So geschehen Dessau, am 28. Oktober 1848. (gez.) Leopold Friedrich, Herzog zu Anhalt. | (L. S.) (gegengez.) GoBler,

[185/1] Bekanntmachung, „die Aufhebung der Jagdgerechtigkeit auf fremdem Grund und Boden betreffend", vom 16. November 1849 Quelle: Sammlung der in dem Herzogthume Anhalt-Cothen vom Jahre 1842 bis zum 1. Februar 1850 ergangenen Gesetze, Verordnungen und Verftigungen, Vierter Theil, Zweite Abth., Cothen 1850, Nr. 1126, S. 245 (gedruckt). [S. 245] Bekanntmachung, | die Aufhebung der Jagdgerechtigkeit auf fremdem Grund und Boden betr. Zur Beseitigung der Zweifel, welche hinsichtlich der durch den §. 29 der Verfassung er= I folgten Aufhebung der Jagdgerechtigkeit auf fremdem Grund und Boden entstanden sind, siehet | sich das Ministerium zu folgenden Erklamngen veranlaBt: 1) Den Jagdberechtigten ist die Austibung der Jagd gegenwartig nur noch auf ihren | eigenen Grundstucken gestattet. 2) Jagd=Pachter dtirfen die von ihnen erpachtete Jagd nur noch auf den Grundstucken | ihrer Verpachter austiben. 3) Die Eigenthtimer derjenigen Grundstiicke, welche durch die Verfassung von der fremden | Jagd=Berechtigung befreit sind, mtissen sich der Austibung der Jagd auf diesen Gmnd= | stiicken, in GemaBheit des Eingangs erwahnten Paragraphen, bis

1560

§11: Anhalt-Kothen

[Dok. 179-187]

zum Erscheinen des | in nachster Zeit zu erwartenden Jagd=Polizei=Gesetzes ganzlich enthalten. 4) Die in einzelnen Ortschaften hervorgetretene Meinung, daB gegenwartig ein Jeder, | ohne Riicksicht auf Grundbesitz, zur Austibung der Jagdt befUgt sei, ist durchaus irr= I thtimlich, indem durch den §. 29 der Verfassung nur die Befreiung des Eigenthums | von der Servitut oder dem Regal der fremden Jagdberechtigung bezweckt und ausge= | sprochen, keinesweges aber eine vollige Aufhebung des Jagdrechts erfolgt ist. Es | verbleibt hiemach jede unbefugte Austibung der Jagd auch femerhin strafbar. Cothen, den 16. November 1848. Herzogl. Staats=Ministerium. | GoBler.

[185/2] Verordnung, „die im ersten ordentlichen vereinigten Landtage beschlossene Abanderung einiger VerfassungsBestimmungen fur die Herzogthumer Anhalt-Dessau und Anhalt-Kothen betreffend", vom 18. November 1849 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einfuhmngen" die Darstellungen unter [625.] [629.]. Quelle: Sammlung der in dem Herzogthume Anhalt-Cothen vom Jahre 1842 bis zum 1. Februar 1850 ergangenen Gesetze, Verordnungen und Verfugungen, Vierter Theil, Zweite Abth., Cothen 1850, Nr. 1190, S. 439 - 441 (gedmckt).^ [S. 439] Verordnung, | die im ersten ordentlichen vereinigten Landtage beschlossene | Abanderung einiger Verfassungsbestimmungen | fur die Herzogthtimer Anhalt=Dessau und Anhalt=Cothen betreffend. Wir, Leopold Friedrich, altestregierender Herzog zu Anhalt, Herzog zu Sachsen, | Engem und Westphalen, Graf zu Askanien, Herr zu Zerbst, Bemburg und Grobzig, etc. etc. | verordnen auf Antrag Unseres Gesammt==Staats=Ministeriums und unter Zustimmung des | vereinigten Anhalt=Dessau=C6thenschen Landtags, was folgt: Art. 1. Zu §. 8 der Verfassung, welcher lautet: „Im Staate besteht kein Unterschied der Stande. Der Adel wird hiermit abgeschafft. Alle zur Bezeichnung des Adels dienenden Aus= I drticke verlieren diese Bedeutung und werden vom Staate weder anerkannt noch I gebraucht." kommen die Worte: [S. 440] „und werden vom Staate weder anerkannt noch gebraucht." in Wegfall. Art. 2. §. 10, welcher lautet: „Kein Staatsangehoriger darf einen Orden annehmen. Orden diirfen von Staatswegen nicht mehr verliehen werden." wird dahin abgeandert:

^ Vgl. auch Dok. 169/1.

[ 185/2] Abanderungsverordnung vom 18. November 1849

1561

„Kein Staatsangehoriger darf von einem nichtdeutschen Staate einen Orden annehmen." Art. 3. Zum SchluBsatz des §. 13, welcher lautet: „Hausdurchsuchungen diirfen nur auf Grund eines richterlichen schriftlichen Befehle I unter Beobachtung aller sonstigen gesetzlichen Formen vorgenommen werden." wird hinzugeftigt: „Die Ausnahmen bestimmt das Gesetz." Art. 4. §.15 erhalt den Zusatz: „Der Volkswehr 1. Abtheilung ist die Verhandlung tiber militarische Befehle und | Anordnungen in Versammlungen und Vereinen nicht gestattet." Art. 5. Die Bestimmung des §. 24: „Der vom Lehrer in der Schule zu ertheilende Religionsunterricht kann nur ein all= I gemeiner, d. h. ein Unterricht in der auf religioser Grundlage ruhenden Sitten= I lehre sein. Der kirchlich^konfessionelle ist ausgeschlossen und der Kirche zu tiberlassen," wird aufgehoben. Art. 6. Der zweite Satz des §. 68, welcher lautet: „Auch die Prinzen des Herzogl. Hauses dtirfen, insofem sie nicht in auswartigen | Diensten stehen, oder zu ihrer Ausbildung im Auslande eine Zeit lang sich aufzuhalten | genothigt sind, femer die verwittweten Gemahlinnen der Herzoge und Prinzen, sowie I die unverheiratheten Prinzessinnen des Herzoglichen Hauses, welche eine besondere Apa= | nage beziehen, einen dauemden Aufenthalt im Auslande ohne Zustimmung des Land= | tags, bei Verlust ihrer Apanagen zu Gunsten der Staatskasse, nicht nehmen" kommt in Wegfall; der SchluBsatz dieses Paragraphen erhalt folgende Fassung: „Die Prinzen des Herzoglichen Hauses bedtirfen zur Annahme auswartiger Dienste | der Genehmigung des Landtags. Auch ist der Landtag befugt, die Prinzen aus aus= | fS. 441] wartigem Dienste zuruckzubemfen. Wird der Zuruckberufung nicht gentigt, so tritt Ent= | ziehung der Apanage ein." Urkundlich unter Unserer eigenhandigen Unterschrift und beigedrucktem Herzoglichen In= I siegel. Dessau, 18. November 1849. Leopold Friedrich, Herzog zu Anhalt. | (L. S.) GoBler. Plotz. Vierthaler.

1562

§11: Anhalt-Kothen

[Dok. 179-187]

[185/3] „Verordnung, die im zweiten ordentlichen vereinigten Landtage beschlossene Abanderung einiger VerfassungsBestimmungen fur die Herzogthumer Anhalt-Dessau und Anhalt-Kothen betreffend", vom 25. IMarz 1850 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einfuhmngen" die Darstellung unter [629.]. Quelle: Gesetzsammlung fiir das Herzogthum Anhalt-Dessau, Bd. 5, 1850, Nr. 298, S. 1665-1666 (gedruckt).^ [185/4] „Provisorische Gesetze uber die Presse und uber das Versammlungs- und Vereinigungsrecht" nebst „PublikationsPatent" jeweils vom 26. Dezember 1850 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einfuhmngen" die Darstellung unter [632.]. Quelle: Anhalt-Cothensche Zeitung, vom 4. Januar 1851, Nr. 2, Beilage, S. 1 - 2 („Publikations-Patent"), S. 3 - 18 („Provisorisches Gesetz tiber die Presse"), S. 1 9 - 2 7 („Provisorisches Gesetz tiber die Verhtitung eines die gesetzliche Freiheit und Ordnung storenden MiBbrauchs des Versammlungs- und Vereinsrechtes") - (jeweils gedruckt).^ [185/5] Verordnung, „die Aufhebung der Verfassungsurkunde fiir das Herzogthum betreffend", vom 4. November 1851 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einfuhmngen" die Darstellungen unter [636.] [673.]. Quelle: Anhalt-Cothensche Zeitung vom 5. November 1851, Nr. 89, Beilage, S. 1 - 3 (gedruckt).^ [S.l] Verordnung, | die Aufhebung der Verfassung | fur das | Herzogthum Anhalt-Kothen | betreffend. Wir, Leopold Friedrich, von Gottes Gnaden altestregierender | Herzog zu Anhalt, Herzog zu Sachsen, Engem und Westphalen, | Graf zu Askanien, Herr zu Zerbst, Bemburg und Grobzig, etc. etc. etc. | fiigen hiermit fur Uns und Unseres Herm Vettem, des regierenden Herzogs | zu Anhalt=Bemburg, Herm Alexander Karl, Liebden, fur das Herzog= | thum Anhalt=K6then, zu wissen, wie folgt: Als Wir die Verfassungs=Urkunde fiir das Herzogthum Anhalt=Kothen vom | 28. Oktober 1848 veroffentlichten, herrschte die allgemeine Voraussetzung vor, | daB die damals in Aussicht stehende Neugestaltung der inneren politischen Ver= | haltnisse und staatlichen Organisationen sammtlicher deutscher Lander auf einer | im Wesentlichen gleichen Gmndlage verwirklicht werden wtirde, wie diejenige, | auf welcher die gedachte Verfassung errichtet worden ist. Die Wendung der politischen Angelegenheiten in Deutschland im Laufe | des vorigen und dieses Jahres hat jedoch diese Voraussetzung, unter welcher | die Verfassung des Herzogthums allein Bestand haben konnte, nicht eintreten | lassen. Vielmehr ist das friihere Bundesrecht, da eine Einigung iiber die | erstrebte Neugestaltung Deutschlands nicht Statt ^ Identisch mit dem Text unter Dok. 169/2. ^ Abgesehen von der Paginiemng (,,1891" - ,,1917" [Dok. 169/3] und „1" - „27" [hier]) identisch mit dem Text unter Dok. 169/3. ^ Vgl. auch Dok. 169/4.

[185/5] Aufhebungsverordnung vom 4. November 1851

1563

gefunden, in voller Geltung | bestehen geblieben, und die deutschen Regiemngen haben demzufolge durch die | unterm heutigen Tage von Uns in GemaBheit Unserer bundesfurstlichen Pflicht | [S. 2] publizirten Bundesbeschliisse vom 23. August d, J. nicht nur die sogenannten | deutschen Grundrechte, soweit sie mit den Bundesgesetzen oder Bundeszwecken | im Widerspruche stehen, aufgehoben, sondem auch festgesetzt, daB die den | Bundes= Grundgesetzen zuwider laufenden, namentlich seit dem Jahre 1848 ge= | troffenen staatlichen Einrichtungen und gesetzlichen Bestimmungen mit den Bun= | desgesetzen wieder in Einklang zu bringen seien. Da nun die Verfassung vom 28. Oktober 1848^ sammt ihren Nachtragen | vom 18. November 1849'' und 30. Marz 1850*^ mit dem bundesrechtlichen | Grundsatze, daB die gesammte Staatsgewalt in dem Oberhaupt des Staats | vereinigt bleibe, und das monarchische Prinzip in der Austibung der den | Standen zugestandenen Rechte unverletzt erhalten werde, - insofem in Wider= | spruch steht, als nach derselben die Regierungsform auf dem Prinzip der I Theilung der Gewalten zwischen Ftirst und Volk beruht, dieselbe auch die durch [ den zweiten BundesbeschluB vom 23. August d. J.^ aufgehobenen Grundrechte | in sich aufgenommen hat, so wird der Fortbestand der Verfassung des Herzog= | thums, als Theiles des deutschen Bundes, unmoglich, und tritt dieselbe daher | mit der heute erfolgten Publikation der gedachten Bundesbeschliisse auBer Kraft | und Wirksamkeit. Anlangend die mit der Verfassung in Verbindung stehenden, namentlich | zur Ausfuhrung der in derselben enthaltenen Grundsatze getroffenen Einrichtungen | und erlassenen Gesetze, so verweisen Wir auf die von Uns hiertiber ebenfalls | unterm heutigen Tage erlassene Verordnung. So weit aber durch die Verfassung selbst und namentlich deren Tit. II. | fruher bestandene staats= und privatrechtliche Normen unmittelbar aufgehoben | worden sind, verordnen Wir hiermit, daB dieselben far die betreffenden Zu= | stande und Verhaltnisse wieder in Kraft treten. Nur bei der in §. 28 Nr. 1. | und 2. enthaltenen Aufhebung der, gewissen Grundstticken zugestandenen Hoheits= | rechte und der aus diesen Befugnissen, aus der Schutzherrlichkeit und Erb= | unterthanigkeit herstammenden personlichen Leistungen und Abgaben, behalt es | sein Bewenden. Femer versteht es sich von selbst, daB, so weit in dem ge= I nannten Titel der Verfassungs=Urkunde schon fruher bestandene Rechtsnormen | nur eine ausdruckliche Anerkennung gefunden haben, diese als solche fortgelten. [S.3] Zugleich haben Wir Vorkehrung getroffen, die Verfassungs=Verhaltnisse fur | Unser Herzogthum Anhalt=Kothen wie far Unser Herzogthum Anhalt=Kothen in | einer, den Bundesgesetzen entsprechenden Weise zu regeln, und haben zu dem | Ende eine Kommission emannt, welche auf Unsem Befehl am 1. Dezember d. J. | in Unserer Residenzstadt Dessau ihre Berathungen beginnen wird, worauf Wir | weitere EntschlieBung Uns vorbehalten. Urkundlich unter Unserer Hochsteigenhandigen Unterschrift und beigedrucktem | Herzoglichen Insiegel. Gegeben zu Dessau, am 4. November 1851. Leopold Friedrich, | Herzog zu Anhalt. | (L. S) GoBler.

^ Dok.185. ^ Dok. 185/2. "" Dok. 185/3. ^ Dok. 79.

1564

§11: Anhalt-Kothen

[Dok. 179-187]

[186] Bekanntmachung, „die Gultigkeit der durch die Verfassung abgeschafften Gesetze und Rechtsnormen betreffend", vom 18. November 1848 Quelle: Sammlung der in dem Herzogthume Anhalt-Cothen vom Jahre 1842 bis zum 1. Februar 1850 ergangenen Gesetze, Verordnungen und Verfiigungen, Vierter Theil, Zweite Abth., Cothen 1850, Nr. 1128, S. 245 - 246 (gedmckt). [S. 245] Bekanntmachung, | die Gultigkeit der durch die Verfassung abgeschafften Gesetze und | Rechtsnormen betr. Durch die Bestimmungen des Staats=Grund=Gesetzes und durch die veranderte Form | der Staats=Regiemng iiberhaupt werden viele neue Gesetze nothig, auf welche zum Theil | auch in der Verfassungs=Urkunde^ selbst hingewiesen wird. Bis zum ErlaB dieser neuen Ge= I setze bleiben jedoch die durch die Verfassung abgeschafften Gesetze und Rechtsnormen in Gtil= I [S. 246] tigkeit. Dies ist durch BeschluB des vereinigten Landtags ausdriicklich anerkannt, und wird | hierdurch zur allgemeinen Nachachtung bekannt gemacht. Cothen, den 24. November 1848. Herzogl. Staats=Ministerium. | GoBler.

[187] Bekanntmachung, „in Betreff der einstweiligen Gultigkeit der bislier bestandenen Gesetze etc.", vom 24. November 1848 Quelle: Sammlung der in dem Herzogthume Anhalt-Cothen vom Jahre 1842 bis zum 1. Februar 1850 ergangenen Gesetze, Verordnungen und Verfiigungen, Vierter Theil, Zweite Abth., Cothen 1850, Nr. 1128, S. 246 (gedmckt). [S. 246] Bekanntmachung | in Betreff der einstweiligen Giiltigkeit der bisher bestandenen Gesetze etc. Zur Beseitigung der Zweifel, welche beztiglich der Competenz der Gerichte, des Verhalt= I nisses der Kirche zum Staate und des Verhaltnisses der Schule zur Kirche entstanden sind, I wird hierdurch wiederholt bemerklich gemacht, daB zwar das Staats=Grund=Gesetz sofort nach | seiner Publication in Kraft getreten ist, daB jedoch bis zur Einftihrung der durch die Verfas= | sung hinsichtlich einzelner Gegenstande nothig werdenden Gesetze und neuen Einrichtungen die | in Betreff dieser Gegenstande bisher bestandenen Gesetze, Rechtsnormen und Einrichtungen | einstweilen in Giiltigkeit bleiben. Cothen, den 24. November 1848. Herzogl. Staats=Ministerium. | GoBler.

^ Dok. 185.

§ 12: Baden

[188] Landesherrliche Erklarung vom 13. August 1806

1567

[188] Landesherrliche Erklarung vom 13. August 1806 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einfiihrungen" die Darstellung unter [725.]. Quelle: Regierungs Blatt des Grosherzogthums Baden, 4. Jahrgang, (Nr. 18 vom 12. August) 1806, S. 55 - 57 (gedruckt). Sonstige Fundstelle: K. Glockner, Badisches Verfassungsrecht, 1905, S. 38 - 40. [S. 55] Wir Carl Friederich von Gottes Gnaden, Grosherzog von Baden, Herzog von | Zahringen u. s. w. I fugen hiermit zu wissen: Diejenige Veranderungen, v^elche in der Verfassung des stidlichen und westlichen Theils I des deutschen Reichs durch die ZeitEraugnisse herbeygefiihrt wurden, sind eben sowohl als I deren Beweggriinde aus der am ersten dieses an dem Sitz der seitherigen Reichsversammlung | gemachten Anzeige bekannt genug. Durch den rheinischen Bundes=Vertrag^, welcher jener | Anzeige^ als Grundlage vorausgegangen ist, ist Uns nicht nur nebst mehreren anderen Koni= | gen, Grosherzogen, und Ftirsten die voUig unbeschrankte Souveranitat garantirt v^orden, | sondem es ist Uns auch nebst einigen Erganzungen Unseres durch den Presburger Frieden | erhaltenen LanderZuwachses gegen Abgabe anderer entfemten Bestandtheile Unserer vorigen | Lande die Ausiibung der Oberhoheit tiber die Ftirstlich=Fiirstenbergische Lande (mit Ausnahme der Herrschaften Gundelfingen, Neufra, Tochtelfmgen, Jungnau, und des links der Donau | gelegenen Theils des Oberamts Moskirch.) tiber die ftirstlich Oranische Herrschaft Hagnau, die | furstlich Aerbergische gefurstete Grafschaft Thengen, die furstlich Schwarzenbergische Land= | grafschaft Klettgau, die graflich Leiningischen Aemter Billigheim und Neidenau, das Ftir= | stenthum Leiningen, die Besitzungen der Ftirsten und Grafen von Lowenstein Wertheim links | des Maynstroms (mit Ausnahme der Grafschaft Lowenstein, ihres Antheils an der Graf= | schaft Limburg Gaildorf, und der Herrschaften Heubach, Breuberg, und Habizheim) endlich | die ftirstlich Salm=Reiferscheid=Krautheimische Besitzungen nordv^arts der Jaxt zugewiesen | worden, unter welcher Oberhoheit die Gesezgebung, die Obergerichtsbarkeit, die Oberpolizey, I die MilitarHoheit und das Recht der Auflagen mit bestimmten fiir die Eigenthumsherren | und seitherige Regenten dieser Lande noch zu berichtigenden Modificationen enthalten ist. [S. 56] Diesem gemas erklaren Wir nun vordersamst samtliche Uns von Alters her angestammte, I dann durch den Ltineviller Frieden und darauf gefolgten ReichdeputationsReceB'^, ferner | durch den Presburger Frieden, endlich durch den rheinischen Bundesvertrag** Uns theils I zum Eigenthum, theils zur Ober= und Erbherrlichkeit erworbene Ftirstenthtimer, Graf= und Herr= | schaften, zu einem untheilbaren souveranen Staate und Grosherzogthum vereint, und nehmen | desfalls, mit der Beyseitsetzung der Kurfiirstenwtirde, den Titel eines Grosherzogs, gemas einer | besondem Bekanntmachung die aus Unserem GeheimenRathsCollegio desfalls ergehet, mit | alien der Koniglichen Wtirde anhangigen Rechten, Ehren und Vorztigen an Uns, treten sofort | auch in den neu unter Unserer Oberhoheit anerwachsenen Landen die Regierung hiemit an, ordnen | und wollen sonach, daB solche von denen Besitzem und Eigenthiimem einstweilen an Unserer | statt in Unserm Namen ausgetibt werde, bis Wir, nach berichtigter Einraumung dieser | Lande von Seiten der Kai-

^ ^ ^ d

Dok.4. Dok.2. Dok.l. Dok.4.

1568

§12:Baden

[Dok. 188-251]

serlich franzosischen Gevollmachtigten, liber die nahere Form der | Ausiibung und der Art der Ausscheidung der Patrimonial Hoheit und Jurisdiction der Uns neu | zugewandten Stande (mit deren Regulirung Wir Uns unverzuglich beschaftigen werden) die | nahere Ordnung zu geben Uns in dem Stande befmden. Wir erwarten inzwischen, daB die Be= | sitzer dieser Uns zugewandten Lande alien femem Zusammenhang, Unterwtirfigkeit und Verbin= | dung mit ehemaligen Reichstaats= Lehens= oder Justiz^Stellen, so wie alle Zahlung von Reichs= | und Creis= Kriegs= Staats^ oder JustizSteuem (letztere nemlich die Kammergerichtszieler jedoch | nur von nachstem HerbstmeB=Termin an, als nach welchem solche bis auf weitere Anordnung | ganz einzustellen, dort aber noch letztmals zu zahlen sind,) und die Creissteuem (doch nur mit Aus= | schreiben gemas fortbezahlt werden sollen) zu untrlassen bedacht seyn werden, daB sie alle in | Ihrer obersten Landes=Instanz abgethane Sachen, welche vorhin an die Reichgerichte in liohe= | rer Instanz schon erwachsen sind, oder femer noch zu erwachsen hatten, allein bei Unserm | Oberhofgericht in Bruchsal fortzusetzen, oder anzubringen, und verhandeln zu | lassen anordnen, und keiner fremden richterlichen Verfiigung oder Urtel, die | nach Verkundigung dieses ergehet, in Unserem obgedachten souverainen Staate zulassen, | oder daB sie angezogen oder befolgt werde, dulten werden; Wir versichem dagegen, daB Wir | die uns zugewandte Ftirsten und Grafen, so wie deren Diener und Unterthanen gemas dem | Bundesvertrag nach Billigkeit behandeln, die desfallsige Wunsche, welche jene Patrimonial^ | Herrschaften Uns vorzutragen zweckmasig finden, geme vemehmen, in Unsrer Weisheit wagen | und nach aller Thunlichkeit zu erhoren Uns bestreben werden. Ueber die Eingangs erwahnte Uns als Entschadigungs^Erganzungen zugekommene Orte, | so wie liber jene reichsritterliche und ritterordnische Ortschaften, welche Uns sowohl Kraft fru= I [S. 57] herer Rechtstitel, als besonder auch Kraft des vorhin angezogenen rheinischen Bundes=Ver= | trags theils zum Eigenthum und Oberherrlichkeit, theils allein in letzterer Beziehung zugefallen, | behalten Wir Uns das Weitere bekannt zu machen und anzuordnen aus bewegenden Ursachen | noch bevor, und bleiben inzwischen alien Unsem Angehorigen und Unterthanen mit Landesvaterlicher Huld und Gnade geneigt. Gegeben Baden den 13. Aug. 1806.

[188/1] Publicandum iiber die Annahme der GroRherzogwurde vom 14. August 1806 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einfiihrungen" die Darstellung unter [725.]. Quelle: Regierungs Blatt des Grosherzogthums Baden, 4. Jahrgang, (Nr. 18 vom 12. August) 1806, S. 57 (gedruckt). Sonstige Fundstellem K. Glockner, Badisches Verfassungsrecht, 1905, S. 4 0 - 4 1 ; E. Walz (Hrsg.), Die staatsrechtlichen Gesetze Badens einschlieBlich der Kirchengesetzgebung, 1911,8.37.

[188/2] Landesherrliche Verordnung vom 22. August 1806

1569

[S. 57] Publicandum. In Gefolg der Erklarung, welche an dem bisherichen Reichstag zu Regensburg von den sou= I verainen Hauptem des neuen Rheinischen Bundes abgelegt worden ist, und mit deren die Wurklich= | keit des Kurftirstlichen Amts und die Angemessenheit des davon gefiihrten Titels erloschen ist, | haben Unser durchlauchtigster Souverain vermog hochstdero Edicts gnadigst geflinden, | statt des bisherigen Kurfiirsten Titels jenen eines Grosherzogen von Baden, Herzogen von | Zahringen anzunehmen. Indem Ihro des Grosherzogen Konigliche Hoheit dieses Hochstdero | sammtlichen hohen und niedem Dienem, ReichssaBen und Unterthanen hierdurch vorlaufig | kund machen, behalten Sie Sich vor, diejenige nahere Bestimmung Ihres Titels und Wap= | pens, welche hierdurch herbeigefuhrt wird, sammt jenen Veranderungen, welche sich dadurch | in den Dispositionen des eilften und zwolften Organisations=Edicts ergeben, demnachst in einer | weitem ausfuhrlichen Verordnung kund zu machen: inzwischen dient zur Norm, daB in alien | Eingaben an Sie, die Anrede: Durchlauchtigster Grosherzog und im Con= | text: Euer Koniglichen Hoheit: in der Aufschrift aber: Seiner Koniglichen | Hoheit dem Grosherzog, sodann in alien Ausfertigungen die ihren Titel fuh= | ren, einstweilen nur der obgedachte abgektirzte Titel: Wir Carl Friedrich von Gottes | Gnaden, Grosherzog von Baden, Herzog von Zahringen u. s. w. ausserdem aber von den | Dicasterien und Landesstellen das Pradikat: Grosherzoglich statt Kurfurstlich von I sich, zu gebrauchen sey. Verordnet im Grosherzoglichen geheimen Rath den 14. August 1806 Grosherzoglich Badische geheime Rathe.

[188/2] Landesherrliche Verordnung, die Titulatur des GroRherzoglichen Hauses betreffend, vom 22. August 1806 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einfuhrungen" die Darstellung unter [725.]. Quelle: Regierungs Blatt des Grosherzogthums Baden, 4. Jahrgang, (Nr. 19 vom 2. September) 1806, S. 59 - 60 (gedmckt). [S. 59] Landesherrliche Verordnung. | a.) Die Titulatur des Grosherzoglichen Hauses betreffend. Se. Konigliche Hoheit der Grosherzog haben zu resolviren gnadigst geruht: 1) fur Sich Selbst den Titel: | Franzosisch: S o n A l t e s s e R o y a l e M o n s e i g n e u r le G r a n d D u e de B a d e n : | zu flihren, und Sich von andem Personen solchen beilegen zu lassen, sodann genehmigt, daB 2) Hochst Ihr Herr GroBSohn den Titel: | Franzosisch: S o n A l t e s s e M o n s e i g n e u r le G r a n d D u e h e r e d i t a i r e de Baden. Teutsch: | S e . H o h e i t d e r E r b g r o B h e r z o g , annehmen; und Hochstdesselben Frau Gemahlin den Titel: | Teutsch: | Ihro Kayserliche Hoheit die ErbgroBherzogin, Franzosisch: | Son Altesse Imperiale Madame la Grand Duchesse hereditaire fuhren; | Femer 3) daB die Durchlauchtigsten nachgebohmen Prinzen den bisherigen | StammTitel: Marggraven zu Baden beybehalten, und daB sowohl Hochst Sie als die sammtliche | [S. 60] Durchlauchtigste Prinzessinen ihres Hauses, nehmlich der verwittweten Frau | Marggrafin, der Frau Prinzessin Friedrich und der Frau Prinzessin Amalie | Hochfurstliche Durchlauchten hinfort des deutschen Pradikats | H o h e i t; | Franzosisch: | A 1 t e s s e |

1570

§ 12: Baden

[Dok. 188-251]

Sich bedienen; | welches andurch zu Jedermanns Wissenschaft und Nachachtung bekannt gemacht wird. Aus dem GroBherzoglichen GeheimenRath vom 22. Aug. 1806.

[189] „Constitutiv-Reskript uber die Organisation des GroRherzoglichen Geheimen Rats-Collegii" vom 20. Marz 1807 Quelle: Regierungs=Blatt des GroBherzogthums Baden, 5. Jahrgang, (Nr. 11 vom 17. April) 1807, S. 35 - 42 (gedruckt). [S. 35] Landesherrliche Verordnung. Constitutiv=Rescript, liber die Organisation des GroBherzoglichen Geheimen Raths= Collegii. Wir Carl Friedrich von Gottes Gnaden Grosherzog von | Baden, Herzog von Zahringen etc. etc. geben anmit manniglich, den es betrift, zu vemehmen. Da Wir in Unserm Edict vom 4. Febr. 1803 liber die Oragnisattion der obersten oder | directiven oder der mittleren oder administrativen StaatsVerwaltung in dessen zweiten Artikel, I die Verfassung Unseres GeheimenRathsCollegii bestimmen, konnten Wir den inzwischen ein= | getretenen mannigfachen Wechsel der Weltbegebenheiten und den dadurch entstandenen Drang | der Zeiten, so wenig als die nun daraus abgequollene groBe StaatsVeranderungen voraus= | sehen. Wann Erstere Uns nothigen, die zum Vollzug jener Verfassung erforderliche Geschafts= I Abtheilung in die bestimmte Ordnung sezen zu lassen, so bringen Uns Letztere die Nothwen= | digkeit unter Augen, sie jezo nicht langer unvollzogen zu lassen, zugleich aber einigen Modi= | ficationen Ihres Vollzugs statt zu geben. Demnach ist Unser Wille: E r s t e n s, Es bleibt zwar die bisherige collegialische Verfassung Unseres StaatsMini= I sterii als des Centralpunktes, auf den der Regent vorztiglich wiirkt, bestehen. Jedoch Z w e i t e n s, soil die dort schon verordnete Vertheilung desselben in Departements fur ge= I wisse Gattungen der Directiv=Gegenstande, die bisher noch nicht gehorig in Ordnung gekommen | ist, nun wirklich vollzogen werden, nur aber so, daB statt der vorher in jenem Edict be= | stimmten drey Abtheilungen, nun deren vier werden sollen, jede unter Vorsitz eines dirigie= | renden Ministers aus einer bestimmten Anzahl von Geheimen= und StaatsRathen, auch Ge= | heimen Referendarien bestehend, nehmlich: das Staats^Departement, das Justiz=Departement, | das Polizei=Departement, und das Finanz=Departement. D r i 11 e n s. Das StaatsDepartement unter Vorsiz des Ministers der auswartigen An= | gelegenheiten berabeitet und fertigt aus, alles was FamilienVerhaltnisse oder nachbarliche Be= I ziehungen betrift, oder untrennbar beruhrt, [S. 36] namentlich 1) Alle Familien und Hausangelegenheiten, HausVertrage, und was sonst noch in das Pri= I vatFtirstenrecht einschlagt, es mag nun den regierenden Stamm oder 2) die nachgebohme des Hauses, deren Appanage, Einrichtung, Verheurathung betreffen,= I oder sonst sie personlich beriihren. | So weit sie hingegen als Besizer von Gtitem oder Stan= | desherrschaften bei einem Geschaft in Betracht kommen; so fallt solches in diejenige Abthei= | lung, welcher alle andere Geschafte gleicher Art angehoren.

[189] Constitutiv-Reskript vom 20. Marz 1807

1571

3) Die Angelegenheiten des Hofstaats, Ausfertigung der Patente zu Hofchargen, Annahme | und Abschaffiing der Hofdienerschaft, mit Allem dahin gehorigen, so lange nicht eine Ver= | anderung oder Verwaltung der StaatsAusgaben fiir diesen Zweig der Staatsbedtirfnisse in | Frage steht, welches zu dem Finanzrath gehoren wiirde. 4) Die Angelegenheiten der dem Hof angehorigen Anstalten, als Bibliothek, KunstKabinette, | Theater u. d. gl. jedoch nur soweit von der Direction die Rede ist, sintemalen der hierauf zu | machende Aufwand zu dem Ressort des FinanzDepartements gehoret. 5) Die Polizei bei Hofe. 6) Alle Angelegenheiten, die allgemeine Festsetzung der RangVerhaltnisse und jene die Handha= | bung derselben bei Hof betreffend; die Handhabung im Land gehort fur das JustizDepar= | tement. 7) Alle Hof= und StaatsCeremonial, Courtoisie und Titular Sachen. 8) Alle Ordens und Hof= oder Civil=Uniforms Angelegenheiten. 9) Alle diplomatischen Angelegenheiten, als Verhaltnisse mit auswartigen Souverains, Tracta= | ten, Krieg= und Friedens=Sachen, Rheinische BundesAngelegenheiten, Verhandlungen | mit Gesandten und Agenten auswartiger Hofe, Vorstellungen bey StaatsAudienzen u. s. w. 10) Die Anstellungen der Gesandten bei fremden Hofen, und Vorschlagung des Gesandt= I schaftsPersonals, so wie iiberhaupt; 11) Die StandesPolizei, mithin alles, was die Aufnahme in einen gewissen Stand, Er= | theilung von Adelsbriefen, Characterisirungen solcher Staatsbiirger, die nicht schon Diener | und dadurch einer einzelnen MinisterialAbtheilung zugewiesen sind, Aufsicht auf die Adels= | bticher oder Register u. d. gl. betrift. 12) Alle DienstAnstellungen und Beforderungen der, dieser Abtheilungen angehorigen, oder I ihres Diensts wegen unter ihren GeschaftsCrais geeigneten Personen. Endlich [S. 37] 13) Alle Grenz= und Hoheits=Verhaltnisse gegen das Ausland, beide jedoch alsdann erst, I wenn sie von dem betreffenden Ministerio des Innem, als zu diplomatischen Verhandlun= | gen geeignet, dahin gegeben werden V i e r t e n s. Das Justiz=Department unter Vorsiz des JustizMinisters hat alle jene Ge= | schafte des Innem, welche vomehmlich die Aufrechterhaltung der bestehenden Rechte und Ver= I haltnisse aller Staatsbiirger aller Classen zum Zweck haben: namentlich 1) Die Oberaufsicht liber alle hohere und niedere Gerichte im Lande, und liber die gesammte | Verwaltung der Streit= und Strafgerechtigkeitspflege, so wie 2) den Vorschlag, oder nach Befinden die Prtifung eines von anderen Stellen einkommen= | den Vorschlags zur Besetzung der hohem oder niedem Justizstellen. 3) Alles was die Leitung der GerichtsPolizei einschlagt, mithin auch das dahin einschla= I gende Tax= und SportelWesen, den gerichtl. StempfelPapier Gebrauch, das Notariats= | Wesen, das DepositenWesen, Gerichtsboten, Flirsprecher und Anwalde u. d. gl. inglei= | chem die Ertheilung der Moratorien anlangt. 4) Die ganze Rechts= und StrafGesezgebung (die polizeiliche also ausgenommen) das heiBt, I jede womit die Strafe natlirlich verbotener Handlungen bestimmt oder geandert, liber die | Verhaltnisse der Staatsbiirger unter einander in Bezug auf Mein und Dein Vorschriften | gegeben, ihren Handlungen zum Behuf der Gliltigkeit, Formen, oder zum Behuf ihrer | Deutung in zweideutigen Fallen, Normen vorgemessen, oder irgend etwas, was die Art | ihrer gerichtlichen Ausfuhrung betrift, geordnet werden soil. 5) Die zur Regentenamtlichen Cognition erwachsenden personliche und FamilienAngelegenheiten | der Standesherren und die OberAufsicht liber die ihnen zur Verwaltung liberlassenen | Staatsgerechtsame, liber die dazu angeordnete Stellen, mithin

1572

§12: Baden

[Dok. 188-251]

die Handhabung ihrer | Freyheiten einseits und die Oberherrlichkeit tiber sie andererseits. 6) Das Gleiche bei dem LandAdel und alien mit besonderen RechtsVerhaltnissen versehenen | UnterthanenClassen, so weit es von den ProvinzStellen, denen die Besorgung hiervon zu= | nachst obliegt, an die oberste Staatsbehorde erwachst. 7) Alle LehenSachen, es seyen Thronlehen, Ritterlehen oder Cammerlehen (bloBe gemeine | Gutslehen, werden als DomainenVerwaltungsGegenstande, wann sie an die OberstBehorde | erwachsen, durch den Finanzrath erledigt.) Jene hingegen sind alle unmittelbar hierher zu zie= | hen: Da ktinftig nur ein einiger Lehenhof Unseres Grosherzogthums bestehen, und in die= | ser Abtheilung des Geheimraths besorgt werden soil. [S. 38] 8) Die Hoheits= und Grenzstreitigkeiten mit Standes= oder Grundherren, so lange sie nicht I in diplomatischen Wegen in Hinsicht auf Mitbefangenheit eines auswartigen Staats be= | handelt werden mtissen; ingleichen alle Vorsorge fur Erhaltung der Grenzen und Hoheits= | Rechte, welche in diese Categorie gehoren. 9) Die Aufsicht iiber die einzurichtende Landtafeln oder Erb=Kauf und HypothekenBticher, | iiber CanzleisaBige Giiter und tiber das Creditwesen der CanzleisaBigen. 10) Die Reclamationen tiber Krankungen wohlerworbener rechte durch StaatsEinrichtungen | oder Staatsmaasnahmen, aus welcher Stelle diese nun ausgefloBen seyen. 11) Die Ehepolizei, mithin alles, was Leitung oder Auflosung der Ehen und des ehelichen I Standes betrift. 12) Die Direction des GeneralLandesArchis. 13) Den Vorschlag der Besezung aller zu dieser Abtheilung gehorigen Stellen und Dienste. F t i n f t e n s , Das PolizeiDepartment unter Vorsiz des PolizeiMinisters besorget alles, | was die Leitung der einzelnen Staatsbtirger und Anstalten zum allgemeinen Staatszweck | betrift, mithin die Staats= und OberlandesPolizei in ihrem ganzen Umfang, geistlich und | weltlich, wohin alles verfallt, was nicht bestimmt einer der vorigen MinisterialAbtheilungen I oder dem GeheimenFinanzDepartement zugewiesen wird: Namentlich gehort hierher: 1) die OberAufsicht tiber den LandesBischof und dessen Vicariat, so wie tiber die protestan= | tische Consistorien. 2) Die Verhaltnisse mit dem Romischen Hof und der catholischen Hierarchic. 3) Die Erledigung aller Angelegenheiten, welche Kirchen= Pfarr= und hohe und niedere Schul= | dienste betreffen. 4) Die Kirchen= Schul= und Sitten=Polizei, wohin auch alles gehort, was in die Lithurgie, das | Studienwesen, geistliche Dispensationen u. d. gl. einschlagt. 5) Die OberAufsicht tiber Universitaten, Licaen, Gymnasien, Padagogien und Mittelschulen. 6) Die Sorge fiir alle dem Kirchen= und Studien= oder Schulwesen bestimmte Baulichkeiten. 7) Sammtliche die allgemeine LandesPolizei betreffende Gegenstande, als die BevolkemngsListe, | Volkszahlungen u. d. gl. 8) Die SubjectionsPolizei oder alles, was Annahme oder Entlassung der UnterthanenAufent= | haltsGestattung ftir Fremde, Vereigenschaftung zu diesen oder jenen Freyheiten und deren Ver= | leihung und Einweisung in die desfallsige Schranken angeht.

[189] Constitutiv-Reskript vom 20. Marz 1807

1573

[S. 39] 9) Die Grenz, und MarkungsPolizei, nehmlich die Vorsorge fiir richtige Beobachtung und I zeitige Verbesserung der Landes= Bann= und GutsGrenzen, und die Leitung aller desfallsigen An= | gelegenheiten, so lange sie nicht zu einer der vorhergehenden Abtheilungen gehoren. 10) Die GesundheitsPolizei mit der Aufsicht auf die GeneralSanitatsCommission und alle da= | hin einschlagende Angelegenheiten, ingleichen auf die IrrenhausAnstalten. 11) Die FeuerPolizei, und die BrandVersicherungsAngelegenheiten. 12) Die StrafenPolizeiSachen, SchiffahrtsSachen und Strom=Polizei. 13) Die Handlungs= Zunft= und GewerbsAngelegenheiten. 14) Die ArmenPolizei samt allem was die Versorgung der Armen, Kranken, Presthaften und I Waisen, inner= oder auBerhalb eigenen Anstalten betrift, also auch die Aufnahme und Be= | handlung in Spitalem, Waisenhausem, Arbeitshausem, und der Gang dieser Anstalten | selbst. 15) Die AufwandsPolizei nach alien ihren Zweigen. 16) Die SicherheitsPolizei, nebst allem, was zu deren Erhaltung und Wiederherstellung vor= I zukehren ist, 17) Die samtliche PostAngelegenheiten. 18) Alle OberpflegschaftsAngelegenheiten, es moge nun von Gemeinden, Kirchspielen, Korper= | schaften, Staatslnstituten oder einzelnen, wegen Jugend oder Gebrechen, in diese Categorie | einriickenden Personen die Rede seyn, sammt der VolljahrigkeitsErganzung (venia aetatis) MundtodErklarung u. s. w. 19) Die Aufsicht auf alle RegiemngsCollegien oder PolizeiStellen in den Provinzen, und 20) der Vorschlag der Besezung der in ober= oder unterer Ordnung in dieses Each gehorigen | Dienste, oder die Prufung der von mittleren Stellen dahin kommenden desfalsigen Vor= | schlage. Solchem nach S e c h s t e n s , Behalt das FinanzDepartment unter Vorsiz des FinanzMinisters al= | les, was die StaatsWirthschaft oder die Vermehrung, Verwaltung und Verwendung der | StaatsEinnahmen zum Gegenstand hat: namentlich: 1) Die Aufsicht auf die ProvinzCammem, General^ und Provinzial=Cassen und Staats-ein= | nehmereyen und den Vorschlag oder die VorschlagsPriifung in Bezug auf desfallsige Dienst= | besetzungen. 2) Die Leitung der allgemeinen StaatsEinnahmen und Ausgaben, Verfassung des desfallsigen I [S. 40] Staate, die dem Regenten zur Priifung und Genehmigung vorzulegen sind, und der jahr= | lichen Bilance iiber Zunahm und Abnahm des StaatsVermogens, Ausweisung tiber deren | Befolgung oder Ueberschreitung und ihre Ursachen. 3) Die oberste Aufsicht tiber das desfallsige Rechnungswesen der obem= und untem Stellen. 4) Die Besorgung des StaatsCredits und Schuldenwesens. 5) Alles was Erwerbung, Sicherstellung oder VerauBerung der Domainen zum Vorwurf hat. 6) Bewirthschaftung der herrschaftlichen KammerGiither und aller vom Staat betriebenen Ge= | werbe, Bergwerke, Goldwaschen, u. s. w. 7) Desgleichen die herrschaftliche WaldBewirthschaftung samt allem, was das Flozwesen und | den Holzverkauf betrift. 8) Die landesherrliche Fischerei= und Jagd=Angelegenheiten. 9) Die Wald= und Feld=Cultur-Pohzei. 10) Das Damm, Teich und FluB, auch StraBenBauwesen,

1574

§ 12: Baden

[DoL 188 - 251]

11) Die Stadt= und Land=Bau=Polizei. 12) Das Fabrikwesen sowohl, was Anlegung als Forderung und Direction derselben betrift. 13) Das Mtinzwesen und die MtinzPolizei. 14) Die SteuerPolizei oder alles, was Vermehrung oder Verminderung oder Veranderung I oder Steuer und Richtigkeit oder Unrichtigkeit ihrer Erhebung betrift, 15) Oberaufsicht tiber alle hohe Oberherrlichkeiten oder Abgaben, die von Landeshoheits I wegen, seye es tiberhaupt fur den Staat, wie zum Exempel Pfundzoll, Zoll, Stempfel= | Papier, oder fur gewisse bestimmungsmaBig Verwendungen, als Chaussee=Geld, Frohnd= | Geld u. s. w. einzuziehen sind. 16) Die Leitung aller Auflagen auf das Land zu gemeinen Landes=Bedurfnissen des gan= I zen oder einzelner Provinzen oder Amts=Bezirke. 17) Die Direktion des Marsch= und Transportwesens auch der Liefemngen fiir alle Kriegs= | Volker, besonders fur Fremde; immaBen fur die Einheimische der Kriegsrath I das Hauptwesen besorget. 18) Alle und jede Verpflegungs=Sachen und oekonomische Militair^Angelegenheiten, so weit I sie vom KriegsCollegium an diese Staatsbehorde gebracht werden miiBen. S i e b e n t e n s , Bei Allem diesem versteht sich von selbst, daB diese Geschafte=Vep= | theilung nicht den Zweck hat, alles an die oberste Behorde zu Ziehen was in eine dieser | [S. 41] Rubriken einschlagt, und damit die ganze StaatsVerwaltung, durch die Oberste verschlin= I gen zu lassen; sondem daB eine Angelegenheit, von welcher Gattung sie nun auch sey, nur | alsdann dahin kommen moge, wann sie entweder Personen verbindlich oder frey machen | soil, die unmittelbar unter der obersten Behorde stehen, oder wann nach den vorliegenden | und seiner demnachst nachfolgenden Ordnungen iiber die Administration oder mittlere Staats= |Verwaltung, diese solche ohne hohere Anfrage abzuthun, nicht ermachtiget ist, oder wann | gegen deren Erledigungen, wegen vermeintlicher Widerrechtlichkeit, Unbilligkeit oder Zweckwidri=^ | keit, ein Recurs an die hohere Staatsbehorde eintritt, oder wann aus irgend einem AnlaB | darinn, wegen anscheinend gewordener Vemachlassigung der Ordnung eine erkundigende und | nach Befmden verbessemde Einschreitung nothig wiirde. A c h t e n s, Wenn Wir hierdurch die in jenem Departement zu befolgende Geschafte ihm I so genau, als es immer moglich, zugemessen, such durch die bei jeder Abtheilung voraus= | geschickte General=Norm der Zuscheidung den GesichtsPunct angegeben haben, womach die | etwa unbenannte Geschafte leicht vertheilt werden konnen; so bleibt Uns in dieser Hinsicht | nur noch tibrig zu bemerken, daB diejenige Ministerial Abtheilung, in welche ein Geschaft | gewiesen ist, auch alle desfallsige Ausfertigungen klein und gros, sie mogen mit oder ohne | Regentenamtliche eigene Kenntnisnahme, mit oder ohne Dazwischenkunft des ganzen Geheimen= | Rats^Collegii verfaBt werden, zu besorgen habe; wohingegen da, wo ein Geschaft wesent= | lich in zweierlei Departements einschlagt, es nie ohne mtindliche Rticksprache mit dem Ande= | ren, die von kurzer Hand genommen werden kann und soil, besorgt, die Fertigung aber im== | mer in jenem Rath geschehen muB,

[189/1] Nachtrag vom 19. April 1807

1575

wohin es nach seinem Haupt=Gesichts=Punct gehort, | wo aber dieser etwa zweifelhaft ware, in jenem der oben in der Ordnung der Benennun= | gen der friihere ist. N e u n t e n s , Alle Unsere Landesstellen, Diener Unterthanen konnen sich, es ware | dann, daB sie eine bloBe Bitte um freie Gnaden=Verwilligungen aufbringen wollten, welche I Wir nicht als Regent zu bewilligen batten, sondem aus Unsem Privat=Mitteln ertheilen I konnten, nur dann an Uns selbst unmittelbar wenden, und mithin auf der Adresse ihrer | Eingaben: zu eigenen Handen bemerken, wann sie entweder ihrer Sache bei dem Ministerium | schon angebracht batten, und ihre Wtinsche nicht erreichten, sofort doch Griinde zu haben | glauben, durch deren Vorstellung sie hoffen, Uns zu einer andem Resolution bewegen zu | konnen, oder wenn sie Vortrage oder Anzeigen an Uns zu machen batten, die sie Nieman= | den als Uns Selbst zuerst anvertrauen zu konnen vermeinen. AuBer diesen drey Fallen mtiBen | [S. 42] alle Sachen, die an Uns zur Erledigung durch die oberste StaatsVerwaltung gebracht wer= | den sollen, auBer der allgemeinen Aufschrift an Uns zugleich die Bemerkung des Departe= | ments auf der Adresse enthalten, an welches nach obiger Ordnung die Sache gehort, und | nur, wann der Einsender sich nicht wohin es gehore, zu beurteilen getraut, ist ihm er= | laubt, bios die allgemeine Bemerkung: An das Geheime Raths=Collegium, beizusetzen. Z e h n t e n s , dienet zur Nachricht, daB vorerst und bis auf etwaige Aenderung der | Montag, fiir die Sitzungen des Staats=Departements und des Polizei=Departements, der | Mittwoch fiir die Sitzungen des Justiz= und des Finanz^Departements, und Freytag zu | den Sitzungen des vollen Raths bestimmt ist; auBerdem aber kleinere und vorbereitende oder | Eile habende Sachen an jedem Werktage expedirt werden. Indem Wir dieses zur allgemeinen Wissenschaft verkiinden, versehen Wir Uns auch, daB I jeder der irgend ein Artikel in seinem Theil beriihren kann, damach achte. Daran geschiehet Unser Wille. | Gegeben in Unserer Residenzstadt Carlsruhe den 20. | Merz 1807. (L. S.) Carl Friedrich. Vt. Frhr. von Geyling. Auf Seiner Konglichen | Hoheit Special Befehl. | L. Winter.

[189/1] Nachtrag vom 19. April 1807 Quelle: Regiemngs-Blatt des GroBherzogthums Baden, 5. Jahrgang, (Nr. 12 vom 21. April) 1807, S.43(gedmckt). [S. 43] Landesherrliche Verordnung. Nachtrag zu dem, durch das Regiemngsblatt NrOo 11 vom 17. April 1807. bekannt gemachten | Erklarungs=Edict, tiber die Organisation des GroBherzoglichen GeheimenRaths= | Collegii. ddo. Carlsruhe den 20. Marz 1807. Carl Friedrich von Gottes Gnaden, Grosherzog von | Baden, Herzog von Zahringen etc. etc. Wir finden Uns gnadigst bewogen, zu Vermeidung aller aus Unserm ErklarungsEdict | tiber die Organisation Unsers GeheimenRathsCollegii vom 20. vorigen Monats etwa | entspringenden Missverstandnisse, und zur genauen Erlauterung des siebenten Artikels | von ersagtem Edict andurch ausdrucklich zu bestimmen und festzusezen, daB Uns alle | jene in dessen dritten Artikel verzeichnete, den Hof betreffende GeschaftsGegenstande, woru= | ber Wir bisher auf den unmittelbaren Vortrag des Obristkammerherm=Amts Unsere Ent= | schlieBung ertheilt haben, - ebenso auch forthin, zu aller Zeit und ohne Ausnahme, von |

1576

§ 12: Baden

[Dok. 188-251]

ersagt Unserm Obristkammerherm=Amt unmittelbar zur Resolutions=Fassung vergelegt, und I daB alsdann erst, wann der Gegenstand eine Ministerial=Ausfertigung erfordert, oder Wir I es eigens befehlen, Unsere desfallsige hochste EntschleBung von dem ObristKammerherm= | Amt dem StaatsDepartement Unsers GeheimenRathsCollegii eroffnet, und somit ein Ge= | genstand der dortigen GeschaftsBehandlung werden solle. Gegeben Carlsmhe d. 19. April 1807. Carl Friedrich.

[190] Erstes Konstitutionsedikt, „die Kirchliche Staatsverfassung des Grosherzogthums Baden betreffend", vom 14. Mai 1807 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einflihrungen" die Darstellung unter [731.]. Quelle: Erstes ConstitutionsEdict die Kirchliche Staatsverfassung des Grosherzogthums Baden betreffend, Carlsmhe (Macklots Hofbuchhandlung) 1807, S. 1 - 40 (gedruckt). [S. 1] Erstes | ConstitutionsEdict | die | Kirchliche Staatsverfassung | des | Grosherzogthums Baden | betreffend.^ [S.3] Carl Friedrich von Gottes Gnaden | Grosherzog von Baden, Herzog von Zahringen, | u. s. w. Ober= und Erbherr zu Furstenberg, Baar | und Sttihlingen, samt Heiligenberg, Hansen, M6s= I kirch, HohenHoven, Wildenstein und Waldsberg, | zu Leiningen, Mosbach samt Miltenberg, Amor= | bach, Dtiren, Bischofsheim, Hartheim und Lau= | da; zu Klettgau; zu Thengen; zu Krautheim; zu | Wertheim; zu Reudenau und Billigheim; auch zu | Hagenau etc. Nachdem durch Aufhebung der Kraft aller ehe= | maligen Grundgeseze des deutschenReichs die Ver= | fassung aller derer Lande schwankend und unsicher | geworden ist, deren RechtsZustand vorhin durch | jene Geseze regiert wurde: so fmden Wir unum= | ganglich nothig, die Stelle jener veralteten Grund= | geseze mit neuen der Lage Unseres Grosherzog= I thums angemessenen zu ersezen. Da jedoch dieses | [S. 4] weitlauftige und schwere Werk nur nach und nach | gezeichnet und ausgefuhrt werden kann; so wollen | Wir da, wo es am dringendsten zu seyn scheint | mit einzelnen ConstitutionsEdicten in das Mittel | treten, aus deren Verbindung seiner Zeit die Con= | stitution Unseres ganzen Staats nach alien seinen | Theilen hervorgehen moge. Diesem SchluB zu= | folge geben Wir tiber | die kirchliche Staatsverfassung | Unseres Grosherzogthums Unseren Willen in ICraft | einer pragmatischen Sanction und eines ewigen | Grundgesezes in nachfolgendem anmit zu vemehmen: Kirchliche Staatsbtirgerschaft. 1) jeder Mensch wes Glaubens er sey, kann | Staatsbtirgerrecht genieBen, so lang er keine Grund= | satze bekennt oder tibt, die der Unterwtirfigkeit un=| ter den Regenten der Vertraglichkeit mit andem | Staatsbtirgem, der offentlichen Erziehung, oder I den guten Sitten Abbruch thun. Niemand kann | zu Abwendung irgend einer StaatsAnforderung ei= | ne Unvertraglichkeit derselben mit seinen Religions= | Grundsazen anfahren, der nicht mit bestimmter | Beziehung auf solche ReligionsGrundsaze seine | StaatsDuldung erlangt hat, welcher leztere Fall | [S. 5] alsdann vorhanden ist, werm jemand durch offentli= | ches BekenntniB zu einer schon im Lande vorhan= | denen besondem Kirche sich halt, oder die Summe | seiner von den LandesKirchen abweichenden Glau= | bensSaze urkundlich zu den StaatsActen vor I der Annahme zum Btirger, oder spaterhin, als | er diese Ueberzeugung ergriff,

Deckblatt. - Seite 2 bleibt leer.

[190] Erstes Konstitutionsedikt vom 14. Mai 1807 1577 tibergeben und der | Staat daraufhin seine Annahme verfiigt, oder sein | femeres Bleiben verwilligt hat. Umgekehrt kann | auch niemand eine Abweichung seiner Religions= | Ueberzeugnng anfuhren, um den Auflagen der Kir= | chengewalt, deren er unterliegt, zu entgehen, oder | Staatsschutz dagegen aufzurufen, so lang er sich I nicht von der Gemeinschaft dieser Kirche offentlich | lossagt. Kirchliche Ortsbtirgerschaft. 2) Kein Staatsbtirger kann auf das Btirger^^ | recht eines besondem Orts Anspmch machen, wann | er nicht zu derjenigen Kirche, oder zu einer derje= | nigen gehort, die dort zur Theilnahme am Orts= | btirgerrecht durch die GrundGeseze oder durch be= I sondere Rechtstittel fahig erklart sind. Erlanget er | es an einem Ort, wo es dieser Regel nach nicht | statt finden mochte, durch besonder Gnade des Re= | genten; so bleibt es ohne Folge fur seine mann= | lich Nachkommenschaft: wenn diese nicht in der | [S. 6] OrtsReligion erzogen wird. Auch kann kein Btir= | ger an einem Ort, wo seine Kirche nicht das | Recht einer Religionstibung mit pfarrlichen Rechten, I sey es als Haupt= oder als FilialKirchspiel, ge= | nieBt, zu OrtVorsteher= oder RichterStellen ge= | langen, ohne einhellige Emennung derer, wel= | chen die Wahl zusteht. Einhellig aber ist jene, | wozu wenigstens Neun Zehntheile der Stimmbe= | rechtigten einstimmen. Das weibliche Geschlecht | hingegen, wo es in den Fall kommt, zum Behuf | einer Heurath ein Ortsbtirgerrecht zu suchen, kann | nirgends um der Religion willen davon ausge= | schlossen werden. Kirchliche Concurrenz im | Ortsbtirger Recht. 3) Jede Stadt, welche nach Unserer neuen Con= | stitution mit der CanzleysaBigkeit begnadigt bleibt, | ingleichem jede wo der Sitz eines Provinz Collegii | oder der obersten StaatsVerwaltung aufgestellt ist, | gilt alien drey christlichen Consessionen fur off en. | Diesem zufolge kann jene Parthie, welche dort keine | Religionstibung hat, daselbst dennoch Btirgerrechte | fur ihre Genossen verlangen, auch einen vollstandi= | gen PrivatGottesdienst begehren, sobald sie die | Mittel zur Unterhaltung desselben aufzubringen | weis, oder der Regent sie aus besonders bewegen= | [S. 7] den Grtinden anzuweisen gut findet: ob aber der | PrivatGottesDienst bis zu einem offentlichen er= | weitert werden solle, hangt von dem Belieben des | jeweiligen Regenten ab. Eine einmal ertheilte Er= | weiterung dauert, wenn sie nicht auf Zeit oder | auf Widerruf gegeben worden ist, so lang fort, | als sie nicht durch Missbrauch verwtirkt wird. Je= | de Stadt hingegen, welche nicht unter Eine der | vorgenannten Classen vereigenschaftet ist, so wie | jede Landgemeinde, soil in Bezug auf offentliche | und PrivatReligionstibung stets denjenigen Charak= | ter behalten, den sie bey Errichtung des Rheini= | schen BundesVertrags gehabt hat, mithin gemischt= I seyn, wo damals Genossen mehrerer Kirchen von | Staats=wegen ihre eigene Religionstibung hatten, | oder unvermischt, wo dieser Fall nicht eintrat. Wo | ein Ort gemischten Characters ist, da kann auch | derjenige Theil, welcher zur vorgedachten Zeit keine | Religionstibung im Ort selbst, oder keine | pfarrliche Rechte dabey hatte, die Eine oder | die Andere erlangen, wenn es dem Regenten ge= | fallt, solche zu ertheilen. Kirchliche Ortsduldung. 4) Der unvermischte Character eines Orts hin= | dert nicht, daB Personen anderer Religion, die I vom Adel oder DienerStande sind, ja selbst Per= | [S. 8] nen des Btirgerstands, wenn sie sonst irgendwo ein | vorhaltenes HeimathsRecht haben, und nur ohne I btirgerlich aufgenommen zu seyn, allda ihre Woh= | nung aufschlagen wollen, bis auf gut befindende | Aenderung hin daselbst ihren Aufenthalt nehmen, | nur

1578

§12: Baden

[Dok. 188-251]

daB dergleichen Personen, ihrer, seyen wenig | oder viel, nie verlangen noch erwarten k6n= | nen, daB der Staat um ihrentwillen Kirchen== und | Schul=Einrichtungen ihrer Religion dort mache. Kirchliche Selbststandigkeit. 5) Jeder Staatsbiirger jeden Standes und GQ= \ schlechts kann nach eigener freyen Ueberzeugung von | einer Kirche zu Andem, von einem Glaubensbe= | kenntniB zum Andem tibergehen, so bald seine | kirchliche ErziehungsJahre voniber sind, und er | mithin fiir ein selbststandiges Glied der Kirche aner= | kannt werden kann; wozu nur das zurixckgelegte | achtzehende Jahr fur zureichend anzusehen ist. | Niemand darf ein solches freygefaBtes Vorhaben | durch Zwang, Furcht, oder Zudringlichkeit hinter= | treiben, niemand aber auch auf einem oder dem an= | dem Weg jemanden zu demselben hindrangen, durch | jede ReligionsAnderung gehen alle kirchliche Ge= | sellschaftsRechte einer verlassenen Kirche verloren, | sie seyen hohe oder gemeine, dierective oder execu= | tive, Ehren= oder GenuB=Rechte: hingegen kann | [S. 9] nichts an allgemeinen staatsbtirgerlichen Rechten, | Ehren und Wtirden, nicht auch von wiirklich an= | getretenen weltlichen Amts= oder Ortsbtirgerlichen | Recht verloren gehen, es ware dann, was | AmtsRechte betrift, daB durch besondere und noch | femerhin verbindlich bleibende Geseze oder Vertrage | dazu eine besondere ReligionsEigenschaft erfordert | wurde, in welchem Fall mit dieser Eigenschaft auch | der Dienst aufgegeben werden muB. Aussichten zu | noch nicht erlangten Diensten oder Btirgerrechten | an ungemischten Orten werden aber dadurch aller= | dings beseitigt. ReligionsEigenschaft der Er= | ziehung. 6) Bis zum Eintritt in das obgedachte Unter= | scheidungsAlter mtissen alle junge Staatsbiirger und | Staatsbtirgerinnen in der Religion und Kirche ihrer | Eltem, und wo diese verschiedenen Glaubens sind, | in jener des Vaters erzogen werden, wenn nicht I obrigkeitlich protocollirte oder insinuirte und vor | Vollziehung der Ehe geschlossene Vertrage eine | andere ErziehungsRichtschnur aufstellen. Eine nach | dem Geschlecht getheilte Erziehung kann von alien | Verlobten, dahingegen, eine die Kinder beiderley | Geschlechts der Religion der Mutter zufuhrende | nur von jenen gtiltig bedungen werden, welche | [S. 10] auf eine btirgerliche oder hintersaBliche oder sonst | standige Niederlassung an einem solchen Ort heu= | rathen, wo nur die Kirche der Braut eine be= | rechtigte ReligionsUebung hat, zu deren MitgenuB | alle Kinder durch diesen Vertrag erzogen werden | sollen. Niemals kann flir eine Niederlassung an | gemischten Orten ein ErziehungsVertrag der lez= | teren Art zugelassen werden. Niemals kann | eine durch das Gesez, oder durch giiltige Vertra= | ge bestimmte ReligionsErziehung wahrend der | Ehe geandert werden. Der Tod eines Ehegatten | kann an jener ordnungsmasigen Bestimmung der | Kinder fiir eine oder die andere Kirche nichts an= | dem, auch kann keine Wandelbarkeit der Religions= I Erziehung nach Verandemng der gemeinen oder | ehelichen LebensVerhaltnisse der Eltem bedungen | werden; sondem ein solcher Beding gilt fiir nicht | geschrieben. Die ReligionsAendemng der Eltem, | sie geschehe von einem derselben oder von beiden, | kann an der Kirchenbestimmung jener Kinder, die | einmal das Schulalter erreicht haben, und in Schu= | len ihrer Kirche geschickt, mithin dadurch ihr ge= | widmet sind, oder den Jahren nach hatten ge= | widmet seyn sollen, nichts andem, sobald es gegen | die Neigung der Kinder mit Dazwischenkunft ausse= I rer Gewalt durchgesezt werden miisste: jiingere | Kinder aber konnen auf der Eltem binnen Jahr und | [S. 11] Tag nach der ReligionsAendemng vor ihrer Obrig= I keit erklartes Verlangen eben so wie Kinder die in | ihrer Eltem Wtinsche gut

[190] Erstes Konstitutionsedikt vom 14. Mai 1807 1579 sich fiigen, zu deren | neu angenommenen Kirche so weit erzogen werden, | als es auch wiirde haben geschehen konnen, wenn | diese an dem Ort wo die Ehegatten jezt sind, gleich | Anfangs schon als Bekenner der neu ergriffenen Re= | ligion ihre Ehe geschlossen hatten. Ehegatten die | aus dem Auslande einwandem, konnen im ersten | Jahr ihres hierlands angenommenen Staatsbtirger= | rechts noch all jenes tiber Erziehung ihrer Kinder | bedingen, was sie hatten bedingen dtirfen, wenn | sie sich erst in solchem Jahr im Land geheurathet | hatten: in dem UnterbleibungsFall werden ihre | kirchliche Ehegerechte lediglich nach dieser Constitu= | tion beurtheilt. Angewiinschte Kinder sind in der Re= \ ligion ihrer natiirlichen Eltem zu erziehen, wenn | nicht in der AnwiinschungsUrkunde ein anderes | bedungen ist, welches so weit geschehen mag, als | damit nicht gegen die Regel angestossen wird, daB I an ungemischten Orten Knaben in keiner andem | als der OrtsReligion erzogen werden diirfen. Find= | linge von unbekannten Eltem sind in der Religion | der Kirche zu erziehen, in welcher sie getauft wor= | den, wann desfalls ein Zettel beiliegt; andem= | falls in der Religion dessen, der sie aus christlicher | Liebe zur Erziehung auf seine Kosten mittelst aus= | [S. 12] drticklicher gerichtliche Verpflichtung dazu iiber= | nimmt, oder in Ermanglung eines solchen in der | Religion des Orts, wo sie gefunden werden, und | wenn dieser im Sinn dieser Constitution gemischt | ware, in der Religion des ersten Finders. Aufgenommene oder geduldete | Kirche. 7) Nicht jede Kirche; das heiBt Sammlung | von Menschen unter eine eigne fur die Religions= I Uebung bestimmte gesellschaftliche Verbindung genicBt | kirchliches Staatsbtirgerrecht, daB heiBt die Befug= | niB zu verlangen, daB sie als Religionsgesellschaft | im Lande anerkannt werde, und fiir ihre Kirchen= | Einrichtungen Staatsschutz geniese; sondem die | Evangelische (Lutherischen und Reformirten Theils) I und die Katholische sind allein ausgenommen, und | die jtidische ist constitutionsmaBig geduldet. Jeder | andem Kirche kann zwar durch das Ermessen des | Regenten, wenn eine hinlangliche Anzahl ihrer Be= | kenner vorhanden ist, oder einwandem will, eine | solche Duldung verwillig werden, wobey der Re= | ligionsCharacter der schon vorhandenen Orte nicht | gegen den Willen der Mehrheit der alten Ortsbe= | wohner verandert wird; aber eine solche besonde= | re Duldungs=Verwilligung versteht sich, auch wenn | es nicht ausgedmckt ware, mit Vorbehalt zeitiger | [S. 13] Aufkiindung, auf den Fall, daB in der Folge deren | Einnahme dem Regenten nicht mehr gefiele; und | sie giebt nur diejenige kirchliche Vorrechte und Frey= | heiten, die namentlich in der BewilligungsUrkunde | ausgedmckt sind. Fiir zeitig gilt jene Aufkiindung, | die zur Auswandemng ein Jahr und zum Verkauf | der Besizungen im Lande drey Jahre Frist gibt. | Weder StaatsAufhahme noch Duldung gibt ir= | gend einer Kirche ein Recht auch ein neues Etablis= | sement an einzelnen bei der Aufhahme nicht genann= i ten Orten des Landes, wo vorhin solche Kirche | keines hatte. Herrschende Kirche. 8) Die christliche Kirche bleibt in Beziehung auf | jede andere in dem Sinne in dem GroBherzogthum | herrschend, daB sie zu erwarten hat, es werde alle | RegiemngsGewalt und deren Ausiibung in directi= | ver und admistrativer Ordnung nur in die Hande | von Dienem niedergelegt werden, die aus ihrer | Mitte sind, womit aber andere ReligionsVerwand= | ten von exekutiven Dienststellen des Staats nicht | ausgeschlossen sind. Keine Religion aber, welchen | Namen sie fiihre, kann in dem Sinn herrschend | seyn, daB ihre Kirche verlange, irgend ein Stiick | der StaatsEinrichtung auf ihren einseitigen Vor= | theil abgewogen zu sehen, oder ihren Gliedem

1580

§12: Baden

[Dok. 188-251]

Vor= ! [S. 14] zuge fur die Theilnahme an irgend einem AusfluB | der allgemeinen staatsbtirgerrechtlichen Vortheile zu | geben; keine der drey vorgedachten christlichen Con= | fessionen, ist in Beziehung auf die andere herrschend, | keine also, kann denen ihr zugewandten Gliedem ei= I nen Vorzug vor Gliedem anderer Confessionen in | der Zulassung zu StaatsDiensten und EhrenVor= | ztigen gewahren; keine geduldete ReligionsGemein= | heiten oder deren Glieder konnen aus Riicksicht und |. Vorliebe fiir eine andere Religion ihrer constitutions= | oder concessionsmassigen Rechte entwahret werden. EigenthumsRechte der Kirche. 9) Jede Kirche, welche Staatsbtirgerrecht | genieBt, ist Eigenthums berechtigt. Sie kann | daher auf jede gesezmasige Art jedes Eigenthum | ktinftig erwerben. Keines das sie erwirbt, kann | aber dadurch, daB es in ihre Hande iibergeht, | einigen Vorzug oder Befreyung in Absicht auf | LandesUnterthanigkeit, Gerichtspflichtigkeit, auch I Steuerbarkeit und Dienstbarkeit erlangen; und | wtirde sie je dergleichen Vorztige fiir kirctiliche | Errungenschaft erlangt haben, oder femerhin | ausbringen, so sollen solche doch zu ewigen Tagen | nichtig und unkraftig seyn und bleiben, mithin | nicht einmahl dem Verleyher noch weniger | irgend einem Nachfolger im Wege stehen, solche | [S. 15] wieder abzuthun. Nicht weniger behalt auch jede | Kirche ohne Unterschied der Confession oder Re= | ligion alles dasjenige Eigenthum an Liegenschaf= | ten, Renten, Bauansprachen und beweglichem | Gut, das sie dermalen zum Gebrauch ihres Got= | tesdienstes auch ihrer Kirchen=Pfarr und Schul= I Einrichtungen wirklich und unbestritten besitzt, | ohne darinn zumal zu Gunsten irgend einer an= | dem Kirche geschmalert oder beeintrachtigt werden | zu konnen, der AuskunftsTitel ihrer Innhabung und | dessen Rechtswerth nach den altem Reichsgesezen | sey, welcher er wolle. Solches Vermogen kann | ihr daher niemals entzogen, mithin weder fur | blose Staatszwecke noch fiir Bediirfiiisse anderer I Religionsverwandten verwendet, wohl aber nach | Ermessen der Kirchengewalt mit GutheiBen des | Regenten zu andem Kirchenzwecken, als denen | es vorhin gewidmet war, bestimmt werden. Das Vermogen der Ordensgesellschaften gehort | nicht zu dem gesellschaftlichen Kirchen= sondem zu | dem gemeinen StaatsVermogen, und fallt dem= | nach, so oft jene aufgehoben werden oder erloschen, | dem Staat jedoch mit Lasten und Vortheilen | anheim, mithin auch mit der Pflicht, die fort= | dauemde kirchliche oder Staatszwecke, als Seel= | sorge, Jugend Unterricht, Kranken=Verpflegung | [S. 16] und dergl. anderweit hinlanglich zu begriinden. | Kirchen Vermogen, das jezo schon zwischen ver= | schiedenen Parthien im Streit liegt, hat von Uns | seine staatspolizeiliche Entscheidung zu erwarten, | und erst derjenige Stand, der durch diese Erorte= | rung hergestellt wird, genieBt obiger Rechtsge= | wahr. Erlaubter und unerlaubter | SimultanGebrauch. 10) Auch ein getheiltes oder gemeinschaftliches | Recht des Gebrauchs oder Genusses der Kirchen, | der Pfarr= und Schulgebaude, oder des kirchli= | chen Vermogens, das den Kirchspielen einer | oder der andem Confession angehort, soil unter | keinerley Vorwand eingefuhrt, noch mit irgend | einer Angabe der Unschadlichkeit gerechtfertigt | werden. Nur da, wo ein solches Simultaneum | jezo schon bestehet oder angeordnet ist, bleibet es | femer, so lang nicht die Theilhaber unter sich eine | Abtheilung einverstandlich beschlieBen, oder die | Staatsgewalt durch eine Auskunft, die jedem | Theil gleichheitlich und billig seine separate Kirchen= | Convenienz zuweiset, sich in den Stand gesezt hat, | ihre Theilungs=Anordnungen gegen etwaige eigen= | willige Hindemisse durchzusetzen, indem jede noch | bestehende

[190] Erstes Konstitutionsedikt vom 14. Mai 1807 1581 Gemeinschaft nicht zwar durch gericht= | [S. 17] liche Klagen, wohl aber durch Aufforderung der | Einschreitung der obersten Staatspolizey aufgeho= | ben, auch von einem Theil allein auf Theilung | gedrungen werden kann, sobald billige Theilungs= I Vorschlage gemacht werden konnen. Ftir einen | verbotenen Mitgebrauch soil jodoch derjenige nicht | geachtet werden diirfen, der nur fur einen Noth= | fall auf kurze Zeit z. B. wegen Brandschaden, | Kirchen==Ausbesserung, oder fur wandelnde Ge== | meinden, mithin fur voriibergehende Anlasse z. B. | fiir eingelegte Kriegsvolker verlangt wird. Hieru= | ber bleibt der Staatsgewalt jede Anordnung, wel= I che den GenuB der eigenthumsberechtigten Kirche | nicht schmalert oder hindert, unbenommen. Berechtigungen der Kirchen= | Gewalt. 11) Jede im Staat aufgenommene Kirche | kann verlangen, daB innerhalb des Grosherzog= I thums eine ihr zugethane Kirchengewalt, eingerich= | tet auf die Grundsatze ihrer Religion, bestehe und | anerkannt werde. Die Katholische insbesondere, | deren allgemeine KirchenVerfassung einen Mittel= | punct der GlaubensEinigkeit fordert, erwartet | mit vollem Recht, daB diese Central^ Stelle als | solche geachtet, und ihr all jener EinfluB unter | ihren Glaubens Genossen gestattet werde, welcher | [S. 18] zur Erhaltung der Einheit der Vorschriften ftir Glau= | ben und Leben der Kirchenglieder unentbehrlich | ist. Keine Kirche kann verlangen, daB ihrer Kir= | chengewalt eine einseitige Handlungsweise in Din= | gen gestattet werde, welche auf den Aufenthalt | im Staat und auf die Verpflichtungen gegen die= | sen ihre Wirkungen aussem, wo nicht durch diese | Constitution oder nachfolgende Staatsgeseze eine | solche Handlungsweise ihr bestimmt zugebilligt ist, | oder dazu im einzelnen Fall zuvor das Staats= | GutheiBen namentlich erwtirkt worden ware. | Noch weniger kann irgend Eine ihre Handlun= | gen der StaatsEinsicht und Aufsicht entziehen. | Ftir die Leitung ihrer Glieder zu einem bios in= | neren oder sittlichen Zweck, ingleichem zu einem zu= | nachst nur ausserlichen und kirchlichen ~ der aber | wegen der Beziehung auf das Innere mit jenem | eng verbunden - daher ihr vom Staat zugelas= | sen ware, kann jede Kirche Unterricht, Wamung, | Zuspruch, AusschlieBung von einzelnen kirchlichen | Vortheilen, und AusschlieBung von der Kirchen= | gemeinschaft anwenden, ohne dazu einer beson= | dem Staatsbewilligung zu bedurfen. Keinem ih= | rer kirchlichen Zwangsmittel kann aber irgend ein I EinfluB auf das gesellschaftliche Leben und die btir= | gerlichen Verhaltnisse im Staat gegonnt werden, | so lang deren Anwendung ftir den einzelnen Fall | [S. 19] mit besonderer Staatsgenehmigung nicht versehen | ist, welche, wenn sie erfolgt, zugleich ausdriicken | kann und soil, welche Staatsfolgen auf den Un= | gehorsamsfall etwa damit verbunden werden sollen. | Einzelne Kirchenbeamte, soweit sie zugleich Staats= | Beamte ftir die Sittenpolizey sind, konnen auch | geringere weltliche Zwangsmittel zu ihrer Disposi= | tion haben, hangen aber alsdann in deren An= I wendung ganz von der Leitung der Oberpolizeyge= | wait des Staats ab. Gegenstande der Kirchengewalt. 12) RechtmaBige Gegenstande der Kirchenge= | wait, liber welche sich ihre Wirksamkeit nach der | Grundverfassung jeder Kirche verbreiten mag, | sind: Erziehung der Jugend fur die Religion: | Gewissensleitung aller Mitglieder; Anhaltung ihrer | Glieder zur Erftillung jener kirchlichen Gesellschafts= | Pflichten, welche durch die symbolischen Schriften | der Kirche oder durch einzelne mit Staats=Gut= | heiBen versehene Kirchengesetze bestimmt sind; | Priifiing, Zulassung, oder Verwerfung derjeni= | gen, die sich als befahigt zu Kirchendiensten dar= | stellen, und Aufnahme unter die Mitwerber zu | kirchlichen^ oder Schuldiensten verlangen; Er= |

1582

§ 12: Baden

[Dok. 188-251]

machtigung zur Amtsfuhmng fiir jene vorhin be= | fahigt erkannte Kandidaten, welche zur Aushilfe | [S. 20] im Kirchendienst von angestellten Dienem gebraucht [ werden wollen, oder zur eigenen Fuhrung eines | Kirchen= oder Schulamtes von der Behorde er= | nannt sind; ingleichem Zuruknahme dieser Ermach= | tigung bey erprobter Unfahigkeit oder Unwurdig= | keit: Anordnung iiber die religiose Bedtirfnisse und | daraus entstehende hauBliche und gesellschaftliche | Verpflichtungen Hirer Glieder, ingleichem liber den | zweckmasigen Gebrauch der dazu gewidmeten Got= I tesdienstlichen Gerathe und Gebaude; Leitung der | Kirchen= und Schuldiener zu Erreichung des kirch= | lichen Zwecks ihrer Anstellung; Miteinsicht in die | Verwaltung des geschaftlichen Kirchenvermogens | und Beiwirkung zur Sorge fur dessen Erhaltung, | Polizei iiber ihre Diener und Glieder in Bezug 1 auf deren hauBliches und offentliches sittliches Ver= | halten; und Vermittlung aller ausseren Rechts= I streitigkeiten, welche iiber staatsbiirgerliche person^ [ liche Verhaltnisse ihrer Diener oder uber Kirchen= | Verhaltnisse ihrer Glieder sich erheben, so lang | nicht die Fruchtlosigkeit des AusgleichungsVersuchs | durch runde Erklarung der Betheiligten oder durch | fruchtlosen Ablauf einer dreimonatlichen Frist von | der ersten Anzeige der Streitigkeit an zu nehmen, | klar vorliegt. [S. 21] Kirchliche Dienstbestellung. 13) Die Kirchengewalt benennet fiir sich die | nach Gutfinden wandelbare Gehiilfen der ange= | stellten Kirchen= und Schuldiener: hingegen die | Emennung jener standigen Kirchen= oder Schulbe= | amten, welche eine eigens dazu gewidmete Priin= | de oder sonst ein vom Staat gesichertes Dienstge= | halt haben, kommt ihr nicht zu; sondem diese | gebiihret dem jeweiligen Staats=Regenten in der | verfassungsmasigen Form, soweit nicht durch be= | sonders bestattigte Verkommnisse der Pfarr= oder= I Schulsatz einem Dritten rechtmasig erworben wird, | oder femer zugesichert ist. Diese Emennung kann | nur auf fahigerkannte Subjecte gestellt, bey deren 1 Unfahigkeit oder Unwiirdigkeit von der Kirchenge= | wait verworfen und nur nach dreimal aufeinander | gefolgter Benennung eines untauglichen oder nach | der ohne entschuldigende Ursache versaumten Er= | nennungsZeit, die anmit auf drei Monate be= I stimmt ist, welche von der Anzeige der Dienster= | offtiung an laufen, als iiberwalzt fiir jenen einzel= | nen Fall, von der Kirchengewalt geiibt werden. | Streitigkeiten welche iiber das Recht oder die | Giiltigkeit einer Emennung entstehen, gehoren | vor das oberherrliche Provinzgericht; die vor= | sorgliche Anordnung der Dienstversehung aber [S. 22] Kirchliche Gerichtsbarkeit. 14.) Jede richterliche Gewalt, die in Sachen | des Gewissens oder der Erfiillung der Religions= | und Kirchenpflichten einer Kirche nach ihren sym= | bolischen Biichem und der darauf gegriindeten Ver= | fassung nothig ist, bleibt ihr ungeschmalert, solang | sie solche nicht zum Nachtheil des Staatszweckes | misbraucht. Hingegen keine Strafgerichtsbar= | keit iiber weltliche Vergehen der Kirchendiener | und geistlichen Personen, oder gar der weltlichen | Kirchenglieder, auch keine Streitgerichtsbar= | keit iiber weltliche Angelegenheiten der Kirchen= | Angehorigen und keine Rechtspolizey kann von | der Kirchengewalt irgend einer Kirche oder deren | Innhabem und Verwaltem femerhin ausgeiibt | werden. Solche gehoren allein derjenigen Staats= | Behorde, deren die bestehende oder kiinftig erge= | hende Staatsgesetze diese Gattung von Gegenstan= | den zur ErkenntniB zuweisen. Jedoch kann diese | Behorde, - unverschiebliche Nothfalle ausgenom= | men - keinen Kirchen= oder Schuldiener zur per= | sonlichen Erscheinung vorladen, weniger noch ir= | gend eine Verhaftung seiner Person, oder eine | Verkriimmung der innerhalb seiner

[190] Erstes Konstitutionsedikt vom 14. Mai 1807 1583 Wohnung be= | findlichen Familienglieder oder Vermogensstiicke | vomehmen, ohne eine Benachrichtigung und Mit= | [S. 23] einladung zur Beiwirkung an die unmittelbare geist= | liche Aufsichtsbehorde, z. B. den LandDechanten, | SpecialSuperintendenten und dergl. erlassen zu | haben, damit diese dafiir wache, daB nichts dem I Ansehen des Amts, oder dem Interesse der Kirche | nachtheiliges dabey unterlaufe, welches nament= | lich auch bey Vermogens=Beschreibungen und | Verlassenschafts=Besieglungen statt findet. Bestimmung der Natxir der | Weltlichkeit. 15) Ftir eine weltliche Sache ist alles das an= | zusehen, wo der Gegenstand, der bey der Obrig= I keit in Frage kommt, in irrdischen Lebensvenhalt= | nissen, in liegenschaftlichen oder fahrenden Ver= [ mogensstucken, in Verlassenschaften, in Theilnah= I me an staatsbtirgerlichen Rechten oder Vorzugen, | in Unterwurfigkeits=Verhaltnissen gegen den Staat | oder Exemtionen davon, endlich in angeschul= | digtem Misbrauch der Kirchengewalt fur weltliche | Zwecke, fiir leidenschaftliche Anlasse, oder fur | Untergrabung der Staats=Anordnungen besteht. | Was je die Kirchengewalt einer oder der andem | Kirche in dergleichen Sachen soil verftigen konnen, | dazu muB ihr das Recht durch einen dieser Con= | stitution nachfolgenden Vertrag oder Gnadenbrief | neu bestatigt oder zugelegt werden, und bleibt | [S. 24] selbst in letzterem Fall jedem Widermf und jeder | Aenderung, deren die Privilegien nach Unsem | Staatsgesetzen iiberhaupt fur empfanglich geachtet | werden mtiBen, ebenfalls unterworfen. Gemischte Gegenstande, insbe= | sondere Ehesachen. 16) Alle Sachen, die wesentlich eine doppelte | Beziehung haben, die nemlich in ihrem Zweck I und Bestimmung die geistliche und leibliche Wohl= | fart des StaatsBtirgers gleich stark bertihren, (man | vergleiche unten Art. 22.) behandelt die Kirchen= I gewalt nur in Bezug auf ihre kirchliche Seite, un= | beriihrt der weltlichen und ohne Folge flir diesel= | ben, welches jedoch in seiner Art hinwiederum von | den Vorschritten der Staatsstellen in solchen An= | gelegenheiten gilt. Namentlich konnen daher Ehe= | sachen, so weit die ausserliche Gtiltigkeit oder Un= | gtiltigkeit, die Schuldigkeit um Zusammenwohnen | oder nicht Zusammenwohnen, die Zulassigkeit oder | Nichtzulassigkeit einer zeitlichen oder bestandigen | Trennung in Frage ist, allein durch obrigkeitliche | StaatsEntscheidungen erortert, und keineswegs I vor geistliche Oberbehorden der einen oder der an= | dem ReligionsParthie gezogen werden. Nur ein | Vermittlungsrecht bleibt zuerst den Pfarrherren al= | lein und dann den geisthchen AufsichtsBehorden in | [S. 25] Gemeinschaft mit den weltlichen BezirksBeamten, | dessen vorausgegangene Fruchtlosigkeit dargelegt | seyn muB, ehe die Sache zur OberPolizeilichen | Entscheidung fur reif geachtet und von der deBfall= | sigen Staatsbehorde an sich gezogen werden kann. | Der kirchlichen Oberbehorde hingegen bleibt die | Entscheidung der Frage, welche Personen nach I kirchlichen Grundsatzen zusammen heurathen, welche | in einer etwa KirchenOrdnungswidrig eingegange= | nen Ehe ohne Stinde fortleben konnen, und die | damit eng verbundene Frage: welchen vom Staat | auf bestandig oder auf eine langjahrige Frist ge= | trennten Eheleuten nach ihren ReligionsGrundsatzen | zu einer andem Ehe zu schreiten erlaubt, oder | doch als das geringere Uebel nachgesehen werden | moge. Doch kann sie hieriiber neue Gmndsatze | nicht aufstellen, die von jenen abweichen, welche sie | vorhin offentlich im Staat bekannt und getibt hat= | te ohne regentenamtliches GutheiBen. Keine Kip= | ehe kann verlangen daB in Fallen wo Eheleute | zweier Religionen concurriren, ihre einseitige Kir= | chenGrandsatze, went! sie zugleich den andem Con= | fessionsTheil treffen, durch Staatsgewalt

1584

§ 12: Baden

[Dok. 188-251]

zum I Vollzug befordert werden, sondem nur, daB der | jener Kirche angehorige ReligionsTheil nicht in | freiwilliger Befolgung seiner KirchenGrundsatze ge= | hemmt werde. Eheverspmchssachen gehoren als | [S. 26] bloBe Civilcontrakte femer gar nicht mehr vor die | geistliche Gerichte irgend einer Kirche: eben so | wenig Schwangemngssachen, Eidessachen, Zehnd= | sachen und andere dergleichen Gegenstande die aus | femen und sehr mittelbaren Beziehungen auf den | Kirchenzweck ehemals wohl ftir kirchlich geachtet | wurden. Verwaltung der Evangelischen | Kirchengewalt, 17) Die Kirchengewalt der Evangelischen Kir= | che beider Confessionen kann nur im Namen des | Souverain welcher Religion er auch ftir seine Per= | son zugethan sey, und nur durch ein von ihm aus | Gliedem der evangelischen Kirche bestelltes Ober= I consistorium besorgt werden. Ftir beide Confessionen | besteht nur ein einiger solcher Kirchenrath der aus | geistlich und weltlichen Gliedem von beiden Con= I fessionen in verhaltnismaBiger Gleichheit besetzt | sey, und von dessen beiden Vorstehem jeder= | zeit der eine aus der einen, der andere aus der an= | dem Confession seye. Wenn von Rechtglaubigkeit | oder Tauglichkeit einzelner Kirchenglieder ingleichem | von Verwendung des Kirchenvermogens zu einem | aussergewohnlichen Zweck die Rede wird und die | Meinungen der Rathe nach Confessionen sich thei= | len, so konnen nur die Stimmen jener Glieder zur | [S. 27] Schlussfassung gezahlt werden, deren Religions^ | oder KirchenEigenthumsInteresse in Frage steht; | wo aber der seltene Fall eintrafe, daB beider Con= | fessionenlnteresse ftir den vorliegenden Fall in ei= | nem GegenstoB gefunden wtirde, da miissen die | beiderseitige Meinungen und Ansichten zur staats= | polizeilichen Vermittlung oder Entscheidung an die | oberste Staatsbehorde in Vortrag gebracht wer= | den. Nach der erstmals von Uns vollendeten Zu= | sammensetzung wird die Wiederbesetzung der erle= | digten Stellen aus einer vorgangigen Berathung | der Evangelischen Conferenz Unseres Ministerii | und zwar wenn nicht von Vorstehem, sondem von | Rathen oder Beisitzem die Rede ist, nach vemom= | menem Gutachten des Evangelischen OberConsistorii | Uns oder Unserem RegiemngsNachfolger von dem | betreffenden MinisterialDepartement in Vortrag | gebracht. Der Mitglieder dieses OberKirchen= | raths dtirfen, die beiden Vorsteher mit eingerech= | net, nie weniger seyn, als acht, wohl aber konnen | deren nach Befinden mehrere seyn. Immer muB | darinn von jeder Confession ein eigensbesoldeter | Geistlicher als Rath angestellt seyn, der die Kir= | chendisciplin und Schulsachen hauptsachlich bearbei= I ten konne, und daBfalls mit kirchlichen Verrichtun= | gen oder andem Nebenamtem nicht beladen sey: | ausser diesen muB jederzeit wenigstens noch ein im | [S. 28] Kirchendienst praktisch beschaftigter Geistlicher von | jeder Confession in solchen sich befinden. Das | OberConsistorium wtirkt durch die nach schicklichen | Bezirken bestellten Spezialsuperintendenten, welche | in gemischten Bezirken abwechselnd aus beiden Con= | fessionen genommen werden und stets einen Spe= | cialVicar der andem Confession neben sich haben, Staatsberechtigungen derselben. 18) Da die Evangelische Kirchengewalt durch | Personen verwaltet wird, welche im alleinigen | Dienst des Regenten stehen, und in seinem Namen | handeln, so hat der EvangelischeOberKirchenRath | zugleich auch die Kirchenherrlichkeit des Regenten I zu verwalten, welche hingegen in der Katholischen | Kirchenverfassung von der geistlichen Gewalt ge= | trennt, und eigenen desfallsigen StaatsStellen oder | andem Staatsverwaltungsbehorden zugetheilt ist, | (Siehe Art. 21.), stehet aber desfalls in alien | Fallen und welcher Religion auch die Diener der | obersten Staats-

[190] Erstes Konstitutionsedikt vom 14. Mai 1807 1585 verwaltung beygethan seyn mogen, | in der nemlichen Gehorsams= Schuldigkeit gegen | den Regenten und in der gleichen Unterordnung | unter die oberste Staatsverwaltung, wie andere | Provinzstellen, indem allein in dem, was die Lei= | tung der Gewissen, die innere kirchliche Einrichtun= | gen, und den religiosen Theil der Erziehung be= | [S. 29] trift, der Oberkirchenrath verlangen kann, daB ihm | durch keine Influenz von Personen anderer Reli= | gionen darinn Maase gegeben, und er der freyen | Ueberzeugung seiner Religionsgenossen zu folgen | nicht gehindert werde. Verwaltung des Kirchenver= | mogens. 19) Die Verwaltung des Kirchenvermogens | beeder Confessionen kann so lang der Unterschied | dieser Confessionen noch besteht, und nicht die | schon von den ersten Reformatoren bey Entstehung | der Trennung gewtinschte und gehoffte vollige Re= I ligionsvereinigung zu Stand kommt, niemals auch | nur der Verwaltung nach in einerley Hand gege== | ben, weniger noch vermischt und in irgend einem | Stiick klein oder groB zum Kirchenzweck einer an= | dem Confession, als deren es angehort, zu dienen | angehalten werden, sondem das Kirchenvermogen | jedes Confessionstheils bleibt einem eigenen nur aus | Glieder dieser Confession zusammengsezten Ver= | waltungsRath vorbehalten, der jedoch desfalls der | Aufsicht des Evangelischen Oberkirchenraths so wie | der Oberaufsicht des betreffenden MinisterialDepar= I tements stets untergeben bleibt, und nach deren | Weisungen die Verwaltung besorgen muB; solang | nicht von einem Religionstheil zum andem der | [S. 30] GenuB des Kirchenvermogens oder eines bestimm= | ten Theils davon iibergewalzt wurde, als wogegen | zu wachen und das KirchenEigenthum rechtlich uber= | all zu vertreten, jener VerwaltungsRath durch die= | se Constitution ermachtigt und personlich verant= | wortlich gemacht wird. Verwaltung der Katholischen | KirchenGewalt. 20) Die Kirchengewalt der Katholischen Kirche | soil von dem Oberhaupte derselben als dem Mi1?= | telpunkt ihrer GlaubensEinigkeit, nicht getrennt, | noch von irgend einer Handlung oder Beziehung | die dazu wesentlich nothwendig ist, abgehalten wer= I den: sie kann aber ausserhalb Fallen, die zu einer | ausserordentlichen Oberhauptlichen Sendung geeig= | net sind, nur durch einen im Lande seinen standi= I gen Aufenthalt habenden Bischoff besorgt werden, | der alle Katholische Kirchspiele des Grosherzogthums | unter sich vereinige, mit keiner Sorge far aus= | waftige Kirchspiele mit beladen sey (soweit nicht | etwa anstossende mit hinlanglichem Land zu Erhal= | tung eines Bischofs nicht begtiterte Souverans | tiber die MitEinnahme Ihrer Lande in Unserem LandKirchenSprengel Sich mit Uns vergleichen) I und der zur Regierung seiner Dioces den erforder= | lichen geistlichen Senat, hiemachst zu Verminde= | [S. 31] rung der Beschwerde der Unterthanen, die person^ | lich zu vemehmen sind, oder etwas anzubringen | haben; seine nach schiklichen Bezirken aufgestellte | untergeordnete Officialate oder Geistliche Commis= | sariate, so wie in welters untergeordneten Stufen, | die in schicklichen Eintheilungen zu bestellende Deca= | nate zu Mit=Besorgung der Polizey in Kirchen= I sachen aufgestellt habe. Das nahere tiber die Se= | zung, Verfassung und grundgesezmasige Wtirksam= | keit dieser Verwalter der katholischen Hierarchic | bleibt dem Concordat mit dem romischen Hof vor= | behalten. Bis dahin bleiben alle Bischoffe der | verschiedenen inn= und auslandischen Bischofshofe, | welche dermahlen ein Katholisches Kirchenregiment | im Lande fuhren, im Besiz ihrer AmtsBerechti= | gungen, jedoch nur in alien dieser Constitution ge= | maB femer als geistlich zu behandelnden Sachen, | und nur solang als deren damalige Bischoffe

1586

§ 12: Baden

[Dok. 188 - 251]

leben: so wie hingegen einer derselben stirbt, ist die | GewaltsAttribution seiner geistlichen Gerichte in Un= | serem Staat fur erloschen anzusehen, und kann | nur (wie es dermahlen in gewisser Maase schon | mit dem Strasburgischen Diocesen Antheil disseits | Rheins geschehen ist) eine der andem noch in | Amtsgewalt befindlichen Bischofflichen Rathsstellen | Unserer Lande durch provisorische Delegation des I jederzeitigen Metropolitanats die Fortfuhrung des | [S. 32] kirchlichen Regiments iibemehmen, solang nicht | der Romische Hof mit Uns sich zu einer definiti= I ven Einrichtung der Dioces Unserer Lande verein= | bart hat, als welcher VereinbarungsEinleitung Wir | bisher vergebens entgegen gesehen haben, dazu | aber nach wie vor immer bereit sind. Die welt= | liche Kirchenherrlichkeit bey den katholischen Kirch= | spielen wird statt bisher von der KirchenCommissi= | on durch Unsere Regiemngen der Provinzen ver= | waltet, bey welchen auch fur das Katholische Kir= | chenvermogen eigene Oeconomiedeputationen (wie | oben wegen des protestantischen Kirchenvermogens | geordnet worden) bestehen sollen. Kirchenherrlichkeit des Staats. 21) Unsere Kirchenherrlichkeit umfaBt tiber= | all und in Bezug auf alle aufgenommene oder ge= | duldete Religionspartheien nachstehendes: die Kenn= | niBnahme von alien Gewaltshandlungen der Kirche | in ihrem Innem; die Vorsorge, daB damit nichts I geschehe, was tiberhaupt oder doch unter Zeit und | Umstanden dem Staat Nachtheil bringt; das Recht | zu alien offentlichen Verktindungen, welche die Kii^ | chengewalt beschlieBt, ingleichem zu alien Dienst= | Emennungen die ihr tiberlassen sind, das Staats= | gutheissen zu ertheilen oder nach Befinden zu ver= | sagen, und damit bis auf weitere Vereinbarung | [S. 33] den Vorgang rtickstellig zu machen; das Recht | fur dergleichen kirchliche DienstEmennungen solchen | Personen den AusschluB zu geben, deren Aufstellung | far diesen Posten in Staatshinsicht bedenklich | scheint; das Recht, Gesellschaften und Institute, | die sich far einen bestimmten kirchlichen Zweck mit | Billigung der Kirchengewalt bilden, zuzulassen oder I nicht zuzulassen; das Recht die zugelassene Kirchen= | Anstalten, wenn sie von ihrem ursprunglichen Zweck | abweichen, oder ihre Tauglichkeit fiir dessen Errei== I chung verlieren (welche stets als stillschweigende | und unverlaBliche Bedingung ihrer Fortdauer an= | zusehen ist) darauf zuriickzufahren, oder sie ganz | aufzuheben, doch daB es in einer Art geschehe, die | mit den Grundsazen derjenigen Kirche, deren sie | angehoren, vereinbarlich ist; das Recht aus denen | von der Kirche fahig erkannten Gliedem zu be= | stimmten einzelnen Kirchendiensten denjenigen zu I benennen, der sie erhalten soil, so weit dieses Recht | nicht durch die dermahlige neue Verfassung Unseres | Grosherzogthums der Kirchengewalt oder andem I Privat=Kirchen=Lehenherren gegeben oder bestatigt | wird; das Recht alle jene Wirksamkeit der Die= | ner, Gesellschaften, und Staatsgenossen anzuordnen | und zu leiten, welche zu Erreichung des kirchlichen | Zwecks und zum GenuB der daraus zugleich far | den Staat hervorgehenden Vortheile nothig sind; | das Recht an alien entstehenden Klagen, Beschwer= | [S. 34] den, oder AnstoBigkeiten, die aus einem Missbrauch | der Kirchengewalt oder aus einem rechtwidrigen [ Verfahren derselben entstehen, Einsicht zu nehmen | und das zu dessen Verhinderung nach Befmden der | Umstande Geeignete vorzukehren. Hierinn handeln | die Verwalter Unserer Staatsgewalt eben so un= | abhangig von den Grundsatzen und dem Begehren | der Kirchengesellschaft oder ihrer Vorsteher, wie | in den tibrigen Theilen der Staatssphare, doch mit | steter Erinnerung, daB Einverstandnis allein zum | Gedeihen, sowohl des Staats als der Kirche | fahre, daB dieses daher in alien billigen Dingen I gefordert werden mtisse, indem in keiner der beiden | Gewaitsspharen ein

[190] Erstes Konstitutionsedikt vom 14. Mai 1807 1587 rucksichtsloses Ausdelinungs= | Bestreben, und eine nur einseitige Beschrankung zu I einem Gemeinwohl fiihren konne. Geistliche StaatsBeamte. 22) Die Pfarrer, - ingleichem die Rabbinen - | sind bey der Verktindung, und Einsegnung der | Ehe, bey der Annahme der Personen zur Taufe, | oder Beschneidung, oder zur Ablegung eines Reli== | gionsBekenntnisses bey dem Uebertritt von einer | Kirche zur andem, endlich im Begraben der Tod= | ten, nicht bios Kirchendiener sondem auch Staats= | Beamte. Sie dtirfen daher diese Handlungen an | Niemanden verrichten, der nicht durch die beste= | hende Ordnung demjenigen Sprengel zugewiesen | [S. 35] ist, fur welchen sie angestellt sind, und nur in je= | nen Fallen, die sich innerhalb desselben ergeben; | Sie mtissen in jedem Fall zuvor sich versichem; | daB diese Handlungen im vorliegenden Fall, unan= | stoBig mit den Staatsgesetzen sey, widrigenfalls ist | ihre Handlung straffallig, und ohne alle Rechts^ | wirkung; sie haben sich in der religiosen Art der | Verrichtung solcher Handlung nach den Gesetzen | ihrer Kirche, hingegen in Hinsicht auf Zeit= und | Orts= Verhaltnisse, so wie auf die Beurkundung | nach den Gesetzen des Staats zu richten. Dieser | Pfarrbann erstreckt sich bey jedem Pfarrer auch | auf alle fremde Religions=Verwandte, die in sei= | nem Sprengel ohne erlangtes eigenes Kirchspiels= | recht, oder ohne besondere Dispensation des Re= | genten zur Berufung eines andem Geistlichen sich | aufhalten; im leztem Fall hat er noch immer die | Anzeige der Falle, und der ordnungsmaBigen Vep= | richtung der Handlung zur Eintragung in die | Pfarrbiicher samt der Entrichtung der deBfallsigen | Pfarrgebiihren zu fordem. Niemals kann ein | Geistlicher seinen Pfarrbann dahin erweitem, um | Geistlichen seiner, oder anderer Religionen den Zu= | tritt zu ihren in seinem Sprengel wohnenden Re= | hgionsGenossen zu versagen, oder ihnen geistliche | Verrichtungen, die nicht zu den oberzahlten Ge= | bannten gehoren, und die innerhalb den Wohnun= | gen ohne Stoning der offentlichen Ruhe und Ord= | nung verrichtet werden, zu verwehren. [S. 36] Geistliche Freiheiten. 23) Kein Kirchendiener hoch und nieder | kann durch seine Wiedmung fiir eine kirchliche I Bestimmung aufhoren, Staatsbtirger zu seyn, und | so wie er daher Rechte und Vortheile der Staats= | Verbindung fortgeniesset, so muB er auch Pflichten | und Lasten derselben auf sich nehmen, so weit | sie andem zur KanzleysaBigkeit geeigneten Staats= | btirgem jeweils obliegen, und den geordneten | Staatsstellen deBfalls zu Rede stehen, soweit ihm | nicht die Constitution, oder einst nachgefolgte Ge= I setze und Privilegien eine Befreyung gewahren; | ausserdem hat ein solcher weder fur seine Person | in btirgerlichen Verhaltnissen, noch far seine be== | sitzende eigene Gtiter, oder fiihrende weltliche | Dienstgeschafte, oder Gewerbe eine Befreyung vor | andem Staatsbtirgem seiner Classe anzusprechen, | wohl aber, so lang er sich standesmaBig betragt, | die der wichtigen Bestimmung seines Standes ge= I btihrende vorztigliche Achtung zu gewarten, auch | der seinem Kirchendienst verliehenen Rechte und | Freiheiten zu geniessen. Staatspflichten der Kirchen. 24) Jede Kirche kann fur ihre Religions=Hand= | lungen von den Gliedem aller tibrigen Religions= | Parthien vollkommene Sicherheit gegen Stomngen | aller Art verlangen, aber keine andere Ehrenbezeu= | [S. 37] zungen, als jene allgemeine Achtung, welche je= | dem emsten und offentlichen Vorgang im Staat | von wohlgesitteten Staatsbtirgem erwiesen wer= | den muB.

1588

§12: Baden

[Dok. 188-251]

Gegen deren Versagung kann sie anstandige | Erinnemngen und Aufruf des obrigkeitlichen Schu= | zes, der keiner jemals versagt werden darf, zur | Hand nehmen, aber niemals sich einige Selbsthul= | fe erlauben, ausser wenn sie im Innem ihrer Re= I ligions=Gebaude gestort wtirde, wo ihr die masi= | ge Selbsthiilfe, wie jedem Staatsbijrger Kraft der | Hausgewalt in dem Seinigen, zusteht. Keine Re= | ligionsparthey kann der andem in Absicht auf | kirchliche Einrichtungen, Gebrauche, Feste, und | R.eligions=Handlungen, Maas und Ziel geben, | oder eine Bequemung zu ihrer deBfallsigen Ein= | richtung verlangen. Nur die weltliche Staatspo= | licey giebt da, wo es zum gemeinen Staatsfrie= | den unumganglich nothig erscheint, gemeinschaftli= | che Vorschriften fur aussere Handlungen, die nur | zufalligen Bezug zum kirchlichen Zweck haben, doch | jedesmal so, daB sie den Religionslehren und ge= I bietenden Kirchenvorschriften keines der darunter | befangenen Religionstheile zuwieder sind. Kirchenpolicey und Autonomie. 25) Wo an einem Ort nur eine Religion das | StaatsBurgerrecht und pfarrliche Rechte hat, I [S. 38] da miissen alle fremde Religionsverwandte, welche | sich darinnen fur langere, oder ktirzere Zeit auf= | halten, der Kirchenpolicey des Orts in alien je= | nen Handlungen sich unterwerfen, welche ausser= | halb ihren Wohnungen sich aussem, oder ihre | Wirkung haben, nur daB diese ihnen nichts aufle= | gen darf, was durch ihre Glaubens=Vorschriften | fur verwerflich erklart, und daher ihrem Gewissen I entgegen ist, wogegen sie ihnen hinwiederum bey | Zusammenktinften im Leben und auf dem Kirchhof | einen unabgesonderten, und unausgezeichneten Plaz | unter ihren eigenen Glaubengenossen gonnen muB. | Keine Kirchenpolicey hingegen kann tiber das In= | nere des hauBlichen Lebens fremder Religions Ver= | wandten, und tiber deren dort vomehmende reli= | giose Uebungen sich verbreiten, noch daB es zu ih= | ren Gunsten von Staatswegen geschehe, begehren, | sondem jedem vom Staat geduldeten Btirger bleibt | die ungestorte Hausandacht, und vermoge dersel= | ben das Recht, mit seiner Familie auch andere | (doch nicht in verdachtig groBer Zahl sich sam= | melnde) Glaubensgenossen des namlichen Orts, | zum Lesen, Beten, Singen, und andem Religions= | Uebungen sich zu vereinigen, seine Kinder mit | Hauslehrem seines Glaubens zu versehen, oder | an Orte seiner Confession zur Erziehung zu ver= | senden, fiir religiose dem Pfarrbann nicht unter= I worfene Handlungen Geistliche zu sich kommen zu | [S. 39] lassen, auch wegen jener, die dem Pfarrbann un= | terworfen sind, mit Beobachtung der obgedachten I Anzeige, und der Gebtihrenzahlung an andere Orte | einer Religion zu deren Verrichtung sich zu bege= | geben. Vom Regenten allein hangt es ab, einzel= | nen dergleichen Familien diese Hausandacht bis zu | einem eingeschrankten oder uneingeschrankten Pri= | vatgottesdienst zu erweitem, dessen Rechte nach= | mals aus dem Innhalt der Concessions=Urkunde | beurtheilt werden mtissen, deren Umfang also von | den Empfangem nicht eigenmachtig erweitert, noch | von den Dienem der Kirchengewalt des Orts ge= | gen Sinn und Zweck der Concession beschrankt | oder beeintrachtigt werden darf. Kirchenpolicey an gemischten | Orten. 26) In Orten, wo mehrere Kirchen Staats= | Btirger=Recht geniessen, richtet jeder Theil allein | sich nach der Kirchenpolicey seiner eigenen Gemein== | de, und ist dieser allein unterworfen; wo aber | ein gemeinschaftlich concurrirendes, oder collidiren= | des Interesse mehrere Religionstheile vorhanden | ist, z. B. in Vermittelung der Ehestrittigkeiten in | gemischten Ehen, da haben die geistlichen Vorste= | her und Sittenrichter beider Kirchen zusammen zu I wirken.

[190/1] Verordnung iiber Kinder aus gemischtkonfessionellen Ehen vom 8. Juni 1826 1589 [S. 40] SchluB=Sanction. Wenn Wir nun hiermit diejenigen Gmndziige, | festgesetzt haben, aus welchen die Bande der Ei= | nigkeit zwichen Kirche und Staat hervorgehen, | und wechselseitig Rechte und Pflichten beurtheilt | werden sollen, deren nahere Ausftihrung durch die | dazu erforderliche organische Gesetze Wir zu bestim= | men Unserer Staatsbehorde liberlassen, erklaren | Wir zu dessen Behuf jede damit streitende Verord= | nung der gemeinen, btirgerlichen, oder kirchlichen | Recht, nach der altem, oder neuem Landesver= | ordnungen fiir aufgehoben und kraftlos, und ge= | statten diesen Gesetzen alien keine weitere Wirkung | als die Begriindung einer Analogie zur nahem Be= | stimmung oder Anwendung des Sinns dieser Vep= I ordnung, wo sie etwa deren bedtirftig ware. Zu | dem Ende yerkundigen Wir jene Grundsatze anmit | einstweilen zu Jedermanns Wissenschaft und Nach= | achtung, mit dem Vermelden, daB vom Iten des | Monats August d. J. an, die verbindliche Kraft | dieser Constitution ihren Anfang nehme, sofort | Unsere Minister, Rathe und Diener, auch Ange= | horige, geistliche und weltliche, von da an in alien | ihren Amts und Privathandlungen sich bey Strafe | der ewigen und unverjahrbaren Richtigkeit jeder | Entgegenhandlung, und bey schwerer personlichen | Verantwortlichkeit genau damach achten und be= | nehmen, auch von Uns selbst dagegen mit Rath | und That etwas auszuwirken, sich nicht unterfangen | sollen. Das meinen Wir emstlich. Gegeben in Un= | serer Residenzstadt Carlsruhe den 14ten May 1807. (L. S.) Carl Friedrich Vdt. Freih. v. Gayling. Auf Sr. Kongl. Hoheit | Special=Befehl | W. Reinhard.

[190/1] Verordnung iiber Kinder aus gemischtkonfessionellen Ehen vom 8. Juni 1826 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einfiihrungen" die Darstellung unter [732.]. Quelle: GroBherzoglich Badisches Staats- und Regierungs-Blatt, 24. Jahrgang, (Nr. 14 vom 17. Juni) 1826, S. 91 - 92 (gedmckt). [S. 91] Ludwig von Gottes Gnaden, | GroBherzog zu Baden, Herzog zu Zahringen, | Landgraf zu Nellenburg, Graf zu Salem, Petershausen | und Hanau, etc. etc. Das erste Constitutions^Edikt, die kirchliche Staats verfas sung betreffend, enthalt | zwar im § 6. die Bestimmungen, in welcher Konfession die Kinder aus gemischten | Ehen erzogen werden sollen; allein es sind bisher Falle vorgekommen, auf welche | sich diese Bestimmungen entweder nicht wohl anwenden lassen, oder bey welchen die | buchstabliche Befolgung der letzteren auf die Ruhe und Einigkeit in den Ehen nach= | theilig gewirkt hat. Um diesen nachtheiligen Wirkungen fiir die Zukunft zu begegnen, haben | Wir nach angehorten Vortragen Unserer beyden Kirchen=Sectionen Uns gnadigst | entschlossen, folgendes zu verordnen: §.!• Die Bestimmung im §. 6. des Edikts vom 14ten May 1807. die kirchliche Staats=Ver= | fassung betreffend, welche bey den Vertragen gemischter Ehen liber die Konfessions=Erziehung | der Kinder in gemischten Orten die Konfession des Vaters unbedingt fiir | die mannlichen Kinder festsetzt, ist hiemit aufgehoben.

1590

§12: Baden

[Dok. 188-251]

§•2. In gemischten Orten steht es in Zukunft den Verlobten verschiedener Konfession frey | durch einen vor ihrer Verehelichung in rechtlicher Form ausgefertigten Vertrag entweder die I Konfession des Vaters, oder die der Mutter ftir alle ihre Kinder zu bestimmen, oder auch I diese nach dem Geschlechte zu theilen, so, daB die Kinder mannlichen Geschlechtes in der | [S, 92] Konfession des Vaters, jene des weiblichen Geschlechts aber in der Konfession der Mutter | erzogen werden sollen. §.3. Diese neue gesetzliche Bestimmung darf aber auf die bereits vollzogenen gemischten Ehen | in gemischten Orten nicht zuriickwirken, daher auch nicht auf die Konfessions=Erziehung der | Kinder aus denselben angewendet werden. §.4. Jedoch sollen die Vertrage bereits vollzogener Ehen, wenn sie ihrem Inhalte nach | den bisherigen Gesetzen entzogen, (das heiBt, in welchen bestimmt ist, daB alle Kinder in der | Konfession der Mutter erzogen werden sollen), der Form nach aber gtiltig sind, in der | Art aufrecht erhalten werden, daB die Kinder nach dem Geschlecht getheilt und erzogen= | werden. §.5. Werm liber diese Erziehung der Kinder aus gemischten Ehen keine Vertrage errichtet | worden, oder wenn die errichteten der Form nach ungtiltig sind; so besteht fur alle die | bisherige Regel fort, daB die Kinder sowohl mannlichen als weiblichen Geschlechts in der | Konfession des Vater erzogen werden sollen. §.6. Bey einem Konfessionswechsel der Eltem, wenn ein Theil derselben zur Konfession des I andem tibergeht, oder beyde Theile zur andem Konfession tibergehen; sollen die noch nicht I konfirmirten Kinder der neu gewahlten Konfession der Eltem folgen; die bereits konfirmirten= | aber bis zu den Unterscheidungsjahren in ihrer bisherigen Konfession verbleiben. §.7. Geht nur ein Theil der seither zu einer und der namlichen Konfession gehorigen Eheleute I zu einer andem Konfession tiber; so wird diesen hiemit gestattet, vor dem Uebertritte | wegen der Konfessions=Erziehung ihrer noch nicht konfirmirten so wie nach dem Uebertritt | gebomer Kinder neue Ehepakten zu errichten; sollten aber diese nicht zu Stande gebracht | werden konnen; so sind die Kinder in ihrer bisherigen Konfession zu belassen, und die nach | dem Uebertritt gebomen Kinder, hinsichtlich ihrer Konfessions=Erziehung gemaB der vor dem | Uebertritt bestandenen Norm zu behandeln.

Alle tibrigen Bestimmungen des §. 6. des schon erwahnten Ediktes, die kirchliche Staats= I Verfassung betreffend, behalten, in soweit sie nicht durch gegenwartige Verordnung aufgehoben | oder modificirt sind, | ihre voile gesetzliche Kraft. Hieran geschieht Unser Wille. Carlsmhe den 8. Juny 1826. Ludwig. Vdt. Frhr. von Berckheim. Auf Befehl Seiner Koniglichen Hoheit. | Eichrodt.

[191] General-Ausschreiben vom 14. Juni 1807

1591

[190/2] Gesetz, „die rechtliche Stellung der Kirchen und kirchlichen Vereine im Staate betreffend", vom 9. Oktober 1860 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einfiihrungen" die Darstellung unter [732.]. Quelle: GroBherzoglich Badisches Regierangs-Blatt, 58. Jahrgang, (Nr. 51 vom 16. Oktober) 1860, S. 375 - 378 (gedmckt). [Auszug] [S. 375] Gesetz, | die rechtliche Stellung der Kirchen und kirchlichen Vereine im Staate betreffend. Friedrich, von Gottes Gnaden GroBherzog von Baden, | Herzog zu Zahringen. In Ausfiihrung der durch Unsere Proklamation vom 7. April v. J. gegebenen Zusicherung, I welche den beiden Kirchen Unseres Landes eine freie und selbstandige Stellung unter der Ge= | wahr einer auf verfassungsmaBigem Wege erlassenen Gesetzgebung verheiBt, und im Hinblick auf | die Bestimmungen der §§. 18 und 20 der Verfassungsurkunde haben Wir mit Zustimmung | Unserer getreuen Stande beschlossen und verordnen, wie folgt: ...[S. 378] III. Schlussbestimmung. §.17. Das I. Konstitutionsedikt vom 14. Mai 1807 und alle Gesetze und Verordnungen, die mit I obigen Bestimmungen nicht vereinbar sind, werden aufgehoben. Die landesherrlichen Patronate und die Verordnungen tiber die Verwaltung des kirchlichen I Vermogens bleiben in ihrer bisherigen Wirksamkeit, bis im Wege der Verordnung ihre Aufhebung | in Vollzug gesetzt wird. Gegeben zu Carlsruhe in Unserem Staatsministerium, den 9. Oktober 1860. Friedrich. Stabel. A. Lamey. Auf Seiner Koniglichen Hoheit hochsten Befehl: | Schunggart.

[191] General-Ausschreiben, die „Kirchliche Constitution des GroBherzogtIiums Baden betreffend", vom 14. Juni 1807 Quelle: Regierungs-Blatt fur das GroBherzogthum Baden, 5. Jahrgang, (Nr. 21 vom 23. Juni) 1807, S. 87 - 88 (gedmckt). [S. 87] Kirchliche Constitution des Grosherzogthums Baden betreffend. Nachdem die neue kirchliche Constitution des Grosherzogthums, bei dem Verleger des | RegierungsBlatts besonders im Druck erschienen ist, welche demnachst, wie es dringendere I Gegenstande erlauben, auch dem RegierungsBlatt einverleibt werden wird, so wird dieses I einstweilen mit der vorlaufigen Eroffnung bekannt gemacht, daB sie vom 1 Iten August d. J. I an, in Kraft tibergehe, daB in deren Gefolg a.) Alle Ehestreitsachen, als weltliche Gegenstande, gemas einer nachfolgenden Instruction, I zu behandeln. b.) Alle Klagsachen gegen Pfarrer und Geistliche aller Art, tiber Privat=Verbindlichkei= | ten und Schulden, lediglich bey der weltlichen Gerichts=Beh6rde der Kanzleisassigen, anzu= | bringen; auch

1592

§12:Baden

[Dok. 188-251]

c.) Nur von der weltlichen Behorde die Verlassenschaft derselben, nach Absonderung des I Amts halber empfangenen Kirchen=Eigenthums, dessentwegen ein Kirchen== Verordneter | der Sieglung und Entsieglung der Verlassenschaft anwohnen, und sein Amtssiegel bey= | dmcken darf, beschrieben und vertheilt werden dtirfe. d.) DaB kein Patron einem katholischen Diocesan^Bischof einen Kirchenpfrtinder, gtiltig I [S. 88] zur DienstUebergabe darstellen kann, ohne das Landesherrliche Gutheissen fiir dessen Er= | nennung erlangt zu haben. e.) DaB alle Vergehen der Geistlichen gegen Staatsgesetze, von der weltlichen Strafbe= I horde der KanzleisaBigen zu richten sind. f.) DaB die beiden protestantischen Kirchen=Collegien aufgehoben, und dagegen vom 23. I Oct. d. J. ein eigener, gemeinschaftlicher Oberkirchenrath, sodann 2. besondere Ver= | waltungsCollegien, ein Lutherisches hier, und ein reformirtes in Heidelberg, (mit Be= | seitigung aller standesherrlichen Kirchen=Collegien) niedergesetzt werden. g.) DaB die katholische Kirchen=Commission gleichfalls aufgehoben, und ihr Geschaft der I betreffenden Provinz^Regierung mit Beigesellung besonderer Kirchen=Oekonomie=Depu= | tationen tibergeben wird. h.) DaB alle katholische=geistliche Gerichtshofe ausser dem Grosherzogthum langstens nur I bis zum Abgang ihrer dermaligen Bischoffe eine geistliche Gewalt im hiesigen Staat I ausiiben konnen, von wo an sie an niemanden, als einen im Land ordnungsmasig aufge= | stellten Landes=Bischoff kommen kann. Verkiindet im Grosherzogl. GeheimenRath, Departement der Polizey. Carlsmhe | den 15. Juny 1807.

[192] Zweites Konstitutionsedikt, „die Verfassung der Gemeinheiten, Korperschaften und Staats Anstalten betreffend", vom 14. Juli 1807 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einfuhrungen" die Darstellung unter [733.]. Quelle: GroBherzoglich-Badisches Regiemngs-Blatt, 5. Jahrgang, (Nr. 26 vom I.August) 1807, S. 125-2(1)31 (gedmckt). [S. 125] Zweites ConstitutionsEdict, die Verfassung der Gemeinheiten, Korperschaften und | StaatsAnstalten betreffend. Carl Friedrich von Gottes Gnaden Grosherzog von Baden, Herzog von | Zahringen etc. In Verfolg jener Absicht, die Wir in der filihem ConstitutionsUrkunde iiber das | VerhaltniB des Staats zur Kirche geaussert haben, finden Wir nun nothig in gegenwartiger Urkunde | uber die Verfassung der Gemeinden, Korperschaften, und StaatsAnstalten in Unserem Staate jene Grundregeln anmit zu erklaren, worauf deren Rechts=Stand beruhen und wor= | aus alle weitere Organisation und Gesetzgebung fiir dieselbe ausgehen soil. 1.) Indem ursprtinglich mehrere Familien mit ErlaubniB des LandEigenthiimers auf einem Bezirk | sich niederlieBen um ihn anzubauen und zu benuzen, und einen Theil solcher Lande als Familien=Eigenthum | bekamen, dabey aber zum Vortheil ihrer Nachbam an gewisse gesellschaftliche Regeln in Absicht auf | die Benutzung des Bodens gebunden wurden, ein anderer Theil aber nur ihnen gemeinschaftlich zur Be= I nutzung tiberlassen ward, indessen wieder ein anderer Theil des Bodens in unverrticktem Eigenthum und | GenuB des vorigenz grossen LandBesitzers blieb; indem hiemachst jene neuangesiedelte Familien aus ihrer | Mitte Personen erkoh-

[192] Zweites Konstitutionsedikt vom 14. M i 1807

1593

ren, welche ihre gemeinschaftliche Angelegenheiten besorgten, und Uneinigkeiten, die I daraus entsprangen, schlichteten; indem die damalige LandEigenthiimer sodann Gewalthaber oder Vogte emannten, welche ihrer Rechte auf diese angesiedelte Leute wahren mussten; und indem endlich die Guts= | EigenthumsBefugnisse der urspmnglichen Land^Eigenthtimer nach und nach immermehr zu RegiemngsRechten I hinaufgesteigert, oder zwischen solchem und einem andem Oberherm je nach Zeit und Gelegenheit getheilt | wurden; entstand allmahlig jene GemeindsVerfassung, welche jezo in Unseren Staaten sich vorfmdet, | nemlich als eine Sammlung mehrerer Familien, welche unter einer aus ihrer Mitte gezogenen leitenden | Gewalt vereinigt sind, um ihre Nahmng und Gewerbsamkeit durch einen theils getheilten, theils ge= | meinschaftlichen Gebrauch eines bestimmten Bezirks des StaatsGebiethes zu befordem, und welche zu= | gleich als Mittel flir die leichtere Vollziehung der Staats=Regiemng, gleichsam als unterster Ring in | der Kette der Staats=Ver-bindungen dienen. Sie sind demnach von der einen Seite eine gemeinschaftliche I Vereinigung mehrerer Staatsbtirger zu besserer Erreichung ihrer samtlich einzelnen Lebenszwecke durch | GesamtWtirkung, von der andem Seite aber eine pflichtgebottene ZusammenWtirkung derselben unter | der gemeinschaftlichen Leitung ihrer Vorsteher zur Beforderung der allgemeinen StaatsWohlfart. Aus | diesem doppelten Gesichtspunkt ist daher stets ihr Rechtszustand zu beurtheilen, und jede aus dem Einen | abgeleitete Folgemng durch die Hinsicht auf den Andem so zu modificiren, daB stets beide Zwecke in | richtiger Harmonic bleiben. Insbesondere begrtinden sich daraus folgende Pflichten: E r s t e n s. Keine Gemeinde kann neu entstehen, es sey nun durch Trennung von einer andem, oder durch neue Ansiedlung, ohne zuvor von Uns als Oberherm dazu ertheilte Bewilligung. Z w e i t e n s. Ohne die gleiche Bewilligung kann auch keine sich umgestalten, oder auflosen. D r i 11 e n s. Die gesellschaftlichen Rechte einer Gemeinde dtirfen nur die leichtere Uebung ihrer GQ= \ werbsamkeit zum Zweck haben und daraus abgeleitet werden, niemals aber auf Modificationen ihrer | StaatsUnterthanigkeit bezogen, noch auf Ungenossen der Gemeinden oder auf andere Gemeinden ausgedehnt | werden, soweit nicht eine besondere FreyheitsUrkunde ihnen einen grosseren Umfang bestimmt beilegt; [S. 126] V i e r t e n s. Was eine Gemeinde weiter besizt, je nachdem es gemeinverkaufliches PrivatGut ist, oder | eine Berechtigung in Staatssachen, muB nach den bestehenden, oder femer ergehenden Gesezen tiber | StaatsVerhaltnisse oder PrivatEigenthum beurtheilt werden, und kann nicht mehr und nicht weniger | Sicherheit gegen jede Willkiihr verlangen, als ahnliche Rechte anderer Staatsbtirger auch. 2.) Ihrer obengenannten Natur zufolgte hat jede Gemeinde ihre Markung, nemhch einen in eigenen | Grenzen eingeschlossenen Umfang des Staats=Gebiets, auf welchem ihre gesellschaftliche Verbindung gewurzelt | ist; ihr BannRecht, oder die Befugnis unter Oberherrlicher Aufsicht far die Arbeiten und fiir den | Gebrauch der Liegenschaften diejenige Regeln festzulegen und aufrecht zu halten, welche fiir den ungestorten | Gang der Gewerbsamkeit der Gemeindsglieder die vertraglichsten sind; ihr MarkEigentum be= | stehend theils in AllmendGut oder solchem Gmnd und Boden, dessen Eigenthum der Gemeinde, dessen | GenuB aber den Biirgem angehorig ist, theils in GemeindsGut oder solchem Gmnd und Boden dessen | Eigenthum und GenuB der ganzen Gemeinde angehort, theils in GemeindsBauten oder solchen Anlagen an Wohngebauden, Wassergebauden, und andem mehr, deren Eigenthum der Gemeinde gehort, es | sey nun, daB sie zu bestimmten Zwecken,

1594

§ 12: Baden

[Dok. 188 - 251]

wie Rathhauser und HirrenHauser oder zu gemeinem Ge= | brauch wie Dorfbrunnen, Brandweyer u. s. w. vorhanden sind, theils endlich in PrivatGut wovon bios | die Markherrschaft der Gemeinde, das Eigenthum aber sowohl als das StiftungsRecht den einzelnen | Gemeindsgliedem zusteht. Jede Gemeinde hat femer ihr Grundrecht, oder die Befugnis, jeden Ueber= | gang desjenigen liegenschaftlichen Eigenthums, worauf sie die Markherrschaft hat, von einer Hand in die | andere als ungtiltig zu behandeln, der nicht ihrem Gericht zur Gewahrung vorgelegt, und dadurch zum | Eintrag in das Gmndbuch, das ist in die Erb=Kauf= und PfandRegister reif gemacht worden ist, und je= | der VerauBerung die auf Ungenossen geschieht, das ist auf seiche Personen, die keinen Theil an dem | Ortsrechts haben, welches die einzelne Verfassungen und Geseze naher bestimmen, in gesezlicher Zeit und | Art selbst, oder mittelst einzelner Btirger einzulosen; sie hat ihren Gemeinbeutel, der aus dem Ein= | kommen von MarkEigenthum, und wo dieses zu den gemeinen Ausgaben nicht zureicht, aus Umlagen | auf die Gemeindsgenossen erwachst; ihr Gericht, das je nach der Grosse der Gemarkung verschieden, | doch nie unter drey und nie liber zwolf seyn darf, und das die Gemeinde sammt ihren Rechten vertreten, I auch fur Gehorsam und Ordnung der Btirgerschaft verantwortlich seyn muB; ihren Vorgesezten, | (und nach Befinden einen VorsteherAmtsgehtilfen) welcher die Rechte des Regenten wahre, den Hand= | lungen des Gerichts das Ansehen gebe, die Befehle der vollziehenden Gewalt im Staat bekannt mache, | und ihren Vollzug betreibe, der sofort jedes Mai in die obige Zahl der Gerichtspersonen mit eingerechnet | sey; sie hat endlich ihr Gemeindssiegel, das alien Urkunden der Gemeinde, des Gerichts oder der Vor= | gesezten, den nach Masgabe des Innhalts geeigneten, offentlichen Glauben giebt. 3.) Ueber das GemeindsEigenthum, dessen Verausserung und Beschwerung konnen Vorgesezte und Gericht nichts verfiigen, ohne die Beistimmung der Gemeinde, (oder ihres Ausschusses da, wo wegen | Grosse der Gemeinden oder andem Ursachen die Rechte der Gemeinden in die Hande eines Ausschusses | gelegt sind), aber auch mit dieser Beistimmung erlangt der Act nur durch Genehmigung der Ober= | polizeybehorde des Staats seine Gtiltigkeit. Jene Beystimmung, wann sie von der ganzen Gemeinde ei^ | hoben wird, erfordert Aufruf aller stimmfahigen Glieder, Erscheinung von wenigstens zwey Dritttheilen, | und Einwilligung des mehreren Theils der Erschienenen; wo aber ein Ausschus den Gemeindswillen er= | klart, wird erfordert: Aufruf aller Ausschusglieder, Erscheinung von vier Ftinftheilen, und Einwilli= | gung von drey Viertheilen der Erschienenen: Neue Privilegien konnen fur einzelne Orte nach Be= | schaffenheit der Erfordemisse andere EinwilligungsFormen festsezen. Ueber den Gebrauch des Gemeinde== | Vermogens, liber die Verwendung des gemeinen Einkommens, die Auslibung der Gemeinen Befugnisse, I und die Anwendung des Bann= und Grund^Rechts, bestimmen die Schllisse, welche von dem Gericht | gefaBt, und von den Ortsvorgesezten verfassungsmaBig gutgeheiBen sind: fur eilende Falle entscheiden lez= | tere allein: Verfassungsmassig ist das Gutheisen der Vorgesezten, wann es der Generallnstruction ge= | mas ist, die sie von der Unterpolizeybehorde haben, oder wenn, wo es diese erfordert, fiir den einzelnen | Fall die Weisung dieser Polizeybehorde zuvor von ihnen eingeholt worden ist. Alle solche Schllisse, | dlirfen nie etwas anders zum Gegenstand haben, als was obangemeldetermaasen Zweck der Gemeinds= | Vereinigung ist; sie unterliegen stets dem Oberherrlichen Recht der Minderung oder Mehrung, um stets | im gemeinen Einklang mit dem Staats=Wohl erhalten werden zu konnen. Das Gericht hat die Rechts= | [S. 127] Vertrettung der Gemeinde in Klagen fiir oder wider sie im ersten Rechtszug: zu der Fortsezung der | Gemeindsstrittigkeiten in weiteren Rechtszligen (Instanzen) gehort die auf obgedachte Weisung erhobene | Beystim-

[ 192] Zweites Konstitutionsedikt vom 14, Juli 1807

1595

mung der Gemeinde. Wann der Streit nicht auf Kosten der einzelnen Glieder, sondem auf den | gemeinen Beutel gefiihrt werden soil, so gehort noch femer die Genehmigung der OberpolizeyBehorde dazu. | Auf eigene Kosten konnen aber alle oder auch einzelne Burger, in Gemeinds Angelegenheiten Streit | fuhren oder fortfiihren, mithin als Geschaftsvertreter der Gemeinden erscheinen, wann sie die WagniB I tibemehmen wollen, im Fall des verlohmen Prozesses die Kosten auf sich zu behalten, wogegen allemahl | im Fall des endlichen Gewinns die Gemeinde ihnen zum KostenErsatz verbindlich wird. 5.)^Im Grosherzogthum Baden, dessen Lage durchaus die eines Gtitherbauenden Staates ist, sind | die groBere und wichtige Gemeinden die Landgemeinden oder Dorfer, deren Haupteinricht= | tung auf Nahrung durch Ackerbau, Weinbau, Wiesenbau, Viehzucht, und gemeine HandArbeit be= | rechnet ist. Die Feld= und WaldBenuzung macht den Gegenstand ihres Bannrechts aus. Die Wahl ili= | rer Richter steht wo nicht ein Anders besonders hergebracht ist - dem Gericht selbst zu; die Besta= | tigung der Wahl aber, oder Erforderung einer neuen, wenn kein tauglicher gewahlt wird, gehort vor | die UnterpolizeyBehorde. Der Vorschlag ihrer Vorgesezten, die aus der Gemeinde von Herrschaftswegen | aufgestellt sind, und ihrer AmtsGehtilfen, wo dergleichen bestehen, geschieht durch Wahl der Gemeinde, | doch unbeschadet des herrschaftlichen Rechts unter mehreren vorgeschlagenen Personen auch den in der | Wahl minder begiinstigten, durch ihre Dienst=Beh6rden zum Amt zu setzen, oder eine andere Wahl | mit AusschluB des gewahlten unannehmlichen Subjects zu verordnen, oder bey tiberhandnehmenden Faction | nen ausserordentlicher Weise ein taugliches Subject ohne Wahl auszuheben. Wie weit hierbey, wann | von HerrschaftsRechten die Rede ist, Grundherren, Standesherren oder bios der Oberherr einzuwtirken | habe, ist aus den desfallsigen Constitutionen demnachst zu erlemen. Den Vorgesetzten steht daneben ein | VermittlungsRecht zu, vermog dessen alle Streitsachen zwischen Ortsangehorigen, die nicht tiber eine | halbe Mark Silbers (also dermahlen zwolf Gulden ConventionsGeld) im Werth ansteigen, zuerst an | sie gebracht werden mtissen; um dariiber, (wann ihnen die Sache nicht zu schwer dtinkt, in wel= | chem Fall sie die Parthien gleich ans Amt weisen konnen) ihren VermittlungsSpruch zu geben, | wenn nachmals Gewinn oder Verlust von dem Schiedsspruch der Vorgesetzten nicht die Halfte | dieser Summe tibersteigt, muB solcher ohne weitere Berufung ans Recht zum Vollzug kommen, | wenn er nicht unformlich oder leidenschaftlich erscheint, wohingegen derjenige, welcher die Halfte | jenes Betrags tibersteigt, an das ordentliche Bezirksgericht zur neuen Erorterung und RechtsEntscheidung | gebracht werden kann, so lang zehen Tage nicht abgelaufen sind, deren Verlauf sonst fur stillschwei= | gendes AnerkanntniB des Spruchs gilt. Was eine Landgemeinde mehr haben will, als die bis hierher | aufgezahlte Rechte der Gemeinden tiberhaupt und der Landgemeinden insbesondere, muB durch eigene | Bewilligungen, die dieser Constitution nachfolgen, erlangt oder erhalten werden. 5.) Die Stadte hatten zwar ihren urspriinglichen Charakter in der Anlage zur Vertheidigung ge= I gen feindliche Angriffe, und zur Zuflucht fiir die umherliegende Gegend; dieser ist aber durch die ver= | anderte Art Krieg zu fuhren weggefallen, und bleibt nur noch den eigentlichen Vestungen in gewisser | Maase eigen; diesemnach besteht nun ihr auszeichnender Charakter darinn, daB ihre Haupteinrich= | tung auf Nahrung durch Gewerbsamkeit, KunstfleiB, und Wohnungs^Annehmlichkeit fur die zehrende | Classe der StaatsBtirger berechnet ist. Zu dem BannRecht, das alle Gemeinden haben, kommt daher | bey ihnen noch das MarktRecht, nemlich die BeFehlerhafte Zahlung im Original.

1596

§12:Baden

[Dok. 188-251]

fiigniB zu gewissen Zeiten in dem Jahr und in der | Woche grosere und kleinere Versammlungstage ftir. Handel und Wandel zur allgemeinen Lebens= oder | zur taglichen Speise=BedurfhiB zu haben; das Gewerbs^Recht oder die Ermachtigung der Stadt== I burger, jede ehrliche Handthierung ohne Ausnahme jedoch mit Beobachtung der GemeindePolizey trei= | ben zu dtirfen, zu welchem Einer oder der Andre derselben sich ordnungsmasig befahigt hat; anstatt daB | in Landgemeinden in der Regel nur solche zugelassen werden dtirfen, die unmittelbar und zunachst fiir den | taglichen Gebrauch des Landmanns arbeiten und die Rathsgewalt nemlich die Berechtigung, die Orts= | polizey in unterster Ordnung, und vorztiglich jene die Bezug hat, auf W6hnungs= Gewerbs= Zunft= | und HandelsSachen, auch auf Bequemlichkeit der Fremden, also auf die unmittelbare Gegenstande | der stadtischen Verbindung, zu besorgen. Ihr Gericht fiihrt daher den Namen des Stadtraths, | oder des Gerichts und Raths; dessen aus der Mitte der Btirgerschaft genommener Vorgesezter fiihrt I [S. 128] den Namen eines Burgermeisters, oder Oberburgermeisters; dessen Besezung aber folgt den all= | gemeinen vorhin verzeichneten Regeln tiber Gemeinds=Vorsteher, wo die Stadtfreyheiten, oder | Unsere jeweilig ktinftig nothig fihdende Anordnungen nichts anders bestimmen, nur muB der Vorgesezte | stets von der Oberpolizeybehorde, d. i. der landesherrlichen ProvinzStelle bestattigt, oder von ihr zuge= | lassen werden, wenn etwa eine Standes oder Grundherrschaft das nachste BestattigungsRecht hatte, | und nur die Bestattigung der Rathsglieder kann den UnterpolizeyBehorden allein tiberlassen seyn. Wer | das BtirgerRecht in einer Stadt des Grosherzogthums hat, und ordnungsmasig fortfiihrt, kann das dort | damit erlangte Gewerbsrecht auch in andem Stadten austiben, ohne dort von neuem Burger zu wer= I den, wann er nur sich um den Schutz dort meldet und die nach Erfordemissen der einzelnen Stadt wei= | ter nothige Eigenschaften annimmt oder bescheinigt. Der Werth der VermittlungsGegenstande, ist hier | um die Halfte hoher als bey den Landgemeinden, mithin auf drey Viertel einer Mark sein Silbers | im CurrentWerth bestimmt, wobey tibrigens das Recht die Sache weiter zu ziehen, oder nicht je nach= | dem der Gegenstand die Halfte des ganzen gestatteten VermittlungsBetrags von VA Mark Silbers (oder | dermahlen die Halfte von 18 fl. Conventionsgeld) tibersteigt oder nicht, nach den oben bestimmten Regeln | sich richtet. Was sie weiter haben sollen, mtissen neue FreiheitsBriefe ausweisen. Alle sowohl in den | Oberhoheits als EigenthumsLanden vor dem PreBburger Frieden gegebene Privilegien gelten nur, in soweit | sie mit der neuen nach und nach erscheinenden StaatsConstitutionen vereinbarlich sind, und miissen also im | nachsten Bestattigungs=Fall auf das spateste damach eingerichtet werden. 6.) Ein Hauptunterschied, welcher durch die Stadtfreyheiten seine Bestimmung erwarten muB, be= | zieht sich auf die Gerichtsbarkeit und Gerichtspflichtigkeit der Stadte. Der Regel nach hat hierinn | eine Stadt keinen Vorzug vor Landgemeinden; sie hat nemlich so wenig als diese eine Straf oder Streit | sondem eine blose Polizey= Gerichtsbarkeit, obwohl diese bey Stadten einen bedeutenderen Umfang und | mehr Wiircksamkeit haben kann; sie ist annebst im Ganzen, wie in einzelnen Gliedem der Untergerichtsbar= | keit desjenigen Bezirks unterworfen, dem sie der Lage nach zugetheilt ist, oder mit anderen Worten, | sie ist amtssassig. Sie kann aber, je nachdem es ihre Grosse, ihr Reichthum, und die Bildung ih= | rer Btirger gestattet, eines . doppelten Vorzugs genieBen, entweder, daB sie gar keinem andem Amtsbe= | zirk zugetheilt sey, mithin einen abgesonderten StaatsBezirk bilde, durch eigene Beamte die Untergerichts= | barkeit tiber ihre Burger in dergleichen Ausdehnung, wie ein Beamter in AmtsBezirken sie austibt, | verwalten lasse, und von ihr sofort der zweite Rechtszug an das ProvinzGericht oder wem sonst dieser | Zweig der Mittelgerichtsbarkeit nach einzelnen Orts und HerrschaftsVerfassungen angehoren mag, ge-

[ 192] Zweites Konstitutionsedikt vom 14. Juli 1807

1597

he, I dagegen die Stadt im Ganzen als Gemeinde unter der Richtergewalt der Provinz= oder Mittelgerichte und | unter der PolizeyGewalt der ProvinzRegiemngen stehe, welche Stadte canzleisassig heisen; oder daB | die Stadte zwar einem AmtsBezirk zugetheilt seyen, und der Beamte anstatt der Provinzregierungen iiber | sie die Polizeygewalt austibe, sie aber dennoch als StaatsPerson, oder Gemeinde, unter dem ProvinzGe= | richt stehe, dagegen tiber ihre Burger im Einzelnen die Untergerichtsbarkeit durch eigene Beamte flir sie be= | sorgt werde, welcherley Stadte mit dem Namen der Vogteypflichtigen zu belegen sind. Weder die | eine noch die andere Gattung dieser Stadte kann ihre Gerichtsbarkeit selbst, noch durch Mitgheder, | welche nicht der Rechte gelehrt sind, austiben; kann auch nicht die Rechtsgelehrte Beamte selbst setzen, | die ihre Gerichtsbarkeit zu verwalten haben; sondem deren Sezung geschieht vom Regenten. Ob die= | ser mit oder ohne zuvor erforderten Vorschlag tauglicher Personen, zur Auswahl darinn vorfahre, | dieses zu bestimmen, bleibt den StadtFreyheiten iiberlassen. Dem Regenten legt ein solcher stadtischer | Beamter die Pflichten auf die GerechtigkeitsVerwaltung und UnterwtirfigkeitsErhaltung ab: Der Stadt | aber giebt er die schriftliche Zusicherung, sie bei ihren grundgesezmasigen Freiheiten, soviel an ihm | ist, zu erhalten und zu beschtizen. Er ist als Stadtamtmann der Obervorsteher des unter der | Vorsteherschaft eines Btirgermeisters bestehenden Rechts, und das Haupt der Stadtgemeinde, wenn von Vogteypflichtigen Stadten die Rede ist. Bey canzleysassigen Stadten hingegen v^ird der Rath in | das Stadtvogteygericht und den Stadtmagistrat abgetheilt: Hier ist der Erste der Rechtsgelehrten | Richter, als Stadtdirector, Obervorsteher des Ganzen, und unmittelbarer Vorsteher | des Stadtvogteygerichts, das so viele rechtsgelehrte Richter oder Beisitzer hat, als die Geschafte | erfordem; der OberBurgermeister aber ist das unmittelbare Haupt des Stadtmagistrats, er | hat in Gemeinschaft mit diesem alles jenes zu besorgen, was dem Rath einer amtssaBigen Stadt ob= | [S. 229^] gedachtermaasen zukommt, und stehet zu dem Stadtvogteygericht in der nemlichen Beziehung, wie jener | der amtssassigen Stadte zum Landesherrlichen Amte. 7.) Keine Stadt kann im vollen Sinn des Worts eine Grundherrschaft tiber abgesonderte Land= | gemeinden haben; wo dergleichen bisher bestanden hatte, da fallt die btirgerliche und peinliche Gericht= | barkeit samt den Sporteln, die davon fallen, so wie die Verwaltung der Unterpolizey demnachst den | Landesherrlichen Aemtem zu, denen solche Orte zugetheilt wurden: dagegen die angesezte Strafen, Ta= | xen, so wie die PrivatEigenthumsRenthen und die Nuzung der niederen Herrlichkeiten (regalia mino-1 ra) verbleiben, der Stadt; jedoch sind die Nutzungen der Gerichtsbarkeit und nie deren Herrlichkeit | abloslich, und mogen also von dem Herm der Gemeinde, es sey von Uns als dem Oberherm oder | von dem Standesherm, wo dieselbe einem solchen angehorten, gegen Erlegung des Fiinfundzwanzigfa= | chen Betrags eines durch Ftinfundzwanzigjahrigen Durchschnitt bestimmten mittleren reinen Jahrbe= | trags an sich gezogen werden. 8.) Obwohl es noch hier und da in Unserem Staat Markerschaften, (Geraiden, Hubgadin= I gen u. s. w.) giebt, das heiBt eigens umschlossene Bezirke von Wald und Feld, welche mehreren GQ= \ meinden zusammen angehoren, und einer gemeinschaftlichen Markpolizey unterliegen; so hat jedoch | die Erfahrung langst bewiesen, daB sie zu haufigen Thatlichkeiten, zu noch haufigeren Rechtsstrit= | tigkeiten und zur allgemeinen Verodung der Mark fiihren. Alle diese sind anmit zwar bey ihren be= | sizlich hergebrachten Rechtsverhaltnissen fiir dermahlen bestatrigt, aber zugleich flir aufloslich erklart, | und konnen auf Verlangen eines oder des anderen ^ Ab hier beginnt die fehlerhafte Paginierung.

1598

§ 12: Baden

[Dok. 188-251]

Theilnehmers am Markerrecht mit Gutheisen der | Oberpolizey getheilt werden, ohne daB dawieder von irgend einem Gericht Widersprach angenommen | und gehort werden dtirfe. Der Oberpolizey steht jedoch das Recht zu, die Zeit der Vertheilung und I die Art derselben so zu bestimmen, daB jedem Theilhaber fur wohlhergebrachte Gerechtsame ein billiger | Beleg zukomme, und daB die zur getheilten Benuzung etwa nothige Landwirthschaftliche Vorberei= | tungen gehorig vorausgehen konnen. Wo die verschiedene Markberechtigungen selbst bestritten sind, da muB vor der wirklichen Theilung | dieser Streit gutlich oder rechtlich voraus entschieden werden, und zum Behuf dieses Entscheids mag | also eine Klage und RechtsVerhandlung vor Gerichten zugelassen werden. Beschwerden tiber die | Theilung selber konnen, nur im Wege der Vorstellung an die Oberste StaatsverwaltungsBehorde | angebracht werden. 9.) Wenn mehrere StaatsBtirger unter einer leitenden Gesellschaftsgewalt sich verbinden, um da= | mit die Erreichung eines Lebenszweks und den Genus der davon abquellenden Vorttheile zu sichem, | und wenn dabey fur steten Nachwuchs neuer Glieder statt der Abgehenden gesorgt wird; so entstehe= | damit eine ewige Gesellschaft; ist nun der Zweck einer solchen Gesellschaft zugleich ein Theil des | Staatszwecks, und in dieser Hinsicht einer besonderen StaatsEinwiirkung empfanglich und bedurf= | tig; ist also diese Gesellschaft eine ewige Staatsgesellschaft: so bedarf sie eben wegen dieser ihrer | engen Verbindung mit dem Staatszweck einer eigenen landesherrlichen Bestattigung und festbestimm= | ten Beiwtirkung: ohne diese ist sie ein strafbares Untemehmen. Durch diese erst erlangt sie das Recht | der Untheilbarkeit (nemlich, daB einzelne Glieder auf die Aufhebung der Vereinigung und die | Theilung des Gemein= Vermogens nicht dringen konnen) und der Sicherheit gegen geanderte ktinf= | tige Ansichten der einzelnen Glieder, sodann das Recht der Personlichkeit, nemlich die Befahi= | gung der Gesellschaft im Ganzen zu alien Rechten und Vortheilen, welche ein einzelner Mensch als | StaatsBtirger zu geniesen hat und den Staatsschutz mit alien seinen Rechtswtirkungen. Das zehen= | jahrige Daseyn einer solchen StaatsGesellschaft, wenn es von der Staatsobrigkeit gekannt und ge= I duldet wurde, gilt fiir eine stillschweigende Bestattigung. Jede auf eine oder die andere Art bestat= | tigte ewige Staatsgesellschaft ist eine Korperschaft: sie hat als Verein im Ganzen all jene Rechte | und Pflichten, welche ein einzelner StaatsBtirger in dieser staatsbiirgerlichen Eigenschaft hat, so weit | nicht die VereinsBestattigung sie von einem oder anderem ausschlieBt; sie hat aber auch darinn keine I Vorztige, als die ihr ein Gnadenbrief namentlich zugelegt; sie hat jedes Recht der Gemeinden so | weit dieses nicht auf den Besitz einer Markung gewurzelt ist. Sie bleibt stets dem landesherlichen | Auflosungs== und UmgestaltungsRecht unterworfen, fiir jene Falle, wo ihr Zweck durch Ausartung | oder Veranderung der Umstande mit dem Staatszweck im Gegenstos verfallt. Im Auflosungsfall | [S. 230] wird das Eindringen der lebenden Mitglieder zu einem ihnen ruckfalligen Eigenthum, soweit es | nicht als Erkauf einer Lebsucht zugleich angesehen werden mtisste, und diese Lebsucht durch Pensioni= | rung oder auf andere Art fortgereicht wtirde, in welchem Fall es demjenigen zufallt, welcher diese | leistet; das Stiftungsgut (womnter alles einzubegreifen ist, was von einzelnen Eigenthtimem zu | Beforderung des Zweks der Korperschaft eigens gewidmet worden, und dessen Widmung noch be= | kannt und erweislich ist), muB zu anderen fortdaurenden Zwecken, die den vorigen am nachsten sind, | verwendet werden; das Ermngenschaftsgut aber, nemlich jenes, was Theils durch Einbringen | verstorbener Gesellschaftsglieder theils sonst auf jede andere gemeine Erwerbsweise erworben, oder | vorgespart worden; wird zu herrenlosem Gut. Wer die leitende Gewalthaber zu setzen habe,

[ 192] Zweites Konstitutionsedikt vom 14. Juli 1807

1599

wel= I che Befugnisse der Leitung diesen zustehen, wieweit solche vor sich allein oder mit Beywirkung aller | oder einzelner Korperschaftsgenossen zu handeln haben, welche Zwangsbefugnisse diesen fiir ihre An= | ordnungen allenfalls zustehen, oder ob sie ledglich durch Anrufiing obrigkeitlicher Hiilfe handeln mus= | sen, endlich wie weit ihre Schltisse einer ausdriicklichen oberherrlichen Genehmigung bedtirfen, dieses | mtissen die Grundgeseze jeder Korperschaft bestimmen; was darinnen nicht bestimmt ist, daniber | ordnet die OberpoHzey nach Ermessen. In jedem Fall bleibt fur alle Schltisse oder Ordnungen einer | Korperschaft, in soweit sie auf den Staatszweck Bezug haben, der Oberpolizeybehorde das Recht | der Minderung oder Mehrung, das jedoch die PrivatRechte der Gesellschaftsglieder nicht antasten, | sondem gebtihrend erhalten und schirmen muB. 10.) Das bisher gesagte gilt auch von StaatsAnstalten (Instituten) d. h. von | Sammlungen einzelner Staatsbiirger, die mit Aussicht auf sfete Fortdauer gemacht wurden, und die | unter einer von fremder Vorsorge aufgestellten mithin nicht gesellschaftlichen leitenden Gewalt ver= | bunden sind, zur blosen Theilnahme an dem Genus eines LebensVortheils, der durch fremde Bemu= | hung erzielt wird, und der zugleich mit unter die erganzende Theile des Staatszwecks gehort. Hier | kommen also stets zweierley verschiedene Gattungen von Betheiligten vor; Arbeitende und Geniessende. | Jedoch konnen hier die geniesende Mitglieder nie als Gesellschaftsglieder angesehen werden, mithin | kann niemals von Mitwiirkung derselben zu Schltissen tiber den Gang und das Interesse der Anstalt | die Rede werden, sondem sie sind blose Gesellschaftsgenossen und haben in dieser Eigenschaft kei= | ne wechselseitige besondere Rechte unter sich, sondem nur ein gemeinschaftliches Interesse und das I Recht an die ganze Gesellschaft zu verlangen, daB ihnen von dem GenuB mit dem sie eingetreten | sind, durch willkiihrliche Schltisse der Gesellschaftsglieder nichts entzogen werde. Ob tibrigens die | fiir den Zweck der Anstalt arbeitende Personen bios Staatsdiener nicht Gesellschaftsangehorige | seyen, in welchem Fall die Anstalt eine reine Staatsanstalt, wie z. B. Siechenhauser, Irren= | hauser u. dgl; oder ob diese zugleich Gesellschaftsgenossen und Vertretter der Gesellschaft seyen, in I welchem Fall eine gemischte Staatsanstalt vorhanden ist, wie z. B. Dienerwittwen=Ver= | sorgungsAnstalten, dieses hangt von Einsicht der Entstehungsvertrage ab. Eine reine Staatsan= | stalt hat kein eigenes Recht Schltisse zu fassen noch nach ihrem Ermessen zu bestimmen, was fiir | den Zweck geschehen soil, sondem dieses alles so weit es nicht durch die EntstehungsUrkunden un= | widerruflich bestimmt ist, hangt von dem jeweiligen Gutfinden des Regenten ab, und seine In= | stmctionen bestimmen den Umfang des Wtirkungs Kreises der Arbeiter in der StaatsAnstalt, so wie | der Genustheilhaber. Bei gemischten Anstalten hingegen findet ein doppelter Gesichtspunkt | statt. Das VerhaltniB der arbeitenden oder beytragenden Mitglieder unter sich und zum Zweck | des Ganzen ist jenes einer Korperschaft, und in soweit tretten die von diesen gegebenen Regeln | ein; das Verhaltnis der geniesenden Glieder hingegen unter sich zum Zweck des Ganzen ist das | zuvorgezeichnete einer reinen Staats=Anstalt, 11.) Alle in dieser ConstitutionsUrkunde genannte Staatspersonen - nemlich Gemeinden, I Korperschaften, Staats=Anstalten aller Art, sind als Minderjahrige anzusehen, und sind also in | Bezug auf ihre Handlungen und auf ihre Verm6gens=Verwaltung oder Veraussemng, aller de= | rer Rechte theilhaftig, welche durch die Rechts Gesezgebung des Landes oder der Provinz, in de= | nen sie existiren oder handeln, den Minderjahrigen zu Gut geordnet sind, haben aller, diesen zu= | kommenden besonderen StaatsVorsorge zu geniessen, aber auch alle die besondere Pflichten der | [S. 231 J Minderjahrigen zu erfiillen, so weit sie nach ihrer allgemeinen Natur und den besonderen Gmnd= | gesezen ihrer Verfassung auf sie anwendbar sind.

1600

§ 12: Baden

[Dok. 188-251]

12.) Die nach dieser Constitution bey mehreren Unserer Stadte nothig werdende neue Organisa= | tion, wodurch sie auf einen dieser Constitution angemessenen Stand umgebildet werden, wird | andurch Unseren administrativen Provinz^Collegien tibertragen, welche vordersamst zum Polizey= | Departement Unseres GeheimenRaths den Plan, wie sie dabey zu Werk gehen zu konnen vermei= | nen, um mit dem mindesten Nachtheil fiir die Stadtische Aerarien und Individuen die Sache | auszuftihren, femer die Kategorien, in welche jede der organisationsbediirftigen Stadte zu sezen | ist, und die besondere Modificationen, die etwa ihre Individualitat erfordert, gutachtlich anzuzei= | gen und desfalls die besondere Resolution nachmals zu erwarten haben. Indem Wir anmit gegenwartige Urkunde in ihrer Urschrift, mit Unserer Unterschrift begleitet | haben, und sie in Kraft immerdauemder pragmatischer Sanction und Staatsgrundgesezes fur Un== | seren neuen Staat verkunden, sofort den lezterwahnten Auftrag Unserer ProvinzCollegien erthei= | len, fordem Wir Unsere sammtliche Staats=Angehorige, hohen und niedem Standes und Unsere | sammtliche Diener jezige und kiinftige auf, sich gebtihrend hiemach zu achten, daran geschiehet | Unser Wille und meinen Wir das emstlich. Urkundlich Unseres beigedmckten Staatslnsiegels. Karlsruhe den 14. JuU 1807. Vt. Fr Brauer. (L. S.) Vt. S. E. Graf von Benzel Stemau Auf Sr. Konigl. Hoheit SpecialBefehl. | L. Winter.

[192/1] Art. 39 Nr. 4 des Gesetzes, „die Ausfiihrung des Biirgerlichen Gesetzbuchs betreffend", vom 17. Juni 1899 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einfiihrungen" die Darstellung unter [733.]. Quelle: Gesetzes- und Verordnungs-Blatt fur das GroBherzogtum Baden, (Nr. 22 vom 28. Juni) 1899, S. 229 - 248 (gedruckt). [Auszug] [S. 229] Gesetz. (Vom 17. Juni 1899.) Die Ausfiihrung des Biirgerlichen Gesetzbuchs betreffend. Friedrich, von Gottes Gnaden GroBherzog von Baden, | Herzog von Zahringen. Mit Zustimmung Unserer getreuen Stande haben Wir beschlossen und verordnen, | wie folgt: ...[S. 246] . . . Abschnitt IX. | Aufhebung von Landesgesetzen. Artikel 39. Aufgehoben werden: . . . 4. die Bestimmungen unter Ziffer 11 des zweiten Konstitutions=Edikts liber Gemeinheiten, | Korperschaften und Staatsanstalten vom 14. Juli 1807;

[193] Drittes Konstitutionsedikt vom 22. Juli 1807 1601 ...fS. 247] . .. Abschnitt X. | Uebergangs- und Schlussbestimmungen. ,..[S.

248]...

Artikel43. ^Vorstehendes Gesetz tritt gleichzeitig mit dem Biirgerlichen Gesetzbuch ftir das Deutsche | Reich, unbeschadet der Uebergangsvorschriften in den Artikeln 153 bis 217 des Einfiihrungs= I gesetzes zum Biirgerlichen Gesetzbuch in Wirksamkeit. ^Die Landrechtssatze 556 bis 559, 561 | bis 563, 640 bis 644 und 650 bleiben von der in Artikel 39 Ziffer 1 ausgesprochenen Auf= | hebung insolange ausgenommen, bis dieselben durch eine neues Wassergesetz ersetzt sind. Die Bestimmung des Artikels 33 Absatz 4 tritt sofort mit Verkundung des Gesetzes | in Kraft. Artikel 44. Die Ministerien sind je ftir ihren Geschaftskreis ermachtigt, den Text der Gesetze, die | in Folge der Einfiihrung des Biirgerlichen Gesetzbuchs und der in Artikel 1 des Einftihrungs= I gesetzes zum Biirgerlichen Gesetzbuch bezeichneten Reichsgesetze durch dieses Gesetz oder durch | Spezialgesetz geandert und theilweise aufgehoben werden, in der nach dem Inkrafttreten des | Burgerlichen Gesetzbuchs geltenden Fassung im Gesetzblatt bekannt zu machen. Gegeben zu SchloB Baden, den 17. Juni 1899. Friedrich. Nokk. Auf Seiner Koniglichen Hoheit hochsten Befehl. | Dr. Heintze.

[193] Drittes Konstitutionsedikt, die „Standes Herrlichkeits Verfassung in dem Grosherzogthum Baden betreffend'S vom 22. Juli 1807 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einfiihrungen" die Darstellung unter [734.]. Quelle: GroBherzoglich-Badisches Regierungs-Blatt, 5. Jahrgang, (Nr. 29 vom 25. August) 1807, S. 141-156(gedmckt). [S. 141] Landesherrliche Verordnung. StandesHerrlichkeits=Verfassung in dem Grosherzogthum Baden betreffend. Wir Carl Fredrich von Gottes Gnaden, Grosherzog zu Baden, | Herzog zu Zahringen u. s. w. Ober und Erbherr zu Fiirstenberg, Baar und Stiihlingen, | sammt Heihgenberg, HauBen, Moskirch, Hohenhoven, Wildenstein und Waldsberg; zu | Leiningen, Mosbach sammt Miltenberg, Amorbach, Duren, Bischofsheim; Hartheim und | Lauda; zu Klettgau; zu Thengen; zu Krautheim, zu Werthheim; zu Neidenau und Bil= | ligheim, auch Hagnau u. s. w. Wir finden Uns bewogen, die kiinftigsten staatsrechtlichen Verhaltnisse der durch die | Rheinische BundesActe Uns zugewandten ehemaligen teutschen ReichsFiirsten und Graven und I ihrer mediatisirten Gebiete, nach geschehener ausfiihrlichen Pnifung ihrer Uns vorgetrage= | nen Wiinsche und Erinnerungen, in Folgendem endlich zu bestimmen:

1602

§12: Baden

[Dok. 188-251]

§•1. ^Diese StandesHerren sind als StaatsBiirger zu betrachten. "^Statt personlicher | Huldigung hat das FamilienHaupt, oder, falls dasselbe minderjahrig ist, dessen Vormund= | schaft durch eine eigenhandig zu unterzeichnende SubjectionsUrkunde sich und seine sammtli= | chen FamilienGlieder zu verpflichten: „Uns als dem souveranen LandesFtirsten und dereinst Unsem RegierungsNachfol= I gem getreu und gehorsam zu seyn, und alles das zu thun und zu lassen und anzu= | wenden, wozu sie als getreue Staatsbtirger gegen Uns und Unsere RegiemngsNachfol= | ger verpflichtet sind." §•2. Sie erhalten alle jene personlichen Rechte und Vorztige, welche in Unsem Landen der | ersten Classe des Adels wirklich zustehen oder kiinftig zustehen werden. [S. 142] §.3 ^Sie konnen diejenigen Titel und Wappen fortfiihren, welche sie vor ihrer Unterwer= | fung gehabt haben, nur mit Hinweglassung aller jener Pradicate und Zeichen, welche auf | das ehemalige Teutsche Reich Bezug haben, oder welche sie als Regenten des Landes be= | zeichnen, oder welche auf abgetrettene tiberrheinische, nicht den Stamm=Namen bezeichnende | Besizungen Bezug haben. "^Sie konnen sich demnach nicht Reichs=Fursten, ReichsGrafen, 1 sondem nur Ftirsten, Graven, nennen; sie konnen den Beisatz: regierende und von Gottes | Gnaden: nicht gebrauchen. ^Der ersten vielfachen Person: Wir, konnen sie sich nur in | Schriften und Handlungen bedienen, die nicht mit Uns oder Unsem Behorden verrichtet und | an Uns oder an diese gerichtet werden. §.4. ^In ihren Schriften an die oberste und die mittlere LandesStellen sollen sie sich nach dem 1 fur andere Unterthanen vorgeschriebenen Ceremoniel richten. ^Auch werden diese Stellen in den | Erlassen an sie eben derselben Formen, wie bei andem Unterthanen, jedoch unter Beisezung | des Worts: Herr: ohne weiteres Pradicat, sich bedienen. §.5. ^Ihnen wird auf Verlangen eine EhrenWache von Unserm Militar an alien denjeni== | gen Orten ihrer StandesGebiete, wo Militar in Gamison ist, verwilligt. "^Gleiche Vergun= | stigung geniesen auch die Wittwen der Haupter der standesherrlichen Familien. ^Denjenigen | StandesHerren, welche die Bewachung durch ihre Jager oder eigene Bedienstete auf ihre | eigene Kosten einer Landesherrlichen EhrenWache vorziehen, bleibt die Haltung eines solchen I eigenen TrabantenCorps von 25. bis 30. Mann freigestellt.

^In dem KirchenGebet kann, wo es bisher im StandesGebiete tiblich war, des | StandesHerm und seines HauBes nach Uns und dem Unsrigen erwahnt werden. ^In der | GebetsFormel aber fmdet eine nahere Specialisimng der standesherrlichen FamilienGlieder, | als bei Unserm HauBe tiblich ist, nicht Statt. ^In Trauerfallen der standesherrlichen Fa= | milie wird das KirchenGelaut und die SaitenspielsEinstellung im StandesGebiete halb so | lange als bei gleichen Fallen in Unserer Familie bewilligt. §•7. ^In Betreff ihres standigen Aufenthalts giebt die bestimmte Verordnung des §. 31 | der BundesActe Maas und Ziel. "^Einen temporaren Aufenthalt ausserhalb der dort benann= | ten Lande werden Wir ihnen auf Ansuchen nicht erschweren. ^Gleiche Wahlfreiheit, mit |

[193] Drittes Konstitutionsedikt vom 22. Juli 1807

1603

denselben Beschrankungen, haben sie in Ansehung des Eintritts in fremde Dienste. "^Gegen | Staaten, welche etwa andere Grundsaze aufstellen und die StandesHerren nothigen wollten, I in ihnen ihren Wohnsitz aufzuschlagen, oder ihnen ausschlieBlich ihre Dienste zu widmen, | behalten Wir Uns erforderlichen Falls die Erwiederung dieser Grundsaze vor.

^Ihre bisher bestandene FamilienGeseze bleiben in ihrer Kraft, so weit sie mit der Bun= | [S. 143] desActe und Unseren LandesGesezen vertraglich sind. '^Doch unterliegen dieselbe alsdann, | wann sie im Ganzen oder in einzelnen Stellen vor Gericht gebraucht werden wollten, vorerst, | ehe darauf gesprochen werden kann, zu Priifung ihrer StaatsUnverfanglichkeit Unserer landes= | herrlicher Einsicht und Bestatigung. ^Auch in Zukunft bleibt den StandesHerren ihre Fa= | milien= Autonomie, aber die kiinftigen dahin gehorigen Statuten mtissen, wann sie gtiltig seyn | sollen, jedesmal sogleich Uns zur Prufiing und Bestatigung vorgelegt werden. §•9. ^In alien, ihre Personen und Familien betreffenden Gegenstanden der RechtsPolicei | oder der willkuhrlichen Gerichtsbarkeit stehen sie unter Unserer und Unsers JustizMiniste= I riums oberster Leitung. "^Obsignationen, Inventuren und Theilungen bei Sterbfallen in der | standesherrlichen Familie werden von ihrer JustizCanzlei besorgt, mtiBen aber zur Einsicht | und Genehmigung an Unser JustizMinisterialDepartement einsendet werden, welches die hie= | her gehorigen Anfragen, so lange kein RechtsStreit dariiber entsteht, zu entscheiden hat. | ^Ihm steht auch die obervormundschaftliche Obsorge liber minderjahrige und solche Standes= | Herren, die nach den Gesezen zu bevormunden sind, in dem Maase zu, wie sie von Unsem | HofrathsCollegien liber canzleisaBige Personen und ihre Familien ausgelibt wird. §.10. ^In streitigen RechtsSachen werden die StandesHerren, rlicksichtlich ihres Perso= | nalGerichtsstandes, wie Unsere privilegirtesten StaatsBlirger, nemlich wie die obersten | StaatsDiener, behandelt. '^In RealSachen aller Art stehen sie als Beklagte in erster In= | stanz unter dem Hofgericht der Provinz, wohin ihre Besizungen gehoren. ^Eben diesen Ge= I richtsstand haben ihre DomanialCanzleien. §.11. ^In PolizeySachen haben die StandesHerren, wie andere Unterthanen, die Poli= | ceiGeseze zu beobachten, und die Uebertretungen derselben, die von Mitgliedem ihrer Fami= | lien innerhalb ihrer StandesGebiete begangen werden, vermoge dieses Unsers bestandigen | Auftrags, zu riigen, '^Die StandesHerren selbst unterliegen fiir ihre Personen innerhalb ih= | rer StandesGebiete keiner standigen executiven PoliceiGewalt, sondem sie sind nur Uns al= I lein und denjenigen, die Wir etwa in vorkommenden Fallen besonders bevollmachtigen wer= | den, fur policeiwidrige Handlungen verantwortlich. ^Ausserhalb ihrer StandesGebiete stehen | die StandesHerren und ihre FamilienGlieder unter denjenigen policeilichen Obrigkeiten, denen | Unsere privilegirtesten StaatsBlirger daselbst unterworfen sind. §.12. ^In peinlichen Fallen sezen Wir fur die Haupter der standesherrlichen Familien, | mit Ausdehnung auf ihre Gemahlinnen und Kinder wahrend den Lebzeiten ihrer Gatten und | Vater, in Gemasheit des §. 28 der BundesActe, folgende AuslibungsArt des Austragal | Privilegiums fest: der Beschuldigte benennt 3. StandesHerren, die in Unsem Landen | [S. 144] StandesGebiete besizen. "^Jeder derselben emennt 2. subdelegirte Rathe aus Unsem Unter= |

1604

§ 12: Baden

[Dok. 188 - 251]

thanen. ^Wir wahlen den Prasidenten. '*Das Gericht emennt seinen Actuarius und s. Un= | tersuchungsCommissarien. ^Diese konnen nicht zugleich Mitglieder des Gerichts seyn. ^Sie in= I struiren den ganzen ProceB unter der Leitung des Gerichts. ^Der Prasident emennt den Re= I und Correferenten unter den Rathen. ^Das Urtel wird in Unser JustizMinisterium zur Be= I statigung eingesendet. ^In Fallen, wo nach Unsem LandesGesezen die Berufung von Ur= I theilen der HofGerichte ans OberhofGericht gehen kann, steht diese den Verurtheilten I frei. Die gegen die StandesHerren etwa nothigen policeilichen Maasregeln in CriminalSachen I werden in gewohnlichen, jedoch ihrem Stand und Ansehen angemessenen Wegen auf Anord= | nung Unsers JustizDepartements, oder wann eilige Falle vorkommen sollten, der Provincial^ | Regiemngen ergriffen. §=13. ^Alle Privilegien und Freiheiten, welche die StandesHerren unter ihren vormali= | gen Verhaltnissen zum teutschen Reiche genossen haben, konnen nur durch Unsere Bestattigung I ktinftig eine Wirkung haben. "^Ausserdem sind sie als erloschen anzusehen. §.14. ^Die reprasentative Gewalt gegen andere Staaten kommt einzig Uns als dem Sou= | veran zu. •^Keinem StandesHerm ist demnach erlaubt, an auswartige Regiemngen Agenten | mit diplomatischem Character abzusenden, oder solche von Auswartigen bei sich anzunehmen | und mit ihnen zu unterhandeln. ^Was sie an auswartige oberste StaatsBehorden zu I bringen haben, sollen sie Uns anzeigen, wo Wir sie sodann durch Unsere Gesandtschaften I werden vertreten lassen. "^Unter dieser Beschrankung sind aber jene Angelegenheiten nicht be= | griffen, welche sie mit auswartigen Staaten riicksichtlich ihrer darinn liegenden Besizungen zu | verhandeln haben. §.15. ^Die Lehenherrschaft liber die StandesHerren, welche Unsem alten Landen und je= | nen, die Wir durch den ReichsFriedensReceB von 1803. oder durch den PresburgerFrieden | erlangt haben, anhangt, und innerhalb Unsers souveranen BundesBezirks auszutiben ist, | soil femer fortbestehen. "^Eben so gebtihrt Uns nunmehr innerhalb Unsers souveranen Staats I die LehenHerrschaft tiber alle bisherige ActivLehen auswartiger Souverans sowohl, als des | vormaligen teutschen Reichs. Ausnahmsweise hievon begeben Wir Uns zum Vortheile der StandesHerren der Lehen= I Herrschaft in Betreff derjenigen Lehen, welche in den zu Unserm Staate gehorigen Theilen | des vormaligen Schwabischen und Frankischen Craises gegen die Oesterreichische Monarchic | [S. 145] im Ganzen oder gegen nicht abgetretene Kaiserlich=Oesterreichische Provinzen LehensPflicht | auf sich getragen haben. Die StandesHerren haben die Lehen, wortiber nach dieser Declaration die LehenHerrschaft I Uns zugefallen ist, binnen der gesezlichen Frist von 1. Jahr 6. Wochen und 3. Tagen, I von ihrer Publication an, unter Einsendung des altesten und jiingsten LehenBriefs und ei= I nes Verzeichnisses aller LehenStucke bei Unserm JustizMinisterialDepartement als LehenHof | gebixhrend zu muthen und alle iibrigen Erfordemisse zu beobachten. §.16. ^Alle nach dieser Deklaration der Souveranitat zugefallene Rechte und Nuzungen | konnen nicht mehr Gegenstand eines Lehens seyn, so fem Wir sie nicht neuerdings zu verleihen I gut fmden. "^Sie werden demnach jezt gleich Uns zugeeignet und bei ktinftigen Belehnungen | aus den LehenBriefen ausgeschieden.

[ 193] Drittes Konstitutionsedikt vom 22. Juli 1807

1605

§. 17. ^Den StandesHerren bleiben die ActivLehen, woruber sie zur Zeit der BundesActe | die LehensHerrschaft rechtmasig besessen haben, innerhalb Unserer Lande in so weit, als damit I nur Giiter, Renten und Rechte, die sie selbst als Eigenthum besizen konnten, verbunden sind. | ^Was von denselben zur Souveranitat gehort (§. 16) das fallt Uns zu. ^Den Standes= I Herren wird die Art und WeiBe der Begebung ihres ActivLehen, so weit sie Unsem Landes= | und demnachst ergehenden LehensGesezen gemas ist, tiberlassen. "^Sie konnen also auch ihre | Lehenhofe beibehalten; diese konnen aber femer keine Jurisdiction in streitigen LehensSachen | austiben welche nicht durch die Sanction der neuen LehensConstitution bestatiget wird. §.18. ^Die Unterthanen in den StandesGebieten haben ihrem jeweiligen Souveran, nach | anliegender Formel, den HuldigungsEid zu leisten. ^Der jeweilige StandesHerr ist befugt, | sie nach der weiter anliegenden Formel fur sich in Pflichten zu nehmen. §.19. ^Ueber die Personen, Unterthanen, Ortschaften und canzleisassigen Giiter derjenigen | Kavaliers, welche bisher ganz oder rticksichtlich einzelner HoheitsRechte den StandesHerren I unterworfen waren, hort ktinftig alle obrigkeitliche Gewalt derselben, welchen Namen und I Umfang sie auch immer gehabt haben mag, jedoch einstweilen noch mit Ausnahme der cent | baren Berechtigungen (§. 23) auf. ^Diese Kavaliers und ihre Besizungen treten in dieje= | nige Verhaltnisse ein, in welchen der vormals unmittelbare Adel in Unserm Souveranen= | Staat ktinftig bestehen wird. §•20. Die Gesezgebung in alien ihren Theilen ist ein Uns allein innerhalb Unserer Lande | zustehendes Recht. Den StandesHerren bleibt jedoch die Befugnis, Gebote und Verbote in Gegenstanden, | [S. 146] welche die in ihrem Wirkungskrais liegende vollziehende Gewalt betreffen, innerhalb ihrer | Standesgebiete zu erlassen. Femer steht es ihnen frei, ihren Dienem Reglements und Vorschriften tiber ihre Amts= | fahrung rticksichtlich solcher Gegenstande, welche die Verwaltung ihrer Patrimonial^ und | EigenthumsRechte betreffen, zu ertheilen, z. B. liber die HerrschaftsFrohnden, die Jagden, | die ForstBenuzung und dergleichen. Diese Gebote, Verbote, Reglements und Verftigungen konnen jedoch niemals Unsem | LandesGesezen entgegen seyn, wo dieses jezt oder ktinftig ware, verfallen sie von selbst. Die dermalen in den StandesGebieten bestehenden Geseze und Verordnungen behalten, | so lang Wir sie nicht ausdriicklich aufheben, oder etwas verordnen, was folgweise ihre | Unwirksamkeit mit sich bringt, ihre verbindliche Kraft. §.21. Die Publication der Geseze geschieht in den StandesGebieten ganz auf die nem= | liche Art, wie in Unsem iibrigen Landen. §.22. ^Das Recht, Gnaden Briefe oder Privilegien zu ertheilen, gebtirt Uns allein: | das Nachsichts= oder DispensationsRecht hingegen gestatten Wir den StandesHerren der | Regel nach in alien Fallen, wo die executiven Behorden oder UnterPoliceyStellen | Unserer EigenthumsLande dasselbe austiben konnen. "^Auch wollen Wir solches auf alle Wan= | derDispensationen und auf die AlterDispensationen ad effectum nubendi, vom vollbrachten |

1606

§ 12: Baden

[Dok. 188-251]

14 Jahr bei Weibspersonen und 20 Jahr bei MannsPersonen an, ausdehnen, mcksichtlich | dieser lezteren aber muB jedesmal zuvor bei der MilitarBehorde die MilizDispensation einge= I holt werden. §.23, ^Die Jurisdiction in burgerlichen Rechts= und policeilichen Straf= auch Ehe= | Sachen ist ktinftig iiber amtssaBige Personen und Sachen in eben dem GewaltsUmfang von [ den standesherrlichen Aemtem zu verwalten, wie sie von den Aemtem Unserer alten Lande | in ihren GerichtsBezirken besorgt wird. "^Jedoch kann sich in der Kegel ihr WirkungsCrais | nie weiter als auf den Umfang der StandesGebiete und in solchem nur auf ihre Angehorige | und Fremde nicht aber auf Unsere Diener und Angehorige erstreken. ^Ausnahmsweise lassen I Wir die von den StandesHerren und in ihrem Namen bisher ausgeiibte centbare Rechte in I ritterschaftlichen und andem Ortschaften Unserer Lande ausserhalb der StandesGebiete einst= I weilen noch fortbestehen, bis Wir, nach naherer Erforschung der CentVerhaltnisse, die Cent | Verfassungen ganz aufzuheben im Stande seyn werden. ^In CriminalSachen gehort nur die Instruction der Processe unter der Leitung der einschla= I [S. 147] genden hoheren GerichtsBehorde den standesherrlichen Aemtem. ^Die Grenzen der btirgerli= | chen Straf= und der CriminalSachen bestimmen sich durch Unser 8tes OrganisationsEdict | von 1803. §. 24. ^Zu Austibung der biirgerlichen Gerichtsbarkeit in 2ter Instanz iiber die Amts= | saBigen, in erster Instanz liber die canzleisaBigen Unterthanen der StandesBezirke, so= | dann der Strafpeinlichen auch EheGerichtsbarkeit innerhalb dieser Bezirke bewilligen Wir | den StandesHerren die Haltung von JusitzCanzleien unter der Bedingung, daB sie dieselbe | aus den ihnen bleibenden Einkiinften unterhalten und daB diejenige, welche dazu ein eigenes | Personal von wenigstens 2 Rathen und einem Director oder Canzler nicht aufstellen kon= | nen oder wollen, entweder diese Gerichtsbarkeit an Unser ProvinzHofGericht fallen lassen, I oder sich einem nachstgelegenen Standesherm auf gewisse von Uns zu genehmigende Bedin== | gungen anschlieBen, wodurch sie bei Besezung der dortigen Justizcanzlei eine billige Concurrenz | erhalten. '^Der Gewalts=Umfang dieser Gerichte ist ganz dem Unserer HofGerichte analog. | ^Nur gehoren ihre eigene Rathe und Beisitzer in Personal und Strafsachen nicht unter ih= | ren Gerichtszwang, sondem unter den der einschlagenden Hofgerichte. "^Auch stehet ihnen, | so wie tiberhaupt den standesherrlichen Behorden in Fallen, wo von einem Vergehen eines | standesherrlichen Dieners oder Unterthanen gegen den Souverain, oder dessen Behorden die | Frage ist, keine Gerichtsbarkeit zu. §.25. In Hinsicht auf die Polizeiverwaltung sollen alle diejenigen Gegenstande, welche | nicht namentlich hierunten ausgenommen und ausschlieBlich der oberen Polizei vorbehalten | sind, der ordentlichen Leitung und Obsorge der standesherrlichen Beamten und ihrer Justiz= I Kanzleien unter der Oberaufsicht unserer betreffenden Landesstellen mit der Einschrankung uber= | lassen bleiben, daB unsere und ihre Einschreitung Leitung und Anordnung sowohl in Recurs= | fallen der Betheiligten, als auch sonst so oft und so weit eine zureichende, durch die Gese= | ze gebilligte Veranlassung vorhanden ist, eben so wie bei unseren eigenen grundherrlichen Ge= | richtsbarkeiten eintreten konne.

[193] Drittes Konstitutionsedikt vom 22. M i 1807

1607

§. 26. Unter die der Oberpolizey ausschlieBlich vorbehaltene Gegenstande gehoren die Bil= | dung, Bestatigung oder Auflosung der Gemeinden, Korperschaften und StaatsAnstalten, die I Bestimmung und Aenderung ihrer Verfassungen, die Ertheilung von Rechten und Freihei= | ten an sie. Femer §.27. Die Wahrung, Erhaltung und Berichtigung unserer LandesGrenzen und uber= | haupt die Besorgung des Interesse unseres Staates und seiner Theile in den Verhaltnissen | mit Auswartigen rucksichtlich aller Zweige des offentlichen Wohls (§. 14) Desgleichen [S. 148] §.28. ^Die Aufnahme landfremder Mannspersonen zu Landesunterthanen. ^Die Entlas= | sung derselben ausser Landes. Sodann §.29. Alle Einrichtungen zu Leitung und Beforderung des Handels, die Errichtung und | Aufhebung der Ziinfte; die Ertheilung der Handels= Handwerks=^ und ZunftOrdnungen, | die Verleihung von Gewerbs= und Handelsfreiheiten, namentlich auch der Mtihlenrechte, | der Tavern und WirtschaftsGerechtigkeiten aller Art, sie mogen personlich oder dinglich | seyn, der freyen Ein= und Ausfuhr der Producten, der Stadt= und Marktberechtigungen; | (wogegen gemeine Kramereien, Feuerrechts= Handwerks und Hausierbewilligungen, soweit sie | bios personlich sind, den Standesherren zur Ertheilung verbleiben) Femer §.30. Die Anordnungen in Hinsicht auf die allgemeine LandesCultur. Auch §.31. ^Die obere Leitung der offenthchen UnterrichtsAnstalten. ^Die Prufung und Be= | fahigungsErklamng der Kandidaten zu offentlichen Staatsdiensten in unseren Landen, mit | EinschluB der Pfarrer und Schulkandidaten aller Religionen. Hiemachst §.32. ^Die Oberaufsicht tiber die HeerstraBen und Fliisse; die Anordnung und Leitung | der Anstalten des LandstraBen und Wasserbaues, wovon die Vollziehung durch die standes= | herrlichen Behorden zu besorgen ist. "^Die Aufsicht tiber die zu diesen Anstalten bestinim= | te offentliche Kassen und Verwendungen in Geld, Materialien und Arbeit, wohin vorzug= | lich die Chaussee= Gelder (wovon die Standesherm in ihren Gebieten frei sind), die Chau= I see= Schatzungen, die FluBbau=Gelder und die Landesfrohnden gehoren. - Auch §.33. Das Postrecht; so wie §.34. Das Mtinzrecht und die dahin gehorigen PolizeiEinrichtungen. Annebst §.35. Die oberste Forst= und JagdPolizei worunter Wir begreifen: die Oberaufsicht | tiber die Waldcultur, die Anordnung von Waldvisitationen, die Verbote des Holzverkaufs | ausser Lands, wo es nothig erachtet wird, die Anstalten gegen Wildschaden, die gesezliche | Bestimmung der Forstaxen und Strafen, und ihre Ermasigung in Recursfallen. Nicht | minder.

1608

§ 12: Baden

[Dok. 188 - 251]

§.36, Die Leitung der allgemeinen MedicinalAnstalten aller Art; die LandesEinthei= | lung in Phisicats= und Landchimrgats=Districte; die Emennung derjenigen Medicinal^ | Diener, die fur mehrere unter verschiedene Standesherren gehorige oder fur Landes= und | Standesherrliche Bezirke zugleich angestellt sind. Endlich §.37. Die obere Polizei in BergwerksSachen; die gesetzgebende und richterliche Ge= | [S. 149] wait rucksichtlich derselben; die Ertheilung der Bergbau=Concessionen, wenn ein Stan= I desherr im Standesgebiet ausserhalb seines Eigenthums einen neuen Bergbau anlegen will §.38. Rucksichtlich aller in unseren Landen vorhandenen Religionen gebuhret Uns allein | und dem jeweiligen Souverain die Kirchliche StaatsGewalt, und rucksichtlich der protestan= | tischen Religionen weiter noch die Kirchenregiemng. §.39. Hiemach behalten Wir bei alien Religionen Uns vor: Das Recht ihrer Reli= | gionsUebung zu bestimmen - die Zulassung der zu Kirchendiensten prasentirten Subjecte von | Staatswegen - die EinwilligungsErtheilung, und nach Befinden Mitwirkung bei Pfrund= | Resignationen, Pfrundeinnungen und Theilungen - die Aussicht auf die Amtsfuhrung der | Geistlichen, der Schullehrer, und die Ordnung der Schul= und Unterrichtsanstalten, - | die obere Leitung der Verwaltung des Kirchen=Schulen= und milden StiflungsVemio= | gens. §.40. Bei den protestantischen Kirchen insbesondere gebtihrt Uns das Recht, Kirchen= | ordnungen zu machen, Consistorien und Kirchenrathe anzuordnen, Diocesen zu organisieren | und liberhaupt als protestantischer Landesherr die geistliche Regierung in ihrem vollen Umfan= I ge zu iiben und in Unserm Namen verwalten zu lassen. §.41. ^Den Standesherren bleibt die Vergebung von Kirchen und Schuldiensten an ge= | priifte und dienstfahig im Land erkannte Subjecte (§. 31) an alien Orten Unseres Staats, | wo sie diese Befugnis bisher besitzlich und rechtlich hergebracht haben. '^Jedoch bedingen | Wir hiebei, daB sie Uns die Vergebung derjenigen geistlichen Dienste abtreten, welche Wir | zu Superintenduren, oder Inspectoraten zu bestimmen gut finden. ^Die Prasentirten mtissen | bei Katholiken Unser GutheiBen ihrer Emennung und die weltliche Einweisung, bei Protestan= | ten die Bestatigung und Diensteinweisung von Uns erlangen. - ''Femer bleibt dem Stan= I desherm die VerwaltungsObsorge liber das Kirchen, Schulen und milden StiftungsVermo= | gen unter Unserer Leitung. §.42. ^Das Recht der MilitarConscription fallt mit dem ganzen Umfang der Militar= | Gewalt an Uns. ^Daher gebtihrt Uns auch die Disposition tiber diejenige LandesKassen und | Einkunfte, die zu Bestreitung des militarischen Aufwands und liberhaupt zu militarischen | Zwecken bisher bestimmt waren. §.43. ^Alle Steuem in den Standesgebieten fallen ktinftig in Unsere StaatsKassen. "^Die | Liegenschaften und Einkiinfte der Standesherren werden eben so, wie die der Ftirsten Unseres |

[193] Drittes Konstitutionsedikt vom 22. Juli 1807

1609

Hauses in ordentliche Schatzung gelegt, soweit sie von der Beschaffenheit sind, daB auch | [S. 150] andere steuerpflichtige Klassen Unserer Unterthanen davon ordentlich besteuert werden. ^Diese | Besteuerung nimmt ihren Anfang vom 23 April d. J. "^Nur die Residenzschlosser der Stand= | desherren mit den dazu gehorigen Hofraiten, Hof und Lustgarten sind davon frei. §.44. ^Die Besteuerung der standesherrlichen Liegenschaften wird jeden Orts einstweilen | nach demjenigen FuBe regulirt, der bei den ungefreiten in jener Gegend tiblich ist, jedoch so, I daB ihr BesteumngsVerhaltnis gegen diese nur wie 2. zu 3. angesezt werde. ^Diese gerin= I gere Besteurung hort jedoch auf, sobald standesherrliche Gtiter in das Eigenthum soldier I Unterthanen, die dieser Begtinstigung nicht geniesen, tibergehen. ^Auch findet sie auf diejeni= | gen Gtiter, welche die Standesherren etwa kiinftig von diesen Unterthanen erwerben, und auf diejenigen, welche sie bisher schon ordentlich versteuerten, seine Anwendung. §.45. Ausser der Steuer erklaren Wir folgende Auflagen fiir landesherrlich: a) den Arcis, Licent, Pfundzoll, von welchen Abgaben jedoch die Standesherren riicksicht= I lich der zu ihrer HauB= und Hofhaltung nothigen Consumtibilien frei sind. b) das BesalzungsRecht, c) das Stempelpapier, d) den Ertrag der Land= Heer und Poststrassen, namentlich Landzoll mit der den Stan= I desherren in eben der MaaBe wie ad a zustehenden Befreiung, Gelaitsgeld. e) die Nutzungen der WasserstraBen namentlich Wasserzoll mit der obigen FreiheitsVer= I giinstigung fiir die Standesherren, Flozgeld, auch Wasserfallzinns. f) das Salpeter Regal, g) Das Recht tiber herrenloses Gut, die Lacherben=Gelder, den Bastardfall, das Ba= | starderben, wo es hergebracht ist. h) Das Vorkaufsrecht der BergwerksAusbeuten nach Maasgabe des in Unsrem 7ten Or= I ganisationsEdict von 1803 Art. 27 enthaltenen Begriffs eigentlicher Bergwerke i) Den ConfiscationsErtrag. k) Die Goldwasche. §.46. Den Standesherren allein verbleiben a) alle Einkiinfte von ihren DomanialHofen, eigenthtimlichen Gtitem, Schafereien, Erb= I lehen. [S. 151] b) Alle bisher gezogene Zehenden, Bodenzinse, Gtilten, auch Handlohn von Gtitem, I das NeubruchsZehendrecht kommt da, wo es nach bisheriger Uebung landesherrlich gewe= I sen ist, denen Landesherren als Grundherren zu, bleibt aber dem ordentlichen Zehendherm | da, wo er es besizlich oder rechtlich als Zugehorde seines Zehendes hergebracht hat. Nur | soil kiinftig der allgemein ausgenommenen Regel gemas a) den innlandischen Pfarreien, wo sie decimatores ordinarii minores gewesend sind, auch I in NeubruchsDistricten der kleine Zehend zufallen. b) Soil in Fallen, wo zwar Neubriiche angelegt, dagegen aber vorher gebaute Districte in I Urban versezt worden sind, kein NeubruchZehenden eintreten, sondem der Zehende dem or= | denthchen ZehendHerm zukommen. Femer verbleiben den StandesHerren:

1610

§12:Baden

[Dok. 188-251]

c) die eigenthiimlichen Brauereien, Bier= Wein=^ BrandweinVerlag. d) Alle aus dem LeibeigenschaftsVerband fliefiende Abgaben, als Leibschilling, Rauchhtiner, | Todfall, ManumissionsGebiihren. e) Die seither tiblich gewesene Zwang= oder Bannuzungen, auch ausschlieBliche Gewerbs= | Verpachtungen, namentlich Bannkeltem, Bannbackofen, Bannmtihlen, Bannwein, Bann= | Braurrecht, und Kaminfegereipacht, jedoch unter der Bedingung, sich den Ablauf solcher | Nutzungen gegen den DurchschnittsErtrag jederzeit gefallen zu lassen. f) Die Recognitionen von Gewerben, sofem sie nicht die Stelle der Gewerbs=Schazung | vertreten. g) Die Einkiinfte der Bergwerke mit dem Anfiigen, daB solche innerhalb ihrer StandesGebiete | nur alsdann von andem neu angelegt und bebaut werden konnen, wenn die Standes= | Herren sich in bestimmter Zeit erklaren, sie nicht selbst bauen zu wollen. h) Die Forstgefalle und WaldrtigStrafen, so weit sie sich bisher in deren Bezug befunden I haben. Ebenso i) die Jagd= und FischereiNuzungen, und k) die Herrschaftsfrohnden, und Herrschafts= Frohnd= Reluitionsgelder. 1) Die bisher tibliche Abzugs= und EmigrationsGebtihren, mit der Beschrankung daB das I Abzugsrecht bei keinem Zug innerhalb Landes in Austibung komme. §.47. Als theilbar zur Halfte zwischen Uns und den StandesHerren erkennen Wir a) das Ohmgeld. [S. 152] b) die JudenschuzGelder, welche jedoch da, wo Judenschazung eingefuhrt ist, ganz den I Standesherren bleiben. c) Die Gerichtsbarkeits= und Polizeigefalle namentlich Taxen, Sporteln, Strafen, theilen I sich nach der Berechtigung der Gerichtsbarkeits= und Polizeigewalt, und fallen daher | Uns oder den StandesHerren zu, je nachdem Unser oder ihre Stellen die Verwilligung | zu ertheilen, die Geschafte zu besorgen oder die Uebertretung zu rtigen haben, mit der | Einschrankung, daB wo sie ohne eine Strafe wegen Unterschleif bei Gefallen angesezt wird, | ohne Riicksicht auf die Stelle, welche sie ansezt, Uns oder ihnen allein gehort oder getheilt | wird, je nachdem das Gefall, wogegen der Unterschleif getrieben wird, zu beziehen ist. Ueber die Bestimmung der Stellen, welche dergleichen Gefall=Unterschleife, wenn die I Gefalle Uns gehoren, zu riigen haben, behalten Wir Uns noch besondere Verfiigung I vor. §.48. Wenn Abgaben in den mediatisierten Landen vorkommen sollten, welche nicht unter [ eine der vorhin erwahnten Klassen gehoren, so behalten Wir Uns die besondere Bestimmung I daniber vor, mit der Zusicherung, sie nach der Analogic des bisher gesagten zu behandeln. §.49. ^Neben den LocalBeamten, Receptoren und JustizKanzleien und dem Subaltern | Personal dieser Behorden konnen die StandesHerren zu Verwaltung ihrer Patrimonial=Ein= | kunfte eine besondere Domanial=Kanzlei anordnen und dieselbe mit einem Director und der er= | forderlichen Anzahl von Rathen, Secretarien, Kanzlisten und Rechnungs=Verstandigen besezen. | ^Ausser diesen und den bei ihnen iiblichen Hofamtem ist ihnen nicht

[193] Drittes Konstitutionsedikt vom 22. Juli 1807

1611

erlaubt, andere zu verlei= | hen. ^Blose TitulaturErtheilungen ohne Amt sind Ihnen nicht gestattet. ''Diejenige ihrer Die= | ner, die bereits andere Titel haben, behalten dieselbe fernerhin. §.50. ^Alle von den StandesHerren zu solchen Diensten zu bestellende Diener, die nach | den Landesgesezen eine besondere Befahigung fordem (§.31.) mtissen von ihnen aus der Zahl | der landesherrlich gepriiften und approbirten Subjecte gewahlt und Unserem Ministerio ange= I zeigt werden. '^Nur rucksichtlich ihrer CameralDiener sind sie an jene Wahl nicht gebunden. | ^Alle mtissen aber nothwendig Landeseingebohme seyn, oder als LandesUnterthanen vor ihrer | Emennung von Uns angenommen werden. §.51. ^Die zur Justiz= und PolizeiVerwaltung bestimmten standesherrlichen Diener sind | Uns nach anliegender Formel mit Handgeltibd zu verpflichten, und mogen auf ahnliche Art | auch dem StandesHerm, nach ihrem Dienstverhaltnis gegen ihn verpflichtet werden. ^Sie | sind Uns und Unsem Behorden fur ihre ganze in diese Gegenstande einschlagende Amtsverwal= | tung, dem StandesHerm aber rucksichtlich aller GeschaftsZweige derselben, welche nach die= | [S. 153] ser Constitution in dessen Wirkungskreis gehoren, verantwortlich, besonders aber auch gehal= | ten, sich nach derjenigen Verhaltnissen, welche zwischen Uns und ihnen festgesezt sind, genau | zu achten. ^Ihre Gehalte haben sie in der Regel aus den Einkiinften, welche den Standes= | Herren bleiben, zu beziehen. "^Sie konnen ohne Landesherrliche Genehmigung nicht suspen= | dirt, weniger noch entlassen werden. ^Ihre allgemeinen Dienerverhaltnisse werden sich nach | dem demnachstigen Edict tiber Rechte und Pflichten der Staatsdiener richten. §.52. V o n den bisherigen ActivDienem der Standesgebiete fallen diejenigen Uns aus= | schlieBlich zur femem Besoldung eher Pensionierung zu, welche verfassungsmaBig ihre Ge= I halte aus Militar= und Schatzungsgefallen bezogen, wie z. B. MilitarPersonen, Reichs= | und KraisGesandte, ReichsGerichts=Agenten etc. oder welche allein fur die Verwaltung I der SouveranetatsRechte und Einktinfle angestellt waren, z. B. Zoller, Zoll=Inspectoren etc. | dagegen verbleiben den StandesHerren ausschlieBlich diejenigen Diener, die zu ihrem besonde= | ren Dienste, wie z. B. Hofdiener, bestimmt, oder zu Verwaltung der ihnen bleibenden Ein= | ktinfte gesetzt, oder als LocalDiener zu Austibung der niedem Jurisdiction und Polizei ange= | stellte waren. •^Die tibrigen fur die Administration des Ganzen angestellten Diener werden, | soweit sie zu Verwaltung der dem StandesHerm bleibenden Rechte und Einktinfte tiberfltissig | sind, nach VerhaltniB des KammerEinkommens, welches dem Souverain zufallt, gegen das= | jenige, was dem StandesHerm bleibt, zwischen beiden ihrem BesoldungsBetrag nach ge= | theilt. §.53. ^Von den dermalen bereits vorhandenen Pensionisten werden Wir diejenigen tiber= | nehmen, welche zuletzt vor ihrer Pensionimng solche Aemter bekleidet haben, deren Besoldun= I gen verfassungsmasig auf solchen Kassen und Einkiinften mhen, die Uns allein zufallen. ^Da= | gegen sind diejenigen von den StandesHerren allein zu tibemehmen, die unmittelbar vor ihrer | Pensionimng Aemter verwaltet haben, deren Besoldungen auf blosen standesherrlichen | Patrimonial=Einkiinften mhen. ^Die tibrigen bisher aus standesherrlichen CameralKassen | pensionirten Diener und ihre Relicten, auch die Mitglieder und Diener aufgehobener geist= | licher Corporationen werden zwischen Uns und den StandesHer-

1612

§12:Baden

[Dok. 188-251]

ren nach dem obengedachten | Verhaltnis des KammerEinkommens zu femerer Pensionimng vertheilt. Eben diese Vertheilung findet auch in Absicht der Pensionirten ehemals tiberrheinischen | Diener statt, sofem sie in die Kathegorie des §.73. und 74. des ReichsFriedensRecesses | vom Jahr 1803 fallen. §.54. ^Bei der SchuldenAbtheilung sind die Landes= Kanimer= und Privat=Schulden der | StandesHerren wohl zu unterscheiden. "^Die Landes=Schulden mtissen, soweit sie Activa und I [S. 154] die ordentlichen Einktinfte der einschlagenden LandesKassen nicht zureichen, durch ausserordentliche | Contributionen getilgt werden. ^Die KammerSchulden sind nach Abzug der Activen der | KammerKassen nach dem VerhaltniB jener reinen KammerEinkunfte zu theilen, die Uns zufal= | len und den StandesHerren bleiben. ''Die PrivatSchulden fallen ihnen allein zur Zahlung | heim. Hieran geschieht Unser Wille. Gegeben unter Unserer eigenhandigen Unterschrift und beige= | drucktem grosem Staatslnsiegel. Carlsruhe den 22. Juli 1807. Carl Friedrich | (L. S.) Vdt. Freyherr von Gayling. Auf Sr. Konigl. Hoheit SpecialBefehl. | W, Reinhard. [S. 155] BeylageAad§. 18. Formel | womach die Unterthanen dem Landesherm huldigen; Ihr etc. etc. sollet huldigen, geloben und schworen, einen leiblichen Eid zu Gott dem All= I machtigen, daB ihr Sr. Konigl. Hoheit, dem Durchlauchtigsten Herm Carl Friderich, [ Grosherzog zu Baden (tot. tit.) als eurem obersten Herm und Landesflirsten und dereinst Des= I sen Erben und Nachfolgem in der Regierung wollet getreu, hold, gehorsam und gewartig I seyn, Sr. Konigl. Hoheit Nuzen fordem, Schaden hingegen, so viel an euch ist, wamen | und abwenden und alles dasjenige thun, was getreue Unterthanen ihrem obersten Herm und | Landesfiirsten zu thun schuldig und pflichtig sind, alles getreulich und sonder Gefahrde. Bestabung: Was mir (uns) so eben vorgelesen worden, wir gehort und wohl verstanden haben, auch | unsere Treue darauf geben, dem alien sollen und wollen wir stet, fest und unverbrtichlich nach= I kommen, so wahr uns Gott der Allmachtige helfe und sein heiliges Evangelium. BeylageBad§. 18. Formel | womach die Unterthanen den StandesHerm huldigen. Ihr etc. etc. sollet geloben und schworen einen leiblichen Eid zu Gott dem AUmachtigen, daB I Ihr dem etc. und dereinst dessen Erben und Nachfolgem in die Herrschaft als Eurer naheren | Obrigkeit wollet treu und hold seyn, dessen Nuzen fordem, Schaden hingegen so viel an Euch | ist, wamen und abwenden, und alles dasjenige thun, was getreue Unterthanen ihrer naheren | Herrschaft schuldig und pflichtig sind, jedoch ohne Abbmch der Oberstherrlichen Rechte Sr. | Koniglichen Hoheit des Grosherzogs von Baden, als des regierenden Landesfursten, und | der Erben und Nachfolger in hochstdero Regiemng, alles getreulich und sonder Gefahrde.

[ 194] Viertes Konstitutionsedikt vom 22. M i 1807

1613

Bestabung: Was uns so eben vorgelesen worden, wir gehort und wohl verstanden haben, auch unsere I Treue darauf geben, dem alien sollen und wollen wir stet, fest und unverbnichlich nachkom= | men, so wahr uns Gott der Allmachtige helfe und sein heiliges Evangelium. [S. 156] BeylageCad§. 51. Formel | womach die standesherrlichen Diener dem LandesHerm zu verpflichten sind. Ihr sollet mit feierlicher Handtreue zusagen und geloben, daB ihr etc. Sr. Koniglichen Ho= | heit, dem Durchlauchtigsten Herm Carl Friderich (tot. tit.) als dem souveranen | LandesFtirsten und dereinst Dessen Erben und Nachfolgem in der Regierung wollet getreu, | hold, gehorsam und gewartig seyn, HochstDero Nuzen fordem, Schaden aber, so viel an | euch ist, wamen und abwenden, die von Sr. Konigl. Hoheit und HochstDero euch vorgesez= | ten Behorden euch etwas geschehende Auftrage ptinktlich vollziehen, den zwischen eurem Sou= I veran und StandesHerm bestimmten Verhaltnissen in allem genau nachleben, auch auf de= I ren piinktliche Beobachtung, so viel in euer Amt einschlagt, wachen und dazu das Eurige beitragen, alles getreulich und sonder Gefahrde. Bestabung: Was mir so eben vorgelesen worden, ich gehort und wohl verstanden habe, auch meine | Treue darauf gebe, dem allem soil und will ich stet, fest und unverbnichlich nachkommen, | so wahr ich ein ehrlicher Mann bin und im UebertretungsFall mich den leiblichen Strafen | des Meineids unterwerfe.

[194] Viertes Konstitutionsedikt, „clie GrundherrlichkeitsVerfassung in dem Grosherzogthum Baden betreffend", vom 22. Juli 1807 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einfiihrungen" die Darstellung unter [735.]. Quelle: GroBherzoglich-Badisches Regierungs-Blatt, 5. Jahrgang, (Nr. 31 vom 8. September) 1807, S. 165 - 176 (gedmckt). [S. 165] Landesherrliche Verordnung. Viertes Constitutions=Edict | die GrundherrlichkeitsVerfassung in dem Grosherzogthum Baden betreffend. Wir Carl Friedrich von Gottes Gnaden, GroBherzog zu Baden | Herzog zu Zahringen etc. Ober= und Erbherr zu Fiirstenberg, Baar und Sttihlingen samt | Heiligenberg, HauBen, MoBkirch, Hohenhowen, Wildenstein und Waldsberg; zu Leiningen, | Mosbach samt Miltenberg, Amorbach, Dtiren, Bischofsheim, Hartheim und Lauda; zu | Klettgau; zu Thengen; zu Krautheim; zu Wertheim; zu Reibenau und Billigheim, auch zu | Hagnau etc. etc. Der Eintritt der ehemaligen Reichsritter unter Unsere Hoheit erfordert eine neue Reguli= I rung ihrer VerhaltniBe gegen die Staatsgewalt; es wtirde aber sehr unbillig gegen sie Oder I gegen diejenigen Ritter Unserer Lande gehandelt seyn, welche friiher schon unter die landes= | herrliche Macht eingetretten sind, wenn Wir irgend eine Ungleichheit zwischen beeden Klassen | der Ritter statuiren wollten, und Wir wtirden auch selbst gegen die Wohlfahrt Unsers Staats | handeln, wenn Wir die mancherley Verschiedenheiten, welche als Folgen der alten FeudalVer= | fassung in den einzelnen Grundherrschaften Unserer alten Lande bestehen, und die daraus ent= | stehende Minderung der Wirksamkeit der Staatsgewalt fortdauem lassen, oder durch Ueber= | tragung gleicher Anomalien auf die neu erlangte Grundherrschaften noch gar erweitem woll= | ten, nachdem die Vorsehung durch die Uns zugewandte Souverainetat und die zugleich aus= | gesprochene Vemichtung der Kraft aller

1614

§12:Baden

[DoL 188-251]

Reichsgeseze, in und durch welche jene Verschieden= | heiten bestanden sind, Uns die Mittel in die Hand gelegt hat, sie abzuschaffen. Wir wtirden zugleich dadurch Unsere Staatsverfassung in einen solchen Contrast mit jenen | Staaten sezen, die sich um Uns her neu bilden, daB daraus unvermeidlich bedenkliche Rei= I bungen entstehen, und zur Quelle der Unruhe fur Unsem Staat werden miiBten. In dieser Hinsicht haben Wir beschlossen, Unserer samtlichen alt= und neu mediatisirten I Ritterschaft eine neue im Hauptwesen gleichformige Constitution zu geben, welche im Einklang | [S. 166] stehe, sowohl mit der Einheit und Energie der Staatsgewalt, als mit der Wtirde und An= | nehmlichkeit, welche diese angesehene Klasse der Staatsbiirger mit Recht in Unserm Staat | zu finden wtinschet, und mit der Wohlfahrt der andem Staatsbtirger= Klassen, die neben | ihnen bestehen, und auf Gleichheit Unserer Vorsorge gerechten Anspruch machen. Damit | jedoch in der dadurch nothwendig gewordenen neuen Ausscheidung der oberstherrlichen und | griindherrlichen Rechte alle jene Schonung entretten moge, welche mit jenem obersten Staats= | zweck sich vereinigen lasst; so haben Wir mittelst Ausschreibens vom 12. Februar d. J. unter | vorlaufiger Eroffnung der Grundztige, womach jene neue Verfassung auszuftihren seyn moch= | te, Ausschiisse der verschiedenen bisherigen Rittervereine Unserer Lande an Unser Hoflager | einbeschieden, um jene Erinnemngen und Wiinsche, welche sie dabey haben mochten, zu ver= | nehmen, und dadurch Uns in den Stand zu sezen, mit voller Uebersicht dessen, was Recht | und Billigkeit erheischen mag, das Grundgesetz der Rechte und Verbindlichkeiten der samtli= | chen Grundherren oder GrundherrschaftsBesizer Unserer Land, (das ist: aller jener Orts= | herren, welche nicht ein unter dem Namen eines Ftirstenthums oder einer Grafschaft vorhin | zusammengeschlagenes, und deshalb mit Stimmfahigkeit bey Reichs= oder Kreistagen | begabt gewesenes Gebiet besitzen) zu verfassen. Nachdem nun von den gehorsamst erschienenen Ausschtissen das Nothige Uns vorgetragen | worden, und Wir solches reiflich erwogen, dabey aller Milde, die ohne Nachtheil fur die | Einheit der Staats=Regierung moglich war, noch Raum gegeben haben; so setzen, ordnen, | versprechen und verlangen Wir fur Uns und alle Unsere Regiemngs=Nachfolger zu ewigen | Tagen, was folgt: I. Was den personlichen Stand der Ritter und Grundherren betrift, so werden solche: 1.) Durchgangig, sowohl in Bezug auf ihre personliche, als auf ihre Gutsverhaltnisse, | kanzleysassig, und stehen daher sowohl sie mit ihrer Familie in personlichen Sachen, als ihre | zu Grundherrschaften jetzo gehorige eigenthtimliche Liegenschaflen und ihre Gerichtshalter in | Rechts= und PolizeySachen allein unter den Provinz=Dicasterien und Gerichten, so daB jener | Oberbeamtung, zu welcher eine ihrer Ortschaften eingetheilt wird, uber sie in Personal^ | und Realsachen lediglich keine Gewalt zugelegt werden mag. 2.) Denenjenigen aus ihnen, welche Gtiter in Unserem Land und in andem Staaten besitzen, I die mit dem rheinischen Bund in keinen widrigen Verhaltnissen stehen, bleibt die BefugniB, | beede zusammen beyzubehalten, jedoch miissen sie innerhalb sechs Monaten Unserer obersten | StaatsBehorde zum JustizDepartement die Erklarung einliefem: ob sie ihren standigen Wohn= | siz und das davon abhangige Staatsbtirgerrecht in Unserm Staat nehmen, oder darinnen als | [S. 167] fremde Gutsbesizer behandelt seyn woUen? In beeden Fallen bleibt ihnen frey, nach ihrem | Gutdtinken abwechselnd auf diesen oder auf jenen Gtitem sich aufzuhalten, so lange der andere | Staat ihnen auch gleiche Freiheit lasst; wo aber irgend ein Staat fur die Uns angeho= | rige bey ihm begtiterte Staatsburger entgegengesezte Grundsaze aufstellte, welche sie nothigen | wollten, ihre standige Wohnung aus Unsem Staaten wegzulegen, oder ihre Gtiter zu thei= 1 len, und nach der Verschiedenheit Linien zu

[ 194] Viertes Konstitutionsedikt vom 22. Juli 1807

3.)

4.)

5.)

6)

7)

8)

1615

stiften, da behalten Wir Uns die Erwie= | derung dieser Gmndsaze gegen die ihm angehorige bey Uns begiiterte Landeigenthtimer be= | vor. Alle richterliche vorhin schon oder jetzt neuerlich Uns zugefallene Familien haben als I Burger Unsers Staats die gerechte Erwartung zu alien Staatsdiensten, zu welchen sie sich | gehorig vereigenschaftet haben, nach der bestehenden Staatsordnung zugelassen und dazu vor | Auswartigen begiinstigt zu werden, so wie auch Wir von der Vaterlandsliebe eines jeden er= | warten, daB er dem Grosherzogthum, wenn es seine Dienste benuzen will, solche vorziiglich | widmen werde. Demohngeachtet soil keiner darauf eingeschrankt seyn, sondem jeder das Recht | haben, in jedem auswartigen zur Zeit der Dienstannahme mit Unserm Staat nicht in feind= | lichen Verhaltnissen stehenden Staat, Dienste zu suchen und anzunehmen, der nicht durch seine | Geseze oder StaatsVerfassung Unsere Landes=Angeh6rige von der Aufnahme in seine Dienste | ausschlieBt, und darinn zu bleiben, so lang nicht ein= wegen Kriegserklamng ergehender | Heimruf nach Beschaffenheit seiner etwa habenden Dienste ihn in den Fall sezte, solche ver= | lassen zu mtissen, so wie hinwiederum auch keiner genothigt werden soil, bey Uns Dienste zu | nehmen, mithin sie und ihre Familien vollig vom Milizzuge frey sind, ihre Diener aber | nicht weiter, als soweit sie es unter gleichen Umstanden auch in Unserm Dienste seyn wtir= | den. Wir werden ihnen eine, alien ihren Gliedem eigene Uniform und den FamilienHaup= I tern, welche sich nach den zu ertheilenden Statuten hierzu vereigenschaften, einen eigenen Or= | den ertheilen. Auch wollen Wir ihnen die BefiigniB gestatten, ihr Erbe in Stammgutsweise zu | vererben, mithin von dem Landesgesetz, welches eine gleiche Ansprache aller Kinder an das Erbe | bestimmt, ausgenommen zu bleiben, und tiberhaupt in Absicht auf ihre Familien=Einrichtungen aller | derjenigen Autonomic zu genieBen, die immer mit dem Wohl des Ganzen vertraglich ist, in welch | lezterer Hinsicht jedoch nur jene Austibungen stammhauptlicher Rechte fur rechtmasig gelten mogen, | welche in Familien oder Gesellschafts^Statuten, die Unsere oberherrliche Confirmation ha= | ben, festgesezt sind; weBhalb sie ihre ktinftig verfassende Statuten jedesmal sogleich, die jetzt | schon vorhandene aber, ohnbeschadet der Fortdauer ihrer zwischen den Betheiligten bisher ge= | habten Gtiltigkeit, alsdann vorlegen sollen, wenn sie in den Fall kommen, von solchen im | fS. 168] Ganzen oder in einzelnenStellen Gebrauch zu machen, masen, ehe Unsere Confirmation zum | Zeichen ihrer StaatsUnverfanglichkeit beygesezt ist, bey keinem Gericht darauf Rticksicht ge= | nommen werden darf In alien tibrigen Stiicken, sie mogen ihre Person, ihre Handlungen oder ihre Besitzun= I gen betreffen, wo diese ihre von Uns erlangte GeneralConstitution auch etwa nachgefolgte Gna= | denbriefe oder bestattigte Statuten nicht eine Ausnahme machen, sind sie und ihre Grundange= | horige alien landesherrlichen Gesetzen und Anordnungen, welche Staatsbtirger ihrer Klasse be== | treffen, ohne Unterschied mit unterworfen, und konnen einige Vorrechte nicht ansprechen, noch irgend eine gesellschaftliche Verbindung eingeben oder fortsetzen, die sie als Adels= Perso= | nen auszeichnend zusammen fassen, und einen gegen den Staat oder gegen andere Klassen ge= | richteten Korperschaftsgeist wecken oder unterhalten mochte; weBhalb anmit alle jene Rechte, | Titel und Ehrenauszeichnungen fiir erloschen erklart werden, welche ihnen als Mitglieder einer | unmittelbaren ritterschaftlichen Korporation zukommen. Uebrigens sollen sie zu personlichen unentgeldlichen Dienstleistungen, ausser was etwa der Lehensverband ihnen | auflegt, oder zu personlichen directen Steuem und Abgaben gar nicht, und zu Verm6gens= | steuem nur alsdann, wann dieses Besteuemngsmittel far das ganze Grosherzogthum und alle | dessen UnterthanenKlassen far auBerordentliche

1616

§ 12: Baden

[DoL 188-251]

Falle in Anwendung kommt, pflichtig gemacht | werden; annebst sollen sie in Fallen, wo sie ihr Staats^Btirgerrecht in Unserm Grosher= | zogthum aufgeben, dem Abzug von der FahmiB niemals, und jenem von dem liegenschaft= | lichen Vermogen nur nach den ersten zwanzig Jahren, von der rheinischen BundesConstitu= | tion an zu rechnen, und auch alsdann nur fur den Fall unterworfen seyn, wenn sie in ei= I nen Staat ziehen, der die gleiche Freyheit den hertiberziehenden dortigen Staatsbtirger nicht | gonnen will, welche Freyheit in gleicher Weise auch auf ausgehendes Erbe, Heurathsgut, | oder sonstige Verm6gens=Bezuge sich erstrecken soil; wie Wir denn auch jedem fur | den Hausbrauch, den er auf seine Giiter oder an einen andem Ort Unserer Lande, wo er | sich aufhalt, sich zufuhren lasst, ingleichem seinen Dienem fur die von seinen Speichem und | Kellem an ihren Wohnort geftihrt werdende BesoldungsNaturalien, die Zoll und Pfundzoll | oder Accisfreyheit gestatten, so wie es ohne tiberwiegenden Nachtheil oder Gefahr des Un= | terschleifs wird thunlich befunden werden, mithin, daB sie sich jeden deBfalls nothigen Si= | cherstellungsvorschriften unterwerfen. IL Was den Begtitemngsstand der Ritter betrift; so heben Wir 9) die bisher in einem Theil Unserer Lande bestandene Verbote des Gutsverkaufs an | Ritter auf, dagegen aber soil [S. 169] 10) keinerley Immunitat eines von einem Ritterglied besessenen Hauses oder Guts in | Bezug auf Jurisdiction, ordentliche und auBerordentliche Steuem, Quartierlasten und auf I alle andere Staatspflichten (nemlich durch Staatsgesetze dem Liegenschaftsbesitz anhangig | erklarte Obliegenheiten) fortbestehen, welche nicht jedem Gut gleicher Art, werm es in Handen | anderer kanzleysassigen Staatsbtirger liegt, durch Unsere Staatsgesetze verwilligt wird, und | mtissen somit namentlich 11) alle ihre alte und neue Liegenschaften, welcher Gattung sie seyen, so bald sie von einer | solchen Art sind, daB andere steuerpflichtige Klassen der Unterthanen davon fur die ordentlichen | und ausserordentlichen Staats=Bediirfhisse Steuem geben, in die Steuer gezogen werden, | nur daB Wir, da ihrer Natur nach die Grundherren nicht gleichen reinen Ertrag, wie jene | Klassen der Staats=Btirger, welche ihr Gut selbst bauen konnen, daraus zu ziehen vermogen, | dem alt schatzungsfreyen Gut derselben das jezt erst durch Unsere Anordnung in Schatzung | fallt, eine um ein Drittheil verminderte Schatzung gegen den der altschatzbaren Gtiter der nemlichen | Markung oder Gegend, in denen das vorige Freygut liegt, verwilligen; wobey Wir auch I die weitere MaBigung eintreten lassen, daB ihr obgedachter Edelhof mit dem zu seinem Umfang | gehorigen Hof und Hofraithe auch Lustgarten, so wie es bey der Besteuerung Unserer eigenen | Domainen geschiehet, ausser Anschlag und Steuerpflicht bleibe. Diesemnach 12) sollen a) alle Liegenschaften und Einkiinfte derselben, die von der Art sind, daB sie | in ungefreyter Hand Schatzung geben, nach den nemlichen Grundsatzen und Schatzungen in | das Steuerbuch eingetragen werden, nach welchen jeden Orts die alt schazbare Giiter eingetragen | sind. b) Von dem hiemach ausfallenden SteuerKapital ist jedoch ein Drittheil abzuziehen, so= | mit sind nur die bleibende zwey Drittheile als das HerrensteuerKapital anzusetzen, wovon c) sie I die Steuer unmittelbar an die ihnen zugewiesenen landesherrlichen SteuerEinnehmer abzutra= | gen haben; es kann hingegen

[ 194] Viertes Konstitutionsedikt vom 22. Juli 1807

1617

d) jener mildere SteuerfaB auf unfreye Giiter nicht angewen= | det werden, welche der Adel besizt und bisher schon nach dem landiiblichen SteuerfaB versteuert | hat. Damit man auch e) in den Stand komme, das SteuerOrdinarium sowohl fur die bisher | steuerbaren, als auch fiir die nach obigen Grundsatzen neuerlich in Steuer fallenden Liegenschaf= I ten, bis zu einer allgemeinen Steuerausgleichung vorsorglich zu bestimmen, so ist binnen 6 | Wochen ein zehenjahriger Rechnungsausweis tiber die vom Jahr 1781. bis 1790. einschlieBlich, | in jedem Kanton erhobene Rittersteuem, und langst binnen drey Monaten, die nach einem ohn= | gefehren Ermessen ohne Ausmessung vorgenommene Beschreibung und Schatzung der nun erst | in die Steuer fallenden so wie der alt steuerbaren Liegenschaften, mit denen etwa zur Gleichheits= | beurtheilung nothigen Erlauterungen einzusenden, fur deren gewissenhafte Fassung der Grund= | herr mit lebtaglichem Verlust der Herrensteuer=Ringerung verantwortlich gemacht wird. | Was hiemachst [S. 170] III. Die Rechte ihrer Grundherrlichkeit anbelangt; so konnen Wir 13) um vieler bewegenden Ursachen willen zwar ihnen die hohere Strafgerechtigkeitspflege I nicht zukommen lassen, da die jetzige Erfordemisse einer guten Verwaltung derselben viel zu | kostbar sind, als daB der Ertrag der Hochgerichtsbarkeit von wenigen einzelnen Ortschaften eine | gute Besorgung derselben moglich liesse, und daher deren Belassung dem Wohl ihrer Gmndan= | gehorigen eben so, als (richtig betrachtet) auch ihrem eigenen Wohl entgegen ware; und Wir zie= | hen also diese Gattung der Rechtspflege an diejenigen Oberamter, welchen Wir ihre Orte zuthei= | len, so wie die Kirchenherrlichkeit samt der geistlichen Gewalt und Gerichtsbarkeit in den pro= | testantischen Orten an Unsere betreffende Staatsbehorden tibergeht. Wohingegen Wir 14) als Attribut der Grundherrschaft ihnen belassen: a) die btirgerliche Strafgerechtig= | keitspflege, wie solche in Unserm 8ten OrganisationsEdict vom Jahr 1803. §. 4. bestimmt ist, | vorbehaltlich des Recurses an Uns oder Unsere Hofgerichte in denen nach den Gesetzen fur die | Urtheile Unserer Beamten dazu geeigneten Fallen; b) die btirgerliche Gerichtsbarkeit tiber | Streitsachen gegen die in ihrer Grundherrschaft seBhaften ungefreyten Btirger und HintersaBen, | sodann tiber alle darin gelegene Gemeinds= und Privatgtiter, nicht minder tiber alle darinn sich | aufhaltende innlandische oder auslandische Fremde amtssaBigen Standes, die nicht in Unsem | besondem Geschaften sich dort befinden, endlich tiber alles darinn sich aufhaltende Gesinde, | ohne Unterschied, und zwar in der Masse: daB a) sic von ihnen selbst nur versehen werden | kann, wenn sie sich deBhalb ordnungsmasig bey Unsem Hofgerichten auf die Justiz haben | verpflichten lassen; daB ausser diesem Fall (3) sie ihren Gerichtshaltem solche tiberlassen | mtissen, die sie mittelst ordentlicher Bestallung und ohne Aufktindigungs=Vorbehalt aus der Zahl | allgemein von Uns fiir solche Dienste approbirter Subjecte nehmen, oder ein besonders von | Uns zu einem solchen Dienst tauglich und annehmlich erkanntes Subject anstellen, und bey | Strafe der Richtigkeit aller Amtshandlungen vor der betreffenden Behorde verpflichten las= | sen mtissen, sie auch nicht eigenmachtig, sondem nur mit StaatsApprobation oder gerichtli= I chem ErkenntniB der Behorde wider ihn, entlassen konnen; daB

1618

§12:Baden

[Dok. 188-251]

y) ihre auf die gemeine Lan= | des und etwaige besondere Provinz oder Ortsrechte zu gebende Urtheile, wenn sie dreysig | Gulden oder dariiber, doch unter sechshundert Gulden an Werth betreffen, von den Par= | thien an dasjenige OberAmt, dem die Ortschaften solcher Grundherren werden zugewiesen seyn, | durch ordnung=maBige Appellation gezogen werden mogen, von wessen Spriichen nachmals so= | bald die zur Revision oder Appellation an ein Hofgericht bestimmte Summe vorhanden ist, | der w^eitere Zug an Unser betreffendes Provinzhofgericht gehet, und dort sich schlieBt; an | dessen statt hingegen 5) bey Sachen, die liber sechshundert Gulden an Werth, oder im | ObergerichtsOrdnungsSinn, unschazbar sind, von ihrem Amte (das den Titel gmndherrli= | [S. 171] ches von N. Nsches Amt zu fiihren hat) die Berufung und andere zulassige Rechtsmittel | unmittelbar an das Hofgericht, und von da in geeigneten Fallen an das Oberhofgericht ge= | het: womachst s) von ihren Gerichtsstellen Unsere erscheinende Untergerichtsordnung und alle I auf die ProzeBfiihmng Bezug habende Gesetze zur genauen Richtschnur ihres Verfahrens ge= | nommen werden mussen; endlich Q darf der Sitz des gmndherlichen Gerichthalters nicht [ iiber drey hochstens vier Stunden von dem entlegensten gmndherrlichen Ort entfemt, und | muB innerhalb Unseres Staates seyn. c) Alle gerichtliche und obrigkeitliche Rechtspolizey, | als Inventuren, Theilungen, Urtheilsvollziehungen u. s. w. sodann Bestattigung oder Ver= | fassung der Contracte und lezten Willensverordnungen der Grundangehorigen nach Maas der I Gesetze, Fertigung der dariiber sprechenden Urkunden oder Bekraftigung derselben, Bestel= 1 lung der Vormtinder und Aufsicht auf die Pflegschaften u. dergl. d) Die ganze Ortspoli= | zey in der nemlichen Ausdehnung und Einschrankung wie sie Unsere Beamte in ihren Amts== | Bezirken Kraft Unserer Gesetze in der Markgrafschaft bisher hatten, mit AusschluB jener | Theile derselben, welche wegen ihrer untrennbaren Verbindung mit andem Ortsbezirken, als | z. B. allgemeine Sicherheitsanstalten, Chaussee= und Flussbau, oder wegen ihrer Erforder= | niB besonderer sachverstandigen Geschaftsbesorger, als Kirchen= und Schul= oder SanitatsPolizey, | Unsem deBfallsigen angestellten Dienem vorbehalten bleibt, (die jedoch ihre Beamten von allem | nothig findenden in KenntniB zu setzen, ihre Erinnerungen willig anzuhoren und nach Billigkeit zu | erledigen, und wo zur Vollziehung die Anwendung der gmndherrlichen Gewalt nothig ist, die | ihrige, solang sie zureicht, vor alien Dingen aufzumfen, werden angewiesen werden) dagegen mit | EinschluB der Annahme des ersten Schutz suchenden Kindes einer bey ihnen schon im Schutz | befindlichen Judenfamilie, ingleichem der Abhor und Berichtigung de Ortsheiligen und | Stiftungsrechnungen, unbeschadet der Oberrevision Unserer betreffenden Oberbehorden. e) Die Aufsicht auf die GemeindsHauBhaltungen in gleicher Maase, wie sie Unsere Aemter zu | ftihren haben, so lang sie nicht zum Rechststreit erwachst. Alle diese Polizey=Verhaltnisse ihrer Orte stehen jedoch unter Aufsicht desjenigen Unserer | Oberbeamten, zu dessen Bezirk ihre Ortschaften gewiesen sind, welcher Erinnerungen an ih= | re Beamte zu verfiigen, Auskunft von ihnen zu verlangen, provisorische Anordnungen dar= | iiber in eilenden Fallen zu geben, und im Fall verschiedener Ansicht die durch seine Be= | richte von der Provinz=Beh6rde einzuholende Hauptbefehle eben so, wie alle von oben er= | gehende Staatsgesetze und Provinzverordnungen solchen zu verkiinden hat.

[ 194] Viertes Konstitutionsedikt vom 22. Juli 1807

1619

15.) So wie sich von selbst verstehet, daB das Steuerrecht, nemlich die BefugniB, Ab= | gaben aufzulegen, oder bestehende zu erhohen, sammt der Staatsdienstpflicht oder dem Recht | zu den Landesfrohnden aller Art nur Uns angehort: so kann auch der Bezug der Schaz= | zung und Steuer von den Grundangehorigen allein Uns zukommen, so wie Wir fiir die darauf | [S. 172] radicirte Staatsbedtirfhisse der Regierung in Civil= und MilitarHinsicht allein zu sorgen ha= | ben, wo hingegen da, wo Vasallen solche von Uns zu Leben tragen, oder sonst als mit= | telbare GutsBesitzer dieselbe inne haben, Wir Uns verpflichtet erkennen, eine nach Untersu= | chung aller einlaufenden Umstande von Uns naher zu ermessende verhaltniBmasige Vergtitung I ihnen zukommen zu lassen. Auch 16.) Die hohen Herrlichkeiten oder die regalia majora konnen nur Uns angehoren, | wohin Wir die BergConcessionsEinktinfte von eigentlichen Bergwerken nach der Bestim= I mung, die Unser 7tes OrganisationsEdict vom Jahr 1803. Art. 27. dartiber giebt, und | unbeschadet des Privateigenthums der Besitzer der schon eroffheten Bergwerke, das Besal= | zungsrecht, vorbehaltlich einer von Uns zu ermessenden Vergiitung an jene, die ein berech= | tigtes SalzMonopol als mittelbare Gutsbesitzer hatten, das Salpeterrecht, Munzrecht, | das Recht iiber herrenloses Gut, BastardErbe und BastardFall, die LachErbengelder, den | ConfiscationsErtrag, die Goldwasche (mit gleichem Vorbehalt wie bey dem Besalzungs= | recht) die Taxen der Privilegien=Verleyhung, die Nutzungen der oberherrlichen Gerichts= | barkeit und den StempfelErtrag rechnen; wohingegen 17.) die niedere Herrlichkeiten oder regalia minora, soweit sie ihrer Natur nach billig | in diese Klasse gehoren, allein unsem Grundherrschaften verbleiben. Dahin rechnen Wir I den Ertrag von Zwangsrechten, als BannKeltem, BannBackofen, BannMtihlen, Bann= | Wein, gebanntes Saitenspiel und andere dergleichen grundherrliche Monopolien, soweit sie | verfassungsmasig hergebracht sind; ingleichem die Recognitionen von Gewerben, (sofem sie | nicht die Stelle der Gewerbsschatzung vertretten) die seither iiblich gewesene Nutzungen des | Alleinhandels oder der ausschlieBlichen Gewerbstreibungen, z. B. Alleinhandel mit Eisen, | Kupfer, KammfegereyPacht etc. (jedoch diese Nutzungen unter der Bedingung: sich deren | Abkauf gegen den Durchschnittsertrag zu jeder Zeit gefallen zu lassen); femer die Guts= | pflichten, als Herrenfrohnden, Todfall, Entlassungsgebtihren, Btirgergelder, Judenschutz= I gelder, (verbehaltlich jedoch, daB, wo die Juden nicht ausser dem Schutzgeld eine besonde= | re Kopf= und Gewerbsteuer schon geben, sie dazu in Gleichheit mit christlichen Gewerbs= | leuten ktinftig angezogen werden, und damach verhaltniBmasig alsdann die Schutzgelder der | Ortsherren einen, nach Befmden geminderten Tarif erhalten sollen) Beeten, Gtilten, Zinn= | sen, und alle Eigenthums-Einktinfte. Anbelangend aber 18.) jene Rechte, welche ihrer Natur nach zweydeutig sind, und zu einer wie der an= | dem Gattung der Herrlichkeiten gerechnet werden konnen; so wollen Wir a.) das Patronatrecht da, wo die Grundherren entweder die ganze geistliche Hoheit uber= I haupt, und also mit ihr den Pfarrsatz oder nur die Kirchenlehenherrlichkeit allein herge= | bracht haben, ihnen leztere belassen, jedoch gebunden an hierlands approbirte Landeskinder, | [S. 173] und bey Katholischen (wo die PrasentationsUrkunde nicht an Unsere Stellen, sondem an | den Bischoff ergehet) gebunden an Unser derselben beyzufiigendes Gutheisen ihrer Nomi= | nation, und hiemach richtet sich dann nicht bios das Recht, Pfarrer, sondem auch Schul= I lehrer zu emennen, wogegen dieses Emennungsrecht keineswegs ein Recht zur Entlassung | oder Suspension mit sich bringt, als welches niemanden, als der geistlichen Oberbehorde in | verfassungsmasigen Wegen zukommt.

1620

§ 12: Baden

[Dok. 188 - 251]

b.) Das Zehendrecht, wo sie es haben, bleibt ihnen | und zwar mit der Ausdehnung: daB da, wo der ordentliche Zehendherr, er moge ein Ein= | heimischer oder Fremder seyn, besizlich oder rechtlich die BefugniB zum Neubruchzehenden her= I gebracht hat, sie ihm auch ktinftig bleiben solle; wohingegen ihren Orten das Neubruchsrecht | nach dem RegalitatsPrinzip oder bisheriger Uebung Uns zukommen wtirde, da solle es in | den disseitigen SouverainetatsLanden ktinftig als gmndherrlich angesehen werden, und also den | Grundherren zukommen, jedoch mit der Einschrankung, daB a.) wo innlandische Pfarreyen | Decimatores ordinarii minores gewesen, denenselben auch in den Neubruchsdistricten der | kleine Zehende ktinftig zufalle, und daB p.) in Fallen, wo zwar Neubrtiche angelegt, dahin= | gegen aber vorher gebaute Districte in Unbau versezt werden, und also jene nur als Surro= | gate dieser leztem betrachtet werden konnen, kein Neubruchzehende eintrette, sondem die ordent= | lichen Zehendherren den Zehenden zu beziehen haben, als welche beede Einschrankungen tiber= | haupt in Unserm Grosherzogthum ktinftig als gesezlich fiir all und jedes Neubruchzehendrecht, | es moge Uns oder andem zustehen, angesehen werden solle, y.) Den Zoll (d. i. die Abgaben | vom Transit zu Wasser und zu Land) wo ihn ein frtiher schon landsassig gewesener Ritter hep= | gebracht hat, belassen Wir ihm als ein PrivatEigenthum, jedoch auf Einlosung durch Dar= | legung des Werths oder durch Compensation des Ertrags, die Wir Uns auf ewige Zeiten un= | verjahrbar vorbehalten, den Reichsrittem aber, deren Orte erst jetzt mediatisirt worden, konnen | Wir solchen, da er als ein Anhang der nun verlohmen Reichshoheit anzusehen ist, nicht be= | lassen, ausser wo sie erweisen konnen, daB sie ihn nicht aus Reichshanden, sondem aus Han= | den solcher benachbarter Reichsstande, die niemals in ihrem Ort die Hoheit hatten, oder anspra= | chen, empfangen haben, und wo er mithin in keinerley Hinsicht als Anhang ihrer Reichsterritorial= | Gewalt angesehen werden konnte, in welchem Fall er hinwiederum gleicher EinloBlichkeit un= | terworfen bleibt. d.) Das Abzugsrecht belassen Wir ihnen, wie alien Unsem Landsassen die es | haben, jedoch so: daB es von keinem Zug innerhalb Landes in Austibung komme; so wie auch | aus besondem bewegenden Ursachen und Landesherrlicher Gnade als Ausnahme von der Regel das | Ohmgeld, in soweit sie sich in dem Besitz des rechtmasigen Bezugs desselben befinden. | Hingegen bleibt der Accis oder Pfundzoll Uns ausschlieBlich. f) Die Jagd belassen Wir | ihnen in und ausser ihren Grundherrschaften, wo sie dermalen im rechtmasigen Besitz derselben | sind, doch vorbehaltlich mit Einzelnen, die in Unsem Ortsherrlichkeiten Jagd haben, oder | [S. 174] in deren Gemarkungen Wir solche haben, nach beedseitig billigen Gmndsatzen eine Auslosung I zu reguliren. g) Die Beforstemng ihrer Waldungen, mithin der Gebrauch eigener Waldart, | untergeordnet unter die landesherrliche Oberforstbehorde, mogen sie da haben, wo sie daflir einen | eigenen forstgerechten Diener zu deren Besorgung aus der Zahl der deBfalls approbirten Landes= | Kinder Unsem Oberbehorden zur Bestattigung vorzustellen der Kosten werth finden, so wie | sie auch aus ihrem Gebiet die Waldrtigstrafen beziehen, obgleich solche von der landesherrli= | chen Oberforstbehorde angesezt werden. h) Die Fischerey bleibt ihnen in der Maase, wie | sie solche vorher genossen, ordnungsmasig zu gebrauchen.

[ 194] Viertes Konstitutionsedikt vom 22. Juli 1807

1621

i) Alle PolizeyGefalle, als: Con= | cessions, =Dispensations=Taxen und Strafen, theilen sich nach der Berechtigung der Polizey= | Gewalt und fallen Uns oder ihnenzu, je nachdem Wir oder sie, obiger ausgesprochenen Kegel zufolge, | die Verwilligung zu ertheilen, und die Uebertrettung zu riigen haben, mit der einzigen I Einschrankung, daB wo eine Strafe wegen Unterschleif bey Gefallen angesezt wird, sie oh= | ne Riicksicht auf die Stelle, welche die Strafe angesezt, Uns oder itinen allein oder jedem | halbtheilig gehort, je nachdem das Gefall, wogegen der Unterschleif getrieben wird, zu be= | ziehen ist. 19.) In gemeinschaftHchen Dorfem, wo unsere unmittelbare Unterthanen neben adeli= | chen Gerichtsunterthanen sich befmden, tritt als Kegel zwar gleiche BefugniB des Gmnd= | herm liber die ihm angehorige Unterthanen ein, hingegen die Polizey und Gerichtsbarkeit | tiber alles gemeinschaftliche Eigenthum, als Allmenden, Strasen, Bache u. s. w. so wie | die Local Sicherheitspolizey tiber Personen und Gtiter, mithin auch die Feuerpolizey, hat | Unser Beamter allein zu verwalten, doch so, daB von alien Resultaten der Grundherrli^ | che Beamte benachrichtigt, auch von den deBfallsigen Polizeygefallen der Antheil, welchen | in der vorigen VerhaltniB die Grundherrschaft daran hatte, ihr femer verbleibe und aus= | geliefert werde. 20.) Die ritterschaftlichen einzelnen Hofe und Gtiter, die einen eigens abgesteinten Bann | haben, werden den grundherrlichen Ortschaften gleich behandelt, in solang der Grundherr | alleiniger Besitzer derselben bleibt; dieser Vorzug hort aber auf, wenn der Hof an Ansied= | ler tiberlassen, oder theilweise verkauft wird, in welchem Fall die getheilten Grundstiicke, so | wie tiberhaupt alle einzelnen ritterschaftlichen Besitzungen, die keine eigene abgesteinte Banne | haben, zu jenen Bannen, in denen sie liegen, gehorig, und ihn Hinsicht auf Gerichtsbarkeit, | PolizeyAufsicht und Marklosung da, wo diese hergebracht ist, kiinftig dem Markungsrecht | unterworfen sind. 21.) Als Ehrenrechte der Grundherren bestimmen und bestattigen Wir hiermit a) das I Kecht, daB sich der Grundherr, und wo deren mehrere sind, der durch Primogenitur, Ma= | [S. 175] jorat oder Seniorat bestimmte Vertretter der grundherrlichen Kechte (indem auch da, wo | der GmndherrlichkeitsgenuB unter mehrem sich vererbt, das Herrschaftsrecht und die Pflicht, | Uns dariiber Kede und Antwort zu geben, durchaus in einer Hand liegen muB, an die Wir | Uns deBfalls halten konnen) die Grundhuldigung durch feyerliche Vergeltibdung von alien I GrundAngehorigen nach einer anpassenden, von Unserer obersten Staatsbehorde genehmigten | Formel ablegen lasse, b) Das Kecht, daB seiner und seiner Familie in einer von Uns vor= | zuschreibenden Formel, nach dem Gebet fiir den Landesherm und dessen Familie, im Kirchen= I gebet gedacht werde. c) Das Kecht, daB nach dem Ableben des Grundherm, keineswegs | aber nach dem Tod anderer Familienglieder, ein achtagiges Trauergelaut, und eine vier= | wochentliche Einstellung des Saitenspiels in seinem Grundgebiet, auf Verlangen des Grund= | herrlichkeitsNachfolgers, eintrette. 22.) Gleichwie tibrigens ihre Grundherrlichkeit sich auf nichts kiinftig ausdehnen kann, | worauf sie nicht durch die neue Constitution bezogen wird, so kann sie auch nie ihre Grund= | Angehorigen irgend einer Unterthanenpflicht entheben, wovon sie nicht ausdriicklich befreyt | sind, und ist in alien Berechtigungen, die eine Gewaltsaustibung auf andere Staatsbtirger | betreffen, im Zweifel die Vermuthung eben so fiir Uns zu Ziehen, als in allem, was Gegen= | stand des Privateigenthums seyn kann, fur die Grundherren. Was weiter

1622

§ 12: Baden

[Dok. 188 - 251]

IV. Die Lehenschaft betrift, so muB: 23.) ihr voriger Lehensverband gegen Uns nicht nur fortdauem, sondem auch alle vori= I ge fremde Lehnbarkeit auf Grundherrschaften in Unsem Staaten, sie moge von Kaiser und | Reich oder von andem Souverains hergertihrt haben, sollen sie ktinftig bios von Uns tra= | gen, und deBfalls nach Unsem bestehenden und femer ergehenden Lehensgesetzen sich richten, | und den aufgestellten Lehensbehorden geziemende Unterwerfung leisten. | Um endlich V. Den Vollzug dieser Constitution zu sichem, bestimmen wir 24) DaB die Verandemngen in Bezug auf Steuep= und Gefallsachen von Georgii d. J. | an, jene in Jurisdictions= und Polizey= auch andem Sachen aber, mit dem ersten Tag des | ersten Monats, nachdem dieses im Regiemngsblatt wird verktindet worden seyn, in Austibung | kommen soil, wohingegen auch von jenen Terminen an, die hier oder da demnachst zu schopfen= | de Vergtitungen laufen sollen, zu welchem Ende 25) Wir Unsere oberste Staatsbehorde beauftragen, alles dasjenige anzuordnen und zu ver= I fugen, was zu Activimng dieser Constitution, sofort Liquidimng und gutachtlicher Bestimmung | [S. 176] der von Uns zu ermessenden Vergutungen nothig seyn wird, und dieses zwar also: daB solche | Liquidimng im Lauf des jetzigen RechnungsJahrs vollendet, mithin am SchluB desselben darauf | unfehlbar abgerechnet werden moge. Nach diesem Unserm in Kraft ewigen Gmndgesetzes Unserer Staatsverfassung ausgesproche= | nen Willen, versprechen Wir nunmehro fur Uns und alle Unsere Nachkommen an der Regie= | mng, alien Rittem und Gmndherren Unsers Staats Sicherheit und Schutz far die ihnen dar= | nach zugesprochenen Rechte, so wie wir Uns auch der hiemach abgemessenen ungetheilten Unter= | wiirfigkeit von ihnen sicher gewartigen, und befehlen Wir alien Unsem Ministem, Prasiden= | ten auch hohen und niedem Rathen und Beamten, die jetzt sind oder ktinftig seyn werden, | sich damach genau zu achten, und darwider nicht zu handeln, so wie Wir Unsem Gerich= | ten, insbesondere auf das Gewissen geben, in ihren Rechtserkenntnissen davon, es geschehe | denn mit beider Theile Willen, nicht zu weichen, sondem denselben sowohl wider Uns alsfixr| Uns buchstablich und genau nachzugeben. Dessen zur Festhaltung und Urkund haben Wir zwey Exemplarien eigenhandig unterschrieben | und mit Unserm Staatslnsiegel versehen lassen, davon eines Unserm Oberhofgericht zu insi= | nuiren, das andere bey Unserm Archiv niederzulegen ist, sodann weiter verordnet, daB jeder | gmndherrlichen Familie ein offentlich beglaubter Abdmck davon in Kraft authentischen Pri= | vilegs zugestellt, und solches durch das Regiemngsblatt offentlich verktindet werde. Verordnet und gegeben in Unserer Residenzstadt Karlsmhe den 22ten July 1807. Carl Friedrich | (L. S.) Vdt. Freyherr von Gayling. Auf Sr. Konigl. Hoheit SpecialBefehl. | W. Reinhard

[195] Funftes Konstitutionsedikt, „die LehensVerfassung des Grosherzogthums Baden betreffend", vom 12. August 1807 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einfiihmngen" die Darstellung unter [736.]. Quelle: „Ftinftes CostitutionsEdict die Lehens-Verfassung des Grosherzogthums Baden betreffend", Carlsruhe (Macklots Hofbuchhandlung) 1807, S. 1 - 71 (gedruckt).

[ 195] Funftes Konstitutionsedikt vom 12. August 1807

1623

[S.l] Fiinftes | ConstitutionsEdict | die | LehensVerfassung | des Grosherzogthums Baden | betreffend.^ [S.S] Wir Carl Friedrich von Gottes Gna= | den Grosherzog zu Baden, Herzog zu Zahringen u. | s. w. Ober= und Erbherr zu Ftirstenberg, Baar | und Stuhlingen, sammt Heiligenberg, HauBen, I Moskirch, Hohenhowen, Wildenstein und Walds= | berg; zu Leiningen, Mosbach samt Miltenberg Amorbach, Dtiren, Bischofsheim, Hartheim und | Lauda; zu Klettgau; zu Thengen; zu Krautheim, | zu Werthheim; zu Neidenau und Billigheim; auch | zu Hagnau u. s. w. ftigen hiermit alien denjenigen ho= | hen und niedem Angehorigen Unseres Staats, | die es betreffen mag, zu wissen: Unter jenen | Gegenstanden, die durch die neueste StaatsUm= I wandelung, welche aus dem rheinischen Bunde | hervorgieng, eine wesentliche Ver anderung erlitten | haben, und daher einer neuen GrundGesetzgebung | bedtirfen, gehoret vomehmlich auch [S.4] Die Lehen Verfassung Unseres | Staats. In dessen Erwagung haben Wir solche vor an= | dem hiermit ausgehoben, um Unsem Willen, wie | es damit ktinftig gehalten werden solle, in Kraft | einer pragmatischen Sanction zu eroffnen: Wir | ordnen, setzen und gebieten demnach dariiber, wie | folgt: Bleibende LehensVerfassung. 1) Obwohl die Verfassung langst untergegangen | ist, aus welcher die LehenVertrage ihren Urspmng | nahmen, mittelst welcher sich der Lehenherr sichere | und zu seinem Dienst erzogene Diener, der Le= | henmann aber Schutz und verbessertes Einkom= I men als Preis erblicher Dienste, zu erwerben | suchte; so hat doch die LehensVerbindung in denen | dadurch begrtindeten EigenthumsVerhaltnissen und | denen darauf zunickgehenden Heimfalls= und ErbBe= | rechtigungen einen noch bleibenden Grund der | Fortdauer, und die hohere Achtung, welche die= | ser Form der Vertrage durch Gewohnheit eigen | geworden ist, macht, daB auch noch femerhin I sich Falle zutragen konnen, wo es den Betheilig= | ten angenehm ist, fortdauemde erlaubte Verbin= | dungen in Bezug auf Besitz und Austibung gewis= | [S. 5] ser Berechtigungen im Staat unter dieser Form | eingehen zu konnen, so wie die rheinische Bundes= | Acte deren Fortdauer far bestimmte Falle allschon | ausgesprochen hat. Der LehensVerband bleibt da= | her in Unserm Staat femerhin eine erlaubte und | gesetzmasige RechtsForm, jedoch nur unter denen | Bedingungen und Bestimmungen, welche gegen= | wartige Urkunde ausspricht. Jetzige Wesenheit der Lehen. 2) Das Wesen des LehensVerbands, wie er | fortbestehen bleibt, ruhet darinn, daB in Bezug I auf ein gewisses Gut oder Recht der UnterEigen= | thtimer oder Lehenmann nach vorgeschriebenen | Formen anerkenne, ein Anderer (nemlich der Ober= | Eigenthtimer oder Lehenherr) sey derjenige, von | welchem sein EigenthumsGenuB herriihre, und an | den er nach Endigung des UnterEigenthums zu= | ruckkehre; daB der Lehenmann verbindlich werde, | dessen Befehle in allem dem zu befolgen, was die I Erhaltung des Lehens in seinem Stand und We= | sen, oder die weitere dem GenuBRecht durch den | LehensVertrag anhangig gewordenen Leistungen be= | trift, auch ihm in bestimmten Fallen und Formen | personliche Ehrerbietung zu erweisen; endlich daB | er vor dessen ordentlich besezten Gerichten liber | [S. 6] alle LehensStrittigkeiten zwischen ihm und dem | Lehenherm oder denen mit in der BeDeckblatt. - Seite 2 bleibt leer.

1624

§ 12: Baden

[Dok. 188 - 251]

lehnung be= | griffenen Lehensberechtigten das erste Recht suche. | Die erste dieser drey Erfordemisse haben eigentli= | che Lehen als staatsrechtliche Vertrage mit den un= I eigentlichen Lehen, oder den privatrechtlichen | Vertragen welche nach der Analogie der Lehen | gebildet sind, als z. E. der Erbleyhe, gemein; | Die Andere ist im Wesentlichen auch beeden | RechtsGeschaften eigen, nemlich so viel das Recht | betrift, die Erhaltung des Lehens und die Erful= | lung der Bedingungen zu fordem; hingegen die | Form dieser RechtsAustibung durch lehenherr= | liche Befehle, und die Erweisung bestimmter | EhrerbietungsPflichten gehort zu dem aus= | zeichnenden der eigentlichen Lehen; Die Dritte | endlich, nemlich die GerichtsAnerkennung ist lez= I tern allein anhangig, und bildet nebst der vorigen | Auszeichnung den bleibenden Distinctiv=Character | der eigentlichen Lehen, von welch leztem allein | in dieser Constitution die Rede ist, indessen die | lehenartige Vertrage femerhin bios der privat= | rechtlichen Gesetzgebung unterworfen bleiben. LehenherrschaftsFahigkeit. 3) Eine Lehenherrlichkeit in Unserm Staat | kann ktinftig niemand haben, als der jeweilige Re== | [S. 7] gent desselben, die Unserm Staat angehorige | Standesherm, d. i. solche, die mit einem | Fiirstenthum oder Grafschaft in Unserm Staat | begiitert sind, und diejenige Standesherren an= | derer Souverains, welche sich des Lehens | halber als Landsassen Unsers Staats achten, mit= | hin Unseren Lehens= und Landesgesetzen, so viel | solche Lehen angeht, gebuhrende Folge leisten. | Alle Lehen im Lande, die seither von solchen aus= | wartigen Ftirsten zu Lehen giengen, welche nun I zur Oberhoheit gelangt sind, sind ktinftig allein | von Uns und Unsem RegierungsNachfolgem, | gemaB der rheinischen BundesActe, zu empfangen, | so wie Wir hinwiederum solchen auswartigen | BundesFtirsten tiberlassen haben, die Lehenherrlich= | keit Unserer in ihren Staaten gelegenen Lehen an | sich zu nehmen. Auch kann niemand in Unserm | Staat ktinftig einem auswartigen Souverain Be= | sitzungen in dem Unsrigen zu Lehen auftragen, | noch Privatgtiter oder Einktinfte, die ein solcher | Souverain etwa darinn besitzt, von ihm zu Lehen | nehmen. Wegen alien eigenthtimlichen Lehen die | von Rittem oder Stadten Unserer oder anderer | Lande etwa noch in Unsem Landen zu Lehen ge= | hen, bleibt das OberEigenthum zwar Denenselben, | soweit es nicht Gegenstande umfasset, welche in | der neuen Ordnung der Dinge fur untrennbar von | der Staatsgewalt, oder unvereinbar mit den Be= [S. 8] fugnissen eines Staats=Btirgers ihrer Classe er= | klart sind, aber nur in der Form von uneigent= | lichen Lehen, mithin so, daB alle jene Berech= | tigungen wegfallen, welche durch den obengezeigten | UnterscheidungsCharacter der eigentlichen Lehen | (Art. 2.) begrtindet werden. Neue konnen von | solchen Personen auch nicht anders gegeben oder | in Auftrag angenommen werden, als in der un= | eigentlichen oder privatrechtlichen Form. Wenn | durch Auftrag eine neue Lehenherrlichkeit an ei= | nen Auslander tibergehen sollte, kann es nur nach | vorgangiger StaatsBewilligung geschehen. LehenErwerb=Fahigkeit 4) Alle StaatsBtirger aller Classen konnen in | Unserm Staat Lehen erwerben und besitzen, zu | welchem sie durch neue Belehnung oder durch Erb= | folge einen rechtmasigen Erwerbtittel haben. Auch | fremde Staatsbtirger sind davon nicht ausgeschlos= I sen, soweit und solang sie der jeweiligen Staats= | Gesetzgebung die gebtihrende Unterwtirfigkeit deB= | falls geloben, mithin in Bezug auf das besitzende I Lehen Landsassen werden. Fremde Souverains | werden einen LehensBesitz in Unsem Landen so | wenig suchen, als wenig ihnen solcher zu Vermei= | dung nachtheiliger Staats=Verwicklungen von Uns | jemals zugelassen werden konnte.

[195] Fiinftes Konstitutionsedikt vom 12. August 1807

1625

Wtirde ein sol= | [S. 9] ches VerhaltniB durch irgend ein Zufall bestehen | bleiben, oder ktinftig neu entstehen, so kann es zu | jeder Zeit von jedem Regenten Unsers Staats I aufgehoben, mithin das Lehens=Eigenthum an ei= | nen Lehensberechtigten Besitzer offentlich von Staats= | wegen verausert und der auswartige souveraine | Besitzer durch Heimschlagung des Erloses ausgewie^ | sen werden. Hiemachst ist auch das weibliche Ge= | schlecht von den eigentlichen Lehen in Unserm | Staat in soweit ausgeschlossen, daB es nur durch | ein ausdriickliches und unzweifelhaftes Ceding zwi= | chen Lehenherm und Lehenmann zugelassen werden | kann. Hingegen mag sonst eine physische oder | politische Eigenschaft, (z. E. ein Gemuths= oder I Organenfehler, eine kirchHche Weyhe, u. d. g.) | keinen vom Erwerb oder der Nachfolge in | ein Lehen ausschhesen, wo nicht ein besonderes | Ceding des LehensVertrags solches mit sich bringt. | Hiemachst versteht es sich von selbst, daB der, wer | durch LehensAuftrag in einen LehensVerband tretten | will, die freye VerauserungsBefugniB sowohl an | und far sich und seiner Person nach, als beziighch | auf das zu bestellende Lehen, und dessen besondere | EigenthumsVerhaltnisse haben miisse so wie auch | umgekehrt ein gegebenes Lehen gleiche Verauserungs= | Fahigkeit des Cebers zu seiner Ctiltigkeit voraus= | setzt. [S. 10] Cegenstande des LehensVer=| bands. Cegenstand der LehensVerbindung bleibt jede | Liegenschaft, jede Berechtigung oder Nutzung, die | auf dem Staat oder auf Liegenschaften im Staat | haftet, und jede fahrende Haabe, die verliegen= | schaftet, d. h. auf Liegenschaften zur jederzeitigen I Wiederdarstellung des etwa Verbrauchten oder Ent== | kommenen versichert worden ist, soweit das Eine | und Andere Privatgut ist, oder doch (seines Staats= | Urspmngs ohnerachtet) getrennt von der geistlichen | und weltlichen StaatsCewalt als PrivatCut in der | jetzigen StaatsVerfassung besessen werden kann. Was | hingegen nur mittelst Zertriimmerung der Einheit | der StaatsCewalt ehemals zu lehnbarem Cut der | Staatsbtirger werden konnte, hort auf, sowohl in | Bezug auf jezt schon bestehende Lehen, als auf kunf= | tig etwa neu bestellt werdende, Cegenstand eines Le= | hensVerbands zu seyn. Diesemnach kann nicht die | gesetzgebende Cewalt, nicht die hohe Polizey, wel= | che aus der Staats= der Landes= und der OberBe= I zirks=Polizey besteht, nicht die peinliche Cerichts= | barkeit noch die alligliche, d. i. das Recht in btir= | gerlichen Sachen bis zur obersten Ordnung einschlieB= | lich zu richten, nichts was eine StaatsAuflage ist | oder zu den hohen Herrlichkeiten gehort, auch nicht | [S. 11] das Recht Kriegsdienste zu fordem, ein Cegenstand | des LehensVerbandes seyn, sondem so wie diese | Rechte von den schon bestehenden Lehen durchaus | getrennt und mit Unserer Obersthoheit vereinigt I werden, woriiber die Constitution der Standesherr= | schaften und Crundherrschaften nahere Nachweisun= | geben wird; so konnen auch keine dergleichen Rechg I te jeweils wieder durch LehenBegebung, unter wel= | chen Umstanden und aus welcher Ursache es geschehen | mochte, davon getrennt werden, und wtirde es je ge= I schehen, so bleibt eine solche LehensBegebung zu ewi= | gen Tagen nichtig, und kann von jedem Nachfolger | in der Regierung ohne welters wieder zurtickgezo= I gen werden, ohne daB alsdann irgend ein Ersatz | daflir gefordert werden konne, aus welchem Titel | er auch abgeleitet werden wollte. Niedere Herr= | lichkeiten, nemlich die Austibung und der Ertrags= | CenuB jener geringem Staats=Befugnisse, welche | in jetziger Verfassung den Standes und CrundHerren | verbleiben, konnen, so wie vom Regenten, also | von denen die solche inne haben, zu Lehen gege= I ben, auch von Leztem (nicht aber von Ersterem, | der sich nie lehnbar machen darf) zu Lehen aufge= | tragen werden, soweit sie nicht ein Staats= oder | FamilienFideicommiB daran hindert. Nur die Streit= | und Strafgerichtsbarkeit, wel-

1626

§ 12: Baden

[Dok. 188 - 251]

che denen Standes= | herren in ihren Bezirken als Lehen von Uns verblei= | [S. 12] bet, kann von ihnen anderweit zu Lehen bege= | ben, sondem muB bey jeder neuen LehensBegebung | einzelner Orte, die sie etwa vomehmen mochten, | von ihnen als ein untheilbares und auf einzelne | Grundherren untibertragbares Recht fur sich vorbe= I halten werden, sonst wird solche, soweit sie doch | begeben wtirde, fur riickfallig an Unsem Staat an= | gesehen. Keinerley Dienste oder Aemter in Unserm | Staat, mit Ausnahme der ErbHofamter und des | ErbLandpostmeister=Amts, konnen erblich begeben, | mithin auch keine andere Bedienungen ein Gegen= | stand einer LehensVerbindung werden. Uebrigens | theilen Wir hiemach die Lehen ab, in gemeine | und hohe, deren erstere solche eigentliche Lehen | sind, die lediglich PrivatGut umfassen, leztere aber | solche, wobey zugleich mehr oder weniger von nie= I dem Herrlichkeiten einbegriffen ist, oder von andem | StaatsBefugnissen, die nach obiger Angabe noch | Gegenstand einer LehensVerbindung seyn konnen. Form der LehensVertrage. 6.) Jede kiinftige neue LehensBegebung, (nemlich | Aufstellung eines vorhin nicht vorhanden gewesenen | LehensVerbandes,) erfordert wesentlich eine Verfas= | sung in Schriften, welche enthalten muB: die ge= | naue Beschreibung des LehensGegenstandes, sey es | [S. 13] nun in sich selbst oder durch Beziehung auf ein be= | sonderes LehenBerain; sodann die genaue Bezeich= | nung des Gebers und Empfangers, femer den | RechtsAnlaB der LehensBegebung, ob sie nemlich | in Gefolg einer blosen Freygebigkeit, einer Beloh= | nung vorausgegangener Verdienste, eines Kaufes, | Tausches u. d. gl. oder eines LehensAuftrags gesche= | he, sofort alle Bestimmungen an denen etwas von | demjenigen geandert werden soil, was dieses Gesetz I als Regel fur unbestimmte Falle aufgestellt hat; end= | lich die etwaige besondere Gedinge, das heiBt jene | Bestimmungen, welche etwas hinzufugen sollen, | woruber die Natur eines Lehens, wie sie hier bey= | behalten wird, ohne besondere Abrede so nicht ent== | scheiden wtirde. Zu ihrer Form gehort nachmals, | daB das Lehen durch den Lehenmann in Person, | oder soweit der Fall dazu geeignet ist, durch seinen | Gewalthaber, mittelst Ablegung des LehenGeltibdes | in die Hande des Lehenherm oder seines Stellver= | tretters und Erbittung seiner RechtsErmachtigung I zum Besitz, empfangen, die Ueberweisung des Be= | sitzes vom Lehenherm bewirkt, und dariiber schrift= | liches ZeugniB gegeben und genommen werde. Die= I ses ZeugniB bedarf jedoch keiner besondem Ur= | kunde, sondem es macht mit jenem Aufsatz tiber | den LehensVertrag selbst, einerley Ausfertigung aus, | [S. 14] nemlich den LehenBrief und LehenRevers. So= | bald diese im Concept zwischen den Betheiligten | vorlaufig berichtigt und signirt, d. h. mit einem | Zeichen der wechselseitigen Uebereinkunft versehen | sind, so ist der LehenVertrag gtiltig berichtigt. De= | ren formliche Ausfertigung und Auswechslung nach | geschehener LehensEmpfangnis - welcher daher | als einer schon geschehenen Sache in dem Concept | voraus erwahnt wird - gilt alsdann fiir das oben= | gemeldete ZeugniB der beobachteten Form. Feyerlichkeit der Belehnung. 7.) Ob und welcher weitem Feyerlichkeiten zu | Verherrlichung der Form, ein Lehenherr bey seinen | Belehnungen sich bedienen wolle, hangt von dessen | Gutfinden ab, soweit nicht die Lehens==Vertrage | selbst deBfalls eine gemeinschaftlich verabredete Be= | stimmung an Hand geben, nur daB von den Stan= | desherren keine Feyerlichkeiten gewahlt werden kon= | nen, welche als Symbole einer Unabhangigkeit oder | einer StaatsGewalt anzusehen sind, deren Ge= | branch Uns als dem Souverain allein vorbehalten | bleibt. Dahin gehort der Gebrauch eines Throns | fur den

[195] Ftinftes Konstitutionsedikt vom 12. August 1807

1627

Lehenherm, d. h. eines unter einem Thron= | Himmel auf mehreren Stufen erhoht stehenden Siz= | zes, zu dessen Stufen ein freyer Zutritt sey, statt | [S. 15] dessen sie, ob sie wollen, eines unter einem Bal= | dachin auf flachem Boden hinter einem Tisch ste= I henden Sitzes, als Zeichens ihrer Gerichtsherrlich= | keit, sich bedienen mogen; Der Gebrauch des Scep= | ters oder Schwerdts, um solches von dem Lehen= I mann wahrend der Gelobung bertihren zu lassen, | statt dessen sie sich einer mit Ihrem Wappen ge= | schmtickten kleinen oder GerichtsFahne bedienen mo= | gen; Das Erfordem der Kniebeugung als Zeichen | der Ehrerbietung. Hiemach theilen Wir die Lehen | in Thronlehen, das heiBt: jene von Uns als | Souverain ausgehende Lehen, deren Vasallen Kraft | der Lehens=Constitution oder besonderer Vertrage | vor Unserem Thron durch Uns oder einen auseror= | dentlichen und reprasentativen Stellvertretter belie= | hen zu werden, erwarten konnen; In Fahnenle= | hen, d. h. jene von Unsem Standesherren ausge= | hende Lehen, deren Vasallen Kraft der LehensVer= | haltnisse zu erwarten haben, von ihnen selbst oder | einem reprasentativen Stellvertretter derselben fey= | erlich beliehen zu werden; und in Handlehen, wo | nur die Belehnung durch die zum Lehenhof ver= | ordnete Diener als ordentliche Stellvertretter des | Lehensherm ohne weitere Feyerlichkeiten als jene, I welche obengedachtermasen zur Form gehoren, von | den Vasallen erwartet werden darf Kraft dieser | [S. 16] Constitution sind alle hohe Lehen, die ein in Un= I serm Staat oder in andem Bundesstaaten mit Stan= | desherrschaften angesessener Lehenmann zu empfan= | gen hat, Thronlehen. Alle Lehen, die ein sol= | cher Standesherr von einem andem Standesherm | tragt, sind Fahnenlehen. Bey jedem der Lehen= | herren steht es, auch Lehen anderer Personen, je | nach seiner Eigenschaft als Thron= oder FahnenLe= | hen zu leyhen; wenn es aber in dem Lehenbrief nicht I ausgedmckt ist, so konnen einzelne bey der ersten | Belehnung etwa um mehrerer Feyerlichkeit willen, | oder bey irgend einer oder mehreren LehensErneue= | rung vielleicht zu besonderer Ehrung eines erschie= | nenen Vasallen geschehene Vorgange nicht zur Fol= | ge auf andere Falle gezogen werden, mithin ein I Lehen, das seiner Natur nach HandLehen ist, nicht | in Thron= oder FahnenLehen umwandeln. Nur | wenn in drey verschiedenen Belehnungen von drey | auf einander gefolgten Lehenherren, ohne Unterbre= | chung durch eine blose HandBelehnung, ein Lehen | feyerlich begeben worden, und in dem Lehenbrief | nicht ausgedmckt ware, daB es ein Handlehen sey, | folglich ein gerechter Zweifel iiber die deBfallsige | Natur des Lehens entstehen konnte, mag jenes Her= | kommen fiir den BeweiB gelten, daB es ein Thron= | oder Fahnen=Lehen sey. [S. 17] LehensUeberweisung. 8.) Die obgedachte Ueberweisung des Besitzes | erfordert da, wo der Lehenmann schon Innhaber | der Sache ist, womit er beliehen wird, nichts be= | sonders; sondem die Uebergabe des Lehenbriefs | an den Vasallen ist schon hinlangliches Symbol | der Ueberlassung des BesitzRechtes, wiewohl der | Lehenherr auch nicht gehindert ist, noch anderer | feyerlicher Symbole zu dessen Bezeichnung nach | Gutfinden sich zu bedienen. Wo hingegen der Le= | henmann das Lehengut noch nicht inne hat, son= | dem es erst noch aus Handen lehenherrlicher Be= | amten oder dritter Innhaber zu liberkommen hat= | te, da geschieht die Ueberweisung, wenn nicht al= | lenfalls der Lehenherr den Lehenmann selbst in den | Besitz nach Gelegenheit der Umstande einfiihrt, | mittelst einer offenen besiegelten Urkunde an die | Innhaber, womit diesen je nach dem VerhaltniB, | in welchem der Lehenherr zu ihnen steht, ersuchs= | weise oder befehlsweise angesonnen wird, dem Le= | henmann die Sache zur Innhabung abzutreten; | deren Einhandigung an den Lehenmann ist das [ Symbol des abgetrettenen BesitzRechts, das ubri= | gens nach Belieben des Lehenherm noch

1628

§ 12: Baden

[Dok. 188 - 251]

mit an= | dem SachZeichen begleitet seyn kann, die jedoch | immerfort nur zur Feyerlichkeit, nicht zum Wesen [ [S. 18] gehoren. Wenn der Innhaber daraufhin nicht | gutwillig abtretten wollte, so berechtigt jene Ueber= | weisung den Lehenmann nicht zur SelbstHtilfe | gegen jenen, sondem bios zu einer summarischen | Besiz-Erlangungs=Klage vor dem ordentlichen Rich= | ter, unter welchem der vorenthaltene LehensGegen= | stand gelegen ist, und zu einer Beistands= und Ver= | trettungs=Bitte an den Lehenherm, der auch | Kosten, Schaden und Gefahr dieser Ueberweisungs= | Hindemisse, soweit sie nicht dem Innhaber wegen | Ungerechtigkeit seines Widerspmchs zur Last fal= | len, zu tragen, und damit seiner LehensErtheilung I Kraft zu geben hat. BelehnungsOrt. 9.) Der LehenVertrag kann geschlossen werden | an jedem gutgefundenen Ort; die wirkliche Beleh= | nung aber muB nothwendig innerhalb dem Staats= | oder GerichtsGebiet des Lehenherm geschehen, der | tibrigens darinn jedes ihm angenehme Local dazu | wahlen kann, so bald von Thron= oder FahnenLe= | hen die Rede ist; bey HandLehen aber ist sie an | den Ort gebunden, wo zu jederzeit der LehenHof | des Herm aufgestellt ist, so daB zwar durch dessen | Verlegung auch die Wahlstatt der LehensEmpfang= | niB sich andert, aber wo nicht eine solche Sitzes= | Aenderung vorausgegangen ware, der Lehenmann | [S, 19] keineswegs an einen andem Ort zur LehensEm= | pfangniB geladen werden kann. LehenEmeuerungsFrist. 10.) Obwohl nun die Verbindlichkeit des Le= | hensVertrags auf alle Erben und Nachfolger des | Gebers, und auf die durch Gesetz oder Geding be= | stimmte Erben des Empfangers tibergeht, so ver= | steht sich doch solches nur unter der stillschweigen= I den und auflosenden Bedingung, daB der Lehen= | mann sie durch Nachsuchung neuer LehensEmpfang= | niB in jedem LehensFall binnen der gesezlichen Frist I emeuert. Diese Frist bestimmen Wir auf Jahr | und Tag, d. i. ein Jahr und dreysig Tage, wel= | che von dem Tag der Bekanntmachung desFalls in | dem Regierungsblatt Unserer Lande an zu rechnen | ist, fur alle Falle, die sich in der HerrenHand des | Regenten Unsers Staats ergeben; bey Verande= | rungen aber in der HerrenHand der StandesHerren, | wie auch bey jenen in der MannenHand von der | Zeit an, wo die Veranderung dem LehensFolger | kund wird, oder doch bey gehoriger Achtsamkeit | auf seine Rechte kund werden konnte. Der Le= | henfall in der HerrenHand ist vorhanden, so oft | der Lehenherr stirbt, oder von seiner Lehenherr= | lichkeit auf irgend eine Art abtritt, und ein ande= | [S. 20] rer in dessen Stelle eintritt; jener in der Man= | nenHand aber, so oft ein im wirklichen GenuB | des Lehen=Eigenthums stehender Vasall, oder ein | nach der LehensVerfassung etwa bestehender Stell= | vertretter der zu dem Lehen gehorigen Mannen, | nemlich der Lehentrager, stirbt, oder so vom Le= | hen abtritt, daB nun das LehensEigenthum oder I die LehenTragerey auf einen andem Kraft der Le= | hensBestimmungen tibergehet. LehensMuthung. 11.) Der erste und wesentlichste Theil der Le= | hensEmeuemng ist die LehensMuthung, nemlich | eine Bittschrift an den Lehenherm, welche alles | dasjenige mit offentlichen Urkunden belegt enthalte, | was diesem zu wissen nothig ist, um sich fur ver= | pflichtet zu erkennen, den Bittsteller zur Lehens== | EmpfangniB zuzulassen. Dahin gehort: a) die An= | gabe des Falls, durch welchen die Nothwendigkeit | der Emeuemng eingetretten ist, und wenn er sich | in der lehenmannlichen Hand begeben hat,

[ 195] Ftinftes Konstitutionsedikt vom 12. August 1807

1629

zugleich I dessen Bescheinigung; b) die Angabe des Falls, | in welchem die lezte Belehnung geschehen ist, und | die Darlegung ihres jezt zu emeuemden Inhalts | mittelst Anlegung beglaubter Abschrift des Lelien= | briefs; c) dafem der Bittsteller ein Anderer ist, | [S. 21] als der in der lezten Belehnung Erschienene, da= | fern mithin eine Aenderung in der MannenHand | vorgegangen ware, die Darlegung seiner Rechtfer= | tigung zur Nachfolge ins Lehen mit den offentlich | beglaubten Urkunden unterstuzt; annebst d) wenn | der Bittsteller ein LehenTrager ist, je nachdem I seine Tragerey durch ein aufhabendes Amt oder | durch GewaltErtheilung der sammtlichen zum | Lehen gehorigen Lehenleute bestimmt wird, ersteren | falls die Beurkundung seiner Amtswtirde, letztem= | falls die Angabe und Vorlegung seines erhaltenen | GewaltBriefs und die urkundliche Rechtfertigung | seiner GewaltGeber zu ihrer Betheiligung am Le= | hen; e) die Bitte um Zulassung zum Lehen mit= 1 telst Bestimmung einer Tagfahrt zur LehensEm= | pfangniB; und f) wenn der Bittsteller im Fall | ware, bitten zu konnen, und erhebliche Ursache | hatte, zu wtinschen, daB er nicht in Person son= | dem nur durch einen Gevollmachtigten das Lehen I empfangen dtirfe, die mit Angabe der Ursache be= | griindete Bitte um Nachsicht der personlichen Er= | scheinung und um Zulassung eines annehmlichen | Stellvertretters. Die Eingabe der LehensMu= | thung muB bey der LehensKanzley und auf eine | solche Art geschehen, daB sich der Lehenmann ei= | nes schriftlichen Zeugnisses der geschehenen Ein= | [S. 22] reichung versichere, womit er auf begebende Falle | sich zu verantworten vermoge, wozu ihm jeder | Weg offen steht, mittelst dessen er gewiB wird, | daB ein EingabsSchein von der LehensKanzley be= | gehrt werde, den diese nicht versagen darf, wozu | aber in Ermanglung eines bequemeren Wegs eine | Einreichung durch StaatsSchreiber und Erhe= | bung ihres BehandigungsScheins das sichere Mit= | tel ist. NachsichtsBitte. 12) Wer verhindert ware, diese sammtliche | NachrichtsBescheinigungen innerhalb der Mu= I thungsFrist zusammen zu bringen, der soil keines= | wegs eine unvollstandige Muthung einreichen, son= | dem eine NachsichtsBitte auf so viel Monate, als | er tiber die geordnete Jahrsfrist noch nothig zu | haben glaubt, um alles dasjenige zusammen zu I bringen, was erforderlich ist; solche Bitte muB | mit Erzahlung des Anlasses, den er zu einer Le= | hensMuthung habe, und der HindemiB, warum | er sie nicht in Zeiten einreichen konne, begrtindet | seyn und ebenfalls urkundlich bey dem Lehenhof | eingereicht werden. Erfolgt vor Ablauf der ge= | bettenen Frist keine EntschlieBung, so gilt die | Nachsicht fiir stillschweigend auf solchen Zeitraum | [S. 23] verwilligt; erfolgt eine NachsichtsVerfligung, so | kann diese aus bewegenden Ursachen die gebettene | Verlangerung abktirzen, doch niemal unter drey | Monate sie herabsetzen. Niemals kann die Nach= | sicht abgeschlagen werden, als wenn sie beweiBlich | ohne Grund nur aus gefahrdevollen Absichten ge= | sucht wurde, wofiir nachmals auch der Fall gilt, | wo jemand tiber drey erlangte Nachsichten noch | eine Vierte ohne unhintertreibliche und hinlanglich | beurkundete Ursachen suchte. Bey friihem Nach= | sichtsGesuchen gentiget zur Bescheinigung das Er= I bieten, die Angabe demnachst auf sein Lehensge= | Itibde zu nehmen; aber bey einer vierten oder | weitem nicht mehr. Allemal hat diese weitere | Frist, die gleiche streng verbindende Eigenschaft, | und in ihrem Gefolg den gleichen RechtsNachtheil | in VersaumungsFallen, wie das gesetzliche Mu= | thungsJahr. Wiederherstellung zur | Muthung. 13.) Wer irgend in den Fall gekommen ware, | ohne seine Schuld das MuthungsJahr zu versau= | men, der muB wenigstens in sechs Wochen von | der Zeit der beseitigten

1630

§12:Baden

[Dok. 188-251]

HindemiB an, seine Schul= | digkeit durch Nachbringung der Muthung, oder | [S. 24] nach Lage der Sache einer Nachsichtsbitte nachho= | len, und damit den Verdacht einer Gleichgiiltigkeit | in Erfiillung seiner LehensPflichten von sich ableh= I nen, auch dabey durch Bescheinigung der vorigen | Hindemisse und durch Bitte um Wiederherstel= | lung der verlaufenen Muthungszeit seine Ehrerbie= | tung gegen den Lehenherm und seine Unschuld au= | ser Verdacht setzen, widrigenfalls und wenn die | Versaumung dieser Frist aus erwiesener oder doch | hochstwahrscheinlich gewordener Gefahrde abquellen | wtirde, der LehensVerlust unvermeidlich darauf folgt. | Wo keine Gefalirde vorhanden ist; da kann zwar | die Wiederherstellung der Muthungszeit, und wenn | die Muthung zugleich mit eingebracht war, deren | Annahme, um jener Versaumung willen nicht ver= | sagt werden, aber dem Lehenherm steht frey, je 1 nach der mehreren oder minderen Schuldhaftigkeit | der VersaumniB eine LehensBusse, die jedoch im | hochsten Fall nicht tiber die Halfte eines masigen | Anschlags des mittlem JahrsErtrags des Lehens | ansteigen darf, anzusetzen. Wtirkung der Muthung. 14.) Sobald der Lehenmann in Bezug auf Beo= | bachtung der Zeit und Form der Muthung alles I Vorgeschriebene eingereicht hat; so ist er seiner Seits | gegen alien RechtsNachtheil gesichert, und mag | [S. 25] es ihm nichts schaden, wenn das Eingereichte nach | naherer Priifung bey dem Lehenhof nicht gentigend | befunden wtirde, oder jede EntschlieBung ausblei= | be; indem, wenn nachmals die LehensEmpfangniB | noch so lang zuriickbleiben, ja er selbst vor deren | Vollziehung versterben wtirde, dieses ihm und sei= | nen Lehens=Erben eben so wenig schaden kann, als | es ihnen schaden mochte, wenn innerhalb der | Muthungsfrist der Vasall ohne alle Muthung ver= | storben ware, indem jedem LehensNachfolger eines | Vorfahren, der an seinem Theil nichts versaumt | hat, der Mangel von Emeuemngs=Requisiten nie= | mals schaden kann, und jedem Nachfolger seine | eigene Frist ohne Rticksicht auf den Vorganger und | dessen etwaige noch ungerichtete Versaumungen je= | desmal von neuem lauft. Ware jedoch der Lehen= | mann in einem Fall, wo um irgend einiger Rechts= | Verhaltnisse willen ihm angelegen seyn mtiBte, | seine bey dem Lehenhof bewirkte AnerkenntniB als | treuer Lehenmann auser Zweifel gesetzt zu sehen; | so ist er auch befugt, nach verlaufenen drey Mo= | naten erstmals, und nach verlaufenen weitem drey | Monaten leztmals die Erhorung seiner Bitte zu | erinnem, sofort, wenn nach der lezten Erinnerung | binnen weitem drey Monaten ihm Tagfahrt zur | Belehnung nicht angesezt, oder statt dessen ein | [S. 26] Muthschein nicht eingehandigt ware, die Lehnhofs= | Kanzley statt des Lehenherm zur Ausfiihmng ihrer | Anstande gegen seine Anerkennung zum Lehen bey I Verlust des ewigen Stillschweigens, vor Gericht | aufzufordem. Lehenhofs=Abweisung. 15.) Fande nach eingereichter Muthung der Le= | henherr den Bittsteller entweder gar nicht, oder | doch nur nach Darlegung weiterer Aufklamng zur | LehensMuthung berechtigt; so erfolgt eine beding= | te oder unbedingte LebensVersagung. Die lezte I laBt dem Lehenmann, der sich damit nicht bemhi= | gen wollte, nichts tibrig, als die Betrettung des | Rechtswegs und diese nur binnen Jahr und Tag | von der Verktindung an, nachmals ist jede Klage | dagegen, und jede Ansprache des Bittstellers ans I Lehen verjahrt, Eine bedingte LebensVersagung | muB geehret werden, d. h. der Lehenmann muB | untemehmen, den Beding zu erfiillen, so lang es | ein solcher ist, dessen Erfiillung in seiner Macht | steht, es mag sich derselbe von der Rechtmasigkeit I des Bedings, worauf eine gtinstige LehensEntschlie= | sung verschoben

[ 195] Ftinftes Konstitutionsedikt vom 12. August 1807

1631

worden ist, iiberzeugen oder nicht; | wohingegen, wenn nachmals eine unbedingte ab= I gtinstige EntschlieBung auf die versuchte Erfullung | [S. 27] eintritt, und damit wie obgedacht die Sache zur | Klage reif wird, der Lehenmann noch eben sowohl | die Rechtmasigkeit der bedingten VorEntschlie= | sung seiner versuchten Befolgung ohnerachtet, eben | so als die Gerechtigkeit der nachgefolgten unbedingt | abweisenden HauptEntschlieBung angreifen kann. Lehenfragen; Beantwortung. 16.) Findet der Lehenhof den muthenden Vasal= | len berechtigt, sofort jedoch durch die Muthung I noch nicht alles erschopfl, was tiber die Real= und | Personal=Verhaltnisse der Lehens=Inhaber zu wis= | sen ihm nothig diinkt; so kann er ihm durch ei= I nen schriftlichen Befehl zur Lehensfragen=Be= | antwortung aufrufen, das ist zu einem bestimm^ | ten runden und wider ihn und die Vasallen Fa= | miHe vollbeweisenden BekenntniB der Wahrzeit | tiber jene Fragpuncte, welche der Lehenherr ihm I vorlegt, die er denn in der vorgemessenen Frist | oder in dem Zeitraum, fur welche er etwa auf | weiteres BittenNachsicht erlangte, einbringen muB, | bey Vermeidung, daB sonst seine LehensMuthung | als nicht eingebracht angesehen, und dem Rechts= | Nachtheil der versaumten Muthungsfrist statt gege= | ben werde; wie dann auch, wenn seine eingebrach= | te Antwort nicht gentigte, er sich nicht entziehen I [S. 28] kann, jede weitere Lehenfragen=Erlauterung zu ge= | ben, so lang nicht der Lehenhof Fragen einmischen | wtirde, welche auf das Lehens= und OberEigen= | thumsVerhaltniB des Lehenherm keinen Bezug | haben, als wider welche sonst der Vasall Gegen= | Vorstellung machen und im EnthomngsFall das | richterliche ErkenntniB aufrufen konnte. Wissentli= | che Unwahrheit der Antwort zieht Verwtirkung | des Lehens nach sich. Muthschein und LehensRuf 17.) Ist nun aber alles nothdtirftig erlautert, | oder keiner Erlauterung bedtirftig, so muB entweder | die Anberaumung der LehensTagfahrt, das ist, | der LehensRuf erfolgen, oder wenn dem Lehen= | herm noch nicht angenehm ware, solchen zu be= | stimmen, einstweilen ein Muthschein, nemlich ein | ZeugniB, daB die LehensMuthung nun als durchaus | geniigend lehensherrlicher Seits angenommen wor= | den, und zu seiner Belehnung nichts mehr abgehe, | als ein der LehenHerrschaft zu deren Ertheilung | schicklicher Tag, der erst spaterhin bekannt gemacht | werden solle. Ein solcher Muthschein, wenn auch | nachmals die Belehnung noch so lang unterbliebe, I hat fiir die lehenmannliche Familie durchaus die | nemliche Wirkung, als ware die Lehens=Empfang= | [S. 29] niB wirklich vor sich gegangen, und auf die in der | Muthung benannte Bittsteller der Inhalt des jting= | sten Lehenbriefs neu umgefertigt worden, ohnerach= | tet diese niemals sich weigem konnen, die Beleh= | nung noch wirklich zu nehmen, sobald der Lehen= | herr es verlangt, ehe ein weiterer Fall dazwischen | gekommen ist; wohingegen, sobald dieses geschehen | ist, der neuere Fall den unerledigten altem an sich | zieht, und nichts besonders des friihem wegen wei= I ter gefordert werden kann. Wiederbelehnung. 18.) Die emeuerte LehensempfangniB oder Wie= | derbelehnung und deren Beurkundung durch Le= | henbrief und Revers hat nachmals lediglich nichts | besonders und abweichendes von dem, was deBfalls | oben von dem gleichen Act bey der Lehensbegabung | gesagt worden ist.

1632

§ 12: Baden

[Dok. 188 - 251]

Wirkung der LehensEmeuemng. 19.) Jede LehensEmeuemng bestattigt und beur= | kundet denen, die darinn begriffen sind, ihr Lehen= | Recht; sie giebt aber kein neues, wenn vorhin kei= | nes vorhanden war, und verliert alle Kraft, sobald | gezeigt werden kann, daB Irrthum oder Betmg I zu der AnerkenntniB des Daseyns der emeuerten | [S. 30] LehensVerbindung oder ihres Uebergangs auf den | Belehnten AnlaB geworden sey, welches jedoch | niemals vermuthet werden mag, sondem streng be= | wiesen werden muB; sofort gar nicht mehr ange= | nommen noch bewiesen werden mag, so bald auf | einen solchen Vorgang noch zwey weitere gefolgt | sind, in welchen das Lehen mit einstimmig unter= | stellter Gtiltigkeit einer solchen in einem friihem Le= | henbrief zu lesenden Abweichung empfangen und 1 verliehen wurde. Eben damm kann auch eine Aen= I demng in einem jtingem Lehenbrief weiter nicht | gtiltig vorgenommen werden, als soweit sie Um= | stande betrift, welche einer Aendemng in jedem | Fall ihrer Natur nach unterworfen sind, wie z. B. | Namen und Eigenschaft der Besitzer, oder soweit | eine auserordentliche Verandemng in Bezug auf | andere Umstande eingetretten ware, die eine weite= | re Aendemng rechtlich begnindete, und die sol= I chenfalls ausfiihrlich in dem Lehenbrief als Recht= | fertigung der Verandemng auszudrticken ist. Wo | inzwischen diese ausdriickliche Erzahlung des An= | lasses unterblieben, eine Aendemng jedoch gleich= | formig in drey auf einander folgenden Lehenbriefen | fortgesetzt ware, da soil diese Beharrlichkeit als | VermuthungsGmnd angesehen werden, daB sich | mit Recht eine Aendemng ergeben habe, mithin | [S. 31] muB die Aendemng zum Gmnd der RechtsEntschei= | dungen dienen, so lang nicht gezeigt werden kann, | daB sie dennoch bios aus einem Irrthum einge= | schlichen sey. LehenTragerey. 20) Der Regel nach muB nur derjenige, der | wirklich in das LehenEigenthum und dessen GenuB | eingetreten ist, aber kein anderer, obwohl auch | lehenberechtigter die LehensEmeuemng im begeben= | den Fall begehren. Hiervon machen jedoch fol= | gende Falle eine Ausnahme: a) Wenn eine Ge= | meinde Korperschaft oder StaatsAnstalt Lehen= | mann ist; hier muB jederzeit der Lehentrager al= | les dasjenige leisten und thun, was sonst der Le== | henmann selbst zu thun hat, wofiir ihn aber seine | KorperschaftsKosten= und Schaden=frey halten muB; | wo nichts besonderes durch LehenVertrage ausge= | macht ist, da ist der jeweilige erste Vorsteher der | Korperschaft als gesezlicher Lehentrager anzusehen: | b) Wenn ein Lehen, das mit StandesHerrlichkeit | oder GmndHerrlichkeit versehen ist, mehreren | Lehenleuten getheilt oder ungetheilt zu Erbe | angefallen ware; hier ist jederzeit Einer, und | wo durch giiltige LehenVertrage nichts anders | ausgemacht ist, bey StandesHerrschaften der | Erstgebohme, bey andem Lehen aber der Ael= | [S. 32] teste der erbenden Theilhaber, der Lehentrager aller | am Lehen Theilhabender Vasallen, so wie er zu= I gleich in solchem Fall alleiniger Verwalter der stan= | desherrhchen oder gmndherrlichen Obrigkeits= | Rechte der LehensTheilung ohnerachtet seyn soil, | als deren unter mehrere getheilte Austibung in | Unserm Staat nicht geduldet werden kann: c) wenn ein gemeines Lehen auf Mehrere getheilt | oder ungetheilt vererbt wird, diese aber das Recht | einen Lehentrager zu Vertretung ihrer Lehenpflicht I aufzustellen vom Lehenherm erlangt haben; hier | ist wiedemm jederzeit derjenige unter den volljahri= | gen Theilhabem, welcher an Jahren der Aelteste | ist, der Lehentrager, wenn ein anderes nicht aus= | gemacht ist. Dieser wie der vorige muB jedoch | von alien tibrigen MitTheilhabem Vollmacht vor= | legen, damit man daraus von ihrer Mitwissen= | schaft um den Vorgang versichert seyn konne, und I er ihnen also zum Nachtheil wie zum Vortheil | gereichen konne, ohne daB ei-

[195] Ftinftes Konstitutionsedikt vom 12. August 1807

1633

ne unverschuldete Un= | wissenheit ihnen dawider zu statten kommen mo= | ge. Eine femere Ausnahme d) machen die mindei= | jahrige Lehenleute, wegen deren der Vormund das | Lehen eben so muthen muB, als ob er Lehentra= | ger ware, darauf aber nichts weiter als einen | Muthschein mit Auflage zur personlichen Mel= | [S. 33] dung des Vasallen oder eigentlichen LehenTragers | nach erreichter EidesMtindigkeit erlangen kann, | indem die LehensEmpfangniB wegen der die Hul== | digung meistens zugleich vertrettenden LehenPflicht= | leistung nur von dem Vasallen selbst, so bald er | die EidesMtindigkeit erlangt hat, gebeten werden | kann, und von da an, bis langst Jahr und Tag | nach erlangter Grosjahrigkeit bey Strafe der Le= I hensUntreue erbeten werden muB. SamtBelehnung. 21) LehenErben, mannliche oder weibliche, wel= | che noch kein GenuBRecht am Lehen, sondem nur | einstige Erbrechte daran haben, sind nicht schuldig, | in begebenden Fallen das Lehen zu emeuem, so | wie auch ihr Abgang nicht fur einen LehensFall ge= I rechnet werden kann; wohl aber sind sie schuldig | zu sorgen, daB ihrer in EmeuerungsFallen als | SamtBelehnten gedacht werde. Diese Nothwen= | digkeit, oder die Pflicht derer nicht am GenuBrecht | stehenden Erben, zu sorgen, daB sie bey Lehens= | Emeuerung derjenigen Vasallen, welche Belehnung | zu suchen haben, zu Erhaltung ihres ErbRechts | mit geannt werden, kann far das vergangene | nur auf jene Lehen angewendet werden, wo sie | hergebracht war, und es kann mithin keinem der | [S. 34] entfemten Erben schaden, daB er in einer friihe= | ren LehensEmeuerung nicht mitgenannt ist, wenn | erweiBlichermasen die SammtBelehnung zuvor nicht | gesetzmasiges ErfordemiB war. Ftir die Zukunft | aber wird solche zu Erhaltung des LehenErbrechts | fur unumganglich nothwendig erklart, und jeder | nach der Zeit dieses Gesetzes gebohme LehenErbe, | der bey jenen LehensEmeuemngen nicht mitgenannt | ist, welche ein Jahr nach Verkiindung dieses Gese= I tzes erfolgen, der hat auch kein Recht an das | LehensErbe, als jedoch und mit dem Unterschied, | daB, wer nur in der jtingsten Belehnung nicht ge= | nannt war, ohnerachtet er oder sein Anherr im | vorgehenden Fall sich benannt fand, dadurch nur | von einer BesitzErlangungs=Klage im begebenden | Fall ausgeschlossen wird, nicht von einer Ansprache | des LehenErbes selbst; wohingegen derjenige, wel= I cher in drey oder mehr auf einander folgenden Beleh= | nungen, die samtlich jtinger sind, als dieses GrundGe= | setz, und wovon die zwey auserste wenigstens zwan= I zig Jahre von einander abstehen, nicht benannt | wurde, alles AnsprachsRecht verloren hat, und | nur mittelst der Wieder=Einsetzung in dem Fall | zum ErbRecht am Lehen gelangen konnte, wo er | zu beweisen vermocht hatte, daB es in der ganzen | weitem Zeit dem benachtheiligten Interessenten ohn= | moglich gewesen sey, sich um den Innhalt der Le= | [S. 35] henBriefe seiner Famihe zu erkundigen, mithin fru= | her gegen den Nachtheil einer Uebergehung sich zu | verwahren. Die SammtBelehnung ist daher in Zu= | kunft nothig einmal, wenn bey einer ersten oder I neuen Belehnung Anherren oder Seitenverwandte des | ersten Erwerbers mit in der Belehnung begriffen seyn | sollen, (keinerley andere Form oder Ausdrucksart, I auch die nicht, daB ein Lehen als AltvaterLehen | (jure feudi antiqui) gegeben werde, mag in | Hinkunft den Mangel jener MitBelehnung erse= | tzen, und nur durch sie mag ein neuerworbenes Lehen zu einem AltvaterLehen werden); sie ist n6= I thig zum andem wenn bey LehensEmeue= | rungen den mannlichen Seitenverwandten derer | in den Besitz und GenuB des Lehens eintrettenden | Lehenleute ein Erb= und Anfalls=Recht beibehal= | ten werden soil, indem ohne solche ihr ErbRecht | fiir tod und abgethan gilt. Bey den weiblichen | Seitenverwandten ist jedoch die SammtBelehnung | nur im ersten Glied nothwendig, d. h. nur dieje= | nige

1634

§ 12: Baden

[Dok. 188 - 251]

Tochter die aus der belehnten Familie durch | Heurath ausgeht, oder noch ledig in ihr besteht, | so lang Eine und die Andere lebt, darf genannt | werden, und es ist damit alien ihren lehensfahigen | Nachkommen, die mit ihrem Mann gleiches Na= | [S. 36] mens und Stammes sind, ohne weitere Fortse= | tzung der SamtBelehnung ihr Recht gewahret, so= | weit sie die Abstammung von einer solchen samt= | belehnten LehensTochter erweisen konnen. Bey | jeder weitem Heurath einer Tochter aus einem | solchen samtbelehnten Stamm muB aber durch | gleiche SamtBelehnung den Kindem, die einem | andem Namen und Stamm angehoren, das Erb= | recht gewahrt werden, Vorsorgliche Belehnung und | Lehens=Anwartschaft. 22) Von solchen SamtBelehnungen sind die | vorsorgliche Belehnungen (eventuales inve-1 stiturae) und die LehensAnwartschaften zu 1 unterscheiden. Leztere, (unter welchen die Zusage 1 der Verleyhung eines Lehens, dessen LehenMann | noch lebt, auf den Fall des Heimfalls an den Le= | henHerm verstanden wird) hangt in ihrer Ver= I bindlichkeit vorerst tiberall von der BefugniB des | LehenHerm, offen werdende Lehen anderweit zu | begeben, ab; wenn sie aber auch von dieser Seite | gtiltig ist, so kann sie doch ihre Wirkung nur au= | sem, wenn der HeimFall sich bey Leben desjenigen | Herm ergab, der die Anwartschaft ertheilte; nach | dessen Abgang mag sie den Nachfolger in der Le= | [S. 37] hensHerrschaft keineswegs binden, so lang sie in= | nerhalb der Schranken einer blosen Anwartschaft | stehen geblieben ist. Ware aber eine vorsorgli= | che Belehnung hinzugekommen, das heiBt eine | wirkliche nur in der Vollziehung auf den Tod des | alten LehenManns verschobene Einsetzung in das | Recht des Eigenthums und Besitzes des Lehens | durch Belehnung, so hat der vorsorglich belehnte | damit auch auf den Fall, wo nach dem Tode des | ersten Verleyhers das Lehen erst erofhet wiirde, | ein wohlerworbenes Recht erlangt, das, wenn die | Belehnung selbst gtiltig war, ihm durch eine ge= | anderte Entschliesung des Nachfolgers nicht weiter | entzogen werden kann; er hat aber alsdann auch | zugleich die Pflicht von Fall zu Fall jene vorsorg= | liche Belehnung eben so emeuem zu lassen, als | ob er wirklich im LehensBesitz ware, und das bey I Vermeidung des Verlusts des vorsorglich erlangten | Rechts. Zu ihrer Gtiltigkeit erfordert jedoch eine | solche vorsorgliche Belehnung auser den allge= | meinen Erfordemissen der ErtheilungsFahigkeit | des Gebers, und der EmpfangsFahigkeit des Em= | pfangers, noch die MitEinwilligung des im wirk= | lichen Besitz befindlichen LehenManns, damit die= | sem durch die, wenn gleich nur vorsorgliche Be= | sitz=Einraumung auf den begebenden Fall wegen | etwaigen InnbehaltungsRechten oder andem auf | [S. 38] den Heimfall gewurzelten Forderungen der Rechts= | Stand nicht erschwert werden konne. Die Lehen= | Anwartschaft, wie die vorsorgliche Belehnung, | kommt auch den LehensErben dessen zu gut, dem | eine oder die andere zu Theil ward und der den | Fall zur Erfiillung der Zusage nicht erlebte, wenn | nicht namentlich ein Anderes dabey bedungen wur= | de. Leztere muB annebst immer ein vollig bestimm= | tes Gut zum Gegenstand haben, das also auch | obigen Vorschriften gemaB in der Belehnung ge= | nau beschrieben werden muB. Hingegen die An= | wartschaft kann auch unbestimmt auf Eines oder | Mehrere der erledigt werdenden Lehen gegeben | werden. Ist das ErstErledigtWerdende verspro= I chen, so muB dieses gegeben und genommen wer= | den und kann kein Theil auf Abwartung eines 1 andem ihm angenehmem Falls die Erfiillung ein= | seitig verschieben; ist die Zusage auf dasjenige der | nachstzueroftienden, welches der Lehenmann wahlen | wird, ertheilt, so kann dieser wenn der erste Er= | ofhungsfall ihm nicht ansteht, den Zweiten, auch | allenfalls noch den Dritten Erofiiungsfall abwarten, | um von seiner Anwartschaft Gebrauch zu machen, | auf langer hinaus

[195] Ftinftes Konstitutionsedikt vom 12. August 1807

1635

kann solche nie wirken. Glei= | che Freiheit in Bezug auf die drey nachste Er= | ofnungsfalle hat auch umgekehrt der LehenHerr, | wenn die Wahl aus den nachstzuerofnenden LQ= \ fS. 39] hen ihm vorbehalten ist, mit welchem der Fall | ftir gleichgeltend geachtet werden soil, wo es un= | ausgedruckt geblieben ware, wer die Wahl haben solle. Lehensgebtihren und Taxen. 23) Bey jeder Belehnung oder Belehnungs= | Emeuerung mtissen die Taxen fur alle nothig wer= | dende Ausfertigungen, und die Gebtihren fiir alle | mit der Belehnung beschaftigte Diener des Lehen= | Herm samt dem Staatsstempfel nach dem in dem | Grosherzogthum jeweils bestehenden Taxtarif bezahlt | werden, ohne Hinsicht, welcher andere MaBstab | vorhin etwa tiblich war. Der LehenMann ist sie | jedoch nur von wirkHch erfolgten Ausfertigungen | und aufgewendeten Bemiihungen schuldig, und kon= | nen ihm von nicht erfolgten, Nachhohlungsweise bey | einem spatem Fall, keine angesezt werden. Auch | schaffen Wir in Hinsicht der durch die jezige verander= | te Verfassung des Staats eintretenden mancherley Be= | lastungen des LehensErtrags, die vorhin far jeden ein= | zelnen Fall zu entrichten gewesene Hauptgebiihr oder | den sogenannten LehenFall in Bezug auf al= | le Unsere HandLehen ab, und lassen solchen nur | noch bey Unsem ThronLehen fortbestehen. Alles I in diesem Abschnitt gesagte von LehensTaxen und | [S. 40] Gebtiren beschranken Wir jedoch zugleich auf die | von Uns und Unserm Staat zu erhebende Lehen, | lassen hingegen die LehenHofe Unserer Standes= | Herren deBfalls bey jenem verbleiben, was der | bisherige Gebrauch bey jedem Lehen eingefiihrt | hat oder durch besondere Vertrage festgesezt ist, | nur mit Vorbehalt Unserer Stempfeltaxe. Allgemeine LehensPflichten. 24) Die Rechte des LehenHerm auf seinen | Vasallen und die ihnen gegentiberstehende Pflichten | entstehen theils aus dem VerhaltniB des Ober= | Eigenthtimers zum UnterEigenthtimer oder Ei= | genthumsNiesser, theils aus dem besondem Herr= | lichkeitsVerhaltniB, in welchem bey eigentlichen | Lehen der LehenMann zum LehenHerm steht. I Erstere haben diese Lehen mit den uneigentlichen | Lehen durchaus gemein, sie beruhen auf der deB= | fallsigen btirgerlichen RechtsGesetzgebung, und be= I diirfen deBwegen hier keiner weitem besondem | Vorschrift. Nur lezterer ist dahier zu gedenken, | und ihrenthalben bestimmen Wir nachstehendes: | a) Die LehenHerrlichkeit kann nicht zur argem | Hand libertragen werden, also nicht von Unserm I Staat an einen StandesHerm, nicht von diesem | an einen Ritter und GmndHerm, weniger noch | [S. 41] an einen ungefreyten Staatsbtirger: b) jede recht= | masige Uebertragung muB vom LehenHerm dem | LehenMann verktindet werden; ehe dies geschehen | ist, kann er eine andere Familie als die ursprung= | lich berechtigte far seinen LehensHerm anzuerken= | nen nicht gehalten werden; c) der LehenHerr kann | feyerliche Gelobung der LehensTreue fordem, | nemlich auf Ftirstenwort, Ritterwort, oder Bie= | dermannsTreue, aber gemaB Unserer Eidesord= | nung keine eidliche Verpflichtung. d) Der Lehens= | Herr muB seinen LehenMann auf geschehene Auf^ | fordemng ab Seiten des lezteren zu Minne | und Recht so lang vertretten, als nicht der | lezte Rechtszug erschopft ist, oder beede sich ein= | verstehen, den Streitpunct zu keinem weitem \ Rechtszug zu treiben, jedoch muB der LehenHerr | nur far die Arbeit, der LehenMann aber far die | Kosten sorgen; wo Ersterer seinen Beistand ver= | sagt, kann zwar der LehenMann allein handeln, | aber sein Gewinn gilt alsdann far einlosliches | Allod, und mithin muB bey einem Heimfall der | LehenHerr, um davon GenuB zu ziehen, samtliche | auf den Gewinn

1636

§12: Baden

[Dok. 188-251]

verwendete Unkosten jedoch un= | verzinnslich den LandErben (AllodialErben) des I lezten LehenManns verguten. e) Der LehenMann, | der seinem LehensHerm durch Handlungen, RQ= \ fS. 42] den oder Kundschaften (sofem leztere nicht ohne | seine Veranlassung durch eine Staatsobrigkeit ep= | fordert wurden) an Leib oder Leben, Ehre oder | Haabe einen bis zur wirklichen Ausfiihrung reif | gewordenen Nachtheil zuzufiigen, und ware es | auch unter dem Schein Rechtens, untemahme, ist I seines Lehens verlustig, wowider ihn nichts schu= | tzen kann, auser der BeweiB, daB um seinen | StaatsRegenten vor einem Nachtheil an Leib, | Leben, Ehre oder Gut zu verwahren, er jene | LehensPflicht habe brechen mtissen. f) Der Le= | henMann muB bey LehensEmpfangnissen und andem | offentlichen Gelegenheiten dem LehenHerm die schul= | dige, d. i. durch Hof=Lehens= oder LandesOrd= | nungen bestimmte Ehrerbietung erweisen. Gerichtspflichtigkeit der | Lehenleute. 25.) Insbesondere muB hiemachst auch der Le= | henMann a) im ersten Zug die Gerichtsbarkeit sei= | nes LehensHerm anerkennen, und kann deBfalls | kein MannenGericht, sondem nur die Oefhung des | RechtsWegs vor dem geordneten OberHof des I LehenHerm zu Handen nehmen; es unterscheidet sich | also in Absicht auf den GerichtsStand eine Lehens= | Sache von andem nur dadurch, daB sie, es m6ch= | [S. 43] te auch aus andem Ursachen die Jurisdiction vor | einem andem hohem oder niedem, eigenem oder | fremden Gericht begriindet werden konnen, noth= | wendig vor dem OberHof des LehenHerm, das | heiBt, vor jenem Gericht desselben, unter welchem | die Kanzleysassige ihren GerichtsStand haben, an= | gebracht werden muB. Wer b) keinen OberHof | hat, oder wer als auswartiger LehenHerr nur ei= | nen solchen hat, der unter fremder ObristHoheit | seBhaft ist, der kann nur in soweit jene LehenGe= | richtsbarkeit austiben, als er innerhalb eines Mo= | nats vom Tag der urkundlichen Anzeige der Noth= | wendigkeit ein LehenGericht niederzusetzen, irgend | ein Hof= oder LandGericht des Grosherzogthums | ersucht und ermachtigt, an seiner Statt das Le= | henRichter=Amt in der Sache zu vertretten; bey | dessen Versaumung ist die LehensGerichtsbarkeit an | das oberherrliche ProvinzGericht fiir diBmal tiber= | gewalzt. c) Eine RechtsPolizey oder willkiirliche | Gerichtsbarkeit kann der LehenHerr liber den Va= | sallen nicht austiben, wo nicht von einer dahin zu I rechnenden ihm namentlich durch gegenwartiges Le= | henGesetz zugesprochenen BefugniB die Rede ware; | mithin kann unter andem auch keine LehensBe= | vormundung von ihm sich angemaset werden; son= | dem er muB denjenigen Vormund annehmen und | [S. 44] achten, der von der ordentlichen oberpflegschaftli= | chen Stelle als Vormund oder als Beistand einer | Vormtinderin bestatigt ist, und sich deBfalls mit | Urkund ausweiset; d) wo Zweifel entsteht, ob | etwas, was zum Rechtsstreit erwachsen ist, eine | LehensSache sey, soil hieriiber keinem Vorverfahren | statt gegeben, sondem die Klage vor demjenigen | Gericht, wo sie erhoben und in redlicher Meinung | angenommen ist, es sey nun das Lehen= oder | ErbGericht, fortgesezt werden, doch unschadlich fiir | andere ahnliche Falle; e) von jedem Lehengericht, | Landes= oder Standesherrlichen, gehet die Bemfung | unmittelbar an das Oberhofgericht. Lehendienste. 26.) Was die Lehendienste betrift, so konnen | von denen, die vor Alters bedungen wurden, nur I jene noch von den LehenHerren gefordert werden, | deren Gebrauch ihnen jezt noch, vermoge Unserer | StaatsVerfassung zustehen und ntizlich seyn kann, | mithin b) fallt die Erfordemng von Besitzung der | Lehensgerichte, ingleichem von Leistung der Kriegs= | dienste nicht bios in Bezug auf standesherrliche Le= | hen

[ 195] Ftinftes Konstitutionsedikt vom 12. August 1807

1637

weg, sondem Wir heben sie auch c) in Bezug | auf Unsere eigene Lehen auf, da die eingetrettene | SteuerPflicht ftir gewohnliche und ausergewohnliche | [S. 45] Falle solche Dienste nunmehr ersetzt. d) Dienste, | die bey neuen Lehen, oder durch neuen Vertrag | bey alten Lehen, diesem LehensGesetz gemaB und | ohne Eingriff in die StaatsHoheit und HerrHch= | keit bedungen werden mochten, sind in bedungener | Maase zu leisten, wo aber e) diese Maase zwei= | felhaft ware, da steht die Bestimmung dem Le= | hensHerm zu, deren der Lehenmann durch nichts, | als durch Auflassung des Lehens ausweichen kann. | f) Als stillschweigend bestimmte Dienste, wo nicht I ausdrticklich etwas anders ausgemacht ist, sind je= | derzeit anzusehen, die Erscheinungen zur Vermah= | lungsfeyer des LehensHerm oder seines dereinstigen | Nachfolgers, zum Antritt der LehensRegierung, | und zur LeichenBegleitung des LehenHerm und Le= | henFolgers; jedoch sind die Lehenleute hierzu nur | im Auffordemngsfall und nur so weit sie sich im | Staats= oder Gerichts=Gebiet des LehenHerm auf== | halten, und keine rechtmasige Verhinderungen ha= | ben, verbunden. Die Erscheinung geschieht auf | ihre Kosten; der nothwendige Aufwand bey ihrem | Aufenthalt an dem Ort der Berufung aber auf | Kosten des LehenHerm, der sie dort in Quartier, | Putter und Mahl frey halten muB. g) Wo ein | LehensSchilling - er sey gros oder klein, er sey | zu dem LehensGenuB im VerhaltniB gesetzt oder I [S. 46] nicht, jahrlich zu leisten dem Lehen obliegt, da | werden jene Hof= wie alle andere Dienste, damit | ftir abgethan und erlassen angesehen, und mogen | sie ohne ausdrtickliches Geding bey einem solchen | ZinnBlehen nicht gefordert werden. Lehensfolge nach Stamm und | Geschlecht. 27.) Die Erbfolge in Lehen kann nur auf Nach= | kommen des ersten Erwerbers gehen, wenn nicht | etwa Anherren oder Seitenverwandten desselben | durch besonderes Geding zugelassen werden, und | deBfalls SammtBelehnung erlangen. So lang nicht I namenthch ein Anderes festgesetzt ist, sind nur | mannliche Nachkommen zulassig, d. h. im Zweifel | sind alle Lehen StammLehen, sie mogen nun | vorhin MannLehen geheisen haben (als womit hau= | fig die mit RitterDiensten zu verdienende wenn gleich | nicht an mannliche Nachfolge gebundene Lehen be= | zeichnet warden) oder nicht. Ist das weibliche | Geschlecht zur Nachfolge durch besonderes Geding | zugelassen, und mithin das Lehen flir Geschlechts= | Lehen erklart, und ist nicht namentlich dabey ge= | sagt, daB das weibliche Geschlecht mit und neben | dem mannlichen erben, daB mithin das Lehen ein | durchgehendes Geschlechts das ist WeiberLehen, | [S. 47] seyn solle, so ist anzunehmen, daB nur nach Aus= | gang des MannsStamms eine Person des weibli= | chen Geschlechts nachfolgen dtirfe, und unter de= | ren Nachkommenschafl alsdann abermals das mann= | liche Geschlecht bis zu einem ledigen Anfall das | Weibliche wieder ausschliese, welches Wir ein | ErbLehen oder nachhaltiges GeschlechtsLe= | hen nennen. Jedoch sezt auch dieses noch voraus, | daB unvemeinlich alien weiblichen Nachkommen | aller Zeiten ein unbeschranktes ErbRecht habe gege= | ben werden wollen, indem im Zweifel dieses nie= | mals, sondem jederzeit die moglichste Ausschlies= | sung des weiblichen Geschlechts hierbey als Ver= | tragsAbsicht zu unterstellen ist. Daher mtissen Le= | hen, die auf Sohne und Tochter unbestimmt, | noch mehr also jene, die auf Sohne und auf | Tochter, da keine Sohne mehr seyn wer= | den, verliehen sind, kiinftig jederzeit, und ftir das | Vergangene, so lang nicht ein anderes als gemein= | schaftliche Meinung des ersten Gebers und Em= | pfangers klar gerechtfertigt werden kann, dahin | ausgelegt werden, daB nur weibliche Nachkommen | der lezt abgehenden LehenLeute zu deren Trost | auserordentlicherweise zulasig seyen, mithin jede | Frauensperson, die nicht als Tochter eines der | leztbelehnten Lehen-

1638

§ 12: Baden

[Dok. 188-251]

Leute erben, somit ihr Recht | [S. 48] nicht unmittelbar aus der jiingsten Belehnung ab= I leiten kann, nachmals kein ErbRecht am Lehen ha= | be, sondem nachdem sie einmal durch eines mami= | lichen Abkommlings Belehnung ausgeschlossen ward, | fiir bestandig ausgeschlossen bleibe, sofort, daB | wenn ein solches TochterLehen einmal auf die | Tochter verfallen ist, es nicht nur abermals bios | in deren mannlicher Nachkommenschaft forterbe, | sondem auch tiberall dort bloses StammLehen | werde, und nur durch neue besondere Gnade des | LehenHerm - in wieweit dieser sonst darinn freye | Hand hat, wieder zu einem TochterLehen oder | gar zu einem Erb= Oder WeiberLehen werden konne. Erbordnung unter den Lehens= | Folgem, 28) Die Erbordnung zwischen jenen, die zur | LehensFolge zulassig sind, richtet sich, soweit nichts | besonderes rechtlich bestimmt ist, lediglich nach | dem gemeinen ErbRecht Unseres Staats, nur daB | Verwandte, die ihr mit dem Erblasser gemein= | schaftliches StammRecht auf eine jtingere Lehens= | Emeuerung zuriickfuhren konnen, wenn sie auch | dem Grad nach weitloser mit jenem verwandt wa= | ren, vor solchen den Vorzug haben, die obwohl | [S. 49] in dieser Hinsicht naher, dennoch ihr StammRecht | aus einer fruhem also weiter zuriickgehenden Le= | hensErneuerung ableiten miissen. Besondere Be= | stimmungen konnen seyn, wenn ein Lehen zu Erst= | geburtsErbe (Primogenitur) zu VorzugsErbe | (Majorat) oder zu AltersErbe (Seniorat) ver= | fallt. Die Erstere dieser Bestimmungen bringt mit | sich, daB nur Einer, und zwar je der Erstgebolu^ | ne, somit nach dessen Abgang sein Erstgebohmer | und sofort, wenn eine solche Linie abgeht, die | nach ihr erstgebohme Linie und in solcher der Erst= | gebohme und dessen erstgebohme Nachkommen= | schaft zum GenuB des Lehens gelange, indessen | die tibrige LehensBerechtigte nur ihre Abfertigung | daraus erhalten. Solche ErbOrdnung ist alien I StandesHerrschaften Unseres Staats hiermit Kraft | Gesetzes vorgeschrieben, und bey alien Grund= | Herrschaften kann sie durch Vertrag eingefiihrt | werden, und wo sie es jetzt schon ist, fortbestehen. | Wo VorzugsErbe bey leztem beliebt ware, da | geht die Erbordnung zwar unter den Berechtigten | nach gemeinem LandRecht der Nahe des Grades | nach, so jedoch, daB so oft sie auf diesem Weg | auf mehrere Personen zugleich fallen wiirde, der | Aelteste aus diesen allein in das Lehen tritt; wo | [S. 50] endlich AltersErbe angenommen ist, da tritt in | jedem ErofftiungsFall ohne Hinsicht auf Erstgeboh= | renheit der Linie noch auf Nahe des Grads der | StammsAelteste in das Lehen. Leztere ErbArt wird | jedoch nicht vermuthet, sondem wo eine Untheil= | barkeit der LehenFolge durch Gesetz oder Vertrag I festgesezt ist, und nicht deutlich erhellet, daB eine | Vererbung nach ErstgeburtsRecht oder nach Alters^ | Recht eingefiihrt sey, da tritt das VorzugsErbe, als | dasjenige, welches am wenigsten von der gemeinen | ErbOrdnung abweicht, zur Regel ein. Die Un= | theilbarkeit selbst wird bey hohen Lehen als Regel | unterstellt, bey gemeinen aber nicht, sondem da | muB sie besonders bedungen seyn. Unterschied vom LandErbe. 29.) Das LehenErbe mag iibrigens nach Ge= | ding oder nach LandRecht verfallen; so bleibt es | immer ein gesondertes Erbe, das mit dem gemei= | nen Erbe des LehenManns nichts gemein hat, wenn | auch zufallig durchaus ein und ebendieselbe Person I in beedem Nachfolger ware. Diesemnach kann der | LehensNachfolger nach Gutfinden das LehenErbe | antretten und das gemeine Erbe ausschlagen; und | indem er jenes antritt, wird er niemals ErbFolger | des lezten Besitzers, sondem lediglich des ersten | [S. 51] Erwerbers, und hat also fiir keine Hand= | lungen des lezten Besitzers Rechenschaft zu geben | noch sie zu vertretten und zu btisen, auser jenen, |

[195] Fiinftes Konstitutionsedikt vom 12. August 1807

1639

welche vermog einer gesezlichen Verordnung oder | der besondem WillensBestimmung des ersten Erwer= | bers fur Belastungen des Lehens anzusehen sind. | Selbst der Sohn oder Enkel eines Lehensbesitzers | mag kunftig nicht verhindert werden, das Lehen= | Erbe mit Zurticklassung des elterlichen gemeinen | Erbes anzutretten, ohne jedoch diese SchuldenAb= | weisung gegen Glaubiger geltend machen zu konnen, [ die vor der Zeit dieses Grundgesetzes Glaubiger geworden sind. Abfertigung ausgeschlossener | LehensErben. 30.) Wo das Lehen untheilbar ist, da gebiihret | denen LehensBerechtigten, welche vom Eintritt in | das Erbe ausgeschlossen werden, eine Abferti= | gung, die, soweit sie nicht durch FamilienVer= | trage naher bestimmt ware, aus der Ausriistung | und dem LehenGehalt besteht. Die Ausru= | stung ist derjenige Aufwand, der nothig ist, um I den ausgeschlossenen LehenMann zu irgend einem | anstandigen NahrungsErwerb in den Stand zu se= | tzen, und der LehenGehalt ist eine jahrliche | [S. 52] Abgabe aus dem Ertrag des Lehens zu dessen Un= | terhalt. Die Summe von beeden bestimmen zu= | nachst die vorhandene gtiltige FamilienVertrage | oder Observanzen; bey deren Ermanglung giebt | der LehensHerr dariiber nach Biedermanns Ermes= I sen die Bestimmung, und entscheidet dadurch zur | Minne (ad arbitrium boni arbitri) sofort, wenn | die Interessenten damit nicht zufrieden seyn woll= | ten, und Lauterung des Schiedsspruchs (reduc-1 tionem ad arbitrium boni viri) suchen wollten, I spricht dariiber das Oberhofgericht, und entscheidet | die Sache endlich zu Recht. Dabey mtissen vier | GrundRegeln zur Richtschnur des Ermessens die= | nen; einmal: dem LehensBesitzer darf niemals | tiber ein Drittel des LehenEinkommens fur sammt= | liche AbfertigungsLasten entzogen werden; zum | andem: der LehenMann kann mit seinen Ab= | gaben unter dieser Summe bleiben, sobald der | Zweck der Abfertigung damit standesmasig erreicht | werden kann, wobey das Eigengut des Abzuferti= | genden mit in Anschlag kommt; zum drit= | ten: soweit der LehensErtrag in obgedachter Ma= | se es zulaBt, muB die Abfertigung standesmasig I seyn; zum vierten endlich, ein LehenGehalt, | sobald er aus dem Gesetz allein zu suchen ist, mit= | hin Vertrage nicht eine mehrere Vorsorge bedin= | [S. 53] gen, kann nur solang und soweit verlangt werden, | als der abgefertigte LehenTheilhaber nicht zu Eh= | ren berathen, d. h. zum eigenen NahrungsErwerb | durch seinen FleiB in den Stand gesetzt oder nicht | verungltickt, d. h. sich selbst zu emahren wieder | auser Stand gekommen ist. Ausstattung der NichtErbberech= | tigten. 31.) Allen nicht LehensBerechtigten Familien= | Gliedem, also den Wittwen der Vasallen, in= 1 gleichem den Tochtem derselben, gebiihret in | der Regel keine Abfertigung, soweit sie nicht durch | gtiltige FamilienVertrage oder Observanzen festge= | setzt ist. Ausnahme hiervon ist: a) wenn der ver= | storbene Vasall nichts an gemeinem Vermogen hin= | terlaBt; dann ist der LehensErbe oder der Lehen= | Herr, wenn ihm das Lehen heimgefallen ist, schul= | dig, den Wittwen so lang sie leben, und den Witt= | wenstuhl nicht verrticken, und den Tochtem des | lezten Vasallen, die noch ledig sind, bis zu ihrer | Verheurathung einen zum nothdtirftigen Unterhalt I hinlanglichen, nicht tiber den Drittel des Lehens= | Ertrags wegnehmenden LehenGehalt auszuwerfen, | und statt dessen bey der Verheurathung ein ange= | messenes HeurathGut zu geben, welches hochstens | [S. 54] auf einen sechsfachen Betrag des LehensGehalts er= | messen werden mag. Eine femere Ausnahme ist | b) wenn ein durchgehendes WeiberLehen untheilbar | gemacht wird, wo alsdann die weibliche LehensBe= | rechtigte, die gleiche Abfertigung zu fordem haben, | wie die mannliche bey StammLehen, so jedoch, daB | das HeurathGut und Aussteuer

1640

§ 12: Baden

[Dok. 188 - 251]

bey ihnen die Stel= | le der Ausriistung vertritt und der LehenGehalt | durch die Verheurathung fiir immer wegfallt. Eine | dritte Ausnahme ist c) wenn ein Wittum fiir Witt= I wen oder ein Leibgeding fur Tochter, die etwa | sich zu heurathen oder zu nahren auser Stand sind, | mit Consens der LehensBetheiligten auf das Lehen | tibemommen worden ist, wo alsdann diese Ver= | bindlichkeit auch zu Lasten jener Betheiligten, die | darein eingewilligt haben und ihrer LehensErben, | selbst wenn diese nicht zugleich LandErben gewor= | den waren, nach Abgang desjenigen Lehenmanns, | der die Versicherung gab, fortdauert, und auf sol= | che tibergeht, deren tibriger RechtsGehalt aber aus | dem Vertrag, und wo dieser nicht entscheidet, aus | der gemeinrechtlichen Gesetzgebung des Grosherzog= | thums iiber dergleichen Wittums= und RentenVer= | haltnisse und liber die Rechte und Pflichten des | getheilten Eigenthums seine Entscheidung empfangt. fS. 55] LehensSchulden. 32.) Ueberhaupt gehen LehensSchulden auf | den LehensErben, LehenHerm, und jeden rechtma= | sigen Lehenslnhaber tiber, wenn er auch gleich | nicht LandErbe des urspriinglich schuldenden Besiz= | zers ist. Hiehin gehoren a) alle Verwendungen, | die auf Erhaltung des LehenGuts aus fremden Gel= | dem gemacht worden sind; hier hat der Eigen= | thiimer des Gelds nach VerhaltniB des Verwen= | deten seine Forderung an das Lehen selbst, soweit | er nicht aus dem LandErbe des Verwenders seine | Zahlung erlangen kann: b) alle Verwendungen, | die der Lehenmann selbst tiber die Erfordemisse | der Erhaltung hinaus zur mehrem und bleibenden | Verbesserung des Lehens gemacht hat; davon hat | der Verwender oder sein Erbe den Ersatz an den | Lehenslnhaber in soweit zu suchen, als der Werth | der Verbesserung bey Anfang der Innhabung in | dem Lehen noch vorhanden war, und folglich dem | Innhaber zu gut kommen konnte; c) jede Schuld, | die mit Einwilligung der LehensBetheiligten auf I das Lehen zur Zahlung, oder doch zur Versiche= | rung und Verunterpfandung tibemommen worden | ist; nur daB bey den bios versicherten Schulden | die Verbindlichkeit des Lehens erst eintritt, wenn | das LandErbe zur Zahlung nicht hinreicht, das zu= | [S. 56] vor deBfalls angegriffen werden muB, und daB I wegen einer LehensSchuld, die einmal, wenn gleich | aus AllodialVermogen von dem LehenMann bezahlt | worden ist, die Erben in keinem Fall einen Riick= | griff an das Lehen und die LehensFolger zur Er= i stattung machen konnen. Bey solcher Versiche= | mng der LehensSchulden wiirkt die lehenherrliche | Beystimmung, obwohl sie den schon lebenden Le= | hensVerwandten, die nicht einwilligen, keineswegs | zum Nachtheil gereichen kann, dennoch verbindend | fiir alle noch nicht gebohme Lehenleute, als denen | nachmals durch ihre Geburt kein ander LehenErbe, | als das mit dieser Schuld belastete, zu Theil werden | kann, so daB sie auch bey Entschlagung des Land= | Erbes solche bewilligte LehenSchulden auf sich neh= I men mtissen, ohne weiter tiber die Zulanglichkeit | oder Unzulanglichkeit der BewilligungsUrsach Fra= | ge erheben zu konnen, LehensHeimfall und Auflassung. 33.) Die Auflosung des LehensVerbandes ge= | schiehet femerhin wie bisher durch Heimfall, Auf= | las sung oder Verwtirkung. Heimgefallen ist ein | Lehen in dem Augenblick, wo der lezte lehensfahi= | ge Besitzer mit Tod abgeht, ohne daB vorhandene | oder zu hoffende LehensErben bekannt waren. | [S. 57] Der LehenHerr kann alsdann ohne weiteres fiir | sich den btirgerlichen Besitz ergreiffen, den natiirli= I chen aber nur soweit, als die LandErben gutwil= | lig weichen, indem, wenn diese Erben Erstattungs= | oder andere zu einer Innbehaltung geeignete For= | demngen haben, und deBwegen nicht abtretten wol= | len, die Ergreifung des nattirli-

[ 195] Ftinftes Konstitutionsedikt vom 12. August 1807

1641

chen Besitzes an= | ders nicht, als durch richterliche RechtsEntschei= | dung und HtilfsLeistung geschehen kann. Im Zwei= | fel: ob noch ein LehensErbe zu hoffen seye? tritt | die gemeine RechtsVorsorge ftir ungewisse Erben | ein. Die Auflassung, das ist die freywillige Zu= | riickgabe des Lehens in die Hande des LehenHerm, | welche entweder ohne alien Beding, oder unter | Bedingungen, besonders unter dem Beding, es | einem Kaufer oder einer andem sonst begtinstigten | Person wieder zu verleyhen, geschehen kann, hangt [ alsdann, wenn sie mit irgend einer Bedingung | umwunden werden will, von der Annahme oder | NichtAnnahme des LehenHerm ab; wenn sie aber | unbedingt geschieht, hat dieser kein Recht sie aus= | zuschlagen, und es wird dadurch ohne welters ihm | das Lehen offen, doch daB der LehenMann nicht I eher aus dem Besitz weiche, bis der LehenHerr ihn | zu ergreiffen Zeit und Gelegenheit hatte, damit | nicht durch eine LehensVerlassung diesem Schaden | [S. 58] geschehen konne, wofur sonst der Vasall mit al= | lem Vermogen haften muB. Jede Auflassung kann | jedoch nur zum Nachtheil des Auflassenden, seiner | Gewaltgeber, und ihrer aller zur Zeit der Auflas= | sung noch ungebohmen Nachkommenschaft wtirken; | sie kann hingegen den schon vorhandenen Lehenbe= | rechtigten, die nicht einwilligen, nichts schaden, sie | kann ihnen aber auch nichts nutzen, sondem sezt | den LehenHerm fiir so lang in Besitz und Gewahr | des Lehens, bis jener ErbFall eintritt, in welchem | der Nichteinwilligende oder dessen Nachkommen= | schaft ohne die Auflassung auch zum Lehen gekorn= | men seyn wtirde, wo alsdann erst mit diesem | RechtsAnfall der Besitz an sie riickfallig wird. In= I zwischen mtissen die unschuldige ErbBerechtigte, die | auf An= und RtickFall warten, ihr LehenFolgerecht | durch Muthung bey jedem Fall aufrecht erhalten, | woriiber ihnen der Muthschein unentgeldlich er= | theilt werden muB. Belehnung aber sind sie zu | nehmen nicht schuldig, so lang der LehenHof im | GenuB des Lehens bleibt. LehensVerwtirkung und Lehens= | Strafe. 34.) Gleiche Eigenschaften hat jene Eroftiung | des Lehens, welche durch Verwtirkung desselben | [S. 59] zu Stande kommt, indem auch sie keinem schon le= | benden Lehensberechtigten oder seiner lehensfahigen | Nachkommenschaft schadlich aber auch keinem ntiz= | lich seyn kann. Die Verwtirkung selbst kann | tibrigens nur wegen einer LehensUntreue erfol= | gen, das ist wegen solchen pflichtwidrigen Hand= | lungen des Lehenmanns, welche entweder mit dem | Vorsatz, dem LehensHerm zu schaden, oder doch | mit dem vemtinftig anzunehmenden BewuBtseyn, | daB damit der LehenHerr gekrankt werde, geschehen, | welchem Fall namentlich derjenige gleich zu achten | ist, wo nach zweymalig fmchtlos gebliebenen War= I nungen und Aufforderungen der LehenMann zum | drittenmal in einer Saumsaal ohne gebtihrende | Entschuldigung verharret. Diese Verwtirkung ge= | schieht durch die That selbst, und mithin von dem | Augenblick der begangenen That an, obwohl sol= | che, so lang ihr vom LehenMann widersprochen | wird, nicht eigenmachtig durchgesezt, sondem sie | vor dem LehenGericht an= und ausgefuhret werden | muB. Gleiche Wtirkung hat ein bloser Lehens= | Fehler nicht, das heiBt eine aus Saumsaal ohne | wissentliche oder vemtinftig zu unterstellende Ge= | fahrde erfolgte Verabsaumung einer Lehenspflicht, | sondem diese mag der LehenHerr ohne gerichtliches | Verfahren, doch nicht ohne den LehenMann liber | [S. 60] seine etwaige Entschuldigungen gehort zu haben, | nach Befinden der GroBe der Saumsaal oder I der UnEhrerbietigkeit gegen ihn, die dabey unter= | lauft, mit VerweiBen, Verdopplung der Gebiih= | ren, Geldstrafen und zeitlicher hochstens halbjahri= | ger Entziehung des LehensGenusses ahnden. Uebri= | gens kann LehensUntreue und LehensFehler nur | von demjenigen LehensHerm, an dem sie be= | gangen wurde,

1642

§12: Baden

.

[Dok. 188-251]

und an jenem LehensMann der | sie begieng, geahndet werden; sturbe Einer oder | der Andere, ehe eine Verantwortung dariiber ep= | fordert und also das Verfahren zur Ahndung ein= | geleitet ware; so ist das Vergehen mit abgestor= | ben. Das Vergehen eines LehensTragers kann | nur ihm, niemals jenen far die er Trager ist, | aufgerechnet werden. LehensVerj ahrung. 35) So wie jeder LehensVerband, der jetzo | in Unserm Grosherzogthum mittelst unwiderspro= | chener AnerkenntniB des LehensHerm und Lehen= | Manns besteht, ohne welters als ein erganzender | Theil Unserer neuen StaatsVerfassung, somit als | rechtmasig anzusehen ist; so kann von diesen fiir | die Zukunft durch Verj ahrung keiner untergehen, | so lang die Lehenbarkeit erwiesen werden kann, | [S. 61] und die lehnbare Sache noch in der Hand der | LehensNachfolger sich befindet, und wenn auch | von den langsten Zeiten her keine LehensEmeuerung | vorgegangen ware; mithin kann immer der Lehen= | Herr die EmeuerungsNachsuchung, wenn sie noch | so lang unterblieben ware, wieder fordem, und | der LehenMann muB sich ihr bey Strafe, sonst | eines LehensFehlers und nach Befinden einer Un= | treue schuldig erkannt zu werden, fagen. Ware | sie selbst bis zum Abgang der LehensNachkommen= | schaft unterblieben, so mag solches dem Heimfalls= | Recht des LehenHerm nicht schaden, noch zu | Gunsten des LandErben eine AllodialEigenschaft I glaublich machen, so lang die ehemalige Lehenbar= | keit klar ist, und ein rechtmasiger EndigungsTitel | derselben nicht dargelegt werden kann. So bald | hingegen das Lehen als Eigengut in dritte Hand | tibergegangen ist, so kann es nicht allein diese als | eigen durch gemeinrechtliche Verj ahrung erwerben; | sondem wenn in dreisig Jahren samt Jahr und | Tag nach der Verauserung eine LehensErneuerung | unterblieben ware, so gilt auch der Lehens=Ver= | band fiir aufgeloBt, mithin die Schuldigkeit des | LehenManns zum Ersatz des verauserten Lehen= | Stiicks fiir erloschen. Entstehen kann dieser Verband | nie durch Verj ahrung; wohl aber mag sein ehe= | mals richtig entstandenes Daseyn durch eine binnen | [S. 62] dreisig Jahren Jahr und Tag mehrmalen erfolgte | AnerkenntniB dieses Daseyns fiir voll bewiesen | gelten, so wie nachmals auch dessen Ausdehnung | auf eine oder anderes in der Belehnung etwa | urspriinglich nicht begriffenes Sttick mittelst einer | durch jene VerjahmngsZeit flirgedauerte Aner= | kenntniB der Lehenbarkeit einer solchen Angehor= | de rechtmasig begriindet werden mag. Sonderung des Lehens vom | Erbe. 36) Wenn tibrigens bey einem Heimfall des | Lehens an den LehenHerm, bey dem Uebergang | von einer StammLinie an eine andere, oder bey | der Ergreifiing des LehensErbes ohne das | LandesErbe, die Nothwendigkeit entstehet, bee= | des auszuscheiden, so sind dabey folgende Re= | geln zu beobachten: a) Sobald das Lehen in | einem Grundstiick bestehet, so ist alle Liegenschaft | die in demselben gelegen, oder mit ihm verbunden | ist, und jede DienstGerechtigkeit, welche zu dessen | Vortheil besteht, fiir Lehen zu halten, bis deren | auserhalb des LehenVerbands geschehene Erwerbung | bewiesen wird; das UeberGebaude hingegen ist fiir | LandErbe anzusehen, wenn der LehenBrief kein | UeberGebaude nachweiset; wo er hingegen dessen I [S. 63] miterwahnt, so gilt ebenfalls die Vermuthung, | daB alles UeberGebaude mit dem, was darin nied= | und nagelvest ist, zu dem Lehen gehore, bis das | Gegentheil zu Recht dargethan wird; b) so | bald das Lehen in einer OrtsHerrlichkeit besteht | so umfaBt jene Vermuthung der LehenHerrlichkeit | alles, was der LehenMann an solchen Gtitem und | Rechten hinterlaBt, welche in die Klasse der Orts= | Herrlichkeiten gehoren, aber nichts von demjeni= | gen PrivatEigenthum, was der

[195] Funftes Konstitutionsedikt vom 12. August 1807

1643

OrtsHerr in der | Gemarkung des Orts besaB, so weit es nicht na= | mentlich durch den LehenBrief und die LehensFra= | gen=Beantwortungen, LehensBeraine oder Lehens= | Beschreibungen als einbegriffen im Lehen vereigen= | schaftet werden kann; c) fahrende Haabe, die zum | Lehen diente, gehort auch nur alsdann zum Lehen= I Erbe, wenn sie durch jene Beweise ausdnickHch | dazu einbegriffen wird; d) in Absicht der Thei= | lung der Nutzungen des lezten Jahrs ist demjeni= | gen nachzugehen, was das LandRecht tiber Thei= | lung der Nutzung zwischen den Erben des Eigen= | thiimers und des Nutzniessers bey Endigung des | Niesbrauchs ordnet; so wie auch e) in Absicht | auf die Vergrosserungen, die durch ZuwachsRecht | oder durch Ueberbesserung des LehenManns entstan= | den sind, die deBfallsig gemeinrechtliche Verordnun= | gen allein zur Norm dienen, [S. 64] Indem Wir nun hiermit genau bestimmt ha= | ben, in welcher Mase der LehensVerband in Un= I serm Staat kunftig fortdauem kann und darf, | indem Wir femer dasjenige, was durch die be= | weiBliche Uebereinkunft der LehensBetheiligten, | die Anordnungen dieses ConstitutionsEdicts, und | die schluBrichtige Folgerungen aus demselben, nicht | entschieden ist, lediglich der analogischen Anwendung | der gemeinrechtlichen Gesetzgebung Unseres Staats | tiberlassen, heben Wir wissentlich und wohlbedacht= | lich die in ihren Grundlagen durch den rheinischen | Bund schon beseitigte altere LehensGesetze und Ge= | wohnheiten sammtlich auf, und erklaren sie sammt | und sonders fiir veraltet und unkraftig, so, daB I keinerley RechtsEntscheidungen femer daraus ab= | geleitet, noch in Gerichten sich darauf weiter be= I rufen werden dtirfe, als in sofem zu Erklarung | des Willens der LehensBetheiligten in Absicht auf | altere LehensVertrage klare Entscheidungen des | alten LehenRechts als stillschweigende Voraussetzun= | gen der VertragsPersonen anzusehen sind, und [ wollen, daB im iibrigen vom Iten Jenner 1808 an | spatestens lediglich dieser neuen Gesetzgebung, und | wo diese nichts entscheidet, den fiir alle Unsere | StaatsBtirger gemeingtiltigen LandesRechten nach= | zugehen sey. Hieran geschiehet Unser Wille und | [S. 65] meinen Wir das emstlich. Geschehen aus unserer | Grosherzoglich besonderen Verordnung unter dem | vorgedruckten grosem Staatssiegel. Karlsruhe | den 12ten Aug 1807. Vt Freih. v. | Gayling. (L. S.) Vt. Reinhard. Auf Sr. KonigL Hoheit | Special=Befehl. | W. Reinhard. [S. 66] Beylage A. LehenGeltibdsFormel | womach ein Grosherzoglich Badischer Le= | henmann seine Pflicht abzulegen hat. Derselbe soil geloben und auf (Ftirsten - Grafen) | Ritterwort und Ehre versprechen, dem Durch= | lauchtigsten Ftirsten und Herm, Carl Friederich | Grosherzog zu Baden, Herzog zu Zahringen etc. | als seinem LehenHerm, und seiner Zeit dessen | Nachfolgem in der LehenHerrschaft, von seines | besitzenden Lehenswegen treu hold und gewar= | tig zu seyn, Hochstdero Nutzen und Bestes zu | fordem, Dero Schaden zu wamen und abzuwen= | den, dem Innhalt der LehnBriefe und Reverse | getreulich nachzukommen, diese LehensPflicht in I einzelnen Fallen, wo es an ihn verlangt wird, | mit leiblichem Eide zu bekraftigen, und tiberhaupt | [S. 67] alles dasjenige zu thun und zu lassen, was nach | dem GrundGesetz der LehensVerfassung des Gros= | herzogthums einem redlichen Vasallen zu verrich= | ten oder zu vermeiden obliegt, alles getreu und | ohne Gefahrde.

1644

[Dok. 188-251]

12: Baden Bestabung.

(wie gewohnlich) [S. 68] Beylage B. Taxe I des Lehenhofs | des Grosherzogthums Baden. In Gefolg des 23ten Art. der LehensConstitxition | sind die Taxen fur den Grosherzoglichen Lehen= | hof folgendermasen regulirt Tax Ad art. 6. signirtes Lehens | Concept (wo solches wegen | Berichtigung des Lehens= | Vertrags nothig wird) per | Bogen

fl.

Stem Sporteln pfel kr. fl. kr. kr. fl.

ad art. 8. LehensUeberwei= | sungsUrkunde . . . .

3-12

ad art. 12. Nachsichtsverfu= | gung per Monath 1 fl. .

und

6

30

1

30

1-3

30

6

ad art. 13. Wiederherstellungs= Decret, den Tax und Spor= | teln doppelt, den Stempfel | einfach wie zuvor . . [S. 69] ad art. 15. LehensVersagung

fl. -

kr. —

fl. —

kr. 15

fl. -

kr. 3

ad art. 16. Befehl zur Lehens= fragen Beantwortung.

-

-

-

15

-

3

ad art. 17. LehensRuf . .

-

-

-

30

-

6

— ^

-

-

-

15

-

3

Muthschein . .

— — Lehenbrief, erster, | nach Wichtigkeit des Gegen= | standes

— — Lehenbrief, emeu= erter, nach Weitlaufigkeit | des Inhalts . . . . ad art. 22. vorsorgliche Be= | lehnung wie eine wirkliche

3

10100

3-15

-

1

1

30

-

30

[195] Ftinftes Konstitutionsedikt vom 12. August 1807

Decret.

1025

ad art. 24. Consens zur lehn= baren Verauserung . .

1025

Lehensanwartschafts=

-

3

-

1

1645

-

1

3 "

"

— — Consens zur Allo= | dialisimng 25 Procent vom Werth

und

5

-

ad art. 32. LehensConsens Vi \ Prozent der consentirten | Summe pro taxa . .

und

1

30

" 1

-

30

[S. 70] fl.

kr.

fl.

kr.

fl.

kr.

ad art. 33. AuflassungsAnnah= | me (ohne Verausserung oder | Allodialisimng) . . .

-

-

-

30

-

6

Ungenannte Verfagungen ad | petita

-

-

-

15

-

3

Ungenannte Verfiigungen ex | Officio Nach diesen Taxen sind von den altbadischen | Lehen alle nach der Publication dieser erst sich be= | gebenden Falle, bey alien neubadischen, d. i. | woriiber seit 1802 erst die LehenHerrschaft erwor= | ben wurde, alle noch nicht durch Aushandigung | der zu berichtigenden Tax=Zettel schon zu einer | Erledigung nach dem alten Fus reif gewordene auch | frtihere Falle zu richten. LehensGebiihren werden bezahlt a) bey Thron= | Lehen nach den HofRegulativen far die einzelne | Lehen; b) bey HandLehen fur den Kanzleydiener | 1 f 12 kr. von jedem BelehnungsAct. LehensUnkosten fur Capfel, Siegel u. s. w. kon= | nen keine angerechnet, sondem mtissen aus obigem | Ertrag angeschafft werden; nur der welcher einen Le= | henBrief auf Pergament bey HandLehen verlangt, | [S. 71] (indem ohne specielles Verlangen sie bey solchen I nur auf feines starkes Papier gefertigt werden,) | muB den Betrag des Pergaments besonders zahlen. Uebrigens haben in ihren Eingaben die Lehen= | Leute lediglich die allgemeine TaxOrdnung des | Grosherzogthums zu befolgen. Karlsruhe den 12. Aug. 1807. Grosherzogliches Justiz Departement.

1646

§12: Baden

[Dok. 188-251]

[195/1] General-Verordnung: „Die Befolgung der erschienenen Lehens-Constitution betreffend", vom 6. Oktober 1807 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einfuhmngen" die Darstellung unter [736.]. Quelle: Regiemngs-Blatt des GroBherzogthums Baden, 5. Jahrgang, (Nr. 34 vom 13. Oktober) 1807, S. 199 (gedmckt). [S. 199] General=Verordnung. I.) Die Befolgung der erschienen LehensConstitution betreffend, Nachdem Sr. Konigl. Hoheit der Grosherzog liber die Verfassung des Lehenswesens in | Ihren Landen eine Constitution erlassen haben, welche Natur und Wesen dieses Staats= | Vertrags wie er in der jetzigen Staats=Verfassung noch zu Recht bestehet, und die dem | gemaBe Modification der Rechte und Pflichten der Lehenleute in Empfahung, Anerkennung, I Behandlung, Vererbung und Verliemng der Lehen bestimmt; so wird solches anmit alien | Vasallen des Grosherzogthums kund gethan, um die bei dem Verleger des Regierungsblatts | gedmckt erschienene Ordnung sich anzuschaffen und wohl bekannt zu machen, sofort durch | deren Beobachtung sich vor Gefahr und Schaden zu htiten: Wie dann auch alle Lehen= | leute, welche durch die mittelst des Rheinischen Bundes entstandene Veranderungen anhero | gefallen sind, und etwa noch ihre MuthungsPflicht nicht erfiillt haben, hiermit zum Ueber= | fluB nochmals erinnert werden, binnen einer Frist von drei Monaten a dato ihre Saumsal | zu entschuldigen und zu verbessem, oder sich die LehensConstitutionsmasige Folgen nachmals | selbst zuzuschreiben. Verordnet im Grosherzoglichen Geheimenrath. JustizDepartement. Carlsruhe den 6ten Oktobr. 1807

[195/2] Bekanntmachung „zum Art. 23 des fiinften ConstitutionsEdicts Jahrs 1807, die Lehensverfassung des GroBherzogthums Baden betreffend", vom 30. IVIai 1815 Quelle: „GroBherzoglich-Badisches Regierungsblatt, 13. Jahrgang, (Nr. 11 vom 22. Juni) 1815, S. 77 (gedmckt). [S. 77] Bekanntmachungen. (Zum Art. 23. des fiinften Constitutions=Edicts Jahrs 1807., die Lehensverfassung | des GroBherzogthums Baden betreffend.) Seine Konigliche Hoheit haben unterm 25. 1. M. genehmigt, daB die her= | gebrachten Lehentaxen und Gebtihren nach dem im GroBherzogthum Baden bestehen= | den Taxtarif von jedem eintretenden einzelnen Belehnungsfall, wie solches auch fru= | her bey Hochst Ihrem Lehenhofe bestanden hat, besonders angesetzt und in Anfor= | derung gebracht werden sollen, und auf den, in dem Lehensedict vom 12. August | 1807. gesetzten Unterschied zwischen wirklich erfolgten und unterbliebenen Belehnungs= | handlungen ktinftig nicht mehr gesehen werden soil. Dieses wird sammtlichen Vasallen des GroBherzogthums armiit bekannt gemacht. | Carlsruhe, den 30. May 1815. Justiz=Ministerium. Frhr. v. Hovel. Vdt. Klein.

[195/3] Gesetz vom 9. August 1862

1647

[195/3] Gesetz, „die Aufhebung des Lehenverbandes betreffend'', vom9. August 1862 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einfuhrungen" die Darstellung unter [736.]. Quelle: „Grol3herzoglich-Badisches Regierungs-Blatt, 60. Jahrgang, (Nr. 47 vom 4. Oktober) 1862, S. 437 - 439 (gedruckt). [S. 437] Gesetz, | die Aufhebung des Lehenverbandes betreffend. Friedrich, von Gottes Gna= | den, GroBherzog von Baden, | Herzog zu Zahringen. §•1. Der Lehenverband aller eigenthchen Lehen (§. 2 des Lehenedikts vom 12. August 1807) I muB auf Verlangen des Lehensherm oder des Leheninhabers (Vasallen) abgelost werden. Eine Ktindigung von Seiten des Lehensinhabers ist unstatthaft, wenn das Lehen auf dem I Heimfall steht, d. h. wenn auBer dem Inhaber kein anderer Berechtigter mehr vorhanden ist. §.2. ^Die Ktindigung geht, wenn der GenuB eines Lehens unter mehreren Inhabem getheilt ist, I von dem Lehentrager aus. ^Derselbe hat sich tiber die Zustimmung der tibrigen Lehen= I inhaber auszuweisen. [S. 438] Weder der Inhaber noch der Lehentrager bedarf zu der Ktindigung und den nachfolgenden I Verhandlungen des Konsenses der eventuell berechtigten Personen. Die Ktindigung von Seiten des Lehenherm erfolgt an den Leheninhaber, beziehungsweise I Lehentrager. §•3. ^Die Inhaber eigentlicher Lehen haben dem Lehenherm fiir den Verlust des Obereigenthums= | und Heimfallrechts eine Entschadigung zu zahlen. "^Diese Entschadigung betragt I. Bei Stammlehen (§. 27 des Lehenedikts): 1. Wenn nur zwei Berechtigte vorhanden sind 7 Prozent 2. Wenn drei bis Sechs Berechtigte vorhanden sind 4 3. Wenn tiber sechs Berechtigte vorhanden sind 2 des Werths des Lehens; II. Bei Geschlechtslehen: | Die Halfte dieser Taxen; III. Bei Korperschaftslehen: | Ein Prozent des Werths des Lehens. §.4. Ist ein Lehen im Besitze eines Untervasallen, so muB die Ablosung das ganze LehenverhaltniB | umfassen; es werden zur Bestimmung der Abkaufsumme sammtliche Berechtigte beider Vasallen= | familien zusammengezahlt und es ist die von dem Untervasallen zu zahlende Abkaufsumme zur | Halfte dem Oberlehensherm und zur Halfte dem Vasallen zu entrichten.

1648

§ 12: Baden

[Dok. 188 - 251]

§.5. ^Der Berechnung der Abkaufsumme wird der Steuerwerth des Lehens zu Grund gelegt. ^Zu I dem Lehen gehorige oder demselben zu ersetzende Kapitalien kommen mit 80 Prozent ihres wirk= | lichen Betrags in Anrechnung. ^Rechte, welche nach einem bestehenden Gesetze ablosbar sind, werden | nach MaaBgabe dieses Gesetzes gewerthet. "^Lehen, die in jahrlichen Renten bestehen, werden im | zwanzigfachen Betrag angeschlagen. §.6. Die Abkaufsumme ist, falls sie 500 fl. nicht tibersteigt, sogleich nach ihrer Festsetzung, andem= | falls nach der Wahl des bisherigen Lehenmanns entweder sofort oder in mit dem Tage der Fest= | setzung beginnenden, von da ab zu 5 Prozent verzinslichen jahrlichen Terminen von 500 fl. zu | entrichten. §.7. Die Abkaufkasse genieBt mit jenen der Zehnten, der Gtilten und Zinsen ein keiner Ein= | tragung bedtirfendes Vorzugsrecht auf die Lehengtiter. fS. 439] §.8. Die gerichtlichen und auBergerichtlichen Verhandlungen zwischen Lehenherren und Vasallen | tiber Aufhebung des Lehenverbandes und tiber die dafiir zu leistende Entschadigung sind frei von | Sporteln, Stempel und jeder andem als der in §. 3 dieses Gesetzes selbst festgesetzten Taxe. §•9. ^Die Verhandlungen tiber die Ablosung der GroBherzoglichen Lehen werden von dem Justiz== I ministerium, Lehenhof, gefiihrt. ^Uber alle Streitigkeiten, welche die Ausmittlung des Werthes | und die Festsetzung und die Art der Berichtigung der Abkaufsumme betreffen, entscheidet eine aus | Mitgliedem Unserer Ministerien der Justiz und der Finanzen besonders zu bestellende Kom= | mission und in zweiter Instanz Unser Staatsministerium. Streitigkeiten tiber die Lehenbarkeit an sich, oder tiber den Umfang des Lehens gehoren vor I die Gerichte. §.10. Neue Lehen konnen nicht mehr errichtet werden. §.11. Das Gesetz vom 19. April 1856 (Regierungsblatt Nr. XVL) bleibt in Wirksamkeit. Gegeben zu Karlsruhe in Unserem Staatsministerium, den 9. August 1862. Friedrich. Stabel. Auf Seiner Koniglichen Hoheit hochsten Befehl: | Schunggart.

[197] „Neue Brandversichemngs Ordnung" vom 29. Dezember 1807

1649

[196] General-Verordnungen vom 29. September 1807 Quelle: Regierungs-Blatt des GroBherzogthums Baden, 5. Jahrgang, (Nr. 34 vom 13. Oktober) 1807, S. 199 - 200 (gedmckt). [S. 199] IL) Die Schranken des auszutibenden Novalzehend=Rechts betreffend, Nachdem in der StandesherrlichkeitsUrkunde Art. 46. und in der GmndherrlichkeitsCon= I stitiition Art. 18. es fiir eine allgemeine Kegel in Austibung des NovalzehendRechts ausge= I sprochen worden ist, daB a) den innlandischen Pfarreyen, wo sie den kleinen Zehenden in einer Gemarkung ihre I Diensts oder ihrer Pfrtinde halber zu beziehen haben, damit ihr BesoldungsEinkommen | nicht durch CulturVeranderungen allzusehr gefahrdet werden konne auch der kleine ZQ= \ henden in dem Neubmchland der Gemarkung zu fallen solle, und b) daB in Fallen, wo zwar Neubrtiche angelegt, dagegen aber vorher gebaute Districte | in Unbau versezt. Z. E. zu WaldAnflug gebraucht oder zu Waide liegen gelassen werden, | auf jene kein Neubruchzehenden eintretten, sondem dieser alldort vergtitungsweise dem ordentli= | chen Zehnt^Herm zu kommen solle: So findet man nothig, diese beide Punkte hiermit besonders als allgemeines Gesetz auszuhe= I ben und samtlichen OberAemtem und Verrechnungen, welche Zehenden zu schtitzen oder zu | verwalten haben, zur Maasnahme bey ktinftigen Neubriichen hiermit vorzuschreiben. Gege= | ben im Grosherzogl. Badischen Geh. Rath. Departement der Polizey den 29. Sepbr. 1807. III.) Den Abzug innerhalb Landes betreffend. Die Standesherrlichkeits=Urkunde §. 46. und die GrundherrlichkeitsUrkunde §.18. hat ge= I ordnet daB kein AbzugsRecht aus Ztige oder VermogensUebersiedelungen innerhalb Landes | angewandt werden konne. Die Folge hievon ist nicht allein [S. 200] a) daB die Standesherm und Grundherm von Personen, die aus ihrem Gebiet in einen | andem Theil des Grosherzogthums ziehen, oder von Vermogen, das dahin geht, keinen Abzug | femer nehmen konnen, sondem auch b) daB das gleiche von jenen Stadten gelte, die bey ihren Btirgem oder Grundangehorigen | einen Abzug rechtmasig hergebracht haben, unangesehen, daB sie etwa vorhin auch von Ztigen | innerhalb Landes solchen bezogen, daB aber auch hinwiederum c) gegen solche standesherrl. gmndherrl. oder stadtische Gebiete von Personen und Vermogen, | die aus des Regenten eigenen Grundherrschaften dahin gehen, der Abzug, welcher vorhin ohne | dieB nur erwiederungsweise in solchen Fallen erhoben ward, femer nicht genommen werden konne. Hemach haben sich also alle ProvinzStellen, und deren Unterbehorden zu benehmen und ge= I btihrend zu achten. Gegeben im Grosherzogl Badischen Geheimen Rath. Departement der Po= I lizey. Karlsmhe den 29. Sepbr. 1807.

[197] „Neue Brandversichemngs Ordnung fur das ganze GroBherzogthum Baden" vom 29. Dezember 1807 VgL dazu in „Teil 1: Historische Einfiihmngen" die Darstellung unter [773.]. Quelle: Regiemngs-Blatt fur das GroBherzogthum Baden, 6. Jahrgang, (Nr. 4 vom 7. Febmar) 1808, S. 2 5 - 4 0 (gedmckt).

1650

§12: Baden

[Dok. 188-251]

fS. 25] Landesherrliche Verordnungen. 1. Neue BrandversicherungsOrdnung fur das ganze GroBherzogthum Baden. Karl Friedrich von Gottes Gnaden, Grosherzog zu Baden, | Herzog zu Zahringen etc. Ober und Erbherr zu Ftirstenberg, Baar und Stiihlingen, | sammt Heiligenberg, Hansen, Moskirch, Hohenhowen, Wildenstein und Waldsberg; zu Lei= | ningen, Mosbach, sammt Miltenberg, Amorbach, Dtiren, Bischofsheim, Hartheim und | Lauda; zu Klettgau, zu Thengen, zu Krautheim, zu Werthheim; zu Neidenau und Billig= | heim, auch zu Hagnau etc. Als Wir unterm 5ten Marz 1803. die Vereinigung der vormals besonders bestandenen Ba= I denDurlachischen und BadenBadischen BrandversicherungsGesellschaften anordneten, haben | Wir bald darauf, unterm 7ten Sept. 1803., eine neue BrandversicherungsOrdnung fur Un= I sere gesammte damalige Lande ergehen lassen, in welcher Wir den Eintritt einzelner Orte in | die allgemeine Gesellschaft, auf die bereitwillige Erklarung des mehrem Theils der Hausser= | Eigenthtimer eines Orts dermasen angeordnet haben, daB alsdann auch der andere nicht ein= | willigende Theil, der Mehrheit der Stimmen der HauBEigenthtimer zu folgen, schuldig er= | kannt worden; So lang aber die Mehrheit der HauBBesizer in einer Gemarkung sich nicht | freiwillig dazu verstehen wollte, durfte die Aufnahme in die BrandVersicherungsGesellschaft | nicht erzwungen, dagegen konnten aber auch einzelne Gebaude, einer in der Societat noch | nicht befindlichen Gemarkung, derselben nicht einverleibt werden. Wir haben seit dieser Zeit mit besonderm Wohlgefallen wahrgenommen, daB gleich da= I mals und bisher der bei weitem groste Theil Unserer neuen Lande die grose Ntizlichkeit und | Wohltatigkeit einer solchen Gesellschaft anerkannt, und sich zum freiwilligen Eintritt ver= | standen habe, so daB die altere Gesellschaft um das Dreifache vermehrt worden, wodurch | die Vergtitungslast der jahrlichen Brandschaden immer leichter ausfallt, je groBer die Sum= | me der Contribuenten ist, welche dazu beitragen. Was die wenige nicht beigetretene Orte anbe= | langt, so beruht ihre Weigerung in der mangelhaften und unvollstandigen KenntniB von der | GesellschaftsVerfassung, der Wir nunmehr um so weniger Ihres eigenen Nuzens halber noch | [S. 26] langer nachsehen konnen, als Uns unterhandigst vorgetragen worden; daB in denen Uns seit | dieser Zeit abermals zugefallenen Eigenthums und Oberhoheitslanden, und zwar namentlich | im Breigau, Ftirstenbergischen, Leiningischen und Lowenstein=Wertheimischen ahnliche | und im Wesentlichen groBten Theils auf gleichen Grundsatzen beruhende Gesellschaften existi= | ren, von welchen die Breisgauische einstimmig den Wunsch zum Beitritt in die vorher Ba= | dische geaussert hatte. Da Wir nun bei der allgemeinen anerkannten Ntizlichkeit einer solchen Brandversicherungs== I Gesellschaft, neuerlich die weitere unangenehme Erfahrung gemacht haben, daB aus jenen | Ortschaften, welche in keiner solchen Gesellschaft stehen, Personen, die durch Brand vemn= | gltikt, mittelst BrandBriefe bei andem Unsem Unterthanen freiwillige GeldBeitrage nach= | suchen, wovon diese jedoch, nach Unsem friihem Verordnungen, befreiet seyn sollen und | mtissen; und da Wir femer in Betrachtung gezogen haben, daB solche Personen, deren Ver= | mogen einzig und allein in einem HauB besteht, bei dessen Abbrennung, wann sie in keiner | BrandVersicherungsGesellschaft sind, ganz vermogenslos werden, und da endlich bei den jetzi= | gen ohnehin geldklemmen Zeiten manche Personen, welche Capitalien aufhehmen wollen, sol= | che deshalb nicht erhalten, well ein, in keiner BrandVersicherungsGesellschaft befindliches | HauB keine reelle geniigende Sicherheit und Hypothek darbietet; so ordnen, wollen und be= | fehlen Wir anmit, daB vom 1 Januar 1808. an, alle Unsere Eigenthums und OberHo= | heitslande in eine einzige allgemeine BrandVersicherungsGesellschaft, (deren Leitung und GQ= \ schaftsBesorgung Wir Unserer StaatsAnstraltenDirection libertragen) dermaBen aufgenommen | werden sollen, daB alle HausserBesizer, jene allein ausgenommen, welche sich zur Aufha= | me nicht qualificiren, derselben beizutragen anmit fiir schuldig erklart werden. Wir heben | und losen also alle bisher

[ 197] „Neue Brandversichemngs Ordnung" vom 29. Dezember 1807

1651

einzeln bestandene Gesellschaften, jedoch unter der Bedingung, | auf, daB die bis auf den lezten December 1807. entstandene, und noch nicht ersezte Brand= | schaden, so wie auch die auf diesen einzelnen Gesellschaften etwa haftende Schulden, von | diesen bisherigen Gesellschaften besonders getragen und berichtiget werden sollen. Nachdem Wir nun Unsere unterm 7 Sept. 1803. erlassenen BrandversicherungsOrdnung, I mit den seitdem ergangenen naheren Bestimmungen derselben, und mit den friihem Speci= I alOrdnungen der Uns neuerlich angefallenen Eigenthums und Oberhoheitslande haben durch= | gehen, und gegen einander vergleichen lassen, und nachdem Uns daruber Vortrag erstattet | worden, ist, so finden Wir nothig, nachfolgende neue allgemeine BrandversichemngsOrdnung | far Unsere gesammte dermalige Eigenthums und Oberhoheitslande vorzuschreiben, welche vom | 1 Januar 1808. an, verbindliche Kraft haben soil. [S. 27] I.) In Ansehung der Hauser und Gebaude, welche in der Brandversicherung begriffen, | und welche davon ausgeschlossen seyn sollen, wollen Wir, daB A. rucksichtlich der Eigenthtimer: 1.) alle Uns zustehende Gebaude, mit alleiniger Ausnahme Unserer herrschaftlichen | Schlosser; 2.) alle den Standes= und Grund=Herren zustehende Gebaude, mit Ausnahme der stan= I desherrlichen Schlosser; 3.) alle und jede in Unsem Landen gelegene Gemeinds= und PrivatHausser, Scheuem | und Gebaude, sie mogen Namen haben, wie sie wollen, gefreit oder ungefreit seyn, 4.) alle diejenige Dorfschaften, welche Unsem Landen auswartigen Herrschaften gehoren, 5.) alle diejenigen Gebaude, welche in Unsem Landen auswartigen Herrschaften gehoren, | so wie alle Kirchen, Pfarr= und Schulhausser, welche von Auswartigen unterhalten werden, | in der Mase in die allgemeine BrandVersichemngsGesellschaft aufgenommen werden sollen, | daB dieselben alle, ohne Unsere besondere Bewilligung daraus nicht mehr treten konnen, und | nur die Aufname der an auswartige Herrschaften gehorigen Hausser und Gebaude wollen | Wir auf deren Bewilligung ausgesezt seyn lassen. B. In Ansehung der Qualitat der in die BrandVersichemng aufzu= | nehmenden Gebaude wollen Wir zwar die PulverMtihlen und deren Gebaude, die | Gebaude auf EisenWerken, die Schmelz= Saiger= und Abtreib= auch Glas=Hutten, ohn= | geachtet der bei solchen Gebauden zu befurchtenden, jedoch nach vieljahriger Erfahmng sel= | ten vorkommenden groBeren FeuersGefahr, von der Aufhahme in die Gesellschaft nicht aus= | schlieBen, sondem vielmehr solche, gleich den ZiegelHutten, den Brennofen, FayenceFabri= | ken und Hafnerofen etc. fiir aufnamsfahig erklaren, jedoch unter Beobachtung nachstehender | VorsichtsMaasregeln und nahem Bestimmungen, daB 1.) zwischen den Brennofen selbst, und den tibrigen Gebauden, mit welchen solche un= I ter einem Dach stehen, eine feuerfeste GibelMauer bis unter den Ftirst des Dachs gefahrt, | und 2.) vor deren Einverleibung in die Brandversichemng eine genaue Besichtigung des | Locals, und eine richtige Zeichnung desselben gefertigt, und an Unsere StaatsAnstaltenDirec= | tion zur Einsicht, Prtifung und Bestimmung der nach Befund der Umstande nothigen Ver= | bessemngen oder Abandemngen eingeschikt werden, 3.) der in nachfolgendem Art. III. Nro. 4. fiir Ziegelhtitten, EisenWerke, Schmelz^ | und Glas=Htitten bestimmte besondere Aufschlag ad 200 fl. auch bei den PulverMtihlen in I Anwendung komme.

1652

§12: Baden

[Dok. 188-251]

[S. 28] 11.) Was die Schaden betrifft, welche von der Brandversicherung= | Societat zu ersezen sind; so bestimmen Wir deBfalls: 1.) daB die Versicherung nicht auf fahrende Habe, noch auf andere, als durch Feuer, | Oder die zu dessen Loschung vorgekehrte Anstalten bei Gebauden verursachte Schaden sich er= | streken, damnter aber der durch Bliz den Gebauden verursachte Schaden in alien Fallen, | wo derselbe in solche eingeschlagen, es mag solcher bios zerschmettert, oder wirklich gezun= | det haben, begriffen, da hingegen aller, auf andere Art, als durch Wassergiessung, Erd= | beben, Sturmwind und dergleichen, den Gebauden verursachte Schaden davon ausgeschlos= | sen seyn soil. 2.) DaB der Schaden derjenigen Gebaude, welche durch Verschulden oder NachlaBig= I keit des Eigenthiimers, des Miethmanns, der Ihrigen oder Anderer in Brand geraten | sind, von der BrandversichemngsGesellschaft vergtitet werde. 3.) DaB die von einem Dritten boshafter Weise verursachte FeuerSchaden ebenfalls | von der BrandversichemngsGesellschaft ersezt werden, jedoch der Gesellschaft der Regress | an den Thater vorbehalten seyn soil. 4.) DaB derjenige, der sein eigenes Haus geflissentlich in Brand setzt, keine Entscha= I digung erhalten, vielmehr als ein Mordbrenner von den Gesezen bestraft, der Plaz aber | worauf das abgebrannte HauB gestanden, nebst den dazu gehorigen Hof= und GartenPla= | zen, jedoch mit Vorbehalt der darauf haftenden einem Dritten zustehenden Unterpfands und | anderer dinglichen Rechte, sonfem dieser Dritte seine Befriedigung nicht anders als durch | Riickgriff auf das Unterpfand erlangen konnte, der BrandversichemngsGesellschaft auf den | Fall heimgewiesen, und von derselben demjenigen verkauft werden soil, der den Plaz, wor= | auf das abgebrannte Gebaude gestanden ist, tiberbauen will, wann ein solcher Mordbren= | ner keine Kinder, oder Erben in aufsteigender Linie hat, denen der HausPlaz bleibt, wann | sie an der Mordbrennerey keinen Antheil genommen haben. 5.) Die im Krieg auf Freundes oder Feindes Befehl den Gebauden zugefiigte Scha= | den, es mogen dieselbe durch Verbrennen oder Niederreissen der Gebaude, ganz oder theil= | weiBe bewirkt werden, werden von der Brandversichemng ausgeschlossen, da ftir deren Ver= | giitung nach Moglichkeit auf andere Art Unsere Landesvaterliche Vorsorge eintreten wird; | da hingegen diejenigen Brandschaden, welche ohne Befehl des Militars bei dessen Durch= | ziigen und Einquatiemngen, unversehens oder aus Verwahrlosung der Einquatierten ent= | stehen, von der BrandversichemngsGesellschaft zu ersezen sind. III.) Bei der Taxation der in die Brandversichemng aufzunehmen= | den Gebaude ist auf nachfolgendes zu sehen: [S. 29] 1.) Jedes HauB und Gebaude soil in den Stadten von Gericht und Rath, in den | Dorfem aber von den Ortsvorgesezten, mit Zuziehung des Eigenthtimers, ohnentgeldlich I nach dem mittleren BauWerth, wie es an dem Ort, wo es gelegen, erbaut werden kann, | pflichtmaBig taxirt, und dieser Anschlag nicht mehr der Willkiir der Eigenthtimer tiberlassen | werden. Was aber die Kirchen betrift, die gar keine Feuemng haben, mithin bei weitem nicht I gleicher Feuersgefahr, wie andere Gebaude, unterworfen sind, so soil auch hierauf billige | Rticksicht genommen, mithin die Taxation des BrandversichemngsAnschlags in billigem Ver= | haltniB zu dem seltenem Ersazfall gemindert, und besonderes das sogenannte Ingebaude, so | weit es als beweglich Gut angesehen werden kann, nemlich Orgeln, Glocken, Uhren, Al== | tare und Kirchenstiihle, nicht mit zum Anschlag gezogen werden.

[197] „Neue Brandversichemngs Ordnung" vom 29. Dezember 1807

2.)

3.)

4.)

5.)

6.)

7.)

1653

Anlangend aber die Kloster und solche offentliche Gebaude, deren Gebrauch aufgehoben, | und von denen vorauszusehen ist, daB sie bei einem Verkauf keine Liebhaber finden, und | nach einem BrandUngltick nicht wieder hergestellt werden, so soil dem Eigenthiimer uberlas= | sen bleiben, ob und unter welchem geminderten Anschlag er diese Gebaude in die Brand= | Versicherung eintragen lassen will, wann nemlich solche Gebaude nicht in Stadten stehen, | und also der Plaz nicht tiberbaut werden muB. In Stadten aber soil der Anschlag nach | dem VerkaufsWerth berechnet werden. Bei dieser Taxation soil von den Taxatoren darauf gesehen werden, ob ein HauB, | ganz von Holz oder von Stein sey? Ob es einen gewolbten Keller und dergleichen habe, | welche durch das Feuer nicht so leicht verdorben werden konnen, und wobei wenigstens die | Baumaterialien gut bleiben? indem weder ein gewolbter Keller, noch der Werth des Plazes, | worauf das Gebaude gestanden, noch der HauBplaz und die dazu gehorigen Garten, noch | die darauf haftende besondere Gerechtigkeiten und Freiheiten in Betracht zu ziehen, sondem | nur allein das Uebergebaude in Anschlag zu bringen ist. Jedes von dem andem abgesonderte Gebaude, es sey solches eine Scheuer, Stallung, I Wasch= Back^HauB, Schopf, oder anderes Nebengebaude, soil besonders aufgeschrieben | und angeschlagen werden. Bei den Back= und Wasch^Haussem, Bierbrauereien, Farb^Haussem, Schmied= | Schlosser^RothgieBer, und dergleichen Werkstatten, Saifensiedereien und Lichterziehereien, La= | boratorien der Apotheker, Ziegelhtitten, Brennofen der FayenceFabriken, Glashutten und | HafnerOefen, soil wegen der, bei denselben sich aussemden groBeren FeuerGefahr, jedes | FeuerWerk, ausser dem Anschlag des HauBes und Gebaudes, worinn es angelegt ist, noch | in einen besondem Anschlag, und zwar bei den PulverMtihlen, ZiegelHtitten und Glas= | [S. 30] hiitten etc. von 200 fl., bei den ubrigen FeuerWerken der gemeinen Handwerker, von 150 fl. I gebracht, dabei aber die verschiedene Kessel, die in den FarbHaussem, und Waschhausem, und bei | Bierbrauereien unter einem Kamine stehen, nur fiir ein FeuerWerk, so wie bei den Apothekem | samtliche Destillir= und andere Feuer, die unter einem Kamin sich befmden, nur fiir ein Feuer | gerechnet, dahingegen bei den Bekem jeder BakOfen, und bei den Feuerwerken jede EBe | fur ein besonderes FeuerWerk gerechnet werden. Der Anschlag der Gebaude soil von den Taxatoren wie unter den runden Summen I von 50 fl., 100 fl., 200 fl. und so weiter gemacht werden, weil wegen Abman= | gels einer kleinem ScheideMtinze als V2 kr. derjenige, der sein HauB z. E. nur zu 100 fl. | angeschlagen, von 150 fl. beitragen miiBte, und doch bei Abbrennung desselben nur 100 fl. | Entschadigung erhalten wiirde. Die einmal geschehene Anschlagung der Gebaude soil so lange verbleiben, als sich I nicht deBfalls ein merklicher Abgang oder Zuwachs ergiebt, wovon in der Folge noch be= | sonders die Rede seyn wird; jedoch, wann ein Eigenthiimer eines Gebaudes glaubt, daB | solches in einem zu niedem Anschlag sich befmde, so kann er von den Taxatoren dessen Er= | hohung auf den mittlem Werth verlangen. In jeder Gemeinde soil ein besonderes halb gebrochen zu schreibendes Buch gehalten | werden, worinn sammtliche unter die Assecuration der OrtsGemarkung gehorige Gebaude | mit ihrem Anschlag einzutragen sind, und am Ende der TotalBetrag des Anschlags sammt= | licher Gebaude zu sezen ist. Aus diesem bei den einzelnen Orten befmdlichen Btichem miiBen auf Kosten der betreffen= | den Commun=Aerarien, SpecialTabellen von den OrtsVorgesezten gefertigt, und zu dem be= | treffenden Amte eingeschickt werden, welches als-

1654

§ 12: Baden

[Dok. 188 - 251]

dann aus diesen SpecialTabellen, die es bei | seinen AmtsActen behalt, liber sammtliche in seinem AmtsBezirk befindliche Ortschaften eine | GeneralTabelle des BrandversichemngsAnschlages zu fertigen, und solche mit Bericht an die | StaatsAnstalten Direction einzusenden hat. Unsere StaatsAnstalten Direction hat alsdann aus den, von den Aemtem eingesandten | GeneralTabellen, den GeneralBrandversichemngsAnschlag der einzelnen Aemter in eine tiber | die ganze BrandversicherungsAnstalt zu haltende, und fur jedes Jahr zu emeuemde Haupt= | Tabelle bringen, diese HauptTabelle zweifach ausfertigen, dann ein Exemplar beim General^ | BrandversichemngsRechner, und das andere dem Respicienten in BrandversicherungsSachen | zum Gebrauch zustellen, und, nach dessen gemachtem Gebrauch, und der iiber die Brand= | Versicherung fiir jedes Jahr gestellten GeneralRechnung, das eine Exemplar, zur Samm= | lung und Aufbewahrung, an die Registratur abgeben zu lassen. [S. 31] 8.) Mit Ausgang jeden Jahrs, im Monat December, soil in den Stadten von Gericht [ und Rath, in den Dorfem aber von den OrtsVorgesezten, ein Durchgang gehalten, und, I warm ein Gebaude ganz abgegangen ist, oder wenigstens doch einen solchen Abgang erlitten | hat, daB es aus dem Anschlag gelassen, oder derselbe vermindert werden muB, oder auch, | warm ein neues Gebaude ausgeftihrt worden ist, solches in das AnschlagsBuch richtig einge- | tragen werden; wobei von denselben darauf zu sehen ist, daB, wann bei einem Gebaude | keine betrachtliche, und wenigstens den lOten Theil des vorigen Anschlags ausmachende Ver= | anderung vorgegangen, es bei der letzten Taxation verbleibe. Jedoch stehet den Theilneh= | mem an der Brandversicherung frei, ihre das Jahr tiber errichtende neue Gebaude, oder I vomehmende betrachtliche Reparationen bei erstem, wann solche unter Dach und Each stehen, | bei lezteren gleich nach deren Herstellung der Brandversicherung einverleiben zu lassen, wann | sie sich verbinden, den ganzen Jahres Betrag des Anschlags ihres Gebaude zu bezalen, | und ihre desBfallBige Erklarung bei dem betreffenden Amt zu Protocoll gegeben haben. Das Gericht und Rath einer Stadt, oder die Ortsvorgesezte auf den Dorfem, konnen | aber wegen der aus Versehen oder Unkunde von vorgenommenen BauVerandemngen unter= | bliebenen deBfallsigen Taxation und Eintragung in das AnschlagsBuch, nicht in rechtlichen | Anspmch genommen werden, es ware dann, daB die GebaudeEigenthtimer (deren nachste | Sorge es seyn muB, die hierbey zu ihrem Besten dienende Maasregln zu benuzen) zu er= | weisen vermochten, daB sie zur Zeit des befragten Durchgangs wegen RuksichtsNahme auf | ihr Bauwesen die Attention der Vorgesezten zur Aufnahme des Gebaudes besonders aufge= | mfen hatten. 9. Ueber den Abgang und Zuwachs der Gebaude sollen die Ortsvorgesezte jeden Orts I ihrem vorgesezten Amt eine von ihnen zu unterschreibende Tabelle vor Ausgang des Monats | December jeden Jahres zusenden. Aus diesen von den einzelnen Ortschaften einkommenden | SpecialTabellen haben die Aemter jedes Jahr eine GeneralTabelle tiber sammtliche in ihren | AmtsDistrict befindliche Orte, nach dem, unten vorkommenden Formular zu fertigen, solche | von dem 10 Jenner des vergangenen, bis den 10 Jenner des laufenden Jahrs, fur welches | die Tabelle gilt, zu mbriciren, und an Unsere StaatsAnstaltenDirection langstens bis zu I Ende Jenners einzuschiken, damit von dieser der Eintrag in die HauptTabelle besorgt wer= | den kann.

[197] „Neue Brandversicherungs Ordnung" vom 29. Dezember 1807

1655

[S. 32] OberAmt N. N. Summarische Tabelle tiber die Zuwachs= und AbgangsBerichte zum Brandversicherungs^ Anschlag vom 10. Jenner 1808. bis 1809. Ortschaften.

Summa

FemdiZuwachs von neu- von erger| en 1 Ge- hohten | AnGebauschlag. bauden. den fl. kr. fl. fl.

Summa | Zuwachs

fl.

Summa | sammtlichen 1 Anschlags fl.

Abgang.

Remanet 1 ftirs J. 1808

fl.

fl.

IV.) Wegen Taxation der vorgefallenen Brandschaden verordnen Win 1.) DaB nach entstandenem und geloschtem Brand, so bald als es thunlich ist, | die Aemter den enstandenen Brand beaugenscheinigen sollen; wann sich nun dabei ergiebt: a.) DaB ein oder mehrere Gebaude ganzlich eingeaschert, oder, zu Verhtitung mehrerer | Ausbreitung des Feuers, vollig niedergerissen worden, so bedarf es keiner weitem Taxi= | rung, sondem es wird der ganze BrandVersicherungsAnschlag als Summe des zu er= | setzenden Schadens angenommen. b.) Ist aber ein Gebaude nicht ganzlich zu Grunde gerichtet, so ist der Schaden in Ge= I genwart der, durch den Brand, oder durch die, aus dessen Veranlassung vorgenommene Nie= | derreiBung oder Abbrechung des Gebaudes beschadigten Personen, durch Gericht und Rath | in den Stadten, und durch die OrtsVorgesezten in den Dorfem, unentgeldlich taxiren, | und bei wichtigen Gebauden konnen auf Verlangen der Eigenthtimer, und auf deren Ko= | sten, beeidigte, der Sache hinreichend kundige Schazer dazu gezogen werden. c.) Sollen die Schazer daftirhalten, daB das Gebaude nicht mehr zu repariren sey, so I ist der Brand Schaden ftir vollkommen zu achten, keine weitere Taxirung nothig, sondem | es bleibt bei dem BrandVersicherungsAnschalg des Gebaudes, und die etwa librig geblie= | bene Materialien sind fur die SchuttAufraumungsKosten zu rechnen. 2.) die Taxirung des Schadens bei einem, nur zum Theil abgebrannten, oder wegen | eines Brands niedergerissenem Gebaude, ist so einzurichten, daB dabei der Werth des I Ganzen, wie das Gebaude im Brand Versichemngs Anschlag stehet, zum Grund der | Schazung gelegt, und sich damach genau gerichtet werde. Es muB nemlich in diesem | Falle untersucht werden, der wie vielste Theil von dem ganzen Gebaude dem Werthe nach | abgebrannt, oder zerstort sey, und der eben so vielste Theil des Brands Versichemngs An= | schlags des ganzen Gebaudes, macht die Summe des zu ersezenden Schadens aus; z. B. | [S. 33] wann von einem Gebaude, das mit 1000 fl. Anschlag in der Brandversichemng stehet, der | lOte Theil abgebrannt oder eingegriffen worden, so ist der deBfalBige Schaden auf 100 fl., I als den 10 ten Theil des Anschlags, zu bestimmen. Weil sich aber in manchen Fallen | nicht so leicht bestimmen laBt, der wievielste Theil an einem Gebaude abgebrannt oder | zerstohrt sey, so ist es besser und sicherer, wann bei Taximng des desfallsigen Schadens | auf den wahren Werth des ganzen Gebaudes Rticksicht genommen, der Betrag desselben | mit dem wahren Werth des abgebrannten oder zerstorten Theils in VerhaltniB gesezt, und | daraus das VerhaltniB des BrandVersichemngsAnschlags des abgebrannten oder zerstor= | ten Theils zu dem BrandVersichemngsAnschlag des ganzen Gebaudes aufgesucht wird, | wornach also zu Herausbringung des zu ersezenden BrandSchadens der Ansaz fol-

1656

V.)

§ 12: Baden

[Dok. 188-251]

gender= | masen gemacht werden muB: wie sich verhalt der wahre Werth des ganzen Gebaudes, zu | dem wahren Werth des abgebrannten oder zerstorten Theils desselben, so verhalt sich der | BrandVersicherungsAnschlag des ganzen Gebaudes, zu dem BrandVersicherungsAnschlag | des abgebrannten oder zerstorten Theils desselben. Der wahre Werth eines ganzen Gebaudes z. B. sey 5000. fl., der wahre Werth des I abgebrannten oder zerstorten Theils desselben 150. fl., der BrandVersicherungsAnschalg des | ganzen Gebaudes 3000. fl., so verhalten sich die 500. fl. zu 150 fl. wie 3000. fl. zu | dem aufzufindenden Anschlag des abgebrannten oder zerstorten Theils, d. i. 90. fl. 3.) Wann die Taxirung geschehen ist, so muB das dariiber abzuhaltende Schatzungs | Protokoll von dem Amt und den Beschadigten unterschrieben, und sogleich mitttelst Be= I richts, in welchem zuverlaBig zu melden ist: auf was Art der ausgekommene Brand | entstanden? ob dabei ein dolus oder culpa untergelaufen sey? an Unsere mehrgedachte Staats= | Anstalten Direction eingesandt werden, welche insbesondere darauf: ob die Taxirung des | Schadens in Gemasheit der beeden vorstehenden Artikel geschehen sey? zu sehen, und erfor= | derlichen Falls das Nothige zu deren Berichtigung anzuordnen hat. Was die Repartition der sich ergebenen BrandSchaden anbelangt, | so ist deBfalls Nachstehendes zu beobachten; 1.) Wann von einem Brand Schaden das Aschatzungs Protocoll bei der Staats Anstalten= I Direction eingekommen, und von derselben die Abschatzung des Schadens richtig erfunden | worden ist, so hat dieselbe solchen in die daselbst fiir jedes Jahr gehalten werdende Ge= \ neral Brand Versicherungs Tabelle eintragen zu lassen; und, wann von vorhergehenden | Jahren kein Brand Entschadigungs Geld vorrathig ist, woriiber gedachte Direction nur | disponiren, und ohne deren Weisung davon keine Zahlung geleistet werden darf, alsdann | das betreffende Amt anzuweisen, das fur den Beschadigten erforderliche Entschadigungs Capital, | [S. 34] wann derselbe das unter Nro. VIII. 1.) Erforderliche seines Orts erfullt hat, gegen mog= I lichst geringe ZinBe fiir Rechnung der BrandVersicherungsSocietat aufzunehmen, demsel= | ben zuzustellen, und den Darleiher so wohl als das Quantum des aufgenommenen Capi= | tals und dessen Zinnslauff an gedachte Staats Anstalten Direction einzuberichten, damit da= | selbst fur die Ausfertigung einer Brand Versicherungs Signatur fiir den Darleiher gesorgt, | und das Erforderliche in der GeneralBrandVersicherungsTabelle bemerkt werden kann. Nach Ablauf eines jeden Jahrs hat sodann Unsere mehr erwahnte Staats Anstalten I Direction alle im Lauff desselben vorgekommene Brand Schaden, nebst den von deBfall= | sigen EntschadigungsCapitalien zu bezahlenden Zinnsen, zusammen rechnen und zu deren | Ersaz nach dem fur dasselbe Jahr bestehenden GeneralAnschlag aller in der Brand Versi= | cherung befindlichen Gebaude berechnen zu lassen, wie viel auf jedes 100. fl. Brand Versi= | chemngs Anschlag zum Ersaz der sich ergebenen Brand Schaden der, von den desfallBi= | gen EntschadigungsCapitalien zu bezalenden ZinnBe, und der Repartitions^ und Administra= | tions Kosten umzulegen sey? und damach mittelst eines an sammtliche in der Brand= | VersicherungsSocietat befindliche Aemter zu erlassenden, in dem RegiemngsBlatt offent= | lich bekannt zu machenden General Decrets die erforderliche Weisung zum Einzug von den | einzelnen Societats Gliedem zu erlassen. 2.) Damit aber die BrandVersichemngsGesellschaftsGHeder bei einem vorgefallenen | starken Brand mit einemmahl nicht zu stark zum Beitrag gezogen werden, so soil in ei= | nem solchen Fall mehr als 10. kr. auf das 100 fl. BrandVersicherungsAnschlag auf ein= | mal eher nicht umgelegt werden, als bis vorauszusehen

[197] „Neue Brandversichemngs Ordnung" vom 29. Dezember 1807

1657

ist, daB durch Vertheilung des | Ersazes auf mehrere Jahre mit Einzug dieser Summe, der Ersaz des Schadens oder die | Heimzahlung der dazu aufgenommenen Gelder sich iiber 6 . - 8 . Jahre verziehen wiirde, | wann gleich in dieser Zeit keine neue ausserordentliche BrandSchaden sich zeigten; und es | soil in einem solchen Falle einer hoher steigenden Beitrags Repartition vor Erlassung des | desfallsigen Ausschreibens, mit Anzeige aller Umstande, bei Uns jedesmal angefragt werden. VI.) Bei dem Einzug der ausgeschriebenen BrandEntschadigungs= | Gelder, hat man sich nachstehender maBen zu benehmen: 1.) Wann die Umlage derselben ausgeschrieben ist, so haben die Aemter und Schazungs= I Einnehmereien, unter Zugrundlegung des fur denjenigen Jahrgang, fur welchen die Brand= | Schaden umgelegt werden, bestehenden BrandversicherungsAnschlags, die Ausschreiben an | die weltlichen OrtsVorgesezte der einzelnen Orte ihrer Districte zu erlassen, damit dieselben | nach diesem Anschlag von den einzelnen GebaudeEigenthtimem den auf das 100 fl. | BrandversicherungsAnschlag bestimmten Beitrag, binnen 14. Tagen einziehen, und, mit den | [S. 35] desfallsigen EinzugsRegistem, den Betrag des Ganzen an Sie einsenden. In diesen Ein= I zugsRegistem muB bei jedem Gebaude der zum Grund des Einzugs gelegte Anschlag, und | neben solchen der davon geleistete Beitrag bemerkt, jedes EinzugsRegister aber von den be= | treffenden OrtsVorgesezten, unter Bezeugung: „daB damach der Einzug wirklich gesche= | hen" am Ende unterschrieben werden. Aus diesen einzelnen EinzugsRegistem der sammt= | lichen Ortschaften des Amtsdistricts hat alsdann die SchatzungsEinnehmerei ein GeneralVer= | zeichnis zu fertigen, in welchem von jedem Orte a.) der beim Einzug zum Grund gelegte Anschlag, b.) das, was davon nach der ausgeschriebenen Umlage auf das 100 fl. Anschlag den I ganzen Ort eigentlich getroffen hatte, c.) was nach den EinzugsRegistem wirklich eingegangen, d.) was nach diesem Einzug in Vergleichung mit der ausgeschriebenen Umlage an Ueber= | schuB sich zeigt, in besondem Feldem zu bemerken, und am Ende des Verzeichnisses die | EinzugsGebtihr von dem ganzen, wirklich eingezogenen Gelde in Abzug zu bringen; das, | was alsdann noch tibrig bleibt, mit dem, was nach dem Felde b. umgelegt worden, zu | vergleichen, und was sich bei dieser Vergleichung mehr als das Ausgeschriebene ergiebt, | zum wirklichen UeberschuB zu rechnen ist; das auf diese Art gefertigte VerzeichniB muB von I dem Amt und der Einnehmerei unterschrieben, und mit gemeinschaftlichem Bericht an mehr | erwahnte StaatsAnstaltenDirection eingesandt werden; zu welchem Ende Wir nachstehendes | Formular zur Nachachtung vorschreiben: Oberamt N. N. Tabelle tiber das vermog GroBherzoglichen Decrets vom Nro. ad von jedem 100 fl. Capital I BrandVersichemngsAnschlag eingezogene BrandEntschadigungsGeld: Ortschaften

Anschlag TriftBeitrag | EinzugsGe= | VorschuB der 1 Ge- a kr. von | btihr baude 100 fl. 1 Anschlag

Summa

fl. kr. fl. kr. fl. kr. fl. kr. Solchemnach betragt die ganze eingezogene Summe

Summa | des nach der Ein= | zugsGebtihr und Vor= 1 schuB tibrig Bleibenden fl. kr.

1658

§12:Baden

[Dok. 188-251]

2.) Aus den sammtlichen, von den Aemtem und SchazungsEinnehmereien an die Staats= I AnstaltenDirection eingesandten BrandGelderEinzugsTabellen hat dieselbe das Resultat in | die GeneralBrandversichemngsTabelle in eben der Mase nach den nemlichen Feldem eintra= | gen zu lassen. [S. 36] 3.) Da in jedem Orte aus Abmangel einer kleinem Mtinze als halbe Kreuzer, bei der | Subrepartition und dem Einzug der ausgeschriebenen BrandEntschadigungsGelder sich oft | BruchZalen ergeben; so soil das, was unter einem halben Kreuzer ist, zu einem halben | und was tiber einem halben Kreuzer, zu einem ganzen Kreuzer gerechnet und erhoben, und | das, was sich diesem Einzug an UeberschuB zeigt, zu Anschaffung der erforderlichen | FeuerGerathschaften, als FeuerSprizen, Leitern, Haken, Eimer und dergleichen verwendet | werden; zu welchem Ende nach VerfluB jeden Jahrs Unsere mehrgedachte StaatsAnstalten= | Direction den betreffenden Gemeinden, als welche ohnhin flir die Anschaffung und Unterhal= | tung der ihnen nothigen FeuerGerathschaften zu sorgen haben, den sich nach den eingekom= I menen BrandGelderEinzugsTabellen bei jeder gezeigten UeberschuB zuzuscheiden hat. 4.) Die Schazungs=Einnehmer mtiBen den BrandEntschadigungsBeitrag durch die betref^ | fende OrtsVorgesezte von den GebaudeEigenthtimem, gleich der Schazung, ohne alle | Nachsicht einziehen; sollte aber ein GebaudeEigenthiimer seinen schuldigen Beitrag verwei= | gem, so ist von den Einziehem davon dem Amt die Anzeige zu machen, und dieses hat als= | dann den Reuitenten, ohne Ansehen der Person und ohne Rticksicht auf die etwa vorschtizende | exceptionem ft)ri mittelst Execution zu gleichbaldiger Erlegung des Zweifachen anzuhalten; und der sich aus dem Zweifachen ergebende UeberschuB ist auf die vorhin angegebene Art zu | Anschaffting von FeuerGerathschaften zu verwenden. 5.) Bei Einziehung des BrandVersicherungsBeitrages ist sich jederzeit an das eingeschrie= | bene HauB zu halten; es mag dasselbe nach der Taxirung, auf was Art es wolle, an ei== | nen anderen Besitzer gekommen seyn, und wann ein SocietatsGenoB solches nicht selbst be= | wohnt, sondem verlehnt hat, soil alsdann der Miethmann den Beitrag davon erlegen, und | solchen dem Eigenthtimer an dem HauBzinnB wieder abzuziehen berechtigt seyn. Desglei= | chen muB von den Erb= und SchupfLehenGebauden der Lehenmann die Beitrage entrichten, | vorbehaltlich des Rtickgriffs auf den Lehenherm, wo die LehensVerhaltnisse den Fall dazu I vereigenschaften. 6.) Bei einem Concurs, in welchen ein Gebaude gerathen, soil der MasseCurator ohne I Rukfrage, und ohne daB es einer Classification bedarf, der schuldigen Beitrag abtragen, | auch die BrandBeitragsForderung als eine auf den Gebauden haftende dingliche Last vor | alien andem, wie sie Namen haben mogen, den Vorzug haben. 7.) Den mit dem Einzug bemtiheten Personen soil ein Kreuzer vom Gulden der eingezo= I genen Gelder als Gebtihr gelassen, und der deBfallsige Betrag zwischen den SchazungsEin= | nehmem und den OrtsVorgesezten gleich getheilt, und von den Einziehem sogleich inne behal= | ten werden. [S. 37] 8.) Die BrandBeitragsGelder sollen, wie sie bei den SchazungsEinnehmereien von den I Ortschaften ihres Bezirks eingegangen sind, bei denselben bis auf eine von der StaatsAn= | staltenDirection erfolgende deBfalsige Disposition in Verwahmng bleiben, und besagte Staats= | AnstaltenDirection hat dafiir zu sorgen, daB beim SchluB jeden Jahres von dem daselbst an= | gestellten GeneralBrandVersichemngsRechner tiber die, von den Aemtem und Einnehmereien | eingezogene, und

[ 197] „Neue Brandversichemngs Ordnung" vom 29. Dezember 1807

1659

bei denselben noch in Verwahrung liegende BeitragsGelder, richtige Rech= | nung gestellt werde, und liber diese Gelder, so weit nicht im Verlauf des Jahrs einzelne Dis= | positionen schon geschehen sind, die erforderliche Weisungen zu erlassen, damit die Heimzah= | lung der zur Tilgung der vorgekommenen BrandSchaden aufgenommenen Capitalien, nebst | Zinnsen, geschehe, von den betreffenden Unterbehorden die durch Heimzahlung der Capitalien | eingeloste BrandVersichemngsSignaturen an dieselbe eingesendet, und dabei zugleich ange= | zeigt werde, wie viel bei dieser CapitalHeimzahlung etwa an Zinns wegen der friihem Be= | wirkxing derselben als die desfalsige Weisung besagt, erspart worden; welche ErspamiB in | der BrandVersicherungsTabelle an gehorigem Ort bemerkt werden muB. 9. Die, bei der StaatsAnstaltenDirection jahrlich gestellt werdende GeneralBrandVersi= | chemngsRechnung muB jedesmal Uns zur Einsicht vorgelegt, und mit den Schazungs=Einneh= | mereiRechnungen von Unserer RechnungsCammer verglichen, und eine summarische Ueber= | sicht derselben sammtlichen Mitgliedem der BrandVersicherungsGesellschaft durch das Regie= | mngsBlatt bekannt gemacht, die Rechnungen selbst aber mtiBen zweifach vom Rechner aus= | gefertigt werden, wovon das eine Exemplar bei der StaatsAnstaltenRegistratur verwahrt I wird, das andere aber in den Handen des GeneralBrandVersichemngsRechners bleibt. 10.) Der zu Ftihrung der GeneralBrandVersicherungsRechnung aufgestellte Rechner, soil I dafiir, und fur die Haltung der BrandVersicherungsTabelle, bis auf gutfindende Aenderung, | von gegenwartigem Jahre an, eine Belohnung von 150 fl., mit Einrechnung der Schreib= | Materialien, die derselbe sich selbst zu stellen hat, beziehen, welche mit den umzulegenden | BrandSchaden jeden Jahrs unter die Mitglieder der BrandVersicherungsGesellschaft zugleich | repartirt wird; und soil die jeweilige Bestellung dieses Rechners Unserer mehrgedachten Staats= | AnstaltenDirection tiberlassen seyn. VII.) Rticksichtlich dessen, was von der BrandVersicherungsSo= | cietat zu ersezen ist, verordnen Wir: 1.) DaB keinem BrandBeschadigten mehr, als der wirkliche BrandVersicherungsAnschlag I seines Schadens betragt, ersezt werde. 2.) DaB bei einem abgebrannten Gebaude, worinn ein, nach Nro. III. 4.) angeschlage= I nes Feuerwerk befindlich ist, nur der Anschlag des Gebaudes selbst, keineswegs aber der An= | [S. 38] schlag, der fur ein solches FeuerWerk besonders zum Beitrag in Anrechnung gebracht und | vergtitet werden soil. Es miissen daher in den BrandVersicherungsCatastem der Anschlag | des Gebaudes und des FeuerRechts, abgesondert eingeschrieben, und bei entstehendem Brand= | Fall eben so der Anschlag des einen und andem in den deBfalls zu erstattenden Berichten | separat bemerkt werden, damit nicht zum Schaden der BrandCasse, der Anschlag von bei= | den vergtitet werden moge, 3.) Bei der dermaligen Einrichtung, womach die in jedem Jahr sich ergebende Brand= | Schaden erst nach VerfluB desselben auf die Glieder der BrandVersicherungsGesellschaft um= I gelegt werden, kann den einzelnen BrandBeschadigten bei Leistung des Ersazes, der Sie davon | treffende Antheil nicht abgezogen werden, sondem es haben dieselben den Ersaz ihres Scha= | dens nach dem desfallsigen Brandversichemngs Anschlag ganz zu empfangen, dahingegen | dieselben auch an sammtlichen in dem nemlichen Jahr vorgekommenen BrandSchaden, mit I Inbegriff ihres eigenen, nach dem im Anfang desselben Jahrs bestandenen Brandversiche= | rungsAnschlag ihrer Gebaude ihren Antheil nach der desfalls

1660

§ 12: Baden

[Dok. 188-251]

gemachten Umlags leiden mus= | sen, wann auch gleich ihre abgebrannten Gebaude noch nicht wieder aufgebaut oder herge= | stellt waren, VIII.)Damit aber das BrandEntschadigungsGeld nicht nach Willktir | von dessen Empfanger verwendet werde, so ist Unser Wille: 1.) daB die besagten Gelder nicht anderst verabfolgt werden sollen, als bis von den | Eigenthtimem des abgebrannten oder beschadigten Gebaudes hinreichende Versicherung gege= | ben worden, daB der Betrag wieder zu Aufstellung des Baues, wenigstens in dem mit des= | sen BrandversicherungsAnschlag im VerhaltniB stehenden Werthe, verwendet werde; und | die Aemter sollen bei eigener Verantwortung darauf genau sehen, damit die BrandEntscha= | digungsGelder zu ersagtem Zweck und zu nichts anderm gebraucht, die Materialien zu Her= | stellung des Baues so bald moglich angeschaft, und zu WiederAufrichtung desselben, wie es I die Jahrszeit erlaubt, geschritten werde, auch nach VerfluB eines Jahrs, Bericht an Un= | sere StaatsAnstalten Direction dariiber zu erstatten: ob das Geld auch wirklich zu Wiederauf= | richtung des Baues verwendet worden? Was den Ort der WiederErbauung betrift, so muB das abgebrannte Gebaude, wann | es auf der nemlichen Stelle wieder erbauet werden kann, und kein staatspoliceilicher Grund, | als z. B. ungesunde Gegend, Beschranktheit des Platzes, Anlegung einer neuen StraBe etc. | dessen WiederErbauung auf seiner vorigen Stelle verbietet, daselbst wieder erbauet werden; | wo aber dieses nicht der Fall, sondem die WiederErbauung auf dem nemlichen Plaz aus | eben angefiihrten Griinden nicht thunlich oder nicht nothig ist, da kann dasselbe auf eine | [S. 39] andere Stelle im nemlichen Ort, oder auch in einem andem, tibrigens nur der Brandversiche= | rungsGesellschaft einverleibten Ort erbauet werden. 2.) Wann Jemand, dem ein Gebaude abgebrannt ist, keine Anstalt zur WiederAufbau= I ung desselben binnen zwei Jahren macht, und dessen Glaubiger, besonders solche, denen das | abgebrannte Gebaude verhypothecirt ist, auf Zalung dringen, auch nicht wohl anders als | aus dem assecurirten Werth des Gebaudes befriedigt werden konnen; so soil, nach dem Er= | messen Unserer mehrgedachten StaatsAnstaltenDirection, der Plaz, wo das HauB gestanden, | so fern es thunlich gegen die Verbindlichkeit, ihn zu tiberbauen, offentlich versteigert und | aus dessen ErloB und dem assecurirten Werth des HauBes, die Zalung der Schulden gelei= | stet, der etwa noch bleibende UeberschuB aber dem Eigenthtimer zugestellt werden. IX.) Da tibrigens die BrandversicherungsAnstalt ausser dem, daB sie jedem GebaudeEi= | genthtimer die gewisse Versicherung des Ersazes seiner abgebrannten Gebaude giebt, auch I noch insbesondere dazu dient, daB sie die Glaubiger, welche auf ein Gebaude Geld geliehen | haben, oder die Kaufer der Gebaude mehr sichert; so wollen Wir, daB bei Gewahrung der | Verpfandungen und Verausserungen der Gebaude, die BrandversichemngsAnschlagsTabelle | von den Vorgesezten jedesmal eingesehen, und der darinn enthaltene Anschlag der betreffenden | Gebaude den Interessenten nicht nur ausdrticklich bekannt gemacht, sondem auch in der | gerichtlichen Verbriefiing, oder andem liber die Veraussemng des Gebaudes zu fertigenden | gerichtlichen Instmmenten von den Land= und Stadtschreibereien jedesmal deutlich ange= | merkt werden soil: Ob das Gebaude in der Assecuration begriffen, und in welchem Tax | es in das BrandversichemngsAnschlagsBuch eingetragen sey? X.) UeberdieB ist Unser emstlicher Wille: daB alle diejenigen Personen, welche sich in | der BrandVersichemngsGesellschaft befinden, mit alien Arten von BrandCollecten | verschont und dergleichen von denselben nicht gefordert werden sollen. XL) Uebrigens wollen Wir dieser Gesellschaft die Freiheit von alien Stampfeln und | Tax Gebtihren anmit bewilligen.

[197/1] Gesetz vom 19. Marz 1852

1661

XIL) Endlich versehen wir Uns zu Unsem getreuen Unterthanen, daB dieselben Unsere | landesvaterliche Ftirsorge, durch NachlaBigkeit in Verhiitung der Feuers Gefahr, Oder I durch Unterlassung der wegen der Feuers Gefahr erforderlichen feuergesicherten Einrichtung | und Reparation ihrer Gebaude, oder durch schlechte Bedienung der FeuerLoschAnstalten, | bei vorkommenden Fallen, keineswegs miBbrauchen, sondem von selbst den in Unseren | Land= und FeuerOrdnungen darauf gesezten Strafen zu entgehen suchen werden. Wir nehmen aber hierbei AnlaB, alien standesherrlichen und gmndherrlichen Obrigkeiten, | so wie alien Unsem zur Provinz= und Bezirks Verwaltung angestellten Befehlshabem, Rathen | [S. 40] und Beamten, auch alien OrtsVorgesezten, hiermit auf das gemessenste anzubefehlen, | nicht nur tiberhaupt auf einen sorgfaltigen und genauen Vollzug der bestehenden Feuer= | Anstalten strenge Aufsicht zu tragen, sondem auch insbesondere darauf Rticksicht zu neh= | men, daB die Gebaude auf eine feuergesicherte Art eingerichtet, mit Feuer und feuerfangen= | den Sachen bei der HauB Benutzung vorsichtig umgegangen und die FeuerLoschAnstalten | genau nach den vorhandenen Vorschriften in Uebung gebracht werden. Damit aber diese Unsere Verordnung, deren Mehmng oder Mindemng nach Befund | der Umstande Wir Uns vorbehalten, zu Jedermanns Wissenschaft in Unsem GroBherzog= | lichen Landen gelange; so haben Wir dieselbe dem Regiemngs Blatt einverleiben lassen, | und wollen, daB sie in alien Orten gehorig verktindet werde. Hieran geschieht Unser Wille. Gegeben in Unserer Residenz Stadt Karlsmhe den 29ten | Decemb. 1807. Carl Friedrich. Vt. Fr. Bauer. Auf Seiner Konigl. Hoheit Specialbefehl | Vt. Uhrhan.

[197/1] Gesetz, die Feuerversicherungsanstalt der Gebaude betreffend, vom 19. Marz 1852 Quelle: GroBherzoglich Badisches Regiemngs-Blatt, 50. Jahrgang, (Nr. 14 vom 2. April) 1852, S. 85-103(gedmckt). [Auszug] [S. 85] Gesetz, die Feuerversichemngsanstalt der Gebaude betreffend. Leopld, von Gottes Gnaden, | GroBherzog zu Baden, Herzog von Zahringen. Mit Zustimmung Unserer getreuen Stande haben Wir beschlossen und verordnen, wie | folgt: Erster Abschnitt. | Allgemeine Bestimmungen. §•!• Die far das GroBherzogthum gegriindete, auf der gesetzlichen Verpflichtung der Gebaudeeigen= | thtimer zur gegenseitigen Versichemng bemhende Gebaudeversichemngsanstalt besteht fort; sie wird | jedoch nach den im gegenv^artigenGesetz enthaltenen Bestimmungen neu eingerichtet und verwaltet. Alle friiheren deBfallsigen gesetzlichen Bestimmungen sind aufgehoben.

1662

§12: Baden

[Dok. 188-251]

§.2. ...fS. 102]... Neunter Abschnitt. | Vom Vollzug dieses Gesetzes und von dem Uebergang in den neu gesetzlichen Zustand. §. 72. Das Ministerium des Innem wird die zum gleichformigen Vollzug dieses Gesetzes erforder= | lichen Vorschriften und KontrolmaaBregeln anordnen. ...[S. 103] . . . §. 74. Die tibrigen Bestimmungen des Gesetzes, so weit sie sich nicht auf die Bildung der Ver= I sicherungsanschlage beziehen, treten sogleich nach seiner Verktindung in Wirksamkeit. Gegeben zu Carlsruhe in Unserem Staatsministerium, den 29. Marz 1852. Im Namen Seiner Koniglichen Hoheit des GroBherzogs: | Friedrich, Prinz von Baden. von Marschall. Auf allerhochsten Befehl Seiner Koniglichen Hoheit des GroBherzogs: | Schunggart.

[198] Sechstes Konstitutionsedikt, „ciie Grund Verfassung der verschiedenen Stande betreffend", vom 4. Juni 1808 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einfuhmngen" die Darstellung unter [737.]. Quelle: Regiemngs-Blatt fiir das GroBherzogthum Baden, 6. Jahrgang, (Nr. 18 vom 27. Juni) 1808, S. 145-159 und „Fortsetzung" (Nr. 19 vom 9. Juli) 1808, S. 161 - 176 (gedruckt). [S. 145] Landesherrliche Verordnung. 11. Die GrundVerfassung der verschiedenen Stande betreffend. Carl Friederich, von Gottes Gnaden, Grosherzog zu Baden, | Herzog zu Zahringen u. s. w. Nachdem Wir tiber verschiedene RechtsVerhaltnisse der StaatsAngehorigen in Unsem | vorhergehenden fiinf gmndgesezlichen Edikten Bestimmung gegeben haben, so kniipfen Wir I daran nun unmittelbar jene Regeln an, womach stetshin und unwandelbar die | Grundverfassung der verschiedenen Stande | in Unserem GroBherzogthum durch die Stellen, welche zur Verwaltung der verschiedenen | Zweige der Staatsgewalt angestellt sind, geleitet werden sollen. Recht der Fremden. 1.) Obwohl derjenige, welcher nicht auf eine der nachbenannten Arten Unserm Staat | angehorig ist, eigentlich nur die allgemeinen Rechte der Menschheit, und nicht die aus dem | Daseyn Unserer StaatsVerfassung entspringende besondere Vortheile anzusprechen hatte: | so gonnen Wir jedoch jeglichem Fremden der in Unseren Staat aus erlaubten Absichten | und auf gesezmasige Weise eingeht, den GenuB aller jener Vortheile Unserer StaatsVer= | fassung, die bezogen werden konnen, ohne daB Unseren StaatsAngehorigen dadurch die Ge= | legenheit ihre Nahrung zu erwerben, genommen oder geschmalert, noch Uns und Unserm | Staat im Ganzen Ungelegenheit oder Nachtheil dadurch zugezogen werde, und sichem ihm | daher den gleichen Staatsschuz innerhalb unseres Gebietes zu, den allda andere Unsere | Angehorige

[198] Sechstes Konstitutionsedikt vom 4. Juni 1808

1663

verfassungsmasig fordem konnen, alles unter der auflosenden Bedingung, daB | gegen den GenuB dieses Gastrechts er auch durch Erftillung der daran hangenden Pflichten | sich gastlich verhalte. Hingegen kann er wegen aller Begegnisse die ausserhalb Landes ihm | zugestossen sind, nicht auf Unsere StaatsVerwendung oder Vertrettung bey fremden Obrig= | keiten, am wenigsten auf Eine bey seiner eigenen StaatsObrigkeit, Ansprache machen, in== | dem Wir diese besondere Wtirkung des StaatsSchuzes nur Unseren LandesAngehorigen | vorbehalten. [S. 146] Inbegriff des Gastrechts. 2.) Dieses Gastrecht umfaBt folgende Befugnisse und Verbindlichkeiten: a.) Das | Recht, den Staat und jede selbstbeliebige Gegend desselben in erlaubten Reisezwecken zu be= | tretten, und die Pflicht, sich wegen seiner Herkunft, und seines Reisezwecks auszuweisen, | und die EinlasBedingungen zu erfullen, welche etwa von obrigkeitlichen Behorden, nach | Befmden der Umstande, ihm angedeutet werden: b.) Das Recht des Aufenthalts bey Gast= | Wirthen oder GastFreunden, und die Pflicht nur in Gastweise da zu seyn, d. h. ohne | Anrichtung einer eigenen Haushaltung, so lang er nicht zum StaatsAngehorigen ord= | nungsmasig befahigen kann und will: c.) Das Recht, vom Staat und den Staatsbtir= | gem als der Ftirsorge des Gastwirths oder Gastfreundes anvertrauter StaatsGenosse be= | handelt zu werden, und die Pflicht, diese Ftirsorge nicht zum Nachtheil des Staats oder | des Bewirthers zu missbrauchen, und den Anleitungen zu folgen, welche der Hauswirth | dem Fremden iiber das Verhalten im Staat, das er zu beobachten habe, giebt, also sich | polizeymasig zu betragen: d.) Das Recht, alle Anstalten im Staat, deren Gebrauch | nicht auf gewisse Gattungen von Personen beschrankt ist, far sich zu benutzen, sammt | der Pflicht, sich nach den Vorschriften ihrer Benutzung zu erkundigen, und ihnen gemas | sich zu verhalten: e.) Das Recht, jede fahrende Haabe, innerhalb des Landes gesezma= | sig zu erwerben, und so weit nicht ihre Ausfuhr verbotten ist, sie auch mit sich wegzuneh= | men, und die Pflicht, jede von der Austibung dieser ErwerbsBefugnisse, oder von jedem | andem Theil seines Gastrechts, abquellende Verbindlichkeiten, innerhalb Landes und vor | seinem Weggang zu erfallen, wo nicht ausdriicklich von dem Glaubiger in eine spatere, | und erst im Ausland zu vollfuhrende Befriedigung eingewilligt worden ist: f) Das Recht, | gegen jede Beleidigung sich aller jener Sicherungs= und GenugthuungsWege zu bedienen, welche I dem Staatsbtirger offen stehen, und die Pflicht, aller unerlaubten Selbsthiilfe, noch mehr | aller angreifenden Beleidigungen sich zu enthalten; g.) Das Recht, wegen aller Handlun= | gen, die weder in sich selbst widerrechtlich noch nach den Gesezen seiner Heimath selbst | strafmassig sind, wenn sie hierlands verboten sind, und von ihm ohne KermtniB dieses Ver= | bots, begangen wurden, auf eine, nach Befiind der Umstande und Wichtigkeit der Sache, | vom Richter zu ermassigende Entschuldigung sich berufen zu konnen, und die Pflicht, we= | gen aller far deren Widerrechtlichkeit die Vemunft oder die Verfassung seiner Heimath ihm | KenntniB gab, nach den hiesigen Gesezen sich richten zu lassen, wenn er gleich die bestimm= I te, etwa hartere Strafe, zuvor nicht erkundigte: h.) Das Recht, liber alle personliche | Verbindlichkeiten, welche Unsere Staatsgenossen irgendwo, oder welche Fremde innerhalb Un= | [S. 147] seres Landes, durch erlaubte oder unerlaubte Handlungen, gegen ihn auf sich geladen ha= | ben, sie vor Unsere Gerichtsbehorden mit der gleichen Wtirkung, die Unseren StatsAn= | gehorigen im Geseze gegonnt ist, zu Recht zu fordem, und die Pflicht, jedem Klager, der an ihn | wahrend seines Aufenthalts im Lande, wegen Rechtsverbindlichkeiten, die ausserhalb sei= | nes HeimathsLandes gekntipft worden sind, Klage erhebt, zu Recht zu stehen, | und dem Recht ein Gentige zu thun, mithin wenn er vor Ausgang der Sache | aus dem

1664

§12: Baden

[Dok. 188-251]

Lande abgehen wollte, sich darin dafiir durch Gewalthaber und Sicher= | stellung habhaft zu machen: i.) Das Recht, nach Moglichkeit beschleunigte Erledigung | seiner gerichtlichen und aussergerichtlichen Angelegenheiten, und tibrigens gleiches Recht mit | dem Innlander zu begehren, so weit nicht nothgedrungene Erwiederung ungerechter Zuruck= | setzung Unserer Angehorigen in seiner Heimath ihn davon ausschlieBt, und die Pflicht, | wegen seiner, hierlands auf sich geladenen Verbindlichkeiten, sich nach den Landesgesetzen rich= | ten zu lassen, wo diese nicht selbst ihm eine Ausnahme bewilligen: k.) Das Recht, tiber | Verbindlichkeiten, die er gegen Mitbiirger seines HeimathsStaats, innerhalb oder ausser= | halb Unserer Lande, auf sich genommen hat, ohne seine Einwilligung bey Uns nicht zu | Recht gefordert werden zu konnen, es ware dann, daB die Verbindlichkeit im Handel oder | auf Marckten Unseres Staats geschlossen worden ware, und daher Marcktrecht oder Han= I delsRecht fiir sich hatte, und die Pflicht, wegen jeder btirgerlichen oder Strafverbindlich= | keit, wegen deren der hiesige Staat eine Abforderung seiner Staats=Obrigkeit, (Avocation) | bewilligt, dieser Folge zu leisten, und nicht auf ein Richten der hiesigen Behorden sich be= | rufen zu konnen: 1.) das Recht, daB sein Vermogen im Lande, wenn er darinn stirbt, glei=^ | cher Ftirsorge, wie jenes der Staatsbtirger anvertraut, und an jene, denen es durch gtiltige | lezte Willensverordnungen, oder durch die Erbfolge nach den Rechten seines Heimaths | Staats, angehorig ist, ausgeliefert werde, wenn nicht dieser Staat ein Fremdlings=Erbe | (jus albinagii) gegen den Unsrigen austibt, und Uns dadurch zur Rechts=Erwiederung no= I thigt; und die Pflicht, davon nicht mehr und nicht weniger, fur den der Verlassenschaft | gewordenen Staatsschuz zu entrichten, als davon auch alsdann wiirde haben entrich= | tet werden mtissen, wen sie an Innlander gefallen ware; endlich m.) das Recht, aus | dem Lande, sobald es ihm gefallt, frey und unaufgehalten auszuwandem, und seine einge= | brachte oder im Land rechtmaBig erworbene Haabe, so weit leztere nicht einem Ausfahr=Ver= | bot unterliegt, nach Berichtigung seiner innlandischen Schuldigkeiten, ohne Abzug mit sich | zu nehmen, und die Pflicht, diese Abreise vorzunehmen sobald die oberste StaatsBehorde, | wenn gleich ohne alle Eroffnung ihrer Beweg=Grunde, es ihm zu gebieten sich entschlieBt. [S. 148] Einschrankung bei herrenlosen Gasten. 3.) Der ungeschmalerte GenuB dieses Gastrechts kommt nur jenen Fremden zu, welche I eine offene Heimath und einen nachfolgenden Herm haben, das ist, welche noch wtirklich | Biirger oder Angehorige eines andem Staats sind, in welchen zuriickzukehren sie nichts hin= | dert, und welche daher auch in der Fremde dem VertrettungsRecht und der RtickrufsBe= | fugniB ihres Regenten unterliegen, somit das Land als Reisende betretten. Eingeschrank= | ter ist der Genus des Gastrechts fur herrenlose Gaste, wohin gehoren Auswanderer, die | von ihrem Heimathsstaate auf Verlangen entlassen worden sind, um eine neue Heimath in | anzubauenden Erdstrichen zu suchen; Ausgewiesene, die von einem Staate, worinn sie sich | aufhalten, wegen verwtirktem AufenthaltsRecht tiber die Grenze gebracht worden; Landfah= | rer oder Landstreicher, die ohne habende Heimath, und ohne eine zu suchen, in der Welt | sich forttreiben; und Landfltichtige, die aus Furcht vor einer verwtirkten Strenge der Geseze | oder um einer UnterthanenPflicht auszuweichen, aus ihrem Lande ausgetretten sind. Aus= | wanderer sind beschrankt a.) in dem Recht der Reise und des Aufenthalts, als die sie | nicht nach Belieben einrichten konnen, sondem jene Strassen und Stationen einhalten mtissen, | welche in der nachsten Richtung zu ihrem suchenden HoffhungsLand fiihren, weshalb sie der | empfangenden StaatsWeisung nachfolgen mtissen, bey Gefahr, sonst als Landstreicher behan= | delt zu werden, und b.) in der GerichtsPflichtigkeit, indem sie wegen

[ 198] Sechstes Konstitutionsedikt vom 4. Juni 1808

1665

aller und jeder inn= | oder ausser Unseres Landes, inn oder ausser ihrem alten HeimathsStaat verrichteten Hand= | lungen, auf Erfordem wahrend ihres innlandischen Aufenthalts vor diesseitigen Behorden | Recht nehmen miissen, und ihre Abforderung und Riicklieferung von ihrem ehemaligen Herm | nicht weiter verlangt, wohl aber wegen Verbrechen, auch gegen ihren Willen, von Unsem | Behorden bewilHgt werden kann. Bey Ausgewiesenen wenn sie fur Unseren Staat | fremd sind, tritt das NemHche ein, nur daB c.) nach Befinden ihrer AusweisungsUrsachen | und der daraus gegen sie entspringenden Verdachtigkeit auf der Strasse und den Stationen | ihre personliche Freyheit durch Begleitung, nachtliche Verhaftung u. d. gl. von Unseren I Polizeybehorden eingeschrankt werden kann. Bey Landstreichem gilt dieses zunachst Ge= | sagte ebenfalls, und d.) wenn sie ungeleitHch d. h. ohne Vorweisung gtiltiger Passe, und | ohne einen rechtfertigenden Zweck das Land betretten, so sind sie einer poHzeylichen Untersu= | chung und einer auf gutfihdende Zeit bestimmbaren Annahme zu Verhaft und zu gezwun= | gener Arbeit, niemals aber, ohne eine ihnen erweisHch zur Last liegende weitere strafmasige | Handlung, einer korperlichen Ztichtigung heimfallig. Landfliichtige konnen e.) je nachdem | die Art und Natur der Ursache ihres Austritts, und das VerhaltniB Unseres Staats zu | [S. 149] ihrem Heimathsstaat es fordert, als Reisende, Auswanderer, Ausgewiesene, oder als Land= | streicher behandelt werden, in jedem Fall aber f.) wo allgemeine Verbrechen d. h. solche, | welche eine Uebertrettung natlirlicher verbottener Handlungen enthalten, zum Grunde des | Austritts liegen und kund sind, und wo diese nach Unseren StaatsGesezen und nach jenen | ihrer Heimath zugleich peinlich sind, da miissen sie verhaftet, und auf Begehren ihrer | Obrigkeit zuriickgeliefert, ausserdem aber hierlands vor Gericht gestellt, und allda nach dem | Strafmaas ihrer HeimathsGeseze gerichtet werden. Schuzgenossenschaft. 4.) Eine andere Gattung von Fremden sind die Schuzgenossen: sie tretten in das Land | ein, um flir einen vortibergehenden Zweck, einen zeitlichen Aufenthalt darinn zu nehmen, oh= | ne jedoch in eine bleibende Verbindung mit Unserem Staat einzugehen; sie geniessen fiir | diesen Zwek, aber auch nur far ihn, zu dem Gastrecht, soweit es auf die Art ihres Blei= | bens im Staat anwendungsempfanglich ist, noch alles das weitere Recht, das den Staats= | btirgem, die den gleichen Zwek verfolgen, desfalls ohne namentliche Beschrankung auf | Unsre StaatsUnterthanen durch die Gesetze gegeben ist, so lang sie in diesem besonderen | Geschaftsbemf thatig sind, und fallen, so wie diese Anstellung aufhort, in die Klasse der | Gaste zuriick. Sie tragen aber auch alle Lasten des Staats, die auf diesem Bemf vep= | fassungsmaBig liegen, gleich jenen Personen einer solchen Klasse, welche Staatsbiirger sind; | hieher gehoren Ehehalten, oder Personen deren Aufenthaltsrecht daraus erwachst, daB sie im | Dienst und Lohn der Staatsbiirger ftir deren hausliche Bedtirfhisse oder fiir deren Gewerbs= | geschafte arbeiten, also Dienstboten, Gesellen, Lehrjungen, Fabriken=Arbeiter u. d. gl. | Zoglinge, deren Aufenthalt durch den Zwek bestimmt wird, von gewissen BildungsAnstalten | des LandesNutzen zu ziehen, sie mogen entweder sich selbst tiberlassen, oder bestimmten Staats= | btirgem desfalls anvertraut seyn, als Studirende, Kostschiiler u. d. gl. Pachter von Land= | giitem oder Gewerben u. s. w., und Rentirer oder Personen, die bios von ihren auswarts= | her ziehenden Renten oder sonst von auswartigem Einkommen leben und Unser Land nur I zu einem einstweiligen Aufenthalt wahlen, mithin weder durch die Natur ihres Einkommens | noch durch eine freywillig gekntipfte Verbindung in einem dauemden VerhaltniB zu dem hie= | sigen Land stehen.

1666

§ 12: Baden

[Dok. 188-251]

EinsassenRecht. 5.) Noch eine weitere Gattung der Fremden sind die Einsassen, womnter solche verstan= I den werden, welche mit Beybehaltung des Heimathsrechts in ihrem urspmnglichen Staat, | zugleich durch einen gesezmaBig erlangten Besiz von Liegenschaften im Land, ingleichen durch | [S. 150] ordnungsmaBige Erlangung eines Staatsdienstes oder eines Gewerbes im Land in eine blei= | bende Verbindung mit Unsem Landen gekommen sind, wovon Erstere, je nachdem ihr Gut | eigene Markungsrechte hat, oder einer OrtsMarkung untergeben ist, Landsassen oder | Marksassen, leztere beede Gattungen aber Schirmsassen sind. Alle diese geniessen | so lange sie im Land auf solche Weise angesessen sind, in demjenigen, was auf ihre Art der | Angesessenheit Bezug hat, durchaus Staatsbtirgerrecht, haben aber auch in dieser Bezie= | hung durchaus UnterthanenPflicht; in andem davon unabhangigen Beziehungen aber behal= | ten sie die allgemeine SchuzgenossenschaftsVerhaltnisse, nur daB sie nun auch wegen solchen | Verbindlichkeiten, die sie ausser Landes und selbst in ihrem Heimathsland, (wenn nur nicht | in Bezug auf auswartige Liegenschaften Gewerbe oder Erbschaften) tiberkommen haben, | hierlands gerichtspflichtig werden, daB sie mithin dem Klager, selbst wenn er ein Mitbtirger | aus ihrem Heimathsland ware, kein RtikweisungsBegehren an ihren HeimathsRichter ent= I gegen setzen, noch von diesen lezteren, (den Fall alldort begangener Verbrechen oder vorhan= | dener Rechtshangigkeit, ausgenommen) zuriikgefordert werden konnen, so bald sie mit Be= | willigung ihrer angebohmen Obrigkeit, und auf erlangten Heimathsschein, d. i. der Beui= | kundung des Vorbehalts nach Gutfinden in die Heimath zuriick zu kehren, zu Einsassen | hierlands angenommen worden sind. Staatsbtirgerrecht. 6.) Schuzgenossen und Einsassen sind zwar in Beziehung auf jene Verhaltnisse, | in welchen sie durch ihre Verbindung mit Unserm Staat auch Unserer RegentenGewalt un= I terworfen sind, nicht mehr Landfremde, sondem zugleich StaatsAngehorige und als sol= | che gegen Uns in einer beschrankten Unterthanschaft. Staatsbtirger und Staatsunterthanen | sind sie aber darum nicht; sondem nur jene Personen sind dieses, welche ohne Beschrankung | auf gewisse Verhaltnisse far sich, ihre Familie und Nachkommen, Unserer RegentenGewalt | angehorig sind. Um es zu seyn muB eine solche Person die Pflicht auf sich haben, alle | jene Verwendung ihrer Zeit und Kjafte, welche nach der Staatsverfassung zum offentlichen | Dienste gewidmet ist, dem Unsrigen vorzugsweise zu widmen, alle Verwendung derselben, I die zu ihrer eigenen Willkiihr vermog der Staatsverfassung bleibt, nach den Regeln der hie= | sigen Staatsgesezgebung einzurichten, und sich unbedingt der hiesigen RichterGewalt zu unter= | geben, wogegen sie aber auch das Recht genieBt, aus der Benutzung ihrer Zeit und Krafte | all jenen Gewinn zu ziehen, der staatsverfassungsmassig davon gezogen werden kann, und zu | verlangen, daB sie gegen jede drohende Benachtheiligung, welche wegen Geistes= oder K6r= | perschwache, oder Uebermacht der Gegenwiirkung, sie selbst abzuwenden nicht vermogend ware, | [S. 151] mittelst obrigkeitlicher Vorsorge im Land, und mittelst regentenamtlicher Vertretung und Ver= | wendung ausser Landes geschtizt werde. Nur eine ausdrukliche oder stillschweigende Ueber= | Einkunfl zwischen Uns und einem Fremden kann ihn in einen Staatsbtirger umschaffen; still= | schweigend ist sie nur da vorhanden, wo die beederseitige Absicht in jene Verbindung zu tre= | ten durch eine natiirliche, und von den Staatsgesetzen des Grosherzogthums anerkannte Fol= | gerung aus einer vorgegangenen Handlung flieBt. Bewiesen und bekraftigt wird sie durch I die Erbhuldigung, oder das feierliche Geltibde, welches das Famihenhaupt,

[198] Sechstes Konstitutionsedikt vom 4. Juni 1808

1667

und jede Manns= | person, die das Recht hat, kiinftig Familienhaupt zu werden, ablegt, fur sich selbst und | mit alien Familiengliedem dem Regenten und seinen rechtmaBigen Nachfolgem, treu, hold | und gewartig zu seyn, nach Kraften dessen Schaden abzuwenden, dagegen dessen Bestes | zu fordem, auch den Gesetzen des Staats unterthanig und den obrigkeitlichen Geboten ge= | horsam zu seyn. Ob solche Huldigung schriftlich oder miindlich, eidlich oder handgeliibdlich zu | leisten sey, bleibt da, wo besondere Freiheiten nichts bestimmen, dem jedesmahg landes= | herrlichen Gutfinden tiberlassen. Vorrechte der StaatsBtirgerschaft. 7.) Die Vorrechte des StaatsBiirgers vor dem Fremden bestehen a.) Im Erwerb mark= | sassiger liegender Gtiter: Kein Auslander kann ein solches liegendes Gut im GroBher= I zogthum erwerben, oder ein ihm anfallendes oder zugeschatztes liber Jahr und Tag unver= | aussert beybehalten, soweit ihm nicht dazu vom Regenten besondere ErlaubniB bewilligt ist. | Auf Gtiter, die der Landtafel angehoren, oder schriftsassig sind, gehet dieses ErwerbsVer= | bot nicht; b.) In Treibung Handels und Gewerbes: Niemand kann im Lande | auf eigenen Namen und Rechnung Handlungen, Manufakturen, Handwerker, und andere | standige Gewerbe besitzen, er sey dann StaatsBiirger, oder werde es, vorbehaltlich je= | doch landesherrlich zu bewilligender Ausnahmen; wohl aber konnen Fremde als Gesellschaf= | ter oder als EinlagsGenossen an einem bestehenden Gewerbe eines StaatsBiirgers Theil | nehmen, ingleichem als reisende Handels= oder GewerbsLeute auf JahrMarkten oder auf | erlangte zeitliche Handelsscheine auch anderwarts ihre Handthierung treiben; dagegen kann | keinem Innlander versagt werden, ein erlemtes Gewerbe zu treiben, zu welchem er ord= | nungsmasig sich befahigt hat, soweit nicht Verzicht oder Ergreifung einer andem damit | unvereinbarlichen LebensArt ihn davon ganz, oder fiir die Zeit des andauemden Hindemis= | ses ausschlieBt; c.) In der Ansprache auf StaatsDienste: Jeder StaatsBlir= | ger, der in gewissen Klassen von StaatsDiensten sich befahigt hat, erwartet darinn seine | verhaltnismasige Besorgung; Fremde konnen nur durch besondere Beglinstigung des Re= | [S. 152] genten, und sollen niemals in einer zum Nachtheil gleich gut geeigneter LandesKinder ge= | reichenden Menge dazu gelangen; d.) In der Allgemeinheit des StaatsSchutzes: | Wenn bey Fremden, die Unserm Staat zugleich angehorig sind, wenigstens noch der Sou= | veran ihres HeimathsLandes mit alien seinen geordneten StaatsBehorden ausgenommen ist, | gegen dessen vermeintlichen Ueberdrang man sich disseits ihrer nicht anzunehmen hat; so ist | bey StaatsBlirgem keine Gattung des widerrechtlichen Nachttheils, und keine Person, von | der er herriihre, ausgenommen, welche sie von der Nachsuchung und Ertheilung des | Staatsschutzes ausschlosse; e,) In der Dauer des EinwohnungsRechts: Keine | mit ihnen vorgehende erlaubte und unerlaubte Veranderung, welche nicht einen ausdrlickli= | chen, oder einen stillschweigenden namentlich in diesem Gesetz zu Kraften erkannten, Ver= | zicht enthalt, vermag die Unterthanen des Rechts zu berauben, fiir sich und ihre Familie | den Aufenthalt in Unseren Landen zu nehmen; sie konnen zur Strafe wohl aus einzelnen | Gegenden, aber nicht aus dem Lande verbannt werden, es geschehe dann durch Deportation | an einen andem von Staatswegen ihnen ausgemittelten bleibenden Aufenthaltsort in dazu I gesezlich geeigneten StrafFallen; f) In dem Recht durch Heurath eine eigene I Familie im Staat zu grlinden: Keinem Fremden, der nicht fiir eine Ehe, die er | schliessen will, den HeimathsSchein auflegt, das ist, die Urkunde seiner StaatsObrigkeit, | daB die Ehe als dort vollzogen und StaatsBlirgerrecht geniessend werde angesehen werden, | keinem also, der nicht auf jenen Staat ordnungsmasig heurathen darf, kann im Lande eine | EheVerbindung einzugehen gestattet werden, mo-

1668

§ 12: Baden

[Dok. 188 - 251]

ge sie nun mit einer andem fremden Per= | son, oder mit einer disseitigen StaatsAngehorigen geschlossen werden wollen; dagegen kann | auch keinem StaatsBtirger Oder keiner StaatsBtirgerin ein ordnungsmasiges Einschreiten | in den Ehestand ganzlich versagt werden, obwohl es durch die StaatsGesetze auf gewisse | Alters= Verm6gens= und StandesErfordemisse hin aufgeschoben werden kann. g.) In | dem Recht auf Versorgung ihrer Kinder: Diese mtissen bey staatsbtirgerlicher | und sittlicher Befahigung, wenn nicht immer an ihrem Wohnort, doch im Staat iiberhaupt | zu einer Antrettung ihres StaatsBtirgerrechts und zum GenuB der davon abhangenden I Vortheile zugelassen, und darinn nach Moglichkeit gefordert, auch bey eintrettender Unmog= | lichkeit fur ihren Erwerb durch irgend eine Arbeit sorgen zu konnen, nothdtirftig er= | nahrt werden. Erlangung derselben. 8.) Dieses StaatsBiirgerRecht steht dermalen als wohlerworben zu, alien, die in de= | nen zum GroBherzogthum gehorigen Landen bey dem Vollzug der Rheinischen BundesAkte | [S. 153] als Standesherren, Grundherren, oder als hohe und niedere StaatsDiener, ingleichem als | Burger, Hintersassen oder Schuzverwandten, oder endlich als von ihren Renten ohne | Staatsbeschaftigung lebend, wohnhaft waren, und nicht ihre Hauptwohnung oder ihr | wtirkliches Btirgerrecht damals zugleich in einem andem Staat batten. Es wird fortgepflanzt a.) durch Heurath: jedoch nur auf das weibliche Geschlecht; welches auslandische | Frauenzimmer nemlich auf eine gesezmasige Weise sich an einen StaatsBtirger verheurathet, | die wird ohne weiteres dadurch Staatsbtirgerin, obwohl nicht immer Gemeindsbtirgerin. b.) Durch Eingebohrenheit: derjenige, der von einer Staatsbtirgerin, es sey in oder | ausser der Ehe, doch letztem Falls im Lande gebohren ist, ingleichem der, welcher von ei= | ner staatsangehorigen Fremden im Lande gebohren wird, ohne anderswo ein ange= I bohmes StaatsbiirgerRecht zu haben, ist StaatsBtirger. Es wird neu erworben c.) durch Einzugsbriefe (diplomata indigenatus): Wer einen solchen von Uns oder | Unseren dazu verordneten Stellen erlangt, der hat damit ein bedingtes Recht zur Staats= I Biirgerschaft, dessen Besitz und Gebrauch aber nachmals erst auf ihn unbedingt tibergeht, | wenn er sein StaatsBtirgerrecht im Auslande aufgiebt, und seine Wohnung im Lande | aufschlagt. Eine Landesherrliche DienstAnnahmsUrkunde gilt fiir einen EinzugsBrief. Es | wird femer erworben, d.) durch einen zehenjahrigen ehrlichen Aufenthalt im Lande: wer | vom Staat aus Nachsicht eingelaBen wurde, ohne daB man sich um die Beybehaltung | seines auswartigen Btirgerrechts bektimmerte, und indessen solches versaumt oder verloren | hat, wohin auch Diener der Standes= und Grundherren, oder der Gemeinden, bey denen | dieser Fall eintrate, zu rechnen sind, der ist Staatsbtirger. Verlust derselben. 9.) Verloren geht das Staatsburgerrecht a.) durch Aufsage. Diese endigt solches auch | fiir alle FamilienGlieder des Aufsagenden, die noch in seiner Gewalt sind, wenn sie zum Be= | huf einer schon anderwarts erlangten sicheren Heimath geschieht; wtirde sie aber zum Behuf | einer erst zu suchenden Heimath untemommen, so bleibt denen, die nicht etwa schon volljah= | rig sind, und selbst an der Aufsage Theil nehmen, ihr StaatsBtirgerrecht unverzogen, ru= | het jedoch so lang, bis sie wieder zu dessen Antritt zuriickkehren, oder sich dessen nach erreich= | ter Selbststandigkeit entschlagen. b.) die Entschlagung geschieht durch jede Handlung, | welche mit der Absicht der Beybehaltung unvereinbarlich, und daftir durch dieses Gesetz aner= | kannt ist. Dahin soil gerechnet werden. a.) Die Annahme eines auswartigen | StaatsbtirgerRechts: Wir gestatten in Unsrem Staate keinerley Art der Ffahlbur-

[198] Sechstes Konstitutionsedikt vom 4. Juni 1808

1669

ger= I Rechte; wer Unser Staatsbiirger in dem oben bezeichneten vollen Sinn des Worts seyn will, | [S. 154] muB nicht zugleich das nehmliche gegen einen andem Staat seyn woUen; er ist aber laut des | obigen ungehindert, bey ordnungsmasiger Ftirsorge fur Erhaltung seines hiesigen Staatsbur= | gerRechts, anderwarts Schutzgenosse und Einsasse auf kurzere oder langere Zeit zu werden; p.) die Heurath im Ausland und auf das Ausland. Wer auswarts sich | verehlicht, ohne zuvor in Unseren Staaten das HeimathsRecht fur seine vorhabende Ehe, | durch Beobachtxing der disseitigen Staatsgeseze liber solche Falle, sichergestellt zu haben, der | muB angesehen werden, als einer, der auf das hiesige StaatsbtirgerRecht weiter keinen An= | spruch mache, und hat sich lediglich an jenen Staat zu halten, der ihm eine solche EheschHes= | sung bey sich gestattete; y.) die auslandische Erschleichung der Trauung einer, im | Grosherzogthum denen Ehelustigen zuvor verweigerten Ehe gilt ebenfalls far eine Verach= | tung und Ablegung des hiesigen StaatsburgerRechts, so oft die Ehe als gtiltig bestehen bleibt. | Weiter 5.) eine beharrliche Landfliichtigkeit, das ist ein solcher Austritt aus dem | Lande, womit man einer oder der andem Staatspflicht auszuweichen sucht, und welche man | nach offentlich erfolgter Vorladung zur Rtickkehr und zur Verantwortung, tiber die vorge= | schriebene Frist hin ohne rechtlich giiltige Entschuldigung fortsezt. Endlich s.) ein wissentlich unbe= | folgt gelassener Heimruf der Obrigkeit, die einem in erlaubten Absichten auswarts be= I findlichen Staatsbiirger, aus gesezlichen Ursachen die Verlassung seines auswartigen Aufent= | halts oder die Heimkehr ins Vaterland auferlegt hat. Durch den Verlust des Staatsbtirgerrechts | tritt der Staatsbiirger in die Klasse der Fremden; an jenen Rechten, deren auch diese fahig sind | mithin auch an den Familien= Erb= und VermogensRechten verliert er dadurch allein nichts, | wenn nicht die gesezwidrige Handlung, die etwa jenen Verlust herbey zog, nach den jeweils | bestehenden LandesGesezen eine VermogensVerwiirkung begrtindet. Ortssassenrecht. 10.) Die Staatsbiirger konnen zugleich verfassungsmasige Theilnehmer der Vortheile eines | bestimmten Orts, und seiner Lasten seyn, Ortssassen, und in dieser Eigenschaft entweder | Theilnehmer des Gemeinderechts mit alien seinen Vortheilen und Lasten (Gemeindsleu= | te, Ortsbiirger) oder nur Theilnehmer gewisser bestimmter Vortheile und Lasten des Orts, | (Schuzburger, Hintersassen). Sind sie keines von beiden, und haben sie also in dem Ort wo | sie sind, nur zufallig an jenen Vortheilen und Lasten Antheil, welche von der allda aufge= | schlagenen Wohnung unzertrennlich sind, so gehoren sie in die Klasse der Einwohner, die als= | dann ihre Rechte, aus ihren anderen Eigenschaften als Fremde, Staats=Genossen, Ein= | sassen, oder Staatsbiirger zugemessen erhalten, und nur an denen mit dem | blossen Aufenthalt verkniipften Orts Vortheilen und Lasten Theil nehmen. [S. 155] Nur allein die Ortsbiirger haben a.) Wahlbarkeit zu GemeinsAemtem; b.) Stimm= | fahigkeit fur Gemeindsberathschlagungen; c.) Theilnahme an alien Allmendniessungen, d. h. | an der Benuzung solcher Allmend=Vortheile, worinn der Genus des Einen den Genus an= | derer beschrankt, und die daher nicht (wie Wege, Wasser, u. d. gl.) Jedem auch Fremden | offen stehen; d.) BefugniB zur Marklosung; e.) Theilnahme an den besonderen Vorrech= | ten und Staatsfreyheiten der Gemeinde ihres Orts. Die Schuzbiirger, konnen a.) an | jener Wahlbarkeit, Stimmfahigkeit und Marklosungs=Berechtigung nie Theil nehmen, so | lang sie nicht zum Ortsbiirgerrecht gelangen, und p.) von den GemeindsNiessungen und | OrtsRechten kommt ihnen nur dann etwas mit zu, wenn durch die Orts=Verfassungs=Ur= | kunden (wohin auch vorderes Herbringen gehort, warm es in der bestimmten Zeit fiir die | Zukunft

1670

§ 12: Baden

[Dok. 188 - 251]

niedergeschrieben wird) oder durch ihre Schuzbriefe ihnen bestimmt etwas zugebil= I ligt ist; hingegen y.) haben sie das, keiner Marklosung bios stehende, ErkaufsRecht zu Lie= | genschaften ihres Banns fur ihren eigenen Gebrauch, Im tibrigen haben sie gleiche Rechte | mit den Ortsbtirgem. Erlangung desselben. 11.) Das Einwohner Recht braucht nicht besonders erworben zu werden: jeder | StaatsBtirger jeder Classe, auch jeder SchuzGenosse oder EinsaBe hat es an jedem Ort im I Lande, wo er auf kurz oder lang Wohnung nimmt, muB sich aber im Gebrauch desselben | nach den PoliceyGesezen richten, welche ihm auch an diesem und jenem Ort, nach Erfor= | demiB des Staatszweks, eine zu einem Missbrauch gedeihende Uebung jenes Rechts untersa= | gen konnen. Orts= und Schuz=Burger=Recht wird durch den Besiz des Staats=Bur= | ger Rechts nicht erlangt, obwohl, umgekehrt, jeder Orts= oder SchuzBtirger eben dadurch, | daB er dieses ist, auch das StaatsBurgerRecht hat. Wer jene Rechte besonders erlangen | will, muB sie durch Geburt, durch Annahme, oder durch Verjahrung erlangen. Angeboh= | ren wird ein oder das andere Recht dem, der in der Ehe von Eltem erzeugt ist, welche | beede die nemliche Klasse des OrtssaBen Rechts besizen; ist eines der Eltem zwar OrtsBui= | ger, das andere aber nur Schuz=Burger, es sey Vater oder Mutter, so wird dem ehelichen | Kind auch nur Ansprache an SchuzBurgerRecht angebohren, so wie auch durch uneheliche | Geburt von einer ortssaBigen Mutter nur SchuzBurgerRecht erlangt wird. Angenommen | wird jenes Recht durch die ordnungsmasig erlangte Bewilligung der betreffenden Obrigkeit | auf vorgehende verfassungsmasige Vemehmung der Gemeinden oder ihrer Vorsteher, als | welche zwar kein Recht haben, durch ihren Widerspruch eine sonst billige Annahme zu hin= | dem, wohl aber ein Recht, daB sie zu hinlanglicher Ergriindung der Billigkeit zuvor ver= | [S. 156] fassungsmasig gehort und ihren Griinden Aufmerksamkeit geschenkt werde. Erheurathet kann | das OrtssaBenRecht nicht werden, sondem eine einfreyende Manns= oder Weibsperson muB | jedesmal zuvor ihre Annahme nachsuchen und erlangen; nur so viel mag die Heirath dabei | wirken, daB bei einer einfreyenden WeibsPerson, die schon StaatsBurgerRechte hat, un= | bescholten ist, und das erforderliche Einbringen aufweisen kann, die Annahme nicht versagt | werden darf. Ersessen endlich wird nur das SchuzBurgerRecht, niemals OrtsBurger= | schaft: wer in einer Gemeinde zehen Jahr, in welcher Eigenschaft es sey, als Einwohner | nicht als bloser Schuz=Genosse geduldet wurde, ohne daB sich die OrtsHerrschaft | und Gemeinde darum bekummert hatte, ob er auch anderwarts in oder ausser Lands ein | ortliches HeimathsRecht habe und ordnungsmaBig beibehalte, dem muB nachmal fur sich I und seine Familie das SchuzBurgerRecht von der GmndHerrschaft und der Gemeinde zu= | gestanden werden. Verlust desselben. 12.) Verloren wird das EinwohnerRecht durch jede freiwillige oder, wo der Fall | da ist, gebottene Aufhebung der Wohnung an einem Ort: das OrtsBurgerRecht | aber nur a.) durch Verlust des hiesigen StaatsBurgerRechts; b.) durch Eintritt in das | BurgerRecht einer andem innlandischen Gemeinde. Niemand soil zugleich an zwei Orten I GemeindsBurger seyn, obwol jeder nach den Bedtirfhissen seiner Gewerbe an einem Ort | GemeindsBurger und an einem oder mehreren andem inlandischen Orten SchuzBurger seyn | kann; c.) durch Aufkundigung, wann Jemand in Verhaltnisse kommt, unter denen er und | seine nachkommende Familie im Land, ohne OrtssaBe zu seyn, leben darf (Z. E. wann er | in den Gelehrten Stand tritt). Ohne einen solchen andem Stand zu haben, oder sein | StaatsBurgerRecht ganz fahren zu las-

[198] Sechstes Konstitutionsedikt vom 4. Juni 1808

1671

sen, kann Niemand sein OrtsBurgerRecht aufkun= | den; d.) durch Versaumung; wer mit HeimathsSchein anderwarts sich aufhalt, und durch | drei hintereinander folgende Jahre dasjenige nicht leistet, was er nach Landes= oder Orts= | Gesezen zur Erhaltung seines Rechts zu leisten schuldig ist, hat das OrtsBurger Recht ver= | loren, und gilt nur noch fur SchuzBurger im Fall der Heimkehr. Das SchuzBurger= I Recht kann lediglich durch nichts anders verloren gehen, als durch den Verlust des Staats= | BurgerRechts, oder durch den Eintritt in eine hohere Klasse desselben, Erbhuldigung und GerichtsPflichtigkeit der StaatsBtirger 13.) Den Rechten der Staatsbtirger stehen ihre Pflichten gegentiber, nemlich dieje= | nige Obliegenheiten, die sie gegen den Regenten und Staat, vorzugsweise vor Staatsange= | horigen und Fremden zu erfiillen haben. Sie bestehen | [S. 157] a.) in der Erbhuldigungspflicht, welche die Leistung des oben erwahnten feyerlichen Ge= | Itibdes (§. 6.) und die Erfullung aller darinn begriffenen Zusagen enthalt. | b.) in der unbeschrankten Gerichtspflichtigkeit. Wenn Andere StaatsAngehorige oder | Fremde immer nur in gewiBer weitem oder engeren Beziehungen, und nur durch diese, den I hiesigen Gesezen und Gerichten unterworfen sind; so sind es die StaatsBtirger in jeder denk= | baren Beziehung, so weit es ohne AnstoB gegen die Rechte eines anderen Souverainen | Staats moglich ist, folglich mit Ausnahme der Rechtsstrittigkeiten, welche eine Liegenschaft | oder Erbschaft unmittelbar ergreifen, die in fremde Staaten gelegen ist, oder welche eine | dort schon in gesezmaBiger Art rechtshangig gewordene Streit= oder StrafSache betreffen; | in alien tibrigen mogen sie vor hiesigen Gerichten belangt und fiir Recht gestellt, und nach | hiesigen Gesetzen, so weit nicht Rechte fremder Staatsbtirger mit befangen sind, wo alsdann | die Geseze des Orts, wo die erlaubte oder unerlaubte Handlung begangen wurde, anzuwen= I den sind,) gerichtet werden, indem solang bios von RechtsVerhaltnissen zwischen Staatsbiir= | ger und Staatsbtirger, oder zwischen dem Staatsbtirger und dem Staatsgesez, aus erlaub= | ten oder unerlaubten Handlungen die Rede ist, die Verbindlichkeit den Gesezen seines Re= | genten gemas sich zu betragen, dem Unterthanen aller Orten hin nachfolgt, und wann sie | ihn gleich in geeigneten Fallen nicht befreit von der Schuldigkeit, tiber jene Verbindlichkei= | ten, die er in fremden Landen einging, auch dort - und alsdann nach dortigen Gesezen, Recht | zu geben und zu nehmen, dennoch sobald in Unserm Lande die Verbindlichkeit noch unaus= I getragen zur Sprache kommt, er allein desfalls nach hiesigen Gesezen beurtheilt werden kann | und muB, soweit nicht etwa besondere StaatsVertrage mit benachbarten Staaten Ausnah= | men bestimmen, oder bios von bestimmten Formlichkeiten der Handlungen die Rede ist, in | welchen Jeder inn und auBer Unserm Land sich nach den Gesezen des Orts, wo er sie vor= | nimmt, erkundigen, benehmen, und richten lassen muB. SteuerPflicht der Staatsbtirger. 14.) Eine weitere Verbindlichkeit des Staatsbtirgers ist c.) die Steuerpflicht oder die | Schuldigkeit von seinem Vermogen bestimmte Abgaben an den Staat zu entrichten. Ob= I wohl diese Schuldigkeit jedem obhegt, so ist doch theils wegen besonderer staatsrechtlicher | fortdauemder Titel, theils wegen der sonstigen vorziiglichen Ntizlichkeit eines oder des andem | Staatsbtirgers fur das Land, in dem Umfang dieser Schuldigkeit ein Unterschied, womach | einige StaatsBtirger von einigen Gattungen der Steuem und Abgaben frey sind, und in | dieser Hinsicht eine gefreite Klasse bilden. Wer jedoch nicht namentlich und ausdrticklich | eine Befreyung durch die jezigen StaatsGeseze, oder durch besondere, ihnen nachgefolgte | [S. 158] Vergtinsti-

1672

§ 12: Baden

[Dok. 188 - 251]

gungen erhalten hat, kann keine behaupten, und bleibt in der ungefreyten | Klasse. Auch wer zur Gefreyten gehort, kann seine Befreyung niemals auf andere nicht | genannte SteuerGattungen ausdehnen. Keine Begunstigung kann auf nuzbare Liegenschaf= | ten eine bestandige SteuerFreyheit geben, noch Gtiter, die nicht grundgesezmasig einen | unter ihrem SchazungsWerth herabgesezten SteuerFuB haben (wie die Domainen des Staats | und jene der Standes= und Grundherren) zu einer geminderten Mitleidenheit berechtigen, | indem jede solche Gunst als erschlichen anzusehen ware. Von blosen FahmiBSteuem | von KopfSteuem, und von personlichen Oder FahmisAbgaben, konnen personliche, | aber nicht erbliche Freyheiten verwilligt werden, die nicht Unsere KonstitutionsEdicte gege= 1 ben haben, SteuerFreyheiten, wo nehmlich durch das, was umgelegt wird, eine | bestimmte Summe erhoben werden muB, mithin der befreyte Antheil sich unmittelbar unter | die Ungefreyte vertheilt, verwilligt allein der Regent; AbgabsFreyheit, oder Befreyung | von solchen Entrichtungen, wo das Ganze des Ertrags unbestimmt ist, und nur zufallig I aus der Menge der einzelnen SchuldigkeitsVorfalle sich ergiebt, wo daher dem Innhaber des | Gefalls die Summe der Befreyung abgeht, ohne den Abgabspflichtigen zuzuwachsen, ver= | stattet jeder EigenthumsBesizer der Abgabe. Jede durch einzelne Begtinstigung erlangte | SteuerFreyheit ruht und ist unwirksam in Bezug auf NothSteuem, welche zu Abwen= | dung einer KriegsGefahr, Tragung von KriegsUnkosten und anderen unabwendlichen ausser= | ordentlichen StaatsLasten umgelegt werden. Zu der gefreyten Klasse gehoren a.) die Stan= | desHerren b.) die GrundHerren c.) die StaatsDiener; jeder in der Maase, | welche durch die seinen Stand bestimmende besondere Konstitutionen ausgesprochen ist. Dienstpflicht der StaatsBtirger. 15.) Noch eine weitere Verbindlichkeit des StaatsBtirgers ist d.) die Dienstpflicht oder | die Obliegenheit durch seine personliche Gaben und Krafte dem Staate sich nuzbar zu machen. Gleich= | wie hingegen Gaben und Krafte von sehr wesentlicher Verschiedenheit sind, je nachdem ein Staats= | btirger durch geistige Bildung sie veredelt hat, und durch diese Veredlung zugleich zu gemeinen | korperlichen Diensten minder brauchbar geworden ist, oder in der Klasse derer durch korperliche | Arbeiten sich hauptsachlich beschaftigenden und nahrenden Burger geblieben ist; so entstehen dadurch | in dieser Dienstbeziehung zwey Klassen der Staatsbtirger: freye und bottmasige. Frey ist | jeder Kanzleisassige Unterthan von allem Gebott zu gezwungenen KriegsDiensten, und zu ge= | zwungenen Hand= und FuhrArbeiten, also von Auswahl und Frohndpflicht, indem | es seiner Wahl anheim bleibt, ob und wie er durch Annahmen besoldeter Kriegs=Hof= oder | [S. 159] Staatsdienste seine Pflicht, dem Staate ntizlich zu werden, erfiillen kann und will. | Diese Freiheit kommt jedoch jenem, der Gtiter oder GemeindsRechte hat, wegen welcher | FrohndDienste zum gemeinen Wesen zu verrichten sind, nur so weit zu gut, daB er nicht I personlich dazu angehalten werden kann, sondem eine billige Abfindung von ihm angenom= | men werden muB. Frey konnen auf ahnliche Art auch Amtssassige Staatsbtirger seyn, | wenn sie Dienste, Verrichtungen oder Eigenschaften haben, denen eine solche Freiheit be= | sonders im Gesez anhangig erklart ist, oder wenn sie durch einen besonderen Gnadenbrief | des Regenten eine Befre3aing far sich, oder fiir betriebene Gewerbe erlangen, welche Gna= | de alsdann jedoch nicht erblich, sondem bios lebtaglich gegeben werden mag. Wer durch | einen Gnadenbrief gefreyt ist, wird nicht immer der ganzen Last, sondem oft nur der | personlichen Leistung gegen Entrichtung einer billigen Abfindung frey; der Innhalt der Gna= | denbriefe muB hier entscheiden, der jedoch immer im engeren Sinn zu nehmen ist, wenn | der Innhalt zweydeutig erscheint. Eben so mag die Freyheit von einer Gat-

[198] Sechstes Konstitutionsedikt vom 4. Juni 1808

1673

tung der Dien= | ste z. E. der Frohnden, nicht auf die andere Gattung z. E. die Kriegspflichtigkeit, hinubep= | gezogen werden, wo Geseze oder Gnadenbriefe nicht bestimmt auf beede zugleich gehen. (Die Fortsezung folgt.) ..[S.161J Landesherrliche Verordnung. (BeschluB.) Die GrundVerfassung der verschiedenen Stande betreffend. Bottmasigkeit der Staatsbiirger. 16.) Schuldig einem Gebot zu Kriegsdiensten, oder StaatsFrohnddiensten zu folgen, mithin | Bottmasig sind alle Staabsassige und alle Amtsassige, die nicht flir das Eine oder das Andere einen | bestimmt sprechenden, durch die neue Gmndgesezliche Verfassung Unseres Staats gegebenen, | oder neu bestattigten RechtsTitel der Befreyung haben. Die jeweilige Auswahlgeseze bestim= | men das Nahere tiber die Kriegspflicht. Die Staatsfrohndpflicht von der hier die Rede wird, | ist verschieden, je nachdem sie unmittelbar far den Dienst des Regenten, als solchen, oder | des Landes benuzt wird - Landes frohnden; oder far den Dienst der UnterGerichtsherm, | in jenen Gegenstanden, welche die Ausiibung der ihnen tiberlassenen Theile der vollziehenden | Staatsgewalt und UnterGerichtsbarkeit betreffen, keineswegs bios deren Privat Vortheil -1 Gerichtsfrohnden; oder endlich fiir den Dienst der Gemeinde, in deren jemand ortssassig ist - | Gemeindsfrohnden. Zu Landesfrohnden ist jeder bottmasige Staats=Unterthan ver= | pflichtet, er wohne in Unserem eigenen oder im standesherrlichen oder Gmndherrlichen Orts= | Gebiet: die Ansage kann nur von Unsertwegen gemacht, Freyheit davon nur von Uns, oder | in Unserem Namen gegeben werden. Das Maas bestimmt allein die jeweilige Nothwendig= I keit, nur auf gleiche Vertheilung und schickliche Eintheilung, daB nicht eine Zeit vor der An= | dem, eine Gegend vor der Andem, ohne Noth und unbillig tiberladen werde, hat der Bott= | masige gerechten Anspruch. Zu Gerichtsfrohnden ist nur derjenige bottmasige Unterthan | verbunden, der unter jener Gerichtsbarkeit, far welche sie zu leisten sind, angesessen ist; | sie konnen daher in verschiedenen Beziehungen von einem Landesherrlichen und von einem | Standes= oder Gmndherrlichen Beamten, in ein und eben demselben Bezirk, an ein und | dieselbe Person gefordert werden, je nachdem der Fall dazu in die dem Landesherm vorbe= | haltene, oder zur Ortsherrlichkeit gehorige Gerichtsbarkeit einschlagt; das Landesherrliche Ge= I bot geht in solchem Fall vor, wenn beede nicht neben einander eingetheilt werden konnen; Be= | freyungen konnen hier eben sowohl nur Unsere StaatsGeseze geben, nicht der Gerichtsherr, | mit der Maase dieser Frohnden hat es gleiche BewandniB, wie mit den Vorigen. Zu Ge= | meindsfrohnden ist jeder Gemeindsmann, der nicht als GemeindsDiener verfassungs= | maBig gefreyt ist, schuldig, nur, daB Unbottmassige obgedachtermaasen zu einer Abfindung | [S. 162] durch Geld oder Vertrettung zugelassen werden mtissen. Freyheiten kann nur das Gesez | und die Landesherrlich gutgeheissene Bewilligung der Gemeinde geben; sie sind in gleicher I Art wie die Vorigen ungemessen. Alle dieser dreyerley Gattungen der Staatsfrohnden hat | in eigenem Namen nur der zu leisten, wer sein StaatsBiirgerrecht angetretten hat, mithin | Familienhaupt geworden ist; Frauenspersonen nur dann, wann sie als Wittwen anstatt des | Familienhaupts sind: Jeder kann sie durch taugliche Hausgenossen oder eingestellte Mieth= | leute verrichten. Nur zu Nothfrohnden, welche nemlich durch eine ausserordentliche | Noth in FeuersGefahr, WassersGefahr, KriegsGefahr herbeygefiihrt werden, kann nach | Befinden der PolizeyBehorde oder Anordnung der Geseze personliches Erscheinen solcher | Personen, auf deren Kunstfertigkeit oder Zuverlassigkeit man besonders abheben muB,

1674

§ 12: Baden

[DoL 188 - 251]

ge= I botten werden, wobey dann auch nach Umstanden alle Befreyungen der Bottmasigen mhen. HerrenFrohndbarkeit. 17.) Von diesen StaatsFrohnden sind hingegen die HerrenFrohnden, die aus der Gmnd= | pflichtigkeit fliessen, ganz verschieden. Solche mogen gedoppelter Art seyn: walzende | Frohnden, wozu die Verbindlichkeit der Leistung auf einem gewissen Gut haftet, mit | dem Besitz desselben erworben wird, und mit ihm wieder ab= und auf andere tibergeht; diese | mtissen immer bestimmt und gemessen seyn, das heiBt, der Gegenstand, wozu sie zu ver= | richten sind, muB durch die Vertrage zwischen dem Herm und seinem Mann oder durch | ehevoriges Herkommen, genau bezeichnet, und die Art, Dauer und Wiederholbarkeit der | Verrichtung richtig dadurch ausgemessen seyn; sie konnen zwar ebenwohl an eine unbott= | masige Person nicht in Natur, sondem nur mittelst Vergiitung gefordert werden; dagegen | aber ist auch der FrohndHerr nicht schuldig, zu dem bottmasigen Gut einen unbottmasigen I Besizer kommen zu lassen, sondem es muB dazu, daB ein solcher ein frohndpflichtiges Gut | antrette, allemal dessen freye Einwilligung eingeholt werden. Ohne StaatsBewilligung | konnen keine neue Frohnden eingefiihrt, mithin keine personliche HerrenFrohnden in Walzen= | de umgewandelt werden. Die personliche Frohnden bestimmen sich durch das Orts= oder | SchuzBtirgerrecht an einem Ort oder auf einer Hofstatte, welcher eine solche HerrenBott= | masigkeit von Alters her aufliegt. Sie haben mit der Leibeigenschaft, ohnerachtet ihres der= | selben verwandten Ursprungs nichts gemein, sondem bestehen auch ohne sie, oder nach ihrer | Aufhebung zu Gunsten der vorhin berechtigten FrohndHerren fort. Sie sind entweder Guts= | Frohnden, welche nur zum Bau und Benuzung eines bestimmten Guts zu leisten sind; | diese konnen bestimmt seyn, je nachdem zu jeder BenuzungsBedtir&iB der Dienst gebotten | werden kann, oder nur zu gewissen hergebrachten Gattungen; ungemessen mogen sie | nicht seyn, da in jedem Fall der Umfang des Guts ihr Maas bestimmt, und in keinem | Fall solche auf einen etwa durch neue Erwerbungen ausgedehntem GutsUmfang gefordert | werden dtirfen; oder sie konnen FamilienFrohnden seyn, die ohne Hinsicht auf eine bestimm= | [S. 163] te GutsBenuzung dem FrohndHerm fiir seine hausliche Bedtirfhisse geleistet werden mtissen; | auch diese mogen zwar bestimmt oder unbestimmt, aber niemals dtirfen sie ungemes= | sen se}^!, sondem es muB genau durch schriftliche Weisthtimer ausgemacht werden, wie | viel Zeit der Frohndpflichtige im aussersten Fall dem Herm zu leisten schuldig, und wie sol= | che einzutheilen seyen, um diesen weder zu seinem eigenen Erwerb, noch zu Erfiillung sei= | ner Staatspflichten ausser Stand zu sezen. Wo dergleichen Maas noch nicht vorhanden, | oder das durch Herkommen etwa vorhandene noch nicht in schriftliche glaubwtirdige Urkun= | den verfaBt ware, da muB dieses Eine und Andere langst in fanf Jahren nach Verktindung | dieses Gesezes bey Verlust dieser HerrenBottmasigkeit nachgeholt werden. HerrenFrohnden I aller Art konnen abgekauft werden, und kein StammGutsvertrag kann diesen Abkauf hin= | dem, sondem er kann nur der Verwendung des Erloses Maas und Ziel geben. Sie | konnen eben so auch in andere Abgaben umgewandelt werden, nur muB dieses mit besonde= | rer oberherrlichen Genehmigung geschehen, damit keine zum Nachtheil des Staats gereichen= | de Umwandlung Plaz greifen moge. Neue HerrenFrohnden konnen durch keinen Vertrag | entstehen, jeder Vertrag, der desfalls vorgienge, wtirde nur den Frohndtibemehmer lebtag= | lich verbindlich machen; und mit dessen Tod in seiner Kraft erloschen, ohne daB irgend ei= | ne Vorsicht gegen diese Erloschung ihn retten konne, welcher verbindlichen Art und Natur I sie sonst seye, ohne daB auch irgend eine Riickfordemng des Empfangenen

[ 198] Sechstes Konstitutionsedikt vom 4. Juni 1808

1675

alsdann darauf | gegrtindet werden moge. Kein FrohndGebot bey HerrenFrohnden kann durch eigene Ge= | wait zum Vollzug gefordert, noch ein Frohndpflichtiger, wenn auch der Herr sein Gerichts= | Herr ware, durch korperliche Ziichtigungen zur Arbeit angetrieben werden, sondem allein | die verordnete Polizeystelle durch gesezmasige Wege kann auf Anrufen des FrohndHerm die= | se Ungebtihr riigen, welche Einschrankung hingegen bey StaatsFrohnden nicht statt findet, | indem hier dem Frohnboten maBiger Zwang zum Erscheinen, und dem FrohndAufseher | maBige Ztichtigung bey allzugrober FahrlaBigkeit oder Widerspenstigkeit gegen ledige Fr6hn= | der frey steht. Erbpflichtigkeit. 18.) Mit der Herren=Bothmasigkeit hanget die Erbpflicht nahe zusammen. Die in alten | Zeiten unter Teutschlands Bewohnem allgemeine Leibeigenschaft, wie sie noch in den neuem | Zeiten in den nordlichen Gegenden Teutschlands bestand, vermog deren die Personen der | Leibeigenen in dem Eigenthum ihres Herm standen, und deBhalb solche Leibeigene liber ihre | Lebensbestimmung nicht Meister waren, ist in diesem strengen Sinne in denen an Uns ge= | kommenen Landem schon langst abgethan, und daher nur noch dem Namen | nach vorhanden, ohne daB sie irgend eine andere Einschrankung der personlichen | Rechte der sogenannten Leibeigenen mit sich gefuhrt hatte als welche auch andem, von | Alters her leibesfreyen Unterthanen obliegt, folglich aus andem StaatsVerhaltnissen abquillt. | Auch in Beziehung auf VermogensRechte war das ehemalige Eigenthum der Herren | [S. 164] an dem Vermogen ihrer Leibeigenen langst erloschen, und diesen die freye Anordnung dariiber unter Lebendigen und von Todeswegen, in Gleichheit mit andem urspriinglich freyen | StaatsBiirgem, zu Theil geworden, nur muBten die mehresten aus ihnen durch Zahlung | einer kleinen festbestimmten jahrlichen Abgabe, Leibzins, oder Leibschilling genannt, | das in friihem Zeiten ihren Vorfahren tiberlassene Eigenthumsrecht ehren; sie muBten | bey dem Absterben eines Familienhaupts durch Zahlung eines bald nach dem besten FahmiB= | stiick, oder dessen Werth, bald nach Vermogens=Procenten bemessenen Todtfalls (Haupt= | rechts, Besthaupts,) die Ueberlassung des Vermogens zur Vererbung vergelten, und sie | muBten im Fall der Auswandemng aus der Herren=Gewalt gewisse Vermogens=Procente als | Verdankung des in den Vorzeiten erlangten Rechts, solches Vermogen mitzunehmen, zuruck= I lassen. In Unsem alten Landen haben Wir mit dem Namen der Leibeigenschaft I auch jene ersten beyden Folgen bey Unsem Leibeigenen ganz aufgehoben, und dem leztem die= | ser Ausfltisse haben Wir nur noch in so weit Raum gelassen, als die Abziehende entweder | in Unserm Lande unter einen Herm ziehen, der die Erbpflicht bey seinen Angehorigen noch | ausiibt, oder sie in ein fremdes Land tibergeben, dessen Regent unter seiner StaatsGewalt noch | Leibeigene hat, und die Folgen dieses Rechts gegen Unsere Staaten nicht aufheben will. | Wir werden auch in Unsem neuen Staaten, da, wo es noch nicht geschehen ist, dieses | Recht in seinen Folgen auf gleiche Art aufheben, so bald es Zeit und Umstande erlauben. | Bey den Angehorigen Unserer Standes= und Gmndherren finden Wir Uns dagegen hierzu I in Hinsicht auf den Innhalt des Rheinischen Bundes=Vertrags, und auf Unsere darauf I fuBende gmndgesezliche Anordnungen nicht ermachtigt. Damit jedoch auch hier nichts von | demjenigen unterbleibe, was Wir vermogen, um gleicher Aufhebung Bahn zu machen, | und um MiBdeutungen des personlichen Zustandes der Unterthanen Unsers Grosherzogthums | zu verhtiten, die bisher hie und da aus jener Benennung geschopft worden sind, so erklaren wir anmit, daB Wir die Freylassung von jenen Eigenthums=Ehmngen, welche durch | Vertrage zwischen den Standes= oder Gmndherren und ihren Angehorigen zu Stand kom= | men mag, gem

1676

§ 12: Baden

[Dok. 188 - 251]

sehen und nach Moglichkeit fordem werden, ingleichem, daB keinem solchen Vep= I trag der Lehens= oder der Stammguts=Verband, in welchen eine solche Erbpflichtigkeit ver= | flochten ist, im Wege stehen, noch zu dessen Entkraftung angezogen werden moge, vorbe= | haltlich jedoch der RechtsErwartung, daB der fur die Freylassung erlangte Preis oder Ge= | genvortheil in den Lehens= oder StammgutsVerband dafur eingeworfen werde; auch ver= | ordnen Wir, daB inzwischen, und so lange jene Verhlatnisse bey denen Uns, oder Unsem | Standes= und Grundherren angehorigen Leuten noch bestehen, nicht mehr der Name Leib= | eigenschaft, Leibschilling, Besthaupt, oder Hauptrecht, und Leibeigen= | schafts=Entlassung, sondem statt deren lediglich die Benennung Erbpflicht, Erb= | schilling, Todtfall, und Erbentlassung in alien offentlichen Urkunden zu Bezeich= | nung der oben beschriebenen althergebrachten Verhaltnisse gebraucht werden soil. Es soil | [S. 165] femer diesem VerhaltniB ausser den drey vorgenannten Ausfltissen, so weit sie in jedem Ort | hergebracht sind, niemals eine andere Folge zugestanden werden, mithin ausser diesen und | den grundgesezmasigen HerrenFrohnden, die ohnehin hiervon nicht abhangen, keinem Erb= | pflichtigen etwas auferlegt werden konnen, was nicht in Unserm Staat auch der Erbfreye | Mann unter tibrigens gleichen StaatsVerhaltnissen zu entrichten hat. Annebst mag auch | diese Erbpflichtigkeit, oder ehemalige Leibeigenschafl, nur zwischen den Einwohnem eines Orts, | und ihrem Ortsherm, sey dieser Unsere Kammer, oder ein Standes= oder Grundherr, fei= | nerhin zu Recht bestehen, und allein als Folge und Anhang der Grundherrlichkeit Schuz | in Unserer StaatsVerfassung finden. Wo Jemand vorhin ausser dem GrundGebiet, in | dem er wohnt, gegen irgend einen Andem erbpflichtig gewesen ware, da horet dieses fiir | die Zukunft auf, und gehet das Recht zur Erbpflichtigkeit gegen billige auszumittelnde, und | im Mangel der Uebereinkunft, von Oeberpolizey wegen zu ermasigende Vergutung an den | Ortsherm, unter welchem er sizt, liber, und konnen also keine ausgeseBene Erbpflichtige | ktinftig beibehalten werde. Neuerdings kann sich Niemand, der Erbfrey ist, in Erbpflich= | tigkeit begeben, und was hierwieder untemommen und ausgefuhrt werden wtirde, bleibt zu | ewigen Tagen kraftlos und von Unwtirden. Ebensowenig kann der Betrag jener Erbpflich= | tigkeits=AusfluBe jemals auf irgend eine Art gesteigert und lastiger fur den Erbpflichtigen ge= | macht werden. Recht der Juden. 19.) Die Einwohner der jiidischen Nation konnen in keiner Hinsicht mehr unter leibei= | gene oder erbpflichtige Leute gezahlt werden, sondem sie sind als erbfreye Staatsbtirger zu | behandeln, und geniesen aller obenbestimmten allgemeinen staatsbtirgerlichen Rechte, welche | nach dem ersten KonstitutionsEdikt* iiber die KirchenVerfassung nicht ausgenommen sind: | Zwar sollen sie noch zur Zeit, und so lange sie nicht eine, zu gleicher NahmngsArt und | Arbeitsfahigkeit mit den christlichen Einwohnem hinreichende Bildung im allgemeinen ange= | nommen haben, und so lange nicht daraufhin etwas Anderes durch die StaatsGeseze ver= | ordnet wird, an keinem Orte zur Wohnung zugelassen werden, wo bis hieher noch keine wa= | ren, ohne Einwilligung der Ortsgemeinde und besondere Erlaubnis des Regenten, auch da I wo sie bisher waren, sollen sie im allgemeinen noch nicht als Gemeindsbtirger, sondem nur | gleich anderen, zum Ortsbtirgerrecht nicht geeigneten Christen, als Schuzbtirger anerkannt | werden, jedoch bleibt Uns vorbehalten, jeden, welcher wegen den Btirgerrechts ErfordemiBen | tiberhaupt und insbesondere wegen einer mit den Christen gleichformigen NahmngsArt, sich | ausweiset, gleich jezo schon allda ^ Dok. 190.

[ 198] Sechstes Konstitutionsedikt vom 4. Juni 1808

1677

mit dem OrtsBtirgerrecht zu begnadigen. Annebst haben | sie, so weit ihre kiinftig empfangende Schuzbriefe nichts Mehreres oder Mindemdes besagen, | da, wo sie wohnen, alle Rechte der Schuzbiirger, und alle Gemeinschaft am OrtsRecht | gleich anderen christlichen Schuzbiirgem, mtiBen aber auch alien Pflichten sich unterwerfen, I die den Schuzbiirger obliegen, und nach gleichen Gesezen leben, wie die Christen, so weit | [S. 166] nicht ihre ReligionsVergtinstigung eine nothwendige Enthebung in einem oder andem Punkt | mit sich bringt, welche Nothwendigkeit doch nicht nach talmudischen Deutungen, sondem le= | diglich nach Ausweis des Mosaischen Rechts zu beurtheilen ist. Ihr Bestreben eine bessere | Bildung anzunehmen, wird tiber die nach und nach mogliche Erweiterung und vollige Aus= | gleichung ihrer Staatsbtirgerrechte mit den Ortsbtirgerlichen entscheiden. GerichtssaBigkeit. 20.) Alle Personen im Staat - LandFremde, StaatsAngehorige und StaatsBtirger, | sind nach der verschiedenen Beziehung, in welcher sie zu den verschiedenen UnterOrdnungen | der obrigkeitlichen Stellen des Grosherzogthums stehen, entweder staabsassig, oder amtsassig, | oder schriftsassig (kanzleysassig.) Staabsassig ist derjenige, welcher einem Ortsvorsteher [ in politischer Hinsicht sowohl, als zur Rechtsvermittlung unterworfen ist: dahin gehoren | alle Ortssassen; femer alle OrtsEinwohner, die vermog ihrer Eigenschaft anderwarts an ih= | rem eigentlichen HeimathsOrt staabsassig sind, z. E. Pachter, Dienstbotten staabsassiger | Hausherrschaften u. s. w. endlich alle Fremde, welche staabsassigen Standes sind. Amts= | sassig sind alle Stabssassigen zugleich in dem Sinn, daB das BezirksAmt ihr Richter | in erster Instanz ist, auch da, wo die Gelegenheit es mit sich bringt, die Polizey tiber sie | unmittelbar vollziehen kann, ohne daB damit ein Eingriff in die Rechte des Stabsvorgesez= I ten geschehe, denn der Beamte hat in alien Obrigkeitlichen Befugnissen (von welcher jedoch | die Gemeindsvorsteherliche Befugnisse hierinn wohl zu unterscheiden sind) eine durchgehende | Konkurrenz der Gewalt mit den Stabsvorgesetzten, neben der Obergewalt, die ihm tiber | sie zusteht. Aber es sind noch weiter amtssassig jene, welche eine Gattung des Staats= | btirgerrechts haben, das nicht auf einem einzelnen Ort haftet, ingleichen jene Ortssassen, die | den Stab im Ort fiihren; Erstere sind es jedoch nur so weit als ihnen nicht vermog der | gleich nachfolgenden Bestimmungen Schriftsassigkeit zusteht. Endlich sind Amtssassig, alle | nicht stabsassige Dienstbotten, wenn gleich ihre Herrschaften kanzleisassig sind, ingleichen alle I Landfremde und fremde Schuzgenossen, ohne Unterschied des Standes, und der desfalls etwa | in ihrer Heimath habenden gefreyten Gerichtsstandschaft, so lang sie nicht von Uns eine Kanz= | leisassigkeitsVerwilligung im allgemeinen, oder besonders erlangt haben. Die Einsassen hin= | gegen, werden als amts= oder schriftsassig behandelt, je nachdem sie ihr Stand, wenn sie | Staatsbiirger waren, zu Einer oder der andem Klasse vereigenschaften wtirde. Schrift= | sassig oder kanzleisassig sind diejenige, welche nur unter den Obergerichten und den verwal= | tenden Staatsstellen, oder anderen ihnen gleichgesezten Partikular=Jurisdicitionen, unmittel= I bar ihre Rechtsstandschaft so haben, daB sie dabey auch das Recht geniessen, in alien nicht | namentlich in den Gesezen ausgenommenen Fallen, ihre Sachen schriftlich vortragen zu | dtirfen, ohne personlich vorstehen zu mtissen„ Die Schriftsassigkeit gebiihret kiinftig ohne 1 Riicksicht auf die Form und Quelle ihrer habenden Patentisirung a.) Unseren StaatsAnge= | horigen von Adel, b.) femer jenen, die akademische Wiirden tragen, oder der Ausiibung | [S. 167] einer Wissenschaft, die zur Annahme akademischer Wiirden befahigt, mit erlangter Staats= | ErlaubniB obliegen; (wer zwar einer solchen sich gewidmet hatte, aber wegen Mangels der | Befahigung zur Ausiibung nicht StaatsErlaubniB erhielte, hat auch an dem Vorzug

1678

§ 12: Baden

[Dok. 188-251]

der I Schriftsassigkeit keinen Theil) c.) den hohem Dienem Unseres Staats, nemlich alien jenen | die aus dem Adel oder gelehrten Stande genommen sind, oder deren Dienst einen | Karakter fiihrt, welcher jenen Diener Klassen eigen ist, oder welcher mit denen die diesem | Stand eigen sind, nach den jeweiligen RangOrdnungen durchaus gleichen Grades ist; d.) | Allen obwohl in niederen Graden bey den obersten oder mittleren politischen oder ge= | richtlichen Staatsstellen, oder dem MarschallAmt stehenden nachgeordneten oder Bailey und | Hofdienem, (die blosse UnterDiener z. E. Kanzleydiener, Kanzleyboten und alle LivreeDiener= | schaft ausgenommen) e.) alien als Bezirksvorsteher in irgend einem Fach der ExekutivGewalt | der staatsrechtlichen, forstwirthschaftlichen, staatswirthschaftlichen u. d. gl. angestellten Diener, | hingegen die Untergebene Diener der ExekutivStellen, als Amtschreiber, Buchhalter, Forster, | u. d. gl. geniessen die Kanzleisassigkeit in der Regel nicht, so weit sie ihnen nicht aus einem | andem der obigen Titel zukommt; endlich f.) jenen denen sie vom Regenten besonders verwil= | ligt wird. Die blosse Begnadigung mit einem schriftsassigen Karakter gilt jedoch fiir eine | solche Verwilligung nicht, und wo sie auch besonders zu Gunsten eines Ortsbtirgers | erfolgte, da macht sie diesen in alien GemeindsVerhaltnissen von der Stabs= und Amtssa= | Bigkeit nicht frey. Erwerb und Verlust des Adels. 2 L) Was insbesondere den Adel Unserer Lande betrift, so ordnen Wir anmit dariiber | folgendes a.) Wer zur Zeit des geschlossenen Rheinischen Bundes im offentlichen ruhigen | Besiz eines deutschen Adels war; wer jetzt oder kiinftig einen Adelsbrief von Uns oder Un= | seren Nachfolgem, oder von andem zur Koniglichen Bank des Rheinischen Bundes gehorigen | oder andem etwa durch das kunftige Bundesstatut dazu fur ermachtigt anerkannten Souve= | rans erlangt; wer den Adel von andem Machten erhalten, und dessen Anerkennung von | Uns bey seiner Niederlassung im Land erwiirkt hat; wer endlich von einem Adelichen Vat= | ter in rechtmasiger Ehe erzeugt wird; der hat als Staatsbtirger AdelsRecht b,) Wer nur | als Fremd in Unserem Lande sich aufhalt ist inzwischen Adelsgenosse, sobald er nachweiset, | daB er in seinem HeimathsLand Adelsrecht genieset; c.) keiner, der eine Erhohung in den | Adelsstand sucht, und zu solcher Zeit schon Staatsbtirger Unseres Grosherzogthums ist, I kann ihn anderswoher suchen oder annehmen, als von Uns und Unseren RegiemngsNach= | folgem; d.) der Adel theilt sich in den Herren und RitterStand; zu jenem gehoren alle | welche Fiirstliche Wiirde haben oder mit einem wohl erworbenen Erbrecht an einem Ftirsten= | thum oder einer Grafschaft des ehemaligen teutschen Reichs unter Rheinische BundesSou= | veraine gekommen sind; die tibrige Graf en, Freyherm und Edelleute gehoren zu letzteren; | das bisherige verjahrte Herbringen oder ihr AdelsBrief mtissen ausweisen, welche von diesen | [S. 168] Kategorien ihnen gebtihre, die tibrigens alle nur einen Unterschied in den Ehrenbenennungen, | keinen in dem Rechtsumfang wiirken. e.) Jeder, der ein Verbrechen begeht, wodurch er | einer peinlichen Strafe schuldig wird, wenn solches nicht aus einer - wenn auch unrichtig | beurtheilten Notwehr des Lebens oder der Ehre ausfloB, (wo er alsdann nur seiner Ehre | vorbehaltlich vemrtheilt werden darf,) verlieret fiir seine Person den Adel, kann ihn also | auf nachher erst erzeugende Kinder, oder eine nachher erst annehmende Ehefrau nicht fort= | pflanzen; dagegen f) konnen adelich verehlichte Frauenzimmer und adelich gebohme Kinder | ihres einmal wohlerlangten Adels durch ein solch fremdes Vergehen des Gatten oder Va= | ters nicht verlustig werden; auch g.) konnen selbst die spater gebohme Kinder ihrer Fami= I lienErbrechte deBwegen nicht verlustig gehen, nur daB sie im Erbgang am Stammgut ge= | gen alle Erbfahige, deren adeliche Abstammung unbescholten ist,

[198] Sechstes Konstitutionsedikt vom 4. Juni 1808

1679

zuriicktretten; und wenn sie | endlich die Erbordnung trift, sie die AdelsEmeuerung bey Uns auswurken miissen. Rechte des Adels. 22.) Wer StaatsBurger ist und AdelsRecht hat, wird dadurch befahigt: a.) zu jenen | HofVorzugen, die jeder Herr an seinem Hofe dem Adel einzuraumen gut fmdet; keine | Anordnung eines Vorfahren kann jedoch den Nachfolger hindem, darinn abermals nach | Gutfinden Aenderung zu treffen. Der Adel befahigt femer b.) zum Stammgutsrecht, | das heiBt, zum Recht seine Verlassenschaft zum Vortheil der Nachkommenschaft und zum | Glanz der Besitzer mit Untheilbarkeit und Unverausserlichkeit zu belegen, und die noch nicht | in den ErbgenuB trettende Erben mit nothdiirftigem Unterhalt auszuweisen. FideiKommisse | ausserhalb adelicher Familien, wo sie schon sind, mogen Ausnahmsweise bestehen bleiben, | neue aber konnen, ohne erlangtes Adelsrecht keine gemacht werden. Der Adel befahigt end= | lich c.) zur SiegelmaBigkeit, das heiBt, zum Recht ausschHeBlich ein GewiBes | durch altes Herkommen, oder Staatsvergunst erhaltenes WappenZeichen zu ftihren, und I solches mit einem offenen Helm oder einer AdelsKrone zu zieren, (nehmlich je nach dem | Verhaltnis der Wtirde, mit einer Fiirsten, Grafen, oder FreyhermKrone) die Siegelma= | Bigkeit kann auch abgetrennt vom tibrigen AdelsRecht anderen Staatsbtirgem durch Wap= | penbriefe zu Theil werden, giebt aber alsdann nur eine ausschlieBende Wappenberechtigung | nicht aber jene besonders auszeichnende Wappenzierathen. d.) Weitere Vorzuge gewahrt | der Adel nicht, am wenigsten mag er in oder zu Staatsdiensten dem Adelichen vor dem | Nichtadelichen ein Vorrecht gewahren: Jeder Staatsbiirger hat gleiche Anspriiche auf | Anstellung und Beforderung bei gleicher Befahigung, und jeder hat bei gleichem Dienst auch | gleiche Anspriiche auf die dem Dienst anhangige Ehren und GehaltsBefugniBe. ZunftVerfassung im aussem. 23.) In Beziehung auf die Gewerbe im Staat behalten Wir die ZunftVerfassung | zur Zeit bei, und mit solcher die Eintheilung der Gewerbe in ztinftige und unziinftige. Wir | verstehen aber hier, unter ZunftVerfassung nur eine, vom Regenten bestatigte gesellschaft:= | [S. 169] liche Verbindung gewerbkundiger Personen, um unter der Leitung gewisser, aus ihrer Mitte | gezogener Untervorsteher und Diener, ftir die Vervollkommnung der Erlemung und Betrei= | bung ihres Gewerbes thatig zu seyn. Alle durch verjahrte MiBbrauche ihr anhangig ge= | wordene Nebenldeen sind damit von der Aufhahme in die neue Verfassung ausgeschlossen | und eine Revision der ZunftEinrichtung bleibt deswegen der Gesezgebung vorbehalten. Die= | ser allein a.) gebiihrt es zu bestimmen, far welche Gattungen von Gewerben eine solche | Verbindung ntitzlich sei, oder welche etwa ohne ein solches InnungsRecht besser gedeyhen | mochten, welche daher ztinftig oder unziinftig betrieben werden sollen; Ihr allein steht auch | zu diese Bestimmung nach Zeit und Umstanden zu andem. b.) Ihr gebtihrt nicht minder | die Beftignis bei bestehender ZunftVerfassung Einzelnen, aus vorhandenen wichtigen Grun= | den, zum Behuf einer Fabrikartigen Betreibung ihres Gewerbes, Nachsicht gegen den | ZunftVerband zu gewahren (d. h. ftir eine solche Fabrik, die so ins Grose geht, daB | einzelne Arbeiter nur einzelne Theile des Gewerbs ausschHeBlich verrichten, deren von dem | Gewerbsherm geleitete Zusammenstimmung dann das Ganze vollendet) c.) keiner Zunft kann | ein BerathschlagungsRecht tiber StaatsAngelegenheiten, oder tiberhaupt iiber andere als | GewerbsGegenstande zustehen; d.) sie kann durch ihre Berathschlagung, keine Gesellschafts= | Ordnung machen, sondem nur den Stof dazu gutachtlich vorschlagen, der alsdann erst | durch den Willen der PolizeiObrigkeit, seine verbindende Kraft

1680

§12:Baden

[Dok. 188-251]

erhalten mag. e.) kein | ZunftschluB kann liber Dinge Maas und Ziel geben, bei welchen unmittelbar der Vor= | theil der tibrigen nichtzunftverwandten Staatsbtirger mit betheiligt ist, z. B. nicht tiber | einen PreiB der GewerbsErzeugnisse, den alle Zunftglieder einzuhalten batten: nur Bitten | bei der Obrigkeit und Beruhigung bei jenen EntschltiBen derselben die einmal die gesez= | liche BemfiingsStufen durchgelaufen sind, stehen ihr zu. f.) Noch weniger kann ein Zunft= | SchluB Obrigkeitlichen Anordungen entgegen gesezt werden, es sei nun, um sie unwtirk^ | sam oder auch nur um sie bis zur Erledigung der Berufung an eine hohere Behorde hin= | terstellig zu machen; nur zur Berathschlagung tiber eine etwa nothig erachtende GegenVor= | stellung oder Berufung kann er in dieser Hinsicht rechtmaBig seyn. g.) Am wenigsten kann | eine unberathschlagte Zusammenrottung statt finden, womit Obrigkeitliche Anordnungen ge= | hemmt, oder die Willfahr gewisser Zunftwtinsche erzwungen werden will, h.) Jede GQ= \ sezwidrige Berathschlagung und jede Zusamenrottirung, die nicht auf die erste Erinnerung | der Obrigkeit gutwillig und reumtithig zurtikgenommen wird, macht die Zunft aller Gesell= | schafts Rechte, und die Einzelne dabei strafbar befangene Glieder alles Gewerbrechts, bis | auf Unsere Wiederbegnadigung ohne welters verlustig. i.) Alle ZunftOrdnungen und Zunft= I schltiBe konnen jederzeit vom Regenten abgethan, gemindert und gemehrt werden. k.) Niemand | kann aus seinem Antheil an den Zunft oder InnungsRechten, Vorrechte vor anderen | StaatsBtirgem, oder Ausnahmen von LandesGesezen herleiten, welche nicht ausdriiklich | bewilliget sind. 1.) Niemand kann Arbeiten seines Gewerbes einem anderen unztinftigen | [S. 170] Staatsbtirger und seinen Angehorigen alsdann untersagen, wann dieser sie nur zu seinem | eigenen Haus und FamilienGebrauch verfertigt. m.) Niemand kann femer sich eine Eigen= | machtigkeit gegen Andere Staatsbtirger auch in GewerbsAngelegenheiten erlauben, das ein= | zige PfandungsRecht ausgenommen, worunter die Befugnis verstanden ist, die in | einem ZunftBezirk von Unberechtigten eingebrachte oder untemommene Arbeiten zu Handen | des Untervorstehers zu nehmen, und als Urkunde der Uebertrettung der Obrigkeit zur gesetz= | masigen Aburtheilung vorzulegen. n.) Jede Zunftstreittigkeit das heiBt, jede Meinungs= | Verschiedenheit der Betheiligten uber die Verhaltnisse der GewerbsBerechtigungen der Zunft= | Glieder zu den Rechten der tibrigen Unterthanen, ingleichem der Zunftglieder unter sich, | und der Ztinfte oder Handwerker gegeneinander, kann nur im polizeylichen Wege erledigt | werden; richterliche Verhandlungen und Entscheidungen konnen dariiber nicht Platz greifen. | o.) Niemand kann um irgend einer Religion willen von der Erlemung oder Austibung ir= | gend eines Gewerbes durch die Ztinfte oder Meister bey Verlust ihrer MeisterRechte aus= I geschlossen werden. Innere Zunft^Verfassung. 24.) Jedes Handwerk d. h. die Summe aller zu ein und demselben Gewerbe gehorigen | Staatsbtirger, ist a.) in bestimmte Zunftbezirke abgetheilt, und bildet in seinem Bezirk ei= | ne eigene gesellschaftliche Verbindung, welche von jener der tibrigen Bezirke ganz unabhangig | ist, und mit ihr in keinerley Gesammtverbindung, auch ohne besonderes Gutheissen der | OberpolizeyBehorde in keinerley gemeinschaftliche Rticksprache tretten darf, folglich anders | nicht als zufallig durch die Gleichheit des Gewerbes, und absichtlich in solchen Fallen, | fiir welche die Obrigkeit eine allgemeine Berathung auffordert, verbunden wtirken kann. b.) In | einem Zunftbezirk konnen, wo es die Eingeschranktheit des Bezirks fordert, mehrere Hand= | werker, deren GewerbsArt einige Verwandschaft mit einander hat, wodurch ein gemeinschaft= I licher Beriihmngs=Punct und eine Ubereinstimmung der Betheiligung in Haupt=Angelegen= | heiten begriindet wird, in einen Zunftverein mit einander unter

[198] Sechstes Konstitutionsedikt vom 4. Juni 1808

1681

obrigkeitlicher Bewilligung tretten | c.) Zunftbezirke konnen Vorrechte der eingesessenen Zunftglieder gegen Ausgesessene genie= | Ben, soweit sie gesetzlich begrtindet sind; sie konnen kein innlandisches, obwohl im Zunft= | Bezirk nicht seBhaftes Zunftglied von der Arbeit in ihrem Bezirk ausschlieBen. | d.) Alle Zunftglieder sind entweder Meister - die auf eigene Rechnung mit Gesellen | und Lehrlingen arbeiten diirfen, oder Genossen, die zwar auf eigene Hand, (worunter | die Mitwurkung der Familienglieder nicht ausgeschlossen ist), aber ohne Beyhtilfe von Gc= \ sellen und Lehrlingen zu arbeiten berechtigt sind, oder Gesellen, die ein schon ordnungs= I masig erlemtes Gewerbe nur noch auf fremden Namen und Rechnung zu treiben das Recht | haben, oder endlich Lehrlinge; die weitem Folgen dieses Unterschiedes bestimmt die Poli= | zey Gesetzgebung. e.) Jeder, wer sein Gewerbe hinlanglich erlemt, auch auf die Vervoll= | kommnung darin die erforderliche Zeit nachmals verwendet hat, kann verlangen, Meister | [S. 171] zu werden, so bald er Ortssassen Recht, sey es als Ortsbtirger oder Schutzbtirger erlangt | hat; auf die blose Genossenschaft kann daher nur derjenige beschrankt werden, welchem das | Ortssassen Recht oder eine hinlangliche Befahigung zum Meister=Recht mangelt. | f) zum Meistei^ oder Genossen=Recht kann Niemand aufgenommen werden, es seye dann | solches ihm durch obrigkeitliche auf vorgangige gutachtliche Vemehmung der Zunft ertheil= | te Verwilligung zugestanden, und von ihm ein BeweiB der hinlanglich erlangten Gewerbs= | kunde und Arbeits Fertigkeit abgelegt worden, wie sie die jeweilige Gesetze naher bestimmen. | g.) Ueber die Erfordemisse, nun als Gesell oder Lehrling einzutretten, und geachtet zu werden, auch | einst als Meister befahigt zu erscheinen, entscheidet die Polizeygesetzgebung und Zunft= Ord= I nung. h.) Wer einmal zur Meisterschaft oder Genossenschaft gelangt ist, kann (den obgedachten | Zunft Aufruhr abgerechnet) davon nicht verstossen werden, weder durch die Obrigkeit, noch | weniger durch die Zunft, wie er sich auch vergangen und straffallig gemacht haben moge, | so lang er nicht das Staatsbiirgerrecht verwirkt hat, wohl aber kann er i.) aller Ehren= | Vorrechte der Gesellschaft, mithin der Beywohnung in Zunft=Versammlungen, der Stimm= | fahigkeit in Zunft Angelegenheiten, der Wahlfahigkeit zu ZunftvorsteherAemtem, und der | Lehrfahigkeit fiir das Gewerbe durch den ordentlichen Richter verlustig erklart werden, und I ist deren in alien jenen Fallen kraft Gesetzes (ipso jure et facto) ftir beraubt zu achten, wo | eine gesetzmasige Ehrlosigkeits Erklarung txber ihn ergangen ist. Hingegen k.) kann niemand | durch Verrichtung irgend eines erlaubten Geschafts oder Gewerbes, oder durch eine Hand= | reichung dazu, solche mogen Namen haben, wie sie wollen, in irgend einem Zunftrecht be= | schrankt werden; wer ein Zunftglied deBwegen schelten, das heiBt, durch irgend eine Aeus= | serung wissentlich bewtirken wiirde, daB ein solcher aus einem solchen oder aus einem an= | dem ungerechten AnlaB in seinen Zunftrv^erhaltnissen geringschatzig behandelt und zuruckgesezt I wtirde, der wird hierdurch selbst ehrlos. 1.) Keine Zunft kann ohne einen ausser ihrer Mit= | te gezogenen Rechtskundigen Obervorsteher berathschlagungs fahig seyn, obgleich dieser, wenn | er angestellt ist, nicht jeder Versammlung anwohnen muB, sondem nach Ermessen die Lei= | tung im einzelnen Fall dem UnterVorsteher tiberlassen kann: er wird von der OberPolizeybe= | horde gesetzt, in der Regel ist es der HoheitsBeamte des Bezirks. m.) Die Untervorsteher | oder Obermeister der Ztinfte werden durch Wahl der Zunft vorgeschlagen, und durch Be= | statigung der Unterpolizey Behorde emannt und angestellt; die auch eine ungentigend ihr | scheinende Person einmal ftir sich selbst und ohne angegebene Griinde, in einem zweiten darauf | unmittelbar folgenden Vorschlagsfall aber, der auf eine andere Person gerichtet ware, nur | aus Grtinden, die vor der Ober=Behorde nothigenfalls gerechtfertigt werden konnen, aus= | zuschliessen befiigt ist. n.) Diese Un-

1682

§ 12: Baden

[Dok. 188 - 251]

ter=Vorsteher konnen nichts zu ihrem Amts=Geschafts= | kreis ziehen, was nicht durch gesetzliche Vorschrifl dahin gewiesen ist. Jedes Zunftglied | aber steht wegen Beschwerden der iibrigen Staatsbtirger tiber ordnungs widrige Behand= | lung bey Gewerbs=Anliegen unter ihrer Vermittelungs=Gewalt, muB also auf Erfordem | fS. 172] erscheinen, Rede und Antwort geben, und ihrem Vermittelungs=Spruch geleben, oder sich | auf seine Gefahr und Kosten an die StaatsObrigkeit unverwandten FuBes berufen. Beschrankung des Gebrauchs der Staatsrechte. 25.) Una die welt= und staatsbtirgerlichen Rechte nach eigenem Gutdtinken austiben zu | konnen, gentiget es nicht an der bloBen Zustandigkeit derselben, sondem ihr Gebrauch kann | jeweils, theils durch naturliche, theils durch zufallige Verhaltnisse an die Ftirsorge, Mit= | Einwilligung, oder Berathung anderer Personen gebunden seyn, so daB er ohne diese keine | Rechtswirkung, oder doch nicht die voile, sonst gewohnliche aussert. Niemand kann jedoch | auf diese Art eingeschrankt, mithin von dem selbst beliebigen Gebrauch seiner wohlerwor= | bener Rechte tiberhaupt ausgeschlossen werden, der nicht in einem derer von diesem Staats= | Grund= Gesetz vorgesehenen Fallen sich befindet, damit fallt auch die ftir den ledigen Stand I mittelst des Fisci=Rechts auf Hagestolzen=Erbe vorhin hier und da bestandene Einschran= | kung der freyen Vererbung ihres Vermogens weg. Wohl aber konnen einzelne staatsbur= | gerliche Gerechtsame auf bestimmte Zeiten, oder fiir besondere Lebenslagen durch die Ge= | setze fiir ruhend erklart werden, z. B. das Heuraths=Recht bey gewissen Diensten; das | Meisterrecht bis zu gewissen Jahren etc. etc. Die Obrigkeit kann jedoch gegen Einzelne die= | ses Ruhen der staatsbtirgerlichen Rechte nicht aussprechen, so lang nicht ein vorausgegan= | genes Gesetz tiberhaupt fiir einen solchen Fall sie dazu ermachtigt hat. Geschlechts=Unterschied. 26.) Eine Einschrankung im Selbstgebrauch der Rechte wird durch folgende natiirliche | Lebens=Verhaltnisse begrundet. a.) Durch das Geschlecht. In der Regel ist nur das mann= | liche Geschlecht selbstmtindig, oder befahigt, alle seine Handlungen ohne fremde Ftir= | sorge oder Berathung vorzunehmen. Das weibliche Geschlecht, dessen Lage ihm eine Un= | kunde in RechtsGeschaften verzeihlich macht, ist in Absicht auf alle, nicht zu seinem Haus= | haltungsBeruf unmittelbar gehorige, auch nicht zunachst und hauptsachlich seine Person be= | treffende, verbindliche Handlungen, woraus nachtheilige Folgen fur dessen Vermogen er= | wachsen konnen, an die Rathfragung eines RechtsBeystandes zur Schliessung und an die | Beyziehung desselben zur schriftlichen Ausfertigung gebunden, so weit es nicht Manns= | Recht hat, wo es alsdann in denen dahin gehorigen Rechtshandlungen auch ohne Bey= | stand gleich verbindlich handelt, als Mannspersonen, die unter dem gleichen VerhaltniB ein | Geschaft ausfiihren. Mannsrecht geniessen: a.) Die Vogtsfrauen, namlich jene | Frauenzimmer, welche zur Verwaltung einer Standes= oder Grundherrlichkeit in eige= | nem, oder in vormundschaftlichem Namen zugelassen sind, als welche bey dem offenste= | henden Gebrauch ihrer rechtsgelehrten Diener nur sich selbst anzuklagen haben wtirden, | wenn sie sich durch ihre Handlungen verkiirzten, und daher , so lange sie in jener Lage | sind, alles weitem BeystandsBedtirfhisses enthoben bleiben. b.) Gewerbsfrauen, | die, sey es im ledigen, geschiedenen, oder verwittibten Stande, als Eigenthtimerinen, oder | [S. 173] Nutzniesserinnen, Handel, Fabriken, oder Handwerker treiben; diesen kommt jedoch das | Mannsrecht nur in alien jenen Rechtsgeschaflen zu statten, welche von der Art sind, daB I sie durch die Natur des Gewerbes herbeygefiihrt werden konnen, und worinn

[198] Sechstes Konstitutionsedikt vom 4. Juni 1808

1683

sie als | gewerbtreibend anzusehen sind; in Geschaften hingegen, die ihr Vermogen tiberhaupt, | und als Staatsbtirgerinnen zunachst betreffen, bleiben sie unter der weiblichen Vogtbar= | keit. Deren Verhaltnisse bestimmt tibrigens die jeweilige Staatsgesezgebung. Niemals | wirkt das Geschlecht eine Entschuldigung wegen begangener unerlaubter Handlungen, als | worinn vielmehr beyde Geschlechter gleich gerichtet werden. Niemals auch kann eine der | Weibsperson vortheilhafte Handlung, die sie allein untemahm, wider ihren Willen, we= | gen Mangel jener Berathung, angefochten werden. Alters=Reife, 27.) Eine weitere, natiirliche Einschrankung fuhrt b.) Die Jugend herbey. Wer | noch nicht das ein und zwanzigste Lebensjahr zuriickgelegt hat, ist minderjahrig; er kann | ohne allgemeine, oder besondere, ausdruckliche, oder stillschweigende, jederzeit gesetzmaBige | Einwilligung seiner Ftirsorger, (Aeltem, oder Pfleger) keine Handlungen vomehmen, welche | eine nachtheilige Verpflichtung seines Vermogens zum Gegenstand haben, wenn er nicht von | der gesetzgebenden Behorde einen Volljahrigkeits=Brief erlangt hat, (wozu jedoch keiner | unter keinerley Umstanden vor zurtickgelegtem zwanzigstem Jahr gelangen kann.) Jene Ein= | willigung der Ftirsorger kann fur wichtige Falle durch die Gesetzgebung an die Miteinsicht I und Genehmigung der Policey=Beh6rde gebunden werden, ist es jedoch nur, so weit die | Staats=Gesetze jeweils es bestimmt verordnet haben. Handlungen, die dem Minderjahri= | gen zum Vortheil gereichen, sind eben so gtiltig, als jene, die ein Volljahriger unter glei= | chen Umstanden vorgenommen hatte. Verpflichtungen, welche bios auf ihrer Person lasten, | konnen die Minderjahrigen in so weit auch allein gtiltig tibemehmen, als sie nur voruber= | gehende Folgen haben, und nicht die ErziehungsBestimmung aufheben, welche ihnen ihr | Ftirsorger gegeben hat, sobald sie einmal halbmtindig sind, das ist das vierzehende Le= | bensJahr zuriickgelegt haben, jene hingegen wozu eine besondere Verstandes= oder Erfah= | rungsReife erfordert wird, (z. E. Eidesleistung, ReligionsAenderung) und welche weiter | zu bestimmen dem Gesez vorbehalten bleibt, so wie alle leztwillige ErbEinsetzungen stehen | ihnen nur nach erreichter Vollmtindigkeit zu, die mit der Zuriicklegung des sechszehenden | Jahrs kiinftig eintritt. Auf unerlaubte Handlungen hat nur die Unmtindigkeit und Halbmiin= | digkeit Einflus jene wtirkt Straflosigkeit, doch daB dagegen eine den Regeln der ErziehungsWeis= | heit angemessene auf die That nach alien ihren Umstanden abgewogene Ztichtigung der Policey an | die Stelle trette, die HalbMiindigkeit wtirkt nur StrafMilderung in alien Fallen, welche | das Gesez nicht namentlich ausnimmt, aber keine Aufhebung der richterlichen Strafbeh6rig= I keit; Vollmtindigen obgleich nach minderjahrigen Verbrechem kommt auch diese nicht zu | gut, und zwischen ihnen und volljahrigen gleichen Verbrechem ist nur der Unterschied, | [S. 174] daB bey jenen jede andre btirgerliche oder peinliche Strafe in btirgerliche oder peinliche kor= | perliche Ztichtigung, nach richterlichem Ermessen tiber die zu gewartende mehrere Wtirksam= | keit, umgewandelt werden kann. Selbstmtindigkeit und Familien=Abhangigkeit. 28.) Noch eine natiirliche Einschrankung entstehet c.) aus der FamilienAbhangig= | keit. Indem jeder Mensch seinen Eltem Leben, Unterhalt, und Erziehung, und dem | Staat die Ftirsorge fiir Erfiillung dieser EltemPflichten zu danken hat, so gehet daraus I fur ihn die natiirliche Pflicht, und fiir den Regenten die gerechte Forderung hervor, daB | in allem, was sowohl die Ausbildung und den Gebrauch seiner Krafte, als die auf Ver= | mogen beziigliche Handlungen betrifft, ein jeder von dem Willen

1684

§ 12: Baden

[Dok. 188-251]

seiner Eltem, und so lang | beede leben, in Fallen der Zwiespaltigkeit vorzuglich von dem Willen des Vaters abhangig | sey, biB er gesezmasig aus jenem Erziehungs= und UnterhaltsVerhaltniB ausgetretten ist, | Vermoge derselben kann ein solcher durch keine erlaubte Handlungen auf seine Person und | sein Familien=Vermogen (peculium profectitium) oder auf die Eltem Verbindlichkeiten | aufladen, ohne die Billigung der Eltem, wo nicht im Fall gesezwidriger Versagung obrig= I keitliche Erganzung der mangelnden elterlichen Bewilligung in das Mittel getretten ist; alle | andere eigenmachtige Untemehmungen konnen die Eltem durch ihren Widerspmch oder Ruck= [ mf vemichten. Eben so wenig konnen dergleichen FamilienGlieder durch unerlaubte Hand= | lungen dem Familienhaupt, das daran nicht mit Schuld tragt, eine Verbindlichkeit zu | StrafErlegung oder Ersazleistung zuziehen. Diese Abhangigkeit erstrekt sich jedoch nur auf | Handlungen des gemeinen Lebens, oder auf das ErbVermogen in seiner ganzen Ftille. Hat | ein FamilienGHed auf ordnungsmassige Weise Staats oder Privatdienste angenommen und | Vermogen dadurch erlangt, so gilt es in alien diesen Beziehungen fur eben so selbststan= 1 dig, als ob es Familienhaupt ware, und kommt es nur auf die Reife der Jahre an, ob | es auch als selbstmtindig allein handeln konne, oder noch als vogtbar dabey an frem= | de Berathung oder Zustimmung gebunden sey. Gleichwie tibrigens jene Familien Abhangig= 1 keit, einestheils durch die Geburt, und zwar in Bezug auf den Vater nur durch ehe= | liche Geburt entsteht, und andem theils durch die Anwiinschung womit man ein | eigenes, unehliches oder ein fremdes Kind unter Beobachtung der gesezlichen Erfordemisse | an Kindestatt annimmt; so wird jede Familien=Abhangigkeit hinwiedemm aufgehoben, und | das FamilienGlied zur Selbststandigkeits=Gewalt entlassen, einmahl durch eine vor der Be= | horde gesezmasig zu bewtirkende Erklamng beeder Eltem, oder des noch lebenden Theils der= I selben, sich der elterlichen Gewalt liber ein FamilienGlied aus bestimmt anzugebenden Be= | weggriinden zu entschlagen; furs andre durch gesezmasige Selbstversorgung, da nemlich eine | Tochter mittelst einer rechtmasigen Heurath in eine fremde Familie und Haushaltung iiber= | gehet, (wovon jedoch der Fall des Einfreyens ganz verschieden ist, wo nemlich der Schwie= | gersohn in die Haushaltung der SchwiegerEltem sich begiebt, als in welchem Fall die Toch= | ter als FamilienGlied abhangig bleibt, und er als FamilienGenosse an dieser Abhangigkeit | Theil nimmt, und nur in Sachen, welche die Ehe und Haushaltung nicht betreffen, selbst= I mtindig handeln kann,) oder da ein Sohn eine eigene Haushaltung, die auf den Erwerb | seines Fleisses, und den Ertrag etwaig abgesonderten Vermogens gegrtindet ist, ordnungs= | [S. 175] masig beginnet. Durch den Tod der Eltem erloschet diese Abhangigkeit ganz, durch | den Tod der noch in der Familie emahrten Kinder aber nur alsdann, wenn diese nicht schon | Kinder haben, die sonst an der Eltem Platz in diese Abhangigkeit tretten. Eine durch | SelbstVersorgung erloschene FamilienAbhangigkeit wacht wieder auf, sobald durch irgend | einen Unfall die SelbstVersorgung soweit vereitelt wird, daB die Kinder oder Enkel wie= | der von den Eltem oder GrosEltem zur Versorgung angenommen werden mtissen. Gemtithsschwache. 29.) Zufallige Verhaltnisse konnen auch eine Einschrankung des Rechtsgebrauchs der | StaatsAngehorigen bestimmen, dahin gehort vomemlich a.) Gemtithsschwache, oder jener | bleibend scheinende Zustand, worinn Jemand des vemtinftigen Gebrauchs seiner Sinne nicht | machtig ist, sey es nun, daB er zwar seine Sinnen gebrauchen konne, aber in allem, | was nicht unmittelbar in einem sinnlichen Zusammenhang erscheint, des VerstandesGe= | brauchs entbehre, mithin die gemein erkennbare Folgen seiner Handlungen entweder nicht | einsehen, oder die Einsicht

[ 198] Sechstes Konstitutionsedikt vom 4. Juni 1808

1685

nicht bis zur Fassung einer daraus verstandig hervorgehenden | Entschliessung festhalten konne, (Blodsinnig), oder daB er zwar bey dem SinnenGebrauch | auch einen VerstandsGebrauch habe, der aber fur gewisse Falle durch einen vorherrschenden | bleibenden Eindruck des Korpers und des Gemtiths in allem demjenigen, was damit in I Beruhrung steht, verloren ist, und einer widersinnigen Stimmung des Gemtiths Raum I laBt, (Wahnsinnige), oder daB alle geistige SinnenThatigkeit oder alle wahrnehmbare Ver= | nunftthatigkeit bey ihm verschwunden sey, (Sinnlose und Unsinnige). Alle diese verschiede= | ne Gemiithslagen rechtfertigen die Unterwiirfigkeit solcher unglucklichen Menschen unter den | Willen einer fremden Ftirsorge, und entziehen ihnen die btirgerliche Selbstmtindigkeit, jedoch | nicht bey alien in gleichem Maase; indem manche den Vollmiindigen Minderjahrigen, man= | che den Halbmtindigen, machen den Unmtindigen in Bezug auf ihre personliche Freyheit und auf | ihre Vermogens Befiignisse zwischen Lebendigen sowohl als von Todes wegen dadurch gleich gesezt | werden. Diese Maase bestimmt die gesezmasige ErkanntniB nach vorausgegangener zusammenwir= | kender Prufung der staatsrechtlichen, staatsarztlichen und kirchlichen UnterpolizeyBehorden. Ohne | eine solche VorUntersuchung kann bey tibrigens gleichen Umstanden keinem die Selbstmtindigkeit I abgesprochen werden, obwohl einzelne Handlungen eines StaatsAngehorigen wegen zuvor schon ob= | gewalteter gleicher GemtithsBeschaffenheit, oder wegen etwa voriibergegangenen Anfallen ei= | ner GemtithsVerwirrung von den Betheiligten angefochten werden konnen, wenn sie Spu= | ren davon zeigen, oder als Ausfltisse einer solchen so gerechtfertigt werden konnen, wie es | jeweils die btirgerliche Geseze fordem. Wo einmal eine solche GemtithsUnmtindigkeit von | Staats wegen anerkannt ist, verliert sie ihre Wirkung nicht eher, bis auf gleichem Weg | der gesezmasigen ErkenntniB deren Aufhebung verfiigt ist. Ueppigkeit und Verschwendung. 30.) Zufallig tritt auch eine Einschrankung im Rechtsgebrauch ein b.) wegen Uep= | pigkeit. Wer in dem Gebrauch seiner Lebensverhaltnisse fiir seine Annehmlichkeit irgend einem | gesezwidrigen Ausbruch seiner Leidenschaften so viel nachsieht, daB dieser zu einem Hang er= | wachst, der seine VermogensUmstande oder seine Familie zu Grund zu richten drohet, der | verfallt unter besondere polizeyliche Aufsicht und angemessene BesserungsVersuche; wo aber | diese etlichemal fruchtlos bey ihm abgelaufen sind, da wird er der Selbstmtindigkeit im | [S. 176] Staat unwtirdig, und kann also nach vorgangiger gesezmasiger Erhebung seines Verschul= | dens durch die Behorde neben andem verdienten Strafen auch zum Verlust jener Selbst= I mtindigkeit verurtheilt, das heiBt, mundtod gemacht werden, wodurch er nachmals durch= | aus in die Klasse der Halbmtindigen zurtickfallt, und nichts fur sich selbst thun kann, was | bey diesen eine Beystimmung des Pflegers fordert, auch noch weniger als sie irgend eine | leztwillige VermogensVerordnung machen darf, annebst gleich ihnen auch in btirgerlichen [ Straffallen zu korperlicher Ztichtigung verurtheilt werden kann. Keine vor der Mundtod= | Erklarung auf sich genommene Verbindlichkeit kann hintennach durch diese unkraflig | werden, und keine erfolgte Besserung kann dem Mundtodgemachten die Selbstmtindigkeit | frtiher wieder verschaffen, als die Mundtodmachung in der nemlichen Art wieder aufgehoben | ist, in welcher sie obiger Sazung zu Folge erkannt werden muB.

1686

§ 12: Baden

[Dok. 188-251]

SirmenMangel. 31.) Von beeden Fallen ist der SinnenMangel unterschieden, wenn jemand nemlich eines I Oder das andere der zum VemunftGebrauch unmittelbar dienenden SinnenWerkzeuge, nem= | lich des Gesichts, des Gehors oder der Sprache beraubt ist. Vor sich allein und so lang | er nicht zugleich einen Blodsinn im Gefolge hat, entzieht ein solcher Mangel keinem die | Selbstmtindigkeit, der sie sonst hat, sondem wiirkt nur, daB zu alljenen Rechtsgeschaften, | wobey zur richtigen Einsicht in die Umstande und ihre Folgen der mangelhafte Sinn nothig | ware, ein besonderer RechtsBeystand von ihm zugezogen oder ihm zugeordnet werden muB, | der seines Umgangs gewohnt, oder sonst seiner Art zu denken und sich auszudrucken kun= | dig sey, ihm das, was er durch den mangelnden Sinn wahmehmen oder verrichten sollte, I durch die zweckmasige Anwendung andrer Sinne wahmehmbar oder verstandlich mache, und | seine auf diesem Weg erhobene Erklarung bezeuge und bekraftige, ohne welche Beywtirkung | ein solches Rechtsgeschaft so feyerlich oder gtiltig es in jeder andrer Hinsicht auch sey, | nicht fiir wtirksam gegen ihn oder seine gesezliche Erben angesehen und geltend gemacht wer= | den mag, obwohl es fur ihn zu wiirken immer geeignet bleibt. Desgleichen mag solchen | in alien Verbrechen, zu deren Unterlassung sie die kraftige Beweggriinde des Gesezes nur | durch den mangelnden Sinn wiirden haben fassen konnen, eine Entschuldigung von der or= | dentlichen Strafe, und eine nach der verschiedenen Abstufung der ZurechnungsFahigkeit des | Einzelnen abgewogene Strafmilderung zu gut kommen. Nach diesen hier zuvor ausgesprochenen Grundsazen soil von nun an jede neue Gesezge= I bung eingerichtet, jede schon bestehende Gesezgebung beschrankt, verstanden und angewendet, | auch jeder Staatsbtirger und Fremder im Lande gerichtet und geschirmt, und hiergegen kei= | nerley alter oder neuer Rechtsbehelf dawider gehort und angenommen, keine dem entgegen= | laufende Freyheit erlangt und geachtet werden. Hieran geschieht Unser Wille, und meynen | Wir das emstlich. Urkundlich Unsrer Unterschrift und beygedruckten StaatsSiegels: Ge= \ geben in Unserer Haupt= und ResidenzStadt. Karlsruhe den4. Juny 1808. Karl Friedrich. | (L. S.) Vdt. Fr. Brauer. Auf Seiner Koniglichen Hoheit | Special Befehl. | Uhrhan.

[198/1] Landesherrliche Verordnung iiber die Gleichstellung der „Juden Unseres Staats (mit) den Christen in den Staatsburgerlichen Verhaltnissen" vom 13. Januar 1809 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einfiihrungen" die Darstellung unter [737.]. Quelle: GroBherzoglich-Badisches Regierungsblatt, 7. Jahrgang, (Nr. 6 vom 11. Februar) 1809, S. 2 9 - 4 4 (gedruckt). [S. 29] Wir Carl Friedrich von Gottes Gnaden | Grosherzog zu Baden Herzog zu Zahringen etc. I haben durch Unser sechstes KonstitutionsEdikt die Juden Unseres Staats den Chri= | sten in den Staatsbiirgerlichen Verhaltnissen gleich gesetzt. Diese Rechtsgleichheit kann jedoch nur alsdann in ihre voile Wtirkung treten, wenn | sie, in politischer und sittlicher Bildung ihnen gleichzukommen allgemein bemiiht sind; | damit Wir nun dieses Bestrebens sicher werden, und inzwischen ihre Rechtsgleichheit | nicht zum Nachtheil der tibrigen Staatsbtirgem gereiche; so sezen und ordnen Wir | in dieser Hinsicht folgendes:

[198/1] Landesherrliche Verordnung vom 13. Januar 1809

1687

I. I Kirchliche Verfassung. Die Judenschaft des Grosherzogthums bildet einen eigenen konstitutionsmasig a u ^ | genommenen Religionstheil unserer Lande, der gleich den tibrigen unter seinem eigenen | angemessenen Kirchenregiment steht, wie solches weiter unten, naher bestimmt wird. IT. I Abtheilung in kirchliche Gemeinden. Er theilt sich in eigene kirchliche Gemeinden, deren jede ihre eigene Gemeindssina= | goge hat, zu welcher ein bestimmter Theil des von ihren Religionsgenossen bewohn= | [S. 30] ten Antheils desjenigen Staatsgebiets gehort, das Kirchspielsrechte geniesset. Die Be= I stimmung behalten Wir Uns nach vemommenem Vorschlag bevor. Bis diese Ein= | theilung geschehen ist, gehoren die Juden femer zu derjenigen Sinagoge im Lande, zu | welcher sie sich bis daher hielten; und wo sie keiner bestimmt angehorten, sind sie | einstweilen der im Lande nachstgelegenen zuzurechnen. III. I Gottes Aeker. Jeder SinagogenSprengel kann eigene Gottesaker, die er hat, solange nicht aus | polizeylichen Ursachen eine SchlieBung und Verlegung nothig wird, beybehalten; auch | wo er keine, oder keine hinlanglich geraumige oder gelegene hat, neue auf eigenthum= | lich erworbenen, von der Polizey dafur zulassig erkannten Plazen solche anlegen; | muB aber in Absicht ihrer EinfaBung, der Tiefe der Graber, der Zeit der Beerdi= | gung u. d. gl. nach den allgemeinen Polizeygesezen sich richten, wogegen er auch da= | fiir die gleiche Achtung und den gleichen Schuz gegen Beleidigungen zu gewarten hat, | den andere kirchliche BegrabnisStatten Landesverfassungsmasig geniessen. IV. I Bisherige eigene GemeindsSchulden. Die Schulden, welche den einzeln jtidischen Gemeinheiten bisher, und bis zum Ein= | tritt der Kraft dieses Gesezes oblagen, bleiben ihnen auch femer allein zu Last, sie | mogen vorhin aus kirchlichen oder biirgerlichen Lebensverhaltnissen erwachsen seyn, | und mtissen von denen, welchen sie oblagen, durch desfallsig besondere Umlagen gedekt, | und sobald es fuglich geschehen kann, getilgt werden, wogegen sie auch an der Til= | gung aller Schulden der christlichen Gemeinden ihres Orts bis auf jenen Tag keinen | Theil zu nehmen, noch an denen Umlagen, welche zu deren Tilgung beliebt werden, | auch nach angetrettenen Gemeinds= | oder Schuzbtirgerrecht irgend etwas weiteres zu | tragen haben, als was etwa nach der Natur der Umlagen verhaltnismasig ihren be= | sizenden oder erwerbenden Liegenschaften oder Gewerben zufallt. V. I Kiinftige GemeindsSchulden. Kunftig konnen eigene jtidische ortliche GemeindsSchulden nicht entstehen, da fiir | ihre kirchliche Bediirfnisse alle Sprengel der ganzen Provinz zusammen einstehen mii= | [S. 31] Ben, und daraus also jtidische Provinzschulden erwachsen; und da in alien Verhalt= | nissen, die das btirgerliche Leben betreffen, sie mit den christlichen Gemeinds oder | Schuzbiirgem des Orts, dem sie angehoren, eine unzertrennte Gemeinde ausmachen, | und sie in alien geeigneten Vorfallen gleich diesen durch die Gemeindskasse in gemeinen | Leistungen und Geldaufhahmen mitbegriffen und vertreten werden mtissen. VI. I Unvermischbarkeit der wechselseitigen Kirchen=Kassen. Die jtidische kirchliche Gesellschaft des Landes hat auf dessen bisherige Kirchenkassen, I und auf die christliche milde Stiftungen keinen Anspruch, da solche der christlichen Kir= I che tiberhaupt, und jenen Konfessionen, denen sie besonders angehorten, ungeschmalert | vorbehalten bleiben; wogegen ihnen ihre jezige und kiinftige Kirchenkassen und

1688

§12: Baden

[Dok. 188-251]

Stif= I tungen, ohne irgend eine Theilnahme anderer Religionsgenossen, zur eigenen Leitung, I Yerwaltung und Verwendung verbleiben. VII. I Htilfskassen. Da das Armenwesen von jeher hauptsachlich als Anhang des Kirchenwesens be= 1 handelt wurde, und sowohl wegen der getheilt bleibenden Stiftungsmittel, als auch | wegen der mancherley eigenen religiosen Verpflichtungen welche die Juden desfalls auf | sich haben, abgesondert bleiben muB; so haben dieselbe ihre Armen, Waisen und | Kranken allein zu versorgen, und konnen desfalls von den Christen andere als freiwil= | lige Beytrage oder, Gnadenzuschtisse des Staates, wie er sie andem armen OrtssaBen | auch verwilligt, nicht erwarten, wogegen sie auch zu den christlichen Armen Versor= | gungsAnstalten, an denen sie nicht mitgeniessen, beyzusteuem nicht angehalten werden | mogen. Falls jedoch eine jiidische Gemeinde an einer gemeinschaftlichen Armen oder | Krankenversorgungs=Anstalt Theil nehmen will; so steht ihr solches gegen Leistung | der VerhaltniBmasigen Beytrage frey, in so fern die alteren Interessenten dieser An= | stalt, welche ein Einwilligungsrecht haben, hier einwilligen, und die Ordnung der | innem Einrichtung keine Stoning leidet. VIII. I Theilnahme an offentlichen Anstalten. An jenen offentlichen Anstalten, die wegen Mangel oder Unzulanglichkeit eigener | [S. 32] Stiftungsmittel aus allgemeinen LandesUmlagen unterhalten werden mtissen, haben I sie gegen Mit=Uebemahme der Umlagen auch den MitgenuB zu erwarten, jedoch | ohne wegen ihrer Religion eigene Einrichtungen darinn fordem zu konnen, fiir welche | sie viel mehr, wo sie nothig wiirden, aus ihren besondem Mitteln zu sorgen haben. IX. I Eigene Umlage. Ihre besondere Mittel, woraus sie die Erfordemisse ihres Kirchenregiments ihres | Gottesdienstes und ihrer Armenversorgung zu bestreiten haben, sind in eigenen auf sie | nach den VermogensVerhaltnissen zu machenden Umlagen zu suchen, die jedoch nicht | ohne Genehmigung der obersten Staatsbehorde jahrlich ausgeschlagen werden dtirfen. X. I Theilnahme an allgemeinen Schulen. Bis dahin, daB einst aus ihrer Mitte hinlanglich gebildete Manner zur guten Fuh= | rung eines politischen Schulamts werden aufgewachsen seyn, und ihnen alsdenn eigene | Landschulanstalten bewilligt werden konnen, sollen sie fiir Lesen, Schreiben, Rechnen, | Sittenlehre, und Aufsaze machen, auch fiir Geographic und Geschichte, wo diese ge= | lehrt werden, mit und neben den christlichen Ortskindem die Ortsschulen besuchen, und | das Schulgeld gleich Christenkindem dahin entrichten; dagegen auch an den Pramien | und andem Vortheilen Theil nehmen. Ortsvorgesezte und Schullehrer sind dafiir ver= | antwortlich, daB die Judenkinder zu gleicher Reinlichkeit, Ordnung und Anstandig= | keit wie die Christenkinder angewohnt werden, daB ihnen aber auch weder von diesen, | noch vom Lehrer selbst eine geringschazende oder gar beleidigende Behandlung wieder= | fahre. XL I Wahl zwischen verschiedenen Ortsschulen. Wo zwey Ortsschulen sind, die sich nach dem Geschlechte theilen, daB muB auch der | Schulbesuch der jtidischen Kinder nach dieser Theilungsregel sich richten; wo sie aber | nach andem ortlichen Verhaltnissen getheilt sind, da soil fur das erste, bis etwan | bewegende Ursachen zu einer bestimmten Eintheilung eintreten, den jtidischen Eltem | [S. 33] frey stehen, in welche Schulen sie ihre Kinder schiken wollen; nur konnen die, wel= | che einmal der einen Schule tibergeben sind, nicht willktihrlich aus ihr heraus, und | in die andere Ortsschule eintreten, sondem es werden dazu solche Ursachen erfordert, | welche von der SchulpolizeyBehorde gepnift, und erheblich befunden worden sind. | Aus keinen andem

[198/1] Landesherrliche Verordnung vom 13. Januar 1809

1689

Griinden koimen sie ausgeschlossen werden, als aus den nam= | lichen Ursachen, welche bey den Christenkindem statt finden, mit denen sie auch durch= | aus der gleichen Schulzucht unterliegen. XII. I HauBlehrer. In Absicht der Annahme der Hausleher gilt ihnen alles das, was unter gleichen | Umstanden den christlichen Staatsbtirgem gestattet ist, wozu sie jedoch, sie mogen ju= | dische Oder christliche Lehrer wahlen, keine andere nehmen konnen, als solche die von | der allgemeinen dazu bestimmte Behorden tiber ihre Fahigkeit zum politischen Unterricht | gepriift, und zulaBig erfiinden worden sind. XIII. 1 ReligionsUnterricht. Gleichwie die Judenkinder in den Landschulen von den christlichen ReligionsStunden | befreit bleiben, und deswegen in jenen Schulen, wozu Juden hinzutretten, diesem | Religionsunterricht solche Zeiten und Stunden angewiesen werden miiBen, fur welche | die Judenkinder ohne AnlaB zu Unordnungen entlassen werden konnen; so muB da= | gegen von der jtidischen Behorde gesorgt werden, daB sie einen hinlanglichen und zwek= | masigen Unterricht in ihrer Religion erhalten. XIV. I Vorschriften fur den Unterricht tiberhaupt. Der Innhalt ihres Unterrichts fiir die Kinder, so wie jener in ihren Gottesdienst= | lichen Versammlungen fur die Erwachsenen muB Sittlichkeit, allgemeine und beson= | dere Nachstenliebe, Unterwiirfigkeit unter die Staatsgewalt, und btirgerliche Ordnung | nach den reinen Grundsazen aus Moses und den Propheten einscharfen, auch tiber | ihre Zeremonien und Gebrauche jene Aufklarung geben, wodurch sie mit alien biir= | [S. 34] gerlichen Pflichten fur Krieg und Friede, eben so vertraglich werden, als sie es damals | waren, wo die Nation noch einen eigenen Staat bildete. XV. I Kirchliche Versammlungen. Ihre kirchliche Zusammenklinfte miiBen offentlich in denen dazu gewidmeten Sina= | gogen an denen dazu bestimmten Zeiten, oder wenn eine ausserordentliche Versammlung | nothig wird, nach vorheriger Anzeige an den Ortsvorstand geschehen, damit dieser | fiir Ruhe, Ordnung und Stille wachen konne, da er sie gleich andem erlaubten kirch= | lichen Versammlungen gegen alle Storung kraftigst zu schiizen hat. In ihren Gottes= | diensten haben sie sowohl die gewohnliche Ftirbitte fiir den Regenten und dessen ganzes | Haus, als jene Gebete die jeweils ausserordentlich verlangt werden, in der ihrer Re= | ligion gemasen Art abzulegen. XVI. I Hohere Schul und Studienbildung. Diejenige aus ihnen, welche fiir ihren kiinftigen Lebensbemf einer wissenschafllichen | Bildung bedtirfen, miiBen die Mittelschulen durchaus unter gleichen Rechten und La= | sten wie Christenkinder, unter solchen Umstanden, besuchen; unterliegen auch, soweit | sie weltliche hohere Studien ergreifen, in Absicht der Beziehung der hohen Landes= | schulen gleichen Gesezen; sofem sie sich aber zu Lehrem ihrer Religion bilden wollen, | bleibt die besondere Anordnung, wie sie sich dazu zu befahigen haben, in Beziehung | auf den §.38. dieser Verordnung noch vorbehalten. Indem Wir unserm Ministeri= | um des Innem andurch auflragen, desfalls das Erforderliche durch die Behorden vor= | bereiten zu lassen, und Uns binnen drey Monaten vorzulegen.

1690

§ 12: Baden

[Dok. 188 - 251]

XVII. I Berufswahl. Diejenige, welche sie nicht zu hohem Studien widmen, und eignen, miiBen gleich | den Christenkindem nach vollendeten Schuljahren zu irgend einer ordentlichen Lebens= | und Bemfsart im Staat, im Landbau oder in Gewerben aller Art nach den dafur | allgemein bestehenden Regeln angezogen und gebildet werden, wo Ztinfte oder Meister | [S. 35] sich unterstehen wtirden, hierinn Hindemisse in den Weg zu legen, da ist die Poli= | zeyObrigkeit verantwortlich, durch strengen Vollzug des Sazes 23. Litt. o. und Saz | 24. Litt. k im VI. KonstitutionsEdikte jene ordnungswidrige Anmasungen zu erledigen. XVIII. I Gemeinds und BurgerRechts=Erfordemisse. Niemand von jenen, welche dermalen noch nicht voile Ein und zwanzig Jahre alt | sind, hat ktinftig Hof&ung zum Antritt eines Gemeinds= oder Btirgerrechts, mithin | zu einer eigenen Niederlassung im Lande gelassen zu werden, er habe den zu einem | auch fur Christen bestehenden Nahrungszweig sich befahiget. Von der Handelschaft ge= | horet dazu, der Kaufmannshandel, der mit ordentlicher Buchfiihrung, oder durch | Fabrikenbetreibung, oder in offenen Laden mit einem zur Emahrung hinlanglichen | Vorrathe in Metall, Leder, Ehlenwaaren, Spezerey, Wechselgeschaften u. d. gl. be= | trieben wird, soweit sie sich wie die Christen ordnungsmasig dazu befahigen. Inglei= | chen der freihe Handel, derjenige namlich, welcher ohne an eine Erlemung oder | Befahigung gebunden zu seyn, in Landeserzeugnissen an Vieh, Wein, Frucht u. d. gl | betrieben wird, in so fern er mit hinlanglichem Verlage begonnen wird, und unter | der Verbindlichkeit iiber Einnahm und Ausgab gesezmasig eingerichtete Tagbticher | zu fiihren. Hingegen wird dahin derjenige Nothhandel nicht gerechnet, womit sich | seither vorziiglich die jtidische Nation aus Mangel der Gelegenheit zu einem freyem | Gewerbsfleisse haufig abgegeben hat, und womit sie nur ein unhinlangliches Aus= | kommen gewohnlich sich erwerben konnte, das nachmals sie zu unerlaubter Gewinns= | vermehrung geneigt machen muBte. XIX. I Nothhandel. Zu diesem Nothhandel (auf welchem, er werde von Christen oder Juden betrie= | ben, der Verdacht des Wuchers ruhen bleibet, und desfalls gesezliche Fiirsorge statt | findet) rechnen Wir die Maklerey, da jemand nur fur Ausmittlung und Unterhand= | lung der Ein= und Verkaufsgelegenheiten den Zwischentrager macht, wo sie nicht in | einer Handelsstadt zum Vortheil des Handels obrigkeitlich aufgestellt ist; die | Viehmaklerey, wohin auch diejenige Gattung von schlechtem Viehhandel geho= | [S. 36] ret, da jemand im einzeln an einem Plaz ein Stiick Vieh aufkaufl, um es gleich wie= | der an einen andem lozuschlagen; der Hausierhandel, da jemand, es sey nun | mit oder ohne eigenen Kramladen, sein Auskommen auf einem Herumziehen zur Feil= | bietung seiner Waaren berechnet, wobey das Beziehen der Markte allein fur ein sol= | ches Herumziehen nicht anzusehen ist, sondem nur das Herumlaufen in den Orten | und Hausem zu Erwekung einer Kauflustigkeit; der Trodelhandel, da jemand sich | mit dem Ein= und Wiederverkauf alter Waaren zu nahren sucht; und der Leyhan= | del, da jemand mit Ausleyhung des Geldes im kleinen auf Faustpfander, oder Hand= | schriften allein oder neben und mit andem vorgenannten Zweigen des Nothhandels sich beschafligt. XX. I Verfugungen tiber den Nothhandel. Auf diesen Nothhandel kann ktinftig niemand mehr eine eigene Niederlassung, sey | es auch nur als Schuzbiirger, verlangen, der jetzt nicht schon das vorgedachte Alter | tiberschritten hat, sondem derselbe bleibt nur als Nebengewerbe jenen vorbehalten, | die wegen Orts oder eigenen Verhaltnissen von einem ordentlich erlemten Gewerbe | sich nicht allein nahren konnen, und als Hauptgewerbe denen, welche durch erweisli= | che Unfalle ausser Stand kommen, einen ordentlichen Lebensbemf zu erlemen, oder | den erlemten zu betrei-

[198/1] Landesherrliche Verordnung vom 13. Januar 1809

1691

ben, jedoch unter der Beschrankung, daB sie dazu obrigkeitli= | chen Schein alsdeim nehmen miissen. XXL I ErfordemiB einer desfallsigen Urkunde. Diejenige Juden, welche dermalen im Schutz stehen, und mit dergleichen Nothhan= | del sich emahren, behalten zwar nunmehr als Schuzbtirger auch das Recht dazu fer= | nerhin, wenn sie nicht mittels ruhmlicherer Anstrengung ihrer Krafte und zu Unserm | besondem gnadigsten Wohlgefallen ein anderes ehrenvolleres Gewerb ergreifen wollen | oder konnen; Sie mtissen aber bis zu dem Zeitpunkt wo dieses Gesez in seine Kraft | tritt, vor ihren unmittelbaren Polizey=Vorgesezten erklaren, ob sie sich mit alien | obgenannten Gattungen derselben, oder mit welchen seither abgegeben haben, und fer= | ner abgeben wollen, damit diese einen Schein dariiber ausstelle, der zu jeder Zeit | fiir und wider sie desfalls Urkund geben moge; dieser soil jedoch (da sie seiner Zeit | [S. 37] schon ihre Schuzbriefe geloset haben) ihnen unentgeldlich bios gegen Zahlung des | Stempfels mit sechs ICreuzem gegeben werden. XXII. I AuftiahmsAlter ftir kiinftige Betreibung des Nothhandels. Wer noch nicht im Schuz ist, aber doch jenes Alter tiberschritten hat, in welchem | er laut des Sazes 13. noch zur Nachholung der Erlemung irgend eines ordentlichen | Gewerbes schuldig ist, hat zwar, er sey erster, zweyter oder folgender Sohn, gleich | den christlichen Eingebohmen an seinem Geburtsorte das Recht auf diejenige Lebens= | art, wozu er befahigt ist, das Schuzbtirgerrecht, oder nach Befinden der Befahigung | das GemeindsBtirgerrecht nachzusuchen, jedoch erst wenn er das ftinf und zwanzigste | Jahr zuriickgelegt hat, falls er von einem ordentlichen Gewerbe, oder Handel sich | nahren will, und erst wenn er das dreysigste zuriickgelegt hat, falls er vom Nothhan= | del leben will, und in beeden Fallen nur wenn jedes der tibrigen in dem Burgerrechts= | Geseze vorgeschriebene Erfordernisse, besonders eine gute von allem Verdachte des | Wuchers rein gehaltene Ausfuhrung bey ihm gefunden wird. XXIII. I Heiraths=Erlaubnis. Heirathen kann sich kiinftig jeder, der einmal zum Gemeinds= oder Schuzbtir^ | gerrecht aufgenommen ist, oder ein ihm angebomes Btirgerrecht angetretten, Hei= | rathsAlter erreicht hat, und an sich alle Eheordnungsmasige Rechtserfordemisse nach= | weisen kann, sobald seine Verlobte, wenn sie ausser Orts, oder wenn gleich im | Orte doch ausser der Biirgerrechtsklasse, in welcher er selbst steht, gebohren ist, die | Aufhahme zu seiner Biirgerklasse erlangt hat; dabey muB er in Absicht der verbottenen | Grade, der btirgerlichen TrauungsErfordemisse, der Ehezemichtung und Ehescheidung, | der Form und Feyerlichkeit der Ehevertrage, und sonst durchaus in Rechten und | Pflichten nach der btirgerlichen Eheordnung des Landes behandelt werden, und sich | damach bequemen. XXIV. I Annahme erblicher Zunahmen. Jeder Hausvater der jiidischen Religion der nicht jezt schon einen auszeichnenten | [S. 38] erbhchen Zunahmen hat, ist schuldig einen solchen fiir sich und seine sammtliche | Kinder, die noch in seiner Gewalt sind, anzunehmen; dessen Wahl bey ihm stehet, | jedoch daB er keinen solchen wahle, womit ein Eingriff in die Familienrechte anderer | geschehe. Es muB dabey ein jeder seine sammtliche bisher gefiihrte Namen als | Vomamen beybehalten, und darf keinen ablegen. Diejenige, welche schon erbliche | Familiennamen hatten, konnen mit diesen sich begntigen, oder nach Belieben einen | neuen erwahlen. Alle, sie mogen im ersten oder zweyten Falle seyn, mtissen noch | vor der Zeit, wo dieses Gesez in seine voile Kraft tritt, ihre Namenwahl mit An= | gabe ihres Alters, des Alters ihrer Eheweiber und Kinder, die an dieser Benennung | Theil nehmen, und deren bisher gefiihrten Namen,

1692

§12: Baden

[Dok. 188-251]

mit Vorlegung ihres Geburts= | scheins, oder anderer dessen Stelle vertrettenden Urkunden zu Protokoll erklaren, und | davon beglaubte Ausfertigung zur Beurkundung ihres biirgerlichen Standes erheben. | Das gleiche miissen alle mit StaatsErlaubnis neu im Lande sich niederlassende judi= | sche Familienhaupter gleich bey Berichtigung der Btirgerannahme bewirken, oder daB | es zuvor schon zufolge der Verfassung ihres Heirathsstandes geschehen sey, nach= | weisen. XXV. I Kontrakte und lezte Willen. In alien Kontrakten und lezten Willen unterliegen sie alien, aber auch | keinen andem Verpflichtungen, als welche in gleichem Falle auch den christlichen Un= | terthanen obliegen, womit es inzwischen nicht die Meinung hat, um etwa wucherli= | chen Untemehmungen freyem Spielraum zu schaffen, sondem vielmehr durch die ih= | nen bewiesene Staatsachtung sie anzufeuem, diesen desto gewisser zu entsagen, XXVI. I Zeugenschaft. In Absicht der Gtiltigkeit und Glaubwtirdigkeit der Zeugnisse zwischen jtidischen | und christlichen Zeugnissen findet durchaus kein Unterschied statt: hingegen soil das | Zeugnis solcher Personen, die sich vom Nothhandel nahren, noch mehr jenes solcher | Personen, die ohne ein ordentliches Gewerbe im Bettel und Miissiggange leben, | durchaus, es mag ein solcher Jud oder Christ seyn, fur unacht gelten, mithin keine | voile Glaubwtirdigkeit haben, und der mehr oder mindere Grad des ihm beyzumes= | [S. 39] senden Glaubens von dem iibrigen sittlichen Karakter des Zeugen und seiner Aussa= | gen abhangen. XXVII. I Eyde. Auch wegen der Haupt= und NebenEide tritt jene Gleichstellung ein, nur | mit Ausnahme des Innhalts der Formeln, und der Art der Ablegung; wovon Er= | stere nach einer demnachst vorzuschlagenden und zu sancirenden schicklich und btindig | eingerichteten neuen Formel; leztere aber so oft es die Wichtigkeit der Sache und das | Verlangen des Gegentheils nothig macht, in einer hinlanglichen Versammlung in der | Sinagoge vor der aufgerollten Thora geschehen muB. XXVIII. I Abgaben. Wegen ihrer Abgaben, und wie diese von dem jetzigen Stand in denjenigen, | den ihre Gemeinds= oder Schuzbtirgerliche RechtsVerhaltnisse fordem, tibergehen sollen, | bleibt noch bis zu Einlangung eines von jeder der drey ProvinzRegierungen und Kam= | mem tiber die ftir alle Betheiligte vortheilhafteste Art und Einrichtung zu erstatten= | den Gutachtens (wozu solche anmit aufgefordert sind) eine besondere Verordnung | vorbehalten. XXIX. I Gerichtsbarkeit. Eine eigene Gerichtsbarkeit in allem was das btirgerliche Leben betrift, kann | ihnen ferner nicht zustehen, sondem sie mtiBen nach ihren verschiedenen biirgerlichen | Eigenschaften, als StaabsAmts oder KanzleysaBig gleich alien andem Unterthanen | in peinlichen, biirgerlichen und polizeilichen Sachen Recht geben, und nehmen; nur | die Rechte der Kirchenzucht in und ausser der Sinagoge zu liben bleibt ihren kirch= | lichen Beamten eben so, wie jenen der andem ReligionsBeamten in der ihrer Re= | ligion angemessenen Art vorbehalten. [S. 40] XXX. I OrtsSinagogen. Jede OrtsSinagoge hat zu ihrem kirchlichen Beamten einen OrtsRabiner, | der gehorig studirt haben, ordnungsmasig gepnift, von der Behorde emannt, und | von der ProvinzRe-

[198/1] Landesherrliche Verordnung vom 13. Januar 1809

1693

gierung bestattigt seyn muB, und einen OrtsAeltesten, der aus den | gebildetsten jiidischen Btirgem emannt und von den Beamten unter welchen die Si= | nagoge liegt, bestattigt seyn muB. Der erstere ist fur den Religions=Unterricht | und beide sind fur die Kirchenzucht, fur die Unterstlizung des Vollzugs der von der | Obrigkeit ergehenden Befehle, welche die JudenGemeinden betreffen, und fur den | Vollzug der von den kirchlichen Beamten der ProvinzSinagoge erhaltenden gesezma= | sigen Auftrage verantwortlich. XXXL |Provinz=Sinagogen. Alle Orts Sinagogen einer Provinz sind von der Provinz=Sinagoge abhan= | gig, wozu nach der noch zu erwartenden Benennung diejenige bestimmt ist, in welcher | die mehrste gebildete, und vermogliche jiidische Gemeindsglieder angesessen sind, und | von welcher daher die sicherste Vorbereitung einer zwekmasigen Bildung auf die tibri= | ge Orts Sinagogen der Provinz zu hoffen ist. XXXII. I Kirchliche Beamten der Provinz=Sinagogen. Die kirchliche Beamten der Provinz=Sinagogen bestehen aus einem | Landrabbiner, und zweyen LandAeltesten, wegen deren Priifung, Emennung und Be= | stattigung das nemliche, wie bey den OrtsSinagogen gilt, nur daB hier auch die | beide Aelteste ihre Bestattigung von der Regierung zu erwarten haben. Diese sind | fur die PflichtErfullung der kirchlichen Beamten der OrtsSinagoge, fur Ertheilung | der zweckmasigen Auftrage an sie in den kirchlichen Angelegenheiten, und fur die | Betreibung des Vollzugs der an sie ergehenden Staatsbefehle, und hoherer kirch= | licher Weisungen verantwortlich. [S. 41] XXXIII. I Unmittelbare Kirchenbeamte der Orts=Sinagoge. Der Land Rabbiner und jtingste der Landaltesten sind zugleich die unmittelbare | Kirchenbeamte ihrer OrtsSinagoge und haben als solche alle Rechte und Pflichten | derselben. XXXIV. I Oberrath. Die samtlichen ProvinzSinagogen mit alien ihnen anhangigen OrtsSinagogen stehen | unter einem in dem Siz der Staatsregierung aufzustellenden jiidischen Oberrath; | dieser besteht aus einem eigenen Obervorsteher, welcher aus Rabbinem oder aus | hinlanglich geistig gebildeten weltlichen Gliedem der jiidischen Gemeinde genommen | werden kann, sonst aber weder bey der Provinz noch bey der OrtsSinagoge eine | weitere Anstellung haben darf; aus zwey der drey Landrabbinem, wo von der eine | immer derjenige der Provinz ist, wo der Oberrath seinen Siz hat, aus zwey beson= | ders angestellten Oberrathen, welches weltliche zwekmasige gebildete jtidische Ge= | meindsglieder seyn miissen, aus drey zugeordneten Oberrathen, deren jeder einer der | zwey Landaltesten einer Provinz seyn muB, und aus einem Oberrathsschreiber, wel= | cher die Ausfertigungen des Oberraths besorget. XXXV. I Gesammtheit und AusschuB des Oberraths. Dieser Oberrath soil theils in vollem Rathe, theils durch einen AusschuB handeln. Der | voile Rath versammelt sich jahrlich zu einer noch zu bestimmenden Zeit um die dahin gewiesenen | Hauptgeschafte abzuthun. Durch den AusschuB der aus dem Obervorsteher, dem an I dem Siz anwesenden Landrabbiner, den zwey standigen Oberrathen, und dem im | AusschuB, nicht aber in dem gesammten Oberrath zugleich Stimme fiihrenden Ober= [ rathsschreiber besteht, und wobey in Abwesenheits oder VerhinderungsFallen des | Obervorstehers, der Landrabbiner, im Mangel eines der tibrigen Glieder aber einer der | am Ort anwesenden Landaltesten an dessen Stelle einstweilen eintritt, werden nach= | mals die laufenden und alle nicht dem gesammten Rath zugewiesenen Geschafte be= | sorgt.

1694

§ 12: Baden

[Dok. 188 - 251]

[S. 42] XXXVI. I Bestellung des Oberraths. Die Emennung aller Glieder des Oberraths behalten Wir Uns jetzt erstmals | durchaus bevor. Ftir die Zukunft aber soil solche in der MaaBe geschehen, daB Uns | zu der Stelle des Obervorstehers, der standigen Oberrathe, und des Oberrathsschrei= | bers bey jeder Eroffnung zwey Personen von dem gesammten Oberrath zu dem | Ministerium des Innem in Vorschlag gebracht werden, damit Wir denjenigen, der | Uns als der Tauglichste erscheint, daraus emennen und anstellen. Die aus den | Landrabbinem und Landaltesten zu wahlende Mitglieder emennen Wir in Vakatur= | fallen nach vorher erhobenem Gutachten des Ausschusses tiber die Tauglichkeit des Ei= | nen und Andem derjenigen, zwischen welchen die Wahl ist. XXXVII. 1 Einftihrung in das Amt. Die Einfiihrung in das Amt hat bey dem Obervorsteher ein von dem Ministe= | rium des Innem dazu zu beauftragender Geheimer Referendar, bey den tibrigen | Oberrathsgliedem der Obervorsteher zu besorgen. XXXVIII. I Emennung der LandRabbiner und Landaltesten. Die Emennung der Landrabbinner und Landaltesten geschieht von dem | gesammten Oberrath an die ProvinzRegiemng, welche die Bestattigung ertheilet, | und wo diese keinen Anstand hat, auch deren Einfuhmng ins Amt durch einen Re= | giemngsrath besorgen laBt. XXXIX. I Emennung der Ortsrabbiner und Ortsaltesten. Die Emennung der Ortsrabbiner und Ortsaltesten geschieht von dem | jiidischen Landvorstand der Provinz, jedoch Erstere nur aus Personen, die vom Ober= | rath zu Rabbinem hinlanglich befahigt erklart sind, und geht an den einschlagenden | Beamten, welcher die Einfiihrung ins Amt zu besorgen hat. [S. 43] XL. I Geschafte des gesammten OberRaths. Die Geschafte des gesammten Oberraths bestehen ausser dem was wegen | der Emennungen ihm zugewiesen ist; 1.) in dem Vorschlag zur ersten Eintheilung der Sinagogen=Sprengel, und de= | ren etwa jeweils nothig werdenden Aendemng, 2.) in der Fiximng des Schuldenstandes der einzeln Judengemeinden, und ihres | Tilgungsplans; 3.) in der Festsezung des kirchlichen UmlagfuBes, und der jahrlichen Umlags= | summen; 4.) in Ausmittlung der Anordnungen, welche nothig sind, um dem Religionsun= | terricht seine oben verordnete Stiftung und Wirksamkeit zu geben; 5.) in Beurtheilung des PriifungsErfunds derer, die bey ihnen Religionslehrer | werden wollen, nach naher auszumittelnden Vorschriften; 6.) in Entwerfung und Verbessemng des Studienplans fur ihre kunftige Reli= | gionslehrer; 7.) in dem ersten Vorschlag zu einer bey ihnen einzufiihrenden verbesserten Eides= | formel; 8.) in dem BeschluB desjenigen was zu Verbessemng der Kirchenzucht bey ihnen | nothig erscheinet; 9.) in Berathung desjenigen, wortiber der Regent sein Gutachten fordert.

[198/1] Landesherrliche Verordnung vom 13. Januar 1809

1695

XLI. I Geschafte des Ausschusses des Oberraths. Die Geschafte des Ausschusses sind ausser jenen ihm oben zugewiesenen Er= | nennungen; 1.) Die Vorbereitung aller dem vollen Rathe zugewiesenen Geschafte, durch Samm= | lung aller nothigen Nachrichten, und Fertigung der erforderlichen Vorarbeiten; 2.) Die Vollziehung derer durch Landesherrliche Sanktion dazu reif gewordenen | Beschltisse des vollen Raths; 3.) Die Anordnung und Besorgung alles dessen, was zur laufenden Aufsicht auf | die Kirchenverfassung gehoret; [S. 44] 4.) Die Sorge, daB wo die Anwendung biirgerlicher Geseze Anstande findet, die | Judengemeinde dartiber zweckmasig belehret werde; 5.) Die Veranstaltung, daB, solange noch nicht die besondere Staatsbeurkundung | des biirgerlichen Standes in Gang gesezt ist, ihre Rabbiner alles dahin geho= | rige voUstandig aufzeichnen; wenn aber jenes einmal geschehen ist, daB alsdenn | die Rabbiner die darauf Bezug habende kirchliche Handlungen, der Beschnei= | dung, Trauung, Beerdigung nicht eher vomehmen, oder vorgehen lassen, als | bis ihnen der Schein der geschehenen biirgerlichen Beurkundung vorgelegt | ist; 6.) Die kirchliche Zulassung der zuvor von der weltlichen Behorde erkannten Ehe= | trennungen; 7.) Die Vorstellung tiber gesammte Angelegenheiten der jtidischen Kirchenparthey | an den Regenten. XLIL I Vorbehalt hochster Genehmigung, Weder der voile Rath noch der AusschuB kann eine Verftigung erlassen, wo= | durch etwas neues eingefiihrt, oder etwas altes abgeschaft, oder die kirchliche Rechts= | verhaltnisse der jtidischen Gemeindsglieder unter sich geandert werden, ohne bey dem | einschlagenden Ministerium die Staatsgenehmigung dazu eingeholt zu haben. XLIII. I Zeit des Vollzugs dieser Verordnung. Dieses Gesez tritt in allem wo nicht Ausnahmsweise ein friiherer Vollzug geord= | net ist, oder in einem oder anderm Punkte Vorbereitungsweise nachgeordnet werden | wird mit dem ersten July d. J. in seine voile Kraft und Wtirksamkeit. Hiemach hat sich Jedermann zu achten. Gegeben Carlsruhe den 13. Januar 1809. Carl Friedrich. | (L. S.) Vdt. Frhr. von Hacke. Auf Seiner Konigl. Hoheit | besondem Befehl. | Vdt. Biichler.

1696

§ 12: Baden

[Dok. 188-251]

[198/2] Anwendungsvorschriften zum Sechsten Constitutions-Edict vom 1. Februar 1809 Vgl dazu in „Teil 1: Historische Einfuhmngen" die Darstellung unter [737.]. Quelle: GroBherzoglich-Badisches Regierungsblatt, 7. Jahrgang, (Nr. 9 vom 4. Marz) 1809, S. 93-106(gedruckt). [S. 93] Wir Carl Friedrich von Gottes Gnaden | Grosherzog zu Baden Herzog zu Zahringen etc. Nachdem Unser sechstes Constitxitions=Edikt die Verhaltnisse der verschiedenen Stan= | de in Unserm Grosherzogthum bestimmt hat, so sind nunmehr noch jene Vorschriften | zu geben, welche zu richtiger Anwendung einiger Artikel desselben erforderlich werden. | In dessen Gefolg setzen und gebieten Wir andurch liber die Erlangung und Wirkung | der OrtssaBenrechte, indem Wir Uns zugleich vorbehalten, in Fallen, da einzelne Orts= | verhaltnisse Ausnahmen nothig machen, auf erhaltenen Vortrag durch Ortsfreyheiten | zu entscheiden. Bedingnisse des Btirgerrechts fur Frauenspersonen. I. Eine Biirgerstochter tritt das ihr angebohme Btirgerrecht, (es sey nun Ge= | meinds= oder Schutzbiirgerrecht) durch ihre gesetzmaBige Verehelichung mit einem Btir= | ger des namlichen Orts und der namlichen Classe an, dieser mag nun solches Biir= | gerrecht vorhin schon gehabt, oder erst auf diese Heurath hin erlangt haben. II. Eine Gemeindsbtirgerstochter vergiebt durch Verehelichung mit einem | Schutzbtirger .ihr Gemeindsbiirgerrecht, in welches sie jedoch, ohne einer neuen | Annahme zu bedtirfen, wieder eintritt, sobald ihr Mann das Gemeindsbiirgerrecht | erlangt, oder sie nach Auflosung solcher Ehe, an einen Gemeindsbtirger sich verheu= | rathet. III. Eine Schutzbtirgerstochter des Orts, und jede ausser dem Ortsrecht gebohme | Innlanderinn, oder Auslanderin, welche einen Gemeindsbtirger heurathet, ohne vor= | her ihre Annahme zum Btirgerrecht ausgewirkt zu haben, erhalt nur das Schutzbtir= | gerrecht, und vererbt auch nur dieses auf ihre Kinder. [S. 94] IV. Die gemeindsbtirgerliche Annahme einer Frauensperson erfordert: a.) Die Eingehung der Ehe mit einem Gemeindsbtirger; - ledige, | oder einen Schutzbtirger heurathende Frauenspersonen konnen das Gemeindsbiirgerrecht | weder annehmen, noch das angebohme antreten. b.) Das ZeugniB guten Leumuths. Wer nach erstandener peinlicher Stra= | fe nicht durch fanfjahrige, oder nach erstandenen biirgerlichen offentlichen Strafen | nicht durch zweyjahrige gute AufRihrung das Zutrauen eines gebesserten Charac= | ters sich eigen gemacht hat; wer wegen peinlicher, oder biirgerlicher Vergehen, (wo= | hin jedoch bios polizeyliche nicht zu rechnen sind), noch in unbeendigter Untersuchung I steht, wer einen schon zur obrigkeitlichen Riige gekommenen, und nicht seit Jahr und | Tag wenigstens abgelegten Hang zu polizeylich sittlichen Vergehungen aussert, der kann | ein ZeugniB guten Leumuths giiltig nicht erhalten.

[ 198/2] Anwendungsvorschriften zum 6. Constitutions-Edict vom 1. Februar 1809

1697

c.) Den Besitz des erforderlichen Einbringens; in dessen Ermanglung | kann ohne Einwilligung der Gemeinde zum Gemeinds^Btirgerrecht niemand gelan= | gen; doch ist es dem ktinftigen Ehemann, der mehr besitzt, als ein Innlander an | solchem Ort Vermogen einbringen muB, und rechtsfahig ist zu schenken, gestattet, | der ktinftigen Ehegattin, ein Zubringen aus seinem Vermogen auszusetzen, und sie | dadurch zum Btirgerrecht zu vereigenschaften. d.) Das Entlassungszeugnis ihrer bisherigen StaatsObrigkeit | fur Auslanderinnen, welches aber nicht vor Richtigstellung der tibrigen Erfor= | demisse (a - c) abgefordert werden darf, vielmehr sind die Bittstellerinnen abzuwar= | nen, es friiher nicht zu suchen, um nicht, wenn ihre Annahme andere Schwierig= | keiten findet, heimathslos zu werden. V. Die schutzbtirgerHche Annahme einer Frauensperson wird: a.) Schon durch die Ehe mit einem Schutzbtirger begriindet. b.) Ftir die Ertheilung des Zeugnisses eines guten Leumuths wird die Halfte der | oben (IV. - b.) bestimmten Zeit der bewiesenen Besserung festgesetzt. c.) Das Einbringen beschrankt sich auf die bestimmte mindere gesetzliche Summe. d.) Die Verfugungen liber das Entlassungszeugnis der Auslanderinnen, (IV. d.) | treten auch hier ein. [S. 95] Bedingnisse des Btirgerrechts fur Mannspersonen. VI. Mannspersonen konnen das angebohme Gemeinds=Btirgerrecht nur unter folgen= | den Bedingungen antreten: a.) Der Volljahrigkeit, worinn jedoch Regierungs=Dispensation eintreten kann; | die blose ErlaubniB zur Heyrath schheBt solche aber nicht in sich, wenn sie nicht na= | mentlich darinn ausgedriickt ist. b.) Der Fertigkeit, - wenn nicht ein Naturfehler sie unmoglich macht, im | Lesen des Gedmckten und Geschriebenen, im Schreiben, in schriftlichem AufsaB | ihrer Meynung tiber gemeine Lebens=Angelegenheiten, welches zwar nicht durchaus | sprachrichtig, doch verstandHch seyn muB, in der Landessprache, und in dem gemeinen, | fur den gewohnlichen Lebensgebrauch nothigen Rechnen. Letztere beyde Eigenschaf= | ten mtissen in Stadten vollstandiger, als auf dem Lande, und in Stadten der zwey | ersten Classen; (dieses Wort im Sinn des Edikts tiber die Kriegspflichtigkeit. Art. 29 | im Regiemngsblatt vor. J. Stiick VIII. genommen,) piinctlicher, als in den tibri= | gen genommen werden. In den nachsten fiinf Jahren muB tibrigens bey den ge= | bohmen Btirgem an Orten, wo vorhin die Schulen noch nicht gehorig vervollkomm= | net waren, mehrere Nachsicht eintreten, da aber diese Zeit hinreicht, daB alle sich | die nothigen Fahigkeiten eigen machen konnen, so wird nach VerfluB dieses Zeitraums | die gegenwartige gesetzliche Vorschrift vollkommen verbindlich. c.) Der Besitz eines, an dem Ort der Aufhahme zulaBigen, in gesunden Tagen | zur nothdtirftigen Lebsucht hinreichenden Nahrungszweigs, und der gesetz= | maBige Ausweis tiber die hiezu erforderlichen, bestimmten Befahigungen | durch Kundschaften, Meisterstiickfertigung bey ztinftigen Gewerben etc. d.) Die Betreibung ihres Lebensbemfs auf eigene Hand und Haushaltung, indem | Arbeit lediglich in fremdem Unterhalt und Dienst fur fremde Rechnung, mithin aus= | ser der Lage, Familienhaupt zu werden, den Antritt des angebohmen Gemeinds= | btirgerrechts nicht gestattet.

1698

§ 12: Baden

[Dok. 188 - 251]

VIL Mannspersonen die ihr angebohmes OrtssaBenrecht, (Gemeinds= oder Schutz= | btirgerrecht) nur in der letztem, beschranktem Eigenschaft antreten woUen, mtissen a.) Auch volljahrig seyn. fS. 96] b.) Eine geringere Bildung kann ihnen nachgesehen werden, wenn sie iibrigens | zum wenigsten Gedmcktes lesen, ihren Namen schreiben, und, falls sie Handwerker blei= I ben wollen, der dazu gehorigen Rechnungen und Aufzeichnungen fahig sind. c.) Eine geringere Gewerbsbefahigung reicht alsdann gleichfalls hin, wenn sie ihrer | Emahrung unter deri alsdann der Austibung anhangenden, polizeylichen Beschran= | kungen gentigt. d.) Die Arbeit in fremdem Dienst schlieBt davon nicht aus, wenn mit Wahrschein= | lichkeit die Dauer der Nahrung, obgleich nicht bey den namlichen, doch bey andem I Herm, oder Meistem erwartet werden kann, und kein HindemiB, selbst Familien= I haupt zu werden, darinn liegt. VIIL Die Annahme eines nicht angebohmen Gemeindsbiirgerrechts erfordert: a.) Alle Eigenschaften, welche (VL) fiir den Antritt des angebohmen Bur= | gerrechts vorgeschrieben worden. b.) Alle Eigenschaften, welche (IV.) zur gemeindsbtirgerlichen Annahme der | Frauenspersonen angeordnet sind; es kann jedoch rticksichtlich der Eingehung der Ehe | nachgesehen werden, wenn der Nahrungszweig des Anzunehmenden die Nahrung der I schon vorhandenen Ortsangehorigen nicht schmalert, oder sie zu vermehren geeignet ist. c.) Die Religions=Eigenschaft, welche an dem Orte der Aufhahme das | Kirchspielsrecht genieBt, in jenen Fallen, wo sie nach der Kirchen=Constitu= | tion des Grosherzogthums erfordert wird. d.) Personen, die zuvor eine Lebensart batten, die nach Unserm deninachst erge= | henden Gesetz gegen den Wucher, als zum Wucher neigend anzusehen ist, bedtirfen, | von dem Ortsgericht ihres bisherigen Wohnorts das von der Obrigkeit bekraftigte | ZeugniB, daB wenigstens in den letzten fiinf Jahren gegen sie wegen Betrug, Ver= | vortheilung, oder Wuchers weder eine gegriindete Klage, noch ein allgemeiner Ruf I glaublich vorgekommen sey. IX. Die Annahme des Schutzbtirgerrechts erfordert a.) die zum Antritt des Schutzbtirgerrechts, (VIL) b.) Die zur schutzbtirgerlichen Annahme der Frauenspersonen, (V.) vorgeschriebe= | ne mindere Befahigung. [S. 97] c.) Die, (VIIL c.) gedachte Religions=Eigenschafl. d.) Und zwar nur bey jenen, die nicht nothwendig anzunehmende Schutzbtirger | sind. X. Nothwendig anzunehmende Schutzbtirger sind: a.) Innlandische Gemeinds= oder Schutzburger, die mit Beybehaltung ihres | anderwartigen Ortssassenrechts wegen einem erlaubten, und an die Orts=Btirger= | schaft nicht gebundenen Gewerbe an einem bestimmten Ort ihren Wohnsitz auf= | schlagen.

[198/2] Anwendungsvorschriften zum 6. Constitutions-Edict vom 1. Febraar 1809

1699

b.) Die eigene, mit vorbehaltenem Biirgerrecht auswarts sich aufhaltende Ge= | meindsglieder eines Orts, welche ihr Gemeindsbtirgerrecht versaumt, und auswarti= I ges Staatsbiirgerrecht noch nicht angenommen, c.) Diejenige, welche ein Schutzbtirgerrecht ersessen haben; d.) Bey alien dreyen Classen kommen keine Eigenschaften weiter in Frage« Einzubringendes Vermogen. XL Das gesetzmaBige Einbringen einer zum Gemeindsbtirgerrechte anzuneh= | menden Frauensperson, wird, so feme nicht durch besondere Ortsfreyheiten mehr be= | stimmt ist, folgendergestalt festgesetzt: a.) Ftir Stadte erster Classe auf fiinzehnhundert Gulden bey Auslanderinnen, | auf sechshundert Gulden bey Innlanderinnen. b.) Fiir Stadte zweyter Classe auf achthundert Gulden im ersten, auf vierhun= | dert Gulden im andem Falle. c.) Fiir Stadte dritter Classe auf fiinfhundert und auf dreyhundert Gulden. d.) Ftir Dorfschaften in nahrhaften Gegenden auf dreyhundert und zweyhundert | Gulden. e.) Ftir Dorfschaften in Waldgegenden und minder nahrhaften Landstrichen, (wo= | rtiber die ProvinzRegierungen die Bestimmung geben) auf zweyhundert, oder ein= | hundert und fiinfzig Gulden. f) Bey Ertheilung des Schutzbiirgerrechts in Stadten erster und zwey= | ter Classe auf das namliche. g.) In Stadten dritter Classe auf dem Lande auf einhundert und fiinfzig, | oder einhundert Gulden. [S. 98] XII. Das gesetzmaBige Einbringen einer Mannsperson bey Annahme des nicht | angebohmen Gemeinds= oder Schutzbiirgerrechts, wird, je nachdem der Aufzuneh= | mende Innlander oder Auslander ist, auf das Doppelte dessen bestimmt, was | vermoge (XL) eine Frauensperson in gleichen Verhaltnissen einzubringen hat. XIII. Ftir solche Mannspersonen aber, die weder mit Handarbeit, oder Landbau, noch | mit einem erlemten Gewerbe sich nahren konnen, und wollen, sondem lediglich von | dem allgemeinen erlaubten, kunstlosen Umtrieb ihres Vermogens durch Ausleihen, | Speculationen in Frucht, Wein, oder andem Landesprodukten u. d. gl. leben wol= | len, wird solches auf das vierfache der XL erwahnten Vermogenssumme festgesetzt. XIV. Falls ein btirgerliches Ehepaar aufgenommen wird, muB a.) Das Einbringen, welches fur beyde Theile vorschriftsmaBig erforderlich ist, | vorhanden seyn. b.) Jedoch darf wegen schon vorhandener Kinder kein weiteres Vermogen nach= | gewiesen werden. c.) Dagegen konnen nur Kinder, die das Schulentlassungsalter noch nicht zurtick= | gelegt, von solcher Aufiiahme der Eltem Vortheil ziehen. d.) Sie kann sich daher auf altere Kinder nicht ausdehnen, welche in ihren vori= | gen Btirgerrechts=Verhaltnissen bleiben, bis sie selbst in die Lage kommen, ein Btir= | gerrecht an solchem Ort nach Zeit und Umstanden nachzusuchen, in welchem Fal-

1700

§ 12: Baden

[Dok. 188 - 251]

le I die inzwischen eingetretene Burger=Annahme ihrer Eltera ihnen weder zum Vortheile, | noch Nachtheile gereicht. XV. Das einzubringende Vermogen ist immer schuldenfrey zu verstehen. XVI. In das Einbringen ist a.) Alles einzurechnen, was wirklich als frey eigen besessen wird„ b.) Dasjenige, was nur als gmndeigen, aber unter fremder Nutzniessung besessen | wird, kann nur dergestalt mit eingerechnet werden, daB dabey der Gulden des Anschlags I nur fiir drey Viertheile, also fiir vierzig ftinf Kreuzer in Anrechnung komme. [S. 99] c.) Bios erblich zu hoffendes Vermogen kommt, wenn es auch kraft PflichtErb= | Rechts zu hoffen ware, bey Mannspersonen nicht in Anschlag, bey Frauenspersonen | hingegen darf es zu zwey Drittheilen, also der Gulden fiir vierzig Kreuzer in | Anrechnung genommen werden. d.) Dagegen mag Mannspersonen ein ordentliches, im Staat eigens anerkanntes, | mithin nicht jedem Staatsbtirger ohne weitere Befahigung gestattetes Gewerbe, je | nachdem es mehr oder minder ergiebig, mehr oder minder tibersetzt ist, oder mehrem, | oder mindem Einrichtungsaufwand fordert, zu einem Viertheil, einem Drittheil, I und hochstens zur Halfte des erforderlichen Einbringens angeschlagen, und statt Ver= | mogens eingerechnet werden. XVII. Das Einbringen ist mit glaubhaften Urkunden zu belegen, oder selbst vorzuweisen, | so weit alsdann noch ein Zweifel tiber das Eigenthum nach Umstanden statt findet, | muB das reine, freye, mithin weder dem Rtickfall, noch der Riickerstattung unter= | worfene Eigenthum mit gesetzmassiger Vergeliibdung versichert werden. Vollziehung der Annahme. XVIII. Der Antritt eines angebohmen Gemeinds= oder Schutzbtirgerrechts bedarf le= | diglich der Anzeige bey dem Ortsvorstand mit Nachweisung dee vorhandenen Erfor= | demisse zur Eintragung in die Burger= und Tax=Verzeichnisse. XIX. Die Annahme eines nicht angebohmen Gemeinds= oder Schutzbtirgerrechts kann | den Innlandem von der Ortsherrschaft nach Vemehmung des Gerichts und der Ge= | meinde, oder in geeigneten Fallen ihres Ausschusses bewilligt werden, wenn keine | Eigenschaften ermangeln, oder tiber die ermangelnde, von der Gemeinde und der | Ortsherrschaft einverstandlich hinausgegangen werden will und kann, welches letztere | jedoch bey dem Alter und der Religionseigenschaft, da, wo sie gesetzmassig erfordert | wird, nicht der Fall ist. Bey landesherrhchen Eigenthumsorten tibt hierinn der Ju= | risdictions=Beamte des Bezirks die Rechte der Ortsherrschaft. XX. Waltet zwischen der Ortsherrschaft und der Gemeinde wegen Beyseitsetzung eines | vorgeschriebenen Erfordemisses Verschiedenheit der Meynungen, oder ist ein Mangel | ob-

[198/2] Anwendungsvorschriften zum 6. Constitutions-Edict vom 1. Februar 1809

1701

gedachtermaasen von der Art, daB er auch durch EinverstandniB der Ortsherrschaft | [S. 100] nicht gehoben werden kann, so muB die Provinzregierung, oder jener Beamte und | Staatsdiener, dem etwa an ihrer Statt wegen Nachsichtsertheilung fur einen, oder | den andem Mangel durch Dienstinstructionen Gewalt gegeben ist, die Genehmigung | ertheilen. Jedoch konnen in solchen Fallen die Ortsherrschaft, oder der geeignete | Beamte die abweisende Entschliessung ohne Anfi-age geben, gegen welche aber, wie in | andem ahnlichen Polizeyfallen der geeignete Recurs an die unmittelbar vorgesetzte Ober= | Polizeybehorde Statt hat. XXL Wenn bey Aufhahme der Gemeindsbiirger ausser den Taxen der Annahme, welche | sich nach der Taxordnung bemessen, ein eigenes Einzugsgeld an die Gemeinde, (an man= | chen Orten auch Btirgergeld genannt,) hergebracht ist, so ist solches nach dem ver= | haltniBmasig zu den Btirgemutzungen hergebrachten, oder durch einzelne Freyheiten | und Verordnungen bestimmten FuB, und zwar nebst den Taxen vorher zu entrichten, | ehe von einem der constitutionsmaBigen Vorrechte der Ortsbtirgerschaft zu Gunsten des | NeuEintretenden Gebrauch gemacht werden kann. Folgen der Annahme. XXII. Der sein angebohmes, oder neu ertheiltes Btirgerrecht antretende Gemeindsbiirger | tritt a.) von dem Tage an, wo sein Antritt, oder seine Annahme dem Ortsvorgesetzten | als berichtigt angezeigt, Urkunde deBfalls vorgelegt, und zugleich die Gebtihr bezahlt | ist, oder wenn beedes nicht zugleich geschieht, von dem Tag der erlegten Gebtihr an, I in die Theilnahme an alien Rechten und Gentissen: b.) In Absicht auf Weide= Hut= Holz= Les= und Laubgerechtigkeiten kann er | eben so wie in Theilnahme an Allmenden, die zu Eigenthum ausgetheilt werden, in | dem nachsten Fall der nach jenem Termin eintritt, wirklich davon Gebrauch machen c.) In Absicht auf Aecker und Wiesen, die zum GenuB jeweils auf langere, oder [ kurzere Zeit begeben werden, und auf Holzgaben aber erst alsdann, wenn ein Loos | offen wird, und ihn die Reihe trift. XXIII. AUer Orten sollen namlich a.) diese Gentisse in bestimmte Antheile geschieden werden. b.) Hierinn soil der Zustand, wie er am Iten Januar 1. J. war, so lange zur | [S. 101] Richtschnur dienen, als nicht nach eingesehenen Verhaltnissen eine Minderung, oder I Mehrung mit landesherrlicher Genehmigung eingefuhrt wird. c.) Ein verhaltniBmaBiger Theil derselben soil zu halben Antheilen ftir die Wittwen | geschieden werden, welches VerhaltniB jedes Gericht mit ortsherrlicher, oder amtlicher I Genehmigung bestimmen mag. d.) Neue, durch Eintritt oder Annahme nachwachsender Btirger, oder neue, durch | Abgang folgende Wittwen, werden, falls unter den Burger, oder Wittwen=Anthei= | len keiner offen ist, bis zu solcher Erofftiung in einer Wartliste verzeichnet, und nicken I dann nach der Ordnung der Zeitfolge in den GenuB ein. XXIV. Hierbey wird es den Gemeinden gestattet, nach ihrem Ermessen statt besonderer | Wittwenantheile auch die Einrichtung zu treffen, daB bey Erledigung eines ganzen An= | theils durch den Tod eines Btirgers, dessen Wittwe deren Halfte behalte, und der | nachriickende

1702

§ 12: Baden

[Dok. 188 - 251]

Burger einstweilen nur die andere Halfte beziehe, bis wieder auf ahnli= | che Art, oder durch den Tod einer Wittwe ein halber Antheil frey wird, durch dessen | Zuschlagung der seinige sich erganzt. XXV. Diese Verfiigungen tiber den Eintritt in Btirgergerechtsame und Btirgemutzungen | finden gleichfalls ihre Anwendung auf das VerhaltniB der Schutzbiirger, so weit sie | jeden Orts an Gerechtsamen und Nutzungen Theil haben. XXVL Ausser den Dienststellen, die hier und da verfassungsmaBig und besoldungsweise | an dem GenuB der unter die allmendfahigen Burger vertheilten Grundstucke in | Aeckem und Wiesen Theil nehmen, kann niemand ein Loos erhalten, der sie nicht | selbst oder durch die Seinigen bauen und amdten kann oder will, folglich sich nicht | mit Landwirthschaft umittelbar beschaftigt und nur durch Verpachtung Theilnehmer | zu werden denkt. Jedoch ist demjenigen, der einmal durch Betreibung des Landbaues | zum Mitgenusse befahigt war, die Beybehaltung und Benutzung seiner Allmendtheile | gestattet, wenn ihm gleich durch zufallige Umstande ihre Selbstbenutzung in der Folge | unmoglich, oder unvortheilhafl wird. XXVII. Jeder angenommene Orts= oder Schutzbiirger wird von dem obgedachten Zeitpunct | seiner berichtigten Aufhahme an, verbunden, alle Lasten, die jeden Orts auf seiner | [S. 102] Classe des Biirgerrechts haften, mit zu tragen, und an den Schulden, die etwa | schon auf der Gemeinde liegen, und in der Folge durch Umlagen erhoben werden | mtissen, nach den herkommlichen Umlagsnormen Theil zu nehmen. Nur zu jenen | Diensten und Umlagen, die auf den GenuB ausgetheilter Allmenden Bezug haben, | wird er erst von dem Tag seines Eintritts in den AllmendgenuB mit verpflichtet, | wenn nicht besondere Ortsverhaltnisse eine friihere Verpflichtung begrtinden. XXVIII. Die besondem, im Vlten ConstitutionsEdict §.10. enthaltenen Vorrechte der Ge= | meindsbtirger ruhen in ihrem Gebrauche: a.) Bey jenen, welche wegen peinlichen, oder groben btirgerlichen Vergehen, d. h. | solchen, worauf mehr als Geld, = oder gemeine GefangniBstrafe von drey Wochen | steht, in Untersuchung sind. b.) Bey solchen, die deBfalls in Strafe verfallen, und diese noch nicht erstanden | haben. c.) Bey solchen, die eine peinliche Strafe erstanden haben, noch binnen 5 folgen= | den Jahren, innerhalb welcher sie sich erst das Zutrauen einer gebesserten Rechtlich= | keit und Sittlichkeit eigen machen mtissen. d.) Nur der AllmendgenuB, wozu ein solcher Strafling vorher schon das 1 Recht erlangt hatte, verbleibt seiner Frau, oder seinen minderjahrigen Kindem, an= | demfalls kommt es wahrend der Ruhezeit der Gemeindskasse zu statten. XXIX. Der Gemeindsbtirger, welcher seinen Wohnsitz an einen andem Ort im Lande, | ohne sich dort in das Ortsburgerrecht einzulassen, oder in das Ausland, unter Be= | achtung der Vorschrift tiber die Heymathsscheine, verlegt, muB in dem Orte, wo | er bisher verbtirgert ist, einen BiirgerrechtsVertreter aufstellen, der die an | ihn ergehende Ladungen und Vorforderungen far ihn empfangt, sie zu seiner Kennt= | niB bringt, und die Abgaben, welche

[ 198/3] Verordnung, „die Adels-Matrikel betreffend", vom 3, Juli 1815

1703

er auch abwesend nach den verschiedenen Ver= | haltnissen zu entrichten hat, Namens seiner berichtigt. XXX, Besitzt er aber keine Vermogensstiicke, und steht er sonst nicht in Verhaltnissen, | welche ihn auch wahrend seiner Abwesenheit zu Abgaben an die Gemeindskasse ver= | pflichten, so hat er fur das ortsbiirgerliche Heymathsrecht jahrhch, falls nicht ein | hoheres hergebracht ist, fiinf Gulden in Stadten erster, drey Gulden in | [S. 103] Stadten zweyter, zwey Gulden in Stadten dritter Classe, und einen | Gulden auf Dorfem an die Gemeindskasse zu entrichten, widrigenfalls ihm nur | Schutzbiirgerrecht vorbehalten bleibt„ XXXI. Wer ein fremdes Staats= oder anderes OrtsBtirgerrecht nachsucht, und etwa | deBfalls Zeugnisse in seiner bisherigen Heymath erhebt, kann deBfalls noch nicht, son= | dem erst alsdann, wenn er jenes wirklich erlangt hat, aus der Btirgerliste ausgestrichen | werden, es ware denn, daB er nach Colonien auswandem wiirde, wo alsdann die | Vorlegung der AuswanderungsErlaubniB dazu hinreicht. Nach all Vorstehendem ist sich zu achten, und geschieht hieran Unser Wille. Gegeben in Unserer Residenzstadt Carlsmhe den 1. Febr. 1809. Carl Friedrich. | (L. S.) Vdt. Frhr. von Hacke. Auf Sr. Koniglichen Hoheit | besondem Befehl. | Vdt. Btichler.

[198/3] Verordnung, „die Adels-Matrikel im GroRherzogthum Baden betreffend", vom 3. Jul! 1815 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einfiihrungen" die Darstellung unter [737.]. Quelle: GroBherzoglich-Badisches Regierungsblatt, 13. Jahrgang, (Nr. 12 vom 8. Juli) 1815,S. 81(gedruckt). [S. 81] Verordnung. (Die AdelsMatrikel im GroBherzogthum Baden betreffend.) Nach eingeholter hochster EntschlieBung Sr. Konigl. Hoheit sind folgende Grund= | satze in Bezug auf die AdelsMatrikel im GroBherzogthum, als Erlauterung des sechs= | ten Constitutionsedicts vom Jahr 1808. tiber die Grundverfassung der Stande als ge= | setzlich sanctionirt worden. 1) In die AdelsMatrikel des GroBherzogthums werden alle Adeliche des Landes eingetragen, | und dariiber nach den verschiedenen AdelsKlassen alphabetische Register bey dem Ministerium der aus= | wartigen Angelegenheiten gehalten, welchem auch die jeweiligen Veranderungen in dem Personal= | stande der Familien anzuzeigen sind. 2) Als dem Lande angehorige Adeliche werden alle jene angesehen, welche durch festen Wohn= | sitz und Niederlassung im Lande, oder durch tiberkommenen Staatsdienst in den personlichen Staats= | Btirgerverband getreten sind, dessen unbeschadet sie anderwarts einen auf dinglichen Besitz gegrun= | deten Realnexus behalten konnen.

1704

§12: Baden

[Dok. 188-251]

3) Kein Einwohner oder Staatsdiener wird im GroBherzogthum als adelich anerkannt, und I darf die darauf sprechenden Pradicate fuhren, der nicht in die Matrikel eingetragen ist; wogegen | auch letzte als Adelsbeweis in der Folge dienen wird. Die sammtlichen Kreisdirectorien haben hiemach ihre Verzeichnisse der adelichen | Personen ihres Kreises zu erganzen, und diejenigen derselben, in deren Familien seit | der Vorlage der Documente Veranderungen im Personalstande vorgegangen sind, so | wie auch jene, die nicht bereits ihre vorschriftsmaBigen Beweise ihrer Adelsrechte ein= | gegeben haben, anzuweisen, solche so wie die legalen Aenderungszeugnisse unverweilt | vorzulegen, welche alsdann an das diesseitige Ministerium einzusenden sind. Carls= | ruhe, den 3ten Ju111815. Ministerium der auswartigen Angelegenheiten. Frhr. von Hacke. | Vdt. Eichrodt.

[198/4] Gesetz, den Erwerb des Staatsbiirgerrechtes durch einen zehnjahrigen ehrlichen Aufenthalt im Lande betreffend, vom 17. Marz1854 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einfuhrungen" die Darstellung unter [737.]. Quelle: GroBherzoglich-Badisches Regierungs-Blatt, 52. Jahrgang, (Nr. 9 vom 20. Marz) 1854, S. 51 (gedruckt). [S.51] Gesetz, | den Erwerb des Staatsbiirgerrechtes durch einen zehnjahrigen ehrlichen Aufenthalt im Lande betreffend. Friedrich, von Gottes Gnaden Prinz und Regent von Baden, | Herzog von Zahringen. Mit Zustimmung Unserer getreuen Stande haben Wir beschlossen und verordnen, wie folgt: Einziger Artikel. Der §. 8 lit. d. des sechsten Constitutionsedikts vom 4. Juni 1808, den Erwerb des Staats= I btirgerrechts durch einen zehnjahrigen ehrlichen Aufenthalt im Lande betreffend, ist aufgehoben. Gegeben zu Karlsruhe in Unserem Staatsministerium, den 17. Marz 1854. Friedrich. Wechmar. Auf Seiner Koniglichen Hoheit hochsten Befehl: | Schunggart.

[198/5] Gewerbegesetz fiir das GroBherzogthum Baden vom 20. September 1862 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einfuhrungen" die Darstellung unter [737.]. Quelle: GroBherzogHch Badisches Regierungs-Blatt, 60. Jahrgang, (Nr. 44 vom 24. September) 1862, S. 409 - 416 (gedruckt). [Auszug] [S. 409] Gewerbegesetz | fiir das GroBherzogthum Baden Friedrich, von Gottes Gnaden GroBherzog von Baden, | Herzog von Zahringen. Mit Zustimmung Unserer getreuen Stande haben Wir beschlossen und verordnen, wie folgt: .. .

[198/6] Gesetz vom 4. Juni 1864

1705

[S. 415] Artikel 26. | Aufhebung des Zunftverfassung. Die Zunftverfassung (§. 23 und 24 des VL Konstitutionsedikts vom 4. Juni 1808) und | alle bisher bestandenen Innungsrechte sind aufgehoben. ...[S. 416] . . . Artikel 34. | Anfang der Wirksamkeit und Vollzug des Gesetzes. Aufhebung | entgegenstehender Bestimmungen. Dieses Gesetz tritt mit dem 15. Oktober 1862 in Wirksamkeit. Vom gleichen Tage an sind alle entgegenstehenden, in alteren Gesetzen und Verordnungen I enthaltenen Bestimmungen aufgehoben. Die Ministerien des Handels, der Justiz und des Innem sind, jedes soweit es dessen Wirkungs= I kreis angeht, mit dem Vollzug beauftragt. Gegeben zu Karlsruhe in Unserem Staatsministerium, den 20. September 1862. Friedrich. Stabel. Weizel. Auf Seiner Koniglichen Hoheit hochsten Befehl: | Schreiber.

[198/6] Gesetz, den Besitz von Liegenschaften durch Auslander betreffend, vom 4. Juni 1864 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einfiihrungen" die Darstellung unter [737.]. Quelle: GroBherzoglich Badisches Regiemngs-Blatt, 62. Jahrgang, (Nr. 24 vom 15. Mi) 1864, S. 237 - 238 (gedruckt). [S. 237] Gesetz, | den Besitz von Liegenschaften durch Auslander betreffend. Friedrich, von Gottes Gnaden GroBherzog von Baden, | Herzog von Zahringen. Mit Zustimmung Unserer getreuen Stande haben Wir beschlossen und verordnen, wie folgt: §•1. Die Auslander haben das Recht, liegendes und fahrendes Vermogen im Inlande auf gleiche I Weise wie Inlander zu erwerben und zu besitzen, dasselbe zu vererben und dartiber unter Lebenden | und auf den Todesfall zu verfugen. Die entgegenstehenden Bestimmungen der seitherigen Gesetzgebung, insbesondere des Landrechts= | satzes 726, 912, des §. 2. lit. 1. und §. 7 lit. a. des VI. Konstitutionsediktes vom 4. Juni | 1808 sind aufgehoben. [S. 238] §.2. Wenn die Gegenstande einer Verlassenschaft oder Schenkung theils im Inlande und theils I im Auslande sich befmden und von den letzteren Inlander wegen ihrer Eigenschaft als Fremde | ausgeschlossen sind, so sollen sie hierfur aus dem Antheile der sie ausschlieBenden Auslander an | den im Inlande befindlichen Bestandtheilen desselben Vermogens Vergiitung erhalten. Gegeben zu Karlsruhe in Unserem Staatsministerium, den 4. Juni 1864. Friedrich. Stabel. Auf Seiner Koniglichen Hoheit hochsten Befehl: | Schunggart.

1706

§ 12: Baden

[Dok. 188-251]

[198/7] Art. 39 Nr. 5 des Gesetzes, „die Ausfiihrung des Biirgerlichen Gesetzbuchs betreffend", vom 17. Juni 1899 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einfiihrungen" die Darstellung unter [737.]. Quelle: Gesetzes- und Verordnungs-Blatt fiir das GroBherzogtxim Baden, (Nr. 22 vom 28. Juni) 1899, S. 229 - 248 (gedmckt). [S. 229] Gesetz. (Vom 17. Juni 1899.) Die Ausfuhrung des Biirgerlichen Gesetzbuchs betreffend. Friedrich, von Gottes Gnaden GroBherzog von Baden, | Herzog von Zahringen. Mit Zustimmung Unserer getreuen Stande haben Wir beschlossen und verordnen, | wie folgt: ...[S. 246] . .. Abschnitt IX. | Aufhebung von Landesgesetzen. Artikel 39 Aufgehoben werden: 5. die Bestimmungen unter Ziffer 27 bis 31 des sechsten Konstitutions==Edikts liber | die Grundverfassung der verschiedenen Stande vom 4. Juni 1808; ...[S. 248] . . . Artikel 43. ^Vorstehendes Gesetz tritt gleichzeitig mit dem Biirgerlichen Gesetzbuch fiir das Deutsche I Reich, unbeschadet der Uebergangsvorschriften in den Artikeln 153 bis 217 des Einfiihrungs= | gesetzes zum Biirgerlichen Gesetzbuch in Wirksamkeit. "^Die Landrechtssatze 556 bis 559, 559 b | bis 563, 640 bis 644 und 650 bleiben von der in Artikel 39 Ziffer 1 ausgesprochenen Auf= | hebung insolange ausgenommen, bis dieselben durch ein neues Wassergesetz ersetzt sind. Die Bestimmungen des Artikels 33 Absatz 4 tritt sofort mit Verklindung des Gesetzes | in Kraft. Gegeben zu SchloB Baden, den 17. Juni 1899. Friedrich. Nokk. Auf Seiner koniglichen Hoheit hochsten Befehl: | Dr. Heintze.

[199] Landesherrliche Verordnung uber die Organisation der obersten Staatsbehorden vom 5. Juli 1808 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einflihrungen" die Darstellungen unter [740.] [743.] [748] [757.]. Quelle: Regierungs-Blatt fiir das GroBherzogthum Baden, 6. Jahrgang, (Nr. 21 vom 5. Juli) 1808, S. 185-192 (gedmckt). [S. 185] Landesherrliche Verordnung. | Organisation der obersten StaatsBehorden. Carl Friedrich, von Gottes Gnaden Grosherzog zu Baden, | Herzog zu Zahrigen u. s. w.

[ 199] Landesherrliche Verordnung vom 5. M i 1808

1707

Fiigen hiermit zu wissen: Die Reihenfolge der wichtigsten Veranderungen, welche die Auflosung der Verfassung des I Deutschen Reichs und die Bildung des Rheinischen Bundes herbeigefuhrt haben; die Ein= ! verleibung von verschiedenartiger Lande in Unsem Staat; die Wahmehmung, daB, unge= I achtet der von Uns erlassenen ConstitutiveVerordnungen, besonders derjenigen vom 20. I Merz vorigen Jahres^, neue Verfiigungen nothwendig sind; die vielfaltigen Erfahrungen | tiber die, den Zeitforderungen mehr entsprechenden Verwaltungsformen; die jtingsten Vor= | gange endlich in den beiden grossem Bundesstaaten Bayem und Westphalen, sprechen das | Bedlirfhis starker als je aus, Unserm GroBherzogthum eine Grundverfassung und zweck= | maBigere VerwaltungsOrdnung zu geben. Wir sind daher entschlossen, die Staatsverwaltung auf einfache und pragmatische Grundsaze, welche dem Geist der Zeit entsprechen, zuruckzuflihren; Wir wollen, daB, nach Inhalt der daruber bereits erlassenen Rescripte, die verschiedenen Provinzial=Ge= sezgebungen aufgehoben, und der Code Napoleon, als das vorziiglichere Resultat gesez= gebender Weisheit, mit einziger Rticksicht auf die, wegen der LandesEigenheiten noth= wendigen Modificationen und der in Frankreich wieder neuerdings eingefiihrten fideicom= I missarischen EigenthumsVerhaltnisse, eingefuhrt werden. Wir wollen daB mit Anfang I des Jahres 1809. diese Einfuhrung statt fmde. Wir wollen femer ein gleichformiges, | auf richtigen Verhaltnissen beruhendes Abgabe System gegriindet, durch Tilgung der durch die I KriegsVerhaltnisse angewachsenen SchuldenMasse den StaatsCredit erhoben, und mittelst I einer LandesReprasentation, wie sie in Westphalen und Bayem eingefuhrt worden, das | [S, 186] Band zwischen uns und dem Staatsbtirger noch fester, wie bisher gekntipft wissen. | Wir wollen, daB mit dem Geiste der Humanitat und des Rechts, welcher Wir kon= | nen es mit inniger Beruhigung sagen - seit sechs Jahrzehenden Unsere Regentenhand= | lungen geleitet hat, auch in dem Getriebe der VerwaltungsZweige mehr Einheit und Zu= I sammenhang, in den Geschaftsformen eine grossere Einfachheit und in der Vollziehung | die moglichste Schnelligkeit und Kraft hervorgehe. Dies sind die aus dem Gefiihle Un= I serer Regentenpflicht hervordringende Wtinsche, und es ist das Resultat reifer Betrachtun= | gen, wenn Wir Uns bewogen sehen, nach dem Gehalt und der Wichtigkeit derselben | folgendes zu befehlen. Wir heben das bisher bestandenen Geheimrats=Collegium, als oberste Staats=Be= | horde, hiermit vollig auf und die CentralVerwaltung des Staates theilt sich, mit Ruck= [ sicht auf das Recript vom 20. Merz vorigen Jahrs, I.) In funf Ministerial=Departements, namlich: 1.) DerJustiz. 2.) Der auswartigen Verhaltnisse. 3.) Des Innem. 4.) DerFinanzen. 5.) Des KriegsWesens. II.) Um Unsere hochste Person bilden Wir einen Kabinetsrath. Mitglieder desselben | sind, ausser den weiter unten genannten, die dazu durch speciellen Auftrag einberufe= | nen Individuen. Sie tragen den Titel von Staatsrathen. Jenen ausser Unserer Resi= | denz angestellten, aber zu KabinetsArbeiten einbemfenen Staatsrathen wird ein Ersaz | fur Reise und Dauer der Anwesenheit regulirt. Im Fall der Minister eines Departe= | ments den Zutritt erhalt, so hat ihn zugleich bei etwaiger Verhinderung der ihn sup= | plirende Director„ Im Fall der Staats= und KabinetsMinister, oder der KabinetsDirec== | [S. 187] tor abwesend oder verhindert sind, werden dieselbe durch Unsem speciellen | Auftrag supplirt. Der KabinetsRath, bei Unserer Abwesenheit | oder Verhindemng von dem KabinetsMinister, oder Director prasidirt. Der Staats= | Secretair hat die Aufsicht und Leitung der Kanzley. Alle Ange^ Dok. 189.

1708

§ 12: Baden

[Dok. 188-251]

legenheiten, welche vor | Unsere hochste Person zu bringen sind, alle Verfiigungen, welche auf Unsere besondere | Befehle veranlaBt werden, gehen durch den KabinetsRath. Derselbe hat wochentlich | zwei Sitzungen. Jeder Chef eines Departements, welcher in dieselbe zu schnellerer Er= | ledigung eines GeschaftsGegenstandes berufen wird, hat den Vortrag desselben, und kann | den einschlaglichen Referenten mit sich bringen. Alles was aus den Departements in I den KabinetsRath kommt, geht in Berichtsform, mit AnschluB der HauptActen, wo I es nothwendig ist. Bei Unserer Anwesenheit im KabinetsRath sind die Stimmen der I Mitglieder desselben berathschlagend, in Unserer Abwesenheit nach der Mehrzahl ent= I scheidend. Bei gleichen Stimmen gibt der KabinetsMinister den Aussehlag. Jedoch sind I Uns die gefaBten Beschltisse vorzulegen. Alle Ausfertigungen des KabinetsRaths werden | von dem Staats= und KabinetsMinister unterzeichnet, und von dem StaatsSecretair I contrasignirt. Der Staats= und KabinetsMinister tragt uns jene Beschltisse | vor, welche in Unserer Abwesenheit gefaBt worden und Unsere hochste Sanction er= | fordem. III.) Zur Vorbereitung der Gegenstande von grosserer Wichtigkeit, Entwerfung von | Grundgesezen und HauptVerordnungen nach ihren Grundzugen; besonders was Auflagen | und FinanzGeseze, Landesverfassung u. s. w. betrift; so wie die Frage: ob ein | VerwaltungsBeamter von jeder Classe entsezt, oder vor Gericht gestellt wer= | den soil? - constituiren Wir einen Staatsrath. StaatsRathe sind in Zu= | kunft alle Mitglieder des Kabinetsraths, die StaatsMinister, die MinisterialDirecto= | ren, der Vorstand des Oberkirchenraths, die Prasidenten der LandesCollegien und ihre | Directoren. Mit Ausnahme der StaatsRathe im Kabinet und der StaatsMinister kon= | nen die tibrigen nur dann in den Sizungen erscheinen, wenn sie berufen werden. | StaatsRathe sowohl, als jeder StaatsDiener, konnen aber vor fiinfjahrigem | Dienst auf keine lebenslangliche Anstellung Anspruch machen; keiner endlich kann wegen | Versezung einen Anspruch erheben; Wir versprechen denselben jedoch, daB bei Versez= | zungen in finanziellen Verhaltnissen ohne rechtliches Urtheil niemand zuriickgesezt werden soil. [S. 188] Der StaatsRath wird durch Uns auf Unsem hochsten Befehl, oder mit Unserer Ge= | nehmigung durch den Staats= und KabinetsMinister zusammenberufen, durch Uns oder | durch Unsem Staats= und KabinetsMinister dirigirt, wobei der StaatsSecretair das | Protokoll fahrt. Mitglieder des Staatsraths sind: 1.) Ordentliche: die Departemental=Minister, oder die sie supplirenden Directoren, | femer die Staats= und KabinetsRathe. 2.) Ausserordentliche Mitglieder: jene Referenten, welche den Betreff bearbeitet haben. Den successionsfahigen Mitgliedem des GroBherzoglichen Hauses mannlichen Geschlechts, | wenn sie das achtzehnte Jahr erreicht haben, steht es zu, den StaatsRath zu besu= I chen, und derselbe wird Ihnen, wenn sie anwesend sind, angesagt. Ausserdem hat | auch der nachste Erbe des GroBherzoglichen Hauses das Recht, jeder Sizung des Ka= | binetsRahts beizuwohnen. Es ist Unser hochster Wille, daB die im StaatsRath zur Deliberation genommenen | Fragen nach der Mehrzahl der Stimmen entschieden werden sollen, wobei die Referen= | ten nur vota deliberativa haben. Die Ausfertigungen in Folge der Beschltisse des | StaatsRaths gehen in das Kabinet zur Unterschrift und VoUziehung zuriick. Zu denen in dieser neuen Organisation benannten Stellen emennen Wir:

[199] Landesherrliche Verordnung vom 5. M i 1808

1709

I.) Ftir das KabinetsMinisterium. K a b i n e t s M i n i s t e r : Den Geheimen Rath, Freiherm von Gemnungen zu Bonfelden. K a b i n e t s D i r e c t o r : provisorisch, Unsem Gesandten am Kaiserlich Franzosischen Hofe | und seitherigen GeheimenRath Freiherm von Dalberg. S t a a t s r a t h und S t a a t s S e c r e t a r : Den seitherigen Geheimenhofrath von Schmiz. Zu dem K a b i n e t s R a t h berufen Wir: Den seitherigen GeheimenRath und jezigen MinisterialDirector Hofer. Den seitherigen GeheimenRath und jezigen StaatsRath Kltiber; Bis derselbe seine angefangene Vorlesungen auf der Universitat Heidelberg been= | digt hat und an Unser Hoflager eintritt, den seitherigen GeheimenRath Fein. Z u K a b i n e t s S e c r e t a r s : Den seitherigen Advokaten Fein. Den seitherigen LegationsSecretar Bougine. Ftir das B ii r e a u: den seitherigen GeheimenSecretar Kistner. Den seither bei der KabinetsKanzlei angestellten Secretar WeiB. Den RechtsCandidaten Btichler. [S. 189] II.) Ftir das Departement der Justiz. M i n i s t e r : Unsem seitherigen JustizMinister Freiherm von Gayling. M i n i s t e r i a l D i r e c t o r : Unsem seitherigen GeheimenRath Brauer. G e h e i m e R e f e r e n d a r i e n : Unsere bisherige GeheimeRathe Reinhard, Fein, Oehl I und den seitherigen GeheimenReferendar Wohnlich. Das S e c r e t a r i a t und die K a n z 1 e i behalten das bei dem seitherigen JustizDepar= I tement des aufgehobenen GeheimenrathsCollegii bestandene Personale, namlich M i n i s t e r i a l S e c r e t a r : Walther. — — CanzleiPracticant Eichrodt. — — Expeditor Klein. — — Registrator Klein. — — Kanzlisten Strohmeyer. — — — Solliwa. — — — Krieger. Kanzleidiener Ludwig III.) Ftir das Departement der auswartigen Angelegenheiten. M i n i s t e r : Unsem seither diesem Department vorgestandenen Minister, Freiherm von I Edelsheim. M i n i s t e r i a l D i r e c t o r : Unsem seitherigen Geheimenrath Meier. G e h e i m e R e f e r e n d a r i e n : Unsere seitherigen GeheimenRathe Herzog und Wielandt. M i n i s t e r i a l S e c r e t a r : Den LegationsRath Gerstlacher. C a n z l e i p r a c t i c a n t e n von Roggenbach. R e g i s t r a t o r : Cmsius. E x p e d i t o r : Krauth. K a n z l i s t e n : Herbich und | Barbiche. Kanzleidiener Bauer, Vater und Sohn. Zu besondem Auftragen sollen, wie bisher, die Geheimen LegationsRathe Hauber, | Tissot, Groos und von Helmstadt bestimmt bleiben.

1710

§12:Baden

[Dok. 188-251]

IV.) Ftir das Departement des Innem. M i n i s t e r : Unsem seitherigen Hofrichter in der Provinz UnterRhein, Freiherm von Hacke. M i n i s t e r i a l D i r e c t o r : Unsem seitherigen GeheimenRath Grafen von BenzelStemau. G e h e i m e R e f e r e n d a r i e n : Unsem seitherigen GeheimenRath Eichrodt. [S. 190] Den seitherigen GeheimenRath Hertzberg. Den seitherigen GeheimenReferendar Sensburg. Den seitherigen GeheimenReferendar von Gulat. Den seitherigen Geheimenhofrath von Zyllnhardt. M i n i s t e r i a l S e c r e t a r s : Den seitherigen Regiemngsrath Uhrhan. Die seitherigen GeheimenSecretars Roth und Dahmen. — Registrator: Wollschlager. — RegistraturCanzlist: Braunagel. — Expeditor: Jacobi. — Kanzlisten: WeiB. | Oesterle. | Hugo. Kanzleidiener Eisen. V.) Ftir das Departement der Finanzen. M i n i s t e r : provisorisch, Unsem Gesandten am Kaiserlich=Franz6sischen Hof, Frei= | herm von Dalberg. M i n i s t e r i a l D i r e c t o r : Unsem seitherigen GeheimenRath Hofer. G e h e i m e R e f e r e n d a r i e n : Die seitherigen GeheimeReferendarien Klose, Holzmann, | von Stocklem. Den seitherigen Geheimen FinanzRath von Lamezan. Den seitherigen GeheimenRath Fischer fiir die MilitarGegenstande. Den seitherigen Oberforst= und BergRath Volz ftir das Bergwesen. M i n i s t e r i a l S e c r e t a r s : Den seitherigen KanzleiRath Heidenreich. Die seitherigen GeheimenSecretars Nebenius und Reinhard. O b e r R e v i s o r e n : Die seitherigen KammerRathe Walther und Gyser. R e V i s 0 r: Den seitherigen Revisor Kistner. R e g i s t r a t o r : Leuchtlen. R e g i s t r a t u r = A c c e s s i s t : Ziegler. K a n z l i s t e n : Dellhofen. — — Gehres. — — Horlin. — — Krieger. — — Lissignolo. Kanzleidiener: Nothhardt. Dem Departement der Finanzen ist subordinirt: Die G e n e r a l = F o r s t C o m m i s s i o n . Wir stellen derselben als Forstdirector voran: | Den seitherigen OberForstMeister von Kettner, | und emennen zu Mitgliedem derselben: als OberForstRathe: | Den OberForstmeister von Wallbmnn, | Den Forstrath Lnurov und I den Forstmeister Jagerschmidt in Gemsbach. [S. 191] Correspondirende Mitglieder derselben sind: Der seitherige Geheime Hofrath Gmelin. | Der OberForstRath Gatterer, Professor in Heidelberg. | OberbergRath Ehrhardt zu Rastatt. | Gartenbaudirector Zeyher zu Schwezingen.

[199] Landesherrliche Verordnung vom 5. M i 1808

1711

Das Secretariat soil wie bisher durch den Practicanten Walther versehen werden. | Registrator: Thill. I Expeditor: Kempf. | Kanzlist: Zittel. 1 Kanzleidiener: Pfann. Dem Departement des Innem sind untergeordnet: A.) Die G e n e r a l S t u d i e n C o m m i s s i o n . Wir besezen sie hermit mit demselben Personale, aus welchem sie bisher bestanden, | namlich: fur das Directorium, mit dem Ministerialdirector vom Departement des Innem, | dem Grafen von BenzelStemau. Als Rathen, mit dem GeheimenReferendar Eichrodt von demselben Departement | und den Kirchenrathen Sander, | Ewald und | Brunner. Das Secretariat soil von dem MinisterialSecretar Roth, wie bisher, versehen werden. B.) Die G e n e r a l = S a n i t a t s C o m m i s s i o n . Wir emennen dabei Zum Director: Unsem seitherigen GeheimenRath Schrickel. Zu Mitgliedem, als MedizinalRathe: Den seitherigen Oberhofrath Schweickhardt, in der Eigenschaft eines Vicedirectors. I Den seitherigen Geheimenhofrath Maler. | Den seitherigen Geheimenhofrath Flachsland. | Den seitherigen Geheimenhofrath Gmelin. | Den Regierungsrath von Tiirkheim. | Die Medicinalrathe Zandt und Herbst. | und den Kammerrath Vierordt. Das Secretariat hat der MinisterialSecretar Dahmen wie bisher fort zu versehen. Dem Departement des Innem ist ferener untergeordnet: C.) Die G e n e r a l S t a a t s A n s t a l t e n D i r e c t i o n . Wir emennen Als Director derselben: Unsem seitherigen GeheimenRath Reinhard. Zu Mitgliedem: Den Geheimen Referendar Eichrodt vom Departement des Innem. | Den seitherigen Geheimenhofrath Wielandt. | Den Kammerrath Kaufmann. Zum Revisor: Den RechnungsRath Gebhardt, zugleich BrandversichemngsRevisor. [S. 192] Secretar: Becker. | Kanzlist: Miiller. | Kanzleidiener: Elber. VI.) Fiir das KriegsDepartement. Emennen Wir Zum M i n i s t e r : Unsem General der Cavallerie Freiherm von Geusau. | Beigegeben sind: Der Geheimreferendar im Finanzdepartement und General Audtter=Fischer. Der GeneralMajor Stockhomer von Stareyn. Der Obristlieutenant Stolze. Der KriegsRath und OberkriegsCommissar Reich. Der KriegsRath Frohlich. Der ObristLieutenant von St. Julien. Der Major und MontimngsCommissar Fleck. Fiir das K r i e g s C o m m i s s a r i a t und Z a h 1 A m t: KriegsCommissar Hauer. — — Obermtiller. C o n t r o l l e u r d e r KriegsCasse, Herrmann. K r i e g s Z a h l m e i s t e r , Mozer. Ftir das S e c r e t a r i a t : Ministerial KriegsSecretar Brieff. | Secretar Eckhardt. R e g i s t r a t o r e n : Beck, und von Pfeiffer.

1712

§12:Baden

[Dok. 188-251]

Kanzleidiener: Mez Wir versehen Uns, daB in Folge des bisher bewiesenen DienstEifers und des Unsem | hochsten Vorschriften gebtihrenden Gehorsams ein jeder der hier aufgerufenen Staatsdiener | seinem neuen Dienstverhaltnisse mit Eifer entgegegengehen und femer seine Krafte dem all= | gemeinen Wohl widmen werde. Sollte aber irgend einer unter denselben diese emeuer= | te Anstellung in seine hauslichen Verhaltnisse zu nachtheilig eingreifend achten; so wol= I len Wir zwar seinen im Wege der Ordnung anzubringenden schicklichen Vorstellungen | nach aller Billigkeit das Gehor geme gestatten: Er hat aber indessen die ihm angewie= I sene neue Stelle sogleich, unter dem Verlust seiner Activitat mit halbem Gehalt fiir den I Weigerungsfall, anzutreten, wobei Wir die Zusicherung ertheilen, daB den Ort=wechselnden | Staatsdienem die Zugskosten nach einem billigen Masstab vergtitet werden sollen. Von dem 20sten Juli diesen Jahres an soil diese Geschaftsbehandlung in Ausfuhmng | gesezt werden und ist dieses hochste Rescript sogleich durch das Regiemngsblatt und durch I die Provinzial Blatter gehorig bekannt zu machen. Hieran geschieht Unser Wille! | gege= I ben in Unserer Residenzstadt Carlsmhe am 5ten Juli 1808. Carl Friedrich | (L. S.) Vdt. E. Frhr. von Dalberg Auf Seiner Koniglichen Hoheit | Special Befehl. | Vdt. C. Fein.

[200] Edikt uber die Konstituierung einer Amortisationskasse vom 31. August 1808 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einfiihrungen" die Darstellungen unter [770.] [812.]. Quelle: Regierungs-Blatt fur das GroBherzogthum Baden, 6. Jahrgang, (Nr, 30 vom 5. September) 1808, S. 256 - 257 (gedruckt). [S. 256] Wir Carl Friedrich von Gottes Gnaden, GroBherzog von Baden, | Herzog zu Zahrigen u. s. w. Wir errichten zur Beschaltung, VerzinnBung und successiver Abtragung der GroBherzoglich I Badischen Staatsschuld eine eigene von der GeneralCasse getrennte AmortisationsCasse. | Eine eigene dazu emannte LiquidationsCommission hat ihre Auseinandersetzung und ihren Be= | trag zu bearbeiten. Nach der daruber gemachten annahemden Berechnung, deren Beendigung | der Auseinandersetzung der angefallenen Schulden der einzelnen Landestheile unterliegt, kann | diese Schuld die Summe von achtzehn Millionen ertragen. Wir befehlen sohin 1. DaB die liqudirte Landesschuld in das Hauptschuldenbuch nach ihren einzelnen Betra= | gen eingetragen und auf das ganze GroBherzogthum und in specie auf dessen Steuerbetrag | radizirt sey. 2. Diese Hauptschuld wird nach Inhalt der, der SchuldenliquidationsCommission gege= I benen und offentlich bekannt gemachten, Instmktion liquidirt und nach den AnleihungsBe= | dingnissen nach und nach getilgt. 3. Die Bticher iiber den ganzen Betrag der Schuld, die Zinsenzahlung, so wie die | Uebertragung werden in kaufmannischer Form gefiihrt, und die Einsicht davon steht jedem | der sich als rechtmaBiger Besitzer von Obligationen im Werthe von 25 fl. legitimirt, frey. 4. Da diese Casse, nach ihrer Nature und Bestimmung bloB der Schuldenzahlung und | der Berichtigung der davon verfallenden Zinnsen gev^idmet ist, so konnen darauf von keiner | Seite, von welcher es auch seyn mochte, andere Zahlungsanweisungen

[201] Siebentes Konstitutionsedikt vom 25. April 1809

1713

angenommen wer= | den, und sind desfalls sowohl der FinanzMinister und MinisterialDirector und CassenCom= | missaire als der Kassier selbst verantwortlich. 5. Zur Deckung der Zinnsen der Pramien und der Obligationen der Amortisation bestim= I men Wir nach dem Maximum ihres Bedtirfhisses den Betrag. a. Des SalzRegals. b. Des PostRegals. c. Die Berg= und EisenWerksEinktinfte. d. ErloB aus verkauft werdenden Domainen, von welchen sogleich fur die Summe I von vier Millionen Gulden nach den offentlich bekannt zu machenden Bedingnissen, | versteigert werden sollen. e. Allodifikation der Lehen und Ablosung von Zinnsen. f. Der Ertrag der Vermogenssteuer oder unmittelbaren ZuschuB aus den Provinzial= I Cassen. Die AmortisationsCasse wird authorisirt, ein Anleihen von sechs Millionen unter den Be= | dingnissen zu eroffnen, wie das desfallsige Patent besonders nachweiBt, und es ist ihrer | Verantwortlichkeit untergeben, daB sie die dartiber ausgestellt werdenden Obligationen und | ihren Betrag nur zur SchuldkapitalZahlung oder zur Einwechslung derselben verwenden darf. [S. 257] Es soil jahrlich die succesive Liquidirung der Staatsschuld so wie ihre Amortisation offent= I lich durch das Regierungsblatt bekannt gemacht werden. 6. Auf die Festhaltung dieser Unserer Vorschriften werden der FinanzMinister, der Di= I rector und der Casse=Commissaire dieser Amortisationskasse, der Buchhalter und Gassier | besonders beeidigt. 7. Die Abhor der jahrlichen Rechnung und die Aufstellung der jahrlichen Bilance ge= I schieht unter dem unmittelbaren Vorsitz Unseres JustizMinisterii, die Bilanz wird sodann | dem versammelten Staatsrathe vorgetragen und dem Publikum bekannt gemacht. Unter der Leitung des FinanzMinisteriums emennen Wir zum Direktor derselben den Fi= | nanzrath Heinrich Vierordt, als GasseGommissaire, den geheimen Referendair von Lamezan, | zum Hauptbuchhalter und zum Gassier den Handelsmann Friedrich Sievert. Die Annahme der erforderlichen Gommis unterliegt der Wahl und Entscheidung des I Direktoriums, so wie die Termine der Eroffnung der AmortisationsGasse durch das Regie= | ungsblatt naher bestimmt werden wird. Dieses wird zu Jedermanns Wissenschaft andurch bekannt gemacht. Gegeben Garlsruhe I den 31. August 1808. Garl Friedrich. Vdt. Frhr. v. Gemmingen. Auf Seiner Koniglichen Hoheit | besondem Befehl. | Vdt, Bougine.

[201] Siebentes Konstitutionsedikt uber die Rechtsverlialtnisse der Staatsdiener vom 25. April 1809 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einfuhmngen" die Darstellung unter [738.]. Quelle: GroBherzogHch Badisches Regierungsblatt, 7. Jahrgang, (Nr. 17 vom 6. Mai) 1809, S. 161-180(gedruckt).

1714

§12:Baden

[Dok. 188-251]

[S. 161] Carl Friedrich von Gottes Gnaden | Grosherzog zu Baden, Herzog zu Zahringen etc. | Haben in Erwagung | der dem | staatsdienerschaftlichen Stande | gleich den andem Standen im Staate gebtihrenden grundgesezlichen Verfassung iiber | die Standes und Dienstverhaltnisse unserer Diener in unserem StaatsRathe umfas= | senden Vortrag erstatten lassen, nach dessen Anhorung Wir nun bestimmen und ver= | ordnen, wie folgt: L I Staatsdiener. Der Stand eines Staatsdieners wird nach Darlegung der erforderlichen Eigenschaf= | ten durch eine schriftliche AnstellungsUrkunde erworben, Diese DienstAnnahme ge= | schieht von dem Souverain oder in dessen Namen von den dazu verordneten Staats= | Stellen, oder von Standes und Grundherm nach Maas der denselben grundgesezlich | zustehenden Berechtigungen. IL I DienstBedingungen. Nur die mit der Natur des Dienstes, sohin mit dem Staats=Zweck ubereinkom= | menden Bedingungen sind erlaubt. Alles, was ausser den gebilligten Dienst=Eintritts=Geldem oder Ausfertigungs= [ Gebtihren bedungen wird, ist unerlaubt; das Gegebene verfallt zum Besten einer | offentlichen WohlthatigkeitsAnstalt; des erlangten Dienstes wird der Diener, und der | Dienstverleihungs BefugniB der untergeordnete Dienstverleiher auf seine Lebenszeit ver= | lustig; die Emennung aber fallt inzwischen der hoheren Behorde an. [S. 162] III. I Karakter und Rang. Der Staatsdiener genieBt eine durch die ihm vom Regenten oder Dienstherm bei= | gelegte Amts oder Ehren Benennung sich bestimmende besondere Auszeichnung, die | ihm ohne Beleidigung niemand entziehen oder versagen darf. Eine in der Amtsverrichtung vorsatzlich zugefugte Unbilde ist als eine mittelbare | Beleidigung des Dienstherm gesezmassig zu ahnden. Den Titel des Dieners bestimmt einzig sein Amt. IV. I DienstGehalt. Nebst Karakter und Rang gebtihrt jedem Staatsdiener nach abgelaufener Befahi= | gungszeit ein Gehalt, das zum anstandigen LebensUnterhalt fur diejenigen Verhalt= | nisse hinreicht, unter welchen dergleichen Dienste gewohnlich angetretten werden. Nach Verschiedenheit der Dienstgattung, der Dienstjahre und der Dienst= | orte ist der Gehalt verschieden Sind durch StiftungsUrkunden oder Staatsgeseze da, wo ein | Dienst eine eigene grundgesezliche Verfassung hat, und dessen Verleihen nach | Pfnindenart geschehen mus, standige Gehalte bestimmt; dann diirfen diese Gehalte | nur mit Bewilligung der obersten StaatsGewalt und mit Zustimmung derjenigen Be= 1 horde, welcher die Leitung des Zwecks, fur den der Dienst da ist, zu kommt - | Z. B. des Standesherm bei Standesherrlichen der KirchenObrigkeit bei Kirchen=Dien= | sten und nur fur solche Verwendungen, ftir welche der Dienst selbst als Mittel voi= | handen ist, z. B. bei Pfarrdiensten nur ftir pfarrliche oder Kirchenbedtirfhisse, und | nie zum blossen privat Vortheil des Dienstherm geandert werden. Unter solche unverkiirzbare Dienste gehoren jetzt namentlich alle Kirchen und Schul= | dienste; kiinftig konnen auch Gerichtsstellen dahin vereigenschaftet werden, wenn zur | Sichemng der GerechtigkeitsPflege ein Minimum des Betrags ihrer Besoldungen | gesezlich zu bestimmen gut gefunden werden sollte.

[201 ] Siebentes Konstitutionsedikt vom 25. April 1809

1715

V. I Eintheilung des DinstGehalts. Die Dienstgehalte bestehen aus einem Gehalt des Standes und aus einem Gehalt | des Amtes. [S. 163] Das Gehalt des Standes ist derjenige BesoldungsTheil, durch welchen im | Allgemeinen die Nothdurft des Staatsdieners gesichert wird. Der Gehalt des Amts ist derjenige BesoldungsTheil, durch welchen insbeson= | dere die Befriedigung jener Bedtirfnisse und Formen, welche fur das Individuum | als Amtfiihrend in der Klasse seines Standes entstehen, gesichert ist. VI. I Bestallungs Briefe. Ist die Ausscheidung dieser Gehaltstheile in den BestallungsBriefen nicht ausge= \ druckt, so folgt dieselbe den Bestimmungen eines allgemeinen Regulativs. VII. I Bestimmung der GehaltsTheile. Dieses allgemeine Regulativ macht keinen Unterschied zwischen Hauptgeld und stan= | digen Nebenbeziigen, sondem nebst dem Geldbezug werden solche Nebenbeztige und | zwar die Naturalien nach der Kammertaxe, und die rechtmasigen Dienstbeinutzungen | nach einer lOjahrigen DurchschnittsBerechnung zu Geld angeschlagen, und von die= | sem GesamtsBezuge a) im ersten Jahrzehent des Dienstes | drei Zehenttheile; b) im zweiten Jahrzehent | zwei Zehenttheile; und c) nach dem Eintritt in das dritte Jahrzehent des Dienstes fiir die ganze Folge= | Zeit desselben | ein Zehenttheil als Gehalt des Amtes, und also a) in der ersten Periode | sieben Zehenttheile; b) in der zweiten Periode | acht Zehenttheile; und c) in der dritten Periode | neun Zehenttheile des GesamtGehaltes als Gehalt des Standes erklart. [S. 164] VIII. I GehaltsLieferung. Die Verfallzeit der bis zu dem festgesezten LieferungsOrt Kostenfrei an den Diener | abzugebenden Besoldung - sie bestehe in Geld oder Naturahen - und den Liefe= | rungsort bestimmt in Ermanglung einer Bestallung das Herkommen. Die Besoldung ist unter dem Nachtheile zu machender Abztige in einer festgesezten | Zeitfrist zu erheben. Ein Vorausbezug kann nur dann gefordert werden, wenn allgemeine Dienstord= | nungen oder besondere Dienstvertrage solchen begiinstigen. IX. I Gehalts=Sperre. Eine Gehalts=Sperre findet statt: a) als Mittel gegen DienstUngehorsam, b) als Strafe, welche aber nur durch eine richterliche oder dienstpolizeiliche Ver= I fugung der geeigneten Behorde in gesezlicher Ordnung verhangt werden darf. c) Als Mittel zur SchuldenVersicherung oder SchuldenZahlung, wozu die Ein= | willigung des Dieners oder richterliches ErkenntniB erfordert wird. Der AmtsGehalt kann so lange, als der Diener in dem Amte steht, der | Sperre nicht unterliegen, und der StandesGehalt gehort ihm eigenthiimlich an; so, | daB derselbe in das Rechtsverkehr gezogen, und daher der Sperre unterworfen wer= | den kann.

1716

§12:Baden

[Dok. 188-251]

Mehr als der dritte Theil des StandesGehalts aber soil nie mit Arrest bestrickt; | zwei Drittheile sollen also dem Diener zur Nothdurft belassen werden. Das diesfallsi= | ge Ermessen ist entweder der Polizeybehorde oder dem Richter tiberlassen. X. ! Gehalts=Verausserung. Verfallene GehaltsBetrage konnen von dem Diener, dem sie gehoren, verkauft | und verpfandet werden. Die AbgabsVerrechnung kann die Vormerkung und das | AnnahmsZeugniB solcher abgetrettenen BesoldungsBetrage nicht abschlagen, sobald | des Dieners Anweisung nicht liber ein halbes Jahr alt, und die Besoldung noch | unbezogen, unverpfandet und ungesperrt ist. Erst durch eine solche Vormerkung geht das Eigenthum oder Pfandrecht auf den | [S. 165] Kaufer oder Glaubiger iiber; zuvor steht nur ein personliches Klagrecht gegen den | die Ueberlieferung nicht besorgenden Diener zu. Blose Anweisung des Dieners ohne hinzugekommene Vormerkung der Abgabs= | Verrechnung hindert weder den Bezug einer spatem Anweisung des Dieners, noch | die Einweisung des Richters; und dem friiher Angewiesenen bleibt dann nur der | Riickgriff an den anweisenden Diener. Nur auf das Laufende nicht aber auch auf das nachstfolgende GehaltsQuartal | konnen Anweisungen wirksam ausgestellt werden. Bei einer richterlichen Einweisung in die Besoldung bedarf es der Einwilligung | des Dieners und des Dienstherm nicht. Gesezliche Unterpfandrechte umfassen die Besoldungen fiir verfallene und kiinftige | Beziige, aber nur in so weit, als nach Abrechnung der Nothdurft des Dieners | davon zur Schuldentilgung abgezogen werden kann, und nur fur so lang, als das | Besoldungsrecht fortlauft. XL I Dienerstand und AmtsGehalt. Der einmal verliehene Dienerstand und Standesgehalt kann nur durch einen rich= | terlichen Spruch entzogen werden. Kein Staatsdiener kann vor zuriickgelegten fiinf Dienstjahren auf eine Lebenslang= | liche Anstellung Anspruch machen; wahrend dieser Zeit ist der Dienst widermflich. Folgende Dienste sind stets als widermflich anzusehen: 1.) solche, die nur als Nebengeschaft einem von anderer btirgerlichen Nahrung | lebenden Staatsbiirger tibertragen werden; 2.) Jene Geschafte, fiir welche man keine eigene Diener aufzustellen, sondem die 1 man nur als Nebengeschafte andem Dienem zuzuweisen pflegt; 3.) solche Verrichtungen, welche eine Gattung btirgerlicher Nahrung ausmachen, | und womit man daher auch ohne einen Dienst zu besizen, sein Brod erwerben | kann; 4.) solche Dienste, zu deren Verrichtung nur mechanische Arbeiten erfordert werden. Beide erste Gattungen - wenn nicht etwas anders bedungen ist - werden auf | Widerruf begeben geachtet, und konnen nach Gutfinden des Dienstherm zuruck= [ gezogen werden. [S. 166] Beide letzte Gattungen werden zur Aufkiindigung verliehen angesehen, so | weit die DienstUrkunde nichts anders enthalt, und konnen daher vom Dienstherm | nach vorgangig halbjahriger Aufktindung wieder an sich gezogen werden, so lang der | Diener noch nicht zwanzig Jahre treu gedient hat, oder er nicht durch seine DienstVer= | richtungen in Geistes= oder Korperlagen gekommen ist, welche ihn zu einem eigenen | BrodErwerb unfahig machen. In diesen beiden Fallen ist jede AufkiindigungsBefugniB fur erloschen anzusehen, | und kann eine vorausgegangene Abrede der Betheiligten diese Erloschung nicht auf= | heben,

[201 ] Siebentes Konstitutionsedikt vom 25. April 1809

1717

XII. I Amt= und AmtsGehalt. Die Amtsfiihrung des Dieners und der AmtsGehalt sind von dem Ermessen des | Dienstherm abhangig, und unterliegen jedesmal mit dem Eintritt einer richterlichen | Untersuchung zugleich der Suspension. Der Gehalt des Standes wird wahrend jeder Untersuchung belassen. XIII. I Auflosung des DienstVerbands. Der DienstVerband wird aufgeloBt: a) Durch des Dieners Tod, b) durch Niederlegung des Dienstes, c) durch Zuruhesezung des Dieners, d) durch dessen Entlassung, e) durch Entsetzung. XIV. I a) Durch Tod. Der Tod des Dieners hebt die mit der DienstVerrichtung nicht nothwendig [ verbundenen Ehrenrechte so wenig, wie dessen etwa gefreiten Gerichtsstand auf, in | wie weit dieser auf die Famihe fortzugehen geeignet ist. Den Besoldungs=Fortlauf hebt der Tod mit dem Sterbetag nur dann auf, | wenn der Diener weder Wittwe noch Kinder hinterlaBt; im entgegengesetzten Falle | dauert der BesoldungsBezug fiir die Familie dergestalt fort, daB das laufende Be= | soldungsQuartal noch bezahlt wird. [S. 167] XV. I b) Durch DienstNiederlegung. Der StaatsDiener kann zu jeder Zeit ohne alle Angebung der Griinde seinen | Dienst niederlegen, nur muB es ein halbes Jahr vor dem DienstAustritt ge= | schehen, um indessen fiir Besorgung des Dienstes gehorige Vorsehung treffen zu kon= | nen. Auch darf er in Beziehung auf seinen Dienst sich in keinem Rtickstand we= | der an anvertrautem StaatsGute, noch an tibertragener Hauptarbeit, welche er in | dieser Zeit hatte beendigen konnen, befinden. XVI. I c) Durch Zuruhesezung. Der Diener kann gegen seinen Willen nur aus folgenden Grtinden zur Ruhe | gesetzt werden: 1.) aus einer physischen Unfahigkeit den Dienst zu versehen; 2.) aus einer selbst verschuldeten Unbrauchbarkeit. Der Diener kann in leztem Fall zum Ruhegehalt mehr nicht verlangen, als | ihm zur genau zugemessenen Nothdurft fiir sich und seine Familie unter Mitein= | rechnung des VermogensErtrags, und des Verdienstes, den er durch Benutzung | seiner Krafte noch erwerben kann, nothig ist. Er verliert Titel und Amtszeichen. 3.) Aus einer vergeblich zu bessem versuchten nachtheiligen obwohl bis zur Pflicht= | widrigkeit nicht ansteigenden Art der Dienstbehandlung; 4.) aus dem auch ohne Verschulden verlorenen Vertrauen bei einem rathgebenden | Dienste, welcher besonderes personliches Vertrauen fordert. - Hieher gehoren die= 1 jenigen rathgebenden Dienste, welche um und an der Person des DienstHerm | oder mit Einsicht in seine geheimen Verhaltnisse verrichtet werden. In diesem I Fall behalt der Diener das Gesammt=Gehalt, den Titel und das AmtsZeichen. Nebst diesen durch administrative Erwagung begrundeten Ursachen, kann die Zu= | ruhesezung auch noch 5.) durch eine organische Verfiigung erfolgen.

1718

§12:Baden

[Dok. 188-251]

XVIL I Verbindlichkeit des zur Ruhe Gesezten. Durch Zuruhesezung (Quiescirung) des StaatsDieners loset sich dessen Pflicht | zu fortwahrenden DienstVerrichtungen, jedoch nicht die Verbindlichkeit zur Ueber= | nahm einzelner vorubergehender, den Kraften des Dieners und seiner vorigen Activi= | [S. 168] tat noch angemessener, von seinem RuheOrte aus jeweils zu besorgender Geschafte auf. 1st die Berufung zu solchen Geschaften provisorisch, so wird ihm fur solche Zeit | eine demselben angemessene GehaltsZulage bestimmt, wenn sein StandesGehalt nicht | schon den GesammtGehalt derjenigen erreicht, in deren Klasse er provisorisch seinen | Auftrag besorgt. Wird demselben eine bleibende Anstellung wieder gegeben, so tritt er in den Stan= | des und Amtsgehalt der neuen Stelle ein. Wenn der StandesGehalt dieser neuen Stelle geringer ist, als der in dem voraus= | gegangenen Ruhestand verbliebene StandesGehalt war; so wird dieser lezte, sowohl | wahrend der Wiederanstellung, als bei einer wieder eintrettenden zur Ruhesezung belassen. XVIIL I Erfordemisse des RuheEintritts. Der BefugniB der Zuruhesetzung auf Seiten des Staates steht eine ahnliche auf | Seiten des StaatsDieners mit folgender Einschrankung gegen liber; 1.) Der StaatsDiener kann wegen Dienstes=Alter in Ruhestand tretten; Hiezu | werden durch alle DienstKlassen voile vierzig DienstesJahre erfordert. Zur Vollzahligkeit des DienstAlters dtirfen alle unter verschiedenen Regierungen | der Grosherzoglichen Lande und in verschiedenen DienstesKlassen zuriickgelegten Jah= I re, nicht aber die Jahre der VorbereitungsStellen, gezahlt werden. Der nach | vollendetem DienstesAlter in die Ruhe trettende StaatsDiener behalt den Standes= | Gehalt mit dem Titel und den AmtsZeichen, und verliert den AmtsGehalt. 2.) Der StaatsDiener kann wegen LebensAlter sich in Ruhe sezen lassen. | Hiezu werden durch alle DienstesKlassen voile siebenzig LebensJahre erfordert. Der nach vollendetem 70ten LebensJahre in die Ruhe trettende StaatsDiener | behalt gleichfalls den StandesGehalt, den Titel und das AmtsZeichen, und verliert | den AmtsGehalt. 3.) Der StaatsDiener kann vor der Erfullung des festgesezten Dienstes= und Le= | bensAlters durch Gebrechlichkeit als Folge entweder eines korperlichen in oder | ausser dem Amte erlittenen Unglticks, oder einer Geistes Anstrengung Amts= | unfahig, und dadurch zur Ruhe geeigenschaftet werden. Ein solcher Fall muB durch die strengsten Beweise der Thatsache, und durch die | bestimmtesten Zeugnisse von StaatsAerzten und der Vorgesezten Dienstbehorde herge= | stellt seyn. [S. 169] Von der Natur des hergestellten einzelnen Falles hangt jedesmal die besondere Er= | kenntniB ab, ob der Staatsdiener fiir immer oder nur fur eine gewisse Zeit | zur Ruhe zu setzen, und ob in dem einen und andem Falle neben dem alsdann ver= | bleibenden StandesGehalt und Titel auch der Amtsgehalt entweder ganz oder zum | Theil zu belassen sey? Der Staatsdiener, welcher die BefugniB in Ruhe zu tretten austibt, darf sich, so | wie in Art. XV. bei dem seinen Dienst niederlegenden Staatsdiener verordnet ist, in | keinem Rtickstand befinden. XIX. I d) Durch Entlassung. Die Entlassung eines Dieners kann in administrativer Erwagung nur dann | statt fmden, wenn a) dem Diener in Absicht auf die Dienstfuhrung ein solch iibler Wille zu Last | fallt, welcher zu einer Pflichtwidrigkeit sich eignet, z. B. Bestechung; - oder

[201] Siebentes Konstitutionsedikt vom 25. April 1809

1719

b)

wenn durch dreimalige Wamungen, und stufenweise verstarkte Verbessemngs= | Versuche die Fahrlasigkeit unbeseitigt bleibt; - oder c) wenn ein Vergehen zu Last fallt, welches, wenn es auch Ehrlosigkeit oder | eine mehr als vierteljahrige Verhaftung nicht nach sich zieht, denn doch mit den | besondem Erfordemissen von Untadelhaftigkeit bei einer Amtswtlrde unvereinbarlich ist, Der entlassene Diener kann, wenn er in keinem dieser Falle sich glaubt, gegen die | EntlassungsVerfugung den Rechtsweg einschlagen. Der Richter erkennt nur dariiber, ob ein Fall vorhanden ist, der grundgesezlich ei= | ne Entlassung begriindet; nie aber kann derselbe in das nur dem Dienstherm zuste= | hende Ermessen eingreifen, ob dieser sich bei einer mildem Vorkehre hatte beruhigen | konnen. In keinem Falle darf bei einer DienstEntlassung eine dem Diener nachtheilige | Ursache in der EntlassungsUrkunde, oder in irgend einer Dienstherrlichen Fertigung | angezogen werden. XX. I e) Durch Entsezung. Die DienstEntsezung (Cassation) setzt ein solches Vergehen voraus, welches ent= | [S. 170] weder in den Staatsgesezen namentlich mit Dienstverlust bedroht ist, oder eine wis= I sentliche Uebertrettung einer klar entschiedenen, und durch Handgeliibde oder endliche I Verpflichtung feyerlich zugesagten Dienstpflicht ist, oder eine peinliche Strafe verwir= I ket hat. Die DienstEntsetzung kann nur nach vorhergegangener rechtlicher Untersuchung und | aus der Kraft des Urtheilspruches einer Gerichtsbehorde erfolgen, und wird auf den | unerwarteten Fall, daB ein Staatsdiener fahig seyn konnte, die personliche Wtirde | des StaatsOberhaupts mit Wort oder That zu verletzen, nebst einer unmittelbar er= | folgenden Suspension seines ganzen Standes - und DienstesVerhaltnisses ausdruck= | lich unter die gesezlichen StrafBestimmungen aufgenommen. Ein in solchem Falle vom Richter unterbliebenes ErkenntniB auf DienstVerlust hin= | dert den Dienstherm nicht, den abgeurtheilten Diener nachher zu entlassen, sofem | er nach den in dem XIX. Absatz ausgezeichneten Bestimmungen dazu geeignet ist. XXI. I Folgen der DienstAuflosung. Der Diener, welcher seinen Dienst niederlegt verliert nebst seinen Gehalt den | Titel und das Amtszeichen, wenn diese ihm nicht aus Gnaden belassen werden. Der entlassene und zuruhegesezte Diener verbleiben im Titel und Gehalt des | Standes, und verliehren den Amtsgehalt. Der Entlassene verliert zugleich die BefiigniB, sich der mit der Amtsverrichtung | verbundenen ausseren Zeichen (der AmtsKleidung) zu bedienen. Der zuruhegesezte Diener bleibt im BefugniB dieser Amtszeichen bis zum Wie= | der=Eintritt in ein Amt, und in die mit denselben verbundenen Zeichen. Durch | seinen Tod und durch Annahm eines auswartigen Dienstes fallt der Ruhegehalt dem | Dienstherm heim, wenn er fur den lezten Fall die Fortzahlung des Ruhegehalts im | Ganzen oder zum Theil nicht zugesagt hat. Der entsezte Diener verliert mit dem Amte das Amts und StandesGehalt, so | wie den Titel und die Amtszeichen; Er fallt in die Klasse der unbediensteten Prakti= | kanten seines Faches zuriick; er verliert aber die Geschaftsrechte der Praktikanten, die | Fahigkeit und Aussicht auf kiinftige Wiederanstellung zu Staatsdiensten, nach erprob= | ter Bessemng nicht; ausgenommen: es ware ausdrticklich auf Ehrlosigkeit oder Un= | fahigkeit zu alien Staatsdiensten oder zu gewissen Gattungen derselben erkannt.

1720

§12:Baden

[Dok. 188-251]

[S. 171] XXII. I DienerVersetzung. Auch aus Organischen Motiven kann die Versetzung eines activen Dieners von | einem Ort zum andem und von einer Stelle zur andem eintretten. Geschieht die ortliche Versetzung aus solchen Beweggriinden, so darf sie niemals [ eine Zuriicksezung in Beziehung auf die DienstesKlasse, noch die Beschadigung in | Beziehung auf das GesammtGehalt und auf die unvermeidlichen Kosten des Um= | zugs seyn. Um einen Diener auf eine an Schazung und Einkommen geringere Stelle wider | Willen setzen zu konnen, ist herzustellen nothig, daB derselbe fiir seinen bisherigen | Dienst die Brauchbarkeit verloren habe, und durch ein wo nicht gesezwidriges oder | unsittliches, doch wenigstens auserst unkluges Betragen selbst daran Ursache sey. Es mus a) eine vorausgegangene Wamung des unklugen Benehmens fruchtlos geblieben seyn, b) ist der Dienstfehler zur richterlichen Untersuchung und Strafe geeignet; so be= | darf es keiner vorausgehenden Wamung, wenn der Dienstherr anstatt der Stra= | fe die Versezung als ein milderes Verfahren ansieht, c) auch dann kann zur Versezung geschritten werden, wenn der Vollzug einer von | dem Richter gegen den Diener gesezmaBig erkannten Strafe mit dem Dienstan= | sehen am vorigen Ort unvertraglich, oder d) eine solche Versezung vom Richter selbst verordnet ware. Gegen Versezung aus den drei ersten Ursachen kann ein Rechtsweg nur dann | Plaz greifen, wenn der Diener seine vollige Schuldlosigkeit ausfiihren wollte; in | welchem Falle dann bis zur rechtlichen ErkenntniB hiertiber der Vollzug der Versezung | ruhen soil - Auch kann eine Berufung an ein gemaBigteres Ermessen einer vorhan= | denen hoheren DienstPolizeiBehorde bei einer zu hoch gespannten Verschlimmerung, | jedoch ohne aufschiebende Wirkung, ergriffen werden. Gegen eine in dem 4ten Falle angefiihrte Versezung schtizt lediglich eine im Rechts= | wege durchgefuhrte Vertheidigung. In dem 3ten und 4ten Falle hat ein Diener, der liber 20 Jahre gedient hat, die | Freiheit, statt der Versezung den Ruhestand zu begehren, so doch, daB er dann mit | [S. 172]'^1^theilen desjenigen Ruhegehalts sich begniigen muB, welchen er unter gleichen Um= | standen bei einer schuldlos erlittenen Zuruhesetzung zu gewarten gehabt hatte. Des Staatsdieners Vorliebe fiir eine bestimmte Dienstes - oder Ortslage kann | ihn gegen die vom Regenten durchaus beliebte Versetzung nicht schiizen - Nur da= | durch, daB er seinen Dienst niederlegt, oder, wenn er 20 oder mehrere DienstJahre | zahlt, die Ruhe nachsucht, kann er sich der Versetzung entheben. XXIII. I Umzugs=Gebuhren. Die UmzugsGebtihren werden von dem Gesammt Gehalt einer Stelle, in welche | die Versezung geschieht, ohne Einrechnung von lebenslanglichen ausserordentlichen Ent= | schadigungs Gehalten, und zwar; wenn der Staatsdiener zugleich im ehelichen Stan= | de sich befindet, mit 1 V2 und ausser dem Ehestande mit 1. - vom Hundert des Ge= | sammt Gehalts auf die deutsche Meile vergiitet; — zieht der Diener mit 4 oder | mehreren Kindem um; so soil der vierte Theil Postgeld, das er fiir die Ueberfahrt | seiner Familie auslegt, ftir jede Station noch besonders ausgerechnet werden dtirfen. Hieran ist nur ein halbjahriger Betrag der neu erhaltenden Besoldungs= | Mehrung in Abschlag zu bringen; der Rest der Umzugsgebtihren aber ist dem | Staatsdiener darauf zu bezahlen. Wenn jedoch schon der halbjahrige Betrag der | neuen BesoldungsMehrung die UmzugsGebiihr tiberschreitet, so werden keine Um= | zugsKosten vergiitet. Bei einer auf Ansuchen des Staatsdieners erfolgenden Versezung fallt jede Klage | wegen Zunicksetzung und jeder Anspruch auf Ersatz der Umzugskosten von selbst hinweg.

[201] Siebentes Konstitutionsedikt vom 25. April 1809

1721

XXIV. I Diener Befordemng. Jeder Staatsdiener hat nach dem MaaB seiner Befahigung und der gemeinntitzi^^ | gen Verwendung Befordemng im Dienste zu erwarten. Aber ein vollkommenes Recht auf den nachsten Dienst, welcher in der Reihe der | Eroffnungen ihn treffen mogte, hat der Staatsdiener so wenig, wie das Recht, we== | gen seiner Uebergehung bei der Wiederbesezung gegen den Dienstherm Klage zu erheben. Dienstalter allein giebt keinen Anspruch auf Befordemng; so wie Zeit und i [S. 173] Art der Befordemng von dem Zutrauen abhangig bleibt, das sich der Diener durch | Treue, Geschicklichkeit und FleiB eigen macht. XXV. I Ausserordentliche Diener Belohnung. Dem Regenten und Dienstherm ist vorbehalten, ausserordentliche Dienste und Op= | fer eines Staatsdieners mit ausserordentlichen Belohnungen zu erwiedem, und in | Fallen einer gegebenen oder gesuchten Zumhesezung den besondem Werth der gelei= | steten Dienste dadurch zu bezeichnen, daB neben dem StandesGehalte das AmtsGe= | halt gleichfalls lebenslanglich als eine offentliche Auszeichnung des Verdienstes belas= | sen werde. Aus AnlaB des Dienstes oder wegen des Dienstherm erlittene Beschadigungen sind | von diesem zu ersezen; derselbe mag sich an dem Vermogen des Thaters erholen kon= | nen oder nicht. XXVI. I Diener=Beschrankung. Das Standes= und AmtsVerhaltniB eines StaatsDieners laBt alle jene Privat= | Verhaltnisse desselben im grosen Reiche des National=Haushalts zu, wofiir der be= | sondere Titel des OrtssassenRechts nicht erfordert, und deren Vereinbamng mit der | Amtsfiihrung nicht durch die entweder mit einem personlichen Betriebe oder einem | ortlichen Besize verbundene Gefahr einer Vemachlassigung des Dienstes oder eines | Dmcks der Unterthanen aufgehoben wird. In Folge dessen ist der wirkliche StaatsDiener beschrankt: a) ImErkauf vonLiegenschaften. Ein Wohnhaus und Garten zu eigenem Gebrauch, so wie die in der Landtafel | liegenden Giiter, kann er gleich andem freisaBigen Staatsbtirgem erkaufen; aber | markungsangehorige Liegenschaften - ausser jenen Wohnungs=Bedtirftiissen - darf er I ohne besondere ErlaubniB der OberpolizeiBehorde nicht an sich bringen. Wo der Diener kraft dieses Gesezes freies Erwerbrecht hat, da fmdet auch keine | Marklosung - Burger^ oder Bannlosung gegen ihn statt; wo er es aber durch be= | sondere Oberpolizeiliche ErlaubniB erlangt, da kann ein schon angekundetes Losungs= I Recht dadurch nicht gefahrdet werden. b) Unerlaubt und nichtig ist jeder Erkauf von Liegenschaft oder FahmiB, welchen | [S. 174] ein Diener in einem von ihm zu leitenden oder unter seiner Aufsicht stehenden | Amtsgeschaft schlieBt, wenn er dazu die Ermachtigung nicht eingeholt hat. c) StaatsDiener, welchen eine exekutive obrigkeitliche Gewalt in die Hand gelegt | ist, dtirfen in diesem Gewaltkreis keine Liegenschaft, mit Ausnahme eines be= | nothigten Wohnhauses und Gartens, ohne obrigkeitliche ErlaubniB erpachten. — | Welters bleibt der StaatsDiener d) von der Austibung strengbtirgerlicher Gewerbe und von der Handelschaft mit | solchen Waaren, deren Gattung er Diensteshalben zu verwahren oder zu verwal== | ten hat, so wie von der Ftihmng einer Bank - oder ahnlichen Anstalt, und | von dem personHchen Betriebe einer Fabricke ausgeschlossen. Insbesondere darf weder der StaatsDiener, noch dtirfen seine Angehorigen wegen | einer erledigten, entweder gegenwartigen oder ktinftigen, AmtsAngelegenheit Geschenke oder | sonstige Vortheile und Gentisse annehmen - wahrend der Dienstfuhmng mhet jede | andere

1722

§ 12: Baden

[Dok. 188 - 251]

wissenschaftliche= oder Kunstausiibung z. B. Verfassung von Rechtsschriften, | Heilung der Kranken - soweit solche durch die Natur des Dienstes oder Geseze und | Dienstordnungen als unvereinbarlich mit dem Dienste ausgezeichnet ist; sie lebt je= | doch mit jedem Dienstaustritt, - er sey verschuldet oder nicht, - wieder auf, so lange | nicht ein StrafUrtheil Unfahigkeit zu StaatsDiensten rechtlich ausgesprochen hat. XXVII. I VersomngsGehalte fur Wittwen und Waisen. Die hinterlassenen Wittwen und Waisen der StaatsDiener - diese mogen in | Dienstthatigkeit oder Dienstmhe gestorben seyn - haben an dessen DienstHerm An= | spruch auf VersorgungsGehalte (Pensionen), von v^elchem kein Vertragsgeding der | DienstHerren befreien soil. Diese VersorgungsGehalte bestimmen Wir wie folgt: §.1. Die VersorgungsGehalte erhalten ihre Bestimmung nach der GroBe des von dem | verstorbenen StaatsDiener genossenen Gehalts in runden d. h. nur von zehn zu zehn [ Gulden steigenden Summen angeschlagen. §•2. Der zum Maasstaab dienende Gehalt ist der GesammtGehalt bey den in der | [S. 175] Wiirklichkeit sterbenden Dienem, und der StandesGehalt bey denen in Ruhe ster= | benden. §.3. Das VerhaltniB des WittwenGehalts zum DienstGehalt des verstorbenen Dieners | nimmt Klassenweis ab. §•4. Die Klassen, wodurch sich die die Abnahme bestimmt, sind folgende: Erste Klasse von Sechstausend bis Viertausend flinfhundert Gulden. Zv^eite Klasse von Viertausend bis dreitausend Gulden Dritte Klasse von Zweitausend Sechshundert, bis Zweitausend Gulden. Vierte Klasse von Achtzehenhundert bis Dreizehenhundert Gulden. Ftinfte Klasse von Zwolfhundert bis Neunhundert und fanfzig Gulden. Sechste Klasse von Achthundert bis einhundert Gulden. §. 5. Alles was ein Diener mehr als Sechstausend Gulden hatte, kommt zur Berech= | nung des VersorgungsGehalts nicht weiter in Betracht, und aller BesoldungsBe= | trag, der zwischen den Klassen liegt, wird immer nur nach der hochsten Summe | der Klasse, welche er tibersteigt, ohne eine andere zu erreichen gerechnet, so lang noch | die Differenz der Besoldung von der hoheren Klasse mehr als ein Zehentheil der | Differenz beeder Klassen ausmacht; wo der andere Fall eintritt, dient die niederste | Besoldung der hoheren Klasse zum BerechnungsMaasstab. §.6. Der VersorgungsGehalt ist verschieden, je nach dem bios eine Wittwe, oder eine | Wittwe und Kinder, oder nur Kinder da sind, welche auf Versorgung noch An= | spruch haben.

[201] Siebentes Konstitutionsedikt vom 25. April 1809

1723

§. 7. Ftir die Wittwen besteht der Gehalt in der ersten Klasse in funfzehen Prozent | des BesoldungsAnschlags; in der zweiten in sechszehen; in der dritten in siebenze= | hen; in der vierten in achtzehen; in der ftinften in neunzehen; und in der sechs= | ten Klasse in zwanzig Prozent oder dem funften Theil der Besoldung des Dieners | nach ihrem runden Anschlag. [S. 176] §. 8. ^Ftir unversorgte Kinder, welche mit ihrer leiblichen Mutter zugleich zum Bezug ei= | nes VersorgungsGehalts wegen ihres verstorbenen Vaters, sich vereigenschaften, er= | halt diese eine GehaltsAufbessemng von einem Ftinftel des ihr klassenmassig gebiihren= \ den Gehalts, wenn nur ein Kind; — von dreizehent Theile fur Jedes, v^enn deren | zwey sind, und von einem Zehentheil weiter fiir Jedes, so lang deren mehr als zwey | zum Bezug konkurriren. ^Ausnahmsweise sollen die GehaltsAufbesserungen fur ein | jedes Kind der Diener aus der sechsten Klasse auf ein Ftinftheil des Gehalts der Mut= | ter gesezt werden. §.9. ^Fiir unversorgte Kinder, welche Vater= und Mutterlos sind, oder deren Mutter | sich wieder verheurathet, besteht der Gehalt auf jeden noch theilnahmsfahigen Kopf | der Kinder in drei Zehentheile desjenigen Gehalts, welchen eine Wittib des verstorbe= | nen Vaters derselben nach obiger Kegel ftir sich wtirde anzusprechen gehabt haben, | wovon jedoch nur die Halfte unbedingter Anspruch ist. ^Auch hier gilt die in vorste= | hendem 8 §ph. gesezte Ausnahme fiir die Kinder der Diener aus der 6ten Klasse, welchen | auf den Kopf unbedingt ein Funftheil des Gehalts ihrer Mutter bleiben soil. §.10. Die im §. 8. vorbemerkten ZulagsGehalte der Kinder und der andere Theil der im | §. 9. gedachten VersorgungsGehalte derselben sind kein unbedingtes Anspruchsrecht | der Wittwe oder der Kinder; sie konnen nur alsdann gefordert werden, wenn durch | Darlegung des Vermogensstands der Kinder gezeigt wird, daB deren Vermogens= | Ertrag diese Summe nicht abwerfe, und die Forderung geht nur auf so viel als | zur Erganzung des Mangelnden nach dem Vermogensstand nothig ist. §.11. Der Bezug der VersorgungsGehalte der Wittwen und Kinder tritt nach Endigung | des Sterbquartals ein. §. 12. ^Das Gehalt einer Wittwe dauert nur fur die Zeit ihres Wittwenstandes; jenes | der Kinder und zwar der Tochter bis zum Schlusse des 18ten und der Sohne bis | zum Schlusse des 20ten LebensJahrs. "^Es erlischt in dem Eintritt in das 19te und | 21te Jahr oder mit dem friiheren Eintritt einer Versorgung. [S, 177] §. 13. Angeheurathete Kinder eignen sich zu dem UnterhaltsBeitrage jener Klasse von | StaatsDienem, in welcher ihr leiblicher Vater gestanden war, und also zu keinem | solchen Beitrage, wenn sich der Vater zur Zeit seines Absterbens ausser dem diener= | schaftlichen Stande befunden hat. §.14. Bey erfolgendem Tode pensionirter Wittwen und Kinder hort die Pension mit dem | Tag auf, an welchem der Tod erfolgt ist.

1724

§12:Baden

[Dok. 188-251]

§. 15. Ein Anspruch auf den oben bestimmten VersorgungsGehalt, so wie auf den Unter= | halts= und ErziehungsBeitrag fallt hinweg: 1.) bei Wittwen und Kindem derjenigen, welche nur mit dem Titel oder Karakter | einer Stelle bekleidet waren, 2.) bei Wittwen und Kindem derjenigen Diener, welche widerrufliche Dienste | (Abs. XL) verrichtet hatten; den Fall ausgenommen, wenn der Diener zwanzig | voile Jahre gedient hat, 3.) bei Wittwen und Kindem derjenigen Diener, welche sich im Ruhestande, auch | mit Bewilligung, verehligt haben; Dieser PensionsAusschluB wirkt jedoch auf jene Kinder nicht zuriick, welche | aus einer friiheren wahrend des wirklichen Dienstes vollzogenen Ehe des zur j Ruhe gesezten Dieners vorhanden sind. 4.) bei Wittwen und Kindem derjenigen Hofdiener, welche in jenen femsten und | niedersten Graden stehen, deren Existenz, ohne zur Wesenheit oder zur Form der | HofRegie zu gehoren, aufktindbar ist, oder welche mit den auf Taglohn gedun= | genen Dienem in der namlichen oder ahnlichen Klasse sich befinden. §.16. Der GenuB einer Pension im Auslande ist von einer besondem hochsten Bewilli= | gung, und in diesem Falle mit Abzug eines Drittheils derselben abhangig, wo Ver= | trage mit Auswartigen nicht eine Ausnahme verordnen. Der auswartige PensionsBezug ist von der Bescheinigung des Lebens, durch den | Polizei Vorstand des AufenthaltsOrtes bedingt. [S. 178] §.17. Die in den vorstehenden §phen bestimmten VersorgungsGehalte so wie die Unter= \ halts= und Erziehungs=Beitrage konnen auf die Staatskassen allein nicht genom= | men werden; sondem die theils schon bestehenden theils noch zu bildenden Wittwen | und WaisenKassen haben hiezu beizutragen. I 18. Hiemach sollen diese bestimmten Pensionen in der Art geleistet werden, daB, im | Fall, da der aus der Wittwen und WaisenKasse gebtihrende Bezug die regulativma= | sige Pension erreicht oder tibersteigt, aus der StaatsCasse nichts weiter zuzulegen ist. §. 19. In denjenigen Theilen Unseres Grosherzogthums, in welchen noch keine Wittwen | und WaisenKassen der StaatsDiener sich vorfinden, sollen solche errichtet werden, und | wenn sie mit den bestehenden nicht in Verbindung gebracht werden konnen, fiir sich | bestehen. In eben jenen Landen haben alle unsere Staatsdiener, wirkliche und zur Ruhe ge= | sezte ohne Ausnahme zur ersten Gmndlage des zu bildenden Wittwen und Waisen | Fonds flinf proCent ihres BesoldungsAnschlags abzugeben, und ktinftig ihre Beitrage | nach noch zu bestimmenden Normen unter dem Verlust des PensionsAnspmchs ihrer | Wittwen und Kinder zu leisten. § 20. Die bereits ausgeworfenen Gehalte und Pensionen der Zumhegesezten Diener, so | wie der Diener=Wittwen und Waisen bleiben ungeandert, und die obige Bestimmung | ist auf dieselbe keineswegs riickwirkend.

[201 ] Siebentes Konstitutionsedikt vom 25. April 1809

1725

Das namliche gilt von solchen Pensionen, welche vorhin schon durch besondere Zu= \ sicherungen oder Vertrage des Regenten mit einzelnen Dienem ihre eigene Bestim= | mung erlangt haben, oder femer erlangen werden. §.21. Auf Kirchen und Schuldiener erstreckt sich diese Bestimmung der Versorgungs | Gehalte nicht; sondem wegen deren Wittwen und Waisen Versorgung bleibt die | geeignete Vorsorge aus Kirchen und Schulmitteln den Behorden vorbehalten. [S. 179] XXVIII. Alle diese mit dem 23ten April d. J. in Wirksamkeit trettende Bestimmungen er= | strecken sich im tibrigen auf die gesammte Staatsdienerschaft unseres Grosherzogthums, | unbeschadet jedoch der etwa einem oder dem andem Diener aus dem Reichsdeputati= | ons HauptschluB v. J. 1803^, so weit er durch die rheinische BundesActe** bestattigt | ist, zugewachsenen Rechte. So wie Wir nun nach diesen grundgesezlichen Bestimmungen der Dienerschaftlichen | Verhaltnisse Unser Verfahren bemessen werden; empfehlen Wir deren Befolgung der | Rechts und BilligkeitsLiebe unserer Regierungs=Nachfolger; - unsem Standes= und | Grundherm aber, so wie alien Obrigkeitlichen Dienst=Stellen und Dienem, legen | Wir deren Nachachtung zur Grundgesezlichen Pflicht auf, und befehlen, daB die Ge= | richte unseres Staates in ihren Erkenntnissen ohne Ausnahm und ohne Ansehen der | Person diesem Grundgeseze nachgehen, und dasselbe nach seinem ganzen Innhalt auf= | recht erhalten sollen. Hieran geschiehet Unser Wille. | Gegeben unter Unserer Unterschrift und beigedruckten groBem Staatslnsiegel. | Carlsruhe den 25ten April 1809. Carl Friedrich. | Carl Erbgrosherzog. | (L. S.) Vdt. Frhr. von Hacke. Auf Sr. Koniglichen Hoheit | besondem Hochsten Befehl. | Vdt. Bougine.

^ Dok. 1. ^ Dok. 4.

1726

§12: Baden

[Dok. 188-251]

[S. 180] B e r e c h n u n g I der Wittwen und Waisen Gehalte nach den in Artie. XXVII §. 7. 8 und 9. dieses | Edikts vorgeschriebenen BesoldungsClassen und proCten. Gehlt. ei= nes

Wittwen=Gehalte.

Besol= 1

ohne

mit 1

mit 2

mit 3

mit 4

mit 5

Kind

Kind

Kindem

Kindem

Kindem

Kindem

Kathe= i

1

gorie

/s

1

/io

1

/io

1

/io

1

Ao

3te Classe

4te Classe

5te Classe

6te Classe

was es die Mut= 1 ter tref-

fur jedes Kind von dem die Mutter treffenden Gehalt, als Aufbesserung.

2te Classe

lo= 1 sen Wais. | /io 1 von dem

dungs= 1

Ite Classe

Vater | u. Mut.

fen 1 wiirde.

fl.

fl.

fl.

fl.

fl.

fl.

fl.

fl.

6000

900

1080

1170

1260

1350

1440

270

5000

750

900

975

1050

1125

1200

225

4500

675

810

877 V2

945

1012 V2

1080

202 V2

4000

640

768

832

896

960

1024

192

3500

560

672

728

784

840

896

168

3000

480

576

624

672

720

768

144

2000

442

530 2/5

574 V5

618 V5

663

687 V5

132%

2500

425

510

552 V2

595

637 V2

680

127 V2

2200

374

448 %

486 V5

523 V5

561

598 ^5

II2V5

2000

340

408

442

476

510

544

102

1800

324

388%

421 V5

453 V5

486

518^5

97 V5

1600

288

345 V5

374 V5

403 V5

432

460 Vs

86 %

1400

252

302 V5

327 V5

352 V5

378

403 V5

75 %

1300

234

280 %

304 V5

327 V5

351

374 %

70 V5

1200

228

273 V5

290 %

319 V5

342

364 %

68%

1100

209

250 %

271 '/lo

292 V5

313 V2

334 %

62 %o

1000

190

228

247

266

285

304

57

950

180 V2

216 V5

234 V5

252 Vio

270^10

288 %

54 Vio

800

160

750

150

Die GehaltsAuflDessemng fiir ein jedes ICinciderl

600

120

Diener aus dieser 6ten Classe betragt ein funftheil 1

550

110

des Gehalts der Mutter.

500

l_ 100

400

80

[201/2 ] Landesherrliche Verfiigung vom 3. Juli 1810

1727

[201/1] Verordnung iiber die Aufhebung des Konstitutionsedikts vom 14. November 1809 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einfuhmngen" die Darstellung unter [738.], Quelle: GroBherzoglich-Badisches Regierungsblatt, 7. Jahrgang, (Nr. 47 vom 18, November) 1809, S. 387 - 388 (gedruckt). [S. 387] Wir Carl Friedrich von Gottes Gnaden | Grosherzog zu Baden Herzog zu Zahringen etc. Aus einem Uns erstatteten ausfiihrlichen Vortrag haben Wir entnommen, daB | verschiedene Dispositionen Unsers durch das Regierungsblatt vom 6ten May d. J. | Nro. XVIL verktindeten Edicts vom 25ten April liber die gmndgesezliche Verfassung | des dienerschaftlichen Standes, vorztiglich die von der Koniglich Bairischen ahnlichen | Pragmatik abweichenden zu Interpretationen AnlaB geben, die sowohl Unserer dabey | gehegten Absicht als auch selbst dem wahren Geiste dieses Gesezes durchaus entgegen | sind. Um daher den daraus entstehenden nachtheiligen Folgen nach der Uns obliegenden | Ftirsorge fur das Beste Unsers Dienstes in Zeiten vorzubeugen, haben Wir Unserm | Staatsrathe anbefohlen, ein anderweites Project einer Diener=Pragmatik mit Be= | stimmungen, durch welche dergleichen nachtheilige Auslegungen entfemt werden, zu | bearbeiten und hiemachst zu Unserer unmittelbaren Sanction vorzulegen. Wir erklaren also hiermit obgedachtes Edict vom 25ten April, dessen Unserm [ Oberhofgericht insinuirtes Exemplar Wir eben so wie das bey Unserm General=Lan= | desArchive hinterlegte unterm heutigen zurucknehmen lassen, flir aufgehoben, und wol= | len, daB in so lange bis liber die Verfassung des dienerschaftlichen Standes cine an= | dere pragmatische Sanction von Uns genehmigt seyn wird, diejenige Verhaltnisse von | Uns zu Unsem Dienem und von Unsem Dienem zu Uns wieder eintreten soUen, die | vor der Verklindung jenes Edicts theils durch Herkommen theils durch Gesez, inson= | derheit, soviel die Strafe der Bestechlichkeit betrift, ohne Rlicksicht darauf, ob sich | einer Unserer Diener derselben wahrend der Dauer dieses Edictes schuldhaft gemacht | haben sollte, nach dem 54ten §. Unserer Verordnung uber die Strafgerichtsbarkeits= | Pflege, und soviel die wechselseitige Diensts=Aufkundungs=BefugniB betrift, nach dem | [S388] 111 und respec 157ten §. Unserer im Jahr 1794 emanirten und im Jahr 1805. | emeuerten Hofraths=Instruktion bestanden haben. Um jedoch Unsere gesamte Dienerschaft keiner Beunruhigung liber das Schicksal | ihrer hinterlassenden Wittwen und Kinder auszusezen, verordnen Wir schlliBlich, daB | bis zu Verkundung des uns vorzulegenden neuen dienerschaftlichen Grundgesezes die | in dem 27ten Abschnitte des jezt aufgehobenen Edicts und dessen § 1 - 2 1 . ent= | haltene Bestimmungen wegen der VersorgungsGehalte fur die Wittwen und Waisen | noch femerhin unverandert bestehen sollen. Hieran geschieht Unser gnadigster Wille. | Gegeben Carlsruhe den 14 Nov. 1809. Carl Friedrich. | Carl ErbgroBherzog. | (L. S.) Vdt. Frhr. von Reizenstein. Auf Sr. Koniglichen Hoheit | besondem Befehl. | Gerstlacher.

[201/2 ] Landesherrliche Verfiigung vom 3. Juli 1810 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einfiihrungen" die Darstellung unter [738.]. Quelle: GroBherzoglich Badisches (Staats- und) Regierungs-Blatt, 8. Jahrgang, (Nr. 30 vom 28. Juli) 1810, S. 248 (gedruckt).

1728

§ 12: Baden

[Dok. 188-251]

Sonstige Fundstelle: C. F. Muller (Hrsg.), Die landstandische Verfassungs-Urkunde fiir das GroBherzogthum Baden. Nebst den dazu gehorigen Actenstucken, (C. F. Mtillersche Hofbuchhandlung, Karlsruhe) 1819, S. 268. [S. 248] Wir Carl Friedrich von Gottes Gnaden, | GroBherzog zu Baden, Herzog zu Zahringen etc. Wir haben in Unserer Verftigung vom 14ten Nov. v. J. im Regierungsblatt | Nro. 47, wo Wir das Edict vom 25ten April v. J. iiber die grundgesetzliche Ver= | fassung des dienerschaftlichen Standes fur aufgehoben erklart haben, zur Beruhigung | Unserer gesammten Dienerschaft iiber das Schicksal ihrer hinterlassenden Wittwen und | Kinder erklart, daB bis zu dereinstiger Verktindung eines Uns vorzulegenden neuen | dienerschaftlichen Gmnd= Gesetzes, die in dem 27ten Abschnitte dieses Edicts und dessen | §. 1 - 21 enthaltene Bestimmungen wegen der Versorgungs=Gehalte | fur die Wittwen und Waisen noch femerhin unverandert bestehen sollen. Nachdem Wir aber fur alle Unsere weltliche Civil=Diener unterm 28ten | Junius d. J. eine allgemeine Versorgungs^Anstalt fur ihre hinterlassende Wittwen und | Kinder errichtet, und solche durch einen hinlanglichen Fond und durch andere Zuschiisse aus | Unsem Staats=Mitteln hinlanglich begriindet haben, und da der Zweck des vorer= | wahnten Edicts auf andere Weise hierdurch vollstandig erreicht wird; so finden Wir Uns | dadurch veranlaBt, auch den vorgedachten 27ten Abschnitt desselben mit den in §. 1-21 | enthaltenen Bestimungen rticksichtlich Unserer privativen Diener ganz aufzuheben; ruck= | sichtlich der standes= und grandherrlichen Staats=Diener aber behalten diese Bestimmungen | noch so lange ihre Kraft, als ihre Dienst=Herrschaften nicht ihre Aufhahme in die allgemeine | Anstalt erlangt haben werden. Hieran geschieht Unser gnadigster Wille. Gegeben Carlsruhe|den3tenJuly 1810. Carl Friedrich. Frhr. v. Reitzenstein. Auf Sr. Konigl. Hoheit | besondem hochsten Befehl | Gerstlacher.

[202] Organisationsreskript vom 26. November 1809 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einfiihrungen" die Darstellungen unter [746.] bis [750.]. Quelle: GroBherzoglich Badisches Regierungsblatt, 7. Jahrgang, (Nr. 49 vom 2. Dezember) 1809, S. 395 - 398; Beilagen: Lit. A (a. a. O., [Nr. 50 vom 9. Dezember] 1809, S. 403 414); L i t B (a. a. O., [Nr. 51 vom 16. Dezember] 1809, S. 419-424); Lit. C (a. a. O., S. 424-444 [S. 446 Verbessemngen]); Lit. D (a. a. O., [Nr. 52 vom 23. Dezember] 1809, S. 447 - 463); Lit. E (a. a. O., S. 463 - 467); Lit. F (a. a. O., S. 467 - 494) - allesamt gedruckt. [S. 395] Wir Carl Friedrich von Gottes Gnaden | Grosherzog zu Baden Herzog zu Zahringen etc. Durch einige der neuesten Zeitbegebenheiten, nahmentlich durch die Folgen des Lti= | neviller Friedens, durch den Presburger Frieden, durch die bald nachher geschehene 1 Auflosung des deutschen Reichsverbands und Entstehung des Rheinischen Bundes hat j sich Unser Staat in alien seinen Theilen so sehr verandert, daB Wir schon lange die | Nothwendigkeit ftihlen, demselben, anpassend zu den jetzigen Verhaltnissen, eine gleiche | und einfache Verwaltung zu geben. Unsere Edikte von 1807. und 1808. haben nur in Ansehung der directiven Stel= | len das Nothigste einstweilen verfugt, da zu weiter greifenden Anordnungen die Vor= | bereitungen damals noch nicht vollendet waren.

[202] Organisationsreskript vom 26. November 1809

1729

Inzwischen sind diese nun so weit gediehen, daB wir Uns im Stande finden, auch | riicksichtlich der untem und mittlem VerwaltungsStellen, das Nothige festzusetzen, sie | an die CentralStellen gehorig anzuknupfen und so das Ganze der StaatsVerwaltung | zu umfassen. Wir verordnen demnach folgendes: 1.) Das ganze Grosherzogthum wird in Kraise und die Kraise werden in Bezirke | eingetheilt. Das Nahere hieniber enthalt die Beilage A. Die bisherige Eintheilung in Provinzen wird hiermit aufgehoben. [S. 396] 2.) Alle Gerichtsbarkeit und polizeyliche Gewalt in Unsem Landen wird kiinftig | bios in Unserm Rahmen und aus Unserem Nahmen und aus Unserm Auftrag ausgetibt. 3.) Die VerwaltungsStellen sind von unten herauf: a.) In staatsrechtlicher und staatspolizeylicher Hinsicht: Ortsvorgesezte = Aem = | ter = KraisDirectorien = Ministerium des Innem; b.) In staatswirthschaftlicher und finanzieller Hinsicht: Ortsvorgesezte, Revier== | forster und Waldaufseher - Verrechnungen und ForstAemter - KraisDirec= | torien und OberForstamter - Ministerium der Finanzen; c.) In gerichtlicher Hinsicht: Aemter - Hofgerichte, und zur Zeit noch JustizKanzleyen - Oberhofgericht - | Ministerium der Justiz. 4.) Der privilegirte Gerichtsstand, der bisher einzelnen Classen von Unterthanen | und Einwohnem Unserer Lande zukam, hort kiinftig, rticksichtlich der zum Civil= | Stand gehorigen Personen, unter den in den Beilagen dieses Edikts enthaltenen Be= I stimmungen, auf. Nur dem Militarstand bleibt derselbe wie vorhin. 5.) Die Standesherm haben die ihnen durch die Rheinische BundesAkte eingeraumte | niedere und mittlere Gerichtsbarkeit femerhin durch ihre Aemter auszutiben. 6.) Die Einrichtung und den GeschaftsUmfang der Orts und Stadtischen Vor= | stande enthalt die Anlage B. 7.) Der GeschaftsUmfang der BezirksVorstande ist in der Beilage C. bezeichnet. 8.) Ueber die Zusammensetzung und die Bevollmachtigung der KraisObrigkeiten, | nahmentlich der KraisDirectorien und OberforstAemter, verfiigt die Beylage D. 9.) Der WirkungsKrais des Oberhofgerichts und der Hofgerichte erhellt aus der | Beilage E. Die standesherrlichen JustizKanzleyen haben im gerichtlichen Each, so weit nicht | Unsere Gesetze eine Beschrankung machen, mit den Hofgerichten dieselbe Gewalt. In keinem andem Theile der Staatsverwaltung aber wird den Hofgerichten und | Standesherrlichen JustizKanzleyen eine Einwirkung gestattet. [S. 397] 10.) Die Ministerien sind folgende: a.) Das Ministrium der auswartigen Verhaltnisse; b.) Das JustizMinisterium; c.) Das Ministerium des Innem; d.) Das FinanzMinisterium; e.) Das KriegsMinisterium; Die Einrichtung dieser Ministerien und der Geschaftsumfang eines jeden sind aus der I Beilage F. zu ersehen. 11.) Das CabinetsMinisterium hort auf ein besonderes Departement zu bilden. Der CabinetsMinister ist das Organ, durch welches die Antrage der Ministerien | an Uns und Unsere Entschliesungen an sie gehen. Er bildet mit dem ihm untergeordneten Personal das Cabinet.

1730

§12:Baden

[Dok. 188-251]

12.) Der personliche Rang der StaatsMinister unter sich richtet sich nach der Zeit | ihrer Bestallung als wirkliche GeheimRathe. 13.) Der Vereinigigungspunct sammtlicher Ministerien ist die MinisterialConferenz. | Wir bestimmen derselben Unsem altesten StaatsMinister, den Wir eben deswegen | von der Besorgung eines besondem Departements entbinden, zum Prasidenten als Unse= I ren Stellvertreter, wenn Wir oder Unsers geliebten Enkels des ErbgroBherzogs Lieb= | den derselben nicht personlich beywohnen. 14.) Der Wirkungskreis der hohem Stellen fangt erst da an, wo der Wirkungs= | kreis der ihnen unmittelbar untergeordneten Stellen aufhort. Jene haben daher im= | mer an diese ihre Verfiigungen zu richten. Sollte je in eilenden Fallen von einer obem Stelle an eine untere, unter Ueber= | gehung der MittelStelle, verfligt werden mtissen, so ist diese von dem Verftigten so= | gleich zu benachrichtigen. 15.) Die Anliegen und Gesuche der Bittsteller mtissen in Administrativ - eben so | wie in Justiz - Sachen zuerst bey der untersten Stelle, in deren Wirkungskreis ihr | Gegenstand gehort, angebracht werden, ehe sie von der unmittelbar vorgesezten Stelle I angenommen werden konnen. [S.398] Auf diese Art konnen sie hochstens durch drey Instanzen gehen. Von der obersten | dieser Instanzen findet keine Bemfung mehr statt. Die Verfasser schriftlicher Ein= | gaben sind jeder Zeit auf denselben zu benennen, sonst darf darauf keine Riicksicht I genommen werden. 16.) Alle seither bestandene Administrativ - Justiz - oder FinanzStellen, welche | nicht in dieser Verordnung und ihren Beilagen benannt sind, werden von dem Zeit= | Punkt ihres Vollzugs an aufgeloBt. Dieser wird hiermit, in so weit es nicht, wenigstens theilweise, friiher geschehen | kann, spatestens auf den 23. April 1810 bestimmt. 17.) Alle in den bisherigen Organisations^ und ConstitutionsEdikten auch andem | LandesGesezen enthaltene Verordnungen, welche dem gegenwartigen Edikt und dessen I Beilagen entgegen laufen, werden hiermit aufgehoben. 18.) Zu Beschleunigung des successiven Vollzugs des gegenwartigen Organisations^ | Edikts und den deshalb zu treffenden vorbereitenden MaaBnehmungen wird hiermit I Unser CabinetsMinister speziell beauftragt. Hieran geschieht Unser gnadigster Wille. Gegeben Carlsruhe den 26. Novbr. | 1809. Carl Friedrich. | Carl ErbgroBherzog. | (L. S.) Vdt. Frhr. von Reizenstein. Auf Sr. Koniglichen Hoheit | besondem Befehl. | Gerstlacher. [S. 403] Beilage Lit. A: | zu dem, im lezten RegierungsBlatt verkiindeten Organisations Rescript vom 26. Nov. d. J. Unsere gesammten GroBherzoglichen Lande werden in Kreise, und diese letzteren | in AmtsBezirke eingetheilt. Die Kreise sind folgende: | Der Seekreis, der DonauKreis, der WiesenKreis, der Treisam= I Kreis, der KinzigKreis, der MurgKreis, der Pfinz und EnzKreis, | der NeckarKreis, der OdenwalderKreis, der Main und Tauber= | Kreis. I. Der SeeKreis. Begreift die stidostlichsten GranzLander des GroBherzogthums, und enthalt derma= | len die gegenwartigen Aemter Pfullendorf, Markdorf, Meersburg, | Uiberlingen, Constanz,

[202] Organisationsreskript vom 26. November 1809

1731

Reichenau, Bohlingen, Salem, Herdwan= | gen, Petershausen, Hilzingen, UnterElchingen, Heiligenberg, | MoBkirch^, und Engen. Die Aemter Pfullendorf und Bohlingen bilden StaabsAemter. Das Amt Markdorf wird zu dem ObervogteiAmt Meersburg geschlagen. Desgleichen werden Stadt und LandAmt Uiberlingen und Stadt und | LandAmt Constanz mit einander vereinigt, zu welchem letzterem auch noch das | Amt Reichenau kommt. Die zu dem Kreise gehorigen Grundherrlichen Orte sind; Womdorf, Freu= | [S. 404] denthal, Liggeringen, Rohmanghof, Mokkingen, Gtittingen, | Htittisheimhof, Gahlingen, Worblingen, Langenrain, Marbach, | Wangen, Billafmgen, Beurenhof, und Nessenhof. Der Sitz des Kreises ist in der Stadt Constanz. 11. Der DonauKreis. UmfaBt den obem Schwarzwald, und enthalt dermalen die Aemter Blumenfeld, | Bonndorf,^ Villingen, Braunlingen, Triberg, einschlieBlich des | ganzen Prechthals, Thiengen, Jestetten, Thengen, Blomberg, Lof= | fingen, Neustadt, Stuhlingen, Donaueschingen, Htifingen, M6h= | ringen und Vohrenbach. Das StadtAmt Villingen macht mit dem biBherigen dortigen Amt, und | Braunlingen ein Amt aus. Das Amt Bonndorf bekommt zu seinem jetzigen Bestand noch die Vogtey | Schluchsee mit Eisenbreche, die zu dem KreiBe gehorigen Grundherrlichen Orte | sind die Herrschaft Schrozburg*^ und Immendingen. Der Sitz des Kreises wird demnachst bestimmt werden. III. Der WiesenKreis. Zwischen der westlichen Granze des vorigen Kreises, und dem Rhein, begreift die | Aemter St. Blasien, Schonau, Waldshut, Seckingen, Beuggen, | Roteln, Schliengen und Badenweiler. Die Aemter Beuggen und Schliengen gehen ein, und zerfallt mit deren | Inbegriff das bisherige OberAmt Roteln, in die drey Aemter Lorrach, [ Schopfheim, und Candem. Auch ist die Stadt Kleinlaufenburg zu dem Sitze eines neuen Amtes be= | stimmt. Das Amt St. Blasien verliert die Vogtey Schluchsee, die zu dem Amte | Bonndorf kommt, und den Ort Hochenschwand, der zu Waldshut kommt. | Es erhalt dagegen von Waldshut den Ort Kutterau. Das Amt Waldshut enthalt die Stadt dieses Namens, und die Orte Do= | gem, Roggenschwil mit Fohrenbach, und Leinegg, Weihlen, Diet= | lingen, Waldkirch, Gais, Eschbach, Schmitzingen, Bierbronnen, | [S. 405] Rohr, Aispel, Btargerln, Haibach, Haselbach, Bierdorf, Birkin= | gen, Kuchelbach, Bolland, EiBenwerkAlbmck, Buch, Etzwil, Hel= | de, Hechenwihl, Steinbach, KieBenbach, OberAlpfen, Rentschwihl | Baunholz, Ay, Strittberg, Amerigschwand, Segalen, Elmenegg, | Attlisberg, Heppenschwand, Frohnschwand, TiefenhauBem, Ober= | weschnegg, Unterweschnegg, Neumtihl, Immenrich, Brunadem, | Aisberg, Hohenschwand, Gurtweil, Indlighofen, endHch nur noch | provisorisch Rotelen, Hohenthengen, Herdem und Lienheim. Das neue Amt KleinLauffenburg bekommt die Orte KleinLauffenburg, | Hauenstein, Murg, Rheinsberg, RothhauB, Rtittihof, Raina, | Diggeringer Mtihle, Binzgen, Gaisbohl, Oberhofer Hammer, | Hanner, Oberhof, Thimoos, Niderhof, Diggeringen, Zechenwihl, | Gerwihl, Oberwihl, Rtiswihl, Lochmtihle, Tiefenstein, Rotzingen, | Burg, Hartschwand, ^ Im Original gestrichen durch „Verbesserungen" auf S. 446 im Regierungsblatt. ^ Durch „Verbesserungen" auf S. 446 im Regierungsblatt wird dem Text „nach dem Amte Bonndorf Bettmaringen beigesezt". ^ Gestrichen durch „Verbesserungen", auf S. 446 im Regierungsblatt.

1732

§12:Baden

[Dok. 188-251]

Strittmatt, Engelschwand, Hochschtir, | Lochmatt, Segeten, Hetzleinmtihle, Hochsal, Rotzel, Luttingen, | Grtinholz, Stadenhausen, Alb und Albbrett, Schochen, Nie=^ | derwihl. Zu dem Amte Seckingen gehoren die Orte Seckingen, Rippolingen, | Katzenmoos, Harpolingen, Rikenbach, Hennematt, Bergalingen, | Jungholz, Egg, Willaringen, Willadingen, der von Zweiersche | Lehenhof, WickertsMtihle und Schweighof, Attorf, Homberg, | Hutten, Rtittihof, Altenschwand, Glashiitte, Hottingen, Ober= | gebisbach, Niedergebisbach, Herrischried, Herrischrieder Sage, | Herrischrieder Rtitte, Herrischwand, Schellenberg, Girsbach, | Lochhausem, Wehrhalden, Lindauer Lehenhof, Warmbach, Nol= | lingen, Beuggen, Karsau, Riedmatt. Das Amt Schonau begreift Schonau mit Schonbuchen, Schonenberg, | Entenschwand, WildBollen, Eitem, HolzingshauB, Multen, | Rollsbach, Atzenfeld, Konigshtitte, Geschwand, Breg, Herri= | schwand, Thunau, Bischmatt, Michelrtitte, Wambach, Schindeln, | OberBollen, NiederBollen, Haidfltihe, Ittenschwand, Kastel, | [S. 406] Oberhepschingen, Niederhepschingen, Hof, Kiinaberg, Stutz, Holz | Graben, Umgehnwieden, Rtitte, Oberwinden, Lailehauser, Leiten= | bach, Todtnau, Afftersteg, Hasbach, Muggenbrunn, Brandenberg, | Fahl, Schlechtnau, Todtnauerberg, TodtnauerBergriitte, Neuen= | weeg mit Belgen, Oberheubron, Mittelheubronn, Unterheubronn, | Biirchau, Kastel. Das ktinftige Amt Schopfheim bekommt Schopfheim nebst dem Ham= | mer, Hofen und Ehnerfahmau, Gundenhausen, Maulburg, Wei= | tenau, namlich das Kloster, der Klosterhof, Heuberg und Hummelberg, | Wiesleth, nebst Henschenberg, Eichholz, Schillingshof, Langenau, nebst | Enkenstein, OberTegemau, Oberhauser, Raich, Ried, Hoheneck, | Langensee, Elbenschwand, Holl, Gresgen, Ewigen, Sallneck, | Schwand, NiederTegemau, Wies, Demberg, Fischenberg, Ktihlen= | bronn, Stockmatt, Fahmau, Hausen nebst dem Bergwerk, Raitbach, | Kimberg, Scheuermatt, Kehregraben, Blumberg, Schweigmatt, | Schlechtbach, Wiechs, Eichen, Gersbach mit Fezenbach, NeuhauB | und Lochmtihle, Glashiitte mit Stegmtihle, Hassel, Dossenbach, Ober= | Mittel= und Nieder=Minseln, Nordschwaben, Ober= und Nieder= | Eisel, Adelhausen, Rapperschweier und Ottwangen. Dem Amt Lorrach werden zugetheilt, Lorrach, Stetten, Inzlingen, | Grenzach, Ttillingen, Weil, Haltingen, Oetlingen, Binzen, Rtim= | mingen, Wittlingen, Schallbach, Mappach mit Maugenhard, Fi= | schingen, Eimeldingen, Markt, Kirchen, Efringen, Egringen, Istein, | Huttingen, Thumringen, Roteln mit der Kirche, Miihle, Rottlen= | weiler und SchloB, Hagen mit Hasenloch, Hauingen, Brombach, | Steinen, Hollstein, Hiisingen, Hagelberg, Wiehlen mit Rtihrberg | und Markhof, Herthen, Degerfelden und HachenbacherHof. Das ktinftige Amt Candem besteht aus Candem nebst dem Platz und Glas= | htitte, Wollbach, Nebenau, Egerten, Egisholz, Hammerstein, Hol= | zen, Riedlingen, Malsburg, Vogelbach nebst Kasacker, Tantenmtih= | le, Ltitschenbach, Oedenbach, Lausbiihl, Kaltenbach, Wambach, | [S. 407] Btirgeln, Marzell, SchlechtenhauB nebst Hofen, Endenburg, Kirch= I hausen und LehnAcker, Sitzenkirch, Feuerbach, Niedereggenen mit | Gennebach und Kutzmtihle, Obereggenen mit Schallsingen, Feld= | berg mit Rheinthal, Tannenkirch mit Kaltenherberg, Kupf, Bellin= | gen^ und Utnach, Hertingen, Wintersweiler, Welmlingen, Blan= | singen, KleinenKems, Steinenstadt, Schliengen und Mauchen. Das Amt Mtillheim besteht aus den Orten Mtillheim, Badenweiler, | Oberweiler, Niederweiler, Schweighof, nebst den SimizerHo= | fen, Lippurg, Sehringen, Zunzingen, Htigelheim, Zienken, | Buggingen, Bettberg, Britzingen, Dattingen, Muggart, See= | felden, Laufen, St. Ilgen, Gallenweiler, Gittigen, Sulz= | burg, nebst Sengelberger Hof, Ballrechten nebst Kastelhof, Ober= | und Nieder=Dottingen, Vogisheim, Auggen, nebst Hach, endlich die I Stadt Neuenburg.

Durch „Verbesserungen" auf S. 446 im Regierungsblatt wird Bellingen durch Ettingen ersetzt.

[202] Organisationsreskript vom 26. November 1809

1733

Die zu dem Kreise gehorigen Grundherrlichen Orte sind: Unteralphen, Nie= 1 derschworstatt, Oberschworstatt, und Eichbiihl, Niederdossenbach, | Oeflingen und Grunenbach, Wallbach, Obersackingen, Wehr, En= | kendorf, Flienken, Klosterhof, Lachen, Niederwehren, Thai | Mettlen und Steinegg, Adelsberg, Altenstein mit Sonnematt, At^ | zenbach, Blauen, Ersperg mit Wallmatt und Wtihre, Happach | mit Forsthof und Schtirberg, Riedichen mit Gaisbiihl und Htitten, | Hag, Pfaffenberg und Kessem, Mambach mit Silbersau und Mehl= | schau, Rohmatt, Rohrberg, Stadel, Zell, Bellingen, Liel, Inz= | lingen, Bamlach und Rheinweiler. Der Sitz des Kreises ist zu Lorrach. IV. Der Treisamkreis. Enthalt die jetzigen Aemter Heitersheim, Staufen, Breisach, St. Pe= | ter, Waldkirch, Freyburg, und den groBten Theil von Hochberg, in den | kiinftigen Aemtem Staufen, Breisach, StadtAmt Freiburg, zwey Land= | Aemter Freyburg, St. Peter, Waldkirch, Emmendingen und Endin= | gen. [S. 408] Das bisherige Amt Heitersheim geht ein, und wird mit Ausnahme der zu | dem Amt Mtillheim fallenden Stadt Neuenburg zu dem Amte Stauffen | geschlagen, welches dagegen die Orte Ehrenstetten, Gtitighofen, Kirchhofen, | Ober= und UnterAmbringen, Ofnadingen, Oehlinsweiler und Pfaf= | fenweiler an das erste LandAmt Freyburg abtritt. Dieses LandAmt Freyburg besteht aus den ebengenannten Amts Staufen= | schen Orten, und bekommt von dem bisherigen OberAmt Freyburg dazu die | Orte Ebringen, Norsingen, Fohrenschallstadt, St. Georgen, Has= | lach, Leutersberg, Mengen, Berchtolskirch, St. Nikolaus, Op= I fingen, Schallstadt, Schallhofe, Thiengen, Uffhausen, Wendlin= | gen, auch Wolfenweiler. Das 2te LandAmt Freyburg besteht aus dem Reste des bisherigen OberAmts, | wozu es noch von Hochberg die Orte Denzlingen, Gundelfingen, nebst | Reutenbach, Vorstetten, und Schupfloch, von Waldkirch aber Klot= | terthal und Ohrensbach bekommt.^ Das kiinftige Amt Breisach bildet sich aus dem jetzigen OberAmt, mit welchem | die Stadt vereinigt wird, und von Hochberg die Orte Bischoffingen, | Bickensohl und Ihringen dazu kommen. Das neue Amt Endingen besteht aus der Stadt Endingen, den von Ken== | zingen abkommenden Orten Wiehl und Wollingen, Kiichlinsbergen und | Riegel, auch zur Zeit Forchheim und Schelingen, dann aus den Hochberger | OberAmtsOrten Bahlingen, Botzingen, OberSchaffhausen, Eichstet= | ten, Konigschaffhausen und Leiselheim. Das StadtAmt Freyburg und StaabsAmt St. Peter bleiben in ihrem | gegenwartigen Umfange. Mit dem Amte Waldkirch wird die Stadt vereinigt, | wogegen es die Orte Klotterthal und Ohrensbach abgiebt. Das Amt Emmendingen besteht aus dem Reste es Oberamts Hochberg | nach Abzug der Orte Weisweil und Herdem, auch derjenigen, die es nach | Breisach, Freiburg und Endingen abgiebt. Die zu dem Kreise gehorigen grundherrlichen Orte sind, Aubach mit Bollschweil und | Elighofen, halb Gtitighofen, Leimbach, Biengen mit Dottighofen, Ober= | [S. 409] und Unter=Krotzingen nebst Kems, Ichtingen, Oberbergen mit | Vogts=Burg, Ober= und NiederRothweil, Hansen an der Mohle, | OberRimsingen, Waltershofen und Dachswangen, Munzingen, | Feldkirch, Amoltem, Sasbach mit Limburg und Liitzelburg, auch | Haimbach und Hecklingen, Antheil an Botzingen und OberSchafhausen, | auch an Gottenheim und Mordingen, Au, Solden, Merzhausen, Wittnau | und Biezighofen, Neuershausen, Holzhausen, Durch „Verbesserungen" auf S. 446 im Regierungsblatt wird dem 2ten Landamt Freiburg der Ort Heuweiler, der von Waldkirch dorthin abgegeben wird, hinzugefiigt.

1734

§ 12: Baden

[Dok. 188-251]

Niederreute und Ober= | reute, Umkirch, Wildthal, Stegen und Weiler, Unterybenthal, | Buchheim, Hochdorf und Benzenhausen, Weilersbach, Dietenbach, | Steig und Fahrenberg, Falkensteig, Hugstetten, Buchenbach, | Buchholz, Niederwinden und Schwangen, Oberyach, Fohrenthal | Biiderbach, Niederspitzenbach. Der Sitz des Kreises ist in Freyburg. V. Der Kinzig=Kreis. Enthalt das neue Amt Ettenheim, sodann die bisherigen Aemter Kenzingen, | Wahlberg, Lahr, Offenburg, das in zwey zerfallt, Kork, Gengenbach, | HaBlach und Wolfach. Das Amt Ettenheimmunster wird aufgelost. Das Amt Kenzingen begreift mit AusschluB der Orte Kiichlinsbergen, | Ober= und Niederhausen, Riegel, Wiehl und Wollingen das jetzige | OberAmt einschlieBlich der Stadt Kenzingen und Au, sodann von Hoch= | berg die Orte Weisweil und Herdem und von Mahlberg die Orte Brog= | gingen, Wagenstadt und Tutschfelden. Das neue Amt Ettenheim bekommt vom OberAmt Mahlberg die Stadt | Ettenheim, Ettenheimweiler, Grafenhausen, Kappel am Rhein, und | Ringsheim, und von Kenzingen die Orte Ober= und Niederhausen, wo= | mit das bisherige Amt Ettenheimmiinster vereinigt wird. Das Amt Mahlberg behalt vom jetzigen OberAmt die Orte Altenheim, | Dundenheim, Ichenheim, Kippenheim, Kippenheimweiler, Ktirzel, | Mahlberg, Ottenheim und Schutterzell, und bekommt vom Amte Lahr, | Sulz. Das Amt Lahr bleibt wie gegenwartig mit AusschluB des Ortes Sulz. [S. 410] Das Stadt= und erste LandAmt Offenburg enthalt die Stadt dieses Na= | mens, und vom bisherigen OberAmte die Orte Bohlsbach, Biihl, Elgers= | weyer, Goldscheuer, Griesheim, Kittersburg, Marten, Mullen bey | Goldscheuer, Schutterwald mit Langhurst und Hofen, Waltesweyer, | Zunsweyer, Ortenberg mit Kefersberg, Zell mit Fessenbach, Albers= | bach, Riedle, Weyerbach, Ober= und UnterRamersweyer. Das zweite LandAmt Offenburg begreift die Orte Appenweyer, Ebers= | weyer, Weyer, Durbach mit Ober= und UnterNesselried, Herzthal | mit Meisenbtihl, NuBbach mit Mtillen, Urlossen mit Zimmem und | Zusenhofen. Die Aemter Kork und Gengenbach bleiben wie jetzt. Die Grundherrlichen Orte in solchem sind: Allmansweyer, Altdorf, Diersburg, Meisenheim, Nonnenweyer, | Orschweyer, OttenweyrerHof, Rohrburgerhof, Rust, Schmieheim, | Wittenweyer, Berghaupten, Hofweyer, NiederSchopfheim und | Windschlag, auch Bleichheim. Der Sitz des Kreises ist Offenburg. VI. Der Murgkreis. umfaBt die kiinftigen Aemter Bischofsheim, Oberkirch, Renchen, Achem, | Biihl, Baden, zwey Rastadter Aemter Gemsbach und Ettlingen. Die bisherigen Aemter Schwarzach, und Steinbach gehen ein. Das Amt Bischofsheim bleibt wie jetzt. Das Amt Oberkirch bleibt wie jetzt, mit AusschluB des Gerichts Ulm. Das neue Amt Renchen bekommt von Achem die Gerichte Renchen und | Kappel und von Oberkirch das Gericht Ulm. Das Amt Achem verliert die erstgedachten beiden Gerichte und bekommt dafiir \ von Btihl, Lauff und Ottersweyer. Das Amt Biihl behalt den Rest seines bisherigen Amts und bekommt da= | zu das Amt Schwarzach mit AusschluB der Orte Hiigelsheim, Sellingen, | und Stollhofen.

[202] Organisationsreskript vom 26. November 1809

1735

Baden bekommt zu seinem Districkte die Stadt dieses Nahmens mit den dazu geho= | [S. 411] gehorigen Zinken und Hofen: Badenscheuem, Dollen, Gunzenbach, | Carlshof, Hahnenhof, Herrenguthj HaBlich, Krippenhof, Sau= | ersberg, Selig, Thiergarten, und Jagdhaus, sodann Balg, Ober= | und Unterbeuren, Eck, Geisbach, Gerolsau, Mahlsbach, Mtillen= I bach, Schmalbach, und das bisherige Amt Steinbach. Das Stadt= und erste LandAmt Rastadt bekommt die Stadt Rastadt, und | von dem bisherigen OberAmte die Orte Rheinau, Forch, Iffezheim, Kuppen= | heim, Niederbtihl, Obemdorf, Ottersdorf, Plittersdorf, und Win= | tersdorf, sodann von Baden die Orte Ebersteinburg, Hauenerberstein, | Oos mit Oosscheuer und der Schweigrother Mtihle, und Sandweyer, | endlich von Schwarzach die Orte Stollhofen, Sellingen und Htigels^ | heim. Das zweite LandAmt Rastadt erhalt den Rest des bisherigen OberAmts. Das Amt Gemsbach bildet sich aus der Vereinigung der bisherigen Aemter | Eberstein und Gemsbach. Das Amt EttHngen bleibt wie jetzt, ausschHeBlich der Orte Bulach, Bey= | ertheim, Dachslanden und Grunwinkel, die es an Carlsruhe, und | des Ortes Stupferich, den es an Durlach abgibt. An Grundherrhchen Orten gehoren zu diesem Kreise Neuweyer, und Gais= | bach. Der Sitz des Kreises ist in Rastadt. VII. Der Pfinz= und Enzkreis. Begreift die ktinftigen Aemter: StadtAmt Carlsruhe, LandAmt Carlsruhe, Durlach, Stein, | zwey Pforzheimer, zwey Bruchsaler Aemter, Bretten, und Gochs= | heim. Das bisherige StaabsAmt Eppingen gehet ein. Das StadtAmt Carlsruhe begreift die hiesige Stadt nebst KleinCarls= | ruhe, und Gottsau. Das LandAmt erhalt von dem bisherigen OberAmt die Orte Mtihlburg, | Eggenstein, Fridrichsthal, Hochstetten, Knielingen, Linkenheim, | Welsch und DeutschNeureuth, Rtippur und Schroth, von dem Amte | [S. 412] Ettlingen die Orte Grunwinkel, Daxlanden, Beiertheim, Bulach, | Scheibenhard, und von dem OberAmte Durlach die Orte Rintheim, | Blankenloch, Btichig, Spock, und Staffort. Das Amt Durlach verliert die letztgenannten Orte und giebt Sollingen an | Stein und Weingarten an Bmchsal ab, erhalt hiemachst Stupferich | von Ettlingen. Das Amt Stein giebt ab: Bauschlott und Bilfingen, und erhalt dage= 1 gegen vom Amt Durlach, Sollingen, und von dem Amte Bretten, Joh= | lingen und Woschbach. Das Stadt= und erste LandAmt Pforzheim begreift die Stadt dieses | Namens nebst den Orten Dillstein, WeisenStein, Biichenbronnn, Hu= | chenfeld, Niesem, Eutingen, und Brotzingen; Das 2te LandAmt Pforzheim begreift den Rest des biBherigen OberAmts | nebst Bauschlott und Bilfmgen. Das Stadt und Iste LandAmt Bmchsal enthalt die Stadt, nebst den | Orten Unterowisheim, UnterGrombach, OberGrombach und Helms= | heim, dem bisherigen Carlsmher OberAmtsOrt Graben, und dem | bisherigen Durlacher OberAmtsOrt Weingarten. Das 2te LandAmt Bmchsal enthalt den Rest des biBherigen OberAmts | mit AusschluB von Neuenbtirg, und von dem Amte KiBlau: Mingolsheim. Das Amt Bretten verliert die Orte Helmsheim, Johlingen, und | Woschbach, und bekommt statt dessen das biBherige StaabsAmt Eppingen. Das Amt Gochsheim vereinigt die biBherigen Aemter Gochsheim und | Odenheim und bekommt dazu das Dorf Neuenbtirg, wogegen es UnterOe= | wisheim abgibt. An gmndherrlichen Orten gehoren zu diesem Kreise Hohenwettersbach, Ko= | nigsbach, Wtirm, Liebeneck, Heidach und Thiergarten, Hamberg, | Hohenwarth, Lehningen, Miihl-

1736

§12: Baden

[Dok. 188-251]

hausen, Neuhausen, Schollbrunn, | Steinegg, und Tiefenbronn, femer Flehingen, Gondelsheim, Menz | singen, Sickingen mit NeuSickingen, und Sulzfeld mit Ravensburg. Der Sitz des Kreises wird demnachst bestimmt werden. [S. 413] VIII. Der NeckarKreis Begreift die bisherigen Aemter Philippsburg, Schwezingen, Stadt= | Amt Heidelberg, LandAmt Oberheidelberg, LandAmt Unterheidel= | berg, StadtAmt Mannheim, Ladenburg, Weinheim und Neckarge= | mtind, wozu noch das neue StaabsAmt Rauenberg kommt, dagegen das | Amt KiBlau eingeht. Das Amt Philippsburg bekommt zu seinem dermaligen Bestand noch von | dem bisherigen OberAmt Carlsruhe die Orte Liedolsheim und RuBheim, | und von dem eingehenden Amt KiBlau die Orte KiBlau und Kronau. Das StaabsAmt Rauenberg wird zusammengesetzt aus den bisherigen Kitz= | lauer AmtsOrten, Balzfeld, Dielheim, Eschelbach, Horrenberg, | Malsch, Malschenberg, Mtihlhausen, Oberhof, Rauenberg, Ret= | tigheim, Rotenburg und Unterhof. Das Amt Schwezingen bleibt wie jetzt. Das Amt Oberheidelberg begreift die Orte: AltWiBloch, Bruchhau= | sen, Eppelheim, Griinshof, Kirchheim, Leimen, NuBloch, Plei= | kartsforsterhof, Rohrbach und Bierhalterhof, St. Ilgen, Sand= | hausen, Walddorf, Weiblingen und WiBloch. Das Amt Unterheidelberg begreift den Rest des jetzigen OberAmts Heidel= | berg. Die StadtAemter Mannheim und Heidelberg, so wie die Aemter La= | denburg und Weinheim und das StaabsAmt NeckarGemiind behalten ih= | ren dermaligen Umfang. Die zu dem Kreis gehorigen Gmndherrlichen Orte sind: Beyerthal, Gau= | angelloch, IIvesheim, Leutershausen, Litzelsachsen, Mauer, Miinch= | zell, Schatthausen, und Ursenbach. Der Sitz des Kreises ist in Mannheim. IX. Der OdenwalderKreis umfaBt das Amt Neckarschwarzach, das mit der Stadt Waibstadt ver= | [S. 414] einigt wird, sodann an Standes= und Gmndherrlichen Bezirken: das biBherige Ober= | Amt Waibstadt, und die Landvogtey MoBbach, letztere mit AusschluB des | Amtes Buchen, femer die Orte Adelshofen, Bockschaft, Dammhof und | Ittlingen. Der Sitz des Kreises ist in Mosbach. X. Der Main= und TauberKreis begreift die beyden Landvogteyen Miltenberg und Werthheim, und das | Amt Buchen. Der Sitz dieses Kreises wird demnachst bestimmt werden. [S.419] Beilage Lit. B: [ zu dem Organisations Rescript vom 26. Nov. d. J. 1.) Der Ortsvorstand in Stadten ist der Stadtrath, in Flecken und Dorfem das | Gericht. 2.) Jeder Ort von wenigstens 40 Btirgem, der bis jetzt noch kein eigenes Gericht | hatte, soil ein solches erhalten. Die dieser Anordnung entgegenlaufende, hie und da noch bestehende Staabs= Kirch= I spiels= Amtsschultheiserey= und dergleichen Verbindungen, sind, sobald es thunlich | ist, aufzuheben. 3.) Kleinere Ortschaften, die kein eigenes Gericht haben, stehen unter dem Gericht | des Orts, welchem sie herkommlich zugetheilt sind. Sie wahlen einen ihrer Burger, der unter dem Namen Stabhalter die OrtsPo= | lizey und die Vollstrekung der Befehle im Ort besorgt, zugleich auch Mitglied des | Gerichts des HauptOrts ist.

[202] Organisationsreskript vom 26. November 1809

1737

4.) Das erste Mitglied der Gerichte ist der Ortsvorgesezte, welcher in den Stad= | ten Burgermeister oder OberBurgermeister, und auf dem Lande Vogt heiBt.

5.) Seine Emennung geschieht aus der Burgerschaft durch die Wahl der Burger | mit AusschluB der Ehren=Burger. Das Amt leitet diese Wahl, emennt in den Dorfem einen von denen, welche we= | nigstens ein Viertheil der Stimmen erhalten haben, verpflichtet ihn mit Handtreue, | und sezt ihn auf der Stelle ein. Halt das Amt jeweils die Bestellung eines solchen, der gar keine, oder doch nicht | wenigstens ein Viertheil aller Stimmen erhalten hat, fiir rathlich, so muB es, ehe | [S. 420] die Emennung und Einsetzung geschehen kann, die Genehmigung des KreisDirectori= | ums einholen. Eben dieses Directorium emennt auf die mit Bericht an dasselbe ein= | zusendende WahlProtokolle die stadtischen Btirgermeister. 6.) Wo ein Ortsvorgesetzter Besoldung und andere Nutzungen hat, da bezieht er | dieselbe in der Kegel von der Gemeinde. Jede Aendemng in ihrer Reguliemng for= | dert hohere Genehmigung. (Lit. F. Nro. 22. r.) 7.) Der Ortsvorgesezte hat a.) den Vollzug alles dessen, was in die Orts= und FeldPolizey einschlagt, zu | leiten. b.) Die Befehle der hohem Stellen zu verkiinden und zu vollstrecken. c.) Bey ausserordentlichen Vorfallen, und tiberhaupt liber alle einer hohem Ent= | schlieBung vorbehaltene Gegenstande dem Amt die Anzeige zu machen. d.) Streitigkeiten, welche auf dem Land nicht liber 5 fl. und in Stadten nicht | liber 15 fl. betragen, zu entscheiden. e.) Kleine PolizeyFrevel und Unordnungen, deren Strafe nicht gesezlich bestimmt | ist, bis auf hochstens 2 fl. Geldstrafe oder 24stundige Einthlirmung zu rligen. f) Diejenigen PolizeyVergehen, welche ihre bestimmte Legalstrafe haben, z. B. | Verkauf zu leichten Brods oder Fleisches, FeldDiebstahl u. d. gl. zu bestrafen. g.) Die VormundschaftsBestellungen in geeigneten Fallen bei Amt zu betreiben. h.) Die VerlassenschaftsBesiegelungen an Orten, wo das AmtsRevisorat oder ei= | ner von dessen Subaltemen nicht gegenwartig ist, zu besorgen. i.) Den Inventuren und Abtheilungen beyzuwohnen, und das TaxationsGeschaft | zu verrichten, sofeme dieses nicht observanzmaBig an einzelnen Orten dem Waisen= | richter uberlassen ist, oder durch besondere obrigkeitliche Anordnung ihm libertragen | wird, indem die Beyziehung von zwey GerichtsPersonen in solchen Fallen verboten | wird. k.) Die Einziehung der herrschaftlichen und Staats= auch KirchenGefalle, die | im Kleinen eingehen und ihre Abliefemng an die BezirksVerrechner zu besorgen, | so weit letztere nicht gut finden, dieses Geschaft einem andem Blirger zu liber= | tragen, 1.) liberhaupt alles dasjenige zu verrichten und zu fordem, wodurch er dem | Lande, dem Regenten und der Gemeinde, welcher er vorsteht, nlitzlich seyn kann. [S. 421] 8.) Der Regel nach soil an jedem Ort nur Ein Vorgesetzter seyn; wenn aber das | Amt nothig findet, ihm einen Stellvertreter beyzugeben, so kann ein solcher auf die | nemliche Art, wie oben Nro. 5. gewahlt, emannt und eingesezt werden. Er heiBt | in den Stadten: zweyter Burgermeister, auf dem Lande: Stabhalter. Er ist bloB | bey Verhindemng des Vorgesetzten wirksam, bezieht auch keinen Gehalt, sondem nur | die taxordnungsmaBigen Geblihren. Wo bisher ohne BedlirfhiB zwey Vorgesetzte |

1738

§12: Baden

[Dok. 188-251]

waren, da bleiben sie, bis durch Beforderung, Entlassung oder Absterben eine Ver= I anderung mit ihnen vorgeht. 9.) Der Stadt= oder GemeindsRechner wird unter dem Vorsitz des Vorgesetzten | von der Gemeinde gewahlt und vom Amte bestatigt; er ist zugleich Gerichtsglied | und darf nicht mehr, wie es hier und da tiblich war, nur wechselnd auf gewisse | Zeit bestellt werden. Die nothige Instruction tiber seine Amtsfiihrung ertheilt ihm das AmtsRevisorat. Seine Rechnung ist in den nachsten vier Wochen nach dem JahrsschluB von ihm | selbst, oder von einem andem tuchtigen Mann, nach seiner Wahl zu stellen, sodann | soliirt und besiegelt 14 Tage auf der Gerichtsstube zur Einsicht und nach Befinden, | Erinnerung jedes Burgers, der sie einzusehen beliebt, vorzulegen, hierauf an das | AmtsRevisorat zur Abhor einzusenden. 10.) Die StadtRathe oder OrtsGerichte werden durch den Zusammentritt der | RathsGlieder oder Gerichtsmanner mit dem Vorgesetzten und GemeindsVerrechner | gebildet. In Orten, welche weniger als 80 Biirger haben, ist nur Ein Gerichtsmann, in | Orten von 80 Btirgem und mehr bis 120 ist ein zweyter zu bestellen, und sofort | fur jede 40 Btirger ein weiterer Gerichtsmann, jedoch darf die Zahl der Gerichts= | manner oder Rathsherren mit EinschluB des Vorgesetzten und Verrechners nicht tiber | 12 steigen. Wo deren mehrere sind, da muB ihre Zahl, bey dem Abkommen einzel= | ner, allmahlig bis auf die geordnete, herabgesetzt werden. 11.) Die RathsGlieder und Gerichtsmanner werden von dem StadtRath oder | Gericht selbst gewahlt, und von dem Amt bestatigt. Sie beziehen als solche in der | Regel keine fixe Gehalte, sonder nur die taxordnungsmaBigen Gebiihren. Ftir jezt | aber behalten die besoldeten ihre Gehalte, bis sie abkommen oder entschadigt werden | konnen. [S. 422] 12.) Die Gerichtsschreiberey ist in der Regel von den Ortsschulmeistem, gegen den | Bezug des herkommlichen Antheils an den Gewahr= und ErkennGeldem, und gegen I die taxordnungsmaBige Gebtihren zu versehen. Wo mehrere Schulmeister angestellt sind, da hat das Amt, nach eingehaltem Vor= | schlag des Gerichts, den Gerichtsschreiber aus denselben zu bestellen. 13.) Stadte, die dazu das Vermogen haben, konnen mit Genehmigung des Kreis= | Directoriums, eigene Rathsschreiber aufstellen, welche das Gericht, ohne an die Biir= I gerschaft gebunden zu seyn, aus den im SchreibereyFach ttichtig befundenen Subjec= I ten wahlt, und das Amt bestatigt. Wo bisher in einer Stadt abgesonderte Raths= I und Gerichtsschreiber waren, da hort dieser Unterschied auf, und werden bey dem | Abgang des einen von ihnen, beyde Stellen in einer Person vereinigt. 14.) Die Raths= und GerichtsDiener, und andere niedere OrtsPolizeyAemter be= | stellt der Stadtrath oder das Gericht. 15.) Die Bedienstungen der OrtsVorgesetzten, RathsGlieder, Gerichtsmanner, | Gerichtsschreiber und die OrtsPolizeyAemter sind widerruflich. 16.) Die StadtRathe und Ortsgerichte haben sich langstens alle 14 Tage zu ver= | sammeln, wozu in den Dorfem die Zeit am Sonntag nach der Kirche zu wahlen ist. Bey den Berathschlagungen entscheiden die meisten Stimmen, also daB bey glei= | chen Stimmen die Meynung des Vorstehers den Ausschlag gibt. 17.) Ein HauptGeschaft der StadtRathe und Gerichte besteht in der Fiihrung der | Contracten= und UnterpfandsBticher, zu welchem Zweck die CentralBehorde eine | allgemeine Vorschrift ertheilen wird. Wo noch keine solche Bticher vorhanden sind, | da soUen sie sobald als moglich eingerichtet, die noch bestehenden Hypotheken so-

[202] Organisationsreskript vom 26. November 1809

1739

ken sogleich, | die kiinftig zu errichtenden Hypotheken aber, so wie die Contracte, seiner Zeit in die= | selbe eingetragen werden. 18.) Die tibrigen Geschafte der Stadtrathe und Gerichte theilen sich in solche, welche | die Vemehmung der Gemeinde erfordem, und in solche, welche von dem Stadtrath I Oder GemeindsGericht allein besorgt werden. Zu ersteren gehoren: a.) die Verausserungen eines liegenden GemeindsEigenthums; b.) die Holzverkaufe aus Gemeindswaldungen, wenn dadurch die Einschrankung | [S. 423] des Burgerabholzes nothig werden sollte, oder der Betrag in einem Jahr die | Summe von 500 fl. tibersteigt. c.) Die Verpachtungen von Liegenschaflen, wenn sie ohne offentliche Versteige= | rung vorgehen sollen. d.) Die Aendemngen der GemeindsGiiterCultur, besonders WaldAusstockungen | Oder WaldAnlagen. e.) Die nicht nothwendige jedoch niitzlich scheinende Baureparationen. f.) Alles neue Bauwesen. g.) Die Aufhahmen oder Einziehungen von Capitalien ohne WiederAnlegung. h.) Die Nachlasse von Schuldigkeiten in die GemeindsCasse. i.) Die auBergewohnlichen Ausgaben. k.) Die Abanderungen im BurgergenuB. 1.) Die Uebemehmung neuer standigen Ausgaben auf die GemeindsCasse. Ueber alle diese Geschafte muB nach vemommener Gemeinde an das Amt berich= | tet werden. Sie sind jedoch nicht nothwendig an die Bewilligung des groBem Gemeindstheils | gebunden, sondem es kann, jedoch nur von der CentralBehorde, aus obervormund= I schaftlicher Gewalt, gegen den Willen der Gemeinde entschieden werden. 19. Ohne Zuzug der Gemeinde besorgt der Stadtrath oder das Gericht: a.) die Verkaufe und Verpachtungen in offentlicher Steigerung; b.) die gewohnliche und nothwendige Baureparationen; c.) die Unterhaltung der VicinalWege, Briicken, Pflaster; d.) die Priifung der, drey Monate vor dem Eintritt eines jeden Rechnungsjahrs | von dem Gemeindsverrechner vorzulegenden Ueberschlage liber die in demselben zu I erwartende Einnahmen und zu bestreitende Ausgaben, und die Mittel zu Deckung | der leztem. e.) Andere in die Gemeindswirthschaft einschlagende, nicht ausdriicklich auf die | Genehmigung der Gemeinde oder einer hoheren Stelle ausgesetzte Gegenstande. f) Die Bestellung der OrtsPolizeiAemter in Dorfem, die BerichtsErstattung | an das Amt hieruber in Stadten. [S.424J g.) Die BerichtsErstattungen wegen Burger= und HintersassenAnnahmen, Ge= | werbsBewilligungen, Dispensationen, Unterstiitzungen, Maasnahmen gegen Ver= I schwender u. dgl. 20.) Da keine GerichtsbarkeitsExemtionen mehr statt finden, so zerfallt fur die Zu= | kunft der Unterschied zwischen kanzleysassigen, vogteypflichtigen und amtssassigen I Stadten. Die unter den bey den ersten Klassen gewesenen Stadte, welche ihre Justizbeamte | selbst besoldet haben und nach der jetzigen Eintheilung eigene Beamten behalten, be= I solden dieselbe auch femer: diejenigen aber, die zu einem groBem BeamtungsBezirk | eingetheilt werden, oder bereits eingetheilt sind, tragen nur einen verhaltniBmaBigen | Theil an den Besoldungen der Beamten dieses Bezirks. Wo

1740

§ 12: Baden

[Dok. 188-251]

stadtische Beamte und | andere stadtische Diener durch die neue Einrichtung in den QuieszentenStand fallen, | da zahlen die Stadte ihnen einstweilen noch den QuieszentenGehalt, erhalten aber | ein verhaltniBmaBiges aversum fur die zuvor bezogene, nun der landesherrlichen Casse | zufallende Taxen, Sporteln und JurisdictionsGefalle von den Amtsgeschaften so lan= | ge, bis die gedachten Diener auf andere Art versorgt werden. 21.) die Schulmeister und MeBner, deren Emennung dem Landesherm zusteht, | werden nach eingeholtem Gutachten des Ortspfarrers und des Decans von dem | KreisDirectorium emannt. 22.) Die Forster und Waldaufseher werden wie bisher bestellt. Riicksichtlich ihrer | Amtslnstmction bleibt es einstweilen und bis eine demnachst zu veranstaltende Revi= I sion Unserer ForstOrganisation von 1808. erfolgt seyn wird, bey dem was der §. 9. I dieser Verordnung vorschreibt; jedoch kann ihnen die Anweisung von geringem Holz= | hieben nach dem Ermessen und der Anleitung der ihnen vorgesetzten Forstmeister und | Forstinspectoren tiberlassen werden. Beilage Lit. C. I. Beamtungen. 1.) Jede Beamtung, sie mag Landes=Standes= oder Grundherrlich seyn, soil in | der Kegel wenigstens 7000 Seelen enthalten. Ausnahmen hievon konnen, wo sie wegen LocalUmstanden nothig oder rathlich sind, I nur von Uns selbst gemacht oder genehmigt werden. [S. 425] 2.) Wo sich nach der Lage nur vier bis fiinftausend Seelen in ein Amt vereinigen | lassen, da wird die Herrschaftliche Verrechnung dem Beamten zugleich tibertragen | und dasselbe hierdurch zu einem Staabsamte gebildet. 3.) Die grundherrlichen Beamtungen sollen entweder gleichbalden bis zur vorge= | schriebenen Seelenzahl vergroBert werden; wo sich jetzt gleich eine Vereinigung meh= I rerer Grundherren zu Haltung eines gemeinschaftlichen Beamten zu Stande bringen | laBt, oder nach und nach bey der Erledigung von Beamtenstellen, mittelst Hinzu= I schlagung zu einem benachbarten Amte. Die Verhandlungen hieriiber haben, mit Riicksicht auf die Wtinsche der Grund= | herren, die KreisDirectorien zu leiten und unter den dabey betheiligten Standes= oder I Grundherren eine gtitliche Uebereinkunft liber die Bedingungen zu erzielen, oder im | EntstehungsFall dariiber zu entscheiden, jedoch unter Vorbehalt der Berufung an die | hohere Administrativstelle. 4.) Wenn grundherrliche Besitzungen ihrer Lage nach zu einem Landesherrlichen | Amte geschlagen werden, so tibt der Beamte die AmtsGewalt in Landesherrlichem | Namen aus, und gehoren in diesem Fall die Taxen, Sporteln und Jurisdictions^ | Gefalle von AmtsGeschaften dem Landesherrlichen Fiscus. 5.) Bey Vereinigung von Standes= oder Grundherrlichen Beamtungen darf der | gemeinschaftliche Beamte nicht tiber vier Stunden von seinem aussersten AmtsOrt | entfemt wohnen. 6.) Von den StadtAemtem zu Carlsruhe, Mannheim, Freyburg und | Heidelberg soil jedes zwey Beamte haben. Wo deren gegenwartig mehrere sind, | da wird ihre Zahl bey DienstVacaturen bis auf zwey vermindert. In jedem andem Amte wird der Kegel nach nur Ein Beamter aufgestellt. Bey Aemtem, die in der Kegel nur einen Beamten haben sollen, aber dermalen | wegen besonderer Verhaltnisse ausnahmsweise mehrere erhalten, darf, wenn Va= |

[202] Organisationsreskript vom 26. November 1809

1741

katuren sich ereignen, nicht ohne unsere besondere ErlaubniB ein zweiter Beamter wie= I der angestellt werden. Wo mehrere Beamte bey einem Amt sind, da entscheidet nur die Stimme des | ersten. 7.) Die Landesherrlichen Beamten werden von Uns emannt. Die Standes= und Gmndherrlichen aber sind von den Standes== und Grundherren | [S. 426] aus der Zahl der Landesherrlich approbirten Subjecte zu wahlen und dem KreisDi= | rectorio anzuzeigen, welches die Bestatigung bey der hohem Stelle einholt. (Lit. F. I Nro. 22. k.) 8.) Die Beamten sollen wenigstens 800 fl. an fixem JahresGehalt, nebst freyer | Wohnung Oder Hauszins empfangen. Kein Beamter darf ktinftig auf Sporteln gesetzt werden. Diejenigen aber, die | gegenwartig noch auf Sporteln stehen, bleiben fiir ihre Person, und so lange sie ih= | ren dermaligen Posten bekleiden, im Bezug derselben. 9.) Jeder Beamte erhalt, wo die Beamtung nicht besonders weitlaufig ist, nur [ einen Scribenten, welcher aus der SportelCasse bezahlt wird. Er kann denselben | aus den im SchreibereyFach approbirten Subjecten nach Belieben wahlen und wie= | der entlassen. Bey tiberhauften Geschaften kann der Beamte auf Kosten der SportelCasse einen | Dekopisten, jedoch nicht standig zu Hiilfe nehmen. 10.) Die Gerichtsbarkeit der Beamten erster Instanz in btirgerlichen Rechtssachen | wird kunftig in der Regel auf alle Bewohner und Corporationen ihrer Bezirke, ohne | Unterschied des Standes, ausgedehnt. Ausgenommen hievon sind: a.) Die Militarpersonen, die hierinn ganz in ihren bisherigen Verhaltnissen | bleiben. b.) Die landesherrlichen Diener in den Standes und gmndherrlichen Besitzun= | gen, tiber welche der erste Rechtsgelehrte Kreisrath des betreffenden Kreises (Lit. I D. N. 1.) die Gerichtsbarkeit erster Instanz in alien Personalsachen austibt, von I dessen Urtheilen der Rechtszug an die Hofgerichte geht. c.) Die Gantsachen der Standes= und Grundherm und der von Uns oder Un= | sem Ministerien patentisirten oder bestatigten Diener, in welchen die Gerichtsbarkeit I erster Instanz den Hofgerichten femer zusteht. 11.) In Fallen, wo hiemach die Gerichtsbarkeit eines Beamten oder Kreisraths | zwar begrundet seyn wiirde, er aber selbst in der Sache betheiligt ist, hat der zu= | nachst wohnende Beamte die Gerichtsbarkeit erster Instanz auszuiiben. Ein gleiches | findet statt bey Fiscalprozessen, in Fallen, wo der Staabsbeamte als zugleich Verrech= I ner wegen dieser Vereinigung nicht selbst Richter erster Instanz seyn kann. [S. 427] 12.) Ueber die Art der Austibung der amtlichen Gerichtsbarkeit tiber Studirende | auf den beiden LandesUniversitaten behalten Wir Uns besondere Anordnung vor. 13.) In RealSachen unterliegen alle Gegenstande rechtlicher Verhaltnisse im Amts= | bezirk ohne Ausnahme der amtlichen Gerichtsbarkeit erster Instanz. 14.) Die Strafgerichtsbarkeit bleibt dem Beamten riicksichtlich der Gegenstande in | dem bisherigen Umfang; riicksichtlich der Personen aber tiber alle Einwohner ihrer | Amtsbezirke, mit Ausnahme des Militars, der von Uns oder den Ministerien paten= I tisirten oder bestatigten Diener, der landesherrlichen Diener in Standes und grund= I herrlichen Besitzungen und der Standes und Grundherren. Doch schlieBt diese Ausnahme diejenigen provisorischen Maasregeln nicht aus, wel= I che die Beamten gegen solche Personen in Fallen, wo Gefahr auf dem Verzug I haftet, ergreifen sollen.

1742

§12: Baden

[Dok. 188-251]

15.) In denjenigen Stadten, wo bisher abgesonderte Polizey Commissionen waren, | werden dieselbe mit den StadtAemtem verbunden, und erhalten diese kunftig eben | die Vollmacht und Gerichtsbarkeit, welche jene in Ansehung der ihnen zur Besor= | gung tibertragenen Gegenstande besaBen. 16.) Ausserordentlicherweise verbleiben in Unserer Stadt Mannheim dermalen fol== | gende Commissionen in ihrem bisherigen VerhaltniB und Wirkungskreis: a.) Die Demolitions=Commission. b.) Der Kriegs=Separat fur die Altpfalzische OberAemter. 17.) In Ehestreitigkeiten steht den Beamten nicksichtlich aller in ihren OrtsBezir= | ken wohnhaften Personen zu^: a.) Die Ergreifung der geeigneten polizey lichen Maasnahmen und Vereinigungs= | Versuche. b.) Die Instruction der Prozesse auf EheNichtigkeit oder Ehetrennung und die 1 Einsendung der Akten an die Hofgerichte. c.) Das ErkenntniB in erster Instanz tiber Abtrag, Genugthuung, Unterhal= | tungspflicht und VermogensAuseinandersetzung bey getrennten und aufgelosten I Ehen. 18.) Im Staatsrechtlichen und StaatspolizeyFach gehoren in den amtlichen Ge= | schaftsKreis tiberhaupt alle dahin einschlagende Gegenstande des gemeinen Wohls. 19.) Die einzelnen administrativen GeschaflsZweige betreffend, besorgen die Aemter: [S. 428] im Regiminalfach a.) Die Handhabung der Verhaltnisse der Unterthanen und ihrer Stande gegen | einander und gegen den Landesherm, so wie des Staats gegen Auswartige, auch I die Vollziehung der dahin einschlagenden Auftrage der Kreis=Directorien(Lit. D. |Nr. 10. a. b. c.) b.) Die Erhebung und Durchgehung der Bev6lkemngs=Tabellen und deren Ein== | sendung an die Kreis=Directorien (Lit. D. Nr. 10. f.) d.) Die in das Militar=Conscriptions= Marsch^^ und Verpflegungswesen einschla= | gende Auftrage der KreisDirectorien (Lit. D. Nr. 10. g. i. k.) e.) Die Bestatigung nnd Einsetzung der OrtsVorgesetzten und Gerichtsleute un= | ter den oben (Lit. B. Nr. 5, 8, 9, 11.) bemerkten Bestimmungen. f.) Die Bestellung der stadtischen PolizeyAemter, nach eingeholtem Gutachten | des Gerichts. g.) Die Aufsicht auf die Amtsfiihrung der Ortsvorsteher und Gerichtspersonen | in alien ihren Theilen, die BescheidsErtheilung auf Anfragen derselben. h.) Die executive Unterstutzung derselben in Austibung ihrer AmtsObliegenheiten. i.) Die biirgerliche und hintersaBliche Annahme von Inn= oder Auslandem, wel= | chen die Ortsreligion nicht entgegen ist, in Stadten und auf dem Lande, wenn | das Gericht und der groBere Theil der Gemeinde einwilligt. k.) Die Burger= oder HintersassenAnnahme der altesten Sohne der Juden, an | dem WohnOrt ihrer Eltem. 1.) Die Einnahme der Huldigung von jungen Btirgem oder Beysassen und neu | angenommenen Unterthanen. m.) Die Ertheilung der ErlaubniB an Weibspersonen zum Wegzug auBer Lands, | und an AmtsUnterthanen ohne GeschlechtsUnterschied zum Wegzug aus einem | Amt in ein anderes Amt im GroBherzogthum. n.) Die Aufsicht auf gute Sitten und GewerbsfleiB. Verbessert in: „aller in ihren Amtsbezirken wohnhaften Personen woriiber ihnen die Gerichtsbarkeit in Personalsachen zusteht" (siehe Textende).

[202] Organisationsreskript vom 26. November 1809

1743

o.) Die Belegung der Verschwender mit polizeylichen Strafen, jedoch mit Aus= | schluB der Mundtodtmachung, p.) Das Anhalten der jungen Leute zum Dienen. q.) Die Durchgehung, Berichtigung und Aufbewahrung der ktinftig an die | Aemter abzusendenden Duplikate der Kirchenbucher. [S. 429] r.) Die Absendung der tabellarischen Uebersichten derselben an die Kreisdirecto= \ rien. s.) Die DispensationsErtheilung. a.) vom HeyrathsAlter bey Mannspersonen vom vollbrachten 21sten bis 25sten, | und bey Weibspersonen vom vollbrachten 16ten bis 18ten Jahre. p.) Von der Copulation und Taufe in der Kirche. y.) Von der Trauerzeit. t.) Die TrauscheinsErtheilungen. 20.) In Hinsicht auf die willkuhrliche Gerichtsbarkeit (junsdictio voluntaria) | erstreckt sich die Gewalt der Beamtungen der Kegel nach auf alle im AmtsBezirk | wohnende Personen und auf alle darinn vorkommende hieher gehorige Geschafte. Sie sind indessen nicht schuldig, alle diese Geschafte, als Inventuren, Theilun= | gen, Pfleg= Local= Stiftungs= Gemeinds= Zunft^Rechnungen, Contracte und derglei= I chen durchzugehen, sondem ihre Obliegenheit ist: a.) einzelne derselben von Zeit zu Zeit zur Einsicht und Durchgehung einzufor= | dem; b.) darauf zu sehen, daB keines davon im Rtickstand bleibe und zu diesem Ende | die Verzeichnisse liber die Rtickstande alle Vierteljahre von den Ortsvorstanden ein= I zufordem, durchzugehen und wegen der Beschleunigung das Nothige anzuordnen. c.) Auf die jeweiligen Anfragen der Amtsrevisorate oder Anliegen und Be= | schwerden der Interessenten oder auch nach Befinden von Amtswegen die Beschei= I de zu ertheilen. d.) Solche Contracte und andere Geschafte, die nach gesezlicher Vorschrift zu | ihrer Wissenschaft, Unterschrift und Bestatigung kommen mtissen, gehorig zu pru= I fen und nothigenfalls zu berichtigen, e.) Die Pfleger fur Minderjahrige, Abwesende, Verschwender und andere unter | Vormundschaft gehorige Personen, so wie die Beistande fur das weibliche Ge= I schlecht zu gehoriger Zeit zu bestellen und zu verpflichten, f) Ueber Abwesende in den geeigneten Fallen Kundschaft zu erheben, sie nach | Befinden fur verschollen zu erklaren, und in den fursorglichen oder eigenthtimlichen | Besitz ihres Vermogens die dazu berechtigte Personen einzuweisen. g.) LiegenschaftsVerauBerungen, KapitalAufnahmen, Vergleiche und andere | [S. 430] wichtige Geschafte der Bevormundeten, sodann VermogensUebergaben, Verpfran= | dungen, so weit sie gesetzlich einer obrigkeitlichen Einsicht bedtirfen, Annahmen an | Kindesstatt, Einkindschaften zu priifen, und nach Befinden zu bestatigen. h.) Die Aufsicht liber die Pflegschaflen zu fiihren - die PflegschaftsTabellen | ihrer Amtsdistricte alle Jahre durchzugehen, und zur Superrevision an die Kreis= | directorien abzusenden. i.) Die ordnungsmaBige Flihrung der Grund= und PfandBlicher zu beobsich= | ten. k.) Flir die Depositen nach der bisherigen Einrichtung zu sorgen. Rlicksichtlich der Grundherren und des zu den KreisDirectorien und den landes= I herrlichen Verrechnungen in standes= und gmndherrlichen Besizungen gehorigen [ Personals werden die unter e. g. und h. bemerkten Geschafte Aus-

1744

§12: Baden

[Dok. 188-251]

nahmsweise von | den KreisDirectorien besorgt, welchen die Vormundschaften tiber gedachte Personen | unmittelbar untergeordnet sind. 21.) Den Aemtem liegt femer ob: In Hinsicht auf Gewerbe und Ztinfte: a.) die Handhabung der hieriiber bestehenden LandesGesetze und Anordnungen im I Allgemeinen. b.) Die Wachsamkeit gegen die ZunftmiBbrauche, besonders gegen die Wiederein= I ftihrung der Strafrechte, welche ehemals die Ztinfte sich angemaaBt haben. c.) Die Bewirkung ofterer Muhlen= Maas= Gewichts= und Waaren=Visita= | tionen durch die PolizeyBediente, der Ansatz und Vollzug der hier einschlagenden I Polizeystrafen, die Einsendung der desfallsigen Protokolle zur Durchgehung an die | KreisDirectorien. d.) Die Aufsicht auf die Ordnung auf Jahr= und Wochenmarkten, in offentli= | chen Hausem, Gasthofen, auch andem VersammlungsOrten, und auf Platzen wo I die Waaren zum Verkauf ausgesetzt sind, wie auch die Taxirung der nothwendig= | sten Lebensmittel. e.) Die Ertheilung von gemeinen bloB personlichen Kramerey= Feuerrechts= Hand= | werks= und HausierBewilligungen. f) Die DispensationsErtheilung an Zunftgenossen von Erstehung der Wander= | Jahre, und zu Antretung des Meisterrechts vor zuriickgelegtem 25sten Jahr. [S. 431] g.) Die Ertheilung der ErlaubniBscheine zum Wandem im Ausland - des= | gleichen zur Erlemung eines fur einen Landort nicht geeigneten Gewerbs an einen | Landburgers Sohn. h.) Die Aufsicht tiber die ZunftKassen - die Sorge, daB die Rechnungen der= | selben alle drey Jahre abgelegt werden, und die Wachsamkeit gegen unzulaBige | Ausgaben, oder Diaten und Gebtihren. 22.) In Hinsicht auf die SicherheitsPolizey: a.) Die Ertheilung der Passe ins In= oder Ausland an Inlander, und die | Priifung der Passe der Durchreisenden. b.) Die Sorge fiir die Beifahung verdachtiger Personen, besonders der Vagan= | ten und Jauner, und fur ihre Bestrafung. Die zu diesem Ende nothige oftere An= | ordnung von Streifen und Visitationen. c.) Die nach Moglichkeit zu fordemde Erledigung der Untersuchungen, die ofte= | re Visitation der Gefangnisse, die Sorge fiir die sichere Verwahrung und gehorige I Unterhaltung der Gefangenen, die Einsendung der Vierteljahrigen Verzeichnisse | tiber sie an die KreisDirektorien. d.) Die Untersuchung tiber plotzliche Todes= oder Unglticksfalle, besonders wo | Verdacht eines Verbrechens obwaltet, und die Einsendung der Protokolle an die I KreisDirectorien. e.) Die Handhabung aller Anstalten zu Verhtitung von Feuer= und Wasser | Schaden. - Die Sorge fiir die Bewirkung der jahrlich zweimal, nemlich im | Friihjahr, und Spatjahr, vorzunehmenden allgemeinen FeuerSchau. - Die | Durchgehung der Protokolle daruber, und Bestrafung der Schuldigen. - Die | Aufsicht auf Anschaffiing und Erhaltung der FeuerloschGerathschaften. - Die Lei= | tung der LoschAnstalten bey entstandenem FeuerUngltick. - Die Einsendung der I Abschazung des entstandenen Schadens an das KreisDirectorium. f.) Die Aufsicht tiber alle zur Orts= und Strassen=Polizey gehorige Gegenstan= | de, die auf die offentliche Sicherheit Bezug haben.

[202] Organisationsreskript vom 26. November 1809

1745

23.) In Hinsicht auf die GesundheitsPolizey: a.) Die Sorge fiir die Gesundheit, besonders bey ansteckenden Krankheiten an | Menschen oder Vieh - die Ergreifung der Maasregeln dagegen, unter Kommuni= I [S. 432] kation mit den Physikaten, und die Einberichtung solcher Falle an die KreisDi= | rectorien. b.) Die Wachtsamkeit^ auf die Beobachtung der TodtenschauOrdnung - auf | Anwendung der Rettungsmittel bey Unglticksfallen - auf Bewirkung der jahrlichen I ApothekerVisitationen durch den BezirksPhysikus - auf den Fortgang der Schutz= | Blattemlmpfung - auf Verhinderung und Bestrafung der Pfuschereyen im Sa= | nitatsFach. c.) Die Sorge fiir die Reinlichkeit an offentlichen Platzen. 24.) In Hinsicht auf die ArmenPolizey: a.) Die Handhabung der Anstalten gegen Bettel und Miissiggang. b.) Die Aufsicht auf die Verwaltung der OrtsAllmosen, der Heiligen, der nur | fur einzelne Orte, oder fur den Bezirk ihrer Aemter bestimmten Spitaler, Waisen= j Siechen=Irrenhauser u. dgl. c.) Die Bestellung der Verwalter und Verrechner dieser Anstalten, auf den An= | trag der OrtsGerichte, oder der StadtRathe, so weit die StiftungsGesetze nicht | ein Anderes verordnen. d.) Die Aufnahme der nach den StiftungsGesetzen sich dazu eignenden Personen | in dieselbe und die Aufsicht auf die ordnungsmaBige Vertheilung der Unterstutzun= I gen aus denselben. e.) Di jahrliche Einsendung von Tabellen nach Ortschaften iiber sammtliche Per= | sonen, welche aus General= Bezirks= oder Local=Fonds Unterstiitzungen beziehen, | ihre Umstande, die Art und der Betrag der Unterstiitzungen. 25.) In Hinsicht auf die GemeindsOekonomie: a.) Die Dekretur aller unstandigen GemeindsEinnahmen und Ausgaben, beson= | ders der DiatenZettel. b.) Die Sorge fur die jahrHche Stellung und Abhor der GemeindsRechnungen | bey den AmtsRevisoraten, auch jeweilige Abrufung einer Rechnung zur Super= | Revision - die Durchgehung der jahrlich von den AmtsRevisoraten abzugeben= | den KommunsRechnungs=Extracte, und deren Absendung an das KreisDirekto= | rium. c.) Die EntschHeBung tiber KapitalAuftiahmen oder AbloBungen nicht wieder | anzulegender AktivKapitalien der Gemeinden, sofem die Summen nicht iiber ein | [S. 433] Viertheil des jahrHchen GemeindsEinkommens betragen, und iiber dieses auch die 1 Gemeinde selbst einv^ilUgt. d.) Die Genehmigung auf den Antrag der Gemeinden zu niitzhch scheinenden | BauReparationen, und zu LiegenschaftsVerpachtungen derselben ohne offentHche I Versteigerung. 26.) Eine vorziigHche ObHegenheit der Beamten besteht in der Abhaltung der | Rug= oder VogtGerichte, welche im AmtsBezirk nach und nach so zu bewirken ist, | daB sie in jedem AmtsOrt alle drey Jahre einmal geschehe. Eine allgemeine Instruct | tion hieriiber wird demnachst von Unserem Ministerium des Innem ertheilt werden. Die RugGerichte sollen sich iiber alle Gegenstande der amtlichen Verwaltung verbrei= | ten. Der Beamte hat dieselbe entweder sogleich auf Ort und Stelle zu erledigen, | oder ihre Erledigung gehorig einzuleiten. Die Protokolle werden an das KreisDirek= | torium zur Einsicht und Einleitung, oder Anordnung dessen, was von hoheren Stel= | len erledigt werden muB, eingesendet. Verbessert: „Wachsamkeit" (siehe am Textende).

1746

§12:Baden

[Dok. 188-251]

27.) Die Beamten haben die zu ihrer Obsorge gehorigen Gegenstanden, so weit sie | durch gegenwartige Anordnung, oder durch die Natur der Sache dazu bevollmachtigt I sind, selbst zu erledigen; wo aber die Sache zu hoherer Entscheidung sich eignet, I oder sie anzufragen gut finden, an die ihnen unmittelbar vorgesetzte Stelle zu be= I richten. Diese ist das einschlagende Hofgericht, wenn es sich von einer streitigen I Rechts= oder einer CriminalJustizSache, oder von Auflosung geschlossener Ehen han= | delt, und das KreisDirektorium, wenn von irgend einem Gegenstande der administra= | tiven Verwaltung, worunter alles Uebrige, mit EinschluB der willkiihrlichen Gerichts= | barkeit gehort, die Frage ist. An Letzteres haben die Beamte jahrlich im Jenner | kurze fortlaufende ProtokoUe tiber die ertheilten Dispensationen und Burger^ oder | HintersassenAnnahmen, auch Kramerey= Feuerrechts= und HandwerksBewilligungen | (Nro. 18. k. 1. s. Nro. 20. e.) mit Beisetzung der Taxen und Sporteln zur Durchge= | hung einzusenden. Die Beamten vollziehen und besorgen die von hoheren Stellen an sie in Amtssa= | chen gelangende Weisungen, die an die hoheren Stellen abzusendende Geschafte aber | haben sie so vorzubereiten, daB jene nicht nothig haben, durch VorVerfugungen wei= | tere Aufklarung zu erheben, und somit die Sachen auf dem ktirzesten Wege erledigt | werden mogen. fS. 434] 28.) Die Taxen und Sporteln von den Amtlichen und von den an die Aemter | gelangenden hohem Verfiigungen, sind gleich bey Ablieferung derselben an die Inte= | ressenten unter Aufsicht und Kontrollimng des Beamten von dem amtlichen Scri= | benten gegen die geordnete EinzugsGebtihr zu erheben, und monatlich mit einem | Verzeichnisse, welches in verschiedenen Rubriken die Taxen und die Sporteln von | Tag zu Tag ausgezogen, enthalten soil, und von dem Beamten durch Unterschrift | zu beurkunden ist, an die herrschaftliche BezirksVerrechnungen abzuliefem. 29.) Die amtlichen und die hohem Orts angesetzten GeldStrafen sind von den | Aemtem selbst, in der Kegel gleich nach geschehenem Ansatz, sofem der Bestrafte | die Berufung an eine hohere Stelle giiltig nicht ergreift, einzuziehen, und ganz | eben so, wie die Taxen und Sporteln, in der Verrechnung zu behandeln. 30) Den Standes= und Grundherrlichen Beamtungen wird, soweit sie in Ge= | maBheit der gegenwartigen Verordnung noch bestehen konnen, in alien Theilen eben | dieselbe Gewalt, wie den Landesherrlichen Beamtungen beygelegt. 11. AmtsRevisorate. 31.) Kiinftig soil ein jeder, der die bisher von den Amtschreibereyen versehene Ge= | schafte und diejenige, welche hiemnten weiter dazu geschlagen werden, in einem Be= I zirk besorgt, AmtsRevisor genannt werden, und sollen die andem bisherigen Benen= | nungen aufhoren. 32.) Ftir jedes grossere Amt ist in der Kegel ein besonderer AmtsKevisor anzustel= | len. StaabsAemter sind mit einem benachbarten AmtsKevisorat zu verbinden, also, | daB in dem HauptOrte des StaabsAmts ein AmtsKevisoratsScribent angestellt wer= | de, der neben seinen Theilungs= und RechnungsGeschaften, welche von dem Amts= | Revisor zu revidiren sind, auch im Namen desselben die Fertigung und Unterschrift der I Kontrakte und tibrigen RevisoratsGeschafte besorge. 33.) Die noch in einigen Gegenden Unserer Lande mit den Aemtem verbundene | AmtsKevisorate werden kunftig iiberall, wo es nach der Lage und dem Umfang der I Aemter thunlich ist, von den Beamtungen getrennt: sie bleiben jedoch in alien zu ih= I rem WirkungsKreis gehorigen Geschaften auf die Nro. 20. bemerkte Art den Beamten | untergeordnet. Diese konnen ihnen aber keine Geschafte iibertragen,

[202] Organisationsreskript vom 26. November 1809

1747

die ausser dem | ihnen unter Nro. 39. angewiesenen WirkungsKreis liegen, namentlich keine Protokoll= | aufhahmen in streitigen Rechtssachen oder Untersuchungen. [S. 435] 34.) Wo in Standes= und Gmndherrlichen Ortschaften ohne Nothwendigkeit die | AmtsRevisorate mit den Beamtungen verbunden sind, da sollen beyde entweder gleich= I balden, oder spater bey jeder schicklichen Gelegenheit, besonders bey Vakaturen von ein= 1 ander getrennt werden. In Absicht auf das Verfahren hierbey, und die Einwirkung | der KreisDirektorien kommt das nemliche in Anwendung, was oben Nro. 3. rucksicht= | lich der Beamtungen vorgeschrieben ist. 35.) Wo dermalen noch die zweyte Beamte die AmtsrevisoratsGeschafte besorgen, da | haben die erste Beamte die Aufsicht dariiber auf die Nro. 20. bemerkte Art; wo aber | nur ein einziger Beamter zugleich flir die Amts= und fur die AmtsRevisoratsGeschafte | aufgestellt ist, da haben die KreisDirectorien selbst diese unmittelbare Aufsicht auszutiben | (Lit. D. N. 12. c.) 36.) Die AmtsRevisorate in unsem Eigenthums Landen werden auf die unten be= | merkte Weise (Lit. F. Nro. 37. w.) besetzt. Die Standes= und Grundherrlichen Amts= 1 Revisoren sind aus der Zahl der im SchreibereiFach approbirten Subjekte von den | Standes= und Grundherm zu wahlen, und dem KreisDirektorio anzuzeigen, wel= | ches die Bestatigung des JustizMinisteriums einholt. 37.) Die AmtsRevisoren sollen nicht auf Sporteln, sondem auf eine fixe Besol= | dung von wenigstens 600 fl. gesezt werden, nebstdem haben sie die SextemGebuh= | ren von sammtlichen Rechnungen, welche sie revidiren, oder abhoren, zu beziehen. Die Taxen und Sporteln sind unserem Fiskus oder der betreffenden Standes oder | Grundherrschaft zu verrechnen. Die bereits auf Sporteln angestellten AmtsRevisoren I bleiben, sonfem sich nicht eine Uebereinkunft auf ein Avesum mit ihnen treffen laBt, | fiir ihre Person, und so lange sie ihren dermaligen Posten begleiten, in Bezug der= | selben; Indessen ist ihnen bei KassationsStrafe untersagt, ohne besondere amtliche | schriftliche ErlaubniB irgend eine Zahlung fur Geschafte friiher zu nehmen, als bis sie | dieselbe vollendet haben, und diese ErlaubniB kann nur bei besonders langwierigen Ge= | schaften fur bereits gefertigte Arbeit ertheilt werden. Eben dieses findet bey den Amts= | Revisorats= und TheilungsScribenten rucksichtlich ihrer Diaten statt. 38.) Ftir die AmtsRevisorate werden keine besondere Scribenten vom Staat ange=^ | stellt, sondem der AmtsRevisor stellt, so viel er beschaftigen kann, selbst an, und laBt I dieselbe vom Amt verpflichten. Sie beziehen statt einem Gehalt ihren Taxordnungs= I maBigen Antheil von den Sporteln und Gebiihren ftir die Geschafte, welche sie besorgen. 39.) Der GeschaftsKreis der AmtsRevisorate umfaBt: [S. 436] a.) die Ausfertigung der Kontrakte, vorziiglich der Kauf= und TauschBriefe und | Schuldverschreibungen, welche, soweit sie eine gerichtliche Bestatigung und Untei^ I schrift gesezlich nothig haben, der betreffenden Stelle zu diesem Ende vorzulegen sind. b.) Die Ausfertigung der Testamente, welche jedoch auch von andem auch nach | den gesezlichen Formen gefertigt werden konnen. c.) Die Aufsicht liber die Grund= und Pfandbticher der Gemeinden. d.) Die Haltung von Grund= und Pfandbiichem ftir diejenige Liegenschaf= | ten, welche einer bestimmten OrtsGemarkung nicht einverleibt sind, nach der dem= I nachst zu ertheilenden allgemeinen Instruktion.

1748

§ 12: Baden

[Dok. 188 -251]

e.) Die Besorgung der Obsignationen und Fertigung der Inventuren, Theilungen, | Vermogens=Uebergaben, auch die hiemit bei Wegzugsfallen und Erbschaften, die aus= | landischen Erben anfallen, verbundene AbzugsBerechnungen. f.) Die Fertigung der Kommun= Zunft= Pflegschafts= LocalStiftungs= Allmosen= I und HeiligenRechnungen in AmtsBezirk, so weit der Rechner sie nicht selbst stellen | kann, oder nicht ein anderes ttichtiges Subject zyr Stellung wahlt. g.) Die Fertigung der jahrlichen KommunRechnungs=Extrackte und deren Abgabe I an das Amt. h.) Die Liquidationen und Verweisungen bey Ganten, nicht aber die Entwerfung | der GantUrtheile, welche den Beamtungen obliegt. i.) Das Ab= und Zuschreiben der BrandVersicherungsAnschlage. k.) Die Fertigung der PflegschaftsTabellen. 1.) Desgleichen der BevolkerangsTabellen, und m.) der Tabellen liber den Viehstand. n.) Die Ertheilung der von den Aemtem verlangten Notizen aus den Urkunden | und Akten des AmtsRevisorats. Die unter a., b., d., g. bis m. bemerkten Geschafte konnen, so weit es nach ge= | schehener Vorbereitung im AmtsOrt thunlich ist, von den AmtsRevisoren selbst ge== I fertigt werden. Die unter e. und f. angefuhrten Geschafte aber sind von dem Amts= I RevisoratsScribenten zu fertigen, deren jedem ein seinen Kraften angemessener Be= | zirk anzuweisen ist, in welchem er sei von Ort zu Ort besorgen hat. Die genaue | Revision dieser Geschafte und die RechnungsAbhoren sind die besondere Obliegenheit | des AmtsRevisors, und er ist ftir die Richtigkeit, GesezmaBigkeit und Vollstandigkeit | fS. 437] derselben zunachst verantwortlich. Indessen wird seine Revision bey Inventuren nur | auf die Falle beschrankt, wenn a.) auswarts wohnende einem Abzug oder einer ErbEntlassungsGebtihr unter= | worfene Erben bey der Erbschaft befangen sind; p.) wenn sie zu Begrundung des RechtsVortheils des ErbVerzeichnisses (be-1 neficium inventarii) gemacht werden; y.) wenn Personen, die einer vormundschaftlichen Ftirsorge unterliegen, als | Waisen, Verschollene, Entrntindigte dabey betheiligt sind; 5.) wenn die Betheiligte es eigends verlangen. 40.) Wo Stadt= oder RathsSchreiber dermalen noch das Inventur=Theilungs= | und RechnungsWesen in Stadten besorgen, da miissen sie die dahin gehorige Nro. | 39. e. und f benannte Geschafte, so weit sie nach Vorstehendem einer Revision un= | terliegen, dem einschlagigen AmtsRevisor zur Durchsicht oder Abhor zustellen. — I Wo sie aber zugleich AmtsRevisoren sind, da mtissen sie diese Geschafte durch Scri= I benten fertigen lassen, und ihre Revision oder Abhor besorgen. 41.) Die Taxen und Sporteln von AmtsRevisoratsGeschaften werden von den | AmtsRevisoren und ihren Scribenten gleich nach deren Fertigung gegen die geordnete | EinzugsGebiihr erhoben. Die von den Scribenten eingezogenen werden mit den | Geschaften selbst langstens alle Monate an den AmtsRevisor abgeliefert, welcher sodann | monatlich ein VerzeichniB, in welches die Taxen und die Sporteln, von Tag zu Tag | ausgezogen, unter abgesonderten Rubricken einzutragen sind, fertigt, und es sodann | mit dem ganzen Betrage des erhobenen an die herrschaftliche Verrechnung abgibt.

[202] Organisationsreskript vom 26. November 1809

1749

III. Physikate. 42.) Fiir jeden AmtsBezirk wird der Kegel nach ein Physikus oder BezirksArzt auf= | gestellt, der in dem HauptAmtsOrt seinen Sitz haben soil. So lange die grundhen^ | lichen Orte noch nicht in grossere Aemter vereinigt sind, werden sie den benachbarten I AmtsPhysikaten beygeschlagen. 43.) Der GeschaftsKreis der BezirksAerzte ist in ihrer Instmktion vom 22. Juny | 1806 bestimmt, bey welcher es mit dem Anfiigen verbleibt, daB alle dort vorgeschrie= | bene an die GeneralSanitatsKommission oder an die HofrathsKollegien bisher zu erstat= | ten gewesene Berichte kiinftig an die KreisDirektorien gerichtet werden sollen, welchen | die BezirksAerzte urmiittelbar untergeordnet sind. [S. 438] 44.) Die BezirksAerzte haben femer, wie bisher, die Aufsicht liber die Bezirks= | und andere Wund= Heb= ThierAerzte, Apotheker und Hebammen. In alien Theilen der medizinischen Polizey haben sie den Aemtem auf Verlangen | ohne Verzug mit Rath und That beyzustehen, auch von Amtswegen in den geeigneten I Fallen das Nothige an die Beamtung gelangen zu lassen. IV. Dekanate. 45.) In Beamtungen, welche entweder bloB der katholischen oder bloB der evange= | lischen Religion, wozu Lutheraner und Reformirte ohne Unterschied gehoren, zugethan | sind, wird ein Geistlicher als Aufseher uber das Kirchen= und Schulwesen, und beson= | ders tiber die Amtsfuhrung der dabey im Amt angestellten Diener ernannt, welcher kiinftig | allgemein den Titel: Dekan fuhren soil, wogegen der Titel: Schulvisitator auf= | hort. Wo Aemter vermischter Religion sind, werden mehrere unter ein Dekanat ver= | einigt, und wird fiir jede obiger bey der Konfessionen ein besonderer Dekan angestellt. Die gmndherrlichen Orte werden, so lange sie noch nicht in grossere Aemter verbun= I den sind, dem benachbarten Dekanate beygeschlagen. 46.) Die Evangelischen sowohl, als die an die Stelle der katholischen Schulvisita= | toren tretenden katholischen Dekane, werden von Uns emannt. 47.) In den GeschaftsKreis der Dekane gehort: a.) Die Priifung der Subjecte, welche sich dem Schulwesen widmen. b.) Die Visitation der Kirchen und Schulen. c.) Die EntschlieBung tiber die aus den Schulen zu entlassenden Kinder auf die | pfarramtlichen Berichte gemeinschaftlich mit dem Amt. d.) Die Abhaltung der PfarrSynoden und SchulKonvente, oder Vorsitz dabey, und | die Leitung ihrer Berathschlagungen. e.) Die Einsicht der gestellten Lokal= Stiftungs= Allmosen= oder HeiligenRechnungen, | wozu sie die nothigen Erinnerungen nach Gutfmden machen konnen und sollen, worauf | bey der Revision oder Abhor die geeignete Rticksicht zu nehmen ist. 48.) In alien denjenigen Amtssachen, welche nicht nur auf die Kirche, sondem | auch auf den Staat Bezug haben, sind die KreisDirektorien die unmittelbar vorge= | setzten Behorden der Evangelischen sowohl, als der katholischen Dekane, an welche daher | auch die Berichte und Protokolle tiber alle dahin einschlagenden Gegenstande, nament= | lich tiber die Kirchen= und SchulVisitationen, so weit sie diese Gegenstande bertihren, | [S. 439] und tiber die Pniftingen der dem Schulfach sich widmenden Subjecte zu erstatten und | einzusenden, die von KreisDirectorien kommende Weisungen aber piinktlich zu befolgen | sind.

1750

§12: Baden

[Dok. 188-251]

In alien rein kirchlichen Gegenstanden erstatten die evangelischen Dekane ihre Berichte | an das KirchenDepartement des Ministeriums des Innem, und erhalten unmittelbar | von daher die Verfiigungen. 49.) Wenn ein Dekan der obrigkeitlichen Htilfe in seiner Amtsfuhrung bedarf, so | hat er sich nach Befinden entweder an das Amt oder an das KreisDirectorium zu wen= | den, welche Stellen ihm, so fern das Gesuch den Gesetzen und der Ordnung gemaB ist, I ihren Beistand leisten werden. Die Austibung jeder executiven Gewalt oder irgend I eines Strafrechts wird den Dekanen, so wie alien Geistlichen, emstlich untersagt. V. Bezirksverrechnungen. 50.) Die herrschaftlichen VerrechnungsBezirke sollen kiinftig allgemein im GroBher= | zogthum mit den AmtsBezirken iibereinstimmen, und nie sollen verschiedene Theile I eines Amts unter verschiedenen herrschaftlichen Verrechnungen stehen. Wo dieses noch | nicht ist, da soil ohne Verzug die nothige Veranderung in der Eintheilung gemacht | werden. Ist ein Amtsbezirk far eine herrschaftliche Verrechnung zu gering, so soil ihr Umfang I mehrere Amtsbezirke begreifen. 51.) Alle landesherrlichen Gefalle in einem Amte sind kiinftig in der Kegel nur von | Einem Verrechner zu erheben. Wo eine Ausnahme unumganglich nothig seyn soUte, | da konnen doch hochstens nur zwey herrschaftliche Verrechnungen flir Einen AmtsBezirk | aufgestellt werden, nemlich eine fiir die DomanialGefalle, als DomanialGiiter, Forst= | nutzungen, Giilten, Zinsen, Zehnden, und dergleichen, die andere aber fiir die direkten | und indirekten Steuem, namentlich Schatzung, Land= und WasserZoll, PfiindZoll, | Accis und dergleichen. Da in einigen Gegenden noch besondere ForstVerwaltungen, und solche geistliche | Verwaltungen bestehen, welche langst sekularisirte geistliche Gefalle fiir die LandesHerr= | schaft verrechnen, so sind dieselben aufzuheben. 52.) Die Verrechnungen der DomanialGefalle, werden in Zukunft allgemein | DomanialVerwaltungen, die Verrechnungen der Steuem, Einnehmereyen, und die | Verrechnungen von beyderley Gefallen, Gefallverwaltungen genannt. fS. 440] 53.) Die landesherrlichen BezirksVerrechner werden von Uns emannt. 54.) Sie benehmen sich einstweilen in ihrer Amtsflihrung nach den besondem | ihnen ertheilten Instructionen, bis demnachst eine genaue Revision Unserer altbadi= | schen Rechnungslnstruction und der nachgefolgten in's Rechnungswesen einschlagenden | Verordnungen bewirkt, hiemach eine allgemeine Rechnungslnstruction gefertigt, so= | fort jede Verrechnung mit einem bestimmten Etat versehen seyn wird, der ihr zur | Uebersicht und zum Leitfaden dient, was sie als Einnahme zu erwarten, und als | Ausgabe zu leisten hat. 55.) Die unmittelbare Aufsicht iiber die Dienstflihrung der herrschaftlichen Be= | zirksVerrechner gebiihrt den KreisDirektorien. (Lit. D. Nro. 19.) Sie haben also | auch an diese ihre Berichte der Regel nach zu erstatten, und ihre Weisungen zu be= | folgen, nur rticksichtlich der Rechnungsabhoren, und was dahin ausschlieBlich ein= | schlagt, gehen ihre Berichte unmittelbar an das Cassendepartement des FinanzMini= I steriums, und erhalten sie die Verfiigungen unmittelbar von daher. 56.) In ihren GeschaftsKreis geh5rt: a.) Die genaue Ftihrung der zum Dienst gehorigen Bticher. Die Veranstal= | tung ihrer Emeuerungen in den geeigneten Fallen. b.) Die Einnahme der Herrschaftsgefalle nach Maasgabe dieser Bticher, die Fer= | tigung der EinzugsListen fiir die Ortsvorsteher.

[202] Organisationsreskript vom 26. November 1809

1751

c.) Die nothigenfalls executive Eintreibung der Ausstande, die Liquidirang illi= | quider Forderungen bey den Aemtem. d.) Die vierteljahrige Einsendung der Ausstandsverzeichnisse an die KreisDirek= | torien, mit Bemerkung der Ursachen der Ausstande, der von den Aemtem mit | zu attestirenden okonomischen Verhaltnisse der Schuldner, und gutachtlichem Vor= I schlag der Fristverlangerungen oder NachlaBbewilligungen. e.) Die vierteljahrige Abrechnung wegen der indirekten Abgaben, als Zoll, 01im= | geld, Accis, und dergleichen, mit den Erhebem. Die vierteljahrige Einsendung | der Zollregister zur Durchgehung an das KreisDirektorium. f.) Die Aufsicht auf den ordnungsmaBigen Gebrauch des Stempelpapiers. g.) Die monatliche Erhebung der Taxen, Sporteln und Strafen von den Aem= | tern, Forstamtem, Amtsrevisoraten, (Nr. 28. 29. 41. 61. 64.) die DetailEinnahme | [S. 441] derer, die bey der Verrechnung selbst, oder von hohem an die Verrechnung gelan= | genden Verfugungen fallen. h.) Die Ftihrung eines vollstandigen Verzeichnisses der herrschaftlichen Domainen | und dessen Einsendung an die KreisDirektorien, die Eintragung der jeweiligen Ver= | andemngen in dasselbe. Die Aufsicht auf ihre Cultur und moglichst gute Benutzung. i.) Die Ftihrung eines vollstandigen Verzeichnisses der herrschaftlichen gemeinen | Guts= oder Erb= auch SchupfLehen, ihrer dermaligen Besitzer, der Gesetze der I Lehensnachfolge, die Nachtragung der jeweils vorgehenden Verandemngen in dieses | VerzeichniB, dessen Einsendung an die KreisDirektorien. k.) Die Aufsicht tiber die gute Bewirthschaftung dieser Erblehen durch die Lehen= I leute. Die Anzeige vorgehender Deteriorationen. Die Sorge, daB bey Verande= | rungen die BelehnungsEmeuerung nachgesucht werde. Die Erhebung aller zu | Ausfertigung der Lehenbriefe in solchen Fallen nothigen Notizen. Die Frojectirung | der Entwiirfe dieser Lehenbriefe. Die berichtliche Einsendung derselben an die | KreisDirektorien. 1.) Die Aufsicht iiber Keller und Speicher. m.) Die BerichtsErstattung an die KreisDirektorien wegen VerauBerung vor= | rathiger Naturalien, wegen Selbsteinheimsung, Versteigerung oder Verpachtung I von herrschaftlichen GiiterErzeugnissen, Zehnden, Renten u. dgl. n.) Desgleichen wegen der streitig gewordenen herrschaftlichen Gtiter oder Ein= | kiinfte. - Die Besorgung der Fiscalischen Prozesse in erster Instanz bey den Aem= I tern nach erfolgter Autorisation der KreisDirektorien. (Lit. D. Nro. 19. m.) o.) Die Vorschlage an die KreisDirektorien wegen Besetzung niederer Kameral= | dienste, als Zoller, Zehndknechte, Kiefer etc. p.) Die Einsendung monatlicher Etats tiber die vorhandene Geld== und Natural^ | Vorrathe an die KreisDirektorien zur Beforderung an das CassenDepartement | des FinanzMinisteriums. q.) Die Ftihrung einer genauen Tabelle iiber das fixe und zufallige DienstEin= | kommen sammtlicher im VerrechnungsBezirk angestellten weltlichen und geistlichen | Staatsdiener, sowohl aus landesherrlichen als aus andem Mitteln. Die Einsen= | dung eines Duplikats derselben an das KreisDirektorium, die Eintragung der vor= | gehenden Veranderungen in dieselbe. [S. 442] r.) Die gemeinschaftlich mit den Bauverstandigen zu bewirkende Erstattung der | jahrlichen Baurelationen tiber sammtliche der LandesHerrschaft obliegende Baulich= | keiten und deren Einsendung im Herbst an das KreisDirektorium,

1752

§12:Baden

[Dok. 188-251]

s.) Die gleichbaldige Besorgung unverschieblicher Baulichkeiten, bis zu 50 fl. | verschieblicher und kostbarerer Baulichkeiten aber, nach erfolgter hoherer Genehmi= | gung, mittelst jedesmaliger Veraccordirung an Maurer, Schlosser, Schreiner, | Zimmerleute und andere Handwerker. t.) Die Berichtigung sammtlicher EtatsmaBig auf die Receptur angewiesenen | Ausgaben und Lasten. u.) Die quartalweise Einsendung der unstandigen Einnahms= und Ausgabs= | Zettel zur provisorischen Decretur an das KreisDirectorium. V.) Die Ablieferung des Erhobenen nach Abzug der etatsmaBigen LocalAusga= | ben, unmittelbar an die GeneralCasse. w,) Die jahrliche RechnungsEinsendung binnen drey Monaten nach dem Jahrs= | RechnungsschluB an das Cassen Departement des FinanzMinisteriums. 57.) Die landesherrlichen BezirksEinnehmer haben in der Regel auch die Amts= | Land= Oder LandsKostenCassen zu verwalten, welche ktinftig allgemein mit dem Na= | men AmtsCassen zu belegen sind. RticksichtHch dieser Cassen ist ihr GeschaftsKreis | und die Art ihrer Verwaltung ganz dieselbe, wie riicksichtlich der landesherrschaft= | lichen Cassen. Als AmtscassenVerrechner stehen sie unmittelbar unter den KreisDi= | rektorien, und mittelbar unter dem LandesoconomieDepartement des Ministeriums des | Innem. An dieses erstatten sie in lezterer Eigenschaft diejenigen Berichte, welche die | Rechnungsstellung und Abhor und die unmittelbar damit verwandten Gegenstande be= | treffen, auch senden sie ihre Jahresrechnungen an dasselbe ein. 58.) Die Verrechner solcher geistlichen Stiflungen und milden Fonds, die besonders | betrachtlich sind, oder auch riicksichtlich ihrer Einkiinfte und ihrer Bestimmung sich I nicht bloB auf einzelne Kirchspiele und Pfarreyen, sondem auf grossere Districte | erstrecken, werden in Ansehung ihrer GeschaftsKreise und ihrer AmtsObliegenheiten | den Landesherrlichen Verrechnem vollkommen gleich geachtet, und haben also alles | dasjenige, was unter Nro. 54 bis 56. diesen vorgeschrieben ist, so weit es auf die | Natur ihrer Verwaltung sich anwenden laBt, zu beobachten. Sie stehen, sofem | [S. 443] ihre EinnahmsBezirke in einem Kreis eingeschlossen sind, unmittelbar unter dem | KreisDirektorium, und mittelbar unter dem betreffenden KirchenDepartement des | Ministeriums des Innem, an welches sie ihre JahresRechnungen absenden; falls sie | aber auf mehrere Kreise sich erstrecken, unmittelbar unter dem gedachten KirchenDe= | partement. VI. Forstamter. 59.) Die Forstamtsbezirke werden ktinftig mit den Amtsbezirken eben so, wie die | landesherrlichen Verrechnungsbezirke (Nro. 50.) in Uebereinstimmung gesezt. 60.) Die landesherrlichen Forstmeister werden von Uns emannt. 61.) Der GeschaftsUmfang der ForstAemter und Inspektionen bleibt einstweilen der= | jenige, welcher in der ForstOrganisation von 1808. §.10, bezeichnet ist: riicksicht= I lich der Forstfrevelthadigungen aber haben sich die Forstamter nach den hiertiber er= | gangenen neuem Verordnungen zu achten. Die Strafgelder sind gleich nach geschehenem Strafansaz von dem Forstbeamten | selbst, Oder von dem Aktuar, der bey der Thatigung das Protokoll fuhrt, einzuziehen, I unter Vorbehalt der Rtickgabe auf den Fall, wenn der Bestrafte hohem Orts eine | Strafmilderung oder einen StrafnachlaB auswirken sollte. Die Protokolle sind an I die Oberforstamter zu Durchgehung, Genehmigung, und Ueberweisung der Betrage | an die geeigneten Verrechnungen, zu iibersenden. 62.) In alien Gegenstanden, welche bloB die Herrschaftswaldungen betreffen, besor= | gen die Forstamter theils ohne, theils mit BerichtsErstattung die Geschafte allein. |

[202] Organisationsreskript vom 26. November 1809

1753

Eben dieses findet auch, jedoch unter Rticksprache mit den Eigenthtimem in geeigne= | ten Fallen, bei anderen Waldungen mcksichtlich alles dessen statt, was in die gewohn= | liche Forstbewirthschaftung einschlagt, worunter z. B. die Eintheilung in Schlage, die | Holzanpflanzung, sofem dazu keine auBerordentliche Auslagen no-thig sind, die Natu=^ | ralabgabe der tiblichen Burgergaben an Brand= Bau= und NutzungsHolz gehort. Sobald aber von solchen Geschaften, welche auBer der gewohnlichen Waldbewirth= I schaftung liegen, die Rede ist, z. B. von Waldausstockungen, neuen Waldanpflanzun= | gen, Waldtheilungen, Holzverkaufen und dergleichen, so muB tiber die Frage, wie | solches Geschaft zu bewirken, und wie es zu behandeln sey, bey Gemeinds= oder Ge= | nossenschaftsWaldungen mit dem Amt, bey Stiftungswaltungen aber mit der Ver= | rechnung kommunizirt, und an die hohere Stelle berichtet werden. (Nro. 63.) Ist | [S. 444] diese Frage entschieden, so besorgen die ForstAemter in der Kegel die Ausftihrung al= | lein, sofem nicht hoheren Orts eine andere Stelle dazu beauftragt, oder zur Mit= | wirkung veranlaBt wird. 63.) Die ForstAemter sind riicksichtlich der Herrschaftlichen Waldungen den Ober= | forstAemtem allein, rucksichtlich der Gemeinds= Genossenschafts= Stiftungs^ und Pri== I vat=Waldungen aber den KreisDirektorien und OberforstAemtem gemeinschaftlich | unmittelbar untergeordnet. Alle ihre Berichte mtiBen daher, nach Beschaffenheit ih= | rer Gegenstande, an eine oder die andere dieser Stellen, oder an beyde zugleich ge= | richtet werden, und sie haben die in AmtsSachen von denselben an sie gelangenden | Weisungen ptinktlich zu befolgen. 64.) Die Taxen und Sporteln von Forstamtlichen Verrichtungen soUen von den | ForstAemtem nicht nur angesezt, sondem ebenso wie von den Beamtungen (Nro. 28, | 29.) eingenommen, und mit den Verzeichnissen, in welche die Taxen und die Spor= I teln unter abgesonderten Rubriken von Tag zu Tag einzutragen sind, an die Verrech= | nungen monatlich tiberliefert werden. [S. 446] . . . Verbessemngen. In dem lezten Regiemngsblatt Nro. L. vom 9ten December d. J. ist bey der | Beilage Lit. A. zu dem neusten OrganisationsEdict: 1.) Die zu dem Seekreis uud dessen Amt Moskirch (pag. 403.) gehorige Herr= | schaft Schrozburg, bey dem Donaukreis, unter dessen gmndherrlichen Orten | sie steht, (pag. 404. Zeile 15) auszustreichen. 2.) pag. 408. Zeile 15 ist zu dem 2ten Landamt Freiburg der Ort Heuwei= | ler, der von Waldkirch dorthin abgegeben wird, hinzuzufugen. 3.) pag. 404. Zeile 7. ist nach dem Amte Bonndorf beizusezen: Bettmaringen. 4.) pag 407. Zeile 4. ist Ettingen statt Bellingen zu sezen. [S. 447] Beilage Lit. D: | zu dem Organisations==Rescript vom 26. Nov. d. J.

1)

2)

I. KreisDirektorien. Das Personal der KreisDirektorien soil bestehen: aus dem KreisDirektor, wenig= | stens zwey Rathen, einem aus dem Rechts= und Staatspolizeylichen und dem andem I aus dem Staatswirthschaftlichen Each, sodann aus den nothigen KreisSecretairs, I Registratoren, Revisoren, Kanzlisten oder Scribenten, und einem KanzleyDiener. Die Stellen der KreisDirektoren, der Kreis= und RechnungsRathe, der Revi= | soren und Secretars werden auf die untere Lit. F. Nro. 38. v. w. bemerkte Art besetzt. | Der KreisDirektor emennt den KanzleyDiener und die Scribenten, letztere aus den | approbirten Subjecten, und entlaBt sie. So lange noch brauchbare Kanzlisten im |

1754

§12: Baden

[Dok. 188-251]

QuiescentenStand sind, werden den KreisDirektorien statt den Scribenten Kanzlisten I zugegeben. 3) Alle bey den KreisDirektorien einkommende Geschafte werden theils von dem | KreisDirektor selbst zur Bearbeitung tibemommen, theils unter die Kreis= und Rech= I nungsRathe auch Revisoren nach den Materien, so wie er gut findet, vertheilt. Diese | referiren dem Direktor, dessen Meynung, wo Wir nicht eine ausdruckliche Ausnahme | machen (Nro, 8.) allein entscheidet, und der daher auch fiir die Behandlung und den | Betrieb der Geschafte Uns vorztiglich verantwortlich ist. Bey kurzer Verhinderung des KxeisDirektors besorgt der erste KreisRath dessen | Geschafte, jedoch ist von demselben den Unterschriften der Verfugungen und Berichte | tiber seine NamensUnterschrift immer beyzusetzen: [S. 448] „Bey Verhinderung und aus Auftrag des KreisDirektors" wo hingegen bey langerer Verhinderung von der CentralStelle, auf die bey derselben davon | zu machenden Anzeige, jedesmal bestimmt werden wird, wer die Stelle des KreisDirec= [ tors einstweilen versehen soil. 4) Den KreisDirektorien sind alle im Kreis befindhche weltliche und geistliche | BezirksDiener unmittelbar, die LocalDiener aber mittelbar in ihrer ganzen Amtsflih= | rung, so weit sie auf den Staat Bezug hat, untergeordnet. Sie verpflichten die BezirksDiener, sorgen fur die Stellung und Aufbewahrung | ihrer DienstCautionen, treffen, unter Rticksprache mit den geeigneten Stellen, die | provisorische Vorkehr wegen Versehung unbesorgter weltlicher und geistlicher Dienste, | ertheilen den Dienem im Kreis Urlaub bis auf vier Wochen, beschlieBen tiber die | Gesuche der SubaltemDiener aller BezirksStellen und der Schulmeister um Heyraths= | ErlaubniB, visitiren nach Gutfinden die Dienste der Bezirks= oder LocalDiener, ver= | anstalten nach Befinden summarische Untersuchungen und erkennen bey DienstNach= | laBigkeiten oder Unordnungen die gesetzliche Strafe, ohne Beschrankung, arbitrare | Strafen aber bis zu 25 Rthlr. GeldbuBe gegen dieselbe. Sie sind befugt, die SubaltemDiener des Kreises, der Bezirks= und LokalStellen | bis zu 14tagigem Arrest zu strafen, auch die Gerichtsleute und PolizeyBediente der I Ortschaften, die den Dienst neben einer biirgerlichen NahrungsQuelle versehen, sofem I die Aemter darauf antragen, wegen DienstUntauglichkeit oder DienstUnordnungen | gegen ihren Willen zu entlassen; gegen BezirksDiener aber konnen sie, doch nur in | eilenden Fallen, bis zur Suspension vom Amt, nicht aber vom Gehalt, und gegen | katholische Geistliche bis zur Temporaliensperre schreiten. 5) Die KreisDirektorien haben, unter Htilfeleistung der BezirksStellen und | besonders der Verrechner (Lit. C. Nro. 56. q.) tiber die DienstEinktinfte sammtlicher | im Kreis angestellten Diener und ihre Quellen, vollstandige Tabellen, mit Bemer= | kung der jeweils vorgehenden Veranderungen zu fiihren. Hiervon sind fiirs erste | Jahr Duplicate im Jenner des folgenden Jahrs an diejenigen Departements der | Ministerien einzusenden, unter welchen die Diener nach ihren Geschaftskreisen stehen; | ftir die spatere Jahre aber sollen die vorgegangenen Veranderungen jedesmal im I Jenner nachgetragen werden. [S.449] 6) Die KreisDirektorien sind den Ministerien unmittelbar untergeordnet. Sie | berichten an dieselbe in alien Fallen, welche a) weder durch Herkommen, noch durch Gesetze und Instruktionen, noch durch | Analogic ihre Erledigung erhalten, b) wo ihre Vollmacht ausdrticklich beschrankt ist,

[202] Organisationsreskript vom 26. November 1809

1755

c) wo sie selbst anzufragen gut finden, d) wo sie hohem Orts zum Bericht aufgefordert werden. Sie sind den Ministerien fiir den piinktlichen Vollzug der ihnen ertheilten Weisun=^ | gen zunachst verantwortlich. 7) Der GeschaftsICreis der KreisDirektorien begreift alle zur StaatsVerwaltung | in den ihnen angewiesenen Kreisen gehorige Gegenstande, so weit sie nicht hiemnten | namentlich ausgenommen sind. Er fangt indessen erst da an, wo der GeschaftsKreis | der BezirksStellen aufhort, so daB die den letztem zur Erledigung tiberlassene I Geschafte nur durch die Berufung gegen ihre Entschliessungen an die KreisDirektorien I gelangen konnen, es ware dann, daB die Erledigung versagt oder verzogert wurde, | in welchem Fall dieselbe PromotorialVerfugungen erlassen, und Termine n6thigen= | falls mit Androhung und Vollzug von Strafen, anberaumen konnen. 8) Riicksichtlich der biirgerlichen Gerichtsbarkeit beschrankt sich in der Regel der | GeschaftsKreis der KreisDirektorien bloB darauf, die Beschwerden gegen die Aemter I wegen verzogerter oder verweigerter GerechtigkeitsPflege durch die geeigneten Weisun= | gen zu erledigen. Ausnahmsweise steht den KreisDirektorien bey entstehenden Streitigkeiten die Ent= I scheidung zu: a) iiber Erfullung der Accorde zwischen den Untemehmem offentlicher Arbeiten | an StraBen, Fliissen, Brucken, offentlichen Gebauden einer, und dem Staat oder I den betreffenden Gemeinheiten anderer seits. b) tiber die zu solchen Einrichtungen abzugebenden Platze oder sonst abzutreten= | den Berechtigungen, welche dritten Personen zustehen, und tiber die dafur zu leisten= | den Entschadigungen, c) tiber die Schuldigkeit, Art und GroBe des Beytrags der Unterthanen und | Interessenten zu direkten und indirekten Steuem, Contributionen, Personal^ und | [S. 450] Real= Staats= oder Gemeinds^Lasten, Vergtitungen von Kriegsschaden, offentlichen | Baulichkeiten an Gebauden, Wegen, Brucken, Fltissen, gemeinniitzigen, vom Staat | verordneten Untemehmungen, nach den dartiber bereits festgesetzten oder noch festzu= | setzenden hohem Vorschriften, d) tiber die Bestimmung des Betrags der AlimentenGelder fiir unehliche Kinder | (nicht aber tiber die Schuldigkeit zur Alimentation) auf entstehende Beschwerden I tiber die richterlichen Ansatze eines Amtes. In alien diesen Fallen werden die Verhandlungen bey dem einschlagenden Amte I gepflogen, auch hat dasselbe, so viel nothig, im Wege des InformativVerfahrens | von Amtswegen die nothigen Aufklarungen zu erheben, sodann die Akten an das | KreisDirektorium abzuschicken, woselbst die Sache von dem KreisDirektor und den | Rathen, welche hierbey entscheidende Stimmen haben sollen, collegialisch zu erle= | digen ist. In dem Falle d. findet keine Berufimg statt. In den Fallen a. b. und c. aber | geht sie an dasjenige MinisterialDepartement, zu dessen GeschaftsKreis die Sache | ihrem Gegenstande nach gehort, und von diesem an das GeneralDirektorium, wel= | ches letztere in hochster Instanz, also ohne Zulassung einer weiteren Berufung, zu | entscheiden hat. In Fallen, wo ein ICreisDirektorium die Geschafte, woriiber Streitigkeiten ent= | stehen, selbst abgeschlossen hat, entscheidet dasjenige benachbarte KreisDirektorium, I dessen Sitz dem Amte, das die Verhandlungen gepflogen hat, zunachst liegt, in I erster Instanz. 9) Die StrafGerichtsbarkeit betreffend, kommt den KreisDirektorien zu:

1756

§12:Baden

[Dok. 188-251]

a) der Ansatz von Forst= und JagdfrevelStrafen, welche die Summe von | 30 fl. flir einen einzelnen Fall tibersteigen, gemeinschaftlich mit den Oberforst== | Aemtem. b) die Erkennung der LegalStrafen wegen polizeylicher Vergehen der Grundherren | und der von Uns selbst oder von den Ministerien patentisirten oder bestatigten Diener, | so weit sie in Geld zu leisten sind, und der arbitraren Strafen bis zu 25 Rthlr. [S. 451] c) die Bestrafung der Vergehen der zu obiger Kategorie nicht gehorigen Lan=! desherrlichen Diener in Standes= und grundherrlichen Besitzungen in dem Umfang I wie sie den Beamten liber ihre AmtsUntergebene zusteht. (Litt. C. Nro. 14.) d) die tarifmaBige Verwandlung der von den Aemtem angesetzten Leibesstrafen, | in Fallen, wo das Direktorium diese Verwandlung nicht als zweckwidrig ansieht. e) Die ErmaBigung der von den Aemtem und ForstAemtem angesetzten Stra= | fen, hochstens bis auf die Halfte, jedoch bey Forst= und JagdFreveln mit Ein= | stimmung der Oberforstbehorde. f) Das ErkentniB tiber Strafe und Privatsatisfaction bei Injuriensachen, in | Rekursfallen von amtlichen Urtheilen. g) Die Suspension amtlicher polizeylicher oder forstamtlicher Strafen, in Fal= | len, wo das Direktorium sie fur ganz unbefiigt oder mehr als um die Halfte | zu hoch angesetzt erachtet, wo alsdann gleichbalden an das betreffende Departed | ment zu berichten ist. h) Die Erkennung auf VermogensConfiskation und Landesverweisung gegen | ausgetretene Unterthanen. i) Die Bestrafiing des Ungehorsams oder anderer Vergehen der Unterthanen | gegen das Direktorium in Ausiibung seines Amts, sofem sie sich nicht zum hof= | gerichtlichtlichen ErkenntniB eignen. 10) Die einzelnen staatsrechtlichen staatspolizeylichen und staatswirthschaftlichen | GeschaftsZweige betreffend, besorgen die KreisDirektoren. Im Regiminalfach: a) Die Wahmung der landesherrlichen Rechte in weltlichen und geistlichen | Sachen gegen In= und Auslander, besonders gegen Standes= und Grundherren, | Gemeinheiten und einzelne Unterthanen, mit der BefugniB, in eilenden Fallen das I zweckdienliche vorzukehren. b) Die Handhabung der verfassungsmaBigen Verhaltnisse der Unterthanen und | ihrer Stande gegen einander. c) Die EntschlieBung tiber Grenzberichtigungen in so weit nicht dadurch ein bis= | her streitiger Punkt erledigt, oder etwas abgetreten werden soil. [S. 452] d) Die ErlaubniBErtheilung zu BerainsEmeuemngen von Gtilten, Zinsen, | Gefallen, fur Kirchliche, Kommun= und PrivatGtiter und die Bestatigung der | Beraine. e) Die Erledigung der amtlichen RuggerichtsProtokolle. f) Die Priifung der von den Aemtem zu erhebenden BevolkemngsTabellen. Die | Einsendung derselben an das RegiminalDepartement des Ministeriums des Innem. g) Die Vertheilung der vom Ministerium des Innem jeweils auf den Kreis aus= | geschriebenen Rekmtenzahl auf die Aemter nach den bestehenden Verordnungen. Die | Anweisung der Aemter zum Vollzug der Conscription. Die Erledi-

[202] Organisationsreskript vom 26. November 1809

h)

i) k) 1)

m) n) o)

p)

1757

gung der desfall= | sigen Anfragen und Beschwerden, oder Berichtserstattung dariiber. Die BerichtsErstattung wegen MilitarDispensationen in Fallen, welche durch | die Gesetze nicht bereits entschieden sind, an das RegiminalDepartement des Ministe= | riums des Innem. Die Leitung des Marsch= und Verpflegungswesens bei Tmppendurchmarschen [ durch den Kreis. Die Besorgung der cartelmaBigen Auslieferungen und die Requirirung solcher | Ausliefemngen. Die Emennung oder Bestatigung der ersten Stadtischen Vorsteher. Die Ent= | schlieBung tiber die amtlichen Antrage wegen Bestellung solcher Subjecte zu Orts= I vorstehem, die gar keine, oder doch weniger als ein Viertheil der Wahlstim== I men haben. (Lit. B. Nro. 5.) Die Burger^ oder HintersassenAnnahme von In= und Auslandem, gegen | den Willen der Gemeinden, wenn sie sonst die nothigen Erfordemisse haben. Die Gestattung eines standigen Aufenthalts im Kreis an Auslander, die sich [ nicht als Burger oder Beisassen an eine bestimmte Gemeinde anschlieBen. Die Annahme nachgebomer Judensohne am Wohnort ihrer Eltem, wenn sie | das nothige Vermogen haben, um nicht vom Nothhandel leben zu miissen, und | wann die Gemeinde darein einwilligt. Die Gestattung von Auswanderung auBer Lands, so lange die Zahl der in | einem Zeitraum von drei Jahren auswandemden Familien eines Orts nicht den | zwanzigsten Theil aller daselbst lebenden Familien betragt.

[S. 453] q) Die Dispensation vom HeyrathsAlter bey Mannspersonen vom zuriickgelegten | 20sten bis 21sten, und bey Weibspersonen vom zuriickgelegten 15ten bis 16ten Jahr. r) Die DispensationsErtheilung zur Heyrath mit der verstorbenen Frau Schwe^ | ster, mit des verstorbenen MannsBruder und mit der Nichte aus Blutverwandschaft I oder Schwagerschaft. s) Die Priifung der amtlichen Dispensations^ und ReceptionsProtocolle. t) Die Censur der im Kreis herauskommenden Druckschriften, oder deren Anord= | nung mit Ausnahme der im Aufenthaltsort der Ministerien erscheinenden Zeitung | und des Regiemngsblatts. 11.) In Hinsicht auf Kirchen und Schulen: a) Die Aufsicht auf die kirchlichen Corporationen und Diener des Kreises, so weit I ihre Handlungen den Staat bertihren, die Wachsamkeit darauf, daB sie die ihnen | angewiesenen Schranken (Lit. C. Nro. 46 bis 49.) nicht tiberschreiten, und daB | tiberhaupt nichts im Kreise geschehe, was die Rechte des Staats auf die Kirche | beeintrachtigen konnte. b) Die Anordnung der Priifung der dem Schulfache sich widmenden Personen. c) Die Annahme der Schulpraparanden und SchulCandidaten. d) Die Anstellung der untem Schulmeister in Stadten und aller Landschulmeister | und MeBner, so weit die Besetzung der Landesherrschaft zusteht, nach erhobenen | Amts= und DekanatsBerichten. e) Die Einsendung der Listen tiber sammtliche im Kreis befindliche Schulprapa= | randen, SchulCandidaten und Schullehrer an die KirchenDepartements, worinn | ihre Namen, ihre Lebens= Annahms= und DienstAlter, die Dienste, welche sie I vorhin bekleidet haben und jetzt bekleiden, ihre Fahigkeiten, Auffiihrung und Dienst= | fleiB, ihr lediger oder verheyratheter Stand, und ihre VermogensUmstande zu | bemerken sind.

1758

§ 12: Baden

[Dok. 188-251]

f) Die Einsicht und Priifung, auch nach Befinden Erledigung der Kirchen= und [ SchulvisitationsProtocolle; die BerichtsErstattung oder Communication wegen | derjenigen darinn enthaltenen Gegenstande, die von andem Stellen zu erledigen I sind. [S. 454] g.) Die Aufsicht tiber die im Kreis befindliche Padagogien, Gymnasien und | Lycaen, nicksichtlich ihrer aussem und innem Polizey. Die Anordnung ofterer | unvermutheter Visitationen derselben. Die Obsorge besonders dariiber, daB die | Lehrer ihren Pflichten in ptinktlicher Haltung der Lehrstunden nachkommen. h.) Die Aufsicht tiber die kirchlichen BezirksFonds und groBere geistliche Stif= | tungen. (Lit. C. Nro. 58.) i.) Die Leitung des Kirchen= Pfarr und SchulhausBauwesens, mittelst Re= | partition der desfallsigen Lasten und Beytrage, (Lit. D. Nro. 8.) und Anwei= | sung der Bezirksstellen zum Vollzug. 12.) In Ansehung der willktihrlichen Gerichtsbarkeit: a.) Die Anordnung der Priifung der Incipienten im Schreibereyfach und der | Scribenten, und ihre Annahme. b.) Die jahrliche Einsendung der Tabellen tiber sammtliche im Kreis befindliche | Schreibereylncipienten und Scribenten, worinn ihr Lebens= und AnnnahmsAlter, I die Stellen bey welchen sie gedient haben und jetzt dienen, ihre Fahigkeiten, Auf= I ftihrung und DienstfleiB, ihr lediger oder verheyratheter Stand zu bemerken sind, | an das JustizMinisterium, und eines Duplikats an das Cassen=Departement des | Finanzministeriums. c.) Die Aufsicht tiber die Geschaftsfiihrung der Aemter und Amtsrevisoren, | riicksichtlich aller Lit. C. Nro. 20. und 39. bemerkten hieh r^ gehorigen Gegen= | stande. Die Erledigung amtlicher Anfragen hieriiber. d.) Die Selbstbesorgung der Lit. C. Nro. 20. e, f, g, und h, benannten Ge= | schafte in eben dem Umfang, in welchem sie den Aemtem zusteht, riicksichtlich der | Grundherren und des Landesherrlichen DienerPersonals in Standes= und Grund= | herrlichen Besizungen. Die Aufsicht tiber die Vormundschaften solcher Personen, | und die Leitung derselben. e.) Die Priifung der jahrlich von den Aemtem einzusendenden Depositentabellen. f) desgleichen der Pflegschaftstabellen. g.) Die Entschliessung tiber LiegenschaftsVerausserungen und KapitalAuftiahmen | der Pflegschaften, wo die amtliche Ansicht von der des Pflegers, oder des Waisen= I erichts abweicht. [S. 455] h.) Die ErlaubniBErtheilung an Pflegschaften zu ProzeBftihrungen bei inlandi= | schen Gerichten in zweyter Instanz, oder bey einem auslandischen Gericht, wo An= I walde anzustellen sind, nach vorher erhobenem schriftlichem Gutachten eines Kreisraths. i.) MundtodtErklamngen und Wiederaufhebung derselben. 13.) In Hinsicht auf Gewerbe= und Ztinfte. a.) Die Ertheilung von GewerbsConcessionen, soweit die Aemter dazu befugt j sind (Lit. C. Nro. 21. e.) jedoch nur von personlichen und ohne besondere Privi= 1 legien, mit Ausnahme der Mtihlen= und Wasserwerke, auch Apotheken, in Anse= I hung welcher die Concession bey der hohem Stelle nachgesucht werden muB.

* Schreibweise im Original.

[202] Organisationsreskript vom 26. November 1809

1759

b.) Die Durchgehung der von den Aemtem einzusendenden summarischen Extrac= I te der Zunftrechnungen, auch jeweilige Abrufung der wichtigem Zunftrechnungen zur | Selbsteinsicht. c.) Die Durchgehung der Protokolle und amtHchen Strafansaze tiber die Muh= len= Maas= und Gewichts=Visitationen. (Lit. C. Nro. 21. c.) 14.) In Hinsicht auf SicherheitsPolizey: a.) Anordnungen, die hieher gehoren, im ganzen Kreis oder in einzelnen Aem= tern, nothigenfalls unter Communication mit den Nachbam, und unter Requisi= I tion des Militars. Verhaftnehmung der Sicherheitsstorer. b.) Die PaBertheilung an Fremde, die ohne PaB ins Land kommen, aber sich \ gehorig legitimiren. c.) Die Bestellung der niedem Polizeydiener, als Amtsdiener, Hatschiers und | dergleichen, aus den vom Militar vorzuschlagenden Subjecten, nach erhobenem Amtsbericht. d.) Die Sorge fur die zweckmaBige Einrichtung der Gefangnisse. Die Anord= nung ofterer unvermutheter Visitationen derselben und der im Kreise befmdlichen I Zuchthauser. e.) Die Durchgehung der von den Aemtem einzusendenden vierteljahrigen Tabel= len tiber die innsizende Gefangene und Anordnung des Nothigen zur Erledi' gung. f.) Die Durchgehung der amtlichen Protokolle tiber plozliche Todes oder Un= glticksfalle, die Anordnung der desfalls etwa nothigen nahem Untersuchungen. g.) Die Aufsicht tiber die im Kreise befindlichen Zucht= und Arbeitshauser und Vomahme ofterer Visitationen derselben. [S. 456] h.) Die DispensationsErtheilung vom Bauen mit Steinen und Deckung der | Dacher mit Ziegel, wegen der Localitat, auch Berichtserstattung tiber ganze Ort= schaften, welche in dieser Hinsicht etwa von dem Gesez auszunehmen waren. i.) Die Sorge flir die Handhabung aller Anstalten gegen Feuer= und Wasser= Schaden, die jeweilige Einforderung der FeuerschauProtokolle von den Aemtem, I und deren Durchgehung. (Lit. C. Nro. 22. e.) k.) Die Erhebung der Tabellen tiber das jahrliche Ab= und Zuschreiben der BrandversichemngsAnschlage und tiber den Einzug der BrandentschadigungsGel= I der von den Aemtem, und die Einsendung derselben an das Landespolizey== I Departement. 15.) Rticksichtlich der GesundheitsPolizey: a.) Die Aufsicht auf alle dahin gehorige Gegenstande, die Wachsamkeit, daB | die Aemter und Physikate ihren darauf Bezug habenden Obliegenheiten nachkom= I men (Lit. C. Nro. 23. 43. 44.) b.) Die SperrAnlegung bey Menschen= oder Viehseuchen. c.) Die Bestellung der UnterChimrgen und ThierAerzte aus der Zahl der dazu | gepriiften und approbirten Subjecte, nach erhobenen PhysikatsBerichten. d.) Die Fertigung der Tabellen tiber die SanitatsBeamten und ihre Gehtilfen | im Kreis, nach zuvor in GemaBheit der PhysikatsOrdnung §.28. erhobenen Be= [ richten der Physikate. Die jahrliche Einsendung eines Duplicats dieser Tabellen I an das LandespolizeyDepartement. 16.) In Hinsicht auf die ArmenPolizey: a.) Die Aufsicht auf die desfallsige Geschaftsfiihmng der Aemter. (Lit. C. | Nro. 24.) b.) Die Anweisung von Untersttitzungen aus OrtsCassen, oder andem milden | Local= oder kleinen Distrikts=Fonds von mehr als 24 fl. far eine Person jahrlich.

1760

§ 12: Baden

[Dok. 188-251]

c.) Die Untersttitzung aus solchen Fonds, welche zu diesem Ende den KreisDi= | rektorien werden angewiesen werden. (Lit. F. Nro. 18. e.) d.) Die Einsendung von Tabellen liber sammtliche Untersttitzung genieBende Per= | sonen im Kreis, nach Aemtem und Ortschaften, tiber die Umstande, welche bey I jeder die Untersttitzung motiviren, und die Art und den Betrag der Untersttitzung 1 an das LandPolizeyDepartement im Jenner nach dem SchluB jeden Jahrs. [S. 457] e.) Die Anordnung ofterer unvermutheter Visitationen der im Kreise vorhande= | nen Waisen= Siechen= Irrenhauser und anderer milder Anstalten. 17.) Rticksichtlich der Staatswirthschaft im allgemeinen: a.) Die Beforderung der LandesCultur und Industrie, mittelst Urbarmachung | oder Plaze, Austrocknung der Stimpfe, Veredlung und Vermehrung der ange= | bauten Produkte durch Einfahrung neuer CulturArten und Gerathschaften, Auf= | hebung der Brache, Anlegung und Wasserung von Wiesen, Anlegung von Baum= I schulen, Verbesserung und Vermehrung des Viehstands, Einfiihrung der Stall= | fiitterung; Einfuhrung neuer ntitzlicher Produkte und Gewerbe mit Rticksicht auf | den Gang des Handels, Sorge fur die Aufsuchung noch unentdeckter Naturpro=^ | dukte, als Salzquellen, Mineralien. Die Tabellen tiber die LandesCultur und tiber den Viehzustand sind von den I Aemtem jahrlich zu erheben, durchzugehen, die geeigneten Anordnungen zu tref= I fen, und summarische Ausztige unter Anzeige des Verordneten an das Landes= | OeconomieDepartement einzusenden; b.) Forderung der bestehenden Gewerbe, Manufacturen und Fabriken; der In= | dustrie= und Realschulen. c.) Jahrliche Erhebung der Tabellen tiber die Ein= und Ausfuhr, Durchge= | hung derselben, und Einsendung eines summarischen Auszugs daraus an das Lan= | des Oeconomie Departement. d.) Jahrliche Einsendung einer Uebersicht nach Ortschaften tiber sammtliche im | Kreise befindliche Gewerbe, Manufakturen und Fabriken in eben dasselbe De= I partement. e.) Dispensation von Ausfuhr=Verboten von Holz, unter Rticksprache mit dem | Oberforstamt, Potasche etc. soweit sie dispensabel sind, gegen die geordnete Taxen | und Gebtihren. f) Aufsicht auf die Flozerey und Schiffarth; auf die Erhaltung und Forde= | rung der hieher gehorigen Anstalten und der hiertiber bestehenden Verhaltnisse | mit Auswartigen. g.) Anordnung und Leitung der Anstalten des LandstraBen= Brucken= Damm= | und Wasserbaues durch die zu diesem Ende angestellte executive Behorden, mit der | Vollmacht, wegen Unterhaltung der bereits bestehenden Bauten das nothige selbst | [S. 458] vorzukehren, auf jedes neue Bauwesen aber, wenn es von den dazu aufgestellten | Sachverstandigen fur nothwendig und dabey far unverschieblich erachtet wird, bis | zu 500 fl. ohne Anfrage zu verwenden. Erstattung eines Hauptberichts im Anfang jeden Jahrs tiber die ausgefuhrten I und im Laufe des Jahrs auszufuhrenden Bauten an das Landes Oekonomie De= I partement. h.) Ueberschlag der in Ermanglung oder bey Unzulanglichkeit anderer Fonds und | Beitrage zu diesen und andem gemeinntitzigen Anstalten bestimmten jahrlichen Con= I tributionen zu den AmtsCassen, nach erhobenen Amts= und VerrechnungsBerich= | ten (Lit. C. Nr. 57.) Einsendung dieses Ueberschlags zur Ein-

[202] Organisationsreskript vom 26. November 1809

1761

zugsGenehmigung | an das Landes Oeconomie Departement zu Anfang jeden Jahrs. i.) Aufsicht liber das Frohndwesen, dessen ordnungsmaBige Austheilung und | zweckmaBige Anwendung; Erledigung der desfalls entstehenden Beschwerden. Be= I willigung personlicher Frohndfreyheiten wegen korperlichen oder Altersgebrechen. 18.) Riicksichtlich der Gemeinds=Oeconomie insbesondere: a.) Die Gestattung auf den Antrag der Gemeinden; a) Von LiegenschaftsVeraussemngen derselben, (3) von Holzverkaufen aus Gemeindswaldungen, mit Einwilligung des Ober= | forstAmts, wenn die Abgabe dringend ist, nach den unter Nr. 23. enthaltenen | Bestimmungen, y) von Aendemngen der Gemeindsgtiter Cultur, 6) von Aendemngen im BurgergenuB, 8) von CapitalAufnahmen oder Ablosungen nicht wieder anzulegender Gemeinds= | Capitalien bis zum Betrag der Halfte des jahrlichen GemeindsEinkommens; Q von neuen Bauwesen und andem ntitzlichen anssergewohnlichen Ausgaben I auf GemeindsKosten bis zu eben demselben Betrag. b.) Die Einleitung zu Vertheilung der mehreren Orten gemeinschaftlichen Gtiter, | Waldungen und Allmenden unter die Btirgschaft. c.) Die Prufung der von den Beamtungen jahrlich im Jenner des folgenden \ Jahrs einzusendenden KommunRechnungsExtrakte mit angehangter Uebersicht liber | das Vermogen jeder einzelnen Gemeinde an Realitaten und Capitalien, dessen Zu= I [S. 459] oder Abnahme. Die jahrliche Durchgehung einiger Kommunrechnungen, besonders | der groBem und vorzliglich gewerbsamen Stadte des Kjreises. d.) Die Ertheilung der ErlaubniB zu ProzeBfiihrung an Gemeinden auf Kosten | ihrer Cassen in den gesezlichen Fallen, nach erhobenem schriftlichem Gutachten eines | Kreisraths. e.) Die Einleitung zu Fertigung zweckmaBiger Saal= und Lagerblicher. f) Antrage liber Abanderungen in den von neu angenommenen Burgem und | BeisaBen an die Gemeinden zu leistenden Abgaben. 19.) In Hinsicht auf FinanzGegenstande umfaBt der Geschaftskreis der Kjreis= | Direktorien die Aufsicht liber die Amtsfiihrung der BezirksVerrechnungen in ihrem | ganzen Umfang, nur mit Ausnahme dessen, was unmittelbar zur Rechnungsabhor | gehort. Eine vorzligliche Obliegenheit der KreisDirektorien ist es daher, die BezirksVer= | rechnungen in Erhebung und Verwerthung der Gefalle auf alle Art zu unterstlitzen, | und auf alle Mittel zu Verbesserung und Vereinfachung des Finanzwesens in ihren | Kreisen bedacht zu seyn. Insbesondere kommt ihnen zu: a.) Die Bestellung der niederen Dienststellen bey den BezirksVerrechnungen, | als Diener, Boten, Kastenknechte, Kiefer, Zoller, ZollAufseher, Ohmgelder u. d. gl. I nach erhobenen Verrechnungsberichten, und mit Rlicksicht auf die bestehende Ver= | ordnung in Ansehung derjenigen Dienste, wozu Militairpersonen vorgeschlagen wer= | den sollen. b.) die Aufsicht auf die ordentliche Flihrung der Gefall= und DienstBlicher der | BezirksVerrechnungen; auf die Anwendung der nothigen Sorgfalt in den Gefall= I Einzligen. c.) Die Anordnung unvermutheter Cassen=Keller, und SpeicherStlirze bey den | BezirksVerrechnungen zu jeder beliebigen Zeit; femer derjenigen Stlirze, wel-

1762

§ 12: Baden

d.)

e) f)

g)

h) i)

k) 1) m) n)

o)

p) q) r)

s)

[Dok. 188-251]

che I jahrlich zur Zeit der RechnungsStellung tiber die Geld= und NaturalVorrathe und | InventarienStucke gehalten werden mtissen. Die Einsicht und Priifung der monatlichen CassenEtats der BezirksVerrech= | nungen, ihre genaue Vergleichung mit den zur Controlle dienenden, bey dem Finanz= | Ministerium zu fertigenden Etats (Lit. F. Nro. 27. d. e.) die Untersuchung und | [S. 460] Berichtigung der hiebey etwa sich zeigenden Anstande. Die Einsendung jener Etats | an die geeignete Departements. Die Aufsicht und Anordnung wegen zeitlicher und ntitzlicher Verwerthung der | NaturalVorrathe der BezirksVerrechnungen. Die Genehmigung von Giiter= und Zehend= auch andem GefallVerpachtungen I der BezirksVerrechnungen, wenn sie in offentlicher Versteigerung geschehen. Die Ftihrung eines HauptVerzeichnisses tiber sammtliche im Kreis befindliche | Domainen und ihren DurchschnittsErtrag, nach eingezogenen PartikularVerzeich= I nissen der herrschaftlichen BezirksVerrechner (Lit. C. Nro. 56. h.) Die jeweilige | Eintragung der vorgehenden Veranderungen. Die Einsendung eines Duplikats an | das Staatswirthschafts= und DomainenDepartement. Die Aufsicht auf die gute Verwerthung der zum Verkauf ausgesetzten herr= | schaftlichen Domainen, Giilten, Zinse etc. und die BerichtsErstattung hieriiber. Die Ftihrung der HauptVerzeichnisse tiber die der Herrschaft oder offentlichen | Fonds gehorige gemeine Guts= oder Erb= auch SchupfLehen nach eingezogenen Par= I tikularVerzeichnissen der Verrechner. (Lit. C. Nro. 56. i.) Die jeweilige Eintra= | gung der vorgehenden Veranderungen in dieselbe, die Einsendung von Dupplicaten | derselben an die betreffenden Departements. Die Ausfertigung und Ertheilung der Erblehenbriefe bey ErblehensEmeue= | rungen an die zur LehensNachfolge berechtigte Personen. (Lit. C. Nro. 56. k.) Die Genehmigung von KapitalAufhahmen auf Erblehen, bis zu hochstens | einem Drittheil ihres Anschlags. Die Autorisation der offentlichen Verrechnungen zu Ftihrung von Prozessen | in erster Instanz bey den Aemtem, und ihre Berathung in den geeigneten Fallen. Die NachlaBe an Pachtschuldigkeiten der Guts= Zehnd= und anderer Pachter | in offentlichen Cassen, wegen zufalligen Unglticksfallen, z. B. Hagelschaden und der= | gleichen, hochstens bis zu einem Viertheil des jahrlichen Pachts, oder wenn derselbe | 2000 fl. tibersteigen sollte, bis zu 500 fl. nach ordnungsmaBig erhobenem Schadens= | betrag. Die Durchgehung der jahrlichen Baurelationen der Bezirksstellen, die Anord= | nung der von den Bauverstandigen als nothig erklarten Reparaturen; die Berichts= I Erstattung wegen alter bloB fur niitzlich erachteten Reparaturen, sofem ihr Anschlag | [S. 461] mehr als 100 fl. betragt, und wegen aller neuen Bauwesen, auch wegen aller der= | jenigen, wobey das Directorium selbst betheiligt seyn konnte. Die Bestimmung des jahrlichen Weinschlags in den verschiedenen Kreis= | Distrikten. Die Classificirung der bei den Verrechnungen aufgespeicherten Weine. Die provisorische Dekretur der unstandigen RechnungsEinnahmen und Aus= | gaben der BezirksVerrechnungen unter Vorbehalt der endlichen Dekretur bey der I RechnungsAbhor. Die vierteljahrige Durchgehung und Berichtigung der ZollAbschltisse der herr= | schaftlichen Verrechnungen.

[202] Organisationsreskript vom 26. November 1809

1763

t) Die Dekretur der Diaten= und KostenZettel der Diener auf die BezirksCas= | sen, namentlich auch auf die JurisdictionsGefalle, mit Rucksicht auf die in einigen I Gegenden noch bestehende Centverfassung. Die eigenen Diaten der KreisDirektoren sind von den einschlagigen Departe= | ments zu dekretiren. u) Die Durchgehung der vierteljahrigen AusstandsVerzeichnisse der Bezirks= | verrechnungen, (Lit. C. Nro. 56. d.) und Abgangsdekretur der inexigibeln Aus= I stande. 20) Die Taxen und Sporteln von den KreisDirektorialgeschaften werden bey | den KreisDirektorien zwar angesetzt, aber nicht von denselben, sondem von den | Bezirksstellen, an welche die Geschafte gehen, gleich bey Ablieferung derselben an | die Interessenten erhoben. Die KreisDirektorien haben vierteljahrig Tax= und SportelAusztige an die herr= | schaftlichen Bezirksverrechnungen zu tibersenden, durch deren Vergleichung mit den I Tax= und Sportelverzeichnissen den Bezirksstellen jene von der richtigen und vollstan= I digen Erhebung der Taxen und Sporteln sich tiberzeugen. II. OberforstAemter 21.) In jedem Kreis wird der Kegel nach ein Oberforstmeister zur Oberaufsicht | liber alle darinn befmdlichen Waldungen aufgestellt. Wo die dahin gehorigen GQ= \ genstande fur einen Kreis einem Diener nicht hinlangliche Beschaftigung geben, | da kann seine oberforstamtliche Aufsicht auf mehr als einen Kreis ausgedehnt werden. [S. 462] 22.) Die Oberforstmeister werden von Uns emannt, und erhalten ihre Besol= | dungen aus der herrschaftlichen Casse. Bey Localgeschaften aber ziehen sie ihre Dia= | ten aus herrschaftlichen^ Genossenschafts= Gemeinds= oder Stiftungs= auch Private | Cassen, je nachdem ihre Geschafte herrschaftliche oder andere Waldungen betreffen. I Die gehorig zu beurkundende Kostenverzeichnisse werden, wenn sie zuvor von der ge= | eigneten Centralbehorde durchgegangen und vidirt sind, von den Stellen dekretirt, | welchen die Dekretur auf die geeigneten Cassen zusteht. (Lit. C. Nro. 25. a. Lit. D. I Nro. 19. s. t.) 23.) Die Oberforstmeister bereisen jahrlich gegen den Monat August hin die | sammtlichen Waldungen ihrer Kreise, untersuchen bey dieser Gelegenheit den Voll= | zug der Forstwirthschaftsplane des laufenden Jahrs, erheben diejenigen, die far das | kiinftige Jahr zu entwerfen sind, beurtheilen hierbey an Ort und Stelle, wiefem die | Vorschlage zur Ausfiihrung gebracht werden konnen, geben die nothigen Anweisun= I gen, wie sie zu vollziehen, in welcher Art insbesondere die Hiebe zu ordnen sind, I fiihren ein von den Distriktsforstmeistem und Inspektoren far die betreffenden Distrik= | te mit zu unterzeichnendes Diarium iiber diese ganze Bereisung, senden die Plane, | jedoch so viel die Kommun= und StiftungsWaldungen betrifft, nach genommener Riick= | sprache mit dem KreisDirektor, mit ihren Gutachten an dasjenige MinisterialDepar= | tement, unter welchem die Waldungen stehen, und geben dieselbe seiner Zeit mit den | erfolgten Resolutionen an die ForstAemter und Inspektionen, zur Vollziehung zuriick. Alle in die Wirthschaftsplane aufgenommene und hohem Orts genehmigte Hand= | oder Steigerungsverkaufe werden bey ihrem wirklichen Vollzug von den Oberforstam= | tern nach Beschaffenheit der Waldungen allein, oder gemeinschaftlich mit den Kreis= | Direktorien ratificirt und die Betrage an die geeigneten Verrechnungen tiberwiesen, | sofem die von der Centralstelle festgesetzten Taxationspreise erreicht und die tibrigen | gesezlichen Erfordemisse beobachtet sind.

1764

§12:Baden

[Dok. 188-251]

Die auBerordentlicherweise im Laufe des Jahrs vorkommende Holzverkaufe und | Holzabgaben konnen von den OberforstAemtem bey herrschaftlichen Waldungen allein, | bey andem Waldungen aber mit Beiwirkung der KreisDirektorien provisorisch nur | alsdann genehmigt werden, wenn die Abgabe so dringend ist, daB sie den Verzug I der Einholung hoherer EntschlieBung nicht zulaBt. In jedem andem Fall ist diese | abzuwarten. Auch ist eine allgemeine Anzeige der in einem Jahre vorgegangenen der= | fS. 463] artigen auBerordentlichen Verkaufe und Abgaben als Nachtrag zum Wirthschaftsplane | desselben Jahrs an die hohere Stelle einzusenden. 24.) In allem iibrigen behalten die OberforstAemter einstweilen mit der Lit. C. | Nro. 61. bemerkten Erweiterung denjenigen WirkungsKreis, welcher in der Forstor= | ganisation von 1808. §.11 bezeichnet ist, den Punkt wegen der Frevelthatigungen | ausgenommen, der durch spatere Verordnungen naher bestimmt ist. 25.) Die tiber landesherrliche Jagden abzuschliessende Pachtkontracte sind von | den OberforstAemtem zur Genehmigung berichtlich an das Staatswirthschafts= und | DomainenDepartement einzusenden. 26.) Die DiatenZettel der Forstmeister und Forstlnspectoren sollen bey den Ober= | forstAemtem durchgegangen und vidirt werden, ehe sie von den geeigneten Stellen de= I kretirt werden konnen. 27.) Die von den Geschaften der OberforstAemter fallenden Taxen und Sporteln | werden bey denselben zwar angesezt, aber nicht von den OberforstAemtem, sondem von I denjenigen Stellen, an welche ihre Verfiigungen zum Vollzug gehen, eingezogen. Die | Verrechnungen sind mittelst monatlicher beurkundeter Tax= und SportelAusziige von | dem angesetzten zu benachrichtigen. 28.) In alien zum Geschaftsumfang der KreisDirektorien gehorigen staatsrecht= | lichen, staatswirthschaftlichen und staatspolizeylichen Gegenstanden, welche nicht die | Amtsfiihmng der Oberforstmeister betreffen, haben sie von den KreisDirektorien Wei= I sungen anzunehmen und zu befolgen. Beilage Lit E. 1.) Kiinftig bestehen drei Hofgerichte: nemlich: a.) Das Hofgericht zu Freyburg, fiir den See= Donau= Wiesen= und Treisam= | Kreis. b.) Das Hofgericht zu Rastatt fur den Kinzig= Murg= Pfinz= und EnzKreis. c.) Das Hofgericht zu Mannheim fur den Neckar= Odenwalder= Mayn= und | TauberKreis. 2.) Die Hofgerichte behalten ihre bisherige innere Einrichtung, sie besorgen | die GerichtsPolizey tiber ihre Subaltemen, namentlich tiber die Anwalde, und | bestrafen die Uebertreter der desfalls vorgeschriebenen Ordnungen. [S, 464] 3.) Die Hofrichter, Direktoren, Rathe und Assessoren werden von Uns, die | Secretars, Registratoren und Expeditoren, auf Vorschlag des CollegialVorstandes an | das JustizMinisterium, auf die unter Lit. F. Nro. 38. w. bemerkte Art emannt. | Die Kanzlisten und Kanzleydiener werden von den Hofrichtem unter Rucksprache mit | den ViceHofrichtem, Direktoren, oder vorsizenden Rathen, und zwar die Kanzlisten | aus dem Scribentenfach, die Kanzleydiener aber aus den vom Militair vorzuschlagen= I den Subjecten, angestellt. So lange noch taugliche Quiescenten zu den gedachten | Stellen vorhanden sind, mtissen dieselbe vorerst dazu ausersehen werden, weswegen | der Hofrichter, ehe er die Subjecte wahlt, bey dem JustizMinisterium anzufragen | hat. 4.) Die Hofgerichte verwalten die btirgerliche Gerichtsbarkeit Erster Instanz | in Gantsachen der Standes= und Gmndherren, und der von den Ministerien pa= | tentisir-

[202] Organisationsreskript vom 26. November 1809

1765

ten^ Diener, auch der Rathe und Beysizer der standesherrlichen JustizKanzleyen. | Sie haben die BefiagniB und Obliegenheit, in diesen Fallen die Leitung aller Verhand= | lungen bis zum endlichen Liquidations^ und CollationsErkenntniB, welches von ihnen | zu fallen ist, dem Beamten des Wohnorts des Gemeinschuldners, (der zu den Liqui= | dationsVerhandlungen die Amtschreiberey substituiren kann), oder irgend einem der | Rechte=Kundigen daselbst oder in dessen Nahe wohnhaften Diener zu tibertragen, sofem | der Gemeinschuldner nicht am Sitz des Gerichts wohnt, wo auch ein Mitglied des | Hofgerichts dieses Geschaft besorgen kann. In alien tibrigen Fallen hort kunftig die | hofgerichtliche, btirgerliche Gerichtsbarkeit erster Instanz auf. 5.) In zweyter Instanz geht der Rechtszug von den Entscheidungen der Landes= | Standes= und Grundherrlichen Aemter ohne Unterschied an die Hofgerichte, und zwar, | wenn die Summe der Beschwerde wenigstens Einhundert Gulden ist, mittelst der Ap= I pellation, wenn sie aber 50 fl. und daniber, jedoch unter 100 fl. betragt, oder der GQ= \ genstand unter die Anordnung der §.92. und 149. der ObergerichtsOrdnung sich eig= | net, mittelst der Revision. Im Weg der Cassation (Nro. 13.) kann jede btirgerliche Rechtssache, ohne | Rticksicht auf die Beschwerden=Snmme, von den Aemtem an die Hofgerichte gebracht | werden. [S. 465] 6.) In Ehesachen gehort alles, was die Auflosung geschlossener Ehen betrifft, so | weit es sich zu richterlichen Erkenntnissen eignet, vor die Hofgerichte. Die Instmktion | der Prozesse aber geschieht von den Aemtem. 7.) In StrafSachen bleibt den Hofgerichten die Gerichtsbarkeit, riicksichtlich der | Gegenstande ganz in demjenigen Umfang, wie er durch das 8te OrganisationsEdikt i bestimmt ist, rucksichtlich der Personen aber iiber alle Unterthanen des Staats mit Aus= I nahme der Standesherren, welchen das im 12ten §. des 3ten ConstitutionsEdikts er= | theilte Privilegium bleibt. 8.) Die Priifung der RechtsCandidaten geschieht kiinftig allein von den Hofge=^ | richten, in ihrem ganzen Umfang; die Antrage dartiber sind an das JustizMinisterium | zu machen. 9.) Die Standesherrlichen JustizCanzleyen iiben die Gerichtsbarkeit in den Stan= | desherrlichen Besitzungen in eben dem Umfang aus, wie die Hofgerichte, jedoch mit | Ausnahme a.) der Personal^ und RealSachen der Standesherren oder ihrer Domanial^ | Canzleyen, b.) der Personal= und StrafSachen der Rathe und Beysitzer der JustizCanz= | leyen, c.) der Personal^ und StrafSachen der Landesherrlichen Diener in den standes= | herrlichen Besitzungen, d.) der Falle, in welchen von einem Vergehen eines Standesherrlichen Dieners | oder Unterthanen gegen Uns oder die von Uns gesezten obrigkeitlichen Behorde I die Frage ist. Einrichtung und GeschaftsKreis des OberhofGerichts. 10.) Das OberhofGericht behalt seine bisherige innere Einrichtung und Einthei= | lung im Senate. Es besorgt die GerichtsPolizey iiber seine Subaltemen und nament= | lich liber die Anwalde. Die Stellen bey demselben werden auf die nemliche Art, wie I bey den Hofgerichten (Nro. 3.) besetzt. Anstelle von: „und der von den Ministerien patentisirten etc." wird durch die „Verbesserungen" im Regierungsblatt auf S. 494 gesetzt: „und der von Uns oder den Ministerien patentisirten etc.".

1766

§12:Baden

[Dok. 188-251]

11.) Es verwaltet die btirgerliche Gerichtsbarkeit zweyter Instanz in Gantsachen | der Standes= und Grundherren und der von den Ministerien patentisirten^ oder von ihnen | bestatigten Diener, wenn sie mittelst der Revision von den Hofgerichten oder den I [S. 466] Standesherrlichen JustizKanzleyen an dasselbe gelangen, und die BeschwerdenSumm | sich dazu eignet. 12) In alien andem btirgerlichen Rechtssachen, kann der Rechtszug von den | Entscheidungen der Hofgerichte nur in dritter Instanz an das Oberhofgericht gelangen, | und zwar im Weg der Oberappellation, wenn die Beschwerden=Summe wenigstens | 600 fl. betragt, im Weg der OberRevision aber, wenn sie 300 fl. und dartiber, | doch unter 600 fl. betragt. Die sich nach ihrer Beschaffenheit zur Revision der | Hofgerichte eignenden Gegenstande werden von diesen in letzter Instanz erledigt, und | konnen nicht durch OberRevision ans Oberhofgericht gebracht werden. 13) Im Wege der Cassation, nemlich durch Beschwerde wegen unheilbarer | Misleitung des Prozesses, konnen alle btirgerliche Rechtssachen ohne Rticksicht auf die | BeschwerdenSumme von den Hofgerichten an das Oberhofgericht gelangen. Eben | diese Beschwerde kann aber auch bey den Hofgerichten selbst angebracht werden, | in welchem Fall der vorherige hofgerichtliche Referent bey den Berathschlagungen I dartiber abtreten muB. 14) In Ehesachen gebiihrt dem OberHofgericht die Entscheidung der Rekurse | von hofgerichtlichen Erkenntnissen rticksichtlich alles dessen, was die Auflosung der | Ehen betrifft, in oberster Instanz. (Nro. 6.) 15) In Strafsachen findet die oberhofgerichtliche Jurisdiktion statt, in Fallen, | wo von den Hofgerichten a) auf TodesStrafe, oder b) auf lebenslangliche ZuchthausStrafe, oder c) auf Deportation, oder d) auf DienstUnwiirdigkeitsErklarung solcher Personen, die den Dienst nicht | neben einer btirgerlichen NahrungsQuelle als Nebensache verwalten, erkannt werden will, oder wo e) ein von einem Hofgericht Verurtheilter mittelst Rekurs seine ganzliche | Unschuld ausfiihren will. In den drey ersten dieser Falle sendet das einschlagige Hofgericht, nach einge= | langter VertheidigungsSchrift und erstatteter Re= und Correlation, sein Collegial= | Gutachten an das OberHofgericht ein, welches nach gepnifter Sache das Urtheil | entwirft, und es mit Antrag an das JustizMinisterium einbefordert. [S. 467] 16.) Die Abtheilung des OberHofgerichts in zwey Senate bleibt, wie bisher. | Der OberHofRichter theilt, unter Rticksprache mit den beyden Kanzlem, die Sachen | unter beyde Senate entweder nach den Gegenstanden oder nach den LandesBezirken | aus, und erstattet nach Umlauf eines Jahrs sein Gutachten an das JustitzMinisterium I tiber eine zwischen denselben zu treffende bleibende GeschafsAbtheilung. 17.) Im vollen Rath sind zu verhandeln bey endlicher Aburtheilung: a.) alle CassationsSachen, b.) alle OberAppellations Sachen, in welchen die Urtheile erster und zweyter In= \ stanz von einander abweichen, und der Werth des ProzeBGegenstandes wenigstens | 1800fl.erreicht. c.) Alle OberAppellations= und OberRevisionsSachen, wo die Urtheile erster oder I zweyter Instanz zwar mit einander tibereinstimmen, aber der oberhofgeAnstelle von: „und der von den Ministerien patentisirten etc." wird durch „Verbesserungen" auf S. 494 im Regierungsblatt gesezt: „und der von Uns oder den Ministerien patentisierten etc.".

[202] Organisationsreskript vom 26. November 1809

1767

richtliche Re= | ferent, oder einer der beyden Kanzler, oder ein etwaiger Correferent, oder zwey | Rathe des einschlagigen Senats dagegen stimmen. d.) Alle an das OberHofgericht sich eignende CriminalSachen. e.) Endlich gehoren in den vollen Rath, die Angelegenheiten, welche das ganze | Collegium betreffen, wohin jedoch nur das, was auf das gemeine Interesse der Ju= I stiz= oder des Collegiums Bezug hat, zu ziehen ist. 18.) Die Taxen, Sporteln= und StempelPapierAnsatze von den Geschaften der | Hofgerichte und des OberHofgerichts werden ktinftig durch ihre Expedituren oder | durch andere von dem GerichtsVorstand zu emennende Subaltemen von den Sach= | waltem der Partheyen unmittelbar erhoben, und alle Monate mit den Verzeichnissen, | welche von dem GerichtsVorstande zu beurkunden und in welche die Taxen, die Spor= I teln und die StempelpapierAnsatze, in abgesonderte Rubriken einzutragen sind, an die | Landesherrliche BezirksVerrechnung des Orts, wo das Gericht sich aufhalt, abgege= | ben. Beilage Lit. F. I. Ministerium des Innem. 1.) Das Ministerium des Innem theilt sich nach der Verschiedenheit der Gegen= | stande, die in seinen GeschaftsKreis gehoren, in fiinf Departements, nemlich: [S. 468] a.) das LandeshoheitsDepartement, b.) das LandesPolizeyDepartement, c.) das LandesOekonomieDepartement, d.) das Katholische Kirchliche Departement und e.) das Evangelische Kirchliche Departement. 2.) Jedes dieser Departements hat einen Direktor, die nothige Zahl von Rathen, | Assessoren, Secretars und Registratoren. Der KanzleyVerwalter, die Expeditoren, | die Kanzlisten und KanzleyDiener sind alien Departements gemeinschaftlich, und bil= | den die MinisterialCanzley. 3.) Alle MinisterialGeschafte mtissen in der Regel, wo nicht eine ausdriickliche Aus= | nahme von Uns gemacht wird, in einem der Departements entweder erledigt, oder | doch soweit vorbereitet werden, bis sie zur Erledigung reif sind, oder bis im Laufe | des Geschafts irgend eine entscheidende Maasregel zu ergreifen ist. 4.) Wenn ein Geschaft in den WirkungsKreis mehrerer Departements einschlagt, | so wird es, sofem es nicht bestimmt einem Departement vorztiglich zugewiesen ist, | in demjenigen, welches oben zuerst genannt ist, auch zuerst behandelt. Die von | diesem gefaBten Beschltisse werden sodann durch den Referenten, welcher, jedoch nur I zu diesem Ende der nachsten Session des andem Departements beywohnt, auch in | lezterem mit ausfiihrlicher Darlegung der Sache vorgetragen. Wo der Referent zu naherer Bestimmung seines Vortrags die HauptAnsichten | mehrerer Departements tiber eine bey ihnen miteinschlagige Sache zu vemehmen | wtinscht, da kann er sich vorlaufig mit ihnen unterreden, ehe er den Gegenstand | formlich proponirt. Auf diese Weise, oder nothigen Falls durch Konferenzen mehrerer Departements, | werden gemeinschaftliche Beschltisse zu Stande gebracht, welche mittelst Ausfertigung I von Duplicaten zu den Akten eines jeden derselben gebracht werden mtissen. Schriftliche Kommunikationen zwischen den Departements werden nicht zugelassen, I ausser in Fallen, wo ein Departement von einer bereits beschlossenen Sache, die I ihm zu wissen nothig ist, durch ein anderes Departement in KenntniB gesezt, oder I zu Verfiigungen rticksichtlich des Vollzugs veranlaBt werden muB.

1768

§12:Baden

[Dok. 188-251]

5.) Die DepartementsGeschafte werden kollegialisch behandelt, Jeder Rath hat | eine entscheidende Stimme. Die Stimmen der Assessoren sind bloB berathend. Die | [S. 469] Stimme des Direktors entscheidet, wenn mit Einrechnung derselben Gleichheit der | Stimmen vorhanden ist. Der Direktor hat das Recht, eine Sache zur Entschei= | dung an das GeneralDirektorium zu Ziehen, wenn die StimmenMehrheit seiner | Meynung entgegen ist, oder er es sonst aus irgend einer Ursache gut findet. Wo mehrere Departements zusammen treten, da entscheidet die StimmenMehr= | heit sammtlicher bey der Berathschlagung anwesender Rathe. 6.) Die Beschliisse der Departements sind von dem Referenten und dem Direktor | zu revidiren, und mit ihrem Namenszug im Concept zu unterzeichnen. In Fallen, | wo der Referent abvotirt worden ist, revidirt den BeschluB auch derjenige Rath, der | die Abvotirung veranlaBt hat. Die Ausfertigungen der in den Departements abgefaBten, und keiner hohem Er= | orterung unterliegenden Beschlusse werden von dem DepartementsDirektor unterschrie= | ben. Ausnahmsweise unterschreibt der OberforstDirektor die gedachten Ausfertigun= | gen in den von ihm vorgetragenen Gegenstanden. Auf den Revidirenden haftet vor= | ztiglich die Verantwortlichkeit fur die richtige Ausfertigung, 7.) Den Departements sind die KreisDirektorien unmittelbar, die Bezirks= und | LokalDienststellen und Diener aber mittelbar untergeordnet. Sie sind befugt und verbunden in Bezug auf die ihnen angewiesene Geschafts= | Kreise von Zeit zu Zeit Visitationen dieser Dienste, auch nach Befinden summari= [ sche Untersuchungen gegen die Diener, welche sie bekleiden, anzuordnen, und wenn | sich Unordnungen vorfinden, Leztere, jedoch mit Ausnahme der KreisDirektoren, we= | gen welcher das Geeignete bey dem GeneralDirektorium vorzuschlagen ist (Nro. 21. | o.) bis zu 25 Rthlr. an Geld, oder Htagigem Arrest zu strafen, auch die Su= | spension vom Amt, aber nicht vom Gehalt, gegen sie zu verhangen; sie sind aber | nicht verbunden, liber die Suspension zu erkennen, sondem sie konnen das Erkennt= | niB hiertiber den Hofgerichten, welchen das StrafErkenntniB zusteht, unter Abgabe | der UntersuchungsAkten tiberlassen. 8.) Die MinisterialVerwaltung des Innem vereinigt sich in dem GeneralDirekto= | rium, in welches die wichtigem Gegenstande der innem Verwaltung theils zur end= | lichen Entscheidung, theils zur weitem Berathschlagung gelangen. Dasselbe soil be= I stehen: aus dem Minister als Prasidenten, dem GeneralDirektor als VicePrasiden= I ten, den sammtlichen Direktoren der Departements, oder bey deren Verhinderung | [S. 470] den ViceDirektoren, oder den altesten Rathen derselben, und aus dem GeneralSe= | kretar, der zugleich KanzleyVerwalter ist. Nach Beschaffenheit der im GeneralDirektorium vorkommenden Geschafte konnen | auch die betreffenden DepartementsReferenten zur AuskunftsErtheilung dariiber in | dasselbe berufen werden. 9.) Die Departements erstatten keine Antrage oder Berichte an das GeneralDi= | rektorium, sondem sie geben in den geeigneten Fallen bloB die Entwiirfe ihrer Be= | schliisse mit den Akten an dasselbe. Das GeneralDirektorium gibt nach geschehener | Berathschlagung die Beschliisse mit RandBeysatzen, welche die Genehmigung, oder | die gutgefundene Verandemngen enthalten, wieder zurtick; dieselbe werden sodann | bey den betreffenden Departements mit ausdrticklicher Erwahnung der im General= | Direktorium gefaBten EntschlieBung ausgefertigt, zur Unterschrift des Ministers oder | in dessen Abwesenheit des GeneralDirektors vorgelegt und abgelassen. Das GeneralDirektorium halt demnach keine besondere Akten. Seine fortlau= | fenden SessionsProtokolle in den wenigen Geschaften, welche nicht durch die Depar= | tements laufen, werden bey den Akten des LandeshoheitsDepartements aufbewahrt.

[202] Organisationsreskript vom 26. November 1809

1769

10.) Im GeneralDirektorium entscheidet die StimmenMehrheit seiner Mitglieder. | Nur bey vorkommenden Beschwerden gegen ein MinisterialDepartement hat der Di= | rektor desselben keine Stimme. Wenn Stimmengleichheit, mit Einrechnung der Stim= I me des Ministers, vorhanden ist, so wird der BeschluB nach des letztem Meynung | gefaBt. Der Minister ist befiigt, eine Sache zur Entscheidung an die allgemeine Ministerial= I Konferenz (Nro. 37.) zu bringen, wenn die StimmenMehrheit seiner Ansicht ent= I gegen ist, oder er es sonst aus irgend einer Ursache gut findet. 11.) Der Minister kann nach Gutfinden zu jeder Zeit die Sessionen der einzelnen | Departements besuchen, und dabey den Vorsitz ftihren. Er kann jedoch nur in eilenden Fallen iiber Gegenstande, welche der Regel nach | zur Entscheidung in die Departements, oder an das GeneralDirektorium gewiesen | sind, fur sich allein EntschlieBungen fassen, muB jedoch die Sache in der nachsten [ Sitzung vorlegen. Er kann und soil von Zeit zu Zeit von den Geschaften der einzelnen Departements | [S. 471] Einsicht nehmen, und, ohne die Antrage des Departements zu erwarten, aus eige= | nem Antrieb, das was er fur gut halt, in Bewegung bringen, und tiberhaupt alles | dasjenige veranstalten und vollziehen, was zu einem lebhaften GeschaftsUmtrieb, zu | einer vollstandigen und griindlichen GeschaftsBehandlung, zu Aufstellung und Be= | obachtung sachgemaBer, gleicher und fester Grundsatze in dem seiner Aufsicht anver= | trauten Theile der StaatsVerwaltung gehort, wofur er auch Uns zunachst verant= | wortlich ist. 12.) Der VicePrasident oder GeneralDirektor besorgt in Abwesenheit, oder bey | Verhinderung des Ministers alle Geschafte desselben mit gleicher Vollmacht, wohnt | auch in diesem Fall den MinisterialKonferenzen bei. Er ist, so wie der Minister, befugt und verbunden, die Sessionen der einzelnen | Departements nach Gutfinden jeweils zu besuchen und ihnen vorzusitzen. Er hat die Obliegenheit, die von den Departements jedes Quartal zu iibergebende | Exhibitions^ und ResolutionsProtokolle, worinn bey jeder Nummer die Erledigung I der Geschafte mit kurzen Worten: z. E. „angenommen", „abgeschlagen", beyzusetzen | ist, durchzugehen, und seine Bemerkungen dartiber in der Sitzung des GeneralDirek= | toriums vorzutragen. Er hat die nahere Aufsicht liber das unter dem Ministerium des Innem ste= j hende Archiv, und liber die Kanzley. Er hat liberhaupt, so wie die Minister, auf Gleichheit der Grundsatze und auf [ schnelle und grlindhche Erledigung der Geschafte in ihrer Form und in ihrem Wesen I zu sehen. 13.) Die an das Ministerium des Innem sich eignenden Berichte und Vorstellun= | gen werden in der Aufschrift bestimmt an dasjenige Departement gerichtet, wohin sie | nach ihren Gegenstanden gehoren, oder an das GeneralDirektorium, wenn der | Gegenstand sich nicht zu einem Departement eignet, oder wenn liber GeschaftsVer= | zogerung eines Departements geklagt, oder der Rekurs von seinen EntschlieBungen I ergriffen wird. 14.) Der GeschaftsKjeis der Departements beginnt erst da, wo der Geschafts= | Kreis der KreisDirektorien aufhort. Ein Geschaft kann sich daher nur alsdann zu | ihrer Behandlung eignen, wenn es durch Berichte und Anfragen der KreisDirekto= | rien, oder durch Rekurse von ihren EntschlieBungen, an sie gelangt, oder wenn des= | [S. 472] sen Erledigung die Vollmacht der KreisDirektorien libersteigt. Nur unter dieser Vor= 1 aussetzung und Bedingung werden den verschiedenen Departements ihre Wirkungs= | Kreise in Folgendem angewiesen:

1770

§12:Baden

[Dok. 188-251]

15.) Das LandeshoheitsDepartement besorgt die CentralLeitung: a.) riicksichtlich der Strafgerichtsbarkeit: in den Lit. C. Nro. 14. 61. Lit. D. | Nro. 9. bezeichneten Fallen; b.) riicksicht der Regiminalsachen: in den Lit. C. Nro. 19. und Lit. D. Nro. \ 10. bemerkten Gegenstanden, so weit die dort unter a. und c. angefiihrten nicht | zur Behandlung bey dem Ministerium der auswartigen Verhaltnisse sich eignen: c. et d.) rucksichtlich der Gewerbs= und Zunftsachen: liber die hieher gehorige | Geschaftsfuhrung der KreisDirektorien und Aemter; (Lit. C. Nro 21. und Lit. | D. Nro. 13.) Femer besorgt dieses Departement: e.) die Austibung der Strafgerichtsbarkeit erster Instanz liber die Grundherren | und die von den Ministerien patentisirten Diener, in den Fallen, welche die Voll= | macht der KreisDirektorien libersteigen (Lit. D. Nro. 9. b.) sich aber nicht zum hof= I gerichtlichen ErkenntniB eignen. f.) Die Oberaufsicht liber das Kirchen= und Schulwesen der Wiedertaufer, Juden | und anderer ReligionsPartheien, die nicht unter die kirchlichen Departements Nro. I 1. d. e. gehoren. g.) Die Kommunikationen mit dem KriegsMinisterium wegen Truppenverlegun= | gen, Einquartirungen, Entlassungen von MilitarPersonen und dergleichen. h.) Die unter Rlicksprache mit dem LandesOekonomieDepartement zu bewirken= | de Austheilung der Kriegskosten auf die Kreise und Aemter, und die Prtifungen der I KriegskostenRechnungen. Diese Geschafte bleiben in Betreff der bereits ausgeschla= | genen Kriegskosten in der Pfalz dem dortigen KriegsSeparat, weswegen auch diese | Stelle, so lange bis die gedachten Kriegskosten vollstandig erhoben, und die Rech= | nungen dariiber berichtigt seyn werden, ihrer Existenz und ihren WirkungsKreis be= | halt. i.) Die Postsachen, nach den desfalls mit dem Herm Flirsten von Taxis bestehen= | den Verhaltnissen. k.) Die Redaction des Regierungsblatts, die Einrichtung der zu obrigkeitlichen | Bekanntmachungen an das Publikum bestimmten offentlichen Blatter, [S. 473] 16.) Das LandespolizeyDepartement besorgt die CentralLeitung: a.) riicksichtlich der Sicherheitspolizey: in alien Lit. C. Nro. 22. und Lit. D. | Nro. 14. bemerkten Gegenstanden; b.) riicksichtlich der ArmenPolizey: in alien Lit. C. Nro. 24. und Lit. D. Nro. | 16. bemerkten Gegenstanden; c.) riicksichtlich der GesundheitsPolizey: in alien Lit. C. Nro. 23. 43. 44. und | Lit. D. Nro. 15. bemerkten Gegenstanden. Dasselbe besorgt femer: d.) die Aufsicht liber die Gefangnisse und Zuchthauser, ingleichem e.) liber die flir das ganze Land, oder groBere LandesDistrikte bestimmte Spitaler, | Waisen= Siechen= Irren=Hauser, Stiftungen, WittwenCassen und andere ahnliche I Fonds, welche ausschlieBlich, oder vorzliglich zu Untersttitzung der Bedlirftigen be= | stimmt sind; die Prokuratur flir dieselben; die Anordnung ihrer RechnungsAbhor, | der Fertigung ihrer Etats und der Tabellen liber ihren Bestand, dessen Mehmng | oder Minderung und die Ursachen davon; die Anstellung des zu diesen Anstalten ge= | horigen SubaltemPersonals, und zwar, so weit dabey auf MilitarPersonen Rlick= | sicht genommen werden muB, unter Kommunikation mit der Militarbehorde; die | Aufhahme der Bedlirftigen in dieselbe; die Austheilung der Unterstlitzungen aus die= | sen Fonds, wobey, so weit es ihre Natur und Bestimmung zulaBt, der Austheiler | nicht auf einzelne

[202] Organisationsreskript vom 26. November 1809

1771

Personen, sondem auf Kreise zur DetailVerwendung fur die Kreis= | Direktorien (Lit. D. Nro. 16. c.) zu machen ist. Die zweck= und stiftungsmaBige \ Verwendung der von den KirchenDepartements jahrlich aus geistlichen Fonds zu Un= I tersttitzungen zu bestimmenden Summen. f.) Die LizenzErtheilung an hohere GesundheitsBeamte, als Aerzte, Wundarzte, | Hebarzte, ThierAerzte, Apotheker; Die Ftihrung eines GeneralVerzeichnisses tiber | sammtliche hohere GesundheitsBeamte, nach Anleitung der PhysikatsOrdnung §. 28; | die Vorschlage wegen allgemeinen Anstalten und Anordnungen im Medizinalwesen; | Die zweckmaBige Einrichtung und Emporbringung der Bader im Land. g.) Die Fertigung der jahrlichen GeneralAb= und ZuschreibTabelle der Brand= | versicherungsAnschlage; Die Bestimmung der BrandEntschadigungen, und Ober= I Aufsicht auf deren zweckmaBige Verwendung; die jahrliche Abhor der GeneralRech= | nung; die AntragsErstattung tiber die jahrlich zu erhebende Ausschlage zum Behuf | des BrandschadensErsatzes. [S. 474] 17.) Unter diesem Departement stehet die SanitatsKommission, welche aus Aerz= | ten besteht. Dieselbe prtift alle Kandidaten, die sich zur Praxis in den oben Nro. \ 16. Lit. f. bemerkten Fachem melden, legt den PriifungsErfund dem Departement | zur Entschliessung vor, erstattet tiberhaupt aufgefordert oder auch unaufgefordert | von Amtswegen an dasselbe ihre Berichte riicksichtlich aller derjenigen Gegenstande, | welche in der medizinischen Polizey zum Wissenschaftlichen der Arzney= oder Wund= I Arzney= und ApothekerKunde gehoren, und voUzieht die von dem Departement an I sie gelangenden Auftrage. Sie steht mit den untem und mittlem administrativen und | exekutiven Behorden in keiner unmittelbaren Verbindung. Ein Mitglied der SanitatsCommission besorgt als MedizinalReferent im Depar= | tement personlich den Vortrag iiber jene Gegenstande und tiber alles das, worinn er I allein zum Gutachten aufgefordert wird, und hat in dieser Hinsicht in demselben Sitz I und Stimme. 18.) Das LandesOekonomieDepartement besorgt die oberste Leitung: a.) Der StaatsWirthschaft im Allgemeinen, in den Lit. D. Nro. 17. bemerkten | Gegenstanden, wobey es aber in alien Maasnahmen, welche nicht bloB einzelne | Personen oder Gemeinden, sondem grossere Distrikte umfassen und auf den Gang I der LandesCultur, der Gewerbe oder Handlung in einer LandesGegend EinfluB ha= | ben, besonders wenn die Frage nicht bloB von Erhaltung bereits bestehender, son= | dem von Errichtung neuer Anstalten, z. B. Anlegung neuer LandstraBen, betracht= | licher FluBbauten, Flozereyen u. dergl. die Frage ist, benehmlich mit dem Staats= | wirthschafts= und DomainenDepartement des FinanzMinisteriums zu Werk zu ge= | hen, auch demselben die von den KreisDirektorien zu gebende Uebersichten tiber die | LandesCultur, den Viehstand die Ein= und Ausfuhr der Produkte mitzutheilen hat. b.) Die GemeindsOekonomie insbesondere in den Lit. B. Nro. 18. 19.. Lit. C. | Nro= 25. Lit. D. Nro. 18. benannten okonomischen Geschaften. In Sachen, welche in das Wissenschaftliche der ForstWirthschaft einschlagen, besorgt | der im Staatswirthschafts= und DomainenDepartement angestellte OberForstDirektor | oder ForstRath das Respiciat, und hat in Hinsicht der gedachten Gegenstande auch hier | Sitz und Stimme. 19.) Unter diesem Departement stehen die Ingenieurs, welche fiir alle diejenige | Gegenstande aufgestellt sind, die auf das Artistische des Strassen= Brticken^ und Wasser= | [S. 475] Baues, der LandVermessungen, der Behandlungen der Maas= und GewichtsPolizey, | Bezug haben.

1772

§ 12: Baden

[Dok. 188-251]

Sie bestehen aus dem OberLandesIngenieur und dessen Gehiilfen fiir das ganze | Land, aus den Kreislngenieurs fur die Kreise, aus den Distriktslngenieurs, Lan= | desCommissarien und Geometers fur die Distrikte. Der OberLandesIngenieur besorgt bey dem LandesOekonomieDepartement den Vor= I trag liber obige Gegenstande und hat in dieser Hinsicht in demselben Sitz und I Stimme. Er kann aber auch von andem Ministerien und Departements in Geschaften, | wozu seine artistischen Kenntnisse erforderlich sind, zu Rath gezogen werden, und | Auftrage von denselben, jedoch nur mit Vorwissen des LandesOekonomieDeparte= | ments, erhalten. Dieses leztere erstattet die Antrage liber die Besezung aller zum IngenieurFach | gehorigen Stellen. 20.) Das katholische Kirchliche Departement besorgt: a.) die OberAufsicht auf die Amtsfiihrung der katholischen Geistlichen und der | Bezirks= und KreisBehorden in alien den Staat beriihrenden katholischen Kirch= I lichen Sachen. (Lit. C. Nro. 47. 48. 49. Lit. D. Nro. 11.) Die Wahrung der Landesherrlichen Rechte in katholischen Kirchensachen gegen I Eingriffe anderer Staaten, oder fremder geistlicher Gewalten, die Erhaltung der | katholischen LandesGeistlichkeit in den derselben vom Staat, kraft der Souveraine= | tatsRechte, angewiesenen Schranken, die Wachsamkeit darauf, daB durch katholische | Kirchliche Einrichtungen nichts geschehe, was den Grundsatzen des Staats, dem | Wohl der Unterthanen und einer wahren religiosen Aufklarung hinderlich ist. b.) Die Aufsicht liber die Prlifung der katholischen geistlichen Kandidaten. Die | Ertheilung der Landesherrlichen TafelTitel und der RezeptionsScheine. Die Besetzung I der Kaplaneyer. Die Flihrung der Verzeichnisse liber die Landesherrliche Titu= | laren, liber die rezipirte katholische geistliche Kandidaten, liber sammtliche bedien= | stete katholische Geistliche im Lande. c.) Die Oberaufsicht auf alle katholische Lehr= und ErziehungsAnstalten; die | Prlifung ihrer Lehr=Plane und AntragsErstattung liber die rathlich erachtete | Verandemngen derselben; die AntragsErstattung liber die Vergebung der Stipen= | [S. 476] dien und Freyplatze; liber die Besetzung der niedem LehrStellen bey katholi= I schen Padagogien, Gymnasien und Lyzaen; die Flihrung der General Verzeichnisse | liber sammtliche katholische SchulKandidaten, Schulmeister und hohere Lehrer. d.) Die CentralLeitung der Verwaltung aller den Katholischen zustehenden Fonds, | welche zu kirchlichen, oder den offentlichen Unterricht betreffenden Zwecken, nament= | lich zu Besoldungen der Kirchen= und Schullehrer, zu gottesdienstlichen Erforder= | nissen, zur Erbauung und Unterhaltung der Kirchen= Pfarr= und Schulhauser, | zu Stipendien und dergleichen, dermalen bestimmt sind, oder in der Folge werden | bestimmt werden; die Oberaufsicht liber die hieher gehorige Amtsfiihrung der Ver= | rechner, AmtsRevisorate, Aemter, KreisDirektorien rlicksichtlich der Local= und | kleinem BezirksFonds (Lit. C. Nro. 58. Lit. D. Nro. 19.) die unmittelbare 1 Aufsicht liber diejenige oben bemerkte Fonds, welche ihrer Bestimmung nach auf | das ganze Land, oder groBere Landestheile sich erstrecken. Die AntragsErstattung wegen Bestimmung der aus dergleichen Fonds nach | Beschaffenheit der StiftungsGesetze jahrlich an Bedlirftige abzugebenden Unter= I stlitzungsSummen, und ihre Anweisung an das LandesPolizeyDepartement zur Ver= [ wendung, die Besorgung der Prokuratur fiir die gedachten Fonds, die Anordnung | ihrer RechnungsAbhor, die Fertigung ihres Etats und

[202] Organisationsreskript vom 26. November 1809

1773

der Tabellen iiber ihren | Bestand, dessen Mehrung oder Minderung, und die Ursachen davon. So weit forstwirthschaftliche Gegenstande vorkommen, hat auch hier der Forst= I Referent des StaatsWirthschafts= und DomainenDepartements Vertrag, Sitz und I Stimme. 21.) Das Evangelische Kirchliche Departement ist fur die Evangelisch=Lutherische | und fiir die Evangelisch=Reformirte zugleich bestimmt, welche in StaatsRticksicht | nicht als getrennte Theile betrachtet werden. Es besorgt bey denselben a.) in Hinsicht auf die StaatsBerechtigungen iiber die Kirche: alles dasjenige, | was das katholische KirchenDepartement in Betreff dieses ReligionsTheils zu besor= I gen hat, auf die Nro. 20. vorgeschriebene Weise, und kommunizirt mit demselben | in Allem, was gemeinschaftliche Anstalten und Fonds betrifft, also, daB es die | dahin einschlagige Gegenstande zuerst bearbeitet. Es besorgt femer [S.477] b.) In Hinsicht der dem Landesherm tiber die Evangelische ReligionsTheile | zustehenden kirchlichen Rechte: die innere KirchenRegierung in ihrem ganzen | Umfang. Unter diesem Departement steht die evangelische KirchenCommission, welche aus Geistli= I chen beider evangelischen Konfessionen besteht. Die Gegenstande ihrer Obsorge sind: | die Priifung der evangelischen geistlichen Candidaten, und die Erstattung der Berichte und | Gutachten tiber dasjenige, was in das Wissenschaftliche des Theologischen und Schulfachs | einschlagt. Sie steht gegen das evangelische KirchenDepartement in eben demselben Verhalt= | niB, wie die SanitatsCommission gegen das LandespolizeyDepartement. (Nro. 17o) | Zwey Mitglieder derselben, eines evangelisch=lutherischer und eines reformirter Religion | besorgen personlich den Vortrag im Departement tiber jene Gegenstande und tiber alles | das, worinn sie allein zum Gutachten aufgefordert werden. Sie haben in dieser Hinsicht | in demselben Sitz und Stimme. 22.) Das GeneralDirektorium hat folgende Gegenstande und Geschafte zu | besorgen: a.) Die Priifung der von jedem Departement im Anfang jeden Jahrs zu geben= | den Uebersicht iiber die von ihm vorhergehenden Jahr besorgte GeschaftsFiih= | rung, die Fertigung einer jahrlichen GeneralUebersicht iiber die GeschafsBehand= | lung dieses Ministeriums. b.) Die Bestimmung der Gmndsatze iiber die Behandlung der Geschafte iiber= | haupt, Oder einzelner GeschaftsZweige. c.) Die Vorschlage iiber Gesetzgebung in den zur Besorgung dieses Ministeriums | gehorigen Fachem. d.) Die Vorschlage iiber entscheidende Maasregeln gegen Auswartige in Sachen, | welche die Rechte des Staats und des Regenten betreffen, nach Befinden unter | Riicksprache mit dem Ministerium der auswartigen Angelegenheiten. e.) Die Entscheidung in Fallen, wo mehrere Departements verschiedener Mey= | nung sind, oder wo von dem Departements=Direktor rathlich gefunden wird, die I EntschlieBung des GeneralDirektoriums einzuholen. f) Die Erkennung auf LokalKommissionen, wenn ein DepartementsMitglied | dazu emannt werden soil. g.) Die Entscheidung in RekursFallen von den EntschlieBungen der Departements. h.) Die Vorschlage uber neue Einrichtungen in irgend einem Zweige der Ver= | waltung des Innem. i.) Die Besetzung der zur Bailey dieses Ministeriums gehorigen KanzHsten= und | KanzleyDienersStellen. k.) Die Bestatigung der Standes= und gmndherrlichen Beamten.

1774

§ 12: Baden

[Dok. 188-251]

1.) Die Vorschlage wegen Besetzung der zum IngenieurFach gehorigen Stellen, | femer der Physikate, der LandChirurgen und OberhebAerzte, der Pfarreyen, der I Dekanate, der hohem Lehrstellen an Mittelschulen, nemlich Gymnasien, Pada= I [S. 478] gogien und Lycaen, der Verwaltungen grosserer weltlicher oder geistlicher milder | Stiftungen und Anstalten, der ZuchthausVerwaltungen. m.) Die Entschliessungen auf UrlaubsGesuche der bey und unter diesem Ministe= | rium stehenden Diener, so weit sie die Vollmacht der KreisDirektoren iibersteigen. I (Lit. D. Nro. 4.) n.) Die EntschlieBung auf HeyrathsGesuche der Bezirks= Kreis= und Ministe= | rialDiener, welche durch dieses Ministerium oder auf dessen Antrage ihre Anstel= I lung erhalten. 0.) Die Bestrafiing der bey diesem Ministerium angestellten und der ihm unter= | geordneten weltlichen und geistlichen Diener wegen DienstNachlaBigkeiten oder I Unordnungen, welche in dessen GeschaftsKreis einschlagen, so weit die Strafen die | Vollmacht der KreisDirektorien (Lit. D. Nro. 4.) und der Departements (Lit. F. | Nro. 7.) tiberschreiten, sich aber nicht zu hofgerichtlichen Erkenntnissen eignen. p.) Die Entlassung der unter diesem Ministerium stehenden Lokaldiener, die den | Dienst neben einem btirgerlichen Gewerb treiben, wegen DienstUnfahigkeit, oder I DienstUnordnungen, ohne vorausgegangenes RechtsErkenntniB, soweit die Kreis= | Direktorien nicht dazu bevollmachtigt sind. (Lit. D. Nro. 4.) q.) Die Antrage wegen DienstEntlassung hoherer, oder vom Dienst allein leben= | der, diesem Ministerium untergeordneter Diener in ahnlichen Fallen. r.) Die BesoldungsRegulirung der unter diesem Ministerium stehenden Lokal= | Dienste, soweit die Besoldungen aus Lokal=Cassen zu bestreiten sind. Vorschlage tiber Aufstellung neuer Dienste, oder wegen BesoldungsRegulirung I solcher Dienste, deren Besoldungen auf Staats= oder BezirksCassen fallen, nach I Befinden unter Rticksprache mit dem FinanzMinisterium. s.) Die Vorschlage wegen Ertheilung von Pensionen oder ausserordentlichen | Gratifikationen aus den unter diesem Ministerium stehenden Cassen, oder aus | Staats= und Landesherrlichen Cassen, jedoch bey diesen unter Rticksprache mit dem I FinanzMinisterium. t.) Die Freylassung von Staats= und GemeindsLasten, z. B. MilitarDiensten, | Landes= oder GemeindsFrohnden, Kriegs= und andem Contributionen in Fallen, I [S. 479] welche sich nicht durch Gesetze oder Observanz, sondem aus bloBen Billigkeits= | Griinden dazu eignen. u.) Die Dispensation von Gesetzen, welche die allgemeine Befolgung zum Haupt= I zweck haben, in Bezug auf die dem Ministerium des lunem anvertraute Ver= | waltungsGegenstande. V.) Die Privilegien=Ertheilung, so weit sie in den GeschaftsKreis dieses Minister | riums einschlagen. w.) StaatsbtirgerAnnahme solcher Personen, die nicht in eine bestimmte | Gemeinde aufgenommen werden. X.) Die Verleihung von Gewerbs= und HandelsFreiheiten, Marktberechtigungen, | unter Rticksprache mit dem FinanzMinisterium. y.) Die Entschliessung tiber die BeitragsAusschlage auf die Unterthanen zur | Brandversicherung, zur Unterhaltung der Zucht= Arbeits= WaisenHauser und | anderer StaatsAnstalten, zu KriegsContributionen, zu den AmtsCassen. z.) Die Nachlasse von Schuldigkeiten der Unterthanen in die unter diesem | Ministerium stehende Fonds, welche sich weder auf RechtsGrtinde, noch auf ganz= | liche Unvermogenheit der Debenten, sondem auf bloBe Billigkeit griinden,

[202] Organisationsreskript vom 26. November 1809

1775

weiin I sie den Betrag von 25 fl. tibersteigen. Vorschlage dariiber, wenn sie mehr als | 150 fl. in einem Fall betragen. aa.)Die Uebergabe neuer nicht schon EtatsmaBiger standiger Ausgaben auf | die gedachten Fonds von mehr als 25 fl., oder Verwendung von Erspamissen zu | andem Zwecken, als zur Vermehrung des Fonds, wenn sie 150 fl. tibersteigen. bb.)Die Genehmigung von Liegenschafts=Gult= und ZehendVerausserungen dieser I Fonds, auch Aufhebung des ErblehenVerbands, Ertheilung neuer Belehnungen | an Personen, die nach den alten ErblehenBriefen nicht dazu berechtigt sind. cc.)Die EntschlieBung iiber KapitalAufhahmen derselben, oder Ablosung nicht | wieder anzulegender Kapitalien, wenn die Summe tiber die Halfte der jahrlichen I Einkiinfte des Fonds betragt, und dazu noch bey GemeindsFonds die Gemeinde | entgegen ist; deBgleichen tiber neue Bauwesen in eben demselben Fall. dd.)Die Uebemahme neuer oder zweifelhafter Verbindlichkeiten auf die gedachte | Fonds, oder Abstand von zweifelhaften Berechtigungen derselben. Die Vorschlage I [S. 480] tiber Abandemngen in der Verwendung einer Stiftung; die Genehmigung der | hierauf Bezug habenden Vergleiche. ee.)Die Vergebung von Stipendien, so weit dieselbe nicht vermoge der Stif= | tungsGesetze andem zusteht. ff.) Die Genehmigung aller im Lande bey Unter= und MittelSchulen einzu= | fuhrenden LehrPlane. gg.)Die Besorgung der Obercuratel tiber die beyden LandesUniversitaten. hh.)Die Durchgehung der von den Departements jahrlich zu erhebenden | GeneralTabellen und Uebersichten: a.) tiber die Bevolkerung; p.) tiber die LandesKultur; y.) tiber die Forstwirthschaft der Gemeinds= und StiftungsWaldungen; 5.) tiber den Viehstand; s.) tiber Ein= und Ausfuhr der Produkte; ^.) tiber die unter diesem Ministerium stehende weltliche und geistliche Diener= | schaft und ihre Besoldungen; Tj.) tiber die Candidaten zu welt= und geistlichen Diensten in alien unter diesem I Ministerium stehenden GeschaftsFachem; 0.) tiber den Bestand sammtlicher unter seiner unmittelbaren und mittelbaren | Aufsicht stehenden Fonds und Gas sen. II. Ministerium der Finanzen. 23.) Das FinanzMinisterium theilt sich nach den Gegenstanden seines Wirkungs= | Kreises in drey Departements; nemlich: a.) das StaatsWirthschafts= und Domainen=Departement; b.) das Steuer=Departement; c.) Das Cassen=Departement. Diese Departements werden ganz eben so wie die MinisterialDepartements des In= I nem besezt (Nro. 2.), sie haben, so wie leztere, eine gemeinschaftliche Ministerial= | Kanzley, ihre innere Einrichtung ist die nemliche, auch stehen sie unter sich, gegen | die untere und mittlere Stellen, gegen ihr GeneralDirectorium, und gegen den Mi= | nister, ganz in denselben Verhaltnissen (Nro. 3. bis 14.) wie jene.

1776

§ 12: Baden

[Dok. 188-251]

[S. 48IJ 24.) Das Staatswirthschafts= und Domainen=Departement besorgt a.) gemeinschaftlich mit dem LandesOekonomie^Departement des Ministeriums | des Irmem die CentralLeitung der Landwirthschaft, der Gewerbe, und des Han= I dels, nach den Nro. 18. a. enthaltenen Bestimmungen. Es hat, concurrirend mit | jenem, die erste Einleitung zur Beforderung des Flors dieser Nahrungszweige. Es | fiihrt die Oberaufsicht. b.) auf die landesherrlichen Kammergtiter, Gebaude, Erb= und Schupf=Lehen, 1 Waldungen, Jagden, Schafereyen, Fischereyen, Bergwerke, Goldwaschen, Zehn== I den, Zinse, Giilten, Bannwein, und tiberhaupt auf alle diejenigen herrschaftlichen | Einkunfte, welche von Liegenschaften zu erheben sind, mit Ausnahme der Steuem. c.) Auf alle aus der Grundherrschaft oder dem Erbpflichtigkeits=VerhaltniB | flieBende landesherrliche Einnahmen und nuzbare Rechte, wie z. B. Erbschilling, | Todfall, Handlohn, Erbentlassungs= und AbzugsGebiihren, Pachtgelder und Re= I cognitionen von Gewerben, Herrschaftsfrohnden und dergleichen. Ihm kommt daher d.) Die CentralLeitung liber die Gegenstande zu, welche Lit. C. Nro. 56, h. | bis n. r. s. Nro. 61. 62. Lit. D. Nro. 19. c. e. bis q. Nro. 23. und 24. | benannt sind, so weit sie die Einkunfte der Landesherrschaft betreffen, mit Aus= | nahme der Recurse gegen Forst und Jagdfrevelthadigungen. Dasselbe besorgt e.) Die Friifung der Candidaten in alien Theilen des Kameralfachs, nament= | lich auch im Forst= und Bauwesen und die Annahme derselben. Es besezt f) die sammtlichen landesherrlichen niedem Forstdienste. Es besorgt g.) die landesherrliche Fiscalprokuratur in Prozessen, welche bey den Hofgerich= | ten oder dem Oberhofgericht gefiihrt werden, und h.) die Aufsicht tiber das Miinzwesen. Der OberforstDirektor hat in diesem Departement den Vortrag iiber diejenige Ge= | genstande, welche in das Wissenschaftliche und Technische des Forst= und Jagdwe= I sens, so weit es die landesherrlichen Waldungen und Jagden betrifft, einschlagen. | In dieser Hinsicht ist er demselben vorztiglich zugetheilt. Er bearbeitet auch dieselben Gegenstande, so weit sie andere als landesherrliche | Waldungen betreffen, fur die geeigneten Departements des Ministeriums des Innem. Er ist fur die gedachten Gegenstande Mitglied der GeneralDirektorien beyder Mi= | [S. 482] nisterien des Innem und der Finanzen, und hat den Rang mit den Departements= | Direktoren nach der Zeit seiner Bestallung. Zur Erleichtemng des OberforstDirektors und zur DienstBesorgung in Verhinde= | rungsfallen desselben, kann noch ein Forstrath als zweiter Referent in Forst= und | Jagdsachen angestellt werden. Dem Finanzminister ist es tiberlassen, wenn er es zu Forderung der Geschafte zu= | traglich findet, zu Behandlung des Forst= Jagd= Berg= Htitten= und Salinenwe= | sens eine besondere Sektion von Rathen des Staatswirthschafts= und DomainenDe= I partements zu bilden. 25.) Unter diesem Departement stehen alle bey dem Landbauwesen angestellten | Diener. Sie bestehen aus dem Oberbaudirektor und dessen Gehtilfen ftir das ganze Land, | aus den KreisBaumeistem far die Kreise, und aus den DistriktsBaumeistem fiir | die Distrikte. Der Oberbaudirektor ist Mitglied des Staatswirthschafts= und DomainenDepar= | tements. Er hat iiber alle Gegenstande, die in das artistische des Bauwesens ein= |

[202] Organisationsreskript vom 26. November 1809

1777

schlagen, seine Berichte sowohl von Amtswegen als auf erhaltene Auftrage dieses | Oder anderer MinisterialDepartements zu erstatten, auch nach Umstanden miindlich I in denselben zu referiren. In dieser Hinsicht hat er rucksichtlich obiger Gegenstan= | de auch in andem Departements Sitz und Stimme. 26.) Das SteuerDepartement hat die Oberaufsicht liber die Reguhrung und Er= | hebung aller landesherrlichen direkten und indirekten Steuem. Dasselbe hat demnach a.) tiber die Bestimmung des jahrlichen Bedarfs und des Vertrags der hiemach | auszuschlagenden direkten Steuem gemeinschaftlich mit dem CassenDepartement | den Antrag zu erstatten. b.) Nach erfolgter Bestimmung die Steuerausschreiben zu erlassen und die | Erhebung zu befordem. c.) Die Plane tiber die allgemeine Gleichstellung der direkten Steuem im Gros= | herzogthum, unter Benutzung der bereits zu diesem Ende gefertigten Vorarbeiten, I unverweilt zu entwerfen, und zu hoherer Berathschlagung vorzulegen. d.) Seiner Zeit nach erfolgter EntschlieBung hiertiber dieses ganze Geschaft zu | leiten und zum Vollzug zu fordem. [S. 483] e.) Die Anstalten zu Erhebung der indirekten Abgaben, nemlich des Land= und | Wasserzolls, des Accises und Pfundzolls, des Salzregals, des Ohmgelds, der | Stempel= und anderen Taxen und Sporteln zu handhaben und zu verbessem. f.) Die Entwtirfe tiber die neue Regulimng dieser Abgaben, wo sie nothig ist, | mit Rticksicht auf die Handels= und Gewerbsverhaltnisse der verschiedenen Landes= I theile, und, so weit sie die Taxen, Sporteln und Stempelpapier betreffen, un= I ter Riicksprache mit dem JustizMinisterium, zu fertigen, zu hoherer EntschlieBung I vorzulegen, und die getroffenen Anordnungen hiertiber seiner Zeit zu vollziehen. g.) Die Anstande der Contribuenten wegen der Beitragsschuldigkeit und Bei= | tragsQuoten zu direkten und indirekten landesherrlichen Steuem in Bemfungsfal= I len zu erledigen (Lit. D. Nro. 8. c); auch auf die Berichte und Anfragen der I KreisDirektorien in Bezug auf die gedachten Steuem EntschlieBung zu fassen. 27.) Das CassenDepartement besorgt die CentralLeitung des ganzen herrschaftlichen | Rechnungs= und CassenWesens. Es hat daher a.) die OberAufsicht tiber alle diejenige Geschafte, welche in der Beilage-Lit. | C. Nro. 56. a. bis d. p. q. t. bis w. - Lit. D. Nro. 19. b. c. d. r. s. t. u. | bemerkt sind, wodurch indessen den beyden andem Departements dieses ]V[inisteri= | ums die BefugniB und Obliegenheit nicht benommen ist, an dieser OberAufsicht, | so weit sie in die Gegenstande ihrer Obsorge einschlagt, Theil zu nehmen. Dassel= I be hat femer b.) einen Entwurf einer allgemeinen Rechnungslnstmktion nicht nur fiir die | herrschaftliche, sondem auch fiir sammtliche Verrechnungen offentlicher Cassen zu I fertigen und zu hoherer EntschlieBung vorzulegen, und wenn diese erfolgt seyn | wird c.) die Einleitung zu einer gleichformigen Behandlung des Rechnungswesens | bei alien offentlichen Gassen des Landes zu treffen; auch d.) liegt ihm ob, fur alle landesherrliche Verrechnungen, nach genauer Priifung | und Vergleichung ihrer Einnahmen und Ausgaben mit den Belegen, bestimmte 1 Etats zu fertigen, und eine jede dadurch von dem, was sie zu jeder Zeit zu emp= I fangen und zu leisten hat, in KenntniB zu sezen, diese Etats den Rechnungsju= I stificaturen und Finanzbilanzen zum Gmnde zu legen und den

1778

§12:Baden

[Dok. 188-251]

KreisDirektoren zum | [S. 484] Behuf der von ihnen zu fuhrenden Controllen mitzutheilen; sie von Jahr zu Jahr | zu vervollkommnen, und e.) auch den andem, unter dem Ministerium des Innem stehenden offentlichen | Bezirks und StiftungsVerrechnungen, nach eingezogenen hinlanglichen Notizen, I nach und nach auf gleiche Weise ihre Etats vorzuschreiben; f.) steht ihm die Dekretur der unstandigen Einnahmen und Ausgaben auf herr= | schaftliche Cassen zu, so weit sie den KreisDirektorien nicht tiberlassen ist; g.) hat es die unmittelbare Aufsicht auf die GeneralCasse, deren Journal wochent= | lich von Posten zu Posten durchzugehen ist; h.) liegt ihm die Fiirsorge flir die Deckung der Bediirftiisse dieser und aller an= | dem herrschaftlichen Cassen ob. Daher hat es, i.) gleich nach dem Eintritt eines jeden RechnungsJahrs den Ueberschlag tiber | die Einnahme und die Bedtirfhisse des nachstfolgenden RechnungsJahrs zu machen, I die allgemeine Uebersicht dartiber dem GeneralDirektorium vorzulegen, und die | Mittel zu Deckung der Bedtirfinisse, namentlich die auf die direkte Steuem aus= | zuschlagende Summe oder Anzahl von Simplen gemeinschaftlich mit dem Steuer= | Departement (Nro. 26. a.) vorzuschlagen; k.) ist ihm die Besorgung des StaatsKredit= und Schuldenwesens, die Ent= | werfung, Vervollkommnung und Vollziehung der SchuldentilgungsPlane, die un= | mittelbare Aufsicht tiber die SchuldentilgungsCasse tibertragen; 1.) hat es die Aufsicht tiber die richtige Einsendung und Abhor der Dienstrech= | nungen aller landesherrlichen Cassen. 28.) Unter diesem Departement steht die RechnungsKammer, die aus einem Di= | rektor, welcher zugleich Mitglied desselben ist, und aus der nothigen Zahl von Ober= | Revisoren und Revisoren besteht. Dieselbe hat alle Priifungen und Abhoren der | Rechnungen, welche bey den Ministerien vorzunehmen sind, sie mogen Landesherrliche | oder Amts= Kirchen= Stiftungs= Gemeinds= und andere Cassen betreffen, und alle | unmittelbar dahin einschlagende Geschafte zu besorgen. Ihre Antrage, Gutachten, Entwiirfe von Notaten und RezeBErortemngen wer= | den den betreffenden Ministerien zur Entschliessung vorgelegt. Der Direktor kann in RechnungsGegenstanden auch bey andem Departements | [S. 485] und Ministerien personlich referiren und hat insoweit bey denselben Sitz und 1 Stimme 29.) Das GeneralDirektorium des FinanzMinisteriums besorgt folgende Ge= | schafte: a.) Alle oben Nro. 22. a. bis i, m bis q, s, t, x bis z, bb. bemerkten Ge= | genstande, soweit sie auf das Finanzwesen oder die Verwaltung der Staats= und | landesherrlichen Einkiinfte Bezug haben. b.) Die EntschlieBung tiber neue, aus diesen Einkiinften zu bestreitende Bau= | wesen. c.) Die Bestimmung tiber die im herrschaftlichen Selbstbau zu behaltende Doma= | nialgiiter, und die bey ihnen zu machende neue Culturversuche. d.) Ingleichem tiber Ausstockung oder Anlegung herrschaftlicher Waldungen. e.) Die Vorschlage tiber Erwerbung von Domainen, und tiber den Verkauf sol= | cher herrschaftlichen Liegenschaften, die unter der hiertiber bereits bestehenden allge= I meinen Anordnung nicht begriffen sind, oder wenn bey der Versteigemng der festge= 1 sezte KapitalAnschlag nicht erreicht wird. g.) Die Vorschlage tiber Eroffhung neuer Bergwerke, so wie h.) tiber Abschatzung oder Vermfung von Mtinzsorten und Auspragung neuer | Mtinzen, ingleichem i.) tiber die Abschliessung der SalzliefemngsContracte und Bestimmung des Salz= I preises fur die Unterthanen, femer

[202] Organisationsreskript vom 26. November 1809

1779

k.) liber jede Aendemng in den bestehenden SteuerftiBen und in der ErhebungsArt | der direkten Steuem. 1.) Die Priifung der vom SteuerDepartement vorzulegenden Plane liber die all= | gemeine Steuergleichstellung und Vorschlage dariiber. m.) Die Priifung der Entwiirfe liber Aenderungen in dem Bezng oder der Erhe= | bungsArt der indirekten Steuem und Vorschlage dariiber, n.) Die Priifung der jahrlichen Ueberschlage liber die Einnahmen und Bedlirf= | nisse des nachstfolgenden Jahres, die Vorschlage liber deren Deckung und die Art I und den Betrag der auszuschlagenden direkten Steuem. o.) Die Vorschlage liber ausserordentliche DeckungsMittel der etwa im Laufe eines I Jahrs vorkommenden unvorgesehenen Ausgaben, so wie [S.486] p.) liber GeldAufiiahmen fiir Staats= und Landesherrliche Cassen, ingleichem q.) liber die SchuldentilgungsPlane, und r.) liber Aendemng oder Aufhebung bestehender herrschaftlicher oder StaatsAbga== I ben und Lasten. s.) Die Priifung und Genehmigung der von dem CassenDepartement vorzulegenden I CassenEtats, t.) Die wochentliche Einsicht des Bestands der GeneralCasse, desgleichen der Schul= I dentilgungsCasse, u.) Die Besetzung der zur Bailey dieses Ministeriums gehorigen KanzHsten= und | KanzleyDiener, auch der BuchhaltersStellen bey den herrschaftlichen Verrechnungen, V.) Die Vorschlage liber die Besetzung der Stellen in der RechnungsKammer, | bey dem Bau= Berg= und Mlinzwesen, liber Anstellung der Landesherrlichen Bezirks= I Verrechner, der Rechnungs=Rathe und Revisoren bey den Kreisen, der Forstmeister | und Forstlnspektoren. w.) Die Vorschlage wegen der BesoldungsRegulimngen der zu diesem Ministe= | rium gehorigen, oder unter ihm stehenden Dienste. X.) Die Vorschlage liber Bewilligungen von Pensionen oder ausserordentlichen Be= I lohnungen aus Staats= oder landesherrlichen Cassen. y.) Die Durchgehung der von den Departements jahrlich zu libergebenden Gene= | ralTabellen und Uebersichten, a) liber die herrschaftlichen DomanialGliter, (3) liber die hererschaftlichen gemeinen Bauem= oder Erblehen, y.) liber die im Laufe des Jahrs bewilligte Verwendung auf das herrschaft= I liche Bauwesen, 5.) liber die herrschaftliche ActivKapitalien, 8.) liber die StaatsSchulden, (^.) liber die aus StaatsCassen zu zahlende Pensionen, Tj.) liber die ForstbewirthschaftsPlane, 9.) liber die Kandidaten aus dem Kammeral= und insbesondere aus dem | Forst= und LandbauFach, [S. 487] I.) liber die unter diesem Ministerium stehende Dienerschaft und ihre Besol= I dungen.

1780

§12:Baden

[Dok. 188-251]

III. JustizMinisterium. 30.) Das JustitzMinisterium hat mit dem Ministerium des Irniem gleiche innere | Einrichtung (Nro. 1. bis 13.), nur fallt bey jenem die Eintheilung in Departements | hinweg und die Versammlung seiner Mitglieder tritt an die Stelle des General^ | Direktoriums. 31.) Der WirkungsKreis des JustitzMinisteriums erstreckt sich liber folgende | Gegenstande: a.) Die Oberaufsicht liber alle hohere und niedere Gerichte im Lande und liber die | Verwaltung der Streit= und StrafGerechtigkeitspflege durch dieselbe. b.) Die Besetzung der zur Bailey dieses Ministeriums gehorigen Kanzlisten= und | KanzleyDienerStellen. c.) Die Besorgung der Nro. 22. m bis q bemerkten Gegenstande, rticksichtlich | der zu diesem Ministerium gehorigen und unter ihm stehenden Dienerschaft. d.) Die obere Leitung der Gerichtspolizey und der willklihrlichen Gerichtsbarkeit | in alien ihren Theilen. (Lit. C. Nro. 20. 39. a bis e, f., so weit von PflegRech= | nungen die Rede ist, k. Lit. D. Nro. 12.) e.) Die nahere Aufsicht liber die Gegenstande der willklihrlichen Gerichtsbarkeit, | rlicksichtlich der Personen und Familien der Standesherren. f.) Die Ertheilung der Moratorien. g.) Die Regulimng der Taxen, Sporteln und des Stempelpapiers, benehmlich | mit dem SteuerDepartement des FinanzMinisteriums, das hierliber die ersten Vor= | schlage zu machen hat. h.) Die Emennung der RechtsPractikanten auf die hofgerichtlichen Antrage, | auch der Advokater. i.) Die Vorschlage liber die Gesetzgebung im blirgerlichen Rechts= und im | CriminalFach. k.) Die Bestatigung oder Milderung der hofgerichtlichen Urtheile, welche auf | mehr als zweyjahrige ZuchthausStrafe, oder auf eine dieser gleich zu achten= | den KettenStrafe, oder auf DienstEntsetzung solcher Diener, bey welchen der | Dienst nicht bloB ein NebenGeschaft ist, gerichtet sind. [S. 488] 1.) Die Abgabe dieser Urtheile mit den Akten an das OberHofgericht zur Prlifung | und Entscheidung, jedoch ohne irgend eine Bemerkung, in Fallen, wo dieselbe als I viel zu mild erachtet werden. m.)Die Prlifung der oberhofgerichtlichen CriminalUrtheile in den Lit. E. Nro. 15. | a bis d. enthaltenen Fallen und die Einholung der landesherrlichen Eutschliessung I darliber. n.) Die Erkennung von Untersuchungen gegen Standesherren; die Prlifung und | Vorlegung der hierauf ergangenen Urtheile an Uns mit Gutachten. o.) Alle LehenSachen, die Landesherrlichen ActivLehen betreffend, es seyen Throu= I Ritter= oder KammerLehen, so weit sie nicht zur gerichtlichen Verhandlung sich eig= | nen, in welchem letztem Fall der nemliche InstanzenZug, wie in andem blirgerlichen | RechtsSachen statt findet. 32.) Die Taxen, Sporteln und Stempelpapier Ansatze von den Geschaften | dieses Ministeriums werden alle Monathe durch seine Expeditur ausgezogen, und die | Verzeichnisse, in welche die Taxen, die Sporteln und die StempelpapierAnsatze | unter abgesonderte Rubricken zu bringen sind, werden, vom GeneralDirektorium beur= | kundet - an die KreisDirektorien, und von diesen an die einschlagigen Verrechnungen I gesendet; die Erhebung aber geschieht durch die Stelle, an welche die Geschafte zur Publi= | kation und Vollziehung gelangen. Eben so wird es bey alien Ministerien gehalten.

[202] Organisationsreskript vom 26. November 1809

1781

IV. Ministerium der auswartigen Verhaltnisse. 33.) Das Ministerium der auswartigen Verhaltnisse hat mit dem Ministerium | der Justiz dieselbe innere Einrichtung. Der Minister hat die BefugniB, einzelne Gegenstande wegen geheimer politischer | Verhaltnisse von der Verhandlung in SeBionen nach Gutfinden auszuschlieBen. 34.) In den WirkungsKreis dieses Ministeriums gehoren: a.) die Handhabung und Wahrung des politischen Interesse des Staats und des | regierenden Hauses im Allgemeinen, b.) die Instruktion des gesammten gesandtschafllichen und diplomatischen Personals I mit EinschluB des Consuls, c.) Die Ftihrung der Correspondenz mit solchen: so wie mit den auswartigen | Hofen, ihren Ministerien, Gesandten etc. Ueberhaupt also d.) alle diplomatische Angelegenheiten im Allgemeinen. Insonderheit [S. 489] e.) die Sorge fiir die Aufrechterhaltung und den Vollzug der bestehenden Allian= | zen, und anderer sowohl politischer als CommercialTractaten, in Ansehung letzte= I rer unter Einvemehmen mit dem Ministerium des Innem und der Finanzen, f.) die Unterhandlung und AbschlieBung aller neu zu schlieBenden Vertrage mit | auswartigen Staaten, mit alleiniger Ausnahme der etwa mit dem Pabstlichen | Stuhl Oder auswartigen Erz= und Bischoffen oder Vicariaten zu verhandelnden | reingeistlichen Angelegenheiten, als welche von dem Ministerium des Innem, je= I doch unter Communication mit jenem der auswartigen Angelegenheiten, zu ver= I handeln sind, g.) alle active und passive StaatsPratensionen, mithin alles, was unsre Rechte | und Gerechtsame in auswartigen Staaten, so wie die Gerechtsame lezterer in Un= | sem Landen betrifft, h.) Grenz= und HoheitsVerhaltnisse gegen das Ausland, i.) die Rheinische BundesAngelegenheiten, k.) alle Familien= und HausAngelegenheiten, welche den regierenden Stamm | oder die Nachgebome des Hauses als solche, derselben Appanage=Einrichtung, I Vermahlungen und dergleichen betreffen, oder sie sonst personlich beriihren, No= | tificationen erfreulicher und trauriger Haus=Ereignisse, Beantwortung der erhal= | tenden etc. 1.) die OberAufsicht tiber das GroBherzogliche Haus= und Familien= so wie iiber | das diesem Departement insbesondere angehorige gesandtschaftliche Archiv, m.) alle Angelegenheiten des Hofstaats, Ausfertigung der Patente zu HofChar= | gen, alle Hof= und Staatsceremonial= Rang= und EtiquetteSachen, unter Be= | nehmen mit der einschlagigen HofBehorde, n.) alle Hof=Ordens, Hof= und CivilUniformsAngelegenheiten, o.) die StandesPoHzey, mithin alles, was die Aufnahme zu einem gewissen | Stand, Ertheilung von Adels=Briefen, Charakterisirung solcher StaatsBtirger, | die nicht schon Diener und dadurch einer einzelnen MinisterialAbtheilung zugewie= I sen sind, Aufsicht auf die AdelsBticher oder Register etc. betrifft, p.) die Aufsicht tiber die Redaction des jahrlich herauszugebenden Staatshand= | buchs, q.) die oberste Censur der herauskommenden Zeitungen,

1782

§12:Baden

[Dok. 188-251]

[S. 490] r.) die jahrliche EtatsEinrechnung tiber die Geldbedtirfhisse des Departements, s.) die Besetzung der in die Bailey dieses Ministeriums gehorigen Kanzlisten= | und KanzleydienersStellen.

35.)

V. KriegsMinisterium. Dasselbe bleibt in seinem angewiesenen Geschaftskreis.

VI. MinisterialConferenzen. 36.) Wenn Geschafte in den Wirkungskreis mehrerer Ministerien einschlagen, so | werden sie von demjenigen Ministerium, welches in dieser Beilage zuerst unter ihnen | benannt ist, zuerst vorbereitet und behandelt, sofem sie nicht einem andem Ministe= I rium zur vorzliglichen Bearbeitung namentlich zugewiesen sind. Ist hierauf eine solche Sache zu entscheidenden Maasregeln oder endlichen Be= | schliissen reif, so wird die Ansicht desjenigen Ministeriums, wo sie zuerst behandelt I wurde, von dem dortigen Referenten in der nachsten Session des andem Ministeri= | urns mit ihren Gninden ausflihrlich vorgetragen; auch kann derselbe durch vorlau= I fige Unterredung die Hauptansichten mehrerer Ministerien tiber eine Sache sich bekannt | machen, ehe er sie in einem derselben formlich proponirt. Auf diese Art, oder durch | eine Zusammenkunft der Mitglieder mehrerer Ministerien, oder durch eine besondere | Conferenz der einschlagigen Minister, werden gemeinschaftliche Schliisse bewirkt, wel= | che alsdann zu den Acten eines jeden dieser Ministerien zu nehmen sind. Schriftliche Kommunicationen mehrerer Ministerien in solchen Sachen werden nicht I zugelassen, auBer in Fallen, wo ein Ministerium von einer bereits beschlossenen Sa= | che, die ihm zu wissen nothig ist, durch ein anderes in KenntaiB gesezt, oder zu | Verfiigungen riicksichtlich des Vollzugs veranlaBt werden muB. 37.) Die allgemeine MinisterialKonferenz besteht aus sammtlichen Ministem, wozu | wir bey besonders wichtigen Berathschlagungen auch noch einige unsrer Staatsrathe | ziehen werden. Wir selbst behalten Uns vor, nach Gutfinden in derselben zu pra= I sidiren, in Unserer Abwesenheit aber prasidirt der alteste Minister. Sie ist der allgemeinen MinisterialBerathschlagung tiber die wichtigsten Gegenstan= | de der Staatsverwaltung gewidmet. 38.) Diese Gegenstande sind hauptsachHch folgende: a.) Die Aenderungen in der Staatsverfassung, oder in irgend einem Theile der | Staatsverwaltung; ingleichem b.) in den GroBherzoglichen Hausgesetzen, so wie [S. 491] c.) im Deputatwesen der GroBherzoglichen FamilienGlieder. d.) Die Gebung neuer Gesetze oder authentische Interpretation bestehender Gesetze. e.) Die Entscheidung in Competenzstreitigkeiten zwischen den Verwaltungsbehorden I und Gerichten, besonders tiber die Frage: ob eine Sache zur gerichtlichen Er6rte= f rung sich eigne, oder nicht. e.) Die Bestimmung neuer GeschaftsGrundsatze in alien Theilen der Staats= | Verwaltung. f.) Die entscheidenden Maasregeln in GroBherzoglichen FamilienVormundschaften. g.) Die endlichen und entscheidenden Maasregeln nicksichtlich der Verhaltnisse | gegen Auswartige, SchlieBung von Biindnissen, von Staats= oder HandelsVer= I tragen, Grenzveranderungen und dergl.

[202] Organisationsreskript vom 26. November 1809

1783

h.) Die Verleihung neuer obrigkeitlicher Berechtigungen an StaatsEinsaBen. i.) Die Ertheilung von LehensAnwartschaften bey Thron=Ritter= oder Kammep= | lehen und die Allodification solcher Lehen. k.) Die Bestimmung der Verhaltnisse der Staats= und Kirchengewalt gegenein= | ander und die AbschlieBung der hieher sich beziehenden Vergleiche. 1.) Die Verwilligung der Religionstibung an Orten, wo dieselbe bisher nicht | in Ausiibung war. m.) Die Bestatigung neuer, oder Aufhebung bestehender weltlicher oder geistli= | cher Corporationen, Stiftungen, offentlicher Anstalten, oder gesellschaftlicher Staats= I Institute. n.) Die Ertheilung neuer Berechtigungen an dergleichen Corporationen und In= 1 stitute, oder Veranderungen in ihrer Verfassung oder Bestimmung. 0.) Die Bestatigung oder Milderung der Urtheile in den Nro, 31. m. benann= | ten Fallen. p.) Die Priifung der Rekurse der Unterthanen an die Person des Regenten von | EntschlieBungen der Ministerien. q.) Die Aenderungen im direkten oder indirekten SteuerSystem. r.) Die Einftihrung neuer, oder Aufhebung bestehender Auflagen. s.) Die Priifung des vom FinanzMinisterium vorzulegenden jahrlichen Etats liber | die StaatsEinnahmen und Ausgaben des folgenden RechnungsJahrs, und die | Bestimmung des hiemach zu erhebenden SteuerBetrags. [S. 492] t.) Die Priifung des auf gleiche Weise vorzulegenden jahrlichen Etats tiber den | Activ= und PassivZustand der GeneralStaatsCasse, wie auch der Schuldentilgungs= I Casse und des Vollzugs der Schuldentilgungsplane. u.) Die EntschlieBung tiber die wichtigem OberCuratelGegenstande der beyden | LandesUniversitaten. V.) Die Anstellung der Viceprasidenten, Direktoren, Rathe, Assessoren, Secre= | tars, Registratoren und Expeditoren bey den Ministerien, auf die Vortrage der ein= I schlagigen Ministers; des Oberhofrichters, der Hofrichter, Kanzler, Direktoren, I Rathe und Assessoren bey dem Oberhofgericht und den Hofgerichten, auf den Vortrag | des Justizministers; der KreisDirektoren, der KreisRathe aus dem rechts= und staats= | polizeylichen Fach, der landesherrlichen Beamten, der OberLandes= und Kreislnge= | nieurs, der Dekane, der Rectoren und Professoren der Gymnasien, Licaen und Pa= | dagogien, der Universitatslehrer, auf den Vortrag des Ministers des Innem; der | landesherrlichen Bezirksverrechner, der Kreisrathe aus dem Kameralfach, Oberrevi= | soren, Rechnungsrathe, Oberforst= und Forstmeister, Forstlnspektoren, des Ober= | bauDirektors, der Kreisbaumeister, auf den Vortrag des Finanzministers; des Ge= | sandschaftspersonals, auf den Vortrag des Ministers der auswartigen Angelegen= | heiten. w.) Die Anstellung der Secretars, Registratoren und Expeditoren der Hofgerich= | te und des Oberhofgerichts, der Amtsrevisoren, auf den Vortrag des JustizMini= | sters; der OberamtsAssessoren, der KreisSecretars, der Pfarrer, der Lehrer der | untem Classen an Padagogien, Gymnasien und Lycaen, der Bezirks= und Unter= I Ingenieurs, LandCommissairs, Geometers, der BezirksAerzte, Landchirurgen, Ober= [ heb=Aerzte, der Verwalter von groBem und BezirksStiftungen, von Waisen=Ir= | ren= und Zuchthausem, auf den Vortrag des Ministers des Innem; der Bezirks= | Baumeister, des Bergbau= auch Mtinzpersonals; und der Revisoren, auf den Vor= | trag des FinanzMinisters. X.) Die UrlaubsErtheilung an die Minister.

1784

§12: Baden

[Dok. 188-251]

y.) Die neue Dienst= oder BesoldungsRegulimngen von Bezirks== oder hohem | Diensten. z.) Die Ertheilung von Pensionen oder auBerordentlichen Gratificationen aus | [S. 493] Landesherrlichen=Staats=Landes=Kirchen= und Stiftungs=Cassen, soweit hieriiber | nicht durch Verordnungen bestimmte Grundsaze festgesezt sind. aa.)Die Entlassung der von den Ministerien patentisirten oder solcher Diener, | welche den Dienst bios als NebenGeschaft besorgen, ohne vorausgegangenes Rechts= I erkenntniB, gegen den Willen des Dieners. bb.)Die Bestatigung oder Milderung der Urtheile auf Cassation, Entlastung | oder Versetzung solcher Diener auf geringere Dienste. cc.)Die Bestatigung oder Milderung der vorzulegenden Urtheile in Untersu= | chungssachen gegen Standesherren. dd.)Die Entscheidung in den vor mehrere Ministerien gehorigen Sachen, wenn | kein gemeinschaftlicher SchluB derselben zu Stande gebracht werden kann. ee.)Die Entscheidung iiber Gegenstande, welche die Minister auBerordentlicher | Weise vorlegen, und tiber Anfragen, welche sie zu ihrer Legitimation zu machen I gut finden. ff.) Die Antrage tiber Gegenstande, in welchen Wir Selbst besonderes Gutach= | ten von der vollen MinisterialConferenz fordem. gg.)Die oben Nro. 22 und 29. bemerkten Gegenstande, so weit sie dort na= | mentlich auf Antrage oder Vorschlage des Ministeriums des Innem oder der Fi= | nanzen ausgesezt sind. hh.)Alle das Interesse eines Religions=Theils betreffende Gegenstande, wo sich | die Stimmen der Rathe eines Ministeriums, oder eines MinisterialDepartements | nach den Religionen theilen. ii.) Die Einsicht der von den Ministerien alle Vierteljahre vorzulegenden fortlau= | fenden Protokolle der GeneralDirektorien. kk.)Die Prufung und Durchgehung der jahrlich von den Ministerien zu geben= | den Uebersichten iiber ihre Geschaftsfiihrung vom unmittelbar vorhergehenden Jahr. 11.) Die Supplirung der Regentenamtlichen Autorisation in Fallen, wo der Re= | gent durch Abwesenheit, Krankheit oder Minderjahrigkeit gehindert ist, soweit die I MinisterialConferenz von ihm selbst, oder durch Staats= und Hausgesetze dazu be= | vollmachtigt ist. 39.) Die unter a bis o, q bis t, v, x, bis cc, ff, hh, kk, benannten Gegenstan= | de miiBen, sofem Wir nicht selbst der allgemeinen MinisterialConferenz prasidiren, | [S. 494] durch Antrage oder Berichte der Ministerien oder ihrer Departements, denen zur Sei= I te die Ansicht der Conferenz beyzusetzen ist, in unser Cabinet zur Entscheidung ge= I bracht werden. In den nicht an Uns selbst gelangenden Geschaften werden keine Antrage verfaBt, | sondem bloB die von den Ministerien und ihren Departements entworfenen Resolu= I tionen mit den Acten vorgelegt, welche sodann mit kurzer, zur Seite beizusezender | Bemerkung der ConferenzialEntschlieBung wieder an die Ministerien zurtickgehen, und | daselbst ausgefertigt werden. In den Ausfertigungen muB jedesmal der von Uns selbst, oder von der General^ | Conferenz gefaBten EntschlieBung ausdriicklich Erwahnung geschehen. 40.) Unser CabinetsMinister hat, so wie die andere Minister, darauf zu sehen, | daB die in der allgemeinen Conferenz vorkommenden Gegenstande reiflich erwogen und | nach den bestehenden, oder soweit nothig, noch zu bestimmenden gleichen und festen I Staatsgrundsatzen entschieden werden.

[202/1] Verordnung vom 4. Mai 1812

1785

Er hat die BefugniB, jede ihm dazu geeignet scheinende Sache aus der Conferenz, | nachdem sie darinn zur Entscheidung hinreichend vorbereitet worden ist, zum unmittel= I baren Vortrag an Uns ins Cabinet zu ziehen. Er kann und soil liber alle Einrichtungen, die er zu Unserem und des Staats Be= | sten dienlich erachtet, mit den einschlagigen Ministem conferiren, und dadurch den AnlaB | geben, daB solche Gegenstande in Bewegung gebracht, in den Ministerien gehorig bear= | beitet, die EntschlieBungen daruber gefaBt, und sofort zum Vollzug gebracht werden. Verbesserungen. In dem Regierungsblatt No. LI. vom 16ten Dezember d. J. Beilage Lit C. zu dem | neuesten OrganisationsEdict: 1) Pag. 427. Zeile 21. lies: aller in ihren Amtsbezirken wohnhaften Personen | wortiber ihnen die Gerichtsbarkeit in Personalsachen zusteht, zu: statt: aller in | ihren Ortsbezirken wohnhaften Personen zu. 2) Pag. 432. Zeile 3. Hes: Wachsamkeit: statt: Wachtsamkeit. In dem gegenwartigen Regierungsblatt Nro« LII. Pag. 464. Zeile 12. lies: und der von Uns oder den Ministerien patentisierten Diener, | statt: und der von den Ministerien patentisirten Diener. Pag. 465. Zeile 30. lies: und der von Uns oder den Ministerien patentisirten etc. | statt: und der von den Ministerien patentisirten etc.

[202/1] Verordnung, die „Gemeinds- und Schutzburgerliche Annahme der Juden betreffend", vom 4. Mai 1812 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einfuhrungen" die Darstellung unter [750.]. Quelle: GroBherzoglich Badisches Regierungs-Blatt, 10. Jahrgang, Nr. 15, 1812, S. 1 0 4 lO(gedruckt). [S. 104] (Die Gemeinds= und Schutzbtirgerliche Annahme der Juden betreffend.) Wir Carl von Gottes Gnaden, | GroBherzog zu Baden, Herzog zu Zahringen, Landgraf zu Nellenburg etc. | Graf zu Hanau etc. Haben zur Erledigung der Anstande, welche sich durch einige Vorschriften Un= | seres Organisations=Edikts vom 26ten November 1809. in der Anwendung des | Gesetzes vom 13ten Janner 1809. Regiemngs=Blatt Nro. VI. bey den Gemeinds= | und Schutzbtirger=Annahms=Gesuchen Unserer jtidischen Unterthanen ergeben ha= | ben, auf erstatteten Vortrag Unsers Ministeriums des Innem verordnet, wie | folgt: 1) Derjenige jtidische Glaubensgenosse, welcher kein ordentliches Gewerbe nach | den desfalls bestehenden gesetzlichen Vorschriften erlemt, und gleichwohl das zur | Nachholung dieser Erlemung vorgeschriebene 21ste Lebens=Jahr dermalen bereits tiber= | schritten hat, bedarf zu dem wirklichen Antritt seines angebomen Gemeinds= oder | Schutzbtirger=Rechts auBer den in dem Edikte vom 13ten Janner 1809. §. 22. I schon enthaltenen Erfordemissen die Halfte desjenigen Vermogens, welches nach dem | Btirgerrechts^Gesetze vom Iten Februar 1809. Regierungs=Blatt Nro. IX. §. 11 | bis 14. ein Inlander, der Ortsfremd ist, besitzen muB, und soil dabey der Noth= | handler nach §.14. dieses Gesetzes beurtheilt werden. 2) Juden aus dieser Klasse konnen in der Regel nur Schutzbiirger und allein | alsdann Gemeindsbiirger werden, wenn sie keinen Nothhandel treiben, und sich liber | den Besitz des gesetzlichen Vermogens und eines gleich gut als in dem ordnungsma= |

1786

§12:Baden

[Dok. 188-251]

Bigen Wege erlemten Gewerbes, oder einer ihm gleichkommenden Kunst, auch tiber | die hinlangliche Bildung im Lesen und Schreiben der Landes=Sprache, auch Rechnen | gehorig auszuweisen im Stande sind. 3) Die Burger=Annahms=Gesuche der tibrigen, nicht zu der eben erwahnten | in §. 22. des Edikts vom 13ten Janner 1809. bezeichneten Klasse gehorigen Juden | sind, es sey der erste, zweyte oder folgende Fall in derselben Familie, lediglich nach | den in dem Burger=Rechts=Gesetze enthaltenen allgemeinen und den in dem VI. | Constitutions=Edikt §. 19. und in dem Edikte vom IBten Janner 1809. §§. 18. | 19. und 20. vorgeschriebenen besondem Erfordemissen zu erledigen [S. 105] 4) Die Annahme aller Landeseingebomen Juden ohne Unterschied geschieht | kunftig, jedoch unter genauer Beobachtung der gesetzlichen Vorschriften, durch die Be= | zirks=Aemter. Auslandische Juden hingegen konnen nur von Unserm Ministerium [ des Innem nach eingeholtem Gutachten der betreffenden Kreis=Direktorien und Be= I zirks=Aemter und das nur bey dem genau erforschten Daseyn aller gesetzlichen Er= I fordemisse, angenommen werden. 5) Die Vorschriften Unsers Organisations=Edikts vom 26ten November | 1809. Beylage C Nro. 19. lit. K. und Beylage D. Nro. 10. lit. O. kommen, | da ihr Zweck durch die gegenwartige Verordnung in andem Wegen erreicht wird, | ktinftig nicht mehr in Anwendung. Hieran geschieht Unser Wille. Carlsmhe, | am 4ten May 1812. Carl. Der Minister des Innem. | Frhr. von Andlaw. Auf Seiner Koniglichen Hoheit | besondem hochsten Befehl. | Der General=Sekretar. | MoBdorff.

[202/2] Verordnung, die „Fuhrung der Grund- und Unterpfandsbiicher fur die zu keiner Ortsgemarkung gehorigen Liegenschaften betreffend", vom 13. Januar 1831 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einfiihmngen" die Darstellungen unter [739.] [750.]. Quelle: GroBherzoglich Badisches Staats- und Regiemngs-Blatt, 29. Jahrgang, (Nr. 2 vom 3. Febmar) 1831, S. 5 f. (gedmckt). [S.5] (Die Ftihmng der Gmnd= und Unterpfandsbiicher ftir die zu keiner Ortsgemarkung | gehorigen Liegenschaften betreffend.) Leopold von Gottes Gnaden, | GroBherzog von Baden, Herzog von Zahringen. In Erwagung, daB die von den Amtsrevisoraten durch das OrganisationsEdikt vom | Jahr 1809. Beilage C. Nro. 39. Litt. d. aufgetragene Ftihmng der Gmnd= und Un= | terpfandsbticher flir die zu keiner Ortsgemarkung gehorigen Liegenschaften mit der ihnen | zugleich tibertragenen Aufsicht tiber die vorschriftsmaBige Ftihmng der von den Ortsge= | richten zu haltenden Gmnd= und Pfandbiicher unvertraglich erscheint, und dabei die | Amtsrevisoren mit einer Haftbarkeit belastet, welche dem offentlichen Credit die nothige | Sicherheit nicht gewahren kann, haben Wir Uns auf den Vortrag Unsers JustizMini= | sterii gnadigst bewogen gefunden, zu verordnen was folgt:

[202/3] Bekanntmachung vom 3. August 1832

1787

Art. 1. Die Bestimmung des OrganisationsEdikts vom Jahr 1809. Beilage C. Nro. 39, | Litt. d. wird aufgehoben, dagegen die Fiihrung der Grund= und Unterpfandsbiicher fur | die zu keiner bestimmten Ortsgemarkung einverleibten Liegenschaften und einzelnen Hofe | den nachstgelegenen geeigneten Ortsgerichten tibertragen. Art. 2. Ueber diese Liegenschaften sollen jedoch fortwahrend, auf Kosten der Eigenthtimer, | besondere Grund= und Unterpfandsbticher gehalten und solche nach den gesetzlichen Vor= I schriften eingerichtet werden. Art. 3. Die Ortsgerichte, welche deren Fiihrung tibemehmen, haben fur die Abschatzung | [S. 6] und Gewahrung der Unterpfander, so wie bei VerauBerungen derselben die gesetzlichen | Erkenn= und Gewahr^Gebtihren zu beziehen. Unser Justiz=Ministerium wird mit dem Vollzug dieser Verordnung beauftragt. 1 Gegeben zu Carlsruhe in Unserem GroBherzoglichen StaatsMinisterium den 13ten Jan= | ner 1831. Leopold. Vdt. V. Gulat. Auf Befehl Seiner Koniglichen Hoheit: | Eichrodt.

[202/3] Bekanntmachung, die „Unzulassigkeit der Erteilung von Moratorien im Gnadenwege betreffend", vom 3. August 1832 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einfuhrungen" die Darstellung unter [750.]. Quelle: GroBherzoglich-Badisches Staats- und Regierungs-Blatt, 30. Jahrgang, (Nr. 45 vom 20. August) 1832, S. 383 (gedruckt). [S. 383] Bekanntmachung. (Die Unzulassigkeit der Ertheilung von Moratorien im Gnadenwege betreffend.) Durch hochste EntschlieBung aus groBherzoglichem Staatsministerium vom 27sten | Juni d. J. Nro. 1922. wurde auf erstatteten Vortrag aus AnlaB eines einzelnen Falles | rescribirt: daB die neuere badische Gesetzgebung die Ertheilung von Moratorien im Gna= 1 denwege (Hofraths=Instruktion §. 39. - Organisations=Edict vom Jahr 1809. | Beilage F. §.30. Lit, f.) nicht mehr zulasse, der Bittsteller daher angetrage= | nermaaBen abschlaglich zu verbescheiden, und sich auch in kunftigen Fallen hier= | nach zu benehmen sey. Wir verkiinden diese hochste EntschlieBung zur gebtihrenden Nachachtung von Seiten der I Behorden sowohl, als der einzelnen Betheiligten. Carlsruhe den 3ten August 1832. Justiz=Ministerium. | von Gulat. Vdt Schachleiter.

1788

§12:Baden

[Dok. 188-251]

[202/4] § 5 der Provisorischen Verordnung vom 18. Februar 1836 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einfuhmngen" die Darstellung unter [750.]. Quelle: GroBherzoglich Badisches Staats- und Regierungsblatt, 34. Jahrgang, (Nr. 10 vom 27. Februar) 1836, S. 63 - 65 (gedruckt). [S. 63] Leopold von Gottes Gnaden, | GroBherzog von Baden, Herzog von Zahringen. Wir verordnen auf den Vortrag Unseres Justizministeriums hierdurch proviso= | risch, wie folgt:

§. 5. Die Bestimmung des Organisationsedikts von 1809 (Beilage F. §.31. k.), welche | dem Justizministerium die BefiigniB ertheilt, die hofgerichtlichen Erkenntnisse in Straf= | sachen zu bestatigen oder zu mildem, ist aufgehoben. [S. 64] Dagegen hat der Staatsanwalt alien Sitzungen des Hofgerichts, in welchen Straf= | sachen zur Aburtheilung kommen, beizuwohnen; er kann nebstdem verlangen, daB ihm | sogleich nach erfolgter Aburtheilung sammtliche Akten zugestellt werden. ... [S.65]... Gegeben in Unserem Staatsministerium zu Carlsruhe den 18^®" Februar 1836. Leopold. Jolly. Auf hochsten Befehl Seiner Koniglichen Hoheit des GroBherzogs: | Btichler.

[202/5] Landesherrliche Verordnung vom 3. August 1837 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einfuhmngen" die Darstellung unter [750.]. Quelle: GroBherzoglich Badisches Staats- und Regierungsblatt, 35. Jahrgang, (Nr. 25 vom 9. August) 1837, S. 171 - 174 (gedruckt). [Auszug] [S. 171] Leopold von Gottes Gnaden, | GroBherzog von Baden, Herzog von Zahringen. Mit Zustimmung Unserer getreuen Stande haben Wir beschlossen und verordnen, | wie folgt: §.3. ^Diejenigen Strafsachen, in welchen das Oberhofgericht allein zu entscheiden hatte, | gehen zur Entscheidung an die Hofgerichte tiber. "^Die Bestimmung des Organisationsedicts I vom Jahr 1809, Beilage E. §. 15. a - d. ist aufgehoben. [S.172]... §.6. Die Bestimmungen des Organisations=Edicts vom Jahr 1809 Beilage F. §.31. lit k | und 1, welche dem Justizministerium die BefugniB ertheilen, die hofgerichtlichen Erkenntnisse I in Strafsachen zu bestatigen oder zu mildem, und die zu mild erachteten an das Oberhof= | gericht zur Priifung und Entscheidung abzugeben, sind aufgehoben. . . .

[202/6] Landesherrliche Verordnung vom 1. Marz 1853

1789

[S.174]...

Gegeben in Unserem Staats=Ministerium zu Carlsruhe den 3. August 1837. Leopold. Jolly. Auf hochsten Befehl Seiner Koniglichen Hoheit des GroBherzogs: | Biichler.

[202/6] Landesherrliche Verordnung, „die Aufhebung der landesherrlichen Dekanate betreffend", vom 1. Marz 1853 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einfiihrungen" die Darstellung unter [750.]. Quelle: GroBherzoglich Badisches Regierungs-Blatt, 51. Jahrgang, Nr. 7, 1853, S. 5 5 - 5 6 (gedruckt). [S. 55] Landesherrliche Verordnung, die Aufhebung der landesherrlichen katholischen Dekanate betreffend. Friedrich, von Gottes Gnaden Prinz und Regent von Baden, | Herzog von Zahringen. In Betracht, daB bereits durch den §. 46 Unserer Verordnung vom 15. Mai 1834, | Regierungsblatt Nr. XXV., die Geschafte, welche nach den bestehenden Verordnungen in Be= | ziehung auf das Schulwesen bis dahin den Dekanen oblagen, auf die Bezirksschluvisitatoren | ubertragen worden sind, und daB die sonstigen, den landesherrlichen katholischen Dekanaten | bisher obliegenden Verrichtungen theils in den Geschaftskreis der kirchlichen Behorden zu ver= | weisen sind, theils zweckmaBiger den Bezirksschulvisitatoren und den Bezirkspolizeibehorden tiber= | tragen werden, sehen Wir Uns veranlaBt, zu verordnen, wie folgt: §.1. Die nach der Beilage C. Ziffer IV, des Organisationsedikts vom 26. November 1809 | bisher bestandenen landesherrlichen Dekanate katholischer Confession sind aufgehoben. §.2. So weit die ihnen durch dieses Edikt tibertragenen Verrichtungen die innere kirchliche Ver= I waltung betreffen, sind dieselben in Zukunft ausschlieBlich von den erzbischoflichen Dekanen zu | besorgen, vorbehaltlich des nach den bestehenden Gesetzen und Verordnungen der Saatsbehorde | zustehenden Rechtes, zu einzelnen kirchlichen Amtshandlungen, welche das Staatsinteresse beriihren, | weltliche Commissare abzuordnen. §.3. Die erzbischoflichen Dekane werden nach der bisher bestandenen Uebung auch in Zukunft I von den Geistlichen des betreffenden Landkapitels gewahlt und von der erzbischoflichen Behorde | nach erfolgtem Einverstandnisse des katholischen Oberkirchenraths bestatigt.

1790

§12:Baden

[Dok. 188-251]

[S. 56] §.4. Die Aufsicht auf die Verwaltung der Lokalstiftungen ist, so weit sie bisher den landes= | herrlichen Dekanen oblag, in Zukunft von den Bezirksschulvisitatoren zu besorgen. Gegeben zu Carlsruhe in Unserem Staatsministerium, den 1. Marz 1853. Friedrich. von Marschall Auf Seiner Koniglichen Hoheit hochsten Befehl: | Schunggart,

[202/7] Gesetz, die Zustandigkeit und das Verfahren in Rechtspolizeisachen betreffend, vom 5. Juni 1860 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einfuhrungen" die Darstellung unter [750.]. Quelle: GroBherzoglich Badisches Regierungs-Blatt, 58. Jahrgang, (Nr. 37 vom 13. Mi) 1860, S. 247 - 251 (gedmckt). [Auszug] [S, 247] Gesetz, | die Zustandigkeit und das Verfahren in Rechtspolizeisachen betreffend. Friedrich, von Gottes Gnaden GroBherzog von Baden, | Herzog von Zahringen. Mit Zustimmung Unserer getreuen Stande haben Wir liber die Zustandigkeit und das | Verfahren in den durch das Landrecht an die Gerichte gewiesenen Geschaften der freiwilligen Ge= | richtsbarkeit beschlossen und verordnen, wie folgt: ...[S. 250] II. Vorschriften fur Austibung der freiwilligen Gerichtsbarkeit. a. In Geschaften der Verwaltungsbehorden. Artikel 6.

Artikel 7. Der §. 5 des II. Einflihrungsedikts zum Landrecht wird dahin erganzt: in den Fallen der | L.=R.=S. 361, 395, 450, 452, 457, 458, 4 6 1 - 4 6 8 , 478, 483, 507, 510, 511, 745 a, | 2141, 2143 treten an die Stelle des Familienraths die in §. 19. des II. Einfiihrungsedikts | unter a und b genannten Personen. Die obervormundschaftliche Bestatigung durch das Bezirksamt ist nothwendig in den Fallen | der L.=R.=S. 395, 457, 458, 461 (mit Ausnahme jedoch der Erbantretung), 463, 465, 467 I O'edoch ohne Gutachten dreier Rechtsgelehrten), 478, 483, 484, 511, 2143. Die Bestimmung unter Ziff 12 lit. h. der Beilage D. des Organisations=Reskripts vom | 26. November 1809 ist aufgehoben. Artikel 8. ...[S. 251] c. Vollzugsbestimmungen. Artikel 12. Dieses Gesetz tritt mit dem 1. August dieses Jahres in Wirksamkeit. Mit der Erlassung der Vollzugsvorschriften, namentlich liber das Verfahren in Rechtspolizei= I sachen, soweit diese nicht von den Amtsgerichten zu besorgen sind, wird das Justizministerium | beauftragt.

[202/8] § 81 des Gesetzes vom 28. Mai 1864

1791

Gegeben zu Karlsruhe in Unserem Staatsministerium, den 5. Juni 1860. Friedrich. Stabel. A.Lamey. Auf Seiner Koniglichen Hoheit hochsten Befehl: | Schunggart.

[202/8] § 81 des Gesetzes uber die Verwaltung der freiwilligen Gerichtsbarkeit und uber das Notariat vom 28. Mai 1864 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einftihrungen" die Darstellung unter [750.]. Quelle: GroBherzoglich Badisches Regierungsblatt, 62. Jahrgang, (Nr. 21 vom 7. Juni) 1864, S. 197 - 216 (gedruckt). [S. 197] Gesetz | iiber die Verwaltung der freiwilligen Gerichtsbarkeit und iiber das Notariat. Friedrich, von Gottes Gnaden GroBherzog von Baden, | Herzog von Zahringen. Wir haben mit Zustimmung Unserer getreuen Stande beschlossen und verordnen, wie folgt: ...[S. 215] .. . S chlus sbestimmungen. Eintritt der Wirksamkeit. §.81. Der Anfang der Wirksamkeit dieses Gesetzes wird durch Verordnung der Regierung bestimmt. Von dem Eintritte dieser Wirksamkeit an sind aufgehoben: Die Notariatsordnung vom 3. November 1806, Regierungsblatt Nr. 30; der Nachtrag zu solcher vom 20. Mai 1809, Regierungsblatt Nr. 24; Beilage C. §§. 20, 31 bis 41 und Beilage D. §. 12 des Organisationsreskriptes vom 26. | November 1809, Regierungsblatt Nr. 51; §§.5, 7, 9, 10, 12 bis 23, 28, 30 des 11. Einfiihrungsedikts zum Landrechte vom 22. Dezember 1809, Regierungsblatt Nr. 53; das Gesetz vom 22. Juni 1837 - die Form der offentlichen Urkunden betreffend - Re= | gierungsblatt Nr. 19; das Gesetz vom 5. Juni 1860 - das Verfahren und die Zustandigkeit in Rechtspolizeisachen betreffend - Regierungsblatt Nr. 37. §.82. [S. 216] Vollzugsbestimmungen. §. 85. Das Justizministerium ist mit dem Vollzuge beauftragt. Gegeben zu Karlsruhe in Unserem Staatsministerium, den 28. Mai 1864. Friedrich. Stabel Auf Seiner Koniglichen Hoheit hochsten Befehl: | Schunggart.

1792

§ 12: Baden

[Dok. 188-251]

[203] Zivildiener-Witwenordnung vom 28. Juni 1810 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einfiihmngen" die Darstellungen unter [739.] [773.]. Quelle: GroBherzoglich-Badisches (Staats- und) Regierungs-Blatt, 8. Jahrgang, (Nr. 30 vom 28. Juli) 1810, S. 225 - 248 (gedruckt). Sonstige Fundstelle: C. F. Muller (Hrsg.), Die landstandische Verfassungs-Urkunde fur das GroBherzogthum Baden. Nebst den dazu gehorigen Actenstiicken, (C. F. Mtillersche Hofbuchhandlung, Karlsruhe) 1819, S. 225 - 267. [S.225] Wir Carl Friedrich von Gottes Gnaden, | GroBherzog zu Baden, Herzog zu Zahringen etc. Wir haben in Unsem altbadischen Landen langst schon Anstalten errichten lassen, | vermoge welcher fur die Wittwen und Waisen Unserer weltlichen Civil= | Diener, durch bestimmte Pensions^^Geniisse, nach dem Tode der Diener gesorgt wird. In Unsem neuen Landen haben Wir nur im Bruchsalischen und St. Blasischen | ahnliche Anstalten angetroffen. Fine Unserer wichtigsten Regenten=Sorgen ist es daher, eine allgemeine die gesammte | weltliche Hof= und Civil=Dienerschaft Unserer Lande umfassende Anstalt zur Versorgung I ihrer Wittwen und Waisen fest und dauerhaft zu griinden. Nachdem Uns nun von Unserm Ministerio des Innem dariiber ausfuhrlicher Vor= | trag erstattet worden, so haben Wir nach vorgangiger reifer Ueberlegung aller deB= | halb bestehenden Verhaltnisse nachfolgendes beschlossen: 1.Abschnitt. | Allgemeine Einrichtung dieser Anstalt. §.1. Vom 23. April 1810 an, soil die gesammte von Uns bereits angestellte und kunf= | tig anzustellende weltliche Hof= und Civil=Dienerschaft im ganzen GroBherzogthum in | einer bestandigen unzertrennlichen allgemeinen Gesellschaft zur Versorgung ihrer Witt= | wen und Waisen seyn. §.2. Der Fond dieser gesellschaftlichen Anstalt soil niemals und zu keiner Zeit mit den | Staats=Kassen vereinigt, sondem fiir jetzt und allezeit als ein abgesondertes auf Gesell= | schafts=Recht sich grtindendes Institut angesehen und behandelt werden. [S. 226] §. 3. ^Es steht nicht in der Willkuhr der Diener, ob sie in die Gesellschaft eintreten | woUen Oder nicht. ^Der Beytritt der bereits angestellten wird ihnen als Pflicht auf= | erlegt. ^Bey den kiinftig anzustellenden ist der Beytritt als Bedingung der Dienst= [ Aufnahme anzusehen. "^Dabei wird kein Unterschied gemacht, ob diese und jene jung | oder alt, ledig, Wittwer, oder verheirathet, mit oder ohne Kinder sind. §.4. Die bisher bestandene altbadische, so wie auch die bisherige bmchsaler, und in so | weit es nach den bestehenden besonderen Verhaltnissen moglich ist, auch die St. Blasische | Wittwen=Fisci=Gesellschaften, werden vereinigt, ihre Fonds zusammen geworfen, und! wird daraus die nunmehrige allgemeine Wittwen=Fisci=Gesellschaft gebildet.

[203] Zivildiener-Witwenordnung vom 28. Juni 1810

1793

§.5. Die bey der altbadischen Wittwen^Kasse bestandene zwei Abtheilungen, so wie die bey der I bmchsaler Wittwen=Kasse bestandenen drey Klassen, werden aufgehoben, und alle Mitglie= I der nach einerley Gmndsatzen und den welters nachfolgenden Bestimmungen behandelt. §.6. Da jedoch die bisherige bmchsaler Wittwen^Kasse in Anlehnung der Diener=Klasse | und der auszutheilenden Benefizien auf anderen Gmndsatzen bemhet hat, als bey der | altbadischen Wittwen=Kasse bestanden haben, und forthin bestehen werden, und dadurch, | jedoch nur bey einigen, entstehen kann, daB sie in ihrem bisherigen oder ktinftigen | Benefizien=GenuB zu kurz kommen konnten; so erklaren Wir anmit ausdriicklich, | daB in Ansehnung der Wittwen und Waisen, welche bey der bmchsalischen Anstalt | bereits vorhanden sind, so wie in Ansehung der stiftungsmaBig in dieser Sozietat | am 23. April d. J. gewesenen Staats=Diener, insofem diese ehemals furstbischoflich | Speierische Diener waren, und fiir deren kunftige Relicten gesorgt werden soil, daB | ihr Benefizien=GenuB, wann er nach den Verhaltnissen der nunmehrig neuen allge= | meinen Anstalt geringer als bisher ausfallen sollte, durchaus nicht geschmalert, son= | dem ihnen fur jetzt und ktinftige Jahre, so lange sie leben und perzeptionsfahig | sind, wenigstens soviel jahrlich an Benefizium gegeben werde, als sie nach den bis== | herigen im §. 10. der bmchsaler Wittwen=Fisci= Ordnung vom 16. May 1771 | naher bestimmten Gmndsatzen bey dem gesonderten Fortbestand derselben immer | nur zu erwarten gehabt hatten, indem ihnen die nun erfolgende und ausgesprochene | Vereinigung durchaus unnachtheilig seyn soil. [S. 227] II. Abschnitt. | Von den zu dieser Anstalt berechtigten Personen. §.7. Zur Aufnahme sind fahig und anzuhalten. 1) Alle Unsere dermalige und ktinftige weltliche Hof= und Civil=Diener, ohne Unter= I schied des Standes und Ranges, insofem sie nicht von der Theilnahme, wie gleich I nachher bestimmt wird, ausdriicklich ausgeschlossen werden. 2) Die weltliche Hof== und Civil==Diener Unsers Herm Enkels und dessen Frau | Gemahlin Liebden, Liebden: desgleichen die Diener Unserer Frau Tochter, der | Frau Markgrafin Liebden. 3) Unsere beym diplomatischen Corps auswarts angestellte Diener, jedoch nur nach | VerhaltniB ihrer von Uns genossenen Besoldung, ehe sie den Gesandtschafts=Posten I bezogen, welche Besoldung sie bey ihrer Zuriickkunft von der Gesandtschaft | wieder zu beziehen haben, sofem ihnen nicht ein anderes zugesichert seyn sollte, oder solche nicht das Maximum der Immatrikulimng von 3000 fl. tibersteigt. 4) Die weltliche Lehrer, ohne Unterschied der Religion, auf den beyden Landes= | Universitaten, den Lyzaen, Gymnasien und lateinischen Schule, sie mogen ihre | Besoldungen aus den Fonds dieser Institute, oder aus andem Stiftungen, | Staats= oder stadtischen und Gemeinds^Kassen beziehen. Die evangelische geist= | liche Lehrer an diesen Instituten sind groBtentheils schon in den geistlichen Witt= | wen=Fiscus aufgenommen, und fiir die, welche es noch nicht sind, wird dem= | nachst Unser evangelisches Kirchen^Departement besorgt seyn, daB sie in solchen | aufgenommen werden. Wenn ein solcher Lehrer geistlichen Standes in der Zeit= | folge in den weltlichen Stand tibergeht, so bleibt er dessen ungeachtet im geistli^ | chen Wittwen=Fiscus, wenn er gleich seine Besoldung ganz, oder zum Theil aus | Staats=Kassen erhalt.

1794

§12:Baden

[Dok. 188-251]

5)

Die weltliche Mitglieder Unserer beyder Ministerial=Kirchen=Departements und | alle iibrige weltliche dieser beyden Departements untergeordnete Diener. 6) Die weltliche Verrechner und Diener von Stiftungen, insofem sie Staats=Die= | ner sind, wie z. B. vom Stifte Baden, Studien=Fond etc., wo jedoch fiir solche | das Grazial=Quartal aus Stiftungen, so weit sie daraus besoldet und damit | immatriculirt werden, abgegeben werden muB. [S. 228] 7) Die Verwalter offentlicher Anstalten, die Verwalter des Kirchen=Guts, des Lan= | des=Fundus, die Beamten der Stadte, die Amts=Aerzte und besoldete Land= und Amts= I Chirurgen, insofem diese beyde letztere aus Unsem oder aus Landes= und Amts= I kassen besoldet werden, nicht aber in Ansehung dessen, was sie aus standesherr= I lichen Domanial=Kassen beziehen.

Ausgeschlossen von dieser Anstalt sind: 1) Alle Militair=Personen, da fiir deren Wittwen und Waisen bereits ohnehin schon | eine ahnliche Anstalt besteht. Diejenige jedoch, welche wegen Hof=Chargen Neben=Besoldungen oder Utilien ge= I nieBen, und dieses Genusses wegen bereits immatriculirt sind, mogen damit immatri= | culirt bleiben. Ftir die Zukunft soil aber dies nicht mehr geschehen. Die beym Militair angestellte Civil=Diener, z. B. bey Unserer Kriegs=Canzley, | sodann die Auditoren, Aerzte und Wundarzte, die angestellte Diener bey den Lazare= I then u. s. w. sind mit ihren aus dem Militair=Fond zu beziehenden Besoldungen gleich= | falls ausgeschlossen, well sie damit im Militair=Wittwen=Fiscus immatriculirt sind. I Beziehen diese aber aus Civil=Fonds noch weitere Besoldung, und sind sie damit im | Militair=Wittwen=Fiscus nicht immatriculirt, so miissen sie damit in die Civil=Witt= | wen=Kasse eintreten. Eben so auch die Civil^Diener mit militairischem Character; z. B. beym Ingenieur= I Departement, da solche als wirkliche Civil= und nicht als Militair^Diener anzusehen sind. 2) Alle evangelisch==lutherische und reformirte, so wie ohnehin auch die gesammte katho= I lische Geistliche, (diese mogen als wirklich solche, oder als Lehrer auf Universitaten, | Lyzaen, Gymnasien, oder als Mitglieder der Kirchen= Departements, oder andep= | warts angestellt seyn) sodann alle lateinische Prazeptoren und andere Schul=Lehrer, | da ftir erstere und letztere bereits groBtentheils in Unsem Landen ahnlicheAnstal= | ten bestehen, und wo dies nicht ist, noch besonders werden errichtet werden. 3) Alle auBerhalb Unserm GroBherzogthum von andem Souverains angestellte zuvor | Badische jener, wenn solche nicht in letzterer Eigenschaft zehen Jahre lang an= | gestellt, und Mitglieder des Instituts gewesen sind, auch bey ihrem Austritte aus | Unsem Diensten ausdrticklich erklart haben, daB sie Zeitlebens Mitglieder verblei= I ben wollen. [S. 229] 4) Alle Standes= oder gmndherrliche Diener, in sofem sie allein im Dienste der Stan= I des= oder Gmndherm sich befinden, und auch von diesen allein besoldet werden; | dieselbe konnen jedoch in der Folge aufgenommen werden, wenn ihre Dienstherr= | schaft unter Anbietung billiger Bedingungen sich um ihre Aufiiahme bewirbt. Jene wenige Standes= oder gmndherrliche Diener, welche bereits Mitglieder sind, | verbleiben es auch femerhin.

[203] Zivildiener-Witwenordnung vom 28. Juni 1810

1795

Die weltliche Civil=Diener Unserer Herm Sohne der Herm Margrafen Friedrich | und Ludwig Liebden, Liebden, sodann der Herm Grafen von Hochberg, sind alsdann auf= | nahmsfahig, wenn ihre Dienst=Herm gleich bey ihrer Anstellung die Aufnahme wun= | schen, und sich verbindlich machen, in Betreff der Zahlung ihrer Aufnahms= und | Meliorations=Taxen, jahrlichen Beytrage und Fisci=Quartalien, alles das leisten zu | lassen, wozu Unsere eigene Dienerschaft verbindlich ist. 5) Das Canzley=Personale fur die bischofliche geistliche Regierung in Constanz und | anderer Orten, insofem nicht die dabey, oder beym kiinftigen Landes=Bischof | angestellte weltliche Diener aus offentlichen Cassen besoldet werden, in welchem Falle sie mit dieser Besoldung allerdings flir aufhahmsfahig, und damit beyzu= treten fur schuldig erklart werden. 6) Alle Post=Offizianten, da sie aus Unsem Cassen keine Besoldung beziehen. 7) Die Lokal=Stiftungs=Verwalter in Freiburg, Constanz und anderwarts, die ihre Besoldung aus Lokal=Cassen beziehen, deBgleichen die milden Stiftungs=Verwal= I ter in Ueberlingen, so wie uberhaupt alle von Stadten, Corporationen und Gemeinheiten zu Besorgung ihrer stadtischen und gemeinheitlichen Verwal= | tungen und Einkiinfte angestellte Diener, insofem sie nicht Unsere unmittelbare Staats=Diener sind, femer die Ober=Burgermeister der Stadte und andere | Raths= Mitglieder und stadtische Diener, so wie auch die Orts=Vorgesetzte, | wann gleich der eine oder andere derselben wegen Fiihmng seines Amts aus | Unsem Staats= Cassen einige Besoldung bezieht. 8) Alle nur karakterisirte Diener, die keine Besoldung beziehen, so wie auch die | nicht besoldete Aerzte oder Chimrgen mit dem zufalligen Ertrage ihres Verdiensts. 9) Alle Pensioners und Quieszenten, die solches vor dem 23. April d. J. gewe= | sen, und nicht vorher schon in eine der bereits bestandenen Wittwen=Fisci Gesell= | schaften immatriculirt gewesen sind, immaBen diese Letztere auch noch femerhin | Mitglieder verbleiben miissen. [S. 230] Was aber die nicht wieder angestellte Mitglieder des vormaligen rheinpfalzischen | Landes=Commissariats anbelangt, welchen nach einer Resolution vom 9. Dec. 1808. I die Versichemng ertheilt worden ist, daB ihre Relicten und Waisen eben so, wie I die Relicten Unserer Activ=Diener, behandelt werden sollen, so mtissen sie gleich diesen, | wenn sie fur ihre Relicten eine Pension erwaten wollen, in diese allgemeine Witt= | wen=Fisci=Anstalt gegen Entrichtung der geordneten Beytrage eintreten, womit sie | also Unsem Activ=Dienem ausnahmsweise gleich gestellt werden. Im Falle sie aber | nicht beytreten wollen, welches ihnen frey steht, so haben ihre Relicten auch keine | Pension zu gewarten. Wer von ihnen binnen drey Monaten von der Publikation | dieses an gerechnet den Beytritt bey Unserm Landes=Polizey=Departement deBfalls nicht | nachsucht bleibt fur immer ausgeschlossen. 10) Die vormals kaiserlich=ostreichische, nachher Erzherzogliche und nun Unsere | Staats=Diener, welche vermeinen, daB ihn nach ihren fruhem Verhaltnissen ein | wohlerworbenes Recht auf eine aus der Staats=Casse fur ihre dereinstige Relic= | ten abzugebende Pension haben (welchen Anspmch man tibrigens auf seinem | Werth oder Unwerth bemhen laBt) und aus diesem Gmnde dieser Anstalt nicht | beytreten noch Beytrage dazu leisten wollen, wogegen aber auch alsdann ihre | Relicten aus dieser Anstalt nichts anzusprechen und zu beziehen haben. 11) Alle Diener, die nur auf Tags=Gebtihren fur ihre verrichtende Arbeit gesetzt sind, 1 z. B. Geometer, Renovatoren u. s. w. Indessen bleiben diejenige von diesen | Dienem, die bereits immatriculirt sind, femer in der Wittwen=Casse. 12) Scribenten, da solche noch keine wirklich angestellte Staats=Diener sind.

1796

§12:Baden

[Dok. 188-251]

13) Alle jene Unserer Staats=Diener, welche Dienste versehen, die nur als Neben= | geschaft einem von anderer biirgerlichen Nahrung lebenden Staats=Btirger uber= | tragen werden, oder welche Geschafte versehen, fiir welche man seine eigene | Diener aufzustellen, sondem die man nur als Nebengeschaft andem Dienem | zuzuweisen pflegt, oder welche solche Verrichtungen versehen, welche eine Gat== | tung btirgerlicher Nahrung ausmachen, endlich jene Hof= | und andere Die= | ner, welche in jenen ferns ten und niedersten Graden stehen, deren Existenz | nicht zur Wesenheit oder zur Form der Hof=Regie gehort, und taglich aufkiindbar | sind, oder welche mit den auf Taglohn gedungenen Dienem in der nemlichen | oder ahnlichen Classe sich befinden, und keine standige Besoldung ziehen. [S. 231] III. Abschnitt. 1 Von dem Fond der Anstalt.

Die Hulfs=Quellen, aus welchen die Erhaltung der Wittwen und Waisen besorgt | werden soil, bestehen in folgendem: Aus dem bey der altbadischen Wittwen=Kasse bereits gesammelten Capital=Fond \ von nahe an 300,000 Gulden. §.10. Aus dem bey der bruchsalischen Wittwen=Kasse ebenfalls gesammelten Capital= | Fond von 230 - 240,000 Gulden. §.11. ^Wegen dem durch die Generalisirung dieser Anstalt veranlaBten Beytritt der neuen | Mitglieder, welche keinen ahnlichen Fond, wie die vorher erwahnte altbadische und | bmchsaler Mitglieder, mitzubringen im Stande sind, haben Wir berechnen lassen, | wie viel diese kiinftige neue Mitglieder nach dem VerhaltniB der Zahl der altbadischen | und bruchsaler Mitglieder und nach dem VerhaltniB des bereits vorhandenen Kapi= | tal^Fonds, um an solchem Antheil zu erhalten, beyzuschieBen hatten. "^Dabey hat | sich nun gezeigt, daB ein Capital=Beytrag von 205,000 fl. erforderlich ist. Wir haben Uns nun gnadigst entschlossen, aus Unsem Staats== und andem | offentlichen Mitteln, einen vom 23 April d. J. an zu verzinsenden Kapital=Beytrag | von zweymalhundert und funflausend Gulden mildest beyzutragen, und | werden wegen dessen Abliefemng an Unser Finanz=Ministerium, besondere Weisung | ergehen lassen. §. 12. ^Sodann haben Wir bereits nach Unserer Resolution vom 21. Oct. 1799 der | vorherigen altbadischen Wittwen=Kasse vom 23. Oct. 1799 an jene Dienstes=Rezeptions= | und Meliorations=Taxen von 8 und resp. 4 proCt, welche die neu angestellte, oder in ihrer Besoldung verbesserte Diener, taxordnungsmaBig als Canzley=Taxe an Unser | Aerarium zu entrichten hatten, jener altbadischen Wittwen^^Kasse gnadigst zugewendet. [ ^Dieses wollen Wir nunmehr dahin ausdehnen, daB alle vom 23. April d. J. an | neu angestellte in diesen Wittwen=Kassen=Verein gehorige Diener, in Unserm ganzen | GroBherzogthum, die von ihrer erhaltenden Besoldung zu entrichtende Dienst=Rezeptions= | [S. 232] Canzley=Taxen von 8 proCt., oder wann ihre Besoldung die Summe von 418 fl. nicht erreicht, | die nach der neuen Tax=Ordnung anzusetzende geringere Taxen, sodann alle vorerwahnte, | vom 23ten April d. J. an, in ihrer Besoldung verbesserte Diener, die davon zu entrich= | tende 4 proCt. Meliorations=Canzley=Taxen, an die allgemeine Wittwen=Kasse abgeben sollen. Die gleiche Summe soil auch von den Dienem Unserer Herm Sohne der Herm | Markgrafen, Friedrich und Ludwig, Liebden, Liebden und der Herm Grafen | von Hochberg,

[203] Zivildiener-Witwenordnung vom 28. Juni 1810

1797

wenn sie Mitglieder dieses Wittwen=Kassen=Vereins werden, verhaltniB= | maBig entrichtet werden. §.13. Zu Bezahlung dieser Taxen von 8 proCt. sind: a) diejenige verbunden, welche von Uns als Diener angenommen werden, ohne | Unterschied, ob sie vorher im Auslande bereits angestellt waren, oder ob es ihre | erste Dienst=Anstellung ist. b) Solche Diener, welche durch die VergroBerung Unserer Lande, sey es durch | Friedensschltisse, durch Tausch oder andere Vertrage, Uns angefallen, und von | Uns in ihrem vorher gehabten Dienst belassen und bestatiget, oder sonst von | Uns anderwarts angestellt werden, sind von der Entrichtung dieser 8 proCt. [ frey; wann sie aber von Uns eine starkere Besoldung erhalten, als sie vorher | genossen haben, so mtissen sie von dieser Verbesserang 4 proCt. Taxe entrichten. c) Das Gleiche gilt auch bey jenen Dienem, welche aus den Diensten Unserer | Standes= oder Grund=Herm, in Unsere unmittelbare Dienste aufgenommen werden. §.14. ^Femer haben Wir gleich bey Errichtung der altbadischen Wittwen=Kasse, dersel= \ ben die Einrichtung des sogenannten Gnaden=Quartals zugesichert, und Wir wollen | dies auch bey der nunmehr allgemeinen Wittwen=Kasse fortbestehen lassen, und dersel= | ben diese Abgabe von alien in diesen Wittwen=Kassen=Verein gehorigen und mit Tod 1 abgehenden Dienem, zusichem. "^Es wird nemlich, wann einer Unserer Diener stirbt, | und derselbe eine Wittwe oder Kinder hinterlaBt, an solche der voile Besoldungs=Be= | trag desjenigen Quartals, in welchem er gestorben ist, ausbezahlt. ^Dieses ist unter | dem Namen Sterb=Quartal bekannt. ^Ausser diesem soil aber auch ein weiteres | Quartal, oder der vierte Theil von eines jeden verstorbenen Dieners genossen fixen | Besoldung in Geld und Naturalien womit derselbe nach §. 24. hat immatrikulirt | werden konnen, an die Wittwen=Kasse, und zwar aus jenen Kassen, aus welchen die | [S. 233] immatrikulirte Besoldungs=Stucke gereicht worden, oder aus andem Unsem Kassen, | (wenn die Besoldungs=Stiicke aus Kassen nicht zahlbar waren, z. B. wegen den Bey= | nutzungs=Gtitem, Einzugs=Gebtihren, Hof=Kost, freyer Wohnung, Diensts=Utilien) | abgegeben werden, welches das Gratial=Quartal genannt wird. §. 15. Dieses Gratial=Quartal soil nicht nur von den, wirklich in Unsem Diensten verstor= | benen Dienem, sondem auch von den aus Unsem Diensten getretenen, auch mit oder ohne | Pension dimittirten, oder kassirten Dienem, gleich nach solcher Entlassung, wo der Besol= | dungs=GenuB aufhort, aus den betreffenden herrschaftlichen Landes= oder andem Kassen, | woraus der Diener seine Besoldung, mit welcher er immatrikulirt war, bezog, bezahlet worden. §. 16. ^Wenn aber ein solcher Diener annoch eine Pension (z. B. von 1000 fl.) zu genies= | sen hat, die weniger als seine vorige Besoldung (z. B. von 1500 fl.) betragt, so | wird vom zeBirenden Mehrbetrag seiner vorigen Besoldung, (also im angegebenen | Beyspiel, von 500 fl.) sogleich vom Quartal an, wo die vorherige Besoldung aufhort, | das Ratum (also 125 fl. von 500 fl.) dann aber von dem als Pension zu genieBen= | den Ueberrest (von 1000 fl.) nach dessen Ableben (mit 250 fl.) folglich hiemach von | der gehabten ganzen Besoldung solches Gratial=Quartal an die Wittwen=Kasse abge= | geben. ^Ein solcher Diener bezahlt aber den jahrlichen Betyrag (§. 19.) nach erfolg= | ter Pensioniemng eben so hoch, als er

1798

§12:Baden

[Dok. 188-251]

ihn zuletzt vor seiner Pensionirung bezahlt hat. ^Seine Wittwe erhalt auch das Benefizium nicht nach der Pension, sondem nach der | vormaligen Besoldung berechnet. "^Sollte es bisweilen geschehen, daB die Pension | den bisher immatrikulirten Besoldungs=Betrag tiberstiege, so verbleibt es bey dem | immatrikulirten Betrag ohne Erhohung desselben.

^Wenn aber ein Diener durch Beforderung oder Translokation einen andem Dienst | erhalt, und dieser letztere Dienst nach der Immatrikulimng nicht so viel betragen | sollte, als sein vorheriger Dienst, welches auch dadurch veranlaBt werden kann, wenn | er vorher bloB eine Geld=Besoldung ohne Naturalien gehabt hat, und nachher eine | geminderte Geld=Besoldung, jedoch mit Naturalien erhalt, so wird von der Diffe= | renz dieser letztem gegen die vorherige Besoldung, das Gratial=Quartal nicht entrich= | tet. •^Ein solcher Diener hat aber alsdann auch die Beytrage nicht von der friihem | hoher immatrikulirten, sondem nur von der letztem geringer immatrikulirten Besol= | [S. 234] dung zu entrichten, und kann auch nicht hoher als mit dieser immatrikulirt werden. ^Wir wollen daher, was zwar friiher erlaubt war, femerhin nicht mehr gestatten, | daB ein solcher Diener durch Versichemng der Zahlung des Gratial=Quartals aus | eigenem Vermogen, mit seiner friihem hoher ausgeschlagenen Besoldung immatrikulirt | werde. "^Bey denjenigen jedoch, die damit auf solche Weise bereits immatrikulirt [ sind, und dergleichen Reverse ausgestellt haben, wollen Wir es dabey bewenden lassen. §.18. Die Einnahmen, welche die altbadische Wittwen=Kasse bisher gehabt hat: 1) durch die aus Unsem Kassen geleistete Beytrage von vakanten Dienst=Stellen, die | der Ordnung nach wieder besetzt, und nicht fur aufgehoben erklart werden, sondem I nur wegen besondem Umstanden iiber die gewohnliche Zeit unbesetzt bleiben, wahrend der ungewohnlichen Vacatur, von der Zeit des abgelaufenen Gratial^Quartals an, 2) Durch Entrichtung des Sterb==Quartals lediger Diener vom Todes=Tage an, 3) Von Juden=Annahms=Taxen im Hanau=Lichtenbergischen, und 4) Vom Karten=Stempel im Badenbadischen; so wie auch jene Einnahmen, welche die I bmchsalische Wittwen=Kasse bisher gehabt hat, als: 5) Der dritte Theil von gewissen bestimmten Abzugs=Geldem, und 6) eben so der 3te Theil von einigen Verm6gens=Confiskationen, horen vom 23. April dieses Jahrs an auf, und werden zu Unsem Kassen zuruckgezogen. §.19. ^Die Mitglieder dieser allgemeinen Wittwen=Kasse haben jahrlich 1 V2 proCt. Beytra= | ge von ihrer Besoldung zu entrichten. ^Dieser Beytrag soil auch fiir das voile Quar= | tal, in welchem ein Diener mit Tod abgeht, er sey verheirathet oder ledig gewesen, | bezahlt werden. §. 20. Diejenige Diener, welche dem Institut neu beytreten, haben im ersten Jahr von ih= | rer Besoldung noch weiteres 3 V2 proCt. als Eintritts=Geld, folglich mit den gewohn= | lichen jahrlichen Beytragen, 5 proCt. zu entrichten.

[203] Zivildiener-Witwenordnung vom 28. Juni 1810

1799

§.21. Wer eine Besoldungs=Verbesserung, oder einen andem Dienst mit einer hohem | Besoldung erhalt, der hat von derjenigen Summe, um welche seine Besoldung ver= | bessert und erhohet worden, im ersten Jahre 1 proCt. welter, also 2 V2 proCt. von der | Verbessemng, von der vorherigen Besoldung aber nur 1 V2 proCt. Beytrag zu entrichten. [S. 235] §. 22. ^Diejenige Diener, welche ehedessen bey der altbadischen, oder bruchsalischen, oder | St. Blasischen Wittwen=Kasse immatrikulirt waren, und mithin das Eintritts=Geld | schon friiher entrichtet haben, bleiben von dessen nochmaliger Entrichtung frey. ^Eben | so auch diejenige Diener, welche seit einigen Jahren in Landes=Theile versetzt worden, | in welchen sich keine Wittwen=Kasse befunden hat, und die vorher schon Mitglieder | einer der vorerwahnten Wittwen=Kassen gewesen, durch ihre Versetzung aber von | solchen ausgeschlossen worden, bleiben von Entrichtung des Eintritts=Gelds frey, und ] sie haben nur von derjenigen Summe der Besoldung, welche sie jetzt mehr haben, | als womit sie ehedessen immatrikulirt waren, ein Procent extra, jedoch aber von der | ganzen Besoldung die gewohnliche Beytrage mit 1 V2 proCt. zu entrichten. §.23. Die Diener der vormaligen 2ten Abtheilung bei der altbadischen Wittwen=Kasse, | welche bisher von Besoldungs=Verbessemngen im ersten Jahre 3 V3 proCt. und als | gewohnliche Beytrage 1 ^/s proCt. entrichtet haben, zahlen ktinftig auch nicht mehr als | 2 V2 und resp. 1 Procent. IV. Abschnitt. | Von dem Besoldungs=Anschlage, wie solcher zu berechnen, und was darunter aufzunehmen ist. §.24. Diese vorerwahnten Beytrage der Diener, werden nach ihren Besoldungs=Anschla= | gen regulirt, wobey folgendes zu berucksichtigen ist: 1) Die Geld=Besoldung wird nach ihrem Nennwerth angeschlagen; also z. B. 100 | oder 1000 fl. u. s. w. zu 100 oder resp. 1000 fl. Anschlag. 2) Die Naturalien werden nach folgendem Tax angeschlagen: Das Durlacher Malter Kom zu.. 4 fl. - Dinkelzu 3 fl.- Gerstenzu 3 fl. 30 kr. Die Durlacher Ohm Wein Iter Klasse zu 8 fl. 2ter Klasse zu 7fl.3ter Klasse zu 6 fl. 30 kr. 80 fl. DieFourage auf 1 Pferdzu Wenn aber jemand keine ganze Pferd=Fourage hat [S. 236] Das Durlacher Malter Haberzu..., „ 2 fl. 30 kr. Das Centner Heu zu - 48 kr. Der Bund Strohzu..... , , 6 kr. 3) Holz von jeder Gattung, weiches oder hartes, Wald oder FloB=Holz, das einem | Diener als Besoldung gegeben wird, soil zu fiinf Gulden das Klafter in An= | schlag genommen werden. 4) Freyes Logis soil zu 300 fl. flir Diener, die 3000 fl. und dariiber Besoldung | haben, zu 200 fl. fur Diener, die 2000 fl. und daniber Besoldung haben, zu | 150 fl. fiir Diener die die 1500 fl. bis 2000 fl. Besoldung, zu 100 fl., fur Diener | von 1000 bis

1800

5)

6)

7) 8)

9)

§12:Baden

[Dok. 188-251]

1500 fl. Besoldung haben, endlich zu 50 fl. fur Diener unter | 1000 fl. Besoldung angeschlagen werden. Die Hof^Kost soil statt bisheriger 150 fl. auf 225 fl., und die geringere statt bis= [ heriger 100 und resp. 75 fl., auf 112 fl. angeschlagen werden. In der | Zukunft werden damit jedoch die Militaii^Diener nicht mehr immatrikulirt. | Bey denen aber, welche damit bereits immatrikulirt sind, mag es dabey verbleiben. Die den Verrechnem, als Besoldungs=Stucke aufgerechnete Einzugs=Gebuhren, wer= I den mit jener Summe, in welcher sie als Besoldung angerechnet werden, imma= | trikulirt. DeBgleichen die Dienst=Beynutzungen in demjenigen Anschlage, in welchem sie als I Besoldungs=Stuck aufgerechnet sind. Die Aerzte und besoldete Land= und Amts^Chrirurgen werden mit dem glaub= | haft zu bescheinigenden Ertrage ihrer Praxis immatrikulirt, wann sie es wiinschen | und darum bitten. Aber dafur miissen sie a) ausser dem jahrlichen Beytrag von einem solchen Anschlag auch noch der Witt= I wen=Kasse durch Ausstellung eines Reverses versichem, daB das Gratial=Quartal | davon nach ihrem Ableben aus dem ihrigen oder der ihrigen eigenem Vermogen | bezahlt werde; b) sie mtissen sich um die Immatrikulirung derartiger Emolumente, entweder gleich I zur Zeit, wo sie zu deren GenuB berechtigt worden, oder doch nicht spater als | langstens vor Ablauf des 2ten Jahres melden, und bey derjenigen Summe beste= I hen bleiben, wie sie solche einmal angegeben haben. Was Unsere Diener aus andem als Unsem und Landes= oder Amts==Kassen, z. B. | aus stadtischen oder Gemeinds=Kassen, als wirkliche Besoldung beziehen, ist auch I [S. 237] immatrikulationsfahig. Das Gratial=Quartal dafiir wird aus den nemlichen | Kassen entrichtet.

§. 25. ^Der Matrikular=Anschlag richtet sich genau nach dem Dienst=Einkommen, wobey | keine willkiirliche Erhohung oder Verminderung statt finden darf. ^Jedoch soil kein | Diener hoher als mit 3000 fl. immatrikulirt werden, dagegen darf er auch von dem, | um was seine Besoldung die Summe von 3000 fl. iibersteigt, keine jahrliche Beytrage | oder Eintritts=Geld entrichten. ^Jedoch wird der Matrikular=Anschlag nur von 10 zu | 20 fl. genommen, damit bey den Quartal=Beytragen wenigstens die Bruch=Zahlen | unter V4 kr. vermieden bleiben. §. 26. Folgende Gegenstande werden nicht immatrikulirt: 1) Die Scribenten=Gehalte, 2) Die Schreib=Materialien=Gelder, 3) Die Bedienten=Gehalte, 4) Die Pferde=Fouragen, wenn sie als Dienstes=Last anzusehen sind, als woriiber in | den ergehenden Signaturen jedesmal die erforderliche Bestimmung erfolgen wird. | Nur dann sind sie matrikulationsfahig, wenn das Tractament auf Pferde einem | Diener bloB zur Verbesserung im Gehalt, mithin als Besoldungs=Stiick aufgerech= | net, und nicht zur nothwendigen Versehung des Dienstes verwilligt ist. - We= | gen denen aber, die damit oder mit andem in der Zukunft nicht zu immatrikuli= | renden Artikuln, bereits schon immatrikulirt sind, verbleibt es dabey,

[203] Zivildiener-Witwenordnung vom 28. Juni 1810

1801

§. 27. ^Die bisher bey der altbadischen Wittwen=Kasse seit neueren Zeiten bewilligte Im= | matrikulirung jener vorgedachten und andem Besoldungs=Stucke, welche der Regel nach | nicht batten immatrikulirt werden sollen, und wofiir ein solcher Diener eine Versiche= | rung ausgestellt hat, daB nach seinem Ableben das Gratial=Quartal an die Wittwen= | Kasse aus seinem oder der seinigen Privat=Vermogen bezahlt werden soil, findet flir | die Zukunft nicht statt. "^In Ansehung derjenigen wenigen Diener aber, welche mit sol= | chen Besoldungs=Stucken bereits immatrikulirt sind, und dergleichen vorerwahnte Ver= | sicherungen ausgestellt haben, mag es dabey belassen, und sie konnen damit nach der | vorherigen Ordnung behandelt werden. ^Sollten sie aber kiinftig noch Zulagen erhalten, | so sind sie damit zwar zu immatrikuliren, von ihrer vorherigen Matrikel aber ist vor= | derfallst so viel abzuziehen, als vorerwahnte nicht zu immatrikulirende Artikul betragen. [S. 238] §.28. ^Was sodann jene wenige Diener betrifft, die keine fixe Besoldung, sondem Spor= | teln zu beziehen haben, so sind deren Matrikular=Anschlage nach dem ungefahren Er= | trage ihres Dienst=Einkommens festzusetzen, und hiemach das Eintritts=Geld zu berech= | nen, und die jahrliche Beytrage zu erheben. ^Die Gratial=Quartalien von solchen | Anschlagen sind seiner Zeit nach dem Tode des Dieners, aus dem Dienst=Einkommen | wahrend dem Lauf des Quartals, und wenn der Ertrag desselben dazu nicht hinlangen | sollte, so ist der Rest aus dem Ertrage des folgenden Quartals zu entrichten. §.29. Von alien auf vorstehende Weise anzusetzenden Beytragen ist in jedem Quartal | der 4te Theil des jahrlichen Betrags von derjenigen verrechnenden Dienst=Stelle, die dem | Diener seine Besoldung auszuzahlen hat, inne zu behalten, und dem General=Kassirer | der Wittwen=Kasse abzugeben, der dariiber vor den Quartal=Besoldungs=Zahlungen | Verzeichnisse mitzutheilen hat. Die ausgetretene, dimittirte und kassirte ehemalige Diener aber, die keine Besol= | dung oder Pension mehr im Lande zu beziehen haben, hingegen in der Societat ver= | blieben sind, haben ihre schuldige Beytrage unmittelbar an den General=Kassirer gehorig | zu bezahlen, oder werm sie sich nicht dahier aufhalten, jemand zu beauftragen, ihre | Schuldigkeit zu entrichten. V. Abschnitt. | Von den Pensions^ und Benefizien=Verhaltnissen. §. 30. ^Die Proportion der Benefizien=Forderung an die in den Austheiler fallende Summe | richtet sich lediglich nach dem jahrlichen Beytrag, welcher der verstorbene Ehemann | oder Vater in den letzten Zeiten seines Lebens bezahlt hat. '^Wenn dahero einer Unse= | rer Diener in dem Laufe eines Quartals eine Besoldungs=Zulage erhalt, und er stirbt | in dem Laufe dieses nemlichen Quartals, wo er somit noch nicht in den Fall gekom= | men ist, von dieser erhaltenen Zulage einen Beytrag leisten zu konnen, so erhalt seine | Wittwe oder Kinder nur von jener Besoldung das verhaltniBmaBige Benefizium, von | welcher der verstorbene im letzt verflossenen Quartal die Beytrage geleistet hat. §.31. ^Auf jeden Gulden Beytrag soil vom 23. April d. J. an, jahrlich, und flir | die Zukunft, wenigstens Eilf Gulden als Benefizium gereicht werden. ^Sollte die 1 [S. 239] Wittwen=Kasse durch eine allzu groBe Zahl von Perzipienten in den Fall kommen, daB sie | zu dieser niemals zu verringemden Abgabe die erforderlichen Krafle nicht haben sollte, | und

1802

§ 12: Baden

[Dok. 188-251]

sollte sie aus ihren Mitteln von jenen Einkiinften, welche Wir nach §. 42. u. s. w. | zur jahrlichen Austheilung bestimmen, dazu nicht im Stande seyn, ohne ihren Kapi= | tal=Fond zu verringem und anzugreifen, oder nicht so viel jahrlich zu Vermehrung des | Fonds zunicklegen konnen, als Wir nach §. 42. etc. verordnen, so versprechen Wir | anmit feyerlich, zu jeder Zeit aus Unserer Staats=Kasse so viel beyzuschieBen, als nach | diesen Umstanden erforderlich ist, um unbeschadet des Kapital=Fonds, und desjenigen, | was zu dessen Vermehrung bestimmt ist, jahrlich 11 fl. Benefizium auf 1 fl. Beytrag | abgeben zu konnen. §.32. ^Wir haben jedoch die gegnindete Hoffnung, daB nach Verlauf weniger Jahre, | das jahrliche Benefizium von 11 fl. auf 1 fl. Beytrag, betrachtlich wird vermehrt | werden konnen. ^Alsdann soil aber die Vermehrung zwar immer nach gewissen | Verhaltnissen der Beytrage, jedoch aber nicht mehr in gleicher Summe fur alle Per= | zipienten geschehen. Wir wollen nemlich, daB diese Vermehrung vorztiglich den Wittwen und Waisen | der gering besoldeten Diener zu gut kommen soil, daB aber zu gleicher Zeit die Witt= | wen und Waisen der hoher besoldeten Diener zwar auch eine Vermehrung ihres Bene= | fizii, jedoch nicht in gleicher Summe wie jene, von demjenigen nemlich, was tiber | 11 fl. auf 1 fl. Beytrag gegeben wird, erhalten sollen. Diese Vermehrung soil nach den Kraften des Fonds auf 17 Perioden bestimmt | werden, und jedesmal von einer Periode zur andem nicht eher erfolgen, als bis der | Fond so angewachsen ist, daB er im Stande ist, dieselbe mit Sicherheit, ohne seinem | Wachsthum zu schaden, bestreiten zu konnen. ^Zu diesem Ende soil jahrlich beym Anfang des Rechnungs=Jahrs von Unserm Mini= | sterial=Landes=Polizey=Departement nach vorgangiger Riicksichtsnahme auf die Zahl | der Contribuenten und Percipienten, auf die Summe der jahrlichen Einnahme von | den Beytragen, den Zinsen, u. s. w., auf die Summe der Ausgaben, und auf die | Starke des Kapital=Fonds, in Ueberlegung gezogen werden, ob eine Erhohung des | Benefizii von einer Periode zur andem moglich ist oder nicht. ^Das Resultat hiervon | soil dem General=Directorium des Ministerii des Innem vorgelegt, und dort noch= | [S. 240] mals gepriift, sodann von da aus mit weiteren Gutachten an Uns zur Ministerial^ | Conferenz, zur Resolutionsfassung tibergeben werden. §.33. Nachfolgendes Schema, das von 100 fl. zu 100 fl. Besoldung steigt, das aber | auch von je 10 zu 10 fl. anwendbar ist, und angewendet werden soil, wird Unsere | Absicht naher darstellen.

[203] Zivildiener-Witwenordnung vom 28. Juni 1810

1803

Die Wittwen und Waisen derjenigen Diener, deren Manner und Vater immatri= kulirt waren. mit

fl. 1 100 200 300 400 500 600 700 800 900 1000 1100 1200 1300 1400 1500 1600 1700 1800 1900 2000 2100 2200 2300 2400 2500 2600 2700 2800 2900 3000 [S. 241]

erhalten undjahrjetzt lich beyge= 1 tra- ll.fl. |auf gen hal.fl. Beytrag ben fl. 1 3 4 6 7 9 10 12 13 15 16 18 19 21 22 24 25 27 28 30 31 33 34 36 37 39 40 42 43 45

kr. 30 30 30 30 30 30 30 30 30 30 30 30 30 30 30 -

fl. 16 33 49 66 82 99 115 132 148 165 181 198 214 231 247 264 280 297 313 330 346 363 379 396 412 429 445 462 478 495

kr. 30 30 30 30 30 30 30 30 30 30 30 30 30 30 30 -

Sie sollen aber Das Benefizium | und in jeder Zuder= 1 einst in steigt mithin in wachs= 1 Periode 17Perioden | wird auf 1 fl. | jeder | Zuerhoht werden wachs=Periode Beytrag mehr als| 11 fl. Beneauf um fizium 1 gegeben kr. kr. fl. fl. kr. ~1L _ 25 20 30 50 1 20 20 75 30 1 100 20 2 125 2 20 30 150 20 3 175 20 3 30 __ 200 20 4 225 20 4 30 250 20 5 275 20 5 30 300 20 6 320 6 12% 19 % i 24 '% 340 6 18^^119 1 7 297/ 360 6 37 Vn 380 6 49 Vi7 17 Vn 1^ 156/ ~ 400 7 16 /289 1 '% 420 7 14% 16% 440 26% 7 15 ^^%3 460 7 38 '%, 15% 7 480 51 % 14^^^/119 __ 500 8 3 % 14%S7 512 30 7 49 ^/n 13^%91 525 7 35 Vi7 12 ^Vn 7 537 30 21 % 11% 550 7 7% 10^^%21 562 6 30 10% 52 ^^/i7 575 6 38% 9%19 o416/ 30 587 6 24 ^^/n o /493 600 6 10% 8^7 §. 34.

Wenn aber dereinst nach Verlauf mehrerer Jahre das Benefizium auf die hochste | Summe der 17ten Periode gestiegen ist, und der Fond durch immer hoheres Anwach= | sen zu seiner eigenen gentigenden Selbststandigkeit gelangt ist; so behalten Wir Uns | und Unsem Regierungs==Nachfolgem vor, entweder ein weiteres VerhaltniB, wie das | Benefizium steigen Oder wachsen soil, zu bestimmen; oder alsdann die Auszahlung | der Gratial=Quartalien aus Unserer Staats= und andem Kassen zu sistiren, oder die | der Wittwen=Kasse zugewiesene Dienst=Rezeptions= und Meliorations^Taxen zuriickzunehmen, | oder die Beytritts== Gelder der Diener, oder derselben jahrliche Beytrage zu der Witt= | wen=Kasse zu vermindem, je nachdem die Zeit=Umstande es alsdann erlauben und | erfordem.

1804

§12:Baden

[Dok. 188-251]

VI. Abschnitt. | Von dem zum Pensions^ oder Benefizien=GenuB berechtigten | Personen und der Dauer desselben. §.35. Zu dem Empfang dieser Pensionen oder Benefizien sind berechtigt, die Wittwen | der hier vorbemeldeten Diener, und die eheleibliche Sohne und Tochter dieser Diener. Der GenuB desselben fange von dem Ende des Quartals an, in welchem der | Mann oder Vater gestorben ist, mithin entweder auf den 23. April, Julius, October | oder Januar, well Wir die Besoldung eines Dieners in demjenigen Quartal, in | dessen Lauf derselbe stirbt, noch ganz, als wenn der Diener den letzten Tag des | Quartals erlebt hatte, an seine Wittwe und Kinder auszahlen lassen, mithin ein fru= | herer Pensions=Anfang nicht nothig ist. §.36. ^In Ansehung der Kinder ist dieser Benefizien=GenuB als ein NachlaB des Vaters, | den er errungen, anzusehen, woran sie nicht bloB durch die Mutter und in ihrem Namen | partizipiren, sondem woran sie aus eigenem Rechte Antheil nehmen. ^Dieses Recht | kann ihnen durch keine Handlung der Mutter entzogen werden. ^Der Antheil der | Kinder fallt aber der Mutter zu, wenn die Kinder des Genusses nicht mehr fahig sind. §. 37. ^Wittwen und Kinder, es mogen deren viele oder wenige, auch aus einer oder | mehreren Ehen seyn, werden fur Eine Person gerechnet. ^Die Wittwe erhalt und | genieBt das Benefizium fur sich und ihre mit dem verstorbenen Diener erzeugte Kin= | [S. 242] der. ^Hat dieser perzeptionsfahige Kinder aus mehrem Ehen hinterlassen, so theilt | sich das Benefizium in so viel gleiche Theile, als Ehen sind. '*Die Hinterlassene aus | einer Ehe erhalten zusammen einen Theil, welcher sodann wieder unter ihnen selbst | nach den Kopfen in gleiche Theile zerfallt. §.38. ^Dieser Unterhalt gehet zu Ende, wenn die Wittwe sich anderweit verheirathet | oder stirbt. ^Wenn aber in dem einen oder andem Fall annoch Kinder von ihrem | verstorbenen Ehemann tibrig sind, alsdann bekommen die Sohne bis nach Vollendung | des 20. d. i. bis zum Antritt des 2L Jahrs, die unverheirathete Tochter aber bis | nach vollendetem 18. d, i. bis zum Antritt des 19. Jahrs, den ganzen Gehalt. ^Die | Pfleger derselben empfangen die Zahlung und die Theilung geschieht nach Kopfen. "^Sterben von ihnen einige vor solchem Alter, oder heirathet ein Sohn oder eine Tochter | vor dem Antritt des 21. oder resp. 19. Jahrs, alsdann fallt der erledigte Antheil | den tibrigen zu, und wenn deren keine mehr von dem bestimmten Alter vorhanden | sind, so hort auch alle Zahlung der Wittwen=Kasse auf. §.39. Da sich auch schon der Fall zugetragen hat, daB einer Wittwe der Dienst ihres | verstorbenen Manns auf gewisse Zeit mit dem Besoldungs=GenuB zur Besorgung | gelassen worden, und dies vielleicht auch in gewissen Fallen, ausserordenthcher Weise, | ktinftig geschehen konnte, so haben in einem solchen Falle die Wittwe oder Kinder, [ so lange erstere die Dienst=Besoldung bezieht, nicht nur keine Ansprache auf ein | Benefizium zu machen, sondem die Wittwe ist auch schuldig, die Beytrage von dem [ Besoldungs=Anschlag, da der Beytrag auf der Dienst=Besoldung haftet, so lange | fortzubezahlen, bis ihr der Dienst abgenommen und wieder anderweit besetzt wird, | wo sie alsdann von dem Quartal an, wo dieses geschieht, mit den Kindem in den | Benefizien=GenuB kommt.

[203] Zivildiener-Witwenordnung vom 28. Juni 1810

1805

§. 40. ^Wenn Diener aus Unsem in andere Dienste gehen, oder in Gnaden, oder Vep= | gehens wegen entlassen oder kassirt werden, so sollen sie, wenn sie zehn Jahre lang | in Unsem Diensten, und Mitglieder dieser Anstalt gewesen sind, ftir ihre dereinstige | Relicten gleichwohl das Recht zu der Wittwen=Kasse nicht verlieren. "^Sie mtissen | sich aber dartiber, daB sie femerhin noch Mitglieder bleiben wollen, ausdrticklich | erklaren, und wenn sie dies gethan, so konnen sie in der Folge auch nicht mehr aus= | [S. 243] treten, sondem sie sind auf ihre ganze Lebenszeit an diese Erklamng gebunden, und | mtissen bis zum Ende ihres Lebens den Beytrag auf die nemliche Art fortsetzen, als | wenn sie im Dienst geblieben waren. Nach ihrem Ableben haben sodann ihre Relicten auf den Benefizien=GenuB wie | die tibrige Wittwen und Waisen Ansprache zu machen, und sie sind in solchen von | dem Ablauf des Quartals an zu setzen; in welchem der Ehemann oder Vater gestor= | ben ist, und fiir solches Quartal ist noch der ganze Quartals=Beytrag zu entrichten. ^Sollten aber dergleichen gewesene Diener in der Bezahlung der Beytrage saumig | werden, so steht dem Institute frey, den Zahlungssaumigen, statt der etwa nicht | schicklich findenden gerichtlichen Verfolgung auf die Erfiillung, zur Strafe der Saum= | sal, wann er ^U Jahr lang seine Beytrage nicht entrichtet hat, von der Gesellschaft | auszuschliessen. ^Wtirde hingegen ein solcher Diener nach erfolgter Exclusion um seine | Wieder=Aufhahme in das Institut nachsuchen, auch solche nach dem Ermessen Unsers^ | Ministerial=Landes=Polizey=Departements und des General=Directorii Unsers Mini= | sterii des Innem, ohne offenbaren besondem Nachtheil der Sozietats=Glieder, zuge= | las sen werden konnen, so kann jedoch diese Ausnahme anders nicht geschehen, als | daB der, vom Austritte an, riickstandige Beytrag doppelt entrichtet werde. §.41. ^Eine von ihrem Mann verlassene, oder auch unschuldig abgeschiedene Ehefrau, | soil nur in dem Fall, wenn der Mann oder sie bis an den Tod ihres Mannes | den Beytrag fortsetzt, ihr Recht zu dem GenuB des Wittwen==Benefizii beybehalten; | sie kann aber den wirklichen Bezug des Wittwen=Benefizii vor dem Absterben des | Mannes nicht verlangen. ^Hat der Mann sich wieder verheirathet und aus der spatem | Ehe eine Wittwe oder perzeptionsfahige Kinder hinterlassen, so theilen diese mit der | unschuldig abgeschiedenen Ehefrau und ihren mit dem verstorbenen etwa erzeugten | Kindem das Benefizium nach den Regeln des 37. §. Nie kann aber eine schul= | dig abgeschiedene, jedoch unnachtheilig ihren Kindem, daran Theil nehmen. VII. Abschnitt. | Bestimmungen dessen, was von den Einktinften jahrlich unter die | Wittwen und Waisen ausgetheilt, und was davon zurtickgelegt werden soil. §. 42. Die Dienst=Rezeptions= und Meliorations=Taxen, so wie auch der Betrag der Gna= | [S. 244] den=Quartalien, sollen nie ausgetheilt, sondem zu weiterer Kapital=Anlage und Vergro= | Bemng des Fonds jederzeit zurtickgelegt werden. §.43. ^In Ansehung der von Unsem Dienem zu leistenden Beytrage, so wie auch in | Ansehung der Capital=Zinse, welch letztere bey der altbadischen Wittwen=Kasse ganz, | und erstere zu ^/lo ausgetheilt worden, mtissen Wir deBhalb nothwendig eine neue | Anordnung treffen, weil die Zahl der Contribuenten sich wohl noch einmal so stark, | als bisher gewesen sind, vermehren wird, und die Zahl der kiinftigen Wittwen und | Waisen von diesen neu aufzunehmenden Dienem erst nach Verlauf von etwa 30 | Jahren in der gehorigen Mit-

1806

§ 12: Baden

[Dok. 188-251]

tel=Zahl erscheint. '^Wtirde hierauf nicht billige Rticksicht | genommen, so wtirden die Wittwen und Waisen in den erstem Jahren weit mehr | erhalten, als spaterhin abzugeben moglich ware. ^Da aber von der andem Seite | betrachtet, die jetzige allgemeine Gesellschaft nicht ganz neu constituirt wird, indem | von den bisherigen Mitgliedem der altbadischen und bruchsaler Gesellschaft, die | Zahl der Wittwen und Waisen sich schon ziemlich auf die gehorige Mittel=Zahl gestellt | hat; so verordnen Wir damit: §.44. a) In Ansehung der jahrlichen Beytrage, daB von solchen im ersten Jahre, also | vom 23. April 1810 bis dahin 1811 die Halfte, und in den folgenden V30 | weiter, nemlich im zweiten Jahr ^/i5, im dritten ^^/so, im vierten ^1^, im funflen ^%051 im sechsten %, im siebenten ^/lo, im achten ^Vis, im neunten ^^l^o, im zehnten "^/s, im | eilften ^/6, im zwolften ^^/i5, im dreyzehenden und allfolgende ^/lo ausgetheilt wer= | den dtirfe. Das weitere Vio soil fur immer zur Kapital=Vermehrung zuriickge= | legt werden. §.45. b) In Ansehung der jahrlichen Zinse soil im ersten Jahr ^/y und in den folgenden | Jahren V35 weiter, also im zweyten Jahr ^%5, im dritten ^^/sy, im vierten l^s, im I fiinften 732, im sechsten 735, oder /y, im siebenten 735, im achten 735, im neunten ^•^735, im I zehnten ^"^735, im eilften und allfolgenden die sammtliche Zinse ausgetheilt werden. §.46. ^Wegen diesen zu vertheilenden Beytragen und Zinsen ist aber keineswegs durch= | aus nothwendig, daB in diesen zum Wachsthume des Kapital=Fonds bestimmten 13 | und resp. 10 Jahren etwa nicht einige hundert Gulden mehr oder weniger in den Aus= | [S. 245] theiler fallen dtirfen, indem, wie oben verordnet ist, die Vermehrung der Benefizien | nicht gerade und allein von dieser auszutheilenden Summe abhangig ist, sondem von | jedem oben §.33. festgesetzten Grundsatz des Steigens desselben in 17 verschiedenen | Perioden, und es also hauptsachlich darauf ankommt, daB in jeder dieser Perioden | so viel zum Austheiler vorhanden sey, als zur Bestreitung der Benefizien fiir alle | Wittwen und Waisen erforderlich ist. ^Sodann wollen Wir auch den Fall nicht aus= | nehmen, daB wenn z. B. nach der sechsten Wachsthums=Periode die Krafte des Fonds | nicht mehr gestatteten, diese beyzubehalten, alsdann wieder die ftinfte oder vierte | Periode u. s. w. zurtickgegangen werden diirfe und solle. VIII. Abschnitt. | Von der Verwaltung des Instituts. §.47. ^Die sammtliche Angelegenheiten dieses Instituts werden bey Unserm Ministerial^ | Landes=Polizey=Departement besorgt, und dort ausgefertigt. ^Die besonders wichtige Falle I werden zur Entscheidung an das General=Directorium Unsers Ministerii des Innem | und erforderlichen Falls an die Ministerial=Conferenz gebracht. §.48. Alle Landes=Stellen ohne Unterschied, von welchen die Emennung neu anzunehmen= | der in dieses Institut sich qualifizirender Diener abhangt, werden hiermit angewiesen, | jedesmal, so wie auch in Fallen, wenn ein bereits angestellter Diener eine Zulage | erhalt, solches Unserm Ministerial=Landes=Polizey=Departement anzuzeigen, damit | wegen dessen Immatrikulirung das Nothige besorgt werden kann.

[203] Zivildiener-Witwenordnung vom 28. Juni 1810

1807

§.49. Die Dienst=Rezeptions= und Meliorations=Taxen sind von Unserm Ministerial^ | Landes=Polizey=Departement, nach der vorliegenden Tax=Ordnung und deBfallsigen Be= | stimmungen anzusetzen, und es ist sorgfaltig dariiber zu wachen, daB fiir das Insti= | tut das ihm gehorige erhoben und eingezogen werde. §.50. ^Das Reclinungs=Wesen wird von einem General^Kassier des Instituts geftihrt. '^Die | Vorschlage zu dessen Emennung geschehen von dem Ministerial=Landes=Polizey=Depar= I tement an das General=Directorium, und gelangen von da zur Bestatigung an | Unsere Ministerial=Conferenz. [S. 246] §.51. ^Dieser General=Kassier wird aus den Mitteln des Instituts besoldet; er erhalt | eine eigene Diensts=Instruction, wozu die bisherige bey der altbadischen Wittwen=Kasse | zum Grunde gelegt werden kann. '^Die jahrliche Rechnung ist von demselben sechs | Wochen nach Georgi an das Ministerial=Landes=Polizey=Departement zur Einsicht, und | von da an die Obep=Revision zur Abhor zu geben. §.52. Der General=Kassier hat unter Beyhtilfe Unserer tibrigen Verrechner den Einzug | der Beytrage nach Tabellen zu besorgen, welche vom Ministerial=Landes=Polizey=Depar= | tement zu unterzeichnen sind, und womit der General=Kassier seine Einnahme be== | scheinigt. Eben so werden die Ausgaben an Wittwen und Waisen geleistet, welche ebenfalls, | so wie jede Ausgabe, die der General=Kassier ausser diesen zu leisten hat, vom Mini= | sterial=Landes=Polizey=Departement unterzeichnet seyn mtissen. §. 53. ^Die Kapitalien des Instituts sind nur auf gerichtliche Obligationen gegen doppel= | ten Verlag der Unterpfander anzulegen. ^Von dieser allgemeinen Regel darf der Ge= | neral=Kassier fur sich nicht abgehen. ^Sollten je einzelne Falle vorkommen, wo aus | besondem Rticksichten von doppelten Verlag des Unterpfandes eine Ausnahme gemacht | werden konnte; so ist dariiber vom Ministerial=Landes=Polizey=Departement zu entschei= | den. ''Bey solchen jedoch seltenen Ausnahms=Fallen, darf aber nie ein Darlehen gege= | ben werden, dessen Werth ^/4tel des zu verhypothezirenden Objects tibersteigt, der Auf= | nehmer muB bey den Gerichten als ein guter Hauswirth bekannt seyn, und es muB | an schicklicher sonstiger Gelegenheit zur Unterbringung der anzulegenden Gelder er= | mangeln. §.54. ^Die Original=Schuld=Verschreibungen sind dem Ministerial=Landes=Polizey=Departe= I ment zu tibergeben und von diesem an Unser allgemeines Landes=Archiv gegen Be= | scheinigung zur Aufbewahrung abzugeben. ^Auf gleiche Weise sind die Schuld=Scheine | der abgeloBten Kapitalien von da zu erheben. §. 55. Die sammtliche verrechnende Land=Dienst=Stellen ohne Unterschied, werden hiermit | angewiesen, dem General=Kassier dieses Instituts in Einziehung der Beytrage, Kapi= | [S. 247] tal=Zinse und Verlauf der Gratial=Quartal=Naturalien u. s. w. unentgeltlich an | Handen zu gehen, um damit auch ihrerseits das BeBte des wohlthatigen Instituts mit | befordem zu helfen.

1808

§ 12: Baden

[Dok, 188 - 251]

§.56. Zur offentlichen KenntniB iiber den Gehalt dieses Instituts soil alljahrlich nach er= | folgtem Rechnungs=SchluB ein summarischer Status, wie bisher bereits bey der alt= | badischen Wittwen=Kasse geschehen ist, gedruckt und unentgeltlich ausgetheilt werden. In solchem muB auBer dem bisherigen Inhalt angezeigt werden: 1) Die Zahl der Mitglieder, wie viel nemlich beym Anfang eines jeden Reclinungs= | Jahrs am 23ten April dergleichen vorhanden gewesen. 2) Wie viel im Laufe des Jahrs neue Mitglieder dazu gekommen. 3) Wie viel in solchem abgegangen sind. 4) Wie viel Wittwen und 5) wie viel Waisen (deren Mutter nemlich auch schon gestorben sind) nach der Fami= I lien=Zahl, beym Anfang eines jeden Rechnungs=Jahres vorhanden gewesen. 6) Wie viel im Lauf des Jahres dazu gekommen. 7) Wie viel in solchem sowohl Wittwen, als auch 8) Waisen nach der Familien=Zahl abgegangen sind. 9) Wie viel auf 1 fl. Beytrag an Benefizium ausgetheilt worden; ob nemlich 11 fl. | Oder ob solches durch die erste oder welche folgende von 17 Wachsthums=Perioden I vermehrt worden. §.57. Auf die aus dieser Wittwen^Kasse abzugebende Benefizien darf von Niemand, ausser | der darauf angewiesenen Wittwe oder den Pflegem der Waisen, welche sie zu beziehen | haben, in dem Falle, wenn diese Wittwen oder Waisen kein anderes Vermogen besitzen, | eine Anweisung angenommen, solchemnach in diesem Falle auch kein Arrest darauf ge= | schlagen werden. §. 58. Dieses Institut soil von Uns in besondem landesherrlichen Schutz genommen wer= | den, und erhalt alle und jede Freyheiten und Rechte, welche milde Stiftungen genieBen. §.59. ^Wir behalten Uns und Unsem Regiemngs=Nachfolgem bevor, die Bestimmungen | dieser Ordnung nach den sich ergebenden Zeit=Umstanden, zum BeBten Unserer Diener, | [S. 248] zu mindem, oder zu vermehren. ^Hieran geschieht Unser gnadigster Wille. Gegeben | Carlsruhe den 28. Junius 1810. Carl Friedrich. Frhr. von Reitzenstein. Auf Sr. Konigl. Hoheit | besondem hochsten Befehl. | Gerstlacher.

[203/1] Gesetz uber die Anspruche der Lehrer verschiedener Anstalten hinsichtlich der Witwen-, Pensions- und Unterstutzungsgehalte fur ihre IHinterbliebenen vom 31. Dezember 1831 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einfuhmngen" die Darstellung unter [773.]. Quelle: GroBherzoglich-Badisches Staats- und Regierungs-Blatt, 30. Jahrgang, (Januar) 1832, S. 65 (gedruckt).

[203/2] Gesetz vom 23. Juni 1876

1809

[S. 65] (Gesetz liber die Anspriiche der Lehrer verschiedener Anstalten hinsichtlich der Witt= | wen=, Pensions^ und Unterstutzungs^Gehalte fiir ihre Hinterbliebenen.) Leopold von Gottes Gnaden, | GroBherzog von Baden, Herzog von Zahringen. Wir haben nach Anhorung Unseres Staatsministeriums liber die Anspriiche der | Lehrer verschiedener Anstalten auf die durch die §§. 20 bis 23. des Diener=Edikts | den Wittwen und Waisen der weltlichen Staatsdiener bestimmten Vortheile, mit Zu= | stimmung Unserer getreuen Stande beschlossen und verordnen, wie folgt: Art. L Die an den Lycen=Gymnasien, Padagogien und lateinischen Schulen, an dem polytechnischen | Institut, an der Blinden= und Taubstummenanstalt, endlich die an den Schullehrerseminarien und | an der Veterinarschule mittelst eines landesherrlichen Patents angestellten Vorstande und wissen= | schaftlich gebildeten Hauptlehrer sind klinftig unter jede Staatsdiener zu zahlen, deren Wittwen und | Kinder nach den §§. 20. 21. und 22. des Staatsdienei^Edikts einen ZuschuB zu dem statutenma= | Bigen Wittwenbeneficium und aus dem in §. 23. ausgesetzten auBerordentlichen Fonds im geeig= | neten Falle Untersttitzung erhalten. Art. 2. Die evangelisch=geistlichen Lehrer der vorbenannten Anstalten bleiben zwar in jener Wittwen= | casse, zu welcher sie als ordinirte Geistliche gehoren, die Pensionen aber, die ihre Wittwen und Kin= | der nach den §§. 20. 21. und 22 .des Dieneredikts unabhangig vom Beneficium der Wittwencasse | zu beziehen haben, sind gerade so zu berechnen, wie sie zu berechnen waren, wenn der verstorbene Leh= | rer dem weltlichen Wittwenfiscus angehort hatte. Art. 3. Die Pensionen und Unterstlitzungen, welche die Hinterbliebenen solcher Lehrer nach Art. 1. und 2. | anzusprechen haben, sind aus denjenigen Fonds zu leisten, aus welchen der Lehrer seine Besoldung | bezogen hat. So weit der betreffende Fond die Pensionen und Unterstlitzungen ohne Beeintrachtigung der I ihm sonst obliegenden Zwecke nicht zu bestreiten vermag, leistet die Staatskasse ZuschuB. Gegeben zu Carlsruhe in Unserem GroBherzoglichen Staatsministerium, den 31 sten Decem= I ber 1831. Leopold. Winter. Auf hochsten Befehl Seiner Koniglichen Hoheit des GroBherzogs: | Eichrodt.

[203/2] Gesetz, „die Statuten des Civildienerwittwenfiskus betreffend", vom 23. Juni 1876 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einfiihrungen" die Darstellung unter [773.]. Quelle: Gesetzes- und Verordnungs-Blatt fiir das GroBherzogthum Baden, (Nr. 27 vom 26. Juni) 1876, S. 179 - 184 (gedruckt).

1810

§12:Baden

[Dok. 188-251]

[S. 179] Gesetz. | Die Statuten des Civildienerwittwenfiskus betreffend. Friedrich, von Gottes Gnaden GroBherzog von Baden, | Herzog von Zahringen. Mit Zustimmung Unserer getreuen Stande haben Wir beschlossen und vep= | ordnen, wie folgt: Die Statuten des Civildienerwittwenfiskus vom 28. Juni 1810 und das | Gesetz vom 14. Mai 1828, „die Immatrikulimng des Praxisertrags der Aerzte | betreffend", erleiden nachstehende Aenderungen: A. In Bezug auf die kunftigen Mitglieder. §.1 [GroBe der | Benefizien.]^ Den Hinterbliebenen derjenigen Staats= und Hofdiener, welche nach Eintritt | der Wirksamkeit dieses Gesetzes zur Anstellung gelangen, gewahrt die Wittwenkasse | als Benefizien an Stelle des durch §.31 der Statuten normirten Satzes 25 Prozente | der immatrikulirten Jahresbesoldungen. §.2. [Immatrikulir= | barer Besoldungsbetrag.] Der hochste Besoldungssatz, mit welchem ein Diener immatrikulirt werden kann, | wird unter Aufhebung der im §.25 der Statuten enthaltenen Bestimmungen auf| 10,000 M festgesetzt. Von den 10,000 M tibersteigenden nicht immatrikulirbaren Besoldungstheilen | wird eine Rezeptions= oder Meliorationstaxe nicht mehr erhoben. [S. 180] §.3. [Anschlag des | Praxisertrags | der Sanitats= | beamten.] Der zur Wittwenkasse zu immatrikulirende Anschlag des Praxisertrags der | Sanitatsbeamten wird unter Abanderung der in Artikel 3 des Gesetzes vom | 14. Mai 1828 bestimmten Summen far den Bezirksarzt auf 1,800 M und " " Assistenzarzt " 1,200 M | festgesetzt. §.4. [Jahresbei= | trage.] Als Jahresbeitrage der Mitglieder werden 3 Prozent der immatrikulirten | Besoldung an Stelle der in §. 19 der Statuten bestimmten 1 V2 Prozent erhoben. §•5. [Eintrittsgeld.] Statt des in §.21 der Statuten bestimmten Eintrittsgeldes fiir Besoldungs= | aufbesserungen von 1 Prozent ist ein solches von 8 bis 29 Prozent, je nach dem | Dienstalter, in welchem der Diener zur Zeit des Eintritts in die Aufbesserung | steht, zu entrichten. ^Beginnt namlich eine Besoldungsaufbesserung noch in demjenigen Kalender= | jahre, in welchem der Diener seine erste Anstellung erhielt, so sind 8 Prozent | Eintrittsgeld zu entrichten; fallt der Beginn in das zweite Kalenderjahr nach der | Anstellung, so betragt das Eintrittsgeld 9 Prozent und in gleicher Weise steigt | dasselbe in jedem spateren Dienstjahre Bei dem hier und nachfolgend in eckige Klammem gestellten Text handelt es sich um die im Original am Rand des jeweiligen Artikels gesondert abgedruckten Hervorhebungen.

[203/2] Gesetz vom 23. Juni 1876

1811

bis zum 22. einschlieBlich um 1 Prozent. | ^Vom Beginn des 22. Jahres an sind fiir alle Aufbessemngen 29 Prozent zu | entrichten. §.6. [Zahlungs= | fristen.] Das Eintrittsgeld fiir die Besoldungsaufbessemng ist im ersten Jahre vom | Beginne der Aufbesserung an gerechnet und zwar vierteljahrlich in gleichen Betragen | zu bezahlen. Auch die Bezahlung der Jahresbeitrage hat in vierteljahrlichen Antheilen zu | erfolgen. [Rtickstande.] Taxen, Eintrittsgelder und Beitrage, welche beim Tode eines Mitgliedes noch | riickstandig sind, werden, so weit nicht vorher aus der Erbmasse Zahlung geleistet | wird, an den Benefizien unter Beobachtung der eingeraumten Theilzahlungen ein= | gehalten. §.7. [Minderung | der Benefizien | wegen Alters^ | unterschied der | Ehegatten.] Wenn Mitglieder eine Ehe eingehen, in der die Frau voile dreiBig oder mehr | Jahre jtinger ist, so mindert sich das der Wittwe oder den hinterbliebenen Kindem | zuflieBende Benefizium bei einer Altersdiferenz [S. 181] von vollen 30 Jahren bis zu 35 Jahren um 10 Prozent, von vollen 35 Jahren bis zu 40 Jahren um 20 Prozent, von vollen 40 Jahren und mehr um 30 Prozent des nach den Bestimmungen dieses Gesetzes festgesetzten Betrages.

[Immatrikuli= | rung neuer | Mitglieder.] Alle nach den Statuten von 1810 zur Aufhahme in die Wittwenkasse berech= | tigten und verpflichteten Staats= und Hofdiener treten mit den durch vorstehende | Bestimmungen erweiterten Rechten und Verpflichtungen in den Verband ein. B. In Beziehung auf die bisherigen Mitglieder. §.9. [Rechtsverhalt= | nisse der bis= | herigen Mit= [ glieder.] Den bisherigen Mitgliedem des Verbands, mit Ausnahme der im §. 13 | dieses Gesetzes genannten, steht es frei, in den durch dieses Gesetz modifizirten Ver= | band einzutreten oder auf den Eintritt zu verzichten. [Allgemeine | Verbindlich= | keit derselben | beim Eintritt.] Die eintretenden Mitglieder sind kiinftig den Bestimmungen der §§. 4 - 6 | beztiglich der Jahresbeitrage und der Eintrittsgelder fur Besoldungsaufbesserungen | unterworfen. [Einkaufsgeld.] Ueberdies haben dieselben ein Einkaufsgeld fur die nach den Statuten von | 1810 der Immatrikulation unterliegenden Besoldungstheile, deren Bezug vor Eintritt | der Wirksamkeit dieses Gesetzes beginnt, und ein solches fiir die gemaB §. 2 und 3 | neu zur Immatrikulation zugelassenen zu entrichten. [Ftir bisher | schon zu im= | matrikulirende | Besoldungs= | theile.] Ftir die bereits der Immatrikulation unterliegenden Besoldungstheile bemiBt | sich dasselbe einerseits nach dem Dienstalter des Mitgliedes, andererseits nach der | GroBe der Anfangsbesoldung und dem Gesammtbetrage der erhaltenen Besoldungs= | aufbesserungen nach folgendem Schema:

1812

§12: Baden

wenn die Aufstellung erfolgt ist im 1 Jahre 1876 1875 1874 1873 1872 1871 1870 [S. 182] wenn die Aufstellung erfolgt ist im 1 Jahre 1869 1868 1867 1866 1865 1864 1863

[Dok. 188-251] Das Einkaufsgeld betragt: von der Anfangsbesoldung | Prozente: 0,3 0,7 1,1 1,4 1,7 2,0 2,4

von dem Gesammtbetrage der Zulagen | Prozente: 2,00 2,25 2,50 2,70 2,85 3,00 3,25

von der Anfangsbesoldung | Prozente: 2,8 3,2 3,6 4,0 4,4 4,8 5,0

von dem Gesammtbetrage der Zulagen | Prozente: 3,50 3,75 4,00 4,25 4,50 4,75 5,00

[Ftir neu zur | Immatrikxila= | tion zugelassene | Besoldungs= | theile.] Mehr als 5 Prozent der Besoldung sollen nicht in Anrechnung kommen. Fiir die nach §. 2 dieses Gesetzes neu zur Immmatrikulation zugelassenen Be= | soldungstheile ist ein Einkaufsgeld zu entrichten a. soweit sie in Zulagen bestehen, in dem MaaBe, in welchem ein Eintritts= | geld nach §. 5 dieses Gesetzes ftir die im Jahr 1876 beginnenden Besol= | dungsaufbesserungen bezahlt werden muB, b. soweit sie einen Bestandtheil der Anfangsbesoldung bilden, ein ebenso be= | rechnetes Einkaufsgeld unter Abzug von 4 Prozent. [Bestimmungen | far Sanitats= | beamte.] Der erhohte Anschlag des Praxisvertrages der Sanitatsbeamten (§. 3 dieses | Gesetzes) ist wie eine nach dem Eintritt dieses Gesetzes erhaltene Zulage zu be= | handeln, und es ist demnach neben der Meliorationstaxe von 4 Prozent ein Ein= | kaufsgeld in dem unter Lit. a eben angegebenen MaaBe zu entrichten. Sanitatsbeamte, welche zur Zeit des Eintritts dieses Gesetzes sich nicht mehr | im aktiven Dienste befinden, haben auf die Erhohung des Anschlags des Praxis^ | ertrages keinen Anspruch. §.10. [Zahlungs= | fristen.] Die Zahlung der im §. 9 dieses Gesetzes festgesetzten Einkaufsgelder hat] innerhalb zweier Jahre in gleichen Vierteljahrsbetragen zu geschehen. Ftir Rtickstande ist §. 6 Absatz 3 dieses Gesetzes gleichfalls anzuwenden. §.11. [Anmeldefrist.] Wer in den neuen Verband eintreten will, hat dies innerhalb langstens 3 | Monaten, vom Tage der Wirksamkeit dieses Gesetzes an gerechnet, schriftlich an | den Verwaltungsrath der Generalwittwenkasse zu erklaren.

[203/2] Gesetz vom 23. Juni 1876

1813

In Folge dieser Erklamng treten vom genannten Tage an die durch dieses | Gesetz festgestellten Rechte und Verbindlichkeiten ein. §.12. [Verzichtende | Mitglieder.] Mitglieder des alten Verbandes, welche ausdriicklich oder durch Nichtabgeben | der nach §.11 dieses Gesetzes erforderlichen Erklamng auf den Eintritt in den | [S. 183] neuen Verband verzichten, bleiben auch fortan bezuglich ihrer Rechte und Pflichten | lediglich den Bestimmungen der Statuten von 1810 und des Gesetzes vom 14. Mai | 1828 unterworfen. §.13. [Aus dem | Dienste ent= | lassene Mit= | glieder.] Mitglieder des Wittwenfisciverbandes, welche vor Eintritt der Wirksamkeit | dieses Gesetzes aus Unserem Dienste entlassen wurden, sind von dem Rechte der | Erwerbung der hoheren Benefizien ausgeschlossen. C. In Bezug auf die Einnahmen der Anstalt. §.14. [Verwendung | der Einkaufs= | und Eintritts= | gelder und der | Beitrage.] Die im §. 9 festgesetzten Einkaufsgelder sind zur Kapitalvermehrung zuruck= | zulegen. ^Ftir laufende Bedtirfhisse sind sammtliche Eintrittsgelder (§. 20 der Statuten | und §. 5 dieses Gesetzes) und sammtliche Beitrage der Mitglieder zu verwenden. | ^Die im §. 44 der Statuten gegebene Bestimmung, daB ein Zehntel der Jahres= | beitrage zur Kapitalvermehrung zu Ziehen sei, wird aufgehoben. §.15. [StaatszuschuB.] Was nach Verwendung der fur die laufenden Bedtirfhisse bestimmten Ein= | nahmen zur Deckung dieser Bedtirfhisse noch fehlt, schieBt die Staatskasse zu. Vorerst werden fur diesen Zweck jahrlich 80,000 M an die Anstalt verabfolgt. [Voruber= | gehende Ueber= | schtisse.] Der UeberschuB, der sich durch diesen StaatszuschuB in Verbindung mit der | Erhohung der Jahresbeitrage und Eintrittsgelder und den auBerordentlichen Z\x= \ wendungen zum Kapitalvermogen der Anstalt zunacht ergeben wird, wird als | Reservefond fiir die spateren Jahre verzinslich angelegt. Wenn nach Aufzehrung des Reservefonds die fur die laufenden Bedtirfnisse | bestimmten Mittel (einschlieBlich des erwahnten Staatszuschusses) fur ihren Zweck | nicht mehr ausreichen oder dauemd nicht mehr vollstandig erforderlich sind, wird | die GroBe des Staatszuschusses jeweils durch das Staatsbudget festgestellt werden. §.16. [Bleibende | Ueberschtisse.] Ergeben sich aus den fiir die laufenden Bedtirfnisse der Anstalt bestimmten | Mitteln ohne Zuzug eines Staatszuschusses in einer langeren Reihe von Jahren | ununterbrochen Ueberschtisse und berechtigt die Lage der Anstalt zu der Annahme, | daB das BedtirfhiB eines Staatszuschusses nicht mehr eintritt, so wird ein besonderes | Gesetz bestimmen, ob und in welchem Betrage eine Erhohung der Benefizien oder | aber eine ErmaBigung der Leistungen der Staatskasse oder der Mitglieder statt= | finden soil.

1814

§12:Baden

[Dok. 188-251]

[S. 184] D. SchluBbestimmungen. §.17. ^Gegenwartiges Gesetz tritt am 1. M i dieses Jahres in Wirksamkeit. ^Durch | dasselbe werden nicht beriihrt: 1. Das MaaB der an Relikten von Mitgliedem, welche vor ebengenannten | Tage gestorben sind, zu zahlenden Benefizien. 2. Das MaaB der Pensionen und Zuschiisse, welche auf Gmnd des Staats= | dieneredikts vom 30. Januar 1819^ aus der Staatskasse an Wittwen und | Waisen von Staatsdienem zu verabfolgen sind. Diese Leistungen bemessen | sich daher auch femerhin nach der GroBe derjenigen Benefizien, welche das | Statut von 1810 bewilligt. Gegeben zu Karlsruhe, den 23. Juni 1876. Friedrich. Jolly. Auf seiner Koniglichen Hoheit hochsten Befehl: | Gaier.

[203/3] Gesetz iiber die Aufnahme der als Staatsdiener angestellten evangelischen Geistlichen in den Zivildiener-Witwenfiskus vom 28. April 1886 Quelle: Gesetzes- und Verordnungs-Blatt fiir das GroBherzogthum Baden, (Nr. 18 vom 30. April) 1886, S. 156 - 157 (gedruckt). [S. 156] Gesetz. | Die Aufnahme der als Staatsdiener angestellten evangelischen Geisthchen in den Civildiener=Wittwen= | fiskus betreffend. Friedrich, von Gottes Gnaden GroBherzog von Baden, | Herzog von Zahringen. Mit Zustimmung Unserer getreuen Stande haben Wir beschlossen und verordnen, | wie folgt: Die Statuten des Civildienep=Wittwenfiskus vom 28. Juni 1810, §. 7 Ziffer4 und §. 8 | Ziffer 2, sowie Artikel 2 des Gesetzes vom 31. Dezember 1831, die Ansprtiche der Lehrer | verschiedener Anstalten hinsichtlich der Wittwen=, Pensions^ und Untersttitzungsgehalte fiir ihre | Hinterbliebenen betreffend, erleiden nachstehende Aenderungen: §.1. Evangelische Geistliche, welche nach Eintritt der Wirksamkeit des Gesetzes von Uns | in den Staatsdienst berufen werden, sind in den Civilstaatsdiener=Wittwenfiskus aufzunehmen. §•2. Die bei Eintritt der Wirksamkeit dieses Gesetzes in Unserem Staatsdienste befindlichen | evangelischen Geistlichen, welche bisher gemaB §. 7 und 8 der Statuten des Civildiener= Wittwenfiskus von der Aufnahme in diese Anstalt ausgeschlossen waren, sind berechtigt, unter | nachstehenden Bedingungen in den Civildiener=Wittwenfiskus einzutreten:

Dok. 214.

[203/3] Gesetz vom 28. April 1886

1815

1. Die Eintretenden haben nachtraglich ftir den seit ihrer Berufung in den Staatsdienst | bis zum Inkrafttreten dieses Gesetzes umflossenen Zeitraum folgende Beitrage an den Civil= | diener=Wittwenfiskus zu entrichten: a. 8 % Receptionstaxe und 3 V2 % Eintrittsgeld von demjenigen Theil ihrer Besoldung, I welcher ihnen bei der Anstellung im Staatsdienst verliehen wurde, b. den vierten Theil der Summe, welche sie bis znm Inkrafttreten dieses Gesetzes an I Meliorationstaxen, an Eintrittsgeldem ftir Besoldungszulagen und an Jahresbeitragen | zu bezahlen gehabt hatten, wenn sie bei ihrer Anstellung im Staatsdienst Mitglieder | des Civildiener=Wittwenfiskus geworden waren, und c. sofem sie vor dem 1. Juli 1876 im Staatsdienst angestellt wurden, das nach §. 91 Absatz4 und 5 des Gesetzes vom 23. Juni 1876 zu berechnende Einkaufsgeld von | demjenigen Theile ihrer Besoldung, welcher ihnen am 30. Juni 1876 zukam. Der Gesammtbetrag der unter lit. b. und c. bezeichneten Leistungen soil 15 % der den I Eintretenden beim Inkrafttreten dieses Gesetzes zukommenden Besoldung nicht iiberschreiten. [S. 157] 2. Die Zahlung der gemaB Ziffer 1 berechneten Summe hat innerhalb drei Jahren in | gleichen Vierteljahresbetragen zu geschehen. Ftir Rtickstande kommt §.6 Absatz 3 des Gesetzes vom 23. Juni 1876 zur Anwendung. 3. Wer von dem Rechte des Eintritts in den Civildiener=Wittwenfiskus Gebrauch machen I will, hat dies innerhalb langstens 3 Monaten, vom Tage der Wirksamkeit dieses Gesetzes an | gerechnet, schriftlich an den Verwaltungsrath der General^ Wittwenkasse zu erklaren. In Folge dieser Erklarung treten vom genannten Tage an die durch dieses Gesetz und I durch die Statuten des Civildiener^Wittwenfiskus in der Fassung des Gesetzes vom 23. Juni | 1876 festgesetzten Rechte und VerbindHchkeiten ein. §.3. Ftir die gemaB §§.1 und 2 dieses Gesetzes in den Civildiener=Wittwenfiskus aufge= | nommenen Staatsdiener, welche kraft ihrer Eigenschaft als evangelische Geistliche der Geist= I lichen Wittwenkasse angehoren, werden von der Staatskasse an die Geistliche Wittwenkasse | Gratial= und Sterbequartalien nicht geleistet. §.4. Die in §. 2 Ziffer 1 bezeichneten Einzahlungen sind zur Kapitalienvermehmng zurtickzulegen. §.5. Gegenwartiges Gesetz tritt am 1. Mai 1886 in Wirksamkeit. Gegeben zu Karlsruhe, den 28. April 1886. Friedrich. Turban. Auf Seiner KoniglichenHoheithochstenBefehl: | Gantz.

1816

§12:Baden

[Dok. 188-251]

[204] Verfassungsversprechen des GroBherzogs Karl vom 16. IVIarz1816 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einfiihmngen" die Darstellung unter [761.]. Quelle: GroBherzoglich-Badisches Regiemngsblatt, 14. Jahrgang, (Nr. 8 vom 19. Marz) 1816,S.29(gedruckt). [S. 29] Wir Carl von Gottes Gnaden, | GroBherzog zu Baden, Herzog zu Zahringen, | Landgraf zu Nellenburg, Graf zu Hanau etc. etc. Mit der wiederhergestellten Ruhe und Ordnung in Europa ist auch der Zeitpunkt | erschienen, der Uns erlaubt, die kiinftigen verfassungsmaBigen Rechte Unserer Un= | terthanen naher festzusetzen und ihnen eine sichere Grundlage und Garantie zu geben. | Wir sind tiberzeugt, daB Wir diese Rechte nicht dauerhafter begriinden und zugleich | Unsere Unterthanen aller Classen tiber ihre Verhaltnisse gegen Uns und Unsere Be= | horden und liber Unsere RegierungsGrundsatze mit beruhigemderm Zutrauen erfullen | konnen, als durch die Einfuhrung einer landstandischen Verfassung in Unserem GroB= | herzogthum. Wir haben bereits hierzu die nothigen Vorarbeiten angeordnet, und | diese sind so weit gediehen, daB Wir, nach angehortem StaatsRathe, beschlossen | haben: daB auf den ersten August d. J. die erste standische Versammlung Unsers | GroBherzogthums eroffhet werden solle. | Gegeben Carlsruhe, den 16. Merz 1816. Carl. Vdt. Frhr. von Hacke. Auf Sr. Koniglichen Hoheit | besondem hochsten Befehl. | Ring.

[205] Nichtverkundungserklarung (des GroBherzogs Karl) bezuglich der ihm zur Sanktion vorgelegten standischen Verfassung vom 29.Juli1816 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einfiihrungen" die Darstellung unter [762.]. Quelle: GroBherzoglich-Badisches Regiemngsblatt, 14. Jahrgang, (Nr. 24 vom 30. Juli) 1816,S. 99(gedruckt). [S. 99] Wir Carl von Gottes Gnaden, | GroBherzog zu Baden, Herzog zu Zahringen, | Landgraf zu Nellenburg, Graf zu Hanau etc. etc. Da Wir durch Unser Rescript vom 16 Marz 1. J.^ die erste standische Versamm= | lung auf den Anfang August festsetzten, so waren Wir berechtigt, mit voller Zuver= | sicht zu hoffen, daB in der Zwischenzeit diejenigen Gegenstande der deutschen Bundes= | Verfassung, mit welchen Wir die besondere Verfassung Unseres Landes in Einklang | zu setzen gedenken, durch nahere Uebereinkunft mit den sammtlichen hohen Bundes= | Gliedem wiirden verabredet und bestimmt werden. Allein diese Hoffhung ist zur Zeit noch nicht in Erflillung gegangen. Wir sehen | Uns daher veranlaBt, die dem Lande zu gebende standische Constitution, welche bereits | vollendet zu Unserer Hochsten Sanction vorliegt, fur jetzt noch nicht zu verktinden. Zu dieser Hochsten EntschlieBung leitet Uns bios der Landesvaterliche Wunsch, | diese wichtige Angelegenheit mit der moglichsten Umsicht zu behandeln, damit eine | feste und

Dok. 204.

[206] Verordnung liber die Abzugs- und Nachsteuerfreiheit vom 14. August 1817

1817

dauerhafte - das Gltick des Einzelnen und des Ganzen sicher begrtindende | Verfassung gebildet werde. Carlsruhe den 29ten Julius 1816. Carl. Vdt. Frhr. von Hacke. Auf Sr. Koniglichen Hoheit | besondem hochsten Befehl. | Ring.

[206] Verordnung uber die Abzugs- und Nachsteuerfreiheit vom 14. August 1817 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einfiihrungen" die Darstellung unter [769.]. Quelle: GroBherzoglich-Badisches Staats- und Regierungs-Blatt, 15. Jahrgang, (Nr. 21 vom 2. September) 1817, S. 77 - 79 (gedruckt). Sonstige Fundstelle: C. F. Miiller (Hrsg.), Die landstandische Verfassungs-Urkunde fur das GroBherzogthum Baden. Nebst den dazu gehorigen Actenstiicken, (C. F. Mtillersche Hofbuchhandlung, Karlsruhe) 1819, S. 64 - 67. [S. 77] GroBherzogliche Verordnung v. 14. August 1817., wodurch der die Abzugs= und Nachsteuerfreyheit | betreffende Bundestags=beschluB bekannt gemacht wird.^ Carl etc. Zu naherer Bestimmung der in dem 18. Artikel der deutschen BundesAkte*^ den | Unterthanen der deutschen Bundesstaaten zugesicherten NachsteuerFreyheit von allem | aus einem in den andem Bundesstaat tibergehenden Vermogen ist durch einen ein= | helligen BeschluB der deutschen Bundesversammlung v. 23. Juny d. J.^ folgendes | festgesetzt worden: 1) Die Nachsteuer= und Abzugsfreyheit von dem aus einem Lande in das andere ge= | bracht werdenden Vermogen bezieht sich auf alle deutsche Bundesstaaten | gegen einander. 2) Jede Art von Vermogen, welches von einem Bundesstaat in den andem | tibergeht, es sey aus Veranlassung einer Ausv^anderung, oder aus dem Grunde | eines Erbschafts=Anfalls, eines Verkaufs, Tausches, einer Schenkung, Mitgift, | oder auf andere Weise, ist unter der bundesvertragsmaBigen Abzugsfreyheit be= | griffen; und 3) Jede Abgabe, welche die Ausfuhr des Vermogens aus einem zum Bunde | gehorenden Staate in den andem, oder den Uebergang des Vermogens=Eigen= | thums auf Angehorige eines andem Bundesstaats beschrankt, wird fiir aufgeho== | ben erklart. Dagegen ist unter dieser Freyztigigkeit nicht begriffen, jede Abgabe, v^elche mit | einem Erbschafts=Anfall, Legat, Verkaufe, einer Schenkung u. dergleichen ver= | bun= I den ist, und, ohne Unterschied, ob das Vermogen im Lande bleibt oder hin= | auszogen | wird, ob der neue Besitzer ein Inlander oder ein Fremder ist, bisher | entrichtet werden muBte, namentlich Collateral=Erbschaftssteuer, Stempelabgabe | u. d. gl., auch Zollabgaben werden durch die Nachsteuer^Freyheit nicht ausge= | schlossen.

Wurde gemaB § 12 der Verfassungsurkunde fiir das GroBherzogtum Baden vom 22. August 1818 (Dok. 211) „als ein Bestandtheil der Verfassung angesehen". Dok.31. Dok. 36 (Die Nm. 1-8 des nachfolgenden Textes sind, von geringfugigen Abweichungen abgesehen, in beiden Dokumenten identisch).

1818

§12:Baden

[Dok. 188-251]

[S. 78] 4) Die zum Vortheile der in einzelnen Staaten oder Gemeinden bestehenden Schul= | dentilgungs=Kassen, oder tiberhaupt wegen der Kommunal=Schulden eingefiihrten I Abztige von auswandemdem Vermogen, werden durch den Artikel 18 der Bun= I desakte als aufgehoben angesehen. ManumissionsGelder, da wo die Leibeigenschaft oder Hofhorigkeit noch zur | Zeit besteht, sind insofem sie nur von den aus einem Bundesstaate in den andem | auswandemden Unterthanen zu entrichten waren, unter der Nachsteuer^Freyheit | begriffen. 5) Was den Loskauf von der MilitarPflichtigkeit in Hinsicht auf Freyztigigkeit an= | langt, so behalt sich die Bundes=Versammlung eine femere Uebereinkunft bis | zur Festsetzung der MilitarVerhaltnisse des Bundes tiberhaupt und der damit | in unmittelbarer Verbindung stehenden Anordnungen tiber die Militar=Pflichtig= | keit im Allgemeinen vor. 6) Die durch die BundesAkte festgesetzte Nachsteuer= und AbzugsFreyheit findet ohne I Unterschied statt, ob die Erhebung dieser Abgabe bisher dem landesherrlichen | Fiscus, den Standesherren, den Privat^Berechtigten, Communen oder Patri= | monialGerichten zustand; und die ausgesprochene Aufhebung aller und jeder | Nachsteuer kann keinen Grund zu einer EntschadigungsFordemng an den Lan= | desherm fur die den Berechtigten entgehende Einnahme abgeben. Auch die Art der Verwendung des Abzugsgefalls kann keinen Grund | darleihen, dasselbe gegen die Bestimmungen der BundesAkte bestehen zu lassen. 7) Die besondem Freyztigigkeits^Vertrage werden, insoweit sie dasjenige, was | die BundesAkte und dieser BeschluB der BundesVersammlung tiber die Freyheit | von aller Nachsteuer enthalt, begtinstigen, erleichtem oder noch mehr ausdehnen, | auch ktinftig aufrecht erhalten, - und dergleichen Vertrage bestehen also, in so | fern, als sie den in der BundesAkte und in dem gegenwartigen Beschlusse auf= | gestellten Normen nicht entgegen sind. 8) Als allgemein geltender Termin, von welchem an die vollige Nachsteuer=Freyheit | von allem auswandemden Vermogen in den deutschen Bundesstaaten statt haben | soil, wird der erste Julius dieses Jahres festgesetzt, unbeschadet jedoch der gtin= | stigeren Bestimmungen, welche theils aus Vertragen verschiedener Bundesstaa= | ten unter sich, theils aus landesherrlichen Verordnungen einzelner Regierungen | hervorgegangen sind. [S. 79] Es wird tibrigens der Zeitpunkt der VermogensExportation und des Ver= | zichts auf das UnterthansRecht zur Richtschnur angenommen. Da wir nun diesen BeschluB nach seinem ganzen Inhalt in Unserem Grosherzogthum | in der MaBe zum Vollzug bringen lassen wollen, daB dadurch den damit wohl ver= | einbarlichen ausgedehnteren Freyheiten, welche theils die Landesgesetze Unsem | Unterthanen in Hinsicht auf die Auswanderung zusprechen, theils die mit einzel= | nen deutschen Bundesstaaten schon fruher geschlossenen oder ktinftig abzuschliesen= | den besondere Freyztigigkeits=Vertrage mit sich bringen dtirften, kein Eintrag gesche= | hen soil: so verordnen Wir hierdurch, daB derselbe allgemein bekannt gemacht, und | in alien dahin einschlagenden Fallen als Richtschnur beobachtet werde. Gegeben | Carlsmhe, im GroBherzogl. Staats=Ministerium, den 14. August 1817. Auf Befehl Seiner Koniglichen Hoheit.

[207] GroBherzogliche Erklarung vom 4. Oktober 1817

1819

[207] GroRherzogliche Erklarung der Erhohung der Grafen Hochberg zu GroBherzoglichen Prinzen und zu Markgrafen zu Baden vom 4. Oktober 1817 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einfiihrungen" die Darstellung unter [753.]. Quelle: GroBherzoglich Badisches Staats- und Regierungsblatt, 15. Jahrgang, (Nr. 24 vom 4. Oktober) 1817, S. 93 - 94 (gedmckt). Sonstige Fundstelle: C. F. Miiller (Hrsg.), Die landstandische Verfassungs-Urkunde fiir das GroBherzogthum Baden. Nebst den dazu gehorigen Actenstticken, (C. F. Mtillersche Hofbuchhandlung, Karlsruhe) 1819, S. 58 - 59. [S. 93J Wir Carl von Gottes Gnaden, | GroBherzog zu Baden, Herzog zu Zahringen, | Landgraf zu Nellenburg, Graf zu Hanau etc. etc. | geben andurch zu vemehmen: Unseres in Gott ruhenden Herm GroBvaters Konigliche Hoheit und Gnaden | hatten bereits fruher - kraft des bey Hochdero zweyter Vermahlung in der unterm | 24. Nov. 1787. ausgestellten VersicherungsUrkunde unter agnatischer Einwilligung | gemachten Vorbehalts - vermoge der erlangten Souverainete, mitteltst Acte ddo. | Baden den 10. September 1806, unter gleichmaBig von Uns und von Unsem Her= | ren Oheimen, des hochseeligen Markgrafen Friedrich, und des Markgrafen Lud= | wig Hoheiten und Liebden geschehenem agnatischem Beytritt - die Erbfolge=Rechte | der mannlichen eheligen, ebenbtirtigen Nachkommenschaft aus ersagter zweyter Ehe | in der Regierung des GroBherzogthums, - nemlich Unserer Herren HalbOheime, der Grafen Carl L e o p o l d Friedrich W i 1 h e 1 m Ludwig August - | und M a x i m i l i a n Friedrich Johann Ernst - von Hochberg formlich und feyerlich erklart, auch ersagte Acte gleich damals sowohl den Agnaten | mittheilen, als dem obersten Gerichtshofe des Landes insinuiren, in dem Landes= | Archive niederlegen, und zugleich den sammtlichen Landes=Collegien zur KenntniB | bringen lassen. Und da Wir Uns schon seit einiger Zeit mit einem umfassenden HausGesetz | beschafftigen; einstweilen aber unter heutigem ein besonderes Statut wegen der Un= | theilbarkeit Unserer gesammten Lande und tiber die Erbfolge errichten; so sehen | Wir Uns bewogen, von gedachter Erklarung Unsers Herm GroBvaters Koniglicher | Hoheit und Gnaden, als von einem zum Besten des Landes auf ewige Zeiten errichte= | ten Familien=Statut, Unseren sammtlichen Unterthanen hiermit offentliche Nachricht | zu ertheilen. Wir gedenken zugleich, einen BeweiB von der dem heiligen Andenken hochge== | dacht Unseres Ahnherm gewidmeten tiefsten Verehrung abzulegen, und finden Uns | daher femer bewogen, kraft der Uns zustehenden Souverainete Unsere drey benann= | [S. 94] ten Herren HalbOheime andurch als GroBherzogliche Prinzen und Markgrafen zu | Baden mit dem Pradicat: „Hoheit" zu erklaren, auch denselben den Badischen | Haustitel und das Badische Stamm=Wappen auf dieselbe Art, wie jener und dieses | den nachgebohmen Prinzen Unseres GroBherzoglichen Hauses, als solchen, zukommt, | oder kiinftig zukommen wird hiermit beyzulegen. Zu dessen Beurkundung haben Wir gegenwartige Acte - zur Niederlegung so= 1 wohl in Unserm Archiv, als in der Registratur gedacht Unserer Herren Halb= | Oheime Hoheiten und Liebden, gedoppelt ausfertigen lassen, und eigenhandig unterzeich= | net, auch das noch gebraucht werdende groBere Staats Siegel weiland Unsers Herm | GroBvaters Koniglicher Hoheit und Gnaden beyzudmcken befohlen, und iibrigens | die offentliche Verkiindung

1820

§12:Baden

[Dok. 188-251]

in Unsem GroBherzoglichen Landen zur allgemeinen Wis= | senschaft und Nachachtung angeordnet. Gegeben Carlsmhe, den 4. October 1817. Carl I (L. S.) Vdt. F. A. Wielandt. Auf Befehl Seiner Koniglichen Hoheit. | WeiB.

[208] Haus- und Familienstatut vom 4. Oktober 1817 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einfiihmngen" die Darstellungen unter [753.] [764.] [767.]. Quelle: GroBherzoglich Badisches Staats- und Regierungsblatt, 15. Jahrgang, (Nr. 24 vom 4. Oktober) 1817, S. 94 - 96 (gedruckt). Sonstige Fundstellen: K. Glockner, Badisches Verfassungsrecht, 1905, S. 260-267; C F. Mailer (Hrsg.), Die landstandische Verfassungs-Urkunde fiir das GroBherzogthum Baden. Nebst den dazu gehorigen Actenstucken, (C. F. Mtillersche Hofbuchhandlung, Karlsruhe) 1819,8.60-63. [S. 94] Wir Carl von Gottes Gnaden, | GroBherzog zu Baden, Herzog zu Zahringen, Landgraf | zu Nellenburg, Graf zu Hanau etc. | finden Uns bewogen, nachstehendes HausGesetz und Familien=Statut zu errichten, | zu dessen genauester Beobachtung Wir, kraft der altesten Gesetze und Vertrage Unse= | res HauBes - Unsere gesammten Nachkommen und RegierungsNachfolger verpflich= | ten. §.1. Das GroBherzogthum, sowohl wie es dermalen, theils aus den alten Stamm= | Landen theils aus den durch neuere Staats=Vertrage an Unser HauB gekomme= | nen Besitzungen an Eigenthums= und Oberhoheits=Landen besteht - als wenn es in | der Folge durch weitere Erwerbungen in seinem Umfang noch vergroBert wird, bildet | ein fiir alle kiinftige Zeiten untheilbares und unverauBerliches Ganzes. §.2. ^Das Recht der Nachfolge gebtihrt, so lange eheliger, ebenbtirtiger Manns= | Stamm in Unserm Grosherzoglichen HauBe vorhanden ist, diesem allein, und das | Erbfolge=Recht des weiblichen Geschlechts ruhet, vermoge des von den altesten Zei= 1 ten der einformig beobachteten Grundsatzes, womach denn auch ktinftig die sich ver= | mahlenden Prinzessinnen den bisher tiblichen Verzicht zu leisten haben. "^Die Ordnung | [S. 95] der Nachfolge aber wird unter den Gliedem des MannsStammes durch das Rechte | der Erstgeburt und durch die darauf gegrundete agnatische Erbfolge nach folgenden | 5 Linien bestimmt: a) die Ite dieser Linien bilden die von Uns selbst abstammenden mannlichen Nach= | kommen; auf diese folgt b) die Linie Unseres Herm Oheims, des Marktgrafen Ludwig Hoheit und Liebden. | Nach Erloschung dieses Mannsstammes trifft die Erbfolge - vermoge der von | Unseres in Gott ruhenden Herm GroBvaters Koniglicher Hoheit und Gnaden | bey Hochdero zweyter Vermahlung Sich vorbehaltenen und unterm 10. Sept. | 1806. auch geschehenen feyerlichen Erklamng Die mannliche Descendenz aus ersagt zweyter Ehe des Hochseeligen GroB= | herzogs - nemlich die Linien Unserer unter heutigem in einer besondem Acte | zu

[208] Haus- und Familienstatut vom 4. Oktober 1817

1821

GroBherzoglichen Prinzen und Markgrafen zu Baden | erklarten Herren Halb= | Oheime der bisherigen Grafen von Hochberg; und zwar c) zuerst die mannlichen Nachkommen des Markgrafen Carl L e o p o 1 d | Friedrich Hoheit und Liebden; | nach diesen d) die mannliche Linie Seiner Hoheit und Liebden des Markgrafen W i 1 h e 1 m | Ludwig August; - und | nach deren Abgang e) den Mannsstamm des Markgrafen M a x i m i l i a n Friedrich Johann | Ernst Hoheit und Liebden. §•3. Wenn der MannsStamm Unseres GroBherzoglichen HauBes in den vorstehenden | 5 Linien erloscht, so geht die Erbfolge auf die mannlichen, eheligen, ebenbtirtigen Nach= | kommen der Prinzessinnen aus diesem HauBe also tiber, daB ohne Riicksicht auf die | Nahe der Verwandtschaft mit dem letztverstorbenen Regenten - jederzeit nach dem | Erstgeburts=Recht und der LinealErbfolge=Ordnung 1) die mannlichen Nachkommen der Prinzessinnen aus Unserer eigenen Linie zuerst; - I und nach deren Abgang 2) die mannlichen Abkommlinge Unserer Frauen Schwestem Majestaten, Hoheiten | und Liebden, als Nachkommen Unseres in Gott ruhenden Herm Vaters, wei== | land des Erbprinzen Carl Ludwig Hochfurstlicher Durchlaucht und Gnaden;- | nach deren ganzlicher Erloschung aber 3) die mannlichen Descendenten der Prinzessinnen aus der Linie Unseres Herm | Oheims, des Markgrafen Ludwig Hoheit und Liebden; - und wenn auch diese er15= I schen sollten 4) die mannlichen Nachkommen der Prinzessinnen aus den 3 Linien der Descendenz | 2ter Ehe weiland Unseres Herm GroBvaters Koniglicher Hoheit und Gnaden, - 1 nemlich a) zuerst aus jener des Markgrafen Carl L e o p o l d Friedrich; | nach diesen b) aus der Linie des Markgrafen W i 1 h e 1 m Ludwig August - | sodann [S. 96] c) aus jener des Markgrafen M a x i m i l i a n Friedrich Johann Emst - | Hoheiten und Liebden zur Regiemng des GroBherzogthums gelangen; niemals | aber diese LandesNachfolge auf einen Herm fallen konne, der schon einen an= | dem Staat besitzt oder zu dessen Regiemng unmittelbar bemfen ist; indem | entweder ein solcher weiblicher Descendent, wenn ihn die Erbfolge trifft, der | Regiemng seines eigenen Stammlandes feyerlich entsagen muB, oder aber | die Nachfolge in dem GroBherzogthum Baden nach obigen ErbfolgeGmnd= | satzen an den nachsten nicht regierenden Herm tibergeht. Gegeben unter Unserer eigenhandigen Unterschrift und dem noch gebraucht wer= | denden Staats=Siegel weiland Unseres Herm GroBvaters Koniglicher Hoheit und | Gnaden. Carlsmhe den 4ten October 1817. Carl I (L. S.) Vdt, Wielandt. Auf Befehl Seiner Koniglichen Hoheit. | WeiB.

1822

§12:Baden

[Dok. 188-251]

[209] GroBherzogliche Erklarung der Erhohung der Grafin Hochberg zur Grodherzoglichen Prinzessin zu Baden vom 4. Oktober 1817 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einfiihmngen" die Darstellung unter [753.]. Quelle: GroBherzoglich Badisches Staats- und Regierungsblatt, 15. Jahrgang, (Nr. 24 vom 4. Oktober) 1817, S. 96 (gedmckt). Sonstige Fundstelle: C. F. Muller (Hrsg.), Die landstandische Verfassungs-Urkunde fiir das GroBherzogthum Baden. Nebst den dazu gehorigen Actenstucken, (C. F. Mtillersche Hofbuchhandlung, Karlsruhe) 1819, S. 63 - 64. [S. 96] Wir Carl von Gottes Gnaden, | GroBherzog zu Baden, Herzog zu Zahringen, Landgraf | zu Nellenburg, Graf zu Hanau etc. | fiigen hiermit zu wissen: Durchdrungen von unbegranzter Verehrung fiir Unsers in Gott ruhenden Herm | in GroBVaters Konigliche Hoheit und Gnaden - und um zugleich Hochdero Frau | Tochter zweyter Ehe, der Grafin Amalie Christine Caroline von Hoch= | berg ein weiteres offentliches Merkmahl Unserer wahren Zuneigung zu geben, er= | klaren Wir dieselbe hiermit, vermoge der Uns von Gott verliehenen Souverainete, | als Prinzessinn zu Baden; indem Wir derselben auch das Badische Wappen beylegen. Zu dessen Bekraftigung haben Wir gegenwartige Urkunde, - gedoppelt ausge= | fertigt: einmahl fiir Unser Archiv, sodann fur gedacht Unsere Frau Muhme, der | Prinzessinn Amalie Christine Caroline Liebden, - eigenhandig unterzeichnet, mit | dem noch gebrauchtwerdenden StaatsSiegel Unseres Hochseeligen Herm GroBvaters | Koniglicher Hoheit und Gnaden bedrucken lassen und deren offentliche Verkiindung zu | Jedermanns KenntniB und Nachachtung befohlen. Gegeben Carlsruhe, den 4ten October 1817. Carl I (L. S.) Vdt. F. A. Wielandt. Auf Befehl Seiner Koniglichen Hoheit. | WeiB.

[210] Verordnung, die „Rechts-Verhaltnisse der vormaligen Reichstande und Reichs-Angehorigen betreffend", vom 23. April 1818 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einfahrungen" die Darstellungen unter [771.] [797.]. Quelle: GroBherzoglich-Badisches Staats- und Regiemngs-Blatt, 16. Jahrgang, (Nr. 9 vom 25. April) 1818, S. 45 - 56 (gedmckt). Sonstige Fundstelle: C. F. Muller (Hrsg.), Die landstandische Verfassungs-Urkunde far das GroBherzogthum Baden. Nebst den dazu gehorigen Actenstticken, (C F. Mtillersche Hofbuchhandlung, Karlsruhe) 1819, S. 71 - 87. [S. 45] Verordnung. (Die Rechts=Verhaltnisse der vormaligen Reichstande und Reichs=Angehorigen betreffend.) Wir Carl von Gottes Gnaden, | GroBherzog zu Baden, Herzog zu Zahringen, | Landgraf zu Nellenburg, Graf zu Hanau etc.

[210] Verordnung vom 23. April 1818

1823

In der deutschen Bundes=Acte^ sind Wir mit den tibrigen verbtindeten Ftirsten | Deutschlands tibereingekommen, den ehemaligen unmittelbaren, nunmehr aber der | Landeshoheit anderer teutschen Staaten unterworfenen Reichstanden und Reichsange= | horigen einen bleibenden Rechtszustand in GemaBheit der gegenwartigen Ver= | haltnisse zu verschaffen. Zu diesem Ende sind einige allgemeine Normen in die vorgedachte Akte niederge= | legt worden. Wir finden Uns daher nunmehr gnadigst bewogen, die Uebereinkunfl in Unserm | GroBherzogthum in Vollzug zu bringen, und unter die Rechtsverhaltnisse dieser ehemaligen | Reichsangehorigen, unter Grundlegung vorgedachter allgemeiner Normen, auf | nachfolgende Weise festzusetzen. I. Allgemeine Bestimmungen. §.1. Dieser neue Rechts=Zustand erstreckt sich auf die im Jahr 1806. und | seither unter Unsere Landeshoheit gekommenen vormaligen Reichsstande, welche vor= | her wegen ihrer Besitzungen Sitz und Stimme auf Reichs und Kreis^Tagen hatten, | sodann auf die Uns angefallen€n Mitglieder der ehemaligen unmittelba= | ren Reichs=Ritterschaft. §•2.

Die ersteren wie die letzteren sind tiberall zu gleichen Anspriichen, wie die | [S, 46] tibrigen Unterthanen berechtiget, und zu gleichen Pflichten verbunden, wo ihnen nicht | die nachfolgenden durch die Bundesakte ertheilten Vorrechte besonders zu stat= | ten kommen. §.3. Alle diese ihnen ertheilte Vorrechte und Befugnisse dtirfen nur nach Vor= | schrift der Landes=Gesetze, und unter der Aufsicht des Staats ausgetibt werden. II. Besondere Bestimmungen. A) RechtsverhaltniB der ehemaligen Reichsstande oder | Standesherren. a) Allgemeine personliche Vorztige. §.4. Die Haupter dieser ehemaligen Reichsstandischen Familien sind die ersten | Standesherren Unseres Staats, Wir erkennen sie flir ebenbtirtig und sie bilden die | privilegirteste Classe. §.5. Sie fiihren ihre gegenwartigen Titel und Wappen fort, und benennen | sich von ihren Herrschaften, jedoch mit Weglassung aller jener Wtirden und Beysatze, | welche den Regenten, oder ein vormaliges Reichs=VerhaltniB bezeichnen. §.6. In den Erlassen Unserer Staats=Stellen an die Standesherren wird | diesen das Pradicat: Herr, gegeben.

^ Dok.31.

1824

§12:Baden

[Dok. 188-251]

§.7. ^Nach dem Kirchengebet fiir Uns und fur Unsere Familie findet dasselbe | auch fur die Standesherren in den Kirchen ihrer Wohnorte statt. "^Das nehmliche gilt | auch in den Kirchen ihrer Wohnorte in Ansehung des Trauergelauts, das acht Tage | dauem kann.

In alien sie betreffenden Real= und Personal=Klagen haben sie einen be= | freyten Gerichtstand in erster Instanz bey Unseren Hofgerichten, in zweyter und letz= | ter Instanz aber bey Unserm obersten Gericht. §.9. Verlassenschafts=Verhandlungen, welche Mitglieder der Familie betreffen, | kann das Haupt des Hauses durch seine Kanzley vomehmen lassen, insofem kein bey | der Erbschaft betheiligtes Familien=Glied verlangt, daB die nach dem Gesetze dabey | vorkommenden Handlungen der gewillkiihrten Gerichtsbarkeit oder der Rechts=Polizey | von einer Landesherrlichen Commission vorgenommen werden sollen, in welchem Fall | die Hochste Obervormundschaftliche Landes=Stelle ftir dergleichen Angelegenheiten die | Commissarien zu emennen hat. ^Entsteht tiber diese Sache ein Rechtsstreit, so gelangt | sie an das Hofgericht. [S. 47] §.10. In peinlichen Fallen setzen Wir fur die Haupter der Standesherrlichen | Familien folgendes Austregal=Privilegium fest. ^Der Beschuldigte benennt drey Standesherren Unseres Landes, jeder derselben | emennt zwey subdelegirte Rathe aus Unsem Unterthanen, Wir emennen den Prasi= | denten. "^Das Gericht emennt zwey Untersuchungs=Commissarien, die aber nicht zu= | gleich Mitglieder des Gerichts seyn konnen, und einen Actuar. Die Untersuchungs=Commissarien instruiren den ganzen ProzeB, unter Leitung | des Gerichts; der President emennt den Re= und Correferenten unter den Rathen; | das Urtheil wird an Unsere oberste Staatsstelle zur Bestatigung eingesendet. In den Fallen, wo nach Unseren Landesgesetzen die Bemfung von Urtheilen der | Hofgerichte an das Oberhofgericht gehen kann, steht diese dem vemrtheilten Stan== | desherm ebenfalls frey. Die gegen den Standesherren etwa nothigen polizeylichen Maasregeln in Crimi= | nal^Sachen werden in gewohnlichen, jedoch ihrem Stand und Ansehen angemessenen | Wegen, auf Anordnung Unserer obersten Staatsbehorde, oder, wenn eilige Falle vor= | kommen sollten, der mittlem Landes=Stellen, ergriffen. §.11. Wir erkennen das Recht ihrer Autonomic in Ansehung ihrer Familien= | Vertrage, Hausgesetze und Successions^Ordnungen, nur mtissen Uns solche, ehe sie | verbindliche Kraft erhalten, zur Einsicht und Bestatigung vorgelegt werden, die Wir | jedoch nie ohne Angabe bestimmter Grunde verweigem, und eben so wenig aufhalten | oder sonst erschweren werden. Eben so werden Vormundschaften und die Curatelen der Standesherm, soweit | cine Einschreitung der Staats=Gewalt gesezlich erforderlich ist von Unserer obersten | Staats= Stelle besorgt werden. §.12. Die Standesherren und ihre Familien sind von der Militar=Pflicht be= I freit.

[210] Verordnung vom 23. April 1818

1825

b. Gerechtigkeits=Pflege. §.13. Den Standesherren ertheilen Wir die btirgerliche und peinliche Ge= \ rechtigkeitspflege in erster Instanz. §.14. Wir ertheilen ihnen auch in zweyter Instanz, wenn das Standesherr= | liche Gebiet 20 Tausend Seelen in sich faBt. §.15. Die Austibung der btirgerlichen Gerechtigkeitspflege ist an folgende Be= | dingungen gekntipft. a) In erster Instanz ist sie durch Aemter verwalten zu lassen, die in alien | [S. 48] Hinsichten formirt seyn miissen, wie die landesherrlichen Aemter, wogegen | sie alsdann auch in dieser Hinsicht den nemlichen Gewalts=Umfang haben. b) Die Gerechtigkeitspflege in zweyter Instanz muB durch ein formlich constitu= | irtes Collegium ausgetibt werden, das zu Unserm Oberhofgericht und den tibrigen ho= I heren Staatsstellen in dem nemlichen VerhaltniB, wie Unsere Hofgerichte, steht. c) Dieses Collegium fiihrt den Nahmen GroBherzoglich Badische N. (z. B. | Fiirstlich=Ftirstenbergische) Justizkanzley, die Standesherrlichen Aemter aber ftihren | die Benennung: GroBherzoglich; Badisches N. (z. B. Ftirstlich Fiirstenbergisches) Ju= I stiz=Amt. d) Die Justiz=Kanzleyen miissen aus einem Direktor, aus wenigstens vier Ra= | then und aus den erforderlichen Subaltem=Personale bestehen. e) Die fur die Verwaltung der Justiz angestellten Beamten, Direktoren und | Rathe mtissen Unserer obersten Staatsstelle zur Bestatigung angezeigt werden. f) Die Subaltemen in den Kanzleyen werden ohne Bestatigung von den Stan= | desherren emannt, und es ist von diesen Anstellungen nur die Anzeige an vorgedachte | oberste Staatsstelle zu machen. g) Hinsichtlich der peinlichen Untersuchungen, so wie hinsichtlich der btirgerlichen | und polizeylichen Strafgerechtigkeits^Pflege, wird den Standesherrlichen Aemtem | gleichfalls der nehmliche Gewalts^^Umfang gestattet wie den Landesherrlichen. h) Ebenso erhalten in peinlichen Angelegenheiten die Standesherrlichen Justiz= | Kanzleyen den nehmlichen GewaltsUmfang wie die Landesherrlichen Hofgerichte. I Wir behalten Uns aber das Recht bevor, die Einsendung sammtlicher Erkenntnisse, wenig= | stens derer, welche einer Corrections= oder Zuchthaus=Strafe zur Folge haben, an Un= | sere oberste Staats=Stelle zur Bestatigung zu verlangen. Es bleibt Unserm Ermes= | sen tiberlassen, in wie weit wir von dieser Beschrankung abzugehen fiir rathlich erach= | ten. i) Den Standesherrlichen Aemtem und Justiz=Kanzleyen wird bey schwerer | Ahndung untersagt, in andem, als durch das Gesetz bestimmten Fallen, Geldstrafen | zu erkennen, oder hohere Geldstrafen, als das Gesetz erlaubt, anzusetzen, oder end= | lich andere gesetzliche Strafen in Geldstrafen zu verwandeln. k) Die in Standesherrlichen Gebieten angestellte Landesherrliche Diener konnen | nicht vor den Standesherrlichen, sondem nur vor den Landesherrlichen Gerichten be= I langt werden. 1) Alle Unterthanen in Standesherrlichen Gebieten, die sich eines Vergehens ge= | [S. 49] gen den Landesherren schuldig machen, sind den Landesherrlichen Gerichten unterwor= I fen.

1826

§12:Baden

[Dok. 188-251]

m) Hinsichtlich der Klagen der Standesherren gegen die in den Standesherrli= | chen Gebieten wohnende Einwohner finden folgende Bestimmungen statt: a) Den Standesherren ertheilen Wir zuvorderst die Befugnis, ihre liquiden GQ= \ falle durch ihre Rentbeamten, im Nichtzahlungsfall, mittelst der Execution, jedoch I unter genauer Beachtung der tiber den Einzug Unserer Staats=Gefalle gegebenen | Executions=Ordnung, beytreiben zu lassen. Sobald jedoch der, an welchen gefordert wird, die Schuldigkeit selbst in Abrede I zieht, so findet keine Rentamtliche Exekution statt, sondem alsdann ist der Richter | anzugehen. p. Den Standesherren gestatten Wir femer, bey ihren eigenen Gerichten gegen | Unsere der Standesherrlichen Gerichtsbarkeit unterworfene Unterthanen und die tibri= | gen Einwohner in den Standesherrlichen Gebieten klagend aufzutreten. In alien Fallen jedoch, in welchen, nach Unserer Oberhofgerichts=Ordnung, we== I gen mangelnder Appellations=Sunime keine, auch nicht eine sumarische, Bemfung | von den Erkenntnissen der Justiz=Aemter in die Justiz=Kanzley und in den Fallen, | in welcher aus gleichem Grund, keine Appellation von den Erkenntnissen der Justiz= | Kanzley an Unser Oberhofgericht statt finden kann, wollen Wir den Standesherren | sowohl als dem Beklagten eine Tax= Sportel= und Stempelfreye summarische Revi= | sion gestatten. Diese Revision der Erkenntnisse des Untergerichts wird von dem Lan= | desherrlichen Oberhoheits=Amt, und die Revision der Erkenntnisse der Justiz=Kanzley | von dem Hofgericht der Provinz vorgenommen. Ein besonderes Gesetz wird das hie= | bey zu beobachtende Verfahren anordnen. c. Polizey=Gewalt. §.16. Den Standesherren steht die Ortspolizey zu; es wird ihnen femer | die Aufsicht tiber die Gemeinde=Verwaltung, das Vormundschafts= und Curatelwesen, | und Aufsicht tiber die milden Stiftungen gestattet. Sie haben diese Befugnisse durch ihre Beamte austiben zu lassen, welche die | Landesgesetze genau zu beobachten haben und fur deren Vollzug verantwortlich, auch | der Oberaufsicht der landesherrlichen Oberhoheits=Beamten unmittelbar untergeben | sind. §.17. Die Gegenstande jedoch, die wegen ihrer untrennbaren Verbindung mit | groBem Distrikten, oder wegen der besondem SachkenntniB, die sie erfordem, die Auf= | [S. 50] stellung eines sachkundigen Personals nothig machen, wohin Wasser== und StraBen= | bau, allgemeine Sicherheits= und Sanitats=Polizey, Medicinal Anstalten, allgemeine | Landes=Cultur gehoren, und wozu noch Kriegs= und Militar=Angelegenheiten kommen, | sind der privativen Besorgung Unserer Oberhoheits=Beamten vorbehalten, welche in | diesen Fallen unmittelbar auf die Unterthanen zu wirken haben. §.18. Das Recht, neue Unterthanen anzunehmen, oder Unterthanen aus dem | Staatsverband zu entlassen, bleibt Uns vorbehalten, und die desfallsigen Gesuche sind | bey Unseren Oberhoheits=Beamten anzubringen.

[210] Verordnung vom 23. April 1818

1827

d. Kirchliche Aufsicht. §. 19. Die Aufsicht auf Kirchen und Schulen und auf kirchliche Stiftungen, | nebst dem Patronarecht, wo sie solches hergebracht haben, letzteres nach Masgabe | Unserer hieriiber erlassenen Verordnung, erstere in der Ausdehnung, in welcher solche | den Landesherrlichen Beamten zusteht, ertheilen Wir ebenfalls den Standesherren. Sie haben diese der Aufsicht durch ihre Beamte austiben zu lassen, bey welchen | die nemlichen Bedingungen, wie oben bey der Polizey=Gewalt, statt finden. e. Forstgerichtsbarkeit. §.20. Die Forstgerichtsbarkeit, so wie die Forst= und Jagd=Polizey wird den | Standesherren in ihren eigenthtimlichen, so wie in den Gemeindswaldungen, mit | Ausnahme jedoch der geistlichen Corporationen zustehenden Waldungen belassen. §.21. Sie haben dieses Recht nach Vorschrift Unserer Landesgesetze auszu= | tiben, es ist aber Unser emstlicher Wille, daB die Standesherren im GenuB ihres Ei= | genthums so wenig als moglich, und nur in so weit beschrankt werden, als nothig ist, | einem unersetzlichen Schaden vorzubeugen. Gesetze, die dieser Unserer hochsten Absicht entgegen sind, sollen abgeandert werden. f. Berg= und Salinen=Recht. §.22. ^Das Berg= und Salinen=Recht in den Standesherrlichen Gebieten | bleibt Uns dergestalt vorbehalten, daB die vor deren Unterwerfung bereits eroffhet | gewesenen Bergwerke und Salinen, nebst den daraus bezogenen Einkiinften aller | Art, den Standesherren als Dominial Eigenthum verbleiben, das Recht, neue zu er= | offnen, aber Uns durchaus zustehen soil. ^Wenn jedoch Dritte um eine desfallsige | Concession nachsuchen sollten, so werden Wir, vor deren Ertheilung, den Standes= | herren mit seiner - binnen 3 Monaten abzugebenden Erklarung wegen des Vorbaus | vorerst horen. [S. 51] g. Besteuerung. §.23. Da in dem GroBherzogthum weder zu der Zeit der Errichtung der deutschen | Bundesakte noch seither eine Steuerfreyheit stattgefunden hat, derartige Freyhei= | ten auch, selbst seit Errichtung der obgedachten Akte, in einigen zum deutschen Bund | gehorigen Staaten aufgehoben worden sind, so konnen auch Wir Uns von dem | Grundsatz einer gleichen Besteuerung, welche Wir schon zu wiederholtenmalen offent= | lich ausgesprochen haben, eben so wenig entfemen, als wir geschehen lassen kon= | nen, daB irgend eine Klasse unserer Unterthanen Staats^Abgaben als Privat=Ei= | genthum erhebe.

1828

§12:Baden

[Dok. 188-251] h. Gefalle der Standesherren.

§.24. Den Standesherren verbleiben alle Gefalle, welche aus ihrem Eigen= | thum und dessen ungestortem GenuB herriihren, und nicht zu der Staatsgewalt und | den hohem Regierungs=Rechten gehoren. ^Es diirfen daher auch, wie bisher, von Unseren Unterthanen in den Standes= | herrlichen Gebieten, fur die Steuerkasse durchaus keine anderen Abgaben erhoben | werden, als solche, welche vermoge eines Gesetzes im ganzen GroBherzogthum all= | gemein und gleichmaBig entrichtet werden miissen. "^Diese Unterthanen bleiben | von solchen in der vormaligen Verfassung hergebrachten Abgaben an den Standes= | herren befreit, die nach allgemeinen Grundsatzen erhoben wurden, und die den Cha= | rakter von auferlegten, wie z. B. Gmnd= und Hauser=Steuer, Gewerbs=Recogni= | tionen, Ohmgeld, Accise, Pfundzoll von Mobilien und Immobilien und andere der= | gleichen mehr und nicht auf Eigenthums=Verhaltnissen beruhenden Gefallen, mithin | also den Charakter von Staats Steuem an sich tragen. Obgleich nur die Standesherren kein Recht haben, fur solche aufgehobene di= | recte oder indirecte Abgaben eine Entschadigung von der Gesamtheit der Steuer= | pflichtigen zu fordem, so haben Wir ihnen dennoch, so wie dem unmittelbaren | und dem friihem landsassigen Adel, fur einzelne derartige Gefalle, nehmlich fur das Ohm= | geld und fur die Gewerbs=Recognition, Entschadigungen nach Durchschnitts=Berech= | nungen bewilliget. Ungeachtet also hier mehr geschehen ist, als die Bundes=Acte fordert, so woUen | Wir jedoch Unsrerseits von deren Minderbewilligung keinen Gebrauch machen, son= | dem das bestehende VerhaltniB in dieser Hinsicht fortdauem lassen. §.25. Den Standesherren kommen femer die gesetzlich angesetzten und erho= | benen Strafgelder, die Sporteln und diejenigen Taxen, welche von den ihnen tiber= | [S. 52] lassenen gerichtlichen und polizeylichen Verrichtungen benihren, in der Art zu, daB | sie sich nach den schon bestehenden oder kiinftig erscheinenden Landesherrlichen Tax= | und Sportel=Ordnungen zu richten haben. §.26. Die Strafen von Unterschlagung indirekter Staatsgefalle fallen in die | Staats=Casse. §.27. Die Standesherren haben auch die Lasten der btirgerlichen und peinli= | chen Gerichtsbarkeit zu bestreiten. i. Diener=Verhaltnisse. §.28. Den Standesherren steht das Recht zu, das zu Verwaltung der ihnen | bleibenden Rechte und Einkiinfte erforderliche Personal zu emennen. §.29. Die Diener mtissen Innlander seyn, oder aber die Naturalisation von Uns | erhalten haben.

[210] Verordnung vom 23. April 1818

1829

§.30. Alle zur Verwaltung der Justiz anzustellende Personen sind aus der | Zahl der dazu gehorig vereigenschafteten Kandidaten oder Staatsdiener zu nehmen, | letztere nach vorher von ihnen bey Uns nachgesuchter und erhaltener ErlaubniB. §.31. Die Standesherrlichen zur Justiz=Verwaltung angestellten Diener wer= | den Uns in Beziehung auf ihre Dienstverhaltnisse durch besondere Commissare, oder | auf jede andere Art, die Wir vorschreiben werden, verpflichtet, ein gleiches geschieht | nachher fur die Standesherren. §. 52.Ein Justiz=Beamter, der einem Amt allein, oder in der Qualitat als er= | ster Beamter vorsteht, muB wenigstens 1000 fl. Besoldung nebst freyer Wohnung, | ein zweyter Beamter wenigstens 800 fl., und ein Assessor 600 fl. Besoldung er= | halten. ^Dem die Rechtspolizey verwaltenden Amtsrevisor gebtihren wenigstens 700 fl. | Besoldung. "^Kein Beamter irgend einer Art darf auf Sporteln gesetzt werden. §.33. Die Justizbeamten, so wie die Mitglieder der Justiz=Kanzley, konnen | nur nach vorangegangener Untersuchung und Entscheidung von ihrem Dienst entlas= | sen, oder desselben entsetzt werden. Ein besonderes Gesetz wird hieniber Ziel und Maas geben. §.34. AuBer den Justiz=Kanzleyen und Justiz=Aemtem konnen die Standes= | herren auch zu Verwaltung ihres Privatvermogens besondere Domanen=Kanzley und | Rent=Aemter errichten, und solche mit Innlandem oder naturalisirten Fremden besetzen. Nie darf aber das Justiz= und das Rent=Amt in einer Person vereinigt seyn. §. 35. Andere Titel der zur Justiz= und Dominal=Verwaltung angestellten | [S. 53] Standesherrlichen Diener, als Kanzley=Direktor, Rath, Justiz=Amtmann, Amts= | Revisor, Kanzley=Sekretar werden von uns und Unsem Landesherrlichen Stellen | ohne vorherige Staatsgenehmigung nicht anerkannt. §. 36. Endlich versteht es sich von selbst, daB die Standesherren die Diener, | Quiescenten und Pensioners, welche durch die im Jahr 1813. vorgenommene Con= | centrirung der Gerechtigkeitspflege an Uns iibergegangen sind, mit ihren gegenwar= | tigen Besoldungen, in Ansehung deren der 23ste April d. J. als Normaltag be= | stimmt wird, zuriickzunehmen gehalten sind. §.37. ^Die Formen des Geschaftsgangs sind einstweilen und bis Wir hieniber | etwas anders verordnen, die nemlichen, wie bey den Staats=Stellen. ^Diesem allem | finden Wir noch nothig folgendes anzufugen: daB Wir von Seiten eines jeden Stan= | desherren einer besonderen Anzeige, in den GenuB der hier verzeichneten Rechte eintre= | ten zu wollen, entgegensehen, und in solcher eine unumwundene Zuriicknahme aller | gegen die Bundes=Akte Fehlerhafte Paragraphennumerierung im Original.

1830

§12:Baden

[Dok. 188-251]

oder einzelne Artikel derselben allenfalls gemachten Protesta= | tionen oder Verwahrungen erblicken wollen. So wie diese Erklarung von jedem einzelnen einkommt, der Zeitpunkt, nach | welchem dieses Gesetz in Kraft treten soil, abgelaufen ist, und der Standesherr die | erforderlichen Vorrichtungen getroffen hat, soil er in den Besitz dieser Rechte gesetzet | werden. B. Rechtsverhaltnisse des ehemaligen unmittelbaren | Reichs=Adels. §.38. Den ehemaligen Reichsadel im Jahr 1806. immatriculirt gewesenen Mitgliedem | des unmittelbaren Reichs=Adels werden Wir im allgemeinen die ihm in der deutschen | Bundes=Akte zugesicherten Vorrechte, jedoch mit den obgedacht bey den Standes= | herren in gleichen und ahnlichen Fallen angeordneten Modificationen, angedeihen lassen. Im einzelnen fligen Wir noch an: §.39. Die btirgerliche Rechts= so wie die btirgerliche und polizeyliche Stra^ | gerechtigkeitspflege ist an die nemhchen Bedingungen gebunden, die oben bey den | Standesherren gemacht worden sind, insofem solche nemlich bey den dem Reichs= | Adel ertheilten mindem Rechten statt finden konnen. Insbesondere kommen die oben sub rubro Gerechtigkeitspflege und zwar sub | §. 15 lit. a e. i. k. 1. m. enthaltene Bestimmungen in voile Anwendung. Dazu verordnen Wir noch weiter: [S. 54] §.40. Die Gerechtigkeitspflege darf nicht von Advokaten, sondem sie muB | durch eigene Beamte, die kein anderes Geschaft daneben treiben, verwaltet werden. §.41. Die Beamten mtissen Innlander, oder naturalisierte Auslander, gehorig | qualificirt seyn, und wenigstens 1000 fl. Besoldung nebst freyer Wohnung erhalten, | sie dtirfen nicht auf Sporteln gesetzt, auch nicht willktirlich entlassen werden. §. 42. Der Amtsrevisor muB wenigsten 700 fl. fixe Besoldung erhalten. §. 43. Der Beamte, wie der Amtsrevisor, mtissen in einem der Orte ihres | Gerichts== und Amts=Sprengels wohnen. §.44. Die Rentey=Administration darf nicht mit der Beamten= oder Amts= | revisoratsstelle verbunden SQyn. §.45. Die Vereinigung mehrerer Orte des ehemaligen unmittelbaren Adels, | die verschiedenen Besitzem zustehen, zu einem Amt, wird gestattet, jedoch so, daB der | weitentlegenste Ort nicht tiber 4 Stunden vom Amtssitz entfemt seyn darf. §.46. Diese Amter benennen sich GrBherzogl. Badisches=Gmndherrlich von | N. N. Amt.

[210] Verordnung vom 23. April 1818

1831

§. 47. Diejenigen Orte, welche friiher zwischen Unsem Vorfahren und dem | Reichs=Adel gemeinschaftlich waren, fallen in Ansehung der polizeylichen Gegenstan= | de lediglich unter die Gerichtsbarkeit Unserer Beamten, in Ansehung der gerichtlichen | aber nur alsdann, wenn die Einwohner im Orte nicht hauser= oder familienweise | getheilt sind. §.48. Hinsichtlich der Gefalle verweisen Wir auf das, was Wir oben bey den | Standesherren unter dieser Rubrik bemerkt und angeordnet haben. SchlieBlich geben Wir noch weiter zu erkennen: §. 49. Auf den Fall, daB einer, oder der andere der vormaligen Reichs=Stan= | de und Reichs= Angehorigen auf die ihnen hinsichtlich der Verwaltung der Gerech= | tigkeits=Pflege und der Ortspolizey ertheilten Vorrechte sollte verzichten | wollen, welcher Verzicht sich jedoch auf die Rechte in ihrem ganzen Umfang, wie sie | verliehen sind, ausdehnen muB, sind Wir geneigt, denselben folgende personliche | Vorztige und Vergtinstigungen zu ertheilen. a) Das Recht, die mit einem Gut verbundenen liquiden Gefalle in gesetzhcher | Ordnung durch ihre Rentbeamten executorisch beytreiben zu lassen. | Sollte es wegen Widersetzlichkeit nothig werden, amtliche Htilfe anzurufen, so | soil ihnen solche schnell und kraftig ertheilt werden. Auch sollcen die Beamten dieser= | halb besonders verantwortlich seyn. [S. 55] b) Das Recht die niedere Polizey in dem Umfange ihrer Schlosser, Woh= | nungen und Zubehorden auszutiben, auch kleine Frevel innerhalb dieses Umfangs | selbst mit Geld zu bestrafen, und den Betrag fur sich erheben zu lassen, vorbehal= | tlich im Uebrigen der Unterordnung unter die amtliche Distrikst=Polizey und des | Recurses des Bestraften an die hohere Behorde. c) Folgende weitere Rechte hinsichtlich der Ortspolizey, der Verwaltung des | Gemeindsvermogens, des Kirchen=, Schul= und milden Stiftungswesen. 1) Die BefugniB, den Vogt^ und Ruge=gerichten, Kirchen= und Schul=Visi= | tationen, so wie der Abhor der Gemeinds= und Stiftungs=Rechnungen entweder in | Person oder durch Bevollmachtigte, jedoch auf eigene Kosten, anwohnen zu dtirfen. 2) DaB ihnen, wenn sie im Ort anwesend sind, oder ihren im Ort anwesen= | den Dienem, von alien auf diese Gegenstande Bezug habenden Verfugungen zur 1 rechten Zeit Nachricht ertheilt werden soil. 3) Die BefugniB, liber alle diese Gegenstande dem Landesherrlichen Beamten | Erinnerungen und Wtinsche vorzutragen, welcher solche anzunehmen, und so weit mog= I lich zu beriicksichtigen Amtshalber verbunden ist, oder die Griinde, warum nicht, I dem, welcher die Erinnerung angebracht, in schicklicher Form zu eroffnen hat. I Will sich der letztere dabey nicht beruhigen, so steht ihm der Recurs an die ho= I here Stelle offen. d) Bey Vogts=Wahlen steht es ihnen frey, gegen die Person des Gewahlten | gegriindete Einwendungen zu machen, iiber welche, wenn die Gemeinde auf ihrer | Wahl besteht, die hohere Stelle zu entscheiden hat. | Von einer solchen vorzunehmenden Wahl ist der Standesherr, oder des sen Rent= | beamter, oder endlich der Grundherr in KenntniB zu setzen, damit bey der Wahl je= | mand in seinem Namen erscheine, und seine allenfallsige Einwendungen gegen den | Gewahlten vorbringe, liber welche die Gemeinde sogleich zu horen ist. Insofem die Ge= | meinde auf ihrer Wahl nicht besteht, ist sogleich zu einer neuen Wahl, mit dem AusschluB | des erstgewahlten, zu schreiten, im andem Fall aber zu berichten.

1832

§12:Baden

[Dok. 188-251]

e) Endlich haben sie die BefugniB, zu verlangen, daB liber die Annahme eines | neuen Orts= Oder Schutzbiirgers mit dem Gutsherm Riicksprache genommen, und | daB tiber seine Einwendungen der Ausspmch der hoheren Stelle eingeholt werde. §.50. In jedem Fall wollen Wir die so eben gedachten personlichen Vergun= | stigungen §. 49 Lit. a. - e. Unserem tibrigen begtiterten Landes=Adel, der nicht | zur Reichs=Ritterschaft gehort hat, zu Theil werden lassen, ebenso wie die ihm be= | fS. 56] reits verliehene Forst=Gerichtsbarkeit und Forst=Polizey in eigenthiimlichen Waldun= | gen. §.51. Alle in diesem Betreff fhiher erlassene allgemeine Gesetze und Verord== | nungen erklaren Wir hiemit fur aufgehoben. §.52. ^Diese Unsere hochste Verordnung tritt, um den dadurch in veranderte | Verhaltnisse versetzt werdenden Dienem die erforderliche Zeit zu ihren deBfallsigen Ein= | richtungen zu gonnen, nach 6 Monaten vom Tag der Verkiindigung in VoUzug. "^Aus der nemlichen Ursache haben innerhalb 3 Monaten die Mitglieder des ehemali= | gen unmittelbaren Reichs=Adels unfehlbar bey Unserem Ministerio des Innem zu | erklaren, ob sie die Rechtspflege und Ortspolizey selbst austiben wollen oder nicht, widrigenfalls Wir die geeignete Fiirsorge fur die Zukunft selbst treffen werden. Hieran geschieht Unser Wille. Gegeben Carlsruhe den 23. April 1818. Carl. Vdt. F. A. Wielandt. Auf Befehl | Sr. Koniglichen Hoheit. | WeiB.

[211] Verfassungsurkunde fur das Grodherzogtum Baden vom 22. August 1818 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einfuhrungen" die Darstellungen unter [754.] [757.] bis [764.] [765.] bis [791.] [794.] [801.] [802.] [810.] [812.] [825.] [849.] [854.] [880.] [894.]. Quelle: GroBherzoglich-Badisches Staats- und Regierungs-Blatt, 16. Jahrgang, (Nr. 18 vom 29. August) 1818, S. 101 - 115 (gedruckt). Sonstige Fundstellen: H. Fenske, 175 Jahre badische Verfassung, 1993, S. 121-133 (einschlieBlich der Anderungen bis 1904, S. 1 3 4 - 148); K. Glockner, Badisches Verfassungsrecht, 1905, S. 3 6 - 1 7 9 ; R. Goldschmit, Geschichte der Badischen Verfassungsurkunde 1818-1918, 1918, S. 3 2 - 4 4 ; E. R. Huber (Hrsg.), Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte, Bd. 1: Deutsche Verfassungsdokumente 1803-1850, 3. Aufl., 1978, Nr. 54; H. L. Politz (Hrsg.), Die europaischen Verfassungen seit dem Jahre 1789 bis auf die neueste Zeit, Bd. 1, Abth. 1, 2. Aufl., 1832, S. 461 -470; C. F. Milller (Hrsg.), Die landstandische Verfassungs-Urkunde fur das GroBherzogthum Baden. Nebst den dazu gehorigen Actenstucken, (C. F. Miillersche Hofbuchhandlung, Karlsruhe) 1819, S. 1-25; E. Walz (Hrsg.), Das geltende badische Recht, Zweiter Band: Die staatsrechtlichen Gesetze Badens einschheBliche der Kirchengesetzgebung, 1911, S. 3 - 2 9 ; F. v. Weech, Geschichte der Badischen Verfassung nach amtlichen Quellen, 1868, S. 99 ff; H. A. Zacharid (Hrsg.), Die deutschen Verfassungsgesetze der Gegenwart, Bd. 1, 1855, S. 331 ff

[211] Verfassungsurkunde fur das GroBherzogtum Baden vom 22. August 1818

1833

[S. 101] (Verfassungs=Urkunde fur das GroBherzogthum Baden.) Carl von Gottes Gnaden, | GroBherzog zu Baden, Herzog zu Zahringen, | Landgraf zu Nellenburg, Graf zu Hanau etc. Als Wir bereits im Jahr 1816. Unsem Unterthanen wiederholt bekannt mach= | ten, dem GroBherzogthum eine Landstandische Verfassung geben zu wollen^, so hegten | Wir den Wunsch und die Hoffhung, daB sammtliche BundesGlieder iiber eine un= | abanderliche wesentliche Grundlage dieser alien deutschen Volkem zugesicherten Ein= | richtung tibereinkommen und nur in Entwicklung der aufgestellten Grundsatze ein je= | der einzelner Staat seinen besondem Bedtirfiiissen, mit Riicksicht auf bestehende Ver= | haltnisse, folgen mochte. Da sich jedoch, nach den letzten, tiber diesen Gegenstand bey dem Bundestage | abgelegten, Abstimmungen der Zeitpunkt noch nicht bestimmt voraussehen laBt, in | welchem die Gestaltung der Standischen Verfassung einen Gegenstand gemeinschafl= | licher Berathungen bilden dtirfte, so sehen Wir Uns nunmehr veranlaBt, die Unsem | Unterthanen gegebene Zusicherung auf die Art und Weise in Erfiillung zu setzen, wie | sie Unsrer innem freyen und festen Ueberzeugung entspricht. Von dem aufrichtigsten Wunsche durchdrungen, die Bande des Vertrauens zwi= | schen Uns und Unserm Volke immer fester zu kntipfen, und auf dem Wege, den | Wir hierdurch bahnen, alle Unsre StaatsEinrichtungen zu einer hohem Vollkom= | menheit zu bringen, haben Wir nachstehende VerfassungsUrkunde gegeben, und ver= | sprechen feyerlich fiir Uns und Unsre Nachfolger, sie treulich und gewissenhaft zu hal= | ten und halten zu las sen: [S. 102] L |Von dem GroBherzogthum und der Regierung im | Allgemeinen §•!• Das GroBherzogthum bildet einen Bestandtheil des deutschen Bundes. §•2. Alle organischen Beschltisse der BundesVersammlung, welche die verfassungs= | maBigen Verhaltnisse Deutschlands oder die Verhaltnisse deutscher Staatsbtir= | ger im Allgemeinen betreffen, machen einen Theil des Badischen Staatsrechts | aus, und werden fur alle Classen von Landesangehorigen verbindlich, nachdem | sie von dem StaatsOberhaupt verkiindet worden sind. §.3. Das GroBherzogthum ist untheilbar und unverauBerlich in alien seinen | Theilen. §.4. Die Regierung des Landes ist erblich in der GroBherzoglichen Familie nach | den Bestimmungen der Declaration vom 4ten October 1817.**, die als | Grundlage des Hausgesetzes einen wesentlichen Bestandtheil der Ver= | fassung bilden und als wortlich in gegenwartiger Urkunde aufgenommen be= | trachtet werden soil.

^ Dok.204. ^ Vgl.Dok.207-209.

1834

§12:Baden

[Dok. 188-251]

§.5. Der GroBherzog vereinigt in Sich alle Rechte der StaatsGewalt, und tibt | sie unter den in dieser VerfassungsUrkunde festgesetzten Bestimmungen aus. Seine Person ist heilig und unverletzlich. §.6. Das GroBherzogthum hat eine standische Verfassung. 11. I Staatsbiirgerliche und politische Rechte der Badener, | und besondere Zusichemngen §.7. Die Staatsbiirgerlichen Rechte der Badener sind gleich in jeder Hinsicht, wo | die Verfassung nicht namentHch und ausdriickhch eine Ausnahme begrtindet. [S. 103J Die GroBherzogHchen StaatsMinister und sammtliche Staatsdiener sind | fur die genaue Befolgung der Verfassung verantworthch. §.8. ^Alle Badener tragen ohne Unterschied zu alien offentlichen Lasten bey. "^Alle | Befreyungen von directen oder indirecten Abgaben bleiben aufgehoben. §•9. Alle Staatsbtirger von den drey christlichen Confessionen haben zu alien Ci= | vil= und MilitarStellen und KirchenAemtem gleiche Ansprtiche. Alle Auslander, welchen Wir ein StaatsAmt conferiren, erhalten durch | diese Verleihung unmittelbar das Indigenat. §. 10. Unterschied in der Geburt und der Religion begrundet mit der fur die Stan= | desherrlichen Familien durch die BundesActe gemachten Ausnahme, keine | Ausnahme der MilitairDienstpflicht. §.11. Ftir die bereits fiir abloslich erklarten Gmndlasten und Dienstpflichten und | alle aus der aufgehobenen Leibeigenschaft herrtihrenden Abgaben soil durch ein | Gesetz ein angemessener AbkaufsFuB regulirt werden. §.12. Das Gesetz vom 14ten August 1817., liber die WegzugsFreyheit^, wird als | ein Bestandtheil der Verfassung angesehen. §. 13. Eigenthum und personliche Freyheit der Badener stehen fiir alle auf gleiche | Weise unter dem Schutze der Verfassung.

^ Dok. 206.

[211] Verfassungsurkunde ftir das GroBherzogtum Baden vom 22. August 1818

1835

§.14. Die Gerichte sind unabhangig innerhalb der Granzen ihrer Competenz. Alle Erkenntnisse in btirgerlichen Rechtssachen mtissen von den ordentlichen | Gerichten ausgehen. Der GroBherzogliche Fiscus nimmt in alien aus privatrechtlichen Verhalt= | nissen entspringenden Streitigkeiten Recht vor den LandesGerichten. Niemand kann gezwungen werden, sein Eigenthum zu offentlichen Zwecken | abzugeben, als nach Berathung und Entscheidung des StaatsMinisteriums, | und nach vorgangiger Entschadigung. §.15. Niemand darf in CriminalSachen seinem ordentlichen Richter entzogen werden. Niemand kann anders als in gesetzlicher Form verhaftet und langer als | zweymal 24 Stunden im GefangniB festgehalten werden, ohne liber den Grund | seiner Verhaftung vernommen zu seyn. [S. 104] Der GroBherzog kann erkannte Strafen mildem oder ganz nachlassen, aber | nicht scharfen. §.16. Alle VermogensConfiscationen sollen abgeschafft werden. §.17. Die PreBfreyheit wird nach den kunftigen Bestimmungen der BundesVer= | sammlung gehandhabt werden. §. 18. Jeder LandesEinwohner genieBt der ungestorten Gewissensfreyheit und in An= | sehung der Art seiner Gottesverehrung des gleichen Schutzes. §. 19. Die politischen Rechte der drey christlichen Religionstheile sind gleich. §.20. Das Kirchengut und die eigenthtimlichen Gtiter und Einktinfte der Stiftun= | gen, Unterrichts= und Wohlthatigkeitsanstalten dtirfen ihrem Zwecke nicht ent= | zogen werden. §.21. Die Dotationen der beyden LandesUniversitaten und anderer hoherer Lehranstal= | ten, sie mogen in eigenthtimlichen Gtitem und Gefallen, oder in Zuschiissen | aus der allgemeinen StaatsCasse bestehen, sollen ungeschmalert bleiben. §.22. Jede, von Seite des Staats gegen seine Glaubiger tibemommene, Verbind= | lichkeit ist unverletzlich. Das Institut der AmortisationsCasse wird in seiner Verfassung aufrecht | erhalten.

1836

§12:Baden

[Dok. 188-251]

§.23. Die Berechtigungen, die durch das Edict vom 23sten April 1818.^ den dem | GroBherzogthum angehorigen ehemaligen Reichsstanden und Mitgliedem der | vormaligen unmittelbaren ReichsRitterschaft verliehen worden sind, bilden ei= | nen Bestandtheil der StaatsVerfassung. §. 24. Die RechtsVerhaltnisse der Staatsdiener sind in der Art, wie sie das Gesetz | vom heutigen festgestellt hat, durch die Verfassung garantirt. §.25. Die Institute der weltlichen und geistlichen WitwenCasse und der Brand= | Versicherung sollen in ihrer bisherigen Verfassung fortbestehen, und unter den | Schutz der Verfassung gestellt seyn. [S. 105] III. I Standeversammlung. Rechte und Pflichten der | Stande=Glieder §.26. Die Landstande sind in zwey Kammem abgetheilt. §.27. Die Erste Kammer besteht: 1) aus den Prinzen des GroBherzoglichen Hauses, 2) aus den Hauptem der Standesherrlichen Familien, 3) aus dem Landesbischoff und Einem vom GroBherzog Lebenslanglich er= | nannten protestantischen Geistlichen mit dem Range eines Pralaten, 4) aus Acht Abgeordneten des Grundherrlichen Adels, 5) aus zwey Abgeordneten der LandesUniversitaten, 6) aus den vom GroBherzog, ohne Rticksicht auf Stand und Geburt, zu | Mitgliedem dieser Kammer emannten Personen. §.28. ^Die Prinzen des Hauses und die Standesherren treten, nach erlangter Volljah= | rigkeit, in die Standeversammlung ein. '^Von denjenigen Standesherrlichen | Familien, die in mehrere Zweige sich theilen, ist das Haupt eines jeden Fa= | milienZweigs, der im Besitz einer Standesherrschaft sich befindet, Mitglied | der Ersten Kammer. Wahrend der Minderjahrigkeit des Besitzers einer Standesherrschaft ru= | het dessen Stimme. ^Die Haupter der Adelichen Familien, welchen der GroBherzog eine | Wtirde des hohen Adels verleihet, treten, gleich den Standesherm, als erb= | liche Landstande in die Erste Kammer. '^Sie mtissen aber ein nach dem | Rechte der Erstgeburt und der LinealErbfolge erbliches Stamm= oder Lehn= | gut besitzen, das in der Grund= und Gefallsteuer, nach Abzug des Lasten= | Capitals, wenigstens zu 300,000 Gulden angeschlagen ist. §.29. ^Bey der Wahl der Grundherrlichen Abgeordneten sind sammtliche Adeliche | Besitzer von Gmndherrschaften, die das 21ste Lebensjahr zuriickgelegt und | [S. 106] im Lande ihren Wohnsitz haben, stimmfahig. "^Wahlbar sind alle stimm= | fahige Grundherren, die das

^ Dok. 210.

[211] Verfassungsurkunde ftir das GroBherzogtum Baden vom 22. August 1818

1837

25ste Lebensjahr zuriickgelegt haben. ^Jede Wahl | gilt fur Acht Jahre, '^Alle vier Jahre tritt die Halfte der Grundherrlichen | Deputirten aus. Adelichen Giiterbesitzem kann der GroBherzog die Stimmfahigkeit und | Wahlbarkeit bey der Grandherrenwahl beylegen, wenn sie ein Stamm= oder | Lehngut besitzen, das in der Grund= und Gefall=Steuer, nach Abzug des | LastenCapitals, wenigstens auf 60,000 Gulden angeschlagen ist, und nach | dem Rechte der Erstgeburt nach der LinealErbfolge vererbt wird. §•30. In Ermangelung des Landesbischoffs tritt der BisthumsVerweser in die | StandeVersammlung. §.31. ^Jede der bey den LandesUniversitaten wahlt ihren Abgeordneten auf Vier | Jahre aus der Mitte der Professoren oder aus der Zahl der Gelehrten oder | Staatsdiener des Landes nach Willktihr. "^Nur die ordentlichen Professoren | sind Stimmfahig. §.32. Die Zahl der vom GroBherzog emannten Mitglieder der Ersten Kammer | darf niemals Acht Personen tibersteigen. §.33. Die Zweyte Kammer besteht aus 63 Abgeordneten der Stadte und Aemter | nach der dieser VerfassungsUrkunde angehangten Vertheilungsliste. §.34. Diese Abgeordneten werden von erwahlten Wahlmannem erwahlt. §.35. Wer wirkliches Mitglied der Ersten Kammer oder bey der Wahl der Grund= | herren stimmfahig oder wahlbar ist, kann weder bey Emennung der Wahl= | manner ein Stimmrecht austiben, noch als Wahlmann oder Abgeordneter | der Stadte und Aemter gewahlt werden. §.36. Alle ubrigen Staatsbtirger, die das 25ste Lebensjahr zuriickgelegt haben, im | Wahldistrict als Btirger angesessen sind, oder ein offentliches Amt bekleiden, | sind bey der Wahl der Wahlmanner stimmfahig und wahlbar. §. 37. Zum Abgeordneten kann emannt werden, ohne Rticksicht auf Wohnort, jeder | durch den §.35. nicht ausgeschlossene Staatsbtirger, der 1) einer der drey Christlichen Confessionen angehort, [S. 107] 2) das 30ste Lebensjahr zuriickgelegt hat und 3) in dem Grund= Hauser= und Gewerbs=steuer Kataster wenigstens mit | einem Capital von 10,000 Gulden eingetragen ist, oder eine jahrUche le= | benslangliche Rente von wenigstens 1500 Gulden von einem Stamm= | oder Lehn=gutsBesitze, oder eine fixe standige Besoldung oder Kirchen= [ pfriinde von gleichem Betrag als Staats= oder Kirchendiener bezieht, | auch in diesen beyden letztem Fallen wenigstens irgend eine directe Steuer | aus Eigenthum zahlt.

1838

§12:Baden

[Dok. 188-251]

Landes= Standes= und Grund=herrliche BezirksBeamte, Pfarrer, Physici | und andere geistliche oder weltliche Localdiener konnen als Abgeordnete nicht | von den Wahlbezirken gewahlt werden, wozu ihr Amtsbezirk gehort. §.38. Die Abgeordnete der Stadte und Aemter werden auf Acht Jahre emannt | und so, daB die Kammer alle zwey Jahre zu einem Viertel emeuert wird. §.39. Jede neue Wahl eines Abgeordneten, die wegen Auflosung der Versammlung | oder wegen des regelmaBigen Austritts eines Mitglieds nothig wird, zieht | eine neue Wahl der Wahlmanner nach sich. §.40. Jeder Austretende ist wieder wahlbar. §.41. Jede Kammer erkennt tiber die streitigen Wahlen der ihr angehorigen Mit= | glieder. §. 42. Der GroBherzog ruft die Stande zusammen, vertagt sie und kann sie auf= | losen. §.43. Die Auflosung der Stande bewirkt, daB alle durch Wahl emannte Mitglie= | der der ersten und zweyten Kammer, die Abgeordnete der Grundherren, der | Universitaten und der Stadte und Aemter, ihre Eigenschaft verlieren. §.44. Erfolgt die Auflosung, ehe der Gegenstand der Berathung erschopft ist, so | muB langstens innerhalb drey Monaten zu einer neuen Wahl geschritten | werden. §.45. Der GroBherzog emennt fur jeden Landtag den Prasidenten der ersten Kammer; | die zweyte Kammer wahlt fur die PrasidentenStelle drey Candidaten, wo= | von der GroBherzog fur die Dauer der Versammlung Einen bestatigt. §.46. Alle zwey Jahre muB eine Standeversammlung statt finden. [S. 108] §.47. Die Mitglieder beyder Kammem konnen ihr Stimmrecht nicht anders als 1 in Person austiben. §. 48. ^Die Standeglieder sind berufen, tiber die Gegenstande ihrer Berathungen nach | eigener Ueberzeugung abzustimmen. "^Sie dtirfen von ihren Committenten kei= | ne Instructionen annehmen.

[211] Verfassungsurkunde ftir das GroBherzogtum Baden vom 22. August 1818

1839

§.49. Kein Standeglied kann wahrend der Dauer der Versammlung, ohne aus= | drilckliche ErlaubniB der Kammer, wozu es gehort, verhaftet werden; den | Fall der Ergreifung auf frischer That bey begangenen peinlichen Verbrechen | ausgenommen. §.50. Die Stande konnen sich nur mit den nach gegenwartigem Grundgesetz zu ih= | rer Berathung geeigneten oder vom GroBherzog besonders an sie gebrachten | Gegenstanden beschaftigen. §.51. Es besteht ein standischer AusschuB aus dem Prasidenten der letzten Sitzung | und drey andem Mitgliedem der Iten und sechs Mitgliedem der 2ten Kam= | mer; dessen Wirksamkeit auf den namentlich in dieser Urkunde ausgedmckten | Fall oder auf die von dem letzten Landtag mit Genehmigung des GroBher= | zogs an ihn gewiesenen Gegenstande beschrankt ist. ^Dieser AusschuB wird vor dem Schlusse des Landtags, auch bey jeder Verta= | gung desselben, in beyden Kammem durch relative Stimmenmehrheit gewahlt. ^Jede Auflosung des Landtags zieht auch die Auflosung des, wenn gleich | schon gewahlten, Ausschusses nach sich. §. 52. Die Kammem konnen sich weder eigenmachtig versammeln, noch nach erfolg= | ter Auflosung oder Vertagung beysammen bleiben und berathschlagen. IV. I Wirksamkeit der Stande. §.53. Ohne Zustimmung der Stande kann keine Auflage ausgeschrieben und erho= | ben werden. §.54. ^Das Auflagen=Gesetz wird in der Kegel fur zwey Jahre gegeben. ^Solche | Auflagen jedoch, mit denen auf langere Zeit abgeschlossene Vertrage in un= | [S. 109] mittelbarer Verbindung stehen, konnen vor Ablauf des betreffenden Contrac== | tes nicht abgeandert werden. §.55. ^Mit dem Entwurf des Auflagen=Gesetzes wird das StaatsBudget und eine | detaillirte Uebersicht iiber die Verwendung der verwilligten Gelder von den | frtihem EtatsJahren tibergeben. ^Es darf darin kein Posten far geheime | Ausgaben vorkommen, wofar nicht eine schriftliche, von einem Mitglied des | StaatsMinisteriums contrasignirte, Versicherung des GroBherzogs beygebracht | wird, daB die Summe zum wahren Besten des Landes verwendet worden sey, | oder verwendet werden solle. §.56. Die Stande konnen die Bewilligung der Steuem nicht an Bedingungen knti= | pfen.

1840

§12:Baden

[Dok. 188-251]

§.57. ^Ohne Zustimmung der Stande kann kein Anlehn gtiltig gemacht werden. ^Ausgenommen sind die Anlehen, wodurch etatsmaBige Einnahmen zu etatsma= | Bigen Ausgaben nur anticipirt werden, so wie die Geldaufhahmen der Amor= | tisationskasse, zu denen sie, vermoge ihres Fundations=Gesetzes, ermachtigt ist. ^Ftir Falle eines auBerordentlichen unvorhergesehenen dringenden Staatsbe= | dtirfhisses, dessen Betrag mit den Kosten einer auBerordentlichen Versamm= | lung der Stande nicht im VerhaltniB steht und wozu das CreditVotum der | Stande nicht reicht, ist die Zustimmung der Mehrheit des Ausschusses hin= | reichend, eine GeldAufhahme gtiltig zu machen. "^Dem nachsten Landtag wer= | den die gepflogenen Verhandlungen vorgelegt. §. 58. ^Es darf keine Domaine ohne Zustimmung der Stande veraussert werden. | ^Ausgenommen sind die zu Schuldentilgungen bereits beschlossenen Verausse= | rungen, Ablosungen von Lehen, Erbbestanden, Gtilten, Zinnsen, Frohndien= | sten, Verkaufe von entbehrlichen Gebauden, von Giitem und Gefallen, die in | benachbarten Staaten gelegen sind, und alle Verausserungen, die aus Staats= | wirthschaftlichen Rticksichten zur Beforderung der LandesCultur oder zur Auf= | hebung einer nachtheiligen eigenen Verwaltung geschehen. "^Der Erlos muB | aber zu neuen Erwerbungen verwendet oder der SchuldentilgungsCasse zur | Verzinsung tibergeben werden. Ausgenommen sind auch Tausche und Verausserungen zum Zweck der Be= | endigung eines, iiber Eigenthums= oder Dienstbarkeits=Verhaltnisse anhangigen, | Rechtsstreits; ferner die Wiedervergebung heimgefallener Thron= Ritter= und | [S. 110] Kammerlehen wahrend der Zeit der Regierung des Regenten, dem sie selbst | heimgefallen sind. Da durch diesen und den §. 57. der Zweck der pragmatischen Sanction | liber Staatsschulden und Staatsverausserungen vom Iten October 1806. und | vom 18ten November 1808. vollstandig erreicht ist, so hort die Verbindlich= | keit derselben mit dem Tage auf, wo die Landstandische Verfassung in Wirk= | samkeit getreten seyn wird. §.59. Ohngeachtet die Domainen nach allgemein anerkannten Grundsatzen des | Staats= und Ftirstenrechts unstreitiges PatrimonialEigenthum des Regenten | und seiner Familie sind, und Wir sie auch in dieser Eigenschaft, vermoge ob= | habender Pflichten als Haupt der Familie, hiermit ausdriicklich bestatigen, so | wollen Wir dennoch den Ertrag derselben, ausser der darauf radicirten Civil= | liste und ausser andem darauf haftenden Lasten, solang als Wir Uns nicht | durch Herstellung der Finanzen in dem Stand befmden werden, Unsere Un= I terthanen nach Unserm innigsten Wunsche zu erleichtem, - der Bestreitung | der Staatslasten femer belassen. Die Civilliste kann, ohne Zustimmung der Stande, nicht erhohet und, ohne | Bewilligung des GroBherzogs, niemals gemindert werden. §. 60. Jeder die Finanzen betreffende Gesetzes=^Entwurf geht zuerst an die zweyte | Kammer, und kann nur dann, wenn er von dieser angenommen worden, vor | die erste Kammer zur Abstimmung liber Annahme oder Nicht=Annahme im | Ganzen ohne alle Abanderung gebracht werden. §.61. Tritt die Mehrheit der ersten Kammer dem BeschluB der zweyten nicht bey, | so werden die bejahenden und vemeinenden Stimmen bey der Kammem zu= | sammen gezahlt und nach der absoluten Mehrheit sammtlicher Stimmen der | StandeBeschluB gezogen,

[211] Verfassungsurkunde ftir das GroBherzogtum Baden vom 22. August 1818

1841

§.62. Die alten auch nicht standigen Abgaben dtirfen nach Ablauf der Verwilli= | gungsZeit noch Sechs Monate fort erhoben werden, weirn die Stande=Ver= | sammlung aufgeloset wird, ehe ein neues Budget zu Stande kommt, oder | wenn sich die standischen Berathungen verzogem. §. 63. ^Bey Rtistungen zu einem Kriege und wahrend der Dauer eines Kriegs kann | der GroBherzog, zur schleunigen und wtirksamen Erfullung seiner Bundes= | [S. Ill] pflichten, auch vor eingeholter Zustimmung der Stande, gultige Staatsanlehen | machen oder Kriegssteuem ausschreiben. ^Ftir diesen Fall wird den Standen | eine nahere Einsicht und Mitwirkung in der Verwaltung in der Art einge= | raumt, 1) DaB der alsdann zusammen zu berufende AusschuB zwey Mitglieder an die | Ministerien der Finanzen und des Kriegs und einen Commissair zur Kriegs= | Casse abordnen darf, um darauf zu wachen, daB die zu Kriegszwecken erho= | benen Gelder auch wirklich und ausschlieBlich zu diesem Zwecke verwendet | werden, und daB derselbe 2) zu der jeweils, wegen Kriegsprastationen aller Art aufzustellenden Kriegs=Com= | mission eben so viele Mitglieder abzugeben hat, als der GroBherzog, ohne den | Vorstand zu rechnen, zur Leitung des Marsch= Verpflegungs= und Lieferungs= | weesens emennt. Auch soil der AusschuB das Recht haben, zu gleichem | Zweck einer jeden Provinzial=Behorde, aus der Zahl der in dem Provinz= | Bezirk wohnenden Standeglieder, zwey Abgeordnete beyzugeben. §. 64. Kein Gesetz, das die Verfassungsurkunde erganzt, erlautert oder abandert, | darf ohne Zustimmung einer Mehrheit von ^/stel der anwesenden StandeGlie= | der einer jeden der beyden Kammem gegeben werden. §. 65. Zu alien andem die Freyheit der Personen oder das Eigenthum der Staats= | angehorigen betreffenden allgemeinen neuen Landesgesetzen oder zur Abanderung | oder authentischen Erklarung der bestehenden, ist die Zustimmung der absolu= | ten Mehrheit einer jeden der beyden Kammem erforderlich. §.66. ^Der GroBherzog bestatigt und promulgirt die Gesetze, erlaBt die zu deren | Vollzug und Handhabung erforderlichen - die aus dem Aufsichts= und Ver= | waltungs=Recht abfliessenden - und alle far die Sicherheit des Staats nothi= | gen Verfugungen, Reglements und allgemeinen Verordnungen. ^Er erlaBt | auch solche, ihrer Natur nach zwar zur standischen Berathung geeignete, aber | durch das Staatswohl dringend gebotene Verordnungen, deren vorubergehen= | der Zweck durch jede Verzogerung vereitelt wiirde. §. 67. ^Die Kammem haben das Recht der Vorstellung und Beschwerde; Verord= | nungen, worinnen Bestimmungen eingeflossen, wodurch sie ihr Zustimmungs= | recht far gekrankt erachten, sollen auf ihre erhobene gegrundete Beschwerde | sogleich ausser Wirksamkeit gesetzt werden. ^Sie konnen den GroBherzog un= | fS. 112] ter Angabe der Griinde um den Vorschlag eines Gesetzes bitten. ^Sie haben | das Recht, MiBbrauche in der Verwaltung, die zu ihrer KenntniB gelangen, der | Regierung anzuzeigen. "^Sie haben das Recht, Minister und die Mitglieder | der obersten Staatsbehorden wegen Verletzung der Verfassung oder aner-

1842

§12:Baden

[Dok. 188-251]

kannt | verfassungsmaBiger Rechte formlich anzuklagen. ^Ein besonderes Gesetz soil | die Falle der Anklage, die Grade der Ahndung, die urtheilende Behorde und | die Procedur bestimmen. Beschwerden einzelner Staatsbiirger liber Krankung in ihren verfassungs= | maBigen Gerechtsamen konnen von den Kammem nicht anders als schriftlich | und nur dann angenommen werden, wenn der Beschwerdefuhrer nachweiBt, | daB er sich vergebens an die geeigneten Landesstellen und zuletzt an das Staats=^ | Ministerium um Abhtilfe gewendet hat. Keine Vorstellung, Beschwerde oder Anklage kann an den GroBherzog | gebracht werden, ohne Zustimmung der Mehrheit einer jeden der bey den | Kammem. V. 1 Eroffhung der Standischen Sitzungen, Formen der | Berathungen.

Jeder Landtag wird in den fiir diesen Fall vereinigten Kammem, vom GroB= | herzog in Person, oder von einem von Ihm emannten Commissar eroffhet | und geschlossen. §.69. Sammtliche neu eintretende Mitglieder schworen bey Eroffhung des Land= | tags folgenden Eyd: „Ich schwore Treue dem GroBherzog, Gehorsam dem Gesetze, Beobach= | tung und Aufrechthaltung der Staatsverfassung und in der Standever= | sammlung nur des ganzen Landes allgemeines Wohl und Bestes ohne [ Rticksicht auf besondere Stande oder Classen nach meiner innem Ueber= | zeugung zu berathen: So wahr mir Gott helfe und sein heiliges Evan= | gelium." [S. 113] §.70. Kein Landesherrlicher Antrag kann zur Discussion und Abstimmung gebracht | werden, bevor er nicht in besondem Commissionen erortert und dartiber Vor= | trag erstattet worden ist. §.71. ^Die Landesherrlichen Commissarien treten zur vorlaufigen Erorterang der | Entwiirfe mit standischen Commissarien zusammen, so oft es von der einen | oder andem Seite fiir nothwendig erachtet wird. "^Keine wesentliche Abande= | mng in einem Gesetz=Entwurf kann getroffen werden, die nicht mit den Lan= | desherrlichen Commissarien in einem solchen gemeinschaftlichen Zusammentritt | erortert worden ist. §.72. Die Kammem konnen einen zum Vortrag gebrachten Entwurf nochmals an | die Commissionen zuriickweisen. §. 73. Ein von der einen Kammer an die andere gebrachter Gesetzes=Entwurf oder | Vorschlag irgend einer Art, kann, wenn er nicht Finanz=Gegenstande betrifft, | mit Verbessemngs=Vorschlagen, die in einer Commission nach §.71 eror= | tert worden, an die andere Kammer zurtickgegeben werden. §.74. ^ Jeder gtiltige BeschluB einer Kammer erfordert, wo nicht ausdriicklich eine | Ausnahme festgesetzt worden ist, absolute Stimmenmehrheit bey vollzahliger | Versammlung. ^Bey gleicher Stimmenzahl giebt die Stimme des Prasiden= | ten die Entscheidung. ^Tritt der Fall

[211] Verfassungsurkunde fur das GroBherzogtum Baden vom 22. August 1818

1843

ein, daB in Finanzsachen die Stimmen | beyder Kammem zusammengezahlt werden mtissen, so entscheidet bey Stim= | mengleichheit die Stimme des Prasidenten der zweyten Kammer. Man stimmt ab mit lauter Stimme und den Worten: Einverstanden! oder: Nichteinverstanden! Nur bey der Wahl der Can= | didaten fur die Prasidentenstelle der 2ten Kammer, - der AusschuBglieder | und der Glieder der Commissionen, entscheidet relative Stimmenmehrheit bey | Geheimer Stimmgebung. ^Die erste Kammer wird durch die Anwesenheit von 10; die zweyte durch | die Anwesenheit von 35 Mitgliedem, einschlieBlich der Prasidenten, vollzahlig. | ^Zur gtxltigen Berathschlagung tiber die Abanderung der Verfassung wird in | beyden Kammem die Anwesenheit von U der Mitglieder erfordert. §. 75. Die beyden Kammem konnen weder im Ganzen noch durch Commissionen zu= | [S. 114] sammentreten; sie beschranken sich in ihrem VerhaltniB zu einander auf die | gegenseitige Mittheilung ihrer Beschltisse. Sie stehen nur mit dem GroBherzoglichen StaatsMinisterium in unmit= | telbarer Geschaftsbertihmng; sie konnen keine Verftigungen treffen oder Be= | kanntmachungen irgend einer Art erlassen. Deputationen dtirfen sie nur, jede besonders, nach eingeholter ErlaubniB, | an den GroBherzog abordnen. §.76. ^Die Minister und Mitglieder des StaatsMinisteriums und GroBherzoglichen | Commissarien haben jederzeit bey offentlicher und geheimer Sitzung Zutritt | in jeder Kammer, und mtissen bey alien Discussionen gehort werden, wenn | sie es verlangen. "^Nur bey der Abstimmung treten sie ab, wenn sie nicht | Mitglieder der Kammer sind. ^Nach ihrem Abtritt diirfen die Discussionen | nicht wieder aufgenommen werden. §.77. Nur den Landesherrlichen Commissarien und den Mitgliedem der standischen | Commissionen wird gestattet, geschriebene Reden abzulesen; alien tibrigen Mit= | gliedem sind bios mtindliche Vortrage gestattet. §. 78. ^Die Sitzungen beyder Kammem sind offentlich. ^Sie werden geheim auf | das Begehren der Regiemngs=Commissarien, bey Eroffhungen, fur welche sie | die Geheimhaltung nothig erachten, und auf das Begehren von drey Mit= | gliedem, denen nach dem Abtritt der Zuhorer aber wenigstens V4tel der Mit= | glieder tiber die Nothwendigkeit der Geheimen Berathung beytreten muB. §. 79. ^Die Reihenfolge, womach die Abgeordneten der Gmndherren und der Stadte | und Aemter aus der Versammlung austreten, wird auf dem ersten Landtage | far die einzelnen Wahlbezirke ein fur allemal durch das Los bestimmt. '^Die | Halfte der Gmndherrlichen Abgeordneten tritt im Jahr 1823. aus, und | dann alle vier Jahre wieder die Halfte. ^Im Jahr 1821. tritt V^el der | Abgeordneten der Stadte und Aemter und dann alle zwey Jahre wieder V4tel aus.

1844

§12:Baden

[Dok. 188-251]

§.80. Bey der ersten Wahlhandlung erkennt liber alle, wegen Gultigkeit der Wahlen | entstehenden, Streitigkeiten die Landesherrliche CentralCommission, die mit der | ersten Vollziehung des Constitutions=Gesetzes beauftragt werden wird.

Die Zeit der Eroffhung des Ersten Landtags wird auf den Ersten Febmar | 1819. festgesetzt. [S. 115] §.82. Der zur Zeit der Eroffhung des Ersten Landtags, wo die Constitution in | Wirksamkeit tritt, bestehende Zustand in alien Zweigen der Verwaltung und | Gesetzgebung dauert fort, bis die erste Verabschiedung mit dem Landtage in | den Gegenstanden, die sich dazu eignen, getroffen seyn wird. Insbesondere wird das erste Budget bis zur Vereinbarung mit den Stan= | den provisorisch in Vollzug gesetzt. §. 83. Gegenwartige Verfassung wird unter die Garantie des deutschen Bundes ge= | stellt. Gegeben unter Unserer eigenhandigen Unterschrift und dem beygedruckten grossem | Staats=Siegel. Griesbach den 22ten August 1818. Carl. I (L. S.) Vdt. F. A. Wielandt. Auf Befehl Seiner Koniglichen Hoheit. | WeiB.

[211/1] Verfassungsgesetz vom 14. April 1825 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einfiihrungen" die Darstellungen unter [786.] [801.]. Quelle: GroBherzoglich-Badisches Staats- und Regierungs-Blatt, 23. Jahrgang, (Nr. 6 vom 21. April) 1825, S. 23 (gedruckt). [S. 23] Ludwig von Gottes Gnaden, | GroBherzog zu Baden, Herzog zu Zahringen, | Landgraf zu Nellenburg, Graf zu Salem, Petershausen | und Hanau etc. etc. Wir haben, unter Zustimmung Unserer getreuen Stande, beschlossen und ver= | kiinden hiermit, wie folgt: Art. 1. Die Abgeordneten der Grundherm, der Universitaten, der Stadte und Aemter | zur Standeversammlung werden auf sechs Jahre gewahlt. Nach Ablauf dieser Zeit, und so immer von sechs zu sechs Jahren treten die | gewahlten Mitglieder sammtlich wieder aus, wenn nicht die Kammem frtiher aufge= | lost worden sind. Diese gesetzlichen Bestimmungen dehnen sich auch auf die gewahlten Mitglieder | der gegenwartigen Standeversammlung aus. Art. 2. Alle drey Jahre muB eine Standeversammlung statt finden.

[211/3] Gesetz vom 28. Dezember 1831

1845

Art. 3, ^Das Auflage Gesetz wird in der Regel auf drey Jahre gegeben. ^Beschlossen | zu Carlsmhe inUnserem GroBherzoglichen StaatsMinisterium den 14. April 1825. Ludwig. Vdt. Frhr. von Berstett. Auf Befehl Seiner Koniglichen Hoheit. | Eichrodt.

[211/2] Gesetz „Die Aufhebung des Verfassungsgesetzes vom 14. April 1825" vom 8. Juni 1831 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einfuhrungen" die Darstellung unter [802.]. Quelle: GroBherzoglich Badisches Staats- und Regierungs-Blatt, 29. Jahrgang, (Nr. 10 vom 13. Juni) 1831, S. 79 (gedmckt). [S. 79] (Die Aufhebung des Verfassungsgesetzes vom 14ten April 1825.) Leopold von Gottes Gnaden, | GroBherzog von Baden, Herzog von Zahringen. Wir haben mit Zustimmung Unserer getreuen Stande beschlossen, und verord= | nen wie folgt: Art. I. Das Verfassungsgesetz vom 14ten April 1825, welches die Dauer der Eigenschaft | der zur ersten Kammer der Standeversammlung gewahlten Abgeordneten der Gmndher= | ren und der Universitaten, so wie der zur zweiten Kammer gewahlten Abgeordneten der | Stadte und Aemter, sodann die Dauer der Landtagsperioden bestimmt, ist seinem gan= | zen Inhalt nach aufgehoben. Art. IT. Alle urspriinglichen Bestimmungen der Verfassungs=Urkunde, welche durch das | Gesetz vom 14ten April 1825 abgeandert worden sind, treten in voile Kraft und Wirk= | samkeit. Art. III. Die gesetzlichen Bestimmungen der Verfassung in Bezug auf die Dauer der Eigen= | schaft der Abgeordneten und auf die Emeuerung der Wahlen, sind auf die gewahlten | Mitglieder auch der gegenwartigen Standeversammlung anwendbar. Gegeben zu Carlsrahe, in Unserem GroBherzoglichen Staats=Ministerium, den | 8ten Juni1831. Leopold. Winter. Auf Befehl Seiner KonigHchen Hoheit: | Eichrodt.

[211/3] Gesetz iiber die jeweilige teilweise Erneuerung der Standeversammlung in beiden Kammern vom 28. Dezember 1831 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einflihrungen" die Darstellung unter [803.]. Quelle: GroBherzoglich Badisches Staats- und Regierungs-Blatt, 30. Jahrgang, (Nr. 4 vom 21. Januar) 1832, S. 62 - 63 (gedmckt).

1846

§12:Baden

[Dok. 188-251]

[S. 62] (Gesetz liber die jeweilige theilweise Emeuerung der Standeversammlung in beiden | Kammem.) Leopold von Gottes Gnaden, | GroBherzog von Baden, Herzog von Zahringen. Mit Zustimmung Unserer getreuen Stande haben Wir beschlossen und verord= | nen, wie folgt: Art. 1. Der §.31 der Verfassungsurkunde, lautend: „Jede der beiden Landes=Universitaten wahlt ihren Abgeordneten auf 4 Jahre aus der Mitte | der Professoren oder aus der Zahl der Gelehrten oder Staatsdiener des Landes nach Willkuhr. | Nur die ordentlichen Professoren sind stimmfahig;" erhalt den erlautemden Zusatz: „Beide Abgeordnete der Universitaten, sie mogen die zunachst Gewahlten, oder wegen deren Aus= | tritt vor dem Zeitpunkt der regelmaBigen Emeuerung an deren Stelle gewahlt worden seyn, treten | mit der Halfte der grundherrlichen Abgeordneten gleichzeitig aus". Art. 2. Der §. 79 der Verfassungsurkunde, lautend: „Die Reihenfolge, womach die Abgeordneten der Grundherm und der Stadte und Aemter | aus der Versammlung austreten, wird auf dem ersten Landtage far die einzelnen Wahlbezirke ein | fur allemal durch das Loos bestimmt. Die Halfte der grundherrlichen Abgeordneten tritt im Jahr | 1823. aus. Im Jahr 1821. tritt ein Viertel der Abgeordneten der Stadte und Aemter, und | dann alle zwei Jahre wieder ein Viertel aus." wird durch folgende Bestimmung ersetzt: „Nach jeder Gesammtemeuerung der Kammem im Fall des §. 43 der Verfassungsurkunde wird I auf dem ersten Landtage die Reihenfolge des regelmaBigen Austritts der Abgeordneten der Gmnd= | herren, Stadte und Aemter durch das Loos ein fur allemal bis zu einer wieder eintretenden | Gesammtemeuemng bestimmt. Von den Abgeordneten der Stadte und Aemter sollen erstmals nur funf= | zehn, und in den drei folgenden Perioden jedesmal sechzehn Mitglieder austreten. Die Perioden der theil= I weisen Emeuemng beginnen mit dem ersten Januar des Jahrs, in dessen Lauf der Anfang der neuen | Budgetsperiode fallt, so daB der erste theilweise Austritt der gmndherrlichen Abgeordneten mit dem | letzten December des vierten, und der erste theilweise Austritt der Abgeordneten der Stadte und | Aemter mit dem letzten December des zweiten Jahres geschieht, in so fem nicht die Kammem an | diesem Tage zu einem ordentlichen oder auBerordentlichen Landtag versammelt sind. Niemals jedoch darf ein solcher, noch der vorigen Periode angehoriger Landtag das Budget I auch fur die folgende votiren, sondem es muB hierzu der regelmaBig zu ein Viertel emeuerte bem= | fen werden. Findet die Auflosung einer Standeversammlung vor Bewilligung des der laufenden Landtagspe= | riode angehorigen Budgets Statt, so wird die Dauer ihrer Sitzung dem neu einzubemfenden Land= | [S. 63] tage eingerechnet, so, daB das erste Viertel der Deputirten zur zweiten Kammer (und beziehungs= | weise die erste Halfte der gmndherrlichen Abgeordneten) mit dem letzten December des namlichen | Jahres austritt, an welchem das betreffende Viertheil (oder die betreffende Halfte) der Mitglieder | der aufgelosten Kammer hatte austreten mtissen.

[211/4] Gesetz vom 5. August 1841

1847

Findet dagegen die Auflosung erst nach Bewilligung des betreffenden Budgets statt, so wird I die bis zur regelmaBigen nachsten Emeuerung noch verlaufende Zeit der neu einzuberufenden Stan= | deversammlung nicht eingerechnet, sondem es dauert die Vollmacht der letzteren so lange fort, als | ware sie erst im Zeitpunkte jener regelmaBigen (theilweisen) Emeuerung berufen worden." Art. 3. Vorstehende Bestimmungen sind auf die zufolge einer Gesammtemeuerung zur gegenwartigen | Standeversammlung gewahlten Abgeordneten der ersten und zweiten Kammer anwendbar, und treten | daher die Halfte der grundherrlichen Abgeordneten und die beiden Abgeordneten der beiden Lands= | Universitaten mit dem letzten December 1834, sodann 15 Abgeordnete der Stadte und Aemter am | letzten December 1832. aus. Gegeben zu Carlsruhe, in Unserem GroBherzoglichen Staatsministerium den 28ten December I 1831. Leopold. Winter Auf hochsten Befehl Seiner Koniglichen Hoheit des GroBherzogs: | Eichrodt.

[211/4] Gesetz vom 5. August 1841 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einftihrungen" die Darstellungen unter [804.] [888.]. Quelle: GroBherzoglich Badisches Staats- und Regierungs-Blatt, 39. Jahrgang, (Nr. 25 vom 13. August) 1841, S. 213 - 244 (gedruckt). [S. 213] Leopold von Gottes Gnaden, | GroBherzog von Baden, Herzog von Zahringen. Wir haben mit Zustimmung Unserer getreuen Stande beschlossen und verordnen, wie folgt: §•1. Das Gesetz vom 28. December 1831, die jeweilige theilweise Emeuerung der Standever= I sammlung in beiden Kammem betreffend, wird aufgehoben, und durch nachstehende Bestimmungen | ersetzt. §.2. Der §.31 der Verfassungsurkunde, lautend: „Jede der beiden Landesuniversitaten wahlt ihren Abgeordneten auf vier Jahre, aus der I „Mitte der Professoren oder aus der Zahl der Gelehrten oder Staatsdiener des Landes, | „nach Willkiihr. Nur die ordentlichen Professoren sind stimmfahig;" erhalt den erlautemden Zusatz: „Beide Abgeordneten der Universitaten, sie mogen die zunachst Gewahlten, oder wegen | „deren Austritts vor dem Zeitpunkt der regelmaBigen Emeuemng an deren Stelle gewahlt | „worden seyn, treten mit der Halfte der gmndherrlichen Abgeordneten gleichzeitig aus."

1848

§12:Baden

[Dok. 188-251]

§.3. Der §. 79 der Verfassungsurkunde, lautend: „Die Reihenfolge, womach die Abgeordneten der Grundherren und der Stadte und | „Aemter aus der Versammlung austreten, wird auf dem ersten Landtage fur die ein= I „zelnen Wahlbezirke ein fur allemal durch das Loos bestimmt. Die Halfte der grund= I herrlichen Abgeordneten tritt im Jahr 1823 aus. Im Jahr 1821 tritt ein Viertel I „der Abgeordneten der Stadte und Aemter, und dann alle zwei Jahre wieder ein Viertel | „aus," wird durch folgende Bestimmung ersetzt: „Nach jeder Gesammtemeuerung der Kammem, im Fall des §. 43 der Verfassungs= I „urkunde, wird auf dem ersten Landtage die Reihenfolge des regelmaBigen Austritts der | [S. 214] Abgeordneten der Grundherren, Stadte und Aemter durch das Loos ein fiir allemal | bis zu einer wieder eintretenden Gesammtemeuerung bestimmt." „Von den Abgeordneten der Stadte und Aemter sollen erstmals nur funfzehn und | „in den drei folgenden Perioden jedesmal sechszehn Mitglieder austreten." „Die theilweise Emeuerung geschieht jeweils am 1. Juli des zweiten Jahres einer | „Budgetperiode, und nach einer Gesammt=Emeuerung der Kammem der erste theilweise | „Austritt der gmndherrlichen Abgeordneten am 1. Juli des vierten, der erste theilweise | „Austritt der Abgeordneten der Stadte und Aemter aber am 1. Juli des zweiten Jahres, | „tiberall unter der Voraussetzung, daB an diesem Tage die Kammem weder zu einem | „ordentlichen, noch zu einem auBerordentlichen Landtage versammelt sind." „Niemals jedoch darf ein solcher, noch der vorigen Periode angehoriger Landtag das I „Budget auch fur die folgende votiren, sondem es muB hierzu der regelmaBig zu ein | „Viertel emeuerte bemfen werden." „Findet die Auflosung einer Standeversammlung vor Bewilligung des der laufenden I „Landtags=Periode angehorigen Budgets statt, so wird die Dauer ihrer Sitzung dem I „neu einzubemfenden Landtage eingerechnet, so, daB das erste Viertel der Deputirten zur | „zweiten Kammer (und beziehungsweise die erste Halfte der gmndherrlichen Abgeordneten) | „mit dem 30. Juni des namlichen Jahres austritt, an welchem das betreffende Vier= | „theil (oder die betreffende Halfte) der Mitglieder der aufgelosten Kammer hatte aus= | „treten mtissen." „Findet dagegen die Auflosung erst nach Bewilligung des betreffenden Budgets statt, I „so wird die bis zur regelmaBigen nachsten Emeuemng noch verlaufende Zeit der neu | „einzubemfenden Standeversammlung nicht eingerechnet; sondem es dauert die Vollmacht | „der Lezteren so lange fort, als ware sie erst im Zeitpunkt jener regelmaBigen (theil= | „weisen) Emeuemng bemfen worden." §.4. Diejenigen Mitglieder der Standeversammlung, welche nach dem §. 2 des Gesetzes tiber die I „theilweise Emeuemng der Kammem am 31. Dezember 1842 auszutreten hatten, treten nun | „erst mit dem 30. Juni 1843 aus, sofort die, welche am 31. Dezember 1844, 1846 und I ,,1848 auszutreten hatten, am 30. Juni 1845, 1847 und 1849. Gegeben zu Carlsmhe in Unserem Staats=Ministerium, den 5. August 1841. Leopold. Frhr. von Rtidt. Auf hochsten Befehl | Seiner Koniglichen Hoheit des GroBherzogs: | Btichler.

[211/6] Gesetz vom 17. Juni 1862

1849

[211/5] Gesetz, die „Aufhebung der Beschrankung staatsbiirgerlicher Rechte aus Riicksichten der Confession" vom 17. Februar1849 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einfiihrungen" die Darstellungen unter [769.] [778.] [783.] [786.] [892.] [894.] [900.]. Quelle: GroBherzoglich Badisches Regiemngs-Blatt, 47. Jahrgang, (Nr. 7 vom 20. Februar) 1849, S. 7 5 - 7 6 (gedmckt). [S. 75] Gesetz. | Die Aufhebung der Beschrankung staatsbtirgerlicher Rechte aus Riicksichten der Confession. Leopold, GroBherzog von Baden, | Herzog von Zahringen. Mit Zustimmung Unserer getreuen Stande haben Wir beschlossen und verordnen, wie folgt: Art. 1. Der Absatz 1 des §. 9 der Verfassungsurkunde erhalt folgende Fassung: „Alle Staatsbtirger ohne Unterschied der Religion haben zu alien Civil= und Military I „stellen und Kirchenamtem ihrer Confession gleiche Anspriiche." Art. 2. Der §. 19 der Verfassungsurkunde erhalt folgende Fassung: „Die politischen Rechte aller Religionstheile sind gleich." Art. 3. Die Ziffer 1 des §. 37 der Verfassungsurkunde ist aufgehoben. [S. 76] Art. 4. Der §. 69 der Verfassungsurkunde erhalt folgende Fassung: „Ich schwore Treue dem GroBherzog, Gehorsam dem Gesetze, Beobachtung und Auf= I „rechthaltung der Staatsverfassung, und in der Standeversammlung nur des ganzen | „Landes allgemeines Wohl und Bestes, ohne Rticksicht auf besondere Stande oder | „Classen, nach meiner inneren Ueberzeugung zu berathen: So wahr mir Gotthelfe!" Gegeben zu Carlsruhe in Unserem Staatsministerium, den 17. Februar 1849. Leopold. Bekk. Auf allerhochsten Befehl Seiner Koniglichen Hoheit des GroBherzogs: | Schunggart.

[211/6] Gesetz, die „Auslegung des § 74 der Verfassungsurkunde betreffend", vom 17. Juni 1862 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einfiihrungen" die Darstellung unter [865.]. Quelle: GroBherzoglich Badisches Regierungsblatt, 60. Jahrgang, (Nr. 28 vom 27. Juni) 1862, S. 233 (gedmckt).

1850

§12:Baden

[Dok. 188-251]

[S. 233] Gesetz, | Die Auslegung des §. 74 der Verfassungsurkunde betreffend. Friedrich, von Gottes Gnaden GroBherzog von Baden, | Herzog von Zahringen. Mit Zustimmung Unserer getreuen Stande haben Wir beschlossen und verordnen, wie folgt: Einziger Artikel. Die in §. 27, Absatz 1, 2 und 3 der Verfassungsurkunde genannten Mitglieder der ersten I Kammer der Landstande sind derjenigen Zahl von Anwesenden, welche der §. 74 zur giltigen | Berathschlagung iiber die Abanderung der Verfassung vorschreibt, nur insofem beizurechnen, als | sie an dem betreffenden Landtage Theil nehmen. Gegeben zu Karlsruhe in Unserem Staatsministerium, den 17. Juni 1862. Friedrich. Stabel. A. Lamey. Auf Seiner Koniglichen Hoheit hochsten Befehl: | Schunggart.

[211/7] Gesetz, die Abanderung, beziehungsweise Erganzung der Verfassungsurkunde betreffend, vom 21. Oktober 1867 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einfiihrungen" die Darstellungen unter [777.] [779.] [780.]. Quelle: GroBherzoglich Badisches Regierungs-Blatt, 65. Jahrgang, (Nr. 47 vom 25. Oktober) 1867, S. 423 - 424 (gedruckt). [S. 423] Gesetz, | die Abanderung, beziehungsweise Erganzung der Verfassungsurkunde betreffend. Friedrich, von Gottes Gnaden GroBherzog von Baden, | Herzog von Zahringen. Mit Zustimmung Unserer getreuen Stande haben Wir beschlossen und verordnen, | wie folgt: Artikel 1. Die Ziffer 3 des §. 37 der Verfassungsurkunde ist aufgehoben. Artikel 2. Der §. 48 der Verfassungsurkunde erhalt folgenden Zusatz: §.48a Kein Kammermitglied kann wegen seiner Abstimmung oder wegen seiner AeuBe= | rungen bei Kammer=, Abtheilungs== und Kommissions=Verhandlungen anders als nach MaBgabe der | Geschaftsordnung der Kammer zur Verantwortung gezogen werden. [S. 424] Warheitsgetreue Berichte tiber Verhandlungen in den offentlichen Sitzungen beider Kammem | bleiben von jeder Verantwortlichkeit frei. Gegeben zu Karlsruhe in Unserem Staatsministerium, den 21. Oktober 1867. Friedrich. Jolly. Auf Seiner Koniglichen Hoheit hochsten Befehl: | Schreiber.

[211/8] Gesetz vom 20. Feburar 1868

1851

[211/8] Gesetz, die Abanderung des § 67 der Verfassungsurkunde bezijglich der Minister betreffend, vom 20. Februar 1868 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einfuhrungen" die Darstellungen unter [768.] [788.] [782.]. Quelle: GroBherzoglich Badisches Regiemngs-Blatt, 66. Jahrgang, (Nr. 21 vom 6. April) 1868, S. 345 - 348 (gedmckt). [S. 345] Gesetz, | die Abanderung des §. 67 der Verfassungsurkunde bezuglich der Verantwortlichkeit der Minister betreffend. Friedrich, von Gottes Gnaden GroBherzog von Baden, | Herzog von Zahringen. Mit Zustimmung Unserer getreuen Stande haben Wir beschlossen und verordnen, wie folgt: Artikel I. Zu §. 67 der Verfassung werden die Satze: „Sie (die Kammem) haben das Recht, Minister und die Mitglieder der obersten Staats= I behorden wegen Verletzung der Verfassung oder anerkannt verfassungsmaBiger Rechte formlich | anzuklagen. Bin besonderes Gesetz soil die Falle der Anklage, die Grade der Ahndung, die | urtheilende Behorde und die Procedur bestimmen." gestrichen und durch den nachfolgenden Artikel 2 ersetzt. Die Bestimmungen des letzten Satzes in §. 67: „Keine Vorstellung, Beschwerde oder Anklage kann an den GroBherzog gebracht werden, | ohne Zustimmung der Mehrheit einer jeden der beyden Kammem." wird aufgehoben und es treten folgende Satze an seine Statt: [S. 346] Zu Beschwerden, welche die Beschuldigung einer Verletzung der Verfassung oder verfas= | sungsmaBiger Rechte enthalten, ist die Zweite Kammer allein befugt. Jedoch steht der | Ersten Kammer dasselbe Recht der Beschwerde an den GroBherzog wegen Verletzung ihrer | verfassungsmaBigen Rechte zu. Die Beschltisse tiber derartige Beschwerden erfordem die im | §. 67a. vorgeschriebene Stimmenmehrheit. Zu andem Vorstellungen an den GroBherzog sind beide Kammem, sei es in Gemein= | schaft, sei es jede far sich allein, berechtigt. Eine Bitte um Vorlage eines Gesetzes darf nur dann von einer Kammer an den GroB= I herzog gebracht werden, weim dieselbe zuvor der andem Kammer mitgetheilt und dieser | Gelegenheit gegeben worden ist, sich dariiber auszusprechen. Artikel II. Zwischen §. 67 und 68 der Verfassungsurkunde werden folgende Paragraphen mit der | Ueberschrift | „IV. a. Von den Anklagen gegen die Minister" | aufgenommen: §. 67a. Die Zweite Kammer hat das Recht, die Minister und Mitglieder der obersten Staatsbehorde | wegen einer durch Handlungen oder Unterlassungen wissentlich oder aus grober Fahrlassigkeit | begangenen Verletzung der Verfassung oder anerkannt verfassungsmaBiger Rechte, oder schweren | Gefahrdung der Sicherheit oder Wohlfahrt des Staates formlich anzuklagen. Ein solcher BeschluB erfordert die in den §§.64 und 74 far Verfassungsandemngen vorge= I schriebene Stimmenzahl; die Zuriicknahme desselben kann mit einfacher Stimmenmehrheit geschehen.

1852

§12:Baden

[Dok. 188-251]

Das Anklagerecht der Zweiten Kammer wird durch die Entfemung des Angeklagten vom | Dienste, mag sie vor oder nach erhobener Anklage erfolgen, nicht aufgehoben. Im Falle der Verurtheilung ist die Entlassung des Angeklagten aus dem Staatsdienste zu I erkennen. Diese Folge der Verurtheilung kann nur auf Antrag oder mit Zustimmung der Stande I wieder aufgehoben werden. Ueber etwaige Entschadigungsforderungen steht dem Staatsgerichtshof keine Entscheidung zu. §. 67b. Das Richteramt iiber die im vorigen Paragraphen erwahnte Anklage iibt die Erste Kammer | als Staatsgerichtshof in Verbindung mit dem Prasidenten des obersten Gerichtshofs und acht | weitem Richtem aus, welche aus den Kollegialgerichten durch das Loos bezeichnet und der Ersten | Kammer beigeordnet werden. Dem Angeklagten und den Vertretem der Anklage steht ein Ablehnungsrecht zu. Der Prasident der Ersten Kammer hat den Vorsitz. Sein Stellvertreter ist der President I des obersten Gerichtshofes. [S. 347] Das Nahere liber die Bildung des Staatsgerichtshofes, sowie das Verfahren bei demselben | wird durch ein gemeines Gesetz bestimmt. §. 67c. Wird ein Minister oder ein Mitglied der obersten Staatsbehorde beschuldigt, zugleich mit den | in §. 67a erwahnten Verletzungen, oder auch ohne eine solche, ein Staatsverbrechen oder ein | gemeines Verbrechen durch MiBbrauch seines Amts begangen zu haben, so ist die Zweite Kammer | befugt, zn beantragen, daB der Staatsgerichtshof den Beschuldigten wegen dieses Vergehens vor | das zustandige ordentliche Strafgericht zur Aburtheilung verweise. Dieser Antrag ist in den in §. 67a vorgeschriebenen Formen zu beschlieBen und mit der I Anklage, wo eine solche stattfindet, zu verbinden, andemfalls aber selbststandig bei dem Staats= | gerichtshof zu stellen. §. 67d. Die wahrend der Standeversammlung von der Zweiten Kammer beschlossene Anklage wird I auch nach der Vertagung oder dem Schlusse des Landtages von den erwahlten Kommissaren ver= | folgt und die Erste Kammer gilt in Beziehung auf diesen Gegenstand nicht als vertagt oder geschlossen. Dasselbe gilt von der Auflosung der Standeversammlung, jedoch wird die SchluBverhandlung | und Entscheidung tiber die Anklage bis nach Ablauf der in §.44 der Verfassungsurkunde fest= | gesetzten Frist verschoben. §. 67e. Hat zur Zeit der Einberufung einer neuen Standeversammlung der Staatsgerichtshof das I Urtheil noch nicht gefallt, so wird derselbe neu gebildet und die Zweite Kammer wahlt auf's Neue | die Kommissare zur Vertretung der Anklage. Erfolgt jetzt eine abermalige Auflosung, so bleibt die von der Zweiten Kammer gewahlte | Kommission zur Vertretung der Anklage ermachtigt und ebenso der Staatsgerichtshof in dem | friiheren Bestand.

[211/9] Gesetz vom 21. Dezember 1869

1853

§. 67f. Das Recht der Anklage erlischt drei Jahre von dem Zeitpunkte, wo die verletzende Hand= | lung zur KenntniB des Landtages gekommen ist, wenn die Zweite Kammer jenes Recht nicht | wenigstens durch den BeschluB, den Antrag auf Erhebung einer Anklage in Betracht zu ziehen, | gewahrt hat. Die Anklage kann femer nicht mehr erhoben werden, wenn die Mehrheit der Zweiten Kammer | jene Handlung gebilhgt hat. [S. 347J §. 67g. Verordnungen und Verfiigungen des GroBherzogs, welche sich auf die Regierung und Verwal= | tung des Landes beziehen, sind in der Urschrift von den zustimmenden Mitgliedem der obersten | Staatsbehorde zu unterzeichnen und gelten nur als vollziehbar, wenn die Ausfertigung von einem | Minister gegengezeichnet ist. Gegeben zu Karlsruhe in Unserem Staatsministerium, den 20. Februar 1868. Friedrich. Jolly. RtiBlin. vonFreydorf. vonDusch, Ellstatter. Auf Seiner KoniglichenHoheithochstenBefehl: | Schreiber.

[211/9] Gesetz, die „Aenclerung einiger Bestimmungen der Verfassungsurkunde betreffend", vom 21. Dezember 1869 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einfiihrungen" die Darstellungen unter [777.] bis [779.] [885.]. Quelle: Gesetzes- und Verordnungs-Blatt fur das GroBherzogtum Baden, (Nr. 37 vom 21. Dezember) 1869, S. 571 - 573 (gedruckt). [S. 571] Gesetz. | Die Aenderung einiger Bestimmungen der Verfassungsurkunde betreffend. Friedrich, von Gottes Gnaden GroBherzog von Baden, | Herzog von Zahringen. Mit Zustimmung Unserer getreuen Stande haben Wir beschlossen und verordnen, wie folgt: Artikel 1. §. 36 der Verfassung wird aufgehoben und durch folgende Bestimmung ersetzt: „Alle tibrigen Staatsbiirger, welche das flinf und zwanzigste Lebensjahr zurtickgelegt und I in dem Wahlbezirke ihren Wohnsitz haben, sind - vorbehaltlich der besonderen gesetzlichen | Ausnahmen - bei der Wahl der Wahlmanner stimmfahig und wahlbar." Artikel 2. In §. 37 der Verfassung wird der erste Absatz dahin abgeandert: „Zum Abgeordneten kann ohne Rticksicht auf Wohnort emannt werden jeder Staatsbiirger, | der das 30te Lebensjahr vollendet hat, und die Wahlbarkeit zum Wahlmann besitzt", Artikel 3. Nach §. 40 der Verfassung wird als §. 40a. folgende Bestimmung eingeschaltet: „Wenn ein durch Wahl emanntes Mitglied einer Kammer ein besoldetes Staatsamt an= I [S. 572] nimmt oder im Staatsdienst in ein Amt eintritt, mit welchem ein ho-

1854

§12:Baden

[Dok. 188-251]

herer Rang oder ein | hoherer Gehalt verbunden ist, so verliert er Sitz und Stimme in der Kammer und kann | seine Stelle in derselben nur durch neue Wahl wieder erlangen." Artikel 4. In §. 45 der Verfassung werden die Worte: „Die zweite Kammer wahlt fur die Prasidentenstelle drei Candidaten, wovon der GroBherzog | fur die Dauer der Versammlung Einen bestatigt". durch folgende Bestimmung ersetzt: „Die zweite Kammer wahlt selbst ihren Prasidenten." Artikel 5. Nach §. 65 der Verfassung wird als §. 65a folgende Bestimmung eingeschaltet: „Das Recht, Gesetze vorzuschlagen, steht dem GroBherzog, sowie jeder Kammer

Artikel 6. Die §§. 70, 71, 72, 73 der Verfassung werden aufgehoben und durch folgende Bestimmung ersetzt: „Die Annahme eines Gesetzentwurfes, sowie die Ablehnung eines landesherrlichen Gesetzes= | vorschlages konnen in jeder Kammer, sowohl nach stattgefundener Vorberathung in einem | besondem Ausschusse, als auch ohne solche erfolgen, letzteres aber nur auf Grund einer zwei= | maligen, durch eine Zwischenzeit von mindestens drei Tagen getrennten Berathung und Ab= | stimmung. Ein von der einen Kammer an die andere gebrachter Gesetzentwurf oder Vorschlag | irgend einer Art kann, wenn er nicht Finanzgegenstande betrifft, mit Verbesserungsvorschlagen | an die andere Kammer zuriickgegeben werden." Artikel 7. In §. 74 wird der zweite Absatz, dahin lautend: „Man stimmt ab mit lauter Stimme und den Worten: Einverstanden! oder Nichteinver= I standen! Nur bei der Wahl der Candidaten fiir die Prasidentenstelle der zweiten Kammer, | der AusschuBglieder, und der Glieder der Commissionen entscheidet relative Stimmenmehrheit | bei geheimer Stimmgebung." durch folgende Bestimmung ersetzt: „Die Stimmenzahl und das Verfahren bei den von den Kammem vorzunehmenden Wahlen | wird unbeschadet der in §. 51 der Verfassungsurkunde enthaltenen Vorschrift durch die | Geschaftsordnungen geregelt." Artikel 8. Im §. 75 der Verfassung wird der erste Absatz dahin geandert: [S. 573] „Die beiden Kammem konnen nicht zusammentreten, sie beschranken sich in ihrem Verhalt= | niB zu einander auf die gegenseitige Mittheilung ihrer Beschltisse." Artikel 9. §. 76 der Verfassung wird durch folgende Bestimmung ersetzt: „Die Minister und Mitglieder des Staatsministeriums und GroBherzoglichen Commissarien | haben jederzeit bei offentlicher und geheimer Sitzung der Kammem Zutritt und mtissen bei | alien Discussionen gehort werden, wenn sie es verlangen."

[211/10] Gesetz vom 16. April 1870

1855

„Wenn eine Vorberathung in einem besondem AusschuB stattfindet, so treten zur vorlaufigen | Erortemng der Entwtirfe die landesherrlichen Commissarien mit den standischen Ausschtissen | zusammen, so oft von der einen oder andem Seite fiir nothwendig erachtet wird. Keine | wesentliche Abanderung in einem Gesetzentwurf kann getroffen werden, die nicht mit den landes= | herrlichen Commissarien in einem solchen gemeinschaftlichen Zusammentritt erortert worden ist." Gegeben zu Karlsruhe in Unserem Staatsministerium, den 21. Dezember 1869. Friedrich. Jolly. Auf Seiner Koniglichen Hoheit hochsten Befehl: | Schreiber.

[211/10] Gesetz, die „Aenderung einiger Bestimmungen der Verfassungsurkunde betreffend", vom 16. April 1870 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einfuhrungen" die Darstellungen unter [778.] [888.]. Quelle: Gesetzes- und Verordnungs-Blatt fiir das GroBherzogtum Baden, (Nr. 25 vom 26. April) 1870, S. 299 - 300 (gedruckt). [S. 299] Gesetz. | Die Aenderung einiger Bestimmungen der Verfassungsurkunde betreffend. Friedrich, von Gottes Gnaden GroBherzog von Baden, | Herzog von Zahringen. Mit Zustimmung Unserer getreuen Stande haben Wir beschlossen und verordnen, wie folgt: Artikel I. An Stelle des §. 38 der Verfassung, besagend: „Die Abgeordneten der Stadte und Aemter werden auf acht Jahre emannt, und so, | daB die Kammer alle zwei Jahre zu einem Viertel emeuert wird." tritt das Nachstehende: „Die Abgeordneten der Stadte und Aemter werden auf vier Jahre gewahlt. Sie werden 1 alle zwei Jahre zur Halfle emeuert." Artikel II. In §. 79 der Verfassung (nach den durch das Gesetz vom 5. August 1841^, Regierungsblatt I Nr. XXV., festgesetzten Bestimmungen) werden die Absatze 2, 4 und 5, besagend: Absatz 2. „Von den Abgeordneten der Stadte und Aemter sollen erstmals nur 15 und I in den drei folgenden Perioden jedesmal 16 Mitglieder austreten. Absatz 4. Niemals jedoch darf ein solcher, noch der vorigen Periode angehoriger Landtag | das Budget auch far die folgende votiren, sondem es muB hierzu der regelmaBig zu ein | Viertel emeuerte berufen werden. [S. 300] Absatz 5. Findet die Auflosung einer Standeversammlung vor Bewilligung des der | laufenden Landtagsperiode angehorigen Budgets statt, so wird die Dauer ihrer Sitzung I dem neu einzuberufenden Landtage eingerechnet, so daB das erste Viertel der Deputirten | zur zweiten Kammer (und beziehungsweise die erste Halfte der grundherrlichen Abgeord= | neten) mit dem 30. Juni des namlichen Jahres austritt, an

^ Dok. 211/4.

1856

§ 12: Baden

[Dok. 188-251]

welchem das betreffende | Viertel (oder die betreffende Halfte) der Mitglieder der aufgelosten Kammer hatte aus= | treten mtissen." durch die nachfolgenden Bestimmungen ersetzt: Absatz 2. „Von den Abgeordneten der Stadte und Aemter sollen erstmals nur 31 und I in der zweiten Periode 32 Mitglieder austreten. Absatz 4. Niemals jedoch darf ein solcher, noch der vorigen Periode angehoriger Landtag | das Budget auch fur die folgende votiren, sondem es muB hierzu der regelmaBig zur | Halfte emeuerte berufen werden. Findet die Auflosung einer Standeversammlung vor | Bewilligung des der laufenden Landtagsperiode angehorenden Budgets statt, so wird die | Dauer ihrer Sitzung dem neu einzuberufenden Landtage eingerechnet, so daB die erste | Halfte der grundherrlichen Abgeordneten und der Mitglieder der zweiten Kammer mit | dem 30. Juni des namlichen Jahres austritt, an welchem der betreffende Theil der Mit= | glieder der aufgelosten Kammer hatte austreten mtissen." Gegeben zu Karlsruhe in Unserem Staatsministerium, den 16. April 1870. Friedrich. Jolly. Auf Seiner Koniglichen Hoheit hochsten Befehl: | Schreiber.

[211/11] § 147 des Beamtengesetzes vom 24. Juli 1888 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einfiihrungen" die Darstellungen unter [772.] [773.]. Quelle: Gesetzes- und Verordnungs-Blatt fiir das GroBherzogthum Baden, (Nr. 34 vom 18. August) 1888, S. 399-449 (gedruckt). [S. 399] Beamtengesetz. (Vom24. Juli 1888.) Friedrich, von Gottes Gnaden GroBherzog von Baden, | Herzog von Zahringen. Mit Zustimmung Unserer getreuen Stande haben Wir beschlossen und verordnen, | wie folgt: ...[S. 442] Neunter Abschnitt | Uebergangs= und Schlussbestimmungen. ...[S. 446] III. AuBerkrafttreten frtiherer Bestimmungen. §. 147. AuBerkrafttreten verfassungsgesetzlicher Bestimmungen. Mit dem Inkrafttreten dieses Gesetzes werden, und zwar unter Beobachtung der ftir | Verfassungsgesetze geltenden Bestimmungen, soweit nicht ausdrticklich die femere Geltung ein= | zelner Bestimmungen vorbehalten ist, folgende verfassungsgesetzliche Vorschriften auBer | Kraft gesetzt: 1. die §§. 24 und 25 der Verfassungsurkunde^, 2. das Gesetz vom 28. Juni 1810, die Statuten des GroBherzogHch Badischen Civildiener= | Wittwenfiskus betreffend^, sammt alien dazu gehorigen Abanderungs= und Erganzungs= I gesetzen, insbesondere Gesetz vom 23. Juli 1876 gleichen ^ Dok. 211. ^ Dok. 203.

[211/12] Verfassungsabanderungsgesetz vom 24. August 1904

3. 4.

5. 6. 7. 8. 9. ...fS.

1857

Betreffs^ und Gesetz vom 28. April 1886, die Aufhahme der als Staatsdiener angestellten evangelischen Geist= | lichen in den Civildienep=Wittwenfiskus betreffend^ das Gesetz vom 31. Dezember 1819, die Rechtsverhaltnisse der weltlichen Civil= Staats= I diener betreffend^, Gesetz vom 31. Dezember 1831, die Anspriiche der Lehrer verschiedener Anstalten I hinsichtlich der Wittwen=, Pensions^ und Untersttitzungsgehalte fur ihre Hinterbliebenen | betreffend, das Gesetz vom 30. Juli 1840, die Anwendung des Dieneredikts auf die Vorstande und Hauptlehrer verschiedener Anstalten betreffend, die Gesetze vom 3. August 1844^ und 27. Dezember 1848®, die Besoldungen und | Funktionsgehalte betreffend, die Artikel 5 Abs. 3 bis 5 und Artikel 19 Abs. 1 des Gesetzes vom 25. August | 1876, die Einrichtung und Befiignisse der Oberrechnungskammer betreffend^, das Gesetz vom 14. Februar 1879, die Rechtsverhaltnisse der Richter betreffend^, die Artikel 4 und 5 des Gesetzes vom 24. Februar 1880, den Verwaltungsgerichtshof und das verwaltungsgerichtHche Verfahren betreffend**. 448] IV. Ausfiihrungsbestimmungen und Zeitpunkt des Inkrafttretens.

§. 150. I Zeitpunkt des Inkrafttretens. Dieses Gesetz tritt gleichzeitig mit dem Nachtrage zum Gesetze tiber den Staatsvoranschlag I und die Verwaltung der Staats=Einnahmen und =Ausgaben\ sowie mit der Gehaltsordnung, | und zwar auf den 1. Januar 1890, in Wirksamkeit. Gegeben zu SchloB Baden, den 24. Juli 1888. Friedrich. Turban. Ellstatter. Noll. A. Eisenlohr. Auf Seiner Koniglichen Hoheit hochsten Befehl: | Leutz.

[211/12] Gesetz, die „Abanclerung der Verfassung betreffend", vom 24. August 1904 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einfuhrungen" die Darstellungen unter [775.] [778.] [783.] [786.] [892.] [894.] [900.]. Quelle: Gesetzes- und Verordnungs-Blatt fiir das GroBherzogtum Baden, (Nr. 22 vom 3. September) 1904, S. 339 - 346 (gedruckt).

^ ^ *^ d ^ ^ g ^ ^

Dok. 203/1. Dok. 203/2. Dok. 214. Dok. 214/1. Dok. 214/2. Dok. 243. Dok. 240/1. Dok. 244. Dok. 245/1.

1858

§12:Baden

[Dok. 188-251]

[S. 339] Gesetz. (Vom 24. August 1904.) Die Abanderung der Verfassung betreffend. Friedrich, von Gottes Gnaden GroBherzog von Baden, | Herzog von Zahringen. Mit Zustimmung Unserer getreuen Stande haben W i r beschlossen und verordnen, | was folgt: Artikel 1. An Stelle der §§ 27 Ziffer 3, 5 und 6, 28 Absatz 2 und 3, 29 bis 32 der Ver- | fassung treten folgende Bestimmungen: §27 Ziffer 3, 5 bis 8. 3. aus dem katholischen Landesbischof und dem Pralaten der evangelischen Landeskirche, 5. aus je einem Abgeordneten der drei Hochschulen, 6. aus sechs Abgeordneten, die von den gesetzlich organisierten Berufskorperschaften gewahlt | werden, und zwar drei von den Handelskammem, zwei von der Landwirtschaftskammer | und einer von den Handwerkskammem, 7. aus zwei Oberbtirgermeistem der der Stadteordnung unterstehenden Stadte, aus einem | Biirgermeister einer sonstigen Stadt mit mehr als 3000 Einwohnem und aus einem | Mitglied eines der Kreisausschtisse; die Oberbiirgermeister und der Biirgermeister | werden von den Mitgliedem der Stadtrate und der Gemeinderate, das Mitglied des | Kreisausschusses von samtlichen Mitgliedem der &eisausschtisse des Landes gewahlt, 8. aus den vom GroBherzog emannten Mitgliedem. § 28 Absatz 2 bis 4. Den Hauptem adeliger Familien, deren im GroBherzogtum befindlicher, als Stammgut | anerkannter, nach dem Recht der Erstgeburt und nach der Lineal=Erbfolge vererblicher liegen= | schaftlicher Besitz nach Abzug des Lastenkapitals im Kataster der direkten Steuem auf mindestens | [S. 340] eine Million Mark veranschlagt ist, kann durch EntschlieBung des GroBherzogs das erbliche | Recht der Mitgliedschaft in der ersten Kammer (erbliche Landstandschaft) verliehen werden. I Fallen die Voraussetzungen der Verleihung weg, so erlischt die erbliche Landstandschaft. Wer fur den minderjahrigen oder den wegen Geisteskrankheit entmiindigten Besitzer eines | standesherrlichen Guts als Vormund bestellt ist, kann, wenn er Agnat der Familie ist, an | Stelle des Bevormundeten die Mitgliedschaft in der ersten Kammer austiben. Ist das Haupt einer standesherrlichen Familie aus anderen als den im dritten Absatz 1 bezeichneten Griinden an der Austibung der Mitgliedschaft verhindert, so kann es fur die | Dauer der Sitzungsperiode einen Agnaten als Stellvertreter mit der Austibung der Mitglied= | schaft betrauen. Die Bestellung des Stellvertreters ist dem Prasidenten der ersten Kammer ] und, wenn der Landtag nicht versammelt ist, dem Prasidenten des Staatsministeriums schrift= | lich anzuzeigen. §29. Bei der Wahl der gmndherrlichen Abgeordneten sind alle adeligen Eigentiimer oder Mit= I eigentiimer eines im GroBherzogtum befindlichen Gutes wahlberechtigt, welchem im Jahre 1806 | die Eigenschaft der Reichsunmittelbarkeit oder das Recht der Patrimonialgerichtsbarkeit zustand.

[211/12] Verfassungsabanderungsgesetz vom 24. August 1904

1859

Adeligen Grundbesitzem, deren im GroBherzogtum befindlicher, als Stammgut anerkannter, | nach dem Rechte der Erstgeburt und nach der Lineal=Erbfolge vererblicher liegenschafllicher | Besitz nach Abzug des Lastenkapitals im Kataster der direkten Steuem auf mindestens zwei= | malhunderttausend Mark veranschlagt ist, kann durch EntschlieBung des GroBherzogs die ver= | erbliche Berechtigung zur Teilnahme an der Wahl der grundherrlichen Abgeordneten beigelegt | werden. Fallen die Voraussetzungen der Verleihung weg, so erlischt die Berechtigung. §30. In Ermangelung des katholischen Landesbischofs tritt der Bistumsverweser in die erste | Kammer ein. §31. Vom GroBherzog werden in die erste Kammer berufen: 1. zwei hohere richterliche Beamte, 2. weitere Mitglieder, jedoch nicht mehr als sechs, ohne Rticksicht auf Stand und Geburt. §32. Die zwei hoheren richterlichen Beamten werden auf die Dauer ihres Amts emannt. Im I tibrigen erfolgt die Emennung der vom GroBherzog berufenen Mitglieder und ebenso die | Wahl der Abgeordneten der Grundherren, der Hochschulen, der Berufskorperschaften und der | Stadte und ICreise fiir die vierjahrige Landtagsperiode. Artikel 2. Hinter den § 32 der Verfassung werden folgende Bestimmungen eingefugt: [S. 341] §32a. Bei den Wahlen der im § 27 Ziffer 4 bis 7 bezeichneten Mitglieder sind nur solche | Personen wahlberechtigt, welche die badische Staatsangehorigkeit besitzen, im GroBherzogtum | einen Wohnsitz haben, mindestens fiinfundzwanzig Jahre alt sind und bei denen keine der in | § 35 bezeichneten Tatsachen vorliegt. Die bei diesen Wahlen Wahlberechtigten sind auch wahlbar, sofem sie das dreiBigste I Lebensjahr zuriickgelegt haben. Das Ruhen der Wahlberechtigung gemaB §35 Ziffer 4 I schlieBt die Wahlbarkeit nicht aus. ^Diesen Voraussetzungen der Wahlbarkeit mussen auch die | im § 28 bezeichneten Stellvertreter entsprechen. AuBerdem ist bei den Wahlen der Abgeordneten der Hochschulen die Wahlberechtigung I auf die ordentlichen Professoren der betreffenden Hochschule und bei den Wahlen der Grund= | herren die Wahlbarkeit auf die nach § 29 Wahlberechtigten beschrankt. § 32b. Wer Mitglied der zweiten Kammer ist, kann nicht als Mitglied in die erste Kammer I eintreten. Nimmt ein Mitglied der ersten Kammer die Wahl als Abgeordneter zur zweiten Kammer | an, so hort damit die Mitgliedschaft in der ersten Kammer auf

1860

§12: Baden

[Dok. 188-251]

ArtikelS. An Stelle der §§33 bis 40, 43, 60 und 61 der Verfassung treten folgende Be= | stimmungen: §33. Die zweite Kammer besteht aus dreiundsiebenzig Abgeordneten. Die Abgeordneten werden, jeder in einem besonderen Wahlkreise, in allgemeiner, unmittel= | barer und geheimer Abstimmung gewahlt. §34. Zur Abstimmung bei der Wahl der Abgeordneten zur zweiten Kammer sind die mann= | lichen Personen liber 25 Jahre berechtigt, welche im Zeitpunkt der Wahl im GroBherzogtum | einen Wohnsitz haben und seit mindestens zwei Jahren die badische Staatsangehorigkeit be= | sitzen. Jedoch gentigt einjahriger Besitz der badischen Staatsangehorigkeit, falls der Wohnsitz | im GroBherzogtum unmittelbar vor der Wahl mindestens ein Jahr gedauert hat. §35. Die Befugnis zur Austibung der Wahlberechtigung ruht: 1. wenn der Wahlberechtigte unter Vormundschaft oder wegen geistiger Gebrechen unter | Pflegschaft steht; 2. wenn iiber das Vermogen eines Wahlberechtigten der Konkurs eroffnet ist, wahrend | der Dauer des Konkursverfahrens; [S. 342] 3. wenn der Wahlberechtigte, den Fall eines voriibergehenden Ungliicks ausgenommen, | eine Armenunterstiitzung aus offentlichen Mitteln bezieht oder im letzten der Wahl | vorausgegangenen Jahre bezogen hat; die Befreiung von der Entrichtung des fiir den | Besuch offentlicher Unterrichtsanstalten schuldigen Entgelts und die unentgeltliche Be= | schaffung der fiir die Besucher solcher Anstalten erforderlichen Unterrichtsmittel gilt | nicht als Armenunterstiitzung; 4. wenn der Wahlberechtigte, trotz rechtzeitiger Mahnung und ohne Stundung erhalten | zu haben, bei AbschluB der Wahlerliste mit der Entrichtung einer ihm fiir das vor= | ausgegangene Steuerjahr gegentiber dem Staat oder der Gemeinde obliegenden direkten | Steuer im Riickstand ist. §36. Alle wahlberechtigten Staatsangehorigen sind wahlbar, ausgenommen diejenigen, welche | im Zeitpunkte der Wahl das dreiBigste Lebensjahr noch nicht vollendet haben oder auf welche | § 35 Ziffer 1 bis 3 Anwendung fmdet. Die Vorsteher und Beamten der Bezirksamter, der Amtsgerichte und Notariate, sowie I der Bezirksbehorden der Steuer=, Zoll=, Domanen=, Forstverwaltung, der staatlichen Hochbau=, | Wasserbau=, StraBenbau= und Eisenbahnverwaltung, die Bezirksarzte, Bezirkstierarzte und | die Ortsgeistlichen sind in einem Wahlbezirke nicht wahlbar, welchem ihr Dienstbezirk ganz | oder teilweise angehort. §37. Samtliche Abgeordnete der zweiten Kammer werden in Zeitraumen von vier Jahren neu I gewahlt (Landtagsperiode). Die periodische Wahl findet gleichzeitig fiir samtliche Abgeordnete an einem vom GroB= 1 herzog zu bestimmenden Tage statt.

[211/12] Verfassungsabandemngsgesetz vom 24. August 1904

1861

Die Eigenschaft als Abgeordneter erlischt, wenn seit dem Tage der periodischen Neuwahl | vier Jahre umflossen sind. §38. Im iibrigen werden die Vorschriften liber die Austibung des Wahlrechts zu beiden | Kammem, insbesondere liber die Wahlkreise und das Wahlverfahren, durch besonderes Gesetz | geordnet. §39. Auf die durch Wahl, durch Emennung oder durch Bemfiing als Stellvertreter begrlindete | Mitgliedschaft im Landtag kann durch schriftliche Erklarung Verzicht geleistet werden. Die= | selbe ist bei versammeltem Landtage dem Prasidenten der betreffenden Kammer, sonst dem | Prasidenten des Staatsministeriums abzugeben. ^Ein Widermf des rechtsgliltig erklarten | Verzichts findet nicht statt. Ist ein gewahltes oder emanntes Mitglied des Landtags durch Tod, Verzicht oder durch I Wegfall einer der fur die Wahlbarkeit maBgebenden Voraussetzungen ausgeschieden, so hort | [S. 343] die Mitgliedschaft des zu seinem Ersatz in den Landtag Eingetretenen in dem Zeitpunkte auf, | in welchem der Ausgeschiedene ohne den Eintritt jener besonderen Tatsachen die Mitgliedschaft | im Landtag verloren haben wlirde. §40. Die aus dem Landtage ausgetretenen gewahlten Mitglieder sind wieder wahlbar, sofem I im Zeitpunkt der Wahl die gesetzlichen Voraussetzungen der Wahlbarkeit vorliegen. §43. Die Auflosung der Standeversammlung bewirkt, daB alle fiir diese eine Landtagsperiode | Gewahlten oder Emannten ihre Mitgliedschaft verlieren. §60. Nachstehende, die Finanzen betreffenden Vorlagen gehen zunachst an die zweite Kammer: 1. die Nachweisungen liber den Vollzug der Staatsausgaben und =Einnahmen (Rech= I nungsnachweisungen) und die vergleichenden Darstellungen der Budgetsatze mit den | Rechnungsergebnissen; 2. Gesetzentwlirfe, welche liber die Verwaltung der Staatsausgaben und =Einnahmen oder | liber die direkten und indirekten Staatssteuem dauemde Bestimmungen treffen; 3. der Entwurf des Finanzgesetzes (Auflagengesetzes, §§54 und 55) nebst dem Staats= I voranschlag (Staatsbudget), sowie sonstige Entwlirfe liber Bestimmung der Steuersatze | fiir eine Budgetperiode, liber VerauBemng, Belastung oder Verwendung des Staats= | oder Domanenvermogens, liber Aufhahme von Anlehen, Ubemahme von Staatsblirg= | schaften oder von sonstigen Staatsverbindlichkeiten ahnlicher Art. §61. Uber die in § 60 Ziffer 1 bezeichneten Vorlagen findet eine BeschluBfassung der ersten | Kammer statt, nachdem die zweite Kammer darliber beschlossen hat. Uber die in § 60 Ziffer 2 und 3 bezeichneten Entwlirfe wird von der ersten Kammer I erst beschlossen, nachdem sie von der zweiten Kammer angenommen worden

1862

§12:Baden

[Dok. 188-251]

sind, unbeschadet | der Beflignis der ersten Kammer, liber die einzelnen Telle des Staatsvoranschlags gesondert | zu beschlieBen, sobald die BeschluBfassung der zweiten Kammer darliber erfolgt ist. Weichen hinsichtlich der einzelnen Positionen des Staatsvoranschlags (Staatsbudgets) die | Beschltisse der ersten Kammer von denen der zweiten ab und ist auch bei wiederholter Be= | schluBfassung beider Kammem und nach vorausgegangenem Verstandigungsversuch gemaB | § 75 Absatz 2 eine Ausgleichung der Verschiedenheiten nicht zu erzielen, so werden diese | Positionen in den dem Finanzgesetz anzuschlieBenden Staatsvoranschlag so eingestellt, wie sich bei | der endgtiltigen BeschluBfassung die zweite Kammer daftir ausgesprochen hat. Lehnt die erste Kammer einen von der zweiten Kammer angenommenen Entwurf der in I § 60 Ziffer 3 bezeichneten Art im ganzen ab, so wird auf Verlangen der Regierung oder | der zweiten Kammer in einer Gesamtabstimmung mit Durchzahlung der in beiden Kammem | [S. 344] abgegebenen Stimmen dariiber beschlossen, ob der Entwurf in der ihm von der zweiten Kammer | gegebenen Fassung anzunehmen sei. Artikel 4. In Absatz 2 des § 67a sind die Worte „§§ 64 und 74" zu ersetzen durch „§§ 64 | und 73". Artikel 5. Die §§70 bis 74 der Verfassung erhalten folgende Fassung: §70. Die Annahme eines Entwurfs, sowie die Ablehnung eines landesherrlichen Vorschlags I konnen in jeder Kammer sowohl nach Vorberatung in einem besondem Ausschusse, als auch | ohne solche erfolgen, letzteres aber nur auf Grund einer zweimaligen, durch eine Zwischen= | zeit von mindestens drei Tagen getrennten Beratung und Abstimmung. Ein von der einen | Kammer an die andere gebrachter Entwurf oder Vorschlag kann mit Verbesserungsvorschlagen | an die andere Kammer zuriickgegeben werden. §71. Zur Gtiltigkeit der BeschluBfassung einer Kammer ist, wo nicht ausdriicklich Ausnahmen | festgesetzt sind, die Zustimmung der absoluten Mehrheit der in gesetzlicher Anzahl anwesenden | Mitglieder erforderlich. Bei gleicher Stimmenzahl gibt die Stimme des Prasidenten die Entscheidung. Die Stimmenzahl und das Verfahren bei den von den Kammem vorzunehmenden | Wahlen wird, unbeschadet der in § 51 enthaltenen Vorschrift, durch die Geschaftsordnungen | geregelt. §72. Die erste Kammer wird durch die Anwesenheit von mindestens fiinfzehn, die zweite I Kammer durch die Anwesenheit von mindestens siebenunddreiBig Mitgliedem, einschlieBlich der | Prasidenten, beschluBfahig. §73. Zur gtiltigen Abstimmung liber Entwlirfe, durch welche die Verfassung erganzt, erlautert | oder abgeandert werden soil, wird in beiden Kammem die Anwesenheit von mindestens drei | Vierteln der Mitglieder erfordert.

[211/12] Verfassungsabandemngsgesetz vom 24. August 1904

1863

Bei Berechnung der drei Viertel werden in der ersten Kammer die im § 27 Ziffer 1 | bis 3 genannten Mitglieder, wenn sie in der betreffenden Sitzungsperiode am Landtage I weder in Person, noch durch Stellvertreter teilnehmen, nicht gezahlt. §74. Zur Giiltigkeit einer Gesamtabstimmung nach § 61 Absatz 4 wird erfordert, daB in | jeder Kammer die zur BeschluBfassung notige Zahl von Mitgliedem anwesend ist. [S. 345] Der Entwurf gilt als angenommen, wenn sich bei der Durchzahlung die Mehrheit der I in beiden Kammem abgegebenen Stimmen dafur ausgesprochen hat; bei Stimmengleichheit | entscheidet die Stimme des Prasidenten der zweiten Kammer. Artikel 6. Der § 75 der Verfassung hat zu lauten: AuBer bei der Eroffhung und bei der SchlieBung des Landtags diirfen die beiden | Kammem nicht zusammentreten. Wenn aber die Beschltisse beider Kammem voneinander abweichen, kann auf Anregung | der einen oder andem Seite durch Vermittelung der Prasidenten zum Zweck einer Ver= | standigung ein Zusammentritt der beiderseitigen Kommissionen stattfinden. Beide Kammem beschranken sich u. s. f. unverandert wie bisher. Artikel 7. An Stelle des § 79 der Verfassung tritt folgende Bestimmung: §79. Die vierjahrige Landtagsperiode zerfallt in zwei Sitzungsperioden von je zweijahriger I Dauer. In jeder Sitzungsperiode wird liber das Finanzgesetz BeschluB gefaBt. Ist der Landtag wahrend der Sitzungsperiode aufgelost worden, ehe tiber das Finanz= | gesetz BeschluB gefaBt war, so wird fiir den neu berafenen Landtag die Dauer der ersten | Sitzungsperiode und der Mitgliedschaft so berechnet, wie wenn die Wahl bei Beginn derjenigen | Sitzungsperiode, in welcher der letzte Landtag aufgelost wurde, stattgefiinden hatte. Ist die Aufiosung nach der BeschluBfassung tiber das Finanzgesetz erfolgt, so wird der I Rest der noch nicht abgelaufenen Sitzungsperiode der vierjahrigen Landtagsperiode des neuen | Landtags zugeschlagen. Die Vorschrift des § 37 Absatz 2 findet auch im Fall der Aufiosung Anwendung. Artikel 8. 1. Bei Wahlen, welche im Laufe des Jahres 1905 stattfinden, besitzen Personen, welche I vor dem 1. Januar 1905 die badische Staatsangehorigkeit erworben oder ihren Wohnsitz | im GroBherzogtum genommen haben, die Wahlberechtigung, auch wenn der Besitz der | badischen Staatsangehorigkeit oder der Wohnsitz noch nicht die in § 34 bezeichnete Dauer | erreicht. 2. Dieses Gesetz tritt am 1. Juli 1905 gleichzeitig mit den Gesetzen tiber die Wahlkreis= | einteilung und das Wahlverfahren in Kraft. Auf diesen Zeitpunkt hort die Mitgliedschaft | samtlicher nach den seitherigen Bestimmungen in die zweite und erste Kammer gewahlten | Abgeordneten auf Im Falle vor dem 1. Juli 1905 eine Aufiosung des Landtags erfolgen | sollte, treten die in diesem Gesetze vorgesehenen Andemngen der Verfassung und die dazu | erlassenen Vollzugsgesetze schon von dem Zeitpunkte der angeordneten Aufiosung an in Kraft.

1864

§12:Baden

[Dok. 188-251]

[S. 340] Das Gesetz vom 17. Juni 1862, die Auslegung des § 74 der Verfassungsurkunde be= I treffend^ (Regiemngsblatt Seite 233), und das Gesetz vom 16. April 1870, die Wahlbezirke | fiir die Wahlen zur zweiten Kammer betreffend (Gesetzes= und Verordnungsblatt Seite 303), | treten auf den obigen Zeitpunkt auBer Kraft. Gegeben zu SchloB Mainau, den 24. August 1904. Friedrich. vonBrauer. Schenkel. vonDusch. Reinhard. Becker. Auf Seiner KoniglichenHoheithochstenBefehl: | Schwoerer.

[212] Verfiigung uber die Durchfiihrung von Wahlen und den Zusammentritt der Stande vom 23. Dezember 1818 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einfiihrungen" die Darstellung unter [790.]. Quelle: GroBherzoglich Badisches (Staats- und) Regierungs-Blatt, 16. Jahrgang, (Nr. 27 vom 24. Dezember) 1818, S. 171 - 173 (gedruckt). Sonstige Fundstelle: C. F. Milller (Hrsg.), Die landstandische Verfassungs-Urkunde far das GroBherzogthum Baden. Nebst den dazu gehorigen Actenstticken, (C. F. Mtillersche Hofbuchhandlung, Karlsruhe) 1819, S. 26 - 29. [S. 171] Ludwig von Gottes Gnaden, | GroBherzog zu Baden, Herzog zu Zahringen, | Landgraf zu Nellenburg, Graf zu Hanau etc. etc. Im Augenblick, da Wir zum Vollzug der Wahlen, fur die beyden Kammem Unsere | LandStande, die nothigen Anordnungen treffen, ist es Uns angenehm, die gewisse Hoffnung I nahren zu konnen, daB alle Unsere Unterthanen, durchdrungen von der Wichtigkeit des I Gegenstands, schon bey diesem ersten Act, der aus der Landesverfassung** hervorgeht, I ein grundliches ZeugniB ihrer Reife fur eine reprasentative Verfassung ablegen wer= I den. DieB kann, bey gegenwartiger Veranlassung, nicht besser geschehen, als durch | rege Theilnahme an den Wahlhandlungen, von Seiten einer jeden Classe von Staats= | btirgem, die dabey mitzuwirken, auf irgend eine Weise, berufen ist; durch wtirdevolle | Ruhe und Ordnung bey dem Vollzug; durch die verstandige, umsichtige Auswahl | von Mannem, die, ausgezeichnet durch btirgerliche Tugenden, Kenntnisse und Erfah= | rungen, den hohen und schonen aber schweren Pflichten eines Abgeordneten gewach= | sen sind. Wenn Wir, bey dem festen Willen, das Gliick und Wohl Unseres Volkes | zum einzigen Ziel Unseres ganzen Bestrebens zu setzen, Unsere Blicke auf die noch | fuhlbaren, traurigen aber unabwendbaren Folgen einer vergangenen stiirmischen Zeit | richten, deren tiefeingedruckte Spuren nur allmahlig, durch sorgfaltige erwogene, weise | und kraftige MaaBregeln vertilgt werden konnen; so fahlen Wir lebhaft die dringende | Nothwendigkeit, Unsere Kammem, so bald als moglich, um uns zu versammeln, um in ihren Einsichten und ihrem guten Willen eine feste Stutze fur Unsere Landesvaterli= | che Absichten, und far den Erfolg Unseres Bestrebens eine sichere Biirgschaft zu finden. Da die Vorarbeiten fur den bevorstehenden Landtag, durch die Krankheit und den | hochstbedauerlichen Hintritt Unseres in Gott ruhenden Herm Neffen und RegierungsVor= | [S. 172] fahrers Konigl. Hoheit und Liebden nothwendiger Weise unterbrochen werden muBten, so | war die Wiederaufnahme dieser Arbeiten einer Unserer ersten Regentensorgen.

Dok. 211/6. Dok. 211.

[212] Verfugung vom 23. Dezember 1818

1865

Wir werden | dieselben so rasch fortsetzen lassen, als es nur immer mit einer grundlichen Bearbeitung | vereinbarlich ist. Kaum diirfen Wir aber hoffen, daB sie bis zu dem Zeitpunkt, der I in der VerfassungsUrkunde fur die Eroffhug der ersten Standeversammlung bestimmt | wurde, noch vollendet werden konnen, und daB es in der Zwischenzeit noch moglich | werde, Uns von dem ganzen Zustand des Staatshaushalts die erforderliche genaue | Rechenschaft geben zu lassen. In dieser Betrachtung, so wie in der weitem Er= | wagung, daB eine Uebereilung der Wahlen einen nachtheiligen EinfluB auf das Re= | sultat derselben auszutiben droht, sehen Wir uns veranlaBt, den, in der Verfassungs= | urkunde, auf den Iten Februar kiinftigen Jahrs bestimmten, Termin weiter hinaus= | zusetzen, und haben daher beschlossen und beschlieBen, wie folgt: 1) Die erste standische Versammlung wird am 23. Marz ftinftigen Jahrs eroffhet. 2) Der Versammlungsort der Kammer ist Uns ere Residenzstadt Carlsruhe. 3) Bis zur bleibenden Anschaffung eines eigenen Locals, und um die Kosten | einer interimistischen Einrichtung zu ersparen, werden die Sitzungen beyder Kam= | mem, wahrend des ersten Landtags, in den Salen Unseres GroBherzoglichen Schlos== | ses abgehalten. 4) Die Wahlen der Wahlmanner in sammtlichen Stadt= und Amtsbezirken | sollen unverztiglich vorbereitet werden, und so wie die nothigen Vorbereitungen ge= | troffen sind, sogleich beginnen und langstens bis zum Iten Februar im ganzen GroB= | herzogthum beendigt seyn. Die Wahl der Wahlmanner wird in alien Wahlbezirken gleichzeitig vorgenommen. 5) Sammtliche Wahlen der Abgeordneten ftir die erste und zweyte Kammer | sollen bis zum Iten Marz beendigt seyn. | Die Wahlen der Universitaten werden noch vor dem ersten Februar vollzogen | und bekannt gemacht. | Die Wahlen der Abgeordneten ftir die zweyte Kammer, sind nicht in sammli= | chen Stadt= und Amtsbezirken zu gleicher Zeit, sondem nach schicklichen Abtheilun= | gen und in Zwischenraumen von 3 bis 4 Tagen, in der Art, vorzunehmen, daB Sie | ohnfehlbar im Laufe des Februar=Monats beendigt werden. Die Stadte, welche besondere Abgeordnete emennen, sind in die zuerst wahlen= | de Abtheilung zu setzen. [S. 173] 6) Die Liste der landesherrlichen Commissarien, welche die Wahlen der Abge= | ordneten zu leiten haben, ist der Wahlordnung* beygefiigt. 7) Die, zur obersten Leitung der Wahlgeschafte angeordnete, CentralCommission | ist mit dem Vollzug vorstehender Verfiigungen, von 4 bis 6, beauftragt. Gegeben unter Unserer eigenhandigen Unterschrift und dem beygedruckten groBem | Staats=Siegel. Carlsruhe, am 23sten Dezember 1818. Ludwig I (L. S.) Vdt. F. A. Wielandt. Auf Befehl | Sr. Koniglichen Hoheit. | WeiB.

^ Dok.213.

1866

§12:Baden

[Dok. 188-251]

[213] Wahlordnung „zur Verfassungs-Urkunde des GroBherzogthums" vom 23. Dezember 1818 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einfiihrungen" die Darstellungen unter [776.] [777.] [810.]. Quelle: GroBherzoglich Badisches (Staats- und) Regierungs-Blatt, 16. Jahrgang, (Nr. 27 vom 24. Dezember) 1818, S. 173 - 192 (gedmckt). Sonstige Fundstelle: C. F. Muller (Hrsg.), Die landstandische Verfassungs-Urkunde fiir das GroBherzogthum Baden. Nebst den dazu gehorigen Actenstiicken, (C. F. Mtillersche Hofbuchhandlung, Karlsruhe) 1819, S. 29 - 56. [S. 173]^ Wahlordnung. | Zur Verfassungs=Urkunde des GroBherzogthums. Zum VoUzug der, tiber die Wahl der Abgeordneten ftir die erste und zweyte Kam= | mer in der Verfassungsurkunde gegebenen, allgemeinen grundgesetzlichen Bestimmungen, | werden folgende nahere Vorschriften ertheilt. I. Wahl der Gmndherrlichen Abgeordneten in der ersten Kammer. §•1.

^Das GroBherzogthum ist in zwey grundherrliche Wahlbezirke eingetheilt, wel= | che die Murg scheidet. '^Ein jeder der beyden Bezirke wahlt vier Abgeordnete. §.2. Stimmfahig sind alle adelichen Besitzer von Grundherrschaften, die im Lande | wohnen, und das 21ste Lebensjahr zurtickgelegt haben. Wahlbar ist jeder im Lande wohnende Grundherr, der das 25ste Lebens= | jahr zurtickgelegt hat. Der Besitz mehrerer Grundherrschaften giebt kein Recht auf mehrere Stimmen. Von mehreren Theilhabem an einer Grundherrschaft ist jeder stimmfahig | und wahlbar. Grundherm, welche in beyden Bezirken Herrschaften besitzen, iiben ihr [ Stimmrecht nur in demjenigen Bezirke aus, wo der groBere Theil ihrer steu= | erbaren Gtiter und Gefalle gelegen ist. §.3. ^Das Ministerium des Innem wird, vor Vomahme jeder Wahl, eine Liste der | stimmfahigen und wahlbaren Grundherren in jedem Bezirk bekannt machen. | ^Reclamationen dagegen sollen, wenn sie nicht sogleich als gegrtindet erschei= | [S. 174] nen, in dem geeigneten Wege, erortert und entschieden werden. ^Die Ent= | scheidung hat keine Rtickwirkung auf die Gtiltigkeit frtiherer Wahlen.

Fortsetzung von Dok. 212.

[213] Wahlordnung vom 23. Dezember 1818

1867

§.4. Jeder Bezirk wahlt seine Abgeordneten aus der Mitte der, ihm angehohrigen, | wahlbaren Gmndherren durch relative Stimmen=Mehrheit. §.5. Der Wahlort, ist fur den Bezirk oberhalb der Murg, Freiburg, fiir den un= | teren Bezirk, Mannheim. §.6. Der GroBherzog emennt aus der Zahl der hoheren Staats=Diener oder der | Grundherm der Bezirks einen Commissar zur Leitung der Wahl in einem | jeder der beyden Bezirke. §.7. Diejenigen stimmfahigen Grundherm, die, aus welch immer einer Ursache, bey | der Wahl zu erscheinen verhindert sind, konnen einen anderen zur Abgabe ih= | rer Stimme bevollmachtigen. Die Vollmacht muB von dem Aussteller eigenhandig unterzeichnet, und mit | dessen Familien=Siegel versehen seyn. Wer weder personlich erscheint, noch einem andem stimmfahigen Grund= | herm seine Stimme tibertragt, wird daftir angesehen, daB er fur diesen Fall | auf sein Stimm^Recht verzichtet habe.

Von den am Tage der Wahl versammelten Grundherm werden die zwey Ael= | testen, unbeschadet ihres Stimmrechts, zur Leitung des Wahlgeschafts dem | Landesherrlichen Commissar beygegeben. Dieser wahlt einen Secretar aus der Zahl der, im Wahlort angestellten, | Kanzley= Personen. §.9. Bey der Abstimmung muB jeder Stimmende eben so viele Abgeordnete in | Vorschlag bringen, als der Bezirk zu wahlen hat. §.10. Die Abstimmung geschieht durch Uebergabe eines Wahlzettels. Der Wahlzettel muB aus der innem Seite, welche den Vorschlag enthalt, | mit einem beliebigen Wahlspmch, oder einer andem schrifllichen Bezeichnung | versehen seyn. §.11. Wer zur Austibung des Stimmrechts fiir einen Abwesenden bevoUmachtigt | ist, tibergiebt fur die tibertragene Stimme einen besondem Wahlzettel, des= | sen Bezeichnung von derjenigen verschieden seyn muB, die er seinem eigenen | Wahlzettel gegeben hat.

12: Baden

[Dok. 188-251]

§.12. ^Die Wahlzettel sind in Briefform so zusammen zu legen, daB der Vorschlag | die innere Seite bildet. "^Jeder Wahlzettel ist mit einem Umschlag zu verse= | [S. 175] hen, dem der Stimmende die Aufschrift seines Namens eigenhandig beyzu= | setzen hat. ^Die Wahlzettel der Abwesenden, so wie die Aufschriften der Um= | schlage, worinn ihre Abstimmung enthalten ist, konnen sowohl von den Voll= | machtgebem, als den Bevollmachtigten geschrieben seyn. §.13. Die mit diesen Aufschriften versehenen und gesammelten Abstimmungen sind | mit der Liste der Anwesenden und der durch Vollmachten vertretenen Gmnd= | herm zu vergleichen. §.14. ^Ergibt sich dabey kein Anstand, so sind sammtliche Wahlzettel in Gegenwart | aller erschienenen Grundherm aus den Umschlagen herauszunehemen. "^Ehe dieB | mit jeder einzelnen Abstimmung geschieht, hat jedesmal derjenige Grundherr, | der dieselbe ubergeben hat, die Namens=Aufschrift zu recognosciren. Sammtliche Wahlzettel werden in einer Ume gesammelt und gemischt. §.15. ^Ohne Unterbrechung des Acts werden die einzelnen Wahlzettel von dem Lan= | desherrlichen Commissair eroffhet, und die Vorschlage mit der Bezeichnung | der Zettel von dem Sekretar in eine Liste getragen. "^Einer der, dem Landes= | herrlichen Commissair beygegebenen, Grundherm fiihrt die Gegen=Liste. §.16. Diejenigen vier Grundherren, welche unter alien vorgeschlagenen die meisten | Stimmen erhalten haben, werden als emannte Abgeordnete in das Protocoll | eingetragen. §. 17. ^Bey Stimmen=Gleichheit entscheidet das Loos, zu dessen Ziehung zwischen | den Betheiligten sogleich geschritten wird. ^Ftir Abwesende, die betheiligt sind, | zieht ihr Bevollmachtigter, und wenn sie keine Vollmacht gegeben haben, | oder ihr Bevollmachtigter selbst betheiligt ist, emennt der Landesherrliche | Commissair zur Ziehung des Looses einen Stellvertreter. §. 18. ^Wahlzettel die unleserlich geschrieben sind, oder die Person des Vorgeschlage= | nen nicht hinlanglich bezeichnen, werden den Anwesenden Stimmgebem | vorgelegt. "^Wenn sich der Austeller zu dem zweifelhaften, oder unleserlichen | Vorschlag bekennt, so kann die Berichtigung noch gtiltig nachgetragen wer= | den. ^Geschieht dieses nicht, so wird hierauf, bey Erhebung der Stimmen= | mehrheit, keine Rticksicht genommen. §.19. Beym Schlusse der Wahlhandlung werden alle Wahlzettel vemichtet, mit | Ausnahme der beanstandigten, die dem Protocoll beyzulegen sind.

[213] Wahlordnung vom 23. Dezember 1818

1869

§.20. Der landesherrliche Commissair und sammtliche anwesende Grundherm unter= | zeichnen das abgehaltene Protocol!, das unter AnschluB der iibergebenen | [S. 176] Vollmachten und tibrigen Beylagen an die landesherrliche Central^ Commis= | sion eizusenden ist. Es ist jedem, der in Person, oder durch einen Bevollmachtigten abgestimmt hat, | gestattet, eine Abschrifit von dem Protocol! zu nehmen, oder nehmen zu lassen. 11. Wahl der Abgeordneten der LandesUniversitaten in die erste Kammer. §.21. Die Wahl der Abgeordneten der LandesUniversitaten wird, von einer jeden | der bey den Universitaten, in einer vollstandigen Versammlung der ordentlichen | Professoren vorgenommen. §.22. Sie kann nicht gtiltig vor sich gehen, wenn nicht wenigstens ^/4tel der acti= | ven ordentlichen Professoren erscheinen, oder durch Bevollmachtigte vertre= | ten sind. Kein Stimmberechtigter kann sein StimmRecht anders, als in Person aus= | tiben, wenn er nicht erweiBlich zu erscheinen, ohne eigene Schuld, verhin= | dert ist. In diesem Falle vertritt, bey alien vorkommenden Handlungen, der Bevollmach= | tigte die Person des Vollmachtgebers. §.23. Der jeweilige Prorector ist landesherrlicher Commissair bey der Wahlver= | sammlung, unbeschadet seines Stimmrechts. §.24. Der Abgeordnete wird nach Willkiihr, aus der Mitte der Professoren, oder | aus der Zahl der Gelehrten oder Staatsdiener des Landes gewahlt. §.25. Die Wahl geschieht durch absolute Stimmenmehrheit. §.26. ^Die Abstimmung erfolgt durch Uebergabe von Wahlzetteln, welche den Vor= | schlag des Votanten enthalten. ^Es gelten hieriiber die Vorschriften, welche | in den §§n. 10 bis 15 fijr die Abstimmung der Grundherm bey der Wahl | der grundherrlichen Deputirten gegeben sind. §.27. Wenn bey der ersten Abstimmung fur die Stelle des Abgeordneten auf eine | Person nicht wenigstens eine Stimme weiter, als die Halfte der Stimmen | aller Anwesenden und Vollmachtgeber gefallen ist, so wird zu einer zweyten | Abstimmung geschritten.

1870

§12:Baden

[Dok. 188-251]

§.28. Nur in dem Fall, daB nur zwey Personen vorgeschlagen wurden, deren | jede eine gleiche Stimmenzahl, also eine jede die Halfte sammtlicher Stimmen | erhielt, tritt zwischen diesen beyden sogleich die Entscheidung durch das Loos ein. §. 29. ^Bey einer zweyten Abstimmung darf nur zwischen den drey vorgeschlagenen, | [S. 177] welche, bey der ersten Abstimmung, die meisten Stimmen erhalten haben, | gewahlt werden. "^Wenn ausser einem oder zweyen, welche die meisten Stim= | men zahlen, noch mehrere gleich viele Stimmen erhalten haben, so | findet die Wahl unter alien Statt, welche nach dem ersten oder nach de zwey | ersten, zunachst die meisten und gleich viel Stimmen erhalten haben. §. 30. Wenn bey dieser zweyten Abstimmung wiederum keine absolute Mehrheit vor= | handen ist, und auch der im §.28 vorhergehende Fall nicht eintritt, so | wird zur dritten Abstimmung geschritten, wobey nur zwischen denjenigen zwey | Vorgeschlagenen gewahlt wird, die bey dieser zweyten Wahl die meisten Stim= | men erhalten haben; in so feme nicht wiederum eine Stimmen=Gleichheit | sich auf mehrere erstreckt, in welchem Fall die Wahl unter alien statt findet, | die nach dem einen, der etwa die hochste Stimmenzahl erhalten hat, zunachst | die meisten und gleich viele Stimmen zahlen. §.31. Wenn sich in diesem letzteren Faille, bey der dritten Abstimmung, keine abso^ | lute Mehrheit ergiebt, so entscheidet relative Stimmenmehrheit, und bey Gleich= | heit der Stimmen das Loos, wobey nach §.17 verfahren wird. §.32. ^Bey unleserlichen Abstimmungen oder unvollstandiger oder unrichtiger Bezeich= | nung des Vorgeschlagenen wird nach §.18. verfahren. ^Wenn der Anstand | nicht gehoben wird, so ist zwar der Vorschlag nicht zu beachten, die Stimme | aber, bey Berechnung der Stimmenzahl, die zur absoluten Mehrheit erforder= | lich ist, mitzuzahlen. §.33. Die Bestimmungen, welche in den §§. 19 u. 20 liber die Wahl der grund= | herrlichen Abgeordneten enthalten sind, gelten auch fiir die Wahlen der Lan= | des=Universitaten. in. Wahl der Abgeordneten der Stadte und Aemter. §.34. Das GroBherzogthum ist unter AusschluB nachbenannter Stadte in 41, mit | Rticksicht auf die directe Steuer=Last der verschiedenen Aemter, zusammen= | gesetzte Wahlbezirke eingetheilt, deren jeder einen Deputirten emennt. §.35. In Beriicksichtigung theils ihrer commerziellen Bedeutenheit, theils ihrer fru= | heren Verhaltnisse, theils und vorztiglich aber in Betrachtung ihres starkeren | Beytrages zu den indirecten Abgaben, haben die Stadte Carlsmhe 3. Mann== | heim ebenfalls 3. Heidelberg, Freyburg, Pforzheim, Lahr je 2 Abgeordne= | [S. 178] te, Ueberlingen, Konstanz, Off enburg, Rastadt, Baden, Durlach, Bmch= | sal und Wertheim, eine jede einen Abgeordneten zu emennen.

[213] Wahlordnung vom 23. Dezember 1818

1871

§. 36. Die Abgeordneten der Stadte und Aemter werden von gewahlten Wahlman= | nem ernannt. A) Wahl der Wahlmaimer. 1) Eintheilung der Wahlbezirke in Wahl=Distrikte. §.37. Die Wahlbezirke der Aemter werden, zum Vollzug der Wahl der Wahlman== | ner, in Wahldistrikte eingetheilt. §.38. Jeder Ort mit eigenem Gericht, der wenigstens 250 Einwohner und dariiber | zahlt, bildet einen eigenen Wahldistrikt und emennt wenigstens einen Wahl= | mann. §.39. GroBere Orte, die wenigstens 750 Einwohner oder dariiber zahlen, wahlen | je auf 500 Seelen einen, und auf den Rest der Bevolkerung, in so feme er | 250 erreicht, einen weiteren Wahlmann. ^Es sollen aber in keinem Aemter=Wahlbezirk weniger als 32 Wahlmanner | emannt werden. ^In Wahlbezirken von geringerer Bevolkerung ist danach die | Vertheilung der zu stellenden Wahlmanner, nach VerhaltniB der Einwohner= | zahl der einzelnen Orte, zu treffen. §.40. ^Kleinere Orte, die nicht 250 Einwohner haben, werden mit dem zunachst ge= | legenen Ort in einen Wahldistrikt vereinigt. "^Die Zahl der Wahlmanner wird | in diesem Fall nach der vereinigten Einwohner=Zahl beyder Orte bestimmt. §.41. ^In den Stadten, welche einige Abgeordnete zu emennen haben, wird je auf | 300 Einwohner, ein Wahlmann, und wenn der UeberschuB 150 erreicht, | ein weiterer emannt. ^Jedoch sollen ebenfalls nie weniger als 32 Wahlman= | ner erwahlt und damach far die kleinem Stadte, die eigene Abgeordnete zu | emennen, bemfen sind, die Zahl der zu wahlenden Wahlmanner erhoht | werden. ^Zur Erleichtemng dieser Wahlen sind alle solche Stadte, nach Quartieren, | mindestens in so viele Wahldistrikte einzutheilen, daB kein einzelner Distrikt | tiber 8 Wahlmanner zu emennen hat. '^Die Vertheilung richtet sich nach der | Einwohnerzahl der Quartiere. §.42. Die mit der Wahl der Abgeordneten beauftragten landesherrlichen | Commissarien haben gemeinschaftlich mit den Aemtem die Eintheilung der | [S. 179] Aemterwahl=Bezirke in Wahldistricte zu entwerfen, und die von den Stadt= | magistraten entworfenen Abtheilungen der Stadte zu prufen, und zu geneh= | migen. Die erstmals getroffene Eintheilung gilt bis zur gesetzlichen Anordnung ei= | ner allgemeinen Revision.

1872

§12:Baden

[Dok. 188-251]

2) Stimmrecht und Wahlbarkeit bey Emennung der Wahl== | manner. §.43. Bey Emennung der Wahlmanner sind ohne Unterschied der Religion stimm= | fahig und wahlbar alle Staatsbtirger, die 1) das 25te Lebensjahr zuriickgelegt haben, 2) nicht Mitglieder der ersten Kammer und bey der Wahl der grundherp= | lichen Abgeordneten nicht stimmfahig und nicht wahlbar, und 3) im Wahl=Orte als Btirger angesessen sind, oder daselbst ein offent= | liches Amt bekleiden. Ausgeschlossen sind also bloBe Hintersassen, Gewerbsgehtilfen, Gesinde, Be= | diente

§.44. In Wahldistricten, die aus zwey Orten bestehen, kann jeder, in einem der | bey den Orte wohnende, wahlbare Staatsbtirger von alien Stimmberechtigten | des Distrikts, ohne Rticksicht des Wohnorts, gewahlt werden. §.45. In Stadten, die in mehrere Wahldistrickte abgetheilt sind, konnen die Be= | wohner einer Abtheilung, die einen oder mehrere Wahler zu emennen haben, | jeden wahlbaren Stadteinwohner wahlen, ohne Riicksicht auf das | Quartier, das er bewohnt. 3) Anordnung und Leitung der Wahl=Manner. §.46. Das Bezirks=Amt hat auf die, von der landesherrlichen Centralcommission [ ergehende, Weisung die Wahl der Wahlmanner anzuordnen. §. 47. Zur Besorgung des Wahlgeschafts wird, in jedem Wahldistrikt, eine Wahl= | commission niedergesetzt, deren Mitglieder ihr Stimmrecht, durch diese Func= | tion, nicht verlieren. Diese Wahlcommission besteht: 1) Aus dem ersten Ortsvorgesetzten als Vorstand, 2) aus der altesten Gerichts oder Rathsperson, und bey deren Vehinderung | aus der im Alter zunachst folgenden; [S. 180] 3) Aus zwey weiteren Mitgliedem und Urkunds=Personen, die vom Ge= | richt oder Stadtrath aus der Zahl der 10 hochstbesteuerten Btirger des | Wahldistricts zu ernennen sind; 4) Aus dem Raths oder Gerichtsschreiber, als Protocollfiihrer und Mit= | glied. In Districten, die aus zwey Orten gebildet sind, treten der Vorgesetzte 1 und Gerichtsschreiber des groBeren Orts als Vorstand und respve Protocoll= | fuhrer, und der Vorgesetzte des kleinem als Gerichts=Person ein. ^Wahlort ist der groBere Ort des Districts. ^In Stadten, welche in meh= | rere Districte eingetheilt sind, hat jeder District besondere Urkunds=Personen, | die ebenfalls aus der Zahl der 10, im abstimmenden District hochst besteuer= | ten stimmfahigen Staatsbtirger zu wahlen sind.

[213] Wahlordnung vom 23. Dezember 1818

1873

4) Verfahren bey Emennung der Wahlmanner. §. 48. Die Wahlcommission eines jeden Districts hat, wenn wegen Anzahl der | Stimmberechtigten die Abstimmung nicht in einem halben Tag vollbracht | werden kann, auf jede halbe Tagsitzung, deren so viele durch spezielle Umsa= | gen zur Abstimmung einzuladen, als in einer Sitzung ihre Stimme abgeben | konnen. Diese Einladung muB jedesmal dem Abstimmungstermin wenigstens zwey | Tage vorausgehen. §.49. Die Abstimmung geschieht, vor vollstandig versammelter Wahlcommission, in | dem Versammlungs=Zimmer der Gemeinde. §.50. Die Register iiber sammtliche wahlfahige Ortseinwohner mtissen zur beliebi= | gen Einsicht der Stimmenden aufgelegt seyn. §.51. ^Jeder Stimmfahige, der sein Stimmrecht austiben will, muB personlich er= | scheinen. ^Abwesende, oder auf andere Weise Verhinderte werden zur Abstim= | mung durch Bevollmachtigte nicht zugelassen. §.52. ^Jeder Stimmende hat so viele Wahlmanner in Vorschlag zu bringen, als | der District wozu er gehort, zu emennen hat. ^Wenn aber einer oder der | andere der Stimmberechtigten auch nicht so viel Personen vorschlagt, als der | District emennt, so schadet dieB der Gtiltigkeit der Wahlhandlung nicht. §. 53. ^Die Abstimmung wird vollzogen, indem der Stimmgeber in das zu eroffhende | Register die Namen der, in Vorschlag gebrachten Personen, mit der erforderlichen | Bezeichnung ihres Standes oder Gewerbes, eintragt, und seine Namensun= | fS. 181 J terschrift beyfugt. ^Wer nicht schreiben kann giebt seinen Vorschlag mtindlich | ab. ^Der Gerichtsschreiber besorgt, in diesem Fall, in Gegenwart des Stim= | menden, den Eintrag in das Register, und der Vorstand und eine der Ur= | kunds=Personen unterzeichnen statt des Votanten, In dem Protocoll wird hieriiber das Nothige bemerkt. §. 54. ^In Wahldistricten, die mehrere Wahlmanner zu emennen haben, kann die | Einrichtung getroffen werden, daB die Stimmenden ihren Vorschlag auf be= | sondere Wahlzettel zu Hause oder im Wahlzimmer aufzeichnen, denselben un= | terschreiben, und der Wahlcommission personlich iibergeben. ^Wo dieB | geschieht, haben die Stimmgeber nur ihren eigenen Namen in das zu er= | offhende Register einzutragen. ^Jeder Namens=Eintrag erhalt im Regi= I ster die Ordnungszahl, und jeden tibergebenen Wahlzettel bezeichnet der Com= | missionsvorstand mit der nemlichen Nummer, welche der Namen des Vo= 1 tanten in diesem Register erhalten hat, und mit seinem Vidit. "^Ein weite= 1 res Vidit setzt eine der Urkundspersonen bey. Ftir Personen, die des Schreibens unerfahren sind, besorgt der Gerichts= | schreiber den Namens=Eintrag in das Register, und nach der miindlichen | Abstimmung der Votanten die

1874

§12:Baden

[Dok. 188-251]

Ausfertigung des Wahlzettels, der ebenso das | Vidit des Vorstandes und einer Urkundsperson erhalt. Nach jeder Sitzung werden die, wahrend derselben, tiberreichten Wahlzet= | tel zusammen geheftet, und an die beyden Ende des Bandes das Ortssiegel | und das Privatsiegel einer Urkunds=Person angelegt. §.55. ^Streitigkeiten tiber die Stimmfahigkeit der, zum Abstimmen erscheinden, | Personen entscheidet die Wahlcommission durch Stimmenmehrheit. "^Die Ent= | scheidung ist nur fur den einzelnen Fall gtiltig, und es steht dem Betheilig= | ten frey, liber die, in Zweifel gezogenen, staatsbtirgerlichen Rechte den Aus= | spruch der ordentlichen Staatsbehorden zu veranlassen, der jedoch nicht ruck= | wirken kann. §.56. Die Wahlcommission darf, weder durch Empfehlung oder Vorschlage, noch | auf sonst irgend eine Weise, sich erlauben, die Wahlfireyheit der Abstimmen^ | den zu beschranken. Sie hat die gesetzlichen Eigenschaften eines Wahlmannes nur im Allgemei= | nen anzugeben, die Abstimmenden, die da, wo mehrere Wahlmanner emannt | werden, weniger Personen vorschlagen, als emannt werden sollen, zu erin= | [S. 182J nem, ihren Vorschlag zu erganzen; diejenigen aber, die etwa, aus Versehen, | mehr vorschlagen, als der Distrikt zu wahlen berechtigt ist, anzuweisen, ihren | Vorschlag auf die festgesetzte Zahl zu beschranken. Sie hat bey unvollstandigen oder unrichtigten Bezeichnungen, welche tiber | die Person des Vorgeschlagenen einen Zweifel lassen, den Stimmgeber so= | gleich zur Vervollstandigung oder Berichtigung zu veranlassen. §.57. Wer nach Ablauf des Abstimmungstermins die relative Stimmenmehrheit | erhalten hat, ist Wahlmann. Wo mehrere Wahlmanner emannt werden, sind es diejenigen, die unter | alien iibrigen die meisten Stimmen zahlen, und zwar eben so viele, als der | Distrikt zu wahlen hat. Bey eintretender Stimmengleichheit entscheidet das Loos, dessen Ziehung | die Wahlcommission anordnet, indem sie die Betheiligten dazu einladet, und | flir die etwa abwesenden, oder nicht erscheinenden, Bevollmachtigte aufgestellt. Eine freywillige Abtretung eines oder des anderen Betheiligten wird nicht an= | genommen. §.58. Die Annahme des Wahlamts kann von keinem Staatsbiirger, ohne hinlang= | liche Ursache: als Krankheit, nothwendige Abwesenheit, verweigert werden. §.59. ^Wenn in der Zwischenzeit bis zur Abgeordneten Wahl ein emannter Wahl= | mann mit Tode abgeht, oder vom Wahlorte hinwegzieht, so steht es dem | Distrikt frey, eine neue Wahl vorzunehmen, in so feme es bis zur Vor= | nahme der Abgeordneten^Wahl noch geschehen kann. ^Diese letztere darf aber | dadurch nicht aufgehalten werden. Die Erganzung der Wahlmanner, die ihre Eigenschaft bis zum regelma= | Bigen Austritt des Abgeordneten oder bis zu einer etwaigen Auflosung der | Kammem nach Art. 39 der Verfassungsurkunde^ behalten, muB in dem | Falle vorgenommen werden, wenn in der ^ Dok. 211.

[213] Wahlordnung vom 23. Dezember 1818

1875

Zwischenzeit von der ersten Wahl | des Abgeordneten, bis zu dem regelmaBigen Austrittstermine, eine neue Ab= | geordneten=Wahl wegen Abgang des Gewalthen nothwendig wird, und die | Anzahl der noch lebenden, und im Wahlbezirk noch wohnenden, Wahlmanner | die Zahl 32 nicht mehr erreicht. §.60. Die Wahlcommission hat dem Bezirksamt das Resultat der Wahl anzuzei= | gen, und zur offentlichen Bekanntmachung derselben die stimmfahigen Ein= | [S. 183] wohner des Distrikts einzuladen, denen auch auf dem Rathhaus die Einsicht | der Wahlverhandlungen, auf Verlangen, gestattet werden muB. Die emannten Wahlmanner erhalten eine, von sammtlichen Mitgliedem | der Wahlcommission unterschriebene, und mit dem Ortssiegel versehene, Ur= | kunde liber ihre Ernennung zugestellt. §.61. In Stadten, welche in mehrere Wahldistrikte abgetheilt sind, mtissen die, in | einem Distrikte gewahlten, Wahlmanner sogleich, und ehe zur Wahl in einem | andem Quartier geschritten wird, bekannt gemacht, und ihre Namen in dem | Sitzungszimmer der Commission angeschlagen werden, damit die, von einem | Distrikt Emannten, nicht noch einmal von einem der spater abstimmenden Di= | strikte gewahlt werden. §.62. ^Die Wahlprotocolle sind von sammtlichen Mitgliedem der Commission zu | unterschreiben, ebenso die Register und die Zusammenstellungen der Wahlstim= | men. ^Die Protokolle werden in der Gemeindsregistratur aufbewahrt, die | Abstimmungszettel aber von der Wahlcommission vertilgt. B. Wahl der Abgeordneten in den Stadten und Aemtem. §.63. ^Der GroBherzog emennt die Commissarien zur Leitung der Wahl der Abgeordne= | ten in den Stadten und Aemtem. "^Die Aemter ubersenden denselben, sogleich | nach vollzogener Emennung der Wahlmanner in alien zum Amtsbezirk geho= | rigen Districten, ein VerzeichniB der Emannten. §.64. Sammtliche Wahlmanner eines jeden Aemterwahlbezirks wahlen einen Abgeord= | neten; sammtliche Wahlmanner einer jeden derjenigen Stadte, die beson= | dere Wahlen halten, wahlen die im §.35. festgesetzte Anzahl von Abgeord= | neten, - aus der Zahl der wahlbaren Staatsbiirger, mittelst absoluter Stim= | menmehrheit.

1876

§12:Baden

[Dok. 188-251]

§.65. Nach Art. 37. der Verfassungsurkunde^ ist wahlbar, ohne Rticksicht auf | Wohnort, jeder Staatsbtirger, der 1) weder wirkliches Mitglied der ersten Kammer, noch bey der Wahl der | Grundherrlichen Abgeordneten wahlbar oder stimmfahig ist; 2) einer der drey christlichen Confessionen angehort, 3) das 30ste Lebensjahr zurtickgelegt hat, und 4) wenigstens mit einem Capital von 10,000 fl. in dem Gmnd=, Haiiser= | und Gewerbsteuer=Kataster zusammen genommen eingetragen ist, oder | [S. 184] eine lebenslangliche, jahrliche Rente von wenigstens 1,500 fl. von einem | Stamm= oder LehenGut=Besitzer, oder eine fixe standige Besoldung oder | Kirchenpfrtinde von gleichem Betrage, als Staats= oder Kirchen=Die= | ner bezieht, auch in diesen beyden letztem Fallen, wenigstens irgend eine direkte | Steuer aus Eigenthum d. i. von Grundstticken, steuerbaren Gefallen oder | Gebaulichkeiten zahlt. Landes=, Standes= und Grundherrliche Bezirksbeamte, Pfarrer, Physici | und andere geistliche oder weltliche Localdiener konnen als Abgeordnete nicht | von den Wahlbezirken gewahlt werden, wozu ihr Amtsgericht gehort. Wer an mehreren Orten in die Gtiter=, Hauser= und Gewerbsteuer=Ka= | taster eingetragen ist, darf die Capitalien, die er an diesen verschiedenen Or= | ten versteuert, zusammenrechnen. Dem Gatten werden die Capitalien, die seine Frau zu versteuem hat, ein= | gerechnet, aber nicht die Steuercapitalien der beygebrachten Kinder seiner | Frau, die Wittwe war. Dem Vater werden die Capitalien seiner minderjahrigen Kinder, ohne Ruck= | sicht, wie lange, von der Zeit der Wahl an, die Minderjahrigkeit noch dauert, | eingerechnet. Wer die NutznieBung eines Vermogens kraft ehelichen Rechts oder kraft | Testaments besitzt, rechnet die SteuerKapitalien dieses Vermogens ein. Eingerechnet darf dem Eigenthtimer sonst nicht werden das Capital des | Vermogens, dessen Besitz und NutznieBung krafl ehelichen Rechts, oder kraft | Testaments seinem Vater oder Mutter, oder resp. irgend einem Dritten zu= | steht. Als Gehalt werden die signaturmaBigen fixen, standigen Beziige, und zwar | die Naturalien, nach dem herrschaftlichen Aufrechnungstaxe und die Woh= | nungen und Benutzungsgiiter nach dem herkommlichen Anschlag berechnet. Zufallige Emolumente, Tantiemen etc. werden nicht beriicksichtigt. ^Ftir die Kirchenpfriinden werden die Anschlage angenommen, welche zum | Zweck der Besteurung der Pfarrgtiter gemacht worden sind. ^Die Kirchen= | diener sind auch, ohne Rticksicht auf die GroBe ihrer Pfrtinde, wahlbar, wenn | sie von den, ihnen zur Nutzung tiberlassenen, Pfarrgtitem, Gefallen und | Zehnten ein Capital von wenistens 10,000 fl. wirklich versteuem.

Der zur Leitung des Wahlgeschafls emannte Landesherrliche Commissaire | [S. 185] hat sammtliche Wahlmanner des Bezirks oder der wahlenden Stadt, mit= | telst Requisition der Aemter, durch die Ortsvorgesetzten zur Abgeordneten Wahl | auf einen bestimmten Tag, und zwar wenigstens 6 Tage friiher, als sie vor | sich gehen soil, schriftlich einzuladen. In dem Einladungsschreiben sind die gesetzlichen Eigenschaften eines Ab= | geordneten kurz auseinander zu setzen. Jeder Vorgeladene hat einen Insinuationsschein, liber die an ihn ergangene, | Einladung sogleich bey Empfang derselben auszustellen.

^ Dok. 211.

[213] Wahlordnung vom 23. Dezember 1818

1877

Vomahme der Abgeordneten Wahl. §.67. Es kann nur dann zur Wahl der Abgeordneten geschritten werden, wenn | wenigstens ^U der Wahlmanner, die der Bezirk nach den Bestimmungen der | §. §. 38. bis 41. zu stellen hat, gegenwartig sind.

Kein Wahlmann kann seine Stimme einem andem tibertragen. §.69. Wenn auf den festgesetzten Wahltag mehr als V4 sammtlicher Wahlman= | ner des Bezirks ausbleiben, so haben die Ausbleibenden, die nicht durch le= | gale Hindemisse zu erscheinen abgehalten waren, die Kosten der Einberufung | und Versammlung zu tragen, und es wird, alsdann von dem landesherrlichen | Commissair ein zweyter Wahltag angeordnet. §.70. ^Zur Vomahme der Wahl bildet sich die WahlCommission, die aus dem lan= | desherrlichen Commissair, aus den drey altesten Wahlmannem, und wenn | diese aus Grtinden diese Function ausschlagen, aus den im Alter zunachst== | folgenden, und aus einem Amtsrevisor des Wahlorts oder des Wahlbezirks | besteht. "^Der Amtsrevisor fuhrt das Protokoll. §.71. Der landesherrliche Commissair hat im Allgemeinen die Eigenschaften eines | wtirdigen Abgeordneten nochmals auseinander zu setzen, darf sich aber eben | so wenig, wie irgend ein anderes Mitglied der WahlCommission erlauben, | durch Empfehlung oder Vorschlag, Oder auf sonst irgend eine Weise auf das | Resultat der Wahl einwirken zu wollen. §.72. Sammtliche Wahlmanner betheuem durch Hand=Geltibde: „daB sie nach ihrer | eigenen Ueberzeugung ihre Stimme anlegen wollen, wie sie es fur das Beste | des Landes am dienlichsten erachten, daB sie in Bezug auf ihre Abstimung | weder von irgend jemand eine Gabe oder irgend einen Vortheil erhalten ha= | ben, oder je annehmen werden, noch auch, um selbst gewahlt zu werden, einem | Andem etwas gegeben, oder versprochen haben." [S. 186] §.73. Es ist den Wahlem gestattet, im Ganzen oder Theilweise nach Belieben ab= | zutreten, um sich, vor der Abstimmung untereinander zu besprechen. §.74. Die Wahlmanner der Stadte, die mehrere Abgeordnete zu emennen haben, | wahlen einen jeden durch besondere Wahl. §. 75. Die Wahl geschieht durch absolute Stimmenmehrheit und mittelst geheimer | Stimmgebung.

1878

§ 12: Baden

[Dok. 188-251]

§.76. Jeder Wahlmarm erhalt hiezu einen Wahlzettel mit einem Umschlag. ^Die Wahlzettel werden vom landesherrlichen Commissair, nach der Zahl | der Stimmengeber, mit einer fortlaufenden Reihe von Nummem versehen. | ^Jeder Wahlzettel erhalt seine Nummer auf der innem Seite, worauf die | Abstimmung geschrieben wird. Der Umschlag des Wahlzettels erhalt die eigenhandige NamensAufschrift | des abstimmenden Wahlmanns. §.77. Nachdem sammtliche Wahlmanner ihren Vorschlag niedergeschrieben haben, | werden die, in Briefform zusammen gelegten, und im Umschlag befindlichen, | Wahlzettel gesammelt, und die aussem Aufschriften mit der Liste der Stimm= | geber verglichen. In Gegenwart der Wahler werden die Zettel aus den Umschlagen heraus= | genommen, in einer Ume gemischt, und sodann eroffhet. Jeder Wahlmann hat, unmittelbar vor Hinwegnahme des Umschlags sei= | nes Wahlzettels, die, auf ersterm befindliche, Aufschrift seines Namens zu re= | cognosciren. ^Der landesherrlcihe Commissair lieBt die Vorschlage mit den Nummem | der Wahlzettel ab; der Secretair tragt sie in das Protokoll. ^Ein anderes | Mitglied der Commission, das die abgelesenen Zettel empfangt, fiihrt die Ge= | genliste. §.78. Wahlzettel, die unleserlich geschrieben sind, oder welche die Person der Vorge= | schlagenen nicht hinlanglich bezeichnen, und zu denen sich der Aussteller zur | Berichtigung nicht bekennt, werden zwar als Vorschlag nicht beachtet, die | Nummer des Ausstellers, bey Berechnung der absoluten Stimmenmehrheit, | aber mitgezahlt. §.79. Wenn, bey der ersten Abstimmung fiir die Stelle des Abgeordneten, auf einen | der Vorgeschlagenen nicht wenigstens eine Stimme weiter, als die Halfte der | [S. 187] Stimmen aller Anwesenden gefallen ist, so wird eine zweyte Wahl vorge= | nommen. §.80. Nur in dem Falle, daB nur zwey Personen vorgeschlagen wurden, deren jede | die Halfte der Stimmen aller anwesenden Wahlmanner erhielt, wird sogleich zur | Entscheidung durch das Loos geschritten; wobey nach §.17. verfahren wird. §.81. ^Bey einer zweyten Abstimmung darf nur zwischen den drey Vorgeschlagenen, | welche bey der ersten Abstimmung die meisten Stimmen erhalten haben, ge= | wahlt werden. ^Wenn auBer einem, oder zweyen, welche die meisten Stim= | men zahlen, mehrere gleichviel Stimmen erhielten, so findet die Wahl | unter Allen statt, welche nach dem ersten oder zweyten zunachst die meisten | und resp. gleichviel Stimmen erhalten haben. §. 82. ^Wenn nach der zweyten Abstimmung wiederum keine absolute Mehrheit der | Stimmen vorhanden ist, oder der im §. 80. vorhergesehene Fall nicht ein= | tritt, in welchem auch hier das Loos entscheidet, so wird zur dritten Ab= | stimmung geschritten. "^Bey dieser dritten Abstimmung wird nur zwischen den= | jenigen zwey vorgeschlagenen gewahlt, die bey der zweyten Wahl die meisten | Stimmen erhalten haben; insofeme nicht wiederum eine StimmenGleichheit | sich auf mehrere ausdehnt, in welchem Fall sich auch die Wahl auf al-

[213] Wahlordnung vom 23. Dezember 1818

1879

le diejenige | erstreckt, die nach dem ersten, der etwa die relativ hochste Stimmenzahl | erhielt, zunachst die meisten, und gleich viel Stimmen zahlen. Bey dieser dritten Wahl entscheidet relative Stimmenmehrheit, und bey | StimmenGleichheit das Loos, wobey nach der im §. 17. liber die Grund= | hermwahl gegebenen Bestimmung verfahren wird. §.83. Nach gezogener Stimmenmehrheit, ist noch in Anwesenheit der Wahlmanner | das Protocoll zu schlieBen, und von sammtlichen CommissionsMitgliedem und | wenigstens 10 andem Wahlmannem ebenso, wie die Zusammenstellung der Ab= | stimmungen zu unterschreiben, die Wahlzettel aber zu vemichten, mit Aus= | nahme der etwa beanstandigten, die dem Protokoll angeschlossen werden. §. 84. ^Der landesherrliche Commissair hat die erforderliche Bescheinigung liber die | gesetzlichen Eigenschaften des emannten Abgeordneten zu erheben. ^Besitzt der | Gewahlte die gesetzlichen Eigenschaften nicht, so hat ihm der Commissair dieB | zu eroffhen und seine Erklarung darliber zu vemehmen. ^Wenn der emannte Abge= | ordnete den Mangel der Wahlbarkeit zugesteht, so wie in dem Falle, daB dieB zwar | nicht geschieht, der Commissair aber die Erklarung des Betheiligten, nach 1 [S. 188] den klaren Worten der Verfassungsurkunde, ungenligend und die Sache durch= | aus nicht zweifelhaft findet; so hat derselbe ohne weiteres eine zweyte Wahl | anzuordnen, und beyde Wahlhandlungen der landesherrlichen Centralcommission | zur Entscheidung vorzulegen. Wenn die erhobenen Bescheinigungen liber die Wahlbarkeit des erwahlten | Abgeordneten genligend sind, so wird das Wahlprotokoll sogleich mit | sammtlichen Beilagen an die landesherrliche Centralcommission eingesendet. §85. Jede Versammlung von Stimmberechtigten oder Wahlmannem, welche zur | Wahl eines Abgeordneten fiir die erste oder zweyte Kammer zusammentre= | ten, darf sich mit keinem andem Gegenstand, als mit dieser Wahl beschaf= | tigen. Carlsmhe, den 23sten December 1818. GroBherzogliche GeheimeKabinetsKanzley. | Vdt. WeiB.

1880

§12: Baden

[Dok. 188-251]

[S. 189] Beylage | zur Wahlordnung. Ordnungszahl

der| Stadte

der| Aem= 1 terbe= | zirke.

Grundherrliche Wahlbezirke, | Stadte die eigene Abgeordnete | wahlen, und Wahlbezirke der | Aemter

Stim= 1 men= | zahl.

Wahlort

Commissarien fiir die ersten 1 Wahlen.

A) Grundherrliche Wahlbezirke. Bezirk rechts der Murg Bezirk links der Murg B) Wahlbezirke der Stadte und 1

4 4

2 2

3 4 5 6 7 8 9 10 11 3

Oberhofrichter Frhr. v. Drais. Staatsrath Frhr. v. Calm.

Ueberlingen =

Rggsrath u. Oberamtmann v. Ehren.

Meersburg = Constanz =

Hofrath und Oberamtmann Seyfried. Oberamtmann Huetlin.

Radophzell =

Oberamtmann Walchner.

Stockach = =

Regiemngsrath u. Oberamtmann 1 Miiller. Oberamtmann Wiedmann.

Aemter

Stadt Ueberlingen = = 1

Mannheim = Freyburg =

Aemter Meersburg, Salem, Pfullendorf, und Ueberlingen ausschlieBlich der Stadt Ueber= lingen Stadt Constanz = = = Aemter Radolphzell, Blumen= | feld, Constanz, ausschlieBlich der Stadt Constanz Aemter Stockach, MoBkirch, Engen = Aemter Blomberg, Stiihlingen, | Bonndorf, Loffmgen, Neustadt Aemter Villingen u. Hiifmgen Aemter Thiengen, Jestetten, | St. Blasien, Waldshut = Aemter Sackingen, Laufenburg, | Scho-

Bonndorf=

nau — Aemter Schopfheim u. Candem Amt Lorrach = = = = Amt Miillheim = = = Aemter Staufen, Heitersheim Stadt Freyburg = = =

Candem = = Lorrach = = Miillheim = Staufen = = Freyburg =

Villingen = Waldshut = Sackingen =

2

Oberamtmann Gassier. Regiemngsrath u. Oberamtmann 1 Fohrenbach. Amtmann Burstert. Amtmann Deurer Oberamtmann Baumiiller. Oberamtmann Wagner Kreisrath Villinger Staatsminister u. Hofrichter Frhr. von Andlau

[S. 190] Ordnurigszahl

der|

Aem= 1

Stadte

terbe= | zirke 12 13 14 15 16 17

4 5

18 19

Stadte die eigene Abgeordnete | wahlen, und Wahlbezirke der | Aemter Amt Breysach und die zum | Stadtamt Freyburg gehorigen | Landorte = = = Is Landamt Freyburg und St. Peter = = 2s Landamt Freyburg, sodann | die Aemter Waldkirch und El= | zach = = = Amt Emmendingen = = Aemter Endingen und Kenzingen Aemter Triberg, Horaberg, Wol= | fach und HaBlach = = Amt Ettenheim = = Stadt Lahr = = = Amt Lahr ausschlieBlich der | Stadt = = Stadt Offenburg. = =

Stim= 1 men= | zahl.

Wahlort.

Commissarien fiir die ersten 1 Wahlen.

i

Breysach =

Oberamtmann Finweg.

1

Freyburg = Freyburg =

Oberamtmann Wundt. Oberamtmann Molitor.

Emmendingen Kenzingen = Homberg =

Amtmann Bark Oberamtmann Wetzel Amtmann Jagerschmidt

Ettenheim = Lahr = = = Lahr = = = Offenburg

Oberamtmann Donsbach. Oberamtmann Frhr. von Lie= 1 benstein. Rggsrath Frhr. von Sensberg.

1 2 1 1

i

[213] Wahlordnung vom 23. Dezember 1818

1881

20

AmtOffenburg ausschlieBlich der | Stadt, und mit den Orten Ap= penweyer, Durbach, nebst Zube= horden Ebersweyer, Herzthal, Ur= | loffen u. Windschlag von dem | Amt Appenwey-

1

Offenburg

Kreisrath Selzam.

21

Aemter Gengenbach u. Oberkirch | und die Orte Renchen mit Wags= | hurst nebst Hofen, NuBbach u. | Zusenhofen, vom Amt Appen= | weyer Aemter Kork und Bischoffsheim

1

Offenburg =

Kreisrath Selzam.

1

Bischofsheim=

1 1 1 1

Buhl = = Rastadt = = Baden = = Rastadt = =

Rggsrath und Oberamtmann | Stosser. Amtmann Bauerlein. Geh. Rath u. Obervogt Kim. Oberamtmann Schnezler. Geh. Rath u. Obervogt Kim.

22 23 6 7 24

Aemter Achem und Biihl = Stadt Rastadt = = Stadt Baden = = Beyde Aemter Rastadt aus= | schlieBlich der Stadt Rastadt und das Amt Ettlingen =

[S. 191] Ordnui igszahl

der| Stadte

"deT^ Aem= 1 terbe= | zirke. 25

8 9 26

27 10 28 11 29

30

31 32 33

12 13

Stadte die eigene Abgeordnete | wahlen, und Wahlbezirke der | Aemter Amt Baden ausschlieBlich der | Stadt u. die Aemter Gemsbach | und Steinbach = Stadt Carlsmhe = = Stadt Durlach = = Landamt Carlsmhe mit den Orten Graben, Liedolsheim u. | RuBheim vom Iten Landamt | Bmchsal = = = Aemter Stein und Durlach aus= | schlieBlich der Stadt Durlach Stadt Pforzheim = = Beyde Aemter Pforzheim aus= schlieBlich der Stadt Pforzheim Stadt Bmchsal = = Beyde Aemter Bmchsal mit | AusschluB der Stadt Bmchsal | und die Orte Eichelberg, Rohr= | bach, Landshausen, u. Tiefenbach | vom Amt Eppingen = Amt Bretten mit der Stadt Eppingen und Miihlbach aber ausschlieBlich der ubrigen Ep= | pinger Amtsorte = = Aemter Philippsburg u. Schwet= | zingen = = = Aemter WiBloch und Neckarge= mixnd Amt Sinsheim mit den Amtsor= | ten von Eppingen die nicht zu Bretten und Bmchsal geschlagen sind = = = Stadt Mannheim = = Stadt Heidelberg = =

Stim= 1 men= | zahl.

Wahlort.

Commissarien fiir die ersten 1 Wahlen.

i

Baden= =

Oberamtmann Schnetzler.

3

Carlsmhe=

1 1

Durlach = = Carlsmhe

Staatsrath u. Kjeisdirector Frhr. v. Wechmar. Obervogt Miiller. Regiemngsrath u. Oberamtmann 1 Eisenlohr.

1

Durlach =

Obervogt Miiller.

2 1

Pforzheim = Pforzheim =

Geh. Rath u. Obervogt Roth. Geh. Rath u. Obervogt Roth.

1 1

Bmchsal = Bmchsal =

Oberamtmann Guhmann. Oberamtmann Guhmann.

1

Bretten= =

Oberamtmann Rettig.

1

Hockenheim =

Kreisrath Dahmen,

1 1

Heidelberg = Sinsheim =

Oberhofgerichtsrath Walz. Amtmann Reichardt.

3 2

Mannheim = Heidelberg =

Staatsrath u. Hofrichter Siegel Oberhofgerichtsrath Walz.

1882

§12: Baden

[Dok. 188-251]

[S. 192] Ordnungszahl

der| Stadte

der Aem= 1 terbe= | zirke. 34 35 36 37 38 39 40

14 41

Stadte die eigene Abgeordnete | wahlen, und Wahlbezirke der | Aemter Beyde Aemter Heidelberg aus= schlieBlich der Stadt Heidelberg. Aemter Ladenburg und Wein= | heim = Amt Neckarbischoffsheim mit den Mosbacher Amtsorten links | des Neckars = = = Amt Eberbach mit den sammtli= | chen rechts des Neckars gelege= nan Orten der beyden Aemter | Mosbach = = = Aemter Buchen und Osterburken. Amt Borberg = = Aemter Bischoffsheim und Ger= | lachsheim = = = Stadt Wertheim = = Beyde Aemter Wertheim aus= | schlieBlich der Stadt, und das | Amt Walldum

Stim= 1 men= | zahl.

Wahlort.

Commissarien fur die ersten 1 Wahlen.

1

Heidelberg =

Oberhofgerichtsrath Walz.

1 1

Weinheim = Aglasterhausen

Kreisrath Dahmen. Amtmann Wild.

1

Mosbach = =

Obervogt Hennemann.

1 1 1

Buchen = = Borberg = = Bischofsheim

Amtmann Schippel. Kreisrath von Berg. Amtmann Dolling.

1

Wertheim = Hartheim =

Kreisrath von Berg. Amtmann Wolf.

1 63

[213/1] Gesetz „einige Abanderungen der Wahlordnung betreffend", vom 16. April 1870 Quelle: Gesetzes- und Verordnungs-Blatt fur das GroBherzogthum Baden, (Nr. 25 vom 26. April) 1870, S. 300 - 302 (gedmckt). [S. 300] Gesetz. | Einige Abanderungen der Wahlordnung betreffend. Friedrich, von Gottes Gnaden GroBherzog von Baden, | Herzog von Zahringen. Mit Zustimmung Unserer getreuen Stande haben Wir beschlossen und verordnen, wie folgt: Artikel I. Die Vorschriften der §§. 37 - 45, 48 - 56 und 59 der Wahlordnung vom 23. Dezember | 1818, die Wahlen zur zweiten Kammer, insbesondere die Eintheilung der Wahlbezirke in Wahl= I districte sowie das Verfahren bei Emennung der Wahlmanner betreffend, werden aufgehoben und | durch folgende Bestimmungen ersetzt: [S. 301] Artikel II. Die Bezirke fur die Wahl der Abgeordneten zur zweiten Kammer werden zum Vollzug der I Wahl der Wahlmanner in Wahldistricte eingetheilt. In jedem Wahldistricte wird auf je 200 Einwohner ein Wahlmann emannt. Gemeinden von mindestens 200 Seelen bilden je einen Wahldistrict. Kleinere Gemeinden, Colonien und Hofgtiter werden mit einer benachbarten Gemeinde zu einem | Wahldistricte vereinigt.

[213/1] Gesetz vom 16. April 1870

1883

Gemeinden, welche mehr als acht Wahlmanner zu wahlen haben, werden nach der Einwohnep= | zahl in zwei oder mehrere Wahldistricte eingetheilt, so daB in jedem Districte mindestens vier und | hochstens acht Wahlmanner zu wahlen sind. In keinem Wahlbezirke sollen weniger als 48 Wahlmanner gewahlt werden. Vor jeder Abgeordnetenwahl sind, auch wenn eine Neuwahl sammtlicher Wahlmanner nicht I stattfmden muB (Artikel 39 der Verfassung^), an Stelle der durch Tod, Wegzug oder aus anderen | Griinden ausgeschiedenen Wahlmanner in den betreffenden Wahldistricten neue Wahlmanner zu | wahlen, sofem es ohne erhebliche Verzogerung der Abgeordnetenwahl geschehen kann. Die mit der Wahl der Abgeordneten beauftragten landesherrlichen Commissare haben die Ver= | einigung der kleineren Gemeinden zu einem Wahldistricte anzuordnen und die in den groBeren GQ= \ meinden von dem Gemeinderathe entworfene Eintheilung in Wahldistricte zu genehmigen. Artikel III. §.1. Bei der Wahl der Wahlmanner sind von dem Wahlrecht und der Wahlbarkeit ausgeschlossen: 1. Entmtindigte und Mundtodte; 2. Personen, tiber deren Vermogen die Gant gerichtlich eroffhet worden ist, und zwar wahrend | der Dauer des Gantverfahrens; 3. Personen, welche - den Fall eines voriibergehenden Unglticks ausgenommen - eine I Armenunterstutzung aus offentlichen oder Gemeindemitteln beziehen, oder im letzten der | Wahl vorhergegangenen Jahre bezogen haben; 4. Personen, welchen wegen rechtskrafticher Vemrtheilung zu einer peinlichen Strafe, wegen | Bestechung oder Falschung bei Wahlen nach den Wahlvorschriften des Strafgesetzbuches (§. 10, | §. 17 Ziffer6, §.22, §§.711 und 714) das Wahlrecht oder die Wahlbarkeit entzogen | ist. Wurde eine peinliche Strafe wegen politischer Vergehen erkannt, so treten die Berech= | tigung zum Wahlen und die Wahlbarkeit wieder ein, sobald die Strafe vollstreckt oder durch Begnadigung erlassen ist. §•2. Ftir Personen des Soldatenstandes des Heeres ruht die Berechtigung zum Wahlen so lange, | als dieselben sich bei der Fahne befinden. §.3. Die Urwahler tiben das Wahlrecht in dem Districte aus, in welchem sie wohnen, Niemand kann in zwei Districten wahlen. [S. 302] Artikel IV. §.!• Zu jedem Wahldistricte sind zum Zwecke der Wahlen Listen anzulegen, in welche die zum I Wahlen Berechtigten nach Zu= und Vomamne, Alter, Gewerbe und Wohnort eingetragen werden. ^Diese Listen sind spatestens 4 Wochen vor dem zur Wahl bestimmten Tage zu Jedermanns | Einsicht auszulegen und ist dies zuvor unter Hinweisung auf die Einsprachefrist 6ffentlich bekannt | zu machen. "^Einsprachen gegen die Listen sind binnen 8 Tagen nach BeDok.211.

1884

§12:Baden

[Dok. 188-251]

giim der Auslegung bei | der Behorde, welche die Bekanntmachung erlassen hat, anzubringen und innerhalb der nachsten | 14 Tage durch den Gemeinderath, in streitigen Fallen durch den Bezirksrath, zu erledigen. Nur Diejenigen sind zur Theilnahme an der Wahl berechtigt, welche in die Listen aufgenommen sind. §.2. Die Wahlhandlung, welcher die Einladung der Wahlberechtigten mindestens zwei Tage vor= I ausgehen muB, sowie die Ermittlung des Wahlergebnisses sind offentlich und geschehen vor ver= | sammelter Wahlcommission. ^Das Wahlrecht wird in Person durch verdeckte in eine Wahlume niederzulegende Stimmzettel | ohne Unterschrift ausgetibt. "^Die Stimmzettel miissen von weiBem Papier und dtirfen mit keinem | auBem Kennzeichen versehen sein. ^Sie sind auBerhalb des Wahllocals mit dem Namen der Wahl= | manner, welchen der Wahler seine Stimme geben will, handschriftlich oder im Wege der Verviel= | faltigung zu versehen. §•3. ^Ueber die Giltigkeit oder Ungiltigkeit der Wahlzettel beschlieBt die Wahlcommission nach Stim= | menmehrheit, vorbehaltlich der dem Bezirksrathe im Falle einer Anfechtung des ganzen Wahlacts | mit AusschluB des RecurBes zustehenden Entscheidung. "^Die ungilitigen Stimmzettel sind dem Wahl= | protokoll beizuftigen, die giltig befundenen von der Wahlcommission so lange versiegelt aufzubewahren, bis die Abgeordnetenwahl durch die Kammer fur gilitig erklart ist. Uebergangs=Bestimmung. Fur den nachsten ordentlichen Landtag findet eine Neuwahl sammtlicher Abgeordneter der I zweiten Kammer nach diesem Gesetze und dem Gesetze, die Aenderung einiger Bestimmungen der | Verfassungsurkunde betreffend^, statt. Das Gleiche findet, wenn in der Zwischenzeit der Landtag aufgelost werden sollte, fur einen | auBerordentlich zu bemfenden Landtag statt. Gegeben zu Karlsruhe in Unserem Staatsministerium, den 16. April 1870. Friedrich. Jolly. Auf Seiner Koniglichen Hoheit hochsten Befehl: | Schreiber.

[213/2] Gesetz, die Wahlbezirke fiir die Wahlen zur zweiten Kammer betreffend, vom 16. April 1870 Quelle: Gesetzes- und Verordnungs-Blatt fiir das GroBherzogthum Baden, (Nr. 25 vom 26. April) 1870, S. 303 - 314 (gedmckt). [S. 303] Gesetz. | Die Wahlbezirke fiir die Wahlen zur zweiten Kammer betreffend. Friedrich, von Gottes Gnaden GroBherzog von Baden, | Herzog von Zahringen. Mit Zustimmung Unserer getreuen Stande haben Wir unter Aufhebung der §§. 34 | und 35 der Wahlordnung vom 23. Dezember 1818 beschlossen und verordnen, wie folgt:

Dok. 211/10.

[213/2] Gesetz vom 16. April 1870

1885

§•1. ^Behufs der Wahl der Abgeordneten zur zweiten Kammer wird das GroBherzogthum nach I MaaBgabe der Anlage zu diesem Gesetze in 56 Wahlbezirke eingetheilt. ^Die Wahlbezirke 35 (Stadt | Karlsruhe) und 45 (Stadt Mannheim) haben je drei, die Wahlbezirke 18 (Stadt Freiburg), | 43 (Stadt Pforzheim) und 48 (Stadt Heidelberg) je zwei, alle iibrigen Wahlbezirke je einem | Abgeordneten zu wahlen. §•2. Dieses Gesetz tritt am L M i 1871 in Kraft. ^Sollte vor dieser Zeit der Landtag | aufgelost werden, so beginnt die Wirksamkeit des Gesetzes am Tage nach der Bekanntmachung der I Auflosung. Gegeben zu Karlsruhe in Unserem Staatsministerium, den 16. April 1870. Friedrich. Jolly. Auf Seiner Koniglichen Hoheit hochsten Befehl: | Schreiber. [S. 304]

Anlage VerzeichniB | der Wahlbezirke. 1. Wahlbezirk: Bezirksamt Ueberlingen. Bezirksamt Pfiillendorf 2. Wahlbezirk: Bezirksamt MeBkirch. Die Gemeinden des Bezirksamts Stockach, soweit sie nicht nach Bezirk 5 fallen. 3. Wahlbezirk: Stadt Constanz. 4. Wahlbezirk: Bezirksamt Constanz ohne die Stadt Constanz. Bezirksamt Radolfzell. 5. Wahlbezirk: Bezirksamt Engen. Von dem Bezirksamt Stockach die Gemeinden: | Aach, | Beuem, | Eigeltingen, | Orsingen, I SteiBlingen, | Volkertshausen, | Wiechs. 6. Wahlbezirk: Bezirksamt Bonndorf Bezirksamt Jestetten. Vom Bezirksamt Waldshut die Gemeinden: | Bechtersbohl, | Degemau, | Detzeln, | [S. 305] Ebersingen, [ Endermettingen, | Horheim, | Lohningen, | Obereggingen, | Oberlauchringen, | Obermettingen, | Ofteringen, | Schwerzen, | Thiengen, | Untereggingen, | Unterlauchingen, | Untermettingen, | Wutoschingen. 7. Wahlbezirk: Bezirksamt Waldshut, soweit es nicht nach Bezirk 6 gehort. Bezirksamt Sackingen, soweit es nicht nach Bezirk 11 fallt.

1886

§12:Baden

[Dok. 188-251]

8. Wahlbezirk: Bezirksamt St. Blasien. Bezirksamt Schonau. Bezirksamt Neustadt, soweit es nicht nach Bezirk 14 fallt. 9. Wahlbezirk: Stadt Lorrach und Stetten. 10. Wahlbezirk: Uebriges Bezirksamt Lorrach. 11. Wahlbezirk: Bezirksamt Schopfheim. Folgende Gemeinden des Bezirksamts Sackingen: | Bergalingen, | Htitten, | Karsau, | Niederschworstadt, | Nollingen, | Oberschworstadt, | Oeflingen,| Wallbach, | Willaringen. [S. 306] 12. Wahlbezirk: Bezirksamt Mtillheim. Folgende Gemeinden des Bezirksamts Staufen: | Bremgarten, | Dottingen, | Eschbach, | Feldkirch, | Griesheim, | Hartheim, | Heitersheim, | Schlatt, | Thunsel. 13. Wahlbezirk: Bezirksamt Donaueschingen. 14. Wahlbezirk: Bezirksamt Villingen. Folgende Gemeinden des Bezirksamts Neustadt: | Bregenbach, | Bubenbach, | Eisenbach, I Friedenweiler, | Hammereisenbach, | Langenordrach, | Neustadt, | Oberbrand, | Rudenberg, | Schollach, | Schwerzenbach, | Urach, | Vierthaler, [ Waldau. 15. Wahlbezirk: Bezirksamt Staufen, soweit es nicht zu Bezirk 12 gehort. Bezirksamt Freiburg, soweit es nicht zu den Bezirken 16, 17, 18 gehort. 16. Wahlbezirk: Bezirksamt Breisach. [S.S07] Folgende Gemeinden des Bezirksamts Freiburg: | Buchheim, | Hugstetten, | Mengen, | Munzingen, | Neuershausen, | Opfingen, | Schallstadt, | Scherzingen, | St. Georgen, | Thiengen, I Umkirch, | Waltershofen, | Wolfenweiler. 17. Wahlbezirk: Bezirksamt Waldkirch. Folgende Gemeinden des Bezirksamts Emmendingen: | Denzlingen, | Freiamt, | Holzhausen, | Kollmarsreuthe, | Maleck, | Ottoschwanden, | Reuthe, | Serau, | Worstetten, | Wasser, I Windenreuthe. Folgende Gemeinden des Bezirksamts Freiburg: | Betzenhausen, | Gundelfingen, | Hochdorf, I Lehen, | Wildthal, | Zahringen. 18. Wahlbezirk: Stadt Freiburg.

[213/2] Gesetz vom 16. April 1870

1887

[S. 308] 19. Wahlbezirk: Bezirksamt Emmendingen, soweit es nicht nach Bezirk 17 fallt. Folgende Gemeinden des Bezirksamts Kenzingen: | Amoltem, | Endingen, | Forchheim, | Hecklingen, | Riegel, | Weisweil, | Wyhl. 20. Wahlbezirk: Bezirksamt Kenzingen, soweit es nicht zu Bezirk 19 gehort. Bezirksamt Ettenheim. 21. Wahlbezirk: Stadt Lahr. 22. Wahlbezirk: Bezirksamt Lahr ohne die Stadt Lahr. Die Gemeinde Altenheim aus dem Bezirksamt Offenburg. 23. Wahlbezirk: Bezirksamt Triberg. Amtsgerichtsbezirk Wolsach. 24. Wahlbezirk: Amtsgerichtsbezirk Haslach. Bezirksamt Gengenbach. 25. Wahlbezirk: Bezirksamt Offenburg ohne Stadt Offenburg und Altenheim. 26. Wahlbezirk: Stadt Offenburg. 27. Wahlbezirk: Bezirksamt Kork. 28. Wahlbezirk: Bezirksamt Oberkirch. [S. 309] Aus dem Bezirksamt Achem die Gemeinden: | Fautenbach, | Gamshurst, | GroBweier, | Mosbach, | Oehnsbach, | Renchen, 1 Wagshurst. 29. Wahlbezirk: Bezirksamt Achem, soweit es nicht nach Bezirk 28 gehort. Aus dem Bezirksamt Biihl die Gemeinden: | Altschweier, | Btihl, | Btihlerthal, | Herrenwies, I Hundsbach, | Kappelwindeck, | Lauf, | Neusatz, | Ottersweier, | Waldmatt. 30. Wahlbezirk: Bezirksamt Btihl, soweit es nicht nach Bezirk 29 gehort. Die Landgemeinden des Bezirksamtes Baden. Aus dem Bezirksamt Rastatt die Gemeinden: | Htigelsheim, | Iffezheim, | Sollingen | Stollhofen.

1888

§12:Baden

[Dok. 188-251]

Sl.Wahlbezirk: Stadt Baden. 32. Wahlbezirk: Stadt Rastatt. [S. 310] 33. Wahlbezirk: Bezirksamt Gemsbach. Aus dem Bezirksamt Rastatt die Gemeinden: | Bischweier, | Gaggenau, | Kuppenheim, | Muggensturm, | Niederbtihl, | Obemdorf, | Oberweier, | Ottersdorf, | Plittersdorf, | Rothenfels, I Steinmauem, | Wintersdorf. 34. Wahlbezirk: Bezirksamt Rastatt, soweit es nicht zu Bezirk 30, 32, 33 gehort. Bezirksamt Ettlingen. 35. Wahlbezirk: Stadt Karlsruhe. 36. Wahlbezirk: Bezirksamt Karlsruhe ohne die Stadt Karlsruhe. 37. Wahlbezirk: Stadt Durlach. 38. Wahlbezirk: Bezirksamt Durlach ohne die Stadt Durlach. Aus dem Bezirksamt Bruchsal die Gemeinden: | Btichenau, | Forst, | Karlsdorf, | Neuthard, | Obergrombach, | Untergrombach. [S. 311] 39. Wahlbezirk: Bezirksamt Bretten. Aus dem Bezirksamt Bruchsal die Gemeinden: | Heidelsheim, | Helmsheim, | Neuenbiirg, I Oberowisheim, | Unterowisheim. 40. Wahlbezirk: Bezirksamt Bruchsal, soweit es nicht nach Bezirk 38, 39, 41 gehort. 41. Wahlbezirk: Stadt Bruchsal. 42. Wahlbezirk: Stadt Pforzheim. 43. Wahlbezirk: Bezirksamt Pforzheim ohne die Stadt Pforzheim. 44. Wahlbezirk: Bezirksamt Schwetzingen. Aus dem Bezirk des Amtsgerichts Ladenburg: | Ilvesheim, | Ladenburg, | Neckerhausen.

[213/2] Gesetz vom 16. April 1870

U

45. Wahlbezirk: Stadt Mannheim. 46. Wahlbezirk: Bezirksamt Weinheim. Die Gemeinden des Amtsgerichts Ladenburg, soweit sie nicht zu Bezirk 44 gehoren. 47. Wahlbezirk: Bezirksamt Wiesloch. Aus dem Bezirksamt Heidelberg die Gemeinden: | Bmchhausen, | Kirchheim, | Leimen, | [S. 312] NuBloch, | Rohrbach, | Sandhausen, | St. Ilgen. 48. Wahlbezirk: Stadt Heidelberg. 49. Wahlbezirk: Bezirksamt Heidelberg, soweit es nicht zu den Bezirken 47, 48 gehort. 50. Wahlbezirk: Bezirksamt Eppingen. Aus dem Bezirksamt Sinsheim die Gemeinden: | Bockschaft, | Eichtersheim, | Eschelbach, I Hilsbach, | Kirchart, | Michelfeld, | Reihen, | Waldangelloch, | Weiler. 51. Wahlbezirk: Bezirksamt Sinsheim, soweit es nicht zu Bezirk 50 gehort. 52. Wahlbezirk: Bezirksamt Eberbach. Bezirksamt Buchen. 53. Wahlbezirk: Bezirksamt Mosbach. 54. Wahlbezirk: Bezirksamt Walldiim. Bezirksamt Wertheim. 55. Wahlbezirk: Bezirksamt Tauberbischofsheim. 56. Wahlbezirk: Bezirksamt Borberg. Bezirksamt Adelsheim.

1890

§12:Baden

[Dok. 188-251]

[213/3] § 75 des Landtagswahlgesetzes vom 24. August 1904 Quelle: Gesetzes- und Verordnungs-Blatt ftir das GroBherzogthum Baden, (Nr. 23 vom 8. September) 1904, S. 347 (362) - 362 (gedruckt). [S. 347] Gesetz. (Vom24. August 1904.) Das Verfahren bei den Wahlen zur Standeversammlung (Landtagswahlgesetz) betreffend. Friedrich, von Gottes Gnaden GroBherzog von Baden, | Herzog von Zahringen. Mit Zustimmung Unserer getreuen Stande haben Wir zum Vollzug tiber die | Wahl der Abgeordneten far die erste und zweite Kammer in der Verfassungsurkunde gegebenen | allgemeinen Vorschriften beschlossen und verordnen, wie folgt: ...fS. 362] .. . §75. Dieses Gesetz tritt gleichzeitig mit dem Gesetz, betreffend die Abanderung der Verfassung, I vom heutigen in Kraft. Auf den gleichen Zeitpunkt wird die Landtagswahlordnung vom 23. Dezember 1818 mit I den zu derselben seither ergangenen Nachtragen und Andemngen aufgehoben. §76. Gegeben zu SchloB Mainau, den 24. August 1904. Friedrich. Schenkel. Auf Seiner Koniglichen Hoheit hochsten Befehl: | Schwoerer.

[214] Edikt ijber die „Rechtsverhaltnisse der weltlichen CivilStaatsdiener" vom 30. Januar 1819 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einfuhrungen" die Darstellungen unter [738.] [772.]. Quelle: GroBherzoglich Badisches (Staats- und) Regiemngs-Blatt, 17. Jahrgang, (Nr. 4 vom 5. Februar) 1819, S. 1469 - 1472, bzw. S. 11 ff (gedruckt). Sonstige Fundstelle: C. F. Muller (Hrsg.), Die landstandische Verfassungs-Urkunde fur das GroBherzogthum Baden. Nebst den dazu gehorigen Actenstiicken, (C. F. Mtillersche Hofbuchhandlung, Karlsruhe) 1819, S. 88 - 100. [S. 1468 linke Spalte] Ludwig, von Gottes Gnaden, GroBherzog zu Ba= | den, Herzog zu Zahringen etc. etc. Zum Vollzug der, in dem Artikel 24 der Verfassungs= | urkunde^ enthaltenen Zusicherung, bestimmen Wir die | Rechtsverhaltnisse der weltlichen Civil=Staatsdiener, und | verordnen wie folgt: §•1. Alle Civil=Staatsdienste bis zu den Canzlisten= | diensten bei Mittelstellen abwarts und mit EinschluB der= | selben, sind in der Kegel nach fiinfjahrigen Dienstlei= | stungen des Dieners unwiderruflich.

^ Dok. 211.

[214] Civil-Staatsdieneredikt vom 30. Januar 1819

1891

Die Zuruhesetzung kann nur unter Bewilligung des | in diesem Gesetz bestimmten Ruhegehalts, eine Entlas= | sung im administrativen Wege nur wegen eigener Schuld | des Dieners, und unter den in dieser Verordnung fest= | gesetzten Bedingungen und Formen; eine Dienstentsetzung | nur durch richterlichen Spruch Statt finden. Eine Versetzung von einer Stelle auf eine andere kann | jederzeit verfugt werden, jedoch ohne Verktirzung des | Gehalts und ohne Zuriicksetzung im Range, auch gegen | Vergtitung der Zugskosten. §. 2. Der Staatsdiener kann den Dienst aufkiinden, | jedoch ohne Anspriiche auf einen Ruhegehalt, und unter | folgenden Bedingungen, daB 1) er wenigstens ein Vierteljahr vor seinem Austritt | den Dienst aufsage; 2) daB er keine Rtickstande in seinen Dienstgeschaften | hinterlasse; 3) daB derjenige Diener, welcher Unterstiitzungen zu | seiner Ausbildung fur den Staatsdienst, aus Staats= | mitteln erhalten hat, wozu jedoch academische Stipen= | dien nicht zu rechnen sind, dieselbe riickerstatte. §.3. Widerruflich ist unbedingt der Dienst bei denje= | nigen weltlichen Civil=Staatsdie-nem, deren Dienstzeit | unter 5 Jahre betragt. Diese haben keinen rechtlichen Anspruch auf einen Ruhe= | gehalt, und konnen daher ohne Angabe eines Motivs | und ohne Pension entlassen werden. [S. 1469 rechte Spalte] §•4. Die Dienstjahre werden nach dem Anfangstermin, | der in dem Anstellungspatent oder in dem statt des | Patents dienenden Protocoll=Auszug ausgedrtickt ist, oder | wenn kein Anfangstermin ausdrticklich bestimmt ist, | nach dem Datum des Patents oder des ProtocollAus= I zugs gerechnet. §.5. Die Entfemung des Staatsdieners vom Staats= | dienste kann eintreten: 1) Wegen Altersschwache und korperlichen Gebrechen, | wodurch der Diener ganzlich dienstuntauglich wird; oder | wegen anderer nicht unter die zwei folgenden Falle ge= I horenden Ursachen; 2) wegen Dienstvergehen und Handlungen des Die= | ners, die seiner als Diener unwiirdig sind, sich jedoch | nicht gerade zu einer richterlichen Untersuchung und Be= I strafung nach dem Straf^Edict eignen, sondem von den | administrativen Staatsbehorden untersucht und erledigt | werden sollen, und welche in dem §.10 einzeln benannt | sind; 3) wegen Verbrechen und Vergehen, welche nach dem | Straf=Edict, oder nach dem Dienstreglement von den | Justizbehorden untersucht und bestraft werden. §.6. Wer wegen Altersschwache oder korperlichen Ge= | brechen auf sein Ansuchen, oder ohne solches, oder wer | wegen organischen Einrichtungen oder aus sonst irgend | einer Ursache in Ruhestand versetzt wird, leidet, wann | er in einer Dienstperiode vom zurtickgelegtem fiinften bis | zum vollendeten zehnten Dienstjahr steht, einen Abzug | von 30 Procent an dem Gehalte, den er zur Zeit der | Zuruhesetzung bezog. Dieser Abzug vermindert sich mit jedem weitem Dienst= | jahr um 1 Procent, und zwar so, daB mit zuruckgeleg= | tem 40sten Dienstjahre jede Schmalemng des Gehalts | aufhort,

1892

§ 12: Baden

[Dok. 188-251]

wenn dieser nicht die Summe von 4000 fl. uber= | steigt, welche als Maximum bestimmt wird, liber das | sich eine rechtliche Ansprache auf Ruhegehalt nicht erstreckt. [S. 1470 linke Spalte] Diener, welche durch Anstrengungen im Dienste, oder | durch einen Unglticksfall, der sie in Ausiibung ihrer | Dienstpflicht getroffen hat, dienstuntauglich geworden | sind, und welche nach ihrem Dienstalter noch nicht ihren | vollen Gehalt ansprechen konnen, soUen eine angemessene | Erhohung ihrer reglementmaBigen Pension erhalten. §.7. Auf diejenigen Staatsdiener, welche noch nicht | funf voile Dienstjahre zurtickgelegt haben, und wegen un= | verschuldeter korperlicher Gebrechen dienstuntauglich wer= | den, soil nach billigem Ermessen ihrer Verhaltnisse, und | Erwagung der Ursachen der korperlichen Gebrechen, welche | die Dienstuntauglichkeit zur Folge hatten, Rticksicht ge= | nommen werden.

Sollte der physische Grund der Untauglichkeit | des Dieners in der Folgezeit aufhoren, so tritt dessen | Verbindlichkeit zum activen Staatsdienst wieder ein. Die wegen organischer Einrichtungen, oder aus an= 1 dem Ursachen in Ruhestand versetzten Diener konnen | jederzeit wieder zum activen Dienst berufen werden. §.9. Die Ruhegehalte werden 1) bios in Geld bezahlt. Es wird daher 2) bei Berechnung derselben fur die Naturalien, nam= | lich Friichte und Wein, der Aufrechnungspreis, fiir an= [ dere Gentisse und Beztige aber der Anschlag angenom= I men, womit der Diener in dem weltlichen Diener=Witt= | wenfiscus immatriculirt ist. Dienstanstalten, Pferdfourage, | Scribenten^Tractamente, Diaten und dergleichen werden | daher nicht angeschlagen. Zufalliges Diensteinkommen, | welches, wie z. B. der Ertrag der Praxis der Aerzte, | nicht unmittelbar mit dem Staatsdienst verbunden ist, | und nach der individuellen Convenienz des Dieners ho= I her oder niederiger angeschlagen, oder ganz auBer An= | schlag gelassen werden kann, wird der Bestimmung des | Ruhegehalts nicht beriicksichtigt. 3) Der gesetzmaBige Ruhegehalt soil in keinem Falle | 4000 fl. tibersteigen. Es versteht sich jedoch von selbst, daB dieser Ruhe= | gehalt wegen langwieriger und ausgezeichneter Dienste | eines hohem Staatsbeamten, oder auch wegen anderer | Riicksichten im Wege der Gnade erhoht werden kann. 4) Den Gesandten, die in Pensionsstand versetzt wer= | den, wird die Besoldung zum Grund gelegt, die sie in | dem Dienstposten genossen, den sie unmittelbar vor An=^ | tritt ihres Gesandtschaftspostens bekleidet haben; mit | Rticksicht auf das gewohnliche Vorrticken im Verwaltungs= | dienste, und bei denjenigen, die friiher noch nicht in Be= | soldung standen, unter Rticksichtnahme auf die Dauer | der gesandtschaftlichen Dienstleistungen. §. 10. Zu den Dienstvergehen und unwtirdigen Hand= | lungen eines Dieners, welche sich zu strengrechtlichen | [S. 1470 rechte Spalte] Untersuchungen nach dem Strafedict nicht eignen, die | aber doch von der Beschaffenheit sind, daB der Diener, | welcher sich derselben schuldig macht, das erforderliche | Vertrauen verliert, und nicht im Dienste bleiben

[214] Civil-Staatsdieneredikt vom 30. Januar 1819

1893

kann, | ohne dessen Wiirde zu verletzen, oder den offentlichen | Dienst zu gefahrden, wird namentlich gerechnet: 1) eine bis zur Unverbesserlichkeit steigende Dienst= | nachlassigkeit; 2) unsittliches Betragen, wodurch der Diener die fiir | seine Dienstverrichtungen nothige offentliche Achtung und | das erforderliche Ansehen und Vertrauen verliert; 3) Willkuhrlichkeiten gegen Unterthanen, die nicht von | der Natur und Bedeutung sind, daB sie zur criminellen | Behandlung sich eignen; 4) ofters wiederkehrende Verletzung der, die Ordnung | im Dienste bezweckenden Dienstinstruction; 5) leiehtsinniges und muthwilliges Schuldenmachen, | besonders wenn dem Diener keine andere Mittel, als | sein Diensteinkommen zu Bezahlung seiner Schulden zu | Gebot stehen; 6) ein beharrlicher Ungehorsam gegen die Anordnungen | der vorgesetzten Behorden; 7) eine in den verschiedenen Dienstverhaltnissen, in | welchen ein Diener gestanden hat, erprobte Unvertrag= | lichkeit. §.11. In vorstehenden Fallen sollen stufenweise Cor= | rectionsmittel angewendet werden, um den Diener, | welchem dergleichen Vergehen zur Last fallen, wieder | auf den Weg der Ordnung und der Pflicht zuruck= | zuftihren. Jene stufenweise Besserungsversuche sollen bestehen: 1) in einer schriftlichen Erinnerung; 2) in einem schriftlichen Verweise; 3) in einer Constituirung zum Protocoll mit person= | lichem Verweise; 4) in Arreststrafen bei Subaltemen; 5) in Androhung der Entlassung. Bei hohem Staatsdienem fallt die vierte Gradation | hinweg, und findet im vierten Fall sogleich die Andro= | hung der Entlassung Statt. ^Keiner dieser Besserungsversuche kann ohne vorherge= | gangene Vemehmung des Betheiligten angewendet werden. "^In jedem Falle ist ein collegialischer BeschluB der vorge= I setzten mittlem, oder wenn der Fall zur hohem Kennt= | niB gelangt, oder der Diener unmittelbar einer hohem | Stelle untergeben ist, dieser hohem Behorde erforderlich. "^Der BeschluB muB nothwendig auf diesen Paragraph des | Gesetzes hinweisen, und jedesmal die Correctionsstufe | namentlich ausdrticken. Gewohnliche Erinnemngen oder Ordnungs= und Dienst= | polizeistrafen gelten zwar nicht als Bessemngsversuch | [S. 1471 linke Spalte] mit dem Prajudiz, daB die Anwendung dieser formlichen | Correctionsmittel fur kunftige Falle mit sich bringt; sie | sollen aber, wenn sie bei einem Diener ofters nothig | werden, die Anwendung der Correctionsmittel und resp. | den Uebergang zu einem hohem Grade begriinden. In schweren Fallen kann bei Subaltemen eine der 4 | ersten Stufen, und bei hohem eine der 3 ersten Stufen | tibergangen werden, jedoch nur durch BeschluB der h6ch= | sten Behorde. Folgt auf die Entlassungs=Androhung keine Bessemng, | so ist der Angeschuldigte von der ihm unmittelbar vorge= | setzten Behorde tiber alle Thatumstande, welche die vor= | hergegangenen stufenweisen Bedrohungen herbeigefiihrt | haben, und tiber den neuesten Fall, zum Protocoll zu | constituiren, und ihm beim SchluB des Protocoll noch | ein Termin zur allenfallsigen schriftlichen Vertheidigung | anzuberaumen, und sobald diese eingekommen, oder von | dem Beschuldigten darauf ausdriicklich oder stillschweigend | verzichtet seyn wird, Vortrag nach den nahem Bestim= | mungen des §. 14 zu erstatten.

1894

§12:Baden

[Dok. 188-251]

§. 12. ^Wenn ein Diener erweislich muthwillig und | leichtsinnig Schulden contrahirt, ohne andere Mittel zu | deren Bezahlung, als seinen Gehalt zu besitzen, so soil | zwar in der Kegel das angeordnete Correctionsverfahren | beobachtet werden. ^Da indessen das Interesse und die | Sicherheit des Dienstes die schleunige Entfemung eines | solchen Dieners von seiner Stelle erfordem kann, so soil | in solchen dringenden Fallen nach Befund der Umstande | und des Grads der Schuld sogleich eine Versetzung in | deterius Statt finden konnen. §. 13. Gegen unvertragliche Diener, die sich in den | verschiedenen Dienstverhaltnissen, in denen sie standen, | durchaus als unvertraglich erwiesen haben, kann nach | Anwendung der Correctionsversuche, der wirklichen Ent= | lassung noch ein weiterer Versuch durch Versetzung auf I einen geringem Dienst vorangehen. §•14. In alien oben erwahnten Fallen, worin Diens1?= | entlassung und Versetzung in deterius erkannt werden | kann, entscheidet das groBherzogliche Staatsministerium. ^Ueber das dem beschuldigten Staatsdiener zur Last | gelegte Vergehen muB, wenn er vorerst mit seinem schrift= | lichen Entschuldigungs= und Rechtfertigungs=Grtinden | ordnungsmaBig gehort worden ist, ein schriftlicher Vor= | trag bei der demselben unmittelbar vorgesetzten Admini= | strativstelle erstattet werden. ^Der durch Stimmen== | mehrheit gefaBte BeschluB ist mit motivirtem Antrag, | wenn 1) der Staatsdiener einer Mittelbehorde untergeordnet | ist, der hohem Administrativbehorde, und von dieser | mit weiterm Antrag dem groBherzoglichen Staatsmini= | sterium, wenn er aber [S. 1471 rechte Spalte] 2) einer obem Behorde zunachst subordinirt ist, sogleich | von dieser obem Behorde dem groBherzoglichen Staats== | ministerium zur endlichen Entscheidung vorzulegen. Im groBherzoglichen Staatsministerium muB nach An= | horung eines aufgestellten Referenten und Correferenten | der BeschluB durch Stimmenmehrheit gefaBt, und die hochste | EntschlieBung dariiber eingeholt werden. §.15. Wenn der BeschluB des Staatsministeriums auf | Dienstentlassung ausfallt, so soil von demselben jedesmal | sogleich ein Gutachten beigefugt werden, ob dem zu ent= | lassenden Staatsdiener oder seiner Familie ein Susten= | tationsbeitrag, und von welchem Betrage, zu bewilhgen | seyn dtirfte. Dieser Sustentationsbeitrag soil in keinem Fall die | Halfte desjenigen Ruhegehalts tjbersteigen, welchen der | zu entlassende Staatsdiener nach seinen Dienstjahren zu | erwarten gehabt hatte, wenn er wegen unverschuldeter | Dienstunfahigkeit in Pensionsstand gesetzt worden ware. §.16. Wenn ein Staatsdiener, der nach vorgegange= | ner dienstpolizeilicher Untersuchung, und nach BeschluB | der obersten Staatsbehorde wegen Dienstverbrechen vor | Gericht gestellt worden ist, durch das hofgerichtliche Er= | kenntniB zwar nicht zur Dienstentsetzung geeignet, aber | auch nicht fur unschuldig erklart wird, so sollen die Un= | tersuchungsacten an die ihm unmittelbar vorgesetzte Ad= | ministrativstelle abgegeben, und werm ein gesetzlicher Grund zu seiner Entlassung oder zur Anwendung eines | weitem

[214] Civil-Staatsdieneredikt vom 30. Januar 1819

1895

Verbessemngsversuchs vorliegt, von dieser das | fiir solche Falle vorgeschriebene Verfahren eingeleitet | werden. §. 17. Wenn sich ein Staatsdiener durch ein Verbre= | chen, welches keine Beziehung auf seine Dienstverhaltnisse | hat, eine peinliche Strafe zuzieht, welche in einer Zucht= | oder Correctionshaus= oder in einer andem, dieser nach | den gesetzlichen Bestimmungen gleichkommenden Strafe \ besteht, so hat solche zugleich auch die Dienstentlassung | zur Folge, die aber nur von der hochsten Verwaltungs= | behorde auf das Gutachten der Justizstelle, liber die Na= | tur eines solchen Verbrechens ausgesprochenen werden kann. Es sind jedoch in solchen Fallen jedesmal von den | Justizstellen, den schon frtiher bestehenden Verordnungen | gemaB, die Untersuchungs=Acten mit projektirtem Urtheil | vor dessen Eroffhung an die oberste Staatsbehorde ein= | zusenden. §.18. Wegen der besondem Dienstvergehen der Ver= | rechner wird eine besondere Verordnung nachfolgen, | welche als integrirender Theil gegenwartigen Edikts angesehen werden soil §.19. Die in gegenwartiger Verordnung enthaltenen | Vorschriften wegen Zuruhesetzung, Pensionimng und Ent= | lassung der Diener sind auch auf die, vermoge des Reichs= | [S. 1472 linke Spalte]^ deputations=Rezesses vom 25. Februar 1803*^ oder ver= | moge besonderer Staatsvertrage tibemommenen Diener | anwendbar, jedoch mit der Modification, daB ihre Pen= | sion oder ihr Ruhegehalt durch die Anwendung des ge= | setzlichen Tarifs auf ihrem ganzen Gehalt, nicht unter | den Betrag derjenigen Bersoldung fallen darf, in deren Besitz | sie an dem als Normaltag bestimmten 24. August 1802 | sich befanden, oder womit sie resp. tibemommen wurden, Bei Berechnung ihrer Dienstjahre werden ihre in den | angefallenen Landen, mit denen sie tibergegangen sind, | geleisteten Dienste in der Art beriicksichtigt, daB der An= | fangstermin ebenfalls in GemaBheit des §, 4. nach dem | ersten Anstellungs=Patent oder Dekret berechnet wird. §. 20. Versorgungsgehalte fiir Dienerswittwen und | Waisen. Jede Wittwe eines verstorbenen weltlichen Staats= | dieners, welcher in dem Wittwen= Fiscus immatriculirt | war, soil, ohne Unterschied, ob der Verstorbene sich in | Dienstthatigkeit oder in Dienstruhe befand, nebst dem | aus der gesellschaftlichen Wittwencasse ihrer statutenmaBig | gebtihrenden Wittwen=Benificium, noch 50 pCt. von dem | Betrag dieses Benificiums als Pension erhalten, und | fiir die aus der Ehe mit dem verstorbenen Diener er= | zeugten Kinder bis zu dem unten festgesetzten Alter der= | selben, einen ZuschuB, der fiir jedes Kind auf 20 pCt. | von dem Betrage jenes Beneficiums bestimmt wird. Bei Berechnung der Pension und dieses Zuschusses | wird das Wittwen=Beneficium nach dem gegenwartigen | VerhaltniB von 11 fl. auf 1 fl. Beitrag unveranderlich | angenommen,

^ Betrifft nur noch die oberen drei Viertel der Seite. ^ Dok.l.

1896

§ 12: Baden

[Dok. 188-251]

§.21. Lebt die Wittwe des verstorbenen Staats= | dieners nicht mehr, oder stirbt dieselbe, ehe sammtliche | hinterbliebene Kinder das unten festgesetzte Alter erreicht | haben, so soil jedes Kind, welches das Pensions=Alter | noch nicht tiberschritten hat, eine Pension von 30 pCt. vom Betrag des Wittwen^Beneficiums erhalten. §.22. Die Pension einer Wittwe dauet nur fiir die | [S. 1472 rechte Spalte]^ Zeit ihres Wittwenstandes; jene der Kinder, so wie die | Zuschtisse fur die Kinder, bis zum zunickgelegten 18ten | Lebensjahr derselben. §.23. Aus dem bisherigen Pensionsfond soil ein | ausserordentlicher Unterstutzungsfond ausgeschieden werden, | der jedoch 25000 fl. nie tibersteigen darf. Dieser ausserordentlicher Fond soil, so weit die fiir ein= | zelne Landestheile oder einzelne Classen be= | stehenden besondem Stiftungs= oder sonstige Unterstiitzungsfonds | nicht reichen, verwendet werden: 1) zur Unterstutzung fur altere nahrungslose ledige | Tochter verstorbener Civildiener; 2) fur altere Sohne solcher Diener, in so feme sie | bei unverschuldeten Erwerbs= und Arbeitsunfahigkeit noth= | wendig einer Unterstutzung bedtirfen; 3) fur Wittwen, deren Manner sich im Staatsdienst | besonders ausgezeichnet und allgemein anerkannte Ver= | dienste um den Staat erworben haben; 4) fiir Wittwen, die nach den individuellen Verhaltnissen | ihrer verstorbenen Gatten einer ihrem Stande angemesse= | nen weitem Untersttitzung bedtirfen. §.24. Die ausserordentlichen Unterstiitzungen die nach | Abs. 1, 2 und 4. des vorstehenden Paragraphs Statt | finden, werden nur fur so lange als bewilligt betrachtet, | als nicht in den Vermogens=Umstanden der Personen, | denen sie ertheilt wurden, eine solche Verbesserung ein== | getreten ist, wodurch der Grand der Bewilligung hin= | wegfallt. Keine Wittwenpension soil kiinftig einschlieBlich des | Bezugs aus der Wittwen=Casse, aber ausschlieBlich der | Zuschtisse fiir die Kinder, die Summe von 1500 fl. tiber= | steigen. Gegeben Karlsrahe am 30. Januar 1819. Ludwig. I (L. S.) Vdt. F. A. Wielandt. Auf Befehl Sr. koniglichen Hoheit. | WeiB.

[214/1] Gesetz iiber die Anwendung des Dienstrechts auf die Vorstande und Hauptlehrer verschiedener Anstaiten vom 30.Juli1840 Quelle: GroBherzoglich Badisches Regierangs-Blatt, 38. Jahrgang, (Nr. 27 vom 2. August) 1840, S. 195-197(gedrackt). [S. 195] Leopold, von Gottes Gnaden, | GroBherzog zu Baden, Herzog von Zahringen^

^ Betrifft nur noch die oberen drei Viertel der Seite.

[214/1] Gesetz vom 30. M i 1840

1897

Mit Zustimmung Unserer getreuen Stande haben wir beschlossen und verordnen, wie folgt: §•1-

Das Dieneredikt von 1819* findet auf die Vorstande und Hauptlehrer, an der polytechnic I schen Schule, den Lyceen, Gymnasien, hohem Btirgerschulen, Schullehrerseminar I rien, am Blindeninstitut und der Veterinarschule, welche mit landesherrlichem Anstellungspatent | versehen sind, unter nachstehenden Bedingungen Anwendung. fS. 196] Nur die Vorstande der gedachten Anstalten, und die Hauptlehrer in wissenschaftlichen Fachem | erhalten Anstellungspatente. §.2. AuBer den Fallen, in welchen nach dem Dieneredict von 1819 eine Entlassung ohne vor= I gangige Besserungsversuche statt hat, tritt solche gegen die im §. 1 erwahnten Lehrer auch dann | ein, wenn sie Schtiler zur Unsittlichkeit verleiten, oder zu unsittlichen Handlungen missbrauchen. §.3. Die Entlassung ohne Besserungsversuch kann auch gegen denjenigen ausgesprochen werden, | welcher durch eine unziichtige Handlung vor den Schtilem oder offentlich AergemiB gibt. §•4. Zu den Griinden, aus welchen nach §.10 des Dieneredictes von 1819 Besserungsversuche I erkannt werden konnen, gehort namentlich auch die MiBhandlung von Schtilem. §.5. Der Lehrer, welcher wegen MiBhandlung von Schtilem einen Bessemngsgrad erhalten hat, I kann beim ersten Rtickfall in dieses Vergehen entlassen werden. §.6. Gegen die im §. 1 genannten Lehrer finden von den §.11 des Dieneredictes von 1819 er= I wahneten Bessemngsversuchen nur die dort unter Ziffer 1, 3 und 5 aufgezahlten statt, und auf | den vierten Uebertretungsfall folgt die Entlassung. §.7. Anstatt der Entlassungsandrohung kann sogleich Versetzung auf eine geringere, mit weniger | Besoldung verbundene Stelle eintreten. Die Besoldung kann jedoch in diesem Fall nie um mehr als ein Drittel vermindert werden.

Hinsichtlich der dem geistlichen Stande angehorenden Lehrer fallt die Anwendbarkeit des I Edictes vom 30. Janner 1819 und des gegenwartigen Gesetzes hinweg, wenn dieselben auf I einen Kirchendienst versetzt werden. Tritt ein Geistlicher in den Lehrstand iiber, so werden ihm die Dienstjahre, welche er als I definitiv angestellter Kirchendiener zugebracht hat, bei der Pensionimng eingerechnet.

* Dok. 214.

1898

§12:Baden

[Dok. 188-251]

19. Volksschulcandidaten, welche an einer der im §. 1 bezeichneten offentlichen Lehranstalten, | jedoch nicht als Hauptlehrer in wissenschaftlichen Fachem oder als Vorstande angestellt sind, | werden in Bezug auf EntlaBbarkeit und Anspriiche auf Pension und Wittwen= und Waisen= | versorgung nach dem Gesetz iiber die Rechtsverhaltnisse der Volksschullehrer vom 28. August | 1835 behandelt. Was ein solcher mehr als dreihundert und funfzig Gulden bezieht, wird bei Verrechnung I des Ruhegehaltes als Personalzulage betrachtet, und wenn der fixe Getialt, einschlieBlich des | Anschlags der etwaigen freien Wohnung, den Betrag von funfhundert zehn Gulden tibersteigt, | [S. 197] so ist der jahrliche Beitrag zum allgemeinen Schullehrer= Wittwen= und Waisenfond, so wie | die Aufnahmstaxe nur nach diesem Betrag zu berechnen. Die Versetzung eines solchen Lehrers auf eine Volksschule, wobei er an seinem Gehalt nicht I verkiirzt wird, findet unbeschrankt statt. §.10. Die Anstellung der tibrigen, weder unter die Bestimmung des §.1, noch unter jene des | §. 9 fallenden Lehrer an den §. 1 genannten Anstalten, ist jederzeit widerruflich. Es kann ihnen jedoch ein Sustentationsgehalt bewilligt werden, welcher drei Viertheile des= I jenigen, was sie unter den Voraussetzungen des §. 6 als Volksschulcandidaten anzusprechen | hatten, nicht tibersteigen darf. §.11. Lehrer, die nicht unter die §. 1 Genannten gehoren, und dennoch bereits Theilnehmer an I der Wittwen= und Waisenkasse fiir welthche Civildiener sind, bleiben in derselben, und sind in | den allgemeinen Schul=Wittwen= und Waisenfond nicht aufzunehmen. §.12. Alle Pensionen und Sustentationsgehalte der Lehrer werden von dem Fond der betreffenden | Lehranstalt, soweit es ohne Beeintrachtigung der ihm sonst obliegenden Zwecke geschehen kann, | getragen. Soweit das Einkommen der Lehranstalt hiezu nicht reicht, leistet die Staatskasse den erfor= I derlichen ZuschuB, welcher jedoch wieder aufhort, sobald das Einkommen der Anstalt zur Be= | zahlung der Pension ohne Beeintrachtigung ihrer sonstigen Zwecke hinreicht. §. 13. In Bezug auf die Lehrer, welche bei Verkundung dieses Gesetzes schon tiber vier Jahre | angestellt sind, tritt dessen Wirksamkeit erst mit Ablauf eines Jahres, vom Verktindigungs= I tage an, ein. §.14. Ftir die Professoren der beiden Landesuniversitaten finden die Bestimmungen des Diener= | edictes von 1819 mit dem Unterschiede Anwendung, daB die Pensionen und Unterstiitzungsge= | halte mit Ausnahme der nach §. 15 zu behandelnden Wittwenpensionen, soweit die Fonds der | Anstalten ohne Beeintrachtigung ihrer Zwecke dazu hinreichen, von diesen getragen wer= | den miissen, und daB nur das Fehlende von der Staatskasse zugeschossen wird, bis die betref= | fende Anstalt zur Uebemahme derselben wieder die Mittel hat.

[214/2] Gesetz vom 3. August 1844

1899

§.15. Rticksichtlich der Wittwen=Pensions== und Unterstutzungsgehalte fur die Hinterbliebenen der | §. 1 genannten Lehrer findet das Gesetz vom 3 L Dezember 1831^ Anwendung. Gegeben zu Carlsmhe in Unserem Staatsministerium, den 30. Juli 1840. Leopld. Frhr. von Rtidt. Auf hochsten Befehl Seiner koniglichen Hoheit des GroBherzogs: | Btichler.

[214/2] Gesetz, „die Besoldungen und Functionsgehalte der Staatsdiener betreffend", vom 3. August 1844 Quelle: GroBherzoglich Badisches Regierungs-Blatt, 42. Jahrgang, (Nr. 17 vom 6. August) 1844, S. 133-134(gedruckt). [S. 133] (Gesetz, die Besoldungen und Functionsgehalte der Staatsdiener betreffend.) Leopold, von Gottes Gnaden | GroBherzog zu Baden, Herzog von Zahringen. Mit Zustimmung Unserer getreuen Stande haben Wir beschlossen und verordnen, wie folgt: Art. 1. Von Besoldungen und Besoldungszulagen, welche Civil= und Militarstaatsdienem seit dem 1. Ja= | nuar 1832 verliehen worden sind, oder kiiftig verliehen werden, ist bei Ermittlung der Pension | solcher Diener ein Ftinftheil auBer Rechnung zu lassen; ebenso der ganze Betrag um den ihre Bes= | soldung die Summe von - Viertausend=Ftinfhundert Gulden - iibersteigt. Besoldungen bis zu - Sechshundert Gulden - trifft jene Abrechnung eines Ftinftheils nicht; | bei hoheren Besoldungen findet dieselbe nur mit der Beschrankung statt, daB der Pensionsermitt= | lung stets in eine Summe von wenigstens - Sechshundert Gulden - zum Grunde zu legen ist. Art. 2. Einem aus Staats=, Kirchen= oder Stiftungsmitteln besoldeten Diener kann fur einen ihm tibep= | tragenen Nebendienst keine standige Besoldung, sondem nur ein Functionsgehalt verliehen werden, | der ebenso, wie der tibertragene Nebendienst zu jeder Zeit widerruflich bleibt, und im Falle der | Zurruhesetzung bei Berechnung der dieneredictmaBigen Pension nicht beriicksichtigt werden soil. Art. 3. Alle Besoldungen sind in baarem Gelde festzusetzen und zu bezahlen. Ftir die den Beamten zugewiesenen Dienstwohnungen haben dieselben ein Zehntel ihres Ge= I halts an die Staatskasse zu berichtigen, sofem nicht in den Dienstsignaturen der gegenwartig An== | gestellten eine denselben gtinstigere Bestimmung enthalten ist, oder die ihnen zugewiesenen Dienst= | wohnungen nach pflichtmaBiger Abschatzung einen den zehnten Theil ihres Gehaltes nicht errei= | chenden Miethwerth haben, in welchem Falle nur der wirkliche Miethwerth aufzurechnen ist.

Dok. 217.

1900

§12:Baden

[Dok. 188-251]

Gtiter konnen nur da, wo es die Localitat nothwendig macht, an Staatsdiener | iiberlassen werden, und nur so viel, als zur Gewinnung der Bedtirfhisse ihres eigenen Haushaltes | erforderlich sind. fS. 134] Art. 4. Die Wirksamkeit des gegenwartigen Gesetzes erlischt mit Ablauf des Jahres 1848, wenn nicht vor | dieser Zeit eine Vereinbarung zwischen der Regiemng und den Standen liber die Fortdauer desselben | fur einen weiteren Zeitraum zu Stande kommen sollte. Gegeben zu Carlsruhe in Unserem Staatsministerium, den 3. August 1844. Leopld. von Bockh. Auf allerhochsten Befehl Seiner koniglichen Hoheit des GroBherzogs: | Biichler.

[214/3] Gesetz, „die Besoldung und Pensionirung der Staatsdiener, beziehungsweise die Erneuerung des diesfalligen Gesetzes vom 3. August 1844 betreffend", vom 27. Dezember 1848 Quelle: GroBherzoglich Badisches Regierungs-Blatt, 28. Dezember) 1848, S. 471 (gedmckt).

46. Jahrgang,

(Nr. 82

vom

[S. 471] Gesetz, die Besoldung und Pensionirung der Staatsdiener, beziehungsweise die Erneuerung des | diesfallsigen Gesetzes vom 3. August 1844 betreffend. Leopold, GroBherzog zu Baden, | Herzog von Zahringen. Mit Zustimmung Unserer getreuen Stande haben Wir beschlossen und verordnen, wie folgt: Art. 1. Das Gesetz vom 3. August 1844, die Besoldungen und Functionsgehalte der Staatsdiener be= I treffend (Regiemngsblatt 1844, S. 133), dessen Wirksamkeit nach seiner ursprunglichen Be= | stimmung mit dem Ablaufe des Jahres 1848 erlischt, insofem nicht vor dieser Zeit eine Vereinbarung | zwischen der Regiemng und den Standen liber die Fortdauer desselben fur einen weiteren Zeitraum | zu Stande kommen sollte, bleibt bis zu einer Vereinbarung mit den Standen tiber eine Revision des | Dienerediktes vom 30. Januar 1819 (Regiemngsblatt 1819, Seite 11) in Kraft. Art. 2. Noch auf diesem Landtage werden die Gesetze tiber die Rechtsverhaltnisse der Staatsdiener einer | Revision unterworfen. Gegeben zu Carlsmhe in Unserem Staatsministerium, den 27. December 1848. Leopld. Hoffmann. Auf allerhochsten Befehl Seiner koniglichen Hoheit des GroBherzogs: | Schunggart.

[215] Standes- und Grundherrenedikt vom 16. April 1819

1901

[215] Edikt, „die Standes- und Grundherrlichen Rechtsverhaltnisse im GroBherzogthum Baden betreffend", vom 16. April 1819 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einfiihrungen" die Darstellungen unter [791.] [798.]. Quelle: „Edict, die Standes- und Grundherrlichen Rechtsverhaltnisse im GroBherzogthum Baden betreffend", vom 16. April 1819, (C. F. Mtillers Hofbuchdmckerey, Carlsruhe) 1819, S. l-18(gedruckt). Sonstige Fundstellen: GroBherzoglich Badisches (Staats- und) Regiemngs-Blatt, 17. Jahrgang, (21. April) 1819, Nr. 14, S. 1487- 1488e; C. F. Muller (Hrsg.), Die landstandische Verfassungs-Urkunde fur das GroBherzogthum Baden. Nebst den dazu gehorigen Actenstucken, (C. F. Mtillersche Hofbuchhandlung, Karlsruhe) 1819, S. 273 - 300. [Deckblatt] Edict, I die | Standes= und Grundherrlichen Rechtsverhaltnisse | im | GroBherzogthum Baden I betreffend.

[S.l] Ludwig von Gottes Gnaden, | GroBherzog zu Baden, Herzog zu Zahringen, Landgraf | zu Nellenburg, Graf zu Salem, Petershausen | und Hanau etc. Unser nun in Gott ruhender Regierungs=Vorfahrer und Neffe, des GroBherzogs Carl | Liebden, hat in einer unterm 23. April 1818. erlassenen Verordnung die Rechtsverhalt== | nisse der vormaligen Reichstande und Reichsangehorigen zu bestimmen gesucht und sie | sodann selbst bei dem Bundestag zu ihrem Beitritt oder zu Beibringung ihrer allenfall= | siegen Einwendungen aufgefordert. Diese haben hierauf auch in verschiedenen schriftlichen I und gedruckten Eingaben ihre Beschwerden und Wtinsche bei dem Bundestag mit der I Bitte angebracht, das daselbst dartiber entschieden werden mochte. Da Wir es fiir | cine Unserer ersten Regentenpflichten halten, jedem sein ihm gebtihrendes Recht ohne Ab= | bruch wiederfahren zu lassen und jeder gegriindeten Beschwerde von selbst abzuhelfen, | ohne daB es der Einmischung dritter hierzu bedtirfe, so haben Wir sogleich nach Unserem | Regiemngs=Antritt Unsere Auftnerksamkeit auf diesen Gegenstand gerichtet und sammt= | liche nunmehr Unserem GroBherzogthum angehorige ehemalige Reichsstande, so wie den | ehemaligen unmittelbaren Reichsadel aufgefordert, ihre Beschwerden Uns selbst vorzu= | [S. 2] tragen, um solche alsdann von einer von Uns niedergesetzten Commission priifen zu | lassen. Dieses ist nun geschehen. Sammtliche ehemalige Reichstande sowohl, als bei | weitem der groBte Theil des Reichsadels, mit weniger Ausnahme, sind durch bevollmach= | tigte Abgeordnete dahier erschienen, und es ist Uns von Unserer niedergesetzten Commission, I nach geschehener Besprechung mit ihnen, Vortrag daruber erstattet worden. Geleitet auf I der einen Seite durch jene Unsere erste Pflicht der Handhabung einer unpartheiisch und I gleichdurchgehenden Gerechtigkeit, und auf der andem Seite durch die Uns eben so sehr I obliegende Sorge fiir die Wohlfahrth des Landes, womit Wir Unsere sammtliche Unter= I thanen mit gleicher Liebe umfassen, haben Wir beschlossen folgendes zu verordnen, wo= I mit Wir zugleich das Edict vom 23. April 1818., unbeschadet jener Berechtigungen, | welche nach §.23. der Verfassungs=Urkunde die Bestandteile derselben bilden, | zum Theil bestatigen, zum Theil erlautem und zum Theil naher bestimmen.

1902

§12:Baden

[Dok. 188-251]

A. Rechtsverhaltnisse der ehemaligen Reichstande, | nunmehrigen Standesherren. I. Allgemeine personliche Vorziige. §.1. ^Jene ehemals reichsstandischen, furstlichen und graflichen Hauser werden fortan | zu dem hohen Adel in Deutschland gerechnet. '^Ihnen verbleibt das Recht der Ebenbur= | tigkeit in dem nehmlichen Begriffe, der vor ihrer Mediatisirung damit verbunden war. §.2. ^Die Hauser derselben gehoren zu den ersten Standesherren; sie und ihre | Familien bilden die privilegirteste Klasse in Unserm GroBherzogthum. ^Sie leisten Uns | als Ihrem Souverain die Huldigung auf die in dem StandesherrlichkeitsEdict §. 1 be= | schriebene Weise. §.3. ^Sie und ihre Familien haben die unbeschrankte Freiheit, ihren Aufenthalt in | jedem zu dem deutschen Bunde gehorenden oder mit demselben in Freundschaft lebenden | [S. 3] Staate zu nehmen. "^Die nehmliche Freiheit kommt ihnen auch in Ansehung des Eintritts | in fremde Kriegsdienste zu. §.4. ^Ihre noch bestehenden Familien=Vertrage werden nach den Grundsatzen der | frtiheren deutschen Verfassung aufrecht erhalten, und ihnen die BefugniB zugesichert, | liber ihre Gtiter= und Familienverhaltnisse verbindliche Verfiigungen zu treffen, diese | mtissen Uns jedoch, so weit es noch nicht geschehen ist, zur Bestatigung vorgelegt | werden, welche ihnen Niemals ohne erhebliche Ursachen erschwert, oder verweigert werden | soil. ^Diese Verfiigungen werden sodann bei Unsem hochsten Landesstellen zur allgemeinen | KenntniB und Nachachtung gebracht. ^Alle bisher etwa dagegen erlassene Verordnungen | sollen fiir ktinftige Falle nicht weiter anwendbar seyn. §. 5. Sie haben in alien sie betreffenden Real= und Personalsachen einen befreyten | Gerichtsstand in erster Instanz bei Unserem Hofgericht, von wo an sich der weitere Rechts= | zug nach Unserer obem Gerichts=Ordnung richtet. §.6. Verlassenschafts=Verhandlungen, welche Mitglieder der Familie betreffen, | werden durch die Haupter der Familie erledigt, wenn aber Rechtsstreitigkeiten dabei ent?= | stehen, so mtissen solche zum rechtlichen Verfahren an das competirende Hofgericht | verwiesen werden. §•7. In peinlichen Fallen setzen Wir fiir die standesherrlichen Haupter der Fa= | milie und ihrer Gemahlinnen, so lange ihre Gatten am Leben bleiben, folgende Austre= | gaMnstanz. ^Der Beschuldigte benennt drey Standesherren Unseres Landes, jeder derselben | emennt zwey subdelegirte Rathe aus Unsem Unterthanen, Wir emennen den Prasidenten, | welcher jedes Malen aus Unserm jeweiligen Justizminister oder Oberhofrichter be= | stehet. ^Das Gericht emennt zwey Untersuchungs=Commissarien, die aber nicht zugleich | Mitglieder des Gerichts seyn konnen und einen Actuar. ^Die Untersuchungs=Commissarien | instmiren den ganzen ProceB unter Leitung des Gerichts. "^Der Prasident emennt den | Re= und Correferenten unter den Rathen; das Urtheil wird an Unsere oberste Staatsstelle | zur Bestatigung

[215] Standes- und Grundherrenedikt vom 16. April 1819

1903

eingesendet. ^In den Fallen, wo nach Unsem Landesgesetzen die Berufung | von Urtheilen der Hofgerichte an das Oberhofgericht gehen kann, steht diese dem Vemr= | theilten ebenfalls frey. ^Die gegen den Standesherren etwa nothigen polizeylichen MaBre= | geln, werden in gewohnlichen, jedoch ihrem Stand und Ansehen angemessenen Wegen, | [S. 4] auf Anordnung Unserer obersten Staatsbehorde, oder wenn eilige Falle vorkommen sollten, | der mittlem Landestellen, ergriffen. ''Die Gtiter des Vemrtheilten dtirfen in keinem Falle | confiszirt, wohl aber wahrend seiner Lebenszeit sequestrirt werden

Die Standesherren und ihre Familien sind von der Militarpflicht befreit. §.9. Die Standesherren fuhren ihre gegenwartige Titel und Wappen fort, sie | benennen sich von ihren Herrschaften, jedoch mit Weglassung aller jener Wiirden und | Beisatze, welche ein vormaliges ReichsverhaltniB bezeichnen, sie Haben das Recht auf ihre | Kosten sich von ihren Mediatunterthanen huldigen zu lassen und sich dabei der in dem | StandesherrlichkeitsEdict in §. 18 Beilage B enthaltenen Formel zu bedienen. §.10. ^Wir gestatten ihnen auBer dem noch folgende personliche Vorztige. "^Die | Familienhaupter dtirfen sich in alien Fertigungen und Schriften, die nicht an Uns oder | an Unsere Behorden gehen, des Pradikats, regierender Fiirst und Standesherr, sammt | der ersten Person in vielfacher Zahl, Wir, Unser, Uns, bedienen; Wir selbst in Unsem | Cabinets=Schreiben an Sie, wollen Uns der Anrede: Durchlauchtig, Hochhgebomer | Ftirst, und an die Grafen: Hochgebohmer Graf, und in der Courtoisie: des | Ausdmcks Liebden, bedienen. ^Unsre Staatsstellen mtissen in ihren Schreiben Sie eben so | anreden und Ihnen im Context den Titel: Durchlaucht geben, wohingegen in den | Schreiben an Uns oder Unsere obem Staatsbehorden es bei dem bisher angefiihrten | Kanzley=Ceremoniel sein Bewenden behalt. "^Die Kirchengebete in den Standes= | herrlichen Gebieten und alien dazu gehorigen Kirchen mtissen in der Ftirbitte nach | Uns und Unserer Familie auch das Haupt des standesherrlichen Hauses und dessen Fa= | milie erwahnen, die Trauergelaute eben so wie die Einstellung des Saitenspiels mtissen | halb so lange, als in gleichen Fallen bei Uns und Unserer Familie geschieht, angeord= | net und ihnen gestattet werden, eine Trauer unter ihren Hofleuten und Dienem anzulegen. | ^Ihnen steht frei eine Ehrenwache von Unserm Militar auf ihre Kosten an alien Orten ihres | Standes=Gebiets, wo solches in Gamison liegt, zu verlangen, oder auch statt dessen ein | eigenes Trabanten=Corps von 25 bis 30 Mann in ihrem Wohnort aufzustellen, auch | sich der bei ihnen tiblichen Hofamter zu bedienen, und demselben Hofuniformen, die je= | doch von den Unsrigen verschieden seyn mtissen, zu ertheilen. ^Eben so sollen dieselben | berechtigt seyn, bei ihren Beamten und Civildienem Dienstuniformen einzufiihren. [S.5] §.11. ^Den Standesherren steht das Recht der Landstandschaft zu, so wie es | in der Verfassungsurkunde des GroBherzogthums bereits ausgedruckt ist. "^Wir werden | aber auch wegen der gebetenen Beiziehung eines ebenbtirtigen Vormunds wahren der | Minderjahrigkeit eines Standesherren und wegen Substituirung eines bevollmachtigten | Ebenbtirtigen bey gesetzlicher Verhinderung des Standesherren das Erforderliche an Unsere | Landstande gelangen lassen.

1904

§12: Baden

[Dok. 188-251]

§. 12. ^Was tibrigens die Vormundschafiten und Curatelen liber die mindeqahrigen | Kinder eines verstorbenen Standesherm betrifft, so stehet nach Unserm Landrecht den | Eltem das Recht zu, ihren Kindem Vormtinder zu setzen, auch gebtihrt dem tiberleben= | den Eltemtheile hiezu das Recht schon nach dem Gesetz. ^In alien Fallen, wo weder | das Landrecht, noch die vaterliche Disposition eintritt, behalten Wir Uns vor, das | Rechtliche, so weit eine Einschreitung der Staatsgewalt erforderlich ist, durch Unsere | oberste Staatsbehorde fiirzukehren. §.13. Es versteht sich von selbst, daB da, wo sich durch vorstehende Verftigung | die bemerkten Vorztige nicht auf die ganze Familie erstrecken, sondem auf die | Haupter oder ihre Gemahlinnen eingeschrankt haben, es in Ansehung des tibrigen da= | bey seyn Bewenden behalt, was die Landesgesetze und Verordnungen mit sich bringen, | wie auch, daB diejenigen Standesherren, welche sich in Unsere Civil= und Militair= | dienste begeben, sich in Ansehung des ihnen gebiihrenden Rangs bios nach den Dienst= | reglements und tibrigen Verordnungen zu richten haben. 11. Gerechtigkeitspflege. §.14. Den Standesherren steht die Austibung der biirgerlichen und peinlichen | Gerichtsbarkeit in erster Instanz zu, eben so in zweyter Instanz, wenn sie im | Besitz derselben vor 1813 gewesen sind, und ihr Gebiet 20000 Seelen in sich faBt. §.15. In erster Instanz wird sie durch Aemter verwaltet, die in aller Hinsicht | wie die landesherrlichen Aemter formirt seyn mtissen, und alsdann den nehmlichen und | ganz gleichen Gewaltsumfang in Ansehung der Gerechtigkeitspflege haben, wie | dieselben. [S.6] §.16. ^Die Gerechtigkeitspflege in zweyter Instanz wird durch ein Collegium | versehen, das den Namen Standesherrliche N. JustizCanzley fuhrt. ^Gleiche Benennung | fiihren die Aemter Standesherrliches N. Justizamt. §.17. Die JustizCanzleyen mtissen aus einem Prasidenten oder Director und | drey Richtem bestehen, welche sammtlich die Bestatigung von Uns durch Unsere oberste 1 Staatsbehorde erhalten mtissen. §.18. Die Subaltemen in den Kanzleyen werden von den Standesherren ohne | Bestatigung ernannt, sie mtissen aber von diesen Anstellungen die Anzeige an die oberste | Staatsbehorde machen. §. 19. In Ansehung der peinlichen Untersuchung wird den standesherrlichen Ju= | stizCanzleyen, hinsichtlich der biirgerlichen und peinlichen Strafgerechtigkeitspflege, ge= | rade der nemliche Gewaltumfang zugeschieden, wie Unseren Hofgerichten, und den stan= | desherrlichen Aemtem ein gleicher wie den landesherrlichen Aemtem.

[215] Standes- und Grundherrenedikt vom 16. April 1819

1905

§. 20. Die Standesherrlichen Aemter und JustitCanzleyen konnen in peinlichen | Fallen keine hoheren Geldstrafen ansetzen, als das Gesetz erlaubt, und eben so wenig | andere Strafen in Geldstrafen verwandeln, als da und in so feme das Gesetz hiezu | die Erlaubnis ertheilt. §.21. Die Unterthanen, die sich eines Vergehens gegen den Landesherm schul= | dig machen, konnen nicht von den Standesherrlichen, sondem nur von den Landesherr= | lichen Gerichten belangt werden. §.22. Eben so die Landesherrlichen Diener, jedoch wenn sie auBer ihrem Dienst | noch ein anderes btirgerliches Gewerbe treiben, nur in Sachen, die ihren Dienst be= | treffen, und stehen im tibrigen unter ihren ordentlichen Gerichten. §.23. Die Standesherrlichen JustizCanzleyen und Aemter werden von Unseren | oberen Staatsstellen in alien Stiicken in dem Geschaftsgang eben so behandelt, wie | Unsre eigne Justizstellen. [S.7] §.24. Die in dem Edict vom 23. April 1818. §. 15 sub. Lit. m. p. angeordnete | Revision fallt hinweg, und haben die Standesherren das Recht ihre liquiden Gefalle selbsten, | nothigenfalls mittelst der Exekution, jedoch unter genauer Beachtung der Executions^ | Ordnung beitreiben zu lassen, illiquide und strittige Gefalle werden an den competiren= | den Richter verwiesen. §.25. Der vor der im Jahre 1813 geschehenen Aufhebung der Gerichtsbarkeit statt ge= | habte Zustand der Standesherrlichen Aemter wird jedoch also wieder hergestellt, daB | auf die oben schon §.15. bemerkte gleiche Formirung mit den Landesherrlichen | Aemtem und deren gesetzliche Zahl Riicksicht genommen wird III. PolizeyGewalt. §. 24.Den Standesherren steht die Ortspolizey zu. Sie tibem solche durch ihre Justizbeamte in dem ganzen Umfang, in welchem solche | den unmittelbaren landesherrlichen Justiz= und Polizeybeamten tibertragen ist, aus. Sie emennen die Sanitatsbeamte in dem Umfang ihres Gebiets, diese miissen aber | vor der Einweisung Unsere landesherrliche Bestatigung erhalten. §.25. ^Ueber alle diese Gegenstande konnen jedoch die Standesherren ihre Beamte ent= | weder selbst, oder durch ihre Justiz^Canzleyen mit Bericht vemehmen, und ihnen hieriiber | nach dem Sinne Unserer Landesgesetze Resolutionen ertheilen, auch sie zur fleiBigen und | guten Geschafts=Ftahrung anhalten; Jedoch also, daB sie, wie auch weiter unten ge= | ordnet wird, nicht befugt seyn sollen, solches auf eine Dienst=Suspension, Dienst=Entlassung oder I Dienst^Entsetzung auszudehnen. ^Nirgends darf auch diese ihnen uber ihre Beamte Von hier an erfolgende fehlerhafte Zahlung im Original.

1906

§ 12: Baden

[Dok. 188-251]

gebuhren= | de Aufsicht in eine zweyte Instanz ausarten, sondem sie mtissen ihre Einrichtungen mit ihren | Beamten in der Art treffen, daB zum Voraus schon bestimmt ist, welche Geschafte ihre | Beamte fur sich und ohne vorherige Resolutions=Einholung definitiv erledigen konnen, | und bey welchen sie an die letztem gebunden sind. Ist einmal in einem Geschaft der End== | beschluB gefaBt, so flndet kein weiterer Recurs an sie die Standesherren, sondem lediglich | an Uns oder Unsere Kreis=Directorien statt. fS. 8] §.26. ^Die Standesherren und ihre Beamte haben tiberhaupt dafiir zu wa= | chen daB tiberall die Gesetze und gute Ordnung gehorig beobachtet, und deren Verletzungen und | Uebertretungen so weit es den ihnen angewiesenen Geschaftskreis betrifft, gehorig geahndet, [ andemfalls aber Unsem betreffenden Kreisdirectorien angezeigt werden; insbesondere uber= | tragen Wir ihnen auch die Vollziehung desjenigen, was von Uns an Unsem Landes= | behorden vermoge Unserer Oberaufsicht iiber HeerstraBen und Fltisse, so wie iiber die | Anordnung und Leitung des StraBen= und Wasserbaues, zur Befordemng des Handels, | der Mauth und der Zollgesetzgebung, der obem Leitung des Zunftwesens, der Bestatigung | neuer Zunft= und Handwerks=Ordnungen, der Verleihung neuer Gewerbs=Conces= | sionen, als Theile der obem Polizey, femer wegen der allgemeinen Landes=Cultur be= | schlossen wird, und sind nicht weniger geneigt, ihnen den Vollzug aller tibrigen, ver= | moge der Uns als Souverain und Landesherren zustehenden obersten Staats=Gewalt | und Gesetzgebungs=Recht im Allgemeinen, und so weit es einen bezug auf das Ge= | biet der Standesherren hat, ergehenden Verfugungen zum Vollzug zu tiberlassen, erwar^^ | ten aber auch dagegen dessen prompte Besorgung und behalten Uns hierinnen gutfindende | Abandemng, besonders aber auch das bevor, das da wo eine artistische KenntniB beym | Vollzug erfordert wird, Wir solche durch Unsere dazu bestellten Diener verrichten las= | sen. ^Insbesondere verstehen Wir Uns, daB da wo zu Ftihmng Unserer obem Auf= | sicht Berichts=Erfordemngen in tabellarischer Form oder sonsten bereits angeordnet sind, | solcher gehorige Folge geleistet werde. §.27. ^Wenn vermoge der Uns zustehenden Oberaufsicht iiber die den Stan= | desherren zustehende untere Polizey, als weswegen Wir Uns Berichts=Einfordemngen | oder auch anzuordnende Visitationen jederzeit vorbehalten, oder wenn Resolutionen auf | die an Unsere Kreisdirectorien ergriffene Recurse ertheilt werden, oder tiberhaupt | Communicationen, Verfiigungen und Befehle nothwendig sind, so sollen solche in der | Regel an die Standesherrlichen Canzleyen gerichtet werden, welche aber gehalten sind, | sie sogleich und wenigstens innerhalb zwey Tagen ohne alien Aufenthalt oder Abandemng in | reiner Abschrift an die Beamten abgehen zu lassen, auch dtirfen deswegen den Unterthanen | keine weitem Kosten vemrsacht werden. ^In dringenden und eilenden Fallen, und aus | sonst erheblichen Ursachen konnen jedoch Wir und Unsere Staatsbehorden auch unmittel= | bar Verfugungen an die Standesherrlichen Beamten ergehen lassen, werden aber den | Bedacht nehmen, daB die Standesherren oder ihre Canzleyen in solchen Fallen jedesmal | von dem Inhalt der Verfugung benachrichtigt werden. [S.9] IV. Kirchliche Aufsicht. §.28. ^Das Recht der Staats=Kirchengewalt und besonders auch das | Recht, Consistorien tiber protestantische Glaubensgenossen zu errichten, steht nur Uns | als dem Landesherm zu; hingegen tibertragen Wir den Standesherren die ihnen ver= | moge der Bundesacte zugestandene BefugniB und Aufsicht iiber Kirchen und Schul= | wesen, auch iiber milde Stif-

[215] Standes- und Grundherrenedikt vom 16. April 1819

1907

tungen nach Vorschrift Unserer Landesgesetze zu fuhren, | auch steht ihnen nach denselben das Patronat=Recht nach Masgabe der hiertiber beson== | ders erlassenen Verordnung zu. ^Sie haben daher das Recht Pfarrer zu prasentiren die | Schulmeister zu bestellen und beide in ihr Amt einzuweisen, denselben tiber ihre Amtsfuhrung | mundliche oder schriftliche Admonitionen zu machen, wenn aber scharfe Einschreitung no== | thig werden sollte, hiertiber an Unsere Ober=Staats=Kirchenbehorde zu berichten, und | konnen sie diese ihre Aufsicht nie auf eine Entfemung oder Suspension vom Amte, oder | auf eine andere wirkliche Strafe ausdehnen. ^Sie haben femer das Recht der Auf= | sicht tiber die Allmosen und milden Stiftungen, die gewahlten Verrechner derselben zu | bestatigen, ihre Rechnungen zu durchgehen und abzuhoren, auch die Unsem Beamten | durch Unsere Landesgesetze und Ordnungen diesfalls eingeraumten Rechte durch die | ihrigen besorgen zu lassen. "^Es steht ihnen frey, diese ihre Aufsicht durch | ihre Justiz=Canzleyen zu besorgen, und hiebey einen oder mehrere Geistliche zuzu= | ziehen. Forstgerichtsbarkeit und Forstpolizey. §.29. ^Den Standesherren steht die Forstgerichtsbarkeit und die Forstpolizey in | ihren eigenthtimlichen und denen Gemeinds= Kirchen= Stiftungs= und Privatwaldungen, | Uns aber die Oberforst= und Jagdpolizey zu, nemlich die Oberaufsicht tiber die Wald= | cultur, die Anordnung von Waldvisitationen, die Verbote des Holzverkaufs auBer Landes, | wo es nothig erachtet wird, die Anstalten gegen Wildschaden, die gesetzliche Bestim= | mung der Forsttaxen und Strafen, und ihre ErmaBigung in Recursfallen. ^Es ist hie= | bey Unser emstlicher Wille, daB die Standesherren im GenuB ihres Eigenthums, so | wenig als moglich und nur in so weit beschrankt werden, als nothig ist, einem uner= | setzlichen Schaden vorzubeugen. ^Gesetze die dieser Unserer hochsten Absicht entgegen sind, | sollen abgeandert werden. ''Hingegen mtissen sich aber auch die Standesherren und ihre | [S. 10] angestellten Forstbediente in Ansehung des Forst= und Jagdwesens genau nach Unsem | Gesetzen, Forst= und Jagdordnungen richten und insbesondere darauf sehen, daB tiber= | all nur durch Unsre Staatsbehorden examinirte und qualificirte Forstpracticanten hiebey | angestellt werden, und die Unterthanen durch allzu vieles Wildhalten keine gerechten | Beschwerden erleiden, als worauf Wir durch Unsere Landesherrliche Behorden genaue | Aufsicht tragen zu lassen, nicht ermangeln werden. Da tibrigens die Forstsachen meistentheils forstwissenschaftliche Gegenstande um= | fassen, so konnen Recurse in solchen nur an Unsere oberste Forstbehorde stattfmden. Berg= und Salinen=Recht. §. 30. ^Das Salinen^Recht in den Standesherrlichen Gebieten steht Uns nach | denen schon langst emanirten Landesgesetzen und Edicten allein zu, und hierbey muB es | um so mehr sein Bewenden behalten, als auch hohere Staatsrticksichten Uns gebieten, | darauf unabweislich zu beharren. "^Jedoch bleibt den Standesherren das Eigenthum | der Salinen, die sie schon vor ihrer Mediatisirung besessen haben ungeschmalert, und | auch bey denen etwa ktinftig errichtet werdenden, dtirfen durchaus keine Eigenthums= | rechte gekrankt werden. ^In Ansehung der Bergwerke behalt es bey dem Inhalt des | Standesherrlichkeits=Edicts vom 22. Jul. 1807 sein Bewenden, womach die Ober^Polizey | in Bergwerks^Sachen, die gesetzgebende und richterliche Gewalt rticksichtlich derselben | die Ertheilung der Bergbau=Concessionen, wenn ein Standesherr im Standesgebiet | auBerhalb seines Eigenthums einen neuen Bergbau anlegen will, so wie das Vorkaufs= | recht der Bergwerk=Ausbeute Uns - die Einktinfte der Bergwerke selbst aber den | Standesherren zugehoren, mit dem An-

1908

§12:Baden

[Dok. 188-251]

fugen sein Bewenden, daB solche innerhalb ihrer [ Standesgebiete nur alsdann von andem neu angelegt und bebaut werden konnen, wenn | die Standesherren sich nicht in bestimmter Zeit erklaren, sie selbst bauen zu wollen, | wobey es Uns dem Landesherm unbenommen bleiben muB, sich dieses Vorzugs | vermoge des Uns zustehenden Concessions=Rechts, wenn Wir es fiir das Wohl des Lan= | des fur dienlich erachten, vor alien andem selbst zu bedienen. Das Recht auf Gyps | und Bohn=Erze zu graben, verbleibt in GemaBheit Unseres siebenten Organisations=Edicts | den Standesherren. [S. 11] Besteuerung. §.31. ^In Ansehung der Besteuerung behalt es bey dem in der VerfassungsUrkunde | ausgesprochenen Grundsatz einer gleichen Besteuerung sein unabanderliches Bewenden und sind I daher die Standesherren zu alien constitutionsmaBig ausgeschriebenen ordentlichen und auBer= | ordentlichen StaatsSteuem, von alien ihren in Folge der bestehenden SteuerOrdnung einge= [ schatzten Hausem, Gtitem, Gewerben und GmndGefallen beyzutragen schuldig. •^Hingegen | dtirfen sie eben so wenig durch die Einschatzung liber den wahren Werth pragravirt werden. | ^Es steht ihnen daher frey, wenn sie solches glauben, bey Unserer betreffenden Staatsstelle | um eine neue Einschatzung einzukommen, der Wir jederzeit zu entsprechen geneigt sind und | zwar durch eine unpartheyische Commission mit Zuzug der Interessenten, um die steuerba= | ren Gefalle und Gtiter der Standesherren in ein gerechtes und billiges Ebenmaas mit an= | dem steuerbaren Gtitem, unter Beriicksichtigung der FideicommiBarischen und Lehensqualitat | derselben, in so weit diese auf die Abschatzung der Gtiter und deren Werth EinluB hat | und der auf ihnen mhenden Lasten zu setzen. §.32. Die Standesherren sind nicht schuldig an den eigentlichen Gemeindschulden und sol= | chen Landschaftschulden, die durch einen Socialverband mehrere Gemeinden zu einem gewis= I sen Endzweck gemacht wurden und nach dem Edict vom 6. April 1815. §.4 sich auf I die GemeindsCassen eignen, beyzutragen, sie bleiben hiemach davon fiir die Vergan= I genheit und die Zukunft befreit. §.33. ^Hingegen sind sie schuldig zu alien auf dem verfassungsmaBigen Weg aus= | geschriebenen Kriegssteuem, Kriegslasten, Liefemngen und Einquartiemngen eben so wie | zu alien andem gemeinen Landesangelegenheiten, und wozu sie sonst nach Unsem Gesetzen, | ausschlieBlich der einer Abandemng unterworfenen Verordnung vom 5. August 1816, 1 verbunden sind, beyzutragen. ^Diese Be3^ragspflicht fangt von der Zeit ihrer Mediatisi= | mng

§.34. ^Kriegs und LandesFrohnden, besonders der Vorspann, konnen weder far | die Zukunft noch far das Vergangene auf den SteuerfuB ausgetheilt werden, indem sie | [S. 12] auf dem Viehstand berahen und also dieser bei der Berechnung als Maasstab zum Gmnde 1 gelegt werden muB. ^Eine ahnliche Beschaffenheit hat es mit der Einquartiemng die sich | nach dem Lokal richtet. ^Standesherrliche Schlosser werden wie Unsere eigene Schlosser | behandelt.

[215] Standes- und Grundherrenedikt vom 16. April 1819

1909

Gefalle. §.35. In Ansehung der Gefalle bleibt es bei derjenigen Abtheilung, wie sie | in dem StandesherrlichkeitsEdict vom 22. M i 1807. geschehen ist. Es verbleiben | somit den Standesherren alle Einktinfte von ihren Domanialhofen, eigenthtimlichen | Gtitem, Schafereien und Erblehen, alle bisher bezogene Zehnden, samt den Neubruch= | zehnden, wo derselbe als Zugehor des Zehndes hergebracht ist, BodenzinB von Gtitem, | Handlohn von Gtitem, eigenthtimliche Brauereyen, Bier und Brandtweinverlage, alle aus | der Erbpflichtigkeit herflieBende Abgaben, als Leibschilling, Rauchhtiner, Todtfall, Manu= | missionsgebtihren, die seither tiblich gewesene BannNutzungen, namentlich Bannkeltem, | Bannbackofen, Bannmtihlen, Bannweine und Bannbraurechte, die Forstgefalle und Wald= | mgstrafen, die Jagd= und FischereyNutzungen, die HerrschaftsFrohnden und Frohnd= | ReluitionsGelder, die Nachsteuer oder Abzugsgebtihren bey Auswandemngen in Staaten ausser dem deutschen Bund in solche, mit denen nicht allgemeine Freiztigigkeitsvertrage | schon jetzo bestehen oder noch kunftig von Uns werden abgeschlossen werden. §. 36. ^Ftir diejenigen Gefalle, welche Kraft der erlassenen Steuer= und AccisOrdnung | fiir aufgehoben zu achten sind, wohin namentlich das Ohmgeld und die GewerbsRecogni= | tionen gehoren, wird denen Standesherren eine billige Entschadigung, wo es noch nicht ge= | schehen ist, geleistet werden, so bald sie das erforderliche nach den bestehenden Vorschriften I beobachtet haben werden. "^Sollte den Standesherren auch ausser denen genannten andere | Gefalle entzogen worden seyn, so steht ihnen frei, solche bei der von Uns niedergesetzten | Kommission unter der Benennung und Anftihmng der desfallsigen Rechtsgrtinde zu recla= | miren, worauf Wir Uns das weitere mit der vorlaufigen Zusichemng vorbehalten, daB sich | die Standesherren der Wiedererstattung alles ihnen etwa unrechtmaBig entzogenen versichert | halten dtirfen. [S. 13] §•37. ^Auch die gesetzlich erlaubten Taxen, Sporteln und Strafgelder verbleiben | zwar denen Standesherren, jedoch wollen Wir auch in ihren Gebieten die Amtskassen be= | stehen lassen, wohin alsdann alle Taxen, Sporten und sonstige Gefalle, so wie sie in | Unsem unmittelbaren Landen in die Amtskassen flieBen, eingeworfen, dagegen aber eben | so alle erforderliche Ausgaben daraus bestritten, der etwaige jahrliche Abmangel aus der | Steuer=Casse zugeschossen, der sich davon ergebende UeberschuB aber derselben zugeschieden I werden muB. ^Es versteht sich von selbst, daB es diesemnach bei der Abschaffting der Zent= I kassen und alien andem auf die oben erwahnte Gegenstande Bezug habenden Abgaben und Gemeindsbeitragen sein Bewenden behalte. §.38. In einer besonderen Verordnung werden Wir demnachst dasjenige bestim= | men, was wegen Reluition und Auslosung der Gefalle zu Befordemng der allgemeinen | LandesCultur zu beobachten ist, und werden den Bedacht darauf nehmen, daB hiebei eine | angemessene Entschadigung festgesetzt werde.

1910

§12:Baden

[Dok. 188-251] DienerVerhaltniB.

§.39. ^Die seit Entziehung der Gerichtsbarkeit in den standesherrlichen Gebie= | ten angestellte Beamten werden Wir mit der Wiederabtretung der Gerichtsbarkeit zurticknehmen, | wogegen aber auch die dermalen iibemommenen standesherrlichen Diener von ihnen zuriick | mit der Besoldung genommen werden mtissen, die sie zur Zeit der Abnahme gehabt haben. I ^Die unter dessen erhaltene BesoldungsZulage werden bei den Beamten und Polizeybedien= | steten auf die AmtsKassen, bei den tibrigen auf den PensionsFond tibemommen. §.40. ^Alle Standesherrliche Diener ohne Unterschied des Standes und der Art | ihrer Anstellung mtissen innerhalb des GroBherzogthums geboren, oder naturalisirte | Auslander, und nach Erstehung der nach den Gesetzen erforderlichen Priifung ihrer Kennt= | nisse gehorig von Uns in die Receptionslisten aufgenommen worden seyn. ^Hievon findet | auch in Ansehung der Kammeraldiener keine Ausnahme statt, nur werden Wir denjenigen | Standesherren, die auch in auswartigen Staaten Besitzungen haben, nicht erschweren, | wenn sie es fur gut finden, ihre auswarts angestellte Cameraldiener herein und die | inlandischen hinaus zu versetzen. ^Jedoch sind sie gehalten, Unsere Genehmigung hier= | iiber einzuholen. [S. 14] §.41. Die bei der Justiz Kanzley angestellte und bestatigte Rathe und Bei= | sitzer mtissen so wie die Beamten von den Standesherren und ihren Behorden, auch fur | Uns verpflichtet werden, woriiber jedes Malen die Anzeige an Unsre betreffende Staats= | behorde gemacht werden muB. §.42. Ein Justiz= und Polizey=Beamter, der einem Amt allein, oder als erster | Beamter vorsteht, muB wenigstens 1000 fl. nebst freier Wohnung, ein zweiter wenig= | stens 800 fl., ein Assessor 600 fl. und ein Amtsrevisor oder der an seine Stelle tretende | Staatsdiener 700 fl. Besoldung haben, es konnen aber in Fallen, wo es die geographic | sche Lage nicht gestattet, die Aemter auf die gesetzliche GroBe zu bringen, die Geschafte der | Amtleute mit denen der Amtsrevisoren vereinigt werden, und in einem solchen Fall wer= | den auch die Amtskassen=Besoldungen hiemach ermessen. §. 43. Kein Beamter irgend einer Art darf auf Sporteln gesetzt werden. §. 44. Die Standesherrlichen Justizbeamten, so wie die Mitglieder der Justizkanz= | leyen konnen nur nach vorangegangener Untersuchung und Entscheidung von ihrem Dienst | entlassen werden. §. 45. ^Die Standesherren konnen denen zu ihrer Justiz= und Domainen=Canzley | verordneten Prasidenten, Directoren, Rathen, Amtleuten, Revisoren, Secretairen, Registra= | toren und Canzlisten, die ihrem Dienst angemessene Titel ertheilen, und eine passende | Uniform flir sie einftihren. ^BloBe Titel ohne Amt zu ertheilen ist nicht erlaubt.

[215] Standes- und Grundherrenedikt vom 16. April 1819

1911

§.46. Justiz= und Rentamter zu vereinigen ist in der Regel nicht erlaubt, doch | werden Wir in dringenden Fallen Ausnahmen dispensationsweise gestatten, in welchem | der Beitrag der Amtskassen verhaltniBmaBig nach der Seelenzahl bestimmt werden | muB. §.47. Die Formen des Geschaftsgangs sind, wo ein anderes nicht besonders | verordnet ist, die nemlichen wie bei den Staatsstellen. Activlehen. §. 48. Den Standesherren bleiben ihre Activlehen nach MaaBgabe der bereits | hiertiber in dem Lehens= und in dem Standesherrlichkeits=Edict gegebenen Vorschrift. [S. 15] B. Rechtsverhaltnisse der Grundherren. §.49. Dem ehemaligen Reichsadel kommen die ihm in der Bundes Acte Art. 14. | zugesicherte Rechte der unbeschrankten Freiheit seinen Aufenthalt in jedem zum Bund | gehorenden oder mit demselben in Frieden lebenden Staat zu nehmen, der Familien= | Vertrage unter Bezug auf §.3. und 4. gegenwartigen Edicts, der Antheile der Beguter= | ten an der Landstandschaft unter Bezug auf die Verfassungs=Urkunde, die Patrimonial= | und Forstgerichtsbarkeit, so wie der Ortspolizey, mit der Versicherung zu, daB ihre | Beamte hierinnen mit den landesherrlichen Beamten gleiche Gewalt in der Amtsfuhrung | erhalten sollen. §.50. ^Die Beamtenstelle darf nicht durch Advocaten, sondem muB durch eigene | Beamte, die kein anderes Geschaft daneben treiben, verwaltet werden. ^Die Beamten | mtissen examinirte und recipirte Inlander oder naturalisirte Auslander und gehorig | qualificirt seyn, und wen Wir nicht in einzelnen Fallen besonders dispensiren, wenigstens | 1000 fl. Besoldung nebst freier Wohnung erhalten, jedoch wollen Wir ihnen gestatten, | die Amtsrevisorsstelle damit zu vereinigen, vorausgesetzt, daB dem Beamten ein eigener | Actuar zur Beihtilfe gegeben werde. §.51. Die Beamten und Amtsrevisoren mtissen in einem zum Gerichts= oder | Amtssprengel gehorigen Ort wohnen, Wir wollen jedoch gestatten, daB der Amtssitz in | eine nahe gelegene inlandische Stadt, die aber nicht 4 Stunden von dem weitesten Amts= | Ort entfemt seyn darf, verlegt werde. §.52. Die Renteyadminsitration darf nicht mit dem Amt vereinigt werden, jedoch | behalten Wir Uns bevor, in besonders dringenden Fallen Dispensationen zu ertheilen. §.53. Diejenigen Orte, welche fruher zwischen Unsem Vorfahren und dem Reichsadel | gemeinschaftlich waren, fallen in Ansehung der polizeylichen Gegenstande lediglich unter | die Gerichtsbarkeit Unserer Beamten, in Ansehung der gerichtlichen nur alsdann, wenn | die Einwohner im Ort nicht Hauser oder Familienweise getheilt sind.

1912

§12:Baden

[Dok. 188-251]

[S. 16] §. 54. ^In Ansehung der Forstgerichtsbarkeit und Forstpolizey behalt es bei den | schon bestehenden Landesgesetzen und Ordnungen und insbesondere bei dem diBfallsigen | Inhalt des Grundherrlichkeits=Edicts und dem Anhang sein Bewenden, daB, da die | Forstfrevelthadigungen nach diesen Gesetzen nur gemeinschaftlich mit den Forstbehorden ge= | schehen konnen, der Zuzug der letztem aber in manchen Fallen wegen ihrer Entfemung | nicht wohl statt finden kann, die Forstfrevel=Protokolle zur Einsicht und Bestatigung | an die Obere Landesbehorde eingeschickt werden mtissen. ^Die Forststrafen bleiben denen Ge= | meinden, wo sie ihnen nach Gesetz und Herkommen gebtihren. §.55. Das Kirchenpatronatrecht steht ihnen unter Bezug auf das Grundherrlich= | keits==Edict zu, nebst dem Recht den prasentirten und landesherrlich bestatigten, auch in | landesherrlichem Namen zu installiren. §.56. Eben so gebtihrt ihnen die Aufsicht tiber das Kirchen= Schul= und Stiftungs= | Vermogen unter Leitung der obem Behorden. §. 57. Es verbleiben ihnen die hergebrachte Ehrenrechte des Trauergelauts und | des Kirchengebets. §.58. ^In Ansehung der Besteurung werden sie eben so gehalten, wie oben unter | Ziffer 31 geordnet ist. ^Das nemliche findet bei den Gefallen Ziff. 35., nur mit dem Un= | terschied statt, daB sich bei ihnen auf das GrundherrlichkeitsEdict bezogen wird, und ihr | Antheil auf das Judenschutz und Hintersassengeld auf die Halfte bestimmt wird. §.59. Auch soil bei den Grundherren die Einrichtung der AmtsKassen und was | diesfalls unter Ziff 36. angeordnet ist, statt finden. §.60. Was oben Ziff 32. 33. und 34. wegen Beitrag zu den Gemeindsschulden, | Kriegslasten und allgemeinen LandesFrohnden angeordnet ist, findet auf die Grundherren 1 durchgehends seine Anwendung. §.61. V o n dem Milizzug sind die Sohne der Grundherren zwar nicht frey, die== | selben sollen aber zu Cadetten gezogen, und ihnen das Recht eingeraumt werden Rekruten | zu stellen, wie andere Unterthanen auch. ^Alle unanstandige Auftritte sollen bei der Mes= | sung ihrer Sohne hinwegfallen, und dieselbe daher so viel moglich besonders vorgenom= | men werden. [S. 17] §.62. Den Grundherren wird eine alien ihren Gliedem eigene Uniform, und | den Familien=Hauptem, welche sich nach den zu ertheilenden Statuten hiezu vereigenschaf= 1 ten, der ihnen in dem GrundherrlichkeitsEdikt bereits zugesicherte Orden ertheilt werden.

[215] Standes- und Grundherrenedikt vom 16. April 1819

1913

§.63. Auf den Fall, die Grundherren auf die burgerliche Gerechtigkeitspflege und | Ortspolizey verzichten wollten, sind Wir geneigt, denselben folgende personliche Vorztige | und Vergtinstigungen zu ertheilen. a. Das Recht, ihre liquiden Gefalle durch ihre Rentbeamten executivisch beyzutreiben, I unter Zusicherung schneller und kraftiger Htilfe im Fall der Widersetzlichkeit und unter | besonderer Verantwortlichkeit der Beamten. b. Das Recht die niedere Polizey im Umfange ihrer Schlosser, Wohnungen und Zuge= I horden selbst auszuiiben, kleine Excesse mit Geld zu bestrafen, vorbehaltlich des an die | obere Staatsbehorde zu nehmenden Recurses und mit Vorbehalt der tibrigen Unter= | ordnung unter die amtliche Polizey. c. Personliche Befreiung der Grundherren, von der amtlichen Polizeygewalt, so weit es I nemlich ihre individuelle Personlichkeit betrifft. d. Vollige Befreiung von aller Untergebenheit unter die Ortsvorgesetzte und Gerichte | in Personal^ und RealSachen. e. Das Recht zu verlangen, daB ihre Rentbeamten als TheilungsCommissaire von den | Amtsrevisoren benutzt werden dtirfen, vorausgesetzt, daB sie die erforderlichen Ei= I genschaflen hiezu besitzen. f. Das Recht, den Vorgesetztenwahlen entweder selbst, oder durch ihre Rentbeamten | beyzuwohnen, und unter denen drey erstem, welche die meisten Stimmen haben, den I Gutfindenden auszuwahlen, oder so ihnen keiner von den Gewahlten anstandig seyn | sollte, das Recht eine nochmalige Wahl zu verlangen. g. Das Recht selbst oder durch Rentbeamte den Vogt= und Rtigegerichten, den | Kirchen= und Schulvisitationen, den Abhoren der Gemeinds=, Kirchen=, auch Schul= | Stiftungs= und AllmosenRechnung beyzuwohnen, die BefugniB liber alle diese Ge= I genstande Erinnerungen zu machen mit der Obliegenheit der Beamten, ihnen von I allem hierher gehorige Nachricht zu geben. h. Das Recht, personlcihe Beleidigungen ihnen durch die grundherrlichen OrtsEinwoh= I ner zugefugt, zu riigen; wo von sie jedoch den Ortsvorgesetzten Nachricht geben mtissen, | alles, wie sich von selbst versteht, unter Beobachtung der gesetzlichen Ordnung und | mit Vorbehalt des Recurses an Unsere Staatsbehorden. [S. 18] §.64. Unseren tibrigen begtiterten Landadel wollen Wir andurch mit dem ehe= | maligen Reichsadel wieder in ein gleiches RechtsverhaltniB setzen, wie es durch das | GrundherrlichkeitsEdict von 1807 geschehen und Unserer gegenwartigen Verordnung an= | gemessen ist. §. 65. ^In allem tibrigen hier nicht Beriihrten behalt es bei jenen bestehenden | Gesetzen und Verordnungen sein Bewenden, und soil diese Unsere gegenwartige Ver= | ordnung, unter Bezug auf den §.23. der Verfassungsurkunde, einen Bestandteil der | StaatsVerfassung bilden. "^Sobald die Standes^ und Grundherren ihre vollige Zufrie= | denheit und Annahme derselben erklart haben werden und auch das noch zu Erortemde | gehorig in Richtigkeit gebracht werden wird, soil dieselbe in der kurzmoglichen Zeit | zum Vollzug gebracht und zur Austibung geschritten werden. Gegeben Carlsruhe den 16. April 1819. Ludwig. vdt. F. A. Wielandt. Auf Befehl | Sr. Koniglichen Hoheit. 1 WeiB.

1914

§12:Baden

[Dok. 188-251]

[216] Bekanntgabe von vier vom 20. September 1819 stammenden provisorischen BeschliJssen der deutschen Bundesversammlung vom 5. Oktober 1819 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einfuhrungen" die Darstellung unter [794.]. Quelle: GroBherzoglich-Badisches Staats- und Regiemngs-Blatt, 17. Jahrgang, (Nr. 26 vom 13. Oktober) 1819, S. 161; zudem: a. a. O., S. 162-163 (Provisorische Exekutionsordnung), a. a. O., S. 163-165 („Provisorischer BeschluB tiber die in Ansehung der Universitaten zu ergreifenden Maasregeln"), a. a. O., S. 1 6 5 - 167 (PreBgesetz), a. a. O., S. 1 6 7 169 („Bestellung einer Central-Behorde zur nahem Untersuchung der in mehreren Bundesstaaten entdeckten revolutionairen Umtriebe") - gedmckt. [S. 161] Ludwig von Gottes Gnaden, | GroBherzog zu Baden, Herzog zu Zahringen, | Landgraf zu Nellenburg, Graf zu Salem, Petershausen | und Hanau etc. etc. Nachstehende vier provisorische Beschltisse der deutschen Bundesversammlung vom | 20sten September dieses Jahres, namlich 1) die provisorische ExekutionsOrdnung in Bezug auf den 2ten Artikel der deut= | schen Bundes=Akte: 2) den provisorischen BeschluB tiber die in Ansehung der Universitaten zu ergrei= | fenden Masregeln; 3) das PreBgesetz und 4) die Bestellung einer Centralbehorde zur nahem Untersuchung der in mehre= | ren Bundesstaaten entdeckten revolutionairen Umtriebe betreffend, bringen Wir, in GemaBheit des §.2. der Verfassung fur das GroBherzogthum, | zur Nachricht und Nachachtung, mit dem Bemerken zur allgemeinen KenntniB, daB | Wir die nach diesen vier Beschltissen zu treffende Anordnungen und Emennungen | unverztiglich vornehmen werden. Gegeben im GroBherzoglichen Staats=Ministerium unter Unserer eigenhandigen | Unterschrift, und unter Beydruckung des Staatssiegels. Carlsruhe, den 5ten Ok= | tober 1819. Ludwig. (L. S.) Vdt. F. A. Wielandt. Auf Befehl | Seiner Koniglichen Hoheit. | Eichrodt. [S. 162 - 163]: „I. Provisorische ExekutionsOrdnung in Bezug auf den 2ten Artikel | der deutschen BundesAkte. . .. "^; [S. 163 - 165]: „II. Provisorischer BeschluB tiber die in Ansehung der Universitaten zu | ergreifenden Maasregeln. . . . " ^; [S. 165 - 167]: „IIL PreB=Gesetz. . . . "^; [S. 167 -169]: „IV. Bestellung einer CentralBehorde zur nahem Untersuchung der in mehre= I ren Bundesstaaten entdeckten revolutionairen Umtriebe. .. . "**.

b

d

Text abgedruckt unter Dok. 38. Text abgedruckt unter Dok. 39. Text abgedruckt unter Dok. 40. Text abgedruckt unter Dok. 41.

[216/1 ] „Zensuredikt" vom 5. November 1819

1915

[216/1] „Zensuredikt" vom 5. November 1819 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einfiihrangen" die Darstellungen unter [769.] und [794.]. Quelle: GroBherzoglich-Badisches Staats- und Regierungs-Blatt, 4. Jahrgang, (Nr. 28 vom 10. November) 1819, S. 179 - 184 (gedmckt). [S. 179] Ludwig von Gottes Gnaden, | GroBherzog zu Baden, Herzog zu Zahringen, | Landgraf zu Nellenburg, Graf zu Salem, Petershausen | und Hanau etc. etc. In Gemasheit Unserer Verordnung vom 5ten vorigen Monats^, Regierungs= | blatt Nro. XXVI. wodurch Wir die vier provisorischen Beschltisse der Bundesver= | sammlung vom 20sten September laufenden Jahrs'' zur Nachricht und Nachachtung | bekannt gemacht, und Uns die noch zu treffenden weiteren Anordnungen vorbehalten | haben, haben Wir beschlossen, die Censurordnung vom 16ten November 1797. so | wie alle fruhere und spatere in diesem Betreff erlassene Verfugungen andurch aufzu= | heben, und dagegen in Kraft der Uns obliegenden Verbindlichkeit, fiir die Sicher= | heit des Staates zu sorgen, und in der Folge der, durch erwahntes Bundesgesetz tiber= | nommenen Verantwortlichkeit, unter beynahe wortlicher zu Grundlegung des erst | ktirzlich erschienenen Koniglich PreuBischen CensurEdikts vom 18ten Oktober 1819. | folgendes zu verordnen: §.1. Alle in Unserm Lande herauszugebende Bticher und Schriften, sollen der, in den nachstehenden | Artikeln verordneten Censur zur Genehmigung vorgelegt, und ohne deren schriftliche ErlaubniB we= | der gedmckt noch verkauft werden. §.2. ^Die Censur wird keine wissenschaftliche Untersuchung der Wahrheit hindem, noch den Schrift= I stellem ungebtihrlichen Zwang auflegen, noch den freyen Verkehr des Buchhandels hemmen. •^Ihr | Zweck ist, demjenigen zu steuem, was den allgemeinen Grundsatzen der Religion, ohne Rticksicht | auf die Meinungen und Lehren der einzelnen ReligionsParthien und der im Staate geduldeten | Sekten zuwider ist, zu unterdrticken, was Moral und gute Sitten beleidigt, dem fanatischen Her= | iiberziehen von ReligionsWahrheiten in die Politik, und der dadurch entstehenden gefahrlichen Ver= | [S. 180] wirrung der Begriffe, kraftig entgegen zu arbeiten; nicht zu gestatten, daB die Wtirde, Sicherheit | und Verfassung Unseres Staates so wie der iibrigen deutschen Bundesstaaten verletzt, und die | Ruhe der Familien gestort werde. ^Hieher gehoren alle, auf Erschtitterung der monarchischen und I in diesen Staaten bestehenden Verfassungen abzweckende Theorien, jede Verunglimpfung dieser Re= | gierungen, und aller derer, die mit Uns in freundschaftlicher Verbindung stehen, so wie der, sie | konstituirenden Personen; alles was dahin abzielt, MiBvergniigen liber sie unter dem Volke | zu verbreiten, und sie gegen ihre Verordnungen aufzureizen; alle Versuche, in= und auBerhalb Lan= | des Partheien oder ungesetzmaBige Verbindungen zu stiften, oder in irgend einem Land bestehende Par= | theien oder Personen, die am Umsturz der Verfassung arbeiten, oder die, in diesem Sinne geschrie= | bene Bticher zu unterstiitzen, und in einem gtinstigen Lichte darzustellen.

^ Dok.216. ^ Dok.38,Dok.39,Dok.40undDok.41.

1916

§12:Baden

[Dok. 188-251]

§.3. ^Die Censur aller, in Unsem Landen herauskommenden Zeitungen, Tagsblatter, Joumale, I Flugschriften, Brochtiren und andem derartigen Schriften, welchen Inhalts sie seyn mogen, steht | ausschlieBlich den Kreisdirektoren, jedoch also zu, daB es ihnen freysteht, zur groBtmoglichsten Be= | schleunigung, eine Anzahl gebildeter und aufgeklarter Censoren zu emennen. '^Sie haben sich hiebey | nach der besondem Instruktion zu richten, die Wir ihnen zugehen lassen werden. Wegen Unserer Residenzstadt Carlsruhe haben Wir besondere Verfugung getroffen. §.4. Die Censur der, in Unsem Landen herauskommenden wissenschaftlichen Bticher und Schriften | ohne Unterschied, auch wenn sie die Zahl von zwanzig Bogen tiberschreiten, tibertragen Wir dem | von Uns angeordnet werdenden, im §. 6. naher bestimmten OberCensurkollegium, welches ebenfalls | von Uns eine besondere Instruktion erhalten wird. §.5. Alle katholische Religions^ und Andachtsbticher miissen, ehe sie der gewohnlichen Censur tiber= | geben werden, von dem Ordinariat oder dessen Stellvertreter das Imprimatur erhalten haben, wo= | durch bezeugt wird, daB sie nichts enthalten, was den Lehren der katholischen Kirche zuwider ware. §.6. Es soil in Carlsruhe ein, nach Verscheidenheit der Gegenstande Umserm StaatsMinisterium I unmittelbar untergeordnetes OberCensurkollegium fur das ganze GroBherzogthum errichtet werden, | dessen Hauptbestimmung seyn soil. 1) Die Beschwerden der Verfasser und Verleger wegen ganzlicher oder parzieller Verweige= | rung der ErlaubniB zum Druck zu untersuchen, und nach dem Geist des gegenwartigen Gesetzes, in | letzter Instanz dariiber zu entscheiden; 2) tiber die Ausftihrung des Censurgesetzes zu wachen, jede ihm bekannt gewordene Uebertre= | tung desselben, so wie die Falle, wo die verordneten Censoren dem Geist des gegenwarigen Ge= | setzes nicht Gentige geleistet haben, oder tiber welches sich eine fremde oder einheimische Behorde | beklagt hat, mit Gutachten Unserm StaatsMinisterium anzuzeigen; 3) mit den Kreisdirektorien und CensurBehorden tiber CensurAngelegenheiten zu correspondi= | [S. 181] ren, ihnen die, von dem StaatsMiniterium ausgehenden Instructionen zukommen zu lassen, so | wie ihre allenfallsige Bedenklichkeiten nach den ihnen gegebenen Vorschriften zu heben. 4) Das Verbot des Verkaufs derjenigen, innerhalb oder auBerhalb Deutschlands, mit oder I ohne Censur gedruckten Bticher, deren Debit unzulaBig scheint, durch Berichte an Unser Staats= | Ministerium zu veranlassen. 5) Die Censur der, in §.4. erwahnten Schriften in der MaaBe, daB es zu jedem Fache be= I sondere Censoren, theils aus seiner Mitte, theils aus den hier befindlichen Gelehrten erwahlen, | dieselben Uns zu Genehmigung anzeigen, und alsdann die Aufsicht tiber sie fiihren sollen. §•7. Die, Unsem LandesUniversitaten ertheilte Censurfreyheit, wird auf ftinf Jahre hiemit | suspendirt.

[216/1] „Zensuredikt" vom 5. November 1819

1917

Die inlandischen Buhandler sind gehalten, die Bestimmungen des gegenwartigen Gesezes I auch alsdann zu beobachten, wenn sie ein Buch im Auslande drucken lassen, auch sind sie dieser | Verpflichtung nicht entbunden, wenn die ganze Auflage bios furs Ausland bestimmt ist. §.9. Alle Dmckschriften mtissen mit dem Namen des Verlegers und Buchdmckers, letzterer am Ende | des Werks alle Zeitungen und Zeitschriften mit dem Namen des Redakteurs versehen seyn; die | OberCensurbehorde ist berechtigt, dem Untemehmer einer Zeitung zu erklaren, daB der angegebene | Redakteur nicht von der Art sey, das nothige Zutrauen einzufloBen, in welchem Fall der Untemeh= | mer verpflichtet ist, entweder einen andem Redakteur anzunehmen, oder, wenn er den emannten bey= | behalten will, fur ihn eine, von Unserm StaatsMinisterium auf den Vorschlag gedachter OberCensur= | behorde zu bestimmende Caution zu leisten. §.10. ^Es bleibt dem Buchdrucker oder Verleger iiberlassen, daB von ihm zu druckende Werk entwe= | der im Ganzen, oder in einer deutlichen Abschrift, oder stuckweise in gedruckten Probebogen | zur Censur einzureichen; in letzterm Falle hat er es sich jedoch selbst beyzumessen, wenn nach | Vollendung eines Theils des Drucks, der Censor einen folgenden Abschnitt unzulassig finden, und | durch Wegstreichen desselben, das bereits Gedruckte unntitz wiirde. "^Das zur Censur iiberreichte | Manuskript wird von dem Censor auf der ersten und letzten Seite mit seinem Namen und dem | Datum bezeichnet. ^Ist das Werk bogenweis der Censur iiberreicht worden, so muB das Imprima= | tur auf jedem Bogen ausgedruckt seyn. "^Die ErlaubniB zum Druck ist nur auf ein Jahr gtiltig; | ist der Druck nicht im Laufe desselben besorgt, so muB eine neue ErlaubniB nachgesucht werden. §.11. Keine auBerhalb den Staaten des deutschen Bundes in deutscher Sprache gedruckte neue | Schrift, kann in Unsem Landen verkauft werden, ohne ausdrtickliche ErlaubniB der Censurbehorde | des Wohnorts, unter welcher sich der Verkaufer befindet. §.12. Keine in Deutschland verlegte Schrift in irgend einer Sprache, wo auf dem Titel nicht der I [S. 182] Name einer bekannten Verlagshandlung steht, und welche der Buchhandler nicht durch diese, | oder eine andere bekannte, welche fur die Richtigkeit dieses Namens Gewahr leistet, erhalten hat, | darf verkauft werden. §. 13. ^Der Buchdrucker und Verleger, welcher die im gegenwartigen Geseze betimmte Vorschrift I befolgt, und die Genehmigung zum Abdruck einer Schrift erhalten hat, wird von aller femeren | Verantwortlichkeit wegen ihres Inhalts vollig frei. ^Sollte der im §.6. des BundesGesezes | vom 20sten September^ vorausgesehene Fall eintreten, und die Bundesversammlung die Unter= | druckung einer solchen, unter gehoriger Beobachtung der gegenwartigen CensurVorschrift erschiene= | nen Schrift verfiigen, so hat der Verleger Anspruch auf Entschadigung. ^Dem Verfasser kann in | keinem Fall eine gleichmaBige vollstandige Befreiung von Verantwortlichkeit zu Statten kommen, | sondem wenn es sich finden sollte, daB es des Censors Aufmerksamkeit zu hintergehen (z. B. durch | eingestreute ^ Dok.40.

1918

§12:Baden

[Dok. 188-251]

strafwtirdige Anspielungen oder Zweideutigkeiten, deren beabsichtigter Sinn dem Cen= | sor verborgen bleiben konnte,) oder sonst durch unzulassige Mittel die ErlaubniB zum Druck zu I erschleichen gewuBt habe, so bleibt er deshalb, besonders bei einzelnen, in einem weitlauftigen | Werk vorkommenden Stellen, nach wie vor, verantwortlich. "^Ist in einem solchen Werk der Ver= | fasser nicht genannt, so muB der Verleger denselben anzeigen; wenn er dieses nicht kann oder | nicht will, oder der Verfasser kein Badischer Unterthan, so muB der Verleger die Verantwor= | tung an dessen Stelle tibemehmen. ^Uebrigens versteht es sich von selbst, daB, wenn in einer | Schrift Stellen vorkommen, wodurch eine Person sich fiir beleidigt halt, derselben, der erfolgten | Censur ungeachtet, ihre Rechte gegen den Verfasser und Verleger vorbehalten bleiben. §.14. Eine unveranderte neue Auflage eines Werks, das seit der Bekanntmachung gegenwartiger I CensurVorschrift mit ErlaubniB erschienen war, kann ohne weitere Censur auch im Auslande ge= | druckt werden, nur muB der Verleger die Censurbehorde, unter welcher der Buchdrucker | steht, oder wenn es auBerhalb gedruckt wird, derjenigen seines Wohnorts die gehorige Anzeige | machen. §. 15. ^Der Verleger ist, wenn er ein Werk mit ErlaubniB hat drucken lassen, zu keiner Entrich= | tung von Censurgebtihren, auch von Bekanntmachung gegenwartiger CensurVorschrift an, zu I keiner Ablieferung von irgend einem Frei^Exemplar in eine Bibliothek verbunden. ^Jedoch ver= | bleibt die Verpflichtung zur Abgabe eines Exemplars an die Dienst=Censurbehorde. §.16. 1) Jeder Buchdrucker in Unsem Staaten, welcher eine Schrift druckt, und jeder inlandische | Verleger, der eine Schrift im In= oder Ausland drucken laBt, ohne diesen CensurVorschriften zu | gentigen, verfallt bios deshalb in eine polizeiliche Strafe nach Masgabe der Gefahrlichkeit des In= | halts von zehn bis hundert Reichsthalem, und auBerdem ist die Polizei befugt, die ganze Auf= | lage einer solchen Schrift in Beschlag zu nehmen. Bei Wiederholung dieses Vergehens wird die | [S. 183] Strafe verdoppelt. Ist der Verfasser selbst Verleger, so treffen auch ihn diese Strafen. Buch= | handler und Buchdrucker, die sich zum drittenmal vergehen, werden in eine verhaltniBmaBige schar= | fere Strafe verurtheilt, und konnen nach Befund, ihres Gewerbe verlustig erklart werden. | Sollte der Inhalt der Schrift ein crimminelles Vergehen, z. B. das des Hochverraths oder der be= | leidigten Majestat, oder der Verlaumdung und grober Injurien enthalten, so muB Untersuchung | und Bestrafung nach Masgab Unserer Landesgeseze gegen die Uebertreter erfolgen. 2) Wenn der Inhalt einer solchen Schrift auf die oben angeregte Weise an und fiir | sich strafbar ist, und die gesetzlichen richterlichen Strafen eintreten, so soil es nicht allein dar= | auf ankommen, ob bey frechem und unehrerbietigem Tadel und Verspottung der Landesgeseze und | Anordnungen, im Staate MiBvergntigen und Unzufriedenheit wirklich veranlaBt worden sind, son= | dem es ist auch auBerdem schon eine GefangniB= oder Festungsstrafe von sechs Monaten bis zwey | Jahren, nur allein wegen der strafbaren AeuBerungen selbst, verwirkt. Eine gleiche Strafe soil | Statt finden bey Verletzung der Ehrerbietung gegen die Mitglieder des deutschen Bundes und | gegen auswartige Regenten, und bey frechem, die Erregung von MiBvergntigen abzweckenden | Tadel ihrer Regierungen.

[216/1] „Zensuredikt" vom 5. November 1819

1919

3) Ftir den Inhalt der Schrift, ist zunachst der Verfasser, wenn aber der Verleger densely I ben Unsem Gerichten nicht stellen kann oder will, auch der Verleger verantwortlich. 4) Bios die Unterlassung der wahren Anzeige des Verlegers auf dem Titel einer Schrift, I wenn sie auch mit Censur gedmckt ist, soil polizeylich mit einer GeldbuBe von fiinf bis fiinfzig | Reichsthalem gestraft werden. Auch wird der Drucker bestraft, der eine Zeitung oder periodi= | sche Schrift ohne den Namen des Redakteurs druckt. 5) Wer verbotene Schriften verkauft, oder sonst ausgibt, soil auBer der Confiskation der bey | ihm davon vorhandenen Exemplare, mit einer polizeylichen Strafe von zehn bis hundert Reichs= | thalem, im Wiederholungsfall derselbe mit dem Doppelten, und im dritten Fall mit einer ver= | haltniBmaBig gescharftem Strafe, auch nach Befund mit Verlust des Gewerbes gestraft | werden. Zu den verbotenen Schriften gehoren alle in Deutschland ohne Namen des Ver= | legers erscheinenden Schriften, alle deutsche Zeitungen und Zeitschriften, auf denen der Name des | Redakteurs fehlt; alle auslandische deutsche Zeitungen und periodische Schriften, welche die ver= I ordnete ErlaubniB nicht erhalten haben, und alle auBer Deutschland gedmckte Schriften, die nicht | censirt worden sind. §.17. ^Alle auswartige deutsche Zeitungen mtissen entweder von Uns ein Privilegium, innerhalb I Landes gehalten werden zu diarfen, auswirken, und daB dieB geschehen sey, vomen anzeigen, oder | sie mtissen von den Ober=Censurbehorden derjenigen Lokalbehorde, wohin sie verschickt werden, | ErlaubniB erhalten haben. ^Das namliche gilt von den periodischen und Flugschriften. §.18. Die Postamter und Posthaltereien sind gehalten, alle an sie zur weitem Versendung einlau= I fende Zeitungen und periodische Schriften, ihrer Censurbehorde anzuzeigen, und von ihr schriftli= | [S. 184] chen Verhaltungsbefehl einzuholen, ob sie namlich jede einzelne Zeitung vor deren Versenden ein= | liefem, oder ob deren Versendung bis auf welters gestattet werden soil. §.19. ^Die Lesebibliotheken und Lesegesellschaften sind unter polizeyliche Aufsicht der, ihr Lokal be= | treffenden Censurbehorde gesetzt. ^In Carlsruhe steht das sogenannte Museum unter dem Ober= | CensurCollegium, die tibrigen und die Leihbibliotheken unter der Stadtdirektion. §.20. Auch die Buchhandler werden dieser polizeylichen Aufsicht in dem MaaBe untergeben, daB I sie keine verbotene Bticher und Schriften verkaufen durfen, sondem das Erforderliche vorher be= | obachten mtissen. §.21. Den Privatleuten, besonders den Gelehrten bleibt es unverboten, Schriften von aller Art | unter ihrer Couverte von dem In= und Ausland zu bestellen; sie diirfen aber bey Vermeidung I der oben angeftihrten Strafen solche Bticher und Schriften, die dem, in dem §. 2. der gegen= | wartigen Censur=Ordnung angezeigten Geist und Sinn derselben entgegen sind, nicht an andere, auch nur vertraulich mittheilen, noch viel weniger damit ein Gewrb treiben.

1920

§12:Baden

[Dok. 188-251]

§.22. Gegenwartige Verordnung gilt als provisorisch auf ftinf Jahre, jedoch bleibt Uns Mehmng 1 Oder Mindemng nach eintretenden Umstanden, wie sich von sebst verstehet, vorbehalten. Gegeben Carlsmhe den 5ten November 1819. unter Unserer eigenhandigen Un= | terschrift und Beydriickung Unseres Staatssiegels. Ludwig. I (L. S.) Vdt. F. A. Wielandt. Auf Befehl | Sr. Koniglichen Hoheit. | Eichrodt.

[216/2] Gesetz uber die Polizei der Presse und uber die Bestrafung der PreBvergehen vom 28. Dezember 1831 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einfuhrungen" die Darstellungen unter [769.] [810.] [814.]. Quelle: GroBherzoglich Badisches Staats- und Regierungs-Blatt, 29. Jahrgang, (Nr. 2 vom 12. Januar) 1832, S. 29 - 42 (gedruckt). [S. 29] (Gesetz tiber die Polizei der Presse und liber die Bestrafung der PreBvergehen.) Leopold von Gottes Gnaden, | GroBherzog von Baden, Herzog von Zahringen. Mit Zustimmung Unserer getreuen Stande haben Wir beschlossen, und verord= | nen wie folgt: I. Titel. I Von der Polizei der Presse. §•1. Alle Zensur der Druckschriften, welche im GroBherzogthum herauskommen, oder verbreitet wep= | den, ist aufgehoben. §.2. Was in diesem Gesetz von Druckschriften verordnet ist, gilt von alien mittelst mechanischer Mit?= | tel, wie namentlich durch Steindruck, Kupferstich oder Holzschnitt, vervielfaltigten Schriften oder | Bildwerken. §•3. Keine Druckschrift darf im GroBherzogthum herausgegeben oder gewerbsmaBig verbreitet wer= | den, welcher nicht, mit oder ohne Nennung des Verfassers, der Name des Verlegers oder des Druck= | ers, femer die Angabe des Orts, und die tibliche Bezeichnung der Zeit des Drucks beigesetzt ist. §•4. Die Verletzung der Vorschrift des §.3. hat fur den Verleger, Drucker oder gewrbsmaBigen Verbrei= | ter, ohne Rticksicht auf den Inhalt der Schrifl, eine Strafe von fiinf bis hundert Gulden zur Folge. Der Verbreiter wird von der Verantwortlichkeit frei durch die Darstellung des inlandischen | Verlegers oder Druckers, und der Drucker durch die Darstellung des inlandischen Verlegers.

[216/2] Gesetz vom 28. Dezember 1831

1921

§.5. Sind die durch §.3. geforderten, der Druckschrift beigesetzten Angaben falsch, so wird neben | der Geldstrafe von funf bis hundert Gulden auf GefangniB von drei bis vierzehen Tagen erkannt, | voransgesetzt hinsichtlich des Verbreiters, daB er von der Falschheit KenntniB gehabt habe. §.6. Ftir jede im GroBherzogthum erscheinende Zeitschrift oder Zeitung ist ein badischer Staatsbtir= | [S. 30] ger, der das dreiBigste Lebensjahr zurtickgelegt hat, der Polizeibehorde als verantwortlicher Redak= | teur zu benennen. Unter dieser Voraussetzung ist die Gnindung oder Herausgabe solcher Schriften nicht abhan= | gig von irgend einer obrigkeitlichen ErlaubniB. Jedem Hefte einer Zeitschrift und jedem Blatte einer Zeitung soil der Name des verantwort= I lichen Redakteurs beigesetzt seyn. §.7. ^Der verantwortliche Redakteur hat vor der Herausgabe der Zeitschrift oder Zeitung, wenn sie | nicht mehr als dreimal in der Woche erscheint, fiir Kosten, Entschadigungen und Geldstrafen eine | Sicherheit im Betrag von eintausend Gulden, - wenn sie ofter erscheint, im Betrag von zweitausend Gul= | den in Liegenschaften, Geld, inlandischen Staatspapieren, oder durch Btirgen zu stellen. "^In jedem Falle | eintretender Minderung ist dieselbe innerhalb kurzer, gerichtlich zu bestimmender, Frist wieder zu er= [ ganzen. Im Falle der Unzulanglichkeit der Sicherheit und beim Abgange andem Vermogens des Schul== I digen gehen die Kosten den Entschadigungsansprtichen vor, und diese den Geldstrafen. §.8. Von jedem einzelnen Blatt einer Zeitung, ebenso von jedem einzelnen Hefte einer Zeitschrift, I und von jeder Schrift, die nicht liber fiinf Bogen im Drucke betragt, ist, sowie die Austheilung oder | Versendenung beginnt, durch den Verleger ein, bei Zeitungen und Zeitschriften mit der eigenhandigen | Unterschrift des verantwortlichen Redakteurs oder seines Bevollmachtigten versehenes, Exemplar bei | der Polizeibehorde zu hinterlegen, mit beigefiigter Bemerkung des Tages und der Stunde der Hinterlegung. Durch die Hinterlegung soil die Austheilung und Versendung nicht aufgehalten seyn. §.9. Ausgenommen von den Bestimmungen der §§. 6, 7 und 8. sind die im §. 8. bezeichneten Blat= I ter oder Schriften rein wissenschaftlichen, artistischen oder technischen Inhalts und amtlich herausge= | gebene Blatter. Ftir Zeitschriften oder Zeitungen rein wissenschaftlichen, artistischen oder technischen Inhalts I gilt jedoch ebenfalls die Vorschrift, daB der Polizeibehorde ein verantwortlicher Redakteur zu benen= | nen, und sein Name jedem erscheinenden Hefte oder Blatte beizusetzen ist. §.10. Der Herausgeber einer Zeitung oder Zeitschrift ist schuldig, jede amtliche oder amtlich beglau= I bigte Berichtigung der darin mitgetheilten Thatsachen unentgeltlich, und jede andere Berichtigung | von Seiten des Angegriffenen gegen die gewohnlichen Einrtickungsgebtihren, sogleich nach deren Em= | pfang in das nachstfolgende Blatt oder Heft aufzuneh-

1922

§ 12: Baden

[Dok. 188-251]

[S. 31] §.11. Die Uebertretung bei Vorschriflen der §§. 6. 7. 8. 9. und 10. ist mit einer Strafe von fiinf bis I hundert Gulden zu belegen §.12. Zeitungen und Zeitschriften, in so weit sie die Verfassung oder Verwaltung des deutschen Bun= | des, oder einzelner deutscher Bundesstaaten, auBer Baden, zum Gegenstand haben, und andere Schrif= | ten dieses Inhaltes, die nicht tiber zwanzig Bogen im Druck stark sind, sollen nur mit Vorwissen und | auf vorgangige Genehmhaltung der Staatsbehorde, welche solche nur den nach den Bestimmungen [ der §§. 18 bis 28. fur strafbar zu achtenden Schriften oder Schriftstellen zu versagen hat, zum Drucke befordert werden. §.13. Durch die erhaltene DmckerlaubniB werden Verfasser, Redakteur, Verleger und Drucker hin== I sichtlich des Inhalts der Schrift, auf den sich die ErlaubniB bezieht, von der Verantwortlichkeit frei. §.14. Wird die Vorschrift des §.12. umgangen, und darauf, in Folge einer von dem Bunde oder I einem Bundesstaate erhobenen Beschwerde, der Inhalt der Schrift von den Gerichten strafbar gefun= | den, so verfallt der Schuldige neben der durch den Inhalt der Druckschrift verwirkten Strafe noch | wegen des Umgehens der Vorschrift des §. 12. in eine Strafe von fiinf bis funfzig Gulden. §.15. Die im vorhergehenden Paragraphen gedrohte Geldstrafe kann bis zum doppelten erhoht werden, | wenn die nachgesuchte DmckerlaubniB ausdnicklich versagt und darauf der Druck dennoch vorgenommen | worden ist. §. 16. Die §§. 12 bis 15. werden beim nachsten Landtage einer Revision unterworfen. Die Regierung ist ermachtigt, dieselben auch vorher ausser Wirksamkeit zu setzen. §.17. Die Erkennung der in diesem Titel angedrohten Strafen steht ausschlieBlich den Gerichten zu, I und zwar: 1) wenn die Staatsanwaltschaft auf eine Freiheitsstrafe antragt, den Hofgerichten, vorbehaltlich der | Appellation an das Oberhofgericht; 2) wenn die vom Staatsanwalt angetragene Strafe eine Geldstrafe ist, den Gerichten erster In= | stanz, vorbehaltlich der Appellation an die Hofgerichte. Die Appellation ist irmerhalb einer Nothfrist von acht Tagen bei dem Gerichte, welches erkannt | hat, anzuzeigen und zu rechtfertigen. Die Bestrafung des Umgehens der Vorschrift des §. 12. und ebenso die Bestrafung der Ueber= | tretung des Druckverbots (§. 15) gehort ausschlieBlich vor das nemliche Gericht, welches flir die | Bestrafung des Inhalts der Schrift selbst zustandig ist.

[216/2] Gesetz vom 28. Dezember 1831

1923

fS. 32] 11. Titel. I Von den Strafen der durch die Presse begangenen Verbrechen und | Vergehen, §.18. Wer durch den Inhalt oder die Darstellung einer Dmckschrift, oder eines den Druckschriften | gleichgestellten Bildwerks (§. 2) sich eines Verbrechens oder Vergehens schuldig macht, verfallt zu= | nachst in diejenige Strafe, womit die bestehende Gesetzgebung dasselbe Verbrechen oder Vergehen | tiberhaupt bedroht. §. 19. Die Veriibung durch den Druck, oder eine andere, dem Druck gleichgestellte Vervielfaltigungs= I art (§. 2.) ist jedoch in der Regel ein Erschwerungsgmnd, welcher eine Straferhohung zur Folge | hat. §.20. Im Falle der Verlaumdung, veriibt durch die Presse, gegen den GroBherzog, kann die im §. 1. I des Gesetzes vom 28sten December d. J. tiber die Ehrenkrankungen gedrohte Strafe | bis auf drei Jahre gemeines GefangniB, und im Falle anderer Ehrkrankungen bis zu einem Jahr I GefangniB erhoht werden. §.21. Wer eine im GroBherzogthume anerkannte Religionsgesellschaft in Druckschriften oder Bildwer= | ken (§. 2.) durch Ausdriicke der Verachtung oder verachtliche Darstellung angreift, oder der Ver= | achtung preis zu geben sucht, verfallt in eine Geldstrafe von fanf bis hundert Gulden oder in eine | GefangniBstrafe bis zu drei Monaten. §. 22. In die namliche Strafe (§.21.) verfallt, wer durch Darstellung unziichtiger Gegenstande in I Druckschriften oder Bildwerken (§. 2.) offentliches AergemiB giebt. §.23. Geldstrafen, die nicht erlegt werden konnen, werden in GefangniBstrafen, von einem Tag fur I je drei Gulden, verwandelt. §.24. Jedes vemrtheilende ErkenntniB kann zugleich die Unterdruckung oder Vemichtung der fiir I strafbar erklarten Schrift, oder des fiir strafbar erklarten Theils derselben aussprechen, in Bezug | auf die mit Beschlag belegten, und alle noch im Besitze des Verfassers, Herausgebers, Verlegers, | Buchhandlers oder Druckers vorfindlichen, oder sonst hinterlegten und noch nicht verkauften Exem= | plare. §.25. Die Person, welche zum Erscheinen einer straflichen Dmckschrift mitgewirkt haben, sind in | [S. 33] folgender Ordnung verantwortlich: 1) zuvorderst der Verfasser, insofem Druck und Herausgabe mit seinem Wissen und Willen I erfolgt sind; 2) der Herausgeber, insofem er nicht den Verfasser darstellt, und nachweist, daB derselbe I die Verantwortlichkeit auf sich genommen habe; 3) der Verleger; sofem auch dieser nicht bekannt ist 4) der Dmcker, und 5) zuletzt der Verbreiter.

1924

§ 12: Baden

[Dok. 188-251]

§.26. Als Verbreiter im Sinne des vorhergehenden Paragraphen ist auch der Buchhandler verantwort= | lich, wenn er eine strafliche Schrift verbreitet, 1) welche ihm ausser dem Wege des ordentlichen Buchhandels zugekommen, oder 2) auf welcher nicht der Name, entweder des Verfassers oder des Herausgebers, Verlegers oder | Dmckers, nebst der Bezeichnung des Orts und der iiblichen Bezeichnung der Zeit des Druck= | es angegeben, oder 3) wegen welcher eine Beschlagnahme verfiigt und ihm amtlich bekannt gemacht worden ist. §.27. Ftir den Inhalt der Zeitungen haftet jedenfalls der verantwortliche Redakteur, | insofem er seine Schuldlosigkeit nicht darthut. §.28. Wenn sich ergiebt, daB von dem Herausgeber, Verleger, oder Drucker der Verfasser falsch an= | gegeben ist, so fallt die Verantwortlichkeit auf den, der die falsche Angabe gemacht hat, insofem er | nicht den wahren Verfasser darstellt. §.29. Die Uebertretungen der Strafgesetze durch die Presse konnen nur dann gerichtlich verfolgt und I zur Strafe gezogen werden, wenn sie vollendet sind. Sie gelten fur vollendet: 1) wenn die strafliche Schrift in Verkehr gesetzt, oder auf anderem Wege in Umlauf gebracht | worden ist; oder 2) wenn der Druck vollendet und die Verbreitung nur durch Umstande, die nicht von dem Wil= | len des Angeschuldigten herriihren, verhindert worden ist. Im letzten Falle kann jedoch keine andere Strafe verhangt werden, als die Unterdriickung oder | Vemichtung der straflichen Schrift, oder des straflichen Theiles derselben. §.30. Auch der auswartige Verfasser, Redakteur, Verleger und Drucker kann vor die inlandischen Ge== | richte gezogen werden, wenn eine Schrift gegen das Inland oder gegen einen Inlander einen straf= | lichen Angriff enthalt. [S. 34] §.31. Wenn der auslandische Herausgeber einer Zeitung oder Zeitschrift dem wider ihn ergangenen | Urtheile nicht geniigt hat, und in einem Wiederholungsfalle nicht gentigt, so kann die Zeitung oder | Zeitschrift auf die Zeit bis zu drei Monaten gerichtlich verboten werden. §.32. Das Recht auf Bestrafiing ist durch Verjahrung erloschen, wenn sechs Monate von dem Zeit= I punkte an abgelaufen sind, wo das Vergehen oder Verbrechen vollendet, oder seitdem das eingelei= | tete strafrechtliche Verfahren nicht weiter fortgesetzt worden ist.

[216/2] Gesetz vom 28. Dezember 1831

1925

III Titel. I Vom ProceBverfahren bei PreBverbrechen und Pressvergehen. §.33. Die strafrechtliche Verfolgung der durch die Presse oder andere ihr gleichgestellte Vervielfalti^ | gungsmittel (§. 2.) verubten Vergehen oder Verbrechen geschieht im Wege des Anklageprocesses. Das Verfahren ist offentlich und mtindlich. Der Titel 3. soil jedenfalls beim nachsten Landtage, mit Rticksicht auf das Institut der Ge= I schwomengerichte, einer Revision unterworfen werden. Erstes Kapitel. | Von der Beschlagnahme von Druckschriften. §.34. Die Polizeibehorde ist ermachtigt, jede Druckschrift 1) vor oder nach ihrem Ausgeben mit Beschlag zu belegen, a) wenn es der Schrifl an der im §.3. geforderten Benennung oder Bezeichnung fehlt, I oder wenn diese Benennung oder Bezeichnung falsch ist, sowie wenn b) die erforderliche Kaution noch nicht gestellt, oder im Falle einer eingetretenen Vermin= | nderung innerhalb der vom Gericht dazu anberaumten Frist nicht wieder erganzt worden | ist. Ebenso kann von der Polizeibehorde 2) auf eine Druckschrift, mit deren Ausgeben bereits begonnen worden ist, Beschlag gelegt I werden, wenn der Inhalt derselben ein solches Verbrechen oder Vergehen begrtindet, welches | im offentlichen Interesse von Amtswegen verfolgt werden kann. [S. 35] §.35. In alien andem Fallen kann nur vom Gerichte (BezirksAmte) erkannt werden, | und zwar nur auf Antrag des Staatsanwaltes oder eines Privatklagers. §.36. Der Staatsanwalt kann auf die Beschlagnahme antragen in den Fallen des §.34. und zwar I im Falle des §. 34 Nro. 2. selbst alsdann, wenn die Druckschrift noch nicht ausgegeben, oder | wenn die Handschrift zum Drucke erst abgegeben ist, vorausgesetzt, daB dringende Verdachtsgrtinde | nachgewiesen seyen, daB der Inhalt der Schrift ein von Amtswegen zu verfolgendes Verbrechen oder | Vergehen begriinden wiirde. §.37. Der Antrag des Privatklagers auf Beschlag einer Druckschrift vor oder nach ihrem Ausgeben I oder einer zum Drucke abgegebenen Handschrift ist statthaft, wenn er gentigend bescheinigt, daB ihm | durch Verbreitung der Schrift eine Rechtsverletzung zugebe, und wenn er zugleich, wo solches erfor= | derlich erscheint, fiir etwaige Schaden und Kosten Sicherheit leistet. §.38. Das Gericht verfugt tiber das Beschlagsgesuch sogleich nach dessen Empfang. §.39. Die Polizeybehorde hat jede von ihr ausgegangene Beschlagnahme (§. 34.) innerhalb der nachsten | vier und zwanzig Stunden dem Staatsanwalt und dem Gerichte anzuzeigen, und dem letztem die | Aktenstucke liber die Begrtindung und den Vollzug des Beschlags zu tibergeben.

1926

§12:Baden

[Dok. 188-251]

Sogleich nach erhaltener Anzeige erkennt das Gericht, ob der Beschlag wieder aufzuheben sey, | oder fortzubestehen habe. Im letztem Falle, sowie da, wo das Gericht selbst den Beschlag erkannt hat, nimmt dasselbe I die Untersuchung des Verbrechens oder Vergehens, wegen welches der Beschlag erkannt wurde, so= | gleich vor. §.40. Alle Gerichtsbeschltisse werden den Partheien und dem Staatsanwalte bekannt gemacht, ausge= I nommen, wo diese Bekanntmachung fiir die Ftihrung der Untersuchung selbst einen unwiederbringli= | chen Nachtheil hervorbrachte. §.41. Wird in den Fallen, wo die Polizeibehorde den Beschlag verfiigt hat, demjenigen, gegen wel= I chen derselbe verfiigt wurde, die richterliche Bestatigung oder Aufhebung des Beschlags (§. 38.) nicht | innerhalb drei Tagen, von der polizeilichen Beschlagnahme an gerechnet, eroffhet, so verliert der Be= | schlag ohne weitere Verfugung von Rechts wegen seine rechtliche Wirksamkeit, und dem durch den | Beschlag Beschadigten gebtihrt der Ersatz des Schadens und der Kosten aus der Staatskasse. §.42. In den Fallen, wo das Gericht, ohne schon ein Exemplar der mit Beschlag zu belegenden I Schrift vor sich zu haben, die Beschlagnahme auf andere Bescheinigung hin erkannt (§. 35), oder | [S. 36] bestatigt (§. 38.) hat, kann dasselbe spater, wenn es sich im Laufe der Untersuchung bei der Einsicht | der Schrift von dem Nichtdaseyn des angegebenen Inhalts oder der angegebenen Form derselben | tiberzeugt, den Beschlag gleichzeitig mit der Untersuchung selbst wieder aufheben. Zweites Kapitel. | Von dem Strafv^erfahren. §.43. ^Die Staatsanwalte und ihre Substitute verfolgen die PreBverbrechen und PreBvergehen von I Amtswegen, ausgenommen in den Fallen, wo nach dem Gesetze iiber Ehrenkrankungen und Ver= | laumdungen nur auf die Klage des Beleidigten eingeschritten werden darf ^Bei Beleidigungen ge= | gen auswartige Regenten und Regierungen erhebt der Staatsanwalt die Klage auf eine durch das | GroBherzogliche Justizministerium ihm zukommende Beschwerde der betreffenden auswartigen Regie^ | rung. ^Desgleichen kann er bei Beleidigungen gegen eine inlandische Staatsstelle oder wenn ein of= | fentlicher Diener in Bezug auf sein Amt beleidigt wurde, auf Antrag der beleidigten Stelle oder | des beleidigten Dieners, oder der diesem vorgesetzten Behorde, die Klage erheben. "^Nur auf einen | gleichen Antrag kann der Staatsanwalt in jenen Fallen klagen, in welchen nach dem Ehrenkrankungs= I gesetze die Beleidigungen gegen offentliche Diener auBerhalb ihres Dienstes von Amts wegen vep= | folgt werden dtirfen. §.44. Die Klage, ob sie vom Staatsanwalte oder von einem Privatklager angebracht wurde, muB die | genaue Anzeige der Schrift und der Stellen, worin das Verbrechen oder Vergehen liegen soil, ent= | halten, und dem zustandigen Untersuchungsgerichte tibergeben werden.

[216/2] Gesetz vom 28. Dezember 1831

1927

§.45. Das Gericht erkennt langstens in den nachsten drei Tagen, nachdem die Klage tiberreicht ist, I ob Gmnd zur gerichtlichen Verfolgung des angezeigten Verbrechens vorhanden sey, und nimmt so= | gleich, wenn solcher Gmnd vorhanden ist, die Untersuchung vor. §.46. Die urtheilenden Gerichte liber PreBverbrechen und PreBvergehen sind die Hofgerichte in voller | Versammlung. §.47. Der untersuchende Richter sowohl, als die urtheilenden Gerichtspersonen konnen abgelehnt wer= | den wegen Unfahigkeit und wegen besorgter Befangenheit. §.48. Die Unfahigkeit und Befangenheit der Richter und Gerichtspersonen ist nach den in der Pro= I ceBordnung fur btirgerliche Rechtsstreitigkeiten gegebenen Bestimmungen zu beurtheilen. §.49. ^Die Voruntersuchung ist nach den Regeln des bestehenden Untersuchungsverfahrens vorzuneh= | men, jedoch fallt das SchluBverhor hinweg. '^Vom Staatsanwalte oder vom Privatklager konnen | [S. 37] bei dem Untersuchungsrichter wahrend der Voruntersuchung allartige auf solche beztigliche Antrage | gestellt werden. §.50. ^Die Untersuchungsakten sind, wenn der Staatsanwalt klagte, an ihn einzusenden. "^Derselbe kann, | wenn er die Voruntersuchung noch unvollstandig findet, auch jetzt noch unmittelbar bei dem Unter= | suchungsrichter die Antrage auf Vervollstandigung stellen. §.51. Ist die Voruntersuchung vollstandig, so iibergiebt der Staatsanwalt binnen acht Tagen die Ak= | ten mit der Anklageschrift dem Hofgerichte. Die Anklageschrift enthalt: 1) die genaue Bezeichnung der Druckschrift und der Stellen, auf welche die Anklage gegrtindet wird, 2) die Benennung des Verbrechens oder Vergehens, wegen dessen die Anklage erhoben wird, 3) die Benennung der angeschuldigten Personen, 4) die Benennung derjenigen Zeugen und Sachverstandigen, deren Erscheinen in der Gerichts= | sitzung der Staatsanwalt fur nothwendig halt, 5) den Antrag auf Schuldigerklarung und auf das MaaB der Strafe. §.52. Ebenso ist, wenn die Klage nicht vom Staatsanwalte erhoben wurde, dem Privatklager am I Schlusse der Voruntersuchung vom Untersuchungsrichter die Akteneinsicht zu gestatten, und er hat, | sofem nicht auf seine Antrage vorerst noch eine Vervollstandigung der Untersuchung nothig wird, | eine Anklage nach den Erfordemissen des §. 51. bei Verlust derselben innerhalb einer ihm anzube= | raumenden Frist von acht Tagen entweder zu Protokoll zu geben, oder schriftlich einzureichen, wor= | auf die Akten an das Hofgericht eingesendet werden.

1928

§12:Baden

[Dok. 188-251]

§.53. Das Hofgericht setzt, sobald die Anklage ubergeben ist, oder im Fall des §. 52. die Akten ein= | kommen, einen Gerichtstag zur offentlichen Verhandlung an. Zugleich theilt es das Duplikat der Schrift dem Angeklagten mit und befiehlt ihm, an dem I angesetzten Gerichtstage selbst und, wenn er will, mit einem Vertheidiger zu erscheinen, auch wenig= | stens acht Tage vor der angesetzten Tagfahrt diejenigen Zeugen und Sachverstandigen, die er dazu | vorgeladen haben will, und den gewahlten Vertheidiger zu benennen. §.54. Die im vorigen Paragraphen erwahnte Vorladung ist dem Angeklagten wenigstens vierzehn Tage | vor dem Gerichtstage zuzustellen. Zu diesen vierzehn Tagen wird ein weiterer Tag fiir die sechs Stunden Entfemung des Wohn= I sitzes des Angeklagten vom Sitze des Gerichts gerechnet. Gleiche Zusatztage gelten bei Berechnung der in den §§. 75, 78 und 88. §•55. Da, wo der Staatsanwalt auf peinliche Strafe antragt, wird ein Vertheidiger von Amtswe= I gen angeordnet, wenn der Angeklagte einen solchen zu wahlen unterlaBt. fS. 38] §.56. Dem Angeklagten und seinem Vertheidiger steht die Einsicht der Untersuchungsakten in der GQ= \ richtkanzlei offen. §.57. Zu der Gerichtssitzung werden femer die klagende Parthei, der Staatsanwalt und diejenigen I Zeugen und Sachverstandigen vorgeladen, deren Vorladung von den Partheien oder dem Staatsan== | walte verlangt, oder von dem Gerichte fur nothwendig erachtet wird. §.58. ^Die Gerichtssitzung ist offentlich. ^Das Gericht kann eine geheime Sitzung anordnen, wenn | dasselbe ermiBt, daB aus der Oeffentlichkeit der Verhandlung Verletzung der sittlichen Schicklichkeit | entstehen wiirde. ^DieB ist jedoch nie zulassig, wenn es sich um ein Vergehen gegen den Staat oder | gegen die Staatsbehorden handelt. §.59. In geheimer Sitzung hat jedoch jede Parthei das Recht, drei Freunde oder Verwandte zur I Seite zu haben. In keinem Falle erstreckt sich die AusschlieBung auf die bei dem Gerichtshofe angestellten Rechts= | anwalte. §.60. In der Gerichtssitzung wird zuerst die Anklageschrift, sodann werden, wenn nicht der Angeklag= | te schon vorher etwas vorzutragen verlangt, die nothigen Urkunden verlesen, Zeugen und Sachverstan= | dige vemommen, Beweiseinreden erortert, und die Partheien und der Vertheidiger mit ihren Aus= | fiihrungen und Gesuchen gehort, wobei dem Angeklagten und seinem Vertheidiger immer das letzte Wort zu gestatten ist. Selbst wo die Klage nicht vom Staatsanwalt erhoben wurde, ist derselbe gleichwohl im Interesse I des Gesetzes zu horen.

[216/2] Gesetz vom 28. Dezember 1831

1929

Der Prasident, die Richter und der Staatsanwalt sind befugt, an die Partheien, Zeugen und I Sachverstandigen Fragen zu stellen, die Partheien selbst nur, indem sie sich deshalb an den Prasiden= | ten wenden. §.61. ^Die Zeugen werden in der Gerichtssitzung vor ihrer Einvemahme beeidigt, im Falle bloser Pri= | vatklage jedoch nur, wenn eine Parthei es verlangt. "^Die fruhere Beeidigung eines Zeugen durch den | Untersuchungsrichter oder durch ein anderes requirirtes Gericht ist ausnahmsweise alsdann zulassig, | wenn die Vorladung des Zeugen in die Gerichtssitzung wegen zu weiter Entfemung oder wegen | Krankheit nicht angemessen oder nicht moglich ist. ^In solchen Fallen wird die Aussage der Zeugen, | wenn es von einer Parthei begehrt, oder vom Gericht fiir nothig erachtet wird, in der Gerichtssitz= | ung verlesen. §.62. Die auf gehorige Vorladung und ohne hinreichende Entschuldigung ausbleibenden Zeugen und I Sachverstandigen werden in die Kosten der Tagfahrt verfallt und alsdann unter Androhung einer | [S. 39] Strafe von fiinf bis zwanzig Gulden und einer neuerlichen Verurtheilung in die Kosten zu einer wei= | tern Tagfahrt nochmals vorgeladen. §.63. Sind die Verhandlungen vom Gericht als geschlossen erklart, so folgt sofort nach geheimer Bera= | thung die Urtheilsfassung. Das als Respicient aufgestellte Gerichtsmitglied, dem wenigstens drei Tage vor der Sitzung die | Akten zugestellt werden, macht hiezu den Antrag. §.64. ^Das Gericht kann auf keine hohere Strafe erkennen, als auf diejenige, welche vom Staatsan= | wait oder vom Privatklager in Antrag gebracht wurde. ^So lange das Urtheil nicht verktjndet ist, | kann der Klager in jeder Lage des Verfahrens gegen Vergtitung aller Kosten und Schaden die Klage | wieder zurucknehmen, und ebenso kann der Staatsanwalt mit rechtlicher Gtiltigkeit gegen den Ange= | klagten die gerichtliche Verfolgung wieder aufgeben, in welchem Falle die Staatskasse die Kosten | tragt. §.65. ^Das Urtheil wird durch die Mehrheit der Abstimmenden, den Prasidenten mit eingeschlossen, | gefaBt. '^Bei gleicher Stimmenzahl wird der Angeklagte freigesprochen. ^Sogleich in der nemlichen | Gerichtssitzung wird das Urtheil, nachdem vorerst (im Falle der Vemrtheilung) die Gesetzesstelle, in | deren Anwendung die Strafe ausgesprochen wird, wortlich verlesen worden ist, mit den Entscheidungs= | grunden bekannt gemacht. "^Den Partheien, welche nicht erschienen sind, wird dasselbe in gesetzlicher | Weise eingehandigt. 166. ^Das Gericht kann zur Verkiindung des Urtheils eine andere Sitzung bestimmen, oder die Sache | zu weiterer Berathung aussetzen, und zugleich anordnen, daB zu dem Ende ein schriftlicher Vortrag | in offentlicher Sitzung erstattet werde. "^Auch in dem letztgedachten Falle ist sogleich in der Gerichts= | sitzung der weitere Tag der Vortragserstattung und der Urtheilsverkiindung festzusetzen, und den | Partheien bekannt zu machen.

1930

§ 12: Baden

[Dok. 188-251]

§.67. Der schriftliche Vortrag enthalt das Thatsachliche des Rechtsstreites, die Antrage der Partheien, | die Ergebnisse der Beweisfiihrung, die Ausstellung der die Entscheidung der Sache umfassenden Rechts== | und Thatfragen, nebst der Erlautemng derselben ohne alien Antrag des Referenten. §.68. ^Die Partheien konnen unmittelbar nach erstattetem Vortrage dem Gericht schriftliche Bemer= | kungen tiberreichen, um im Vortrage wahrgenommene Unvollstandigkeiten oder Irrthtimer hinsichtlich | der Thatsachen oder der Fragestellung bemerklich zu machen. ^Mtindliche Bemerkungen der Partheien | uber den Vortrag finden nicht statt. §. 69. Das Sitzungsprotokoll enthalt die Benennung der anwesenden Gerichtsmitglieder und des Staats= | anwaltes, der erschienenen Partheien und des Vertheidigers, die Bemerkung der gehaltenen Vortra= | [S. 40] ge, die Aufzeichnung derjenigen Punkte, deren Protokollirung das Gericht auf Antrag einer Parthei, | des Staatsanwaltes oder von Amtswegen verordnet, insbesondere das flir die Entscheidung der Sa= | che Wesentliche von den Zeugenaussagen und Gestandnissen, - so wie alle Beschltisse des Ge= | richts. §.70. Ein in der Vomntersuchung abgelegtes GestandniB, welches in der Gerichtssitzung widerrufen | wird, hat nur die Kraft eines aussergerichtlichen Gestandnisses. §.71. Erscheint der Angeklagte auf die Vorladung zur Gerichtssitzung nicht, so ist er 1) wenn er auch in der Vomntersuchung nicht erschienen war, der angeschuldigten Thatsache, de= | ren Gegentheil nicht hergestellt ist, als gestandig zu betrachten, oder 2) wenn er in der Vomntersuchung bereits vemommen war, nach der dort abgegebenen Erkla= | mng zu beurtheilen, und der Einwendungen gegen die in der Gerichtssitzung vorgebrachten | Beweise verlustig. Die Rechtsnachtheile Nro. 1 und 2. sind bei der Vorladung ausdriicklich anzudrohen. §.72. Ist der Angeklagte in der Vomntersuchung ausgeblieben, so kann er in der Gerichtssitzung noch I das filihere Versaumte nachholen. §. 73. Ist der Angeklagte abwesend, und sein Aufenthalt unbekannt, oder kann die Einhandigung I der Vorladung nicht an seinem Aufenthaltsort, oder endlich bei einem angeklagten Fremden tiber= | haupt nicht geschehen, so ist die Vorladung unter Androhung der im §. 71 genannten Rechtsnachtheile | offentlich zu erlassen. ^Diese Vorladung ist an dem Sitzungsorte des urtheilenden Gerichts offentlich anzuschlagen, und | in der von der Regiemng hiefiir allgemein zu bezeichnenden Zeitung der Residenz=Stadt bekannt zu | machen. ^In gleicher Art ist das ergangene Urtheil bekannt zu machen.

[216/2] Gesetz vom 28. Dezember 1831

1931

§.74. 1st der Angeklagte im Auslande, und kann die Behandigung der Vorladung an ihn geschehen, | so wird ihm damit zugleich die Benennung eines inlandischen, im Orte des Gerichts wohnenden GQ= \ walthabers fur die Empfangnahme der richterlichen Beschltisse aufgegeben, unter dem Androhen, daB sonst | auf seine Kosten ein solcher vom Gericht bestellt wiirde. §.75. Der Angeklagte, gegen den ein Versaumnisurtheil ergangen ist, kann innerhalb vierzehn Ta= I gen vom Tage der Bekanntmachung des Urtheils an, bei dem Gerichte, welches das Urtheil erlassen | hat, Wiederherstellung nachsuchen, und ohne Begriindung der Wiederherstellung um Bestimmung einer | weitem Gerichtssitzung bitten. §.76. Das Gericht setzt hierauf eine weitere Sitzung an. [S.41] Erscheint der Angeklagte hierbei nicht, so wird das ergangene Versaumnisurtheil als ein end= I gtiltiges erklart. Jedenfalls, auch wenn er gegen das Urtheil wieder hergestellt wird, bleiben ihm die Kosten I zur Last, welche durch die Versaumung veranlaBt worden sind. §.77. Gegen jedes hofgerichtliche Urtheil steht sowohl dem Angeklagten als dem Klager die Appellation | bei dem Oberhofgerichte zu, und ebenso dem Staatsanwalte, wenn er die Klage erhob. §.78. Die Appellation ist innerhalb einer Nothfrist von drei Tagen nach eroffhetem Urtheile bei dem | Hofgerichte schriftlich anzuzeigen, und langstens innerhalb weiterer acht Tage zu rechtfertigen. §.79. ^Bis zum Ablaufe der Nothfrist ist mit dem Urtheilsvollzuge einzuhalten. ^Durch die innerhalb I der Nothfrist geschehene Appellations=Anzeige wird der Vollzug aufgehalten. Unterbleibt die Anzeige in der Nothfrist, so ist gleichwohl innerhalb der acht Tage (§.78.) die | Rechtfertigung noch zulassig mit der Wirkung, daB vom Augenblick dieser Rechtfertigung an der fer= | nere Vollzug wieder aufgehalten wird. §.80. Bei Eroffnung des Urtheils ist die Belehrung liber die Formlichkeiten der Appellation zu er= I theilen. §.81. Die Rechtfertigung enthalt die Angaben der Beschwerden gegen das Urtheil oder Verfahren, | mit oder ohne Ausfiihrung derselben, und den Antrag auf Abanderung oder Aufhebung des angefoch= | tenen Urtheils. Die Anfiihrung neuer Thatsachen und Antretung neuer Beweise wird nicht zugelassen. §.82. Auf die Rechtfertigung hat die Gegenparthei binnen acht Tagen ihre Gegenerklarung ab= I zugeben.

1932

§12:Baden

[Dok. 188-251]

§.83. Nach Ablauf der zur Gegenerklamng gegebenen Frist werden, dieselbe mag eingekommen seyn, | oder nicht, sammtliche Akten dem Oberhofgerichte vorgelegt, wo in offentlicher Sitzung ein schrift= | licher Vortrag des in §. 67 angegebenen Inhalts erstattet wird. 1st dieser Vortrag erstattet, so werden der Staatsanwalt und die Partheien, welche in Person I oder durch Bevollmachtigte dazu vorzuladen sind, mit ihren Ausfiihrungen gehort, auf ihr Verlangen | auch die beim Hofgerichte verlesenen Urkunden und das hofgerichtliche Sitzungsprotokoll wortlich ver= | lesen, und darauf nach den bei den Hofgerichten gegebenen Vorschriften (§.63. 65. und 66.) sogleich | das Urtheil verktindet. Wenn eine Parthei oder ihr Bevollmachtigter nicht erscheint, so wird ihre Appellationsrechtferti= | gung, beziehungsweise Gegenerklamng, statt des mtindlichen Vortrags in der Gerichtssitzung vorgelesen, | was den Partheien bei der Vorladung zu eroffhen ist. [S. 42] §.84. Das Urtheil des Hofgerichts kann, wenn nicht der Staatsanwalt oder der Privatklager die I Appellation ergriffen hat, nie zum Nachtheil des Angeklagten abgeandert werden. §.85. Die Wiederherstellung auf den Grund neu aufgefundener Thatsachen und Beweise findet I von Seiten des Angeklagten jederzeit statt, der Vollzug des Urtheils aber wird nicht aufgeschoben, | wenn die Wiederherstellung nicht innerhalb der Appellationsnothfrist nachgesucht wird. ^Die Wiederherstellungsklage wird bei demjenigen Gerichte angebracht, von welchem ursprunglich | das Urtheil, gegen das die Wiederherstellung gesucht wird, ausgegangen ist, und sie wird dort in der | gleichen Weise, wie bei den erstmaligen Hauptverfahren verhandelt und abgeurtheilt. ^Gegen ein vom | Hofgerichte iiber die Wiederherstellungsklage gefalltes ErkenntniB findet wieder die Appellation an | das Oberhofgericht statt. §.86. Gegen das ErkenntniB des Untersuchungsrichters, womit er Beschlagnahme verfugt oder auf= I hebt, oder womit er erkennt, daB kein Grund zur gerichtlichen Verfolgung vorhanden sei, oder wo= | mit personlicher Verhaft erkannt wird, findet die Appellation bei dem Hofgerichte statt. Die Appellation gegen Erkenntnisse des Erstinstanzgerichtes an das Hofgericht werden im Allge= | meinen in gleicher Weise gerechtfertigt, verhandelt und abgeurtheilt, wie jene von den Urtheilen des | Hofgerichts an das Oberhofgericht. Der Vollzug eines unterrichterlichen Erkenntnisses wird durch die dagegen ergriffene Appellation | nicht aufgehalten, wenn Gefahr auf dem Verzuge haftet. §.87. Der Rekurs zur Gnade findet nur statt, wenn der Staatsanwalt die Klage von Amtswegen I erhoben hat. Die Rekursschrift wird bei dem Hofgerichte tibergeben, welches dieselbe samt Akten an das Ju= I stizministerium einsendet.

Mit dem Strafvollzug wird in diesem Falle nur alsdann eingehalten, 1) wenn die Rekursschrift innerhalb drei Tagen, von Verkiindigung des verurtheilenden Erkennt= | nisses an, tibergeben, - oder 2) wenn mit der Appellation eventuell der Rekurs zur Gnade verbunden, - oder

[216/3] Verordnung vom 28. Juli 1832

1933

3) wenn von dem Justizministerium, oder von der hochsten Staatsbehorde Einhalt geboten wird. §.89. Die Bestimmung der Vollzugsvorschriften fiir das hier im Allgemeinen bezeichnete Verfahren | bleibt besonderen Verordnungen vorbehalten. Vorstehendes Gesetz tritt mit dem Iten Merz 1832 in Wirksamkeit. Gegeben zu Carlsruhe in Unserm GroBherzoglichen Staatsministerium, den 28sten Decem= I ber 1831. Leopold. Winter. Auf hochsten Befehl Sr. Konigl. Hoheit des GroBherzogs: | Eichrodt.

[216/3] Verordnung, das Predgesetz vom 28. Dezember 1831 betreffend, vom 28. Juli 1832 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einfuhrungen" die Darstellungen unter [769.] [810.] [814.]. Quelle: GroBherzoglich Badisches Staats- und Regierungs-Blatt, 30. Jahrgang, (Nr. 42 vom 30. Juli) 1832, S. 371 - 372 (gedruckt). [S. 371] Leopold von Gottes Gnaden, | GroBherzog von Baden, Herzog von Zahringen. Nachdem mittelst eines von der Bundesversammlung am 5ten 1. M. gefaBten Be= | schlusses Unsere sammtlichen Bundesgenossen eirrmtithig erklart haben, daB das von | Uns unter dem 28sten December v. J. erlassene PreBgesetz mit der dermaligen Bundes= | Gesetzgebung tiber die Presse unvereinbar sey, und daher nicht bestehen dtirfe; nachdem | auch die einzelnen Bestimmungen des PreBgesetzes, welche als AnlaB zu dieser Erklarung | betrachtet werden mtissen, in einem fruheren Bundes=Commissions=Bericht verzeichnet | sind, dessen sich die Bundesversammlung durch ihren BeschluB zu eigen gemacht; in Erwagung, daB die Bundesversammlung berufen ist, den Sitm der Bundes= | gesetze, wenn dariiber Zweifel erhoben werden, behufs ihrer gleichformigen Anwendung | zu bestimmen; auch daB vermoge §. 17. der Verfassungs=Urkunde die PreBfreiheit nach | den Bestimmungen der Bundesversammlung gehandhabt werden soil; sehen Wir Uns veranlaBt, daB PreBgesetz vom 28sten December v. J., insoweit | der vorgedachte Commissions=Bericht solches als der PreB=Gesetzgebung des Bundes | widersprechend bezeichnet, fur unwirksam zu erklaren und hiemach weiter zu verordnen, wie folgt: Art. 1. Schriften, die in der Form taglicher Blatter oder heftweise erscheinen, desgleichen solche, I die nicht tiber zwanzig Bogen im Druck stark sind, dtirfen nur mit Vorwissen und vorgangiger | Genehmhaltung der betreffenden Polizeibehorde zum Druck befordert werden. Art. 2. Wird diese Vorschrift umgangen, so verfallt der Schuldige in eine Strafe von fiinf bis | funfzig Gulden, vorbehaltlich derjenigen Strafe, die wegen des Inhalts der Druckschrift eintreten I kann.

1934

§ 12: Baden

[Dok. 188-251]

Art. 3. Die im vorhergehenden Artikel angedrohte Geldstrafe kann bis zum Doppelten erhoht werden, | wenn die nachgesuchte Dmck=ErlaubniB ausdrticklich versagt und hierauf der Dmck dennoch vor= | genommen worden ist. [S. 372] Art. 4. Wird das Einholen der Druck=ErlaubniB umgangen oder das Druckverbot iibertreten, so ist I die Polizeibehorde verpflichtet, die Druckschrift von Amtswegen mit Beschlag zu belegen. Art. 5. Bei Ertheilung oder Versagung der Druck=ErlaubniB hat die Polizeibehorde das Bundes= I PreBgesetz vom 20sten September 1819, sodann die §§. 18, 20, 21 und 22 des PreBgesetzes | vom 28sten December v. J. zur Richtschnur zu nhemen. Art. 6. Die Oeffentlichkeit des gerichtlichen Verfahrens wegen PreBvergehen oder PreBverbrechen ist | aufgehoben. Art. 7. Alle Vorschriften des PreBgesetzes vom 28sten December v. J., welche mit vorstehenden Be= | stimmungen unvereinbar sind, wohin namentlich die in den §§. 1. 8. 12. 14. 15. 16 und 17. I enthaltenen Vorschriften, dann die Vorschrift wegen Oeffentlichkeit des Verfahrens in den §. 33. | 53. 58. 59. 66 und 83. gehoren, treten ausser Wirksamkeit. Diese Verordnung ist sogleich zu vollziehen. Gegeben zu Carlsruhe, in Unserem groBherzoglichen Staatsministerium, den | 28sten JuH 1832. Leopold. Frhr. von Reitzenstein. Frhr. von Schoffer. von Bockh. Frhr. von Ttirck= | heim. von Gulat. Winter. Jolly. Frhr. von Weiler. Auf Befehl Seiner Koniglichen Hoheit des GroBherzogs: | Eichrodt.

[217] Gesetz iiber die Verfassung und Verwaltung der Amortisationskasse vom 31. Dezember 1831 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einfuhrungen" die Darstellungen unter [770.] [780.] [812.]. Quelle: GroBherzoglich Badisches Staats- und Regierungs-Blatt, 30. Jahrgang, (Nr. 1 vom 6. Januar) 1832, S. 21 - 2 4 (gedmckt). Sonstige Fundstellen: K. Glockner, Badisches Verfassungsrecht, 1905, S. 288 - 297. [S. 21] (Gesetz iiber die Verfassung und Verwaltung der Amortisationskasse.) Leopold von Gottes Gnaden, | GroBherzog von Baden Herzog von Zahringen. Mit Zustimmung Unserer getreuen Stande haben Wir beschlossen, und verordnen | wie folgt:

[217] Gesetz vom 31. Dezember 1831

1935

Art. 1. Alle das Staatsschuldenwesen bertihrende Einnahmen miissen in die zur Verzinsung und Tilgung I der Staatsschuld bestehende Amortisationskasse flieBen, und alle sich darauf beziehende Ausgaben von | dieser geleistet werden. ^Einnahmen und Ausgaben, welche diesem Zwecke fremd sind, konnen ihr nur im Wege der Ge= | setzgebung zugewiesen werden. "^Eine Vereinigung der Amortisationskasse mit der Generalstaatskasse, | oder einer andem Verwaltungskasse, darf niemals Statt finden. Art. 2. Die Amortisationskasse wird durch einen Direktor und die erforderlichen Kassenbeamten verwal= | tet; sie steht ausschlieBend unter der Aufsicht und Leitung des Finanzministeriums. Ohne Autorisation desselben darf sie auf keine Anweisung, woher sie auch kommen mag, irgend | eine Zahlung leisten. ^Der Direktor ist verpflichtet, gegen Weisungen, welche nach seiner Ueberzeugung mit dem ge= | genwartigen Gesetze nicht vereinbarlich, oder dem Interesse der Amortisationskasse nachtheilig sind, | dem Finanzministerium geeignete Vorstellung zu machen, und, wenn er sich bei der hierauf ergehen= | den Verfugung nicht beruhigen zu konnen glaubt, seine Bedenken zur KenntniB des Staatsministeri= | ums zu bringen. "^Die hierauf ergangenen Resolutionen sind den Rechnungen anzulegen. Art. 3. Die Abhor der Rechnungen der Amortisationskasse und die Ertheilung des Rechnungsbescheides | geschieht von der Oberrechnungskammer, so lange ihr die durch das Edikt vom 16ten Merz 1819 | verliehene unabhangige Stellung verbleibt. Wenn sich bei der Abhor Mangel in der Verwaltung zeigen, welche dem Finanzministerium selbst I zur Last fallen, so hat die Oberrechnungskammer dem Staatsministerium davon die Anzeige zu | machen. Art. 4. ^Der landstandische AusschuB wird im ersten Semester nach dem Schlusse jeden Rechnungsjahres | einberufen, und demselben die Rechnung und Bilanz der Amortisationskasse, mit alien Beilagen, zur | Untersuchung und Prufiing vorgelegt werden. '^Der AusschuB wird seine Erinnemngen durch die | Regierungskommission dem Staatsministerium vorlegen, und tiber die Resultate seiner Prtifung dem | nachsten Landtage Bericht erstatten. [S. 22] Sind zur Zeit, wo der AusschuB einberufen werden sollte, die Stande selbst versammelt, so ist I derselbe innerhalb sechs Wochen nach dem Schlusse des Landtages einzubemfen. Art. 5. ^Das BedtirfniB der Amortisationscasse zur Bestreitung der Administrationskosten und Zinsen | und zur allmahligen Tilgung der Staatsschuld wird fiir jedes Finanzjahr durch das Budget I bestimmt. "^Letzteres setzt zugleich fest, welche von der im Satz 5. des Edikts v. 31 ten August 1808. | bestimmten Mitteln, oder welche andere statt dieser, zur Deckung dieses Bediirfhisses angewiesen werden | sollen. ^Insoferm bei den durch das Budget ausgeworfenen speciellen Einnahmen ein Ausfall Statt fm= I det, hat das Finanzministerium die zur vollen Deckung des Bediirfhisses erforderlichen Summen auf | die paratesten Staatsreventien anzuweisen. "^Diese, so wie die speciellen Einnahmen mtissen vor Be== | streitung aller andem Ausgaben in monatlichen Raten an die Amortisationskasse abgeliefert | werden.

1936

§12:Baden

[Dok. 188-251]

Die Staatskasse wird, im Falle die Administrationskosten oder Zinsen den budgetmaBigen Betrag | tibersteigen, den Mehrbetrag der Amortisationskasse bezahlen, und im entgegengesetzten Falle das Zu= | vielbezahlte zurtick erhalten. Art, 6. ^Alle Einnahmen, welche Bestandtheile des Grundstocks sind, mtissen der Amortisationskasse zur I Verzinsung tibergeben werden. "^Neue Erwerbungen sind daraus zu bestreiten. ^Der Aufwand fiir | Gebaude, welche abgehende ersetzen sollen (Readifikationskosten) ist aus laufenden Reventien zu bezah= | len. "^Wie viel von dem Gesammtaufwand fiir Neuerbauten oder fur den Ankauf von Gebauden aus | laufenden Reventien, und wie viel davon aus dem Grundstocksvermogen bestritten werden sollen, wird | fur jede Finanzperiode durch das Budget bestimmt. Art. 7. Alle zur Sicherung der Staatskasse in baarem Geld gestellt werdende Dienst= und andere Kau= | tionen, das in baarem Geld bestehende ledige Erbe (Landr. S. 813.) und alle bei den Staatskassen | im Laufe der zweijahrigen Rechnungsperiode dispenibeln Fonds sind bei der Amortisationskasse ver= | zinslich anzulegen. Ueber die Verwendung der disponiblen Fonds wird auf dem nachsten Landtage im gesetzlichen | Wege verfiigt. Art. 8. Der Staatskasse wird zur Deckung ihrer BedtirfQisse, soweit ihre Mittel unzureichend sind, bei | der Amortisationskasse ein standiger Credit eroffnet, der in keinem Jahre den zwanzigsten Theil der | budgetmaBigen rohen Einnahme tibersteigen darf. ^Die Amortisationskasse hat der Staatkasse bis auf diesen Betrag, im Falle des Bedtirfnisses, | Vorschtisse zu machen, welche von dieser, so wie es die Kassenverhaltnisse gestatten, zurtickzuzahlen sind, | ^Wird dieser Credit zu Deckung eines ausserordentlichen, unvorhergesehenen Staatsbedtirfnisses bentitzt, | so ist die Dringenheit desselben dem nachsten Landtag nachzuweisen. [S. 23] Art. 9. Ausser der Amortisationskasse ist keine Staatsverwaltungsstelle ermachtigt, irgend ein Staats= I anlehen, unter irgend einem Vorwande, zu contrahiren. Art. 10. Die Amortisationskasse ist befugt, zu Erfiillung ihrer eigenen Bedtirfnisse, namlich zu Zahlung | von Schulden liber den Betrag des Tilgungsfonds und zu Realisirung des der Finanzverwaltung | durch gegenwartiges Gesetz eroffheten standigen, und etwa durch das Budget bewilligt werdenden aus= | serordentlichen Credits, unter Aufsicht und Leitung des Finanzministeriums, Anlehen zu machen, ent= | weder auf eine bestimmte Zeit, die aber den Termin, wo die nachste Standeversammlung gesetzlich | Statt finden muB, nur um sechs Monate iiberschreiten darf, oder auf unbestimmte Zeit mit einer | Aufktindigungsfrist, die ein halbes Jahr nicht tibersteigen kann. Art. 11. Zu Operationen der Amortisationskasse, welche eine Veranderung des ZinsfuBes bezwecken, ist | die Zustimmung des landstandischen Ausschusses erforderlich, den Fall ausgenommen, wenn die Amor= | tisationskasse fiir die in Folge einer solchen Operation zu machenden Zahlungen vollstandige Dek= | kung hat.

[217] Gesetz vom 31. Dezember 1831

1937

Art. 12. ^Die in dem §.10. dieses Gesetzes und in dem §.63. der Verfassungsurkunde erwahnten Anle= I hen ausgenommen, erfordem alle tibrigen entweder die Zustimmung der Stande Oder des standischen | Ausschusses. '^Die Zustimmung des letztem gentigt wenn ein Anlehen, dessen Betrag die Summe | von 500,000 fl. nicht tibersteigt, wegen auBerordentlicher, unvorhergesehener, dringender Staatsaus= | gaben, oder wegen auBerordentlicher Reventienausfalle, zu deren Deckung die wirklichen Einnahmen | der Staatskasse, neben Benutzung des standigen oder etwa durch das Budget bewilligten, auBerordent= | lichen Credits nicht hinreichend sind, nothwendig wird. Art. 13. Wenn der landstandische AusschuB zu einer die Veranderung des ZinsfuBes bezweckenden Opera= | tion, oder zu einem Anlehen seine Zustimmung geben soil, so wird derselbe einbemfen und ihm im | ersten Falle die Nothwendigkeit der Operation, im letzten Falle die Rathlichkeit des Anlehens und | seines Betrages von einer Commission der Regierung nachgewiesen. Art. 14. Der landstandische AusschuB hat durch die Regierungscommission dem Staatsministerium zu | erklaren: „ob er zu der vorgeschlagenen Veranderung des ZinsfuBes und unter welchen Modalitaten, | und, im Fall es sich von einem Anlehen handelt, zu diesem seine Zustimmung gebe, und bis | zu welchem Betrag." Art. 15. Das von dem standischen AusschuB consentirte Anlehen wird von der Tilgungskasse unter Auf= I sicht und Leitung des Finanzministeriums negocirt, welches die Verhandlungen vor dem Abschlusse | dem standischen Ausschusse mitzutheilen, und dessen Erinnemngen und begrtindete anderweitige Vor= | [S. 24] schlage mit sammtlichen Verhandlungen dem Staatsministerium vorzulegen hat, das liber die Art | und Weise, wie das Anlehen gemacht werden soil, definitiv entscheidet. Art. 16. Die wegen Veranderung des ZinsfuBes oder wegen eines Anlehens gepflogenen Verhandlungen I werden dem nachsten Landtage vorgelegt. Art. 17. ^Der landstandische AusschuB muB, um mit Wirksamkeit Beschltisse fassen zu konnen, vollzahlig I sein. ^Er ist als vollzahlig anzusehen, wenn alle Mitglieder ordnungsmaBig einbemfen, und nebst | dem Prasidenten oder Viceprasidenten, zwei weitere Mitglieder der ersten und vier Mitglieder der | zweiten Kammer, in Folge der Einberufung versammelt sind. ^Zur Gtiltigkeit seiner Zustimmung, zu Aenderung des ZinsfuBes der Staatsschuld oder zu ei= I nem Anlehen ist erforderlich, daB sich wenigstens funf Mitglieder des Ausschusses dafiir erklaren. | ^Zu alien andem Beschltissen desselben ist die absolute Stimmenmehrheit hinlanglich. ^Bei gleicher | Stimmenzahl giebt die Stimme des Prasidenten die Entscheidung.

1938

§12:Baden

[Dok. 188-251]

Art. 18. Wenn die disponibeln Mittel der Amortisationskasse periodisch nicht zur Schuldentilgung ver= | wendet werden konnen, oder deren Verwendung zu diesem Zwecke im Interesse des Staatscredits | nicht fiir rathlich erachtet wird, so kann dieselbe von dem Finanzministerium ermachtigt werden, sol= | che nutzbringend anzulegen, jedoch in keiner andem Weise, als durch Ankauf ihrer eigenen Papiere, | oder durch Darlehen gegen vollkommene Sicherheit gewahrende Deckung mit solchen. Die Deckung ist als hinlanglich anzusehen, wenn der Betrag dieser Papiere nach ihrem Cours= I werth der GroBe des Darleihens gleich kommt, mit der Beschrankung jedoch, daB sie nie liber pari | in Deckung genommen werden diirfen. Art. 19. Das gegenwartige Gesetz tritt an die Stelle des Statutes vom 31ten August 1808 tiber die Er= I richtung der Amortisationskasse und des §. 57. der Verfassungsurkunde, so weit es dieselbe erganzt, | erlautert oder abandert, und bildet somit selbst einen Theil der Verfassung. Gegeben zu Karlsruhe, in Unserm GroBherzoglichen Staatsministerium, den 31 December 1831. Leopold. von Bockh. Auf hochsten Befehl Seiner Koniglichen Hoheit. | Eichrodt.

[217/1] Anderungsgesetz vom 22. Juni 1837 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einfiihrungen" die Darstellung unter [813.]. Quelle: GroBherzoglich Badisches Staats- und Regiemngs-Blatt, 35. Jahrgang, (Nr. 18 vom 30. Juni) 1837, S. 119 - 120 (gedruckt). [S. 119] Leopold von Gottes Gnaden, | GroBherzog von Baden, Herzog von Zahringen. Mit Zustimmung Unserer getreuen Stande haben Wir beschlossen, und verordnen | wie folgt: Einziger Artikel Der Artikel 18 des Gesetzes vom 31. Dezember 1831 tiber die Verfassung und Ver= | waltung der Amortisationskasse lautend: „Wenn die disponibeln Mittel der Amortisationskasse periodisch nicht zur Schul= I „dentilgung verwendet werden konnen, oder deren Verwendung zu diesem Zweck I „im Interesse des Staatscredits nicht ftir rathlich erachtet wird, so kann dieselbe | „von dem Finanz=Ministerium ermachtigt werden, solche nutzbringend anzulegen, | „jedoch in keiner anderen Weise, als durch Ankauf ihrer eigenen Papiere, | „oder durch Darlehen gegen vollkommene Sicherheit gewahrende Deckung mit solchen. „Die Deckung ist als hinlanglich anzusehen, wenn der Betrag dieser Papiere | „nach ihrem Courswerth der GroBe des Darlehens gleich kommt, mit der Beschran= | „kung jedoch, daB sie nie tiber pari in Deckung genommen werden dtirfen." wird dahin abgeandert:

[218] Gesetz uber Errichtung ... vom 10. September 1842

1939

Wenn die disponibeln Mittel der Amortisationskasse periodisch nicht zur Schulden= I tilgung verwendet werden konnen, oder deren Verwendung zu diesem Zwecke im | Interesse des Staatscredits nicht fur rathlich erachtet wird, so kann dieselbe von | [S. 120] dem Finanz=Ministerium ermachtiget werden, solche nutzbringend anzulegen, jedoch | nur durch den Ankauf ihrer eigenen Papiere, oder durch Darlehen gegen vollkom= | mene Sicherheit gewahrende Deckung. Die Frage, ob im einzelnen Falle die Deckung vollkommene Sicherheit gewahre, | unterliegt der collegialischen Entscheidung. Gegeben in Unserem Staats=Ministerium zu Carlsruhe, den 22. Juni 1837. Leopold. V. Bockh. Auf hochsten Befehl Sr. Koniglichen Hoheit des GroBherzogs: | Btichler.

[218] Gesetz uber die Errichtung der EisenbahnSchuldentilgungskasse vom 10. September 1842 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einfuhrungen" die Darstellungen unter [780.] [818.]. Quelle: GroBherzoglich Badisches Staats- und Regierungs-Blatt, 40. Jahrgang, (Nr. 27 vom 16. September) 1842, S. 241-242 (gedruckt). Sonstige Fundstelle: K. Glockner, Badisches Verfassungsrecht, 1905, S. 298 - 301. [S. 241] (Gesetz liber die Errichtung der Eisenbahn=Schuldentilgungskasse.) Wir Leopold von Gottes Gnaden, | GroBherzog von Baden Herzog von Zahringen. Mit Zustimmung Unserer getreuen Stande haben Wir beschlossen und verordnen, wie folgt: Art. 1. Zur Aufhahme der fur den Eisenbahnbau benothigten Kapitalien, und zur Ablieferung der I erforderlichen Baumittel an die Baukasse, sodann zur Verzinsung und allmahlichen Rtickzahlung der | aufgenommenen Kapitalien wird eine besondere Kasse - die Eisenbahn=Schuldentilgungs= | kasse - errichtet. Art. 2. Die Ftihrung der Eisenbahn=Schuldentilgungskasse wird den Beamten der Amortisationskasse I tibertragen, sie steht ausschlieBend unter der Aufsicht und Leitung des Finanzministeriums. Ohne Autorisation desselben darf sie auf keine Anweisung, woher sie auch kommen mag, ir= | gend eine Zahlung leisten. Der Direktor ist verpflichtet, gegen Weisungen, welche nach seiner Ueberzeugung mit dem ge= | genwartigen Gesetze nicht vereinbarlich oder dem Interesse der Kasse nachtheilig sind, dem Finanz= | ministerium geeignete Vorstellung zu machen, und wenn er sich bei der hierauf ergehenden Ver= | fiigung nicht beruhigen zu konnen glaubt, seine Bedenken zur KenntniB des Staatsministeriums | zu bringen. Die hierauf ergangenen Resolutionen sind den Rechnungen anzulegen.

1940

§12:Baden

[Dok. 188-251]

Art. 3. Die fiir die Eisenbahn=Schuldentilgungskasse bestimmten Einnahmen dtirfen derselben unter | keinem Vorwande entzogen werden. Ausgaben, welche ihrem Zwecke fremd sind, konnen derselben unter keinem Vorwande zugewie= | sen werden. Art. 4. Die Abhor der Rechnungen und die Ertheilung des Rechnungsbescheides geschieht von der I Oberrechnungskammer, so lange ihr die durch das Edikt vom 16. Marz 1819 verliehene unab= | hangige Stellung verbleibt. [S. 242] Wenn sich bei der Abhor Mangel in der Verwaltung zeigen, welche dem Finanzministerium I selbst zur Last fallen, so hat die Oberrechnungskammer dem Staatsministerium davon die Anzeige zu | machen. Art. 5. Dem landstandischen Ausschusse, welcher im ersten Semester nach dem Schlusse jeden Rech= I nungsjahres einbemfen wird, muB auch die Rechnung und Bilanz der Eisenbahn=Schuldentilgungs= | kasse mit alien Beilagen zur Untersuchung und Priifung vorgelegt werden. Der AusschuB wird seine Erinnerungen durch die Regierungskommission dem Staatsministerium I vorlegen, und liber die Resultate seiner Prtifung dem nachsten Landtage Bericht erstatten. Art. 6. Als standige Dotation fur Zinse, Tildungsfonds und Verwaltungskosten wird der Eisenbahn=| Schuldentilgungskasse der Reinertrag der Post= und Eisenbahnbetriebs=Verwaltung zugewiesen. Art. 7. So weit die standige Dotation zu den Bedtirfhissen der Eisenbahn=Schuldentilgungskasse fur | Zinse, Tilgungsfonds und Verwaltungskosten nicht hinreicht, soil das Budget jeweils den erforder= [ lichen ZuschuB aus der Staatskasse bestimmen. Art. 8. Wenn die disponiblen Mittel der Kasse periodisch nicht zu den Zwecken derselben verwendet wer= | den konnen, so kann sie von dem Finanzministerium ermachtigt werden, solche nutzbringend anzulegen, | jedoch mit keiner langeren als einvierteljahrigen Aufktindigungsfrist und gegen, vollkommene Sicherheit | gewahrende, Deckung. Die Frage, ob im einzeln Fall die Deckung vollkommene Sicherheit gewahre, unterliegt der I kollegialischen Entscheidung des Finanzministeriums

[219] Verkundung der Gmndrechte des deutschen Volkes vom 12. Januar 1849

1941

Art. 9 ^Die bisherigen Verwendungen fur den Eisenbahnbau, welche in Folge des Gesetzes vom 29. Marz I 1838 (Regiemngsblatt Nr. XIV.) von der Amortisationskasse bestritten wurden, bis zum 31. Dezem= | ber 1841 im Betrage von 2,760,598 fl., werden hiermit als verzinslicher und ruckzahlbarer VorschuB | der Amortisationskasse an die Eisenbahn=Schuldentil-gungskasse anerkannt. ^Die Zeit und GroBe der | Ruckzahlung richtet sich nach dem BediirfniB der Amortisationskasse. Art. 10. Das gegenwartige Gesetz bildet, wie das Gesetz vom 31. Dezember 1831 liber die Verfassung I und Verwaltung der Amortisationskasse, einen Theil der Verfassung. Gegeben zu Carlsruhe in Unserm GroBherzoglichen Staatsministerium, den 10 September 1842. Leopold. von Bockh. Auf hochsten Befehl Sr. Konigl. Hoheit des GroBherzogs: | Btichler.

[219] Verkundung der Grundrechte des deutschen Volkes vom 12.Januar1849 Quelle: GroBherzoglich Badisches Regiemngs-Blatt, 47. Jahrgang, (Nr. 2 vom 18. Januar) 1849, S. 13; zudem: a. a. O., S. 1 3 - 2 2 (Text des Gesetzes, „betreffend die Grundrechte des Deutschen Volkes") - gedruckt. [S. 13] Die Verkundung der Grundrechte des deutschen Volkes betreffend. In GemaBheit hochster EntschheBung Seiner Koniglichen Hoheit des GroBherzogs | im Staatsministerium vom 8. Januar, Nr. 02, werden hiermit die im Reichsgesetzblatt vom | 28. V. M. verkiindeten Gmndrechte mit dem Bemerken zur offentlichen KenntniB gebracht, daB die | Entwtirfe der zum Vollzug erforderlichen Gesetze den Standen werden vorgelegt werden. Carlsruhe, den 12. Januar 1849. Ministerium des groBherzoglichen Hauses und der auswartigen Angelegenheiten. | Dusch. Vdt. Barbicht. Gesetz, | betreffend die Grundrechte des deutschen Volkes. . . . ^

^ Text abgedruckt unter Dok. 105,

1942

§ 12: Baden

[Dok. 188-251]

[220] Bekanntmachung der auf den 28. April 1849 datierten Reichsverfassung vom 4. Mai 1849 Quelle: GroBherzoglich Badisches Regierungs-Blatt, 47. Jahrgang, (Nr. 29 vom 9. Mai) 1849, S. 245; zudem: a. a. O., S. 245 - 284 (Text der „Verfassung des deutschen Reichs") gedruckt. [S. 245] Bekanntmachung. Die in dem 16. Stiick des Reichsgesetzblattes vom 28. v. M. enthaltene Verfassung des | deutschen Reichs, nebst den im 13. Stuck des Reichsgesetzblattes vom 16. April d. J. verkiindeten | Reichsgesetzen, die Wahlen der Abgeordneten zum Volkshause und die Tag= und Reisegelder der | Abgeordneten zum Reichstag betreffend, werden hiermit in GemaBheit der hochsten Erklarang | Seiner Koniglichen Hoheit des GroBherzogs vom 11. April d. J. tiber die Anerkennung derselben | offentlich bekannt gemacht. Carlsruhe, den 4. Mai 1849. Ministerium des groBherzoglichen Hauses und der auswartigen Angelegenheiten. | Dusch. Vdt. Barbiche. Die deutsche verfassungsgebende Nationalversammlung hat beschlossen, und verkundigt als I Reichsverfassung: Verfassung des deutschen Reichs. . . . ^

[221] Dekret des Landesausschusses fur Baden, die Absetzung der seitherigen Minister betreffend, undatiert Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einfiihrungen" die Darstellung unter [833.]. Quelle: Badisches Regiemngsblatt (hrsg. v. der provisorischen Regierung Badens), (Nr. 1 vom 16. Mai) 1849, S. 1 (gedruckt).

[S.l] Dekret, | die Absetzung der seitherigen Minister betreffend. In Erwagung, daB sammtliche badische Minister ihre Stellen verlassen haben und aus | dem Lande entflohen sind; daB sie somit ihre gegen das Land libemommenen Pflichten schwer | verletzt und, so weit es an ihnen lag, das ganze Land in einen Zustand der Anarchic versetzt ha= | ben, dem nur dadurch in der kurzesten Zeit abgeholfen werden konnte, daB mehrere Ver= | trauensmanner des Volkes sich in dem Augenblicke, als die Minister sammt dem GroBherzoge | die Flucht ergriffen, zu Offenburg befanden; In Erwagung, daB die Minister durch das freiwilHge Verlassen ihrer Stellen diese thatsach= I lich aufgegeben haben, und daB die offentliche Ordnung im Lande ohne die Wiederbesetzung der | obersten Staatsstellen nicht erhalten werden kann; In Anbetracht, daB diese Wiederbesetzung die Entlassung der entflohenen Minister | voraussetzt, | verfiigt der regierende LandesausschuB, wie folgt:

Text abgedmckt unter Dok. 106.

[223] Bekanntmachung undatiert

1943

Der Minister der auswartigen Angelegenheiten, v. Dusch, und die Ministerialprasiden= | ten Bekk, des Innem, Hoffmann, der Finanzen, Hoffmann, des Kriegs und | v. Stengel, der Justiz, sind ihrer Stellen entsetzt. Fur den Landes=AusschuB: Junghaims. | Peter. | Gustav Struve. | Goegg. | Heinrich Hoff | Philipp Stay. | Rehmann. | Thiebauth. | Cordel, Soldat. | Degen. | vdt. Freeh, Schriftfuhrer.

[222] Bekanntmachung uber die Zusammensetzung des Landesausschusses fur Baden, undatiert Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einfiihrungen" die Darstellung unter [833.]. Quelle: Badisches Regiemngsblatt (hrsg. v. der provisorischen Regiemng Badens), (Nr. 1 vom 16. Mai) 1849, S. 2 (gedruckt). [S.2] Bekanntmachung. Der LandesausschuB fur Baden besteht auBer den in die Exekutivkommission gewahlten Btirgem: | Brentano, | Peter, | Eichfeld und | Goegg, aus folgenden Btirgem: Bannwarth aus Bleichheim (Soldat), Ritter Karsau (Soldat), Cordel aus Philippsburg (Soldat), Rotteck aus Freiburg, Damm aus Tauberbischofsheim, Stay aus Heidelberg, Degen aus Mannheim, Stark aus Lottstetten (Soldat) Fickler, aus Konstanz. Steinmetz aus Durlach, Happel aus Mannheim, Struve aus Mannheim, Heneka, Soldat. Thiebauth, aus Ettlingen. Torrent aus Freiburg, Hoff aus Mannheim, Junghanns aus Mosbach, Werner aus Oberkirch, Kiefer aus Emmendingen, Wemwag aus Kenzingen. Rehmann aus Offenburg, Willmann aus Pfohren. Richter aus Achem, Ziegler, aus Karlsruhe.

[223] Bekanntmachung des Landesausschusses fur Baden, „die Einsetzung einer Exekutivkommission betreffend", undatiert Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einfiihrungen" die Darstellung unter [833.]. Quelle: Badisches Regiemngsblatt (hrsg. v. der provisorischen Regiemng Badens), (Nr. 1 vom 16. Mai) 1849, S. 2 - 3 (gedmckt). [S.2] Bekanntmachung, | die Einsetzung einer Exekutivkommission betreffend. Unter Bezug auf das Dekret des Landesausschusses, die Absetzung der entflohenen Minister I und die Einsetzung einer Exekutivkommission betreffend, bringen wir hiermit zur offentlichen Kennt= | niB, daB die emannten Mitglieder der bezeichneten Kommission bereits ihre Funktion angetreten 1 haben. Burger Brentano hat auBer dem Vorsitze die Leitung der innem Angelegenheiten Btirger Peter die der Justiz; Btirger Eichfeld das Ministerium des Kxiegs und Btirger Goegg das der Finanzen (ibemommen.

1944

§12:Baden

[Dok. 188-251]

Das seither bestandene Ministerium der auswartigen Angelegenheiten wird hiermit aufgehoben, | und gehen die von demselben bisher besorgten Geschafte an das Ministerium des Innem tiber. Die Mitglieder der Ministerien des Innem, der Justiz, der Finanzen, sowie der groBte Theil I der Armee, sind bereits beeidigt, und wird mit Beeidigung der tibrigen Beamten ununterbrochen | fortgefahren werden. Wir hoffen, in kurzer Zeit alle Geschafte in den geregelten Gang zu bringen und befurchten | nicht, daB erhebliche Storungen in der Verwaltung und Rechtspflege entstehen Oder daB der offent= | liche Kredit einen AnstoB erleiden werde. [S.3] Mitbtirger! Ihr werdet uns Eure Untersttitzung nicht versagen; denn nur Euer Vertrauen, I nur das Bestreben, die Freiheit ftir Euch zu begrunden, hat uns auf unsere Posten gemfen und I Ihr werdet daher Alles aufbieten, daB wir die Moglichkeit erlangen, ohne Gefahrdung der Ord= | nung Euch aus dem Kampfe zum Ziele zu fiihren. Die vom LandesausschuB niedergesetzte Exekutivkommission. In deren Namen: | Brentano.

[224] Bekanntmachung des Ministeriums der Finanzen vom 15. Mai 1849 Quelle: Regiemngs-Blatt (hrsg. v. der provisorischen Regiemng Badens), (Nr. XXX [2] vom 17. Mai) 1849, S. 293 (gedmckt). [S. 293] An das Volk in Baden. Burger! Nachdem die Regiemngsgeschafte durch die Flucht des GroBherzogs und seiner Minister einige | Zeit unterbrochen waren, hat der LandesausschuB die Regiemng in die Hand genommen, und in | den Mitgliedem der Executivcommission die verschiedenen Ministerien mit Vorstanden besetzt. Das unterzeichnete Finanzministerium wird alle seine Krafte aufbieten, daB ein geregelter I Geschaftsgang stattfindet; es hat namentlich Vorkehmngen getroffen, daB im Cassenwesen des Staats | durchaus keine Stomng vorkomme; daB nach wie vor alle Verpflichtungen, welche die badische | Regiemng durch Vermittelung des Finanzministeriums tibernommen hat, ptinktlich erftillt werden. Habt damm Vertrauen, Btirger; unterstutzt uns durch euer Entgegenkommen in der schwierigen | Aufgabe, zum Wohle des Landes das Finanzwesen zu leiten. Durch solches patriotische Zusam= | menwirken wird der Credit gehoben, werden alle Geschafte bltihen und gedeihen. Carlsmhe, den 15. Mai 1849. Ministerium der Finanzen. | Ftir dasselbe: | Goegg. Vdt. Poppen.

[226] Gesetz vom 17. Mai 1849

1945

[225] Dekret, die Auflosung der Kammern betreffend, vom 17. Mai 1849 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einfiihrungen" die Darstellung unter [835.]. Quelle: Regiemngs-Blatt (hrsg. v. der provisorischen Regierung Badens), (Nr. XXXI [2] vom 18. Mai) 1849, S. 295 (gedmckt). [S. 295] Decret, die Auflosung der Kammern betreffend. Im Namen des Volkes. In Erwagung, daB gegenwartig keine ordnungsmaBige Vertretung besteht, welche dem allein | gerechten Grundsatze der Volkssouveranetat entspricht; in Erwagung, daB sich der Wille des Volkes unzweifelhaft in groBen Kundgebungen fur die I sofortige Auflosung der Kammern und Einberufung einer constitiiirenden Versammlung ausge= | sprochen hat; in Erwagung, daB es eine der ersten Pflichten des Landesausschusses ist, diesen Willen des I Volkes, der sich auf der Offenburger Versammlung endgtiltig und deutlich erklart hat, zur Aus= I fuhrung verhelfen; verordnet der regierende LandesausschuB wie folgt: Art. 1. Die beiden Kammern Badens sind aufgelost. Art. 2. Es ist sofort eine constituirende Versammlung einzuberufen. Der Minister des Innem ist mit der Ausfiihrung dieser Verordnung be= | auftragt. Carlsmhe, den 17. Mai 1849. Fiir den LandesausschuB: | Junghanns. Rehmann. L. Degen. G. Struve. Stark. Cordel. A. Ziegler. Happel. Thiebauth. | Steinmetz. Heinrich Hoff. | Freeh, Schriftfuhrer.

[226] Gesetz, die Einberufung einer konstituierenden Versammlung betreffend, vom 17. IVIai 1849 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einfuhrungen" die Darstellungen unter [835.] [840.] [841.]. Quelle: Regierungs-Blatt (hrsg. v. der provisorischen Regierung Badens), (Nr. XXXI [2] vom 18. Mai) 1849, S. 296 (gedmckt). [S. 296] Gesetz, die Einberufung einer constituirenden Versammlung betreffend. Im Namen des Volkes. In GemaBheit der Verordnung des Landesausschusses wird das Wahlgesetz fiir die consti= I tuirende Versammlung in folgender Weise bestimmt: Art. 1. Wahlfahig und wahlbar ist jeder Staatsbtirger Badens, v^elcher das 21. Lebensjahr erreicht hat.

1946

§ 12: Baden

[Dok. 188-251]

Art. 2. Die Wahlbezirke bleiben dieselben, wie bei den Wahlen zur deutschen Nationalversammlung. Art. 3. Jeder Wahlbezirk emennt vier Abgeordnete fur die constituirende Versammlung. Art. 4. Ftir jeden Wahlbezirk wird ein Commissar des regierenden Landesausschusses emannt werden. Art. 5. Die Wahlen geschehen direct mit geheimer Stimmgebung. Art. 6. Der Tag, an welchem im ganzen Lande die Wahlen stattfinden, ist der 3. Juni 1849. Art. 7. Die constituirende Versammlung wird am 10. Juni in Karlsruhe eroffnet werden. Karlsruhe, den 17. Mai 1849, Die Executivcommission: | L. Brentano. | Vdt. Karl Blind.

[227] Dekret, die Freiiassung der politischen Gefangenen betreffend, vom 17. Mai 1849 Quelle: Regierungs-Blatt (hrsg. v. der provisorischen Regierung Badens), (Nr. XXXI [2] vom 18. Mai) 1849, S. 298 (gedruckt). [S. 298] Decret, die Freiiassung der politischen Gefangenen betreffend. In Ausfuhrung des Beschlusses der Landesversammlung zu Offenburg, vom 13. dieses Monats, | wird hiemit verfiigt: 1. Alle bisher erlassenen Strafurtheile wegen sogenannter politischer Vergehen, mogen solche Civil= | oder Militarpersonen betreffen, werden mit alien ihren gesetzlichen Folgen fiir aufgehoben | erklart, und sind alle etwa noch Verhafteten sogleich auf freien FuB zu setzen. 2. Alle bereits wegen dergleichen Vergehen eingeleiteten Untersuchungen sind hiemit niedergeschlagen. 3. Die politischen Fltichtlinge konnen ungehindert in das badische Gebiet zuriickkehren. 4. Der Vorstand der Executivcommission ist mit dem Vollzuge beauftragt. Carlsruhe, 17.Mail849. Der LandesausschuB. | Junghanns. Damm. G. Struve. W. Happel. Thiebauth. L. Degen. Stark. Rehmann. | Freeh, Schriftfiihrer. Voranstehende Verfugung des Landesausschusses wird hiermit sammtlichen Behorden, namentlich | den Gerichten, Staatsanwalten und GefangniBbeamten zum sofortigen Vollzuge verktindigt. Carlsruhe, 17. Mai 1849. Der Vorstand der Executivcommission. | L. Brentano. | Vdt. Karl Blind.

[229] Verordnung vom 18. Mai 1849

1947

[228] Vertrag zwischen dem LandesausschuR von Baden und der provisorischen Regierung der Rheinpfalz vom 17. Mai 1849 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einfiihrungen" die Darstellung unter [837.]. Quelle: Regierungs-Blatt (hrsg. v. der provisorischen Regierung Badens), (Nr. XLI [12] vom 5. Juni) 1849, S. 337 (gedmckt). [S. 337] Vertrag | zwischen dem Landesausschusse von Baden | und der provisorischen Regierung von Rheinpfalz Es wird folgender Vertrag abgeschlossen: 1. In militarischer Beziehung bilden Baden und die Rheinpfalz ein Land. 2. Das badische Kriegsministerium wird ftir's Erste als das gemeinschaftliche beider Lander | betrachtet. 3. Alles Brtickengeld auf Brticken, welche Baden und Rheinpfalz verbinden, wird sofort I abgeschafft. Die Entschadigung von privatrechtlichen Ansprtichen bleibt vorbehalten, und | die Kosten der Unterhaltung und Wiederherstellung der Brucken werden fur die Zukunft | von beiden Landem gemeinschaftlich und gleichheitlich getragen. 4. Die Einwohner beider Lander werden in alien Beziehungen so angesehen, als gehorten | sie einem und demselben Staate an. Carlsruhe, den 17. Mai 1849. Der LandesausschuB: | Cordel, Damm, Goegg, Junghanns, Peter, G. Struve, Stai, Steinmetz. Torrent, | Thiebauth, Werner. A. Ziegler. Genehmigt, Kaiserslautem, den 18. Mai 1849. Die provisorische Regierung der Rheinpfalz. | Greiner. Hepp. Reinhard. Schmitt. P. Fries.

[229] Verordnung uber die Ernennung von „Civilcommissaren" und „Obercommissaren" vom 18. Mai 1849 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einfahrungen" die Darstellung unter [836.]. Quelle: Regierungs-Blatt (hrsg. v. der provisorischen Regierung Badens), (Nr. XXXII [3] vom 19. Mai) 1849, S. 300 - 302 (gedmckt). [S.300] Zur Vollziehung der von der Landesversammlung in Offenburg gefassten Beschltisse und zur | Ausfiihrung der Anordnungen des Landesausschusses und der Executivcommission wird hiermit | verordnet, wie folgt: Art. 1. An jedem Amtsbezirke wird ein Civilcommissar emannt, welcher die von der Executive I commission ergehenden Weisungen zu vollziehen hat. Art. 2. ^Diese Civilcommissare sind fiir die ptinktliche und gewissenhafte Vollziehung der ihnen speciell | zugehenden Weisungen, und der allgemeinen in den offentlichen Blattem verktindigten Anordnungen | personlich verantwortlich. ^Im Allgemeinen liegt denselben die Verpflichtung ob, im Interesse des | Landes und der Freiheit des Volkes nach bestem

1948

§ 12: Baden

[Dok. 188 - 251]

Wissen und nach ihrer Einsicht zu handeln und | iiber alle die Volksbewegung betreffenden Vorfalle schleunige Mittheilungen hierher zu machen. Art. 3. Die Civilcommissare haben sofort die Beeidigung sammtlicher Beamten vorzunehmen, und I das hieriiber aufgenommene Protokoll unmittelbar hierher einzusenden. Art. 4. Im Augenblicke des Erscheinens dieser Verordnung sind alle Vollmachten von Civilcommi= | saren, welche nicht specielle Auftrage erhalten haben und sich durch eine vom Landesausschusse | oder der Executivcommission unterzeichnete Urkunde auszuweisen vermogen, erloschen. Art. 5. Diesen Civilvommissaren vorgesetzt ist der Obercommissar des Kreises, dessen Befehle die I Civilcommissare unbedingt zu befolgen haben, und bei welchem auch etwaige Beschwerden gegen | die Civilcommissare vorzubringen sind. [S. 301] Art. 6. Besondere Instructionen flir die Obercommissare und die Civilcommissare, deren Personal= I verzeichniB hier unten folgt, werden in moglichster Balde erlassen werden. Carlsruhe, den 18. Mai 1849. Die Vollzugsbehorde. | L. Brentano. | Vdt. Karl Blind. Verzeichnis der emannten Commissare der Civilverwaltung. A. Obercommissare. I. Ftir den Seekreis: Biirger Pfarrer Ganter in Moskirch. | II. Ftir den Oberrheinkreis: Btirger Anwalt Emil Barbo in Emmendingen. | Fiir den Mittelrheinkreis: Btirgermeister Sallinger in Rastadt. | IV. Fiir den Unterrheinkreis: Btirgermeister Winter in Heidelberg. B. Civilcommissare. Ftir die Amtsbezirke: 1 1. Blumenfeld: Btirgermeister Dietrich von Hitzingen. | 2. Bonndorf: Altbtirgermeister Josef Hilt= | mann. 3. Constanz: Btirger Nepomuk Katzenmeier. | 4. Donaueschingen: Btirger Joseph Au von | Allmendshofen. | 5. Engen: Btirger Arzt Thissot von Moh= | ringen. | 6. Htifingen: Btirgermeister Hafelin. | 7. Meersburg: Btirgermeister Rtidlinger. | 8. Moskirch: Btirgermeister Emmert. | 9. Heiligenberg: Btirger Rechtspracticant I Rolle. | 10. Radolphzell: Btirger Compost von | Beuem. | 11. Stetten: Btirger Rechtspracticant Burk= | hardt von Offenburg. | 12. Stockach: Btirger Guide. | 13. Ueberlingen: Btirger Anwalt Zutt. | 14. Villingen: Btirger Arzt Hoffmann. | IS.Breisach: Btirgermeister Herbst. | 16. Emmendingen: Btirger Wolfermann. | 17. Ettenheim: Btirger Stehlin. I 18. Freiburg (Stadt= und Landamt): Btirger | Anwalt Heunisch. | 19. Homberg: Btirger Diaconus Gerwig. | 20. Jestetten: Btirger Weishaar in Lott=| stetten. | 21. Lorrach: Altbtirgermeister Wenner. | 22. Mtihlheim: Btirger Anwalt Reisky. | 23. Schonau: Btirger Papierfabrikant Thoma | in Todtnau. | 24. Staufen: Btirger Arzt Naumeyer in | Krotzingen. | 25. Triberg: Btirger Anwalt Fackler. | 26. Waldkirch: Btirger Joseph Reich von | Buchholz. | 27. Achem: Btirger Arzt Habich. | [S. 302] 28. Baden: Btirger Anwalt Wolff. | 29. Rheinbischofheim: Btirger HauB der | Jtingere von Neufreistedt. | 30. Bretten: Btirger Jakob Au-

[230] Proklamationen vom 1. Juni 1849

1949

tenrieth. | 31. Bruchsal: Btirger Adv. Friedmann. | 32. Biihl: Btirger Apotheker Schlosser in I Steinbach. | 33. Carlsruhe (Stadt= und Landamt): Burger | Anwalt Ziegler. | 34. Durlach: Burger Arzt Reinhardt. | 35. Eppingen: Burger Rathschreiber Kirsch. | 36. Ettlingen: Burger Thiebauth. | 37. Gengenbach: Burger Hofer in Offenburg. | 38. Gemsbach: Burger Ratschreiber Weil. | 39. Haslach: Burger Rabenwirth Grieshaber. | 40. Kork: Burger Arzt Kuchlin. | 41. Lahr: Burger Kaufmann Schubert. | 42. Oberkirch: Btirger Kreuzwirth Geldreich. | 43. Offenburg: Btirger Volk. | 44. Pforzheim: Btirger Herrer. | 45. Rastadt: Btirger Advocat Grether. | 46. Adelsheim: Btirgermeister Burkhardt. | 47. Tauberbischofsheim: Btirger Advokat | Krautler. | 48. Borberg: Btirgermeister Henrici. | 49. Eberbach: Btirger Theodor Frei. | 50. Heidelberg: Btirger Gallus Mayer. | 51. Ladenburg: Btirger May aus Heidelberg. | 52. Mannheim: Btirger Fr. Lowenhaupt. | 53. Mosbach: Btirger Anwalt Lattemer. | 54. Neckargemtind: Btirger Kaufmann Rasp | in Heidelberg. | 55. Philippsburg: Btirger Schanzlin. | 56. Schwetzingen: Btirger Arzt Tiedemann. | 57. Sinsheim: Btirger Speisser. | 58. Walldtim: Btirger Arzt Lumpp zur Hard= | heim. | 59. Weinheim: Btirger Herder. | 60. Wertheim: Btirger Langgut. | 61. Wiesloch: Btirger Apotheker Bronner | der Jtingere. Die fehlenden Commissare werden im nachsten Regierungsblatte mitgetheilt. Carlsruhe, den 18. Mai 1849. Die Vollzugs=Behorde. | L. Brentano. | Vdt. K. Blind.

[230] Proklamationen zur Einsetzung einer provisorischen Regierung vom 1. Juni 1849 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einfiihrungen" die Darstellung unter [838.]. Quelle: Regierungs-Blatt (hrsg. v. der provisorischen Regierung Badens), (Nr. XL [11] vom 2. Juni) 1849, S. 335 - 336 (gedruckt). [S. 335] An das Volk in Baden. Als vor nicht ganz drei Wochen der GroBherzog und seine Minister aus dem Lande flohen, I hielten wir es Kraft der uns von der groBen Landesversammlung zu Offenburg ertheilten Voll= | macht und in GemaBheit des deutlich ausgesprochenen Willens des Volkes und des Heeres fiir | unsere Pflicht, die Ztigel der Regierung zu ergreifen. Es ist uns gelungen, das Land vor | Anarchie zu bewahren. Jetzt gilt es, den drohenden Kampf mit den verbtindeten Feinden der Freiheit und Einheit I Deutschlands aufzunehmen. Das Vaterland ist in Gefahr. Die Zeit drangt zu rascher That. Eine zahlreiche Versamm= | lung, wie unser LandesausschuB, ist nicht geeignet, den groBen Kampf der Befreiung Deutschlands, | der uns bevorsteht, mit der erforderlichen Kraft durchzufiihren. Darum haben wir einmtithig eine | p r o v i s o r i s c h e R e g i e r u n g | gewahlt, welche sich die gesammte Gewalt des Landesausschusses und der Vollziehungsbehorde | vereinigt. Unsere Wahl fiel auf die Btirger: Lorenz Brentano, | Amand Goegg, | Joseph Fickler, | Ignaz Peter, | Franz Sigel. Wir selbst haben unsere Krafte zur Verfiigung dieser provisorischen Regierung gestellt. Wir I werden dieselbe mit voller Ueberzeugung und allem Nachdruck untersttitzen, und fordem zugleich | [S. 336] das gesammte Volk in Baden auf, dem Rufe dieser wackeren Manner zu folgen, zu der provi= | sorischen Regierung zu stehen und nicht zu wanken, bis der Sieg der Freiheit errungen sein wird. Hoch lebe das groBe, das einige, das freie deutsche Vaterland! Carlsruhe, den 1. Juni 1849.

1950

§12:Baden

[Dok. 188-251]

Der regierende LandesausschuB. | Barbo, Bannwarth, Cordel, Damm, Degen, Happel, Hennecka, Hoff, Junghanns, Kiefer, | Rehmann, Richter, Ritter, Rotteck, Stark, Stay, Steinmetz, Stmve, Thiebauth, Werner, | Wemwag, Willmann, Ziegler. Mitbtirger! Durch den LandesausschuB zu Mitgliedem der provisorischen Regierung erwahlt, haben I wir uns sogleich als solche konstituirt. Wir verkennen die groBe Verantwortlichkeit nicht, welche mit der Uebemahme der hochsten | Gewalt im Lande verbunden ist; wir werden dieselbe, wo der Kampf fur die Freiheit und | Einheit des Vaterlandes entbrannt ist, mit Kraft und Muth und nach unserer besten Ueber= | zeugung zum Wohle des Ganzen und des Einzelnen auszutiben suchen, denn in dem Augenblicke | der Gefahr ist es des Btirgers Pflicht, dem Rufe des Volkes zu folgen und seine Krafte dem | Allgemeinen nicht zu entziehen. Mitbtirger! Gewahret uns Vertrauen; duldet nicht, daB man Spaltungen erregen sucht, | da wo Einigkeit Noth thut; untersttitzet uns in unseren Anordnungen; wie werden Eueren Ver= I tretem, die am 10. dieses Monats sich hier versammeln, Rechenschaft ablegen, von dem, was | wir gethan; wir werden beweisen, daB wir uns die thatsachliche Durchfuhrung der Reichsver= | fassung und des Volkswillens nicht bios in Baden, sondem in alien deutschen Landem zum Ziele 1 gesetzt, und daB wir dem Kampfe um Einheit und Freiheit des deutschen Vaterlandes ein sieg= | reiches Panier vorzutragen bestrebt sind. Mitbtirger! Wir stehen und fallen mit Euch, die Ihr den Kampf gewagt fur die heiligsten I Gliter des Menschen; die Ihr den Kampf gewagt gegen die Rebellen auf den Thronen, welche | die Souveranetat des Volkes mit FtiBen treten und dem tausendjahrigen Unrechte ein dauemdes | Bestehen sichem wollen! Mitbtirger! Die Rebellen, der Konig von PreuBen an der Spitze, welche die rohen Horden der Schneegefilde Russlands in unser Vaterland rufen, um die Volker zu knechten, sie mtissen | vemichtet werden. Auf denn! Jagd sie zurtick zu ihrem Freunde mit der Kiiute, damit nicht | der Kosacke sein Pferd tranke in den Fluthen des Rheines, damit vielmehr ein Band, das | Band der Einheit, Freiheit und Brtiderlichkeit, alle Deutschen umschlinge, vom Rheine bis zur | Donau, von dem Meeresstrande bis an die Alpen! Carlsruhe, den 1. Juni 1849. Die provisorische Regierung fiir Baden. | L. Brentano. A. Goegg. J. Fickler. I. Peter. F. Sigel.

[231] Grodherzogliche Proklamation zu den revolutionaren Ereignissen vom 2. Juni 1849 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einftihrungen" die Darstellung unter [844.]. Quelle: GroBherzoglich Badisches Regiemngs-Blatt, (Nr. 30 vom 3. Juni) 1849, S. 293 294 (gedrackt). [S. 293] Leopold, GroBherzog von Baden, | Herzog von Zahringen. Einer hochverratherischen Parthei in Unserem GroBherzogthum ist es in Verbindung mit I meuterischen Truppen, und begtinstigt durch den vorausgegangenen Aufstand in der angranzenden | Rheinpfalz, gelungen, die Regierungsgewalt an sich zu reiBen, und durch ihr Schreckenssystem | den Widerstand der groBen Mehrheit guter Btirger, die ohne Haltpunkt und Zusammenhang | waren, fiir den Augenblick zu lahmen.

[232] Erklamng des Kriegszustandes vom 5. Juni 1849

1951

Der sogenannte LandesausschuB hat sich alle die Befugnisse angemaBt, welche die Verfassung I nur dem GroBherzog einraumt, und er ist darin noch weiter gegangen, indem er sogar mit | standischer Zustimmung zu Stande gekommene Gesetze einseitig aufhob und umging. Er hat willktirlich liber Staatsgelder verfugt, treue Beamte eigenmachtig abgesetzt, andere I emannt, zur Beschrankung der Freiheit der Verfassungstreuen durch seine Agenten Verhaftungen I vomehmen oder ungesetzliche Strafen androhen lassen, endlich sogar die Standeversammlung auf= | gelost und eine andere Versammlung nach willkiirlich ertheilten Wahlvorschriften bemfen. Indem Wir diese und alle anderen ungesetzlichen Handlungen des sogenannten Landesaus= I schusses oder seiner Agenten hiermit fiir nichtig und wirkungslos erklaren, wiederholen Wir die | in Unserer Proclamation vom 27. vorigen Monats enthaltene Ermahnung an die Verirrten, daB | sie zur Gesetzlichkeit und Ordnung zurtickkehren, und an die Treugebliebenen, daB sie, eingedenk | der groBen Interessen, um die es sich handelt, vereint und Jeder nach seinen Kraften und Ver= | haltnissen fiir die Wiederherstellung des verfassungsmaBigen Rechtszustandes thatig seien. Es haben jetzt aber die Emporer den offenen Kampf selbst gegen die Reichsgewalt, welche I die verfassungsmaBigen Zustande der einzelnen Lander zu schtitzen hat, begonnen, zu solch unheil=^ | vollem Kampfe Fremde zu Hiilfe genommen und die Sohne Badens gepreBt. [S. 294] Indessen werden nun die Reichstruppen, denen sich die treu gebliebenen badischen Truppen | anschlieBen, in das GroBherzogthum einrticken, und es ist zu hoffen, daB der Rechtszustand bald | wieder hergestellt und das Land von seinen Drangem befreit werde. Um aber auch jetzt noch den Verirrten oder Verfuhrten die Gelegenheit zu geben, daB sie I durch schnelle Besserung wegen ihres Fehltritts Nachsicht erlangen konnen, und um gegen die | Anderen, die auf ihrem verbrecherischen Wege beharren, desto strengere MaBregeln eintreten lassen | zu konnen, verordnen Wir wie folgt: Denjenigen Theilnehmem an dem hochverraterischen Untemehmen, welche nicht | zu den Anstiftem oder Radelsflihrem gehoren und welche, ehe sie in einen Kampf mit | den Truppen kommen, und zwar sobald es ihnen nach Verkijndung dieser Verordnung | iiberhaupt nur immer moglich ist sich freiwillig unterwerfen, und so viel an ihnen | liegt, die Sache der verfassungsmaBigen Regierung und der fiir die Wiederherstellung | der Staatsordnung einschreitenden Truppen thatig zu befordem suchen, wird hiermit, | ohne Unterscheidung zwischen Militarpersonen und Anderen, Amnestic zugesichert. Gegeben in Unserem Staatsministerium zu Frankfurt a. M., den 2. Juni 1849. Leopold. Fr. Hoffmann, v. Stengel.

[232] Erklamng des Kriegszustandes durch die provisorische Regierung Badens vom 5. Juni 1849 VgL dazu in „Teil 1: Historische Einfiihrungen" die Darstellung unter [847.]. Quelle: Regierungs-Blatt (hrsg. v. der provisorischen Regierung Badens), (Nr. XLII [13] vom 6. Juni) 1849, S. 345 - 346 (gedruckt). Sonstige Fundstelle: S.-M. Bauer, Die verfassunggebende Versammlung in der badischen Revolution von 1849, 1991, S. 231 - 232 (ohne Praambel).

1952

§12:Baden

[Dok. 188-251]

[S. 345] Im Namen des Volkes in Baden, | die provisorische Regiemng. Wir haben seit dem Beginne der Revolution wohl hinreichende Beweise gegeben, daB wir I so lange als moglich mit den gelindesten Mitteln unsere MaBregeln durchzuflihren suchten; ja | wir haben standhaft die von vielen Seiten uns zukommenden Aufforderungen zur Anwendung | der durch die revolutionaren Zustande bedingten Strenge zurtick gewiesen, und die Vorwtirfe, daB | wir den reactionaren und contrerevolutionaren Bestrebungen nicht mit der gehorigen Kraft ent= | gegentreten, hingenommen. Von Tag zu Tag hat es sich mehr gezeigt, daB hierdurch die Parthei, welche der jetzigen I Regiemng feindlich gegentiber steht, diese unsere Schonung nicht anerkennt, daB die Aufreizungen | gegen unsere Anordnungen sich auf eine bedenkliche Weise steigem, und die Widersetzlichkeiten gegen | unsere Befehle und die Anordnungen unserer Beauftragten sich haufen. Es sind Verweigerungen, die Steuem zu bezahlen hinzugetreten, offenbar in der Absicht, I uns zu hemmen, und die Durchflihrung der Revolution, Behufs der Erreichung des gemein= | schaftlichen Zieles unmoglich zu machen. Die zu den Waffen gerufene Mannschaft, so wie die unter den Waffen stehenden Manner I sucht man zum Ungehorsam gegen die Befehle der Regiemng und ihrer beauftragten Comman= | danten aufzureizen und dadurch eine gehorige Operation gegen den Feind zu verhindem. Wir sind daher, Angesichts der groBen Verpflichtung, die wir ubemommen, gegentiber den I MaBregeln, welche der an der Grenze stehende Feind in seinem eigenen Lande ergriffen, dem | Vaterlande, der uns anvertrauten groBen Sache der Freiheit schuldig, nunmehr diejenigen An= | ordnungen zu treffen, welche erft)rderlich sind, um jede Unordnung und jede Widersetzlichkeit | gegen unsere Befehle und MaBregeln wirksam zu beseitigen, und haben daher beschlossen: Art. 1. Das Land wird von der hessischen Grenze bis zur Murg einschlieBlich der Festung und des I Amtsbezirks Rastatt in den Kriegszustand erklart. [S. 346] Art. 2. 1. Wer in diesem Bezirke in Beziehung auf die Zahl, die Marschrichtung der operirenden | Tmppenkorps, die angeblichen Siege des Feindes oder angeblichen Niederlagen unserer Armee | falsche Geriichte ausstreut oder verbreitet, welche geeignet sind, das Publikum zu beunmhigen, | oder die Civil= und Militarbehorden in Beziehung auf ihre MaBregeln irre zu fiihren; 2. einer zustandigen Handlung der Civil= oder Militarbehorde sich widersetzt; 3. gegen die jetzt bestehende Regiemng oder ihre Behorden zum Ungehorsam oder Wider= | setzlichkeit aufreizt; 4. die aufgebotene Mannschaft vom Einriicken abzuhalten oder die unter den Waffen stehende | Mannschaft zum Ungehorsam oder zur Treulosigkeit zu verleiten sucht, wird sofort verhaftet und | so lange der Kriegszustand dauert, als Kriegsgefangener behandelt. Art. 3. Je nach Umstanden steht es den Tmppenkommandanten zu, solche Kriegsgefangene sofort I vor ein Kriegsgericht zu stellen und kriegsrechtlich aburtheilen zu lassen.

[233] Bekanntmachung vom 7. Juni 1849

1953

Art. 4. Ueber die Zusammensetzung des Kriegsgerichts und seine Zustandigkeit ist der Kriegsminister | unter Beistimmung des Civilcommissars eine Verordnung zu erlassen berechtigt. Art. 5. Eben so hat der Kriegsminister unter Beistimmung des Civilcommissars das Recht, sobald er es | fur nothwendig erachtet, das Standrecht zu proklamiren und dieses sofort zu erlassen. Art. 6. Gegen Jeden, welcher sich mit den Waffen in der Hand den Anordnungen der Civil= oder I Militarbehorden widersetzt, ist sofort mit Waffengewalt einzuschreiten. Wir versehen uns zu alien Denjenigen, denen es darum zu thun ist, die Freiheit zu er= | ringen und zu begrunden, daB sie durch alle Mittel der Belehrung und Verstandigung dahin I wirken werden, daB von der Anwendung des Gesetzes einen wirklichen Gebrauch zu machen nicht | nothig wird, und erwarten namentlich von unseren Beauftragten, daB sie selbst keine Veranlassung | geben werden, daB Thatsachen sich ereignen, welche ein solches Einschreiten gebieten mtissten, und daB | namentlich keine unbegrtindeten aus Privatleidenschaften abgeleiteten Anzeigen und Verhaftungen | vorkommen, indem wir andemfalls mit der gleichen Strenge solchen Missbrauch der Amtsgewalt zu | bestrafen keinen Anstand nehmen werden. Carlsruhe, den 5. Juni 1849. Die provisorische Regierang. | L. Brentano. A. Goegg. I. Peter.

[233] Bekanntmachung der provisorischen Regierung Badens zur Einberufung einer konstituierenden Versammlung vom 7. Juni 1849 Quelle: Regiemngs-Blatt (hrsg. v. der provisorischen Regierung Badens), (Nr. XLIII [14] vom 8. Juni) 1849, S. 349 (gedruckt). [S. 349] Die Einberufung der constituirenden Versammlung betreffend. In GemaBheit des Gesetzes vom 17. Mai d. J., die Einbemfiing einer constituirenden Ver= I sammlung betreffend^ (Regierungsblatt Nr. XXXL), findet die Eroffhung der constituirenden I Versammlung am 10. Juni d. J. statt. Es werden daher die Wahlcommissare aufgefordert, in GemaBheit der Vollzugsverordnung I vom 19. Mai unverztiglich die Wahlacten einzusenden, die Gewahlten aber werden eingeladen | Sonntag den 10. Juni d. J. Vormittags 11 Uhr | zu einer vorbereitenden Sitzung, und Nachmittags 4 Uhr zur offentlich stattfindenden Eroffnungs= | sitzung sich im Standehaus dahier einzufinden. Carlsruhe, den 7. Juni 1849. Die provisorische Regierung. | Ministerium des Innem. | L. Brentano.

^ Dok.226.

1954

§ 12: Baden

[Dok. 188 - 251]

[234] Grodherzogliche provisorische Verordnung uber die Versetzung des Landes in den Kriegszustand vom 9. Juni 1849 VgL dazu in „Teil 1: Historische Einfiihrungen" die Darstellung unter [849.]. Quelle: GroBherzoglich Badisches Regierungs-Blatt, (Nr. 32 vom 10. Juni) 1849, S. 2 9 7 299 (gedruckt). [S. 297] Leopold, von Gottes Gnaden | GroBherzog von Baden, Herzog von Zahringen. In Anbetracht der Gefahren, denen das GroBherzogthum durch die Usurpation einer | revolutionaren Regierung ausgesetzt ist, und in Erwagung, daB die Reichstruppen mit den | sich ihnen anschlieBenden treu gebliebenen badischen Truppen zur Wiederherstellung der Staats= I ordnung in das GroBherzogthum einrticken, finden Wir Uns veranlaBt, auf den Grund des | §. 66. der Verfassungs=Urkunde und im EinverstandniB mit der deutschen Centralgewalt zu | verordnen, wie folgt: §•1. Der Militar=Commandant, der wenigstens eine Brigade zu befehligen hat, ist ermach^ | tigt, diejenigen Bezirke, in denen er es fiir nothig erachtet, in Unserem Namen, nach dem | Gesetz vom 7. Juni 1848, in Kriegszustand zu erklaren, mit der femeren Wirkung, daB | fur die in Kriegszustand erklarten Bezirke nicht nur gegen die aufrtihrerischen Truppen nach | dem Gesetz tiber das militarstandrechtliche Verfahren vom 7. Juni 1848, sondem allgemein | nach MaBgabe der nachfolgenden § § . 2 - 5 . das Standrecht eintritt. §.2. Wer wahrend der Dauer des Kriegszustandes 1. bewaffhet an einem Angriffe oder Widerstand gegen die gesetzliche Autoritat Oder I bewaffhete Macht, oder an einer unerlaubten bewaffheten Versammlung Antheil | nimmt, oder sich auf dem Wege dazu oder zu einem gewaltsamen Unternehmen | befindet, - oder wer 2. zu solcher Bewaffhung oder solchen Waffengebrauch oder tiberhaupt zu Hochverrath, I Landesverrath oder Aufruhr auffordert, 3. Soldaten in irgend einer Weise zum Treubruch verleitet, 4. Anlagen macht, oder bestehende Anlagen zerstort, um militarische Bewegungen zu I hindem, [S. 298] 5. den Aufriihrem als Spion dient, oder die fur die Wiederherstellung der Staatsord= | nung einschreitenden Truppen zu ihrem Nachtheil irre zu fuhren sucht, wird standrechtlich mit dem Tode, oder bei minderer Betheiligung mit Zuchthaus von 10 I Jahren bestraft.

[234] GroBherzogliche provisorische Verordnung vom 9. Juni 1849

1955

§.3. ^Diese Vergehen werden von einem Kriegsgericht abgeurtheilt, welches nach Artikel 4 | des am 7. Juni 1848 tiber das standrechtliche Verfahren beim Militar erlassenen Gesetzes | zusammengesetzt wird. "^Insoweit es Civilpersonen betrifft, findet dabei der letzte Absatz des I Art. 4 des gedachten Gesetzes keine Anwendung. ^Das Verfahren richtet sich nach den Artikeln 5 - 7 des namlichen Gesetzes, jedoch | mit der Aendemng, daB das Gericht in den dazu geeigneten Fallen auf die im §. 2. | erwahnte lOjahrige Zuchthausstrafe erkennt und den alsbaldigen Vollzug anordnet. ^Kann | wegen ungentigender Aufklarung der Sache weder die lOjahrige Zuchthausstrafe noch die | Todesstrafe erkannt und der Angeschuldigte auch nicht sogleich vollig freigesprochen werden, | Oder erscheint die Aburtheilung hinsichtlich des Angeschuldigten tiberhaupt nicht als dringend, I so wird die Sache zur weiteren Untersuchung und Erledigung an den ordentlichen Richter | verwiesen. ^Bei der im Art. 6 No. 3 des Gesetzes vom 7. Juni 1848 erwahnten Wahl I eines Vertheidigers ist der Angeklagte, der nicht zum Militar gehort, in seiner Auswahl I nicht auf Militarpersonen beschrankt und eben so wenig das Gericht, vorausgesetzt, daB das | Verfahren dadurch nicht aufgehalten wird. §•4.

1st das Todesurtheil gegen eine groBere Anzahl der am namlichen Vorgang Betheilig= | ten ausgesprochen, so wird der Commandirende hinsichtlich der darunter befindlichen verhalt= I niBmaBig weniger schwer Belasteten den Vollzug des Erkenntnisses aufschieben, und Unsere | EntschlieBung tiber Begnadigung oder Strafverwandlung einholen. §.5. Hinsichtlich der Theilnehmer an den hochverratherischen Untemehmungen seit dem 11. I Mai d. J., die nicht erst nach Verktindigung des Kriegszustandes eine der im §. 2. erwahn= I ten Handlungen veruben, findet diese Verordnung nur auf diejenigen Anwendung, welche | zu den Anstiftem gehoren, oder an der hochverratherischen Verbindung Theil | genommen haben, und nicht nach Verkiindung dieser Verordnung ohne alien Verzug sich | vollig lossagen, indem sie sich der gesetzlichen Gewalt unterwerfen, und zugleich Alles, was I in ihren Kraften steht, beitragen, auch die Mitschuldigen zur schleunigen Unterwerfung zu I bringen, und dadurch den weiteren strafbaren Erfolg ihrer verbrecherischen Untemehmung | zu verhindem. fS. 299] §.6. Wahrend der Dauer des Kriegszustandes sind alle Bezirks= und Ortsbehorden, die sich | mit der Sicherheitspolizei und tiberhaupt mit der Aufrechterhaltung der offentlichen Ordnung I zu befassen haben, dem Militarcommandanten untergeordnet, und auch die Burgerwehr steht | unter seinen Oberbefehl. In alien Bezirken, in welchen sich Truppen befinden, konnen die Militarbehorden die | Sicherheitspolizei auch unmittelbar selbst handhaben, zur Aufrechterhaltung der offentlichen I Ordnung in Gemeinschaft mit den ihnen beigegebenen Civilcommissaren auch polizeiliche | Anordnungen und Verbote erlassen, die Uebertretung mit Festnehmung und polizeilicher | Strafe bedrohen, und diese durch die Civilbehorden vollziehen lassen, oder nach Umstanden | selbst vollziehen, Gegeben in Unserem Staats=Ministerium zu Frankfurt a. M., den 9. Juni 1849. Leopold. Kltiber. Stengel.

1956

§12:Baden

[Dok. 188-251]

[234/1] GroRherzogliche Bekanntmachung des Kriegszustands fur das gesamte GroRherzogtum vom 23. Juni 1849 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einfuhmngen" die Darstellung unter [849.]. Quelle: GroBherzoglich Badisches Regierungs-Blatt, (Nr. 32 vom 24. Juni) 1849, S. 303 (gedruckt). [S. 303] Leopold, von Gottes Gnaden | GroBherzog von Baden, Herzog von Zahringen. Unter Bezug auf das provisorische Gesetz vom 9. d. M., Regierungsblatt No. XXXII., | den Kriegszustand und das Standrecht betreffend, erklaren Wir, sov^eit solches nicht schon | auf den Grund des §. 1. jenes Gesetzes durch die Militarcommandanten geschehen ist, | andurch das ganze GroBherzogthum in den Kriegszustand, und zwar mit alien in den | §§. 1 6 des erwahnten Gesetzes angefiihrten Wirkungen. Gegeben in Unserem Staatsministerium zu Mainz, den 23. Juni 1849. Leopold. A. V. Roggenbach. Stabel.

[235] BeschluB der verfassungsgebenden Versammlung Badens iiber die Errichtung einer provisorischen Regierung mit diktatorischer Gewalt vom 13. Juni 1849 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einfuhmngen" die Darstellung unter [842.]. Quelle: Regierungs-Blatt (hrsg. v. der provisorischen Regierung Badens), (Nr. XLVI [17] vom 20. Juni) 1849, S. 370 (gedruckt). [S. 370] Die Errichtung einer provisorischen Regierung mit diktatorischer Gewalt betr. Verfassunggebende Versammlung Badens. Die verfassunggebende Versammlung hat in ihrer heutigen fiinften offentlichen Sitzung be= I schlossen: 1. Es wird eine provisorische Regierung von drei Mitgliedem mit diktatorischer Gewalt I emannt. 2. Die konstituirende Versammlung kann die diesen drei Mannem tibertragene Gewalt jeder= | zeit zuriick nehmen. 3. Nach niedergelegter Gewalt sind die Mitglieder der provisorischen Regierung der konstituirenden Versammlung fur ihre Handlungen Rechenschaft schuldig. Carlsruhe, den 13. Juni 1849. Der erste Viceprasident: | Werner. Die Schriftftihrer: | C. Rotteck. | Pellisier. | Fl. Mordes. Vorstehendes Gesetz wird hiermit verkundet. Die provisorische Regierung mit diktatorischer Gewalt. | Brentano. Goegg. Werner. Haas.

[237] BeschluB der verfassunggebenden Versammlung Badens vom 15. Juni 1849 1957

[236] Gesetz der verfassungsgebenden Versammlung Badens iiber die Diaten und Reisekosten ihrer Mitglieder vom 14. Juni 1849 Quelle: Regiemngs-Blatt (hrsg. v. der provisorischen Regiemng Badens), (Nr. XLVI [17] vom 20. Juni) 1849, S. 373 (gedmckt). [S. 373] Den Bezug der Diaten und Reisekosten der Mitglieder der verfassunggebenden Versammlung betreffend. Die verfassunggebende Versammlung Badens hat beschlossen und verkundet als Gesetz: Einziger Artikel. Die Mitglieder der verfassunggebenden Versammlung erhalten auBer den Kosten der Hin= I und Herreise eine Tagsgebtihr von | d r e i G u l d e n . Gegeben, Carlsruhe den 14. Juni 1849. Im Namen der verfassunggebenden Versammlung Badens. Der erste Viceprasident: | gez. Werner. Die Schriftfiihrer: | C. Rotteck. | Pellisier. Vorstehendes Gesetz wird hiermit verkiindet. Die provisorische Regiemng mit diktatorischer Gewalt. | Brentano. Goegg. Werner. Haas.

[237] BeschluB der verfassungsgebenden Versammlung Badens iiber die Wahl einer provisorischen Regierung fiir Baden vom 15. Juni 1849 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einfiihrungen" die Darstellung unter [842.]. Quelle: Regiemngs-Blatt (hrsg. v. der provisorischen Regierung Badens), (Nr. XLVI [17] vom 20. Juni) 1849, S. 371 (gedmckt). [S. 371] Die Wahl einer provisorischen Regiemng fiir Baden betreffend. Die verfassunggebende Versammlung Badens hat, nachdem sie beschlossen hatte, daB eine | provisorische Regiemng, aus drei Btirgem bestehend, niedergesetzt werden solle, bei einer An= | wesenheit von 57 Mitgliedem Btirger Brentano aus Mannheim mit 55 Stimmen, Btirger Goegg aus Mannheim mit 47 Stimmen, Biirger Wemer aus Oberkirch mit 34 Stimmen als Mitglieder jener Regiemng in ihrer flinften offentlichen Sitzung vom 13. dieses Monats erwahlt. Carlsmhe, den 15. Juni 1849. Der zweite Viceprasident der verfassunggebenden Versammlung Badens: | Stehlin. Die Schriftflihrer: | C. Rotteck. | Pellisier. Vorstehendes Gesetz wird hiermit verkundet. Die provisorische Regiemng mit diktatorischer Gewalt. | Brentano. Goegg. Wemer. A. Wolf

1958

§12:Baden

[Dok. 188-251]

[238] Gesetz der verfassungsgebenden Versammlung Badens iiber die Versetzung des Landes in den Kriegszustand vom 15. Juni 1849 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einfuhmngen" die Darstellung unter [848.]. Quelle: Regierungs-Blatt (hrsg. v. der provisorischen Regierung Badens), (Nr. XLVI [17] vom 20. Juni) 1849, S. 371 - 372 (gedmckt). [S. 371] Die diktatorische Gewalt der provisorischen Regierung betreffend. Im Namen des Volkes in Baden. Zur Ausfiihrung des Beschlusses vom 13. d. M. liber die Errichtung einer provisorischen I Regierung mit diktatorischer Gewalt beschlieBt die verfassunggebende Versammlung und verktindet | als Gesetz: Art. 1. Die provisorische Regierung vereinigt in sich alle Regierungsgewalt, in so weit sie nicht I durch dieses Gesetz beschrankt ist. Art. 2. Die provisorische Regierung ist die alleinige vollziehende Behorde fur die Beschltisse der ver= | fassunggebenden Versammlung. Art. 3. Die provisorische Regierung hat die BefugniB, provisorische Gesetze zu erlassen und Gesetze | zu suspendiren. [S. 372] Art. 4. Die provisorische Regierung emennt fur die regelmaBige Verwaltung des Landes Minister. Diese Emennung v^ird von demjenigen Mitgliede der provisorischen Regierung vorgenommen, [ welches bei der Wahl die meisten Stimmen erhielt. Die Entlassung der Minister geschieht nach kollegialischem Beschlusse der provisorischen I Regierung. Art. 5. ^Das tibrige Beamtenpersonal wird von der provisorischen Regierung insgesammt ernannt. | ^Jedoch kann in dringenden Fallen jedes Mitglied der Regierung auf seine Verantwortung hin | Emennungen vomehmen. Das Gleiche fmdet bei der Entsetzung der Beamten statt. Art. 6. Die provisorische Regierung hat das Recht, in gleicher Weise auBerordentliche Beamte mit I den ihr gutdtinkenden Vollmachten zu emennen, und ihren Gehalt zu bestimmen.

[239] Unmittelbare allerhochste EntschlieBung vom 5. Mai 1851

1959

Art. 7. Die provisorische Regiemng hat das Recht, unbedingt liber die Staatsgelder zu verfugen. Art. 8. Die provisorische Regiemng hat das Begnadigungsrecht. Art. 9. Die provisorische Regiemng hat die oberste Militargewalt. Art. 10. Die provisorische Regiemng hat das Recht der Vertretung nach AuBen. Gegeben, Carlsmhe den 15. Juni 1849. Der erste Viceprasident der verfassunggebenden Versammlung: | F. Ganter. Die Schriftfiihrer: | C. Rotteck. | F. Mordes. | Pellisier. Vorstehendes Gesetz wird hiermit verkiindet. Die provisorische Regiemng mit diktatorischer Gewalt. | Brentano. Goegg. Wemer. Haas.

[239] Unmittelbare allerhochste EntschlieRung des GroRherzogs, „Die Grundrechte des deutschen Volkes betreffend", vom 5. Mai 1851^ Quelle: GroBherzoglich Badisches Regiemngs-Blatt, 47. Jahrgang, (Nr. 33 vom 21. Mai) 1851, S. 405 (gedmckt). [S. 405] Unmittelbare allerhochste EntschlieBungen Seiner Koniglichen Hoheit | des GroBherzogs. | Die Gmndrechte des deutschen Volkes betreffend. Leopold, von Gottes Gnaden, [ GroBherzogs von Baden, Herzog von Zahringen. In Erwagung, daB tiber die Gesetzeskraft der deutschen Gmndrechte bei Unseren Staats= I behorden verschiedene Ansichten bestehen, und dadurch eine Bestimmung hiertiber geboten ist, ~ | haben Wir nach Anhomng Unseres Staatsministeriums beschlossen und verordnen, wie folgt: den in Unseren Regiemngsblattem Nr. II. und XXIX. vom Jahr 1849 zur KenntniB | gebrachten deutschen Gmndrechten ist keine rechtliche Wirksamkeit beizulegen. Gegeben zu Carlsmhe in Unserem Staatsministerium, den 5. Mai 1851. Leopold. Frhr. Rtidt. von Marschall. Stabel. Auf allerhochsten Befehl Seiner Koniglichen Hoheit des GroBherzogs: | Schunggart.

Vgl. auch Dok. 79.

1960

§12:Baden

[Dok. 188-251]

[240] Gesetz, die „Rechtsverhaltnisse der Richter betreffend", vom 7. Oktober1865 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einfiihrungen" die Darstellung unter [866.]. Quelle: GroBherzoglich Badisches Regierungs-Blatt, 63. Jahrgang, (Nr. 48 vom 12. Oktober) 1865, S. 617 - 620 (gedruckt). [S. 617] Gesetz, | Die Rechtsverhaltnisse der Richter betreffend. Friedrich, von Gottes Gnaden GroBherzog von Baden, | Herzog von Zahringen. Mit Zustimmung Unserer getreuen Stande haben Wir beschlossen und verordnen, wie folgt: §.1. Die Anstellung der in der Gerichtsverfassung erwahnten Richter bei den Kollegialgerichten und | bei den Amtsgerichten sind von dem Tage des Dienstantritts derselben unwidermflich. §.2. Versetzung auf eine gleiche oder eine hohere Richterstelle ist wider ihren Willen nur im Inter= | esse des offenthchen Dienstes zulassig. §.3. Entlassung aus dem Staatsdienst findet wider ihren Willen nur auf Grund eines strafgericht= I lichen oder eines vom Disziplinarhof gefallten Erkenntnisses statt. §.4. Minderung ihres Ranges oder ihrer Besoldung, ebenso Versetzung auf eine nicht gleiche Richter^ | oder auf eine andere Staatsstelle ist nur nach MaaBgabe dieses Gesetzes zulassig. [S. 618] §.5. Wahrend der ersten fiinf Jahre im Staatsdienst kann jedoch ein Amtsrichter auf eine andere I Staatsstelle versetzt werden, wenn das vorgesetzte Appellationsgericht eine solche Versetzung im Inter= | esse des Dienstes beantragt oder gutheiBt. Unter der gleichen Voraussetzung kann das Staatsministerium verfugen, daB eine dem Amts= I richter wahrend der ersten funf Dienstjahre anfallende Besoldungszulage erst nach Ablauf des flinften | Dienstjahres eintreten soil. Diese Bestimmungen finden auf Amtsrichter, die beim Eintritt dieses Gesetzes langer als zwei, | aber nicht fiinf Jahre im Staatsdienste sind, noch drei Jahre hindurch Anwendung.

Die Besoldungsverhaltnisse der Richter werden durch ein besonderes Gesetz geregelt. §.7. ^Dieses Gesetz findet mit Ausnahme des §. 6 auch Anwendung auf die aus dem Stande der I Richter emannten Staatsanwalte. "^Sie konnen jedoch dieses Dienstes jederzeit enthoben werden, mtissen | aber in diesem Fall in den Richterstand zurtickversetzt werden, und zwar mit derjenigen Besoldung, | welche ihnen zukame, wenn sie in demselben verblieben waren.

[240] Gesetz, die „Rechtsverhaltnisse der Richter betreffend", vom 7. Oktober 1865

1961

§.8. Im Disziplinarweg kann gegen einen Richter eingeschritten werden: 1. wenn er seine Amtspflicht verletzt, oder 2. wenn er sich durch sein Verhalten in oder auBer dem Amte der Achtung und des Ver= I trauens, die sein Bemf erfordert, unwtirdig macht. §•9. Wegen der in §. 8 erwahnten Dienstvergehen und unwtirdigen Handlungen finden folgende Strafen statt: 1. Verweis, 2. GeldstrafebiszulOOfl., 3. Entziehung des Vorrtickens in der Besoldung auf gewisse Zeit, 4. Setzung auf Wartgeld (§ 10) mit oder ohne BefugniB der Regierung zur Minderung von I Rang, Besoldung, oder von beiden im Falle der Wiederanstellung in irgend einem Zweige | des Staatsdienstes, 5. Entlassung aus dem Staatsdienste. ^Die Disziplinarstrafen erkeimt der Disziplinarhof. ^Verweis und Geldstrafe bis zu 50 fl. kann | die Aufsichtsbehorde als Ordnungsstrafen erkennen. [S. 619] §.10. Der auf Wartgeld Gesetzte bezieht zwei Drittheile des Ruhegehaltes, den er erhalten haben I wtirde, wenn er an dem Tage der Eroffnung des Erkenntnisses in den Ruhestand versetzt worden ware. §.11. Eine hohere und selbst die hochste der in §. 9 erwahnten Strafen kann ausgesprochen werden, | ohne daB die Erkennung einer geringeren vorausgegangen ist. §.12. Der Disziplinarhof, welcher liber Kollegialrichter zu erkennen hat, besteht aus sieben Mit= I gliedem. Er wird gebildet aus den Vorstanden des Oberhofgerichts und den Prasidenten und Direktoren | der tibrigen Kollegialgerichte. Den Vorsitz fiihrt der Prasident des Oberhofgerichts oder seine Stellvertreter und bei deren | Verhinderung der Dienstalteste der tibrigen Prasidenten. Die tibrigen Mitglieder werden fiir jede Sitzung auf eine durch Verordnung zu regelnde Weise | durch das Loos bestimmt. Der Prasident und Direktor des Gerichts, dem der Beschuldigte angehort, dtirfen bei der Ver= I handlung und Entscheidung nicht mitwirken. Die Sitzung des Disziplinarhofes wird in der Residenz angeordnet. §.13. Als Disziplinarhof, welcher tiber Amtsrichter zu erkennen hat, entscheidet in Versammlung von I sieben Richtem das Appellationsgericht, zu dessen Bezirk der Richter gehort,

1962

§12:Baden

[Dok. 188-251]

§.14. Wegen Ablehnung gelten die Bestimmungen der StrafjprozeBordnung. §.15. Der Antrag auf Erkennung einer Strafe und die Begrtindung derselben erfolgt durch einen vom | Justizministerium beauftragten Staatsanwalt und wird dem Prasidenten des Disziplinarhofes tibergeben. Das Verfahren richtet sich nach der Analogie des Verfahrens vor den Strafkammem, ist aber | nicht offentlich. Die Vemrtheilung erfordert fiinf Stimmen. Ein Rekurs findet nicht statt. §.16. Wird ein gerichtliches Strafverfahren oder eine dienstpolizeiliche Untersuchung gegen einen Richter | eingeleitet, so kann mit Zustimmung des Disziplinarhofs, der in Versammlung von drei Richtem | entscheidet, die einstweilige Dienstenthebung bis zur Fallung des Erkenntnisses verftigt werden [S. 620] §. 17. Die Zuruhesetzung eines Richters kann gegen seinen Willen nur erfolgen: 1. wenn er das 65. Lebensjahr erreicht hat, oder 2. wenn durch das Gutachten einer Kommission, welche auf dieselbe Weise gebildet wird, wie | der Disziplinarhof, die Zuruhesetzung im dienstlichen Interesse durch einfache Stimmen= | mehrheit fur zulassig erklart wird. §.18. Die Wirksamkeit dieses Gesetzes beginnt mit dem Tage, an welchem die Wirksamkeit der neuen | Gerichtsverfassung eintritt. Die Bestimmungen dieses Gesetzes tiber die Versetzung und Zuruhesetzung finden keine Anwendung, | wenn in Folge von Veranderungen in der Organisation der Gerichte oder ihrer Bezirke, oder der | sonstigen Gesetze eine Verminderung in dem Richterpersonal eintritt. §.19. Dieses Gesetz bildet einen Bestandtheil der Verfassung und des Staatsdienerediktes vom 30. I Januarl819. Das Justizministerium ist mit dem Vollzuge beauftragt. Gegeben zu Karlsruhe in Unserem Staatsministerium, den 7. Oktober 1865. Friedrich. Stabel. Auf Seiner Koniglichen Hoheit hochsten Befehl: | Schunggart.

[240/1] Gesetz, die Rechtsverhaltnisse der Richter betreffend, vom 14. Februar 1879

1963

[240/1] Gesetz, die Rechtsverhaltnisse der Richter betreffend, vom 14. Februar 1879 Quelle: Gesetzes- und Verordnungs-Blatt fiir das GroBherzogthum Baden, (Nr. 14 vom 20. Marz) 1879, S. 173 - 176 (gedruckt). [S.173] Gesetz, | Die Rechtsverhaltnisse der Richter betreffend Friedrich, von Gottes Gnaden GroBherzog von Baden, | Herzog von Zahringen. Mit Zustimmung Unserer getreuen Stande haben Wir beschlossen und verordnen | Wir, was folgt: §.1. Die Anstellung der Richter bei dem Oberlandesgerichte, den Landgerichten und den | Amtsgerichten ist unwiderruflich. §.2. Die Versetzung eines Richters auf eine gleiche oder eine hohere Richterstelle ist wider | dessen Willen nur zulassig, wenn sie durch das Interesse der Rechtspflege geboten ist. §.3. Wahrend der ersten ftinf Jahre im Staatsdienst kann ein Amtsrichter, unter der in | §.2 bestimmten Voraussetzung, auch auf eine andere nicht richterliche Staatsstelle versetzt | werden.

Die Zurruhesetzung eines Richters kann gegen seinen Willen nur geschehen, wenn derselbe I in Folge eines korperlichen Gebrechens oder wegen Schwache seiner korperlichen oder geistigen | Krafte zur Erfullung seiner Amtspflichten dauemd unfahig geworden ist. [S. 174] §.5. ^DaB Voraussetzungen einer Versetzung nach §. 2 oder §. 3 oder einer Zurruhesetzung | nach §. 4 vorliegen, muB durch eine richterliche Entscheidung festgestellt sein. ^Dieselbe erfolgt I auf Veranlassung des Justizministeriums durch das Oberlandesgericht in der fiir den Dis= | ziplinarhof (§. 15) bestimmten Besetzung nach einfacher Stimmenmehrheit. ^Vor der Entscheidung ist dem Richter vollstandiges, auf Verlangen mtindliches Gehor zu I gewahren. ^Wenn erhebliche Thatsachen bestritten sind, so hat das Gericht die erforderlichen | Erhebungen zu veranlassen. Ein Rechtsmittel gegen die Entscheidung findet nicht statt. §.6. Die Vorschriften der §§.2, 4 und 5 fmden keine Anwendung, soweit die Voraussetzungen | von §.8 Absatz 3 des Reichsgerichtsverfassungsgesetzes oder von §.21 des Reichseinfuhrungs= | gesetzes hiezu vorliegen. §•7. Die Minderung des Ranges oder der Besoldung eines Richters, ebenso eine Versetzung | auf eine nicht gleiche Richterstelle oder auf eine andere Staatsstelle ist nur im Disziplinarwege I nach MaBgabe dieses Gesetzes zulassig.

1964

§12:Baden

[Dok. 188-251]

Die Entlassung eines Richters aus dem Staatsdienste findet gegen dessen Willen nur | auf Grund eines strafgerichtlichen oder eines vom Disziplinarhofe gefallten Erkenntnisses | statt. §• 9. Die Besoldungsverhaltnisse der Richter werden durch ein besonderes Gesetz geregelt. §.10. Im Disziplinarweg kann gegen einen Richter eingeschritten werden: 1. wenn er seine Amtspflicht verletzt, oder 2. wenn er sich durch sein Verhalten in oder auBer dem Amte der Achtung und des | Vertrauens, die sein Beruf erfordert, unwtirdig macht. §.11. Wegen der in §. 10 erwahnten Dienstvergehen und unwurdigen Handlungen fmden | folgende Strafen statt: 1. Verweis, 2. Geldstrafe bis zu 200 Mark, 3. Entziehung des Vorrtickens in der Besoldung auf gewisse Zeit, [S. 175] 4. Setzung auf Wartgeld (§ 13) mit oder ohne BefugniB der Regierung zur Minderung I von Rang oder Besoldung, oder von beiden im Falle der Wiederanstellung in irgend | einem Zweige des Staatsdienstes, 5. Entlassung aus dem Staatsdienste. §. 12. ^Die Disziplinarstrafen erkennt der Disziplinarhof. ^Verweis und Geldstrafe kann die | Aufsichtsbehorde als Ordnungsstrafen erkennen. ^Gegen die Ordnungsstrafen steht dem Be= I troffenen binnen einer Frist von zwei Wochen die Beschwerde an die hohere Aufsichtsbehorde zu. §.13. Der auf Wartgeld Gesetzte bezieht bis zu seiner Wiederanstellung zwei Drittheile des | Ruhegehaltes, den er erhalten haben wtirde, wenn er an dem Tage der Eroffnung des | Erkenntnisses in den Ruhestand versetzt worden ware. Er bezieht den vollen Betrag des Ruhegehalts, wenn der Regierung die BefugniB zur | Minderung an Rang oder Besoldung nicht zuerkannt worden ist. §.14. Eine hohere und selbst die hochste der in §. 11 erwahnten Strafen kann ausgesprochen | werden, ohne daB die Erkennung einer geringeren vorausgegangen ist. §.15. ^Der Disziplinarhof fiir alle Richter wird bei dem Oberlandesgerichte gebildet. ^Derselbe besteht aus dem Prasidenten oder dessen Stellvertreter und sechs weiteren Mitgliedem des | Gerichtshofs, welche fur jedes Geschaftsjahr nach MaBgabe der Vorschriften in den §§. 62,1 63 und 121 des Reichsgerichtsverfassungsgesetzes im Voraus zu bezeichnen sind.

[241 ] GroBherzogliche Bekanntmachung vom 31. Dezember 1870

1965

§= 16. Hinsichtlich der AusschlieBung und Ablehnung von Mitgliedem des Disziplinarhofes finden | die Bestimmungen der ReichsstrafprozeBordnung entsprechende Anwendung. §.17. Der Antrag auf Erkennung einer Strafe und die Begrtindung derselben erfolgt durch | einen vom Justizministerium beauftragten Staatsanwalt und wird dem Prasidenten des | Disziplinarhofes tibergeben. Das Verfahren richtet sich nach der Analogie des Verfahrens vor den Strafkammem, | ist aber nicht offentlich. Die Verurtheilung erfordert flinf Stimmen. Ein Rechtsmittel findet nicht statt. [S. 176] §.18. Wird ein gerichtliches Strafverfahren oder eine dienstpolizeiliche Untersuchung gegen | einen Richter eingeleitet, so kann mit Zustimmung des Disziplinarhofes, welcher mit einfacher I Stimmenmehrheit entscheidet, die einstweilige Dienstenthebung bis zur Fallung des Erkenntnisses | verfugt werden §.19. Dieses Gesetz bildet einen Bestandtheil der Verfassung^ und des Staatsdienerediktes vom|30. Januar 1819^ Mit dem Vollzug desselben ist das Justizministerium beauftragt. §. 20. Dieses Gesetz tritt gleichzeitig mit dem Reichsgerichtsverfassungsgesetze in Kraft und an die Stelle des seitherigen Gesetzes vom 7. Oktober 1865 (Regierungsblatt Nr. XLVIIL) liber die Rechtsverhaltnisse der Richter*^. Gegeben zu Karlsruhe, den 14. Februar 1879. Friedrich. Grimm. Auf Seiner Koniglichen Hoheit hochsten Befehl: | Gaier.

[241] GroKherzogliche Bekanntmachung des badischen Eintritts in den Deutschen Bund, vom 31. Dezember 1870 Quelle: Gesetzes- und Verordnungs-Blatt far das GroBherzogtum Baden, (Nr. 72 vom 31. Dezember) 1870, S. 711 (gedruckt). [S. 711] Den Eintritt des GroBherzogthums Baden in den Deutschen Bund betreffend. Friedrich, von Gottes Gnaden GroBherzog von Baden, | Herzog von Zahringen. Nachdem Wir dem durch Unsere Bevollmachtigten zu Versailles am 15. November d. J. I mit dem Norddeutschen Bunde und dem GroBherzogthum Hessen abgeschlossenen Vertrag tiber | Griindung eines Deutschen Bundes, sowie dem am 25. November d. J. zu

^ Dok.211. ^ Dok.214. •^ Dok.240.

1966

§ 12: Baden

[Dok. 188-251]

Berlin abgeschlossenen | Vertrag iiber den Beitritt des Konigreichs Wiirttemberg zu diesem Bunde, und der am 25. Novem= | ber d. J. in Versailles mit Seiner Majestat dem Konig von PreuBen als Bundesfeldherm abge= | schlossenen Militarconvention, nach erfolgter Zustimmung Unserer getreuen Stande, die Ratification | ertheilt haben und nachdem der Austausch der betreffenden Ratificationsurkunden zu Berlin am | 30. Dezember d. J. erfolgt ist, verkiindigen Wir hiermit die bezeichneten Vertrage nebst dazu | gehorigen SchluBprotokollen zur allgemeinen Nachachtung. Gegeben zu Versailles, den 31. Dezember 1870. Friedrich. Jolly, von Freydorf. Auf Seiner Koniglichen Hoheit hochsten Befehl: | Schreiber. [S. 712 - 715]'. Vertrag zwischen dem Norddeutschen Bund, Baden und Hessen iiber die Griindung des Deutschen Bundes und Annahme der Bundesverfassung vom 15. November 1870^ [S. 716- 737]\ „Verfassung des Deutschen Bundes."^; [S. 738 - 744 / 745 - 746]\ „Militarconvention zwischen Baden und PreuBen." nebst „SchluB-Protokoll." vom 25. November 1870^; [S. 747 - 749/750]: Vertrag zwischen dem Norddeutschen Bund, Baden und Hessen einerseits und Wiirttemberg andererseits, betreffend den Beitritt Wiirttembergs zur Verfassung des Deutschen Bundes, nebst dazu gehorigem Protokoll, vom 25. November 1870^; [S. 751 - 758]: „Militar-Convention zwischen dem Norddeutschen Bunde und Wiirttemberg." vom 21./25. November 1870^

[242] Bekanntmachung des Staatsministerium iiber den badischen Eintritt in den Deutschen Bund vom 4. Januar 1871 Quelle: Gesetzes- und Verordnungs-Blatt fur das GroBherzogthum Baden, (Nr. 1 vom 5. Januar) 1871, S. 1 - 2 (gedruckt).

[S.l] Bekanntmachung. | Den Eintritt des GroBherzogthums Baden in den Deutschen Bund betreffend. Mit Bezug auf die Allerhochstlandesherrliche Verordnung vom 31. Dezember v. J., den | Eintritt des GroBherzogthums Baden in den Deutschen Bund betreffend, wird hiermit bekannt | gemacht, daB folgende nachtraglich vereinbarten Abanderungen der Bundesverfassung mit dieser | ratificirt und demgemaB gleichzeitig mit derselben in Wirksamkeit getreten sind, namlich: 1. Im Eingang de Bundesverfassung ist an Stelle der Worte: | „Dieser Bund wird den Namen Deutscher Bund fiihren" [ zu setzen: | „Dieser Bund wird den Namen Deutsches Reich fiihren." 2. Der erste Absatz des Artikels 11 der Bundesverfassung erhalt nachstehende Fassung: I „Das Prasidium des Bundes steht dem Konige von PreuBen zu, welcher den

b

d

Text abgedruckt unter Dok. 129. Text abgedruckt unter Dok. 134. Text abgedruckt unter Dok. 132. Texte abgedruckt unter Dok. 131 (Vertrag) und Dok. 131/1 (SchluBprotokoU). Text abgedruckt unter Dok. 131/2.

[243] Gesetz vom 25. August 1876

1967

Namen | „Deutscher Kaiser fiihrt. Der Kaiser hat das Reich volkerrechtlich zu vertreten, | „im Namen des Reiches Krieg zu erklaren und Frieden zu schlieBen, Btindnisse und an= | „dere Vertrage mit fremden Staaten einzugehen, Gesandte zu beglaubigen und zu | „empfangen/' Artikel 80 Ziffer 11. lautet nunmehr: II. vom 1. Januar 1872 an, jedoch unbeschadet der friiheren Geltung im Gebiete des I Norddeutschen Bundes: 1. das Gesetz iiber die Ausgaben von Banknoten, vom 27. Marz 1870, und | mit AusschluB von Hessen siidlich des Mains, [S.2] 2. das Einfuhrungsgesetz zum Strafgesetzbuch fur den Norddeutschen Bund, vom 31. I Mai 1870, 3. das Strafgesetzbuch fur den Norddeutschen Bund, vom 31. Mai 1870. und 4. die Gesetze tiber das Postwesen des Norddeutschen Bundes vom 2. November 1867, | tiber das Posttaxwesen im Gebiete des Norddeutschen Bundes vom 4. November [ 1867, betreffend die Einfuhrung von Telegraphen=Freimarken, vom 16. Mai 1869 | und betreffend die Portofreiheiten im Gebiete des Norddeutschen Bundes, vom 5. | Juni 1869. In Hessen, stidlich des Main, werden als Bundesgesetze eingefiihrt, und zwar: | vom Tage der Wirksamkeit dieser Verfassung an: das Gesetz, betreffend die SchlieBung und Beschrankung der offentlichen Spielbanken, | vom 1. M i 1868, das Gesetz, betreffend die Einfuhrung von Telegraphen=Freimarken, vom 16. Mai 1869, die Gewerbe=Ordnung fiir den Norddeutschen Bund, vom 21. Juni 1869, das Einfuhrungsgesetz zum Strafgesetzbuch fur den Norddeutschen Bund, vom 31. | Mai 1870 und das Strafgesetzbuch fur den Norddeutschen Bund, vom 31, Mai 1870, vom 1. Juli 1871 an: das Gesetz tiber den Unterstiitzungs^^Wohnsitz, vom 6. Juni 1870. In die Hohenzollemschen Lande wird vom Tage der Wirksamkeit dieser Verfassung an einge= | fuhrt, das Gesetz, betreffend die Wechselstempelsteuer im Norddeutschen Bunde, vom 10. Juni 1869. Die Erklarung der tibrigen im Norddeutschen Bunde ergangenen Gesetze zu Bundesgesetzen | bleibt, soweit diese Gesetze sich auf Angelegenheiten beziehen, | welche verfassungsmaBig der Gesetz= | gebung des Deutschen Bundes unterliegen, der I Bundesgesetzgebung vorbehalten. Karlsruhe, den 4. Januar 1871. GroBherzogliches Staatsministerium. | Jolly. Vdt. Schreiber.

[243] Gesetz, die Errichtung und Befugnisse der Oberrechnungskammer betreffend, vom 25. August 1876 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einfiihrungen" die Darstellung unter [890.]. Quelle: Gesetzes- und Verordnungs-Blatt fiir das GroBherzogthum Baden, (Nr, 28 vom 8. September) 1876, S. 289 - 296 (gedruckt). Sonstige Fundstellen: K Glockner, Badisches Verfassungsrecht, 1905, S. 310 - 343.

1968

§12:Baden

[Dok. 188-251]

[S. 289] Gesetz. | Die Einrichtung und Befugnisse der Oberrechnungskammer betreffend. Friedrich, von Gottes Gnaden GroBherzog von Baden, | Herzog von Zahringen. Mit Zustimmung Unserer getreuen Stande haben Wir beschlossen und verordnen, | wie folgt: Artikel 1. Die Oberrechnungskammer ist eine dem Landesherm unmittelbar untergeordnete, der | Staatsverwaltung gegentiber selbststandige Behorde, welche die Kontrole des gesammten | Staatshaushalts durch Priifung und Feststellung der Rechnungen liber Einnahmen und Aus= I gaben von Staatsgeldem, liber Zugang und Abgang von Staatseigenthum und, soweit dies | nicht durch besondere Gesetze dem landstandischen AusschuB libertragen ist, liber die Verwaltung | der Staatsschulden zu fiihren hat. Artikel 2. Die Oberrechnungskammer besteht aus einem Prasidenten und der erforderlichen Anzahl 1 von Kollegialrathen, sowie dem nothigen Revisions^ und Kanzleipersonal. Einer der Kollegialrathe muB Rechtsverstandiger sein. Artikel 3. Die Mitglieder des Kollegiums durfen nicht in gerader Abstammung oder im zweiten | Oder dritten Grade der Seitenlinie mit einander verwandt oder verschwagert sein. Ein Kollegialmitglied, welches mit dem Vorstand einer obersten Verwaltungsbehorde | des Landes in einem der im ersten Absatz bezeichneten Grade verwandt oder verschwagert I [S. 290] ist, darf an der BeschluBfassung liber solche Angelegenheiten nicht Theil nehmen, welche zum | Geschaftskreis der betreffenden obersten Verwaltungsbehorde geho-

Artikel 4. Nebenamter oder mit Geldvortheilen verbundene Nebendienste dlirfen den Mitgliedem | des Kollegiums weder ubertragen, noch von ihnen libemommen werden. Ebensowenig konnen die gedachten Beamten Mitglieder der landstandischen Kammem

Artikel 5.^ ^Der GroBherzog emennt auf Antrag des Staatsministeriums und unter Gegenzeichnung | des Prasidenten des Staatsministeriums den Prasidenten der Oberrechnungskammer und auf I den Vorschlag des Letzteren die librigen Mitglieder des Kollegiums, sowie die weiter erforder= | lichen mit Staatsdienereigenschaft anzustellenden Beamten. ^Das librige Personal wird von | dem Prasidenten angestellt und finden auf die von diesem mit Dekret Angestellten die Bestim= | mungen des Gesetzes vom 26. Mai 1876, die dienstlichen Verhaltnisse der Angestellten der | Zivilstaatsverwaltung betreffend, Anwendung. Der Prasident der Oberrechnungskammer steht im Dienstrang des Prasidenten des | Oberhofgerichts, ebenso stehen die librigen Kollegialmitglieder im Dienstrang der Mitglieder I des Oberhofgerichts. Auf den Prasidenten und die Mitglieder der Oberrechnungskammer finden bezliglich | ihrer Rechtsverhaltnisse die Bestimmungen des Gesetzes vom 7. Oktober 1865, die

Vgl. hierzu auch § 147 Nr. 7 des Beamtengesetzes vom 24. Juli 1888 (Dok. 211/11).

[243] Gesetz vom 25. August 1876

1969

Rechts= I verhaltnisse der Richter betreffend^, und, was die Besoldung angeht, die Bestimmungen des | Gesetzes vom 29. Marz 1876 Anwendung. Die tibrigen, nicht dem Kollegium angehorigen Beamten und Angestellten der Oberrech= I nungskammer unterstehen der Disziplinargewalt des Prasidenten und zwar: die Staatsdiener | nach MaBgabe des Edikts vom 30. Januar 1819**, die Angestellte der Zivilstaatsverwaltung | nach MaBgabe des Gesetzes vom 26. Mai 1876. Soweit in diesen Gesetzen von kollegialen Entscheidungen die Rede ist, sind diese durch I das Kollegium der Oberrechnungskammer zu treffen. Artikel 6. Der Geschaftsgang bei der Oberrechnungskammer wird durch ein Regulativ geordnet, | welches auf den Vorschlag der Oberrechnungskammer und nach Anhorung des Staatsministe= I riums durch landesherrliche Verordnung erlassen wird. ^In diesem Regulativ sollen besonders auch die Bestimmungen enthalten sein, welche zur I Geschaftsleitung des Prasidenten erforderlich sind. ^Bei Verhinderung des Prasidenten iiber= | nimmt der dienstalteste Rath dessen Stellvertretung. ^Bis zum Erlasse des Regulativs bleiben | die hierauf beziiglichen, bisher giltigen Vorschriften insoweit in Kraft, als sie nicht dem | gegenwartigen Gesetze und den darin festgestellten Grundsatzen kollegialischer Berathung | widersprechen. [S. 291] Artikel 7. ^Die Oberrechnungskammer hat eine kollegialische Verfassung. ^Sie faBt ihre Beschltisse I nach Stimmenmehrheit der Mitglieder, einschlieBlich des Vorsitzenden, welcher bei gleicher | Theilung der Stimmen den Ausschlag gibt. Die kollegialische Berathung und BeschluBfassung ist jedenfalls erforderlich, wenn 1. an den GroBherzog Bericht erstattet, 2. die fur den Landtag bestimmten Bemerkungen (Artikel 18) festgestellt, 3. allgemeine Grundsatze aufgestellt oder bestehende abgeandert, 4. allgemeine Instmktionen erlassen oder abgeandert, 5. tiber Anordnungen der obersten Verwaltungsbehorden Gutachten abgegeben werden 1 sollen. Wo kollegiale BeschluBfassung vorgeschrieben ist, mtissen wenigstens ftinf Mitglieder des I Kollegiums mitwirken. ^Wird Erganzung des Kollegiums bei Verhinderung von Mitgliedem nothwendig, | so beruft der President einen Stellvertreter. "^Zu diesem Zweck emennt der GroBherzog auf | Vorschlag des Prasidenten der Oberrechnungskammer je auf eine Budgetperiode zwei Stell= I vertreter aus der Zahl der Kollegialbeamten des Landes. Artikel 8. ^Die Oberrechnungskammer hat die Rechnungen aller Staats= und Staatsinstitutskassen, I einschlieBlich der Naturalrechnungen, theils selbst abzuhoren, theils unter ihrer Aufsicht und | Leitung abhoren zu lassen, auch die nothigen allgemeinen Instruktionen tiber die Rechnungs= | abhor im EinverstandniB mit dem Finanzministerium zu ertheilen. ^Sie flihrt die Oberauf= | sicht tiber sammtliche Rechnungsarchive. Die bei dem Verwaltungshof, dem Oberschulrath, der Oberdirektion des Wasser= und | StraBenbaues, der Generaldirektion der Staatseisenbahnen, der Domanendirektion, Steuer= | direktion und der Zolldirektion bestehenden Rechnungsrevisionen sind unmittelbar den genannten | Behorden, mittelbar der Oberrechnungskammer untergeordnet. Dok. 240. Dok. 214.

1970

§12:Baden

[Dok. 188-251]

Von alien bei den untergeordneten Revisionsanstalten abgehorten Rechnungen hat die | Oberrechnungskammer einen Theil nach ihrer Auswahl und in der ihrem Ermessen tiberlassenen | Anzahl durch ihr Revisionspersonal der Oberabhor unterziehen zu lassen. Die Rechnung liber Ausgaben und Einnahmen der Oberrechnungskammer wird von dem I Prasidenten derselben gepriifl und mit den desfallsigen Bemerkungen dem Landtag zur Ent= | lastung vorgelegt. Artikel 9. Die Priifung der Rechnungen ist auBer der formalen und kalkulatorischen Prufung noch | besonders darauf zu richten 1. ob bei der Erwerbung, Bentitzung und VerauBerung von Staatseigenthum und bei | der Erhebung und Verwendung der Staatseinkiinfte nach den bestehenden Gesetzen I [S. 292] und Vorschriften unter genauer Beachtung der maBgebenden Verwaltungsgrundsatze | verfahren worden ist; 2. ob und wo nach den aus den Rechnungen zu beurtheilenden Ergebnissen der Ver= | waltung zur Beforderung der Staatszwecke Abanderungen notig oder zweckmaBig sind. Artikel 10. Die Oberrechnungskammer ist berechtigt, von den Behorden jede bei Priifung der Rech= I nungen und Nachweisungen fur erforderlich erachtete Auskunft, sowie die Einsendung der | beztiglichen Akten, Biicher und Schriftstiicke zu verlangen. Der Prasident der Oberrechnungskammer ist befugt, Bedenken und Erinnerungen gegen I die Rechnungen durch besondere Kommissare unmittelbar erortem zu lassen und ebenso sich | liber Einzelheiten der Verwaltung geeignete Information zu verschaffen. ^DeBgleichen steht demselben das Recht zu, auBerordenthche Kassen= und Magazinrevisionen | zu veranlassen. ^In alien derartigen Fallen hat er jedoch den Vorstand der betreffenden | Zentralverwaltung vorherige Mittheilung zu machen, damit von dieser Seite gleichfalls eine | kommissarische Betheiligung an der Untersuchung stattfinden kann. Artikel 11. Alle Verfiigungen der obersten Staatsbehorden, durch welche in Beziehung auf Ein= | nahmen und Ausgaben des Staats eine allgemeine Vorschrift gegeben, oder eine schon | bestehende abgeandert oder erlautert wird, mlissen sogleich bei ihrem Ergehen der Oberrech= I nungskammer mitgetheilt werden. Allgemeine Anordnungen der Behorden liber die Kassen= und Magazinverwaltung, sowie I liber die betreffende Buchfuhrung sind schon vor ihrem ErlaB zur KenntniB der Oberrech= I nungskammer zu bringen, damit dieselbe auf etwaige Bedenken aufmerksam machen kann. Von alien auf die Rechnungslegung bezliglichen Beschllissen des Landtags ist der Ober= I rechnungskammer zur KenntniBnahme Mittheilung zu machen. Artikel 12. Die Termine zur Einsendung der Rechnungen und die Fristen zur Erledigung der | darliber aufgestellten Erinnerungen werden von der Oberrechnungskammer bestimmt. Dieselbe ist befiigt, gegen Zuwiderhandlungen Ordnungsstrafen gegen die saumigen | Rechner bis zum Betrag von 100 Mark auszusprechen, nothigenfalls auch einen Kommissar I auf Kosten des Rechners zur Erledigung der gemachten Auflagen abzusenden.

[243] Gesetz vom 25. August 1876

1971

Artikel 13. ^Der Rechnungsbescheid wird bei denjenigen Behorden, welche eigene Revisionsanstalten I besitzen, von den betreffenden Verwaltungskollegien, beztiglich aller iibrigen Rechnungen von | [S. 293] der Oberrechnungskammer ertheilt. '^Die von letzterer ausgehenden Rechnungsbescheide mtissen | der Verwaltungsbehorde, unter welcher der Rechnungsbeamte steht, mitgetheilt und demselben | von dieser eroffhet werden. In gleicher Weise findet die Eroffnung der von der Oberrechnungskammer in Folge der | Oberabhor beschlossenen Erganzungen und Abanderungen der Rechnungsbescheide erster In= I stanz statt. Artikel 14. Findet sich ein Kassenbeamter durch den Rechnungsbescheid der im Artikel 8 genannten, I der Oberrechnungskammer untergeordneten Behorden beschwert, so steht ihm die Berufung an | die Oberrechnungskammer offen; er muB aber innerhalb vier Wochen nach erhaltenem Rech= | nungsbescheid seine Beschwerdeschrift bei der betreffenden Behorde iibergeben, welche dieselbe | mit den Rechtfertigungsgrtinden innerhalb sechs Wochen vom Tage des Empfangs der Ober= | rechnungskammer mit den Akten zum weiteren ErkenntniB vorzulegen hat. Die Oberrechnungskammer entscheidet hieruber auf schriftlichen Vortrag ihres Referenten I nach kollegialer Berathung. Artikel 15. Findet sich ein Kassenbeamter durch den in erster Instanz von der Oberrechnungskammer I ausgegangenen oder im Falle der Berufung in zweiter Instanz zu seinem Nachtheile abge== I anderten Bescheid, oder durch eine in Folge der Superrevision eingetretene Abanderung des | von der betreffenden Verwaltungsbehorde gegebenen Bescheides erster Instanz beschwert, so | hat derselbe seine Beschwerdeschrift innerhalb vier Wochen nach erhaltenen Bescheid bei der | Oberrechnungskammer einzureichen und um Revision der Verhandlungen und Erlassung eines | anderweiten Erkenntnisses nachzusuchen. ^Die Oberrechnungskammer entscheidet in solchem Falle in auBerordenthcher Sitzung auf I schriftlichen Vor= und Beivortrag eines Referenten und Korreferenten, welche der President | auBerordenthcher Weise aus der Zahl der Mitglieder der Finanzkollegien, soweit dieselben | nicht betheiligt sind, emennt, und wovon Eines derselben ein Rechtsverstandiger zu sein hat. "^Die auBerordentlichen Mitglieder haben gleiches Stimmrecht wie die Mitglieder der Ober= | rechnungskammer selbst. Bei dieser Entscheidung darf der friihere Referent, auf dessen Vortrag der angefochtene | Rechnungsbescheid ertheilt wurde, nicht mitwirken. ^Das ErkenntniB ist dem Rechnungsbeamten durch die Verwaltungsbehorde, unter welcher I derselbe steht, zu eroffhen. "^Eine weitere Berufung findet nicht statt, [S. 294] Artikel 16. ^Zeigt sich bei der Revision oder Superrevision der Rechnung, daB einem Verrechner | bedeutende Dienstnachlassigkeiten zur Last fallen oder ergeben sich Anzeigen einer untreuen | Verwaltung, so hat die Oberrechnungskammer hieruber die nothigen Thatsachen der Ver= | waltungsbehorde, unter welcher der Rechner steht, sofort mitzutheilen, um das weitere | Verfahren gegen denselben einzuleiten. ^Von dem ErgebniB der Untersuchung soil der Ober= | rechnungskammer Nachricht ertheilt werden.

1972

§12:Baden

[Dok. 188-251]

Artikel 17. Die Oberrechnungskammer ertheilt den Rechnungsfuhrem, wenn sie ihren Verbindlich= I keiten vollstandig gentigt und die aufgestellten Erinnemngen erledigt haben, eine Entlastung | mit der Wirkung einer Quittung, ohne jedoch damit die weitere Verfolgung eines spater | entdeckten Rechnungsfehlers, einer Veruntreuung oder der Ansprtiche Dritter innerhalb der | Verjahrungsfrist abzuschlieBen. Artikel 18. Den Nachweisungen, welche tiber die Verwendung der bewilligten Staatsgelder wahrend | der vorangegangenen Etatsjahre nach §.55 der Verfassungsurkunde^ den Standen vorzulegen | sind, hat die Oberrechnungskammer unter selbststandiger, unbedingter Verantwortlichkeit Be= | merkungen dartiber beizufugen: 1. ob die in der Rechnung aufgeftihrten Betrage in Einnahmen und Ausgaben mit | denjenigen tibereinstimmen, welche in den von der Oberrechnungskammer gepruften I Kassenrechnungen in Einnahme und Ausgabe nachgewiesen sind, 2. ob und inwieweit bei der Vereinnahmung und Erhebung, bei der Verausgabung oder I Verwendung von Staatsgeldem, oder bei der Erwerbung, Bentitzung oder VerauBerung | von Staatseigenthum Abweichung von den Bestimmungen des gesetzlich festgestellten | Hauptfinanzetats oder der vom Landtag genehmigten Titel der Spezialetats oder von | den mit einzelnen Positionen des Etats verbundenen Bemerkungen oder Abweichungen | von den Bestimmungen der auf die Staatseinnahmen und Ausgaben, oder auf die | Erwerbung, Benutzung und VerauBerung von Staats-eigenthum beztiglichen Gesetze | und wichtigeren Vorschriften stattgefunden haben, insbesondere 3. welche Etatsiiberschreitungen, sowie welche auBeretatsmaBige Einnahmen und Ausgaben | stattgefunden haben. ^Mit den Bemerkungen der Oberrechnungskammer ist von derselben eine Denkschrift zu I verbinden, welche die hauptsachlichen Ergebnisse der Pnifung tibersichtlich zusammenfaBt. | [S. 295] ^Derselben sind die Wahmehmungen der Oberrechnungskammer tiber etwaige aus den Rech= | nungen sich ergebende wesentliche Mangel der Verwaltung und gutachtliche Vorschlage zur | Abhilfe derselben beizufugen. Ueber Fragen, welche zum Geschaftskreise der Oberrechnungskammer gehoren und einer I naheren Aufklarung bedtirfen, konnen auch die Stande durch Vermittlung des Staatsministe= | riums von der Oberrechnungskammer Gutachten erheben. Artikel 19.^ Liegt Grund zur Einleitung des Disziplinarverfahrens gegen den Prasidenten oder ein | Mitglied der Oberrechnungskammer vor, so erfolgt dieselbe nach MaBgabe des Gesetzes vom I 7. Oktober 1865 durch BeschluB des Staatsministeriums, welches zugleich einen Staatsanwalt | mit der Antragstellung beauftragt. Die Kammem sind berechtigt, wegen grober Verletzung der der Oberrechnungskammer I ihnen gegentiber im Artikel 18 auferlegten Pflichten die Einleitung des Disziplinarverfahrens I bei dem Staatsministerium zu beantragen. Besteht tiber einen solchen Antrag Meinungsverschiedenheit zwischen beiden Kammem, I so findet Artikel 61 der Verfassungsurkunde*^ Anwendung.

Dok. 211. ^ Vgl. hierzi hierzu auch § 147 Nr. 7 des Beamtengesetzes vom 24. Juli 1888 (Dok. 211/11). Dok. 211.

[243/1] Gesetz vom 29. Januar 1884

1973

Ftir den Fall einer schuldhaften Verletzung der hiemach dem Staatsministerium ob= | liegenden Pflichten tritt die Verantwortlichkeit der Minister nach MaBgabe der §§. 67a. | bis 69g.^ der Verfassungsurkunde^ ein. Der unter letzterer Voraussetzung etwa gegen eine Mehrheit der Mitglieder des Staats= | ministeriums erfolgende AnklagebeschluB enthalt gleichzeitig den Antrag auf Einleitung des I Disziplinarverfahrens gegen die betheiligten Mitglieder der Oberrechnungskammer. Ergreift der AnklagebeschluB sammtliche Mitglieder des Staatsministeriums, so theilt | der President der zweiten Kammer den Antrag auf Einleitung des Disziplinarverfahrens | gegen die betheiligten Mitglieder der Oberrechnungskammer dem Prasidenten des Disziplinar= | hofes mit, welcher einen Staatsanwalt mit der Durchfiihrung der Disziplinarklage | beauftragt. Artikel 20. Nach Ablauf eines jeden Geschaftsjahres erstattet die Oberrechnungskammer dem GroB= I herzog einen Bericht liber die Ergebnisse ihrer Geschaftsthatigkeit, welchen zugleich ihre | gutachtlichen Vorschlage beizufiigen sind, ob und inwieweit nach den aus den Rechnungen zu | entnehmenden Ergebnissen der Verwaltung zur Beforderung der Staatszwecke im Wege der | Gesetzgebung oder der Verordnung zu treffende Bestimmungen nothwendig oder rathsam | erscheinen. [S. 296] Artikel 21. ^Gegenwartiges Gesetz gilt als Verfassungsgesetz und tritt mit dem 1. Januar 1877 in | Wirksamkeit. "^Von dem gleichen Zeitpunkte an treten alle durch friihere Verordnungen | erlassenen Bestimmungen, soweit sie dem gegenwartigen Gesetze zuwiderlaufen, auBer Kraft. Gegeben zu SchloB Mainau, den 25. August 1876. Friedrich. Ellstatter. Auf Seiner Koniglichen Hoheit hochsten Befehl: | Gaier.

[243/1] Gesetz, die Abanderung des Gesetzes vom 25. August 1876 ijber die Einrichtung und Befugnisse der Oberrechnungskammer betreffend, vom 29. Januar 1884 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einfuhmngen" die Darstellung unter [892.]. Quelle: Gesetzes- und Verordnungs-Blatt fur das GroBherzogthum Baden, (Nr. 3 vom 7. Februar) 1884, S. 10 (gedmckt). [S. 10] Gesetz. (Vom29. Januar 1884.) Die Abanderung des Gesetzes vom 25. August 1876 tiber die Einrichtung und Befugnisse der Ober= | rechnungskammer betreffend. Friedrich, von Gottes Gnaden GroBherzog von Baden, | Herzog von Zahringen. Mit Zustimmung Unserer getreuen Stande haben Wir beschlossen und verordnen, | wie folgt:

^ Offensichtlicher Druckfehler, anstatt 㤠69g" muB es 㤠67g" heiBen. ^ Dok. 211/8.

1974

§12:Baden

[Dok. 188-251]

Einziger Artikel. Der dritte Absatz von Artikel 7 des Gesetzes vom 25. August 1876 liber die Einrichtung I und Befugnisse der Oberrechnungskammer erhalt folgende Fassung: Wo kollegiale BeschluBfassung vorgeschrieben ist, mtissen wenigstens drei Mit= | glieder des Kollegiums mitwirken. Gegeben zu Karlsruhe, den 29. Januar 1884. Friedrich. Ellstatter. Auf Seiner Koniglichen Hoheit hochsten Befehl: | Dr. Kiilin.

[244] Gesetz, den Verwaltungsgerichtshof und das verwaltungsgerichtliche Verfahren betreffend, vom 24. Februar 1880 Quelle: Gesetzes- und Verordnungs-Blatt fur das GroBherzogthum Baden, (Nr. 6 vom 26. Februar 1880) 1880, S. 29 - 32 (gedruckt). Sonstige Fundstellen: K. Glockner, Badisches Verfassungsrecht, 1905, S. 3 4 3 - 3 7 1 ; E. Walz (Hrsg.), Das geltende badische Recht, Zweiter Band: Die staatsrechtlichen Gesetze Badens einschlieBlich der Kirchengesetzgebung, 1911, S. 247 - 249. [S. 29] Gesetz. | Den Verwaltungsgerichtshof und das verwaltungsgerichtliche Verfahren betreffend. Friedrich, von Gottes Gnaden GroBherzog von Baden, | Herzog von Zahringen. Mit Zustimmung Unserer getreuen Stande haben Wir beschlossen und verordnen, | wie folgt: Artikel 1. Der Verwaltungsgerichtshof wird mit einem Prasidenten und der erforderlichen Anzahl | von Rathen besetzt. Dieselben mtissen zum Richteramte befahigt sein. ^Die erforderlichen Ersatzrichter werden aus der Zahl der Oberlandesgerichtsrathe berufen. I ^Sie bekleiden ihre Stelle als Nebenamt auf die Dauer ihres Hauptamtes. Sammtliche Mitglieder des Verwaltungsgerichtshofes und die Ersatzrichter werden von | dem GroBherzog emannt. Artikel 2. Der Prasident und die Mitglieder des Verwaltungsgerichtshofes konnen wahrend der | Dauer ihres Richteramtes in keiner Weise im Verwaltungsdienste verwendet werden. Artikel 3. Den Oberlandesgerichtsrathen dtirfen fiir die Versehung des Nebenamtes weder Funktions= I gehalte noch Remunerationen verliehen werden.

[244] Gesetz betreffend, vom 24. Febmar 1880

1975

[S. 30] Artikel 4. Ftir den Prasidenten und die Mitglieder des Verwaltungsgerichtshofes sind die Bestim= 1 mungen der §§. 1, 2, 4, 5, 7, 8, 10 bis 18 des Gesetzes vom 14. Febmar 1879, die | Rechtsverhaltnisse der Richter betreffend, mit der MaBgabe anwendbar, daB diese Mitglieder | im Falle des §. 5 auch auf eine dem Rang und der Besoldung nach gleiche oder hohere | Verwaltungsstelle versetzt werden konnen. Artikel 5. Der Disciplinarhof fur die Mitglieder des Verwaltungsgerichtshofes besteht aus dem | Prasidenten und den vier dienstaltesten Mitgliedem des nach §.15 des Gesetzes vom | 14. Febmar 1879 far die Richter gebildeten Disciplinarhofes und aus dem Prasidenten und | dem vorsitzenden oder dienstaltesten Rathe des Verwaltungsgerichtshofes, oder bei deren Ver= I hindemng aus den nach dem Dienstalter folgenden Mitgliedem des Verwaltungsgerichtshofes. Die Veranlassung der richterlichen Entscheidung (§.5) sowie die Beauftragung des | Staatsanwaltes (§. 17) geschieht durch das Ministerium des Innem. Artikel 6. Der President des Verwaltungsgerichtshofes bezieht eine Besoldung von 8,400 Mark, | die tibrigen Mitglieder haben die gleiche Besoldung mit den Rathen des Oberlandesgerichtes I und sind fur die Besoldungen der Mitglieder der §§. 1, 2 und 4 des | Gesetzes vom 20. Febmar 1879, die Besoldungen der Richter betreffend, maBgebend. Artikel 7. Im Falle der Verhindemng des Prasidenten fiihrt, wenn nicht ein vorsitzender Rath | als Stellvertreter desselben emannt ist, der dem Dienstalter nach alteste Verwaltungsgerichts= | rath den Vorsitz. Artikel 8. Das Verfahren vor den Verwaltungsgerichten richtet sich bis zum 1. Juli 1882 nach | den Bestimmungen des Gesetzes vom 5. Oktober 1863, die Organisation der inneren Ver= | waltung betreffend, und der landesherrlichen Vollzugsverordnung vom 12. Juli 1864 zu | dem genannten Gesetze, mit der MaBgabe, daB liber Nichtigkeitsbeschwerden wegen Unzu= I standigkeit oder Gewaltuberschreitung (§.92 Absatz 2 der Vollzugsordnung vom 12. JuH I 1864) der Kompetenzgerichtshof unter Beobachtung der §§. 10 bis 13 des Gesetzes vom I 30. Januar 1879, die Entscheidung von Kompetenzkonflikten betreffend, entscheidet und die | Nichtigkeitsbeschwerde auch von dem Vertreter des Staatsinteresses erhoben werden kann. Artikel 9. ^Die strafrechtliche oder civilrechtliche Verfolgung eines Beamten wegen eines in Aus= I iibung oder in Veranlassung der Ausiibung seines Amtes vorgenommenen Handlung ist im I [S. 31] Falle des Verlangens des dem Beamten vorgesetzten Ministeriums an die Vorentscheidung | des Verwaltungsgerichtshofes gebunden. '^Das Verlangen kann nur so lange gestellt werden, | als in dem gerichtlichen Verfahren ein Endurteil nicht verktindet ist. (St.=Pr.=0. §. 259,1 C.=Pr.=0. §. 272.) Eine Vorentscheidung ist nicht zulassig mit Bezug auf civilrechtliche Klagen: 1. gegen Richter, einschlieBlich der Btirgermeister, beziehungsweise ihrer Stellvertreter, I soweit denselben richterliche Funktionen in btirgerlichen Rechtssachen tibertragen sind;

1976

§12:Baden

[Dok. 188-251]

2. gegen Gerichtsnotare, Notare, Gerichtsschreiber und Gerichtsvollzieher; 3. gegen die Mitglieder der Gmnd= und Pfandbehorden, einschlieBlich der in §. 9 | in einigen Stadten erwahnten Personen; 4. gegen die Standesbeamten. Artikel 10, Nach Einkunft des Antrages auf Vorentscheidung werden die Akten durch das Gericht | unter Benachrichtigung der Betheiligten dem Verwaltungsgerichtshofe eingesendet. Erachtet der Verwaltungsgerichtshof vor Fallung seiner Vorentscheidung noch thatsachliche I Ermittelungen fur erforderlich, so kann er dieselben durch die Verwaltungs= oder Gerichts= | behorden veranlassen. Im Uebrigen findet das in Artikel 8 dieses Gesetzes bezeichnete Verfahren auch hier | Anwendung. Artikel 11. Die Vorentscheidung des Verwaltungsgerichtshofes hat sich auf die Feststellung zu | beschranken, ob der Beamte sich einer Ueberschreitung seiner Amtsbefugnisse oder der Unter= I lassung einer ihm obliegenden Amtshandlung schuldig gemacht hat oder ob dies nicht der I Fall ist. Eine Vorentscheidung der letzten Art ist fur das Gericht, welches in der Sache zu ent= | scheiden hat, verbindlich. Eine Vorentscheidung der ersten Art steht weder dem Beamten in seiner weiteren Ver= | theidigung vor dem Gerichte, noch dem Gerichte bei seiner rechtlichen Entscheidung der Sache | im Wege; sie hat die Folge, daB die dem Gegner des Beamten durch das Verfahren vor I dem Verwaltungsgerichtshofe erwachsenen nothwendigen Kosten aus der Staatskasse ersetzt | werden. Artikel 12. ^Ueber die Verpflichtung, die Kosten des Vorentscheidungsverfahrens vor dem Verwaltungs= I gerichtshofe zu tragen, entscheidet dieser Gerichtshof ^Stempelgebtihren werden in solchen | Fallen nicht berechnet und Sporteln nicht angesetzt. [S. 32] Artikel 13. Die Bestimmungen liber die Vorentscheidung des Verwaltungsgerichtshofes sind auch | anwendbar, wenn eine gerichtliche Verfolgung wegen Amtshandlungen gegen einen aus dem I Dienste bereits ausgeschiedenen Beamten oder gegen die Erben eines Beamten anhangig wird. Unter den Beamten sind auch diejenigen, welche in mittelbarem Staatsdienste stehenden, I einbegriffen. Artikel 14. Der §.161 des Einfiihrungsgesetzes zu den Reichsjustizgesetzen wird aufgehoben.

[245] Etatgesetz vom 22. Mai 1882

1977

Artikel 15. Die Artikel 4 und 5 dieses Gesetzes bilden einen Bestandtheil der Verfassung^ und des | Staatsdienerediktes vom 30. Januar 1819^. Gegeben zu Karlsruhe, den 24. Februar 1880. Friedrich. Stosser. Auf Seiner Koniglichen Hoheit hochsten Befehl: | Jost.

[245] Gesetz uber den Staatsvoranschlag und die Verwaltung der Staatseinnahmen und -ausgaben (Etatgesetz) vom 22. Mai 1882 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einfuhrungen" die Darstellungen unter [784.] [893.]. Quelle: Gesetzes- und Verordnungs-Blatt fur das GroBherzogthum Baden, (Nr. 17 vom 7. Juni) 1882, S. 155 - 165 (gedruckt). Sonstige Fundstelle: K. Glockner, Badisches Verfassungsrecht, 1905, S. 343 - 371. [S. 155] Gesetz. (Vom 22. Mai 1882.) Den Staatsvoranschlag und die Verwaltung der Staats=Einnahmen und =Ausgaben betreffend. Friedrich, von Gottes Gnaden GroBherzog von Baden, | Herzog von Zahringen. Mit Zustimmung Unserer getreuen Stande haben Wir beschlossen und verordnen, | wie folgt: Abschnitt I. | Bestimmungen iiber die Aufstellung des Staatsvoranschlags. Artikel 1. [Staatsbudget, | ordentlicher | und auBer= | ordentlicher | Etat.]*^ Das Staatsbudget (§. 55 der Verfassungsurkunde'*) besteht: 1. in dem Voranschlag fur die allgemeine Staatsverwaltung und 2. in den Voranschlagen fur die ausgeschiedenen Verwaltungszrweige. Der Voranschlag enthalt den ordentlichen und den auBerordentlichen | Etat. In den ordentlichen Etat sind alle jenen Einnahmen und Ausgaben aufzu= | nehmen, welche - wenn auch der GroBe nach wandelbar - regelmaBig wiederzu= | kehren pflegen. Unter dem auBerordentlichen Etat sind dagegen solche Einnahmen und Aus= | gaben darzustellen, welche entweder nur einmal oder aber, wenn auch ofters, so | doch nur voriibergehend und unregelmaBig vorkommen. [S. 156] Artikel 2. [Voranschlag | der Ein= | nahmen und | Ausgaben des | ordentlichen | Etats.] Die auf feststehenden Normen beruhenden Einnahmen und Ausgaben des ordent= | lichen Etats sind entweder nach ihrem neuesten Stande oder, wenn in der neuen I Voran-

Dok. 211. Dok. 214. Bei dem hier und nachfolgend in eckige Klammem gestellten Text handelt es sich um die im Original am Rand des jeweiligen Artikels gesondert abgedmckten Hervorhebungen. Dok. 211.

1978

§12:Baden

[Dok. 188-251]

schlagsperiode eine Aenderang bevorsteht, unter spezieller Begriindung der | eintretenden Aenderung mit der erforderlichen Summe in den Voranschlag ein= | zustellen. ^Ftir regelmaBig wiederkehrende, aber ihrem Betrage nach wandelbare Ein= | nahmen und Ausgaben ist in der Kegel der Durchschnittsbetrag aus den der Zeit | der Aufstellung des Voranschlags unmittelbar vorangegangenen drei letzten Rech= | nungsjahren als kunftiger Budgetsatz aufzunehmen. ^Abweichungen von dieser Kegel | sind jeweils besonders zu begriinden. ArtikelS. [Fortsetzung.] Bei den in die Voranschlage aufgenommenen Zuschtissen fiir Staatsanstalten | und fur vom Staate unterstiitzte Gemeinde= und Korporationsanstalten ist der Be= | griindung eine summarische Darstellung des Vermogensstandes und der eigenen Ein= | nahmen und Ausgaben dieser Anstalten beizugeben. Artikel 4. [Voranschlag | der Ein= | nahmen und | Ausgaben des | auBerordent= | lichen Etats.] ^AuBerordentliche Einnahmen und Ausgaben sind jeweils nach ihrer Veran= | lassung und nach ihrer GroBe besonders zu begriinden. ^Insbesondere sollen die fur | bauliche Untemehmungen erforderlichen Kredite in der Kegel erst dann in das | Budget eingestellt werden, weim die deBfallsigen Plane und Kostenvoranschlage im | Einzelnen ausgearbeitet sind, so daB der gesammte Kostenaufwand des betreffenden | Untemehmens sogleich bei der erstmaligen Anforderung an die Stande tibersehen | werden kann. Artikel 5. [Weitere Ein= | theilung des | Budgets.] Das Staatsbudget zerfallt in die Spezialbudgets, die nach dem Geschaftskreise | der einzelnen obersten Staatsbehorden aufzustellen sind. Die Spezialbudgets sind in Titel, Abtheilungen und Unterabtheilungen in an= | angemessener Weise zu zerlegen, so daB die untersten Abtheilungen (Positionen) nur | den Gesammtbetrag gleichartiger und zusammengehoriger Einnahmen und Ausgaben | enthalten. Jede Position unterliegt der standischen BeschluBfassung. II. Abschnitt. | Vorschriften fiir den Vollzug des Voranschlags im Allgemeinen. Artikel 6. [Vollzug des I Budgets im | Allgemeinen.] Die Verwaltung der Staatseinnahmen und Ausgaben ist nach dem Finanz= | gesetz und insbesondere nach den von den Standen genehmigten Voranschlagen zu | [S. 157] fiihren, wie sie der Anlage zum Finanzgesetz oder den besonderen Gesetzen zu Grunde | liegen, welche deshalb ergangen sind. Unter Einnahmen und Ausgaben im Sinne dieses Gesetzes gehoren auch die | Einnahmen und Ausgaben an Naturalien und sonstigen Gegenstanden, welche be= | stimmungsmaBig von einem Verwaltungszweige vorrathig zu halten sind. Artikel 7. [Budgetperiode.] ^Das KechnungsergebniB der beiden sich folgenden Jahre, aus denen jeweils | eine Budgetperiode besteht, ist als ein Ganzes zu betrachten. ^Es konnen hiemach | Minderverwendungen des ersten Jahres an den fiir dieses Jahr berechneten Krediten | im zweiten Jahr zur Verwendung kommen und schon im ersten Jahre Voraus= | zahlungen auf Kredite des

[245] Etatgesetz vom 22. Mai 1882

1979

zweiten Jahres stattfinden, sofem dadurch die Voraus= | zahlungen nicht geandert werden, auf denen die Verwilligung der Kredite beruht. ^Zu Vorauszahlungen ist jedoch die Genehmigung des Finanzministeriums ftir die | auBerhalb seines Geschaftskreises befindlichen Verwaltungszweige erforderlich. "^Bei | Meinungsverschiedenheit zwischen den betheiligten Ministerien behalten Wir Uns | die Entscheidung vor. Artikel 8. [Verrechnung | der Ein= | nahmen und | Ausgaben.] Einnahmen, welche zu den eigentlichen Staatseinkunften gehoren, desgleichen | Ausgaben, welche sich unmittelbar als Verwendungen fiir Staatszwecke darstellen, | dtirfen in der Rechnungsabtheilung der sogenannten uneigentlichen Einnahmen und | Ausgaben lediglich vortibergehend, namentlich mit Rticksicht auf das Etatsjahr, | welchem Einnahmen und Ausgaben angehoren, verrechnet werden. Artikel 9. [Fortsetzung.] Die Einnahmen und Ausgaben sind in den Rechnungsnachweisungen (Haupt= | jahresrechnungen) und den vergleichenden Darstellungen der Budgetsatze mit den | Rechnungsergebnissen nach den Titeln, Abtheilungen und Positionen der Budgets, | unter welchen sie vorgesehen sind, nachzuweisen. Unter der Bezeichnung „Verschiedene und zufallige Einnahmen und Ausgaben" | sind nur solche ordentliche Einnahmen und Ausgaben zu verrechnen, welche sich | unter keine bestimmt bezeichnete Position eignen. Die Verrechnung von Einnahmen und Ausgaben unter anderen als den fur | sie bestimmten Positionen ist nicht gestattet. Nicht im Etat vorgesehene auBerordentliche Einnahmen und Ausgaben sind | in den Rechnungen getrennt von den etatsmaBigen Einnahmen und Ausgaben zu | buchen. Von Einnahmen Zahlungen und von Ausgaben damit in Verbindung stehende | Einnahmen vorweg in Abzug zu bringen und nur etwa die Restbetrage zu buchen, | ist nicht gestattet. [S. 158] Im Uebrigen sind die Vorschriften liber die Rechnungsablage im Allgemeinen | und die naheren Bestimmungen liber die Einrichtung der Staatsrechnungen unter | Mitwirkung der Oberrechnungskammer durch Verordnung zu erlassen. Artikel 10. [Behandlung | der klinftig | wegfallenden | Ausgaben.] Ausgabebetrage, welche der Etat als klinftig wegfallend bezeichnet, sind von | dem Zeitpunkte an, mit welchem der Grund ihrer Bewilligung aufhort, vom Rech= | nungssoll abzusetzen. Artikel 11. [Etatsliber= | schreitungen, | Minderein= | nahmen und | ^Ausgaben.] Als Etatsliberschreitungen werden alle Mehrausgaben oder Mehreinnahmen | angesehen, welche gegen die einzelnen Rubriken des gesetzlich festgestellten Staats= | haushaltsetats Oder die Positionen des Budgets in den von den Standen geneh= | migten Betragen stattgefunden haben. Etatsliberschreitungen im ordentlichen Etat, sowie Mindereinnahmen und Min= | derausgaben sind zu der vergleichenden Darstellung der Budgetsatze und der Rech= | nungsergebnisse zu erlautem und soweit erforderlich zu rechtfertigen.

1980

§12:Baden

[Dok. 188-251]

Dasselbe gilt bei den Positioner! der im Voranschlag vorgesehenen auBerordent= | lichen Einnahmen und Ausgaben, sofem bei letzteren der Mehraufwand 10 Prozent | der Verwilligung Oder einen Hochstbetrag von 10000 M. nicht tibersteigt. Artikel 12. [Administrative | kredite.] ^Administrativkredite konnen nur mit Unserer besonderen Genehmigung ertheilt | werden. ^Sie sind zulassig und erforderlich: 1. Ftir einen Mehraufwand bei den Positionen der im Voranschlag vorge= | sehenen auBerordenthchen Ausgaben, sofem der Mehraufwand 10 Prozent | der Verwilligung und einen Hochstbetrag von 10000 M tibersteigt. 2. Ftir Vorauszahlungen bis zur Hohe eines Standischer Seits genehmigten | Gesammtaufwands, von dem nur ein Theil zur Verwendung in der lau= | fenden Budgetperiode eingestellt war. 3. Ftir neu hervortretende Bedtirfhisse, deren Befriedigung nicht verschieblich | ist, Oder doch nur mit entschiedenem Nachtheile bis zur Einholung der | standischen Zustimmung verschoben werden kann. Administrativkredite sind den Standen jeweils bei ihrem nachsten Zusammen= 1 tritt mit der Begriindung ihrer Veranlassung zur Genehmigung mitzutheilen. Artikel 13. [Geltungs= | dauer der | Kredite] ^Alle Kredite erloschen mit dem Ablauf der Budgetperiode. '^Die Regierung | ist indessen beziiglich der Ausgaben des ordentlichen Etats ermachtigt, nach Ablauf | einer Budgetperiode alle standischen Dotationen, Staatsbeitrage und sonstige Aus= | gaben in den gleichen Betragen fortzahlen zu lassen, wie sie im letzten Haushalts= | [S. 159] etat bewilligt worden sind, so lange sie durch Gesetze oder gemaB §. 62 der Ver= | fassungsurkunde^ zur Erhebung der Abgaben befugt ist. ^Die Regierung ist femer ermachtigt, iiber Kredite zu auBerordenthchen Aus= | gaben, namentlich zu baulichen Untemehmungen, welche am SchluB der Budget^ | periode noch nicht oder nur theilweise zur Verwendung kamen, in der neuen Budget= | periode zu verftigen, sofeme der urspriinglich der Verwilligung zu Grund gelegte | Plan ohne wesentliche Aenderung eingehalten wird. ^Den Standen ist jedoch mit | der Vorlage der Budgets jeweils eine spezielle Nachweisung der verbliebenen Kredit= | reste nach dem Stande am Schlusse des ersten Jahres der abgelaufenen Budget^ | periode zu geben und durch das Finanzgesetz die Summe festzustellen, welche zur | Deckung dieser Kreditreste nach dem Stand am SchluB des ersten Jahres der | abgelaufenen Budgetperiode vorzubehalten ist. Abschnitt III. | Besondere Vorschriften beziiglich der Behandlung der Besoldungen, Gehalte | und sonstiger Beziige von Beamten. Artikel 14. [Besoldungs= | etat.] ^In die Darstellung des Besoldungsetats sind die Stellenzahlen und die maB= | gebenden Besoldungssatze aufzunehmen. "^Auch ist der Effektivetat dem Staatsbudget | beizugeben.

^ Dok. 211.

[245] Etatgesetz vom 22. Mai 1882

1981

Artikel 15. [Vollziehung | der Etats= | positioner! fur | personliche | Ausgaben.] ^Besoldungen, Gehalte und andere standige oder bei der Pensionimng in An= | rechnung zu bringende Dienstbeztige dtirfen nur auf Grund des Etats und fiir das | darin vorgesehene Personal verliehen werden. '^Das Gleiche hat in der Kegel auch | bei den Wohnungsgeldzuschtissen einzutreten, doch ist eine Ueberschreitung des be= | treffenden Budgetsatzes in dem Falle zulassig, wenn solche durch Emennung von | Staatsbediensteten innerhalb des Kreises der bestehenden Behordenorganisation herbei= | gefuhrt wird. Ist in auBerordentlichen BedtirfhiBfallen eine Ueberschreitung der Etats durch | Vermehrung des Personals erforderlich, so ist solche nur bei den Gehaltsetats und | den besonderen fur Dienstaushilfe bestimmten Positionen statthaft und es finden | hinsichtlich solcher Ueberschreitungen die Vorschriften des Artikel 11 Anwendung. Artikel 16. [Fortsetzung.] ^Bei der Verausgabung der Besoldungsetats darf weder die vorgesehene Ge= | sammtsumme an Besoldungen, noch die vorgesehene Anzahl der Stellen, noch das | festgesetzte Besoldungsmaximum tiberschritten werden. '^Die Ueberschreitung des letz= | teren darf auch durch Verleihung eines Funktionsgehalts oder einer standigen RQ= \ [S, 160] muneration, sofeme nicht fur besondere Falle budgetmaBig eine derartige Neben= | vergiitung bewilligt ist, nur in den Fallen eintreten, in welchen solche aus andem | Fonds zu entnehmenden Beztige fiir eine mit dem eigentlichen Dienste in keiner | Weise zusammenhangenden Thatigkeit verliehen sind. Artikel 17. [Fortsetzung.] Werden unbesetzte Stellen, welche im Besoldungsetat dotirt sind, zeitweise | durch Bedienstete, welche nicht Staatsdiener sind, versehen, so sind die Dienstbeztige, | welche die Besoldung vertreten, auf den Besoldungsetat zu verrechnen. Artikel 18. [Fortsetzung.] Zahlungen an Besoldungen, Gehalten, Wohnungsgeldzuschtissen, Pensionen, | Sustentationen und sonstigen standigen Beztigen sind in angemessenen Terminen | und zwar fur die abgelaufene Zeitperiode zu vollziehen, jedoch so, daB die Zahlung | im letzten Drittel der Bezugstermine erfolgen soil. Der Anspruch auf die Zahlung solcher Beztige kann mit rechtlicher Wirkung nur | insoweit cedirt, verpfandet oder sonst tibertragen werden, als sie der Pfandung | unterliegen (R.=C.=P.=0. §. 749). Artikel 19. [Dienst= | wohnungen.] Dienstwohnungen in dem Staate gehorigen oder von ihm gemietheten Ge= j bauden, fur welche der Aufwand an Bauunterhaltung oder an Miethe dem Staats= | budget angehort, konnen an Staatsdiener nur auf Grund des Etats gewahrt werden; | die fiir derartige Wohnungen zu entrichtenden Miethzinse sind in dem Etat ersichtlich | zu machen. ^Die Dienstwohnung eines Staatsbediensteten verliert mit dem Tage des Ab= | zugs desselben zum Zwecke des Antritts einer andem Stelle oder mit dem Eintritt | der Pensionimng oder mit dem Todestage desselben den Charakter einer Dienst= | wohnung, auch wenn solche voriibergehend noch ihm oder seiner Familie belassen | wird. "^Wahrend dieser Zeit kann der bisherige Miethzins beibehalten werden.

1982

§12:Baden

[Dok. 188-251]

Soweit sonst Staatsbediensteten in dem Staate gehorigen oder von ihm ge= | mietheten Gebauden entbehrliche Raume zur Beniitzung als Wohnung tiberlassen | werden, ist dafiir der ortsiibliche, fur Familienwohnungen aber mindestens ein dem | WohnungsgeldzuschuB des Dieners am betreffenden Orte gleichkommender Miethzins | zu entrichten. Auch ftir Dienstwohnungen ist jeweils mindestens ein dem gesetzlichen Betrage | des Wohnungsgeldzuschusses gleichkommender Miethzins in Einnahme zu stellen. Die weiter erforderlichen Bestimmungen liber die Rechte und Pflichten der | Besitzer von Dienstwohnungen sind durch Verordnung festzusetzen. fS. 161] Artikel 20. [Remune= | rationen.] ^Besondere Belohnungen der Staatsbediensteten fiir zum eigentlichen Dienste | gehorige Leistungen und Unterstutzungen (Remunerationen und Gratifikationen) diirfen | nur aus solchen Mitteln von der Regierung geschopfl werden, welche ausdriicklich | dazu bestimmt sind. ^Dies gilt auch ftir Remunerationen aus Baufonds und aus | Staatsdotationen jeglicher Art. Bei Bureauaversen gelten die Erspamisse, mit Ausnahme jener an der unter | dem Bureauaversum begriffenen Bewilligung fur Literatur, als zur Verwendung | von Remunerationen fiir das Kanzleipersonal bewilligt. Bei der Festsetzung der Fonds fiir Remunerationen soil besondere Rticksicht auf | die im Besoldungs= und Gehaltsetat der letzten Budgetperiode eingetretenen Erspar= | nisse genommen werden. Artikel 21. [Verwendung | der Remune= | rationsfonds.] Bei der Verwendung der Remunerationsfonds konnen, soweit nicht andere | gesetzliche Bestimmungen getroffen sind, unter den Staatsdienem nur die sogenannten | Kanzleibeamten und jene Beamten beriicksichtigt werden, deren Besoldungsmaximal== | satz den Betrag von 3500 M nicht iibersteigt. Es dtirfen aus diesen Fonds innerhalb eines Jahres an einen Staatsdiener | nicht mehr als 12, an einen andem Staatsbediensteten nicht mehr als 18 Prozent | des Besoldungs= bezw. Gehalts=Maximums der betreffenden Dienerklasse gewahrt 1 werden. Ftir diejenigen Dienerkategorien, fiir welche keine Maximalsatze festgestellt sind, | soil zu diesem Zwecke bei Staatsdienem eine Besoldung von 3500 M und bei | anderen Staatsbediensteten ein Diensteinkommen von 1800 M den maBgebenden | Satz bilden. Artikel 22. [Fortsetzung.] AuBerordentliche Belohnungen und Untersttitzungen konnen nur bei besonders | erheblichen und dringlichen Veranlassungen und zwar aus Mitteln des Besoldungs= | etats an beamte nur mit Unserer besonderen Genehmigung, aus Mitteln des Ge= | haltsetats an sonstige Bedienstete nur mit jener des vorgesetzten Ministeriums gegeben | werden. Artikel 23. [Fortsetzung.] Die vorstehenden beschrankenden Bestimmungen finden auf die Remunerirung | und Unterstiitzung der Bediensteten der Grenzzollverwaltung keine Anwendung.

[245] Etatgesetz vom 22. Mai 1882

1983

[S. 162] Artikel 24. [SterbquartaL] ^Die Wittwen und ehelichen Kinder, auch die Adoptivkinder eines verstorbenen | Staatsdieners oder Angestellten oder eines sonstigen Staatsbediensteten, sofem er | nur seine ganze Zeit und Kraft dem Dienste zu widmen hat und nicht bios Tages= | gebtihren bezieht, derselbe mag im aktiven Dienste oder im Pensionsstande mit Tod | abgegangen sein, erhalten unter dem Titel „Sterbquartal" einen Vierteljahrsbetrag | der Besoldung, des Gehalts oder des sonstigen dekretmaBigen Diensteinkommens, I des zuletzt bezogenen Wohnungsgeldzuschusses oder der Pension des Verstorbenen. | Auch aus widerruflichen Einkommenstheilen, soweit sie fur den Hauptdienst verliehen | sind, wird das Sterbquartal entrichtet. Sonstige Verwandte und Stiefkinder des Verstorbenen haben keinen Anspruch | auf das Sterbquartal. Die geschiedene Ehefrau hat nur dann Anspruch auf das Sterbquartal, wenn | sie der unschuldig geschiedene Theil ist. Hatte der Mann sich wieder verheirathet und aus der spateren Ehe eine Wittwe | oder Kinder hinterlassen, so theilen diese mit der unschuldig geschiedenen Ehefrau | und ihren mit dem Verstorbenen etwa erzeugten Kindem das Sterbquartal halftig. Die schuldig geschiedene Ehefrau hat - unbeschadet jedoch der Rechte der | Kinder - an das Sterbquartal keinen Anspruch. Aus gnadenweisen Bewilligungen bezw. Sustentationen wird kein | Sterbquartal verabfolgt Aus den Gehalten und Pensionen bediensteter Frauen erhalten ihre ehelichen | Kinder ein Sterbquartal; ihre Manner haben keinen Anspruch darauf ^Die Verrechnung der Sterbquartale aus den Beztigen aktiver Diener hat stets | unter denselben Etatspositionen zu geschehen, unter welchen die Besoldung, der Gehalt | oder das sonstige Diensteinkommen gebucht wird. "^Sterbquartale rechtfertigen bis | zu ihrem Betrage die Ueberschreitung der betreffenden Budgetposition. Das Sterbquartal bildet keinen Bestandtheil der Verlassenschaft des Verstor= | benen; es hat lediglich die Eigenschaft einer Gnadengabe fur die Hinterbliebenen | desselben. Fiir den Fall, daB die Hinterbliebenen tiber die Vertheilung des Sterbquartals | sich nicht vereinigen konnen, behalten Wir Uns die Bestimmung hieriiber vor. Artikel 25. [Beschrankung | bezw. Zuruck= | ziehung der | Pension von | Staats= | bediensteten.] Gelangt ein in den Ruhestand versetzter Staatsdiener durch Wiederverwendung | im Reichsdienste oder im Dienste eines anderen Staats, einer Kirche oder einer | Gemeinde in den GenuB eines Diensteinkommens, so tritt eine Kiirzung des nach | dem Staatsdieneredikte vom 30. Januar 1819 verwilligten Ruhegehalts insoweit | [S. 163] und insolange ein, als der Betrag dieses neuen Diensteinkommens unter Hinzu= | rechnung des Ruhegehalts den Betrag des von dem Diener vor der Zuruhesetzung | bezogenen matrikularmaBigen Diensteinkommens um mehr als 10 Prozent tibersteigt. Erwirbt ein im Ruhestande befindlicher friiherer Staatsdiener, welcher in eine | zur Pension berechtigende Stellung im Reichsdienste oder im Dienste eines andem | Staats, einer Kirche oder einer Gemeinde eingetreten ist, in dieser Stellung eine | Pension, so findet neben derselben der Fortbezug des auf Grand des Staatsdiener^ | edikts gewahrten Ruhegehalts nur in dem durch die voranstehende Bestimmung be= | granzten Umfange statt. Die Austibung der Rechtsanwaltschaft durch einen im Ruhestand befindlichen | Staatsdiener oder Notar hat zur Folge, daB die ihm zustehende Pension nach | Ablauf von zwei

1984

§12:Baden

[Dok. 188-251]

Jahren vom Beginn jener Beschaftigung an und fur die femere | Dauer derselben als mhend betrachtet wird. Artikel 26. [Fortsetzung.] ^Die Bestimmungen des Artikel 25 Absatz 1 und 2 sind auch auf Notare, | Angestellte der Civilverwaltung und Gendarmeriebedienstete anwendbar. ^Die Artikel | 15 und 16 des Gesetzes vom 26. Mai 1876, die dienstlichen Verhaltnisse der An= | gestellten der Civilstaatsverwaltung betreffend, Artikel 1 des Gesetzes vom 7. Juni 1876 | iiber die Pensionirung der Gendarmeriebediensteten und Artikel 9 und 19 des Ge= | setzes vom 25. Juli 1876 liber die Pensionirung der Notare und der ohne Staats= | dienereigenschaft angestellten Gerichtsnotare sind hiemach abgeandert. Abschnitt IV. | Vorschriften tiber einige besondere Verwaltungshandlungen und einige Arten von Einnahmen und Ausgaben. Artikel 27. [VerauBerung | von beweg= | lichen und | unbeweglichen | Sachen.] Bewegliche und unbewegliche Sachen, welche zur VerauBerung fur Rechnung 1 des Staats Oder irgend welcher Staatsanstalt bestimmt sind, miissen im Wege | offentlicher Versteigerung oder im Wege der Soumission verkauft werden, sofeme | nicht die VerauBerung aus freier Hand von der obersten Verwaltungsbehorde und | bei unbeweglichen Sachen von einem Werth von mehr als 25000 M von Uns | ausdrucklich gestattet ist. Die VerauBerung bestimmter Arten beweglicher Sachen aus freier Hand | kann von der obersten Verwaltungsbehorde auch allgemein angeordnet werden. [S. 164] Artikel 28. [Verwaltung | und VerauBe= | rung der zum | Staatsgrund= | stock gehorigen | Liegenschaften.] ^Die der allgemeinen Staatsverwaltung angehorigen Liegenschaften sind, wenn | sie langere Zeit keine Verwendung fur Staatszwecke fmden, in der Regel der | Domanenadministration oder einem andem unter dem Finanzministerium stehenden | Verwaltungszweige zur Verwaltung fur Rechnung des betreffenden Etats zu tiber= | weisen. ^Wenn sie ganz entbehrlich sind, so ist deren VerauBerung mit Unserer | Genehmigung oder der Genehmigung der von Uns fur zustandig erklarten Staats= | stellen fur Rechnung der Amortisationskasse durch die genannten Verwaltungszweige | zu vollziehen. Artikel 29. [Einnahmen | des | Grundstocks.] ^Die Einnahmen aus der VerauBerung von im Eigenthum des Staats oder | einer Staatsanstalt befindlichen Grundstiicken und Gebauden flieBen, soweit es sich | um Liegenschaften der allgemeinen Staatsverwaltung handelt, in die Amortisations^ | kasse und wachsen dem Aktivvermogen der letzteren zu. "^Die Einnahmen aus der | VerauBerung von der Eisenbahnverwaltung gehorigen oder von Neubauten der | Wasser= und StraBenbauverwaltung herrtihrenden und hiefur entbehrlich geworde= | nen Liegenschaften flieBen dagegen in die Eisenbahnschuldentilgungskasse bezw. in | die Wasser= und StraBenbaukasse und sind als Ersatz am Bauaufwand in Rechnung | zu stellen. ^Verwendungen aus den in die Amortisationskasse geflossenen Erlosen | zu anderweitigen Ankaufen und Herstellungen sind ohne vorherige standische Ge= | nehmigungen unstatthaft, die Stellung einer besonderen Rechnung fur die Staats= | grundstocksverwaltung fallt ktinftig weg.

[245] Etatgesetz vom 22. Mai 1882

1985

Bezuglich der Behandlung der Erlose aus Bestandtheilen des Domanenvep= | mogens verbleibt es bei den desfallsigen gesetzlichen Vorschriften. Artikel 30. [Vertrage iiber | Verpachtun= | gen, Vermieth= | ungen, Arbeitsleist= | ungen und | Ankaufe fiir I die Staats= | verwaltung.] Die fur Rechnung des Staats oder einer Staatsanstalt geschlossenen Vertrage | mtissen ebenso, wie der Ankauf auf Staatsrechnung, auf vorhergegangene offentliche | Ausschreibung gegriindet sein, insofeme nicht die von der obersten Verwaltungs= | behorde (Artikel 27) ausgehenden Verwaltungsvorschriften ein Anderes bestimmen | oder Ausnahmen durch die Natur des Geschafts gerechtfertigt werden. Staatsbedienstete diirfen sich bei Lieferungen oder sonstigen derartigen Leistungen | fur die Verwaltung, welcher sie angehoren, nicht betheiligen. Artikel 31. [Nachweisung | der vom Staate | erworbenen | beweglichen | und unbeweg= | lichen Sachen.] Alle fur Rechnung des Staats oder der Staatsanstalten angekauften Gegen= | stande mtissen entweder bei Verausgabung der Geldbetrage als unmittelbar ver= | wendet dargethan oder in einer besonderen Naturalrechnung in Einnahme, bezw. | sofeme sie aus Grundstucken, Gebauden, Berechtigungen oder Gerathschaften bestehen | [S. 165] oder zu Sammlungen gehoren, in den betreffenden Rechnungen, Giiterverzeichnissen | oder Inventarien in Zugang nachgewiesen werden. Solche Gegenstande dtirfen nur nach den hiertiber bestehenden besonderen Vor= | schriflen in Abgang genommen werden. Artikel 32. [Gnadenakte.] Im Gnadenwege zu bewilligende Nachlasse an Einnahmen und gnadenweise | eintretende Erhohungen von Ausgaben bedtirfen Unserer Genehmigung oder der | Genehmigung der von Uns hiezu als zustandig erklarten Staatsstellen. Ersatzverbindlichkeiten, welche die Oberrechnungskammer durch endgtiltigen Be== | scheid auferlegt hat, dtirfen nur mit Unserer besonderen Genehmigung erlassen werden. Artikel 33. Organisationen, welche EinfluB auf die Erhohung des Ausgabeetats haben, | konnen nicht in Vollzug gesetzt werden, bevor sie von den Standen gutgeheiBen | sind, auch wenn die Erhohung der Ausgaben erst in einer ktinftigen Budgetperiode | hervortreten sollte. Abschnitt V. | Vollzugsbestimmungen. Artikel 34. [Eintritt der | Wirksamkeit | des Gesetzes.] Gegenwartiges Gesetz gilt, mit Ausnahme der Artikel 2 0 - 2 3 , als Verfassungsgesetz und tritt mit dem 1. Januar 1884 in Kraft. Gegeben zu Karlsruhe, den 22. Mai 1882. In Vertretung Seiner Koniglichen Hoheit des GroBherzogs: | Friedrich, ErbgroBherzog. Ellstatter. Auf Seiner Koniglichen Hoheit hochsten Befehl: | Jost.

1986

§12:Baden

[Dok. 188-251]

[245/1] Gesetz, die Abanderung des Gesetzes uber den Staatsvoranschlag und die Verwaltung der Staatseinnahmen und -ausgaben (Etatgesetz) betreffend, vom 24. Juli 1888 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einfiihrungen" die Darstellung unter [893.]. Quelle: Gesetzes- und Verordnungs-Blatt ftir das GroBherzogthum Baden, (Nr. 34 vom 18. August) 1888, S. 510 (517)-517 (gedruckt). [Auszug] [S. 510] Gesetz (Vom24. Juli 1888.) Die Abanderung des Gesetzes liber den Staatsvoranschlag und die Verwaltung der Staatseinnahmen I und =Ausgaben (Etatgesetz) betreffend. Friedrich, von Gottes Gnaden GroBherzog von Baden, | Herzog von Zahringen. Mit Zustimmung Unserer getreuen Stande haben Wir beschlossen und verordnen, | wie folgt: §. 1Der dritte Abschnitt^ des Gesetzes vom 22. Mai 1882, den Staatsvoranschlag und die | Verwaltung der Staatseinnahmen und =Ausgaben betreffend** (Gesetzes^ und Verordnungsblatt | Nr. XVII.), erhalt mit Wirkung vom 1. Januar 1890 die nachstehende Fassung:^ ...[S.517]... §.2. Die Artikel 27 bis 33 des im Eingang von §. 1 genannten Gesetzes vom 22. Mai 1882 | erhalten die Bezifferung als Artikel 32 bis 38. Der Artikel 34 des genannten Gesetzes wird aufgehoben.** §.3. Die GroBherzogliche Regiemng wird ermachtigt, das Gesetz vom 22. Mai 1882 in | seiner durch das gegenwartige Gesetz geanderten Fassung mit der Bezeichnung als „Etatgesetz I (Gesetz tiber den Staatsvoranschlag und die Verwaltung der Staats=Einnahmen und =Aus= I gaben)" durch das Gesetzes^ und Verordnungsblatt zu verkunden.® Gegeben zu SchloB Baden, den 24. Juli 1888. Friedrich. Turban. Ellstatter. Nokk. A. Eisenlohr. Auf Seiner Koniglichen Hoheit hochsten Befehl: | Leutz. Betrifft die Art. 14-26. Dok. 245. Von dem Abdruck der entsprechend neu gefaBten Art. 14-31 wird abgesehen. Damit verier das Gesetz vom 22. Mai 1882 (Dok. 245) seinen Charakter als „Verfassungsgesetz". Es wurde dann in der Folgezeit noch einmal durch das „Gesetz. Die Anderung des Gesetzes tiber den Staatsvoranschlag und die Verwaltung der Staatseinnahmen und -Ausgaben (Etatgesetz) betreffend." Vom 12. August 1908 (Gesetzes- und Verordnungs-Blatt fur das GroBherzogtum Baden, [18. August] 1908,Nr. 31, S. 416-419) abgeandert. Bekanntmachung der Neufassung des Gesetzes erfolgte am selben Tage (24. Juli 1888), in: Gesetzes- und Verordnungs-Blatt ftir das GroBherzogthum Baden, (18. August) 1888, Nr. 34, S. 517 (518)-530.

[246] (Neu-)Bekanntmachung der Verfassungsurkunde vom 26. August 1904

1987

[246] (Neu-)Bekanntmachung der Verfassungsurkunde fur das Groliherzogtum Baden vom 26. August 1904 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einfuhrungen" die Darstellung unter [900.]. Quelle: Gesetzes- und Verordnungs-Blatt fur das GroBherzogthum Baden, (Nr. 23 vom 8. September) 1904, S. 374-393 (gedruckt). [S. 374] Bekarmtmachung. (Vom26. August 1904.) Die Verfassungsurkunde betreffend. Nachstehend wird der Text der Verfassungsurkunde fiir das GroBherzogtum | Baden vom 22. August 1818^ (Regierungsblatt Nr. XVIII, Seite 101) in der durch | das Gesetz vom 17. Februar 1849, die Aufhebung der Beschrankung staatsbtirgerlicher | Rechte aus Rticksichten der Konfession betreffend** (Regierungsblatt Nr. VII, Seite 75), | das Gesetz vom 21. Oktober 1867, die Abanderung beziehungsweise Erganzung der Ver= | fassungsurkunde betreffend^ (Regierungsblatt Nr. XLVII, Seite 423), | das Gesetz vom 20. Februar 1868, die Abanderung des § 67 der Verfassungsurkunde | beztiglich der Verantwortlichkeit der Minister betreffend^ (Regierungsblatt Nr. XXI, Seite 345), | das Gesetz vom 21. Dezember 1869, die Anderung einiger Bestimmungen der Verfassungs= | urkunde betreffend® (Gesetzes= und Verordnungsblatt Nr. XXXVII, Seite 571), | das Beamtengesetz vom 24. Juli 1888^ (Gesetzes= und Verordnungsblatt Nr. XXXIV, | Seite 399) und | das Gesetz 24. August 1904, die Abanderung der Verfassung betreffend^ (Gesetzes= | und Verordnungsblatt Nr. XXII, Seite 339) | bewirkten Fassung bekannt gemacht. Karlsruhe, den 26. August 1904. GroBherzogliches Ministerium des Innem. | Schenkel. Leers. [S. 375] Verfassungs=Urkunde | fur das GroBherzogtum Baden. Carl von Gottes Gnaden, | GroBherzog zu Baden, Herzog zu Zahringen, | Landgraf zu Nellenburg, Graf zu Hanau etc. Als Wir bereits im Jahre 1816 Unsem Untertanen wiederholt bekannt machten, dem | GroBherzogtum eine Landstandische Verfassung geben zu wollen, so hegten Wir den Wunsch I und die Hoffhung, daB samthche Bundes=Glieder tiber eine unabanderhche wesentliche Grund= | lage dieser alien deutschen Volkem zugesicherten Einrichtung tibereinzukommen und nur in Ent= | wicklung der aufgestellten Grundsatze ein jeder einzelner Staat seinen besonderen Bedtirfnissen, | mit Rticksicht auf bestehende Verhaltnisse, folgen mochte. Da sich jedoch, nach den letzten, tiber diesen Gegenstand bei dem Bundestage abgelegten, I Abstimmungen der Zeitpunkt noch nicht bestimmt voraussehen laBt, in welchem die Gestaltung | der Standischen Verfassung einen Gegenstand gemeinschaftlicher Beratungen bilden dtirfte, so | sehen wir uns nunmehr veranlaBt, die Unsem Untertanen gegebene Zusi-

Dok. 211. Dok. 211/5. Dok. 211/7. Dok. 211/8. Dok. 211/9. Dok. 211/11. Dok. 211/12.

1988

§12:Baden

[Dok. 188-251]

cherung auf die Art | und Weise in Erfullung zu setzen, wie sie Unserer innem freien und festen Uberzeugung | entspricht. Von dem aufrichtigsten Wunsche durchdmngen, die Bande des Vertrauens zwischen Uns I und Unserm Volke immer fester zu kntipfen, und auf dem Wege, den Wir hierdurch bahnen, | alle Unsere Staats=Einrichtungen zu einer hoheren Vollkommenheit zu bringen, haben wir nach= | stehende Verfassungs==Urkunde gegeben, und versprechen feierlich far Uns und Unsere Nach= | folger, sie treulich und gewissenhaft zu halten und halten zu lassen: I. Von dem GroBherzogtum und der Regierung im allgemeinen. §1. Das GroBherzogtum bildet einen Bestandteil des deutschen Bundes. §2. Alle organischen Beschltisse der Bundes^Versammlung, welche die verfassungsmaBigen Ver= | haltnisse Deutschlands oder die Verhaltnisse deutscher Staatsbtirger im allgemeinen betreffen, | machen einen Teil des Badischen Staatsrechts aus, und werden fur alle Klassen von Landes= | angehorigen verbindlich, nachdem sie von dem Staats=Oberhaupt verkiindet worden sind. [S. 376] §3. Das GroBherzogtum ist unteilbar und unverauBerlich in alien seinen Teilen. §4. Die Regierung des Landes ist erblich in der GroBherzoglichen Familie nach den Be= | stimmungen der Deklaration vom 4. Oktober 1817, die als Grundlage des Hausgesetzes | einen wesentlichen Bestandteil der Verfassung bilden und als wortlich in gegenwartiger | Urkunde aufgenommen betrachtet werden soil. §5. Der GroBherzog vereinigt in Sich alle Rechte der Staats=Gewalt, und tibt sie unter den | in dieser Verfassungs=Urkunde festgesetzten Bestimmungen aus. Seine Person ist heilig und unverletzlich. §6. Das GroBherzogtum hat eine standische Verfassung. II. Staatsbtirgerliche und politische Rechte der Badener, und besondere Zusichemngen. §7. Die staatsburgerlichen Rechte der Badener sind gleich in jeder Hinsicht, wo die Ver= | fassung nicht namentlich und ausdriicklich eine Ausnahme begriindet. Die GroBherzoglichen Staats=Minister und samtliche Staatsdiener sind fiir die genaue | Befolgung der Verfassung verantwortlich.

^Alle Badener tragen ohne Unterschied zu alien offentlichen Lasten bei. '^Alle Befreiungen I von direkten oder indirekten Abgaben bleiben aufgehoben.

[246] (Neu-)Bekanntmachung der Verfassungsurkunde vom 26. August 1904

1989

§9. (Gesetz vom 17. Februar 1849.^) Alle Staatsbtirger ohne Unterschied der Religion haben zu alien Civil= und Militar= | stellen und Kirchenamtem ihrer Konfession gleiche Ansprtiche. Alle Auslander, welchen Wir ein Staats=Amt konferieren, erhalten durch diese Verleihung I unmittelbar das Indigenat. §10. Unterschied in der Geburt und der Religion begriindet mit der fur die standesherrlichen | Familien durch die Bundes=Akte gemachten Ausnahme, keine Ausnahme der Militar=Dienstpflicht. [S. 377] §11. Ftir die bereits fiir abloslich erklarten Grundlasten und Dienstpflichten und alle aus der | aufgehobenen Leibeigenschaft herruhrenden Abgaben soil durch ein Gesetz ein angemessener | Abkaufs=FuB reguliert werden. §12. Das Gesetz vom 14. August 1817, tiber die Wegzugs=Freiheit^, wird als ein Bestandteil | der Verfassung angesehen. §13. Eigentum und personliche Freiheit der Badener stehen fiir alle auf gleiche Weise unter | dem Schutze der Verfassung. §14. Die Gerichte sind unabhangig innerhalb der Grenzen ihrer Kompetenz. Alle Erkenntnisse in btirgerlichen Rechtssachen mtissen von den ordentlichen Gerichten I ausgehen. Der GroBherzogliche Fiskus nimmt in alien aus privatrechtlichen Verhaltnissen ent= | springenden Streitigkeiten Recht vor den Landes^Gerichten. Niemand kann gezwungen werden, sein Eigentum zu offentlichen Zwecken abzugeben, als I nach Beratung und Entscheidung des Staats=Ministeriums, und nach vorgangiger Entschadigung. §15. Niemand darf in Kriminal=Sachen seinem ordentlichen Richter entzogen werden. Niemand kann anders als in gesetzlicher Form verhaftet und langer als zweimal vier= | undzwanzig Stunden im Gefangnis festgehalten werden, ohne tiber den Grund seiner Ver= | haftung vemommen zu sein. Der GroBherzog kann erkannte Strafen mildem oder ganz nachlassen, aber nicht scharfen. §16. Alle Vermogens=Konfiskationen sollen abgeschafft werden.

^ Dok. 211/5. ^ Dok. 206.

1990

§12:Baden

[Dok. 188-251]

§17. Die PreBfreiheit wird nach den kiinftigen Bestimmungen der Bundes==Versammlung gehandhabt | werden. §18. Jeder Landes=Emwohner genieBt der ungestorten Gewissensfreiheit und in Ansehung der I Art seiner Gottesverehmng des gleichen Schutzes. §19. (Gesetz vom 17. Februar 1849.^) Die politischen Rechte aller Religionsteile sind gleich. [S. 378] §20. Das Kirchengut und die eigenttimlichen Giiter und Einkunfte der Stiftungen, Unterrichts= I und Wohltatigkeitsanstalten dtirfen ihrem Zwecke nicht entzogen werden. §21. Die Dotationen der beiden Landes=Universitaten und anderer hoherer Lehranstalten, sie I mogen in eigenttimlichen Gtitem und Gefallen, oder in Zuschtissen aus der allgemeinen Staats= | Kasse bestehen, sollen ungeschmalert bleiben. §22. Jede, von Seite des Staats gegen seine Glaubiger tibemommene, Verbindlichkeit ist un= I verletzlich. Das Institut der Amortisations=Kasse wird in seiner Verfassung aufrecht erhalten. §23. Die Berechtigungen, die durch das Edikt vom 23. April 1818** den dem GroBherzogtum | angehorigen ehemaligen Reichsstanden und Mitgliedem der vormaligen unmittelbaren Reichs= | Ritterschaft verliehen worden sind, bilden einen Bestandteil der Staats=Verfassung. §§24 und 25. (Aufgehoben durch § 147 Ziffer 1 des Beamtengesetzes vom 24. Juli 1888.*^) III. StandeeVersammlung. Rechte und Pflichten der Stande=Glieder. §26. Die Landstande sind in zwei Kammem abgeteilt. §27. (Gesetz vom 24. August 1904.^) Die erste Kammer besteht: 1. aus den Prinzen des GroBherzoglichen Hauses, 2. aus den Hauptem der Standesherrlichen Familien,

^ ^ *^ ^

Dok. 211/5. Dok. 210. Dok. 211/11. Dok. 211/12.

[246] (Neu-)Bekanntmachung der Verfassungsurkunde vom 26. August 1904

1991

3. aus dem katholischen Landesbischof und dem Pralaten der evangelischen Landeskirche, 4. aus acht Abgeordneten des Grundherrlichen Adds, 5 aus je einem Abgeordneten der drei Hochschulen, 6. aus sechs Abgeordneten, die von den gesetzlich organisierten Berufskorperschaften gewahlt I werden, und zwar drei von den Handelskammem, zwei von der Landwirtschaftskammer | und einer von den Handwerkskammem, 7. aus zwei Oberburgermeistem der der Stadteordnung unterstehenden Stadte, aus einem I Biirgermeister einer sonstigen Stadt mit mehr als 3000 Einwohnem und aus einem [ Mitglied eines der Kreisausschtisse; die Oberbtirgermeister und der Biirgermeister I [S. 379] werden von den Mitgliedem der Stadtrate und der Gemeinderate, das Mitglied des | Kreisausschusses von samtlichen Mitgliedem der Kreisausschtisse des Landes gewahlt, 8. aus den vom GroBherzog emannten Mitgliedem. §28. (Gesetz vom 24. August 1904.^) ^Die Prinzen des Hauses und die Standesherren treten, nach erlangter Volljahrigkeit, in | die Standeversammlung ein. ^Von denjenigen Standesherrlichen Familien, die in mehrere | Zweige sich teilen, ist das Haupt eines jeden Familien=Zweigs, der im Besitz einer Standes= I herrschaft sich befmdet, Mitglied der ersten Kammer. ^Den Hauptem adeliger Familien, deren im GroBherzogtum befindlicher, als Stammgut | anerkannter, nach dem Recht der Erstgeburt und nach der Lineal=Erbfolge vererblicher liegen= I schaftlicher Besitz nach Abzug des Lastenkapitals im Kataster der direkten Steuem auf I mindestens eine Million Mark veranschlagt ist, kann durch EntschlieBung des GroBherzogs | das erbliche Recht der Mitgliedschaft in der ersten Kammer (erbliche Landstandschaft) ver= | liehen werden. "^Fallen die Voraussetzungen der Verleihung weg, so erlischt die erbliche Land= | standschaft. Wer fiir den minderjahrigen oder den wegen Geisteskrankheit entmiindigten Besitzer eines I standesherrlichen Guts als Vormund bestellt ist, kann, wenn er Agnat der Familie ist, an 1 Stelle des Bevormundeten die Mitgliedschaft in der ersten Kammer austiben. ^Ist das Haupt einer standesherrlichen Familie aus anderen als den im dritten Absatz bezeichneten | Griinden an der Austibung der Mitgliedschaft verhindert, so kann es fur die Dauer der | Sitzungsperiode einen Agnaten als Stellvertreter mit der Austibung der Mitgliedschaft betrauen. | ^Die Bestellung des Stellvertreters ist dem Prasidenten der ersten Kammer und, wenn der [ Landtag nicht versammelt ist, dem Prasidenten des Staatsministeriums schriftlich anzuzeigen. §29. (Gesetz vom 24. August 1904.*^) Bei der Wahl der gmndherrlichen Abgeordneten sind alle adeligen Eigentiimer oder Mit= I eigentiimer eines im GroBherzogtum befindlichen Gutes wahlberechtigt, welchem im Jahre 1806 | die Eigenschaft der Reichsunmittelbarkeit oder das Recht der Patrimonialgerichtsbarkeit zustand. ^Adeligen Gmndbesitzem, deren im GroBherzogtum befindUcher, als Stammgut anerkannter, I nach dem Rechte der Erstgeburt und nach der Lineal=Erbfolge vererblicher liegenschaftlicher | Besitz nach Abzug des Lastenkapitals im Kataster der direkten Steuem auf mindestens | zweimalhunderttausend Mark veranschlagt ist, kann durch EntschlieBung des ^ Dok. 211/12. ^ Dok. 211/12.

1992

§ 12: Baden

[Dok. 188-251]

GroBherzogs die | vererbliche Berechtigung zur Teilnahme an der Wahl der gmndherrlichen Abgeordneten beigelegt | werden. ^Fallen die Voraussetzungen der Verleihung weg, so erlischt die Berechtigung. [S. 380] §30. (Gesetz vom 24. August 1904.^) In Ermangelung des katholischen Landesbischofs tritt der Bistumsverweser in die erste | Kammer ein. §31. (Gesetz vom 24. August 1904.*^) Vom GroBherzog werden in die erste Kammer berufen: 1. zwei hohere richterliche Beamte, 2. weitere Mitglieder, jedoch nicht mehr als sechs, ohne Rticksicht auf Stand und Geburt. §32. (Gesetz vom 24. August 1904.*^) ^Die zwei hoheren richterlichen Beamten werden auf die Dauer ihres Amts emannt. ^Im I tibrigen erfolgt die Emennung der vom GroBherzog berufenen Mitglieder und ebenso die I Wahl der Abgeordneten der Grundherren, der Hochschulen, der Berufskorperschaften und der | Stadte und Kreise fur die vierjahrige Landtagsperiode. §32a. (Gesetz vom 24. August 1904.^) Bei den Wahlen der im § 27 Ziffer 4 bis 7 bezeichneten Mitglieder sind nur solche | Personen wahlberechtigt, welche die badische Staatsangehorigkeit besitzen, im GroBherzogtum I einen Wohnsitz haben, mindestens fiinfundzwanzig Jahre alt sind, und bei denen keine der im | § 35 bezeichneten Tatsachen vorliegt. *Die bei diesen Wahlen Wahlberechtigten sind auch wahlbar, sofem sie das dreiBigste | Lebensjahr zuriickgelegt haben. "^Das Ruhen der Wahlberechtigung gemaB § 35 Ziffer 4 | schlieBt die Wahlbarkeit nicht aus. ^Diesen Voraussetzungen der Wahlbarkeit mtissen auch die I im § 28 bezeichneten Stellvertreter entsprechen. AuBerdem ist bei den Wahlen der Abgeordneten der Hochschulen die Wahlberechtigung I auf die ordentlichen Professoren der betreffenden Hochschule und bei den Wahlen der Grund= | herren die Wahlbarkeit auf die nach § 29 Wahlberechtigten beschrankt. §32b. (Gesetz vom 24. August 1904.^) Wer Mitglied der zweiten Kammer ist, kann nicht als Mitglied in die erste Kammer | eintreten. [S. 381] Nimmt ein Mitglied der ersten Kammer die Wahl als Abgeordneter zur zweiten Kammer I an, so hort damit die Mitgliedschaft in der ersten Kammer auf.

Dok. 211/12. Dok. 211/12. Dok. 211/12. Dok. 211/12. Dok. 211/12.

[246] (Neu-)Bekanntmachung der Verfassungsurkunde vom 26. August 1904

1993

§33. (Gesetz vom 24. August 1904.^) ^Die zweite Kammer besteht aus dreiundsiebenzig Abgeordneten. '^Die Abgeordneten werden, | jeder in einem besonderen Wahlkreise, in allgemeiner, unmittelbarer und geheimer Ab= | stimmung gewahlt. §34. (Gesetz vom 24. August 1904.**) ^Zur Abstimmung bei der Wahl der Abgeordneten zur zweiten Kammer sind die mann= | lichen Personen liber funfundzwanzig Jahre berechtigt, welche im Zeitpunkt der Wahl im | GroBherzogtum einen Wohnsitz haben und seit mindestens zwei Jahren die badische Staats= | angehorigkeit besitzen. ^Jedoch gentigt einjahriger Besitz der badischen Staatsangehorigkeit, | falls der Wohnsitz im GroBherzogtum unmittelbar vor der Wahl mindestens ein Jahr ge= | dauert hat.*^ §35. (Gesetz vom 24. August 1904.^) Die Befugnis zur Austibung der Wahlberechtigung mht: 1. wenn der Wahlberechtigte unter Vormundschaft oder wegen geistiger Gebrechen unter | Pflegschaft steht; 2. wenn liber das Vermogen eines Wahlberechtigten der Konkurs eroffhet ist, wahrend | der Dauer des Konkursverfahrens; 3. wenn der Wahlberechtigte, den Fall eines vorlibergehenden Ungllicks ausgenommen, | eine Armenunterstlitzung aus offentlichen Mitteln bezieht oder im letzten der Wahl voraus= | gegangenen Jahre bezogen hat; die Befreiung von der Entrichtung des fiir den Besuch 6ffent= | licher Unterrichtsanstalten schuldigen Entgelts und die unentgeltliche Beschaffung der fur die | Besucher solcher Anstalten erforderlichen Unterrichtsmittel gilt nicht als Armenunterstlitzung; 4. wenn der Wahlberechtigte trotz rechtzeitiger Mahnung und ohne Stundung erhalten zu haben | bei AbschluB der Wahlerliste mit der Entrichtung einer ihm fur das vorausgegangene Steuer= | jahr gegenliber dem Staat oder der Gemeinde obliegenden direkten Steuer im Rlickstand ist. §36. (Gesetz vom 24. August 1904.^) Alle wahlberechtigten Staatsangehorigen sind wahlbar, ausgenommen diejenigen, welche I im Zeitpunkte der Wahl das dreiBigste Lebensjahr noch nicht vollendet haben oder auf welche | § 35 Ziffer 1 bis 3 Anwendung findet.

Dok. 211/12. Dok. 211/12. Original FuBnote (im Text als hochgestellte „1" gekennzeichnet): „1) Vergleiche hierzu die Ziffer 1 des Artikels 8 des Gesetzes vom 24. August 1904, welche lautet: Bei Wahlen, welche im Laufe des Jahres 1905 stattfmden, besitzen Personen, welche vor dem 1. Januar 1905 die badische | Staatsangehorigkeit erworben oder ihren Wohnsitz im GroBherzogtum genommen haben, die Wahlberechtigung, auch wenn der | Besitz der badischen Staatsangehorigkeit oder der Wohnsitz noch nicht die in § 34 bezeichnete Dauer erreicht." Dok. 211/12. Dok. 211/12.

1994

§12:Baden

[Dok. 188-251]

[S. 382] Die Vorsteher und Beamten der Bezirksamter, der Amtsgerichte und Notariate, sowie | der Bezirksbehorden der Steuer=, Zoll=, Domanen=, Forstverwaltung, der staatlichen Hochbau=, | Wasserbau=, StraBenbau= und Eisenbahnverwaltung, die Bezirksarzte, Bezirkstierarzte und die | Ortsgeistlichen sind in einem Wahlbezirke nicht wahlbar, welchem ihr Dienstbezirk ganz oder | teilweise angehort. §37. (Gesetz vom 24. August 1904.^) Samtliche Abgeordnete der zweiten Kammer werden in Zeitraumen von vier Jahren | neu gewahlt (Landtagsperiode). Die periodische Wahl findet gleichzeitig fur samtliche Abgeordnete an einem vom GroBherzog | zu bestimmenden Tage statt. Die Eigenschaft als Abgeordneter erlischt, wenn seit dem Tage der periodischen Neuwahl I vier Jahre umflossen sind. §38. (Gesetz vom 24. August 1904.^) Im tibrigen werden die Vorschriften liber die Austibung des Wahlrechts zu beiden | Kammem, insbesondere liber die Wahlkreise und das Wahlverfahren, durch besonderes Gesetz | geordnet. §39. (Gesetz vom 24. August 1904.^) ^Auf die durch Wahl, durch Emennung oder durch Berufung als Stellvertreter begrlindete I Mitgliedschaft im Landtag kann durch schriftliche Erklamng Verzicht geleistet werden. ^Dieselbe | ist bei versammeltem Landtage dem Prasidenten der betreffenden Kammer, sonst dem Prasidenten | des Staatsministeriums abzugeben. ^Ein Widerruf des rechtsgliltig erklarten Verzichts findet | nicht statt. Ist ein gewahltes oder emanntes Mitglied des Landtags durch Tod, Verzicht oder durch | Wegfall einer der fur die Wahlbarkeit maBgebenden Voraussetzungen ausgeschieden, so hort I die Mitgliedschaft des zu seinem Ersatz in den Landtag Eingetretenen in dem Zeitpunkte auf, | in welchem der Ausgeschiedene ohne den Eintritt jener besonderen Tatsachen die Mitgliedschaft | im Landtag verloren haben wlirde. §40. (Gesetz vom 24. August 1904.^) Die aus dem Landtage ausgetretenen gewahlten Mitglieder sind wieder wahlbar, sofem | im Zeitpunkt der Wahl die gesetzlichen Voraussetzungen der Wahlbarkeit vorliegen.

^ ^ *^ ^

Dok. 211/12. Dok. 211/12. Dok. 211/12. Dok. 211/12.

[246] (Neu-)Bekanntmachung der Verfassungsurkunde vom 26. August 1904

1995

§40a. (Gesetz vom 21. Dezember 1869.*) Wenn ein durch Wahl emanntes Mitglied einer Kammer ein besoldetes Staatsamt | annimmt oder im Staatsdienst in ein Amt eintritt, mit welchem ein hoherer Rang oder ein | [S. 383] hoherer Gehalt verbunden ist, so verliert er Sitz und Stimme in der Kammer und kann | seine Stelle in derselben nur durch neue Wahl wieder erlangen. §41. Jede Kammer erkennt uber die streitigen Wahlen der ihr angehorigen Mitglieder. §42. Der GroBherzog ruft die Stande zusammen, vertagt sie und kann sie auflosen. §43. (Gesetz vom 24. August 1904.**) Die Auflosung der Standeversammlung bewirkt, daB alle fur diese eine Landtagsperiode I Gewahlten oder Emannten ihre Mitgliedschaft verlieren. §44. Erfolgt die Auflosung, ehe der Gegenstand der Beratung erschopft ist, so muB langstens I innerhalb drei Monaten zu einer neuen Wahl geschritten werden. §45. (Gesetz vom 21. Dezember 1869.^^) Der GroBherzog emennt fur jeden Landtag den Prasidenten der ersten Kammer; die | zweite Kammer wahlt selbst ihren Prasidenten. §46. Alle zwei Jahre muB eine Standeversammlung stattfinden. §47. Die Mitglieder beider Kammem konnen ihr Stimmrecht nicht anders als in Person | austiben. §48. ^Die Standeglieder sind berufen, liber die Gegenstande ihrer Beratungen nach eigener | Uberzeugung abzustimmen. "^Sie dtirfen von ihren Kommittenten keine Instruktionen annehmen. §48a. (Gesetz vom 21. Oktober 1867.^) Kein Kammermitglied kann wegen seiner Abstimmungen oder wegen seiner AuBerungen I bei Kammer=, Abteilungs= und Kommissions=Verhandlungen anders als nach MaBgabe der | Geschaftsordnung der Kammer zur Verantwortung gezogen werden.

^ ^ ' ^

Dok. 211/9. Dok. 211/12. Dok. 211/9. Dok. 211/7.

1996

§12:Baden

[Dok. 188-251]

[S. 384] Wahrheitsgetreue Berichte tiber Verhandlungen in den offentlichen Sitzungen beider | Kammem bleiben von jeder Verantwortlichkeit frei. §49. Kein Standeglied kann wahrend der Dauer der Versammlung, ohne ausdriickliche EP= | laubnis der Kammer, wozu es gehort, verhaftet werden; den Fall der Ergreifung auf frischer | Tat bei begangenen peinlichen Verbrechen ausgenommen. §50. Die Stande konnen sich nur mit den nach gegenwartigem Grundgesetz zu ihrer Beratung I geeigneten oder vom GroBherzog besonders an sie gebrachten Gegenstanden beschaftigen. §51. Es besteht ein standischer AusschuB aus dem Prasidenten der letzten Sitzung und drei | anderen Mitgliedem der ersten und sechs Mitgliedem der zweiten Kammer; dessen Wirksamkeit | auf den namentlich in dieser Urkunde ausgedriickten Fall oder auf die von dem letzten Landtag | mit Genehmigung des GroBherzogs an ihn gewiesenen Gegenstande beschrankt ist. ^Dieser AusschuB wird vor dem Schlusse des Landtags, auch bei jeder Vertagung desselben, | in beiden Kammem durch relative Stimmenmehrheit gewahlt. "^Jede Auflosung des Landtags | zieht auch die Auflosung des, wenn gleich schon gewahlten, Ausschusses nach sich. § 52. _ Die Kammem konnen sich weder eigenmachtig versammeln, noch nach erfolgter Auflosung I oder Vertagung beisammen bleiben und beratschlagen. IV. Wirksamkeit der Stande. §53. Ohne Zustimmung der Stande kann keine Auflage ausgeschrieben und erhoben werden. §54. ^Das Auflagen=Gesetz wird in der Kegel ftir zwei Jahre gegeben. "^Solche Auflagen jedoch, I mit denen auf langere Zeit abgeschlossene Vertrage in unmittelbarer Verbindung stehen, | konnen vor Ablauf des betreffenden Kontraktes nicht abgeandert werden. §55. ^Mit dem Entwurf des Auflagen=Gesetzes wird das Staats=Budget und eine detaillierte | Ubersicht tiber die Verwendung der verwilligten Gelder von den frtiheren Etats=Jahren uber= I [S. 385] geben. ^Es darf darin kein Posten ftir geheime Ausgaben vorkommen, wofiir nicht eine | schriftliche, von einem Mitgliede des Staats=Ministeriums kontrasignierte, Versichemng des | GroBherzogs beigebracht wird, daB die Summe zum wahren Besten des Landes verwendet | worden sei, oder verwendet werden solle. §56. Die Stande konnen die Bewilligung der Steuem nicht an Bedingungen kntipfen.

[246] (Neu-)Bekanntmachung der Verfassungsurkunde vom 26. August 1904

1997

§57. ^Ohne Zustimmung der Stande kann kein Anlehen giiltig gemacht werden. ^Ausgenommen | sind die Anlehen, wodurch etatsmaBige Einnahmen zu etatsmaBigen Ausgaben nur antizipiert | werden, sowie die Geldaufhahmen der Amortisationskasse, zu denen sie, vermoge ihres | Fundations=Gesetzes, ermachtigt ist. ^Ftir Falle eines auBerordentlichen unvorhergesehenen dringenden Staatsbediirfhisses, dessen | Betrag mit den Kosten einer auBerordentlichen Versammlung der Stande nicht im Verhaltnis | steht, und wozu das Kredit?=Votum der Stande nicht reicht, ist die Zustimmung der Mehrheit | des Ausschusses hinreichend, eine Geld=Aufhahme giiltig zu machen. "^Dem nachsten Landtag | werden die gepflogenen Verhandlungen vorgelegt. §58. ^Es darf keine Domane ohne Zustimmung der Stande verauBert werden. ^Ausgenommen | sind die zu Schuldentilgungen bereits beschlossenen VerauBerungen, Ablosungen von Lehen, | Erbbestanden, Gtilten, Zinsen, Frohndiensten, Verkaufe von entbehrlichen Gebauden, von | Gtitem und Gefallen, die in benachbarten Staaten gelegen sind, und alle VerauBerungen, die aus | staatswirtschaftlichen Riicksichten zur Beforderung der Landes=Kultur oder zur Aufhebung einer | nachteiligen eigenen Verwaltung geschehen. ^Der Erlos muB aber zu neuen Erwerbungen | verwendet oder der Schuldentilgungs=Kasse zur Verzinsung tibergeben werden. Ausgenommen sind auch Tausche und VerauBerungen zum Zwecke der Beendigung eines, I liber Eigentums= oder Dienstbarkeits^Verhaltnisse anhangigen, Rechtsstreits; femer die Wieder= | vergebung heimgefallener Thron=, Ritter= und Kammerlehen wahrend der Zeit der Regierung | des Regenten, dem sie selbst heimgefallen sind. Da durch diesen und den § 57 der Zweck der pragmatischen Sanktion tiber Staatsschulden I und StaatsverauBerungen vom 1. Oktober 1806 und vom 18. November 1808 vollstandig | erreicht ist, so hort die Verbindlichkeit derselben mit dem Tage auf, wo die landstandische | Verfassung in Wirksamkeit getreten sein wird. §59. Ohngeachtet die Domanen nach allgemein anerkannten Grundsatzen des Staats= und | Ftirstenrechts unstreitiges Patrimonial=Eigentum des Regenten und seiner Familie sind, und I Wir sie auch in dieser Eigenschaft, vermoge obhabender Pflichten als Haupt der Familie, I [S. 386] hiermit ausdrticklich bestatigen, so wollen Wir dennoch den Ertrag derselben, auBer der darauf | radizierten Civilliste und auBer andem darauf haftenden Lasten, so lange Wir Uns nicht | durch Herstellung der Finanzen in dem Stand befinden werden, Unsere Untertanen nach | Unserm innigsten Wunsche zu erleichtem, - der Bestreitung der Staatslasten femer belassen. Die Civilliste kann, ohne Zustimmung der Stande, nicht erhoht und, ohne Bewilligung [ des GroBherzogs, niemals gemindert werden. §60. (Gesetz vom 24. August 1904.^) Nachstehende, die Finanzen betreffenden Vorlagen gehen zunachst an die zweite Kammer: 1. die Nachweisungen tiber den Vollzug der Staatsausgaben und =Einnahmen (Rechnungs= I nachweisungen) und die vergleichenden Darstellungen der Budgetsatze mit den | Rechnungsergebnissen;

^ Dok. 211/12.

1998 2.

3.

§12:Baden

[Dok. 188-251]

Gesetzentwtirfe, welche tiber die Verwaltung der Staatsausgaben und =Einnahmen Oder I tiber die direkten und indirekten Staatssteuem dauemde Bestimmungen treffen; der Entwurf des Finanzgesetzes (Auflagengesetzes, §§54 und 55 | nebst dem Staats= I voranschlag (Staatsbudget), sowie sonstige Entwtirfe tiber Bestimmung der Steuersatze | fur eine Budgetperiode, tiber VerauBerung, Belastung oder Verwendung des Staats= | oder Domanenvermogens, tiber Aufhahme von Anlehen, Ubemahme von Staatsbtirgschaften | oder von sonstigen Staatsverbindlichkeiten ahnlicher Art.

§61. (Gesetz vom 24. August 1904.^) tiber die in § 60 Ziffer 1 bezeichneten Vorlagen findet eine BeschluBfassung der ersten | Kammer statt, nachdem die zweite Kammer dartiber beschlossen hat. Uber die in § 60 Ziffer 2 und 3 bezeichneten Entwtirfe wird von der ersten Kammer | erst beschlossen, nachdem sie von der zweiten Kammer angenommen worden sind, unbeschadet | der Befiignis der ersten Kammer, tiber die einzelnen Telle des Staatsvoranschlags gesondert | zu beschlieBen, sobald die BeschluBfassung der zweiten Kammer dartiber erfolgt ist. Weichen hinsichtlich der einzelnen Positionen des Staatsvoranschlags (Staatsbudgets) die I Beschltisse der ersten Kammer von denen der zweiten ab und ist auch bei wiederholter BeschluB= | fassung beider Kammem und nach vorausgegangenem Verstandigungsversuch gemaB § 75 Absatz 2 | eine Ausgleichung der Verschiedenheiten nicht zu erzielen, so werden diese Positionen in den | dem Finanzgesetz anzuschlieBenden Staatsvoranschlag so eingestellt, wie sich bei der endgtiltigen | BeschluBfassung die zweite Kammer dafiir ausgesprochen hat. Lehnt die erste Kammer einen von der zweiten Kammer angenommenen Entwurf der in I § 60 Ziffer 3 bezeichneten Art im ganzen ab, so wird auf Verlangen der Regierung oder I der zweiten Kammer in einer Gesamtabstimmung mit Durchzahlung der in beiden Kammem | abgegebenen Stimmen dartiber beschlossen, ob der Entwurf in der ihm von der zweiten Kammer | gegebenen Fassung anzunehmen sei. [S. 387] §62. Die alten auch nicht standigen Abgaben dtirfen nach Ablauf der Verwilligungs=Zeit noch I sechs Monate fort erhoben werden, wenn die Stande=Versammlung aufgelost wird, ehe ein | neues Budget zustande kommt, oder wenn sich die standischen Beratungen verzogem. § 63. ^Bei Rtistungen zu einem Kriege und wahrend der Dauer eines Krieges kann der GroB= | herzog, zur schleunigen und wirksamen Erfallung seiner Bundespflichten, auch vor eingeholter I Zustimmung der Stande, gtiltige Staatsanlehen machen oder Kriegssteuem ausschreiben. | ^Ftir diesen Fall wird den Standen eine nahere Einsicht und Mitwirkung in der Verwaltung | in der Art eingeraumt, 1. daB der alsdann zusammen zu bemfende AusschuB zwei Mitglieder an die Ministerien | der Finanzen und des Kriegs und einen Kommissar zur Kj-iegs=Kasse abordnen | darf, um darauf zu wachen, daB die zu Kriegszwecken erhobenen Gelder auch wirklich | und ausschlieBlich zu diesem Zwecke verwendet werden, und daB derselbe Dok. 211/12.

[246] (Neu-)Bekanntmachung der Verfassungsurkunde vom 26. August 1904

1999

2. zu der jeweils, wegen Kriegsprastationen aller Art aufzustellenden Kriegs=Kommission | eben so viele Mitglieder abzugeben hat, als der GroBherzog, ohne den Vorstand zu | rechnen, zur Leitung des Marsch=, Verpflegungs= und Liefemngswesens emennt. Auch | soil der AusschuB das Recht haben, zu gleichem Zweck einer jeden Provinzial^Behorde | aus der Zahl der in dem Provinz=Bezirk wohnenden Standeglieder zwei Abgeordnete | beizugeben. §64. Kein Gesetz, das die Verfassungsurkunde erganzt, erlautert oder abandert, darf ohne Zu= I stimmung einer Mehrheit von zwei Drittel der anwesenden Stande=Glieder einer jeden der I beiden Kammem gegeben werden. §65. Zu alien anderen, die Freiheit der Personen oder das Eigentum der Staatsangehorigen | betreffenden allgemeinen neuen Landegesetzen, oder zur Abanderung oder authentischen Er= I klarung der bestehenden, ist die Zustimmung der absoluten Mehrheit einer jeden der beiden | Kammem erforderlich. §65a. (Gesetz vom 21. Dezember 1869.^) Das Recht, Gesetze vorzuschlagen, steht dem GroBherzog, sowie jeder Kammer zu.

^Der GroBherzog bestatigt und promulgiert die Gesetze, erlaBt die zu deren Vollzug und I Handhabung erforderlichen - die aus dem Aufsichts= und Verwaltungs=Recht abflieBenden - | und alle fur die Sicherheit des Staats notigen Verfiigungen, Reglements und allgemeinen I Verordnungen. '^Er erlaBt auch solche, ihrer Natur nach zwar zur standischen Beratung ge= | [S. 388] eignete, aber durch das Staatswohl dringend gebotene Verordnungen, deren vortibergehender | Zweck durch jede Verzogerung vereitelt wtirde. §67. (Gesetz vom 20. Februar 1868.*») ^Die Kammem haben das Recht der Vorstellung und Beschwerde; Verordnungen, worinnen | Bestimmungen eingeflossen, wodurch sie ihr Zustimmungsrecht fur gekrankt erachten, sollen auf | ihre erhobene gegriindete Beschwerde sogleich auBer Wirksamkeit gesetzt werden. '^Sie konnen | den GroBherzog unter Angabe der Griinde um den Vorschlag eines Gesetzes bitten. ^Sie | haben das Recht, MiBbrauche in der Verwaltung, die zu ihrer Kenntnis gelangen, der Re= | giemng anzuzeigen. Beschwerden einzelner Staatsbtirger tiber Krankung in ihren verfassungsmaBigen Gerecht= I samen konnen von den Kammem nicht anders als schriftlich und nur danii angenommen | werden, wenn der Beschwerdefuhrer nachweist, daB er sich vergebens an die geeigneten Landes= | stellen und zuletzt an das Staats=Ministerium um Abhilfe gewendet hat. ^Zu Beschwerden, welche die Beschuldigung einer Verletzung der Verfassung oder ver= I fassungsmaBiger Rechte enthalten, ist die zweite Kammer allein befugt. ^Jedoch steht der ersten | Kammer dasselbe Recht der Beschwerde an den GroBherzog wegen Verletzung ihrer verfassungs= | maBigen Rechte zu. ^Die Beschltisse iiber derartige Beschwerden erfordem die in § 67a vor= | geschriebene Stimmenmehrheit.

Dok. 211/9. Dok. 211/8.

2000

§ 12: Baden

[Dok. 188-251]

Zu anderen Vorstellungen an den GroBherzog sind beide Kammem, sei es in Gemein= | schaft, sei es jede fur sich allein, berechtigt. Eine Bitte um Vorlage eines Gesetzes darf nur dann von einer Kammer an den GroB= | herzog gebracht werden, wenn dieselbe zuvor der andem Kammer mitgeteilt und dieser Ge= I legenheit gegeben worden ist, sich dariiber auszusprechen. IV a. Von den Anklagen gegen die Minister. § 67a. (Gesetze vom 20. Febmar 1868* und vom 24. August 1904^.) Die zweite Kammer hat das Recht, die Minister und Mitglieder der obersten Staats= | behorde wegen einer durch Handlungen oder Unterlassungen wissentlich oder aus grober Fahr= | lassigkeit begangenen Verletzung der Verfassung oder anerkannt verfassungsmaBiger Rechte, | oder schweren Gefahrdung der Sicherheit oder Wohlfahrt des Staates formlich anzuklagen. Bin solcher BeschluB erfordert die in den §§64 und 73 fur Verfassungsanderungen | vorgeschriebene Stimmenzahl; die Zuriicknahme desselben kann mit einfacher Stimmenmehrheit | geschehen. Das Anklagerecht der zweiten Kammer wird durch die Entfemung des Angeklagten vom I Dienste, mag sie vor oder nach erhobener Anklage erfolgen, nicht aufgehoben. Im Falle der Vemrteilung ist die Entlassung des Angeklagten aus dem Staatsdienste zu erkennen. [S. 389] Diese Folge der Vemrteilung kann nur auf Antrag oder mit Zustimmung der Stande | wieder aufgehoben werden. Uber etwaige Entschadigungsforderungen steht dem Staatsgerichtshof keine Ent= | scheidung zu. §67b. (Gesetz vom 20. Febmar 1868.^ Das Richteramt uber die im vorigen Paragraphen erwahnte Anklage iibt die erste | Kammer als Staatsgerichtshof in Verbindung mit dem Prasidenten des obersten Gerichtshofs I und acht weitem Richtem aus, welche aus den Kollegialgerichten durch das Los bezeichnet | und der ersten Kammer beigeordnet werden. Dem Angeklagten und den Vertretem der Anklage steht ein Ablehnungsrecht zu. ^Der President der ersten Kammer hat den Vorsitz. '^Sein Stellvertreter ist der Prasident | des obersten Gerichtshofes. Das Nahere liber die Bildung des Staatsgerichtshofes, sowie das Verfahren bei demselben I wird durch ein gemeines Gesetz bestimmt. §67c. (Gesetz vom 20. Febmar 1868.^) Wird ein Minister oder ein Mitglied der obersten Staatsbehorde beschuldigt, zugleich mit I den in § 67a erwahnten Verletzungen, oder auch ohne eine solche, ein Staatsverbrechen oder | ein gemeines Verbrechen durch MiBbrauch seines Amts begangen zu haben, so ist die zweite | Kammer befugt, zu beantragen, daB der Staatsgerichtshof den Beschuldigten Dok. 211/8. Dok. 211/12. Dok. 211/8. Dok. 211/8.

[246] (Neu-)Bekanntmachung der Verfassungsurkunde vom 26. August 1904

2001

wegen dieses | Vergehens vor das zustandige ordentliche Strafgericht zur Aburteilung verweise. Dieser Antrag ist in den in § 67a vorgeschriebenen Formen zu beschlieBen und mit | der Anklage, wo eine solche stattfmdet, zu verbinden, andemfalls aber selbstandig bei dem | Staatsgerichtshof zu stellen. §67d. (Gesetz vom 20. Februar 1868.^) Die wahrend der Standeversammlung von der zweiten Kammer beschlossene Anklage wird I auch nach der Vertagung oder dem Schlusse des Landtages von den erwahlten Kommissaren | verfolgt und die erste Kammer gilt in Beziehung auf diesen Gegenstand nicht als vertagt | oder geschlossen. Dasselbe gilt von der Auflosung der Standeversammlung, jedoch wird die SchluBverhandlung | und Entscheidung liber die Anklage bis nach Ablauf der in § 44 der Verfassungs=Urkunde | festgesetzten Frist verschoben. §67e. (Gesetz vom 20. Februar 1868.^) Hat zur Zeit der Einbemfung einer neuen Standeversammlung der Staatsgerichtshof | das Urteil noch nicht gefallt, so wird derselbe neu gebildet und die zweite Kammer wahlt | aufs neue die Kommissare zur Vertretung der Anklage. fS. 390] Erfolgt jetzt eine abermalige Auflosung, so bleibt die von der zweiten Kammer gewahlte I Kommission zur Vertretung der Anklage ermachtigt und ebenso der Staatsgerichtshof in dem I frtiheren Bestand. § 67f (Gesetz vom 20. Februar 1868.') Das Recht der Anklage erlischt drei Jahre von dem Zeitpunkte, wo die verletzende Handlung | zur Kenntnis des Landtags gekommen ist, wenn die zweite Kammer jenes Recht nicht wenigstens | durch den BeschluB, den Antrag auf Erhebung einer Anklage in Betracht zu Ziehen, gewahrt hat. Die Anklage kann femer nicht mehr erhoben werden, wenn die Mehrheit der zweiten | Kammer jene Handlung gebilligt hat. §67g. (Gesetz vom 20. Februar 1868.**) Verordnungen und Verfugungen des GroBherzogs, welche sich auf die Regierung und | Verwaltung des Landes beziehen, sind in der Urschrift von den zustimmenden Mitgliedem der I obersten Staatsbehorde zu unterzeichnen und gelten nur als vollziehbar, wenn die Ausfertigung | von einem Minister gegengezeichnet ist.

Dok. 211/8. Dok. 211/8. Dok. 211/8. Dok. 211/8.

2002

§ 12: Baden

[Dok. 188 - 251]

V. Eroffhung der Standischen Sitzungen, Formen der Beratungen.

Jeder Landtag wird in den fur diesen Fall vereinigten Kammem vom GroBherzog in | Person, oder von einem von Ihm emannten Kommissar eroffhet und geschlossen. §69. (Gesetz vom 17. Febmar 1849.^) Samtliche neu eintretende Mitglieder schworen bei Eroffhung des Landtags folgenden Eid; Ich schwore Treue dem GroBherzog, Gehorsam dem Gesetze, Beobachtung und Aufrecht?= I erhaltung der Staatsverfassung, und in der Standeversammlung nur des ganzen Landes | allgemeines Wohl und Bestes, ohne Riicksicht auf besondere Stande oder Klassen, nach I meiner inneren Uberzeugung zu beraten: So wahr mir Gott helfe! §70. (Gesetz vom 24. August 1904.'') ^Die Annahme eines Entwurfs, sowie die Ablehnung eines landesherrlichen Vorschlags | konnen in jeder Kammer sowohl nach Vorberatung in einem besonderen Ausschusse, als auch I ohne solche erfolgen, letzteres aber nur auf Grand einer zweimaligen, durch eine Zwischenzeit | von mindestens drei Tagen getrennten Beratung und Abstimmung. ^Ein von der einen | Kammer an die andere gebrachter Entwurf oder Vorschlag kann mit Verbesserangsvorschlagen | an die andere Kammer zurtickgegeben werden. [S. 391] §71. (Gesetz vom 24. August 1904.^) Zur Gtiltigkeit der BeschluBfassung einer Kammer ist, wo nicht ausdruckhch Ausnahmen | festgesetzt sind, die Zustimmung der absoluten Mehrheit der in gesetzlicher Anzahl anwesenden | Mitglieder erforderlich. Bei gleicher Stimmenzahl gibt die Stimme des Prasidenten die Entscheidung. Die Stimmenzahl und das Verfahren bei den von den Kammem vorzunehmenden Wahlen I wird, unbeschadet der in § 51 enthaltenen Vorschrift, durch die Geschaftsordnungen geregelt. §72. (Gesetz vom 24. August 1904.^) Die erste Kammer wird durch die Anwesenheit von mindestens funfzehn, die zweite Kammer | durch die Anwesenheit von mindestens siebenunddreiBig Mitgliedem, einschlieBlich der Prasidenten, | beschluBfahig. §73. (Gesetz vom 24. August 1904.^) Zur gtiltigen Abstimmung iiber Entwiirfe, durch welche die Verfassung erganzt, erlautert I oder abgeandert werden soil, wird in beiden Kammem die Anwesenheit von mindestens drei | Vierteln der Mitglieder erfordert. ^ Dok. 211/5. ^ Dok. 211/12. "" Dok. 211/12. ^ Dok. 211/12. ^ Dok. 211/12.

[246] (Neu-)Bekanntmachung der Verfassungsurkunde vom 26. August 1904

2003

Bei Berechnung der drei Viertel werden in der ersten Kammer die im § 27 Ziffer 1 | bis 3 genannten Mitglieder, wenn sie in der betreffenden Sitzungsperiode am Landtage weder | in Person, noch durch Stellvertreter teilnehmen, nicht gezahlt. §74. (Gesetz vom 24. August 1904.) Zur Gtiltigkeit einer Gesamtabstimmung nach § 61 Absatz4 wird erfordert, daB in jeder I Kammer die zur BeschluBfassung notige Zahl von Mitgliedem anwesend ist. Der Entwurf gilt als angenommen, wenn sich bei der Durchzahlung die Mehrheit der | in beiden Kammem abgegebenen Stimmen dafur ausgesprochen hat; bei Stimmengleichheit | entscheidet die Stimme des Prasidenten der zweiten Kammer. §75. (Gesetz vom 24. August 1904.^) AuBer bei der Eroffhung und bei der SchlieBung des Landtags dtirfen die beiden Kammem I nicht zusammentreten. Wenn aber die Beschltisse beider Kammem voneinander abweichen, kann auf Anregung I der einen oder andem Seite durch Vermittelung der Prasidenten zum Zweck einer Ver= I standigung ein Zusammentritt der beiderseitigen Kommissionen stattfinden. Beide Kammem beschranken sich in ihrem Verhaltnis zueinander auf die gegenseitige | Mitteilung ihrer Beschltisse. [S. 392] Sie stehen nur mit dem GroBherzoglichen Staats=Ministerium in urmiittelbarer Geschafts= I beriihrung; sie konnen keine Verftigungen treffen oder Bekanntmachungen irgend einer Art | erlassen. Deputationen dtirfen sie nur, jede besonders, nach eingeholter Erlaubnis, an den GroB= | herzog abordnen. §76. (Gesetz vom 21. Dezember 1869.**) Die Minister und Mitglieder des Staatsministeriums und GroBherzoglichen Kommissarien | haben jederzeit bei offentlicher und geheimer Sitzung der Kammem Zutritt und mtissen bei | alien Diskussionen gehort werden, wenn sie es verlangen. ^Wenn eine Vorberatung in einem besonderen AusschuB stattfindet, so treten zur vor= | laufigen Erorterung der Entwtirfe die landesherrlichen Kommissarien mit den standischen | Ausschtissen zusammen, so oft es von der einen oder anderen Seite flir notwendig erachtet | wird. "^Keine wesentliche Abanderung in einem Gesetzentwurf kann getroffen werden, die nicht I mit den landesherrlichen Kommissarien in einem solchen gemeinschaftlichen Zusammentritt er= I ortert worden ist. §77. Nur den landesherrlichen Kommissarien und den Mitgliedem der standischen Kommissionen I wird gestattet, geschriebene Reden abzulesen; alien tibrigen Mitgliedem sind bloB mtindliche | Vortrage gestattet. §78. ^Die Sitzungen beider Kammem sind offentlich. ^Sie werden geheim auf das Begehren | der Regierungs=Kommissarien, bei Eroffhungen, fiir welche sie die Geheimhaltung notig | ^ Dok. 211/12. ^ Dok. 211/9.

2004

§ 12: Baden

[Dok. 188 - 251]

erachten, und auf das Begehren von drei Mitgliedem, denen nach dem Abtritt der Zuhorer | aber wenigstens ein Viertel der Mitglieder tiber die Notwendigkeit der geheimen Beratung | beitreten muB. §79. (Gesetz vom 24. August 1904.^) ^Die vierjahrige Landtagsperiode zerfallt in zwei Sitzungsperioden von je zweijahriger | Dauer. ^In jeder Sitzungsperiode wird tiber das Finanzgesetz BeschluB gefaBt. 1st der Landtag wahrend der Sitzungsperiode aufgelost worden, ehe tiber das Finanz= | gesetz BeschluB gefaBt war, so wird fur den neu berufenen Landtag die Dauer der ersten | Sitzungsperiode und der Mitgliedschaft so berechnet, wie wenn die Wahl bei Beginn der= | jenigen Sitzungsperiode, in welcher der letzte Landtag aufgelost wurde, stattgefunden hatte. 1st die Auflosung nach der BeschluBfassung tiber das Finanzgesetz erfolgt, so wird der | Rest der noch nicht abgelaufenen Sitzungsperiode der vierjahrigen Landtagsperiode des neuen | Landtags zugeschlagen. Die Vorschrift des § 37 Absatz 2 findet auch im Fall der Auflosung Anwendung. fS. 393] §80. Bei der ersten Wahlhandlung erkennt tiber alle, wegen Gtiltigkeit der Wahlen ent= | stehenden, Streitigkeiten die Landesherrliche Zentral^Kommission, die mit der ersten Vollziehung | des Konstitutions=Gesetzes beauftragt werden wird. §81. Die Zeit der Eroffhung des ersten Landtags wird auf den 1. Februar 1819 festgesetzt. §82. Der zur Zeit der Eroffhung des ersten Landtags, wo die Konstitution in Wirksamkeit | tritt, bestehende Zustand in alien Zweigen der Verwaltung und Gesetzgebung dauert fort, bis I die erste Verabschiedung mit dem Landtage in den Gegenstanden, die sich dazu eignen, ge= | troffen sein wird. Insbesondere wird das erste Budget bis zur Vereinbarung mit den Standen provisorisch | in Vollzug gesetzt. §83. Gegenwartige Verfassung wird unter die Garantie des deutschen Bundes gestellt.

[247] Bekanntmachung der provisorischen Regierung fur Baden vom 10. November 1918 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einfiihrungen" die Darstellung unter [905.]. Quelle: Karlsruher Zeitung, Staatsanzeiger fiir das GroBherzogtum Baden, undatierte Titelseite, untere zwei Drittel der Seite, Stadtarchiv Karlsruhe, Abt. 8 /PBS X Nr, 1029a (gedruckt). Sonstige Fundstellen: Generallandesarchiv Karlsruhe, 233 / 28117; G. Cordes, Krieg, Revolution, Republik. Die Jahre 1918 - 1920 in Baden und Wtirttemberg. Line Dokumentation, 1978, S. 98; P. Brandt I R. Riirup, Volksbewegung und demokratische Neuordnung in Baden 1818 /19, 1991, Abbildung 1.

^ Dok. 211/12.

[248] Erklamng des GroBherzogs vom 10. November 1918

2005

An das badische Volk! Wir geben bekannt, daB sich heute eine provisorische Regierung fiir Baden gebildet, | welche die Macht tibemommen hat. Sie besteht aus folgenden Personen: Vorsitzender Anton GeiB, Landtagsabgeordneter, Mannheim, Ministerium des Auswartigen: Oberbtirgermeister Dietrich, Landtagsabgeord^ | neter in Konstanz, Ministerium ftir soziale Fiirsorge: Metallarbeiter Adolf Schwarz, Vorsitzender | des Arbeiter= und Soldatenrats in Mannheim, Ministerium fur militarische Angelegenheiten: Landsturmmann Brtimmer, Vor= | sitzender des Soldatenrates in Karlsruhe, Ministerium des Innem: Dr. Ludwig Haas, Reichstagsabgeordneter, | Karlsruhe, Ministerium fiir Finanzen: Professor Wirth, Reichstagsabgeordneter, Freiburg, Ministerium fur Justiz: Rechtsanwalt Marum, Landtagsabgeordneter in | Karlsruhe, Ministerium des Verkehrs: Geschaftsftihrer Leopold Rtickert in Karlsruhe. Ministerium des Unterrichts: Fritz Stockinger, Landtagsabgeordneter in | Pforzheim, Ministerium fiir Emahmngswesen: Rechtsanwalt Trunk, Stadtrat in Karlsruhe. Ministerium fiir Ubergangswirtschaft und Wohnungswesen: Arbeitersekretar | Marzloff in Freiburg. Die neue Regierung wird eine auf Grund des allgemeinen Wahlrechts hervor= | gegangenen Landesversammlung dariiber entscheiden lassen, welche Staatsform, ob | Monarchic Oder Republik fiir Baden maBgebend sein soil. Ohne Rticksicht darauf, wie | diese Entscheidung ausfallt, soil Baden fiir die Zukunft ein Bestandteil des deutschen | Reiches bilden. Wir fordem das badische Volk auf, den Anordnungen der neuen Regierung Folge | zu leisten, und die Ruhe und Ordnung zu bewahren. Die Beamten bleiben in ihren | Stellungen und haben in treuer Weise ihre Pflicht zu erflillen. Die Soldaten werden aufgefordert, in die Kasemen zuriickzukehren und den dienst= | lichen Anfordemngen zu gehorchen, soweit sie nicht fiir den Soldatenrat in Anspruch | genommen werden. Nur wenn diesem Rufe Folge geleistet wird, ist es moglich, Ruhe, Ordnung und | gute Verpflegung durchzufiihren. Karlsruhe, den 10. November 1918. Der Soldatenrat: Der WohlfahrtsausschuB: Brtimmer. H. Sauer, Stadtrat, Vorsitzender. Ersing, Gewerkschaftssekretar. Weser. Baschang, Stadtverordneter. Rebmann, Landtagsabgeordneter. Zur Veroffentlichung: Dr. Ludwig Haas, Minister des Innem.

[248] Erklamng des GroRherzogs vom 10. November 1918 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einfiihrangen" die Darstellung unter [905.]. Quelle: Karlsruher Zeitung, Staatsanzeiger fiir das GroBherzogtum Baden, Stadtarchiv Karlsruhe, Abt. 8 / P B S X Nr. 1029a, undatierte Titelseite, oberes Drittel der Seite (gedruckt). Sonstige Fundstellen: Generallandesarchiv Karlsruhe, 233 / 28117; G. Cordes, Krieg, Revolution, Republik. Die Jahre 1918 - 1920 in Baden und Wtirttemberg. Eine Dokumentation, 1978, S. 98; P. Brandt I R. Rurup, Volksbewegung und demokratische Neuordnung in Baden 1818 /19, 1991, Abbildung 1.

2006

§ 12: Baden

[Dok. 188-251]

Von Staatsminister Freiherr von Bodman war heute Mittag dem WohlfahrtsausschuB | und Soldatenrat Karlsruhe folgendes Schriftstiick zugegangen: „Der GroBherzog begrtiBt es lebhaft, daB nach Ihrer aller Ansicht Baden unter alien | Umstanden ein Bestandteil des deutschen Reiches bleiben soil. Die Errichtung einer provisorischen Regiemng lediglich durch in Karlsruhe wohnende Partei= | vertreter und Mitglieder des Soldatenrats vermag der GroBherzog zwar als verfassungsmaBig | nicht anzuerkennen, will jedoch in Anbetracht der durch die Zeitumstande geschaffenen besonderen Lage | einen Widerspruch gegen die beabsichtigten MaBnahmen nicht erheben. Folgenweise nimmt der GroB= | herzog lediglich Kenntnis von der Errichtung einer provisorischen Volksregiemng und der Absicht | der Berufung einer verfassunggebenden Versammlung. Der GroBherzog gibt sich der Hoffhung hin, daB die provisorische Regiemng ihr Ziel | unserer geliebten Heimat Ruhe und Ordnung zu erhalten, erreichen moge. Seine Konigliche Hoheit haben geruht, die gegenwartigen Minister in Gnaden ihrer Amter I zu entheben und in den einstweiligen Ruhestand zu versetzen." Karlsruhe, den 10. November 1918. gez. v. Bodman.

[249] Vorlaufiger Verzicht des GroBherzogs auf die Regierungsgewalt vom 13. November 1918 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einfnhrungen" die Darstellung unter [905.]. Quelle: Karlsraher Zeitung, Staatsanzeiger fur das GroBherzogtum Baden, Nr. 267, Freitag, den 15. November 1918, 161. Jahrgang, obere Halfte der Titelseite (gedruckt). Sonstige Fundstelle: G. Cordes, Krieg, Revolution, Republik. Die Jahre 1918-1920 in Baden und Wtirttemberg. Eine Dokumentation, 1978, S. 105. Seine Konigliche Hoheit der GroBherzog haben mich gestem Mittwoch, den | 13. November 1918, beauftragt, der provisorischen Regiemng seine folgende Erklarung | zu tibermitteln: „Ich will kein Hindemis derjenigen Neugestaltung der staatsrechtlichen Ver= | haltnisse des badischen Landes sein, welche die verfassungsgebende Versammlung beschlieBen | wird. Bis zu deren Entscheidung verzichte ich auf die Austibung der Regierungsgewalt. | Ich wtinsche auch fur den Fall, daB die provisorische Regierung es fiir ein Gebot der | Stunde erachten sollte, die republikanische Staatsform schon vor der Entscheidung der | verfassungsgebenden Versammlung zu beschlieBen, daB die Beamten im Interesse der | Aufrechterhaltung der Ruhe, Ordnung und Sicherheit ihren Dienst weiterfiihren und | daB niemand sich durch Rticksicht auf meine Person oder die Treue und | Anhanglichkeit fur mich und mein Haus abhalten laBt, die Anordnungen der neuen Regierung zu | befolgen. Gott schtitze mein liebes Badner Land!" Karlsruhe, den 14. November 1918. Freiherr von Bodman Staatsminister a. D.

[251 ] GroBherzoglicher Verzicht auf den Thron vom 22. November 1918

2007

[250] Kundmachung der provisorischen Volksregierung fiir Baden vom 14. November 1918 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einfiihrungen" die Darstellung unter [905.]. Quelle: Karlsruher Zeitung, Staatsanzeiger fur das GroBherzogtum Baden, Nr. 267, Freitag, den 15. November 1918, 161. Jahrgang, untere Halfte der Titelseite (gedruckt). Sonstige Fundstelle: G. Cordes, Krieg, Revolution, Republik. Die Jahre 1918 - 1920 in Baden und Wtirttemberg. Eine Dokumentation, 1978, S. 105. Kundmachung. Die badische vorlaufige Volksregierung erklart: 1) Der GroBherzog hat auf die Austibung der Regiemngsgewalt verzichtet. 2) Alle Staatsgewalt ist in den Handen der badischen vorlaufigen Volksregierung. 3) Wir erklaren hierdurch, daB Baden eine freie Volksrepublik ist. 4) Endgtiltig uber die Staatsform entscheidet die badische Nationalversammlung. 5) Die Nationalversammlung wird am Sonntag den 5. Januar 1919 gewahlt; | sie tritt innerhalb 10 Tagen nach der Wahl in Karlsruhe zusammen. 6) Die Wahl zur Nationalversammlung findet nach dem gleichen, geheimen, direkten und I allgemeinen Wahlrecht auf Grund des Verhaltniswahlsystems durch alle min= I destens zwanzig Jahre alten mannlichen und weiblichen Personen statt, | welche am Tage der Wahl Badener sind. Karlsruhe, den 14. November 1918. Die badische vorlaufige Volksregierung. Der Prasident: | gez. GeiB.

[251] GroBherzoglicher Verzicht auf den Thron vom 22. November 1918 Vgl. dazu in „Teil 1: Historische Einfuhrungen" die Darstellung unter [905.]. Quelle: Karlsruher Zeitung, Badischer Staatsanzeiger, Nr. 275, Freitag, den 24. November 1918, 161. Jahrgang, oberes Drittel der ersten Spalte der Titelseite (gedruckt). Sonstige Fundstelle: G. Cordes, Krieg, Revolution, Republik. Die Jahre 1918-1920 in Baden und Wtirttemberg. Eine Dokumentation, 1978, S. 107. Thronverzicht GroBherzog Friedrich II. | von Baden An das badische Volk! Wie ich am 14. November 1918 erklart habe^, will ich | kein Hindemis sein derjenigen Neugestaltung der staats= | rechtlichen Verhaltnisse des badischen Landes, welche die | verfassungsgebende Versammlung beschlieBen wird. Nach= | dem mir nun bekannt geworden ist, daB viele Badener | sich durch den Treueid, den sie als Beamte, Soldaten oder | Staatsbtirger geleistet haben, in ihrem Gewissen ge= | hemmt fuhlen, bei der Vorbereitung der Wahlen zur ver= | fassungsgebenden Versammlung sich so zu betatigen, wie sie | es nach den tatsachlichen Verhaltnissen und insbesondere | nach der Lage im Reich fiir geboten erachten, entbinde ich | die Beamten, Soldaten und Staatsbtirger ihres Treu= | eides und verzichte auf den Thron. Diesen Verzicht er= | klare ich mit Zustimmung meines Vetters des Prinzen 1 Max von Baden auch fiir ihn und seine Nachkommen= I schaft.

^ Dok.250.

2008

§ 12: Baden

[Dok. 188-251]

Mein und meiner Vorfahren Liebe war die Wohl= | fahrt des badischen Landes. Sie ist es auch bei diesem | meinem letzten schweren Schritt. Mein und der Meinigen | Liebe zu meinem Volke horet nimmer auf! Gott schtitze | mein liebes Badener Land! SchloB Langenstein, den 22. November 1918. Friedrich.