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GUSTAV A. HORN DIE DEUTSCHE KRANKHEIT SPARWUT UND SOZIALABBAU
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GUSTAV A. HORN
DIE DEUTSCHE KRANKHEIT
Thesen gegen eine verfehlte Wirtschaftspolitik
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Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Alle Rechte, auch die der Übersetzung, des Nachdrucks und der Vervielfältigung des Buches oder Teilen daraus, sind vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf ohne schriftliche Genehmigung des Verlages in irgendeiner Form (Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren), auch nicht für Zwecke der Unterrichtsgestaltung, reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden. © 2005 Carl Hanser Verlag München Wien Internet: http://www.hanser.de Lektorat: Martin Janik Herstellung: Ursula Barche Umschlaggestaltung: büro plan.it unter Verwendung eines Bildmotives von Hartmut Keitel Satz: Kösel, Krugzell Druck und Bindung: Friedrich Pustet, Regensburg Printed in Germany ISBN 3-446-22919-1
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Inhalt 1
Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1
2
Der unvorhergesehene Einbruch . . . . . . . . . . . . .
8
2.1 2.2 2.3 2.4 2.5 2.6
Die Stagnation und ihre politischen Folgen . . . . . Am Anfang standen Fehlprognosen . . . . . . . . . . Der Börsencrash . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Ölpreisschock . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Geldpolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nährboden für den Abschwung . . . . . . . . . . . . .
8 12 13 18 21 26
3
Die zähe Stagnation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30
3.1 3.2 3.3 3.4 3.5 3.6 3.7 3.8 3.9 3.10 3.11 3.12 3.13 3.14
Ein ungewöhnlicher Verlauf . . . . . . . . . . . . . . . . Gute Beispiele – schlechte Beispiele . . . . . . . . . . . Stabilisierender Konsum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Investitionseinbruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Lahmende Exporte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Deutschland – ein Trauerfall? . . . . . . . . . . . . . . . Musterbeispiel USA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ein europäisches Musterland – Großbritannien . Ein ehemaliges Musterland – die Niederlande . . . Geht es Frankreich besser? . . . . . . . . . . . . . . . . . Österreich im Sog Deutschlands . . . . . . . . . . . . . Spanien unberührt von der Schwäche? . . . . . . . . Italien – Beschäftigungsaufbau trotz Stagnation . Erste Lehren aus den Beispielen . . . . . . . . . . . . . .
4
Einige theoretische Überlegungen . . . . . . . . . . . . 95
4.1 4.2 4.3 4.4
Das neoklassische Leitbild . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Keynes’sche Leitmodell . . . . . . . . . . . . . . . . . Arbeitslosigkeit und Schocks . . . . . . . . . . . . . . . . Von Konjunktur und Struktur . . . . . . . . . . . . . . .
30 34 38 41 44 47 60 65 69 73 79 83 88 92
95 100 102 104
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Inhalt
4.5 4.6
Rationalität und Erwartungen . . . . . . . . . . . . . . . 107 Die Rolle der Wirtschaftspolitik . . . . . . . . . . . . . 111
5
Die grundlegenden Fehler der Wirtschaftspolitik in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116
5.1 5.2 5.3 5.4 5.5 5.6
Der strategische Fehler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die fehlende Wettbewerbsfähigkeit – eine Fehleinschätzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Basar Deutschland – eine Schimäre . . . . . . . . . . . Die Mär von den zu hohen Löhnen . . . . . . . . . . . Die Deflationsblindheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Konsolidierungsirrtum . . . . . . . . . . . . . . . . .
6
Neue Wege einschlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159
6.1 6.2 6.3
Eine neue Strategie für die Wirtschaftspolitik . . . Das Kapital binden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ein stabileres globales Währungssystem schaffen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Eine europäische Stabilisierungspolitik etablieren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Den Stabilitätspakt reformieren . . . . . . . . . . . . . Ein Investitionsprogramm für die Kommunen auflegen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Löhne wieder an der Produktivität orientieren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die soziale Sicherung sichern . . . . . . . . . . . . . . . Dem Arbeitsmarkt neue Impulse geben . . . . . . . .
6.4 6.5 6.6 6.7 6.8 6.9
116 120 126 135 150 156
159 162 167 170 172 176 177 179 186
Nachwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 Anmerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196
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Einleitung
Deutschland ist in der Krise. Wie viele ökonomisch orientierte Bücher mögen derzeit mit diesem oder einem ähnlichen Satz beginnen. Es folgen ein Lamento und radikale Vorschläge für eine grundlegende Reform, ohne die Deutschland unrettbar verloren sei. Bestandteil der üblichen Reformvorschläge sind spürbare Sparmaßnahmen des Staates sowie massive Einschnitte in das System der sozialen Sicherung, das sich Deutschland angeblich nicht mehr leisten kann, und schließlich zur Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit die Aufforderung zu einer spürbaren Lohnzurückhaltung, verbunden mit einer deutlichen Kritik an den Gewerkschaften. Vier Schreckensbilder beherrschen dabei die Debatte: die allzu mächtigen Gewerkschaften, der verschwenderische Staat, die maroden, gelegentlich sogar als korrupt bezeichneten Sozialsysteme und vor allem anderen die unwilligen Arbeitslosen. Dieses Buch will keine neuen Schreckensbilder produzieren. Es will etwas anderes. Es will aufzeigen, dass Deutschland nicht nur in einer wirtschaftlichen Krise ist, sondern vor allem in einer Krise des ökonomischen Denkens. Mehr noch, die Krise des ökonomischen Denkens hat teilweise zu einer wirtschaftspolitischen Praxis geführt, welche die wirtschaftlichen Probleme verschärft und nicht gelöst hat. Erschreckend ist vor allem die Einseitigkeit, mit der die wirtschaftlichen Probleme Deutschlands betrachtet werden. Fast alle Vorschläge gehen davon aus, dass es Angebotsprobleme sind, die Deutschlands Wirtschaft belasten. Das bezieht sich zum einen auf die Angebotsseite des Gütermarktes. Es wird behauptet, dass unter den gegenwärtigen Umständen Unternehmen in Deutschland nicht hinreichend in der Lage seien, ihre Produkte rentabel zu produzieren und auf den Märkten anzubieten. Vor allem auf den inter-
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1 Einleitung
nationalen Märkten seien die deutschen Unternehmen nicht konkurrenzfähig. Dies sei eine wesentliche Hürde für ein höheres Wachstum. Die zweite Hürde steht demnach auf der Angebotsseite des Arbeitsmarktes, also bei den abhängig Beschäftigten und den Arbeitslosen. Aufgrund massiven gewerkschaftlichen Einflusses zu hohe Löhne und eine zu großzügig bemessene soziale Sicherung trieben die Kosten der Unternehmen hoch und verminderten zugleich den Anreiz zur Arbeitsaufnahme bei denen, die derzeit keine Arbeit haben. Soweit in grober Form die gängigen Begründungen für die Wachstumsschwäche. Ob hinter den wirtschaftlichen Schwierigkeiten nicht vielleicht auch Nachfrageprobleme stecken könnten, wird nicht einmal mehr diskutiert. Der Verweis auf die lange Dauer der Schwäche muss meist genügen. Denn – so die mehrheitliche Meinung – Nachfragekrisen können nicht so lange dauern. Dies ist jedoch ein vom gewünschten Ergebnis inspirierter Kurzschluss. Nachfrageprobleme entstehen auf der Nachfrageseite der Gütermärkte, wo die Einkommen insbesondere der privaten Haushalte nicht ausreichen, um die von den Unternehmen angebotenen Güter zu kaufen. Dies spielt über auf die Nachfrageseite des Arbeitsmarktes, wo die Unternehmen wegen ihrer Absatzschwierigkeiten nicht genügend Beschäftigung nachfragen, um alle, die Arbeit suchen, auch zu beschäftigen. Leider gibt es kein überzeugendes Argument, dass dies nur sehr kurzfristig Bestand haben sollte. Insofern sind Hinweise auf die lange Dauer der Schwäche letztlich nicht überzeugend. Wenn man aber dennoch der Meinung ist, die deutsche Wirtschaft leide unter Angebotsproblemen, dann kann man in der Tat noch die Frage stellen, ob Deutschlands Gewerkschaften nicht zu viel Macht haben, ob die Löhne nicht zu hoch sind, ob der Staat nicht zu viel Geld ausgibt, ja ob der Sozialstaat überhaupt noch finanzierbar ist. Ein großer Mangel dieser Analysen ist, dass sie die Schlachten der Vergangenheit mit großer Verve noch einmal
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schlagen, ohne zu merken, dass die Zeit längst vorangeschritten ist. Mächtige Gewerkschaften waren ohne Zweifel ein Thema der 70er und vielleicht auch noch in der ersten Hälfte der 80er Jahre des vorigen Jahrhunderts. Seinerzeit gab es trotz wirtschaftlicher Schwierigkeiten zum Teil zweistellige Lohnabschlüsse. Und heute? Wenn Lohnabschlüsse die Marke von 2% überschreiten, eine Marke, die selbst im Ausland belächelt würde, feiern dies die Tarifunterhändler der Gewerkschaften bereits als großen Erfolg, der dann auch noch durch die negative Lohndrift, das sind vor allem die auf Unternehmensebene vereinbarten Abweichungen vom Tarifvertrag, sogar wieder zunichte gemacht wird. Seit fast zehn Jahren werden zudem im Gegensatz zu den 70er Jahren die Einkommen mehr und mehr in Richtung Gewinn und Vermögen umverteilt, ohne dass die Gewerkschaften mit all ihrer vermuteten Macht hieran etwas zu ändern vermögen. Vor diesem Hintergrund ist das gern gezeichnete Schreckensbild der allzu mächtigen Gewerkschaften nichts als ein Popanz. Gleiches gilt für den vermeintlich verschwenderischen Staat. Liest man die entsprechenden Werke, könnte man meinen, dass die Bundes- und Landesregierungen Jahr für Jahr großzügige Ausgabenprogramme beschließen, um ihr Wahlvolk zu beglücken. Tatsächlich werden Jahr um Jahr Sparprogramme aufgelegt. Großzügig war die Regierung allein bei Steuersenkungen insbesondere im Bereich höherer Einkommen und für die Unternehmen, ohne dass die erhofften positiven Auswirkungen auf die Investitionen bisher auch nur im Ansatz zu erkennen wären. Die Großzügigkeit bei Steuersenkungen erklärt zusammen mit der schwachen Konjunktur auch die hohen Defizite. Dagegen wurden die öffentlichen Investitionen, mit denen Wachstumschancen für die Zukunft eröffnet werden sollen, aus finanzieller Not vor allem bei den Kommunen drastisch zurückgefahren. Sie erreichen heute nur noch die Hälfte des im übrigen Europa üblichen Niveaus. Die Kosten dieser Sparsamkeit werden in
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der Zukunft zu spüren sein. Wenn Verschwendung aufgetreten sein sollte, dann müsste sie bei den Steuergeschenken zu suchen sein. Tatsächlich werden sogar noch weitere drastische Steuersenkungen gefordert. Die hart attackierten Sozialsysteme sind gleichfalls in finanzieller Not. Doch ist dies Folge und nicht Ursache des schwachen Wachstums. Zugleich haben auch die vielen subventionierten Jobformen, die gerade die Flexibilität am Arbeitsmarkt erhöhen sollten, die Einnahmebasis für die Sozialversicherung erodieren lassen. Gerade das, was man eigentlich verhindern wollte, wurde durch manche Reform erst erzeugt. Zu behaupten, die Sozialsysteme seien zu großzügig konzipiert, ist auch vor dem Hintergrund der vielfachen Kürzungen, die in diesem Bereich in den vergangenen Jahren stattgefunden haben, absurd. Und schließlich die Arbeitslosen. Hier hat sich in den vergangenen Jahrzehnten sowohl in der Wissenschaft als auch in der Politik ein völlig neues Verständnis durchgesetzt. Galt früher Arbeitslosigkeit als gesamtwirtschaftliches Schicksal, das der Einzelne in allenfalls begrenztem Rahmen beeinflussen kann, herrscht heute eine fast genau umgekehrte Sichtweise vor. Arbeitslosigkeit ist primär einzelwirtschaftliches Schicksal, das der Einzelne unter den gegebenen institutionellen Rahmenbedingungen wie der Höhe des Arbeitslosengeldes einer Beschäftigung bewusst vorzieht. Aus dieser Perspektive muss die hohe Arbeitslosigkeit dadurch angegangen werden, dass die Anreize zur Arbeitsaufnahme z. B. durch eine verminderte soziale Absicherung verstärkt werden. An dieser Stelle zeigt sich die Dominanz des einzelwirtschaftlichen Denkens in der heutigen makroökonomischen Theorie besonders drastisch. Dass die Ursache der Arbeitslosigkeit in gesamtwirtschaftlichen Nachfrageproblemen bestehen könnte, wird ausgeblendet. Folglich hat eine gesamtwirtschaftlich orientierte Politik in diesem ökonomischen Leitbild keine Funktion. Die gängigen theoretischen Vorstellungen stehen aller-
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dings vor einem Phänomen, das sie nicht überzeugend zu erklären vermögen. Das ist die tiefe Spaltung der Konjunktur in Deutschland in eine lahmende Binnenwirtschaft und eine dynamische Exportkonjunktur. Sie widerspricht der These von der mangelnden Wettbewerbsfähigkeit aufgrund zu hoher Löhne eklatant. Wie können die Löhne zu hoch sein, wenn sich die Produkte aus Deutschland mit steigenden Gewinnen so gut auf den Weltmärkten verkaufen lassen und auf der anderen Seite die Einkommen im Inland sich so schwach entwickeln, dass keine finanzielle Basis für einen höheren Konsum vorhanden ist? In diesem Buch soll über diese fundamentalen Schwächen und Fehler der weitverbreiteten Argumente der Angebotstheoretiker aufgeklärt werden. Gleichzeitig soll eine wirtschaftspolitische Alternative aufgezeigt werden, die auf einem anderen Ansatz fußt. Ihr liegt im Gegensatz zu den gängigen Vorstellungen eine gesamtwirtschaftliche Sichtweise zugrunde. Diese geht davon aus, dass die Wurzel des schwachen Wachstums und der hohen Arbeitslosigkeit im Kern in einem Nachfragemangel liegt, der nicht zuletzt durch falsche gesamtwirtschaftliche Rahmenbedingungen erzeugt wurde. Mit anderen Worten, es ist in erster Linie eine Frage der richtigen Geld-, Finanz- und Lohnpolitik, ob die Rahmenbedingungen für mehr Wachstum und Beschäftigung gegeben sind. Damit ist gemeint, dass die Geldpolitik die Zinsen nicht niedrig genug gehalten hat, um Investitionen und Konsum in ganz Europa hinreichend zu stimulieren. Damit ist ferner gemeint, dass die Finanzpolitik vom Sparzwang beherrscht wurde, und dabei die Aufgabe einer gesamtwirtschaftlichen Stabilisierung aus den Augen verlor. Und damit ist schließlich gemeint, dass die Lohnentwicklung in Deutschland den Tarifparteien weitgehend entglitten ist, und die Löhne deutlich hinter der Produktivitätsentwicklung zurückbleiben und damit die Nachfrage unter Druck gerät. Es sind also gesamtwirtschaftliche Gründe, die Deutschland wirtschaftlich lahmen lassen. Nur wenn eine
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Wirtschaft gesamtwirtschaftliche Impulse erhält, besteht Spielraum für Unternehmen und Haushalte, zu investieren und zu konsumieren. Nur so können letztlich Wachstum und Beschäftigung entstehen. Aus diesen Gedanken ergibt sich ein Gegenprogramm zu Sparen und Sozialabbau, die heute von der Mehrheit der Ökonomen als notwendige Voraussetzung für mehr Wachstum angesehen werden. Dieses Programm enthält Vorschläge auf mehreren Ebenen. Zum einen muss die Ausrichtung der Geld-, Finanz- und Lohnpolitik so geändert werden, dass mehr Expansion möglich ist als bisher. Daneben sind aber auch strukturelle Veränderungen unumgänglich. Nur brauchen sie eben nicht zwangsläufig mit Sozialabbau einherzugehen. Entscheidend ist vielmehr, nach Möglichkeiten zu suchen, die vorhandenen Mittel effizienter einzusetzen, die gesamtwirtschaftlichen Folgen solcher Reformen zu berücksichtigen und gegebenenfalls zu kompensieren. Nur in einem solchen Rahmen sind strukturelle Reformen sinnvoll. Aus diesen Überlegungen ergibt sich die Gliederung des Buches. Nach dieser Einleitung wird im zweiten Kapitel der jüngste Einbruch, der völlig unerwartet kam, sowohl für Deutschland als auch für andere große Industrieländer, beschrieben. Der Beginn liegt dabei im Jahre 2000 und die Nachwirkungen hielten bis 2003 an. Dabei zeigt sich rasch, dass die jüngste Schwäche in Deutschland aufgrund ihrer langen Dauer im internationalen Vergleich eher untypisch war. Im dritten Kapitel wird untersucht, warum die Schwäche in Deutschland so lange anhielt. Es zeigt sich, dass die hiesige Konsumschwäche hierfür eine entscheidende Rolle spielt, während zugleich eine im internationalen Vergleich sehr gute Exportentwicklung zu konstatieren war, die die binnenwirtschaftliche Nachfrageschwäche aber nicht zu kompensieren vermochte. Im Ergebnis zeigt sich also eine tiefe Spaltung zwischen Binnenkonjunktur und Außenwirtschaft.
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Im vierten Kapitel werden theoretische Ansätze diskutiert, die diese Spaltung anders als die gängigen theoretischen Modelle zu erklären vermögen. Der Schwerpunkt liegt dabei auf nachfrageorientierten Überlegungen. Im fünften Kapitel werden die grundlegenden Fehler, die sich bislang aus der wirtschaftspolitischen Umsetzung der falschen theoretischen Vorstellung ergeben, aufgezeigt. Und im sechsten und letzten Kapitel werden die Alternativen zur derzeit praktizierten Wirtschaftspolitik entwickelt. Dabei zeigt sich, dass nur eine radikale Umkehr der wirtschaftspolitischen Orientierung notwendig ist, um Deutschland wieder in Fahrt zu bringen. Dies ist schwierig, aber möglich.
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Der unvorhergesehene Einbruch
2.1 Die Stagnation und ihre politischen Folgen Es war im Sommer 1999. In Deutschland geschah etwas, das aus heutiger Sicht nahezu unvorstellbar ist: Die Unternehmen produzierten im Sommer, dem dritten Quartal, 1,4% an Wertschöpfung mehr als im Vierteljahr zuvor. Hinter dieser trockenen Zahl verbirgt sich eine wirtschaftliche Dynamik, die längst vergessen scheint. Um sie sich vorzustellen, sei dieser Wert auf ein Jahr hochgerechnet. Er bedeutet ein Wachstum von mehr als 5,5% pro Jahr. Dieses Wachstumstempo kann sich durchaus mit der viel bewunderten Dynamik der US-amerikanischen Volkswirtschaft Mitte der 90er Jahre messen. Allerdings, das war jedoch schon der Höhepunkt des letzten Aufschwungs, den Deutschland und der gesamte Euroraum bisher gesehen haben. Seither ging es bergab. Zunächst zwar eher unmerklich, ab Herbst 2000 dann aber immer spürbarer. Was folgte, war keine ausgesprochen dramatische Rezession, wie dies z. B. 1974/75, 1980/82 oder auch 1992/93 der Fall war. Das Bruttoinlandsprodukt ging zwar zeitweise zurück; doch verglichen mit den früheren Schwächephasen waren die rezessiven Phänomene nur sehr schwach ausgeprägt. Etwas anderes ist dagegen bemerkenswert. Während es Mitte der 70er und Mitte der 90er Jahre zu weitaus stärkeren Einbrüchen gekommen war, hatte seinerzeit aber rasch eine wirtschaftliche Erholung eingesetzt. Bereits fünf bis sechs Quartale nach dem Höhepunkt des jeweils vergangenen Booms, der durch eine Schwächephase abgelöst wurde, war die deutsche Wirtschaft wieder auf Expansionskurs. Nur Anfang der 80er Jahre war dies anders. Damals gab es zu-
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2.1 Die Stagnation und ihre politischen Folgen 106
1974 I - 1976 IV 104
102 1992 I - 1994 IV 2001 I - 2003 IV 100
98 1980 I - 1982 IV
96 1
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Saisonbereinigt, in konstanten Preisen; bis 1990: Westdeutschland (BV4), ab 1991: Deutschland (X12-Arima). Quellen: Statistisches Bundesamt; Berechnungen des DIW Berlin.
Abb. 2-1: Konjunkturelle Abschwungphasen in Deutschland Index: Quartal des jeweiligen BIP-Höhepunktes = 100
nächst zwar auch rasch Erholungstendenzen. Diese fielen jedoch sehr schnell wieder in sich zusammen und es folgte ein weiterer konjunktureller Rückschlag. Dies war ein sog. »double dip«, ein doppelter konjunktureller Einbruch; ein Phänomen, das vor allem auch in den USA zu verzeichnen war. In der jüngsten Schwächephase ist der Konjunkturverlauf dem zu Beginn der 80er Jahre recht ähnlich, wenn auch der Rückgang der Produktion deutlich schwächer ausgeprägt war. Zugleich durchlief die deutsche Wirtschaft eine lang anhaltende Stagnation, die sich erst ab Mitte 2003 sehr langsam und dann zu Beginn 2004 etwas spürbarer auflöste. Zuvor waren die Wachstumsraten mal leicht negativ, mal leicht positiv. Aber über nahezu drei Jahre war keine sichtbare Zunahme der gesamtwirtschaftlichen Produktion zu verzeichnen. Eine solch lang anhaltende Schwäche hatte es in Deutschland seit der Gründung der Bundesrepublik noch nicht gegeben. Mittlerweile sind die Wachstumsverluste außer denen des »double dip« zu Beginn der 80er Jahre durch die jüngste Stagnation größer als bei allen Re-
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zessíonen seit Gründung der Bundesrepublik. Bedrückend ist vor allem, dass mit dem Abbruch des Wachstums die Arbeitslosigkeit wieder stieg, nachdem sie im Aufschwung 1999 und 2000 merklich zurückgegangen war. Die Folgen waren insbesondere für die sozialen Sicherungssysteme und die öffentlichen Haushalte extrem belastend, da hier drastische Einnahmeausfälle zu verzeichnen waren. Insofern ist die jüngste Stagnation als sehr schwerwiegend einzustufen. Gerade deshalb eignet sie sich auch als ein Exempel. Sie kann als ein Beispiel dafür dienen, wie in Europa und vor allem in Deutschland auf eine Schwäche wirtschaftspolitisch reagiert wird. Sie eignet sich vor allem als ein Beispiel, um zu zeigen, dass eine ungeeignete wirtschaftspolitische Reaktion ursächlich für die lange Dauer der Schwäche war. Die Fehler, die gemacht wurden, sind keinesfalls zufällige Missgeschicke, sondern basieren auf einer falschen strategischen Ausrichtung der Wirtschaftspolitik. Die düstere Lage und die immer wieder enttäuschte Hoffnung auf den baldigen Beginn eines Aufschwungs erzeugten ein wirtschaftliches Klima, das von einer krisenhaften Stimmung geprägt war. Ohne diesen auch ins Politische greifenden Vertrauensverlust lassen sich die Entwicklungen der vergangenen drei Jahre kaum verstehen. So rief die schwierige ökonomische Lage in der Öffentlichkeit hektische Betriebsamkeit in der Produktion von Heilungsvorschlägen hervor. Je dramatischer die Schilderung der Lage und je radikaler der Vorschlag, desto größere Aufmerksamkeit wird in der Öffentlichkeit zum Ruhme des oder der Autoren erzielt. Im Ergebnis führt dies zu einer Radikalisierung der wirtschaftspolitischen Debatte, wie sie seit den 70er Jahren unter ganz anderen Vorzeichen nicht mehr zu beobachten war. Gemeinsamer Nenner der vorherrschenden Vorschläge ist, dass nur grundlegende strukturelle Reformen, primär am Arbeitsmarkt und der sozialen Sicherung, die wirtschaftliche Lage verbessern könnten. An der Spitze dieser Bewegung steht der Sachverständigenrat
erstellt von ciando
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2.1 Die Stagnation und ihre politischen Folgen
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zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung (SVR), der in seinen Gutachten immer wieder strukturelle Reformen anmahnt, um die Wachstumskräfte zu stärken. Ihren wirtschaftspolitischen Niederschlag fanden die verschiedenen Vorschläge in der Agenda 2010 der Bundesregierung vom März 2003, in der eine Strategie zur Reform des Arbeitsmarktes und der sozialen Sicherungssysteme aufgezeigt wurde, die letztendlich zu einer merklich höheren Beschäftigung in Deutschland führen sollte. Verschiedene Kommissionen, wie die nach ihren Protagonisten Hartz und Rürup benannten, erarbeiteten konkrete Vorschläge, wie die Strategie aus der Agenda 2010 durch praktische Maßnahmen umgesetzt werden sollte. Die Reaktion auf diesen wirtschaftspolitischen Kurs, der insbesondere für die SPD ein wirtschaftspolitischer Kurswechsel war, fiel gemischt aus. Auf der einen Seite erhielt die Bundesregierung viel Unterstützung von Wissenschaftlern, insbesondere Arbeitsmarktforschern, wobei allerdings – auch von der Opposition – häufig noch radikalere Schritte, als in der Agenda 2010 angedacht, gefordert wurden. Auf der anderen Seite war unverkennbare Skepsis insbesondere bei den Gewerkschaften und Teilen der SPD zu erkennen, denen die ganze Richtung nicht passte. Von beiden Seiten bedrängt, geriet die Bundesregierung mit ihren Vorstellungen in der wirtschaftspolitischen Debatte in die Defensive – und dies alles vor dem Hintergrund einer sich immer weiter verschlechternden Lage auf dem Arbeitsmarkt. Inzwischen verläuft der Graben zwischen verschiedenen wirtschaftspolitischen Vorstellungen innerhalb zumindest der großen Parteien. Bei den privaten Haushalten rief die wirtschaftspolitische Gemengelage eine tiefgreifende Verunsicherung hervor. Einerseits wurden ihnen zum Teil deutliche Leistungskürzungen bei der sozialen Sicherung angekündigt. Auf der anderen Seite wurde ihnen erklärt, dass diese beschlossenen oder avisierten Maßnahmen nicht helfen würden, weil
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sie entweder nicht radikal genug waren oder sogar in die falsche Richtung führten. Im Ergebnis reagierten die Haushalte auf die Unsicherheit mit verstärktem Sparen oder, anders ausgedrückt, mit Konsumzurückhaltung. Die Konsumschwäche ist denn auch eines der markanten Merkmale der Stagnation, auf das später noch eingegangen werden soll. Vor dieser politischen Kulisse vollzog sich eine Wirtschaftsentwicklung, die in der Tat zahlreiche Fragen aufwirft. Im weiteren Verlauf dieses Kapitels soll zunächst der Frage nachgegangen werden, warum es überhaupt zu dieser zähen Schwäche kam. Daran schließen sich Überlegungen an, ob und warum Deutschland im internationalen Vergleich besonders betroffen war.
2.2 Am Anfang standen Fehlprognosen Wenn man sich im Nachhinein die Entwicklung des Bruttoinlandsprodukts von 2000 bis 2001 vor Augen führt, so ist der Einbruch so drastisch, dass es naheliegend ist, zu vermuten, hier hätten im Vorfeld markante Ereignisse stattgefunden, die eine solche heraufziehende Schwäche hinreichend deutlich angekündigt hätten. Bemerkenswert ist aber, dass alle professionellen Prognostiker diese Ereignisse entweder nicht gesehen oder in ihrer Bedeutung maßlos unterschätzt haben. Die Vorhersagen, die Ende 2000 für das Jahr 2001 gemacht wurden, schwankten zwischen rund 2,5% erwartetem Wachstum (IfW, DIW) und rund 3% (IW). Die Schwankungsbreite war also relativ gering. Gemeinsam war allen Prognosen, dass sie von einer schwächeren Konjunktur als für das Jahr 2000 ausgingen. Insofern wurde durchaus eine gewisse Trendwende vorhergesehen. Allerdings wurde deren Ausmaß bei weitem unterschätzt. Schließlich betrug das tatsächliche Wachstum 2001 nur 0,6% – eine dramatische Fehleinschätzung. Das zeigt, die Ursachen der Stagnation wurden letztlich nicht verstanden. Ansonsten
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2.3 Der Börsencrash
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hätte man sie ja in die Prognosen einfließen lassen und man wäre zumindest zu in etwa korrekten Ergebnissen bei der Vorhersage gekommen, die allein den üblichen Prognosefehlern ausgesetzt worden wäre. Die sind aber mit knapp einem Prozentpunkt deutlich geringer als die gut zwei Prozentpunkte bei den Prognosen für 2001.1 Die Fehleinschätzungen zeigen, dass die Ursachen des Einbruchs im Grunde nicht erkannt wurden. Das wirft im Übrigen ein fahles Licht auf jene Deutungen, die im Nachhinein strukturelle Gründe für die Schwäche anführen.2 Ihrer Natur nach können strukturelle Ursachen nicht spontan auftreten, sondern sind das Ergebnis sich allmählich herausbildender Verfestigungen. Dann aber müssten diese auch schon im Jahr 2000 bestanden haben und alle, die ihnen eine maßgebliche Bedeutung beimessen, hätten erkennen müssen, dass ein Wachstumseinbruch bevorstand. Das war offenkundig nicht der Fall. Entweder wurden die strukturellen Schwächen erst im Nachhinein erkannt oder sie waren zwar da, aber nicht bedeutsam. Oder aber es wurden gravierende handwerkliche Fehler bei der Prognose begangen.
2.3 Der Börsencrash Um die Ursachen vollständig zu verstehen, ist es nötig, zunächst einen Blick in das Jahr 2000 zu werfen. Es gab in der Tat Ereignisse, die dem konjunkturellen Abbruch vorangingen und die auch ursächlich für das Eintreten der Schwäche waren. Gravierend waren die dramatischen Kursrückgänge an den Börsen, die weltweit zu beobachten waren. So verlor der Dow Jones Industrial von Dezember 1999 bis August 2002 etwa ein Drittel seines Wertes. Bei dem Unternehmen aus zusätzlichen Sektoren umfassenden Standard & Poor’sIndex war der Kursrückgang sogar noch deutlicher. Von Dezember 1999 bis Januar 2002 ging hier fast die Hälfte des Wertes verloren. Noch dramatischer waren die Einbrüche in
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Deutschland und Japan, die allerdings auch aufgrund einer etwas anderen Zusammensetzung der jeweiligen Indizes mit einem höheren Anteil an Firmen mit neuen Technologien zustande kommen. Hier waren Wertverluste von knapp (Nikkei) und gut (DAX) zwei Dritteln im Vergleich zum Dezember 1999 zu verzeichnen. Eine solche Entwicklung kann man mit Fug und Recht als Crash bezeichnen. 120 110 100 90 80 70 60 50 40
Nikkei 3/2000
DAX 2/2000
Dow Jones 12/1999
49
47
45
43
41
39
37
35
33
31
29
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25
23
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19
17
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9
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S&P 500 8/2000
Abb.2-2: Börsenkurse: Höhepunkt = 100, Monate nach Höhepunkt
Was aber bedeutet dies ökonomisch? Es heißt nichts anderes, als dass die Kapitalanleger – weltweit – von drastisch verringerten Renditeaussichten ausgehen. Das hat Konsequenzen nicht zuletzt für die Investitionspläne der Unternehmen. Im Hinblick auf das Kapitalangebot fällt bei so stark fallendem Kurs ein wichtiger Finanzierungskanal weitgehend aus bzw. verteuert sich erheblich. Vor dem Jahr 2000 haben viele Unternehmen, insbesondere die mit neuen Technologien arbeitenden, sich Investitionsmittel durch die Ausgabe neuer Aktien bzw. durch den erstmaligen Gang an die Börse besorgt. In Zeiten steigender Kurse war dies ein relativ ertragreiches Vorgehen, da selbst mit relativ unklaren Investitionsplänen in Phasen allgemeiner Renditeeuphorie
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erhebliche Finanzmittel auf dem Kapitalmarkt eingeworben werden konnten. Anders als bei der zumindest in Deutschland früher eher üblichen Kreditfinanzierung kann das Unternehmen bei dieser Finanzierungsform eine hohe Verschuldung bei Banken vermeiden. Auf der anderen Seite entsteht eine größere Abhängigkeit vom Kapitalmarkt. Schlägt die Stimmung auf den Aktienmärkten um – wie dies 2000 der Fall war –, sinkt der Börsenwert des Unternehmens rapide und neue Mittel für zusätzliche Investitionen sind kaum zu gewinnen. Das Angebot zumindest auf diesem Segment des Kapitalmarktes sinkt. Aber auch die Kapitalnachfrage wird zurückgehen. Denn es ist nicht zu erwarten, dass sich die Renditevorstellungen der Finanzinvestoren an den Kapitalmärkten und der Unternehmensinvestoren stark unterscheiden. Im Gegenteil, sie werden sich wechselseitig beeinflussen, auch wenn die Investoren an den Kapitalmärkten schneller und ausgeprägter, um nicht zu sagen hysterisch reagieren. Dagegen ändern Unternehmen ihre Investitionspläne eher vorsichtig, da sie tendenziell längerfristigen Strategien folgen. Aber das heißt nicht, sie würden sich von den Einschätzungen der Finanzinvestoren unbeeindruckt zeigen. In der Tat lässt sich nachweisen, dass die Erwartungen der Unternehmen, wie sie im ifo-Erwartungsindex, der auf Unternehmensbefragungen beruht, ermittelt werden, von den Aktienkursen beeinflusst sind.3 In der Folge reagiert auch die Investitionsnachfrage, wenn auch verlangsamt und deutlich abgeschwächt, auf die Börsenkurse.4 Ebenso lässt sich nachweisen, dass die Erwartungen der Investoren nicht nur von den Kursstürzen an der deutschen Börse gedrückt wurden, sondern auch von denen der bedeutsamsten internationalen Aktienmärkte.5 Im Zeitalter der Globalisierung breiten sich auch Stimmungen global aus. Deshalb kann ein solcher Crash nicht mehr in einem nationalen Kontext interpretiert werden. Wie aber kam es überhaupt zu diesem Einbruch an der Börse? Ganz abstrakt kann der Crash als das Platzen einer
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sog. Blase (Bubble) beschrieben werden. Als Blase wird dabei die Preisdifferenz zwischen dem aktuellen Wert der Unternehmen an der Börse und jenem Wert bezeichnet, der durch fundamentale Faktoren wie z. B. die aktuelle Rentabilität des Unternehmens erklärt werden kann.6 Welche Fundamentalfaktoren letztlich entscheidend sind, hängt von der zugrunde liegenden Theorie ab. Wichtig ist, dass der tatsächlich notierte Börsenwert des Unternehmens deutlich höher liegen kann, weil andere Faktoren, jenseits der fundamentalen, dies bewirken. Allen und Gale7 haben hierzu eine interessante Theorie aufgestellt. Sie behaupten und zeigen anhand mehrerer Beispiele, dass das Entstehen von Bubbles eine inhärente Tendenz von liberalisierten Kapitalmärkten ist. Kapitalmärkte tendieren also aus sich heraus zur Überbewertung von Aktien. Wird der Zugang zu einem nationalen Kapitalmarkt auch für internationale Anleger geöffnet, entsteht möglicherweise ein starker Zustrom an Kapital, der die Kurse nach oben treibt. Äquivalent hierzu ist, dass durch eine entsprechend lockere Geldpolitik der Zentralbank die Kredite ausgeweitet werden und dieses Geld nicht zuletzt in Finanzanlagen an der Börse statt direkt in Investitionen fließt; auch dies wird zu spürbaren Kurssteigerungen führen. Nun könnte man diese Kursteigerungen auch mittels fundamentaler Modelle begründen. Denn niedrigere Kapitalmarktzinsen, wie sie sich im Zuge verstärkter Kapitalmarktzinsen und/oder einer gelockerten Geldpolitik einstellen, erweitern die Möglichkeiten für rentable Investitionen und erhöhen somit auch den durch realwirtschaftliche Entwicklungen zu begründenden Wert eines Unternehmens. Allen und Gale sehen jedoch die Gefahr, dass die Anreizstrukturen auf den Kapitalmärkten zu Übertreibungen bei diesem Kursanstieg führen. Der Grund hierfür besteht in der sog. Intermediation der Finanzanlagen. Die meisten Anleger stellen ja ihr Geld nicht unmittelbar Unternehmen zur Verfügung, sondern legen es
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bei Banken oder Investmentfonds an, erst die geben es dann in eigener Entscheidung an die Unternehmen weiter. Die endgültige Anlageentscheidung wird also von z. B. Fondsmanagern mit dem Geld anderer Leute getroffen. Eine solche Konstellation verführt zu tendenziell risikoreichen Anlageentscheidungen, denn der Fondsmanager oder der Banker trägt nicht das volle Risiko einer Fehlentscheidung und das Unternehmen, der Schuldner, hat ein Interesse, das Risiko auf den Gläubiger abzuwälzen. Die Gefahr von spekulativen Blasenbildungen ist unter diesen institutionellen Gegebenheiten dann besonders groß, wenn das Volumen der Kredite schon besonders hoch ist und erwartet wird, dass es sogar noch weiter steigt. In diesem Fall sind die Zinsen wegen des hohen Kreditangebots besonders niedrig und zugleich werden wegen des erwarteten weiteren Zustroms an Kapital auf den Finanzmärkten steigende Kurse erwartet. Es lohnt sich also, noch mehr zu investieren, und die Kurse steigen sofort. Verstärkt wird eine solche Preisspirale, wenn die Unsicherheit besonders hoch ist. Denn dann wird der risikofreudige Fondsmanager oder Banker versuchen, die Chancen dieser Situation wahrzunehmen, ohne dass er die Risiken in vollem Umfang tragen muss. Aus all diesen Gründen kann sich der aktuelle Kurs weit über das durch Fundamentaldaten gesicherte Niveau hinaus erhöhen. Zum Crash kommt es dann, wenn die Erwartungen steigender Renditen enttäuscht werden. Wenn also der Strom zusätzlicher Kredite versiegt, weil z. B. die Geldpolitik ihren Kurs verschärft hat. Bleiben schließlich die erwarteten Kurssteigerungen aus, ziehen sich die Anleger rasch aus dem Markt zurück. In der Folge sinken die Kurse immer schneller, weil immer mehr Investoren ihre Anlagen bei immer enttäuschteren Erwartungen verkaufen. Auslöser können neben einer gestrafften Geldpolitik veränderte Renditebedingungen sein, die sich z. B. aus einem Preisverfall für die entsprechenden Produkte oder aber höheren Kostenbelastungen ergeben.
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Dieses Modell von Allen und Gale impliziert, dass ein liberalisiertes Finanzmarktsystem immer wieder spekulative Blasen bilden kann, deren Platzen die Wirtschaft ernorm belastet. Damit unterscheidet sich diese Theorie von anderen8, die nur dann die Gefahr einer Blasenbildung sehen, wenn z. B. staatliche Garantien oder solche des IWF bestehen, die Überinvestitionen an den Kapitalmärkten nach sich ziehen. In dem dargestellten Ansatz ist eine Bubble im Kern das Resultat privater Risikoverschiebungen durch Finanzintermediäre bei liberalisierten Finanzmärkten. So zeigen Allen und Gale, dass bei allen von ihnen untersuchten Crashs zuvor die Finanzmärkte liberalisiert wurden, was einen hohen Zustrom an Kapital zur Folge hatte. Vor dem Jahr 2000 gab es in den größeren Industrieländern keine solchen institutionellen Änderungen, die den steilen Kursanstieg hätten erklären können. Das gilt auch für die USA und Deutschland, wo die Notierungen etwa 1997/98 zu einem Steilflug ansetzten, der die entsprechenden Börsenindizes nahezu auf das vierfache ihres Wertes von 1990 brachte. Ab 2000 stürzten die Kurse dann ins Bodenlose. Nach dem oben dargestellten Modell muss es dann andere konkrete Anlässe geben, die eine spekulative Blase zum Platzen bringen. Damit stellt sich die Frage, welcher Anlass im Jahr 2000 hierfür den Anstoß gab. Zwei Kandidaten kommen dafür in Frage, die in den kommenden Abschnitten noch ausführlicher diskutiert werden sollen. Zum einen der Ölpreisschock und zum anderen die Geldpolitik.
2.4 Der Ölpreisschock Tatsächlich begannen schon in einer relativ frühen Phase des vorangegangenen Aufschwungs die Ölpreise stark zu steigen. Ihren Tiefpunkt hatten sie zuvor mit einem Wert von 9,80 US-$ im Dezember 1998 erreicht; ab März 1999 setzte dann mit dem sich beschleunigenden Aufschwung ihr Hö-
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2.4 Der Ölpreisschock
henflug ein. Bereits im August hatten sie sich mit 20 US-$ mehr als verdoppelt. Im September des Jahres 2000 erreichten sie mit rund 32 US-$ den Höhepunkt. 40,0
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Abb. 2-3: Ölpreis Brent (US-$/Barrel)
Ölpreissteigerungen haben spürbare Auswirkungen auf die Produktionskosten und die Kaufkraft der privaten Haushalte. Da Energie ein nur schwerlich zu ersetzender Input bei fast allen Produktionsprozessen ist, führen Ölpreissteigerungen fast durchweg zu höheren Produktionskosten. Die Unternehmen werden versuchen, diese auf ihre Kunden zu überwälzen. Damit steigt dann aber die Inflationsrate, und die privaten Haushalte müssen neben ihren eigenen höheren Energiekosten auch noch die überwälzten der Unternehmen tragen. Damit vermindert sich die Kaufkraft der Haushalte entsprechend. Insofern die Unternehmen die höheren Kosten nicht überwälzen können, werden ihre Gewinne gedämpft. Beides, verminderte Kaufkraft und verminderte Gewinne, stellt eine Belastung der Konjunktur dar und dämpft auch die Aussichten für die weitere Entwicklung. Wenn diesen Belastungen richtig begegnet wird, sollten sie allenfalls kurzfristiger Natur sein. Denn mit dem Abklingen
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des Schocks sollte sich auch der Preisauftrieb wieder beruhigen. Dies gilt vor allem deshalb, weil die höheren Ölpreise ja auch zu höheren Erträgen in den ölproduzierenden Ländern führen. Über kurz oder lang entsteht hieraus auch zusätzliche Nachfrage nach Exporten aus den ölimportierenden Ländern. Dies mindert oder kompensiert gar die vorausgehenden Belastungen für diese Länder insgesamt. Für die einzelnen Länder kann die Bilanz dabei durchaus sehr unterschiedlich aussehen, da Ölimporte und verstärkte Exportnachfrage nicht in gleicher Weise in jedem einzelnen Land auftreten. Es wird also Gewinner und Verlierer geben. In der Vergangenheit waren die Folgen von Ölpreisschocks teilweise sogar katastrophal. Denn in den 70er und auch noch zu Beginn der 80er Jahre versuchten die Gewerkschaften, die Kaufkraft der Haushalte durch entsprechend höhere Lohnforderungen zu stabilisieren, die die Produktionskosten der Unternehmen zusätzlich zu den höheren Energiekosten noch einmal erhöhten. Also entstand bei den Unternehmen ein Druck in Richtung weiterer Preiserhöhungen. In der Konsequenz setzte eine Lohn-Preis-Spirale ein, die letztlich die Inflation in nicht mit Preisstabilität zu vereinbarende Höhen trieb. Folglich mussten die Zentralbanken einschreiten und mit einer gestrafften Geldpolitik versuchen, die Inflationstendenz wieder zu durchbrechen. Der Preis waren tiefgreifende Rezessionen mit einem teilweise dramatischen Anstieg der Arbeitslosigkeit. Eine LohnPreis-Spirale bildete sich im Jahr 2000 in Deutschland nicht heraus. Die Lohnzuwächse beschleunigten sich hier kaum und die Inflation nur wenig. In anderen Ländern des Euroraums war dies durchaus anders. In Spanien und Italien wurden teilweise über Indexierungsklauseln die Löhne kräftig angehoben und entsprechend stiegen auch die Preise. Aber insgesamt bildete sich im Euroraum wie auch im Übrigen in den USA und anderen größeren Ländern nicht annähernd die Lohn-Preis-Spirale vergangener Zeiten.
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Wenn damit auch die Katastrophen früherer Ölpreiskrisen vermieden werden konnten, blieben dennoch die Belastungen der Kaufkraft und der Gewinne der Unternehmen bestehen. Dies war eine gravierende Änderung der Rahmenbedingungen im Vergleich zu den Vorjahren, in denen insbesondere die USA von Aufschwungjahr zu Aufschwungjahr eilten. Allein dies musste die Erwartungen der Finanzanleger negativ tangieren und Befürchtungen aufkeimen lassen, dass der Zustrom an Finanzmitteln nicht mit unverminderter Stärke anhalten wird. Denn wenn Lohneinkommen und Gewinne nicht mehr so wachsen wie zuvor, sprudelt auch die Quelle für Anlagevermögen an den Finanzmärkten nicht mehr mit gleicher Intensität. Das betraf vor allem den amerikanischen Markt. Zugleich änderten sich die Gewinnerwartungen dort zum Schlechteren.
2.5 Die Geldpolitik Eine der wichtigsten Erklärungsfaktoren für das Platzen der Blase und die gesamtwirtschaftliche Entwicklung besteht in der geldpolitischen Strategie jener Zeit. Dabei ist die Geldpolitik zumindest der größeren Währungsregionen in einen globalen Zusammenhang zu stellen, da deren Wirkungen über die internationalen Kapitalmärkte weltweit ausstrahlen. Von zentraler Bedeutung war dabei die Geldpolitik in den USA, die in jenen Jahren eine noch prononciertere Vorreiterrolle übernahm als zuvor. Das lag zum einen daran, dass die herausragende konjunkturelle Dynamik in den USA diese Wirtschaft und deren Währung in eine besonders prominente weltwirtschaftliche Position hievte. Allein die überaus ungewöhnlich lange Dauer des Aufschwungs ließ schon während der 90er Jahre immer wieder die Frage aufkommen, wann denn die Geldpolitik beginnen würde, diesen abzubremsen. Schließlich hatten sich bei früheren Auf-
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schwüngen über kurz oder lang, ausgelöst durch übermäßige Lohnsteigerungen und überhöhte Preissetzungen auf boomenden Märkten, starke Inflationstendenzen herausgebildet, die eine monetäre Straffung unumgänglich machten.
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USA
Japan
EWU
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Großbritannien
Abb. 2-4: Inflationsraten (in % gegenüber dem Vorjahresmonat)
In den 90er Jahren war dies nicht der Fall, so dass die amerikanische Zentralbank Fed über einen sehr langen Zeitraum eine expansiv ausgerichtete Geldpolitik betreiben konnte. Diese hat dann auch die Zufuhr von Liquidität an die Kapitalmärkte gefördert. Erst 1999 begann die Fed, mit deutlichen sukzessiven Zinsanhebungen ihren Kurs mehr und mehr zu straffen, bis die kurzfristigen Zinsen im Jahr 2000 einen Wert von fast 7% erreichten. Sie lagen damit seinerzeit sogar über den langfristigen Zinssätzen. Dies ist eine Konstellation, bei der die Anleger einen starken Anreiz haben, ihr Finanzkapital in kurzfristige Geldmarkttitel zu investieren. Denn schließlich sind die Risiken auf kurze Sicht immer geringer als auf längere. Wenn dann der entsprechende Zinssatz auch noch höher ist, besteht ein starker Anreiz zur Umschichtung. Dies geht vor allem zu Lasten
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langfristiger realwirtschaftlicher Investitionsvorhaben, aber auch von Aktienanlagen. Denn diese Anlageformen weisen unter diesen Umständen allein schon wegen der längeren Laufzeiten bzw. der unvermeidlichen Unsicherheiten bei der Gewinnerzielung höhere Risiken auf. Daher hat eine solche sog. inverse Zinsstruktur einen eindeutig restriktiven Charakter, denn sie entzieht dem realwirtschaftlichen Investitionsprozess die Finanzmittel. Dies geschieht zum einen unmittelbar, indem die Anleger eben kurzfristigere Geldanlagen vorziehen, und zum anderen mittelbar, indem die Finanzierung über die Emission von Aktien aus dem gleichen Grund weniger ertragreich wird. Darüber hinaus verstärken höhere Zinsen auch den Anreiz, zu sparen, anstatt zu konsumieren, was sich gleichfalls negativ auf die realwirtschaftliche Produktion auswirkt. Eine solche Restriktionswirkung war ja auch gewollt. Schließlich sollte sowohl über die gedämpfte Produktion als auch den damit verbundenen Anstieg der Arbeitslosigkeit die Lohn- und Preisentwicklung gedämpft werden. Ein Dämpfer für die Börse wurde dabei angesichts der auch zu jenem Zeitpunkt bereits aufkeimenden Debatte um eine spekulative Blasenbildung billigend in Kauf genommen. Insofern gab es auch kaum Kritik für die Entscheidungen der Fed; im Gegenteil, sie wurden als ein Beitrag zur Stabilisierung der amerikanischen Wirtschaft angesehen, mit der eine Überhitzung nach langem Boom vermieden werden kann. Aus US-amerikanischer Perspektive ist diese Sicht unmittelbar nachvollziehbar. Aus europäischer und globaler Sicht war die geldpolitische Straffung nicht ganz so harmlos. Dies liegt daran, dass die Konjunktur weltweit durchaus nicht synchron verlaufen war. Das markanteste Beispiel ist Japan, das auch im Jahr 2000 seine zu diesem Zeitpunkt fast zehn Jahre anhaltende Stagnation noch nicht überwunden hatte. Die Preisentwicklung war weiter deflationär, so dass von Inflationstendenzen, die die extrem expansiv ausgerichtete Geldpolitik gezwungen hätte, ihren Kurs zu straf-
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fen, keine Rede sein konnte. Etwas günstiger stellte sich die wirtschaftliche Lage im Euroraum dar. Hier hatte erst 1999 eine merkliche Beschleunigung der Konjunktur eingesetzt, die zu Wachstumsraten von deutlich über 3% führten. Es herrschte also noch kein so langer Boom wie in den USA. Insofern war anders als dort der binnenwirtschaftliche Lohn- und Preisdruck bei weitem nicht so stark. Lediglich der Ölpreisschock und die Abwertung des Euro lösten kräftigere Preissteigerungen bei den Importpreisen aus, die schließlich die Konsumentenpreise auch im Inland anziehen ließen. Die angemessene geldpolitische Reaktion musste also eigentlich für Japan und den Euroraum anders ausfallen als für die USA. Dies gilt umso mehr, als viele Forschungsergebnisse darauf hinweisen, dass Zinsanhebungen einen stärkeren negativen Effekt auf die Konjunktur ausüben als gleich starke Zinssenkungen umgekehrt eine positive Wirkung auslösen können. Diese Asymmetrie gibt einer restriktiven Geldpolitik ein besonderes Gewicht. Konsequenterweise machte die japanische Zentralbank die Zinsschritte der US-Notenbank nicht mit. Anders die EZB. Auch sie erhöhte 1999 und 2000 den Zins merklich auf rund 5%. Sie blieb damit zwar unter dem US-Wert, gleichwohl stellte dies eine deutliche Verschärfung ihres Kurses dar. Ein übliches Maß, mit dem man den Restriktionskurs einer Zentralbank misst, ist die sog. Zinsspanne. Dies ist die Differenz zwischen kurz- und langfristigen Zinssätzen. Als kurzfristige Zinsen gelten in der Regel jene, bei denen die Anleihe eine Restlaufzeit von bis zu drei Monaten hat. Als langfristig betrachtet man typischerweise eine Restlaufzeit von zehn Jahren. Ist die positive Differenz groß, weist dies auf eine expansive Geldpolitik hin. Denn wenn der Leitzins sehr viel niedriger als der Kapitalmarktzins ist, deutet dies auf eine relativ rege Aktivität auf dem Kapitalmarkt aufgrund guter wirtschaftlicher Lage hin, die nicht von der
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Geldpolitik durch hohe Leitzinsen gedämpft wird. Erwartet wird, dass die Zinsen in der Zukunft höher sein werden. Ist umgekehrt die positive Differenz klein oder ist sie sogar negativ, zeigt dies, dass die Zentralbank mit relativ hohen Zinsen die Kapitalmarktaktivität und damit die Konjunktur dämpft. Für die Zukunft werden in diesem Fall Zinssenkungen erwartet. Schaut man sich diese Zinsdifferenz für die verschiedenen Länder an, ergibt sich, dass in den USA die Zinsdifferenz Mitte 2000 negativ wurde, also ein ganz klarer Bremskurs vorlag. Auch im Euroraum ging die Spanne gegen Ende 2000 gegen null; auch dies zeigt eine spürbar restriktive geldpolitische Ausrichtung an. Allein in Japan blieb die Zinsdifferenz im Jahr 2000 zunächst nahezu unverändert groß. Erst gegen Ende des Jahres verminderte sie sich etwas, da im Zuge der weltweiten Zinsanhebungen auch in Japan solche Schritte erwartet wurden. Diese traten dann aber nicht ein. Damit hat auch die japanische Zentralbank angemessen reagiert, denn ein Ende der Stagnation und der Deflation waren zu jenem Zeitpunkt nicht erkennbar. Die EZB hat – legt man ihre Zinsentscheidungen zugrunde – hingegen den Euroraum im Jahr 2000 offensichtlich in einer ähnlichen Situation gesehen wie die Fed die USA. Dies war ein gravierender Fehler. Denn der Euroraum hatte zwar nach krisenhaften Entwicklungen im Vorfeld der Währungsunion bis Mitte der 90er Jahre von 1997 bis 1999 einige Jahre mit Wachstumsraten von rund 2,5% hinter sich. Doch wurde die 3%-Marke nur im Jahr 2000 deutlich überschritten. Ein lang anhaltender Boom wie in den USA hatte im Euroraum nicht stattgefunden. Folglich war auch die Arbeitslosigkeit nicht merklich zurückgeführt worden. Anders als in den USA waren auch die Lohnkosten deshalb nicht so stark gestiegen. Allein der Ölpreisschock und die Abwertung konnten somit als Argument für eine zu erwartende Gefährdung der Preisstabilität dienen.
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Gerade diese Gründe geben aber per se keine Rechtfertigung für eine geldpolitische Kurskorrektur. Der Ölpreisschock stellt nämlich überhaupt keine Gefährdung der Preisstabilität dar, wenn sich alle Marktteilnehmer vernünftig verhalten. Vernünftig heißt in diesem Fall, dass der Preisschub, der von den höheren Ölpreisen ausgelöst wird, wie oben bereits erläutert, allseitig hingenommen wird. Das gilt insbesondere für die Lohnpolitik. Die Lohnpolitik im Euroraum hat dies im Jahr 2000 insgesamt beherzigt. Es war also zu erwarten, dass die Inflationsraten nach kurzer Zeit wieder zurückgehen würden, und der Ölpreisschock wäre eigentlich kein Anlass für die Geldpolitik gewesen, einzugreifen. Ähnliche Argumente gelten für eine Abwertung. Zwar steigen in deren Gefolge die Importpreise, aber solange dieser Preisschub nicht von der Lohnentwicklung aufgegriffen wird und die Unternehmen sie nicht als Vorwand für höhere Gewinnmargen nehmen, bleibt der preistreibende Effekt zeitlich begrenzt. Beide Voraussetzungen waren im Jahr 2000 erfüllt. Eine Notwendigkeit zu einem geldpolitischen Eingreifen ergab sich nicht. Gleichwohl verschärfte die EZB ihren Kurs spürbar.
2.6 Nährboden für den Abschwung Die Folgen von Ölpreisschock und gestrafftem geldpolitischem Kurs waren für die Börse dramatisch. Die Erwartung dauerhaft hoher Rentabilität und stetig zuströmender Liquidität wurde durchbrochen. Die Verkaufswelle nahm ihren Anfang, die Kurse brachen ein. Sehr deutlich zeigt sich dieser Stimmungswandel an den entsprechenden Indikatoren. In Deutschland wird die Stimmung an den Börsen und in den Unternehmen vom ZEW und vom ifo Institut monatlich abgefragt. Dabei wird nicht nur eine Einschätzung der aktuellen Lage ermittelt, sondern werden auch die Erwartungen
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für die zukünftige wirtschaftliche Entwicklung erkundet. Die entsprechenden Indikatoren geben zwar keine harten ökonomischen Fakten wieder, sie geben aber Auskunft über subjektive Empfindungen von Menschen, die sehr nahe an den wirtschaftlichen Entscheidungen stehen. In der Vergangenheit hat sich gezeigt, dass diese – weichen – Indikatoren sehr wohl Informationen über das wirtschaftliche Handeln von Unternehmen enthalten.9 So kann man mit Hilfe des ifoIndex durchaus die konjunkturelle Dynamik der jeweils kommenden vier bis sieben Monate vorhersagen.10 Schaut man sich diese Indikatoren für den relevanten Zeitraum an, lässt sich der Wechsel der Stimmungslage im Jahr 2000 deutlich nachzeichnen. Der ZEW-Index erreichte im Januar 2000 seinen Höhepunkt und ging bis August 2000 zunächst kontinuierlich und danach dramatisch zurück. Ähnlich beim ifo-Index. Er erreichte seinen Höhepunkt im Dezember 1999 und ging bis Juli 2000 gleichfalls eher langsam und danach drastisch zurück. Hier hatte also im Laufe des Jahres 2000 ein fundamentaler Stimmungswandel stattgefunden, der das Börsenklima, aber mit Verzögerung auch das Investitionsklima nachhaltig nach unten drückte. Wie bedeutsam ein Zusammenbruch an der Börse für die wirtschaftliche Entwicklung sein kann, zeigt das Beispiel Japan zu Beginn der 90er Jahre. Der Crash ging einer langjährigen Stagnation mit Deflation voraus, die erst 2003 endete. Mithin spielen zerstörte Renditeerwartungen eine maßgebliche Rolle für die gesamtwirtschaftliche Entwicklung, die weit über die Investitionstätigkeit hinausgeht. Und diese Belastungen addierten sich zu den übrigen, die schon für sich genommen ein ernsthaftes Problem für alle Volkswirtschaften darstellten. Es war also eine unheilvolle Kombination, die im Jahr 2000 die weltwirtschaftliche Aktivität zum Erliegen brachte. Der Ölpreisschock belastete Verbraucher und Unternehmen in den ölimportierenden Ländern. Dies allein könnte aber
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die langwierige Stagnation bei weitem nicht erklären, zumal mit einer Frist von einem Jahr auch positive Nachfrageimpulse aus den ölproduzierenden Ländern kommen. Der Restriktionskurs der Zentralbanken war weitaus bedeutsamer und musste schon für sich genommen die Konjunkturdynamik abbremsen. Beide Impulse brachten freilich über ihre primäre Wirkung hinaus auch noch die Börsenkurse zum Einsturz. Damit war das tragfähige Maß an Belastungen für die meisten Volkswirtschaften überschritten und die Konjunktur brach ein. Von entscheidender Bedeutung ist, dass diese negativen Einflüsse auch noch globaler Natur waren. Der Ölpreisschock, die geldpolitische Restriktion und der Börsencrash, all dies geschah in fast allen größeren Industrieländern in etwa zur gleichen Zeit. Solche gleichgerichteten Impulse entfalten eine sich selbst verstärkende Wirkung. Denn zusätzlich zu derem direkten Einfluss kommt eine indirekte über eine verminderte Nachfrage nach Importen, durch die eine weltweit streuende außenwirtschaftliche Restriktion aufkommt. Gerade wenn sich so große Volkswirtschaften wie die USA und der Euroraum auf einem so abschüssigen Pfad befinden, ziehen sie über ihre verminderten Importe viele kleinere und die jeweils anderen Wirtschaftsräume mit sich, deren Importnachfrage dann gleichfalls sinkt. Es entsteht die Spirale eines sich selbst verstärkenden Abschwungs. Wie dies abläuft, konnte im Jahr 2000 in aller Deutlichkeit beobachtet werden, als sich die Konjunktur global und synchron in den Abschwung bewegte. Die globale Synchronität lenkt den Blick auf das wirtschaftliche und gesellschaftliche Umfeld, in dem dieser Abschwung stattfinden konnte. Joseph Stieglitz hat dies in seinem atemberaubenden Buch über die US-amerikanische Wirtschaftspolitik in den 90er Jahren mit großer Präzision und Eindringlichkeit dargestellt.11 In seiner Analyse kommt er zu dem Schluss, dass die globale Deregulierung der Finanzmärkte in Verbindung mit einer neoliberalen wirt-
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schaftspolitischen Strategie, die das aktive Eingreifen des Staates oder der Staaten selbst bei massiven wirtschaftlichen Ungleichgewichten zu unterbinden trachtet, sowohl zum Entstehen der Bubbles als auch zu deren Platzen und dem anschließenden weltweiten Einbruch geführt hat.12 Für diese These spricht vieles. Denn der Zustrom an Liquidität auf den Börsenplätzen der Welt wurde auch gespeist durch die ernormen steuerlichen Entlastungen von Kapital, die in vielen Industriestaaten durchgeführt wurden und die verfügbaren Einkommen der Kapitalanleger spürbar erhöhten. Die weltweite Liberalisierung der Kapitalmärkte begründete den globalen Charakter dieser Bewegung. Hinzu kam, dass der Rückzug des Staates vor allem in den USA zu einer vernachlässigten Kontrolle der Buchungspraktiken in Unternehmen geführt hatte. Dies musste früher oder später Unternehmen dazu verleiten, die Realität buchungstechnisch zu verschönen und damit unbedarfte Anleger zu täuschen. Der hieraus entstehende Vertrauensverlust sollte für die ersten Jahre nach dem Einbruch prägend sein. Lange Zeit erholten sich die Börsen nicht von dem Vertrauensverlust der Anleger, die den von Unternehmen vorgelegten Zahlen zunehmend skeptischer gegenüberstanden. In der Konsequenz veranlasste das viele Anleger, ihr Geld in eher kurzfristiger Liquidität zu halten, anstatt es an der Börse oder realwirtschaftlich zu investieren.
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3.1 Ein ungewöhnlicher Verlauf Es war nicht das erste Mal, dass die Weltwirtschaft in eine Phase globaler Schwäche glitt. Auch in den 70er und 80er Jahren hatten Ölpreisschocks mit starken Inflationswirkungen und in der Folge massiven geldpolitischen Bremsmanövern weltweite Rezessionen ausgelöst. Im Jahr 2000 und folgende war der Einbruch sogar weitaus weniger stark als in diesen früheren Tiefpunkten der Konjunktur. Vergleicht man den jüngsten Einbruch mit den früheren anhand des Bruttoinlandsprodukts (BIP), das ist die um Inflationswirkungen bereinigte Wertschöpfung, die von sämtlichen Produktionsbereichen erzielt wird, zeigt sich dies deutlich. Ausgangspunkt ist hier das höchste BIP im jeweiligen Zyklus. Das ist der Zeitpunkt, nach dem im Folgequartal der erste Rückgang auftritt. In fast allen größeren Industrieländern ergibt sich ein ähnliches Muster. Exemplarisch soll hier die Entwicklung in den USA und Deutschland vorgeführt werden. Schaut man auf diese Daten, wird deutlich, dass die früheren Konjunktureinbrüche in den USA am Beginn sehr viel ausgeprägter waren. Erst gegen Ende liegen die Werte wieder eng beisammen; mit Ausnahme des sog. »double dip« zu Beginn der 80er Jahre, als nach einer kurzen Zwischenerholung der nächste Einbruch folgte. Dies bedeutet aber auch, dass früher die Erholung wesentlich schneller einsetzte, als dies nach dem Jahr 2000 der Fall war. Umgekehrt heißt dies, die jüngste Schwäche hielt ungewöhnlich lange an, bevor eine kräftige Erholung einsetzte. Für Deutschland ergibt sich genau das gleiche Resultat. Die früheren Schwächephasen waren auch hier deutlich stärker ausgeprägt, allerdings setzte auch hier die Erholung rascher ein. In den 70er Jahren sogar so kräftig, dass drei
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3.1 Ein ungewöhnlicher Verlauf 108
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Quartale gegenüber Höhepunkt Quelle: BEA. Höhepunkt: höchstes absolutes BIP
Abb. 3-1: Konjunkturelle Abschwungphasen in den USA Reales Bruttoinlandsprodukt Index: Quartal des jeweiligen BIP-Höhepunktes = 100
Jahre nach Beginn des Einbruchs das BIP deutlich höher war. Im Vergleich zur jüngsten Schwäche war der Wachstumsverlust insgesamt trotz des dramatischen Rückgangs am Beginn erheblich geringer. Die derzeitigen Belastungen sind ähnlich hoch wie nach der Rezession in den 90er Jahren. Nur zu Beginn der 80er Jahre waren die Folgen der konjunkturellen Krise wegen des doppelten Einbruchs härter. Die Frage ist, welche Einflüsse für die lange Dauer der jüngsten Schwäche verantwortlich waren. Schließlich lockerte die Geldpolitik, nachdem der Abschwung offenkundig geworden war, fast überall ihren Kurs spürbar und versuchte, die Wirtschaft mit niedrigen Zinsen wieder zu beleben. In einigen Ländern wie den USA und Großbritannien wurde der expansive monetäre Kurs auch fiskalpolitisch gestützt. Das heißt, auch die Regierungen versuchten, die Wirtschaft zumindest zu stabilisieren. Ferner gingen die Ölpreise seit Herbst 2000 zurück und entlasteten so gleichfalls die Volkswirtschaften. Dem Euroraum und auch Japan kamen zudem die Abwertungen ihrer Währungen zu Hilfe, durch die sich ihre Exporte verbilligten. Wohingegen die Er-
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102 1992 I - 1994 IV
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Saisonbereinigt, in konstanten Preisen; bis 1990: Westdeutschland (BV4), ab 1991: Deutschland (X12-Arima). Quellen: Statistisches Bundesamt; Berechnungen des DIW Berlin.
Abb. 3-2: Konjunkturelle Abschwungphasen in Deutschland Bruttoinlandsprodukt Index: Quartal des jeweiligen BIP-Höhepunktes = 100
holung in den USA durch die Wechselkursbewegungen tendenziell belastet wurde, weil sich deren Exporte verteuerten. Aber gerade dort setzte die Erholung frühzeitig ein. Man hätte unter diesen Umständen schon erwarten können, dass nach ungefähr einem Jahr sich auch in Europa die Lage spürbar gebessert hätte. Dies war jedoch weitgehend nicht der Fall. In all jenen Ländern, die vom Einbruch betroffen waren, hielt die Schwäche länger an, als nach den üblichen Mustern zu erwarten war. Der Grund hierfür war offensichtlich die anhaltende Verunsicherung der Investoren. Gedrückt wurden deren Erwartungen vor allem durch zwei Faktoren. Die Verunsicherung durch die Anschläge am 11. September in den USA und durch die Skandale, hervorgerufen durch Unternehmen, die ihre wirtschaftliche Lage durch Buchungstricks verschleiert hatten. Beides zusammen führte zu einer Fortsetzung des Kursverfalls an den wichtigsten Börsen und damit auch zu einer Fortsetzung der hiervon ausgehenden Belastungen für Konsum und Investitionen. Mit den Anschlägen am 11. September 2001 stellte sich nicht nur weltpolitisch, sondern auch in ökonomischer Hin-
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3.1 Ein ungewöhnlicher Verlauf
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sicht eine Zeitenwende ein, die wahrscheinlich schon wesentlich früher eher im Verborgenen begonnen hatte. Schlagartig rückte nichtstaatlicher Terror als Element permanenter Verunsicherung in das Bewusstsein der Märkte. Von vorneherein war damit zu rechnen, dass die Anschläge von New York weitere, wenn auch weniger dramatische, nach sich ziehen würden. In jedem Fall erhöhte sich die Unsicherheit auch für das weltwirtschaftliche Geschehen markant. Vor allem sensible internationale Transporte von bedeutsamen Rohstoffen und Energie sowie die Finanzzentren und auch der Reiseverkehr müssen als besonders gefährdet gelten. In einem solchen Szenario der Nadelstiche, wie es in der Gemeinschaftsdiagnose der Forschungsinstitute im Herbst 2001 genannt wurde1, steigen, ökonomisch betrachtet, die Transaktionskosten infolge erhöhter Unsicherheit. Dies bedeutet nichts anderes, als dass Handelsvorgänge, die vor den Anschlägen noch als rentabel angesehen wurden, es nachher nicht mehr sind, weil nunmehr Risiken, die aus potentiellen Anschlägen resultieren, bei der Kalkulation – z. B. in Form höherer Sicherheitsaufwendungen – in Rechnung gestellt werden müssen. In der Konsequenz führt dies zu einem verminderten Transaktionsvolumen, also zu einer Belastung der Wirtschaft mit entsprechend negativen Folgen auch für die Börsennotierungen. Wie bedeutsam diese Überlegungen sind, zeigte sich in dem kräftigen globalen Aufschwung, der Ende 2003 einsetzte, als die Rohstoffpreise nicht nur ungewöhnlich stark anstiegen, sondern auch sehr volatil waren. Die Rohstoffmärkte reagierten auf jede Meldung über Anschläge z. B. auf Pipelines im Irak mit hektischen Kurssprüngen. Der zweite Grund für die ungewöhnlich lange Schwächephase lag prima facie im Fehlverhalten in einzelnen Unternehmen begründet. Buchungstricks erschütterten das Vertrauen der Anleger und sorgten für weitere Verkäufe an der Börse, und damit setzten sich die von fallenden Kursen ausgehenden Belastungen fort. Man könnte diese Vorgänge
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als schlimmstenfalls spektakuläre Einzelfälle abtun, wenn sie nicht – wie Stieglitz zu Recht bemerkt – Ausfluss einer bestimmten ökonomischen Philosophie wären. Nährboden solch schädlichen Verhaltens war die weitverbreitete Abneigung gegen Regulierungsvorschriften für Finanzmärkte nicht zuletzt in den USA, die Managern Spielräume eröffneten, die in kritischen Phasen auch zum Schlechten genutzt wurden. Im Ergebnis hatte dies einen massiven Vertrauensverlust der Börsenanleger zur Folge, der sich in weiter rückläufigen Kursnotierungen niederschlug. Dabei wurde Finanzkapital drastisch entwertet und die Neigung, Investitionen durch Emission neuer Aktien zu finanzieren, ließ spürbar nach. Diese Finanzierungsform scheiterte mangels Anleger. Das Investitionsklima blieb daher trotz der expansiven Geldpolitik gedrückt. Vielfach wurde aus diesen Befunden bereits auf eine generelle Unwirksamkeit von konjunkturstabilisierender Wirtschaftspolitik geschlossen. Die genauere Betrachtung einzelner Länder legt freilich einen anderen Schluss nahe.
3.2 Gute Beispiele – schlechte Beispiele Im Folgenden sollen die Volkswirtschaften einzelner Länder in der Stagnation betrachtet werden. Von besonderem Interesse ist, ob die globalen Schocks, die die einzelnen Volkswirtschaften zunächst in ähnlicher Weise trafen, von diesen auch in ähnlicher Weise weiterverarbeitet wurden. Dies soll auch hier zunächst an der Entwicklung des BIP festgemacht werden. Dabei wird die Entwicklung vom Höhepunkt des Booms, das ist hier das Quartal mit dem höchsten Wachstumstempo des BIP im jüngsten Zyklus, an dargestellt. An den Ergebnissen lassen sich die Wachstumseinbußen im Zuge der Schwäche erkennen. Auch wird deutlich, ab wann sich eine Volkswirtschaft wieder erholt hat und auf einen Wachstumskurs zurückgekehrt ist. Dabei kann das Wachs-
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3.2 Gute Beispiele – schlechte Beispiele
tum zunächst durchaus noch positiv sein, allerdings hat dann das Wachstumstempo abgenommen und die Wachstumsrate ist niedriger als zuvor. Anhand dieser Wachstumsentwicklung lassen sich gute und schlechte Beispiele finden. Betrachtet man in einem ersten Schritt die größeren Industrieländer und den Euroraum, lässt sich feststellen, dass Japan, das sich ohnehin schon in einer langwierigen Krise mit Stagnation und Deflation befand, am härtesten von dem 112 110 108 106 104 102
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Abb. 3-5: BIP: Höhepunkte des Booms = 100
Einbruch betroffen war. Allerdings zeigen sich gerade in Japan in jüngster Zeit sehr deutliche Erholungstendenzen, die den Abstand zu den übrigen hier betrachteten Volkswirtschaften zunehmend verringern. Bemerkenswert ist der Vergleich zwischen den USA auf der einen Seite und dem Euroraum und Deutschland auf der anderen Seite. Anfänglich waren die Wachstumsverluste in den USA merklich größer als im Euroraum und auch als in Deutschland. Dies ist insofern erstaunlich, als der konjunkturelle Höhepunkt im Euroraum und in Deutschland sogar ein Quartal vor dem der USA lag. Das heißt, die oben angesprochenen Bremswirkungen setzten in den USA später, dafür allerdings umso heftiger ein. Erst gut zwei Jahre nach Beginn der Abschwächung, also Ende 2001 setzte in den USA eine leichte Erholung ein, während im Euroraum die Stagnation noch mehr oder minder anhielt und sich in Deutschland sogar noch verfestigte. Das zunächst noch zaghafte Wachstum in den USA beschleunigte sich im Laufe der Zeit immer mehr und ging im Jahr 2003 in einen veritablen Aufschwung über. Dies führte dazu, dass mittlerweile die Wachstumsverluste in den USA, die durch die globalen Belastungen verursacht wurden, ausgeglichen sind und zudem die amerikanische Volkswirtschaft erneut, nach
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3.2 Gute Beispiele – schlechte Beispiele
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dem Boom in den 90er Jahren, wieder einmal wesentlich günstiger dasteht als die des Euroraums und insbesondere Deutschlands. Im Euroraum, der ja maßgeblich von der Entwicklung in Deutschland geprägt wird, war das Wachstum bis 2004 schwach. Dabei war in Deutschland ein fast durchgängiges Nullwachstum zu verzeichnen. Hier war bis Ende 2003 noch kein durchgreifendes Ende der Stagnation zu sehen, auch wenn die Wachstumsraten wieder leicht positiv wurden. Erst Anfang 2004 beschleunigte sich das Wachstum leicht und eine Erholung setzte zaghaft ein. Das zeigt, dass Deutschland im Euroraum zu den schlechten Beispielen gehört. Wobei der Euroraum insgesamt auch nicht zu den guten gezählt werden kann, sondern nicht zuletzt unter dem Einfluss Deutschlands eher mittelmäßig abschneidet. Richtet man den Blick auf eher mittlere Volkswirtschaften in Europa, bestätigt sich dieser Eindruck. Deutschland und Italien schneiden hier relativ schwach ab, während Frankreich und vor allem Großbritannien ein deutlich besseres Wachstumsergebnis erzielen. In Großbritannien, nicht Mitglied der Währungsunion, zeigten sich sogar kaum Anzeichen einer Schwäche. Die britische Wirtschaft hörte im betrachteten Zeitraum nie auf, zu wachsen. Zwar fielen die Raten etwas niedriger aus als zuvor, aber Anzeichen einer Stagnation waren hier nicht zu erkennen. In Frankreich setzte die Schwäche im Jahre 2002 deutlich später ein als in Deutschland. Bis Ende 2003 hat aber auch die französische Wirtschaft kaum noch expandiert. Wie in Deutschland setzten hier erst 2004, allerdings dann sehr kräftige Erholungstendenzen ein, so dass Frankreich insgesamt spürbar weniger betroffen war. In Italien verlief die Entwicklung fast parallel zu der in Deutschland, auch dieses Land gehört zu den schlechten Beispielen. Im Vergleich mit den kleineren Volkswirtschaften wird der Befund noch deutlicher. In Spanien ist noch weniger als in Großbritannien etwas von der Schwäche zu sehen. Hier
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sind die Wachstumsraten im Vergleich zu 2000 kaum zurückgegangen. Faktisch fand die Schwäche hier gar nicht statt. Die niederländische Wirtschaft schien zunächst ähnlich wie die französische nur wenig von der allgemeinen Abkühlung betroffen zu sein. Aber auch hier zeigten sich ab 2001 zuerst stagnative und dann sogar rezessive Tendenzen. In Österreich ergibt sich eher das gegenteilige Bild. Zunächst ein zu Deutschland und Italien paralleler Verlauf und dann aber eine raschere Erholung. Insgesamt nimmt Deutschland unter all den aufgeführten Ländern einen Platz am unteren Ende vor Italien und Japan ein, wobei Japan zuletzt stark aufholte. Am oberen Ende befinden sich Spanien, die USA und Großbritannien. In Spanien und in Großbritannien gab es kaum Zeichen einer Schwäche. Wenn sich auch das Wachstumstempo etwas verringerte, war doch nicht einmal annähernd eine Stagnation oder gar eine Rezession zu verzeichnen. In den USA gab es sie dagegen sogar in erheblichem Ausmaß. Der Einbruch wurde jedoch im Vergleich zu den anderen Ländern schneller und sehr kraftvoll überwunden. Die entscheidende Frage, der in diesem Buch nachgegangen werden soll, ist: Warum haben die einzelnen Volkswirtschaften die an sich nicht sehr unterschiedlichen Schocks so unterschiedlich verarbeitet? Was zeichnet die guten und was die schlechten Beispiele aus? Dies soll zunächst anhand der einzelnen Komponenten des BIP im internationalen Vergleich betrachtet werden, bevor dann die Länder im Einzelnen genauer analysiert werden sollen.
3.3 Stabilisierender Konsum Betrachtet man die in der Schwäche relativ erfolgreichen Länder, zeigt sich, dass insbesondere deren Konsumentwicklung deutlich über der jener Länder lag, die erheblich größere Probleme aufwiesen. So kam es weder in den USA
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3.3 Stabilisierender Konsum
noch in Großbritannien oder in Spanien im Verlauf der Abschwächung zu einem Rückgang des privaten Verbrauchs. Im Gegenteil, er expandierte in diesen Ländern teilweise sogar recht kräftig. In den USA lag er am Ende der Schwäche um gut 15% über Niveau zu deren Beginn. In Großbritannien und in Spanien liegen die entsprechenden Werte nur unwesentlich darunter. Damit hat der Konsum in diesen Ländern eine bedeutsame Stabilisierungsfunktion ausgeübt, die die wirtschaftliche Schwäche dort merklich begrenzt hat. Gerade in den beiden zuletzt genannten verhinderte die kräftige Verbrauchsentwicklung ein Abgleiten in eine nennenswerte konjunkturelle Schwäche. Schließlich ist der private Verbrauch die quantitativ wichtigste Komponente des BIP. Hier fließt also der größte Anteil der Wertschöpfung hin; es sind in der Regel mindestens 60%. Insofern ist es aus makroökonomischer Sicht sehr wichtig, dass von dieser Größe keine destabilisierende Wirkung ausgeht, sondern, im Gegenteil, die gesamtwirtschaftliche Expansion gestützt wird. Wie wichtig dies ist, zeigt sich am Beispiel jener Länder, deren wirtschaftliche Performance in dieser Zeit deutlich schlechter war. Hier war die Konsumentwicklung merklich schwächer, wobei es allerdings noch 120
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Abb. 3-7: Realer privater Konsum: Höhepunkte des Booms = 100
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erhebliche Unterschiede zwischen den einzelnen Ländern gab. In Österreich war der Verbrauch immerhin noch spürbar ausgeweitet worden. Dagegen lag in Deutschland das Niveau am Ende des Einbruchs kaum über dem des Beginns; er stagnierte also. Bemerkenswert ist dabei auch der sehr unterschiedliche Verlauf der Konsumentwicklung in der Schwächephase. Außer in Deutschland stand am Beginn der Schwäche nirgends
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3.4 Der Investitionseinbruch
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ein Rückgang des privaten Verbrauchs. In der Regel blieb er zunächst überall aufwärts gerichtet. Nur in Japan setzte sich die bereits vorher herrschende Stagnation zunächst fort. Erst im weiteren Verlauf trübte sich in einzelnen Ländern vor allem in Italien und den Niederlanden, die Konsumbereitschaft etwas ein. Es kam zeitweilig sogar zu einem Rückgang der Verbrauchsgüterkäufe. Dies zeigt, dass außer in Deutschland keine Konsumflaute als Ursache für die schwache Konjunktur angeführt werden kann. Im Gegenteil, ohne deren stabilisierende Wirkung wäre sie in vielen Ländern noch deutlich gravierender gewesen. Dieser Befund wirft mehrere Fragen auf. Zum einen ergibt sich aus dem lustlosen Verlauf der Konsumentwicklung in Deutschland ein spezifischer Konjunkturverlauf mit einer insgesamt besonders ausgeprägten Schwäche, der so in keinem der anderen Länder anzutreffen ist. Warum also ist der Konsum in Deutschland nicht nur absolut, sondern auch im internationalen Vergleich so schwach? Zum Zweiten zeigt sich, dass in einigen anderen Ländern wie den USA, Großbritannien und Spanien eine geradezu belebende Wirkung vom privaten Verbrauch ausging. Wieso reagierten hier die Konsumenten auf die anfänglich gleichartigen Schocks so anders? Eine umfassende Analyse der jüngsten Schwäche muss diese Fragen beantworten. Bevor dies aber geschieht, sollen anhand der übrigen Komponenten des BIP die Unterschiede zwischen den verschiedenen Volkswirtschaften noch präziser herausgearbeitet werden.
3.4 Der Investitionseinbruch Der Einbruch der Investitionen kam in den meisten Volkswirtschaften mit einer deutlichen Verzögerung auf die allgemeine Abschwächung. Nur in Japan, in Großbritannien und in den Niederlanden zeigten sich mit dem schwächeren BIP auch bei den Investitionen deutliche Abschwächungs-
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tendenzen. In diesen Ländern war also ein gleichsam »klassischer« Abschwung, der bei den Investitionen beginnt, zu beobachten. In Japan ist dies aber noch im Kontext der dort schon seit den 90er Jahren anhaltenden Stagnation zu sehen. Der Investitionsrückgang verschärfte hier eine ohnehin zähe Krise. In Großbritannien und den Niederlanden markierte er hingegen das Ende einer teilweise stürmischen Aufwärtsentwicklung.
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In den übrigen Ländern stellt sich die Situation zum Teil gänzlich anders dar. Hier kam der Einbruch erheblich später. Die Wachstumsraten des BIP gingen in den meisten Ländern schon im Laufe des Jahres 1999 zurück, die Investitionen zogen aber in der Regel erst Ende 2000 nach. Diese Verzögerung ist vor allem mit der oben dargestellten langsamen Wirkung der Geldpolitik zu erklären. Zudem setzten auch dann erst die dämpfenden Nachwirkungen des Börsencrashs ein. Dabei waren die Folgen in den einzelnen Ländern durchaus unterschiedlich. In Frankreich und Italien sanken die Investitionen nur schwach, in der Tendenz stagnierten sie eher. Am stärksten ausgeprägt war der Investitionsrückgang in Deutschland, den Niederlanden und in Japan. Während in den zuletzt genannten Ländern eine klassische Konjunkturkrise bzw. eine lang anhaltende Stagnation eine Rolle spielten, überrascht diese ausgeprägte Schwäche der Investitionen in Deutschland. Schließlich waren die negativen Impulse durch den Rückgang der Börsenkurse und die geldpolitische Straffung hier nicht um so viel stärker als in den USA oder gar in den anderen Ländern der Europäischen
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Währungsunion, wo doch die gleiche Geldpolitik durchgeführt wurde. Eine solche Entwicklung wie in Deutschland, das damit – wie der Konsum – auch weit hinter der Entwicklung in der Eurozone zurückblieb, ist ansatzweise nur in Österreich zu sehen, wobei hier wesentlich früher eine merkliche Erholung einsetzte. Darin ähnelt Österreich den USA, wo die Investitionen zunächst ähnlich rückläufig waren wie in Deutschland. Aber auch hier setzte wesentlich rascher Besserung ein, so dass das Niveau der Investitionstätigkeit mittlerweile wieder über dem vom Höhepunkt des vorangegangenen Booms liegt. In anderen Ländern ist überhaupt keine Investitionsschwäche zu bemerken. In Spanien blieben sie nahezu ununterbrochen aufwärts gerichtet und auch in Großbritannien ist nach der anfänglichen Schwäche wieder eine deutliche Dynamik zu verzeichnen. Diese Unterschiede im Investitionsverhalten rufen gleichfalls einige wichtige Fragen für das Verständnis der jüngsten Konjunkturschwäche hervor. Es ist zu klären, warum auch bei diesem Aggregat in Deutschland die Erholung nicht nur im internationalen Vergleich, sondern auch innerhalb der Eurozone so lange auf sich warten ließ. Und warum dagegen in den USA und Großbritannien trotz zumindest anfänglicher Schwäche diese Erholung dann auch einsetzte.
3.5 Lahmende Exporte Dass sich die weltwirtschaftliche Abschwächung letztlich in den Exporten zeigen musste, ist offenkundig. Aber auch bei dieser Größe zeigen sich in den einzelnen Ländern durchaus unterschiedliche Verlaufsmuster, die Divergenzen für den Konjunkturverlauf implizieren. In den meisten Ländern, darunter Deutschland, schwächelte der Export. Zeitweise war er leicht rückläufig, zeitweise stagnierte er oder nahm allenfalls leicht zu. Er ist damit im Wesentlichen ein Spiegelbild der Konjunkturentwicklung in den betrachteten Ländern.
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3.5 Lahmende Exporte
Von diesem gemischten Bild hoben sich aber einige Volkswirtschaften deutlich ab. In den USA kann man geradezu von einem Exporteinbruch sprechen, der etwa ein Jahr nach dem Höhepunkt des Booms einsetzte und von dem sich die amerikanische Wirtschaft bis heute noch nicht erholt hat. Damit muss die Schwäche der amerikanischen Wirtschaft auch außenwirtschaftlich gesehen werden. Von hier kamen spürbar negative Impulse für die Binnenwirt120 USA II/2001 Japan II/2002
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schaft. Ganz anders als für die USA stellt sich die Lage in Österreich, einer kleinen offenen Volkswirtschaft des Euroraums, dar. Hier war die Ausfuhrentwicklung trotz weltweiter Schwäche fast durchweg deutlich positiv. Damit stabilisierte der Export die österreichische Wirtschaft in dieser Phase im Unterschied zu Deutschland ganz erheblich.2 Deutschland schneidet im Vergleich mit den anderen größeren Ländern des Euroraums relativ gut ab. Hier war auch nie ein Einbruch von der Dimension wie in den USA festzustellen. Insbesondere in jüngster Zeit hat sich die Ausfuhrdynamik in Deutschland fast explosionsartig belebt und hebt sich damit positiv z. B. von der in Frankreich ab. Dieser Befund steht ganz im Gegensatz zu denen über die binnenwirtschaftlichen Aggregate. Außenwirtschaftlich schneidet Deutschland im internationalen Vergleich eben sehr gut ab. Um die Divergenzen in der Exportperformance zu verstehen, ist auch zu klären, warum sich die Exporte gerade von Österreich so positiv entwickelten, während sie sich in einem anderen kleinen Land der Währungsunion, den Niederlanden, relativ verhalten zeigten. Schließlich ist auch die in diesem Zeitraum schwache Performance der USA auf den Weltmärkten zu analysieren.
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3.6 Deutschland – ein Trauerfall?
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All dies kann nur im Kontext mit gesamtwirtschaftlichen Schlüsselgrößen wie Inflation, Lohn- und Einkommensentwicklung geschehen. Ferner sind die internationale Wettbewerbsfähigkeit sowie die geld- und finanzpolitischen Maßnahmen während der konjunkturellen Schwäche von großem Belang. In den folgenden Abschnitten sollen die wirtschaftliche Entwicklung, die unterschiedlichen Reaktionen hierauf und die unterschiedlichen Ergebnisse am Beispiel einzelner Länder aufgezeigt werden.
3.6 Deutschland – ein Trauerfall? Die Zahlen sprechen eine eindeutige Sprache: Deutschland hat die globalen Schocks zusammen mit Japan und Italien am schlechtesten verkraftet. Die Frage ist: Warum, was ist schief gelaufen in Deutschland? Eine Analyse der Entwicklung in Deutschland kommt dabei nicht an einem wichtigen Bereich vorbei, der im Mittelpunkt zahlreicher Kontroversen steht, der Lohnpolitik. Sie ist deshalb bedeutsam, weil hier der Kern für die Fehlentwicklungen in Deutschland zu sehen ist, die die Wirtschaft in den vergangenen Jahren enorm belastet haben und auch weiter zu belasten drohen. Dieser Aussage werden sicherlich die meisten Ökonomen zustimmen, allerdings aus kontroversen Gründen. Die überwiegende Mehrzahl wird den Kern der Probleme in zu hohen Lohnabschlüssen sehen, die nicht angemessen auf die hohe Arbeitslosigkeit reagiert hätten. Hier sollen hingegen zunächst Indizien für das Gegenteil angeführt werden, die in einem der folgenden Kapitel noch präzisiert werden sollen. Dabei sollten zunächst einmal einige wichtige Begrifflichkeiten der Lohnpolitik erläutert werden, die in den Debatten einerseits eine wichtige Rolle spielen, andererseits aber häufig nicht klar genug voneinander unterschieden werden.
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3 Die zähe Stagnation
Ausgangspunkt ist die Tariflohnentwicklung. Die Tarifparteien treffen Vereinbarungen über die von den Unternehmen zu zahlenden Löhne und dies sind die Tariflöhne. Deren Zuwächse sind in der Regel der Kern von Analysen zur Lohnentwicklung. Die Zuwächse der tatsächlich oder effektiv gezahlten Löhne und Gehälter können aber von den Tariflöhnen sowohl nach oben als auch nach unten abweichen. Dies ist die sog. Lohndrift. Unternehmen haben in der Vergangenheit durchaus häufig höhere Lohnzuwächse gezahlt, als tariflich vereinbart, z. B. weil sie besonders erfolgreich waren. In jüngster Zeit hat dagegen eine Trendwende stattgefunden. Die Lohndrift ist überaus negativ geworden, da die Unternehmen immer mehr dazu tendieren, übertarifliche Leistungen abzubauen, geringfügig Beschäftigte mit besonders niedrigen Stundenlöhnen einzustellen oder gar im Zuge von Öffnungsklauseln die Tariflöhne zu unterschreiten. Im Ergebnis lagen seit 2002 die Zuwachsraten für die Effektivlöhne zum Teil deutlich unter denen der Tariflöhne. Die Effektivlöhne enthalten allerdings noch nicht sämtliche Kosten des Faktors Arbeit, denn hierzu gehören auch die Sozialabgaben, die die Arbeitgeber leisten müssen. Berücksichtig man diese gemeinsam mit den Effektivlöhnen, erhält man die Arbeitskosten. Deren Veränderung zeigt die Veränderung der gesamten Arbeitskosten für die Unternehmen an und ist daher die Größe, die für die Beurteilung der Lohnentwicklung von großer Bedeutung ist, da auf ihr die Beschäftigungsentscheidungen der Unternehmen beruhen. Neben diesen reinen Lohn- und Arbeitskostenindikatoren sind aber abgeleitete Größen von Bedeutung, die die Beschäftigungs- bzw. Inflationswirkung der Lohnentwicklung erfassen. Ersteres geschieht durch die Reallöhne, die die entsprechenden Lohnindikatoren in Relation zur Inflationsentwicklung setzen. An dieser Größe lassen sich Kosten von einer Arbeitseinheit in Relation zu ihrem Ertrag in Form von Preisen auf den Gütermärkten ablesen. Je höher die Re-
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3.6 Deutschland – ein Trauerfall?
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allöhne bzw. je stärker sie zunehmen, desto geringer sind die Erträge bzw. deren Zuwächse aus dem Einsatz von Arbeit. Wenn alle sonstigen Rahmenbedingungen gleich bleiben, würde dies die Nachfrage nach Arbeit seitens der Unternehmen verringern. Die Einschränkung ist bedeutsam. Denn Löhne sind nicht nur Kosten für die Unternehmen, sondern auch Komponente des Einkommens für die Arbeitnehmer. Daher ist nicht zwangsläufig zu erwarten, dass die Nachfrage nach Produkten gleich bleibt, wenn sich die Löhne auf breiter Front verändern. Es sei denn, dieser Nachfrageausfall wird z. B. durch das Ausland ausgeglichen. Damit sind die Beschäftigungswirkungen nicht mehr so eindeutig. Die Gründe hierfür lassen sich leicht erklären. Aus gesamtwirtschaftlicher Sicht signalisieren steigende Reallöhne demnach zwar für die Unternehmen für sich genommen eine sinkende Rentabilität des Faktors Arbeit. Zugleich bedeuten diese höheren Reallöhne aber auch eine gestiegene Kaufkraft für die privaten Haushalte. Sie beeinflussen folglich die Nachfrage nach den Produkten der Unternehmen positiv und erhöhen somit letztlich deren Gewinne. Der Gesamteffekt ist a priori unklar. Neben der Beschäftigungswirkung zeigen Lohnänderungen in der Regel aber auch Inflationswirkungen. Voraussetzung ist, dass keine im idealtypischen Sinn vollständige Konkurrenz auf den Märkten herrscht. Dies wäre der Fall, wenn der Wettbewerb so intensiv ist, dass ein einzelnes Unternehmen keinen Einfluss auf die Preisgestaltung besitzt. Für einzelne Märkte mag dies nicht auszuschließen sein, der Regelfall ist jedoch, dass Unternehmen einen gewissen Einfluss auf die Preise der für sie relevanten Märkte aufweisen. Könnten sie die Preise allein gestalten, besäßen sie ein Monopol – auch dies ein eher seltener Fall. In der Regel ist die Mischform der monopolistischen Konkurrenz mit einer begrenzten Marktmacht vorherrschend. Dann aber versucht ein Unternehmen, höhere Löhne zum Teil – nämlich entsprechend seiner Marktmacht – auf die Preise zu über-
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wälzen. Geschieht dies wiederum auf breiter Front, führen Lohnerhöhungen zu Preissteigerungen. Allerdings geschieht dies nicht unter allen Umständen. Würden die Lohnerhöhungen von Steigerungen der Leistungsfähigkeit der Beschäftigten begleitet, dann könnten die Unternehmen die höheren Löhne bei unveränderten Gewinnen verkraften, ohne dass sie die Preise anheben. In diesem Fall wären die Lohnsteigerungen inflationsneutral. Ob dieser Fall gegeben ist, lässt sich anhand der Lohnstückkosten entwicklung ablesen, die die Relation zwischen der Lohn- und der Produktivitätsentwicklung aufzeigt. Steigende Lohnstückkosten sind also ein Impuls für Preisanhebungen. Ist dieser Impuls stärker, als mit dem Inflationsziel der Zentralbank vereinbar, kann die Lohnentwicklung nicht mehr als stabilitätsgerecht angesehen werden. Hält eine solche Tendenz an, muss die Zentralbank mit Zinserhöhungen einschreiten. In der öffentlichen Debatte wird vielfach der Eindruck erweckt, als seien die zu hohen Lohnkosten der Kern der deutschen Misere.3 Es zeigt sich, dass die Zuwächse bei den Arbeitskosten je Stunde noch in keiner Schwächephase so niedrig waren wie in der jüngsten Zeit. Es ist im Unterschied zu früheren Rezessionen im betrachteten Zeitraum kaum noch zu Steigerungen der Arbeitskosten gekommen. Noch Mitte der 70er Jahre während der ersten Ölpreiskrise stiegen die Lohnkosten im Zeitraum von bis zu drei Jahren nach Beginn der Schwäche um über 25%. Auch in den späteren Krisen lagen die entsprechenden Werte deutlich über 10%. Zuletzt war nur noch eine Zunahme von knapp 5% zu verzeichnen. Hier ist also jüngst eine außerordentliche Zurückhaltung zu beobachten. Schaut man jedoch auf die Entwicklung der realen Arbeitskosten, entsteht ein etwas anderes Bild. Diese sind in allen Schwächephasen gesunken, da die Lohnzuwächse mit steigender Arbeitslosigkeit hinter der Inflationsentwicklung zurückblieben. Dies war auch in der jüngsten Schwäche –
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sogar etwas stärker ausgeprägt als früher – so. Nur in den 80er Jahren war eine ähnliche Konstellation zu verzeichnen. Allerdings waren jüngst sowohl die Nominallohnzuwächse als auch die Inflationsrate erheblich niedriger. 106
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Saisonbereinigt; bis 1990: Westdeutschland (BV4), ab 1991: Deutschland (X12-Arima). Quellen: Statistisches Bundesamt; Berechnungen des DIW Berlin.
Abb. 3-15: Konjunkturelle Abschwungphasen in Deutschland Realwert der Arbeitsentgelte Index: Quartal des jeweiligen BIP-Höhepunktes = 100
Die Erklärung für diesen auf den ersten Blick überraschenden Befund ist in der Inflationsentwicklung zu suchen. Während frühere Abschwünge mit zwar nachgebenden, aber immer noch relativ hohen Inflationsraten verbunden waren, gab es in 2000 und den Folgejahren vor allem im Vergleich mit früheren Ölpreiskrisen nur relativ schwache Preissteigerungen. Dadurch wurde selbst die relativ zurückhaltende Zunahme der nominalen Lohnkosten mehr als kompensiert. Die entscheidende Frage ist, wie eigentlich diese niedrige Inflationsrate zustande kommt. Sie ist schließlich auch im internationalen Vergleich sehr niedrig und liegt sogar etwa einen Prozentpunkt unterhalb des Durchschnitts für den gesamten Euroraum. Allein in Japan mit seinen De-
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flationstendenzen waren niedrigere Preissteigerungen zu verzeichnen. Im Prinzip können mehrere Faktoren wie die Aufwertung oder ein beschleunigtes Produktivitätswachstum eine Rolle spielen. Letztlich sind aber die Impulse aus der Lohnentwicklung maßgeblich, zumal es bis zum Herbst 2000 eher eine Abwertung des Euro gab und sich das Produktivitätswachstum sogar tendenziell verlangsamt hat. Dies wird denn auch deutlich, wenn man sich die Lohnstückkostenentwicklung anschaut. Auch diese sind im Gegensatz zu früher im Verlauf der Stagnation kaum gestiegen. Das bedeutet, von den Löhnen ging ein Impuls in Richtung sehr niedriger Inflation aus. Und genau dies ist eingetreten. Nun sind niedrige Inflationsraten per se nichts Schlechtes. Im Gegenteil, man könnte auf den ersten Blick sogar meinen, dass nur Gutes hiermit verbunden ist. Zum einen wird eine hohe Geldwertstabilität erreicht und damit, für sich genommen, die Kaufkraft der privaten Haushalte gestärkt. Außerdem erscheint es geradezu außerordentlich 116 114 112 1974 I - 1976 IV 110 108
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Abb. 3-16: Lohnstückkosten Konjunkturelle Abschwungphasen in Deutschland Index: Quartal des jeweiligen BIP-Höhepunktes = 100
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vorteilhaft, dass die Inflation im Inland deutlich niedriger ist als im Ausland. Schließlich steigert dies die preisliche Wettbewerbsfähigkeit von Exporten aus Deutschland und erhöht Wachstum und Beschäftigung. Dies ist gerade im Euroraum von besonders durchschlagender Wirkung, da hier keine Wechselkursreaktion diese Preisvorteile durch eine Aufwertung der deutschen Währung wieder zunichte macht. All diese Argumente stellen die positive Seite niedriger Inflationsraten dar. Es gibt allerdings auch eine nicht zu vernachlässigende Kehrseite. Dabei wenden sich die Vorteile des gemeinsamen Währungsraums in einen Nachteil. Zunächst einmal ist festzustellen, dass die Kaufkraft in Deutschland in der jüngsten Schwäche trotz der niedrigen Inflationsraten nicht zugenommen hat. Nimmt man die realen Arbeitsentgelte als Maßstab, ist sie sogar rückläufig (siehe Abb. 3-15). Vergleicht man diese mit früheren Schwächephasen, war dies lediglich Anfang der 80er Jahre auch der Fall. Nimmt man die besser geeigneten, aber im internationalen Vergleich leider nicht immer vorliegenden realen verfügbaren Einkommen als Grundlage, die auch die Sozialtransfers und die steuerlichen Veränderungen berücksichtigen, sieht das Bild etwas günstiger aus. Diese Größe war zwar nicht rückläufig, sondern stagnierte im entsprechenden Zeitraum. Steuererleichterungen und Transfers aus den Sozialsystemen haben also zu einer Stabilisierung der Einkommen der privaten Haushalte geführt. Doch auch dies ist im Vergleich der Zyklen ein schlechtes Resultat – wiederum nur dem zu Beginn der 80er Jahre ähnlich. In früheren und auch späteren Zyklen stieg das verfügbare Einkommen nach dem konjunkturellen Einbruch deutlich rascher an und führte dabei die Wirtschaft in eine Erholung. Die Finanzpolitik trug dabei nur relativ wenig zur Stabilisierung der Einkommen bei. Im Jahr 2000, dem Beginn der konjunkturellen Eintrübung, betrug das gesamtstaatliche Defizit 1,2% vom BIP4; in 2003 lag der entsprechende Wert bei 3,9%. Dies bedeutet einen Swing in der Haushaltsposi-
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Saisonbereinigt; bis 1990: Westdeutschland (BV4), ab 1991: Deutschland (X12-Arima). Quellen: Statistisches Bundesamt; Berechnungen des DIW Berlin.
Abb. 3-17: Reales verfügbares Einkommen Konjunkturelle Abschwungphasen in Deutschland Index: Quartal des jeweiligen BIP-Höhepunktes = 100
tion von 2,7 Prozentpunkten vom BIP. In den USA war dieser – wie im folgenden Abschnitt ausgeführt werden wird – nahezu doppelt so hoch. Diese vergleichsweise negative Entwicklung der Realeinkommen in Deutschland ist vor allem deshalb bemerkenswert, weil die Inflationsraten in früheren Konjunkturtiefs zum Teil deutlich höher waren und für sich genommen die Kaufkraft also stärker schwächten. In den USA war eine solche Schwäche der verfügbaren Einkommen nicht einmal ansatzweise zu beobachten, auch wenn sich die Arbeitsentgelte zunächst schwach entwickelten. Hier sorgten, anders als in Deutschland, zum Teil massive Steuererleichterungen trotz der schlechten wirtschaftlichen Lage für weiter steigende Realeinkommen bei sogar etwas höheren Inflationsraten. Mithin ist das Argument, die niedrige Inflationsrate in Deutschland würde letztlich zu einer höheren Kaufkraft führen, fragwürdig. Das gilt insbesondere, wenn man den folgenden Zusammenhang bedenkt.
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Im Euroraum ist das Zinsniveau in allen Mitgliedstaaten fast gleich. Bei länger währenden Inflationsunterschieden ergeben sich dann aber auch Unterschiede in den Realzinsen. Realzinsen errechnen sich aus dem Verhältnis von Zinsen und den Inflationserwartungen. Diese Größe ist wichtig, weil sie Investoren anzeigt, wie viel sie auf der einen Seite für die Finanzierung ihrer Kredite an Zinsen zu zahlen haben und welche Preise sie auf der anderen Seite für ihre Produkte erzielen werden. Ein hoher Realzins zeigt demnach für sie einen verminderten Anreiz für Investitionen an, denn das Verhältnis von Finanzierungskosten und zu erzielenden Preisen ist aus Sicht der Unternehmen relativ ungünstig. Hohe Realzinsen bedeuten also, für sich genommen, eine schwache Investitionstätigkeit. Aber auch der Konsum wird tendenziell beeinträchtigt. Denn hohe Realzinsen zeigen den privaten Haushalten, dass sie für gespartes Einkommen relativ hohe Erträge erzielen können und die Konsumgüter bei niedrigen Inflationserwartungen vergleichsweise günstig bleiben. Also wird unter diesen Umständen auch der Konsum schwach sein. Sind also – wie geschehen – die Preissteigerungen in Deutschland über einen längeren Zeitraum spürbar geringer als in den übrigen Staaten des Euroraums, fließt dies auch in die Erwartungen über die Inflation ein. Dann sind auch die Realzinsen entsprechend höher. Mithin ist es nicht erstaunlich, wenn aus diesem Grund Investitionen und Konsum in Deutschland im europäischen Vergleich zurückbleiben. Entscheidend ist nun, welcher der beiden Effekte der relativ niedrigen Inflationsrate – die verbesserte Wettbewerbsfähigkeit oder die erhöhten Realzinsen – dominiert. Auf diese Frage gibt es keine generell eindeutige Antwort. Bestimmte Rahmenbedingungen sind hier maßgeblich. So spielt es eine Rolle, ob es sich um eine relativ große Volkswirtschaft mit einem für die Wertschöpfung vergleichsweise bedeutenden Binnenmarkt und einem eher niedrigen Anteil des Außenhandels handelt oder um eine kleine Volkswirt-
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Bis 1998 nationaler Dreimonatszins. Ab 1999 EURIBOR-Dreimonatsgeld. Deflationiert mit dem Verbraucherpreisindex.
Abb. 3-18: Kurzfristige Realzinsen Konjunkturelle Abschwungphasen in Deutschland
schaft, bei der der Außenhandel eine überragende Rolle spielt. Im ersten Fall dominiert kurzfristig der negative binnenwirtschaftliche Zinseffekt. Auf längere Sicht, da der Gewinn bzw. der Verlust von Marktanteilen verzögert geschieht, gewinnt der positive Wettbewerbseffekt jedoch an Bedeutung, ohne dass es aber zu einer vollständigen Kompensation des Wachstumsverlustes kommt. Anders sieht es bei kleinen Volkswirtschaften aus. Hier dominiert der positive Wettbewerbseffekt von Anfang an. Deutschland fällt nun eindeutig in die erste Kategorie. Insofern ist die Wirkung relativ niedriger Inflationsraten zumindest anfänglich eindeutig negativ. Dies zeigt auch, dass bei einem einheitlichen Inflationsziel Inflationsdivergenzen nicht unbedingt unproblematisch sind. Sie können in einer Währungsunion zumindest kurzfristig spürbare Disparitäten in der wirtschaftlichen Entwicklung erzeugen. Deshalb ist es fragwürdig, wenn einzelne Mitgliedstaaten sich offenkundig nicht an dem gemeinsamen Inflationsziel orientieren
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und es anderen Volkswirtschaften überlassen, die gesamtwirtschaftliche Preisstabilität auf europäischer Ebene zu gewährleisten. Eine solche Ausrichtung würde auch implizieren, dass die Lohnentwicklung in den einzelnen Mitgliedstaaten dem europäischen gesamtwirtschaftlichen Inflationsziel Rechnung trägt. Dies ist bisher aber allenfalls in rudimentärer Weise der Fall. Auf dieses Problem soll später noch ausführlicher eingegangen werden. Die aus der Einkommensschwäche resultierende Konsumschwäche wurde durch eine erhöhte Sparneigung verstärkt. Das ist umso bemerkenswerter, als in den 90er Jahren ein deutlicher Trend in Richtung abnehmender Sparneigung zu beobachten war, der sich allerdings schon vor Beginn der konjunkturellen Abkühlung, Ende 1999, drehte. Es handelt sich also nicht nur um das schon von früheren Einbrüchen her bekannte »Angstsparen«, das sich in der Regel nur in einem sehr kurzfristigen Anstieg (ein bis zwei Quartale) der Sparquote zeigt, der sich dann rasch wieder zurückbildet. Dieses Sparen resultiert aus Ängsten über die Sicherheit der Arbeitsplätze, die kurzfristig zu einer Aufstockung der Rücklagen führen; im weiteren Verlauf einer Schwäche werden diese aber geringer, auch weil die Rücklagen mit sich verschlechternder Einkommenssituation aufgebraucht werden. Mit der Wachstumsperformance der deutschen Volkswirtschaft konnte für die Beschäftigung nichts Gutes herauskommen. Bis Ende 2000 war denn auch ein Verlust von 2,3% der Arbeitsplätze seit dem Boomjahr 2000 festzustellen.5 Das ist ein auch im internationalen Vergleich recht hoher Wert. Er spiegelt im Kern die Wachstumsdifferenzen wider. Schaut man sich das Gesamtbild an, wie die deutsche Volkswirtschaft die Stagnation im Vergleich zu früheren Rezessionen bewältigt hat, ist ein bemerkenswertes Phänomen zu entdecken. Die Exporte erweisen sich im Vergleich zu früheren Schwächephasen als robust und die Binnennachfrage als ausgesprochen schwach. Sowohl in den 70er
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als auch in den 90er Jahren – weniger ausgeprägt in den 80er Jahren – waren infolge der jeweils weltweiten Schwäche deutliche Einbrüche auch im Export zu verzeichnen gewesen, die im Zuge der weltweiten Erholung aber rasch wieder kompensiert wurden. In den vergangenen drei Jahren sind die Ausfuhren hingegen nur sehr temporär und nur sehr schwach zurückgegangen. Allerdings fiel bisher auch die Erholung nur gedämpft aus. Diese Entwicklungen müssen im Zusammenhang mit der preislichen Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft in den jeweiligen Krisensituationen gesehen werden. Die Bundesbank definiert die preisliche Wettbewerbsfähigkeit anhand eines Indikators, der sich aus einer Relation zwischen der nominalen Wechselkursentwicklung und dem Verhältnis der Inflationsraten von Inland und Ausland errechnet. Steigt dieser Indikator an, weil entweder die eigene Währung, also jetzt der Euro, aufwertet oder weil die Preise im Inland stärker steigen als im Ausland, nimmt die preisliche Wettbewerbsfähigkeit entsprechend ab. Es zeigt sich, dass in Schwächephasen tendenziell eine Zunahme der Wettbewerbsfähigkeit erfolgt, sei es, weil die Preise im Inland relativ schwach steigen oder weil früher die D-Mark bzw. jetzt der Euro abwerteten. In den vergangenen drei Jahren ist dies allerdings nicht geschehen. Im Gegenteil, jüngst wertete der Euro sogar auf und dadurch verschlechterte sich sogar die Wettbewerbsfähigkeit für Produkte aus Deutschland. Umso erstaunlicher ist es, dass die Exporte so robust waren. Als in den 90er Jahren eine ähnliche Entwicklung der Wettbewerbsfähigkeit zu verzeichnen war, sanken die Ausfuhren drastisch. Mit anderen Worten, wenn trotz dieser Belastungen die Produkte der Exporteure aus Deutschland so stark auf den Weltmärkten nachgefragt wurden, spricht dies für eine ausgeprägte Wettbewerbsstärke der deutschen Anbieter auf den Weltmärkten. Dies zeigt auch ein etwas längerfristiger Vergleich. Betrachtet man die Tendenzen für die Exporte und die Binnen-
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Auf Basis der Verbraucherpreise. Bis 1998 entsprechen die Angaben für Deutschland den Ergebnissen des realen Außenwerts der D-Mark. Quelle: Deutsche Bundesbank.
Abb. 3-19: Indikator der preislichen Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft gegenüber 19 Industrieländern Index: Quartal des jeweiligen BIP-Höhepunktes = 100
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Saisonbereinigt, in konstanten Preisen; bis 1990: Westdeutschland (BV4), ab 1991: Deutschland (X12-Arima). Quellen: Statistisches Bundesamt; Berechnungen des DIW Berlin.
Abb. 3-20: Exporte Konjunkturelle Abschwungphasen in Deutschland Index: Quartal des jeweiligen BIP-Höhepunktes = 100
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nachfrage seit 1995, also seit fast zehn Jahren, zeigt sich ein eindeutiger Trend. Deutschland weist im Vergleich mit allen größeren Industriestaaten eine deutlich stärkere Exportdynamik auf. Das gilt auch im Verhältnis zu den mittleren europäischen Ländern. Die Ausnahmen sind Österreich und Spanien. Die außenwirtschaftliche Performance war also kein Grund für Deutschlands Zurückbleiben im internationalen Wachstumsvergleich. Im Gegenteil, hieran gemessen, hätte Deutschland deutlich weiter vorn liegen müssen. Ganz anders sieht es im Hinblick auf die Binnennachfrage aus. Hier fällt Deutschland im internationalen Vergleich merklich ab. Die Binnennachfrage war bis vor kurzem in Deutschland so schwach wie in Japan. Die deutsche Wirtschaft war also binnenwirtschaftlich bereits auf dem japanischen Weg einer langjährigen Stagnation mit deflationären Zügen. Allein die wesentlich stärkere Exportaktivität hat den Durchbruch dieser Tendenzen verhindert. Seit 2003 nimmt die Binnennachfrage in Japan sogar stärker zu als in Deutschland. Japan ist also dabei, die »japanische Krankheit« zu überwinden. Im Vergleich mit den übrigen Volkswirtschaften war dagegen die Binnennachfrage in Deutschland ausgesprochen schwach. Vor allem in den USA, Spanien und auch Großbritannien ist die binnenwirtschaftliche Dynamik im gesamten Zeitraum stärker ausgeprägt. Aber auch Frankreich und Italien zeigen deutlich bessere Werte. Wer also den Trauerfall Deutschland erklären will, muss diesen Befund binnenwirtschaftlicher Schwäche und außenwirtschaftlicher Stärke zusammen mit den vergleichsweise niedrigen Inflationsraten mit ins Bild nehmen.
3.7 Musterbeispiel USA Es wurde oben schon aufgezeigt, dass die USA trotz mindestens gleich starker Belastungen die schwierige Lage wesentlich besser bewältigt haben als Deutschland. Schaut man
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3.7 Musterbeispiel USA
nun auf die gleichen gesamtwirtschaftlichen Größen, fallen erhebliche Unterschiede auf. Da ist zunächst die Ausrichtung der Wirtschaftspolitik zu nennen. Die Zinsen wurden in den USA, wie oben bereits ausgeführt, rascher und stärker gesenkt als in Europa. Der Realzins für kurzfristige Anlagen ging in den USA gegen null und wurde später sogar negativ. Damit entstand ein starker Impuls für eine höhere Kreditnachfrage und geringeres Sparen. Die Realzinsen lagen denn auch deutlich unter dem Niveau im Euroraum und vor allem in Deutschland; die geldpolitischen Anstöße waren also erheblich kräftiger. Darüber hinaus änderte auch die Fiskalpolitik ihren Kurs drastisch. Bis zum Einbruch der Konjunktur hatte der Staat in den USA beträchtliche Überschüsse aufgehäuft. Noch im Jahr 2000 betrug der Überschuss des Bundeshaushalts 1,3% vom BIP; drei Jahre später war ein Defizit von 3,7% entstanden. Dies ist ein Swing in der Haushaltsposition von 5% des BIP binnen drei Jahren und damit ein weiterer enormer Anstoß für die amerikanische Wirtschaft. Beide gesamtwirtschaftlichen Politikbereiche, Geld- und 8 6 4 2 0 -2 -4 IV/1973
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Quelle: BEA. Höhepunkt: höchstes absolutes BIP.
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Quartale gegenüber Höhepunkt
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Fiskalpolitik, waren also in der Schwäche extrem expansiv. Die Fiskalpolitik versuchte dabei vor allem mit Steuersenkungen, die Haushaltseinkommen zu stabilisieren und damit die Konsumneigung aufrechtzuerhalten. Dies ist auch gelungen. Während die realen Arbeitsentgelte in der Tat mit dem Einsetzen der Konjunkturschwäche mit – 0,6% leicht rückläufig waren, hatten sie drei Jahren nach Beginn der Abschwächung mit einem Plus von insgesamt 2,6% vor allem dank der wieder merklich günstigeren Konjunktur in den letzten beiden der untersuchten Quartale zugenommen. Wesentlich stärker reagierten die verfügbaren Einkommen. Auch sie gingen im Gleichlauf mit den Arbeitsentgelten zunächst um 0,6% zurück. Mit dem Einsetzen der fiskalischen Entlastungen stiegen sie dann allerdings deutlich an. Drei Jahre nach Beginn der Schwäche lagen sie um über 7% über dem Ausgangsniveau. Dies zeigt, dass trotz erheblicher konjunktureller Belastungen die Einkommensbasis für die privaten Haushalte und damit für den privaten Konsum erhalten blieb. Genau dies hat zur relativ stabilen Konsumentwicklung beigetragen. Nur Mitte der 70er Jahre war der Konsum noch stützender im Abschwung. Für die jüngste Krise zeigt sich denn auch ein weiterer wesentlicher Unterschied zu Deutschland, wo die realen Arbeitsentgelte rückläufig waren, die realen verfügbaren Einkommen stagnierten und damit die entsprechenden Konsumimpulse für die Konjunktur ausblieben. Die wichtige Rolle der Finanzpolitik bei der Stabilisierung der Einkommen bestätigt sich, wenn man sich die Entwicklung der Löhne in den USA anschaut. Auch hier soll zunächst ein längerer Zeitraum von 1995 bis 2003 betrachtet werden. Dabei zeigt sich, dass sowohl die Nominallohn- als auch die Reallohnsteigerungen in den USA deutlich über denen in Deutschland lagen. Als einen Grund kann man die günstigere Wirtschaftsentwicklung in den USA mit ihrer ausgeprägten Nachfrage nach Arbeitskräften in den 90er Jahren sehen. Insofern ist es nicht überraschend, wenn – wie
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3.7 Musterbeispiel USA 2,0
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Quelle: Europäische Kommission.
Abb. 3-22: Konjunkturelle Abschwungphasen in den USA Finanzierungsdefizit des Staates In % des BIP
in Deutschland auch – seit Beginn der Schwäche 2000 ein merkliches Abflachen zu konstatieren ist. Mithin war die Lohnkomponente in den USA für die Einkommensentstehung zwar insgesamt stärker, nicht aber zwischen 2000 und 2003. Die Unterschiede bei den Arbeitsentgelten, die bis auf die letzten beiden Quartale ohnehin nicht sehr groß sind, ergeben sich also allein aus der etwas günstigeren Beschäftigung in den USA. Hier gingen 1,1% der Arbeitsplätze seit dem Boomjahr 2000 verloren. Die wesentlich deutlicheren Unterschiede beim verfügbaren Einkommen sind aber das Resultat der äußerst expansiven Finanzpolitik mit ihren spürbaren Steuersenkungen. Die Lohnstückkostenentwicklung, die gleichfalls seit 1995 über den gesamten Zeitraum in den USA deutlich kräftiger war als in Deutschland, hat sich seit 2000 allerdings ähnlich wie in Deutschland verlangsamt. Der Inflationsimpuls aus der Lohnentwicklung unterschied sich also in den USA nicht sehr von dem in Deutschland, was in den
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Quartale gegenüber Höhepunkt Quelle: BEA. Höhepunkt: höchstes absolutes BIP.
Abb. 3-23: Konjunkturelle Abschwungphasen in den USA Realwert der Arbeitsentgelte Index: Quartal des jeweiligen BIP-Höhepunktes = 100
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Abb. 3-24: Konjunkturelle Abschwungphasen in den USA Realwert des verfügbaren Einkommens Index: Quartal des jeweiligen BIP-Höhepunktes = 100
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3.8 Ein europäisches Musterland – Großbritannien 125 IV/1973 120 I/1980 III/1990
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Abb. 3-25: Konjunkturelle Abschwungphasen in den USA Lohnstückkosten (verfügbares Einkommen in Relation zum realen BIP) Index: Quartal des jeweiligen BIP-Höhepunktes = 100
USA zu Deflationsbefürchtungen geführt hat. Da jedoch die Wirtschaftspolitik, insbesondere die Geldpolitik, wesentlich expansiver reagierte, kam dieser Impuls nicht in gleicher Weise zum Tragen. Die Sparquote ist in den USA, anders als in Deutschland, seit 2000 nahezu unverändert geblieben. Mithin übersetzten sich die steigenden verfügbaren Einkommen in proportionaler Weise in Verbrauchsausgaben. Eine Konsumschwäche wurde also vermieden, weil wirtschaftspolitisch richtig auf eine gefährliche Konstellation reagiert wurde.
3.8 Ein europäisches Musterland – Großbritannien Großbritannien hat von der weltweiten Schwäche kaum etwas gespürt. Hier war lediglich eine leichte Verlangsamung des Wachstumskurses zu beobachten, aber kein Einbruch und auch keine lang anhaltende Stagnation. Insofern
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gab Großbritannien im Hinblick auf die Produktionsdynamik sogar zunächst ein günstigeres Bild ab als die USA, wo schließlich zunächst ein deutlicher Rückgang der Aktivität zu verzeichnen war. Erst mit der sehr kräftigen Erholung änderte sich dies und die USA hatten die Nase wieder vorn. Es stellt sich damit die Frage, warum Großbritannien so wenig von der allgemein schlechten Weltkonjunktur betroffen war. Wie oben schon erwähnt, spielt der robuste Konsum, der keinerlei Schwächen zeigte, hierfür eine entscheidende Rolle. Die Arbeitsentgelte haben denn auch im betrachteten Zeitraum durchweg zugenommen, weitaus schwächer stiegen allerdings die verfügbaren Einkommen, die sich nur leicht erhöhten. Hier fehlte die Stimulanz, die in den USA durch Steuersenkungen entstanden war. Gleichwohl ist dies immer noch ein günstigeres Bild als in Deutschland, wo die realen verfügbaren Einkommen stagnierten bzw. rückläufig waren. Dennoch war die Finanzpolitik sehr stark expansiv ausgerichtet. Der Haushalt des Staates, der wie in den USA auch in Großbritannien im Jahr 2000 einen geringen Überschuss aufwies, glitt stark ins Minus. Insgesamt gab die Finanzpolitik der Wirtschaft einen Impuls in Höhe von 3,6% des BIP. Das ist zwar weniger als in den USA (5%), aber mehr als in Deutschland (2,7%), wo zudem die negative Entwicklung erheblich schärfer ausgeprägt war. Die höheren staatlichen Fehlbeträge erklären sich vor allem aus dem Anstieg der Ausgaben des Staates insbesondere für eine Verbesserung der Infrastruktur. Das heißt, die Stabilisierung wurde weniger über die Einkommen der privaten Haushalte erzielt als über Absatz und Gewinne der Unternehmen, die die Infrastruktur herstellten. Dies war sogar der effektivere Weg, da so die zur Verfügung stehenden Gelder vollständig in den Wirtschaftskreislauf geflossen sind, ohne dass es zu Verlusten durch Ersparnis kam. Die Lohnentwicklung in Großbritannien war in nominaler Rechnung von 1995 bis 2003 erheblich dynamischer als
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3.8 Ein europäisches Musterland – Großbritannien 115 II/1973 110
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Quartale gegenüber Höhepunkt Quelle: OECD. Saisonbereinigt mit BV4. Höhepunkt: höchstes absolutes BIP.
Abb.3-26: Konjunkturelle Abschwungphasen in Großbritannien Realwert der verfügbaren Einkommen Index: Quartal des jeweiligen BIP-Höhepunktes = 100
in Deutschland und sogar als in den USA. Letzteres verwundert, expandierte doch die Beschäftigung in den USA merklich stärker. Das Ergebnis bleibt auch unter Berücksichtigung der Inflationsentwicklung erhalten. In keinem anderen der hier betrachteten Länder stiegen im genannten Zeitraum die Reallöhne so kräftig wie in Großbritannien. Dieser Anstieg schwächte sich ab dem Jahr 2000 mit dem Beginn der konjunkturellen Abkühlung, wie in den meisten übrigen Ländern auch, etwas ab. Damit ist klar, dass der Reallohnzuwachs einen wesentlichen Beitrag zur Stabilisierung der realen verfügbaren Einkommen geleistet hat. Wie in den USA, die allerdings einen stärkeren Einbruch zu verzeichnen hatten, ging in Großbritannien die Beschäftigung um 1,1% zurück. Dies ist daher ein erstaunlich hoher Wert und zeigt, dass es in Schwächephasen in Großbritannien recht schnell zu Entlassungen kommt. Anders als in Deutschland ging in Großbritannien die Sparquote seit 2000 zurück. Die Konsumbereitschaft der privaten Haushalte erhöhte sich also sogar noch. Hierdurch
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wurde der private Verbrauch sogar noch kräftiger ausgeweitet als von der Einkommensentwicklung vorgezeichnet. Dies zeigt, ein aufwärts gerichtetes ökonomisches Umfeld stimuliert den Konsum. Der Lohnanstieg war im internationalen Vergleich recht kräftig, dennoch entstanden auch in Großbritannien keine durchgreifenden Inflationstendenzen. Seit dem Jahr 2000 hat sich die Inflationsrate unwesentlich verändert. Die konjunkturelle Schwäche wie auch die Erholung haben sich kaum in den Preisbewegungen niedergeschlagen. Darin unterscheidet sich Großbritannien sowohl von den USA als auch von Deutschland. 180 170
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Abb. 3-27: Konjunkturelle Abschwungphasen in Großbritannien Lohnstückkosten (verfügbares Einkommen in Relation zum realen BIP) Index: Quartal des jeweiligen BIP-Höhepunktes = 100
Auch die Geldpolitik war in Großbritannien expansiv ausgerichtet. Das Realzinsniveau wurde von der Bank of England sukzessive auf 1,2% gesenkt. Das entspricht etwa dem Niveau von Deutschland. Es liegt damit deutlich über dem der USA und auch dem des Euroraums. Insofern hat die Geldpolitik in Großbritannien weitaus weniger getan, um
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die Wirtschaft zu stimulieren, als die Fed für die amerikanische Wirtschaft und auch als die EZB für den Euroraum. Hierbei ist freilich zu berücksichtigen, dass Großbritannien von vorneherein nicht so stark von den weltweiten Schocks belastet war. Folglich war die Notwendigkeit für eine expansiv ausgerichtete Wirtschaftspolitik nicht in dem Umfang gegeben wie z. B. für die USA, den Euroraum und vor allem Deutschland. Zudem hat hier die Fiskalpolitik eine weitaus stärkere Rolle gespielt als im Euroraum und insgesamt reichte der »policy mix« aus, um die Wirtschaft zu stabilisieren.
3.9 Ein ehemaliges Musterland – die Niederlande In den vergangenen Jahren wurden die Niederlande immer wieder als Musterland für erfolgreiche Wirtschaftspolitik angesehen. Das hat sich in jüngster Zeit geändert. In der Tat haben die Niederlande den Konjunktureinbruch nicht besser überstanden als Deutschland. Zwar verlangsamte sich an dessen Beginn das Wachstum zögerlicher als in Deutschland, im weiteren Verlauf durchliefen die Niederlande aber das gleiche Muster an leichten Produktionsrückgängen und Stagnationsphasen wie die deutsche Wirtschaft. Insgesamt gehört der Einbruch im historischen Vergleich der niederländischen Zyklen – wie bei den übrigen betrachteten Volkswirtschaften auch – zu den schwächeren, die Erholung ließ allerdings deutlich länger auf sich warten als während der Rezession zu Beginn der 90er Jahre. Nur in der Phase der »niederländischen Krankheit« Ende der 70er und Anfang der 80er Jahre, die im Übrigen den Startpunkt für einen grundlegenden Reformprozess des Arbeitsmarktes bildete, hielt die Schwächephase länger an. Die Geldpolitik ist für den Euroraum identisch, folglich können sich unterschiedliche Wirksamkeiten nur in sehr
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Abb. 3-28: Konjunkturelle Abschwungphasen in den Niederlanden Reales Bruttoinlandsprodukt Index: Quartal des jeweiligen BIP-Höhepunktes = 100
begrenztem Ausmaß – wie im Fall Deutschlands bereits ausgeführt – durch ein unterschiedliches Realzinsniveau über unterschiedliche Inflationsraten ergeben. In dieser Hinsicht waren die Niederlande anfänglich tatsächlich in einer anderen Situation als Deutschland. Die Inflationsrate war hier im Jahr 2000 deutlich höher als in Deutschland und vor allem als der Durchschnitt des Euroraums. Allerdings gingen die Inflationsraten im weiteren Verlauf der Abkühlung immer weiter zurück. In 2003 lagen sie um über vier Prozentpunkte unter ihrem Höchststand in 2000. Einen solch starken Rückgang hatte es in den früheren Zyklen nicht gegeben. Folglich stieg das Realzinsniveau trotz weiterer Zinssenkungen der EZB in den Niederlanden im Verlauf der Schwäche sogar noch leicht an. Die hohen Inflationsraten erklären sich aus einer relativ aggressiven Lohnpolitik mit Lohnsteigerungen, die nominal deutlich und real spürbar über dem Durchschnitt des Euroraums lagen. Die Lohnstückkosten zeigen denn auch einen ausgeprägten Inflationsimpuls durch höhere Löhne an, der
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Quartale gegenüber Höhepunkt Quelle: OECD Höhepunkt: höchstes absolutes BIP.
Abb. 3-29: Konjunkturelle Abschwungphasen in den Niederlanden Lohnstückkosten (verfügbares Einkommen in Relation zum realen BIP) Index: Quartal des jeweiligen BIP-Höhepunktes = 100
durch beträchtliche Mehrwertsteuererhöhungen noch verstärkt wurde. In monetärer Hinsicht entstand in den Niederlanden am Beginn des Abschwungs gleichsam ein Spiegelbild der deutschen Lage: Niedrige Realzinsen stimulieren die Binnenwirtschaft und die sich verschlechternde Wettbewerbsfähigkeit belastet den Außenhandel. Dieses Bild verblasst aber allmählich im weiteren Verlauf und wandelt sich in Richtung höherer Realzinsen und wettbewerbsfähigerer Preisgestaltung. Dies zusammen mit den kräftigen Lohnsteigerungen erklärt, warum zwischen 2000 und 2001 die Binnennachfrage in den Niederlanden noch verhältnismäßig robust war. Die Investitionen in Ausrüstungen und auch am Bau blieben im Vergleich zu früheren Abschwächungen weitgehend stabil. Der private Verbrauch nahm im Gegensatz zu früher bei nahezu unveränderter Sparquote und leicht steigenden realen verfügbaren Einkommen sogar weiter zu. Nur die Exportdynamik war so schwach wie Ende der 70er Jahre,
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Quartale gegenüber Höhepunkt Deflationiert mit dem Verbraucherpreisindex. Bis 1998 nationaler Dreimonatszins, ab 1999 EURIBORDreimonatsgeld. Quelle: OECD; CBS. Höhepunkt: höchstes absolutes BIP.
Abb. 3-30: Konjunkturelle Abschwungphasen in den Niederlanden Kurzfristige Realzinsen
als die niederländische Wirtschaft gleichfalls Wettbewerbsprobleme aufwies. Im Laufe der Zeit veränderte sich das Bild. Mit den steigenden Realzinsen verschlechterte sich auch die Binnennachfrage, während die Exporte mehr oder minder stagnierten. Insgesamt wurde das Wachstum in den Niederlanden schwächer und schwächer. Sie wurden also später als andere von der Krise ergriffen. Die Finanzpolitik hat in den Niederlanden relativ wenig zur Stabilisierung beigetragen. Die Fehlbeträge weiteten sich von einem ausgeglichenen Haushalt in 2000 auf etwa 2,4% im Jahre 2003 aus. Der Impuls lag damit gleichfalls bei 2,3% vom BIP und war damit noch etwas schwächer als in Deutschland (2,7%). Der gesamte »policy mix« unterschied sich somit nicht wesentlich von dem in Deutschland, wobei zu beachten ist, dass die Geldpolitik zunächst leicht expansiver wirkte, während die Fiskalpolitik etwas weniger anregend war. Dies erklärt den zeitlich etwas anders gearteten Verlauf in den Niederlanden, bei dem die größten Wachstumsverluste erst gegen Ende des betrachteten Zeit-
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Abb. 3-31: Konjunkturelle Abschwungphasen in den Niederlanden Reale Exporte Index: Quartal des jeweiligen BIP-Höhepunktes = 100
raums auftraten. Festzuhalten ist bei alldem, dass die Niederlande trotz der tiefgreifenden Reformen zu Beginn der 80er Jahre keinesfalls besser als andere Volkswirtschaften durch das jüngste Konjunkturtal gekommen sind. Im Gegenteil, die niederländische Volkswirtschaft gehört zu denjenigen mit den höchsten Wachstumsverlusten.
3.10 Geht es Frankreich besser? Mit Frankreich soll nun ein Land betrachtet werden, das sowohl von der Größe als auch von den europäischen Rahmenbedingungen als vergleichbar mit Deutschland angesehen werden kann. Hinzu kommt, dass die Handelsverflechtungen zwischen den beiden Ländern besonders eng sind und schon von daher eine Tendenz für einen wirtschaftlichen Gleichlauf besteht. Auch für Frankreich war die jüngste Schwäche im historischen Vergleich zunächst eher als mild anzusehen. Alle früheren Rezessionen seit den
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70er Jahren führten zu zum Teil deutlich ausgeprägten Produktionseinbrüchen. Wie in Deutschland kam die Erholung jedoch deutlich verzögert. Allein zu Beginn der 90er Jahre hielt das Konjunkturtief ähnlich lange an. Seit 2001 verlief die konjunkturelle Entwicklung in Frankreich zwar zeitweise stagnativ, zu spürbaren Produktionsrückgängen kam es jedoch nicht, so dass das Gesamtergebnis etwas günstiger als für Deutschland ausfällt. Der markante Unterschied zwischen Frankreich und Deutschland ist der Verlauf des privaten Verbrauchs. In Frankreich nahm der Konsum während des gesamten Zeitraums der Konjunkturschwäche zu und trug somit wesentlich zur Stabilisierung der französischen Wirtschaft bei. Im Vergleich zu früheren Zyklen war der Konsum sogar eher robust. Die zähe Konsumschwäche, die in Deutschland zu beobachten war, gab es in Frankreich nicht einmal ansatzweise. Deshalb ist es wichtig, festzustellen, welche Determinanten des Konsums sich in Frankreich anders entwickelt haben als in Deutschland.
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Sowohl die realen Arbeitsentgelte als auch die verfügbaren Einkommen sind in Frankreich im Gegensatz zu Deutschland im gesamten Zeitraum gestiegen, so dass sich die Basis für den Konsum trotz allgemeiner Schwäche immer noch verbreitert hat. Der Anstieg beider Größen ist dabei nahezu proportional; ausgeprägte fiskalische Entlastungen, die in Deutschland ja immerhin zu einer gewissen Stabilisierung der verfügbaren Einkommen beigetragen haben, spielen also hier keine Rolle. Bemerkenswert ist allerdings, dass es in Frankreich keine so ausgeprägte Lohnzurückhaltung gab wie in Deutschland. Sowohl die nominalen als auch die realen Stundenlöhne stiegen im betrachteten Zeitraum von 2000 bis 2003 merklich stärker. In der Folge war auch der Anstieg der Lohnstückkosten stärker. Es ging also in Frankreich ein völlig anderer Impuls von der Lohnentwicklung auf die Inflationsentwicklung aus, ohne dass dies zu einer signifikanten Überschreitung des Stabilitätsziels der EZB geführt hätte. Dies zeigt sich denn auch in einer gegenüber den Schwächetendenzen relativ resistenten Inflationsrate. Im
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Quartale gegenüber Höhepunkt Deflationiert mit der Preisentwicklung der inländischen Verwendung. Saisonbereinigt mit BV4. Quelle: OECD. Höhepunkt: höchstes absolutes BIP.
Abb. 3-33: Konjunkturelle Abschwungphasen in Frankreich Realwert des verfügbaren Einkommens Index: Quartal des jeweiligen BIP-Höhepunktes = 100
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Unterschied zu früheren Zyklen ging diese kaum zurück. Im Gegenteil, primär als Folge der höheren Energiepreise, ausgelöst durch den Ölpreisschock, beschleunigte sich der Preisauftrieb sogar leicht. Nur in der Krise zu Beginn der 80er Jahre war – auch damals mit einem Ölpreisschock verbunden – Ähnliches zu beobachten. Für sich genommen, ist diese höhere Inflationsrate eine Belastung für die Realeinkommen. Dass dieser Effekt nicht durchschlagend war und die Einkommen trotzdem weiter stiegen, ist dem selbst in dieser Phase anhaltenden Beschäftigungszuwachs zu verdanken. Die Produktionsentwicklung wurde also auch noch durch andere Faktoren gestärkt, so dass die Unternehmen fortfuhren, Beschäftigung auf- anstatt abzubauen. Ganz generell hat die höhere Inflationsentwicklung in Frankreich im weiteren Verlauf zu niedrigeren Realzinsen als in Deutschland geführt. Zu Beginn des Einbruchs waren die Werte mit 3,5 (Frankreich) bzw. 3,1 (Deutschland) nicht weit auseinander. Die anhaltende Lohnzurückhaltung in Deutschland mit den entsprechenden, den Preisauftrieb dämpfenden Effekten kehrte das Verhältnis im Laufe der 150 III/1974
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Zeit um. Zuletzt betrugen die Realzinsen in Frankreich null und in Deutschland immer noch 1%. Damit gingen von der Geldpolitik in Frankreich expansivere Impulse aus als in Deutschland. Diese stimulierten vor allem die Binnennachfrage, darunter eben auch den Konsum. Aber auch die Investitionsentwicklung war im Gefolge der niedrigeren Zinsen in Frankreich deutlich günstiger. Die Ausrüstungsinvestitionen gingen zwar zeitweilig zurück, aber in der Spitze lagen sie nur 5% unter dem Wert des Höhepunkts. In Deutschland betrug der entsprechende Wert 18%. Etwas weniger prägnant war der Unterschied bei den Bauinvestitionen, die in Frankreich nur um 3,5% zurückgingen, während es in Deutschland rund 10% waren.6 In die gleiche Richtung wirkte zwar auch die Finanzpolitik. Im betrachteten Zeitraum erhöhte sich der staatliche Fehlbetrag um 2,5 Prozentpunkte; allerdings war dieser Impuls nicht stärker als in Deutschland (2,7 Prozentpunkte). Zu berücksichtigen ist, dass er bei etwas günstigerer Konjunktur ausgelöst wurde. Das insgesamt hellere Bild der binnenwirtschaftlichen Dynamik hat denn auch nicht zu einer massiven Verunsi12 III/1974
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Quartale gegenüber Höhepunkt Deflationiert mit dem Verbraucherpreisindex. Bis 1998 nationaler Dreimonatszins, ab 1999 EURIBOR-Dreimonatsgeld. Quelle: OECD Höhepunkt: höchstes absolutes BIP.
Abb. 3-35: Konjunkturelle Abschwungphasen in Frankreich Kurzfristige Realzinsen
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cherung der Verbraucher geführt. Die Sparquote stieg zwar zu Beginn der Schwäche leicht an, ging aber zum Schluss wieder auf ihr Ausgangsniveau zurück. Auch dies hat den privaten Verbrauch im Vergleich zu Deutschland gestützt. Die Kehrseite der geschilderten Faktoren enthüllt sich in der außenwirtschaftlichen Performance. Mit der höheren und robust hoch bleibenden Inflationsrate hat sich Frankreichs Wettbewerbsposition auch gegenüber den europäischen Handelspartnern verschlechtert. Folglich sind die Exporte durchaus relativ negativ beeinflusst worden. Dies gilt zum einen in Relation zu früheren Zyklen. In der Vergangenheit setzte vor allem die Erholung der Ausfuhr wesentlich schneller ein, als dies im jüngsten Zyklus der Fall war. Auch war der Rückgang merklich schmerzhafter als in Deutschland, wo die Ausfuhr in Relation zum Höhepunkt des Zyklus trotz zeitweiliger Rückgänge immer noch zugenommen hatte. Insgesamt ergibt sich für Frankreich gleichwohl ein leicht positiveres Bild. Denn letztlich gilt für Frankreich in
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etwa das Gleiche wie für Deutschland, dass die Binnennachfrage der gravierendere Faktor für die gesamtwirtschaftliche Entwicklung ist. Die Exportquote liegt mit rund 30% nur wenig unter der deutschen. Demnach war der französische Weg eines schonenderen Umgangs mit der binnenwirtschaftlichen Dynamik in der jüngsten Krise, der eben nicht aus einer extremen Lohnzurückhaltung wie in Deutschland bestand, letztlich erfolgreicher. Relativierend ist selbstverständlich hinzuzufügen, dass das Ausmaß des Erfolgs durch den gemeinsamen wirtschaftspolitischen Rahmen im Euroraum beschränkt bleibt und bleiben musste.
3.11 Österreich im Sog Deutschlands Die wirtschaftliche Entwicklung in Österreich wird aufgrund der engen Handelsverflechtung in hohem Maße durch die in Deutschland bestimmt. Insofern ist es nicht überraschend, wenn im Hinblick auf den BIP-Verlauf insgesamt keine großen Unterschiede zu erkennen sind. Im Detail gibt es freilich interessante Abweichungen. So war die jüngste Schwäche im Gegensatz zu den übrigen Ländern aus österreichischer Sicht zwar auch eher milde, fast deckungsgleich mit dem Muster von Anfang der 80er Jahre, aber die Erholung ließ nicht besonders lange auf sich warten. Nach zwölf Quartalen war der Stand in allen hier betrachteten Schwächephasen in etwa der gleiche. Dies ist denn auch ein Unterschied zu Deutschland, wo die Erholung ja nur sehr zögerlich einsetzte. Die österreichische Wirtschaft kam nach ähnlich ausgeprägter Schwäche schneller wieder auf die Beine. Eine große Rolle hierfür spielte der Export. Dieser expandierte in dieser Phase mit knapp 10% Zuwachs im Vergleich zum Höhepunkt des Zyklus sogar noch stärker als in Deutschland (6,4%) im gleichen Zeitraum. Die rasche Aufwärtsentwicklung der Ausfuhr war auch in Österreich das Ergebnis einer zurück-
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Abb. 3-37: Konjunkturelle Abschwungphasen in Österreich Reales Bruttoinlandsprodukt Index: Quartal des jeweiligen BIP-Höhepunktes = 100
haltenden Lohnpolitik. So sind die realen Arbeitsentgelte kaum gestiegen, und auch die Lohnstückkosten gingen nur sehr maßvoll nach oben. Der Anstieg war deutlich geringer als in den Niederlanden, Spanien und Italien und blieb auch hinter dem in Frankreich zurück. Nur im Vergleich zu Deutschland war er stärker. Damit war ein deutlicher Rückgang der Inflationsrate verbunden, der stärker ausfiel als in den meisten früheren Zyklen. Insgesamt hat sich damit die Wettbewerbsfähigkeit der österreichischen Unternehmen insbesondere auf den europäischen Märkten erhöht – mit den entsprechend positiven Folgen für den Export. Diese Darlegungen weisen bereits darauf hin, dass Österreich einen Weg maßvoller Lohnzurückhaltung beschritten hat. Der positiven Exportentwicklung steht dann aber die Kehrseite negativer Folgen für die Binnenwirtschaft gegenüber. Dies zeigt sich auch in Österreich. Aus der moderaten Entgeltsteigerung ergibt sich ein stagnatives reales verfügbares Einkommen, das lediglich in einer Zwischenphase am Tiefpunkt der Inflationsentwicklung etwas zu-
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Abb. 3-39: Konjunkturelle Abschwungphasen in Österreich Lohnstückkosten (verfügbares Einkommen in Relation zum realen BIP) Index: Quartal des jeweiligen BIP-Höhepunktes = 100
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genommen hatte. Die Sparquote ist in Österreich leicht gestiegen. Die vermehrte Unsicherheit hat also auch hier ihre Spuren hinterlassen. Vor diesem Hintergrund musste der Konsum schwach bleiben. Der private Verbrauch war damit zwar insgesamt etwas robuster als in Deutschland, aber deutlich schwächer als z. B. in Frankreich. Auch bei anderen Komponenten der Binnennachfrage zeigt sich dieses Bild. Ein tiefer Einbruch bei den Ausrüstungsinvestitionen, der aber schneller überwunden wurde als in Deutschland, und stagnative Bauinvestitionen weisen in die gleiche Richtung. Die Wirtschaftspolitik hat in Österreich ähnlich wenig expansiv gewirkt wie in Deutschland. Die Realzinsen waren wegen der ähnlichen Inflationsentwicklung nur wenig niedriger als in Deutschland, so dass der geldpolitische Impuls auch in Österreich vergleichsweise verhalten ausfiel. Noch weniger expansiv als in Deutschland war die Fiskalpolitik. In der Schwächephase 2003 stieg das Defizit bei kaum günstigerer Konjunktur lediglich um knapp 1,5 Prozentpunkte. In Deutschland waren es immerhin 2,7 Prozentpunkte. Die Wirtschaftspolitik hat zu der relativ besseren Performance von Österreich im Vergleich zu Deutschland nichts beigetragen. Im Gegenteil, sie hat weniger dafür getan, die Schwäche zu überwinden. Umso bemerkenswerter ist es auf den ersten Blick, wenn die österreichische Wirtschaft doch leicht besser durch das Tief gekommen ist als die deutsche. Der Grund hierfür ist, dass Österreich im Unterschied zu Deutschland eine kleine offene Volkswirtschaft ist, für die die Ausfuhr eine wesentlich wichtigere Rolle spielt als für eine mittlere bis größere. So beträgt die Exportquote Österreichs gut 50% des BIP, während die deutsche bei etwa einem Drittel liegt. Mithin muss eine durch erhöhte Wettbewerbsfähigkeit erzeugte Exportbelebung in Österreich merklich positivere Spuren hinterlassen, als dies in Deutschland der Fall war. Zum einen gibt es den direkten produktionserhöhenden Effekt über die höheren Exporte. Zum Zweiten ist dann aber auch
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der außenwirtschaftliche Impuls für die Binnennachfrage stärker. Denn ein höherer Absatz im Ausland beflügelt auch die Investitionen im Inland, da die Rentabilität des eingesetzten Kapitals steigt. Zugleich treten bei einer höheren Exportabhängigkeit die belastenden Momente einer Strategie der Lohnzurückhaltung in den Hintergrund. Der dadurch geschwächte Konsum hat eben eine mindere Bedeutung als in einer größeren Binnenwirtschaft. Dies zeigt sich am Ende dann auch in den Konsequenzen für die Beschäftigung. In Österreich ist die Beschäftigung nur temporär zurückgegangen und seit Beginn der Schwäche sogar insgesamt leicht gestiegen. Dieser relative Erfolg ist der für eine kleine Volkswirtschaft günstigen Strategie der Wettbewerbsverbesserung durch Lohnzurückhaltung zu danken, der trotz fiskalpolitischem Attentismus in Österreich sichtbar ist. Dies heißt nicht, wie das Beispiel Deutschland beweist, dass dieses Vorgehen auch in größeren Volkswirtschaften mit einer geringeren Exportabhängigkeit von Erfolg gekrönt ist.
3.12 Spanien unberührt von der Schwäche? Ein völliger Ausreißer aus den bisherigen Betrachtungen ist Spanien. Hier ist im besagten Zeitraum kein Anzeichen einer ausgeprägten Konjunkturschwäche zu beobachten, auch wenn die Wachstumsraten etwas geringer ausfielen als zuvor. Dies überrascht. Denn auch Spanien ist mittlerweile eng mit der Weltwirtschaft verzahnt und konjunkturelle Eintrübungen im Ausland sollten auch die spanischen Exporte nicht unberührt lassen, insbesondere wenn die Schwäche auch in Europa um sich greift. Dies ist denn auch der Fall. Während das BIP mit nahezu unverändertem Tempo zunimmt, zeigt die Ausfuhr deutliche Schwächetendenzen. Diese waren ganz im Gegensatz zu den meisten übrigen Volkswirtschaften so stark wie in
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Abb. 3-40: Konjunkturelle Abschwungphasen in Spanien Reales Bruttoinlandsprodukt Index: Quartal des jeweiligen BIP-Höhepunktes = 100
keinem der früheren Zyklen. Das ist bemerkenswert, da die globale Schwächetendenz im historischen Vergleich eher mild war und sich dies dann auch in relativ robusten Ausfuhrzahlen niederschlagen sollte. Damit scheint in Spanien ähnlich wie in einer späteren Phase des Zyklus auch in Frankreich ein Verlust an internationaler Wettbewerbsfähigkeit auf, der sich in entsprechend sinkenden Marktanteilen niederschlägt. Diesen Eindruck bestätigt eine Analyse der Inflationsentwicklung. Wie auch in Frankreich wurde der Preisauftrieb trotz wirtschaftlicher Schwäche nicht geringer. Dies ist geradezu ein traditionelles Merkmal der spanischen Wirtschaft. Außer in der ersten Ölpreiskrise Mitte der 70er Jahre war die Inflationsentwicklung immer relativ robust im Hinblick auf konjunkturelle Tiefs. Die Ursache hierfür sind Indexierungsklauseln für die Lohnfestsetzung. Steigt die Inflationsrate z. B. wegen eines Ölpreisschocks an, schlägt sich dies mit Verzögerung in entsprechend höheren Nominallohnsätzen nieder. Diese wiederum wirken über die höheren Pro-
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Abb. 3-41: Konjunkturelle Abschwungphasen in Spanien Preisindex des privaten Konsums Prozentpunkte: Quartal des jeweiligen BIP-Höhepunktes = 0
duktionskosten auf die Inflationsrate und verhindern einen Rückgang aufgrund der so ausgelösten Zweitrundeneffekte. Unter diesen Umständen belastet ein Ölpreisschock die Preisstabilität in größerem Umfang, als wenn die Löhne nicht hierauf reagieren würden. Die nominalen Lohnindikatoren zeigen dies denn auch in aller Deutlichkeit an. Sowohl die Arbeitsentgelte als auch die Lohnstückkosten sind trotz Schwäche weiter spürbar gestiegen. Von einer Lohnmäßigung wie in Deutschland oder Österreich kann keine Rede sein. Im Vergleich zu früheren Zyklen in Spanien war der Anstieg der Lohnstückkosten sogar noch moderat. Der hohe Preisauftrieb hatte im Übrigen den Effekt, dass die Reallöhne kaum stiegen, was sich, für sich genommen, positiv auf die Beschäftigung auswirkte, so dass die Einkommen der Beschäftigten in Spanien gleichfalls weiter zunahmen. Folglich war auch der Konsum trotz leicht steigender Sparquote weiter deutlich nach oben gerichtet und stabilisierte die wirtschaftliche Entwicklung in einem hohen Ausmaß.
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Abb. 3-42: Konjunkturelle Abschwungphasen in Spanien Lohnstückkosten (verfügbares Einkommen in Relation zum realen BIP) Index: Quartal des jeweiligen BIP-Höhepunktes = 100
Interessant sind die Folgen von dieser Kombination aus binnenwirtschaftlicher Expansion und außenwirtschaftlicher Schwäche für die Investitionen. Während die Bauinvestitionen – wohl auch dank hoher Subventionen aus Brüssel – stark expandierten und keinerlei Anzeichen einer Schwäche verrieten, gingen die Ausrüstungsinvestitionen in der Tendenz zurück und zeigten auch nach zwölf Quartalen keine Anzeichen von Erholung. Sie folgten damit in etwa dem Verlauf in Frankreich. Hier zeigt sich, dass ein Wettbewerbsverlust auf den internationalen Märkten durchaus negative Konsequenzen für das Investitionsverhalten bei Ausrüstungsgütern hat, die jedenfalls in Spanien und Frankreich durch die binnenwirtschaftlich günstigere Lage nicht vollständig ausgeglichen werden können. Anders dagegen die Bauinvestitionen, deren Determinanten eher binnenwirtschaftlicher Natur sind. Für diese Größe sind u. a. die Einkommen der privaten Haushalte, die den privaten Wohnungsbau beeinflussen, von Bedeutung. Beide Investitionsgrößen, vor allem aber die Bauinvestitionen, sind stark zinsabhängig.
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Quartale gegenüber Höhepunkt Deflationiert mit dem Verbraucherpreisindex. Bis 1998 nationaler Dreimonatszins, ab 1999 EURIBORDreimonatsgeld Quelle: OECD Höhepunkt: höchstes absolutes BIP.
Abb. 3-43: Konjunkturelle Abschwungphasen in Spanien Kurzfristige Realzinsen
Damit rückt die Wirkung der europäischen Geldpolitik in Spanien in den Fokus. Wegen der relativ hohen und robusten Inflationsrate waren die Realzinsen hier im europäischen Vergleich insbesondere im späteren Verlauf besonders niedrig. Dies kann als ein zusätzlicher Stimulus insbesondere für die Bauinvestitionen, aber auch für den Konsum angesehen werden. Unter den gegebenen Rahmenbedingungen hat also Spanien damit sehr von der gemeinsamen Geldpolitik profitiert. Die Finanzpolitik wirkte in Spanien leicht restriktiv. Ausgehend von einem kleinen Defizit entstand im Verlauf von 2001 bis 2003 ein geringfügiger Überschuss. Der restriktive Impuls betrug etwa 0,4% vom BIP. Dies ist nicht viel, bedenkt man, dass die Gesamtwirtschaft in diesem Zeitraum durchweg positive Wachstumsraten bei der Produktion schrieb, die auch zu einem spürbareren Schuldenabbau hätten genutzt werden können. Nicht überraschend ist vor diesem positiven gesamtwirtschaftlichen Hintergrund, dass die Beschäftigung in Spanien seit 2000 fortwährend gestiegen ist. Es zeigt sich im Fall Spa-
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niens erneut, dass ein Land mit einem relativ geringen Offenheitsgrad sehr gut daran tut, die Binnennachfrage zu stärken. Spaniens Exportquote beträgt nur rund 27% und ist damit nur etwas mehr als halb so hoch wie die von Österreich. Während Spanien sich über die expansive Binnennachfrage fast vollständig vor den weltweiten Schwächetendenzen zu schützen vermochte, gelang Österreich dies – wenn auch in weitaus geringerem Maße – über die Steigerung seiner internationalen Wettbewerbsfähigkeit. Weder der eine noch der andere Weg sind wegen der unterschiedlichen Bedeutung von Exporten für die Gesamtwirtschaft ohne weiteres zu verallgemeinern. Ein gravierendes Problem des spanischen Vorgehens besteht allerdings darin, dass es nur bei Inflationsraten möglich war, die – auf den gesamten Euroraum übertragen – von der EZB bei gegebenem Inflationsziel nicht zu tolerieren wären. Ein dann wahrscheinliches Bremsen der EZB hätte aber das Wachstum des gesamten Euroraums merklich beeinträchtigt. Insofern war Spanien in dieser Schwäche auch ein Trittbrettfahrer der Lohnzurückhaltung in Deutschland.
3.13 Italien – Beschäftigungsaufbau trotz Stagnation Eine besondere Tendenz hat sich in den vergangenen Jahren in Italien herausgebildet. Auch hier war die Schwäche im historischen Vergleich relativ milde. Gleichwohl war das Wachstum sehr gedämpft; zeitweise stagnierte die italienische Wirtschaft ähnlich wie die deutsche. Am Ende ist es zwischen 2001 und 2003 um gerade einmal gut 1% gewachsen. Das ist deutlich weniger als in Spanien und in Großbritannien und bleibt auch hinter dem Zuwachs in Frankreich zurück. Dieser Wert liegt auch nur leicht über dem deutschen. Bemerkenswert ist aber, dass die Beschäftigung trotz-
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Abb. 3-44: Konjunkturelle Abschwungphasen in Italien Reales Bruttoinlandsprodukt Index: Quartal des jeweiligen BIP-Höhepunktes = 100
dem merklich gestiegen ist. Nach Spanien hat Italien den zweithöchsten Zuwachs seit dem Jahr 2000 zu verzeichnen. Dabei wies auch die italienische Wirtschaft markante außenwirtschaftliche Schwächen auf. Die Exporte gingen von 2001 bis 2003 um rund 10% zurück. Das war ein wesentlicher Unterschied zu früheren Schwächephasen, in denen die Exporte trotz allgemeiner konjunktureller Schwäche immer weiter gestiegen waren und damit die Wirtschaft stabilisiert hatten. Im Grundsatz war der eingeschlagene Weg ähnlich wie in Spanien. Binnenwirtschaftlich blieben die Lohnzuwächse hoch, die Lohnstückkosten stiegen ungebrochen an, wenn auch im Vergleich zu früheren Jahrzehnten der Hochinflation deutlich maßvoller. Ihr Zuwachs war allerdings sogar höher als während des Einbruchs zu Beginn der 90er Jahre. Die Inflationsrate blieb in der Folge hoch, schwächte sich aber im Unterschied zu Spanien im weiteren Verlauf doch leicht ab. Dennoch stiegen aufgrund des starken Preisauftriebs die Reallöhne in Italien kaum.
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Abb. 3-45: Konjunkturelle Abschwungphasen in Italien Reale Exporte Index: Quartal des jeweiligen BIP-Höhepunktes = 100
Aufgrund der höheren Beschäftigung sind die realen Entgelte wie auch die realen verfügbaren Einkommen gestiegen. Hierdurch ist wie in Spanien der Konsum erheblich gestützt worden. Eine Konsumschwäche war auch in Italien nicht zu beobachten. Die Sparquote stieg zu Beginn des Tiefs, wohl auch als Folge der gestiegenen Unsicherheit, um einen halben Prozentpunkt, sank aber dann sogar unter das Ausgangsniveau. Im Vergleich zum Konjunktureinbruch zu Beginn der 90er Jahre war der private Verbrauch damit ausgesprochen stark. Im Prinzip hat sich folglich in Italien eine ähnliche Tendenz wie in Spanien und in Frankreich herausgebildet. Auch die übrigen Komponenten der Binnennachfrage zeigen das bekannte Bild. Während die Ausrüstungsinvestitionen in der Tendenz unter der außenwirtschaftlichen Schwäche zu leiden hatten, setzten die Bauinvestitionen ihren Expansionskurs fort. Insgesamt war die Binnennachfrage dadurch relativ robust. Die geldpolitischen Wirkungen waren auch in Italien
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Abb. 3-46: Konjunkturelle Abschwungphasen in Italien Lohnstückkosten (Arbeitsentgelte in Relation zum realen BIP) Index: Quartal des jeweiligen BIP-Höhepunktes = 100
merklich expansiver als im Durchschnitt des Euroraums. Die höhere Inflationsrate ließ die kurzfristigen Realzinsen auf unter null sinken. Auch dies stimulierte die binnenwirtschaftliche Expansion. Von der Fiskalpolitik gingen dagegen keine Impulse aus. Die Defizite blieben im gesamten betrachteten Zeitraum nahezu unverändert hoch.7 Die gesamte Konstellation einer expandierenden Binnennachfrage führte in Italien im Hinblick auf das Wachstum zu merklich schlechteren Ergebnissen als in Frankreich oder gar in Spanien, obwohl die Exportquote ähnlich hoch ist wie in Frankreich. Dies erklärt dann zwar den Unterschied zu Spanien, aber noch nicht den zu Frankreich. Hier dürfte eine Rolle gespielt haben, dass der Verlust an internationaler Wettbewerbsfähigkeit in Italien merklich höher war als in Frankreich. Zudem war die binnenwirtschaftliche Stimulanz durchaus etwas geringer. Dies alles zusammen erklärt das insgesamt doch schwache Abschneiden Italiens. Umso bemerkenswerter ist der Beschäftigungszuwachs. Hier spielt allerdings eine Rolle, dass der italienische Staat
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Einstellungen im besagten Zeitraum steuerlich gefördert hat. In der Folge haben die Unternehmen die Beschäftigung erhöht. Da aber das Wachstum recht schwach war, musste dies zu einem Abflachen des Produktivitätswachstums führen. Hier liegt denn auch die Wurzel für den relativ starken Preisauftrieb. Bei den gegebenen Lohnsteigerungen und dem schwachen Produktivitätswachstum waren schließlich die Lohnstückkosten stark gestiegen und die Unternehmen reagierten auf die höheren Arbeitskosten mit entsprechenden Preisüberwälzungen, die zu dem oben dargestellten Ergebnis führten. Man kann das italienische Beispiel auch als eine unvollkommene binnenwirtschaftliche Expansion ansehen, zumal die finanzpolitischen Impulse doch recht schwach waren und die Inflation wegen der schwachen Produktivitätsfortschritte zu hoch war.
3.14 Erste Lehren aus den Beispielen Die Beispiele zeigen, dass es im Grunde zwei Strategien gab, die zähe konjunkturelle Schwäche zu Beginn des neuen Jahrtausends zu bewältigen. Auf der einen Seite – Extremfälle Deutschland und Österreich – wurde auf Lohnrestriktion gesetzt, um über eine verbesserte internationale Wettbewerbsfähigkeit das Wachstum wieder in Gang zu bringen. Auf der anderen Seite – Extremfall USA – wurden massive wirtschaftspolitische Impulse gesetzt, um die Binnennachfrage zu stimulieren und auf diese Weise die Wirtschaft wieder auf einen Expansionspfad zu bringen. Bei beiden Strategien sind Erfolge und Misserfolge zu verzeichnen. Allerdings spricht auf den ersten Blick vieles dafür, dass mittlere und größere Volkswirtschaften mit einem relativ großen Binnenmarktanteil den Weg über eine binnenwirtschaftliche Expansion wählen sollten, während kleinere Volkswirtschaften mit einem hohen Exportanteil eher den Weg über die verbesserte Wettbewerbsfähigkeit nehmen sollten.
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3.14 Erste Lehren aus den Beispielen
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Mit diesen Beschreibungen ist aber noch wenig darüber ausgesagt, wie die Stimulierung der Binnennachfrage und die Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit wirklich erreicht werden können. Zwei Hypothesen stehen zur Debatte. Die meisten Ökonomen machen strukturelle Schwächen für eine unbefriedigende Performance zwischen 2000 und 2004 verantwortlich. Die strukturellen Mängel zeigten sich in zu hohen Arbeitskosten, vor allem zu hohen Lohnnebenkosten, die im Kern durch die ausufernden Sozialsysteme verursacht würden. Im Ergebnis sei der Faktor Arbeit zu teuer. Das führe zum einen zum Abbau der Beschäftigung durch Substitution von Arbeit durch Kapital. Zum Zweiten verliere die jeweilige Volkswirtschaft an internationaler Wettbewerbsfähigkeit durch zu hohe Kosten, die keine konkurrenzfähige Preisbildung erlauben würden. Marktanteile gehen verloren und die inländische Wertschöpfung sinkt; es entsteht Arbeitslosigkeit. In der Konsequenz würde durch die Unterbeschäftigung die Binnennachfrage geschwächt. Eine gute Exportperformance sei dabei noch kein Hinweis auf eine hohe Wettbewerbsfähigkeit. Eine hohe Ausfuhr ist schon schließlich allein deshalb möglich, weil ein Großteil der Exporte erst durch Importe von billigen Vorleistungen, also letztlich ausländischem Arbeitseinsatz, konkurrenzfähig gemacht werde. Die Lösung der wirtschaftlichen Probleme läge in diesem Fall in einer Fortsetzung der Politik der Lohnzurückhaltung, verstärkt durch eine Reduzierung der Kosten für die Sozialsysteme, die ja gleichfalls die Kosten der Arbeit erhöhen. Die Gegenhypothese, von der einzelne Elemente bereits oben ausgeführt wurden, lautet, dass zum einen die gesamtwirtschaftlichen Impulse seitens der Wirtschaftspolitik in den vergangenen Jahren zu schwach waren, um die Nachfrage zu stabilisieren. Folglich seien die Wachstumsschwäche und der hieraus entstehende Beschäftigungsabbau im Kern ein Nachfrage- und kein Lohnproblem. Zum Zweiten sei die Lohnreaktion auf die Schwäche überzogen aus-
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gefallen und habe damit die Wirtschaft über niedrige Inflationsraten destabilisiert. Zwar sei die außenwirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit hierdurch gestiegen, doch wurde die Binnennachfrage geschwächt. Dies, und nicht der Bezug billiger Vorleistungen aus dem Ausland, erkläre die gute Exportperformance. Die Lösung liegt dann in einer expansiven Ausrichtung der Wirtschaftspolitik und einer weniger zurückhaltenden Lohnpolitik. Die beiden Hypothesen und die daraus folgenden Lösungsvorschläge sollen in den folgenden Kapiteln genauer analysiert und auf ihre Gültigkeit hin überprüft werden.
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4.1 Das neoklassische Leitbild Die Wirtschaftspolitik der vergangenen Jahre folgte den Vorschlägen, die auf der Basis unserer ersten Hypothese formuliert wurden. Die Wurzeln der Übel, die die deutsche Wirtschaft plagen, werden fast ausschließlich auf der Angebotsseite des Marktes gesehen. Das heißt, im Kern wird behauptet, die Rentabilität der Unternehmen ist zu gering, weil die Produktionskosten, insbesondere die für den Arbeitseinsatz, zu hoch seien. Im Klartext heißt dies, die Löhne in Deutschland sind zu hoch. In der Konsequenz wird behauptet, dass Heilungsvorschläge auch auf der Angebotsseite ansetzen müssen, während die Nachfrageseite, wenn überhaupt, nur eine untergeordnete Rolle spiele. Einige sehen dagegen die Nachfrageseite als den Faktor an, der die wirtschaftliche Entwicklung beschränkt. Das ist die Behauptung, die Einkommen der Haushalte und die Gewinne der Unternehmen sein zu gering, weil die effektiv wirksame Nachfrage nach Gütern und Dienstleistungen zu gering ist. Folglich sei auf dieser Seite des Marktes die Lösung der wirtschaftlichen Probleme zu suchen. Mit diesen beiden Positionen scheint auf den ersten Blick ein klar definierter Konflikt zwischen angebots- und nachfrageorientierten Vertretern der Ökonomie bzw. der Politik auf. In der Öffentlichkeit wird dies auch meist so wahrgenommen, wobei Letztere im Allgemeinen als rückständige Keynesianer und Erstere als Vertreter modernen und allgemein akzeptierten wirtschaftlichen Denkens und Handelns gesehen werden. Bohrt man tiefer im ökonomischen Denken und den entsprechenden theoretischen Ansätzen, dann werden noch andere Denkmuster entscheidend, die sich nicht nur an einer Seite des Marktes festmachen lassen. Der
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dort schlummernde Konflikt ist ein anderer, es ist der Gegensatz zwischen einzelwirtschaftlichem und gesamtwirtschaftlichem Denken und Handeln. Auf der einen – einzelwirtschaftlichen – Seite werden bei vielen moderneren Ansätzen ausschließlich individuell rationale Verhaltensweisen wie die Maximierung des eigenen Einkommens zur Grundlage auch von gesamtwirtschaftlichen ökonomischen Entscheidungen gemacht. Auf der anderen – gesamtwirtschaftlichen – Seite wird in älteren Modellen eine gesamtwirtschaftliche Rationalität wie das Erreichen von Vollbeschäftigung oder Preisstabilität als Basis gewählt. Dies ist einer der ganz entscheidenden Konflikte in der gegenwärtigen Analyse der wirtschaftlichen Entwicklung. Was man an Daten in der Wirtschaft beobachten kann, sind in ihrem harten Kern getätigte Transaktionen. Damit sind die Güterkäufe, die durch die entsprechenden Umsatzund Absatzzahlen ausgewiesen werden, gemeint. Oder Einstellungen und Entlassungen auf dem Arbeitsmarkt oder Käufe und Verkäufe von Aktien und anderen Finanztiteln an den Börsen dieser Welt. Transaktionen sind aber immer das Ergebnis zweiseitiger Bemühungen, nämlich von der Angebots- und von der Nachfrageseite. Es gibt ein Angebot an Gütern, das auf dem Markt verfügbar ist, und es gibt eine Nachfrage nach diesen Gütern, die gleichfalls auf dem Markt wirksam wird. Beide zusammen bestimmen die Transaktion. Insofern ist es a priori nicht einfach, zu entscheiden, ob eine Volkswirtschaft gerade aus Angebotsoder aus Nachfragegründen wächst oder schrumpft. Direkt zu beobachten ist dies nicht. Die entscheidende Frage für die Wirtschaftspolitik ist, welche Seite des Marktes denn nun das Transaktionsvolumen bestimmt. Die hinter diesen Überlegungen stehende Sichtweise des wirtschaftlichen Geschehens muss deutlich gemacht werden, um die Wurzeln der heute gängigen wirtschaftspolitischen Vorschläge zu erkennen.
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Nach neoklassischer Auffassung besteht auf den Märkten fortwährend ein Gleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage, bei dem jede Marktseite optimalen Nutzen aus den Transaktionen zieht. Bei den gegebenen finanziellen Mitteln kann also niemand zufriedener gestellt werden als auf einem so funktionierenden Markt. Das Gleichgewicht stellt sich durch einen Mechanismus ein, bei dem die Preise sich ständig so verändern, bis Angebot und Nachfrage tatsächlich übereinstimmen. Herrscht anfänglich ein Überangebot an Gütern, versuchen die Unternehmen, ihre überzählige Produktion zu einem niedrigen Preis abzusetzen. Dies löst zwei Reaktionen aus. Zum einen steigt bei einem niedrigeren Preis wegen der steigenden Reallöhne und Realeinkommen die Nachfrage. Zum Zweiten scheiden Unternehmen aus dem Markt aus, weil sie zu niedrigeren Preisen ihre Produkte nicht mehr rentabel anbieten können. Beide Reaktionen bewirken eine Reduzierung des Überangebots, führen also zu einem Ausgleich von Angebot und Nachfrage. Analoge Reaktionen geschehen bei einer Überschussnachfrage. In diesem Fall können anfänglich nicht alle Nachfragewünsche befriedigt werden. Die Unternehmen erhöhen in dieser für sie günstigen Situation die Preise, um ihre Produkte gewinnbringender abzusetzen. Auch hier treten zwei Reaktionen auf diesen Prozess auf. Zum einen steigt die Zahl der Anbieter, da bei steigenden Preisen die Produktion für immer mehr Unternehmen lohnend wird. Gleichzeitig scheiden mehr und mehr Nachfrager aus dem Markt, weil sie die Güter zu den höheren Preisen nicht mehr kaufen können oder wollen. Mit anderen Worten: Die Überschussnachfrage verringert sich, die Wirtschaft strebt wiederum zu einem Ausgleich von Angebot und Nachfrage, einem Gleichgewicht eben. Abgeleitet sind diese Überlegungen aus einzelwirtschaftlich rationalen Verhaltensweisen sowohl der Unternehmen als auch der privaten Haushalte. Die Nobelpreisträger Arrow und Debreu1 haben schon in den 50er Jahren des vori-
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gen Jahrhunderts gezeigt, dass eine so funktionierende, dem neoklassischen Modell entsprechende Ökonomie alle Marktteilnehmer in eine Position bringt, in der sie ihren ökonomischen Nutzen nur noch vermehren könnten, indem sie anderen etwas wegnehmen. Einen solchen Zustand nennt man ein allgemeines Wohlfahrtsoptimum, denn er ist damit auch für die Gesamtwirtschaft optimal. Diese in der Tat fundamentale Erkenntnis der beiden Autoren begründet bis auf den heutigen Tag das Primat einer dezentralen marktwirtschaftlichen Wirtschaftsverfassung mit flexibler Preisbildung, die keiner weiteren Eingriffe bedarf. In einer solchen Welt erübrigen sich Fragen nach Angebots- und Nachfragepolitik allerdings völlig, da sich über die flexible Preisbildung immer ein Gleichgewicht einstellt, bei dem letztlich alle zufrieden sein können. Der Grundgedanke gilt im Übrigen für alle Märkte, auch den Arbeitsmarkt, für den dann eine entsprechend flexible Lohnbildung das Gleichgewicht herbeiführt. Es ist dieses Leitbild einer Ökonomie, das für viele Ökonomen sogar einen im besten Sinne utopischen Charakter hat, welches die Wirtschaftswissenschaft auch in der Politikberatung bis heute prägt. Treten Probleme auf, so sind diese in der Regel immer darauf zurückzuführen, dass die Preis- oder viel häufiger die Lohnbildung nicht den oben geschilderten Anforderungen genügt und entsprechende strukturelle Reformen durchgeführt werden müssen, die die Preisund Lohnbildung hinreichend flexibel machen. So intellektuell faszinierend diese Erkenntnisse auch sein mögen, als gesamtwirtschaftliches Konzept überzeugen sie letztlich nicht. Selbst Arrow und Debreu war bewusst, unter welch rigiden Annahmen ihre Schlussfolgerungen haltbar waren. Die hier geforderte Preis- und Lohnflexibilität kann nur auf Märkten existieren, die zumindest große Ähnlichkeit mit einem Auktionsmarkt haben. Denn die Marktteilnehmer müssen jederzeit präsent sein und jederzeit den vollständigen Überblick über den Markt haben, um tatsächlich ihr Nut-
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zenoptimum zu realisieren. Zudem dürfen Preis- und Lohnänderungen nicht mit Kosten verbunden sein, da ansonsten eine flexible Preis- und Lohnänderung nicht optimal sein kann. Das alles geht nur, wenn die Sammlung und Auswertung von Informationen nicht mit Kosten verbunden ist. Selbst im Zeitalter von eBay sieht die Wirklichkeit in der Regel anders aus. Transaktionen finden nicht an einem Ort statt, sie sind zeitlich auch nicht konzentriert und selbstverständlich sind nicht alle Marktteilnehmer jederzeit am Markt und auch nicht vollständig über die Marktverhältnisse informiert. Denn in der Realität verursacht das Sammeln und Auswerten von Informationen Kosten. Für die meisten Güter sind nicht einmal Preisänderungen kostenlos; von Lohnänderungen ganz zu schweigen. Das Wirtschaftsgeschehen ist also wesentlich vielfältiger und damit unübersichtlicher und unsicherer als in dem Leitbild der Neoklassik dargestellt. Unter solchen Umständen ist es keinesfalls optimal, weil schlicht zu kostspielig, über alles informiert zu sein. Dieser Einsicht wird auch in moderneren wirtschaftstheoretischen Ansätzen Rechnung getragen, allerdings in sehr unterschiedlicher Weise. Es gibt noch ein zweites Dogma, das die heute herrschende Lehre auszeichnet. Das heißt, jedes Angebot schafft sich letztlich seine Nachfrage selbst. Dieses sog. Say’sche Theorem begründet, warum die Nachfrageseite, die ja in dem oben dargestellten reinen neoklassischen Modell gleichberechtigt mit der Angebotsseite zur Findung eines Gleichgewichts beiträgt, doch weitgehend zu vernachlässigen ist. Dabei wird davon ausgegangen, dass, solange Unternehmen gesamtwirtschaftlich Produkte rentabel anbieten können, es Nachfrager gibt, die sie erwerben. Man geht davon aus, dass Unternehmen bereits im Vorfeld des Marktangebots die Beschäftigung erhöhen und damit selbst den Boden für die Nachfrage bereiten. Dagegen gibt es zwei schwerwiegende Einwände. Zum einen läuft die Beschäftigung der Produktion immer erst nach. Am Anfang auch erfolgreicher
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Firmen produzieren die Selbständigen ihr Produkt erst einmal alleine oder mit einem Minimum an Mitarbeitern. Erst wenn ein Produkt wirklich den Absatz findet, den man sich erhofft, wird die Beschäftigung erhöht. Der zweite Einwand ist theoretischer Natur. Ob ein Angebot wirklich rentabel ist, hängt auch von der Nachfrage ab. Ein Angebot, das niemand will, ist niemals rentabel. Insofern ist das Say’sche Theorem ein eher schwankender Boden für die Begründung einer einseitig auf das Angebot ausgerichteten Wirtschaftspolitik.
4.2 Das Keynes’sche Leitmodell In den Keynes’schen Analysen wird eine ganz andere Weltsicht des Wirtschaftsgeschehens präsentiert.2 Hier ist nicht der Auktionsmarkt das Leitbild, sondern das dezentrale Handeln von unsicheren Unternehmen und Konsumenten, die nicht wissen, ob sich ihre Investitionen auszahlen werden und wie sich ihre Beschäftigungssituation gestalten wird. In einer solchen Sichtweise spielt Unsicherheit3 eine markante Rolle für wirtschaftliche Entscheidungen und die Methoden zu deren Begrenzung. Insbesondere sind Preise und Löhne in diesen Ansätzen nicht mehr unendlich flexibel, da damit die Unsicherheit noch vergrößert wird bzw. mit ihrer Änderung erhebliche Kosten verbunden sind. Wenn dies aber der Fall ist, kommen Angebot und Nachfrage nicht mehr so reibungslos zum Ausgleich wie im neoklassischen Grundmodell und damit entsteht auch kein Gleichgewicht. Es wird sich dann vielmehr ein Ungleichgewicht herausbilden, bei dem die Transaktionswünsche einer Marktseite unerfüllt bleiben. Eine allgemeine Zufriedenheit stellt sich in diesem Modell am Ende nicht ein. Anbieter oder Nachfrager werden schließlich rationiert. Unabhängig davon, auf welchem Markt dies geschieht, sind Konsequenzen für andere Märkte unvermeidlich. Ganz
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4.2 Das Keynes’sche Leitmodell
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offenkundig wird dies am Beispiel des Arbeitsmarktes. Findet jemand zum herrschenden Lohn keine Arbeit, bedeutet dies, dass sein Arbeitsangebot nicht zum Zuge kommt, er also rationiert wird. Der Arbeitsanbieter ist arbeitslos. In der Konsequenz hat der entsprechende private Haushalt weniger Einkommen und schränkt seine Nachfrage auf dem Gütermarkt entsprechend ein. Denn bei geringem Einkommen z. B. in Höhe des Arbeitslosengeldes sind Einschränkungen des Konsums in der Regel unvermeidlich. Mit anderen Worten, die Rationierung auf dem Arbeitsmarkt berührt auch den Gütermarkt. Sinkt aber der Konsum, heißt dies auch, dass der Absatz der Unternehmen schrumpft. Der hängt eben auch von der Höhe der Arbeitslosigkeit ab. In einem keynesianischen Modell ist das Geschehen auf den verschiedenen Märkten also nie unabhängig voneinander zu sehen, sondern immer im Wechselspiel. Ursache ist die unvollkommene Flexibilität der Preis- und Lohnbildung. Während Keynes und seine älteren Epigonen diese unvollkommene Flexibilität aus einer makroökonomischen Perspektive begründen, versuchen neuere Ansätze, sie auch aus einzelwirtschaftlichen Zielvorstellungen herzuleiten. Auch diese Modelle zeigen, dass Unsicherheit selbst aus einzelwirtschaftlicher Sicht eine unvollkommene Preis- und Lohnflexibilität impliziert.4 In diesen Ansätzen spricht man im Übrigen nicht mehr von einem Ungleichgewicht auf den Märkten, sondern von einem Gleichgewicht bei Rationierung. Gleichgewicht deshalb, weil sich das Marktergebnis letztlich auch auf einzelwirtschaftliches Verhalten zurückführen lässt. Die Transaktionsmenge ist in diesen Modellansätzen nur von einer Marktseite bestimmt. Je nach Art der Schocks kann sowohl eine Rationierung der Angebotsseite als auch der Nachfrageseite auftreten. Diese knappe Marktseite bestimmt die Transaktionsmenge und je nachdem ist auch eine Angebots- bzw. eine Nachfragepolitik erforderlich, um die Wirtschaft wieder zu beleben.
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4.3 Arbeitslosigkeit und Schocks Ein wesentlicher Unterschied zum neoklassischen Modell entsteht in diesen Modellen vor allem dann, wenn eine Volkswirtschaft, aus welchen Gründen auch immer, Schocks und Belastungen ausgesetzt wird. In einem neoklassischen Modell würden solche Ereignisse zu raschen Preis- und Lohnreaktionen führen, die das Gleichgewicht für die Güter- und Arbeitsmärkte bewahren würden. Eine relativ stabile Wirtschaftsentwicklung wäre die Folge. Auch Arbeitslosigkeit wäre anscheinend kein Problem, denn die gesamte Angebotsmenge an Arbeit würde ja beschäftigt. Neuere Ansätze kommen jedoch zu einem anderen Ergebnis. Eine entscheidende Veränderung des neoklassischen Modells wurde von Lucas5 vorgenommen. Er leitet Angebotsfunktionen her, die von nur langfristig veränderbaren Faktoren determiniert werden. Damit ist das Angebot kurzfristig kaum veränderbar. Im Kern, nämlich auf die kurze Frist, läuft dies auf das Say’sche Theorem hinaus. Eine solche Angebotsfunktion kann implizieren, dass nicht alle erwerbsfähigen Arbeitsanbieter ihre Arbeit auch zu jedem Zeitpunkt tatsächlich anbieten. Damit ist in diesem Modellrahmen nicht ausgeschlossen, dass beim Auftreten von negativen Schocks kurzfristig Arbeitslosigkeit entsteht, weil das Angebot nicht reagiert. Im Kern ist länger anhaltende Arbeitslosigkeit aber sog. freiwillige Arbeitslosigkeit von Menschen, die z. B. zum herrschenden Lohnsatz nicht arbeiten wollen. Dies ist denn auch heute der Standpunkt vieler Ökonomen, dass zumindest ein großer Teil der zu beobachtenden Arbeitslosigkeit in diesem Sinne freiwilliger Natur ist.6 Die Arbeitsanbieter fordern demnach zu hohe Lohnsätze, für die es keine rentablen Beschäftigungsmöglichkeiten gibt. Die »Schuld« wird zum Teil bei den Gewerkschaften mit ihren insbesondere für die niedrig Qualifizierten zu hohen Lohnforderungen gesehen, die zumindest in den Gültigkeitsbereichen von Tarifverträgen nicht unterlaufen werden können. Zum Teil wird
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4.3 Arbeitslosigkeit und Schocks
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aber auch ein zu großzügiges System der sozialen Sicherung hierfür verantwortlich gemacht, dessen Leistungen so bemessen sind, dass die Arbeitsanbieter es als lohnender erachten, nicht zu arbeiten. In jedem Fall muss die Ursache der Arbeitslosigkeit nach diesen theoretischen Vorstellungen auf dem Arbeitsmarkt gesucht werden. Vor allem ist die zu hohe soziale Absicherung die Wurzel des Problems. Damit ist nicht der einzelne Arbeitsanbieter an seiner Arbeitslosigkeit »schuld«, wohl aber die bestehenden Arbeitsmarktinstitutionen einschließlich der Gewerkschaften.7 In einem keynesianischen Modell sind die Ursachen von Arbeitslosigkeit komplexer. Hier entstehen je nach Art der Schocks Rationierungen in den Nachfrage- oder Angebotsmengen, die auf alle Märkte ausstrahlen. Insbesondere gilt, dass auch das Angebot auf kurzfristige Einflüsse reagiert und somit sehr wohl veränderbar ist. Unter diesen Umständen kann eine Volkswirtschaft immer wieder starken Aktivitätsschwankungen ausgesetzt sein, die auch Arbeitslosigkeit implizieren können. Die Ursache von Arbeitslosigkeit ist aber nicht zwangsläufig in zu hohen Löhnen oder einer zu großzügigen sozialen Sicherung zu suchen, sondern kann auch Folge von Nachfragemangel an den Gütermärkten sein, der über eine zu geringe Produktion auf dem Arbeitsmarkt Spuren hinterlässt. Die Ursache von Arbeitslosigkeit liegt in diesen Modellen folglich nicht unbedingt auch auf dem Arbeitsmarkt, sondern kann ihren Ursprung sehr wohl auf dem Gütermarkt haben. Viele der keynesianischen Überlegungen sind heute auch Teil von neoklassisch inspirierten Modellen. Ein weitgehender »Konsens« in der internationalen akademischen Forschung hat sich mittlerweile darüber gebildet, dass Preisund Lohninflexibilitäten zumindest auch aus mikroökonomischer Sicht bestehen. Damit ist auch akzeptiert, dass es zu Ungleichgewichten oder Gleichgewichten mit Rationierungen kommen kann. Dissens besteht aber nach wie vor darüber, wie lange ein solcher Zustand vorhält. Während die
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einen, die stärker von der neoklassischen Lehre inspiriert sind, meinen, dass dies nur ein sehr temporärer Zustand sei, weil sich Preise und Löhne dann doch sehr rasch anpassen, gehen eher keynesianisch orientierte Ökonomen davon aus, dass ein solcher Zustand zumindest über einen längeren Zeitraum anhalten kann. Er kann sich sogar dauerhaft verfestigen, wenn die Wirtschaftspolitik nicht reagiert. Im ersten Fall würden im Kern noch die optimistischen Schlussfolgerungen des neoklassischen Leitmodells im Falle von Schocks gelten. Dies gilt auch für unfreiwillige Arbeitslosigkeit, die dann allenfalls kurzfristig durch Aktivitätsschwankungen verursacht werden kann. Im zweiten Fall sind dagegen lang anhaltende Schwankungen der Wirtschaftsaktivität zu erwarten, die auch hartnäckige Arbeitslosigkeit begründen können.
4.4 Von Konjunktur und Struktur Das neoklassische Modell wirft also gravierende Fragen auf. Eigentlich sind in diesem Modellrahmen längere oder tiefgreifende wirtschaftliche Schwächephasen wie auch die jüngste hartnäckige Stagnation letztlich unerklärlich. Denn die dem Markt eigenen oben beschriebenen Stabilisierungskräfte müssten die Volkswirtschaft immer wieder rasch zurück auf den Pfad von Vollauslastung und Vollbeschäftigung zumindest in dem Sinne bringen, das alle, die Arbeit zu den herrschenden Löhnen suchen, sie auch finden. In der Realität ist dies aber offensichtlich nicht der Fall. Damit verlöre, beließe man es dabei, das Modell an Erklärungskraft. Hier hilft eine wichtige Unterscheidung weiter, die oben bereits ausgeführt wurde. Von den meisten Ökonomen wird heute zwischen strukturellen und konjunkturellen Entwicklungen unterschieden. Häufig wird dieser Unterschied leider nur wenig reflektiert und entsprechend schillernd gebraucht. Strukturelle Faktoren sind nach mittlerweile übli-
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chem Sprachgebrauch unter Ökonomen eher langfristige Faktoren. Als konjunkturell werden eher kurzfristige Ereignisse angesehen. Mit dieser Differenzierung lässt sich das neoklassische Modell – wie von Lucas ausgeführt – dahingehend modifizieren, dass mit seiner Hilfe mehr die langfristigen Entwicklungen erklärt werden können, während das keynesianische Modell nur für die kurze Frist zuständig ist. Von besonderer Bedeutung ist dabei die Lucas’sche Angebotsfunktion, bei der das Angebot kurzfristig nicht variabel ist und daher das Gleichgewicht bestimmt. Die Aufteilung in Struktur und Konjunktur ist auch zur Beurteilung der aktuellen Wirtschaftspolitik von entscheidender Bedeutung. Aus dieser Zweiteilung folgt nämlich, dass Konjunkturkrisen per definitionem nur kurzfristiger Natur sein können. Besteht aber z. B. Arbeitslosigkeit über einen längeren Zeitraum, wird sie gleichsam automatisch als strukturell interpretiert. Aber dieses Vorgehen wirft die Frage auf, wieso langfristige Arbeitslosigkeit herrschen kann, wenn das grundlegende Modell eine rasche Markträumung impliziert. Als Erklärung dient die schon oben erläuterte »freiwillige« Arbeitslosigkeit, die auf die mangelnde Bereitschaft der Arbeitsanbieter oder der institutionellen Rahmenbedingungen zurückzuführen ist, zum herrschenden Vollbeschäftigungslohnsatz zu arbeiten. Auf Dauer herrscht dann zwar eine Markträumung. Aufgrund struktureller Gegebenheiten bedeutet dies jedoch nicht, dass keine Arbeitslosigkeit auftreten kann. Deren Ursachen haben freilich gemäß dieser Sichtweise nichts mit Konjunktur zu tun und sind nur längerfristig mittels struktureller Maßnahmen, die die Arbeitsmarktinstitutionen verändern, zu korrigieren. Die Zweiteilung in kurz- und langfristige bzw. konjunkturelle und strukturelle Erklärungsansätze erfordert auch ein entsprechendes Instrumentarium, das nicht zuletzt bei der empirischen Analyse eine Identifikation der verschiedenen Faktoren ermöglicht. Schließlich sieht man z. B. aktuellen Produktionsgrößen nicht auf Anhieb an, welcher Teil
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durch langfristige Einflussfaktoren bestimmt wird und welcher durch kurzfristige. Diese Unterscheidung wird in der Regel mittels sog. Trendbereinigungsverfahren getroffen. Sie bestimmen anhand statistischer Kriterien wie z. B. der durchschnittlichen Länge des Konjunkturzyklus, welcher Teil der beobachteten Entwicklung langfristiger Trend und welcher kurzfristiger Natur ist. Signifikante Abweichungen von diesem Durchschnitt werden als strukturell identifiziert. Struktur, das ist dann der langfristige Trend, Konjunktur, das sind die kurzfristigen Abweichungen vom Trend. Dieses Vorgehen, so intuitiv schlüssig es auf den ersten Blick erscheinen mag, wirft einige Probleme auf, die gerade in der jüngsten Schwäche deutlich wurden. Dauert eine Phase des Zyklus außergewöhnlich lange, werden die sich in dieser Lage einstellenden ökonomischen Phänomene mindestens zum Teil als strukturell interpretiert. Gerade in der jüngsten Schwäche, bei der es relativ lange dauerte, bis eine Erholung einsetzte, zeigten die entsprechenden Indikatoren insbesondere zum Ende hin einen hohen strukturellen Anteil an. Dass dies nicht nur von rein theoretischem Interesse ist, sondern konkrete wirtschaftspolitische Folgen hat, zeigt das Beispiel der Defizitberechnung bei den öffentlichen Haushalten. Je länger die Stagnation in Deutschland andauerte und sich die Fehlbeträge in den öffentlichen Haushalten entsprechend ausweiteten, ein desto größerer Teil dieser Defizite wurde, auch wenn sich deren Betrag kaum änderte, als strukturell interpretiert. Da aber eine Ausweitung der strukturellen Defizite selbst bei konjunkturellen Tiefs als mit dem Stabilitätspakt nicht vereinbar angesehen wurde, forderte die EU-Kommission im Herbst 2003, Sanktionen gegen Deutschland zu erheben; ein Vorgang, der zu erheblichen politischen Verwerfungen zwischen der Bundesregierung und der EU- Kommission führte. Die technische Ursache einer solchen sich verschiebenden Interpretation liegt daran, dass die gängigen Verfahren zur Trendbereinigung den zugrunde liegenden Trend über
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kurz oder lang immer an die aktuelle Entwicklung anpassen. Ist die wirtschaftliche Entwicklung also günstig, steigt mit einer gewissen Verzögerung auch der Trend, ist sie ungünstig, fällt er. Der Trend ist also demnach bei Anwendung dieser Verfahren letztlich nicht unabhängig von der aktuellen Entwicklung; eine eigenständige Erklärung gibt es nicht. Gleichwohl werden in den sich abflachenden Wachstumstrend in Deutschland sämtliche vermuteten oder tatsächlichen strukturellen Probleme hineininterpretiert. Dies ist eine sehr dürftige empirische Grundlage, zumal a priori nicht ausgeschlossen werden kann, dass der so ermittelte Trend nicht am Ende doch das Ergebnis konjunktureller Einflüsse ist. Mit diesen Überlegungen steht aber auch die empirische Grundlage für jene Thesen zur Disposition, die eine durchgreifende Beschleunigung des Wachstums allein von strukturellen Reformen erwarten.
4.5 Rationalität und Erwartungen In den bisherigen Überlegungen spielte Unsicherheit noch eine sehr allgemeine Rolle. Tatsächlich geht sie aber in den neueren Ansätzen in sehr spezifischer Form in die Verhaltensweisen der Marktteilnehmer ein, nämlich über die Erwartungsbildung, durch die die Vorstellungen der Marktteilnehmer über die zukünftige wirtschaftliche Entwicklung in die gegenwärtigen Entscheidungen einfließen. Hier hat sich die sog. rationale Erwartungsbildung als Standard in den Modellen gleich welcher Provenienz durchgesetzt.8 Rationale Erwartungsbildung heißt, dass die Marktteilnehmer ihre Erwartungen auf der Basis des jeweiligen Modells formen. Das ist nichts anderes als die Annahme, dass jemand sich ein Bild vom Funktionieren der Wirtschaft gemacht hat, und sich in seinem privaten Verhalten auch entsprechend diesem Bild verhält. In einem neoklassischen Ansatz bedeutet dies z. B., dass jeder Marktteilnehmer nur
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von einer allenfalls kurzfristigen Arbeitslosigkeit ausgeht. Denn er glaubt ja auf der Basis des von ihm unterstellten Modells, dass es anders gar nicht sein kann. Glaubt er an ein keynesianisches Modell, würde er gegebenenfalls auch eine länger anhaltende Unterbeschäftigung erwarten. Rational ist dies, weil das jeweilige Modell, das in den Augen der Marktteilnehmer die Wirklichkeit zutreffend beschreibt, als Informationsbasis verwendet wird und nicht außerhalb des Modells liegende oder gar intuitive Vorstellungen. Dieses Konzept ist damit ökonomisch wesentlich gehaltvoller als die früher häufig unterstellte perfekte Voraussicht oder die Annahme sich langsam anpassender (adaptiver) Erwartungen. In jedem Fall wird hier plausibel davon ausgegangen, dass es eine systematische Täuschung der Marktteilnehmer, die auf der Suggestion eines falschen Modells oder auf der Abwesenheit jeglichen Modells und damit auf systematisch falschen Erwartungen basiert, kaum geben dürfte. In jüngster Zeit mehren sich freilich die Bedenken gegen eine strikte Anwendung dieses Prinzips der Rationalität. Die Einwände greifen dabei weit über die Erwartungsbildung hinaus. Es geht bei diesen Einwänden im Kern um die systematische Kenntnis des Modells, das die ökonomische Wirklichkeit beschreiben soll. Diese Annahme setzt bei dem einzelnen Marktteilnehmer einen extrem hohen Kenntnisstand und Informationsaufwand voraus. Ist es aber wirklich rational, sich diese Kenntnisse mit den dadurch verursachten erheblichen Informationsaufwendungen zu erwerben? Oder ist es unter Berücksichtigung des Aufwands nicht rational, auf der Basis unvollständiger Kenntnis des Modells seine Entscheidungen zu treffen? Zunehmend wird die letzte Frage mit Ja beantwortet. Akerlof und Yellen waren unter den Ersten, die begrenzte Rationalität als Konzept in die makroökonomische Debatte einführten.9 Zuletzt waren es vor allem Snower und andere, die diese Gedanken weitergeführt haben.10 Im Wesentlichen geht es darum, dass Marktteilnehmer sich nicht um eine
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exakte Berechnung von Schlüsselgrößen bemühen, sondern sich aus Effizienzgründen damit begnügen, Tendenzen richtig einzuschätzen. So spielt es für ihr Verhalten keine Rolle, ob die erwartete Inflationsrate bei 1,2% oder 1,5% liegt (Akerlof). Wichtig für sie ist, ob die Inflation sich ständig beschleunigt oder gar Zielsetzungen für Preisstabilität seitens der Zentralbank verletzt werden. Erst dann würde sich ein Einfluss auf ihr Verhalten ergeben. Im Ergebnis kann damit für einzelne Marktteilnehmer, meist Unternehmen oder auch wirtschaftspolitische Institutionen, ein Informationsvorsprung entstehen, der von diesen innerhalb eines bestimmten Rahmens ausgenutzt werden kann. Gleichwohl bleibt es insbesondere für die privaten Haushalte auch um den Preis einer gewissen Benachteiligung rational, den Informationsaufwand zu scheuen. Diese Rationalitätsdebatte hat im Übrigen weitreichende Folgen für die Einschätzung der Selbstheilungskräfte einer Volkswirtschaft. Sie betrifft auch das Verhältnis von einzelwirtschaftlichem zu gesamtwirtschaftlichem Verhalten. In neoklassischen Modellen kommt der Erwartung, dass die Wirtschaft auch nach neoklassischem Muster funktioniert, eine entscheidende stabilisierende Bedeutung zu. Wenn es infolge eines Schocks zu einem Anstieg der Arbeitslosigkeit kommt, erwarten alle Marktteilnehmer, dass dieser nur temporären Charakter hat und durch rasche Lohnsenkungen wieder überwunden wird. Folglich werden während des Prozesses der Lohnsenkung sowohl die privaten Haushalte im Hinblick auf ihre Einkommen als auch die Unternehmen im Hinblick auf ihren Absatz von einer wieder steigenden Beschäftigung ausgehen. Die Folge ist, dass die Haushalte ihre Konsumausgaben nur wenig zurückfahren werden, erwarten sie doch, dass sich die Lage bald wieder bessert und sie allenfalls kurzfristig weniger sparen bzw. sich verschulden müssen. Die Unternehmen werden ihre Produktion und ihre Investitionen ebenfalls nur maßvoll nach unten anpassen. Insbesondere werden sie bereit sein, im Zuge der Lohn-
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senkungen ihre Beschäftigung rasch zu erhöhen, da sie ja von einer unmittelbar bevorstehenden Besserung der Lage ausgehen können. Ökonomische Krisen enthalten damit in diesem Modell immer schon die Erwartung einer Besserung. Mit diesem inhärenten Optimismus ist aber auch schon der Keim der Besserung gelegt. Denn bei derart optimistischen Aussichten springen Konsum und Investitionen von alleine wieder an. Konjunkturkrisen wären in einer solchen Welt eigentlich kein Thema. Mit dieser Erwartungsbildung wird das neoklassische Modell einerseits konsistent erweitert. Gleichzeitig wird durch diese Form der Erwartungsbildung der Unterschied zwischen einzelwirtschaftlichem und gesamtwirtschaftlichem Handeln aufgehoben. Denn wenn Schocks auftreten, verhalten sich Haushalte und Unternehmen wegen dieser Art von Erwartungsbildung gesamtwirtschaftlich stabilisierend, indem sie aufgrund ihrer Erwartung, dass sich das Gleichgewicht wieder einstellen wird, ihre optimalen einzelwirtschaftlichen Entscheidungen antizyklisch in Relation zum jeweiligen Schock treffen und ihn damit gleichsam neutralisieren. Wären die Erwartungen der Marktteilnehmer anders, wären sie z. B. unsicher darüber, ob die Wirtschaft bald wieder auf das alte Gleichgewicht zurückkehrt, wären sie mit Sicherheit vorsichtiger in ihrem Konsum- und Investitionsverhalten. Dann aber würden sie sich auch nicht mehr stabilisierend verhalten. Denn wenn die privaten Haushalte sich nicht sicher sind, ob die Beschäftigungslage sich z. B. bald bessert, reduzieren sie ihren Konsum. Und wenn die Unternehmen ihre Absatzchancen düster einschätzen, werden sie ihre Investitionen zurücknehmen. Beides verstärkt den ursprünglichen Schock. Dieses einzelwirtschaftliche Verhalten wirkt aber gesamtwirtschaftlich destabilisierend und stünde damit im Widerspruch zum neoklassischen Modell. Im keynesianischen Modell, insbesondere mit rationalen Erwartungen, sind die Gegebenheiten völlig andere. Zu
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Recht erwarten die Marktteilnehmer keine rasche Überwindung eines Schocks, sondern bestenfalls eine allmähliche. Daher werden sie mindestens kurzfristig z. B. mit deutlicher Konsum- und Investitionszurückhaltung reagieren, die für sie aus einzelwirtschaftlicher Sicht unter diesen Umständen auch optimal ist. Sie verstärkt allerdings den Schock und trägt damit zur Verfestigung z. B. der Arbeitslosigkeit bei. Folglich ist in einem keynesianischen Modell das einzelwirtschaftlich optimale Verhalten gesamtwirtschaftlich schädlich. In diesen Ansätzen besteht eine Dichotomie zwischen einzelwirtschaftlich und gesamtwirtschaftlich optimalem Verhalten. Das ist genau der Grund, warum im Gegensatz zum neoklassischen Modell wirtschaftspolitische Interventionen erforderlich sind.
4.6 Die Rolle der Wirtschaftspolitik Die vorgestellten Grundströmungen gesamtwirtschaftlichen Denkens unterscheiden sich fundamental im Hinblick auf die Wirkung von Wirtschaftspolitik, die zur konjunkturellen Stabilisierung eingesetzt wird. Gemeint sind damit primär die Geld- und die Fiskalpolitik. Zu unterscheiden ist dabei zwischen rein nominalen Inflations- und realwirtschaftlichen Produktionswirkungen. Ersteres besagt, dass die Wirtschaftspolitik im Kern auf längere Sicht nur die Inflationsrate beeinflussen kann, aber nicht Wachstum und Beschäftigung. Letzteres impliziert dagegen, dass die Wirtschaftspolitik doch Wachstum und Beschäftigung beeinflusst, dagegen keine oder kaum Inflationswirkungen aufweist. In der Logik neoklassischer Modelle hat eine auf konjunkturstabilisierende Wirkung bedachte Wirtschaftspolitik letztendlich nur Inflationswirkungen. Dies sei am Beispiel der Geldpolitik in einer Schwächephase verdeutlicht. Eine expansive Geldpolitik, die die Wirtschaft wieder beleben soll, erhöht über Zinssenkungen die in der Volks-
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wirtschaft zur Verfügung stehende Geldmenge. Im Standardmodell der Neoklassik steigt, da das Angebot ja allein strukturellen Faktoren unterliegt, allein die Nachfrage. Um die Wirtschaft im Gleichgewicht zu halten, werden nun die Preise steigen, die die Nachfrage wieder auf das ursprüngliche mit dem Angebot übereinstimmende Niveau reduziert. Im Ergebnis hat sich an den gehandelten Mengen, dem realwirtschaftlichen Wachstum, nichts geändert und die Wirtschaft verharrt in der Schwäche; allein das Preisniveau ist gestiegen. An diesem Ergebnis ändert sich prinzipiell nichts, wenn man Unsicherheit berücksichtigt und unterstellt, dass der Preis- und Lohnmechanismus nicht ganz so flexibel ist. Bei rationalen Erwartungen kann selbst durch Unsicherheit keine systematische Ausweitung der Produktion erreicht werden. Allein erratische Abweichungen durch zufallsbedingte Erwartungsfehler zeigen realwirtschaftliche Konsequenzen. In der Tendenz steigt wieder nur das Preisniveau. Ein etwas unflexibler Preis- und Lohnmechanismus hat dagegen die Folge, dass es zu positiven realwirtschaftlichen Effekten durch eine expansive Geldpolitik kommt. Allerdings werden diese nur kurzfristiger Natur sein, wenn die Rigiditäten bei Preisen und Löhnen nur gering sind. Eine nennenswerte oder durchgreifende Belebung der Konjunktur könnte durch Wirtschaftspolitik dann gleichfalls nicht gelingen, und es bestünde immer die Gefahr inflationärer Impulse. Die generelle Schlussfolgerung aus dieser Art von Modellen ist, dass Konjunkturpolitik, sei es durch die Geldpolitik, sei es durch die Finanzpolitik, letztlich realwirtschaftlich weitgehend unwirksam ist, und ihr Ziel, die Konjunktur zu beleben, nicht zu erreichen vermag. Damit verflüchtigten sich auch die Hoffnungen auf eine Senkung der Arbeitslosigkeit. Die gesamte wirtschaftspolitische Strategie erwiese sich als sinnlos, ja sogar gefährlich, weil sie auf Dauer Inflation produziert. Diese wirtschaftspolitischen Vorstellungen sind derzeit in Europa und vor allem in
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Deutschland dominierend. Dies erklärt die auch in der Politik weitverbreitete Abneigung gegen konjunkturstabilisierende Maßnahmen und es erklärt auch, warum die vorherrschende wirtschaftspolitische Strategie von Strukturmaßnahmen ohne Blick auf die Konjunktur geprägt ist, die nach diesen Ansätzen ja ohnehin nur sehr kurzfristige Wellen schlägt und daher kaum einer Beachtung wert scheint. In jüngster Zeit gewinnen vor allem in den USA, aber auch in Europa wirtschaftspolitische Vorstellungen wieder an Gewicht, die die Rolle der Wirtschaftspolitik durch eine keynesianische Brille neuer Prägung sehen. In dieser Sichtweise sind die Preis- und Lohnrigiditäten schon aus einzelwirtschaftlichen Gründen so stark, dass sehr wohl eine langfristige realwirtschaftliche Wirkung von Konjunkturpolitik besteht. In diesen Ansätzen führt ein expansiver geldpolitischer Kurs, der helfen soll, eine Konjunkturschwäche zu überwinden, über niedrige Zinsen primär zu einer Ausweitung der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage und nicht zu Preiserhöhungen. Voraussetzung dafür, dass eine Stimulanz der Nachfrage auch erfolgreich sein kann, ist, dass die Ursache der Konjunkturschwäche tatsächlich in einer Nachfrageschwäche besteht. In diesem Fall wird es aber durch eine expansive Geldpolitik zu einer auch längerfristig wirksamen Belebung kommen, und eine konjunkturstabilisierende Wirtschaftspolitik ist unverzichtbarer Teil einer wirtschaftspolitischen Strategie. In den USA und teilweise auch in Großbritannien und Frankreich besitzen diese Vorstellungen Einfluss. Vor allem in Deutschland spielen diese Gedanken jedoch nur eine untergeordnete Rolle in der wirtschaftspolitischen Ausrichtung. Im Gegenteil, Konjunkturpolitik ist hier weitgehend diskreditiert und wird gleichsam als Opium für das Volk angesehen, das die wahren wirtschaftlichen Probleme vernebelt und damit von den eigentlichen notwendigen Strukturreformen ablenkt. Nur durch diese kann nach Auffassung der Mehrheit der Ökonomen die deutsche Wirtschaft
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wieder belebt werden. Nun ist eine der grundlegenden Hypothesen dieses Buches, dass die Wirtschaftspolitik vor allem in Deutschland gerade durch ihre Fokussierung auf Strukturreformen konjunkturpolitisch versagt hat und damit die lange Dauer der Schwäche mitverursacht hat. Können also Strukturreformen die Wirtschaft nicht beleben? Schon der Begriff Strukturreform ist schillernd. Gemeint ist damit in der Regel, dass bestehende Strukturen durch wirtschaftspolitische Eingriffe verändert werden. Das kann aber vieles heißen. Am Ende gilt es, für die hier relevanten Fragen zu entscheiden, wie sich durch diese Reformen ökonomische Anreize verändern und ob diese veränderten Anreize zu mehr Wachstum führen. Die Antwort hängt davon ab, wie die Anreize auf welcher Marktseite wirken. Ist die Angebotsseite der Engpassfaktor, sollten alle das Angebot verstärkenden Anreize sich positiv auf die wirtschaftliche Entwicklung auswirken, da sie das wirtschaftliche Ungleichgewicht zu überwinden helfen. Umgekehrt, ist die Nachfrage der rationierende Faktor, gilt Entsprechendes. Verbesserte Anreize wirken durch Verhaltensänderungen, durch die Ressourcen effizienter im Sinne wirtschaftlicher Ziele eingesetzt werden können. Allerdings dürfen die wirtschaftlichen Kreislaufzusammenhänge dabei nicht vernachlässigt werden. Dies sei am Beispiel der Lohnnebenkosten demonstriert, die sowohl für die Angebotsseite als auch die Nachfrageseite von Bedeutung sind. Eine Senkung der Lohnnebenkosten nur für die Unternehmen erhöht, wenn sonst alles gleich bliebe, deren Gewinne; auf den ersten Blick ohne Zweifel ein Anreiz für sie, ihre Investitionen, ihren Output und ihre Beschäftigung zu erhöhen. Der zweite Blick muss aber der Veränderung der Geldströme im Wirtschaftskreislauf gelten, die durch diese Maßnahme ausgelöst wird. Zahlen die Arbeitgeber verringerte Sozialbeiträge, stellt sich die Frage, ob die Sozialversicherung diese Einnahmen verliert oder andere sie übernehmen. Verliert sie
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die Einnahmen, sind Leistungskürzungen unvermeidlich. Dann aber verlieren private Haushalte, die diese Leistungen bisher bezogen haben, diesen Einkommensbestandteil. Sie werden also ihre Nachfrage nach Gütern entsprechend reduzieren. Werden die Leistungen nicht eingeschränkt, sondern von den privaten Haushalten selbst finanziert, kommt man zwar zu einer anderen Verteilung der Lasten, aber ansonsten zum gleichen Ergebnis. Um zu einer positiven Gesamtwirkung zu kommen, muss also der positive Anreiz für das Angebot den negativen Nachfrageeffekt dominieren. Nur in dieser Differenz besteht der potentiell positive Effekt auf das wirtschaftliche Aktivitätsniveau. Die gleichen Überlegungen gelten in analoger Weise auch für Entlastungen auf der Nachfrageseite. In diesem Fall würde lediglich die Differenz zu möglicherweise negativen Angebotswirkungen von Bedeutung sein. Diese Überlegungen zeigen, dass die Effekte von Strukturreformen nicht überschätzt werden sollten, insbesondere wenn es »Reformverlierer« gibt. Wichtiger noch, es kommt in entscheidender Weise darauf an, dass die Reformen an der »richtigen« Marktseite ansetzen. Wenn Probleme auf der Angebotsseite bestehen, was Neoklassiker im Zweifel immer so sehen würden, dann ist es sinnvoll, mit Reformen dort anzusetzen. Denn dann würde hierdurch das Wachstum unmittelbar erhöht, während negative Folgen für die Nachfrage nicht zum Tragen kämen. Selbstverständlich gilt im Fall einer Nachfrageschwäche das Gleiche. Jede Entlastung auf dieser Seite des Marktes würde dann positiv wirken, jede Belastung negativ. Im folgenden Kapitel soll die Wirtschaftspolitik seit 2000 unter dem Blickwinkel der theoretischen Erörterungen dieses Kapitels betrachtet werden.
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Die grundlegenden Fehler der Wirtschaftspolitik in Deutschland
5.1 Der strategische Fehler Die Wirtschaftspolitik in Europa und vor allem in Deutschland wurde im Kern durch das neoklassische Grundmodell unter Berücksichtigung des Say’schen Theorems geleitet. Maßgeblich für die Beurteilung, ob die gegenwärtige Strategie angemessen war oder nicht, ist die Antwort auf die Frage, ob Deutschland unter Angebots- oder Nachfrageproblemen leidet. Im ersten Fall müsste die Antwort ja lauten und im zweiten nein. Woran aber erkennt man dies? Im Lichte der theoretischen Erkenntnisse des vorigen Kapitels lassen sich einige Indikatoren bestimmen, die weiterhelfen. Eine Wirtschaft mit Angebotsproblemen zeichnet sich vor allem dadurch aus, dass ihre Produkte, sei es aufgrund zu schwacher Produktivitätsentwicklung infolge mangelnder Innovationstätigkeit oder sei es, weil die Löhne zu hoch sind, nicht rentabel auf den Weltmärkten anzubieten sind. Aufscheinen sollte dies an im internationalen Vergleich zu hohen Lohnstückkosten, die das Verhältnis von Lohnentwicklung zur Produktivitätsdynamik spiegeln. Zudem sollte sich in Folge ein Außenhandelsdefizit in der Wertschöpfung ergeben, da wegen mangelnder inländischer Rentabilität zunehmend Produktion ins Ausland verlagert wird. Die Volkswirtschaft wandelt sich zu einer sog. »Basarökonomie«.1 Zugleich sollte die Reallohnentwicklung im Inland im Vergleich zum Produktivitätszuwachs hoch und damit die Rentabilität des Arbeitseinsatzes niedrig sein. Bei Nachfrageproblemen sollten zum einen alle oben genannten Probleme nicht bestehen. Nachfragemangel sollte
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aber zu unterausgelasteten Kapazitäten führen, wobei die realen verfügbaren Einkommen nur schwach zunehmen sollten. Im Außenhandel sollte eher ein Überschuss bestehen, da aufgrund der schwachen Binnennachfrage auch die Nachfrage nach Importgütern gedämpft sein sollte, während der Rest der Welt Exportgüter aus Deutschland in kräftigerer Weise nachfragt. Diese Indikatoren stehen im Widerspruch zu den häufig angeführten Merkmalen. Für viele Ökonomen ist schon die Existenz von lang anhaltender Arbeitslosigkeit bereits ein Hinweis auf Angebotsprobleme. In deren Sichtweise resultiert sie eben aus den strukturellen Angebotsproblemen der Volkswirtschaft. Allerdings kann zähe Arbeitslosigkeit auch das Ergebnis einer langwierigen Nachfrageschwäche sein. Je länger die Arbeitslosigkeit individuell dauert, desto schwieriger wird es, wieder eine Stelle zu finden, vor allem weil Kenntnisse und Fertigkeiten mit zunehmender Dauer der Arbeitslosigkeit verloren gehen können. Folglich kann sich eine zunächst kurzfristig erscheinende Arbeitslosigkeit in eine langfristige verwandeln, wenn nicht rasch ein Wiederaufschwung einsetzt, der zu einem schnellen Abbau der einmal entstandenen Unterbeschäftigung führt. Mithin ist lang anhaltende Arbeitslosigkeit kein treffsicheres Unterscheidungsmerkmal zwischen Angebots- und Nachfrageproblemen. In den folgenden Abschnitten erweist sich, dass die oben aufgeführten Indikatoren in Richtung Nachfrageproblem weisen. Ist dies der Fall, ist der grundlegende Fehler der aktuellen Wirtschaftspolitik in Deutschland strategischer Natur, da sie auf der »falschen« Seite des Marktes angesetzt hat. Die Folgen sind aus keynesianischer Sicht leider klar, so kann ein Aufschwung nicht entstehen, da die Nachfrage nicht gestärkt wird. Insofern die Maßnahmen die Nachfrage belasten, verschärfen sie sogar die Krise und tragen zu ihrer Verfestigung bei. Insbesondere muss dabei die Binnennachfrage schwach bleiben, während die Exportnachfrage
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aufgrund verbesserter Wettbewerbsfähigkeit durchaus stark sein kann. Im günstigsten Fall entsteht ein so starker Nachfrageschub aus dem Ausland, dass sich die Nachfrage auch im Inland merklich beschleunigt und die wirtschaftliche Flaute überwunden wird. Aus neoklassischer Sicht hätte schon der Beschluss, weitreichende Reformen durchzuführen, die Erwartungen der Marktteilnehmer positiv beeinflussen und in der Folge zu vermehrten Einstellungen von Personal führen müssen. Hierdurch entstehen zusätzliche Arbeitseinkommen, die zu einer positiven Wende bei der Binnennachfrage führen. Im Hinblick auf die Exportnachfrage gilt auch in diesem Fall, dass eine verbesserte Wettbewerbsfähigkeit zu einem entsprechend positiven Ergebnis führen sollte. Die wirtschaftliche Lage in Deutschland im Jahre 2004 entspricht eindeutig dem ersten Bild. Die Binnennachfrage und vor allem der Konsum sind erschreckend schwach, während die Ausfuhr im Zuge des weltwirtschaftlichen Aufschwungs geradezu boomt. Diese Konstellation erfordert keine angebotsorientierten Politikmaßnahmen, sondern eine Stärkung der Binnennachfrage. Und genau dies ist bisher nicht zuletzt aus strategischen Gründen nicht geschehen, da man solchen Maßnahmen eine prinzipielle Unwirksamkeit unterstellt. Dies zeigt sich deutlich beim Umgang mit der jüngsten Schwäche. Konjunkturpolitische Maßnahmen wurden, wenn überhaupt, auf europäischer Ebene nur zögerlich ergriffen. In Deutschland wurden sie zunächst gänzlich unterlassen und später bestenfalls halbherzig in Angriff genommen. Auf europäischer Ebene hatte – wie im Kapitel 3 dargestellt – sich allein die Geldpolitik, und die im Vergleich mit den USA auch nur schwach, mit einer merklichen Lockerung ihres Kurses dem Abschwung entgegengestellt. Die Finanzpolitik war durch die Bestimmungen des Stabilitätspakts weitgehend gelähmt und konnte europaweit kaum etwas zur Stabilisierung der Konjunktur beitragen. Damit
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wurde das Instrument einer antizyklischen Finanzpolitik weitgehend aufgegeben. Im Ergebnis hat die Wirtschaftspolitik in Deutschland strategisch an den eigentlichen Erfordernissen vorbeigehandelt. Das hat gravierende Folgen. Zum einen ist nicht damit zu rechnen, dass die Reformmaßnahmen einen nennenswerten Beitrag zur Belebung der Konjunktur leisten. Zum Zweiten werden sich die positiveren Anreize für eine Aufnahme der Beschäftigung erst in einem solchen Aufschwung bemerkbar machen. Ersteres ist dadurch bedingt, dass die Arbeitsnachfrage nicht zwangsläufig zunimmt, wenn sich das Angebot an Arbeitskräften aufgrund der verstärkten Anreize erhöht. Die Überlegung, dass ein höheres Arbeitsangebot zu Lohnsenkungen führt, die wiederum die Unternehmen zu verstärkten Einstellungen veranlassen würden, ist im neoklassischen Modell logisch, in der Wirklichkeit aber kühn. Denn sinken die Löhne unter das bisherige Niveau der sozialen Absicherung, das bei sozialversicherten Langzeitarbeitslosen vor Eintreten der Reformen durch die Arbeitslosenhilfe gegeben war, entsteht ein Nachfrageentzug, der den Absatz der Unternehmen und damit die Arbeitsnachfrage negativ beeinflusst. Per saldo wird das Ergebnis einer solchen erzwungenen Lohnzurückhaltung in der Regel ähnlich ausfallen, wie im Kapitel 3 dargestellt, nämlich negativ. Aber der Verlust an Nachfrage wird in neoklassischen Modellen ja schlicht und ergreifend nicht berücksichtigt. Die Aussichten für die Beschäftigung dürften sich erst dann aufhellen, wenn die Konjunktur aus anderen Gründen z. B. – wie geschehen – durch einen weltweiten Aufschwung in Gang gekommen ist. Dann erhöht sich aus diesen Gründen die Arbeitsnachfrage und wenn dann dank der Reformen auf der Angebotsseite des Arbeitsmarktes Arbeitskräfte in höherem Umfang und günstiger zur Verfügung stehen, steigt die Beschäftigung schneller, als dies sonst der Fall wäre. Daraus kann ein Schub für die Volkswirtschaft ent-
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stehen. Aber bevor die Bremsen mangelnder Nachfrage nicht gelockert sind, kann auch der leistungsfähigste Motor günstiger Angebotsbedingungen keine schnelle Fahrt erzeugen. Dieser Aspekt wurde bei den doch tiefgreifenden Reformen des Arbeitsmarktes in Deutschland, die im Jahre 2003 begonnen wurden, weitgehend übersehen. Die Gründe hierfür liegen in erster Linie an fehlerhaften theoretischen und empirischen Analysen, die im Folgenden im Einzelnen anhand der oben beschriebenen Indikatoren aufgezeigt werden sollen.
5.2 Die fehlende Wettbewerbsfähigkeit – eine Fehleinschätzung Immer wieder wird behauptet, der deutschen Wirtschaft mangele es an Wettbewerbsfähigkeit aufgrund zu hoher Lohnabschlüsse und zu hoher Lohnnebenkosten.2 Im Kapitel 3 wurde bereits gezeigt, dass die Lohnentwicklung in Deutschland sowohl im Vergleich zu früheren Perioden als auch im internationalen Vergleich sehr maßvoll war. Als Größe werden für die Beurteilung der Wettbewerbsfähigkeit – wie im Kapitel 3 – die Lohnstückkosten verwendet, da es ja bei der Frage nach der Wettbewerbsfähigkeit um die Relation zwischen Kosten und Leistung des Faktors Arbeit geht, die folglich für die Preisbildung wesentlich ist. In den vergangenen 24 Jahren sind in keinem anderen Industrieland mit Ausnahme Japans, das durch eine lang anhaltende Deflation in den 90er Jahren gekennzeichnet war, die Lohnstückkosten so geringfügig gestiegen wie in Deutschland. Das bedeutet, von der Lohnentwicklung in Deutschland gingen – unter Berücksichtigung der zum Teil stark steigenden Lohnnebenkosten – keine Impulse für Preissteigerungen aus, die zu höheren Preisanhebungen als in jenen Volkswirtschaften geführt haben, deren Unternehmen als die hauptsächlichen Konkurrenten für deutsche Firmen an-
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zusehen sind. Das gilt vor allem im Vergleich zu Ländern wie den USA oder auch Großbritannien, die immer als Vorbild maßvoller Lohnentwicklungen dargestellt werden. Es gilt auch unter Berücksichtigung der sicherlich sehr hohen Lohnsteigerungen im Umfeld der deutschen Vereinigung, als die Arbeitskosten für einen kurzen Zeitraum in Deutschland in der Tat stärker gestiegen waren als in den übrigen Ländern; zum einen, weil die Lohnabschlüsse sehr hoch waren, und zum zweiten, weil ein hoher Anteil der Lasten der deutschen Vereinigung über eine Ausweitung der Sozialversicherungsleistungen finanziert wurde. Das musste zu entsprechend höheren Beiträgen führen, die die Arbeitskosten erhöhten. Wenn aber dem so ist, können Lohnsteigerungen bzw. höhere Lohnnebenkosten nicht zu wettbewerbsschädlichen Preiserhöhungen im internationalen Konkurrenzkampf geführt haben. Das schließt nicht aus, dass andere Faktoren in dieser Hinsicht belastend wirkten. So sind Wechselkursänderungen gleichfalls für Verschiebungen der internationalen Wettbewerbsfähigkeit verantwortlich. Dies war sogar angesichts der zum Teil drastischen Kursbewegungen an den Devisenmärkten vor allem im Jahr 1995 erheblich. Einzelne Autoren nehmen also Wechselkursbewegungen mit ins Bild ihrer Analyse, wenn sie die internationale Wettbewerbsfähigkeit untersuchen.3 Da früher die D-Mark und 2003 auch der Euro zeitweilig spürbar aufwerteten, ist in diesen Phasen durchaus eine sinkende Wettbewerbsfähigkeit zu verzeichnen. Sie kann aber nicht der Lohnentwicklung zugeschrieben werden, es sei denn, man verlangte, dass die Löhne auf Kursänderungen an den Devisenmärkten zu reagieren hätten. Das erforderte allerdings so komplexe Lohnmechanismen, dass Informationsprobleme sowohl für die Arbeitnehmer als auch für die Arbeitgeber unvermeidlich wären. Folglich ist es sinnvoll, die Entwicklung der Arbeitskosten immer in jeweiliger Landeswährung zu betrachten. Ein anderes vielfach verwendetes Argument besagt, dass die hier aufgeführten gesamtwirtschaftlichen Lohnstück-
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Lohnstückkosten im internationalen Vergleich 1980 = 100
260 Deutschland USA Japan
220
Großbritannien
180
140
100 1980
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1 Bruttoeinkommen aus unselbständiger Arbeit in Relation zum realen BIP. Saisonbereinigt. Deutschland mit den Daten von Westdeutschland bis einschl. 1990 rückgerechnet. Quellen: OECD; Statistisches Bundesamt; Berechnungen des DIW Berlin. DIW Berlin 2004
Abb. 5-1 a
kostenentwicklungen überhaupt nicht relevant seien, wenn man die internationale Wettbewerbsfähigkeit messen wolle. Von Bedeutung sei vielmehr das absolute Stundenlohnniveau im verarbeitenden Gewerbe. Hintergrund dieser Überlegung ist, dass nur die Arbeitskosten relevant sind, die in Sektoren anfallen, in denen sog. handelbare Güter produziert werden. Das sind im Kern die Güter, die auch exportiert werden können. Die Arbeitskosten der übrigen Güter, die nur von lokaler Bedeutung sind, spielten keine
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5.2 Die fehlende Wettbewerbsfähigkeit – eine Fehleinschätzung 123
Lohnstückkosten1 im internationalen Vergleich 1980 = 100
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1 Bruttoeinkommen aus unselbständiger Arbeit in Relation zum realen BIP. Saisonbereinigt. Deutschland mit den Daten von Westdeutschland bis einschl. 1990 rückgerechnet. Quellen: OECD; Statistisches Bundesamt; Berechnungen des DIW Berlin. DIW Berlin 2004
Abb. 5-1 b
Rolle. Dies ist ein Denkfehler erster Güte. Alle Sektoren einer arbeitsteiligen Volkswirtschaft sind untereinander verwoben. Das heißt, sie beziehen wechselseitig Leistungen voneinander und dies bedeutet, dass die Lohnkosten in einem Sektor die Kosten und damit die Preise im anderen Sektor beeinflussen. Daher ist eine sektorale Analyse der Wettbewerbsfähigkeit unvollständig oder sogar irreführend, wenn sie für Aussagen zur Gesamtwirtschaft verwendet wird.
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Lohnstückkosten1 im internationalen Vergleich 1980 = 100
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1 Bruttoeinkommen aus unselbständiger Arbeit in Relation zum realen BIP. Saisonbereinigt. Deutschland mit den Daten von Westdeutschland bis einschl. 1990 rückgerechnet. Quellen: OECD; Statistisches Bundesamt; Berechnungen des DIW Berlin. DIW Berlin 2004
Abb. 5-1 c
Die Verwendung von sektoralen Stundenlohnniveaus ist aber noch aus einem anderen Grund nicht zur Beurteilung der Wettbewerbsfähigkeit einer Volkswirtschaft geeignet. Das absolute Lohnniveau einer Volkswirtschaft ist wenig aussagekräftig im Hinblick auf die internationale Wettbewerbsfähigkeit. Schließlich handelt es sich hier um eine nominale Größe, die, um sie mit Lohnniveaus anderer Volkswirtschaften vergleichbar zu machen, in eine gemein-
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1 Bruttoeinkommen aus unselbständiger Arbeit in Relation zum realen BIP. Saisonbereinigt. Deutschland mit den Daten von Westdeutschland bis einschl. 1990 rückgerechnet. Quellen: OECD; Statistisches Bundesamt; Berechnungen des DIW Berlin. DIW Berlin 2004
Abb. 5-1 d
same Währung umgerechnet werden muss. Damit tritt aber erneut das Problem einer Verzerrung durch Wechselkursbewegungen auf. Außerdem besagt das Lohnniveau, selbst wenn man das Niveau der gesamten Arbeitskosten nimmt, noch nichts über die Leistungsfähigkeit des Faktors Arbeit aus. Es ist aber geradezu demagogisch, niedrige Lohnniveaus beispielsweise in osteuropäischen Ländern mit hohen westeuropäischen Löhnen zu vergleichen, ohne möglichen
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Unterschieden in der Leistungsfähigkeit, die z. B. auch schon durch eine schlechtere Infrastruktur gegeben sein könnten, Rechnung zu tragen. Alles spricht daher bei Analysen zur internationalen Wettbewerbsfähigkeit dafür, zu analysieren, wie sich die gesamtwirtschaftlichen Lohnstückkosten in jeweils heimischer Währung sowohl im Zeitablauf als auch im internationalen Vergleich gestalten. Nur die Ergebnisse solcher Studien sind wirklich belastbar und sie zeigen eindeutig, dass Unternehmen aus Deutschland auf den internationalen Märkten wettbewerbsfähig sind. Anders wäre ja auch die außerordentlich gute Exportperformance kaum erklärbar.
5.3 Basar Deutschland – eine Schimäre Auch Sinn muss zugeben, dass die deutschen Exporte sich im internationalen Vergleich sehr positiv entwickelt haben und dies zumindest prima facie für eine hohe Wettbewerbsfähigkeit spricht. Allerdings stellt er die Hypothese von der sog. Basarökonomie auf, die die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft dann doch grundsätzlich in Frage stellt.4 Eine Basarökonomie ist in dieser Vorstellung eine Volkswirtschaft, in der Güter im Wesentlichen nur noch gehandelt, aber nicht mehr produziert werden. Etwas abgeschwächt formuliert5, kann man auch sagen, dass die Fertigungstiefe, und damit die inländische Wertschöpfung, immer mehr abnimmt, so dass die inländische Beschäftigungsintensität des Außenhandels zunehmend schrumpft. Infolgedessen gibt es zwar möglicherweise hohe Umsätze und auch Gewinne im Außenhandel, die durch eine hohe Warenausfuhr generiert werden, aber nicht ausreichend inländische Wertschöpfung und damit auch keine inländischen Arbeitsplätze. Generell ist das Argument, steigende Exporte allein dürften nicht als steigende Wettbewerbsfähigkeit interpre-
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tiert werden, richtig, da in den Exportstatistiken die Wertschöpfungsanteile von aus dem Ausland bezogenen Vorleistungen nicht erfasst werden.6 Damit wird der Importanteil der Exporte, die sog. Durchfuhr, in den Werten für die Exporte nicht berücksichtigt. Exporte wie auch Importe enthalten im Unterschied zu den übrigen Komponenten der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung auf der Verwendungsseite nicht nur Wertschöpfungsanteile, sondern eben auch Vorleistungen. Im Extremfall könnte dies bedeuten, dass die Exportgüter vollständig im Ausland produziert, dann nach Deutschland eingeführt und schließlich in ein anderes Land weiterverkauft würden. Die einzige Wertschöpfung, und damit letztlich Beschäftigung, die dabei in Deutschland entstünde, wäre die durch Handel. Das wäre nur ein kleiner Teil der gesamten Wertschöpfung dieser Produkte, obwohl die Exportzahlen anderes suggerierten. Deutschland wäre eben eine Basarökonomie mit hohem Außenhandel, aber nur geringer inländischer Wertschöpfung. Als Ursache für diese »Basarisierung« wird dann wieder das Argument mangelnder Wettbewerbsfähigkeit durch zu hohe Lohnkosten angeführt, die eine rentable Produktion in hoher Fertigungstiefe in Deutschland nicht erlauben würden. Gerade deshalb verlagerten die Unternehmen ihre Produktion mehr und mehr ins Ausland, um von den dortigen Kostenvorteilen zu profitieren, und konzentrieren sich im Inland auf den Handel. Dessen ungeachtet, bleibt aber nun die Frage, ob es denn stichhaltige Hinweise auf die Herausbildung einer Basarökonomie in Deutschland gibt. Richtig ist, dass der Anteil der Bruttowertschöpfung7 durch das verarbeitende Gewerbe an der gesamtwirtschaftlichen Bruttowertschöpfung seit den 70er Jahren in Deutschland, das von Sinn als Beleg für seine Hypothese verwendet wird, gesunken ist.8 Dies deutet auf einen Strukturwandel hin, in dem der Industriesektor an Bedeutung für die inländische Wertschöpfung verliert. Zwei Drittel des vom verarbeitenden Gewerbe erzeug-
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ten Produktionswertes entfallen auf Vorleistungen, die aus dem Ausland bezogen werden, wobei der Anteil des Inlandes an den Vorleistungen zwar noch größer ist, die Vorleistungsimporte aber stärker zunehmen. Zudem ist die Arbeitsproduktivität im verarbeitenden Gewerbe deutlich stärker gewachsen als die Bruttowertschöpfung, so dass die steigende Arbeitsproduktivität nicht beschäftigungsneutral, sondern von einem Abbau von Arbeitsplätzen begleitet war. Der Rückgang der Beschäftigung im verarbeitenden Gewerbe von 8,44 Mio. (1995) auf 7,75 Mio. (2003) wäre demnach daher nicht auf ein unzureichendes Produktionswachstum, sondern auf eine sinkende Wertschöpfungsquote zurückzuführen. Mehr als die Hälfte dieses Effektes ergäbe sich aus den gestiegenen Vorleistungsimporten. Ein Vergleich mit der US-amerikanischen Wirtschaftsstruktur zeigt allerdings, dass nicht nur in Deutschland der Industriesektor an relativer Bedeutung verliert, sondern auch in den USA. Allerdings muss berücksichtigt werden, dass es Unterschiede sowohl in der Definition der einzelnen Branchen als auch im Hinblick auf die statistische Erfassung der Daten gibt, so dass der Vergleich grob bleiben muss. Das produzierende Gewerbe wies 2003 in Deutschland mit 23% einen größeren Anteil an der realen Bruttowertschöpfung auf als in den USA, wo dieser nur 12% betrug. Öffentliche und private Dienstleistungen hingegen hatten in den USA mit insgesamt 38% sehr viel stärker zur realen Bruttowertschöpfung beigetragen als in Deutschland mit 21%. Während die Zusammensetzung der realen Bruttowertschöpfung nur eine Momentaufnahme eines bestimmten Jahres ist, gibt ihre Entwicklung Aufschluss über das Ausmaß des strukturellen Wandels. In Deutschland findet ein Strukturwandel statt, bei dem der Industriesektor einen immer geringer werdenden Anteil zur gesamtwirtschaftlichen Bruttowertschöpfung hat. Während dieser 1991 noch 29% betrug, ist er 2002 auf 23% gefallen. In den USA ist der im Vergleich zu Deutschland ohnehin schon geringe Anteil des
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produzierenden Gewerbes von 15% 1997 auf 12% in 2002 gefallen. Der Industriesektor spielt damit für die US-amerikanische Wirtschaftsstruktur sogar noch eine deutlich geringere Rolle als in Deutschland. Es weist aber nicht nur der geringer werdende Anteil des Industriesektors an der Bruttowertschöpfung auf eine abnehmende Bedeutung der Industrie in Deutschland hin, sondern auch die sinkende Wertschöpfungsquote. Sie ist in Deutschland gefallen. In den USA stieg sie hingegen bis 2002 an. Damit ist die sektoreigene Leistung des Industriesektors in den USA in 2001 etwas größer als in Deutschland gewesen. In den USA sind 2002 65% des vom produzierenden Gewerbe erzeugten Produktionswertes auf bezogene Vorleistungen entfallen, während dies in Deutschland 2001 66,9% waren. Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass sowohl in den USA als auch in Deutschland der größte Anteil der realen Bruttowertschöpfung im Dienstleistungssektor erfolgt. Das produzierende Gewerbe trägt in beiden Ländern nur im geringeren Maße zur Bruttowertschöpfung bei. Der deutsche Industriesektor hat jedoch eine größere Bedeutung als der amerikanische. Man kann den sinkenden Anteil des produzierenden Gewerbes an der Bruttowertschöpfung und die sinkende Wertschöpfungsquote in Deutschland als eine Annäherung der deutschen an die amerikanische Wirtschaftsstruktur interpretieren. Ob dies aber optimal oder überhaupt notwendig ist, ist eine offene Frage, besagen doch die Theorien des internationalen Handels, dass sich die Produktionsschwerpunkte in jedem Land nach seinen komparativen Vorteilen ausrichten sollten. Wenn dies für Deutschland nun einmal Industrieprodukte sind, wäre eine Spezialisierung hierauf sinnvoll. Ohne Zweifel ist die sinkende Bruttowertschöpfung im verarbeitenden Gewerbe durch steigende Vorleistungen und damit auch teilweise durch steigende Vorleistungsimporte verursacht worden. Das zeigen auch andere Studien, die zu
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dem Ergebnis kommen, dass deutsche Unternehmen einen Teil ihrer Produktion ins Ausland verlagern. Marin et al.9 befragten 420 deutsche Unternehmen mit Investitionen in Osteuropa und finden, dass besonders in den baltischen Staaten und der Slowakei Tochtergesellschaften Güter zu ihrer deutschen Muttergesellschaft exportieren. Häufig werden auch Beispiele aus der Automobilindustrie herangezogen. Allerdings ist es keine besonders überraschende Folge der Globalisierung und Liberalisierung von Märkten, dass Unternehmen Kostenvorteile ausnutzen und sich die internationale Arbeitsteilung ändert. Es ist auch nicht überraschend, dass sich diese Tendenzen angesichts der wachsenden Integration von immer mehr Ländern in einen europäischen Binnenmarkt beschleunigen. Aber selbst wenn im Industriesektor teilweise eine Auslagerung ins Ausland stattfindet, ist dies nicht gleichbedeutend mit der Herausbildung einer Basarökonomie. Denn diese Ergebnisse beziehen sich nur auf einen, wenn auch wichtigen, aber in seiner Bedeutung abnehmenden Sektor. Zudem kann gerade durch Verlagerung von Produktionsteilen die Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens insgesamt gesteigert werden, so dass sich der Absatz möglicherweise sogar erhöht. Auf diese Weise können Beschäftigungsverluste durch Verlagerung kompensiert werden. Eine adäquate Betrachtung der Basarhypothese erfordert vor allem auch eine gesamtwirtschaftliche Analyse, die alle Sektoren der Volkswirtschaft umfasst. Denn möglicherweise gibt es kompensatorische Bewegungen außerhalb der einzelnen Unternehmen und Sektoren in jeweils anderen Bereichen der Wirtschaft, die zu anderen Schlussfolgerungen führen können. Diesem Indikatorproblem kann begegnet werden, wenn statt der Exporte der sog. Außenbeitrag betrachtet wird. Diese Größe entspricht der Differenz von realen (preisbereinigten) Exporten und realen Importen. Die im Ausland bezogenen Vorleistungen gehen in die Importe ein, werden
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also bei der Berechnung des Außenbeitrags automatisch von den Exporten abgezogen. Deshalb sind beim Außenbeitrag Vorleistungsimporte nicht mehr enthalten. Ein steigender Außenbeitrag ist demnach äquivalent zu einer steigenden realen Wertschöpfung im Inland, verursacht durch Außenhandel. Diese Größe zeigt somit, was an Wertschöpfung im Inland »hängen bleibt«. Ein positiver Außenbeitrag ist im Übrigen nicht gleichzusetzen mit einem Überschuss in der Leistungsbilanz, der gleichfalls häufig als Indikator für Wettbewerbsfähigkeit verwendet wird. Ein Leistungsbilanzüberschuss ist identisch mit einem Kapitalexport.10 Wie auch immer man einen Kapitalexportüberschuss in Bezug auf die Wettbewerbsfähigkeit eines Landes interpretieren mag, für die Beurteilung, ob sich ein Land in eine Basarökonomie verwandelt, ist nur der Außenbeitrag relevant, der schließlich eine Aussage über das reale Produktionsvolumen trifft und nicht nur über nominale Geldströme. Jede nominale Größe trennt nicht zwischen Mengen- und Preisveränderungen. Eine bloße Aufwertung der Währung würde trotz unverändertem Export- und Importvolumen dann zu einem steigenden nominalen Außenbeitrag führen, da der Wert der Exporte steigen und der Wert der Importe fallen würde. Der reale Außenbeitrag aber verändert sich erst dann, wenn eine solche Aufwertung Mengeneffekte nach sich zieht, die allein für die Beschäftigungsausweitung relevant sind. Ein positiver Außenbeitrag zeigt dagegen an, dass in Deutschland Wertschöpfung durch Außenhandel entsteht, da der Wert aller exportierten Waren und Dienstleistungen den der importierten übertrifft. Ein positiver Außenbeitrag steht damit im Widerspruch zu der behaupteten Basarökonomie, da eben nicht nur Dinge im Ausland hergestellt und hier verkauft werden, sondern mehr Wertschöpfung im Inland geschaffen als von anderswo importiert wird. Ferner sind im Außenbeitrag sowohl Waren als auch Dienstleistungen, mithin alle Sektoren enthalten. Der einsei-
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tige Blick auf den Industriesektor verrät ein Denken in alten Strukturen. Es ist so, als hätte man vor einem Jahrhundert beklagt, dass der Agrarsektor an Bedeutung verliere und damit Deutschlands Volkswirtschaft. Da die Frage nach einer optimalen Wirtschaftsstruktur a priori aber nicht zu entscheiden ist, muss eine Deindustrialisierung nicht unbedingt schädlich sein. Dies ist schließlich so lange kein Problem, wie die nachlassende Wertschöpfung von Industriegütern durch eine steigende in den Dienstleistungssektoren mehr als kompensiert wird. Der Außenbeitrag Deutschlands nach 1990 ist nun bis auf drei Quartale durchgehend positiv gewesen. Es wurde also fast immer mehr an Wertschöpfung exportiert als importiert, d. h. in diesem Zeitraum hat sich die Wertschöpfung in Deutschland durch Außenhandel ständig erhöht. Will man untersuchen, ob es eine Tendenz zu einer Basarökonomie gibt, so sollte sich dies an einem fallenden Trend des Außenbeitrags zeigen. Es sollte also deutlich werden, dass der Außenbeitrag immer weniger positiv wird und trotz guter Exportzahlen immer weniger inländische Wertschöpfung durch Ausfuhr entsteht. Die aktuellen Zahlen können insofern in die Irre führen, als der beobachtete Wert für den Außenbeitrag starke zyklische Schwankungen aufweist, die beispielsweise durch eine hohe Wechselkursvolatilität erzeugt werden können. So verbilligt eine Aufwertung ausländische Güter und Dienstleistungen relativ zu inländischen, wodurch einerseits die Importe steigen und andererseits die Exporte sinken. Eine nachfolgende Abwertung kann eine entgegengesetzte Auswirkung auf den Außenbeitrag haben. Zugleich kann eine im Vergleich zum Ausland schwache Konjunktur die Importnachfrage zyklisch schwächen. Die beobachteten Werte müssen daher um zyklische Schwankungen bereinigt werden. Geht man so vor, zeigen die Ergebnisse, dass der reale Außenbeitrag von Deutschland in den vergangenen 14 Jahren einen positiven Trend aufwies.11 Mit anderen Worten,
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Realer Außenbeitrag in % des Bruttoinlandsprodukts % 6 4 2 0 -2 -4 -6 1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 Deutschland Italien
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% 8 6 4 2 0 -2 -4 1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 Deutschland Österreich
Niederlande
Quellen: Eurostat; Berechnungen des DIW Berlin. DIW Berlin 2004
Abb. 5-2
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die Wertschöpfung in Deutschland ist durch den Außenhandel im Trend gestiegen. Auch der Wertschöpfungsanteil in Relation zum BIP, der durch Außenhandel entsteht, nimmt zu und stabilisiert damit zunehmend die wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland. Auch im internationalen Vergleich schneidet Deutschland gut ab. Nimmt man europäische Länder, um Wechselkurseffekte weitgehend auszuschalten, zeigt sich, dass Deutschland von allen größeren Ländern den höchsten Außenbeitrag in Relation zum BIP aufweist (siehe Abb. 5-2). Insbesondere in den vergangenen Jahren hat Deutschland wesentlich höhere Zuwächse an Wertschöpfung durch Außenhandel gehabt. Im Vergleich mit den kleineren Ländern liegt Deutschland hinter Finnland auf etwa gleicher Höhe mit den Niederlanden, aber vor Österreich und deutlich vor Portugal und Spanien. Mit anderen Worten, es gibt keine Hinweise auf eine besonders ausgeprägte Verlagerung von Wertschöpfung aus Deutschland heraus. Vor diesem Hintergrund ist die Behauptung, Deutschland sei auf dem Weg in eine Basarökonomie, nicht haltbar, wenn man hierunter versteht, dass Deutschland zunehmend ein Opfer der Globalisierung wird. Auch wenn als Folge des Strukturwandels durch Intensivierung der weltweiten Handelsbeziehungen die Fertigungstiefe abnimmt, gelingt es den Unternehmen in Deutschland, aus der veränderten internationalen Arbeitsteilung erhebliche Vorteile im weltweiten Wettbewerb zu ziehen. Diese sind so groß, dass sie den Wertschöpfungsverlust, der, für sich genommen, durch die Verlagerung von Produktion auftritt, mehr als ausgleichen. Dies schließt im Übrigen nicht aus, dass es aufgrund des durch Globalisierung ausgelösten Strukturwandels zu sektoralen und regionalen Problemen für die Beschäftigung kommt. Auch wenn das Land zu den Gewinnern der Globalisierung gehört, gibt es doch immer einzelne Verlierer. Die Öffnung der Grenzen und die Intensivierung des Welthandels eignen sich ausgerechnet im Fall Deutschlands
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5.4 Die Mär von den zu hohen Löhnen
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schlecht als Erklärung für die unbefriedigende Beschäftigung und die hohe Arbeitslosigkeit. Im Gegenteil, gerade die außenwirtschaftlichen Impulse haben Wachstum und Beschäftigung in Deutschland in jüngster Zeit eher beflügelt. Es ist den Unternehmen hierzulande also entweder durch Innovationen oder gerade durch die intelligente Nutzung der importierten Vorleistungen gelungen, die inländische Wertschöpfung und damit Wachstum und Beschäftigung trotz Produktionsverlagerungen durch Außenhandel zu steigern. Deutschland gehört damit zu den Gewinnern der Globalisierung. Ohnehin ist zu fragen, warum eigentlich der Basar, immerhin die Wiege des Marktes, so schlecht angesehen sein sollte, dass er als Bild für ökonomischen Niedergang verwendet wird. Stadtstaaten wie Singapur und Hongkong, klassische Basarökonomien, geht es im Übrigen nicht allzu schlecht. Ohne den Außenhandel sähe die Situation in Deutschland noch wesentlich misslicher aus, als sie es derzeit ohnehin schon ist.
5.4 Die Mär von den zu hohen Löhnen Aus neoklassischer Sicht gesehen können an der anhaltend hohen Arbeitslosigkeit letztlich nur die zu hohen Löhne schuld sein. Insofern ist es nicht überraschend, wenn zu den Standardvorschlägen der Mehrheit der Ökonomen die Forderung nach einer langjährigen Lohnzurückhaltung gehört. Im Folgenden soll zunächst geklärt werden, was eigentlich unter Lohnzurückhaltung zu verstehen ist. Dann soll geprüft werden, ob es in Deutschland exzessive Lohnsteigerungen gab, die die hohe Arbeitslosigkeit verursacht haben, oder ob nicht – wie die Beschreibung der jüngsten Schwäche im Kapitel 3 nahe legt – eine exzessive Lohnzurückhaltung eine der Ursachen für die hohe Arbeitslosigkeit ist. Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung (SVR) hat in seinem Jahres-
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gutachten 2003/20 04 einen Ansatz zur Messung von Lohnzurückhaltung entwickelt, der im Folgenden erläutert und kritisch bewertet werden soll. Die lohnpolitische Konzeption des SVR basiert auf einem theoretischen Modell, das in seinen Grundzügen einem üblichen neoklassischen, produktionstheoretischen Ansatz folgt. Ziel ist es, mit Hilfe eines Modells ein Kriterium für einen beschäftigungsneutralen Lohnabschluss zu gewinnen, um anhand eines solchen Maßstabs Aussagen über beschäftigungsfördernde bzw. -schädliche Abschlüsse machen zu können.12 Löhne und die Güterpreise hängen in diesem Modell positiv von der Höhe des Arbeitseinsatzes bzw. von der gehandelten Gütermenge ab. Das heißt, sie steigen bei guter und sinken bei schlechter Konjunktur. Dies ist nicht unrealistisch, schließlich verbessert sich die Marktposition der Gewerkschaften auf dem Arbeitsmarkt mit zunehmender Beschäftigung und die der Unternehmen auf dem Gütermarkt mit zunehmenden Absatzzahlen. Bemerkenswert an der Herleitung des SVR ist, dass der Zusammenhang zwischen Löhnen und Preisen, der sich aus diesen Annahmen ergibt, nicht expliziert wird. Wenn nämlich in diesem Modell die Löhne steigen, steigen, solange sonst nichts passiert, auch die Preise. Dies ist schon deshalb wichtig, weil sich die für die Beschäftigung relevanten Reallöhne erst aus dem Zusammenspiel von nominalen Lohnzuwächsen und den Preissteigerungen ergeben. Vom SVR wird dagegen der falsche Eindruck erweckt, als würden sich Lohn- und Preisbildung unabhängig voneinander entwickeln. Neben der Produktion, die die Angebotsseite der Volkswirtschaft abbilden soll, enthält das Modell auch eine Nachfragefunktion, die die gesamtwirtschaftliche Nachfrage nach Gütern darstellen soll. Dabei hängt die Gesamtnachfrage jedoch allein vom Preisniveau ab. Diese simplifizierende Annahme hat weitreichende Implikationen für die lohnpolitischen Schlussfolgerungen. Indem die Gesamtnachfrage als unabhängig vom Einkommen und damit z. B.
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5.4 Die Mär von den zu hohen Löhnen
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unabhängig von Arbeitslosigkeit dargestellt wird, sind die Löhne im Modell ausschließlich ein Kostenfaktor. Mit dieser Festlegung wird aber dem Doppelcharakter der Löhne, nämlich Kosten- und Einkommensfaktor, der auch Nachfrage schafft, zugleich zu sein, nicht Rechnung getragen. Höhere Löhne schlagen sich nach dem Modell des SVR nicht in höheren Einkommen nieder, und Lohnzurückhaltung kann in diesem Rahmen keine negative Nachfragewirkung haben. Wenn man hingegen eine Unterbeschäftigungssituation als Ungleichgewicht interpretiert, wie dies in den keynesianisch inspirierten Modellen der Fall ist, ergibt sich zwangsläufig ein Zusammenhang zwischen Einkommen und Nachfrage.13 Für den eigentlichen Zweck des Modells, nämlich die Herleitung von lohnpolitischen Maßstäben bei lang anhaltender Unterbeschäftigung, wäre also die Berücksichtigung einer einkommensabhängigen Nachfragefunktion zwingend. Als Ergebnis seiner Herleitung erhält der SVR das Standardresultat, dass das repräsentative Unternehmen genau dann ein Gewinnmaximum erreicht, wenn eine solche Arbeitsmenge beschäftigt wird, bis die letzte eingesetzte Arbeitsstunde gerade so viel an Produktionsleistung pro Stunde erbringt, wie sie an Reallohn kostet.14 Demnach wird bei niedrigeren Reallöhnen eine höhere Beschäftigung möglich sein, da dann auch unproduktivere Arbeit rentabel wird. Analog gilt, dass bei einer höheren Produktivität des Faktors Arbeit auch höhere Reallöhne bei unveränderter Beschäftigung möglich sind. Wichtig ist, dass dieser Zusammenhang zunächst als eine Optimalitätsbedingung zu verstehen ist, nicht aber als eine kausale Gleichung. Bei einer Bedingung wird lediglich ein Verhältnis von Größen innerhalb eines Modells festgelegt, wobei die kausale Wirkungsrichtung im Unterschied zu einer Gleichung offen ist. In diesem Fall heißt das, es ist offen, ob eine höhere Produktivität zu höheren Reallöhnen führt oder höhere Reallöhne zu einer höheren Produkti-
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vität führen. Oder ob sich die Anpassung auf beiden Seiten ergibt. In der Regel wird diese Beziehung – so auch vom SVR – ohne weitere theoretische Begründung als eine kausale Beziehung uminterpretiert werden, indem die Reallöhne als gegeben angesehen werden. Damit wird – theoretisch problematisch – eine eindeutige Wirkungsrichtung von den Reallöhnen auf die Produktivität postuliert. Um zu empirisch anwendbaren Schlussfolgerungen für eine Lohnentwicklung zu kommen, die die Unternehmen veranlassen könnten, den Arbeitseinsatz auszuweiten, ist, folgt man der Bedingung, eine exakte Bestimmung der Produktivität notwendig. Anstelle der nur schwer messbaren Grenzproduktivität, die die Produktivität der letzten eingesetzten Arbeitsstunde darstellt, wird üblicherweise die leicht errechenbare Durchschnittsproduktivität verwendet.15 Mit Hilfe dieser Berechnungen lässt sich dann eine erste Lohnregel oder ein Kriterium für den Verteilungsspielraum formulieren, der für beschäftigungsneutrale Lohnerhöhungen zur Verfügung steht. Diese Regel impliziert, dass die Reallöhne nur im Ausmaß der Durchschnittsproduktivität steigen dürfen, wenn die Beschäftigung unverändert bleiben soll. Soll die Beschäftigung steigen, müssen nach diesem Ansatz die Reallöhne hinter der Produktivität zurückbleiben. Dies wäre dann als beschäftigungsfördernde Lohnzurückhaltung zu verstehen. Der SVR geht in seinem Ansatz über dieses Standardresultat hinaus. Da die Durchschnittsproduktivität auch zunimmt, wenn die Beschäftigung reduziert wird, weil anzunehmen ist, dass zunächst der unproduktivste Arbeitseinsatz eingespart wird, schlägt der SVR eine Modifizierung der gängigen Regel vor. Von einer zunehmenden Durchschnittsproduktivität soll jener Teil abgezogen werden, der durch die Reduzierung der Beschäftigung zustande kommt. Dieser Teil der Produktivitätssteigerungen stünde dann auch für Lohnerhöhungen nicht zur Verfügung. Würde er
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nämlich hierfür genutzt, bliebe nach diesem Modell die Beschäftigung auf dem niedrigeren Niveau stehen und der Beschäftigungsabbau würde nicht wieder zurückgenommen. In dieser Logik ist also die oben aufgestellte erste Regel unvollständig. Sie muss ergänzt werden um die Forderung, dass die Löhne nach einem Beschäftigungsrückgang nicht nur hinter der Produktivität zurückbleiben sollten, sondern zusätzlich auch noch um einen Abschlag vermindert werden müssen, der sich aus der Produktivitätssteigerung durch den vorangegangenen Beschäftigungsabbau ergibt. Lohnzurückhaltung wird dann entsprechend schärfer definiert. Im Vergleich zu der üblichen Berechnung ergibt sich damit nunmehr ein Abschlag für den Spielraum, wenn die Beschäftigung und implizit auch die Lohnquote, das ist der Anteil der Löhne an den gesamten Einkommen, sinken. Die Reallöhne können nach dieser Regel nur so steigen wie der um den Beschäftigungsabbau bereinigte Anstieg der Durchschnittsproduktivität. Steigt hingegen die Beschäftigung, ergibt sich im Übrigen die Chance für einen Zuschlag. In diesem Fall müssen Produktivitätsrückgänge, die sich durch die Ausweitung der Beschäftigung ergeben, nicht zu Lohnzurückhaltung führen. Wie sinnvoll ist ein solches Vorgehen? In der Logik des Modells des SVR kann Arbeitslosigkeit nur durch zu hohe Reallöhne entstehen. Da die Preise als exogen gegeben angesehen werden, bliebe die Anpassungslast bei den Nominallöhnen, die Übersteigerungen durch eine adäquate Zurückhaltung auszugleichen haben. Wenn aber die Entlassungen überhaupt nicht auf übermäßige Lohnsteigerungen zurückzuführen sind, sondern auf einen Nachfragemangel, kann die vorgeschlagene Regel sogar kontraproduktiv wirken. Dann verbilligt sich nicht nur der Faktor Arbeit, sondern die Produktionsmenge verringert sich auch und das Ergebnis ist a priori zumindest unbestimmt. Lohnzurückhaltung wäre dann das falsche Rezept.
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Die Lohnformel des SVR enthält zudem ein stark prozyklisches Moment. Steigt in einer wirtschaftlichen Boomphase die Beschäftigung an, dürfen die Lohnerhöhungen höher als der Produktivitätszuwachs ausfallen. Damit erhöht sich auch der Verteilungsspielraum für die nächste Lohnrunde. In dem Modell des SVR ist dies kein Problem, da hieraus keine weiteren Folgen entstehen. Tatsächlich werden sich die stärkeren Lohnerhöhungen aber auch in einer Beschleunigung des Preisauftriebs niederschlagen. Im wahren Leben schreitet dann irgendwann die Zentralbank ein, um die Inflation zu dämpfen. Dies geht in der Regel nicht ohne negative Konsequenzen für die Beschäftigung. Damit würde ein solches Verhalten die Volatilität der wirtschaftlichen Entwicklung verstärken und keinen Beitrag zur Stabilisierung leisten. Wäre das der Fall, setzt nach dem vorliegenden Modell eine Abwärtsspirale der Lohnentwicklung ein, denn mit abnehmender Beschäftigung und sinkender Lohnquote und vielleicht gedämpftem Preisauftrieb verengt sich der beschäftigungsneutrale Verteilungsspielraum dann wieder zunehmend. Die Löhne dürfen in immer geringerem Umfang steigen, soll die Beschäftigung gehalten werden. Zu erwarten ist daher, dass Volkswirtschaften, die sich in einer günstigen wirtschaftlichen Phase befinden, relativ leicht das Kriterium für beschäftigungsfördernde Lohnabschlüsse erfüllen, während dies für Volkswirtschaften in einer schwachen Wachstumsphase recht schwierig ist. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass das Modell des SVR gravierende theoretische Schwächen aufweist. Der SVR berechnet auf der Basis seiner Regel, wie die Lohnentwicklung in Deutschland in Relation zu einem beschäftigungsneutralen Verteilungsspielraum tatsächlich verlaufen ist. Mehrere Berechnungsschritte sind hierfür erforderlich, die in einigen Komponenten in durchaus problematischer Weise ausgeführt werden. Der SVR betrachtet den Zeitraum von 1998 bis 2003. Dies ist insofern eine plausible Periodenwahl, als hierin ein
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Aufschwung (1998 bis 2000) und eine gleich lange Schwächephase (2001 bis 2003) enthalten sind. Zwar waren die Werte für 2003 Prognosewerte, doch waren die Prognosen so korrekt, dass sich auch im Nachhinein keine großen Änderungen bei den Ergebnissen einstellten. Der SVR kommt in seinen Berechnungen zu dem Schluss, dass es seit 1998 insgesamt zu einer Überschreitung des beschäftigungsneutralen Verteilungsspielraums durch die Lohnentwicklung gekommen ist. Kumuliert über die Jahre 1998 bis 2003 ergeben sich überhöhte Löhne in Höhe von 2,35 Prozentpunkten. Bemerkenswert ist, dass das Resultat nicht auf eine merkliche Beschleunigung der vereinbarten Lohnzuwächse zurückzuführen ist, die Tariflohnabschlüsse schwanken zwischen knapp 2% und gut 2,5%. Die zu hohen Löhne nach der Berechnung des SVR ergeben sich im Wesentlichen durch den Beschäftigungsabbau, auf den die Tariflöhne nicht reagiert haben. Ein wesentliches Manko der Berechnungen des SVR weisen freilich die verwendeten Lohngrößen auf. Zum einen verwendet er die Veränderungen der nominalen Tariflöhne je Stunde. Hierin spiegeln sich aber ausschließlich die Lohnabschlüsse, nicht aber die tatsächliche Lohnentwicklung wider. Zum Zweiten werden die Veränderungen der Effektivlöhne je Stunde verwendet, die neben der Tariflohnentwicklung noch die Lohndrift, die sich aus Abweichungen von tarifvertraglichen Vereinbarungen sowie strukturellen Änderungen in der Beschäftigung (mehr Minijobs!) ergeben, enthalten. Beide Größen entsprechen aber nicht vollständig den Anforderungen des theoretischen Modells. Denn die Produktivitätsbedingung erfordert eigentlich die Berücksichtigung sämtlicher Lohnkosten, insbesondere also auch der Lohnnebenkosten der Arbeitgeber. Diese sind aber in den oben genannten Lohngrößen nicht enthalten. Insofern sind die Berechnungen unvollständig. Nimmt man die bereits in früheren Kapiteln verwendeten Arbeitskosten je Stunde, die ja die gesamten Lohnkosten
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enthalten, als Grundlage für die ansonsten gleichen Berechnungen, bleiben von 1998 bis 200216 die Lohnkosten um 0,32 Prozentpunkte unter der durch den Verteilungsspielraum definierten Grenze.17 Insofern führt unter Berücksichtigung der korrekten Lohngröße das Modell des Sachverständigenrates eigentlich zu der Schlussfolgerung, dass es keine überhöhten Lohnsteigerungen gab und folglich die Lohnentwicklung nicht für den Anstieg der Arbeitslosigkeit verantwortlich gemacht werden kann. Vom SVR wird dagegen das Argument vorgebracht, eine negative Lohndrift könnte beschäftigungsfeindliche Lohnabschlüsse nur in Unternehmen korrigieren, wo es übertarifliche Leistungen gibt. Dies stimmt schon deshalb nicht, weil die negative Lohndrift auch Folge der Ausweitung geringfügiger Beschäftigung, des Abbaus von Überstunden im Rahmen der Jahresarbeitskontenausweitung und von Tarifflucht ist. Wenn sich zudem eine Kompensation ergibt, können die Löhne, selbst wenn die Tarifparteien sich falsch verhalten hätten, gesamtwirtschaftlich nicht mehr für den Beschäftigungsabbau verantwortlich gemacht werden. Diese Schlussfolgerung wird zu Recht in einem Minderheitsvotum gezogen.18 Eine zweite Schwäche wird deutlich, wenn man das Jahr 2000 und das Jahr 1998 vergleicht. In beiden Jahren waren die Tariflohnabschlüsse etwa gleich hoch. Obwohl die Lohnquote 2000 sogar stieg, und damit nach den Berechnungen des SVR mehr Spielraum eröffnete, ergibt sich 2000 eine Überschreitung des Verteilungsspielraums, während er für 1998 nicht voll ausgenutzt wurde. Die Ursache liegt im BIP-Deflator, der in diesem Jahr aufgrund des Ölpreisschocks negativ war und damit den Reallohn deutlich nach oben getrieben hat. Bei der Berechnung wird – wie im theoretischen Modell schon aufgeführt – angenommen, dass die Inflationsrate unabhängig von der Lohnentwicklung ist. Dies ist empirisch schlicht falsch.19 Niedrigere Löhne führen, wenn sonst alles gleich bleibt, auch zu einer niedrigeren Inflationsrate. Es ist daher schwierig, eine durchgreifende
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Senkung der Reallöhne über Nominallohnzurückhaltung zu erreichen. Es geht nur dann, wenn die allgemeine Wirtschaftslage so günstig ist, dass die Unternehmen nicht durch harten Wettbewerb gezwungen sind, die Kostenvorteile niedrigerer Löhne rasch an ihre Kunden weiterzugeben. Die Sensitivität der Resultate im Hinblick auf verwendete Lohngrößen und betrachteten Zeitraum wird deutlich, wenn man den betrachteten Zeitraum und die Konzepte verändert. Wenn man nach der Methode des SVR vorgeht, den Zeitraum aber bis 1992 zurückverlängert,20 zeigt sich für alle Größen eine Überschreitung des Verteilungsspielraums – allerdings in sehr unterschiedlichem Ausmaß. Während die Tariflöhne erheblich und die Lohnkosten je Stunde deutlich über dem vom SVR ermittelten Wert liegen, bleiben die Effektivlöhne nahezu neutral im SVR-Konzept. Bei den Tariflöhnen sind vor allem die hohen Lohnsteigerungen im Vereinigungsprozess ursächlich. Die Lohnkosten je Stunde stiegen relativ stark wegen der vielfachen Erhöhungen der Lohnnebenkosten. In der Tendenz entspricht dies aber den Ergebnissen für den Zeitraum von 1998 bis 2003. Ein ganz anderes Bild der Lohnentwicklung ergibt sich, wenn man das Konzept des DIW Berlin zur Berechnung des beschäftigungsneutralen Verteilungsspielraums verwendet. Lässt man im Gegensatz zum SVR zu, dass auch Nachfragemangel eine Ursache von Arbeitslosigkeit sein kann, ist eine Bereinigung der Produktivitätsentwicklung um Beschäftigungsänderungen sinnlos. Eine Erhöhung der Produktivität durch einen Beschäftigungsrückgang, der auf Nachfragemangel zurückzuführen ist, kann nicht durch eine entsprechende Lohnzurückhaltung kompensiert werden. Im Gegenteil, der Nachfragemangel würde sich sogar verstärken. Folglich wird im DIW-Konzept die Veränderung der unbereinigten Durchschnittsproduktivität verwendet. Um zudem zyklische Schwankungen der Produktivität auszuschalten, die nichts mit der Lohnpolitik zu tun haben, wird die trendmäßige Änderung der Produktivität als Maßstab
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gewählt. Im Übrigen werden die gleichen Daten wie beim SVR verwendet. Betrachtet man mit dem so berechneten Verteilungsspielraum den Zeitraum von 1992 bis 2002, zeigt sich, dass die realen Tariflöhne den Verteilungsspielraum um 2,7 Prozentpunkte überschritten haben. Sowohl die Effektivlöhne als auch die Lohnkosten je Stunde schöpften den Spielraum jedoch nicht aus. Die zu hohen Tariflöhne sind im Wesentlichen Folge der massiven Übersteigerungen im Zuge der zu schnellen Lohnangleichung im Vereinigungsprozess. Die wesentlich niedrigeren Effektivlohnsteigerungen zeigen, dass diesen Übersteigerungen mit dem nachfolgenden Abbau übertariflicher Leistungen, der Ausweitung der geringfügigen Beschäftigung, aber auch der Tarifflucht in Ostdeutschland längst mehr als aufgefangen wurden. Diese Schlussfolgerung bleibt – wegen der gestiegenen Lohnnebenkosten für Arbeitgeber abgeschwächt – bestehen, auch wenn man die realen Lohnkosten je Stunden zur Grundlage der Berechnung macht. Ein nicht unberechtigter Einwand gegen den hier verwendeten längeren Zeitraum ist, dass die Verwerfungen im Zusammenhang mit der deutschen Vereinigung sowohl im Hinblick auf die Lohnentwicklung als auch in Bezug auf den Produktivitätstrend nicht zur Grundlage einer solchen Analyse gemacht werden sollten. Um diesem Einwand Rechnung zu tragen, wurde die untersuchte Zeitspanne auf 1995 bis 2002 verkürzt. Für diese kürzere Periode ergibt sich trotz eines flacheren Produktivitätstrends, und damit eines verminderten Verteilungsspielraums, eine eindeutige Lohnzurückhaltung bei allen drei verwendeten Größen, da nunmehr der übersteigerte Anstieg im Zuge des Vereinigungsprozesses nicht mehr in den Daten enthalten ist. Insbesondere wird der Spielraum auch durch die Tarifabschlüsse nicht ausgefüllt. Dabei unterschreiten allerdings die Lohnkosten je Stunde den Orientierungsmaßstab wegen des höheren Anstiegs der Lohnnebenkosten in diesem
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Zeitraum nur sehr wenig. Würde man den betrachteten Zeitraum nur um ein Jahr verkürzen, ergäbe sich sogar ein anderes Vorzeichen. Dies liegt insbesondere an der relativ deutlichen Überschreitung im Jahr 2000, als die nominalen Lohnkosten merklich stiegen. Zusammen mit der negativen Entwicklung des BIP-Deflators führte dies zu einer beträchtlichen Zunahme der realen Lohnkosten. Insgesamt zeigen die Ausführungen, dass die Resultate sowohl im Hinblick auf den betrachteten Zeitraum als auch die verwendete Methode und insbesondere je nach verwendeter Lohngröße stark variieren. Im Gesamtergebnis ist klar, dass selbst nach dem Konzept des SVR in den vergangenen Jahren keine deutliche Überschreitung des mit einer positiven Beschäftigungsentwicklung zu vereinbarenden Spielraums der Lohnentwicklung stattgefunden hat. Da, wie oben gezeigt, auch die internationale Wettbewerbsfähigkeit in Deutschland hoch ist, stellt sich die Frage, ob es überhaupt Probleme mit den Löhnen in Deutschland gegeben hat. Diese Zweifel verdichten sich, wenn man die Löhne aus einer internationalen Perspektive betrachtet. Im Folgenden sollen die Ergebnisse für Deutschland mit denen für Dänemark und den Niederlanden auf der Basis der verschiedenen, bereits oben aufgeführten Konzepte miteinander verglichen werden. Ein internationaler Vergleich wirft wegen unterschiedlicher Messkonzepte insbesondere bei den Arbeitsstunden erhebliche Probleme auf. Aus diesem Grund werden im Folgenden neben den Stundengrößen auch ProKopf-Größen verwendet. Dabei zeigen sich erhebliche Unterschiede. Als Vergleichsländer wurden dabei Dänemark und die Niederlande ausgewählt, die in der Vergangenheit eine wesentlich günstigere Beschäftigungsentwicklung aufwiesen als Deutschland. Hat dort also eine stärkere Lohnzurückhaltung stattgefunden? In den Niederlanden und in Dänemark fand im Gegensatz zu Deutschland in den letzten Jahren eine starke Aus-
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weitung der Beschäftigung statt, die sogar hinreichend war, um die Lohnquote dort zu erhöhen. Zugleich sind in diesen Ländern überraschenderweise die nominalen Arbeitsentgelte Lohnkosten je Stunde, die hier zum Vergleich herangezogen werden sollen, seit 1999 deutlich stärker gestiegen als in Deutschland. Hier zeigt sich erneut, dass niedrige Nominallohnsteigerungen keine Garantie für niedrige Reallohnsteigerungen sind. Das gilt insbesondere, wenn Unternehmen aufgrund einer schwachen Nachfragesituation Kosten schlecht auf die Preise zu überwälzen vermögen. In jedem Fall wird der Zusammenhang zwischen Löhnen und Preisen offenkundig. Berechnet man nun die Ausnutzung des Verteilungsspielraums mittels der Methode des SVR, ergibt sich unter diesen Voraussetzungen insbesondere für die Niederlande von 1995 bis 2002 eine erhebliche »Lohnzurückhaltung«. In Dänemark nehmen die Werte eine mittlere Position zwischen den Niederlanden und Deutschland ein. In der Kumulation seit 1995 ergibt sich eine deutliche Lohnzurückhaltung in den Niederlanden und im geringeren Ausmaß in Dänemark, während die Werte für Deutschland entsprechend den Berechnungen des SVR eher auf eine Überschreitung hinweisen. Die Ergebnisse spiegeln sehr stark die Entwicklung der Beschäftigung wider und sind daher fast tautologisch. Denn jede Beschäftigungsausweitung vergrößert den Spielraum für Lohnerhöhungen. Wird dieser nicht in vollem Umfang genutzt, herrscht definitionsgemäß Lohnzurückhaltung. Insofern ist es nicht überraschend, wenn ein Beschäftigungsrückgang, der den Spielraum verengt, fast immer zu Überschreitungen führt und umgekehrt. Vergleicht man die beiden Länder mit Deutschland nach dem DIW-Berlin-Konzept, ergibt sich ein umgekehrtes Bild. Über die Periode 1995 bis 2002 weisen jetzt die Niederlande und Dänemark eine leichte Überschreitung des Verteilungsspielraums aus, während in Deutschland die Lohnentwicklung in etwa neutral blieb. Dies liegt für die
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Niederlande an den relativ niedrigen Produktivitätsraten, die aus Sicht der Unternehmen durch die sehr hohen Inflationsraten (über 5% 2001) doch nicht kompensiert wurden. In Dänemark war im Gegensatz dazu der Produktivitätszuwachs relativ hoch, aber nicht hoch genug, um die Real-
Lohnkosten je Stunde in Prozentpunkten 4,0
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Kumulierte Werte in Prozentpunkten 10,0 8,0 6,0 4,0 2,0 0,0 -2,0 -4,0 1995
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1 +: Lohnzurückhaltung. Quellen: Sachverständigenrat; OECD; eigene Berechnungen.
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lohnsteigerungen zu kompensieren, die sich dort bei niedrigeren Inflationsraten ergaben. Ein Problem der bisher verwendeten Methoden besteht allerdings genau darin, dass der aktuelle BIP-Deflator zur Berechnung der Reallöhne herangezogen wird und damit
Lohnkosten je Stunde in Prozentpunkten 6,0
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Kumulierte Werte in Prozentpunkten 8,0 6,0 4,0 2,0 0,0 -2,0 -4,0 -6,0 1995
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Deutschland
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Niederlande
1 +: Lohnzurückhaltung. 2 Unbereinigte Durchschnittsproduktivität der Arbeit. Quellen: Sachverständigenrat; OECD; eigene Berechnungen.
Abb. 5-4: Ausnutzung des Verteilungsspielraums1 im internationalen Vergleich DIW-Methode2 1995 bis 2002
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von großer Bedeutung für das Ergebnis ist. Zwar ist es unabdingbar, dass die Entwicklung der Löhne in Relation zu den Preisen aufgezeigt wird, da es eben auf die relativen Kosten des Faktors Arbeit ankommt. Verwendet man allerdings laufende Inflationsraten, gerät ein wesentlicher Aspekt aus dem Blickfeld. Die lohnpolitischen Empfehlungen des SVR erweisen sich sowohl in theoretischer als auch in empirischer Hinsicht als zweifelhaft. Die völlige Vernachlässigung von Nachfrage- und Preiseffekten im theoretischen Modell ist eine große Schwäche des Ansatzes. Auch bei der Berechnung des Verteilungsspielraums sind Auslassungen begangen worden, indem sich die Schlussfolgerungen im Kern auf die Tariflohnabschlüsse erstrecken, die die wesentlich aussagekräftigeren Effektivlöhne oder gar die eigentlich angemessene Betrachtung der Lohnkosten weitgehend ausblenden. Hinzu kommt, dass die Produktivitätsbereinigung anhand einer sinkenden Lohnquote den Verteilungsspielraum gleichsam tautologisch immer weiter einengt, was nur dann sinnvoll ist, wenn jeder Beschäftigungsrückgang auf übersteigerte Löhne zurückgeführt werden kann. Korrigiert man den Ansatz des SVR um diese Schwächen, ergeben sich zum Teil völlig andere Resultate, so dass die Schuldzuweisung des SVR an die Lohnbildung nicht hinreichend fundiert ist. Ohnehin wird bei allen oben vorgestellten Methoden ein Aspekt vernachlässigt: Preisstabilität. Dieser Aspekt soll im folgenden Abschnitt behandelt werden. Bei allen oben angeführten Berechnungen spielt es keine Rolle, ob die Zielvorstellungen der EZB nach oben oder unten verletzt werden. Ist das aber der Fall, wird die Geldpolitik in der einen oder anderen Weise reagieren und damit Einfluss auf dieBeschäftigungsentwicklung nehmen.Dies spricht dafür, neben den Berechnungen unter Berücksichtigung des BIP-Deflators auch solche durchzuführen, die das Inflationsziel der EZB berücksichtigen. Erst dies könnte ein vollständiges Bild zur Beurteilung der Lohnentwicklung erzeugen.
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5.5 Die Deflationsblindheit Bisher wurden die Löhne immer in nominaler Rechnung, d. h. ohne sie in Relation zu den Preisen zu setzen, betrachtet. Wie oben aufgezeigt, sind aber die Reallöhne, also die Relation aus Löhnen und Preisen – neben anderen Einflussfaktoren wie der Gesamtnachfrage –, die entscheidende Lohngröße für die Beschäftigung. Während dies zumindest theoretisch unbestritten ist, gibt es tiefgreifende Unterschiede über den Zusammenhang zwischen Löhnen und Preisen. In den Standardmodellen der Lehrbücher haben beide in der Regel nichts miteinander zu tun. Ein Grund, der oben erläutert wurde, ist, dass vollständige Konkurrenz auf den Märkten herrscht, die dem einzelnen Unternehmen keinen Einfluss auf die Preisgestaltung lässt. Der zweite Grund, eine Abwandlung des ersten, ist, dass die Preise in einem kleinen Land vom Auslandspreisniveau, also dem Weltmarkt, bestimmt werden. In einem solchen Umfeld ist die Beziehung von Löhnen und Preisen recht eindeutig. Zwar werden zumindest bis zu einem gewissen Grad die Tarifparteien Inflationsentwicklungen in ihr Verhandlungskalkül einbeziehen, in diesen Modellen wirken veränderte Löhne jedoch nicht auf die Inflation zurück. Die Inflationsrate entwickelt sich unabhängig von den Löhnen. Dies mag für eine kleine offene Volkswirtschaft wie die Niederlande tatsächlich auf längere Sicht eine angemessene Beschreibung der Gegebenheiten sein. Auf kurze Sicht ist sie es nicht. In einem kleinen Land ist wegen der überaus ausgeprägten Abhängigkeit vom Ausland das inländische Preisniveau in erheblichem Umfang zumindest auf längere Sicht von der Preisgestaltung ausländischer Konkurrenten abhängig – weniger aber von der inländischen Lohnentwicklung. In der Konsequenz schlagen sich höhere Löhne in verminderten Gewinnen nieder, wenn sie nicht durch eine entsprechend höhere Produktivität abgedeckt sind. Eine Überwälzung in höhere Preise zur Sicherung ihrer Gewinne ist für
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die Unternehmen angesichts der ausländischen Konkurrenz zumindest auf Dauer nicht möglich. Für eine größere Volkswirtschaft wie Deutschland und kurzfristig auch für eine kleinere wie die Niederlande ist die Situation anders. Hier bestehen durchaus Überwälzungsspielräume, da der internationale Konkurrenzdruck gegenüber Volkswirtschaften mit einem relativ großen Binnenmarkt und kurzfristig auch in kleinen Volkswirtschaften entsprechend schwächer ist. Wenn dem aber so ist, dann haben Löhne sehr wohl einen Einfluss auf die Preisentwicklung, sie sind also auch im Hinblick auf ihre Inflationswirkungen zu beurteilen. Das ist in einer Richtung auch gängige Praxis. Steigen die nominalen Löhne stärker als die Produktivität an, wird dies über kurz oder lang zu Preissteigerungen führen. Stiegen sie sogar deutlich stärker an, können die so ausgelösten Preissteigerungen so hoch sein, dass sie das Inflationsziel der Zentralbank überschreiten und somit die Preisstabilität gefährden. Dies zwingt die Zentralbank zum Einschreiten. Mittels Zinserhöhungen wird sie die Konjunktur so weit abkühlen, dass sich die Lohnsteigerungen bei steigender Arbeitslosigkeit wieder mäßigen. Im Euroraum sind die Verhältnisse etwas komplizierter, da überzogene Lohnsteigerungen in einem Land noch nicht zwangsläufig die Preisstabilität des gesamten Währungsgebiets gefährdet. Erst wenn dies im Durchschnitt des gesamten Währungsraums geschähe, wäre eine solche Situation gegeben. Insofern können überzogene Lohnsteigerungen in einem Land, insbesondere, wenn es ein kleines Land ist, folgenlos bleiben. Gleichwohl geht von einer überzogenen Lohnpolitik ein stabilitätsgefährdender Impuls aus, der besser vermieden würde. Folglich ist es weitgehend Konsens, dass in diesem Fall eine Warnung an die Lohnpolitik des betreffenden Landes angebracht ist, selbst wenn zu erwarten ist, dass die relativ hohen Preissteigerungen auf Dauer die Wettbewerbsfähigkeit der entsprechenden Volkswirtschaft beeinträchti-
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gen und damit gleichsam automatisch eine gedämpfte wirtschaftliche Aktivität hervorrufen, die dann durch maßvollere Lohnabschlüsse gekennzeichnet ist. Dieser Prozess dauert allem Anschein nach zu lange, um rechtzeitig zu stabilisieren. Folgenlos bleibt ein solcher Verstoß vor allem dann, wenn in anderen Ländern die Lohnentwicklung besonders maßvoll ausfällt. Eine Gefahr, die allerdings in diesem Fall häufig übersehen wird, ist, dass die Lohnsteigerungen dann auch so schwach ausfallen können, dass das Stabilitätsziel deutlich unterschritten wird. Auch dies wird, wenn es in einem einzelnen Land stattfindet, keine prompte Reaktion der Zentralbank hervorrufen. Dann aber ist zu erwarten, dass die Inflationsrate entsprechend niedrig ausfällt, selbst wenn symmetrisch zu den Übersteigerungen in einer Währungsunion die Wettbewerbsfähigkeit gestärkt wird und sich die wirtschaftliche Aktivität tendenziell erhöhen dürfte. Aber auch dies dauert offensichtlich zu lange. Damit aber droht die Gefahr deflationärer Tendenzen. Das ist eine genaue Beschreibung der Situation Deutschlands. Seit Mitte der 90er Jahre bleiben die Lohnzuwächse nicht nur im internationalen Vergleich, sondern auch in Relation zur Produktivitätsentwicklung deutlich zurück. Im Ergebnis weist Deutschland, wie oben gezeigt, zusammen mit Österreich die niedrigste Inflationsrate zum Teil weit unter dem Stabilitätsziel der EZB aus. Dabei war die Inflationsrate in Deutschland in gewisser Hinsicht sogar noch nach oben verzerrt. Zum einen sorgten Ölpreisschocks sowohl in der Zeit nach 2000 als auch seit 2003 für eine temporäre Beschleunigung der Inflation. Zum Zweiten erhöhte im Zuge seiner Konsolidierungspolitik und auch der Reform der Sozialsysteme der Staat die administrierten Preise spürbar. Dies schlägt sich zwar unmittelbar in der gemessenen Inflationsrate nieder. Zugleich ist dies aber nicht das Ergebnis von marktbestimmten Preisanhebungen, die die Rentabilität der Unternehmen steigern. Rechnet man diese
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Effekte heraus, bewegte sich die Inflationsrate in Deutschland in den vergangenen vier Jahren um die Marke von 0,5%. Mit solch niedrigen Preissteigerungsraten bewegt sich Deutschland am Rande der Deflation. In den USA wäre es in der gleichen Situation zu einem Aufschrei gekommen. Schließlich sind die ausgewiesenen Inflationsraten auch mit Messfehlern nach oben behaftet, die für die USA und auch für Deutschland auf gleichfalls etwa einen halben Prozentpunkt geschätzt werden. Damit liegt die Null in greifbarer Nähe. Nun könnten manche meinen, eine niedrige Inflationsrate sei ein Grund zur Freude, blieben doch die Preise nahezu stabil. Nun kann es in der Tat in einzelnen Jahren z. B. aufgrund struktureller Änderungen in den Wettbewerbsverhältnissen, wie sie bei der Transformation einer Planwirtschaft in eine Marktwirtschaft auftreten, oder auch von starken Aufwertungen der heimischen Währung, die dies über sinkende Importpreise hervorrufen, zu konstanten oder gar fallenden Preisen kommen. Wenn dies aus den genannten Gründen geschieht, ist es sicherlich auch positiv zu sehen, zumal eine solche Situation nur temporärer Natur ist. Anders ist es, wenn negative Inflationsraten durch extreme Lohnzurückhaltung hervorgerufen werden. Dann kann es zu wahren Deflationsprozessen kommen, die für die wirtschaftliche Entwicklung außerordentlich gefährlich sind. In einer Deflation verschlechtert sich die Rentabilität der Unternehmen zusehends, da sie immer mehr unter Druck geraten, die Preise zu senken, den sie nicht oder nicht schnell genug in sinkende Löhne umsetzen können. Wichtiger noch ist aber, dass in einem deflationären Umfeld sowohl die privaten Haushalte als auch die Unternehmen zu vermeiden suchen, sich zu verschulden. Denn die reale Verschuldung nimmt bei sinkenden Preisen im Laufe der Zeit zu. Das ist genau das Gegenteil der bisherigen Erfahrung der Deutschen, dass sich die Verschuldung im Laufe der
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Zeit real verringert, da die Preise, wenn in der Regel auch mit moderatem Tempo, immer gestiegen sind. Wenn nun die Neigung sowohl der privaten Haushalte als auch der Unternehmen, sich zu verschulden, abnimmt, zeigen sich die Konsequenzen bei den Investitionen. Ohne Verschuldung sind viele, insbesondere größere Investitionsvorhaben, für die privaten Haushalte sind dies üblicherweise Bauvorhaben, nicht finanzierbar. Sie unterbleiben dann also. Das aber schwächt die Wachstumsaussichten der Gesamtwirtschaft. Im Normalfall zeichnet sich eine deflationäre Wirtschaft durch einen tiefen und langwierigen Aktivitätseinbruch aus, den die Wirtschaftspolitik zudem nur schwer bekämpfen kann. Insbesondere die traditionelle Geldpolitik ist völlig lahm gelegt, da sie keine negativen Leitzinsen festsetzen kann, die aber für einen die Wirtschaft stimulierenden negativen Realzins notwendig wären. Allein über eine monetäre Akkommodierung einer expansiven Finanzpolitik und der hieraus resultierenden Schulden könnte, wie dies in Japan geschehen ist, ein expansiver reinflationierender Impuls ausgelöst werden. Aber Japan hat auch gezeigt, wie langwierig dieser Prozess ist. Erst seit 2004, nach über zehn Jahren, die von einem Wechselspiel aus Rezessionen, Stagnationsphasen und abgebrochenen Aufschwüngen gekennzeichnet waren, erholt sich die japanische Wirtschaft allmählich. Japan zeigt auch, welch destabilisierende Wirkung von extremer Lohnzurückhaltung ausgeht. Die Gehälter in den größeren japanischen Unternehmen waren in hohem Ausmaß an den Unternehmenserfolg gekoppelt. Mit den wirtschaftlichen Schwierigkeiten wurden daher die Gehälter zum Teil drastisch reduziert. In der Folge entstand nicht etwa mehr Beschäftigung, sondern eine zähe Konsum- und Investitionsschwäche, die von rückläufigen Preisen begleitet war. Die deutsche Wirtschaft wies in den Jahren von 2001 bis 2003 viele Züge der japanischen Wirtschaft auf. Allerdings
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war die Lohnzurückhaltung, auch wenn sie stärker als in den übrigen europäischen Ländern war, nicht so markant ausgeprägt wie in Japan. Nur deshalb ist Deutschland in dieser Phase nicht in eine Deflation geglitten, sondern gerade noch daran vorbeigeschrammt. Gleichwohl haben einige deflationäre Züge in Deutschland Fuß gefasst. An erster Stelle ist die oben bereits beschriebene Konsumschwäche zu nennen, die nur zögerlich ihr Ende findet. Diese strahlte auch auf die Investitionen aus, die gleichfalls eine sehr schwache Tendenz aufwiesen. Zugleich, auch das typisch für deflationäre Tendenzen, ist die Verschuldungsbereitschaft gesunken. Im Jahre 2003 haben die Unternehmen sogar konsolidiert, d. h. sie haben per saldo Schulden abgebaut, ein für den Unternehmenssektor gänzlich ungewöhnliches Verhalten. All dies zusammen zeigt, dass Deutschland sich durch die Praxis extremer Lohnzurückhaltung in hohe Deflationsgefahr begeben hat. Zugleich offenbaren die niedrigen Inflationsraten ein Kernproblem einer Politik der nominalen Lohnzurückhaltung, um wirklich auch zu einer niedrigen Reallohnentwicklung, die für die Beschäftigung maßgeblich ist, zu führen. Vergleicht man nämlich die Reallohnentwicklung in Deutschland mit der in Spanien, wird man für die Werte seit 1995 keinen nennenswerten Unterschied finden. Allerdings ist das ähnliche Ergebnis auf völlig unterschiedliche Weise zustande gekommen. In Deutschland ist es das Zusammenwirken von niedrigen Nominallohnsteigerungen und niedriger Inflationsrate. In Spanien ist es das Zusammenspiel von hohen Nominallohnsteigerungen und hoher Inflationsrate. Letztere überschreitet das Stabilitätsziel der EZB zum Teil beträchtlich. Schon von daher kann der spanische Weg nicht als Beispiel für den gesamten Euroraum genommen werden. Es handelt sich dabei aber in gewisser Weise um ein Trittbrettfahren auf den Stabilitätsbemühungen der anderen Länder, insbesondere Deutschlands, ohne die ein stabilitäts-
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gerechtes Ergebnis für den gesamten Euroraum nicht erreichbar ist. Andererseits ist der deutsche Weg wegen Deflationsgefahr auch nicht zu empfehlen. Hier gilt es, sich ein Beispiel an jenen Ländern zu nehmen, in denen die Löhne sich eben nicht extrem zurückhaltend – gemessen an der Produktivität – entwickelt und sich gleichzeitig an den Stabilitätszielen der EZB orientiert haben. Ein solches Vorgehen, auf das im nächsten Kapitel noch genauer eingegangen werden soll, führt zu höheren Lohnabschlüssen und auch einer höheren Inflationsrate, die aber gleichwohl stabilitätsgerecht ist.
5.6 Der Konsolidierungsirrtum Die Finanzpolitik in Deutschland wurde durch zwei Ziele geprägt. Zum einen sollte der Haushalt konsolidiert und zum Zweiten die Steuerlast vor allem für Unternehmen gesenkt werden. Beide Ziele sind primär angebotsseitig motiviert. Ausgeglichene Haushalte implizieren, dass der Staat den Kapitalmarkt nicht zusätzlich in Anspruch nimmt. Die so gedrückte Kapitalnachfrage würde zu niedrigen Zinsen führen. Dies käme der privaten Kapitalnachfrage vor allem von Unternehmen zugute und die private Investitionstätigkeit und damit das Angebot würden dadurch stimuliert. Abgesehen davon, dass dies auch einen positiven Impuls für die Investitionsnachfrage bedeuten würde, steht das Argument allerdings auf schwachen Füßen. Gerade in einer ungünstigen wirtschaftlichen Lage wird dieser Effekt nicht übermäßig groß ausfallen. Zu berücksichtigen ist, dass der Kapitalmarktzins in hohem Umfang von den globalen Kapitalmärkten mitbestimmt wird. Hinzu kommt, dass auch die staatliche Kreditnachfrage der übrigen Mitgliedsländer von Bedeutung ist. Aus diesen Gründen ist der zinssenkende Effekt einer Rückführung der öffentlichen Kreditnachfrage nicht allzu hoch zu veranschlagen. Wichtiger ist
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jedoch, dass die hierdurch zu erwartenden zusätzlichen Investitionen geringer als der Rückgang der staatlichen Nachfrage ausfallen werden, da die Unternehmen in einer Phase wirtschaftlicher Schwäche bei unterausgelasteten Kapazitäten auf niedrigere Zinsen nur zögerlich reagieren, so, wie dies auch auf die oben beschriebene geldpolitische Stimulierung zutrifft. Im Unterschied zur Geldpolitik tritt bei einer Haushaltskonsolidierung ein Entzugseffekt durch die Rückführung der staatlichen Ausgaben auf, der den Impuls per saldo also negativ werden lässt und somit die Schwäche verstärkt. Vor diesem Hintergrund war der finanzpolitische Kurs der vergangenen Jahre nicht angemessen. Zwar wurden zum Teil erhebliche Steuersenkungen beschlossen, doch gingen diese immer wieder mit Sparpaketen einher, die die Ausrichtung der Finanzpolitik letztlich restriktiv werden ließen. Die privaten Haushalte und die Unternehmen wurden also per saldo trotz der Steuersenkungen belastet. Dass es trotzdem zu höheren Defiziten kam, ist zum einen das Ergebnis der schwachen Konjunktur, die die Steuereinnahmen immer wieder hinter den Schätzungen zurückbleiben ließ. Hinzu kam, dass die Ausdehnung der besonderen Beschäftigungsverhältnisse wie Minijobs steuerlich und vor allem im Hinblick auf die Sozialversicherungspflicht nur sehr geringe Einnahmen generiert. Das hat auch dazu geführt, dass die Finanzlage der Sozialversicherung nahezu ständig als zu rosig eingeschätzt wurde. Vor diesem Hintergrund ist es nicht erstaunlich, dass die Haushaltsfehlbeträge fortwährend stiegen. Wichtig ist bei dieser Betrachtung, dass sie nicht so stark gestiegen sind, wie es eigentlich von der schwachen Konjunktur her angelegt war. Damit ist eine konjunkturelle Stabilisierungsleistung des Staates unterblieben. Technisch formuliert, heißt dies, die sog. automatischen Stabilisatoren haben nicht in vollem Umfang gewirkt. Vielfach wird nun eingewandt, dass dies alles nicht maßgeblich sei, wie es überhaupt keine konjunkturelle Wirkung
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von Haushaltsdefiziten gäbe. Denn steigende Defizite würden von den privaten Haushalten als künftige Steuererhöhungen angesehen, die ihre Konsummöglichkeiten in der Zukunft belasten würden. Da sie aber eine gleichmäßige Verteilung des Konsums im Zeitablauf anstreben, führt eine solche Überlegung bereits heute zu einer erhöhten Ersparnis und der Konsum geht bereits in der Gegenwart zurück. Der positive Konjunkturimpuls des höheren Defizits wird hierdurch ausgeglichen, der konjunkturelle Gesamteffekt ist null. Diese Überlegungen kranken an einem gedanklichen Fehler. Sie unterstellen, dass die Schulden des Staates in irgendeiner zukünftigen Periode vollständig zurückgezahlt werden müssen. Dafür müssten dann entsprechend die Steuern erhöht werden. Dies entspricht aber nicht der Wirklichkeit. Aufgrund der – etwas übertrieben – unendlichen Lebenserwartung von Staaten können die Schulden auch immer weitergewälzt werden. Dies ist so lange kein Problem, als es gelingt, Wachstum zu erzeugen und damit zusätzliche Einkommen, aus denen Schulden bedient und getilgt werden können. Die Schuldenstandsquote sinkt dann fortwährend und mit ihr die Belastung der Volkswirtschaft durch den Schuldendienst. Damit ein solcher Prozess funktioniert, müssen im Durchschnitt der Jahre allerdings Obergrenzen der Neuverschuldung akzeptiert werden. Deren Höhe hängt von dem zu erwartenden nominalen Wachstum des Bruttoinlandsprodukts ab. Die Defizitquote muss hinter dieser Wachstumsrate zurückbleiben. Je weiter sie zurückbleibt, desto niedriger ist der auf lange Sicht zu erwartende Schuldenstand. Dies zeigt, dass eine vernünftige Strategie zur Konsolidierung weniger darauf abzielt, sich aus einer Verschuldungssituation herauszusparen. Eine überlegene Strategie ist es vielmehr, aus diesem Defizit herauszuwachsen. Genau hierauf muss eine Alternative zur derzeit praktizierten Politik abzielen.
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6.1 Eine neue Strategie für die Wirtschaftspolitik Eine durchgreifende Verbesserung der wirtschaftlichen Lage in Deutschland ist nur zu erwarten, wenn sich die wirtschaftspolitische Strategie verändert. Das derzeit die Debatten beherrschende ökonomische Bild an sich friktionslos funktionierender Märkte, deren vollständige Entfaltung allein durch Angebotshemmnisse verschiedenster Art, vor allem durch einen überregulierten Arbeitsmarkt behindert wird, ist eine falsche Voraussetzung für wirtschaftspolitische Entscheidungen. So funktionieren Märkte nicht. Ein realistisches Leitbild muss auf der einen Seite die Effizienz und Rationalität dezentraler Marktentscheidungen anerkennen, indem sie dem Markt überlässt, was möglich ist, und Regulierungen und sonstige Eingriffe auf die Bereiche eingrenzt, wo ein klares Marktversagen erkennbar ist. Auf der anderen Seite: Es gibt ein inhärentes Marktversagen. Das Entstehen und die Überwindung konjunktureller Krisen gehören dazu. Die Vergangenheit hat immer wieder gezeigt, dass auch in völlig unregulierten Marktsystemen solche Krisen nicht oder zumindest nicht über eine lange Zeit von alleine vorübergehen. Es bedarf externer Impulse, sei es aus der Wirtschaftspolitik oder vom Ausland, um eine durchgreifende Erholung herbeizuführen. Die Märkte, allein gelassen, vermögen solche Impulse nicht aus sich heraus zu erzeugen. Die hierfür notwendigen raschen Preisanpassungen sind eine Fiktion der Neoklassik, die nicht zum einzelwirtschaftlich rationalen Verhalten von privaten Haushalten und Unternehmen passen. Wenn dem so ist, hat der Staat eine wirtschaftspolitische Stabilisierungsaufgabe wahrzunehmen. Die wirtschaftspoli-
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tischen Instanzen müssen sich ihrer jederzeit bewusst sein. Mit der Hoffnung auf eine selbsttätige Erholung nicht zu handeln, verlängert jede Schwäche oder erzeugt Überhitzungen, die im Nachhinein nur mit größeren Schäden zu korrigieren sind. Gleichwohl gibt es neben den konjunkturellen Verwerfungen immer wieder strukturelle Probleme, die allein schon dadurch entstehen können, dass einstmals gut funktionierende Strukturen aktuellen Anforderungen nicht mehr gewachsen sind. Das Rentensystem in einer überalternden Gesellschaft kann hierfür ein Beispiel sein. Auch konjunkturelle Krisen können strukturelle Probleme schaffen, wenn sich z. B. die Arbeitslosigkeit immer mehr verfestigt. Diese Probleme lösen sich nicht selbsttätig, sondern erfordern politische Eingriffe. Wichtig ist generell nur, dass die konjunkturellen Impulse, die von diesen Eingriffen ausgehen, berücksichtigt werden. Die Wachstumseffekte, die man sich von Reformen erwartet, realisieren sich zumeist nicht kurzfristig, sondern erst auf längere Sicht, weil sich die Menschen erst langsam darauf einstellen, wie es z. B. bei der Reform der Rentenversicherung der Fall sein dürfte. Die positiven Effekte können sogar von der konjunkturellen Lage abhängig sein. Wenn die Effizienz der Arbeitsvermittlung gesteigert wird, zeigen sich die positiven Effekte erst in vollem Umfang, wenn die Arbeitsnachfrage bei guter Konjunktur deutlich zunimmt. Beachtet man dies nicht, kann es zu einem Einbruch der wirtschaftlichen Aktivität kommen, der auch die Reformbemühungen gefährdet. Sind also die Impulse aus Strukturreformen negativ und belasten die wirtschaftliche Entwicklung, muss die Wirtschaftspolitik, wenn dies in einer eher schwachen Phase geschieht, für einen entsprechend expansiven Ausgleich sorgen. Bei guter Konjunktur wäre dies allerdings nicht nötig. Umgekehrt können belebende Impulse aus Strukturreformen in einer Schwächephase sehr willkommen sein, bei guter Konjunktur aber begleitende
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Bremsmanöver erfordern. Die Botschaft aus alldem ist, dass strukturelle Reformen in eine gesamtwirtschaftliche Strategie eingebettet sein müssen, um negative Effekte, die möglicherweise sogar das gesamte Reformprojekt gefährden, zu vermeiden. Deshalb gilt es, will man strukturelle Reformen durchführen, im Vorfeld genau zu prüfen, ob hieraus auch gesamtwirtschaftliche Belastungen entstehen können. Genau dies ist im Fall der Agenda 2010 unterblieben und hat dazu beigetragen, dass die Binnenkonjunktur in Deutschland so lang anhaltende Schwächetendenzen aufwies. Positive Beispiele, die aber nicht ohne weiteres übertragbar sind, finden sich hingegen in den skandinavischen Ländern. Auch dort wurden die Sozialsysteme reformiert und dabei teilweise Leistungen drastisch gekürzt. Gleichwohl kam es nicht zu diesen zähen binnenwirtschaftlichen Krisen, auch wenn aus außenwirtschaftlichen Gründen zunächst ein tiefer Einbruch der Produktion erfolgte. Denn gleichzeitig wurde über eine Abwertung der Währungen ein stark expansiver Impuls gesetzt, der die Schwächen überkompensierte. Dies ist keine Option für Deutschland, das schließlich nur ein Mitglied in einer Währungsunion ist, die zudem aus den wichtigsten Handelspartnern besteht. Ferner ist der Exportanteil, der von der Abwertung profitieren würde, in Deutschland wesentlich geringer. Insofern ist nur der Gedanke übertragbar, dass ein kontraktiver Impuls, der durch strukturelle Reformen ausgelöst wird, durch einen entsprechend starken expansiven Impuls kompensiert werden muss. Als wirtschaftspolitisches Instrument bleibt, da die Reformen nun mal primär Deutschland betreffen, allein die Fiskalpolitik übrig. Aber dazu später mehr. Ein solcher Strategiewechsel würde zwar aktuelle Belastungen abfedern, reicht aber für sich genommen nicht aus, um die wirtschaftliche Entwicklung Deutschlands auf einen höheren Wachstumspfad zu bringen. Dazu müssen noch weitere Elemente hinzukommen, die es Unternehmen und
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privaten Haushalten erlauben, die Wachstumspotentiale, die Deutschland besitzt, besser ausnutzen zu können. Allen Maßnahmen, die im Folgenden vorgeschlagen werden, ist gemeinsam, dass sie neben den Angebotsbedingungen, die gerade im harten internationalen Wettbewerb immer günstig sein müssen, auch die Nachfragebedingungen nicht vernachlässigen. Nur im günstigen Zusammenspiel beider Marktseiten entsteht Wachstum. Einseitigkeiten in der Wirtschaftspolitik lassen jede noch so gut gemeinte Maßnahme verpuffen. Ein solches Vorgehen würde zudem lediglich die Fehler der derzeit praktizierten Angebotspolitik, nur auf der anderen Seite des Marktes, wiederholen. Auch reichen nationale Maßnahmen alleine nicht aus. Vieles ist nur in einem internationalen Kontext zu lösen. Im Folgenden sollen die weiteren notwendigen Elemente einer Wachstumsstrategie beschrieben werden, beginnend mit jenen, die in einem internationalen Kontext getroffen werden müssen, und endend mit eher nationaler Wirtschaftspolitik.
6.2 Das Kapital binden Ein Argument, das insbesondere vor dem Hintergrund von Einschnitten in das System der sozialen Sicherung immer wieder angeführt wird, ist, dass das internationale Kapital einen Bogen um Volkswirtschaften macht, in denen Unternehmen vermeintlich zu hohen Belastungen aufgrund hoher Sozialausgaben ausgesetzt sind. Schließlich rentiere sich dort die Produktion nicht oder zumindest in geringerem Maße als in Ländern ohne hohe Sozialkosten. Damit wird eine Begründung für eine angebotsorientierte Politik versucht. Es ist unmittelbar einsehbar, dass dem Kapital hinreichend gute Angebotsbedingungen geboten werden müssen, sonst besteht die Gefahr, dass es zu einem Abfluss kommt, der auch das im Inland akkumulierte Kapital erfasst. Es gilt daher, Vorkehrungen zu treffen, die sowohl das ausländische
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wie das heimische Kapital binden, ohne dass es zu Beschränkungen des Kapitalverkehrs kommt, die Wachstumschancen vernichten würden. Richtig ist, dass Kapital heute extrem mobil ist und ohne großen Aufwand von einem Platz dieser Welt an einen anderen verschoben werden kann. Auch ist selbstverständlich, dass sich die Anleger die Orte aussuchen, an denen sie sich die höchste Rendite versprechen. Der Vorteil für alle ist, dass damit Kapital weltweit für Investitionen zur Verfügung steht. Aber mit dem ungehinderten Kapitalverkehr sind auch Nachteile verbunden. Ein Großteil der Kapitalbewegungen ist nicht von langfristigen Investitionsabsichten geprägt, sondern von kurzfristigeren Anlagemotiven. Dazu gehören auch spekulative Beweggründe. Diese Anleger legen ihr Geld so kurzfristig an, dass sie es jederzeit abziehen können. Es ist nun kein Geheimnis, dass die Motive, die solche Kapitalbewegungen auslösen, sehr vielfältig sein können und nicht nur von rationalen ökonomischen Überlegungen geprägt sind. So spielt z. B. der Herdentrieb eine geradezu faszinierende Rolle. Entscheidet sich einer oder mehrere in der »community« als wichtig angesehene Anleger dafür, Gelder aus einem bestimmten Land abzuziehen, folgen alle anderen nach, ohne dass sie selbst eigene Überlegungen angestellt hätten. Man zieht sein Geld ab, weil andere es auch tun. Das kann sich im Nachhinein auch als völlig rational erweisen, da sich die finanzielle Situation des entsprechenden Landes nach dem Abzug der Gelder als miserabel erweisen dürfte. Jedenfalls werden die Finanzinstitutionen, allen voran die Banken, in der Regel in Liquiditätsprobleme geraten. In der Vergangenheit hat es immer wieder dieses Phänomen eines überstürzten Kapitalabzugs gegeben. Zuletzt geschah dies in Argentinien und zuvor in Asien. Die Konsequenzen sind für die betroffenen Länder meist sehr harsch. In der Regel folgt einer solchen Krise ein Stabilisierungsprogramm, das mit sehr harten Einschnitten die Attraktivität
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des jeweiligen Finanzstandortes wieder zu erhöhen sucht. Zumeist kommen die entsprechenden Vorschläge vom Internationalen Währungsfonds (IWF). Dieser wird vor allem aus einem Grund tätig. Finanzkrisen treffen nämlich nicht nur die unmittelbar tangierten Länder, sondern sie strahlen häufig auf die gesamte Weltwirtschaft aus. Das zeigte sich exemplarisch in der Asienkrise Ende der 90er Jahre, als von den drastischen Währungsbewegungen und dem Kapitalabzug letztlich die gesamte Weltwirtschaft in Mitleidenschaft gezogen wurde, da die Exporte in die Region merklich abnahmen und auch erhebliche Verluste sowohl auf den Kapitalmärkten als auch bei auf den asiatischen Märkten agierenden Unternehmen zu verzeichnen waren. Es gibt also erhebliche externe Effekte von Kapitalbewegungen, durch die an sich unbeteiligte Volkswirtschaften belastet werden. Damit besteht wirtschaftspolitischer Handlungsbedarf. Sinnvollerweise sollte man nicht nur den IWF in die Pflicht nehmen, der als Feuerwehr nur dann ausrücken kann, wenn es schon brennt oder gar gebrannt hat. Diese Rolle sollte der IWF zwar weiter einnehmen, doch wäre es vorzuziehen, wenn bereits präventiv solche Krisen eingedämmt werden könnten. Ein weiteres Motiv für internationale Kapitalbewegungen sind steuerliche Vergünstigungen, die in sog. Steueroasen gewährt werden. Solche Schutzhütten des Kapitals setzen die nationalen Steuerpolitiken massiv unter Druck, die Steuerbelastung zu senken. Während diese von manchen als heilsame Druckmittel gegenüber zu großen Begehrlichkeiten des Staates gesehen werden, kann man sie jedoch auch als unfaire Subventionen verstehen, die einen internationalen Wettlauf um die niedrigste Steuerbelastung für Kapital ausgelöst haben. Damit wird der Produktionsfaktor Kapital überhaupt nicht mehr oder nur noch in geringem Umfang zur Finanzierung öffentlicher Angelegenheiten herangezogen. Diese Lasten fallen allein dem Faktor Arbeit
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anheim. Das schafft erhebliche Vorteile für Kapitalbesitzer im Vergleich zu Arbeitsanbietern, die aber nicht auf besonderer Leistung beruhen, sondern auf einer besonderen steuerlichen Subventionierung. Auch hier sollte man Maßnahmen ergreifen, die einen unproduktiven Subventionswettlauf unterbinden, ohne zugleich die Freiheit des Kapitalverkehrs, die produktiven Investitionen dient, einzuschränken. Beide hier genannten Forderungen können erfüllt werden, indem die Anreize im Kapitalverkehr verändert werden. Dies ist zum einen durch eine Besteuerung von internationalen Finanztransaktionen möglich. Für die Mitgliedsländer der Europäischen Währungsunion wäre dabei die gesamte Eurozone als der binnenwirtschaftliche Kapitalmarkt anzusehen. Will ein Anleger sein Geld nun auf einen in diesem Sinne ausländischen Kapitalmarkt überweisen, zahlt er hierauf eine Steuer, deren Höhe vom Volumen der Transaktion abhängt. Die Steuer wird von dem Finanzinstitut erhoben, das die Transaktion durchführt. Dies wird in der Regel eine Bank sein. Eine solche Steuer wurde erstmals von dem amerikanischen Nobelpreisträger Tobin vorgeschlagen, eben um spekulative Finanztransaktionen einzudämmen. In der Tat verringert diese Steuer, wenn mit spürbaren Steuersätzen agiert wird, die Anreize, Kapital möglichst häufig um den Erdball zu bewegen. Die erwarteten Renditedifferenzen müssen höher sein als ohne eine solche Steuer. Eine Vielzahl von Transaktionen könnte dann als unrentabel erscheinen und gar nicht erst durchgeführt werden. Erst wenn nennenswerte Renditedifferenzen zu erwarten sind, lohnt es sich für die Anleger, ihr Geld ins Ausland zu transferieren. Die zweite Maßnahme für eine stärkere Kapitalbindung sollten Handelssanktionen gegen Steueroasen sein. Wie in üblichen Fällen auf den Güter- und Dienstleistungsmärkten von der Welthandelsorganisation (WTO) erlaubt, sollte eine unfaire Subventionierung mit Handelsbeschränkungen beantwortet werden können. Dies kann sich auf Güter- und
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Dienstleistungsexporte aus der Steueroase beziehen. Wenn diese jedoch ohne große Bedeutung für deren Wirtschaft sind, sollten die Finanztransaktionen aus diesen Ländern mit einem Strafzoll belegt werden. In diesem Fall müssen die Anleger damit rechnen, dass neben den Steuern für die Überweisung auch beim weiteren Transfer aus dem Steuerparadies erhöhte Kosten anfallen. Die Rentabilität derartiger Vorhaben könnte sich dadurch noch weiter entscheidend verringern. Damit aber würde sich ein Wettbewerbsdruck in Richtung immer niedrigerer Steuersätze für Kapital weltweit mildern. Auch dieser Produktionsfaktor könnte mehr zum inländischen Steueraufkommen beitragen, was tendenziell zu einer steuerlichen Entlastung der Arbeitseinkommen führt. Schon dies kann eine stabilere Nachfrageentwicklung zur Folge haben. Die Investitionen dürften insgesamt nicht unter der dann stärkeren effektiven Besteuerung von Kapitaleinkommen leiden. Zwar müssen die Kapitaleinkommensbezieher höhere Steuern bezahlen, aber gleichzeitig fließt durch die Entlastung der Arbeitseinkommen mehr Geld in den Wirtschaftskreislauf, so dass sich die Chancen für rentable Investitionen erhöhen. Im Übrigen hat gerade die jüngere Vergangenheit gezeigt, als auch gerade in Deutschland die Kapitaleinkommen durch die Steuerreformstufe im Jahr 2000 massiv entlastet wurden, wie gering der Einfluss der Höhe der Steuern auf die Investitionen ist. Trotz der erheblichen Senkungen brachen die Investitionen 2001 förmlich ein. Daraus lässt sich zumindest ableiten, dass die Steuern keinen dominierenden Einfluss ausüben. Die erwarteten Absatzmöglichkeiten scheinen ein weitaus größeres Gewicht zu besitzen. Insofern sollten sich die Impulse für die wirtschaftliche Entwicklung, die sich aus steuerlichen Änderungen ergeben, in engen Grenzen halten. Aus den beschriebenen Überlegungen ergibt sich zwingend, dass das Ziel, Kapital stärker zu binden, nur im Rahmen internationaler Vereinbarungen erreicht werden kann.
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Dies ist einerseits relativ schwer, da es immer einzelne Staaten geben wird, die ein Interesse an der Existenz von Steueroasen haben, weil sie z. B. selber eine sind. Andere halten deren Vorhandensein ideologisch für sinnvoll, da auf diese Weise dem vermeintlich gierigen Staat Fesseln angelegt werden. Andererseits leiden fast alle größeren Industriestaaten an der Auszehrung dieser Steuerquelle und den daraus folgenden Belastungen für die Arbeitseinkommen oder hierdurch notwendig gewordenen Kürzungen. Deshalb ist es trotz der zu erwartenden Widerstände sinnvoll, in diese Richtung zu gehen und eine möglichst weit reichende Abdeckung zu erreichen, damit es zumindest immer schwieriger und kostspieliger wird, Steuern auf Kapitaleinkommen zu vermeiden.
6.3 Ein stabileres globales Währungssystem schaffen Eine Quelle globaler Instabilität sind dramatische Wechselkursschwankungen, welche die Rentabilität des internationalen Handels beeinträchtigen. Ursprung massiver Kursausschläge an den Devisenmärkten sind zumeist lange Zeit unterdrückte Anpassungsvorgänge, wie sie sich in einem schleichenden Verlust von Wettbewerbsfähigkeit durch eine im internationalen Vergleich hohe Inflationsrate manifestieren können, oder Fehlentwicklungen im Finanzsektor, die erst allmählich sichtbar werden. Werden die Probleme dann offenkundig, kommt es meist sehr rasch zu einem Kapitalabzug, der – siehe oben – auch für sich genommen schon ein Problem darstellt. Sicherlich können durch eine starke Abwertung der Währungen die Folgen von solchen Fehlentwicklungen für das betreffende Land gemildert werden, wenn auch zu Lasten der aufwertenden Länder. Typisch für eine solche Situation ist allerdings, dass die kompensieren-
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den Wechselkursbewegungen über das Ziel hinausschießen und neue Verwerfungen auslösen. So konnte man es zuletzt in der Krise der asiatischen Länder Ende der 90er Jahre beobachten. Aus diesem Grund ist es sinnvoll, einen stabileren Rahmen für Währungsbewegungen zu schaffen, als es völlig flexible Wechselkurssysteme sein können. In Europa hat man mit der Schaffung der Währungsunion den wohl drastischsten Schritt in diese Richtung gemacht. Seither gehören die spekulativen Wechselkursbewegungen, wie sie einstmals zwischen der D-Mark und z. B. der italienischen Lira üblich waren, endgültig der Vergangenheit an. Ein derartig radikaler Schritt erfordert allerdings im Vorfeld einen teilweise schmerzhaften monetären Konvergenzprozess und am Ende den Verzicht auf monetäre Souveränität. Hierzu sind – angesichts ihrer Heterogenität zu Recht – nicht alle Staaten bereit. Folglich sollten, will man starke Schwankungen vermeiden, Zwischenformen der Wechselkursbindung gewählt werden, zumal der »richtige« Wechselkurs seiner Natur nach unbekannt ist. Als Vorbild für funktionierende Wechselkurssysteme kann der europäische Wechselkursmechanismus (WKM) dienen, der bereits im Vorlauf zur Währungsunion erfolgreich für eine Stabilisierung der Kurse sorgte und nunmehr auch für die neuen Mitgliedsländer der EU, die Mitglied der Währungsunion werden sollen, wieder maßgeblich ist. Im Rahmen des WKM wird den Kursen nur eine begrenzte Schwankungsbreite um einen fixierten Leitkurs zugestanden. Werden die Grenzen überschritten, greifen die beteiligten Zentralbanken ein, um den Kurs wieder innerhalb des zulässigen Intervalls zu bringen. Zeigt sich im Laufe der Zeit, dass der Leitkurs immer wieder auf den Devisenmärkten attackiert wird, kann dieser mit einem gemeinsamen Beschluss verändert werden. Dies wurde im Falle Großbritanniens und Italiens zu Beginn der 90er Jahre versäumt, als beide Länder zunehmend an Wettbewerbsfähig-
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6.3 Ein stabileres globales Währungssystem schaffen
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keit gegenüber Deutschland und Frankreich verloren. In der Folge verließen beide Länder, Großbritannien permanent und Italien temporär, den Wechselkursmechanismus. Dies zeigt, solange noch keine monetäre Konvergenz erreicht ist, bedarf es gelegentlicher monetärer Anpassung der Leitkurse. Immer bleiben dabei die Zentralbanken Herrinnen des Verfahrens und lassen sich nicht von Kurssprüngen an den Devisenmärkten überrollen. Entgegen vielfachen Behauptungen, die ihnen keine Chance gegen die ungeheuren Devisenströme beim Anschwellen einer Spekulationswelle zubilligen, verfügen Zentralbanken sehr wohl über hinreichend Macht, diese Wellen zumindest kurzfristig zu brechen. Voraussetzung ist, dass auch die Zentralbank mit der aufwertenden Währung an dem System beteiligt ist. Denn sie kann, da sie Herrin der eigenen Währung ist, durch Zinssenkungen und damit verbundene Erhöhungen des Geldangebots, die Aufwertungstendenz ihrer Währung und damit die Abwertungstendenz der anderen zum Halten bringen. Ein solcher Währungsverbund weist sowohl die notwendige Flexibilität wie auch die nötige Stabilität auf. Stehen die Zentralbanken glaubhaft zu einem solchen System, werden zugleich die Erwartungen auf den Devisenmärkten stabilisiert. Niemand kann davon ausgehen, dass seine Spekulation auf einen deutlich höheren oder niedrigeren Kurs aufgeht, wenn dies von den zuständigen Zentralbanken bekämpft wird. In Europa hat sich im Vorfeld der Währungsunion gezeigt und zeigt sich auch derzeit bei den neuen Mitgliedsländern, dass ein solches System funktioniert. Es erweist sich auf der einen Seite gegenüber allzu fixen Bindungen, die nicht durch eine entsprechende Konvergenz der monetären Bedingungen wie der Inflationsraten abgesichert sind, als überlegen. Diese zerbrechen über kurz oder lang. Auf der anderen Seite geben sie mehr Stabilität als völlig frei variierende Kurse, bei denen die Erwartungen der Marktteilnehmer zumindest auf kurze Sicht keinen Halt finden.
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Diese Stabilität ist aber wichtig, um den internationalen Austausch von Gütern und Dienstleistungen zu fördern. Im Zeitalter der Globalisierung ist dieser Teil der wirtschaftlichen Aktivität eine besonders wichtige Quelle von Wachstum. Folglich ist es unabdingbar, dass die außenwirtschaftliche Flanke des Wachstums besser geschützt wird und somit weniger Störungen auftreten als in der Vergangenheit. Es ist daher zu empfehlen, dass sich weltweit solche Währungsbündnisse insbesondere zwischen Ländern, die intensiven Handel miteinander treiben, herausbilden. Dies würde der weltwirtschaftlichen Stabilität und damit der binnenwirtschaftlichen Entwicklung auch in Europa zugute kommen. Erreicht werden kann dieses Ziel gleichfalls nur durch multilaterale Verhandlungen, wobei die Bundesregierung nicht in erster Linie gefragt ist, da diese Probleme innerhalb Europas weitgehend gelöst wurden. Sie kann aber fördernd für andere Regionen tätig sein. Am bedeutsamsten wird es sein, ob es eine Übereinkunft mit den USA über ein Wechselkurssystem zwischen Euro und Dollar geben kann. Aus heutiger Sicht ist dies sehr unwahrscheinlich, da die amerikanische Regierung und auch die Notenbank jede Bindung auf Seiten der USA strikt ablehnen. Gleichwohl wäre ein solches System zwischen diesen großen Handelsblöcken ein wesentlicher Beitrag zur außenwirtschaftlichen Stabilität.
6.4 Eine europäische Stabilisierungspolitik etablieren Die jüngste Schwäche hat gezeigt, dass das Bewusstsein für eine europäische Stabilisierungspolitik noch nicht sehr ausgeprägt ist. Damit ist gemeint, dass in Zeiten wirtschaftlicher Schwäche sich zunächst keine europäische wirtschaftspolitische Instanz berufen fühlt, etwas gegen eine
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6.4 Eine europäische Stabilisierungspolitik etablieren
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heraufziehende Krise zu unternehmen. Dies ist anders als z. B. in den USA. Für eine Stabilisierungspolitik im europäischen Kontext ist primär die Geldpolitik zuständig, die, solange die Preisstabilität nicht gefährdet ist, den wesentlichen Beitrag zur konjunkturellen Stabilisierung leisten muss. Die EZB hat sich immer wieder hinter ihrer primären Aufgabe verschanzt, um keine, verspätete oder zu zaghafte Maßnahmen für eine Wiederbelebung der Konjunktur zu ergreifen. Dabei hätte sie die mächtigsten Instrumente hierzu. Denn – wie gerade zahlreichere neuere Untersuchungen für den Euroraum zeigen – sie hat über ihre Zinspolitik einen besonders starken Einfluss auf die wirtschaftliche Entwicklung, insbesondere die Investitionen, der sich zwar erst langsam entfaltet, aber zugleich auch lange anhält. Dieser Aufgabe hat die EZB sich bisher noch, gemessen an ihrem Potential und auch im Vergleich mit der amerikanischen Zentralbank, in ungenügendem Umfang gewidmet. Sie hat damit dazu beigetragen, dass die konjunkturelle Erholung im Euroraum so zögernd verläuft. Daher muss die Verantwortlichkeit der EZB für die konjunkturelle Entwicklung stärker als bisher in die geldpolitische Strategie und auch die geldpolitische Praxis Eingang finden. Die zweite, weniger mächtige Säule der Stabilisierungspolitik, sollte die Finanzpolitik sein. Sie wäre zum einen geeignet, in Kombination mit der Geldpolitik im gesamten Euroraum eine Stabilisierung zu erreichen. Des Weiteren könnte sie, weil im Kern noch in nationaler Verantwortung, anders als die Geldpolitik spezifischen Entwicklungen in den einzelnen Volkswirtschaften genügen. Doch haben sich die Regierungen des Euroraums durch den Stabilitäts- und Wachstumspakt weitgehend die Hände gebunden. Dies hat mittlerweile zu einer Destabilisierung der Finanzpolitik in den großen Ländern des Euroraums geführt. Im ständigen Zielkonflikt zwischen Konsolidierung und konjunktureller Stimulierung ist weder das eine noch das andere gelungen.
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Am Ende stehen der Verlust an Glaubwürdigkeit, zerrüttete Finanzen und zudem eine Struktur des Staatshaushalts, die aufgrund ihres geringen Anteils an Investitionen das Wachstum kaum noch fördert. Hier muss der Finanzpolitik wieder eine Flexibilität zugebilligt werden, die es ihr erlaubt, die nationale Feinsteuerung der Konjunktur zu übernehmen. Denn noch ist der Euroraum zu heterogen, als dass eine einheitliche Geldpolitik zur Stabilisierung aller Länder ausreicht. Dies hat sich gerade in jüngster Zeit am Beispiel Deutschlands auf der einen und Spaniens auf der anderen Seite gezeigt. Zudem wird die Wirkung verstärkt, wenn Geld- und Finanzpolitik an einem Strang ziehen. Für die Finanzpolitik kann dies nur durch eine Reform des Stabilitätspaktes erreicht werden, der den Regierungen eine verloren gegangene Flexibilität zurückgibt.
6.5 Den Stabilitätspakt reformieren Soll die Finanzpolitik in Zukunft wieder auf solidem Grund stehen, muss der Stabilitätspakt reformiert werden. Ziel ist es, die Finanzpolitik in Schwächephasen flexibler zu gestalten, als dies unter dem Stabilitätspakt bisher möglich war. Demnach müssen in konjunkturellen Schwächephasen auch höhere Defizite möglich sein, um die Konjunktur auch mit Hilfe der Finanzpolitik wieder in Gang zu bringen. In Zeiten besserer Konjunktur muss dagegen die Konsolidierung im Vordergrund stehen, dann müssen die Restriktionen des Stabilitäts- und Wachstumspakts greifen. Ob überhaupt die Notwendigkeit einer Konsolidierung besteht, sollte am Schuldenstand festgemacht werden. Hier sollte eine verbindliche Obergrenze als Referenzwert festgelegt werden. Ist schon zu erwarten, dass die festgelegte Obergrenze überschritten wird, sind Konsolidierungsmaßnahmen einzuleiten, bleibt die Verschuldung darunter, besteht keinerlei Notwendigkeit hierfür.
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Wie sollte nun eine angemessene Konsolidierungsstrategie aussehen? Vorbildlich war das Vorgehen in den USA, das nach vielfachem Scheitern beim Erfüllen von Defizitzielen Anfang der 90er Jahre implementiert wurde. Dort wurde vorab ein wohldefinierter Ausgabenpfad festgelegt, der auch bei guter Konjunktur und entsprechend hohen Steuereinnahmen eingehalten wird. Ein solches Vorgehen bietet mehrere Vorteile gegenüber dem Defizitziel. Ein wesentlicher Grund ist: Die Verantwortlichkeit ist klar erkennbar. Eine Regierung kann sich zwar Defizitziele vorgeben, sie kann aber deren Einhaltung niemals garantieren. Selbst wenn ihre Ausgaben ihren Planungen voll entsprechen, können vor allem konjunkturell bedingte Einbrüche bei den Steuereinnahmen das Ziel weit verfehlen lassen, ohne dass sie dafür verantwortlich gewesen wäre. Umgekehrt kann eine gute Konjunktur mit hohen Steuereinnahmen ein Übererfüllen des Ziels suggerieren, das nicht mindestens auf sparsames Wirtschaften der Regierung zurückzuführen ist. Genau diese Phänomene ließen sich in Deutschland während der vergangenen Jahre beobachten. Im Jahre 2000 war die Regierung vor dem Hintergrund einer guten Konjunktur noch stolz, das Defizit über Erwarten weit gedrückt zu haben, und der Finanzminister ließ sich als Sparminister feiern. Seither ist mit schlechter Konjunktur das Ziel des Budgetausgleichs wieder in weite Ferne gerückt, und der Ruf des Finanzministers hat entsprechend gelitten. Dabei ist er weder für das besonders gute Abschneiden 2000 noch für das schlechte seither besonders verantwortlich zu machen. Viele versuchen die Lösung dieses Problems in der Berechnung sog. konjunkturbereinigter oder struktureller Defizite, auf deren Problematik im vorigen Kapitel bereits hingewiesen wurde. In jedem Fall ist dies keine taugliche Zielgröße, für die die Regierung verantwortlich gemacht werden kann. Deshalb ist es vorzuziehen, umgekehrt vorzugehen und zu überlegen, für welche Größen eine Regierung denn verantwortlich gemacht werden kann. Auf der Basis
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dieser Größe sollte dann auch überprüft werden, ob Konsolidierungsziele erfüllt werden. Verantwortlich kann eine Regierung für alle sog. diskretionären Ausgaben gemacht werden. Das sind jene Ausgaben, die nicht gleichsam automatisch geleistet werden müssen. Letztere bestehen aus konjunkturbedingten Überweisungen an die Sozialversicherung, um deren Defizite bei einer Einnahmeschwäche auszugleichen. Alle übrigen Ausgaben sind im Kern diskretionär und stehen damit in jedem Haushalt prinzipiell zur Disposition. Insbesondere ist deren Rückführung oder Ausweitung in der Verantwortung der Regierung bzw. des Parlaments. Ferner sollte man Investitionen ebenfalls nicht einrechnen. Denn öffentliche Investitionen sollen die Wachstumschancen der Volkswirtschaft erhöhen. Nachfolgenden Generationen, die mit den möglicherweise durch deren Finanzierung verursachten Schulden leben müssen, stehen damit auch die Erträge aus den Investitionen zur Verfügung. Insofern ist ein solches Vorgehen auch fair. Zudem hat die Erfahrung gerade hier in Deutschland gezeigt, dass ein Konsolidierungskurs, der keine Sonderbehandlung von Investitionen vorsieht, vor allem zu deren Kürzung führt. Mittlerweile hat sich der Anteil öffentlicher Investitionen am BIP in Deutschland in den vergangenen zehn Jahren nahezu halbiert und ist auch nur noch halb so hoch wie im europäischen Durchschnitt. Damit werden aber Wachstums- und somit auch Konsolidierungschancen im internationalen Vergleich vergeben. Für die unter das Konsolidierungskonzept fallenden Ausgaben sollte ein mittelfristig angelegter Pfad festgelegt werden. Dieser muss so konstruiert sein, dass, hält die Regierung ihn ein und entspricht das Wachstum im Durchschnitt dem Trend der vergangenen Jahre, eine Konsolidierung erreicht wird. Man schaut dann nicht mehr auf die jährlichen Defizitzahlen, sondern überprüft, ob der vorab vorgegebene Ausgabenkurs Jahr um Jahr eingehalten wird
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und ob die mittelfristige Ausrichtung mit dem Konsolidierungsziel übereinstimmt. Häufig wird als Argument gebraucht, dass eine Konsolidierungsstrategie so angelegt sein muss, dass sie konjunkturell durchatmen kann. Dies ist bei der vorgeschlagenen Strategie der Fall. Mit dem festgelegten Ausgabenpfad kann das Defizit konjunkturell durchatmen, und die Regierungen gewinnen konjunkturelle Flexibilität zurück. In Phasen schlechter Konjunktur steigen die Fehlbeträge wegen der Steuerausfälle spürbar an. Anders als beim Defizitkonzept ist die Regierung, hält sie ihren Ausgabenpfad ein, nicht mehr gezwungen, diesem hinterherzusparen und damit die Konjunktur immer wieder zu belasten. In Phasen guter Konjunktur werden die Defizite deutlich zurückgehen. Dies darf die Regierung anders wiederum, als nach dem Defizitkonzept möglich, nicht für zusätzliche Ausgaben über den vorweg festgelegten Pfad hinaus nutzen. Die Gesamtausgaben werden sogar rückläufig sein, da die nicht diskretionären Ausgaben sich im Zuge der besseren Konjunktur merklich verringern dürften. In dieser Phase wird der Konsolidierungskurs also spürbar angezogen. Das stellt aber aus gesamtwirtschaftlicher Sicht keine schädliche Belastung der Konjunktur dar, da diese ja eben gut läuft und insofern sogar eher gebremst werden muss. Das Ausgabenkonzept erlaubt somit eine Konsolidierung, bei der sich konjunkturelle Flexibilität mit klaren Verantwortlichkeiten verbindet. Dieses Konzept ist auch international übertragbar. Jede Regierung innerhalb des Euroraums muss einen entsprechenden Ausgabenpfad, der für die Volkswirtschaft zur Konsolidierung führt, vorgeben. Die Zuwachsraten werden dabei international unterschiedlich sein. Es ist Sache der EU-Kommission, zu überprüfen, ob dieser Pfad mit dem Konsolidierungsziel vereinbar ist. Eine ausgabenorientierte Konsolidierung ist also dem bisherigen Kurs jährlicher Defizitziele deutlich überlegen und eine entsprechende Reform des Stabilitäts- und Wachstumspaktes ist dringend erforderlich.
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6.6 Ein Investitionsprogramm für die Kommunen auflegen In der aktuellen Situation würde ein solcher Schritt der Bundesregierung Spielraum für ein sinnvolles Investitionsprogramm geben, mit dem der Wirtschaft endgültig der nötige Schub gegeben werden könnte. Zur Verfügung stünden etwa 10 Mrd. €. Im Rahmen dieses Programms sollten den Kommunen Investitionsmittel zur Verfügung gestellt werden, durch die zum einen die öffentliche Investitionsquote wieder erhöht und zum Zweiten der weithin offenkundige Verfall der Infrastruktur aufgehalten werden kann. Das ganze Vorhaben muss freilich schnell und unbürokratisch ablaufen. Zudem sollten keine Projekte mit langen Ausschreibungsfristen, eingebauter Kostendynamik und hohen Folgekosten gefördert werden. Aus diesem Grund sollten nur Projekte mit geringem Volumen angeschoben und es sollte ein sog. Windhundverfahren angewendet werden, bei dem vorab der insgesamt zur Verfügung stehende Betrag festgelegt wird und die Mittel so lange entsprechend dem Eingang der Anträge gewährt werden, wie der Gesamtbetrag noch nicht ausgeschöpft ist. Das hätte mehrere Vorteile. Erstens, der Gesamtbetrag steht fest und es entstünden keine unkalkulierbaren Haushaltsrisiken. Zweitens, die Mittel würden schnell abfließen. Drittens, es können nur bereits geplante Projekte realisiert werden, so dass keine erheblichen Planungs- und Ausschreibungskosten entstehen. Viertens, aufgrund der geringen Summen können die Projekte lokal vergeben werden und kommen somit örtlichen, kleineren Unternehmen zugute. Mit dieser expansiveren Fiskalpolitik, die nicht nur Sparen als Ziel kennt, könnte ein Impuls ausgelöst werden, der primär binnenwirtschaftliche Impulse gibt, und zwar dort, wo sie am dringendsten benötigt werden.
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6.7 Die Löhne wieder an der Produktivität orientieren Die markante Lohnzurückhaltung in Deutschland ist oben ausführlich beschrieben worden. Sie wurde als eine der Ursachen für die lahmende Binnennachfrage gesehen. Insofern ist es dringend erforderlich, dass hier eine Kursänderung erfolgt. Das Problem ist, dass den Tarifparteien die Lohnfindung mittlerweile weitgehend entglitten zu sein scheint. Die extreme Lohnzurückhaltung der vergangenen beiden Jahre kam ja vor allem aufgrund der stark nach unten ausgeprägten Lohndrift zustande, die die Abweichung von den tarifvertraglich vereinbarten Löhnen misst. Tarifverträge stecken derzeit eher die Obergrenze der Lohnentwicklung ab. Damit ist aber ein fundamentaler Wandel im Vergleich zu früher eingetreten, als die Tariferhöhungen die Untergrenze markierten und die Unternehmen, so sie sich hierzu in der Lage sahen, durchaus höhere Lohnzuwächse mit ihren Beschäftigten vereinbarten. Inzwischen verhandeln zahlreiche, darunter auch größere Unternehmen um immer wieder neue Abweichungen nach unten. Damit geht der Stabilisierungsund Bindungscharakter der Tarifverträge verloren. Die Lohnfindung in Deutschland nähert sich japanischen Mustern mit Deflationscharakter. Wie können diese Verhaltensweisen aber nun wieder überwunden werden, wo der Einfluss der Tarifparteien schwindet und Betriebsräte, die unter der Drohung massiver Arbeitsplatzverluste verhandeln, und das Management der einzelnen Unternehmen das Heft in die Hand nehmen? Es muss auf zwei Ebenen gehandelt werden. Zum einen bei den Tarifparteien selbst und des Weiteren bei der Wirtschaftspolitik. Die Tarifparteien sollten in einem ersten Schritt den Gültigkeitsbereich ihrer Verträge überprüfen. Hat die Heterogenität der Bereiche tatsächlich zugenommen, müssen hieraus Konsequenzen gezogen werden. Beschleunigt sich bei bestimmten Unternehmen der Strukturwandel stär-
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ker als bei anderen, weil vor allem die internationale Wettbewerbsfähigkeit aufgrund veränderter Wettbewerbsverhältnisse auf dem Weltmarkt z. B. durch die Erweiterung der EU um Niedriglohnländer leidet, sollten hierfür eigene Tarifverträge mit niedrigeren Abschlüssen als im Durchschnitt abgeschlossen werden. Diese sollten allerdings zeitlich begrenzt sein. Auch sollte allen Beteiligten klar sein, dass dies eine rein defensive Maßnahmen ist, durch die der Strukturwandel keinesfalls verhindert, sondern allenfalls verlangsamt werden kann. Im Übrigen könnten Tarifverträge mit langen Laufzeiten das Vertrauen sowohl von Unternehmen als auch von den Beschäftigten in die weitere wirtschaftliche Entwicklung stabilisieren, was, für sich genommen, schon positive Reaktionen bei Investitionen und Verbrauch auslösen sollte. Wesentlich stärker gefordert ist die Wirtschaftspolitik. Wenn die Macht der Tarifparteien schwindet, muss sie teilweise und zeitweise an deren Stelle treten, um ein Abrutschen der Löhne in für die binnenwirtschaftliche Entwicklung gefährliche Zonen zu bekämpfen. Direkt kann sie durch die Verordnung von Mindestlöhnen in jenen Bereichen, in denen keine Tarifbindung mehr besteht, Einfluss nehmen. Dies ist ordnungspolitisch zwar bedenklich, denn der Staat sollte dort, wo er nicht als Arbeitgeber auftritt, auch keinen Einfluss auf die Lohnsetzung nehmen, um Missbrauch zu vermeiden. Gleichwohl hat der Staat auch eine Stabilisierungsfunktion und deren Vernachlässigung kann weitreichende ökonomische Konsequenzen haben, wie oben dargestellt. Allerdings kann die Verordnung von Mindestlöhnen lediglich extreme Auswüchse verhindern, nicht aber alleine das Problem der extremen Lohnzurückhaltung lösen. Dazu sind weitere Schritte erforderlich. Indirekt kann die Wirtschaftspolitik die Lohnhöhe durchaus noch mehr beeinflussen. Einmal kann dies durch expansive Impulse geschehen, die das Wachstum beschleunigen und damit Beschäftigung erzeugen. Dies würde auch den
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Kostendruck der Unternehmen mindern. In der Folge würden sich deren Anstrengungen, Lohndruck nach unten zu erzeugen, mildern und die negative Lohndrift könnte abflauen. Auch in dieser Hinsicht ist also eine expansive Fiskalpolitik, wie sie oben beschrieben wurde, hilfreich. Ein weiterer Schritt kann in der Senkung der Lohnnebenkosten bestehen. Dadurch wird der Spielraum der Tarifparteien für Lohnerhöhungen, die letztlich in den Taschen der Arbeitnehmer bleiben, erhöht. Auch dies würde den Konsum stützen. Allerdings setzt dies voraus, dass die hiermit verbundene Reform der Sozialsysteme nicht so angelegt ist, dass die soziale Sicherung massiv abgebaut wird, und den Haushalten eigene Sparleistungen abverlangt. In dem Fall steht das zusätzliche Einkommen nicht für den Konsum zur Verfügung und die Wirkung gesunkener Lohnnebenkosten würde verpuffen. Folglich sollte eine Reform der sozialen Sicherung nicht schlicht auf Kürzungen abzielen, sondern auf eine höhere Effizienz durch verbesserte Anreize. Hierauf wird im folgenden Abschnitt eingegangen. Insgesamt können die vorgeschlagenen Maßnahmen zur Lohnpolitik einen Beitrag dazu leisten, dass die Löhne sich wieder stärker an der Produktivität orientieren. Doch ist offenkundig, dass unter den gegenwärtigen Umständen der Beitrag der Tarifpartien hierzu nur bescheiden ausfallen kann. Es ist auch kaum zu erwarten, dass diese Reorientierung rasch wieder hergestellt werden kann. Dazu ist das Lohnbildungsgefüge in Deutschland derzeit zu sehr in Mitleidenschaft gezogen worden.
6.8 Die soziale Sicherung sichern In wohl kaum einem anderen Bereich waren die wirtschaftspolitischen Auseinandersetzungen derartig hart und unversöhnlich wie beim Streit über die Zukunft der sozialen Sicherung. Wie ihre Vorgängerin hat auch die derzeitige
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Bundesregierung nicht vor zum Teil kräftigen Einschnitten in das System der sozialen Sicherung zurückgeschreckt. Sie folgte damit dem fast einhelligen Befund führender Wirtschaftswissenschaftler, allen voran dem Sachverständigenrat, und sie löste mit diesen Maßnahmen massive Proteste von Seiten der Gewerkschaften und von Sozialverbänden aus. Zum Teil spektakuläre Wahlniederlagen waren die Folge. Gleichzeitig reichen den meisten Ökonomen die bisherigen Maßnahmen nicht aus, und sie fordern immer weitere Kürzungen. Bei den Reformen wurden in der Tat schwerwiegende Fehler begangen. Richtig ist, dass die Sozialsysteme infolge des schwachen Wachstums finanziell mehr und mehr unter Druck gerieten. Richtig ist auch, dass sie teilweise ineffizient organisiert sind. Hinzu kommt, dass sie trotz vielfältiger Korrekturen immer noch mit Aufgaben belastet sind, die eigentlich nicht in die Sozialversicherung gehören. Für die Zukunft kommen demografische Probleme hinzu, die in der Gegenwart angegangen werden müssen. An all diesen Stellen müssen strukturelle Korrekturen ansetzen. Im Ergebnis bedeuten sie aber nicht zwangsläufig einen Abbau der Sicherung, sie machen sie nur sicherer. Im Einzelnen stehen tatsächlich noch gewaltige, vor allem politische Aufgaben bevor. Insbesondere im Gesundheitssystem besteht noch ein erheblicher Reformbedarf, sollen die Kosten auf Dauer nicht aus dem Ruder laufen. Die Probleme liegen zum einen in der unzureichenden Wettbewerbssituation bei Ärzten und im Pharmasektor. Hier muss sowohl die Macht der Ärztevereinigungen als auch die der pharmazeutischen Industrie beschränkt werden, indem mehr Wettbewerb nicht zuletzt durch regelmäßige Qualitätskontrolle bei Ärzten und Medikamenten (Positivliste) zugelassen wird. Nur bei ausgeprägtem Wettbewerb mit der gleichzeitigen Vorgabe von Qualitätsstandards wird eine zufriedenstellende medizinische Versorgung bei Kostenminimierung erreicht.
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Auch das System der Krankenkassen bedarf der Reform. Die derzeitige Aufteilung in gesetzliche und private Krankenkassen ist ineffizient. Sie führt zu einer Aushöhlung der solidarischen Krankenversicherung, die durch den Entzug von einkommensstarken Mitgliedern für die verbliebenen Zwangsversicherten unnötig teuer wird. Gleichzeitig herrscht zwischen den privaten Krankenkassen aufgrund der hohen Kosten eines Wechsels faktisch nur Wettbewerb um neue Mitglieder, nicht aber um den Bestand. Damit werden auch in diesem Bereich Monopolgewinne erwirtschaftet, die besser als zusätzliches Einkommen bei den Versicherten aufgehoben wären. Sinnvoll wäre es, die Trennung zwischen gesetzlicher Pflichtversicherung und privater Versicherung anders zu gestalten, um die Anreizprobleme zu verringern und unnötige Kosten für die Versicherten zu vermeiden. Wenn alle, einschließlich der Beamten und Selbstständigen, einer der gesetzlichen Versicherungen angehören müssten, wäre das erste Problem schon gelöst. Zusatzleistungen über die gesetzlich definierten hinaus sollten dann von jedem, der dies wünscht, mittels einer privaten Versicherung abgedeckt werden. In jedem Fall sollten aber durch entsprechende Vorschriften die Kosten des Wechsels zwischen den privaten Kassen verringert werden, so dass auch hier in Zukunft mehr Wettbewerb herrscht. Ein wesentlicher Streitpunkt bei der Debatte um die Gesundheitsreform ist die Finanzierungsform. Es geht um die Entscheidung zwischen einer Kopfprämie, bei der alle den gleichen Betrag einzahlen, und einem einkommensabhängigen Beitrag. Entgegen der öffentlichen Wahrnehmung sind die Fronten nicht so klar, wie es scheint. Denn auch die Befürworter einer Kopfprämie sehen die Notwendigkeit eines sozialen Ausgleichs, da ansonsten die Krankenversicherung für viele unbezahlbar wird. Sie befürworten lediglich, dass dieser Ausgleich über das Steuersystem erfolgt und nicht im Rahmen der Beitragszahlung. Legt man den Vorschlag, dies über eine Erhöhung der Mehrwertsteuer zu erreichen, als
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einen Versuch vorgetäuschter Umverteilung beiseite, würde so der Sozialausgleich ausgerechnet von jenen bezahlt, denen er eigentlich zugute kommen soll. Schließlich haben die niedrigen Einkommen eine besonders hohe Konsumquote und sind entsprechend hoch von der Mehrwertsteuer belastet. Bleibt also eine Erhöhung der Einkommenssteuer, durch die die Verteilungswirkungen der Kopfprämie tatsächlich aufgehoben, wenn nicht wegen der Progression der Einkommenssteuer, die der Krankenkassenbeitrag dagegen nicht aufweist, sogar überkompensiert werden könnten. Es geht damit letztlich um die Frage, wo die Umverteilung sinnvoller angesiedelt ist. Aus ökonomischer Sicht spricht vieles für die Einkommenssteuer. Aus politischer Sicht sind aber Zweifel angebracht. Denn der Vorschlag, die Einkommenssteuer zu erhöhen, steht in krassem Gegensatz zu den weitverbreiteten Bemühungen, diese zu senken und die Progression zu vermindern, wenn nicht gar abzuschaffen. Das Umverteilungsmotiv tritt in der politischen Debatte bei der Einkommenssteuer zunehmend in den Hintergrund. Dann aber ist es wenig realistisch, die Umverteilungserfordernisse aus der Krankenversicherung auf die Einkommenssteuer verlagern zu wollen. Insgesamt ist eine weitreichende Reform des Gesundheitssystems unumgänglich. Wie oben gezeigt, bedarf es aber nicht, wie im Rahmen der Agenda 2010 geplant, einer simplen Kostenverlagerung auf die privaten Haushalte, die zudem noch die Binnennachfrage schwächt, sondern vielmehr einer gründlichen Änderung der Strukturen. Gefordert ist von der Politik dabei aber die Bereitschaft, sich mit mächtigen Lobbyverbänden der Ärzte, der Pharmaindustrie und der Krankenkassen anzulegen. Ohne diese Bereitschaft ist eine sinnvolle Veränderung der Krankenversicherung nicht erreichbar. Hart umstritten waren und sind die vielfältigen Reformen der Arbeitslosenversicherung, die in den verschiedenen Hartz-Paketen auf den Weg gebracht wurden. Das Prinzip
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»Fördern und Fordern«, das als Leitmotiv der Reformen gewählt wurde, ist richtig. Alle damit verbundenen Maßnahmen wie die Umgestaltung der Bundesanstalt für Arbeit, die Einführung von hinreichend vielen Fallmanagern, die individuelle Zielvereinbarungen mit Arbeitslosen abschließen sollen, und die Verschärfung von Sanktionsmöglichkeiten sind zu begrüßen. Bedenklich ist allerdings, wie die Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe zum Arbeitslosengeld II konstruiert wurde. Hier wird man den Verdacht nicht los, dass die die Arbeitslosen belastenden Einsparmotive im Vordergrund standen. Der entscheidende Mangel ist, dass unabhängig von der Dauer der Einzahlung bereits nach einem Jahr der Anspruch auf Arbeitslosengeld I, der sich nach der Höhe des eingezahlten Beitrags richtet, erlischt. Damit wird aber die Arbeitslosenversicherung unattraktiv für die Beschäftigten, und sie werden alles tun, um die Beitragszahlung zu vermeiden. Die Stellung der Arbeitslosenversicherung als Instrument der sozialen Sicherung wird also erheblich geschwächt. Auch die auf Dauer erzielten Einsparungen helfen nicht. Denn dies ist ein unmittelbarer Nachfrageausfall ausgerechnet in Phasen wirtschaftlicher Schwäche, der genau diese Schwäche verstärken wird. Die Hoffnung, dass durch die Kürzungen ein höherer Anreiz zur Arbeitsaufnahme entsteht, der die Beschäftigung in Krisenzeiten hoch halten wird, ist vergeblich. Denn es wird die Arbeitsnachfrage sein, die in einer solchen Situation nicht ausreicht, um die Sicherung der Beschäftigung zu gewährleisten. Und auch der erhöhte Druck auf die Löhne wird, wie oben gezeigt, nicht ausreichen, um die Neigung zu Einstellungen hinreichend zu erhöhen. Eine teilweise Rücknahme und die Ergänzung dieser Reformen wären sinnvoll. Als erster Schritt sollte der Zeitpunkt des Übergangs in das Arbeitslosengeld II von der Dauer der Einzahlung abhängig gemacht werden. Dies würde den Anreiz zur Beitragszahlung stärken. Zum Zweiten sollte die Arbeitslosenversicherung für alle Erwerbstäti-
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gen obligatorisch sein, so dass alle Bevölkerungskreise an der Finanzierung der Kosten der Arbeitslosigkeit, die ein gesamtwirtschaftliches Risiko darstellt, beteiligt sind. In der Rentenversicherung sind dagegen viele sinnvolle Reformschritte nicht zuletzt durch die Rürup-Kommission angedacht. Es ist unbestreitbar, dass mit der verlängerten Lebensdauer der Versicherten ein eingebauter Kostendruck entsteht, der der Generation der Beschäftigten relativ zu früher immer mehr abverlangt. Ob damit ein absoluter Einkommensverzicht verbunden ist, hängt im Übrigen von der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung ab. Bei kräftigem Wachstum lässt sich die höhere Belastung mühelos aus dem Einkommenszuwachs finanzieren. Ein hohes Wachstum löst manches der derzeit als dramatisch angesehenen Probleme der Altersversorgung. Gleichwohl ist es aus Vorsichtsgründen sinnvoll, den Kostendruck zu mildern. Die Anhebung des Rentenalters und die Berücksichtigung demografischer Faktoren bei der Berechnung der Rentensteigerung sind daher vernünftig. Dies gilt vor allem vor dem Hintergrund, dass gleichzeitig mit der Riester-Rente auch der Aufbau einer privaten Säule der Alterssicherung staatlich gefördert wird, die einen Teil dieser Kürzungen kompensieren sollte. Man hätte diese Säule allerdings von manchem Ballast – wie der Berücksichtigung von Immobilien – befreien und diese Versicherung zugleich obligatorisch machen sollen. Damit gerade bei niedrigen Einkommen der Staat nicht im Nachhinein die Risiken einer Nichtversicherung durch entsprechende Sozialhilfeleistungen tragen muss. Ein gravierenderes Problem der Rentenversicherung, das noch nicht hinreichend angegangen wurde, ist die Belastung mit versicherungsfremden Leistungen. Trotz einiger Korrekturen besteht immer noch ein beträchtlicher Kostenblock an Leistungen, die eigentlich gesamtgesellschaftlicher Natur sind und folglich durch Steuern zu finanzieren wären. Gemeint ist damit die Anrechnung fiktiver westdeutscher Erwerbsbiografien für ostdeutsche Rentner. Dies garantiert
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ostdeutschen Rentnern eine vergleichbare Rentenhöhe, wie sie bei entsprechender Erwerbsbiografie im Westen erhalten würden. Allerdings wurden hierfür im Unterschied zum Westen nie Einzahlungen geleistet. Würde man diese Kosten aus der Rentenversicherung auslagern und über Steuern finanzieren, könnten die Beiträge zur Rentenversicherung und damit die Lohnnebenkosten noch deutlich gesenkt werden. Überhaupt ist die Finanzierungsfrage der sozialen Sicherung angesichts der schwerwiegenden Turbulenzen gründlich zu überdenken. Auffällig ist, wie insbesondere von Seiten der Arbeitgeber zunehmend Druck auf einen Abbau der sozialen Sicherung ausgeübt wird. Dahinter dürften vor allem Bestrebungen stehen, die Rentabilität zu steigern, um den Aktionären günstigere Kennzahlen vorweisen zu können. Dies gilt vor allem vor dem Hintergrund internationaler Kapitalverflechtungen. Denn damit entstehen Vergleiche mit Ländern wie Dänemark, die völlig andere Formen der Finanzierung aufweisen, die nicht als Lohnnebenkosten gerechnet werden, weil sie über Steuern finanziert werden. Das Niveau der sozialen Sicherung ist dabei keinesfalls zwangsläufig geringer. Um diesen sich wahrscheinlich noch verstärkenden Druck zu entgehen, kann eine Umfinanzierung der Arbeitgeberbeiträge sinnvoll sein. In einem ersten Schritt sollten die Arbeitgeberbeiträge den Beschäftigten ausgezahlt werden und gleichzeitig von diesen die entsprechenden Beitragslasten übernommen werden. Die Auszahlungen müssten im Übrigen steuerfrei erfolgen, da ansonsten eine zusätzliche Belastung der Beschäftigten entsteht, während der Staat profitiert. Damit würden Beitragszahlungen in Zukunft grundsätzlich von den Beschäftigten geleistet, die damit auch die Kosten einer Ausweitung bzw. die Erträge einer Kürzung tragen. Defizite in der Sozialversicherung müssten vom Staat steuerfinanziert ausgeglichen werden. In der Konsequenz würden die Arbeitgeber jeglichen Einfluss auf die Sozialversicherung verlieren und könnten
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zudem bei Tarifverhandlungen keine Zurückhaltung der Gewerkschaften bei steigenden Lohnnebenkosten erwarten. Selbst auf der Arbeitnehmerseite sollte sich die Form der Finanzierung ändern. Gerade wenn man an der Einkommensabhängigkeit festhält, sollten Verteilungsaspekte in der Sozialversicherung konsequent umgesetzt werden. Dies könnte durch einen progressiven Verlauf der Beitragszahlung erreicht werden, bei dem die Sätze für niedrige Einkommen geringer sind als für höhere. Damit wäre auch das Problem hoher effektiver Steuersätze beim Übergang von Arbeitslosigkeit in Beschäftigung gelöst. Während auf die Sozialtransfers keinerlei Steuern und Abgaben geleistet werden müssen, wird der erste in einem regulären Beschäftigungsverhältnis verdiente Euro sofort mit hohen Sozialabgaben belegt und der Zugewinn an Nettoeinkommen ist sehr gering, wenn überhaupt vorhanden. Bei anfänglich geringeren Abgabesätzen ließe sich diese Hürde für eine Beschäftigungsaufnahme entfernen. Zudem entfällt die Begründung für alle Sonderarbeitsverhältnisse für geringfügig Beschäftigte in Gestalt von Mini- oder Midijobs, durch die die Einnahmenbasis der Sozialversicherung in den vergangenen Jahren zunehmend erodiert wurde, ohne dass zusätzliche Beschäftigung in nennenswertem Umfang entstand. Diese Beschäftigungsverhältnisse sollten ersatzlos gestrichen werden.
6.9 Dem Arbeitsmarkt neue Impulse geben Im Zeitalter der Globalisierung, in dem sich die einzelnen Volkswirtschaften mehr und mehr dem internationalen Handel öffnen und die wirtschaftliche Integration vor allem in Europa in ungeheurem Tempo voranschreitet, beschleunigt sich der Strukturwandel beträchtlich. Wettbewerbsfähige Volkswirtschaften werden davon wechselseitig profitieren. Denn jede von ihnen wird den Absatz an Gütern, die
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sie mit relativen Vorteilen gegenüber der Konkurrenz herstellt, merklich zu steigern vermögen. Aber nicht jeder in diesen Volkswirtschaften wird von der Globalisierung profitieren. Dort, wo relative Nachteile gegenüber Konkurrenten auf dem Weltmarkt bestehen, wird Produktion abgebaut und Beschäftigung ins Ausland verlagert. In einer hochentwickelten Volkswirtschaft wie Deutschland blühen Wirtschaftssektoren mit anspruchsvoller Produktion auf, während billige Massenproduktion das Land flieht. Dies hat gravierende Folgen für den Arbeitsmarkt. Insbesondere geringer qualifizierte Arbeitskräfte haben zunehmend schlechtere Chancen auf dem Arbeitsmarkt. Für sie, wenn sie sich nicht weiterqualifizieren können, besteht die Gefahr, lang anhaltender Arbeitslosigkeit oder fortwährend prekärer Beschäftigungsverhältnisse mit lebenslangem Einkommen entlang der Armutsgrenze. Will man tiefgreifende soziale Verwerfungen, die aus dieser vorgezeichneten Spaltung der Gesellschaft aufkeimen, vermeiden, müssen für diese Menschen Beschäftigungsmöglichkeiten geschaffen werden. Der Staat selbst könnte dies über einen ausgeweiteten öffentlichen Sektor mit Schwerpunkt für wenig qualifizierte Tätigkeiten, vor allem im kommunalen Bereich leisten. Allerdings bestehen begründete Zweifel an der Effizienz dieser Lösung. Sie könnte allenfalls in Ansätzen auf kommunaler Ebene z. B. bei der Parkreinigung und der Denkmalpflege zu einer Entlastung des Arbeitsmarktes führen. Die zweite Möglichkeit ist, dass Unternehmen im Zuge einer stabilen, besseren wirtschaftlichen Entwicklung zunehmend Beschäftigung für einfache Dienstleistungen z. B. Botendienste anbieten. In früheren Aufschwüngen war dies der Fall. Es ist jedoch zu befürchten, dass es im Zuge der weltweiten Spezialisierung und Rationalisierung zunehmend weniger der Fall sein dürfte. Damit verschließt sich diese Möglichkeit höherer Beschäftigung für wenig Qualifizierte. Es bleibt eine dritte Möglichkeit, die in Deutschland noch viel zu wenig genutzt wird: die privaten Haushalte.
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Gerade weil der Arbeitseinsatz heute sehr viel mehr auch familiäre Flexibilität als früher erfordert, ist ein Bedarf an einer Reihe von Dienstleistungen, darunter auch für wenig qualifizierte Tätigkeiten rund um den privaten Haushalt entstanden. Das beginnt mit einfachen Putzleistungen und Reparaturarbeiten und endet mit anspruchsvollen Pflegeleistungen für Kinder und im Alter oder der komplizierten Steuererklärung. Teilweise bestehen solche Arbeitsverhältnisse schon, nur werden sie gerade im Bereich einfacher Dienstleistungen zumeist über den Schwarzmarkt abgewickelt. Der Grund hierfür besteht in einer gemeinsamen Interessenlage von Arbeitnehmern und Arbeitgebern, die Sozialabgaben, die auch auf einfache Tätigkeiten erhoben werden, zu vermeiden. Bei dem Arbeitgeber ist das Interesse offenkundig, da es seine Kosten senkt. Bei dem Arbeitnehmer ist es aber auch vorhanden, da das Nettoeinkommen so höher ausfällt, und zudem die soziale Sicherung häufig über andere, legale Tätigkeiten oder den Ehepartner gegeben ist. Hier könnte eine Reform des Systems der Sozialabgaben, wie sie im vorigen Abschnitt skizziert wurde, helfen. Denn dann sind die zu leistenden Abgaben zunächst noch sehr gering und entsprechend der Anreiz, ihnen auszuweichen. Einen zusätzlichen Schub für diese Art von Beschäftigungsverhältnissen könnte eine grundlegende Reform des Steuersystems leisten. Wenn nämlich die Familie als eine Produktionseinheit angesehen würde, wären alle Kosten, die zu ihrer Erhaltung dienen, wie bei einem Unternehmen steuerlich absetzbar. Das betrifft u. a. alle Kosten der Kinderbetreuung. Unter diesen Vorrausetzungen hat der private Arbeitgeber ein hohes Interesse an einer Legalisierung dieser Beschäftigung, denn nur dann kann er sie auch steuerlich absetzen. Außerdem dürfte sogar zusätzliche Beschäftigung durch diese günstigen steuerlichen Regelungen entstehen, die vor allem niedrig Qualifizierten zugute kommen sollten. Finanziert werden sollte diese Reform durch eine entsprechende Reduzierung des Ehegattensplittings. Dann würden
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jene Familien, die z. B. keine Kinder haben und wenig Dienstleistungen in Anspruch nehmen, höher belastet, während jene, die Kinder haben oder Eltern in Pflege sowie überhaupt diese Dienstleistungen stark nachfragen, entlastet werden. Damit eröffnet sich ein Segment des Arbeitsmarktes, das denen, die im Zuge der Globalisierung um ihre Chancen fürchten müssen, Beschäftigung bieten kann. Denn diese Dienstleistungen können nur lokal nachgefragt und angeboten werden, so dass sie nicht zur Disposition der Globalisierung stehen. All die oben geschilderten Reformmaßnahmen, die politisch einen ungeheuren Kraftaufwand erfordern, sind ohne großen Sozialabbau machbar. Die vorgeschlagenen Reformen sind, anders als die Agenda 2010, ohne binnenwirtschaftliche Depression durchzuführen und leisten somit einen Beitrag zur wirtschaftlichen Stabilisierung, indem sie das Wachstum endlich binnenwirtschaftlich fundieren. Wenn dies durch eine auf Expansion zielende gesamtwirtschaftliche Politik flankiert wird, ist die Chance für eine Beschleunigung des Wachstums groß. Also: Ein soziales Deutschland ist auch im Zeitalter der Globalisierung machbar. Im Gegenteil, gerade die zunehmende Unsicherheit im Arbeitsleben erfordert eine stabile soziale Absicherung, sollen nicht weite Teile der Bevölkerung von der Wohlstandsentwicklung ausgegrenzt werden. Eine stabile soziale Sicherung kann umgekehrt die Basis für mehr Wagnis im Wirtschaftsleben sein. Wer den Kündigungsschutz beschneidet, erzeugt vor allem Unsicherheit, aber noch kein Wachstum. Deshalb bewirken eine auf Expansion ausgerichtete Geld- und Finanzpolitik in Verbindung mit einer stabilen sozialen Sicherung mehr Wachstum als Sozialabbau und Sparwut.
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Nachwort Dieses Buch entstand in bewegten Zeiten. Wirtschaftspolitisch und persönlich haben in den vergangenen Monaten teilweise drastische Veränderungen stattgefunden. In der Politik wurden die Reformen der Arbeitsmarktinstitutionen und des Systems der sozialen Sicherung ungerührt von den zahlreichen Protesten in der Hoffnung auf den wirtschaftlichen Aufschwung fortgeführt. Erwartungsgemäß ist dies bisher nicht eingetreten. Die deutsche Wirtschaft hängt nach wie vor am Export, während die Binnennachfrage lahmt. Warum dies so ist, versucht dieses Buch zu erklären. Im Kern krankt die Wirtschaftspolitik in Deutschland an der Abwesenheit von gesamtwirtschaftlichem Denken. Dies ist kein Vorwurf an Politiker und Verbandsfunktionäre. Dies ist ein Vorwurf an die Mehrzahl der Ökonomen, die den Politikern zu diesem Tun raten und sie in diesem mit immer radikaleren Forderungen bestärken. Dem stellt sich dieses Buch entgegen. Denn nichts scheint wichtiger in einem Moment, in dem schon das panikartige Streichen von Feiertagen für Wirtschaftspolitik gehalten wird. Zeitgleich mit den wirtschaftspolitischen Auseinandersetzungen änderte sich auch mein beruflicher Lebensweg, der mich vom DIW Berlin wegführte. Das Buch ist gleichwohl noch Ausfluss meiner Tätigkeit am DIW, wie sie in der Vergangenheit möglich war. Ich hoffe, diese Linie an meiner neuen Wirkungsstätte, dem Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) in der Hans-Böckler-Stiftung, fortsetzen zu können. Ich möchte mich mit diesem Buch auch bei den Vielen bedanken, die mich in den vergangenen Monaten unterstützt haben, allen voran meiner Familie, der dieses Buch gewidmet ist, und den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Konjunkturabteilung des DIW, die mich in dieser schwie-
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Nachwort
rigen Zeit bis zuletzt unterstützt haben, und den vielen bekannten Namen aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und den Medien. Besonders bedanke ich mich bei Silvia Girod für das Erstellen der Abbildungen und bei Katja Rietzler für das Korrekturlesen.
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Anmerkungen 2 Der unvorhergesehene Einbruch 1 2
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Vgl. Döpke/Fritsche (2004). Siehe hierzu z. B. die Mehrheitsmeinung bei der Gemeinschaftsdiagnose der Forschungsinstitute. Vgl. DIW (2000). Vgl. Duong, Manh Ha (2003). Ebd. Vgl. Horn, Gustav A. (2003). Vgl. Franklin, Allen; Gale, Douglas (1999). Ebd. Vgl. Krugmann, Paul (1998). Vgl. Fritsche/Stephan (2002) S. 289 – 315. Ebd. Vgl. Stieglitz, Joseph (2003). Vgl. a. a. O. pp. 11.
3 Die zähe Stagnation 1 2
3 4
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Vgl. DIW (2001). Die Ergebnisse für Japan sind in der grafischen Darstellung leicht irreführend. Da hier der Abschwung später begann, fiel der merkliche Anstieg der Ausfuhren schon in eine Zeit weltwirtschaftlicher Erholung, die die japanischen Exporte stark stimulierte. Vgl. Sinn, Hans Werner (2003). Dabei sind die Einnahmen aus der Versteigerung der UMTS-Lizenzen, die keine konjunkturelle Wirkung aufweisen dürften, nicht berücksichtigt. Berücksichtigt man sie, hätte sich 2000 ein Überschuss von 1,3% vom BIP ergeben. Die Beschäftigung wird hier an der Anzahl der abhängig Beschäftigten gemessen. Besser wäre es, zur Messung die Anzahl der geleisteten Arbeitsstunden zu nehmen. Jedoch sind diese Zahlen im internationalen Vergleich nur für wenige Länder verfügbar. Hierbei ist allerdings zu beachten, dass in Deutschland die Bauinvestitionen auch zum Höhepunkt des Zyklus bereits rückläufig waren, da in Ostdeutschland die strukturelle Anpassung der Bauwirtschaft nach unten seinerzeit schon eingesetzt hatte und auch der Staat seine Investitionsaktivität vornehmlich in Bauten seit längerem zurückführt.
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Anmerkungen
Es ist allerdings zu berücksichtigen, dass über Investitionsagenturen, die nicht als Teil des öffentlichen Haushalts ausgewiesen werden, Investitionsvorhaben von der öffentlichen Hand finanziert wurden.
4 Einige theoretische Überlegungen 1 2 3
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Vgl. Arrow, Kenneth G.; Debreu, G. (1954). Vgl. Keynes, John Maynard (1936). Mit Unsicherheit ist hier fundamentale Unkenntnis der Zukunft gemeint. Die ist zu unterscheiden von dem in vielen ökonomischen Modellen gebrauchten Begriff des Risikos, bei dem den Marktteilnehmern zumindest die Zufallsverteilung der unsicheren Ereignisse bekannt ist. Vgl. für die älteren Ansätze: Malinvaud, Edmond (1980). Für die neueren siehe hierzu den klassischen Sammelband von Mankiw, N. Gregory; Romer, David (1992). Vgl. Lucas, Robert E. jr. (1981). Vgl. Sinn, Hans Werner (2003). Vgl. Sinn, Hans Werner (2003). Vgl. Muth, John (1961) pp. 315 – 334. Vgl Akerlof, G.; Yellen, J. (1985). Vgl. Kuranassou, Monika; Sala, Victor; Snower, Dennis (2003).
5 Die grundlegenden Fehler der Wirtschaftspolitik in Deutschland 1 2 3 4 5 6 7
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Vgl. Sinn, Hans Werner (2003). Vgl. Sinn, Hans Werner (2003) und SVR (2003). Vgl. Sinn, Hans Werner (2003). Vgl. Sinn, Hans Werner (2003). Vgl. Sinn, Hans Werner (2004). Siehe auch Behncke, Stefanie; Horn, Gustav A. (2004). Bruttowertschöpfung = Produktionswert – eingesetzte Vorleistungen. Vgl. Hild, Robert (2004). Vgl. Marin, Daria; Lorentowicz, A; Raubold, A. (2002). Vgl. Sinn, Hans Werner (2003), S. 73. Vgl. Behncke, Stefanie; Horn, Gustav A. (2004). Siehe Horn, Gustav A.; Logeay, Camille (2004). Vgl. Malinvaud, Edmond (1980).
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Die technisch exakt beschriebene Bedingung lautet, dass die Grenzproduktivität der Arbeit proportional zum Reallohnsatz ist. In Ansätzen mit einer einfachen Cobb-Douglas-Produktionsfunktion sind diese beiden Größen sogar identisch. Die Durchschnittsproduktivität, errechnet als BIP, dividiert durch die geleisteten Arbeitsstunden. Hier wurden lediglich die Werte bis 2002 berechnet, da keine Prognosewerte des SVR für diese Größe für das Jahr 2003 zur Verfügung stehen. Außerdem wurden statt der bezahlten, geleistete Stunden verwendet. Dabei ist im Unterschied zur in sich widersprüchlichen SVR-Methode, bei der eine Mischung aus trendmäßigen und aktuellen Veränderungen der Lohnquote verwendet wird, durchgehend nur die jeweils aktuelle Veränderung der Lohnquote eingesetzt. Vgl. SVR (2003), Ziffer 659. Vgl. DIW (2003). Auch für diese Berechnungen wurde aus Gründen der Vergleichbarkeit auf die Einbeziehung der Prognosewerte für 2003 verzichtet.
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Literaturverzeichnis Akerlof, George A.; Yellen, Janet (1985): »A Near-Rational Model of the Business Cycle with Wage and Price Inertia«, in: Quarterly Journal of Economics vol. 100 Arrow, Kenneth G.; Debreu, Gerard (1954): »Existence of an Equilibrium for a Competitive Economy«, in: Econometrica vol. 22 Behncke, Stefanie; Horn, Gustav A. (2004): »Deutschland ist keine Basarökonomie«, in: DIW-Wochenbericht 40/20 04 DIW (2000): »Zur Lage der deutschen Wirtschaft und der Weltwirtschaft im Herbst 2000«, in: DIW-Wochenbericht 43/20 00 DIW (2001): »Zur Lage der deutschen Wirtschaft und der Weltwirtschaft im Herbst 2001«, in: DIW-Wochenbericht 43/20 01 DIW (2003): »Grundlinien der Wirtschaftsentwicklung 2003/20 04«, in: DIW-Wochenbericht 1 – 2/20 03 Döpke, Jörg/Fritsche, Ulrich: »Growth and Inflation Forecasts in Germany – An Assessment of Accuracy and Dispersion«, in: DIW-Diskussionspapiere 399 Duong, Manh Ha (2003): »Aktienkurse beeinflussen Investitionstätigkeit«, in: DIW-Wochenbericht 41/20 03 Franklin, Allen; Gale, Douglas (1999): »Bubbles, Crises and Policy«, in: Oxford Review of Economic Policy, Vol. 15, No. 3, pp. 9–18 Fritsche/Stephan (2002): »Leading Indicators of German Business Cycles: An Assessment of Properties«, in: Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik 222 Hild, Robert: »Wertschöpfung und Beschäftigung im verarbeitenden Gewerbe«, in: ifo Schnelldienst 7/20 04, S. 19 – 27 Horn, Gustav A. (2003): »US Outlook and German Confidence«, in: Applied Quartely Economics Quarterly Supplement, vol. 54 (2003) Horn, Gustav A.; Logeay, Camille (2004): »Kritik am lohnpolitischen Konzept des SVR«, in: Wirtschaftsdienst, 84. Jg., Heft 04, April 2004 Kuranassou, Monika; Sala, Victor; Snower, Dennis (2003): »The European NAIRU: Does the Phillips Curve Exist?«, in: Applied Economics Quarterly, Nr. 2, 2003 Keynes, John Maynard (1936): The General Theory of Employment, Interest and Money, Cambridge 1936 Krugmann, Paul (1998): »Bubble, Boom, Crash«, working paper, Cambridge MA, MIT
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Lucas, Robert E. jr. (1981): Studies in Business-Cycle Theory, Cambridge Mass./London 1981 Malinvaud, Edmond (1980): Profitability and Unemployment, Cambridge University Press 1980 Mankiw, N. Gregory; Romer, David (1992): New Keynesian Economics, Harvard 1992 Marin, Daria; Lorentowicz, A.; Raubold, A. (2002): »Ownership, Capital or Outsourcing: What drives German Investment to Eastern Europe«, in: Münchner wirtschaftswissenschaftliche Beiträge, 2002 Muth, John (1961): »Rational Expectations and the Theory of Price Movements«, in: Econometrica, vol. 39 SVR (2003): Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung: »Staatsfinanzen konsolidieren – Steuersystem reformieren«, Jahresgutachten 2003/20 04 Sinn, Hans Werner (2003): Ist Deutschland noch zu retten?, Econ 2003 Sinn, Hans Werner (2004): »Basarökonomie Deutschland«, in: Financial Times, 17. September 2004 Stieglitz, Joseph (2003): The Roaring Nineties, New York/London (Norton & Company) 2003