Draven, die Jägerin Roman von David Burnett Celestine Draven hatte das Gesicht eines Engels und das Aussehen einer Schl...
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Draven, die Jägerin Roman von David Burnett Celestine Draven hatte das Gesicht eines Engels und das Aussehen einer Schlampe! Ihre schlanken Schenkel steckten in hauteng anliegenden Fetzenjeans, und der Stoff des schwarzen Tank-Tops spannte sich wie eine zweite Haut über ihre wohlgeformten Brüste. Das knallrote, zu fingerdicken Dreadlocks verfilzte Haar reichte bis über die Schultern. Das Auffälligste an dem Girl waren die Augen. Sie waren von einem so klaren, intensiven Blau, wie man es nur selten sah. Doch jetzt, da Draven vor der heruntergekommenen Baracke in einer schäbigen Ecke von SoHo stand, veränderten sich ihre Augen plötzlich. Das strahlende Blau verschwand, und die Augen begannen so gelb zu leuchten wie die hoch am Himmel stehende Sonne ... Draven spürte es.
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Sie spürte die Veränderung, spürte, wie die Kräfte in ihr zu wachsen begannen. Ihr ganzer Körper spannte sich und war erfüllt von überirdischer Energie. All ihre Sinne waren viel ausgeprägter als sonst. Zum Beispiel sah und hörte sie ungleich besser. Wenn sie sich konzentrierte, konnte sie selbst die Bewegungen der Ameisen unter ihren Füßen vernehmen. Außerdem nahm sie Gerüche viel intensiver wahr als sonst. Sie roch nicht mehr nur den trockenen Asphalt, die ausgedörrten Büsche und Sträucher und den langsam dahin faulenden Müll, der hier beinahe jede freie Fläche einnahm. Nein, sie roch noch etwas anderes, das sie vorher nicht hatte wahrnehmen können - etwas Altes, Modriges, das ein Gefühl von Übelkeit in ihre erzeugte. Es war der Geruch des Todes! Und dieser Geruch kam aus der Baracke. Von den widerwärtigen Geschöpfen, die darin hausten. Wilde Bestien waren es, Kreaturen der Nacht, die sich vom Blut der Menschen ernährten. Vampire! Draven hatte Übung darin, die Nester dieser Blutsauger aufzuspüren. Und jetzt, da sie ihre innere Veränderung durchlebte, gab es keinen Zweifel mehr. Hier war sie richtig, hier würde sie fündig werden! Die Baracke befand sich auf einem heruntergekommenen, verlassenen Gelände, das bereits vor Jahren aufgegeben worden zu sein schien. SoHo ist schon seit Jahren nicht mehr so schlecht wie sein Ruf - im Gegenteil. SoHo ist glatt und schick geworden, von dem ehemaligen Wohnund Künstlerviertel ist kaum noch etwas übrig. Der Stadtteil hat sich zu einer riesigen Shopping-Mall entwickelt... Aber finstere, verlassene und schmuddelige Ecken fand man hier auch heute noch. In einer solchen Gegend befand sich Draven jetzt. Fern ab von Geschäften und Menschenaufläufen, fern ab jeden Lebens. Weiter hinten standen zwei Planierraupen, zudem gab es einige Baustellenschilder, die jedoch umgekippt waren und langsam vor sich hinrosteten. Das Ganze sah so aus, als hätte man bereits angefangen, das gesamte Gelände dem Erdboden gleichzumachen, um auch hier eine Einkaufsmeile aus dem Boden zu stampfen. Vermutlich aber war den Bauherren bereits in einem sehr frühem Stadium das Geld ausgegangen, und bis sich das änderte - falls es sich jemals änderte - blieb erst einmal alles, wie es war. In dem Gebäude, vor dem Draven stand, war früher einmal eine Bar gewesen. Das bewiesen die noch vorhandenen, wenn auch ziemlich 3
verrosteten Blechwerbeschilder diverser Bier-und Whiskeyhersteller, die über der breiten, verbarrikadierten Holztür hingen. Doch jetzt war hier nichts mehr los, hierher kam niemand mehr, um zu trinken und zu feiern. Das Einzige, das auf dieser Schutthalde noch lebte waren Tiere, allem voran Insekten, dicht gefolgt von Ratten. Vielleicht auch ein paar Obdachlose, wenn sie den Vampiren noch nicht zum Opfer gefallen waren. Sonst war alles tot - oder untot... Draven schnallte ihren Rucksack ab, öffnete ihn und holte zwei Waffen heraus. Es waren Pistolen, von denen eine jedoch eine seltsame, ungewöhnliche Form auf wies. Sie nahm sie, nachdem sie den Rucksack wieder angelegt hatte, in die linke Hand. Die Waffe hatte einen sehr breiten und langen Lauf. Die andere, die sie nun in ihrer Rechten hielt, war eine handelsübliche Ingram Mac-10 Maschinenpistole. So bewaffnet ging sie um die ehemalige Bar herum. An der rechten Seite entdeckte sie ein Fenster, bei dem die morschen Bretterverschläge, mit denen alle anderen Eingänge des Gebäudes notdürftig verbarrikadiert waren, entfernt worden waren. Vermutlich hatten sich ein paar neugierige Kids einen Spaß daraus gemacht, in der alten Bar herumzustromern. Vielleicht hatte aber auch irgendein Kerl nach einigen alkoholischen Überresten gesucht. Wie auch immer, heute lagen nur noch ein paar verdorrte Sträucher als Abdeckung davor, mehr nicht. Sie schaffte das Gestrüpp zur Seite und hatte nun freien Durchgang. Das Fenster war recht schmal, aber schlank und beweglich, wie sie war, hatte sie keine Probleme beim Hineinklettern. Einen Lidschlag später befand sie sich in der Baracke. Durch das von ihr geöffnete Fenster drang helles Sonnenlicht in den ehemaligen Schankraum, in dem der Staub, der sich innerhalb der letzten paar Jahre angesammelt hatte, und den Draven durch ihr Eindringen nun aufgewirbelt hatte, langsam wieder zu Boden schwebte. Auch durch einige Ritzen, die durch die Spalten zwischen den Brettervorschlägen entstanden, fiel der Schein der Sonne und erzeugte auf dem löchrigen Holzfußboden ein schwarzweißes Streifenmuster aus Licht und Schatten. Es war also nicht besonders dunkel. Doch selbst wenn es so gewesen wäre - es hätte Draven in keinster Weise gestört. Sobald ER in ihr erwacht war, konnte sie auch in absoluter Finsternis besser und schärfer sehen als die meisten Mensch im Hellen. Kurz sah sie sich um. Überall war Schmutz und Müll. In einer Ecke stapelten sich Scherben von alten Flaschen und Gläsern und die Trümmer der ehemaligen Einrichtung türmte sich an einer anderen Wand. Die Wände selbst waren feucht und verschimmelt, der Putz war an manchen Stellen 4
komplett abgefallen. Von der früheren Pracht war heute nichts mehr zu sehen. Rechts von ihr standen noch ein Paar Tische und Stühle, die wie durch ein Wunder intakt geblieben waren. Doch bei näherer Betrachtung stellte sich heraus, dass das Holz bereits ziemlich verfault und weich war. Links war der ehemalige Eingang, und wenn sie geradeaus sah, blickte sie auf die alte Theke. Das dahinter stehende Regal war so gut wie leer, und von der verspiegelten Rückwand zeugten nur noch einige Scherben. Ganz hinten erblickte sie eine Tür, die wohl in die ehemaligen Vorratsräume der Bar führten. Sofort setzte sich Draven in Bewegung. Sie atmete kurz durch, als sie vor der Tür stand, dann trat sie sie ohne große Kraftanstrengung aus den Angeln. Die Holztür flog nach hinten weg. Vor Draven befand sich eine schmale Steintreppe, die steil nach unten führte. Die Tür fiel krachend im Untergeschoss zu Boden, wobei sie sich in ihre Bestandteile auflöste. Die Holzwürmer hatten ganze Arbeit geleistet. Wieselflink, aber gleichzeitig sehr achtsam, stieg Draven die ausgetretenen Stufen hinab. Sie gelangte in einen breiten, langen Vorraum, von dem weitere Türen abgingen. Hier unten war es kühl und feucht. Ratten fiepten, fühlten sich von dem uneingeladenen Eindringling in ihr Reich offenbar gestört. In den Ecken hingen fette Spinnen in ihren klebrigen Netzen. Draven lief es eiskalt den Rücken hinab. Sie war eine mutige Frau, 25 Jahre alt und mit allen Wassern gewaschen. Sie bekämpfte Wesen, von denen andere Menschen gar nicht glaubten, dass sie wirklich existierten. Sie hatte etwas in sich, das es eigentlich auch nicht geben durfte und das ihr enorme Kräfte verlieh. Vor nichts auf der Welt fürchtete sie sich. Mit einer Ausnahme ... Spinnen! Sobald sie eines dieser achtbeinigen Biester sah, und sei es auch ein noch so kleines Exemplar, zuckte sie unwillkürlich zusammen und sah zu, dass sie Abstand gewann. So auch jetzt... Sie ging einige Schritte zur Seite und überlegte, wie sie nun weiter vorgehen sollte, als plötzlich die Tür ein Stück weit links neben ihr mit einem Krachen aufflog. Draven wirbelte herum! Aus dem hinter der Tür liegenden Raum stürmte eine große, stämmige Gestalt. Gekleidet war sie wie ein Mensch, ganz normal mit Jeans und TShirt. Vom Äußeren unterschieden sich Vampire nicht von Menschen, das 5
wusste Draven. Gerade das machte diese Kreaturen so gefährlich. Die Gestalt vor ihr hatte den Mund jedoch weit geöffnet, und deutlich waren die zwei langen Eckzähne zu sehen. Also wenn das keins von den Monstern ist, dachte sie. Draven handelte, noch bevor der Vampir etwas tun konnte. Während er vorwärts stürmte, hob sie ihren linken Arm an und ließ es aus der Pistole mit dem breiten Lauf krachen. Ein Holzpflock kam hervorgeschossen und bohrte sich in die Brust des Vampirs. Der Blutsauger riss die Arme hoch und flog einen Meter zurück. Er verlor aber nicht gänzlich den Halt, sondern blieb auf den Beinen. Ein wütendes Knurren entwich seiner Kehle, während er den Pflock mit beiden Händen umfasste und ihn sich ruckartig aus der Brust zog. Herz verfehlt, dachte die Jägerin kalt. Da betätigte sie auch schon den Abzug der Ingram Maschinenpistole. Laut ratternd begann die Waffe, Feuer und Blei zu spucken. Der Kugelhagel traf den Blutsauger in die linke Schulter und fraß sich dann hoch zum Hals. Der Vampir taumelte zurück. Aus seinem wilden Knurren war ein gurgelndes Röcheln geworden. Trotzdem versuchte er, den Kugeln zu entkommen und wieder vorzustürmen. Er hatte keine Chance ... Kein Sterblicher konnte eine auf Dauerfeuer geschaltete Ingram Mac-10 mit nur einer Hand ruhig halten. Kein normaler Sterblicher ... Doch Draven hatte IHN! Sie zog die Pistole nach oben, das Blei stanzte zahllose Löcher in den Schädel des Monsters, und dessen Angriff wurde endgültig gestoppt. Als der Vampir zuckend am Boden lag, hob sie ruhig die Linke, zielte kurz mit der Pflockpistole und schon einen Augenblick später begann das Monster zu verrotten, nachdem das Holzgeschoss sein Herz durchbohrt hatte. Draven hörte ein Geräusch hinter sich, drehte sich um und sah den nächsten Vampir. Er war wesentlich kleiner als der andere und auch schmaler. Gekleidet war er ganz in Schwarz, und die Kleidung sah sehr edel aus. Was macht so ein Schönling in so einer Absteige, fragte sie sich. Ihr war sehr wohl bekannt, dass Vampire so unterschiedlich waren wie Tag und Nacht. Sie hatten verschiedene Kräfte und Fähigkeiten. Auch konnten einige nachts so gut sehen wie ein Mensch am Tage, andere waren blind wie ein Maulwurf und sahen in Dunkelheit nicht einmal die Hand vor Augen. 6
Ganz eindeutig gehörte der Vampir, der nun auf sie zustürmte, letzterer Art an. Denn frühzeitig erkannte Draven, dass ihr in diesem Moment, in dem der Vampir vorgestürmt kam, keinerlei Gefahr drohte. Sie brauchte nicht einmal auszuweichen. Der Vampir verfehlte sie um mindestens einen Meter. Er machte einen Hechtsprung ins Leere und stürzte bäuchlings auf den Boden. Als er lag, war Draven auch schon über ihm und stemmte ihren rechten Fuß in seinen Nacken, sodass er nur noch hilflos zappeln konnte. Da bin ich ja nicht nur an einen Blindfisch, sondern auch noch an einen Schwächling geraten! dachte sie, während sie ihm die Pflockpistole ins Kreuz setzte und abdrückte. Qualvoll hauchte der Blutsauger sein untotes Leben aus. Da riss es Draven von den Beinen! Von hinten hatte sich jemand auf sie gestürzt, riss sie nun mit sich zu Boden, wobei ihr die Maschinenpistole aus der Faust rutschte. Sie schalt sich eine Närrin, dass sie nicht besser aufgepasst hatte, aber daran war jetzt nichts mehr zu ändern. Sie lag auf dem Boden, rollte sich nun aber auf den Rücken und blickte kurz in das Gesicht des Blutsaugers, der sich jetzt erneut auf sie warf und auf ihren Bauch setzte. Sein Gesicht war bleich, die Lippen blutrot, und die selbst für einen Vampir gewaltigen Hauer lang und spitz. Mehr konnte sie nicht erkennen, denn da schoss seine Faust vor, raste auf sie zu. Draven wollte noch den Kopf zur Seite drehen, doch es war zu spät. Hart krachte die Faust auf ihr Gesicht, und Draven hatte das Gefühl, als würde ihr Kopf zertrümmert. Tausend Blitze explodierten vor ihrem Auge, und der Schmerz raste ihr durch den Schädel. Doch sie steckte den Angriff erheblich besser weg, als der Vampir gedacht hatte. Vermutlich war er davon ausgegangen, dass sein Schlag genügte, um sie zur Hölle zu schicken, denn er setzte nicht sofort nach. Draven nutzte diese Chance und schlug zurück. Ihre Rechte schoss vor, verpasste ihm einen Kinnhaken, der ihn etwas zurückwarf, und gleichzeitig drückte sie ihm die Pflockpistole in den Magen. Schießen konnte sie nicht mehr, dazu hätte sie erst nachladen müssen. Mehr als drei Schüsse waren einfach nicht drin. Aber es würde auch so gehen ... Mit übermenschlicher Kraft drückte sie ihm die Pistole so weit in den Leib, dass sie beinahe hinten wieder austrat. Die Fratze des Vampirs verzerrte sich vor Schmerz. Nun ließ Draven ihr rechtes Bein hochschnellen und traf ihn damit an einer Stelle, wo es zumindest menschliche Kerle am meisten schmerzte. Der Vampir flog hoch und über sie hinweg, wobei Draven die Pistole weiter festhielt, sodass sie 7
ihm die Waffe damit auch gleichzeitig wieder aus dem Körper zog. Sie sprang gewandt auf die Beine und wich einige Schritte zurück, um etwas Zeit zu gewinnen. Die Wunde am Bauch des Blutsaugers schloss sich bereits wieder. Hasserfüllt blickte er sie an. »Du dreckige Schlampe kommst hier rein und glaubst, uns alle ausrotten zu können?«, fragte er, und seine Stimme war tief und heiser. Er lachte sarkastisch. »Da hättest du schon eher aufstehen müssen, Hure!« Draven lachte ebenfalls, blieb ganz ruhig. »Zwei von deiner Sorte habe ich immerhin schon erledigt, Blutsauger!« Sie hatte die Worte kaum zu Ende gesprochen, da hob der Vampir beide Arme an. Er führte die Hände zusammen, und plötzlich bildete sich zwischen den Handflächen ein Feuerball. Ehe Draven sich versah, raste dieses lodernde Geschoss mit einer ungeheuren Geschwindigkeit auf sie zu! Sie hatte keine Chance mehr auszuweichen. Doch bevor sie getroffen wurde, begann es plötzlich um ihren Körper herum bläulich schimmernd zu glühen. Von weitem sah es aus, als steckte sie in einem riesigen, glühenden Luftballon. Der Feuerball prallte an diesem blauen Licht ab, explodierte und löste sich in Luft auf. Der Vampir starrte sie mit offenem Mund an. Ganz offensichtlich war er mehr als überrascht, denn damit, dass die Kleine eine Art Schutzschild aufbauen konnte, hatte er ganz sicher nicht gerechnet. Triumphierend grinste Draven. Jetzt war es so weit, das wusste sie. Jetzt war ER voll da, und sie hatte nichts mehr zu befürchten. Ihr Augen wurden heiß, aus dem Gelb wurde rot, und immer heftiger loderte es in den Pupillen. Dann stach Feuer aus ihnen hervor, und diese Flammenzungen fanden ihr Ziel in Dravens Gegner. Das Feuer brannte sich in seine Haut. Der Vampir wirbelte herum, versuchte, den Flammen auszuweichen. Doch wohin er auch floh - sie kamen mit ihm und drohten, ihn zu verbrennen. »Wir sehen uns wieder, Satansbraut!«, schrie der Vampir. Dann erklang ein ohrenbetäubender Donner, und in einer heftigen Explosion verwandelte er sich in eine Ratte ... Jetzt war Draven es, die nicht schlecht staunte. So etwas hatte sie noch nicht gesehen! Natürlich hatte sie davon gehört, aber es wirklich mitzuerleben, war etwas ganz anderes. Die Ratte huschte unter dem zurückgelassenen Kleiderberg hervor und raste fiepend die Treppe hoch. Draven verlor keine Minuten. Blitzschnell ergriff sie ihre 8
Maschinenpistole und jagte hinterher. Sie musste den Nager erwischen, musste ihn und damit den Vampir töten. Sie war der Ratte dicht auf den Fersen, und oben angelangt beobachtete sie, wie das graubraune Tier vorm Fenster hockte und offenbar nicht wusste, was es tun sollte. Draußen schien noch immer die Sonne. »Das wars, du Mistvieh!«, brüllte Draven. Ihre gelben Augen blitzen auf. Die Ratte flüchtete zu dem Haufen mit den verrotteten Möbeln, wollte sich verstecken. Doch es war zu spät. Geleiten Dravens Hand fuhr hoch, richtete die Ingram Mac-10 auf ihr Opfer und drückte ab. Der Vampir, der eine Ratte war, wurde dermaßen zerfetzt, dass nicht einmal Staub übrig blieb. * »Hi Celest, ich bins - dein Schwesterchen! Wo steckst du denn wieder? Wollte nur sagen, dass wir morgen zum Kaffee bei dir eintrudeln. Hoffe, du hast es nicht vergessen! Okay, bis dann, bye!« Es piepte, und der Anrufbeantworter schaltete sich ab. Celestine Draven lächelte erfreut. Natürlich hatte sie wieder einmal vergessen, dass sich Jessica für morgen angemeldet hatte, aber jetzt, wo sie daran erinnert worden war, freute sie sich wie ein kleines Kind. Sie hatte ein gutes Verhältnis zu ihrer vier Jahre älteren Schwester, obwohl - oder gerade weil? - sie sich selten sahen. Sobald Jessica volljährig gewesen war, hatte sie das Haus ihrer Adoptiveltern verlassen und war nach Europa gegangen, genauer gesagt nach London, und dort war sie auch geblieben. Hatte eine gute Arbeit und einen lieben Ehemann gefunden. Heute war sie geschieden und hatte einen 5-jährigen Sohn. Mit der Ehe hatte es einfach nicht mehr geklappt, weil beide beruflich einfach zu angespannt gewesen waren und sich irgendwie auseinander gelebt hatten. Aber sie hatten sich nicht im Streit getrennt. Sie hatten heute noch guten Kontakt zueinander, und Kevin versuchte auch, trotz dieser eher hinderlichen Umstände, sich so gut wie möglich um den gemeinsamen Sohn zu kümmern. Brian ... Wenn Draven an den kleinen Burschen dachte, nahmen ihre stahlblauen Augen einen glücklichen Glanz an. Der Kleine war einfach so süß, wie ein Kind nur sein konnte. Sie hatte ihren Neffen richtig ins Herz geschlossen und freute sich immer sehr, wenn sie Gelegenheit bekam, ihn zu sehen. Sie bedauerte ein wenig, dass sie nur ein Einzimmerappartement hatte, 9
denn so konnten die beiden sie nur besuchen und nicht bei ihr übernachten. Da Jessica aber außerdem noch eine gute Freundin in New York hatte, bei der sie schlafen konnten, brauchten sie sich wenigstens nicht extra ein Hotelzimmer zu nehmen. Draven ging zu ihrem kleinen Schreibtisch, der zwischen Bett und Kleiderschrank stand. Sie hockte sich auf einen einfachen Küchenstuhl und schaltete den PC an. Nachdem er hochgefahren war, öffnete sie eine Datei mit dem Namen »Tagebuch«. Sie scrollte bis zum Ende durch und schrieb das heutige Datum auf die nächste Seite. Darunter: Habe heute wieder drei von diesen elenden Blutsaugern vernichtet. Melde mich heute nacht wieder mit neuen Infos ... Draven schloss die Datei wieder. Ihr Blick fiel auf ein Bild, das in einem einfachen Rahmen neben dem Monitor stand. Es zeigte einen Mann und eine Frau Mitte Dreißig. Sie lachten in die Kamera, waren fröhlich und guter Dinge. Heute waren sie tot. Draven kullerte eine einzelne Träne die Wange hinab. Sie wischte sie mit dem Finger weg, öffnete die Tagebuchdatei ein zweites Mal und las sich noch einmal den allerersten Eintrag durch. * 12. September 1996 Ich weiß, ich habe mich lange nicht gemeldet, aber ich hatte auch viel zu tun, denn es hat sich einiges verändert. Ich bin heute 20 geworden und habe jetzt meine eigene kleine Wohnung. Meine Ausbildung habe ich abgebrochen, wovon meine Eltern gar nicht angetan waren, aber das ist mir egal. Sie sind ja gar nicht meine richtigen Eltern, und ich bin froh, dass ich endlich von ihnen weg bin. Ich gehe jetzt morgens Zeitungen austragen und mache tagsüber noch andere Aushilfsjobs. Davon kann ich leben, und mehr will ich auch gar nicht. Seit einem halben Jahr bin ich jetzt in psychiatrischer Behandlung. Das tut mir gut. Dass meine wirklichen Eltern tot sind, kann ich aber noch immer nicht verwinden. Zumal ich immer noch denke, dass sie anders ums Leben kamen, als alle sagen. Es waren keine einfachen Einbrecher, die sie umgebracht haben, das spüre ich. Und mein Psychiater sagte, dass es durchaus Möglichkeiten gibt herauszufinden, was ich damals erlebt habe. Ich war ja dabei, hat man mir gesagt. Doch ich war erst drei und kann mich an nichts mehr erinnern. Jetzt will ich mich hypnotisieren lassen. 10
Vielleicht hilft das ja. Melde mich wieder, wenn ich Genaueres weiß... * Nick Marvey war ein großer, sehr muskulöser Typ. Er sah aus wie Ende zwanzig, war in Wirklichkeit aber schon über sechzig. Dreißig Jahre davon Vampir, gehörte er längst nicht mehr zu den »Frischlingen«, wenngleich man einen 30-jährigen Vampir keineswegs als alt bezeichnen konnte. Er trug stets elegante Kleidung, machte von außen ordentlich was her, und er genoss sein Dasein in allen Zügen. Was er wollte, nahm er sich, und er hatte kein Problem, dafür über Leichen zu gehen. Es gab viele Vampire, bei denen er nicht sonderlich beliebt war, denn er hielt nichts von einem gemeinsamen Zusammenleben, in dem jeder nicht nur Rechte, sondern auch Pflichten hatte. Er tat nur das, was er wollte, und oft genug legte er auch Freunde gehörig herein. Freunde, das hieß in dem Fall, dass die anderen in ihm einen Freund sahen. Er selbst kannte den Begriff Freundschaft nicht einmal. Er war ein Einzelgänger, wenn ihm jemand von Nutzen war, behandelte er ihn gut. Aber auch nur dann ... Wie viele andere Vampire New Yorks auch, hatte er ein bevorzugtes Lokal, in dem er regelmäßig auf Beutesuche ging - den Club Daemonique. Seiner Meinung nach war dieser Club ideal, um neue Opfer zur Nahrungsaufnahme zu finden. Hier trieben sich die besten menschlichen Geschöpfe in ganz New York herum. Viele junge, gut aussehende Frauen, deren Blut noch frisch und rein war. Es war schon nach zwei Uhr nachts, als Nick auf den Eingang des Daemonique zusteuerte. Keine Menschenseele war hier draußen vor dem Club zu sehen, die Leute waren alle schon drin, und das war gut so, denn so brauchte er nicht erst lange Schlange zu stehen. Einen Augenblick stand er da und betrachtete den Club von außen. Gerade wollte er sich in Bewegung setzen, als sich plötzlich eine Hand auf seine Schulter legte. Nick fuhr herum - und blickte in das Gesicht von Ryder Jackson. Oh Shit! Abgrundtief seufzte Nick. Der hatte ihm gerade noch gefehlt! Ryder Jackson war ein Vampir, vor dem die meisten anderen Respekt hatten. Viel Respekt. Er war uralt. Körperlich vielleicht an die sechzig, klein und schmächtig und gekleidet wie man es oft bei alten Menschen sah: Anzug, Krawatte und Hut, alles kariert und in trostlosen Farben. Sein Gesicht war etwas faltig, und alles in allem wirkte er wie ein alter, harmloser Opa, bei dem es ein 11
Wunder war, dass er überhaupt noch ohne Stock laufen konnte. Aber sein wirkliches Alter ... Auf jeden Fall war der Kerl nicht ohne, und schon oft hatte Nick gehört, dass er verdammt gefährlich werden konnte. So ganz glaubte er das jedoch nicht, und deshalb belächelte er ihn auch eher. Möglich, dass er früher mal eine große Nummer gewesen war - aber heute war der doch nur noch eine Lachnummer, davon war Nick überzeugt. »Was willst du?«, fragte er betont genervt und verdrehte entsprechend die Augen. Jackson verzog keine Miene, nichts war aus seinem Gesicht zu lesen. »Kannst du dir das nicht denken, Marvey?« »Würde ich dann fragen?« »Dann werde ich dir mal ein bisschen auf die Sprünge helfen.« Jacksons Stimme war tief und heiser. »Du hast da gestern einen ziemlich dummen Fehler gemacht. Na, klingelts jetzt?« »Nö. Jedenfalls sehe ich das nicht so, dass ich einen Fehler begangen habe. Aber wenn du darauf anspielst, dass ich mir deine Karre genommen habe auf die hattest du doch ohnehin kein Anrecht!« »Ach, was du nicht sagst?« »Ja, du hast dir den Jaguar doch auch bloß geklaut. Und damit bist du längst nicht der rechtmäßige Besitzer. Also kannst du auch keine Ansprüche geltend machen. Noch nie was von Rechtsprechung gehört, Blödbacke?« Marvey wollte den Knaben provozieren, ihn aus der Reserve locken, um ihm zu zeigen, dass er nicht zu den anderen Idioten gehörte, die vor ihm kuschten. Doch Jackson blieb ruhig und gelassen. So ruhig, dass er es dadurch tatsächlich schaffe, ein mulmiges Gefühl in Marvey aufsteigen zu lassen. Mann, dachte Marvey, dieser Knabe ist schon unheimlich. Sollte ich nicht vielleicht doch lieber ... Ach was, ich bin doch nicht bescheuert!, verscheuchte er den anfänglichen Gedanken wieder. Das ist ein armer Irrer. Der kann mich mal kreuzweise! »Was ist los, Pisser? Hats dir die Sprache verschlagen oder was?«, sagte er deshalb. Jackson sah ihn an. Sein Blick war stechend und vollkommen ausdruckslos. Nichts war darin zu lesen. »Du erweist mir nicht den nötigen Respekt, Marvey«, stellte der ältere Vampir dann fest. Und der Klang seiner Stimme ließ Marvey erneut erschaudern. Doch natürlich zeigte er das nicht! Stattdessen legte er wieder die obercoole Art auf und begann lauthals zu lachen. 12
»Mann, Alter«, sagte er kopfschüttelnd, »du bist echt 'ne Wucht. Also, so was hab ich echt noch nicht erlebt. Was haste denn sonst noch so drauf?« »Nichts, was dir gefallen könnte, Marvey!« »Ach nein?« »Nein. Oder gefiele es dir etwa, in kleine Scheiben geschnitten im Staub zu liegen?« Marvey sah ihn grinsend an. »Mann, du bist der Hit, Alter. Komm her, schlag ein!« Lachend hielt er ihm die Hand hin. Jackson schlug tatsächlich ein, und einen Moment später schrie Marvey auf. Sein Gebrüll übertönte jedoch nicht das Knacken der Knochen. Jackson drückte so fest zu, dass Marveys Hand im wahrsten Sinne des Wortes zermalmt wurde. Als der ältere Vampir losließ, machte Marvey einen Satz zurück und konzentrierte sich. Seine rechte Hand konnte er noch nicht wieder bewegen, aber auch er war - wie die meisten Vampire - in der Lage, Wunden schnell zu heilen. Natürlich war dies nicht unbegrenzt möglich, aber hier klappte es auch, und das war für Marvey im Moment am Wichtigsten. Er spürte, wie die Knochen wieder zusammenwuchsen, und schließlich war seine Hand wieder voll bewegungsfähig. »Du - du bist verrückt!«, stieß Nick Marvey aus. Er war noch immer völlig verdattert, aber langsam fasste er sich wieder. »Kommst dir verdammt toll vor, was? Aber dafür gibts keinen Grund, sag ich dir! Du bist nicht der einzige Vampir mit körperlichen Kräften. Ich bin mindestens ebenso stark wie du!« Mit diesen Worten schnellte sein rechtes Bein zu einem Karatetritt hoch, die Spitze seines Stiefels traf Jackson genau unterm Kinn. Doch der Oldtimer wich nur kurz zurück. Marvey hatte damit gerechnet, dass er nach hinten flog, aber das passierte nicht. Jackson stand da wie ein Baum. »Verdammte Scheiße, dir werd ich es gebe, du Ratte!«, knurrte Marvey und trat erneut zu. Anschließend schossen seine Fäuste vor, gruben sich in Jacksons Gesicht, immer wieder und wieder. Doch sie zeigten ebenso wenig Wirkung wie seine Tritte. Jackson steckte die Schläge einfach so weg und lächelte nur. »Mach ruhig weiter«, sagte er ruhig. Marvey kniff wütend die Augen zusammen. Doch bevor er auch nur einen klaren Gedanken fassen konnte, schlug Jackson zurück. Und wie! Seine Rechte schoss vor und traf Marvey mitten ins Gesicht. Er flog zurück, segelte durch die Luft und kam irgendwo meterweit entfernt auf 13
dem harten Beton zum Liegen. Ein dumpfer Laut entwich seiner Kehle, und da stand auch schon wieder Jackson vor ihm. Sofort war Marvey wieder auf den Beinen. »Okay, Oldtimer, sagte er. »Du bist stark und schnell. Das bin ich auch. Gut, vielleicht bist du stärker, aber das ist auch alles. Keine Ahnung, warum alle anderen dich für einen Gott halten, ich werde jedenfalls nicht...« Marvey verstummte und starrte ins Leere. Urplötzlich hatte sich Jackson in Luft aufgelöst. Da, wo er eben noch gestanden hatte, war jetzt gähnende Leere. Keine Spur mehr von ihm ... Da tippte ihm jemand auf die Schulter. Marvey fuhr herum und sah in das Antlitz von - Ryder Jackson! »Bullshit!«, knurrte Marvey und setzte zu einem weiteren Schlag an. Seine Faust schoss vor, traf jedoch ins Leere, denn erneut löste sich Jackson in Luft auf. Wieder wirbelte Marvey herum, und wieder blickte er anschließend in Jacksons Gesicht. »Jetzt pass mal gut auf, Bürschchen!«, sagte der alte Vampir nun. Seine Stimme klirrte wie Eis. Er streckte den rechten Arm aus. Der Arm wurde länger und länger, wuchs ins Unermessliche, und bald war der Arm mehrere Meter lang. Schließlich konnte Marvey Jackson Hand gar nicht mehr sehen, da sie irgendwo hinter einer Häuserwand verschwand. Aus weiter Ferne erklang ein gellender Frauenschrei, dann wurde der Arm wieder kürzer, schob sich förmlich zusammen. Marvey konnte auch wieder die Hand sehen, doch diese war nicht mehr leer. Die Finger umklammerten den Hals einer jungen Frau. Sie zappelte in dem festen Griff und wurde mit zurückgezogen. Als der Arm wieder seine normale Größe hatte, lockerte Jackson seinen Griff. Die junge, sehr hübsche Frau, deren langes, blondes Haar völlig zerzaust war, ging in die Knie und schnappte röchelnd nach Luft. »Steh auf!!«, befahl Jackson dem Girl. Sie tat, was er verlangte, wobei sie sich mechanisch wie ein Roboter bewegte. »Zieh dich aus und geh dann in den Club!!« Wieder gehorchte sie. Sie wandte sich gerade um, um auf die Tür zuzugehen, als Jackson sie stoppte. »Halt!!«, befahl er. »Zieh dich an und geh um die Ecke!! Wenn du dort bist, wirst du alles vergessen, was hier geschehen ist und nach Hause gehen!!« Nick Marvey wurde noch bleicher, als er ohnehin schon war. 14
Oh, Scheiße!, dachte er, während er Jackson mit weit aufgerissenen Augen ansah. Dann drehte er sich um und rannte los. Er wollte nur weg hier, weg von diesem Kerl! Marvey konnte doppelt so schnell laufen wie ein Mensch. Doch der Vampir, vor dem er davonlief, konnte sich innerhalb von Bruchteilen eine Sekunde von einem Ort zum anderen teleportieren. Und so kam es auch, dass Marvey nicht mal einige Meter hinter sich gelassen hatte, als sich Jackson wieder vor ihm aus der Luft heraus materialisierte und sich ihm in den Weg stellte. Marvey stoppte in der Bewegung. »Bitte!«, sagte er, und es war das erste Mal in seinem untoten Leben, dass er jemanden anflehte. »Bitte, ich ... « Jackson lachte nur. Er lachte so schallend, dass es Marvey durch Mark und Bein ging. »Jetzt hast du Angst, wie?«, fragte der alte Vampir amüsiert. »Aber das brauchst du nicht. Ich werde dich verschonen. Vorläufig ... « Ein leises Donnern erklang, und Jackson verwandelte sich in eine Fledermaus. Sein schallendes Lachen war noch zu hören, als er längst davongeflattert war... Hastig rannte Nick Marvey weiter. Nein, hier wollte er nicht bleiben! Er hatte fast die Straße erreicht, da lief er einer Frau in die Arme. Er zuckte zusammen und musterte die Kleine dann. Sie war groß, hatte rotes Haar und war ziemlich schlampig gekleidet. Aber was war das? Ihre Augen ... Sie leuchteten gelb! Marveys Gedanken rasten. Das ist ER!, dachte er und spürte, wie ihm die Knie weich wurden. Dieser irre Jackson hat sich bestimmt verwandelt! Ja, er hat ein anderes Aussehen angenommen, um - um mich in den Wahnsinn zu treiben, genau! Es gab keinen Hinweis darauf, dass es wirklich stimmte, was er dachte, und trotzdem war die Sache für ihn klar. Er war fest davon überzeugt, dass er Ryder Jackson vor sich hatte ... Da schossen beide Fäuste der Rothaarigen vor, hämmerten mit einer solchen Wucht gegen Marveys Brust, dass der Vampir zurückgeschleudert wurde. Er flog nach hinten und fiel auf den Rücken. Doch sofort war er wieder auf den Beinen. Er stürmte vor und schlug zu, so fest und hart er konnte. »Jackson, du irrer alter Scheißer, ich polier dir deine dämliche Fresse, 15
dass dir Hören und Sehen vergeht!«, brüllte er außer sich. Einen Moment schien die Kleine verwirrt zu sein und wurde zurückgetrieben, dann aber tauchte sie gekonnt unter seinen Schlägen hinweg. Marveys Fäuste trafen ins Leere. Das Mädchen, das er für Ryder Jackson hielt, kam wieder hoch, packte ihn am Kragen und hob ihn hoch, sodass er mit den Zehenspitzen nicht einmal mehr den Boden berühren konnte. Dann schleuderte sie ihn senkrecht nach oben. Er flog hoch wie eine Rakete und ruderte dabei verzweifelt mit den Armen. Seine Gedanken schlugen wahre Purzelbäume. Er wusste gar nicht mehr, was los war, kam sich vor wie in einem Traum. Alles spielte sich irgendwo in weiter Ferne für ihn ab, so, als ob er nur ein unbeteiligter Zuschauer wäre. Sein Flug nach oben ging rasend schnell. Alles in allem vergingen nur wenige Sekunden, bis er wieder nach unten stürzte, doch für ihn dehnte sich diese Zeitspanne wie Kaugummi, und Augenblicke wurden plötzlich zu einer Ewigkeit... Er kam mit den Füßen voran auf dem Asphalt auf, verlor dann aber das Gleichgewicht und kippte nach hinten weg. Kaum, dass er auf dem Rücken lag, hockte auch schon die Rothaarige - handelte es sich bei ihr wirklich um Jackson in einem anderen Körper? - über ihm. Plötzlich schossen Flammen aus ihren Augen, und Ziel dieser Flammen war Nick Marvey. Der Vampir hatte keinen Zweifel mehr, dass sein letztes Stündlein geschlagen hatte ... * Bruce Darkness hielt einen ziemlich süßen Leckerbissen in den Armen! Die Kleine war groß, schlank, mit prächtigen Rundungen, und ihr schwarzes, langes Haar duftete exotisch. Er hatte sich mit ihr in eine ruhige Ecke des Clubs Daemonique zurückgezogen. »Heute scheint mein Glückstag zu sein, dass ich an einen so tollen, starken Kerl wie dich geraten bin!« Sie schmiegte sich eng an seine starke Brust, und Bruce hatte seine Arme um ihren Rücken gelegt. Er roch ihr süßes Blut. Sein Mund näherte sich ihrem Hals, langsam und gleichzeitig doch so ungeduldig. Ihr Haut schmeckte gut, und jetzt konnte Bruce nicht länger warten. Er biss zu, und seine spitzen Eckzähne gruben sich in ihren schlanken Hals. Sie schrie laut auf, doch es war kein Schrei des Schmerzes, denn Schmerz 16
verspürte sie gar nicht, das wusste Bruce. Sie befand sich in einem Zustand höchster Ekstase, in einem Rausch, der noch heftiger wurde, als der Vampir begann, von ihrem Blut zu kosten. Es schmeckte herrlich. Sehr süß, und gleichzeitig würzig. Ein wirklicher Leckerbissen, so, wie er es erwartet hatte. Er saugte weiter, genoss das pulsierende Blut in vollen Zügen. Als er von ihr abließ, sackte sie zusammen. Er ließ sie auf einen Sitz gleiten und sah sie noch einen Moment an, wie sie mit geschlossenen Augen zusammengesackt auf dem Stuhl saß. Wenn sie später aufwachte, würde sie sich nicht an den Vampirbiss erinnern können, das wusste er. Die Opfer gerieten während dieses Vorganges in einer Art sexuellen Rausch, und hinterher wussten sie nur noch, dass da vorhin noch jemand gewesen war. Sterben würde sie wohl kaum. Dafür hatte er bei weitem nicht genug von ihrem Blut getrunken. Warum sollte er sie auch umbringen. Das machte hinterher das Aufräumen nur viel komplizierter. Die Kleine - Bruce fiel gerade auf, dass er nicht einmal ihren Namen kannte - würde etwas wackelig auf den Beinen sein, weil ihr Blutdruck natürlich nicht mehr in Ordnung war, aber sonst ... Der Vampir Bruce Darkness hielt nichts davon, seine Opfer umzubringen. Er wusste zwar, das es seinesgleichen gab, deren Hauptmahlzeit immer verstarb, aber das war nichts für ihn. Er brachte nur Leute um, wenn er einen Grund dafür hatte - wenn sie ihn blöd anmachten oder so ... Bruce verließ den Raum und ging in Richtung Ausgang. Dazu musste er die Tanzfläche überqueren. Er quetschte sich durch die rhythmisch zur Musik zappelnden Leiber, wobei er die unterschiedlichsten Gerüche wahrnahm. Einige der Menschen rochen nach Aftershave, andere nach teurem Parfüm, wieder andere nach Deo oder auch nach Schweiß. Auch Alkoholdunst und Zigarettenqualm schlugen ihm entgegen. Bruce erreichte den Ausgang. Er trat an die frische Luft und stand einen Moment in der Dunkelheit da. Richtig dunkel war es allerdings nicht, denn der Mond war in dieser Nacht voll und bedeckte das Areal mit silbernem Glanz. Er verkehrte nicht unbedingt regelmäßig im Daemonique, aber hin und wieder schon, denn in dem Schuppen trieben sich immer wirklich ansprechende Leckerbissen herum. Das letzte Mal war er vor ein paar Monaten hier gewesen, und da hatte es einigen Ärger gegeben. Er war von einem Mädchen in den Hinterhof gelockt worden. Da hatte sich die Kleine als Vampirjägerin entpuppt, und ihre Komplizen hatten auch schon auf ihn gewartet. 17
Bruce ging weiter und erreichte den Platz in der Nähe der Straße, wo er seine Harley abgestellt hatte. Er wollte gerade aufsteigen, als er seltsame Laute hörte. Es klang, ob irgendwo ganz in der Nähe ein Kampf stattfand. Der große, durchtrainierte Vampir mit dem schwarzen Haar blickte in alle Richtungen. Dort! Da vorn waren zwei Gestalten - und eine der Gestalten flog gerade senkrecht in die Luft! Bruce stürmte los. Er war weit schneller als ein Mensch, und so vergingen nur wenige Augenblicke, bis er den Ort des Geschehens erreichte. Inzwischen war der fliegende Kerl zu Boden gegangen, und seine Gegnerin hatte sich auf ihn geworfen. Den Typ, der am Boden lag, kannte er. Es war Nick Marvey, ein New Yorker Vampir. Die Person, die auf ihm lag und ihn zu Boden presste, war eine Frau, die Bruce nie zuvor gesehen hatte, aber das spielte jetzt auch keine Rolle, denn allein die Tatsache, dass Marvey sich von einer Frau fertig machen ließ, machte sie sehr interessant. Marvey war stark, stärker als jeder Mensch. Und er war auch stärker als mancher Vampir - wenn auch natürlich nicht so stark wie Bruce. Und das ließ nur einen Schluss zu: Das rothaarige Girl konnte kein normaler Mensch sein! Die aus den gelb leuchtenden Augen der Frau hervorschießenden Flammenzungen bestätigten die Vermutung. Bruce ließ sein rechtes Bein vorschnellen. Die Spitze seines Motorradstiefels krachte gegen die Wange der Unbekannten. Das Girl flog zur Seite. Doch sofort federte sie wieder hoch und raste auf Bruce zu. Ihre Augen leuchteten noch immer gelblich, was den Vampir ein wenig irritierte, und da schossen auch schon ihre Fäuste vor. Sie hämmerten gegen Bruces Gesicht und seine Brust. In unglaublich kurzen Abständen, unglaublich schnell, immer wieder und wieder. Wie die Salve eines Maschinengewehrs trafen ihn die ungeheuer harten Schläge. Bruce taumelte nach hinten, drohte umzukippen, doch noch gelang es ihm krampfhaft, sich auf den Beinen zu halten. Aus den Augenwinkeln sah er, wie Marvey wieder hochkam und sich auf das Mädchen - oder was auch immer - stürzen wollte. Doch ehe er sie erreichte, wirbelte sie herum und verpasste ihm einen Tritt, dass er wieder nach hinten flog. Doch jetzt war Bruce es, der seine Fäuste sprechen ließ. Seine Rechte grub sich in ihr Gesicht, die Linke in ihre Magengegend, und dann wieder die Rechte. 18
Der Schlag saß! Er traf die Rothaarige genau unters Kinn, und die Wucht des Schlages ließ sie abheben. Ihr Kopf war in den Nacken geschleudert worden, und sie flog nach hinten. Das wars wohl, dachte Bruce. Um dann verblüfft zu beobachten, wie sie ihren Rückwärtssturz in einen Salto verwandelte. Sicher landete sie auf beiden Füßen, federte kurz in den Knien durch und schoss dann wieder auf den Vampir zu. Mit einem wilden Kampfschrei ließ sie ihren Stiefel mit solcher Kraft gegen Bruces Brust krachen, dass der Vampir glaubte, sie hätte ihm den Brustkorb zerquetscht. Gleich darauf ein Schlag gegen sein rechtes Auge und ein weiterer Tritt in den Magen. Bruce taumelte zurück. Marvey kam wieder von hinten, und als er sie erreichte, war auch Darkness schon wieder sicher auf den Beinen. Jetzt nahmen sie die Rothaarige in die Zange. Sie duckte sich unter Bruces Hieb weg, wurde dafür aber von einem gemeinen Tritt Marveys getroffen, oder zumindest gestreift. Aus ihrer Kehle erklang nun ein unmenschliches Knurren. Sie packte Marvey am Gürtel und, als wäre er ein Kleinkind, hob sie den Vampir in die Luft und warf ihn meterweit von sich. Bruce musste sich vor dem zappelnden Geschoss abducken. Als er sich wieder aufrichtete, empfing ihn das fremde Mädchen mit einem Tritt an die Kinnspitze. Bruce wurde herumgeschleudert und fiel auf den harten Asphalt. Marvey war von der Fremden auf die Straße geworfen worden. Genau in dem Moment kam ein Yellow Cab, eins der allgegenwärtigen New Yorker Taxis, angefahren, und er krachte auf die Windschutzscheibe. Es klirrte. Reifen quietschten. Der Wagen brach aus, kam von der Straße ab und prallte schließlich gegen einige geparkte Motorräder. Marvey war mittlerweile auf der Straße zum Liegen gekommen, schnellte jetzt aber hoch, sah sich hektisch um - und rannte davon. Einen Moment staunte Bruce, denn er hatte Marvey immer für jemanden gehalten, der niemals vor etwas davonlaufen würde. Aber die Rothaarige war ihm wohl doch eine Nummer zu groß. Bruce wirbelte herum, wandte sich seiner Gegnerin zu. Im Gegensatz zu Marvey war er gerade erst warm geworden. Doch das Girl war verschwunden. Auch Bruce machte sich rasch aus dem Staub. Erstens würde es wegen des Unfalls mit dem Taxi gleich auf der Straße nur so von Menschen wimmeln, und zweitens wollte er sehen, ob er noch irgendwo eine Spur von 19
der Rothaarigen fand. Doch die Kleine war wie vom Erdboden verschluckt... Resigniert gab Bruce auf und dachte erst mal darüber nach, mit wem er es da eigentlich zu tun gehabt hatte. Dass die Frau kein normaler Mensch sein konnte, lag auf der Hand. Solche Kräfte hatte kein Mensch der Welt. Das war unmöglich. Ein Dämon? Als wenn ich in letzter Zeit nicht genug von denen plattgemacht hätte!, dachte Bruce. Aber ob dem tatsächlich so war? Die anderen Dämonen, die er in New York gesehen hatte, war ihre Herkunft deutlich anzusehen gewesen. Es schien also unwahrscheinlich, dass es so ein Höllenvieh war. Außerdem war es Zeitverschwendung, darüber nachzudenken. Dafür wusste er nicht genug. Das Piepen seines Handys riss ihn jäh aus seinen Überlegungen. Er kramte es aus der Innentasche seiner schwarzen Lederjacke - schwarz war seine bevorzugte Farbe -, drückte auf den entsprechenden Knopf und meldete sich. Als hörte, wer da am anderen Ende der Leitung war, machte sein Herz nicht gerade einen Freudensprung. Katrina Stein! Es war immer so, dass die politischdiplomatische Beraterin sich genau dann bei ihm meldete, wenn ihm gerade überhaupt nicht der Sinn nach ihr stand. Manchmal glaubte er, sie könne spüren, wann sie ihn wirklich störte, und das nutzte sie dann auch aus, um ihn bewusst zu ärgern. Aber eigentlich, dachte er, nervt die verwöhnte Ziege immer. »Ob es dir nun passt oder nicht, Bruce«, sagte sie, nachdem er mit betont genervter Stimme gefragt hatte, was sie von ihm wolle, »aber du sollst sofort beim Baron erscheinen.« »Bin schon da«, erwiderte Bruce und beendete die Verbindung. Gleich darauf machte er sich auf den Weg. * »Ja, doch, Officer. Es ist genau so, wie ich gesagt habe! Die Puppe hat den Kerl einfach durch die Gegend geschleudert. Ob Sie es glauben oder nicht. Das habe ich mit eigenen Augen gesehen!« Der Officer, ein großer, stabiler Mann Anfang Fünfzig, schüttelte ungläubig den Kopf. Ihm war deutlich anzusehen, dass er sein Gegenüber für einen Spinner hielt, und irgendwie konnte Eddie Smith ihm das auch 20
nicht verdenken. Wie jede Polizei der Welt hatte auch das NYPD es ständig mit irgendwelchen Durchgeknallten zu tun. Aber Eddie war nun mal kein Irrer. Was er gesehen hatte, hatte er gesehen, auch wenn es einfach unglaublich war! Zu unglaublich, um wahr zu sein. Dass es der Wahrheit entsprach, ließ ihn selbst an seinem Verstand zweifeln. »Und was soll dann passiert sein?«, wollte der Officer wissen, wobei er sich ein leicht genervtes Seufzen nicht verkneifen konnte. Eddie machte eine alles umfassende Handbewegung. »Ja, der Typ flog halt durch die Luft und schlug genau auf meiner Windschutzscheibe auf. Sehen Sie sich doch meinen Wagen an!« Zwar hatte der Officer das bereits getan, und das Yellow Cab wies tatsächlich beachtliche Schäden auf, die eigentlich seine Behauptungen untermauerten, aber trotzdem sah er jetzt noch einmal genauer hin. Mit dem Handrücken wischte sich Eddie den Schweiß von der Stirn. Der 28-jährige Taxidriver war ein flippiger Typ, worauf auch sein Äußeres schon hindeutete: weites Hawaii-Hemd, schlabberige, ausgebeulte Hose und ziemlich langes, zotteliges Haar. Eigentlich war Eddie jemand, der alles auf die leichte Schulter und nichts so richtig ernst nahm, nur selten brachte ihn etwas aus der Ruhe. Jetzt war nach langer Zeit mal wieder so ein Fall eingetreten. Er ließ er alles auch noch einmal vor seinem inneren Auge passieren, einfach, weil er es selbst nicht fassen konnte. Eddie war zum Club Daemonique gefahren, weil er in der Nähe einen Fahrgast abgesetzt hatte und nun hier auf neue Gäste warten wollte. Noch während der Fahrt hatte er die drei Gestalten gesehen. Eine Frau mit auffällig rotem Haar und zwei Männer. Die Drei hatten sich eine Prügelei geliefert, so was hatte Eddie noch nicht gesehen. Das hatte ausgesehen wie Kampfszenen in dem Film Matrix. Und dann hatte die Frau einen der beiden Männer hochgehoben und ihn einfach so durch die Luft geschleudert. Ein Kerl wie ein Baum, und es hatte ausgesehen, als würde er nichts wiegen. Der Typ landete dann genau auf der Windschutzscheibe von Eddies Wagen. Er prallte ab, wurde wieder hochgeschleudert und landete schließlich auf der Straße. Und dann war der Irre einfach aufgestanden und weggelaufen! Eddie hatte es nicht fassen können. Auch der andere Typ und die Frau waren weggelaufen. Das hatte er noch beobachten können - aber erst nachdem er mit seinem Taxi in ein gutes Dutzend Motorräder gedonnert war Irgendjemand hatte die Polizei gerufen, und nun versuchte er, den Officer 21
davon zu überzeugen, dass er die Wahrheit sagte ... »Sehen Sie sich doch meinen Wagen an«, sagte Eddie nun. »Das zeigt doch alles!« Der Officer wiegte den Kopf und winkte dann ab. »Da kann theoretisch sonst was passiert sein.« Er legte grübelnd die Stirn in Falten. »Also, Fakt ist, dass der Mann, der Ihnen angeblich auf den Wagen gefallen ist, hier nirgendwo liegt ... « »Kann er ja auch nicht!« Eddie verzog die Miene. »Ich sagte doch schon, dass er weggerannt ist. Wie soll er dann hier noch liegen, hä?« »Und wie soll einer nach einem solchen Sturz noch rennen können? Und was ist mit den anderen? Wo sind die?« »Auch weg!«, gab Eddie gereizt zurück. »Hab ich doch alles schon gesagt. Meine Fresse, glauben Sie etwa, die Puppe, die die Typen durch die Gegend geschleudert hat, wartet hier noch seelenruhig auf die Polente?« Der Officer nickte. »Also gut, wir nehmen das jetzt so auf, und dann sehen wir weiter.« »Aha. Und was ist mit dem Cab? Wer bezahlt mir die Scheiße?« »Derjenige, der den Schaden verursacht hat.« »Ach? Und wenn ihr die nicht findet?« Der Officer hob die Schultern, und Eddie unterdrückte einen Fluch. Eines stand fest: Das war heute definitiv nicht sein Tag! * Bruce Darkness erreichte das Empire State Building in weniger als zehn Minuten. Dieses 1931 fertig gestellte 381 Meter hohe Gebäude war in nur neun Monaten gebaut worden. 73 Aufzüge bewegen sich durch Schächte von insgesamt 11 Kilometern Länge. Einer dieser Fahrstühle brachte den Vampir nun mit rasender Geschwindigkeit in nicht einmal einer Minuten in den 85. Stock. Er betrat die gedämpft beleuchtete Eingangshalle der Chefetage, wo ihn Katrina Stein bereits erwartete. Wie immer sah sie einfach hinreißend aus. Sie trug ein schwarzes, langes Kostüm, das jedoch einen beachtlichen Ausschnitt aufwies. Überhaupt war sie der Typ Frau, auf den Männer abfuhren - zumindest Männer wie Bruce. Er verzog das Gesicht. Wenn nur ihr mieser Charakter nicht wäre. Sie war ein Vamp, mit schwarzem Haar und großen, dunklen Augen, in denen es stets leicht funkelte. Außerdem besaß sie große Macht. Wie groß, das hatte Bruce erst vor kurzem am eigenen Leib erfahren. Er hatte sie davor gerettet, geopfert zu werden. Als er dann einen kleinen 22
Rückschlag erlitten hatte, als er die Dämonin Tyria bekämpft hatte, da hatte er plötzlich das überwältigende Verlangen gehabt, ihr die Füße zu küssen. Tatsächlich hatte sie damit sie beide vor der Dämonin gerettet, die auch in die Knie gegangen war. Bah! Ihm wurde immer noch schlecht, wenn er daran dachte, dass sie ihn gerettet hatte. Selbstgefällig lächelte sie ihn an. »Na, ist der junge Herr Vizepräsident schon aufgeregt?«, fragte sie. »Aufgeregt?« Der Vampir hob ratlos die Schultern. »Warum sollte ich aufgeregt sein?« »Na, du wirst dir doch wohl denken können, dass es nur einen Grund geben kann, weshalb dich der Baron zu sich zitiert hat.« »Ach? Und der wäre?« »So genau weiß ich das natürlich auch nicht, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass es erfreulich für dich wird. Vermutlich hast du wieder mal was angestellt und bist nun deinen Posten als sein Stellvertreter los.« »Warum so bösartig. Es ist noch gar nicht so lange her, da hast du dich tierisch gefreut, mich zu sehen.« »Zu dem Zeitpunkt muss ich wohl geistig umnachtet gewesen sein.« »Bist du das nicht immer?«, fragte Bruce. »Nur wenn ich dich sehen muss.« »Ah«, machte Bruce, »du bist also verrückt nach mir.« »Von dir, Bruce. Ich bin verrückt von dir. So viel schlechter Geschmack und demonstrative Blödheit muss einen ja in den Wahnsinn treiben. Darauf hatte er jetzt keine gute Antwort und grummelnd ging er an ihr vorbei und betrat gleich darauf das Büro seines Bosses. Der Raum war voll von Gegensätzen. Da gab es einen schnörkelig verzierten, altmodischen Schreibtisch, auf dem Computer-Monitore, Faxgeräte und Drucker standen, und in einem altertümlichen Regal standen Dutzende leinengebundene alte Bücher. Boris Baron von Kradoc stand hinter seinem Stehpult und sah auf, als Bruce hereinkam. Sobald er seinen jungen Stellvertreter erblickte, umspielte ein feines, nur schwer erkennbares Lächeln seine Lippen. Uff, doch kein Anpfiff, dachte Bruce. Ich sollte mich von Katrina nicht jedes Mal verunsichern lassen. Blöde Schlampe! »Tritt näher, Bruce!«, forderte der Baron den jungen Vampir auf. Bruce kam der Aufforderung seines Chefs nach, bis er direkt vor ihm stand. Der Baron war nur etwas kleiner als Bruce. Sein schwarzes Haar war mit grauen Strähnen durchsetzt und fiel ihm bis über die Schultern. Wie immer trug er Kleidung aus dem 18. Jahrhundert, heute ein weinrotes 23
Rüschenhemd und einen schwarzen Gehrock. Wer den Baron sah, mochte ihn für einen Verrückten halten, einen psychisch Kranken, der glaubte, in der Vergangenheit zu leben. Darauf, dass der Baron der mächtigste Mann von New York war, kam wohl niemand, der ihm nicht persönlich gegenüberstand. Die Ausstrahlung der Macht, die Kradoc umgab, war gewaltig. Der Baron regierte sein Imperium mit eiserner Hand. Er tat alles, um seine Interessen durchzusetzen. Seine Mitarbeiter zollten ihm den größten Respekt, und wenn nicht, dann war Bruce ja da, um sie daran zu erinnern. Und obwohl er der Kopf eines gigantischen Imperiums war, das nicht nur Firmen, sondern auch Behörden beeinflusste, war er in der Öffentlichkeit völlig unbekannt. »Wir haben ein Problem, Bruce«, sagte Kradoc nun und kam ohne Umschweife zur Sache: »Mir ist zu Ohren gekommen, dass es sich eine noch unbekannte Person zur Aufgabe gemacht hat, den Kampf gegen uns Vampire aufzunehmen. Das Warum ist noch unbekannt, aber diese Sterblichen handeln ja häufig genug nicht nachvollziehbar. Jedenfalls verfügt diese Person über außerordentliche Kräfte, scheint aber kein Dämon zu sein. In den letzten Tagen sind mehr als ein halbes Dutzend meiner Leute durch diese Person ausgelöscht worden. Tom Sullivan, du kennst ihn, glaube ich, nur flüchtig, hat eine Begegnung mit dieser Killerin überlebt, konnte sie aber auch nicht überwältigen. Und er sagt aus - du wirst es gerade schon herausgehört haben - dass es sich bei der Person um eine Frau handelt.« Bruce nickte und konnte sich ein wissendes Grinsen nicht verkneifen. »Rotes Haar und gelb glühende Augen?«, fragte er lauernd. Überrascht sah der Baron ihn an. »Genau das hat Sullivan ausgesagt, ja. Woher ... « »Ich kenne noch zwei Vampire, die einen Zusammenstoß mit der Killerin überlebt haben«, erklärte Bruce, noch bevor der Baron ausgesprochen hatte. »Nämlich?« »Der eine ist Nick Marvey, der andere bin ich!« »Was genau ist passiert, Bruce?«, wollte der Baron wissen, und Bruce erstattete ausführlich Bericht. »Sie kann kein normaler Mensch sein«, fügte er hinzu, nachdem er geendet hatte. »Ein Mensch verfügt nicht über derartige Kräfte, so stark kann er einfach nicht sein. Außerdem war da ja noch das gelbe Leuchten in ihren Augen.« Bruce blickte seinen Herrn erwartungsvoll an und sah, dass dessen Gesicht einen sehr nachdenklichen Ausdruck angenommen hatte. Als der Baron nichts sagte, fuhr Bruce fort. »Jedenfalls bin ich mir sicher, 24
dass sie dämonische Kräfte in sich hat, daran gibt es für mich keinen Zweifel. Ich stand ihr gegenüber, ich habe mit ihr gekämpft und ich spürte ihre Aura. Ich weiß, wovon ich rede, Herr.« »Es gibt mehr Dinge zwischen Himmel und Erde, als du glauben würdest ... Aber du magst Recht haben.« Kradoc verstummte einen Moment. Dann sah er Bruce direkt in die Augen. »Wir sollten keine Zeit verlieren«, sagte er mit leiser, ruhiger Stimme. »Diese Frau ist ein Problem. Beseitige es!« »Ja, Herr!« Bruce nickte entschlossen, deutete eine Verbeugung an und verließ daraufhin das Büro seines Bosses .. * Aus dem Tagebuch der Celestine Draven 17. Januar 1997 Wieder habe ich mich lange nicht gemeldet. Aber ich musste das alles erst einmal verarbeiten. Was ich erfahren habe, ist so unglaublich, dass ich es fast nicht glauben kann. Ich habe mich hypnotisieren lassen, um zu erfahren, was damals wirklich geschehen ist. Tatsächlich weiß ich es nun, aber ich kann es noch immer nicht glauben. Obwohl - jetzt, da ich es weiß, bin ich mir fast sicher, mich tatsächlich erinnern zu können. Ich war in dieser Nacht mit meinen Eltern allein im Haus. Meine Schwester war im Sommercamp und würde erst am nächsten Wochenende zurückkehren. Mum und Dad saßen im Wohnzimmer und schauten eine Quizshow, ich habe oben in meinem Zimmer geschlafen. Jedenfalls hätte ich schlafen sollen, doch ich habe noch heimlich gespielt. Das habe ich früher oft gemacht, weil ich so schlecht einschlafen konnte. Wenn Mum und Dad mich dabei erwischten, schimpften sie immer mit mir. Doch in dieser Nacht erwischten sie mich nicht. Und plötzlich - ja, ich weiß es wieder ganz genau -, plötzlich habe ich ein lautes Geräusch gehört. Das Klirren einer Scheibe. Ich habe mich schrecklich erschrocken. Dann waren laute Stimmen zu hören gewesen, und ich wollte mich erst verstecken. Doch dann hatte ich Angst um Mum und Dad, deshalb schlich ich leise aus meinem Zimmer und kniete mich ans Treppengeländer. Von dort aus sah ich in der Diele zwei fremde Gestalten. Es waren ein Mann und eine Frau. Die Frau war wunderschön, wie eine Fee aus den Märchen, die mir Mum immer vorlas. Der Mann war groß und stark. Und dann kamen meine Eltern aus dem Wohnzimmer. Der fremde Mann hat meine Mum umarmt. Er hatte ganz spitze Zähne, 25
mit der er ihr in den Hals gebissen hat. Daddy wollte den Mann von ihr wegreißen, doch die Frau hat ihn gepackt und gegen die Wand geschleudert. Dann hat sie ihren Mund weit aufgemacht, und sie hatte auch diese lange Eckzähne. Damit hat sie dann Dad gebissen. Mehr weiß ich nicht, denn vor lauter Angst bin ich zurück in mein Zimmer gelaufen und habe mich unter dem Bett versteckt. Ich habe mir die Augen zugehalten und gewartet. Einfach nur gewartet und gehofft, dass alles gut wird .. * Celestine Draven schloss die Augen. Oft las sie in ihrem Tagebuch. Es machte sie jedes Mal furchtbar traurig ... Aber vor allem machte es sie wütend. Immer, wenn sie darin las, steigerten sich ihre Wut und ihr Hass ins Unermessliche. Ihr Hass gegen Vampire! Diese gottverdammten Bestien hatten ihre Eltern getötet, und seit Draven dies wusste, hatte sie sich geschworen, ihr Leben nur einer einzigen Aufgabe zu widmen: diese elenden Blutsauger zu vernichten! Die junge Frau zündete sich eine Zigarette an und sog den Rauch tief ein. Durch die Nasenlöcher ließ sie den blauen Dunst wieder ausströmen, und die Schwaden stiegen nach oben und verteilten sich an der Zimmerdecke. Sie dachte zurück an das, was vorhin passiert war. Sie hatte einen dieser Blutsauger aufgespürt, doch es war ihr nicht gelungen, diese Bestie zu vernichten, denn ein anderer war ihm zu Hilfe geeilt. Zwar hatte sie auch den ganz schön vermöbelt, und sie hätte beide vernichten können, da war sie sich sicher. Aber auf der Straße war es einfach zu belebt geworden, nachdem sie eines der Monster gegen ein heranfahrendes Taxi geschleudert hatte. Deshalb hatte sie es vorgezogen, sich aus dem Staub zu machen. Angestrengt dachte Braven nach. Es passte ihr überhaupt nicht, dass die beiden Blutsauger noch lebten, und irgendwie bereute sie schon wieder, dass sie sie hatte entkommen lassen. Doch ihr war natürlich klar, dass sie aufpassen musste. Sobald sie nicht mehr allein mit ihren Gegnern war, musste sie wohl oder übel verschwinden. Dabei ging es ihr nicht nur darum zu vermeiden, die Aufmerksamkeit der Leute auf sich zu ziehen und womöglich noch von jemandem erkannt zu werden. Nein, viel wichtiger war ihr, niemanden zu gefährden. Sie wollte nicht, dass durch ihr Verschulden ein Mensch verletzt oder gar getötet wurde. Und wenn sie, umgeben von Menschen, mit Vampiren kämpfte, konnte so etwas 26
sehr schnell geschehen ... Doch andererseits hatte sie jetzt zwei Vampire entkommen lassen, und für sie stand fest, dass diese elenden Blutsauger als Nächstes dran glauben mussten! Nicht irgendwelche anderen, das reichte ihr nicht. Sie wollte mehr. Sie wollte genau die, die ihr entkommen waren. Das hatte etwas mit Stolz zu tun. Sie hatte mit zwei Vampiren gekämpft, und es ihr nicht gelungen, sie sofort zu vernichten. Das machte ihr zu schaffen. Sie wurde kribbelig und konnte nur noch daran denken, diese Bestien zur Hölle zu jagen. Draven stand auf und ging zu einem kleinen Schrank. Aus diesem nahm sie einen Koffer hervor, öffnete ihn und begutachtete fachmännisch die Gegenstände, die darin lagen. Es waren Waffen. Jede Menge Waffen. Messer, Pistolen, Holzpflöcke und sogar eine zusammenlegbare Armbrust. Diese Waffen waren ihre Helfer im Kampf gegen die Geschöpfe der Nacht, und sie hatten ihr schon oft gute Dienste erwiesen. Draven dachte zurück. Damals, nachdem sie herausgefunden hatte, dass ihre Eltern von Vampiren getötet worden waren, hatte sie Nachforschungen angestellt. Natürlich hatte sie zunächst gar nicht glauben wollen - nicht glauben können - was sie durch die Hypnose erfahren hatte. Vampire! So etwas gab es nicht! Konnte und durfte es nicht geben! Es waren Wesen, die nur in Horrorfilmen und Ammenmärchen eine Existenzberechtigung hatten. Davon war sie bis zu ihrer Hypnose so fest ausgegangen, wie die meisten Menschen. Doch irgendwie spürte sie tief in ihrem Innern, dass ihre Eltern tatsächlich nicht von Menschen getötet worden waren. Sie hatte sich dann eingehend mit diesem Thema befasst, und je mehr sie darüber erfuhr, desto mehr wuchs ihre Überzeugung, das diese Monster tatsächlich existierten. Durchs Internet hatte sie schließlich einen Mann kennengelernt, der ihr noch mehr über diese Wesen erzählen konnte. Bald schon hatte sie sich persönlich mit ihm getroffen. Nach diesem Gespräch hatte Draven dann sämtliche Zweifel über Bord geworfen. Dieser Mann, Steward Carter, wusste genau, wovon er sprach. Draven konnte sein Alter nur sehr schwer schätzen, doch sie ging fest davon aus, dass er die Siebzig längst überschritten hatte, Er hatte sein Leben dem Kampf gegen Vampire gewidmet, und er suchte einen Menschen, der diese Aufgabe nach seinem Ableben fortführte, denn ihm war klar, dass er nicht mehr viel Zeit hatte. 27
Und er glaubte, diesen Menschen in Celestine Draven gefunden zu haben! Warum und weshalb, das war der jungen Frau selbst ein Rätsel gewesen, denn sie hatten sich zuvor ja gar nicht gekannt. Aber er behauptete, er habe sofort gespürt, dass sie die Richtige war. Als er ihr alles beigebracht hatte, was er über Vampire wusste, hatte er sie auf die Jagd mitgenommen. Es war schrecklich gewesen. Der Vampir, den sie aufgestöbert hatten, war auch für eins dieser Monster grausam. In seiner Zuflucht lagen mindestens fünf verwesende Frauenleichen. Doch Steward hatte ihn besiegt. Er hatte dem Blutsauger einen Pflock ins Herz getrieben und ihm anschließend zur Sicherheit noch den Schädel von den Schultern gehackt. Sie - Celestine Draven - hatte die ganze Zeit nur reglos dagestanden, vor Angst und Entsetzen unfähig, sich zu rühren. Daran dachte sie jetzt, als sie den Inhalt seines Koffers betrachtete. Nach einer Weile schloss sie ihn wieder. Ihr Gedanken kreisten um den Vampir-Rocker, der dem anderen, den sie vorhin angegriffen hatte, zu Hilfe gekommen war. Sie wusste nicht, warum, aber dieser Vampir interessierte sie mehr als der andere. Ich hätte ihn nicht laufen lassen sollen, dachte sie. Aber das ist nun mal nicht mehr rückgängig zu machen. Doch sie würde ihn wiederfinden. Und dann würde sie ihn zur Hölle schicken! Draven war tief in ihren Gedanken versunken, und so bemerkte sie nicht, dass sie beobachtet wurde . . Die Fledermaus hockte auf dem Fenstersims und beobachtete Celestine Draven, wie sie in den Waffenkoffer starrte. Als die junge Frau ihn schloss, ließ das Tier sich über die Kante rutschen, breitete die Flügel aus und flatterte davon. Sie flog nur hinüber auf die andere Straßenseite, ehe sie unten auf dem Bürgersteig landete. Kaum berührte sie den Boden, verwandelte sie sich. Aus der Fledermaus wurde eine menschliche Gestalt. Jackson blickte noch einmal hoch zu dem Fenster, durch das er eben Celestine Draven beobachtet hatte. Zuvor hatte er sie vor dem Club Daemonique gesehen, und dort hatte er beobachtet, wie von ihr erst Marvey und dann auch Bruce Darkness ziemlich übel vermöbelt worden waren. Eingegriffen hatte er jedoch nicht. Er mischte sich schon seit langer Zeit nur noch in die Dinge ein, wenn er selbst unmittelbar bedroht wurde. Er zog es vor, als Beobachter aus dem Hintergrund zu agieren. 28
Jackson war lange genug Vampir. Es hatte Zeiten gegeben, in denen er immer ganz vorn an der Front. gewesen war. Aber damals war er noch jung gewesen, jetzt hatte er so etwas nicht mehr nötig. Er wollte einfach kein wichtiges Amt mehr einnehmen. Sollte der Baron die Stadt ruhig beherrschen. Wenn Jackson etwas wollte, dann würde er es auch bekommen. Er legte die Stirn in Falten. Diese Celestine Draven gefiel ihm nicht. Deutlich spürte er, dass die Gefahr, die von ihr ausging, nicht zu unterschätzen war. Sie war eine Bedrohung für alle Vampire. Und er würde sich etwas einfallen lassen müssen, um sie aufzuhalten, bevor sie zu einer wirklichen Gefahr werden konnte .. * »Mensch, ihr glaubt gar nicht, wie froh ich bin, euch endlich mal wieder zu sehen!« Celestine Draven sah erst ihre Schwester, dann ihren Neffen strahlend an. Seit einer Stunde saßen sie nun in Dravens Appartement, tranken Kaffee und heiße Schokolade, aßen Muff ins und Donuts, und der kleine Brian spielte mit den neuen Spielsachen, die seine Tante ihm geschenkt hatte. »Ja, wir sehen uns wirklich viel zu selten«, seufzte Jessica und trank noch einen Schluck Kaffee. »Irgendwie müssen wir das mal ändern.« Draven lachte herzlich. »Ja, das nehmen wir uns schon so lange vor!« Sie biss ein Stück von einem mit Zuckerguss und Schokostreuseln dekorierten Donuts ab und fragte dann kauend: »Wie gehts denn Kevin so? Ihr habt doch noch Kontakt?« »Sicher haben wir Kontakt. Er ist schließlich Brians Vater. Aber sonst ... « Sie winkte ab. »Nein, eigentlich sehen wir uns so gut wie nie. Er holt Brian regelmäßig ab, verbringt einen Tag mit ihm und das wars. Wir halten nur hin und wieder ein wenig Smalltalk. Aber beschweren kann ich mich nicht. Es hat halt einfach nicht geklappt mit uns, so was passiert nun mal, und da ergeht es anderen Frauen bestimmt schlechter. Kevin hat mich nie betrogen und kommt auch nach der Scheidung seinen Vaterpflichten nach. Wobei man auch wirklich merkt, dass es für ihn nicht bloß eine Pflicht ist. Er liebt Brian sehr, und das ist die Hauptsache.« »Hat er mittlerweile eine Neue?«, wollte Draven wissen. Ihre Schwester schüttelte den Kopf und fuhr sich mit der Hand durch ihr kurzes, kastanienbraunes Haar. »Dafür hat er doch gar keine Zeit. Sein Job füllt ihn immer noch voll und ganz aus. Du weißt doch, er ist ein 29
Karrieremensch« »Und du? Was ist mit dir?« »Ob ich einen Neuen habe? Nein, nein, da habe ich auch im Moment überhaupt kein Interesse dran. Erstens habe ich von Männern erst mal die Nase voll, zweitens will ich Brian nicht vor den Kopf stoßen, und drittens fehlt auch mir dazu die Zeit. Ich arbeite halbtags in meinem Job weiter, wie du weißt, und den Rest des Tages kümmere ich mich um Brian.« Einen Moment schwiegen die beiden Schwestern. Dann begann Jessica, in dem Frage-und-Antwort-Spiel die Führung zu übernehmen. »So«, sagte sie. »Jetzt haben wir aber genug von mir geredet! Kommen wir mal auf dich zu sprechen, Schwesterherz ... « Draven machte eine abwehrende Handbewegung. »Ach, das lassen wir mal schön bleiben«, meinte sie. »Wäre auch völlig sinnlos, denn da gibts absolut nichts Aufregendes zu besprechen!« In gewisser Weise stimmte das natürlich, denn in Dravens normalem Leben spielte sich so gut wie nichts ab, was auch nur irgendwie erwähnenswert wäre. Und der Rest - den würde sie natürlich für sich behalten! Schließlich konnte sie ihrer Schwester schlecht erzählen, dass sie des Nachts auf Vampirjagd ging ... »Nichts da!«, protestierte Jessica. »Irgendwas gibts immer zu berichten. Und da du mich ja schon ausgequetscht hast, kannst du dich jetzt nicht einfach drücken! Also los - weigern ist zwecklos!« Draven seufzte. »Also schön, wollen wir mal schauen, was wir da so zusammenbekommen. Beruflich gibts nichts neues, ich gehe immer noch jobben.« »Wo?« »Hier und da halt. Wechselt ständig. Du weißt ja, dass ich kein großes Interesse daran habe, den Rest meines Lebens in ein und demselben Büro zu versauern und für einen Chef zu arbeiten, der einen nur herumscheucht, ständig was zu meckern hat und nichts zu würdigen weiß.« »O ja, das weiß ich.« Jessica lachte. »Und privat?«, fragte sie dann, ihre Schwester lauernd anblickend. »Was gibts denn da so Neues?« »Das ist es ja«, stieß Draven aus. »Nichts, rein gar nichts!« »Aber das gibts doch nicht! Du willst mir doch nicht ernsthaft weismachen, das da noch immer nichts mit einem Typen läuft. Du siehst doch spitzenmäßig aus - wenn man von deiner etwas gewöhnungsbedürftigen Frisur einmal absieht.« Jessica zwinkerte ihr verschmitzt zu. »Mensch, Celest, du bist Mitte Zwanzig, gehst jetzt mit rasender Geschwindigkeit auf die 30 zu. Nee, das nehme ich dir nicht ab. Du verheimlichst deiner Schwester doch was!« Heftig schüttelte Draven den Kopf. »Nein, ehrlich, es ist so, wie ich sage. 30
Typen interessieren mich einfach nicht. Die haben doch eh alle 'nen Schaden!« Tatsächlich verheimlichte sie ihrer Schwester in dieser Hinsicht nichts. Celestine Draven war überzeugter Single, und sie konnte sich nicht vorstellen, einmal mit einem Mann ihr Leben zu teilen. »Ach so ist das«, meinte Jessica aufhorchend, die das ganz offensichtlich etwas anders interpretierte. »Dann stehst du also eher auf ... « Draven wusste sofort, was ihre Schwester meinte, und schüttelte abermals den Kopf. »Nein, auch Frauen interessieren mich nicht, keine Bange.« »Was heißt denn hier keine Bange? Ach, Draven, hältst du mich wirklich für so spießig, das ich ein Problem damit hätte?« Sie winkte ab und zündete sich eine Zigarette an. »Meine Güte, was ist denn schon dabei?« Jessica bohrte noch ein wenig, doch irgendwann sah sie ein, dass es keinen Sinn hatte. Sie plauderten noch ein wenig über Dieses und Jenes, und irgendwann fragte Draven: »Sag mal, denkst du eigentlich noch oft an Mum und Dad?« Ihre Stimme war leise und auch ein wenig brüchig, erfüllt von Traurigkeit und Sehnsucht. Jessica schüttelte entschieden den Kopf. »Nee, überhaupt nicht. Was sollte das auch bringen? Ich denke überhaupt nicht über Vergangenes nach, das macht nur depressiv!« Die Worte klangen ein wenig aggressiv, und nun sprang sie auf. »Ich muss mal eben für kleine Mädchen«, sagte sie und verließ den Wohnraum. Jessica war da ganz anders als ihre Schwester. Während sie die Vergangenheit krampfhaft verdrängte, verging bei Draven kein Tag, an dem sie nicht an ihre Eltern und das Geschehene dachte. »Tante Celest«, sagte der kleine Brian nun, der bis eben nur Augen für seine neuen Spielsachen gehabt hatte und nichts um sich herum mitbekommen hatte, »wo ist Mummie denn hin?« »Sie kommt gleich wieder, Kleiner.« »Gut. Ich möchte dir mal was zeigen, Tante Celest.« »Was denn?« Er wühlte in seinem kleinen Rucksack herum, wollte etwas herausnehmen, hielt dann jedoch inne. »Du musst aber die Augen zumachen, bis ich dir sage, dass du sie wieder aufmachen kannst«, sagte er. Draven lächelte. »Versprochen«, erwiderte sie und schloss die Augen. »Kannst sie wieder aufmachen!«, rief der Kleine nach einer Weile. Und als Draven ihn nun ansah, fuhr sie unwillkürlich zusammen. »Na, hast du jetzt Angst vor mir?«, wollte Brian erwartungsvoll wissen. Er hatte sich Plastik-Vampirzähne in den Mund gesteckt und stand nun mit 31
weit geöffneten Mund und ausgebreiteten Armen vor ihr, wobei er sich bemühte, besonders Angst einflößend zu wirken. So ganz gelang ihm das natürlich nicht, und normalerweise hätte Draven jetzt mitgespielt, wie man das halt mit Kindern machte, aber das konnte sie nicht. »Bitte«, sagte sie, in entschieden härterem Ton als sie gewollt hatte, »nimm diese scheußlichen Plastikzähne aus dem Mund!« Der Kleine sah sie verdutzt an. »Aber wieso denn, die sind doch toll. Hast du etwa Angst vor mir?« Sie schüttelte den Kopf. »So was macht man einfach nicht, Brian. Man spielt nicht, Vampir zu sein.« »Aber das machen doch alle.« »Komm mal her, Schätzchen!« Sie nahm ihn zu sich auf den Schoß. »Weißt du, Vampire sind ganz böse Wesen, die uns Menschen schreckliches Leid zufügen.« »Aber es gibt doch gar keine Vampire!« »Sicher«, seufzte sie. »Aber wenn es sie gäbe, wären sie ganz böse. Und so böse will doch niemand sein, oder?« Brian zuckte mit den Schultern. »Nein, böse will niemand sein. Ich will auch nicht böse sein, Tante Draven. Dann nehme ich die Zähne wohl lieber wieder heraus ... « »Tu das, Brian«, sagte sie leise. »Tu das ... « * Die Sonne war kaum untergegangen, da war Bruce Darkness schon auf den Beinen. In der vergangenen Nacht hatte er nicht mehr viel erreichen können, da die Zeit einfach zu kurz gewesen war. Aber heute musste er weiterkommen, er musste sehen, dass er diese Vampirkillerin irgendwie aufspürte. Er hatte nur wenig Ansatzpunkte. Es gab Hinweise darauf, dass Vampire in SoHo, Queens und in der Nähe des Hafens von der rothaarigen Killerin vernichtet worden waren. Zudem schien sie zu wissen, dass der Club Daemonique ein Treffpunkt für viele Vampire war. Das war eigentlich auch schon alles. Aber wie sollte die Killerin auf Grund dieser armseligen Hinweise ausfindig machen? Es war schier unmöglich, da machte sich der Stellvertreter des Barons nichts vor. Aber er würde es natürlich trotzdem schaffen - einfach weil er gut war... Bruce stoppte die Harley vor dem Club und stieg ab. Da tauchte plötzlich, wie aus dem Nichts, eine Gestalt neben ihm auf. 32
Jackson! Bruce kannte ihn nur flüchtig. Zu tun gehabt hatte er bisher so gut wie gar nichts mit ihm, aber eines wusste er: Der Alte war verdammt stark. Nur fragte sich Bruce jetzt, was der Vampir von ihm wollte. »Die Frau, die du suchst, heißt Draven«, riss Jackson ihn aus seinen Überlegungen. »Celestine Draven.« Bruce sah ihn verdutzt an. »Woher ... «, setzte er an, doch er kam nicht dazu auszusprechen. » ... ich das weiß?«, unterbrach der Oldtimer ihn, indem er den Satz vervollständigte. Dann lachte er kurz. »Ich weiß viel, Bruce. Sehr viel mehr als alle glauben. Ich weiß auch viel über dich. Und du bist einer der wenigen jungen Vampiren, die mir positiv aufgefallen sind.« »Ach ja?« Bruce versuchte, es nicht zu zeigen, aber er freute sich über das Kompliment. »Ja. Zwar handelst du auch zu oft mit den Fäusten anstatt mit dem Kopf, aber so war ich in deinem Alter auch. Das ist normal, denke ich. Irgendwann wirst auch du erwachsen werden.« Das gefiel Bruce jetzt wiederum nicht so. Hielt der Alte ihn etwa für ein Kleinkind, oder was? »Hör mal, Alterchen!«, rief er und ballte die Hände zu Fäusten. In Jacksons Augen blitzte es, aber sonst blieb er ruhig. »Vergib einem Alten Mann, wenn er sich nicht dem heutigen Sprachgebrauch angepasst hat. Ich meinte das durchaus positiv.« Bruces Ausdruck verlor etwas von seiner Agressivität. »Okay«, sagte er. »Also, du sagst, du kannst mir helfen?« »Ich sage doch, dass die Frau die du suchst, die Vampirjägerin Celestine Draven heißt. Und ich weiß, wo du sie findest.« »Na, dann spucks aus!«, verlangte Bruce. »Immer mit der Ruhe.« Bruce sah Jackson gereizt an. »Was willst du? Ich werde dem Baron sagen, dass du mir geholfen hast, einverstanden?« Ryder Jackson lachte laut auf, so laut, dass Bruce schon dachte, dass sein Trommelfell platzen würde. Doch die Augen des Alten lachten nicht mit. Bruce sah ihn verwirrt an. Er hatte noch nie erlebt, das ein Vampir bei der Nennung des Barons so reagiert hat. Jacksons humorloses Lachen brach ebenso rasch ab, wie es begonnen hatte. »Glaubst du wirklich«, sagte er dann, »dass mich interessiert, ob dein Baron davon erfährt, ob ich dir geholfen habe, oder nicht?« Bruce überlegte sich noch eine Antwort, die über ein einfaches Ja hinausging, da fuhr der alte Vampir bereits fort. 33
»Jetzt hör mir mal gut zu, mein Junge. Du bist mir sympathisch, aber ich werde es nur einmal erklären. Boris Baron von Kradoc, wie er sich nennt, ist mir völlig egal. Er macht seine Arbeit so gut oder so schlecht wie die Meisten. Aber ich brauche sein Wohlwollen nicht. Ich habe den gleichen Job, den gleichen Ehrgeiz schon in Afrika gehabt. Und ich habe freiwillig damit aufgehört, weil ich festgestellt habe, dass diese Aufgabe etwas für Jüngere ist. Ich habe einfach nicht mehr den Wunsch zu herrschen. Ich bekomme auch so alles, was ich will!« Er blickte Bruce in die Augen. »Und im Moment will ich, dass Celestine Draven, die Vampirjägerin, getötet wird.« Bruce zuckte ratlos mit den Schultern. »Warum?«, fragte er. Jackson stieß gereizt die Luft aus. »Weil sie eine Gefahr für uns alle ist, du Dummkopf! Nur weil ich kein Interesse mehr an offensichtlicher Macht habe, bedeutet das nicht, dass ich kein Verantwortungsbewusstsein mehr habe.« Langsam ging dieser Typ Bruce auf die Nerven. »Jetzt hör mal zu, du Tattergreis«, rief er deshalb. »Der Einzige, von dem ich mich vielleicht aber nur vielleicht - zusammenstauchen lasse, ist der Baron. Wenn du also etwas weißt, das mir bei meiner Aufgabe helfen könnte, dann sag es gefälligst! Ansonsten geh mir aus dem Weg, damit ich vorankomme.« Wütend baute er sich vor Jackson auf, starrte ihm in die Augen und funkelte ihn an. Der Alte stierte zurück. Die Spannung zwischen den beiden war so groß, dass beinahe Funken von dem einen auf den anderen übergesprungen wären. Doch schließlich gab Jackson nach und blickte zu Boden. Auch Bruce beruhigte sich wieder. »Warum erledigst du sie nicht selbst, wenn du ein so toller Hecht bist?«, wollte er wissen. Jackson, der sich jetzt wieder voll unter Kontrolle hatte, seufzte genervt. »Ich habe dir doch gesagt, dass ich mich nicht mehr persönlich mit solchen Dingen befasse. Dafür gibt es die jüngeren Vampire so wie dich, die sich beweisen wollen. Wenn Leute wie ich eingreifen müssen, dann ist es meistens sowieso zu spät.« Er machte eine kurze Pause. »Also, willst du wissen, wo die Jägerin ist?« Und Bruce wollte .. * Vergangenheit Die Vampirin fauchte laut auf, als sie den Raum betraten. Steward Carter und Celestine Draven hatten seinen Schlafplatz aufgestöbert und ihn gerade noch erreicht, bevor das Monster erwacht war. 34
Jetzt saß die Blutsaugerin aufrecht in ihrem Sarg - Carter hatte Draven erzählt, dass die Meisten von ihnen ganz normal in einem Bett schliefen und starrte die beiden Vampirjäger an. Carter hielt eine schwere Armbrust in seinen alten Händen, doch es war kein Zittern zu sehen. Ruhig zielte er auf das Herz der Bestie. Hinter ihm richtete Draven ihre Maschinenpistole auf die Vampirin. Sie hielt die Waffe ebenso ruhig wie ihr Lehrer, doch sie fuhr sich nervös mit der Zungenspitze über die Lippen. Da krümmte sich Carters Finger um den Abzug der Armbrust. Der dicke Holzpflock schoss los, auf die Blutsaugerin zu. Die warf sich zurück, lag wieder im Sarg und der Bolzen flog über ihn hinweg. Kaum war das geschehen, erschien sie wieder in Dravens Blickfeld. Doch sie stand nicht einfach auf, sondern sie flog. Sie schwebte einen Moment über seinem Sarg, dann fuhr sie herum und raste auf ihre beiden Häscher zu. »Sie kann fliegen!«, schrie Carter auf. »Schieß! So schieß doch, Celestine!« Gleichzeitig griff er nach einem alten Kavallerie-Säbel, der, wie er immer wieder stolz erzählte, einem seiner Vorfahren gehört hatte. Draven schoss. Die MP bäumte sich in ihren Händen auf, sodass nur die ersten Kugeln ins Ziel trafen, der Rest riss lediglich den Putz von den Wänden und der Decke. So wurde die Blutsaugerin nur kurz gebremst, dann hatte sie die Vampirjäger erreicht. Carter hob den Säbel, um auf sie einzuschlagen, doch der alte Mann wurde wie beiläufig zur Seite gefegt. Er prallte gegen eine Mauer. Pfeifend entwich die Luft aus seinen Lungen. Dann sackte er zusammen und rührte sich nicht mehr. Nichts mehr war zwischen der Vampirin und Draven. Die Vampirjägerin hatte die Zeit, die Carter ihr erkauft hatte, jedoch nicht ungenutzt gelassen und die MP nachgeladen. Jetzt richtete sie die Waffe aus nächster Nähe auf ihre Gegnerin ... Und erstarrte. Sie blickte in die wunderschönen grünen Augen der Untoten und fragte sich, was sie denn da mache. Auf jeden Fall willst du niemanden verletzen!! Nicht wahr? Nein, dass wollte sie bestimmt nicht. Sie wollte . . Du musst dich und den alten Mann von hier fortbringen!! Ja, das war eine gute Idee. Sie musste Steward Carter in Sicherheit schaffen. Sie wandte sich von der Vampirin ab, und tat die wenigen Schritte zu 35
ihrem alten Lehrer. Neben ihm ging sie in die Knie und hob sacht seinen Kopf an. »Steward!«, flüsterte sie. »Steward, bist du verletzt?« Es kam keine Reaktion. »Hab keine Angst, Steward!«, sagte sie dann entschieden und ein bisschen verzweifelt. »Ich bringe dich hier raus.« Carter flüsterte irgendetwas. Draven beugte sich zu ihm runter, hielt ihr Ohr ganz dicht an seinen Mund. »Was?«, fragte sie. »Ist sie vernichtet?«, sagte er kaum hörbar. »Hier ist alles sicher, Steward.« »Gut!« In diesem Moment öffnete er die Augen. Sein Blick war trübe, er hatte wohl eine Gehirnerschütterung davongetragen. Doch Celestine Draven konnte ihr Spiegelbild in seinen Augen sehen -und das der Vampirin, die gerade ihre langen Fänge in Dravens Hals schlagen wollte. Die Vampirjägerin reagierte blitzschnell. Sie riss einen hölzernen Pflock unter ihrer Jacke hervor, wirbelte herum und stieß nach dem Herzen der Blutsaugerin. Ein scharfer Schmerz durchzuckte sie, da die langen, spitzen Eckzähne, die sich bereits ein wenig in ihr Fleisch gebohrt hatten, ihren Hals aufgerissen. Blut schoss aus der Wunde hervor. Draven schrie auf. Doch ihr Schrei wurde übertönt von dem gepeinigten Brüllen der Vampirin. Die Bestie schrie all ihre Qual heraus und starrte auf den todbringenden Pflock, der aus ihrer Brust ragte. Dann brach sie zusammen. Draven beobachtete entsetzt, wie der Leichnam anfing zu verwesen. Sie konnte förmlich zusehen, wie das tote Fleisch dahinschmolz, wie das Gesicht einfiel und schließlich die Knochen zu Staub zerbröselten. »Das hast du sehr gut gemacht, Celestine«, ertönte da die Stimme Steward Carters. »Es war eine Frau«, sagte sie tonlos, so als hätte sie sein Lob gar nicht gehört. »Ja«, entgegnete er, »es war ein Weibchen. Die sind genauso gefährlich.« Eine kurze Zeit herrschte Stille in dem Raum. Dann sagte Carter: »Ich gratuliere dir, Celestine! Du hast heute deinen ersten Vampir erlegt...« Celestine Draven machte sich an diesem Abend früh auf die Suche nach dem Vampir, den sie nur den »Rocker« nannte. Ihre Schwester und der kleine Brian hatten sich bereits auf den Weg zu 36
Jessicas Freundin gemacht, bei der sie auch übernachten würden. Das Daemonique war eine Anlaufstelle für Vampire, das wusste sie. Hier trafen sie sich und hier gingen sie auf Beutesuche. Deshalb suchte sie dort nach ihm. Sie war jemand, der in diesem Club auffiel. Denn vorwiegend trieben sich hier Gothics mit - notfalls auch gefärbten - schwarzen Haaren herum. Mit ihrem feuerroten Haar war sie hier wirklich eine Ausnahmeerscheinung, und sie erntete viele Blicke. Die meisten Kerle sahen sie anerkennend an, einige Frauen neidisch, aber alle hatten sie eins gemeinsam - sie waren sich einig, dass Draven nicht hierher passte. Aber um so etwas kümmerte sie sich gar nicht. Das Einzige, worauf sie sich konzentrierte, war, nach Vampiren Ausschau zu halten. Und Draven konnte erkennen, wenn sie einem Vampir gegenüberstand. Sie spürte es, denn ER sagte es ihr, indem er Hitzewallungen durch ihren Körper schickte. Das war das Zeichen, auf das sie sich verlassen konnte. Doch an diesem Abend interessierte sich Draven nicht für irgendwelche Vampire. Sie wollte nur den einen, den Rocker. Die anderen waren ihr egal. Sie würde noch genug Gelegenheiten haben, um sich auch um sie zu kümmern. Sie konnte sich nicht genau erklären, warum sie ihn unbedingt haben wollte, aber dieser Kerl hatte etwas an sich gehabt, das ... Draven wurde aus ihren Gedanken gerissen, denn plötzlich meldete sich eine Stimme in ihr. Sie stutzte. Das war nicht ER! Es war eine andere Stimme, eine die sie nicht kannte, und das ließ sie zusammenzucken. Irgendjemand - irgendetwas - hatte sich in ihren Körper geschlichen. Aber wie konnte das ... Sie dachte nicht weiter darüber nach. Denn jetzt - durch die fremde Stimme in ihr - wusste sie etwas, das ihr weiterhalf. Oder war es eine Falle? Draven wusste es nicht. Aber die Stimme hatte ihr nicht nur gesagt, dass der Rocker sich Bruce Darkness nannte, sondern auch, dass sie ihn um Punkt Mitternacht auf dem Hof des Clubs treffen würde. Es war einfach unglaublich. Draven begriff nicht, was in ihrem Innern vorging. Sollte sie auf die Stimme hören? Es war eine Chance, das musste sie zugeben. Und zu verlieren hatte sie ohnehin nichts, also warum sollte sie sich diese Chance entgehen lassen? Sie warf einen Blick auf die Uhr. 37
Bis Mitternacht dauerte es noch einige Zeit, und Draven wusste ja nicht einmal, ob das alles wirklich Sinn machte. Sie beschloss, sich erst noch weiter umzusehen. Das tat sie auch, fündig wurde sie jedoch nicht. Zwar begegnete sie einem Vampir, und zunächst war sie versucht, seinem finsteren, untoten Dasein ein Ende zu bereiten, doch das hätte ihr jetzt zu viel Mühe bereitet, zumal sich der Blutsauger im Club unter zig Menschen aufhielt. Sie hätte ihn erst irgendwie herauslocken müssen, und das war ihr jetzt zu aufwendig. Sie würde ihn ein anderes Mal erlösen. Und wenn nicht ihn, dann einen anderen, aber irgendwann würde sie auch wieder auf ihn treffen, da war sie sicher. Heute ging es ihr nur um Bruce Darkness, sofern er wirklich so hieß, und sie wollte ihre Kräfte für ihn aufsparen. Sie verließ den Club wieder, und draußen, an der frischen Luft, dachte sie über ihr weiteres Vorgehen nach. Da es bis Mitternacht noch eine ganze Weile hin war, beschloss sie, noch einmal nach Hause zu gehen ... * Aus dem Tagebuch der Celestine Draven 17. Februar 1999 Ich habe mich so lange nicht gemeldet. Wieder einmal! Aber es ist so unglaublich viel passiert. Nachdem ich mich vor nunmehr zwei Jahren habe hypnotisieren lassen und anschließend auf den Vampirjäger gestoßen bin, habe ich jeden Tag mehr über diese Blutsauger erfahren. Steward Carter hat mich zu seiner Nachfolgerin ausgebildet, und das nicht nur in der Theorie. Er hat mich oft mit auf Vampirjagd genommen, und immer wieder war es eine verdammte Genugtuung für mich, zu sehen, wie er diese Bestien vernichtet hat. Es gibt verschiedene Möglichkeiten. Meistens hat er ihnen einen Pflock aus Eichenholz ins Herz gerammt und ihnen anschließend die Köpfe abgetrennt. Das ist die beste Methode, hat er immer wieder betont. Und diese Methode werde von nun an auch ich anwenden. Ich ganz allein. Denn Steward kann mich da nicht unterstützen. Vor zwei Tagen starb er an einem Herzinfarkt. Ich bin traurig darüber, aber er hat immerhin ein hohes Alter erreicht. Und eines schwöre ich: Ich werde sein Werk fortsetzen. Ich habe seinen Koffer. Den »Einsatz-Koffer« hat er ihn immer genannt. In ihm befinden sich all seine Waffen, mit denen er gegen Vampire gekämpft hat. 38
Und mit diesen Waffen werde von heute an ich diese Geschöpfe der Finsternis vernichten! * Eddie Smith hatte die Schnauze voll! Dieser verdammte Unfall gestern ging ihm nicht aus dem Kopf. Zumal es überhaupt kein Scheiß-Unfall gewesen war. Wenn die Puppe nicht den Typen durch die Gegend geschleudert hätte, wäre er auch nicht auf seiner verdammten Windschutzscheibe gelandet! Nervös steckte er sich eine Zigarette an. Was ihn am meisten ärgerte war die Tatsache, dass ihn dieser Officer für einen Verrückten hielt. Der nahm ihn überhaupt nicht für voll! Einerseits konnte er den Cop ja verstehen. Denn wenn Eddie daran dachte, wie er reagieren würde, wenn er eine solche Geschichte aufgetischt bekäme ... Er würde lachend in der Ecke liegen. Aber er war nicht irre. Er wusste, was er gesehen hatte, und der Schaden an seinem Taxi sprach auch eine mehr als eindeutige Sprache. Was sollte da denn sonst draufgefallen sein? Ein Außerirdischer vielleicht? Eddie hatte ja selbst keine Ahnung, wie so etwas passieren konnte. Trotzdem hatte er es gesehen, und er wusste, dass er kein Spinner war. Deshalb hatte er sich auch entschlossen, mal selbst nach dieser Puppe und den beiden Typen Ausschau zu halten. Schließlich ging es da nicht nur um seinen Ruf, sondern auch darum, dass er nur dann eine Chance hatte, den Schaden an seinem Taxi ersetzt zu bekommen, wenn die Puppe gefunden wurde. Allerdings fragte er sich, ob er die Kerle überhaupt erkennen würde. Und die Puppe konnte er auch nicht gerade gut beschreiben, eigentlich wusste er nur, dass sie feuerrotes Haar und ziemlich verfilzte Locken hatte. Aber wiedererkennen würde er sie, da war er sicher! Und dann kann die sich auf was gefasst machen! Die kommt mit mir zur Polizei, und wenn ich sie an den filzigen Haaren zum Departement schleifen muss! Er befand sich jetzt vor dem Club, vor dem die ganze irre Sache gestern passiert war. Diesmal hockte er aber nicht in seinem Taxi, denn das war natürlich noch immer schrottreif, sondern in seinem Privatwagen. Der Officer hatte ihm gestern seine Karte gegeben. Eddie sollte ihn anrufen, sobald er die Frau oder die Typen noch einmal sah. Klar wusste Eddie, dass der Officer ihm seine Karte nur gegeben hatte, 39
damit er den Cop nicht weiter nervte. Sicher rechnete er auch nicht unbedingt damit, dass Eddie die Rothaarige oder die Typen irgendwo aufspürte, aber da täuschte er sich! Eddie hatte sich in den Kopf gesetzt, die Schuldigen zu suchen und zu finden, und was er sich einmal in den Kopf setzte, davon ließ er auch nicht mehr ab! Eddie war klar, dass es reine Glückssache war, ob er hier fündig wurde oder nicht. Schließlich konnte es sein, dass sich die Typen und die Puppe nicht regelmäßig in dem Club aufhielten, und ebenso gut konnte es sein, dass sie erst morgen oder übermorgen oder sonst wann wieder herkamen. Vielleicht mieden sie den Club jetzt, nach dem Vorfall gestern, erst einmal. Wer wusste das schon? Trotzdem stieg er nun aus seinem Wagen und steuerte auf den Eingang des Clubs zu. Und dann sah er die Rothaarige ... * Vergangenheit 14. April 2000 Immer wieder gibt es Dinge im Leben, die man mit normalem Menschenverstand nicht begreifen kann. Dinge, die zu unglaublich und einfach unfassbar waren. Nachdem Celestine Draven Gewissheit hatte, dass Vampire tatsächlich existieren, glaubte sie, nichts könnte sie mehr überraschen. Doch das war ein Irrtum. Es begann damit, dass ihr eine seltsame alte Frau einen Besuch abstattete, um mit ihr zu sprechen. Es war ein kalter Abend im November. Draußen regnete es in Strömen, die dicken Tropfen schlugen gegen die Fenster von Dravens kleinem Appartement. In regelmäßigen Abständen zuckten Blitze aus dem Himmel, gefolgt von markerschütternden, ohrenbetäubendem Donnern. Draven mochte keine Gewitter, sie hatte sogar Angst vor ihnen, und deshalb kuschelte sie sich an diesem Abend auch eng in eine flauschige Decke. Irgendwie verlieh ihr das ein Gefühl der Geborgenheit. Der Regen wurde immer stärker, und die Abstände zwischen den Blitzen wurden immer kürzer. Außerdem erfolgten Blitz und Donner fast gleichzeitig, was bedeutete, dass das Gewitter ganz nah war. Und das behagte Draven überhaupt nicht. Sie war eine starke Frau. Sie jagte Vampire, und sie war eine verdammt gute Kämpferin. Aber es gab eben doch Dinge im Leben, vor denen sie sich 40
fürchtete. Dazu gehörten eben Gewitter und Spinnen. Aber das war auch keine Schwäche, denn durch ihren Psychologen wusste sie, dass die Angst vor diesen Dingen in der Kindheit begründet lag. Als es plötzlich an der Tür läutete, wollte sie erst gar nicht öffnen, doch der unerwartete Besucher erwies sich als besonders hartnäckig und klingelte immer wieder. So öffnete sie also doch die Tür. Und blickte zum ersten Mal in das Gesicht dieser seltsamen alten Frau. Sie hatte die Frau nie zuvor gesehen, und zunächst bemühte sich Draven redlich, sie abzuwimmeln, aber dann sagte die Alte plötzlich etwas, das sie aufhorchen ließ. »Sie werden den Kampf gegen die Vampire allein nicht gewinnen können!« Draven sah sie völlig verdutzt an. »Aber wie ... Woher wissen Sie? Ich meine ... « »Das tut nichts zur Sache«, erwiderte die Alte. »Ich weiß es einfach. Und ich weiß, dass Sie niemals als Gewinnerin aus diesem Kampf hervorgehen können. Es sei denn ... « »Ja?« »Es sei denn, Sie verbünden sich mit einem stärkeren Partner.« »Verbünden?« Sie hatte keine Ahnung, worauf die Alte hinauswollte. Wollte sie etwa an ihrer Seite ... Aber nein, das konnte nicht sein! Die Frau war alt und klapprig, und sicher schon jenseits der Achtzig. Sie musste etwas anderes meinen. Aber was? Die Alte nickte nun. Draven sah, dass es in ihren alten, dunklen Augen funkelte. Der Ausdruck ihres blassen, runzligen Gesichts verriet ihr, dass sie genau wusste, was sie wollte und wovon sie redete. »Es ist so, wie ich sage«, behauptete sie. »Sie haben zwei Möglichkeiten: Entweder, Sie kämpfen allein weiter und werden schon bald einen viel zu frühen Tod finden. Dann können Sie weder Ihre Eltern rächen noch Stewards Werk fortführen.« »Steward?«, fragte sie verdattert. »Sie - kennen ihn?« »Allerdings. Sehr gut sogar. Aber das tut jetzt auch nichts zur Sache. Es geht jetzt um die zweite Möglichkeit, die Sie haben. Und die lautet: Verbünden, überleben, weiterkämpfen und die Blutsauger vernichten!« Einen Moment schwieg sie. »Ich gehe einmal davon aus, dass Ihnen diese Alternative lieber ist?«, sagte sie dann leise und auch ein wenig lauernd. Sie nickte. »Sicher. Aber wie soll das denn gehen? Und mit wem soll ich mich verbünden?« »Nun, das werden Sie vermutlich nicht verstehen, aber ich sage es Ihnen trotzdem.« 41
»Ja?« »Mit einem Dämon!« Erschrocken zuckte Draven zusammen. »W ... was sagen Sie da? Ein Dämon?« »Allerdings. Mit menschlichen Kräften kommen Sie nicht weiter, Sie brauchen andere Kräfte, die in Ihnen schlummern und immer dann erwachen, wenn es nötig ist. Nur so werden Sie den Untoten im Kampf überlegen sein. Nur so haben Sie eine Chance zu überleben!« »Aber - es gibt keine Dämonen«, murmelte die Vampirjägerin. Die Alte lachte freudlos. »Genauso wenig wie es Vampire gibt.« Draven musste zugeben, dass sie das überzeugte. Dieser eine kleine Satz überzeugte sie davon, dass es Dämonen gab. Denn wenn Vampire existieren - warum dann nicht auch andere Wesen, von denen Legenden berichteten? Hatte sie nicht früher selbst geglaubt, das Vampire nichts als Fabelwesen waren? »Sicher«, sagte sie nachdenklich. »Aber Dämonen sind böse!« Jetzt lächelte die Alte. »Ach, und woher wollen Sie das wissen, Celestine?« »Das weiß man doch!« »Ach ja?« Die Alte sah sie wissend an. »Wissen Sie, Draven, man sagt, dass Dämonen böse sind, das ist richtig. Dämonen werden böse dargestellt, böse beschrieben. Aber woher wollen Sie wissen, wie sie es wirklich alle sind?« »Sie meinen ...« »Ich meine, dass Sie keine Ahnung haben, Draven. Aber dafür können Sie nichts. Doch Sie müssen wissen, dass Dämonen nicht grundsätzlich böse sind. Sicherlich gibt es solche und solche. Aber wichtig für Sie ist nur, dass der Dämon, mit dem Sie sich verbünden sollen, gut ist. Er will das, was Sie auch wollen - die Menschheit von den Vampiren befreien. Und ihr beide gemeinsam könnt das schaffen!« Draven seufzte. Ihre Gedanken schlugen Purzelbäume, sie war völlig verwirrt. »Wie würde das denn dann funktionieren? Ich meine, wie kann man sich mit einem Dämon verbünden?« »Indem man ihn beschwört.« Die alte Frau ergriff Dravens Hand und tätschelte sie beruhigend. »Dafür haben Sie mich. Sie brauchen sich um fast nichts zu kümmern. Sie müssen es nur wollen. Also: Wollen Sie, Draven?« »Ich weiß nicht ... « Sie zögerte, weil sie das alles nicht begreifen, nicht fassen konnte. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte sie ja nicht einmal von der Existenz von Dämonen gewusst. Sicher, sie wusste, dass es Vampire gab und sie hatte auch schon mit ihnen zu tun gehabt. Sie sollte doch eigentlich 42
gegen Überraschungen gefeit sein. Aber dass man sich mit einem Dämon verbünden konnte, das wusste sie nicht. Und sie konnte sich auch nicht vorstellen, was dann mit ihr geschehen würde.. Sicher, Recht hatte die Alte. Mit anderen, übermenschlichen Kräften würde Draven viel stärker sein und viel weiter kommen, das leuchtete ein. »Glauben Sie mir, Draven, es ist in Ihrem Sinne. Vertrauen Sie mir!« »Ihnen Vertrauen? Wie könnte ich denn? Ich kenne Sie ja nicht einmal!« »Aber ich kannte einen Mann sehr gut, dem Sie vertraut haben.« »Steward Carter!« »Sie haben es erfasst.« »Woher kannten Sie ihn denn?« Sie lächelte wieder. »Draven, was schätzen Sie, wie alt ich bin?« »Keine Ahnung«, erwiderte sie. »Achtzig?« »Ich bin über Hundert, Draven. So alt werden nicht viele, und meine Zeit ist bald abgelaufen. Und deshalb will ich sicherstellen, dass das Werk meines Sohnes in seinem Sinne fortgesetzt wird!« »Ihres - Sohnes?« Sie nickte. »Ja«, sagte sie dann. »Ich bin Stewards Mutter ... « * Mann, dachte Eddie Smith, das gibts doch gar nicht! Dass ich so ein Glück habe ... Das ist doch schon gar nicht mehr normal! Erst wollte er sofort auf die Rothaarige zustürmen und sie zur Rede stellen, doch dann behielt er die Ruhe und entschied sich dagegen. Der Officer soll sich die Puppe gefälligst selbst schnappen!, dachte er. Sonst entwischt sie mir noch, und ehe der Knabe da ist, ist sie wieder über alle Berge. Und dann stehe ich wieder schön dusselig da. Ne, ne, darauf hab ich keinen Bock! Er wollte gerade sein Handy aus der Jackentasche fischen, da setzte sich die Rothaarige in Bewegung. Sie ging auf einen kleinen Sportwagen zu, stieg ein und brauste los. »Shit!«, stieß Eddie zwischen den Zähnen hervor. Hektisch kramte er in seinen weiten Jackentaschen nach seinen Autoschlüsseln. Endlich hatte er ihn gefunden und spurtete zu seinem Wagen. Jetzt aber nichts wie hinterher! Eddie nahm gekonnt die Verfolgung auf. Schließlich hatte er alle James Bond-Filme gesehen - die meisten sogar mehrmals - und wusste genau, wie man so eine Aktion anging! Er achtete darauf, nicht zu dicht aufzufahren, gleichzeitig aber ließ er auch die Entfernung nicht allzu groß werden, denn verlieren durfte er sie auf keinen Fall! 43
Ha!, dachte er stolz, als nach etwa zwanzig Minuten der Wagen der Rothaarigen in einer kleinen, ziemlich heruntergekommenen Straße in Queens zum Stehen kam. Sie stieg aus und ging auf ein schäbiges altes Haus zu, an dessen Wänden sich schon viele selbsternannte Graffiti-Künstler verewigt hatten. Eddie war hin und her gerissen. Sollte er die Kleine weiter verfolgen oder lieber den Officer anrufen, damit er sich mit ihr beschäftigte? Einerseits hatte der Cop sicherlich mehr Erfahrung in solchen Dingen, als Eddie. Doch er hatte nicht gesehen, wie sie mit den anderen beiden Typen umgesprungen war! Eddie war ziemlich sicher, das der Officer ihm noch immer kein Wort glaubte. Der würde die Lady doch sicher mit Samthandschuhen anfassen, bevor er begriff, was mit der Tussi los war! Und dann war es möglicherweise zu spät. Außerdem musste Eddie zugeben, dass er schon ein bisschen scharf darauf war, selbst die Lorbeeren zu ernten. Mann, wenn er sich nur vorstellte, wie seine Kumpels staunen würden! Und er wusste wenigstens, worauf er sich einließ. Glaubte er... Schließlich entschied er sich für einen Mittelweg. Hastig tippte er die Nummer des Officers in sein Mobiltelefon. Das Freizeichen erklang und schon zwei Sekunden später hörte die müde klingende Stimme eines Mannes. »Bitterman.« Nervös rutschte Eddie auf seinem Sitz hin und her. »Officer? Sind Sie das?« Am anderen Ende der Leitung erklang ein gequältes Seufzen. »Ja, hier spricht Officer Bitterman. Mit wem habe ich die Ehre?« Wie ein Wasserfall sprudelte es aus Eddie heraus. »Gott sei Dank, dass sie da sind, Officer. Hier ist Eddie Smith, Sie wissen schon, der Taxifahrer von gestern Nacht ... Dem ein Mann auf die Motorhaube seines Wagens geworfen wurde ... Erinnern Sie sich?« Officer Bittermans Stimme klang nun eindeutig genervt. Er schien inzwischen zu bereuen, das er Eddie seine Telefonnummer überhaupt gegeben hatte. »Natürlich erinnere ich mich an Sie, Mister Smith. Was ist denn jetzt wieder passiert? Sind Sie von Außerirdischen entführt worden, oder sind Sie heute zur Abwechslung mal Godzilla begegnet?« Eddie schnaubte verärgert. »Hören Sie, ich weiß, dass Sie mir gestern kein Wort geglaubt haben, aber jetzt habe ich den Beweis! Ich habe dieses rothaarige Weibstück wiedergesehen und sie bis zu ihrer Wohnung verfolgt. Zumindest glaube ich, dass sie hier wohnt. Wenn Sie also bitte 44
vorbeikommen würden, um endlich Ihren Job zu erledigen? Das wäre doch mal 'ne Maßnahme ... « »Also schön, jetzt mal im Ernst, Smith. Sind Sie sicher, das Sie nicht wieder einmal mit offenen Augen geträumt haben? Ich habe nämlich endlich Feierabend und nicht die geringste Lust, wegen Ihren Hirngespinsten auf meine wohl verdiente Freizeit zu verzichten!« Eddie verdrehte genervt die Augen. »Natürlich bin ich sicher, Officer. Ich weiß doch wohl noch, was ich gesehen habe, Mann! Und ob Sie mir jetzt glauben oder nicht - ich werde es Ihnen beweisen!« Er gab die Adresse des Hauses durch, in dem die Rothaarige verschwunden war, und legte auf. Er glaubte nicht, dass der Officer kommen würden. Der Kerl war ein Arsch, der glaubte, eine goldene Nase zu haben, bloß weil er ein dämlicher Streifenpolizist war! Wie ich Kerle wie den hasse!, dachte er verächtlich. Na, dann muss ich wohl selbst ran und ihm die Puppe zum Revier bringen. Mit diesem Vorsatz machte er sich auf den Weg ... Seufzend ließ sich Celestine Draven auf ihre abgewetzte Schlafcouch sinken. Sie war verwirrt. Endlich würde sie die Gelegenheit erhalten, den VampirRocker, diesen Bruce Darkness, zu vernichten, doch so recht freuen konnte sie sich darüber nicht. Etwas stimmte einfach nicht! Woher wusste sie, dass der Vampir wirklich erscheinen würde? Woher wusste sie, wie er hieß? Sie konnte es sich nicht erklären, doch sie war sich dessen vollkommen sicher. Irgendjemand - irgendetwas -hatte ihr diesen Gedanken eingepflanzt, und dieses Mal war es nicht ER gewesen. Es fühlte sich anders an, wenn ER zu ihr sprach. Sie war inzwischen mit diesem Gefühl vertraut, aber das, was sie heute erlebt hatte, unterschied sich vollkommen davon! Doch was nutzte die ganze Grübelei? Es konnte ihr doch nur Recht sein, diesem Darkness den Garaus zu machen. Woher sie die nötigen Informationen dazu bekam, war doch eigentlich völlig egal! Aber was, wenn es eine Falle war? Sie schloss die Augen. Dann schüttelte sie den Kopf. Nein, sie würde sich nicht beirren lassen. Hauptsache, sie konnte diesen Typen erledigen. Das war alles was zählte. Und nichts und niemand würde sie davon abhalten können! Das Pfeifen des Teekessels riss sie aus ihren Gedanken. Sie ging hinüber zur ihrem altersschwachen Gasherd und nahm den Kessel von der Flamme. 45
Vorsichtig goss sie das heiße Wasser in den großen Kaffeebecher mit der Aufschrift »Daddy ist der Beste«. Gedankenverloren ließ sie einen Teebeutel hineinsinken und stellte den Gasherd ab. Sie wollte nach der Tasse greifen und berührte dabei versehentlich den noch heißen Kessel. Mit einem Schmerzensschrei riss sie die Hand zurück und stieß dabei die Tasse von der Küchenanrichte. Laut klirrenend zerschellte sie auf dem schäbigen Linoleumboden. Tränen schossen Draven in die Augen, als sie erkannte, was sie angerichtet hatte. »Nein! Nicht! Nicht Daddies Tasse!« Weinend ließ sie sich auf die Knie sinken und klaubte mit den Fingern die Scherben zusammen. Dabei zog sie sich einen tiefen Schnitt an der Handinnenfläche zu und ihr Blut hinterließ dunkle Schlieren auf dem Boden. Doch Draven spürte den Schmerz nicht. Der Schmerz, der in ihrer Seele wütete, war viel größer, denn sie hatte das Einzige, das sie noch von ihrem Vater besaß, zerstört. Nur langsam begriff sie, dass kein Wunder geschehen würde, das die Scherben wieder zusammenfügte. Schluchzend umschlang sie mit den Armen ihren Körper und ließ sich mit dem Rücken gegen den Ofen sinken. Für den Bruchteil einer Sekunde verfärbten sie ihre Augen gelb, und die Wunde an ihrer Hand schloss sich. Es schien, als sei sie niemals vorhanden gewesen ... * Zu allem entschlossen, verließ Eddie seinen Wagen. Ob Bitterman nun hier auftauchte oder nicht, er würde sich diese einmalige Chance nicht entgehen lassen! Er wäre endlich einmal der Held des Tages! Keiner würde ihn mehr mitleidig ansehen, wenn er von den großen Fights berichtete, die er schon alle in seinem Leben gewonnen hatte. Zugegeben, die meisten dieser Kämpfe hatte er schlicht und einfach erfunden, oder den Ausgang vielleicht ein klein wenig abgewandelt. Aber wenn er das jetzt packte, hatte er endlich einmal wirklich etwas zu erzählen. Leise erklomm er die altersschwachen Stufen zur Vordertür des Hauses. Er drückte die Klinke probeweise hinunter, und tatsächlich - es war nicht abgesperrt. Ganz schön leichtsinnig, schoss es Eddie durch den Kopf. Wer lässt denn in dieser Gegend eine Tür unverschlossen? Doch dann erinnerte er sich daran, wie das Mädchen mit den beiden Kerlen umgesprungen war. Mann, die hatte Kräfte wie alle Helden aus den 46
Marvel-Comics zusammen! Da hätte sie auch sicherlich keine Probleme damit, sich gegen ein paar lausige Einbrecher zur Wehr zu setzen. Damit war Eddie auch bei der größten Schwierigkeit bei der Durchführung seines Planes angelangt - wie zur Hölle sollte er mit der Lady fertig werden? Rasch schob er diesen frustrierenden Gedanken beiseite. Schließlich wollte er sich ja nicht auf einen Fight mit der Rothaarigen einlassen. Es reichte vollkommen aus, darauf zu achten, dass die Lady nicht entwischte, bevor Officer Bitterman hier ankam - falls er kam. Und dann würde er diesem Besserwisser von einem Cop zeigen, dass er keineswegs ein Spinner war! Eddie warf einen Blick auf die neben der Tür angebrachte Klingelleiste. Wenn er nach der Anzahl der beschrifteten Schilder ging, waren nur drei Wohnungen im gesamten Gebäude tatsächlich bewohnt. Und bei Zweien der Bewohner handelte es sich eindeutig um Männer, wie ihre Vornamen bewiesen. Damit blieb nur noch ein Name übrig: Celestine Draven. Das musste die Rothaarige sein, kein Zweifel! Und sie wohnte im dritten Stock. Auf den Zehenspitzen gehend glitt Eddie in den nur spärlich beleuchteten Hausflur. Hier drinnen stank es erbärmlich. Haben die hier im Haus kein Klo und machen in irgendwelche Ecken des Flurs? Eddie schüttelte angeekelt den Kopf. Es war ihm Schleierhaft, wie man in einer solchen Kloake wohnen konnte. Sicher, auch seine Bude war nicht gerade ein Palast, doch immerhin stapelte sich der Müll nicht meterhoch im Treppenhaus. Er musste jetzt sehr leise sein. Nur keinen Lärm machen, schoss es ihm durch den Kopf. Sonst bist du am Arsch, Alter! Es gelang ihm tatsächlich, beinahe geräuschlos bis zum Treppenabsatz zu gelangen. Dann setzte er vorsichtig einen Fuß auf die erste Stufe. Sein Herz machte einen aufgeregten Satz, als das morsche Holz der Stufe geräuschvoll knarrte, kaum dass Eddie auch nur einen Fuß darauf gesetzt hatte. Konzentriert lauschte er in die Dunkelheit. Kalter Schweiß stand ihm auf der Stirn und er begann sich zu fragen, ob er die richtige Entscheidung getroffen hatte. Vielleicht wäre es doch besser gewesen, in der Sicherheit seines Wagens auf das Eintreffen des Officers zu warten ... Doch zwei Minuten verstrichen, ohne dass sich im Haus etwas rührte. Erleichtert ließ Eddie die Luft entweichen, die er unbewusst die ganze Zeit über angehalten hatte. Die Tussi hatte zweifelsohne Bärenkräfte, doch ihr Gehörsinn schien nicht besonders ausgeprägt zu sein. 47
Was bist du doch für ein feiger Hund, Eddie Smith!, schalt er sich. Schließlich handelte es sich bei dieser Puppe nicht um Supergirl. Sie würde schon nicht einfach auf ihn losgehen, sollte sie ihn tatsächlich im Treppenhaus ertappen! Er konnte immer noch behaupten, jemanden im Haus besuchen zu wollen, wenn es hart auf hart kam. Also setzte er seinen Weg fort und stand schließlich vor der Tür, hinter der er die Wohnung der Rothaarigen vermutete. Doch was nun? Darüber hatte er sich bisher gar keine Gedanken gemacht. Was war, wenn dieser olle Bitterman gar nicht hier auftauchte, was er sich sehr gut vorstellen konnte? Würde er es tatsächlich allein mit diesem Teufelsweib aufnehmen können ... ? * Draven hatte sich wieder im Griff. Zwar war sie noch immer traurig, dass die Tasse ihres Vaters in tausend Teile zersplittert war, doch es bestärkte sie nur noch mehr in ihrem Verlagen, endlich diesem Vampir-Rocker den Garaus zu machen. Gäbe es Wesen wie diesen Darkness nicht, würde sie heute nicht um die letzten Hinterlassenschaften ihrer Eltern weinen müssen. Wenn ihre Eltern eines Tages eines natürlichen Todes gestorben wären, hätte Draven damit leben können, denn schließlich musste jeder Mensch eines Tages vor seinen Schöpfer treten. Doch dieses Bild, das sie jede Nacht in ihren Träumen verfolgte, ließ sie einfach nicht los. Ihre Eltern hatten niemals jemandem etwas zu Leide getan, und dann kamen ein paar dieser verfluchten Blutsauger daher und brachten sie einfach um. Sie hörte auf, darüber nachzudenken, denn es war an der Zeit, sich für das Zusammentreffen mit dem Vampir vorzubereiten. Draven zog den Einsatzkoffer unter ihrer Schlafcouch hervor und öffnete ihn. Routiniert traf sie ihre Auswahl: die Pflockpistole und einen kleinen silbernen Dolch, den sie leicht in ihren hohen Springerstiefeln verbergen konnte. Die Pistole stopfte sie sich hinten in den Hosenbund. Sie warf einen kurzen Blick auf die Küchenuhr. Noch eineinhalb Stunden bis Mitternacht. * Allmählich wurde Eddie Smith nervös! Er stand jetzt schon eine geschlagene halbe Stunde vor der Tür der 48
Rothaarigen und von Officer Bitterman bisher keine Spur. Warum zur Hölle ließ sich dieser verdammte Kerl nicht blicken? Wie üblich, dachte Eddie, alles bleibt mal wieder an mir hängen! Wenn du dich auf die Cops verlässt, bist du verlassen ... Doch er hatte noch immer keine Ahnung, was er tun sollte. Er konnte es unmöglich alleine mit dieser Tussi aufnehmen. Sie war viel zu stark, und Eddie war nicht gerade ein Arnold Schwarzenegger! Er konnte es drehen und wenden wie er wollte, er war auf diesen gottverdammten Cop angewiesen ... Eddie zerbiss einen Fluch auf den Lippen. Dann zog er sein Handy aus der Hemdstasche und wählte abermals die Nummer des Officers. Das Klingelzeichen erklang, doch dieses Mal ging niemand an den Apparat. »Shit! Warum sind die Typen niemals da, wenn man sie braucht?« Er legte auf und wollte das Mobiltelefon gerade zurück in die Tasche schieben, als das Ding plötzlich begann, wie verrückt zu klingeln. Dem Taxifahrer blieb vor Schreck fast das Herz stehen. Hektisch drückte er auf alle möglichen Tasten, um das elende Geräusch zum Verstummen zu bringen. Endlich hatte er es geschafft, doch es war zu spät. Mit einem Mal wurde die Tür aufgerissen, und er sah sich Auge in Auge der Rothaarigen gegenüber. Gerade wollte er eine Entschuldigung zusammenstammeln, da geschah etwas mit ihren Augen. Das eisige Blau, in das er von einem Moment noch geblickt hatte, verwandelte sich plötzlich. Er hätte es nicht beschreiben können, doch plötzlich waren ihre Augen von einem flammenden Gelb erfüllt. Noch bevor Eddie irgendwie reagieren konnte, packte sie ihn an der Gurgel und hob ihn hoch, sodass seine Füße einen halben Meter über dem Fußboden baumelten. Sie drückte so fest zu, dass ihm die Luft wegblieb. Verzweifelt ruderte er mit den Armen. Doch es war sinnlos. Überdeutlich spürte er, dass es vorbei war. Aus und vorbei! Er würde sterben ... * Das Klingeln eines Handys ließ Draven alarmiert herumfahren. Sie hatte die ganze Zeit über schon das Gefühl der Bedrohung gehabt und gespürt, dass sich jemand in der Nähe aufhielt, und nun gab es keinen 49
Zweifel mehr. Auch ER schlug Alarm. Deshalb zögerte sie nicht länger. Mit großen Sätzen stürmte sie auf die Wohnungstür zu und riss sie auf. Dann hielt sie überrascht den Atem ein. ER schickte Hitzewellen durch ihren Körper. Der Vampir! Bevor der elende Blutsauger sich auch nur rühren konnte, hatte ER die Kontrolle übernommen. ER ließ ihm keine Chance zu entkommen oder anzugreifen. Schon hatte ER ihn am Hals gepackt und angehoben. Etwas tief im Inneren von Celestine Draven schrie auf. Hier ging etwas ganz gewaltig schief! Der Vampir machte überhaupt keine Anstalten anzugreifen und wehrte sich auch jetzt nur mit halbem Einsatz. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass ihr, ausgerechnet ihr, ein dermaßen schwacher Vampir auflauerte. Der Blutsauger schnappte verzweifelt nach Luft. Da sah sie plötzlich klar, und was sie sah, ließ sie innerlich aufschreien. Es war kein Vampir, der sich in ihren unerbittlich zupackenden Händen wand. Es war ein Mensch! Sofort wollte sie IHN zurückdrängen. Doch zu ihrem Entsetzen war das nicht möglich. So sehr sie sich auch bemühte - ER behielt die Kontrolle über ihren Körper. Draven konnte nur unbeteiligt zusehen, wie der zappelnde Kerl in ihren Händen langsam begann, blau anzulaufen. Sie konnte nicht einmal die Augen schließen, um nicht mit ansehen zu müssen, was nun geschah. Ein roter Feuerblitz zuckte aus Dravens Augen hervor und hüllte den langhaarigen Mann in knisterndes Glühen. Sie hörte ihn voller Qual schreien, während er von innen heraus verbrannte. Etwas in Celestine Draven starb in diesem Moment. Sie hatte niemals einem Menschen wehtun wollen. Niemals! Stets war sie darauf bedacht gewesen, keinen Unschuldigen in ihre Sache hineinzuziehen. Und bisher hatte sie den Dämon immer unter Kontrolle halten können. Als der Langhaarige zu einem Häufchen Asche zerfiel, erlangte Draven die Gewalt über ihren Körper zurück. Schluchzend brach sie vor der Türschwelle zusammen. Sie konnte einfach nicht fassen, was soeben geschehen war. Sie hatte einen Menschen getötet. Mit ihren eigenen Händen! 50
Und obwohl sie zu diesem Zeitpunkt nicht sie selbst gewesen war, konnte sie das nicht trösten. Es war ihre Schuld! Und sie musste von nun an damit leben! Hätte sie damals nur nicht den Dämon beschworen - es wäre niemals zu diesem entsetzlichen Zwischenfall gekommen. Zwar hätte sie allein auch niemals so viele Vampire zur Strecke bringen können, doch wog das ein Menschenleben auf? Wogen all die vernichteten Vampire das Leben auf, das sie gerade vernichtet hatte? Ein Leben voller Hoffnungen, Träume und Wünsche? Nein! Denn nun war sie nicht besser als die, die zu vernichten sie es sich zum Ziel gemacht hatte ... * Genervt schaltete Officer Bitterman sein Handy aus. Wo steckt bloß dieser Smith? Und warum geht er nicht an sein gottverdammtes Telefon? Bitterman stand nun schon eine ganze Weile mit seinem Wagen vor dem Haus, dessen Adresse ihm dieser verrückte Taxifahrer durchgegeben hatte. Warum ließ er sich auch jedes Mal von diesen Irren einwickeln? Es war doch klar, dass dieser Spinner nicht alle Tassen im Schrank hatte und Bitterman schalt sich einen Narren, dass er wegen dessen Anruf seinen wohlverdienten Feierabend geopfert hatte. Aber wo er schon einmal hier war... Er warf sein Telefon auf den Rücksitz des rostroten, ziemlich klapprigen Fiat und öffnete die Fahrertür. Mit einem leisen Seufzen stieg er aus und überquerte die verlassen daliegende Straße. Ein kurzer Blick auf die vorhandenen Klingelschilder sagte ihm, dass nur eine einzige Frau in dem heruntergekommenen Gebäude lebte. Was schadete es schon, der Lady einmal einen kurzen Besuch abzustatten? Falls sie überhaupt zu Hause war... Kurz entschlossen drückte Officer Bitterman den Rufknopf. Er wartete einige Sekunden, doch nichts tat sich. Einer Eingebung folgend drückte er leicht gegen die Haustür, und stellte überrascht fest, dass sie nicht verschlossen war. Für einen Augenblick dachte er daran, das Haus zu betreten, doch dann schüttelte er den Kopf. Das war doch Blödsinn! Er würde doch nicht riskieren, eine Beschwerde der Dienstaufsicht zu kassieren, bloß weil ihm ein Verrückter einen Floh ins Ohr gesetzt hatte. Nein, niemals! Er wollte gerade umkehren, da hörte er plötzlich einen markerschütternden Schrei. Und er war aus dem Inneren des Hauses erklungen! 51
Ohne zu Zögern wollte Bitterman nach seiner Waffe greifen und stieß einen Fluch aus. Er hatte völlig vergessen, das er Zivilkleidung trug und auch sein Schulterholster samt Dienstwaffe zu Hause über dem Küchenstuhl hing. Verdammt, wie hätte er auch ahnen können, dass er sie heute Abend noch brauchen würde! Was sollte er jetzt bloß tun? Wenn er zu seinem Wagen zurücklief und per Handy Verstärkung anforderte, konnte es unter Umständen bereits zu spät sein. Nein, er musste handeln. Und zwar jetzt gleich …
* Celestine Draven war am Ende, ihre Nerven lagen blank. Was da eben geschehen war, war einfach zu viel für sie! Sie hoffte, gleich aufzuwachen, sich in ihrem Bett vorzufinden und zu erkennen, dass sie nur einen schrecklichen Albtraum durchlebt hatte. Doch das würde nicht geschehen. Es war kein Traum gewesen, sondern die Wirklichkeit, die grausame, nicht veränderbare Realität. Sie wollte schreien, toben, sich selbst für das, was sie getan hatte, strafen. Aber sie hatte es ja gar nicht selbst getan. Sicher, irgendwie schon, aber hätte ER sie nicht in die Irre geleitet, wäre das niemals geschehen. Auf IHN musste sie wütend sein, nicht auf sich. Einzig und allein auf IHN, denn ER hatte ihr das angetan. Seltsamerweise nahm der Hass, den sie auf IHN verspürte, schon wenige Sekunden später merklich ab. Etwas geschah mit ihr, etwas veränderte sich, und plötzlich betrachtete sie das alles gar nicht mehr als so schlimm. Natürlich war es immer noch schrecklich, aber eben nicht mehr so sehr wie noch vor wenigen Augenblicken. Was war los mit ihr? Steuerte ER ihre Gedanken, bestimmte er ihr Denken? Schwere Schritte im Treppenhaus rissen Draven nun aus ihren wirren Gedankengängen. Jemand war auf dem Weg zu ihr! Eilig rappelte sie sich auf und wischte sich die Tränen von den Wangen. Sie ahnte, dass Unheil im Anmarsch war, und deshalb musste sie fort von hier, und sei es nur, um andere Menschen vor ihr selbst zu schützen. So etwas durfte nie wieder geschehen! Plötzlich waren die selbstzerfleischenden Gedanken wieder da, und sie überlegte, ob sie sich stellen sollte. Doch im nächsten Moment waren die Schuldgefühle wieder zurückgedrängt. Es war ein Hin und Her, das an ihren Nerven zerrte. 52
Sie stürmte in ihre Wohnung und warf die Tür hinter sich zu. Dann öffnete sie das Fenster zum Hinterhof und kletterte über das Regenwasserrohr nach unten. Sie musste sich beeilen, denn sie wollte weiterhin um Mitternacht am Club sein. Dieser elende Vampir musste ausgeschaltet werden! Wenn es etwas gab, mit dem sie ihre Schuld an der Menschheit abtragen konnte, dann war es die Tilgung aller Blutsauger vom Antlitz der Erde. Als sie festen Boden unter den Füßen hatte, warf sie einen gehetzten Blick nach oben, zum Fenster ihrer Wohnung. Doch es war niemand zu sehen. Trotzdem beeilte sie sich, in der Dunkelheit des Hinterhofes zu verschwinden. * Officer Bitterman betrachtete flüchtig den Haufen Asche auf dem Flur direkt vor der Wohnungstür von Celestine Draven. Oh, Mann, dachte er, jetzt laden die ihren Müll schon direkt vor der Wohnung ab. Ekelig, so was! Er klopfte an die Tür, hinter der laut Namensschild Miss Draven hauste, und wartete. Als er einen Moment gewartet hatte, wandte er sich zum gehen. Es war nur Zufall, dass sein Blick noch einmal den Aschehaufen streifte - und dort etwas aufblitzen sah. Das kann alles mögliche sein, dachte er. Trotzdem bückte er sich und stocherte mit einem Kugelschreiber in der Asche herum, um das glitzernde Etwas auszugraben. Eine Kette! Aber das Schlimme war nicht, dass er eine Kette gefunden hatte, sondern dass er glaubte, sie wiederzuerkennen. Sie gehörte Eddie Smith! Bitterman schluckte schwer. Ihm wurde übel, bittere Magensäure stieg in seinem Hals hoch. Träumte er das alles vielleicht nur? Oder fantasierte er sich irgendetwas zusammen? Nein, er träumte ebenso wenig, wie er fantasierte. Was er hier erlebte, war die Wirklichkeit. Nun ist es wohl doch an der Zeit, die Kollegen zu informieren, dachte er verwirrt. * Vergangenheit Celestine Draven hatte sich in einen blutroten Umhang gehüllt und hockte auf dem blanken Steinfußboden eines karg eingerichteten Kämmerchens. 53
Obwohl draußen ohnehin finstere Nacht herrschte, war der Raum durch schwere schwarze Samtvorhänge völlig abgedunkelt. Nur durch den flackernden Schein einiger pechschwarzer Kerzen, von denen ein merkwürdiger, ekeliger Geruch ausging, wurde er notdürftig erhellt. Es war nicht kalt, doch die unwirkliche Atmosphäre in diesem Raum bewirkte, dass Draven ein Schauer nach dem anderen über den Rücken rieselte. Sie hatte ein klammes Gefühl im Magen. Noch immer war sie nicht sicher, dass sie das Richtige tat. Doch sie vertraute Edith Carter, der Mutter ihres ehemaligen Mentors Steward Carter. Die alte Frau war ebenfalls mit einem Samtumhang bekleidet, nur war ihrer von einem tiefen Schwarz. Nun kniete sie sich neben Draven nieder, und die junge Frau hörte deutlich das Knirschen ihrer altersschwachen Gelenke. »Hab keine Furcht, Kleines. Es wird nicht weh tun ... « Ediths Stimme war rauh und tief. Draven schüttelte den Kopf. Es war nicht der Schmerz, den sie fürchtete. »Ich weiß nicht, ob es Recht ist, was wir hier tun, Edith«, sagte sie. Doch davon wollte die alte Frau nichts hören. »Natürlich ist es Recht! Nichts, was dazu beitragen kann, die Welt von Vampiren zu befreien, kann Unrecht sein! Dafür hat Steward gelebt, denk daran!« »Sicher, das weiß ich ja. Aber heiligt denn der Zweck wirklich die Mittel?« Edith Carter seufzte schwer. »Nein, Draven. Doch in diesem Fall können wir nicht anders handeln. Und außerdem bin ich mir sicher, das du den Dämon vollkommen unter Kontrolle haben wirst. Es kann überhaupt nichts schief gehen, Kleines.« Draven nickte, halbwegs überzeugt. Ja, sie wollte alle Vampire vernichten. Sie wollte alles tun, um die Welt von diesem Abschaum zu befreien. Und wenn das der Preis war, so war sie auch bereit, ihn zu bezahlen. Sie beobachtete, wie die alte Frau begann, wundersame Zeichen auf die Wände des kahlen Raumes zu malen. Als sie fertig war, kniete sie abermals nieder und benutzte einen feinen, silbernen Dolch, um ein Pentagramm in den nackten Fußboden zu ritzen. »Nun ist alles bereit, mein Kind«, sagte sie. »Die Prozedur kann beginnen.« Das war Dravens Stichwort. Edith hatte ihr in den letzten Wochen beigebracht, Beschwörungsformeln in einer fremdartigen Sprache aufzusagen. Damit sollte sie den Dämon aus einer Zwischenwelt hervorrufen und sich dann mit ihm verbinden. 54
Nun begann sie, diese uralten, vergessenen Worte zu sprechen. Die beiden Frauen reichten sich die Hände und bildeten so einen Kreis um das Pentagramm. Draven spürte, dass Ediths Hand kalt wie Eis war. Nun warteten sie ab. Zunächst geschah überhaupt nichts. Die Zeit verging ... Doch dann passierte es! Und obwohl sie wusste, dass etwas geschehen würde, zuckte Draven erschrocken zusammen, und sie befürchtete bereits, einen Fehler gemacht zu haben, als die Zeichen an den Wänden plötzlich grell aufleuchteten. Das Licht der Kerzen flackerte noch einmal hell auf und erlosch anschließend. Doch es wurde nicht dunkel. Das Pentagramm in ihrer Mitte begann zu glühen, und Draven spürte die Anwesenheit von etwas völlig Fremden in dem kleinen Raum. Plötzlich keimte Furcht in der jungen Frau auf. Zwar hatte Edith ihr erklärt, was geschehen würde, doch sie hatte es bisher nicht wirklich verstanden. Das Leuchten begann zu flackern, so als spürte es, dass die, die es beschwor, zweifelte. »Du darfst nicht zögern. Nimm IHN auf, und ER wird dich mit übermenschlicher Macht belohnen!«, raunte ihr Edith zu, und Draven öffnete ihren Geist. Im nächsten Moment schrie sie auf. Wie ein sengendes Feuer war etwas in ihren Körper eingedrungen, und die junge Frau fürchtete, bei lebendigem Leibe zu verbrennen. Ein furchtbarer Kampf wurde in ihrem Kopf ausgetragen. Nur mit Mühe gelang es ihr, die Überhand zu behalten. Zufrieden beobachtete Edith Carter das erschreckende Schauspiel. Sie sah, wie Draven sich in Schmerzen auf dem Boden wand und ein hintergründiges Lächeln spielte um ihre schmalen Lippen. Sie hatte es tatsächlich geschafft, und nun würde alles seinen Lauf nehmen. Als Draven bewusstlos zusammensank, erhob sich die alte Frau mit der Geschmeidigkeit einer Zwanzigjährigen. Sie hob die jüngere Frau vom Boden auf, als wöge sie nicht mehr als eine Feder, und trug sie aus dem Raum. Als sie die schwere Tür hinter sich schloss, entrang sich ihrer Kehle ein grausames, unmenschliches Lachen … * Der Mond warf seinen fahlen Schein auf den ansonsten finsteren, menschenleeren Hof des Club Daemonique. Es stank nach Müll und Urin. Überall lag Abfall herum, Ratten fiepten. Aus dem Club drangen laute Underground-Musik und die Stimmen der 55
Besucher. Von der Straße her erklangen Motorengeräusche, ab und zu auch das Quietschen von Reifen, und hier und da war auch Sirenengeheul zu vernehmen. Irgendwo schrie klagend ein Käuzchen, und fast gleichzeitig schlug in weiter Ferne die Glocke einer Kirchturmuhr zwölf Mal. Mitternacht! Bruce richtete sich auf. Jetzt war es also so weit. Jetzt würde er erfahren, ob es stimmte, was Jackson ihm erzählt hatte. Sollte diese Celestine Draven wirklich hier auftauchen? Ungeduldig wippte der junge Vampir von einem Fuß auf den anderen. Mitternacht war vorbei, aber noch geschah nichts. Also hat der Alte mir doch bloß Mist erzählt, schlussfolgerte Bruce vorschnell. Trotzdem wollte er noch etwas warten. Vielleicht trat das seiner Ansicht nach Unmögliche ja doch noch ein ... Die Zeit verging schleppend, dehnte sich wie Kaugummi. Ein Geräusch! Bruce kreiselte herum, doch es war nichts zu sehen. Jetzt wirds mir aber wirklich zu bunt!, dachte er sauer und wandte sich um, um den Rückweg anzutreten. Wieder ein Geräusch! Bruce wirbelte herum. Das gibts doch gar nicht!, dachte er fassungslos, als er direkt in das Gesicht der Person blickte, auf die er gewartet hatte! Bruce Darkness und Celestine Draven standen sich gegenüber. Ihre Blicke trafen sich, für einen Moment starrten sie sich gegenseitig an. Dann stürmte Draven vor. Ihr rechtes Bein schnellte hoch, und ihr Fuß grub sich unter sein Kinn. Der Tritt war hart, Schmerz schoss durch Bruces Kopf. Doch er stürzte nicht, sondern hielt sich auf den Beinen, obwohl er ins Taumeln geriet. Er hatte sich gerade gefangen, da folgte bereits der nächste Tritt, und gleich darauf krachten Dravens Fäuste gegen seinen Brustkorb. Erneut wurde Bruce nach hinten geworfen, und diesmal konnte er sich nicht mehr halten, stürzte rücklings auf den dreckigen Boden. Er rollte sich zur Seite, weg von ihren zutretenden Füßen, und kam wieder auf die Beine. »Blöde Schlampe!«, fauchte er. Mit einem Hechtsprung raste er auf Draven zu, packte sie und riss sie mit sich zu Boden. Sie rollten eng umschlungen über den Asphalt. Schließlich hockte Bruce über ihr und bearbeitete sie mit den Fäusten. Rechts! Links! Mit unvorstellbarer Geschwindigkeit und grausamer Wucht 56
krachten die Nieten seiner Handschuhe in ihr Gesicht. Doch die Schläge zeigten deutlich weniger Wirkung, als der Vampir es gewohnt war. Treffer, die normalerweise ihren Kopf zermantscht hätten, schienen ihr nicht mehr auszumachen, als wäre er ein normaler Sterblicher und nicht einer der stärksten Vampire New Yorks. Bruce bemerkte die momentane Nutzlosigkeit seiner Fäuste, zog sein Hiebmesser unter der Jacke hervor und ließ es niedersausen. Sein Ziel war ihre Brust gewesen, doch bevor sich die Klinge in ihren Körper hacken konnte, bäumte Draven sich auf, beförderte Bruce damit ein Stück nach oben und verschaffte sich so Luft. Hastig rollte sie sich nach rechts und das Messer drang lediglich in ihren linken Arm. Sie schrie auf, war aber sofort wieder kampfbereit. Sie ließ nun ihre Rechte in einem gemeinen Rückhandschlag zur Seite schnellen und traf Bruce damit gegen die linke Wange. Der Vampir hatte das Gefühl, von einem Vorschlaghammer getroffen zu werden. Seine Wangenknochen zersplitterten, und er wurde zur Seite geschleudert. Für einen kurzen Moment verlor er die Orientierung, löste sich sein Griff um das Hiebmesser. Er wirbelte herum und sah nun, wie Draven einen Dolch aus dem Stiefelschaft zog. Den Bruchteil einer Sekunde später stach sie zu. Die Klinge bohrte sich unterhalb der letzten Rippe in seine Seite. Jetzt schrie Bruce auf. Es war mehr der Schreck als der Schmerz, der ihn aufschreien ließ, aber jetzt hatte er endgültig genug. Er verbiss sich den Schrei, als Draven die Klinge drehte, während sie sie herauszog. »Na«, rief sie, »wie fühlt sich das an?« Doch der Vampir antwortete nicht, sondern ließ beide Fäuste vorschnellen, die gleich darauf gegen Dravens Brust krachten. Nun wurde sie zurückgeworfen. Bruce ließ sie nicht zur Ruhe kommen, war sofort wieder bei ihr. Er ließ erneut Fäuste und Füße sprechen, ließ einen Hagel von Tritten und Hieben auf sie niedergehen. Sie wurde hin und her geworfen, schaffte es nur mit Mühe, einige der Schläge abzublocken. Schließlich packte er sie an der Gurgel, hob sie an und drückte kurz und kräftig zu, um ihren Kehlkopf zu zerquetschen. Dann schleuderte er sie weg. Meterweit segelte sie durch die Luft und kam zwischen Mülltonnen vor 57
einer Mauer zum Liegen. »Da gehörst du auch hin«, murmelte der Vampir. Dann schloss er die Augen und konzentrierte sich darauf, seine Wunden zu heilen ... Ein Geräusch erregte seine Aufmerksamkeit, ein metallisches Scheppern, wie von ... Er riss die Augen auf. Celestine Draven kam zwischen den umgestürzten Mülltonnen gerade wieder auf die Beine und funkelte ihn an. Sie schien nicht eine einzige Schramme zu haben. Bruce stürmte auf sie zu. Er würde sie schon noch klein kriegen. Da hob Draven die rechte Hand und richtete die Waffe, die darin lag, auf ihn. Eine Pflockpistole!, schoß es dem Vampir durch den Kopf. Er sah, wie sich ihr Zeigefinger nach hinten krümmte. Da raste der Pflock auch schon auf ihn zu. Bruce warf sich zu Boden. Das hölzerne Geschoss jagte heran, schrammte jedoch nur über seine Jacke und verschwand in der Nacht, ohne ihn zu verletzen. Draven hatte die Zeit, die der Vampir benötigt hatte, um wieder auf die Beine zu kommen, nicht ungenutzt verstreichen lassen. Ihren Dolch in der Faust war sie heran. Sie warf sich auf ihren Gegner und stieß die Klinge nach Bruces Bauch. Im letzten Moment warf der Vampir sich zur Seite. Er rollte sich ab, wirbelte herum, sprang vor. Mit einem wilden Hieb schlug er ihr den Dolch aus der Hand, ignorierte dabei völlig, dass seine eigene Faust dabei durchbohrt wurde. Er packte seine Gegnerin am Gürtel und schleuderte sie ein zweites Mal von sich. Wieder krachte sie in die Mülltonnen. »Und jetzt bleib da, wo du hingehörst!«, rief Bruce ihr zu. Schneller als ein Gedanke sprang sie auf, und mit einem Satz war sie über die mannshohe Mauer verschwunden. Bruce wollte sie unter keinen Umständen entkommen lassen. Er rannte zu seinem Hiebmesser, das noch immer dort lag, wo er es verloren hatte, und hob es auf. Seine Hand war schon wieder verheilt, als er - der Rothaarigen hinterher - ebenfalls über die Mauer hechtete. * Officer Bitterman und seine Kollegen standen vor einem Rätsel.
Die Asche war auf dem Weg ins Labor, und die Wohnung von Celestine
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Draven hatten sie bereits öffnen lassen. Es war eine kleine, unscheinbare Wohnung, in der nichts Auffälliges zu finden war, zumindest auf den ersten Blick nicht. Aber was sollten sie hier auch schon finden? Bitterman hatte ja nicht einmal eine Ahnung, nach was er suchen und was diese Draven getan haben sollte. Sicher, wenn es diese Rothaarige war, von der Smith gesprochen hatte, dann hatte sie gestern einen Typ auf sein Taxi geworfen. Falls es stimmte, was Smith erzählt hatte. Wenn Bitterman aber mit seiner Vermutung Recht behalten sollte, und der Haufen Asche war das Letzte, was von Eddie Smith noch übrig war, dann ... Ja, dann war Miss Celestine Draven eine gefährliche und womöglich geistesgestörte Mörderin. Er ging zu einem der Polizeiwagen, setzte sich ans Funkgerät und gab eine Fahndung raus. Gesucht: Celestine Draven, wegen dringendem Mordverdacht ... * Bruce sprang über die Mauer und wurde auf der anderen Seite bereits erwartet! Er hatte geglaubt, dass sich Draven aus dem Staub machen wollte, doch dem war nicht so. Lauernd stand sie da, und kaum dass seine Füße den Boden berührten, versetzte sie ihm auch schon mit einem wütenden Schrei einen Schlag auf die Rippen. Der Hieb war von so kräftig, dass Bruce rückwärts gegen die Mauer geworfen wurde. Er streckte alle viere von sich und konnte gerade noch verhindern, dass er in die Knie sackte. Dann erhielt er einen Tritt in die Magengegend. Der Vampir krümmte sich zusammen, als wolle er sich verbeugen. Gleich darauf traf ihn ihre Handkante ins Genick. Jetzt ging Bruce doch in die Knie. Sie packte ihn und schleuderte ihn von sich. Er wirbelte durch die Luft und kam zwischen zwei abgestellten Motorrädern zum Liegen. Dies war der Parkplatz des Daemonique. »Wow, Kleine!«, rief er, während er sich aufrappelte. »Du bist richtig gut.« »Es wird sogar noch besser!«, brüllte sie und stürmte auf ihn zu. Der Vampir ergriff eines der umgestürzten Motorräder und stemmte es über den Kopf. 59
Seine Gegnerin hatte ihn fast erreicht, da ließ er es einfach vor sich fallen. Für Draven, die es nicht mehr schaffte, die Richtung zu ändern, war es, als würde sie gegen eine Wand laufen, als sie die 500 Pfund schwere Maschine rammte und unter ihr begraben wurde. Die Rothaarige kreischte, fauchte und brüllte, während sie unter dem Motorrad hilflos zappelte. Dann veränderten sich ihre Augen, begannen, in einem dämonischen Gelb zu leuchten. Im nächsten Moment schleuderte Celestine Draven die schwere Maschine, die auf ihr lag, einfach zur Seite, und ihr Brüllen hatte nichts Menschliches mehr... * Ryder Jackson betrachtete das Geschehen aus sicherer Entfernung. Bisher war er recht zufrieden mit dem, was Bruce Darkness leistete. Er war schnell, kräftig und wusste seinen Körper als Waffe einzusetzen. Und sein Selbstvertrauen war überwältigend. Doch leider musste Jackson zugeben, das sich auch Draven verdammt gut schlug. Immer wieder ließ sie explosive Salven hämmernder Schläge auf Bruce niederprasseln, wovon dieser nicht gänzlich unbeeindruckt blieb. Mehrmals gelang es ihm nur haarscharf, sich mit geschmeidigen Bewegung aus der Gefahrenzone zu bringen. Und mindestens genauso oft wie sie war er den mörderischen Tritten seiner Gegnerin schutzlos ausgeliefert. Nein, Ryder Jackson glaubte nicht, das er sich in Darkness getäuscht hatte. Aus dem Jungen konnte wirklich noch etwas werden. Mit viel Training - nicht nur für den Körper, sondern vor allem für den Geist - würde er vielleicht eines Tages so mächtig sein wie Jackson es war. Natürlich nur, wenn dieser es zuließ, das verstand sich von selbst! Im Moment jedoch schien der jüngere Vampir mit seiner Gegnerin bereits völlig ausgelastet zu sein ... * Officer Bitterman hatte zur Zeit das Gefühl, in irgendeinen von diesen merkwürdigen Horrorstreifen geraten zu sein, in dem völlig normale Typen von einer Sekunden auf die andere in die verrücktesten Sachen hineingezogen wurden. Sachen, die mit dem normalen Menschenverstand nicht zu erklären waren. Ebenso erging es ihm im Augenblick. Der kleine aber feine Unterschied bestand lediglich darin, das in diesen Filmen alles nur gespielt war. Nach 60
Feierabend streiften die Schauspieler ihre Masken und Kostüme ab und konnte in ihr normales Leben zurückkehren. Leider war dies hier nicht der Fall. Er war kein Schauspieler, sondern ein ganz normaler Polizist, der noch 11 Jahre bis zur Pension abzureißen hatte. In all der Zeit war ihm schon eine Menge untergekommen. So etwas aber noch nicht! Noch immer fiel es ihm schwer zu glauben, dass es sich bei der gefundenen Asche tatsächlich um die Überreste eines Menschen - Eddie Smith? -handelte. Was für eine Waffe musste das gewesen sein, um einen Menschen so vollständig zu verbrennen? Nicht einmal Knochenreste oder Zähne waren übriggeblieben. Warum dann die Kette mit dem kreuzförmigen Anhänger? Bitterman hockte im Streifenwagen von zwei Kollegen, mit denen er nun zum Revier fahren wollte. Doch in diesem Moment kam ein Funkspruch, der ihn aufhorchen ließ. Es ging um eine Schlägerei nahe eines Szeneclubs. Ein Zeuge hatte gesehen, dass sich zwei Personen schlugen und die Polizei alarmiert. Eigentlich war das Routine und hätte Bitterman kaum von seinem Feierabend abgehalten. Aber nach Aussage des Anrufers handelte es sich bei den Personen um einen großen durchtrainierten Mann -und um eine Frau mit feuerrotem Haar. . * Celestine Draven spürte, wie ER in ihr erwachte. Ihr Verbündeter. Der Dämon. Er hatte lange auf sich warten lassen, und es hatte sie schon gewundert. Aber jetzt war er da. Und jetzt würden sie gemeinsam diesen elenden Blutsauger zur Strecke bringen! Sie sah, dass Darkness den Ständer eines Motorrads abriss und nach ihr warf. Es entlockte ihr nur ein müdes Lächeln, und sie wich nicht einmal aus. Das Geschoss zischte durch die Luft, raste genau auf sie zu. Doch kurz bevor es sein Ziel erreichte, bildete sich ein Schutzschild um Draven. Und der Motorradständer prallte ab. Sie lachte hämisch. »Na, was sagst du dazu, Blutsauger?« »Cool!«, rief er und kam auf sie zugestürmt. Fast hatte er sie erreicht, griff schon nach ihrer Kehle, da federte sie hoch. Senkrecht hob sie ab, und der Angriff des Vampir ging ins Leere. 61
Draven kreiselte noch in der Luft herum, und kaum war sie gelandet, fuhr ihr rechter Fuß hoch, und traf Bruce von hinten ins Genick. Der Vampir brach zu Boden. Sofort war Draven über ihm und rammte ihm die Faust ins Kreuz. Er schrie auf. »Ich mach dich fertig, verdammter Blutsauger!«, brüllte sie. Doch da vernahm sie das Sirenengeheul. Es kam näher, und sie ahnte, dass es hier gleich von Menschen wimmeln würde. Dadurch, dass sie einen Moment abgelenkt war, gelang es Bruce, sich herumzuwerfen, sodass er jetzt auf dem Rücken lag. Ich muss hier weg, dachte sie. Es dürfen nicht noch mehr Menschen zu Schaden kommen. Sie sprang auf und rannte los. In diesem Augenblick kamen drei Motorradfahrer auf schweren Choppern auf den Parkplatz gefahren. Sie stoppten ihre Maschinen ganz in der Nähe. Das war ihre Chance! Sie stürmte auf einen der Fahrer zu und stieß ihn von der Maschine. »Ey, was fällt dir ein, du blöde Schlampe?«, schrie der Kerl. Draven ignorierte das. Sie überzeugte sich nur rasch, ob sie ihn auch nicht ernsthaft verletzt hatte. Dann sprang sie auf sein Motorrad und fuhr los. Sie flüchtete nicht etwa vor diesem Darkness, nein, das hatte sie nicht nötig. Sie war sich ganz sicher, dass er sie ohnehin verfolgen würde. Und das tat er auch. Er rammte ebenfalls einen der Motorradfahrer aus dem Sattel - dieser regte sich danach nicht mehr - und raste ihr hinterher ... * Überrascht beobachtete Ryder Jackson, dass sich Draven aus dem Staub machte. Damit hatte er nun wirklich nicht gerechnet, vor allem, da es zunächst danach ausgesehen hatte, als ob ihr Bruce Darkness unterlegen wäre. »Merkwürdig ...«, murmelte Jackson. Das wollte so gar nicht zu der Furie passen, für die er Draven hielt. Es schien ihr doch jedes Mittel recht zu sein, um einem Vampir den Garaus zu machen. Zumal sie keinerlei Anzeichen gemacht hatte, schwächer zu werden. Eher im Gegenteil... Dann sah er, wie Bruce sich ohne eine Sekunde zu zögern zur Verfolgung bereitmachte. Er ist so sehr von sich überzeugt, dass er nicht einmal ahnt, dass er am verlieren war, dachte Ryder Jackson. Schnell waren die beiden Kontrahenten auf ihren Bikes aus seinem 62
Blickwinkel verschwunden. Doch Jackson hatte noch nicht genug gesehen. Mit einer fließenden Bewegung leitete sich die Transformation ein und plötzlich war das Dach, auf dem bis vor wenigen Sekunden noch ein älterer, unscheinbar aussehender Mann gestanden hatte, menschenleer. Dafür flatterte im nächsten Moment eine Fledermaus in die Höhe. Sie war weit schneller, als man es einem solchen Tierchen zutraute und nahm die Verfolgung auf... * »Da vorn fahren sie!« Der Fahrer des Streifenwagens, in dem Officer Bitterman saß, lenkte den Wagen gerade in die Straße, in der sich der Szene-Laden Club Daemonique befand, als Bitterman die Rothaarige auf dem Motorrad sah. Sie fuhr in ihre Richtung, und hinter ihr konnte er ein weiteres Motorrad sehen, auf dem ein Mann zu sitzen schien. »Los, aufhalten!« Bitterman kam sich vor wie in einem Kinofilm. Der Streifen lief, und er schaute zu, ohne wirklich ins Geschehen eingreifen zu können. Alles spielte sich irgendwie vor ihm ab. Doch es war kein Film. Er saß in keinem weichen Kinosessel, hatte auch kein Popcorntüte oder eine Coke in der Hand. Er war mittendrin im Geschehen, auch wenn er es selbst noch immer nicht begreifen konnte. Die Entfernung zu den Motorrädern schmolz dahin. Schon bald würden sie aufeinander treffen. Cooper, der Fahrer des Streifenwagens, riss nun das Lenkrad herum und stieg in die Eisen. Der Wagen stellte sich quer und blieb stehen, bildete eine Straßensperre. Bitterman sprang heraus, und seine beiden Kollegen taten es ihm nach. Sie zückten ihre Waffen und zielten auf die heranfahrende Celestine Draven. »Stehen bleiben!«, brüllte Bitterman, ohne wirklich zu glauben, dass sie ihn überhaupt hörte. »Stoppen Sie die Maschine!« Da sah er, dass irgendetwas mit den Augen der Rothaarigen nicht stimmte. Ja, tatsächlich, die Augen waren nicht normal! Sie - leuchteten! Draven dachte gar nicht daran anzuhalten. Stattdessen hob sie die rechte Hand. Und was dann geschah, ließ Bitterman vollends an seinem Verstand zweifeln. Er sah, wie ihre Hand plötzlich rot aufleuchtete und ein Feuerball daraus emporwuchs. Und dieses höllische Geschoss raste nun genau auf den Streifenwagen zu. 63
Noch bevor er und seine Kollegen auch nur eine Chance hatten wegzurennen, schlug die Feuerkugel in den Wagen ein und fraß sich in die Motorhaube. Das Fahrzeug verging in einer alles vernichtenden Explosion. Bitterman hörte noch das Krachen wie aus weiter Ferne, sah noch den Feuerwall, der sich rasend schnell ausbreitete und alles erfasste, was sich ihm in den Weg stellte. Es wurde heiß, so schrecklich heiß, aber das war alles, was er noch spürte. Keine Schmerzen, keine Qualen. Nichts. * Celestine Draven sah den Streifenwagen, der ihr mit hohem Tempo entgegenfuhr. Und ER sah durch ihre Augen ... Als die Polizisten den Wagen nun stoppten und sich ihr in den Weg stellten, handelte der Dämon. Er ließ Draven einen Feuerball schaffen und auf den Streifenwagen schleudern. Der Pkw ging in Flammen auf, explodierte. Und riss die Polizisten förmlich in Stücke! Sie raste unversehrt durch die Flammen, und anschließend zog sich der Dämon in ihr wieder zurück und begann zu schlummern. Ihre Augen nahmen wieder ihre natürliche Farbe an. Doch inzwischen war etwas mit Draven geschehen. Bisher hatte sie immer darauf geachtet, keine Menschen in Gefahr zu bringen. Doch seit sie diesen Typen, der plötzlich vor ihrer Wohnung aufgetaucht war, umgebracht hatte, war nichts mehr wie zuvor. Menschen hin oder her, dachte sie. Wer sich mir in den Weg stellt, hat nichts Besseres verdient, als zu sterben. War es wirklich so, wie man häufig hörte? Einmal Mörder, immer Mörder? Stumpfte man ab? Jetzt, in diesem Moment verspürte sie keine Reue darüber, dass sie die Cops ermordet hatte, hatte sie keine Schuldgefühle. Sie spürte nur eins: den unbändigen Hass auf Vampire. Soweit dies überhaupt möglich war, hatte er sich sogar noch gesteigert. Sie war zu allem bereit, sofern es nur der Ausrottung der Blutsauger diente. Zu wirklich allem. Es war doch so, wie viele sagten: Der Zweck heiligt die Mittel! Warum hatte sie nur so lange gebraucht, um die Wahrheit zu erkennen? 64
Sie warf einen Blick zurück. Darkness war ihr noch auf den Fersen, und das war gut so. Schon bald würde der Blutsauger sein blaues Wunder erleben ... Sie legte sich tief in die nächste Kurve und preschte mit qualmenden Reifen in eine schmale Seitengasse. Dann drosselte sie ihr Tempo ein wenig - schließlich wollte sie den verdammten Blutsauger nicht versehentlich abhängen ... * Bruce Darkness gab Gas! Dieses Miststück wird mich noch kennen lernen!, dachte er entschlossen, während er Celestine Draven weiter verfolgte. Eben hatte sie einen Streifenwagen zum Explodieren gebracht, und fuhr nun unbekümmert weiter. Sie kann genauso Feuerbälle werfen, wie dieser verfluchte Ex-Engel Babriel, überlegte der Vampir. Ob sie auch eine von seiner Sorte ist? Scheiße, das fehlte uns noch! Bruce holte auf. Doch immer, wenn er kurz davor war, richtig aufzuholen, sauste die Rothaarige ihm im entscheidenden Moment wieder davon, sodass sie ihren Vorsprung doch noch halten konnte. Gerade eben war sie mit Vollgas in eine Seitenstraße eingebogen und Bruce registrierte mit diebischer Freude, dass sie Mühe hatte, ihre Maschine in der Spur zu halten. Draven fuhr ins Hafengebiet. Dort war zwar zu jeder Zeit Hochbetrieb, aber dafür gab es dort auch zu jeder Zeit einen ruhigen Fleck. Er sah, wie sie vor einer der im Moment ruhigen Lagerhallen direkt am Pier stoppte und vom Motorrad sprang. Sie lief auf das Tor der Halle zu, und mit einem Mal war sie aus seinem Blickfeld verschwunden. Bruce erreichte die Halle und stieg ebenfalls ab. Er stutzte. Wo war sie hin? War sie hineingegangen? Oder um die Halle herumgelaufen? Der Vampir zerbiss einen Fluch zwischen den Lippen und ging er auf das Tor zu. Es war verschlossen. Da raste plötzlich ein schwarzer Schatten von oben auf ihn zu. »Schei...!« Bruce bekam nicht mehr die Gelegenheit, seinen Fluch zu Ende zu bringen. Draven war in dem Moment, den er sie aus den Augen verloren hatte, auf das Dach der Halle geklettert und sprang nun von dort auf ihn hinab. Der Aufprall riss ihn von den Beinen. Gleich darauf spürte er einen brutalen Schlag gegen die Schläfe, und dann legte sich ihr Arm von hinten um seinen Hals. 65
»Ich breche dir dein verdammtes Genick, du elender Scheiß-Blutsauger!«, zischte sie. Dravens Stimme war erfüllt von Wut und Hass. Bruce blieb ruhig. Schließlich musste er nicht mehr atmen, und geriet deshalb auch nicht in Panik, weil ihn jemand würgte. Mit voller Wucht ließ er beide Ellbogen nach hinten sausen und traf sie damit in die Seiten. Draven keuchte auf. Dann griff er über seine Schultern und packte zu. Seine Hände mit den schwarzen Nietenhandschuhen krallten sich in ihr verfilztes Haar. Mit einem Ruck zog er sie hoch und duckte sich gleichzeitig, sodass sie über seinen Kopf hinweg nach vorn segelte. Er ließ ihre Haare jedoch nicht los, und die Vampirjägerin krachte mit dem Rücken zuerst auf den fest getrampelten Boden, mit dem Kopf zu seinen Füßen. Bruce wartete nicht ab, bis sie wieder zu Atem kam. Sein Fuß fuhr hoch, und er ließ seinen Motorradstiefel in ihr hübsches Gesicht krachen. Das Geräusch vom Brechen ihrer Nase wurde nur von ihrem gequälten Schmerzensschrei übertönt. Als der Vampir den Fuß hob, um erneut zuzutreten, war ihr Gesicht blutüberströmt. Und noch einmal grub sich sein Fuß in ihr Gesicht. Doch zum dritten Tritt kam Bruce nicht. Gerade holte er wieder aus, da umklammerte Celestine Draven seine Knöchel, rollte sich zur Seite und riß den Vampir von den Füßen. Beinahe gleichzeitig kamen sie wieder auf die Beine. Jetzt sah Bruce, dass sich ihre Wunden schlossen, und sich die zerschmetterten Knochen wieder zusammenfügten. »Scheiße!«, fluchte er. Draven lachte nur. Ihre Augen waren wieder gelb geworden, und im gleichen Atemzug sprang sie hoch in die Luft und stürzte sich auf ihren Gegner. Der erste Tritt traf Bruce unters Kinn, der zweite etwas tiefer, und dann hämmerten ihre Fäuste wie die Salve eine MP gegen seine Brust. Zum Schluss zog sie ihm mit einem Sicheltritt die Beine weg. Bruce fiel auf den Rücken. Er wollte sich herumwälzen und aufspringen. Gerade kam er in die Hocke ... Aus Dravens Augen schoss Feuer hervor, und diese Flammenzungen schleuderten ihn wieder zurück. Sofort begann seine Haut zu schwelen und schon stieg ihm der widerwärtige Geruch verbrannten Fleisches in die Nase. Seine Haare verglühten in einem Sekundenbruchteil, selbst seine Lederne Kleidung brannte. Bruce Darkness' Gesicht hatte zu einer Grimasse des Schmerzes verzerrt, 66
und er schrie all diesen Schmerz hinaus. Mühsam kam er auf die Beine. Er konnte kaum stehen, eine menschliche Fackel, die bald ausgebrannt sein würde. Vor ihm stand Celestine Draven mit gelb glimmenden Augen und lächelte ein selbstzufriedenes, grausames Lächeln. Der brennende Vampir schlug verzweifelt mit den Armen, fachte damit er das Höllenfeuer nur noch mehr an - und rannte los. Hinter ihm erklang das hämische Lachen der Vampirjägerin, das plötzlich in einen Wutschrei umschlug. »Nein!« In diesem Moment trat der Fuß des panischen Bruce Darkness ins Leere und er stürzte ins Hafenbecken ... * »Es tut mir Leid, dass ich sie nicht vernichten konnte, Herr.« Bruce Darkness hatte Boris Baron von Kradoc wie immer in dessen Büro vorgefunden und saß ihm nun gegenüber. Der Baron deutete eine knappe abwinkende Handbewegung an. »Nach allem, was du mir über Celestine Draven berichtet hast, und was ich selbst über sie in Erfahrung bringen konnte, wundert es mich nicht, daß du ihr unterlegen warst, Bruce. Du kannst mir glauben, dass es schon eine große Leistung ist, dass du jetzt hier vor mir stehst und Bericht erstatten kannst. Es war richtig, dass du dich zurückgezogen hast. Aber jetzt müssen wir zu anderen Mitteln greifen.« »Und die wären?« »Du benötigst jemanden, der dir hilft, denn allein schaffst du es nicht.« »Herr, natürlich schaffe ich das allein«, begehrte Bruce auf. »Sie hat mich nur überrascht. Das nächste Mal bin ich vorbereitet. Mit dieser Mistkröte werde ich schon fertig!« »Wir werden sehen«, beschied ihm der Baron von Kradoc. »Mich würde nur noch interessieren, wie Ryder Jackson darin verwickelt ist. Ich kenne ihn gut. Er ist stark und mächtig, war früher einmal einer der ganz Großen. Aber er hält sich in letzter Zeit ziemlich zurück. Ganz bestimmt aber hat er dir nicht geholfen, weil er seine hilfsbereite Ader entdeckt hat. Da steckt mehr dahinter.« »Ich werde noch einmal mit ihm sprechen und ihn um Rat fragen«, schlug Bruce vor. »Vielleicht finde ich etwas heraus.« Kradoc nickte. »Also gut, Bruce. Du bleibst am Ball. Ich bin mir sicher, dass wir es schon sehr bald wieder mit Draven zu tun bekommen, und wir müssen sie ausschalten, bevor sie noch mehr meiner Leute vernichtet.« 67
»Ich werde mich beeilen, Herr.« Bruce erhob sich. »Ich werde Sie nicht enttäuschen.« * Celestine Draven schäumte vor Wut. Verdammt, um ein Haar wäre es ihr gelungen, diesen Darkness zu vernichten, und dann war sie einen Tick zu selbstsicher gewesen. Darkness hatte noch einmal Glück gehabt. Sie glaubte nicht, dass er gezielt aufs rettende Wasser zugerannt war, sondern dass ein unglücklicher Zufall ihn geleitet hatte. Doch beim nächsten Mal würde Draven dafür sorgen, das ihn sein Glück endgültig verließ. Sie würde ihn finden und zur Hölle schicken. Und nichts und niemand würde sie aufhalten können ...
ENDE
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Der Dämon in Draven erhält immer mehr Macht über sie, genährt von ihrem Hass auf Bruce Darkness. Sie wird alles daransetzen, den Blutsauger zu erlegen. Gleichzeitig sucht Bruce die junge Frau, die immer mehr von seinen Artgenossen ver nichtet. Der Befehl des Barons ist eindeutig:
»Töte Celestine
Draven!«
Und mit Hilfe des uralten Vampirs Ryder Jackson kann Bruce tatsächlich die Spur aufnehmen.
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