TERRA ASTRA 163
Die Insel der Verbannten von Harvey Patton
Die Hauptpersonen des Romans: Olas Kelum – Ein Priestersch...
34 downloads
1095 Views
785KB Size
Report
This content was uploaded by our users and we assume good faith they have the permission to share this book. If you own the copyright to this book and it is wrongfully on our website, we offer a simple DMCA procedure to remove your content from our site. Start by pressing the button below!
Report copyright / DMCA form
TERRA ASTRA 163
Die Insel der Verbannten von Harvey Patton
Die Hauptpersonen des Romans: Olas Kelum – Ein Priesterschüler wird zum Zweifler. Arol und Pook Kelum – Vater und Onkel des Olas Kelum. Isak Altas – Oberster Priester des Planeten Wela. Walt Cornell – Kommandant der ARCHIMEDES. Chris Sharp – Kommandant des Raumschiffs der Ahnen. Arch Nelah – Oberhaupt der Verbannten von Solar.
Das Auge Gottes sah auf ihn herab. Unwillkürlich beugte Olas Kelurn das Knie und sprach die rituellen Worte, die man ihm in der Tempelschule beigebracht hatte. „Sieh mild auf uns herab, o Horam, segne und erleuchte und laß uns ...“ Er unterbrach sich, runzelte verlegen die Stirn und lachte ärgerlich auf. Nein, für das, was er soeben zu tun im Begriff war, würde ihn der Sonnengott ganz gewiß nicht segnen! War er doch dabei, gegen ihn zu freveln und in den privaten Andachtsraum seines Vaters, des Großpriesters Arol Kelum, einzudringen ... Er warf einen zweiten Blick zu dem Gottesauge über der Tür hinauf und betrachtete es nun als das, was es wirklich war: ein überdimensionales stilisiertes Gebilde aus farbigem Glas, in dessen Mittelpunkt die Pupille leuchtete.
Das tat sie wenigstens in normalen Zeiten. Jetzt aber glimmte das Licht darin nur schwach und rötlich. Sym ptomatisch für unsere Verhältnisse, dachte Olas bitter. Selbst diese technischen Spielereien funktionieren nicht mehr, seit es Horam vorgezogen hat, sein Auge zu verhüllen und uns dem Chaos zu überlassen. Entschlossen griff er in die Tasche und holte den bereitgehaltenen Sperrhaken hervor. Das Schloß war unkompliziert und setzte ihm nur wenig Widerstand entgegen. Schon nach einigen Versuchen drehte sich der Haken unter leisem Knirschen, das Schloß schnappte auf, der Weg war frei. Trotzdem zögerte Olas noch für einen Augenblick. Sein Vorhaben verstieß gegen alle Sitten, war eine schwere Sünde gegen den Gott selbst. Der private Andachtsraum eines Priesters war tabu für alle, die nicht selbst die Priesterweihe erhalten hatten, auch für den eigenen Sohn. Doch seine Wißbegierde erwies sich als stärker. Rasch öffnete er die Tür, trat ein und zog sie wieder hinter sich zu. Das sollte eine Andachtsstätte sein? Er hatte als Haupteinrichtungsgegenstand einen Altar erwartet, von Kerzen umgeben und mit den Symbolen Horams, des Sonnengottes, Luras, der Nachtgöttin, und denen der beiden Gotteskinder Bold und Romi geschmückt. Doch nichts von alldem war der Fall. Der Andachtsraum des Großpriesters glich vielmehr in seiner nüchternen Einrichtung einem ganz gewöhnlichen Büro. Der große Schreibtisch dominierte, flaniert von einem Aktenregal und einem Bücherschrank. Dann gab es noch zwei Sessel und eine einfache kleine Liege, das war alles. Olas Kelum schüttelte verständnislos den Kopf. Dieses Bild vertrug sich in keiner Weise mit den Vorstellungen, die ihm von klein auf beigebracht worden waren. Für einen Moment war Olas ratlos, aber er sagte sich, daß er schon noch Klarheit erlangen würde. Zuerst untersuchte er den Schreibtisch, doch dieser war aufgeräumt, und die Schubladen waren verschlossen. Das Regal enthielt
lediglich Ordner mit Familienstandsdokumenten, Geldabrechnungen für den Tempel und ähnlichen Schriftsachen. Genau wie bei einem Krämer, dachte Olas bitter. Nur, daß mein Vater dem Volke Religion verkauft, mit einem schönen, bunten Mäntelchen verbrämt, hinter das die Unwissenden nicht blicken können ... Nun blieb nur noch der Bücherschrank. Ganz oben standen die Heiligen Schriften in kostbaren Einbänden, aber man sah den Büchern an, daß sie wohl nie gelesen worden waren; selbst Geruds „Buch der Weisheit“, das Fundamentalwerk der welanischen Religion schien nur als Dekorationsstück zu dienen. Die Bände weiter unten dagegen, ebenfalls mit dem Zeichen der Tempeldruckerei versehen, wiesen deutliche Benutzungsspuren auf. Olas griff sich einige davon heraus, setzte sich an den Schreibtisch und begann zu lesen. * Es war nicht zu übersehen: Pook Kelum fror. Seufzend zog der Gelehrte die Decke fester zusammen, die seine Beine unter dem Schreibtisch einhüllte, während der Oberkörper durch eine pelzgefütterte Jacke geschützt wurde. Er warf dem elektrischen Heizkörper in der Zimmerecke einen unfreundlichen Blick zu, lächelte aber gleich darauf über sich selbst. Es war sinnlos, sich über Dinge aufzuregen, die doch nicht zu ändern waren. Der automatische Regler des Gerätes war so eingestellt, daß er die Temperatur im Raum auf eine Höhe von zehn Grad Wärme hielt. Allerdings war es möglich und auch erlaubt, den Regler auf höhere Werte einzustellen. Oft schon hatte der Astronom mit dem Verlangen gekämpft, dies zu tun; doch stets hatte er resigniert, hatte darauf verzichtet, wieder einmal das Gefühl wohliger Wärme zu genießen. Er wußte zu genau, was die Folgen waren. Sie bedeuteten unweigerlich einen vorzeitigen Verbrauch seines Stromkontingents, das ohnehin knapp genug war. Ein unbestechliches Zählgerät wachte darüber, und hatte dieses die Monatsmarkie-
rung erreicht, stellte es erbarmungslos die Energiezufuhr ab. Dann aber würde die eisige Kälte von draußen in das Haus kriechen ... Bis vor kurzem hatte es für leichtsinnige Stromverbraucher wenigstens noch den Ausweg gegeben, die öffentlichen Wärmestellen aufzusuchen. Zwar war der Aufenthalt dort auf jeweils drei Stunden beschränkt gewesen, aber man hatte von einer Halle zur anderen wandern und sich so behelfen können. Doch diese Räume waren bereits vor zehn Tagen geschlossen worden, denn elektrische Energie war Mangelware auf dem zweiten Planeten der Sonne Hora. Pook Kelums Blick glitt hinaus in den Garten, wo noch die Köpfe erfrorener Blumen aus dem Schnee ragten. Sie hatten versucht, noch einmal zu blühen, sich trotz der stetig absinkenden Temperaturen zu behaupten, und waren dann doch ebenso in Eis und Schnee erstarrt wie der gesamte Planet ... Mit Wehmut wünschte sich Pook jetzt die Zeiten zurück, die man auf Wela einst Winter genannt hatte. Das waren die kühlen Monate des in zwanzig Abschnitte eingeteilten welanischen Jahres gewesen, die letzten vier. Jetzt, im zehnten Monat, hätte draußen der Sommer herrschen sollen – Kälte, Eis und Schnee hatte man auf Wela nie gekannt! Der Gelehrte begann zu träumen. Er träumte von jener Zeit, in der das Leben für die Bewohner einer paradiesischen Welt noch lebenswert gewesen war. Wo war sie nur geblieben? Der Planet Hora II, von seinen Bewohnern Wela genannt, umkreiste sein Muttergestirn in einer mittleren Entfernung von dreihundert Millionen Kilometern. Das genügte aber, um ihm eine Durchschnittstemperatur von fünfundzwanzig Grad Celsius zu sichern. Zudem war seine Achsneigung zur Ekliptik minimal, er wurde also in allen Zonen gleich stark erwärmt und kannte praktisch keine klimatischen Unterschiede. Lediglich seine stark elliptische Umlaufbahn brachte in den Wintermonaten eine gewisse Abkühlung, die aber nur etwa sechs Grad gegenüber dem Normalwert ausmachte. Begriffe wie Kälte, Eis und
Schnee waren somit vollkommen unbekannt, und die Kontinente und Inseln besaßen eine üppige halbtropische Flora. Die Meere waren warm und fischreich, die Landfauna dagegen bestand nur aus Insekten, Kriechtieren und prächtig gefiederten Vögeln. Säugetiere gab es kaum. Der Mensch besaß hier also überhaupt keine natürlichen Feinde und konnte unbekümmert in den Tag hinein leben. Dieser Tag zählte zweiunddreißig Stunden, die sich gleichmäßig auf Tag und Nacht verteilten. Geringe Abweichungen gab es nur in den Polgebieten, doch sie waren von Ozeanen bedeckt, und nie kamen Menschen dorthin. Die Welaner kannten nur eine Küstenschifffahrt, die im wesentlichen der Fischerei diente, die das ganze Jahr über betrieben werden konnte. Zu mehr waren die kleinen Dampfschiffe auch gar nicht geeignet, denn zu ihrer Beheizung war man auf das weiche Holz der Bäume angewiesen. Kohlevorkommen oder Erdöl gab es auf diesem jungen Planeten noch nicht. Nur einer der drei Kontinente war von Menschen bewohnt, deren Zahl sich nun, nach 651 Jahren der gültigen Zeitrechnung, auf rund zwanzig Millionen belief. Das Jahr war in zwanzig Monate zu je dreißig Tagen eingeteilt, dazu kamen noch fünf eingestreute Feiertage, die den vier Gottheiten geweiht waren, sowie dem Gedenken des Tages der Gesetzgebung, der zugleich der Neujahrstag war. An diesem Tage hatte der Stammvater Gerud einst vom Sonnengott persönlich die Großen Gesetze verkündet bekommen, die er später im Buch der Weisheit niederlegte. Sechshundertneunundvierzig Jahre lang hatte sich das Volk der Welaner ungestört und zufrieden entwickeln können. Dann aber, vor zwei Planetenjahren, hatte das Unheil seinen Anfang genommen. Auf ihrer Bahn um den Mittelpunkt der Galaxis hatte die Sonne Hora die Randgebiete einer interstellaren Dunkelwolke erreicht und war langsam in sie eingedrungen. Schon lange vorher hatten die Astronomen, nach den Großpriestern die bedeutendsten Männer des Staates, dieses Ereignis prophezeit, ohne jedoch mit schlimmen Folgen zu rechnen. Sie hatten nur eine vorübergehende, flüchtige Berüh-
rung mit den feinen, im Raum verteilten kosmischen Staubmassen erwartet. Dann war die Dunkelwolke jedoch unter der Gravitation der Sonne in Bewegung geraten, hatte sich über ihre bisherigen Grenzen hin ausgedehnt und nun befand sich das gesamte Hora-System bereits weit in ihrem Innern ... Die Folgen für das Leben auf Wela hatten sich als verheerend erwiesen. Die Sonne Hora, ein weißgelber Glutball der Spektralklasse A, von den Menschen als Gottheit verehrt, wandelte ihren Glanz, wurde zuerst gelblich, dann orange und schließlich rot. So schien es wenigstens, obwohl sie nach wie vor mit voller Kraft strahlte. Im entsprechenden Verhältnis sanken die Temperaturen auf Wela, zuerst kaum merklich, später aber rapide. Die Menschen waren auf diese Entwicklung nicht vorbereitet, besaßen aber Hilfsmittel, um sich gegen die Kälte zu schützen. Die Pflanzenwelt dagegen war auf hohe Temperaturen angewiesen und verkümmerte nach und nach. Am widerstandfähigsten schienen noch die Kulturpflanzen zu sein, die Mensch und Vieh zur Nahrung dienten. Doch auch ihr Ende kam, als schließlich der Frost einsetzte und nicht mehr wich. Eine Vorratswirtschaft gab es nicht, und so mußte das Vieh fast gänzlich abgeschlachtet werden. Noch blieben die Meere als Nahrungslieferanten, denn sie kühlten sehr langsam ab, und ihr Fischreichtum war unerschöpflich. Dafür vereisten die Binnengewässer sehr rasch. Schnell fließende Gewässer gab es kaum, da der Planet arm an Gebirgen war. Damit kam aber auch die menschliche Energiewirtschaft rasch zum Erliegen, denn sie basierte ausschließlich auf der Stromgewinnung durch Wasserkraftwerke. Und die in allen Häusern aufgestellten Heizkörper konnten nur solange funktionieren, wie es Strom für sie gab ... So war die Lage der Menschen auf Wela am 17. Tage des 10. Monats im Jahre 651, und eine Besserung war nicht zu erwarten, solange sich das System innerhalb der Dunkelwolke befand. Hora II, einst ein
Planet des ewigen Sommers, war zum Tode verurteilt – ein sterbender Planet! * Pook Kelum seufzte, und seine Gedanken kehrten wieder in die unerfreuliche Gegenwart zurück. Es war unsinnig, an eine Widerkehr der guten Zeiten zu denken, das wußte keiner besser als er, der Astronom. Darum löste er seine Augen von dem in rötlichem Dämmerlicht liegenden Garten und wendete sich wieder seiner Arbeit zu. Diese bestand in der Auswertung der letzten Meßergebnisse über die Sichte der kosmischen Staubmassen. Pook Kelum war noch mit dem Ordnen seiner Papiere beschäftigt, als es an die Tür seines Arbeitszimmers klopfte und ein hochgewachsener junger Mann den Raum betrat. Er verneigte sich, wie es vor einem Gelehrten der ersten Klasse Sitte war. „Sei gegrüßt, Onkel Pook. Ich sehe, du bist mit deiner Arbeit gerade fertig; Hast du vielleicht etwas Zeit für mich?“ Der Astronom nickte freundlich und warf einen Blick auf die große Wanduhr. „Sei gegrüßt, Neffe Olas. Ich bin eben fertig geworden und müßte jetzt eigentlich dem Priesterrat meinen Bericht erstatten. Heute ist aber für zwanzig Uhr ein Bittgottesdienst angesetzt, die Priester sind also alle im Großen Tempel versammelt. Warum bist du nicht dort? Es wäre doch deine Pflicht als Priesterschüler?“ Die Miene des jungen Mannes verfinsterte sich. „Das war einmal, Onkel Pook! Kannst du mir vielleicht erklären, welcher Sinn darin liegen sollte, einen Stern anzubeten und seine Huld zu erflehen? Horam ist kein Gott, sondern nur die Sonne unseres Systems, das von Wela, Bold und Romi als Planeten gebildet wird. Lura schließlich, die sogenannte ‚Silberne Nachtgöttin, ist nur ein bedeutungsloser, kleiner Mond unserer Welt. Das sind die nackten Tatsachen – willst du sie bestreiten?“
Pook Kelum war schockiert. „Woher weißt du das, Neffe?“ flüsterte er fassungslos. „Du stehst doch Monate vor deiner Priesterweihe und bist also nicht eingeweiht. Ein Priester oder Astronom kann es dir nicht verraten haben, denn wir alle haben einen heiligen Eid geschworen ...“ „... bei Horam, dem Sonnengott?“ fragte Olas spöttisch. „Nein, bei ihm bestimmt nicht – schließlich wißt ihr ja am besten, daß dieser sogenannte Gott nichts weiter ist als eine Ballung von Wasserstoffatomen, die sich nach und nach in Helium verwandeln! Versuche bitte nicht, mir noch irgend etwas einreden zu wollen, Onkel. Ja, ihr müßt schweigen, aber bestimmt nicht wegen der Ehrfurcht vor einer nicht existierenden Gottheit, sondern aus purem Eigennutz! Wenn auch nur einer von euch die Wahrheit ausplauderte, wäre es vorbei mit den Vorrechten, die ihr als ‚Vertraute des Gottes’ besitzt ...“ Der Astronom hatte sich inzwischen wieder gefaßt „Woher hast du dein angebliches Wissen, Olas? Das mußt du mir sagen, wenn du eine Antwort auf deine Fragen verlangst“, erklärte er. „Mein Wissen hat einen sehr handfesten Hintergrund“, sagte der Jüngere und lächelte. „Wie du weißt, sind mein Vater und dein Bruder, der Großpriester Arol Kelum, vor drei Tagen nach Burat gereist, um dort Vorsteher im großen Gottestempel zu spielen, weil der dortige Vorsteher verstorben ist. Es war eine günstige Gelegenheit für mich, einmal den Andachtsraum zu inspizieren.“ „Du hast dort eingebrochen?“ fragte Pook Kelum erschrocken. Olas winkte. „Du solltest diese Kleinigkeit nicht dramatisieren, wenn es um weit höhere Dinge geht. Ehrlich gesagt, ich traute den Lehren unserer Gottesdiener schon seit einiger Zeit nicht mehr ganz. Mein Vater führt, wenn er sich unbeobachtet glaubt, zuweilen Selbstgespräche, von denen ich einige Male etwas auffangen konnte. Ich erfuhr nicht viel, aber ich begriff, daß er den Untergang unseres Volkes befürchtete.
Das stand aber in krassem Gegensatz zu den Ansprachen, die er im Tempel hielt, wo er dem Volk immer wieder versicherte, ständiges Gebet würde helfen den Zorn Horams abzuwenden! Kurz und gut, ich wagte es, den verbotenen Raum aufzusuchen – und was fand ich dort? Keine Spur von einem Altar, nicht das kleinste Symbol der Gottheiten, von den unberührten Heiligen Schriften einmal abgesehen. Dafür aber eine Menge aufschlußreicher Bücher aus der Tempeldruckerei – geheime Bücher. Ich hatte drei Tage Zeit, sie zu lesen. Die Lektüre war sehr aufschlußreich. Ich weiß jetzt, daß Horam kein Gott ist, und Lura Bold und Romi sind keine Gottheiten – all das ist Lüge!“ Für eine Weile herrschte Schweigen im Raum. Pook Kelum hatte sein Gesicht in den Händen vergraben und dachte nach. Es dauerte mehrere Minuten, bis der Astronom einen Entschluß gefaßt hatte. Seine Hände sanken herab, und sein ernster Blick richtete sich auf den Neffen, aus dessen Gesicht jeder Anflug von Spott verschwunden war. Olas Kelum mochte leichtfertig gehandelt haben, indem er den verbotenen Raum seines Vaters betrat, keinesfalls aber geschah dies aus niedrigen Beweggründen. Er wollte lediglich Klarheit über seine Zweifel erlangen, die durch die Äußerungen seines Vaters genährt worden waren. „Du hast dein Wissen aus authentischen Quellen“, sagte Pook Kelum leise, „es wäre also sinnlos, wenn ich jetzt versuchen würde, etwas abzustreiten. Alles, ist so, wie du es sagst, und du hättest diese Dinge auch am Tage deiner Priesterweihe erfahren. Daß es nun auf andere Weise geschehen ist, läßt sich nicht mehr rückgängig machen. Versprich mir aber, daß du zu niemand darüber reden wirst, bis ich den Rat der Großpriester informiert habe.“ „Muß das sein?“ entfuhr es dem jungen Mann. „Daß du den Priesterrat verständigst, meine ich. Man wird nicht nur mich zur Rechenschaft ziehen, sondern auch meinem Vater Schwierigkeiten machen, und das möchte ich nicht.“ Der Astronom nickte anerkennend.
„Deine Denkweise ehrt dich, Neffe. Ich glaube aber nicht, daß dein Vater deswegen Ärger bekommen kann, außerdem gibt es jetzt viel ernstere Probleme für uns. Wenn nicht ein Wunder geschieht, sind die Menschen auf Wela tatsächlich zum Untergang verurteilt. Hast du auch die diesbezüglichen Rundschreiben des Priesterkonzils gelesen?“ Olas bejahte. „Anweisungen zum Einsatz aller verfügbaren Kräfte zum Holzfällen mit dem Ziel, möglichst viel Glas zu schmelzen, um Kuppeln über unseren großen Städten errichten zu können. Ich bezweifle aber, daß man damit Erfolg haben wird, Onkel Pook. Mit Holzfeuern allein dürften sich derartige Mengen Glas kaum herstellen lassen, und Strom können wir erst recht nicht erübrigen. Die Flüsse frieren zu, die Kraftwerke arbeiten nur noch mit einem Bruchteil ihrer Kapazität. Doch selbst wenn es gelingen sollte, diese Kuppeln fertigzustellen – auch sie müßten beheizt werden! Eines Tages werden die Kraftwerke ganz stillstehen, und dann müßten wir trotz der Kuppeln erfrieren ...“ Pook Kelum schüttelte den Kopf. „Dieses Problem wäre noch am ehesten zu lösen. Es ist geplant, tiefe Schächte ins Innere von Wela zu treiben, um durch sie Wärme aus dem Magma des Planeten heraufzuleiten. Wenn auch die Oberfläche immer mehr vereist, der Kern Welas wird noch für viele Jahrtausende glühend heiß bleiben und könnte uns solange am Leben erhalten. Irgendwann einmal wird auch unser Planet wieder die Dunkelwolke verlassen, und wir oder wenigstens unsere Nachkommen können dann wieder ein normales Leben beginnen.“ „Dann bleibt aber immer noch das Ernährungsproblem“, hielt der Jüngere seinem Onkel entgegen. „Um zwanzig Millionen Menschen zu erhalten, braucht man gewaltige Mengen von Nahrungsmitteln – Fleisch, Fisch und Getreide –, woher sollen diese kommen? Unser Vieh ist geschlachtet, alle Pflanzen sind erfroren, und auch der Fisch-
fang wird immer schwieriger, weil die Küsten vereisen. Wir werden schon jetzt kaum noch satt.“ Der Onkel hob die Hände. „Unsere Wissenschaftler arbeiten fieberhaft daran, eine Methode zur Herstellung künstlicher Nahrungsmittel zu finden. Vielleicht glückt das bald, dann brauchen wir nicht zu verzweifeln. Auch habe ich vorhin bei meinen Berechnungen festgestellt, daß jetzt die Dichte der Dunkelwolke wenigstens nicht weiter zunimmt. Die Temperaturen dürften also ungefähr auf dem jetzigen Stand bleiben.“ Olas lächelte trübe. „Früher fünfundzwanzig Grad plus, und jetzt zwanzig Grad minus! Früher konnten wir Eis nur mit Kältemaschinen produzieren, denn Wela war immer warm. Wie haben wir das eigentlich gelernt, Onkel? Wir haben auch sonst eine Menge Maschinen – woher kommen sie alle? Bisher gab es die einleuchtende Erklärung, daß alle diese mechanischen Hilfsmittel uns vom Sonnengott geschenkt wurden, als er unsere Stammeltern schuf. Das kann aber nicht wahr sein, weil es überhaupt keinen Sonnengott gibt! Horam existiert nicht, und damit wird alles hinfällig, was Gerud im ‚Buche der Weisheit’ aufgezeichnet hat ... Ihr, die Priester und Astronomen, die angeblichen Vertrauten Horams, habt sein Jahrhunderten dem Volk ein falsches Weltbild vorgespiegelt – warum eigentlich, Onkel Pook?“ Der Gelehrte zuckte die Schultern. Sein Gesicht drückte Verwirrung und Ratlosigkeit aus. „Es gibt noch mehr unklare Dinge“, fuhr sein Neffe unbarmherzig fort. „Alles, uns und unsere Welt samt ihren Geschöpfen, soll Horam erschaffen haben. Auch das kann nicht sein, und nun erhebt sich die Frage: Woher stammt alles Leben auf unserem Planeten, woher kommt das Menschengeschlecht? Wie erklärt es sich, daß sowohl der Mensch als auch seine Haustiere eigentlich gar nicht zu den übrigen Lebewesen dieser Welt passen?
Der Mensch mit seiner Kultur ist eigentlich so etwas wie ein Fremdkörper auf Wela. Drei Tage lang habe ich gelesen und gegrübelt, aber ich fand keine Antwort auf diese Fragen, denn in den Büchern meines Vaters ist nichts darüber enthalten. Und doch muß es eine Antwort geben!“ Das leise Summen des Fernsprechers enthob Pook Kelum einer Entgegnung. Der Astronom führte ein kurzes Gespräch und wandte sich dann wieder Olas zu. „Der Bittgottesdienst ist beendet, und der Rat der Großpriester hat mich gerufen, damit ich ihm meine Berechnungen vorlege; ich muß also fort. Du hast mich mit deinen Fragen und Feststellungen sehr in Verlegenheit gebracht, Olas. Manches kann ich dir nicht beantworten, über das andere muß ich schweigen, weil mich mein Gelübde bindet. Ich glaube aber, daß du ein Recht darauf hast, die Wahrheit zu erfahren. In wenigen Tagen wird dein Vater zurückkehren, und dann werde ich zuerst mit ihm reden. Ich werde ihm vorschlagen, dich auch ohne vollständige Ausbildung zur Priesterweihe zuzulassen. Er wird dem Rat dasselbe vorschlagen, und als Angehöriger des obersten Standes wirst du dann all die Informationen erhalten, die ich dir verweigern muß. Mehr kann ich für dich nicht tun. Versprichst du mir, bis dahin über alles zu schweigen?“ Olas Kelum nickte stumm. * Der Sohn des Großpriesters lehnte am Fenster und sah hinaus in den verlöschenden Tag. In seinem Innern brodelte es. Warum ließ man ihn nur so lange warten? Drei Tage waren seit jener denkwürdigen Aussprache mit dem Onkel vergangen. Heute um die zehnte Stunde hatte das weithin hörbare Geräusch einer Dampflok die Ankunft des Zuges verkündet, mit dem sein Vater zurückkam. Elektromobile konnten auf den verweh-
ten Straßen nicht mehr verkehren, die Eisenbahn stellte das einzige noch verbliebene Verkehrsmittel dar. Doch auch die ElektroLokomotiven fielen nun aus, weil die Unmengen von Strom, die sie verbrauchten, von den Kraftwerken nicht mehr erzeugt werden konnten. Nur noch alle drei Tage kam in der Stadt ein Zug en. Als Zugmaschinen dienten unförmige Dampflokomotiven, deren Modelle man in Museen aufgetrieben und schnellstens nachgebaut hatte, als man keinen anderen Ausweg mehr sah. Sie waren ein Notbehelf, aber sie erfüllten immerhin ihren Zweck. Ohne noch sein Haus zu betreten, hatte Arol Kelum sofort das Gebäude aufgesucht, in dem der Rat der Großpriester residierte, und war noch nicht von dort zurückgekehrt. Bestimmt wurden dort ernste Probleme besprochen, und Olas war sicher, daß man auch über ihn beratschlagte. Pook Kelum befand sich ebenfalls dort und hatte bestimmt sofort seinen Vater informiert, der gewiß nicht gezögert hatte, die Angelegenheit dem Rat vorzutragen. Die sieben Großpriester des Rates aber waren streng, wenn es um Religionsdinge ging. Wie mochten sie sich wohl entscheiden? In den letzten Tagen war Olas sehr einsam gewesen. Die Menschen waren mit ihren eigenen Problemen beschäftigt und so etwas wie Geselligkeit gab es kaum noch. Man traf sich nur noch im Tempel, wo jetzt alle Tage Bittgottesdienste stattfanden. Dort hatte Olas bei kurzen Gesprächen mit Bekannten erfahren, daß es neuerdings zu Selbstmorden verzweifelter Menschen gekommen war, die das trostlose Leben nicht mehr ertragen hatten. Der junge Mann schüttelte sich vor Abscheu, als er daran dachte. Auf Wela war das Leben heilig, nie hatte man etwas von Gewaltverbrechen gehört. Es hatte immer alles im Überfluß gegeben, und die Priester hatten für Gerechtigkeit in Streitfragen gesorgt. Was mochte nun mit den Seelen der Selbstmörder geschehen? Der Gott würde ihnen mit Sicherheit den Eingang in sein Reich verwehren!
Im nächsten Moment kam es Olas jedoch wieder zum Bewußtsein, daß es dieses Reich wahrscheinlich gar nicht gab, da in Wirklichkeit kein Sonnengott existierte ... Es gab keinen Gott. Koram lebte nur in der Einbildung des Volkes, das von den Priestern mit voller Absicht irregeleitet wurde. Tagelang hatte sich Olas mit Dingen herumgequält, denen sein ungeschulter Geist in keiner Weise gewachsen war. Unzählige Probleme marterten sein Hirn. Sein Weltbild lag in Trümmern. Was konnte, durfte er überhaupt noch glauben, nachdem sich alles, was bisher für ihn unumstößliche Wahrheit gewesen war, in Nichts auf gelöst hatte? Olas schob die Probleme beiseite. Ob es nun einen Gott gab oder nicht – wie alle jungen Menschen liebte Olas das Leben. Er erhoffte sich noch einiges von ihm, wenn es auch im Augenblick so aussah, als sollte der ganze Planet in Eis und Schnee erstikken. So stand es um den jungen Mann, als endlich der erlösende Summton des Fernsprechers in Arol Kelums Haus aufklang. * Man hatte ihn endlich gerufen. Olas hüllte sich in den warmen Pelz aus Tierfellen und legte die gefütterten Stiefel an. Auf Wela hatte sich wieder einmal erwiesen, wie ungeheuer anpassungsfähig der Mensch war. Innerhalb kurzer Zeit hatten die wärmegewohnten Welaner gelernt, wie man sich vor der Kälte schützen konnte, obwohl sie dafür keinerlei Vorbilder gehabt hatten. Der junge Mann verbarg die Hände tief in den Taschen, sein Kopf wurde durch eine Kapuze geschützt. Sein Atem bildete weiße Wolken, als der Priesterschüler durch das Dämmerlicht schritt. Dicke Schneewolken bedeckten den Himmel.
Während Olas den kurzen Weg zu den Tempelgebäuden zurücklegte, überdachte er noch einmal die möglichen Folgen seines Vergehens. Was würden die Großpriester nun mit ihm anfangen? Bisher gab es keinen Präzedenzfall, nach dem er seine Aussichten beurteilen konnte. Das Volk war friedfertig und den Gesetzen aus dem Buche der Weisheit gehorsam. Ganz selten nur waren Verstöße vorgekommen, und die Strafen dafür hatten meist nur in körperlichen Bußübungen und dem zeitweisen Ausschluß vom Tempelbesuch bestanden. Oder war doch etwas Wahres an dem Gerücht? Es lief im Volke um, heimlich verbreitet und immer wieder angezweifelt. Hin und wieder waren Menschen plötzlich von der Bildfläche verschwunden, und immer hatte es sich um Astronomen oder sonstige Wissenschaftler gehandelt. Die Priester hatten dann erklärt, die Betreffenden wären an andere Wirkungsstätten versetzt worden. Das klang im Grunde recht plausibel. Der Volksmund aber wollte wissen, mit diesen Männern hätte es eine andere Bewandtnis gehabt. Sie hätten in irgendeiner Form gegen Geruds Gesetze verstoßen und wären zwangsweise verbannt worden, hieß es. Wohin, das konnte allerdings niemand sagen. Es gab auf dem ganzen Kontinent keinen Ort, der nicht jedem frei zugänglich gewesen wäre, die Heiligen Räume der Tempel und die Andachtsräume der Priester ausgeschlossen. Dort aber konnte man niemand gefangenhalten. Und so vermuteten die Gerüchtemacher, daß irgendeine Insel als Verbannungsort existiere. Auch Olas Kelum konnte an diesem Gerücht etwas Wahres nicht ausschließen. Und wenn man ihn nun verbannte? Die Großpriester als geistliche und weltliche Herrscher zugleich besaßen auch jetzt noch die Macht, entsprechend über ihn zu verfügen. Oder würden sie ihm die erhoffte Chance geben? Immerhin war sein Vater Mitglied des Priesterrats von Bersa, und dessen Beschlüsse konnten nicht gegen seine Stimme gefaßt werden.
Olas erreichte die kleine Pforte in der Einfriedung des Tempelgeländes, die er benutzen mußte, weil das große Tor geschlossen war. Dann befand er sich innerhalb des Areals und machte unwillkürlich die vorgeschriebene Verbeugung zum Tempel hin. Nun folgte er dem verschneiten Pfad, der zum Ratsgebäude führte. An einem Fenster der Vorhalle erkannte er seinen Vater, der ihm gleich darauf die Tür öffnete. Arol Kelum war trotz seiner dreißig Welajahre, die etwa zweiundfünfzig Erdjahren entsprachen, noch ein stattlicher, vitaler Mann. Jetzt aber wirkten seine Züge müde und abgespannt, als er seinen Sohn nach dessen üblicher Verneigung in die Arme schloß. „Du hast mir großen Kummer bereitet, Sohn“, sagte er leise, aber ohne Vorwurf in der Stimme. Olas hob die S chultern. „Ich weiß es, Vater, aber ich kann keine Reue darüber empfinden. Ich wollte Gewißheit über das, was dich bedrückt, denn es bedrückte auch mich.“ Der Großpriester nickte. „Du hättest so etwas nicht ohne dringende Gründe getan, das ist mir klar. Diese Tatsache hat mich auch veranlaßt, vor den anderen Ratsmitgliedern um Nachsicht für dich zu bitten. Ohne meine Fürsprache wärst du unweigerlich zur ewigen Verbannung auf die Insel Bolar verurteilt worden!“ „Also stimmt das Gerücht doch“, entfuhr es dem jungen Mann. Arol Kelum lächelte müde. „Es stimmt, obwohl wir das natürlich nie öffentlich zugeben durften. Auf dieser Insel befinden sich Hunderte von Männern, die wir im Laufe der Zeit deportieren mußten. Die Gründe für diese Zwangsmaßnahme waren unterschiedlich, aber immer gewichtig genug. Wir konnten einfach nicht riskieren, daß diese Leute, größtenteils bedeutende Gelehrte, mit ihren Erkenntnissen Unruhe in das Volk brachten.“
Olas wollte zu einer hitzigen Entgegnung ansetzen, doch sein Vater schnitt ihm mit einer entschiedenen Handbewegung das Wort ab. „Spare deine Worte, Sohn! Ich kann mir denken, was du mir vorhalten willst, denn Onkel Pook hat mir alles berichtet. Von deinem Standpunkt aus magst du recht haben – es genügt aber nie, nur nach den eigenen Gesichtspunkten zu urteilen. Alle derartigen Maßnahmen, die schon seit Jahrhunderten vom Priesterrat praktiziert werden, dienen nur dazu, die bewährte Weltordnung aufrecht zu erhalten. Du wirst mir recht geben müssen, wenn du erst einmal alles erfahren hast.“ „Man will mich einweihen?“ fragte der Junge hoffnungsvoll. Der Großpriester nickte. „Sehr bald sogar, Olas. Ich habe den Auftrag, dich zum Obersten Priester Altas zu bringen, der dir alle wesentlichen Dinge offenbaren wird. Ein Versprechen muß ich dir allerdings abnehmen: Benimm dich ihm gegenüber so, wie du dich auch benehmen würdest, wenn du noch an die Existenz des Sonnengottes glaubtest! Du wirst ganz anders denken als jetzt, wenn du ihn erst angehört hast.“ Olas neigte stumm den Kopf. Er ahnte, daß es zwischen seinem Vater und den anderen Ratsmitgliedern einen schweren Kampf gegeben hatte, ehe der Großpriester für seinen Sohn eine Ausnahmeregelung durchsetzen könnt. Dank erfüllte ihn, doch zugleich wuchs auch die Spannung in ihm, wenn er an die bedeutsamen Eröffnungen dachte, die auf ihn warteten. Schweigend folgte er seinem Vater bis zu einer Tür, die mit prunkvollen Symbolen Horams, Luras und der angeblichen Gptteskinder verziert war. Arol Kelum öffnete sie, blieb aber zurück. Zögernd trat Olas über die Schwelle und erstarrte dann in einer tiefen Verneigung, wie es die Sitte gebot. Mochte der Oberste Priester sein Amt auch zu Unrecht bekleiden, er war trotzdem das Oberhaupt aller Menschen auf Wela.
* Isak Altas saß hinter einem großen Schreibtisch. Der Oberste Priester mochte ungefähr sechzig Planetenjahre zählen, war also auch für welanische Begriffe ein sehr alter Mann. Trotzdem klang seine Stimme voll und fest, als er zu reden begann. „Richte dich auf, Olas Kelum, und nimm in dem Stuhl vor dem Schreibtisch Platz. Zwar bist du unberechtigt in den Besitz eines Wissens gelangt, aber das soll jetzt keine Rolle mehr spielen. Ich fordere dich auf, mich für die Dauer dieser Aussprache nicht als den höc hsten Würdenträger, sondern als einfachen Menschen anzusehen, mit dem du wie mit deinesgleichen reden kannst. Ich denke, das wird dem gegenseitigen Verständnis förderlich sein.“ Die Befangenheit des jungen Mannes verlor sich, nachdem er zum erstenmal in die Augen des Obersten Priester geblickt hatte. Rasch befreite Olas seinen Kopf von der Kapuze, um dann den ihm zugewiesenen Platz einzunehmen. Schon die Tatsache, daß er in Gegenwart des Obersten Priesters sitzen durfte, überzeugte ihn von dessen gutem Willen ihm gegenüber. „Du weißt jetzt ebensogut wie ich, wie ernst die Lage unseres Volkes ist“, begann Isak Altas. Sein Blick schweifte zum Fenster hin, wo eben der letzte Schein der rötlichen Dämmerung verlöschte, während der Raum von einer fast ebenso matt glühenden Leuchtröhre notdürftig erhellt wurde. „Unser Sonnensystem befindet sich inmitten einer kosmischen Staubwolke, die das Licht unseres Gestirns um mehr als die Hälfte in seiner Wirkung herabsetzt. Unsere Welt vereist von Tag zu Tag mehr, ohne daß wir etwas dagegen tun können. Wir werden das Schlimmste nur verhüten können, wenn es uns gelingt, unsere Städte mit einer wärmehaltigen Kuppel zu schützen und die Bevölkerung darin zu konzentrieren.“ „Ich glaube nicht, daß dies Aussicht auf Erfolg verspricht“, äußerte Olas freimütig. „Selbst wenn es gelingt, derartige Kuppeln zu bauen,
sie genügend zu erwärmen und die Menschen darin unterzubringen, bleibt doch immer noch das Ernährungsproblem. Woher sollen für zwanzig Millionen Menschen die Nahrungsmittel kommen? Der Boden innerhalb der üb erdachten Gelände kann sie keinesfalls erzeugen.“ Der Oberste Priester winkte ab. „Auch dafür dürfte sich eine Lösung finden, auf die ich jetzt aber nicht weiter eingehen will“, erklärte er. „Kommen wir zurück zur allgemeinen Lage. Sie ist jetzt schon sc hlimm genug, aber wir müssen dankbar sein, wenn es nicht noch ärger kommt. Hat dir dein Onkel gesagt, was zwangsläufig geschehen muß, sobald die Dichte der kosmischen Materie ein gewisses Maß überschreitet?“ Olas schüttelte den Kopf. „Nein, wir haben hauptsächlich über persönliche Dinge gesprochen. Wela bekommt noch weniger Licht . und wird noch rascher erfrieren, denke ich.“ „Zuerst ja.“ Isak Altas nickte. „Einmal kommt aber der Punkt, an dem die kosmische Wolke so dicht geworden ist, daß dieser Effekt ins Gegenteil verkehrt wird. Sobald die Zahl der in ihrer Nähe befindlichen Atome ein bestimmtes Maß überschreitet, beginnt die Sonne, diese Atome mit in die in ihrem Innern ablaufenden Kernprozesse einzubeziehen. Sie werden ebenfalls aktiv, beginnen zu glühen, und schließlich muß unsere Atmosphäre zwangsläufig folgen, zumal sie reichlich Wasserstoff enthält. Das Leben auf unserer Welt, zuvor durch die Kälte bedroht, würde dann in der auftretenden Hitze vergehen. Später würde sogar die Sonne beginnen, sich aufzublähen, und dann würde sie schließlich explodieren, wodurch alle Planeten vernichtet würden. Wir können aber hoffen, daß uns dies erspart bleibt, denn nach den Messungen unserer Astronomen stagniert die Dichte der Wolke. Wela wird also als Planet erhalten bleiben und eines fernen Tages, wenn unser System die Wolke wieder verläßt, auch wieder ausreichend erwärmt werden. Dann wird es aber nur noch die Menschen und ihre
Kulturpflanzen geben, sowie die Tiere, von denen wir unter großer Mühe einige am Leben erhalten. Die übrige Natur wird tot sein.“ An dieser Stelle hätte Olas gern gefragt, ob der Mensch schon immer ein Bestandteil dieser Natur gewesen sei, doch noch ehe er die richtige Formulierung für seine Frage finden konnte, sprach Altas bereits weiter. „Darüber brauchen wir uns heute aber noch keine Gedanken zu machen, die derzeitigen Probleme sind wichtiger. Ich habe vorhin schon angedeutet, daß es Mittel und Wege gibt, die uns ein erträgliches Weiterleben ermöglichen können. Weißt du von der Existenz der Strafkolonie auf der Insel Bolar?“ „Es kursierten Gerüchte darüber“, antwortete Olas Kelum. „Etwas Näheres erfuhr ich erst vorhin von meinem Vater, viel war es aber auch nicht. Immerhin habe ich begriffen, daß die dorthin Verbannten uns helfen könnten; oder irre ich mich?“ Der Oberste Priester sah den jungen Mann überrascht an, und Olas glaubte einen Anflug eines Lächelns zu entdecken, als Isak Altas wieder zu sprechen begann. „Deine Gabe, aus scheinbar unzusammenhängenden Dingen die richtigen Schlußfolgerungen zu ziehen, ist wirklich beachtlich. In früheren Zeiten wäre ein Mann von deiner Art zweifellos auf Bolar gelandet, sofern er nicht Priester oder Astronom war! Zwar haben wir vorbeugend dafür gesorgt, daß selbst in den Tempelschulen nur ein genau bemessenes Maß von Wissen gelehrt wurde, weil nicht alle Schüler ihr Ziel erreichten. Es fanden sich aber trotzdem immer wieder Gelehrte verschiedener Wissensgebiete, deren Erkenntnisse den Tatsachen bedenklich nahe kamen, die wir der Allgemeinheit vorenthielten, wie es Gerud einst bestimmt hat.“ „Soweit reicht das also schon zurück“, stellte Olas fest. „Hätte Gerud sein Buch der Weisheit tatsächlich nach den Weisungen eines Gottes geschrieben, würde ich die Berechtigung dieser Maßnahmen einsehen. Jetzt weiß ich aber, daß Gerud auch nur ein gewöhnlicher Mensch gewesen sein muß! Wie konnte er sich also anmaßen, das
Volk derart zu täuschen – und warum hat die Priesterschaft nicht schon längst die Menschen über die Wahrheit aufgeklärt? War die Macht über das unwissende Volk wirklich so wichtig, daß sie ihre Lügen rechtfertigen konnte?’.’ „Du solltest nicht verdammen, solange du nicht die volle Wahrheit weißt, Olas“, sagte Isak Altas ruhig. „Du darfst mir unbesehen glauben, wenn ich dir versichere, daß es richtig war, alles im Sinne Geruds durchzuführen. Eben hast du gesagt, wir hätten das nur getan, um über das unwissende Volk zu herrschen. Gewiß, die Priesterschaft besitzt ein gewisses Maß an Macht – aber haben wir sie jemals mißbraucht, um jemand zu unterdrücken? Haben die Menschen von Wela unter unserer Herrschaft leiden oder irgend etwas entbehren müssen?“ Olas hob die Hände, „Die Allgemeinheit nicht“, gab er zu, „bestimmt aber die Verbannten! Im Laufe der Jahrhunderte dürften wohl Tausende den Weg nach Bolar gegangen sein, und ihnen ist doch zweifellos Unrecht geschehen ... Ihr einziges ‚Verbrechen’ bestand schließlich nur darin, daß sie den Unterschied zwischen Lüge und Wahrheit entdeckten. Konnte das wirklich ein Grund sein, Menschen ihrer Freiheit zu berauben und sie in die Verbannung zu schicken? Ist nicht die Freiheit das höchste Gut des Menschen, wie ihr es selbst immer gelehrt habt?“ „Doch, sie ist es.“ Der Oberste Priester nickte. „Von diesem Standpunkt aus hast du natürlich recht. Hast du aber auch schon bedacht, was alles hätte geschehen können, wenn wir diese Leute hätten gewähren lassen? Gleich dir konnten sie die Zusammenhänge hinter den Dingen nicht erkennen; auch sie sahen nur das Vordergründige. Damit hätten Sie aber ungeheure Verwirrung stiften und den ganzen Planeten einem Chaos ausliefern können. Alle Ordnung wäre in dem Augenblick zusammengebrochen, in dem wir zugelassen hätten, daß die Existenz Horams öffentlich angezweifelt wurde. Das Volk hätte geglaubt, nicht mehr an seine Gesetze gebunden zu sein. Aufruhr, Ge-
walt und Zerstörung wären die Folge gewesen. Es ist leicht, etwas zu zertrümmern, aber ungeheuer schwer, etwas Besseres an seine Stelle zu setzen, das darfst du mir glauben. Derartige Dinge sind bereits vor Geruds Zeit geschehen. Sie waren auch der Grund dafür, daß er sein Buch der Weisheit schrieb und den Priestern auftrug, auf göttliche Autorität gestützt, den Frieden und Wohlstand auf Wela zu sichern.“ „Du hast eben ‚vor Geruds Zeit’ gesagt“, warf Olas erregt ein. „Bedeutet das, daß es auch vor ihm schon Menschen gegeben hat – daß er und Dagma nicht die ersten Menschen waren?“ „Genau das“, bestätigte Isak Altas ernst. „Doch diese Menschen waren untereinander uneins und bekämpften sich zuletzt derart, daß nur noch wenige Hundert übrigblieben. Für deren Nachkommen schuf Gerud dann die Ordnung, die sich jetzt über sechs Jahrhunderte lang bewährt hat. Daß unser Volk die ganze Zeit über an einen Gott geglaubt hat, der in dieser Form gar nicht existierte, spielt dabei nur eine unwesentliche Rolle. Früher glaubten sie an den wahren Gott, oder sagen wir besser: Sie kannten ihn, ohne sich aber an seine Gebote zu halten. War es da nicht wirklich so besser, wie es seit Gerud gewesen ist?“ „Gewiß, Oberster Priester“, entgegnete Olas. „Es gibt also doch eine Gottheit, wenn sie auch nicht Horam heißt?“ „Ja, es gibt sie“, sagte Altas mit leuchtenden Augen. „Doch dieser Gott ist ein reines Geistwesen, dessen Geheimnisse kein Mensch erfassen kann. Deshalb setzte Gerud den für alle sichtbaren Sonnengott an seine Stelle, um ihm eine größere Autorität zu verleihen. Der Mensch ist ja stets geneigt, nur das zu glauben, was er auch sehen und erfassen kann, und dem kam Gerud entgegen. Sein System hat sich bewährt, und ich meine, daß der wahre Gott uns diese Täuschung verzeiht. Sie diente ausschließlich guten Zwecken, und Er weiß ja, wie wir es meinen.“ „Ich weiß noch nicht, wie ich das alles verarbeiten soll“, flüsterte Olas Kelum überwältigt. „Doch was wird nun mit mir geschehen, nachdem du mir all diese Dinge offenbart hast?“
„Du wirst morgen eine große Reise antreten, Olas“, erwiderte Isak Altas, der die innerliche Bewegung des jungen Mannes gut verstehen konnte. „Ich selbst wollte sie unternehmen, aber ich fühle mich ihr meines Alters wegen nicht mehr gewachsen. Du wirst in meinem Auftrag nach Bolar gehen – nicht als Verbannter, sondern als Abgesandter des Priesterrates. Die verbannten Gelehrten dort sind unsere letzte Hoffnung für die Rettung der Menschen Welas. Die Erkenntnisse, die sie fanden und die dann zu ihrer Verbannung führten, sind bedeutsam. Vorher sollst du aber noch zum Priester geweiht werden, wenn auch diese Weihe im Grunde nur noch eine bloße Formsache ist. Folge mir zum Tempel, die anderen Großpriester erwarten uns dort.“ * Laut prustend, in dichte Dampfschwaden gehüllt, stampfte die Lokomotive durch die Nacht. Sie schleppte eine lange Reihe von Rungenwagen hinter sich her, voll mit Holz beladen, das zur Versorgung eines waldarmen Landbezirks bestimmt war. Doch nicht die ganze Fracht würde dort ankommen, denn mehrere Männer waren ständig damit beschäftigt, von dem schon halb geleerten ersten Wagen kurzgeschnittene Scheite zur Lok zu befördern, wo sie in der scheinbar unersättlichen Feuerung verschwanden. Hätte man Kohle besessen, wäre es auf Wela um vieles besser bestellt gewesen, aber der Planet war eine junge Welt, auf der es solche Vorkommen noch nicht geben konnte. Als dritten Wagen hatte man einen Personenwagen in den Zug eingeschoben. Dieser diente aber hauptsächlich zur Beförderung dringender Post oder irgendwelcher Medikamente für Krankenhäuser. Nur ein Abteil war für Reisende bestimmt, für Angehörige des Priester- oder Gelehrtenstandes. Privatreisende gab es nicht mehr, seit die E-Loks ausfielen und der gesamte Verkehr von den wenigen Dampfloks bewältigt werden mußte.
In diesem Abteil saß nun Olas Kelum und starrte in die Nacht hinaus, wo ein eisiger Wind wirbelnde Schneeflocken vor sich hertrieb. Körperlich fühlte Olas sich so wohl wie seit langem nicht mehr, denn der Wagen wurde von der Lokomotive aus mit Dampf beheizt. Ihr Generator lieferte auch reichlich Strom für die Leuchtröhren an der Decke, an deren Helligkeit man sich erst wieder gewöhnen mußte. Trotzdem konnte der junge Priester sich dieser Annehmlichkeiten nicht erfreuen, denn die Last seiner Mission bedrückte ihn. Noch klangen in ihm die Abschiedsworte des Obersten Priesters kurz vor seiner Abreise nach. „Du darfst keinesfalls erwarten, auf Bolar freudig empfangen zu werden, Olas“, hatte dieser ernst gesagt. „Wir haben uns immer bemüht, den Verbannten ihr Los soweit wie möglich zu erleichtern, sie besaßen praktisch alles, was auch wir vor dem Eintritt der Katastrophe hatten – bis auf ihre Freiheit. Sie zählen auch nicht nur einige hundert Köpfe, wie du vielleicht denkst. Wer Frau und Kinder besaß, durfte seine Familie natürlich mitnehmen, und so zählt diese Kolonie heute etwa fünftausend Bewohner. Daß sie uns nicht gerade lieben, ist begreiflich, aber das ist noch längst nicht alles. Du mußt damit rechnen, bei ihnen auf eine geistige Überlegenheit zu stoßen, wie du sie noch nie kennengelernt hast! Außerdem dürften sie sehr arrogant sein, denn sie betrachten sich als die geistige Elite dieser Welt – zu Recht, wie ich ehrlich sagen muß, wenn ich den Priesterstand außer acht lasse. All die Gelehrten und Techniker, die du kennst, stellen nur die zweite oder gar dritte Garnitur dar; die wirklichen Könner wohnen auf Bolar. Doch gerade sie mußten wir verbannen, weil ihr Denken und Wissen über die von Gerud vorgeschriebenen Grenzen hinausging, dessen Gesetze wir behaupten mußten. Nach seinem Willen sollte Wela nie wieder das Gespenst des Krieges kennenlernen. Deshalb hat er in einem geheimen Zusatz zu seinem Buch der Weisheit, den nur die Großpriester kennen, alle Dinge genau bezeichnet, deren Wirkung in diese Richtung geht. Kannst du
dir beispielsweise vorstellen, daß man ein Atom in noch kleinere Bestandteile zerlegen kann?“ „Das ist unmöglich“, hatte Olas überzeugt erklärt. „Die Atome sind die Bausteine der Natur – wären sie nicht stabil, könnte die Natur nicht bestehen!“ „Das lehrt man in unserem zensierten Physikunterricht – es ist aber möglich! Man kann sie künstlich spalten, und dagegen wäre im Grunde nichts einzuwenden, denn bei dieser Spaltung werden ihre Bindungskräfte frei. Diese Energien sind gewaltig, und mit ihnen könnte man riesige Kraftwerke betreiben, die nicht einfrieren können wie unsere Wasserkraftwerke. Aber man kann sie auch zur Zerstörung mißbrauchen! Die absichtliche Herbeiführung einer ungeregelten Kernspaltung setzt Energien frei, die zu gewaltigen Explosionen führen, die ganze Landstriche verheeren können. Und noch lange nachher bleibt dort eine tödliche Strahlung, zurück, die die Überlebenden auf Generationen hinaus vergiftet. Im Atom liegen Segen und Fluch dicht beieinander, und den Fluch hat Wela bereits einmal kennengelernt. Es gibt noch mehr solcher Dinge, die von diesen Männern auf Bolar neu entdeckt wurden. Da aber alle Forschungsstätten unter unserer Aufsicht standen, erfuhren wir immer rechtzeitig alles und konnten eingreifen, ehe Unheil angerichtet wurde. Die Forscher wanderten nach Bolar, wo ihnen die Mittel fehlen, um ihre Erkenntnisse auswerten zu können. Die Erkenntnisse aber besitzen sie noch, und jetzt müssen wir darauf zurückgreifen, wenn wir nicht untergehen wollen. Laß dich also nicht beirren, wenn man dich ablehnend behandeln wird. Du bist selbst überdurchschnittlich begabt und solltest die richtigen Argumente finden, um die Männer dort zu überzeugen. Außerdem gebe ich dir hier noch Briefe mit, die du einigen von ihnen übergeben sollst, von denen ich das meiste Verständnis für unsere Lage erwarte.“ Nun saß Olas in dem Zug, der ihn der ersten Etappe seiner Reise entgegenführte. Als Begleiter hatte man ihm einen alten Priester bei-
gegeben, mit dem er gern weiter über diese Dinge gesprochen hätte; doch dieser hatte sich als sehr unzugänglich erwiesen und schlief in seinem bequemen Sitz. Um so größer war nun in Olas die Neugier geworden. Würde ihm die Insel der Verbannten die Antwort auf viele ungeklärte Fragen – und Wela die Rettung bringen? * Gegen Morgen hielt der Zug in einem kleinen Bahnhof, wo die Lokomotive Wasser übernehmen mußte. Der Flockenwirbel draußen war in ein feines Rieseln kristallenen Pulverschnees übergegangen. Die Landschaft bot im Grunde ein romantisches Bild, doch die Welaner hatten dafür keinen Sinn. Für sie bedeuteten Eis und Schnee Tod und Untergang ... Olas Kelum war inzwischen doch eingeschlafen. Wie so oft in der letzten Zeit, träumte er von früher, von Tagen, die wohl nicht zurückkehren würden. Doch er wurde unsanft aus seinen Träumen gerissen, als nach einigen Minuten Aufenthalt mehrere dicht vermummte Männer draußen erschienen und gegen die Waggontür pochten. Der alte Priester fuhr gleichfalls hoch und gab dem jungen Mann Anweisung, den Sperrriegel der Tür zu lösen. „Du mußt jetzt den Zug verlassen, Olas Kelum“, bemerkte er gleichgültig, „diese Leute kommen, um dich abzuholen. Hier sind die Briefe des Obersten Priesters für die Verbannten, die du aufsuchen sollst. Es ist gut möglich, daß sie nicht die erhoffte Wirkung zeitigen werden. In diesem Falle mußt du es fertigbringen, die Betreffenden zu überzeugen, wie du selbst von Isak Altas überzeugt worden bist. Unser Herr segne dich und gebe dir Kraft und Mut.“ Mit einem knirschenden Laut öffnete sich die eingefrorene Tür, und zwei der Ankömmlinge betraten den Wagen. Mit ihnen kam ein Schwall eisiger Luft, und Olas beeilte sich, seine Pelzkleidung anzulegen. Einesteils fröstelte er schon bei dem Gedanken, das warme
Abteil verlassen zu müssen; andererseits war er sich dessen bewußt, daß er eine Mission von großer Tragweite zu erfüllen hatte, und so schob er die Gedanken an sein persönliches Wohlbefinden beiseite. Die Fremden unterhielten sich kurz mit seinem Begleiter. Ihren Worten entnahm Olas, daß sie Eisenbahntechniker waren und damit dem zur Zeit wichtigsten Stand angehörten. Die beiden – sie hatten sich als Dron Barag und Tefan Begat vorgestellt – trieben Olas schließlich zur Eile an, und bald schon stapfte der junge Mann an ihrer Seite durch den fast kniehohen Schnee. Sie ließen das Stationsgebäude hinter sich und kamen auf die Straße, wo sie ein Wagen erwartete. Es war einer der früher allgemein verwendeten Elektrowagen, der jetzt mit einem dieser schrecklich dröhnenden Motoren ausgestattet war. Seine Kunststoffräder waren mit Ketten umwickelt, und an der Vorderseite befand sich eine mehr als einen Meter hohe schräggestellte Metallplatte. „Die einzige Möglichkeit, jetzt noch auf unseren Straßen vorwärts zu kommen“, bemerkte Tefan Begat, als sie einstiegen. „Die Ketten sorgen dafür, daß der Wagen nicht ins rutschen kommt, und die Platte schiebt uns den gröbsten Schnee aus dem Wege.“ Es dauerte fast zwei Stunden, bis sie ihr Ziel erreicht hatten. Etwas abseits der Straße hatte man einige primitive Hütten errichtet, hinter denen ein weiterer Motorwagen sich bemühte, eine größere Fläche vom Schnee zu räumen. Der Schneefall hatte inzwischen ganz aufgehört, und ein trüber neuer Tag war längst heraufgezogen. Sie betraten eines der Gebäude und gelangten in einen Raum, in dem ein mächtiger, provisorisch hergestellter Ofen einige Wärme, zugleich aber auch viel Qualm verbreitete; das Holz der welanischen Bäume war sehr saftreich. Ein hochgewachsener Mann mittleren Alters erwartete sie und stellte sich Olas als Fris Kenat vor. „Du bist also mein Passagier nach Bolar“, bemerkte er nach einem prüfenden Blick. „Nun, ich denke, daß du nicht so schnell luftkrank werden wirst, nimm also Platz und stärke dich. Du wirst so bald nichts wieder zu essen bekommen, denn unser Weg ist weit.“
Olas setzte sich, hustete wegen des Qualms und sann über die Bedeutung des unbekannten Wortes nach, denn er hatte noch nie etwas von einer Luftkrankheit gehört. Gleich darauf betrat eine junge Frau den Raum, um sie alle mit Essen zu versorgen. Es gab heißen Tee, einen schmalen Kanten hartes Brot und den unvermeidlichen Fisch, in Öl gebacken. Es schmeckte Olas trotzdem, denn er hatte Hunger, aber Fris Kenat trieb ihn zur Eile, als ein Mann hereinkam und meldete, daß alles bereit sei. So war er nur halb gesättigt, als er vom Tisch aufstand. Sie verließen den Bau, und Kenat führte den Ankömmling zu einem der anderen Gebäude. Dort waren vier kräftige Männer damit beschäftigt, ein seltsames Gefährt durch ein großes Tor ins Freie zu schieben. Auf mächtigen Kufen ruhte ein langgestreckter, an einen riesigen Fisch erinnernder Körper aus Metall, der vorn eine gläserne Kabine besaß. Dicht hinter dieser ragte eine seltsame Flügelkonstruktion in die Luft. Eine zweite, kleinere in vertikaler Stellung befand sich am hinteren Ende des Fahrzeugs. Fris Kenat sprach mit den Männern und kehrte dann zu Olas zurück, der sich immer noch den Kopf zerbrach, wozu diese seltsame Konstruktion wohl zu gebrauchen wäre. „Du hast doch bestimmt auch in der Tempelschule gelernt, daß es möglich sein soll, mit Flugmaschinen durch die Luft zu reisen?“ fragte er. Olas Kelum nickte, und der andere fuhr fort: „Das ist eine solche Maschine, die wir nach uralten Plänen bereits vor Eintritt der Katastrophe neu gebaut haben. Genauer gesagt, die Verbannten auf Bolar haben sie gebaut, weil einige die Absicht hatten, von ihrer Insel zu fliehen. Das wäre ihnen auch fast geglückt. Ihr Vorhaben konnte jedoch nicht durchgeführt werden, denn der Flugapparat wurde von den Männern entdeckt, die in unregelmäßigen Abständen auf der Insel Kontrollen durchführten. Man schaffte das Fahrzeug mit einem Schiff auf das Festland, zusammen mit seinem Erbauer, der es dann reparieren und mich in seiner Bedienung unterweisen mußte. Die Prie-
sterschaft war sehr an dieser Konstruktion interessiert, weil man damit große Entfernungen schnell überwinden kann. Dann kam jedoch die Kälte, und andere Probleme wurden wichtiger. Die Maschine ist aber noch da, man nennt sie Hubschrauber. Und mit ihm werden wir jetzt zur Insel Bolar fliegen!“ * Das Forschungsschiff ARCHIMEDES befand sich auf dem Fluge zum System Alpha Centauri. Die elektronisch gesteuerte Uhr in seiner Zentrale zeigte das Datum des 24. Juni 2056, 16 Uhr ostamerikanischer Zeit. Seit drei Wochen befand sich das Schiff im Hyperraum, der ihm das Erreichen eines Vielfachen der Lichtgeschwindigkeit ermöglichte. Diese Methode war noch vollkommen neu. Natürlich hatte man die Antriebsart zuvor jahrelang erprobt, wenn auch nur auf kürzeren Strecken in der Nähe des Solsystems. Alle Versuchsflüge waren zufriedenstellend verlaufen, und nun unternahm die ARCHIMEDES den ersten interstellaren Flug. Genau gesehen, war es nicht der erste. Schon zwanzig Jahre früher hatte man diesen Versuch gewagt und die SUNFIRE auf die Reise nach Alpha Centauri geschickt. Doch von ihr hatte man nie mehr etwas gehört ... Die SUNFIRE war ein wahrer Gigant gewesen, dreihundert Meter lang bei einem Durchmesser von einhundert Metern. Sie hätte nie von der Erde starten können, wäre nicht zehn Jahre zuvor das Geheimnis der Schwerkraft von den Wissenschaftlern endlich enträtselt worden. Gravitationsneutralisatoren verringerten die Anziehungskraft der Erde so weit, daß das Raumschiff trotz seines hohen Gewichts mühelos starten konnte. Seine Plasmatriebwerke ließen es noch innerhalb des Solarsystems die annähernde Lichtgeschwindigkeit erreichen. Dann trat an deren Stelle das gleichfalls neu entwickelte Transitions-
Triebwerk, das der SUNFIRE das Erreichen des Centauri-Systems in einem einzigen gewaltigen Sprung durch den Hyperraum ohne jeden Zeitverlust ermöglichen sollte. Auch dieses Triebwerk war ausreichend getestet worden, und nach menschlichem Ermessen hätte es keine Panne geben dürfen. Ein Steuercomputer sorgte dafür, daß es auf die Nanosekunde genau einund wieder abgeschaltet wurde. Die SUNFIRE verschwand planmäßig in der höheren Dimension, und die auf in der Nähe stationierten Schiffen aufgebauten Meßgeräte gaben an, daß die dabei aufgetretene Energieentwicklung genau den Vorausberechnungen entsprach. Man durfte also annehmen, daß das Schiff sein Ziel wohlbehalten erreichen würde. Erste Zweifel waren erst aufgetaucht, als es nicht, wie vorgesehen, nach einem halben Jahr wieder zurückkehrte. Die SUNFIRE hatte tausend Kolonisten an Bord gehabt, die zur Besiedlung des Centauri-Systems vorgesehen waren. Schon im zwanzigsten Jahrhundert hatte man durch astronomische Messungen und Berechnungen festgestellt, daß es dort mehrere Planeten gab, von denen mindestens einer geeignet sein mußte, Leben zu tragen. Natürlich bestand die Möglichkeit, daß sich dort bereits andere intelligente Lebensformen entwickelt hatten. Für diesen Fall hatte die Schiffsführung die Anweisung erhalten, einen Kontaktversuch zu unternehmen. Ob das ratsam war, mußte sie selbst entscheiden. Auf jeden Fall sollte das Schiff dann aber innerhalb eines Monats zurückkehren. Dasselbe galt auch für den Fall, daß es andere Gründe gab, die eine Besiedlung nicht ratsam erscheinen ließen. Waren jedoch günstige Lebensbedingungen für Menschen vorhanden, sollten die Kolonisten, das mitgeführte Vieh, die Kulturpflanzen sowie Maschinen und Geräte ausgeladen und eine Siedlung errichtet werden. Eine kleine Schutztruppe sollte diese während ihres Aufbaus gegen eventuelle Gefahren absichern und anschließend mit der SUNFIRE zurückkehren. Als äußerster Termin für den Rückstart waren sechs Monatevorgesehen worden.
Dieser Termin verstrich, doch die SUNFIRE kehrte nicht zurück. Anfangs machte man sich auf der Erde deswegen noch keine großen Sorgen. Bei einem solchen Unternehmen gab es viele Möglichkeiten, die eine Verzögerung bewirken konnten. Außerdem hatte man das Schiff gut bewaffnet, es konnte sich also gegen aggressive Fremdintelligenzen wirkungsvoll wehren. Doch es vergingen weitere Monate, ohne daß die SUNFIRE zurückkam ... Auch für diesen Fall war vorgesorgt. Ein kleines Robotschiff, mit dem gleichen Triebwerk ausgerüstet, stand bereit. Als die SUNFIRE drei Monate überfällig war, wurde es ihr nachgeschickt. Es war mit starken Funkgeräten versehen, um sofort nach dem Eintritt ins Centauri-System Kontakt zur SUNFIRE aufnehmen zu können. Außerdem sah seine Programmierung den Anflug aller vorhandenen Planeten und Monde vor, wobei durch Ortungen und Energiemessungen festgestellt werden sollte, ob es etwa zu einer Bruchlandung gekommen war. Für die Absolvierung dieses Maximalprogramms waren drei Wochen veranschlagt worden. Danach sollte eine Sperrschaltung einsetzen, die das Robotschiff ohne Rücksicht auf Umstände und Ergebnisse zurück zum Solsystem starten ließ. Doch auch das Robotschiff blieb verschollen ... Die Experten waren ratlos. Doch sie hatten ihre Computer, hochgezüchtete Maschinen, die nicht mehr mit denen der ersten Generationen zu vergleichen waren. Diese fanden schließlich des Rätsels Lösung – einen kleinen, unerkannt gebliebenen Konstruktionsfehler in den Transitionstriebwerken! Die Auswertung der entsprechenden Daten ergab, daß unter diesen Umständen weder die SUNFIRE noch das Robotschiff hatten zurückkehren können. Ihre Triebwerke, erstmals einer hohen Beanspruchung ausgesetzt, mußten nach dem Hypersprung kurzgeschlossen und damit unbrauchbar geworden sein. Man tröstete sich damit, daß die tausend Kolonisten und die Mannschaft der SUNFIRE auch dann noch nicht verloren waren. Selbst wenn sie auf den Planeten des fremden Systems keine Lebensmög-
lichkeit vorfanden, blieb ihnen immer noch der Rückweg mittels der einfachen Plasma-Triebwerke. Bis zur annähernden Lichtgeschwindigkeit besc hleunigt, konnte das Schiff dann innerhalb von fünf Jahren wieder das Solsystem erreichen. Die vorsorglich mitgeführten Vorräte reichten selbst für diesen langen Zeitraum, wenn sie entsprechend rationiert wurden. Erst nach sechs Jahren vergeblichen Wartens mußte man die SUNFIRE endgültig als verloren ansehen. Die fehlerhaften Transitionstriebwerke wurden neu durchkonstruiert, doch es erwies sich als unmöglich, den Fehler auszumerzen. Damit hatte sich die Hoffnung zerschlagen, andere Sonnensysteme innerhalb tragbarer Flugzeiten zu erreichen, und alle diesbezüglichen Pläne wurden verschoben. Auf die Entwicklung der irdischen Menschheit hatte das keinerlei Einfluß. Die Zahl der Menschen auf der Erde hatte sich infolge strenger Geburtenkontrollen bei einem Maximum von sieben Milliarden eingependelt. Ihre Ernährung wurde mit modernsten Mitteln gesichert. Trotzdem waren die Versuche weitergegangen, ein Triebwerk zur Überwindung interstellarer Entfernungen zu entwickeln. Die menschliche Wißbegierde, zu erfahren, wie es in anderen Systemen aussah, trotzte allen Schwierigkeiten. Das Endresultat war das neue Hyperraum -Triebwerk, mit dem das Forschungsschiff ARCHIMEDES ausgerüstet wurde. Hier gab es keine Fehlerquellen mehr, und so wurde das Schiff ausgeschickt, um im Centauri-System nach der SUNFIRE zu suchen. * Die ARCHIMEDES war verhältnismäßig klein, nur etwa ein Drittel so groß wie das verschollene Schiff. Sie beförderte auch anstelle von Kolonisten lediglich ein Forscherteam. Zusammen mit der technischen Besatzung waren nur sechzig Menschen an Bord. Der Kommandant war Major Walt Cornell, achtundvierzig Jahre alt, ein erfahrener Raumfahrer, der eine ganze Reihe von Flügen zu
den kleinen Kolonien auf Mars und Venus hinter sich hatte. Er war ein großer, schlanker Mann mit angegrauten Schläfen und Familienvater. Sein ältester Sohn studierte bereits auf der Raumfahrerakademie. Als Erster Offizier fungierte Gerald Hartmann, vom Aussehen her das genaue Gegenteil zu Cornell: klein, rundlich, mit einem rosigen Babygesicht und schütterem, blondem Haar. Er war fünfunddreißig, noch ledig und in seinem Wesen etwas farblos, aber sehr zuverlässig. Der Zweite Offizier, Fred Bellamy, war ein gänzlich anderer Typ. Groß und hager, mit einem ernsten, verschlossenen Gesicht und pechschwarzem Haar, siebenunddreißig Jahre alt, geschieden. Er sprach nie über persönliche Dinge- Er war der eigentliche Pilot und besaß ein hervorragendes technisches Wissen sowie die Gabe, in schwierigen Situationen intuitiv immer das Richtige zu tun, ohne erst überlegen zu müssen. Diese drei Männer flogen schon seit Jahren zusammen und ergänzten sich vorzüglich, so verschieden sie auch in ihrem Wesen waren. Neu zu ihnen gestoßen war Edgar Falcon der Technische Offizier. Er besaß mehrere Doktortitel und hatte maßgeblich an der Entwicklung des Hyperraum-Triebwerks mitgewirkt, obwohl er erst achtundzwanzig Jahre alt war. Er war mittelgroß und stämmig und hatte eine große Hakennase. Sein stets struppig wirkendes, blauschwarzes Haar und der dunkle Teint wiesen darauf hin, daß seine Wiege weit südlich gestanden hatte. Das Wissenschaftlerteam an Bord bestand aus dem Biologen Dr. Ballard, dem Geologen Dr. Geliert, dem Physiker Dr. Reynolds, dem Chemiker Dr. Calvert und dem Arzt Dr. Mackay. Sie waren alle zwischen dreißig und vierzig Jahre als, vom Typ der modernen, aufgeschlossenen Wissenschaftler, und aufgrund ihrer auf Mars und Venus gesammelten Erfahrungen besonders für den Einsatz auf einem fremden Planeten geeignet. Die ARCHIMEDES sollte, sofern keine gewichtigen Gründe dagegen sprachen, auf dem ökologisch am günstigsten gelegenen Plane-
ten des Centauri-Systems landen, auch dann, wenn von der SUNFIRE keine Spuren zu finden waren. In diesem Falle blieben den Forschern zwanzig Tage Zeit, die Gegebenheiten auf dieser Welt zu studieren, Proben von Boden, Wasser, Flora und Fauna zu sammeln und Messungen aller Art vorzunehmen. Eine reichhaltige Kollektion verschiedener Automaten sollte es ihnen ermöglichen, dieses umfassende Programm in der kurzen Zeit zu bewältigen. Wurde das verschollene Schiff dagegen gefunden, war der größte Teil dieser Arbeiten überflüssig. Dann war es Aufgabe des Teams, die bereits vorliegenden Ergebnisse ihrer Kollegen von der SUNFIRE zu katalogisieren und diesen zu helfen, falls das nötig war. Doch auch dann sollte der Aufenthalt im Centauri-System nicht länger als zwanzig Tage dauern, sofern nicht zwingende Gründe eine Verlängerung notwendig machten. Für den dritten Fall – den, daß es in diesem System Intelligenzen gab – hatte Major Cornell besondere Anweisungen, die er aber selbst noch nicht kannte. Sie waren in einem versiegelten Umschlag verborgen, der sich im Schiffstresor befand und erst im Bedarfsfall geöffnet werden sollte. Dieser Umschlag war schon öfters das Ziel von sarkastischen Bemerkungen Fred Bellamys gewesen, der sich über die Geheimniskrämerei seiner Vorgesetzten lustig machte. Er war der einzige an Bord, der es bedauerte, daß die ARCHIMEDES bis auf Handstrahler unbewaffnet war. Doch seine Spötteleien fanden bei dem Kommandanten keine Gegenliebe. In dessen Augen konnte es nichts Verkehrteres geben, als sich fremden Intelligenzen gegenüber feindselig zu verhalten, ganz gleich, wie sie auch aussehen mochten. „Gut gebrüllt, Papierlöwe“, hatte ihm Bellamy auf eine diesbezügliche Bemerkung geantwortet. „Es fragt sich nur, ob diese hypothetischen Intelligenzen deine pazifistische Einstellung auch teilen. Wenn sie die unangenehme Eigenschaft besitzen sollten, zuerst zu schießen, und dann erst zu fragen, säßen wir herrlich in der Tinte.“
„Für diesen Fall haben wir unser Schutzschirm -Feld“, hatte Cornell ruhig gesagt. „Wenn wir nicht gleich einen Atomraketen-Volltreffer bekommen, hält es solange, bis wir uns absetzen können. In diesem Fall haben wir ohnehin in dem System nichts zu suchen. Träfen wir aber auf friedliche Wesen, würde es einen ausgesprochen schlechten Eindruck machen, wenn wir bis an die Zähne bewaffnet bei ihnen ankämen. Der erste Eindruck ist meist der entscheidende, vergiß das nicht, Fred.“ * 24. Juni 2056,16 Uhr Bordzeit. Bellamy und Hartmann betraten zusammen mit Dr. Reynolds die Zentrale, in der Cornell bis dahin allein Wache gehalten hatte. Der Austritt aus dem Hyperraum sollte um 18 Uhr erfolgen, und die nötigen Vorbereitungen waren zu treffen. Auch die Mannschaft bezog jetzt ihre Posten in den Maschinenräumen. Die drei Männer nickten Cornell zu, der daraufhin den Pilotensitz für Bellamy räumte. Der Zweite Offizier nahm Platz, überflog die Kontrollen und begann dann damit, die routinemäßigen Checks vorzunehmen. Das Hyperraum-Triebwerk arbeitete seit drei Wochen einwandfrei, vom Steuerautomaten überwacht. In zwei Stunden sollte es abgeschaltet werden, und dann würde die ARCHIMEDES dicht vor dem Centauri-System in den Normalraum zurückkehren. Um 17.45 Uhr meldete Falcon die Betriebsbereitschaft seiner Anlagen über die Bordsprechanlage. Cornell bestätigte, griff dann zum Mikrophon und unterrichtete alle im Schiff, daß das Austrittsmanöver bevorstand. Daraufhin nahm er im Kopilotensitz Platz, während Hartmann den Posten des Radarbeobachters übernahm. Die ARCHIMEDES war mit Ultraradar ausgestattet. Dieses Gerät sandte Strahlen von hundertfacher Lichtgeschwindigkeit aus, was auch eine Ortung in fast lichtschnellem Flug ermöglichte. Die zurückkehrenden Reflexe wurden dann auf einem großen Bildschirm
wie ein Fernsehbild sichtbar. Sektorenbildschirme ermöglichten es, Ausschnitte in starker Vergrößerung wiederzugeben. Der Austritt aus dem Hyperraum vollzog sich ganz undramatisch. Der Steuerautomat zählte blechern die letzten drei Minuten ab, dann sprang ein Teil seiner Hebel und Schaltknöpfe auf AUS. Danach geschah gleichzeitig zweierlei: Das leise Singen des Hyperraumantriebs, das die Männer drei Wochen lang ununterbrochen begleitet hatte, erstarb; die Radarschirme, auf denen bisher nur ein eintöniges Grau zu sehen gewesen war, begannen zu flimmern und zeigten schließlich ein tiefes Schwarz, mit glitzernden Punkten durchsetzt – das Bild des Normalraums, in den die ARCHIMEDES zurückgekehrt war. „Übergang vollzogen, Kommandant“, meldete Bellamy vorschriftsmäßig. Cornell dankte und wandte sich dann an Hartmann. „Stelle sofort unsere Position fest, Gerald, die Bezugspunkte kennst du.“ Er nahm das Mikrophon und gab der Besatzung das Gelingen des Manövers bekannt. Dann richtete er seinen Blick wieder auf den großen Radarschirm, auf dem im gleichen Moment das Abbild der Sonne Alpha Centauri erschien. Der Erste Offizier, ein ausgebildeter Astronom, zog die Meßgeräte des Radars zu Rate, rechnete kurz nach und nickte dann. „Abstand zur Sonne ein halber Lichttag, also wie vorgesehen. Der Kurs stimmt nicht ganz, wir bewegen uns leicht von ihr fort, die genauen Werte muß ich noch errechnen.“ Das ist vermutlich auf die gravitatorische Einwirkung der Sonne Proxima Centauri zurückzuführen“, bemerkte Dr. Reynolds, „sie ist uns ja sehr nahe und hat den Austritt zweifellos geringfügig beeinflußt. Aber das ist nebensächlich, Hauptsache, wir sind da.“ Hartmann begab sich mit den gefundenen Daten zum Navigationscomputer, der sich zwei Meter seitlich von seinem Sitz befand. Der Kommandant nahm seinen Posten ein und begann mit der Suche nach den Planeten des Systems. Die ARCHIMEDES trieb unterdessen mit annähender Lichtgeschwindigkeit durch den Raum.
Die hundertfach lichtschnellen Strahlen des Ultraradars tasteten die Umgebung der Sonne ab, und bald hatte Cornell die winzigen Scheiben von fünf Planeten unterschiedlicher Größen entdeckt. Nach den Berechnungen der irdischen Astronomen sollten aber sechs vorhanden sein, also setzte der Kommandant die Suche fort. Er fand den sechsten Sonnentrabanten sehr weit von dem Gestirn entfernt am äußersten Rand des Hauptbildschirms. Er wollte sich schon damit zufriedengeben, als eine diffuse Leuchterscheinung nahe dem Planeten seine Aufmerksamkeit erregte. Cornell ließ die Radarantenne weiter herum schwenken, konnte aber infolge der minimalen Vergrößerungswerte des großen Schirms nichts über die Natur der Erscheinung herausfinden. Doch seine Neugier war geweckt, also steuerte er den betreffenden Sektorenschirm ein und schaltete dessen Vergrößerung hoch. Plötzlich wurden seine Züge starr. Mit raschem Griff klappte er die Blende herunter, die den Schirm gegen das Streulicht vom Pilotensitz und Navigationscomputer her abschirmte. Dann kam ein spontaner Ausruf der Überraschung über seine Lippen. „Alle her zu mir – jetzt wird es interessant! Ihr könnt nicht ahnen, was ich eben entdeckt habe ...“ * Olas Kelum wimmerte leise vor sich hin, als der Flugapparat wieder einmal unter dem Einfluß einer heftigen Bö stampfte und schlingerte. Das war die einzige Reaktion, die sein Körper noch zuwege brachte, sein Magen war schon längst leer. Im Anfang war alles gutgegangen. Das bange Gefühl, als der Hubschrauber startete und der Boden unter ihnen zurückzuweichen schien, hatte sich verhältnismäßig schnell gelegt. Olas hatte die vielen Instrumente am Kontrollbord beobachtet deren ständig vibrierende Zeiger ein Eigenleben zu führen schienen. Als Fris Kenat die Maschine auf den richtigen Kurs gebracht hatte, war
eine Unterhaltung zwischen ihnen in Gang gekommen, soweit der dröhnende Motor es eben zuließ. Der Pilot beantwortete bereitwillig Olas Fragen nach der Insel Bolar. Dieses Eiland der Verbannten lag etwa eintausend Kilometer vor der Küste des Kontinents, also in einer Entfernung, die die kleinen Fischdampfer normalerweise nie erreichten. Dazu hätten sie Kohle oder Erdöl gebraucht, also Heizstoffe, die man auf Wela nicht einmal dem Namen nach kannte. Ihre Kessel wurden – wie alle nichtelektrischen Maschinen dieser Welt – nur mit Holz geheizt, und das beschränkte naturgemäß ihren Aktionsradius sehr. Daß die Existenz dieser Insel überhaupt bekannt war, verdankte man Seefahrern, die vom Sturm weit ins offene Meer getrieben worden waren. Ihre Holzvorräte gingen zur Neige, und sie hatten sich bereits verloren geglaubt, als sie schließlich die Insel sichteten. Sie hatte ihnen die Möglichkeit geboten, neues Holz zu schlagen, das bei den hohen Temperaturen rasch trocknete und ihnen die Rückkehr ermöglichte. Seitdem wußte man um die Lage Bolars, aber es bestand kein Grund einen Verkehr dorthin aufzunehmen. Die Fischgründe in Küstennähe lieferten reichliche Fänge, und die Inseln der nahen Umgebung genügten für den Ausflugsverkehr. Nach und nach geriet die Insel wieder in Vergessenheit. Doch die Priester erinnerten sich wieder an sie, als das Problem der Verbannten akut wurde. Da aber alle Fahrten dorthin unter strengster Geheimhaltung durchgeführt wurden und die Schiffsbesatzungen beim Sonnengott persönlich Schweigen geloben mußten, blieb Bolar vergessen. Nur das unbestimmte Gerücht, das auch Olas zu Ohren gekommen war, erzählte heimlich von dieser Insel. Fries Kenat berichtete dem begierig Lauschenden Einzelheiten. Die Insel hatte eine Ausdehnung von etwa fünfzig Kilometern in der Länge und zwanzig in der Breite, war also alles andere als klein. Es gab dort reiche Wälder, aber auch weite Graslandschaften im Innern. Die Insel unterschied sich also kaum vom Festland, Menschen konn-
ten dort ebenso leben. Die Verbannten hatten sich gut mit den Verhältnissen abgefunden und mehrere kleine Siedlungen errichtet, die im Laufe der Zeit zu einer regelrechten Stadt zusammengewachsen waren. Nur überdurchschnittlich begabte Wissenschaftler und Techniker waren nach Bolar gebracht worden. Auch Kenat erwähnte ihre unerhörte Arroganz gegenüber den Festlandsbewohnern. Er äußerte auch die Vermutung, daß dort im geheimen noch weit wichtigere Dinge erfunden oder wiederentdeckt worden sein könnten als nur der Hubschrauber, der rein zufällig gefunden worden war. Daß die immer wieder durchgeführten Kontrollen nichts weiter zu Tage gebracht hatten, sprach keineswegs dagegen. Es sprach höchstens für die Geschicklichkeit der Insulaner, ihre Errungenschaften vor neugierigen Augen zu verbergen ... Fris Kenat erzählte gerade, daß es den Verbannten gelungen sei, eine auf Bolar vorkommende unbekannte Rasse von Tieren zu zähmen und sich dienstbar zu machen, als plötzlich der Sturm losbrach. Glücklicherweise war es kein Schneesturm, der ihre ohnehin schon schlechte Sicht noch weiter vermindert hätte. Doch auch so machte er dem kleinen Schrauber schwer zu schaffen. Fris war bisher nur in geringer Höhe geflogen. Jetzt hatte er bis dicht unter die tiefliegenden Wolken steigen müssen, um nicht von den tückischen Böen aufs Meer herabgedrückt zu werden. Dessen Oberfläche war nur zu ahnen, denn über ihr lag die dichte Nebelschicht des verdunstenden, immer noch relativ warmen Wassers. Besorgt sah der Pilot auf die Brennstoffuhr, deren Zeiger viel zu rasch sank. Der Kampf gegen die Naturgewalten forderte entsprechend mehr Treibstoff. Für die Rückkehr würde er keinesfalls mehr reichen. Kenat konnte nur darauf hoffen, von den Verbannten Alkohol zu bekommen, dessen Gewinnung aus Holz auch für sie kein Problem war. Erleichtert atmete er auf, als ihm endlich die der Inselküste vorgelagerte Eisdecke, die nun die Nebelschwaden ablöste, die Nähe des
Zieles ankündigte. Rasch schaltete er den drahtlosen Fernsprecher ein, um Verbindung mit den Verbannten zu bekommen. Auch sie besaßen diese Geräte und hatten sie offenbar in der Zwischenzeit verbessert, denn der Sprechapparat im Hubschrauber war weit stärker als die Normalausführung auf dem Festland. Trotzdem dauerte es einige Zeit, bis endlich Antwort kam; unter dem Hubschrauber lagen bereits die im Schnee vergrabenen Küstenwälder. Der Sturm hatte sichtlich nachgelassen, der Windschatten der Insel machte sich bemerkbar. Nun fühlte sich auch Olas Kelum wieder besser. „Gleich hast du es überstanden, Priester“, sagte Fris Kenat und lächelte. „Dafür, daß es dein erster Flug war, hast du dich noch ausgezeichnet gehalten. Dieser Sturm war der schwerste, den ich hier erlebt habe, und ich bin in letzter Zeit öfters nach Bolar geflogen. Ich habe übrigens eben mit dem Oberhaupt der Verbannten gesprochen, er heißt Arch Netah und war früher auf dem Festland ein bekannter Physiker. Man wird uns durch Rauchzeichen anzeigen, wo wir landen können. Ich hatte fast den Eindruck, als hätte man uns bereits erwartet – merkwürdig, nicht wahr?“ * Wie alle Städte auf dem Kontinent, besaß auch die Inselstadt der Verbannten keine hohen Gebäude. Sie war, weil aus einzelnen Siedlungen zusammengewachsen, sehr weiträumig angelegt. Große, freie Flächen wiesen auf das frühere Vorhandensein ausgedehnter Parks hin, die jetzt unter einer dichten, weißen Decke lagen. Eine dieser Flächen hatte man teilweise vom Schnee geräumt, und dort landete Fris Kenat, dem Rauchzeichen folgend. Olas Kelum fühlte sich wieder fast normal, als er festen Boden unter sich sah. Steifbeinig kletterte er hinter Fris Kenat aus der Maschine und sah sich neugierig um. Das hier war also Bolar, die Insel der Verbannten. Und ausgerechnet von diesen Ausgestoßenen sollte die Ret-
tung für die Menschen auf Wela kommen – falls Isak Altas wirklich recht behielt! Unweit des Hubschraubers waren einige Männer damit beschäftigt, das qualmende Feuer des Landezeichens mit Schnee zu löschen. Die Blicke des jungen Priesters glitten weiter und erfaßten ein hölzernes Gefährt. Es besaß anstelle von Rädern breite Gleitkufen. Olas Augen weiteten sich vor Staunen, als er dann die beiden fremdartigen Tiere sah, die vor diesem Wagen standen. Sie waren größer als die Kühe, die er als Milchlieferanten kannte, dunkelbraun und hochbeinig, mit einem schlanken Schädel auf einem langen Hals und großen Ohren. Ihre Rücken hatte man gegen die Kälte sorgfältig mit Decken abgedeckt. Das waren also offenbar die Tiere, von deren Zähmung Kenat bereits gesprochen hatte. Er kam nicht dazu, sich noch weiter umzuschauen, denn ein Mann löste sich von dem Trupp und kam zu ihnen herüber. Auch er trug die übliche Kleidung aus Schaffellen, aber bei ihm sah Olas erstmals wieder etwas, was man auf dem Kontinent kaum noch kannte: ein fröhliches Lachen! „Willkommen, Leute vom Festland“, grüßte er. „Oh, sogar ein Priester des ungnädigen Sonnengottes ist heute dabei – welch hohe Ehre für uns ... Aber das soll mich nicht weiter stören, steigt ein, die Pferde frieren. Ich bringe auch zu Arch Netah, er wartet im Haus der Weisen auf euch.“ Die Zugtiere trabten an, und fast geräuschlos glitt der Schlitten durch den Schnee. Das „Haus der Weisen“ erwies sich als ein langgestreckter, zweistöckiger Bau, der überall auf Wela hätte stehen können. Was Olas an ihm aber besonders auffiel, waren die trotz des Tages hell erleuchteten Fenster. Hier konnte man also den kostbaren Strom verschwenden, während es auf dem Festland nur morgens und abends für wenigen Stunden erlaubt war, die trüb glimmende Beleuchtung einzuschalten ...
Diesen Verbannten schien es tatsächlich besser zu gehen als selbst den mächtigen Oberpriestern auf dem Kontinent. Diese Tatsache raubte Olas, der ja deren Abgesandter war, einen weiteren Teil seines Selbstvertrauens. Dunkel fühlte er schon jetzt, daß er nur als Bittender vor Arch Netah erscheinen konnte, nicht als Fordernder, wie er geglaubt hatte. Im Hause war es angenehm warm, denn die überall angebrachten elektrischen Heizkörper standen unter voller Spannung. Zuerst bekam Olas ein Zimmer angewiesen, das ihm und Fris Kenat für die Dauer ihres Aufenthalts als Wohnung dienen sollte. Man gab ihm Zeit, abzulegen und sich zu erfrischen, dann erschien ein junger Mann, um ihn zum Oberhaupt der Verbannten zu führen. Die Tasche mit den Briefen des Obersten Priesters an sich gepreßt, schritt Olas neben seinem Führer einen langen Korridor entlang. Die Tatsache, daß er seit seiner Weihe das dunkelblaue Ornat der einfachen Priester trug, empfand er nun als Manko. Zwar benahm sich sein Begleiter durchaus korrekt, aber Olas hatte sehr wohl das spöttische Zucken um dessen Mundwinkel bemerkt, als der Fremde seine Kleidung erblickt hatte. Offenbar glaubte hier auf Bolar schon lange niemand mehr an den Sonnengott ... * Man sah es Arch Netah keineswegs an, daß er die höchste Instanz auf der Insel verkörperte. Er mochte etwa fünfunddreißig Planetenjahre zählen, war einfach gekleidet, gut einen Kopf kleiner als sein Gast, und sein Haar war bereits leicht angegraut. Seine klugen Augen musterten Olas interessiert, als er dem Besucher die Hand reichte. „Nimm Platz, Olas Kelum“, meinte er in der sauber akzentuierten Sprechweise der gebildeten Welaner. „Ehrlich gesagt bin ich etwas überrascht, daß man ausgerechnet einen Priester als Abgesandten
hierhergeschickt hat; ich hätte eher mit einem Techniker oder Physiker gerechnet. Oder bis du in dieser Hinsicht ausgebildet?“ Es bereitete Olas Genugtuung, entgegnen zu können, daß er der beste Schüler des bekannten Physiklehrers Rezu Habas gewesen sei. Arch Natah nickte anerkennend. „Der beste Mann auf diesem Gebiet, über den ihr auf dem Festland noch verfügt. Er war mein Freund, ehe ich hierher verbannt wurde. Allerdings fehlte seinem Geist jener Funke, der uns trieb, über die Grenzen dessen hinauszugehen, was Gerud erlaubt hat. Offenbar ist das auch keinem anderen gelungen, denn sonst müßte man uns jetzt nicht um Unterstützung bitten. Schildere mir nun bitte, wie es bei euch drüben aussieht, damit ich mir ein genaues Bild von eurer Lage machen kann. Meine Inform ationen darüber sind höchst unvollständig, denn seit Monaten ist der Hubschrauber unsere einzige Verbindung zum Festland gewesen. Obendrein hatten die Großpriester in ihrem falschen Stolz Fris Kenat auch noch verboten, uns die Zustände zu schildern, wie sie in Wirklichkeit sind.“ Der junge Priester gab dem Oberhaupt von Bolar ein ungeschminktes Bild von der trostlosen Lage. Als er auf das Projekt der geplanten Kuppelstädte zu sprechen kam, schüttelte Arch Netah verständnislos den Kopf. „Das war so ungefähr das Verkehrteste, was zu tun war“, bemerkte er mißbilligend. „Die Schwierigkeiten, die dem Bau an sich entgegenstehen, will ich einmal ganz außer acht lassen. Man kann nicht einfach zwanzig Millionen Menschen in einigen derartigen Städten zusammenpferchen, wenn man von vornherein weiß, daß die Energie einfach nicht ausreicht, diese entsprechend zu erwärmen. Dazu kommt dann noch das Ernährungsproblem, das ebenfalls unlösbar ist. Weit besser wäre es gewesen, rechtzeitig auf dem Gebiet der vorhandenen Ansiedlungen unterirdische Anlagen zu schaffen, denn unter der gefrorenen Kruste wird der Boden noch lange Zeit warm
bleiben. Damit wäre die Beheizung überflüssig gewesen, man hätte dort Pflanzenkulturen anlegen können, ebenso Ställe für das Vieh. Nur für Beleuchtung hätte man sorgen müssen, und das wäre relativ leicht gewesen, denn ihr hab t ja Dampfmaschinen und Alkoholmotoren. Diese Chance ist jetzt natürlich vorbei, und schuld daran seid ihr selbst!“ Olas Kelum wollte auffahren, aber Arch Netah winkte überlegen ab. „Natürlich seid ihr selbst an diesen Zuständen schuld, weil ihr eure besten Männer in die Verbannung geschickt hab. Aber lassen wir das, gib mir jetzt bitte die Briefe von Isak Altas. Zwar bin ich auf eure Großpriester verständlicherweise nicht gut zu sprechen; aber wenn es um das Schicksal aller Menschen auf Wela geht, sind persönliche Gefühle bedeutungslos. Der einzige Vorwurf, den ich Isak Altas noch mache, ist, daß seine Bitte um Hilfe viel zu spät kommt.“ „Ihr könnt uns also doch helfen?“ forschte Olas, während er die Briefe herausholte und übergab. Arch Netah nickte lässig. „Natürlich können wir das, denn wenn wir auch verbannt wurden, unser Wissen konnte uns niemand nehmen. Allerdings hatten wir es anfangs schwer, unsere Erkenntnisse auszuwerten, weil uns viele Hilfsmittel fehlten. Die Herren Großpriester sorgten eifrig dafür, daß wir keine einzige Maschine bekamen, die für Zwecke der Forschung zu gebrauchen war. Das besserte sich aber schlagartig, als wir mitten auf der Insel das Raumschiff wiederfanden, mit dem einst unsere Vorfahren nach Wela gekommen sind.“ Olas fuhr aus seinem Sitz hoch. Seine Augen funkelten in freudiger Erregung. „Also hatte ich doch recht mit meiner Vermutung!“ rief er aus. „Ich habe mir schon lange Gedanken darüber gemacht, weshalb sich der Mensch, seine Tiere und Nutzpflanzen so sehr von der übrigen Natur auf Wela unterscheiden. Wir stammen also von einer ganz anderen Welt – würdest du mir bitte Näheres darüber sagen, Arch Netah?“ Der Wissenschaftler winkte ab.
„Später, Olas Kelum, jetzt würde es uns zu lange aufhalten. Immerhin finde ich es bemerkenswert, daß du von selbst auf die richtigen Gedanken gekommen bist. Gehe jetzt wieder auf dein Zimmer, damit ich in Ruhe die Briefe lesen und entsprechende Anordnungen treffen kann.“ * „Raumschiffe!“ stöhnte Fred Bellamy fassungslos. „Das sind zweifellos Raumschiffe, daran läßt sich trotz ihrer Kugelform nicht zweifeln. Man kann deutlich die Antriebsstrahlen sehen, die von dem Wulst im ihre Mitte ausgestoßen werden.“ „Nach vorsichtiger Schätzung mindestens zweihundert Schiffe“, stellte Dr. Reynolds fest. „Eine regelrechte Armada, schön in geordneter Formation fliegend. Wenn ich das sehe, kommen mir ziemlich ungute Gedanken ...“ „Zu Recht, lieber Doktor“, sagte der Kommandant, „denn das ist noch längst nicht alles.“ Er betätigte die Antennensteuerung und ließ das Bild weiter von der Sonne fortwandern. Fassungslos sahen die vier Männer dann, wie auf dem Schirm eine zweite Formation auftauchte. „Himmel, das sind ja noch viel mehr!“ rief Gerald Hartmann keuchend vor Erregung. „Und ein ganz anderer Typ – sie haben Tropfenform und sind auch viel größer.“ „Außerdem fliegen sie in umgekehrter Richtung, in das System hinein“, ergänzte Walt Cornell. „Das sieht mir nicht gerade nach einem Freundschaftsbesuch aus – ich glaube weit eher, daß da eine handfeste Invasion stattfinden soll ...“ „Malen Sie um Himmels willen nicht den Teufel an die Wand“, flüsterte Reynolds, dem ein Kloß im Hals zu stecken schien. „Für uns reichte es vollkommen, wenn wir es hier nur mit einer Art von fremden Intelligenzen zu tun hätten; mit denen könnten wir uns eventuell verständigen. Wenn es aber zwei sind, und wir geraten mitten in eine
interstellare Auseinandersetzung hinein, sehe ich schwarz für die ARCHIMEDES!“ Der Kommandant schüttelte den Kopf. „Uns dürfte wohl kaum etwas passieren. Wir sind noch viel zu weit vom Schauplatz des Geschehens entfernt, während die beiden Verbände da vorn sich schon ziemlich nahe sind. Kannst du uns dazu etwas sagen, Gerald?“ Der Erste Offizier rechnete bereits. „Der Abstand zwischen ihnen beträgt noch ungefähr zwanzig Millionen Kilometer“, erklärte er wenig später. „Die Kugelschiffe beschleunigen und haben jetzt etwa ein Drittel der Lichtgeschwindigkeit erreicht, die Tropfenraumer sind fast doppelt so schnell und bremsen ab, aber mit weit höheren Werten. Anscheinend besitzen sie stärkere Triebwerke.“ „Dann müßte es innerhalb der nächsten zwei Minuten zum Zusammenstoß kommen, weil sich ihre Geschwindigkeiten addieren“, stellte Cornell fest. „Es sieht so aus, als wären die Invasoren eindeutig im Vorteil. Sie haben nicht nur die größeren Schiffe, sondern sind auch ungefähr doppelt so stark.“ „Wie ist es, Walt, soll ich den jetzigen Kurs beibehalten?“ fragte Gerd Bellamy. Cornell nickte. „Wir sind jetzt noch mindestens vier Milliarden Kilometer von den fremden Schiffen entfernt und werden weit an ihnen vorbeifliegen, wenn wir die Richtung beibehalten. So bleiben wir unbemerkt, während man uns bestimmt orten würde, wenn wir unsere PlasmaTriebwerke einschalten.“ „Die beiden Formationen sind nur noch ungefähr fünf Millionen Kilometer auseinander“, meldete Gerald Hartmann. „Berührung ist in etwa fünfzehn Stunden zu erwarten.“ Die vier Männer schwiegen und starrten wie gebannt auf den Radarschirm. Wenn alles so ablief, wie sie befürchten mußten, würde sich ihnen in wenigen Sekunden ein tödliches Schauspiel zeigen ...
* Die Atmosphäre dröhnte. Mit viel zu hoher Geschwindigkeit raste ein kleines Kugelschiff durch die Gashülle des zweiten CentauriPlaneten. Erst im letzten Moment wurde es stark abgebremst und setzte hart auf der Landefläche des Raumhafens auf. Wenige Sekunden später glitt seine untere Polschleuse auf. Ein ovaler Körper ließ sich herausfallen, fing den Aufprall sicher mit seinen vier Beinen ab. Ein zweiter folgte, und dann schossen die beiden Edros mit beachtlicher Geschwindigkeit auf den Eingang des großen Kugelbaues am Rande des Hafens zu. Die Angehörigen dieser Rasse waren von Natur aus gute Läufer. Vlis und Krit aber rannten, als wären die bösen Imms hinter ihnen her, an die abergläubische Gemüter immer noch glaubten. Für die fast hundertfünfzig Meter bis zu dem Gebäude benötigten sie kaum sechs Sekunden. Ein letzter gewaltiger Satz brachte sie durch den Eingang, wo sie von einem Prallfeld sanft abgefangen wurden. Zwei kleine, runde Marken wanderten in einen Apparat, und dann schossen die beiden, samt ihren Beinen kaum anderthalb Meter großen Geschöpfe durch einen Antigravschacht zum obersten Stockwerk empor. Dort begegnete ihnen niemand, denn in dieser Etage residierte der Große Diss, der Oberbefehlshaber der Edro-Flotte. Außer den hohen Offizieren hatten dort nur Agenten Zutritt, die zur persönlichen Berichterstattung in Geheimsachen bei ihm erschienen. Nur diese beiden Kategorien besaßen die runden Marken, die ihnen die Benutzung des Antigravschachtes erlaubten. Jeder Unbefugte wäre schon beim Eintritt in das Transportfeld als verkohltes Aschehäufchen zu Boden gesunken; eine sehr notwendige Maßnahme, denn mit Spionen mußte immer gerechnet werden. Vlis und Krit aber waren zwei Spezialagenten des Oberbefehlshabers.
Eine Tür glitt automatisch vor ihnen auf und hinter ihnen geräuschlos wieder zu. Sie befanden sich nun direkt im Dienstzimmer des Großen Diss, und so beeilten sie sich, ihre obersten Armpaare zu heben und zu kreuzen, was bei den Edrosoldaten soviel wie eine Ehrenbezeichnung bedeutete. „Wichtige Meldungen, Großer Diss“, pfiff die Stimme Krits. „Dürfen wir sofort berichten?“ „Einen Moment, nehmt inzwischen Platz“, gab der Befehlshaber zurück. Er streckte zwei seiner Arme aus und drückte Hebel auf einer Schalttafel. Von dieser führten Kabel zu verschieden großen Bildkugeln, die frei im Raum zu schweben schienen. Die darauf flimmernden Bilder verlöschten, und nun wandte sich der Große Diss wieder den beiden Agenten zu. Seine aus einer synthetischen Faser gefertigte tiefgrüne Uniform raschelte leise. Die Angehörigen dieser Rasse hatten einmal ein seidenweiches braunes Fell besessen, doch das war schon so lange her, daß kaum noch jemand darum wußte. Mit dem Wachsen ihrer Zivilisation hatten sie sich immer weiter von ihrem ursprünglichen Lebensstil entfernt, und im Verlauf der Jahrtausende war das Fell verschwunden. Jetzt waren die Körper unbehaart und bedurften eines Schutzes. „Sprich nun, Krit“, pfiff der Diss und richtete seine beiden Stielaugen auf den Agenten. Die Augen befanden sich auf der höchsten Stelle des eiförmigen Körpers, daneben saßen die beiden spitzen Ohren. Einen Kopf hatte die Natur diesen Geschöpfen nicht verliehen, ihre Körper bildeten ein Ganzes. Das Gehirn ruhte bei ihnen unterhalb der Sinnesorgane, zu denen noch ein kurzer Schnabel gehörte, der die Funktionen von Nase und Mund in sich vereinigte. Ihre Stimmen waren hoch und schrill, und die hohen Schwingungen erlaubten enorm große Sprechgeschwindigkeiten. „Wir bringen schlechte Botschaft, Großer Diss“, berichtete Krit bedrückt. „Wir sind befehlsgemäß in das System der Sivos eingedrungen und konnten dort wichtige Beobachtungen machen. Die Feinde haben eine große Flotte aufgebaut, die mindestens doppelt so stark
wie die unsere ist. Mit unseren Spezialantennen konnten wir Sendungen vom Sivo auffangen, in denen der Diktator Ninop sprach. Er verkündete dem Volk, daß nun alle Schiffe mit Blitzstrahlern ausgerüstet wären und der Angriff auf uns beginnen könnte. Wir zogen uns zurück, als sich die Flotte sammelte und auf den Weg nach hier machte.“ „Sie sind bereits unterwegs?“ pfiff der Oberbefehlshaber erregt, und seine blauen Augen färbten sich violett. Krit wedelte betrübt mit den Ohren. „So ist es, Großer Diss. Da unser Spezialschiff sehr schnell ist, haben wir einen Vorsprung herausgeholt und konnten dich noch rechtzeitig warnen. Sie nähern sich aus der Richtung der Sonne Birs und werden voraussichtlich schon morgen früh in unserem System eintreffen.“ „So bald schon?“ Der Große Diss erschrak. „Gut, ich gebe sofort Alarm für unsere Flotte. Ich bin euch sehr dankbar, daß ihr diesen Einsatz gewagt habt, denn sonst wären wir vollkommen unvorbereitet. Wenn die Sivos nur nicht so sehr überlegen wären ...“, fügte er bedrückt hinzu. * Es war ein tragischer Umstand, daß die Feinde der Edros der gleichen Rasse entstammten. Vor Jahrtausenden waren vom Edro aus mehrere nahegelegene Systeme besiedelt worden. Einige Kolonien hatten sich nicht behaupten können, doch auf dem Sivo war es gelungen. Eine eigenständige Kultur hatte sich entwickelt, fremde Strahlungen hatten die Mentalität der Sivos verändert. Die Edros waren stets friedlich gewesen und hatten keine Kriege gekannt. Auf dem Sivo dageben gab es ständig Unruhen und Machtkämpfe zwischen rivalisierenden politischen Gruppen. Das war auch der Hauptgrund dafür gewesen, daß die Edros den Kontakt zu ihren ungleichen Abkömmlingen fast vollständig abgebrochen hatten.
Vor etwa zwanzig Planetenjahren hatte auf dem Sivo der jetzige Diktator Ninop die Macht an sich gerissen und weitgehend stabilisiert. Doch es genügte ihm nicht, nur den eigenen Planeten zu beherrschen. Er entsann sich des Stammplaneten und verstärkte die Kontakte dorthin wieder. Die Edros aber merkten bald, daß sie außer der gemeinsamen Sprache nichts mehr mit den Sivos verband. Das Auftreten von Ninops Abgesandten war derart anmaßend, daß sie schließlich von der Regierung des Edro ausgewiesen wurden. Seitdem herrschte zwischen den beiden Planeten ein kalter Krieg. Ninop hatte damit begonnen, eine bewaffnete Flotte aufzubauen, und notgedrungen hatten die Edros dasselbe tun müssen. Ihre ältere Technik hatte bessere Waffen entwickelt, gegen die die Sivos keine Chancen hatten. Der Diktator aber hatte heimlich Spione auf dem Edro absetzen lassen und die Pläne für diese Waffen in seinen Besitz gebracht. Als die Edros das bemerkten und strenge Sicherheitsmaßnahmen trafen, war es zu spät gewesen. Zu spät auch, die eigene Flotte noch nennenswert zu verstärken. Zweihundert Kampfschiffe besaß der Große Diss, mindestens doppelt soviele der Diktator Ninop. Wenn kein Wunder geschah, war die bevorstehende Schlacht verloren, ehe sie noch begonnen hatte ... Vierhundert Kampfschiffe der Sivos rasten dem System Alpha Centauri entgegen. Sie waren an einer Stelle aus dem Hyperraum gekommen, die genau zwischen dem System und einem der sogenannten Radiosterne lag. Diese Sonne sandte derart starke Strahlungen fünfdimensionaler Art aus, daß es den Edros nicht gelungen sein konnte, dieses Eintauchmanöver anzumessen. Nun waren die Angreifer mit drei Viertel der Lichtgeschwindigkeit im freien Fall dahinschießend, dicht vor dem Centauri-System angekommen. Ihre Triebwerke wurden eingeschaltet, ihre Fahrt wurde abgebremst. Der Diktator Ninop befand sich persönlich an Bord der Kommandoschiffs.
„Wir werden es ihnen zeigen!“ pfiff er prahlerisch, und seine Augen auf den Schneckenfühlern nahmen den grünlichen Schimmer an, der bei dieser Gattung für Haßempfindungen typisch war. „Bisher waren uns diese dekadenten Kreaturen überlegen, aber das ist jetzt vorbei. Wir besitzen gleichwertige Waffen, und unsere Flotte ist doppelt so stark wie die ihre. Der Sieg wird unser sein!“ Ein schrilles Pfeifen des Beifalls gellte durch die Zentrale und fand ein Echo in allen anderen Raumern, denn diese Rede wurde auch dorthin übertragen. Ninop fuhr fort: „Die Edros werden durch unsere Ankunft vollkommen überrascht. Sie sind nicht vorbereitet, müssen übereilt starten und haben keine Zeit mehr, eine wirksame Verteidigung aufzubauen. So wird sie unser Angriff in vernichtender Wucht treffen, und wir werden den Edro in Besitz nehmen.“ Er stieß mit einer einstudierten Geste alle vier Arme hoch in die Luft. „Schont keins ihrer Schiffe, auch dann nicht, wenn es euer eigener Untergang sein sollte. Dafür werden später eure Namen in leuchtenden Lettern neben denen unserer großen Helden prangen, und euer Ruhm wird unvergänglich sein!“ Es war so mancher unter den Offizieren und Mannschaften der Flotte, der ein friedliches Weiterleben inmitten seiner Familie dem Heldentod bei weitem vorgezogen hätte. Trotzdem schrillten alle Beifall, denn keiner durfte sich die Blöße geben, als Feigling angesehen zu werden. Die Kriegsgerichte des Diktators waren mit Todesurteilen schnell bei der Hand. Ninop war sehr überrascht, als er feststellen mußte, daß die Edros doch nicht unvorbereitet waren. Noch vor Erreichen ihres Systems kam den Sivos bereits die Flotte des Großen Diss entgegen. Sie bildete gleichfalls ein großes Viereck, alle Schiffe flogen in gleichem Abstand zueinander. So war die größte Feuerkraft gewährleistet, wie die Computer errechnet hatten. Doch Ninop beruhigte sich rasch wieder. Auch der Große Diss hielt eine letzte Ansprache an seine Soldaten. Er bat sie, ihr Bestes zu geben, um das Heimatsystem nicht in die
Hände des grausamen Diktators fallen zu lassen, und rief die Götter an, ihnen zu helfen. Er hatte gerade geendet, als ein Edro in die Zentrale des Befehlsschiffes schoß, den seine blaue Kleidung als Wissenschaftler kennzeichnete. Seine Ohren befanden sich in ständiger Bewegung, was auf große Erregung hinwies. „Entschuldige mein Eindringen, Großer Diss“, pfiff er in Tönen, die nahe beim Ultraschall lagen, „ich habe gewichtige Gründe dafür. Wieviel Zeit bleibt uns noch bis zur Gefechtsberührung mit dem Gegner?“ Einige Offiziere wollten den Eindringling hinausweisen, doch der Befehlshaber winkte ab. Fizu war ein bedeutender Wissenschaftler und Spezialist für Waffentechnik. Wenn er zu diesem ungeeigneten Zeitpunkt um eine Unterredung bat, mußte er wichtige Gründe dafür haben. „Sprich, aber fasse dich kurz, Fizu“, wies ihn der Große Diss an. „In spätestens einem Ill werden wir das Feuer eröffnen müssen.“ Ein Ill entsprach einer Zeitspanne von zwei irdischen Minuten, bei den hohen Sprechgeschwindigkeiten der Edros Zeit genug für eine lange Rede. Fizu winkte daher befriedigt mit allen vier Armen. „Ich brauche nur ein Bruchteil dieser Zeit, Großer Diss. Ich weiß jetzt, wie wir den Gegner nicht nur abwehren, sondern auch vernic hten können ...“ Der Oberbefehlshaber liebte schnelle Entschlüsse. Ein Wink an die Techniker genügte, und der Schiffssender begann wieder zu arbeiten. Fizu stellte sich vor das Aufnahmegerät, und dann schrillten zehn Sekunden lang seine Anweisungen zu den anderen Schiffen hinüber. Der Große Diss lauschte gespannt und langsam nahmen seine Augen den rötlichen Schimmer aufkeimender Hoffnung an. Wenn es stimmte, was Fizu da vorbrachte, waren die Edros gerettet. *
Die Konturen der tropfenförmigen Schiffe verschwammen plötzlich, bläuliche Schleier umhüllten sie. Dr. Reynolds pfiff überrascht durch die Zähne. „Die Wesen da drüben kennen also auch Schutzschirme. Jetzt bin ich nur noch auf ihre Waffen gespannt.“ Der Kommandant warf ihm einen schrägen Blick zu. „Seht an, unser Pazifist macht sich!“ „Es geht los – die Tropfenschiffe feuern!“ schrie der Erste Offizier. Geisterfingern gleich stachen grünliche Strahlbahnen durch die Schwärze des Alls auf die kugelförmigen Raumer zu. Von jedem Tropfenschiff gingen zwei derartige Bahnen aus und bewegten sich mit Lichtgeschwindigkeit ihren Zielen entgegen. „Warum unternehmen die anderen nichts?“ fragte Gerais Hartmann rstlos Die ARCHIMEDES selbst hatte sich längst in ihren Schutzschirm gehüllt. Dafür hatte der Technische Offizier gesorgt, der durch eine Bildsprechanlage ständig Verbindung zur Zentrale hatte. Ein kurzer Wink des Kommandanten hatte genügt, und schon hatte Edgar Falcon geschaltet. Wie zur Beantwortung der Frage des Ersten Offiziers, begannen in diesem Moment nun auch die Schutzschirm -Projektoren der Kugelschiffe zu arbeiten. Doch sie legten nicht, wie gewohnt, ein Schutzfeld rund um die Schiffshüllen. Statt dessen projizierten sie die von ihnen ausgehende Energie dicht vor die Schiffe, wo sie sich flächig ausbreitete. Diese Energiefelder verschmolzen an ihren Randen mit denen der benachbarten Raumer, wodurch eine kompakte Schutzwand gebildet wurde, die sich vor den Schiffen herschob. Würde sie ausreichen, um das von Fizu erwartete Ergebnis zu zeitigen? Der Große Diss wußte es nicht, erkonnte es nur erhoffen. Seine Schiffe waren sonst vollkommen wehrlos, denn auch die Energien der Strahlgeschütz-Reaktoren wurden zur Verstärkung den Schutzschirmprojektoren zugeleitet. Diese hatten, durch Computer gesteu-
ert, genau in dem Moment ihre Arbeit aufgenommen, als die überlichtschnellen Meßgeräte anzeigten, daß der Gegner zu feuern begann. So wurde es diesem unmöglich, noch auf diese Maßnahme zu reagieren. Wer zuerst schießt, trifft auch zuerst; ein Grundsatz, den auch die Sivos kannten. Lange vor Erreichen der Schußweite hatten sich ihre Schiffe paarweise auf je einen Gegner eingepeilt. Mit einiger Verblüffung registrierten die Kommandanten, daß die Raumer der Edros keine Anstalten trafen, sich zu verteidigen und nicht einmal ihre Schutzschirme aufgebaut hatten. Doch ihnen blieb keine Zeit mehr, darüber nachzudenken, denn alles spielte sich innerhalb weniger Sekunden ab. Gleichfalls durch Computer gesteuert, begannen ihre Strahlgeschütze zu feuern. Vier Strahlbahnen waren für die Dauer von zwei Sekunden auf jedes Schiff der Edros gerichtet – das war weit mehr, als selbst der stärkste Schutzschirm abwehren konnte! Niemand konnte bei den Sivos damit rechnen, daß die scheinbar bereits verlorenen Edro-Schiffe genau in diesem Augenblick ein neuartig formiertes Schutzfeld aufbauten, das selbst diesen Gewalten gewachsen war ... Und das Feld vermochte noch viel mehr! Es hielt die darauf geschleuderten Energien nicht nur auf, sondern schleuderte sie wieder zurück. Die Sivos nahmen es kaum noch wahr, als das ihren Gegnern zugedachte Unheil nun über sie selbst hereinbrach. Sie starrten auf ihre Radarschirme und erwarteten, die Schiffe der Edros in grellen Feuerbällen vergehen zu sehen. Statt dessen sahen sie diese hinter einem plötzlich vorhandenen Schleier verschwinden. Und während sie sich noch fragten, worum es sich dabei handeln mochte, rasten bereits die Energiebälle auf sie zu, erfaßten und vernichteten sie ... Die Entfernung zwischen den beiden Flotten betrug zu diesem Zeitpunkt noch etwas mehr als zwei Millionen Kilometer. Rund sechs
Sekunden brauchten die zurückgespiegelten Energien, um ihre Ausgangspunkte wieder zu erreichen. In dieser Zeit hatten die entsprechend programmierten Steuercomputer der Edroschiffe bereits geschaltet. Die Triebwerke flammten auf, und die Raumer wurden mit Vollschub aus ihrem bisherigen Kurs gerissen. In geschlossener Formation zogen sie nach oben davon, während dort, wo eben noch vierhundert Schiffe der Sivos existiert hatten, eine atomare Hölle ausbrach. Innerhalb von Sekundenbruchteilen versagten die Schutzschirme der Raumer, glühten die Schiffskörper auf, explodierten Tausende von Kernreaktoren. Die einzelnen Explosionsherde verschmolzen rasch zu einem einzigen gewaltigen Feuerball, der sich nach allen Seiten hin ausdehnte, da der leere Raum ihm keinen Widerstand bot. Die Schiffe der Edros entkamen diesem Inferno. Ihr Vorsprung gegenüber den entfesselten Gewalten betrug nur wenige Sekunden, doch er reichte aus. Ihre Triebwerke wurden weit überlastet, aber sie brachten die Kugelraumer bis auf Lichtgeschwindigkeit und ermöglichten Ihnen den Übergang in den Hyperraum. Die Bedrohung der Edros durch ihren Gegner war vorüber, denn von diesem Schlag konnten sich die Sivos in absehbarer Zeit nicht wieder erholen. Der Große Diss umarmte Fizu, dessen Genie eine ganze Planetenrasse gerettet hatte. Beide konnten nicht ahnen, daß zur selben Zeit die unbeteiligten zufälligen Zeugen der Vorgänge mit ins Verderben gerissen wurden ... * Die vier Männer in der Zentrale der ARCHIMEDES konnten von ihrem seitlich zum Schauplatz gelegenen Standpunkt, aus alles genau beobachten. Sie sahen, wie die grünen Strahlbahnen kurz vor den Kugelschiffen auf ein für sie unsichtbares Hindernis prallten und gleich darauf in der Form riesiger Kugelblitze wieder zurückgeschleudert wurden.
Stöhnend rissen sie die Hände vor die Augen, als sich der riesige Feuerball aus den vergehenden Tropfenraumern bildete, denn auch die Dunkelfilter waren nicht imstande, die einfallenden Lichtfluten abzuwehren. Sie waren zutiefst erschüttert, denn hier war etwas geschehen, was sich die regste Phantasie nicht grausamer hätte ausmalen können. Viele Tausende von intelligenten Wesen mußten in diesem Augenblick ausgestorben sein – warum? Sie sollten es nie erfahren, denn das Verhängnis war bereits dabei, auch nach ihnen zu greifen. Der technische Offizier war es, der die ersten Anzeichen bemerkte. Er war nicht geblendet worden, weil er das Ereignis nur auf seinem kleinen Monitor beobachtet hatte, der das einfallende Licht ein zweites Mal abblendete. Gewohnheitsmäßig warf er einen Blick auf seine zahlreichen Kontrollinstrumente, schüttelte den Kopf und sah noc hmals hin. Das Bild blieb. Gleich darauf erreichte sein Alarmruf die Männer in der Zentrale und schreckte sie auf: „Falcon an Kommandant: Mit unserem Schutzschirm stimmt etwas nicht! Die Instrumente zeigen Werte, die weit über der normalen Intensität liegen und sich immer noch steigern. Ich habe keine Erklärung dafür.“ Walt Conrell war augenblicklich wieder der Mann, dem nur das Wohl seines Schiffes am Herzen lag, ganz gleich, was anderen inzwischen zustoßen mochte. Er wartete einige Sekunden, bis seine Blendung abklang, und blickte dann auf die Meßinstrumente für kosmische Strahlung, die sich neben den Anlagen des Ultra-Radars befanden. „Hier Kommandant. Edgar, ich registriere eine stark einfallende Strahlung fünfdimensionaler Natur, die von dem Ort ausgehen muß, wo eben die vierhundert Schiffe explodiert sind. Ich nehme an, daß der Schirm dadurch aufgeladen wird. Die Strahlung stammt vermutlich von den Hypertriebwerken dieser Schiffe, die noch einmal kurz
angeregt worden sind, ehe sie zerstört wurden. Sind nachteilige Folgen für uns zu befürchten?“ Das Gesicht des Technischen Offiziers war starr. „Wenn die Werte weiter so ansteigen, unbedingt. Der Schutzschirm besitzt jetzt bereits eine Kapazität von zweihundertfünfzig Prozent normal, und sie steigt immer noch weiter. Die Energie schlägt bereits in die Projektoren zurück, lange können die das nicht aushalten.“ „Können Sie sie nicht abschalten?“ fragte der Kommandant. Edgar Falcon lachte bissig auf. „In diesem Moment würden wir von der Strahlung geradezu gebraten! Wir müssen schleunigst in den Hyperraum gehen, sonst garantiere ich für nichts. Wir kommen immer näher an den Explosionsherd heran, der noch immer expandiert und ...“ Walt Cornell hörte nicht mehr weiter zu. Ruckartig wandte er sich dem Piloten zu. „Fred, sofort beschleunigen, Übertritt in den Hyperraum einleiten. Kursprogrammierung ist überflüssig, wir müssen nur schnell von hier weg.“ Bellamy nickte nur, und schon flogen seine Finger über die verschiednen Hebel und Knöpfe am Pilotenpult. Er aktivierte das Normaltriebwerk, denn noch fehlten etwa eintausend Sekundenkilometer an der Geschwindigkeit, die für das Überwechseln in den Hyperraum notwendig war. Dann sah er fassungslos auf die Instrumente, die ihm zeigten, daß das Hypertriebwerk soeben von selbst angelaufen war ... Im gleichen Augenblick klang unnatürlich ruhig die Stimme Edgar Falcons im Lautsprecher auf: „Walt, die Schirmkapazität beträgt jetzt dreihundertfünfzig Prozent. Verstärkter Energierückschlag – eben hat er auf die Querverbindung zum Hypertriebwerk übergegriffen! Das Triebwerk ist unkontrolliert angelaufen – mein Gott, das kann doch nicht gutgehen ...“ Die Situation war mehr als kritisch.
Die Erfahrung hatte gelehrt, daß das Hypertriebwerk erst in Betrieb genommen werden durfte, wenn die annähernde Lichtgeschwindigkeit erreicht war. Robotbetriebene Versuchsschiffe waren wohl auch unterhalb dieser Grenze in den Hyperraum gelangt, aber nie wieder aus ihm zurückgekehrt; niemand wußte, was mit ihnen geschehen war. Der ARCHIMEDES aber fehlten noch lächerliche tausend Sekundenkilometer am Grenzwert – was würde nun aus ihr werden? Der Kommandant war ebenso ratlos wie Edgar Falcon. Starr blickte er wieder auf die Radarschirme, die sich automatisch weiter verdunkelt hatten. Trotzdem stach der Feuerball immer noch in seine Augen, der inzwischen mit einem Durchmesser von hunderttausend Kilometern seine größte Ausdehnung erreicht hatte. Mehr als drei Milliarden Kilometer trennten das Schiff noch von ihm, und trotzdem war es durch die von ihm ausgehende Strahlung auf höchste bedroht. Das Schiff begann zu rütteln und zu schlingern, als wollte es jeden Moment auseinanderfliegen. Panik erfaßte die Männer in den unteren Decks und Maschinenräumen und die Wissenschaftler in ihren Quartieren, die über die Rundsprechanlage mitgehört hatten. Plötzlich erstarben die Erschütterungen wieder. Statt dessen erfüllte ein pfeifendes Geräusch alle Räume, schwoll immer höher an und glitt schließlich in den Überschallbereich hinüber. Schreiend griffen sich sechzig Männer an die Köpfe, denn ihre Gehirne wurden von den ultrahohen Schwingungen angegriffen. Schon Sekunden später sanken sie bewußtlos zu Boden. Das Schiff aber, von unkontrollierbaren Gewalten getrieben, drang in den Hyperraum ein ... * Drei Tage waren vergangen, und Olas Kelum befand sich immer noch auf Bolar. Er hatte Arch Netah nicht mehr wiedergesehen, denn der Sprecher der Verbannten führte laufend Beratungen mit anderen Wissenschaftlern der Insel. Dafür hatte der Physiker Olas seinem
schaftlern der Insel. Dafür hatte der Physiker Olas seinem Sohn anvertraut, demselben jungen Mann, der ihn am Tage seiner Ankunft zu ihm geführt hatte. Korf Netah hatte sein spöttisch, überlegenes Wesen inzwischen ebenso abgelegt wie Olas seine nutzlose Priesterkleidung. Die beiden jungen Männer verstanden sich ausgezeichnet, nachdem erst einmal die beiderseitigen Vorurteile aus der Welt geschafft waren. Korf hatte dem Besucher alle Einrichtungen der Insel gezeigt, die ihm als sehenswert erschienen. Eben waren sie von einer Besichtigung des Atomreaktors zurückgekehrt, dem Bolar die reichliche Energieversorgung verdankte. Olas war tief beeindruckt gewesen, hatte er doch die praktische Anwendung des Prinzips erlebt, das Isak Altas ihm angedeutet hatte. „Wie habt ihr nur eure Entdeckungen so lange vor den Augen der Kontrolleure vom Festland verbergen können?“ fragte er. Korf Netah lächelte listig. „Unsere Leute waren klug genug, alle Labors und Versuchsstände von vornherein unter dem Boden anzulegen, wo sie naturgemäß niemand suchte. So kam es oft genug vor, daß unten in aller Ruhe Versuche weitergeführt wurden, während oben die Kontrollen in vollem Gange waren ...“ „Das hätte doch aber leicht unterbunden werden können, wenn man hier einen ständigen Überwachungsdienst eingerichtet hätte“, warf Olas ein. Korf schüttelte den Kopf. „Die Großpriester wußten sehr genau, warum sie auf eine derartige Maßnahme verzichteten. Es hätte nämlich nicht lange gedauert, und die Bewacher wären mit auf unserer Seite gewesen – wir besaßen genügend Beweise, um ihnen die Wahrheit beizubringen. Diese Leute hätten nach ihrer Rückkehr zum Festland natürlich nicht geschwiegen. So hätten sie eine weit größere Gefahr für die Priesterregierung gebildet als vorher die einzelnen Wissenschaftler, die man unauffällig verschwinden lassen konnte. Schon ein Blick
durch die Teleskope unserer Sternwarte hätte genügt, um die Legende von der Göttlichkeit unseres Mondes und der beiden anderen Planeten zu zerstören. Die Sternwarte liegt gut im Urwald versteckt weit im Innern der Insel. Heute ist sie allerdings nicht mehr besetzt, weil die Schneemassen den Weg dorthin unmöglich machen. Selbst die Pferde, die sich überraschend schnell auf die veränderten Verhältnisse umgestellt haben, kommen nicht mehr durch. Außerdem würden sie dort auch kein Futter mehr finden, während sie hier aus unseren überdachten und beheizten Pflanzungen ernährt werden.“ „Wie kommt es eigentlich, daß es diese Tiere auf dem Kontinent nicht gibt?“ erkundigte sich Olas. Korf Netah hob die Schultern. „Das läßt sich heute natürlich nicht mehr feststellen, Olas. Vielleicht waren die Leute damals der Meinung, sie nicht mehr zu brauchen, als sie auf das Festland übersiedelten. Sie besaßen ja schließlich genügend Maschinen.“ „Ihr meint also, die ersten Menschen, die aus dem Weltraum nach Wela kamen, hätten ursprünglich hier auf Bolar gelebt?“ fragte Olas überrascht. Der junge Insulaner nickte. „Wir wissen es sogar sehr genau; allerdings erst seit einigen Jahren, als man auf einer felsigen Ebene weit im Innern ihr Raumschiff fand. Das Schiff ist noch sehr gut erhalten, denn es ist aus einem hochwertigen Stahl gebaut. Alle Eingänge waren fest verschlossen, deshalb war es sehr schwer, hineinzugelangen. Als das aber erst einmal geglückt war, tat sich für unsere Gelehrten eine Wunderwelt der Technik auf. Unser Atomkraftwerk zum Beispiel ist ein genaues Duplikat einer entsprechenden Anlage im Schiff. Dort gab es einst acht der sogenannten Kernmeiler, aber sieben davon hatten die Vorfahren nach der Landung ausgebaut und weggeschafft, um sie auf dem Festland aufzustellen. Schwierigkeiten bereiteten unseren Männern am Anfang Schrift und Sprache der Alten. Unsere Worte und Zeichen haben sich im Vergleich zu den ihren grundlegend geändert – kein
Wunder, denn seitdem sind rund tausendfünf hundert Jahre vergangen.“ „So lange ist das schon her?“ Olas staunte. „Es können auch hundert Jahre mehr oder weniger sein, das wissen selbst die Priester und Astronomen heute nicht mehr genau. Die Zahlen und mathematischen Symbole sind aber zum Glück die gleichen geblieben, und so hatten unsere Physiker und Mathematiker diesbezüglich nur wenig Schwierigkeiten. Unsere Vorfahren verfügten über eine Technik, die alles weit in den Schatten stellt, was du heute kennst. Ihr Schiff hatte aber auf seiner langen Reise durch das All einen Schaden erlitten, den auch sie nicht mehr beheben konnten. Andernfalls wären sie bestimmt gleich auf dem Kontinent gelandet, statt auf dieser Insel.“ „Das ist anzunehmen“, meinte Olas. „Wie mögen sie aber später dorthin gelangt sein? Die Entfernung ist doch sehr beträchtlich.“ „Sie besaßen noch einige kleinere Fahrzeuge“, erklärte Korf, „die in dem großen Schiff mitgeführt wurden. Mit ihnen schafften sie nach und nach Menschen, Tiere und alles sonst Lebensnotwenige hinüber. Eine gewaltige Leistung, wenn man bedenkt, daß es über tausend Menschen waren, die her ankamen. Auch später hatten sie noch Schwierigkeiten, denn sie fanden auf Wela manche Stoffe nicht, die es auf ihrer Heimatwelt gab. Sie fanden aber neue Mittel, um sich zu helfen. Nach sieben Jahrhunderten war die Zahl ihrer Nachkommen bereist auf vierzig Millionen angestiegen. Leider waren sich diese aber in vielem nicht mehr einig. Es kam zu Unruhen und Kämpfen zwischen Anhängern verschiedener Geistesrichtungen, die mit verheerenden Waffen geführt wurden. Selbst die Kräfte des Atoms, die in gebändigter Form soviel Gutes bewirken, wurden zur Zerstörung eingesetzt.“ „Isak Altas hat mir bereits etwas Derartiges angedeutet“, meinte Olas Kelum, für den sich das Bild jetzt rundete. „Nur noch wenige Menschen überlebten diese Kämpfe, und für sie schuf dann unser angeblicher Stammvater Gerud die Gesetze, die solche Vorkommnis-
se für immer verhindern sollten. Das ist auch geglückt, wie unsere jetzige Geschichte beweist. Der bewußte Verzicht auf eine höher entwickelte Technik brachte den von ihm angestrebten Fortschritt in ethischer Hinsicht m it sich.“ Er lehnte sich zurück und sah Korf ernst an. „In den letzten Nächten habe ich wenig geschlafen, dafür aber viel nachgedacht. Noch vor wenigen Tagen war ich voller Groll gegen unsere Priester und Astronomen, aber heute denke ich anders. Gewiß, sie haben dem Volk lange Zeit falsche Lehren vorgesetzt, aber nicht aus eigensüchtigen Motiven, wie ich anfangs dachte. Sie wollten Wela den Frieden erhalten, das war der wahre Grund. Nur deshalb mußten so viele Menschen den Weg in die Verbannung gehen. Das solltet auch ihr einsehen und ihnen die Hand zur Versöhnung reichen! Ihr wollt uns helfen, um die Menschen auf dem Kontinent zu retten, werdet also eng mit ihnen zusammenarbeiten müssen. Unter diesen Umständen sollten wir alles Trennende vergessen und die Lösung aller umstrittenen Fragen einer späteren Zeit überlassen. Wege dazu werden sich bestimmt finden, wenn erst einmal die vordringlichen Probleme gelöst sind. Und wir Jungen könnten gleich damit den Anfang machen – willst du?“ Korf Netah überlegte nur kurz, dann streckte er seinem neuen Freund die Hand entgegen. „Ich will, Olas Kelum!“ Der junge Priester schlug ein und lachte befreit und dankbar auf. „Ich freue mich, Korf. Jetzt habe ich aber noch eine Bitte an dich. Ich würde gern einmal das Schiff der Vorfahren sehen, mit dem Hubschrauber kann man doch bestimmt zu ihm gelangen. Würdest du deinem Vater diese Bitte vortragen, wenn du ihn wiedersiehst?“ „Das will ich gern tun“, versprach Korf Netah. * Stöhnend kam der Kommandant der ARCHIMEDES wieder zu sich.
Er öffnete die Augen, brauchte aber noch einige Zeit, bis er das Gesehene auch sinnvoll verarbeiten konnte. Dann richtete er sich langsam auf. Er lag auf dem Boden der Zentrale – doch wie war er dahin gekommen? Sein Schädel brummte, und erst allmählich kam dem Mann die Erinnerung wieder. Seine beiden Offiziere hingen, immer noch bewußtlos, in ihren Sitzen; Dr. Reynolds lag dicht neben ihm, regte sich aber auch schon wieder. Cornell stand vollends auf und half auch ihm auf die Beine. Er stützte ihn und führte ihn zu einem Sitz, denn der Wissenschaftler war noch völlig benommen. Rasch injizierte der Kommandant ihm und den beiden anderen ein Kreislaufstimulans, zuletzt sich selbst. Die Wirkung zeigte sich bald, auch Bellamy und Hartmann kamen zu sich. Gemeinsam gingen die Männer nun daran, ihre Lage zu analysieren. Sie waren etwa zwanzig Minuten lang ohne Besinnung gewesen, wie ihnen die Uhren zeigten. Beide Triebwerke lagen still. Das Normaltriebwerk hatte Bellamy abgeschaltet, als das Hypertriebwerk angelaufen war. Auch dieses war jetzt außer Betrieb – und trotzdem mußte sich die ARCHIMEDES im Hyperraum befinden, nach dem charakteristischen Grau zu urteilen, das sich auf den Radarschirmen zeigte ... „Das ist doch vollkommen unmöglich!“ ereiferte sich der Pilot. „Nur ein konstanter Schub durch das Hypertriebwerk kann uns oberhalb der Lichtmauer halten, alles andere ist gegen alle physikalischen Gesetze. Vermutlich ist das Ultraradar infolge der starken Hyperstrahlung ausgefallen.“ Gerald Hartmann schüttelte entschieden den Kopf. „Das Radar funktioniert einwandfrei, alle Kontrollen zeigen grünes Licht. Ich bin dafür, daß wir ...“ Der Summer der Bordsprechanlage unterbrach ihn, und Walt Cornell schaltete diese ein. Der Ruf kam von Dr. Mackay, dem Arzt des
Schiffes, der für unvorhergesehene Katastrophenfälle die Order hatte, nach eigenem Ermessen zu handeln. „Hier bei uns ist alles in Ordnung“, antwortete der Kommandant auf seine Frage. „Wie sieht es unten im Schiff aus, Doc?“ „Wir haben vier Verletzte“, berichtete der Arzt, „drei von der Mannschaft, haben Arm - und Beinbrüche davongetragen, Dr. Ballard hat eine Platzwunde am Kopf. Der Sanitätstrupp ist dabei, die Verletzten zu versorgen, alle anderen haben Kreislaufspritzen bekommen. Können Sie mir sagen, wie es um das Schiff steht?“ Cornell lachte humorlos auf. „Das wissen wir selbst noch nicht, Doc, wir raten noch herum. Ich werde es bekanntgeben, sobald wir Klarheit erlangt haben. Allem Anschein nach besteht aber keine akute Gefahr mehr für uns.“ Er schaltete um und rief den Technischen Offizier. Edgar Falcon schien bereits auf den Anruf gewartet zu haben, denn er meldete sich sofort. Was er sagte, ließ die vier Männer in der Zentrale erblassen. „Das Hypertriebwerk ist ausgebrannt, Sir! Ich war einige Zeit bewußtlos, und als ich wieder zu mir kam, standen hier alle Instrumente auf Null. Ich habe sofort eine Überprüfung vorgenommen und festgestellt, daß alle vier Teilchenbeschleuniger zerstört sind.“ Was das bedeutete, war allen klar. Ohne das Hypertriebwerk würde die ARCHIMEDES fünf Jahre brauchen, um die Erde wieder zu erreichen – vorausgesetzt, daß sie sich noch im Raumsektor Alpha Centauri befand. Das aber schien allen Anzeichen nach sehr fraglich zu sein ... Walt Cornell faßte sich bald wieder. „Wir wollen froh sein, daß es nicht noch schlimmer gekommen ist, Edgar. Wenn wir aber dem Bild unseres Radars glauben können – und eine andere Kontrollmöglichkeit haben wir ja nicht –, befinden wir uns noch immer im Hyperraum! Wissen Sie irgendeine Erklärung für dieses Phänomen?“ Falcon überlegte eine Weile.
„Wenn das stimmt, dann müßte es irgendwie mit unserem Schutzschirm zusammenhängen. Der steht nämlich, wie die Instrumente anzeigen, immer noch mit einer Kapazität von fast dreihundert Prozent, obwohl die Feldprojektoren inzwischen auch ausgefallen sind. Vermutlich ist es dieser superstarke Schirm, der uns im Hyperraum festhält. Als fünfdimensionale Energieform ist er strukturell mit der im Hyperraum herrschenden Strahlung verwandt. Er verhindert, daß das Schiff von diesem als Fremdkörper behandelt und wieder ins Normaluniversum ausgestoßen wird.“ Dr. Reynolds schob sich an das Mikrophon. „Das dürfte stimmen“, erklärte er. „Jetzt erhebt sich nur die Frage, wie lange er sich noch halten wird, ohne Energienachschub zu bekommen. Meiner Ansicht nach müßte langsam ein Ausgleich zwischen ihm und den Strahlungen des Hyperraums stattfinden, der den Schirm nach und nach abbaut. Wenn er dann eine gewisse Stärke unterschreitet, müßten wir automatisch in unser Universum zurückfallen.“ „Zweifellos“, bestätigte der Technische Offizier. „Allerdings besitzen wir keinerlei Anhaltspunkte dafür, wie lange dieser Vorgang dauern kann. Wenn wir Pech haben, kann er sich wochen- oder gar monatelang hinziehen ...“ „Was bedeutet das für uns, Doc?“ fragte der Kommandant. Der Physiker zuckte mit den Schultern. „Das ist schwer zu sagen, Mr. Cornell. Wir wissen praktisch nichts über den Hyperraum, obwohl wir ihn als willkommenes, zeitsparendes Transportmedium benutzen. Es kann sein, daß wir jetzt in ihm stillstehen und uns nach seinem Verlassen am gleichen Fleck wiederfinden, an dem wir zuvor gewesen sind. Für wahrscheinlicher halte ich es allerdings, daß wir uns in ihm weiterbewegen. Wir haben durch das irregulär angelaufene Triebwerk einen Stoßimpuls bekommen, der durch die beim Übergang aufgetretenen Widerstände vermutlich abgeschwächt, aber wohl kaum ganz aufgezehrt worden ist.“
Walt Cornell nickte schwer. „Mit anderen Worten: Wahrscheinlich entfernen wir uns laufend weiter von unserem Ausgangspunkt, ohne dies irgendwie verhindern zu können. Das Hypertriebwerk ist unbrauchbar, und je länger wir im Hyperraum bleiben, um so größer wird unsere Distanz zur Erde, für deren Überwindung uns nur das Normaltriebwerk bleibt.“ „So ähnlich kann es auch unseren Versuchsschiffen ergangen sein“, warf Gerald Hartmann ein. „Das wäre auch die Erklärung dafür, daß sie bisher nicht zurückgekehrt sind.“ Das Gesicht Fred Bellamys wirkte noch düsterer als gewöhnlich, als er nun das Fazit zog. „Wenn dieser vermaledeite, unberechenbare Superschirm sich lange genug hält, kann es uns also passieren, daß wir nicht mehr nach Hause kommen, solange wir noch zu leben haben ...“ * Arch Netah lächelte dem jungen Priester zu. „Es tut mir wirklich leid, daß ich keine Zeit mehr hatte, mich um dich zu kümmern. Du weißt ja, daß wir Pläne ausarbeiten, um euch zu helfen, und dabei werde ich immer wieder gebraucht. Ich hoffe, daß Korf sich deiner ausreichend angenommen hat.“ Olas nickte, und Netah fuhr fort: „Was deinen Wunsch angeht, das Schiff der Vorfahren zu sehen – er soll dir erfüllt werden. Sobald es morgen hell genug ist, kannst du mit Korf und Marja den Flug antreten.“ Der junge Mann bedankte sich, und Arch Netah unterhielt sich noch einige Minuten mit ihm. Dann betraten einige Männer den Raum, um dem Oberhaupt der Insel verschiedene Pläne und Zeichnungen vorzulegen. Olas kam sich überflüssig vor und verabschiedete sich. „Wer ist Marja?“ fragte er Korf beim Abendessen. Der Freund sah ihn verwundert an.
„Meine Schwester, wer sonst? Ach ja, du kannst sie ja noch gar nicht kennengelernt haben, sie tat in den letzten Tagen Dienst im Kinderheim. Sie ist als Pilotin für den Hubschrauber ausgebildet und wird uns zum Schiff fliegen.“ Olas lernte das Mädchen am nächsten Morgen beim Frühstück kennen. Marja Netah war nur wenig kleiner als er selbst, hatte ein rundes, frisches Gesicht mit kleinen Grübchen in den Wangen und lustigen Augen. Sie trug das lange, blonde Haar hochgesteckt und trat Olas völlig unbefangen entgegen. „Du bist also der junge Mann, den mein Vater so sehr gelobt hat. Ich freue mich, dich kennenzulernen und hoffe, daß wir uns gut vertragen werden.“ Sie reichte ihm ihre kleine Hand, und Olas nahm sie mit einem Anflug von Verlegenheit. Als Priesterschüler hatte er nie Zeit gehabt, sich um Mädchen zu kümmern. Zwar heirateten auf Wela die meisten Priester, aber während der Ausbildung wurden die Schüler sehr streng gehalten und wohnten in Heimen, die sie nur selten verließen. „Das hoffe ich auch, Marja“, sagte Olas und staunte darüber, wie fest der Druck ihrer kleinen Hände war. Das Mädchen lächelte ihn freundlich an, übersah sein Erröten und nahm mit ihm und dem Bruder am Eßtisch Platz. Der Tag war klar, was in letzter Zeit auf Wela nur selten vorkam. Wie eine große, rote Frucht hing die Sonne Hora am Himmel und goß ihr rötliches Licht über die verschneite Landschaft aus. Man konnte hineinsehen, ohne zu blinzeln, aber die Luft war doch etwas wärmer als sonst. Marja nickte zufrieden. „Das ist günstig, wir werden einen ruhigen Flug haben. Ich bin jetzt längere Zeit nicht mehr geflogen und etwas aus der Übung. Bei schlechtem Wetter hätte ich vielleicht Schwierigkeiten gehabt.“ Olas Kelum lauschte ihrer warmen, dunklen Stimme, die ihn an seine früh verstorbenen Mutter erinnerte. Sie gingen durch die Stadt zu dem Platz, auf dem Fris Kenat mit ihm gelandet war. Der Pilot
war nicht zu sehen, aber einige Männer hatten den Hubschrauber gerade ins Freie gebracht. Marja ließ den Motor warm laufen, und nach zehn Minuten befanden sie sich bereits in der Luft. Sie überquerten riesige Wälder, deren Bäume zum Teil unter der Last des Schnees zusammengebrochen waren. Nach etwa einer Viertelstunde hatten sie eine etwas höher gelegene Ebene erreicht, die frei von Baumbestand war, und nun sah Olas das geheimnisvolle Schiff der Vorfahren. Er war bei seinem Anblick überwältigt, denn es ragte hoch in den Himmel auf. Es war von einem Mantel aus Schnee und Rauhreif umgeben, aber seine konische Form war noch gut zu erkennen, ebenso einige kugelige Auswüchse, die sich im oberen Drittel des Rumpfes befanden. Marja, die sehr sicher gesteuert hatte, ließ den Schrauber tiefer gehen und dicht neben dem Schiff eine Weile knapp über dem Boden in der Luft hängen. Der Sog der Rotorblätter wirbelte an dieser Stelle den Schnee weg und schaffte einen freien Platz, auf dem sie sicher landen konnten. Der Motor erstarb, und die drei jungen Leute kletterten aus der M aschine. Olas mußte den Kopf weit in den Nacken legen, um an dem Schiffskörper hinaufsehen zu können. Dieser ruhte auf vier teleskopartig geformten Landebeinen mit großen Auflagetellern, die jetzt allerdings vom Schnee zugedeckt waren. Korf hatte ein Bündel mit aus dem Schrauber gebracht, aus dem er nun drei kurzstielige Schaufeln hervorholte. „Jetzt heißt es erst einmal arbeiten, abtrünniger Diener Horams“, sagte er lachend und drückte Olas eine der Schaufeln in die Hand. Der Schnee lag hier gut einen Meter hoch, und es dauerte einige Zeit, bis sie sich einen Weg bis zu der Stelle geschaffen hatten, an der über ihnen der Schiffsrumpf begann. Korf holte aus dem Bündel eine metallene Klappleiter hervor und begann damit, sie aufzuklappen und die Knickstellen durch Schraub-
falze zu sichern. Als er damit fertig war, reichte die Leiter bis zum unteren Rand des Schiffsrumpfes, wo der junge Mann sie in vorhandene Ösen einhakte. Kleine Spreizfüße sorgten dafür, daß die Leiter unten nicht wegrutschen konnte, zwei schräge Stützen in halber Höhe befestigt, gaben ihr die notwendige S tabilität. Korf rüttelte probehalber an der Konstruktion und nickte den anderen befriedigt zu. „Alles in Ordnung, der Aufstieg kann beginnen. Ich steige zuerst hoch, um die Luke zu öffnen. Das kann etwas dauern, denn zweifellos ist dort alles vereist, und ich werde den Belag erst wegtauen müssen.“ Er holte ein kleines Gerät hervor, und machte sich an den Aufstieg. Die Leiter schwankte leicht unter seinem Gewicht, erwies sich aber als durchaus stabil. Oben angekommen, hantierte er mit einem Feuerzeug. Das Gerät gab einige puffende Geräusche von sich und stieß dann eine ungefähr dreißig Zentimeter lange Feuerzunge aus, mit der Korf die Linien eines Rechtecks, einen Meter hoch und einen halben breit, zu bestreichen begann. Es zischte, Dampf stieg auf, und Wassertropfen fielen nach unten; an der Rumpfkante bildeten sich Eiszapfen. Jetzt konnte Olas Kelum sehen, daß sich auf der Schiffshülle ein Eisbelag von etwa fünf Zentimeter Dicke gebildet hatte, vermutlich durch die feuchte Luft, die die meiste Zeit hindurch über die Insel vom Meer her hinwegstrich. Dann stellte Korf sein Gerät ab, hing es an die Leiter und wartete, bis sich das Metall wieder halbwegs abgekühlt hatte. Erst dann konnte er den nun freigelegten Riegel aufschieben und die Luke öffnen, deren Scharniere knarrend zu protestieren schienen. „Ich steige jetzt ein und mache drinnen Licht. In etwa einer Minute könnt ihr einzeln nachkommen.“ Marja forderte Olas auf, zuerst zu gehen. Erwartungsvoll stieg er die Sprossen empor. Gleich würde er mit den Relikten konfrontiert werden, die von dem überlegenen Wissen der Vorfahren hier zurückgeblieben waren.
* „Langsamer, Korf!“ ächzte Olas, als er die fünfzigste Sprosse hinter sich gebracht hatte. Korf Netah lachte leise auf. „Bei euch in der Tempelschule scheint man die körperliche Ertüchtigung etwas vernachlässigt zu haben“, kam seine Stimme dumpf von oben. „Du hast es aber gleich geschafft, es sind nur noch zwanzig Eisen.“ Sie kletterten in einer engen Röhre hoch, in der an der Innenseite eiserne Sprossen angebracht waren. Dieser Schacht führte zu den untersten Maschinenräumen. Matte Leuchtflächen, im Abstand von fünf Meter angebracht, erhellten den Schacht notdürftig. Sie wurden durch Dauerbatterien versorgt, die die Inseltechniker installiert hatten, denn die entsprechenden Anlagen der Vorfahren waren naturgemäß längst unbrauchbar geworden. Dann standen die drei in einer geräumigen Halle, die einst zahlreiche technische Anlagen beherbergt haben mußte. Nun war sie fast kahl, und nur noch die zurückgeb liebenen Sockel zeugten von ihrem früheren Vorhandensein. An den Wänden befanden sich einzelne Schaltpulte voller Hebel und Knöpfe, tote Bildschirme glänzten ihnen matt entgegen. „Hier war einmal die Schaltstation für die Triebwerke“, erklärte Korf. „Wie du siehst, ist alles von den Raumfahrern demontiert worden, für uns blieb nichts mehr übrig. Gehen wir also gleich weiter, da hinten führt eine Treppe hoch. Sie ist eigentlich auch nur ein Notaufstieg, wie unsere Techniker meinen. Sie behaupten, die Vorfah ren hätten es verstanden, die Schwerkraft partiell aufzuheben, und die eigentlichen Transportwege im Schiff wären die Röhren gewesen, die du daneben sehen kannst.“ Olas Kelum machte ein skeptisches Gesicht.
„In theoretischer Physik war ich immer ganz gut, deshalb finde ich das etwas unwahrscheinlich.“ Er trat an die Röhren heran und las die Inschriften, die neben den türähnlichen Öffnungen an ihrem Ende neben einigen Schaltknöpfen angebracht waren. „Hm, hier steht ‚Aufwärts’ und da ‚Abwärts’, und hier ‚Feldstärke regulieren’. Es könnte also doch ...“ „Einen Moment!“ unterbrach ihn das Mädchen. „Wie kommt es, daß du die Schrift und Sprache der Alten kennst? Unsere Leute rätseln heute noch an vielem davon herum, und du kannst alles fließend lesen?“ Olas sah sie verwundert an. „Natürlich kann ich das – es ist doch die Tempelsprache, die jeder Priesterschüler lernen muß. Sie wird immer dann benutzt, wenn etwas zu besprechen ist, was Außenstehende nicht verstehen sollen.“ Korf Netah schlug sich gegen die Stirn. „Na, wenn das nicht lustig ist! Vermutlich hätten wir viel mehr und das viel leichter und schneller geschafft, wenn wir das gewußt hätten. Jetzt nützt uns diese Erkenntnis nur leider nichts mehr ...“ Sie erstiegen die Treppe, deren Kunststoffbelag größtenteils zerbröckelt war und das darunterliegende Metall sehen ließ. Auch hier hatte man Leuchtflächen angebracht, und Korf ließ diese abschnittweise aufflammen, je weiter sie vordrangen. Auch im nächsthöheren Deck gab es nicht viel zu sehen. Es glich einem großen Stall mit verschiedenen Abteilungen für Groß- und Kleinvieh, denn hier waren die Nutztiere untergebracht gewesen, die das Schiff mitgeführt hatte. Weiter oben schlossen sich Lagerräume an, eine. Sporthalle, Küchen und Speisesäle. Dann kamen sechs Decks, die ausschließlich Kabinentrakte gewesen waren. Olas Kelum war enttäuscht, denn überall hatte man alles entfernt, was irgendwie brauchbar war. Meist konnte er nur an den noch vorhandenen Tafeln und Schildern ablesen, welchem Zweck die einzelnen Räume gedient hatten.
„Oben ist es interessanter“, tröstete ihn Korf, der eine starke Handlampe bei sich hatte und damit die Stellen ausleuchtete, wo es keine Leuchtflächen gab. „Du darfst nicht vergessen, daß die Vorfahren sich hier ein neues Leben aufb auen mußten und folglich jeder Gebrauchsgegenstand für sie wichtig war.“ Dann standen sie in der ehemaligen Schiffszentrale. Da sie sich dicht unter der Spitze des Raumers befand, hatte sie nur noch zwanzig Meter Durchmesser. Auch hier war vieles entfernt worden, doch alles, was mit der direkten Führung des Schiffes zusammenhing, hatte man zurückgelassen. Riesige Schaltpulte ragten an den Wänden auf, dazwischen waren die Bildschirme der Ortungsund Meßanlagen untergebracht. Spezial-Rechengehirne, von unzerstörbaren Kunststoffhüllen luftdicht abgeschirmt, standen immer noch an ihrem Platz, und die Sitze der Piloten, Techniker und Beobachter sahen so aus, als warteten sie immer noch darauf, wieder benutzt zu werden. Korf nickte Olas zu, der nun stark beeindruckt war. „Wir nehmen an, daß die Alten immer noch hofften, das Schiff wieder reparieren zu können und deshalb alle für den Flug wichtigen Dinge an Ort und Stelle ließen. Da es Spezialapparate sind, hätten sie ihnen drüben auf dem Festland auch nichts nützen können. Hätten sie nur auch ihre furchtbaren Waffen hier zurückgelassen“, schloß er resigniert. Dieser Raum war gut beleuchtet. Olas blickte sich um und stellte fest, daß im Laufe der langen Zeit vieles beträchtlich gelitten hatte. Zahlreiche Kabel waren korrodiert und gebrochen, fest aussehende Teile aus Kunststoff zerbröckelten, sobald man sie berührte. Das war vor allem der Feuchtigkeit zuzuschreiben, die ins Schiff gedrungen war, als die Bewohner von Bolar sich Zugang verschaff t hatten. Olas klappte den Deckel eines Pults auf, das sich nahe beim Pilotensitz befand. Darin lagen zahlreiche Mappen, Ordner und Bücher aus Plastikmaterial, das noch keinerlei Alterserscheinungen zeigte. Er las die aufgedruckten Titel, verstand ihren Sinn aber kaum. Meist
waren es Bedienungsanweisungen, Reparaturanleitungen oder Schaltpläne für irgendwelche Apparaturen, die ihm einfach kein Begriff sein konnten. Dann aber fiel ihm eine Aufchrift besonders ins Auge: BORDBUCH RAUMSCHIFF SUNFIRE. Olas schlug diesen Band auf, las die Vermerke auf der ersten Seite und wußte, daß er hier auf ein bedeutsames Dokument der Vorfahren gestoßen war. „Darf ich das Buch mitnehmen, Korf?“ fragte er erregt. Der Freund nickte gleichmütig. „Natürlich, warum nicht? Du bist schließlich der einzige Mensch auf der Insel, der darin lesen kann.“ Als sie den Rückflug zur Stadt der Verbannten antraten, hielt Olas den Band an sich gepreßt wie einen kostbaren Schatz ... * Die Lage an Bord der ARCHIMEDES war unverändert. Drei Wochen waren seit dem verhängnisvollen Geschehen bei Alpha Centauri vergangen, und noch immer befand sich das Schiff im Hyperraum. Die Intensität des Schutzschirms nahm zwar stetig, aber nur sehr langsam ab. Die Uhren an Bord zeigten den 15. Juli 2056,13 Uhr. In der Zentrale hatten sich neben den Offizieren auch die Wissenschaftler versammelt, außerdem der Arzt und ein Sergeant als Sprecher der Mannschaft. Auf Anregung von Dr. Reynolds wurden jeden zweiten Tag derartige Konferenzen abgehalten, auf denen die Lage erörtert wurde. Doch diese Erörterungen drehte sich im Kreis, denn niemand wußte einen Rat, um das Schiff aus seiner mißlichen Lage zu befreien ... Als letzter betrat der Technische Offizier den Kommandoraum. Edgar Falcon sah müde und abgespannt aus, tiefe Ränder lagen um seine Augen. Er hatte in den letzten drei Wochen nur wenig geschlafen, dafür aber fast pausenlos gearbeitet und getüftelt. Er wollte einen
Weg finden, um das Hypertriebwerk wenigstens behelfsmäßig wieder in Betrieb zu setzten; aber das war ihm nicht gelungen. Die Aufgabe, die zerstörten Beschleuniger ohne spezielle Ersatzteile wieder funktionsklar zu machen, überforderte auch sein, bekanntes Improvisationstalent. Der Kommandant nickte ihm zu. „Gibt es bei Ihnen etwas neues, Edgar?“ erkundigte er sich. Falcon schüttelte resigniert den Kopf. „Pleite auf der ganzen Linie, Sir. Ich habe noch einmal versucht, neue Erregerspulen für die Beschleuniger herzustellen, aber wieder umsonst. Die Feldstärken, die ich damit erzeugen kann, erreichen höchstens ein Drittel der minimal erforderlichen Intensität. Damit kann ich das Arbeitsmedium nicht einmal bis auf einfache Lichtgeschwindigkeit bringen, viel weniger auf Überlicht. Jetzt weiß ich auch nicht mehr, was ich noch tun könnte.“ Walt Cornell winkte ab. „Nehmen Sie es nicht tragisch, niemand verübelt es Ihnen, daß Sie nicht zaubern können. Wie steht es um unseren Schirm?“ „Der läßt sich noch immer nicht zuklappen“, meinte der Technische Offizier mit einem Anflug von Galgenhumor. „Seine Intensität liegt jetzt bei einhundersiebzig Prozent normal, ist also seit gestern um relativ vierzehn Prozent zurückgegangen. Das ist schon ein Fortschritt, nachdem es bisher im Durchschnitt nur sechs Prozent relativ pro Tag waren.“ „Dann müßte er in rund fünf Tagen bis zur Normalstärke abgefallen sein“, stellte Gerald Hartmann fest. „Wenn nichts dazwischenkommt, können wir also damit rechnen, daß wir dann endlich vom Hyperraum wieder abgestoßen werden und in den Normalraum zurückfallen.“ „Bleibt nur die Frage, wo wir uns dann wiederfinden werden“, knurrte Fred Bellamy. „Wenn wir in unserem jetzigen Zustand etwa gleichschnell sind wie im kontrollierten Hyperflug, müßten wir noch einmal viereinhalb Lichtjahre zurückgelegt haben. Dazu kommt dann
noch schätzungsweise ein weiteres Lichtjahr in den kommenden fünf Tagen. Das summiert sich zu einer Distanz von zehn Lichtjahren zur Erde – und kein Hypertriebwerk, um sie zu überwinden ...“ Dr. Reynolds ergriff nun das Wort. „Wir reden hier immer in schöner Selbstverständlichkeit von soundsoviel Tagen, weil unsere Uhren entsprechende Werte anzeigen. Ich habe aber über dieses Problem nachgedacht, und mir sind Zweifel an der Gültigkeit unserer Zeitmessung gekommen. Durch den um das Schiff bestehenden, mit Hyperenergie übersättigten Schirm sind wir vorübergehend zu einem Bestandteil des Hyperraums geworden. Nun steht aber für die Wissenschaft fest, daß in diesem alle physikalischen Vorgänge mit Überlichtgeschwindigkeit ablaufen müssen. Demzufolge müßte auch der Zeitablauf denselben Gesetzen unterliegen. Es kann folglich in den letzten drei Wochen im Normalraum weit mehr Zeit vergangen sein, als unsere Uhren registrieren!“ „Eine etwas gewagte Vermutung“, sagte der Kommandant skeptisch. „Glauben Sie daran, Edgar?“ Der Technische Offizier wiegte den Kopf. „Möglich wäre es schon, Sir. Etwas Ähnliches erleben wir ja als Zeitdilatation im lichtschnellen Flug. Es wäre schon denkbar, für den Hyperraum gleichwertige Vorgänge als gegeben anzunehmen.“ „Soll das heißen, daß unter Umständen auf der Erde inzwischen schon hundert Jahre vergangen sein können?“ fragte Sergeant Brokker, der Sprecher der Mannschaft, heiser. „Das wäre schrecklich, Sir! Die Mannschaft hat sich bereits moralisch darauf vorbereitet, erst in einigen Jahren wieder nach Hause zu kommen. Das wäre noch zu ertragen aber gleich hundert Jahre später ...“ Walt Cornell unterbrach ihn mit einer entschiedenen Handbewegung. „Lassen Sie sich nicht von dem verwirren, was Dr. Reynolds eben gesagt hat, Brocker. Das ist bisher nur eine reine Hypothese. Ich selbst gehe immer noch davon aus, daß wir zwar einige Jahre verlie-
ren, aber doch noch in unserer Zeit nach Hause kommen werden; und auf mein Wort haben Sie sich ja bisher noch immer verlassen können. Sprechen Sie also bitte nicht mit der Mannschaft über dieses Thema, das würde nur unnötig Unruhe stiften.“ Der Sergeant nickte und schien vollauf überzeugt zu sein. Der Pilot glaubte den Worten des Kommandanten nicht so bedingungslos. Das bewies seine Frage, als sich die Zentrale wieder geleert hatte. „Bist du sicher, daß Reynolds nicht doch recht hat, Walt? Ich kenne ihn als einen Mann, der sich alles zehnmal überlegt, ehe er solch schwerwiegende Dinge ausspricht.“ Cornell hob die Hände. Leise bekannte er: „Ich fürchte sogar sehr stark, daß er recht hat, Fred! Wenn ich seine Worte als bloße Theorie hingestellt habe, dann nur deshalb, damit die Moral der Leute nicht jetzt schon ins Wanken gerät. Wen dies in fünf Tagen geschieht, ist das schon schlimm genug ...“ * Arch Netah wirkte abgespannt, strahlte aber die heitere Gelassenheit eines Mannes aus, der weiß, daß seine Vorhaben sich gut entwickeln. Erstmals nahm Olas Kelum mit ihm, Korf und Marja zusammen das Abendessen ein. Es gab frisches Fleisch, Kartoffeln und Gemüse, auf dem Festland seltene Kostbarkeiten, hier auf der Insel Selbstverständlichkeiten dank der unterirdischen Plantagen. Auch brauchte auf Bolar nichts rationiert zu werden, wie es drüben schon lange der Fall war. Olas dachte nicht gern an den Tag, an dem das gute Leben für ihn wieder ein Ende finden würde, weil er zurückkehren mußte. Gleich nach dem Mahl verabschiedete der Obere der Verbannten sich wieder. „Leider habe ich noch einige Stunden zu tun“, entschuldigte er sich. „Ich hoffe, daß wir übermorgen mit unseren Vorarbeiten fertig sein
werden. Naturgemäß können wir nur Pläne für alle wichtigen Vorhaben ausarbeiten, alles andere wird durch die große Entfernung zum Kontinent illusorisch. Mit dem Hubschrauber allein können wir nicht einen Bruchteil der Dinge dorthin transportieren, die uns hier zur Verfügung stehen. Nun, wir werden euch auch so helfen, allerdings unter viel größeren Schwierigkeiten, als das sonst der Fall gewesen wäre.“ Die drei jungen Leute plauderten anschließend noch einige Zeit. Marja erzählte Episoden aus dem Kinderheim, und Olas hörte ihr bewundernd zu. Schon jetzt hatte er eine stille Zuneigung zu dem Mädchen gefaßt, aber er wagte noch nicht weiter zu denken. Vielleicht später einmal, wenn das Leben auf Wela wieder in anderen Bahnen verlief ... Marja war noch frei, und auch er schien ihr gut zu gefallen. Doch diese Gedanken wurden verdrängt, als Olas in sein Zimmer kam und dort das Buch aus dem Schiff auf dem Tisch liegen sah. Wie mit magischer Gewalt zog es ihn an. Er löschte das Licht bis auf eine kleine Stehlampe und begann mit der Lektüre. * BORDBUCH RAUMSCHIFF SUNFIRE begonnen am 1. Mai 2025 Geführt von Chris Sharp, Captain der Raumflotte Terra-West, als Kommandant. Stellvertreter und Erster Pilot Charles Hopson, Oberleutnant der Raumflotte Terra-West. Zweiter Pilot Peter Hutchinson, Oberleutnant; Ortungsspezialist und Funker Bert Neumann, Leutnant, beide Raumflotte Terra-West. Weitere zehn Offiziere bzw. Techniker im Offiziersrang, dazu zweihundert untere Dienstgrade und Mannschaften, alle Raumflotte Terra-West. Zivilisten: ein wissenschaftliches Team von zwölf Mitgliedern beiderlei Geschlechts zum Einsatz nach Bedarf.
Passagiere: eintausend Kolonisten beiderlei Geschlechts. Fracht: Maschinen und Bedarfsgüter, Vieh und Saatgut aller Art (s. gesonderte Liste). Bestimmungsort: Sonnensystem Alpha Centauri, mit der Aufgabe, den ökologisch günstigsten Planeten des Systems anzufliegen und dort eine Siedlung zu errichten. Ist das nicht möglich, hat eine umfassende Erforschung und Katalogisierung aller dortigen Himmelsköper zu erfolgen, anschließend die Rückkehr zur Erde. Vorgesehener Starttermin: 3. Mai 2025. gez.: Chris Sharp, Captain. * Da mir die Form, dieses Buch zu führen, freigestellt ist, wähle ich die eines locker geführten, persönlich gehaltenen Tagebuchs, in dem nur Vorkommnisse von einiger Bedeutung festgehalten werden. Die täglichen Rapporte, Arbeitsberichte usw. werden in einem gesonderten Band zusammengefaßt. Die Vorbereitungen zum Start gehen ihrem Ende entgegen und sollen morgen mittag abgeschlossen sein. Alle Güter und Vorräte sind an Bord, ebenso das Vieh, das von dreißig Kolonisten betreut wird. Das Gros der Passagiere wird erst morgen an Bord kommen. Die Mannschaft ist bereits im Dienst. Alle Geräte und technischen Anlagen werden noch einmal gecheckt, und ich habe mich in meine Kabine zurückziehen müssen, um ungestört meine erste Eintragung in dieses Buch machen zu können, denn selbst in der Zentrale gibt es kein Fleckchen, das vor den Technikern sicher wäre. Hier kann ich in Ruhe diktieren, was der Sprechschreiber in unzerstörbare Kunststofffolien stanzt. Diese Folien wurden gewählt, weil das Buch einmal als zeitgeschichtliches Dokument ins Raumfahrtmuseum wandern soll, wenn unser Auftrag durchgeführt ist und der Mensch erstmals auf einem außersolaren Planeten festen Fuß gefaßt hat. Ob es dorthin wandern
kann, ist allerdings noch fraglich. Das hängst schließlich ganz davon ab, ob das System Alpha Centauri einen geeigneten Planeten für uns bereithält. Die Wissenschaftler schwören darauf – wir alle hoffen, daß sie recht behalten mögen. Es wäre auch wirklich bedauerlich, wenn das ganze Projekt umsonst gewesen sein sollte. Zwanzig Staaten Amerikas und Europas haben zu seiner Entwicklung und Finanzierung beigetragen. Fünfzigtausend Freiwillige aus diesen Ländern wurden gesiebt und getestet, tausend davon blieben übrig und erhielten eine AllroundAusbildung, damit im Notfall jeder jeden ersetzen kann. Auch unsere Besatzung mußte Spezial-Schulungen durchmachen. Die Raumflotte Terra-West ist eine überstaatliche Organisation mit ausgesprochen nichtmilitärischem Charakter. Um aber allen Eventualitäten im interstellaren Raum begegnen zu können, wurde die SUNFIRE auf Beschluß der beteiligten Regierungen trotzdem bewaffnet. Aus Beständen der UNO-Friedenstruppe hat man uns vierzig mittlere Atombomben überlassen, die als Sprengköpfe in Raketen entsprechender Größe eingebaut wurden. Die nötigen Abschußanlagen hat man im vorderen Drittel des Schiffes untergebracht, wo sie als häßliche Buckel die Hülle verunzieren. Ein Drittel der Mannschaft ist speziell für die Wartung und Bedienung dieser unsympathischen Dinge ausgebildet worden. Ich hoffe inbrünstig, daß wir nie in eine Lage kommen mögen, in der diese Waffen werden sprechen müssen – denn dann werde ich es sein, der ihren Einsatz anordnen muß! Und es wäre doch geradezu tragisch, wenn sich unsere friedliche Mission ins genaue Gegenteil verkehren sollte ... Davon abgesehen, haben wir ein prächtiges Schiff. Die SUNFIRE stellt mit ihrem Transitionstriebwerk alles in den Schatten, was unsere Techniker je ersonnen haben. Wir haben dieses im letzten halben Jahr fünfmal getestet und dabei Sprünge bis zu einer Lichtwoche außerhalb unseres Systems gemacht – und natürlich auch wieder zurück. So wird die eigentliche Reise nach Alpha Centauri geradezu
lächerlich kurz sein. Beschleunigen, Hypersprung, Abbremsen – innerhalb eines Tages werden wir dort sein. So Gott will ...!! * 3. Mai, 07.00 Uhr. Alle Vorbereitungen verlaufen planmäßig. Fehler sind nicht mehr aufgetreten, die Einschiffung der Kolonisten ist reibungslos verlaufen. Wir werden planmäßig um 08.00 Uhr OAZ. starten. Glückauf, SUNFIRE! * 3. Mai, 19.00 Uhr. KATASTROPHE! Einen besseren Ausdruck kann ich nicht finden, angesichts dessen, was unser Schiff betroffen hat. Genaugenommen ist es eigentlich keine Katastrophe. Die SUNFIRE ist heil, niemandem an Bord ist etwas zugestoßen, von dem Schock abgesehen, der uns alle getroffen hat. Doch ich will systematisch berichten, obwohl ich Mühe habe, mich zu konzentrieren. Wir sind pünktlich gestartet, haben mit dem vollen Schub der Normaltriebwerke beschleunigt und hatten um 17.00 Uhr die annähernde Lichtgeschwindigkeit erreicht. Das heimatliche Sonnensystem lag, da wir senkrecht zur Ekliptik gestartet waren, bereits tief unter uns. Nun wurde die Funktionsbereitschaft des Transitionstriebwerks noch einmal überprüft. Die Techniker gaben grünes Licht, und so konnte ich um 17.30 Uhr den Steuercomputer anlaufen lassen, der für die Durchführung der Transistion vorprogrammiert war. Um 17.32 Uhr tauchten wir in den Hyperraum ein.
Alle an Bord waren auf den kurzen Schmerz vorbereitet, der erfahrungsgemäß auf jede Transition folgt. Doch es blieb nicht bei dieser an sich harmlosen Erscheinung. Als der Computer das Transitionstriebwerk hochschaltete, durchzuckte mich ein derart heftiger Schmerz, daß ich augenblicklich das Bewußtsein verlor. Doch nicht nur ich – allen Menschen an Bord erging es ebenso. Erst fünfzehn Minuten später kam ich wieder zu mir, als dritter der fünfzehn in der Zentrale anwesenden Besatzungsmitglieder. Nach und nach erwachten alle, ohne erkennbare gesundheitliche Schäden davongetragen zu haben. Was war geschehen? Wir erfuhren es wenige Minuten später, nachdem wir die Instrumente und den Steuercomputer kontrolliert hatten. Die automatischen Aufzeichnungen wiesen aus, daß sich die SUNFIRE, anstatt übergangslos wieder ins Normaluniversum zurückzutauchen, fast zehn Sekunden lang im Hyperraum aufgehalten hatte ... Was dazu geführt hat, wissen wir nicht und werden es wohl auch nie erfahren. Die Techniker haben inzwischen festgestellt, daß nahezu alle wichtigen Teile des Transitionstriebwerks ausgebrannt sind! Sie tippen teils auf irgendwelche Konstruktionsmängel. Doch das ist nicht die Katastrophe, von der ich eingangs gesprochen habe. Diese besteht darin, daß wir während der zehn Sekunden im Hyperraum ein Vielfaches der Entfernung zum Alpha CentauriSystem zurückgelegt haben müssen. Wo wir herausgekommen sind, ist noch unbekannt, unsere Astronomen und Astrophysiker sind fieberhaft damit beschäftigt, es herauszufinden. Auf jeden Fall steht die SUNFIRE in der Nähe eines großen Dunkelnebels in einem relativ sternenarmen Gebiet. Eben hat mir das Bordobservatorium die ersten Berechnungsergebnisse durchgesagt. Man konnte einige markante Sterne ausmachen und anmessen und hat die Daten vom Navigationscomputer auswerten lassen. Es ist kaum zu fassen, aber es kann kein Zweifel daran bestehen: Wir befinden uns dicht vor dem sogenannten Pferdekopfnebel im Orion – rund neunhundert Lichtjahre von Terra entfernt ...
Neunhundert Lichtjahre! Von hier aus ist unsere heimatliche Sonne mit unseren schwachen Instrumenten gar nicht mehr zu erfassen. Wir werden sie auch nie wieder zu sehen bekommen, denn ohne Transitionstriebwerk ist es uns unmöglich, im interstellaren Sinne nennenswerte Entfernungen zurückzulegen. Was können wir nun tun? Als Verantwortlicher für diese Expedition ist es meine Aufgabe, mir sofort Gedanken darüber zu machen. Am schwersten wird es sein, die Kolonisten mit den unerfreulichen Tatsachen bekanntzumachen. Zum Glück sind es ausgewählte Leute, die nicht so leicht in Panik verfallen und sich bisher sehr diszipliniert verhalten haben. Trotzdem wird es ein schwerer Schock für sie sein, zu erfahren, wo wir uns befinden. Wir haben keine andere Wahl, wir müssen uns hier in der Nähe nach einem Sonnensystem umsehen, das uns eine neue Heimat bieten kann. Dicht vor uns befindet sich eine Sonne, doch diese scheidet aus. Sie ist ein roter Zwerg und besitzt nur einen kleinen, völlig vereisten Planeten. Drei weitere Sonnen stehen uns noch relativ nahe in Richtung auf den Dunkelnebel, auf den wir jetzt zutreiben. Eine davon entspricht dem Soltyp, die anderen beiden sind eine Spektralklasse größer, aber wenn sie Planeten besitzen, könnten dort durchaus brauchbare Lebensbedingungen für uns herrschen. Wenn sie Planeten besitzen – aber das können wir erst feststellen, wenn wir nahe genug heran sind! Mit anderen Worten: Wir müssen mit unseren glücklicherweise intakt gebliebenen Normaltriebwerken dorthin fliegen. Das sind in jedem Fall einige Lichtjahre, und das stellt uns vor schwerwiegende neue Probleme. Doch davon später. Es geht auf 20.00 Uhr, und für diese Zeit habe ich eine erste Lagebesprechung der maßgeblichen Männer an Bord anberaumt.
* 4. Mai, 0.00 Uhr. Wir haben dreieinhalb Stunden konferiert, und ich bin eigentlich todmüde. Ich weiß aber, daß ich nicht werde schlafen können, also will ich jetzt gleich den Inhalt der Besprechung festhalten, solange die Eindrücke noch frisch sind. Zwanzig Leute nahmen daran teil. Alle zwölf Wissenschaftler natürlich, außerdem Leutnant Roberts, der das waffentechnisch ausgebildete Personal unter sich hat. Weiter die beiden Triebwerksingenieure Martin und Flambeau, sowie Mr. Garod, der gewählte Sprecher der Kolonisten, der als Oberhaupt der Kolonie Alpha Centauri vorgesehen war. Dazu Hopson, Hutchinson, Newmans und ich. Die Diskussion wurde über das Bordfunknetz übertragen, damit alle mithören konnten. Zur Eröffnung gab ich einen kurzen Überblick über das Geschehen seit dem Verlassen des Solsystems. Als nächster erhielt Martin das Wort. Seine Ausführungen brachten uns nichts Neues, Worauf der Defekt des Hypertriebwerks zurückzuführen ist, läßt sich infolge der umfangreichen Schäden nicht mehr feststellen – fest steht nur, daß es nie mehr arbeiten wird, weil wir weder personell noch materialmäßig imstande sind, es zu reparieren. Dann kam Dr. Miller, der ältere unserer beiden Astronomen, zu Wort. Ich versuche, seine Ausführungen möglichst wortgetreu wiederzugeben. „Meine Damen und Herren, unsere Lage ist ziemlich unerfreulich, aber wir können trotzdem von Glück im Unglück reden. Wir sind in der Nähe von drei Sonnen herausgekommen, von denen eine zur Größenklasse G gehört, also weitgehend unserer Sonne ähnelt. Eine Entfernung von nur drei Lichtjahren bis dorthin und die Tatsache, daß sie ein Planetensystem besitzt, können sie als ersten Anwärter auf eine neue Heimat für uns gelten lassen.
Die nächste Sonne ist sieben Lichtjahre entfernt. Sie gehört zum ATyp, ebenso die dritte Sonne in zwölf Lichtjahren Entfernung. Ob sie Planetensysteme besitzen, ist von hier aus nicht feststellbar, aber durchaus möglich. Der Vollständigkeit halber muß ich noch die kleine rote Sonne in drei Lichtmonaten Distanz erwähnen, die aber nur einen von Trockeneis überzogenen Zwergplaneten besitzt, der für eine Kolonisation nicht in Frage kommt.“ Ich ergriff das Wort. „Sie sind also dafür, daß wir die erstgenannt Sonne anfliegen, weil wir dort die größten Chancen haben, einen erdähnlichen Planeten zu finden – richtig?“ Der kleine Astronom nickte eifrig. „Ganz recht, Sir. Die Chancen dafür stehen fünfzig zu fünfzig, und das ist schon eine ganze Menge, wenn man berücksichtigt, daß theoretisch überhaupt nur jede zehnte Sonne ...“ Ich unterbrach ihn durch ein Handzeichen. „Danke, Dr. Hiller, wir wollen uns möglichst kurz fassen, denn es gibt noch eine Menge zu erörtern. Wir werden also Ihren Rat befolgen und die Sonne vom Soltyp anfliegen. Wir haben dazu allerdings nur noch die Normaltriebwerke, und das ist natürlich ein großes Handicap. Immerhin wird sich die Reisedauer zu dieser Sonne erheblich verkürzen, da wir bei einem Flug mit annähernder Lichtgeschwindigkeit dem Effekt der sogenannten Zeitdiletation unterliegen werden. Mr. Hopson, können Sie uns sagen, wie sehr sich dieser Faktor auswirken wird?“ Der Pilot erhob sich. Er hatte bereits beim Navigationscomputer die entsprechenden Daten abgefragt und las sie nun ab. „Wenn wir wie üblich bis auf 99,5 Prozent Licht beschleunigen, ergibt sich eine Verkürzung der tatsächlichen Reisedauer auf etwa fünf Monate subjektiver Zeit. Das heißt, für uns an Bord wird diese Zeit vergehen, während außerhalb des Schiffes drei Jahre ablaufen werden.“
„Sehr gut“, sagte ich und nickte. „Trotzdem sind auch fünf Monate noch sehr viel, wenn man nicht darauf vorbereitet ist. Mr. Garod, wie steht es um die Verpflegungsbestände für die Kolonisten, haben Sie die entsprechenden Listen überprüft?“ Garod, ein großer, tatkräftiger Mann nahe der Vierzig, hob ein Blatt Papier. „Da wir für die Zeit Vorsorgen mußten, wo die zu errichtende Kolonie noch nicht autark war, haben wir für ein volles Jahr Lebensmittel für alle tausend Menschen an Bord. Die Rationen sind reichlich bemessen und lassen sich im Notfall ohne weiteres strecken.“ „Wir werden sie vorsichtshalber sofort strecken“, bestimmte ich. „Wenn wir Pech haben und bei der gelben Sonne keinen geeigneten Planeten finden, müssen wir zur nächsten fliegen, und das sind dann schon vier weitere Lichtjahre mit nahezu sieben Monaten Reisezeit! Das würde bedeuten, daß uns dann nur noch für reichlich drei Monate Lebensmittel verblieben – und wenn wir auch dann noch nicht am Ziel sind?“ Dr. Moore, unser Astrophysiker, hob die Hand. „Da ließe sich schon Abhilfe schaffen, Sir. Notfalls müßte das Schiff eben auf mehr als 99,5 Prozent Licht beschleunigt werden, wodurch sich eine weitere Verkürzung der Reisedauer erreichen läßt.“ „Haben Sie Bedenken dagegen, Hopson?“ erkundigte ich mich. Unser Pilot hob die Schultern. „Grundsätzlich nicht, Sir, nur müßte alles genau durchgerechnet werden. Wenn mir etwas Sorge macht, dann sind das unsere Plasmabestände. Wir haben zwar einen großen Vorrat, aber je näher wir der Lichtmauer kommen, um so höher wird der Verb rauch. Am besten wird es sein, wenn wir durch die Computer eine genaue Kalkulation erstellen lassen, die uns zeigt, wie weit wir gehen können.“ „Das können Sie besorgen, Hutchinson“, wandte ich mich an den Zweiten Piloten. „Wenn die bevorstehende Schlafperiode vorbei ist, holen Sie sich unsere Programmierer zu Hilfe und geben ihnen alle verfügbaren Anleitungen. Sämtliche Ergebnisse sind dreifach nach-
zuprüfen, alles muß bis zur zehnten Stelle hinter dem Komma stimmen.“ Damit war der offizielle Teil der Besprechung beendet. Es begann jetzt der zweite, ebenso wichtige Teil. Ich beriet mich mit den Ärzten und dem Bordpsychologen. Sie stimmten dafür, einige Maßnahmen zu ergreifen, um während der bevorstehenden Reisemonate die Disziplin unter den Kolonisten zu wahren. Von Zeit zu Zeit sollte dem Essen ein leichtes Sedativum beigemischt werden, denn infolge der Enge der Unterkünfte konnte es leicht zu Reibereien unter den Passagieren kommen. Dr. Wallace, der Psychologe, sollte seinerseits ein Programm ausarbeiten, das zur seelischen Stabilisierung der Leute beitrug. Für den Fall der Fälle hatten wir dann immer noch unser Waffenpersonal, das von nun an eine Art von Polizeigewalt auszuüben hatte. Leutnant Roberts, ein ruhiger Mann von achtundzwanzig Jahren, sollte unauffällig beobachten, um gegebenenfalls rechtzeitig eingreifen zu können. Die fünfundsechzig ihm unterstellten Männer würden kleine Nadlerpistolen erhalten, deren Geschosse mit einer Betäubungschemikalie präpariert waren. Ein weiteres Problem war die Versorgung der mitgeführten Haustiere über längere Zeit hinweg. Unsere Futterbestände sind nur für einige Monate gedacht, und die Tierwärter und Biologen werden sich einiges einfallen lassen müssen, wenn wir die Tiere am Leben erhalten wollen. Dr. Ellen Fischer schnitt dann noch das Thema Geburtenregelung an. Es war ohnehin vorgesehen, die Kolonisten während des ersten Jahres keine Kinder haben zu lassen. Die entsprechenden Medikamente werden wir schon jetzt verabfolgen müssen. .. Schluß für heute, ich bin erledigt. Auch ein Kommandant ist nur ein Mensch! *
Erschüttert legte Olas Kelum das Buch beiseite. Die Menschen auf Wela hatten seit dem Kälteeinbruch ihre Sorgen, aber waren die, mit denen sich Kommandant Chris Sharp herumzuschlagen hatte, nicht erheblich größer gewesen? Die SUNFIRE war durch ein grausames Schicksal in die Tiefen des Alls verschlagen worden, ohne jede Möglichkeit zur Rückkehr. Die Menschen im Schiff hatten sich fast unlösbaren Problemen gegenübergesehen, und doch waren sie mit diesen fertig geworden, sonst hätte es nie dazu kommen können, daß Wela besiedelt worden war. Olas war begierig darauf, weiteres zu erfahren, doch die Natur forderte ihr Recht. Wenige Minuten später schlief er bereits fest. * Der kritische Zeitpunkt war gekommen. Die Intensität des Schutzschirms der ARCHIMEDES hatte soweit nachgelassen, daß sie nur noch um zweieinhalb Prozent über dem Normalwert lag. Nunmehr konnte stündlich damit gerechnet werden, daß das Schiff endlich den Hyperraum verließ. Die Nerven aller Männer waren bis aufs höchste strapaziert. Selbst der immer beherrschte Walt Cornell zeigte unverkennbare Zeichen von Nervosität, als nun die Stunde der Entscheidung herankam. Am ruhigsten schien immer noch Edgar Falcon. Der Techniker saß vor seinen Instrumenten und beobachtete, wie sich die Meßwerte der Schirmkapazität mit quälender Langsamkeit abwärts bewegten. Als sie nur noch ein halbes Prozent über normal betrugen, verständigte er den Kommandanten. „Gleich wird es soweit sein, Sir. Sie sollten nun veranlassen, daß sich die gesamte Besatzung darauf einstellt, für den Fall, daß es beim Übergang in den Normalraum wieder zu irgendwelchen Nebenerscheinungen kommt.“
Cornell bestätigte und gab der Mannschaft die entsprechenden Anweisungen, um erneute Unfälle während des Übergangs zu vermeiden. Dieser vollzog sich jedoch diesmal vollkommen undramatisch. Eben noch zeigte das Radar die grauen Schleier – und im nächsten Moment stand auf den Schirmen die samtene Schwärze des normalen Weltraums. Walt Cornell atmete auf und schlug Gerald Hartmann erlöst auf die Schulter. „Mensch, ist das ein Gefühl, endlich wieder in einer brauchbaren Umgebung zu sein! Viel länger hätte ich das nicht mehr ausgehalten.“ „In einer relativ brauchbaren Umgebung“, schränkte Fred Bellamy sofort ein. Cornell begab sich hinüber zum großen Radarschirm. Dort war der Erste Offizier bereits damit beschäftigt, die nächsten sichtbaren Sonnen anzumessen. Sein Gesicht zeigte einen ratlosen Ausdruck. „Der Teufel mag wissen, wo wir hier herausgekommen sind, Walt. Die Werte des Ultraradars ergeben, daß die beiden Sonnen vor uns vier und sieben Lichtjahre entfernt sind, aber die Energiemeßgeräte sagen ganz etwas anderes aus. Zudem stimmt die Farbe der Sonnen nicht mit den Größenklassen überein, denn ihr Licht weist eine starke Verschiebung ins Rote auf.“ „Fragen wir doch einmal den Computer“, meinte der Kommandant. Hartmann nickte und gab alle hereinkommenden Werte in den Navigationscomputer. Das Rechengehirn begann zu arbeiten. Erst nach fast einer halben Minute erschien das Resultat auf seinem Leuchtschirm. „Meßergebnisse des Ultraradars werden als einwandfrei bestätigt. Die Daten der Energiemeßgeräte werden durch kosmische Staubpartikel verfälscht, ebenso die Spektrallinien der angemessenen Sonnen. Dichte dieser Staubpartikel etwa zweitausendfach gegenüber dem Normalvorkommen im freien Raum.
Ende.“ Bellamy, der mitgelesen hatte, lachte bitter auf. „Jetzt sind wir vom Regen ins Gewitter gekommen, Herrschaften! Diese Angaben besagen nicht mehr und nicht weniger, als daß wir uns in irgendeinem Dunkelnebel befinden. Es kam mir doch gleich so merkwürdig vor, daß nur zwei Sonnen auszumachen waren, wo wir im ungünstigsten Fall einige Hundert hätten sehen müssen,“ Walt Cornell nickte schwer. „Ich fürchte, du hast recht, Fred – aber wir werden uns mit dieser Tatsache abfinden müssen, andererseits aber auch versuchen, das Beste aus unserer Lage zu machen. Gerald, Radarantenne schwenken und die gesamte Umgebung absuchen. Vielleicht finden wir irgendwo in diesem Nebel ein Loch, durch das wir hinausschlüpfen können.“ Doch diese Hoffnung erwies sich als trügerisch. Was war zu tun? Der Kommandant ließ das Schiff vorerst im freien Fall treiben und rief Dr. Reynolds und Edgar Falcon in die Zentrale, um sie mit den Tatsachen zu konfrontieren. Die übrige Besatzung wurde nur davon unterrichtet, daß der Normalraum wieder erreicht sei und man dabei wäre, eine Standortbestimmung vorzunehmen. „Ich hatte schon irgend so etwas befürchtet“, erklärte der Technische Offizier. „Unser normalisierter Schutzschirm, den ich vorsichtshalber nicht ausgeschaltet habe, weist nämlich eine Belastung von ein Prozent auf, während sie normalerweise im freien Raum gleich Null ist. Verdammt, was haben wir nur für ein Pech! Das All ist so groß, und ausgerechnet in einem Dunkelnebel müssen wir wieder herauskommen ...“ „Was sagen Sie dazu, Doc?“ erkundigte sich Cornell bei dem Physiker. Reynolds hob die Schultern. „Ich könnte Ihnen lange wissenschaftliche Vorträge über Dunkelnebel halten, aber das würde uns keinen Deut weiterhelfen. Ist die Dichte der Staubmassen nach allen Richtungen hin gleich?“
Der Erste Offizier befragte den Computer, der alle Meßwerte verglich und diese Tatsache bestätigte. Dr. Reynolds wiegte den Kopf. „Dann sitzen wir mitten in dieser Wolke und haben kaum eine Aussicht, sie wieder verlassen zu können. Uns wird nichts weiter übrigbleiben, als die am nächsten stehende Sonne anzufliegen, und darauf zu hoffen, daß sie über ein Planetensystem verfügt.“ Walt Cornell lächelte düster. „Dann fragt es sich noch immer, wie es darin aussieht, Doc!“ Edgar Falcon war der einzige, der Optimismus zeigte. „Mir ist jeder Planet recht, und wenn er auch noch so kalt sein sollte. Ich traue mir zu, mittels unserer Schiffsmeiler ein Kraftwerk zu errichten, mit dem wir das Eis wegtauen und den Boden freilegen und erwärmen können. Ein Sortiment Saatgut für den Notfall befindet sich im Schiff, wir können uns also selbst mit Nahrung versorgen.“ Was nützt uns das schon, dachte der Kommandant. Sicher, wir überleben dann, aber doch nur, um schließlich einsam zu sterben, denn wir haben keine einzige Frau an Bord ... Doch Cornell behielt diese Gedanken für sich und traf alle Maßnahmen für den Flug. Drei Stunden später beschleunigte die ARCHIMEDES und ging auf die lange Reise zur nächststehenden Sonne. * Am nächsten Morgen blieb Olas Kelum allein. Das war ihm aber nur recht, denn so fand er Zeit, weiter im Bordbuch der SUNFIRE zu lesen. Er zog sich in sein Zimmer zurück, ignorierte den draußen tobenden Schneesturm und schlug die nächste Seite auf. 31. September, 16.00 Uhr (Bordzeit) Ich muß den Ausdruck Bordzeit verwenden, denn die tatsächlich in einem festen Bezugssystem vergangene Zeit stimmt mit der von uns verlebten ja nicht mehr überein. Wir sind nun fast fünf Monate un-
terwegs, stehen dicht vor dem Zielsystem und werden in sechs Stunden die Bremsperiode beginnen. Dieses Buch habe ich all die Monate über vernachlässigt, aber was hätte ich schon berichten können? Wir haben nach unseren Plänen gehandelt und sind bisher gut über die Runden gekommen. Es gab einige kleine Schwierigkeiten mit den Kolonisten, und Leutnant Roberts Leute mußten mehrfach einschreiten, aber im großen und ganzen verhalten sich die Leute vernünftig, zumal unser tüchtiger Psychologe sich laufend neue Beschäftigungstherapien für sie ausdenkt. Schlimmer ist es schon, daß wir unser Vieh teilweise haben abschlachten müssen. Von hundert Rindern sind noch vierzig Kühe und zwei Stiere übriggeblieben, von dreißig Pferden zehn Stuten und zwei Hengste, von vierzig Schafen achtzehn und zwei Böcke. Wohl fühlen sich dagegen die Schweine und Hühner. Die mitgeführten zweihundert Igel – als natürliche Beschützer unserer Pflanzungen vor Insektenfraß gedacht – haben wir kurzerhand in ein Kühlfach gesteckt und in einen künstlichen Winterschlaf versetzt ... Alles andere war Routine. Unserer Plasmatriebwerke arbeiten zuverlässig und halten unser Schiff dicht unter der Lichtmauer. In sechs Stunden werden ihre Düsen in Gegenrichtung arbeiten, und wir werden beim Eintritt in das von uns HELLA getaufte System nur noch hunderttausend Stundenkilometer schnell sein. Dieses System besitzt fünf Planeten, von denen sich einer innerhalb der sogenannten Lebenszone befindet und etwas größer als die Erde ist. Wir werden keine Zeit vergeuden und ihn direkt anfliegen, denn die übrigen Planeten sind Eis- oder Wüstenwelten, die uns nichts zu bieten haben. * 5. September, 13.00 Uhr (Bordzeit) Meine dunklen Ahnungen täuschen mich selten!
Gestern gegen 23.00 Uhr hatten wir HELLA II erreicht und gingen in einen Orbit von zehntausend Kilometer Höhe. Es war verblüffend, wie sehr diese Welt Terra ähnelte, blau schimmernd wie unsere Heimatwelt, mit einer guten Sauerstoffatmosphäre, ausgedehnten Meeren und drei großen und vier kleinen Kontinenten. Auch die obligaten Poleiskappen waren vorhanden. Wir beschlossen, ein Beiboot zu landen, das von Peter Hutchinson gesteuert wurde. Mit ihm flogen je ein Physiker, Chemiker, Geologe und Biologe, sowie die Ärztin Fischer und zwei unserer Polizisten. Das Boot steuerte einen der kleineren Kontinente an, weil dort die landschaftliche Gliederung am günstigsten schien. Anzeichen für höher entwickeltes Leben hatten wir nirgends entdeckt. Es gab keinen Funkverkehr auf den gängigen Frequenzen, keinen Luftverkehr und keine beleuchteten Städte. Falls es wirklich Primaten gab, konnten diese noch nicht sehr weit in ihrer Zivilisation fortgeschritten sein. Das Boot legte ab und fiel in einer spiraligen Bremsbahn auf den Planeten hinunter. Hutchinson blieb mit uns in Funkverbindung, die allerdings zunehmend schlechter wurde. Wenig später wußten wir auch, warum. Dieser Kontinent war eine radioaktiv verseuchte Hölle! Die Zählrohre im Beiboot warnten den Piloten schon kurz nach dem Eintritt in die Atmosphäre. Er verzichtete auf eine Landung und machte nur eine Reihe von Aufnahmen, ehe er zum Schiff zurückkehrte. Die Bilder wiesen mit erschütternder Deutlichkeit aus, daß dort unten vor einigen Jahrzehnten ein furchtbarer Atomkrieg getobt haben mußte. Relikte von zerbombten Städten, zahlreiche Krater und eine wild wuchernde, mutierte Vegetation – das war alles, was zurückgeblieben war ... Wir haben dann auch die anderen Kontinente überprüft, aber dort sieht es nicht besser aus. Die Enttäuschung im ganzen Schiff ist riesengroß. Nun bleibt uns nichts mehr übrig, als wieder auf Wanderschaft zu gehen.
Soeben habe ich die Anweisung gegeben, für den bevorstehenden Weiterflug die höchste vertretbare Annäherung an die Lichtgeschwindigkeit zu errechnen, um die Reisedauer soviel wie möglich zu verkürzen. Diese hohe Belastung für unsere Triebwerke birgt ein großes Risiko, aber wir müssen es eingehen, wenn wir überleben wollen! * 1. Januar 2026, 08.00 Uhr Bordzeit Es ist uns gelungen, mit 99,8 Prozent Licht fliegend, das Zielsystem innerhalb von vier Monaten zu erreichen – und hier sind wir am Ende der Reise! Diese Sonne, obwohl zur Spektralklasse A gehörend, besitzt einen bewohnbaren Planeten! Eine wahre Paradieswelt sogar, warm, fruchtbar und völlig unbewohnt. Eine junge Welt, die auf ihre Erschließung wartet. Leider gab es im letzten Augenblick noch Schwierigkeiten, denn zwei unserer überforderten Triebwerke setzten aus und mußten abgeschaltet werden. So sind wir notgedrungen auf einer großen Insel gelandet, statt auf einem der Kontinente, doch das ist jetzt sekundär. Wir sind gut heruntergekommen und werden unsere Beiboote dazu benutzen, nach und nach alle Menschen und Güter auf den nächsten Kontinent zu schaffen, den wir bereits erkundet haben. Unsere gute SUNFIRE werden wir ausschlachten müssen, denn sie wird ohnehin nie mehr fliegen können. Sie wird als Denkmal für unsere Nachkommen hier stehenbleiben, denen hoffentlich eine glückliche Zukunft bevorsteht. Chris Sharp. * Damit endeten die Eintragungen,
Wahrscheinlich hatte der Kommandant sie noch weiterführen wollen, war aber nicht mehr dazugekommen. Nun, das war kein Wunder, wenn Olas bedachte, welche Aufgaben ihn und seine Gefährten erwartet hatten. Wenig mehr als tausendzweihundert Menschen hatten es auf sich genommen, auf einer zwar nicht lebensfeindlichen, aber vollkommen unbekannten Welt mit ihren beschränkten Hilfsmitteln eine neue Zivilisation zu schaffen. Es war ihnen gelungen, das bewies die Geschichte, die der junge Mann inzwischen kennengelernt hatte. Und doch hatte Chris Sharp in Olas Augen nicht genug getan. Er hätte das Bordbuch mitnehmen und den Nachkommen zugänglich machen sollen, dachte er. Vielleicht hätte sie die Beschreibung des Planeten, dessen Bewohner sich selbst zerfleischt hatten, davon abgehalten, später ein gleiches zu tun. Vielleicht aber auch nicht, denn bis dahin waren Jahrhunderte vergangen; und Olas wußte aus eigener Anschauung, wieviel die Menschen innerhalb einer solchen Zeitspanne vergessen konnten. Die Überlebenden der großen Katastrophe hatten die wahren Tatsachen gekannt, und trotzdem war auch nicht der kleinste Rest davon irgendwie bis in die Jetztzeit überliefert worden, wenn man von dem sorgsam gehüteten Wissen der Priester absah. Allein Geruds Lehren und seine selbstgeschaffene Religion hatten 651 Planetenjahre lang Wela regiert. Olas fiel diese Namensähnlichkeit zwischen Gerud und dem ersten Anführer der Kolonisten, Garod, auf. In der Sprache der Alten, der jetzigen Tempelsprache, war die Aussprache des Namens fast die gleiche. Es war gut möglich, daß sich die Führerschaft innerhalb der Familie vererbt hatte und Gerud ein direkter Nachkomme dieses Garod gewesen war. Beim Mittagessen traf der junge Mann mit Korf Netah zusammen, der ihm interessante Neuigkeiten überbrachte. „Unserer Planungen sind abgeschlossen“, berichtete er. „Im Moment sind unsere Leute dabei, die Geräte bereitzustellen, die schnellstens zum Festland transportiert werden sollen.“
„Das wird eine schwere Aufgabe“, meinte Olas Kelum. „Der Hubschrauber ist nicht groß, und so wird es lange Zeit dauern, bis alles dorthin geschafft ist.“ Korf lächelte amüsiert. „Das denkst du!“ sagte er trocken. „Man hat zwar seinerzeit unseren Hubschrauber beschlagnahmt, aber das Prinzip war bekannt, und so haben wir inzwischen heimlich zwei neue, weit größere Schrauber gebaut. Sie stehen in einem unterirdischen Hangar. Wir hoffen, daß sich der Schneesturm im Laufe des Tages legen wird und morgen ein annehmbares Wetter herrscht. Die drei Schrauber werden dann sofort bei Tagesbeginn losfliegen, und du wirst unter den ersten Fluggästen sein ...“ * „Welch furchtbares Gewimmel!“ seufzte Pook Kelum und wandte sich vom Fenster ab. Sein Haar war in den letzten Monaten weiter ergraut, und doch wirkte er jetzt viel jünger als vorher. „Du wirst dich daran gewöhnen, Onkel“, sagte Olas, der sich zur Zeit im Wohnraum des Astronomen befand. „Natürlich wird das einige Zeit dauern, es ist ja auch eine gewaltige Umstellung. Aber es ist schon einige Opfer wert, in Wärme und Sicherheit zu leben, als dem Erfrieren entgegenzusehen.“ Das Zimmer des Wissenschaftlers befand sich im zehnten Stoc kwerk eines der neuen, in Bersa errichteten Hochhäuser, über denen sich eine gewaltige Kuppel spannte. Um Platz zu sparen, hatte man in die Höhe bauen müssen, in krassem Gegensatz zu den früheren, weiträumig angelegten Wohnbezirken. Früher hatte Pook Kelum ein ganzes Haus zu seiner Verfügung gehabt, nun aber mußte er sich mit einem einzigen kleinen Wohnraum begnügen. Mehr hatte man ihm als Junggesellen nicht zugestehen können. Dieser Raum aber war immer behaglich warm, und auch zu Ausgängen brauchte man sich nicht mehr in die früher übliche dicke Pelzkleidung zu hüllen.
Zwei Atomkraftwerke lieferten ausreichend Energie für die Beheizung des riesigen überdachten Areals, bei dem die Wohnbezirke aber nur ein Fünftel der gesamten Fläche einnahmen. Achtzig Prozent dienten der landwirtschaftlichen Nutzung, reichten aber noch lange nicht aus, um die zwei Millionen in der Stadt zusammengezogenen Menschen zu ernähren. Doch die Planer von der Insel Bolar hatten auch hier Rat gewußt und zusätzlich riesige unterirdische Gärten geschaffen. Dort wurde fast ebensoviel produziert wie in den Anlagen auf der Oberfläche. Vorläufig mußte alles noch rationiert werden, aber zu hungern brauchte niemand. Erst zwölf Monate waren vergangen, seit Olas Kelum seinen denkwürdigen Flug zur Insel der Verbannten angetreten hatte, eine Zeit, die sechzehn Monaten terranischer Zeitrechnung entsprach. Doch sie hatte für die Wissenschaftler und Techniker von Bolar ausgereicht, den Großteil ihrer Pläne zu verwirklichen. Schon die ersten Besprechungen mit den Großpriestern hatten ergeben, daß diesen Uranvorkommen bekannt waren, die seit Gerud jedoch nicht mehr ausgebeutet wurden. Ein kleiner Reaktor, der von der Insel herübergeschafft worden war, hatte die Voraussetzung für den Abbau geschaffen. Es konnten wieder elektrisch betriebene Züge fahren, und sie transportierten das kostbare Erz zu den Städten, die als Bevölkerungszentren vorgesehen waren. Viele tausend Welaner hatten monatelang fast Übermenschliches geleistet, um dem vereisten Boden das kostbare Erz zu entreißen. Ebensoviele hatten in der Zwischenzeit die Anlagen gebaut, die später die neuen Reaktoren aufnahmen. All das geschah noch unter den widrigen Bedingungen des ewigen Winters, doch nach fünf Planetenmonaten konnte der erste Reaktor in Betrieb genommen werden. Weitere folgten in kurzen Abständen im Gebiet der künftigen Städte. Nun bekamen Fabriken und Eisenbahnen wieder genügend Strom, und es war relativ leicht, alles zu produzieren und zu transportieren, was dringend benötigt wurde.
Weitere vier Monate hatte es gedauert, die riesigen Städtekuppeln zu errichten. Sie bestanden aus einem Kunststoff, der mit Glasfasern durchsetzt war, leicht, aber fast unzerstörbar. Inzwischen war auch die Produktion von Stahl und Baustoffen soweit vorangetrieben worden, daß man sofort mit der Errichtung der Wohngebäude beginnen konnte. Alle arbeitsfähigen Welaner hatten zusammen mit den Technikern und Wissenschaftlern von Bolar ihr Bestes gegeben. Sie hatten zusammen gefroren und Hunger und Entbehrungen ertragen, und das hatte die Kluft zwischen beiden Bevölkerungsteilen rasch überbrükken geholfen. Nur das Religionsproblem war einstweilen tabu geblieben. Man hatte hier vorläufig auf jede Änderung verzichtet, um die Moral des tiefgläubigen Volkes nicht zu untergraben. Am Morgen des letzten Tages im zwölften Monat war nun der letzte Zug mit Ankömmlingen von außerhalb eingetroffen, die letzten Gebäude waren bezogen worden. Das neue Bersa war nicht schön anzusehen. Alles war auf reine Zweckmäßigkeit ausgerichtet, kahl und nüchtern. Wela würde noch für lange Zeit eine Welt der Kuppelstädte bleiben, bis das System wieder den Bereich der Dunkelwolke verließ. Das konnte nicht Jahrhunderte dauern, und weitere Jahrzehnte mußten dann vergehen, bis sich der Planet so weit wieder erwärmt hatte, daß die Menschen unbesorgt im Freien leben konnten. Aber – vielleicht würden sie dann gar keinen Wert mehr darauf legen, die Kuppeln zu verlassen ...? * Dieser Gedanke beschäftigte Olas, als es an die Tür klopfte und Marja Netah eintrat. Das Gesicht des jungen Mannes leuchtete auf. Vor einem halben Jahr waren alle Verbannten von Bolar zurückgekehrt, mit ihnen auch Marja. Die beiden jungen Menschen hatten sich oft gesehen und
schließlich entdeckt, daß sie sich liebten. Ihr Hochzeitstermin war bereits festgesetzt, in sechs Wochen würden sie Mann und Frau sein. Das Mädchen begrüßte zuerst den Wissenschaftler und wandte sich dann an Olas. „Kommst du mir mir? Ich will zur Funkstation, die heute morgen ihren Betrieb aufgenommen hat, Korf und dein und mein Vater sind auch dort.“ Olas nickte. „Ich komme gern, Marja. Hier muß ich mir doch nur dauernd die Klagen anhören, mit denen mich Onkel Pook stets bombardiert. Das Zimmer ist ihm zu klein, die neuen Kunststoffmöbel sind nicht nach seinem Geschmack und der Anblick so vieler Menschen bereitet ihm Unbehagen ...“ Pook Kelum wollte protestieren, aber Marja fiel ihm lachend ins Wort. „Ich habe eine Neuigkeit für dich, Onkel Pook: Der Rat der Wissenschaftler hat beschlossen, bald ein Obervatorium einzurichten, dessen Leitung man dir übertragen will. Ist das nicht eine gute Nachricht?“ Der Ältere atmete befreit auf. „Das kann man wohl sagen. Mädchen. Ich hätte alles viel besser ertragen, wenn ich etwas zu tun gehabt hätte, aber während des Aufbaus war ich vollkommen überflüssig. Von jetzt ab sollst du kein Klagewort mehr von mir hören, Olas!“ Die beiden jungen Leute stiegen die Treppen hinab, denn der vorgesehene Aufzug war noch nicht in Betrieb. Hand in Hand gingen sie durch die Straßen, bis sie das Verwaltungsgebäude erreicht hatten, das in der Stadtmitte errichtet worden war. Hier befand sich das Planungszentrum für den gesamten Planeten. Der Aufzug war hier bereits in Betrieb, und das junge Paar konnte bis hinauf ins oberste Stockwerk fahren. Hier war die Funkstation eingerichtet worden, deren Antennen sich oberhalb der Kuppel befanden. Ursprünglich hatte sie nur der Verbindung zwischen den einzelnen Städten dienen sollen. Dann aber war es einem Techniker gelungen,
nach alten Plänen einen Sender zu bauen, der auf Hyperwelle arbeitete, mit dem man also ohne Zeitverlust große Entfernungen hinweg senden konnte. Niemand wußte mehr, wo die Erde lag, von der die Vorväter einst gekommen waren. Doch zweifellos existierte sie noch, und vermutlich würde es dort auch noch Menschen geben. Was lag also näher, als daß man versuchte, Verbindung zu ihnen zu bekommen? Vielleicht hatten sie inzwischen auch viele andere Systeme besiedelt, denn inzwischen waren ja mehr als zweitausend Jahre vergangen. Es war zwar fraglich, ob sie es riskieren würden, Schiffe in die Dunkelwolke zu schicken, aber sie sollten wenigstens erfahren, daß es hier auch Menschen gab. Olas und Marja begrüßten ihre Väter und Korf Netah, was ihnen verweisende Blicke der Männer eintrug, die vor den Funkgeräten saßen und mit anderen Städten sprachen. Arch Netah legte den Finger auf die Lippen und führte die beiden in einen gesonderten Raum, wo sich die neue Funkanlage befand. „Gibt es etwas Neues, Trag Igram?“ erkundigte er sich bei dem Mann an den Geräten. Trag, der diese Anlage selbst konstruiert hatte, schüttelte den Kopf. „Das war auch nicht zu erwarten, Arch Netah. Wir kennen nur die Wellenlänge, auf der die Ahnen damals gearbeitet haben, aber ob man die noch benutzt, ist mehr als fraglich. Ich habe es so eingeric htet, daß mein Anruf von einem Tonband immer wiederholt wird, wobei sich die Frequenz alle fünf Minuten automatisch verschiebt So dauert es etwa drei Stunden, bis das Hyperwellenband abgetastet ist, dann läuft dieser Vorgang wieder rückwärts ab.“ Er drehte an einem Knopf, und aus einem Lautsprecher erklang seine Stimme mit dem aufgezeichneten Text. Olas sah fasziniert auf die laufenden Rollen des Tonbandgeräts, denn auch das war eine Neuerung für ihn. Dann aber kam ihm plötzlich ein Gedanke, und er wandte sich zu Arch Netah.
„Ich glaube, ich habe an eurer guten Idee einen entscheidenden Fehler entdeckt. Ihr sendet die Rufe in unserer Sprache aus – habt ihr nicht bedacht, daß die Vorväter ganz anders gesprochen haben? Es ist doch wohl kaum anzunehmen, daß sich ihre Sprache parallel zu unserer verändert hat!“ Das Gesicht Netahs zeigte Bestürzung. „Natürlich, wie konnten wir das nur vergessen! Selbst wenn man uns auf der Erde oder auf anderen Welten hören kann, so wird man uns einfach nicht mehr verstehen und vielleicht deshalb auch nicht antworten.“ Arol Kelum nickte nachdenklich. „Gut, daß du uns darauf gebracht hast, mein Sohn. Das beste wird wohl sein, wenn wir bei diesen Rufen die Tempelsprache benutzen, die noch mit der Sprache der Ahnen identisch ist. Einverstanden, Arch Netah?“ Das ehemalige Oberhaupt der Verbannten wandte sich an Olas. „So werden wir es machen, und da du die Idee dazu gehabt hast, sollst du auch den Text sprechen, Olas. Schalte ab, Trag, damit wir sofort damit beginnen können.“ Wenig später sprach Olas ergriffen die Worte in ein Mikrophon: „Wela im Dunkelnebel ruft Terra oder alle Menschen, die uns hören können ...“ * Walt Cornell hatte Sorgen. Die ARCHIMEDES war nun bereits fünf Monate unterwegs. Am Anfang der Reise hatte es Schwierigkeiten mit der Besatzung gegeben, obwohl man ihr die Tatsachen möglichst schonend beigebracht hatte. Die Männer hatten aber schließlich eingesehen, daß eine Meuterei sinnlos war, weil es einfach keine Alternative zu dem Vorhaben des Kommandanten gab.
Was diesem Kopfschmerzen bereitete, war der Umstand, daß das Schiff des kosmischen Staubes wegen ständig mit eingeschaltetem Schutzschirm fliegen mußte. Zwar waren diese Partikel nur mikroskopisch klein, aber bei der hohen Geschwindigkeit von 99,6 Prozent Licht machten sie sich sehr unliebsam bemerkbar. Der Schutzschirm war ständig mit fünfzig Prozent seiner Kapazität belastet, und das kostete unverhältnismäßig viel Energie. Auch die Triebwerke verbrauchten mehr Plasma als sonst. Wenn es nun bei der Zielsonne keine Planeten gab, würde es fraglich sein, ob die ARCHIMEDES dann noch genügend Treibstoff besitzen würde, um den Weiterflug zur nächstliegenden Sonne zu bewältigen ... Was sollte er dann tun? Zum hundertsten Male zermarterte sich Walt Cornell den Kopf über diese Frage. Er hatte sie bereits mit seinen Vertrauten erörtert und die Computer alle Fakten immer wieder durchrechnen lassen, aber die Tatsachen blieben dieselben. Der Kommandant schüttelte unwillig den Kopf und schob die quälenden Gedanken beiseite. Noch gab es Hoffnung, daß die angeflogene Sonne Planeten besaß. Cornell griff zum Mikrophon und rief den Technischen Offizier an. „Edgar, können wir es verantworten, das Radar für einige Zeit zu überlasten, indem wir ihm eine höhere Spannung zuführen? Ich möchte möglichst bald wissen, ob wir auf Planeten stoßen werden. Wenn nicht, will ich sofort Kurs ändern und die andere Sonne anfliegen – Sie wissen, wie es um unsere Vorräte steht!“ Edgar Falcon wiegte den Kopf. „Dazu würde ich nicht raten, Sir. Das Ultraradar hat zweifellos auch unter dem Einfluß der Hyperenergie gelitten, die unseren Schutzschirm aufgeladen hat. Wenn wir es jetzt überlasten, kann es passieren, daß es seinen Geist aufgibt, und dann ist das Schiff praktisch blind. Übrigens“, fügte er hinzu, „ich registriere hier seit ein paar Stunden den Einfall von Hyperstrahlung aus dem vor uns liegenden Sektor. Leider sind die Störungen durch den Staub so stark, daß meine Meßgeräte eine genaue Bestimmung über ihre Natur nicht erbringen kön-
nen. Vielleicht sollten Sie einmal die Instrumente der Zentrale in Betrieb nehmen und Vergleichsmessungen anstellen. Wenn wir dann die erzielten Resultate in den Computer geben, gelingt es möglicherweise, Klarheit zu erlangen.“ „In Ordnung, Edgar“, sagte der Kommandant. Er war für jede kleine Abwechslung dankbar, die ihn davon abhielt, an das Schicksal von Schiff und Besatzung zu denken. * Augenblicklich war Fred Bellamy mit ihm zusammen in der Zentrale. Zwar wurde das Schiff durch die Automatik gesteuert, aber auf eine Überwachung durch Menschen konnte während des Dilatationsflugs doch nicht verzichtet werden. Nur sie konnten verhüten, daß es zu Zwischenfällen kam, sobald ein Ereignis eintrat, für das der Steuerautomat nicht vorprogrammiert war. Die beiden Männer schalteten die Meßgeräte für kosmische Strahlungen ein, steuerten sie aus und lasen die Anzeigen ab. Tatsächlich fiel aus dem Raum vor ihnen eine Hyperstrahlung ein. Doch auch sie bekamen keine genauen Werte, denn ihre Intensität schwankte in unregelmäßigen Abständen. Cornell schaltete das Aufzeichnungsgerät ein und betrachtete die Zacken, die der Schreiber auf die Folie malte. „Die Strahlung stammt vermutlich von der Sonne“, bemerkte er zu Bellamy, „der Richtung nach zu urteilen. Jede Sonne sendet auch infolge der in ihr ablaufenden Kernprozesse einen geringen Prozentsatz an fünfdimensionaler Strahlung aus, und in diesem Falle wird sie vermutlich noch dadurch verstärkt, daß ständig Staubteilchen in die Korona eindringen.“ Er rief zu Edgar Falcon durch und ließ diesen die bereits vorhandenen Ergebnisse direkt in den Hauptcomputer einspeisen. Dann gab er die bereits beschriftete Folie der eigenen Aufzeichnung in das
Rechengehirn und stellte diesem die Aufgabe, die Angaben zu vergleichen und auszuwerten. Drei Sekunden vergingen, dann erschienen die ersten Buchstaben auf dem Leuchtschirm des Computers. „Auswertung unter Berücksichtigung der Störungen durch umgebende Staubpartikel: Die aufgefangene Strahlung ist frequenzmoduliert und wird mit einem Wahrscheinlichkeitskoeffizienten von 98,5 Prozent von einem Sender ausgestrahlt, der sich in ungefähr einem Lichtmonat Entfernung vor dem Schiff befindet. Ende.“ Cornell und Bellamy sahen sich an. Beide waren blaß geworden, als ihnen die eindeutige Konsequenz dieser Feststellung bewußt wurde. „Ein Sender!“ stöhnte der Zweite Offizier. „Walt, das bedeutet ...“ „... daß es da vorn einen Planeten gibt, und auf ihm eine intelligente Rasse, die so weit fortgeschritten ist, daß sie den Hyperfunk kennt!“ vollendete der Kommandant. „Weißt du, was das bedeutet, Fred?“ „Möglicherweise unsere Rettung“, rief der Pilot. „Wenn ich ‚möglicherweise’ sage, dann deshalb, weil wir noch längst nicht wissen, welcherart die Intelligenzen sind, die diesen Sender betreiben. Denke doch nur an die Vorkommnisse im Centauri-System – beide Kontrahenten waren intelligent und hatten doch nichts weiter im Sinn, als sich gegenseitig zu vernichten!“ Cornell warf ihm einen schrägen Blick zu. „Ich hätte mir denken können, daß du sofort wieder versuchen würdest, ein Haar in der Suppe zu finden. Nun, Wir werden es bald wissen, denn in einer Woche Bordzeit sind wir soweit, daß wir abbremsen und in das System einfliegen können. Jetzt wollen wir erst einmal akustisch feststellen, wer sich da mit wem zu verständigen sucht.“ Die Leuchtanzeigen glühten auf, aus dem Lautsprecher drang das Prasseln magnetischer Störungen. Dazwischen aber ertönte leise, doch gut vernehmbar, eine Stimme und sprach Worte, die sich zu Sätzen reihten. Sätze, deren Sinn den beiden verborgen blieb, aber ...
„Menschen!“ schrie Fred Bellamy auf. „Walt, das sind Menschen, daran läßt sich nicht zweifeln.“ „Es scheint so“, sagte der Kommandant mit leiser Stimme. „Leider bedienen sie sich einer vollkommen fremden Sprache – es hätte mich auch sehr gewundert, wenn man uns hier im Nebel mit einem reinen Englisch begrüßt hätte. Hoffen wir, daß diese Rasse sich nicht sehr von uns unterscheidet und unsere Irrfahrt auf ihrer Welt ein Ende findet.“ Noch immer ertönte die fremde Stimme aus dem Lautsprecher, machte nach einigen Sätzen eine Pause und sprach dann wieder weiter. Bald schon drehte Gerald Hartmann den Ton leiser und wandte sich an Cornell. „Es kann kein Zweifel daran bestehen, daß der Sprecher immer wieder dieselben Worte wiederholt, Walt. Da auch der Tonfall immer der gleiche bleibt, ist daraus zu schließen, daß es sich um eine automatische Wiedergabe handelt und ...“ Er unterbrach sich, horchte auf und drehte dann wieder am Lautstärkeknopf des Empfängers. Doch alle Bemühungen blieben umsonst – der fremde Sender arbeitete nicht mehr! Zwei Stunden waren vergangen. Gerald Hartmann hatte verzweifelt versucht, die ferne Stimme erneut einzufangen, doch bis auf die statischen Störungen blieb der Empfänger stumm. Walt Cornell legte Hartmann tröstend die Hand auf die Schulter. „Nimm es nicht so schwer, Gerald.“ Ganz von selbst hatte sich das Du zwischen ihnen eingebürgert. „Wir wissen jetzt, daß die Sonne dort vorn Planeten besitzt, auf denen es Menschen gibt, und das ist die Hauptsache.“ Dr. Reynolds meldete sich zum Wort. „Sind Sie da nicht vielleicht zu optimistisch, Sir? Möglicherweise ist diese Rasse bereits untergegangen und nur der Sender arbeitet noch von Zeit zu Zeit. Vielleicht ist dieser Ruf ein Hilferuf, den sie aussandten, weil innen der Kältetod bevorstand?“
Der Kommandant schüttelte den Kopf. „Das glaube ich nicht, Doc. Gesetzt den Fall, auf der Erde wäre zu unserer Zeit eine neue Eiszeit gekommen, so hätte doch der Großteil der Menschen überlebt. Eine Technik, die bereits Hyperfunkanlagen kennt, ist soweit fortgeschritten, daß sie auch mit diesem Ereignis fertig wird.“ „Das können Sie nicht mit der Lage hier vergleichen“, widersprach der Wissenschaftler. „Eine Eiszeit zieht immer nur Teile eines Planeten in Mitleidenschaft. Hier aber im Dunkelnebel erkaltet jeder Planet vollkommen, wenn er nicht sehr nahe an der Sonne steht!“ „Trotzdem muß ich Walt recht geben“, bemerkte Fred Bellamy. „Mit den entsprechenden technischen Hilfsmitteln hat eine Rasse immer gute Überlebenschancen, wenn auch vielleicht ein Teil ...“ „Ruhe, Fred!“ rief Gerald Hartmann dazwischen. „Der fremde Sender arbeitet wieder!“ „... haben es trotzdem geschafft, am Leben zu bleiben“, sagte der ferne Sprecher gerade. „Wir haben Kuppelstädte errichtet, in denen alle Menschen untergebracht sind. Atomkraft hilft uns, sie zu beheizen und die Versorgung zu sichern. Zwanzig Millionen Menschen leben hier, Abkömmlinge der Kolonisten des Raumschiffes SUNFIRE, das durch einen technischen Defekt hierher verschlagen wurde. Wer uns hört, der möge Antwort geben! Wela wartet.“ „Sender einschalten“, befahl Walt Cornell mit versagender Stimme. Doch Gerald Hartmann hatte bereits gehandelt und sprach in das Sendermikrophon. „Raumschiff ARCHIMEDES ruft Wela! Wir sind im Anflug auf Ihr System, nachdem wir ebenfalls in Raumnot geraten waren. Wenn Sie uns gehört haben, geb en Sie bitte Antwort. Raumschiff ARCHIM EDES ruft Wela ...“ In der Funkstation auf dem Eisplaneten schlugen seine Worte wie eine Bombe ein. Das Band mit der Stimme Olas Kelums war erst viermal abgelaufen, als die Antwort kam. Trag Igram hatte zu Beginn der neuen Sen-
dung wieder die alte Wellenlänge eingestellt, die einst die Vorfahren benutzt hatten. Er selbst konnte die Worte in der Tempelsprache, dem alten Englisch, nicht verstehen, aber die beiden Priester und Pook Kelum verstanden um so besser. Mit zitternden Händen griff Arol Kelum zum Mikrophon, nachdem Trag das Band abgeschaltet hatte. „Wela ruft ARCHIMEDES. Wir freuen uns so ...“ Seine Stimme versagte, und Tränen standen in seinen Augen. * Deutlich zeichnete sich auf dem Radarschirm das Bild des Planeten ab, dem das Schiff entgegenfiel. In den Tagen seit der ersten Kontaktaufnahme war das Hyperfunkgerät fast ständig in Betrieb gewesen. Beide Seiten hatten laufend Informationen ausgetauscht und über ihr Schicksal berichtet. Erschüttert hatten die Männer der ARCHIMEDES vernommen, daß die SUNFIRE bereits vor mehr als zweitausend Jahren auf Wela angekommen war. Also hatten sich die Befürchtungen Dr. Reynolds doch bewahrheitet, als er prophezeite, daß während ihres Aufenthalts im Hyperraum eine lange Zeitspanne vergangen sein könnte ... Doch das alles zählte nicht mehr. Das Schicksal war gnädig gewesen. Trotzdem blieb in den Männern das Staunen über die Tatsache, daß sie ausgerechnet hier herausgekommen waren, wo sich einst die SUNFIRE befunden hatte. Ein fast unglaublicher Zufall – oder eine Fügung von höherer Hand? Die ARCHIMEDES ging in einen Orbit um Wela und orientierte sich nach den Funkhilfen, die ihr von Bersa aus gegeben wurden. Dann ging sie langsam unweit der Stadt nieder. Walt Cornell schleuste den mitgeführten Gleiter aus und flog mit Fred Bellamy hinüber zur Kuppel, in deren Basis sich ein Tor öffnete. Schweigend standen sie sich erstmal gegenüber, die Raumfahrer und die Nachkommen ihrer längst vergangenen Kameraden. Cornell
musterte die Gesichter der beiden Alten und streckte ihnen dann die Hand entgegen. Arch Netah sprach herzliche Willkommensworte und wies dann auf seinen jungen Begleiter, der Walt Cornell ein Buch entgegenhielt. Verwundert nahm der Kommandant es entgegen. „Das Bordbuch der SUNFIRE“ sagte Olas Kelum bewegt. „Ich fand es in dem alten Schiff, als ich auf der Insel der Verbannten weilte.“ „Insel der Verbannten?“ widerholte Cornell verständnislos. Arch Netah zog eine Grimasse. „Das ist eine lange und nicht immer erfreuliche Geschichte – ihr werdet sie noch erfahren ...“ ENDE