Joachim Dorfs
Die Herausforderer 25 neue Weltkonzerne, mit denen wir rechnen müssen
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Joachim Dorfs
Die Herausforderer 25 neue Weltkonzerne, mit denen wir rechnen müssen
Joachim Dorfs
Die Herausforderer
Joachim Dorfs
Die Herausforderer 25 neue Weltkonzerne, mit denen wir rechnen müssen
Mit Beiträgen von Mathias Brüggmann, Alexander Busch, Joachim Dorfs, Dirk Heilmann, Andreas Hoffbauer, Oliver Müller, Andrea Nüsse und Thomas Wiede
Wir danken Dr. Bernhard Ruthmann und der Dokumentation des Handelsblatts für die Erstellung der Graphiken.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Alle Rechte, auch die der Übersetzung, des Nachdruckes und der Vervielfältigung des Buches oder von Teilen daraus, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf ohne schriftliche Genehmigung des Verlages in irgendeiner Form (Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren), auch nicht für Zwecke der Unterrichtsgestaltung – mit Ausnahme der in den §§ 53, 54 URG genannten Sonderfälle –, reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.
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© 2007 Carl Hanser Verlag München Internet: http://www.hanser.de Lektorat: Martin Janik Herstellung: Ursula Barche Umschlaggestaltung: Büro plan.it, München Illustrationen: Handelsblatt Satz: Kösel, Krugzell Druck und Bindung: Friedrich Pustet, Regensburg Printed in Germany ISBN 978 -3 -446- 41218 - 7
Inhalt 1. Die neuen Regeln der Globalisierung Von Joachim Dorfs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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2. Die neuen Industriekonzerne Begnadete Opportunisten Von Joachim Dorfs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Mittal – Die Stahldynastie Von Dirk Heilmann, London . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Embraer – Im Steigflug Von Alexander Busch, São Paulo . . . . . . . . . . . . . . .
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Tata – Das Konglomerat schlägt zurück Von Oliver Müller, Neu-Delhi . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Broad Air – Klima aus China Von Andreas Hoffbauer, Peking . . . . . . . . . . . . . . . .
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Bharat Forge – „Made in Germany“ in Indien Von Oliver Müller, Neu-Delhi . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Emaar – Gigantismus in Immobilien Von Andrea Nüsse, Kairo . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Cemex – Cyberzement Von Alexander Busch, São Paulo . . . . . . . . . . . . . . .
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Dr. Reddy’s – Die Jagd nach Indiens erstem Blockbuster Von Oliver Müller, Neu-Delhi . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Orascom – Auf dem Sprung nach Europa Von Andrea Nüsse, Kairo . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Inhalt
Reliance – Ritt auf dem Tiger Von Oliver Müller, Neu-Delhi . . . . . . . . . . . . . . . . .
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3. Die neuen Rohstoffriesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 Profiteure der Globalisierung Von Joachim Dorfs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 Gazprom – Der blaue Riese Von Mathias Brüggmann, Moskau . . . . . . . . . . . . . . 105 Rusal – Aluminium für die Welt Von Thomas Wiede, Moskau . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 CVRD – Die Aufkäufer aus Rio Alexander Busch, São Paulo . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 Lukoil – Der russische Bär im Tank Von Mathias Brüggmann, Moskau . . . . . . . . . . . . . . 130 Norilsk Nickel – Der Riese aus dem Permafrost Von Mathias Brüggmann, Moskau . . . . . . . . . . . . . . 138 4. Die neuen Weltmarken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 Der lange Weg zum Kunden Von Joachim Dorfs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 Haier – Qualität mit dem Hammer Von Andreas Hoffbauer, Peking . . . . . . . . . . . . . . . . 151 Mahindra – Wachstum, Wachstum, Wachstum Von Oliver Müller, Neu-Delhi . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 Tsingtao – Chinas Markenmythos Von Andreas Hoffbauer, Peking . . . . . . . . . . . . . . . . 170 Li Ning – Olympia als Katapult Von Andreas Hoffbauer, Peking . . . . . . . . . . . . . . . . 178
Inhalt
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Techtronic Industries – Weltfabrik der Bohrmaschinen Von Andreas Hoffbauer, Peking . . . . . . . . . . . . . . . . 186 Geely Automobile – Langer Marsch gen Westen Von Andreas Hoffbauer, Peking . . . . . . . . . . . . . . . . 193 5. Die neuen Technologie-Champions . . . . . . . . . . . 201 Treiber der Internationalisierung Von Joachim Dorfs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 Huawei – Chinas junges Gesicht Von Andreas Hoffbauer, Peking . . . . . . . . . . . . . . . 205 Wipro – Der Vorreiter der IT-Revolution Von Oliver Müller, Neu-Delhi . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 Lenovo – Neue Welt, neues Denken Von Andreas Hoffbauer, Peking . . . . . . . . . . . . . . . 223 Acer – Die stillen Eroberer aus Taipeh Von Andreas Hoffbauer, Peking . . . . . . . . . . . . . . . . 231 Die Autoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241
Die neuen Regeln der Globalisierung
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Von Joachim Dorfs „Wir sind Parfüm, Mittal Eau de Cologne.“ Guy Dollé, Chef des Stahlkonzerns Arcelor, bevor sein Unternehmen von Mittal übernommen wurde.
Es war im Jahre 1734, als der französische Schriftsteller Pierre Carlet de Marivaux den Roman „Le paysan parvenu“ schrieb: die muntere Geschichte eines ansehnlichen Bauern, der seine Attraktivität vor allem bei älteren Damen nutzte, um in der Gesellschaft voran-, sprich nach oben zu kommen. Fortan war der „Parvenü“, der Emporkömmling, bei Hofe der gebräuchliche Ausdruck für das aufstrebende Bürgertum. Es war ein abschätziger Ausdruck für all diejenigen, denen ein gesellschaftlicher Stand, Reichtum oder Anerkennung nicht in die Wiege gelegt worden war. Auch nach dem Ende der Monarchie unterscheidet der arrivierte Geldadel bis heute fein säuberlich zwischen „altem Geld“ und den Neureichen. Und genau wie früher gelten jene „nouveaux riches“ als ungebildet und als unkultiviert. Wer auf sich hält, hat mit ihnen nichts zu tun. Dieses Buch handelt von Unternehmen, die von solchen Parvenüs geschaffen wurden. Es handelt von Unternehmen aus Schwellenländern, die sich in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten meist unter der Regie ihrer Eigentümer zu
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Die neuen Regeln der Globalisierung
veritablen Weltkonzernen entwickelt haben oder zumindest das Potenzial haben, es in absehbarer Zeit zu werden. Die Eigentümer hinter diesen neuen Weltkonzernen sind vielfach Männer, die sich aus zum Teil einfachsten Verhältnissen emporgearbeitet haben. Es sind Gründer, die konsequent ihre Unternehmen aufgebaut und geformt haben. Sie sind dynamisch, ehrgeizig und machtbewusst. Seit einigen Jahren haben viele von ihnen ein Ziel: den Erfolg, den sie auf ihren Heimatmärkten schon haben, im Weltmaßstab zu multiplizieren. Es gibt in der Wirtschaftsgeschichte immer wieder Wendepunkte, an denen eine neue Generation von Unternehmen und Unternehmern nach oben gespült wird. Es waren die Fords, die Rockefellers und die Vanderbilts, die in den USA am schnellsten die Bedürfnisse und Möglichkeiten der Industrialisierung erkannten. In Deutschland war es nach dem Zweiten Weltkrieg die Aufbaugeneration der Albrechts, Grundigs und Würths, die zupackend und gegen alle Widerstände Unternehmen neu aufbauten, die ihre Zeit geprägt haben. Noch einmal 30 Jahre später waren es eine Handvoll Studenten im Silicon Valley – zunächst Microsoft-Gründer Bill Gates, später die Google-Erfinder Sergey Brin und Larry Page – die einen neuen Epochenwandel in der Weltwirtschaft einleiteten. Sie alle waren Parvenüs. In diesen Jahren ändert sich die Weltwirtschaft erneut radikal. Und wie in allen Gründerphasen zuvor werden heute die Fundamente für neue Konzerne und neue Geschäftsmodelle gegossen. Heute schon sehen wir, wer die Neuordnung der Weltwirtschaft am stärksten prägt: Diese Leute heißen Mittal oder Premji, Ren Zhengfei oder Zhang Ruimin, Deripaska oder Potanin, Sawiris oder Ali Alabbar. Sie sind die Parvenüs von heute: ambitioniert und aggressiv. Wir kennen die meisten von ihnen noch nicht, auch wenn viele bereits in der Milliardärsliste des US-Wirtschaftsmagazins Forbes auftauchen. Aber wir werden sie kennenlernen.
Die neuen Regeln der Globalisierung
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Es ist müßig zu betonen: Die treibende Kraft der Revolution heißt Globalisierung, die praktisch unbegrenzte Mobilität von Wissen, Gütern und Kapital. Zunächst waren es die westlichen multinationalen Konzerne wie Nestlé, Shell oder Siemens, die die Möglichkeiten einer sich formierenden globalen Wirtschaft nutzten: Export, Aufbau von Produktionsstätten in Schwellenländern und in jüngster Zeit auch die Auslagerung von immer komplexer werdenden Aufgaben bei Forschung und Entwicklung. Nun jedoch, gestählt durch die schwierigen Marktbedingungen zu Hause und in den vergangenen Jahren gestützt durch marktwirtschaftliche Reformen und die Öffnung ihrer Volkswirtschaften, drehen einige Konzerne aus den Schwellenländern den Spieß um: Statt geduldig in Indien, China oder Brasilien den Sturm der Globalisierung an sich vorüberziehen zu lassen, suchen diese neuen Weltkonzerne aktiv die Konfrontation mit ihren internationalen Wettbewerbern – sowohl in der entwickelten wie auch der sich entwickelnden Welt. Und lassen sie vielfach so alt aussehen, wie sie sind. Es sind zum Teil unglaubliche Geschichten, die darauf warten, erzählt zu werden. Geschichten von gigantischen Rohstoffvorkommen, die im Permafrost Sibiriens gewonnen werden und nur mit Atomeisbrechern zu ihrer Weiterverarbeitung transportiert werden können, von chinesischen Parteikadern, die ihr eigenes Unternehmen gegründet haben und nun mit ihrem Reichtum das Schloss von Versailles in Südchina nachbauen, von indischen Unternehmern, die aus einer Speiseölfirma einen Softwareriesen gezimmert haben und dabei fast so reich wie Bill Gates geworden sind. Die Handelsblatt-Korrespondenten vor Ort, die über eine langjährige Kenntnis der Länder und Märkte verfügen, haben ihre Geschichten aufgeschrieben. Sie verfolgen den Aufstieg der Emporkömmlinge schon lange und kennen die Firmengründer vielfach auch persönlich.
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Die neuen Regeln der Globalisierung
Natürlich: In den meisten Fällen ist der Abstand zwischen den Etablierten und den Herausforderern noch gigantisch. Der chinesische Sportartikelhersteller Li Ning ist vom USGiganten Nike Lichtjahre entfernt. Auch den brasilianischen Flugzeugbauer Embraer trennen noch mehrere Tausend Höhenmeter von Produktionszahlen wie bei Boeing oder Airbus. Doch die Herausforderer holen schnell auf. Das merkt, wer verlässliche Zahlen über sie sucht. Oftmals sind Umsatz und Mitarbeiterzahlen zum Zeitpunkt der Veröffentlichung bereits überholt. Kein Wunder: Wer wie etwa der indische Softwaredienstleister Wipro jährlich etwa 20 000 neue Mitarbeiter einstellt, entzieht sich der klassischen Betrachtung durch westliche Beobachter. Wer wie der brasilianische Eisenerzkonzern CVRD jährlich mehrere Unternehmen aufkauft, wächst mit anderer Geschwindigkeit, als dies auf gesättigten Märkten üblich und möglich ist. Wer die Herausforderer beurteilen will, sollte daher eher auf die Entwicklung als auf die absoluten Zahlen achten. Sie suchen und sie brauchen das Wachstum wie ein Fahrradfahrer, der auf die Bewegung angewiesen ist, um nicht umzufallen. Eine der wenigen verlässlichen Untersuchungen zu diesen neuen Weltkonzernen stammt von der Unternehmensberatung The Boston Consulting Group (BCG). Sie hat in einer Studie zu den „New Global Challengers“ 100 Unternehmen zusammengestellt, denen sie künftig eine wesentliche Rolle in der Weltwirtschaft zutraut. In den fünf Jahren zu Beginn dieses Jahrtausends sind diese Unternehmen im Jahresdurchschnitt um 24 Prozent gewachsen – zehnmal so schnell wie das Sozialprodukt der USA, 34-mal so schnell wie die Wirtschaftsleistung in Deutschland. Mehr als ein Viertel ihrer Umsätze von zusammen 715 Milliarden Dollar stammen bereits aus dem Ausland. Und sie verdienen gut. Durchschnittlich bleiben bei den Unternehmen aus der Studie von jedem umgesetzten Dollar 20 Cent hängen, haben die Experten von BCG ausgerechnet. Bei großen Fir-
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men in den USA sind es 16, in Deutschland gar nur neun Cent. Was macht diese Herausforderer so erfolgreich? Zum einen haben sie einen kaum zu überschätzenden Vorteil: Ihre Heimatmärkte sind derzeit zwar noch wenig entwickelt, wachsen aber – anders als die gesättigten Märkte in den Industriestaaten – extrem schnell. Und sie kennen nicht nur ihren eigenen Markt wie ihre Westentasche: Sie haben die Produkte und das Marktverständnis, um auch in anderen – ebenfalls sich dynamisch entwickelnden – Schwellenländern den Kunden das richtige Angebot zu machen. Das macht sie gefährlich für die Konzerne aus Industrieländern, denn sie konkurrieren mit ihnen auf der ganzen Welt. „Westliche Konzerne zielen mit ihren Produkten in Schwellenländern oft viel zu hoch und verschenken das Potenzial im unteren Bereich der Einkommenspyramide“, analysiert etwa Ratan Tata, der Patron des gleichnamigen indischen Konglomerats. Tata selbst lässt gerade ein Auto entwickeln, das für umgerechnet rund 2000 Euro im Jahr 2008 auf den Markt kommen soll. Hat der indische Tycoon damit Erfolg, so wird er nicht nur den gigantischen Markt in seiner Heimat revolutionieren, sondern auch in allen anderen bevölkerungsreichen Schwellenländern, in denen eine aufstrebende junge Schicht nach Motorisierung lechzt. Gleich ob Indonesien, Rumänien oder Ecuador: Wer es schafft, Familien eine bezahlbare Alternative zu Fahrrad oder Motorrad anzubieten, wird die Welt verändern – vielleicht sogar die industrialisierte Welt. Möglich ist das, weil Tata & Co. in ihren Fabriken extrem billig produzieren können – teilweise mit Hungerlöhnen, vielfach aber auch mit Bezügen, die in ihren Ländern durchaus gehoben sind. Doch das ist nicht alles: Das „schmutzige kleine Geheimnis“, so Tom Glocer, der Chef des britischen Daten- und Informationsanbieters Reuters, liegt darin, dass die Qualität der abgelieferten Arbeit vielfach nicht mehr
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Die neuen Regeln der Globalisierung
schlechter und manchmal sogar besser ist als bei einer Herstellung in den klassischen Industrieländern. Das gilt im Bereich der Softwareentwicklung oder der Datennetzwerke, die Glocer besonders im Auge hat, und in denen Konzerne wie Wipro oder die chinesische Huawei Maßstäbe setzen. Das gilt aber auch für klassische Produkte wie die Herstellung von Kurbelwellen beim indischen Unternehmen Bharat Forge oder die Produktion von Regionaljets bei Embraer, denen Experten beste Qualität bescheinigen. Zwar haben die Unternehmensberater von Boston Consulting nachgewiesen, dass die Konzerne aus den Schwellenländern derzeit noch nicht so viel in Forschung und Entwicklung investieren wie ihre westlichen Konkurrenten. Und vor allem chinesische Unternehmen bedienen sich zum Teil äußerst freimütig bei den Patenten ihrer Wettbewerber aus den Industriestaaten. Doch zum einen produzieren die neuen Weltkonzerne nicht nur günstig, sie forschen und entwickeln auch günstig: Es spricht viel dafür, dass sie aus jedem in der Produktentwicklung eingesetzten Euro mehr herausholen als die angestammten Industriekonzerne. Und zum Zweiten wird auch die Phase strukturell niedrigerer Investitionen vorübergehen, weil fast alle aufstrebenden Konzerne künftig größeres Gewicht auf Eigenentwicklungen legen werden. Und mit der steigenden Zahl eigener Patente haben die Schwellenländer künftig ein viel größeres Interesse am Schutz geistigen Eigentums als heute. Indische Firmen wie Dr. Reddy’s etwa, die in der Pharmaindustrie lange Zeit ausschließlich als Champions bei Generika, also bei billigen (und völlig legalen) Nachahmermedikamenten, galten, beginnen nun mit Eigenentwicklungen. Und die chinesische Huawei, die anfangs im Westen nur durch ihren Patentstreit mit dem Netzwerkspezialisten Cisco Systems bekannt geworden war, ist technisch inzwischen so weit, dass sie kürzlich einen anspruchsvollen Milliarden-PfundAuftrag vom britischen Telekomkonzern BT ergatterte.
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Dieses Amalgam – Kosten, Innovationskraft, Marktkenntnis, Ausbildung – gepaart mit außerordentlichem unternehmerischem Mut bringt völlig neue Geschäftsmodelle hervor. Wer in der europäischen Stahlindustrie hätte vor zehn Jahren gedacht, dass ein indischstämmiger Stahltycoon Werke in Kasachstan und Trinidad so umbauen kann, dass sie ordentliche Qualitäten zu konkurrenzlosen Preisen bieten? Wer hätte geglaubt, dass ausgerechnet ein Konzern aus dem Lowtechland Mexiko das fortschrittlichste Flottenmanagement für eine Armada von Zementmischern entwickelt? Und wer schließlich hätte erwartet, dass indische Firmen wie Wipro von Bangalore aus nicht nur billige Outsourcing-Aufträge von West-Unternehmen annehmen, sondern nun verstärkt in die anspruchsvolle IT-Beratung einsteigen und dazu eigene Patente entwickeln. Trotz der dramatischen Umwälzungen, trotz der täglichen politischen Diskussion über die Verlagerungen von Arbeitsplätzen nach Osteuropa und Südostasien, ist das Aufkommen der neuen Weltkonzerne aus den Schwellenländern der breiteren Öffentlichkeit lange Jahre kaum aufgefallen. Das änderte sich erst am 26. Juni 2006, als Lakshmi Mittal die Übernahme des französisch-belgischen Stahlkochers Arcelor verkündete und kurz darauf Ratan Tata bei der britisch-niederländischen Corus einstieg: Zwei Perlen der europäischen Stahlindustrie fielen binnen kürzester Zeit in der Hand der Emporkömmlinge. Deutlicher als mit diesem Paukenschlag hätte man die Machtverschiebung in der Weltwirtschaft kaum dokumentieren können. Und fast genauso interessant: Mittal und Tata setzten sich im Bietgefecht um die Stahlgrößen gegen Konkurrenten aus Russland und Brasilien durch. Doch Mittal und Tata stellen nur die oberste Spitze des Eisbergs dar. Unter der Oberfläche der Öffentlichkeit kaufen die Herausforderer munter ein. Seit dem Jahr 2002 beobachtet die Unternehmensberatung A. T. Kearney einen jähr-
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lichen Anstieg solcher Firmenkäufe von Unternehmen aus Schwellenländern in den Industriestaaten um 14 Prozent. Zum Vergleich: Im gleichen Zeitraum nahm die Zahl der Firmenübernahmen insgesamt nur um vier Prozent zu. Die Gründe für die Akquisitionen sind vielfältig: Zugang zu Kunden und zu Technologie, höhere Margen und höhere Volumen sowie besonders die Übernahme von etablierten Marken sind die Hauptmotive. Fortschrittliche Technik, auf die Zielmärkte zugeschnittenes Marketing bei gleichzeitig niedriger Kostenbasis in der Heimat: Gemeinsam bürgt das für eine fast unschlagbare Kombination. Für Ramalinga Raju, den Gründer und Chef des indischen IT-Dienstleisters Satyam, ist die Übernahme von Unternehmen aus Industrieländern ein zwingender Schritt zur internationalen Expansion. „Wir sind bereits in 55 Ländern aktiv, an der New Yorker Börse notiert und erzielen mehr als 90 Prozent unserer Umsätze außerhalb Indiens.“ Es spricht alles dafür, dass sich dieser Trend auf absehbare Zeit fortsetzt. „Das Vertrauen ist da, die Kultur ist da – und das Kapital auch“, urteilt der Chef des Wirtschaftsprüfers Ernst & Young, James Turley. Angesichts der guten Erfahrungen der vergangenen Jahre gäbe es derzeit keinerlei Schwierigkeiten, solche Akquisitionen zu finanzieren. Hier zeigt sich auch die große Spannweite der in diesem Buch vorgestellten Unternehmen: Während sich der brasilianische Rohstoffkonzern CVRD oder die mexikanische Cemex zu wahren Übernahmemaschinen entwickelt haben, die in fast allen Regionen der Welt gleich gut vertreten sind, stehen andere wie etwa die chinesische Biermarke Tsingtao oder der ebenfalls chinesische Autobauer Geely mit ihrer internationalen Expansion erst am Anfang. Den russischen Rohstoffriesen wie Gazprom oder Norilsk Nickel wiederum kann niemand das Wasser reichen. Sie würden gerne stärker international expandieren und hätten in Anbetracht des internationalen Rohstoffbooms auch spielend die Mittel
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dafür. Doch angesichts des wachsenden staatlichen Einflusses auf diese Konzerne werden sie im Westen misstrauisch beäugt. Auch der staatliche chinesische Mineralölkonzern CNOOC war 2006 mit dem Versuch einer Übernahme in den USA an politischen Widerständen gescheitert. Die 25 Unternehmen, die in diesem Buch vorgestellt werden, stellen nur eine kleine Auswahl der absehbaren globalen Herausforderer dar – gewissermaßen die erste Welle. Die Liste hätte sich beliebig erweitern lassen. Etwa um die chinesische Baosteel, den weltweit fünftgrößten Stahlhersteller, der an die Börse strebt. Oder den indischen Pharmakonzern Ranbaxy, der auch in Deutschland nach Übernahmemöglichkeiten sucht. Oder die russische Holding RENOVA des Oligarchen Wiktor Wekselberg, die bedeutende Anteile an diversen Rohstoffkonzernen hält. Oder die unglaublich ambitionierte Fluggesellschaft Emirates aus Dubai, die Maßstäbe bei Wachstum, Service und unternehmerischem Mut setzt. Oder um eine der chinesischen Banken, die Anfang 2007 erfolgreich an die Börse gingen. Oder, oder, oder. Nicht alle in diesem Buch vorgestellten Unternehmen werden am Ende erfolgreich sein. Das bringt das Risiko mit sich, das die Firmengründer eingehen, um ein hohes Wachstumstempo zu erreichen oder völlig neue Märkte zu erschließen. Wer erinnert sich noch an das chinesische Konglomerat D’Long, den damals weltweit zweitgrößten Hersteller von Tomatenpaste, der 2003 den deutschen Flugzeugbauer Fairchild Dornier übernahm und ihn vor der Insolvenz retten wollte. Nur ein Jahr später war D’Long selbst ein Fall für den Konkursrichter. Auch die taiwanesische BenQ, die die hoch defizitäre Handysparte von Siemens übernahm und nach undurchsichtigen Manövern doch in den Bankrott gewirtschaftet hat, ist kein Beispiel für einen erfolgreichen Auftritt eines Konzerns aus den Schwellenländern.
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Nicht alle werden also durchkommen. Aber diejenige, die durchkommen, werden die Welt verändern. Wie sagt doch Baba Kalyani, der Gründer, Eigentümer und Chef des indischen Schmiedekonzerns Bharat Forge: „Wir wagen eben große Träume.“ Die Parvenüs sind noch lange nicht satt.
Die neuen Industriekonzerne
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Begnadete Opportunisten Von Joachim Dorfs
Wer Mukesh Ambani nach dem Hauptgeschäftsfeld seines Unternehmens Reliance befragt, erhält eine überraschende Antwort: „Unsere Kernkompetenz ist der Aufbau neuer Geschäftsfelder aus dem Nichts.“ Keine Beschränkung auf die angestammten Branchen Petrochemie oder Textilien. Nein, Ambani ist so frei, sich nicht festzulegen, und erklärt gar frech die Innovation zu seinem Kerngeschäft. Neben der größten Raffinerie der Welt investiert er gleichzeitig Milliardensummen in den Aufbau einer Handelskette, in die Landwirtschaft sowie in die Immobilienentwicklung. Synergien? Kaum zu erkennen. Und doch verdient die Firma mit dem Motto „Growth is Life“ klotzig. Reliance steht damit für viele angehende Industriekonzerne, denen die rasant wachsenden Heimatmärkte so viele Chancen bieten, dass sie sich nicht mit den klassischen Managementdogmen westlicher Konzerne und westlich geprägter Finanzmärkte aufhalten. Die Zielsetzung der „Konzentration auf das Kerngeschäft“, die hiesige Manager und Analysten wie eine Monstranz vor sich hertragen – außerhalb Europas und der USA gilt sie nicht. Natürlich haben auch die Herausforderer starke und schwache
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Die neuen Industriekonzerne
Bereiche. Doch trennt man sich nicht von gut gehenden Geschäftsfeldern bloß um der Fokussierung willen. Insofern ist der an westlichen Börsen viel beschworene Konglomeratsabschlag, also die niedrigere Börsenbewertung wegen einer Vielzahl von Geschäftsfeldern, für Unternehmen in Asien ein Fremdwort. So finden sich in diesem Kapitel neben durchaus fokussierten Firmen wie dem Stahlriesen Mittal oder dem Flugzeughersteller Embraer die buntesten Konglomerate. Die Unternehmen und ihre Gründer machen die Geschäfte da, wo sie sie sehen – begnadete Opportunisten. Da ist die TataGruppe, die nicht nur gerade den zweitgrößten europäischen Stahlkonzern Corus gekauft hat, sondern mit ihrer IT-Tochter TCS auch größter indischer Softwareanbieter ist, das Geschäft mit Tees und Hotels betreibt und die Automobilherstellung auf dem Subkontinent revolutionieren will. Da ist die ägyptische Holding Orascom, die nicht nur als Mobilfunkanbieter in Nordafrika und anderen Schwellenländern reüssiert und sich für zweistellige Milliardenbeträge in Italien und Griechenland eingekauft hat, sondern auch Immobilienentwicklung betreibt und gleichzeitig ein Zementimperium aufgebaut hat. Die neuen Industriekonzerne gehen damit ganz und gar altmodisch vor. Auch die etablierten Konkurrenten waren vor noch nicht allzu langer Zeit ähnlich „breit aufgestellt“, wie der gemeine Manager sagt. Viele von ihnen sind erst in den vergangenen Jahren unter dem Druck der Finanzmärkte so fokussiert geworden, wie sie heute sind. Und auch in anderer Hinsicht greifen die Herausforderer auf die etablierten Konzepte zurück: Hinter den meisten Firmen steht – wie fast immer in der Gründerzeit neuer Ideen und Unternehmen – ein Name, ein Kopf, ein Eigentümer. Kommen Konzerne in die Jahre, wechselt oft die Familie in den Hintergrund und angestellte Manager übernehmen das Ruder. Doch schnelle und im Zweifel riskante Entscheidungen
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kann am Ende nur derjenige treffen, der im Unternehmen die unbeschränkte Macht hat – und mit seinem eigenen Geld und seinem eigenen Namen dafür geradesteht. In Zeiten, in denen sich Märkte über Nacht umkrempeln können und wo es immer stärker auf die Reaktionsgeschwindigkeit ankommt, kann das ein großer Vorteil sein. Die Industriekonzerne sind die Speerspitze der Globalisierung, weil angesichts sinkender Transportkosten industrielle Massenfertigung besonders einfach in Regionen mit niedrigen Arbeitskosten, Umwelt- und Sozialstandards verlagert werden kann. Deshalb ist es auch kein Wunder, dass heute besonders viele neue Unternehmen dieser Kategorie nach vorne drängen. In der ersten Stufe der Globalisierung ging es lediglich um den Preis. In Tausenden und Abertausenden von chinesischen Fabriken ließen und lassen westliche Einkäufer jene Schlüsselanhänger, Plastikfrösche und Badeschlappen fertigen, die zur Plage auf Wühltischen, Jahrmärkten und Schulfesten geworden sind. In der zweiten Stufe wurde es schon interessanter: Aus den Fabriken in den Schwellenländern kommen Produkte, die vielleicht nicht mehr ganz so billig sind, aber eine ordentliche und überprüfbare Qualität vorweisen – etwa als Hausgeräte oder Zulieferungen für den Fahrzeugbau. In der dritten Stufe schließlich stellen wir fest, dass einige Firmen in einigen Ländern nun inzwischen eine Qualität bieten, die jener in Deutschland oder den USA hergestellten Güte nicht mehr nachsteht und vereinzelt sogar – bei immer noch niedrigeren Kosten – höher ist. Diese Entwicklungen liefen zwar chronologisch nacheinander ab, doch haben sich die Phasen nicht ersetzt, sondern ergänzen sich: Aus China kommen heute eben billigste Knallfrösche wie anspruchsvollste Netzwerktechnik. Ähnlich bunt durcheinander geht es auch mit den Firmen: Viele neue Konzerne aus den Schwellenländern kooperieren in einzelnen Feldern mit ihren Wettbewerbern aus der indus-
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trialisierten Welt und konkurrieren mit ihnen in anderen Bereichen. Viele befinden sich an der Schwelle, an der sie sich von den günstigen Nachahmern zu den Innovatoren entwickeln – und einige sind schon darüber hinaus. Alle hier vorgestellten Unternehmen haben die Ambitionen, ihre Branche wesentlich mitzugestalten und haben inzwischen auch eine Größe erreicht, in der solche Ziele nicht vermessen sind. Verblüffend ist: Es sind nicht immer revolutionäre neue Anwendungen, die Unternehmen erfolgreich machen. Manchmal reicht eine simple Idee: Der deutsche Schraubenkönig Reinhold Würth, der in den 50 Jahren nach dem Krieg ein Unternehmen mit 50 000 Beschäftigten aufbaute und damit Milliarden machte, reüssierte mit der Idee, die Schrauben zum Kunden zu bringen und nicht darauf zu warten, bis sich ein Kunde in ein Geschäft bequemte. Die Geschichten von heute sind die gleichen. Der Verkaufsrenner des mexikanischen Zementkonzerns Cemex sind kleine Zementsäcke, die an Hausbauer in Entwicklungsländern verkauft werden – ein Markt, den Konzerne aus Industrieländern nicht sehen. In Verbindung mit einem innovativen globalen Logistik- und Produktionssystem sowie einer aggressiven Akquisitionspolitik ist Cemex auf dem Sprung zum Weltmarktführer bei Baumaterialien. Bei Lakshmi Mittal war es die Erkenntnis, dass man auch in Billigstlohnländern, die manch westlicher Manager ohne Hilfe nicht auf dem Globus finden würde, ordentliche Stahlqualitäten zu niedrigsten Preisen herstellen kann. Kombiniert mit dem Mut, die Konsolidierung einer seit Jahrzehnten etablierten Industrie in eine neue Phase zu treiben, ergab auch dies einen neuen Weltmarktführer. An einer bedeutenden Schwelle seiner Entwicklung steht auch der Pharmahersteller Dr. Reddy’s, der bisher fast ausschließlich billige Nachahmermedikamente – so genannte Generika – herstellt und dabei so groß geworden ist, dass er den deutschen Generikahersteller Betapharm für fast eine
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halbe Milliarde Euro kaufen konnte. Heute sind die Ansprüche von Firmengründer Anji Reddy noch größer: Er sucht den selbst entwickelten indischen Blockbuster, ein neues Medikament, das ihn auf einen Schlag unter die Top Ten der Pharma-Weltrangliste bringen würde. Die Risiken dieser Strategie sind groß, doch die potenziellen Gewinne auch. Und wenn es nicht klappt, gibt es einen, der den Kopf hinhält: Dr. Anji Reddy selbst. In einigen Industriebranchen, die ähnlich wie die Pharmaindustrie stark von Innovationen und technischem Know-how getrieben werden, sind die Herausforderer schon da, wo Dr. Reddy’s noch hin will. Das brutale Ausleseverfahren im Flugzeugbau, dem so prominente Namen wie die deutsche Dornier, die niederländische Fokker oder die schwedische Saab zum Opfer fielen, überlebte nicht nur Airbus oder Boeing, sondern auch die brasilianische Embraer, inzwischen die Nummer drei im Luftverkehrsmarkt. Eine Radikalkur nach der Privatisierung, ein begnadeter Verkäufer an der Spitze und die richtigen Produkte waren das Erfolgsrezept dieses Emporkömmlings aus Brasilien. Für die Zukunft macht Firmenchef Mauricio Botelho den Konkurrenten aus den Industrieländern wenig Mut: Wenn er neue Wettbewerber fürchte, dann seien es nicht die etablierten Anbieter wie Bombardier: „Unsere stärksten Konkurrenten kommen aus Russland oder China.“
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Mittal – Die Stahldynastie Von Dirk Heilmann, London
Am 26. Juni 2006 ist Lakshmi Mittal auf dem Gipfel angekommen. Er sitzt in Luxemburg, in einem Konferenzsaal der prächtigen Zentrale des europäischen Stahlgiganten Arcelor, und gibt die Fusion bekannt, die sein Lebenswerk krönt. Mittal Steel, der indische Emporkömmling der Stahlbranche, verleibt sich einen europäischen Industrie-Champion ein. Eine monatelange Übernahmeschlacht mit vielen überraschenden Wendungen und Widerständen ist gewonnen. Die Familie ist im Triumph vereint: Auf dem Podium neben dem glücklich lächelnden Stahlbaron sitzt sein smarter Sohn und Finanzchef Aditya, im Publikum ihre Ehefrauen und Vater Mohan, der Gründer der indischen Familiendynastie, die auszog, um die Stahlwelt zu erobern. Eine Szene wie aus einem Bollywoodfilm. Und doch weckt sie einen falschen Eindruck. Hier sind zwar drei Generationen einer indischen Unternehmerfamilie versammelt, doch Mittal Steel ist kein indisches Unternehmen. Lakshmi Mittal hat mit unternehmerischem Mut und modernen Methoden von London aus einen globalen Konzern aufgebaut. Die Herkunft aus dem Schwellenland Indien hat es ihm und seinem Team erleichtert, die Verhältnisse in anderen Schwellenländern zu verstehen und auch unter schwierigen Bedingungen gute Geschäfte zu machen. Doch das ist nur ein Faktor. Ebenso wichtig sind seine Vision, die effiziente, dezentrale Führung und der intensive Erfahrungsaustausch im Konzern. Die Familienfirma war für ihn die Startrampe, doch erst nach der Abspaltung begann sein Siegeszug durch die Stahlbranche.
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„Ich bin Inder von Geburt und habe einen indischen Pass, aber als Chef eines globalen Konzerns mit Aktivitäten in 60 Ländern habe ich sicherlich eine internationale Sicht“, sagt Lakshmi Mittal dazu selber. Der Heimat fühlt er sich dennoch eng verbunden: „Ich wäre sehr froh, wenn ich junge indische Unternehmer motivierte.“ Die Ursprünge der Dynastie legte Mohan Mittal, der in den 40er-Jahren als Händler in Karachi zu Wohlstand kam. 1953 baut er eine Stahlfabrik an der ostindischen Küste. Mit 19 Jahren steigt der älteste Sohn Lakshmi, benannt nach einer Hindugöttin, die für Ruhm und Macht steht, nach kaufmännischem Studium in Kalkutta in die Familienfirma Ispat ein. Mit nur 26 Jahren geht er mit seiner Frau und dem gerade geborenen Sohn Aditya nach Indonesien, um dort das erste ausländische Stahlwerk für Ispat aufzubauen.
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14 Jahre lang bleibt er dort, als Manager des Werks für die Familienfirma. Mit knapp 40 beginnt Lakshmi Mittal dann seine große internationale Einkaufstour – ausgerechnet in der Karibik. 1989 übernimmt Ispat für die Regierung von Trinidad und Tobago den Betrieb des verlustreichen Stahlwerks Iscott. Die indische Führungscrew vervielfacht den Ausstoß. Drei Jahre später kauft Ispat der mexikanischen Regierung das für Milliarden gebaute, aber völlig heruntergewirtschaftete Stahlwerk Sibalsa ab. Auch dort gelingen der Turnaround und eine Versiebenfachung der Produktion. Lakshmi Mittal hat sein Erfolgsrezept gefunden: Marode Stahlhersteller in Schwellenländern preiswert kaufen und auf Vordermann bringen. Durch Auf- und Abschwünge der Stahlkonjunktur hält er in den folgenden Jahren daran fest; kauft Werke, die kein anderer auch nur mit der Zange anfassen mag. Denn seine Vision steht fest: Die Stahlindustrie braucht eine Konsolidierung. Nur so ist die Krankheit der Branche zu überwinden, ihre starke Zyklizität. Einem Boom mit hohen Preisen und ordentlichen Gewinnen folgte immer wieder eine Krise, in der Überkapazitäten die Preise in den Keller drückten und viele Stahlhersteller Verluste schrieben. Die Stahlkonzerne müssen größer werden, viel größer, um die Preise steuern zu können. Das erkennt Mittal früher als andere und propagiert es unermüdlich. Er setzt es in die Tat um, nachdem er sich vom Familienkonzern abnabelt. 1994 spaltete die Familie die Ispat-Gruppe in das nationale und internationale Geschäft auf. Lakshmi Mittal führt von London aus Ispat International, die jüngeren Brüder Vinod und Pramod leiten Indiens heute drittgrößten Stahlhersteller Ispat Industries. Inzwischen expandieren die Brüder zwar ins Ausland und Arcelor Mittal steckt neun Milliarden Dollar in den Bau eines indischen Werks – doch der Erfolg des Ältesten überstrahlt die Jüngeren.
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Der Fall des Eisernen Vorhangs bietet Lakshmi Mittal die historische Chance für einen Wachstumssprung. In Osteuropa werden riesige Stahlkombinate privatisiert und er schlägt entschlossen zu. Die Branche schüttelt den Kopf, als Mittal 1995 eine rostige Altlast aus Sowjetzeiten kauft, die kasachische Karmet mit einer gewaltigen Kapazität von mehr als fünf Millionen Tonnen Stahl im Jahr. Die Arbeiter haben seit Monaten keinen Lohn bekommen, Stahl wird im Tauschgeschäft gegen andere Waren verkauft und die Anlagen sind verrottet. Doch die Branche staunt noch mehr, als das Ex-Kombinat nach einem Jahr profitabel arbeitet. Sogar Vater Mohan hatte abgeraten und sagt später: „Wenn das nicht funktioniert hätte, dann wäre auch Lakshmi am Ende gewesen.“ Der Sohn setzt sich durch. Klug kauft er in den folgenden Jahren technologische Kompetenz dazu, unter anderem mit den Hamburger Stahlwerken, den Thyssen-Töchtern Stahlwerk Ruhrort und Walzdraht Hochfeld, der Usinor-Tochter Unimétal und dem viertgrößten US-Hersteller Inland Steel in Indiana. Bei der Finanzierung hilft der Börsengang von Ispat International, der 1997 knapp 800 Millionen Dollar in die Kassen bringt. Fast alles gelingt der Mittal-Truppe, und doch gibt es einen Fehlschlag. In Irland muss sie 2001 nach fünf Jahren Sanierungsarbeit ein für ein Pfund erworbenes Stahlwerk wieder schließen. Westeuropas Stahlkonzerne nehmen ihn noch immer nicht so ernst, wie sie es hätten tun sollen. Sie glauben, sie könnten zuschauen, wie die maroden Kombinate kollabieren und ihre Kapazitäten vom Markt verschwinden. Doch Mittal macht ihnen einen Strich durch die Rechnung. 2001 geht seine Einkaufstour in Osteuropa erst richtig los. „Unsere Erfahrung half uns, in vielen der leistungsschwachen Unternehmen, die wir uns anschauten, die Möglichkeiten zu erkennen“, sagt Mittal heute. Für die nächste Welle nutzt er eine private Holding, die er nach seinen Initialen LNM
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nennt. Sie kauft Stahlwerke in Polen, Tschechien, Rumänien und Ex-Jugoslawien und bringt sie nacheinander auf Vordermann. Auch in Algerien und Südafrika wird sie aktiv. „Können Sie sich vorstellen, wie der Vorstand von ThyssenKrupp in Kasachstan einfliegt und ein Ex-Kombinat in einem halben Jahr in die Gewinnzone führt?“, fragt ein Bankier mit langer Branchenerfahrung. Mittals Leute scheuen sich nicht vor harter Sanierungsarbeit und widrigen Rahmenbedingungen. Seine Konzernführung ist schlank und schlagkräftig. Offiziell sitzt die Firma in Rotterdam, mit rund 80 Beschäftigten. Doch die Entscheidungen fallen am Berkeley Square im Londoner Westend. Rund um den Platz stehen unauffällige Bürogebäude, in denen fast jede Etage von HedgeFonds oder Private-Equity-Fonds belegt ist. Deshalb gilt der Platz als Herz der „neuen City“, denn hier werden Hunderte von Milliarden Euro Fondskapital gemanagt und Pläne ausgeheckt, vor denen Europas Vorstandsetagen zittern. Mehr Platz als solch ein Fonds braucht auch Mittals Hauptquartier nicht: Eine Etage in einem Bürohaus mit einem Ölgemälde eines Stahlwerks an der Wand reicht für die nicht einmal 50 Holdingmanager. Dem internationalen Wissensaustausch dienen wöchentliche Telefonkonferenzen, in denen sich lokale Werksleiter mit Managern aus der Zentrale zusammenschalten. Wenn Mittal ein neues Stahlwerk in einem Schwellenland kauft, schickt er eine schnelle Eingreiftruppe los. Erfahrene Stahlwerker und Finanzexperten prüfen alle Verträge, beenden Vetternwirtschaft, verständigen sich mit Politik und Gewerkschaften, bringen das Finanzwesen auf westlichen Standard. Sie nutzen Erfahrungen aus früheren Sanierungsprojekten und steigern so schnell die Effizienz. Mittal wählt die neue Führungsmannschaft aus und spricht mit Regierungsvertretern. Mehr als eine halbe Million Kilometer im Jahr legt er im Privatjet zurück. So erwirbt er sich
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Respekt und ein großes Kontaktnetz. „Lakshmi nimmt sich Ziele vor, an die andere nicht einmal zu denken wagen“, sagt der frühere rumänische Privatisierungsminister Ovidiu Musetescu. Auf diese Weise arbeitet sich das Unternehmen rapide in die erste Liga der Branche vor. Doch Mittal will die Nummer eins sein. Darum überrascht er 2004 den US-Investor Wilbur Ross mit einem Kaufangebot für dessen International Steel Group. Ross hat den zweitgrößten Stahlhersteller der USA aus fünf kollabierten Firmen zusammengefügt und mit harter Hand saniert. Der Konzern produziert 40 Prozent der Bleche für die US-Autoindustrie. Ross ist zunächst skeptisch, doch Mittal überzeugt ihn und bringt auch die Gewerkschaften auf seine Seite. Die Übernahme von International Steel für 4,5 Milliarden Dollar ist zugleich die Geburtsstunde eines Weltmarktführers mit einer Jahresproduktion von 70 Millionen Tonnen. Mittal nutzt die Gelegenheit, um Ispat International und LNM mit International Steel zusammenzufassen und gibt dem Konzern seinen Namen: Mittal Steel. Im folgenden Jahr fügt er dem Imperium für eine ähnliche Summe die ukrainische Kryvorizhstal hinzu. Mit dem Sprung an die Weltmarktspitze rückt Mittal auch in den Milliardärsranglisten nach oben und steht nun auch persönlich im Rampenlicht. Die britische Boulevardpresse erregt sich über die Villa in Londons vornehmster Straße, Kensington Palace Gardens, die Mittal dem Formel-1-Organisator Bernie Ecclestone für angeblich rund 100 Millionen Euro abkauft. Sie füllt ihre Seiten mit der fünftägigen Hochzeit seiner Tochter Vanisha mit einem HedgeFonds-Manager, die 45 Millionen Euro gekostet haben soll. Die Medien skizzieren das Bild eines modernen Maharadschas, das so gar nicht zu den bescheidenen und relativ seltenen öffentlichen Auftritten des Unternehmers passen will.
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Den Dialog mit Medien und Investoren überlässt Mittal gern seinem Sohn Aditya, der an der renommierten Wharton School in den USA Wirtschaft studiert und kurz bei der Investmentbank Credit Suisse First Boston gearbeitet hat. Er erläutert in Telefonkonferenzen die Zahlen oder die neuesten Akquisitionen. Finanzprofis, denen der jungenhafte CFO auf den ersten Blick als Leichtgewicht erscheint, lassen sich von Detailkenntnis und Selbstbewusstsein eines Besseren belehren. Mittal Steel wird immer mehr zur Vater-undSohn-Firma. Die Börse lässt den Konzern allerdings wegen des geringen Streubesitzes links liegen: Kaum ein Analyst befasst sich mit der Aktie. Die Stahlbranche nimmt Mittal nun zwar ernst, aber noch immer nicht beim Wort. Mindestens 100 Millionen Tonnen Jahresproduktion brauche man, um die Konjunkturzyklen zu glätten, predigt er auf Konferenzen. Trotzdem fällt Guy Dollé, Chef des nach Umsatz führenden Stahlkonzerns Arcelor, aus allen Wolken, als ihn Mittal am Freitag, dem 13. Januar 2006 in seiner Londoner Villa beim Aperitif die Fusion der beiden Stahlriesen vorschlägt. Der indische Emporkömmling will den Stolz der europäischen Industriepolitik, entstanden aus einer französisch-spanisch-luxemburgischen Dreierfusion, kapern. Dollé lehnt brüskiert ab und weicht weiteren Gesprächen aus. Zwei Wochen später legen die Mittals kurzerhand ein feindliches Angebot über 18,6 Milliarden Dollar vor und läuten damit einen fünfmonatigen erbitterten Übernahmekampf ein. Anfangs scheint der Widerstand fast übermächtig, denn Arcelor spielt sofort die politische Karte. Manager, Gewerkschafter und Politiker aus den betroffenen Ländern schmähen Mittals Produkte, seine Unternehmensführung und scheuen sogar vor rassistisch gefärbten Ausführungen über mangelndes kulturelles Verständnis nicht zurück. Sie beraten Abwehrgesetze, lagern wertvolle Konzernteile in Stiftungen aus, versprechen den Aktionären Milliardenausschüt-
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tungen und vereinbaren ein Bündnis mit der russischen SeverStal. Nichts bringt das Vater-und-Sohn-Duett aus dem Takt. Immer ruhig sprechend und höflich lächelnd tragen sie ihre Argumente vor. Der Senior bearbeitet Minister und Gewerkschaftsführer, der Junior Investoren und Analysten. Wilbur Ross steht ihnen zur Seite. Am Ende sitzen sie siegreich auf dem Luxemburger Podium, vor allem, weil internationale Investoren dem Arcelor-Management die Rote Karte zeigten. Im neuen Konzern hat die Mittal-Familie ihren Anteil auf höchstens 45 Prozent beschränkt, Arcelor-Manager stellen die Hälfte des Vorstands und anfangs den Chairman und den Vorstandschef, während Aditya Mittal als Finanzchef fungiert. Doch Lakshmi Mittal hält es in der Rolle des Präsidenten nicht lange aus. Nach wenigen Monaten löst er doch den Arcelor-Manager Roland Junck als Vorstandschef ab. „Die Integration übertrifft meine eigenen sehr hohen Erwartungen“, sagt er jetzt. Mit fast 90 Milliarden Dollar Umsatz, 320 000 Beschäftigten und einer Jahresproduktion von knapp 110 Millionen Tonnen ist Arcelor Mittal mehr als dreimal so groß wie die Nummer zwei der Branche, Nippon Steel. Der Weltmarktanteil beträgt trotzdem kaum mehr als zehn Prozent. Doch ist er am Ziel? „Die Branche macht zweifellos Fortschritte“, beginnt Mittal seine Antwort auf die Frage, „sie kürzt jetzt die Produktion, wenn sich Lagerhaltung aufbaut.“ Doch, fährt er fort, die Stahlindustrie sei noch immer zu fragmentiert. „Ich glaube, dass die Konsolidierung weitergehen wird und dass sich in den nächsten fünf bis zehn Jahren eine Handvoll Unternehmen formieren wird, die zwischen 150 und 200 Millionen Tonnen im Jahr produzieren.“ Dann fügt er noch hinzu: „Ich hoffe, dass Arcelor Mittal an der Spitze des Trends sein wird.“ Diesmal wird die Konkurrenz zweifellos genau hinhören: Mittal ist noch nicht satt.
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Embraer – Im Steigflug Von Alexander Busch, São Paulo
„Hi Robert, hat du nicht Interesse, unser neues Flugzeugmodell mal persönlich anzuschauen?“, fragte der freundliche Herr den verdutzten Air-Canada-Chef Robert Milton. Es ist Frühjahr 2001. Und der Satz schallt aus den Lautsprechern des tragbaren DVD-Players, den der Airline-Chef in sein Büro geschickt bekommen hat. Jetzt gerade, so fährt der Herr mit Brille und kräftigem Akzent fort, sei ein Container mit einem Querschnittsmodell des Fluggastraums in Montreal eingetroffen. „Das war ganz schön clever von den Brasilianern“, sagt Robert Milton heute, „ich habe mir den Prototyp angeschaut.“ Dazu muss man wissen: Der freundliche Herr auf dem DVD-Bildschirm war Mauricio Botelho, Chef von Embraer, dem brasilianischen Flugzeugbauer. Er warb für das neueste Modell der Brasilianer, die E-170, ein Regionalflugzeug mit 90 bis 110 Sitzen. Und zwar genau im Hinterhof seines größten Konkurrenten, der kanadischen Bombardier – nicht nur Nachbar von Air Canada in Montreal, sondern bis dato auch deren einziger Zulieferer für Regionaljets. Die ungewöhnliche Kundenwerbung des Brasilianers war erfolgreich. Denn der eingeflogene Container überzeugte den kanadischen CEO dermaßen, dass er daraufhin nicht nur 45 Modelle bestellte, sondern auch Billigfluggesellschaften wie JetBlue in den USA persönlich von den Vorteilen der Embraer-Modelle überzeugte. Inzwischen hat Embraer den einstmals übergroßen Konkurrenten Bombardier weit hinter sich gelassen: Viermal so viele Bestellungen für kommerzielle Flugzeuge wie Bom-
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bardier hatte Embraer Anfang 2007 in den Büchern. Mit rund 15 Milliarden Dollar ist der Auftragsbestand der Brasilianer heute so hoch wie noch nie in ihrer Unternehmensgeschichte. „Viele haben es noch nicht mitbekommen, aber Embraer fliegt jetzt mit Airbus und Boeing in einer Liga“, stellt Ronald Epstein, Analyst der Investmentbank Merrill Lynch fest. Die beiden Hersteller von großen Jets sind zwar nach Umsatz gemessen weit enteilt. Doch Embraer ist im
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Segment der Regionalflugzeuge inzwischen eine Klasse für sich. Das hätte vor zehn Jahren noch niemand für möglich gehalten. Als das marode Staatsunternehmen Embraer 1994 privatisiert wurde, rechneten die meisten mit einem schnellen Ende des Konzerns. Denn das Unternehmen, in dem die Militärs lange das Sagen hatten, war gerade grandios gescheitert: Sein zuletzt entwickelter Jet flog zwar höher und schneller als die Konkurrenz, war aber 50 Prozent teurer. Nicht ein einziges Modell wurde verkauft. „Selbstverliebte Ingenieurkunst. Und nicht auf den Kunden geachtet“, diagnostiziert Mauricio Botelho heute die Fehler. Den letzten unternehmerischen Höhenflug hatte Embraer als Anbieter von kleinen Propellerflugzeugen wie Bandeirante oder Brasilia erlebt. Doch das lag damals schon fast zwei Dekaden zurück. Deshalb schien es nur eine Frage der Zeit, bis Embraer auch unter den neuen Besitzern – zwei staatlichen Pensionsfonds und einer brasilianischen Investmentbank – das endgültige Aus erleben würde. Womit sich der Konzern in einem durchaus respektablen Club befunden hätte: Saab, Alenia, Aerospatiale und British Aerospace hatten in den 90er-Jahren ihre Regionaljetserien eingestellt. Fokker machte ganz dicht. Dornier überlebte auch nach der Übernahme durch die nordamerikanische Fairchild Aviation nur noch kurz. Doch die Brasilianer haben sich durchgesetzt. Was haben sie besser gemacht? „Wir haben das Ingenieurwissen und die eigene Forschungstradition kombiniert mit aggressivem, unternehmerischem Denken“, sagt Mauricio Botelho, der die Führung des Unternehmens ein Jahr nach seiner Privatisierung übernahm und heute sein Aufsichtsratschef ist, „das schafft Sicherheit für unsere strategischen Entscheidungen.“ Denn die sind in der Flugbranche lebenswichtig, wegen der langen Entwicklungsphasen. „Ein falsches Modell kann ein Unternehmen zerstören.“
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Niemand verkörpert die geglückte Kombination aus Ingenieurwissen und Marktkenntnis, Produktvision und Verkaufstalent nebst hartem Controlling besser als Mauricio Botelho selbst, heute einer der besten Manager Lateinamerikas. Mitte der 90er-Jahre sah er als einer der wenigen die Chancen des Flugzeugbauers – trotz dessen desolater Situation. Dabei hatte Botelho, als er seinen Job antrat, zuvor nie etwas mit der Flugbranche zu tun gehabt. Nach seinem Ingenieurstudium in Rio de Janeiro sammelte er viel Erfahrung in der Industrie: Er baute Chemieanlagen, Kraftwerke und Stahlschmelzen, verlegte später Schienen und Stromkabel, stellte danach Ölplattformen in Europa auf. Schon früh lernt Botelho die gewaltigen sozialen Gegensätze Brasiliens kennen. Er wächst als Sohn eines wohlhabenden Rinderzüchters in Rios noblem Strandviertel Ipanema auf. Auf den Weiden seines Vaters im fernen Pantanal, einer der größten Feuchtsavannen der Welt, lernt er das raue Leben zwischen Cowboys und wilden Tieren kennen. Nach dem Ingenieurstudium in Rio bekommt Botelho, der indigene Vorfahren hat, seinen ersten Job am Amazonas, wo er Industrieanlagen baut. Neben dem Komplex entsteht eine Schule, und der Ingenieur wundert sich: „Es gab keine Häuser, keine Siedlungen, aber jeden Morgen kamen mehr Kinder zur Schule gepaddelt.“ Diese Erfahrung prägt den jungen Mann tief: „Biete den Menschen eine Chance, und sie ergreifen sie.“ Die Kunst, marode Konzerne in möglichst kurzer Zeit wieder zum Laufen zu bringen, lernt er später bei Bozano, Simonsen, einer der erfolgreichsten Investmentbanken Brasiliens in den 90ern. Für die Bank trimmte er übernommene Unternehmen auf Rendite. Das Gleiche machte der eloquente wie charismatische Botelho, heute 63 Jahre alt, bei Embraer. Verschlafene Staatsangestellte verwandelt er in motivierte Mitarbeiter. Trotz seiner verbindlichen Art macht er klar: Wer nicht mitmacht, muss gehen. Dennoch gilt Botelho nicht als bru-
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taler Sanierer. Im Gegenteil: Seitdem er Embraer führt, gab es nicht einen Streik der Mitarbeiter. Im Frühjahr 2007 ist Botelho in den Aufsichtsrat gewechselt, um dem bisherigen Vizepräsidenten Frederico Curado als operative Spitze Platz zu machen. Die Tatsache, dass kein Gesellschafter über mehr als fünf Prozent der Stimmrechte verfügt, stärkt freilich weiterhin seine Stellung. Legendär ist Botelhos Überzeugungskraft bei den Kunden: Für den neu lancierten 70-Sitzer überzeugte er den damaligen Regionalflieger Crossair aus der Schweiz, der erste Kunde zu werden – obwohl sich deren Board schon für ein Fairchild-Modell entschieden hatte. Der Brasilianer hat bei Embraer auch sein gutes Timing und Gespür für den Markt zweimal überzeugend bewiesen. Auf der Luftfahrtshow in Farnborough 1996 stellte Embraer ein neu konzipiertes Regionalflugzeug mit 50 Sitzen, die ERJ 145 vor. „Ein exzellentes Flugzeug zum perfekten Zeitpunkt“, schwärmte die Fachpresse. Das Modell war billiger, moderner und leichter als die Konkurrenz und perfekt geeignet für die in Europa und den USA entstehenden Regionalfluglinien. Außerdem war den Kunden das Monopol Bombardiers bei den Regionaljets sowieso ein Dorn im Auge. Noch in Farnborough orderten sie. 200 Bestellungen und Optionen standen danach in den Auftragsbüchern. Heute fliegen fast 1000 Flugzeuge des Typs weltweit. Im Jahr 2004 brachte Embraer erneut zeitgenau das passende Modell auf den Markt: Mit der Modellreihe der E-Jets erschlossen die Brasilianer eine neue Modellklasse von 70 bis 120 Sitzen. Embraer schließt damit als erster Anbieter die Lücke zwischen den Regionaljets und den Langstreckenjets ab 120 Sitzen. In diesem Größenbereich vermutet Embraer künftig rund ein Drittel der Gesamtnachfrage nach Regionaljets. Glück für Embraer ist zudem, dass Bombardier darauf verzichtete, ein Konkurrenzmodell zu entwickeln, weil die Flieger zu spät auf den Markt gekommen
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wären. „Die nächsten fünf Jahre wird Embraer in diesem wichtigen Segment dominieren“, erwartet der renommierte US-Flugexperte und Unternehmensberater John Walsh. Für die Brasilianer ist das ein Glücksfall. Denn die Billigfluggesellschaften brauchen das Modell für ihre ShuttleVerbindungen. Und etablierte Fluglinien können damit neue Strecken bedienen, die sie bisher nicht im Programm hatten. Statistiken des US-Departments für Luftverkehr zeigen, dass für 60 Prozent aller Flüge Maschinen mit 100 Sitzen ausreichen würden. Mit anderen Worten: Wer größere Flugzeuge fliegt, verschenkt Geld. Viele große Fluggesellschaften wie etwa Lufthansa, Japan Airlines oder Northwest überlegen derzeit, ob sie mittelgroße Modelle aus Brasilien bestellen sollen. Bereits jetzt ist das Werk in São José dos Campos, in der Nähe von São Paulo ausgelastet: 3000 Ingenieure will der Konzern alleine 2007 einstellen, um dann mit 22 000 Mitarbeitern die Flugzeuge zu fertigen. Bis 2008 will der Konzern zudem eine Milliarde Dollar investieren – so viel wie die letzten fünf Jahre zusammen. Denn das Unternehmen plant schon weiter: Mit einer neuen Generation von preiswerten Businessjets will Embraer in neue Dimensionen wachsen. „Very Light Jets“ heißen sie und werden vor allem von Flugtaxiunternehmen nachgefragt. Mitte 2006 wurden die neuen Modelle vorgestellt, ein halbes Jahr später standen schon 350 feste Bestellungen in den Büchern. Die viersitzige Phenom 100 soll bereits 2008 fliegen, die Phenom 300 für sechs Passagiere ein Jahr später. In zehn Jahren will Embraer einer der größten Anbieter von Firmenjets sein und Konkurrenten wie Cessna, Raytheon oder Learjet Paroli bieten – für Botelho ein Markt der Zukunft. Nach seinen Prognosen nimmt die Businessfliegerei stark zu. Bis 2017 könnten in dem Marktsegment 10 000 Privatjets im Gesamtwert von 144 Milliarden Dollar verkauft werden. Der entscheidende Standortvorteil der Brasilianer sind
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ihre niedrigen Ingenieurkosten: Trotz ähnlicher Leistung verdienen die brasilianischen Facharbeiter nur rund die Hälfte ihrer kanadischen Kollegen. Gleichzeitig kann der Konzern auf einen großen Pool an Luftfahrtingenieuren zurückgreifen. Denn als die brasilianischen Militärs 1969 Embraer gründeten, um Brasilien eine eigene zivile und militärische Luftfahrtindustrie zu verschaffen, siedelten sie das Unternehmen neben dem renommierten Institut für Luftfahrttechnik (ITA) im Umland von São Paulo an. „Embraer ist derzeit der einzige Konzern, der zwei neue Flugzeuge inklusive Zertifizierung für 1,5 Milliarden Dollar auf den Markt bringen kann“, sagt Analyst Epstein von Merrill Lynch. Diesen einmaligen Vorteil wird Embraer allerdings möglicherweise bald verlieren. Spätestens 2010 wird die russische Sukhoi ein Flugzeug mit 100 Sitzen auf den Markt bringen. China entwirft zwei Flieger mit je 70 und 110 Sitzen. „Unsere stärksten Konkurrenten sind bald nicht mehr die Kanadier“, erwartet Botelho, „die kommen aus Russland und China.“
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Tata – Das Konglomerat schlägt zurück Von Oliver Müller, Neu-Delhi
Aus entgegengesetzten Himmelsrichtungen flogen Anfang 2007 Manager und Investmentbanker nach London ein, um einen industriegeschichtlichen Meilenstein des jungen 21. Jahrhunderts zu setzen. Mit Tata Steel aus Indien und CSN aus Brasilien rangen zwei global gesehen winzige Stahlhersteller aus armen Ländern um einen in die Jahre gekommenen Eckpfeiler der europäischen Industrie. Sie fochten einen Bieterstreit um Corus, den schwächelnden britischniederländischen Branchenriesen. Tata gewann mit einem Gebot von zwölf Milliarden Dollar. Kurz nach Mittal Steels Kauf von Europas größtem Stahlkocher Arcelor für 32 Milliarden Dollar war auch die Nummer zwei in indische Hände gefallen. Tata Steels Einbruch in den Club der fünf führenden Stahlhersteller der Welt verdeutlicht einen Paradigmenwechsel: Nicht nur politisch und volkswirtschaftlich, auch auf Unternehmensebene verschiebt sich Macht in Schwellenländer. „Wir sind Zeugen eines dramatischen Umbruchs“, meint Alan Rosling. Er ist als Executive Director der Holding Tata Sons für die internationale Strategie der Tata-Gruppe zuständig. Viele westliche Firmen würden bald ihren Status als Weltmarktführer verlieren. „Unser Konzern bildet die Speerspitze bei der Verwandlung von Firmen aus Schwellenländern in neue globale Champions“, ist Rosling sicher. Tatas Anspruch auf eine Vorreiterrolle wird untermauert von einer Studie der Boston Consulting Group. Die Berater zählen gleich vier Unternehmen des Konglomerats zu den 100 weltweit stärksten Herausforderern: neben Tata Steel
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die Softwaretochter Tata Consultancy Services (TCS), die Fahrzeugsparte Tata Motors und das unter Tata Tea gebündelte Getränkegeschäft. Parallele Vorstöße in so vielen Geschäftsfeldern wagt sonst kein anderer Konzern. Besser noch als andere Unternehmen des Subkontinents verdeutlicht Indiens größtes, ältestes und angesehenstes Konglomerat die Kraft, das Tempo und den Ehrgeiz, mit denen indische Firmen nach Weltrang streben. Indiens größte Auslandsübernahme markiert einen Wendepunkt in der schnellen Globalisierung des Mischkonzerns: Nach der Integration von Corus verdoppelt sich dessen Umsatz auf 42 Milliarden Dollar, und statt zuvor einem Drittel stammen künftig zwei Drittel davon aus dem Ausland. Für Topmanager bedeutet der Megadeal indes keine Zäsur, sondern nur die Beschleunigung eines Trends. „Unsere globale Strategie entfaltet sich“, sagt Ratan Tata, „das ist erst der
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Anfang.“ Schon in den fünf Jahren vor der Corus-Übernahme hatte der Chairman vier Milliarden Dollar für zwei Dutzend Zukäufe in Übersee ausgegeben. Tata ist ein perfekter Gentleman. Charme, Bescheidenheit, geschliffene Umgangsformen und eine Obsession mit Werten und Tradition machen ihn zum Aushängeschild von Indiens altem Unternehmeradel. Als Herr über Corus ist er auf dem Höhepunkt seiner Karriere angelangt. Seine Lust auf das Austesten von Grenzen hat der 70-Jährige aber nicht verloren: Kaum war Corus gekapert, verwirklichte sich Tata einen anderen Traum. Statt ins Cockpit des Firmenjets setzte sich der leidenschaftliche Hobbyflieger als Kopilot in einen Kampfjet und durchbrach im Himmel über Bangalore die Schallmauer. Das Bild dieses stilvoll ergrauenden Patriziers in einer F-16 brachte nicht nur die Verwandlung des Konzerns auf den Punkt, sondern auch die seines Chefs: Tata ist zum Überflieger unter Indiens Industriellen geworden und hat sein Image als konservativer Tycoon abgeschüttelt. Für seine Landsleute ist der Unternehmer durch den Griff nach Corus zu einem Volkshelden geworden. Die erheblichen Integrationsrisiken kümmern sie so wenig wie die drastisch gestiegene Abhängigkeit des Konzerns von den unsteten Stahlpreisen oder die Sorge mancher Analysten, Tata überschätze sich und handle in nationalistisch motiviertem Übereifer. Die meisten Inder sehen Tatas Griff nach dem industriellen Tafelsilber der einstigen Kolonialherren als Beleg, dass ihr Land endlich seinen gebührenden Platz in der Welt findet. „Das Imperium schlägt zurück!“, titelten örtliche Zeitungen nach dem Kauf von Corus, dem Nachfolger der einst staatlichen British Steel. Denn indirekt ist dessen Übernahme eine historische Wiedergutmachung für die beleidigende Arroganz, mit der die Kolonialherren Ratan Tatas Urahn behandelt hatten. Im Jahr 1868 legte Jamsetji Tata den Grundstein eines Unternehmens, das nicht nur Profite machen,
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sondern auch den Anspruch auf ein unabhängiges, modernes Indien untermauern sollte. Der Nationalist trotzte den Kolonialherren das erste Wasserkraftwerk des Landes ab. Als ihm Türsteher den Zugang zu einem Briten vorbehaltenen Hotel in seiner Heimatstadt Bombay verwehrten, schlug er umgehend zurück: Direkt am Kai, wo die Passagierdampfer aus London anlegten, errichtete er das Taj Palace, Indiens erstes Nobelhotel. Von einer der Suiten aus sollte sein Urenkel Ratan Tata mehr als 100 Jahre später per Telefon die Übernahmeschlacht um Corus koordinieren. Ironie der Geschichte: Als Jamsetji mit Tata Steel Indiens erstes Stahlwerk auf den Weg brachte, hatte der wichtigste potenzielle Kunde mit Boykott gedroht: „Die Tatas wollen Stahl nach britischen Normen herstellen? Ich esse jedes Pfund davon“, höhnte damals der Chef der indischen Eisenbahn, Sir Frederick Upcott. Nun müsste er 23 Millionen Tonnen schlucken. Nachdem die Kolonialherren abgezogen waren, wuchs die Tata-Gruppe in Indien zu einem Riesen heran. Im eigenen Land führt seit Langem kein Weg mehr an ihr vorbei: Sie beschäftigt eine Viertelmillion Menschen, erwirtschaftet fast drei Prozent des Bruttosozialprodukts, und ihre 28 börsennotierten Töchter brachten es Anfang 2007 auf eine Marktkapitalisierung von über 50 Milliarden Dollar. TataOrganigramme ähneln Schaltplänen für Mikrochips. Das Konglomerat konfrontiert Betrachter mit einem Labyrinth aus 96 Töchtern und 430 Firmeneinheiten. Konzentriert man sich jedoch auf die wesentlichen Sparten, lichtet sich das Dickicht: Tata Steel (noch ohne Corus), die Fahrzeugtochter Tata Motors und der IT-Dienstleister Tata Consultancy Services (TCS) erwirtschaften 60 Prozent des Umsatzes und 80 Prozent des Gewinns. Diese Stützpfeiler der Gruppe wachsen zu globalen Größen heran. „Wir schaffen eine Serie von in Indien verankerten Weltfirmen“, beschreibt der Internationalisierungsstratege Rosling das Ziel.
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Tata Motors ist bereits der fünftgrößte Lkw-Hersteller. Er stärkte Technologie und Vertriebskraft durch den Kauf von Daewoos Nutzfahrzeugsparte in Südkorea, eine Beteiligung am spanischen Busbauer Hispano Carrocera und eine Allianz mit Fiat. Sie sieht neben einer Vertriebskooperation die gemeinsame Entwicklung neuer Modelle vor. Kostenvorteile der Inder zusammen mit Technologie der Italiener sollen beiden die Expansion in Schwellenländern erleichtern. Tata Steel hat Firmen in Thailand und Singapur gekauft, expandiert in China und Vietnam und plant den Bau großer Werke im Iran und in Bangladesch. Die international präsente Hotelkette Taj baut für 1,5 Milliarden Dollar neue Luxusherbergen in Europa, Amerika und Asien. Und dank einer Serie von Übernahmen in den USA, Großbritannien und Südafrika wächst Tata Tea zu einer neuen Kraft auf dem globalen Getränkemarkt heran, von Fertigtees bis Gesundheitsdrinks. Das Unternehmen hat sich seit dem Kauf der britischen Tetley Tea vor fünf Jahren von einem Plantagenbetreiber zu einem Konsumgüterhersteller gewandelt. Es ist aus der Teeproduktion ausgestiegen und konzentriert sich nun auf die Vermarktung von Getränken weltweit. Am internationalsten agiert traditionell TCS: Dank des OffshoringBooms hat Indiens größter IT-Dienstleister im jüngsten Geschäftsjahr die Schwelle zu vier Milliarden Dollar Umsatz überschritten. Davon stammt der überwiegende Teil aus dem Ausland. TCS’ Ziel, bis 2010 unter die zehn größten IT-Firmen der Welt aufzusteigen, wirkt auf viele Analysten überkonservativ. Die Entwicklung des Konzerns zur globalen Größe ist das Werk Ratan Tatas. 1991 hatte der heutige Chairman die Zügel von seinem Onkel übernommen: ein verwuchertes, schwerfälliges Imperium, noch weitaus unübersichtlicher als heute. Im selben Jahr warf Indien seine sozialistische Wirtschaftsordnung über Bord. Unsanft weckte der Außenseiter den Industrieriesen aus einem tiefen Dornröschen-
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schlaf. Er pochte gegen heftigen Widerstand auf Wachstum und Effizienz, stampfte verkrustete Hierarchien ein, und er verkaufte, verschmolz oder schloss über 200 Gruppenfirmen. Vor seinem Aufstieg an die Spitze hatte der studierte Architekt im Konzern nur Nebenrollen gespielt. Einmal an dessen Steuer, entwickelte er jedoch eine Kämpfernatur, die dem medienscheuen, zurückhaltenden Junggesellen nur wenige zugetraut hatten. Skeptiker belehrt Tata seitdem immer wieder eines Besseren. Als er zum Beispiel in den 90er-Jahren den Lastwagenbauer Tata Motors ins völlig unbekannte Pkw-Geschäft trieb, verspottete der Volksmund das riskante Projekt als „Ratans Wolkenschloss“. Für vergleichsweise geringe 400 Millionen Dollar hob Tata Indiens erstes selbst entwickeltes Auto aus der Taufe. Das Modell namens „Indica“ wurde nach anfänglichen Problemen ein Erfolg und machte die Firma zur Nummer drei auf Indiens boomendem Pkw-Markt, nach Suzuki und Hyundai. Billige Fertigungs- und Entwicklungskosten sollen Tata Motors helfen, mit Autos und Nutzfahrzeugen nach Afrika bald auch Märkte in Lateinamerika, Asien und Osteuropa zu gewinnen. Auch die Stahltochter konnte einen fast viermal größeren Rivalen im Westen nur schlucken, weil Ratan Tata sie radikal auf Gewinn getrimmt hat. Tata Steel war lange ein behäbiges Unternehmen, das mit alter Technologie und einer aufgeblähten Belegschaft teuer produzierte. Der neue Chef setzte harte Kostensenkungen durch, baute die halbe Belegschaft ab, modernisierte die Produktion und strukturierte die Abläufe um. Das macht den Stahlkocher heute zu einem der billigsten Hersteller der Welt. Mit einer Jahresproduktion von nur fünf Millionen Tonnen fuhr Tata Steel 2006 einen Gewinn von 840 Millionen Dollar ein – so viel wie Corus mit der Herstellung von 18 Millionen Tonnen. Nachdem er die Gruppe zu Hause neu geordnet hatte, blies Tata 2002 zur strategischen Offensive auf die Welt-
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märkte. Vier Jahre später waren die Auslandseinkünfte bereits von 20 auf 30 Prozent gestiegen. In derselben Zeit verdoppelte sich der Gruppenumsatz auf 22 Milliarden Dollar. „Wir müssen außerhalb Indiens expandieren“, glaubt der Chairman, „sonst geraten wir früher oder später auf unserem Heimatmarkt ins Hintertreffen.“ Firmen wie Tata Steel hätten nur als globale Schwergewichte eine Überlebenschance. Andere wie Tata Motors seien in Indien so dominant, dass sie kaum noch Marktanteile gewinnen könnten. Außerdem gelte es, die Gruppe gegen Konjunkturschwankungen auf dem Heimatmarkt abzusichern. Neben Zugang zu Know-how und Rohstoffen, Wachstumschancen und der Diversifizierung von Risiken nennt Executive Director Rosling einen weiteren Kerngedanken der Auslandsstrategie: „Fast alle Sparten nutzen Indiens zentralen Wettbewerbsvorteil“, erklärt er deren Kern, „niedrige Kosten und zahlreiche Fachkräfte.“ Preisarbitrage treibt nicht nur TCS’ Softwareexporte. Nach Abschluss eines milliardenschweren Kapazitätserweiterungsprogramms in Indien sollen zum Beispiel ab Ende des Jahrzehnts Corus’ teure Werke in Europa mit Tatas konkurrenzlos billigem Rohstahl gefüttert werden. Erst dann macht der Kauf richtig Sinn. „Es geht uns nicht darum, billige indische Arbeit in den Westen zu verkaufen“, erläutert Rosling. Tata-Firmen sollen westliche Rivalen schlagen, indem sie die Vorteile von Billiglohnländern konsequenter als diese nutzen und zugleich effektiver mit Hochpreismärkten verknüpfen. Die Hauptstoßrichtung beim Drang nach Übersee liegt allerdings gar nicht auf den gesättigten Märkten der Industrieländer. „Am stärksten werden wir in anderen Schwellenländern wachsen“, gibt Tata als Marschrichtung vor. Die für Inder entwickelten, robusten, billigen Produkte der Gruppe hätten dort die besten Chancen, auch gegen westliche Firmen. „Diese haben die riesigen Mittelschichten in Schwellenländern zu lange übersehen“, feixt Tata.
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Allerdings drängen auch sie nun mit Macht auf Märkte wie Indien. Firmen wie Tata Motors geraten durch den Vormarsch internationaler Lkw-Bauer von MAN bis Volvo, Navistar und Scania unter Druck. Die Pkw-Sparte muss sich mit ihren billigen Kleinwagen gegen dramatische Kapazitätserweiterungen technisch fortschrittlicherer Rivalen von Suzuki über Toyota und Renault bis Volkswagen erwehren. Um trotz eines immer schärferen Wettbewerbs Geschäftschancen auf dem boomenden Heimatmarkt voll auszuschöpfen, konzentrieren sich viele Tata-Firmen auf Produkte für Kunden am Fuß und in der Mitte der Einkommenspyramide. Die Palette reicht von günstigen Uhren, Brillen und Klimaanlagen über neue Einzelhandelsketten, einen Mobilfunker mit Kampfpreisen bis zu Hotels, die internationalen Standard für 20 Dollar die Nacht bieten. Von solchen Initiativen versprechen sich Analysten hohes organisches Wachstum. Um ein dominanter Spieler auf ihren Märkten zu werden, fehlt den Indern allerdings trotz ihrer Größe etwas Wichtiges: „Wir müssen auch technologisch spitze werden“, gibt Rosling zu, „bislang sind wir nur Kostenführer, und das reicht auf Dauer nicht.“ Tata liegt ein weiterer Punkt am Herzen: „Statt andere zu kopieren, müssen wir radikal neue Ideen entwickeln und Dinge wagen, die sich noch keiner getraut hat.“ Der Konzernchef fordert nicht nur bei Produkten mehr Innovation, sondern auch bei Geschäftsmodellen. Tata Motors will bei beidem punkten: mit der Entwicklung eines spottbilligen Einsteigerautos für unter 2000 Euro. „Unmöglich“, sagten westliche Experten lange. Schließlich kosten die günstigsten Autos in Europa rund 7000 Euro und in Indien nicht sehr viel weniger. Doch der Prototyp ist fertig, das Werk im Bau, und 2008 startet die Serienfertigung. Die Endmontage soll dezentral aus Bausätzen erfolgen, in Tausenden über das ganze Land verstreuten kleinen Werk-
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stätten. Das hat noch niemand probiert, und Kassandras warnen vor einem Flop. „Das Auto wird eine Mobilitätsrevolution auslösen“, glaubt hingegen Tata, „nicht nur in Indien, sondern auch in Gegenden wie Afrika.“ Findet es Käufer, wird es zu einem Beispiel, wie Firmen in Schwellenländern mit mutigen Ideen neue Märkte schaffen können, die zuvor gar nicht existierten. Denn dann könnten sich Menschen Autos leisten, die bislang nur Motorroller fuhren. Tata-Firmen zeigen, was indische Unternehmer bei der Globalisierung ihrer Geschäfte von neuen Champions aus Ländern wie Brasilien, Russland oder China unterscheidet: Weil die Natur ihr Land nicht mit Rohstoffen gesegnet hat, können Inder nur in wenigen Bereichen auf die Macht von Ressourcen zählen. Bissige Gewerkschaften und rigide Arbeitsgesetze verhindern, dass sie Indiens Vorteile bei billiger Muskelarbeit ausspielen können. Auf staatliche Hilfe in Form von billigen Krediten, Heimmonopolen oder politischer Flankierung internationaler Vorstöße müssen sie komplett verzichten. Stattdessen setzen sie auf die Entwicklung günstiger und hochwertiger Produkte und clevere Geschäftsmodelle – klassische unternehmerische Waffen, auf die auch Japaner oder Deutsche vertrauen. Alan Rosling sieht jedoch einen wichtigen Unterschied zwischen seinem Mischkonzern und Vorgängern aus Industrienationen. Den Indern schwebt ein anders geartetes Modell der Internationalisierung vor: „Wir folgen nicht dem Vorbild von Siemens oder General Electric“, skizziert er die Zukunft. Tata solle dezentraler gesteuert werden als frühere Welt-AGs und viel durchlässiger sein für Talente aus aller Herren Länder. Bis zu einem im Kern multikulturellen und multinationalen Unternehmen ist der Weg noch weit, aber zumindest ist ein Anfang gemacht: Dass ein Brite wie er es mit Anfang 40 in den Vorstand bringt, ist ein Indiz für die Marschrichtung. Außerdem werden schon fünf Gruppenfirmen von Ausländern geleitet. „Wir müssen indischen Mitar-
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beitern eine globale Denkweise einhauchen und gleichzeitig noch viel mehr Ausländer nahtlos in unsere Gruppe integrieren“, beschreibt der Manager eine der Hürden bei deren Verwandlung in Indiens ersten echten Weltkonzern. Einen Blick in die Zukunft, die Rosling vorschwebt, bietet die Nischenfirma Tata Technologies. Sie leistet Ingenieurdienste für die Flugzeugbauer Airbus und Boeing, entwirft Komponenten für Amerikas große Autobauer in Detroit und hat sogar die Vorderradaufhängung von Formel-1-Boliden des BMW-Williams-Rennstalls entwickelt. Geleitet wird die Firma von einem Amerikaner mit Sitz in Singapur. Die meisten Angestellten arbeiten in Indien und Thailand, und ihr Grundstein wurde mit der Übernahme eines britischen Ingenieurbüros gelegt. In der reibungslosen Integration von Tatas vielen Übernahmen liegt jedoch auch eine Herausforderung. Weltweit vernichtet jede zweite Akquisition Unternehmenswerte, anstatt neue zu schaffen. Adil Zainulbhai, McKinsey-Chef in Indien, stellt auch für Firmen seines Landes die eiserne Regel auf: „Je größer der Deal, umso größer das Risiko des Scheiterns.“ Ratan Tata widerspricht. Er glaubt, dies gelte nicht für Firmen aus Schwellenländern, da ihnen höhere Synergien winken. „Wir haben einfach mehr zu gewinnen als ein Rivale aus den USA, wenn wir eine bekannte Marke kaufen, Zugang zu moderner Technologie gewinnen oder einen neuen Vertriebskanal“, beteuert der Chairman. Die Umwälzungen in seinem Konzern sind Tatas innerer Unruhe geschuldet. Auf den breiten Schultern des hochgewachsenen Managers ruht das größte Firmenerbe der Nation. Bevor er abtritt, will der Chairman die Hinterlassenschaft seines Ahnen Jamsetji dauerhaft für die Globalisierung fit machen. Die Verantwortung ist groß. Tata könnte der letzte Chef sein, der den Namen des Konzerns trägt. Angehörige der weit verzweigten Familie kontrollieren nur noch Bruchteile der Gruppe. Zwei Drittel sind in der Hand wohltätiger
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Stiftungen, den Rest halten Fonds. „Ich bin hier ein normaler Angestellter“, beteuert Tata mit typischem Understatement. Ein Nachfolger aus der Familie ist nicht in Sicht. Die eigenwillige Stiftungsstruktur sorgt indes dafür, dass die Gruppe einem Ziel Jamsetjis treu bleibt: Gewinne für einen guten Zweck erzielen.
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Broad Air – Klima aus China Von Andreas Hoffbauer, Peking
Es ist ein bisschen wie im James-Bond-Film: Ein mit Computern und Bildschirmen vollgestopfter Hightechraum, der aussieht, als könnte man in ihm die ganze Welt beherrschen. An den Knöpfen und Schaltern sitzt Guo, ein junger Ingenieur. Er gähnt und streckt sich auf seinem Bürostuhl, blickt auf die flimmernden Bildschirme mit zuckenden Schaltkreisen in Rot und Blau. Ein kurzer Mausklick, und ein modernes Glasgebäude erscheint auf der Großbildleinwand des abgedunkelten Raums. „Bürohaus Reuterweg, Frankfurt, Germany“, steht darüber. Aus der hügeligen Landschaft Südchinas hat sich Guo live mitten ins Herz Deutschlands eingeklinkt. Wenn er wollte, dann könnte der Ingenieur des chinesischen Klimaanlagenbauers Broad Air mit einem kühlen Lächeln den Frankfurtern kräftig einheizen. Oder sie mal eben per Tastendruck auf den Nullpunkt bringen. Theoretisch zumindest. „Wir haben natürlich nur mit der Zustimmung unserer Kunden Zugriff“, sagt Guo. Es werde nur in Notfällen eingegriffen, und das sei noch nie vorgekommen. Guo weiß um seine Macht – und tut alles, um erst gar keine Bedenken aufkommen zu lassen. Schließlich ist er nicht Dr. No. Der Techniker von Broad Air klickt sich weiter durch die Welt. Der Pharmakonzern Schering in Berlin taucht auf, der Großflughafen Madrid, die Uni Ulm, ein Werk von Boehringer im schwäbischen Biberach. Sie alle sind bereits BroadAir-Kunden, die sich aus rund 10 000 Kilometern Entfernung die Temperatur einstellen lassen. Per Satellit und Internet.
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Plötzlich knattert es über dem Gelände. Der Herrscher des Imperiums fliegt ein. Im Hubschrauber B-7748 sitzt heute Zhang Yue selbst am Steuerknüppel. Der Gründer und Chef von Broad Air war der erste Manager Chinas mit einem Pilotenschein. Und der Mittvierziger liebt ungewöhnliche Auftritte. Bereits an der Einfahrt zum Broad-Air-Standort im südchinesischen Changsha überrascht die Besucher eine 38 Meter hohe Pyramide. Kurz darauf taucht auf einer sanften Anhöhe das Schloss von Versailles auf. Über dem verspielten Barocknachbau flattert schon mal die rote Fahne Chinas im Wind. Kleiner Gruß des Exzentrikers Zhang. Zhang ist nicht nur einer der schillerndsten Unternehmer aus der Volksrepublik. Der aus Changsha stammende Manager verkörpert mit seinem Lebensstil auch ein neues Gesicht im Reich der Mitte. Es ist das China der Querdenker, der Unabhängigen, der Selbstständigen. Und auch der Undurchsichtigen. Noch sind in der Volksrepublik Privatunternehmen wie Broad Air die Ausnahme. Doch immer mehr Chinesen gründen inzwischen eigene Firmen, wollen auf eigenen unternehmerischen Füßen stehen. Und längst sind diese Unternehmer für Chinas Wirtschaft neben den Staatsriesen zu einer wichtigen Stütze geworden. Broad Air erobert aus Maos armer Heimatprovinz Hunan mit seinen Großklimaanlagen schon seit ein paar Jahren die Welt. Erst seit 1992 am Markt, verkauft die Marke bereits in 45 Länder. Doch Visionär Zhang ist das nicht genug: „Wir wollen in jedes Land, das Klimaanlagen braucht.“ Afrika, Amerika, Europa – auf der Weltkugel am Aufgang zu seinem Büro kleben noch längst nicht überall Broad-Air-Sticker. Vor allem Deutschland hat der Chinese im Visier. „In Europa gibt es kein Unternehmen, das Produkte wie wir herstellt“, sagt der selbst ernannte Sonnenkönig aus China. „Und ich weiß, dass die Deutschen immer für Umweltschutz zu haben sind.“ Denn darauf basiert das Geschäft des Ökomanagers. Die
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Klimaaggregate von Broad Air, die ganze Flughäfen, Krankenhäuser oder Firmenhallen heizen oder kühlen können, gelten als besonders energiesparend. „Sie verbrauchen keinen Strom“, strahlt Zhang. Herkömmliche Kühlsysteme, meist Energiefresser, legen in China und in Amerika im Sommer immer wieder ganze Stadtnetze lahm. In den vergangenen Jahren hat Broad Air darum mit seinen nicht elektrisch betriebenen Klimaanlagen, die mit Sonne, Biomasse oder Gas betrieben werden, stetig an Marktanteilen gewonnen und ist in dieser Klimanische zum größten Hersteller der Welt aufgestiegen. Mehr als 10 000 Gebäude werden bislang mit Klimaanlagen aus Changsha versorgt. In China hat Broad Air bereits einen Marktanteil von 60 Prozent, sagt Zhang, trotz deutlich höherer Anschaffungspreise gegenüber herkömmlichen Anlagen. „In der Regel haben die Firmen die Ausgabe in fünf Jahren wieder raus“, rechnet Zhang vor. Sehr chinesisch ist das Produkt von Broad Air allerdings nicht. Die Teile kommen zu 90 Prozent aus dem Ausland. Namen wie Siemens und Bosch, aber auch die Julius Bauer KG aus Empfingen sind in der südchinesischen Fabrik im Lager zu finden. Allein in Deutschland kaufe er im Jahr für fünf Millionen Euro ein, sagt Firmenchef Zhang: „Nur so können wir Qualität garantieren.“ Pumpen, Brenner, Schalter – in den Hallen von Changsha wird dann alles nach den eigenen Plänen der Broad-AirEntwickler zusammengebaut. Mit 300 Modellen versorgt der Anbieter die Großkunden weltweit. Seit 2007 sind auch kleine Klimaanlagen für Privatwohnungen auf dem Markt. Damit tritt Broad Air erstmals in Konkurrenz mit den heimischen Massenherstellern wie TCL, Haier und Galanz. Zhang Yue hat Broad Air (chinesischer Name: „Yuanda“) 1988 als 28-Jähriger mit seinem jüngeren Bruder Jian gegründet, der damals noch Maschinenbau studierte und sich besonders für die Wärmetechnik begeisterte. Produ-
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ziert wurden zunächst Heizkessel, die besser waren als die Boiler aus den Staatsfabriken. Das Geschäft lief gut, die Brüder konnten bald ihre Patente verkaufen. Mit dem Kapital stieg Broad Air 1992 in den Klimaanlagenmarkt ein. Mit den selbst entwickelten Anlagen habe die Firma aus Südchina die gesamte Branche in China nachhaltig verändert, prahlt Zhang. Denn: „Unsere Produkte leben länger und gehen nicht so oft kaputt, sie sind leise und kleiner und benötigen keine giftigen Materialien.“ Die Strom sparende Technologie ist allerdings keine Erfindung der Zhang-Brüder. Sie ist mehr als 150 Jahre alt und wurde in den USA schon weit entwickelt. Mit der Industrialisierung und billiger Stromerzeugung gewannen jedoch elektrisch betriebene Klimaanlagen später die Oberhand. Nur in Japan und Südkorea wird diese Art der Kühlung noch im großen Stil eingesetzt. Darum kommen auch die größten Konkurrenten aus Japan (SANYO, Hitachi) oder aus Amerika (YORK, Carrier, Trane). „In Europa hat die Technologie nur einen Marktanteil von fünf Prozent“, sagt Broad-Verkaufsmanager Jeff Cai. Broad Air sieht daher in Europa ein großes Potenzial. Der Umsatz von Broad Air dürfte laut Firmenchef Zhang 2007 erstmals die Milliarden-Dollar-Grenze überschreiten – nicht schlecht für ein Unternehmen, das vor nicht einmal 20 Jahren mit 3000 Dollar Eigenkapital startete. Der Siegeszug von Broad Air hat Zhang Yue zu einem selbst nach westlichen Standards sehr reichen Mann gemacht. Das Magazin Forbes taxierte sein Vermögen Anfang 2007 auf gut 300 Millionen Dollar. Neben dem Helikopter besitzt der Broad-Air-Chef noch zwei Firmenjets, vor seinem Bürogebäude parken etliche Limousinen, darunter auch ein schnittiger gelber Ferrari. Über seine flotten Hobbys spricht der schmächtige Manager jedoch nicht so gerne. Der Mann mit dem großen Sendungsbewusstsein beantwortet ohnehin viele Fragen
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nicht, etwa über die Eigentümerstruktur und die finanzielle Lage von Broad Air. Zhang diktiert lieber. Und dabei marschiert er schon mal im Eiltempo durch die Produktionshallen, gefolgt von einem Schwarm von Mitarbeitern. Sein Auftritt erinnert dann an den eines Königs mit seinem Hofstaat. Chinas Entrepreneure hätten alle „wilde Träume“, sagt Chinaexperte Andy Xie, der lange für die US-Investmentbank Morgan Stanley das Reich analysiert hat. Das sei gut für das boomende Land. „Aber man kann nicht immer genau herausfinden, wo und wie sie eigentlich Geld machen.“ „Wir haben genug Geld auf der Bank“, entgegnet Zhang lässig. Broad Air sei seit 18 Jahren in Folge profitabel und seit zwölf Jahren schuldenfrei. Von Krediten hält der Unternehmer gar nichts. „Ich habe viele private Neugründungen in China pleitegehen sehen“, sagt er, „weil sie die Realität falsch eingeschätzt haben und zu schnell expandiert sind.“ Meist bekommen Start-ups in China jedoch kräftige Unterstützung von den Provinzregierungen. Auch bei Broad Air war die Provinz Hunan am Anfang ein stiller Teilhaber. Denn gerade für die rückständige Region ist ein Unternehmen wie dieses ein großer Wechsel auf die Zukunft. So viele Arbeitsplätze in aufstrebenden Unternehmen hat Hunan schließlich nicht zu bieten. Wer es geschafft hat, einen Arbeitsplatz bei Broad Air zu ergattern, findet sich morgens auf dem großen Platz vor der Firmenzentrale zum Routineappell ein. Teilnahme ist Pflicht. In strammer Haltung wird die Broad-Air-Hymne gesungen. „Ich liebe den Sommer und bin voller Energie“, schmettern sie. „Ich liebe China. Es wird immer stärker und immer reicher.“ Zhang führt sein Unternehmen mit hartem Drill. Die Beschäftigten leben auf dem Firmengelände wie auf einem Unicampus. Sie haben kaum Privatleben, müssen sich in der Freizeit weiterbilden. Alle tragen Einheitsdress mit eingewebtem Firmenlogo – die Angestellten weiße Hemden
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und dunkle Anzüge, die Arbeiter Blaumänner und gelbe Helme. Am ersten Tag bekommt jeder die Firmenfibel mit dem Titel „Unsterbliche Weisheiten“ – Autor: Zhang Yue. Daraus müssen die Broad-Air-Mitarbeiter Ökoregeln und Weisheiten großer Philosophen pauken. Der Chef schickt seine Leute regelmäßig in eine Art Militärlager, wo sie Nachtmärsche und Ausdauertests bestehen müssen. Abgeschafft wurde allerdings der obligatorische Marathon, sagt Zhang und kratzt sich am Kopf. Nicht jeder geistig fitte Mitarbeiter bestand auch den körperlichen Härtetest. „Wir hätten sonst zu viele Talente verloren.“ Die rund 1800 Mitarbeiter in Changsha lassen sich den Drill gefallen, denn Arbeitsbedingungen und der Verdienst bei Broad Air sind relativ gut. Und in „Broad Town“, wie sich die riesige Anlage nennt, gibt es neben der Managementschule im Schloss auch Tennishallen, ein Gesundheitszentrum und Hotel, Restaurants, Bars und sogar eine eigene Ökofarm mit Schweinezucht. Das meiste am Firmengelände im Hinterland von Hunan ist bedeutungsschwanger. So wurde etwa das Auditorium mit 1000 Plätzen nur deshalb in der Form eines Schiffes gebaut, um die Mitarbeiter stets zu erinnern, „dass auch Unternehmen in schwere See geraten können“, wie ein Mitarbeiter brav erklärt. Zhang, der sich in dieser Mischung aus Versailles und Disneyland selbst verwirklicht hat, kommt aus einer Künstlerfamilie, hat an der Uni in Chenzou Malerei studiert, dort später selbst unterrichtet. „Mein Interesse liegt in den Sozialwissenschaften und in der Literatur“, sagt der Klimaanlagenbauer mit Vorliebe für französische Dichter. Am liebsten philosophiert er aber über seine Visionen. „Was wir hier machen, ist gut für die Menschheit.“ Mit der Technologie von Broad Air könne der Energieverbrauch bis 2015 weltweit um 15 Prozent gesenkt werden. Vor der Firmenzentrale verkündet ein Schild: „Wir schaffen Zivilisation.“ Gärtner mit Strohhüten trimmen ringsum
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den Rasen auf Windsor-Länge. Und in der kleinen Parkanlage um den Schlossnachbau hat der Broad-Air-Chef überall Bronzefiguren von Philosophen, Künstlern und Erfindern aufstellen lassen. „Ich will, dass alles bei Broad Air anders ist“, verteidigt Zhang seine Spielereien, „vor allem soll nichts so wie bei Chinas Staatskonzernen sein.“ Neben Einstein, Edison und Aristoteles darf darum einer wie Deng Xiaoping in seinem Park nicht fehlen. Der Vater des chinesischen Wirtschaftswunders blickt zufrieden lächelnd über das weite Broad-Air-Gelände. Eine Statue des ganz in der Nähe geborenen Mao Zedong dagegen sucht man vergeblich.
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Bharat Forge – „Made in Germany“ in Indien Von Oliver Müller, Neu-Delhi
Am Stadtrand von Pune, am Ende einer typisch indischen Rumpelstraße, bebt der Boden eines fahlgrauen Fabrikgewölbes. Im Stammwerk von Bharat Forge scheppert, faucht und kracht es, während glühende Stahlrohlinge von einer turmhohen Weingarten-Presse „made in Germany“ zu Achsteilen gestaucht werden. Über Nacht wuchs dieses Unternehmen von einem unbekannten Billigproduzenten in einer unterentwickelten Ecke der Welt zum härtesten Rivalen von ThyssenKrupps etablierter Schmiedesparte heran, und das in einem urdeutschen Bereich: bei hoch technisierter Metallverarbeitung. Das erderschütternde Wummern in Pune schlägt Wellen bis Europa. Thyssen-Manager hören die Signale. „Sie nehmen die Inder als Konkurrenten sehr ernst“, meint ein Frankfurter Banker, der mit der Konzernsparte vertraut ist. Das Ächzen von Bharat Forges Pressen und das Krächzen seiner Präzisionsfräsen sind Ausdruck einer ansonsten leisen Revolution: Seit Indien dem Sozialismus abgeschworen hat, wandelt es sich zum Standort für wissensintensive Industriefertigung. Bharat Forge zählt zu den Vorreitern dieses Trends. Sein Chef brach als einer der ersten Industriellen des Landes zur Eroberung fremder Märkte auf. „Managern, denen zu Hause die Modernisierung ihrer Firmen gelungen ist, packt eben der Ehrgeiz“, begründet Baba Kalyani den Drang dazu, „sie sind vom selben Entdeckergeist beflügelt wie Christoph Kolumbus und wollen ihren Erfolg im Weltmaßstab wiederholen.“
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Bharat Forge Kerndaten
Umsatz Bharat Forge
Geschäftsjahr zum 31.3.2007
in Mill. US$
nach Regionen 2006/07
Veränderung zum Vorjahreszeitraum in %
Umsatz 962,4
+41,8
Anteil am Gesamtumsatz
Europa 48,0
Indien 26,0
Nettoergebnis 66,9
+18,8
Marktkapitalisierung*
in %
1580 Mitarbeiter:
6500
Gewinn je Aktie in US$ 03/2007:
0,31
Asien Pazifik 5,0
USA 21,0
Handelsblatt | Stand 4 4 2007; Quellen Firmenangaben, Bloomberg, Thomson Financial
Die Anfänge von Bharat Forges Internationalisierungsstrategie reichen bis Anfang der 90er-Jahre zurück. Damals gab Indien seine jahrzehntelange Abschottung von der Weltwirtschaft auf. Die meisten Industriellen des Landes zitterten aus Angst vor dem Ansturm ausländischer Wettbewerber. Nicht Kalyani. Er witterte in offenen Türen zu Überseemärkten sofort eine Riesenchance und entschloss sich zur massiven Ausweitung seiner Exporte. „Wir hatten zwar nicht die beste Technik, aber die niedrigsten Kosten der Welt, das war ein guter Anfang“, blickt der Herr mit dem stahlgrauen, penibel gescheitelten Haarschopf zurück. Inzwischen ist aus der kleinen, auf den Binnenmarkt beschränkten Familienfirma der zweitgrößte Hersteller von Schmiedeteilen der Welt geworden. Bei Achskomponenten ist Bharat Forge global bereits die Nummer eins, bei Kurbelwellen die Nummer zwei. Auch Kolben, Nockenwellen und
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Fahrwerksteile gehören zum Programm, und neuerdings diversifiziert die Firma in Flugzeugteile. Fast alle namhaften Auto- und Lkw-Hersteller zählen zu den Kunden: ob Audi, BMW oder Volvo, Renault, Ford oder Honda, MAN, Scania oder Iveco. Sein Lebensziel, einen globalen Konzern zu schaffen, hat der Unternehmer innerhalb eines Jahrzehnts verwirklicht. Bharat Forge produziert heute an neun Standorten in sechs Ländern. Der 58-Jährige ist Herr über zwei Fabriken in Indien, drei in Deutschland – und je eine in Schweden, Großbritannien, den USA und China. Im Ausland arbeiten 40 Prozent von insgesamt 6500 Mitarbeitern. Mit ihrer Hilfe und dank kräftiger Ausfuhren erwirtschaftet die Firma nun fast drei Viertel der Einnahmen außerhalb der Heimat. Der Umsatz wächst seit Anfang des Jahrzehnts im Schnitt um ein Drittel jährlich, während andere Autozulieferer mit Krisen kämpfen. Im Finanzjahr 2006/2007 legte er um über 40 Prozent zu und kratzt nun an der Schwelle von einer Milliarde Dollar. Drei Jahre zuvor hatte Bharat Forge erst ein Drittel davon eingenommen. Spätestens 2008 will Kalyani Marktführer ThyssenKrupp überrunden, „und zwar nicht nur bei Umsatz und Gewinn, auch technologisch“, kündigt er an. Das sind keine leeren Worte. Mit einem Verhältnis von Umsatz zum Betriebsgewinn von 17 Prozent arbeitet sein Unternehmen viel profitabler als Konkurrenten in Europa, Amerika und Japan. In den indischen Werken sind es sogar 28 Prozent. Dank dieser Ertragsstärke kann Bharat Forge den brutalen Margendruck leichter abfedern, unter dem Autozulieferer weltweit stehen. Zudem kann der Parvenü kräftiger als andere in moderne Technologien investieren – und in Zukäufe. 2004 fing der Angreifer als erster Automobilzulieferer in Indien systematisch damit an, Firmen im Ausland einzusammeln. Bis 2005 schlug er viermal zu. Zudem baute Kalyani zusammen mit Chinas größtem Autokonzern First Auto-
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motive Works ein Joint Venture in der Volksrepublik auf. Sein Appetit auf mehr ist damit genauso wenig erschöpft wie Bharat Forges Kriegskasse. In Indien hält sich beharrlich das Gerücht, er wolle ThyssenKrupp die Schmiedesparte abkaufen. „Wir halten die Augen offen für weitere Kaufgelegenheiten, auch in Deutschland“, orakelt der Firmenchef und stöhnt: „Wir sehen zu viele Geschäftsmöglichkeiten. Die größte Herausforderung liegt in der Auswahl.“ Aber auch organisch dürfte das Unternehmen weiterhin stark wachsen. Denn Kalyani konkurriert nicht länger hauptsächlich über den Preis, wie er es musste, solange „made in India“ bei Kunden noch Gänsehaut auslöste, sondern über eine für Wettbewerber viel gefährlichere Kombination aus Kosten, Qualität und Innovation. Wie das gelingt, verdeutlicht sein Sohn Amit bei einem Rundgang durch das Stammwerk in Pune. Zunächst führt er in eine ältere Halle, wo zwischen haushohen Maschinen Arbeiter in weißen Schutzhelmen und Blaumännern grüßen. Dort zittert der ölige Boden und es wummern die Pressen. Sie stampfen Schmiedeteile, die zu den besten und billigsten auf dem Weltmarkt zählen. Einkaufsmanager deutscher Abnehmer bestätigen, dass sie bei identischer Qualität ein Viertel weniger kosten als die Produkte europäischer Konkurrenten. Da verwundert es kaum, dass zwei Drittel von Bharat Forges indischer Produktion nach Übersee gehen, an qualitätssensible Abnehmer wie Mercedes und Toyota. Dann stößt Amit, der seinem Vater eines Tages an die Spitze von Bharat Forge folgen soll, die Tür zu einer nagelneuen Werkshalle auf und verkündet strahlend: „Das ist die modernste Produktionsstraße für Kurbelwellen der Welt.“ Sauber aufgereiht glänzen dort Spezialmaschinen deutscher Hersteller wie EMAG, Juncker oder Alfing, die Metallteile fräsen. Menschen sieht man kaum, außer ein paar Technikern in verglasten Kontrollräumen. „Alles voll automatisiert, nur noch Roboter“, erläutert Kalyani junior stolz.
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Wie sein Vater bewundert er Deutschland, schwärmt von „der Sauberkeit, der Effizienz, der Technik“ dort – und legt in seiner indischen Fabrik dieselben Maßstäbe an. Die Produktivität pro Angestelltem liegt in dieser lichten, makellos sauberen Halle genauso hoch wie in Deutschland. Dort arbeiten fast nur noch Ingenieure, die Computer programmieren und alle Abläufe vom Bildschirm aus steuern. Hier erschließt sich das Geheimnis von Bharat Forges Wettbewerbsvorteil: Drei von vier Angestellten haben einen Hochschulabschluss. Sie bedienen schwäbische Präzisionsmaschinen, von denen einige so fortschrittlich sind, dass sie in Pune erstmals zum Einsatz kommen. Doch diese Fachkräfte erhalten nur zehn Prozent deutscher Löhne. Insgesamt machen die Gehälter in den indischen Werken daher nur sechs Prozent von deren Umsatz aus. „Bei billiger Muskelarbeit kann Indien gegen China nicht mithalten“, erklärt der Unternehmer. „Aber bei billiger Hirnarbeit sind wir den Chinesen überlegen.“ Kalyani fertigt nicht nur schlank und smart und billig. Er hat Bharat Forge vom reinen Teilelieferanten zu einem Komplettanbieter ausgebaut, der Kunden alle Schritte der Produktentwicklung abnimmt, von der Konzeption über den Entwurf und die Herstellung bis zur Testabnahme. Das sei überlebenswichtig, weil die großen Autohersteller Zulieferer immer stärker bei der Entwicklung neuer Teile einspannen und so einen Teil des harten Wettbewerbsdrucks in der Branche auf sie abwälzen. Außerdem kommt sein Unternehmen nun in den Genuss höherer Wertschöpfung, und es positioniert sich für eine riesige Verlagerungswelle in der Automobilzuliefererbranche, die Analysten auf Billigstandorte zuschwappen sehen. Indiens führender Exporteur von Autoteilen ist Bharat Forge bereits. Ganz auf sich gestellt wäre den Indern die Transformation jedoch kaum gelungen, trotz eines stattlichen hausinternen Entwicklungszentrums in Pune. Denn anders als
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bei Softwareingenieuren mangelt es Indien an Materialforschern und Werkzeugmechanikern, und deren fachliches Niveau reicht oft nicht an das im Westen heran. Außerdem laufen in dem Land bis heute überwiegend technisch einfache Billigautos vom Band. Kalyani erkannte: Durchbrüche zu eigenen Patenten, besseren Materialeigenschaften, neuen Herstellungsverfahren, wie sie ihm vorschwebten, würden in Pune nur schwer und langsam gelingen. Für Bharat Forges technologische Aufrüstung investiert er daher kräftig in den Standort Deutschland. Mithilfe des „fantastischen Ingenieurwissens“ der Deutschen soll seine Firma einen klaren Innovationsvorsprung vor allen internationalen Konkurrenten herausarbeiten, während ihr die niedrigen Löhne am Stammwerk in Pune die alten Kostenvorteile sichern. „Wir brauchen Zugang zur besten deutschen Technik“, lautet Kalyanis Credo, „anwenden können wir diese dann auch in Indien oder China, wo es billiger ist.“ In einem ungewöhnlichen Schritt für einen Inder hat er Forschungspartnerschaften mit Metallurgen und Materialwissenschaftlern an den Universitäten Hannover, Freiberg und Stuttgart geschlossen. Vor allem aber kaufte er das insolvente Traditionsunternehmen Carl Dan. Peddinghaus (CDP) und dessen Schwester CDP Aluminiumtechnik. Mit der 160 Jahre alten Senkschmiede erhielten die Inder Zugang zu Spitzentechnologie und zu neuen Kunden wie BMW, die diese einfordern. CDPs traditionelle Abnehmer sind nun leichter davon zu überzeugen, nicht nur Teile „made in Germany“ zu kaufen, sondern auch solche der Mutter aus Pune zu verwenden. Kalyani hat die deutsche Tochter aber nicht primär als Marketinginstrument übernommen. In seinem Schmiedeimperium ist ihr eine andere Schlüsselrolle zugedacht: die eines Forschungs- und Entwicklungszentrums. In der Belegschaft wollten das anfangs nicht alle glauben. Gerüchte schossen ins Kraut, der Inder würde Arbeitsplätze abbauen und die
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Produktion verlagern. Schließlich stellte sich der Unternehmer aus Pune einer Betriebsversammlung im westfälischen Ennepetal. Zuerst überbrachte Kalyani eine schlechte Nachricht: „Ich habe den Mitarbeitern klargemacht: ‚Es gibt zig Länder auf der Welt, wo man ihre Produkte viel billiger herstellen kann‘“, erinnert er sich. Daher müssten Effizienz und Technologieeinsatz deutlich steigen. Dann folgte die gute Neuigkeit: Bharat Forge wolle mit Hochtechnologie wachsen. „Und dazu brauchen wir den Standort Deutschland“, bekräftigt Kalyani. Letzte Sorgen schwanden, als er der deutschen Tochter ein kräftiges Investitionsprogramm verordnete, neue Maschinen anschaffen ließ und das Personal aufstockte. Der Turnaround zu Profiten gelang den neuen Eignern innerhalb von sechs Monaten, und schon im ersten Jahr nach dem Kauf war CDPs Umsatz deutlich gestiegen. Für Kalyani ist diese Wende indischem Unternehmergeist geschuldet. „Wir können Ideen besser in Geld verwandeln“, ist er überzeugt. Viele deutsche Mittelständler litten unter einer „lähmenden Angstpsychose“ und wagten zu wenig Investitionen. Statt auf neue Märkte und Produkte zu setzen, dächten sie oft primär ans Kostensenken. Er sieht sich als Pionier eines Gegentrends, dem er Nachahmer voraussagt: „Wir schmieden die Vorteile des indischen und des deutschen Mittelstands zusammen.“ Die Verbindung von technischem Fortschritt und Billigfabrikation schaffe einen unschlagbaren Produkt- und Kostenmix und öffne Märkte rund um die Welt. Angelehnt an das „global delivery model“ indischer Softwarehäuser – und wie er betont ohne Hilfe externer Berater – hat Kalyani ein „dual shore“-Modell für die verarbeitende Industrie entworfen: Seine Firma kann Kunden inzwischen mit allen wichtigen Komponenten von mindestens zwei Standorten aus gleichzeitig beliefern. Einer liegt immer in der Nähe der Abnehmer, sei es im Großraum Detroit oder im
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Ruhrgebiet, und sichert so Lieferstabilität und -tempo. Der zweite liegt im fernen, aber billigen Indien. Dasselbe gilt für die Produktentwicklung: Dabei werden kundennahe Expertenteams in Hochlohnländern unterstützt von der Entwicklungsmannschaft in Pune. Das Zusammenführen von tradierten Kompetenzen im Westen mit günstigen Ingenieuren in Indien verschafft Kalyani einen weiteren Vorteil. Denn neben Kostenführerschaft rückt Innovation zunehmend ins Zentrum seiner Strategie. Mit der Beharrlichkeit eines schwäbischen Tüftlers forscht er nach effizienteren Herstellungsmethoden und feilt an besseren Produkten. Zum Beispiel haben seine Ingenieure die Materialermüdung bei Kurbelwellen für schwere Laster um ein Drittel gesenkt. Hätte ihm sein Karma einen anderen Geburtsort zugewiesen, wäre aus dem Inder ein deutscher BilderbuchMittelständler geworden: Mutig und gleichzeitig sparsam, bodenständig, eigenwillig, patriarchalisch ums Wohl seiner Angestellten bemüht und besessen von Technik. „Schon als Kind hat mich alles Mechanische fasziniert“, erinnert er sich. Die Liebe zu Maschinen lässt den Manager noch immer regelmäßig zwischen den glutheißen Öfen seiner Fabrik herumwandern und pedantisch Details inspizieren, bis sein Blaumann so ölverschmiert ist wie die der Maschinisten. Dabei beaufsichtigt er nicht nur Bharat Forge. Neben dem Konzernflaggschiff gehört noch ein Dutzend weiterer Töchter zur Kalyani-Gruppe, darunter ein hauseigenes Stahlwerk und ein Joint Venture mit Bosch zur Herstellung von Bremsen. Insgesamt setzt das familieneigene Konglomerat 1,5 Milliarden Dollar um. Zum Risiko pflegt der Manager ein lockeres Verhältnis. Er kann es sich leisten. Mit einem Anteil von 35 Prozent sitzt seine Familie bei Bharat Forge unanfechtbar im Sattel. So entgeht er dem Diktat kurzfristiger Gewinnsteigerungen. Darin sieht der Unternehmer einen Erfolgsfaktor. Kaum hatte er die Zügel von seinem Vater übernommen, investierte
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er zum Beispiel 30 Millionen Dollar in eine erste massive Kapazitätserweiterung. 1989 entsprach das in etwa dem Jahresumsatz, und zudem hatte Indiens Liberalisierungsprozess zu dieser Zeit noch nicht begonnen. Manche hielten Kalyani für verrückt, aber ein paar Jahre später erwies sich der Schritt als visionär. „Wir haben eben Vertrauen in unser Können“, begründet er seinen Mut zum Sprung ins kalte Wasser, „und wir wagen große Träume.“ Es bereitet ihm keine schlaflosen Nächte, dass die jüngsten Zukäufe in Hochlohnländern die Gewinnmargen des Gesamtunternehmens gesenkt haben. Der Börsenkurs hat darunter gelitten. Das sieht Kalyani als vorübergehendes Phänomen. Längerfristig sichern für ihn Skalenvorteile, größere Wertschöpfung, neue Produkte und Bharat Forges strategische Präsenz in allen wichtigen Märkten der Autoindustrie überdurchschnittliches Wachstum und Profitabilität. Dass er in die Fußstapfen seines Vaters treten würde, war dem Familienunternehmer immer klar. Kaum hatte er mit 23 Jahren einen Ingenieurabschluss des renommierten Massachusetts Institute of Technology in der Tasche, kehrte er nach Indien zurück und trat pflichtschuldig in die noch winzige Firma ein, die seinen Vater vom Großgrundbesitzer zum Fabrikanten gemacht hatte. Seinen Sohn Amit baut er von langer Hand als Nachfolger auf. „Nur ein Familienmitglied bringt die nötige Leidenschaft ins Geschäft“, glaubt Kalyani. Der Erfolg im Ausland hat ihn zu Hause zum Star gemacht. Die Wirtschaftszeitung Business Standard kürte ihn 2004 zu ihrem „CEO des Jahres“, und dank einer Vervielfachung von Bharat Forges Aktienkurs ist Kalyanis Privatvermögen auf über zwei Milliarden Dollar angeschwollen. Das brachte ihm 2007 Rang 458 auf Forbes’ Liste der reichsten Menschen ein. Hobbys leistet sich das Arbeitstier kaum. Den Feierabend verbringt er meist im Studierzimmer seiner Villa, zu seinen Füßen „Kaiser“, eine schwarze Dogge.
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Manchmal jedoch entfesselt er den Abenteurer, der tief in ihm schlummert: Zeigt der Zeitplan Lücken, braust der sonst so beherrschte Chairman am liebsten auf seiner Harley über die holprigen Landstraßen um Pune. Als Manager hat er nahezu alles erreicht, was er sich vorgenommen hat. Höhere Ziele will er sich fürs Erste nicht stecken. Kalyani weiß: „Wer zu viel will, macht sich nur unglücklich.“
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Emaar – Gigantismus in Immobilien Von Andrea Nüsse, Kairo
Eines der am besten gehüteten Geheimnisse in Dubai ist die endgültige Höhe des Burj Dubai. Der Wolkenkratzer in der Glitzermetropole am Arabischen Golf soll nicht nur das höchste frei stehende Gebäude der Welt werden. Sondern auch bleiben. Im Dreischichtbetrieb rund um die Uhr gebaut, alle vier Tage ein neues Stockwerk. Der Grundriss basiert auf der Form der sechsblättrigen Wüstenblume Hymenocallis, danach geht es spiralförmig in die Höhe, die gewölbte Fläche soll dem Wind wenig Angriffsfläche bieten. Modernste Technik soll die Fahrstuhlfahrt in 500 Meter Höhe in 55 Sekunden ermöglichen, wenn das Gebäude 2008 fertiggestellt wird. Ein neuer Superlativ für das winzige Wüstenemirat. Doch der Dubaier Immobilienkonzern Emaar Properties will mit dem Vorzeigestück nicht nur eine „Ikone für den neuen Nahen Osten“ schaffen. Es soll ein „Wahrzeichen für den Fortschritt der gesamten Welt“ werden, wünscht sich das Unternehmen. Damit hat Emaar gleichzeitig seinen eigenen Anspruch formuliert. Das erst 1997 in Dubai gegründete Unternehmen ist für den rasanten Ausbau des Stadtstaats maßgeblich verantwortlich und gehört heute nach Marktkapitalisierung zu den größten Immobiliengesellschaften der Welt. Doch nun stößt es an physische Grenzen, weil das Land knapp wird. Und so exportiert es sein Konzept, gesamte Stadtviertel oder gar Städte aus dem Boden zu stampfen, in die Welt. In 17 Ländern ist Emaar inzwischen präsent, insbesondere in den Schwellenländern in Nahost, Asien und Nordafrika, wo die Nachfrage nach Luxuscompounds in
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gehobener Ausführung für die einheimische Oberschicht und Touristen wächst, aber auch zunehmend in westlichen Industrienationen. Der Anspruch von Chairman Mohamed Ali Alabbar ist klar: „Im Jahr 2010 wird Emaar eine internationale Marke sein, die weltweit für Exzellenz in zahlreichen Wirtschaftsbereichen steht.“
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Die Erfolgsgeschichte Emaars ist symbiotisch verknüpft mit dem Aufstieg Dubais und seinem Herrscherhaus Maktoum. Scheich Mohammed bin Rashid al-Maktoum setzt seit 1995 zunächst als Kronprinz und dann als Herrscher die Vision seine Vaters Scheich Rashid fort, das knapp 4000 Quadratkilometer große Scheichtum, das im Gegensatz zu seinen Nachbarn nur über geringe Ölvorkommen verfügt, durch gigantische Infrastrukturprojekte zu einem Zentrum für Handel und Tourismus auszubauen. In strategisch günstiger Lage zwischen der arabischen Welt und Südostasien wurde hier innerhalb von 20 Jahren aus dem Boden gestampft, wofür Europa 100 Jahre gebraucht hätte. Emaar wurde 1997 als öffentlich-privates Unternehmen gegründet, um den Bauboom anzuführen. Die MaktoumFamilie, die Dubai wie ein Privatunternehmen führt, hielt zunächst 30 Prozent an Emaar. Diese privilegierte Stellung erklärt einen Teil des Erfolgs des Immobilienentwicklers. Das Bauland bekam Emaar kostenlos, als Gegenleistung für die Beteiligung. Staatliche Baugenehmigungen waren so kein Problem. Zudem schuften Arbeiter aus Asien für Tageslöhne um die acht Dollar rund um die Uhr ohne Sozialabgaben teilweise unter sklavenähnlichen Bedingungen. Und auch für die Finanzierung ist gesorgt: Das Geschäftsmodell, Immobilien bereits im Planungsstadium zu verkaufen, liefert das nötige Kapital für die rasante Expansion. Begünstigt wurde der Aufstieg Dubais – und damit auch von Emaar – in den letzten Jahren durch zwei Entwicklungen, für die das Scheichtum gar nichts kann: den rasanten Anstieg der Ölpreise und die verschärften Einreisebestimmungen in den USA nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001. Vor allem arabische Investoren suchten verstärkt nach Anlagemöglichkeiten für ihre immer üppiger sprudelnden Petrodollars. Da sie als Araber aber immer öfter Schwierigkeiten hatten, in die USA zu reisen, suchten sie nach alternativen Urlaubszielen, Studienorten
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und Investitionsmöglichkeiten – und wurden in der unmittelbaren Nachbarschaft fündig. Die enge und manchmal undurchsichtige Kooperation Emaars mit der Herrscherfamilie Maktoum wird immer wieder deutlich. Im März 2007 hat Emaar 2,364 Milliarden neue Aktien ausgegeben und im Tausch gegen Land an die staatliche Dubai Holding übertragen, die Scheich Mohammed gehört. Damit erhöht sich die staatliche Beteiligung an Emaar auf 51 Prozent – das Unternehmen wird also auch formell wieder von der Herrscherfamilie kontrolliert. Im Gegenzug erhält Emaar, das in Dubai an seine Grenzen gestoßen war, dringend benötigtes Bauland, dessen Lage und Wert jedoch zunächst nicht bekannt gegeben wurden. Der Wert der Transaktion wird von Analysten auf etwa 7,6 Milliarden Dollar geschätzt. Während eine zu starke Hand des Staates in Westen eher zu Skepsis führt, wird dies in Dubai positiv gesehen und als Wettbewerbsvorteil gewertet. Emaar ist damit ein typisches Beispiel für die Erfolgsgeschichte Dubaier Unternehmen: Die Regierung lanciert große Initiativen und hilft öffentlich-privaten Unternehmen auf die Beine, welche diese ausführen sollen. Wenn die Unternehmen den Marktkräften überlassen werden können, zieht der Staat sich zurück. Um jederzeit wieder unterstützend unter die Arme zu greifen – wie jetzt, als Emaar das Bauland in der Heimat ausgegangen war. Trotz dieser günstigen Startbedingungen ist der Erfolg des Immobilienunternehmens auch der Verdienst seines zupackenden und umtriebigen Chairmans Mohamed Ali Alabbar. Als enger Vertrauter Scheich Mohammeds teilt er die von dessen Vater formulierte Vision: „Was gut für das Geschäft ist, ist gut für Dubai.“ Der 50-jährige Sportliebhaber mit der athletischen Figur stellt seit 1992 die Weichen als Generaldirektor des Departments für wirtschaftliche Entwicklung Dubais: Der Abbau der Bürokratie, die Abschaffung von Visa und vor allem die Erlaubnis an Aus-
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länder, Immobilien zu erwerben, gehen auf seine Vorschläge zurück. Sie haben die Entwicklung zur kosmopolitischen Metropole erst ermöglicht. Dass Alabbar zum Architekten der wirtschaftlichen Entwicklung Dubais werden würde, war ihm nicht in die Wiege gelegt. Er ist als ältester Sohn einer armen Familie mit elf Geschwistern aufgewachsen. Dank eines Regierungsstipendiums ging er 1977 mit 18 Jahren zum Studium der Finanzwissenschaften nach Seattle, wo er in einem katholischen College lebte. Nach der Rückkehr arbeitete er fünf Jahre in der Monetary Authority in Dubai, bevor er 1987 nach Singapur geschickt wurde, um das angeschlagene Staatsunternehmen Al Khaleej Investments zu sanieren. Die Jahre in Singapur, in Konkurrenz mit indischen und chinesischen Geschäftsleuten, prägten den Manager. „Ich habe eine Menge über Wettbewerb gelernt und mich mit den Besten gemessen – eine Erfahrung, die ich in meiner Region nie hätte machen können. Und ich habe gelernt, was eine progressive, vorausblickende Regierung erreichen kann.“ Nach seiner Rückkehr 1992 übernahm er das Department für wirtschaftliche Entwicklung mit dem Ziel, Dubai in das Singapur der Nahen Ostens zu verwandeln. Und seit der Gründung von Emaar gestaltet er als dessen Chairman den Bauboom mit. Daneben ist er Generaldirektor der Dubai Bank, der Amlak Finance und der Dubai Aluminium Company. Die Verdienste Alabbars weiß nicht nur Scheich Mohammed Maktoum zu schätzen. Das renommierte Finanzmagazin Foreign Direct Investment hat Alabbar 2006 zur Persönlichkeit des Jahres im Nahen Osten gekürt. Groß geworden ist Emaar in Dubai. Zu den spektakulärsten Projekten gehört das im Bau befindliche neue Stadtviertel in der Innenstadt, Burj Dubai Downtown, das sich über 200 Hektar Land erstreckt und den Burj Dubai, das höchste Haus der Welt, sowie das größte Einkaufszentrum der Welt, die Dubai Mall, mit 836 000 Quadratmetern Ver-
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kaufsfläche umfassen wird. Die künstlich geschaffene Dubai Marina wird von 60-stöckigen Wohnhäusern gesäumt und in einer Marina im benachbarten Emirat Umm al Quwain sollen 9000 Villen und Wohnungen entstehen. Emirates Hills, The Lakes oder The Greens heißen bereits realisierte Villenund Wohnviertel. Hinzu kommt das Wüstenresort Arabian Ranches mit Poloklub und Golfplatz mit 18 Löchern. Seinen Anspruch im Ausland unterstreicht Emaar mit schätzungsweise 450 Millionen Quadratmetern Grundbesitz. Der Wert des gesamten Landbesitzes von Emaar wird von HC Securities Brokerage auf umgerechnet 7,6 Milliarden Euro geschätzt. Im Jahr 2010 will das Unternehmen 70 Prozent seiner Einkünfte aus dem internationalen Geschäft erzielen und damit einer Überhitzung des Marktes in den Vereinigten Arabischen Emiraten vorbeugen. Ein Vorzeigeprojekt für die Entwicklung im Ausland ist die King Abdullah Economic City in Saudi-Arabien. Die auf Wüstensand geplante Megacity nördlich von Jeddah ist mit 26,6 Milliarden Dollar das größte Projekt privater Investoren im Königreich. Auf 55 Millionen Quadratmetern entlang eines 35 Kilometer langen Küstenstreifens sollen ein neuer Hafen mit modernster Technologie, ein Finanzzentrum, Industriegebiete und Bildungseinrichtungen sowie Wohnviertel und Freizeitprojekte entstehen. Der Börsengang des von Emaar geführten Konsortiums für dieses Projekt war ein voller Erfolg, die Aktien waren innerhalb von nur drei Tagen überzeichnet. Zehn Millionen Saudis, die Hälfte der Bevölkerung, bewarben sich um Aktien. Ähnlich wie in Dubai profitiert Emaar auch in Saudi-Arabien von staatlicher Unterstützung. Die Idee der Megacity war vom saudischen König Abdullah lanciert worden, und die staatliche Investmentbehörde SAGIA dient als Vermittler. In Jeddah ist ein luxuriöses Wohnviertel mit Villen für 11,5 Milliarden Dollar geplant sowie ein weiteres Projekt mit gemischter Nutzung.
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In Ägypten baut Emaar das Luxusstadtviertel Cairo Heights oberhalb der Zitadelle, und ein Smart Village. Außerdem ist die Erschließung der Mittelmeerküste bei Sidi Abdel Rahman geplant. Zu weiteren Großprojekten gehören Wohnviertel und Freizeitanlagen in Pakistan, Indien, Marokko, der Türkei und Syrien. Außerdem sind 100 ShoppingMalls in Nahost und Indien geplant. „Die Menschen sehnen sich nach fantastischen Einkaufsmöglichkeiten wie in Industrienationen und wir wollen sie schaffen“, sagt Alabbar. 4,1 Milliarden Dollar will Emaar investieren, hauptsächlich in Indien, wo die Hälfte der Einkaufszentren geplant ist. Alabbar sieht in Nahost und Indien einen Bedarf von bis zu 400 Einkaufszentren der Superklasse. Emaars Ambitionen enden nicht in den Schwellenländern. Vielmehr blickt die Gruppe seit Kurzem verstärkt gen Westen. Durch den Kauf des zweitgrößten Eigenheimbauers in den USA, John Laing Homes, und des britischen Maklerunternehmens Hamptons International hat Emaar seinen Zugriff auch auf den amerikanischen und europäischen Markt gesichert – wenngleich zu hohen Kosten, wie Analysten kritisch anmerken. Und Emaar diversifiziert nicht nur geografisch, sondern versucht sich auch in anderen Geschäftsfeldern. Dazu wurde im März 2007 eine neue Struktur geschaffen, die sechs neue und unabhängig voneinander operierende Wirtschaftszweige unter einem zentralen Dach vereint. Dazu gehört unter anderem das Baugeschäft, das Emaar in einem Gemeinschaftsunternehmen mit Turner International betreibt und Emaar erlaubt, seine eigene Konstruktionsfirma auf den Großbaustellen einzusetzen. Auch andere Akquisitionen bilden die Basis für die Expansion Emaars. Ein Joint Venture mit der französischen Hotelgruppe Accor dient zunächst dem Einstieg in das Hotelgeschäft in Asien. In Indien will Emaar durch diese Kooperation erstmals in den Bau von Hotels der unteren Preisklasse einsteigen.
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100 Hotels nach dem Vorbild der „Formule 1“-Kette sind innerhalb der nächsten zehn Jahre geplant. „Indien ist ein Schlüsselmarkt für Emaar und preiswerte Hotels sind eine Nische mit enormem Wachstumspotenzial“, erklärt Chairman Alabbar. Eher im gehobenen Bereich ist dagegen der Exklusivvertrag mit der Modefirma Giorgio Armani angesiedelt. Er sieht den Bau von zehn Luxushotels weltweit vor, deren Inneneinrichtung Armani entwirft. Mit dem Kauf der in Singapur ansässigen Raffles Campus ist Emaar zudem nun bei internationalen Bildungseinrichtungen präsent. Vollmundig erklärt Alabbar, dass die Zukunft der arabischen Welt „nicht im schwarzen Gold im Boden, sondern in den Gehirnen unserer Kinder liegt“. In einer Region, in der 50 Prozent der Menschen unter 19 Jahre alt seien und der Wohlstand steige, gebe es eine große Nachfrage nach „Bildung auf Weltklasseniveau“. Zudem setzt Emaar darauf, die Schüler dieser internationalen Schulen und Universitäten in seine Luxuscompounds und Stadtviertel zu locken. Zu den Erfolgsrezepten von Emaar gehört auch ein perfekter Service: Wer bei Emaar kauft, muss sich um nichts weiter kümmern, es sei denn, er möchte es. Um ihren Kunden selbst Kredite anbieten zu können, hat Emaar die Immobilienfirma Amlak Finance gegründet, eine islamische Bank, die zunächst nur Emaar-Klienten bediente. Inzwischen hat sich Amlak emanzipiert, und Emaar hält nur noch 48 Prozent an dem Finanzinstitut, das immer noch rund ein Drittel aller Immobilienkäufe von Emaar-Kunden finanziert. Doch es gibt auch Zweifel, ob Emaar seine Erfolgsgeschichte ungebremst fortsetzen kann. Nach den großen Investitionen der Vorjahre musste Emaar seine Dividende kürzen. Auch die Aktie befindet sich seit 2005 im Sinkflug. Das liegt unter anderem an den immer wieder aufkeimenden Gerüchten über Insidergeschäfte. Die enge Vernet-
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zung des Unternehmens mit dem Herrscherhaus von Dubai und einflussreichen Persönlichkeiten lassen außen stehende Investoren fürchten, benachteiligt zu werden. Offen ist auch, ob Emaar in finanzschwächeren Märkten wie Ägypten oder Marokko sein Modell fortsetzen kann. Neben dem kostengünstigen Erwerb großer Landstücke ist der Verkauf der Immobilien bereits im Planungsstadium einer der Pfeiler der Unternehmensphilosophie, die in den reichen Golfstaaten funktioniert. Da erwartet wird, dass die in den vergangenen Jahren raketenartig angestiegenen Immobilienpreise in Dubai wieder sinken werden, ist Emaar verstärkt auf Verkäufe im Ausland angewiesen, um sein Wachstum beizubehalten. Doch bis jetzt steht der Markenname Emaar für Qualität, Schnelligkeit und Mut zum Außergewöhnlichen. Das Kairoer Finanzinstitut EFG Hermes rechnet jedenfalls damit, dass die internationale Expansion von 2009 an Früchte tragen wird. Dann wäre die „Vision 2010“ von Chairman Alabbar keine Zukunftsmusik mehr.
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Cemex – Cyberzement Von Alexander Busch, São Paulo
Wie Hunderte runde Inseln leuchten die blauen Lampen im Fußboden. Im Dämmerlicht des Raumes sind nur das Summen der mannshohen Zentralrechner in den schwarzen Schränken und das leise Klappern der PC-Tastaturen zu hören. Die wenigen Mitarbeiter sitzen an ihren Rechnern auf einem ovalen Podest. Was aussieht wie die Kommandobrücke eines Raumschiffs in einem Hollywoodfilm, ist das Herz eines der globalsten Zementkonzerne weltweit: Von hier, aus der CemexFirmenzentrale in der nordmexikanischen Stadt Monterrey, steuert eine Handvoll Mitarbeiter eine riesige Flotte von Zementmischern und -fabriken an rund 50 Standorten rund um den Globus. Per Satellit können sie ein Fahrzeug im spanischen Valencia genauso online überwachen wie die Buchhaltung in Davenport/USA oder einen Klinkerofen in Tegucigalpa in Honduras. Auch wenn alle Fäden in Monterrey zusammenlaufen: Das Geschäft macht Cemex in der ganzen Welt. Zwei Drittel ihres Umsatzes erzielen die Mexikaner außerhalb ihrer Landesgrenzen. Nach einer Akquisitionstour, auf der Cemex seit Anfang der 90er-Jahre gut 15 internationale Zementfirmen aufgekauft hat, ist der Konzern praktisch weltweit vertreten. Lediglich Indien und China fehlen auf der Landkarte. Mit einer Produktionskapazität von knapp 100 Millionen Tonnen gehört Cemex zu den drei führenden Zementanbietern der Welt nach Lafarge (Frankreich) und Holcim (Schweiz). Mit seiner größten Übernahme bisher in Europa ist Cemex seinen Konkurrenten bedrohlich nahe gerückt:
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Für knapp sechs Milliarden Dollar erwarb Cemex 2004 den britischen Baustoffhersteller RMC nebst der deutschen Tochter Readymix. Seitdem prangt das Cemex-Logo mit den schwarz-roten Streifen auch über der deutschen Filiale in Ratingen. Der größte Übernahmecoup der Branche jedoch gelang Cemex 2007: Nach einem monatelangen Bieterkampf kauf-
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ten die Mexikaner den australischen Baumaterialhersteller Rinker. Mit der Übernahme haben sie ihre Präsenz im USMarkt markant ausgebaut und sich in Australien einen Brückenkopf für das boomende Asiengeschäft geschaffen. Zwar bleiben sie im Zementgeschäft weltweit auf Platz drei. „Bei Baumaterialien – also Beton, Kies und Asphalt – ist CemexRinker jetzt Weltmarktführer“, schätzt Marcelo Telles von Credit Suisse. Es entsteht ein Konzern mit 67 000 Angestellten und einem Jahresumsatz von rund 24 Milliarden Dollar. „Wie konnte das unwahrscheinliche Kunststück gelingen, aus einem kleinen Unternehmen in einem armen Land ein großes Unternehmen in vielen reichen Ländern zu machen?“, fragte staunend der Economist angesichts der rasanten Expansion des Zementherstellers. Einer der Hauptgründe: Cemex-Chef Lorenzo Zambrano hat schon früh begonnen, seine „Old Economy“ mit „Hightech“ zu verbinden. 1987 stellte er einen Direktor für Informatik ein, der die einzelnen Standorte durch ein satellitengesteuertes Kommunikationssystem verband. So löste er die Probleme, mit denen der Konzern in Mexikos rückständigem Telekommunikationssystem zu kämpfen hatte. Das Werk in Huichapan etwa war vorher kaum per Telefon zu erreichen gewesen, weil es in dem Städtchen, obwohl nahe Mexiko-Stadt, nur 20 Telefonleitungen gab. Seit 1991 kommunizieren alle Filialen weltweit per E-Mail mit der Zentrale – also lange bevor das Internet ein Massenphänomen wurde. Die moderne Technologie verschaffte Cemex in seiner Branche schnell einen Vorsprung gegenüber der Konkurrenz: Ein Computerprogramm dirigiert die Cemex-Lkw auf die Baustellen; trotz Verkehrschaos und Stornierungen oder Bestellungen in letzter Minute liefert die Flotte den flüssigen Zement im Durchschnitt innerhalb von 20 Minuten auch in einem chronisch verstopften Moloch wie MexikoStadt – eine Traumzeit. Der Umsatz der 4000 Baumaterialhändler in Mexikos Hauptstadt wird in der Zentrale online
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erfasst, um schnell auf unerwartete Nachfrageschwankungen reagieren zu können. Monterrey kann jederzeit Qualität und Stand der Produktion weltweit online kontrollieren, und auch die lokalen Werksleiter können sich über die Kennwerte anderer Standorte informieren. Der gewünschte Nebeneffekt: „Die Mitarbeiter konkurrieren miteinander und strengen sich mehr an“, sagt Hector Medina, Finanzchef und die Nummer zwei im Konzern. „Cyber-Cemex“ nennt das Magazin Forbes den mexikanischen Konzern. Zambrano selbst bezeichnet den Transport- und Logistikkonzern FedEx für den Vertrieb als sein Vorbild. MBAStudenten in der ganzen Welt studieren inzwischen die Fallstudie „The Cemex Way“: Ein hoch zentralisierter und strikt kontrollierter Konzern, der dennoch flexibel bei den Produkten und Marken ist. Den Erfolg hat sich der Konzern trotz der bald 100-jährigen Existenz auch in seiner Heimat hart erarbeiten müssen: Als Lorenzo Zambrano 1985 die Führung des familieneigenen Zementkonzerns übernahm, da steckte Mexiko in einer tiefen Krise. Mit der Zahlungsunfähigkeit drei Jahre zuvor hatte Mexiko als Großschuldner die internationalen Gläubigerbanken in Bedrängnis gebracht und die erste Verschuldungskrise der Nachkriegszeit ausgelöst. Für den gerade angetretenen Zambrano war klar: „Wir können uns nicht auf Mexiko beschränken, wir müssen ins Ausland expandieren.“ Kurz darauf startete er seinen Eroberungsfeldzug, der bis heute noch nicht abgeschlossen ist. Zambrano verbrachte seine frühe Jugend in der nordmexikanischen Industriestadt Monterrey – dort, wo seine Großväter 1908 den Zement- und Baumaterialkonzern gegründet hatten und Mexikos Wirtschaft bis heute am dynamischsten ist: Hier haben neben Cemex und zahlreichen Gold- und Silberunternehmen auch der Großbäcker Bimbo und der Getränkekonzern FEMSA ihren Sitz. Ein Fünftel der mexikanischen Exporte kommt aus Mon-
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terrey. Es ist die Metropole mit den meisten Schulen, Universitäten und technischen Instituten je Einwohner im ganzen Land. Auch im Vergleich zum restlichen Lateinamerika steht Monterrey einsam an der Spitze, etwa mit dem höchsten Bildungsniveau und Pro-Kopf-Einkommen. Die Lebensqualität der Stadt am Fuß der Sierra Madre gilt als die höchste in der ganzen Region. Zambrano wächst behütet in einem großbürgerlichen Familienclan auf. Doch mit 13 Jahren endet die kindliche Idylle abrupt: Sein Vater schickt ihn auf eine nordamerikanische Kadettenschule. „Jetzt beginnt dein erstes wirkliches Abenteuer“, gibt er seinem Sohn mit auf den Weg, „es werden weitere folgen.“ Eine harte Zeit folgt, die ihn tief prägt: „Ich konnte kein Wort Englisch, kannte niemanden, war völlig auf mich gestellt – ich bin schnell gereift.“ Später studiert Zambrano in Monterrey Ingenieurwissenschaften, aber er schließt sein Studium mit einem MBA mit Schwerpunkt Finanzen in Stanford ab. „In Stanford herrschte damals eine gewaltige Kreativität, aber auch eine starke Konkurrenz“, meinte er später. Als in Kalifornien die Hippiebewegung blüht, brütet Zambrano über Businessplänen und Bilanzen: „600 Seiten las ich am Tag“, erinnert er sich, „mir brannten die Augen wie Feuer.“ Die USA werden für ihn zu einer zweiten Heimat. Das Buch „100 Jahre Einsamkeit“ von Gabriel García Márquez liest er zuerst auf Englisch, wie Zambrano später dem kolumbianischen Nobelpreisträger gestand. Nach seiner Rückkehr aus den USA lässt der Familienrat den ehrgeizigen Sprössling 18 lange Jahre alle verschiedenen Bereiche des Konzerns kennenlernen. Im Jahr 1985 schließlich, mit 40 Jahren, erreicht Zambrano sein Ziel: Er wird CEO. In einer seiner ersten Amtshandlungen führt er Englisch konsequent als Konzernsprache ein, weil er ins Ausland expandieren will. Was folgt, ist der kometenhafte Aufstieg des Familienkonzerns, dessen Aktie seit 1999 auch an der New Yorker Börse notiert ist.
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Zambrano gilt heute als einer der erfolgreichsten Unternehmer Lateinamerikas, was sich für ihn auch finanziell ausgezahlt hat: Er ist die Nummer zwei auf der Liste der reichsten Menschen der Region, so das US-Magazin Forbes. In Zeiten der Globalisierung sind Zambranos Erfahrungen in zwei Kulturen von unschätzbarem Wert. Den Mexikanern gelingt es, übernommene Unternehmen in Rekordzeit zu integrieren und ungeahnte Synergien zu heben. Zambrano hat aus dem Konzern eine wahre Übernahmemaschine gemacht. Sein Trick: Für solche Spezialaufgaben beschäftigt er eine feste Übernahmegruppe von 400 Mitarbeitern, die „Cemex-Witwer“ – so genannt, weil sie immer wieder monatelang ohne ihre Familien unterwegs sind. Auch Analyst Damian Fraser von der Schweizer Großbank UBS sagt deshalb: „Übernahmen gehören zum Wesen von Cemex.“ Und so stehen die Banken, die einst die Expansion von Cemex misstrauisch beäugt hatten, heute Schlage, um die mögliche Übernahme von Rinker zu finanzieren. Doch Cemex wächst nicht nur durch Akquisitionen, sondern auch aus eigener Kraft. Denn trotz ihrer globalen Ausrichtung haben die Mexikaner früher als andere die regionalen Märkte für sich entdeckt. Zement ist nicht gleich Zement: Im arabischen Raum muss er möglichst dunkel sein; Lateinamerikaner mögen ihn gerne hell. Sack für Sack wird er etwa in den armen Weltregionen gekauft, meist von den Häuserbauern selbst. Deswegen werben in Mexiko Fußballmannschaften für Zementmarken statt für Handys. Ganz anders in Europa, wo nur Bauingenieure und Poliere verschiedene Zementsorten kennen und Massenwerbung verschwendetes Geld wäre. „Unser Vorbild war nie ein anderer Zementhersteller, sondern Konsumartikelhersteller wie Procter & Gamble“, sagt Zambrano, „wir arbeiten im Vertrieb, Marketing und beim Aufbau unserer Marken wie ein Produzent von Konsumartikeln.“ Cemex bietet seinen Kunden in Lateinamerika oder Asien Rundumpakete: Die Häu-
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serbauer zahlen in Raten das Material ab, müssen also nicht warten, ob etwas vom Lohn übrig bleibt, um weiterbauen zu können. Cemex liefert dann neben den Baumaterialien auch standardisierte Baupläne. Ein Cemex-Berater hilft bei Bauproblemen. Auch die vielen Baumaterialhändler – oft nicht mehr als ein Familienbetrieb in einer Garage – können sich schulen lassen. Wie wird Cemex weiter wachsen? Analysten vermuten, dass die Übernahme des Baumaterialanbieters Rinker den Weg weist: Für Zementkonzerne kann es sinnvoll sein, die Synergien in Logistik und Einkauf zu nutzen und auch andere Baumaterialien anzubieten. Deswegen werden Konzerne wie Cemex versuchen, auch in den Industrieländern mit einer größeren Produktpalette bis an den Endverbraucher zu gelangen, um sich die Margen zu sichern, die derzeit noch der Handel verdient. In Monterrey zweifelt niemand, dass es Lorenzo Zambrano sein wird, der den möglichen strategischen Schwenk bei Cemex anführt. Auf Fragen nach einem möglichen Rücktritt reagiert der 62-Jährige unwirsch: „Plötzlich wollen alle wissen, wann ich in Pension gehe“, poltert er. Und stellt dann klar: „Ich will noch lange arbeiten!“
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Dr. Reddy’s – Die Jagd nach Indiens erstem Blockbuster Von Oliver Müller, Neu-Delhi
Die Zukunft der indischen Pharmabranche könnte sich an einer von Schlaglöchern zersiebten Ausfallstraße entscheiden, über die sich ein Lindwurm von Lastern, Kleinwagen und Autorikschas aus Hyderabads Zentrum in Richtung Bombay quält. Doch Chaos, Lärm und Staub sind vergessen, sobald der Wagen einbiegt auf das palmenbeschattete Forschungszentrum von Dr. Reddy’s Laboratories. Dort zirpen Vögel, sanftes Licht sickert durch Baumkronen, und auf den offenen Veranden vor den Labors verflüchtigt sich stechender Chemikaliengeruch in der lauen Tropenluft. 300 Pharmakologen und Chemiker forschen hier nach dem ersten in Indien entwickelten Medikament. Bisher gelten die Pharmafirmen des Landes nur als clevere Nachahmer, die den Weltmarkt mit billigen Kopien bewährter Wirkstoffe fluten. Doch Dr. Anji Reddy, Chairman der nach ihm benannten Firma, fürchtet: „Unsere große Chance bei Generika geht zu Ende.“ Innovation sei zumindest langfristig die einzige Chance, um hohes Wachstum zu halten. Dr. Reddy‘s ist Indiens zweitgrößte Pharmafirma hinter Ranbaxy. Im Geschäftsjahr 2006/2007 hat sich der Umsatz auf 1,5 Milliarden Dollar mehr als verdoppelt. Doch das genügt dem Gründer nicht. Wie andere indische Unternehmer der ersten Generation ist er besessen von dem Ziel, es auch außerhalb der Heimat zu Ruhm und Ehre zu bringen. Reddy verlangt Eintritt in den elitären Club westlicher Pharmariesen. Mit patentfreien Arzneimitteln könne das niemandem gelingen, ist er überzeugt. „Aber schon ein ein-
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ziger Blockbuster reicht, um uns in die Top Ten zu katapultieren!“ Geht alles nach Plan, soll ein neuer Wirkstoff gegen Diabetes diesen Sprung ermöglichen. Er befindet sich in der letzten klinischen Testphase und soll spätestens 2011 auf den Markt kommen. Zugleich forscht Dr. Reddy’s an Medikamenten gegen Krebs, Übergewicht und Herz-KreislaufKrankheiten. Bei diesen Massenkrankheiten warten die größten Aussichten auf kommerziellen Erfolg. Neun Wirkstoffe befinden sich in der klinischen Entwicklung, jedes Jahr kommen im Schnitt drei neue hinzu. „Alle können gar nicht floppen“, macht sich der Unternehmer Mut. Die enormen Risiken beim Vormarsch aus dem ruhmlosen, aber halbwegs stabilen Generikageschäft in die Innovation hat er schmerzhaft zu spüren bekommen: Ende der 90er-Jahre verursachte eines der ersten selbst entwickelten Moleküle bei Tierversuchen Krebs und wurde verworfen. „Ich war am Boden zerstört“, erinnert sich Reddy, „aber am nächsten Tag ging ich zurück ins Labor und habe mit Volldampf weitergearbeitet.“ Seine Euphorie ist ansteckend. Indiens Pharmamogul weiß, dass im besten Fall eines von zehn Molekülen alle Testphasen durchsteht und als Arznei zugelassen wird. Aber die Leidenschaft des Forschers triumphiert über die Statistik. „Geld ist nicht der einzige Antrieb für Innovation“, erläutert er seine Motivation, „ich will Menschen heilen, ein wenig Gott spielen, verstehen Sie?“ Dann lacht er, wie nach jeder etwas provokanten Bemerkung: trocken, sägend, laut. Reddy geht auf die 70 zu. Aber er steckt voll Energie und Ungeduld, und man sieht ihm sein Alter nicht an. Der Sohn eines wohlhabenden Gewürzbauern hat es mit Kopien von im Westen teuer entwickelten Medikamenten zu einem der reichsten Inder gebracht. Doch der Forscher in ihm ist nicht am Ziel, bis sein Lebenstraum wahr wird: Er will das Patent auf Indiens erste eigene Arznei. Sein breites Kinn, die hohe
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Stirn und wache, fordernde Augen zeugen von Willenskraft. „Ich bin außerordentlich ehrgeizig“, gibt Reddy zu. Das nimmt ihm Angst vor Wagnissen. Der Forschungsetat des Weltmarktführers Pfizer mag den Umsatz seiner Firma um ein Vielfaches übertreffen. Doch unverdrossen reitet der Doktor aus Hyderabad zum Angriff auf die Pharmariesen. „Deren Forschungsproduktivität liegt niedrig“, meint er geringschätzig, „ihre Entwicklungspipelines sind doch gähnend leer!“ Aus der relativen Schwäche seiner mächtigen und viel reicheren Rivalen schöpft der Underdog aus dem Entwicklungsland Hoffnung. „Die Innovationskraft einer Firma wächst nicht proportional mit den Milliarden, die sie für Entwicklung ausgibt“, lautet sein Credo. Sonst müssten die Marktführer aus den USA und Europa nicht einen großen Teil ihrer Medikamente kleinen, wendigen Firmen in Lizenz abkaufen. Der Kapitalist in ihm verpflichtet den leidenschaftlichen Wissenschaftler zu strikter Risikokontrolle. Doch selbst dabei geht Indiens Pharmapionier neue Wege: Um die Forschungskosten und die Gefahr von Entwicklungsflops zu begrenzen, hat er ein Gemeinschaftsunternehmen gegründet mit den Venture-Capital-Töchtern von Citigroup und ICICI, Indiens größter Privatbank. Dieses hat die Weiterentwicklung von vier vielversprechenden Molekülen übernommen. Ein Krebsmittel und der Diabeteswirkstoff werden mit erfahrenen Pharmafirmen in Dänemark und England vorangetrieben. Kommen sie zur Marktreife, teilen sich die Partner die Erträge. „Wir sind keine Glücksspieler“, begründet Reddy die Vorsicht, „wir schirmen unser Kerngeschäft vor Risiken ab.“ Er gibt damit auch dem Druck der Kapitalmärkte nach. Die haben seine Firma in der Vergangenheit abgestraft für riskante Innovationsinitiativen, die sich nicht auszahlten. Das ist eine Kehrseite von Reddys Strategie, sein Unternehmen an die New Yorker Börse zu bringen. 2001 wurde Dr. Reddy’s
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zum ersten asiatischen Pharmaunternehmen nach den Japanern an der Wall Street. Seine Firma gewann dadurch neue Kapitalquellen und größere internationale Sichtbarkeit. Aber seitdem muss sie auch stärker nach der Pfeife internationaler Fonds tanzen. Insgesamt investiert Reddy mit über zwölf Prozent des Umsatzes für indische Verhältnisse ungewöhnlich viel in Forschung. Aber das Gros fließt noch immer in die Entwicklung neuer Nachahmermedikamente. Nur zwei Prozent gehen in die Suche innovativer Arzneien: 20 Millionen Dollar pro Jahr. Das ist eine winzige Summe für den Angriff auf die Königsdisziplin der Pharmabranche: eigenständige Forschung. Doch Reddy ist zuversichtlich, dass er aus Indiens Standortvorteilen bei hochkarätigen, billigen Wissenschaftlern ähnlich Kapital schlagen kann wie die IT-Firmen des Landes. Sie zeigen, dass man mit viel weniger Geld ähnliche Resultate erzielen kann wie teure Fachkräfte in Amerika. Von allen indischen Pharmaunternehmen setzt ihr Pionier – gemeinsam mit dem härtesten Lokalrivalen Ranbaxy – am entschiedensten auf den Ausbau hauseigener Forschung. Der Branche hat Reddy bereits zuvor neue Horizonte erschlossen. Seine Firma gilt als privatwirtschaftliche Urzelle des indischen Generikawunders. Er gründete sie in einer Zeit, als dem Kapitalismus in Indien noch enge Fesseln angelegt waren. 1984 brach in dem Doktor der Chemie der Unternehmer durch. Er warf einen sicheren Job in einem Staatsbetrieb für kopierte Medizin aus dem Westen hin und baute sich eine eigene Existenz auf. Als erster Inder investiert er zudem schon seit 1993 in Grundlagenforschung. Nach dem Beitritt des Landes in die Welthandelsorganisation WTO war ihm früh klar geworden, dass alle Firmen bald internationale Patentrechte zu respektieren hätten und das Generikageschäft damit härter würde, nicht nur in Indien, sondern auch auf anderen unregulierten Absatzmärkten.
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Reddys Strategiewechsel weg von Generika hat auch eine defensive Seite: Das Geschäft mit billigen Nachahmermedikamenten wird weltweit immer härter. Eine Konsolidierungswelle vergrößert die Marktmacht von Spitzenreitern wie Sandoz und Teva. Zudem verschärft sich der Wettbewerb durch immer neue Billiganbieter aus Indien und China. Auch Kostensenkungsmaßnahmen in den Gesundheitssystemen des Westens setzen die Margen unter Druck. Und immer mehr westliche Rivalen strömen nach Indien, um dort selbst billig zu forschen und zu produzieren. Die durch den Boom der Branche ausgelöste Einstellungsoffensive lässt die Löhne von Dr. Reddy’s um 15 Prozent jährlich steigen. „Auf unseren Kostenvorteilen können wir uns nicht ewig ausruhen, irgendwann sind sie verschwunden“, meint G. V. Prasad, der Vorstandschef von Dr. Reddy’s. Prasad hat stärker als sein Schwiegervater Anji Reddy mit Analysten, Bankern und Anlegern zu tun. Den routinierten Umgang mit Bedenkenträgern merkt man ihm in der Gewandtheit an, mit der er kritische Fragen abbügelt und die Solidität des Unternehmens herauskehrt. Prasad betont, das angestammte „Brot- und Buttergeschäft“ mit Generika werde noch mindestens ein Jahrzehnt lang eine dominante Rolle spielen. Frühestens dann könnten Eigenentwicklungen mehr Gewinn einbringen. Das alte Kerngeschäft floriert schließlich, es wächst um rund ein Drittel pro Jahr. Der Manager ist sicher, es noch 2007 unter die größten zehn Generikaanbieter der Welt zu schaffen. In diesem Bereich ist Dr. Reddy’s längst ein Global Player: 86 Prozent der Einnahmen stammen aus Übersee, vor allem den USA und Europa. Aber auch in Schwellenländern wie Russland und Südafrika expandiert die Firma schnell. Allerdings könnte Indiens blutjunger, aufblühender Pharmaindustrie auch Gefahr drohen aus anderen Schwellenländern mit ähnlichen Kostenvorteilen und guten Naturwissenschaftlern. Genau wie bei der IT-Branche des Landes
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sehen Branchenexperten die größte Herausforderung in China heranwachsen. Reddy ist davon indes nicht beeindruckt. „Klar, die Chinesen kommen mit Generika“, beobachtet er, „das ist vor allem ein Preisspiel, die Eintrittshürden in diesen Markt liegen nicht sehr hoch.“ Weltweiter Erfolg sei dennoch schwer, und Inder genössen Vorteile: Ihre Generika-Champions hätten längere Erfahrung auf westlichen Märkten, bessere Marken und Vertriebssysteme, ein solideres Image und eine höhere Glaubwürdigkeit. Langfristig liegt die Zukunft für Reddy ohnehin in der Forschung. „Auch da hinkt China hinterher“, glaubt er – anders als manche Analysten. Auch Vorstandschef Prasad sieht langfristig Grenzen für Generika. Aber noch ist das Wachstum in diesem Segment für ihn nicht ausgeschöpft, besonders für Anbieter aus Indien. Der globale Kostendruck vergrößere die Marktanteile von Billiganbietern, auch wenn ihre Margen litten. Weil westliche Konkurrenten auf viel höheren Kostensockeln sitzen, spielt auch die Konsolidierungswelle in die Hand der Inder. Im Jahr 2006 landete Dr. Reddy’s einen Coup mit der Übernahme von betapharm, Deutschlands viertgrößtem Generikaanbieter, für 480 Millionen Euro. Es war bis zur Übernahme des britischen Stahlkonzerns Corus durch die Tata-Gruppe die kostspieligste Akquisition eines indischen Unternehmens im Ausland. „Das ist erst der Anfang“, prophezeit Prasad. Bald würden Pharmafirmen seines Subkontinents noch größere Deals wagen. Dr. Reddy’s ist weiter auf der Jagd nach Firmen. Priorität genießen nun Frankreich, Spanien und Italien. Zukäufe sind allerdings kein Allheilmittel. Ranbaxy hat in den vergangenen vier Jahren 350 Millionen Dollar für insgesamt vier Übernahmen in Europa ausgegeben, darunter Aventis’ Generikasparte in Frankreich. Doch diese kommt seit 2003 nicht aus den roten Zahlen, und insgesamt gingen Ranbaxys Europa-Umsätze 2006 sogar zurück. Es fällt Indern
Dr. Reddy’s – Die Jagd nach Indiens erstem Blockbuster
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nicht immer leicht, Zukäufe im Ausland in ihre Firmenstrukturen zu integrieren, auch Kostensenkungen stellen sich oft nicht so schnell ein wie geplant. Langfristig sehen Analysten trotzdem gute strategische Gründe für den Drang nach Europa: Eine alternde Gesellschaft und Kostendruck schüren den Bedarf nach Generika. Außerdem können Inder so ihre Abhängigkeit vom US-Markt mindern, wo der Wettbewerb noch mörderischer tobt als in Europa. Allerdings hat Dr Reddy’s beim Gang nach Deutschland eine unangenehme Überraschung erlebt. Sie illustriert die Risiken, mit denen Firmen aus Schwellenländern konfrontiert sind bei ersten Schritten in einem fremden wirtschaftlichen Umfeld und einem ungewohnten politischen Regulierungsrahmen: Mit der Anfang 2007 von der Großen Koalition verabschiedeten Gesundheitsreform hatte man in Hyderabad nicht gerechnet. Der Regulierungsrahmen in Deutschland sei jetzt „ungünstiger als erwartet“, gibt Reddy zu. Trotzdem bleibt der Inder überzeugt, mithilfe seiner „Verkaufsmaschine“ betapharm Europas größten Markt zu knacken. Er erwarte keine schnellen Synergien. Es werde Jahre dauern, bis die Produktion von Wirkstoffen sukzessive ins billigere Indien wandert, während von dort neue Produkte – auch patentierte – in betapharms Verkaufskanäle strömen. Reddy glaubt, dass auch andere Firmen aus Indien bald eigene Medikamente entwickeln werden, und sieht eine Handvoll in der globalen Pharmabranche künftig weit vorne mitspielen. „Aber mein Unternehmen wird führend sein“, stellt er klar. Schließlich hätten neun von zehn seiner heutigen Lokalrivalen einst als kleine Angestellte bei ihm angefangen. „Sie ahmen mich nach“, spöttelt er über konkurrierende Gründer. Dann lacht er sein schräges Koboldlachen und lässt die Schlussfolgerung im Raum stehen: „Nur ich bin das Original.“ Seine Tatkraft und sein standfester Glauben an sich selbst färben auf Mitarbeiter ab. „Alle unsere Forscher würden
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sofort einen Job in den USA finden, wenn sie wollten“, sagt Javed Iqbal, Dr. Reddy’s Forschungschef. „Aber der Chairman hält uns mit seinem Enthusiasmus bei der Stange.“ Nationalismus ist auch ein Faktor: Die Wissenschaftler in Hyderabad sind stolz, an der Entwicklung von Indiens erster einheimischer Arznei zu arbeiten. „Dieses Gefühl hätte ich sicher nicht bei Pfizer“, sagt Iqbal. Es ist das Hochgefühl, teilzuhaben an einem Strukturwandel der Weltwirtschaft: Schließlich ist Pharmaforschung die ultimative hochwertige Dienstleistung, die nach gängiger Lesart eigentlich im Westen weiter Arbeitsplätze schaffen soll, wenn die letzte Fabrik in Niedriglohnländer wie China abgewandert ist. Kritiker werfen Forschern wie Iqbal und deren Arbeitgebern vor, sich bei der Suche nach neuen Heilmitteln auf im Westen verbreitete Lifestyle-Krankheiten wie Fettleibigkeit zu konzentrieren, statt todbringende Plagen ihrer armen Heimatländer wie etwa Malaria auszuradieren. „Wenn wir es zu einem Pharmariesen bringen wollen, können wir uns nicht mit Tropenkrankheiten abgeben“, entgegnet Iqbal. „Der Weltmarkt entscheidet, auf welche Ziele sich unsere Forschung konzentriert.“ Dem Erfolg auf dem internationalen Markt mag Reddy gesundheitspolitische Prioritäten in der Heimat unterordnen. Ein soziales Gewissen kann dem Doktor dennoch niemand abstreiten: Seine privat finanzierte Familienstiftung hilft unterprivilegierten Kindern, auf eigenen Füßen zu stehen. 65 000 Jungen und Mädchen hat sie bereits eine Berufsausbildung gegeben. Außerdem finanziert Reddy Indiens größte Armenküche: Sie gibt in Hyderabad jeden Tag 200 000 Mahlzeiten aus. In ganz Indien lässt er täglich 650 000 Gerichte für Kinder kochen. Die jüngste Initiative gibt Dörfern durch moderne Filter Zugang zu saubererem Trinkwasser. Und wieder lässt er sein schräges Koboldlachen rasseln: „Wenn ich so weitermache, schmieren mir noch meine Antibiotikaumsätze ab.“
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Orascom – Auf dem Sprung nach Europa Von Andrea Nüsse, Kairo
Es ist ein Familienfoto der besonderen Art, zu dem Onsi Sawiris seine drei Söhne gebeten hat. Der 75-jährige Onsi, elegant im braunen Anzug und mit markanten Gesichtszügen, thront wie ein echter Patriarch hinter seinem großen, dunklen Schreibtisch am Ende des lang gezogenen Büros. Eine Cohiba-Zigarre brennt im Aschenbecher. „Orascom Chairman“ steht auf dem silberfarbenen Schild, das in der Mitte seines Schreibtischs prangt. Als ob das nicht alle wüssten, die in diesem Büro im 25. Stock der modernen Nile City Towers in Kairo Platz nehmen. Neben ihm steht – in Jeans und dunkelblauem Blazer – sein ältester Sohn Naguib. Naguibs Brüder Samih und Nassif machen das Foto komplett. Hier ist die reichste Familie Ägyptens versammelt: die Sawiris, deren Unternehmensgruppe Orascom 40 Prozent des Kapitals der ägyptischen Börse ausmacht. Der erstgeborene Naguib spielt eine Schlüsselrolle im Imperium der Sawiris. Er führt Orascom Telecom, das nach Marktwert größte Unternehmen Ägyptens. Er und sein Vater haben offenbar eine besonders enge Beziehung: In Onsis Vorzimmer hängt ein Doppelporträt, auf dem Naguib dem Vater über die Schulter auf einen Computerbildschirm schaut. Samih leitet den Tourismus- und Immobilienzweig von Orascom und Nassif hat sich auf Bau und Zementherstellung spezialisiert. Sie alle sind reich, sehr reich: Das Magazin Forbes setzte Naguib 2007 in seiner Milliardärsliste weltweit auf Platz 62 mit zehn Milliarden Dollar. Damit ist er der drittreichste Araber. Gefolgt wird er von Vater Onsi auf Platz 158 (fünf Milliarden Dollar) sowie den Brüdern
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Nassif auf Platz 226 (3,9 Milliarden Dollar) und als Schlusslicht Samih auf Platz 664 (1,5 Milliarden Dollar). Anders als die führenden Milliardäre aus den Golfstaaten haben die Sawiris, die zur christlichen Minderheit der Kopten im muslimischen Ägypten gehören, ihren Reichtum erwirtschaftet und nicht auf Ölmilliarden aufgebaut. Gleichzeitig spiegelt ihr Erfolg einen Trend wider: Arabische Geschäftsleute sehen die Region verstärkt als einen großen lokalen Markt an, dessen sprachliche und kulturelle Gemeinsamkeiten eine Ausbreitung erleichtern. Die Medien sehen die koptische Familie bereits als die „Agnellis“ Ägyptens oder die „neuen Pharaonen“. Seit die ägyptische Unternehmerdynastie ihre Hände nach Europa ausgestreckt hat, macht sie auch im Westen von sich reden. Der 52-jährige Naguib Sawiris, Chairman
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und CEO von Orascom Telecom Holding (OTH), hat im Sommer 2005 den italienischen Mobilfunkanbieter Wind für 13 Milliarden Euro gekauft. Im Februar 2007 folgte der Kauf des griechischen Mobilfunkanbieters TIM Hellas. Beide Unternehmen gehören formal zu Weather Investments, der von Sawiris neu gegründeten Gesellschaft, die auch seine eigenen Mehrheitsanteile an Orascom Telecom hält. Der Zweig zur Tourismusentwicklung von Bruder Samih hat im Dezember 2006 sein erstes Großprojekt in der Schweiz bekannt gegeben: die Entwicklung der Region um Andermatt, die seit dem Abzug der Schweizer Armee vom wirtschaftlichen Niedergang bedroht ist. Hier will Samih ab 2008 Hotels, Ferienhäuser, Restaurants und einen Golfplatz bauen – nach dem Vorbild der Megaprojekte im ägyptischen Guna und anderen Ferienzentren in der arabischen Welt. Ihr jüngster Bruder Nassif hat von den Medien fast unbemerkt eines der größten Zementimperien in Nahost und Afrika aufgebaut (Orascom Construction Industries). Doch der mit Abstand erfolgreichste Zweig des Unternehmens ist die Telekommunikation, die der risikobereite Stratege Naguib Sawiris leitet. Von dessen rasanter Expansion können europäische Mobilfunkanbieter nur träumen: Allein im Jahr 2006 stieg die Zahl der Abonnenten von Orascom Telecom in sieben Ländern des Nahen Ostens, Asiens und Afrikas um zwei Drittel auf rund 50 Millionen. Dieses Ziel hatte Sawiris Anfang des Jahres genannt – und er hat Wort gehalten. Bis 2009 sollen es nach seinen Plänen 100 Millionen Abonnenten sein. Branchenanalysten schätzen das Potenzial des Orascom-Imperiums in Schwellen- und Entwicklungsländern auf bis zu 200 Millionen Kunden. Was Sawiris 1998 als Juniorpartner im ersten ägyptischen Mobilfunkanbieter Mobinil begonnen hatte, setzt er nun im größeren Maßstab fort. Und sein Ziel ist ambitioniert: In den nächsten Jahren will Orascom Telecom vom regionalen Riesen zu einem der nach der Zahl der
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Abonnenten gerechnet fünf führenden Telekomkonzerne der Welt werden. Sawiris’ Strategie ist stets die gleiche: In der Regel steigt Orascom Telecom als Minderheitsaktionär in ein Unternehmen ein, baut es erfolgreich auf oder aus und kauft anschließend weitere Anteile hinzu. Bisher hat das nur auf dem Heimatmarkt Ägypten nicht funktioniert, wo France Telecom seine Mehrheitsanteile an Mobinil nicht verkaufen will. Von 1999 bis 2002 stieg OTH in 22 Ländern ein. Doch die halsbrecherische Expansion brachte das Unternehmen an den Rand seiner finanziellen Möglichkeiten. In kurzer Zeit kaufte OTH damals für 737 Millionen Dollar eine Mobilfunklizenz in Algerien und für 450 Millionen Dollar eine Lizenz in Tunesien. Gleichzeitig benötigten die Geschäfte im südlichen Afrika, wo Orascom Telecom neue Netzwerke aufbauen wollte, ständige Zuschüsse. Um den Konkurs abzuwenden, verkaufte Sawiris sein Filetstück, den rentablen jordanischen Mobilfunkanbieter Fastlink, für 423 Millionen Dollar und trennte sich von fast allen Anteilen im südlichen Afrika. „Damals hat Sawiris seine Kapazitäten überdehnt – auch wenn die algerische Lizenz zehnmal mehr wert war als der Preis, den er bezahlt hat“, sagt Wael Ziada, Finanzanalyst beim führenden Anlageberater Ägyptens, EGF Hermes Securities. „Er wollte zu viel zu schnell.“ Aus den fehlgeschlagenen Abenteuern im südlichen Afrika hat Sawiris jedoch gelernt. Jetzt konzentriert er sich auf weniger riskante Märkte, die eine große Bevölkerung, eine stabile Wirtschaft und niedrige Raten der Mobiltelefonnutzung haben. Mit Erfolg: In Algerien, Pakistan und Ägypten ist Orascom Telecom bei der Zahl der Abonnenten der führende Mobilfunkanbieter. Außerdem besitzt das Unternehmen Lizenzen in Tunesien und Bangladesch. Selbst im Irak ist Orascom erfolgreich. Unmittelbar nach dem Sturz Saddam Husseins sicherte sich Sawiris eine Mobilfunklizenz in dem Zweistromland. Heute
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ist Iraqna eine seiner profitabelsten Beteiligungen. In letzter Zeit engagiert sich der Mobilfunker nun auch im Festnetzgeschäft. Gemeinsam mit der staatlichen Telecom Egypt baut Orascom das algerische Telefonnetz aus. Seinen größten strategischen Rückschlag erlitt der erfolgsverwöhnte Naguib Sawiris in Indien. Durch den Erwerb von 19,3 Prozent an Hutchison Telecommunications International Limited (HTIL) hatte Sawiris 2005 indirekt seinen Einstieg in den umworbenen Markt vorbereitet. Sein Interesse galt der auf dem indischen Markt operierenden Tochtergesellschaft Hutchison Essar, dem viertgrößten Mobiltelefonanbieter des Landes. Doch im Februar 2007 schnappte Konkurrent Vodafone für 11,1 Milliarden Dollar bei Hutchison Essar zu und vereitelte so die Expansionspläne des Ägypters in Indien. Noch 2006 hatte der von einer Fusion mit Hutchison geträumt. Ein gemeinsames Unternehmen auf einem kombinierten Heimatmarkt mit zwei Milliarden Menschen wäre weltweit wohl die Nummer zwei in der Branche geworden. Doch dieser Expansionstraum scheint nun ausgeträumt. „Das Problem war der Preis“, räumt Sawiris zerknirscht ein. Das ist umso bitterer, als Sawiris selbst sieht, dass es kaum noch „green fields“ zu erwerben gibt. In den nächsten zwei bis drei Jahren werde sich die Branche vielmehr konsolidieren, die Zuwachsraten in den aufsteigenden Märkten werden schrumpfen und eine Handvoll Global Player werde übrig bleiben. Doch Naguib Sawiris ist eine Kämpfernatur. „Von meinem Vater habe ich gelernt, nie aufzugeben“, sagt der Unternehmer, der hinter seinem Schreibtisch ein Ölporträt seines Vaters hängen hat. Der als Sohn eines Rechtsanwaltes in der oberägyptischen Kleinstadt Sohag geborene Onsi hat eine wechselvolle Geschichte hinter sich: Sein Bauunternehmen wurde unter Gamal Abdel Nasser verstaatlicht und er wich nach Libyen aus. Als er unter Revolutionsführer Gaddafi
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wieder alles verlor, fing Onsi in Ägypten noch einmal von vorne an. Der heutige Erfolg der Familie ist eng verknüpft mit der Geschichte der wirtschaftlichen Öffnung, die unter Präsident Anwar Sadat begann. Und so werden die beiden Hochhäuser des Unternehmens an der Corniche in Kairo, Nile City Towers oder auch „Orascom Towers“ genannt, bereits als neues Wahrzeichen der ägyptischen Hauptstadt gehandelt. Mächtig und doch kunstvoll, mit jeweils vier goldenen Kuppeln auf dem Dach, nachts wie antike Kunstwerke beleuchtet – und vor allem privat finanziert und modern. Sie machen dem Cairo Tower Konkurrenz, der sozialistischen Stahlkonstruktion in Lotusblütenform, die zum Symbol Kairos der Periode Gamal Abdel Nassers wurde. Auch in Naguib Sawiris’ Büro, das einen Stock über dem seines Vaters liegt, ist von sozialistischem Muff nichts zu spüren. Naguib zeigt auf die beiden gläsernen Wandlampen in Muschelform: „Die habe ich vom Flohmarkt in Paris.“ Sie hängen im Vorzimmer zu seinem Büro, passend zu den edel aufgearbeiteten Art-déco-Möbeln aus dunklem Holz und mit weißem Lederbezug. Selbst die silbernen Türgriffe, welche die dunklen Mahagoniholztüren schmücken, stammen original aus den 30er-Jahren. Nur der riesige Flachbildschirm, der wie ein Gemälde an der Wand hängt, zeugt davon, dass es in diesem Büro um moderne Kommunikationstechnik geht. Mit seiner Frau und den vier Kindern lebt Naguib im Penthouse einige Stockwerke höher – „damit bei einem Zwölfstundenarbeitstag noch Zeit für die Familie bleibt“. Doch Naguib ist nicht nur fleißig, sondern auch ausgesprochen ehrgeizig. „Ich wollte immer der Erste sein“, räumt der selbstbewusste Mann ein. Er hat an der Deutschen Evangelischen Oberschule (DEO) in Kairo, auf die Vater Onsi seine drei Söhne schickte, als einer der Jahrgangsbesten Abitur gemacht. Auch seine eigenen Kinder gehen auf die prestigeträchtige deutsche Schule, die Naguib für die beste
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des Landes hält. Später studierte er an der renommierten ETH in Zürich und in Berlin. „Für den deutschen Markt komme ich leider zu spät“, sagt Naguib lachend. Das hält ihn jedoch nicht davon ab, sich in Europa zu engagieren. So weit war es Mitte 2005. Mit dem Kauf des defizitären italienischen Mobilfunkanbieters Wind wollte Naguib Sawiris sein Unternehmen nicht nur „konsolidieren“, sondern auch einen Fuß in der Weltregion haben, in der neueste Technologien entwickelt werden. Innerhalb von wenigen Monaten konnte Sawiris beim drittgrößten Anbieter in Italien Erfolge vorweisen: Dank neuem Management schrieb das Unternehmen schnell schwarze Zahlen. „Wir haben 250 Millionen Dollar Investitionen gespart“, erklärte Wind-Finanzchef Hassan Abdou. Die Hälfte davon sei durch Preisreduzierungen bei existierenden Verträgen realisiert worden. Man habe die deutlich höheren Preise von Lieferanten für Wind mit denen von Orascom Telecom verglichen und den Lieferanten ein „Ultimatum“ gestellt – ein bewährter Schachzug in der Sawiris-Strategie. So geht einer vor, der weiß, wo er hin will: ins Endspiel der Telekombranche.
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Reliance – Ritt auf dem Tiger Von Oliver Müller, Neu-Delhi
Der Aufstieg von Firmen aus Südländern zu Weltkonzernen bedeutet einen Epochenbruch für die globale Wirtschaftsordnung. Mit was für einem Tempo sich dieser vollzieht, verdeutlich Reliance Industries Ltd. (RIL). Im Vergleich zu Konkurrenten wie BASF oder Dow Chemical ist Indiens größtes Privatunternehmen1 blutjung: Gegründet wurde es 1966 als familieneigener Textilhersteller. In Rekordzeit hat sich der Winzling in einen Petrochemieriesen verwandelt – und das in einem rohstoffarmen Land. Reliance fuhr im Geschäftsjahr 2006/2007 einen Umsatz von gut 25 Milliarden Dollar Umsatz und einen Reingewinn von 2,5 Milliarden Dollar ein. Das Unternehmen kommt für drei Prozent von Indiens Wirtschaftskraft auf, und ist mit zwölf Prozent aller Ausfuhren der mit Abstand größte Exporteur der Nation. Kostenvorteile, boomende Heimatmärkte und ungewöhnlicher Mut zum Risiko ließen Umsatz und Gewinn seit der Jahrtausendwende im Schnitt um rund ein Drittel pro Jahr steigen. Um dieses Expansionstempo zu halten, hat Reliance alleine im Jahr 2006 Investitionsprojekte für über 25 Milliarden Dollar in Angriff genommen – mehr als in den zurückliegenden 30 Jahren zusammen. „Growth is Life“ lautet das Firmenmotto – als sei exponentielles Wachstum ein Naturgesetz. Dabei wirkt in den Führungsetagen ein unbändiger Wille zu Größe und Markt-
1 Dieser Rang wird künftig Tata Steel gebühren, sobald die Integration von Corus vollständig vollzogen ist.
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macht. Nach außen manifestiert sich dieser besonders gut sichtbar auf einer Baustelle in Jamnagar, einem entlegenen Zipfel Westindiens am Golf von Kutch. Dort, im Bundesstaat Gujarat, wuchern endlose Betonskelette aus der Steppe. Daneben stapeln sich Röhren aller Durchmesser, und so weit das Auge reicht drehen sich Kräne über einem hunderttausendköpfigen Arbeiterheer. In Jamnagar investiert Reliance sechs Milliarden Dollar in ein pharaonisches Projekt: die Erweiterung eines Petrochemiekomplexes, der sich bereits heute über 30 Quadratkilometer erstreckt. Bis Ende 2008 soll dessen Verarbeitungskapazität auf 1,24 Millionen Barrel Rohöl am Tag verdoppelt werden. Dann besitzt Reliance die größte Raffinerie der Welt. Schon liegt Jamnagar auf Rang drei in der Rangliste der weltgrößten Raffinerien. Doch das ist genau zwei Nummern zu klein für Mukesh
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Ambanis Ambitionen. Nicht umsonst wird der RelianceChairman und -Mehrheitseigner Indiens „Mister Big“ genannt. In seinem Imperium hat alles Übergröße. Ambani führt Investitionssummen lässig im Mund, die anderen als Gigantomanie ausgelegt würden, für ihn aber lediglich außerordentliche Geschäftschancen widerspiegeln. „Nirgends können Sie so schnell so viele billige Techniker mobilisieren wie in Indien“, erläutert der mächtigste Tycoon der Nation das Kalkül hinter seinem Raffineriekomplex. Dessen Bau komme daher ein Drittel billiger als vergleichbare Werke im Westen. Auch der Betrieb kostet weniger, und der Rohstoff stammt aus der nahen Golfregion. An der Verarbeitung des Rohöls, das durch das Leitungslabyrinth in Jamnagar fließt, verdient Reliance daher fast ein Drittel mehr als westliche Konkurrenten, schätzen Analysten. Der hochmoderne Erweiterungsbau soll noch bessere Margen ermöglichen und ist komplett auf Exporte ausgelegt. Um Abnehmer für billiges Qualitätsbenzin „made in India“ ist Ambani angesichts seiner Kostenvorteile nicht bang. „In Europa und den USA werden Kunden Schlange stehen“, ist er sicher. Dort haben Konkurrenten seit Jahrzehnten keine großen Investitionen in Raffinerien mehr gewagt, und im Vergleich zu Jamnagar hinken die meisten Anlagen technisch hinterher. Nur eine Handvoll weltweit kann wie Reliance die schlechteste und daher billigste Rohölqualität zu Benzin verarbeiten, das selbst Kaliforniens strengen Abgasnormen genügt. Aber nicht nur mit Treibstoffen, auch mit Billigchemikalien und Kunststoff-Vorprodukten drängen die Inder auf den Weltmarkt. Ihre Kapazitäten dafür bauen sie ebenfalls massiv aus: Für drei Milliarden Dollar entstehen in Jamnagar ein großer Cracker und neue Chemiewerke. „Firmen wie die BASF müssen aufpassen“, warnt ein erfahrener deutscher Chemiemanager. Ihnen erwachse ein ernster neuer Rivale.
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In einer Nische hat sich der Konzern schon zum Weltmarktführer aufgeschwungen und ist zugleich technologisch Spitzenreiter geworden: bei Polyester. Das gelangt 2004 mit dem Kauf der Trevira GmbH, der ehemaligen Fasersparte der Hoechst AG. „Die Wachstumsmärkte der Petrochemie liegen in Asien“, umreißt Executive Director Nikhil Meswani die Akquisitionsstrategie seines Konzerns, „die Produktion verlagert sich auch unweigerlich hierher.“ Das erleichtere asiatischen Herstellern den Griff nach Weltmarktdominanz – aber nur, wenn sie schnell Herr ihrer eigenen Technologie würden. Ausschlaggebend für den Kauf der Tochter im hessischen Hattersheim waren daher Treviras Patente und ein exzellentes Entwicklungszentrum. Allerdings geben sich die Inder bei Übernahmen seitdem vorsichtig. Außerhalb der Heimat haben sie fast nur in Öl- und Gasfelder investiert. Doch Branchenkenner trauen ihnen spektakuläre Deals zu. Als 2005 mit Basell das Kunststoff-Joint-Venture von BASF und Shell zum Verkauf stand, schaute Ambani in die Bücher, bot aber wegen hoher Bewertungen nicht mit. Dann zeigte Reliance Interesse an General Electrics mit bis zu zehn Milliarden Dollar bewertetem Kunststoffgeschäft. Anfang 2007 kochte die Gerüchteküche erneut: Reliance-Manager wollten indischen Zeitungen zufolge Dow Chemical von einem Joint Venture im Wert von 20 Milliarden Dollar überzeugen. Darin sollte der US-Riese seine margenschwache Grundstoffchemikalien- und Kunststofffertigung einbringen, die dann sukzessive nach Jamnagar verlagert würden. Doch auch daraus wurde nichts. „Wir suchen kontinuierlich nach Kaufgelegenheiten, weltweit und in allen Sparten“, erklärt Ambani, „bei Kunststoffen wollen wir unter die ersten fünf der Welt, mindestens.“ Die industrielle Logik einer Großübernahme in Europa oder Amerika würde der ähneln, die Tata Steel zum Kauf von Corus bewogen hat: der Erwerb moderner Technologie und kundennaher Fertigungskapazitäten in reifen Märkten,
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deren Margen durch billige Vorprodukte aus Indien gesteigert werden können. Im Kleinen probiert Reliance dieses Modell mit Trevira aus: Die deutsche Tochter wird bald nur noch Spezialfasern herstellen, denn die Produktion von Massenprodukten wandert ins günstigere Indien. Finanziell könnte der Konzern milliardenschwere Akquisitionen „ohne Problem“ stemmen, beteuert Ambanis rechte Hand Meswani. Der Cousin des Chairmans verweist auf eine Marktkapitalisierung von über 40 Milliarden Dollar, eine Milliarde Dollar Barreserven und rund drei Milliarden Dollar freien Cashflow pro Jahr. Das Gros davon wirft die Raffinerie in Jamnagar ab, das Herzstück der Gruppe. Diese Geldmaschine finanziert eine Diversifizierung in immer neue Bereiche. Das Tempo ist halsbrecherisch, Skeptikern scheinen die Ziele vermessen. Geht die Strategie auf, werden neue Geschäftsfelder die Petrochemie bald in den Schatten stellen, die noch über 90 Prozent zum Ergebnis beisteuert. Die Goldgruben der Zukunft sieht Ambani in unterentwickelten Wirtschaftsbereichen, wo moderne Technik und massiver Kapitaleinsatz hohe Effizienzgewinne und damit Profite versprechen. Elf Milliarden Dollar steckt er in den Bau zweier komplett neuer Trabantenstädte vor den Toren Delhis und Bombays, ausgelegt für je 100 Quadratkilometer. Diese steuerbegünstigten Sonderwirtschaftszonen sollen fünf Millionen Menschen Arbeit bieten und Schanghais Boomviertel Pudong Konkurrenz machen. Ambani schweben Enklaven vor, wo die ärgsten Standortnachteile des Landes außer Kraft gesetzt werden, dank eigener Häfen, Flughäfen, Kraftwerke und weniger Bürokratie. „Wir schaffen Inseln exzellenter Infrastruktur“, umreißt der angehende Baulöwe seine Vision, „dann haben Nike oder Philips keinen Grund mehr, in China zu fertigen statt hier.“ Wie früher die Mogul-Kaiser möchte sich Indiens reichster Bürger als Städtebauer verewigen – und sich mit dem
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Verkauf von Gewerbeflächen und Wohnungen eine goldene Nase verdienen. In China würde der Staat solche industriepolitisch zentralen Megaprojekte auf den Weg bringen. Dass es in Indien ein freier Unternehmer tut, ist bezeichnend für das privatwirtschaftlich getriebene Entwicklungsmodell des Landes. Allerdings hat selbst ein Geschäftsmann von Ambanis außerordentlichem Einfluss mit den politischen Unwägbarkeiten der größten Demokratie der Welt zu kämpfen: Politiker sind den Megaprojekten zwar gewogen, doch sie fürchten den Zorn der Wähler. Angesichts wachsenden Widerstands von Bauern gegen die Enteignung ihres Landes könnte Reliance gezwungen sein, die Größe seiner Sonderwirtschaftszonen stark herunterzuschrauben. Noch enthusiastischer redet Ambani von einem anderen Plan: Er will den fragmentierten und archaischen Einzelhandel seines Landes revolutionieren, der zu 97 Prozent auf Basaren, in Tante-Emma-Läden und von fliegenden Händlern abgewickelt wird. „Die Jagd nach den Konsumwünschen der Inder“ definiert der Steuermann als stärksten neuen Wachstumsmotor seines Konzerns. Eckstein dafür ist der Aufbau einer landesweiten Supermarktkette, den sich Reliance sechs Milliarden Dollar kosten lässt. Die ersten Läden wurden Ende 2006 eröffnet, seitdem kommen fast täglich neue hinzu. Bis 2010 will die Sparte in 1500 Städten präsent sein, eine halbe Million Mitarbeiter einstellen, zehn Millionen Quadratmeter Ladenfläche errichten und darauf 25 Milliarden Dollar umsetzen. Mit diesem Vorstoß will der Unternehmer ein bewährtes Erfolgsrezept wiederholen: „Wir sind bekannt dafür, Märkte durch radikale Paradigmenwechsel aufzurollen“, erklärt er. Angst vor dem Verlust des unternehmerischen Fokus angesichts der Diversifikation in so viele unterschiedliche Richtungen kennt Ambani nicht: „Wir bleiben doch nur unserer Kernkompetenz treu“, wischt er Bedenken vom Tisch, „dem Aufbau neuer Sparten aus dem Nichts.“ Bislang
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wurde die Strategie von Erfolg gekrönt: Der Bau der Raffinerie in Jamnagar – ohne jede Erfahrung in dem Bereich – machte Reliance in den 90er-Jahren aus dem Stand zu Indiens führendem Petrochemie-Player und stellte die Weichen für die Zukunft des Konzerns neu. Mukesh Ambani war für die Umsetzung verantwortlich. Der Nachwuchsmanager hämmerte das Mammutprojekt in der Rekordzeit von drei Jahren durch, hielt den Kostenrahmen strikt ein – und empfahl sich damit als Nachfolger seines Vaters Dhirubhai an der Spitze des Konzerns. Erwachsen war die Idee zu einer Raffinerie aus dem Drang des Gründers zu lückenloser vertikaler Integration. Dhirubhai Ambani fing seine Unternehmerkarriere als Händler von Polyestergarn an. Bald wob er dieses zu Stoff, dann spann er auch Garn, später stellte er Polyester selbst her und schließlich die Grundchemikalien dafür. Die Textilsparte spielt wegen des schnellen Wachstums der anderen Bereiche heute zwar fast keine Rolle mehr. Aber Mukesh bleibt der Strategie des Vaters treu: Um sich günstigen und stabilen Zugang zu Rohstoffen zu sichern, hat er die nun dominante Petrochemie vom Bohrloch bis zur Tankstelle vertikal integriert. Ein riskanter Vorstoß in die Öl- und Gassuche wurde mit riesigen Funden im Golf von Bengalen belohnt, die Indiens Gasförderung nach dem Produktionsstart 2008 verdoppeln dürften. Bis 2010 soll die junge Explorationssparte schon 15 bis 20 Prozent zum Umsatz der Gruppe beitragen und deren Fabriken und Tankstellennetz mitversorgen. Auch sie verschlingt riesige Investitionen: Mehr als fünf Milliarden Dollar steckt der Konzern in die Förderinfrastruktur im Ozean vor Indiens Ostküste. Vier Milliarden Dollar lässt sich Reliance den Bau einer Pipeline von dort quer durchs Land bis Jamnagar kosten. Bei den Ambanis sind allerdings nicht nur Ehrgeiz und Erfolge überdimensioniert, sondern auch Egos und Skandale. Reliance polarisiert Kritiker und Verehrer wie kein anderes
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Unternehmen in Indien, und der Eigentümerclan provoziert entweder Bewunderung oder Ablehnung, angefangen mit dem Gründer Dhirubhai. Der Mann, der den Konzern aus dem Nichts schuf, stammte aus einfachen Verhältnissen: „Indiens Rockefeller“ war Sohn eines Dorfschullehrers und begann ganz klein, als Tankstellenwärter. Willenskraft, Mut zu Großprojekten und Geschick beim Zurechtbiegen der Regeln machten ihn zu Indiens bekanntestem Unternehmer. Dhirubhai stürzte Indien ins Börsenfieber, er baute als erster Tycoon eine loyale Gefolgschaft von Kleinaktionären auf, die heute auf drei Millionen angeschwollen ist. Der Patriarch galt aber auch als begnadeter Manipulierer, der seiner Firma vorteilhafte Regulierungsbedingungen sicherte, auf Kosten von Konkurrenten und Konsumenten. Dhirubhai konnte sich Gesetze maßschneidern lassen, und Reliance wird bis heute von vielen Indern als der politisch am besten verdrahtete Konzern der Nation gesehen. Für Verteidiger des Gründers war Strippenzieherei der einzige Weg, in Indiens sozialistischer Phase ein Start-up hochzupäppeln, noch dazu gegen alte Familienoligopole mit Namen wie Tata, Birla, Godrej oder Bajaj. Für seine Bewunderer bewegte sich Ambani in denselben Grauzonen wie alle Kapitalisten zu seiner Zeit. Er spielte das Spiel um politische Gunst und wirtschaftliche Macht nur virtuoser und rücksichtsloser als andere. Doch bald nach dem Tod des Ausnahmeunternehmers 2002 trat die dunkle Seite seines Imperiums zutage: Anleger waren tief besorgt und Pessimisten sahen den Konzern in seiner Existenz bedroht, als zwischen den zwei Söhnen ein erbitterter Streit um das Erbe ausbrach. Diese Krise veranschaulicht die Risiken von Familiendominanz, die für viele neue Herausforderer aus Schwellenländern typisch ist. Ihren brutalen Kampf um die Macht führten die Brüder mit harten Schlägen unter die Gürtellinie. Die Nation nahm fasziniert Anteil an dem Familiendrama, das monatelang alle Medien dominierte. Nachrichten-
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sendungen mit spektakulären Enthüllungen übertrafen die Einschaltquoten der populärsten Seifenopern. Denn plötzlich traten dank gezielter Indiskretionen Horrorgeschichten von Vetternwirtschaft und Einflussnahme zutage, über die in Indien schon immer geraunt wurde. Aber solange die Familie zusammenhielt, sorgte ihre Macht dafür, dass öffentlich Schweigen herrschte – und die Behörden nicht ermittelten. Nun deckte die Presse schwere CorporateGovernance-Verstöße und unheilige Allianzen mit Spitzenpolitikern auf. Unter öffentlichem Druck musste Mukesh Ambani zum Beispiel einen privaten Anteil von zwölf Prozent an der Telekomsparte zurückgeben, den er sich weit unter Wert angeeignet hatte. Er und sein ein Jahr jüngerer Bruder Anil umschifften den Abgrund. Sie teilten Reliance 2005 einvernehmlich untereinander auf. Anil erhielt die jungen, boomenden Dienstleistungssparten Mobilfunk, Stromversorgung und Finanzdienste. Mukesh behielt die Petrochemie, den bewährten Goldesel. Im Nachhinein erweist sich die Spaltung des unförmig gewordenen Konglomerats als Initialzündung für viele Großprojekte. Sie verlieh den divergierenden Sparten neue Vitalität und hob versteckte Unternehmenswerte. Dhirubhais Erben und die Koaktionäre ihrer Firmen wurden durch die Trennung nicht ärmer, im Gegenteil: Dank Reliances explodierendem Börsenkurs verdoppelte sich Mukeshs Vermögen im ersten Jahr nach der Abspaltung auf 20 Milliarden Dollar. Das hievte ihn auf Rang 14 von Forbes Liste der reichsten Menschen. Anil verdreifachte seinen Reichtum in derselben Zeit sogar auf 18 Milliarden Dollar. Das bedeutet Platz 18 des Forbes-Rankings. In der öffentlich geführten Schlammschlacht ging den Ambanis jedoch die Aura der Unantastbarkeit verloren. Sie müssen sich fortan stärker an Spielregeln halten, weil sie von Medien, Aktionären und Behörden genauer unter die Lupe genommen werden. „Was gut ist für Indien, ist gut für
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Reliance und anders herum“, mit diesem Motto stellt die Familie seit Dhirubhais Tagen die Interessen von Nation und Firma als deckungsgleich dar. Aber auf den in Indien sprichwörtlich gewordenen „Ambani-Faktor“ können Mukesh und Anil nicht nur wegen des Trennungsskandals weniger vertrauen als ihr Vater. Die Liberalisierung der indischen Wirtschaft bringt Politiker um Einfluss zugunsten von Regulierern und Konsumenten. Außerdem muss sich Reliance auf dem Weg zum Global Player internationalen Gepflogenheiten stellen. Seit der Spaltung wetteifern die Brüder mit lautereren Mitteln darum, wer den Unternehmergeist ihres Übervaters am besten verkörpert. Für keinen ist es leicht, aus dem Schatten einer Legende zu treten, deren Portrait unübersehbar in allen Reliance-Gebäuden prangt. Doch die Rollen sind sauber verteilt: Mukesh ist der medienscheue, konservative Familienmann, der loyale Sohn, das nüchterne Arbeitstier. Der 49-Jährige tritt in klassischen schwarzen Anzügen auf, ist höchst zurückhaltend und hat das Standing des Vaters geerbt: Das Wochenmagazin India Today kürte den dreifachen Vater zweimal in Folge zum mächtigsten Mann des Landes, weit vor dem Premierminister. Anil ist in Meinungsumfragen beliebter, vor allem bei der Jugend. Er gibt den extrovertierten Rebell, der das Rampenlicht liebt, im Glamour von Bombays Filmwelt badet und am liebsten hemdsärmelig vor die Kameras tritt. Der Vegetarier und religiöse Hindu ist anders als sein fülliger Bruder ein gertenschlanker Fitnessfanatiker, der täglich durch Bombays Straßenschluchten joggt, zur Freude der Paparazzi. Statt in wuchtige Raffinerien investiert Anil in Branchen mit mehr Sex-Appeal: Er kauft Bollywoodstudios, baut Radiound Fernsehstationen auf und will es zu einem Medienmogul bringen. Indiens Wirtschaftsboom hat eine Explosion unternehmerischer Energie ausgelöst und lässt die Ambitionen vieler
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Familienfirmen ins Grenzenlose wachsen. Aber die Ambanis denken größer und investieren wagemutiger als andere Clans. Doch eines Risikos bleibt sich der Unternehmer bewusst: In Schwellenländern wandeln sich Märkte so schnell, dass mühsam errungene Dominanz über Nacht wieder verpuffen kann. Reliance beim Sturmlauf unter die größten Firmen der Welt zu führen vergleicht Ambani mit dem Ritt auf einem Tiger: „Sobald du dich entspannst, wirft er dich ab.“
Die neuen Rohstoffriesen
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Profiteure der Globalisierung Von Joachim Dorfs
Die neuen Rohstoffriesen nehmen in diesem Buch eine Sonderstellung ein. Denn praktisch alle der vorgestellten Unternehmen sind nicht mehr auf dem Sprung an die Weltmarktspitze – sie sind schon längst dort angekommen. Ein Unternehmen wie Gazprom lässt mit seiner gigantischen Börsenkapitalisierung von rund 250 Milliarden Dollar selbst etablierte Westkonzerne wie Zwerge erscheinen. Zum Vergleich: Der deutsche Bank-Champion, die Deutsche Bank, kommt auf noch nicht einmal 60 Milliarden Euro. Sie sind auch nicht so stark eigentümerdominiert wie die meisten anderen der neuen Weltkonzerne. Das liegt vor allem an der strategischen Bedeutung, die Rohstoffe inzwischen erlangt haben. Insofern behält sich der Staat – in unserem Fall meist Russland – es vor, mehr oder weniger direkt Einfluss auf die unternehmerischen Entscheidungen der Führung zu nehmen. Insofern sind es auch weniger die brillanten Innovatoren, die an der Spitze dieser Konzerne stehen, sondern eher die zupackenden, raubeinigen Haudegen. Mehr noch als bei anderen Firmen sind an der Spitze der Rohstoffriesen Ellbogen und gute politische Kontakte gefragt. Rohstoffe sind endlich – zwar nicht sofort, aber prinzipiell. Wer sie kontrolliert, kontrolliert langfristig auch gute Teile der Wirtschaft auf diesem Planeten. Und es sind
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vor allem jene berühmt-berüchtigten Oligarchen, die sich in den vergangenen Jahren in Russland nicht nur den Einfluss auf Gas und Öl, sondern auch auf Aluminium, Nickel, Kupfer und andere Rohstoffe gesichert haben und auf diese Weise zu sagenhaftem Reichtum gelangt sind. Trotz dieser Sonderstellung haben die Rohstoffriesen ihren Platz in diesem Buch, denn stärker und schneller noch als bei den anderen neuen Weltkonzernen spüren wir ihre aufkommende Macht. Das gilt besonders für den „blauen Riesen“ Gazprom, der in den vergangenen Jahren stets zur Weihnachtszeit seine Muskeln zeigte und seinen Kunden in der Ukraine und Weißrussland mit der Einstellung der Gaslieferungen drohte, sollten sie nicht bereit sein, drastisch höhere Preise zu akzeptieren. Zwar zahlen deutsche Endkunden schon heute ein Vielfaches der Abnehmer in den russischen Anrainerländern, doch löst solch rustikale Geschäftspolitik auch hierzulande Sorgen aus. Die Rohstoffriesen sind nicht die Treiber der Globalisierung und haben sie auch nicht ausgelöst. Aber sie profitieren davon. Denn die Wirtschaften in den Schwellenländern sind so erfolgreich, dass sie einen gigantischen Nachfrageschub ausgelöst haben. Mit dauerhaften Wachstumsraten von rund zehn Prozent in China und etwa sieben Prozent in Indien hat sich die Weltwirtschaft in den vergangenen zwei Jahrzehnten dramatisch verändert. Wenn es etwas gibt, das den Aufstieg besonders dieser beiden Nationen ernsthaft gefährdet, dann der Mangel an Energie und Rohstoffen. Insofern hat inzwischen ein weltweiter Wettlauf um Ressourcen eingesetzt. Vor allem für Indien und China gilt: Gefragt ist, was Erfolg bringt. Das Aufkaufen von ganzen Regionen in Südamerika oder Afrika nebst der Einrichtung einer komplett neuen Infrastruktur wie Straßen und Häfen, die Unterzeichnung von Abkommen zur Lieferung von Atomtechnologie, die systematische Verbesserung von politischen Beziehungen in die rohstoffreichen Länder. „Wo
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auch immer wir hinkommen auf der Welt – oft waren die Politiker anderer Länder schon da, die sich Rohstoffe auf Jahre hinaus gesichert haben“, stellte Bundeskanzlerin Angela Merkel im Frühjahr 2007 frustriert fest. Die Rohstoffriesen gehören zu den größten Nutznießern dieser Entwicklung. Bis zum Aufkommen der potenziellen wirtschaftlichen Supermächte Indien und China galten Rohstoffe als langweilig. Die Preisentwicklung der Terminkontrakte für Aluminium und Nickel wurden im Westen lange Zeit mit dem gleichen Interesse beobachtet wie die von Schweinebäuchen und Orangensaft. Die eigentliche Wertschöpfung besorgten die Industrien, die die Rohstoffe verarbeiten. Der nicht enden wollende Boom in den Schwellenländern hat damit wohl ein für alle Mal Schluss gemacht. Nach Einschätzung des Internationalen Währungsfonds und der Weltbank wächst die globale Wirtschaft seit 2006 so stark wie seit 30 Jahren nicht mehr. Doch während früher vor allem die USA für das weltweite Wachstum sorgten, verteilt sich dies nach den Beobachtungen der Washingtoner Institute immer stärker auch auf die Schwellenländer. Gut zu sehen ist dieser Megatrend am Goldman Sachs Commodity Index, der die Preisentwicklung bei diversen Rohstoffen nachzeichnet. Der Index hat sich zwischen 1998 und 2006 mehr als verdreifacht. Allein zwischen 2003 und 2006 sind die Preise dem Rohstoffindex des Hamburgischen Welt-Wirtschafts-Archives (HWWA) zufolge um 80 Prozent gestiegen, in einzelnen Teilbereichen wie Eisenerz sogar noch wesentlich stärker. Und selbst wenn es Stimmen gibt, die den Markt für komplett überhitzt halten: Auf die Niveaus Anfang der 90er-Jahre des vergangenen Jahrhunderts werden wir nicht mehr zurückfallen. Die deutsche Industrie hat diese Entwicklung nach Einschätzung des Dachverbands BDI zwischen 2002 und Anfang 2007 rund 90 Milliarden
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Euro gekostet – Geld, das in den Kassen der neuen Rohstoffriesen gelandet ist. Genau daraus entsteht die unwahrscheinliche Kraft der hier vorgestellten Unternehmen: Sie profitieren so stark wie nur wenige andere Konzerne vom weltweiten wirtschaftlichen Aufschwung. Und sie nutzen diese neue wirtschaftliche Kraft zur Expansion ins Ausland, was die internationalen Verflechtungen wiederum noch enger werden lässt. Auch hier spielt Gazprom eine Vorreiterrolle mit dem Versuch, eine direkte Lieferbeziehung zu westeuropäischen Gaskunden zu etablieren und die lästigen Zwischenhändler – Westkonzerne und Stadtwerke – auszuschalten. Ein Ende der Rohstoffknappheit ist nicht abzusehen. Experten schätzen, dass sich angesichts der weiterhin günstigen Wirtschaftsaussichten vor allem für Indien und China die Rohstoffnachfrage innerhalb der nächsten 30 Jahre noch einmal verdoppeln wird. China ist bereits heute der größte Rohstoffimporteur der Welt. Insofern wird die Macht der Rohstoffriesen auch nicht abnehmen. Im Gegenteil. Es spricht vieles dafür, dass wir erst den Anfang erleben.
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Gazprom – Der blaue Riese Von Mathias Brüggmann, Moskau
72 Stockwerke hoch, 396 Meter in den Himmel ragend, 200 000 Quadratmeter Bürofläche umfassend, zwei Milliarden Dollar teuer. So stellt sich Gazprom-Chef Alexej Miller die „Geburtsstunde einer neuen Petersburger Mentalität“ vor. Der Tower der Öltochter Gazprom Neft soll den Geltungsanspruch von Russlands größtem Konzern untermauern. Egal, was die UNESCO sagt, die der russischen OstseeMetropole mit dem Entzug des „Weltkulturerbe“-Status droht. Selbst die städtebaulichen Vorschriften des Zaren Peter der Große gelten nicht mehr, wenn es um Russlands Vorzeigekonzern geht. Denn heute gilt mehr denn je: „Was gut ist für Gazprom, ist gut für Russland.“ Für den Energieriesen ist nur der Himmel die Grenze: Gazprom soll das wertvollste Unternehmen der Welt werden. Mit einer Börsenbewertung von rund 250 Milliarden Dollar war die Gruppe Anfang 2007 schon sehr nah dran: Europas teuerste Konzerne – die Mineralölmultis BP und Royal Dutch Shell – haben die Russen bereits hinter sich gelassen. Deutlich wertvoller sind in der Welt nur noch die US-Schwergewichte Microsoft, General Electric und ExxonMobil. Nach den Plänen von Aufsichtsratschef Dmitrij Medwedjew, Russlands Vizepremier auf dem Sprung ins Präsidentenamt, ist das Überholmanöver nur noch eine Frage der Zeit. Medwedjews Ziel: Bis zum Jahr 2010 soll Gazprom eine Billion Dollar wert sein. Sollte Gazprom das gelingen, würde das auch die deutsche E.ON Ruhrgas freuen: Ihre Beteiligung von inzwischen 6,5 Prozent, die sie in den 90er-Jahren sukzessive gekauft hat, wäre dann 65 Milliarden Dollar wert.
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Millers Strategie, um dieses Ziel zu erreichen, ist so einfach wie imposant: Gazprom soll „zum weltweit führenden, vertikal integrierten Energiekonzern“ werden, wie er vor dem leuchtenden Riesenglobus in seinem mit dunklem Holz getäfelten Besprechungszimmer in der Unternehmenszentrale an der Namjotkina-Straße im Süden der Hauptstadt erzählt. „Wir wollen die gesamte transnationale Wertschöpfungskette vom Bohrloch über die Pipelines und die Stromerzeugung bis zum Endverbraucher kontrollieren.“ Seit Miller im Mai 2001 mit damals gerade 39 Jahren das Erbe des ersten Gazprom-Chefs und späteren Premierministers Wiktor Tschernomyrdin und dessen Nachfolger Rem Wjachirew an der Konzernspitze antrat, hat der Manager mit latent rötlicher Gesichtsfarbe seine Muskeln gezeigt: Er holte das zurück ins Unternehmen, was seine Vorgänger zuvor in private Hände hatten entgleiten lassen – zehn Pro-
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zent der gesamten Gazprom-Vorräte waren seinerzeit über dubiose Tochterfirmen aus dem Konzern ausgegliedert worden. Miller, der früher blass und scheu wirkte und den Weggefährten schon mal als „antriebsarm“ charakterisierten, hat das Ruder radikal herumgerissen. Unter seiner Regie hat sich einerseits der Börsenwert innerhalb von sechs Jahren verfünfundzwanzigfacht und andererseits hat der russische Staat seine Anteile auf über 50 Prozent erhöht und damit wieder die Macht bei Gazprom übernommen. Das ist kein Wunder: Der Zeichner der Blaupause für den Konzernumbau ist der russische Präsident Wladimir Putin. Der hat in seiner Dissertation (Titel: „Strategisches Planen der Erneuerung der regionalen Rohstoffbasis unter der Bildung von Marktbedingungen“) zum Doktor der Volkswirtschaft 1997 – und damit drei Jahre vor dem Erklimmen des Zarenthrons im Kreml – die staatliche Förderung zur Bildung von aus Russland stammenden internationalen Champions gepredigt. Schon damals forderte er, russische Großkonzerne müssten westlichen Wettbewerbern die Stirn bieten. Das politische Ziel des Staatsunternehmertums schob Putin 1999 im Aufsatz „Probleme des Energiekomplexes“ nach: Russlands Rohstoffe seien „die Hauptreserve, um das Land in naher Zukunft in eine wirtschaftliche Großmacht zu verwandeln“. Und nirgends sonst hat Russland solch eine Vormachtstellung wie beim Erdgas: Ein Fünftel der weltweiten Vorkommen liegt unter dem Permafrost Sibiriens. Gazprom allein verfügt schon heute mit 106,6 Milliarden Barrel Öläquivalent (boe – einer Recheneinheit, die Erdöl- und Erdgasreserven zusammenführt) über eine fünfmal so große Rohstoffbasis wie der US-Multi ExxonMobil. Über größere Energiereserven als Gazprom verfügen lediglich ganze Länder wie Saudi-Arabien (263 Milliarden boe) und Iran (133 Milliarden boe). Miller hat zur Umsetzung der Putinblaupause seinem Unternehmen nicht nur den privaten russischen Ölförderer
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Sibneft des Multimilliardärs und FC-Chelsea-Eigners Roman Abramowitsch einverleibt und in Gazprom Neft umgetauft. Schon heute kontrolliert Gazprom als Schwert und Schild des Kreml alle Gasexporte aus Russland. Binnen weniger Jahre „will Gazprom auch die gesamte Gasförderung des Landes kontrollieren“, meint Ilja Solowjow vom Moskauer Institut für natürliche Monopole. Schon jetzt hat sich das Unternehmen Anteile an den bisher unabhängigen Erdgasproduzenten ITERA, Nordgas und Novatek gesichert. Um weiter zu expandieren, werden selbst Gesetze bis an die Grenze der Belastbarkeit strapaziert. Auf der russischen Pazifik-Insel Sachalin etwa, im äußersten Fernen Osten, hatte der britisch-niederländische Multi Royal Dutch Shell das Flüssiggas-Megaprojekt Sachalin-2 mit zwei japanischen Unternehmen entwickelt und geführt. Doch Shell hat nach einer monatelangen Kampagne von Umweltbehörden, staatlichen Aufsichtsorganen und Steuerämtern 51 Prozent der bis dahin größten Auslandsinvestition in Russland Ende 2006 an Gazprom übertragen – zu einem Preis, den viele für zu niedrig hielten. Gazprom weitete sein Gasexportmonopol so auch noch auf die Ausfuhr von verflüssigtem Erdgas aus. Und Anfang 2007 sicherte sich Gazprom bei einer umstrittenen Zwangsversteigerung einige Unternehmensteile des vom Kreml in den Bankrott geführten YUKOS-Ölkonzerns. Nach Sachalin-2 will sich Gazprom auch das Gasfeld Kovykta des britisch-russischen Joint Ventures TNK-BP unter den Nagel reißen. Denn laut dem Analysten Dmitrij Zaregorodzew von der Investmentgesellschaft FIM Invest „kauft Gazprom lieber andere Gasförderer auf, statt in weitere Erkundungen und Förderausweitung zu investieren“. Neben dem Ausbau der Ölsparte Gazprom Neft ist der Einstieg bei russischen Stromerzeugern eine weitere Wachstumsachse: So besitzt Gazprom Aktien des staatlichen Strommonopolisten UES und eine Sperrminorität bei deren Hauptstadttochter Mosenergo. Und selbst der Atomanla-
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genhersteller, der das umstrittene Kernkraftwerk im iranischen Bushehr baut, gehört zum Gazprom-Imperium. Der Westen verfolgt die Expansion des Gasriesen mit einer Mischung aus Furcht und Bewunderung, hält sich aber mit Kritik weitgehend zurück. Lediglich eine Stoßrichtung der Expansion Gazproms erregt in Westeuropa offenes Misstrauen: das Vordringen der Moskauer auf die internationalen Märkte und der Aufbau eigener Kundenkontakte. Zu diesem Zweck sind die Russen in Deutschland etwa bei der ostdeutschen Verbundnetzgas oder bei E.ONs osteuropäischen Stromerzeugern eingestiegen und haben mit der BASF-Tochter Wintershall das Gemeinschaftsunternehmen WINGAS gegründet. Auch in Frankreich, Italien, den Niederlanden sowie in Algerien, Lateinamerika oder Ägypten sind die Russen inzwischen präsent. Aus Sorge vor zu großer Abhängigkeit wollen die Europäer diesem Teil der Expansion nicht tatenlos zusehen und rollen den Russen bei der geplanten Akquisitionstour Steine in den Weg, wo sie nur können. Umgekehrt beharrt das „Kohlenwasserstoffmonstrum“ (so die Moskauer Zeitschrift Profil) just auf dem direkten Kundenkontakt, denn eine Lieferung frei Haus verspricht ungleich höhere Margen. Heute noch muss Miller seinen Brennstoff an Russlands Außengrenze abliefern – zu Preisen, die nur ein Drittel des Endverbraucherpreises betragen. Deshalb drohte der Konzernchef schon einmal unverhohlen: Sollte Europa Gazproms Expansion vereiteln, werde seine Firma verstärkt ihr Erdgas nach China liefern. Geld für die weltweite Einkaufstour ist dank der derzeitigen Rohstoffhausse ausreichend vorhanden und westliche Banken stehen bei Gazprom Schlange, um Moskaus Vorzeigekonzern Kredite anzubieten. Oder, wie Aufsichtsratschef Medwedjew betont: „Gazprom kann so viele Kredite bekommen, wie wir benötigen.“ Doch die Macht nach außen geht einher mit einer Schwäche nach innen: Der blaue Riese – blau brennt Gaz-
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proms Erdgas und sowjet- oder knappenblau sind auch die Trikots der von ihm gesponserten Fußballklubs Zenit St. Petersburg und Schalke 04 – fördert sein Erdgas deutlich teurer als seine noch vorhandenen russischen Rivalen. So ist die Umsatzrendite des „Davids“ Nordgas mehr als zehnmal so hoch wie die des „Goliaths“ Gazprom. Dass Gazprom oftmals ineffizient und teuer arbeitet, lässt nach Einschätzung von Beobachtern auf Korruption schließen. Dem Investmentfonds und Gazprom-Aktionär Hermitage Capital zufolge lag der Baupreis für die Blue-Stream-Pipeline, mit der Erdgas durch das Schwarze Meer in die Türkei gepumpt wird, auf russischer Seite bei 2,95 Millionen Dollar pro Kilometer. Auf der türkischen Seite kamen Verantwortliche schon bei einem Baupreis von 1,35 Millionen Dollar pro Kilometer wegen Korruption ins Gefängnis. „Bei der Auftragsvergabe wird so viel abgezweigt wie nie zuvor“, berichtet ein langjähriger Lieferant des Unternehmens. Bezahlt werde zudem oftmals mit Wechseln, die oft nur mit gewaltigen Abschlägen bei der hauseigenen Gazprombank umgerubelt werden könnten. Ein anderer Grund für die mangelnde Effizienz ist die fehlende Fokussierung: Der Gemischtwarenladen Gazprom hält Beteiligungen für 14 Milliarden Dollar, die nicht zum Kerngeschäft gehören. So finden sich im Gazprom-Reich auch Russlands größtes Medienimperium bei der Gazprombank, eine Porzellanfabrik, eine eigene Fluglinie, Hühnerfarmen, Erholungsheime und Wodkadestillen. Während der Konzern mit seinem Erdgas angesichts der weltweit steigenden Nachfrage hohe Gewinne einfährt, leistet sich Gazprom Verluste im dreistelligen Millionen-Dollar-Bereich in den Randaktivitäten, in denen mehr als ein Drittel der insgesamt knapp 400 000 Beschäftigten arbeiten. „Die Regierung zwingt Staatsunternehmen zu gewaltigen und riskanten Projekten und lässt diese mit immer höheren Unternehmensschulden bezahlen“, moniert die Ratingagentur Standard & Poor’s.
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Dafür hat die Gazprom einen kleinen Kreis ausgewählter privater Großaktionäre außerordentlich reich gemacht: So erzählt der Duma-Abgeordnete und Bankier Alexander Lebedew freimütig, er habe die Grundlage seines inzwischen milliardenschweren Banken- und Immobilienimperiums NRB (Nationalnyj Reservnyj Bank) durch GazpromAktien geschaffen. Neben dem früheren KGB-Residenten in London gilt auch Suleiman Kerimow als Gazprom-Großaktionär: Seine Investmentholding GNK hält 4,5 Prozent am Gasriesen. Die Moskauer Wirtschaftszeitschrift Finans taxierte Kerimow Anfang 2007 auf ein Privatvermögen von zwölf Milliarden Dollar. Gazprom hat ihn zum reichsten Volksvertreter Russlands gemacht. Trotz des stark gestiegenen Aktienkurses sind nicht alle Anteilseigner glücklich mit ihrer Gazprom-Beteiligung. Zwar gibt es inzwischen einen regelmäßig tagenden Aufsichtsrat und eine Investor-Relations-Abteilung. Doch zwei Aufseher etwa klagen, „dass wichtige Entscheidungen an diesem höchsten Gremium vorbei gefällt werden“. Nach Einschätzung der Soziologin Olga Kryschtanowskaja, liegt das daran, dass die wesentlichen Entscheidungen zu Gazprom direkt von Präsident Putin getroffen werden. Gazprom sei inzwischen wieder ein „Instrument der Regierungspolitik“, sagt auch Jonathan Stern vom Oxford Institute for Energy Studies. Aus der Ferne urteilt auch die New York Times, Gazprom sei „das Vorzeigemodell des neuen russischen Staatskapitalismus“ und „das Zentrum der russischen Außenpolitik“. Und Gazprom steht dabei nicht allein. 40 Prozent der russischen Industrieproduktion kontrolliere der Kreml heute bereits, rechnet Sergej Gujew vor, Professor an der Neuen Ökonomischen Hochschule in Moskau. 26 Topbeamte des Kreml, die in zwölf Aufsichtsräten den Vorsitz haben und in 36 weiteren Unternehmen als einfache Aufseher präsent sind, kontrollieren das Firmengeflecht des Staates. Und
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wenn Kremlherr Putin sein Zepter schwingt und über die Energieweltmacht Russland spricht, dann blitzt dabei Gazprom als Kronjuwel auf. Nur eines kratzt am Glanz dieses Prunkstücks aus der Rüstkammer des Kreml: Der Gasriese müsste nach Berechnungen der Internationalen Energieagentur und von Wladimir Milow vom Moskauer Institut für Energiepolitik mehr Gas fördern, um all seine Verpflichtungen zu erfüllen. Es seien 100 Milliarden Kubikmeter mehr Erdgas mit Langfristlieferverträgen kontrahiert worden als real zur Verfügung stünden, sagt Milow für 2010 voraus. Denn Gazprom habe in den vergangenen 15 Jahren nicht genug in die Erschließung neuer Quellen gesteckt und die Supergiganten genannten sibirischen Gasfelder gingen immer mehr zur Neige. Gazproms Förderung ist laut Milow seit Putins Amtsantritt 2000 nur um fünf Prozent gestiegen, während die privaten Produzenten ihren Ausstoß mehr als verdoppeln konnten. „War es das, weshalb wir all die schweren Reformen gemacht haben?“, fragt der Ex-Wirtschaftsminister und heutige Professor an der marktwirtschaftlichen Moskauer Higher School of Economics, Jewgenij Jassin, im Hinblick auf Gazprom. Und er fügt hinzu: „Das ist wieder wie eine kleine Sowjetunion.“
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Rusal – Aluminium für die Welt Von Thomas Wiede, Moskau
Aus über 100 Meter Höhe stürzen die Fluten des Jenissej die Staumauer des Wasserkraftwerks Krasnojarsk hinab. In seinen Turbinen erzeugen sie im Jahr sechs Millionen Kilowatt Strom. Hier, eine Stunde Autofahrt von der sibirischen Großstadt entfernt, steht der Motor für die zweitgrößte Aluminiumhütte der Welt: 15 000 Kilowattstunden sind nötig, um eine Tonne Aluminium zu erzeugen – vor allem mit dem billigen Strom aus dem Wasserkraftwerk kann der größte Aluminiumproduzent der Welt, United Company Rusal, die Produktion im fernen Sibirien aufrechterhalten. Solange die Wasser des Jenissej zu günstigen Konditionen für Rusal fließen, verschaffen sie dem Konzern einen schwer zu knackenden Wettbewerbsvorteil gegenüber seinen Konkurrenten. Im harten Kampf um Marktanteile hat das Management zudem eine klare Marschrichtung ausgegeben: Rusal soll sich vom Aluschmelzer zum Metall- und Energiekonzern wandeln und neue Sektoren erobern. Die Vision des Managements hat recht klare Formen: ein russisches Pendant zum australisch-britischen Rohstoffkonzern BHP Billiton. Damit, so glaubt Oleg Deripaska, der 66 Prozent der Anteile des Weltmarktführers hält, lässt sich die Position an der Spitze gegen die Wettbewerber aus dem Westen – vor allem Alcan und Alcoa – ausbauen. Wirklich überraschend kam der Sprung an die Weltspitze für die Moskauer Geschäftswelt nicht: Im August 2006 kündigten Rusal und der etwas kleinere russische Konkurrent SUAL an, sich zusammenschließen zu wollen. Da liefen die Gespräche bereits über zweieinhalb Jahre. Bis zum Voll-
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zug der Fusion im März 2007 gingen weitere Monate ins Land. Wie so oft bei russischen Zusammenschlüssen rieben sich die Eigentümercharaktere: auf der einen Seite der Rusal-Gründer Deripaska, auf der anderen die SUAL-Großaktionäre Wiktor Wekselberg und Len Blawatnik. Schnell prallen in solchen Konstellationen die Egos aufeinander, weiß ein Europäer zu berichten, der im Management eines großen russischen Metallkonzerns sitzt: Es geht nicht nur um Geld und Anteile – auch um den Namen und die Ehre. Wekselberg, der unter anderem auch Großaktionär beim Ölkonzern TNK-BP ist und mit seiner RENOVA
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Holding ein Geschäftsimperium kontrolliert, erhielt den Posten des Aufsichtsratsvorsitzenden bei Rusal – allerdings zunächst nur für ein Jahr. Die Diskussion der Partner drehte sich auch um die Frage des Börsenganges. Vor allem SUAL hatte Pläne dazu geschmiedet und diese immer wieder öffentlich kommuniziert. Rusal-Eigentümer Deripaska verfolgte dagegen eine andere Philosophie: Oft seien die privaten Unternehmen erfolgreicher als die börsennotierten, hat er einmal in einem Interview erklärt. Ein Börsengang mache nur Sinn, wenn man Geld brauche und Rusal brauche keines. Kompromiss: Der neue Konzern wagt sich auf das Börsenparkett, hat dafür aber drei Jahre Zeit. Rund 30 Milliarden Dollar dürfte der neue russische Alugigant an der Börse wert sein, schätzen Analysten. Mit an Bord nahmen die Russen auch den schweizerischen Metallhändler Glencore. Diese Dreierkonstellation brachte den Durchbruch. Am Ende waren die Perspektiven des Zusammenschlusses doch zu gut: Während Rusal zu 70 Prozent mit eigenen Rohstoffen versorgt ist und das für die Produktion nötige Rohmaterial Bauxit teilweise auf dem Weltmarkt einkaufen muss, fördert der kleinere Konkurrent SUAL mehr Rohstoffe, als er braucht. Analysten halten den neuen Konzern daher für sehr gut „ausbalanciert“. Rusal stellt eigenen Angaben zufolge 16 Prozent der weltweiten Aluminiumproduktion bei einem jährlichen Umsatz von zwölf Milliarden Dollar. Die Aussichten sind gut, denn die steigende globale Nachfrage hat die Alupreise drei Jahre kräftig klettern lassen. Das Rusal-Management erwartet, dass die Branche im Jahr 2007 die 3 000-DollarMarke für eine Tonne Aluminium hinter sich lassen wird. Der Branchenprimus muss aber noch mit einer Reihe von Altlasten fertig werden: Dazu zählt auch der Kampf gegen die Emissionen. Die Aluminiumproduktion ist extrem giftig. In den meisten der 24 Produktionshallen in Krasno-
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jarsk, jede so groß wie neun Fußballfelder, steht beißender Dampf. Ohne die beengende Schutzmaske ist atmen unmöglich. Allein in Krasnojarsk fließen 320 Millionen Dollar in die Modernisierung der Anlagen. Die Leistung hat sich auf fast eine Million Tonnen Aluminium im Jahr gesteigert. Von den einst 15 000 Mitarbeitern arbeiten aber nur noch 5 300 hier. Vom Gärtner bis zur Technikabteilung – viele Aufgaben hat das Management ausgegliedert. Wichtig sei, dass sich die jahrzehntelang drückende Umweltbelastung verringere, meint Anatoli Polowow, der für das Modernisierungsprogramm vor Ort zuständig ist. Im Jahr 2007 dürften die Emissionen insgesamt um gut ein Drittel niedriger liegen. Zwischen der wachsenden Stadt und der Aluminiumhütte soll zudem die „sanitäre Zone“ Schutz bieten. Ein Ökopuffer, der nicht bebaut werden darf und den Rusal fleißig bepflanzen lässt. Natürlich, aus heutiger Sicht würde man das riesige über 40 Jahre alte Werk vielleicht nicht mehr hier bauen, sagt Iwan Nesuna, der oberste Umweltmanager der Hütte. Nicht mehr an einem Ort, an dem es im Winter in den Produktionshallen bis zu minus 30 Grad kalt wird und im Sommer plus 30 Grad herrschen. Die Arbeiter kennen hier nicht das gemütliche russische „Väterchen Frost“ – sondern nur den „Herrn Chefingenieur Frost“. Denn das harte Klima schlägt auch auf die Produktionsprozesse durch. Dennoch: Der Industriekoloss aus der Sowjetzeit hat mit Rusal und dem günstigen Strom vom nahen Wasserkraftwerk die Wende geschafft. Einst haben sie hier vor allem für den „militärisch-industriellen Komplex“ gearbeitet. Heute geht fast die gesamte Produktion in den Export, erklärt Nesuna stolz. Rusal-Aluminium steckt in Pepsi- oder Carlsberg-Dosen, Toyota-Pkws oder in fast einem Drittel der Alufolie in Europa. Rusal hat eine Beteiligung in Australien, baut Bauxit in Guyana ab und hat die Mehrheit an einer
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Aluhütte in Nigeria gekauft. In insgesamt 17 Ländern unterhält der Konzern heute Werke mit über 100 000 Beschäftigten. Der Schwerpunkt der Produktion liegt auf Hüttenaluminium, also dem Vorprodukt für alle weiteren Verarbeitungsstufen des Metalls. Anders als zum Beispiel der Konkurrent Alcan, der seine Kunden in der Flugzeugindustrie bereits mit komplizierten vorgefertigten Teilen beliefert, verfügt Rusal vergleichsweise über eine geringe Fertigungstiefe. Das Krasnojarsker Werk steht nicht nur für den Wandel der russischen Aluminiumindustrie – auch für deren blutige Vergangenheit: In kaum einer Branche lief die Privatisierung nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion so gewalttätig ab. Im „Aluminiumkrieg“ zwischen 1996 und 1999 wurde meist mit Waffengewalt um die Besitzrechte an den Werken gekämpft. Die Krasnojarsker Mafia musste einen hohen Blutzoll für ihre Ambitionen zahlen. Auch mehrere Dutzend Alumanager starben. Oleg Deripaska, mit 26 Jahren bereits der Direktor der Sajansker Aluminiumfabrik, hat die Zeit in gepanzerten Limousinen und im Schutz seiner Leibwächter überlebt. Sein Finanzdirektor entging einem Auftragsmord in Moskau nur knapp, der Chef des Krasnojarsker Werks wurde auf den Stufen seines Appartements fast zu Tode geprügelt und quittierte den Job. Deripaska, heute rund 16 Milliarden Dollar schwer und einer der reichsten Russen, sind nie illegale Methoden nachgewiesen worden. Doch bis zum Jahr 2005 weigerte sich das US-Außenministerium, ihm ein Visum auszustellen. Erst eine ausgiebige Lobbyingkampagne in Washington vermochte die Fragen über seine Rolle in den Aluminiumkriegen zu dämpfen – einem Bericht des Wall Street Journal zufolge engagierte der Milliardär keinen Geringeren als den ehemaligen US-Präsidentschaftskandidaten Bob Dole. Bis heute sieht sich Deripaska in den USA
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einer Kampagne ausgesetzt. Sicher ist: Der Rusal-Gründer gilt als einer, der Kämpfe mit „harten Bandagen“ austragen kann. Schließlich haftet ihm der Ruf an, einer der ersten „Raider“ Russlands gewesen zu sein. Er gilt als äußerst zielstrebig, als stur – Interviews mit ihm sind rar. Beim Zusammenbruch der Sowjetunion war Deripaska, Jahrgang 1968, gerade einmal Anfang 20 und studierte mit seiner Begabung für Mathematik an der Moskauer Lomonossow-Universität Physik sowie am Plechanow-Institut Wirtschaftswissenschaften. Schon bald zog es ihn in das reale Wirtschaftsleben als Broker an der Moskauer Rohstoffbörse. Seinen Profit aus dem Handel investierte er in Aluminiumaktien. Aus der Sajansker Aluminiumfabrik entwickelte er durch zahlreiche Aufkäufe den Konzern Sibirskij Aluminij (Sibal). Im Jahr 2000 erfolgte schließlich die Gründung von Rusal aus den Gesellschaften Sibal und den Aluaktivitäten von Sibneft. Oleg Deripaska und Roman Abramowitsch wurden damit Partner. Es beginnt die internationale Expansion. Der heute in London lebende Abramowitsch, vor allem bekannt durch seine Megajachten und sein Engagement beim Fußballclub FC Chelsea, versilberte schließlich seinen Anteil im Jahr 2003 für zwei Milliarden Dollar. Heute kontrolliert die Deripaska-Holding Basic Element neben Rusal den Maschinenbaukonzern Russkije Maschiny, Firmen im Banken- und Versicherungssektor, Bau- und Immobilienunternehmen sowie den Flugzeugbauer Aviakor. Russlands zweitgrößten Autokonzern GAZ hat er wieder in die schwarzen Zahlen geführt – nach einer harten Schlankheitskur und mithilfe ausländischer Manager. Beobachter in Moskau sind sich einig: Dem teilweise noch recht maroden russischen Autosektor gilt derzeit Deripaskas Hauptaugenmerk – wohl auch im Interesse des Kreml, der die sowjetischen Industrieleichen gerne zu nationalen Champions schmieden und international wettbewerbsfähig
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machen will. Darüber hinaus drängt es ihn ins Ausland – auch nach Deutschland, wo er im Frühjahr 2007 Schlagzeilen mit seiner Beteiligung am Baukonzern Hochtief machte. Alexander Bulygin, Rusal-CEO, kennt den Multimilliardär schon seit Anfang der 90er-Jahre. Sie sind gleich alt, Bulygin ist mit Deripaska in der Aluminiumindustrie groß geworden. Der jungenhafte Manager sitzt in seinem in elegantem Schwarz gehaltenen vollverglasten Moskauer Büro und sinniert über die Vergangenheit: Die blutige Auseinandersetzung um die Eigentumsverhältnisse in der Industrie sieht er als eine ferne Episode, nicht nur im russischen Aluminiumsektor ging es hart zur Sache. Die aktuelle Generation russischer Manager sei eine besondere meint er: Als sie in die Marktwirtschaft stießen, waren sie jung, sie haben Neuland betreten. „Wir haben immer wieder Fehler gemacht und daraus gelernt“, erzählt er. „Ich habe dabei auch viel Geld verloren.“ Heute sei das nicht mehr möglich: „Wir müssen nach internationalen Regeln und Standards arbeiten, wir brauchen eine gute Unternehmensführung, sonst sind wir auf Dauer nicht wettbewerbsfähig“, unterstreicht Bulygin. Im Gespräch wird schnell klar: Bulygin weiß sich auf internationalem Parkett zu bewegen, er ist locker, offen, voller Energie und kennt die richtigen Schlüsselworte. „Corporate Governance“ ist ihm wichtig, der „Klimawandel“ liegt ihm am Herzen. Denn die Aluminiumindustrie steht seiner Meinung nach auch auf der Seite der Gewinner der globalen Erwärmung, obwohl sie so extrem energieintensiv ist. Schließlich steige ja auch die Nachfrage nach leichten Materialien, erwartet er. Ein Abflauen des stetig wachsenden globalen Aluminiumbedarfs sei nicht in Sicht. Doch der Rusal-Chef hat nicht nur Aluminium im Sinn: Der Weltmarktführer soll sich wandeln – sein Vorbild: die Liga der diversifizierten Rohstoffkonzerne des australischbritische Rohstoff- und Bergbaukonzerns BHP Billiton und
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dessen Wettbewerbern Xstrata oder Rio Tinto. Denn mit Blick auf die weitere Konsolidierung der Aluminiumbranche ist Bulygin wenig optimistisch. Alle weiteren Schritte wären mit wettbewerbsrechtlichen Risiken behaftet, der Blick des Rusal-Chefs richtet sich daher auf andere Sektoren: „Alle Nichteisenmetalle, die an der Londoner Metal Exchange gehandelt werden, sowie das traditionelle Geschäft der großen Bergbaukonzerne sind für Rusal potenziell interessant“, erklärt er. Er ist sich sicher, dass die Branche in den kommenden fünf bis zehn Jahren ihr Gesicht verändern wird: „Wir werden einen tief greifenden Wandel auf dem Sektor sehen, sowohl in Russland als auch in der Welt“, erwartet er. Dann werden zu den heutigen Favoriten neue Konkurrenten stoßen, die dann ähnlich wie BHP oder Rio Tinto einen Marktwert von gut 100 Milliarden Dollar erzielen können, so Bulygin. Breit aufgestellte Bergbaukonzerne wie BHP oder Rio Tinto profitieren vom weltweiten Appetit auf Rohstoffe und sind hochprofitabel. „Grundsätzlich macht es für Rusal Sinn, zu diversifizieren“, sagt Elena Anankina von der Ratingagentur Standard & Poor’s (S & P). Das Geschäft wäre dann weniger vom Zyklus eines einzelnen Rohstoffs abhängig. Der Prozess werde aber schwierig, so die Analystin: Mit Blick auf die schiere Größe des Aluminiumgeschäfts dürfte es dem Konzern schwerfallen, anderen Produkten ein ähnliches Gewicht im Portfolio zu geben. „Das müssten dann Megadeals werden“, meint Anankina. Da Rusal derzeit keinen genauen Einblick in seine finanzielle Lage zulasse, seien die Erfolgsaussichten schwer zu beurteilen. „Es gibt keinen Grund, warum Rusal nicht weiter wachsen sollte“, sagt Damian Brett von der Raw Materials Group. Der Konzern sei gut aufgestellt und verdiene Geld. Dennoch: Größere Übernahmen auf dem Rohstoffsektor sind teuer. Die Branche konsolidiert sich und Branchengrößen
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wie Xstrata kaufen für viel Geld massiv Unternehmen auf, das macht die Diversifizierung von Rusal nicht einfacher. Ein weiteres Standbein soll daher die Energieerzeugung werden. Seit Ende 2006 läuft die Liberalisierung des russischen Strommarktes. Das Rusal-Management schließt nicht aus, sich in der einen oder anderen Weise daran zu beteiligen und eines Tages auch Privatkunden mit Strom zu beliefern. An erster Stelle steht aber noch der eigene Bedarf an günstiger Energie, denn der Zugang dazu ist einer der wichtigsten Erfolgsfaktoren für die Aluproduzenten – die Ausgaben für Strom machen in der Regel etwa gut ein Drittel der Kosten aus. Um die Versorgung weiter zu sichern, hat sich Rusal auf ein hochpolitisches Projekt eingelassen. Im sibirischen Bogutschanskaja soll ein weiteres riesiges Wasserkraftwerk entstehen. Partner ist der staatliche Stromversorger RAO UES. Die dazugehörige Aluhütte könnte weitere 600 000 Tonnen im Jahr liefern. Die Pläne liegen schon seit Sowjetzeiten in den Schubladen. Jetzt sollen auch Milliarden Dollar aus dem staatlichen Investitionsfonds den nötigen Antrieb verleihen. Rusal plant zudem, sich am Bau von Atomkraftwerken zu beteiligen und hat ein Abkommen mit dem staatlichen russischen Atomkonzern Rosatom unterzeichnet. Wie viel Politik steckt nun in Rusal? Deripaska war immer schon gut verdrahtet, hatte über seine Ehefrau gute Beziehungen zum Jelzinclan. Und auch heute werden ihm hervorragende Kontakte zum Kreml nachgesagt. Aus eigener Tasche unterstützt er die von Putin forcierte Bewerbung der Schwarzmeerstadt Sotchi für die Olympischen Winterspiele. Konzernchef Bulygin hingegen will von Politik nicht allzu viel wissen: Klar, die russische Regierung war am Zusammenschluss der Alukonzerne interessiert, aber ohne wirtschaftlichen Sinn wäre sie auch nie zustande gekommen, betont Bulygin. Und oft sei es eben so, dass die Interessen des Staates sich mit denen der Unternehmen überschnitten.
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Die neuen Rohstoffriesen
Es gibt dieses Foto aus dem Herbst des Jahres 2006. Da sitzen sich Wladimir Putin und Oleg Deripaska am Schreibtisch des Präsidenten im Kreml gegenüber, gebeugt über Unternehmensunterlagen und schauen sich in die Augen. „Nehmen wir mal die emotionale Seite“, sagt der RusalChef, „als Patriot hat mich der Zusammenschluss natürlich sehr stolz gemacht.“ Könnte er auch irgendwo anders leben? In Westeuropa? „Theoretisch schon. Aber ich würde immer wieder nach Russland zurückkehren wollen.“ Die Betonung liegt bei Bulygin auf „theoretisch“. Denn: „Könnte ich dort eine Aluminiumhütte profitabel führen? Nein. Mit Aluminium lässt sich in Westeuropa nichts machen – es gibt keine Energie.“
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CVRD – Die Aufkäufer aus Rio Alexander Busch, São Paulo
Offiziell ist Tony Trahar vor fünf Jahren nur für den Abschluss eines Joint Ventures zum brasilianischen Erzkonzern Companhia Vale do Rio Doce (CVRD) nach Rio de Janeiro gereist. Doch eigentlich hat der Chef von Anglo American, des damals drittgrößten Bergbaukonzerns der Welt, Größeres im Sinn: Er schlägt dem CVRD-Präsidenten Roger Agnelli die Fusion beider Konzerne zur größten Bergbaugesellschaft weltweit vor. Der Plan ist attraktiv und bietet dem seinerzeit international kaum bekannten Eisenerzproduzenten aus Brasilien eine einmalige Zukunftsperspektive. Doch Agnelli, ein junger Investmentbanker, der erst kurz zuvor den Chefsessel von CVRD erklommen hatte und davor nichts mit Bergbau und Erzen zu tun hatte, lehnt dankend ab. Er fürchtet, dass sein Unternehmen in einem Zusammenschluss mit dem viermal größeren Gold- und Diamantenkonzern aus Südafrika unter die Räder kommt. „Mr. Trahar, vielleicht können wir in fünf Jahren auf gleicher Augenhöhe über eine Zusammenarbeit reden“, schlägt Agnelli dem erstaunten Trahar vor. Was damals wie ein Anflug von Größenwahn eines extrem ehrgeizigen Firmenchefs wirkte, ist heute Realität. CVRD hat Anglo American nicht nur eingeholt, sondern ist an dem britisch-südafrikanischen Konkurrenten sogar vorbeigezogen: Durch eine gewaltige Akquisitions- und Investitionstour hat sich der brasilianische Aufsteiger in Rekordzeit zum weltweit zweitgrößten Bergbaukonzern emporgearbeitet. Nur der australisch-britische Bergbauriese BHP Billiton ist noch größer als die Brasilianer.
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Während die Fachwelt den Aufstieg des nationalen Champions zum Weltkonzern mit Staunen verfolgt, bleibt CVRD in der internationalen Öffentlichkeit lange Zeit der große Unbekannte. Das ändert sich erst, als sich die Brasilianer in das Bietgefecht um den kanadischen Nickelproduzenten Inco einschalten und ihn im August 2006 schließlich für 18 Milliarden Dollar in cash übernehmen. Aus Rio Doce, dem „süßen Fluss“, ist ein reißender Strom geworden. „Sweet River, who?“ Die Frage, die Roger Agnelli zu Beginn seiner Expansionstour oft gestellt wurde, muss er heute nicht mehr beantworten. Als die „Vale“, wie das Unternehmen in Brasilien genannt wird, 1997 privatisiert wird, deutet nichts auf eine große Zukunft hin: CVRD ist zwar nicht unbedeutend und erwirtschaftet einen bescheidenen Gewinn, ist jedoch ein konturloser Koloss, der neben Eisenerz und einem Dutzend anderer
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Metalle auch Zellulose, Papier, Stahl und Aluminium produziert, Schiffe baut, Werften besitzt und das größte Schienennetz Südamerikas betreibt. Im Zweiten Weltkrieg hatten die USA den Konzern in Brasilien mit Krediten und Minentechnologie bei der Gründung unterstützt, um sich die Erzund Stahlversorgung ihrer Rüstungsindustrie langfristig zu sichern. Seit den 60er-Jahren jedoch wurde die CVRD zum wichtigsten Zulieferer der boomenden japanischen Stahlindustrie. Japans Stahlriesen und Rohstoffhändler beteiligten sich an den Investitionen für neue Erzgruben. In den 70er-Jahren investierte der Konzern unter der Militärregierung in jede Branche, welche die Generäle in Brasilia strategisch interessant fanden – also eigentlich alles, was sich außerhalb der Landwirtschaft aus Brasiliens Böden herausholen ließ. Bereits 1974 ist der brasilianische Konzern der größte Eisenerzförderer der Welt – eine Position, die das Unternehmen seitdem verteidigt hat. 1985 startet CVRD den Abbau in Carajás, der größten Eisenerzmine der Welt. Die Fotos der gigantischen Tagebaumine mit ihrer vom Erz rot gefärbten Erde mitten im Regenwald gehen durch die Weltpresse. Immer wieder kommt es zu Auseinandersetzungen mit den Goldschürfern, die in der „Serra Pelada“, in der Nähe der Eisenerzvorkommen im Regenwald ihr Edelmetall suchen. Schließlich wird CVRD privatisiert – aber nicht ganz, eben auf brasilianisch: Staatliche Rentenfonds und die Entwicklungsbank übernehmen Anteile und ziehen im Hintergrund die Fäden. Ein CEO aus einem viel kleineren Stahlkonzern übernimmt zeitweise die Führung, wird aber dann von der Regierung gekippt – der brasilianische Staat hält auch ganz offiziell noch einen Aktienanteil, der ihm das Vetorecht sichert. Eine neue Zeitrechnung für die Vale bricht erst an, als im Jahre 2000 der damals 42-jährige Investmentbanker Roger Agnelli den Konzern inmitten der Wirren nach der Privatisierung übernimmt.
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Die neuen Rohstoffriesen
Agnelli ist ein Schnellstarter: In der Banco Bradesco, der größten Privatbank Lateinamerikas und Kaderschmiede der brasilianischen Finanzelite, begann er parallel zum Volkswirtschaftsstudium eine Ausbildung als Bankanalyst. Er arbeitete sich schnell hoch und wurde mit 38 Jahren das jüngste Vorstandsmitglied in der Geschichte der konservativen Bank. Der ehrgeizige Aufsteiger galt bald als rechte Hand des legendären langjährigen Bankchefs Lázaro Brandão. Wie stark ihn die Karriere bei Bradesco geprägt hat, zeigt sich in seinem Führungsstil: Wie in der Großbank sitzen auch unter Agnelli alle CVRD-Vorstände in einem großen Raum versammelt, immer in Sichtweite des Chefs. Es heißt, dass die Vorstände auslosten, wer ihm am nächsten sitzen muss. Agnelli, dessen Urgroßvater als armer Immigrant im Umland von São Paulo Urwaldflächen rodete und dessen Vater sich bereits zum Besitzer einer kleinen Fabrik in São Paulo emporgearbeitet hatte, gilt als Arbeitstier und verlangt von seinen Mitarbeitern den gleichen Einsatz. Er ist ein knallharter Verhandlungspartner, der jedoch durchaus brasilianisch charmant sein kann. Agnelli bringt das notwendige Geschick mit, um die Klippen der Politik zu umschiffen. In dem Konzern, in dem der Staat selbst nach der Privatisierung direkt und indirekt noch 60 Prozent der Anteile kontrolliert, ist das überlebenswichtig. Dies und die Protektion Lázaro Brandãos helfen ihm, trotz seiner fehlenden Kenntnisse im Bergbau die erste Zeit an der CVRD-Spitze zu überstehen. Heute ist Agnelli, der trotz seiner italienischen Abstammung nichts mit dem italienischen Unternehmerclan zu tun hat, unbestritten der einflussreichste Unternehmensführer Brasiliens. Investitionsentscheidungen seines Konzerns können aus armen Landstrichen im Landesinnern in wenigen Monaten Boomregionen machen. So ist der Aufsteiger für Bürgermeister, Abgeordnete und Senatoren ein begehrter Gesprächspartner.
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Dennoch redet Agnelli dem politischen Establishment nicht nach dem Mund: Als Präsident Lula im Wahlkampf 2006 plötzlich die Privatisierungen Brasiliens kritisierte, wies Agnelli öffentlich darauf hin, dass sein Konzern doch ein Beispiel für einen gelungenen Rückzug des Staates sei. Privat hält sich der mächtige Topmanager bedeckt: Außerhalb seiner Arbeit zeigt er sich fast nie in der Öffentlichkeit und verzichtet auf Auftritte mit dem brasilianischen Jetset. Kaum jemand weiß von seinem einzigen Hobby, seinem Rennboot, das er im noblen Angra dos Reis ausfährt, wo die Reichen aus Rio und São Paulo ihre Strandvillen besitzen. Als Agnelli die CVRD 2000 übernimmt, ist für ihn schnell klar: CVRD hat das Zeug zum Weltkonzern. „Dem Unternehmen fehlte lediglich der Fokus“, konstatierte er. Und zog die Konsequenzen: Er konzentrierte sein Unternehmen auf die Geschäftsbereiche Bergbau und Logistik. Agnelli und sein junges Team brachten den Dampfer Vale auf Fahrt. In nur fünf Jahren verkauften sie ein Dutzend Unternehmen, die nichts mehr mit dem Kerngeschäft zu tun hatten, und kauften dafür alle Erzkonzerne in Brasilien auf. Die waren Anfang des Jahrtausends im New-Economyund Internet-Rausch billig zu haben: Selbst Stahlkonzerne wie ThyssenKrupp waren froh, dass sie CVRD ihre damals unattraktiven Eisenerzminen verkaufen konnten. Was die Verkäufer der Minen freilich nicht vorausgesehen haben: Mit dem Auftreten von neuen, großen Nachfragern auf dem Weltmarkt – allen voran China – wurde Eisenerz immer begehrter. In den Hochöfen der Welt sind die Erze gefragt, ohne die keine Tonne Eisen oder Stahl entstehen kann. Seit 2003 haben sich daher die Preise mehr als verdoppelt. In der Erzbranche gilt CVRD als einer der Hauptverantwortlichen für die Preissteigerungen: In einem harten Poker mit den Chinesen setzten sich die Brasilianer 2006 mit ihren Forderungen nach höheren Preisen durch.
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Und Agnelli rechnet mit hohen Erzpreisen mindestens bis 2010. In den Tagebaubergwerken in Nordbrasilien graben die Abräumbagger schon seit Jahren Tag und Nacht nonstop. Schon kurze Unterbrechungen – etwa wenn ein Indiostamm zwei Stunden für höhere Entschädigungen demonstriert und den Schienenverkehr zur Küste lahmlegt – führen zu Lieferengpässen. Dann stauen sich die Schiffe vor den Atlantikhäfen. Den Brasilianern hilft ihre gute Marktposition: Zusammen mit BHP Billiton und der britisch-australischen Rio Tinto kontrollieren sie einen beträchtlichen Teil des Erzhandels weltweit. Seit 2000 hat die CVRD ihre Eisenerzproduktion auf 270 Millionen Tonnen verdreifacht. Selbst Stahlriesen wie der gerade fusionierte Weltmarktführer Arcelor Mittal haben wenig Einkaufsmacht gegenüber dem Kartell. Entsprechend profitabel ist das Geschäft des brasilianischen Konzerns: 2006 fuhr er mit rund 6,5 Milliarden Dollar einen neuen Rekordgewinn ein. Die Umsatzrenditen von einem Drittel lassen Unternehmer aus anderen Branchen neidisch auf die lange Zeit unterschätzten Rohstofffürsten blicken. Doch Agnelli nutzt die sprudelnden Milliardengewinne geschickt, um den Konzern auf das unvermeidbare Ende des Aufwärtszyklus bei den Erzpreisen vorzubereiten, und engagiert sich in der letzten Zeit verstärkt wieder in anderen Bereichen. Neben der Akquisition des kanadischen Nickelproduzenten Inco investierte er etwa in Mosambik in eines der größten Kohlenbergwerke der Welt, inklusive Eisenbahnverbindung an die Küste und Hochseehafen. So ist CVRD einer der wenigen internationalen Spieler, die den chinesischen Rohstoffkonzernen in Afrika etwas entgegenzusetzen haben. Anfang 2007 kaufte der Konzern das australische Kohleunternehmen AMCI dazu. „In vier Jahren sind wir die Nummer fünf unter den Kohleproduzenten weltweit“, hofft Agnelli. Weil die Logistik zu wenig Rendite
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bringt, hat Agnelli sie ausgegliedert und die Aktien an der Börse platziert. In Brasilien sorgt CVRD für schlechtere Zeiten vor, indem sie Kunden dazu bringt, vor Ort zu investieren. So baut sie mit ThyssenKrupp für 3,6 Milliarden Dollar in der Nähe von Rio de Janeiro ein gewaltiges Stahlwerk. Der deutsche Stahlkonzern will von Brasilien aus Stahlvorprodukte nach Europa und in die USA exportieren. Den Löwenanteil der Investitionen tragen die Deutschen, CVRD ist lediglich mit zehn Prozent beteiligt. Dafür hat CVRD mit ThyssenKrupp einen Liefervertrag für Erz über 15 Jahre im Wert von sieben Milliarden Dollar abgeschlossen. Mit dem chinesischen Stahlkonzern Baosteel und dem koreanischen Branchenunternehmen POSCO sind weitere Stahlwerke in Brasilien geplant. Wie der Expansionskurs weitergehen soll, darüber halten sich Agnelli und seine Vorstände bedeckt: Ziel ist es, den Eisenerzanteil im Portfolio von derzeit rund zwei Dritteln der Wertschöpfung bis 2010 auf nur noch rund die Hälfte zu reduzieren. Der Konzern will sich auf alle Produkte konzentrieren, die zur Herstellung von Stählen eingesetzt werden. Weitere Übernahmen im Ausland sind dafür notwendig. Deshalb hält sich auf den brasilianischen Finanzmärkten hartnäckig das Gerücht, dass die Brasilianer alle ihre Nichteisenaktivitäten, also im Wesentlichen Nickel, Kupfer und Aluminium, in einer neuen Holding (CVRD Base Metals) bündeln wollen. Das neue Unternehmen könnte seinen Sitz in der Schweiz haben und an der Londoner Börse notiert sein. Der Vorteil: Agnelli könnte über die Bergbautochter in London die internationale Expansion des Konzerns einfacher vorantreiben. Und es würde niemanden überraschen, sollte Agnelli eines Tages den Konzern übernehmen, der einst CVRD schlucken wollte: Anglo American.
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Lukoil – Der russische Bär im Tank Von Mathias Brüggmann, Moskau
Die Wiege Lukoils steht in Sibiriens dauerfröstelnder Taiga: Langepas, Urai und Kogalym geben mit ihren Anfangsbuchstaben nicht nur den Namen für Lukoil. Die unter diesen Orten im Permafrost lagernden gewaltigen Vorkommen sind der Reichtum dieses Unternehmens. Kein anderer privater Ölkonzern auf der Erde verfügt über größere Erdölreserven. Lukoils Wiege steht aber auch in einer der winters vollkommen überheizten Amtsstuben in Moskau: Dort saß 1993 Wagit Alekperow, seinerzeit Vizeenergieminister der Sowjetunion, der nach dem Zusammenbruch der UdSSR und mit dem Aufkeimen des Wild-Ost-Kapitalismus in Russland zum Sammler herrenlos gewordener Ölförderer geworden war. Er bastelt die „Findelkinder“ L, U und K zusammen zu einem Unternehmen, dessen Vorstandschef und größter Einzelaktionär er selbst wird. Der Konzern wächst – und seine Aktienpakete werden immer größer. Im Gegensatz zum Rivalen Michail Chodorkowskij, der parallel den zeitweiligen Branchenprimus YUKOS aufbaut und dessen politische Ambitionen ihn im Kampf mit dem Kreml in sibirische Lagerhaft bringen, gilt Alekperow als loyal zur Führung des Landes. Lukoils gezielte Expansion im Ausland fügt sich exakt in die Pläne von Präsident Putin ein, internationale Champions mit russischen Wurzeln zu bilden. Missfällt dem Kreml eine Beteiligung wie etwa der Kapitalanteil an der von BP gebauten Baku-Tiflis-Ceyhan-Pipeline – die Röhre transportiert Öl aus dem Kaspischen Meer an Russland vorbei –,
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dann zieht sich Lukoil eben zurück. Andernorts, wo es dem Kreml in den Kram passt, wie bei der Ausweitung des Engagements beim russischen Nachbarn Kasachstan oder im Venezuela des Commandante Hugo Chávez, beteiligen sich die Moskauer: So kaufte der Konzern aus kanadischen Händen den kasachischen Ölförderer Nelson Resources. Redet man also von Russland, redet man vom Öl. Mit Saudi-Arabien ringt das Riesenreich jedes Jahr aufs Neue um den Titel des weltgrößten Ölförderers und -exporteurs. Neuerdings liegen Moskaus Multis im ersten Punkt oft vorn, beim zweiten – wegen des höheren Eigenbedarfs Russlands – gleich hinter den Scheichs. In vielen Ländern der Welt heißt es schon: „Pack den Bären in den Tank!“ Amerikaner tun es, Ungarn auch und bald vielleicht auch Deutsche: Sie fahren mit ihren Wagen
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Die neuen Rohstoffriesen
zum Füllen des Benzintanks zur Marke mit dem großen roten Tropfen – Lukoil. In den USA war Lukoil über Nacht bekannt geworden, als der Konzern im Jahr 2000 die USÖlfirma Getty mitsamt deren Tankstellennetz übernahm. Sogar Kremlchef Wladimir Putin war damals in New York, um die ersten Tankfüllungen an den umgetauften Zapfsäulen zu begutachten. Inzwischen fokussiert Russlands größter Ölkonzern seine Shoppingtour auf Raffinerien, Tankstellen und Benzinlager in Europa. Schon jetzt nennt Lukoil drei Raffinerien in Mittel- und Osteuropa sein Eigen sowie ein weit verzweigtes Tankstellennetz zwischen Mazedonien und Polen. Von Partner ConocoPhillips (Marke: JET) will Lukoil dessen europäische Raffinerien übernehmen. Denn für den Ausbau seines Tankstellennetzes über den alten Kontinent fehlt es dem Moskauer Primus massiv an Verarbeitungskapazitäten. Alekperow wünscht sich vor allem einen Einstieg in Deutschland: Interesse hätten die Moskauer sowohl an den Raffinerien der deutschen Ruhr Oel wie auch an einem Tankstellennetz, sagt der Konzernlenker und wichtigste Aktionär des russischen Riesen. Um die Rohstoffbasis für ihre Raffinerien und Tankstellen zu sichern, expandieren die Russen mittels ihrer Tochter Lukoil Overseas in alle wichtigen Förderregionen der Welt – und zeigen sich dabei politisch flexibel und in der Wahl ihrer Unternehmenspartnerschaften strategisch geschickt. Im März 2007 hat Alekperow im Schlepptau eines Staatsbesuchs von Wladimir Putin in Saudi-Arabien eine zwei Milliarden Dollar teure Investition in die Erdgasförderung des Wüstenreichs besiegelt. Minderheitspartner ist der saudische Staatskonzern Saudi Aramco. Bei der Suche nach Öl und Gas im Iran hat sich Lukoil mit dem norwegischen Konzern Norsk Hydro zusammengetan. Und mit dem persischen Staatsmonopolisten NIOC verhandeln die Russen über die Erschließung eines Ölfelds mit erwarteten Kapazitäten von über 30 Milliarden Barrel. Ein Meilenstein wäre
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auch die Erschließung des Megaölfelds West-Qurna 2 im Irak, die Lukoil noch mit dem damaligen Diktator Saddam Hussein ausgehandelt hatte. Heute wollen die Moskowiter das Ziel mithilfe ihres US-Partners ConocoPhillips erreichen. Auch in Ägypten, Kolumbien, Venezuela und Kasachstan hängen bereits die roten Lukoil-Fahnen an Bohrtürmen. Mit dem Gas-Emirat Katar verhandelte Alekperow Anfang 2007 über gemeinsame Geschäfte. „Es ist sehr wichtig, dass Lukoil sich in dieser strategisch so wichtigen Weltregion engagiert“, kommentiert der Moskauer Ölanalyst Walerij Nesterow von der Investmentbank Troika Dialog das LukoilEngagement am Golf. 27 Milliarden Dollar will sich Lukoil binnen zehn Jahren seine Auslandspläne kosten lassen und dabei seine Ölförderung außerhalb Russlands versiebenfachen. Lukoil ist bereits heute der internationalste russische Konzern. Und das trägt schon Früchte: Mit einer Tagesrohölförderung von 1,9 Millionen Barrel pumpt das Unternehmen mehr schwarzes Gold aus dem Boden als das gesamte Emirat Kuwait. Und nach Ölreserven ist der Bär Lukoil mit 16,1 Milliarden Barrel nachgewiesenem Vorkommen der größte börsennotierte Erdölförderer der Welt – sogar vor Tiger ExxonMobil. Die Russen haben derzeit freilich noch Mühe, ihre Reserven auch zu heben – daher auch der große Abstand in der nach Umsatz gemessenen Weltrangliste (siehe Grafik). Doch das Potenzial, das in den Lukoil-Reserven schlummert, lockt schon heute mögliche Anteilseigner. So hat sich US-Rivale ConocoPhillips bereits ein Fünftel der Lukoil-Aktien zusammengekauft. Die Amerikaner würden sogar gern noch mehr Anteile des russischen Partners übernehmen, doch der Kreml verweigert dies ebenso wie einen von Lukoil vorgeschlagenen Aktientausch zwischen beiden Unternehmen. Alekperow ist gut beraten, sich an die Weisungen der Regierung zu halten: Kurz nachdem seinerzeit
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Pläne von YUKOS bekannt geworden waren, Teile der Firma an ExxonMobil zu veräußern, setzte die Hatz auf Russlands damals größten Ölkonzern ein. Chodorkowskij hatte die Bedenken am Roten Platz einfach ignoriert. Nicht erst seit dem Fall des inzwischen im Straflager an der Grenze zu China einsitzenden einst mächtigsten Moskauer Öltycoons, YUKOS-Chef Chodorkowskij, ist die Ölfrage zwischen Kaliningrad und den Kurilen eine zutiefst politische Angelegenheit. Der Kreml hat mit zwangsversteigerten YUKOS-Töchtern den staatlichen Rohölkonzern Rosneft massiv ausgebaut. Doch überholen konnte der von Analysten als bürokratisch und korrupt kritisierte Staatsmoloch seinen privaten russischen Rivalen Lukoil bisher nicht. Lukoil konnte seinen Ölausstoß im Jahr 2006 nicht nur wesentlich schneller steigern als Rosneft. Das Privatunternehmen verdient mit jedem Fass Öl, das es aus dem Boden holt, auch wesentlich mehr als die staatlich kontrollierte Konkurrenz – und der Abstand wächst. Der Grund für die sprudelnden Gewinne sind nicht nur die hohen Ölpreise: Der Konzern, den viele wegen der Vorherrschaft Alekperows lange Zeit in einen Topf mit alten Sowjet-Konglomeraten warfen, hat inzwischen auch massiv modernisiert. Und die Analysten sind inzwischen voll des Lobes für Lukoil. Ob diese für die Privatwirtschaft sprechenden Fakten am Ende den Kreml davon abhalten, alle Öl- und Gasförderer wieder in den Staatsbesitz bei Rosneft oder dem Gasgiganten Gazprom zu bringen, weiß aber auch Alekperow nicht: „Alles ist möglich. Aber ich denke nicht, dass es dazu kommt“, sagte er im Lukoil-Tower am Moskauer Gartenring, vor dem eine rot-weiße Ölpumpe prangt. Alekperow jedenfalls gibt sich unbeeindruckt und hat bisher alle Konflikte mit dem Kreml ausräumen können. Allerdings musste er jüngst hinnehmen, dass das Parlament beschloss, die gigantischen Offshorefelder unter Sibiriens Packeis künftig exklusiv Gazprom und Rosneft vorzubehal-
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ten. Lukoil setzt auch deshalb auf massive Auslandsexpansion. Bisher hat sich die Strategie voll ausgezahlt: Lukoil kaufte Raffinerien in Osteuropa, als westliche Konzerne wegen mangelnder Margen der Region den Rücken kehrten. Heute sind diese Beteiligungen nicht nur teuer, sie haben auch Lukoils Auslandsförderanteil auf bereits sieben Prozent der Gesamtproduktion emporschnellen lassen. Allerdings fragen Moskauer Experten bereits, ob bei lukrativen Chancen außerhalb Russlands die ebenfalls auf eine globale Präsenz drängenden staatlichen Rivalen Lukoil mit Gegenofferten einen Strich durch die Rechnung machen könnten. Heutzutage sind gerade Gazprom und Rosneft oftmals weltweit Bieter bei wichtigen Projekten; und Alekperow weiß: Dem Kreml darf man nicht in die Quere kommen. Auch wohl deshalb bildet Lukoil inzwischen ein Joint Venture mit Gazproms Öltochter Gazprom Neft für gemeinsame Auslands- und Offshoreprojekte. Bei seinen ehrgeizigen Plänen kann Alekperow politisches Störfeuer nicht gebrauchen: „Wir wollen der effizienteste und profitabelste Ölkonzern der Welt werden“, gibt er vor dem marmornen Tiger in seinem Empfangszimmer als Leitlinie aus. 100 Milliarden Dollar Investitionen hat sich Moskaus Megakonzern dafür bis 2016 bewilligt. Lukoil ist dabei auch ein Beispiel für ein von einem Eigentümer geführtes Unternehmen, natürlich nicht im westlichen oder mittelständischen Sinne eines Gründers. Selbst von den anderen russischen Oligarchen unterscheidet sich Alekperow: Während Aluminiumkönig Oleg Deripaska oder der vom Vollwaisen aus der Polarkreisprovinz zum Multimilliardär in London aufgestiegene Jetset-Oligarch Roman Abramowitsch von sich behaupten, als Börsenbroker in Moskaus Wendejahren zum sagenhaften Reichtum gekommen zu sein, steht Alekperow zu seiner Vergangenheit: Er ist ein „Neftjannik“, ein Ölmann, der in seiner Branche alles erlebt hat und selbst einmal bei einer
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Explosion auf einer Offshore-Bohrplattform ins Kaspische Meer geschleudert wurde. Bereits mit 18 Jahren folgte er seinem Vater in die Ölindustrie, in die er 1950 als jüngstes von fünf Kindern einer Ölarbeiterfamilie in der heutigen Hauptstadt der ölreichen Republik Aserbaidschan hineingeboren wurde. 1990 wurde Alekperow kurzzeitig Ölminister, ein Jahr vor dem Zerfall der Sowjetunion, mit dem im Wilden Osten ein wild wuchernder Kapitalismus ausbrach und Minister zu Milliardären wurden. Er habe selbst als Vizeressortchef für die sowjetische Ölindustrie nicht in die Politik gehen können, erzählt der grauhaarige Mann mit dem Hang zu hellgrauen Anzügen: „Ich war kein Politiker, sondern Technologe und im Amt verantwortlich für die gesamte Ölförderung der UdSSR.“ Schon 1993 kauft er als Privatmann dem russischen Staat die besagten Rohölförderer in Langepas, Urai und Kogalym ab. Der private Investor profitiert von den Kenntnissen, die er im Ministerium erworben hat. Dass er seinen Konzern so international ausgerichtet habe, liegt auch an seinen Auslandserfahrungen im Staatsdienst. Bei seinen Reisen zu den Westkonzernen Chevron und Agip lernt er, dass Ölkonzerne vertikal integriert sein müssen: Nur wer die gesamte Wertschöpfungskette vom Bohrloch bis zur Tankstelle kontrolliert, fährt in diesem Geschäft die ganz großen Gewinne ein. Heute besitzt Lukoil mit seinen 145 000 Mitarbeitern 1,4 Prozent aller Weltölreserven. Das US-Magazin Forbes nennt Alekperow deshalb bereits den „russischen Rockefeller“. Das New York Times Magazine bezeichnete ihn als „den stillen Oligarchen“. Das ist nicht nur politisch gemeint. Auch seine sehr leise Stimme trägt dazu bei. Still und leise jedenfalls hat Alekperow Geld gescheffelt: Das russische Wirtschaftsmagazin Finans setzte Wagit Alekperow im Februar 2007 auf Platz sieben der russischen Milliardärsliste mit einem geschätzten Privatvermögen von um-
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gerechnet 12,3 Milliarden Dollar. Neben seinen Anteilen an den Investmentbanken URALSIB und Kapital tragen vor allem seine Aktien an Lukoil zu seinem Reichtum bei. Knapp 17 Prozent der Aktien hält er. Und „seien Sie sicher: Ich verkaufe nicht, sondern kaufe immer noch Lukoil-Aktien hinzu“, sagt Alekperow im Gespräch. Ebenso unklar bleibt, ob das Unternehmen zur Familiendynastie wird: Denn ob sein Sohn Jusuf später an die Lukoil-Spitze aufrücke, will der Mann mit dem Mecki-Haarschnitt bislang nicht sagen. Nur so viel: Noch sei die nachfolgende Generation „nicht so patriotisch eingestellt wie wir. Aber alles im Leben ändert sich ja.“
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Norilsk Nickel – Der Riese aus dem Permafrost Von Mathias Brüggmann, Moskau
Familienkrach im Eis. Während hinter dem Polarkreis, tief in Stollen unter dem Permafrost staubverschmierte Arbeiter den metallenen Reichtum Russlands herauskratzen, wird Michail Prochorow im französischen Alpenort Courchevel unfreundlich von der französischen Polizei geweckt und abgeführt. Die Presse berichtet von Callgirls im mondänen Skiparadies, einer Festnahme durch die Lyoner Gendarmerie und Vorwürfen der Zuhälterei. Häme und Schlagzeilen daheim sind die Folge. Der bisher allenfalls Emerging-Markets-Analysten bekannte Zweimetermann wird durch den Skandal über Nacht zum Prominenten auf dem internationalen Boulevard: Prochorow soll Liebesdienste für sich und seinesgleichen in den feuchtfröhlichen Festtagen nach Neujahr 2007 im Lieblingsskiort der russischen „nouveaux riches“ vermittelt haben. Am Anfang vom Ende stand also die Orgie. Am Ende folgt die Scheidung: Im Frühjahr 2007 ist Prochorow aus der Führung von Norilsk Nickel (NN) ausgestiegen. Nun führt sein bisheriger Geschäftspartner Wladimir Potanin den weltgrößten Produzenten von Metallen der Platingruppe allein. Zwischen Potanin und Prochorow herrscht nun wie in so manchen Hollywoodehen der Rosenkrieg: Wer bekommt was im Moskauer Milliardenreich der bisher gemeinsamen Holding Interros? Bis Jahresende 2007 soll das unternehmerische Ehegattensplitting vollzogen sein, dann sind beide geschiedene
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Leute. „Ich bin nicht Michails Vater“, distanziert sich Oligarch Potanin von den Vorgängen um den ehemaligen NNGeneraldirektor. Verschwörungstheoretiker glauben beim „Damen“-Skandälchen nicht an Zufall. Dass die über viele Jahre polizeilich unbeanstandeten feuchtfröhlichen Jahresanfangssausen ausgerechnet im Vorfeld der Präsidentschaftswahl auffliegen, weckt bei einigen Misstrauen. Sie
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sehen einen Zusammenhang zwischen den vielleicht erforderlichen Neustrukturierungen von Oligarchenholdings und dem Zwischenfall in den französischen Alpen. Doch zurück aus den Betten in die Stollen: Weit hinter dem Polarkreis hat sich die Welt durch den Skandal in der Ferne nicht geändert. Schwarze Schwefelschwaden schlucken die rote Sonne, die die Polarnacht für wenige Stunden vertreibt. Die nördlichste Großstadt der Welt, Norilsk, der Kessel aus Smog und schwarzem Schnee auf den Fenstersimsen der als Arbeiterschließfächer dienenden Plattenbauten, versinkt dann in Hunderte Meter langen Nebelwänden um die Schlote und Bergbauhütten. 27 Grad minus zeigt das Thermometer am Morgen, nachts lässt das Quecksilber auch die Grenze von 40 Minusgraden hinter sich. Nadeschda, Hoffnung, heißt hier nur der Nachbarort. Dort werden bei rotglühenden 1 150 Grad Blöcke aus Kupfer, Nickel, Kobalt, Eisen, Schwefel und Edelmetallen geschmolzen, die dann auf gewaltigen Atomeisbrechern durch das Eismeer zur weiteren Verarbeitung in einzelne Metalle auf die Kola-Halbinsel geschafft werden. Beim Gießen der sogenannten „Feinstein“-Blöcke werden Staubwolken freigesetzt, die Hustenanfälle auslösen. Norilsk ist mit einem Schwefeldioxidausstoß von zwei Millionen Tonnen pro Jahr eine der schmutzigsten Städte der Erde. Erst im Februar 2006 durfte der Bergbauriese GMK Norilsk Nickel das lange gehütete sowjetische Staatsgeheimnis lüften und seine Vorkommen an den zur Waffenherstellung ebenso wie bei der Produktion von Katalysatoren in der Automobilindustrie benötigten Edelmetallen Platin und Palladium veröffentlichen. Mit den Mengen der nachgewiesenen und wahrscheinlichen Platinreserven (16 Millionen Feinunzen sowie 40 Millionen Feinunzen festgestellter Reserven) und Palladiummengen (62 Millionen und 141 Millionen Feinunzen) ist nun amtlich: Der Konzern ist nicht nur der weltgrößte Produzent dieser wichtigen Industrie- und
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Edelmetalle weltweit. Er kann auch seine heutige Produktion für die nächsten 60 Jahre aufrechterhalten. Die Produkte von NN machen das Unternehmen in der Industrie unersetzlich: Platin und Palladium (die Platingruppe) werden für Katalysatoren gebraucht, Kupfer für Kabel, Nickel in der Stahlproduktion. NN besitzt 18 Prozent der weltweiten Nickelvorkommen, produziert rund die Hälfte des weltweiten Jahresausstoßes an Palladium und 13 Prozent beim Platin. Um Kunden wie die großen Autohersteller direkt zu erreichen, unterhält NN Vertriebsbüros in Nordamerika und Europa. Doch die Geschichte des Nickel, Kupfer, Platin, Palladium, Gold, Silber, Kobalt, Rhodium und andere seltene Metalle gewinnenden Konzerns kennt nicht nur Feiertage. Viele Stunden in der Geschichte von NN sind so schwarz wie die 370 Kilometer langen Schächte in der Untertagegrube „Oktober“, in der mit täglich neun Tonnen Dynamit Gesteinsbrocken losgesprengt werden. 1935 beschloss der Rat der Volkskommissare der UdSSR einen Erlass zur Ausbeutung der bereits seit dem 17. Jahrhundert bekannten gewaltigen Metallvorkommen. Zehntausende Gulag-Häftlinge stampften Gruben und Hütten aus dem Eisboden. Schon vier Jahre später wurde das erste Kupfer und Nickel gefördert. 1989 wurde der „Staatskonzern zur Produktion von Buntmetallen Norilsk Nickel“ daraus. Fünf weitere Jahre später wurde er bei einer umstrittenen Auktion privatisiert. Käufer war der damalige Vizepremier und Banker Potanin. Schwarz ist die Lieblingsfarbe des Oligarchen. Nicht das Schwarz der Abgaswolken seiner Fabrikschlote, sondern das edle Designerschwarz seiner Anzüge und Rollkragenpullover. So präsentiert sich der Nickelkönig via Bildschirm dem Fernsehpublikum zwischen Kaliningrad und Kamtschatka. Wie der New Yorker Immobilienhai Donald Trump in seiner TV-Show „The Apprentice“ heuert und feuert der
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am 3. Januar 1961 in einer Moskauer Nomenklaturafamilie geborene Potanin auf der Mattscheibe. In der Realityshow „Der Kandidat“ zeigt er die bisher geheime U-Bahn unter dem Bergbauriesen Norilsk Nickel, fliegt im Privatjet mit den Fernsehkandidaten auf Businesstrip ins Ausland oder lässt die Bewerber gegen seine Tochter und Aquabike-Weltmeisterin Anastasija antreten. Warum ausgerechnet der frühere Banker Potanin für die Sendestaffeln ausgewählt wurde, macht TV-Produzent Alexander Mitroschenkow klar: „Er ist der Ideologe des Unternehmertums in Russland.“ Tatsächlich ist der Mann mit dem stark zurückweichenden Haupthaar für viele seiner Landsleute die Hassfigur des Kapitalismus. Denn dreister noch als andere heutige Oligarchen ist Potanin an sein Vermögen gekommen: Als Vizepremier in einer der Regierungen des ebenso trinkfesten wie wankelmütigen Kremlchefs Boris Jelzin wurde er zum Vater des sogenannten Aktien-für-Kredite-Programms. Dabei liehen handverlesene Banken dem kollabierenden Staat Geld und bekamen zur Besicherung Aktienpakete der wichtigsten Industriebetriebe. Da die Regierung die Kredite nicht zurückzahlte, entstand die Klasse der Oligarchen, die die Filetstücke der Sowjetindustrie für Kopeken erhielten. Bei solch einem Insidergeschäft sicherten sich Potanin und Partner Prochorow für 250 Millionen Dollar die Mehrheit an NN. An der Börse war der Weltmarktführer bei Nickel und Palladium im Frühjahr 2007 rund 37 Milliarden Dollar wert. Das Moskauer Magazin Finans schätzt das Vermögen Potanins auf gut 14 Milliarden Dollar. Damit wäre er der drittreichste Mann Russlands. Seinen Besitz kontrolliert er – derzeit noch gemeinsam mit seinem langjährigen Kompagnon Prochorow – über die Holding Interros. Neben NN ist Interros unter anderem auch an der Rosbank beteiligt (mit der französischen Großbank Société Générale als Partner). Außerdem hält Interros Beteiligungen an dem Turbinenbauer Silowyje Maschiny (mit Siemens als Anteilseigner)
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sowie an Medienhäusern, Immobilienentwicklern, Agrarunternehmen und Ölförderern. Finanziell derart gestärkt wolle er sich anderen Zielen zuwenden, verriet Fußball- und Schachfan Potanin Anfang 2007: „Wohltätigkeit ist der Wunsch meiner Seele.“ Mit seinen Menschen ist Norilsk indes wenig schonend umgegangen. „Wir gruben zwölf Stunden lang mit Spitzhacken Gräben in den Permafrostboden“, erinnert sich die gebürtige Polin Olga Petriga, die wegen antisowjetischer Propaganda in den Norillag-Gulag in Norilsk geschickt worden war. Sie wurde erst Jahre nach Stalins Tod rehabilitiert und hat inzwischen 43 Jahre als Buchhalterin bei NN gearbeitet. Sie will endlich weg von dem harten Leben in Sibirien, doch ihr fehlen die Mittel dafür. „Warum gibt uns NN nicht einmal Geld für eine Wohnung auf dem Festland? Wir sind doch nur noch so wenige“, macht die alte Dame mit den wachen Augen ihrem Ärger Luft. 25 Norillag-Häftlinge sowie 220 weitere frühere Gulag-Überlebende wohnen noch in Norilsk. Sie sind 245 unter den 215 000 Einwohner, die hier hinter dem Polarkreis wohnen. Knapp 60 000 von ihnen finden hier noch Arbeit beim Nickelriesen. „Früher waren es 130 000 allein in Norilsk“, erzählt Bürgermeister Walerij Melnikow. Er war früher Gewerkschaftsboss und konnte sich gegen massiven NN-Druck als Politiker durchsetzen. Die eisigen und langen Polarwinter und Myriaden von Mücken der kurzen sommerlichen Sümpfe haben eine zähe und zupackende Mannschaft gehärtet. „Härter als Stahl“, wie der Bürgermeister es nennt. „Unser Schicksal hängt vollständig vom Nickelkombinat ab, denn die paar Gasvorkommen hier reichen nicht zur Ansiedlung anderer Industrien“, so Melnikow. Er will in Norilsk bleiben, „obwohl ich seit 50 Jahren in der Taiga lebe und noch niemals habe Apfelbäume blühen sehen“. Materik, das heimische Festland, nennen die Sibirer die wärmeren Weiten südlich der Taiga. In der Kälte hingegen
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Die neuen Rohstoffriesen
erfolgte nach der Übernahme des Metallriesen durch Moskauer Magnaten ein Weltenwandel: Zwar ist Norilsk noch immer eine der größten Dreckschleudern der Welt. Aber die rasant wachsenden Gewinne – auch infolge stark gestiegener Preise der Industriemetalle – schwemmen nicht nur Geld in die weiteren Expansionspläne, sondern auch in Modernisierungs- und Umweltschutzprogramme. Vor allem aber gibt es jetzt Milliarden für den schnellen Sprung von NN ins Ausland: In den USA wurde bereits Stillwater Mining, der größte amerikanische Nickelproduzent, übernommen und wurden Anteile am Wasserstoff-Energiekonzern Plug Power gekauft. Ein Fünftel der Aktien des südafrikanischen Edelmetallriesen Goldfields kam 2004 hinzu. Diese wurden inzwischen zusammen mit den russischen Goldgruben von NN in einer eigenen Aktiengesellschaft an die Börse gebracht – Polyus Zoloto. Analysten erwarten ein noch schnelleres Wachstum für den russischen Rohstoffriesen in der kalten Heimat und im Westen. Denn NN hat bereits weitere „strategische Zukäufe“, „strategische Allianzen“ und „die Suche nach neuen Vorkommen von Weltklasse in Russland und im Ausland“ angekündigt. Im Mai 2007 boten die Russen knapp fünf Milliarden Dollar für den Nickel- und Goldkonzern LionOre mit seinen Aktivitäten in Botswana, Australien und Südafrika. Zudem hat NN als seine Mission die „führende Rolle bei Bergbau und Metallurgie in der Welt“ auserkoren. So sind Experten nicht nur wegen der immer rasanter steigenden Nickel- und Kupfernotierungen an den Warentermin- und Metallbörsen voll des Lobes: Im Frühjahr 2007 attestierte die russische Deutsche-Bank-Tochter Deutsche UFG den Aktien von Russlands größtem Bergbaukonzern allein ein Kurspotenzial von 45 Prozent. Fetter Unterhalt also im laufenden Scheidungsprozess Prochorow vs. Potanin. Dabei behält der Ältere also das Familiensilber NN, während der glamouröse „Mischa“ die
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Goldadern von Polyus Zoloto ebenso als Abfindung bekommen soll wie die zahlreichen Stromaktiva der bisher gemeinsamen Interros-Familie. Wer sich am Ende das Medienimperium von Interros sichern kann, wird noch von den (Scheidungs-)Anwälten verhandelt. Dabei sind Medien in Moskau vor allem Macht – Macht im Kampf um die brutal laufende Neuordnung der russischen Großindustrie. Einige Oligarchen wie der Medienunternehmer und Bankier Wladimir Gussinskij (Most-Bank und Media-Most) und Kremlstrippenzieher Boris Beresowskij (unter anderem Sibneft und Russkij Aluminii) sind in den vergangenen Jahren von der Bildfläche verschwunden und leben im Ausland, andere wie Ex-Öltycoon Michail Chodorkowskij (YUKOS) sind im sibirischen Straflager. Die von der Putinregentschaft profitierenden Politunternehmer wie Aluminiumkönig Oleg Deripaska oder Jetset-Oligarch Roman Abramowitsch zimmern sich gerade neue Industrieholdings – riesige Gebäude, die Platz für alle bisher verstreuten Einzelteile im Industriemonopoly bieten. Den Löwenanteil beim neuen Umverteilungskampf konnten sich aber Kremlkonzerne sichern: So verleibte sich Gazprom Abramowitschs Ölförderer Sibneft ein. Der staatlich kontrollierte Ölkonzern Rosneft hat sich wesentliche Teile der YUKOS-Konkursmasse auf zweifelhaften Zwangsversteigerungen gesichert. Bei der Titan-Weltmarktgröße VSMPO-AVISMA hat der staatliche Rüstungshandelsmonopolist Rosoboronexport ebenso zugeschlagen wie bei Russlands größtem Autobauer AVTOVAZ (Marke: LADA). In der Kohlebranche treibt wiederum Gazprom zu seinen Gunsten die Konsolidierung voran. Gut möglich, dass auch eines Tages der Staat wieder die Macht bei Norilsk Nickel übernimmt, wie es schon heute oft als Gerücht in Moskau zu hören ist. Doch an der Stellung von Norilsk Nickel als Bergbaugiganten würde auch das nichts ändern.
Die neuen Weltmarken
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Der lange Weg zum Kunden Von Joachim Dorfs
Der Corolla 1211 Coupé, der am 18. Februar 1971 als erstes Auto eines gewissen japanischen Autoherstellers Toyota in Deutschland verkauft wird, ist hässlich wie die Nacht. Zu jener Zeit ist Toyota hierzulande praktisch unbekannt; die Vertriebsorganisation umfasst zehn Leute, die in einem angemieteten Büro in Köln sitzen. Verkaufen lässt sich das Auto nur, weil der Preis deutlich unter dem der Konkurrenzmodelle liegt. Heute, gut 30 Jahre später, ist die Marke Toyota ausgerechnet im Land der deutschen Wertarbeit zum Maßstab für Verlässlichkeit und Qualität im Automobilbau geworden. Die Autos liegen in allen Pannenstatistiken und Kundenbefragungen auf den vordersten Plätzen. Die Produktionstechnik von Toyota ist zum Vorbild einer ganzen Industrie geworden. Haier, Geely, Lenovo, Techtronic Industries, Mahindra, Li Ning: Sie alle wollen es Toyota gleichtun. Doch der Weg ist noch weit: Bis heute sind das keine Marken, die vielen deutschen Verbrauchern geläufig sind oder gar Vertrauen einflößen. Doch Konsumenten in Deutschland kaufen schon Produkte dieser Firmen, ohne dass sie es wissen. Hinter einem PC mit IBM-Design steckt Lenovo, hinter einer Bohrmaschine von AEG verbirgt sich Techtronic Industries. Zudem sind die hier vorgestellten Firmen in anderen westli-
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Die neuen Weltmarken
chen Ländern bereits erfolgreich. Wenn sie es in Deutschland noch nicht sind, liegt die Betonung auf „noch“. Haier etwa verkauft inzwischen seine Kühlschränke in 160 Ländern der Erde und ist weltweit die Nummer drei. Techtronic Industries (TTI) aus Hongkong ist weltweit die Nummer drei bei Bohrmaschinen und die indische Mahindra steht bei Landmaschinen schon auf einem globalen Spitzenrang. Der Aufbau einer Marke gehört mit zu den schwierigsten Aufgaben eines Unternehmens. Dies gilt umso mehr für eine Unternehmensmarke aus einem Land, das für „billig“ steht. Selbst Firmen aus Industrieländern brauchen auf ihren Heimatmärkten Jahre, manchmal Jahrzehnte, um sich als Marke zu etablieren. Wenn die Marke dagegen einmal bekannt ist, lebt sie oft länger als das Unternehmen, das dahinter steht – siehe AEG. Ungleich schwerer ist es vor diesem Hintergrund für unbekannte, neue Firmen aus den Schwellenländern, in der Welt der westlichen Markenartikler Fuß zu fassen. Die neuen Weltkonzerne sind mit ihren niedrigen Kosten die Weltmeister der Produktionsoptimierung. Doch bei einer Marke spielen Emotionen eine Rolle: Es geht um Sympathie, Verlässlichkeit, Vertrauen, ein positives Image. Solche Werte entwickeln sich nicht über Nacht. Dafür braucht es Zeit – Zeit, die viele Herausforderer mit ihren Ambitionen nicht haben. Um dieses Dilemma zu lösen, gehen die hier vorgestellten Unternehmen unterschiedliche Wege. Einer davon: der Aufkauf von eingeführten fremden Marken, um die eigenen Produkte gewissermaßen unter falscher Flagge anzubieten. So macht es erfolgreich etwa Techtronic Industries. Das liegt auch daran, dass das Markenversprechen – von AEG in Deutschland oder den etablierten US-Qualitätsmarken RYOBI und Hoover – offensichtlich zur von TTI gelieferten Qualität passt. Würde TTI unter den zugekauften Marken Schund anbieten, wäre der Name schnell ruiniert – und die
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Investition in den Markennamen könnten die Herausforderer aus Hongkong abschreiben. Den schwierigeren Weg geht Haier. Die Chinesen bemühen sich, eine eigene Weltmarke zu schaffen. Langfristig ist diese Strategie sicher erfolgversprechender, kurzfristig jedoch mühsamer, da sich der Name erst aufbauen muss. Als chinesischer Anbieter ist die für Haier bestmögliche Positionierung ein „preiswert und gut“. In den höheren Bereich, der stärker designgetrieben und qualitätsbewusster ist, wird Haier erst in einigen Jahren gelangen können, sofern es die Chinesen überhaupt anstreben. Unmöglich ist es freilich nicht. Denn neben Toyota ist dies etwa auch dem koreanischen Samsung-Konzern gelungen, der nach der Billigheimerpositionierung der ersten Jahre inzwischen zum Designführer bei Mobiltelefonen geworden ist. Auch Mahindra bleibt seinem Markennamen treu, ist in den Industrieländern aber vor allem mit Traktoren präsent. Und bei denen zählen zwar Qualität und Preis, weniger aber Image und Design. Bis die Inder ihre Geländewagen auf Märkten wie Deutschland oder den USA erfolgreich positionieren, wird es allerdings noch ein wenig dauern – ähnlich wie bei der chinesischen Geely. Einen Mittelweg zwischen dem Zukauf neuer Marken und der Stärkung der eigenen Marke geht das chinesische Unternehmen Lenovo, das im Kapitel über die neuen Technologie-Champions ausführlich vorgestellt wird. Zwar hat erst der 1,7-Milliarden-Dollar-Kauf der PC-Sparte von IBM die Chinesen in den Himmel der Weltmarken gehievt. Doch Lenovo bietet nun sowohl Rechner unter der amerikanischen Traditionsmarke an als auch unter ihrer eigenen, für die Lenovo in letzter Zeit verstärkt Werbung betreibt. Die Chinesen haben zu diesem Zweck unter anderem die Fußball-Ikone Ronaldinho angeheuert oder sponsern den Washingtoner Footballklub Washington Redskins. Lenovo bemüht sich intensiv darum, auch sein Image
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als chinesischer Konzern abzulegen und hat zu diesem Zweck als eines der ganz wenigen der in diesem Buch vorgestellten Unternehmen mit Bill Amelio nicht nur einen ausländischen Chef, sondern auch seinen offiziellen Hauptsitz in ein anderes Land verlegt – in diesem Fall die USA. Die Geschäfte werden von Raleigh im Bundesstaat North Carolina und Peking aus geführt, wobei Amelio auch ein Büro in Singapur hat. „Wir machen 70 Prozent unserer Umsätze außerhalb Chinas, unser Vorstand besteht neben vier Chinesen aus sieben Amerikanern und einem Briten“, betont Amelio den internationalen Charakter des von ihm geführten Unternehmens. Firmengründer Yang Yuanqing zieht zwar als Chairman of the Board noch die Fäden, tritt aber international nicht mehr so oft in Erscheinung. Lenovo hat erkannt, dass es zum globalen Champion mehr braucht als eine internationale Präsenz. Wichtig ist auch, dass die Firmenkultur eines Unternehmens mit der Globalisierung Schritt hält. Hier freilich haben die allermeisten Unternehmen in diesem Buch – auch Lenovo selbst – noch großen Nachholbedarf. „Selbst Konzerne aus entwickelten Ländern, die seit Jahrzehnten auf globaler Basis agieren, haben Schwierigkeiten, ihre nationalen Wurzeln hinter sich zu lassen“, urteilt Ralph Shrader, Chef der Unternehmensberatung Booz Allen Hamilton. Manche der Herausforderer aus den Schwellenländern „multiplizieren ihr lokales Geschäftsmodell. Daraus entsteht aber noch kein globales Unternehmen, sondern höchstens ein ,multilokaler‘ Konzern.“
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Haier – Qualität mit dem Hammer Von Andreas Hoffbauer, Peking
Hier ist einfach alles Haier. An jeder Straßenlaterne baumeln Werbeplakate des chinesischen Elektrogeräteherstellers, auf vielen Häusern ringsum prangen die zwei geschwungenen chinesischen Schriftzeichen: Hai-Er. Auch die jungen Menschen, die an diesem Morgen in blauer Einheitskluft zur Arbeit strömen, tragen den Namen der Firma auf der Brust. In Scharen bevölkern sie die vierspurige Straße am Rande von Qingdao, die natürlich „Haier-Road“ heißt und zum „Haier-Industriepark“ führt. Ein junger Chinese winkt herüber. Er hat einen Aufkleber auf dem Moped. „I love Haier“, steht da. Hier lieben einfach alle Haier. Dabei ist die ehemalige deutsche Kolonie Qingdao eher durch ihre Biermarke Tsingtao bekannt. Doch der Küstenort gehört zu Chinas großen Hoffnungen. Olympiaaustragungsort, Umweltprojektstadt und Industrieschmiede mit Hightechambitionen – seit Jahren wachsen hier, 500 Kilometer südöstlich von Peking, ganze Stadtteile und Gewerbegelände aus dem Boden. Überall verdrängt das Neue das Alte. Auch auf dem Haier-Gelände. Neben den grauen Hallen ist eine topmoderne Fabrik für digitale Fernseher entstanden, daneben ein neues Verwaltungsgebäude. Außen eckig, innen rund – so verkörpert es architektonisch chinesische Tradition, die Vereinigung von Quadrat und Kreis. Im Innenhof plätschern Brunnen, polieren Putzfrauen dunklen Marmor. Lange, rote Spruchbänder hängen ringsum herab. Sie preisen den Erfolg der Firma und stimmen die Mitarbeiter ein: „Respekt für die Arbeit, Mühen für die Nation.“
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Man spürt, hier geht es um mehr als nur um Waschmaschinen. In der Gästekantine greifen Firmenkunden aus Deutschland, Amerika und Pakistan zu Sushi, Bratkartoffeln und Pekingente. „Haier begrüßt die Welt“, steht auf einem Schild. Denn früher als alle anderen Marken aus Maos großem Reich hat Haier den großen Sprung gen Westen gewagt. Die Marke aus Qingdao verkauft inzwischen in mehr als 160 Länder, ist bei Kühlschränken und Waschmaschinen die Nummer drei weltweit – nach Whirlpool und Electrolux, aber bereits vor Bosch und Siemens Hausgeräte (siehe Grafik). Und 1999 sorgte der Konzern für eine kleine Revolution in der Firmenwelt: Als erster chinesischer Hersteller eröffnete Haier eine Produktion im Ausland – ausgerechnet im
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Mutterland des Kapitalismus, den USA. Spätestens seitdem gilt die Marke als Musterbeispiel für Chinas wirtschaftlichen Aufstieg zum Global Player. Inzwischen macht Haier fast ein Viertel des Umsatzes außerhalb Chinas, ist mit seinen Waschmaschinen, Kühlschränken und Klimaanlagen in vielen Ländern als gut und preisgünstig beliebt. In den Fabrikhallen von Qingdao, wo einst unmotivierte Mitarbeiter Kühlschränke für die Planwirtschaft bauten, entwickeln heute Topdesigner modernste Haushaltsgeräte für die ganze Welt. Angetrieben werden sie von Zhang Ruimin, einem unkonventionellen und für seinen harten Führungsstil bekannten Do-it-yourself-Manager. Bis 1984 wälzte er in der Stadtverwaltung von Qingdao als Parteibeamter Akten. Dann bekam er mit 35 Jahren die Leitung der „Allgemeinen Kühlschrankfabrik Qingdao“ übertragen. Der alte Militärbetrieb stand kurz vor dem Bankrott, nun setzte die Stadtregierung auf den jungen, aber durchsetzungsstarken Zhang. Der machte seinem Ruf alle Ehre. Als sich ein Kunde beim neuen Werksleiter über die Qualität eines ausgelieferten Kühlschrankes beschwerte, eilte Zhang ins Lager und stellte fest, dass 76 Geräte ebenso fehlerhaft waren. Er ließ sie auf den Werkshof bringen und befahl den Beschäftigten, die Kühlschränke mit einem Vorschlaghammer zu zertrümmern. Das sorgte für Wirbel, schließlich kostete 1985 ein Kühlschrank in der Volksrepublik rund zwei Jahresgehälter eines Arbeiters. „Da es bislang in dieser Fabrik keinen Sinn für Qualitätskontrolle gegeben hat, trifft euch keine Schuld“, wetterte der neue Chef nach der Aktion vor der versammelten Arbeiterklasse. Diesmal werde das Monatsgehalt der verantwortlichen Manager reduziert. „Aber ab heute seid ihr verantwortlich. Jeder, der einen Defekt verursacht, bekommt das vom Gehalt abgezogen.“ Das saß. Zhang habe das alte, planwirtschaftliche System im wahrsten Sinne des Wortes zerschlagen, loben noch heute
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Mitarbeiter, die damals dabei waren. Der Belegschaft sei erstmals ein Qualitätsbewusstsein eingehämmert worden, „ohne das Haier auf ausländischen Märkten niemals hätte wettbewerbsfähig werden können.“ Zhangs Hammer hat darum in der Ausstellung der Haier-Zentrale einen Ehrenplatz. Täglich pilgern daran Besuchergruppen aus dem ganzen Land vorbei. An den Wänden hängen, sauber gerahmt, Ehrungen und Zertifikate, auch ein Gütesiegel der Stiftung Warentest. Und ein Stockwerk höher sind in mehreren Räumen alle Haier-Produkte aufgebaut – Computer, Waschmaschinen, Kühlschränke, Klimaanlagen, Handys, Fernseher, Computerchips. Alles made by Haier. Eher unscheinbar steht dort auch das Produkt, mit dem Zhang den Neuanfang in Qingdao schaffte. Es ist der erste Qualitätskühlschrank, der Ende der 80er-Jahre von Haier mit einer Lizenz des Herstellers Liebherr gebaut wurde. Denn nicht als frecher Kopierer, sondern mit einem deutschen Partner legte Zhang den Grundstein für die kommende Weltmarke. Auch das gibt es in China. Geblieben ist von dem deutsch-chinesischen Schulterschluss allerdings nur der Name. „Haier“ ist eine lautmalerische Ableitung des Wortes „Liebherr“ im Chinesischen. Die Partnerschaft zerbrach nach einigen Jahren an unterschiedlichen strategischen Auffassungen. „In Deutschland sind die Unternehmen nicht nur in den guten, sondern auch in den weniger guten Eigenschaften sehr beharrlich“, ätzt der Haier-Chef. „Auch in seiner Langsamkeit ist Deutschland sehr gewissenhaft.“ Haier dagegen liebe den schnellen Weg zum Erfolg. Und Anfang der 90er-Jahre wollte Zhang ganz schnell raus aus der Kühlschrankecke. Er hatte erkannt, dass Haier auf Dauer nicht mit einem Produkt überleben kann, und wandelte das Unternehmen zu einem Großhersteller mit breiter Produktpalette. Das sei vielleicht seine wichtigste Entschei-
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dung als Manager gewesen, sagt er 15 Jahre später. 1998 blies er dann zur Internationalisierung der Marke. Dass die Eroberung der Weltmärkte kein Kinderspiel ist, musste Zhang schon bald erleben. Die 2002 geschlossene Vertriebspartnerschaft mit der deutschen OBI-Baumarktkette scheiterte ebenso wie der Versuch, 2005 in den USA die bekannte Marke Hoover zu kaufen. Was folgte, war ein leiser Strategiewechsel. „Ursprünglich wollten wir durch Übernahmen unsere Marke im Ausland verbreiten, aber wegen der unterschiedlichen Firmenkulturen haben wir das aufgegeben und konzentrieren uns nun auf unsere eigene Entwicklung“, so Zhangs Kurs. Doch das kostet Geld. So bringt das Auslandsgeschäft von Haier zwar Milliardenumsatz, aber nur einen „sehr kleinen“ Gewinn. Für den staatlich kontrollierten Konzern ist dies jedoch kein großes Problem, da er in China als Marktführer bei „weißer Ware“ gut verdient. Um auf den fernen Märkten die richtigen Produkte anzubieten, setzt Haier auf Lokalisierung. Der Konzern hat Entwicklungszentren in den USA, in Europa und in Japan aufgebaut, steckt rund eine halbe Milliarde Dollar pro Jahr in die Forschung. Mit dem japanischen Konzern SANYO wurde 2007 eine Partnerschaft geschlossen, um die asiatischen Märkte aufzumischen. Und für den globalen Auftritt hat sich die Marke aus Qingdao einen modernen Schriftzug verpasst – mattsilbern, sachlich, kühl. Günstige Preise und Innovationen – Firmenchef Zhang fordert Qualität und Quantität. Er wagt damit einen Spagat, an dem schon viele Produzenten in China gescheitert sind. Doch Haier setzt auf den „sprechenden Kühlschrank“, also auf die intelligente Verknüpfung von Handy, Computer und Haushaltsgeräten. „Diese Bereiche werden immer mehr zusammenwachsen“, ist Zhang überzeugt. „Die Schlüsselfrage wird sein, wie wir bei dieser Entwicklung mithalten können.“
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Darum ist der Konzern in die Informationstechnologie eingestiegen. Und bislang hat Haier einen guten „ProduktRiecher“ bewiesen. In Amerika, dem Land der Kühlschrankgiganten, brachte man ein Minigerät mit ausklappbarem Schreibtisch auf den Markt. Was von der Konkurrenz abfällig belächelt wurde, schlug bei Studenten, die meist auf ein paar Quadratmetern leben müssen, wie eine Bombe ein. Haier hat auf dem US-Markt bei Kleinkühlschränken nun einen Anteil von mehr als 50 Prozent. Zhangs Erfolgsrezept klingt simpel: „Wir orientieren uns einfach am Markt.“ So verkauft Haier in den ländlichen Regionen Chinas mit großem Erfolg eine Waschmaschine, die auch Kartoffeln wäscht. „In Japan haben wir speziell eine Waschmaschine für Damenunterwäsche entwickelt“, nennt Zhang ein weiteres Beispiel. Zu den Olympischen Spielen 2008 bringt Haier einen Öko-Minikühlschrank ohne Motor, der in den Hotels summfrei für erholsamen Schlaf sorgen soll. Und für Frischvermählte bieten die Designer von Haier einen coolen Gag: eine Kühlschrankkombination mit dem Hochzeitsfoto auf der Tür. So etwas kommt in Asien an. So frisch wie die Ideen ist auch der neue Werbeslogan. „Haier ist das Meer“ prangt mit einer großen blauen Welle an einem der Fabrikgebäude in Qingdao. Als wolle Haier mit einem Meer von Produkten die Welt überfluten. Firmenchef Zhang vergleicht in seinem schlichten Büro den Angriff auf neue Märkte jedoch eher mit einem Boxkampf: „Du kannst deinen Rivalen nicht mit einem einzigen Schlag besiegen.“ Haier will darum Nische für Nische den Weltmarkt erobern. Der Konzern betreibt Fabriken in 13 Ländern, darunter auch in den USA, in Pakistan und in Italien. Weitere Produktionen im Ausland sind geplant, allerdings „noch nicht“ in Deutschland, sagt Zhang: „Die Kosten sind dort einfach zu hoch.“ Deutschland bleibe aber die große Herausforderung.
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„Wenn wir in Deutschland von den Kunden angenommen werden, sind wir überall wettbewerbsfähig.“ Dann gehört Haier die ganze Welt. Und das ist das erklärte Ziel des Firmenchefs: die Weltspitze. Auch wenn der Herr im schlichten Anzug, der vom US-Wirtschaftsmagazin Fortune zu einem der 25 mächtigsten Manager der Welt gekürt wurde, dies nicht so offen sagt. Denn der Haier-Chef verkörpert eine Mischung aus Ehrgeiz und Bescheidenheit, wie sie in China immer wieder zu finden ist. Als Sohn einer Arbeiterfamilie aus Qingdao kommt Zhang aus einfachen Verhältnissen. Er gehört zu der Generation von Chinas Wirtschaftsführern, die als Jugendliche noch bittere Armut erlebt haben und die nicht studieren konnten. „Ich habe mich ursprünglich sehr für Sozialwissenschaften interessiert“, sagt er lächelnd, „doch dann kam die Kulturrevolution.“ Deren Kinder formen heute mit eisernem Willen Chinas Zukunft. Sie erinnern an Deutschlands Pioniere der Nachkriegszeit: arbeiternah, autoritär, pragmatisch, kämpferisch. Zhang hat so zumindest im Zeitraffer aus einer alten Militärklitsche einen aufstrebenden Weltkonzern geformt. Als er 1984 die Kühlschrankfabrik in Qingdao übernahm, hatte der Betrieb ganze 800 Mitarbeiter. Inzwischen sind es weltweit rund 50 000 Beschäftigte. Haier sei trotz der rasanten Expansion aber noch lange kein globaler Riese, meint der Haier-Chef bescheiden. „Im Vergleich zu einem deutschen Großunternehmen sind wir ein kleiner Betrieb in einem unsicheren Umfeld.“ Noch sei Haier nicht am Ziel. Und darum predigt der „Held mit dem Hammer“ seinen Leuten eisernen Gehorsam. Das System Zhang ist knallhart. Löhne werden nur noch nach Leistung gezahlt, jedes Jahr werden die schwächsten zehn Prozent des Managements entlassen. Und Mitarbeiter müssen sich auf rote Fußabdrücke in der Fabrik stellen, wird berichtet, und ihre Fehler ein-
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gestehen. Der Haier-Chef folgt damit ganz der Tradition der chinesischen Selbstkritik. Und der Kommunistischen Partei. Die hat sogar im besten Propagandastil einen Film über ihren Vorzeigeunternehmer drehen lassen. Der Haier-Chef hat damit kein Problem. Zhang ist Jahrgang 1949, er hat immer im kommunistischen China gelebt. Seit 2002 ist er Anwärter für das mächtige Zentralkomitee der KP. Kapitalistischer Manager und kommunistischer Politiker – den Widerspruch in sich sieht er nicht. „Ich halte es für richtig, dass Chinas Unternehmer in der Partei und auch in der Führung sind.“ Die internationale Expansion sei die einzige Überlebensstrategie für chinesische Firmen wie Haier, ist Zhang überzeugt. „Wir müssen nur unseren starken Heimvorteil in globale Stärke verwandeln.“ Der „weiße“ Konzern aus Qingdao plant darum einen internationalen Börsengang. Bislang sind lediglich zwei Bereiche an der Börse notiert, einer in Schanghai und einer in Hongkong. „So wie unsere Produkte global werden, muss auch unsere Finanzierung international werden“, steht für Zhang fest. Schließlich will er Haier unter die größten 500 Firmen der Welt bringen. Zhangs Aufgabe ist also noch lange nicht erledigt. „Haier zur Weltmarke zu machen, das ist mein Lebensziel“, sagt er ruhig an seinem Schreibtisch und nippt an dem Pappbecher mit grünem Tee. Und dann steht der breitschultrige Chinese auf und geht nach unten, um in der Produktion mal wieder die Qualität zu prüfen. Einen Hammer hat Zhang jedoch nicht mehr dabei.
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Mahindra – Wachstum, Wachstum, Wachstum Von Oliver Müller, Neu-Delhi
Anand Mahindra hat einer indischen Industrie-Ikone neues Leben eingehaucht – und sich so sein Erbe neu verdient. Als junger Mann steuerte er den Familienkonzern in den 90erJahren durch den rauen Übergang zur Marktwirtschaft. Nun nutzt der 52-Jährige die Chancen, die sich durch Indiens Integration in die Weltwirtschaft eröffnen. Die MahindraGruppe gehört mit rund vier Milliarden Dollar Umsatz zu Indiens größten Konglomeraten. International spielte sie aber bis vor Kurzem keine Rolle. Das will ihr Chef ändern. „Wir haben es eilig, in allen Sparten globales Gewicht zu erlangen“, gibt er als Ziel vor. Seine Vision ist so kühn wie einfach: Der Konzern soll bei Traktoren Weltmarktführer werden und auch bei Geländewagen und als Autozulieferer international eine wichtige Rolle spielen. „Bei Geländewagen wollen wir Mahindra zur führenden Marke der Welt machen“, erklärt er mit seinem typischen Schneid. Dass diese Position von Namen wie Landrover besetzt ist, flößt dem Inder keine Ehrfurcht ein. „Warum sollten wir die nicht einholen können?“, fragt er kess zurück. So viel Selbstbewusstsein mag vermessen wirken. Denn im Weltmaßstab ist der Hersteller von Feldmaschinen und Minilastern ein Winzling und technisch noch nicht erstklassig. „Aber wer uns nicht ernst nimmt, lebt gefährlich“, warnt der Konzernchef. Es sind keine leeren Worte, zumindest was das Flaggschiff der Gruppe betrifft, die Fahrzeugtochter Mahindra & Mahindra Ltd. (M & M). Nicht ohne Grund zählt die Boston Consulting Group diese zusammen mit Tata
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Mahindra Kerndaten
Umsatz Mahindra
Geschäftsjahr zum 31.3.2007
in Mrd. US$
nach Segmenten 2006/07
Veränderung zum Vorjahreszeitraum in %
Umsatz* 4,1
+48,4
Anteil am Umsatz in %
Automobil 34,6
Konsolidierte Unternehmen 40,1
Nettoergebnis* 0,347
+22,6
in %
Marktkapitalisierung** 4,06 Mitarbeiter:*
40000
Gewinn je Aktie in US$ 03/2007:
1,47
Handelsblatt | einschließlich anteilig konsolidierter Tochterunternehmen,
Sonstiges M&M (z.B. IT Services, Finanzdienstleistungen)
4,1
Land wirtschafts maschinen 21,2
Stand 4 4 2007; Quellen Firmenangaben, Bloomberg, Thomson Financial
Motors, Bajaj Auto und Bharat Forge zu einem Dutzend neuer Herausforderer aus Asien, die westliche Platzhirsche der Autobranche unter Druck setzen. M & M geht dabei einen anderen Weg als etwa die Tata-Gruppe, die bei ihrer Globalisierung stark auf den Erwerb eingeführter ausländischer Marken setzt: Das Unternehmen aus Bombay will der eigenen Marke zu Weltgeltung verhelfen. Wie schnell das möglich ist, haben Samsung, LG Electronics oder Hyundai vorgemacht. Mahindra ist Teil einer neuen Welle asiatischer Unternehmen, die auf den Spuren der Südkoreaner und ihrer Vorgänger aus Japan wandeln. Bei Landmaschinen etabliert sich die Marke international bereits, vor allem mithilfe kleinerer Traktoren. Diese produzieren die Inder außer in der Heimat auch in China und in Montagewerken in den USA und Australien. M & M ist der viertgrößte Traktorhersteller der Welt nach Stückzahl, hinter Fiat, AGCO und
Mahindra – Wachstum, Wachstum, Wachstum
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John Deere. „Die behandeln uns als Feind Nummer eins“, freut sich der Firmenchef. Er will alle überrunden, wenn möglich mit einer großen Übernahme. Mit seinen Autos, Autoteilen und Landmaschinen steuert M&M zwei Drittel zum Gruppenumsatz bei und die Hälfte des Gewinns. Der Rest stammt aus Finanzdiensten, dem Bau von Infrastruktur und von der hoch profitablen Softwaretochter Tech Mahindra. Deren rasant steigende Exporte von IT-Dienstleistungen profitieren von Indiens bekannt günstigen Ingenieuren. Derselbe Standortvorteil hilft M & M aber auch, mit anspruchsvollen Industrieprodukten Weltmärkte zu erobern. Nicht Billigfertigung wie in China sondern „billige Innovation“ erklärt Anand Mahindra zu Indiens größtem Standortvorteil: „Nirgends auf der Welt bekommen Sie gute Ideen günstiger.“ Sein Paradebeispiel ist der Mahindra Scorpio. Die Entwicklung dieses Geländewagens hat nur 120 Millionen Dollar gekostet. Im Westen wäre das Sechsfache fällig gewesen. „Aber Qualität und Verlässlichkeit sind mit internationalen Herstellern vergleichbar“, befindet eine Studie der Deutschen Bank. Das bestätigt der Marktforscher J. D. Power. In dessen Kundenzufriedenheitsranking teilt sich Mahindra in Indien Platz drei – mit Toyota. Dabei ist das robuste, bullige Auto mit Macho-Appeal in seiner Basisversion billiger als ein VW Golf. Vor allem kostet es viel weniger als SUVs von Toyota, Ford oder Hyundai. Gegen diese harten Konkurrenten hält Mahindra dank seines Erfolgsmodells über 40 Prozent an Indiens lukrativem Geländewagenmarkt. Zwar lag die Jahresproduktion des Scorpio mit 30 000 Stück im Jahr 2006 im Weltmaßstab niedrig. Doch ausgelastete Kapazitäten und geringe Entwicklungskosten erlauben gute Profite. Bald folgt das nächste Modell aus der hauseigenen Entwicklungswerkstatt: der Ingenio, ein Van. „Wir haben noch viele Asse im Ärmel“, verkündet der Firmenchef und zerstreut Sorgen, sein Gelände-
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Die neuen Weltmarken
wagen könne ein Einmal-Hit bleiben. M&M hat zwar viel weniger Geld für Forschung und Entwicklung als westliche Rivalen. „Aber mehr Geld macht Forschung doch nicht effizienter“, schnauft Mahindra. Mangel an Ressourcen ist für ihn „ein Katalysator für Erfindergeist“. Inder wie er sind Meister darin, aus der Not eine Tugend zu machen. Ihr Land wartet mit einem der wachstumsstärksten Automärkte der Welt auf. Die Heimat wird daher auf absehbare Zeit die Hauptgewinnquelle bleiben für Mahindras Autosparte. Dennoch sieht der Unternehmer keine Alternative zur Internationalisierung: „Wir sind im eigenen Land nie sicher, solange wir nicht auf den Heimatmärkten unserer Wettbewerber bestehen“, lautet sein Credo. Er setzt dazu vor allem auf einen Trumpf: die Preis-Leistungs-Karte. Billigautos kommen auch im Westen in Mode, und aufgrund des Mobilitätsbooms in Schwellenländern stellen sie weltweit das Fahrzeugsegment mit dem höchsten Wachstum. Autobauer in Europa und den USA haben diese Entwicklung auf ihrer Jagd nach immer teureren Premiummodellen verschlafen. Das verschafft Anbietern aus Asien einen Vorteil, nicht nur Hyundai oder Chery. In Afrika und Osteuropa wachsen die Zulassungszahlen des Scorpio von niedrigem Niveau rasant, aber auch in Frankreich, Italien und Südafrika wird das Auto schon vertrieben. Nun folgen Spanien und Portugal, bald soll Deutschland an die Reihe kommen. In Russland ist das erste ausländische Montagewerk geplant. Weitere könnten folgen, heißt es im Konzern. Das größte Wagnis ist jedoch der Gang nach Amerika, wo M & M den Scorpio 2007 einführt. Geländewagen sind auf dem wichtigsten Automarkt der Welt unter Druck geraten, aber Mahindra schreckt das nicht. „Die Amerikaner lieben SUVs noch immer“, glaubt er. Käufer wollten nur kompaktere Versionen, die weniger Sprit schlucken. Zwang zur Sparsamkeit sind die Inder von ihrer heimischen Kundschaft gewohnt. Außerdem haben sie schon Anfang 2006 die
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erste Studie eines Hybrid-SUVs außerhalb Japans vorgestellt, und ihr Scorpio fährt mit billigem Diesel. Dieser Treibstoff ist in den USA unpopulär. „Aber sparsamen dieselelektrischen Antrieben gehört die Zukunft“, prophezeit Mahindra, „auch dort.“ Stünde er selbst im Verkaufsraum, würde der Firmenchef seine Autos auch auf den härtesten Märkten der Welt gut an den Mann bringen. Dunkle Haartolle, kesser Schnauzer, schneidiger Blick, energisches Auftreten und ein im Fitnessstudio trainierter Körper machen ihn schon äußerlich zum Botschafter einer Firma, die mit sportlichen Geländewagen den Weltmarkt aufrollen will. Zudem ist Mahindra ein geborenes Marketingtalent – auch für sein Land. Der Unternehmer ist zu einem der wortgewandtesten Verkäufer Indiens geworden. Auf internationalen Foren und im Fernsehen ist er allgegenwärtig. Der Medienprofi sucht das Rampenlicht und findet es, ob beim World Economic Forum im schweizerischen Davos oder in Diskussionsrunden auf CNN oder BBC. Als habe er ein Globalisierungsgen im Blut, tritt dieser Weltbürger mit indischem Pass hemdsärmlig und chronisch gut gelaunt auf wie ein Amerikaner, gibt sich kultiviert und stilbewusst wie ein Europäer und hat sich gleichzeitig ein feines Gespür für die Besonderheiten seines Heimatlandes bewahrt. Er verkörpert den Typus des modernen indischen Managers: global im Denken und streng fokussiert auf Ertragskraft, Transparenz und Investorenfreundlichkeit. Die Globalisierung seines Konzerns ist für den Unternehmer der logische nächste Schritt nach dessen Generalüberholung. An der Heimatfront hat die Gruppe viele Probleme bewältigt: Die wichtigsten Sparten sind in ihren jeweiligen Nischen zu Marktführern geworden, und alle Geschäftsfelder blühen. Die Börsengänge der Finanz- und der Softwaretochter zählten zu Indiens größten und erfolgreichsten des Jahres 2006 und haben viel Geld in die Kriegs-
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kasse geschwemmt. Diese war schon zuvor gut gefüllt, denn alleine zwischen 2002 und 2006 haben sich Umsatz und Gewinn verdoppelt. M & Ms Aktienkurs hat sich in derselben Zeit verzwanzigfacht und den Börsenindex Sensex um Längen geschlagen. Absehbar war dies nicht, als der Nachwuchsmanager in dritter Generation an die Spitze des soliden, aber schläfrigen Familienunternehmens rückte. Es war 1991, in dem Moment, als Indien seine Wirtschaft entfesselte und für Konkurrenz aus dem Ausland öffnete. Der neue Chef war erst Mitte 30. Aber noch nötiger als Erfahrung waren damals frische Ideen. „Wir hatten Museumsprodukte und mussten die Belegschaft überzeugen, mehr als ein paar Stunden pro Tag zu arbeiten“, erinnert sich Mahindra an die ersten Herausforderungen. Quasi als Gesellenstück musste er das Konglomerat von Grund auf sanieren. Er trennte sich von Randaktivitäten, vervielfachte die Produktivität, modernisierte die Produktion und ordnete die Gruppe in sechs klar voneinander abgegrenzten Sparten neu. Besonders lagen ihm zwei für M & M völlig neue Konzepte am Herzen: Marketing und Innovation. Es dauerte, bis der quirlige Aufsteiger die letzten Skeptiker mundtot gemacht hatte. Der endgültige Durchbruch kam erst mit dem Scorpio. „Dieses Auto wurde zum äußeren Symbol für die radikale innere Transformation des ganzen Konzerns“, erinnert sich der Chef. Zuvor hatte das 1945 gegründete Unternehmen hauptsächlich Traktoren produziert, technisch einfache Kleinlaster hergestellt und antiquierte Jeeps nachgebaut, mit denen die Briten schon in den Zweiten Weltkrieg gefahren waren. Pessimisten sahen die Autosparte daher am Ende, als sich Indiens Markt Anfang der 90er-Jahre mit einem Schlag für Toyota, Hyundai und Ford öffnete. Sie unterschätzten den Mut der Verzweiflung. „Wir waren zu einem kühnen Sprung in die Zukunft gezwungen“, begründet Mahindra den damals
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umstrittenen Entschluss, ohne jede Erfahrung die Entwicklung eines eigenen Autos voranzutreiben. Nun steht er vor anderen Herausforderungen. Beim Gang ins Ausland haben bereits andere Autobauer aus Schwellenländern ihr Waterloo erlebt. Mahindra will dies mit einer Nischenstrategie vermeiden, die sich auf Geländewagen, leichte Traktoren und Kleinlaster konzentriert, mit denen sich seine Firma seit Langem auskennt. Ins Massengeschäft mit Pkws und größeren Lkws wagt er sich nur zusammen mit erfahrenen Partnern – allerdings in großen Schritten: Ein Joint Venture mit Renault produziert seit Anfang 2007 das Billigauto Logan in Indien mit einer Jahreskapazität von 50 000 Stück. Noch bevor der erste vom Band gelaufen war, gaben die Partner Investitionen von fast einer Milliarde Dollar frei für ein neues Werk mit zehnfach höherer Kapazität. Das neue, auch auf Exporte ausgelegte Gemeinschaftswerk entsteht in Chennai (Madras). Auch Nissan ist dieser Produktionsallianz beigetreten. Die Zusammenarbeit zwischen Franzosen, Japanern und Indern bei der Massenproduktion von Billigautos dürfte den verspäteten, für 2009 geplanten Markteintritt von Volkswagen in Indien weiter erschweren. Mit derselben Strategie und ähnlicher Aggressivität stößt Mahindra in den Lastwagenmarkt vor: Zusammen mit dem US-Riesen Navistar entsteht ein 560 Millionen Dollar teures Werk, das bis zu 250 000 Fahrzeuge im Jahr herstellen kann, 2009 anlaufen wird und ebenfalls kräftig exportieren soll. Beide Allianzen helfen den Eigenentwicklungen: Nischenprodukte wie der Scorpio kommen durch gemeinsam mit anderen genutzte Fabriken in den Genuss sonst unerreichbarer Größenvorteile. „Wie Äste eines Baums, die aus derselben Wurzel trinken“, illustriert Mahindra die Synergien. In den ständigen Allegorien und Metaphern, mit denen er seinen rasanten Redefluss garniert, schimmert ein verhinderter Künstler durch. Der Spross einer der bekanntes-
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ten Fabrikantendynastien des Landes wehrte sich gegen eine standesgemäße Studienlaufbahn: Mahindra ging zwar brav nach Harvard, studierte dort aber zunächst Filmwissenschaften. Erst danach sah er den Nutzen eines MBAs ein und brachte auch den nach Hause mit. Aber bis heute würzt er selbst die trockensten Businessthemen mit blumigen Bildern: „Wir sind doch kein kurzsichtiger Frosch, der meint, er jage in einem überschaubaren Tümpel, ohne dabei zu merken, dass er auf dem offenen Ozean treibt!“ So begründet er zum Beispiel die Notwendigkeit, alle Geschäftsfelder für den globalen Wettbewerb fit zu trimmen. Die Großinvestitionen in den Bau neuer Fabriken sowie die Entwicklung neuer Produkte und deren Vermarktung im Ausland haben die Finanzkraft der Gruppe nicht erschöpft. Diese ist wie viele konservativ wirtschaftende indische Firmen kaum verschuldet und wirft pro Jahr 550 Millionen Dollar freien Cashflow ab. „Wir könnten drei Milliarden Dollar Kredit aufnehmen, ohne unsere Bilanz zu gefährden“, lacht Finanzchef Bharat Doshi. „Kommt die richtige Gelegenheit, sind wir bereit für einen großen Deal.“ Bislang war M & M bei Übernahmen jedoch vorsichtig. Zukäufe in Deutschland, England, China und Indien blieben meist unter der Schwelle von 100 Millionen Euro. Beim Kampf um die finnische Traktorgröße Valtra stiegen die Inder 2003 bei 350 Millionen Euro aus. „Wachstum, Wachstum, Wachstum, ja, das wollen wir“, fordert Doshi – und bremst doch gleich wieder: „Aber nicht um jeden Preis.“ Auch bei Investitionen hat der Finanzchef ein scharfes Auge darauf, dass Manager des Hauses trotz des Wirtschaftsbooms um sie herum einen kühlen Kopf bewahren. Hartnäckig pocht er darauf, dass jede Fabrik in der Lage ist, bei 50 Prozent Auslastung verlustfrei zu arbeiten. Dazu müssen die Fixkosten sehr niedrig liegen. „Märkte fluktuieren“, begründet Doshi eine Vorsicht, die er mit vielen indischen Managern teilt. Sie sind aus Erfahrung klug:
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Anders als China ist ihr Land nach der Liberalisierung durch schmerzhafte Rezessionen gegangen. „Wir brauchen immer ein sicheres Basislager, in das wir uns schnell zurückziehen können, wenn ein Sturm aufkommt“, meint der Finanzchef. Auch wenn ein großer Deal im Ausland ausbleibt, dürfte das Unternehmen aus eigener Kraft stark weiter wachsen. Sein Heimatmarkt boomt, die Exporte florieren, und aus den Fertigungsallianzen könnten bald Entwicklungspartnerschaften werden, wie bereits zwischen Tata Motors und Fiat. Renault-Chef Carlos Ghosn zeigt Interesse: „Wir wollen nach dem Logan ein weiteres Billigauto entwerfen, und ohne Hilfe aus Indien wäre das schwierig“, erkennt er. Der Wagen soll mit rund 3000 Dollar fast die Hälfte des Logan kosten und zielt damit in eine ähnliche Preisklasse wie Tata Motors revolutionäres Billigauto, das 2008 starten soll. „So ein Modell kann man nirgends in der westlichen Welt entwickeln“, weiß Ghosn, nicht nur wegen der hohen Ingenieurlöhne, sondern auch weil dort das Know-how für Einfachstlösungen fehle. Noch haben sich die Franzosen nicht auf Mahindra als Partner festgelegt. Aber Entwicklungsaufträge für Renault oder Navistar erledigen M & Ms 1400 Ingenieure schon. Deren Zahl wird stark anschwellen, wenn die Firma 2008 ihr neues Autoforschungszentrum in Chennai (Madras) eröffnet. Mit dem Aufbau günstiger Entwicklungskompetenzen positioniert sich M & M für die riesige Offshoring-Welle, die Experten angesichts des Kostendrucks in der westlichen Autoindustrie auf Indien zurollen sehen. Diese soll der lange auf den Heimatmarkt konzentrierten Autozulieferersparte zu globaler Bedeutung verhelfen: Die auf Guss- und Schmiedeteile spezialisierte Tochter Systec will ihren Umsatz bis 2010 auf eine Milliarde Dollar verdoppeln. Um sich für Exportaufträge zu empfehlen, wandelt sie sich zu einem modernen Produktionsdienstleister, der vom Entwurf über
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das Testen bis zur Herstellung eines Autoteils und der dafür nötigen Maschinen alles aus einer Hand anbieten kann. Systec folgt damit dem Beispiel von Bharat Forge, dem härtesten Rivalen. Die Inder produzieren Teile vergleichbarer Qualität laut eigenen Angaben ein Drittel billiger als Konkurrenten in Europa. Aber für den schnellen Vorstoß in anspruchsvolle, höherwertige Produkte und den komplexen Entwicklungsprozess fehlt ihnen das Know-how. „Zum Sprung an die Weltspitze braucht Systec eine globale Kundenbasis und Spitzentechnologie, und zwar schnell“, weiß Mahindra. Das erklärt eine Serie von Zukäufen im Jahr 2006. Die strategisch wichtigsten waren zwei deutsche Traditionsfirmen der Schmiedebranche: Jeco in Essingen und Schöneweiss in Hagen. Um letztere hatte der Unternehmer aus dem fernen Bombay zwei Jahre hartnäckig geworben. Am Ende erkannten die Deutschen, dass sie zum Überleben Größe, einen neuen Kostenmix und einen Fuß in den Schwellenländern brauchten. Nach seinen eigenen Worten hatte Firmenchef Harald Korte die Wahl: „Verbünden oder untergehen.“ Einfache Arbeiten wandern nun von Essingen und Hagen nach Indien. Entlassen will Mahindra bei den deutschen Töchtern niemanden, im Gegenteil. „Beides sind gesunde Firmen“, sagt er, „sie sollen wachsen, wo sie konkurrenzfähig sind“: bei hochwertigen Teilen und Produktentwicklung. Allen Erfolgen zum Trotz bemängeln manche Kritiker, der Gruppe fehle der Fokus und ihre Verschachtelung binde Managementressourcen. Sie fragen nach den Synergien zwischen einem Traktorfabrikanten, einem Spezialisten für Telekomsoftware und einer Firma, die Gewerbegebiete entwickelt. „Konglomerate sind im Westen aus der Mode gekommen, aber ich sehe ihre Vorteile jeden Tag“, verteidigt Mahindra ein Businessmodell, das unter Asiens Familien-
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firmen ungebrochene Popularität genießt. Zumindest in Schwellenländern seien sie den Organisationsmodellen westlicher Konzerne überlegen. Wo sich durch den Rückzug des Staats oder steigende Kaufkraft ständig neue Geschäftschancen auftun, machen Firmen-Bauchläden für den Inder aus vielen Gründen Sinn: Die Wachstumschancen seien so groß, dass es für kapitalkräftige Firmen sträflich wäre, sie vorbeiziehen zu lassen. Außerdem machen es unreife, undurchsichtige Märkte ohne Anleger- und Verbraucherschutz Firmen schwer, das Vertrauen von Kunden, Investoren und Nachwuchstalenten zu gewinnen. „Wir bürgen mit unserem Namen für Integrität und Werte in allen Geschäftsfeldern“, beteuert Mahindra, „dafür zahlen die Märkte einen Aufschlag.“ Einen Nachteil der Gruppenstruktur hat er behoben: Seit alle Sparten separat an der Börse sind, brauchen Anleger nicht in ein Gemisch von Firmen zu investieren, und Analysten können die einzelnen Aktien besser beurteilen und an Konkurrenten messen. Auch bei Corporate-Governance-Rankings schneiden die Gruppenfirmen gut ab. Forbes stuft den Konzern unter die 200 angesehensten Firmen der Welt ein und unter die zehn mit dem besten Ruf in Indien. Allen Umbauarbeiten zum Trotz hat Mahindra stets dafür gesorgt, dass seine Familie im Konzern das Sagen behält. Das stärke die Integrität einer Firma und deren Langlebigkeit. Vom Standardmodell westlicher Konzerne hält er wenig: „Angestellte Manager denken doch nur in Quartalszahlen und Aktienoptionen.“
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Tsingtao – Chinas Markenmythos Von Andreas Hoffbauer, Peking
Unentwegt sprudelt es aus der Riesenflasche. Vor der überdimensionalen Bierpulle aus grauem Waschbeton, umringt von acht ebenso gigantischen steinernen Bechern, lächelt eine Chinesin für ein Foto in die Sonne. Der Brunnen im sozialistischen Betonkitsch, der vor der Tsingtao-Brauerei in der ostchinesischen Küstenstadt Qingdao plätschert, erinnert viele Besucher noch an die Zeiten, als es unter Maos Planwirtschaft eine Flasche Tsingtao nur auf Zuteilungsschein gab. Das ist Vergangenheit. Die Tsingtao Brewery Co. Ltd. aus der ehemaligen deutschen Kolonie an Chinas Ostküste zählt heute zu den zehn größten Brauereien der Welt. Der Konzern ist an den Börsen in Schanghai und Hongkong notiert und gehört zu mehr als einem Drittel ausländischen Investoren. Über die modernen Abfüllanlagen klackern und rattern täglich Hunderttausende von Flaschen und Dosen. „Unser Bierausstoß entspricht einem Drittel der gesamten deutschen Bierproduktion“, ruft Chefbraumeister Fan Wei gegen den rappelnden Lärm. Tsingtao braut wie am Fließband: Zwischen 1996 und 2006 hat die Bierproduktion des Konzerns um das 15-Fache auf rund 45 Millionen Hektoliter zugelegt. Mehr als 50 lokale und regionale Brauereien im Land wurden in diesem Zeitraum geschluckt. Mit 30 000 Beschäftigten und einem Umsatz von umgerechnet fast 1,5 Milliarden Dollar peilt Tsingtao für 2010 eine Bierproduktion von 80 Millionen Hektolitern an. Zum Vergleich: Deutschlands Spitzenreiter, die Marke Krombacher, kam 2006 auf ganze 5,3 Millionen Hektoliter.
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Der Drache ist durstig: Immer mehr Chinesen genießen ihren neuen Wohlstand bei einem Bierchen. Nicht immer, aber immer öfter wird zum Essen statt der Tasse grünen Tees die grüne Flasche aus Tsingtao bestellt. Seit 2002 ist China das Bierland Nummer eins auf der Welt – vor den USA und vor Deutschland. Mit 300 Millionen Hektolitern produzierte die Volksrepublik 2006 dreimal so viel Bier wie die Heimat von Warsteiner & Co. Bis 2015 wird die Volksrepublik die Hälfte des weltweiten Wachstums am Biermarkt liefern, so die Experten. Die chinesischen Bierproduzenten, deren Zahl von 1200 auf noch immer 500 geschrumpft ist, bedienen darum vor allem einen Markt – China, China, China. Tsingtao war da allerdings schon immer eine Ausnahme. Bereits 1954, also schon in den frühen Anfangsjahren von Maos Volksrepublik, lieferte die Brauerei aus Qingdao ihr
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Bier ins Ausland. 1972, als US-Präsident Richard Nixon zum historischen Besuch nach Peking kam, ging Tsingtao im Gegenzug nach Amerika. Dort wurde das Bier zur Kultmarke. 1979, gleich zu Beginn von Chinas wirtschaftlicher Öffnung, erklärte die kommunistische Führung Tsingtao zum offiziellen Exportbier. Inzwischen gibt es das Bier in mehr als 50 Ländern. Die Brauerei aus der Provinz Shangdong ist der größte Bierexporteur der Volksrepublik. Damit hält Tsingtao einen Rekord: Keine Firma aus dem Reich der Mitte besitzt schon so lange einen so guten Ruf im Ausland, und hat diesen auch noch über Krieg, Planwirtschaft und Wettbewerb retten können. Dabei diente das Auslandsgeschäft von Tsingtao stets mehr der Propaganda denn dem Umsatz. „Nur ein bis zwei Prozent unserer gesamten Produktion brauen wir für den Export“, sagt Chefbraumeister Fan Wei. Das soll sich nun ändern. Im Jahr 2002 hat der Konzern aus Qingdao die Weichen zur globalen Expansion gestellt und eine Allianz mit einem der Weltmarktführer, dem US-Konzern Anheuser-Busch, geschlossen. Im gleichen Jahr eröffnete Tsingtao seine erste Brauerei außerhalb des chinesischen Festlands – in Taiwan. Von hier aus erobert Chinas Topmarke den südostasiatischen Markt, der Sprung nach Amerika und Europa soll bald folgen. Gerade der Einstieg auf den deutschen Markt sei aber schwierig, sagt Fan Wei. „Wir haben uns dort vor Jahren umgeschaut, als viele Brauereien schließen mussten.“ Allerdings ohne Erfolg. Unter den chinesischen Biersorten gilt Tsingtao als einzige Marke, der eine globale Expansion wirklich zugetraut wird. Eine Studie der Deutschen Bank zählt das Bier zu den „chinesischen Champions“, die auf den Weltmärkten antreten können. Das hat aber nicht nur mit dem Produkt zu tun, sondern auch mit Politik. Chinas Regierung hat Tsingtao ausgewählt, ein echter Weltkonzern zu werden.
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Die Marke aus Qingdao ist gern Vorbild für Chinas Führer: Bereits 1993, also nur ein Jahr, nachdem Wirtschaftsreformer Deng Xiaoping mit seiner historischen Südchinareise das Ende der Planwirtschaft besiegelt hatte, ging der Bierbrauer als erstes Unternehmen Chinas an die Börse. Inzwischen gehören 27 Prozent Anheuser-Busch, finden sich unter den Tsingtao-Aktionären Namen wie die Bill & Melinda Gates Foundation, Merrill Lynch und die Deutsche Bank. Anfang 2007 wurde der Staatsanteil – rund ein Drittel – in handelbare Aktien umgewandelt. Allerdings ist dies nur ein erster Schritt zu einer möglichen Privatisierung, denn das Aktienpaket wird weiter von einer staatlichen Investmentgesellschaft verwaltet. Eine ausländische Mehrheit bei Tsingtao sei undenkbar, meint Chefbraumeister Fan Wei: „Eine so große Marke wird die Regierung nicht verkaufen.“ Als größtes Kapital des Bierriesen gilt der traditionsreiche Name. So wie Konfuzius seit Jahrhunderten für chinesische Kultur steht, verkörpert der Name Tsingtao seit Langem den chinesischen Markenmythos. 2006 wurde die Marke mit umgerechnet zwei Milliarden Euro bewertet. Im gleichen Jahr wählte das US-Magazin Fortune das Bier aus Qingdao erstmals unter die 20 Topmarken der Welt. Der Grundstein für diesen Erfolg wurde bereits 1897 gelegt – ausgerechnet mit einem Doppelmord. Als im chinesischen Hinterland zwei deutsche Missionare umgebracht wurden, nutzte Kaiser Wilhelm II. in Berlin dies aus, um sich endlich ein Stück von China zu sichern. Schließlich waren die Briten bereits in Hongkong, machten sich Russen, Franzosen und Amerikaner in Schanghai breit. Also landeten die Deutschen in der Bucht von Kiautschou (der heutigen Provinz Shangdong) und besetzten, 500 Kilometer südöstlich von Peking, im Handstreich ein Gebiet so groß wie der Bodensee. Mit deutscher Gründlichkeit bauten die neuen Kolonialherren eine Stadt nach deutschem Muster auf – mit viel Fachwerk, zwei Kirchen und roten Spitzdächern.
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Noch heute ist dies alles zu sehen. Qingdaos Altstadt ist ein sehr beliebtes Touristenziel. Denn in Tsingtau, so die erste Schreibweise des Ortes, gab es vor gut 100 Jahren nicht nur ein „Kaiser-Wilhelm-Ufer“ und die „Bismarckstraße“, sondern auch Kanalisation, Zollamt, Gefängnis und einen Schlachthof. Und wo Deutsche sind, darf eine Brauerei nicht fehlen. Vor allem, wenn man den Gerstensaft sonst mühsam per Schiff von weit her herbeischaffen muss. So wurde ab 1903 an Chinas Küste die erste Brauerei gebaut und bald frisches Bier der nahen „Germania-Brauerei“ ausgeschenkt. Das sorgte damals selbst in der Heimat für Aufsehen: 1906 erhielt das Bier auf einer Gewerbemesse in Nürnberg „die Preis-Medaille mit dem Grade der Goldenen“ verliehen, wie eine Jugendstilurkunde im Biermuseum von Qingdao erinnert. Am Eingang des Museums stehen auch alte SiemensMaschinen, die 1903 eigens nach China verschifft wurden. Diese waren noch 1993 im Einsatz der Tsingtao-Brauerei, sagt Pressesprecher Zhao Wen Yuan beim Rundgang: „Die funktionieren heute noch.“ Mitte der 80er-Jahre wurde jedoch neue Brautechnik in Qingdao installiert – meist „made in Germany“. Denn von Chinas Bierboom profitieren Deutschlands Hersteller von Braumaschinen schon seit Jahren. Sie liefern rund zwei Drittel der Ausrüstungen in Chinas Brauereien. Dagegen findet Chinas Bierboom ohne die Beteiligung der deutschen Brauereien statt. Die Deutschen hätten die beste Brautechnik und das beste Bier, schüttelt TsingtaoBraumeister Fan Wei den Kopf: „Aber für Weltmärkte wie in China sind deutsche Brauereien zu klein und zu unflexibel.“ Bei Tsingtao findet man die deutschen Wurzeln ebenfalls nur noch im Museum. Im Vorstand wird englisch gesprochen, und das deutsche Reinheitsgebot ist schon lange auf der Strecke geblieben. Denn neben Hopfen und Malz benutzen Asiens Braumeister vor allem Reis. Beim Tsingtao macht
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Reis rund ein Drittel aller Zutaten aus, sagt Braumeister Fan Wei: „Der Geschmack wird dadurch leichter.“ Das liege voll im Trend. „Deutsches Bier ist für die meisten Chinesen viel zu bitter und zu stark“, erklärt der gertenschlanke Chinese, der schon ein Vierteljahrhundert in der Brauerei arbeitet und sein Diplom in München abgelegt hat. Der Job sei für ihn anfangs schon schwierig gewesen, so der Endvierziger. Wie die meisten Chinesen kannte Fan Wei kein Bier: „Ich mochte es überhaupt nicht, als ich es das erste Mal getrunken habe.“ Noch Anfang der 90er-Jahre war Bier in China ein seltenes Getränk. Der durchschnittliche Pro-Kopf-Verbrauch lag bei rund sechs Litern im Jahr. Um mit der Marktöffnung die Massen für das eigene Produkt zu gewinnen, kupferte der Vorstand der Tsingtao-Brauerei mal wieder urdeutsche Bierkultur ab: 1991 organisierte man das erste Oktoberfest in Qingdao. Seitdem gehören in der chinesischen Hafenstadt jeden Sommer Krachlederne und Bierseidel zum Alltagsbild. Dann feiert Qingdao sein Bierfest. Die Millionenstadt am Fuße des heiligen Laoshan-Berges ergibt sich dem kollektiven Besäufnis. Denn was als lokale Bierpromotion begann, lockte 2006 bereits vier Millionen Besucher an. Auf dem Festgelände in Qingdao stehen nicht nur Zelte von Budweiser und Carlsberg, sondern auch von Paulaner und dem Münchner Hofbräuhaus. „Der chinesische Markt hat einfach ein riesiges Potenzial“, so Chefbraumeister Fan Wei. „Das ist ja auch der Grund, warum alle großen Braukonzerne der Welt nach China kommen.“ Der Pro-Kopf-Verbrauch liegt inzwischen bei 25 Litern, soll aber bereits 2015 die doppelte Menge erreichen. Solche Zuwachsraten haben die ausländischen Bierriesen angelockt. Neben Anheuser-Busch sind SAB Miller (Südafrika), Scottish & Newcastle (UK), InBev (Belgien/ Brasilien), Heineken (Niederlande) und Carlsberg (Dänemark) vor Ort. Die Strategie, Premiumbier aus Europa und
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Amerika in China zu verkaufen, schlug jedoch zunächst fehl. Für die Chinesen waren die fernen Edelbiere Mitte der 90er-Jahre zu unbekannt und zu teuer. Inzwischen haben die internationalen Bierriesen ihre Chinastrategie geändert. Sie setzen für den Marktzugang der eigenen Marken auf Partnerschaften mit lokalen Brauereien. Für Tsingtao & Co. bringen die ausländischen Beteiligungen nicht nur Kapital und Technologie, sondern auch Hilfe in Bereichen wie Marketing, Vertrieb und Controlling. Dennoch sieht man bei Tsingtao die Partner aus Übersee mit gemischten Gefühlen. „Der chinesische Biermarkt gerät mit den internationalen Konzernen noch stärker unter Wettbewerbsdruck“, klagt Tsingtao-Chairman Li Guirong. Und das bei steigenden Preisen für Energie und Grundstoffe. Die Gewinnspannen auf Chinas Biermarkt sind darum bereits stark geschrumpft, warnen Analysten. Wegen des Konkurrenzkampfes können die Bierpreise aber nicht erhöht werden. Bier kostet in China oft weniger als Mineralwasser. Der Preis für eine Flasche Tsingtao (640 Milliliter) lag 2007 in Peking bei umgerechnet 70 Euro-Cent. Das lokale Yanjing gab es schon für die Hälfte. Da zählt nur noch die Masse. Doch trotz der bereits erfolgten Branchenkonsolidierung stehen Chinas zehn größte Brauereien gerade einmal für zwei Drittel des gesamten Bierumsatzes. „Chinas Biermarkt ist wie ein Puzzle“, sagt Fan Wei, „er ist in viele kleine Stücke zersplittert.“ Tsingtao liefert sich mit Konkurrenten wie Snow und Yanjing seit Jahren ein heftiges Gerangel um die Marktführung. „Die Konsolidierung wird sich mit dem härteren Wettbewerb weiter fortsetzen“, ist Tsingtao-Chairman Li überzeugt. Er hatte 1996 die Führung übernommen, als das Unternehmen in eine Krise schlitterte, die Verkäufe drastisch sanken. Tsingtao habe sich damals völlig überschätzt und geglaubt, allein mit dem Traditionsnamen den harten Wettbewerb zu gewinnen, sagen Experten.
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Der neue Chairman setzt nun auf Marketing und internationale Strategie. Chinas Kultbier hofft dabei vor allem auf die Olympischen Spiele 2008 in Peking, zu deren Hauptsponsoren die beiden Rivalen Yanjing und Tsingtao gehören. Chinas großer Auftritt vor der Welt soll für die Marke aus Qingdao zum globalen Sprungbrett werden und Tsingtao zur „international führenden Biermarke“ machen, hat das Management erklärt. Neue Werbekampagnen setzen auf ein „junges, modernes und internationales Image“ weltweit. Und für die Spiele hat Fan Wei sogar sein erstes „sportliches“ Bier gebraut. Unter dem Namen „Huang Dong“ (Freude am Sport) hat Tsingtao dies als Trendbierchen mit wenig Alkohol auf den Markt gebracht. „Junge Leute lieben Sport“, sagt der Bierbrauer und prostet mit seinem Glas zu. „Und junge Leute lieben Bier.“ Und das gelte übrigens überall auf der Welt.
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Li Ning – Olympia als Katapult Von Andreas Hoffbauer, Peking
So strahlen Überraschungssieger. Die 24-jährige Shan Zhang reißt jubelnd die Arme in die Luft. Die goldene Medaille auf ihrer Brust blinkt in der spanischen Sommersonne. Chinas Entdeckung im Schießsport hat 1992 bei den Olympischen Spielen in Barcelona allen Grund zur Freude: Sie steht erstmals ganz oben auf dem Siegertreppchen. Auch Fu Mingxia wird in diesem Jahr zum Star. Mit 13 Jahren ist sie die jüngste Olympiasiegerin aller Zeiten. Das Foto der zierlichen Turmspringerin, beim kühnen Sprung vor der malerischen Kulisse Barcelonas, geht um die ganze Welt. Das Mädchen aus China schafft es sogar auf das Titelblatt des US-Magazins Time. Für die Volksrepublik war das eine Sensation. Und für Li Ning der große Durchbruch. Der Sportartikelhersteller aus Peking, erst zwei Jahre zuvor vom Turnsuperstar Li Ning gegründet, war in Barcelona erstmals als Sponsor von chinesischen Sportlern wie Shan Zhang oder Fu Mingxia angetreten. Und schon gehörte die im Ausland noch völlig unbekannte Marke zur Weltspitze, war das flach gezogene „L“-Logo auf Titeln, Sportseiten und im Fernsehen zu sehen. Er sei 1992 sehr stolz gewesen, als er chinesische Olympiasieger in der Sportkleidung seiner Firma „und nicht in Anzügen von Nike oder adidas“ gesehen habe, hat der Firmengründer und Chairman einmal gesagt. Inzwischen ist das keine Sensation mehr. Nicht nur Athleten aus China tragen sein Firmenzeichen auf Brust und Schuhen. Die aufstrebende Marke aus der Volksrepublik hat bereits international Fuß gefasst. Mit den Basketballnationalmannschaften
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von Spanien und Argentinien wurden Sponsorenverträge geschlossen. In Afrika hat sich Li Ning mit dem Leichtathletikteam von Sudan bekannt gemacht, und in Europa wird die Marke künftig die schwedische Olympiadelegation einkleiden. Li Ning werde in der Sportwelt längst als „internationale Marke mit guter Qualität“ wahrgenommen, sagt Vorstandschef Zhang Zhiyong. Auch in den USA, dem Vorbild für Chinas Jugend in Sachen Sport und Lifestyle, hat Li Ning schon lukrative Partner gefunden. NBA-Superspieler wie Shaquille O’Neal dribbeln bereits mit dem Logo aus China zum Sieg. Das hat wiederum in der Volksrepublik, wo Basketball mehr Fans und Sendezeit als Fußball hat, das Image der Marke deutlich verbessert. Eine Untersuchung des Marktforschungsinstituts Horizon Research ergab, dass die Mar-
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kentreue unter den chinesischen Konsumenten bei keiner Sportartikelfirma so groß ist wie bei Li Ning. 53,4 Prozent der Befragten standen zu Chinas junger Sportmarke. Bei Nike und adidas waren es nur jeweils gut 39 Prozent. Und China gilt als der große Zukunftsmarkt der Sportartikelbranche, der jährlich um 15 Prozent wächst. Im Jahr 2007 dürften in China rund drei Milliarden Dollar mit Sportartikeln umgesetzt werden. 2008 soll es schon mehr als doppelt so viel sein, schätzen Chinas Sportbehörden. Denn dann werden 500 Millionen Chinesen aktiv Sport treiben – fast doppelt so viel Menschen, wie die USA Einwohner hat. Alles Kunden für Sportschuhe, Trikots und Trainingsanzüge. Denn immer mehr Chinesen haben inzwischen Geld, sich cool zu kleiden und Fitness zu treiben. In den Parks von Peking, wo bisher Schattenboxen und Tai-Chi gepflegt wurden, sind zunehmend Jogger und Skater unterwegs. Viele tragen bereits Li Ning. Denn der Name ist im Reich der Mitte Legende: Als unbekannter Außenseiter war der Turner 1984 bei den Olympischen Spielen in Los Angeles angetreten. Der 21-Jährige gewann sechs Medaillen, davon dreimal Gold. Damit holte Li Ning China aus der olympischen Isolation, denn über 30 Jahre hatte Peking zuvor die Sommerspiele aus politischen Gründen boykottiert. Bis der „Turnprinz“ mit seinem Lächeln Publikum und Punktrichter verzauberte. Li Ning, 1963 in eine Lehrerfamilie geboren, begann bereits mit sieben Jahren als Turner. Seine Karriere verkörpert viel von Chinas Tugenden – Disziplin, Konzentrationsfähigkeit, Ausdauer und Beweglichkeit. Mit 106 Medaillen wurde Li zum erfolgreichsten chinesischen Sportler und wird in China noch heute wegen „seines starken nationalen Stolzes“ als Liebling der Nation gefeiert. Die verzieh ihm darum auch das ruhmlose Ende seiner Laufbahn. Mit 25 Jahren als große Hoffnung zu den Olympischen Spielen 1988 nach Seoul gereist, kehrte der Turner ohne jede Medail-
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le heim. Warum der Hoffnungsträger damals einbrach, ist vielen bis heute ein Rätsel. Der ewige Gewinner stand jedenfalls plötzlich vor dem Neuanfang. Zur allgemeinen Überraschung folgte Li Ning nicht den üblichen Angeboten, als Trainer oder Sportfunktionär weiter für Volk und Vaterland zu arbeiten. Der Chinese wechselte ins Geschäftsleben und heuerte 1989 bei der Jianlibao Group an, einem großen Getränkehersteller in der Provinz Guangdong. Hier lernte Li Ning im Schnellgang alles über Sportsponsoring und Marketing. Denn China begann sich gerade wirtschaftlich zu öffnen und die Chinesen entdeckten den Freizeitsport. „Ich erkannte die Chance und ergriff sie“, sagt Li Ning. 1990 gründete er seine eigene Sportartikelfirma, die einen erstaunlichen Aufstieg schaffte. Nach einer Studie der Investmentbank Merrill Lynch hat Li Ning am heimischen Markt bereits hinter Marktführer Nike (30 Prozent Marktanteil) mit adidas (13 Prozent) gleichgezogen – vor Marken wie Reebok und PUMA. Andere chinesische Hersteller wie Anta oder KangWei folgen weit abgeschlagen. „Wir werden in China bereits mit Nike und adidas in einem Atemzug genannt“, heißt es bei Li Ning stolz. Die Marke gewinnt vor allem über den Preis. Ziel ist, immer 20 Prozent billiger als die Konkurrenz zu sein, so die Vorgabe. Zudem hat Li Ning von Beginn an auf starkes Marketing gesetzt. Chinas Turnlegende wollte auf keinen Fall seinen Namen für einen unbekannten chinesischen Massenhersteller hergeben, der im Akkord Fußballschuhe und Turnhosen für ausländische Konzerne produziert. Li Ning hat bisher jedes Jahr 15 bis 17 Prozent des Umsatzes in die Werbung gepumpt, im Olympiajahr 2008 sollen es sogar 20 Prozent sein. Die chinesischen Manager setzen auf einen Katapulteffekt: „Mit der internationalen Berichterstattung über die Spiele in Peking wird unser Markenname aus China heraus rund um die Welt gehen“, sagt
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der für die internationale Expansion zuständige Manager Abel Wu selbstbewusst. Während sich Konkurrent adidas das offizielle Olympiasponsoring für die Megaspiele rund 80 Millionen Dollar kosten lässt, nutzt Li Ning einfach seinen Heimvorteil – zum Nulltarif. In allen Olympiaaustragungsorten – Hongkong, Qingdao, Shenyang, Tianjin, Qinhuangdao und Schanghai – baut „Chinas Nike“ große Superstores und Werbeflächen auf. Zudem werden alle Moderatoren des chinesischen Staatsfernsehens Li-Ning-Kleidung mit deutlich sichtbarem Logo tragen. Erneut ein cleverer Marketingschachzug des kleinen Anbieters. Kein Olympiabesucher werde das Firmenlogo übersehen, so die Kampfansage von Manager Wu: „Und nach 2008 werden wir aggressiv aus China herausgehen.“ Für ihre internationale Expansion setzt Chinas Sportmarke auf ihre heimische Stärke am großen Zukunftsmarkt. „Alles ist möglich“, lautet der jüngste Werbeslogan provozierend. Und unter diesem Schlachtruf will der kleine Herausforderer die Welt im Sauseschritt erobern. Bis 2018 soll die Marke nach den Plänen des Firmengründers zu den fünf größten Sportartikelherstellern der Welt gehören. Derzeit ist das noch Zukunftsmusik. Denn während Li Ning in China 2008 noch vor Nike, adidas und PUMA eine Milliarde Dollar umsetzen will – bereits das wäre deutlich mehr als das Doppelte der Erlöse von 2006 – sind die Chinesen außerhalb ihres Riesenreichs derzeit nur wenig präsent und der globalen Umsatz- und Marketingkraft von Rivalen wie Nike oder adidas ausgeliefert. Ganz klar: Li Nings Angriff auf die Welt des Sports ist eine Geschichte von „David gegen Goliath“. Der 35-jährige Chinese Wu gehört zu den jungen, gut ausgebildeten und weltoffenen Managern Chinas, die mit viel Überzeugung am globalen Feldzug der Volksrepublik mitarbeiten. Denn bei Chinas aufstrebenden Konzernen – ob Autobauer oder Computerfirma – spielt stets auch der
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Stolz auf die Nation eine große Rolle. Es ist ein bisschen wie bei Olympia: Dabei sein ist alles. Auch für den Patrioten Li Ning ging es nicht nur im Turnwettkampf um die Ehre. „Es macht doch keinen Sinn, dass unsere Sportler in ausländischer Kleidung mit ausländischer Werbung auf dem Rücken antreten“, hat er sich mal aufgeregt. Ganz China klatschte darauf Beifall. Beim Design setzt die Marke ebenfalls auf ihre kulturellen Wurzeln. „Nike steht für amerikanisches Lebensgefühl, adidas für solide Qualität aus Europa“, sagt Manager Wu. „Aber nur wir können wirklich fernöstliche Elemente einbringen.“ Im Regal seines Minibüros steht der Basketballschuh „Flying Armor“, der bereits asiatisches Design mit westlicher Sportlichkeit verbindet. Das kommt an, nicht nur in China: Die flotte Sohle hat bereits im Ausland wichtige Designpreise gewonnen. Über einem Starbucks-Café in einer quirligen Pekinger Einkaufsstraße bastelt Wu seit einigen Jahren am Weltkonzept von Li Ning. Der Nahe Osten, Russland, Osteuropa – das waren die ersten Versuche. Jetzt folgt die erste große Herausforderung: Westeuropa. Bis 2008 sollen dort 25 LiNing-Läden eröffnen, die ersten in den Niederlanden, Belgien und Luxemburg. In China hat der Sportartikelhersteller schon fast 5000 Geschäfte. Doch bunte Läden sind nicht alles. „Um wirklich eine internationale Marke zu sein, müssen wir mindestens 20 Prozent unseres Umsatzes außerhalb Chinas erzielen“, stellt Finanzchef Tan Wee Seng klar. 2006 lag der Anteil des Auslandsumsatzes bei nur ein bis zwei Prozent. Li Ning habe aber das richtige Konzept, lobt Charles Brian-Boys, Managing Partner von Eight Partnership, ein Brandingberater in Hongkong. Die Marke versuche geschickt, „nicht nur Produkte, sondern auch ein Lebensgefühl zu verkaufen“. Bislang hat das Unternehmen dabei ein gutes Händchen bewiesen. Die Sportler mit dem Li-Ning-Logo holten bei den letzten beiden Olympischen Spielen fast die Hälfte aller
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chinesischen Goldmedaillen. Doch die globale Expansion bringt nun auch neue Probleme. Um rasch Marktanteile zu gewinnen, griff Li Ning wie viele chinesische Firmen zu einem simplen Trick: Man lehnte das Logo stark an ein westliches Vorbild an. So sieht das flache „L“ dem „Swoosh“ genannten Nike-Emblem verdächtig ähnlich. „Damit können wir kaum auf dem US-Markt antreten“, gibt selbst Li-Ning-Manager Wu zu. Die Marke denkt darum sogar über ein neues Logo nach. Ein weiteres Problem, mit dem viele Hersteller in Reich der Masse zu kämpfen haben, ist die Produktqualität. Da gebe es noch Nachholbedarf, räumt Firmengründer Li Ning ein. Er hat darum Partnerschaften mit Designfirmen in den USA geschlossen, in Hongkong ein eigenes Entwicklungszentrum aufgebaut. Drei Prozent des Jahresumsatzes fließen bei Li Ning in die Forschung von Antischweißhemden und Superweich-Laufsohlen. Den Vorwurf minderer Qualität weist man bei Li Ning zurück. Man lasse seine Produkte von 30 Auftragsfirmen in China erledigen, von denen viele auch für die Konkurrenz produzierten. Als neue Sportarten sollen vor allem Tennis und Golf ausgebaut werden. In China hat Li Ning zudem eine Partnerschaft mit dem Outdoor-Hersteller Aigle aufgebaut. Denkbar sind auch Übernahmen und eine Multi-BrandStrategie, sagt Wu. „Wenn wir international werden, müssen wir natürlich auch Fabriken in anderen Ländern haben.“ Um die Expansion zu finanzieren, ist Li Ning im Juni 2004 an die Börse in Hongkong gegangen. Seitdem mögen nicht nur Sportler, sondern auch Anleger die chinesische Marke: Der Aktienkurs legte in den ersten drei Jahren kräftig zu. „Die Börse setzt darauf, dass die Olympischen Spiele in China der Marke das Tor zur Welt öffnen“, begründet ein Analyst den Optimismus. 2008 soll dann auch die neue Firmenzentrale in Peking bezogen sein. Dann können die Einkäufer aus aller Welt in
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dem 160-Millionen-Dollar-Bau die neuesten Turnschuhe gleich ein paar Stockwerke tiefer in den eigenen Fitnessräumen testen oder eine flotte Li-Ning-Badehose im firmeneigenen Schwimmbad ausprobieren. Damit schon bald die ganze Sportwelt nur noch die junge Marke aus China trägt.
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Techtronic Industries – Weltfabrik der Bohrmaschinen Von Andreas Hoffbauer, Peking
Eingerahmt von den spiegelnden Häuserschluchten eröffnet sich von hier ein fast malerisches Bild. Eine Dschunke dümpelt im Wasser, die berühmte „Star“-Fähre zieht im Hongkonger Hafen ihre Bahn. Und weit draußen sind die Krakenarme des größten Containerhafens der Welt zu sehen. Von seinem Büro im 18. Stock hat Horst Pudwill das Tor zur Welt stets vor Augen. Wenn das Geschäft richtig brummt, verschifft seine Firma Techtronic Industries Co. Ltd. (TTI) schon mal bis zu 100 Container am Tag. Vollgepackt mit Bohrmaschinen, Staubsaugern oder Stichsägen. Alles made in China. Bisweilen kann Pudwill gar nicht genug liefern. Überall wollen Heimwerker und Hausfrauen seine Ware – in Washington, Berlin und Tokio. Dabei weiß kaum ein Kunde, dass sie TTI-Produkte kaufen. Denn auf den Geräten der Firma kleben Schilder von weltbekannten Marken. AEG, RYOBI, Milwaukee oder Hoover. Der Hongkonger Hersteller TTI, als Firmenname selbst so gut wie unbekannt, ist in der Welt der Bohrmaschinen inzwischen sogar hinter den Branchenführern Black & Decker (USA) und Bosch (Deutschland) zur globalen Nummer drei aufgestiegen. „Und wir sind überzeugt, dass wir bald die Nummer eins sind“, sagt TTI-Chef Pudwill seelenruhig hoch oben über dem Hafen von Hongkong. Sein Angriff aus Fernost baut auf eine Strategie, die lange Zeit als unmöglich galt: die Kombination von Qualitätsmarke mit Billigfertigung. „Was Hongkong und China zu-
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sammen bieten, lässt sich nirgendwo auf der Welt kopieren“, sagt Pudwill. Niedriglöhne im Reich der Mitte, Verkauf im wohlhabenden Westen. Und dazu noch günstige Steuersätze am internationalen Finanzplatz Hongkong. Darauf setzen inzwischen viele ausländische Firmen, nicht nur Massenhersteller wie TTI. Freihafen, schnelle Kommunikationsverbindungen, gute Logistik und einer der besten Finanzplätze der Welt locken auch nach der Rückgabe Hongkongs an China noch immer Unternehmen an. Mehr als 3 500 internationale Firmen haben in der Hafenstadt ein Büro. Pudwill, zum Ende des Zweiten Weltkriegs in Verden an der Aller geboren, lebt seit fast vier Jahrzehnten in der südchinesischen Hafenmetropole, gilt dort als der erfolgreichste deutsche Industrielle Hongkongs. Der studierte Ingenieur war Ende der 60er-Jahre zunächst als VW-Verkäufer in Afrika, wurde dann vom Wolfsburger Autobauer als General Manager in die damals noch britische Kolonie Hongkong geschickt.
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Als er in den 70ern zurück nach Europa sollte, wollte der junge Mann den asiatisch-britischen Lebensstil nicht mehr missen. Er blieb und machte sich 1975 selbstständig. „Meine erste Firma habe ich mit meinem Ersparten gegründet“, sagt der inzwischen gediegene Herr mit den silbrigen Schläfen. Das ist lange her. Pudwill fährt heute im Mercedes 600 mit dem gelben Kennzeichen „HP1“ über die breiten Betonhochstraßen von Hongkong und spannt an freien Tagen auf einer seiner zwei Jachten im Südchinesischen Meer aus. Er hält gut ein Fünftel der TTI-Aktien und ist damit längst vielfacher Millionär. Seiner ersten Autoteilefirma folgten in schneller Folge etliche weitere Unternehmen wie Dual Voltages, Solar Wide Industries und schließlich 1985 die Techtronic Industries Corp. (TTI). Das 1985 mit dem chinesischen Partner Roy Chi Ping Chung gegründete Unternehmen TTI baute zunächst aufladbare Batterien und expandierte so rasch, dass Pudwill bald ins nahe Billiglohnparadies China ging. „Wir waren die ersten Ausländer in China mit einer eigenen Fabrik.“ Und Pudwill setzt weiter auf den Standort China: In Shenzhen hat das Unternehmen ein großes Areal gekauft, dort soll bis 2010 die gesamte Fertigung konzentriert werden. Die ist bislang noch auf sechs Fabriken verteilt. Nicht nur TTI hat seine Produktionsstätten dort, wo die Werkbank der Welt steht. IBM, Huawei, Siemens, Sony – alle Weltmarken sind im weitläufigen Perlflussdelta vertreten. Die chinesische Sonderwirtschaftszone, von Hongkong keine Autostunde entfernt, boomt schon lange wie kaum eine Region der Welt. Entlang der Autobahn entsteht eine Fabrikhalle nach der anderen, wachsen überall neue Exportschmieden aus dem Boden. In Hongkongs Schatten ist Shenzhen zu einer quirligen Millionenstadt geworden. Noch Anfang der 80er Jahre ein Fischerdorf mit Bahnstation und 30 000 Einwohnern, hat
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die Stadt heute einen riesigen Flughafen, ist Börsenplatz und meldet elf Millionen Einwohner – plus den Millionen billiger und williger Wanderarbeiter, die in den Fabriken im Akkord löten, kleben, packen. Die Produzenten der Welt müssen sich hier nicht mit den Errungenschaften westlicher Gewerkschaften plagen: Streikrecht, Freizeitausgleich, 35-Stunden-Woche.„Die Lohnkosten liegen unter einem Euro pro Stunde“, rechnet ein TTI-Manager in der Fabrik von Shenzhen vor. „In Europa zahlen wir im Schnitt 18 Euro.“ Bei TTI stehen die jungen Beschäftigten in langen Reihen am Fließband. Die Frauen tragen ein gelbes Kopftuch, die Männer eine gelbe Mütze mit den drei aufgedruckten Firmenbuchstaben. Jeder macht immer nur einen Handgriff. Zehn Stunden am Tag. Die junge Wei etwa lötet seit einem halben Jahr Kabel an einen Schalter. Sie verdiene für die Sechstagewoche umgerechnet 120 Euro im Monat, sagt die 21-Jährige. Natürlich vermisse sie ihre Heimat in Nordchina sehr, erklärt sie mit einem Lächeln. Doch es ist keine Klage: „Hier habe ich Arbeit und Unterkunft.“ In der Heimat ist das nicht garantiert. Ihre Freundin arbeitet nicht weit entfernt beim taiwanesischen Konzern Foxconn. Der gehört zu den vielen unbekannten Massenherstellern, die in China alles und für jeden bauen. Mit 350 000 Beschäftigten ist Foxconn zum Beispiel der größte Handyhersteller der Welt. Aus seinen chinesischen Fabriken wie in Shenzhen beliefert er die Welt mit iPods und Nokia-Geräten. Doch den Namen Foxconn kennt im Laden kein Kunde. Auch TTI gehörte lange zu den anonymen Riesen Chinas und lieferte in den 90er-Jahren als Auftragshersteller für günstige US-Marken, aber auch für deutsche Praktiker- und ALDI-Märkte. Heute beträgt der Anteil der Auftragsfertigung – von der elektrischen Zahnbürste bis zum TchiboBabyfon – nur noch 20 Prozent am gesamten Umsatz. „Bil-
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ligware machen wir heute nicht mehr“, betont TTI-Vizepräsident Matthias Kraft. Den Startschuss für den langen Weg vom No-Name-Billigheimer zum Qualitätshersteller gab Pudwill Mitte der 90er-Jahre. „Zu einer langfristigen Strategie gehören Marken“, ist der Wahl-Hongkonger überzeugt, „sonst kann man seinen Erfolg nicht kontrollieren.“ Freilich baute TTI keine eigene Marke auf, sondern übernahm fremde Marken. Richtig begonnen hat alles mit der Lizenz für den Hersteller RYOBI. Damit kam sein Unternehmen an neue Technik für kabellose Geräte. TTI entwickelte ein Heimwerkerset, das mit einem einzigen Akku 18 Geräte betreiben kann. Eine pfiffige Idee, mit der Pudwill 2001 einen 20-Jahres-Liefervertrag für den US-Händler Home Depot bekam. „Das war der Durchbruch“, sagt TTI-Manager Kraft. Das Unternehmen wurde mit dem Großauftrag über Nacht zum Riesen. Allein in den ersten drei Jahren hat TTI rund 25 Millionen RYOBI-Geräte gen Amerika verschifft. Der nächste wichtige Schritt war 2005 der Kauf der USProfimarke Milwaukee von der Investmentgruppe Atlas Copco. Quasi als Mitgift gab es den deutschen Traditionsnamen AEG Elektrowerkzeuge, denn die einstige AEG-Sparte, die Atlas ebenfalls übernommen hatte, wollte niemand so richtig haben. Pudwill griff zu, baute das AEG-Produktprogramm aus und lässt nun die meisten AEG-Werkzeuge in Shenzhen fertigen. Jobs in Deutschland wurden nach seinen Worten aber kaum abgebaut. Die Entwicklung sowie die Herstellung hochwertiger AEG-Bohrhämmer bleiben in der Nähe von Stuttgart, versichert der Chef in Hongkong. „Und 2007 wird AEG Elektrowerkzeuge wieder schwarze Zahlen schreiben“, kündigt er an. Pudwill will mit dem Symbol für deutsche Wertarbeit Osteuropa, Südamerika und Afrika erobern. Sein Unterneh-
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men ist bislang vor allem auf dem US-Markt stark, dort macht TTI rund 75 Prozent des Umsatzes. Doch Europa legt seit Jahren zu. Selbst in China, „wo noch alles billig mit der Hand geschraubt und gesägt wird“, wie Pudwill sagt, rechnet er sich langfristig Chancen auf dem Heimwerkermarkt aus. „Der Name AEG kann noch immer Wunder bewirken“, so der TTI-Chef. Der freundliche Herr im Maßanzug, der gern edel speisen geht, hat sich als knallharter Manager und gewiefter Kostendrücker ganz dem Führungsstil chinesischer Konzerne angepasst. Als Nächstes werde man die Zulieferzahl auf 150 halbieren, sagt er im trockenen Akzent eines Niedersachsen: „Das spart uns Millionen.“ Sein Partner Roy sorgt dafür, dass auf der chinesischen Seite alles läuft. Er vertraue seinem Teilhaber blind, sagt Pudwill. „Nach 25 Jahren läuft das wie in einer Ehe“, sagt Pudwill. Roy kümmert sich um die Politik. Pudwill und einer seiner beiden Söhne kümmern sich lieber um neue Produkte. Zwei Prozent des Umsatzes pro Jahr fließen in die Forschung. Neue Ideen hat sich TTI vor allem aber über Firmenaufkäufe gesichert. Mit Milwaukee übernahm TTI zum Beispiel die Entwicklung einer aufladbaren Lithiumbatterie, die leichter, leistungsstärker, umweltfreundlicher und billiger als bislang benutzte Akkus ist. „Das Patent ist Gold wert“, heißt es bei TTI. Ende 2006 schnappte sich Markenjäger Pudwill erneut einen großen Namen zum kleinen Preis – Hoover. Für die abgestürzte Staubsauger-Ikone mit Weltruf zahlte Pudwill nicht mal 235 Millionen Dollar. Mit Hoover soll vor allem der TTI-Bereich „Bodenpflege“ kräftig ausgebaut werden, der zuvor nur rund 18 Prozent des Umsatzes ausmachte. Analysten lobten den Zukauf. „Sie müssen eben smart und schnell sein“, beschreibt Pudwill mit sanften Worten seine aggressive Strategie. „Und immer den Markt überraschen.“
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Das ist dem Deutschen aus Hongkong schon oft gelungen. Seitdem er TTI mit großen Markennamen schmückt, hat sich der Umsatz des Unternehmens vervierfacht. Und die berühmte Marke Hoover soll schon ab 2007 weitere 500 Millionen Dollar beisteuern, was den Gesamtumsatz auf deutlich über drei Milliarden Dollar katapultieren würde. Bremsen können Pudwill derzeit eigentlich nur die rasant steigenden Preise für Kupfer und Stahl. Anfang 2005 halbierte sich deshalb der Aktienkurs des an der Börse Hongkong notierten Unternehmens über Nacht: Anleger und Analysten waren nervös geworden und ein Großaktionär stieg auf einen Schlag aus. Von diesem Rückschlag hat sich die Aktie bis heute nicht erholt. „Das hat uns gut eine Milliarde Firmenwert gekostet“, sagt ein TTI-Manager zerknirscht. Doch Pudwill lässt sich davon nicht beirren und bläst schon zum nächsten Angriff. Den Heimwerkerbereich will er möglichst rasch um Zubehörartikel ausbauen: „Bohrer und Sägeblätter bringen gute Gewinne.“ Zudem könne TTI damit auch als Zulieferer in die Autoindustrie einsteigen – einen Markt, in dem sich der ehemalige VW-Mann bestens auskennt. Und, sagt Pudwill verschmitzt im 18. Stock des Hongkonger Central Plaza, Akku-Bohrer und Akku-Sägen brauche man nicht nur auf dem Bau oder im Keller: „Solche Geräte für Ärzte billig und im Kleinformat herzustellen ist ein neuer Riesenmarkt.“ Diesen Schatz will er heben. Noch wird bei TTI im Geheimen an der akkubetriebenen Wegwerfsäge für Chirurgen getüftelt. Bei der Entwicklung von Mikromotoren sei man schon recht weit. Details will der Aufkäufer aus Hongkong natürlich nicht verraten. Pudwill blickt dann schweigend aus dem Fenster seines Hongkonger Bürohochhauses zum fernen Horizont, wo sich die Containerkräne unentwegt drehen. Die Weltfabrik China macht keine Pause.
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Geely Automobile – Langer Marsch gen Westen Von Andreas Hoffbauer, Peking
Li Shufu hat sein Ziel immer klar vor Augen. Amerika. Und der Nachbau des Capitol Hill ist einfach nicht zu übersehen. Den Koloss hat der chinesische Entrepreneur im Norden Pekings mitten in die staubige Landschaft gesetzt. Ein strahlend weißer Kuppelbau, vor dem sich der Mittvierziger gern ablichten lässt. „Machen Sie ein schönes Bild“, feixt er mit den Fotografen. „Dann bekomme ich vielleicht das nächste Mal mein US-Visum schneller.“ Denn den Chef von Geely Automobile drängt es nach Westen. „Wir wollen spätestens 2008 Autos auf dem US-Markt verkaufen“, kündigt der Gründer des größten privaten Autobauers Chinas an. Der Preis ist heiß: Als erstes Auslandsmodell kommt eine Mitteklasselimousine für unter 10 000 Dollar auf den US-Markt. Die Ausstattung mit Klimaanlage und CD-Player kann sich sehen lassen. Damit will Li den etablierten Marken vor allem die Kunden abjagen, die über weniger Geld im Monat verfügen. „In den USA leben nicht nur reiche, sondern auch einfache Menschen“, sagt der GeelyChef. In den neuen „Autokrieg“ gen Westen zieht er zunächst mit sanften Tönen. Der Name des Angreifermodells: „Friedensschiff“, auf Englisch „Freedom Cruiser“. Das war’s dann aber auch schon mit den Freundlichkeiten. 2012 sollen in den USA bereits 100 000 Billigautos von Geely abgesetzt werden. Danach ist Europa dran. Erst Spanien, Italien und Frankreich. Irgendwann auch Deutschland, sagt Li so selbst-
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verständlich wie selbstbewusst: „Was heute Honda ist, werden morgen wir sein.“ In zehn Jahren will Geely zwei Millionen Autos fertigen, davon 1,3 Millionen für den Export. Große Pläne für einen Hersteller, der 2006 gerade mal 175 000 Autos im Jahr gefertigt hat und davon rund 15 000 außerhalb Chinas abgesetzt hat. Doch Li Shufu setzt voll auf den Preis, wie einst Japaner und Koreaner. „Wir bauen vernünftige Autos, die sich die Menschen leisten können“, lautet seine Strategie. Für den Chinesen aus der Küstenprovinz Zhejiang ist der Bau eines Autos etwas Alltägliches. Li gehört nicht zu den technikverliebten Ingenieuren. „Vier Räder und ein bisschen Blech drum herum“, hat der Geely-Chef mal das eigene Produkt beschrieben. Quadratisch, praktisch, gut. So redet er ganz entspannt in Jeans und weißem Hemd über seine Revolution der Autowelt. Die Preise der auslän-
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dischen Marken seien viel zu hoch, sagt Li. Vor allem in einem Land wie China, wo das durchschnittliche Jahreseinkommen unter 1 000 Euro liegt. Geely hat mehrfach seine Preise gesenkt. Die günstigste Familienkiste gibt es in China für umgerechnet weniger als 3 000 Euro. Den wahren Volkswagen gebe es nur bei ihm, so Li spitzbübisch. So günstig wie die Hersteller aus China sei eben keiner. „Darin kann uns kein anderes Land der Welt schlagen.“ Die Strategie der großen Autokonzerne, die auf globale Zulieferungsketten bauen, sei darum falsch. „Wir produzieren unsere Teile vorwiegend selbst“, so sein Rezept. Und das immer besser und immer billiger. Geely ist kein Einzelfall. Auch andere chinesische Marken wie Chery, Brilliance oder Shanghai Automotive Industry Corporation (SAIC) beginnen, nach Europa und auf den US-Markt zu exportieren. BMW-Partner Brilliance hat Anfang 2007 600 Stück seines Mittelklassemodells nach Deutschland geschifft. Bald sollen es nach internen Planungen 30 000 Fahrzeuge im Jahr sein. Der Hersteller Chery, mit dem kleinen, knuffigen Stadtauto QQ in China sehr erfolgreich, bekam ebenfalls Anfang 2007 den Ritterschlag: DaimlerChrysler wählte die Marke als Partner. Chery soll künftig billige Kleinwagen für den US-Markt und für Europa bauen. Von Chinas Autobauern wurde dies als Durchbruch gefeiert. Allerdings ist der Drang nach Westen auch eine Flucht nach vorn. China gilt zwar als Riesenmarkt, doch schon heute wird in der Volksrepublik mehr produziert als verkauft. 2006 gab es nach Berechnungen der Investmentbank Morgan Stanley Überkapazitäten von mehr als 1,2 Millionen Autos. Hergestellt wurden im Reich der Mitte bereits insgesamt sieben Millionen Fahrzeuge. Dennoch rollen aus den chinesischen Fabriken immer mehr Autos. Nach einer Studie der Unternehmensberatung Roland Berger wird die Autoproduktion in China bis zum
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Jahr 2010 auf 10,9 Millionen Stück steigen. Und Chinas Regierung will mehr: Bis 2020 soll sich nach den Vorgaben die Produktion auf 20 Millionen Fahrzeuge verdreifachen. China will dann zehn Prozent der globalen Autoproduktion liefern – Anfang 2007 war es nicht mal ein Prozent. Mit Pekings Masterplan sind alle Weichen auf Export gestellt. Bereits 2006 verdoppelten sich Chinas Autoexporte gegenüber dem Vorjahr auf 340 000 Fahrzeuge. Längst führt die Volksrepublik deutlich mehr Autos aus als ein. Chinas neue Marken bekommen darum für ihre globale Expansion kräftig Rückenwind von der eigenen Regierung. Auch Geely wurde als „Champion“ für den Weltmarkt ausgewählt. „Autos sind einfach wichtig für das Image eines Landes“, sagt Geely-Gründer Li. „Sie sind ein Symbol für die wirtschaftliche Bedeutung und den Status.“ Selbst westliche Automanager in Peking räumen ein, es sei nur noch eine Frage der Zeit, bis Chinas Marken überall auf der Welt fahren. Auch in Deutschland. In der Geely-Fabrik von Ningbo zweifelt daran ohnehin niemand. Die junge Belegschaft sitzt in blauer Einheitskluft auf Plastikstühlen in der Kantine und schaufelt mit Stäbchen Fleisch und Reis in sich hinein. Wenn man nach ihrer Meinung fragt, lachen sie nur. „Jetzt geht’s los!“, ruft einer. Alle nicken. Im Schnitt verdienen die Geely-Werker zwischen 150 und 250 Euro im Monat. Ein eigenes Auto sei da nicht drin, sagt ein Angestellter. Doch alle in der Kantine sind zufrieden mit ihrer Firma. Schließlich rollt in Ningbo bereits im Zweiminutentakt ein Geely vom Band, verkündet eine Anschlagtafel stolz. Das gibt Kraft. Geely-Gründer Li sucht darum auch keinen großen Partner aus dem Westen. „Wir wollen einen anderen Weg gehen“, sagt er. Ein Verkauf, etwa an Volkswagen, sei ausgeschlossen. Er werde seine Marke ganz allein zum globalen Erfolg führen, sagt er und schnauft durch die Nase.
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Chinas Autobauer suchen den Alleingang. Auch VWPartner SAIC, zweitgrößter Autobauer im Reich der Mitte, versucht wie BMW-Partner Brilliance die Abnabelung. Beide Firmen haben eigene Modelle entwickelt, die auch auf den europäischen Markt kommen. Die deutschen Partner bleiben da außen vor. „In zehn Jahren spielen Joint Ventures in der chinesischen Automobilindustrie kaum noch eine Rolle“, ist Eugene Yeoh, Analyst der Deutschen Bank in Hongkong überzeugt. Die Partnerschaften mit ausländischen Konzernen hätten ihren Sinn erfüllt und China zu einer eigenen Autobranche verholfen. „Nun folgt die nächste Etappe.“ Go west! Bei Geely sind bereits neue Großfabriken für die globale Massenproduktion geplant. Vor dem Start auf dem USMarkt hatte Geely in China vier Produktionsstandorte für Autos, Motoren und Getriebe. Allerdings fehlen Konzernchef Li nach chinesischen Zeitungsberichten noch etliche Millionen, um die Träume auch in die Tat umzusetzen. Doch in Ningbo wird schon in die Zukunft investiert. Neben der Fabrik entsteht ein Wohnviertel für die künftige Belegschaft: „Geely City“. Schon heute wohnen die meisten Beschäftigten auf dem Firmengelände. Die Fabrik ist ihr Zuhause. Ein Banner am Werkstor verspricht: „Geely verhilft dir zum glücklichen Leben.“ Nicht immer glücklich und manchmal sogar richtig unzufrieden waren allerdings die Aktionäre. Zwar macht das Unternehmen Gewinn, doch nach dem Börsengang Ende 2003 in Hongkong stürzte der Wert der Aktie zunächst auf ein Drittel des Ausgabekurses. In den Folgejahren konnte sich der Kurs allerdings wieder erholen. Unabhängig von der Aktienperformance bleibt die Aufbauleistung von Privatunternehmer Li beeindruckend. Der Entrepreneur hat in nur zehn Jahren eine Automarke geschaffen, die ohne jede staatliche Hilfe profitabel werden
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konnte und in China inzwischen einen Marktanteil von fünf Prozent hat. Zum Vergleich: Platzhirsch VW kommt auch nur noch auf 17 Prozent. Li, Sohn eines armen Reisbauern, besitzt über die Proper Glory Holding 60,2 Prozent des Konzerns. Laut dem Magazin Forbes gehört der als „Henry Ford von China“ gepriesene Manager inzwischen zu den reichsten Männern im Reich der Mitte. Dies habe er allein geschaffen, betont er stets: „Niemand hat mir je gesagt, was ich tun soll, auch nicht die Partei und die Regierung.“ Dabei hielten viele den jungen Mann, dessen Traum immer war, Autos zu bauen, lange Zeit für leicht verrückt. Li wuchs wie viele der heutigen Privatunternehmer in China in einer der dunkelsten Perioden der Volksrepublik auf – während der Kulturrevolution. Als er 1980 die Mittelschule beendete, war Mao ein paar Jahre tot. China stand kurz vor der wirtschaftlichen Öffnung. Der junge Shufu ergriff die Chance: Zum Schulabschluss bekam er 100 Yuan (rund zehn Euro) geschenkt, für die er sich eine Kamera kaufte. Das war der Grundstein für seine Karriere als Entrepreneur. Li fotografierte gegen Geld die Dorfbewohner, eröffnete bald ein kleines Fotostudio. Das Geschäft florierte so gut, dass er Mitte der 80er-Jahre mit seinen Brüdern noch eine Firma aufbaute. Das Unternehmen fertigte Komponenten für Kühlschränke und expandierte in Bereiche wie Immobilien oder Dekormaterialien. 1994 stieg Li Shufu zunächst in den Bau von Motorrädern ein. Der nächste Erfolg: Bald war man der viertgrößte Mopedhersteller im Reich der Mitte. Nun versuchte der pfiffige Manager, eine Lizenz für den Pkw-Bau zu bekommen. Vergeblich. Chinas Behörden wollten vom „Autospinner“ aus der Provinz nichts wissen. Heimlich bastelte er dennoch an einer Autoproduktion. „Wäre unsere Forschung zu Beginn entdeckt worden, hätte man uns bestraft“, sagt er lächelnd. Erst mit Tricks und Über-
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redungskünsten erhielt er 2001 die Lizenz zum Autobau – Geely war geboren. Über seinen ungewöhnlichen Aufstieg hat Chinas Autoheld, der gern nationale Töne anschlägt, ein Gedicht verfasst. Die Zeilen hat er sogar in den schweren Teppich seines Büros einweben lassen. „Der kalte Wind ist verflogen, der Frühling hat begonnen“, heißt es da. Und am Ende: „Nach zehn Jahren des unermüdlichen Strebens werden chinesische Automarken stark werden.“ Geely verkauft seine Modelle bereits in 30 Schwellenländer. Auch wenn es immer wieder Rückschläge und finanzielle Engpässe gebe – Chinas globaler Autofeldzug sei einfach nicht mehr zu stoppen, ist Li überzeugt. Geely gehört dabei stets zu den Vorreitern. So wagte sich die Marke als erster chinesischer Hersteller auf die großen Automessen in Frankfurt und Detroit. Dort hagelte es jedoch auch Kritik an der Qualität der Billigautos. „Natürlich müssen wir noch viel von den großen Herstellern lernen und unsere Technologie verfeinern“, sagt Li dazu. Er hat darum in seiner Heimatstadt Taizhou ein Forschungszentrum für 400 Entwickler aufgebaut. Kooperationen wie mit der italienischen Topdesignfirma Pininfarina bringen zudem Expertise. Zudem hat der Chinese etliche Topmanager von der Konkurrenz abgeworben, etwa den früheren Forschungschef von Daewoo Automobile. Inzwischen steckt Geely sechs Prozent des Umsatzes in die Forschung. Ein Erfolg thront im Ausstellungsraum von Ningbo: ein 1,8-Liter-Aluminium-Motor, der erstmals auch EU-Abgasnormen erfüllt. Geely hole mächtig auf, loben auch Analysten. Der Hersteller könne mit eigenen Entwicklungen „eine Menge Kosten sparen“ und immer billigere Modelle bringen, meint Zhang Xin, Analyst bei Guotai Junan Securities. Die Experten warnen die etablierten Konzerne: „Die Vorstellung, dass Chinas Autohersteller nur Billigwagen für Entwicklungslän-
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der produzieren, sollte schnellstens abgelegt werden“, sagt Analyst Yeoh. Für einen Coup sorgte Geely-Chef Li bereits durch den Schulterschluss mit den englischen Manganese Bronze Holdings, dem Hersteller der berühmten Londoner Taxis. Ab 2007 baut Geely die britischen Wahrzeichen in Schanghai für die ganze Welt. „Sie machen die Forschung und Entwicklung, wir machen die Autos“, sagt der Geely-Chef verschmitzt. „Super Strategie, oder?“ Dass beim Prinzip „lernen und nachmachen“ schon mal gnadenlos abgekupfert wird, verteidigt er eher philosophisch: „Am Anfang einer Revolution muss man eben Mittel nutzen, die der Sache angemessen sind.“ Der Geely-Gründer streitet gar nicht ab, dass man sich andere Autos immer sehr genau anschaut. Er hat früher schließlich selbst Wagen im Ausland gekauft und sie dann daheim zerlegt. Vor Gericht habe man bislang aber immer beweisen können, dass es keinen Ideenklau bei Geely gebe, stellt Li klar. „Aber sicherlich müssen wir mutiger selbst entwickeln“, räumt er ein. Doch damit der lange Marsch von Geely am Ende durch eigene Kraft zum Erfolg führt, hat Li Shufu am Nordrand von Peking eben eine eigene Autouniversität gegründet. Der Capitol-Hill-Nachbau ist mit der Bücherei das Herz des Campus, auf dem bereits 27 000 Studenten für Chinas Autozukunft büffeln. So haben auch die Studenten der „Geely University“ stets ihr Ziel vor Augen. Sei es auch nur als gut gemachte Kopie.
Die neuen TechnologieChampions
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Treiber der Internationalisierung Von Joachim Dorfs
Die Feststellung kam aus berufenem Munde. Indische Softwarefirmen seien in der Technologiebranche inzwischen so verankert wie eine der IT-Ikonen schlechthin: Statt „Intel inside“ gelte immer öfter „India inside“, meinte Ben Verwaayen, der niederländische Chef des britischen Telekomanbieters BT, auf der Computermesse CeBIT im Frühjahr 2007. Verwaayen muss es wissen: Er hat nicht nur Teile der Telefonauskunft der britischen Institution nach Indien ausgelagert und gemeinsam mit einer Softwaretochter des Landmaschinenherstellers Mahindra ein Joint Venture gegründet, sondern ist auch regelmäßiger Kunde anderer Produkte und Dienstleistungen aus Indien. Wipro, Infosys, die Tata-Tochter TCS und einige andere haben von Bangalore und Bombay aus die Welt verändert. Sie sind die wahren Champions der Globalisierung, die die Geschäftsprozesse in einer ganzen Reihe von Branchen grundlegend verändert haben. Angetrieben von den Möglichkeiten des Internets und der damit einhergehenden praktisch kostenlosen globalen Verfügbarkeit von Wissen und Daten haben sie sich zunächst Firmen in Industrieländern als günstige Dienstleister für einfache Tätigkeiten
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Die neuen Technologie-Champions
angeboten – Abrechnungen, Abwicklung von Schadensfällen bei Versicherungen, einfache Softwarearbeiten. Heute, nach diversen Zwischenschritten, streben die besten dieser Unternehmen in die Königsdisziplin der IT-Klasse, die Softwareberatung. Sie ist ausschlaggebend, wenn es um die großen, ganzheitlichen Aufträge für die Umstrukturierung der kompletten Geschäftsprozesse geht. „Der IT-Dienstleister der Zukunft muss Entwicklung in Niedriglohnländern mit weltweitem Vertrieb und Consulting verbinden“, ist das Credo von Infosys-Chef Nandan Nilekani, einem der Pioniere dieses Trends. Kern der Neuentwicklung war die Industrialisierung der Softwareprogrammierung. Jeder Arbeitsschritt, jedes einzelne Softwaremodul wurde dazu segmentiert. So wurde aus riesigen, extrem komplexen Programmen eine Vielzahl von kleineren, standardisierten Bausteinen. Nach diesen Vorbereitungen lassen sich dann die Arbeiten an der Software im beliebigen Maßstab hochfahren. Segmentierung, Standardisierung, Vergrößerung in den gleichen Proportionen: Mit diesem Dreiklang lassen sich nicht nur industrielle Effekte in der Softwareprogrammierung erzielen. Viel wichtiger war noch, dass sich so praktisch alle IT-Prozesse weltweit arbeitsteilig organisieren lassen. So haben die Inder eine Softwarerevolution ausgelöst. Vom vierten Schritt profitierten sie dann selbst am meisten: Mit einem Heer von hervorragend ausgebildeten, jungen und extrem ehrgeizigen Softwareingenieuren im Rücken, die jedes Jahr von den Hochschulen in die Unternehmen drängen, ist es klar, in welche Richtung die Arbeit wandert: nach Indien. Wipro, Infosys & Co. wenden die Prinzipien der Standardisierung und Multiplikation erfolgreich auch auf ihre eigenen Geschäftsprozesse an und schaffen es so, ihr atemberaubendes Wachstumstempo derzeit noch ohne Abnutzungserscheinungen zu halten. Welcher Firma im Westen gelingt es, rund eine Million Bewerbungen im Jahr zu sich-
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ten und nicht nur rund 20 000 neue Mitarbeiter jährlich daraus zu rekrutieren, sondern diese auch noch in einem firmeneigenen Trainingsprogramm zu schulen? Was im Westen reflexartige Fragen nach den Grenzen des möglichen Wachstums hervorrufen würde, ist bei Infosys und Wipro Realität – und macht einen großen Teil ihrer Stärke aus. Einen ähnlichen Weg vom günstigen Anbieter zu einem der Technologieführer in seinem Segment ist auch der chinesische Netzwerker Huawei gegangen. Mit staatlicher Hilfe und einer weiten Auslegung des Kopierschutzes ist das Unternehmen groß geworden. Inzwischen haben die Chinesen ihren Patentstreit mit dem Konkurrenten Cisco Systems beigelegt und investieren zehn Prozent ihrer Umsätze in Forschung und Entwicklung. Bereits jeder zweite Mitarbeiter in Shenzhen arbeitet an der Entwicklung neuer Produkte. Das zahlt sich aus: Die Chinesen verkaufen ihre anspruchsvollen und dabei immer noch preisgünstigen Netzwerklösungen weltweit – auch Ben Verwaayen von BT ist Kunde – und erzielen inzwischen drei Viertel ihrer Umsätze außerhalb Chinas. Wie heterogen die neuen Weltkonzerne sind, zeigt hingegen das Beispiel des taiwanesischen Computerherstellers Acer, der das radikale Gegenmodell zu den innovationsgetriebenen anderen Technologie-Champions verkörpert. Konzernchef Wang setzt vor allem auf die Kraft des Marketings bei gleichzeitig niedrigen Kosten. Von Forschung und Entwicklung hält er – anders als etwa Huawei-Chef Ren Zhengfei – gar nichts: „Das wird gemeinhin überschätzt“, meint er kühl. In einem freilich ähnelt Acer bereits westlichen Markenkonzernen: Konzernchef Wang hat das Unternehmen konsequent auf die Kernkompetenzen des Unternehmens ausgerichtet und sich radikal von allen anderen Bereichen getrennt. Für die Taiwanesen entscheidend sind Marketing,
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Die neuen Technologie-Champions
Design und Vertrieb. Die Produktion hingegen gehört bei Acer nicht mehr zur Kernkompetenz. Damit unterscheidet sich das Unternehmen von allen anderen hier vorgestellten neuen Weltkonzernen und geht so vor wie etwa der deutsche Sportartikelhersteller Adidas. Hergestellt werden die Acer-Rechner nun bei Firmen, die es preisgünstiger können, als es auf der Insel vor der Küste Chinas möglich wäre.
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Huawei – Chinas junges Gesicht Von Andreas Hoffbauer, Peking
Schwer fällt die Stahltür ins Schloss der Sicherheitsschleuse. Die Huawei-Mitarbeiterin zieht eine Karte durch das Lesegerät, dann drückt sie mit dem Zeigefinger auf eine Box. „Identifizierung per Fingerabdruck“, sagt sie, „hier kommt keiner ohne Erlaubnis rein.“ Ein kurzer Piep, erst dann geht Stahltür Nummer zwei auf. Sesam öffne dich. Der Schatz, so gut behütet wie die Goldbarren einer Notenbank, besteht beim chinesischen Telekomausrüster Huawei aber nicht aus Geldscheinen oder Diamanten. Chinas IT-Schmiede im südchinesischen Shenzhen sitzt auf modernen Schatzkisten – 1700 schwarze Computerserver. Aufgereiht wie eine Armee Soldaten stehen sie in dem gekühlten und abgedunkelten Raum. Alle vollgepackt mit wertvollen Daten. „Das ist das Gehirn unserer Firma“, sagt die Frau aus der geheimen Abteilung beim Rundgang. „Zu den meisten Daten hat nur das Topmanagement Zugang.“ Die blauen Plastikschoner über den Schuhen rascheln bei jedem Schritt. Alles muss klinisch rein sein. Und sicher. Vom gesamten Datenraum in Shenzhen gibt es darum noch eine Kopie am Regierungsstandort Peking. Huawei ist schließlich Symbol und Garant für Chinas technologische Aufrüstung. Der Telekomausrüster hat in den vergangenen 20 Jahren nicht nur Netze für die eigene Staatsmacht geknüpft. Das von dem Ex-Offizier Ren Zhengfei 1988 gegründete Unternehmen gehört zu den chinesischen Konzernen, die bereits den Sprung ins Ausland geschafft haben.
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Und mit seinen Innovationen bringt Huawei die Konkurrenten im Westen bereits in Bedrängnis. Das Unternehmen hat etablierten Netzwerkausrüstern wie Siemens, Cisco oder Alcatel schon Kunden abgeluchst. In Großbritannien modernisieren die Chinesen das Netz von BT, in Deutschland setzen Arcor und Versatel auf Huawei. Und in Russland rüstet Huawei ein 25 000 Kilometer langes Glasfaserkabelnetz für modernste Kommunikation auf – von der finnischen Grenze bis nach Nordkorea. „Das ist einer der größten Branchenaufträge weltweit“, freut sich ein Huawei-Manager in Shenzhen. Das Erfolgsrezept des chinesischen Anbieters deckt sich mit dem vieler aufstrebender Weltkonzerne: Topqualität zum Billigpreis. „Als wir das erste Mal von Huawei hörten, konnten wir nicht glauben, dass eine chinesische IT-Firma so gut sein kann wie eine aus dem Westen“, sagt ein französischer Telekommanager. „Aber die Technologie war besser
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und 30 Prozent billiger.“ Der Auftrag aus Paris ging nach China. Und der ehemalige Siemens-Chef Klaus Kleinfeld antwortet auf die Frage, welche Unternehmen aus den Schwellenländern ihm besonders imponieren, mit einem Wort: Huawei. Ähnlich beeindruckt sind Besucher von der Firmenzentrale in Shenzhen. Der „Huawei-Campus“, nahe der Grenze zu Hongkong, ist eine Modellstadt mit modernster Architektur aus Glas und Beton. Es gibt ein eigenes Hotel, Palmengärten, vier Fußballplätze. Stararchitekt Norman Foster hat das Trainingscenter entworfen, eine Autobahnausfahrt führt direkt zum Firmengelände. Und die U-Bahn-Station „Huawei“ ist gerade erst entstanden. Huawei ist Chinas junges, frisches Gesicht. Das Durchschnittsalter der rund 60 000 Mitarbeiter liegt bei 27 Jahren. Auch Jun Fu gehört dazu, wenngleich er schon etwas älter ist. Der smarte Mann mit der randlosen Brille kratzt sich in seinem Büro an der Stirn. Er hat keinen leichten Job. Fu ist die offizielle Stimme des Konzerns. Doch sagen darf er nicht viel. Bei Huawei ist fast alles „streng vertraulich“. Diskretion Ehrensache. Das gilt besonders für Ren Zhengfei, den Gründer und Vorstandsvorsitzenden der Huawei Technologies Ltd. Er tritt selten öffentlich auf und gibt nie private Dinge preis. Der 1944 geborene Ren hat seit der Gründung der Firma vor zwei Jahrzehnten nicht ein einziges Interview gegeben. Der Ex-Militär gehört noch zur alten Garde der China AG. Und die setzt zum Wohl von Firmen noch immer auf Vaterland, Parteibuch, Beziehungen, Staatsaufträge und Verschwiegenheit. Dabei führt Ren nicht einen alten Stahlriesen oder die chinesische Staatspost. Huawei ist vielleicht das modernste und innovativste Unternehmen in der Volksrepublik, der Konzern ist global so erfolgreich wie kaum ein anderer chinesischer Konzern. Doch Ren mag keinen PR-Rummel. „Das
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ist einfach nicht sein Ding“, sagt ein Mitarbeiter. „Er redet wenig, macht aber viel.“ Bisweilen wird der Huawei-Chef darum mit Mao verglichen. Ren Zhengfei schaltet schon mal wie der Große Vorsitzende unliebsame Mitstreiter knallhart aus. Denn Chinas Strippenzieher ist gut verdrahtet, der alte Militärmann hat seine Kontakte zu Partei und Armee nie gekappt. Und der Huawei-Gründer, der als Jugendlicher Mitglied der KP Chinas wurde, saß schon als Delegierter in Chinas Scheinparlament, dem Volkskongress. Ren stammt aus der eher ärmlichen Provinz Guizhou. Die Familie siedelte später ins Hinterland von Hongkong um, wo der Vater als Buchhalter in einer Waffenfabrik der Partei, die Mutter als Lehrerin arbeitete. Als Ältester von sieben Kindern und mit den berufstätigen Eltern lernte der junge Zhengfei schon früh, Führung und Verantwortung zu übernehmen. Nach dem Studium an der Universität von Chongqing ging Ren als Telekomentwickler an ein Forschungsinstitut der chinesischen Armee. Als Wirtschaftsreformer Deng Xiaoping in den 80er-Jahren das Militär der Volksrepublik um eine Million Soldaten verschlankte, nutzte Ren die Chance. Noch als Offizier der Volksbefreiungsarmee gründete er Huawei. Das war damals keineswegs ungewöhnlich, denn Chinas Armee betrieb zu der Zeit überall im Reich der Mitte Industrie- und Handelskonglomerate. Zunächst führte der damals 44-Jährige aus dem nahen Hongkong Telefonanlagen ein. Das Geschäft brummte, denn zu Beginn der wirtschaftlichen Öffnung hatten in China weniger als ein Prozent der Bevölkerung ein Telefon. Ren erkannte bald, dass er die Geräte auch selbst bauen und mit noch mehr Gewinn verkaufen könnte. Er machte sich mit Huawei selbstständig. Vor allem durch große Staatsaufträge wuchs das Unternehmen in den Anfangsjahren sehr rasch. 1997 wagte Hua-
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wei dann den Schritt ins Ausland. Der erste Auftrag kam von der Hongkonger Hutchison Group. Dessen Besitzer Li Ka-shing, heute reichster und mächtigster Mann Asiens, wollte sich damit zur anstehenden Rückgabe der britischen Kolonie an die Volksrepublik in Peking schon mal Freunde machen. „Uns gab dieser Vertrag die Erfahrung und das Vertrauen, auf internationale Märkte zu gehen“, hat Huawei-Vizepräsident Xu Zhijun später mal gesagt. In den folgenden Jahren eroberte Huawei Länder wie Russland, Brasilien oder Thailand. Die Chinesen nahmen sich vor allem Schwellenländer vor, in denen es kaum Konkurrenz gab und wo die politischen Beziehungen stimmten. Konzernchef Ren sei inzwischen kaum noch in der Zentrale, da er sich um die weltweiten Kundenkontakte kümmere, sagt Konzernsprecher Fu. Das Magazin Time hat den Huawei-Gründer zu einem der einflussreichsten Manager der Welt gekürt. Laut Forbes ist Ren heute mit einem Vermögen von einer halben Milliarde Dollar der drittreichste Mann Chinas. Das Magazin nennt den Firmenchef nur noch knapp „Mystery Man“ – der große Unbekannte. Wie lange aber kann ein mysteriöser Manager einen stark expandierenden internationalen Konzern leiten? Huawei müsse irgendwann die Maske fallen lassen, ist Professor Xiao Zhixing von der China Europe International Business School in Schanghai überzeugt. Ein Unternehmen solcher Qualität und Größe könne auf Dauer nicht wie ein Geheimbund geführt werden. Doch bei Huawei herrscht weiter das große Schweigen. Fragen, etwa wie die Expansion finanziert wird, bleiben unbeantwortet. Der lokale Wettbewerber ZTE ist bereits an die Börse gegangen. Das komme für Huawei aber nicht infrage, sagt Fu. Dann könne das Management seine Entscheidungen nicht mehr so einfach fällen. „Das bedeutet viel zu viel Transparenz.“
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Denn bislang entscheidet bei Huawei vor allem einer – Firmengründer Ren. Und Peking greift, wenn nötig, gern unter die Arme. Die Firma bekommt angeblich erhebliche Steuervorteile, die China Development Bank – Teil der chinesischen Regierung – soll dem Konzern eine Kreditlinie von zehn Milliarden Dollar eingeräumt haben. Dabei ist Huawei offiziell eine Privatfirma. „80 Prozent unserer Mitarbeiter besitzen 100 Prozent unserer Firma“, sagt Sprecher Fu. Doch wer wie viele Anteile an dem Konzern hält – das ist streng geheim. Firmengründer Ren und Chairwoman Sun Yafang, Topmanagerin mit Harvardabschluss und treue Gefährtin des Huawei-Chefs, sollen nur je ein Prozent besitzen. Doch wirklich weiß das keiner. Auch welche Mitarbeiter Miteigentümer werden, darüber entscheidet der Abteilungschef im stillen Kämmerlein. Vor allem die Tüftler in den Labors werden damit zur Kreativität angespornt. Denn die jährlich ausgezahlte Dividende ist sehr lukrativ. Fu: „Für viele ist das Gehalt nur eine Art Taschengeld.“ Das gilt besonders dann, wenn Umsatz und Dividenden so kräftig wachsen wie in den vergangenen Jahren. Zwischen 2002 und 2006 haben sich die Auftragseingänge von Huawei auf rund elf Milliarden Dollar vervierfacht. Der Nettogewinn legte noch stärker zu und erreicht inzwischen rund 700 Millionen Dollar. Westeuropa macht bislang nur rund vier Prozent am Konzernumsatz aus. Allerdings konnte Huawei gerade in dieser Region lukrative Namen gewinnen. Zu den Kunden gehören Vodafone, Telefonica, BT und auch die Deutsche Telekom. Inzwischen setzen 28 der weltweit 50 größten Telekomanbieter auf Lösungen aus Shenzhen. Huawei bietet inzwischen alles, was mit Datenübertragung zu tun hat – vom Computerchip über Netzwerke bis zum passenden Handy. In vielen Märkten ist der chinesische Anbieter bereits Nummer eins oder zwei. Pro Jahr
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steckt Huawei zehn Prozent seines Umsatzes in die Entwicklung. Das Unternehmen aus Shenzhen will so die Konkurrenz technologisch überholen. 2006 meldete das Unternehmen rund 17 000 Patente an, wurde zum „Patent-Champion“ in China gekürt. „Fast jeder zweite Mitarbeiter arbeitet bei uns im Bereich Forschung und Entwicklung“, sagt Manager Fu. Die meisten sitzen in Shenzhen, immer mehr aber auch in Indien, Amerika, Russland und Europa. Huawei hat bereits ein Dutzend moderne Forschungszentren rund um die Welt aufgebaut. Mit seiner Innovationsoffensive will der chinesische Konzern aber nicht nur die Konkurrenz abhängen. Das Unternehmen bemüht sich so auch, den Ruf des Kopierers abzuschütteln, der ihm noch immer wie eine Klette anhaftet. Denn es ist schon kurios: Huawei wurde ausgerechnet als Nachmacher weltweit erst richtig bekannt. Der US-Konzern Cisco Systems bezichtigte 2003 den Anbieter aus Shenzhen der Verletzung von Urheberrechten, da Elemente der Software auffallend identisch waren. Das brachte den Namen Huawei weltweit in die Schlagzeilen. Ein Jahr später einigte man sich, Huawei änderte den Softwarecode. „Und Cisco wollte sich wohl nicht den Zugang zum Riesenmarkt China verbauen“, mutmaßt ein Experte den Punktsieg der Chinesen. Vor allem für die kommende UMTS-Welt, den Handystandard der dritten Generation, hat sich Huawei gut gerüstet. „Wir wissen, was die Kunden wollen“, sagt Manager Fu selbstsicher. Mit Vodafone wurde 2006 ein Fünfjahresliefervertrag über UMTS-Handys und mit dem Mobilfunkhersteller Motorola eine wichtige Kooperation geschlossen. Große UMTS-Aufträge gibt es auch bereits im Mittleren Osten und in Afrika. „Das jährliche Wachstum wird sich bei 20 Prozent einpendeln“, sagt Sprecher Fu. Weitere Märkte der Zukunft seien vor allem Südamerika und Asien. 2006 stieg Huawei
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darum zum Beispiel auf dem japanischen Markt durch die Übernahme des Konkurrenten Harbor Networks ein. Um neue Märkte zu knacken, setzen die Chinesen aber vor allem auf Kooperationen. Für die UMTS-Entwicklung ist Huawei 2004 eine Partnerschaft mit Siemens eingegangen. Für den US-Markt wurde ein Joint Venture mit dem Anbieter 3Com geschlossen. Inzwischen bekommt der Konzern aus Shenzhen fast drei Viertel aller seiner Aufträge aus dem Ausland. Huawei sei international vielleicht erfolgreicher als Chinas Vorzeigekonzerne Lenovo, TCL oder Haier, sagen Experten. Die Nähe zum Militär hat jedoch im Ausland immer wieder dafür gesorgt, dass es politische Bedenken gegen Großaufträge gab. „Das größte Problem für unsere internationale Expansion ist, dass es so viele Gerüchte und Missverständnisse über Huawei gibt“, klagt Konzernsprecher Fu. Doch wie es wirklich ist, das kann er leider nicht sagen. Das weiß nur die schwarze Server-Armee in der streng gesicherten Huawei-Zentrale von Shenzhen. Doch die brummt im Datenraum nur leise vor sich hin.
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Wipro – Der Vorreiter der IT-Revolution Von Oliver Müller, Neu-Delhi
In rascher Folge gebiert Indien neue Weltmarktgrößen in Branchen von Stahl bis Petrochemie. Aber die Initialzündung für die Internationalisierung seiner Firmen ging von der Technologiebranche aus. Diese stellt bis heute nicht nur die meisten, sondern auch die aggressivsten Angreifer auf Märkte, die lange exklusive Pfründe anderer waren. IT-Dienstleister wie Tata Consultancy Services (TCS), Infosys, Satyam und Wipro setzen altgedienten Champions wie IBM, Accenture, Hewlett-Packard oder EDS merklich zu. Sie wachsen viel schneller als ihre Rivalen aus Europa und Amerika und jagen diesen immer größere Aufträge ab. Wipro etwa nimmt mit Raketentempo Kurs auf Weltrang: Indiens drittgrößter IT-Dienstleister nach TCS und Infosys hat ein Vierteljahrhundert gebraucht, um eine Milliarde Dollar einzunehmen. Für die zweite Umsatzmilliarde genügten zwei weitere Jahre. Die dritte wurde innerhalb von zwölf Monaten geknackt. „Wir werden bald in derselben Liga spielen wie IBM und Accenture“, ist Wipro-Chairman Azim Premji sicher. „In spätestens drei Jahren schaffen wir es unter die Top Ten der Branche.“ In absehbarer Zeit sieht er indische Firmen sogar in den elitären Club der ersten fünf einbrechen. Bei der Marktkapitalisierung ist sein Unternehmen mit gut 18 Milliarden Dollar längst unter den zehn Branchenführern. Die Märkte schauen in die Zukunft. Sie untermauern mit ihrer Bewertung Premjis Anspruch. Wipro verdankt seinen schwindelerregenden Börsenwert nicht nur langem, exponentiellem Wachstum. Der hungrige Tiger aus Bangalore arbeitet ungleich profitabler als seine satten
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Rivalen aus reichen Ländern: Mit 24 Prozent fährt Wipro eine rund dreimal höhere Bruttogewinnmarge ein als IBM. Das Unternehmen profitiert von einem Trend, der die Technologiebranche in ihren Grundfesten erschüttert: der Verlagerung von Arbeit in Billiglohnländer, im Branchenjargon „Offshoring“ genannt. Kein Land wird davon mehr begünstigt als Indien. Dessen Exporte von Software und Bürodiensten steigen jedes Jahr um rund ein Drittel und haben 2006 die Schwelle von 31 Milliarden Dollar überschritten. Bis 2010 sollen es bereits 60 Milliarden Dollar sein – konservativ gerechnet. Im Hexenkessel dieses explosiven Wachstums entstehen neue Unternehmerdynastien, und wie für Gründerzeiten typisch werden Vermögen über Nacht gescheffelt. Premji ist Indiens Gegenstück zu Bill Gates geworden. Beide rechnet
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Forbes zu den zehn reichsten Technologieunternehmern der Welt. Der 61-jährige Inder hat mit dem Microsoft-Gründer nicht nur fantastischen Reichtum gemeinsam. Der Offshoring-Vordenker hat wie Gates eine Boomindustrie mit aus der Taufe gehoben. Und so wie Microsoft zu einem Symbol für die Kraft des amerikanischen Kapitalismus wurde, hat Premji Wipro zu einer Ikone des modernen Indien gemacht. Er zählt zu einer neuen Generation indischer Tycoons, die ihren Aufstieg cleveren Geschäftsmodellen verdanken und ihre Firmen fortschrittlicher und globaler managen als viele andere asiatische Unternehmer. Seine Karriere begann mit einer Tragödie: dem plötzlichen Tod des Vaters 1966. Auf der Stelle brach der damals 21-Jährige sein Technikstudium an der Eliteuni Stanford ab und übernahm die Zügel einer winzigen Familienfirma namens Western Indian Vegetable Products. Wipros Firmenlogo zeugt bis heute von den Wurzeln als Speiseölhersteller: Es zeigt eine knallbunte Sonnenblume. Zunächst diversifizierte der Jüngling in Seife, Wachs und Glühbirnen. Später verwandelte er Wipro gleich zweimal in ein radikal anderes Unternehmen. Als Indien sich von der Weltwirtschaft abschottete und 1977 IBM aus dem Land warf, füllte der Elektrotechniker das Vakuum: Er stellte Entwickler ein, konstruierte eigene Mikrochips und Rechner und baute Wipro zum Hardwarehersteller um. Als sich das Land in den 90erJahren für konkurrenzfähigere Importe öffnete, fand der Chef für seine Techniker neue Arbeit: den Export billiger IT-Dienste. Heute programmieren bei Wipro 68 000 Mitarbeiter im Auftrag westlicher Firmen Software oder passen diese an, warten Computernetze oder übernehmen Buchhaltung und Personalverwaltung. „Wir werden noch lange so aggressiv wachsen, denn der Markt ist immens und erst zu einem Bruchteil ausgeschöpft“, prophezeit Premji. Außerdem weite sich die Palette der Offshoring-Dienste rasant auf immer
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neue Felder aus. Daran hat Indiens Technologiepionier wesentlichen Anteil. Deutlich früher als lokale Konkurrenten hat Wipro neben Software auch auf Ingenieurdienste gesetzt. Dabei half die Erfahrung als Hardwarehersteller. Nun entwickelt das Unternehmen zum Beispiel Produkte im Auftrag von Autozulieferern oder Telekomausrüstern wie Cisco, Lucent und Nortel. 16 500 Ingenieure arbeiten in diesem Bereich. Das macht Wipro zum größten Anbieter externer Entwicklungsarbeiten weltweit. „Wir haben die kritische Masse für Großaufträge und tragen inzwischen sogar Entwicklungsrisiken für Kunden mit“, streicht Premji heraus. Hochwertiger Forschung und Entwicklung sprechen Analysten besonders großes Wachstumspotenzial zu. Bei Wipro wächst dieses Segment doppelt so schnell wie der Gesamtumsatz. Das ist ein Indiz dafür, wie schnell internationaler Preisdruck immer komplexere Entwicklungsaufgaben in Schwellenländer treibt. Premji erkennt bei seinen Kunden aber auch einen Mentalitätswandel, der die Auslagerung sensibler Kernfunktionen wie Grundlagenforschung erleichtert: „Firmen schützen ihre Patente nicht mehr so paranoid wie früher, weil sie ein Bewusstsein für deren Verfallsdatum entwickeln.“ Um Technik schneller in profitable Produkte zu verwandeln, suchten sie zunehmend Hilfe aus Indien. Es dauerte, bis die alten Platzhirsche Emporkömmlinge wie Wipro ernst nahmen. Doch inzwischen wehren sie sich heftig und kopieren deren Billiglohnmodell. Weltmarktführer IBM hat sein Personal in Indien zwischen 2004 und 2006 verfünffacht und beschäftigte zuletzt 45 000 Mitarbeiter dort. Für Accenture soll das Land im Laufe des Jahres 2007 mit 35 000 Mitarbeitern zum größten Standort weltweit aufrücken und sogar die USA überholen. Als Folge zeichnet sich eine Konvergenz der Geschäftsmodelle und der Kostenstrukturen ab. „Weil alle hierher strömen, werden die Unterschiede zwischen Anbietern aus Indien und dem Westen
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bald völlig verschwinden“, erwartet Premji. Doch er zeigt sich vom Gegenangriff westlicher Firmen auf sein Terrain unerschrocken: „Das zeigt doch nur, dass sie einem Bus nachlaufen, dessen Abfahrt sie verpasst haben“, wiegelt er ab. Offshoring ist zwar bei allen zum Kern des Geschäftsmodells avanciert. „Aber wir Inder haben es erfunden, und wir setzen weiterhin die globalen Standards“, behauptet Premji. In der schwierigen Kunst des Abwickelns von Offshoring-Projekten ist Wipro für ihn IBM „sicher um zwei Jahre voraus“. Analysten, Beratungsfirmen wie Forrester und hinter vorgehaltener Hand selbst Manager von Konkurrenten bescheinigen den Prozessen von Wipro, TCS, Satyam oder Infosys große Reife. Das verschafft den Indern aber nicht unbegrenzt Luft. Denn Rivalen wie IBM können außer mit Marktmacht und Markenimage auch mit uralten Kundenbeziehungen wuchern und liegen technologisch weiterhin vorn. Um langfristig auf Augenhöhe mit westlichen Riesen zu bestehen, die ihrem Billigmodell nacheifern, sehen sich die Inder gezwungen, im Gegenzug deren bewährte Geschäftspraxis in Europa und Amerika zu kopieren. Ein wichtiger Aspekt davon ist IT-Consulting. Daher drängt auch Premji sein Unternehmen in diese Nische am obersten Ende der Wertschöpfungskette. Der teure, schwierige und riskante Vorstoß ins Beratergeschäft soll ihm die Tür öffnen zu größeren und komplexeren Aufträgen. „Auch wir müssen Lösungen zur Umorganisation ganzer Konzerne vorschlagen können wie IBM, anstatt passiv auf Ausschreibungen von Outsourcing-Projekten zu warten“, begründet der Chef seine Strategie. Außerdem erschließt er seiner Firma geografisch neue Wachstumsquellen, die zugleich die Abhängigkeit vom US-Markt mindern sollen. Dort macht Wipro noch immer 60 Prozent des Geschäfts. Doch richtet sich der Fokus neuerdings stärker auf Kontinentaleuropa. Dort ist das Markt-
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potenzial bei Weitem nicht ausgeschöpft, weil Offshoring im Vergleich zum angelsächsischen Raum zeitverzögert in Schwung kommt. Ein Grund sind Sprachbarrieren, die auch Kunden aus Japan oder Korea schwer erreichbar machen. Um kulturelle Klippen zu umschiffen, eröffnen die Inder Entwicklungszentren in China, Lateinamerika, Osteuropa und zuletzt Portugal. „Neukunden aus Westeuropa fühlen sich oft wohler mit unseren Mitarbeitern in Bukarest, die Deutsch oder Französisch sprechen“, gibt Premji zu. Räumlich und kulturell nahe „Schaufenster“ wie das Zentrum in Rumänien sollen sie ködern und ihnen Offshoring zunächst vor der Haustüre schmackhaft machen. Folgeaufträge können dann leichter nach Indien übertragen werden. Deutschland spielt eine Schlüsselrolle bei Wipros Ansturm auf die Festung Kontinentaleuropa, die sich gegen die Verlagerung von Arbeit nach Indien lange sträubte. Doch das ändert sich. „Ihr Land ist Exportweltmeister, seine Firmen agieren extrem international“, erkennt Premji. Dadurch gerieten sie auf den Weltmärkten allerdings früher und stärker als andere unter Kostendruck. Deutschland steht für ihn aber noch vor einem viel größeren Problem: „Natur- und Ingenieurwissenschaften haben dort ihre Anziehungskraft auf die Jugend verloren“, analysiert Indiens IT-Pionier. Dadurch baue sich „ein gigantischer Mangel an Entwicklungsfachkräften“ auf. Premji quittiert dies mit Kopfschütteln: „Und das in einer Technologienation!“, seufzt er leise. Doch was den Technikfreak schauern lässt, freut den Unternehmer in ihm: Für Wipro eröffne sich damit eine „wunderbare Chance“ auf mehr Geschäft. Ankurbeln möchte Premji es mit der Übernahme einer deutschen Firma. Aber obwohl Wipro einen Milliardendeal stemmen könnte, würde sein Chef vor Kalibern wie Siemens Business Services oder T-Systems zurückscheuen. „Die IT-Töchter deutscher Konzerne sind ineffizient und bürokratisch“, findet er. „Warum sollten wir uns mit veralteten
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Geschäftsmodellen belasten? Kleinere Deals machen viel mehr Sinn.“ Dieser Devise ist Wipro 2006 mit der Übernahme von sechs technisch exzellenten Mittelständlern im Ausland gefolgt. Darunter fanden sich der Chipdesignspezialist NewLogic in Österreich und die Telekomsoftwarefirma Saraware in Finnland. „Wir kaufen nicht, um den Umsatz zu steigern“, umreißt Premji seine Strategie. Dies gelinge mit organischem Wachstum leichter. „Wir suchen neue Technologien und Firmen, die uns in fremden Märkten ein lokales Gesicht geben.“ Die Lokalisierung des Geschäfts mithilfe ortsansässiger Muttersprachler ist ein weiterer Schachzug, der Nachteile gegenüber EDS, Atos Origin oder Cap Gemini mit tiefen Wurzeln in Europa und Amerika ausgleichen soll. Premji weiß: Will er mit diesen wirklich gleichziehen, muss er Wipro in ein im Kern internationales, multikulturelles Unternehmen verwandeln. Längerfristig soll jeder vierte Mitarbeiter weltweit kein Inder mehr sein, definiert er als Ziel. Doch der Weg dahin ist weit: Noch sind 95 Prozent aller Angestellten Inder, und auch von 3300 Mitarbeitern in Europa waren Ende 2006 erst 1300 Ortskräfte. Vier Jahrzehnte nach seiner hastigen Rückkehr aus Amerika steht der Manager mit dem schlohweißen Bürstenschnitt auf dem Gipfel seines Erfolgs. Zugleich ist er mit seiner bislang schwierigsten Aufgabe konfrontiert: Wipros halsbrecherisches Wachstumstempo zu halten. Dass die Personalabteilung unter jährlich 20 000 Neueinstellungen kollabiert oder Indien die Talente ausgehen, sorgt den Unternehmer kaum, anders als viele Analysten. „Wenn es einen Faktor gibt, der uns bremsen kann, dann sind es unsere Managementkapazitäten“, fürchtet der Chairman. Bislang steigert das Unternehmen Umsatz und Gewinn mit jährlicher Regelmäßigkeit um über ein Drittel – obwohl die Basis für solche Sprünge immer höher wird. Im Finanzjahr 2006/2007 etwa explodierten die Einnahmen um 41 Prozent
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auf 3,5 Milliarden Dollar und der Reingewinn stieg um 44 Prozent auf 677 Millionen Dollar. Mit Zukäufen, Consulting und dem Vormarsch auf neue Märkte wie Europa und Japan will Premji Wipros Expansionstempo so lange wie möglich in die Zukunft fortschreiben. Analysten spekulieren darüber, wann die Schwerkraft Wipros kometenhaften Aufstieg bremsen wird. Aber Premji lässt sich nicht auf eine Debatte darüber ein, ob die Grenzen des Wachstums in drei, fünf oder zehn Jahren erreicht werden. Er redet lieber von strategischen Projekten wie besserer Software und strafferen Entwicklungsprozessen, welche die Produktivität stark steigern und exponentielles Wachstum noch auf Jahre sichern sollen. Noch wichtiger ist ihm „eine systematische Innovationsinitiative“. Der Unternehmer steuert seine Firma sachte weg von einem „MietLabor“ für Dritte, hin zu komplexeren, höherwertigeren Arbeiten. Unter anderem betreiben die Inder immer mehr Forschung auf eigene Rechnung statt für Fremdkunden. In Feldern wie Chipdesign und Telekomsoftware investieren sie bereits in die Suche nach eigenen Patenten. 2006 entfielen laut Premji erst 6,5 Prozent der Einnahmen auf originäre, hauseigene Innovation. Doch 2007 sollen es bereits zehn Prozent werden. Das robuste Selbstvertrauen, mit dem der Unternehmer die frontale Konfrontation mit amerikanischen Branchenriesen aufnimmt, verstellt ihm jedoch nicht den Blick auf Herausforderungen. Eine Gefahr, die im Erfolg von Firmen wie Wipro lauert: Zunehmender Protektionismus im Westen könnte Offshoring politische Grenzen setzen. Denn Indiens IT-Firmen werden von gut ausgebildeten Europäern oft als ähnliche Bedrohung gesehen wie chinesische Fabriken für Industriearbeiter. „Es gibt Widerstand“, spürt Premji, „der Westen liebt die Globalisierung nur, solange er davon selbst am meisten profitiert.“ Aber das Bewusstsein für die beiderseitigen Vorteile globaler Verflechtungen wachse auch unter
Wipro – Der Vorreiter der IT-Revolution
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Amerikas und Europas Mittelschichten. Dies mindere Ängste, dass deren Vertreter durch die Globalisierung zu Verlierern werden könnten. Das größte Zukunftsrisiko wittert Premji in neuer Billigkonkurrenz aus China, Russland oder Vietnam. „Ruhen wir uns auf unseren Lorbeeren aus, vernaschen die uns“, mahnt er Indiens IT-Branche. Selbstgewissheit sieht er als größte Gefahr für deren langfristige Blüte. Die Arroganz und die Allüren, vor denen er andere warnt, sind ihm fremd geblieben. Weder sein durchschlagender Erfolg noch sein sensationeller Reichtum sind „Indiens Technologiekönig“ (BusinessWeek) zu Kopf gestiegen. Infosys-Gründer Narayana Murthy preist seinen härtesten Rivalen in aller Öffentlichkeit für dessen Abneigung gegen Hierarchien und lobt ihn als „den bescheidensten aller Menschen“. Andere halten Premji für einen Pfennigfuchser. Der Selfmademilliardär kontrolliert 80 Prozent von Wipro. Das trug ihm jahrelang den Titel „Indiens reichster Mann“ ein. Doch dieser Krösus fährt unverdrossen Toyota, fliegt ausschließlich Economy Class und scheut Fünfsternehotels. „So bleibt man geerdet“, findet Premji. Außerdem zahle sich Bodenhaftung auch wirtschaftlich aus: Manager, die in Privatjets um die Welt rasen, verlören schnell den Bezug zur Wirklichkeit ihrer Angestellten und Kunden. Sein Geldschatz bedeutet ihm „ungeheure Verantwortung“. Einen beträchtlichen Teil gibt der Moslem über eine Stiftung aus, die bereits drei Millionen armen Kindern bei der Schulausbildung geholfen hat. Durch den Vermögenstransfer sinkt Premjis Anteil an Wipro stetig. Familienkontrolle liegt dem Vater zweier Söhne dennoch am Herzen: „Das isoliert uns von den schwankenden Kurzzeitinteressen der Börsianer und erlaubt längerfristige Entscheidungen“, glaubt er. Als reichster Inder wurde Premji im Jahr 2006 auf der Milliardärsliste der Zeitschrift Forbes von Reliance-Chef
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Mukesh Ambani entthront. „Das ist doch wunderbar“, meint er mit seinem typischen, onkelhaften Lachen. Jetzt stehe er endlich weniger im Rampenlicht. Premji ist stolz darauf, dass seinem Privatvermögen kein Ruch von Korruption anhaftet und dass das von ihm geschaffene Unternehmen frei ist vom Verdacht der Vetternwirtschaft oder politischer Protektion. Welches Ansehen es im eigenen Land genießt, verdeutlicht ein Reputationsindex indischer Firmen, den die Marktforscher von ACNielsen erstellen: Darauf rangiert Wipro auf Rang zwei, direkt hinter dem Konkurrenten Infosys.
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Lenovo – Neue Welt, neues Denken Von Andreas Hoffbauer, Peking
In Zhongguancun ist an diesem Samstag mal wieder die Hölle los. Die Shoppingmeile für Elektronikgeräte, gleich an der Stadtautobahn im Norden Pekings, ist ein Lieblingsziel vieler junger Chinesen und Chinesinnen. In den Geschäften drängelt sich die Generation Zukunft zwischen Computern, DVD-Spielern, Notebooks und Flachbildschirmen – Laptoptasche in der einen Hand, in der anderen das fesche Handy. Dazwischen brüllen Verkäufer mit frisch gegeltem Haar den Namen ihrer Marke in die Menge. Der Wettbewerb am chinesischen PC-Markt ist knallhart, die Gewinnspannen sind gering. Da zählt jeder Kunde. Ein Name dominiert hier: Lenovo. Schon an den Außenfronten der Kaufhaustürme werben riesige Plakate für Chinas größten PC-Hersteller. Nur einen Steinwurf von den Ladenstraßen entfernt ist das Unternehmen einst gegründet worden, damals noch unter dem Namen Legend. Der Konzern wurde zu Chinas IT-Pionier und der Bezirk Zhongguancun, mitten im Univiertel Haidian, zum chinesischen Silicon Valley. Mehr als 4 500 Hightechfirmen haben sich angesiedelt, dazu 500 Forschungs- und Entwicklungszentren. Und in Zhongguancun hat auch Lenovo seinen modernen Chinasitz. Auf dem weiten Gelände ist von der alten Baracke, in der der Weltkonzern an einem kalten Wintertag im Dezember 1984 seinen Anfang nahm, allerdings nichts mehr zu sehen. Das Gebäude musste weichen – für einen Parkplatz. Die Kunden in der nahen „Ding Hao Electronics Mall“ wissen davon nichts. Viele, die heute Chinas coole PC-Mar-
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Lenovo Kerndaten
Wettbewerber weltweit
Geschäftsjahr 31.3.2007
in Mrd. US$
Veränderung zum Vorjahreszeitraum in %
Umsatz
PC Hersteller nach verkauften Einheiten in Millionen Einheiten im 1. Quartal 2007 Hewlett Packard (USA)
11,03
14,6 +9,4 Dell (USA)
Gewinn 0,161
8,69
+622
Marktkapitalisierung*
Acer (Taiwan)
4,28
3,16
Lenovo (China)
Mitarbeiter**: 24500 Gewinn je Aktie in US$ 03/2007:
0,02 Handelsblatt | Stand 4 4 2007;
3,97 Toshiba (J)
2,55 31 3 2006; Quelle Unternehmensangaben, Thomson Financial, Bloomberg, Gartner Dataquest
ke benutzen, waren damals gerade erst geboren. Aber alle kennen Yang Yuanqing, den Chairman der Lenovo Group. Der Chinese ist bereits mit Anfang 40 weltberühmt. Sein Aufstieg bedeutet viel für das neue China. Wie kein anderer Konzern verkörpert der Computerhersteller den chinesischen Traum nach weltweiter Anerkennung. „Wir sind die Neuen, wir sind die Zukunft“, mit diesem Slogan stellte sich das Unternehmen nach der spektakulären IBM-Übernahme der Welt vor. Höflich, aber bestimmt. Mit dem Milliardenkauf der PC-Sparte von IBM wurde Lenovo Anfang 2005 auf einen Schlag zur zwischenzeitlichen Nummer drei der globalen PC-Branche, hinter den Marktführern Hewlett-Packard und Dell. Der chinesische Konzern, zuvor nur am Heimatmarkt, vervierfachte über Nacht seinen Umsatz auf 13 Milliarden Dollar, macht nun zwei Drittel seines Geschäfts außerhalb Chinas.
Lenovo – Neue Welt, neues Denken
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„Wir wollen unseren Erfolg aus China in anderen Ländern kopieren“, lässt Yang die Konkurrenz wissen. Damit bläst der Mann, der mit seinem runden Unschuldsgesicht und der randlosen Studentenbrille noch immer so jugendlich aussieht wie vor 20 Jahren, zum Generalangriff. Denn daheim ist Lenovo mit gut 35 Prozent klarer Marktführer. Weltweit liegt der Marktanteil nach der IBM-Übernahme bei gut sieben Prozent. Im Ausland ist Lenovo längst zum Synonym für Chinas neue Konkurrenz geworden, die quasi aus dem Nichts zuschlägt. Denn Ende 2004, als der Computerbauer die Firmenwelt mit dem IBM-Kauf aufschreckte, verwirrte nicht etwa der Kaufpreis von 1,75 Milliarden Dollar. Sondern schlichtweg die Frage: Wer, bitte schön, ist Lenovo? Der chinesische Konzern sei „der größte Computerkonzern, den außerhalb Chinas niemand kennt“, frotzelte damals die Los Angeles Times. Es sei wirklich sehr schwer gewesen, Analysten in New York für eine Präsentation zu gewinnen, erinnert sich auch die damalige Lenovo-Finanzchefin Mary Ma. „Viele von denen hatten nicht mal eine Ahnung, dass es eine chinesische Firma mit dem Namen gab.“ Und dann kauft der Staatsbetrieb aus Rotchina auch noch eine Ikone des Kapitalismus – IBM, quasi den „Erfinder“ des Computers. Die Welt rieb sich verdutzt die Augen, klatschte dann Beifall. Klaus Zimmer, zu der Zeit Chinachef des deutschen Softwarehauses SAP, lobte den Deal gar als genialen Schachzug: „Damit ist Lenovo über Nacht vom reinen Chinaunternehmen zum Global Player geworden.“ Seitdem ist in der Welt AG alles möglich. Es sei nur noch eine Frage der Zeit, bis weitere Großübernahmen durch chinesische Konzerne folgen, sagen Experten. Als Nächstes ging die traditionsreiche britische Automarke MG an Nanjing Automobile. Der Elektronikriese TCL, der den französischen Fernsehhersteller Thompson übernommen hat, bekam allerdings mit der Integration Schwierigkeiten. Leno-
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vo sei im Vergleich viel besser für den globalen Sprung vorbereitet gewesen, meint Joseph Ho, Analyst vom Daiwa Institute of Research in Hongkong. „Dort ist das Management viel offener und entschlossener.“ Allen voran Yang Yuanqing. Der smarte Chinese steht seitdem im internationalen Rampenlicht – und kräftig unter Druck. Auf ihm lasten große Erwartungen, von Mitarbeitern, Investoren und Politikern. Denn noch ist die Führung in Peking der größte Aktionär an dem in Hongkong notierten Lenovo-Konzern. Unter dem Schlachtruf „Zou Chu Qu“ („Ab ins Ausland!“) drängt Chinas Regierung seine Konzerne zum globalen Sprung. Lenovo gilt als der große Test und als Meilenstein auf Chinas Weg vom Entwicklungsland zur Industrienation. „So gesehen, war unser Zukauf eine wegweisende Übernahme“, sagt Chairman Yang. Kurz danach besuchte sogar Chinas Premierminister Wen Jiabao den neuen Superstar am Managerhimmel. Zum Abschied soll der Regierungschef zu Yang lächelnd gesagt haben: „Sie tragen nun die ganze Hoffnung Chinas auf ihren Schultern.“ Diese Last gibt der als harter und harscher Manager bekannte Yang durchaus an seine Mitarbeiter weiter. Der Lenovo-Chairman verlangt Höchstleistungen von seinen Leuten – und Pünktlichkeit. Manager, die zu spät zu Sitzungen kommen, müssen wie Schulbuben in der Ecke stehen, wird berichtet. Und Yang sei pingelig bis ins Detail. Vor wichtigen Geschäftsessen kümmere er sich gern selbst um die Sitzordnung am Tisch. So war Yang Yuanqing zumindest immer zur rechten Zeit am rechten Platz. Etwa, als Lenovo-Gründer Liu Chuanzhi einen Nachfolger suchte. Liu, Jahrgang 1944, weder Computerfreak noch Entrepreneur, hatte sich mit neuen Sparten verzettelt und kränkelte. Der studierte Radartechniker war 1984 von der Akademie der Wissenschaften – sprich von der Partei – beauftragt
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worden, Chinas erste Computerfirma zu gründen. Mit einigen Kollegen startete Liu in jener Baracke in Zhongguancun das Unternehmen, das noch IT-Geschichte schreiben sollte. Besonders erfolgreich war das Start-up zunächst nicht, konnte sich nur mit dem Handel von Computerteilen und mit PC-Instandhaltung über Wasser halten. Bis mit einer Entwicklung, die erstmals chinesische Schriftzeichen am Computer umsetzen konnte, der Durchbruch gelang. Chinas PC-Marke Legend war geboren. 1994 ging das Unternehmen in Hongkong an die Börse. Im gleichen Jahr musste sich Legend aus rechtlichen Gründen einen neuen Namen suchen, man kombinierte das „Le“ von Legend mit „novo“ – neu. Seitdem konzentrierte sich der Konzern auf die PC-Fertigung, auf den Bereich, der bereits unter der straffen Führung von Yang Yuanqing stand. Denn Firmengründer Liu hatte den forschen Jungmanager bereits als Nachfolger auf dem Radar. Yang war 1989 als Verkäufer in den Konzern gekommen und hatte in nur wenigen Jahren einen effizienten Vertrieb aufgebaut. 1994 wurde er Chef der PC-Sparte, 2001 war Yang Vorstandsvorsitzender – mit 35 Jahren. Yang hatte schon früh gelernt, sich durchzusetzen. Seine Eltern seien sehr streng gewesen und hätten stets beste Schulleistungen verlangt, so der Manager. Schon mit acht Jahren musste er oft für seine beiden jüngeren Geschwister sorgen, da die Eltern als „intellektuelle“ Ärzte während der Kulturrevolution oft zur Umerziehung aufs Land mussten. „Es war eine tragische, aber auch eine glückliche Zeit“, sagt der Lenovo-Chef. Als Jugendlicher hat er sich eher für Literatur als für Computer interessiert, doch seine Eltern drängten ihn zum Informatikstudium. Seine eigenen Kinder erfahren eine andere Jugend. Der Chinese ist zum Weltbürger geworden, mit Luxusapartments in Peking und New York. Yang ist
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wohlhabend, jettet regelmäßig zwischen den Lenovo-Zentralen in Amerika, Hongkong und China hin und her. Yang hat mit Sprachkursen sein Englisch aufpoliert und sogar seinen Wohnsitz nach Manhattan verlegt. So wie die Lenovo-Zentrale, die ebenfalls nach Amerika umgezogen ist, zumindest offiziell. Ein Kompromiss aus den IBM-Verhandlungen, dem Yang nur widerwillig zugestimmt haben soll. Er habe damit „ein Signal für den USMarkt“ geben wollen, sagt er. Denn der IBM-Kauf drohte fast zu scheitern. US-Politiker fürchteten, die Chinesen wollten die IBM-Fabriken zur Industriespionage nutzen und könnten mit Lenovo-Rechnern die Weltmacht USA elektronisch unterwandern. Yang musste im Zuge der Übernahme auch seinen Posten des Vorstandsvorsitzenden zähneknirschend an den IBM-Manager Steve Ward abtreten. Das Verhältnis blieb angespannt, bis der Amerikaner nach einem Jahr ging. Der Chinese holte sich William Amelio als neuen CEO. Der ehemalige Dell-Manager verantwortet seit 2006 von Singapur aus das Tagesgeschäft. Allerdings hat Yang bei dem Wechsel seine Macht noch schnell ausgebaut. Und so ist es Chairman Yang, der bei Lenovo die Strategie bestimmt und das Sagen hat, erzählen Großaktionäre aus den Konzernsitzungen. Die Zusammenarbeit der beiden Kulturen sei nicht nur wegen 14 Zeitzonen Unterschied schwierig, sagt ein chinesischer Lenovo-Manager in Peking: „Amerikaner reden gern, Chinesen hören gerne zu.“ Mit Kommunikationsseminaren versucht man, das gegenseitige Verständnis zu verbessern. Doch Lenovo ist im Herzen noch immer chinesisch, so Analysten. Und die übernommene IBM-Sparte sei so amerikanisch wie McDonald’s geblieben. Die Frage der Machtverteilung dürfte Lenovo noch lange beschäftigen, ist auch Song Xinyu, Unternehmensberater in Peking, überzeugt. Denn bei der Übernahme habe „eine
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Schlange einen Elefanten“ geschluckt – der IBM-Bereich hatte 10 000 Mitarbeiter, Lenovo nur 9000 Beschäftigte. Doch Lenovo bekam eine Topmarke, Technologie und ein weltweites Vertriebsnetz. Da sich IBM aber stets auf Großkunden spezialisiert hatte, fiel der Einstieg in den weltweiten PC-Markt doch schwerer als gedacht, vor allem in den USA. Zwei Jahre nach der Übernahme, Ende 2006, machte Lenovo mit dem übernommenen Geschäft auf dem wichtigen US-Markt noch immer Verluste. „Amerika bleibt ein Problem“, räumte die Ex-Finanzchefin Ma offen ein. „Wir verlieren Geld und unsere Umsätze sinken“, zieht sie nüchtern Zwischenbilanz. Möglich sei das nur, weil Lenovo am heimischen Markt noch immer gut verdiene und sehr beliebt sei. Firmenchef Yang hat durch eine Softwarepartnerschaft mit Microsoft diesen Absatz vorerst gesichert. Wie die jungen Chinesen im Zhongguancun-Distrikt, so will der Lenovo-Chairman aber auch in Europa und Amerika die Massen für seine PCs gewinnen. Gemeinsam mit Amelio treibt er darum den Aufbau eines besseren Vertriebs voran. Radikale Sparprogramme wurden umgesetzt, und inzwischen hat Lenovo auch im Ausland die ersten Rechner für Privatkunden in den Verkauf gebracht. Gleichzeitig werden die ThinkPads, die von IBM entwickelten und übernommenen Edelnotebooks, nur noch unter einem Namen verkauft – Lenovo. Mit der IBM-Sparte sei Lenovo vom „kleinen Boot“ zum „großen Schiff“ geworden, hat Gründer Liu stolz gesagt, als er nach 20 Jahren den Konzern verließ. Es sei wunderbar, dass Lenovo nun den Heimathafen verlasse, aber er sorge sich auch, „denn die Stürme auf hoher See sind gewaltig“. Er sollte recht behalten: Lenovo bläst inzwischen ein scharfer Wettbewerb ins Gesicht. Anfang 2007 machte der taiwanesische Rivale Acer erstmals Lenovo den dritten Platz im weltweiten PC-Ranking streitig.
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Dennoch ist Yang Yuanqing von seinem Kurs überzeugt. Er will mit 15 000 Computern die Olympischen Spiele in Peking ausrüsten und alle Werbekampagnen bis dahin auf dieses Großereignis konzentrieren. So soll der Name Lenovo endlich um die Welt gehen – wie die vom Konzern entworfene Olympiafackel. Bei der Fertigung und Entwicklung geht der Trend jedoch genau in die entgegengesetzte Richtung. Lenovo dürfte noch mehr Arbeiten an chinesische Standorte verlagern. Das sind keineswegs Billigschmieden. In der hellen LenovoMontagehalle von Zhongguancun löten Roboter an Platinen, während nebenan im Forschungslabor junge Chinesen mit dem Starbucks-Becher in der Hand an der nächsten PC-Generation tüfteln. Die meisten Analysten halten den globalen Erfolg von Lenovo für möglich. „Wir glauben, dass das Management die richtigen Schritte unternimmt“, heißt es bei der Investmentbank Merrill Lynch. Allerdings, so Experten, werde es langsam Zeit, dass man sich von IBM auch innerlich verabschiede. Lenovo müsse in den Köpfen endlich Lenovo werden. Das weiß auch Yang Yuanqing: „Wir müssen der Welt klarmachen, dass Lenovo nun eine globale Marke ist.“ Gelingt ihm dies, schafft er, woran selbst deutsche Topmanager wie der ehemalige DaimlerChrysler-Chef Jürgen Schrempp gescheitert sind: die Vereinigung zweier Firmenkulturen in einem Weltkonzern. Lenovo-Chef Yang glaubt fest daran. „Neue Welt – neues Denken“, so wirbt sein Konzern inzwischen mutig. Wahrlich, die Zeiten haben sich geändert: Als Anfang 2007 die Verkaufspläne um die US-Ikone Chrysler durchsickerten, wurden umgehend Aufkäufer in China genannt. Das wäre noch ein paar Jahre zuvor undenkbar gewesen. Doch seit Lenovo tickt die Welt AG anders – chinesischer.
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Acer – Die stillen Eroberer aus Taipeh Von Andreas Hoffbauer, Peking
Es könnte auch eine Autobahn in Deutschland sein. Sechs Spuren, ein Mittelstreifen und 373 Kilometer Leitplanke. Doch der Sun Yat-sen Freeway, der Taiwans Norden mit dem Süden verbindet, ist für die Insel vor Chinas Küste nicht nur Prestigeobjekt und Wirtschaftsader. Die Route durch die Berglandschaft hat noch einen anderen Namen: „Highway of Globalization“. Vor allem entlang der ersten 70 Kilometer, zwischen der Hauptstadt Taipeh und Hsinchu, dem Silicon Valley Taiwans, stehen die Forschungslabors und Riesenfabriken der IT-Welt. Von hier aus wird die bunte Hightechbranche täglich mit Nachschub versorgt. Handys, Computerchips, Flachbildschirme, Laptops, Spielkonsolen, Digitalkameras – einfach alles, was das Multimediaherz begehrt, kommt von hier. Dennoch kennt kaum jemand die Firmennamen, die an den Hallen entlang des Sun Yat-sen Freeway prangen. Es sind die unbekannten Massenhersteller, die hier für andere produzieren. Bis auf eine Ausnahme: Acer. Der PC-Hersteller hat als einzige taiwanesische Marke den globalen Aufstieg geschafft. Acer ist weltweit einer der führenden Notebookanbieter. Von den fünf größten PCHerstellern der Welt ist Acer in den vergangenen Jahren am schnellsten gewachsen, klettert im weltweiten Ranking immer weiter nach oben. „Keiner wächst so schnell wie wir“, sagt der Acer-Vorstandsvorsitzende T. J. Wang hoch oben in der Konzernzentrale, einem schmucklosen Glaskasten nahe der Autobahn. Der Acer-Chef strotzt vor Energie und Zuversicht. Und er
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hat allen Grund zur Freude: Nach Angaben des Marktforschungsunternehmens Gartner konnte der stille Eroberer aus Taiwan im Frühjahr 2007 erstmals den PC-Konkurrenten Lenovo vom dritten Platz der Weltrangliste verdrängen. „Das war nur eine Frage der Zeit“, sagt Wang lächelnd. Der chinesische Rivale Lenovo war 2005 nach der Übernahme der PC-Sparte von IBM hinter Hewlett-Packard und Dell zur Weltspitze aufgestiegen. Seitdem liefert sich der Konzern ein Kopf-an-Kopf-Rennen mit Acer. Dabei geht es nicht nur um Computer: Die Beziehungen zwischen Peking und der als „abtrünnig“ gesehenen Provinz Taiwan sind schon lange angespannt. „Wir versuchen, ohne Politik zu wachsen“, gibt sich Wang jedoch diplomatisch. Den Taiwanesen mit dem braun gebrannten Teint interessiert nur der Kampf um die Kunden. Und da sieht Wang Acer als Sieger. „Wir wollen zehn
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Prozent Marktanteil“, lautet die Vorgabe des smarten Chefs für das Jahr 2008. Also über 25 Milliarden Dollar Umsatz – mehr als doppelt so viel wie 2006. Berufsoptimist Wang sieht darin kein Problem. Der Mann im blütenweißen Hemd und mit der exakt gescheitelten Frisur liebt nicht nur den perfekten Auftritt, sondern auch den schnellen Erfolg. Er hat Acer darum konsequent auf die Herstellung von Notebooks fokussiert – zum günstigen Preis im flotten Design. Mit dieser Strategie konnte Acer in den vergangenen Jahren von der steigenden Nachfrage nach tragbaren Computern besonders stark profitieren. Inzwischen bietet die Marke neben Notebooks und Personal Computern (PC) auch andere Produkte wie LCD-Fernseher, Flachbildschirme, Handhelds oder Digitalkameras. Anfang 2008 soll als nächster Vorstoß ein SmartphoneHandy kommen, mit dem auch E-Mails empfangen werden können. Erstmals tritt Acer in Konkurrenz zu berühmten BlackBerrys, mit denen Manager in der ganzen Welt via E-Mail permanent erreichbar sind. Man konzentriere sich nur auf die Hauptmärkte, erklärt Manager Wang. Mit anderen Worten: Acer steigt nur in Märkte ein, die gut laufen. So ist die Marke aus Taiwan inzwischen auch bei LCD-Fernsehern gut im Geschäft. Jeder neue Bereich werde aber „Schritt für Schritt“ aufgebaut, sagt Wang. Und wer keinen Umsatz bringt, fliegt raus: „Jede Sparte muss eine Milliarde Dollar bringen, oder wir lassen sie fallen.“ Mit mehr als 60 Prozent Anteil am Umsatz bleiben Notebooks das Kerngeschäft von Acer. In den kommenden Jahren rechnet Wang hier mit Zuwachsraten von „30 bis 40 Prozent“, obwohl der weltweite PC-Markt nur um zehn Prozent jährlich wachsen dürfte. Vor allem in Amerika will Acer kräftig zulegen, dort soll künftig ein Viertel des Umsatzes erzielt werden. Und in Asien gilt vor allem China als der große Wachstumsmarkt.
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Allerdings bemängeln Analysten, dass sich Acer zu stark auf billige Computer konzentriere. Die Gewinnzuwächse seien mit Blick auf die Größe eigentlich „enttäuschend“, sagt Analyst Daniel Chang von Macquarie Securities in Taipeh. Und der Ruf hat inzwischen gelitten: In Deutschland haben sich in den vergangenen Jahren die Kundenklagen über den Acer-Service gehäuft. Dabei hat die Marke gerade in Europa sehr gut Fuß gefasst. Westeuropa steht für rund die Hälfte des gesamten Acer-Umsatzes, Deutschland ist dabei der größte Einzelmarkt. Doch hier ist eine gewisse Sättigung erreicht. Große Chancen sieht der Konzern aus Taiwan dagegen in Mittelund Osteuropa, vor allem in Polen und Ungarn. Weltweit ist das Unternehmen inzwischen in mehr als 100 Ländern vertreten. Beim globalen Feldzug legt der studierte Ingenieur Wang erstaunlicherweise auf Innovationen überhaupt keinen Wert. Im kühlen Demonstrationsraum des Konzerns hat der Acer-Chef eines seiner ganz heißen Topprodukte aufgeklappt – ein „Ferrari 3000“-Notebook. Das Thema Innovationen und Patente werde völlig überbewertet. „Was zählt, ist der kommerzielle Erfolg“, sagt der Acer-Chef und streicht sich über seine italienische gelbe Seidenkrawatte. Die hat ihm vielleicht Gianfranco Lanci mitgebracht, der einmal im Monat aus Europas Modestadt Mailand einfliegt. Lanci ist Präsident bei Acer und das ist eine kleine Sensation, arbeitet doch ein ausländischer Topmanager in leitender Stellung bei einem taiwanesischen Konzern. Das galt vorher als undenkbar, denn die Inselwirtschaft ist für Vetternwirtschaft bekannt. Und Signore Lanci hat mit seiner hohen Stirnglatze, einer leicht untersetzten Figur und der kantigen Römernase so gar nichts Asiatisches. Doch der Acer-Präsident empfindet die kulturellen Unterschiede zwischen Italien und Taiwan nicht wirklich groß: „Wir mögen alle gutes Essen und
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sind in beiden Ländern sehr flexibel, immer eine praktische Lösung zu finden“, sagt er mit dem verschmitzten Charme eines Südeuropäers. Der Mittfünfziger treibt das Geschäft von Italien aus kräftig an. Dort hatte er zuvor auch als Topmanager bei Texas Instruments gearbeitet, war 1997 durch die Übernahme der PC-Sparte zu Acer gekommen – und geblieben. Lanci rechnet mit einer weltweiten Konsolidierung der PC-Branche. „Es gibt viel zu viele Anbieter“, ist er überzeugt. Am Ende werden seiner Meinung nach nur die vier größten weltweit überleben. Wachstum sei der beste Schutz gegen eine Übernahme. Und Angriff die beste Verteidigung. „Wir schauen uns nach Kandidaten um, die wir kaufen wollen“, ließen Lanci und Wang kurz vor der Computermesse CeBIT 2007 die Katze aus dem Sack. Die Ankündigung ist ein klarer Strategiewechsel. In den Jahren zuvor hatte die Acer-Führung stets betont, man setze auf organisches Wachstum. Doch nun spricht man in der Führung des taiwanesischen Konzerns sogar schon davon, die amerikanische Ikone Dell, im PC-Himmel auf den zweiten Platz abgerutscht, zu attackieren. „Hält Acer seine Wachstumsgeschwindigkeit bei, könnte es dieses Ziel in fünf Jahren erreichen“, ist Lanci überzeugt. Und mit einem guten Zukauf ist dies denkbar, sagen Analysten. Lanci gilt ohnehin als der Motor für den rasanten Erfolg der taiwanesischen Marke. Erst unter ihm ist Acer in Europa zur führenden Marke geworden, was ihn dann auch für den Präsidentenjob empfahl, den er gemeinsam mit Vorstandschef Wang Anfang 2005 übernahm. Grund war der Rückzug des Firmengründers Stan Shi, der sich nach fast 30 Jahren aus dem Konzern zurückzog. Shi ist einer der Wirtschaftspioniere Taiwans, denn er hat schon 1976 mit der Gründung der Firma Multitech den Weg für Acer bereitet.
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„Ohne ihn gäbe es keine IT-Industrie in Taiwan“, heißt es beim taiwanesischen Computerbranchenverband. Und ohne die IT-Industrie wäre Taiwan niemals zu einem der bewunderten asiatischen Tiger geworden. Und noch immer ist die Insel mit ihrer IT-Industrie eine wichtige Stütze der Weltwirtschaft, auch wenn dies im Schatten des boomenden Riesen China etwas in Vergessenheit geraten ist. Multitech produzierte zunächst viele Jahre für große Namen wie IBM, Fujitsu oder Toshiba. Bis Shi 1987 sein Unternehmen in Acer umbenannte, nach dem lateinischen Wort für „tatkräftig“. Denn mit aller Kraft voraus wollte er seinen Konzern zu einer eigenen Weltmarke aufbauen. 1988 folgte der Börsengang in Taipeh und schon Mitte der 90erJahre war Acer die erste bekannte Computerfirma Asiens außerhalb Japans. Die schnelle Expansion brachte dem Konzern aber auch Probleme. Der Einstieg auf dem US-Markt sorgte für Verluste, Acer übernahm sich mit dem Bau vieler neuer Fabriken weltweit. „Acer war zum Monster mit mehr als 100 Firmen geworden“, sagt Konzernchef Wang und fasst sich noch bei der Erinnerung an den Kopf. Zudem wurden alte Freunde zu neuen Feinden. Die eigene Marke brachte Acer Konflikte mit IBM & Co., für die der Konzern weiter im Auftrag baute. Gründer Shi zog darum die Notbremse und zerschlug seinen Konzern im Jahr 2000. Die gesamte Produktion wurde abgespaltet und in einer neuen Firma (Wistron) gebündelt. Ebenso der Vertrieb von Elektrokomponenten, der weiter unter Sertek firmierte. Aus einer weiteren Sparte entstand zudem der Elektronikkonzern BenQ. Analysten schüttelten damals den Kopf über die Radikalkur, die manche schon als das Ende der starken Marke aus Taiwan ansahen. „Alle haben gezweifelt“, sagt AcerGründer Shi. Auch er selbst sei unsicher gewesen, ob ihm die Operation wirklich gelinge, gestand er später ein. „Aber groß zu sein reicht einfach nicht aus“, so seine Erkenntnis.
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Die Kurswende hat sich ausgezahlt: Zu seinem 60. Geburtstag im Jahr 2004 wählte das Magazin BusinessWeek Shi unter die „25 Stars in Asien“. Der Firmengründer nutzte den Moment des Erfolgs zum Ausstieg. „Chinesische Manager glauben immer, man müsse so lange arbeiten, bis es nicht mehr geht“, begründete er den Schritt, den viele nicht verstanden. „Ich glaube aber, das ist grundlegend falsch.“ Überhaupt sieht Stan Shi die Dinge oft etwas anders. So wollte er auf keinen Fall, dass eines seiner drei Kinder die Führung von Acer übernimmt, was in Taiwan durchaus üblich ist. Seine Familie ist lediglich mit rund vier Prozent noch größter Acer-Einzelaktionär. Seine Idee: Ein Wechsel an der Spitze solle „frisches Blut“ ins Management bringen und Acer neuen Antrieb geben. Allerdings wurde mit dem Vorstandsvorsitzenden Wang ein alter Weggefährte Acer-Chef, denn Wang war schon 1981 in den Konzern eingestiegen. Dort arbeitete damals auch ein junger Manager, der Lee Kuen-yao hieß. Der nutzte später die Aufteilung des Acer-Konzerns zum Sprung in die große Unabhängigkeit – und wurde Chef von BenQ. Wang und Lee, die beiden „Ziehsöhne“ von Stan Shi haben jedoch sehr unterschiedliche Wege genommen. Während Wang mit Acer den Aufstieg an die PC-Weltspitze geschafft hat, ritt sich sein alter Kumpel Lee mit BenQ tief in die Krise. BenQs Versuch, das Marketingkonzept sowie die internationale Expansion von Acer zu kopieren, schlug spätestens mit der Übernahme der alten Siemens-Handysparte fehl. Statt BenQ weltweit zu etablieren, hat Lee die Marke inzwischen eingemottet. Sein Konzern baut wieder – wie die vielen unbekannten Massenhersteller in Taiwan – für andere Elektrogeräte aller Art. Der Schlussstrich erinnert stark an die Handschrift von Acer-Gründer Stan Shi. Sicher kein Zufall, denn „Taiwans PC-Pate“, wie Shi auch genannt wird, hat noch immer großen Einfluss.
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Shi war stets an seinen Abspaltungen beteiligt geblieben, hat inzwischen aber seine Anteile an Wistron auf zehn Prozent reduziert und Sertek ganz verkauft. Präsident Gianfranco Lanci will auch die alte BenQ-Connection kappen. „Wir wollen unseren Anteil an BenQ weiter reduzieren“, hat er 2007 erklärt. Da lag der Anteil noch bei vier Prozent. Acer setzt radikal auf einen schlanken Konzern, will jeden unnötigen Ballast abwerfen. „Wir haben alles ausgegliedert, was möglich war“, sagt Chef Wang. Damit wurden die Kosten radikal gesenkt, sie betragen laut Wang nur die Hälfte im Vergleich zur Konkurrenz. Da der Kostenvorteil direkt an den Verkauf weitergegeben wird, können AcerProdukte so günstig sein, sagt Wang. Im Vertrieb predigt der agile Manager stets sein „Channel Business Model“, um Privatkunden, aber auch kleine und mittlere Firmen zu beliefern. Auch in Zukunft werde seine Marke – anders als etwa Rivale Dell – ausschließlich auf den Verkauf durch große Handelspartner setzen, schließt Wang einen Internetvertrieb oder den Aufbau eigener Läden aus. Weltweit hat Acer bereits echte Verkaufsriesen gewonnen, etwa Carrefour, Best Buy oder Media Markt. Da Acer seit der Restrukturierung im Jahr 2000 nur noch bei Fremdfirmen unter seinem Namen fertigen lässt, also keine eigene Fabrik mehr betreibt, kümmert sich der Konzern ausschließlich um Marketing, Design und Vertrieb. Durch die Partnerschaft mit Ferrari hätten sich die Taiwanesen ein junges und dynamisches Image verpasst, loben Analysten wie Tony Tseng von Merrill Lynch. Mit den Schumi-roten, flachen und extrem leichten Laptopmodellen habe sich Acer erfrischend vom grauen PC-Massenmarkt abgesetzt. Und so will Acer auf dem rund 250 Milliarden Dollar schweren PC-Markt weiter Vollgas geben. „Acer ist einfach nicht mehr zu stoppen“, sagt Wang, „wir haben noch viel Potenzial für Wachstum.“ Währenddessen rollt nicht weit
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entfernt der Verkehr über den Sun Yat-sen Freeway, werden die neuesten Notebooks auf den Weg gebracht. Immer mehr tragen inzwischen die vier Buchstaben von Acer. Der Konzern aus Taiwan will auf dem „Highway of Globalization“ erst noch richtig durchstarten.
Die Autoren Mathias Brüggmann war zwischen 1999 und 2006 Handelsblatt-Korrespondent für Russland und die GUS-Staaten in Moskau. Der gebürtige Hamburger hatte in Moskau bereits zuvor vier Jahre für den Springer-Auslandsdienst gearbeitet. Seine Nähe zu Russland zeigte sich bereits im Studium: Neben Hamburg besuchte er die Universitäten in St. Petersburg und Simferopol/Krim. Brüggmann, Jahrgang 1965, ist Absolvent der Axel-Springer-Journalistenschule. Zwei Jahre als Brüssel-Korrespondent, ebenfalls für den Springer-Auslandsdienst, runden seine internationalen Erfahrungen ab. Seit 2006 schreibt er als International Correspondent des Handelsblatts von Berlin aus vor allem über internationale Wirtschaft und Politik. Er bereist regelmäßig Mittel- und Osteuropa sowie den Nahen Osten. Alexander Busch, Jahrgang 1963, ist Diplom-Volkswirt. Er wuchs in Venezuela auf, besuchte danach das Gymnasium in der Pfalz. Anschließend studierte er in Köln und Buenos Aires Volkswirtschaft und Politik. Seit 1992 berichtet er von São Paulo/Brasilien aus als Korrespondent für Handelsblatt und WirtschaftsWoche über Themen aus Lateinamerika. Er ist mit einer Journalistin verheiratet und hat drei Kinder. Joachim Dorfs ist Stellvertretender Chefredakteur des Handelsblatts. Zuvor hat er in verschiedenen Positionen für das Handelsblatt gearbeitet, unter anderem als Leiter des Ressorts Unternehmen und Märkte sowie als Auslandskorrespondent in Paris. Vier Jahre lang leitete er als „Managing
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Die Autoren
Editor“ das Tagesgeschäft bei Deutschlands größter Wirtschaftszeitung. Seit einigen Jahren beschäftigt sich der Diplom-Volkswirt mit aufstrebenden Unternehmen aus Schwellenländern. Er ist Vorsitzender der jährlichen Handelsblatt-Tagung Indien. Dorfs, Jahrgang 1964, ist verheiratet und hat zwei Kinder. Dirk Heilmann wurde 1965 in Bremen geboren und ist dort auch aufgewachsen. Nach ersten journalistischen Versuchen bei Schüler- und Lokalzeitungen lernte er den Beruf an der Kölner Journalistenschule gründlich. Daneben schloss er ein Studium an der Universität Köln als DiplomVolkswirt ab. Von 1993 bis 1997 schrieb er als Redakteur der Nachrichtenagentur Reuters in Bonn über Wirtschaftspolitik, Telekommunikation und Medien. Danach wechselte er zum Handelsblatt nach Düsseldorf, wo er 2002 die Leitung des Ressorts Unternehmen und Märkte übernahm. 2005 ging er als Büroleiter nach London, wo er unter anderem die Übernahmeschlacht zwischen Mittal und Arcelor hautnah verfolgte. Dirk Heilmann ist verheiratet und hat einen zwölfjährigen Sohn und eine achtjährige Tochter. Andreas Hoffbauer, Jahrgang 1959, stammt aus Kassel. Nach dem humanistischen Abitur absolvierte der Musiker (Querflöte, Bassgitarre) dort eine Ausbildung zum Musikalienhändler/Handelsfachwirt. In dieser Zeit spielte er zudem in einer Rockband, mit der er durch Deutschland und Europa tourte. Danach folgte das Studium der Wirtschaftswissenschaften an der Universität Kassel. In dieser Zeit begann er als freier Journalist zu arbeiten und schrieb für die Kasseler Hessische Niedersächsische Allgemeine (HNA), wo er nach dem Abschluss als Diplom-Ökonom auch ein Volontariat absolvierte. 1996 wechselte Hoffbauer zur Berliner Morgenpost und wurde dort bald stellvertretender Ressortleiter. 1999 ging er für das Handelsblatt als Büroleiter nach Lon-
Die Autoren
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don und Anfang 2005 nach Peking, wo er mit Frau – ebenfalls Journalistin – und zwei kleinen Kindern lebt. Oliver Müller, Jahrgang 1968, arbeitet seit 2003 als Süd- und Südostasienkorrespondent des Handelsblatts und lebt mit seiner Familie in der indischen Hauptstadt Neu-Delhi. Zuvor war er vier Jahre lang Korrespondent in Hongkong und berichtete für das Handelsblatt über Wirtschaft, Unternehmen und Finanzen in Ostasien. Er hat an den Universitäten München, Heidelberg und Bucknell (USA) Anglistik, Romanistik und Germanistik studiert. Müller hat neben seinen regelmäßigen Berichten im Handelsblatt bereits mehrfach zu Globalisierung und dem Aufstieg Indiens publiziert. Unter anderem sind von ihm erschienen:Wirtschaftsmacht Indien – Chance und Herausforderung für uns, Carl Hanser Verlag, München 2006, 300 Seiten; „Wucht der Milliarden – Indien wird zum Weltbüro des Wissens“, in: Internationale Politik, Oktober 2006, Nr. 10, 61. Jahr, Seite 39 – 45; „India’s Emergence as an Economic Superpower“, in: Festschrift zum 50-jährigen Bestehen der Deutsch-Indischen Handelskammer, Bernhard Steinrücke (Hg.), IGCC, Bombay 2006, Seiten 180 f. Andrea Nüsse, Jahrgang 1963, ist seit 2001 Korrespondentin mehrerer Zeitungen – darunter das Handelsblatt – für die arabische Welt. Zunächst von Amman und seit 2004 von Kairo aus beobachtet und bereist sie die Region. Andrea Nüsse hat in Hamburg, Paris, Kairo und Oxford Geschichte und Politik sowie Arabisch studiert. Als Spezialistin für islamistische Bewegungen hat sie in Großbritannien ein wissenschaftliches Buch zur Ideologie der palästinensischen Hamas veröffentlicht (Muslim Palestine. The Ideology of Hamas, Harwood Academic Publishers 1998). Aus ihrer intimen Kenntnis Jordaniens ist ein Reiseführer entstanden (Marco-Polo-Reihe, Jordanien, 2006). Andrea Nüsse ist verheiratet und hat zwei Kinder.
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Die Autoren
Thomas Wiede, Jahrgang 1970, studierte Geschichte, Teilgebiete des Rechts sowie Publizistik an der Freien Universität Berlin. Von 1996 an arbeitete er freiberuflich für das ZDF, die Deutsche Welle und verschiedene Berliner Tageszeitungen sowie die Prager Zeitung in Prag. Nach einem Volontariat an der Georg-von-Holtzbrinck-Schule für Wirtschaftsjournalisten in Düsseldorf wurde er Handelsblatt-Korrespondent in Brüssel. Zwischen 2003 und 2006 arbeitete er in Düsseldorf als Redakteur mit den Schwerpunkten Öl- sowie Rüstungsindustrie und berichtet aus den Golfstaaten. Im Juli 2006 übernahm er das Korrespondentenbüro des Handelsblatts in Moskau.
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Chinas Griff nach der Macht.
Sandschneider Globale Rivalen 256 Seiten. ISBN 978-3-446-40934-3
Noch ist die globale Rivalität zwischen China und dem Westen nicht durch Konfrontation bestimmt. China beschränkt sich darauf, seine Entwicklung mithilfe von westlichen Investitionen, Technologie und Know-how voranzutreiben. Das wird sich ändern, wenn China seinen derzeitigen Pragmatismus in der Außenpolitik aufgibt und eine konsequente globale Interessenpolitik betreibt. Darauf ist der Westen nicht vorbereitet. Im Gegenteil: Die Ohnmacht des Westens spielt China in die Hände. Das Hauptrisiko liegt in der Politik der USA. Dort werden im Umgang mit China gravierende Fehler gemacht. Europa träumt von Multilateralismus. Doch das entscheidende Risiko blenden beide weitgehend aus: Chinas prekäre innenpolitische Lage. Mehr Informationen zu diesem Buch und zu unserem Programm unter www.hanser.de/wirtschaft
Der Ethik-Kompass für die Wirtschaft!
Hemel Wert und Werte 352 Seiten. ISBN 978-3-446-41224-8
Wirtschaft und Ethik gehören zusammen. Das sagen alle Manager - in ihren Sonntagsreden. Aber Ethik tut weh: Darf ein Manager einen Unternehmensstandort schließen, der nicht so profitabel arbeitet wie andere? Muss er es, wenn dadurch das Unternehmen als Ganzes wettbewerbsfähiger wird? Darf er in einem Land produzieren, das Kinderarbeit toleriert? Lässt sich die Trennung von einem schwachen Mitarbeiter verantworten, der in die sichere Arbeitslosigkeit entlassen wird? Ulrich Hemel ist langjähriger Top-Manager internationaler Unternehmen und gleichzeitig ausgewiesener Philosoph und Theologe. Er kennt beide Welten aus persönlicher Erfahrung wie kaum ein anderer - und er schreibt praxisnah und verständlich. So wird Ethik nutzbar für den Unternehmensalltag! Mehr Informationen zu diesem Buch und zu unserem Programm unter www.hanser.de
Aufstrebende Konzerne aus den Schwellenländern spielen in der globalisierten Wirtschaft eine immer größere Rolle. Fast jeder Deutsche hat inzwischen mit Produkten dieser neuen Weltkonzerne zu tun – oft ohne es zu wissen. Was sind das für Unternehmen, die als Newcomer auf die Weltmärkte streben? Was sind ihre Geschichten, was sind ihre Erfolgsrezepte? Und welche Unternehmerpersönlichkeiten prägen ihren Aufstieg?
»Die Herausforderer« beschreibt 25 Unternehmen aus Schwellenländern, die das Zeug haben, in ihren Bereichen den Weltmarkt umzukrempeln – oder es sogar schon getan haben. Wer sich in der globalen Wirtschaft von morgen zurechtfinden will, muss diese Firmen und ihre Gründer kennen.
Mit Beiträgen von Mathias Brüggmann, Alexander Busch, Joachim Dorfs, Dirk Heilmann, Andreas Hoffbauer, Oliver Müller, Andrea Nüsse und Thomas Wiede.
ISBN 978-3-446-41218-7
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