Diese Chance geb ich dir Christine Rimmer Tiffany 923 26/2 2000
gescannt von suzi_kay korrigiert von Joe
1. KAPITEL D...
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Diese Chance geb ich dir Christine Rimmer Tiffany 923 26/2 2000
gescannt von suzi_kay korrigiert von Joe
1. KAPITEL Das Geschäft und auch die steile, recht enge Straße, in der es lag, hatten einen Hauch von vergangenen Ze iten an sich. Auf dem Schild über der Tür stand in geschwungenen Buchstaben "Linen and Lace". Weinblätter rankten sich elegant um die Worte. Mack McGarrity stand unter einer gestreiften Markise, die Hände in den Taschen, und blickte in das Schaufenster links neben dem Eingang zum Geschäft. Ein Messing-Himmelbett war mit einer weißen Spitzengardine geschmückt und mit feinen weißen Laken bezogen, auf denen Kissen in weißen Spitzenbezügen drapiert waren. An der einen Seite des Bettes stand eine weiße Kommode mit einer altmodischen Waschschüssel aus Porzellan und dem passenden Wasserkrug. Auf der anderen Seite befand sich ein Nachttisch, auf dem eine Vase mit weißen Rosen und eine weiße Tiffanylampe standen. Weiße Spitzennachthemden waren in einem kunstvollen Durcheinander über die Kissen gebreitet worden, als ob die Besitzerin sich nicht hatte entscheiden können, welches sie tragen wollte. Mack lächelte. In ihrer Hochzeitsnacht hatte Jenna auch so ein Nachthemd getragen. Es war fast durchsichtig gewesen, mit Spitze am Kragen und kleinen rosa Rosen, die um die winzigen Perlmuttknöpfe gestickt waren.
Diese Knöpfe hatten ihn in große Schwierigkeiten gebracht. Sie waren so verdammt klein, und er war so nervös gewesen, obwohl er versucht hatte, sich das nicht anmerken zu lassen. Aber Jenna hatte es natürlich gespürt und ihn geneckt: "Es ist schließlich nicht unser erstes Mal, Mack." "Für mich ist es das erste Mal. Mein erstes Mal mit meiner Ehefrau." Seine Stimme hatte rau geklungen vor unterdrückten Empfindungen, die er dann im Lauf ihrer Hochzeitsnacht vor Jenna enthüllt hatte. Mack schüttelte die Erinnerung ab, ging entschlossen zur Tür von "Linen and Lace" und trat ein. Der Duft fiel ihm als Erstes auf - blumig, aber nicht zu süß, sondern eher eine Spur würzig, wie Zimt. Es war nicht genau Jennas Duft, aber diese besondere Mischung erinnerte ihn an sie. Als Jenna die Türglocke gehört hatte, hatte sie in Erwartung eines Kunden unwillkürlich gelächelt. Doch nun, als sie sich umdrehte, verschwand das Lächeln auf ihren Lippen sofort. Es war Mack. Ihr Exmann - hier in ihrem Geschäft. Nach all den Jahren. Fast hätte sie vor Aufregung nach Luft geschnappt. Er sah blendend aus. Natürlich ein wenig älter, doch irgendwie entspannter, als sie ihn in Erinnerung hatte. Und nur allzu gut erinnerte sie sich an seine bemerkenswerten Augen, die sie nun so eindringlich anblickten. Sie waren weder tiefblau noch tiefgrau, sondern hatten das Farbspiel eines leicht bewölkten Himmels. Er lächelte - sein wunderschönes, halb spöttisches, halb verlegenes Lächeln, mit dem er sie vor neun Jahren im Sturm erobert hatte. Damals hätte er auf demselben Flur wie sie gewohnt. Und sie hatte wegen ihres Katers bei ihm angeklopft. Als er die Tür geöffnet hatte, hatte er auch tatsächlich Byron auf dem Arm gehabt, und dieser geschmeidige mittemachtsschwarze Verräter hatte die Frechheit gehabt zu schnurren, als ob er dort hingehörte.
"Ich muss Ihnen sagen, dass das mein Kater ist, den Sie da dauernd füttern", hatte sie ihm mitgeteilt und ihr Bestes getan, um erbost zu wirken. Er hatte gelächelt, geradeso wie er es jetzt tat, und es war wie die Sonne gewesen, die an einem grauen, kühlen Tag hinter den Wolken hervorsieht, und sie hatte auf einmal eine Wärme gespürt, die sich bis in ihr Innerstes ausgebreitet hatte. "Kommen Sie doch herein", hatte er vorgeschlagen, während er immer noch ihren Kater gestreichelt hatte. "Dann können wir uns in Ruhe darüber unterhalten." Sie hatte keine Sekunde daran gedacht, das abzulehnen. Und jetzt, so viele Jahre später, hatte sie allein bei seinem Anblick das Gefühl dahinzuschmelzen und bekam weiche Knie. Aber sie war auch beunruhigt. Warum war er gekommen? Als sie ihn vor drei Tagen angerufen hatte, hatte sie nur eine Sache von ihm verlangt, und er hatte versprochen, es zu tun. Bedeutete sein plötzliches Erscheinen, dass er seine Meinung geändert hatte? Sie wandte sich demonstrativ wieder der Kundin zu, um die sie sich gerade gekümmert hatte, und sah aus den Augenwinkeln, wie er langsam im Geschäft herumging und sich ihre Ware ans chaute, als ob er tatsächlich die Absicht hätte, etwas zu kaufen. Er kam ihr so seltsam geduldig vor, ganz und gar bereit zu warten, bis sie Zeit hatte, zu ihm zu kommen. Diese erstaunliche Geduld machte ihr fast ebenso zu schaffen wie sein unerwartetes Auftauchen. Denn der Mack, den sie kannte, war ganz und gar kein geduldiger Mann. Aber die Dinge hatten sich seit damals natürlich geändert. Damals war Mack ein Mann mit einer Vision gewesen. Er war entschlossen gewesen, sich einen der besten Plätze in dieser Welt zu sichern und hatte unaufhörlich auf dieses Ziel hingearbeitet. Und jetzt besaß er Millionen.
Aber vielleicht bedeutete dieser Reichtum ja nicht nur, dass er sich eine Villa in Florida und eine Yacht leisten konnte. Offenbar konnte er sich auch leisten zu warten. Ihre Kundinnen gaben sich die Klinke in die Hand, und fast eine Stunde verging, bevor Jenna sich mit Mack allein im Geschäft befand. Sie musste sich zwingen, seinen Namen auszusprechen. "Hallo, Mack." "Hallo, Jenna." Wortlos sah sie in sein sonnengebräuntes Gesicht. Die kleinen Fältchen in den Augenwinkeln waren ein wenig tiefer geworden. Sein braunes Haar trug er immer noch praktisch kurz, die Sonne hatte es aufgehellt. Es sah sehr gut aus. Und sie starrte ihn schon viel zu lange an. Sie blickte auf einen fernen Punkt an der Wand und wusste nicht, was sie sagen sollte. Also war er es, der das Wort ergriff. "Mein Anblick hat dich sprachlos gemacht, was?" Sie begegnete seinem Blick, holte tief Luft und sagte nervös: "Nun, ich muss zugeben, dass ich nicht verstehe, warum du hier bist. Es ist ein weiter Weg von Key West nach Meadow Valley in Kalifornien." Zuerst hatte sie es kaum glauben wollen, dass Mack, der arbeitswütige Anwalt, nicht in einer Metropole wohnte und sich gerade auf seiner Yacht im Golf von Mexiko die Zeit vertrieb. Die Vorstellung, ihr aktiver, erfolgsbesessener Mann - nein, Exmann - könnte sich irgendwo einfach nur treiben lassen, schien ihr ein Widerspruch in sich zu sein. Zunehmend nervös wünschte sie, er würde aufhören, sie mit diesem amüsierten, seltsam wissenden Ausdruck anzusehen. Sie fühlte sich, als ob sie wieder einundzwanzig wäre und ein aufgeregtes kleines College-Girl statt einer reifen, ausgeglichenen Dreißigjährigen.
Es war schon schwierig genug für sie gewesen, zum Hörer zu greifen und ihn anzurufen, nachdem sie ihn mit Hilfe eines seiner früheren Kollegen aufgespürt hatte. Sie hatte sich sehr überwinden müssen, ihn um die Papiere zu bitten, die sie brauchte. Sie hatte ihn seit sieben Jahren nicht mehr gesehen, und fünf Jahre waren vergangen, seit ihre Scheidung rechtskräftig hätte sein sollen. Jetzt stand er ihr hier gegenüber, und sie war völlig aufgewühlt, atemlos verwirrt und unruhig - als ob sein bloßer Anblick alte Wunden aufgerissen hätte. Das durfte nicht sein. Der Schmerz, den er ihr zugefügt hatte, gehörte der Vergangenheit an, ebenso wie ihre Sehnsucht nach ihm, ihre Zärtlichkeit und ihre Liebe für ihn. Jetzt sollte sie in der Lage sein können, ihn anzulächeln, seine Nähe gelassen hinzunehmen und ihn ruhig zu fragen, ob er ihr die Papiere gebracht habe. Sie räusperte sich. "Hast du beschlossen, mir die Papiere persönlich zu bringen? Das wäre nicht nötig gewesen, Mack. Wirklich nicht." Er antwortete nicht sofort, sondern sah sie nur unverändert eindringlich an, dass ihr schon wieder die Knie weich wurden. Am liebsten hätte sie ihn angeschrien, wo die Papiere seien. Doch da ging erneut die Türglocke, und Jenna wandte sich lächelnd um. "Ich komme gleich zu Ihnen." "Keine Eile." Die neue Kundin, eine elegant gekleidete Dame um die vierzig, ging zielstrebig auf ein Regal mit Tischdecken zu. Mack sagte leise: "Ich möchte mit dir reden. Allein." "Nein!" Sie hatte nicht vorgehabt, so verzweifelt zu klingen. "Doch." Seine Stimme war noch leiser und sanfter, aber unnachgiebig. "Miss? Ich kann kein Preisschild finden." Hastig setzte Jenna ein strahlendes Lächeln auf und drehte sich zu der Kundin. "Ich komme sofort, nur einen Moment." Als
sie Mack wieder ansah, zischte sie: "Wir haben uns nichts zu sagen." "Ich denke, doch." "Du kannst nicht einfach ..." Ihre Stimme wurde unwillkürlich lauter, und Jenna unterbrach sich, um sich wieder in den Griff zu bekommen. "Du kannst nicht einfach nach so vielen Jahren hier hereinspazieren", flüsterte sie, "und von mir erwarten ..." "Jenna." Er nahm ihre Hand in seine, und bevor sie sie ihm entreißen konnte, zog er sie hinter ein Regal mit Handtüchern aus ägyptischer Baumwolle. Noch ganz verblüfft, dass er es tatsächlich wagte, sie zu berühren, starrte sie auf ihre verschränkten Hände. "Lass mich los", fuhr sie ihn wütend an. Er folgte ihrer Bitte sofort, was sie noch mehr verblüffte. "Ich erwarte nichts von dir", erwiderte er ruhig. "Ich möchte nur mit dir sprechen." Sie sah es ihm an, dass er sich nicht abweisen lassen würde. Sie würde sich also mit ihm auseinander setzen müssen. In diesem Moment dachte sie schuldbewusst an Logan, ihren lieben Freund von der Highschool, der jetzt ihr Verlobter war. Logan hatte so lange darauf gewartet, sie zu seiner Braut zu machen, und als dieses kleine Problem mit der Scheidung von Mack aufgetaucht war, hatte er wie immer vollstes Verständnis gezeigt. Logan hatte ihr keine Vorwürfe gemacht und sie nicht gefragt, wie sie es geschafft habe, ganze fünf Jahre lang zu vergessen, dass sie nie ihre Kopie vom endgültigen Scheidungsurteil erhalten hatte. Logan hatte ihr nur ruhig geraten, dass sie die Dinge jetzt in Ordnung bringen sollte. Daraufhin hatte sie Mack angerufen, und Mack hatte gesagt, dass er die Papiere habe und sie unterzeichnen und ihr zuschicken würde. In knapp sechs Monaten würden sie und Logan also heiraten können.
Logan, ein Arzt mit gut gehender eigener Praxis, war vor zwei Tagen zu einer Fachtagung nach Seattle gefahren. Er würde vor Sonntagnacht nicht zurück sein - das waren noch zwei Tage. Bis dahin, da war Jenna sicher, würde sie alles unter Kontrolle haben. Sie würde sich anhören, was Mack ihr zu sagen hatte, die Papiere von ihm erhalten und ihn seiner Wege schicken. "Miss?" Es war wieder die Kundin, die allmählich ungeduldig wurde. "Geh zu ihr", sagte Mack. "Ich warte." Nachdem die Kundin zufrieden gestellt und gegangen war, seufzte Jenna und gab nach. "Okay, ich schließe um sieben. Danach können wir reden. Komm zu mir nach Hause. Lacey ist zurzeit bei mir zu Besuch, aber sie wird uns nicht stören." "Lacey ...", er sprach den Namen ihrer jüngeren Schwester mit mehr Interesse aus, als er früher jemals gezeigt hatte, "wo wohnt sie denn jetzt?" "In Los Angeles." "Und was macht sie hier? Banken ausrauben?" Sie schenkte ihm ein säuerliches Läche ln. "Sie ist Malerin, und zwar eine sehr talentierte." "Immer noch eine Rebellin, meinst du." "Lacey lebt nach ihren eigenen Regeln." "Das glaube ich dir. Und wie geht es deiner Mom?" Jenna konnte einen Moment nicht sprechen. "Sie ist vor zwei Jahren gestorben", brachte sie dann leise hervor. "Oh, das tut mir Leid, Jenna." Sie hätte schwören können, dass er, als ihre Mutter noch am Leben gewesen war, kaum jemals an Margaret Bravo gedacht hatte. Mack McGarrity machte sich nicht viel aus Familienbanden. Aber im Augenblick schien er aufrichtig betroffen zu sein.
"Danke, Mack." Sie holte tief Luft. "Um sieben Uhr also. Bei mir zu Hause." "Ich werde dort sein." "Und bring die Scheidungspapiere mit. Du hast sie doch, oder?" Er nickte. Er hatte die Papiere also. Sie atmete erleichtert auf. Vielleicht würde das Ganze doch nicht so unangenehm werden, wie sie gefürchtet hatte. Jenna ging zu Fuß nach Hause. Es waren nur drei Blocks von ihrem Geschäft bis zu dem großen Haus in der West Broad Street, wo sie aufgewachsen war, und sie genoss den Spaziergang. Sie winkte ihren Nachbarn zu, atmete den frischen Duft der Kiefern ein und dachte, wie sehr sie ihre Heimatstadt doch liebte. Maedow Valley befand sich am Fuß der Sierra und war eine reizende Ansammlung von steilen, baumgesäumten Straßen und hübschen alten Holzhäusern. Zu Hause fand Jenna eine Nachricht von Lacey vor. "Habe ein heißes Date. Warte nicht auf mich." Jenna lächelte. Wenn Lacey einen warnte, dass es spät werden würde, dann meinte sie das auch. Schon als Kind war ihre kleine Schwester niemals freiwillig vor zwei Uhr nachts zu Bett gegangen. Jenna runzelte die Stirn. Ohne Lacey würden sie und Mack allein im Haus sein. Sie zerknüllte das Papier und warf es in den Mülleimer am Spülbecken. Dort sah sie Byron. Er saß auf dem Boden, den langen schwarzen Schwanz um die Vorderpfoten gewickelt, und blickte gelangweilt zu ihr auf. "Ich will nicht allein mit ihm sein", sagte sie zu ihrem Kater. "Und frag mich nicht, warum. Und sieh mich auch nicht so an." Der Kater fing an, ruhig vor sich hin zu schnurren. Byron war ungemein eigensinnig, und im Schnurren konnte es keiner mit ihm aufnehmen.
Jenna nahm ihn hoch und setzte sich ihn auf die Schulter. "Wenn du nachher außer dir bist vor Freude, ihn wieder zu sehen, werde ich dir das nie verzeihen." Sie streichelte sein rabenschwarzes Fell, und er schnurrte noch lauter. "Ich meine es ernst", fügte sie finster hinzu, aber Byron blieb völlig ungerührt. "Schon gut, schon gut. Dein Abendessen." Sie füllte seinen Napf und überließ Byron seinem Mahl. In ihrem Zimmer zog sie ihr Leinenkostüm aus, schlüpfte in eine bequeme Hose und ein weites Hemd und fuhr kurz mit den Fingern durch ihr knapp schulterlanges blondes Haar. Als sie danach in die Küche zurückging, um sich ein großes Glas Fastee einzuschenken, dachte sie nicht daran, etwas auf den Tisch zu zaubern, das den Gaumen eines Mannes befriedigen könnte. Sie hatte sich nicht für Mack herausgeputzt, und er würde auch kein Dinner vorgesetzt bekommen. Sie wollte nur die endgültigen Scheidungspapiere von ihm haben, die er schon vor fünfeinhalb Jahren hätte unterschreiben sollen. Und dann wollte sie, dass er nach Florida abreiste, wo er hingehörte. Zehn Minuten später klingelte es, und sie öffnete die Tür. Mack hatte wieder sein umwerfendes Lächeln aufgesetzt. Zwei Kellner standen hinter ihm. Jenna blinzelte. Tatsächlich, Kellner! In gestärkten weißen Hemden, schwarzem Frack und schwarzen Fliegen. Einer trug einen runden Tisch, der andere hatte unter jedem Arm einen Stuhl. "Was in ..." "Du hast doch nichts gekocht, oder? Wenn ja, heb es für ein anderes Mal auf. Ich habe unser Dinner gleich mitgebracht." "Aber ich ... Du ... Ich denke nicht..." "Du stotterst", bemerkte er nachsichtig. Dann winkte er den Kellnern. "Hier entlang. Jenna, Liebling, du musst ein wenig beiseite gehen." "Ich bin nicht dein ..."
"Entschuldige, alte Gewohnheit. Und jetzt mach ein bisschen Platz." Er nahm sie bei den Schultern und schob sie sanft von der Tür fort. Die Kellner folgten ihm in den vorderen Salon, wo sie den Tisch auf den handgewebten Teppich ihrer Mutter stellten. In den folgenden zehn Minuten versuchte Jenna, Mack einige Male zu sagen, dass sie nicht mit ihm zu Abend essen wolle. Aber er gab vor, sie nicht zu hören, während die Kellner hin und her eilten und aus einem Lieferwagen vor dem Haus Tischdecke, Teller und einen wunderschönen Tafelaufsatz holten. Das Essen stellten sie auf einen Beistelltisch. Es sah verlockend aus und duftete köstlich. Als alles fertig war, zündete einer der Kellner die Kerzen an, und der andere rückte Jenna einen Stuhl zurecht. Jenna sah misstrauisch Mack an. "Das gefällt mir nicht." Er setzte eine Unschuldsmiene auf, die sie ihm keine Sekunde lang abkaufte. "Komm schon, Jenna. Es ist nur ein Dinner." Sie nahm nun Platz, und Mack setzt e sich ihr gegenüber. Kaum hatten sich die beiden Kellner höflich verabschiedet, legte Jenna sich einen Löffel voll gefüllter Champignons und eine Auster auf den Teller. Sie strich Butter auf eine warme Scheibe Brot, nahm sich eine großzügige Portion Salade Nicoise und eine bescheidenere von den Kalbsschnitzeln mit Marsalasauce. Es schmeckte alles hervorragend, und Jenna aß mit Genuss. Nur den Wein rührte sie nicht an. Mack versuchte indessen, eine Unterhaltung in Gang zu bringen. Er fragte nach ihrem Geschäft und machte ihr Komplimente über die Dekoration des Schaufensters. Er erkundigte sich nach Lacey und ihrem Leben als aufstrebende junge Künstlerin in Südkalifornien. Jenna antwortete einsilbig; nur wenn es gar nicht anders ging, ließ sie sich zu einer Erwiderung in einem ganzen Satz herab, um sich gleich darauf wieder ihrem Essen zu widmen.
Sie war in zehn Minuten mit dem Essen fertig und schob ihren Teller beiseite. "Danke, Mack. Es war köstlich." "Ich bin ja so froh, dass es dir geschmeckt hat", meinte er trocken, leerte sein Glas und griff nach der Weinflasche. Sie nickte knapp. "Du hast kaum etwas gegessen." "Aus irgendeinem Grund fühle ich mich gehetzt, und das hat mir den Appetit verdorben." Er schenkte sich ein. "Nun, wenn dir nicht nach Essen zu Mute ist, können wir jetzt ja zu dem eigentlichen Grund unseres Treffens kommen." Er betrachtete ihren Verlobungsring. "Hübscher Ring." "Danke, mir gefällt er auch. Können wir jetzt über das reden, was dich hergeführt hat?" "Aber ja." Sie straffte die Schultern und hob eine Spur das Kinn an. "Wie ich dir schon am Telefon gesagt habe, möchte ich wieder heiraten." "Meine Glückwünsche." Mack nahm einen winzigen Schluck von seinem Wein. "Aber solltest du nicht zuerst deinen ersten Mann loswerden, bevor du an einen zweiten denkst?" "Ich bin meinen ersten Mann schon los", erwiderte Jenna mit mühsam beherrschter Stimme. "Oder zumindest sollte ich das sein. Alles war geregelt." "Für dich vielleicht." "Alles war klar, Mack! Nur dass du nie dazu gekommen bist, die Papiere zu unterschreiben, die mein Anwalt deinem Anwalt geschickt hat." Versonnen blickte er in sein Glas. "Es war damals eine sehr schwierige Zeit. Ich hatte viel um die Ohren." Sie ging auf seine fadenscheinige Erklärung nicht ein. "Der springende Punkt ist, dass es vorbei ist, Mack. Seit langem, und das weißt du auch. Aber ich weiß nicht, warum du jetzt nach all diesen Jahren hier bist, und ich will es auch gar nicht wissen." Er sah sie ernst an. "Das glaube ich dir nicht."
"Glaub, was du willst. Aber..." Gib mir die verflixten Papiere und verschwinde aus meinem Leben! wollte sie ihn anschreien. Doch sie riss sich zusammen und fragte nur: "Hast du die Papiere?" "Nicht bei mir", antwortete Mack seelenruhig. Jenna hätte ihm am liebsten eine schwere Vase an den Kopf geworfen. Sie atmete tief durch, um sich zu beruhigen. "Du hast gesagt, du hättest die Papiere." "Stimmt ja auch. Ich habe sie heute Abend nur nicht mitgebracht." "Du hast gelogen." "Ich habe nicht gelogen. Du hast mich nur missverstanden." Sie nickte. Sie würde ihm nicht den Gefallen tun, die Beherrschung zu verlieren. "Du wolltest mit mir reden. Also fang an, Mack. Sag mir, was los ist." Er stellte sein Weinglas ab. "Jenna, ich ..." Mack unterbrach sich, als etwas seine Aufmerksamkeit erregte. Jenna folgte seinem Blick zu dem schwarzen Kater, der in diesem Moment in der offenen Tür erschienen war. "Mein Gott, ist das ..." "Byron", ergänzte sie widerwillig, und im gleichen Augenblick flüsterte er: "Bub?" Byron kam mit hoch erhobenem Schwanz zu ihnen herüber und sprang auf Macks Schoß, machte es sich dort bequem und begann zu schnurren. Mack streichelte sein glänzendes schwarzes Fell. Jenna wandte halb wütend, halb gerührt den Blick ab. Nach so vielen Jahren sah sie ihn wieder mit Byron zusammen. Mack beobachtete sie. Sein Blick war wehmütig und voller Zärtlichkeit. "Er ist ein wenig grau geworden um den Hals herum." Es schnürte Jenna die Kehle zu, und sie räusperte sich verärgert. "Er ist kein junger Kater mehr. Er war schon erwachsen, als er uns zulief."
Unwillkürlich dachte sie an ihre erste Begegnung mit Mack zurück, denn der Grund dafür war der Kater gewesen. Es war neun Jahre her. Eine Ewigkeit, und doch kam es ihr vor wie gestern. Sie war in ihrem ersten Semester an der Hochschule für Wirtschaft ge wesen, und Mack war fünfundzwanzig gewesen und gerade fertig mit seinem Jurastudium. Nachdem er sie in seine Wohnung geführt hatte, hatte er ihr mitgeteilt, dass Bub ihn adoptiert habe. "Nein", hatte sie widersprochen, "Byron hat mich adoptiert, gleich am ersten Tag vor drei Wochen, als ich hier eingezogen bin. Und überhaupt, was für ein Name soll denn ,Bub' sein?" "Ein besserer als Byron. Typisch für eine Frau, einen Kater ausgerechnet so zu nennen." Nachdem sie noch eine Weile hin und her geredet hatten, hatte er vorgeschlagen: "Wir könnten ihn uns ja teilen ...." Er hatte ihr tief in die Augen geschaut und sie auf eine Weise angelächelt, dass sie Halt suchend nach etwas getastet hatte, an das sie sich anlehnen konnte, weil ihr plötzlich die Knie gezittert hatten. "Teilen?" "Ja." Danach hatten sie sich weiter unterhalten, aber sie erinnerte sich nur noch an seine Stimme, an seine Augen, und daran, dass sie das Gefühl gehabt hatte, eine Tür geöffnet zu haben, hinter der eine völlig neue Welt lag. Eine glänze nde, goldene Welt, eine Welt, in der es Mack McGarrity gab. Am Ende waren sie übereingekommen, sich Byron - oder Bub, wie Mack ihn nannte - zu teilen, und Mack hatte vorgeschlagen, das bei einem Dinner zu feiern. Sie hatte die Idee wunderbar gefunden. Sie hatten in einem billigen italienischen Restaurant in der Nähe gegessen. Und als sie zurückkamen, hatte Mack sie noch auf einen Kaffee zu sich eingeladen. Sie war auch nach dem
Kaffee noch geblieben und hatte die Nacht mit ihm in seinem Bett verbracht oder vielmehr auf seiner Matratze auf dem Boden. Zu der Zeit hatte Mack McGarrity sich ein Bett noch nicht leisten können. Nach jener Nacht war sie zu ihm gezogen. Zwei Monate später, am 10. November, hatten sie geheiratet, und sie hatte sich für die glücklichste Frau auf Erden gehalten. "Jenna." Macks Stimme riss sie aus ihren Erinnerungen. Byron schnurrte immer noch zufrieden. "Ich habe nachgedacht, nachdem du mich angerufen hast." Nein, dachte sie. Sag es nicht. Sag es bitte nicht. Aber er tat es natürlich doch. "Du kannst den Medizinstudenten nicht heiraten, Jenna. Noch nicht." "Logan ist kein Medizinstudent mehr", sagte sie gereizt. "Es sind seitdem viele Jahre vergangen, Mack, falls es dir noch nicht aufgefallen sein sollte." Er hörte auf, Byron zu streiche ln, und sah sie mit seinen graublauen Augen durchdringend an. "Doch, es ist mir aufgefallen, glaub mir." "Logan ist ein sehr guter Arzt geworden mit einer sehr gut laufenden Praxis hier in Meadow Valley." "Es ist mir egal, ob er ein zweiter Christian Bamard ist. Du kannst ihn jetzt nicht heiraten." Jetzt konnte sie nicht mehr still sitzen bleiben. Entrüstet sprang sie auf. "Das sieht dir ja so ähnlich! Nach all diesen Jahren tauchst du hier einfach aus dem Nichts auf und sagst mir, wie ich mein Leben führen soll. Nun, ich werde nicht mehr auf dich hören. Ich will die Papiere haben, die du versprochen hast zu unterschreiben, Mack. Und zwar sofort." Er machte eine wegwerfende Handbewegung und streichelte dann wieder Byron, als ob nichts wäre. "Du wirst sie ja bekommen. Nur nicht sofort." Ich werde ihn nicht anschreien, sagte sie sich und zwang sich, ruhig zu fragen: "Was heißt das genau: ,Nur nicht sofort'?"
"Es heißt, dass ich vorher etwas Zeit mit dir verbringen will." Sie starrte ihn ungläubig an. Ihr gefiel die Richtung, die das Gespräch genommen hatte, ganz und gar nicht. Aber sie musste wissen, was er wollte. "Zeit wofür?" Byron sprang in diesem Moment von Macks Schoß herunter. Die kleine Glocke an seinem Halsband klingelte leise, als er sich auf den Boden legte und anfing, sich zu putzen. Mack schaute ihm dabei zu. "Mack", sagte sie ungeduldig. "Zeit wofür?" Er musterte sie, und sein Gesicht nahm den Ausdruck an, den sie immer sein Anwaltsgesicht genannt hatte - beherrscht, unnahbar, allwissend. "Wir hatten einmal etwas sehr Schönes zusammen. Ich gebe zu, dass es vor allem mein Fehler war, dass wir es verloren haben. Aber ich möchte ein wenig Zeit mit dir, um zu verstehen, was schief gegangen ist." Die widersprüchlichsten Gefühle überkamen sie, und ihr zitterten schon wieder die Knie, was sie erst recht verwirrte und wütend machte. "Mack, ich möchte nur die unterschriebenen Papiere. Bitte." "Wie ich schon sagte, du wirst sie bekommen. Nachdem du zwei Wochen mit mir verbracht hast." Sie musste schlucken. "Zwei Wochen?" "Genau. Zwei Wochen allein mit mir." Jetzt musste sie sich wieder setzen. Benommen schloss sie kurz die Augen und fuhr sich mit einer Hand durchs Haar. "Mack, das kannst du nicht tun. Ich lass mich einfach noch mal von dir scheiden." Er lächelte, schien aber nicht besonders amüsiert zu sein. "Das würde nur noch länger dauern, Jenna. Es hat das erste Mal über ein Jahr gedauert. Und da haben wir nur um Bub gekämpft." Lächerlich, dachte sie, das war lächerlich und kleinlich. Sie war in Meadow Valley gewesen, als sie die Scheidung einreichte, und Mack noch immer in New York, wo er für eine
der angesehensten Anwaltsfirmen arbeitete. Er hatte einen Kollegen der Firma angewiesen, das "Sorgerecht" für Byron einzuklagen. Monatelang hatten sein Anwalt und ihrer Schreiben ausgetauscht, bis Mack plötzlich nachgegeben und Vernunft gezeigt hatte. Er hatte Byron ihr überlassen, und diese Frage war geregelt gewesen. Er hätte nur noch die verflixten Papiere zu unterschreiben brauchen, und die ganze Scheidung wäre in Ordnung gewesen. Mack nippte wieder an seinem Wein. "Bei einer neuerlichen Scheidung könnte ich es so einrichten, dass es eine Ewigkeit dauert. Ich hoffe, der gute Doktor wartet solange auf dich. Aber wahrscheinlich wird er das. Ich erinnere mich, wie er immer um dich herumscharwenzelte, als wir einmal Weihnachten hier verbrachten. Er wartete schon damals auf dich, obwohl du einem anderen gehörtest." Jenna suchte verzweifelt nach einer Drohung, die ihn dazu brächte, einen Rückzieher zu machen. "Ich werde einen ziemlich großen Batzen Geld aus dir herauspressen, wenn ich mich jetzt noch mal von dir scheiden lasse." Er lächelte. "Ach, was. Ich kenne dich, Jenna. Vor sechs Jahren wolltest du bis auf Bub auch nichts von mir haben." "Sei dir nicht so sicher. Ich habe mich geändert. Und außerdem warst du damals kein Multimillionär. Du warst einfach nur ein Anwalt wie alle anderen, der sich in seine Arbeit vergrub und darüber seine Frau vergaß. Jetzt bist du so reich, dass ich vielleicht nicht widerstehen kann, auf die Hälfte von allem zu bestehen." "Du weißt also, wie viel Geld ich habe?" fragte er amüsiert. "Woher?" Sie zuckte die Achseln. "Ich lese Zeitungen." Vor sechs Jahren hatte Mack die Verteidigung eines der größten Automobilhersteller des Landes übernommen, gegen den eine Schadensersatzklage erhoben worden war. Diesen Fall hatte sonst niemand in seiner Anwaltsfirma übernehmen wollen.
Und so hatte er es auf eigene Rechnung gewagt - mit Erfolg, denn sein Honorar hatte zehn Millionen Dollar betragen. "Wenn du hinter meinem Geld her bist, wird es dich freuen zu hören, dass ich die anfänglichen zehn Millionen inzwischen verdoppelt habe." "Ich bin sicher, du investierst sehr klug." "Nein, ich gehe große Risiken ein, und sie zahlen sich dann aus." "Schön", erklärte sie finster. "Das heißt, dass ich dir noch mehr abknöpfen könnte, wenn ich will. Und ich würde nicht zögern, Mack, ich warne dich!" Er sah sie nachdenklich an. "Du wirst ja richtig wütend, Jenna. Ich kann mich nicht erinnern, dass du jemals wütend geworden wärst. Du warst süß und schüchtern. Und du hast eher geweint, als böse zu werden." Sie schob den Stuhl zurück und stand auf. Sie fühlte sich viel besser, wenn sie von oben auf ihn herabsehen konnte. "Stimmt. Ich war damals ein Waschlappen, aber mittlerweile bin ich erwachsen geworden. Ich treffe die Entscheidungen. Und ich habe ein Leben, das nichts mit dir zu tun hat. Verstehst du das? Es gibt einen Mann in meinem Leben, den ich heiraten möchte, und ein Geschäft, das ich führen muss. Ich kann nicht einfach für zwei Wochen verschwinden. Und ich kann ganz bestimmt nicht meinen Verlobten links liegen lassen, um mit irgendeinem anderen Mann durch die Gegend zu ziehen." "Nicht mit irgendeinem anderen Mann, Jenna. Mit deinem Ehemann." "Du bist nicht mehr mein Ehemann! Nur in rein technischer Hinsicht." Er ging darauf nicht ein. "Ich bin sicher, jemand anderes kann sich in deiner Abwesenheit um dein Geschäft kümmern." "Ich werde niemanden bitten, da ich nirgendwo hingehen werde."
Jetzt stand auch Mack langsam auf. Er holte eine Karte aus seiner Jackentasche. "Ruf diese Nummer an und sag den Leuten, sie sollen sich um das Geschäft kümmern. Du brauchst keinen Finger zu rühren." Sie warf nicht einmal einen Blick auf die Karte. "Ich werde auf keinen Fall zwei Wochen mit dir verbringen, Mack." Sein Blick wurde fast zärtlich, "Denk darüber nach, Jenna. Zwei Wochen sind doch gar nicht so lang. Wir fahren in mein Haus in Key West. Es wird dir dort gefallen. Es ist ein schönes altes Haus, so wie dieses hier, aber es braucht die Hand einer Frau." "Engagier eine Innendekorateurin." Er achtete nicht auf ihren sarkastischen Einwurf. "Sobald die zwei Wochen um sind, bist du mich los. Es sei denn, wir beide beschließen, uns doch nicht scheiden zu lassen." "Ich brauche keine zwei Wochen, um das zu beschließen. Mein Entschluss stand schon vor langer Zeit fest." Mack gab vor, tief getroffen zu sein. "Jetzt hast du mich wirklich verletzt." Jenna ballte die Fäuste. "Das ist Erpressung und illegal." Er schüttelte den Kopf. "Nein, glaub mir, ist es nicht. Und ich muss es wissen, ich bin Anwalt." "Mack, bitte." Jenna wollte keine Mittel unversucht lassen. Selbst ihn anzuflehen war sie sich unter diesen Umständen nicht zu schade. "Bitte. Es hat doch keinen Zweck, siehst du das denn nicht? Ich möchte mich nicht mit dir vertragen. Es ist vorbei für mich. Und selbst wenn es das nicht wäre, wie kannst du nur glauben, dass zwei Wochen mit dir meine Meinung ändern könnten?" "Es ist einfach die einzige Möglichkeit, die mir bleibt." "Das ist verrückt. Ich habe dir doch gesagt, dass es nicht klappen kann." "Wer weiß. Und da du keine anderen Vorschläge hast..."
"Du willst andere Vorschläge? Wie wäre es denn damit, dass du dein Wort hältst und mir endlich die Papiere gibst?" "Nicht jetzt. Wenn du die Papiere haben willst, musst du erst zwei Wochen mit mir zusammen sein." "Mack, sei vernünftig." Er lächelte ungerührt. "Ich wohne im ,Northern Empire Inn'. Ruf mich an, wenn du bereit bist, meine Bedingungen anzunehmen."
2. Kapitel Das Telefon klingelte um neun. Es war Logan, der aus seinem Hotel in Seattle anrief. Während er Jenna von den neuen Erkenntnissen auf dem Gebiet der Kinderinfektionen erzählte, musste Jenna sich anstrengen, ihm zuzuhören. Sie versuchte, nicht an Mack und die unmögliche Situation zu denken, in die er sie gebracht hatte. "Jenna? Bist du noch da?" "Natürlich. Wie ist das Essen? Und bekommst du auch genug Schlaf?" "Essen? Ich habe schon Schlimmeres gegessen. Und ich schlafe genug, keine Sorge. Aber was ist mit dir? Fehle ich dir?" "Entsetzlich." Er lachte. "Übertreib es nicht, sonst werde ich noch misstrauisch." O Gott, wenn er wüsste! Eigentlich sollte er es auch wissen, und sie wollte es ihm ja auch sagen. Aber nicht ausgerechnet jetzt, wo er sie aus siebenhundert Meilen Ent fernung anrief. "Und was habt ihr, du und Lacey, heute Abend vor?" "Nichts. Ich kam nach Hause und fand nur eine Nachricht von ihr vor. Offenbar hat sie ein Date." "Ich wüsste gar nicht, dass Lacey mit jemandem in Meadow Valley ausgeht." "Tut sie wohl auch nicht. Wahrscheinlich ist es nur eine ihrer alten Highschool-Freundinnen, Mira oder Maud oder beide."
"Die schrecklichen Zwillinge. Beängstigend." Er sprach in scherzendem Ton, war aber sicher nicht wirklich amüsiert. Logan hatte nie ein Hehl daraus gemacht, dass er Laceys Freundinnen missbilligte. Er missbilligte auch Lacey, obwohl er sie immer freundlich behandelte. Einerseits sicher ihr, Jenna, zuliebe, aber vermutlich auch deshalb, weil er sich gern in der Rolle ihres großen Bruders sah. Als er jetzt fortfuhr, klang er ernst: "Geht es Lacey gut? Sie schien mir ein wenig ... na ja, bedrückt zu sein, als ich sie das letzte Mal sah." "Sie ist schon in Ordnung. Sie will sich nur ein wenig vom Stress erholen, sagt sie. Ein paar Wochen Faulenzen in ihrer Heimatstadt." "Sie sollte sich einen richtigen Job suchen. Immerhin ist sie fünfundzwanzig. Höchste Zeit, dass sie ein paar realistische Entscheidungen trifft. Warum zieht sie nicht wieder zurück nach Meadow Valley? Das Haus eurer Mutter gehört doch zur Hälfte ihr. Wenn wir beide verheiratet sind, kann sie es ganz für sich haben und hat dann so viel Platz, dass sie sich ein eigenes Atelier einrichten und in ihrer Freizeit malen kann. Sie sollte ..." "Logan", unterbrach sie ihn sanft. Er lachte. "Ich weiß, ich weiß. Es geht mich nichts an. Aber sie ist immerhin deine Schwester, und ich mache mir Sorgen um sie." "Das weiß ich doch, und es ist ja auch sehr lieb von dir." "Sag mir noch mal, wie sehr ich dir fehle." Sie konnte sich das liebevolle Lächeln auf seinem gut aussehenden Gesicht vorstellen. Ihr schlechtes Gewissen drohte sie zu ersticken. "Jenna?" "Du fehlst mir sehr. Und ich ..." Es schnürte ihr die Kehle zu, und sie musste schlucken, bevor sie weitersprechen konnte. "Und ich liebe dich sehr."
"Ich liebe dich auch, Jenna Bravo. Sind schon die Scheidungspapiere aus Honda gekommen?" "Nein. Leider nicht." "Na ja, es sind erst wenige Tage vergangen. Ich nehme an, wir werden uns ein bisschen in Geduld üben müssen." "Wahrscheinlich", murmelte sie leise. Sie konnte es ihm nicht sagen, nicht jetzt, nicht am Telefon. "Jenna? Stimmt etwas nicht?" "Doch, doch, alles okay. Ich werde nur froh sein, wenn du wieder zu Hause bist." "Ich auch, mein Liebling." Nach diesem Telefonat kam sie sich wie eine gemeine Betrügerin vor, unehrlich und schlecht. Sie würde Mack McGarrity am liebsten umbringen. Wütend stieß sie ein derbes Schimpfwort aus und fand es noch viel zu harmlos für diesen Mann! Jenna besorgte Brötchen und machte sich und Lacey ein schönes Frühstück, das sie an diesem warmen Septembermorgen auf der Terrasse genossen. Es war Sonntag, und "Linen and Lace" öffnete erst um ein Uhr. Lacey sprach aufgeregt über ihre Karriereträume, die sich schon wieder hinauszuzögern schienen. "Du arbeitest hart", sagte Jenna, "und du liebst deine Arbeit. Wenn du so weitermachst, wirst du eines Tages die Anerkennung bekommen, die du verdienst." Mit den großen blauen Augen, in denen der Schalk saß, der zarten Nase und der schönen hellen Haut hatte Lacey ein Gesicht, das Jenna das Engel-Benge lchen-Gesicht nannte. Sie trug am liebsten hautenge T-Shirts und weit fließende, halb durchsichtige Röcke. Ihre jüngere Schwester kam ihr immer vor wie eine Mischung aus Rockstar und Märchenprinzessin. Jetzt verzog Lacey den sinnlichen Mund zu einem Lächeln. "Weißt du den eigentlichen Grund, weswegen ich nach Hause komme: um dich sagen zu hören, dass ich es ganz bestimmt schaffen werde."
"Und das wirst du auch. Da bin ich mir absolut sicher. Brauchst du Geld?" "Nein, ich komme ganz gut zurecht." Sie teilten sich ein zweites Brötchen, und Jenna schenkte ihnen Kaffee nach. "Und was läuft bei dir nicht so, wie du es gern hättest?" fragte Lacey leichthin. Jenna erstarrte, fasste sich aber schnell. "Was meinst du? Alles ist in Ordnung." Lacey beugte sich zu ihr. "Komm schon, Schwesterchen, ich bin's. Ich kenne dich in- und auswendig. Mir kannst du nichts vormachen." Sie schob sich eine blonde Locke hinters Ohr und nahm einen Schluck Kaffee. "Also, was ist los?" "Ich weiß nicht, was du meinst." "Hör auf damit, Jenna. Etwas ist doch los hier. Du hast wieder diesen nervösen Blick in den Augen wie damals, als du Mack McGarrity verlassen hast. In den letzten ein, zwei Tagen machst du den gleichen Eindruck. Vielleicht nicht so traurig wie damals, aber mindestens genauso besorgt und sehr unruhig. Was macht dir solche Sorgen?" Jenna war hin- und hergerissen zwischen dem vernünftigen Gedanken, dass sie besser alles für sich behalten sollte, und dem Wunsch, jemandem ihr Herz auszuschütten. Schließlich gab sie ihrer Schwäche nach. "Mack ist hier." Lacey legte ihr Brötchen hin, ohne hineingebissen zu haben. "Du machst Witze. Das ist doch ein Scherz, oder?" "Nein, ganz bestimmt nicht." "Hier? Du meinst, hier in der Stadt?" "Er wohnt im ,Northern Empire Inn'." "Und er ist gekommen, um dich zu sehen?" "Ja." "Weiß Dr. Tugendbold Bescheid?" "Lacey, ich wünschte, du würdest aufhören, Logan Dr. Tugendbold zu nennen."
"Entschuldige. Also, noch mal: weiß Logan Bescheid?" "Ich werde es ihm sagen, sobald er aus Seattle zurückkommt." "Das heißt: du hast es ihm noch nicht gesagt." Lacey nahm ihr Brötchen in die Hand und legte es wieder weg. "Ich kann es nicht fassen. Erzähl mir alles." "Es ist fürchterlich. Es ist unfair und einfach nicht richtig. Und wenn ich nicht dafür ins Gefängnis müsste, würde ich Mack McGarrity den Hals umdrehen." "Erklärst du mir bitte, was genau passiert ist?" Jenna erzählte ihrer Schwester nun die ganze verzwickte Geschichte, und am Ende pfiff Lacey bewundernd durch die Zähne. "Mack McGarrity ist kein Mann, der leicht aufgibt." "Das kann man wohl behaupten." "Darf ich dich was fragen?" "Schieß los." "Ist dir denn in all den Jahren nie aufgefallen, dass du die unterzeichneten Scheidungspapiere nie bekommen hast?" Jenna seufzte. "Doch, ab und zu habe ich mir darüber Gedanken gemacht. Aber du musst verstehen, Lacey, es ist aus zwischen uns. Wir haben eine Abmachung getroffen. Der Rest, das waren nur Formalitäten für mich. Und ich dachte damals nicht daran, wieder zu heiraten, also ..." Lacey musterte sie zu aufmerksam. "Nimm's mir nicht übel, aber bist du wirklich sicher, dass es zwischen dir und Mack aus ist?" Jennas Antwort kam wie aus der Pistole geschossen. "Natürlich bin ich mir sicher. Warum fragst du?" "Na ja, da ist noch etwas zwischen euch, ich weiß nicht, etwas Undefinierbares. Auf jeden Fall ist es nicht das Gleiche wie mit Dr.... wie mit Logan." "Was willst du damit sagen?" Jenna ahnte, dass sie lieber nicht nachhaken sollte, aber sie konnte sich nicht bremsen.
"Du und Logan passt perfekt zueinander, zumindest oberflächlich betrachtet. Ein konventionelles Paar, das ein paar niedliche, lachende Kinder zeugen möchte. Aber das Ganze ist irgendwie ein bisschen ..." Lacey zögerte. "Was? Es ist ein bisschen was?" drängte Jenna ungeduldig. "Ich weiß nicht. Lauwarm, würde ich sagen. Irgendwie ohne Pepp." Jenna runzelte die Stirn. "Tatsache ist nur, dass Logan und ich wissen, was wir wollen. Wenn dir das lauwarm erscheint..." Lacey hob abwehrend die Hände. "Ach, entschuldige, Jenna. Ich rede zu viel. Logan vergöttert dich. Das hat er schon immer getan." Jenna fiel es, nicht schwer, zwischen den Zeilen zu lesen. Lacey hatte nicht Logan gemeint, als sie von lauwarmen Gefühlen gesprochen hatte. Sie hatte plötzlich das Bedürfnis, sich zu verteidigen. "Es gibt sehr viel mehr, was an einer Ehe wichtig ist, als nur Leidenschaft und Sex." "Das weiß ich ja", erwiderte Lacey sanft. "Ehrlich." Sie reichte ihr die Hand. "Komm, lass uns Frieden schließen." Jenna legte ihre Hand in die ihrer Schwester. "Und jetzt sag mir, was du tun wirst, Jenna." "Auswandern." Lacey lachte. "Wenn sich herausstellen sollte, dass ich nichts tun kann, außer mich Macks Bedingungen fügen oder die ganze Scheidung noch einmal von vorn anstrengen, werde ich eine Weile warten. Vielleicht schaffe ich es ja, ihn so loszuwerden. Ich meine, irgendwann muss er es doch satt haben, hier herumzuhocken und zu warten. Oder?" "Frag mich nicht. Ich bin nur deine kleine Schwester. Und wenn er nun nicht aufgibt und dir die Papiere nicht überreicht? Was dann?"
"Was bleibt mir dann anderes übrig? Dann muss ich eben noch mal die Scheidung einreichen." Lacey betrachtete nachdenklich ihre verschränkten Hände. "Und was wirst du Logan sagen?" "Die Wahrheit." "Und wann?" Jenna drückte Laceys Hand und lächelte neckend. "Für jemanden, der Logan nie gemocht hat, bist du ja plötzlich ganz schön besorgt um ihn." Abrupt zog Lacey ihre Hand weg. "Was meinst du damit, dass ich Logan nie gemocht habe? Natürlich mag ich Logan. Nur weil er mich wahnsinnig macht mit seinen endlosen, nervigen Ratschlägen, wie ich mein Leben zu führen habe, heißt das doch nicht, dass er mir egal ist. Und du hast meine Frage nicht beantwortet. Wann willst du es ihm sagen?"! "Sobald er aus Seattle zurückkommt." Logan kam am Sonntag zu spät heim, um sich noch mit Jenna zu treffen, aber am Montagabend gingen sie zusammen aus. Jenna nahm sich fest vor, ihm von Mack zu erzählen, aber sie tat es nicht. Sie stellte ihm während des Essens tausend unnötige Fragen über seine Reise und versuchte, ihn nicht merken zu lassen, wie nervös sie war. Logan brachte sie nach Hause und kam kurz mit ihr herein. Lacey war da, und er begrüßte sie mit der Nachricht, dass ein hiesiges Geschäft für Kunstgewerbe auf der Suche nach einer Vertreterin sei. "Danke, Doc", sagte Lacey. "Aber ich glaube, ich ziehe es vor, in ein Kloster zu gehen oder mich zu Forschungszwecken an ein medizinisches Labor zu vermieten." Logan seufzte. "Lacey, ich mache keine Witze. Diese Vertretung könnte sich als etwas Gutes für dich erweisen." Lacey wollte gerade wieder eine freche Antwort geben, da fing sie Jennas warnenden Blick auf, und lächelte süß. "Nein,
vielen Dank, Doc. Wirklich." Einen Moment später schlüpfte sie aus dem Zimmer. Sie kam erst wieder, nachdem Logan gegangen war. "Du hast es ihm nicht gesagt, nicht wahr?" Lacey schüttelte den Kopf. "Ich konnte nicht." "Irgendwann wirst du in den sauren Apfel beißen müssen." "Ich weiß. Aber nicht jetzt." Jetzt verlegte Jenna sich erst einmal aufs Warten - obwohl sie nachts nicht schlafen konnte und auf Mack wütend war, weil er sie in diese unhaltbare Situation gebracht hatte. Am Mittwochabend rang sie sich schließlich dazu durch, Mack in seinem Hotel anzurufen. "McGarrity." "Ich hatte gehofft, du wärst vielleicht zur Vernunft gekommen und abgereist." "Nein, ich bin noch hier." "Es ist nicht richtig, Mack. Und es ist nicht fair." Sie hörte ihn tief Luft holen. "Es sind doch nur zwei Wochen, Jenna." "Gib mir die Papiere und geh zurück nach Florida, wo du hingehörst." "Nicht ohne dich." Sie wusste, dass sie gleich die Geduld verlieren und ihn anschreien würde, also legte sie lieber auf. Plötzlich musste sie an die Worte ihrer Schwester denken. Lauwarm und ohne Pepp. An ihrer Reaktion auf Mack McGarrity war sicher nichts Lauwarmes. Aber was war denn mit Logan? War sie ihm gegenüber wirklich nur lauwarm? Und wenn, warum auch nicht? Vielleicht gefiel es ihr ja so? Vielleicht war sie jetzt reif genug, um eine zartere, sanftere Art der Liebe zu schätzen?
Aber mit Mack war es wirklich wunderschön gewesen, wenn sie zusammen ins Bett gega ngen waren. Wunderschön, unglaublich und erderschütternd. Mit Logan hatte sie noch kein einziges Mal geschlafen. Sie waren übereingekommen, bis nach der Hochzeit zu warten. Bis jetzt war ihr dieser Gedanke auch gar nicht so abwegig erschienen. Bis jetzt, das heißt, bevor Mack McGarrity in der Stadt aufgetaucht war. Und bevor sie angefangen hatte, so beunruhigende Träume von ihr und Mack zu haben, in denen Mack nicht die Hände von ihr lassen konnte und in denen sie sich auch gar nicht von ihm losreißen wollte. In ihren Träumen warteten sie nicht. Nachdem sie das Gespräch mit Mack abgebrochen hatte, fragte sie sich nun, ob sie und Logan vielleicht auch nicht länger warten sollten. Vielleicht mussten sie und Logan nur eine gemeinsame Nacht verbringen, damit sic h ihre Gefühle für ihn festigten. Genau. Sie brauchte nur mit Logan zu schlafen, um die Erinnerung an Macks Berührungen aus ihrem Gedächtnis zu verbannen. Sie erzählte Lacey am Dienstagabend von ihrem Einfall. Lacey sah sie ungläubig an. "Moment mal. Soll das heißen, dass du und Dr. Tugendbold niemals ..." "Wir wollten warten", Jenna gefiel es nicht besonders, wie prüde das klang, "bis zur Hochzeit. Und nenn ihn nicht Dr. Tugendbold." Lacey nickte. "Aha." "Das kommt vor, weißt du? Viele Leute warten damit bis nach der Hochzeit." "Ist mir bekannt." "Nun, du klingst nicht so, als ob du das glaubst." "Es hat mich nur überrascht, das ist alles. Obwohl mir der Gedanke, wie du und ..." "Nenn ihn nicht..."
"Tu ich doch gar nicht. Der Gedanke, wie du und Logan ..." Lacey wurde rot. "Der Gedanke, wie Logan und ich ... was?" "Na, du weißt schon. Wie ihr zusammen im Bett liegt und euch liebt. Ich will damit nur sagen, der Gedanke ist mir komischerweise nie gekommen. Aber das ist jetzt ja auch ganz logisch, nicht wahr? Denn ihr habt ja auch nie zusammen geschlafen." Jenna war gekränkt. "Du bist mir keine große Hilfe." "Ich versuche es aber zu sein." "Dann gib dir etwas mehr Mühe." "Okay." "Also, was sagst du?" "Wenn du deine Beziehung zu Logan festigen willst, musst du ihm erst einmal die Wahrheit sagen. Dass Mack im ‚Northern Empire Inn' darauf wartet, dass du mit ihm wegfährst." "Ich werde aber nicht mit ihm wegfahren." "Sag das nicht mir, sag das Logan." "Das werde ich auch." "Wann?" "Morgen Abend, okay? Ist dir das früh genug?" "Jetzt gleich wäre besser. Und sieh mich nicht so an. Du hast mich schließlich um meine Meinung gefragt." "Na gut. Ich rufe ihn an und sage ihm, dass ich mit ihm reden muss." Lacey drehte sich um, nahm den Hörer von der Gabel und reichte ihn Jenna. "Hier." Jenna schluckte nervös, während Lacey für sie wählte. "Dr. Severance." "Oh. Hallo." "Jenna. Hallo." Wie immer klang er auch jetzt glücklich, ihre Stimme zu hören. "Was gibt's?"
"Ich dachte nur ..." Sie zögerte. "Meinst du, du könntest heute noch herkommen? Ich muss über einige Dinge mit dir sprechen." Lacey hielt den Daumen in die Höhe und schenkte ihr ein Lächeln. "Geht es dir gut?" fragte Logan. "Ja, ich bin okay. Ich möchte nur mit dir reden." "Ich bin gleich da." Lacey beschloss, sich rar zu machen. Als sie hinausging, rief sie Jenna noch zu: "Warte nicht auf mich, und wag es ja nicht, wieder zu kneifen." "Werd ich schon nicht", erwiderte Jenna, klang aber sehr viel zuversichtlicher, als sie wirklich war. Logan erschien fünf Minuten später. Jenna ging mit ihm ins große, gemütliche Wohnzimmer, wo sich früher immer die ganze Familie versammelt hatte. Er setzte sich auf das dunkelgrüne Sofa und sah sie mit gerunzelter Stirn an. "Geht es um die gleiche Sache, die dir schon die ganze Woche Sorge macht?" Sie setzte sich neben ihn. "Ja." Logan betrachtete sie unruhig. Sorge um sie und Liebe standen in seinen Augen. "Du weißt doch, dass du es mir sagen kannst, was immer es ist, oder?" "Ich weiß." "Du weißt, dass ich dich liebe?" "Ja, und ich liebe dich auch." Es stimmte. Sie liebte ihn wirklich. Nur nicht auf die Weise, wie sie Mack McGarrity geliebt hatte. Und das störte sie. Das störte sie sogar sehr. "Logan, meinst du ..." "Ja?" "Würdest du mich bitte küssen? Ich meine, wirklich küssen?" Er wirkte ein wenig erschüttert. "Dich küssen? Ich dachte, du wolltest mir sagen ..."
Sie legte ihm sanft den Zeigefinger auf die Lippen und unterbrach ihn. "Das will ich auch. Ich werde alles erklären. Nur würdest du mich zuerst bitte küssen?" Er entspannte sich, sein Stirnrunzeln verschwand. Er fasste sie mit einem Arm sacht um die Schulter und hob leicht ihr Kinn an. Ihre Lippen trafen sich so zart wie ein Lufthauch. Logans Mund war warm und weich, und mit seinen starken Armen hielt er sie liebevoll fest. Jenna schloss die Augen und versuchte, sich ganz diesem Kuss hinzugeben. Sie legte die Hände auf Logans breite Brust, öffnete die Lippen und spürte gleich darauf seine Zunge in ihrem Mund. Sie seufzte. Aber noch während sie diesen leisen Seufzer ausstieß, wusste sie, dass sie es nur vortäuschte, um sich selbst zu überzeugen - und Logan sicher auch -, dass sie seinen Kuss genoss. Sie presste die Lider noch fester zusammen und erwiderte seine Liebkosungen mit Entschlossenheit, wobei sie sich die Zeiten ins Gedächtnis rief, als sie und Logan Teenager gewesen waren und in seinem Wagen geschmust hatten. Damals war es doch aufregend gewesen, oder? Bestimmt. Aber jetzt war es eben nicht aufregend. Denn zwischen heute und damals hatte es Mack gegeben. Mack. Das gab den Ausschlag. Sein Name genügte. Sie schob Logan etwas von sich. Erstaunt hob er den Kopf und sah sie fragend an. "Was ist los? Stimmt etwas nicht?" Er hatte noch immer die Arme um sie gelegt, aber sie kam sich jetzt wie in einer Falle vor - weil sie nun wusste, dass sie nicht dorthin gehörte. "Bitte, lass mich los." Er gab sie frei und setzte sich zurück. "Jenna, was zum Kuckuck geht hier vor?" "Ich glaube nicht, dass ich dich heiraten kann, Logan." Sie hatte nicht geahnt, dass sie das sagen würde, und jetzt starrte sie ihn ebenso verblüfft an wie er sie.
Es dauerte ein paar Sekunden, bevor er begriff, und es war deutlich, dass er verwirrt und verletzt war. "Warum nicht?" Sie nahm seine Hand und sah ihn ernst an. "Du bist ein so guter Mann. Ein Mann, auf den ich immer zählen kann, wenn ich ihn brauche ..." "Warum willst du mich dann nicht heiraten?" "Weil wir beide ... Es ist nicht, was ich wirklich will, Logan." Eine ganze Weile blickte er sie nur fassungslos an, und als er schließlich sprach, bemühte er sich hörbar, ruhig und gefasst zu klingen. "Und wie bist du zu dieser Erkenntnis gekommen?" Jetzt konnte sie es wirklich nicht länger hinauszögern. "Mack ist hier. Er weigert sich, die Scheidungspapiere zu unterschreiben, wenn ich vorher nicht zwei Wochen mit ihm zusammenlebe." Logan stieß einen Fluch aus. "Wie lange ist er schon hier?" "Eine Woche." "Und du hast mir nichts davon gesagt?" "Ich hoffte, er würde von selbst wieder gehen. Ich bin so wütend auf ihn, und ich kann es einfach nicht fassen, dass er mir so etwas Unmögliches antut und ... Ich wollte, dass alles vorbei ist, wenn ich mit dir rede." "Aber es ist nicht vorbei." Sie holte tief Luft. "Nein." "Und du redest hier nicht nur von den Papieren, nicht wahr? Du redest von dir und ihm." Jenna wünschte von ganzem Herzen, sie müsste auf diese Frage nicht antworten, aber ihr blieb nichts anderes übrig. "Ich habe wirklich geglaubt, dass alles aus ist zwischen Mack und mir", sagte sie leise. "Ich schwöre dir, Logan, das ist die Wahrheit. Sonst hätte ich auch nie einge willigt, dich zu heiraten." "Aber?" "Aber als ich ihn wieder sah ..." Sie schüttelte den Kopf. "Ich will nicht wieder zu ihm zurück, weil ich weiß, dass es nie
funktionieren würde. Aber es gibt noch offene Rechnungen zwischen Mack McGarrity und mir. Und ic h denke, jetzt ist es an der Zeit, dass ich mich darum kümmere." "Warte mal, Jenna. Soll das etwa heißen, dass du auf seine Forderung tatsächlich eingehen wirst?" Sie schluckte nervös. "Es wäre möglich. Vielleicht." Logan drückte ihre Hand so fest, dass Jenna leicht zusammenzuckte. "Siehst du denn nicht, dass er dich wieder manipuliert, als ob du sein Eigentum wärst?" "Du verstehst nicht, Logan. Du kennst ihn nicht. Er hat seine Eltern verloren, als er noch sehr klein war. Er hatte nie eine wirkliche Familie, sondern ist in Pflegeheimen aufgewachsen. Er musste für alles, was er hat, hart arbeiten. Und wenn er etwas haben will, verfolgt er es mit allen Möglichkeiten, die ihm zur Verfügung stehen." "Und nach all dieser Zeit hat er nun beschlossen, dass er dich wiederhaben will?" "Ich kann nicht seine Gedanken lesen. Aber ich weiß, dass wir früher etwas ganz Besonderes hatten. Und am letzten Freitag sagte er mir, dass er versuchen wolle zu begreifen, was damals schief gegangen ist." "Er hat sich ja eine nette Methode ausgesucht, um das zu schaffen: Druck ausüben." "Es ist die einzige Methode, die er kennt." Logan wirkte verärgert. "Und du verteidigst ihn auch noch!" Sie berührte sanft seine Wange. "Logan, ich muss es tun." Er entzog sich ihrer Berührung. "Jenna, er zwingt dich zu dieser Sache." "Nein. Ich muss nicht mit ihm wegfahren, wenn ich nicht will. Ich könnte ganz einfach wieder die Scheidung einreichen. Es würde vielleicht lange dauern, aber sicher keine Ewigkeit. Wenn ich mit ihm fahre, dann nur, weil ich es so will." Logan blickte sie durchdringend an. "Bist du dir sicher?"
Sie nickte, nahm dann den Verlobungsring vom Finger und reichte ihn ihm. "Behalt ihn." "Nein, Logan. Das wäre nicht richtig." Widerwillig nahm Logan ihn an, und einige Minuten danach ging er. Kurz darauf verließ auch Jenna das Haus, stieg in ihr Auto und fuhr direkt zum "Northern Empire Inn". Sie hatte Glück und fand einen Parkplatz in der Nähe des Eingangs. Der glänzende alte Parkettfußboden knarrte leise unter ihren Schritten, als sie durch das Foyer und zur Rezeption ging. "Ich möchte zu Mr. Mack McGarrity, bitte." Die Frau an der Rezeption, die etwa zwanzig sein mochte, lächelte freundlich. "Ich rufe ihn an und sage ihm, dass er Besuch hat. Ihr Name, bitte?" "Jenna Bravo, und sagen Sie ihm, dass ich zu ihm hinaufkommen möchte." "Einen Augenblick, bitte." Einen Moment später informierte die Rezeptzionistin sie lächelnd: "Mr. McGarrity erwartet Sie." "Darauf möchte ich wetten", murmelte Jenna leise. "Wie bitte?" "Ich sagte, ich freue mich, ihn zu sehen. Welche Zimmernummer hat er?" "Er wohnt im Ost-Bungalow. Gehen Sie diese Tür hinaus und über die hintere Terrasse, dann den schmalen Weg entlang, der zu Ihrer Rechten anfängt."
3. KAPITEL Der Ost-Bungalow, weitab vom Hauptgebäude und umgeben von riesigen Eichen, war ein Holzhaus mit einer hübschen weißen Veranda, einem Schaukelstuhl darauf und Blumenkästen unter den Fenstern. Die Tür stand weit offen, und Mack lehnte am Türrahmen, lässig und frech und recht selbstzufrieden. Als Jenna die Stufen der Veranda zu ihm hinaufging, ließ er den Blick träge von ihrem Kopf bis zu ihren Füßen wandern. Sie reagierte darauf, indem sie voll sinnlicher Erwartung erschauerte, als ob er sie tatsächlich berührt hätte. Er richtete sich nun auf und verschränkte die Arme vor der Brust. "Es wurde aber auch Zeit, dass du erscheinst." Sie hielt vor der Tür inne, da er ihr den Zugang versperrte. "Darf ich hereinkommen?" "Aber ja doch." Er trat beiseite. Misstrauisch folgte sie ihm in einen Salon, in dem die meisten Möbel an die Wand geschoben waren, um zwei Schreibtischen Platz zu machen, die im rechten Winkel zueinander standen. Auf dem einem Schreibtisch standen Laptop, Fax und Telefon, auf dem anderen ein Computer mit einem großen Bildschirm. "Wie ich sehe", sagte Jenna trocken, "warst du diese Woche sehr fleißig."
Mack schloss die Tür. "Ich behalte gern ein Auge auf die Entwicklung meiner Aktien." Er ging zu den an die Wand geschobenen Möbeln und zog den Kaffeetisch weit genug hervor, damit sie sich auf das Sofa dahinter setzen konnten. "Nimm doch Platz." "Nein, danke. Ich bin hier, um dich zu fragen, ob du nicht doch zu Sinnen gekommen bist und dich wie ein anständiger Mensch verhalten willst." Er zuckte die Achseln, ließ sich lässig auf das Sofa fallen, legte die Füße auf den Tisch und breitete die Arme auf der Rückenlehne des Sofas aus. "Komm schon, Jenna. Verlang nichts Unmögliches von mir. Du kennst mich, ich bin Anwalt." Sie warf ihm einen geringschätzigen Blick zu. Er sollte ruhig wissen, dass sie nur kalte Verachtung für ihn übrig hatte. Aber in Wirklichkeit fühlte sie sich seltsam angeregt - wie belebt. Nach so vielen Tagen der Verwirrung und Wut, war sie endlich so weit, die Situation in den Griff zu bekommen. Und das war ein herrliches Gefühl. "In Ordnung", sagte sie. "Du kannst deine zwei Wochen haben." Er nickte ihr anerkennend zu. "Ich bin froh, dass du die Dinge endlich mit meinen Augen siehst." "O nein, ich sehe die Dinge nicht mit deinen Augen. Ganz und gar nicht. Ich willige nur ein, deinen Vorschlag auszuprobieren. Bis zu einem gewissen Punkt." "Bis zu welchem Punkt?" "Einige der Entscheidungen will ich treffen." Nachdenklich betrachtete er die Spitzen seiner teuren, handgearbeiteten Stiefel und fragte misstrauisch: "Was für Entscheidungen zum Beispiel?" "Die wichtigen. Du weißt schon, die Art Entscheidungen, die ich irgendwie nie treffen durfte, als wir noch verheiratet waren. Zum Beispiel, wo wir hingehen und was wir machen werden."
Er stellte die Füße entschlossen auf den Boden, schob den Kaffeetisch noch weiter fort und stützte die Ellbogen auf die Knie. "Ich dachte, wie könnten ..." "Spar dir deinen Atem. Du kannst mir später sagen, was du tun willst, weil wir zuerst tun werden, was ich will. Das ist nur fair, oder?" "Fair?" Er sah sie an, als ob er nicht wüsste, was das Wort bedeutete - was sie auch nicht verwundert hätte. "Ja, fair. Ich entscheide in der ersten Woche, was wir tun und wohin wir gehen. Die zweite Woche gehört dann dir." Er lehnte sich zurück in die Kissen. "Wie großzügig von dir." "Es freut mich, dass du das so siehst. Denn immerhin wirst du für alles zahlen." Undeutlich murmelte er etwas vor sich hin. "Was sagtest du?" "Nichts." "Und wir werden in getrennten Zimmern schlafen." Er hob die Augenbrauen. "Warum habe ich geahnt, dass du das sagen würdest?" "Getrennte Zimmer, Mack." Er stieß einen langen Seufzer aus. "In Ordnung. Getrennte Zimmer." Er schenkte ihr ein verführerisches Lächeln. "Aber wer weiß, ob du deine Meinung nicht änderst." "Das werde ich schon nicht." Noch einmal seufzte er tief und wehmütig. "Wir waren fantastisch zusammen im Bett. Erinnerst du dich?" Sie erinnerte sich nur allzu gut. "Hast du verstanden, Mack? Getrennte Zimmer." "Ja, ist ja gut. Ich habe dich laut und deutlich gehört." Er lachte leise. "Du hast dich verändert, Jenna. Du bist nicht mehr das süße, sanfte Mädchen, das ich geheiratet habe."
"Da hast du Recht, das bin ich auch nicht mehr. Vielleicht möchtest du dir das Ganze doch lieber noch einmal überlegen. Ich habe nichts dagegen. Unterschreib nur die Papiere und ..." "Auf keinen Fall. Wir tun, was ich gesagt habe." "Dann brauche ich noch ein paar Tage, um mich um mein Geschäft und unsere Reisevorbereitungen zu kümmern." Er zuckte die Achseln. "Gut. Schaffst du alles bis Montag?" "Ja." "Und wohin wird die Reise gehen?" Das wusste sie selbst noch nicht so genau, aber wenn sie ihm das verriet, würde er nur wieder von seinen eigenen Plänen anfangen. "Lass dich überraschen." Er legte den Kopf schief. "Darf ich wenigstens eine Bitte äußern?" "Kommt auf die Bitte an." "Ich würde es wirklich vorziehen, wenn wir nicht hier in deiner Heimatstadt blieben." Obwohl sie ihm gern widersprochen hätte, musste sie ihm Recht geben. Hier in Meadow Valley würden sie ständig bekannten Gesichtern begegnen - zum Beispiel Logan. "Keine Sorge", sagte sie. "Wir bleiben nicht hier." Er stützte das Kinn in die Hand und musterte sie aufmerksam. Ihr gefiel der Blick nicht. "Was ist?" fragte sie scharf. "Wie ich sehe, hast du dem guten Doktor seinen Ring zurückgegeben." Der Gedanke an Logan versetzte ihr einen Stich. "War es nicht das, was du wolltest?" "Ich wollte dich mit mir nehmen. Ist das wirklich so schlecht von mir?" Der Ausdruck in seinen Augen war plötzlich sanft. Und diese Sanftheit rührte sie und ließ sie ehrlich ant worten. "Mack, es ist nicht sosehr, was du wolltest, sondern vielmehr die Art, wie du es erreichen willst." Er beugte sich wieder vor. "Wenn ich zu dir gekommen wäre und dich gebeten hätte, zwei Wochen mit mir zusammen zu
sein, bevor wir unsere Scheidung endgültig durchziehen, was hättest du mir geantwortet?" Es gab nur eine Antwort darauf, und die kannten sie beide. "Nein." "Was blieb mir also für eine Wahl?" "Du hättest mich fragen und dann meine Antwort akzeptieren können." "So wie ich dich vor sieben Jahren gebeten habe, zu mir zurückzukommen?" Sie schüttelte den Kopf. "Was? Damals habe ich dich doch gebeten, oder?" "Du hast mich nicht gebeten, Mack. Du hast nie um etwas gebeten. Du hast immer nur befohlen und angeordnet." "Ich flog aus New York hierher, nur um mit dir zu reden. Damit du einsiehst, dass ich ..." "Oh, bitte. Du hast einen Flug zwischen zwei Konferenzen geschoben, nahmst am Flughafen ein Taxi, und als du hier ankamst, ließt du den Taxifahrer unten warten. Du hast um neun Uhr abends gegen die Haustür des Hauses meiner Mutter geschlagen, wie immer in Eile und ohne Rücksicht auf jemanden außer dir selbst. Als ich aufmachte, kam keine Bitte über deine Lippen. Du hast mir einfach befohlen, meine Sachen zu packen und ins Taxi zu steigen. Denn du hattest bereits für uns beide einen Flug um Mittemacht gebucht. Und am nächsten Tag hattest du eine wichtige Konferenz um zwei Uhr." "Ich versuchte, uns beiden eine Zukunft aufzubauen, verdammt." "Mack, schon damals gab es kein ,uns' mehr." "Das habe ich mittlerweile auch erkannt. Ich hätte mehr Zeit mit dir verbringen sollen. Aber ich erinnere mich, dass diese Konferenz, zu der ich gehen musste, wirklich sehr wichtig war." Sie lachte auf. "Weißt du, Mack, in der ganzen Zeit, in der wir verheiratet waren, ha t es, glaube ich, keine einzige Konferenz gegeben, die nicht wichtig war."
"Ich bin aber gekommen, um dich zu holen. Ich wollte dich bei mir haben. Du warst immer die wichtigste Sache in meinem Leben." "Sache, Mack? Ich war eine Sache für dich? Das sagt ja wohl alles." "Du weißt genau, was ich meine. Du hast mir wirklich sehr viel bedeutet." "Du hattest aber eine seltsame Art, das zu zeigen. Und als du damals gekommen bist, um mich zu holen - ich wiederhole es noch einmal -, hast du mich nicht gebeten mitzukommen. Du hast es mir befohlen." "Und du hast mich weggeschickt." "Das stimmt. Und es war ein wichtiger Wendepunkt in meinem Leben." Mack lehnte sich in die Kissen zurück und musterte Jenna erneut, wie vorhin, als sie die Stufen der Veranda heraufgekommen war, mit einem Blick von oben bis unten. "Du hast dich tatsächlich verändert. Du bist irgendwie härter geworden." "Ich habe dich gewarnt." "Schon gut. Es macht nichts. Jetzt kann ich damit fertig werden." Sie traute weder der plötzlichen Wärme in seinen Augen noch der plötzlichen Freundlichkeit in seiner Stimme. "Ich gehe jetzt besser." "Warum?" Ihr wurden auf einmal wieder die Knie weich, und ihr Herz schlug heftig. "Ich habe gesagt, dass ich zwei Wochen mit dir verbringen werde - und zwar ab Montag. Heute ist noch nicht Montag." Er lächelte und stand auf. "Aber können wir denn nicht vorher einmal zusammen essen? Hast du schon gegessen?" "Ja, schon vor Stunden."
Er kam um den Kaffeetisch herum. "Dann einen Drink. Die Bar ist dort drüben." Mack wies auf eine Stelle zu ihrer Rechten und kam langsam näher. "Nein." Sie machte einen Schritt nach hinten. "Keinen Drink. Nein, danke." Er ging weiter auf sie zu. "Jenna, hast du Angst vor mir?" "Natürlich nicht." "Ich habe dir nie wehgetan, oder?" "Nein. Jedenfalls nicht körperlich, aber ..." "Ich weiß, es gibt andere Arten, jemandem wehzutun." "Richtig." "Du hast mir auch wehgetan." "Dann sind wir ja quitt." "Ja, natürlich. Wir sind quitt." Er kam immer näher, und sie wich immer weiter zurück, bis sie mit dem Rücken gegen die Wand stieß. "Deine Oberlippe zittert ein wenig, so wie immer, wenn etwas dich wirklich berührt." "Das hat nichts zu bedeuten." "Weißt du, dein Mund hat mir schon immer gefallen. Habe ich dir das eigentlich je gesagt?" "Ja", sie räusperte sich, "d as hast du. Früher." Fieberhaft überlegte sie, wie sie an ihm vorbeikommen konnte, wie sie aus seiner beunruhigenden Nähe wegkommen konnte. "Es ist ein so hübscher, großer, freundlicher Mund, und dann die Grübchen in den Wangen, wenn du lächelst." "Ich lächle aber nicht." "Das ist wahr." Er seufzte, und sie spürte seinen warmen Atem auf ihrer Wange. "Und du willst, dass ich dich vorbeilasse, stimmt's?" "Stimmt." "Weil du gehen willst." "Genau." "Weil du schon gegessen hast und keinen Drink willst." "Ja."
"Weil die zwei Wochen erst am Montag anfangen." Sie nickte. Sein Mund war so nah, und plötzlich konnte sie nicht mehr den Blick davon nehmen. Sie erinnerte sich an das Gefühl seiner Lippen auf ihren - sie erinnerte sich an ihren ersten Kuss. Damals hatten sie auch gestanden, sie mit dem Rücken zur Tür seiner Wohnung in Los Angeles, er vor ihr im Flur. Es war gewesen, nachdem sie zusammen in dem italienischen Restaurant gegessen hatten und sie auf eine letzte Tasse Kaffee noch mit zu ihm gekommen war. Sie hatte gesagt, dass sie jetzt gehen müsse, und er hatte sie die wenigen Schritte bis zur Tür begleitet. Und sie hatte Byron mitnehmen wollen. Da hatte er ihr Gesicht zwischen beide Hände genommen und ihr tief in die Augen geschaut. "Ich möchte nicht, dass du ge hst", hatte er geflüstert. Und dann hatte er sie geküsst. Sie hatte aufgestöhnt, als sein Mund sie berührte, nicht laut, aber mit einer Sehnsucht, die völlig neu für sie gewesen war. Ihre Lippen hatten sich geöffnet, für ihn, und es war ihr vorgekommen, als würde sie ihm ihre Seele öffnen. In jenem Moment hatte sie gewusst, dass dieser Mann der Richtige für sie war. "Bleib bei mir", flüsterte er jetzt. Sie blinzelte verwirrt. Sie war nicht in Macks alter Wohnung. Sie war im OstBungalow des "Northern Empire Inn", und sie wollte nach Hause gehen. Sie schüttelte den Kopf. Mack sagte leise: "Bist du dir sicher? Möchtest du nicht doch ..." "Ich bin mir absolut sicher." Er öffnete die Bungalowtür, und das Zirpen der Grillen von draußen wurde lauter. Kalte Abendluft umgab sie, als sie hinaustrat. "Ich rufe dich an, sobald ich gebucht habe", sagte sie. Sein Blick glitt zu ihrem Mund. "Ich werde hier sein." Am Samstag hatte Jenna entschieden, wo sie und Mack die erste Woche verbringen würden. Sie buchte den Flug und
machte noch einige wichtige Telefonanrufe. Danach gab sie ihren Mitarbeitern die nötigen Anweisungen, damit das Geschäft auch während ihrer Abwesenheit gut geführt wurde. Lacey war einverstanden, diese zwei Wochen in der Stadt zu bleiben. Sie würde ein Auge auf das Haus haben und sich um Byron kümmern. Offenbar hatte sie es nicht eilig, sich wieder dem Stress in Los Angeles zu stellen. "Unfassbar, dass du zugestimmt hast, mit Mack McGarrity davonzulaufen, Jenna." "Ich laufe nicht mit ihm davon, Lacey." Lacey seufzte dramatisch. "Armer Logan. Aber ich denke doch, dass es so das Beste ist, was immer bei dieser Sache herauskommt. Du warst die richtige Frau für Logan, aber er war irgendwie nie der Richtige für dich. Ich hoffe nur, er kommt darüber hinweg. Und ic h wünschte, er hätte mehr Freunde, einen Bruder oder so was, dem er sein Herz ausschütten könnte." Jenna fühlte sich entsetzlich bei dem Gedanken an Logan und entgegnete etwas spitz: "Es wäre schön gewesen, wenn du ihm so viel Mitgefühl gezeigt hättest, als wir noch verlobt waren." "Wieso denn das? Da hatte er es doch nicht nötig. Er ist ein so aufreizender Mann. Aber jetzt mache ich mir irgendwie Sorgen um ihn. Es ist wohl so, dass ich im Lauf der Jahre eine gewisse Zuneigung zu ihm entwickelt habe." "Vielleicht solltest du in ein paar Tagen mal nach ihm sehen. Nur um sicherzugehen, dass es ihm gut geht", schlug Jenna vor. "Oh, tolle Idee. Genau das hat ihm noch gefehlt. Dass deine unartige kleine Schwester plötzlich auf seiner Türschwelle auftaucht." "Ich glaube, es würde ihm viel bedeuten. Und ich denke, er macht sich sehr viel aus dir." Lacey sah sie verblüfft an. "Wirklich?" "Ja. Ich weiß, er ist dir häufig auf die Nerven gegangen, weil er dich immer gedrängt hat, wieder nach Hause zu kommen und
dich hier niederzulassen. Aber das hat er nur gemacht, weil du ihm etwas bedeutest, da bin ich mir sicher." "Na ja", sagte Lacey zweifelnd. "Ich werde darüber nachdenken. Ob ich ihn besuchen soll, meine ich." Jenna rief Mack am Samstagabend an und sagte ihm, dass sie einen Flug von Sacramento nach Denver gebucht habe. Abflugzeit: Montagmorgen, zehn Uhr. "Was ist denn so interessant in Denver?" fragte er. "In Denver holt mein Cousin Cash uns ab. Er besitzt ein kleines Flugzeug, mit dem er uns nach Medicine Creek in Wyoming bringen wird. Dort werden wir auf der Rising Sun wohnen, der Ranch der Bravos, wie du dich vielleicht erinnerst." "Moment mal. Du hast einen Cousin, der Cash heißt?" "Ich bin sicher, ich habe ihn erwähnt, als wir noch verheiratet waren." Aber er ha tte natürlich nicht zugehört, wie so oft. "Wir sind immer noch verheiratet", korrigierte er sie. "Lass uns nicht schon wieder darüber streiten. Cashs richtiger Name ist eigentlich John, aber alle nennen ihn Cash. Er ist ein Cousin zweiten Grades. Sein Großvater und meiner waren Brüder." "Aha." Sie konnte sich gut vorstellen, was für ein Gesicht Mack jetzt machte. Seine Augen hatten bestimmt den abwesenden Ausdruck, den sie immer annahmen, wenn sie über die verschiedenen Mitglieder ihrer großen Familie sprach. "Ich wollte schon seit langem einmal nach Wyoming, Mack. Ich hatte dich sogar ein oder zwei Mal gebeten, mit mir zu kommen." Mack war offenbar immer noch nicht sonderlich begeistert. "Wie ist es überhaupt in Wyoming im September? Ich wette, es ist eiskalt. Und es soll auch sehr windig sein, hast du das gewusst? Dort gibt es nichts als Wind und dürre Prärie und Rinder, soviel ich gehört habe."
"Mack, wir werden meine Woche am Fuß der Bighom Mountains verbringen und die Seite meiner Familie kennen lernen, die in Wyoming lebt. Ein weiterer zweiter Cousin von mir, Zach Bravo, leitet die Ranch. Er ist verheiratet, hat zwei Töchter und seine Frau erwartet in drei Monaten ihr drittes Kind. Sie freuen sich auf unseren Besuch." "Jenna, der Zweck dieser zwei Wochen ist, dass wir etwas Zeit miteinander verbringen. Du verstehst: allein miteinander, nur du und ich. Mit anderen Worten, keiner sonst um uns herum. Wie sollen wir jemals allein sein mit deinem zweiten Cousin und seiner Frau und den Kindern und ..." "Wir werden allein sein können. Ich verspreche es dir." "Wie groß ist das Haus, wo dein Cousin mit seiner Familie wohnt?" fragte er. "Nicht groß genug, um uns beide in getrennten Schlafzimmern unterzubringen, fürchte ich." "Wie schade", sagte er lächelnd. "Heißt das also, dass wir beide doch ein Zimmer teilen werden?" "Nein, das bedeutet es ganz und gar nicht. Nicht weit vom Haupthaus entfernt gibt es ein kleineres Haus. Die Frau, die es bewohnt, ist momentan auf Reisen, und so können wir beide dort wohnen. Tess - das ist Zachs Frau - sagt, dass das Haus mindestens zwei Schlafzimmer hat. Wir haben also Glück." Er murmelte etwas vor sich hin, das verdächtig nach einem Fluch klang. "Ich habe alles arrangiert", sagte sie. "Ja, das sehe ich. Dann hole ich dich am Montagmorgen um acht Uhr ab, in Ordnung? So bleibt uns genug Zeit, um zum Flugplatz in Sacramento zu kommen." Nachdem sie zugestimmt hatte, legte sie äußerst zufrieden den Hörer auf. Sie hatte die Kontrolle über die Situation, und sie und Mack würden zu einem Ort fahren, den sie schon immer hatte besuchen wollen.
Am Montagmorgen um halb neun ging Jenna nervös im Flur hin und her, die Koffer fertig gepackt, und war ganz und gar nicht mehr zufrieden. Byron kam in den Flur stolziert und ging auf sie zu. Er setzte sich vor sie und sah erwartungsvoll zu ihr auf, und so bückte sie sich und nahm ihn auf den Arm. Er schnurrte, und sie schüttete ihm ihr Herz aus. "Acht Uhr", sagte sie und kraulte ihn hinter dem Ohr. "Um acht Uhr wollte er mich abholen. Aber wie gewöhnlich hält sich Mack McGarrity nicht an seine Verabredungen." In diesem Moment klingelte das Telefon. "Na, wunderbar. Jetzt kommen die faulen Ausreden." Sie legte sich Byron auf die Schulter und eilte zum Apparat. "Was ist?" sagte sie unfreundlich in die Sprechmuschel. "Du bist wütend." "Richtig." "Sieh mal. Etwas ist geschehen, etwas völlig Unerwartetes, und ich muss ..." "Etwas völlig Unerwartetes?" Sie versuchte, ihn nicht anzuschreien. "Die Fahrt zum Flughafen dauert eine Stunde. Unser Flugzeug startet in ...", sie warf einen Blick auf ihre Armbanduhr, "in genau dreiundachtzig Minuten. Wir haben jetzt keine Zeit für etwas völlig Unerwartetes." "Hör mir zu. Ich bin schon auf dem Weg zu dir." "Du nimmst dir die Zeit, mich anzurufen, um mir zu sagen, dass du auf dem Weg zu mir bist?" "Ich weiß, ich bin spät dran. Es tut mir Leid, aber ich wollte dich nur wissen lassen, dass ich auf jeden Fall komme. Ich bin eigentlich schon da. Guck aus dem Fenster." Sie sah aus dem Fenster und entdeckte seinen silbergrauen Sportwagen, der gerade in diesem Moment am Gehsteig anhielt. Mack saß hinter dem Steuer, ein Handy am Ohr, und winkte ihr zu. Jenna legte den Hörer auf und ging in den Flur zurück, wo Byron sich wand, um von ihr heruntergelassen zu werden. Sie
setzte ihn ab, er lief den Flur hinunter davon, und sie öffnete die Tür. Mack kam gerade die Treppe heraufgesprungen. Er trug Jeans, ein schwarzes T-Shirt und eine dunkelbraune Bomberlederjacke und sah so umwerfend darin aus, dass es ihr sekundenlang den Atem verschlug. Seltsam, dachte sie, aber früher trug er nie Jeans. Damals trug er teure Anzüge und Designerkrawatten, selbst ganz am Anfang, als er sie sich eigentlich noch nicht leisten konnte. Offenbar verspürte er jetzt, da er so erfolgreich war, nicht das Bedürfnis, es auch durch seine Kleidung kundzutun. Sie wollte ihre Koffer nehmen. "Komm. Lass uns alles hinuntertragen und..." "Jenna." Ihr gefiel die Art, wie er ihren Namen aussprach, irgendwie nicht. Langsam richtete sie sich wieder auf. Er hatte die Hände in die Taschen seiner Lederjacke gesteckt und einen sehr schuldbewussten Ausdruck im Gesicht. Sie wusste sofort, was er sagen würde. "Du machst einen Rückzieher", sagte sie. "Jenna, ich ..." Sie ging zur Tür und schloss sie. Dann stützte sie die Hände auf die Hüften. "Sprich es einfach aus. Du kommst nicht mit." "Es gibt eine Art Krise. Es tut mir Leid. Glaub mir, mir gefällt das auch nicht. Aber ich muss unsere zwei Wochen erst einmal verschieben." "Eine Krise?" "Ja." Seine Stimme war ungewohnt rau. "Etwas, um das ich mich unbedingt kümmern muss." "Eine Sitzung, stimmt's? Eine wirklich fürchterlich, unaufschiebbar wichtige Sitzung. Hab ich Recht?" "Nein." Er wurde plötzlich wütend. "Es ist keine verdammte Sitzung."
"Hör auf zu schreien. Du wirst noch meine Schwester aufwecken." Er presste sekundenlang die Lippen zusammen und entschuldigte sich dann, wenn auch nicht sehr überzeugend. "Oh. Ich nehme an, das sollte ich als eine Art Fortschritt ansehen", entgegnete sie unverhohlen sarkastisch. "Wenigstens sagst du mir höchstpersönlich, dass du nicht halten kannst, was du versprochen hast. Der alte Mack hätte einfach seine Arbeit getan und es mir am Telefon mitgeteilt." "Du wirst mir vielleicht nicht glauben, aber es handelt sich wirklich um etwas sehr Wichtiges. Ich fliege sofort nach Long Beach und ..." "Nach Long Beach? Long Beach in Kalifornien?" "Ja, und ich will keinen Rückzieher machen, ich ..." "Was ist das Problem?" Er sah sie angespannt an, holte tief Luft und fuhr sich nervös mit der Hand durchs Haar. "Es ist keine gute Idee, dir jetzt alles zu erklären. Wenn du etwas warten würdest, bis ich ..." "Du willst, dass ich warte?" "Ja, aber nur bis ich mit dieser Sache fertig bin, dann können wir ..." "Moment mal." Sie hob demonstrativ die linke Hand hoch. "Wie du siehst, trage ich keinen Verlobungsring mehr. Deinetwegen habe ich mich von einem wundervollen Mann getrennt, der mich von ganzem Herzen liebt." "Und soll ich mich deswegen jetzt schuldig fühlen?" fuhr er sie gereizt an. "Nun, ich tu's nicht. Es war eine vernünftige Entscheidung von dir. Du bist noch nicht so weit, den guten Doktor zu heiraten. Es wäre nicht gut für dich, und ganz bestimmt nicht gut für ihn, die Frau eines anderen Mannes zu heiraten. Du brauchst..." "Sag mir nicht, was ich brauche, Mack McGarrity. Hör mir endlich einmal zu, wenn ich mit dir rede. Du wolltest zwei Wochen, und ich gebe dir diese zwei Wochen. Aber sie beginnen jetzt, keinen Tag später."
"Jenna, ich versuche, dir zu sagen, dass ich ..." "Sage jetzt nichts, sondern hör mir einfach einmal zu. Wenn die zwei Wochen nicht jetzt sofort anfangen, werden sie überhaupt nicht anfangen." "Jenna, das kann nicht dein Ernst sein. Du willst doch nicht..." "Das ist noch eine Sache, dich ich gehasst habe. Dass du immer zu wissen glaubst, was ich will. Nun, du hast keine Ahnung, was ich will. Nur ich weiß das. Aber wenn du zuhören willst, werde ich es dir sagen. Ich will, dass unsere zwei Wochen heute anfangen. Ich möchte nicht warten, bis du irgendwann bereit bist. Das habe ich viel zu oft getan, als wir verheiratet waren." "Es ist hoffnungslos", konterte er. "Du willst mir nicht zuhören. Ich versuche die ganze Zeit, dir klarzumachen, dass es jetzt nicht möglich ist." "O doch, das ist es. Weil ich bereit bin, einen Kompromiss einzugehen." "Kompromiss? Das Wort gefällt mir nicht." "Aber nur, weil du in deinem ganzen Leben nie einen eingegangen bist. Jetzt bekommst du deine erste Chance dazu. Das hier ist mein Angebot: deine Woche kommt zuerst an die Reihe. Wir können sie mit dem zubringen, was du so unbedingt in Südkalifornien erledigen musst." "Das ist keine gute Idee." "Es ist deine einzige Wahl." "Nein, Jenna. Ich wollte unsere zwei Wochen an einem schönen, ruhigen Ort verbringen, wo wir allein sein können. Ich hoffte ..." "Versuch nicht, mich zu besänftigen. Wir fliegen entweder nach Long Beach zu dieser Krise, von der du redest, oder wir fliegen nirgendwohin." Er fuhr sich erneut mit der Hand durchs Haar, blickte zu Boden und schüttelte den Kopf.
"Ich meine es ernst, Mack. Wir fangen heute an oder überhaupt nicht." "Jenna ..." "Und bevor wir losfahren, sagst du mir, um was es sich bei dieser Krise handelt." "Verdammt, Jenna." "Jetzt sofort." "Na gut." Er wandte den Kopf ab. Sie wartete ganze zehn Sekunden lang und verlangte dann: "Mack, sag es mir." Er blickte sie an, sein Gesicht war ausdruckslos. "Meine Mutter ist krank. Sie sagen, dass sie im Sterben liegt." Sie glaubte, ihn nicht richtig verstanden zu haben. "Entschuldige, aber ich könnte schwören, dass du gerade gesagt hast..." "Es stimmt. Meine Mutter liegt im Sterben." "Aber ... wie ist das möglich? Du hast doch gar keine Mutter mehr. Oder?"
4. KAPITEL Auf der Fahrt nach Sacramento benutzte Jenna Macks Handy, um ihre Familie in Wyoming anzurufen und ihr zu sagen, dass sie ihren Besuch leider verschieben müssen. Danach rief sie die Fluglinie an, um die Buchung nach Denver zu stornieren. Das Privatflugzeug, ein Zwölfsitzer, war bereits startklar, als sie beim Flugplatz ankamen. Der Pilot kümmerte sich um ihr Gepäck, während Jenna und Mack Platz nahmen. Sie waren die einzigen Fluggäste. Sobald sie gestartet waren, wandte Jenna sich an Mack. "Okay. Erzähl mir von der Mutter, die du nie erwähnt hast." Mack saß am Fenster und starrte ernst auf die Häuser von Sacramento hinunter. "Wusstest du, dass jeder achte Amerikaner in Kalifornien lebt? Unglaublich, was?" "Mack." Jennas Stimme war sanft. Diese Sanftheit traf ihn bis ins Innerste, sehr viel mehr als die Anschuldigungen, mit denen sie ihn in den vergangenen Tagen überhäuft hatte. Diese Sanftheit erinnerte ihn an die alte Jenna und an all das, was er verloren hatte, weil er sie verloren hatte. Und es erschien ihm auf einmal sehr unwahrscheinlich, dass er sie je zurückgewinnen würde. Sie war nicht mehr die Gleiche. Aber auch er hatte sich verändert. Doch die Anziehungskraft zwischen ihnen war nicht verschwunden, davon war er überzeugt. Selbst wenn Jenna alles tat, um das zu leugnen. "Mack?"
Er wandte sich zu ihr und sah in ihr Gesicht, das er nicht hatte vergessen können und von dem er sehr viel öfter, als er jemals zugeben würde, geträumt hatte. "Ich habe dich nicht angelogen, Jenna. Nicht wirklich." "Du hast mir nur nicht die ganze Wahrheit gesagt, richtig?" "Genau." "Jetzt ist die Zeit gekommen, mir alles zu sagen, was du bis heute ausgelassen hast." Er wusste nicht, wo er anfangen sollte. Jenna kam ihm auf ihre sanfte, freundliche Weise, die ihn erneut an die alte Jenna erinnerte, zu Hilfe. "Du hast mir gesagt, dass dein Vater starb, als du sechs Jahre alt warst." "Das war auch die Wahrheit." "Ich dachte, dass deine Mutter bald darauf auch starb." "Ich wollte, dass du das dachtest. Aber meine Mutter starb nicht. Sie ist am Leben, oder sie war es wenigstens noch vor wenigen Stunden. Außerdem habe ich zwei Schwestern." Jenna sah ihn fassungslos an, und er fügte ein wenig schuldbewusst hinzu: "Das habe ich dir auch nie gesagt, oder?" "Nein." "Bridget und Claire. Sie waren acht und vier, als mein Vater starb." "Du hast mir auch nie gesagt, wie dein Vater gestorben ist." "Er wurde bei einem Überfall auf eine Bank getötet. Er war der arme Kerl hinter dem Schalter." "Es muss sehr hart für deine Mutter gewesen sein." "Das stimmt. Sie wusste nicht, was sie tun sollte. Allein konnte sie uns nicht ernähren, also brachte sie uns alle drei bei Pflegefamilien unter. Schließlich fand sie einen Job als Sekretärin in einer kleinen Stellenvermittlung. Eine Weile kam sie uns auch noch besuchen." Jenna berührte seine Hand, und sein Herz begann, wild zu klopfen. Aber es musste eine unbewusste Geste gewesen sein,
die sie sofort bereute, denn sie nahm ihre Hand gleich darauf wieder fort. "Was meinst du damit, dass sie euch eine Weile auch noch besuchen kam?" "Ihre Besuche wurden immer seltener. Bridget und Claire und ich waren bei drei verschiedenen Pflegestellen, noch bevor ich sieben war. Etwa um diese Zeit fing sie an, immer seltener zu kommen. Ich erinnere mich noch, dass sie mich an meinem achten Geburtstag besuchte. Das war das letzte Mal." "Du meinst, danach hast du sie nie wieder gesehen?" fragte Jenna entsetzt. "Aber warum? Warum sollte sie euch so im Stich lassen?" "Wie es aussieht, wollte sie ihren Boss heiraten und brachte es nicht fertig, ihm von ihren Kindern zu erzählen, die sie in Pflege gegeben hatte. Als er um sie anhielt, gab sie uns zur Adoption frei, wo mit sie jedes Recht auf uns aufgab." "Und sie haben dir das gesagt, als du noch ein Kind warst?" "Nein. Sie sagten mir nur, so rücksichtsvoll sie konnten, dass meine Mutter sich nicht mehr um mich kümmern könne. Ich fand den Grund erst sehr viel später heraus. Kurz nach meinem ersten erfolgreichen Prozess." "Warum nicht vorher?" Mack sah wieder aus dem Fenster. Weiße Wolken erhoben sich wie Wattetürme am Horizont. "Mack." Er sah sie ernst an. "All die Jahre, während der ich in den Häusern anderer Leute aufwuchs, und später, als ich am College schuftete - und als ich dich kennen lernte, wollte ich sie einfach vergessen. Obwohl ich damals nicht die Einzelheiten kannte, wusste ich doch, dass sie mich im Stich gelassen hatte, dass sie mich und meine Schwestern abgeworfen hatte wie lästigen Ballast." Jennas Herz zog sich schmerzlich zusammen.
Mack fuhr mit leiser Stimme fort: "Mein Leben lang wollte ich Geld haben, und zwar sehr viel Geld. Ich nehme an, mein Fall ist klassisch. Ich dachte, dass Geld mich vor einem solchen Unglück bewahren würde, wie ich es als Kind erlebt habe. Und dann bekam ich, was ich wollte. Ich verdiente sehr viel Geld. Aber mehr auch nicht." Aber mehr auch nicht, klangen seine Worte in ihr nach. Er hatte sicher Recht. Er hatte keine Familie mehr - keinen Kontakt zu seiner Mutter und seinen Schwestern -, und er hatte auch keine Frau mehr. "Also engagierte ich Privatdetektive, um alles über meine Vergangenheit herauszufinden." "Und sie fanden deine Mutter?" Er nickte. "Ich ging nach Long Beach, wo sie jetzt lebt, und setzte mich mit ihr in Verbindung. Sie war einverstanden, mich in der Lobby meines Hotels zu treffen." "Wie lange ist das her?" "Zwei Jahre. Sie war ... sie sah so klein und schwach aus, und blass und müde. Und so verdammt traurig. Sie weinte, und sie rauchte eine Zigarette nach der anderen. Und ich dachte die ganze Zeit, dass ich den Arm um sie legen sollte oder etwas Ähnliches, aber ich brachte es irgendwie nicht über mich, sie anzufassen. Sie sagte, dass sie es nie geschafft habe, ihrem Mann von uns zu erzählen, und sie wisse auch jetzt nicht, wie sie es ihm beibringen solle." Mack stieß einen langen Seufzer aus. "Es ist seltsam, in all den Jahren hatte ich sie mir als eine Art Monster vorgestellt, eine bösartige Frau, die ihre eigenen Kinder verlassen hat. Aber an jenem Tag tat sie mir nur unvorstellbar Leid. Sie sagte, sie wusste, wie entsetzlich es von ihr gewesen sei, was sie uns angetan hat, und dass ich sie nur noch mehr hassen würde, wenn sie mich um das bäte, um das sie mich dann bat." Jenna ahnte, welche Bitte das gewesen war. "Sie wollte ihrem Mann auch jetzt nichts von euch sagen."
"Stimmt." "Und was hast du darauf erwidert?" "Dass ich einverstanden bin." Falls sie es überhaupt je vergessen haben sollte, Jenna wusste wieder, warum sie ihn so sehr geliebt hatte. "Oh, Mack." "Na ja." Seine Stimme klang rau. "Was hätte ich denn sonst sagen sollen? Dass ich sie verabscheuen würde und nie wieder sehen wolle?" "Einige Männer hätten genau das getan." "Nein." Er schüttelte den Kopf. "Was hätte das für einen Zweck gehabt? Ich wusste ja schon, bevor ich mich auf die Suche nach ihr machte, wo ich mit ihr stand." "Und seitdem?" Er verzog die Lippen zu einem schwachen Lächeln. "Ich war in Verbindung mit ihr. Ich eröffnete ein Postfach für sie, damit ich ihr dorthin schreiben konnte, ohne dass sie sich Sorgen machen musste, ihr Mann könnte etwas herausfinden. Und sie schickte mir Päckchen." "Päckchen?" Mack nickte verlegen. "Na ja, du weißt schon, hässliche Krawatten zu meinem Geburtstag, Socken zu Weihnachten, und eine Menge von diesen Geschenkpackungen mit Salami und Käse und so. Ich versuchte, ihr ein wenig zu helfen." "Du meinst, du wolltest ihr Geld schicken?" "Ja, aber sie wollte nichts annehmen. Sie sagte, sie und ihr Mann kämen gut zurecht. Sie wollte nichts von mir, bis auf einen Brief ab und zu und eine Adresse, wohin sie mir ihre Geschenke schicken konnte." "War sie schon lange krank?" "Wenn, hat sie mir nichts davon gesagt." "Was ist passiert?" "Ein Herzinfarkt, völlig unerwartet. Sie ist erst vierundfünfzig. Ich habe heute Morgen im Hotel meinen Anrufbeantworter abgehört, und fand eine Nachricht von ihrem
Mann. Ich konnte ihn im Krankenhaus erreichen, und er sagte mir, dass ihre Chancen nicht sehr gut stünden und dass sie mich sehen möchte." "Ihr Mann, sagst du? Ihr Mann hat dich angerufen?" "Ja. Er heißt Alec Telford und scheint ein durchaus sehr anständiger Kerl zusein." "Alec. Und deine Mutter heißt Doreen, nicht wahr?" "Du erinnerst dich daran?" fragte Mack überrascht. Wie könnte ich es vergessen? dachte Jenna. Er hatte ihr so wenig über seine Familie erzählt, dass sie jede Information wie einen Schatz gehütet hatte. "Und ich glaube, du hast mir gesagt, ihr Mädchenname war Henderson." Er lächelte. "Wie es aussieht, kennst du alle Fakten." "Die wichtigste Sache im Augenblick scheint mir die zu sein, dass Doreen ihm nun doch die Wahrheit gesagt haben muss, da es Alec war, der dich angerufen hat, nicht wahr?" "Dass sie das getan hat, können wir wohl mit einiger Sicherheit annehmen. " Mack drehte den Kopf wieder zum Fenster. Sie ahnte, dass er hoffte, ihre Fragen ausführlich genug beantwortet zu haben. Aber sie hatte noch eine, die ihr keine Ruhe ließ. "Was ist mit deinen Schwestern? Hast du Bridget und Claire auch gefunden?" "Und wenn?" erwiderte er knapp und hörbar widerwillig. "Mack, sei nicht so. Sag es mir bitte einfach. Hast du sie gefunden?" "Ja." "Und?" "Jenna, es reicht." "Nein. Ich möchte es wissen." Er seufzte. "Na gut. Bridget ist verheiratet und lebt mit ihrem Mann und drei Kindern in Oregon. Claire ist auch verheiratet, hat aber keine Kinder. Sie unterrichtet an einer Highschool in
Sacramento. Nach allem, was meine Quellen berichtet haben, geht es beiden Frauen gut." "Sacramento? Hast du auf deinem Weg nach Meadow Valley bei Claire vorbeigesehen?" "Nein." "Warum nicht?" "Jenna ..." "Bitte, Mack, ich möchte nur wissen, wie deine Schwestern sind." "Den Berichten zufolge, die ich bekommen habe, sind es nette Frauen mit einem völlig normalen Leben. Aber beschwören kann ich es nicht, da ich nie mit ihnen gesprochen habe." Sie runzelte verwirrt die Stirn. "Aber warum nicht? Du hast dir solche Mühe gegeben, sie aufzuspüren. Der nächste logische Schritt wäre doch, sie auch kennen zu lernen." "Nach dem letzten Treffen mit meiner Mutter kam mir der Gedanke, dass sie sich vielleicht nicht so sehr über mein plötzliches Auftauchen freuen würden." "Aber ..." "Jenna, lass es gut sein, okay? Ich habe mich nicht mit meinen Schwestern in Verbindung gesetzt, und ich werde es auch nicht tun. Ich weiß, dass es ihnen gut geht, und das reicht mir." Mack sah wieder angestrengt aus dem Fenster, als ob der Anblick der weißen Wolken und der weiten Landschaft unter ihnen ihn unvorstellbar faszinierte. Im Krankenhaus fragten sie nach Doreen Telfords Zimmer. Die Schwester gab ihnen eine recht unklare Antwort über den kritischen Zustand der Patientin und bat sie, erst einmal Platz zu nehmen. Bald würde jemand kommen, um sie zu informieren. Mack gefiel das Ganze nicht. Er sah die Schwester finster an, ließ sich aber von Jenna zu einer schwarzen Ledercouch führen, die für die Besucher vorgesehen war.
"Irgendetwas stimmt hier nicht", sagte er. Er hatte ein seltsames, unangenehmes Gefühl, und sein Magen zog sich schmerzhaft zusammen. "Mir gefiel der Ausdruck dieser Schwester gar nicht." Jenna drückte seinen Arm. "Schon gut, Mack. Beruhig dich. Sie sagte, es würde nur ein paar Minuten dauern." Trotz der Angst, die ihm fast die Kehle zuschnürte, brachte Mack ein kleines Lächeln zu Stande. Seit er vor zehn Tagen in ihr Geschäft gegangen war, hatte Jenna ihm deutlich klargemacht, dass er die Hände von ihr lassen sollte. Sie selbst hatte ihn auch kein einziges Mal berührt. Im Flugzeug hatte sie sich nur einen Moment vergessen und ihre Hand dann so schnell zurückgezogen, dass er schon geglaubt hatte, sich geirrt zu haben. Aber jetzt machten sie eindeutig Fortschritte. Jenna hatte sich bei ihm eingehakt und ihre andere Hand auf seinen Arm gelegt. Na schön, sie tat das vor allem, damit er nicht aufsprang und mit der Schwester stritt. Aber so oder so, sie hielt ihn fest, und es fühlte sich herrlich an. Hauptsächlich deshalb stand er diese Minuten auch durch, und er ging sogar so weit, seine Finger mit ihren zu verschränken. Sie ließ es sogar zu, obwohl sie zuerst ein wenig zusammenzuckte und ihm einen misstrauischen Blick zuwarf. Aber dann entspannte sie sich, und sie hielten Händchen wie in ihren ersten Jahren. Was ihm sehr gut tat, denn es war ein Moment, wo ein Mann den Trost seiner Frau brauchte. Mack sah als Erster den hoch gewachsenen, leicht gebeugten Mann, der aus einem der Aufzüge stieg. Er trug ein zerknittertes, kurzärmeliges Hemd, dunkle Hose und schwarze Schuhe. Sein Haar war grau und schütter, und er hatte diesen besonderen, betäubten Gesichtsausdruck eines Menschen, der gerade einen schweren Schlag erlitten hat und noch nicht richtig begriffen hat, was geschehen ist. Das dort war ein Mann in den ersten dumpfen Augenblicken eines Schocks.
Mack wusste sofort, wer dieser Mann war. Es war sein Stiefvater Alec Telford. Und ebenso wusste er, was der Ausdruck im Gesicht seines Stiefvaters zu bedeuten hatte. Er würde keine Päckchen mit Salami und Käse mehr bekommen. Seine Mutter war gestorben. Alec Telford ging zu der Schwester an der Aufnahme und sprach kurz mit ihr. Die Frau erwiderte etwas, und ihr Blick ging zu Mack und Jenna hinüber. Alec Telford drehte sich langsam um und kam auf sie zu, während sie beide gleichzeitig aufstanden. Vor ihnen blieb er stehen. "Ich ... hallo, ich bin ..." Er blinzelte müde, der Blick seiner braunen Augen war leer und verwirrt, als ob er sich nicht an seinen eigenen Namen erinnern könnte. "Alec", sagte er schließlich. "Nennen Sie mich Alec." Er machte den tapferen Versuch zu lächeln, brachte aber nur eine Grimasse zu Stande. "Mr. ... Alec, vielleicht sollten Sie sich setzen", schlug Jenna ruhig vor. Er blinzelte wieder. "Mich setzen? Nein, ich glaube nicht." Entschlossen wandte er sich nun zu Mack und reichte ihm die Hand. "Sie sind Mack. Dorys ..." Er schluckte, seine Augen füllten sich mit Tränen, und er blinzelte noch einmal. "Sie sind Doreens Junge." "Ja, ich bin Mack McGarrity." Mack schüttelte ihm die Hand. Alec beugte sich dichter zu ihm. "Es tut mir so Leid, Ihnen das sagen zu müssen, aber Doreen ist von uns gegangen. Es ist gerade eben geschehen ..." Er blinzelte wieder, und sein leerer Blick suchte den Raum ab, um sich schließlich auf die Uhr über der Rezeption zu richten. "Vor einer Stunde. Vor einer Stunde und fünf Minuten, um genau zu sein. Ich saß neben ihr, und sie öffnete die Augen. Sie sagte: mein Arm tut weh, Al. Mein Arm tut sehr weh. Und dann begannen diese Maschinen, an die sie sie angeschlossen hatten, plötzlich wie wild zu piepen. Schwestern und Ärzte kamen
hereingelaufen. Sie taten, was sie konnten, aber sie konnten sie nicht retten. Sie ... sie ist nicht mehr bei uns." "Kommen Sie", sagte Jenna. "Kommen Sie, Alec. Setzen Sie sich hier hin." Sie berührte ihn an der Schulter und schob ihn behutsam zur Couch. Mack war ihr in diesem Moment unendlich dankbar, dass sie ihn praktisch gezwungen hatte, sie mitzunehmen. Alec setzte sich langsam, ließ den Kopf nach hinten gegen die Wand sinken und sah zu ihnen hoch. "Entschuldigen Sie bitte", sein Blick lag fragend auf Jenna, "Sie sind ...?" Jenna schenkte ihm ein Lächeln, wie Mack es fast jede Nacht in seinen Träumen vor sich sah, zärtlich und freundlich und sehr, sehr sanft. "Jenna. Jenna Bravo. Ich bin eine Freundin von Mack." Mack widerstand der Versuchung, sie zu verbessern und darauf hinzuweisen, dass sie Jenna McGarrity war und seine Frau. Alec Telford, der gerade seine Frau verloren hatte, würde sich in diesem Moment sicher nicht dafür interessieren. "Ich freue mich, Sie kennen zu lernen, Jenna." "Und ich freue mich, Sie kennen zu lernen, Alec." Alec gab sich Mühe, sich aufrechter hinzusetzen. "Ich wollte ... ich wollte mich der Situation besser gewachsen zeigen. Ich wollte..." Seine Stimme brach. "Es ist schon gut, Alec. Sie halten sich wunderbar. Wirklich." Mack räusperte sich. "Ja. Und ich danke Ihnen, dass Sie selbst heruntergekommen sind, um es mir zu sagen." "Es war das Mindeste, was ich tun konnte." Alec schloss die Augen und benetzte sich die trockenen Lippen. Jenna machte einige Schritte Richtung Flur. Mack warf ihr einen entsetzten Blick zu. "Ich bin gleich wieder da", sagte sie und eilte weiter. "Sie sehen ihr ähnlich", murmelte Alec leise und betrachtete ihn so eindringlich, dass Mack verlegen wurde. "Natürlich nicht,
was die Größe angeht. Sie war ja so zierlich. Aber die Gesichtsform und die Augen. Diese blaugrauen Augen ..." Meine Mutter, dachte Mack. Er sagt, ich sehe aus wie meine Mutter. Was sollte er darauf erwidern? "Ja, ich ..." O Gott, hoffentlich kam Jenna schnell zurück. Er brauchte sie. Plötzlich war sie tatsächlich wieder da und hielt einen Pappbecher Wasser in der Hand. "Hier, Alec. Ein wenig Wasser?" "Oh, vielen Dank." Alec nahm den Becher und leerte ihn in einem Zug, so dass Jenna gleich wieder losging, um ihm noch mehr Wasser zu holen. Mack atmete innerlich auf, dass Alec dieses Mal offenbar nicht das Bedürfnis verspürte, ihm seine Gedanken anzuvertrauen. Nachdem er den zweiten Becher ausgetrunken hatte, erhob Alec sich schwerfällig. "Ich kann nicht für immer hier sitzen bleiben, nicht wahr? Ich gebe zu, dass ich oben herumgesessen habe, seit sie ... Dory fortgebracht haben. Ich saß einfach nur da und dachte, dass ich mich um vieles zu kümmern habe. Und dann sagte man mir, dass Sie angekommen sind, Mack, und ich ..." Er brach ab und holte tief Luft. "Ich glaube, ich rede ohne Sinn und Verstand." "Alec." Jenna legte ihm die Hand auf den Arm. "Alec, ist jemand bei Ihnen, der Ihnen helfen kann?" "Mir helfen? Nein. Nein, ich habe ... Es waren immer nur Dory und ich. Aber ich ... ich schaff es schon, wirklich. Ich komme zurecht, kein Problem." Er wandte sich an Mack. "Gute Nacht. Können Sie zum Haus kommen, was meinen Sie? Es gibt da einige Dinge, die Dory Ihnen geben wollte. Haben Sie die Adresse?" Mack nickte. "Und die Telefonnummer?" "Ja." "Gegen acht?"
"In Ordnung." "Gut. Oh, warten Sie. Wo wohnen Sie? Ich sollte es besser wissen, falls ich ..." Jenna unterbrach ihn mit entschlossener Stimme. "Alec, darüber können wir später reden. Mack und ich gehen jetzt nirgendwohin. Wir bleiben erst einmal bei Ihnen und helfen Ihnen." Ach, ja? hätte Mack fast gesagt, konnte sich aber gerade noch rechtzeitig zurückhalten. Alec blinzelte wieder. "Oh, nein. Das kann ich nicht von Ihnen verlangen. Ich schaffe das schon allein. Ehrlich, ich ..." "Natürlich schaffen Sie es auch allein", sagte Jenna. "Aber es gibt keinen Grund, warum Sie das tun sollten." "Meinen Sie wirklich?" Mack glaubte nicht, dass er je etwas so Herzerweichendes gesehen hatte wie die tiefe Erleichterung im Gesicht seines Stiefvaters, als Jenna antwortete: "Aber natürlich. Wir bleiben bei Ihnen, Alec." Den Rest des Tages verbrachten sie mit den tausend Dingen, die erledigt werden mussten. Sie beauftragten ein Beerdigungsinstitut, setzten sich mit Alecs und Doreens Versicherung in Verbindung, rechneten mit dem Krankenhaus ab und holten Doreens wenige persönliche Gegenstände aus ihrem Zimmer. Alec hatte eine verwitwete Schwester, Lois Nertleby, die in Phoenix lebte. "Ich rufe sie wohl besser an", sagte er bedrückt. "Sie und Dory standen sich nicht sehr nah, aber ich glaube, sie wird es wissen wollen." Als sie das Beerdigungsinstitut verließen, fuhr Jenna mit Alec zu ihm nach Hause, und Mack folgte ihnen im Mietwagen. Bei ihm angekommen, nahm Alec die Post aus dem Briefkasten, bevor er die Tür aufschloss. Die Vorhänge waren zugezogen, und die abgestandene Luft roch nach Zigaretten. Alec warf die
Post auf den Küchentisch. In diesem Moment klingelte das Telefon, und er hob ab. "Ja", sagte er müde. "In Ordnung. Viertel nach sechs. Wir werden dich abholen." Er legte auf. "Das war Lois. Sie kommt um Viertel nach sechs am John-Wayne-Flugplatz an." Alec ließ den Kopf sinken und schien nicht zu wissen, was er jetzt tun sollte. Jenna kam ihm zu Hilfe. "Wir müssen noch einige Anrufe erledigen, Alec. Die Leute werden wissen wollen, was geschehen ist, wo sie Blumen hinschicken können und wann die Beerdigung stattfindet." Zunächst sagte Alec, dass es niemanden gäbe, der benachrichtigt werden müsse, aber Jenna überredete ihn, Doreens Adressbuch herauszuholen. Während er die Namen durchging, kam er doch zu dem Schluss, dass es einige Freunde gab, die Bescheid wissen sollten.
"Soll ich sie für Sie anrufen?" bot Jenna an. "Nein. Nein, ich glaube, das ist etwas, das ich selbst tun sollte." Während Alec am Telefon war, versuchte Mack, sich nützlich zu machen. Er suchte in den Schränken nach Zutaten, um allen ein Sandwich zu machen. Jenna trat zu ihm an den Küchentresen, und sie machten sich gemeinsam an die Arbeit. Die Küche meiner Mutter, dachte Mack, während er Senf auf die Brotscheiben strich. Nie hätte er geglaubt, einmal hier zu sein. Das Veilchen stand auf dem Fensterbrett, umgeben von vielen kleinen Keramiktieren - Katzen, Hunden, Pferden und Fröschen. Plötzlich kam ihm eine vage Erinnerung ... Das Küchenfenster in dem Haus, in dem sie lebten, bevor sein Vater starb. Auf dem Fensterbrett hatten die gleichen kleinen Tierchen gestanden.
"Mackie ..." Die Stimme seiner Mutter. "Siehst du, Mackie? Eine Mieze und ein Wauwau, ein Pony und ein Papagei. Nein, nein. Sehr vorsichtig. Sie sind zerbrechlich, Mackie. Sie könnten kaputt gehen." Mack schloss die Augen und atmete tief ein, als ihm etwas klar wurde. Diese Erinnerungen an sie waren alles, was er jemals von ihr haben würde. Er fragte sich, warum dieser Gedanke so wehtat. Schließlich hatte er nie etwas anderes erwartet. Jenna wusch einige Salatblätter im Waschbecken. Er sah sie an, und sie schenkte ihm ein sehr sanftes Lächeln. "Bist du okay?" fragte sie leise. Da stellte er fest, dass es ihm tatsächlich besser ging. "Ja, ich bin okay." Sie aßen die Sandwiches, und danach war es Zeit, zum Flugplatz zu fahren. Lois Nettlebys Flug war pünktlich. Alec winkte ihr zu, als er sie unter den anderen Passagieren ausmachte. Seine Schwester war eine rundliche Frau mit sonnengebräuntem Gesicht und kleinen Lachfältchen um die dunklen Augen. Bis sie wieder bei Alecs Haus waren, war es nach acht. Alec erinnerte Mack an die Sachen, die er von seiner Mutter bekommen sollte, und fügte hinzu: "Aber ich nehme an, es gibt keinen Grund zur Eile. Wir können das morgen erledigen. Können Sie morgen früh vorbeikommen, so ungefähr gegen zehn?" Mack war einverstanden. Sicher konnte "das" - was immer es war - auch bis morgen warten. Er sehnte sich nach einem Drink, einer langen heißen Dusche und einem riesigen Bett - am besten mit Jenna darin. Na gut, wahrscheinlich standen die Chancen, Jenna heute ins Bett zu bekommen, nicht besonders gut, aber ihre Vereinbarung verbot ihm nicht, sich Hoffnungen zu machen. Während ihres Flugs hatte er in einem guten Hotel an der Ocean Avenue
Zimmer gebucht. Dass es ein Montag war und Ende September, war von Vorteil. Er hatte keine Schwierigkeiten gehabt, eine große Suite mit zwei Schlafzimmern und zwei Bädern zu bekommen. Sie betraten die Suite durch das kleine Foyer, das in den Salon führte. Jenna sah sich äußerst misstrauisch um und bedachte dann ihn mit einem argwöhnischen Blick. Er zog die Jacke aus und warf sie über einen Sessel. "Dieser Blick verrät mir deinen völligen Mangel an Vertrauen", erklärte er und gab sich Mühe, verletzt zu klingen. Sie ließ sich nichts vormachen. "Wir hatten getrennte Zimmer abgemacht." Er ging zu einer der Türen und öffnete sie. "Guck. Ein Schlafzimmer, komplett mit Bad. Und siehst du die Tür dort drüben? Wenn du sie aufmachst, wirst du dort das Gleiche finden." Jenna sah ihn stumm an, und so sprach er weiter. "Du warst wundervoll heute. Danke." Sie nickte und ging nun zum Balkonfenster, das eine herrliche Sicht auf die Lichter des Hafens und das dunkle Meer bot. "Es ist wichtig, Menschen um sich zu haben, wenn man jemanden verliert, den man liebt. Ich bin froh, dass wir Alec helfen konnten." Sie drehte sich zu ihm. "Er ist ein sehr netter Mann." "Ja." Seine Antwort schien so unzulänglich, aber er wusste nichts anderes zu sagen. "Mack?" "Ja?" "Es tut mir Leid für dich, dass deine Mutter gestorben ist." Er wandte den Kopf ab. Jenna kam zu ihm. Ihr Duft - blumig, ohne zu süßlich zu sein, weckte schöne Erinnerungen in ihm. Selbst nach sieben Jahren hatte er ihren Duft nicht vergessen. "Mack."
Sie berührte sanft seinen Arm, und er bedeckte ihre Hand mit seiner. Gemeinsam standen sie vor der Balkontür und sahen hinaus aufs Meer und in die Nacht. "Als meine Mutter starb", sagte Jenna, "war für mich das Schlimmste, dass ich nie wieder etwas mit ihr erleben würde, an das ich mich dann später erinnern könnte. Es würde keine Momente mehr zwischen uns geben, die mir irgendwann wieder einfallen würden. Keine Umarmungen, kein Lächeln. Ich hatte alles bekommen, was ich bekommen konnte, alle Umarmungen und jedes Lächeln, die sie mir jemals geben würde." Mack antwortete nicht. Er brachte kein Wort heraus. Was Jenna gerade gesagt hatte, spiegelte genau seine Gefühle wieder, als er in Alecs Haus die kleinen Keramikfiguren wieder gesehen hatte. Jenna lehnte den Kopf an seine Schulter. Ihr Haar berührte seine Wange. Es fühlte sich so seidig und warm an. Er wollte sie an sich ziehen und sie küssen. Aber er tat es nicht. Er wusste, dass sie ihm in diesem Moment Trost anbot, und er würde alles verderben, wenn er die Situation ausnutzte. "Eins werde ich, glaube ich, nie verstehen", flüsterte er leise. "Was?" "Wie konnte sie so viele Jahre mit Alec verheiratet sein und ihm nie die Wahrheit sagen?" Jenna sah ihn ernst an. "Du hast mir auch nie die Wahrheit über sie gesagt. Du hast mich glauben lassen, dass sie schon vor Jahren gestorben ist." "Weil ich das Geschehne vergessen wollte." "Und hat es funktioniert? Hast du vergessen?" Sie kannten beide die Antwort, aber er sprach sie trotzdem aus. "Nein. Am Ende musste ich mich doch mit ihr auseinander setzen. Und ich glaube, ich versuche immer noch, damit fertig zu werden." "Heute bist du jedenfalls sehr gut zurechtgekommen."
"Danke." Er wollte sie immer noch küssen. Er sehnte sich mit ganzer Seele danach, aber er riss sich zusammen. Selbst für einen Mann, dem es nichts ausmachte, ein Risiko einzugehen, gab es Dinge, die zu kostbar waren, um sie aufs Spiel zu setzten. Zum Beispiel, dass Jenna und er sich im Laufe dieses traurigen Tages sehr viel näher gekommen waren, als er gehofft hatte. Jenna hatte den Arm um ihn geschlungen, ihr Kopf lag auf seiner Schulter. Für den Augenblick genügte ihm das.
5. KAPITEL Am nächsten Morgen bestellte Mack das Frühstück auf die Suite. Es war ein wenig zu windig, um es auf dem Balkon zu genießen, und so saßen sie am Glastisch im Salon. Während Jenna ihr Brötchen und den Toast aß, fielen ihr andere Zeiten ein, als sie und Mack zusammen gefrühstückt hatten. Das allererste Frühstück, zum Beispiel in seiner Wohnung in Los Angeles. Er war vor ihr aufgestanden und zum Bäcker an der Ecke gelaufen. Mit frischen Brötchen und mit zwei Tassen Kaffee war er dann ans Bett gekommen und hatte sie geweckt, indem er sich über sie beugte und sie küsste. "Ich habe uns Frühstück gemacht. Frühstück im Bett." Sie hatte sich aufgesetzt und in das Laken gewickelt. Er hatte ihr einen Kaffee gereicht, und ihre Finger hatten sich berührten. Sie war bis in die Zehenspitzen erschauert. Kein Kaffee hatte ihr seitdem wieder so gut geschmeckt wie dieser. Sie hatten nicht den Blick voneinander nehmen können und sich die ganze Zeit angelächelt. Es war ein Ausdruck des Glücks gewesen. Mack hatte ihr gerade genug Zeit gelassen, ein halbes Brötchen zu essen, bevor er sie ungeduldig in die Kissen zurückgedrückt hatte. Es war wahrscheinlich das schönste Frühstück ihres Lebens gewesen, und sie hatte es mit Mack geteilt. Das schlimmste Frühstück allerdings auch. Es hatte in ihrem New Yorker
Apartment stattgefunden, etwa eine Woche, bevor sie sich zu ihrer Reise nach Hause entschloss - eine Reise, von der sie nicht zurückkehren sollte. Die meiste Zeit hatten sie schweigend dagesessen. Sie erinnerte sich an das Klirren ihrer Löffel in der Kaffeetasse und daran, wie ungemein sorgfältig Mack Marmelade auf seinen Toast gestrichen hatte. Er war in der Nacht zuvor sehr spät nach Hause gekommen, natürlich von einer dieser Konferenzen, die sich seltsamerweise bis in die frühen Morgenstunden ausdehnten. Nachdem sie sich beim Frühstück lange genug angeschwiegen hatten, hatte sie sich nicht mehr zurückhalten können und ihn wieder angefleht. "Mack, bitte. Ich mö chte nur ein Baby, Mack. Wenn ich ein Baby hätte, könnte ..." Sein Blick hatte sie zum Schweigen gebracht. Er hatte seinen Toast auf den Teller fallen lassen, war abrupt aufgestanden und ohne ein Wort hinausgegangen. Auch jetzt frühstückten sie zusammen, und er saß ihr wieder gegenüber. Er hob gerade die Kaffeetasse an die Lippen und begegenete nun ihrem Blick. Er trug ein Poloshirt und Jeans, wie sie erleichtert festgestellt hatte, als sie aus ihrem Zimmer gekommen war. Sie hatte befürchtet, ihn womöglich im Bademantel vorzufinden oder in sonst einem halb bekleideten Zustand. Aber nein. Offenbar war er bereit, fair zu spielen. Mack stellte die Kaffeetasse ab. "In Gedanken?" Sie zögerte, und er wartete geduldig, bis sie antwortete. "Es ist nichts", behauptete sie. Sie erkannte an seinem Lächeln, dass er ihr nicht glaubte, aber er drängte sie nicht weiter. "Noch etwas Kaffee?" fragte er. "Gern." Als sie Alecs Haus erreichten, war Lois gerade zum Einkaufen gegangen.
"Sie hat sich eine Liste von etwa einem Meter gemacht", sagte Alec. "Sie ist ein richtiger Dynamo. War schon immer so. Lois gehört zu den Menschen, die immer gleich das Kommando übernehmen. Normalerweise ärgert mich das, aber jetzt bin ich ihr sehr dankbar dafür. Ich brauche jemanden, der alles in die Hand nimmt." Jenna schaute sich in der Küche um. Lois schien wirklich sehr fleißig gewesen zu sein. Der Berg Post lag nicht mehr auf dem Tisch, und es roch eher nach Reinigungsmitteln als nach Zigaretten. Außerdem war der Boden gefeudelt, und die benutzten Teller waren aus dem Spülbecken verschwunden. Alec wies zum Salon am Ende des kurzen Flurs. "Setzen Sie sich. Ich hole die Sachen, von denen ich Ihnen erzählt habe." Jenna und Mack folgten seiner Aufforderung, und wenige Minuten später kam Alec zurück, in der Hand einen großen Karton und auf der Nase eine Lesebrille. Er stellte den Karton auf den Tisch, holte ein Taschenmesser hervor und reichte es Mack, damit er das Klebeband durchschneiden konnte, mit dem der Deckel des Kartons befestigt war. Jenna spürte, dass ihr Herz schneller klopfte, als Mack den Deckel schließlich abnahm. Zuerst brachte er drei Fotoalben zum Vorschein, die Doreen mit kleinen Plastikkarten nummeriert hatte. Mack öffnete das erste Album. Er machte auf dem Sofa Platz, damit Jenna sic h zu ihm setzen konnte, und als sie neben ihm war, lächelte er sie an. Spontan rutschte sie noch ein wenig näher. Sie verbrachten eine Stunde damit, die Alben durchzusehen. Mack erkannte Bridget und Claire und sich selbst, als er sehr klein war. Er erkannte auch seine Eltern. Seine Mutter, zierlich und hübsch, stand vor einem leicht heruntergekommenen Haus im Bungalowstil, hatte sich bei seinem Vater eingehakt und schaute lächelnd in die Kamera. Außer den Alben und einigen alten Zeugnissen, entdeckten sie noch eine Reihe von Zeichnungen, die eindeutig von
Kinderhand verfertigt worden waren. Außerdem barg der Karton kleine Locken von weichem Babyhaar und drei winzige Milchzähnchen, die in weiße Seide gewickelt waren; drei Paar gestrickte Schühchen, ein blaues und zwei rosa; ein gelbes Lätzchen und ein Strickjäckchen; zwei kleine Puppen, eine Rassel, einen zerfledderten braunen Teddybär und ein Kinderbuch mit Eselsohren. "All die Jahre, die wir zusammen waren ..." Alec schüttelte den Kopf. "Sie hat nie ein Wort gesagt. Aber sie bekam, was wir ihre traurige Stimmung nannten, wenn sie kaum lächelte und mit den Gedanken weit fort war. Anfangs fragte ich sie noch, was los sei. Aber sie tätschelte mir die Wange und meinte: ,Es ist nur meine traurige Stimmung, Al, mehr nicht.'" Alec schob seine Brille zurecht. "Nach ein paar Jahren lernte ich, einfach zu akzeptieren, dass diese Stimmungen ein Teil von ihr waren. Ich wusste, dass sie kommen, aber auch wieder vergehen würden. Aber ich wusste nie, was der Grund dafür war. Ich erfuhr es wenige Stunden, bevor sie starb. Ich ..." Alec unterbrach sich und sah von Mack zu Jenna. "Vielleicht möchten Sie das gar nicht hören." Jenna wartete darauf, dass Mack antwortete, aber als das Schweigen zu lange dauerte, konnte sie es nicht mehr aushaken und erwiderte: "Doch. Bitte, Alec ..." Zu ihrer Erleichterung sagte nun auch Mack: "Ja, bitte sprechen Sie weiter." "Gut. All diese Jahre, ich wusste nie den Grund. Und dann, am Tag, an dem sie stirbt, sitze ich an ihrem Bett und halte ihre Hand, und sie sagt es mir." Er sah Mack an. "Über Sie, und über die Mädchen. Sie sagte, dass sie kaum etwas über Bridget und Claire wüsste, dass sie sie nicht gesehen und nichts von ihnen gehört habe, seit sie sie zur Adoption freigegeben hatte. Aber dass Sie, Mack, nach ihr gesucht hätten. Und dass Sie zu einem großartigen Mann herangewachsen seien und ein wohlhabender, erfolgreicher Anwalt geworden wären. Sie war so stolz auf Sie.
Sie sagte, Sie hätten ihr gesagt, dass es ihren Töchtern gut gehe. Und dann bat sie mich, Sie anzurufen, weil sie Sie sehen wollte. Doch was immer auch geschähe, ich sollte Ihnen diesen Karton geben. Und ich versprach ihr, dass ich mich darum kümmern würde." In Gedanken versunken, sah Alec auf seine verschränkten Hände, bevor er fortfuhr. "Sie erzählte mir diese unglaubliche Geschichte. Dass sie eine Familie besaß, von der ich nichts wüsste. Ich wollte ihr Tausende von Fragen stellen, aber in dem Augenblick... Ich brachte keinen Ton heraus. Vielleicht war ich einfach zu ängstlich." Er nahm eines der kleinen Seidentücher heraus, wickelte es behutsam auseinander und starrte auf den kleinen Milchzahn darin. "Ich hatte ihr von Anfang an gesagt, dass ich keine Kinder will, dass ich zu sehr an meinen Gewohnheiten hänge und mit ihr meine Freiheit genießen möchte. Ich wollte sie ganz für mich allein haben." Alec schluckte mühsam und schüttelte den Kopf. "Später, nach einigen Jahren, fing ich an, die Dinge anders zu sehen. Ich sagte ihr, dass es vielleicht doch ganz nett wäre, einen kleinen Jungen oder ein kleines Mädchen zu haben." Er fuhr mit Zeigefinger und Daumen unter den dunklen Rahmen seiner Brille und rieb sich die Augen. "Aber sie wurde nicht schwanger. Jetzt werde ich mich immer fragen müssen, ob sie es wohl ganz bewusst verhindert hat. Weil ich ihr früher gesagt hatte, dass ich keine Kinder wolle, oder weil sie sich nicht verzeihen konnte, dass sie ihre Kinder aufgegeben hatte und dass sie deswegen nicht noch einmal Mutter werden wollte. Es ist so traurig. Sie hatte nicht verstanden, wie sehr ich sie liebe. Ich hätte mich auf die Suche nach Ihnen und Ihren Schwestern gemacht. Wenn sie es mir nur gesagt hätte. Wenn ich es nur geahnt hätte." Es war nach zwei Uhr, als Jenna und Mack den Karton mit den Erinnerungsstücken im Kofferraum des Mietwagens unterbrachten und sich auf den Weg zum Hotel machten.
Mack sagte kaum etwas während der Fahrt, aber Jenna konnte das gut verstehen. Die Durchsicht von Doreens Karton hatte auch sie mitgenommen - und sie war weder der Mann, dem Doreen ihr so großes Geheimnis vorenthalten hatte, noch der Sohn, den sie fortgegeben hatte. In der Suite überprüfte Jenna erst einmal das Telefon, aber der Anrufbeantworter zeigte keine Anrufe an. Mack holte sein Handy heraus und tippte eine Nummer ein. Jenna ließ ihre Schultertasche auf einen Tisch fallen und setzte sich in den Sessel, neben dem Mack heute Morgen die Zeitung liegen gelassen hatte. Sie blätterte kurz darin, ohne weiter auf sein Telefongespräch zu achten. Doch dann hörte sie ihn sagen: "Ja. Nach Miami. Den nächsten Flug." Sie legte die Zeitung beiseite und runzelte die Stirn, während er einen Flug für zwei Personen buchte. Kaum hatte er das Gespräch beendet, sprang sie auf. Er war schon dabei, eine weitere Nummer einzugeben, aber sie unterbrach ihn. "Einen Moment, Mack. Was machst du da?" "Nach was sieht es denn aus?" gab er zurück, eine Entgegnung, mit der er sie schon früher zur Weißglut gebracht hatte. "Es sieht so aus, als ob du Vorkehrungen triffst abzureisen." "Sehr scharfsinnig." Ihre Wut nahm zu. "Das gefällt mir nicht, Mack. Es erinnert mich viel zu sehr an alte Zeiten." Sein Blick wurde finster. Doch sie war keine zwanzig mehr und viel zu selbstbewusst, um sich vom Gesichtsausdruck eines Mannes einschüchtern zu lassen. "Ja", sagte sie, "genau wie in alten Zeiten. Du hast dein Telefon in der Hand und triffst ganz allein irgendwelche Entscheidungen. Du fliegst nach Florida und nimmst selbstverständlich an, dass ich mitkomme. Habe ich Recht?"
Er gab nur ein leises Knurren von sich, das sie als Zustimmung nahm. "Du denkst also, wir fliegen nach Florida. Hast du das mit mir besprochen? Hast du mich gefragt, was ich davon halte, ob ich mitkommen möchte, ob ich nichts dagegen habe? Nein, hast du nicht. Wie ich sagte, es ist wie in alten Zeiten, als du dir nichts dabei dachtest, einen Job in New York anzunehmen, um mir danach mitzuteilen, dass wir umziehen." Sie lächelte säuerlich. "Weißt du, Mack, wenn es mir nichts ausmachen würde, über wichtige Entscheidungen im Dunkeln gelassen zu werden, hätte ich mich nic ht von dir scheiden lassen." "Wir sind nicht geschieden." "Du wiederholst dich." "Weil es die Wahrheit ist." "Wenn du dich so aufführst, wirst du am Ende unserer vierzehn Tage mit Sicherheit nicht mehr in der Lage sein, diese Behauptung auch weiterhin aufzustellen." Er warf das Handy auf einen Tisch, und sie zuckte zusammen, als es hart aufschlug. "Es ist meine verdammte Woche, erinnerst du dich? Also kann ich wählen, wohin wir gehen." Da hatte er nicht ganz Unrecht. Sie selbst hatte ihn ja auch nicht um seine Meinung gebeten, als sie als Aufenthaltsort für ihre Woche Wyoming ausgesucht hatte. Erst jetzt wurde ihr klar, dass er versuchte, vor dem Schmerz, den der Tod seiner Mutter in ihm geweckt hatte, zu fliehen. "Ich bin hier fertig, Jenna. Ich habe den ve rflixten Karton mitgenommen, den meine Mutter mir geben wollte, und es tut mir Leid, dass ich nicht rechtzeitig hier war, um ihre letzten Worte zu hören. Gestern haben wir alles getan, was möglich war, um Alec zu helfen. Aber jetzt ist seine Schwester bei ihm, und er wird schon zurechtkommen. Mir bleiben noch fünf Tage meiner Woche, und ich will sie auf meine Weise verbringen. Ich
will dir mein Haus zeigen und mit dir auf meinem Boot aufs Meer hinausfahren. Ich will, dass wir beide allein sind." "Es tut mir Leid, Mack", sagte sie nun sanfter. "Aber wir sollten bis zur Beerdigung hier bleiben." "Meine Mutter ist tot, Jenna. Es wird ihr egal sein, wenn ich ihre Beerdigung verpasse." "Oh, Mack, eine Beerdigung ist nicht für die Toten. Und dein Stiefvater braucht dich an seiner Seite." "Verdammt, ich habe den Mann erst gestern kennen gelernt. Ich kann ihn jetzt sofort anrufen und ihm sagen, dass wir abreisen müssen. Es wird ihn schon nicht umbringen, wenn ich nicht bis zum Schluss dabei bin." "Alec hat dich sehr gern, Mack, und ich glaube, er möchte die Verbindung zu dir aufrechterhalten. Wenn du mal darüber nachdenkst, bist du sehr wahrscheinlich das einzige Kind, das er je haben wird." Er presste kurz die Lippen zusammen. "Dafür ist es zu spät. Ich bin niemandes Kind." "Natürlich nicht. Aber du weißt, was ich damit sagen will. Du weißt, was du tun solltest. Es tut mir Leid, dass es dir wehtut, aber denk darüber nach. Glaubst du, du könntest es dir je verzeihen, wenn du jetzt nach Florida davonläufst?" Er antwortete nicht sofort, aber als er es dann tat, atmete sie erleichtert auf. „Na gut, verdammt noch mal. Wir bleiben." Sie nahm seinen Arm, so wie sie es am Abend davor getan hatte, und lehnte den Kopf an seine Schulter. "Es ist ein wunderschönes Hotel, und sieh dir nur die Sicht auf den Strand an. Key West ist sicher atemberaubend, aber das hier ist auch nicht schlecht. Long Beach ist ein richtiges Urlaubszentrum geworden. Siehst du die Inseln dort drüben mit all den niedlichen Hotels?" Er lachte leise. "Jenna, das sind nett angemalte Bohrtürme." "Du machst Witze."
"Nein. Die Disney-Leute haben sich diese Fassade ausgedacht, und nachts wird alles mit Scheinwerfern beleuchtet. Sehr hübsch, nicht?" Sie lächelte ihn an. "Weißt du was? Da du so großzügig bist..." Er hob scheinbar erstaunt die Augenbrauen. "Großzügig, ich? Ich wette, du hättest nie gedacht, du würdest dieses Wort einmal im Zusammenhang mit mir gebrauchen, was?" Sie lachte. Es war ein wundervolles Gefühl, nach ihrer Auseinandersetzung Arm in Arm neben ihm am Fenster zu stehen und den Pazifik zu bewundern. Früher wäre es nicht dazu gekommen, sondern sie wäre längst in Tränen ausgebrochen, und Mack wäre dabei, ihre Koffer für die Abreise zu packen. Aber jetzt war nicht früher. Sie war stärker geworden, und Mack sanfter und bereit, sich ihre Meinung anzuhören. "Stimmt", erwiderte sie augenzwinkernd. "Großzügig ist kein Wort, mit dem ich dich je bedacht hätte, aber jetzt passt es nun mal. Und da du also so großzügig bist, werde ich es auch sein." Das Lächeln, das um seine Lippen spielte, ließ sie erschauern. "Heißt das, du bestehst nicht mehr auf diesen verflixten getrennten Zimmern?" Sie schüttelte den Kopf. "Träum nicht." "Entschuldige bitte, aber für mich ist es kein Traum, mit dir zu schlafen, sondern eine sehr wahrscheinliche Möglichkeit." "Du kannst glauben, was du willst. Ich habe getrennte Zimmer verlangt, und ich bleibe bei meinem Entschluss." Er lächelte nicht mehr. Doch der Ausdruck in seinen Augen war noch weitaus gefährlicher für ihre Willenskraft, und ihr zitterten die Knie. Ehe sie sich versah, hatte er sie zu ihm herumgedreht. Ihr blieb überhaupt keine Zeit, ihn abzuwehren, denn im nächsten Moment hatte er sie bereits an sich gerissen. Leise keuchend vor Überraschung und Ärger, weil er sie einfach überrumpelt hatte, presste sie die Hände gegen seine Brust.
"Mack." Es war eine deutliche Warnung, aber er achtete nicht darauf. Bevor sie ihm befehlen konnte, sie loszulassen, spürte sie seinen Mund auf ihrem. Offenbar gab es Dinge, die sich nie änderten. Es war wieder genauso wie damals beim ersten Mal in seiner Wohnung in Los Angeles, selbst nach all den Jahren. Ihr Herz raste, als Mack den Kuss vertiefte. Sie hörte auf, ihn von sich zu schieben, und strich stattdessen mit beiden Händen über seine breiten Schultern. Seufzend ließ sie es zu, dass er mit der Zunge in ihren Mund vordrang. Sie konnte nichts dagegen tun, selbstvergessen streichelte sie seinen Nacken. Sie hatte es schon immer geliebt, seine Haut zu fühlen. Sehnsüchtig zog sie ihn dichter an sich, und er tat das Gleiche mit ihr. Sie spürte seine Erregung und schmiegte sich weich an ihn. Er stich über ihre Hüften, ihren Rücken und fuhr dann mit gespreizten Fingern durch ihr Haar. Seine Küsse wurden immer verlangender, und sie erwiderte sie voller Hingabe. Was Sex betraf, hatten Mack und sie schon immer gut zusammengepasst. Von Anfang an. Wie leicht es doch sein würde, seiner Anziehungskraft erneut zu erliegen. Wie wundervoll müsste es sein, von neuem mit ihm eins zu werden. Aber sie konnte es nicht tun. Mit einem Seufzer, der halb Bedauern, halb ihre Entschlossenheit ausdrückte, löste sie sich von seinem Mund und schob ihn an den Schultern ein wenig von sich. "Nein, Mack." Ungläubig sah er sie an, ließ sie aber los, so dass sie einen Schritt zurücktreten konnte. "Warum nicht?" fragte er heiser. Fast hätte sie ihm eine patzige Antwort gegeben, aber sie müsste endlich einen anderen Ton finden, wenn sie ihnen noch
eine Chance geben wollte. Ihre Beziehung verdiente Ehrlichkeit, ganz gleich, wohin diese zwei Wochen sie auch führen mochten. "Weil wir im Bett immer so gut zusammenpassten. Manchmal denke ich, dass es zu gut war, und dann frage ich mich, ob es nicht das Einzige war, was uns zusammenhielt. Toller Sex und mehr nicht." Er schüttelte den Kopf. "N ein. Es gab mehr zwischen uns, und das weißt du auch." "Ja? Du warst dabei, dir einen Weg nach oben zu erkämpfen, und ich wollte mein Diplom machen und ein wenig von der großen Welt sehen, bevor ich in meiner Heimatstadt ein Geschäft eröffne, Logan heirate und eine Familie gründe. Wir haben uns nur wegen Byron getroffen und wegen dieser Anziehungskraft zwischen uns. Vielleicht war es doch nur Sex, was wir hatten. Vielleicht war Sex das einzig Gute an unserer Ehe, und deswegen hat sie auch nicht lange gehalten." "Jenna", entgegnete er mit einem leisen Vorwurf in der Stimme, "wie kannst du sagen, dass sie nicht gehalten hat? Wir sind doch jetzt beide hier, oder?" Sie hob entschlossen das Kinn. "Unsere Ehe ist zu Ende, Mack. Wir haben uns auf eine Scheidung geeinigt." "Aber wir haben sie nicht durchgezogen." "Ich schon. Du warst derjenige, der nicht die Papiere unterzeichnet hat." "Einen Moment. Müssen wir das Ganze wirklich noch einmal durchkauen?" Sie biss sich auf die Unterlippe. "Nein, du hast Recht. Ich versuche, dir nur zu sagen, dass ich nicht zulassen werde, dass du mich mit deinem Charme noch einmal einwickelst. Ich brauche Sicherheit. Ich möchte herausfinden, ob wir mehr gemeinsam haben als Spaß im Bett." "Also gibst du zu, dass wir wenigstens etwas gemeinsam haben." "Ja, und ich bin bereit, dir entgegenzukommen."
Er sah sie zweifelnd an. "Du machst Witze. Du willst mir entgegenkommen?" "Ja. Da du einverstanden warst, bis zur Beerdigung deiner Mutter hier zu bleiben, können wir danach nach Key West fliegen und dort bleiben, bis die zwei Wochen vorüber sind." Ein Lächeln zuckte um seine Mundwinkel. "Und was ist mit Wyoming und all den Bravos, die du kennen lernen willst?" "Wyoming und meine Verwandten werden wohl warten müssen. Irgendwann werde ich sie schon besuchen." Sie sah aus dem Fenster. "Und ich denke, jetzt wäre ein schöner Spaziergang am Strand eine großartige Idee." "Jetzt?" "Hast du etwas Besseres zu tun?" "Und ob, aber du hast mich ja abgewiesen." "Richtig." "Lass uns also an den Strand gehen."
6. KAPITEL Das rote Licht am Anrufbeantworter blinkte, als sie eine Stunde später wieder im Hotel waren. Eine Nachricht von Alec. Mack rief ihn sofort an. Alec lud sie zum Abendessen ein. Bevor er sich eine Ausrede einfallen lassen konnte, unterbrach Jenna seine Gedanken. "Ist es Alec? Was ist, Mack?" Als sie von der Einladung erfuhr, war sie natürlich sofort einverstanden. Zum Kuckuck mit ihr, aber er fand ja eigentlich auch, dass sie gehen sollten, und so nahm er Alecs Einladung dankend an. "Halb sieben", sagte er, nachdem er aufgelegt hatte. "Zu einem Cocktail und zum Abendessen. Lois will uns mit etwas überraschen, das ,Huhn Fiesta' heißt." "Klingt interessant." Jenna stand vor dem Spiegel neben der Tür und bürstete sich das vom Wind zerzauste Haar. "Siehst du, welche Mühe er sich gibt, damit du dich wie zu Hause fühlst? Deine Mutter hat ihm gesagt, dass du reich und erfolgreich bist. Wahrscheinlich denkt er, dass du jeden Abend Cocktails trinkst. Tun das nicht alle Millionäre?" Er zuckte die Schultern. Seine Gedanken waren eigentlich nicht bei Alec. Er konnte die Salzluft auf Jennas Haut riechen. Ihre Wangen waren gerötet von Sonne und Wind. Sie sah so zauberhaft aus. Ganz langsam schob er mit dem Finger eine
Strähne ihres schimmernden, blonden Haars beiseite, um ihren Nacken freizulegen. "Mack..." Er senkte den Kopf und presste die Lippen auf ihren Nacken, genoss den feinen Salzgeschmack ihrer Haut. Jenna ließ die Liebkosung zu, gab sogar so weit nach, einen leisen Seufzer auszustoßen. Aber er hielt sich an die Regeln und drängte sie nicht. Er würde ihre Abmachung einhalten - jedenfalls für den Augenblick. Ihre Blicke trafen sich im Spiegel, als er den Kopf wieder hob. "Wie viel Zeit müssen wir jetzt totschlagen? Eine Stunde?" "Ich habe Sand in den Schuhen und dachte daran, zu duschen und mich umzuziehen." "Ich würde dir ja anbieten, dir den Rücken einzuseifen, aber leider ..." " ... müsste ich Nein sagen." "Du müsstest nicht unbedingt." "Oh, doch." Sie verschwand in ihrem Teil der Suite. Er rie f wieder den Flughafen an, um seine Buchung auf den späten Samstagmorgen zu verschieben. Dann blieb er noch eine Weile allein im Salon und versuchte, sich Jenna nicht unter der Dusche vorzustellen und wie das Wasser über sie lief, ihr zwischen den vollen Brüsten hinunterrann, ihren flachen Bauch benetzte und wie kleine Tropfen in den goldenen Locken zwischen ihren schlanken Beinen hingen. Schließlich ging er in sein eigenes Bad und nahm ebenfalls eine Dusche - eine besonders kalte Dusche. Alec hatte einen ganzen Cocktail-Shaker mit Margaritas vorbereitet. "Dory hat es hier hinten immer geliebt", sagte Alec, als sie sich auf der Terrasse in bequemen Stühlen um einen Glastisch setzten.
Jenna konnte gut verstehen, warum. Der Garten war heimelig und schön mit dem gut gepflegten Rasen und der üppigen Bougainvillea, die sich über die ganze Breite des hohen Zauns erstreckte. Alec erzählte von der Stellenvermittlung, die er letztes Jahr aufgegeben hatte, damit Doreen und er auf Reisen gehen konnten. "Als Erstes haben wir eine Kreuzfahrt unternommen, von Lissabon nach Barcelona in zehn Tagen. Wir machten einen Spaziergang in der Kasbah in Tanger und gingen über den Markt in Casablanca. Wir besuchten die Kathedrale von Palma de Mallorca und ..." Er holte tief und mühsam Luft. "Wir hatten eine wundervolle Zeit zusammen." Nach einem Moment fragte er dann Mack nach seinem Leben. "Dory erwähnte, Sie leben in Florida und arbeiten dort für eine der großen Anwaltsfirmen." Mack antwortete, dass er seinen Beruf nicht mehr ausübe, da er von seinen Investitionen leben könne. Lois warf ein: "Und Sie, Jenna, leben Sie dann also auch in Florida?" "Nein, ich lebe im Norden. In Meadow Valley, das ist eine kleine Stadt in ..." "Ach, ja, das liegt in den Bergen. Die Stadt wurde während des Goldrausches gegründet, nicht wahr? Wie ich höre, soll es dort sehr schön sein." "Mir gefällt es sehr." "Mein Bruder sagt, Sie und Mack sind Freunde?" Jenna wurde ein wenig verlegen. "Ja, das stimmt." Ihre Verlegenheit wuchs, als Lois weiterfragte: "Und wie haben Sie sich kennen gelernt?" Jenna warf Mack einen schnellen Blick zu, aber von ihm war keine Hilfe zu erwarten. Er trank in aller Seelenruhe seine Margarita und dachte bestimmt: Na los, sag es ihr schon. Und warum auch nicht? Es gab schließlich nichts, weswegen sie sich schämen müsste.
Sie nippte an ihrem Drink und nahm allen Mut zusammen. "Mack und ich waren einmal miteinander verheiratet. Wir haben uns scheiden lassen, aber wie sich herausstellte, ist die Scheidung nicht richtig rechtskräftig geworden. Und jetzt..." "Versuchen Sie es noch einmal", rief Lois lächelnd. Jenna wollte schon widersprechen, aber dann überlegte sie, dass das gar keine so schlechte Einschätzung ihrer Lage war. Warum sollte sie Alec und Lois mit unnötigen Einzelheiten verwirren? Lois wandte sich triumphierend an ihren Bruder. "Siehst du? Hab ich dir nicht gesagt, dass mehr zwischen ihnen ist als Freundschaft?" Alec schmunzelte amüsiert. "Das stimmt, Lois. Genau das hast du tatsächlich gesagt." Jenna nippte wieder an ihrer Margarita und widerstand dem Bedürfnis, Mack anzusehen. Sie wusste auch so, dass ein freches kleines Grinsen um seinen Mund lag, und genau das konnte ihr jetzt gestohlen bleiben. "Noch ein wenig, Jenna?" fragte Alec. Na, so was, ihr Glas war leer. Und es war auch noch ein so großes Glas. "Ja, danke. Die Margaritas sind wirklich sehr gut, Alec." Bis es so weit war, dass Lois das Abendessen servierte, fing Jenna an, sich leicht beschwipst zu fühlen. Deshalb lehnte sie höflich, aber bestimmt ab, als Alec ihr noch einmal nachschenken wollte. Sie wünschte, sie hätte schon beim zweiten Glas mehr Charakterstärke gezeigt, denn während des Tischgesprächs konnte sie sich nicht immer auf die anderen konzentrieren. So brachte Alec einmal kurz das Thema von Macks Schwestern auf, und Mack weigerte sich, darauf einzugehen. Der Austausch war vorbei, bevor sie, Jenna, ihre eigene Meinung einbringen konnte. Sie wollte das Thema wieder aufgreifen, aber irgendwie schien nie der richtige Augenblick zu sein. Außerdem schnitt
man gefährliche Themen am besten dann an, wenn man im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte war - etwas, das sie von sich leider nicht behaupten konnte. Kurz nach zehn verabschiedeten sie sich. Der große Mietwagen glitt geräuschlos und sanft dahin, Jenna konnte nicht widerstehen und lehnte den Kopf zurück und schloss die Augen. Sie wachte auf, als sie Macks Lippen an ihrem Ohr spürte. "Hast du vor, heute Nacht im Wagen zu schlafen?" raunte er ihr zu. Es geschah fast automatisch, dass sie verschlafen seufzte und den Kopf zu ihm wandte. Doch dann hatte sie sich wieder im Griff und setzte sich rasch auf. "Lass uns hineingehen." Noch einmal kam er ihr gefährlich nah, die Leidenschaft in seinen dunklen Augen war unübersehbar. Ganz leicht berührte er ihren Mund und flüsterte: "Haben wir uns eigentlich je im Auto geliebt? Ich erinnere mich nicht, und ich bezweifle sehr, dass es etwas ist, was ich vergessen könnte." Sie hatten es noch nie im Auto getan, aber das sagte sie ihm lieber nicht. Er hätte das wahrscheinlich nur als Einladung betrachtet, es jetzt auszuprobieren. So hob sie nur streng die Brauen, sagte knapp "Mack" und schüttelte den Kopf. Er verzog spöttisch den Mund und stieg dann mit einem leisen Seufzer aus. Am nächsten Morgen beim Frühstück drängte Jenna Mack, sich die Sache mit seinen Schwestern noch einmal zu überlegen. "Ich denke, das ist ganz allein meine Angelegenheit", erwiderte er kühl. "Aber ..." "Lass es sein, Jenna. Das hast nicht du zu entscheiden." Nach dem Frühstück schlug Jenna vor, Alec und Lois zum Abendessen einzuladen. Mack war nicht sehr von ihrer Idee eingenommen. Er fand es an der Zeit, dass sie auch mal einen Abend allein verbrachten. Aber Jenna ließ nicht locker.
"Ruf ihn an, Mack. Ich bin sicher, dass es Alec gut tun wird, mal aus dem Haus herauszukommen." "Ist dir eigentlich schon der Gedanke gekommen, dass er vielleicht gar nicht in der Stimmung ist, unter Leute zu gehen?" Sie nahm den Hörer und hielt ihn Mack hin. "Frag ihn einfach, und lass ihn selbst entscheiden. Und er soll das Restaurant aussuchen, irgendeinen Ort, wo er sich wohl fühlt." Mack sträubte sich noch sekundenlang, während Jenna ihn unerbittlich ansah, und er dachte an die guten alten Zeiten zurück, als sie noch süß und leichter zu beeinflussen gewesen war. Schließlich gab er nach und rief Alec an, der über den Vorschlag sehr erfreut war. "Und jetzt?" fragte Mack, nachdem er das Restaurant angerufen hatte, das Alec ihm genannt hatte. "Ich nehme an, du hast wieder etwas äußerst Sportliches für heute geplant." "Hast du etwas gegen sportliche Aktivitäten?" "Nein, aber ich würde lieber mit dir im Zimmer bleiben, nur wir beide." "Nun, ich dachte ..." "Um Himmels willen!" "Sehr witzig. Erinnerst du dich noch an den Tag, als wir nach Seal Beach gefahren sind?" Er nickte. "Es war ein Sonnt ag, glaube ich, im Juni. Wir hatten einen freien Tag und kein Geld, und wir stiegen ins Auto und fuhren einfach südwärts. Wir hatten unsere Badeanzüge dabei und zogen uns in dem alten Chrysler um, den ich damals hatte. Weißt du noch? Ich musste Wache stehe n, während du dich umzogst, obwohl du mir nie erklärt hast, was, zum Teufel, ich tun sollte, wenn es tatsächlich jemand wagen sollte zu gucken." Sie lachte. "Oh ja, ich erinnere mich sehr gut." Es war ein schöner Tag gewesen, einer der letzten guten Tage. Schon bald danach bekam er den Job in New York. "Seal Beach ist gar nicht weit von hier entfernt, Jenna."
"Genau das habe ich auch gedacht." Die Fahrt dauerte nur eine knappe halbe Stunde. Sie ließen den Wagen am Straßenrand stehen, schlenderten die baumbestandene Hauptstraße hinunter und gingen ab und zu in eins der Geschäfte, wenn etwas im Schaufenster ihr Interesse weckte. Jenna kaufte einige Souvenirs, darunter ein zitronengelbes T-Shirt für Lacey und eine Stoffmaus für Byron. Als sie vom Einkaufen genug hatten, setzten sie sich eine Weile auf den Rasen im Eisenhower Park und aßen danach in einem der Restaurants am Peer zu Mittag. Als sie am späten Nachmittag ins Hotel zurückgingen, um sich fürs Dinner umzuziehen, beugte Jenna sich sofort über den Anrufbeantworter. Keine Nachrichten. Mack trug die Tüten mit den Souvenirs herein und ließ sie auf einen Stuhl fallen. "Erwartest du einen wichtigen Anruf?" "Nein. Ich fange nur langsam an, mir ein wenig Sorgen um Lacey zu machen. Ich hatte sie am Montag angerufen und die Nummer des Hotels hinterlassen, und ich dachte, sie würde sich wenigstens melden, um mir zu sagen, dass sie die Nachricht erhalten hat." "Du meinst, sie könnte wieder in ihre alten Gewohnheiten verfallen?" "Was für Gewohnheiten?" "Soweit ich mich erinnere, ist sie während der Zeit, die wir verheiratet waren, mindestens ein halbes Dutzend Mal von zu Hause davongelaufen." "Damals war sie ein Teenager, Mack. Was hätte sie jetzt davon wegzulaufen? Sie wohnt ja nicht einmal mehr in Meadow Valley." Doch Jenna klang keineswegs ruhig. "Nun, wenn du dir Sorgen um sie machst, ruf sie doch noch mal an." Jenna wählte und bekam ihre eigene Stimme auf dem Anrufbeantworter zu hören. Diesmal bat sie Lacey, auf jeden Fall im Hotel anzurufen. Voller Unruhe stellte sie sich vor, dass
Byron mutterseelenallein und halb verhungert durchs Haus geisterte. Danach rief sie ihr Geschäft an. Ihre Mitarbeiterin Maria versicherte, dass Lacey gestern und vorgestern vorbeigekommen sei und wie abgesprochen die Einnahmen mitgenommen habe. Ein wenig erleichtert, legte sie auf, fragte sich aber doch, ob etwas los sei.
"Wir müssen Alec und Lois um sieben abholen", unterbrach Mack ihre Gedanken. "Wenn du noch für eine halbe Stunde unter die Dusche gehen willst, beeilst du dich besser." "Ich dusche keine halbe Stunde." Er lächelte. "Was wollen wir wetten?" "Aha, damit du die Zeit stoppen kannst, was? Nein, vielen Dank." "Du bist ein sehr misstrauischer Mensch." "Nur, wenn es um dich geht." Er blickte sie sekundenlang halb verärgert, halb amüsiert an. "Nun geh schon, du Frechdachs." Mack sah in diesem Moment so unglaublich attraktiv aus, mit den blitzenden Augen und dem leicht spöttischen Lächeln um den männlichen Mund, dass Jenna, wenn sie nicht gewusst hätte, wie gefährlich das wäre, am liebsten jede Vorsicht in den Wind geschlagen und ihn leidenschaftlich geküsst hätte. Lacey rief an, als Mack und Jenna die Suite gerade verlassen wollten. "Hi." Lacey lachte atemlos. "Hör zu, mach dir keine Sorgen. Dem Kater geht es gut, und das Geschäft ist auch in Ordnung. Ich weiß, ich hätte dich viel früher anrufen sollen, aber jedes Mal, wenn ich daran dachte, war es entweder Mitternacht oder vier Uhr morgens oder sonst so eine unpassende Zeit." Jenna fand, dass Lacey nervös klang, sogar ein bisschen hysterisch. "Lacey, geht's dir gut?"
"Natürlich. Und wie läuft's bei dir? Ich dachte, diese Woche würdet ihr in Wyoming sein." Mack stand an der Tür und tippte viel sagend auf seine Armbanduhr. Jenna nickte und sprach schnell weiten "Macks Mutter ist gestorben. Wir sind bis zur Beerdigung am Freitag hier in Südkalifornien. Wyoming werden wir ausfallen lassen, aber ich rufe dich aus Florida an, sobald wir dort sind." "Moment mal. Ich dachte, Mack McGarrity war ein Waisenkind." Jenna sah erneut zu Mack hinüber. Er lehnte an der Tür und wartete mit beachtenswerter Geduld. "Das ist eine lange Geschichte. Ich erkläre dir alles, wenn ich wieder zu Hause bin." "Läuft es gut mit euch beiden?" Jenna lächelte. "Weißt du, ich glaube, das tut es tatsächlich." "Oh. Das ist gut." Lacey klang erleichtert, sogar zufrieden. Aber Jenna hatte jetzt keine Zeit, da nachzuhaken. "Hör zu, wir sind gerade auf dem Weg, Macks Stiefvater zum Essen auszuführen." "Okay. Macht's gut. Und ruf mich aus Florida an." "Werd ich." Sie gingen mit Alec und Lois zu einem Restaurant in Huntingdon Beach, wo die Speisekarte eine riesige Auswahl frischer Fischgerichte anbot. Alec war während des Essens sehr still und gab auf dem Heimweg zu, dass er vielleicht doch noch nicht so weit war, zu einem der Plätze zu gehen, die er mit Doreen besucht hatte. Mack warf Jenna einen viel sagenden Blick zu. Sie deutete ihn ohne Schwierigkeiten: Ich hab's dir doch gesagt. Alec lud sie noch zu einem Kaffee zu sich ein, und Jenna war schon bereit anzunehmen, aber Mack nahm ziemlich heftig ihren Arm. Das ärgerte sie nicht, sondern ein Schauer der Erregung durchfuhr sie, so dass sie nicht widersprach, als Mack sagte: "Danke, Alec, aber ich denke, wir sollten wieder ins Hotel zurückgehen."
In der Suite nahm Mack zwei Miniaturflaschen Brandy aus der gut bestückten Bar. Er schenkte ihnen ein, setzte sich mit seinem Glas auf eines der Sofas und legte die Füße auf den Tisch. Jenna ging zur Balkontür und blickte zum Hafen hinunter. Sie nippte an ihrem Brandy und musste lächeln bei dem Gedanken, dass das, was sie für niedliche kleine Inselhotels gehalten hatte, in Wahrheit kaschierte Bohrtürme waren. Auf einmal musste sie an Alec denken, und ihr Blick wurde ernst. "Was überlegst du?" Sie drehte sich zu Mack und sah, dass er sie beobachtete. Er klopfte auf den Platz neben sich, und sie ging schon auf ihn zu, doch dann hielt sie inne. Es war sicher besser, wenn sie es sich nicht zu gemütlich machten. "Nein, lieber nicht." Mack presste die Lippen zusammen, und sie ahnte, dass er sich dadurch vor einer impulsiven Erwiderung bewahren wollte, die er hinterher bedauern würde. Schließlich legte er den Arm auf die Rückenlehne und tat so, als ob ihn nichts geärgert hätte. Gute Idee, fand sie und fuhr scheinbar ungerührt fort: "Ich dachte gerade an Alec und wie schwer es für ihn sein muss. Aber sie haben viele Jahre zusammengelebt, er und deine Mutter, und so wie es ausschaut, sind es glückliche Jahre gewesen." Er schwieg. Sie spürte seine Wut, und als er immer noch nichts sagte, drehte sie sich wieder um und sah wieder aus dem Fenster. Erst jetzt ließ er sich zu einer Antwort herab. "Soll ich dir darin zustimmen, dass es Alec im Augenblick dreckig geht?" Ruhig blickte sie ihn an. "Du brauchst nicht der gleichen Meinung zu sein, Mack. Aber es ist eine Tatsache, dass er sehr niedergeschlagen ist." "Ja, das ist es. Und wir haben so ziemlich alles getan, was wir persönlich tun konnten."
"Ich wollte auch nicht andeuten, dass wir mehr hätten tun sollen." "Ach, komm schon." Er stürzte den letzten Schluck seines Brandys hinunter und verzog das Gesicht. "Gib dir nur ein wenig Zeit, dann werden dir bestimmt fünf oder sechs Wege einfallen, wie wir den Schmerz des armen Mannes mildem können - Wege, die uns daran hindern, allein zu sein." Gereizt fügte er hinzu: "Du kennst doch so viele kreative Methoden, mir auszuweichen." Sie wollte ihm widersprechen, aber sie wich ihm ja tatsächlich aus. Sie wollte ihm weder körperlich noch emotional zu nah kommen. Warum sollte sie auch? Sie hatte von Anfang an auf getrennten Zimmern bestanden, als sie ihr kleines zweiwöchiges Abenteuer antraten, und er hatte sich ihren Bedingungen gefügt. Es gab keinen Grund für sie, sich schuldbewusst zu fühlen, nur weil sie sich daran hielt. "Du bist wütend, weil ich mich nicht neben dich setzen will? Ist es das?" "Teilweise. Du hältst ständig Abstand zu mir, und nicht nur das. Du nimmst Alec als Vorwand, um nicht mit mir allein zu sein, und auch meine Schwestern." "Wie denn das?" fragte sie und war jetzt genauso aufgebracht wie er. Was Alec betraf, hatte er vielleicht nicht ganz Unrecht. Aber seine Schwestern schob sie bestimmt nicht vor. "Wenn du mich dazu überreden könntest, würden wir die zweite Woche damit zubringen, mit Claire und Bridget ein ganz rührendes Wiedersehen zu feiern, nicht wahr? Los, sag mir, Jenna, dass das nicht stimmt." Das konnte sie nicht, denn auch damit lag er nicht völlig falsch. Sie räusperte sich. "Mack, ich denke, du solltest wirklich ..." "Jenna, ich weiß, was du denkst. Du hast es mir auf die schmerzlichste Weise klargemacht. Wirst du jetzt bitte damit aufhören?"
"Aber ich habe doch nur ..." Er setzte sein Glas ziemlich unsanft auf den Tisch. "Verdammt, Jenna. Ich werde meine Schwestern nicht aufsuchen. Sieh doch, was passiert ist, als ich meine Mutter fand. Sie bat mich, ihrem Mann nichts von meiner Existenz zu sagen. Und dann ist sie gestorben." "Oh, bitte, Mack. Als ob sie gestorben ist, um dich zu ärgern." "Das meinte ich nicht. Aber sie ist nicht mehr da. Ich habe sie gefunden, nur um sie so bald wieder zu verlieren. Und diesmal für immer. Ich sehe dir an, was du denkst. Es stimmt, sie hat Alec am Schluss doch noch von mir erzählt. Deswegen bin ich jetzt hier und warte auf ihre Beerdigung, und weil du darauf bestanden hast. Aber danach bin ich damit fertig. Ich habe genug von meiner Familie für den Rest meines Lebens." Er holte tief Luft. "Und was Alec angeht, der Mann hat seine Frau verloren. Es ist ganz natürlich, dass er leidet, und du wirst nichts dagegen tun können. Nur die Zeit wird ihm helfen, wenn er Glück hat." Er stand auf. "Ich gehe jetzt ins Bett." Sie ließ ihn die Hälfte des Zimmers durchqueren, bevor sie ihn aufhielt. "Mack." "Was?" "Du hast Recht", gab sie zu. "Zumindest, was Alec betrifft." Er lächelte nicht, aber wenigstens entspannte sich sein Gesichtsausdruck. "Ich weiß. Gute Nacht." Damit verschwand er in seinem Schlafzimmer, und sie flüsterte, nachdem er die Tür hinter sich geschlossen hatte: "Gute Nacht, Mack." Am nächsten Tag fuhren sie nach Westwood Village, dem Vorort von Los Angeles, in dem sie damals gewohnt hatten und wo sie so glücklich gewesen waren. Das kleine italienische Restaurant, in dem sie an jenem ersten Tag gegessen hatten, war immer noch da. Sie konnten nicht widerstehen und gingen
hinein und bestellten sogar das Gleiche wie damals. Salat, Linguini mit Muschelsauce und Chianti. Als die Linguini kamen, probierte Mack sie und schüttelte den Kopf. "Sie sind nicht so gut, wie ich sie in Erinnerung habe." "Nichts ist je so gut, wie es in der Erinnerung war", erwiderte Jenna leise. Er sah sie zärtlich an. "Da stimme ich dir nicht zu. Einige Dinge sind immer noch genauso gut, im Grund sogar besser. Oder sie könnten es sein, wenn du ihnen eine Chance geben würdest." Darauf gab sie lieber keine Antwort. Als sie wieder in der Hotelsuite waren und Jenna wieder als Erstes den Anrufbeantworter überprüfte, meinte Mack ironisch: "Oje, keine Nachrichten. Niemand hat uns angerufen, und wir brauchen auch niemanden anzurufen. Wir sind ganz allein, nur du und ich."
Versonnen betrachtete Jenna ihn. Es stimmte, heute waren sie und Mack ganz allein, und insgeheim musste sie zugeben, dass sie es nicht anders haben wollte. "Wollen wir zum Swimmingpool gehen?" fragte Mack. Das schien ihr eine großartige Idee zu sein. Eine Stunde später, nachdem sie geschwommen waren, lagen sie bäuchlings nebeneinander auf zwei Liegestühlen und redeten leise miteinander, während sie sich von der Sonne trocknen ließen. Nach einer Weile legte Mack die Wange auf seinen Arm und schloss entspannt die Augen. Jenna betrachtete ihn ungestört und dachte, wie unglaublich gut er doch aussah, so sonnengebräunt und fit. Sie versuchte, den Blick nicht zu lange auf seinen muskulösen Armen zu lassen. Stattdessen wanderte er nun über seine breiten Schultern und seinen kräftigen Rücken. Das Verlangen tief in ihrem
Innern wurde so stark, dass sie fast die Hand ausgestreckt hätte, um Mack zu berühren. Da hob er den Kopf, und ihr Herz setzte einen Schlag lang aus. Doch dann legte er nur die andere Wange auf seinen Arm, ohne sie, Jenna, direkt anzusehen. Sie hörte ihn leise seufzen. Und in diesem Moment geschah etwas mit ihr. Irgendeine innere Abwehr, die ihr bisher die Sicht versperrt hatte, irgendein alter, tiefer Schmerz ließen endlich nach, und sie konnte sich jetzt die Wahrheit eingestehen. Sie war wirklich unwahrscheinlich froh, dass Mack nach all den Jahren zu ihr nach Meadow Valley gekommen war, und sie war sehr glücklich, dass sie diese Zeit zusammen verbrachten. Lieber Himmel, sie liebte ihn von ganzem Herzen. Wahrscheinlich hatte sie überhaupt nie aufgehört, das zu tun. Bis jetzt hatte sie sich große Mühe gegeben, Abstand zu ihm zu halten. Aber von nun an wollte sie einfach alles daransetzen, ihn für sich zurückzugewinnen.
7. KAPITEL Kurz nach sieben gingen Jenna und Mack wieder auf ihre Suite, beide noch ein wenig feucht vom Schwimmen. Die Vorhänge waren zugezogen, so dass es im Salon der Suite kühl und schattig war. Jenna zog das Badetuch, das sie um sich gewickelt hatte, noch etwas fester. "Warum muss in Hotelzimmern immer arktische Kälte herrschen?" beschwerte sie sich mit klappernden Zähnen. "Es gibt einen Weg, das Problem zu lösen." Sie sah ihn fragend an, und Mack wusste, wie Jenna seine Bemerkung auslegte. Vielleicht hatte sie ja auch Recht, aber wie um ihr das Gege nteil zu beweisen, verstellte er den Thermostat. "So, in ein paar Minuten wird es wärmer sein." Er wandte sich um und sah, dass Jenna dicht neben ihm stand. Sie zitterte immer noch, und so tat er das Naheliegendste und zog sie an sich. Es war ein wundervoller Moment. Ihr Haar war wie nasse Seide an seiner Wange, und sie roch nach Chlor, ein Geruch, der wohl kaum erotisch genannt werden konnte jedenfalls hatte er das bis jetzt geglaubt. "Brr." Fröstelnd schmiegte sie sich dichter an ihn, und er schloss sie fester in seine Arme. Er genoss es, ihren weichen, schlanken Körper zu fühlen, und wartete darauf, dass sie zu zittern aufhörte.
Er versuchte nicht, sie zu verführen. Das war schon längst passiert, draußen, als sie in der Abendsonne am Swimmingpool gelege n hatten. Jenna war sein. Es gab keinen Grund zur Eile. Ihr Zittern ließ nach, und er rieb sanft ihre Oberarme. "Besser?" "Ja." Ihr Mund war so verführerisch, als sie zu ihm aufsah. Doch kurz vor dem Kuss, den sie beide so sehr wollten, zögerte er. "Mack", hauchte sie sehnsüchtig. Da küsste er sie. Ihre Lippen waren zunächst kühl, wurden aber rasch wärmer, und der Kuss war so erregend, wie er es all die Jahre in Erinnerung gehabt hatte. Jenna war unvergleichlich, genau die Richtige für ihn. Langsam schlüpfte er mit der Hand unter ihr Badetuch. Ihre Haut war kühl und so weich wie Satin. Jenna seufzte und erwiderte seinen Kuss voller Ungeduld. Sie standen an der Tür, zwischen dem Thermostaten der Klimaanlage und dem goldgerahmten Spiegel und sie küssten sich, und der Kuss schien nicht enden zu wollen. Nur um Atem zu holen, löste Mack sich schließlich von ihrem Mund. Er strich über ihre Wangen und fuhr mit den Fingern durch ihr Haar. Jenna öffnete die Augen und sah ihn mit einem so verträumten Blick an, dass er sie sofort wieder küsste. "Können wir die getrennten Zimmer also vergessen?" flüsterte er. Jenna lächelte. "Musst du das noch fragen?" "Vielleicht nicht. Aber ich würde es dich gern sagen hören." "Es würde dir also gefallen ...", ihre Stimme war wie eine Liebkosung für ihn, "... dass ich es ausspreche?" "Es würde mir sogar sehr gefallen." "Dann sage ich hiermit: Wir können die getrennten Zimmer vergessen."
Ein leiser Seufzer entfuhr Jennas Lippen, als Mack ihren Kopf nun sanft nach hinten bog und zarte Küsse auf ihren Hals und ihr Dekolletee verteilte. Doch schon bald genügte ihm das nicht mehr. Ungeduldig zog er ihr Badetuch auf, ließ es auf den Boden fallen und strich mit den Lippen tiefer. Jenna begriff sofort, was er wollte, langte hinter sich und löste das Top ihres Bikinis. Es fiel herunter, und mit leicht zitternden Händen umfasste Mack ihre vollen nackten Brüste, um dann das Gesicht dazwischenzupressen und ihren Duft einzuatmen. Plötzlich musste er an früher denken, an all die Male, als Jenna und er zusammen gewesen waren. Wie oft hatte er sie berührt, liebkost und geküsst und dabei immer geglaubt, dass sie ihm gehörte, dass er sie nie verlieren würde und dass es immer so zwischen ihnen bleiben würde. Fast ehrfürchtig nahm er nun eine der aufgerichteten Brustspitzen in den Mund und saugte sanft daran. Jenna zog seinen Kopf dichter an sich und stieß dabei kleine verzückte Laute aus. Wie gut er sich an diese sinnlichen Laute erinnerte! Und wie sehr hatte er sich danach gesehnt, sie wieder zu hören. Zärtlich folgte er mit den Händen den Rundungen ihres verlockenden Körpers strich über ihren Rücken und ihr Bikinihöschen entlang. Jenna erschauerte und kam ihm zu Hilfe, als er ungeduldig an dem feuchten Stoff zog. Dann endlich stand sie nackt vor ihm. Mack streichelte ihren Bauchnabel und drang langsam weiter vor, bis seine Hand die weichen Locken zwischen ihren Schenkeln streifte. Aufstöhnend bog Jenna sich ihm entgegen, und er berührte zärtlich ihre intimste Stelle. Gleichzeitig küsste er ihre Brüste. Dann glitt er mit dem Kopf langsam tiefer, und Jenna stützte die Hände auf seine breiten Schultern, als er schließlich vor ihr kniete. "Oh, Mack."
Er sah zu ihr auf. Ihre Augen waren ganz dunkel, die Pupillen ganz groß, und ihre Lippen waren leicht geschwollen vo n ihren Küssen. Das immer noch feuchte Haar fiel ihr in zerzausten Locken auf die Wangen. Sie strich es sich nun hinter die Ohren, eine Armbewegung, bei der sich kurz ihre festen Brüste hoben. "Mack ..." Eindringlich blickte sie ihn an. "Pscht." "Nein, hör mir bitte zu. Mack, vorhin am Swimmingpool, da ist mir klargeworden ..." Er legte die Hände auf ihre schön geschwungenen Hüften und ließ seine Daumen zwischen ihren warmen Schenkeln auf- und abgleiten. Sie keuchte leise auf. "Ich bin so froh, dass du gekommen bist..." Sie seufzte. "Es ist so schön, bei dir zu sein ..." Sie schnappte nach Luft. "Mack, ich dachte wirklich, es wäre vorbei. Ich dachte nicht, dass es noch eine Chance für uns gibt." "Es gibt noch eine Chance, Jenna." "Ja, das glaub ich jetzt auc h." "Gut." Mack beugte sich vor, und atemlos vor Erwartung schloss Jenna die Augen und klammerte sich an seine Schultern. In diesem Moment berührte Mack sie zart mit dem Mund. Wie sehr hatte er gefürchtet, nie wieder dazu zu kommen. Jenna schrie leise auf und bewegte sacht ihre Hüften im Rhythmus seiner Liebkosungen. "Mack", hauchte sie. "Oh, Mack ... ich kann nicht..." Sie stolperte nach hinten. Er folgte ihr, ohne sie loszulassen. Hinter sich spürte sie die Wand, die ihr Halt gab. Mack hörte nicht auf, sie behutsam mit Lippen und Zunge zu reizen. An die Wand gelehnt, die Hände in seinem Haar, lieferte Jenna sich ihm nun völlig aus und glaubte, vor Wonne zu zerfließen. Immer schneller drängte sie sich ihm entgegen, in ihrer Sehnsucht, den süßen Höhepunkt zu erreichen, der ihr endlich Erlösung bringen würde.
Den Kopf nach hinten geworfen, schrie sie auf, als sie kam. Zitternd bog Jenna sich Mack noch ein letztes Mal entgegen. Und dann, ganz langsam und mit einem leisen kehligen Lachen, sank sie in die Knie. Mack erhob sich und fing sie auf, noch bevor sie den Boden erreichte. Weich und entspannt lag sie in seinen Armen. Er hob sie mühelos hoch, und sie schlang die Arme um seinen Nacken und rieb die Nase an seinem Ohr. "Wohin bringst du mich?" "In mein Bett." Das große Bett in Macks Schlafzimmer hatte schwarzgoldene Bezüge. Das Fenster wies nach Westen und bot, wie im Salon, einen freien Blick auf Strand und Hafen. Die Vorhänge waren aufgezogen, und die Sonne stand wie ein feuerroter Ball über dem ruhigen blauen Meer. Mack legte Jenna auf das Bett und wollte die Vorhänge zuziehen. Rasch hielt sie ihn fest. "Nein, lass sie offen. Es gefällt mir. Alles scheint in brennendes Licht getaucht zu sein." "Brennendes Licht", wiederholte er heiser und betrachtete voller Leidenschaft ihren nackten Körper. Sie richtete sich halb auf und kniete nun vor ihm. Liebevoll nahm sie seine Hand und küsste sie. Dann streichelte sie ganz sacht seine kräftigen Arme. Er beugte sich zu ihr, und ihre Lippen trafen sich zu einem hauchzarten Kuss. Es war, als würden Schmetterlingsflügel eine Blüte berühren. Jenna lächelte, als sie nun seinen Bauch streichelte, und Mack den Atem anhielt. Verführerisch langsam schlüpfte sie mit einem Finger unter den Bund seiner Badehose. Mack sog scharf die Luft ein. Jenna drang weiter vor, und er schluckte nervös und keuchte dann leise, als sie ihn mit warmen Fingern umschloss. Er fühlte sich seidig, groß und hart an, und ihn so in ihrer Hand zu spüren, gab Jenna ein wundervolles Gefühl der Macht.
Mack befreite sich in Windeseile von seiner Badehose. Jetzt konnte Jenna ihn noch besser berühren, den Beweis seines Begehrens ausgiebig streicheln und reiben. Lustvoll tat sie es und genoss es, als Mack den Kopf zurückwarf und ein tiefes Stöhnen ausstieß. Sie liebkoste ihn nun mit den Lippen, und Mack erschauerte. Wie sehr sie immer geliebt hatte, ihn mit ihren Berührungen so sehr zu erregen, dass er sich kaum noch unter Kontrolle hatte. Sein Atem ging immer schneller. Schließlich hielt Mack ihren Kopf fest, und sie sah zu ihm hoch. "Nicht mehr." Seine Stimme klang heiser und angespannt. "Ich halte es nicht länger aus." Sie lächelte. "Komm her zu mir." Er rührte sich nicht, und warf ihr nur einen Blick zu, der sie bis ins Innerste erbeben ließ. "Mack..." Er holte ein Kondom aus dem Nachttisch, und sie erinnerte sich wieder. Mack hatte immer Kondome benutzt, weil er keine Kinder wollte. Gequält schloss sie die Augen. "Jenna." Sie reagierte nicht, obwohl sie sich für ihr Verhalten schämte. Es war vollkommen richtig, dass Mack für Schutz sorgte. Was hätte sie getan, wenn er keine Vorsorge getroffen hätte? Sie nahm nicht die Pille. Hätte sie ihn in der letzten Minute abgewiesen? Oder hätte sie es einfach darauf ankommen lassen, schwanger zu werden? Und das, obwohl zwischen ihnen noch nichts wirklich geklärt war? Sie öffnete die Augen und lächelte ihn an, auch wenn ihre Lippen ein wenig zitterten. "Wie ich sehe, bist du auf alles vorbereitet." "Hast du gedacht, ich würde es nicht sein?" "Ich habe überhaupt nichts gedacht." "Aber ich habe keinen Hehl daraus gemacht, dass ich dich haben will, Jenna."
"Nein, das hast du wirklich nicht. Es sind nur alte Geschichten, die mir zu schaffen machen." Er wusste natürlich, welche "alten Geschichten" sie meinte, wenn er auch nichts sagte. Doch er hielt inne, immer noch deutlich erregt, aber bemüht, sich im Zaum zu halten. "Willst du, dass ich aufhöre?" fragte er mit rauer Stimme. Sie holte tief Luft und schüttelte den Kopf und nahm ihm das Kondom aus der Hand. "Lass mich." "Jenna." Mack sprach ihren Namen so zärtlich und mit einer solchen Sehnsucht aus, dass ihr Tränen in die Augen traten, und eine innere Stimme sagte ihr, dass alles wieder in Ordnung war. Langsam rollte Jenna ihm das Kondom über. Als sie fertig war, kam er zu ihr aufs Bett und kniete sich zwischen ihre gespreizten Beine. Er hob ihre Arme über ihren Kopf und küsste die zarte Haut ihrer Achselhöhlen. Aufstöhnend bog Jenna ihm den Oberkörper entgegen, und nachdem Mack es noch einen Moment hinausgezögert hatte, gab er ihr, was sie wollte, und umschloss eine harte Brustknospe mit den Lippen. Genüsslich und lustvoll saugte er an ihr, und Schauer der Erregung durchströmten Jenna. Sie wollte nach ihm greifen, ihn an sich ziehen und endlich mit ihm verschmelzen. Aber Mack hielt ihre Arme immer noch fest, so dass sie hilflos war, während er sich in aller Ruhe ihrer anderen Brustspitze widmete. Jenna glaubte, von den herrlichen Gefühlen, die er in ihr weckte, überwältigt zu werden. Es erschien ihr wie eine Ewigkeit glühender Lust, bevor Mack den Mund von ihrer Brust löste und heiße Küsse auf ihren Hals, ihr Kinn und ihre Wangen drückte. In dem Moment, als sein Mund ihre Lippen fand, drang er langsam in sie ein. Und hingerissen, einander wieder ganz zu spüren, stießen sie einen heiseren Schrei aus, als er vollkommen in ihr war. Sie passten perfekt zusammen, sie waren eins. Auch nach all diesen Jahren hatte sich das nicht geändert.
Fieberhaft begannen sie, sich zu bewegen, und fanden instinktiv wieder zu ihrem gemeinsamen Rhythmus. Im Licht der sinkenden Sonne gaben sie sich ihrer Leidenschaft hin und näherten sich unaufhaltsam dem Gipfel der Lust. Zusammen erreichten sie den Himmel auf Erden, und es war, als hätte es nie eine Trennung gegeben. Die Sonne war schon lange untergegangen, und das rote Glühen war der Dunkelheit gewichen. Jenna hob den Kopf. Mack lag fast noch auf ihr, eine Wange an ihrer Brust, einen Arm über ihrer Taille. Glücklich betrachtete sie sein Gesicht. Er rührte sich, als ob er gespürt hätte, dass sie ihn beobachtete. Sie berührte sein Haar, und er öffnete träge die Augen. Und dann lächelte er, und sie erwiderte sein Lächeln genau wie vor neun Jahren, in der ersten Nacht, als sie zusammen im Bett gelandet waren. In jener Nacht war Byron zwischen sie gesprungen, hatte es sich dort gemütlich gemacht und so laut geschnurrt, dass sie gelacht hatten. Mack streichelte ihre Wange. "Du runzelst die Stirn. Was ist?" "Byron fehlt mir. Ich wünschte, er wäre hier." Er lachte. "Ich weiß nicht. Soweit ich mich erinnere, hat er immer viel mehr Platz im Bett für sich in Anspruch genommen, als ihm zustand." "Nun, ich hoffe, es geht ihm gut. Er braucht Leute um sich, und ich habe das ungute Gefühl, dass Lacey ihn zu viel allein lässt." "Ich bin sicher, es geht ihm blendend." Er küsste sie aufs Kinn. "Mack?" Er rollte sich auf den Rücken und sah sie fragend an. "Was?" "Warum hast du so unbarmherzig mit mir um Byron gekämpft und später dann plötzlich auf ihn verzichtet?"
Er sah zur Decke und legte einen Arm über die Augen. "Ich hatte eine Schwäche für diesen verdammten Kater, und ich fand, er gehörte mir genauso wie dir." "Ich weiß, aber das sind nicht die wahren Gründe, weswegen du ihn mir wegnehmen wolltest, nicht wahr?" Ein Moment verging, bevor er antwortete. "Die ‚wahren' Gründe sind nicht so einfach. Leider haben sie etwas mit Wut und Rache zu tun, und ich bin nicht besonders stolz darauf." "Bitte, Mack. Ich möchte es nur verstehen." Er holte tief Luft. "Manchmal kommt es mir so vor, dass Ehrlichkeit zwischen den Geschlechtern weit überschätzt wird." Sie gab ihm einen leichten Stoß in die Seite. "Komm schon, Mack. Sag es mir." Mack rollte sich auf den Bauch und verschränkte die Hände unter dem Kinn. "Ich wollte dich nicht loslassen, aber ich wusste, dass du nicht zurückkommen würdest. Und ich war beleidigt, dass du kein Geld von mir annehmen wolltest. Du wolltest nur den verflixten Kater." Gedankenverloren streichelte sie seine muskulösen Schultern. "Also sollte ich ihn nicht haben." "Stimmt. Aber als die Sache ein Jahr lang zwischen deinem Anwalt und meinem hin- und hergegangen war, fing ich an, alles ein wenig anders zu sehen." "Du meinst", sagte sie trocken, "du erkanntest, dass du dich wie ein Idiot benahmst." Er küsste sie flüchtig auf die Nase. "Genau. Und ich beauftragte meinem Anwalt, das Ganze über die Bühne zu bringen und dir den Kater zu geben." Die nächste Frage stellte Jenna ihm etwas zögernd. "Wenn du wolltest, dass die Sache endlich abgeschlossen war, warum hast du dann nicht die Papiere unterschrieben?" Mack seufzte. "Ich dachte, das hätten wir schon durchgekaut. Ich habe nicht unterschrieben, weil ich die Scheidung nicht wollte. Ich steckte die Papiere in eine Schublade und redete mir
ein, sie existierten nicht." Angesichts ihres ungläubigen Blicks fügte er hinzu: "Genauso wie du dir nicht darüber klar geworden bist, dass dir noch die von mir unterschriebenen Scheidungspapiere fehlten. Aber, wie ich dir schon mal sagte, ich glaube eher, dass dir das sehr wohl bewusst war und du trotzdem nichts unternommen hast. In all den Jahren nicht." Sie nickte. "Vielleicht hast du Recht." "Oh." Mack gab vor, sich den Schweiß von der Stirn zu wischen. "Mir scheint, wir machen hier tatsächlich Fortschritte." "Scheint mir auch so. Und ich möchte, dass wir noch größere Fortschritte machen", erklärte Jenna ernst. "Ich muss dich etwas fragen, Mack. Nein, es ist eher eine Bitte. Und bevor ich dich frage, verspreche ich dir, dass ich den Rest der zwei Wochen bei dir bleibe. Ich will diese zwei Wochen jetzt genauso wie du. Ich hoffe, du glaubst mir." Sie sah ihm an, dass er wusste, was kam. "Verdammt, Jenna. Du willst immer noch die Scheidungspapiere haben, stimmt's?" Rasch gab sie ihm einen Kuss auf die raue Wange. "Ja, Mack. Und ich möchte sie jetzt haben." Mack sprang aus dem Bett und ragte nun groß und finster über ihr. "Warum?" Jenna setzte sich auf und zog die Bettdecke über ihre Brüste. "Ich will, dass wir ganz von vom anfangen, Mack. Du brauchst diese Papiere nicht mehr, um mich zu zwingen, bei dir zu bleiben. Bitte, gib sie mir einfach." "Du brauchst sie auch nicht, bevor unsere zwei Wochen vorüber sind." "Richtig, jetzt brauche ich sie nicht, aber du musst sie mir trotzdem geben." "Warum?" "Du hast dich vor fünfeinhalb Jahren mit gewissen Dingen einverstanden erklärt, Mack. Zuerst einmal damit, dass du diese Papiere unterschreiben würdest, und dann, vor einigen Wochen, dass du sie mir unterschrieben zuschicken würdest. Diese
Versprechen hast du nicht gehalten. Ich finde, du schuldest es mir, wenigstens jetzt zu deinem Wort zu stehen. Ich finde, du schuldest es dir selbst." Er presste kurz die Lippen zusammen. "Und was ist mit dem ersten Versprechen, das wir uns gegeben haben? Dass wir uns lieben und ehren würden, verdammt. Was ist damit?" "Es ergab sich leider, dass wir dieses Versprechen nicht mehr halten konnten. Wir kamen überein, dass unsere Ehe zu Ende ist." "Ich nicht. Das habe ich nie akzeptiert." Jenna nahm seine Hand, und dass Mack sie ihr nicht entzog, deutete sie als ein gutes Zeichen. "Komm wieder ins Bett. Ich wollte unser Gespräch nicht in einem Streit enden lassen. Wirklich." Sie hob die Bettdecke ein wenig hoch. "Bitte, komm zu mir." Sein Blick blieb finster, aber er ließ sich von ihr ins Bett ziehen. "Es war alles vorbei zwischen uns, Mack. Du weißt, dass es so war." Er sah auf ihre miteinander verschränkten Hände herab. "Was soll das? Du musst unbedingt Recht behalten, ist es das?" "Nein. Ich versuche nur, dich davon zu überzeugen, das Richtige zu tun." Er antwortete nicht, und sie holte tief Luft. "Mack, lass es uns aus einem anderen Blickwinkel betrachten." "Aus welchem?" fragte er misstrauisch. "Sag mir eins, hast du mit anderen Frauen geschlafen, seit wir nicht mehr zusammen sind?" Er zog die Brauen zusammen. "Worauf willst du hinaus?" "Ich will damit nur sagen, dass ich sicher bin, dass du deinen Eheschwur ernst genommen hast. Du hättest mit keiner anderen Frau geschlafen, wenn du zu der Zeit geglaubt hättest, dass du noch mit mir verheiratet bist." "Und du?" fragte Mack leise. "Hast du mit anderen Männern geschlafen?"
Sie erkannte, dass es für ihn in diesen Jahren andere Frauen gegeben hatte, aber es machte ihr nichts aus. "Nein, Mack. Ich habe mit keinem anderen Mann geschlafen, aber nicht, weil ich mich noch mit dir verbunden glaubte. Wir hatten uns scheiden lassen. Ich bin nur niemandem begegnet, den ich auf diese Weise begehrte." "Nicht einmal den guten Doktor?" "Nein, nicht einmal Logan." Jenna wartete auf Macks Reaktion und wünschte fast, sie hätte das Gespräch nicht in diese Richtung gelenkt. Mack senkte den Blick. "Du beschämst mich." "Ich schwöre dir, das war nicht meine Absicht." Er drückte ihre Hand, und sie erwiderte den Druck. Mack lächelte. "Aber du wirst mich loslassen müssen, wenn ich diese verflixten Papiere aus meinem Koffer holen soll." Sie ließ ihn los, und Mack stand auf und kam wenig später mit einem großen Umschlag in den Händen zu ihr zurück. Er setzte sich auf den Bettrand und holte die Papiere aus dem Umschlag. "Prüf sie ruhig. Sie sind alle unterschrieben und notariell beglaubigt." "Ich vertraue dir", sagte sie. Mack lachte und schüttelte amüsiert den Kopf. Dann schob er die Papiere wieder in den Umschlag und reichte ihn ihr. "Los, steck sie ein." Jenna beugte sich zu ihm vor und gab ihm einen zärtlichen Kuss. "Danke." Sie schlug die Bettdecke zurück und ging nackt durch den Salon und in ihr Zimmer, wo sie den Umschlag in einer Seitentasche ihres Koffers verstaute. Als sie zu Mack zurückkam, lag er unter der Bettdecke und blickte ihr entgegen. "Du siehst umwerfend aus, Jenna." Sie lächelte erfreut und schlüpfte zu ihm unter die Decke. "Hast du Hunger?" fragte er. "Es ist nach neun." "Nicht wirklich. Und du?" "Nicht wirklich."
Jenna spürte seine Hand auf ihrem Schenkel, schmiegte sich dichter an ihn und legte den Kopf auf seine Brust. "Es ist so lange her gewesen." "Viel zu lange." Mack hob ihr Kinn an, und ihre Lippen verschmolzen zu einem heißen Kuss.
8. KAPITEL Die Kapelle war mit den schönsten Blumen geschmückt. Doreens Lieblingsblumen waren weiße Rosen gewesen, und zwei hohe Vasen standen zu beiden Seiten des offenen Sarges. Im Gegensatz zu vielen Gewächshausblumen dufteten diese Rosen sogar. "Wunderschön", sagte Lois. "Dieser Duft..." "Dory wäre zufrieden", sagte Alec mit gepresster Stimme. Jenna saß mit Mack und Alec in der ersten Reihe. Die Kapelle war nur etwa zu einem Drittel gefüllt. "Die meisten sind Arbeitskollegen", flüsterte Alec. "Und natürlich einige Nachbarn." Bevor die Zeremonie begann, kamen die Leute zu ihnen und sprachen ihr Beileid aus. Alec nickte und dankte ihnen für ihr Kommen. Die Zeremonie selbst war schlicht und würdevoll, und nachdem das letzte Gebet gesprochen worden war, lud der freundliche Priester alle ein, ihn zum Friedhof zu begleiten. Vier kräftige Männer trugen den Sarg unter die grünen Blättern eines Jakaranda-Baums. Sobald der Sarg herabgelassen worden war, sagte der Priester ein letztes Gebet, und Alec legte eine einzelne weiße Rose auf den geschlossenen Sarg. Und dann war es vorbei. In Alecs Haus wurden Kekse und Kuchen und Früchtepunsch angeboten. Die Trauergäste standen in kleinen Gruppen und erinnerten sich an Doreen. Wie still sie gewesen sei und wie
warmherzig. Alec stellte Mack allen vor und sagte, wie froh er sei, in dieser schwierigen Zeit Dorys Sohn an seiner Seite zu haben. Falls die Leute überrascht waren, dass Doreen einen Sohn gehabt hatte, so ließen sie es sich jedenfalls nicht anmerken. Jenna hatte den Eindruck, dass sie Doreen einfach nicht gut genug gekannt hatten, um zu denken, dass sie von einem Sohn hätten wissen müssen. Aber warum? Hatte Doreen die Leute womöglich auf Abstand gehalten, um unangenehmen Fragen auszuweichen, oder war sie einfach nur ein sehr schüchterner Mensch gewesen? Jenna fürchtete, dass Ersteres der Wahrheit näher kam. Die Leute begannen um sechs Uhr zu gehen. Jenna und Mack blieben bis zum Schluss, und als sie sich verabschiedeten, sagten sie Alec, dass sie einen Morgenflug nach Miami gebucht hätten. "Mack", begann Alec, "wenn Sie mit Ihren Schwestern sprechen, sagen Sie ihnen bitte, dass ich hoffe, sie eines Tages kennen zu lernen." Mack wich seinem Blick aus. "Das mag eine ganze Weile dauern, Alec." Alec drückte seinen Arm. "Wann immer Sie dazu kommen." "In Ordnung. Sie wissen, wie Sie mich erreichen können, wenn Sie etwas brauchen sollten." "Ja, natürlich. Ich habe die Adresse und Telefonnummer, die Sie Dory gegeben haben." "Gut." Alec schluckte. "Mack, es hat mir sehr viel bedeutet, Sie hier zu haben." Mack nickte verlegen, doch als Alec ihn umarmte, ließ er es gern geschehen. "Sie sind ein guter Mann, mein Sohn. Dory war so stolz auf Sie, und ich bin es auch." Mack lächelte. "Danke, Alec."
Alec hatte Tränen in den Augen, als er sich nun Jenna zuwandte. Sie umarmte ihn voller Zuneigung, und er flüsterte ihr zu: "Ich hoffe, alles wird wieder gut zwischen euch." Sie nickte und lächelte. Lois nahm beide in die Arme. "Werdet nicht zu Fremden, hört ihr? Lasst bald von euch hören." "Bist du okay?" fragte Jenna sanft, als sie ins Hotel zurückfuhren. Mack nahm ihre Hand und drückte sie. "Ich bin in Ordnung und kann es kaum erwarten, den Sonnenuntergang in Key West von meinem Boot aus zu sehen." Er ließ ihre Hand los, um eine Kurve zu nehmen. "Was denkst du gerade?" fragte Jenna, weil sein Blick auf einmal so ernst wurde. "Es ist seltsam", murmelte er. "All diese Leute, die mir ihr Beileid aussprachen, und ich habe meine Mutter nie wirklich gekannt. Ich habe immerzu gedacht: Wer war sie? Was für ein Mensch war sie?" "Ich denke, sie war eine gute Frau. Sie musste eine schwierige Entscheidung treffen und log den Menschen an, den sie liebte. Und später wusste sie nicht, wie sie ihm die Wahrheit sagen sollte." Mack lachte freudlos. "Nun, wir können uns jetzt vorstellen, was wir wollen, nicht wahr? Sie ist nicht mehr da, um uns zu verbessern." "Sie war bestimmt ein guter Mensch, Mack. Schließlich hat Alec sie geliebt, und ein Mann wie Alec könnte nur jemanden lieben, der gut ist. Und ich bin mir ganz sicher, dass sie dich geliebt hat." Mack warf ihr einen zweifelnden Blick zu. Noch saß sein Schmerz zu tief, als dass er ihr geglaubt hätte. Kaum hatten sie die Suite betreten, da zog Mack Jenna an sich und barg das Gesicht an ihrem Hals. Jenna legte die Arme um ihn und hielt ihn so fest sie konnte. Sie bog den Kopf zurück und bot ihm ihren Mund zum Kuss, wohlwissend, wie sehr Mack sie jetzt brauchte. Und als er mit der Zunge
leidenschaftlich in ihren Mund vordrang, erwiderte sie sein Zungenspiel mit ebensolcher Leidenschaft. Hastig begann er, Jenna auszuziehen, wobei er aber den Kuss nicht unterbrach. Einen Moment später hatten sie quer durch die Suite eine Spur von Kleidungsstücken hinterlassen. Erst vor Macks Bett trennten sie sich kurz voneinander, um sich rasch Schuhe und Boxershorts, Slip und BH auszuziehen. Mack holte ein Kondom aus der Schublade, und Jenna half ihm dabei, es anzulegen. Gemeins am fielen sie aufs Bett - Jenna landete auf Mack. Als sie ihn dann in sich aufnahm, sahen sie sich tief in die Augen, wie gebannt vom Blick des anderen. Langsam begann Jenna, sich zu bewegen, und sie wünschte, sie könnte Macks schmerzliche Erinnerungen in glückliche verwandeln. Er bog sich ihr wild entgegen, und im nächsten Moment spürte sie ihn machtvoll erschauern und dass er sich danach entspannte. Jenna versuchte nicht, ebenfalls den Höhepunkt zu erreichen, sondern schmiegte sich liebevoll an Mack und lächelte, als er sie umarmte. Sie gab ihm einen zärtlichen Kuss. "Es war ein schwerer Tag. Morgen werden wir in Florida sein und den Rest unserer zwei Wochen damit verbringen, was du gern willst." "Aha. Was immer ich will?" Sanft biss sie ihn ins Ohr. "Treib's nicht zu weit." Sie lagen immer noch im Bett, als eine Stunde später das Telefon klingelte. Mack ging an den Apparat und reichte Jenna den Hörer. "Deine Schwester." "O Gott, Jenna." Lacey klang, als ob sie gleich in Tränen ausbrechen würde. "Bitte, hass mich nicht..." "Dich hassen? Lacey, wovon redest du?" "Es ist wegen Byron. Er ist weggelaufen. Und ich habe keine Ahnung, wo er sein könnte."
"Byron ist weg?" Jenna hielt erschrocken die Hand vor den Mund. "Wie lange ist es her, seit du ihn gesehen hast?" "Seit Mittwoch. Da war er bestimmt noch da, ich schwör's." "Also ist er wann verschwunden?" "Gestern. Ich kam nach Hause, um ihn zu füttern, und er war nirgends zu finden." "Hast du in allen Schränken nachgeguckt? Auch in der Küche? Manchmal..." "Ich schwör dir, Jenna, ich habe überall gesucht, in jedem Schrank, jeder Ecke, jeder Nische und jedem Loch. Er muss irgendwie hinausgeschlüpft sein, obwohl ich mir nicht denken kann, wie er das geschafft hat. Ich habe nie eine der Türen offen gelassen." Lacey stöhnte. "Ich weiß, was du denkst. Und du hast ja auch Recht. Ich habe nicht gut genug auf ihn aufgepasst. Ich hatte ... Na ja, in den vergangenen Tagen hab' ich ... Drücken wir es so aus, dass ich nicht sehr oft im Haus war." "Was ist los? Wo warst du?" "Ach, Jenna. Es ... Ich glaube, es ist besser, wenn wir später darüber sprechen. Jetzt muss ich dir erst einmal noch etwas sagen." Jenna sank betäubt gegen das Kopfteil des Bettes. "Was?" "Heute glaubte ich, ihn auf dem Dachboden gehört zu haben. Also bin ich hochgegangen. Da glaubte ich, ihn in der Ecke zu hören, die sich genau über dem Gästeschlafzimmer befindet. Weißt du, welche ich meine? Wo es keinen richtigen Boden gibt, sondern nur diese großen Balken und die Holzdecke des Zimmers darunter." "Ja, ich weiß, was du meinst." "Ich bin mit dem Fuß durch die Decke gestoßen und habe mir das Fersenbein verletzt, und im Dach ist jetzt ein großes Loch. Es ist wirklich ein schreckliches Durcheinander." "Vergiss das Loch. Was ist mit dir? Wie bist du vom Dachboden wieder heruntergekommen?" "Es war nicht angenehm, aber ich habe es geschafft."
"Und dann?" Jenna konnte kaum atmen vor Entsetzen. "Dann rief ich einen Krankenwagen an, sie holten mich ab und fuhren mich zum Meadow Valley Memorial. Dort haben sie mich geröntgt, den Fuß verbunden und mir Krücken gegeben. Sie haben mich für heute Abend nach Hause geschickt, aber morgen Nachmittag muss ich wieder hin, um operiert zu werden." Lacey stöhnte erneut. "Ach, ich wollte dich nicht anrufen, aber ich werde mich jetzt nicht mehr um das Geschäft kümmern können, und dann ist ja auch noch Byron ..." "Ist jemand bei dir, der dir helfen kann?" "Mira und Maud waren da. Sie haben mir etwas zu essen gekocht und mir ein Bett im Erdgeschoss bezogen. Mira kommt morgen, um mich ins Krankenhaus zu fahren." "Also bist du für heute Nacht versorgt?" "Ja, ja, mir geht's gut. Ich kann mich mit den Krücken herumbewegen, wenn es sein muss, und man hat mir Schmerzmittel gegeben, also tut es auch nicht so weh." "Ich bin morgen da, sobald ich eine n Flug bekomme." "Ach, Gott, jetzt hab ich alles vermasselt, Jenna. Es tut mir so Leid. Und der arme Byron! Aber er wird sich bald wieder blicken lassen. Er hat sich bestimmt nur irgendwo verdrückt, um zu schmollen, meinst du nicht auch? Ach, ich fühl mich so schuldig. Ich bin ja so eine furchtbare Idiotin ..." "Mach dir jetzt keine Sorgen mehr, Lacey. Wir sehen uns morgen, ich verspreche es." "Mack McGarrity wird vermutlich einen Killer anheuern, um mich umzulegen." Mack hörte die ganze Zeit mit gerunzelter Stirn zu. "Was, zum Teufel, ist los?" verlangte er jetzt zu wissen. Jenna winkte ab. "Bis morgen, Lacey. Entspann dich, und mach dir keine Sorgen." Mack setzte sich auf und verschränkte die Arme vor der Brust. "Na?"
"Byron ist verschwunden, und Lacey hat sich den Fuß gebrochen. Ich muss sofort nach Hause." Mack sagte nichts. Er war überzeugt, dass der verflixte Kater von allein wieder auftauchen würde. Bub konnte auf sich aufpassen. Schließlich war er ein Streuner gewesen, bevor er von ihnen adoptiert wurde. Und hatte Lacey keine Freunde in ihrer Heimatstadt, die ihr die nächsten Tage helfen konnten? Aber Jennas entschlossene Miene verriet ihm, dass sie fahren würde. Es hätte keinen Sinn, es ihr ausreden zu wollen. Sie würden sich nur streiten. Und es gefiel ihm nun einmal viel zu sehr, sich mit ihr gut zu verstehen. "Mack, es tut mir doch auch Leid, das weißt du. Aber unsere zwei Wochen im Paradies scheinen einfach nicht klappen zu wollen." "Ich komme mit dir", sagte er nur. Sie kamen um zehn Uhr morgens am Flughafen von Sacramento an. Ein Mietwagen wartete bereits auf sie, so dass sie sofort losfahren konnten. Kurz nach elf parkte Mack hinter einem dunkelblauen Cadillac auf der Auffahrt zu Jennas Haus. "Sieht so aus, als ob deine Schwester Gesellschaft hätte", sagte Mack. Jenna schluckte nervös. "Das ist Logans Wagen." "Was tut der denn hier?" "Ich weiß nicht. Ich nehme an, er hat von Laceys Verletzung gehört. Er hat sich schon immer als eine Art großer Bruder von Lacey betrachtet. Wahrscheinlich will er sehen, ob sie in Ordnung ist." Mack schien mit ihrer Erklärung nicht zufrieden zu sein. "Glaubst du, er wusste vielleicht, dass du heute zurückkommst?" Jenna seufzte. "Ich habe nicht die geringste Ahnung." "Mir gefällt das Ganze nicht." "Können wir bitte hineingehen? Wir erfahren nichts, solange wir hier draußen sitzen bleiben." "Schön."
Ihr Gepäck in den Händen, gingen sie die Veranda hinauf. Dort schloss Jenna die Vordertür auf, steckte den Kopf hinein und rief laut: "Hallo? Lacey?" Nach drei Sekunden unheimlicher Stille antwortete Lacey: "Wir sind hier hinten im Wohnzimmer!" Sie ließen das Gepäck links neben der Tür stehen, und Mack folgte Jenna. Lacey saß in dem alten Samtsessel und hatte ihren verletzten Fuß auf einen gepolsterten Schemel gelegt. Zwei Krücken lagen neben dem Sessel, und ein Tablett, beladen mit Taschentüchern, einem Wasserglas, einem dicken Taschenbuch, einem Handy und einem Fläschchen Medizin, war in Reichweite. Logan stand vor dem Kamin. Er schien nicht besonders guter Laune zu sein, da seine Lippen fest zusammengepresst waren und seine dunklen Augen wütend funkelten. Auch Lacey war aufgebracht. Zwei hektische rote Flecken hatten sich auf ihren blassen Wangen gebildet. Keiner im Raum sagte eine Wort. Die Stille schien ohrenbetäubend von den Wänden widerzuhallen. Jenna warf Mack einen Hilfe suchenden Blick zu. Da rief Lacey eine Spur zu fröhlich: "Ihr seid früh dran!" Verständnislos sah Jenna sie an. "Findest du?" "Ich meine, ich erwartete nicht ... Es ist nur, dass ich ..." Lacey machte eine vage Handbewegung. "Ach, vergiss es. Hallo, Mack. Wie geht's dir so?" "Gut." "Ihr kennt euch?" Lacey wies von Mack zu Logan. Die beiden Männer nickten sich kurz und ohne zu lächeln zu. "Äh, Logan", fuhr Lacey fort, "hat gehört, dass ich mich verletzt habe, und wollte nur mal nach mir schauen." Ihr Lächeln wurde noch breiter, und sie errötete noch mehr. "Nicht wahr, Logan?" "Genau", erwiderte Logan knapp. Er wandte sich an Jenna. "Sie wird von Jeb Leventhal operiert. Er ist der Beste, mach dir also keine Sorgen."
Jenna lächelte schwach. "Das ist gut zu hören." Logan räusperte sich. "Ich denke, ich muss mich wieder auf den Weg machen." "Ja!" Laceys Antwort war eifriger, als man es von einer guten Gastgeberin erwartete. "Du gehst jetzt besser." Logan nickte Mack und Jenna noch einmal zu und ging. Keiner sprach ein Wort, bevor die Haustür laut ins Schloss fiel. Laceys Lächeln war inzwischen verschwunden. Sie seufzte tief auf. Jenna ging zu ihr, strich ihr die wilden Locken aus der Stirn und gab ihr einen Kuss auf die Schläfe. "Hast du Schmerzen?" "Nein, es geht mir gut." Lacey biss sich auf die Unterlippe. "Byron ist immer noch nicht aufgetaucht." "Das wird er aber bald, da bin ich sicher." "Ich bin ja so eine ..." "Lacey, sei nicht so streng mit dir." Jenna sah zu dem Sofa hinüber, das man in ein Bett umfunktioniert hatte. "Du schläfst auf dem Sofa?" Lacey nickte. "Wir können dich doch in meinem Bett unterbringen." "Nein, es ist bequem auf dem Sofa. Und ich würde mich noch schlechter fühlen, wenn ich dich auch noch aus deinem Bett werfe." "Lacey, das macht doch nichts. Es sind außer deinem Schlafzimmer noch zwei andere Zimmer im ersten Stock. Eins davon kann ich doch nehmen." "Ja, sicher. Zum Beispiel das mit dem großen Loch in der Decke." "Ach, Lacey, vergiss das endlich. Ein Loch in der Decke ist keine Katastrophe." "Behalt bitte dein Zimmer, okay? Und hör auf, mich so zu verhätscheln. Bitte, ja?" Lacey warf Mack einen Blick zu. "Bleibst du, Mack?" "Ja."
"Dann sag meiner Schwester, sie soll dir mit dem Gepäck helfen oder sonst was, okay?" Seine Lippen verzogen sich zu einem Lächeln. "Jenna, du solltest mir mit unserem Gepäck helfen oder sonst was." Jenna lachte. "Na gut, aber wenn du etwas brauchst, schreist du nach mir, okay, Lacey?" "Ja, das werde ich bestimmt. Und jetzt geht bitte endlich." Ihren Koffer in der Hand, blieb Jenna einen Moment zögernd stehen. Mack ahnte, was in ihr vorging. "Ich teile dein Zimmer mit dir", sagte er entschlossen. "Und auch dein Bett. Ich bezweifle, dass deine Schwester besonders schockiert sein wird, wenn sie es herausfindet." Also ging Jenna ihm voraus den Flur hinunter zu ihrem Zimmer, das auch sein eigenes Bad hatte. "Gefällt mir." Mack setzte seinen Koffer auf dem bunten Teppich ab und sah sich in dem gemütlichen mit rustikalen Möbeln eingerichteten Zimmer um. Besonders zufrieden war er über das breite Doppelbett in der Mitte des Raums. "Ich werde ein paar Schubladen für dich leer räumen", sagte Jenna ein wenig atemlos, "aber es ist genügend Platz im Schrank, wenn du etwas aufhä ngen willst. Warum holst du nicht den Rest des Gepäcks, während ich ..." "Jenna ..." "Ja?" Er ging um die Koffer herum zu ihr, hob eine Hand und strich ihr über die Wange. "Deine Oberlippe zittert. Bist du nervös?" "Äh ... ja. Ich weiß selbst nicht, wieso, aber, ja, das bin ich." "Du hättest nie gedacht, dass ich einmal zusammen mit dir in diesem Zimmer sein könnte, nicht wahr?" Er hat Recht, dachte Jenna. Sie hätte es nicht für möglich gehalten. Aber sie hatte oft davon geträumt. Als er mit der Hand ihren Hals streichelte und langsam tiefer glitt, sagte sie: "Mack ..."
"Was ist? Hast du Angst, ich könnte dich auf dieses schöne, große Bett werfen und über dich herfallen?" Sie hielt seine Hand fest, bevor er sie noch tiefer bewegen würde, und küsste sie, um ihn zu besänftigen. "Es ist nur so seltsam, dich hier zu haben. Du bist nur ein einziges Mal mit mir hier gewesen, weißt du noch?" "Unser erstes Weihnachtsfest. Wir schliefen in dem Zimmer im ersten Stock." "In meinem Zimmer, oder zumindest war es mein Zimmer, bis meine Mutter starb." Sie ließ seine Hand los. "Du hast Meadow Valley damals ziemlich gehasst." Mack versuchte nicht, es zu leugnen. "Ich hatte Angst, du würdest mich hier festnageln wollen. Sieh mich jetzt nicht so an, Jenna. Du weißt, ich hätte mich wie in der Falle gefühlt, wenn ich hierher hätte ziehen müssen. Und du hast auch andauernd solche Andeutungen gemacht, erinnerst du dich? Darüber wie schön es doch wäre, wenn ich meine erste Anwaltspraxis hier eröffnen würde. Aber das war es nicht, was ich im Sinn hatte." "Ich weiß. Du wolltest die Partnerschaft in einer der großen Anwaltsfirmen." "Und du wolltest zurück in deine Heimatstadt." "Stimmt." "Und am Ende bist du ja wieder hergekommen, oder?" "Ja." Prüfend blickte Mack sie an. "Aber da ist doch noch etwas, das dich beschäftigt, abgesehen von meiner Anwesenheit in diesem Haus und den unglücklichen Erinnerungen an meinen ersten Besuch hier. Was ist es?" Jenna setzte sich auf den Bettrand und lehnte die Wange an eine der vier hohen, geschnitzten Bettpfosten. "Irgendwie kommt mir alles seltsam vor. Dass wir hier sind, statt nach Key West zu fahren, und dass wir ausgerechnet Logan über den Weg laufen mussten. Und irgendetwas stimmt nicht mit Lacey, hast
du das nicht auch gemerkt? Es ist nicht nur ihr verletzter Fuß oder Byrons Verschwinden." Er zuckte die Achseln und lächelte. "Was ist?" fragte sie. "Weißt du etwas?" "Es ist nur eine Vermutung." "Sag schon." "Für mich sieht es so aus, als ob dein Exverlobter seine Rolle als großer Bruder für deine kleine Schwester aufgegeben hat." "Was soll das heißen?" Verblüfft starrte sie ihn an. "Du meinst ...? Nein. Doch nicht die beiden! In einer Million Jahre nicht! Lacey wollte zwar nach ihm sehen, um sicherzugehen, dass es ihm gut geht, nachdem du und ich abge fahren waren, aber ..." "Meiner Meinung nach hat sie mehr getan, als nur nach ihm zu sehen. Und ich muss dir sagen, dass ich es großartig fände. Alles, was den guten Doktor von einer lebenslangen Ergebenheit zu dir ablenkt, hat meine volle Zustimmung." "Aber, Mack, Logan und Lacey? Ich kann es mir einfach überhaupt nicht vorstellen." "Warum nicht? Ich hole jetzt noch das restliche Gepäck herein." Jenna starrte ihm fassungslos nach. Man stelle sich vor! Logan und Lacey. Konnte es wahr sein? Laceys Operation verlief sehr gut. Sie musste zwar über Nacht noch im Krankenhaus bleiben, aber Dr. Leventhal versprach, sie am Sonntagmorgen nach Hause zu schicken. Mack und Jenna verließen das Krankenhaus kurz nach sieben. Sie machten sich zu Hause ein einfaches Essen aus Salat und Spaghetti und öffneten dazu eine Flasche Rotwein. Am Ende räumten sie gemeinsam die Küche auf und gingen ins Schlafzimmer. Jetzt kam es Jenna nicht mehr so seltsam vor, Mack in dem Haus zu haben, in dem sie aufgewachsen war. Im Gegenteil, es erschien ihr völlig natürlich und richtig, und wundervoller als in ihren Träumen. Sie liebten sich langsam und genussvoll und
kosteten jeden Augenblick bis zur Neige aus. Später lagen sie zusammen in der Badewanne. Jenna saß zwischen Macks Beinen und hatte den Kopf an seine Brust gelehnt. "Das ist himmlisch", sagte sie leise seufzend. Mack stimmte ihr uneingeschränkt zu, glitt mit den Händen ins Wasser und stellte Dinge mit ihr an, die Jenna bald zum Aufstöhnen brachten. Hastig zogen sie sich wieder ins Schlafzimmer zurück und fielen erst gegen Mitternacht in erschöpften Schlaf. Der Morgen graute, als Jenna plötzlich aus unruhigen Träumen aufschreckte. Mack schien ihre Unruhe gespürt zu haben, denn auch er wachte auf und nahm Jenna sofort sanft in die Arme. Sie klammerte sich an ihn. "Mack, glaubst du, wir werden Byron je wieder finden?" "Ach, Jenna, das kann ich nicht wissen." Ernst sah sie ihn an. "Es ist nicht wichtig, ob du es weißt. Sag einfach Ja." "In Ordnung, also ja, wir werden ihn wieder finden." Mit dem Daumen wischte er zwei Tränen von ihren Wangen. Sie schniefte leise und legte den Kopf auf seine Brust. "Ich denke, jetzt kann ich wieder einschlafen." Mit leiser Stimme und sehr zärtlich sagte Mack: "Ich liebe dich, Jenna. Ich habe dich immer geliebt." "Ich weiß, Mack. Und ich liebe dich auch, schon immer." "Nur scheint unsere Liebe irgendwie nicht ausgereicht zu haben, was? Wird sie es jetzt?" Er wartete kurz ab, und als sie nicht antwortete, meinte er lächelnd: "Jetzt bist du an der Reihe, Ja zu sage n, ob du es weißt oder nicht." Jenna hob bestimmt den Kopf von seiner Brust. "Ja, ich glaube ganz fest daran, dass sie ausreichen wird." Er küsste sie zärtlich auf die Nase, und sie fragte ihn vorsichtig: "Bist du bereit, jetzt darüber zu reden? Über unsere Zukunft, und darüber, ob es diesmal mit uns beiden klappen könnte?"
Mack holte hörbar tief Luft. "Im Moment möchte ich das noch nicht. Uns bleiben immerhin noch eine Woche und ein Tag. Lass uns bitte versuchen, das Beste daraus zu machen. Am Schluss sehe n wir dann weiter."
9. KAPITEL Sie brachten Lacey am nächsten Tag nach Hause. Es würde Wochen dauern, bevor sie in der Lage sein würde, wieder ohne Krücken zu gehen. Mack trug sie vom Auto ins Haus. Sie war noch ganz benommen von den Schmerzmitteln, die man ihr gegeben hatte, und schlief sofort ein, nachdem Mack sie auf das Sofa gelegt hatte. Lacey schlief in den folgenden Tagen sehr viel. Jenna sah oft nach ihr, um sicherzugehen, dass ihr nichts fehlte. Aber Lacey wollte nicht verhätschelt werden. Sie schickte Jenna jedes Mal weg und bestand darauf, allein gelassen zu werden. Obwohl sie sich Mühe gab, gelassen zu wirken, spürte Jenna, dass Lacey sich Sorgen machte. Lacey hatte nur ein paar Wochen bleiben und dann wieder nach Südkalifornien zurückzugehen wollen, um dort einen neuen Job zu finden. Aber aus den wenigen Wochen würden jetzt Monate werden. Deshalb hatte sie das Mädchen angerufen, mit dem sie sich die Wohnung teilte, und ihr geraten, sich eine andere Mitbewohnerin zu suchen. Mack hatte angefangen, sich wieder um seine Geschäfte zu kümmern. Er war am Montag losgegangen und mit einem Wagen voll Computerzubehör zurückgekommen, hatte alles in einem der leeren Gästezimmer im ersten Stock aufgestellt und verbrachte jetzt einige Stunden am Tag damit, übers Internet mit seinen Aktien zu jonglieren.
Die meiste Zeit jedoch schafften Jenna und Mack es, zusammen zu sein. Und einen Teil dieser Zeit verbrachten sie damit, Byron zu suchen. Jenna rief beim lokalen Tierschutzverein an und meldete Byron als vermisst. Dort versicherte man ihr, dass ein Kater mit Identifikation am Halsband sehr wahrscheinlich bald abgeliefert werden würde. Außerdem ließen sie Handzettel mit Byrons Foto drucken, auf der Jennas Adresse und Telefonnummer angegeben wurden zusammen mit einer Aussicht auf Finderlohn. Sie brachten die Zettel in der ganzen Nachbarschaft an und gingen sogar so weit, bei den Leuten zu klingeln und zu fragen, ob sie einen schwarzen Kater mit ein wenig Grau um den Hals und einem blauen Halsband gesehen hä tten. Aber niemand konnte ihnen helfen. Trotz allem vergaßen sie nicht, sich eine gute Zeit zu machen und jeden freien Moment auszukosten. Sie fuhren abends zwei Mal nach Sacramento, gingen schön essen, ins Theater und ins Kino. Den Rest der Nacht genossen sie dann ausführlich in Jennas Bett. Am Mittwoch fuhren sie in die Berge, wo die Farben des Herbstes bereits ein herrliches Bild abgaben. Am Donnerstag bat Lacey ihre Schwester, ihr einige Dinge zum Malen mitzubringen. Jenna war froh, dass Lacey wieder Interesse an ihrer Arbeit zeigte, und fuhr zusammen mit Mack nach Sacramento zu dem Fachgeschäft, das Lacey ihr genannt hatte. Auf dem Weg dorthin fragte Mack sie aus und erfuhr, dass Lacey mit Öl- und Wasserfarben malte. Er bat um die Hilfe eines Angestellten, kaum dass sie das Geschäft betreten hatten, und ließ sich von ihm sagen, welches Zubehör Lacey brauchen würde. Neben den wenigen Dingen, um die Lacey gebeten hatte, kaufte Mack auch eine Staffelei, je einen Satz Öl- und Wasserfarben; einen Arbeitstisch, der zu einem praktischen
Koffer zusammengeklappt werden konnte; und Pinsel von bester Qualität. Jenna versuchte, ihm zu erklären, dass Lacey wahrscheinlich aufgebracht sein würde, wenn er so viel mehr Geld ausgab, als sie es sich leisten konnte. "Ich werde sie schon nicht dafür zahlen lassen", sagte Mack. "Also mach dir keine Sorgen." "Aber, Mack. Im Augenblick ist ihr Selbstbewusstsein ziemlich im Keller. Und sie ist sehr stolz. Sie wird darauf bestehen zu zahlen." "Ja? Nun, sie kann bestehen, auf was sie will. Soweit ich sehen kann, muss sie etwas tun, das ihr Freude macht. Ich sorge nur dafür, dass sie das nötige Material dazu hat." Als sie zurückkamen und die Einkäufe ins Wohnzimmer brachten, sagte Lacey zunächst kein Wort. Sie saß in ihrem Sessel und sah ihnen zu, die dünnen Arme vor der Brust verschränkt. "Ist das alles?" fragte sie schließlich höflich. Mack lachte. "Ich habe mit dem Angestellten in dem Geschäft, zu dem du uns geschickt hast, gesprochen, und er sagte mir, was du alles brauchst, um ernsthaft malen zu können. Also habe ich es gekauft." "Ich habe um einige Zeichenblocks und Stifte gebeten, mehr nicht." "Nun, du brauchst das alles, wenn du wirklich arbeiten willst." "Wer sagt, dass ich ‚wirklich arbeiten' will?" fragte Lacey wütend. "Du kannst das alles wieder einpacken und dorthin bringen, wo du es her hast. Ich habe nicht darum gebeten." Macks Lächeln war verschwunden. "Oh, Verzeihung, ich scheine mich geirrt zu haben. Aber deine Schwester behauptet, du seist Künstlerin." Lacey wurde rot. "Ich bin Künstlerin, verdammt." "Nun, dann brauchst du diese Materialien."
"Ich kann mir das nicht leisten. Jenna, sag ihm, dass er kein Recht hat..." "Lass Jenna aus dem Spiel. Sie hat mir schon geraten, dir nichts zu kaufen, und ich habe es trotzdem getan. Also lass sie aus der Sache raus. Lacey, ich kann mir diese Ausgaben leisten. Glaub mir, das sind Peanuts für mich. Aber du brauchst die Sachen, und zwar brauchst du sie sehr." "Du hast keine Ahnung, was ich brauche." "Doch. Du willst doch malen, oder? Du bist Künstlerin, und Malen ist deine Arbeit. Außerdem hast du einige Wochen Zeit, in denen du kaum etwas anderes tun kannst. Sieh das Ganze also als günstige Gelegenheit an." Lacey verdrehte die Augen, aber offensichtlich war sie nicht mehr wütend. "Wirklich eine tolle Gelegenheit." "Denk darüber nach. Ich lasse die Sachen hier liegen, und wenn du morgen immer noch der gleichen Meinung bist, werden Jenna und ich alles wieder zurückbringen." "Ich nehme an, es wäre ziemlich unbequem für euch, noch einmal den ganzen Weg nach Sacramento fahren zu müssen, nur um die Sachen zurückzubringen." "Ja", sagte Mack, ohne mit der Wimper zu zucken. "Das wäre wirklich sehr unbequem." Jenna verbarg ihr Lächeln hinter der Hand. Sie war stolz auf Mack. Wie sehr sie ihn doch liebte! Das Herz ging ihr über. Sie fragte sich, ob es Mack überhaupt bewusst war, wie sehr er sich in den vergangenen sieben Jahren verändert hatte. Der alte Mack hätte niemals so etwas für ihre kleine Schwester getan - nicht, weil er geizig gewesen wäre, sondern einfach, weil ihm nie der Gedanke gekommen wäre. Der alte Mack hatte nie Zeit für die Bedürfnisse anderer Menschen. Er war zu sehr damit beschäftigt gewesen, die bodenlosen Bedürfnisse seiner eigenen Seele zu befriedigen. Am nächsten Morgen, als Jenna und Mack auf Zehenspitzen in der Küche herumgingen und sich ihr Frühstück zu machen
versuchten, ohne Lacey dabei zu wecken, rief sie ihnen aus dem Wohnzimmer zu: "Ihr könnt aufhören, da drinnen zu flüstern und zu kichern. Ich bin schon längst wach." Mack antwortete scheinbar beleidigt: "Richtige Männer kichern nicht. Willst du Kaffee?" "Ja. Schwarz." Jenna brachte ihn zu ihr hinein. Lacey hatte sich auf dem Sofa aufgesetzt und lächelte verschlafen. "Danke, den kann ich brauchen. Hm." Sie nahm genüsslich den ersten Schluck. "Ich habe da eine Idee, Jenna." Jenna zog die Schuhe aus und hockte sich neben ihre Schwester, so dass sie Schulter an Schulter saßen. "Spuck's aus." "Du kennst doch diese alten Wandschirme oben auf dem Dachboden, die mit dem Holzrahmen und den Blumendrucken?" "Ja, was ist mit ihnen?" Lacey wies zu einer Ecke des Raums, wo das Sonnenlicht durch das Verandafenster fiel. "Das Licht ist dort drüben gar nicht so übel. Ich möchte mir da ein kleines Atelier einrichten mit der Staffelei, die Mack für mich gekauft hat, und einigen Stühlen, einem für mich und einem für meinen Fuß. Die Wandschirme will ich als Raumteiler benutzen. Du weißt doch, wie sehr ich es hasse, wenn man mir bei der Arbeit über die Schulter sieht." Jenna lächelte. "Wir bringen die Wandschirme gleich nach dem Frühstück herunter." Lacey stellte den Kaffeebecher auf den kleinen Tisch links neben dem Sofa und lehnte den Kopf an Jennas Schulter. "Mack hat Recht. Ich habe jetzt so viel Zeit. Ich möchte sie nutzen." "Ja, das war ein sehr guter Rat von ihm." "Er hat sich verändert", sagte Lacey. "Als er damals hier war, hat er kaum mehr als zwei Worte mit mir gewechselt. Aber jetzt scheint er nicht mehr der Blödmann zu sein, an den ich mich immer mit so viel Zuneigung erinnert habe." Jenna lachte. "Es stimmt, er hat sich sehr verändert."
Lacey hob den Kopf. "Und wie soll es mit euch weitergehen? Wollt ihr zusammenbleiben?" "Ich weiß es noch nicht." "Wann weißt du es denn?" "Nächsten Sonntag, oder am Montag. Dann werden wir darüber sprechen. Und bis dahin werden wir einfach zusammen sein und jeden Moment genießen." "Das sollte man sowieso öfter tun - einfach zusammen sein und jeden Moment genießen." Lacey wandte hastig den Blick ab und wechselte das Thema. Der Freitag verging viel zu schnell. Lacey hatte es sich in ihrer improvisierten Atelierecke gemütlich gemacht und ließ sich stundenlang nicht blicken. Mack und Jenna reparierten die Decke im oberen Schlafzimmer und malten sie über, so dass am Ende niemand hätte sagen können, ob da je ein Loch gewesen war. Der Samstag war warm und sonnig. Man hatte fast das Gefühl, dass wieder Sommer war, so mild waren die Temperaturen. Jenna packte einen Korb für ein Picknick. Sie und Mack zogen Jeans und feste Schuhe an und fuhren erneut in die Berge. Sie folgten einer Nebenstraße, bis sie aufhörte. Dann holten sie ihren Picknickkorb und einen alten blau-roten Quilt aus dem Kofferraum und fingen an, durch die hohen Pinien zu gehen. Der Weg, den sie nahmen, endete am Hang eines Hügels. Vor ihnen erstreckte sich ein kleines Tal mit grünem Gras, Bäumen ringsherum und einem Bach, der fröhlich über die Felsen einige Meter entfernt sprudelte. Sie breiteten ihre Decke aus und aßen ihr Picknick. Zum Nachtisch hatte Jenna mit Zucker bestäubte Kekse eingepackt. "Du hast Zucker am Mund", sagte Mack, als Jenna ihren Keks aufgegessen hatte und sich die Krümel an der Hose abwischte. Sie lächelte ihn spitzbübisch an, und sofort war Mack bei ihr und drückte sie auf die Decke hinunter. Genießerisch leckte er
ihr mit der Zungenspitze den Zucker von den Lippen. "Hm, der süßeste Kuss, den ich je bekommen habe." Liebevoll sah sie ihn an, und mit einem Seufzer beugte er sich wieder über sie und küsste sie weiter. Jenna hatte das Gefühl zu schweben. Alles schien wie ein Traum zu sein. Wenn sie doch für immer in einem so wundervollen Traum leben könnten! Nach einer Weile schmiegte Mack seine Hand an ihre Wange, und Jenna drehte leicht den Kopf zur Seite und drückte die Lippen in seine Handfläche. "Noch ein Tag", flüsterte er. Sie seufzte. "Ja, nur noch ein Tag." Und sie fragte sich, warum sie so traurig war bei dem Gedanken, dass ihre zwei Wochen fast vorbei waren. Jetzt wussten sie doch, dass sie sich noch immer liebten. Und in den schwierigen Tagen dieser zwei Wochen hatte ihre Liebe sich sehr wohl als stark genug erwiesen. Sie hatten sich beide im Lauf der Jahre zu ihrem Vorteil verändert. Vielleicht gab es also doch noch eine Chance für eine gemeinsame Zukunft. Mack küsste sie von neuem. Jenna schlang fest die Arme um ihn, und sie erwiderte den Kuss mit einem Eifer, dem Verzweiflung anhaftete, als könnte sie so ihre Sorgen um die Zukunft vertreiben. Der Wind wurde kühler. Regenwolken zogen sich über ihren Köpfen zusammen. Jenna und Mack brachten ihre Kleidung in Ordnung, packten die Reste ihres Picknicks ein und machten sich auf den Rückweg. Der Regen ging los, gerade als sie den Wagen erreichten, und hörte auf, als sie zu Hause ankamen. Laceys Tür war geschlossen, was wahrscheinlich bedeutete, dass sie arbeitete und nicht gestört werden wollte. Sie zogen sich auf Jennas Zimmer zurück, schleuderten die Schuhe von den Füßen und fuhren dort fort, wo der Regenschauer sie unterbrochen hatte.
Mack küsste sie, und Jenna erwiderte seine Küsse voller Leidenschaft. Doch das Herz war ihr schwer. Sie wünschte, der morgige Tage würde nie kommen und dass sie für immer so weitermachen könnten. Sie wünschte, sie könnten einfach zusammen sein und miteinander reden und lachen und sich langsam und zärtlich lieben. Als es an der Haustür klingelte, hatten sie sich noch nicht ganz ausgezogen. Mack runzelte die Stirn. "Wer ist das?" "Ich weiß nicht. Vielleicht erwartet Lacey jemanden." Jenna zog ihre Bluse wieder an und lächelte, als sie Macks sehnsüchtige Blicke sah. "Beeil dich", sagte er heiser. "Da kannst du sicher sein." Sie unterdrückte einen Seufzer, bückte sich, um noch einen Kuss zu bekommen, und ging barfuss zur Vordertür. Der Besucher war ein Junge, den Jenna noch nie gesehen hatte. Er musste um die zehn Jahre alt sein, war sehr dünn und hatte ein ziemlich verschrammtes Skateboard unter dem Arm. Er trug eine verschmierte Baseballmütze, die er zur Seite gedreht hatte, und Hosen, die ihm etwa fünf Nummern zu groß und an den Knien abgeschnitten waren. Sein schmutziges weißes T-Shirt auch viel zu groß für ihn - hatte einen Riss an der Schulter. Auf der Vorderseite prangte der Name einer Rockgruppe. Seine nackten Füße steckten in unglaublich schmuddeligen Turnschuhen. Jenna blickte an ihm vorbei auf die Straße, aber es war sonst niemand zu sehen. Der Junge musste allein sein. "Ja?" fragte sie. Er hielt ein Stück Papier in der freien Hand, und jetzt sah Jenna, dass es einer der Handzettel war, die sie und Mack in der ganzen Nachbarschaft verteilt hatten. "Hier steht, dass es 'ne Belohnung für diese Katze gibt."
Jennas Herz machte einen Satz. "Du hast meinen Kater?" "Zuerst will ich wissen, wie groß die Belohnung ist." "Aber hast du ihn?" "Vielleicht." Jenna holte tief Luft und zwang sich zur Ruhe. "Na, was denn nun? Entweder du hast ihn, oder du hast ihn nicht." "Kommt drauf an." Der Junge hielt das Papier hoch. "Was ist mit der Belohnung?" "Was ist hier los?" Mack hatte sich halb angezogen und kam nach dem Rechten sehen. "Du hast den Kater?" Er bedachte den Jungen mit einem strengen Blick. Der Junge steckte das Papier in die Tasche und wich langsam zurück. "Warte", rief Jenna schnell. "Wir wollen nur wissen ..." Aber Macks Anblick hatte ihm Angst eingejagt. Der Junge wirbelte herum und rannte den Weg hinunter. "Halt ihn auf!" rief Jenna bestürzt. "Er hat Byron!" Mack zögerte keinen Moment. Er lief an ihr vorbei und die Stufen hinunter, Jenna folgte ihm auf dem Fuß. Mack sprang geschickt über den Zaun, gerade als der Junge auf sein Skateboard springen wollte. Bevor er davonrasen konnte, schaffte es Mack, ihn an seinem weiten T-Shirt zu packen. Der Junge verlor das Gleichgewicht und fiel Mack direkt in die Arme. "He, lassen Sie mich los, Mann! Lassen Sie mich!" Das Skateboard schoss die Straße hinunter. "Mein Skateboard!" Mack nahm den Jungen unter den Arm und wollte zum Haus zurückkehren. "Lassen Sie mich los! Ich muss mein Skateboard holen!" Jenna legte Mack eine Hand auf den Arm. "Vielleicht solltest du ihn wirklich lieber loslassen, Mack. Ich glaube nicht..." "Hilfe." schrie der Junge. "Kidnapper! Mörder! Hilf mir doch einer! Man bringt mich hier um die Ecke!" Jenna zuckte zusammen. "Mack, wirklich ..."
Mack unterdrückte einen Fluch und ließ den Jungen los. In derselben Sekunde, in der seine Füße den Boden berührten, jagte der Junge im Eiltempo davon. Ruhig rief Mack ihm nach: "Und die Belohnung? Es sind zehntausend Dollar." Jenna schnappte nach Luft. Selbst für einen so wundervollen Kater wie Byron schien ihr diese Summe doch reichlich hoch zu sein. Die schmutzigen Turnschuhe kamen zu einem abrupten Halt. Langsam drehte der Junge sich um. Er starrte Mack sekundenlang fassungslos an, dann lief er zu seinem Skateboard, das einige Meter weiter unten gegen einen Baum gestoßen war. Erst als er es sicher unter dem Arm hatte, kam er vorsichtig näher. "Keiner za hlt so viel für einen alten schwarzen Kater." "Ich schon." "Wieso?" "Weil ich es mir leisten kann. Und ich will den Kater zurückhaben." "Sie sind so reich?" "Ja, ich bin reich." Der Junge kaute auf der Unterlippe. "Hören Sie, ich hab ihn nicht gestohlen oder so was. Er ist einfach aufgetaucht und wollte dann bei uns bleiben. Okay, ich hab ihn gefüttert, aber nicht viel. Trotzdem ist er geblieben. Es ist nicht so, dass er 'n Gefangener ist. Er kann gehen, wann er will." "Zehntausend", wiederholte Mack. "Wo ist der Kater?" Der Junge nahm seine Mütze ab, betrachtete sie in Gedanken versunken und setzte sie entschlossen wieder auf. "Ich hoffe, das ist kein Quatsch." "Das ist kein Quatsch. Aber erzähl mir erst mal, ist dieser Kater einer, der die ganze Zeit über miaut?" Der Junge schüttelte den Kopf. "Nö, er schnurrt nur ununterbrochen, und das ganz schön laut." Er holte das Papier aus der Hosentasche. "Aber er trägt 'n blaues Halsband."
Mack sah Jenna an. "Klingt mir nach Bub." Sie nickte. "Wie heißt du?" fragte sie den Jungen. Der antwortete zuerst nicht, dann murmelte er undeutlich: "Riley." "Okay, Riley", sagte Mack. "Du bekommst zehntausend Dollar, wenn du uns den Kater zurückgibst." Riley gab sich Mühe, unbeeindruckt auszusehen, aber seine schwarzen Augen strahlten. Schließlich nickte er. "Okay. Abgemacht." Mack wies auf Jenna. "Das hier ist Jenna, und ich heiße Mack. Warum kommst du nicht kurz mit herein, während wir uns die Schuhe anziehen?" Riley verzog verächtlich den Mund. "Vergessen Sie's. Ich geh nicht in fremde Häuser. Ich warte auf der Veranda." "In Ordnung." Jenna wartete, bis sie und Mack wieder im Haus waren, bevor sie ihn fragte. "Du willst ihm doch nicht wirklich zehntausend Dollar geben, oder? Er kann kaum älter als zehn sein." "Was? Du willst, dass ich ihn hereinlege?" "Natürlich nicht. Aber so viel Geld kann man einem Kind nicht in die Hand geben, Mack." Er hatte sich inzwischen die Schuhe angezogen. "Ich nehme an, er hat Eltern oder jemanden, der sich um ihn kümmert. Wir können ihnen das Geld geben. Beeil dich, Jenna. Wer weiß, wie lange er noch auf uns wartet." Jenna nahm noch schnell ihre Handtasche, Mack steckte Autoschlüssel, Brieftasche und Scheckbuch ein, und sie eilten hinaus. Riley weigerte sich, in Macks Auto zu steigen. "In ein fremdes Auto? Halten Sie mich für bekloppt? Sie folgen mir, und ich zeig Ihnen den Weg. Ich bin ganz schön schnell mit meinem Skateboard."
Er hatte nicht übertrieben. Riley raste in beängstigendem Tempo die West Broad Street hinunter und nahm die Kurve in die Hill Street so scharf, dass Jenna unwillkürlich den Atem anhielt. Sie fuhren auf diese Weise bis zum Stadtrand, wo kleine, heruntergekommene Baracken sich unter knorrigen Bäumen duckten. Alte, ausgeschlachtete Autos standen auf ungepflasterten Wegen. Zerbrochenes Spielzeug lag überall in den ungepflegten Gärten herum, umgeben von Alteisen. Riley sauste auf einen der engsten Wege und hielt vor einem kleinen, baufälligen Schindelhäuschen. Er klemmte sich das Skateboard unter den Arm und hielt Jenna und Mack die leicht durchhängende Tür auf. "Sie müssen leise sein", sagte er. "Wenn das Baby schläft, will meine Mom nicht, dass es geweckt wird." Ein lang anhaltendes Geheul aus dem Innern des Hauses bezeugte, dass Rileys Sorge unbegründet war. "Vergessen Sie's. Das kleine Monster ist wach." Er führte sie in eine winzige Küche, wo ein uralter Linoleumboden an einigen Stellen halb durchgetreten war. Ein Baby saß in einem Kinderstuhl und schlug mit seinen winzigen Fäustchen schreiend auf ein Tablett. Eine dünne Frau mit strähnigem dunklen Haar versuchte gerade, das Baby mit einer Art Brei zu füttern, aber das Kind heulte weiter und spuckte den Brei wieder aus. Die Frau wandte sich zu ihnen um, als sie hereinkamen, und ihre dunklen Augen weiteten sich überrascht. Dann runzelte sie die Stirn. "Riley, Was ist los?" "Sie sind hier wegen Blackie, Mom. Und sie zahlen eine tolle Belohnung." Ihre Miene hellte sich nicht auf. "Was für eine Belohnung?" "Geld, Mom. Ein ganzer Haufen davon." Riley holte das Blatt Papier aus seiner Tasche, und seine Mutter las den Text mit immer noch gerunzelter Stirn.
"Zehntausend Dollar", erklärte Riley voller Stolz. "Sie wollen uns zehntausend Dollar für den Kater geben, Mom." Seine Mutter war sichtlich fassungslos, hatte sich aber schnell wieder im Griff. Sie zerknüllte das Papier und warf es auf den Tisch. Kopfschüttelnd stand sie auf, holte ein feuchtes Tuch vom Spülbecken und wischte dem krähenden Baby den Mund sauber. Danach legte sie sich das Kind an die Schulter und klopfte ihm sanft auf den Rücken. "Ja, ja, schon gut, Lissa, wein nicht. Schon gut, mein Baby, schon gut." Das Baby stieß noch einen letzten gekränkten Schrei aus und wurde dann ruhig, bekam nun einen Schluckauf und schlang seiner Mutter Trost suchend die Ärmchen um den Hals. "Okay?" fragte die Frau zärtlich. "Fühlst du dich jetzt besser?" Das Baby antwortete mit einem weiteren Schluckauf, und die Frau klopfte ihr weiter den Rücken, während sie Mack und Jenna mit einem vernichtenden Blick bedachte. "Was soll das? Zehntausend Dollar für einen alten streunenden Kater? Wem glauben Sie etwas vormachen zu können? Einem elfjährigen Jungen solche Lügen aufzubinden ..." "Wir lügen niemanden an." Macks Stimme war kühl. "Mrs. ..." Jenna warf ein: "Uns liegt nur sehr viel an dem Kater. Bitte, glauben Sie uns. Ich bin Jenna Bravo, und das ist Mack McGarrity." "Der Kater ist im anderen Zimmer. Nehmen Sie ihn und gehen Sie." Riley nahm den Arm seiner Mutter. "Mom! Wir können das Geld doch annehmen, oder? Sie haben gesagt, sie geben es uns, Mom. Wir haben ein Recht auf das Geld." Sie schüttelte ihn ab. "Sei still, du machst Lissa Angst. Keiner zahlt so viel Geld für eine Katze. Gib den Leuten einfach, was sie wollen, und lass sie gehen."
"Aber..." "Riley Kettleman, ich möchte es nicht noch einmal sagen müssen." Riley sah seine Mutter einen Moment aufsässig an und ließ dann die Schultern sinken. "Kommen Sie", murmelte er zu Mack und Jenna. "Er ist hier drin." Er führte sie in ein überfülltes Wohnzimmer, wo zwei weitere Kinder, ein Junge und ein Mädchen, auf dem verschlissenen Teppich vor dem Fernseher lagen und sich einen Trickfilm ansahen. Byron räkelte sich zwischen ihnen. Er sah zu Mack und Jenna hoch und gähnte herzhaft. Jenna strahlte. "Oh, du bist ja so froh, uns zu sehen, was?" Riley nahm ihn hoch und kraulte ihn hinter dem Ohr. "Ich werd dich vermissen, Blackie." Er reichte Jenna den Kater, der jetzt besonders laut schnurrte. Jenna lachte. Das Mädchen auf dem Boden, das ungefähr sechs Jahre war, riss den Blick vom Fernseher los. "He, die nehmen uns Blackie weg!" "Er gehört ihnen", erklärte Riley. "Sie haben das Recht dazu." "Ich liebe Blackie!" Die Augen des kleinen Mädchens füllten sich mit Tränen. "Sei kein Blödkopf, Tina", sagte Riley. "Es ist ihr Kater, also können sie ihn mitnehmen." Tina schniefte. "Ich bin kein Blödkopf. Ich will nur nicht, dass Blackie weggeht." "Vielleicht finden wir eine andere Katze", tröstete Riley sie. "Vielleicht sogar ein kleines Kätzchen." "Hat Mom das erlaubt?" "Ich werd mit ihr reden. Aber jetzt verabschiede dich vo n Blackie." Das kleine Mädchen stand auf und drückte ihr Gesichtchen in Byrons schwarzes Fell. Dann sah sie mit flehendem Blick zu
Jenna auf. "Können wir ihn denn manchmal besuchen kommen?" Riley ließ Jenna keine Zeit zu antworten. "Er ist ihr Kater, Tina. Mom sagt, wir müssen ihn gehen lassen." Tina stupste den Jungen vor dem Fernseher mit dem Fuß an. "Blackie geht weg." Der Junge winkte kurz, nahm aber nicht den Blick vom Bildschirm. "Tschüs ..." Riley ging mit ihnen durch die Küche, wo seine Mutter nicht einmal von ihrer Arbeit am Herd aufsah, als sie an ihr vorbeikamen. Jenna hielt kurz an der Tür inne, während Riley und Mack schon vorausgingen. "Mrs. Kettleman?" Sie wartete, bis Mrs. Kettleman sie ansah. "Ich möchte Ihnen danken, dass Sie sich um meinen Kater gekümmert haben." Mrs. Kettleman straffte die Schultern. Ihr Blick wurde vorwurfsvoll. "Sie hätten meinem Jungen keine Hoffnungen machen dürfen. Hoffnung ist das Schlimmste auf der ganzen Welt. Sie hebt einen in die Höhe, und am Ende lässt sie einen fallen, und man wird zerstört." "Wir haben nicht gelogen. Mack ist bereit, das Geld zu zahlen, das er angeboten hat." Mrs. Kettleman winkte verächtlich ab und wandte sich wieder dem Herd zu. Jenna überlegte, ob sie mehr sagen sollte, aber Rileys Mutter würde ihr bestimmt nicht glauben. So öffnete sie die Tür und trat hinaus. Draußen lehnte Mack am Wagen und schrieb einen Scheck aus. Unsicher sah Riley ihm dabei zu. "Meine Mom sagt, ich soll nicht..." Mack blickte ihm direkt in die dunklen Augen. "Willst du das Geld, oder nicht?"
"Ich dachte, es würde Bargeld sein. Schecks sind oft nicht gedeckt." "Dieser hier ist gedeckt. Er ist auf ein Konto der Nationalbank ausgeschrieben. Bring also deine Mutter dazu, zur Filiale hier in Meadow Valley zu gehen. Dort werden sie ihr das Geld auszahlen." Riley schluckte und nickte dann hastig. "Ihr Nachname ist Kettleman, nicht wahr?" "Ja." "Wie schreibt man das?" Langsam buchstabierte Riley es ihm. "Und ich brauche ihren Vornamen." "Erin. E-r-i- n." Mack sah auf. "Oder soll ich den Scheck auf deinen Vater ausschreiben?" Riley verzog den Mund. "Was würde das nützen? Mein Dad ist tot."
10. KAPITEL Lacey war fast genauso froh wie Jenna, Byron wieder zu sehen. Sie drückte ihn an sich, und er schnurrte zufrieden, so wie er es für jeden tat. "Das müssen wir feiern", rief Lacey. "Genau." Jenna freute sich, dass Laceys Wangen wieder Farbe bekommen hatten. Mack nickte. "Ich besorge uns ein paar Steaks und ein paar Flaschen Wein." "Ich komme mit." "Nein, Jenna. Bleib bei deiner Schwester. Ich bleibe nicht lange fort." Etwas in seiner Stimme beunruhigte sie. "Mack? Bist du sicher, soll ich nicht doch ..." Aber er war schon auf dem Weg zur Tür. Jenna zuckte die Achseln und ließ ihn gehen. Sie und Lacey verwöhnten Byron noch ein wenig, und Jenna erzählte von den heruntergekommenen Baracken am Rand der Stadt, wo Riley Kettleman wohnte. Lacey seufzte. "Ich hoffe nur, seine Mutter ergreift die Chance und lässt sich das Geld geben." Als Mack zurückkam, öffnete er gleich die erste Weinflasche, und alle sprachen mehrere Toasts aus: auf Byron, auf Riley, auf die seltsamen Wege des Schicksals. Später machte Jenna einen
großen Salat, und Mack briet die Steaks auf dem alten Grill im Garten. Schließlich aßen sie im Wohnzimmer und von ihrem besten Porzellan. Mehr als einmal im Verlauf des Abends bemerkte Jenna, dass Mack in Gedanken versunken war. Aber sobald er sie ansah oder sie ihm eine Frage stellte, verschwand sein abwesender Gesichtsausdruck, und Mack lächelte sie warm an. Später in Jennas Zimmer liebten sie sich langsam und hingebungsvoll. Es war vollkommen, und diesmal wurden sie weder vom Wetter noch vom Klingeln an der Tür gestört. Jenna fand, dass es der perfekte Abschluss für einen außergewöhnlichen Tag war. "Mack?" fragte sie, scho n ziemlich schläfrig. "Was immer geschieht, du sollst wissen, dass es die schönsten zwei Wochen meines Lebens gewesen sind." Er lachte. "Ja, sicher. Wir sind zu einer Beerdigung in Long Beach gegangen. Bub ist davongelaufen, und deine Schwester hat sich den Fuß gebrochen." "Ja, aber wir haben Alec und Lois kennen gelernt. Meine Schwester wird bald wieder wie neu sein, und Byron ist wieder zu Hause. Und ich glaube, wir haben etwas sehr Wichtiges herausgefunden, den Grund, warum wir überhaupt geheiratet haben. Wir wissen jetzt, dass wir uns lieben und dass unsere Liebe immer da war. Wenn ich jetzt an dich denke, werde ich immer nur an die schönen Momente denken." "Also bedauerst du nichts?" fragte er leise. Plötzlich füllten sich ihre Augen mit Tränen, doch sie wollte lieber nicht darüber nachdenken, warum. Hastig blinzelte sie sie fort. "Nichts." "Gut." Mack zog Jenna fest an sich. Byron erschien plötzlich von irgendwoher, sprang geschmeidig auf das Bett und streckte sich neben ihnen aus.
Schon bald darauf schliefen sie ein. Sie wachten bei Morgengrauen auf. Leise machten sie Kaffee, kochten Eier und schmierten einige Scheiben Toast. Lacey gab keinen Laut von sich, also frühstückten sie allein. Byron saß auf seiner kleinen Decke in der Ecke und sah ihnen schnurrend zu. "Lass uns verschwinden, Mack", sagte Jenna, sobald sie fertig waren. "Hier kann das Telefon klingeln oder jemand zu Besuch kommen." "In Ordnung." Die Luft war kühl und der Wind ein wenig frisch. Mack zog seine Lederjacke an, und Jenna schlüpfte in ihren Mantel. Als sie im Wagen saßen, fragte Mack: "Wohin?" "Wie wäre es mit dem Platz, wo wir gestern unser Picknick hatten? Dort wird uns bestimmt keiner stören." Mack parkte den Wagen an der gleichen Stelle, holte die blau-rote Decke aus dem Kofferraum, und gemeinsam machten sie sich auf den Weg zu dem kleinen Tal. Heute war es sehr viel kälter als gestern, und Jenna fröstelte ein wenig. Sie setzte sich auf die Decke und sah zu Mack hoch, der immer noch stand, die Hände in den Taschen. "Ich weiß nicht, wo ich anfangen soll", sagte er. Sie nickte. Ihr ging es ähnlich. In dem Versuch, ihre Gedanken zu sammeln, spielte sie mit einem losen Faden der Decke. "Lass uns mit dem Anfang beginnen", schlug sie schließlich vor. Mack ging in die Hocke, nahm einen Zweig, der im Gras lag, und brach ihn entzwei. "Als du mich angerufen hast, um mir zu sagen, dass du den Doktor heiraten wolltest, war ich zuerst vollkommen verblüfft. Allein der Gedanke, du könntest jemand anderen heiraten ..." Er warf den Zweig beiseite. "Es erschien mir unmöglich." Mack lachte trocken. "Da siehst du mal, wie eingebildet ich bin. Ich hatte dich seit sieben Jahren nicht gesehen, und trotzdem ..." Jetzt setzte er sich auf die Decke und
schlang die Arme um die Knie. "Ich konnte es nicht zulassen. Ich musste dich sehen und herausfinden ..." Wieder unterbrach er sich und sah in die Zweige der Bäume hinauf. "Was ich sagen will, ist, dass ich nicht richtig nachgedacht habe. Ich wusste nur, dass ich herausfinden musste, ob du noch etwas für mich empfindest." Der Wind wehte Jenna das Haar ins Gesicht, und sie schob es fort. "Und jetzt weißt du es?" "Ja, jetzt weiß ich es." "Aber die Frage ist, was tun wir jetzt?" Er nickte. Jenna sehnte sich danach, ihn zu berühren. Sie wollte seine Lippen spüren, seine n ganzen Körper. Wenn sie sich liebkosten, waren Worte nicht nötig. Dann konnte sie den Gedanken an die Zukunft vergessen, dann existierte nur der Augenblick. Aber sie konnten sich nicht leisten, das Gespräch über ihre Zukunft hinauszuschieben. Die Zeit war gekommen, um ihre nächsten Schritte zu besprechen. Sie senkte den Blick. "Ich liebe Meadow Valley, Mack, das weißt du. Aber es ist mir nicht mehr so wichtig, hier zu leben, wie früher. Ich denke nicht mehr, dass der Ort, wo man lebt, überhaupt so wichtig ist. Und ich sehe jetzt ein, dass ich mir mehr Mühe hätte geben sollen, als wir nach New York umgezogen waren. Vielleicht hätte ich es dann doch geschafft, mich an mein neues Leben zu gewöhnen." Eindringlich sah er sie an. "Heißt das, du würdest mit mir nach Florida kommen?" "Ja, ich würde es auf jeden Fall versuchen, und diesmal mit all meiner Kraft. Aber in einem Punkt möchte ich keine Kompromisse machen, Mack." Er hielt den Atem an. "In welchem?" Und sie sprach, obwohl es ihr die Kehle zuschnürte und sie Schwierigkeiten hatte, einen Ton herauszubekommen. "Ich
möchte Kinder haben, Mack. Ich wünsche mir eine Familie, mit einem Mann, der oft daheim ist." "Einen Mann, der oft daheim ist, das kann ich dir versprechen. Ich kann bei dir sein, wann immer du mich brauchst." "Ja, Mack, aber das reicht mir nicht." "Nein?" "Nein. Oh, Mack, ich wünsche mir Kinder, die wir in Liebe zusammen aufziehen. Und wenn wir keine leiblichen Kinder haben können, möchte ich welche adoptieren. Ich mochte den kleinen Wesen helfen, aufzuwachsen und sich ihr Leben aufzubauen. Für mich gibt es nichts Wichtigeres. Ich hätte das Gefühl, nicht richtig gelebt zu haben, wenn ich nicht ein oder zwei Kinder großziehe." Mack sagte nichts. Sein Blick ruhte zärtlich und traurig auf ihr. "Willst du eine Familie mit mir gründen, Mack? Meinst du, du könntest das?" Er seufzte. "Jenna ..." Abrupt stand er auf, machte ein paar Schritte und blickte gedankenverloren zu den Bergen hinauf. Schließlich drehte er sich wieder um und blieb am Rand der Decke stehen. "Ich muss immer wieder an diesen Jungen denken, Jenna. An Riley Kettleman, und an das kleine Baby und die anderen zwei Kinder. Ich sage mir wieder und wieder, dass diese Kinder keine Chance haben. Ihr Vater ist gestorben, und ihre Mutter kann sie kaum ernähren. Es ist die gleiche alte Geschichte, sie wiederholt sich immer wieder. Die Menschen beginnen ihr Leben mit den besten Vorsätzen, sie heiraten und zeugen Kinder. Und dann geschieht etwas. Entweder Scheidung oder Tod oder Arbeitslosigkeit. So viele verlorene Hoffnungen." Seine Stimme klang rau. Mack holte tief Luft und fuhr sich mit der Hand durchs Haar. "Jenna, ich glaube einfach nicht, dass ich es tun kann - ein Kind in mein Leben lassen. Kinder verstehen nicht. Sie vertrauen einem blind. Sie glauben, man
wird für sie sorgen. Aber das klappt nicht immer. Dinge gehen schief. Dinge, die man sich nie vorgestellt hat. Und dann bleiben die Kinder mit leeren Händen zurück. Das könnte ich keinem Menschen antun." Unwillkürlich nahm sie seine Hand in ihre. "Mack ..." Er entzog sich ihr nicht, aber er kam auch nicht zu ihrer herunter. "Ich weiß", sagte er gequält, "es ist nicht logisch, dass ich so empfinde. Du bist nicht Erin Kettleman. Du hast dein eigenes Geschäft und ein Haus. Du kannst auf eigenen Füßen stehen, und ich bin jetzt reich. Ich würde die Menschen, die ich liebe, beschützen, was auch immer mit mir geschehen sollte. Ich könnte dafür sorgen, dass du nie so dastehst wie Rileys Mutter in einer elenden Baracke mit vier kleinen Kindern, die du kaum ernähren kannst, oder wie meine Mutter, die glaubte, sich zwischen einem Mann und ihren Kindern entscheiden zu müssen." Mack drückte ihre Hand so heftig, dass Jenna die Zähne zusammenbiss, um nicht auf zustöhnen. "Ich verstehe, dass meine Angst unbegründet ist. Meine Kinder würden nicht in solchen Umständen landen, selbst wenn wir beide unerwartet sterben sollten. Aber dann denke ich daran, wie es für mich war - zuerst eine Familie zu haben und sie dann zu verlieren. Ich denke an meinen Vater, der starb, und an meine Mutter, die einfach verschwand, und ich bekomme plötzlich keine Luft mehr. Ich habe mir sogar vorgemacht, dass ich mich eines Tages ändern könnte und dass ich so wie jeder Mensch meine eigenen Kinder würde haben wollen." Er stöhnte leise auf. "Aber Jenna, das ist nicht passiert. Und die Wahrheit ist, dass ich nicht glaube, dass es je passieren wird." Mack zog an ihrer Hand. "Komm hoch zu mir." Und Jenna ließ sich von ihm hochziehen. Er legte ihr die Arme um die Schultern und sah ihr in die Augen. "Es tut mir Leid, Jenna. Ich weiß nicht, was ich mir dabei gedacht habe, dich zu diesen zwei Wochen zu zwingen.
Schließlich wusste ich, dass du Kinder willst. Wahrscheinlich bin ich doch der egoistische Mistkerl, für den du mich eine Weile gehalten hast." "Sch." Jenna schmiegte sich an ihn, und mit einem leisen Seufzer drückte er das Gesicht in ihr Haar. "Ich habe dir doch gestern Nacht gesagt, dass ich nichts bedauere." Aber sie glaubte nicht, dass sie es ertragen könnte, ihn zu verlieren. Sie wischte sich die Tränen von den Wangen. "Mack, hör zu, wenn du wirklich nicht..." Seine Finger gruben sich schmerzhaft in ihre Schultern. "Sag es nicht." "Was?" "Gib nicht deine Kinder für mich auf." "Welche Kinder? Ich habe keine." "Aber du wirst später welche haben. Und das solltest du auch, denn du wirst eine großartige Mutter sein." "Nein, nicht ohne dich." Sanft nahm er ihr Gesicht zwischen seine Hände. "Mit uns kann es nicht funktionieren, Jenna." "Sag das nicht. Es kann funktionieren. Wir werden dafür sorgen. Diesmal werden wir nicht aufgeben, was wir haben. Oh, Mack, bitte. Bleib nur noch ein paar Wochen hier bei mir in Meadow Valley. Lass Lacey wieder auf die Beine kommen und mich mein Geschäft verkaufen. Dann komme ich mit dir nach Florida. Wir werden uns zusammen ein neues Leben aufbauen. Ein schönes Leben. Sag nur, dass du bei mir bleiben willst, dass du mich zur Frau haben willst." Statt ihr mit Worten zu antworten, küsste er sie mit einer so verzweifelten Sehnsucht, dass es ihr den Atem nahm. Sie erwiderte den Kuss mit ihrer ganzen Liebe und schmiegte sich dicht an ihn. Wir werden es schaffen, dachte sie. Irgendwie werden wir es schaffen. Wenn es ihm nicht möglich war, Kinder zu haben, dann war das eben so. Dann würde sie eben auch keine Kinder
haben. Ein halber Traum war immerhin besser als gar keiner. Sie würde sich auf das konzentrieren, was seine Liebe ihr gab, und vergessen, was nun einmal nicht sein konnte. Mack brach den Kuss plötzlich ab und nahm ihr damit jede Hoffnung. Er löste sich von ihr und sah ihr unglücklich in die Augen. "Es geht nicht, Jenna. Ich reise heute noch ab." Nichts, was sie sagte, konnte seine Meinung ändern. Als sie wieder zu Hause waren, ging Mack direkt nach oben, um sein Computersystem auseinander zu nehmen. Jenna ertrug es nicht, ihm dabei zuzusehen, und floh in die Küche. Lacey schien tief in ihre Arbeit vertieft zu sein. Aus dem Wohnzimmer drang jedenfalls kein Laut. Jenna hörte Mack zwei Mal die Treppe herunter- und hinaufgehen und das Schlagen der Haustür, als er die Computeranlage zum Wagen trug. Danach gingen seine Schritte ins Schlafzimmer, wo er sicher seine Sachen packte. Viel zu bald schon erschien er in der Tür zum Flur, in jeder Hand einen Koffer. Mit zitternden Beinen stand sie auf. "Ich helfe dir." "Ich schaff es schon allein." "Nein, wirklich. Es macht mir nichts aus." Sie ging zu ihm. Seltsamerweise fühlte sie nichts mehr. Ihr Körper, ihr Herz schienen vollkommen betäubt zu sein. Sie kam sich vor wie eine Marionette, die von unsichtbaren Händen geführt wurde. Jede ihrer Bewegungen erfolgte wie ohne ihren Willen. "Laceys Tür ist geschlossen", sagte Mack. "Ich möchte sie nicht stören. Willst du sie von mir grüßen?" Wie rücksichtsvoll, dachte Jenna. Er hat mir das Herz gebrochen, aber er möchte meine Schwester nicht bei der Arbeit stören. "In Ordnung", sagte sie aber nur. "Ich richte es ihr aus." Byron kam in diesem Moment aus der Küche stolziert, und Mack setzte die Koffer ab. "Hi, Bub." Er bückte sich und nahm
den Kater auf die Arme. "Bleib jetzt gefälligst brav zu Hause. Lauf ja nicht wieder weg." Nachdem er ihn gestreichelt und hinterm Ohr gekrault hatte, setzte er ihn wieder ab. "Mach's gut, Bub." Jenna nahm seine Reisetasche, die noch im Flur stand, und er nahm die beiden Koffer. Gemeinsam gingen sie hinaus. Bevo r er das Gepäck einlud, holte er den Picknickkorb und die blau-rote Decke heraus. Schließlich gab es nichts mehr für ihn zu tun, als sich in den Wagen zu setzten und von ihr fortzufahren. Angespannt stand er vor ihr. Sie sah an seinem Blick, dass er sie küssen wollte, glaubte aber nicht, dass sie das jetzt ertragen könnte. Denn wenn er sie jetzt küsste, würde diese gnädige Dumpfheit sie verlassen, und sie würde jede Würde vergessen und ihn anbetteln, bei ihr zu bleiben. Aber sie brauchte ihre Würde. Es war alles, was ihr geblieben war. Deshalb klammerte sie sich verzweifelt an die Decke und den Griff des Picknickkorbs und hielt beides wie einen Schild vor sich, damit Mack sie ja nicht berührte. "Mach's gut, Mack." "Du auch, Jenna." Er ging um den Wagen herum und setzte sich hinters Steuer. Mechanisch folgte sie ihm. Er schloss die Tür, stellte den Motor an und rollte das Fenster herunter. "Reich die verdammten Papiere sofort ein", sagte er. "Verstehst du?" Sie begriff einen Moment lang nicht, wovon er sprach. Doch dann fiel es ihr ein, die Scheidungspapiere. "Ja, ich verstehe", flüsterte sie. Er winkte ihr kurz zu, sie trat zurück, und er fuhr los. Bewegungslos stand sie da, den leeren Picknickkorb und die Decke an sich gedrückt, noch lange nachdem sein Wagen aus ihrer Sicht verschwunden war.
11. KAPITEL Etwa eine halbe Stunde nach Macks Abfahrt humpelte Lacey in die Küche. Jenna saß am Tisch und sah mit einem angestrengten Lächeln auf. Lacey merkte sofort, dass etwas nicht stimmte. "Was ist los? Geht es dir nicht gut?" Jenna fuhr sich mit der Zunge über die trockenen Lippen. "Mack ist gegangen. Ich soll dich von ihm grüßen." Langsam ließ Lacey sich auf einen Stuhl sinken, legte ihre Krücken auf den Boden und den verletzten Fuß auf einen Stuhl, den Jenna ihr hilfsbereit zuschob. "Kaffee oder sonst was?" fragte Jenna. "Möchtest du frühstücken?" Lacey machte eine ungeduldige Handbewegung. "Lass das jetzt, Jenna. Hast du das eben ernst gemeint? Mack ist gegangen?" Jenna nickte und musste schlucken, bevor sie antworten konnte. "Es hat nicht geklappt zwischen uns. Und jetzt ist er fort." Sie beugte sich über ein Blatt Papier, das vor ihr auf dem Tisch lag. Lacey runzelte die Stirn. "Komm, Jenna, sprich mit mir. Was ist das hier?" Sie wies auf das Papier. "Ich mache gerade eine Liste. Was ich in den nächsten Tagen tun will. Ich dachte, es hilft mir vielleicht zu wissen, was ich tun muss und wohin ich gehen soll. Und es gibt eine Menge zu tun.
Ich muss wieder ins Geschäft gehen, und das Haus hier konnte einen gründlichen Frühjahrsputz gebrauchen, obwohl wir Herbst haben." Jenna versuchte ein schwaches Lächeln, und Lacey legte ihre Hand auf ihre. "Außerdem ist da noch die Scheidung. Mack hat mir endlich die Papiere gegeben. Also muss ich mich auch um das kümmern. Es ist besser, wenn ich es schnell hinter mich bringe." Jenna stand auf, kniete sich neben Lacey und legte den Kopf in ihren Schoß, und Lacey strich ihr sanft über den Kopf. "Liebst du ihn noch?" fragte Lacey. "Ja." "Und er liebt dich auch?" "Ja." "Warum ist er dann weggegangen?" Jenna seufzte. "Können wir es nicht einfach sein lassen? Ich kann nicht darüber reden." "Du tust so, als ob alles entschieden wäre." "Das ist es auch. Er ist fort und wird nie wiederkommen." Fünf Tage später am Freitag um sieben Uhr abends klopfte Erin Kettleman an Jennas Tür und kam gleich zum Thema, als Jenna öffnete. "Ist er hier? Mr. McGarrity?" Jennas Herz machte einen Satz, als sie Macks Namen hörte. "Nein, er ist am Sonntag weggefahren. Nach Florida, nehme ich an." Erin legte ihre Hand flach auf die Brust. "Ich habe Riley bei den Kindern gelassen. Er ist sehr verantwortungsbewusst, und Lissa schläft." Ihre schmalen Lippen verzogen sich zu einem schwachen Lächeln. "Ich weiß allerdings nicht, wie lange das noch so bleiben wird. Ich ..." "Mrs. Kettleman, entschuldigen Sie. Kommen Sie doch bitte herein." Jenna nahm sie beim Arm, und Erin ließ es zu, dass sie sie ins Wohnzimmer führte. "Setzen Sie sich." Jenna wies auf einen Stuhl neben dem Sofa. "Danke." Erin nahm Platz.
Jenna setzte sich ebenfalls und fragte: "Möchten Sie etwas trinken?" "Nein, nein. Ich kann wirklich nicht lange bleiben." Ein wenig schüchtern sah Erin sich um. "Sie haben ein sehr schönes Haus." "Es gehörte meiner Mutter." "Ihrer Mutter." Erin faltete die Hände über der Handtasche in ihrem Schoß. Die beiden Frauen sahen sich schweigend an und fingen dann gleichzeitig an zu reden. "Ich weiß nicht, wie ich ..." "Haben Sie das Geld ...?" Sie unterbrachen sich und lächelten. Erin fuhr nun fort: "Ja, ich habe Mr. McGarritys Scheck eingelöst. Riley hat mich dazu überredet. Er kann wirklich sehr überzeugend sein, mein Junge." Ein wehmütiger Ausdruck erschien auf ihrem Gesicht. "Er ähnelt sehr seinem Daddy, um die Wahrheit zu sagen." Jenna atmete tief ein. "Ich bin sehr froh, dass Sie zur Bank gegangen sind." "Und ich bin so dankbar. Und es tut mir so Leid, dass ich letzten Samstag so unhöflich war. Ich glaubte es einfach nicht. Ich konnte es nicht über mich bringen zu glauben. Ich hatte das Gefühl, dass ich eine weitere Enttäuschung nicht mehr ertragen würde. Mein Mann ist erst vor sechs Monaten gestorben. Wir besaßen nie sehr viel, aber als Riley senior noch am Leben war, kamen wir immerhin noch zurecht. Seit er aber fort ist, wird alles immer schlimmer. Ich hatte eine so entsetzliche Angst, dass ich es nicht allein schaffen würde. Dass meine Kinder ..." Erin presste fest die Lippen zusammen und wandte den Blick ab. Beschwichtigend berührte Jenna ihren Arm. "Aber dieses Mal sind Sie nicht enttäuscht worden, nicht wahr?" "Nein, das bin ich nicht." Erin lächelte. "Ich muss Ihnen sagen, ich habe wie Espenlaub gezittert, als ich auf der Bank unterschreiben sollte. Und dann sagte die Dame am Schalter
einfach so: ,Wie möchten Sie es gern haben, Mrs. Kettleman? In Hundertern?'" Sie lachte leise. "Mein Herz muss aufgehört haben zu klopfen, glauben Sie mir. Ich dachte, so einen Moment würde ich nie wieder erleben. Aber da hatte ich mich geirrt." Jenna hob die Augenbrauen. "Geirrt? Warum?" Erin öffnete ihre Handtasche, holte ein einzelnes Blatt Papier heraus und reichte es Jenna. Es war ein Brief von Mack, kurz, knapp und zum Thema, ohne Adresse. Liebe Mrs. Kettleman, ich habe beschlossen, einen Treuhandfonds in Ihrem Namen zu eröffnen. Für die nächsten zwanzig Jahre werden Sie monatlich fünftausend Dollar erhalten, damit Sie die Ausgaben für sich und Ihre Familie decken können. Da die Kosten einer guten Ausbildung stetig steigen, habe ich außerdem Studienfonds für jedes Ihrer Kinder geschaffen. Bitte setzen Sie sich mit dem Büro meines Anwalts, Dennis Archer, in Meadow Valley in Verbindung, um die erste Zahlung vom Treuhandfonds zu erhalten. Mr. Archer wird Ihnen gern eventuelle Fragen beantworten. Ich wünsche Ihnen und Ihrer Familie alles Gute, M. McGarrity "Der ist heute angekommen", sagte Erin mit leiser Stimme und hielt den Brief fast ehrfürchtig fest, als Jenna ihn ihr zurückgab. "Ich habe diesen Anwalt angerufen, und er sagte ..." Erin schloss kurz die Augen und holte tief Luft. "Er sagte, dass er auf meinen Anruf schon gewartet habe. Ich habe am Montagmorgen um zehn Uhr eine Verabredung mit ihm. Ich kann es kaum glauben. Warum? Warum sollte M. McGarrity so etwas tun? Er kennt uns nicht einmal. Wir sind vollkommene Fremde für ihn." "Fremde?" Jenna lächelte. Oh, Mack, dachte sie. Wie wundervoll von dir, so etwas zu tun. "Ich glaube", versuchte sie
zu erklären, "dass Mack sich in gewisser Weise Ihnen und Ihrer Familie sehr verwandt fühlt." "Aber wie denn? Bitte, sagen Sie es mir. Es ist so schwer zu glauben, dass so etwas wirklich geschieht. Ich habe ständig Angst, dass ich im nächsten Moment aufwache und alles nur geträumt habe. Wenn ich wüsste, warum er es getan hat. Bitte, Miss Bravo, Sie müssen es mir sagen." Jenna verstand ihre Bitte, und so erzählte sie Erin von Macks Kindheit, dass er seinen Vater verloren hatte, und dass seine Mutter ihn und seine Schwestern in Pflege gegeben hatte. Erins Augen waren voller Tränen, als Jenna geendet hatte. "Wie traurig. Wie entsetzlich für ihn und seine Schwestern - und auch für seine Mutter. Die arme Frau. Es hat Zeiten gegeben, da hätte ich sie für ihr Verhalten verurteilt. Aber nach den letzten sechs Monaten ... Ich denke, das Schlimmste, was einer Mutter geschehen kann, ist, dass sie nicht mehr weiß, wie sie ihre Kinder ernähren kann, und überlegt, ob ihre Kinder ohne sie nicht besser dran sind. Oh, das ist so schmerzlich. Das Fürchterlichste, was Sie sich vorstellen können." Jenna nickte. "Ich glaube, er möchte, dass Ihre Familie eine bessere Chance bekommt als seine damals." Erin erhob sich langsam. "Durch seine Hilfe werden wir es schaffen. Ich möchte ihm schreiben, um ihm zu danken. Der Anwalt wird mir sicher seine Adresse geben. Nun, ich mache mich jetzt besser auf den Weg." Jenna ging ihr voraus zur Tür und begleitete sie ein paar Schritte. Aus einem Impuls heraus fragte sie: "Glauben Sie, Sie könnten die Kinder ab und zu vorbeibringen? Ich würde Riley sehr gern wieder sehen und vielleicht die kleine Lissa einmal halten." Erin lächelte erfreut, und Jenna fand, dass sie in diesem Moment sehr jung aussah. "Sehr gem. Aber ich muss Sie warnen, die Kleinen können ziemlich laut werden." "Das macht mir nichts aus."
"Dann rufe ich Sie an. In ein, zwei Wochen kommen wir Sie gern besuchen." "Das wäre schön." "Vielleicht könnte Mr. McGarrity auch kommen und ..." Jenna schüttelte den Kopf. "Ich fürchte, er kommt nicht hierher zurück." "Oh? Aber Riley sagte, Sie beide wären ..." Erin errötete leicht. "Na ja, was weiß ein elfjähriger Junge schon von solchen Dingen?" Jenna lächelte. "Doch, er hat schon Recht. Aber leider hat es nicht geklappt mit mir und Mr. McGarrity." Erin seufzte. "Das tut mir sehr Leid." "Mir auch." Sekundenlang herrschte Stille. Erin schlang die Arme um sich. "Sie stehen mit dem dünnen Pullover im Freien. Ich gehe jetzt besser." "Kommen Sie, wann immer Sie wollen. Ich würde mich freuen." Erin versprach, es zu tun. Jenna wartete, bis Erin in ihren verbeulten Lieferwagen gestiegen war, bevor sie wieder ins Haus ging und die Tür schloss. Dann lehnte sie sich dagegen und starrte nachdenklich vor sich hin. Sie freute sich für die Kettlemans, und sie war sehr stolz auf Mack für seine so menschliche Geste. Aber sie war auch traurig. Er fehlte ihr unendlich. Das Haus war so still ohne ihn. Sie brauchte ein wenig Gesellschaft, aber die Tür zum hinteren Wohnzimmer war geschlossen, seit sie vorhin aus ihrem Geschäft zurückgekommen war. Offenbar war Lacey hart bei der Arbeit und wollte ihre Ruhe haben. Mit einem Seufzer ging Jenna in die Küche und machte sich Tee.
Am nächsten Morgen, als Jenna in die Küche kam, war der Kaffee schon gekocht und ihre Schwester stand vollständig angezogen am Herd und machte Spiegeleier. "Lacey? Es ist sieben Uhr morgens. Fühlst du dich gut?" Lacey wandte sich um und sah sie mit strahlenden Augen an. Ihr Gesicht war leicht gerötet, und zum ersten Mal seit langer Zeit sah sie wieder richtig hübsch aus. "Ich mache uns Frühstück", sagte sie mit seltsam heiserer Stimme. "Wir werden essen, und dann möchte ich dir zeigen, woran ich gearbeitet habe. Ich denke, dass es ganz gut ist, aber ..." Sie zuckte nervös die Achseln. "Na ja, was du auch davon hältst, einmal musst du es ja sehen. Also bringen wir es am besten gleich hinter uns." Zwanzig Minuten später folgte Jenna ihrer Schwester in die Ecke des Wohnzimmers, die sie zum Atelier umfunktioniert hatte. Das fertige Gemälde stand auf der Staffelei. Lacey trat beiseite, damit Jenna es sehen konnte. "Da ist es", erklärte sie grimmig. Zuerst konnte Jenna nur wortlos starren. Sie wusste nicht, was sie sagen sollte. Es war ein männlicher Akt, und die ihm innewohnende Sinnlichkeit und Stärke waren absolut atemberaubend. Eine schlichte Maske, die aus dunklem Stein gehauen zu sein schien, verbarg das Gesicht. Trotzdem wusste Jenna, wer das Modell war. Etwas an der Haltung des Kopfes und der Form der Schultern kam ihr sehr bekannt vor, obwohl sie Laceys Modell nie nackt gesehen hatte. Und sie hatte sicherlich nie die Sinnlichkeit dieses Mannes erkannt, wie Lacey es zweifellos getan haben musste, um ihn so malen zu können. "Du findest es fürchterlich?" fragte Lacey leise. "Nein. Nein, es ist unglaublich. Wunderschön. Vollkommen." "Oh." Lacey holte tief Luft. "Meinst du das ehrlich?" Jenna nickte. "Mir fehlen die Worte. Aber es ist gut, Lacey. Mehr als gut." Lacey seufzte erleichtert. "Du kannst dir nicht vorstellen, wie schön es für mich ist, das zu hören. Selbst wenn es von meiner
Schwester kommt, die sowieso glaubt, dass alles, was ich tue, perfekt ist." "Nein, ich sage das bestimmt nicht aus schwesterlicher Liebe, Lacey. Ich schwöre es. Aber ich muss dich etwas fragen." Lacey schloss kurz die Augen. "Ich wünschte, du würdest nicht. Warte, ich will mich erst setzen." Sie humpelte zu einem Sessel und ließ sich vorsichtig hineinsinken. "Es ist Logan, nicht wahr?" Lacey nickte und stieß ein etwas wildes Lachen aus. "Ich hatte dich doch gewarnt, dass ich nach ihm sehen würde, als du fort warst." "Und das hast du offenbar auch gründlich getan." "Das kann man wohl sagen. Ich weiß immer noch nicht genau, wie es passiert ist. Ich dachte wirklich, ich wollte ihn nur trösten. Ich war sicher, dass er am Boden zerstört sein würde, weil er dich ein zweites Mal verloren hat. Wie wir im Bett gelandet sind ... na ja, es sind wohl schon seltsamere Dinge geschehen. Mir allerdings nicht. Es war verrückt, vollkommen wahnsinnig. Es hat fünf unglaubliche Tage angehalten, bis Byron abgehauen ist und ich mit dem Fuß durch das Dach brach. Und dann seid ihr heimgekommen." "Lacey. Liebst du ihn?" Lacey schloss erneut die Augen und ließ den Kopf gegen die Lehne sinken. "Ich glaube, ja", flüsterte sie. "Kannst du das fassen? Ich glaube, ich liebe Logan Severance. Manchmal kommt es mir so vor, als ob ich ihn schon immer geliebt habe und es nur nicht wusste." Sie sah Jenna bedrückt an. "Er war der letzte Mann, den ich mir als Liebhaber vorstellen konnte, ich schwöre es dir. Ich hatte es nie auf ihn abgesehen - bis ich an seine Tür klopfte, nachdem du mit Mack abgereist warst. Ich hoffe, du denkst nicht..." Jenna hob abwehrend die Hände. "Es ist schon in Ordnung, Lacey, du musst mich von nichts überzeugen. Ich glaube dir."
Byron kam hereinstolziert, ging geradewegs auf Laceys Sessel zu und sprang leichtfüßig auf ihren Schoß. Sie fing an, ihn abwesend hinter dem Ohr zu kraulen. "Logan liebt dich immer noch, Jenna. Mit mir wollte er sich nur über alles hinwegtrösten, mehr nicht." Jenna kniete sich neben sie. "Nein, Lacey. Hör mir zu. Es ist wirklich vorbei zwischen mir und Logan. Und wenn du ihn liebst..." "Was dann?" Laceys blaue Augen funkelten angriffslustig. "Dann könntet ihr versuchen, einen Weg zueinander zu finden." Jenna wusste, dass sie nicht sehr überzeugend klang. "Ach, ja? So wie du und Mack?" Darauf hatte Jenna keine Antwort. "Wirklich, Jenna, wenn ich glaubte, dass Logan mich liebt, könnte mich nichts und niemand davon abhalten, zu ihm zu gehen. Und jetzt frage ich dich, was hält dich von Mack fern?" "Ich ... wir ..." "Was?" "Ich möchte Kinder und er nicht." Lacey runzelte die Stirn. "Er will keine Kinder? Niemals?" "Das hat er mir gesagt." "Okay. Ich gebe zu, das ist ein Problem." "Aber ich bin bereit, auf Kinder zu verzichten. Ich liebe ihn so sehr. Ich werde ihn immer lieben. Er fehlt mir schrecklich, und ich will nicht ohne ihn leben." "Dann tu es auch nicht. Finde ihn und sag es ihm. Wieder und wieder. Bis er endlich zugibt, dass du die einzige Frau auf der Welt für ihn bist." Jenna sah ihre Schwester nachdenklich an. "Weißt du, ich glaube, du hast Recht." "Natürlich habe ich Recht." Jenna und Lacey einigten sich darauf, das Haus zu verkaufen, und Jenna setzte eine Anzeige für ihr Geschäft auf. Fünf
Wochen später erhielten sie ein gutes Angebot für das Haus. Bald darauf fuhr Jenna ihre Schwester zum Flugplatz. "Du musst dir keine Sorgen mehr um mich machen", sagte Lacey, bevor sie an Bord ging. "Das Haus ist verkauft, und Maria kann sich für eine Weile um das Geschäft kümmern. Ich glaube, es wird Zeit, dass du eine kleine Reise nach Florida unternimmst." Jenna umarmte sie. "Ich werde einen Flug buchen, sobald ich nach Hause komme." "Ich rufe dich an, sobald ich eine neue Wohnung gefunden habe. Und du hältst mich gefälligst auf dem Laufenden, okay?" "Das weißt du doch. Außerdem glaube ich, dass du den Gedanken an Logan nicht ganz aufgeben solltest. Er war in den letzten Tagen ziemlich häufig bei uns, meinst du nicht? Und ganz bestimmt nicht, um mich zu sehen." Lacey strahlte vor Glück. "Ja, er will mich in Los Angeles besuchen, sobald ich eine Wohnung gefunden habe." Sie umarmte Jenna. "Hab ich dir schon gesagt, dass du die beste Schwester bist, die ich je gehabt habe?" "Ja, hast du. Und mach weiter mit dem Malen, damit ich stolz auf dich sein kann." "Versprochen. Ich habe dich lieb, Schwesterherz." "Oh, Lacey, ich dich auch." Am nächsten Tag zeigte Jenna einer Stammkundin gerade einen neuen Gardinenstoff, als die Türglocke klingelte. Mit einem freundlichen Lächeln wandte Jenna sich um, und plötzlich schien die Welt stillzustehen. Es war Mack. Er hatte die Hände in die Taschen seiner sexy Lederjacke gesteckt und sah Jenna an, als ob er sie am liebsten in die Arme gerissen und nie wieder losgelassen hätte. "Jenna?" sagte ihre Kundin, ein dünner Rotschopf mit einem Hang zu Crinkle-Blusen und Silberschmuck. "Jenna? Geht es Ihnen gut?"
"Ja, danke sehr. Würden Sie mich bitte einen Moment entschuldigen?" "Aber natürlich. Lassen Sie sich Zeit." Jenna hörte sie kaum. Sie war schon auf dem Weg zu dem Mann, der noch an der Tür stand. "Mack", sagte sie, und in ihrer Stimme klang alles mit, was Jenna in diesem Moment empfand: ihre Liebe, ihre Sehnsucht, ihre Freude über sein Kommen. Er nahm ihre linke Hand, an dem ihr schlichter Ehering glänzte, und lächelte. Himmel, wie hatte sie nur ohne sein Lächeln leben können? "Du bist also froh, mich zu sehen", sagte er, als ob er es nicht glauben könnte. "'Froh' erfasst es nicht ganz. Es gibt überhaup t kein Wort, das meine Gefühle ausdrücken kann. Ich wollte einfach nur zu dir kommen, Mack." Seine Augen strahlten. "Wirklich?" "Ja, am Montag. Ich bin immer noch deine Frau, Mack. Ich habe die Papiere nicht eingereicht, weil ich jetzt für immer deine Frau bleiben will." "Oh, Jenna", flüsterte er bewegt und zog sie ganz behutsam in seine Arme. Außer der Rothaarigen waren noch zwei weitere Kundinnen im Geschäft. Die eine schnappte schockiert nach Luft, die andere lächelte entzückt. Und der Rotschopf sagte le ise: "Ach wie romantisch." Weder Mack noch Jenna kümmerten sich um sie. Sie küssten sich lange und hingebungsvoll - es war der Kuss zwischen einem Mann und einer Frau, die sich wieder gefunden hatten und die nichts mehr trennen konnte. Schließlich hob Mack den Kopf, hielt Jenna aber immer noch fest an sich gedrückt. "Ich habe es getan, Jenna. Ich bin zu meinen zwei Schwestern gegangen." "Oh, Mack."
"Und sie sind beide sehr nett. Bridget hat drei glückliche, laute Kinder, und Claire ist schwanger mit ihrem ersten Baby. Es ist ein Mädchen. Ich ... na ja, ich dachte, wenn sie es können, kann ich es vielleicht auch." "Was willst du damit sagen, Mack?" "Ich habe immer noch Angst, Jenna, aber ich werde es wagen. Ich möchte eine Familie mit dir gründen. Schließlich prahle ich doch immer damit, dass ich so gern Risiken eingehe. Zwar wird es das größte Risiko von allen sein, aber ich bin jetzt ganz sicher, dass es sich lohnt." Überglücklich schmiegte Jenna sich an ihn. Einige Wochen später erneuerten Mack und Jenna ihren Eheschwur in Florida, an Bord von Macks Yacht. Lacey und Logan waren gekommen, ebenso wie Macks Schwestern mit ihren Familien, und Alec und Lois, und Erin Kettleman mit ihren Kindern. Nach der Zeremonie gingen Mack und Jenna auf ihre zweite Hochzeitsreise. Sie fuhren nach Wyoming, wo Jenna ihre Cousins kennen lernte. Später war sie sicher, dass sie ihr erstes Kind dort empfangen hatte, auf der Ranch, die seit fünf Generationen im Besitz der Bravo-Familie war.
- ENDE -