Erle Stanley Gardner
Perry Mason Die falschen Würfel
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Erle Stanley Gardner
Perry Mason Die falschen Würfel
scanned by AnyBody corrected by Yfffi Perry Mason muß wieder einmal die Kastanien aus dem Feuer holen. Alte Multimillionäre sollten nicht wieder heiraten. Das meinen jedenfalls die Verwandten des siebzigjährigen Alden E. Leeds. Denn alle möchten gerne erben und wollen nicht mit einer neuen Mrs. Leeds teilen. Als der Alte auffallend hohe Schecks an zwei höchst verdächtige Personen ausstellt, steckt Neffe Jason ihn kurzerhand wegen Altersschwachsinn ins Sanatorium. Doch Multimillionär Leeds ist plötzlich verschwunden. Ist er gekidnappt worden? Perry Mason und sein Team müssen den Fall lösen, denn es steht alles auf dem Spiel. Originaltitel: THE CASE OF THE ROLLING BONES Printed 1977 in Finland. XENOS-Verlagsgesellschaft m.b.H. & Co.
1 Mit sichtlichem Mißvergnügen starrte Perry Mason auf die eingegangene Post. Er blickte zu seiner Sekretärin auf, die neben ihm stand, und sagte: »Herrgott, Della, können Sie mir denn nicht irgendwoher einen richtigen Kriminalfall auftischen? Erzählen Sie mir etwas über die Klienten, die draußen warten.« Della Street seufzte auf. »Also draußen im Vorzimmer warten eine Miss Leeds, eine Miss Milicant und ein Mr. Barkler. Sie gehören zusammen, aber Miss Leeds möchte mit Ihnen ein paar Minuten allein sprechen, ehe Sie die beiden anderen empfangen.« »Worum handelt es sich denn, Della?« »Um einen reichen Mann, dem seine Verwandten sein Geld abnehmen wollen.« »Also, unter uns gesagt, habe ich für reiche Leute nichts übrig«, sagte Mason und steckte die Hände in die Taschen. »Ich bin mehr für arme Leute.« »Ich habe den Leuten gesagt, Sie würden sich für ihren Fall nicht interessieren«, sagte Della Street, »denn Sie wären hauptsächlich an Prozessen interessiert.« Mason ließ den Kopf sinken und runzelte nachdenklich die Stirn. Schließlich sagte er: »Diese Miss Leeds werde ich auf jeden Fall empfangen. Sie hat meine Neugier geweckt. Denn wenn da drei Leute zusammen kommen und einer von ihnen mich sprechen will, ehe die beiden anderen hereingekommen sind, dann... Lassen Sie sie kommen, Della.« Della Street ging in das Vorzimmer hinaus, um nach wenigen Augenblicken mit einer jungen Frau zurückzukommen, deren rasche, nervöse Schritte ihre Ungeduld verrieten. »Das ist Miss Phyllis Leeds«, sagte Della Street. Mit schnellen Schritten ging Miss Leeds auf Masons Schreibtisch zu. »Haben Sie vielen Dank, Mr. Mason, daß Sie mich empfangen haben«, sagte sie, als Della Street sich zurückzog. »Bitte nehmen Sie Platz«, erwiderte Mason und verbeugte sich, »und sagen Sie mir, worum es sich handelt.« -2 -
Sie setzte sich auf die Kante des großen Ledersessels gegenüber von Masons Schreibtisch und sagte: »Ich kann die beiden anderen nur ein oder zwei Minuten warten lassen und möchte Ihnen vorher kurz sagen, worum es hier geht. Ich möchte mit Ihnen über meinen Onkel Alden - das heißt also Alden E. Leeds sprechen.« »Was fehlt ihm?« fragte Mason. »Die Sache ist die: ich habe zwei Vettern und zwei Onkels. Onkel Alden war das schwarze Schaf der Familie. Als er erst vierzehn Jahre alt war, rannte er von der Familie fort und ging zur See. Wohin er ging oder was er tat, weiß kein Mensch. Als ich fünfzehn Jahre alt war, kam er hierher zurück, um sich niederzulassen. Meiner Meinung nach war die Familie fest entschlossen, ihn von oben herab anzusehen, bis sie plötzlich dahinter kam, daß Onkel Alden äußerst wohlhabend war.« »Wie alt ist denn Ihr Onkel Alden jetzt?« fragte Mason. »Meiner Meinung nach zweiundsiebzig. Er war der älteste von seinen Brüdern. Ich wohne jetzt in seinem Haus und erledige den größten Teil seiner geldlichen Angelegenheiten und seiner Korrespondenz.« »Erzählen Sie weiter«, sagte Mason. »Onkel Alden hat nie geheiratet. Erst vor kurzem hat er Emily Milicant kennengelernt... Sie sitzt draußen im Wartezimmer. Er hat sich in sie schwer verliebt. Die Verwandten toben vor Wut, denn sie haben Angst, daß ihnen das Geld entgeht. Sie möchten Onkel Alden für unzurechnungsfähig erklären lassen.« »Und was meinen Sie dazu?« »Ich meine, daß Onkel Alden das Geld gehört und daß er damit tun kann, was ihm beliebt.« »Sind Sie mit Emily Milicant befreundet?« »Das gerade nicht.« »Aber Sie würden sich freuen, wenn die beiden heirateten?« »Nein, ich glaube, das würde ich nicht«, sagte sie, »aber eines möchte ich auf jeden Fall, nämlich daß Onkel Alden in der Lage ist, frei darüber zu entscheiden, was er tun will.« -3 -
»Und was soll ich nach Ihrer Ansicht tun?« fragte Mason. »Ist es nicht gesetzlich festgelegt, daß ein Mensch so lange frei über sein Vermögen verfügen darf, bis sein Geisteszustand derart angegriffen ist, daß andere Leute ihn bevormunden dürfen?« »Das stimmt im wesentlichen«, sagte Mason. »Aber diese Leute setzen jetzt alles daran«, sagte Phyllis Leeds, »zu beweisen, daß man ihn entmündigen kann, und leider gibt es gewisse Dinge, die sie nie wissen dürfen.« »Zum Beispiel?« »Das soll Ihnen Emily Milicant erzählen«, sagte sie. »Ich wollte Ihnen nur andeuten, worum es eigentlich geht. Meiner Meinung nach will sie Onkel Alden heiraten. Das dürfen Sie nicht außer acht lassen. Ned Barkler ist einer von Onkel Aldens besten Freunden. Er hat meinen Onkel schon vor langen Jahren dort oben am Klondike gekannt.« »Soll ich die Leute hereinbitten?« fragte Mason. »Bitte tun Sie das.« Mason griff nach dem Telefon und sagte: »Bitte lassen Sie Miss Milicant und Mr. Barkler hereinkommen.« Es war ziemlich deutlich zu sehen, daß Emily Milicant sich alle Mühe gegeben hatte, sich ihre jugendlichen Konturen zu bewahren, obwohl sie eine frische Vierzigerin war. Barkler war ein Mann Ende der Fünfzig, wettergebräunt, sehnig und ein rauher Typ. Er hinkte leicht. Mason stellte sich den beiden vor, bot ihnen Stühle an und wartete ab. Barkler zog aus seiner Tasche eine Pfeife, um gewissermaßen anzudeuten, daß er an der Unterredung nur als aufmerksamer, schweigender Zuhörer teilnehmen wollte. Emily Milicant blickte Mason eindringlich an: »Ich nehme an, Phyllis hat Ihnen alles über mich erzählt. Sie hat das sicher zartfühlend und taktvoll gemeint, aber es war völlig unnötig. Wissen Sie, Mr. Mason, was die ganze Familie Leeds anlangt, Phyllis nehme ich davon aus - so bin ich eine Abenteurerin. Für diese Leute bin ich nicht mehr Emily Milicant, sondern von mir spricht man nur mehr als von ›der Person‹.« -4 -
»Ich glaube«, sagte Mason, »daß Miss Leeds mich hinreichend über die Vorgänge unterrichtet hat. Sagen Sie mir bitte, in welcher besonderen Angelegenheit Sie meinen Rat wünschen.« »Mr. Leeds wird zur Zeit erpreßt«, sagte sie. »Woher wissen Sie das?« fragte Mason. »Ich war vorgestern mit ihm zusammen, als seine Bank ihn anrief. Alden - ich meine Mr. Leeds - machte einen sehr verstörten Eindruck. Ich hörte, wie er sagte: › Mir ist es ganz egal, auch wenn der Scheck auf eine Million Dollar ausgestellt ist, zahlen Sie ihn ruhig aus - und übrigens kümmert es mich einen Dreck, ob ihn ein Zeitungsjunge oder eine Nutte vorlegt. Der Scheck ist als »zahlbar an den Überbringer« ausgestellt.‹ Er wollte gerade den Hörer auf die Gabel knallen, als der Mann am andern Ende der Leitung noch etwas sagte, und das konnte ich gut hören.« »Und was war das?« fragte Mason. Sie beugte sich vor und sagte: »Der Kassierer von der Bank sagte: › Mr. Leeds, diese junge Frau ist grell und ordinär angezogen und will die zwanzigtausend Dollar in bar haben.‹ ›Na und, auf diese Summe ist der Scheck doch ausgestellt?‹ sagte Leeds. Darauf sagte die Stimme: ›Ich bitte um Entschuldigung, Mr. Leeds, ich wollte mich ja nur noch einmal vergewissern.‹ ›Ja, das haben Sie ja nun getan‹, sagte Alden und schmetterte den Hörer auf die Gabel.« Nunmehr mischte sich Phyllis Leeds in das Gespräch und sagte: »Als Emily mir davon erzählte, begriff ich sofort, wie schrecklich es sich auswirken könnte, falls Onkel Alden das Opfer von Schwindlern oder Erpressern würde. Onkel Freeman würde das sofort zu einem Vorwand nehmen, um zu beweisen, daß man Onkel Alden nicht mehr die Verwaltung seines Geldes anvertrauen dürfe.« »Was haben Sie daraufhin also getan?« fragte Mason. »Ich bin zu der Bank gegangen«, sagte sie, »denn ich kümmere mich um sein Bankkonto und seine Korrespondenz. Auf der Bank habe ich gesagt, ich käme mit meinen Abrechnungen -5 -
nicht zurecht, und man möchte mir bitte die Höhe von Onkel Aldens Konto und die eingelösten Schecks zeigen. Ich glaube, der Kassierer wußte genau, worum es mir eigentlich ging, und war geradezu erleichtert. Er holte mir sofort die Schecks. Der letzte war über zwanzigtausend Dollar ausgestellt, von Onkel Alden giriert und zahlbar an L. C. Conway. Auf der Rückseite stand die Unterschrift ›L. C. Conway‹, und darunter hatte mein Onkel eigenhändig geschrieben: ›Bestätige hiermit die Richtigkeit dieser Unterschrift. Der Scheck ist ohne weitere Nachprüfung oder sonstige Bestätigung auszuzahlen.‹« »Damit wurde also eigentlich bezweckt, daß der Scheck jedem Überbringer auszuzahlen war. Warum hat er das nicht gleich so ausgedrückt?« fragte Mason. »Weil, wie ich glaube«, sagte sie, »er nicht wünschte, daß der Name dieser jungen Person auf dem Scheck in Erscheinung trat.« »Der Scheck wurde also von der Bank ausgezahlt, ohne daß sie ihre Unterschrift gab?« »Jawohl. Der Kassierer bestand aber darauf, daß sie ihre Unterschrift auf den Scheck setzte. Dagegen sträubte sie sich, und daraufhin rief er Onkel Alden an und führte mit ihm dieses Gespräch, das Emily anhörte. Der Kassierer sagte also zu dieser Person, sie brauche den Scheck nicht zu girieren, aber sie müsse ihren Namen und ihre Adresse angeben, und außerdem müsse sie ihm eine Quittung geben, sonst könne er ihr das Geld nicht auszahlen.« »Was passierte darauf?« »Das Frauenzimmer wurde wütend und wollte Onkel Alden anrufen, aber entweder wußte sie seine Nummer nicht oder sie tat so, als wüßte sie sie nicht. Der Kassierer wollte ihr Onkel Aldens Geheimnummer nicht nennen. Daher schrieb sie schließlich ihren Namen und ihre Adresse auf und gab ihm eine Quittung über das Geld.« »Haben Sie den Scheck bei sich?« fragte Mason Phyllis Leeds. »Jawohl«, sagte sie und reichte ihm aus ihrer Handtasche den eingelösten Scheck. -6 -
»Was soll ich nun tun?« fragte Mason. »Sie sollen sich über die Erpressung informieren und nach Möglichkeit das Geld zurückholen, ehe die anderen Verwandten davon erfahren.« Mason blickte zu Barkler hinüber, der friedlich rauchend dasaß. »Was halten Sie von dieser Geschichte, Barkler?« fragte er. Barkler paffte ein paarmal an seiner Pfeife, nahm sie dann aus dem Mund und sagte: »Er wird nicht erpreßt«, und dann rauchte er weiter. Phyllis Leeds lachte nervös. »Sie müssen wissen, daß Mr. Barkler Onkel Alden am Klondike kennenlernte«, sagte sie. »Er behauptet, Onkel Alden könnte von keinem Menschen auf der Welt erpreßt werden, dafür könne er zu gut mit einer Pistole umgehen.« »Nicht am Klondike, am Tanana«, verbesserte Barkler, ohne die Pfeife aus dem Mund zu nehmen. »Vor ungefähr einem Jahr sind er und Onkel Alden sich zufällig wieder begegnet«, führte Phyllis weiter aus. »Sie sind eng miteinander befreundet wie zwei alte Kumpel, wissen Sie.« »So ein Quatsch! Wir sind Geschäftspartner«, sagte Barkler, »und übrigens machen Sie sich nur keine falschen Vorstellungen über Alden. Der wird nicht erpreßt.« »Der Scheck, den Sie in der Hand halten«, sagte Phyllis Leeds ruhig zu dem Anwalt, »spricht für sich selbst.« Barkler nahm die Pfeife aus dem Munde und sagte: »Hör mal zu, Phyllis, Alden wird nicht erpreßt. Es stimmt, daß er in Schwierigkeiten ist. Gib Mason einen Scheck und laß ihn an die Arbeit gehen... Aber um Erpressung handelt es sich nicht. Darauf kannst du dich verlassen.« Phyllis Leeds machte ihre Handtasche auf und holte ein Scheckbuch heraus. »Wieviel brauchen Sie?« fragte sie Perry Mason.
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2 Paul Drake, der Chef der Detektivagentur Drake, flegelte sich quer über den großen Ledersessel in Masons Büro. »Gib mir eine Zigarette, Perry, dann werde ich dir die traurige Nachricht mitteilen.« »Haben Sie begriffen?« fragte Mason Della Street und warf dem Detektiv sein Zigarettenetui zu, »dieser große Schnorrer kommt hier in mein Büro, bettelt mich um eine Zigarette an und will mir obendrein noch mitteilen, daß er den ganzen Fall vermurkst hat.« »Red kein Blech, Perry«, sagte Drake, nahm sich eine Zigarette und riß ein Streichholz an. »Ich habe in diesem Fall ein gutes Stück Arbeit geleistet. Die Blondine, die den Scheck kassiert hat, hat als ihren Namen Marcia Whittaker angegeben. Ihre Adresse stimmte mit der Adresse überein, die auf dem Führerschein stand - aber es war gar nicht ihre Adresse. Immerhin, der Name stimmte, und ich habe gar nicht lange gebraucht, um festzustellen, wo sie früher gewohnt hat.« »Gewohnt hat?« fragte Mason. »Na klar«, sagte Drake. »Sie war nicht darauf gefaßt gewesen, daß sie bei der Bank ihren Namen angeben mußte. Als der Kassierer danach fragte, war sie schlau genug, ihm den richtigen Namen zu sagen, damit er mit dem Namen auf ihrem Führerschein übereinstimmte. Aber sie war auch gerissen genug, sofort nach Hause zu gehen, ihre Sachen zu packen und noch am Nachmittag umzuziehen.« Drake tat einen tiefen Lungenzug, blies den Rauch heraus und fuhr in seinem Bericht fort. »Ich habe in der Gegend, wo ihre Wohnung war, ein wenig herumgeschnüffelt. Der Bankier hatte sie als hart geschildert, aber damit nur eine Hälfte ihres Wesens charakterisiert.« »Ach, Sie meinen, sie war hart und schnell?« fragte Della Street. »Erraten«, sagte Drake. »Ich habe daher die Wirtin aufgetrieben und habe ihr einen Roman erzählt und gesagt, was sie da für einen verrufenen Laden hätte, über den schon -8 -
die Leute sprechen, bis sie schließlich vor lauter Angst Zuckungen bekommen hat. Sie hat gesagt, sie würde alles tun, um die Sache aufzuklären, aber das Mädchen hätte keine neue Adresse hinterlassen. Dann habe ich ihr gesagt, ich möchte etwas über die Männer wissen, die Marcia Whittaker besucht hätten. Damit kam ich aber nicht weiter. Dann habe ich den Hausverwalter gefragt, ob die Wirtin jedem hergelaufenen Frauenzimmer, ohne nach Referenzen zu fragen, eine Wohnung gäbe. Darauf sagte er, das täte sie ganz bestimmt nicht. Sie ließe sich immer Referenzen geben. Daraufhin haben wir in dem Buch der Wirtin unter Marcia Whittaker nachgeschlagen und festgestellt, daß sie beim Einziehen als Referenz einen L. C. Conway, Direktor der Conway Appliance Company in der Herrod Avenue 692 angegeben hatte.« Mason zündete sich eine Zigarette an: »Nicht übel, Paul.« »Reine Glückssache«, sagte Drake müde. »Mir darfst du das als Verdienst nicht anrechnen. Immerhin war es ein glücklicher Anfang. Ich ging also in die Herrod Avenue 692. Die Conway Appliance Company hatte dort ein paar Monate lang ein Büro. Es traf dort eine Unmenge Post ein, aber dann ist die Firma plötzlich ausgezogen, ohne eine Adresse zu hinterlassen. Ich habe eine Beschreibung von L. C. Conway. Er ist ungefähr fünfundfünfzig Jahre alt, annähernd ein Meter fünfundsiebzig groß, wiegt hundertachtzig Pfund, hat einen kahlen Vorderkopf und dunkles, gelocktes Haar, das auf der Schädelmitte spitz zusammenläuft. Er hinkt leicht, weil irgend etwas an seinem rechten Fuß nicht in Ordnung ist... Wo er wohnte und was er trieb, wußte niemand.« Mason runzelte die Stirn. »Hast du nichts herausbringen können?« fragte er. »Gar nichts«, sagte Drake, »aber eine Sache habe ich herausbekommen, die bezeichnend ist.« »Nämlich was?« »Am Tag, nachdem er ausgezogen war, traf plötzlich keine Post mehr in dem Büro ein.« -9 -
Mason blickte nachdenklich einen Augenblick lang auf seine Zigarette, dann sagte er: »Meinst du, das bedeutet, daß die Post eine Nachsendeadresse bekommen hat?« »Na klar.« »Gibt’s eine Möglichkeit, sie dort zu erfahren?« »Gar keine«, sagte Drake, »aber ich habe eine Postanweisung über fünfundzwanzig Dollar an die Conway Appliance Company geschickt und dazu eine Notiz geschrieben, es sei die Bezahlung für die Ware, die ich vor ein paar Monaten bestellt hätte, und habe gebeten, sie mir an eine Deckadresse zu schicken. Das Geld habe ich an die Herrod Avenue 692 geschickt.« »Woher wußtest du, was für Ware er verkauft hat?« fragte Mason. »Ich wußte es gar nicht«, sagte Drake, »aber solche Leute werden fünfundzwanzig Dollar nicht ablehnen, außerdem wird er das Geld nicht einstecken, ohne dem armen Anfänger, der auf ihn hereingefallen ist, etwas für sein Geld zu bieten.« Mason nickte beifällig. »Gute Arbeit, Paul. Hast du eine Antwort bekommen?« »Na und ob«, sagte Drake und wälzte sich auf die Seite, so daß er mit der linken Hand in seine Rocktasche fahren konnte. »Ich habe herausbekommen, was der Bursche verkauft, und habe seine Adresse.« »Was verkauft er denn?« »Dem Aussehen nach falsche Würfel«, sagte Drake, zog einen Brief aus der Tasche und las vor: »›Sehr geehrter Herr, bei unserer Firma wird die Ware immer durch Boten und niemals durch die Post ausgeliefert. Ihre geschätzte Bestellung haben wir erhalten, Sie haben jedoch vergessen, anzugeben, ob Sie eine bestimmte Farbe oder Größe vorziehen. Sollten wir von Ihnen keine gegenteilige Nachricht erhalten, so werden wir Ihnen zwei Paar vor unseren normalen Elfenbeinwürfeln übersenden. Natürlich erhalten Sie die übliche Prämie.‹« »Wer hat den Brief unterschrieben?« fragte Mason. »Als Unterschrift steht hier ›Guy T. Serle, Direktor‹«, sagte Drake. -1 0 -
»Und die Adresse?« fragte Mason. »Nicht so hastig. 209 East Ranchester.« »Na, und was soll nun geschehen?« fragte Mason. »Ich glaubte, ich sollte erst von dir weitere Anweisungen bekommen«, sagte Drake. »Was meinst du, soll ich ihn nicht ruhig die Ware liefern lassen?« »Aber ja«, sagte Mason, »und außerdem mußt du den Mann beschatten, der die Ware abliefert. Versuche, ob du Conway findest und laß ihn beobachten. Stelle auch fest, wer Serle ist.« »Okay Perry«, sagte Drake. »Dieser Lieferant wird natürlich so ein Heini mit einem Rattengesicht sein, der sich für eine ganz große Nummer hält, weil er falsche Würfel vertreibt, aber vielleicht bekommt man durch ihn etwas heraus. Ich werde...« Er hielt inne, als Masons Telefon läutete. »Na schön, Paul, also bis bald«, sagte Mason. »Halt mich auf dem laufenden.« Dann nahm er den Hörer ab. Die Telefonistin von der Zentrale meldete sich: »Miss Leeds ruft an; sie sagt, es handelt sich um etwas äußerst Wichtiges.« »Verbinden Sie mich mit ihr«, sagte Mason. Dann hielt er die Hand auf die Sprechmuschel und sagte zu Drake, der schon beinahe die Tür erreicht hatte: »Bleib noch einen Augenblick hier, da ruft gerade diese Leeds an... Jawohl, hallo... Ja, hier spricht Mason, Miss Leeds.« »Mr. Mason«, rief sie aufgeregt, »Jason Carrel, einer unserer Verwandten, hat Onkel Alden in ein Sanatorium geschafft und will mir nicht sagen in welches.« »Wie ist denn das zugegangen?« fragte Mason. »Er ist heute morgen vorbeigekommen, um Onkel Alden auf eine Autofahrt mitzunehmen. Als sie nach einer Stunde noch nicht zurück waren, machte ich mir Sorgen. Ich ging also zu Jasons Haus. Ich fragte ihn, wo Onkel Alden sei, und er sagte, Onkel Alden sei es plötzlich während der Fahrt sehr schlecht geworden, worauf er ihn in ein Sanatorium gebracht und einen Doktor gerufen hätte. Der Doktor hätte darauf bestanden, daß er mindestens zwei Tage absolute Ruhe haben müsse.« -1 1 -
»Gut«, sagte Mason, »das werde ich in Kürze in Ordnung bringen. Jetzt hören Sie mal gut zu; was ich Sie jetzt frage, ist wichtiger, als es sich anhört. Spielt Ihr Onkel gerne?« »Wieso, nein, nicht besonders.« »Würfelt er je um große Summen?« »Wieso, nein... doch, warten Sie einen Augenblick. Vor ein paar Tagen - es kann auch vielleicht eine Woche her sein - hat er mit jemandem ein Spielchen gemacht.« »Mit wem denn?« »Mit John Milicant.« »Ging es bei dem Spiel um hohe Einsätze?« »Nein - nur um fünfundzwanzig Cent oder so für einen Wurf. Ich verstehe ohnehin nicht viel von diesem Spiel.« »Wo kann ich John Milicant finden?« »Ich weiß es nicht, aber das kann ich von Emily erfahren.« »Schaffen Sie ihn her. Bringen Sie ihn ins Büro. Ich möchte mit ihm sprechen. Und um Ihren Onkel machen Sie sich keine Sorgen. Ich werde - gestützt auf die habeas corpus-Akte Jason Carrel zwangsweise dem Richter vorführen lassen.« »Und sonst kann ich nichts tun?« »Gar nichts«, sagte Mason. »Schaffen Sie John Milicant her und vergessen Sie die Sache. Machen Sie sich keine Sorgen mehr.« Er legte den Hörer auf und sagte zu Paul Drake: »Okay, Paul, es ist nichts von Bedeutung. Die Verwandten rücken dem alten Mann zu Leibe, das ist alles. Mach dich an die Arbeit und befaß dich mit der Conway Appliance Company.« Als Drake das Büro verließ, sagte Mason zu Della Street: »Schreiben Sie einen Antrag auf zwangsweise Vorführung auf Grund der habeas corpus-Akte aus. Ich werde ihn dem Richter Treadwell überreichen, und damit werden wir Jason Carrel einen Schlag mitten auf die Stirn versetzen.«
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3 Als Mason und Della Street vom Mittagessen zurückkehrten, war auch Paul Drake bereits zurückgekommen und wartete auf sie. »Was gibt’s Neues, Paul?« fragte Mason. »Ach, wir haben Marcia Whittaker ausfindig gemacht«, sagte Drake. »Gute Arbeit, Paul. Wie hast du das geschafft?« »Oh, es hat viel Lauferei gekostet«, sagte Drake müde. »Wir haben das Städtische Büro für Elektrizität, Wasser und Gas aufgesucht. Dort hatte sie elektrisches Licht und Gas beantragt. Es ist eine unmöblierte Wohnung, und sie kauft sich allem Anschein nach Möbel, um sich häuslich niederzulassen.« Mason steckte sich eine Zigarette an und blickte einen Augenblick starr auf das brennende Streichholz, ehe er es ausmachte. »Heißt das Mädchen tatsächlich Marcia Whittaker?« fragte er. »Ja, warum?« »Nun, soweit ich nach deinem Bericht ihren Charakter beurteile, ist sie alles andere als seßhaft. Und jetzt besorgt sie sich mit einemmal eine Wohnung und fängt an, Möbel zu kaufen. Wie ist es zu dieser plötzlichen Stabilität gekommen?« Drake schlang die Arme um seine Knie und sagte: »Sie wird wohl ihren Anteil an den zwanzigtausend Dollar kassiert haben.« Mason schüttelte langsam den Kopf. »Nein, dann würde sie mit dem Geld nur so herumstreuen, aber nicht sich häuslich niederlassen... Della, sehen Sie doch mal in die Zeitungen, und zwar sehen Sie unter der Rubrik ›Familiennachrichten‹ nach. Es könnte doch zufällig sein, daß...« Die beiden Männer rauchten und schwiegen. Einige Minuten später ließ Della einen triumphierenden Laut hören. »›L. C. Conway, 57, und Marcia Whittaker, 23, haben die Absicht, sich in Kürze zu vermählen.‹« -1 3 -
Mason grinste. »Weißt du sonst noch etwas über Conway, Paul?« »Nichts, was uns weiterhilft. Für Conway hat sich das Leben durch die zwanzigtausend Dollar offensichtlich stark verändert. Er hat seine Firma an Guy T. Serle verkauft und Serle das Recht gegeben, den Namen der Firma, Conway Appliance Company, weiterzubenutzen.« »Weiß denn Serle, wo Conway steckt?« »Das weiß ich nicht. Was hältst du denn von diesen Dingern hier?« Er zog ein paar Würfel aus der Tasche und warf sie über den Tisch. Mason sah die Würfel an, nahm sie auf, rollte sie drei- oder viermal hin und her und lachte dann: »Ich muß mich deiner schämen, Paul«, sagte er. »Wieso, das ist doch die von der Conway Appliance Company mir zugestellte Ware. Zwei mit Blei versehene Würfel und eine ganz besondere Prämie - ein hübsches Lotterielos.« Mason pfiff vor sich hin. »Hast du den Boten weiterverfolgt?« »Na klar. Er hat noch zwanzig bis dreißig Adressen abgeklappert und ist dann wieder zu der Adresse in East Ranchester zurückgegangen. Serle habe ich auch ausfindig gemacht. Ich habe einen Mann auf ihn angesetzt, um festzustellen, ob er irgendwelche Beziehungen zu Conway unterhält... Immerhin haben wir jetzt einen sicheren Anhaltspunkt. Wir können Conway einfach dadurch ausfindig machen, daß wir das Mädchen überwachen lassen.« Mason drückte schnell entschlossen seine Zigarette aus. »Ich würde lieber mit dem Mädchen als mit Conway sprechen«, sagte er. »Della, sollte Phyllis Leeds anrufen, dann sagen Sie ihr, Richter Treadwell hätte eine Verfügung auf zwangsweise Vorführung von Jason Carrel erlassen.« »Warum hast du dir grade Treadwell herausgesucht?« fragte Drake. Mason grinste. »Er hat einen arcus senilis.« »Was ist das?« fragte Drake. -1 4 -
»Das ist eins von den Kennzeichen, auf das sich die Psychiater so gerne stürzen, wenn es sich darum handelt, Altersverblödung zu diagnostizieren. Komm, gehen wir.« In Paul Drakes Wagen sagte Mason: »Meiner Meinung nach, Paul, bin ich als Anwalt für Phyllis Leeds engagiert worden. Ich arbeite nicht für Emily Milicant.« »Ich soll wohl deine Gedanken lesen?« sagte Drake. Mason nickte. Sie fuhren mehrere Häuserblocks schweigend weiter, dann bog Drake um eine Ecke und sagte: »Wir sind angekommen hast du dir irgendeine bestimmte Taktik ausgedacht?« »Nein«, sagte Mason, »wir werden die Karten nehmen müssen, die uns zugeteilt werden.« Sie drückten zweimal auf den Klingelknopf, dann hörten sie Schritte auf der Treppe. Die Tür ging auf, und mit offensichtlicher Enttäuschung sah sie eine Blondine in einem gold und braun gemusterten Hausanzug an und sagte: »Ach, ich dachte, Sie wären der Mann mit den Vorhängen.« »Sind Sie Miss Whittaker?« sagte Mason. »Wir möchten mit Ihnen reden.« »Worüber?« »Über eine private Sache.« Als sie weiter stehen blieb und ihnen den Weg versperrte, setzte Mason vielsagend hinzu: »Es handelt sich um etwas, was Sie meiner Meinung nach lieber an einem Ort besprechen würden, wo die Nachbarn nicht mithören können.« Sie blickte auf die anderen Türen, die sich in dem Hausflur öffneten. »Kommen Sie herein«, sagte sie. Drake machte die Tür hinter ihnen zu, und Marcia Whittaker führte sie die Treppen hinauf. Die Fenster im Wohnzimmer hatten bereits Jalousien, aber keine Vorhänge. Auf den Hartholzfußböden lagen neue Teppiche. Die Möbel sahen steif und unwirklich aus, so als hätten sie sich noch nicht an ihre neue Umgebung gewöhnt. »Nehmen Sie Platz«, sagte sie gleichgültig. -1 5 -
Mason betrachtete ihr Gesicht, das gelbe Haar, das an den Wurzeln etwas dunkler war, ihre harten blauen Augen, in denen eine Spur von Furcht zu erkennen war. »Es handelt sich um den Scheck, den Sie eingelöst haben«, sagte Mason. »Mein Gott«, sagte sie. »Kann man etwa keinen Scheck einlösen, ohne gleich wie mit Hunden gehetzt zu werden?« »Worum ging es bei diesem Scheck?« »Das geht Sie gar nichts an.« »Die Sache ist nämlich die«, sagte Mason, »daß dieser Scheck von einem zweiundsiebzigjährigen Mann ausgestellt wurde, der jetzt in einem Sanatorium festgehalten wird.« »Das ist aber Pech«, sagte sie ohne jedes Mitgefühl. »Seine Verwandten wollen einen Vormund für ihn bestimmen, falls ihnen das gelingt«, sagte Mason; »sobald der Vormund ernannt worden ist, wird er verlangen, daß ihm sämtliche Papiere vorgelegt werden, und dabei diesen Scheck finden. Nichts wäre einem Vormund lieber, als wegen diesem Scheck Schwierigkeiten zu machen.« »Was für Schwierigkeiten könnte er schon machen«, fragte sie und setzte dann bedeutungsvoll hinzu, »für mich?« »Oh, eine Menge«, sagte Mason. »Mir hat Leeds diesen Scheck nicht gegeben«, sagte sie erregt. »Ich habe ihn nur eingelöst.« »Aber Sie haben das Geld«, sagte Mason. »Nein, das habe ich nicht.« »Dann heiraten Sie also.« Sie funkelte ihn wütend an, sagte aber nichts. Mason betrachtete den Ausdruck ihrer Augen und sagte: »Warum will Conway Sie nicht heiraten?« Sie lief rot an. »Sagen Sie, wer hat Sie eigentlich auf diese Sache gebracht?« »Ich selber«, sagte Mason. »Na schön. Also wenn Sie schon Ihre Nase in meine Privatangelegenheiten stecken wollen - warum heiratet er mich -1 6 -
nicht?« Mason blickte nachdenklich auf das Ende seiner Zigarette. »Glauben Sie, daß er das je beabsichtigt hatte?« »Wer sind Sie eigentlich?« »Mein Name ist Mason.« »Und wer ist der Kerl, den Sie da mitgebracht haben?« »Der heißt Drake.« »Was für einen Schwindel haben Sie eigentlich vor?« »Sie können es glauben oder nicht«, sagte Mason, »gar keinen. Ich dachte, ich wollte Sie nur über den Scheck unterrichten. Natürlich weiß Phyllis genau darüber Bescheid.« »Ach, was Sie nicht sagen?« »Und Emily auch«, bemerkte Mason. Für den Bruchteil einer Sekunde verlor die Frau alle Farbe aus dem Gesicht. Ihre Augen verfinsterten sich vor Furcht. »Emily weiß darüber Bescheid!« »Jawohl, Emily Hodkins«, fuhr Mason fort. Marcia Whittaker führte die Zigarette an ihre Lippen, machte einen tiefen Zug, blies den Rauch aus, klopfte die Asche von der Zigarette in einen Aschenbecher und sagte: »Emily Hodkins?« »Jawohl, eine von Phyllis Leeds angestellte Frau.« »Oh!« »Ach, Sie kennen sie nicht?« - »Ich kenne niemand von diesen Leuten.« »Ihr Freund könnte vielleicht zwanzigtausend Dollar mehr haben, falls kein Vormund bestimmt würde.« Sie blickte mehrere Sekunden lang auf ihre chinesischen Pantoffeln hinunter, dann sah sie Mason an und sagte offen: »Okay, ich habe Sie verständen.« »Es wäre eben ein ziemliches Pech, falls Ihr Freund allzu gesprächig sein sollte«, sagte Mason. »Ich verstehe, ich verstehe«, sagte sie ungeduldig. »Ich brauche keine Randstickereien!« -1 7 -
Mason erhob sich und sagte: »Nette kleine Wohnung haben Sie hier. Werden wohl ein kleines trautes Heim daraus machen wollen, wie?« Plötzlich kamen ihr Tränen in die Augen. »Um Himmels willen, hören Sie auf, auf der Sache herumzureiten! Ich habe mich ja auf Ihre Welle eingeschaltet, aber Sie haben mir noch nicht gesagt, was Sie eigentlich wollen, und ich nehme an, Sie werden es auch nicht sagen. Aber wenn Sie jetzt zu Ende sind, warum scheren Sie sich dann nicht zum Teufel?« »Danke«, sagte Mason, »das werde ich tun.« Als sie über die Straße auf den Wagen zugingen, sagte Mason: »Die Kleine ist jung. Conway wollte sie in dieser Scheckgeschichte benutzen. Er hat sie damit gekapert, daß er ihr versprach, sie zu heiraten, falls der Schlag gelingen sollte.« »Meinst du, er hat sie wegen dieser Scheckgeschichte mit Versprechungen hingehalten?« fragte Drake und ließ den Wagen an. »Na klar hat er das getan«, sagte Mason. »Wozu aber diese ganze Aufregung wegen eines eingelösten Schecks!« sagte Drake. »Das ist doch keine so dolle Geschichte.« »Gerade das«, sagte Mason, »ist die Spur, die für uns am wichtigsten ist. Gerade das spielt in diesem Fall eine gewaltige Rolle.« Phyllis Leeds und John Milicant warteten in Masons Empfangszimmer, als der Anwalt in sein Büro zurückkehrte. John Milicant war ein leicht kahlköpfiger, schwarzhaariger Mann. Er war untersetzt, in den Fünfzig und hinkte fast unmerklich beim Gehen mit dem rechten Fuß. Er schüttelte Mason die Hand, setzte sich hin, schlug die Beine übereinander, blickte auf seine Armbanduhr und sagte: »Phyllis hat mir gesagt, Sie möchten etwas über Alden Leeds herausfinden. Ich würde es sehr zu schätzen wissen, wenn Sie die Sache schnell zu Ende bringen können, ich habe nämlich eine Verabredung, zu der ich schon zu spät dran bin.« -1 8 -
»Sie wissen, daß es zu einem Familienkrach kommen wird?« sagte Mason. Milicant nickte. »Natürlich ist Alden so normal wie sonst jemand. Er ist manchmal etwas sonderbar, ich meine etwas exzentrisch, aber er ist ebenso wenig verrückt wie ich.« »Haben Sie in letzter Zeit mit ihm gewürfelt?« »Ja, am letzten Sonntag, glaube ich.« »Ging es um hohe Einsätze?« fragte Mason. »Wir haben um fünfundzwanzig Cents gewürfelt.« »Würden Sie es für eine zu indiskrete Frage halten, wenn ich gerne wissen möchte, wieviel er gewonnen hat?« »Er hat gar nichts gewonnen«, sagte Milicant. »Ich habe annähernd hundert Dollar gewonnen, also grade genug, um mir einen Anzug anzuschaffen. Aber ihm schien das Verlieren großen Spaß zu machen.« »Einen Augenblick bitte«, sagte Mason. »Ich möchte eben etwas über einige Papiere feststellen, bitte warten Sie doch einen Moment, Mr. Milicant, es wird nicht länger als fünf Minuten dauern.« Milicant blickte wieder auf seine Armbanduhr, als Mason mit großen Schritten sein Büro durchmaß, die Bibliothek betrat und dann auf dem Umwege über den Korridor in Paul Drakes Büro ging. »Paul«, sagte Mason, »da sitzt in meinem Büro dieser John Milicant. Er ist ungefähr fünfundfünfzig Jahre alt, annähernd ein Meter fünfundsiebzig groß, ziemlich untersetzt, ist gut angezogen, hat eine leichte Glatze und hinkt ein wenig.« Drake runzelte die Stirn und sagte: »Worauf willst du denn hinaus, Perry?« »Lies dir nochmal diese Beschreibung da durch, ich meine die von L. C. Conway.« »Ach, jetzt verstehe ich«, sagte Drake, zog sein Notizbuch aus der Tasche, überlas die Beschreibung und sagte: »Die paßt. Sie würde natürlich auf eine Menge Männer zutreffen.« »Ich weiß«, sagte Mason, »aber die Sache lohnt sich. In ungefähr zwei Minuten wird Milicant mein Büro verlassen.« -1 9 -
»Ich werde ihm einen Mann nachschicken«, versprach Drake. Mason ging in sein Büro zurück und sagte: »Ich wollte nur etwas nachsehen, Mr. Milicant, jetzt brauche ich Sie nicht länger aufzuhalten.« Milicant ging auf Mason zu, schüttelte ihm die Hand und sagte: »Sollte ich Ihnen irgendwie behilflich sein können, so zögern Sie nicht, mich anzurufen.« »Gewiß nicht«, sagte Mason und wandte sich dann zu Phyllis Leeds: »Wie werden Sie denn damit fertig?« Ihr Gesicht sah abgezehrt aus. Ihre Augen waren geschwollen. »Es geht schon«, sagte sie. »Es würde allerdings viel besser gehen, wenn ich wüßte, daß Onkel Alden nichts fehlt.« »Ihm fehlt nichts«, sagte Mason. »Irgendein Doktor hält ihn jetzt unter Betäubungsmitteln. Aber die zwangsweise Vorführung wird diese Leute aus ihren Schlupfwinkeln an die Öffentlichkeit jagen. Wie geht’s denn Barkler?« »Das weiß ich nicht. Er ist nicht da. Ich weiß nicht, wohin er gegangen ist.« »Wann ging er denn fort?« »Heute früh.« »Hat er gesagt, wohin er ginge?« »Nein. Er kommt und geht, wie es ihm paßt.« »Na schön«, sagte Mason, »dann gehen Sie nur nach Hause und versuchen Sie, sich etwas auszuruhen. Dies ist nur das Vorgefecht. Sparen Sie sich Ihre Kräfte für den Hauptkampf. Sorgen Sie dafür, daß Emily Milicant nicht vorhanden ist, wenn die zwangsweise Vernehmung stattfindet. Ich möchte den Eindruck vermeiden, daß sie allzu sehr daran interessiert ist.«
4 Richter Treadwells Verhandlungsraum war gut besetzt. Phyllis Leeds, die innerhalb der Schranken saß, machte einen
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irritierten Eindruck und erwiderte Masons beruhigendes Lächeln mit einem nervösen Zucken ihrer Lippen. Mason beugte sich zu ihr herunter. »Können Sie mir jetzt ungefähr andeuten, wer die übrigen Verwandten sind, ohne daß es auffällig wirkt?« »Ich glaube schon«, sagte sie. »Der, der dort mit dem Anwalt redet, ist Jason. Der Mann, der hinter ihm sitzt, ist Onkel Freeman. Wenn er sich mal etwas in den Kopf gesetzt hat, dann können Sie ihm das nicht einmal mit Dynamit austreiben. Jason ist genauso schlimm, nur ist er klüger. Er ist ein feiger Heuchler, der sich immer bemüht hat, Onkel Alden vorzumachen, daß er ihn liebe, indem er ihn zu Autofahrten mitnahm und dergleichen mehr... Der da drüben, der auf Zehenspitzen geht, ist Harold Leeds, Freemans Sohn. Zu Hause tritt er genauso vorsichtig auf. Könnte er sich da losmachen...« Sie brach ab, als der Bailiff plötzlich klopfte, damit die Anwesenden sich erhoben. Die Tür ging auf, und Richter Treadwell nahm seinen Sitz hinter dem Richtertisch ein. Der Bailiff sprach mechanisch die Formel herunter, durch die die Gerichtssitzung eröffnet wurde, und einen Augenblick später blickte Richter Treadwell zu Mason hinunter und sagte: »Ich würde gerne einige Fragen an die Antragstellerin richten.« Mason erhob sich, nickte Phyllis Leeds zu und sagte: »Stehen Sie auf, Miss Leeds, und lassen Sie sich vereidigen...« »Wie alt sind Sie, Miss Leeds?« »Dreiundzwanzig«, sagte sie nervös. »Und Ihr Onkel wohnt mit Ihnen zusammen?« »Ja, das heißt... er wohnte. Ich leite seinen Haushalt und führe ihm die Bücher.« »Gut, jetzt würde ich gerne etwas über die Familie wissen«, sagte Richter Treadwell in freundlichem Ton. »Da ist erst einmal Onkel Freeman, ein jüngerer Bruder von Onkel Alden, dann sein Sohn Harold und Jason Carrel.«
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»Jason ist der Sohn einer Schwester?« fragte Richter Treadwell. »Ja, Euer Gnaden. Sie ist bereits gestorben und war die Jüngste in der Familie... das heißt, von den Schwestern.« »Wie kommen Sie denn mit Ihrem Onkel aus, Miss Leeds?« fragte Richter Treadwell freundlich. »Sehr gut«, sagte sie, »aber jeder würde mit ihm gut auskommen. Er verliert nie die Ruhe, ist freundlich, höflich und rücksichtsvoll.« »Und wie ist das mit den anderen Mitgliedern der Familie?« fragte Richter Treadwell. »Wie kommen Sie mit...« Der Gegenanwalt erhob sich und sagte: »Euer Gnaden, es ist mir sehr unangenehm, gegen diese Frage des Gerichts Einspruch zu erheben.« »Und womit begründen Sie Ihren Einspruch?« »Damit, daß es sich hier um ein Verhör auf Grund der habeas corpus-Akte handelt. Der Antrag basiert auf der Information und dem Glauben, daß Alden Leeds gegen seinen Willen festgehalten wird. Ich mache mich anheischig, nachzuweisen, daß dies nicht der Fall ist. Der Mann befindet sich in Obhut liebender Verwandter und steht in ärztlicher Behandlung, die dringend notwendig ist.« »Sie werden dazu auch noch Gelegenheit haben«, sagte Richter Treadwell ruhig. »Jetzt im Augenblick wünscht das Gericht, sich etwas über die Familienverhältnisse und die allgemeine Lage der beiden Parteien zu unterrichten.« »Das verstehe ich, Euer Gnaden, und genau dagegen erhebe ich Einspruch. Ich behaupte, daß dies nicht zur Sache gehört, unerheblich und unwesentlich ist und nicht in diese Vernehmung hineingehört.« »Der Einspruch ist abgewiesen«, sagte Richter Treadwell und setzte freundlich hinzu, als er sah, daß der Anwalt stehen geblieben war, »falls Sie andere Einsprüche zu machen haben, dann tun Sie das, das Gericht wird darüber entscheiden. Wenn das nicht der Fall ist, dann setzen Sie sich.« Der Anwalt setzte sich. -2 2 -
Richter Treadwell wandte sich Phyllis Leeds zu und fragte: »Wie ist das also mit den übrigen Mitgliedern der Familie? Wie kommen sie mit Ihrem Onkel aus?« »Tja also, sie kamen mit meinem Onkel ganz gut aus, das heißt, nur so lange, bis Onkel Alden... ich weiß nicht recht, wie ich es ausdrücken soll.« »Sie meinen, andere Freunde außerhalb der Familie fand?« fragte Richter Treadwell. Sie nickte heftig mit dem Kopf. »Ich denke, das genügt«, bemerkte Richter Treadwell. »Ich stelle fest, daß in dem Antrag behauptet wird, Alden Leeds sei von Jason Carrel zu einer Autofahrt abgeholt worden und nicht mehr zurückgekehrt. Ich glaube, ich werde ein paar Fragen an Mr. Carrel richten. Bitte treten Sie vor.« Jason Carrel, ein junger Mann in den Dreißigern, trat vor und wurde vereidigt. »Aus dem, was ich in der Gegenschrift gelesen habe, ersehe ich, daß Sie Ihren Onkel zu einer Autofahrt abholten.« »Jawohl, Euer Gnaden.« »Was haben Sie mit ihm gemacht?« »Ich habe ihn in ein Sanatorium gebracht, als ich bei ihm Symptome von...« »Sie sind kein Arzt, oder?« »Nein.« »Haben Sie Ihren Onkel gefragt, ob er in ein Sanatorium wolle?« »Nein, ich dachte...« »Was Sie dachten, steht nicht zur Debatte; die Frage lautete, ob Sie Ihren Onkel gefragt haben.« »Nein, ich dachte, er wäre nicht in der Lage, eine Antwort zu geben.« »Er war bei Bewußtsein?« »O ja.« »Hat er dagegen protestiert, in ein Sanatorium zu kommen?« »Ja, das hat er getan.« -2 3 -
»Und wie wurde sein Protest überwunden?« »Nun, ich habe dem Doktor gesagt, daß...« »Danach habe ich nicht gefragt«, unterbrach Richter Treadwell freundlich, aber bestimmt. »Wie wurde sein Protest überwunden?« »Zwei Wärter trugen ihn hinein.« »Ich verstehe«, sagte Richter Treadwell abschließend. »Euer Gnaden«, sagte der Gegenanwalt, »ich möchte hier gerne eine andere Darstellung geben. Ich glaube, daß ich das Recht dazu habe...« »Geben Sie nur Ihre Darstellung«, sagte Richter Treadwell. »Das Gericht wird sämtliche Zeugen, die Sie vorführen wollen, anhören... Haben Sie Alden Leeds mit vor Gericht gebracht?« »Nein, Euer Gnaden.« »Die Anweisung des Gerichts lautete, daß Sie ihn hier vorführen sollten.« »Das verstehen wir, Euer Gnaden, aber er ist körperlich außerstande, hier zu sein. Wir haben Dr. Londonberry mitgebracht, der in dieser Hinsicht aussagen wird.« »Sehr gut«, sagte Richter Treadwell, »lassen Sie ihn aussagen.« Dr. Londonberry war ein Mann Mitte Fünfzig und sein Verhalten war offensichtlich nervös. »Sind Sie mit Alden Leeds bekannt?« fragte der Anwalt. »Jawohl.« »Wann haben Sie ihn zum erstenmal gesehen?« »Als er in einem Auto, das von Jason Carrel gesteuert wurde, in mein Sanatorium kam.« »War das das erste Mal, daß Sie Alden Leeds zu sehen bekamen?« »Ja.« »Wir werden Sie jetzt nicht nach dem fragen, was Jason Carrel Ihnen sagte. Wir wollen nur wissen, was Sie selber sahen und was Sie taten.«
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Mit der abgehackten Stimme eines berufserfahrenen Mannes, der auf ein ausführliches Kreuzverhör gefaßt ist, sagte Dr. Londonberry : »Ich wurde an das Auto gerufen und sah darin einen Mann von annähernd zweiundsiebzig Jahren, der körperlich nicht ganz kräftig war und offensichtlich unter einer schweren Psychose litt. Er sprach unzusammenhängend und wehrte sich heftig. Ich bemerkte einen gut ausgebildeten arcus senilis auf der Pupille des rechten Auges. Meiner Erfahrung nach ist er das Anzeichen der ersten Stadien der dementia senilis, der Greisenverblödung.« »Und was schlagen Sie im Hinblick auf diesen Patienten vor?« »Man sollte ihn unter entsprechender Pflege und Beobachtung halten. Mit der Zeit wird sich bei ihm eine fortschreitende geistige Zerrüttung entwickeln, und er wird völlig außerstande sein, seine geschäftlichen Angelegenheiten zu bewältigen. Er wird in zunehmendem Maße Schmeicheleien, falschen Freundschaften und Schwindlern zugänglich werden. Das Fortschreiten der Krankheit kann gewissermaßen durch entsprechende Pflege und Behandlung aufgehalten werden, wenn man ihn von geschäftlichen Sorgen befreit und besonders von der Notwendigkeit entbindet, Entscheidungen zu treffen.« »Und nicht wahr, auf Ihre Anregung hin, Herr Doktor, wurde der Patient heute morgen nicht zum Gericht gebracht?« »Nicht nur auf meine Anregung hin, sondern infolge meiner ausdrücklichen Anordnungen. Mr. Leeds ist schwer geisteskrank.« »Sie können nun mit Ihrem Kreuzverhör beginnen«, sagte der Anwalt zu Perry Mason. Mason saß zusammengesunken in dem Mahagoni-Drehstuhl an dem Anwaltstisch, seine langen Beine ausgestreckt und das Kinn auf der Brust. Er sah den Zeugen nicht an. »Der Patient sprach also zusammenhanglos, als Sie ihn zum erstenmal sahen?« fragte er, ohne die Stimme zu heben. »Jawohl.« »Erregt?« »Jawohl.« -2 5 -
»Böse?« »Jawohl.« »Sind Wut und Reizbarkeit Symptome einer dementia senilis, Herr Doktor?« »Ja, mein Herr, ausgesprochenermaßen.« »Sagen Sie, Herr Doktor, ich glaube, da gibt es noch eine andere ähnliche Krankheit, nicht wahr? Ich meine die dementia praecox oder die Schizophrenie?« »Das ist nicht dasselbe wie die dementia senilis.« »Weiß ich, weiß ich, Herr Doktor. In Fällen von dementia praecox stellt man, soweit ich unterrichtet bin, einen Zustand von geistiger Ataxie fest, daß heißt, der Patient entwickelt eine Art Apathie, wird seiner Umgebung gegenüber völlig gleichgültig und legt keinen Wert darauf, was man mit ihm anstellt.« »Das stimmt.« »Mr. Leeds hat nicht an dieser Krankheit gelitten?« »Ganz bestimmt nicht.« »Hätten Sie nun andererseits bei dem Patienten eine dementia preacox vermutet, wenn sie eine unnatürliche Gefühlsapathie festgestellt hätten?« »Jawohl, das hätte ich.« »Nun, Herr Doktor«, sagte Mason versonnen und hatte immer noch das Kinn auf der Brust, »sehen wir mal, wohin uns das führt. Da fährt also ein Mann im Alter von zweiundsiebzig Jahren mit seinem Neffen aus. Plötzlich fährt der Neffe ihn in ein Sanatorium. Aus dem Sanatorium kommen zwei Wärter heraus und fangen an, ihn aus dem Wagen zu zerren. Dann erscheinen Sie auf der Bildfläche und stellen fest, daß der Patient wütend ist und unzusammenhängend spricht. Wäre das unter solchen Umständen nicht ein natürliches Verhalten bei einem Patienten?« »Das kommt auf die Umstände an.«
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»Aber wenn er nicht wütend gewesen wäre, hätten Sie seinen Zustand augenblicklich als ein lethargisches Symptom einer mentalen Ataxie diagnostiziert, nicht wahr?« »Ich halte das nicht für eine faire Frage.« »Ist sie vielleicht auch nicht«, sagte Mason, als wäre damit das Thema für ihn abgetan. »Beschäftigen wir uns weiter mit Ihrer Diagnose. Sie haben festgestellt, daß er wütend war, weil man ihn aus dem Wagen zerrte. Deswegen haben Sie weiterhin seinen Fall als eine dementia senilis erkannt, nicht wahr?« »Das ist nicht wahr«, rief Dr. Londonberry empört aus. »Ich habe Ihnen gesagt, welche Faktoren mich zu meiner Diagnose gebracht haben. Sie versuchen mit Ihrer Frage ganz bewußt, meine Aussage zu verdrehen.« »Langsam, langsam«, sagte Mason. »Regen Sie sich nicht auf, Doktor. Es wäre nicht gut für Sie, wenn Sie wütend würden. Wie alt sind Sie eigentlich?« »Sechsundfünfzig.« »Etwas zu früh, als daß sich schon eine dementia senilis entwickeln könnte, nicht wahr, Doktor?« »Jawohl«, fauchte der Arzt. »Dann versuchen Sie doch, sich Ihre gute Laune zu erhalten, Doktor, und ich will mir Mühe geben, so fair wie möglich zu bleiben. Sie haben nun ausgesagt, es gäbe noch andere Symptome. Ich glaube, das einzige andere Symptom, das Sie festgestellt haben, war ein arcus senilis.« »Jawohl, und das war ausreichend.« »Ein arcus senilis zeigt also nach Ihrer Meinung eine geistige Zerrüttung an?« »Jawohl, es ist ein Symptom.« »Und was ist nun eigentlich ein arcus senilis, ich meine, Sie sollen das nicht in Fachausdrücken sagen, sondern einfach beschreiben.« »Er tritt als ein halbmondförmiger Ring auf der äußeren Peripherie der Hornhaut auf.« -2 7 -
Mason hob plötzlich den Kopf. »Also so ähnlich wie der weiße halbmondförmige Ring auf dem Auge von Seiner Gnaden, dem Richter Treadwell?« fragte er. Im gleichen Augenblick, in dem diese Frage gestellt wurde, beugte sich Richter Treadwell über den Richtertisch und starrte den Zeugen an. Dr. Londonberry blickte bestürzt zu dem Richter hinauf und wurde dann plötzlich verwirrt. »Natürlich«, sagte er, »ist ein arcus senilis an sich noch kein Anzeichen für eine Psychose. Er ist ein Symptom.« »Ein Symptom wofür?« fragte Richter Treadwell scharf. »Ein Symptom einer körperlichen Zerrüttung, die zusammen mit anderen Symptomen vielleicht auf eine geistige Zerrüttung hindeuten kann.« »Mit anderen Worten«, sagte Richter Treadwell, »falls ich eine Autofahrt machen sollte und mich zwei Wärter aus dem Wagen zerren würden und ich dann mich äußerst wütend benehmen würde, dann würde das alles Sie auf die Idee bringen, daß ich, weil ich zufällig einen arcus senilis habe, an dementia senilis litte, nicht wahr, das meinen Sie doch?« Der Zeuge rutschte auf seinem Stuhl hin und her und sagte: »Ich glaube kaum, daß dies eine faire Frage ist, Euer Gnaden.« »Zu Ihrer Unterrichtung«, sagte Richter Treadwell, »will ich Ihnen nur sagen, daß ich diesen arcus senilis seit zweiundzwanzig Jahren habe.« Er wandte sich an Mason. »Haben Sie noch irgendwelche Fragen, Herr Anwalt?« »Nein, Euer Gnaden.« Richter Treadwell beugte sich vor. »Das Gericht ist der Meinung, daß die bisherige Untersuchung völlig ausreicht. Das Gericht scheut sich nicht, die Feststellung zu machen, daß es sich hier wiederum nur um einen weiteren jener Fälle handelt, in denen ein Mann, der die Höhe seines Lebens überschritten hat, ganz offensichtlich von geldgierigen, aufdringlichen Verwandten mißbraucht wird, deren Anhänglichkeit in erster Linie auf finanzielle Erwägungen zurückgeht. Das Gericht ist weiterhin nicht im geringsten von den Gründen beeindruckt, die -2 8 -
Dr. Londonberry angeführt hat, um das Nichterscheinen von Alden Leeds zu rechtfertigen. Das Gericht wird sich deswegen nunmehr in Londonberrys Sanatorium begeben und den Patienten untersuchen. Sollte das Gericht es für notwendig halten, so wird es einen angesehenen Psychiater heranziehen, der den Zustand von Alden Leeds überprüfen wird. Sollte es sich dabei herausstellen, daß Alden Leeds im Besitz seiner geistigen Kräfte ist, dann wird das Gericht drastische Maßnahmen treffen, um die offenkundige und bewußte Mißachtung einer Anordnung des Gerichts - nämlich besagten Alden Leeds zu diesem Zeitpunkt im Gericht vorzuführen - zu bestrafen. Meine Herren, das Gericht vertagt sich bis zwei Uhr nachmittags. Wir werden nunmehr sofort zu Dr. Londonberrys Sanatorium fahren. Das Gericht warnt ausdrücklich jeden davor, Verbindung mit dem Sanatorium aufzunehmen und das dortige Personal auf die geplante Inspektion vorzubereiten, was ebenfalls als eine Mißachtung des Gerichts aufgefaßt werden würde.« »Aber Euer Gnaden«, schrie protestierend der Gegenanwalt. »Dieser Mann ist doch...« »Setzen Sie sich«, sagte Richter Treadwell. »Das Gericht hat seine Entscheidung getroffen. Die Verhandlung wird bis zwei Uhr nachmittags vertagt.« Ungefähr dreißig Minuten später parkte Mason seinen Wagen vor dem Sanatorium. Der Wagen des Sheriffs mit Richter Treadwell, Freeman Leeds, Jason Carrel, Dr. Londonberry und dem Gegenanwalt wartete am Straßenrand. »Nun«, sagte Richter Treadwell, »es scheint, daß alle interessierten Parteien anwesend sind, dann können wir ja jetzt das Sanatorium betreten. Gehen Sie voran, Doktor, und bitte vergessen Sie nicht, daß wir den Patienten unangemeldet aufsuchen wollen. Ich wünsche die Dinge so zu sehen, wie sie jetzt sind.« Sie gingen alle in das Sanatorium hinein. Dr..Londonberry ging empört den Weg voran einen langen Korridor hinunter. Eine Schwester in weißer, gestärkter Tracht -2 9 -
kam herbei. »Bitte den Schlüssel zu Nr. 35«, sagte Dr. Londonberry. »Ach, Sie halten die Tür verschlossen?« fragte Richter Treadwell. »Ja, das tun wir«, sagte Dr. Londonberry. »Er braucht nur auf einen Knopf zu drücken, wenn er etwas will.« »Sehr schön«, sagte Richter Treadwell. »Wir werden sehen, was der Patient selber dazu zu sagen hat.« Die Schwester holte einen Schlüssel hervor. Dr. Londonberry nahm ihn, steckte ihn in das Schloß der Tür, riß diese auf und trat beiseite. »Da kommt Besuch für Sie, Mr. Leeds«, sagte er. »Ich glaube, Sie sollten vorangehen, Miss Leeds.« Er machte eine Verbeugung zu Phyllis, wandte sich dann um und erstarrte vor Überraschung. In dem Zimmer war kein Mensch. Dr. Londonberry ging mit großen Schritten durch das Zimmer, stieß die Tür zum Badezimmer auf, sah hinein, drehte sich dann schnell auf dem Absatz um und bahnte sich ohne Rücksicht auf die Gruppe einen Weg in den Korridor und rief die Schwester herbei. »Wo ist der Patient von 35?« fragte er. Sie starrte überrascht in das Zimmer. »Tja, vor weniger als einer Stunde war er noch da.« Richter Treadwell durchquerte das Zimmer und starrte auf das Fenster, das durch ein verziertes Gitterwerk von einem kleinen Balkon von ungefähr vier Fuß Breite getrennt war. »Das ist«, sagte Dr. Londonberry etwas überstürzt, »eine Vorsichtsmaßnahme, die wir bei den meisten Zimmern im Erdgeschoß treffen. Sie hindert den Patienten daran, zu entkommen.« »Nun, bei diesem hier hat es offensichtlich nichts genützt«, bemerkte Richter Treadwell trocken. »Entschuldigen Sie bitte«, bemerkte Dr. Londonberry, während er das Fenster öffnete und an dem eisernen Gitter rüttelte. »Durch dieses Fenster ist der Patient nicht entkommen... Wo sind seine Kleider, Schwester?« »In dem Aufbewahrungsraum, in Schrank 35.« »Holen Sie sie her«, sagte Dr. Londonberry. -3 0 -
»Ich nehme doch an«, bemerkte Richter Treadwell fast beiläufig, »daß der Patient nicht im Nachthemd umherspaziert.« »Er trug ein Pyjama, einen Hausmantel und Pantoffeln«, sagte Dr. Londonberry. Er öffnete die untere Kommodenschublade des Ankleidetisches. Außer einigen Handtüchern und sauberen Bettbezügen war sie leer. Dann öffnete er die zweite Schublade und entdeckte einen sauber zusammengefalteten Hausmantel und darauf ein Pyjama und Pantoffeln. »Großer Gott!« rief er. »Der Mann muß ja nackt sein!« Sie hörten, wie den Korridor herunter eilige Schritte kamen. Es war die Schwester, die zurückkam, und sie bleich und bestürzt ansah. »Die Schranktür war zu und verschlossen«, sagte sie. »Die Kleider sind fort.« »Sie sind verantwortlich dafür«, schrie Dr. Londonberry die Schwester wütend an. »Wie konnte dies passieren?« »Das weiß ich ganz bestimmt nicht, Doktor«, sagte sie, und ihr bestürzter Blick sowie ihre verwirrte Haltung zeigten, daß sie vor einem völligen Rätsel stand. »Ich habe vor ungefähr einer Stunde nach dem Patienten gesehen. Ungefähr zehn Minuten später hielt mich ein Besucher auf dem Korridor an und sagte, er wolle Alden Leeds besuchen. Ich sagte ihm, daß die Anordnungen sehr streng seien und verböten, daß Alden Leeds irgendwelche Besuche bekäme. Er sagte, daß...« »Dieser Mann hielt Sie auf dem Korridor an?« unterbrach sie Dr. Londonberry. »Wie kam er überhaupt auf den Korridor? Besucher sollen sich doch zuerst im Büro melden.« »Das weiß ich nicht, Herr Doktor«, sagte die Schwester. »Er war eben hier, mehr weiß ich nicht. Ich sagte ihm, es sei absolut unmöglich. Darauf sagte er, daß der diensttuende Arzt ihm gesagt hätte, es sei in Ordnung.« »Der diensttuende Arzt?« wiederholte Dr. Londonberry. »Jawohl, Herr Doktor.« »Hat er meinen Namen erwähnt?«
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»Nein, er sagte nur, ›der diensttuende Arzt‹. Er machte einen ziemlich sicheren Eindruck, deswegen habe ich ihn vor die Tür von Nr. 35 geführt, und zeigte ihm das Schild, auf dem steht ›Keine Besucher‹. Ich sagte ihm, daß der Patient Psychopath sei, und daß ohne direkte Anweisungen von Ihnen ihn niemand besuchen dürfe. Kurz danach hatte die Patientin von Nr. 15 einen Schwächeanfall. Ich hatte bis vor ein paar Minuten alle Hände voll zu tun. Das letzte Mal, als ich hier nachsah, machte der Patient einen vergnügten und recht entspannten Eindruck.« »Können Sie diesen Mann beschreiben, der als Besucher auftrat?« fragte Richter Treadwell. »Er war sehnig«, sagte die Schwester, »ungefähr fünfundfünfzig oder sechzig Jahre alt, hatte graue Augen und ein wetterhartes Gesicht. Er hatte einen Tweedanzug an und rauchte eine Pfeife. Er trug sein Haar ziemlich lang. Es hatte eine bräunliche Farbe, etwas verblichen und an den Schläfen graue Strähnen, und...« »Ned Barkler«, rief Phyllis Leeds. Richter Treadwell wandte sich ihr zu. »Sie kennen ihn?« fragte er. »Diese Beschreibung paßt auf einen von Onkels Freunden.« »Ist das einer, der mit den anderen Verwandten zusammenarbeitet?« fragte Richter Treadwell bedeutungsvoll. »Nein, Euer Gnaden. - Natürlich kann ich nicht mit Sicherheit sagen, daß er der Mann war, aber die Beschreibung trifft auf ihn zu.« »Wo wohnt er?« fragte Richter Treadwell. »Er hat mit Onkel Alden zusammen bei uns gewohnt.« Richter Treadwells Gesicht entspannte sich leicht. »Allem Anschein nach war der Patient doch nicht so unfähig, wie Sie gemeint haben, Doktor.«
5 Paul Drake flegelte sich quer in den schwarzen Ledersessel. »Verdammt nochmal«, sagte er, »dieser Bursche ist gerissen wie ein ganzer Baum voller Eulen. Ich habe ihm einen Mann auf -3 2 -
die Spur gesetzt, als er dein Büro verließ, und ihm noch einen Reservemann zur Ablösung mitgegeben. Milicant hat sich auch nicht ein einziges Mal umgedreht. Er ist geradeaus weitergegangen und hat meine Jungens wie zum Vergnügen herumgehetzt, wobei er sich aufgeführt hat, als wäre er auf dem Wege zu einer Verabredung. Dann, als er schließlich so weit war, hat er sie so sauber abgehängt, daß es nicht einmal mehr komisch war.« »Dadurch bestärkt sich der Verdacht, daß er in Wirklichkeit Conway ist«, sagte Mason. »So ist es in der Tat.« »Na schön, Paul«, sagte Mason. »In wenigen Minuten wird Emily Milicant im Büro erscheinen. Ich werde ihr ein paar Dinge erzählen, die sie dazu bringen werden, ihren Bruder aufzuspüren. Halte Leute in Bereitschaft, die ihr folgen können, wenn sie von hier fortgeht.« »Das hört sich ja fast so an, als gingst du auf Großwildjagd«, sagte Drake. »Ich werde genau meinen Kurs verfolgen, Paul. Weißt du sonst noch etwas Neues?« »Ich habe mir gedacht, daß du vielleicht gern etwas über Emilys Vergangenheit wüßtest«, meinte Drake. »Allzuviel war es nicht«, sagte Drake. »Aber ich erwarte noch einiges, sobald meine Agentur in Seattle einige Spuren zu Ende verfolgt hat.« »Was hast du denn herausgefunden?« »Wieso gerade Seattle?« fragte Mason. »Sie hat früher als Taxigirl in Tanzsälen gearbeitet.« »In Seattle?« »Nein, am Klondike.« »Also langsam bekommt die Sache ja für mich ein Gesicht. Jetzt verstehe ich Emily Milicant weit besser als bisher. Es könnte doch gut sein, daß sie Leeds damals dort oben am Klondike kennengelernt hat. Bring deine Leute auf Trab, Paul, damit wir sehen, was wir in Erfahrung bringen können.« »Okay«, sagte Drake. -3 3 -
Die Tür vom Vorzimmer her tat sich auf und herein kam Della Street. »Soeben ist Emily Milicant gekommen.« »Sagen Sie ihr, ich möchte sie sprechen, aber sie möchte noch einen Augenblick warten. - Hast du Leute bei der Hand, die du Emily nachschicken kannst, wenn sie geht?« »O ja.« »Gibt es irgendwelche Ehemänner in ihrem Leben, Paul?« »Sie soll einen Mann namens Hogarty geheiratet haben, aber Einzelheiten darüber weiß ich nicht«, sagte Drake. »Was ist aus ihm geworden? Ist sie geschieden?« »Das weiß ich nicht, nehme es aber an. Sie führt jetzt wieder ihren Mädchennamen.« Da läutete das Telefon und Mason sagte: »Warte einen Augenblick, Paul, das ist wahrscheinlich Phyllis Leeds. Ich hatte Gertrude gesagt, sie soll nur verbinden, wenn jemand in Sachen Leeds anriefe.« Dann meldete Mason sich: »Hallo«, sagte er, worauf Phyllis Leeds überstürzt loslegte: »Mr. Mason, Onkel Alden war nicht zu Hause, als wir ankamen, und die Wohnung ist ausgeplündert worden.« »Sie meinen das ganze Haus?« »Nein, nur Onkel Aldens Arbeitszimmer. Über dem Fußboden waren überall Papiere verstreut, die Schreibtischschubladen waren aufgerissen und auch die Aktenschränke standen offen. Der Sheriff hat sich gleich an die Arbeit gemacht. Und hören Sie Mr. Mason, außerdem hat Onkel Alden schon wieder einen Scheck über zwanzigtausend Dollar ausgestellt, der an L. C. Conway auszuzahlen ist und in der gleichen Weise von ihm giriert worden ist wie der erste Scheck. Diesmal wurde der Scheck von einer annähernd vierzigjährigen Frau eingelöst, die schwarze Augen und hohe Backenknochen hatte. Gleichzeitig mit dem Scheck legte sie dem Kassierer in der Bank einen von Onkel Alden selber geschriebenen Brief vor, in dem er erklärt, daß er sein Konto bei der Bank auflösen werde, falls die
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Auszahlung des Schecks nicht augenblicklich durchgeführt werde.« »Diesen Scheck möchte ich sehen«, sagte Mason. »Ich habe schon dafür gesorgt«, sagte sie. »Die Bank ist bereits angewiesen, und in den nächsten zehn Minuten wird ihn ein Bote der Bank in Ihr Büro bringen.« »Sie sind ein tüchtiges Mädchen«, sagte Mason in den Apparat hinein und fragte dann: »Wie war der Scheck datiert?« »Er hat das Datum von heute. Er stammt aus dem Scheckbuch, das er immer bei sich in der Tasche hat. Ich bin überzeugt, daß er ihn ausgestellt hat, als er aus dem Sanatorium herauskam.« »Na schön«, sagte Mason, »halten Sie mich weiter auf dem laufenden. Und auf bald.« Er legte den Hörer auf und sagte Paul Drake in kurzen Worten, was ihm Phyllis Leeds erzählt hatte. Drake schüttelte den Kopf. »Wir arbeiten doch eigentlich offiziell für die Interessen von Alden Leeds«, sagte er. »Aber mir ist so, als würden wir ihm eigentlich gar nicht richtig helfen.« »Das kann gut sein«, sagte Mason. »Meiner Meinung nach wird Leeds eine Stinkwut bekommen, wenn er erst mal dahinterkommt.« »Ich glaube, er weiß darüber Bescheid«, sagte Mason. »Er ist inzwischen schon eine gewisse Zeit lang wieder ›in Umlauf‹, und anscheinend bewegt er sich verflixt schnell, wenn er einmal in Fahrt gekommen ist. Bisher hat er keine Anweisungen gegeben, daß wir aufhören sollen. Also mach dich an die Arbeit, Paul. Sieh zu, daß du sämtliche nur möglichen Informationen bekommst. Und sag deiner Agentur in Seattle, sie sollen etwas Dampf hinter die Sache bringen.« »Ich hab den Leuten bereits Bescheid gesagt«, sagte Drake, »und Emily lasse ich beschatten, sobald sie das Büro verläßt. Also bis auf bald.« Er schlenderte lässig durch die Tür hinaus, wobei er so tat, als hätte er überhaupt keine Eile. -3 5 -
»Führen Sie Emily Milicant herein«, sagte Mason zu Della Street. »Und Della, sobald der zweite Scheck eintrifft, bringen Sie ihn schleunigst hinüber zu unserem Handschriftensachverständigen. Beschaffen Sie sich ein paar gute Proben von Leeds’ Handschrift.« Della nickte und zog sich lautlos zurück. Mason zog seine Schreibtischschublade auf und entnahm ihr die falschen Würfel, die Drake ihm gegeben hatte, und ließ sie über die Schreibtischplatte rollen. Emily Milicant war äußerst aufgeregt. »Ist das nicht einfach grauenhaft?« sagte sie. »Ich habe gerade mit Phyllis telefoniert.« Ihre Augen ruhten auf Masons Hand, die immer noch mit den Würfeln spielte. Ihre Nervosität schien dadurch nur noch stärker zu werden. »Ich möchte sehr gerne etwas über Ihren Bruder erfahren.« »Soweit ich unterrichtet bin, haben Sie Phyllis gebeten, ihn herzubringen und haben ihm einige Fragen über ein Würfelspiel gestellt. Hätten Sie etwas dagegen, mir zu sagen, was das zu bedeuten hat?« »Woran ich besonders interessiert bin«, sagte Mason gleichmütig, »ist zu erfahren, ob ein gerissener Anwalt nachweisen könnte, daß Ihr Bruder sich von Ihnen unterhalten läßt.« »Was meinen Sie damit, Mr. Mason?« Als er sah, wie ein Gefühl des Unbehagens sich in ihrem Gesicht zeigte, fragte er schnell: »Haben Sie Ihren Bruder jemals unterstützt?« »Tja, also ich nehme doch an, daß jede Schwester von Zeit zu Zeit ihrem Bruder aushilft.« »Ganz recht«, sagte Mason zustimmend, »aber das bringt uns zu der Frage, was Sie unter ›von Zeit zu Zeit‹ verstehen.« »Nun, eben sooft der Betreffende in einer Klemme ist oder sich in einer Notlage befindet.« »Hat Ihr Bruder jemals etwas zu Ihrem Lebensunterhalt beigetragen?« fragte Mason. -3 6 -
»Nein, denn ich mußte schon als Kind mit zehn Jahren meinen Lebensunterhalt selber verdienen.« »Aber Sie haben Ihrem Bruder ausgeholfen?« »Ja.« »Oft?« »Gelegentlich.« »Wieviel hat er von den geliehenen Summen zurückgezahlt?« »Tja... also... ich weiß nicht... Bei einem Bruder ist das nicht so wie bei einem wildfremden Menschen. Ich... ich führe darüber nicht Buch.« »Wieviel Geld haben Sie ihm denn nun insgesamt gegeben?« »Ich weiß nicht. Ich sagte Ihnen ja, daß ich mir das nie aufgeschrieben habe.« »Waren es ungefähr tausend Dollar?« »Ja, ich glaube schon.« »Zweitausend?« »Vielleicht.« »Dreitausend?« »Also wirklich, Mr. Mason, ich muß Ihnen sagen, ich sehe den Zweck dieser Fragerei nicht ein.« »Vier?« Sie richtete sich empört auf und sagte: »Was spielt das schon für eine Rolle?« »Sollte er«, sagte Mason, »in den Zeugenstand kommen, so könnte es gut sein, daß ein Richter die Entscheidung trifft, daß es sich hier um ein durchaus zulässiges Kreuzverhör handelt, durch das das Ausmaß seiner Interessen dargetan wird. Also waren es vielleicht zehn?« »Ich weiß es nicht.« »Hat er je einen Cent dieses Betrages zurückgezahlt?« fragte Mason. -3 7 -
»Das könnte ich Ihnen nicht sagen.« Mason schüttelte in beiden Händen die Würfel hin und her. »Um Himmels willen! Hören Sie doch auf, mit diesen Würfeln zu spielen!« fuhr sie los. »Aber was ist denn nur?« fragte Mason und legte die Würfel noch einmal auf den Tisch. »Mögen Sie Würfel nicht gern?« »Nein... das heißt, ja doch«, sagte sie. »Sie machen mich einfach nervös.« »Noch eine Frage: Haben Sie jemals etwas von der Conway Appliance Company gehört?« »Der Name ist mir bekannt. Ach, jetzt weiß ich auch woher. Das war ja der Name, der auf dem Scheck stand. An L. C. Conway hat Alden einen Scheck gegeben.« »Das stimmt«, sagte Mason. »Diese Firma spezialisiert sich auf den Verkauf von falschen Würfeln - so wie diese hier - und gibt als ›Prämie‹ noch ein Lotterie-Los dazu. Ursprünglich wurde die Firma von L. C. Conway betrieben. Dann ist sie allem Anschein nach vor ein paar Tagen an einen Mann namens Serle verkauft worden... Guy T. Serle, und der ist mit seiner Firma in die East Ranchester Avenue 209 gezogen. Sagt Ihnen das irgend etwas?« »Nicht das geringste.« »Sehen Sie mal her, Miss Milicant, ich will ganz offen mit Ihnen reden«, sagte Mason. »Ich habe hier eine Beschreibung von L. C. Conway, wonach er ungefähr fünfundfünfzig Jahre alt, einsfünfundsiebzig groß ist und annähernd hundertachtzig Pfund wiegt. Er ist schwerfällig, teilweise kahlköpfig und hat einen schwarzen Haarschopf, der mitten auf die Schädeldecke hinaufreicht. Außerdem hinkt er leicht. Sagt Ihnen diese Beschreibung irgend etwas?« »Diese Beschreibung«, sagte sie plötzlich, »paßt auf meinen Bruder«, und Mason bemerkte, daß ihre Hände sich um die Sessellehnen krampften. »Ich glaube, Sie sollten sich doch um Ihren Bruder kümmern und sehen, ob es nicht möglich ist, daß er dieser L. C. Conway -3 8 -
ist, der diesen Scheck über zwanzigtausend Dollar von Alden Leeds bekommen hat.« Ihre Gesicht wurde weiß. »Das hat er doch nicht tun können«, sagte sie langsam, »das hat er einfach nicht tun können... nachdem ich so viel für ihn getan habe. Es wäre geradezu gräßlich und bösartig, wenn er so etwas tun würde.« »Ich glaube«, sagte Mason unbekümmert, »daß Leeds sein Riesenvermögen durch einen Goldfund oben im Yukon gemacht hat, nicht wahr?« »Ja, so was Ähnliches habe ich ihn sagen hören.« »Muß ein großartiges Land sein«, sagte Mason. »Das war es vor Jahren«, äußerte sie. »Sind Sie je dort oben gewesen?« forschte der Anwalt. Sie sah ihm gerade in die Augen und sagte: »Nein.« »Wie ist es mit John?« forschte Mason. »Ich wüßte gerne, ob er jemals am Klondike oder am Yukon gewesen ist.« Wieder blickte sie ihm in die Augen und sagte wieder mit dem gleichen bestimmten Tonfall: »Nein.« Mason lächelte, um anzudeuten, daß die Unterredung vorüber sei. »Vielen Dank«, sagte er. Einen Augenblick lang machte sie keine Anstalten zu gehen. gehen. »Könnten Sie... ich meine, würden Sie mir... sagen, wie Sie darauf gekommen sind, anzunehmen, daß John L. C. Conway sei?« Mason lächelte sowohl liebenswürdig wie ausweichend. »Ich dachte«, sagte er, »daß diese Anregung von Ihnen gekommen sei. Ich habe Ihnen ja nur eine Beschreibung von Conway vorgelesen, mehr habe ich nicht getan.« Sie merkte seiner Stimme an, daß sie verabschiedet sei und erhob sich: »Weiß Phyllis etwas hierüber?« fragte sie. »Außer meinem Büropersonal und meinen anderen Mitarbeitern weiß niemand etwas davon.« Zehn Minuten nachdem Emily Milicant gegangen war, meldete Della Street, daß Ned Barkler im Vorzimmer warte.
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»Hallo«, sagte Barkler, der seine Pfeife zwischen die Zähne geklemmt hatte, »Sie haben wohl Phyllis nicht gesehen, wie?« »Nein«, sagte Mason, »ich denke, sie ist draußen in dem Hause.« »Bewahre, da ist sie nicht.« Mason musterte den Mann neugierig und sagte: »Wie haben Sie es eigentlich fertig gebracht, Alden Leeds ausfindig zu machen?« »Wo?« »Na, in dem Sanatorium.« Um Barklers belustigt blickende Augen bildete sich ein Netz von kleinen Fältchen. »Diese Bagage muß sich wohl eingebildet haben, Alden würde langsam schwachsinnig. Heiliger Himmel!« »Hat sich Leeds mit Ihnen in Verbindung gesetzt?« drängte Mason. »Ha ha! Da waren in diesem Badezimmer ein paar dicke Gummibänder, die die Vorhänge zusammenhielten. Alden hat sie abgemacht, zusammengebunden und die Enden an je einem Gitterstab vor dem Fenster befestigt. Dann hat er einen Zettel geschrieben und den Finder aufgefordert, mich anzurufen und mir zu sagen, wo er wäre. Dann hat er ein kleines Stück Papier gewickelt, damit es Gewicht hatte, und es dann wie mit einer Schleuder mit den Gummibändern abgeschossen...« »Und das hat funktioniert?« fragte Mason. »Funktioniert!« sagte Barkler. »Und ob das funktioniert hat... Ha ha ha,... Als draußen ein Mann auf der Straße vorbeiging, schoß Alden mit seinem Katapult und traf doch den verdammten Kerl direkt ans Bein. Einen Augenblick lang war der Bursche wütend, aber dann blickte er nach oben und sah Alden am Fenster des Sanatoriums. Alden machte ihm Zeichen, daher nahm er den Zettel auf, las ihn und winkte mit der Hand, daß er verstanden habe.« »Wußten Sie nicht, daß Phyllis die Sache vors Gericht bringen wollte?« -4 0 -
Barkler lachte, daß es klang wie das Rascheln dürrer Blätter. »Was, zum Teufel, haben Alden und ich mit dem Gericht zu tun?« fragte er. »Zum Teufel mit den Gerichten! Ich habe mir meinen alten Beschwichtigungsapparat, meine Knarre, umgeschnallt und bin zu ihm gegangen. Ich dachte erst, ich müßte vielleicht grob werden, aber Käse, die Sache war kinderleicht. Ich hätte den ganzen Laden ausplündern können.« Mason grinste. »Nicht wahr, Sie kannten Leeds bereits schon droben im Klondike?« »In Tanana«, verbesserte Barkler. »Na, ist doch dasselbe«, sagte Mason. »I bewahre«, sagte Barkler kurz. »Waren Sie in der Gegend von Dawson?« erkundigte sich Mason, »Na klar, ich bin in der ganzen Gegend herumgekommen.« »Da gab’s doch damals ein paar tolle Tanzlokale, nicht wahr?« »Das kommt darauf an, was Sie mit toll bezeichnen. Da konnte ein Mann immer alle Hände voll zu tun haben. Ich habe schon tollere Lokale gesehen.« »Haben Sie einige von den Taxigirls gekannt, die dort tanzten?« fragte Mason. »Doch ja, einige schon.« »Haben Sie Emily Milicant je vorher kennengelernt, ehe sie hier aufkreuzte?« fragte Mason. Barkler gab auf diese Frage mehrere Sekunden lang keine Antwort. Er paffte an seiner Pfeife; durch den weißen Rauch sah er Mason mit seinen lebhaften, frostigen Augen an. »Ich passe«, sagte er. »Wieso?« fragte Mason, »was ist denn los?« »Gar nichts ist los.« »Wo ist denn Alden Leeds jetzt?« fragte Mason. »Der erledigt bestimmte Geschäfte.« »Wissen Sie, wo er ist?« »Er wird schon wiederkommen, wenn er soweit ist.« -4 1 -
»Sollten Sie ihn sehen oder ihm eine Nachricht überbringen können, würden Sie mir dann Bescheid sagen?« »I bewahre.« »Sie wollen es nicht?« »Nicht die Bohne. Alden kann sich mit Ihnen in Verbindung setzen, wenn er dazu Lust hat. Er wollte nur, daß ich bei Ihnen vorbeiginge, um Ihnen eine Nachricht zu überbringen.« »Und was ist das für eine Nachricht?« fragte Mason. »Ich soll Ihnen sagen, daß er frisch und munter sei, und Sie sollten sich keine Sorgen um ihn machen, sondern genauso weiterarbeiten, wie Sie das jetzt machen.« »Er scheint ja recht gut im Bilde über alles zu sein«, sagte Mason. Wieder fing Barkler an zu lachen. »Na, und ob er das ist«, sagte er, »Alden läßt sich von niemandem auf den Arm nehmen. Also, dann werde ich mal jetzt... Ach ja, ich sollte Ihnen auch noch sagen, Sie sollten die Sache hinzögern und versuchen, so viel Zeit wie möglich herauszuschlagen, und Sie möchten Phyllis mitteilen, sie solle sich nicht beunruhigen.« »Wird er denn wieder in sein Haus zurückkehren?« fragte Mason »Ich glaube, nicht gleich.« Barkler stand auf, durchquerte das Zimmer auf den Spucknapf zu klopfte die Asche aus seiner Pfeife und sagte: »Tja, dann werde ich mich mal auf den Weg machen. Sagen Sie Miss Phyllis, ich würde für eine Zeitlang ausziehen.« »Nur noch einen Augenblick, Barkler«, sagte Mason. »Ehe Sie gehen, möchte ich Ihnen noch sagen, daß hier bestimmte Papiere sind, die Alden Leeds unterschreiben muß, für den Fall, daß ich ihn nicht sehen sollte. Ich habe sie draußen im Vorzimmer. Bitte warten Sie einen Augenblick, dann werde ich sie für Sie holen.« Gertrude Lade sah von ihrem Klappentisch auf, als Mason hereinkam. »Wo ist Della?« fragte er. »Sie ist mit ein paar Papieren zu dem Graphologen gegangen.« »Laufen Sie schnell hinüber zu Paul Drakes Büro und sagen Sie ihm, Ned Barkler sei in meinem Büro und würde gleich -4 2 -
fortgehen. Er solle ihm einen Mann nachschicken. Los, rennen Sie.« Sie riß sich den Kopfhörer ab und stürzte auf die Tür zu. Mason nahm nur noch die Akten Leeds aus dem Aktenschrank und ging dann zurück in sein Privatbüro. Als er die Tür öffnete, sagte er: »Ich möchte, daß Sie mir sagen, wann...«, dann brach er ab und schwieg, so überrascht war er, als er sah, daß das Büro leer war. Er riß die Tür zum Korridor auf und rannte bis zum Fahrstuhl. Der Korridor war leer.
6 Es war Mitternacht, als Perry Mason und Della Street angeheitert und lachend Paul Drakes Büro betraten. Der Mann, der am Klappenschrank Dienst hatte, kannte Perry Mason. »Ist der Boss da?« fragte Mason. »Jawohl. Gehen Sie nur hinein. Ich werde ihm Bescheid sagen.« Sie gingen durch den Empfangsraum, stießen am Ende eine Flügeltür auf, betraten ein Aktenzimmer und stießen dann die Tür zu einem winzigen Büro auf, in dem Drake es dennoch fertig gebracht hatte, einen kleinen Schreibtisch, einen Drehstuhl, drei Telefone, einen Aktenschrank und einen Stahlschrank unterzubringen. Drake, der heftig auf einem Kaugummi herumkaute, blickte auf die drei Notizblöcke, die vor jedem Telefon lagen und sagte: »Gib Della den Stuhl dort drüben, Perry. Du kannst dich da auf die Tischkante setzen. Weswegen hast du mich denn eigentlich so unnötigerweise hinter diesem Barkler hergehetzt?« Eines der Telefone läutete. Drake, der heftig an seinem Kaugummi weiterkaute, drückte sich den Hörer ans Ohr und sagte: »Hallo. Jawohl... okay, verbinden Sie mich«, und fing dann an, sich Notizen zu machen. Mitten beim Schreiben läutete das andere Telefon. Drake nahm den Hörer ab und sagte: »Bleiben Sie einen Augenblick in der Leitung«, beendigte seine Notizen und sagte dann: »Okay, Frank. Bleib einen Augenblick in der Leitung. Da kommt ein Gespräch über den anderen Apparat.« »Na schön«, sagte er in den zweiten Apparat, übersetzte die metallischen Töne, die aus der Hörmuschel kamen, in Notizen -4 3 -
auf den vor ihm liegenden Block und sagte dann: »Melden Sie sich in einer Stunde wieder«, dann hängte er auf. In den ersten Apparat sagte er: »Okay, haltet den Ort unter Verschluß. Laßt den Burschen nicht davonkommen. Mach eine Meldung, sobald er irgend etwas anstellt.« »Mir scheint«, sagte Mason, »du bist da auf eine lukrative Ader gestoßen.« Drake zog den ihm am nächsten liegenden Notizblock zu sich heran und fragte: »Willst du den Bericht hören?« »Ich werde ihn vermutlich hören müssen«, sagte Mason. »Mir ist«, sagte Drake, »als hätten wir uns das größte Stück Wild entkommen lassen, Perry.« »Wie meinst du denn das?« fragte Mason. »Also, Emily Milicant verließ dein Büro, sie ging aber nicht in ihre Wohnung. Sie rief immer wieder aus Telefonzellen eine Nummer an und bekam keine Antwort. Als sie es das vierte Mal probierte, konnte sich einer meiner Leute so nah an die Zelle heran bewegen, daß er die Nummer sah, die sie wählte. Es war Westhaven 1-2-8-9. Ich schlug die Nummer nach und stellte fest, daß es eine nicht eingetragene Telefonnummer war, die L. C. Conway in einem Apartmenthaus in der Heldemore Avenue 513, und zwar im Apartment 625, gehörte. Ich habe sofort einen Mann ausgeschickt, der dieses Apartment bewachen sollte, und inzwischen haben wir weiterhin Emily Milicants Spur verfolgt.« »Prächtige Arbeit, Paul«, sagte der Anwalt. »Tja«, sagte Drake, »dann ist folgendes passiert: gegen sechs Uhr ist Emily Milicant zu dem Apartmenthaus gegangen und mit dem Fahrstuhl nach oben gefahren. Da sie uns auf Conways Spur gebracht hatte, haben wir sie laufen lassen, und ich habe in der Halle unten Agenten aufgestellt, die alle Leute kontrollierten, die mit Fahrstühlen in den sechsten Stock hinauffuhren. Um sechs Uhr neunundzwanzig trudelte John Milicant ein, in Begleitung eines hochgewachsenen, dünnen, ungefähr vierzig Jahre alten Burschen, in dem einer meiner Agenten Guy T. Serle wiedererkannte. Serle schien über irgend -4 4 -
etwas wütend zu sein. Nach späteren Informationen, die wir bekamen, stellten wir fest, daß er allen Grund dazu hatte.« »Was waren denn das für Informationen?« fragte Mason. »Die Polizei hatte heute nachmittag gegen fünf Uhr eine Razzia bei der Conway Appliance Company veranstaltet. Die Polypen haben eine Menge Herstellungsmaterial konfisziert, ein paar kleine Angestellte mitgenommen, und jetzt läuft ein Haftbefehl gegen Serle wegen Betrug.« »Meinst du, er wußte das schon, als er mit Milicant zusammen war?« fragte Mason. »Nun, er führte sich jedenfalls so auf.« »Okay«, sagte Mason. »Sprich weiter.« »Tja, also Serle traf um sechs Uhr neunundzwanzig ein und ging um sechs Uhr achtunddreißig wieder fort. Um sechs Uhr siebenundfünfzig kam eine blonde Fee an, die auf meinen Agenten, der dort Dienst tat, den Eindruck einer preisgekrönten Schönheitskönigin machte und die nach fünf Minuten wieder ging. Der Beschreibung nach nehme ich an, daß es Marcia Whittaker war. Um sieben Uhr einundvierzig kreuzte Serle wieder auf. Um acht Uhr zehn schickte ein Restaurant, das ein paar Häuser weiter liegt, zwei Abendessen nach oben. Die Nachprüfungen meines Agenten ergaben, daß die Bestellung für das Essen in dem Restaurant ungefähr fünf Minuten vor acht telefonisch gemacht worden war. Allem Anschein nach hatten Serle und Conway noch etwas zu besprechen und haben dabei ein schnelles Abendessen eingenommen.« »Wieso schnell?« fragte Mason. »Weil Serle um acht Uhr dreiundzwanzig schon wieder fortging. Um zehn Uhr vierzig kam ein Kellner, um das Geschirr abzuholen. Und da haben wir eben einen Schnitzer gemacht. Denn um zehn Uhr fünf ging ein Mann in das Apartment, den alle meine Agenten nicht kannten. Es war ein alter, dünner, weißhaariger Mann, der kerzengerade ging. Er trug einen blauen Kammgarnanzug, hatte keinen Mantel an, trug schwarze Lacklederschuhe und rauchte eine Zigarre.«
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»Und wie lange blieb der?« fragte Mason. »Elf Minuten lang. Um zehn Uhr sechzehn ging er wieder fort.« »Aber wieso hast du einen Schnitzer gemacht, Paul?« »Weil dies meiner Meinung nach Alden Leeds war«, sagte Drake. Mason nickte nachdenklich, während Della Street sagte: »Ich kann nicht einsehen, wie Sie die Sache hätten anders machen können, Paul.« »Ich konnte gar nicht anders«, gab Drake zu, »es sei denn, ich hätte mich auf meine Vermutungen verlassen und danach gehandelt. Na ja, das ist sozusagen alles. Um zehn Uhr einundzwanzig tauchte die Blondine wieder auf. Diesmal hatte sie ein kleines Köfferchen bei sich. Es sah so aus, als sei sie anfangs gekommen, um sich mit Milicant zu verabreden und käme nun zurück, um länger zu bleiben, nachdem Milicant seine geschäftlichen Angelegenheiten erledigt hatte.« »Wie lange blieb sie denn?« fragte Mason. »Ja, das ist es ja eben«, sagte Drake. »Sie ging in die Wohnung und kam um zehn Uhr zweiunddreißig sofort wieder heraus.« »Ließ sie ihr Köfferchen dort?« »Nein, sie hatte offensichtlich nicht einmal ihren Hut abgenommen, sondern hatte nur hineingesehen und war dann wieder davongestürzt. Ich habe so eine Ahnung, daß irgend etwas passiert war, und daß Milicant sich nicht so darüber freute, sie zu sehen, wie sie erwartet hatte.« »Was meinst du damit?« fragte Mason. »Damit meine ich die Schwester«, sagte Drake. »Das Mädchen kam zum erstenmal um sechs Uhr siebenundfünfzig und ging zwei Minuten nach sieben wieder. Als sie ging, sah sie glücklich aus. Beim zweitenmal, als sie erschien, war es völlig anders, denn sie kam mit hoch erhobenem Kinn heraus, ging an die nächste Straßenecke und nahm ein Taxi.« »Ist sonst noch etwas passiert?« fragte Mason. Drake wollte gerade etwas darauf erwidern, als das Telefon läutete. Er nahm den Hörer ab und bekam allem Anschein nach einen der -4 6 -
üblichen Berichte, denn er sah auf seine Uhr und machte sich Notizen auf seinem Block und sagte dann, »Okay, machen Sie so weiter und geben Sie Berichte«, dann legte er den Hörer auf. Jedoch ehe er noch zu dem Anwalt etwas sagen konnte, läutete ein anderer Apparat. »Jawohl, hier ist Drake. Verbinden Sie mich.« Er wandte sich Mason zu und sagte: »Da kommt Seattle.« Einige Augenblicke später sagte er: »Jawohl, hier spricht Paul Drake. Schießen Sie los und erzählen Sie mir, was Sie herausgefunden haben.« Dann sagte er außer einem gelegentlichen »Ja« oder »Is t gut« nichts weiter, sondern machte sich Notizen auf seinem Block. Schließlich legte er auf und wandte sich wieder Mason zu. »Meine Leute haben dort alte Passagierlisten der Schiffahrtslinien durchgesehen, aus denen hervorgeht, daß Alden Leeds 1906 über Skagway nach Dawson City gereist ist. Er soll damals einen Bill Hogarty in Tanana als Partner gehabt haben. Im nächsten Winter wurde gemeldet, daß Leeds durch eine Lawine umgekommen sei.« »Umgekommen!« rief Mason aus. »So lautete der Bericht. Kurz danach kam Bill Hogarty wieder. Er war ein reicher Mann geworden. Hogarty reiste bis nach Seattle und verschwand dann. Unser dortiger Vertreter möchte wissen, ob er die Hogarty-Spur weiter verfolgen soll.« »Sag ihm, er soll weitermachen, Paul«, sagte Mason. »Und wann sollen wir aufhören?« fragte Drake. »Du sollst überhaupt nicht aufhören«, sagte Mason. »Mach nur immer weiter.« Dann wandte er sich an Della Street. »Kommen Sie, Della, gehen wir in ein normales Büro, in dem man auf und ab gehen kann.« Als er wieder in seinem Büro war, ging Mason Zigaretten rauchend auf und ab. Alle seine heitere Jungenhaftigkeit, die er den ganzen Abend über gezeigt hatte, als er mit Della Street unterwegs war, war von ihm gewichen. Della Street saß mit hochgezogenen Beinen in dem großen Ledersessel. Ihre Augen folgten Perry Mason mit Besorgnis. Plötzlich erklang schrill das Läuten des Telefons. Er nahm den Hörer ab und sagte »Hallo.«
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»Hier ist das Fernamt. Sie werden aus San Francisco verlangt.« Eine weibliche Stimme, die schwach und geängstigt klang, sagte: »Mr. Mason, hier spricht Marcia Whittaker. Können Sie sich an mich erinnern - Marcia Whittaker?« »Aber sicher«, sagte Mason. »Wo sind Sie jetzt?« »In San Francisco.« »Na schön, was gibt es?« sagte Mason. Ihre Stimme klang jetzt leicht hysterisch. »Ich kann es nicht tun«, schluchzte sie. »Ich kann nicht davonlaufen.« »Wovor davonlaufen?« frage Mason. »Vor dem, was geschehen ist.« Ihre Stimme sank fast zu einem Flüstern herab. »Das kann ich Ihnen am Telefon nicht sagen«, sagte sie. »Jetzt hören Sie mal genau zu, Marcia«, sagte Mason, »und passen Sie gut auf Ihre Antworten auf. Weiß irgend jemand, daß Sie in San Francisco sind?« »Nein.« »Haben Sie sich mit Ihrem Freund gestritten?« »Nein, nein! Können Sie denn nicht begreifen? Er ist nicht mehr...« »Und er wird nicht böse sein?« unterbrach Mason sie. »Wird niemals mehr böse sein?« »Ja, das... das stimmt.« »Wissen Sie, daß wir Alden Leeds vertreten?« fragte Mason. »Ja, das weiß ich. Deswegen rufe ich Sie ja an. Ich habe... ich habe etwas für Sie... und außerdem können Sie mir helfen.« »Aber nur, wenn damit auch Leeds geholfen wird.« »Das verstehe ich.« »Diese Sache, die Sie da für mich haben... ist die wichtig?« »Ja, sehr.« Mason dachte blitzschnell nach. »Können Sie ein Flugzeug bekommen, um damit zurückzufliegen?« »Ja.« -4 8 -
»Gibt es eine Möglichkeit für mich, einen Schlüssel für Ihre Wohnung zu bekommen?« »Ja, ich lasse meinen Briefkasten immer unverschlossen und unten auf dem Boden des Briefkastens liegt immer ein zweiter Schlüssel.« »Sehen Sie zu, daß Sie so schnell wie möglich zurückkommen können«, sagte Mason und fragte: »Hat Ihre Wohnung Telefon?« »Jawohl.« »Was für eine Nummer haben Sie?« »Graymore sechs-neun-vier-sieben.« »Dann auf bald«, sagte Mason und hängte auf. Er wandte sich Della Street zu. »Es war Marcia Whittaker. Ich möchte jede Wette eingehen, daß John Milicant entweder Selbstmord begangen hat oder ermordet worden ist. Im Augenblick bin ich eher der Ansicht, daß es Selbstmord ist.« Della Street zog ruhig und beherrscht ein Notizbuch aus ihrer Tasche und sagte: »Ich habe alles, was Paul gesagt hat, genau so aufgeschrieben, wie es sich zeitmäßig abgespielt hat. Wollen Sie noch einmal wissen, welche Leute während des Abends dort waren?« »Nein«, sagte Mason, »die Leute interessieren mich nicht. Kommen Sie, Della, wir werden Paul Drake aufsuchen.« Sie gingen wieder zurück in Drakes Büro. Drake war gerade dabei, seinen Mantel anzuziehen. »Hör zu, Paul«, sagte Mason. »Du wirst nicht nach Hause gehen.« »Das meinst du«, sagte Drake. »Es ist immerhin ein Uhr durch.« Mason schüttelte den Kopf. »Du wirst dich wieder an diesen Schreibtisch begeben«, sagte er, »und weiterhin telefonische Verbindung mit deinen Leuten aufrecht erhalten, die Conways Wohnung unter Beobachtung halten. Sobald sich dort irgend etwas Ungewöhnliches tut oder sich überhaupt etwas regt, dann wirst du mich unter der Nummer Graymore sechs -neun-vier-sieben anrufen. Die Nummer wirst du dir so -4 9 -
merken und nicht auf irgendeinem Stück Papier hier herumfahren lassen. Und diese ganze Geschichte wirst du morgen vormittag um zehn Uhr völlig vergessen haben, nicht wahr? Hast du verstanden?« Drake runzelte die Stirn. »Was ist denn los, Perry?« fragte er. »So und nicht anders lauten meine Anweisungen«, sagte Mason. »Und mehr brauchst du nicht zu wissen.« »Soll ich hier die ganze Nacht warten?« »Die ganze Nacht über, es sei denn, wir rufen dich an.« Zwanzig Minuten später fanden Masons tastende Finger unten in dem Briefkasten, der den Namen »Marcia Whittaker«, trug, einen Schlüssel. »Genau das habe ich befürchtet«, brummte Mason ärgerlich, als er das Licht in der Wohnung anknipste und das Schlafzimmer betrat. Überall waren Spuren einer übereilten Flucht. Auf der weißen Bettdecke sah man den Abdruck eines Koffers. Kleider waren herausgeholt und wieder fortgeworfen worden. Schubladen standen offen da und waren durchwühlt worden. Mason warf Della Street einen Blick zu. »Wie ist es, Della«, fragte er, »können Sie hier wieder Ordnung schaffen?« Dreißig Minuten später setzte sie sich zu ihm in das Wohnzimmer, wo sie nebeneinander vor dem Kamin saßen, sich leise unterhielten und auf das Läuten des Telefons warteten. Nur wenige Minuten schienen vergangen, als sie einen Schlüssel im Schloß hörten. Mason sah auf seine Armbanduhr. Es war vier Uhr fünfundvierzig. Langsam öffnete sich die Tür, und müde kam Marcia Whittaker mit einem Gladstone-Koffer in der Hand herein. Mason erhob sich und sagte: »Das haben Sie großartig gemacht, Marcia. In Ihrem Schlafzimmer ist bereits Ordnung. Gehen Sie gleich hinüber und packen Sie aus und räumen Sie Ihre Sachen wieder ein. Es kann sein, daß man Ihnen nicht viel Zeit dazu läßt.« Aus dem Badezimmer kam Della Street und lächelte sie zur Begrüßung freundlich an. -5 0 -
»Darf ich vorstellen«, sagte Mason, »das ist meine Sekretärin, Della Street, und das ist Marcia Whittaker. Bitte, Della, gehen Sie ihr ein bißchen zur Hand.« Dann setzte er sich wieder neben den Kamin und rauchte nachdenklich, bis Marcia und Della zurückkamen. »Na schön«, sagte Mason, »jetzt erzählen Sie mal die ganze Geschichte.« »Das erste Mal, als ich Sie kennenlernte, bin ich Ihnen gegenüber nicht anständig gewesen«, sagte sie. »Ich wußte, daß Louie Conway und John Milicant ein und dieselbe Person waren. John’s Schwester ist eine eingebildete Heuchlerin. Sie hat sich ihr ganzes Leben über viel herumgetrieben, aber jetzt haben sich bei ihr Komplexe herausgebildet, und sie möchte, daß aus der Familie etwas Anständiges wird. Ich bin für sie eine kleine Schlampe, und ich durfte nicht in ihre Familie hineinkommen - nein, beileibe nicht!« »Lassen Sie das alles jetzt«, sagte Mason. »Kommen wir doch zur Sache. Was ist mit Louie geschehen? Sagen Sie mir...« »Louie - das heißt also John - ist... war ein guter Kerl. Er war nur zu schwach. Er fing an, Schwindelgesellschaften zu gründen. Er liebte Pferde, Kartenspiel, Würfeln und Wetten... John war nicht mehr jung. Allmählich fielen ihm die Dinge schwerer. Seine Schwester hatte sich vorgenommen, in eine reiche Familie zu heiraten. Sie wollte alles, was in ihrer Familie passiert war, unterdrücken und einen guten Eindruck auf Alden Leeds machen. Sie sagte zu John, er müsse jetzt ein anständiger Mensch werden, dürfe sich nicht mehr um Pferderennen, Wetten oder irgendwelche Hochstapeleien kümmern, solange sie Alden Leeds nicht fest an der Kette hätte. John war nicht der Mann, der das fertigbringen konnte. Seine Schwester setzte ihm eine Art Taschengeld aus. Ein oder zwei Wochen lang hielt er sich gut, aber dann fing er sein altes Leben wieder an, worüber er seine Schwester im dunkeln ließ. Er nahm den Namen Louie Conway an und gründete die Conway Appliance Company. Damals habe ich ihn -5 1 -
kennengelernt. Ich war Angestellte in einem Zigarrenkiosk. John kam herein und machte mit mir ein paar Würfelspiele. Er hatte Glück mit den Würfeln, und das Spiel war ehrlich. Dann kamen ein paar Kunden herein und fingen bald an, mit John zu würfeln. John würfelte, und ich verkaufte Zigarren. Ich sah, daß die Würfel falsch waren, aber ich sagte nichts. John hatte gemerkt, daß ich die Sache mit den Würfeln durchschaut hatte. Er kam später zurück und sagte: ›Kindchen, Sie haben einen hübschen Mund.‹ Darauf erwiderte ich: ›Die meisten Männer sprechen über meine Augen.‹ Darauf sagte er: ›Aber ich spreche über Ihren Mund. Er bleibt im richtigen Augenblick zu. Hier haben Sie fünfzig Dollar. Dafür können Sie sich ein hübsches Fähnchen kaufen.‹ Ich hatte eine Schwäche für ihn. Ich kannte ihn als Louie Conway. Wir spielten eine Weile miteinander herum. Louie fing an, ernsthafte Absichten zu haben und sagte seiner Schwester Bescheid. Sie kriegte eine Wut und sagte, es sei alles mit Alden Leeds abgesprochen, aber wenn John eine Zigarrenverkäuferin in die Familie bringen würde, dann wäre alles aus. John wollte mich nicht aufgeben. Seiner Schwester redete er aber ein, daß er es getan hätte. Sie war mißtrauisch. John fing an, Pläne zu machen und kam dann eines Tages zu mir und sagte, er hätte die Conway-Firma dazu benutzt, um Alden Leeds einen Haufen Geld abzunehmen, aber Leeds würde nie erfahren, daß Conway und John Milicant eine und dieselbe Person wären. Er sagte zu mir, ich müßte ihm helfen, den Coup durchzuführen, und danach würden wir heiraten, und er würde seiner Schwester sagen, sie solle ihm den Buckel runterrutschen.« »Wußten Sie, worum es bei diesem Coup ging?« »Nein, das wußte ich nicht.« »Erzählen Sie weiter«, sagte Mason. »Ich wollte es nicht tun. Ich bin nicht vorbestraft, und ich kannte ihn allzu gut, um zu wissen, daß er sich bei der Sache im Hintergrund halten und mich vorschieben wollte.« -5 2 -
»Sie können das überspringen«, sagte Mason. »Verdammt nochmal, wir brauchen doch nicht die ganze Vorgeschichte. Sie haben es ja schließlich doch getan.« »Natürlich habe ich es getan!« fuhr sie auf. »Warum hätte ich es auch nicht tun sollen? Es ist schön und gut, von Anständigkeit zu reden, wenn man eine Erziehung hinter sich hat, die einem erlaubt, sich durchzubringen und anständig zu bleiben, aber wenn man nichts im Rücken hat, dann muß man die Dinge so nehmen, wie sie kommen. Das hat John im Leben gelernt, und so habe ich es auch gelernt.... Auf jeden Fall sollte ich um zehn Uhr dreißig zu ihm in die Wohnung kommen, dann wollten wir heiraten und verschwinden. Und... und dann bin ich auch Viertel nach zehn dorthin gegangen. Einen Schlüssel hatte ich. Ich kam also in die Wohnung und rief nach John. Ich bekam keine Antwort. Dann sah ich mich in der Wohnung um, in der alles durcheinander und auf den Kopf gestellt war. Darauf bekam ich einen Schreck und rannte in das Badezimmer. Dort lag John auf dem Fußboden, und der Griff eines Messers steckte..« Sie brach in Tränen aus, schüttelte den Kopf und ließ sich in einen Sessel fallen. »Jetzt beruhigen Sie sich doch, Marcia«, sagte Mason zu ihr. »Ich weiß, wie Ihnen zu Mute ist. Wenn Sie John ermordet vorgefunden haben, ohne die Polizei zu benachrichtigen, dann sitzen Sie in einer Klemme. Und jetzt, nachdem Sie uns davon erzählt haben, sitzen wir genau so in der Patsche, falls wir die Polizei nicht benachrichtigen. Sie sind nicht unsere Mandantin. Unser Mandant ist Alden Leeds. Wir können diese Unterredung nicht vertraulich behandeln.« Marcia Whittaker holte zitternd Luft und sagte dann: »Ich werde wahnsinnig, sooft ich daran denke... Ich habe doch genau gewußt, wonach die Leute gesucht haben. Aber gefunden haben sie es nicht.« »Wieso wissen Sie, daß sie es nicht gefunden haben?« »Louie war doch kein Trottel«, sagte sie. »Er wußte, daß man seine Wohnung vielleicht durchsuchen würde. Er mußte dies Zeug irgendwo unterbringen, wo er es jederzeit erreichen konnte. Er hat es mir überlassen.« -5 3 -
»Was denn für Zeug?« »Na, Papiere.« »Was für Papiere? Was sollten sie denn einbringen?« »Ich weiß es nicht«, sagte sie. »Ich weiß nur so viel, daß Louie damit zwanzigtausend Dollar herausgeschlagen hat, und außerdem sagte er, daß er damit noch weitere zwanzigtausend bekommen würde, ehe er mit den Papieren herausrückte.« »Na schön, Marcia«, sagte Mason. »Wo sind diese Sachen jetzt?« »Die habe ich bei mir.« »Dann bringen Sie sie her.« »Und was bekomme ich dafür, wenn ich sie hole?« »Wie lautet Ihr Vorschlag?« fragte Mason. »Ich werde Alden Leeds die Papiere geben, wenn er einwilligt, mich herauszupauken.« »Was sind das für Papiere?« fragte Mason. »Größtenteils Fotografien«, sagte sie. »Was für Fotografien«, fragte Mason. »Nun, von alten Whiskykneipen, von einem Tanzsaal in Dawson City, von Hotelanmeldungen, und außerdem eine Fotokopie von einer Heiratsurkunde.« »Wer hat denn geheiratet?« fragte Mason. »Emily Milicant und ein Bill Hogarty.« »Wer hat die Anmeldungen im Hotel unterschrieben?« »Bill Hogarty.« »Na schön«, sagte Mason, »bringen Sie mir die Papiere.« Sie stand von ihrem Sessel auf und ging in das Schlafzimmer. Sie hörten, wie sich die Tür schloß und ein Schloß zuschnappte. Della Street wechselte Blicke mit Perry Mason. »Es gibt irgend etwas«, sagte Mason, »was Alden Leeds verbergen will. Die Unterlagen waren nur die Visitenkarte für den Erpresser.« »Wie kommen Sie darauf, Chef?« »Weil Leeds zwanzigtausend Dollar zahlte und die Unterlagen nicht erhielt.« -5 4 -
»In welche Lage kommen wir dadurch, Chef?« fragte sie. »Wir kommen dadurch ins Hintertreffen«, sagte Mason. Die Schlafzimmertür ging auf, und Marcia Whittaker ging mit einem großen, gelben Briefumschlag direkt auf Perry Mason zu. Als sie nur noch zwei Schritte von dem Anwalt entfernt war, versteckte sie den Umschlag hinter ihrem Rücken. »Ich will genau wissen, was ich dafür bekomme.« »Wenn Sie nicht gut aufpassen, dann bekommen Sie dafür eine Anklage wegen Mord ersten Grades«, sagte er warnend. »Sie werden mir versprechen, daß Alden Leeds mich unterstützt, daß er...« »Gar nichts werde ich Ihnen versprechen«, sagte Mason. »Ich bin bereits verdammt weit gegangen. Ihnen brennt doch der Boden unter den Füßen.« Mason wies theatralisch auf die Tür. »Jeden Augenblick können vielleicht die Vertreter des Gesetzes durch diese Tür hereinmarschieren. Falls die Leute diese Papiere bei Ihnen finden, so bedeutet das für Sie die Gaskammer. Und da wollen Sie noch von mir wissen, was ich für Sie tun werde! Eins werde ich für Sie tun, ich werde Ihnen diese Papiere abnehmen, und das ist genug... das ist sogar verdammt zu viel.« Sie fuhr mit dem Briefumschlag hinter ihrem Rücken hervor und drückte ihn ihm geradezu in die Hände. Ohne ihn anzusehen, ließ ihn Mason im Innern seiner Rocktasche verschwinden. »Ich bin nicht Ihr Anwalt«, sagte er. »Ich bin der Anwalt von Alden Leeds. Solange Sie ihm die Stange halten, werde ich Ihnen die Stange halten. Wenn Sie nur einen Versuch machen, ihn hereinzulegen, dann werde ich Ihnen die Hölle heiß machen, verstehen Sie mich?« Sie nickte. In ihren Augen waren Tränen. »Hören Sie zu«, fuhr Mason fort, »John Milicant ist überwacht worden. Von allen Personen, die in den sechsten Stock hinauffuhren, steht die genaue Zeit fest, zu der sie kamen und wieder gingen.« »Aber...« -5 5 -
»Sagen Sie, war die Wohnungstür geschlossen, als Sie kamen?« fragte Mason. »Ja, aber ich hatte ja einen Schlüssel.« »Ist ein Schnappschloß an der Tür?« »Ja.« »Geben Sie mir Ihren Schlüssel.« Sie ging zu dem Tisch hinüber, auf den sie ihre Handtasche geworfen hatte, machte sie auf, entnahm ihr einen Schlüssel und reichte ihn ihm. Er ließ ihn in seine Tasche fallen. »Vergessen Sie, daß Sie jemals diesen Schlüssel gehabt haben«, sagte er zu ihr. »Was taten Sie, als Sie herauskamen? Haben Sie die Tür zugeschlagen?« »Nein, ich habe sie einen Spalt offengelassen.« »Wieso?« »Ich hatte Angst, man würde, wenn alles herauskäme, behaupten, ich wäre die letzte gewesen, und ich hätte einen Schlüssel gehabt. Wenn ich die Tür einen Spalt breit offen ließ, dann konnte noch jemand kommen, um Louie zu besuchen, die Tür aufmachen, ihn finden und in einer Situation sein, durch die ich entlastet wäre.« Mason musterte sie mit harten, aufmerksamen Augen und fragte: »Haben Sie Handschuhe angehabt?« »Jawohl.« Mason machte eine Kopfbewegung zum Telefon hinüber. »Ruten Sie die Polizei an. Sagen Sie, Sie hätten mit Louie Conway eine Verabredung in seiner Wohnung gehabt, und er hätte auf Sie warten sollen. Sie hätten an seine Tür geklopft und gehämmert, aber er hätte nicht aufgemacht. Sagen Sie, es könne sich nicht darum handeln, daß er Sie versetzen wollte, denn er wollte Sie heiraten und Sie wollten zusammen wegfahren.« »Aber wenn ich ihnen genau das erzähle«, sagte sie, »dann werden die Leute bei der Polizei denken, ich wäre verrückt.« »Genau das brauchen Sie. Spielen Sie verrückt. Seien Sie am Telefon hysterisch. Bitten Sie die Polizei, sie möchten -5 6 -
jemand in die Wohnung schicken, um nachzusehen, ob ihm etwas zugestoßen ist. Sagen Sie der Polizei, er hätte gespielt und hätte Angst, jemand würde ihn kidnappen. Aber erwähnen Sie unter keinen Umständen den Namen Milicant.« »Aber das wird doch nichts helfen«, sagte sie. »Aber verstehen Sie denn immer noch nicht?« fragte Mason. »Die Polizei wird Ihren Anruf festhalten und ebenso Ihren Namen und Ihre Adresse. Dann wird man Sie anrufen und Ihnen sagen, daß ein Überfallwagen hinfahren wird und nachsehen, und daß alles in Ordnung sein wird, wenn Sie nichts mehr von der Polizei hören.« »Und wird denn die Polizei hinfahren?« »Natürlich nicht. Aber morgen vormittag, wenn die Sache herauskommt, dann sind Sie durch diesen Anruf entlastet. Nachdem Sie angerufen haben, wird kein Mensch mehr daran denken, in den Flughäfen nachzufragen.« Ihre vom Weinen geröteten Augen zwinkerten, als sie diesen Rat des Anwalts langsam begriff. »Sie werden dann, wenn die Untersuchungen losgehen«, fuhr Mason fort, »genügend Gründe zur Entschuldigung haben, daß Sie nachts nicht schlafen konnten und am Telefon eine Szene gemacht haben. Denken Sie immer daran, daß Sie ja heiraten wollten und daß die Schwester des Mannes versucht hat, die Heirat zu verhindern.« »Sollte ich von ihr auch sprechen?« fragte sie. »Aber ja«, sagte Mason. »Sagen Sie nur alles. Vergessen Sie nicht, Marcia, daß Unterlagen vorhanden sind, aus denen hervorgeht, daß Sie elf Minuten lang in der Wohnung waren. »Ziehen Sie sich aus. Ziehen Sie einen Pyjama an und sorgen Sie dafür, daß überall in der Wohnung Zigarettenstummel herumliegen. Trinken Sie einen ordentlichen Whisky und lassen Sie die Whiskyflasche und das Glas so stehen, daß die Polizeibeamten sie finden können. Sorgen Sie dafür, daß eine Menge halbgerauchter Zigaretten im Schlafzimmer sind - aber keine kleinen Kippen, das würde den Eindruck machen, als wären Sie zu ruhig gewesen. Sie dürfen nicht geschminkt sein. -5 7 -
Lassen Sie Ihr Haar herunterhängen. Legen Sie sich so lange ins Bett und drehen Sie sich so lange um, bis die Laken völlig zerwühlt sind. Gehen Sie in die Küche und rühren Sie Salz in einem Glas Wasser auf und schütten Sie das Salzwasser über das Kissen, so daß es sich feucht anfühlt, wenn man es anfaßt. Aber übertreiben Sie nicht. Werden Sie alles fertigbringen?« »Ja«, sagte sie. Mason nahm Della Street am Arm. Marcia Whittaker blieb oben an der Treppe stehen, schluchzte lautlos und wartete, bis die Haustür zufiel.
7 Wenige Stunden später saß Perry Mason bereits wieder in seinem Büro. Überrascht blickte er von seiner Post auf, als sich die Tür öffnete und Paul Drake eintrat. »Hallo, Paul!« begrüßte er ihn. »Hast du Neuigkeiten im Fall John Milicant?« »Die Polizei ist der Meinung, daß eines der Motive für die Ermordung von Milicant Raub gewesen ist. Er trug immer eine Brieftasche bei sich, und diese war gewöhnlich gut gefüllt. Die Brieftasche fehlt. Irgend jemand hat ganz bestimmt die Wohnung durchwühlt und nach etwas gesucht, was er vielleicht gefunden hat oder auch nicht. Die Wohnung sieht wie ein Trümmerhaufen aus.« »Gibt es sonst noch etwas?« fragte Mason. »Wie ist es mit dem Zeitpunkt, zu dem der Tod eingetreten ist? Hat das die Polizei bereits festgestellt?« »Vermutlich gegen zehn Uhr dreißig, jedenfalls zwischen zehn Uhr und zehn Uhr fünfundvierzig.« Mason hängte seine Daumen in die Armlöcher seiner Weste und fing an, im Zimmer auf und ab zu gehen. »Damit käme genau Marcia Whittaker in Frage«, sagte er. Drake nickte. »Oder aber«, setzte Mason hinzu, »der alte Mann.« »Übrigens, Perry«, sagte Drake, »über die Identität des alten Mannes besteht gar kein Zweifel. Die Polizei hat eine Fotografie -5 8 -
von Leeds aufgetrieben und sie meinen Agenten gezeigt. Diese haben auf der Fotografie den alten Mann erkannt, der zu der Wohnung hinaufging.« Einen Augenblick später sagte er: »Sag mal, Perry, Milicant war doch nicht etwa zuckerkrank?« »Nein, nicht daß ich wüßte. Ich kann es aber vielleicht herausbringen. Warum denn?« »Der rechte Fuß sieht so sonderbar aus. Vier Zehen daran sind amputiert worden. Der Arzt ist der Meinung, daß sie infolge von Gangräne amputiert wurden, er fand aber keine Anzeichen von einer Veranlagung zu Zuckerkrankheit.« Mason blickte Drake nachdenklich an. »Er hinkte leicht«, sagte er, »ich habe mir nie erklären können, weswegen.« Der Detektiv nickte. »Suchst du nach Leeds?« »Ja«, antwortete Drake. »Wir überprüfen alle Flugzeuge, besonders diejenigen, die nach Norden fliegen.« »Ich möchte mit Serle sprechen«, sagte Mason. »Da wirst du kaum Glück haben«, sagte Drake finster, »den haben sie wegen eines Lotteriegeschäfts und Verkauf von Lotterielosen eingebuchtet. Die Polizei suchte gerade in dem Augenblick nach ihm, als er mit Milicant zu Abend aß.« »Was war eigentlich der Sinn dieser Besprechung mit Milicant? Weißt du das, Paul?« »Anscheinend wollte er von ihm das Geld für eine Kaution haben. Nachdem er Milicants Wohnung verlassen hatte, sagte er Freunden, es sei ihm gelungen, das Geld für eine Kaution zusammenzubringen, und er wolle sich stellen.« »Und was ist dann passiert?« fragte Mason interessiert. »Er hat sich noch zwei bis drei Stunden in einem Spielsaal aufgehalten und dann Conway angerufen.« »Um welche Zeit erfolgte der Anruf?« unterbrach ihn Mason. »Das ist es ja gerade«, sagte Drake. »Wir können den genauen Zeitpunkt nicht feststellen. Ich habe einige meiner Leute damit beauftragt, aber das hat auch die Polizei getan.« »Die Polizei muß ja verflixt schnell arbeiten«, sagte Mason. »Und ob die schnell arbeiten«, sagte Drake. »Einer meiner -5 9 -
Leute fand eine Spur, die etwas versprach und ist der Polizei nur um zehn Minuten zuvorgekommen.« »Was hat er denn festgestellt, Paul?» »Tja also, da sind ein paar Burschen, die das Gespräch mit anhörten. Einer von ihnen hat einen Teil davon gehört und ein anderer beinahe das ganze Gespräch. Serle hatte den Leuten gesagt, er müsse Conway um zehn Uhr dreißig anrufen. Er rief also an und fragte am Apparat, ob alles in Ordnung sei. Allem Anschein nach bejahte Conway die Frage. Sie sprachen zwei oder drei Minuten miteinander, und dann hängte Serle auf, spielte ungefähr zehn Minuten lang Billard, rief dann beim Polizeipräsidium an und fragte, was es eigentlich bedeute, daß man eine Razzia in seinem Laden veranstalte. Sein Geschäft sei ebenso gesetzlich zulässig wie alle anderen Glückspiele, und er werde das beweisen. Er sagte, er würde aufs Präsidium kommen, sich stellen und eine Kaution hinterlegen. Und danach ging er. Kannst du dir jetzt vorstellen, was das bedeuten soll? Er hatte Conways Wohnung kurz nach acht Uhr verlassen. Allem Anschein nach hatte sich Conway bereit erklärt, ihm das Geld für die Kaution zu geben. Aber der Witz bei der Geschichte war der, daß Conway die Moneten gar nicht hatte. Wahrscheinlich hat er Serle gesagt, er wisse, wo er das Geld auftreiben könne. Jetzt kannst du ja sehen, wie das alles zueinanderpaßt. Conway hat Alden Leeds erpreßt. Leeds sollte gegen zehn Uhr vorbeikommen und allem Anschein nach noch einmal zwanzigtausend Dollar bringen. Sobald er einmal diese Moneten in der Tasche hatte, wollte Conway Serle gegen Kaution aus der Haft holen.« Mason, der immer noch auf und ab ging, sagte: »Paul, wir müssen unbedingt den genauen Zeitpunkt von diesem Telefongespräch feststellen.« »Das weiß ich«, sagte Drake. »Falls es um zehn Uhr dreißig stattfand, dann wird damit bewiesen, daß Milicant-Conway noch am Leben war, als Leeds ging.« »Zum Teufel nochmal«, sagte Mason, »Paul, es muß entweder geschehen sein, als Leeds da war oder gleich nach -6 0 -
seinem Weggehen. Conway muß Serle gesagt haben, daß die Moneten bereit lägen und daraufhin ging Serle hin und stellte sich der Polizei.« »Tja«, sagte Drake, »das ist wieder mal die übliche Geschichte. Niemand scheint sich die Mühe gemacht zu haben, sich die genaue Zeit zu merken. Offensichtlich hat Serle kein ausgeprägtes Zeitgefühl. Er meinte, es sei beinahe neun Uhr gewesen, ehe er Conways Wohnung verließ. Wir wissen, daß es vor acht Uhr dreißig war. Gegen neun war er unten in dem Billardsaal. Er sagte, er müsse Conway gegen zehn Uhr dreißig anrufen. Die Männer, die das Telefongespräch mit anhörten, meinen, es sei gegen zehn Uhr dreißig gewesen, aber der Witz ist, daß sie das nicht sicher wissen.« »Wie wäre es denn, wenn man die Kontrolle umgekehrt vornähme, Paul?« sagte Mason. »Aus dem Polizeibericht muß doch hervorgehen, wann Serle eingesperrt wurde.« »Das tut es auch, aber es verging einige Zeit, ehe er wirklich eingesperrt wurde, nachdem er sich gestellt hatte. Schätzungsweise sind bis dahin fünf oder zwanzig Minuten vergangen. Eingesperrt wurde er um zehn Uhr fünfundfünfzig.« »Ich muß mit Serle reden«, sagte Mason. »Sämtliche Trümpfe sind in der Hand der Polizei«, sagte Drake. »Vergiß nicht, daß sie ein Verfahren wegen Betrug gegen Serle eingeleitet haben.« »Was ist denn mit seiner Kaution passiert?« sagte Mason. »Zu einer Kaution ist es nie gekommen. Sie wurde auf fünftausend Dollar festgesetzt, und Serle hat sich fast totgejammert, um sie auf tausend Dollar herunterzudrücken. Aber bei der Polizei hat man hartnäckig an den fünftausend festgehalten. Als das Lamento über die Kaution zu Ende war, und Serle bei Conway anrief, er solle aufs Präsidium kommen und die Kautionssumme zahlen, da war es ungefähr elf Uhr dreißig. Um die Zeit hat sich natürlich niemand mehr an dem Telefon gemeldet. Serle glaubte, Conway hätte ihn hereingelegt, und war darüber so stinkwütend, daß er kaum noch sprechen konnte. Er rief so lange in der Conwayschen -6 1 -
Wohnung an, bis ihn die Polizisten schließlich mit Gewalt einsperrten. Sie wollen ihn jetzt nicht eher herauslassen, bis er eine schriftliche Aussage abgegeben hat, und du kannst dir wohl vorstellen, daß uns mit diesem Geständnis nicht geholfen ist.« »Sieh mal, Paul«, sagte Mason. »Unsere einzige Chance liegt darin, diesen ganzen Fall so durcheinander zu bringen, daß der District Attorney nicht mehr weiß, was er eigentlich verfolgen soll. Und dann müssen wir uns aus diesem Durcheinander die Tatsachen herausklauben.« Drake nickte, doch ohne Begeisterung. »So leicht wird das nicht sein, Perry«, sagte er. Das Telefon läutete. Mason nahm den Hörer ab und meldete sich mit »Hallo«, worauf Drakes Sekretärin sagte: »Mr. Mason, würden Sie so liebenswürdig sein, Mr. Drake auszurichten, daß soeben Agent Nr. 12 angerufen und gesagt hat, daß Guy T. Serle wieder frei umherläuft?« »Danke«, sagte Mason, »das werde ich. Gab es sonst noch etwas?« »Nein, nur das«, sagte sie. Mason legte den Hörer auf und sagte: »Serle ist frei - gerade hat dein Büro angerufen.« »Woher kam der Bericht?« fragte Drake. »Von deinem Agenten Nr. 12.« »Siehst du, da sitzen wir nun, Perry«, sagte Drake. »Sie hätten ihn auf ein Dutzend verschiedene Touren fassen können. Aber jetzt läuft er wieder frei herum. Das bedeutet, daß er genau das getan hat, was der District Attorney von ihm wollte.« »Ich möchte mit diesem Bruder in Verbindung kommen«, sagte Mason. »Wie können wir es einrichten, daß es ganz zufällig aussieht?« »Das können wir nicht«, sagte Drake. Mason sah auf seine Uhr, trommelte mit den Fingern auf den Tisch und fragte plötzlich: »Ißt er zu Mittag, Paul?« -6 2 -
»Na und ob der zu Mittag ißt. Der hat Spaß am Essen und verdrückt große Portionen.« »Wo wird er deiner Meinung nach heute zu Mittag essen?« Drake zog ein Notizbuch aus seiner Tasche, klappte es auf und blätterte es durch. »Hier habe ich sämtliche Angaben über diesen Knaben... Hm-m-m-m-m... Da hab ich’s ja schon. Meistens ißt er unten in East Ranchester im ›Home Kitchen Café‹. Das ist nur zwei Blocks entfernt von dem Büro, wo er seine Firma betrieb.« »Wie sieht er denn aus?« Drake las aus seinem Notizbuch eine Beschreibung von Serle vor: »Ungefähr vierzig Jahre alt, Größe eins achtzig, Gewicht hundertsechzig Pfund, Augen grau, lange gerade Nase, schmales Gesicht, rotes Haar, schmale Lippen, trägt immer zweireihige Anzüge.« »Warum ißt denn ein Kerl, der Spaß am Essen hat, ausgerechnet in einem Ausschank in East Ranchester?« fragte Mason. »Weil man da großartig essen kann, Perry. Meine Agenten haben da gegessen. Das Lokal wird von einem französischen Ehepaar betrieben. Serle schäkert da ziemlich häufig mit einer von den Kellnerinnen herum, und sie scheint etwas für ihn übrig zu haben.« »Hast du ihren Namen?« Drake schlug eine Seite in seinem Notizbuch um, fuhr mit dem Zeigefinger über seine Notizen und sagte: »Na klar... Hier ist er... Hazel Stickland.« »Ich glaube, ich werde dort zum Mittagessen hinfahren«, sagte Mason. Die Tür vom Vorzimmer her ging auf, und Della Street rauschte herein. »Hallo,Paul«, sagte sie, »ausgeschlafen?« »Wo denken Sie hin!« stöhnte Drake. »Außerdem muß ich wieder in meine Tretmühle zurück. Also bis auf bald!« Als er gegangen war, sagte Mason zu Della Street: »Was hat der Graphologe gesagt?«
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»Er wird sich alle Mühe geben, uns sobald er kann einen vorläufigen Bericht zu geben. Es wird kein Bericht sein, auf den er schwören würde, aber trotzdem schon etwas, mit dem Sie etwas anfangen können. Was war denn in dem Briefumschlag, Chef, und warum haben Sie ihn so schnell zu dem Graphologen geschickt?« »Weil das Ganze so durcheinander ist, daß ich daraus nicht klug werde. Da sind zum Beispiel Fotokopien von Hotelanmeldungen vom Oktober 1907 im Regina Hotel in Dawson, dem Golden North Hotel in Skagway, einem Hotel in White Horse und noch einem in Seattle.« »Was ersieht man denn daraus?« »Die Unterschriften von Bill Hogarty.« »Und was noch?« fragte sie. »Da war noch ein Brief, den Leeds vor ungefähr dreißig Tagen an John Milicant geschrieben hat, und in dem er feststellte, daß er noch nie von Mr. B. C. Hogar gehört hätte. Außerdem fand sich unter den Papieren ein alter, vergilbter Zeitungsausschnitt aus einer Zeitung aus Dawson, in dem über das Auffinden einer Leiche in dem Tanana-Distrikt berichtet wurde. Die Leiche wies Spuren von Gewalttätigkeit auf. Es steht darin weiter, daß man die Leiche mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit als die von einem gewissen Alden Leeds festgestellt hat, der mit einem Bill Hogarty zusammen arbeitete und dem Hörensagen nach eine reiche Goldader gefunden haben sollte. Weiterhin wird erwähnt, daß Hogarty im Herbst 1907 den Klondike-Distrikt verließ, nachdem er stromaufwärts aus Tanana gekommen war. Man hatte seine Spuren bis Seattle verfolgen können, wo er ein Mädchen geheiratet hatte, das früher in Dawson in dem ›M und N-Tanzsaal‹ gearbeitet hatte. Zu diesem späten Zeitpunkt - der Artikel stammt aus dem Jahre 1912 - war es der Polizei nicht mehr möglich gewesen, irgendwelche weiteren Spuren von einem der beiden Männer festzustellen.« Della Street runzelte die Stirn. »Und wer ist B. C. Hogar?« fragte sie. -6 4 -
Mason lächelte und sagte: »Er kann vielleicht Bill Hogarty sein, der einen anderen Namen angenommen hat.« »Dann würde doch der erste Buchstabe des Vornamens mit ›W‹ anfangen«, sagte sie. »Bill ist ja eine Abkürzung von William.« Mason nickte. »Aber andererseits«, fuhr er fort, »könnte es gut sein, daß jemand, der den starken Verdacht hatte, daß Alden Leeds in Wirklichkeit Bill Hogarty sei, die Absicht gehabt habe, ihn dazu zu bringen, den Namen ›Bill Hogarty‹ zu schreiben, um auf diese Weise die Handschrift überprüfen zu können. Er hatte aber natürlich Angst, die Katze aus dem Sack zu lassen, und deswegen schrieb er einen Brief mit der Bitte um Informationen über einen gewissen B. C. Hogar, worauf Leeds, ohne zu vermuten, worum es eigentlich ging, den Brief in einer Weise beantwortete, daß der Name Hogar nicht nur einmal, sondern sogar zweimal darin vorkam.« Das Telefon läutete. Mason sah auf seine Armbanduhr und sagte: »Ich möchte doch wetten, daß Stive für heute nachmittag eine Verabredung zum Golfspielen hatte und sich deswegen fast umgebracht hat, um noch vor zwölf Uhr ein Gutachten über die Handschriften fertigzustellen.« Er nahm den Hörer ab und meldete sich mit »Hallo«, worauf Gertrude Lade von der Zentrale her fragte: »Wollen Sie mit Mr. Stive, dem Graphologen, sprechen?« »Ja, verbinden Sie mich«, sagte Mason. Einen Augenblick später meldete sich Milton Stive: »Hallo, Mason. Ich kann Ihnen noch nicht eine Menge von Gründen angeben, um meine Schlußfolgerungen zu untermauern, aber so viel ist sicher, daß der Brief mit dem Datum vom letzten Monat von der gleichen Person geschrieben worden ist, die sich in den Hotels als ›Bill Hogarty‹ eintragen ließ.« Mason warf Della Street einen schnellen Blick zu. »Sagen Sie, Stive, wann können Sie mir einen vollständigen schriftlichen Bericht geben?« fragte er. Stive räusperte sich. »Tja«, sagte er, »frühestens am Montag abend. Das verlangt eine gründliche Arbeit. Außerdem wäre es nötig, noch gewisse Fotografien anzufertigen und...« Mason -6 5 -
unterbrach ihn mit einem Gelächter und sagte: »Also jetzt gehen Sie schon zu Ihrem Golfspiel, Sie Angeber, und sagen Sie inzwischen zu niemandem ein Wort von dieser Sache.« Mason legte auf und sagte zu Della Street: »Ich gehe jetzt fort und versuche, Serle zu finden, Della. Ich glaube, er wird in dem ›Home Kitchen Café‹ essen. Bleiben Sie hier im Büro, halten Sie sich auf dem Laufenden mit dem, was passiert. Rufen Sie nach einer Weile Phyllis Leeds an. Fragen Sie sie, ob sie gewußt hat, daß John Milicant einen verkrüppelten Fuß hatte, und versuchen Sie herauszubekommen, ob sie weiß, wie er dazu gekommen ist.«
8 Von einem Ecktisch in dem »Home Kitchen Café« aus hatte Mason einen Überblick über das Restaurant. Eine Kellnerin ging auf Mason zu, um seine Bestellung entgegenzunehmen. Der Anwalt lächelte, gab ihr zwei Eindollarscheine und sagte: »Ich gebe Ihnen das Trinkgeld vor dem Essen, denn ich warte noch auf Freunde. Kennen Sie wohl zufällig einen Mann namens Serle?« Sie nahm das Trinkgeld nur zögernd an sich. »Er ist ein großer, schlanker Mann von annähernd vierzig Jahren«, sagte Mason. Wieder schüttelte sie den Kopf. »Er ist mit einer Kellnerin namens Hazel befreundet.« »Ach, jetzt weiß ich, wen Sie meinen.« »Wenn er zum Essen hereinkommt«, sagte Mason, »dann sagen Sie ihm, der Rechtsanwalt Perry Mason möchte ihn sprechen. Und geben Sie mir einen Wink, wenn er kommt.« Sie nahm die zwei Dollar und sagte dann beinahe unschlüssig: «Aber wenn er Sie nicht sprechen will?» »Dann«, sagte Mason grinsend, »werde ich mit ihm sprechen.« Es waren nicht mehr als zehn Minuten vergangen, als Mason einen Mann in das Restaurant kommen sah, auf den die Beschreibung von Serle paßte. Die Kellnerin, der Mason das Trinkgeld gegeben hatte, bewegte sich geschwind auf ihn zu. Mason wandte sein Gesicht -6 6 -
ab und beschäftigte sich angelegentlich mit seiner Zigarette. Einige Sekunden später wandte er sich wie zufällig um. Guy T. Serle näherte sich seinem Tisch. Mason nickte ohne übertriebenen Eifer und deutete mit der Hand auf einen Stuhl. »So, Sie sind also Mason«, sagte Serle, und aus seinen Augen sprach Interesse. »Ich habe schon von Ihnen gehört... Ich brauche aber keinen Advokaten.« »Ich suche nicht nach Geschäften«, sagte Mason zu ihm. Serles Augen sah man an, daß er sofort begriffen hatte, worum es ging. »Und ich spreche nicht über diese andere Angelegenheit«, sagte er. »Warum nicht?« fragte Mason. »Ich bin ein Zeuge für die Staatsanwaltschaft.« »Ach, hat man Ihnen verboten zu reden?« fragte Mason. Serle zuckte die Achseln und winkte einer Kellnerin, die herübersah. Als sie an den Tisch trat, fragte Serle: »Wo ist Hazel?« »Ich weiß es nicht, ich glaube, sie kommt nicht mehr. Sie hatte heute Frühdienst, ist aber nicht gekommen, und deswegen ist der Chef böse geworden. Ich sollte erst um elf kommen, aber er hat mich aus dem Schlaf geholt. Er hat Hazels Wohnung angerufen, und dort hat man ihm gesagt, daß sie gestern noch vor Mitternacht fortgegangen sei, ihren Koffer mitgenommen habe und verschwunden wäre.« »Verschwunden wäre?« echote Serle. »Na ja, ihre Miete ist bis zum Ersten bezahlt, und heute ist Zahltag. Sie sollte heute ihren Wochenlohn bekommen... aber daraus wird wohl nichts mehr werden. Was darf ich Ihnen bringen?« »Das Mittagessen«, sagte Serle kurz angebunden. Als die Kellnerin gegangen war, fragte Mason wie von ungefähr: »Worüber haben Sie und Milicant eigentlich gesprochen?«
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»Milicant?« wiederholte Serle fragend. »Ach so, ja, ich vergesse doch dauernd, daß er eigentlich Milicant hieß. Ich kannte ihn unter dem Namen Conway.« »Also worüber haben Sie miteinander gesprochen?« fragte Mason. »Hören Sie, Mason«, sagte Serle, »ich bin nicht so dumm, daß ich mich durch leichtsinniges Reden ins Kittchen bringen lasse.« »Der District Attorney kann Ihnen trotzdem nicht von Ihrer Anklage wegen Betrug herunterhelfen«, sagte Mason. »Na, vielleicht doch, ich riskiere es jedenfalls«, sagte Serle. »Bis jetzt kann man mir nichts nachweisen. Ich betreibe ein gesetzlich zulässiges Geschäft. Ich kann doch nicht wissen, ob die Leute, die den Kram kaufen, den ich verkaufe, Zauberkünstler sind oder ob sie sich als Falschspieler betätigen wollen. Ich mache die Leute immer darauf aufmerksam, daß es ein kriminelles Vergehen ist, bei Glücksspielen mit Betrugsmanövern zu arbeiten. Damit bin ich gedeckt. Ich habe meine Pflicht getan.« »Na und wie ist die Sache mit der Lotterie?« fragte Mason. »Eine Lotterie hat es nie gegeben. Ich weiß nicht, wo Sie das gehört haben.« »Der District Attorney kann jedenfalls kein Bundesverfahren gegen Sie niederschlagen.« »Worauf wollen Sie eigentlich hinaus?« »Ich will darauf hinaus, daß es genau dasselbe ist, wenn ein Mann in einem Brief schreibt: ›Ich kann Ihnen die bestellte Ware nicht per Post schicken, aber Sie werden sie durch einen Boten persönlich überbracht bekommen‹, oder wenn er die Bundespost für sein Geschäft benutzt.« »Hören Sie mal, Mason«, sagte Serle. »Sie müssen mich in dieser Sache richtig verstehen. Das mit der Lotterie ist Quatsch. Man hat mir den Laden auf eine Denunziation hin zugemacht. Der District Attorney fällt auf den Kram nicht herein. Und außerdem kann man keinen Menschen auf eine Denunziation hin eines Vergehens überführen. Dafür braucht man Beweise.« Es entstand ein langes Schweigen, während dessen Mason seine Suppe aß. Serle beobachtete ihn mit Unruhe. -6 8 -
»Sie müssen eines verstehen, Mason«, sagte Serle. »Ich glaube nicht, daß Leeds ihn umgebracht hat, aber der District Attorney glaubt das. Außerdem glaubt der District Attorney, einen Fall in den Händen zu haben, der so hieb- und stichfest ist, daß man ihn in keiner Weise anfechten kann.« »Und weswegen ist er so hieb- und stichfest?« fragte Mason. »Darüber sage ich kein Wort«, sagte Serle. »Ist das der Preis, den Sie dafür zahlen mußten, daß der District Attorney die gegen Sie erhobene Anklage niederschlägt?« fragte Mason. »Jetzt hören Sie doch auf mit dieser Geschichte«, sagte Serle gereizt. »Es läßt sich nicht nachweisen, daß ich Lotterielose verkauft habe.« »Wenn der District Attorney Beweisunterlagen brauchte, dann könnte ich dafür sorgen, daß er das Lotterielos und die falschen Würfel bekäme, die Sie für fünfundzwanzig Dollar an Paul Drake geliefert haben.« Serle ließ die Gabel sinken, mit der er gerade einen Bissen zum Mund führen wollte und fragte: »Was zum Teufel wollen Sie denn damit sagen?« Nach einem langen Blick auf Serle sagte Mason: »Drake ist der Chef der Detektiv-Agentur Drake. Er hat in meinem Auftrag gehandelt.« »Ach so«, entfuhr es Serle leise. »Wir beabsichtigten, Conway zu finden«, sagte Mason. »Dabei erfuhren wir von der Conway Appliance Company, doch sie war umgezogen. Wir konnten die Post nicht dazu bringen, uns eine Nachsendeadresse zu geben, deswegen haben wir es riskiert, fünfundzwanzig Dollar abzuschicken.« »Hören Sie«, sagte Serle plötzlich, »was wollen Sie eigentlich?« »Ich will die Wahrheit wissen«, sagte Mason. Serle schob seinen Teller zurück. »Dazu muß ich erst jemanden anrufen«, sagte er.
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»Jemanden aus dem Büro des District Attorney?« fragte Lason. »Nein.« »Also wen?« »Nur einen Bekannten.« »Na, dann gehen Sie schon und rufen Sie an«, sagte Mason. Serle blieb beinahe zehn Minuten in der Telefonzelle und sagte, als er an den Tisch zurückkehrte: »Also gut, Mason, ich habe freie Hand.« Mason lächelte. »So geht es mir auch.« »Ich habe gleich Unrat gewittert, nachdem wir die Ware an Drake geliefert hatten«, fuhr Serle unbeherrscht los. »Aber ich hatte das Geschäft grade erst übernommen und kannte noch nicht alle Kunden. Er schrieb mir einen Brief, der mich glauben machte...« Seine Stimme verlor sich in bockigem Schweigen. »Ich weiß«, sagte Mason, »eine saudumme Geschichte, wie? Kein Mann geht gern mit dem Gedanken ins Gefängnis, daß er sich wie ein Anfänger benommen hat.« »Na schön! Sie sollen Ihren Willen haben. Ich habe Louie seit mehreren Jahren gekannt. Er ist auf den Gedanken gekommen, diesen Laden mit den falschen Würfeln aufzuziehen. Ich hatte in der Zwischenzeit immer Lotteriegeschäfte aufgezogen. Dann kam ich auf die Idee, beide Sachen miteinander zu verbinden. Aber Louie wollte mir keine Anteile an seinem Geschäft verkaufen. Dann wollte Louie plötzlich aus dem Geschäft aussteigen. Er sagte mir, er hätte einen großen Schlag gemacht und als erste Rate darauf zwanzigtausend Dollar einkassiert. Außerdem sagte er, er würde noch hunderttausend Dollar herausschlagen, ehe er die Sache aufgäbe.« »Mit Erpressung?« fragte Mason. »Natürlich war es Erpressung! Er hatte sich das hübsch ausgedacht.« »Wissen Sie, was er über Leeds wußte?« fragte Mason. »Natürlich nicht. Sie glauben doch wohl nicht, daß Louie so dämlich war, mir das zu sagen, oder? Na ja, und dann habe ich die Firma gekauft. Ich dachte, es wäre nicht schlecht, mit der -7 0 -
Firma umzuziehen, aber ich behielt den Firmennamen bei, weil sie ein über die Post laufendes Versandgeschäft war.« »Reden Sie nur weiter«, sagte Mason. »Die Polizei hat bei mir eine Razzia veranstaltet, aber ich war nicht da. Man hat einen Haufen von diskriminierenden Dingen beschlagnahmt, aber die Polizei konnte nicht beweisen, daß die Lieferungen ausgeführt worden waren. Mein Mitarbeiter war schlau genug, die Lotterielose an einer Stelle unterzubringen, wo sie absolut sicher sind.« »Die Polizeibeamten werden Ihre eintreffende Post beschlagnahmen«, sagte Mason. Serle lachte. »Das bilden Sie sich ein. Aber ich bin, sobald ich von der Geschichte hörte, zuerst zum Postamt gelaufen und habe dort eine neue Adresse angegeben. Bei der alten wird nicht ein einziger Brief ankommen.« »Dann bin ich zu Conway gegangen. Ich hatte eine Stinkwut im Leibe, denn ich dachte, daß er mich reingelegt hätte.« »Und was sagte Conway?« fragte Mason. »Conway war beunruhigt. Er sagte, er würde die Kaution für mich stellen, und die ganze Geschichte wäre so sauber gewesen wie ein neues Tischtuch, als er sie mir verkauft hätte. Natürlich habe ich ihm gesagt, daß Leeds der Polizei den Tip gegeben hätte. Worauf er gesagt hat, das wäre nicht möglich.« »Sagen Sie, was hat Conway wirklich gesagt?« fragte Mason. »Er sagte: ›Ich werde dir sagen, was du tun mußt, Guy. Du verschwindest solange von der Bildfläche, bis ich Gelegenheit habe, die Dinge in Ordnung zu bringen. Ich werde dafür wahrscheinlich ein paar Stunden brauchen. Es kann aber vielleicht auch etwas schneller gehen. Ruf mich an, und dann werde ich dir sagen, wann du kommen sollst. Dann kommst du in meine Wohnung, und wir besprechen die Lage.‹« »Und dann gingen Sie also in die Wohnung?« fragte Mason. »Ja, ich ging in die Wohnung. Ich war reichlich nervös. Louie hopste herum wie ein Floh im Karton, telefonierte unentwegt und schrieb dauernd Zahlen auf ein Papier. Keiner von uns -7 1 -
hatte inzwischen etwas gegessen, weswegen Louie mir die Telefonnummer von einem Restaurant gab und mir sagte, ich solle etwas zu essen bestellen. Während wir das Essen herunterwürgten, sagte Louie zu mir: ›Jetzt hör mal zu, Guy. Ich habe den größten Teil von den zwanzigtausend Dollar, die ich Leeds abgenommen habe, bereits wieder verloren, aber ich halte zu meinen Freunden. Ich möchte nicht, daß du etwas über die Sache weißt, die ich vorhabe -, aber eines sag ich dir, es kommt vor zehn jemand zu mir, der bringt einen Haufen Zaster, und zwar einen großen Haufen. Wie wäre es denn, wenn du mich anriefest, um von mir zu erfahren, daß alles in Ordnung ist und du keine Angst zu haben brauchst. Dann gehst du zum Gefängnis, läßt dich einsperren, die Kaution wird gestellt, und du bist wieder frei. ‹« Mason betrachtete das Ende seiner Zigarette. »Sie sagen, daß Louie noch eine Menge anderer Dinge zu tun gehabt hätte?« fragte er. »Ja. Das Telefon läutete zwei- oder dreimal, und er selber machte auch einige Anrufe.« »Was waren das für Anrufe?« fragte Mason. »Einige Anrufe waren Tips für Pferderennen und andere wieder nicht. Ich erinnere mich, daß er jemandem sagte, die Dinge wären alle in Ordnung, und es würde keine Schwierigkeiten geben. ›Warum kommst du nicht herüber und besprichst die Sache mit mir?‹ sagte er und fuhr dann fort: ›Nun, ich könnte ja auf einen Sprung vorbeikommen. Ich möchte aber nicht länger als eine oder zwei Minuten fort sein, aber ich kann hinaufkommen, wenn du willst.‹ Und dann sagte er: ›Na gut, dann ist das in Ordnung. Komm du hierher, aber komm nicht vor zehn Uhr. Ich werde bis nach zehn Uhr zu tun haben.‹« »Sonst noch etwas?« fragte Mason. Ein Anruf kam von seiner Freundin. Sie schien über irgend etwas furchtbar aufgeregt zu sein, und er gab sich alle Mühe, sie mit sehr viel ›Ja doch, Schon gut, Jawohl‹ zu beruhigen. Tja, das ist so ungefähr alles. Ich ging gleich nach dem Essen fort und hinunter in einen Billardsaal, den ich kannte, und hielt -7 2 -
mich da bis gegen zehn Uhr auf. Dann rief ich Louie an, der sagte, die Sache ging in Ordnung, und er würde in der Wohnung bleiben und auf meinen Anruf vom Polizeipräsidium warten, sich dann ein Taxi nehmen, hinfahren und die Kaution stellen, und damit wäre ja dann alles geschafft.« »Haben Sie die Polizei unmittelbar danach angerufen?« fragte Mason. »Nein, das habe ich nicht. Ich wollte mir nämlich noch ein bißchen überlegen, was ich der Polizei erzählen wollte.« »Wann haben Sie Louie angerufen?« fragte Mason. »So gegen zehn Uhr.« »War es vielleicht schon zehn Uhr dreißig?« fragte Mason beiläufig. »Zum Teufel nochmal, es war zehn Uhr.« »Serle, Sie lügen«, sagte Mason kalt. »Sie haben ihn um zehn Uhr dreißig angerufen. Sie konnten sich nicht an die genaue Zeit erinnern, und das haben Sie zugegeben, als Sie ihre Geschichte zum erstenmal erzählten. Aber nachdem Sie mit den Leuten von der Mordkommission gesprochen und dabei gemerkt hatten, daß diese Leute den Anruf gerne vor den Zeitpunkt legen wollten, zu dem Leeds weggegangen war, da haben Sie sich entschlossen, den Leuten einen Gefallen zu tun. Sie haben sich dabei gedacht, daß man Ihre Strafsache niederschlagen würde, falls Sie Entgegenkommen bezeigten.« Die Kellnerin trat an den Tisch und sagte hastig zu Mason: »Sind Sie Perry Mason?« Er nickte. »Ihr Büro ruft gerade an. Es heißt, es wäre sehr wichtig. Sie sollten sofort an den Apparat kommen.« Mason wies mit einer Handbewegung auf Serle und sagte: »Geben Sie ihm mit meinem herzlichen Dank die Rechnung.« Er schritt auf die Telefonzelle zu. Am Apparat war Della Street. »Hören Sie, Chef«, sagte sie atemlos, »Drake hat festgestellt, wo Alden Leeds steckt.« »Und wo ist das?«
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»In Seattle. Emily Milicant ist bei ihm. Drakes Vertreter in Seattle überwacht ihn. Ihre Maschine fliegt in dreißig Minuten. Ich habe Ihnen einen Platz reservieren lassen und werde Ihnen alle Einzelheiten an den Flughafen in Portland telegrafieren.« »Ich glaube, ich werde es schaffen«, sagte Mason. »Stenografieren Sie jetzt folgendes.« »Okay, schießen Sie los.« »Milicants Wohnung war im sechsten Stock. Lassen Sie alle Leute überprüfen, die Wohnungen über der seinen hatten. Serle hat etwas von einem Gespräch erwähnt, das Milicant am Telefon führte. Es kann jemand gewesen sein, der über ihm im gleichen Hause wohnt. Sagen Sie Drake, eine Kellnerin aus dem ›Home Kitchen Café‹ namens Hazel Stickland sei plötzlich abgereist. Lassen Sie Drake den Kellner überprüfen, der das Essen in Milicants Wohnung hinaufbrachte. Wir nehmen die Geschichte dieses Kellners allzu sehr als richtig an. Stellen Sie fest, ob er diese Kellnerin kennt. Lassen Sie Drake Hazel ausfindig machen. Serle hat uns an den District Attorney verkauft. Er behauptet, das Telefongespräch habe um zehn Uhr stattgefunden. Er weiß, daß er lügt, aber er bildet sich ein, auf diese Weise seinen eigenen Fall niederschlagen zu können. Wahrscheinlich hat Alden Leeds der Polizei telefonisch den Tip gegeben, der zu der Razzia bei Serle führte. Milicant wußte das, als Leeds anrief. Leeds hat wahrscheinlich weitere zwanzigtausend Dollar hinterlassen, als er Milicant seinen letzten Besuch abstattete. Milicant muß so ziemlich gleich danach getötet worden sein... Geben Sie alle diese Sachen Paul Drake an. Haben Sie alles?« Mason hängte auf und raste aus dem Restaurant.
9 Als Mason das Hotel in Seattle betrat, regnete es leicht. »Sie haben doch hier einen J. E. Smith wohnen?« fragte er. Der Empfangschef sah in seinem Buch nach und sagte: »Jawohl. Auf Drei-neunzehn. Soll ich ihn anrufen?« -7 4 -
»Nein«, sagte Mason langsam. »Ich werde ihn anrufen, sobald ich mich ein wenig frisch gemacht habe. - Ich möchte zwei Zimmer haben, eins für mich selber und eines für Mrs. George L. Manchester aus New York. Ic h werde für beide Zimmer im voraus zahlen. Geben Sie mir den Schlüssel für das Zimmer, das Sie für Mrs. Manchester aussuchen. Ich werde mir ansehen, ob es in Ordnung ist und den Schlüssel hier auf dem Tisch lassen, sobald ich wieder herunterkomme.« Der Liftboy brachte Mason zu seinem Zimmer. Das Manchester-Zimmer lag drei Türen weiter auf der anderen Seite des Korridors. Als der Boy gegangen war, ging Mason die Treppen zum dritten Stock hinauf und klopfte an der Tür von Nr. 319. »Wer ist da?« ertönte Emily Milicants Stimme scharf. »Ein Expreßpaket«, brummte Mason. Die Tür wurde vorsichtig einen Spalt breit aufgemacht. Mason stieß die Tür auf. Emily Milicant trat bestürzt zurück. In einem gepolsterten Sessel neben der Heizung saß ein weißhaariger, magerer Mann mit kalten, stechenden Augen und sah Mason stirnrunzelnd an: »Wer, zum Teufel, sind Sie?« fragte er. Emily Milicant beantwortete die Frage: »Das ist Perry Mason, der Anwalt.« »Schließ die Tür«, sagte der Mann im Sessel. Als Emily Milicant die Tür verschloß, fragte Leeds: »Wie haben Sie uns gefunden?« »Das war leicht«, sagte Mason. »Es war sogar zu leicht. Wenn ich Sie finden kann, dann kann die Polizei Sie auch finden.« »Alden hat einfach einen Schock bekommen durch diese Sanatoriumsgeschichte«, sagte Emily überstürzt. »Er hatte Angst, man würde ihn noch einmal in eine Irrenanstalt bringen. Daher entschloß er sich, fortzulaufen.« Mason setzte sich auf das Bett und sagte in freundlichem Unterhaltungston zu Alden Leeds: »Wann haben Sie John Milicant zum letztenmal gesehen?« »Ich schätze, ungefähr vor einer Woche«, sagte Leeds. »Sie haben«, sagte Mason, »John Milicant gestern abend um zehn Uhr fünf besucht.« -7 5 -
»Ich weiß nicht, wovon Sie reden.« »Sie haben ihn in einer Wohnung aufgesucht, in der er unter dem Namen L. C. Conway wohnte«, sagte Mason. »Erzählen Sie mir nicht, Sie wüßten nicht, daß John Milicant gestern abend irgendwann zwischen zehn Uhr und zehn Uhr fünfundvierzig ermordet worden ist.« Emily Milicants Augen weiteten sich in ungekünsteltem Entsetzen. »John!« schrie sie auf und setzte einen Augenblick später hinzu: »Ermordet!« Alden Leeds sagte in scharfem Ton: »Er lügt, Emily, er will irgend etwas aus dir herausholen. Fall nicht darauf rein!« Mason fuhr in seine Brusttasche, zog einen Zeitungsabschnitt hervor. Er reichte ihn Emily Milicant hinüber, die ein paar Zeilen las, dann zu Alden Leeds hinüberging, um sich neben seinen Sessel zu knien. Gemeinsam lasen sie den Zeitungsbericht. »Ach, Mr. Mason, das ist ja grauenhaft«, sagte Emily Milicant. »Vergessen Sie das alles«, unterbrach Mason sie grob. »Ich weiß nicht, wieviel Zeit wir haben. Ich fürchte, es wird nicht viel sein. Milicant war Ihr Bruder. Er hat Alden Leeds unter dem Namen Conway erpreßt. Sie, Leeds, sind gestern abend zu John Milicant in die Wohnung gegangen. Sie waren ungefähr genau zu dem Zeitpunkt dort, zu dem der Mord begangen worden sein muß. Die Wohnung war durchsucht worden. Es sieht so aus, als seien Sie derjenige gewesen, der das getan hat. Jetzt lassen Sie alle Lügen, alle Tränen und sonstige Gefühlsausbrüche weg. Reden Sie schnell und sagen Sie die Wahrheit.« »Ich bin von dort um neun Uhr fünfundvierzig weggegangen«, sagte Leeds. »Denken Sie lieber nochmal nach«, sagte Mason. »Die Wohnung wurde von Privatdetektiven überwacht. Es wurde festgestellt, daß Sie fünf Minuten nach zehn gekommen und um zehn Uhr sechzehn wieder gegangen sind.« Emily Milicant wischte sich die Tränen aus den Augen und sagte ruhig: »Das stimmt, Alden. Es war zehn Uhr fünfundzwanzig, als er mich anrief und mir sagte, du wärest -7 6 -
gerade gegangen.« Mason blickte sie scharf an. »Er hat Sie angerufen?« fragte er. »Ja.« »Und wo hat er Sie angerufen?« »In meiner... unter einer Nummer, die ich ihm gegeben hatte, wo er mich erreichen konnte.« »Bis gestern nachmittag«, sagte Alden Leeds langsam, »hatte ich keine Ahnung, daß L. C. Conway und John Milicant eine und dieselbe Person seien. Ich dachte, John Milicant handelte als mein Freund. Er sagte mir, er kenne Conway, und Conway sei ein Hochstapler, aber er könne mit ihm umgehen. Ich gab John Milicant einen Scheck über zwanzigtausend Dollar. Der Scheck war auf Conway ausgestellt, und zwar so giriert, daß Conway ihn annehmen würde. John sagte nämlich, Conway würde nicht selber zur Bank gehen.« »Und dann«, sagte Emily Milicant vertrauensvoll, »hat John dir gestern nacht das Geld zurückgegeben, nicht wahr, Alden?« »Er hat mir gestern nacht ein Ultimatum gestellt«, sagte Alden Leeds trocken, »und hat mir gesagt, müsse innerhalb vierundzwanzig Stunden noch einmal zwanzigtausend Dollar haben. Darauf habe ich ihm fünfzehntausend in bar gegeben.« Emily Milicant saß da und starrte ihn mit weit aufgerissenen, überraschten Augen an. »Aber mich hat er doch gestern nacht, kurz nachdem du gegangen warst, angerufen und mir gesagt, es sei alles erledigt, und er hätte dir bis auf zweitausend Dollar alles zurückgegeben.« »Hören Sie her«, unterbrach Mason. »Falls Sie absolut sicher sind, daß Ihr Bruder Sie um zehn Uhr fünfundzwanzig angerufen hat, dann ist Alden Leeds von jedem Verdacht befreit.« »Natürlich hat er mich angerufen.« »Ist John je im Gefängnis gewesen?« fragte Mason. »Er hat im Zuchthaus in Waupun in Wisconsin fünf Jahre abgesessen. Das war vor Jahren.« »Dann wird man ja seine Fingerabdrücke haben?« sagte Mason. Sie schüttelte den Kopf. »Er wurde Kalfaktor im -7 7 -
Gefängnisbüro und war schlau genug, sich dort seine Fingerabdrücke zu besorgen und sie durch andere zu ersetzen. Das war zu einer Zeit, als es noch keine zentrale Sammelstelle für Fingerabdrücke gab...« Mason runzelte nachdenklich die Stirn. »Also vor dem Zeitpunkt, zu dem er seine Zehen verlor?« fragte er. »Er verlor seine Zehen in Waupun«, sagte sie. »Er hatte sich durch eine Infektion eine Blutvergiftung zugezogen. Man mußte ihm vier Zehen am rechten Fuß amputieren.« Mason sagte: »War er wirklich Ihr Bruder?« »Natürlich war er mein Bruder.« »Sind Sie ganz sicher, daß Sie diese Verwandtschaft nicht nur vorgetäuscht haben, um... um miteinander reisen zu können?« Sie wurde rot. »Bestimmt nicht«, fauchte sie. Mason wandte sich Alden zu und sagte: »Na schön, Conway und John Milicant waren identisch. Er hat Sie erpreßt. Was wußte er denn über Sie?« »Davon wollen wir nicht sprechen«, sagte Leeds. »Das meine ich aber doch«, sagte Mason zu ihm. »Was soll geschehen, wenn die Polizei diese gewissen Papiere in Conways Wohnung findet?« »Welche Papiere?« »Ich werde mir nicht von Ihnen in die Karten gucken lassen, solange Sie die Ihren nicht offen auf den Tisch gelegt haben«, sagte Mason. »Ich habe genug Material, um zu wissen, ob Sie mir die Wahrheit erzählen. Wie wäre es denn, wenn Sie damit anfingen?« »Ich habe weiter keine Äußerung zu machen«, sagte Leeds. »Also, Alden«, sagte Emily Milicant, »nun komm schon und sag ihm die Wahrheit. Siehst du es denn nicht ein, daß das die einzige Möglichkeit ist?« Leeds stopfte den Tabak in seiner Pfeife zusammen. »Ich werde Ihnen alles von mir erzählen und dich, Emily, aus der Geschichte auslassen«, sagte er.
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»Na schön, dann werde ich ihm von mir erzählen«, sagte sie. Sie wandte sich Perry Mason zu. »Ich war Tänzerin«, fuhr sie fort. »Ich bin als Tänzerin in den Klondike-Distrikt für das Lokal ›M und N‹ hinaufgefahren. Das war noch vor der Zeit, als es die sogenannten Taximädchen gab, wie wir sie heute kennen. Ich bin kein Engel, aber ich habe mich in meinem ganzen Leben niemals einem Manne nur um Geld hingegeben. Ich war, als ich 1906 in den Klondike-Distrikt hinauffuhr, neunzehn Jahre alt. Das heißt, daß ich heute zweiundfünfzig Jahre alt bin. So, Alden, jetzt bist du an der Reihe. Erzähle weiter.« »Ich bin 1906 zum Yukon hinaufgefahren, wo ich einen Partner namens Hogarty fand. Wir fuhren hinauf in den TananaDistrikt zum Goldgraben und hatten Glück. Hogarty hatte Emily auf dem Schiff kennengelernt. Er hatte sich sehr in sie verknallt und schrieb ihr seitdem. Emily ging in den Tanzpavillon, wo es ihr aber nicht gefiel. Sie beschloß, die Arbeit aufzugeben und sich einen Anteil an einem Claim zu kaufen. Bill schrieb ihr, sie solle zu uns kommen. Sie kam auch. Nie werde ich vergessen, wie Emily aussah, als ich sie zum erstenmal in unserer Hütte erblickte. Ich sah sie an und verliebte mich Hals über Kopf in sie. Wir hatten schwer gearbeitet. Unsere Nerven waren überreizt. Ich beschimpfte Bill, weil er ein anständiges Mädchen in die verrohte Goldgräbergegend geholt hatte. Bill sagte mir, ich solle mich um meine eigenen Dinge kümmern, ein Wort ergab das andere, und nach zwei Tagen sprachen wir nicht mehr miteinander. Emily gab sich alle Mühe, die Dinge wieder in Ordnung zu bringen, doch je mehr sie sich anstrengte, desto schlimmer wurde es. Eines Morgens wachten wir auf und stellten fest, daß Emily verschwunden war. Sie hatte einen Zettel hinterlassen, auf dem sie geschrieben hatte, sie sähe ein, daß es so nicht weitergehen könne, deswegen sei sie wieder fort, und wir sollten nicht den Versuch machen, ihr zu folgen. Das hinderte uns nicht daran, es zu versuchen. Es nützte uns aber nichts. Wir konnten sie nicht finden. Wir gingen zu unserem Claim zurück und schürften weiter. Bill wollte mir den Hals umdrehen und ich ihm. Dann kamen wir eines Tages an eine reiche Goldader. Wir standen da und starrten einander -7 9 -
über den großen Haufen Gold an, und Bill sagte: ›Deine Schuld ist es, daß Emily keinen Anteil an diesem Fund bekommen hat.‹ Ich beschimpfte ihn, und wir fingen an, uns zu schlagen. Keiner von uns gewann. Als wir nicht mehr weiter konnten, gingen wir in die Hütte zurück und kühlten unsere Gesichter mit kaltem Wasser. Dann gingen wir hinaus und gruben noch mehr Gold aus. In dieser Nacht beschloß Bill, mich umzubringen. Ich konnte es seinen Augen ablesen. Wir hatten einen Revolver und ein Gewehr. Ich schob das Gewehr in mein Hosenbein und schmuggelte es aus der Hütte, als ich hinausging, um Holz zu holen. Ich versteckte das Gewehr an einer Stelle, wo ich es gut erreichen konnte. Gegen acht Uhr an jenem Abend passierte es. Er hatte ziemlich heftig getrunken und richtete sich plötzlich auf und warf die Whiskyflasche zur Seite. Bis er die Pistole erhoben hatte, war ich auf die Tür zugesprungen. Bill war schnell. Er schoß zweimal, verfehlte mich aber beide Male. Ich rannte um die Hütte herum und er hinter mir her. Ich hatte genügend Vorsprung, um die Hütte zwischen ihn und mich zu bringen. Ich griff nach dem Gewehr und schoß. Da war ich nun - mit einem toten Partner - hoch oben im Norden, hatte einen Claim, der von Gold nur so strotzte, und der Winter rückte näher. Ich wußte, daß es ein wahres Goldnest war. Falls ich den Claim verließ, um ihn bei der Behörde anzumelden, dann konnte irgend ein anderer Goldgräber vorbeikommen und die ganze Goldgrube leeren. Ich tat also das einzige, was mir damals logisch erschien: ich schleppte Bill weit fort von der Hütte, grub ein Loch und begrub ihn. Ich ging zurück und blieb bei der Goldgrube. Nach zehn Tagen war sie leer. Ich hatte ein Vermögen an Gold. Ich brauchte fünf Märsche, um all das Gold, das ich tragen konnte, in das Schiff zu bringen. Ich hatte mir gedacht, daß ich, wenn ich unter dem Namen Hogarty reiste, eine Spur hinterlassen könnte, wonach Bill das Land verlassen hatte und bis Seattle kommen konnte. In Seattle wollte ich dann wieder meinen eigenen Namen annehmen und mit Leuten reden, die ich kannte. Sollte darin die Polizei die Leiche finden, dann würde man sie nie als die von Hogarty identifizieren, denn es stand fest, daß Hogarty das -8 0 -
Land verlassen hatte. Die Leiche als die von Leeds zu identifizieren, konnte man nicht, weil Leeds am Leben und bei guter Gesundheit sein würde. Es war das beste, was ich tun konnte. Ich kam nach Seattle immer noch unter dem Namen Hogarty. Ich fand Emily. Sie hatte immer noch die gleichen Gefühle für mich, wie ich sie für sie hatte. Wir heirateten. Diesen Winter über lebten wir in Seattle. Wir waren beide reizbar und launisch. Im Frühjahr hatten wir einen Riesenkrach, und Emily verließ mich. Ich verließ Seattle und wurde wieder Alden Leeds.« In das Schweigen, das nun folgte, ertönte plötzlich ein Klopfen an der Zimmertür. »Was gibt’s?« fragte Mason. Die Stimme eines Pagen antwortete: «Da ist ein Telegramm für Mr. Mason. Er ist nicht in seinem Zimmer. Ich dachte, er könnte vielleicht hier sein. Er hat dem Portier gesagt, er wolle Mr. Smith aufsuchen.« »Schieben Sie es unter der Tür durch«, sagte Mason, «ich schiebe Ihnen dann eine Dollarnote zurück. Ich bin Mason.« Einen Augenblick später rutschte unter der Tür ein blauer Umschlag hindurch. Dann schob Mason durch den gleichen Spalt eine Dollarnote. Er riß den Umschlag des Telegramms auf und las eine von Della Street telegrafierte Nachricht: Ihre Büroleitung und die Telefonleitung meiner Wohnung sind abgehört worden - stop - District Attorney hat Ihr Gespräch mit Milton Stive abgehört - hat eine zwangsweise Vorführung erwirkt und verlangt alle Papiere - stop - wahrscheinlich ist auch mein Gespräch mit Ihnen über Ihren Flug nach Seattle und den Aufenthalt von Alden Leeds abgehört worden. Della Street. »Na schön«, sagte er ruhig, »wir werden Gesellschaft bekommen. Sie beide tun jetzt genau das, was ich Ihnen sage. Miss Milicant, hier ist der Schlüssel zu einem Hotelzimmer. Sie sind für dieses Zimmer als Mrs. George L. Manchester eingetragen. Gehen Sie in das Zimmer. Schließen Sie sich ein, und bleiben Sie dort, bis die Polizei denkt Sie wären -8 1 -
entkommen, und aufgibt, das Hotel zu bewachen. Dann reisen Sie ab, halten sich versteckt und schreiben an mein Büro, wo und unter welchem Namen Sie sich aufhalten. Leeds, ich könnte Ihnen helfen, zu entkommen. Ich halte es aber nicht für klug. Sollten Sie verhaftet werden, so bestehen Sie darauf, ausgeliefert zu werden, aber beeilen Sie sich nicht so sehr damit. Sagen Sie den Polizisten, Sie seien verliebt in Emily Milicant, und Sie hofften, sie zu heiraten. Sagen Sie weiterhin, daß Sie bis gestern nachmittag keine Ahnung gehabt hätten, daß der Mann, den Sie als John Milicant kannten unter dem Namen Louie Conway lebte. Geben Sie zu, daß Sie ihn besucht haben, aber behaupten Sie, Sie wüßten nicht mehr, wann das war. Sie hätten eine geschäftliche Angelegenheit mit ihm zu besprechen gehabt und hätten ihn gesund und munter verlassen. Sie dürfen der Polizei nicht sagen, worüber Sie gesprochen haben, wofür der Scheck war und wie Sie dahinter gekommen sind, daß Conway und Milicant miteinander identisch waren. Sie haben doch nun einen zweiten Scheck über zwanzigtausend Dollar ausgeschrieben, nachdem Sie das Sanatorium verlassen haben, und der war auch auf Conway ausgestellt, aber so giriert, daß ihn der Überbringer abheben konnte. Die Beschreibung der Frau, die die Schecksumme kassierte, paßt meiner Meinung nach auf Emily Milicant. Wie ist das?« »Alden wollte eine Menge Geld bei sich haben, um ganz nach Belieben schalten und walten zu können. Er wußte genau, daß er nicht zwanzigtausend Dollar in bar abheben konnte, ohne den Eindruck zu erwecken, als wolle er verschwinden. Er dachte sich, daß, wenn er den zweiten Scheck auch auf Conway ausstellte und ich das Geld dafür abholte, er die zwanzigtausend Dollar bekommen könne, ohne daß jemand dabei auf den Gedanken käme, er wolle verschwinden. Damals dachten wir, es wäre eine gute Idee.« »Jetzt scheint es eine verdammt schlechte Idee gewesen zu sein«, sagte Mason. »Ich weiß«, gab sie zu. Mason runzelte nachdenklich die Stirn. »Na schön«, sagte er. »Dann tun Sie genau das, was ich Ihnen gesagt habe, aber -8 2 -
nicht mehr und nicht weniger. Sollte die Polizei Sie fassen, so weigern Sie sich, eine Aussage zu machen, lehnen Sie es ab, die Leiche als die Ihres Bruders zu identifizieren und weigern Sie sich zuzugeben, daß Sie je einen Bruder gehabt haben. Außerdem müssen Sie es ablehnen, über irgend etwas zu reden ehe Sie mit mir gesprochen haben. Können Sie das fertigbringen?« »Ja.« »Wenn Sie alle beide genau das tun, dann kann ich Ihnen helfen. Wenn Sie meine Anweisungen nicht befolgen, dann ist es gut möglich, daß einer von Ihnen oder Sie alle beide eine Anklage wegen Mord ersten Grades auf den Hals bekommen. Jetzt gehen Sie hinunter in das Zimmer, wo Sie Mrs. Manchester sind. Verschwenden Sie keine Zeit und werden Sie nicht sentimental. Tun Sie genau das, was ich Ihnen gesagt habe.« Er ging mit großen Schritten aus dem Zimmer und fuhr mit dem Fahrstuhl in die Halle hinunter. Als Mason im Hoteleingang stand und auf ein Taxi wartete, kam ein Polizeiwagen um die Ecke und bremste knirschend an der Bordschwelle. Vier uniformierte Beamte sprangen aus dem Wagen. Zwei Beamte in Zivil, die in der Nähe der Tür gestanden hatten, schlossen sich den andern Beamten an. Masons Taxi führte ihn zum Telegrafenamt, von wo er Della Street eine Nachricht schickte, die nur folgenden Wortlaut hatte: Telegramm erhalten - keine Beschwerde wegen erwähnter Angelegenheit einreichen - nicht überrascht sein über irgendwelche Gespräche, die ich mit Ihnen telefonisch führe. Er unterschrieb das Telegramm, zahlte es, kehrte zu seinem Taxi zurück und sagte: »Fahren Sie mich in ein Zeitungsbüro. Ich möchte eine Annonce aufgeben.« In dem Zeitungsbüro schrieb Mason eine Annonce: »Gesucht werden Informationen über die Vergangenheit von William Hogarty, Alter vierundfünfzig Jahre, hinkt leicht beim Gehen, weil ihm 1906 vier erfrorene Zehen am rechten Fuß in Klondike amputiert wurden. Größe einsfünfundsiebzig, Gewicht -8 3 -
hundertachtzig Pfund, grobe Gesichtszüge, Kopf teilweise kahl, Augen schwarz, Haar schwarz. Hogarty zog 1906 in den Tanana-Distrikt im Klondike hinauf. Kam irgendwann 1907 nach Seattle zurück. Hat unter dem Namen L. C. Conway gelebt. Für jede genaue Mitteilung über seine Vergangenheit, sowie über die Erben und früheren Freunde dieses Mannes wird ein großzügiges Honorar gezahlt. Besonders interessiert der Name des Doktors, der die Operation an dem erfrorenen Fuß vornahm und sein Aufenthaltsort, und ebenso eine Mitteilung über das, was Hogarty zu dem Zeitpunkt darüber für Aussagen gemacht hat, Nachrichten sind zu richten an Perry M. über die Adresse dieser Zeitung.« Mason schob die Annonce über den Tisch. »Hier ist ein Fünfzigdollarschein«, sagte er. »Lassen Sie diese Annonce so lange laufen, bis das Geld aufgebraucht ist oder bis ich Ihnen mitteile, die Annonce einzustellen. Lassen Sie sie mit einer auffallenden Type drucken oder mit doppeltem Zeilenabstand, auf jeden Fall so, daß sie auffällt.« »Jawohl, mein Herr«, sagte das Mädchen. Mason legte eine von seinen Visitenkarten auf den Tisch. »Sämtliche Antworten, die Sie erhalten«, sagte er, »müssen augenblicklich per Luftpost an diese Adresse geschickt werden. Verstehen Sie mich?« »Jawohl, mein Herr.« »Gute Nacht«, sagte Mason und schritt hinaus in den kalten Regen. »Auf zum Flugplatz«, sagte er zum wartenden Taxichauffeur. Am Flughafen stellte Mason fest, daß das nächste Passagierflugzeug am nächsten Tag um zehn Uhr fünfunddreißig aus Seattle abging. Das Taxi brachte ihn zu einem der besseren Hotels der Stadt. Am Morgen rief er Della Street an. »Hören Sie zu, Della. Hier hat sich inzwischen folgendes getan: ich habe Alden Leeds hier angetroffen und ziemlich viel über die Familiengeschichte herausbekommen. John Milicant war früher ein Partner von Leeds. Er führte damals den Namen Bill Hogarty. Er und Leeds -8 4 -
sind 1906 in den Klondike gezogen. Sie haben eine reiche Goldader gefunden. Hogarty und Leeds haben sich wegen einer Tänzerin verkracht. Diese Tänzerin war Emily Milicant. 1907 heiratete Emily Milicant Hogarty in Seattle.« »Dann war er gar nicht Emily Milicants Bruder?« »Ganz und gar nicht«, sagte Mason. »Aber warum hat sie denn gesagt, er wäre es?« »Das ist eine lange Geschichte«, sagte Mason. »Ich glaube, wir können wegen des erfrorenen Fußes die Leiche einwandfrei als die von Hogarty identifizieren. Wir wollen aber den District Attorney daran hindern, hinter das zu kommen, was wir vorhaben. Also bis morgen, Della. Leben Sie wohl.« Mason hängte den Hörer auf, ging in die Hotelhalle hinunter, zahlte seine Rechnung und erreichte noch das Flugzeug nach Süden. Es regnete noch immer. In San Francisco kaufte sich Mason eine Zeitung. Auf der zweiten Seite fand er das, was er suchte. Auf dem Weiterfluge nach Los Angeles las er mit zwinkernden Augen den Bericht in der Zeitung: »KLONDIKE MILLIONÄR WEGEN ERMORDUNG DES GLEICHEN MANNES IN ZWEI STAATEN GESUCHT. GOUVERNEUR VON WASHINGTON STEHT VOR EINEM VERZWICKTEN AUSLIEFERUNGSBEGEHREN. Seattle, Washington. Hat Alden Leeds im Jahre 1906 im Klondike Bill Hogarty ermordet? Hat Bill Hogarty 1906 im Klondike Alden Leeds ermordet? Oder hat Alden Leeds am Freitag abend in der vergangenen Woche William Hogarty in Kalifornien ermordet? Das sind Fragen, die die Behörden n i Verlegenheit bringen und insbesondere dem Gouverneur des Staates Washington ziemliches Kopfzerbrechen verursachen. Denn ihn hat man verständigt, daß er in Kürze den formellen Antrag erhalten wird, Alden Leeds, der zur Zeit in Seattle in Haft gehalten wird, an die Behörden in Alaska auszuliefern, damit er sich gegen die Anklage verantwortet, seinen Partner Bill Hogarty in der Zeit des Goldrausches im Klondike ermordet zu haben. Andererseits sind die Behörden von Kalifornien, die sich -8 5 -
in Seattle gemeldet haben, ebenso sicher der Oberzeugung, daß Alden Leeds Bill Hogarty erst am Freitag abend der vergangenen Woche ermordet hat. Wir werden unsere Leser weiterhin ausführlich über die Entwicklung dieses wohl einmaligen Falles auf dem Laufenden halten.« Della Street und Paul Drake erwarteten Mason im Flughafen. »Hallo, da seid ihr ja«, sagte Mason. »Wie wär’s denn mit einer Kleinigkeit zu essen?« »Großartige Idee«, sagte Della Street. Als sie zu Ende gegessen hatten und jeder vor sich eine Tasse mit schwarzem Kaffee stehen hatte, zündete sich Mason eine Zigarette an und sagte zu Paul Drake: »Okay, Paul, jetzt leg los.« »Auf deine Anweisung hin ließ Della mich Erkundigungen über die Mieter einziehen, die über dem sechsten Stock wohnten. Bis wir an das Apartment 881 kamen fanden wir nichts. Die Wohnungsinhaberin ist eine Sekretärin in einem Eisengeschäft und heißt Inez Colton. Man hat sie zwei- oder dreimal mit einem jungen Mann gesehen, der ein rotes Cabriolet fährt. Jason Carrel hat ein rotes Cabriolet. Die Beschreibungen des Wagens decken sich genau. Darüber hinaus ist Inez Colton gleich nach dem Mord verschwunden. Wir können sie nirgendwo finden. Sie hat ihre Wohnung verlassen und war verschwunden. Einer Freundin hat sie gesagt, sie mache übers Wochenende einen Ausflug.« »Ach, sieh mal an, Jason Carrel?« sagte Mason. »Das hört sich ja an, als würde sich das bezahlt machen, Paul.« »Kann sein«, sagte Drake, »aber wir können nichts damit anfangen. Ich lasse Jason Carrel von meinen Leuten überwachen, vielleicht bringt er uns auf ihre Spur. Die Polizei hat deinem Graphologen eine Vorladung geschickt. Das bedeutet, daß man entweder Della überwacht hat, als sie zu dem Graphologen ging oder daß die Telefonleitung angezapft war. Daraufhin bin ich der Sache ein wenig nachgegangen und habe festgestellt, daß deine Telefonleitung zum Büro und die Telefonleitung in ihre Wohnung angezapft waren.« -8 6 -
»Was ist mit dieser Kellnerin aus dem ›Home Kitchen Café‹?« fragte Mason. »Ich glaube, mit der ist nichts los«, sagte Drake. »Sie ging dort fort, ehe der Mord begangen wurde. Allem Anschein nach ist dies nur ein zufälliges Zusammentreffen.« »Um welche Zeit ist sie fortgegangen?« »Um neun Uhr herum. Es hat sie jemand gesehen, als sie ihr Zimmer verließ. Sie trug zwei Koffer. Ich habe versucht, über die Taxichauffeure etwas zu erfahren, aber ich kann noch nichts feststellen. Der Kellner, der das Essen vom ›Blue and White Restaurant‹ nach oben brachte, heißt Oscar Baker. Er äußert sich ganz bestimmt über den Zeitpunkt. Hazel Stickland, die Kellnerin im ›Home Kitchen Café‹, kennt er nicht. Jedenfalls sagt er so, und ich neige dazu, ihm zu glauben. Ich habe einen meiner Leute eingesetzt, der sich mit ihm angefreundet hat und ihm gegenüber die Rolle eines arbeitslosen Kellners spielt. Baker hat gesagt, er will versuchen, ihn im ›Blue and White‹ anzubringen, sobald dort eine Stelle frei ist.« »Also, Paul«, sagte Mason, »bei diesen jungen Leuten von heute weiß man nie so recht, wie man dran ist.« »Ich weiß«, sagte Drake, »außerdem besteht da möglicherweise ein Anlaß. John Milicant war ein ziemlicher Schwerenöter. Er wettete auf Pferde. Hazel wettete, und auch Oscar Baker wettete. Aber das allein bedeutet nichts. Heutzutage wetten eine Menge Leute. Ich habe festgestellt, daß Oscar Baker in der letzten Zeit beim Würfeln Geld gewonnen und es bei Pferderennen wieder verloren hat. An der Art, wie er beim Würfeln gewonnen hat, würde ich es nicht für ausgeschlossen hallen, daß er mit der Ware der Conway Appliance Company gearbeitet hat.« »Bist du der Sache nachgegangen?« fragte Mason. »Dafür ist er zu gerissen«, sagte Drake. »Mein Agent hat einmal mit ihm gewürfelt und dabei drei Dollar gewonnen. Falls Baker wirklich falsche Würfel von Conway hatte, dann war er schlau genug, sie fortzuwerfen, sobald er in der Zeitung über den Mord las. Serle hat uns die kalte Schulter gezeigt. Natürlich mußte -8 7 -
man damit rechnen. Ich persönlich glaube, daß er mit Conway um zehn Uhr dreißig gesprochen hat, aber jetzt behauptet er, es sei um zehn Uhr gewesen. Natürlich ist er nicht bestochen worden, aber da er einer der Hauptzeugen der Anklagebehörde ist, möchte der District Attorney nicht gerne, daß er als Krimineller vor Gericht auftritt. Daher tut man jetzt alles, um ihn von jeder Schuld reinzuwaschen. Und Serle war natürlich gerissen genug, um da seinen Vorteil zu sehen.« »Ich brauche Inez Colton, Paul, und ich brauche sie dringend«, sagte Mason. »Warum willst du die Sache nicht hinziehen, bis ich etwas über diese Colton herausgebracht habe?« Mason schüttelte den Kopf. »Du darfst nicht vergessen, daß der District Attorney meinen Graphologen hat vorladen lassen. Ich möchte diesen Fall so durcheinander bringen und so schnell abwickeln, daß er die ganze Zeit über immer eine Pferdelänge hinter uns zurück ist. Sobald er einmal diese Papiere sieht, will ich ihm nicht mehr genügend Zeit lassen, sich eine Meinung darüber zu bilden, was sie eigentlich bedeuten.« »Das braucht aber Arbeit und Glück«, sagte Drake. »Was ist diese ganze Geschichte, nach der Milicant Hogarty sein soll, Perry? Und wie hast du denn diese Sache mit dem erfrorenen Fuß herausbekommen?« Mason lächelte Della Street an. »Das hat mir ein kleiner Vogel ins Ohr gewispert«, sagte er.
10 Richter Knox empfand seither vor den Taktiken, die Perry Mason im Gerichtssaal anwandte, eine große Hochachtung. Er blickte jetzt in den überfüllten Gerichtssaal hinunter und sagte: »Meine Herren, in dem Verfahren des Staates Kalifornien gegen Alden Leeds, der angeklagt ist, John Milicant ermordet zu haben, der auch unter dem Namen Bill Hogarty bekannt war und außerdem als L. C. Conway auftrat, ist jetzt der Zeitpunkt
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gekommen, in die Vorverhandlung einzutreten. Sind der Herr Anklagevertreter und der Herr Verteidiger bereit?« Für das Büro des Bezirksanwalts antwortete Bob Kittering, ein dünner, nervöser Mensch mit rastlosen Augen: »Jawohl, Euer Gnaden, der Anklagevertreter ist bereit.« »Auch die Verteidigung ist bereit«, sagte Mason. Als erster Zeuge trat der stellvertretende Coroner auf. Er sagte weitläufig über das Auffinden der Leiche aus, legte Fotografien vor, aus denen die Lage der Leiche auf dem Fußboden des Badezimmers ersichtlich war, zeigte das tödliche Messer, das kurz über dem linken Schulterblatt aus dem Rücken herausragte, und er zeigte auch Fotografien, aus denen man ersehen konnte, daß die Wohnung überstürzt durchsucht worden war. Auf weitere Fragen von Kittering legte er einen Briefumschlag vor, der den persönlichen Besitz des Verstorbenen enthielt, den man seinen Anzugtaschen entnommen hatte. »Es wurde in den Kleidern keine Brieftasche gefunden und auch später nicht in der Wohnung?« fragte Kittering. »Das trifft, soweit ich unterrichtet bin, zu. Eine Brieftasche ist nie gefunden worden.« »Bitte verhören Sie den Zeugen«, sagte Kittering. »Die Verteidigung legt keinen Wert auf ein Kreuzverhör«, sagte Mason mit liebenswürdiger Miene. Der Chirurg, der die Obduktion durchgeführt hatte, wurde aufgerufen und legte ein weitschweifiges Zeugnis ab. Seiner Meinung nach sei der Tod augenblicklich eingetreten. Den Zeitpunkt des Todes schätzte er auf einen Zeitraum, der sich von acht bis vierzehn Stunden vor der Zeit seiner Untersuchung erstreckte. Kittering legte ein blutbeflecktes Tranchiermesser vor. »Ich zeige Ihnen hier dieses Messer, Herr Doktor, und frage Sie, ob dies das Messer ist, das Sie in dem Körper vorfanden.« »Es ist dasselbe«, sagte der Arzt. »Können Sie, Herr Doktor, die Todeszeit nicht genauer bestimmen?« fragte Kittering. -8 9 -
»Nicht im Hinblick auf die Zeit, zu der ich die Leiche untersuchte, aber ich kann sie sehr genau im Hinblick auf den Mageninhalt festlegen.« »Was meinen Sie damit, Herr Doktor?« »Damit meine ich, daß wir bei der Untersuchung des Mageninhalts festgestellt haben, daß die fragliche Person ungefähr zwei Stunden nach einer Mahlzeit gestorben ist, die hauptsächlich aus Hammelfleisch wahrscheinlich Hammelkoteletts - grünen Erbsen und gebackenen Kartoffeln bestand, die sie verzehrt hatte... Ich darf vielleicht, um meine Antwort zu erklären, äußern, daß die Feststellung der Todeszeit, wie sie sich bei einer Leichenschau ergibt, zwar von verschiedenen variablen Umständen abhängt. Aber eines bleibt immer dasselbe, nämlich der Verdauungsvorgang. Und nach der Untersuchung der verdauten Nahrung und deren Zustand, den sie durch die besagten Verdauungsvorgänge vor dem Tode erreicht hat, können wir, solange sich noch Nahrung im Magen vorfindet, die Todeszeit mit wesentlich größerer Genauigkeit feststellen.« »Können Sie also«, fragte Kittering, »die Todeszeit genau bestimmen?« »Angesichts des vorhandenen Beweismaterials«, sagte der Arzt mit Bestimmtheit, »bestimme ich die Todeszeit auf einen Zeitpunkt, der ganz gewiß nicht vor zehn Uhr abends liegt. Außerdem kann der Tod nicht später als zehn Uhr fünfundvierzig an dem besagten Abend eingetreten sein.« »Jetzt können Sie Ihre Fragen stellen«, sagte Kittering triumphierend. »Natürlich, Euer Gnaden«, sagte Mason zu dem Richter, »könnte ich diese ganze Aussage dadurch zu Fall bringen, daß ich die Behauptung aufstelle, sie basiere auf Tatsachen, die weit über die Kenntnisse des Arztes hinausgehen.« »Wir werden diese Zeugenaussage späterhin in einen logischen Zusammenhang bringen«, sagte Kittering. »Nun«, bemerkte Mason, »ich werde, um Zeit zu sparen, diesen Antrag nicht stellen, aber nur um Klarheit zu schaffen, -9 0 -
werde ich ein paar Fragen stellen... Wie zum Beispiel bestimmen Sie, Herr Doktor, die Todeszeit, wenn Sie eine Leichenschau durchführen?« »Unter Umständen wie den hier vorliegenden«, sagte der Arzt scharf und feindselig, »gibt es verschiedene Verfahren. Eine Untersuchung des Mageninhalts, solange noch Nahrung im Magen ist und Daten zur Verfügung stehen, die auf den Zeitpunkt der Nahrungsaufnahme hinweisen, stellt bei weitem das beste Verfahren dar.« »Dabei gehen Sie von der Annahme aus«, sagte Mason, »daß das Abendessen um acht Uhr zehn serviert und gegessen wurde. Nicht wahr?« »Jawohl, von dieser Annahme gehe ich aus.« »Aber«, sagte Mason mit Nachdruck, »Ihr Wissen über den Zeitpunkt, zu dem das Essen eingenommen wurde, beruht einzig und allein auf dem, was man Ihnen gesagt hat, stimmt das nicht?« »Nun, ich weiß doch, daß das Essen um acht Uhr zehn serviert worden ist.« »Sollte es sich herausstellen, daß sich die Zeugen mit ihren Zeitangaben geirrt haben, dann haben Sie sich auch mit Ihrer Zeitangabe geirrt, stimmt das nicht?« »Der Zeuge hat sich nicht geirrt«, sagte der Arzt. »Ich habe persönlich mit ihm gesprochen.« »Doch aus eigener Kenntnis heraus wissen Sie nur, daß Sie die Obduktion einer Leiche vorgenommen haben, daß der Tod ungefähr acht oder vierzehn Stunden vor Ihrer Untersuchung eingetreten ist, und daß dies annähernd zwei Stunden nach dem Zeitpunkt geschehen ist, zu dem der Verstorbene eine Mahlzeit, bestehend aus gewissen, im einzelnen bekannten Nahrungsmitteln zu sich nahm, nicht wahr?« »Sie können es auch so ausdrücken, wenn Ihnen das beliebt«, fauchte der Doktor.
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»Danke Ihnen, Herr Doktor«, sagte Mason lächelnd, »genau das beliebt mir. Ich habe keine Fragen mehr. Von mir aus können Sie gehen.« »Der nächste Zeuge ist Jason Carrel«, verkündete Kittering. Carrel trat mit festem Blick nach vorn, hob seine rechte Hand und wurde vereidigt. Er gab seinen Namen und seinen Wohnsitz an. »Haben Sie«, fragte Kittering, »in dem Beerdigungsinstitut von Breckenbridge & Manifred eine Leiche besichtigt?« »Jawohl.« »Und haben Sie diese Leiche identifiziert?« »Jawohl.« »Unter welchem Namen kannten Sie ihn?« »Ich kannte ihn als John Milicant, den Bruder von Emily Milicant.« »Wissen Sie auch, ob der Angeklagte, Alden Leeds, Ihr Onkel, den Toten ebenfalls kannte?« »Ja, er kannte ihn.« »Unter welchem Namen?« »Ich erhebe Einspruch, weil von dem Zeugen eine Schlußfolgerung verlangt wird«, sagte Mason. »Er kann über das, was sein Onkel weiß, nichts aussagen.« »Dem Einspruch wird stattgegeben.« »Haben Sie je gehört, wie sein Onkel ihn beim Namen nannte?« »Ja, das habe ich.« »Mit welchem Namen hat Ihr Onkel ihn angeredet?« fragte Kittering triumphierend. »Mit John Milicant.« »Sie können in das Kreuzverhör eintreten«, sagte Kittering. »Sie empfinden keine besondere Zuneigung für Ihren Onkel, der hier der Angeklagte ist?« fragte Mason beiläufig.
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»Im Gegenteil, ich habe ihn gern«, entgegnete Carrel. »Ich habe ihn sogar so gern, daß ich begriff, daß er sich in Gefahr befand, von einer gewissenlosen Abenteurerin ausgebeutet zu werden, und deswegen habe ich Schritte unternommen, um zu verhindern, daß man ihn seines Vermögens beraubt.« »Wenn Sie von der gewissenlosen Abenteurerin sprechen, meinen Sie dann Emily Milicant, die Schwester des Verstorbenen?« »Jawohl.« »Nun, nehmen Sie einmal an«, sagte Mason freundlich, »daß es sich herausstellt, daß der Angeklagte in diesem Verfahren gar nicht Ihr Onkel ist. Würde sich dadurch Ihre Zeugenaussage in irgendeiner Weise ändern?« »Was meinen Sie damit?« »Einfach folgendes: nehmen Sie einmal an, Sie hätten im Falle seines Todes keine Möglichkeit, davon zu profitieren, würden Sie dann auch weiterhin sich bemühen. Schritte zu unternehmen, um seine Heirat zu verhindern?« Kittering sprang auf. »Euer Gnaden«, rief er, »Euer Gnaden, dies ist empörend! Es ist unsittlich und berufswidrig! Das liegt auf gleicher Ebene mit den Taktiken, die der Herr Rechtsanwalt schon früher vor Gericht zu praktizieren pflegte...« Richter Knox unterbrach ihn in aller Ruhe und sagte: »Die Frage ist möglicherweise nicht rücksichtsvoll. Zweifellos ist sie nicht höflich, aber sie ist gesetzlich zulässig. Die Frage geht darauf hinaus, eine Motivierung, eine Voreingenommenheit und eine mögliche Begründung nachzuweisen. Deswegen wird sie zugelassen.« »Beantworten Sie also die Frage«, sagte Mason. »Ich lege nicht den geringsten Wert auf das Geld meines Onkels«, sagte Carrel mit leiser Stimme. »Aber Sie haben ihn mit Gewalt aus einem Auto herausschaffen lassen, um ihn in einer Anstalt unterzubringen, als Sie der Meinung waren, er wolle Emily Milicant heiraten.« »Das habe ich zu seinem eigenen Besten getan.« -9 3 -
»Und Ihr eigenes Interesse, Ihr eigener Vorteil hatten damit überhaupt nichts zu tun?« fragte Mason in verbindlichem Ton. Carrel zögerte einen Augenblick, rutschte unbehaglich hin und her, sah dann mürrisch auf und sagte: »Nein.« »Und Sie haben auch keineswegs mit den beiden anderen Verwandten, die mit Ihnen bei diesem Schritt zusammenarbeiteten, darüber gesprochen, ob es ratsam wäre, Ihren Onkel in einer Anstalt unterzubringen, damit Sie ihn an dieser Heirat hindern könnten, ihn hindern könnten, ein rechtsgültiges Testament aufzusetzen, und damit Sie dadurch eine Sicherheit schaffen könnten, in den Genuß Ihres Anteils an seinen während seines Lebens gemachten Ersparnissen zu kommen?« Wieder rutschte Carrel nervös hin und her und sagte dann, ohne aufzublicken: »Nein.« »Es hat also diesbezüglich keine Unterhaltung stattgefunden?« »Nein.« »Die Angelegenheit ist auch in Ihrer Anwesenheit nicht von einem der beiden anderen erwähnt worden?« Wieder entstand ein langes Schweigen, und wieder antwortete Carrel, ohne aufzusehen: »Nein.« »Also haben Sie Ihren Onkel gewaltsam nur aus hochanständigen Motiven entführt und dabei in keiner Weise an Ihr eigenes finanzielles Interesse gedacht?« »Dagegen erhebe ich Einspruch«, fuhr Kittering auf. »Mit dieser Frage werden nicht bewiesene Tatsachen vorausgesetzt. Insbesondere protestiere ich gegen die Verwendung des Ausdrucks ›gewaltsam entführt‹.« »Der Einspruch wird abgewiesen«, sagte Richter Knox. Mason lächelte. »Sie haben zugegeben, daß Sie den Versuch gemacht haben, Ihren Onkel für unzurechnungsfähig erklären und in einer Anstalt unterbringen zu lassen, nicht wahr?« Da der Zeuge zögerte, sagte Mason: »Ich habe hier eine Abschrift
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Ihrer eidesstattlichen Aussage, falls Sie den Wunsch haben, Ihr Gedächtnis etwas aufzufrischen, Mr. Carrel.« »Jawohl«, sagte Carrel, »das habe ich getan.« »Und Sie haben ihn unter falschen Vorwänden dazu verleitet, mit Ihnen auf das Grundstück einer Anstalt zu fahren, wo auf Ihr Verlangen hin zwei Krankenwärter ihn mit Gewalt aus dem Auto zerrten und ihn dort gegen seinen Willen festhielten?« »Das ist nicht auf mein Verlangen geschehen.« »Ach so, damit hatten Sie gar nichts zu tun?« »Nein.« »Sie haben also Dr. Parkin C. Londonberry gebeten, das durchführen zu lassen, nicht wahr?« »Ich habe ihn gebeten, meinen Onkel entsprechend zu behandeln.« »Und haben ihm dabei auseinandergesetzt, daß Sie unter ›entsprechender Behandlung‹ verstünden, daß Ihr Onkel in einem verschlossenen Krankenzimmer untergebracht werden sollte?« »Tja, also in gewisser Beziehung, ja.« »Sagen Sie, kennen Sie eine Inez Colton?« »Nein«, schrie Jason Carrel. »Sie kennen Sie nicht?« »Nein.« »Kennen Sie jemanden, der in dem Mietshaus wohnt, in dem der Verstorbene wohnte und in dem seine Leiche gefunden wurde?« »Nein.« Mason betrachtete ihn mit zusammengekniffenen Augen. »Sie sind sich doch darüber klar, daß Sie unter Eid aussagen, und daß es sich hier um einen Mordprozeß handelt?« »Natürlich.« »Und Sie bleiben immer noch bei Ihrer Aussage?« »Jawohl.«
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»Dann habe ich keine Fragen mehr«, verkündete Mason. In einem Ton, der deutlich seine Ungläubigkeit erkennen ließ, sagte Richter Knox: »Mr. Carrel, wollen Sie dieses Gericht glauben machen, Sie hätten niemals irgendein Gespräch mit angehört, während Sie und Ihre Verwandten sich über die Schritte unterhielten, die Sie tun sollten, um Ihren Onkel, der hier als Angeklagter ist, für unzurechnungsfähig erklären zu lassen, ein Gespräch, das sich auf materielle Vorteile bezog, wenn Ihre Aktion gelänge, ihn für unzurechnungsfähig erklären zu lassen?« Carrel wich dem Blick des Richters aus. Dann sagte er mit fast unhörbarer Stimme: »Ein solches Gespräch ist niemals geführt worden.« »Das ist alles«, sagte Richter Knox, und seine Stimme hatte den unheilvollen endgültigen Klang, mit dem sich eine stählerne Falle schließt. Kittering machte einen beunruhigten Eindruck. «Natürlich, Mr. Carrel«, sagte er, »nehme ich an, daß Sie vielleicht beiläufig erwähnt haben könnten, daß Sie doch die Erben Ihres Onkels seien und ihm in seinem Interesse sein Vermögen retten wollten.« »Ich erhebe Einspruch gegen diese Suggestivfrage«, sagte Mason. »Dem Einspruch wird stattgegeben«, sagte Richter Knox. »Der Zeuge kann abtreten«, sagte Kittering, und seiner Stimme konnte man seine Ungeduld anmerken. »Ich werde jetzt Freeman Leeds in den Zeugenstand rufen.« Freeman Leeds, ein hochgewachsener, imposanter Mann, dessen Gesicht mit den Jahren einen finsteren, trotzigen Ausdruck angenommen hatte, ließ sich vereidigen. »Sie sind der Bruder des Angeklagten in diesem Prozeß?« »Jawohl.« »Haben Sie zu irgendeinem Zeitpunkt mit dem Angeklagten über einen als Bill Hogarty bekannten Mann gesprochen?« »Ja.« »Wann war das?«
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»Bei zwei oder drei Gelegenheiten, deren genaue Daten ich nicht mehr in Erinnerung habe.« »Und was sagte der Angeklagte über Hogarty?« »Alden war droben im Klondike gewesen«, sagte Freeman Leeds. »Er erzählte mir etwas über seine dortigen Abenteuer. Er war dort auf eine reiche Goldader gestoßen, und sein Partner auf dem Claim, auf dem er auf diese reiche Goldader stieß, sei Bill Hogarty gewesen. »Machte er sonst noch Äußerungen über Hogarty?« »Er sagte, daß Hogarty und er Streitigkeiten gehabt hätten.« »Sagte er, worüber sie sich gestritten haben?« »Soweit ich verstanden habe, ging es um eine Frau.« »Es handelt sich nicht darum, was Sie verstanden haben«, verbesserte ihn Kittering. »Sagte er das ausdrücklich?« »Ja, er sagte, es habe sich um ein Tanzmädchen gehandelt.« »Sagte er sonst noch mehr über diesen Streit?« »Einmal sagte er, es sei wegen einer Frau zu einer Schießerei gekommen.« »Sie können mit Ihrem Kreuzverhör beginnen«, äußerte Kittering. »Darf ich fragen«, erkundigte sich Mason, »worum es bei diesem Verhör geht? Stellt die Anklagebehörde die Behauptung auf, daß aus dieser verschwommenen Zeugenaussage hervorgeht, daß die Leiche die von Bill Hogarty ist?« »Jawohl, das behaupten wir«, sagte Kittering. »Euer Gnaden, wir wollen darauf später noch einmal zurückkommen. Wir gehen darauf aus, Beweismaterial vorzulegen, aus dem hervorgeht, daß der Angeklagte hier bei verschiedenen Hotelanmeldungen fälschlicherweise den Namen Bill Hogarty verwandte, daß er, als er den Klondike verließ, eine Zeitlang als Bill Hogarty auftrat, und daß er den gesamten Anteil an dem Claim, der Bill Hogarty gehörte, mit sich nahm. Wir wollen weiterhin beweisen, daß der Tote niemand anderer als Bill -9 7 -
Hogarty ist, daß Hogarty weiterhin den Versuch unternommen hat, von dem Angeklagten eine finanzielle Entschädigung zu bekommen, und daß der Angeklagte, anstatt sich von einem Teil des auf betrügerische Weise erlangten Gewinnes zu trennen, den Plan hatte, Hogarty zu ermorden. Wir wollen auf diese Weise den Nachweis führen, daß das der Anlaß zu dem Verbrechen war.« »Haben Sie sämtliche dafür notwendigen Beweise in der Hand?« fragte Mason höflich. »Wir haben alles, was wir brauchen«, bemerkte Kittering bissig. »Einige Dinge werden wir durch Schlußfolgerungen beweisen, aber Sie brauchen gar nicht so überrascht zu tun, Mr. Mason. Ihre Anzeige in der Zeitung von Seattle zeigt zur Genüge, daß...« »Das genügt«, unterbrach ihn Richter Knox. »Der Herr District Attorney wird gebeten, von persönlichen Bemerkungen Abstand zu nehmen. Bitte, Mr. Mason, wollen Sie mit Ihrem Kreuzverhör fortfahren.« »Sehr wohl, Euer Gnaden«, sagte Mason. »Also, Mr. Leeds, hat eine Unterredung stattgefunden, bei der Sie oder Jason Carrel anwesend waren, und die die Frage zum Gegenstand hatte, ob es direkt oder indirekt für Sie finanziell vorteilhaft wäre, Alden Leeds für unzurechnungsfähig erklären oder in einer Anstalt unterbringen zu lassen?« Leeds holte tief Atem. »Diese Frage möchte ich lieber nicht beantworten.« »Die Frage ist durchaus zulässig«, entschied Richter Knox. »Aber Euer Gnaden«, protestierte Kittering verzweifelt, »falls der Herr Verteidiger die Absicht hat, Jason Carrel herabzusetzen, dann muß er das persönlich tun, aber er darf keinen meiner Zeugen zwingen, das für ihn zu tun.« »Ich bin keineswegs Ihrer Meinung«, sagte Richter Knox. »Diese Frage geht darauf hinaus, zu zeigen, daß der Zeuge voreingenommen ist. Es ist durchaus klar, daß, falls der Angeklagte eines Verbrechens überführt worden ist, dadurch der Vollzug einer Ehe verhindert wird, die offensichtlich seinen -9 8 -
Verwandten zuwider ist. Sie dürfen die Frage beantworten, Mr. Leeds.« »Es ist in gewisser Weise darüber geredet worden, daß man mich zum Vormund ernennen wolle.« »Ist auch irgendwie darüber gesprochen worden, welcher finanzielle Vorteil Ihnen aus dieser Funktion erwachsen sollte?« Freeman Leeds schwieg peinlich berührt mehrere Sekunden lang. »Nein«, sagte er schließlich. »Der Angeklagte ist Ihr älterer Bruder?« »Ja.« »Wie alt waren Sie, als der Angeklagte von zu Hause fortging?« »Ich war sieben Jahre alt.« »Wann sahen Sie ihn zum erstenmal wieder?« »Vor ungefähr fünf Jahren.« »Und in der Zwischenzeit hatten Sie keinerlei Verbindung mit ihm?« »Nein.« »Wußten Sie nicht, wo er war?« «Nein.« »Woher wußten Sie, daß der Angeklagte Ihr Bruder ist?« »Ich habe ihn wiedererkannt«, sagte Freeman Leeds. Mason lächelte. »Hätten Sie ihn auch wiedererkannt«, fragte er liebenswürdig, »falls er verarmt gewesen wäre?« »Natürlich würde ich ihn wiedererkannt haben«, sagte Leeds. »Und falls er mit einer eingerollten Decke auf der Schulter zerlumpt und ungepflegt an Ihrer Hintertüre erschienen wäre und um etwas zu essen gebeten hätte, glauben Sie, daß Sie ihn auch dann noch als Ihren langverschollenen Bruder wiedererkannt hätten?« »Jawohl.« »Wo sahen Sie sich zuerst wieder, Mr. Leeds?« »Alden Leeds fuhr vor meinem Hause vor.« »Und was sagte er?« -9 9 -
»Er fragte mic h, ob ich mich nicht an ihn erinnern könne, und ob ich nicht wüßte, wer er wäre? Dann sagte er nach einer Weile: ›Kannst du dich nicht mehr an deinen Bruder Alden erinnern?‹« »Aha, ich verstehe«, sagte Mason lächelnd. »Es war also einige Zeit vergangen, nachdem er Sie gefragt hatte, ob Sie ihn nicht wiedererkennen und sagen könnten, wer er wäre?« »Nun, also - ich war mir nicht ganz sicher.« »Ich verstehe. Und nachdem Alden Leeds diese Äußerung getan hatte, dann haben Sie ihn wiedererkannt?« »Nun, ich forderte ihn auf, hereinzukommen.« »Und er sprach mit Ihnen ein gewisse Zeitlang?« »Ja, ungefähr eine Stunde lang.« »Und während dieser Zeit erzählte er Ihnen also, daß er im Klondike ein Vermögen erworben habe?« »Nun, er sagte jedenfalls, daß er recht wohlhabend sei.« »Und nachdem er diese Äußerung getan hatte«, fragte Mason, »haben Sie ihn genau als Ihren Bruder wiedererkannt?« »Diese Frage ist nicht fair«, sagte Leeds. »Warum ist sie nicht fair?« »Ich habe ihn eben wiedererkannt.« »Nämlich wann?« »Sobald ich ihn sah.« »Also noch ehe er Ihr Haus betrat?« »Ja, natürlich.« »Aber Sie nannten ihn nicht beim Namen, und Sie konnten ihm nicht sagen, wer er sei, solange er darauf wartete, daß Sie es ihm sagten?« »Tja, also nicht genau.« »War sonst jemand bei der Unterredung anwesend?« »Jawohl, während des letzten Teiles der Unterredung.« »Wer war das?« -1 0 0 -
»Jason Carrel.« »Und haben Sie Jason Carrel dem Angeklagten vorgestellt?« »Jawohl, das habe ich getan.« »Können Sie sich genau an das erinnern, was Sie gesagt haben?« »Also das ist nun fünf oder sechs Jahre her«, protestierte der Zeuge. »Es ist schwer, nach einer so langen Zeit sich an Dinge zu erinnern.« »Aber doch nicht für einen Mann, der so ein bemerkenswertes Gedächtnis hat wie Sie«, sagte Mason. »Ich glaube, Sie haben Ihr Alter als mit fünfundsechzig Jahren angegeben. Sie waren daher ungefähr sechzig Jahre alt, als Sie Ihren Bruder wiedersahen. Ihn hatten Sie zum letztenmal gesehen, als Sie sieben Jahre alt waren. Und dennoch haben Sie ihn nach einer Zeitspanne von dreiundfünfzig Jahren augenblicklich wiedererkannt. Nicht wahr, das stimmt doch?« »Also... also... jawohl.« »Was haben Sie im besonderen zu Jason Carrel gesagt?« »Nun... daran kann ich mich nicht mehr erinnern.« »Haben Sie nicht«, sagte Mason, »sich so ausgedrückt: ›Jason, dieser Mann behauptet, dein Onkel Alden zu sein‹?« »Nun, so ähnlich habe ich mich wohl ausgedrückt.« Mason lächelte. »Das genügt mir«, sagte er. Kittering runzelte die Stirn. »Mein nächster Zeuge«, sagte er, »ist Oscar Baker.« Ein junger Mensch Anfang zwanzig, mit fahlem Gesicht, der billigste Konfektion von der Stange trug, die aber nach der neuesten, auffallendsten Mode war, bahnte sich seinen Weg durch den Gerichtssaal, hob seine Hand und wurde vereidigt. »Wo arbeiten Sie?« fragte Kittering. »In dem Restaurant ›Blue and White‹.« »Sind Sie dort als Kellner angestellt?« »Jawohl.«
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»Und Sie waren auch am Abend des siebenten dieses Monats dort als Kellner angestellt?« »Jawohl.« »Waren Sie mit einem John Milicant bekannt?« »Jawohl, das war ich, Sir.« »Hatten Sie ihn mehrmals gesehen?« »Jawohl, Sir.« »Und bei welchen Anlässen hatten Sie ihn gesehen?« »Jedesmal, wenn ich ihm Essen hinaufbrachte.« »Wurden diese Mahlzeiten in Ihrem Restaurant bestellt, und haben Sie sie in Ihrer Eigenschaft als Kellner hinaufgebracht?« »Jawohl, Sir, das stimmt.« »Haben Sie nun an dem fraglichen Abend auch ein Essen hinaufgebracht?« »Jawohl, Sir, das habe ich getan.« »Wie wurde diese Bestellung gemacht?« »Telefonisch.« »Was bestellte er?« »Er sagte, er wolle ein Essen für zwei Personen, und er wollte ganz besonders gerne Hammelkoteletts, grüne Erbsen und Kartoffeln haben. Er sagte, ich solle die Hammelkoteletts holen lassen, wenn es sein müsse, aber er wolle nur Hammelkoteletts.« »Wann wurde diese Bestellung gemacht?« »Fünf Minuten vor acht.« »Wie kommt es, daß Ihnen der Zeitpunkt auffiel?« »Weil ich ihm sagte, es könne vielleicht eine Weile dauern, bis ich die Hammelkoteletts besorgt hätte. Ich wußte nämlich nicht genau, ob wir welche vorrätig hatten.« »Hatten Sie welche vorrätig?« »Ja.« »Und Sie brachten dieses Essen in die Wohnung hinauf?« -1 0 2 -
»Jawohl.« »Und zwar in John Milicants Wohnung?« »Jawohl, Sir.« »Nun erklären Sie mal dem Gericht, was passierte, als Sie das Essen hinauftrugen.« »Tja, also, ich stellte die Schüsseln auf ein Tablett, bedeckte das Tablett mit ein paar Servietten und einem zusammengefalteten Tischtuch und ging in das Haus. Ich kannte die Nummer von Milicants Wohnung - das heißt, wir nannten ihn Conway.« »Sie meinen L. C. Conway?« unterbrach Kittering. »Ja doch, Louie Conway. Also ich fuhr mit dem Essen im Fahrstuhl nach oben und klopfte an der Tür. Eine Stimme schrie: ›Herein‹. Ich öffnete die Tür und ging hinein.« »Die Tür war unverschlossen?« warf Kittering fragend ein. »Das stimmt, und die beiden Kerle waren im Schlafzimmer. Ich konnte hören, wie sie dort drinnen über Pferderennen sprachen, und ich spitzte sozusagen meine Ohren, denn Louie Conway hatte manchmal recht gute Tips für Rennpferde. Nun, daraus wurde aber nichts. Ich glaube, sie wußten, daß ich lauschte, denn der zweite sagte: ›Wart einen Augenblick, der Junge ist draußen.‹ Und dann steckte er seinen Kopf zur Tür heraus und sagte: ›Stell es nur dort auf den Tisch, mein Sohn, und komm zurück, um die Teller zu holen, wenn wir dich rufen. Was mac ht die Rechnung?‹ Darauf sagte ich: ›Ein Dollar fünfundsiebzig.‹ Er reichte mir drei Eindollarscheine und sagte: ›Da hast du etwas fürs Heraufkommen. Und jetzt hau ab.‹« »Kannten Sie diesen Mann?« fragte Kittering. »Damals nicht. Jetzt kenne ich ihn. Es war Guy Serle, der Mann, der Conways Firma aufkaufte.« »Wußten Sie etwas über Conways Firma?« fragte Kittering. »Ja doch.« »Was für eine Firma war das?« »Gegen die Frage erhebe ich Einspruch, da sie unsachlich und unwesentlich ist«, sagte Mason. -1 0 3 -
»Stellen Sie diese Frage«, erkundigte sich Richter Knox bei Kittering, »um die wirkliche Identität des Ermordeten nachzuweisen, Herr Bezirksanwalt?« »Nein, das gerade nicht«, sagte Kittering, »sondern um den sozialen Hintergrund des Mannes zu demonstrieren und...« »Dem Einspruch wird stattgegeben«, sagte Richter Knox. »Sie können Beweise anführen, die dazu dienen, die Identität des Mannes zu beweisen. Sie haben nunmehr Beweise vorgebracht, wonach der Tote John Milicant war, und daß er außerdem unter dem Namen L. C. Conway oder Louie Conway bekannt war. Sie haben auch einige Beweismittel in bezug auf einen Bill Hogarty vorgebracht, aber bisher ist noch kein Beweismittel vorgebracht worden, aus dem endgültig hervorgeht, daß der Tote und Bill Hogarty ein und dieselbe Person waren. Das Gericht wird Ihnen jegliche nur mögliche Zeit in dieser Angelegenheit gewähren, Herr stellvertretender District Attorney, aber angesichts dieses Einspruchs gegen eine Frage, bei der es sich keineswegs darum handelt, ein Motiv, ein böse Absicht, oder dergleichen nachzuweisen, ist das Gericht nicht gewillt, Ihnen zu gestatten, gleichzeitig und indirekt die geschäftlichen Angelegenheiten des Toten zu untersuchen. Falls Sie wünschen, später darauf zurückzukommen, so wird das Gericht auf Ihren Antrag hin zur Kenntnis nehmen, daß Sie später darauf zurückkommen wollen, und daß es sich hier um einen besonderen Aspekt dieses Falles handelt, der seitens des Staates bewiesen werden muß.« »Wir haben nicht die Absicht, einstweilen darauf zurückzukommen«, sagte Kittering und blickte finster zu Perry Mason hinüber. »Sehr gut, dann wird dem Einspruch stattgegeben.« »Kamen Sie zurück, um das Geschirr abzuholen?« fragte Kittering. »Jawohl, ganz recht. Ich ging ungefähr eine Viertelstunde vor Dienstschluß zurück.« »Das wäre dann also um zehn Uhr fünfundvierzig gewesen?« »Genau um diese Zeit herum. Die Leute hatten mich nicht angerufen, daher ging ich von selber zurück.« -1 0 4 -
»Und was fanden Sie vor?« »Die Tür war einen Spalt offen. Ich weiß nicht, wer im Schlafzimmer war. Die Schlafzimmertür war geschlossen. Mein Geschirr war leer und auf dem Tablett aufgestapelt. Ich hatte keinen Grund, mich lange aufzuhalten. Mein Trinkgeld hatte ich, tja, und mein Gott... mir war so, als wäre vielleicht so eine Puppe da drinnen. Na, Sie wissen schon, was ich meine... also auf jeden Fall war mir so, als wollte er nicht gestört werden.« »Wissen Sie tatsächlich, ob jemand in dem Schlafzimmer war?« »Ja, das glaube ich schon. Ich glaube, ich habe jemand da drin gehört. Da lag so ein Taschentuch von einer Puppe - ich meine ein Damentaschentuch auf dem Tisch gleich neben der Serviette.« »Was haben Sie dann also getan?« »Ich habe das Tablett mit dem Geschirr genommen und bin abgehauen.« »Haben Sie die Tür hinter sich verschlossen?« »Ich habe sie zugezogen. Ich glaube, das Schnappschloß funktionierte nicht, so daß die Tür nicht zuging. Aber das kann ich nicht mit völliger Sicherheit sagen.« »Sind Sie im Hinblick auf die Zeit ganz sicher?« »Völlig sicher. Wir haben im Restaurant eine elektrische Uhr, und da ich mir dachte, daß Conway - das heißt Milicant vielleicht wütend werden könnte, falls ich den Fraß nicht rechtzeitig raufbrächte, achtete ich besonders auf die Zeit, zu der er die Bestellung machte und drängte den Koch, er solle sich mit dem Essen beeilen.« »Und Sie wissen ganz genau, zu welchem Zeitpunkt Sie das Essen gebracht haben?« »Ganz genau. Ich bin ungefähr acht Minuten nach acht fortgegangen. Ich war um acht Uhr zehn zur Stelle, und ich gehe jede Wette ein, daß ich mich in beiden Fällen auch nicht um zehn Sekunden geirrt habe.«
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»Beginnen Sie mit Ihrem Kreuzverhör«, sagte Kittering zu Mason in einem Ton, als wolle er andeuten »Versuch du mal, diesen Zeugen zu erschüttern!« »Gehen diese elektrischen Uhren immer richtig?« fragte Mason. »Na klar, deswegen hat man sie ja eingeführt.« »Abgesehen von den Augenblicken, in denen zeitweilig der Strom aussetzt, nicht wahr?« fragte Mason. »Na, das kommt natürlich manchmal vor«, sagte der junge Mann. »Woher wissen Sie aber in diesem Falle, daß keine vorübergehende Stromunterbrechung stattgefunden hat?« »Auf dem Zifferblatt ist eine Stelle, an der sich ein Signal zeigt, wenn das eintritt.« »Und haben Sie sich diese Stelle besonders angesehen?« »Na also nicht gerade besonders, aber...« »Aber Sie können sich doch nichtsdestoweniger geirrt haben?« »Diese Möglichkeit steht eins zu zehntausend.« »Dann ist also eine Möglichkeit gegen zehntausend vorhanden, daß Sie sich geirrt haben?« fragte Mason. Wieder entstand im Gerichtssaal eine Unruhe. »Als Sie nun zurückgingen, um dieses Geschirr abzuholen, hat da niemand etwas zu Ihnen gesagt?« »Nein, mein Herr.« »Sie hatten aber den Eindruck, daß jemand im Schlafzimmer war?« »Na ja.« »Und Sie sagen, das Geschirr war leer?« »Das stimmt.« »Es war nichts übrig geblieben?« »Die Teller waren wie abgeleckt.« »Dann müssen die Männer doch recht hungrig gewesen sein, wie?«
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»Tja, wissen Sie, wenn man so ein Abendessen nach auswärts bringt, da kann man nicht allzu viel mitbringen. Man kann da keine Suppe, kein Wasser und dergleichen mehr mitnehmen. Man ist schon heilfroh, wenn man den Fraß auf dem Geschirr untergebracht hat und es noch hinkriegt, solange es warm ist.« »Ich danke Ihnen«, sagte Mason freundlich. »Der nächste Zeuge ist William Bitner«, verkündete Kittering. Es stellte sich heraus, daß Bitner Sachverständiger für Handschriften und Fingerabdrücke war, und weitläufig anfing, Beweismittel, Fotografien von auf Türklinken, Schreibtischschubladen, Tischplatten, und gläsernen Gegenständen festgestellten Fingerabdrücken vorzulegen. Endlich schickte er sich an, seine Bombe zur Explosion zu bringen, eine Bombe, die vom juristischen Standpunkt aus sehr wirksam war, der aber der dramatische Effekt fehlte, da es eine solch lange Zeit gebraucht hatte, um die verschiedenen Einzelheiten umständlich zu erörtern. »Ich werde Ihnen jetzt eine Karte zeigen, die zehn Fingerabdrücke enthält, und ich frage Sie, wer diese Fingerabdrücke gemacht hat«, sagte Kittering. »Ich habe sie aufgenommen«, sagte der Zeuge. »Wann haben Sie diese Fingerabdrücke aufgenommen?« »Vor drei Tagen.« »Und wo haben Sie diese Fingerabdrücke gemacht?« »Im Bezirksgefängnis.« »Und was für Fingerabdrücke sind es?« »Es sind Fingerabdrücke von den zehn Fingern des in diesem Prozeß angeklagten Mannes. Diese Fingerabdrücke sind paarweise in Übereinstimmung mit der anerkannten Praxis gruppiert und dann zu einer Bruchrechnung aufgegliedert.« »Jetzt werde ich Ihre Aufmerksamkeit auf das Beweisstück C der Anklagebehörde lenken und Sie fragen, ob dieses Beweisstück in irgendeiner Beziehung einem der zehn auf dieser Karte gezeigten Abdrücke ähnlich ist.« »Jawohl, es ist der Fall.« -1 0 7 -
»Wo trifft das zu?« »Hier bei dem Fingerabdruck an der Seite der Schreibtischschublade. Sie werden dort den Fingerabdruck des Mittelfingers der rechten Hand vorfinden. Ich habe hier eine Vergrößerung von dem Fingerabdruck und außerdem eine Vergrößerung des Fingerabdrucks vom Mittelfinger der rechten Hand des Angeklagten. Ich habe dreiundzwanzig übereinstimmende Punkte festgestellt.« »Bitte wollen Sie dem Gericht diese übereinstimmenden Punkte erklären.« Auf diese Weise zog sich der Nachmittag eintönig in die Länge, wobei die Anklagebehörde unerbittlich eine wahre Lawine von nachgewiesenen Fingerabdrücken, die gegen den Angeklagten sprachen, aufhäufte. Schließlich kam am Nachmittag der Zeitpunkt für eine Vertagung. »Wie lange werden Sie diese Art von Beweisführung noch fortführen, Herr District Attorney?« fragte Richter Knox. »Wahrscheinlich noch den ganzen morgigen Tag, Euer Gnaden.« »Gut, das Gericht wird dann wieder um zehn Uhr zusammentreten. In der Zwischenzeit wird der Gefangene dem Gewahrsam des Sheriffs übergeben.« Als sich das Gericht zurückzog, ging Mason auf Leeds zu und legte ihm seine Hand auf die Schulter. «Es sieht so aus«, sagte Mason, »als hätten Sie mir etwas verschwiegen.« Leeds blickte ihm ruhig ins Gesicht. »Ich bin kein junger Mann mehr«, sagte er. »Ich habe nur wenig zu gewinnen, wenn ich in diesem Verfahren freigesprochen werde. Und ich habe noch weniger zu verlieren, wenn ich verurteilt werde. Ich habe nicht gemerkt, daß ich in der Wohnung Fingerabdrücke hinterlassen habe. Ich habe John Milicant nicht getötet. Er... Wir können beweisen, daß er noch wohl und munter war, als ich fortging.« Mason kniff die Augen zusammen. »Wir können diesbezüglich Beweismaterial liefern«, sagte er und lächelte immer noch, »aber das sagt noch nicht, daß uns ein Geschworenengericht das glauben wird. Eines ist jedenfalls -1 0 8 -
sicher. Der Richter wird Ihnen eine Anklage wegen Mord im ersten Grade anhängen.« Leeds sagte gar nichts. Mason lächelte breit und klopfte ihm auf die Schulter, als sich ein Stellvertreter des Sheriffs näherte. »Okay, Leeds«, sagte er laut. »Die Sache sieht gut aus. Die Leute haben nicht die geringste Aussicht, Ihnen diese Sache anzuhängen. Schlafen Sie heute nacht gut und überlassen Sie es uns, uns Sorgen zu machen.« Draußen auf dem Korridor paßte Della Street ihren Schritt dem von Mason an und sagte: »Diese FingerabdruckGeschichte sieht nicht so gut aus, nicht wahr, Chef?« »Ich hatte sie schon im voraus mehr oder weniger abgetan«, sagte er. »Ich dachte mir nämlich, daß Leeds die Wohnung durchsucht hatte, wenn er es auch abstritt.« »Was würde geschehen«, fragte sie, »wenn man morgen nachweist, daß seine Fingerabdrücke auch auf dem Griff des Tranchiermessers sind?« Mason zuckte mit den Schultern. »Zerbrechen wir uns darüber nicht im voraus den Kopf. Er sitzt sowieso bereits jetzt tief in der Patsche. Gehen wir ins Büro und sehen wir nach, ob Drake etwas herausbekommen hat.«
11 Im Büro angekommen, fand Mason einen an ihn adressierten Brief vor, der von einer Frau auf dem Briefpapier des Border City Hotels in Yuma geschrieben war. In dem Brief stand nun folgendes: Sehr geehrter Mr. Mason, ich bin eine Näherin, die sich ihre Arbeit brieflich sucht. Sollten Sie irgendwelche Näharbeiten, die ich für Sie verrichten könnte, oder anscheinend hoffnungslose Risse oder Löcher in Anzügen haben, so werden Sie feststellen, daß ich recht geschickt bin. Und ich meinerseits werde es sehr zu schätzen wissen, wenn Sie mir Gelegenheit geben, Ihnen zu beweisen -1 0 9 -
was ich leisten kann. Schreiben Sie einfach an Mrs. J. B. Beems im Border City Hotel in Yuma, Arizona. Mason zog ein Notizbuch hervor, schrieb sich die Adresse auf, dachte einen Augenblick nach und hielt dann ein brennendes Streichholz an den Brief. Della Street, die nach unten in Drakes Büro gegangen war, um ihm mitzuteilen, daß Mason zurück sei, kam ins Zimmer und hatte Drake im Schlepptau. »Hallo, Paul«, sagte Mason, »was gibt’s Neues?« Drake ließ sich quer in den großen Sessel fallen und sagte: »Ich habe Inez Colton ausfindig gemacht.« »Und wo?« fragte Mason. »In dem Ellery Arms Apartment Haus«, sagte Drake. »Sie hat ihr Haar mit Henna gefärbt und einen anderen Namen angenommen, aber ich kenne weder den Namen noch die Nummer ihrer Wohnung.« »Wie hast du sie überhaupt ausfindig gemacht?« fragte Mason. »Das war einfach«, sagte Drake. »Ich dachte mir so, daß sie wohl ihr Äußeres verändern würde. Die Tatsache, daß sie so ihre Stellung verließ, deutete darauf hin. Es gelang mir, herauszubringen, zu welchem Friseur sie am liebsten ging, und einer meiner Agenten, der sich als ihr Freund ausgab und eine Menge reden mußte, bekam schließlich aus dem Friseur diese Information heraus. Zum mindesten erfuhren wir, daß sie sich das Haar hatte färben lassen.« Mason steckte seine Hände tief in seine Taschen: »Ich wünschte, wir wüßten ein wenig mehr über sie, ehe wir sie aufsuchen.« »Da kann ich dir auch aushelfen, Perry«, sagte Drake. »Du kannst beweisen, daß Jason Carrel ihr Freund ist.« Masons Augen leuchteten auf. »So ein gerissener Lügner«, sagte er. »Hat der Kerl doch die Frechheit gehabt, in den Zeugenstand zu treten und zu schwören, daß er sie nicht kenne.« Drake grinste und zog eine Fotokopie eines Verkehrsstrafzettels hervor. »Na schön«, sagte er. »Dann soll -1 1 0 -
er es mal mit diesem Notenpapier auf seinem Klavier versuchen. Das ist ein Verkehrsstrafzettel, aus dem hervorgeht, daß jemand rechtswidrig geparkt hat. Die darauf notierte Autonummer ist die von Jason Carrels Auto, und bei der Verkehrspolizei ist nach der Benachrichtigung ein reizendes, kleines Luder aufgekreuzt und hat die Strafe bezahlt. Sie hieß Inez Colton.« »Heiliger Strohsack!« sagte Mason vergnügt. »Warte nur ab, bis ich ihm damit ins Gesicht springe und ihn frage, wie es zugeht, daß Inez Colton die Strafen für seine Verkehrsvergehen bezahlt.« Mason steckte die Fotokopie ein und sagte: »Kommt Kinder, gehen wir essen und machen dann anschließend einen Besuch bei Miss Colton und stellen fest, was sie zu sagen hat.« Im »Home Kitchen Café« bediente sie die gleiche Kellnerin, die Mason an dem Tage bedient hatte, als er beim Mittagessen Serle ausgefragt hatte. »Na, haben Sie etwas von Hazel gehört?« fragte der Anwalt. »Nicht ein Wort«, sagte sie. Sie bestellten. »Sag mal«, fragte Mason Paul Drake, »hast du einen Vertreter in Yuma?« Drake nickte. Mason holte aus seiner Tasche einen Bleistift, drehte die Speisekarte um und schrieb auf die Rückseite: »Mrs. J. B. Beems, Border City Hotel, Yuma, Arizona.« Er schob die Speisekarte dem Detektiv hinüber und sagte: »Lies das nicht laut vor, Paul. Merk dir nur den Namen und die Adresse. Ich möchte, daß ein verdammt gerissener Agent diese Person beobachtet.« Drake las den Namen auf der Speisekarte und sagte: »Ich kann telefonisch jemanden dort unten mit der Sache betrauen und dann eine gerissene Agentin hinschicken, die ihn am Morgen ablöst.« Sie aßen in aller Eile und sprachen kaum. Als sie vor dem Mietshaus vorfuhren, fragte Della Street: »Chef, wie wollen Sie denn herausbekommen, in welcher Wohnung sie wohnt?« »Ach«, sagte Mason, »das ist für Paul eine Kleinigkeit. Soll er sich darüber den Kopf zerbrechen.« -1 1 1 -
»Gehen wir«, sagte Drake und schritt den anderen voran auf den Eingang des Hauses zu. Mason drückte auf den mit »Verwaltung« bezeichneten Klingelknopf, und einen Augenblick später ertönte ein Summer und die Tür ging auf. Alle drei gingen sie in eine elegant aufgemachte kleine Halle, an deren Ende auf einer Mahagonitür das Wort »Verwaltung« zu lesen war. Drake schritt durch die Halle und läutete. Einige Augenblicke später erschien eine hochgewachsene, schlanke Frau und fragte: »Wollten Sie eine Wohnung haben?« »Nein«, sagte Drake. »Wir wollen eine Rechnung kassieren.« Aus ihrem Gesicht verschwand alle Herzlichkeit. »Einer Ihrer erst kürzlich eingezogenen Mieter«, fuhr Drake fort, »ist eine junge Frau. Sie ist ungefähr fünfundzwanzig Jahre alt, hat eine gute Figur, hat ihr Haar kürzlich mit Henna gefärbt und hat große, dunkle Augen...« »Helen Reid«, sagte die Verwalterin. »Was hat sie für eine Nummer?« »Zwölf B.« »Warum, Paul«, sagte Mason in einem Ton, als wolle er besänftigendes Öl auf die Sache gießen, »willst du nicht offen mit ihr reden. Schließlich ist die Rechnung nicht hoch!« »Was hat es für einen Zweck, mit ihr zu reden?« sagte Drake. »Sie würde sich doch herauslügen. Wir haben alle Unterlagen, die wir brauchen.« »Ich bin nicht so sicher, Paul. Komm, reden wir mit ihr.« Drake seufzte tief auf. »Na schön«, lenkte er schließlich widerwillig ein. Sie gingen die Treppe hinauf und schritten schnell den Korridor hinunter. »Klopfen Sie an die Tür, Della«, sagte Drake. »Wenn Sie herauskommt, ist es in Ordnung. Kommt sie nicht heraus, sondern möchte wissen, wer draußen ist, dann vergessen Sie nicht, daß Sie das Mädchen sind, das gegenüber wohnt und keine Streichhölzer mehr hat.« -1 1 2 -
Sie blieben vor der Tür stehen, und Della Street klopfte vorsichtig an. Einen Augenblick herrschte Schweigen, dann fragte eine weibliche Stimme: »Wer ist da, bitte?« »Ach«, sagte Della hastig, »ich wohne auf der anderen Seite und mir sind die Streichhölzer ausgegangen.« Die Tür ging auf. Die junge Frau, die auf der Schwelle stand, war eine auffallende Erscheinung. Ohne ihr Gelegenheit zu geben, sich zu besinnen oder zu handeln, gingen Drake und Mason gleich zum Angriff über. »Okay, Inez«, sagte Drake und schob sich in das Zimmer, wobei er nicht einmal seinen Hut abnahm, »das Spiel ist aus.« Drake ließ sich in einen Sessel fallen und sagte: »So, Sie haben sich also eingebildet, Sie könnten so ungestraft davonkommen, wie?« »Du meinst doch nicht etwa, daß sie den Mord begangen hat, Paul, wie?« fragte Mason. »Nein, ihr Freund hat ihn begangen«, sagte Drake nüchtern. »Das ist eine empörende Frechheit!« sagte Inez Colton entrüstet. »Was bilden Sie sich eigentlich ein, mich in dieser Weise hereinzulegen? Sie sagten doch, Sie wollten Streichhölzer haben.« »Also hör mal, Paul«, sagte Mason, »wir wollen doch gerecht sein. Es kann ja gut sein, daß sie gar nichts mit dem Mord zu tun hat.« »Warum ist sie dann davongelaufen?« »Natürlich um ihren Freund zu schützen.« Mason wandte sich erwartungsvoll Inez Colton zu. Ein bis zwei Sekunden lang sah es so aus, als würde sie überstürzt anfangen zu reden. Dann wurden ihre Augen hart und mißtrauisch. »Was wollen Sie?« fragte sie. »Die Wahrheit wollen wir wissen«, sagte Mason. »Ich habe nichts Unrechtes getan.« »Kommen Sie schon, kommen Sie schon«, sagte Drake, »schießen Sie los.«
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»Halt doch die Klappe, Paul«, sagte Mason. »Inez, ich bestehe darauf, daß Sie eine Gelegenheit bekommen, uns Ihre Geschichte zu erzählen.« In ihren Augen war noch Zweifel. Sie blickte flehend zu Della Street hinüber und sagte dann: »Tja also...« Als sie zögerte, sagte Drake: »Wir haben einen Zeugen, der Jason Carrel gesehen hat, als er Ihre Wohnung verließ.« Sie fuhr herum und sah Drake an. »Jason Carrel soll meine Wohnung verlassen haben?« »Ganz recht«, sagte Drake. »Na, dann verbellen Sie aber eine falsche Spur, Herr Detektiv. Jason Carrel war nie in meiner Wohnung. Jetzt begreife ich das Ganze. Sie beide wollen mich bluffen und meinen, mich dadurch zum Reden zu bringen. Nein, danke, ich habe nichts zu sagen.« »Bitte, tu deine Pflicht«, sagte Mason und reichte Drake die Vorladung. Drake ging auf sie zu und sagte: »Unter diesen Umständen erhalten Sie hiermit eine Vorladung, auf die hin Sie morgen vormittag um zehn Uhr vor Gericht zu erscheinen haben, um bezüglich des Angeklagten Alden Leeds in einem Gerichtsverfahren auszusagen.« »Aber ich kann nicht ins Gericht kommen. Ich darf es gar nicht.« Drake zuckte mit den Schultern. »Das müssen Sie mit sich selber ausmachen.« »Aber ich weiß doch gar nichts, was irgend jemandem helfen würde. Ich weiß über diesen Mord nicht das Geringste.« »Was wissen Sie über Alden Leeds?« fragte Drake. »Das geht Sie gar nichts an. Rufen Sie mich in den Zeugenstand, und dann werde ich reden.« »Das ist aber Pech für Jason Carrel«, sagte Drake verbindlich. »Er sagte, er kenne Sie nicht. Leider hat er unter Eid in einem Mordprozeß ausgesagt, und ein Protokollführer hat das, was er gesagt hat, mitgeschrieben.«
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In ihren Augen blitzte es triumphierend auf. »Rufen Sie mich nur in den Zeugenstand«, sagte sie herausfordernd. »Ihnen werde ich es schon zeigen!« Plötzlich sagte Mason, der sie bis dahin aufmerksam betrachtet hatte: »Ich fürchte, Miss Colton, daß Sie die Sache nicht ganz begriffen haben. Mr. Drake kennt sich in der zahlreichen Verwandtschaft der Familie Leeds nicht sehr gut aus, und hat offensichtlich den Fehler begangen, Jason Carrel mit Harold Leeds zu verwechseln... Du wolltest doch in Wirklichkeit sagen, daß Harold den Mord begangen hat, Paul.« Inez Colton zuckte zusammen, als hätten Masons Worte sie wie ein Schlag getroffen. Aus ihren Augen sprach Bestürzung. Halbflüsternd brachte sie stammelnd hervor: »Er... er hat mir doch aber... gesagt... Sie wüßten es nicht.« Masons leises Lachen verriet seine ruhige Zuversicht. »Das hat er wirklich gedacht?« fragte er. »Natürlich wollten wir, daß er das dachte, bis wir ihn in der Falle hatten. Deswegen habe ich auch davon abgesehen, Jason Carrel zu fragen, ob er seinem Vetter seinen Wagen geliehen hätte.« »Harold können Sie die Sache nicht aufhängen.« »Aber wir hängen doch niemandem etwas auf«, sagte Mason geduldig. »Harold ging nach unten«, sagte sie, »um ihn zu besuchen, aber da war er schon tot.« »Warum haben Sie denn die Behörden nicht benachrichtigt?« fragte Mason. »Aus dem sehr richtigen und ausreichenden Grunde, daß wir es uns nicht leisten konnten, in die Sache verwickelt zu werden. Wie haben Sie es denn herausbekommen?« »Es gehört zu unserem Beruf«, sagte Mason, »Dinge herauszubekommen, Miss Colton. Halten Sie es nicht für besser, eine umfassende Aussage zu machen?« »Da gibt es nichts zu erzählen. Ich... wir...« Sie brach ab, als sich ein leises Klopfen an der Tür bemerkbar machte. Ohne irgendwelche Anstalten zu machen, »herein« zu rufen, hob sie -1 1 5 -
ihre Stimme und sagte laut: »Ich habe nichts zu sagen. Selbst wenn Sie Harold Leeds beschuldigen sollten...« Mason warf seinen Stuhl um und stürzte auf die Tür zu. Inez Colton schrie laut auf. Mason riß die Tür auf und rief hinter der Gestalt, die den Korridor hinunterstürzte, her: »Kommen Sie wieder zurück, Harold, und drücken Sie sich nicht. Weglaufen hilft Ihnen nichts.« Harold Leeds blieb unschlüssig stehen. »Kommen Sie zurück«, sagte Mason, »und lassen Sie nicht Inez die Sache allein ausbaden.« Harold Leeds wandte sich um und ging langsam zurück auf Mason zu. »Nun kommen Sie schon, beeilen Sie sich etwas«, sagte Mason. »Stellen Sie sich nicht so an wie ein Hund, der Prügel erwartet. Sie haben als Mann ein Spiel gespielt. Jetzt nehmen Sie auch wie ein Mann die Folgen auf sich.« Als Leeds näher kam, nahm ihn Mason beim Arm und führte ihn zu der Tür von Inez Coltons Wohnung. Drake saß noch fast genau so da, wie ihn Mason verlassen hatte. Inez Colton saß in dem Sessel und schluchzte leise vor sich hin. »Wie wäre es denn, wenn Sie uns alles erzählten?« sagte Mason. »Ich habe nichts zu sagen«, sagte Harold Leeds, »besonders Ihnen nicht. Wenn ich schon rede, dann nur mit dem District Attorney.« »Das ist ja großartig«, sagte Mason. »Aber zuerst einmal, junger Mann, werden Sie in den Zeugenstand als Zeuge für die Verteidigung treten. Hier ist eine Vorladung.« Mit schwungvoller Bewegung reichte Mason ihm eine Vorladung, in der er aufgefordert wurde, am nächsten Tage um zehn Uhr vor Gericht als Zeuge für die Verteidigung auszusagen. »Okay, Paul«, sagte Mason zu Drake, »komm, gehen wir. Kommen Sie, Della, wir haben hier nichts mehr zu tun.« »Warten Sie einen Augenblick«, sagte Leeds. »Sie können doch nicht... Sie können mich doch nicht in den Zeugenstand bringen.« -1 1 6 -
»Das ist jammerschade«, bemerkte Mason ohne Mitgefühl und bewegte sich auf die Tür zu. Als Harold trotzig weiter schwieg, sagte Inez Colton zu Mason: »Na schön, dann werde ich es Ihnen sagen, wenn er nicht will. Harold ist ganz verrückt auf Pferderennen. Er kommt einfach nicht davon los. Und mir geht es auch so. Wir kannten John Milicant, aber wir kannten ihn unter dem Namen Louie Conway und wußten, daß er ein Hasardspieler war. Harold lernte ich draußen auf der Rennbahn kennen. Harold und ich verliebten uns ineinander. Ich nahm eine Wohnung in dem gleichen Hause, wo Louie Conway eine Wohnung hatte. Harold fing an, mich zu besuchen, und eines Tages begegneten er und Louie einander im Fahrstuhl. Harold erkannte Louie als John Milicant und Louie erkannte ihn natürlich als Harold Leeds. Als dann Harold herausfand, daß Alden Leeds zugunsten von L. C. Conway einen großen Scheck ausgestellt hatte... Tja, also kurzum, Harold meinte, er müsse da etwas unternehmen. Louie sagte ihm, er solle herunterkommen und die Sache mit ihm besprechen. Milicant erzählte ihm eine äußerst verwunderliche Geschichte. Er sagte, er hätte tatsächlich Anspruch auf die Hälfte des ganzen Vermögens, das Alden Leeds sich geschaffen hatte, und Alden Leeds hätte es nur so weit gebracht, weil er ihm seine Hälfte des Vermögens gestohlen habe.« »Wollen Sie vielleicht sagen«, fragte Mason, »daß Milicant behauptete, er sei Bill Hogarty?« »Jawohl«, sagte sie überrascht, »genau das hat er gesagt, und er hat auch Unterlagen vorgewiesen, um es zu beweisen.« »Und Emily Milicant ist seine Schwester?« fragte Mason. »Sie ist ebensowenig seine Schwester wie ich«, sagte Inez Colton. »Leeds nahm dort oben im Yukon die Hütte und sämtliche Lebensmittel in Besitz. Er verdrosch Hogarty, trieb ihn dann mit vorgehaltener Pistole ohne Decken, ohne Essen und, wie er glaubte, ohne Streichhölzer hinaus. Dann nahm Alden Leeds das gesamte Gold in Besitz und verdrückte sich wieder in bewohnte Gegenden. Er war gerissen genug, den Namen Hogarty anzunehmen und stellte es so hin, als wäre in -1 1 7 -
Wirklichkeit Leeds verschwunden. Dadurch wurden die Behörden von der richtigen Spur abgelenkt. Hogarty wäre beinahe an der Kälte im Freien gestorben. Der Krach war wegen Emily Milicant entstanden, die Hogartys Geliebte gewesen war. Sie war ein Tanzmädchen aus Dawson. Hogarty beschloß, Leeds bei dem Glauben zu lassen, er sei tot, und dann, wenn Leeds einmal sorglos geworden war, wollte er ihn aufspüren und eine Abrechnung erzwingen. Leeds ging nach Seattle, traf Emily Milicant, sagte ihr, Hogarty sei tot und heiratete sie. Er heiratete sie unter dem Namen Hogarty. Dann kam Leeds irgendwie dahinter, daß ihm Hogarty auf der Spur war, ging auf und davon, machte sich unsichtbar und ließ seine Frau sitzen. Der wirkliche Hogarty fand die Frau. Eine Zeitlang lebten sie als Mann und Frau zusammen. Dann trennten sie sich, blieben aber gute Freunde. Sie wollte unbedingt Leeds finden. Hogarty wollte ihn auch finden und eine Abrechnung erzwingen. Schließlich fanden sie ihn beide. Leeds hatte, als er glaubte, daß keine Gefahr mehr bestünde, wieder seinen alten Namen angenommen. So hat Hogarty Harold die Geschichte erzählt, und so hat Harold sie mir erzählt!« Mason wandte sich an Harold Leeds und fragte: »Ist das die Wahrheit?« »Das ist die Wahrheit«, sagte Leeds. »Und Sie gingen nach unten, um Milicant oder Hogarty oder Conway, gleichviel wie Sie ihn nennen wollten, in der Mordnacht zu sprechen?« fragte Mason. »Jawohl«, sagte Harold Leeds fast unhörbar. »Um welche Zeit war das?« »Gleich nachdem Onkel Alden gegangen war.« »Woher wissen Sie das?« »Ich sah Onkel Alden aus der Conwayschen Wohnung herauskommen und den Korridor hinunter auf den Fahrstuhl zugehen.« »Wo waren Sie denn?« »Ich kam die Treppe herunter. Ich hatte gerade die letzte Treppenstufe erreicht, als die Wohnungstür aufging und Onkel Alden auf den Fahrstuhl zuging. Er ging sehr schnell.« -1 1 8 -
»Gesprochen haben Sie nicht mit ihm?« »Nein.« »Warum nicht?« »Er wirkte - tja, wie soll ich sagen - nervös und aufgeregt.« »Was haben Sie dann also getan?« »Nachdem er mit dem Fahrstuhl hinuntergefahren war, ging ich zu der Conwayschen Wohnung.« »Haben Sie an die Tür geklopft?« fragte Mason. »Die Tür stand einen kleinen Spalt breit offen. Daher habe ich angeklopft. Es meldete sich aber niemand. Ich stieß die Tür auf und rief Conway beim Namen. Es kam immer noch keine Antwort. Die Wohnung war durchsucht worden. Es lagen Papiere verstreut umher. Auf dem Tisch stand leeres Geschirr. Allem Anschein nach hatten zwei Leute eilig zu Abend gegessen, und...« »Wieso eilig?« fragte Mason. »Weil der Tisch nicht richtig gedeckt war. Die Teller standen da, wo man sie stehen gelassen hatte, nämlich auf dem Tablett, auf dem auch Messer und Gabeln lagen. Eine Kanne, in der Kaffee gewesen war, und zwei Untertassen standen auch auf dem Tablett. Die Tassen waren benutzt worden.« »Sie haben sich das offensichtlich sehr gründlich angesehen.« »Das habe ich auch.« »Erzählen Sie von da an weiter«, sagte Mason. »Tja, dann habe ich mich also ein wenig umgesehen und die Badezimmertür aufgemacht.« »Was haben Sie gefunden?« fragte Mason. »Die Leiche.« »Was haben Sie dann getan?« »Ich blieb stocksteif stehen, und mir brach der kalte Schweiß am ganzen Leibe aus«, sagte Harold Leeds. »Dann ging mir auf, in was für einer reizenden Klemme ich saß. Ich hatte viel zu viel überall angefaßt. Deswegen zog ich mein seidenes
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Taschentuch heraus und wischte sämtliche Türklinken ab, die ich berührt hatte, und machte mich dann davon.« »Ließen Sie die Tür offenstehen?« »Nein. Ich zog die Tür zu und das Schloß schnappte ein.« »Wie lange waren Sie in der Wohnung?« »Nicht länger als zwei Minuten.« »Wem haben Sie hiervon erzählt?« fragte Mason. »Keiner Menschenseele außer Inez.« Mason blickte vielsagend zu Paul Drake hinüber. »Jetzt sehen Sie ja, in welcher Lage Harold ist«, sagte Inez Colton. »Er kann Ihrem Mandanten gar nicht helfen, Mr. Mason, und seine Aussage würde die Anklage gegen Alden Leeds nur noch verstärken.« Mason stand jählings auf. »Tja«, sagte er, »das ist alles. Es tut mir leid, daß wir Sie in dieser Form überfallen haben. Kommt, Herrschaften, gehen wir.« Die drei gingen wortlos den Korridor entlang und stiegen dann in den Fahrstuhl. »Na«, sagte Mason, als sie hinunterfuhren, »da hab ich ja dem District Attorney direkt in die Hände gearbeitet. Anscheinend war Milicant wirklich Hogarty.« »Ich dachte, du wußtest das bereits«, sagte Drake. Mason verzog seine Lippen zu einem schiefen Grinsen. »Ich wollte die Polizei in dem Glauben lassen, daß ich es meinte«, sagte er. »Es sieht so aus, Perry«, sagte Drake und legte eine Hand auf die Schulter des Anwalts, »als hättest du dir mehr zugemutet, als du verkraften kannst. Wenn dein Mandant schuldig ist, dann ist er eben schuldig. Er hat dich offensichtlich angelogen. Wirf dich nicht mit deiner ganzen Person in diesen Prozeß.« »Er ist nicht schuldig, Paul«, sagte Mason - »zum mindesten nicht in der Form, wie die Gegenseite behauptet.« »Na schön, Perry«, sagte Drake, »ich werde mit einem Taxi ins Büro zurückfahren.« Er ging an den Randstein, stieß einen schrillen Pfiff aus und lief auf die Ecke zu, um ein vorbeifahrendes Taxi anzuhalten. »Im nächsten Block ist ein Hotel, Della«, sagte Mason, »die -1 2 0 -
haben eine Telefonzentrale und Telefonzellen. Ich glaube, da können wir ein Ferngespräch führen.« »Wen wollen Sie denn anrufen, Chef?« fragte sie. »Emily Milicant«, sagte er. Sie gingen zu dem Hotel. Mason gab dem Mädchen in der Telefonzentrale seine Nummer an und sagte, sie solle das Ferngespräch dringend machen. »Ich will Mrs. J. B. Beems in dem Border City Hotel in Yuma, Arizona, sprechen.« Sie rauchten schweigend eine Zigarette. Della Street ergriff Masons Arm. Es war ein wortloses Treuebekenntnis. Dann winkte die Telefonistin Mason zu und sagte: »Ich habe das Hotel in der Leitung, aber man sagt mir, es sei dort niemand unter diesem Namen eingetragen.« Mason zahlte die Fernsprechgebühr, gab der Telefonistin einen Dollar Trinkgeld und sagte: »Kommen Sie, Della. Gehen wir.« Draußen auf der Straße sagte sie: »Chef, was bedeutet das?« Mason griff stirnrunzelnd in seine Tasche, zog eine Zigarette heraus, ohne darauf zu antworten. »Angenommen, der District Attorney würde sich Harold Leeds schnappen?« fragte Della Street. »Wir haben ihn gefunden, warum sollte es der District Attorney nicht auch können? Schließlich haben wir ja die Leute mit der Nase draufgestoßen, indem wir Inez Colton mit in die Sache hineingezogen haben.« Masons Antwort war ein unartikuliertes Grunzen. Er steckte seine Hände tief in die Hosentaschen, senkte sein Kinn nach vorn auf die Brust und verlangsamte seinen Schritt. Plötzlich sagte Mason: »Okay, Della, wir werden unsere Spielmarken riskieren. Sollten wir schlechte Karten bekommen, dann sind wir erledigt.« »Aber Chef, warum wollen Sie sich denn selber exponieren?« fragte sie. »Leeds ist schließlich ein Mandant wie irgendein anderer Mandant. Halten Sie sich zurück und handeln Sie ganz einfach wie ein Anwalt, der einen x-beliebigen Fall vertritt.« Mason grinste. »Das kann ich nicht«, gestand er. »Warum nicht, Chef?« -1 2 1 -
»Ich weiß es nicht. Ich bin nun wahrscheinlich eben einmal so. »Kommen Sie, Della, wir werden mal telefonieren.« Er nahm sie am Arm, führte sie in ein Drugstore und ging dort auf die Telephonzelle zu, wo er das Polizeipräsidium anrief. »Bitte die Mordkommission«, sagte er, und setzte nach einer Weile hinzu: »Bitte Sergeant Holcomb... Hallo, Sergeant, sind Sie da? Okay, hier hab ich einen Tip für Sie. Harold Leeds, ein Neffe von Alden Leeds, war in der Mordnacht in Milicants Wohnung. Er hat seinen Onkel aus der Wohnung herauskommen und den Korridor hinunter zum Fahrstuhl gehen sehen. Seine Freundin Inez Colton weiß genau darüber Bescheid. Sie wohnt jetzt unter dem Namen Helen Reid in dem Ellery Arms Apartment Haus. Harold Leeds ist jetzt auch dort.« »Großartig«, rief Sergeant Holcomb aus. »Wer spricht denn da?« »Ich bin der Weihnachtsmann, du verdammter Trottel«, sagte Mason und hängte auf.
12 Der lange Tisch im Besuchsraum des Gefängnisses erstreckte sich quer durch den ganzen Raum. Auf jeder Seite des Tisches standen Stühle. Perry Mason betrat den Vorraum und zeigte dem Wärter seinen Ausweis. Der Wärter prüfte ihn genau, trat an das Telefon und sagte: »Schicken Sie Leeds nach oben.« Er drückte einen Stempel auf den Passierschein, schloß eine Stahltür auf, führte Mason in die eine Hälfte des geteilten Besuchsraumes und verschloß die Tür hinter ihm. Mason setzte sich und zündete sich eine Zigarette an. Als Mason seine Zigarette zur Hälfte aufgeraucht hatte, tat sich am ändern Ende des Raumes eine Tür auf, und Alden Leeds trat unmittelbar aus dem Fahrstuhl in den Besucherraum. Er sah Mason, nickte und ging quer durch den Raum, um sich auf einen Stuhl auf der anderen Seite des Tisches und jenseits des Gitters hinzusetzen. -1 2 2 -
Mason betrachtete prüfend das Gesicht des anderen, ein Gesicht, das ungefähr fünf Fuß von seinem eigenen entfernt durch einen Tisch und ein Drahtnetz von ihm getrennt war. Mason senkte seine Stimme derart, daß die beiden Beamten, die eifrig mit der Bearbeitung ihrer Bücher beschäftigt waren, sie nicht hören konnten und sagte dann: »Also Leeds, in einer Stunde wird die Gerichtssitzung eröffnet. Wenn ich Sie vertreten soll, dann müßte ich eigentlich wissen, woran ich bin.« Leeds saß ruhig da, ohne jede nervöse Zappeligkeit. Seine Augen waren kühl, stetig und vorsichtig. »Was wollen Sie wissen?« fragte er. »Ich will die Wahrheit wissen.« »Sie wissen doch die Wahrheit«, sagte Leeds. Mason setzte sich seitlich auf seinen Stuhl, schlug seine langen Beine übereinander und sagte: »So wie ich mir das vorstelle, haben Sie erfahren, daß Milicant und Conway ein und derselbe Mann waren. Sie betraten die Wohnung und fanden Milicant tot vor.« »Danke«, sagte Alden Leeds. »Wofür?« fragte Mason. »Dafür, daß Sie nicht glauben, daß ich ihn getötet habe. Ich fürchtete schon, Sie täten das.« »Überall in der Wohnung sind Fingerabdrücke von Ihnen«, sagte Mason. »Ein Zeuge sah Sie die Wohnung verlassen. Er betrat die Wohnung sofort, nachdem Sie gegangen waren. Er fand die Spuren einer Durchsuchung und...« Leeds zuckte mit den Schultern und sagte: »Ich werde mich nicht bemühen, Ihnen zu erzählen, was Sie zu tun haben, Mason. Sie sind Anwalt und nicht ich.« »Hätten Sie mich am Anfang nicht angelogen«, sagte Mason, »dann hätte ich vielleicht auch so gedacht. Aber ich glaube nicht, daß wir das einem Schwurgericht begreiflich machen können.« Einen Augenblick lang herrschte Schweigen. Dann sagte Leeds: »Na schön. Dann fangen wir also da an.« »Ich stelle mir vor«, sagte Mason, »Emily Milicant brachte Hogarty um. Sie waren zu dem Zeitpunkt nicht in der Hütte. Sie muß in panischer Angst geflohen sein. Sie haben versucht, sie einzuholen, was Ihnen aber nicht gelang. Dann taten Sie Ihr -1 2 3 -
Möglichstes, um die Spuren von dem, was geschehen war, zu vertuschen und...« »Hören Sie mal, Mason«, sagte Leeds. »Das ist reiner Blödsinn, aber es ist ein gefährlicher Blödsinn.« »Emily Milicant ist durchgebrannt«, sagte Mason. »Sie hat mir einen verlogenen Brief aus einem Hotel in Yuma geschickt in der Hoffnung, mir damit Sand in die Augen zu streuen.« Leeds verdaute diese Mitteilung in nachdenklichem Schweigen. »Wie kommen Sie auf den Gedanken, daß Emily ihn umgebracht hat?« »Ach, da sind eine Menge Dinge, die mich darauf bringen«, sagte Mason. »Ich glaube nicht, daß Sie der Typ sind, der nach einem Totschlag in einem fairen Kampf davonlaufen würde, und ich glaube nicht, daß Sie einen Mann aus Überlegung töten würden, es sei denn, Sie müßten jemand beschützen, den Sie liebten. Hätten Sie das oben im Yukon getan, dann hätte es zwei Zeugen dafür gegeben, nämlich Sie und Emily. Sie wären dann geblieben und hätten die Folgen getragen.« Leeds faltete seine Hände. »Emily«, sagte er, »war eine stolze Frau. Sie liebte das Abenteuer. Sie hatte Hogarty kennengelernt und kam zu dem Claim als junge Frau hinauf, die ihr Geld bei den Goldgräbern auf der Basis gleicher Beteiligung anlegen wollte. Sie war bereit, ihren Anteil an der Arbeit zu leisten, die Hütte sauber und nett zu gestalten, das Kochen zu übernehmen und auch sonst alle übrige Arbeit, zu der sie fähig war, in der Nähe der Goldgrube zu machen. Aber sie war nicht willens, einige der Dinge hinzunehmen, die sich Hogarty in den Kopf gesetzt hatte. Hogarty ging eines Tages, als ich in der nächstgelegenen Siedlung war, um Lebensmittel zu holen, zu weit. Ich kam zurück und stellte fest, daß sie gegangen war. Sie hatte einen Zettel hinterlassen.« »Sie hat ihn getötet?« »Allem Anschein nach«, sagte Leeds. »Sie hatten miteinander gekämpft. Emily schoß, und die Kugel warf ihn um. Er stand auf und rannte davon. Sie wußte nicht, wo er getroffen war. Es war gegen Ende der Jahreszeit. Es wurde schon früh -1 2 4 -
dunkel. Ich glaube, die Blutspur auf dem Fußboden und in dem Schnee versetzten sie in eine panische Angst. Sie warf ein paar Sachen auf einen Schlitten und zog los.« »Haben Sie versucht, sie zu finden?« Leeds nickte. Er legte offensichtlich keinen Wert darauf, diesen Teil der Geschichte zu erörtern. »Und haben Sie auch versucht, Hogarty zu finden?« »Hogarty war tot«, sagte Leeds. »Er hatte einen Schuß in den Unterleib bekommen. Ein anderer Goldgräber kümmerte sich um ihn. Der Name dieses Goldgräbers war Carl Freehome. Das erfuhr ich natürlich erst später. Wir hatten reiche Funde gemacht, als wir gruben. Das war aber schon gewesen, ehe Emily aufgetaucht war. Emily gegenüber sagten wir darüber nichts. Hogarty wollte sie daran nicht beteiligen. Ich grub das Gold aus, nahm mir den Proviant und machte mich auf den Weg nach White Horse. Ich fand keine Spur von Emily. Dann kam mir die Idee, die Behörden von der Spur abzulenken, indem ich als Bill Hogarty auftrat.« »Und schließlich fanden Sie sie in Seattle?« »Ja.« »Wann hörten Sie von diesem gewissen Freehome?« »Ich hörte gar nichts von ihm. Sie hörte Jahre später von ihm. Sie erzählte mir das vor ein paar Wochen, als wir uns trafen. Ich engagierte eine Detektiv-Agentur, die ihn finden sollte. Die teilte mir mit, er wäre vor zwei Jahren in Dawson City gesehen worden. Dort verlor sich seine Spur. Später hörte die Agentur ein Gerücht, wonach er in Seattle sei.« »Was wurde aus Hogartys Leiche?« »Nachdem er starb«, sagte Leeds, »packte Freehome die Leiche auf seinen Schlitten und begab sich zu der Hütte. Versetzen Sie sich an Freehomes Stelle. Es war ein wildes Land. Freehome hatte eine Chance, etwas zu gewinnen. Er grub ein flaches Grab, begrub Hogarty und machte sich an die Arbeit. Als er den Claim ausgebeutet hatte, ließ er Hogarty dort liegen. Ich wollte ihn finden und ihm sagen, er könnte das Geld -1 2 5 -
behalten, falls noch etwas davon übrig war. Aber ich wollte seine Geschichte hören. Ich hoffte, daß Hogarty, ehe er starb, eine Äußerung getan hatte. Deswegen flogen wir nach Norden.« »Sie fanden ihn aber nicht?« »Heiliger Himmel, nein! Wir hatten nicht mal eine Chance nachzusehen. Die Polizei hatte mich sofort geschnappt.« Mason rückte seinen Stuhl zurück und stand auf. Einer der stellvertretenden Sheriffs griff nach dem Telefon. »Ich sehe Sie im Gerichtssaal wieder«, sagte Mason und ging auf die Gittertür zu. Drake erwartete Mason in seinem Büro. Mason brauchte nur Della Streets Gesicht anzusehen, um zu merken, daß der Detektiv schlechte Nachrichten hatte. »Was ist los, Paul?« fragte er. »Wir haben Emily Milicant ausfindig gemacht.« »Und wo?« »In San Francisco.« »Was macht sie denn dort?« »Sie hält sich in einem Hotel versteckt.« »Ist noch jemand bei ihr?« »Na und ob.« »Wer denn?« »Ned Barkler.« »Hoppla, hoppla«, sagte Mason. »Tja, als du mir sagtest, daß sie dir davongelaufen sei und nicht in Yuma wäre, kontrollierten wir die Flugzeuge. Sie war durchaus in Yuma gewesen und schickte dir wahrscheinlich einen Brief, um dir mitzuteilen, daß sie ins Border City Hotel ziehen würde. Doch nachdem sie das getan hatte, ging sie zum Telegrafenamt und fragte, ob Nachrichten für Mrs. J. B. Beems da wären. Es war eine Nachricht dort, was für eine wissen wir nicht. Jedenfalls nahm sie ein Flugzeug nach San Francisco, nachdem sie das Telegramm gelesen hatte. Dort erwartete sie Barkler.« »Sind sie beide noch da?« fragte Mason. -1 2 6 -
»Nein«, sagte Drake, »das ist eben das Üble an der Geschichte. Die Polizei machte sie ungefähr um die gleiche Zeit ausfindig wie meine Leute.« »Um die gleiche Zeit?« echote Mason. »Ja eben«, sagte Drake. »Meiner Meinung nach stinkt da etwas, Perry. Ich glaube, meine Telefonleitung ist angezapft worden. Es sieht so aus, als rückten uns diese Leute jetzt auf den Pelz. Jeder Schritt, den wir machen, wird bewacht.« Masons Gesicht verdüsterte sich. »Bei Gott«, sagte er, »diesen Burschen werde ich es aber besorgen!« »Das ist ihnen jetzt egal«, unterbrach Drake. »Sie haben das Netz zugezogen. Sie haben Emily Milicant und Ned Barkler in Gewahrsam genommen und bringen sie hierher zurück.« »Was wirft man ihnen denn vor?« fragte Mason. »Ich weiß es nicht«, sagte Drake, »vielleicht sollen sie als Kronzeugen auftreten, vielleicht beschuldigt man sie auch der Beihilfe. Perry, die Leute wollen dich diesmal fertig machen und sie schießen mit großen Kanonen. Du weißt ja, was sie dann mit mir anstellen werden.« »Aber diese Leute wissen nicht, was ich mit ihnen anstellen werde«, sagte Mason grimmig.
13 Die Verhandlung wurde um zehn Uhr eröffnet. Das gedämpfte Summen von im Flüsterton geführten Gesprächen, die raschelnden Bewegungen, die die unruhigen Zuhörer machten, bildeten eine Geräuschkulisse für die im Flüsterton geführte Unterredung von Perry Mason und Della Street. »Hat Gertrude Lade ihre Rolle begriffen?« fragte Mason. Della Street nickte. »Hat sie irgendwelche Einwände gemacht?« fragte Mason. »Nicht im geringsten«, sagte Della Street. »Anscheinend liebt sie die Sensation.«
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Eine Seitentür tat sich auf, und ein stellvertretender Sheriff führte Alden Leeds in den Gerichtssaal. Aus seinen Amtsräumen kam Richter Knox in den Gerichtssaal, woraufhin der Bailiff mit seinem Hammer für Ruhe sorgte. Bob Kittering, der Mühe hatte, ruhig zu sprechen, erhob sich von seinem Stuhl und sagte: »Ich rufe Harold Leeds in den Zeugenstand!« Harold Leeds bewegte sich aus dem Hintergrund des Gerichtssaals nach vorn. »Also, Mr. Leeds, Sie heißen Harold Leeds. Sie sind ein Neffe von Alden Leeds, der in diesem Verfahren als Angeklagter dasteht. Stimmt das?« »Das stimmt«, sagte Harold Leeds bedrückt. »Kannten Sie John Milicant vor seinem Tode?« »Ja.« »Hat Ihnen John Milicant zu irgendeinem Zeitpunkt etwas über seine wahre Identität erzählt?« »Ja, das hat er getan.« »Ich werde Ihnen jetzt folgende Frage stellen, Mr. Leeds«, sagte Kittering. »Haben Sie einen Bill Hogarty zu seinen Lebzeiten gekannt?« »Tja«, sagte Leeds zögernd, »ich kannte einen Bill Hogarty, alias Conway, alias Milicant.« »Woher wußten Sie, daß er Hogarty war?« Daraufhin äußerte Leeds in einem Ton, dem man deutlich entnehmen konnte, daß er eine auswendig gelernte Rolle hersagte: »Ich weiß das aus demselben Grunde, aus dem ich weiß, daß Sie Mr. Kittering, der stellvertretende District Attorney, sind, weil Sie mir das nämlich gesagt haben. Er sagte mir, er hieße nicht Milicant, er sei auch nicht der Bruder von Emily Milicant, sondern er sei Bill Hogarty, ein Mann, von dem Alden Leeds glaubte, daß er ihn ermordet hätte.« »Haben Sie den Angeklagten in der Mordnacht, also am Siebenten dieses Monats, gesehen?« »Jawohl.« »Wann?« -1 2 8 -
»Ungefähr gegen zehn Uhr fünfundzwanzig abends.« »Und wo?« »Er kam gerade aus der Wohnung von Bill Hogarty - oder John Milicant, wenn Sie ihn so nennen wollen, heraus.« »Bitte, sagen Sie genau, was Sie sahen, und genau, was Sie taten«, sagte Kittering. Harold Leeds erzählte dem Richter Knox seine Geschichte. Dann und wann war seine Stimme so leise, daß selbst der Gerichtsschreiber Mühe hatte, ihn zu verstehen. Als er geendet hatte, sagte Kittering, der offensichtlich hoffte, Mason so oft wie möglich zu überraschen, ganz plötzlich: »Bitte, beginnen Sie mit Ihrem Kreuzverhör.« »Das ist alles«, sagte Mason mit einem freundlichen Lächeln. »Ich habe keine Fragen zu stellen.« Der stellvertretende District Attorney fragte: »Wollen Sie damit sagen, daß kein Kreuzverhör dieses Zeugen stattfindet? Wollen Sie ihn nicht über das Problem der Identität ins Kreuzverhör nehmen?« »Nein«, sagte Mason. »Sehr gut, dann ist der Zeuge entlassen, und ich möchte nun außerhalb der Reihenfolge einen weiteren Zeugen vernehmen, nämlich Mr. Guy T. Serle.« Serle kam langsam nach vorn, wurde vereidigt und beantwortete die üblichen, einleitenden Fragen. »Also Sie kannten William Hogarty, alias John Milicant, alias Louie Conway zu Lebzeiten?« fragte Kittering. »Jawohl.« »Sie sprachen mit ihm am Abend des Siebenten dieses Monats?« »Jawohl.« »Wo?« »In seiner Wohnung.« »Und wann?« »Irgendwann gegen halb acht oder Viertel vor acht Uhr abends.« -1 2 9 -
»Wer war anwesend?« »Nur Conway - das heißt also Hogarty - und ich selber.« »Wie lange waren Sie dort?« »Bis gegen zwanzig Minuten nach acht.« »Was geschah zu dieser Zeit? Erzählen Sie dem Gericht einfach, was gesprochen und was getan wurde.« »Tja also, Conway...« »Ich glaube«, unterbrach Kittering, »daß wir nun in Anbetracht der Beweise, die uns zur Verfügung stehen, lieber dazu übergehen, wegen des Gerichtsprotokolls ihn mit Hogarty zu bezeichnen.« »Sehr wohl. Also Hogarty und ich hatten geschäftlich miteinander zu tun. Er hatte mir ein Geschäft verkauft, und die Polizei hatte dort eine Razzia veranstaltet. Ich wollte, daß Louie, also Hogarty, mir behilflich sei. Damit war er einverstanden.« »Ist sonst noch über etwas gesprochen worden?« fragte Kittering. »Nein, es ging hauptsächlich darum. Hogarty hatte ebenso wie ich noch nicht zu Abend gegessen. Er sagte mir, ich solle eine Nummer anrufen, die er mir gab, und ein Abendessen bestellen. Ich telefonierte, und das Essen kam nach oben. Wir waren beide in Eile, und wir aßen schnell. Dann ging ich.« »Ist über sonst noch etwas gesprochen worden?« fragte Kittering. »Doch ja, er sagte mir, ich solle ihn um zehn Uhr anrufen, und er würde mir dann mitteilen, ob die Dinge in Ordnung gingen.« »Haben Sie ihn wieder angerufen?« »Jawohl.« »Wann?« »Um Punkt zehn Uhr. Er sagte mir, die Dinge wären okay.« »Sie können mit Ihrem Kreuzverhör beginnen«, sagte Kittering triumphierend zu Mason.
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Mit leiser Stimme fragte Mason: »Hatten Sie das Gefühl, Alden Leeds hätte den Polizeibeamten den Hinweis gegeben, der dazu führte, daß die Polizei eine Razzia in Ihren Geschäftsräumen veranstaltete?« »Nun, ich hielt das für möglich.« »Und Milicant - oder Hogarty, wenn Sie wollen - war der gleichen Meinung?« »Nun, er gab zu, daß es möglich sei. Nur wußte Leeds nicht, daß Conway und Milicant ein und dieselbe Person waren, und er hatte Milicant noch nicht als Hogarty wiedererkannt. Er meinte, Hogarty wäre tot. Hogarty sagte, er habe vor, Leeds kommen zu lassen und ihm zu sagen, er sei Conway.« »Hatten Sie irgendwelche Schwierigkeiten, Milicant dazu zu bringen, Ihnen zu helfen?« »Nein, gar keine. Er erkannte, daß es nicht anständig sei, wenn ich den Sündenbock für seine Geschäfte abgeben müsse.« »Haben Ihre Schwierigkeiten Ihren Appetit beeinflußt?« fragte Mason. »Meinen Appetit?« »Jawohl.« »Nein. Wenn einem einmal im Leben Dinge schief gehen, dann ist daran nichts zu ändern.« »Ist es nicht eine Tatsache, daß Sie mir gegenüber am Achten dieses Monats um die Mittagszeit herum im ›Home Kitchen Café‹ andeuteten, daß Sie Ihre Aussage ändern würden, falls Alden Leeds Sie in irgendeiner Form finanziell entschädigen würde, so daß dann der Eindruck entstünde, daß Ihr Telefongespräch mit Conway erst dann stattgefunden hat, nachdem Leeds Conways Wohnung verlassen hat?« »Nein. Sie versuchten, mich zu bestechen, aber ich sagte Ihnen, Alden Leeds besäße nicht genug Geld, um mich zu veranlassen, meine Geschichte zu ändern. Sie versuchten, mich zu bedrohen, mich zu bestechen und mich einzuschüchtern.« Richter Knox blickte Mason stirnrunzelnd und gespannt an, doch Mason ging in beiläufigem Ton zu etwas -1 3 1 -
anderem über. »Mr. Serle«, fragte er, »Sie wurden in der Mordnacht wegen Betrug verhaftet, nicht wahr?« »Jawohl.« »Sind Sie wegen Betrug bereits abgeurteilt worden?« »Es ist in dieser Sache noch zu keiner Verhandlung gegen mich gekommen«, sagte Serle, »denn es lag gar nichts gegen mich vor. Die Razzia erfolgte auf einen Hinweis von Alden Leeds. Es ist gar nichts bewiesen worden.« »Um es genauer zu sagen«, sagte Mason. »Sie waren gerissen genug, um zu begreifen, daß Sie sich dem Büro des District Attorneys gegenüber erkenntlich zeigen konnten, indem Sie den Zeitpunkt des Telefongesprächs von zehn Uhr dreißig auf zehn Uhr verlegten. Und das haben Sie dann auch getan. Ist es nun etwa keine Tatsache, daß dieses Telefongespräch, von dem Sie gesagt haben, daß es um zehn Uhr stattfand, in Wirklichkeit erst ungefähr dreißig Minuten später stattgefunden hat?« »Das ist keine Tatsache«, schrie Serle. »Und nachdem Sie dieses Mietshaus verließen, in dem Conway oder Milicant seine Wohnung hatte; gingen Sie direkt hinüber in den Tag und Nacht geöffneten Billardsaal, nicht wahr?« »Nein.« »Ach, wirklich nicht?« »Nein.« »Und was haben Sie in der Zwischenzeit getan?« »Verschiedene Dinge.« »Nennen Sie eins davon.« »Ich habe telefoniert.« »Mit wem?« »Mit einem Freund.« »Wer war dieser Freund?« Serle schwieg und blickte erwartungsvoll zu Kittering hinüber. Der stand auf und sagte: »Euer Gnaden, ich erhebe Einspruch. -1 3 2 -
Diese Form des Kreuzverhörs ist nicht korrekt. Es ist zulässig, daß der Herr Verteidiger in angemessenem Rahmen das Zeitmoment überprüft. Natürlich behauptet die Verteidigung, dieses Telefongespräch habe nach dem Fortgehen von Leeds stattgefunden. Die Anklagebehörde stellt hingegen die Behauptung auf, daß dies nicht der Fall war.« Richter Knox warf einen Blick zu Mason hinunter und sagte: »Ich sähe es lieber, wenn Sie diese Frage einstweilen zurückstellen würden, Herr Verteidiger, und uns erst einmal eine Begründung brächten, aus der hervorgeht, daß sie dies Verfahren hier betrifft.« Mason fuhr ruhig und in gleichgültigem Tone mit seinem Kreuzverhör fort und fragte: »Ist es etwa keine Tatsache, daß Sie beim Betreten des Billardsalons zu Zeugen gesagt haben. Sie wollten Louie Conway gegen zehn Uhr dreißig anrufen?« »Das mag sein«, sagte Serle. »Dann haben Sie also diese Männer angelogen?« »Angelogen habe ich sie nicht. Ich sah nur keinen Grund, Leuten, die ihre Zeit in Billardsälen vertrödeln, alle meine Privatgeschichten auf die Nase zu binden.« »Nichtsdestoweniger bleibt die Tatsache bestehen, daß Sie beim Betreten des Billardsalons die Absicht hatten, Bill Hogarty oder Louie Conway um zehn Uhr anzurufen, und daß Sie trotzdem diesen Männern erzählten, daß Sie den Anruf gegen zehn Uhr dreißig machen wollten, nicht wahr?« »Jawohl.« »Haben Sie nicht dem District Attorney erzählt, als Sie Ihre Geschichte zum ersten Male wiederholten, daß Sie Conway um zehn Uhr dreißig angerufen hätten?« »Nein.« »Haben Sie dem District Attorney beim ersten Male erzählt, daß der Zeitpunkt zehn Uhr war?« fragte Mason. »Ich habe keine genaue Zeit erwähnt.« »Ach so, ich verstehe«, sagte Mason. »Sie haben aber den Beamten erzählt, daß Sie Hogarty angerufen hätten. Diese -1 3 3 -
haben Ihnen dann auseinandergesetzt, daß es wichtig sei, den Zeitpunkt genau festzulegen, zu dem der Anruf erfolgt sei, denn falls er nach zehn Uhr zwanzig erfolgt sei, so bedeute das, daß sie Alden Leeds nicht des Mordes überführen könnten. Stimmt das?« »Tja also, wir haben uns allerdings unterhalten. Die Beamten haben mir einiges erzählt und ich ihnen auch...« »Nun gut«, sagte Mason, »kommen wir jetzt auf das zurück, was Sie taten, nachdem Sie Hogartys Wohnung verlassen hatten. Sie haben also einen Ihrer Freunde angerufen. Ist es etwa nicht zutreffend, daß Sie das ›Home Kitchen Café‹ angerufen und dort mit Hazel Stickland gesprochen haben?« Auf Serles Gesicht sah man den Ausdruck bestürzter Furcht. »Ja, wie... wieso... ich...« »Denken Sie immer daran, daß Sie unter Eid aussagen«, sagte Mason und deutete mit starrem Zeigefinger auf ihn. »Also gut, jawohl, ich habe sie angerufen, aber nicht im Café.« »Und was haben Sie zu ihr gesagt?« »Ich erhebe Einspruch, da die Frage nicht zur Sache gehört, unbedeutend und unwesentlich ist und außerdem gegen die Vorschriften des Kreuzverhörs verstößt«, sagte Kittering. »Dem Einspruch wird stattgegeben«, sagte Richter Knox. »Sie dürfen den Zeitpunkt der Unterhaltung festlegen, Herr Verteidiger. Der Inhalt der Unterhaltung würde nicht mehr in den Rahmen eines Kreuzverhörs passen.« Darauf wandte sich Mason an Serle und fragte: »Stimmt es etwa nicht, daß Sie Hazel Stickland gesagt haben, sie solle ihre Sachen zusammenpacken und die Stadt verlassen, und daß Sie sie noch treffen, ihr etwas Geld geben und ihr erklären würden warum?« »Ich erhebe aus gleichen Gründen Einspruch«, sagte Kittering. Richter Knox blickt Mason stirnrunzelnd an und fragte: »Wollen Sie behaupten, Herr Verteidiger, daß dies alles irgend etwas mit dem Verbrechen zu tun hat?«
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»Jawohl«, sagte Mason. »Diese Frau war Kellnerin in dem Lokal ›Home Kitchen Café‹. Hazel Stickland hat die beiden bedient. Das Restaurant hatte an dem Abend zwei ›SpezialGerichte‹ auf der Karte. Das eine war Seezungenfilet und gebackene Kartoffeln, und das andere Gericht war Hammelkoteletts, grüne Erbsen und gebackene Kartoffeln. Serle und Hogarty aßen das Fleischgericht... Ich habe hier eine Speisekarte dieses Lokals, aus der hervorgeht, welche Gerichte regelmäßig jede Woche serviert werden.« »Zu welchem Zeitpunkt war das?« fragte Richter Knox verwirrt. »So ungefähr gegen sechs Uhr oder sechs Uhr fünfzehn«, antwortete Mason. »Dieser Zeuge hat doch aber mit Hogarty an dem Mordabend in dessen Wohnung zu Abend gegessen«, wandte Richter Knox ein. »An dieser Tatsache scheint doch kein Zweifel zu bestehen.« »Sehen Sie sich sein Gesicht an, wenn Sie meinen, daß er das getan hat«, sagte Mason. Kittering war aufgesprungen. »Ich protestiere gegen diese Unterhaltung von Richter und Verteidigung, und ich protestiere gegen die Äußerung des Herrn Verteidigers. Ich erkläre sie für eine unkorrekte Art, das Gericht zu beeinflussen.« Richter Knox warf einen schnellen Blick auf Serles bleiches, eingefallenes Gesicht, blickte dann wieder zu Perry Mason hinüber und entschied: »Der Einspruch ist abgelehnt. Beantworten Sie die Frage.« »Stimmt es etwa nicht, daß Sie ihr das gesagt haben«, fragte Mason. »Nein«, sagte Serle mit gequälter, heiserer Stimme. »Sie haben versucht, Hogarty dazu zu bringen, für Sie die Kaution zu stellen. Das aber wollte er nicht«, sagte Mason. »Sie wußten außerdem, daß selbst wenn Sie gegen Lösegeld freikämen, man Ihnen nie wieder erlauben würde, Ihre Firma noch einmal zu eröffnen. Daraufhin haben Sie sich den Fall überlegt. Sie wußten, daß er den größten Teil der bewußten zwanzigtausend Dollar in seinem Besitz, wahrscheinlich sogar bei sich, in einer -1 3 5 -
Brieftasche hatte. Nachdem Sie sich getrennt hatten, haben Sie sich allmählich überlegt, ob Sie ihn nicht vielleicht ermorden und sich in den Besitz des Geldes bringen könnten, dies aber in einer Art und Weise tun könnten, daß Sie ein vollkommenes Alibi hätten. Sie hatten eine ungefähre Vorstellung über die Art, in der Chirurgen bei einer Leichenschau den Zeitpunkt des Todes entsprechend dem fortgeschrittenen Verdauungsprozeß fixieren. Sie wußten, daß Hogarty um sechs Uhr fünfzehn gegessen hatte, und Sie wußten genau, was er gegessen hatte. Ungefähr zwei Stunden später gingen Sie in seine Wohnung und brachten ihn um. Sie hielten sich dort genau so lange auf, wie sie brauchten, um in dem Restaurant des Blockes ein Essen zu bestellen, das genau das gleiche war, was Sie und Hogarty verzehrt hatten. Als der Kellner mit dem Essen eintraf, waren Sie in Hogartys Schlafzimmer und taten so, als führten Sie eine angeregte Unterhaltung mit ihm... aber Hogarty war bereits tot. Sie sprachen in zwei verschiedenen Tonlagen und führten die ganze Unterhaltung in Wirklichkeit allein, stimmt das etwa nicht?« »Das ist eine Lüge«, schrie Serle, doch seine Stimme klang gequält und heiser. Mason fuhr mit ruhiger aber unerbittlicher Stimme fort. »Sie warteten, bis die Platten mit dem Essen eingetroffen waren, dann warfen sie das ganze Essen in den Abfallkanal.« »Nein, das habe ich nicht getan.« »Danach gingen Sie mit der Absicht fort, sich ein Alibi zu schaffen. Sie achteten sorgfältig darauf, daß die Türe verschlossen war. Sie wußten ja nicht, das Marcia Whittaker einen Schlüssel zu der Wohnung hatte. Sie gingen also nach dem Mord in einen Billardsaal, wo Sie wußten, daß Sie Ihre Spezis treffen würden, und denen erzählten Sie beiläufig, daß Sie gegen zehn Uhr dreißig Hogarty anrufen wollten. Damit die Sache aber auch klappte und so aussah, als sei der Verstorbene gleich nach dem Telefongespräch mit Ihnen ermordet worden, taten Sie so, als hätten Sie wirklich seine Nummer gewählt und mit ihm gesprochen. Sie taten so, als sprächen Sie mit ihm über die Kaution. Dann gingen Sie -1 3 6 -
unmittelbar von dem Billardsalon zu der Polizeistation, weil Sie glaubten, auf diese Weise Ihr Alibi am besten untermauern zu können.« »Ich habe nichts dergleichen getan«, sagte Serle mit hartnäckiger Verbissenheit. »Denken Sie lieber noch einmal nach«, sagte Mason, »denn ich werde nunmehr beweisen, was ich sage, Serle.« Serle preßte die Lippen fest aufeinander und sagte nichts, aber die Haut seiner Stirn wies kalte Schweißtropfen auf. »Kommen wir jetzt noch einmal auf die Mordnacht zurück«, sagte Mason ruhig. »Sie gingen also in das ›Home Kitchen Café‹. Hazel Stickland bediente an Ihrem Tisch. Sie...« »Ich habe dort an dem Mordabend nicht gegessen«, bullerte Serle los, »ich habe mit Hogarty in seiner Wohnung gegessen. Ich sage Ihnen doch, ich bin an jenem Abend zu keinem Zeitpunkt in dem ›Home Kitchen Café‹ gewesen.« »Sie sind doch dort gewesen, Serle«, sagte Mason ruhig. »Sie und Bill Hogarty. Vielleicht ist es Ihnen gelungen, die Kellnerin loszuwerden, aber es ist Ihnen vielleicht entgangen, daß zwei Mädchen am Nebentische saßen und daß Hogarty wiederholt versucht hat, mit ihnen anzubändeln.« - Mason drehte sich blitzartig um und blickte in den Zuhörerraum. »Miss Gertrude Lade«, rief er laut. »Wollen Sie bitte aufstehen?« Gertrude Lade stand auf. Mason wies mit dem Zeigefinger auf sie und sagte: »Sehen Sie sich dieses junge Mädchen an, Serle. Ich frage Sie nun, ob Sie sie jemals vorher gesehen haben - ob Sie, um genau zu fragen, nicht an dem Nebentisch im ›Home Kitchen Café‹ am Freitag, den Siebenten dieses Monats, gesessen hat, als Sie dort zu Abend aßen?« »Genau das ist er«, sagte Gertrude Lade. Der stellvertretende District Attorney sprang auf und protestierte erregt und heftig. Mason hob seine Hand hoch und sagte: »Nein, nein, Miss Lade, Sie sollen kein Wort sagen! Bitte, seien Sie ruhig! Ihre Zeit kommt später. Sie und die junge Dame, die bei Ihnen war, kommen später dran. Ich wollte ja nur -1 3 7 -
Mr. Serle fragen, ob er Sie wiederkennt, das war alles. Bitte setzen Sie sich.« Gertrude Lade setzte sich. Serles Gesicht hatte eine gelblichgrüne Farbe bekommen. In dem Augenblick ging die Tür des Gerichtssaales auf, und zwei Beamte des Sheriffs führten Emily Milicant herein. Mason sah ihr eiskalt in die Augen, dann fuhr er plötzlich herum und blickte wiederum Serle an. »Sie wollen immer noch dabei bleiben, daß Sie in Gesellschaft von Bill Hogarty in seiner Wohnung zu Abend aßen und nicht in dem ›Home Kitchen Café‹?« fragte er. Serle zögerte einen Augenblick, dann polterte er los. «Wir haben zweimal zu Abend gegessen. Einmal dort in dem Café und dann nochmal in seiner Wohnung. Er war immer noch hungrig.« Mason lächelte. »Und Sie waren so hungrig«, fragte er, »daß Sie alles aufaßen, was auf den Tellern war?« »Jawohl.« »Sie wollen also diesem Gericht glaubhaft machen, daß Sie auch die Schalen der gebackenen Kartoffeln mit aufgegessen haben?« »Jawohl, die esse ich immer mit«, sagte Serle. »Und die Knochen der Hammelkoteletts haben Sie wohl auch mit hinuntergeschluckt, nicht wahr«, fragte Mason. Serle starrte Mason voller Furcht an und brachte kein Wort heraus. »Bei Ihrem nächsten Mord werden Sie sich mehr Mühe geben müssen, um es besser zu machen, Serle«, sagte Mason. »Als Sie das Essen von den Tellern in den Abfallkanal hinuntergeschüttet haben, da haben Sie den fatalen Fehler begangen, sich nicht daran zu erinnern, daß man gewöhnlich die abgeknabberten Knochen auf dem Teller liegen läßt.« Mason lächelte Richter Knox liebenswürdig an und sagte: »Der Angeklagte Alden Leeds behauptet, daß Hogarty bereits tot war, als er die Wohnung betrat. Wie ich vermute, stimmt es, daß Milicant in Wirklichkeit Hogarty war. Er hatte den Angeklagten erpreßt, und es war daher nur natürlich wenngleich vielleicht auch nicht gesetzlich zulässig - daß der Angeklagte sich bemühte, in den Besitz von Papieren zu kommen, von denen er wußte, daß der Tote sie besaß. Daher -1 3 8 -
also durchsuchte der Angeklagte die Wohnung... daraus erklärt sich das Vorhandensein seiner Fingerabdrücke.« Damit setzte Mason sich. »Euer Gnaden«, sagte Kittering, »ich erhebe Einspruch...« Mason drehte sich blitzartig um und sah Kittering an. »Wenn Sie sich auch nur ein wenig mehr dafür interessieren würden, den wirklichen Verbrecher zu finden, und sich ein bißchen weniger darum kümmern würden, einen unschuldigen Mann nur deswegen zu überfuhren, weil Sie ihn nun einmal angeklagt haben, dann würden Sie bei dieser Sache mit mir zusammenarbeiten anstatt sich mir entgegenzustellen... Als Hogarty diesen ersten bewußten Scheck erhielt, mußte die Bank ihn auszahlen, da sie aber auf der Bank meinten, daß es sich um eine Erpressung handeln könne, haben die Bankleute die Nummern der Geldscheine aufnotiert. Serle hat diese Geldscheine nach der Ermordung Hogartys an sich genommen. Ich glaube, Sie werden sie jetzt hier in seinem Besitz finden können.« »Das Gericht wird eine Pause von zwanzig Minuten einlegen« sagte Richter Knox, »wir werden...« Er brach mitten im Satz ab, als Serle laut brüllte: »Ich weigere mich, mich noch länger in dieser Weise belästigen zu lassen«, und dann mit einem Satz durch den Gerichtssaal auf die Tür zu den Amtsräumen des Richters zuschoß und darin verschwand. »Fassen Sie ihn, fassen Sie ihn! Sitzen Sie nicht wie ein Blödian da herum!« schrie der Richter den stellvertretenden Sheriff an, der Leeds in Gewahrsam zu halten hatte. Dieser wurde mit einem Schlage aktiv und schoß davon. Mason riß ein Streichholz an seiner Schuhsohle an und zündete sich eine Zigarette an. Della Street drückte begeistert sein Handgelenk und sagte: »Chef, ich könnte einen Mambo auf der Richterbank tanzen. Warum haben Sie eigentlich die Bemerkung gemacht, daß Alden Leeds Hogarty tot vorgefunden hätte und dann die Wohnung durchsucht habe?« -1 3 9 -
»Weil ich eine Erklärung für die Fingerabdrücke geben wollte, die er hinterlassen hat«, sagte Mason, »und außerdem wollte ich Emily Milicant einen Tip über diese Hogarty-Geschichte geben. Ich...« Er brach ab, da Kittering auf ihren Tisch losstürmte. Kittering war so empört, daß er kaum sprechen konnte und stotterte nur so los. »Was zum Teufel bilden Sie sich eigentlich ein...? Dafür werden Sie ihre Zulassung bei Gericht entzogen bekommen!« »Wofür?« fragte Mason. Kittering deutete voll Empörung mit dem Zeigefinger auf Gertrude Lade und schrie: »Dies Mädchen da war ebensowenig in dem Restaurant wie ich! Einer meiner Beamten sagte mir soeben, daß sie in Ihrem Büro arbeitet und dort Telefonistin ist.« »Das stimmt«, sagte Mason und atmete seelenruhig den Rauch seiner Zigarette aus. »Solche Tricks werden Ihnen nicht ungestraft hingehen«, schrie Kittering. »Warum nicht?« »Weil es ungesetzlich ist, es ist unsittlich, es ist... Ich bin der Meinung, daß es eine Mißachtung des Gerichts ist. Ich werde jetzt Richter Knox aufsuchen und ihm erzählen, was das für ein verachtungswürdiges Manöver war.« Kittering ging mit weitausholenden Schritten auf die Amtsräume des Richters zu. Mason rauchte seelenruhig und friedlich weiter. »Chef«, flüsterte Della Street, »meinen Sie nicht, daß Richter Knox dies als eine Mißachtung des Gerichts auffassen könnte?« »Mir ist es verdammt egal, als was er es auffassen wird«, sagte Mason und legte seine Stiefelabsätze auf einen benachbarten Stuhl. »Zum Teufel damit, ich habe es satt...« Er brach ab, als Richter Knox in der Tür zu seinen Amtsräumen auftauchte, ein ernstes Gesicht machte und mit dem Bailiff sprach.
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Der Bailiff ging auf Mason zu und sagte: »Der Richter möchte Sie augenblicklichst sprechen.« Mason trat seine Zigarette aus und sagte. »Warten Sie hier, Della. Sollte Sie irgend jemand ausfragen wollen, dann schweigen Sie wie das Grab. Sprechen Sie kein Wort, aber vor allem versuchen Sie nicht, Erklärungen abzugeben.« Mason schlenderte in die Amtsräume des Richters, ohne sich um das Gemurmel der aufgeregten Stimmen in seinem Rücken zu kümmern, das den Gerichtssaal erfüllte, und ohne auf die neugierigen Blicke zu achten, die ihm folgten. »Mr. Mason«, sagte Richter Knox, »Mr. Kittering hat eine so schwere Beschuldigung vorgebracht, daß ich der Meinung bin, von Ihnen eine Erklärung verlangen zu müssen, ehe ich weitere Schritte unternehme. Wenn sich diese Beschuldigung als richtig erweist, dann handelt es sich nicht nur um eine Mißachtung des Gerichts, sondern um einen eklatanten Fall von Verletzung der Berufsethik.« Mason setzte sich bequem hin, schlug seine Beine übereinander, nahm einen tiefen Zug aus seiner Zigarette und sagte: »Die Sache stimmt.« »Damit wollen Sie sagen, daß Sie dieses junge Mädchen absichtlich in den Gerichtssaal geholt haben und daß Sie bei Ihnen angestellt ist und nicht in dem Restaurant war?« »So ist es«, sagte Mason. »Sie ließen aber dieses junge Mädchen schwören, sie sei da gewesen«, protestierte Kittering. »Nichts dergleichen habe ich sie tun lassen«, sagte Mason und sah den aufgeregten District Attorney verächtlich an. »Erstens einmal stand sie nicht unter Eid. Zweitens hat sie nichts weiter gesagt als: ›Das ist er‹.« Der Gesichtsausdruck von Richter Knox milderte sich etwas. Der Anflug eines leicht belustigten Blinzelns war an seinen Augenwinkeln zu bemerken. Dann lächelte er und sagte zu Kittering: »Es wird Sie vielleicht interessieren, Herr Anklagevertreter, daß man Serle im Korridor gefaßt hat. Ich -1 4 1 -
möchte Ihnen keine Anregungen geben, wie Sie Ihr Amt zu führen haben, aber wenn ich ein District Attorney wäre, dann würde ich bestimmt das Eisen schmieden, so lange es heiß ist, und mich bemühen, jetzt ein Geständnis von ihm zu bekommen.« Kittering stürzte auf die Tür zu. Richter Knox warf Mason einen belustigten Blick zu und sagte: »Sie müssen zugeben, Mason, daß das Eis, auf dem Sie Schlittschuh laufen, reichlich dünn ist. Seit wann haben Sie eigentlich gewußt, daß Serle der Schuldige ist?« »Noch nicht sehr lange«, gab Mason zu, »ich hätte es aber schon früher wissen müssen.« »Wieso?« »Tja, die Sache ist nämlich so«, führte Mason erklärend aus. »Gleich von Anfang an ging aus den Tatbeständen hervor, daß das Abendessen nicht in der üblichen, sondern in einer äußerst ungewöhnlichen Weise bei dem bewußten Café bestellt worden war. Mit anderen Worten: die beiden haben den Ober nicht gefragt, was auf der Speisekarte stünde, um dann etwas auszuwählen. Sondern man sagte dem Ober, er solle Hammelkoteletts, grüne Erbsen und Kartoffeln bringen, und falls er sie nicht vorrätig habe, solle er sie sich beschaffen. Es ist unüblich, daß Männer alles, was auf den Tellern ist, aufessen, und es ist völlig einmalig, daß jemand, der Hammelkoteletts gegessen hat, auch noch den Knochen herunterschlingt. Und Sie erinnern sich doch daran, daß der Kellner ausgesagt hat, die Teller wären blank gewesen. Nichts war auf ihnen übriggelassen worden. Außerdem bin ich von jeher der Meinung gewesen, daß es äußerst lohnend ist, ein Alibi genau zu überprüfen, wenn jemand in einem Mordprozeß ein völlig lückenloses Alibi hat. Serle war der einzige, der von den in den Fall verwickelten Personen ein solches Alibi hatte. Es sah rein äußerlich lückenlos aus. Aber man sollte Alibis nie nach ihrem äußeren Schein beurteilen. Es war ganz klar, daß der Tote eine große Geldsumme in seinem Besitz gehabt hatte. Das Geld war fort. Daher schien es, als sei zumindest eines der Motive für das Verbrechen Raub gewesen. Ich wußte, daß Serle regelmäßig in dem ›Home Kitchen Café‹ zu essen -1 4 2 -
pflegte. Ich wußte, daß es dort eine wöchentliche Speisekarte gab... das heißt, es gab dort an jedem Tag der Woche ein immer wiederkehrendes Spezialgericht. Eine gute chemische Analyse würde wahrscheinlich den Unterschied von Rindfleisch und Hammelfleisch nach dem Verdauungsvorgang erkennen lassen, niemals aber den Unterschied von Hammelkotelett und gekochtem Hammelfleisch.« »Also Mason«, sagte Richter Knox darauf, »ich persönlich halte dies für eine äußerst bemerkenswerte Leistung detektivischen Könnens ein Beispiel von genialem, rein deduktivem Denken. Ich gestehe, daß ich Sympathie für Sie empfinde. Mir gefällt das farbige Leben, das Sie führen. Mir gefällt die schneidige Art, mit der Sie über konventionelle Verfahren hinweggehen. Aber ist Ihnen nie der Gedanke gekommen, daß Kitterings Prophezeiung zweifellos richtig ist? Es wird der Zeitpunkt kommen, in dem Sie feststellen, daß Sie einen schuldigen Mandanten verteidigen.« Mason stand von seinem Stuhl auf. Er hielt es für angebracht, den Richter freundlich anzugrinsen. »Er wird solange nicht schuldig sein«, sagte er, »bis man ihn der Schuld überführt hat.« »Ich fürchte, Sie sind unverbesserlich«, seufzte Richter Knox. »Ich danke Ihnen für das Kompliment, Euer Gnaden«, sagte Mason und verbeugte sich.
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