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Seewölfe 498 1
Roy Palmer
Ein einäugiger Hundesohn
Sie hatten es geschafft – die Arwenacks, die „Caribian Queens“ und die „Le Griffons“. Mit Wachsamkeit, Geduld und ohne einen scharfen Schuß waren sie in den Besitz einer riesigen Beute gelangt, an die Schätze des Don Antonio de Quintanilla in den Höhlen westlich von Batabano. Jetzt wurden die Kisten, Truhen und Fässer mit den Reichtümern an Bord der drei Schiffe transportiert und verstaut. Allerdings ahnte keiner der Männer, daß sie von vier Augenpaaren beobachtet wurden, es waren gierige Augen, die zu vier Kerlen gehörten. Luiz, Pablo, Felipe und Marco hießen sie – das letzte „Aufgebot“ der „Trinidad“, denn sie meinten immer noch, sich von den Schätzen etwas unter den Nagel reißen zu können. Wer das verhinderte, war der grimmige Carberry... Die Hauptpersonen des Romans: One-Eye-Doolin – der Kapitän der „Scorpion“ zieht sich ein paar Stiefel an, die ihm zu groß sind. Don Diego de Campos – der Generalkapitän läuft mit drei Kriegsschiffen aus Havanna aus, um den Seewolf zu schnappen. Diego – der Wirt der „Schildkröte“ auf Tortuga hat ein offenes Ohr und weiß zu schweigen. Philip Hasard Killigrew – stattet seinem Vetter Arne in Havanna einen Besuch ab und ist seinen Gegnern einen Schritt voraus.
1. Welch fatale Folgen das Auftauchen des Einäugigen in der „Schildkröte“ haben sollte, konnte selbst Diego, der Wirt, nicht ahnen. Eines aber war Diego sofort klar, als der Kerl zum erstenmal am Abend des 20. Mai 1595 in seiner Kneipe auf Tortuga stand: er war ein ausgesprochener Hundesohn. Ein mieser Kerl mit einer noch mieseren Crew von Galgenstricken und Schlagetots, die weder Moral noch Skrupel kannten. Der Anführer war ein schwarzbärtiger Kerl, bewaffnet mit Pistole und Säbel. Über dem rechten Auge trug er eine schwarze Augenklappe, rechts im Ohr, einen goldenen Ring. Seine Miene war finster, seine Nase fleischig. Diese Details fielen Diego auf den ersten Blick auf. Auf den zweiten Blick war Diego klar, daß die Animosität bei ihnen beiderseitig war. Auf Anhieb konnten sie sich nicht leiden. Das hinderte Diego aber nicht daran, den Neuling und dessen Crew mit herzlichem Grinsen zu empfangen. Welcher Herkunft waren sie? Gleich würde sich das herausstellen. Ihr Schiff, eine
schwer armierte Dreimastgaleone, ankerte in der Bucht. Diego hatte sie beobachtet, als sie eingelaufen war, hatte aber keine Nationalitätenflagge am Topp gesehen. Die Kerle erwiderten sein Grinsen nicht. Sie nahmen an der Theke Aufstellung und fixierten Diego. Einige von ihnen schauten sich aber auch weiter um und entdeckten die Mädchen, die weiter hinten in der Kneipe saßen. Da grinsten sie doch endlich - verschlafen und tückisch. „Hier sind wir richtig“, sagte einer von ihnen. „Seht euch mal die Weiber an.“ Englisch, dachte Diego. Er erkannte die Sprache, verstand sie aber nicht ganz. Egal. Er war alarmiert und neugierig zugleich. Was hatten diese Engländer in der Karibik zu suchen? „Bier“, sagte der Einäugige. Er sagte es auf Spanisch. Gleich; darauf sollte sich herausstellen, daß er die Sprache zwar mit starkem Akzent, jedoch ziemlich fließend. und nahezu fehlerfrei beherrschte. „Für alle?“ fragte Diego. „Klar“, entgegnete der Einäugige. „Für wen denn sonst?“ Diego schenkte das Bier aus. Die Humpen wurden geschwenkt, die Kerle stießen rauh
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lachend und grölend miteinander an. Die ersten schlenderten jetzt zu den Mädchen hinüber. Der Einäugige und einige der übelsten Halunken blieben jedoch an der Theke stehen. Sie hörten nicht auf, Diego mit ihren Blicken festzunageln. So leicht ließ sich Diego aber nicht festnageln. Da müssen schon ganz andere kommen, dachte er. Er grinste schon wieder, und zwar breit von einem Ohr bis zum anderen. „Na“, sagte er leutselig. „Ihr seid wohl ganz neu hier, was? Ich hab' euch hier noch nie gesehen.“ „Stimmt“, erwiderte der Einäugige. „Wir sind neu.“. „Gerade 'rübergekommen?“ „Ja“, antwortete der Einäugige. „Aus England, wie?“ fragte Diego. Die Miene des Einäugigen wurde drohend. „Woher weißt du das?“ „Ich höre es an eurer Sprache, daß ihr Engländer seid“, erwiderte Diego gelassen. „Hier treiben sich aber sonst nur Spanier herum, was?“ wollte der Anführer wissen. Diego schüttelte den Kopf. „Irrtum. Spanier, Portugiesen, Franzosen, Holländer, Engländer, Iren und sogar Deutsche. Bei mir kehren sie alle ein.“ Die Kerle lachten, als habe ihnen jemand einen guten Witz erzählt. „Hier sind wir wirklich richtig!“ rief einer von ihnen, ein brutal aussehender Kerl mit Blumenkohlohren. „Und die Geschäfte laufen gut, was, Spanier?“ fragte der Einäugige. „Es geht so“, entgegnete Diego. „Übrigens, ich heiße Diego.“ „Gut, Diego. Ich bin Doolin. One-EyeDoolin“, sagte der Einäugige. „Ich werd's mir merken.“ Diego wußte, daß er den Kerl mit seinem Grinsen reizte, deswegen grinste er. „Und aus welcher Ecke bist du?“ „Aus West Looe.“ „Wo ist das?“ fragte Diego treuherzig. „Ich hab den Namen noch nie gehört.“ „Cornwall!“ brüllte ein anderer Kerl. „Halt du dein Maul!“ fuhr Doolin ihn an. „Hier rede ich, sonst keiner!“ Zuerst sah es so aus, als wolle der andere aufbegehren.
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Dann aber wanderte auch er zu den Mädchen ab, und es waren nur noch drei Mann, die sich mit Doolin an der Theke aufhielten. „Cornwall, aha“, sagte Diego. Doolin musterte ihn argwöhnisch. „Du kennst Cornwall?“ „Nie dagewesen.“ „Aber es kreuzen hier schon mal Leute aus Cornwall auf“, fuhr der Einäugige fort. „Glücksritter und Korsaren, meine ich.“ „Vielleicht“, erwiderte Diego. „Vielleicht auch nicht.“ Er hatte jetzt bereits einen Verdacht, auf was der Einäugige hinauswollte. Aber da konnte er lange fragen. Diego ließ ihn zappeln und verriet ihm nichts. Doolin hatte seinen Humpen geleert und knallte ihn wieder auf die Theke. „Nachschenken“, befahl er. „Na los, nimm dir auch einen Humpen, Diego. Ich gebe für dich einen aus.“ „Wird dankend angenommen“, sagte Diego. Blöder Hund, dachte er, glaubst du etwa, mit einem läppischen Bier kannst du mich kaufen? Er füllte die Humpen, auch die der drei anderen. Die Humpen rutschten über die Theke, die Kerle fingen sie auf. Sie lachten wieder und stürzten das Bier in die Kehlen. Doolin trank einen tüchtigen Schluck, dann wischte er sich den Schaum mit dem Handrücken aus dem Bart. „Paß mal auf“, sagte er zu Diego. „Ich will ganz ehrlich zu dir sein. Ich bin auf der Suche nach diesem Killigrew.“ „Killigrew?“ „Na, der Kerl, den sie den Seewolf nennen“, entgegnete Doolin. „Der soll sich hier doch 'rumtreiben.“ Diego schüttelte den Kopf. „Nie gehört, den Namen.“ Doolins Miene wurde wieder sehr finster. „Das kann nicht sein. Der Hundesohn ist hier, irgendwo bei den südlichen Bahamas.“ „Hör mir gut zu, One-Eye“, sagte Diego katzenfreundlich. „Ich bin immer bereit, für ein paar Münzen Auskünfte zu geben. Aber von Killigrew habe ich tatsächlich
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nie was gehört. Es gibt so viele Piraten, deren Namen man sich nicht alle merken kann.“ „Er verkehrt hier also nicht?“ fragte Doolin lauernd. „Nein“, erwiderte Diego gelassen. „Das kann ich beschwören.“ Doolin schien wirklich enttäuscht zu sein. Seinen Kumpanen ging es nicht anders. Sie spülten den Ärger mit Bier herunter, ließen nachschenken und tranken wieder. Das half. Sie lachten und rülpsten, ließen unanständige Sprüche los und begaben sich in Diegos „Schildkröte“ nun ebenfalls auf die Suche nach bereitwilligen Ladys, mit denen sie ihre Silberlinge durchbringen konnten. Doolin stand Diego allein gegenüber. „Das ist Pech“, sagte er. „Aber ich finde ihn schon noch.“ Diego fragte: „Was hat es denn mit diesem Killigrew auf sich, daß du so versessen auf ihn bist?“ „Das geht dich nichts an.“ „Natürlich nicht“, sagte Diego einlenkend. „Aber vielleicht kann ich mich ja mal umhören und dir eine Nachricht zukommen lassen, sobald ich was erfahre.“ Doolins Miene hellte steh wieder auf. An diese Möglichkeit schien er noch gar nicht gedacht zu haben. „Das ist eine gute Idee.“ „Ich nehme nicht an, daß du diesen Killigrew suchst, um ihm mal guten Tag zu sagen“, sagte Diego grinsend. Doolin kicherte plötzlich. „Ganz bestimmt nicht. Sagen wir lieber, ich will ihn ein bißchen durchbeuteln. Dabei könnte ganz schön was 'rausfallen. Kapiert?“ Diego stellte sich nach wie vor dumm. „Nein. Was soll denn 'rausfallen?“ „Gold, Perlen, Diamanten“, erwiderte der Einäugige. „Über Killigrew habe ich in Plymouth eine Menge gehört. Da ist nämlich im letzten Jahr eine frühere spanische Kriegsgaleone mit einer englischen Crew eingelaufen.“ „Na, so was“, wunderte sich Diego. „Was es nicht alles gibt. Und was haben die Engländer von der Galeone nun mit Killigrew zu tun?“
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„Sie sind ihm begegnet“, erklärte der Kerl. „Hier, irgendwo. Ursprünglich sind sie mit mehreren Schiffen unterwegs gewesen, unter anderem mit der ‚Dragon' und der ‚Orion'. Die sind aber abgesoffen. Da hat der Killigrew ihnen geholfen und ihnen die spanische Galeone geschenkt. Einfach so. Na, sie sind damit zurück nach England gesegelt und haben dann in Plymouth die tollsten Sachen erzählt.“ „Ja?“ fragte Diego. „Was denn zum Beispiel?“ „Er soll stinkreich sein.“ „Der Seewolf?“ „Ja, klar“, entgegnete Doolin. „Er hat eine Riesenbande um sich geschart und bringt laufend jede Menge Spanier auf. Er soll schon so viel zusammengeklaut haben, daß er ganz England kaufen könnte.“ „Heilige Mutter Gottes“, sagte Diego andächtig. „So ein Glückspilz. Und unsereins muß hart arbeiten, um sich über Wasser zu halten.“ „Killigrew scheffelt das Gold nur so“, sagte Doolin. „Ganz sicher?“ „Der Tip, den ich erhalten habe, ist sicher“, erklärte Doolin voll Überlegenheit. „Ein Seemann aus der Crew von Marc Corbett hat ihn mir gegeben. Corbett ist der Kapitän der spanischen Galeone gewesen. Na, und den Seemann habe ich bei einem Kollegen von dir getroffen, bei Plymson in der ,Bloody Mary.“ Fast hätte Diego die Augen verdreht. Wie hätte es anders sein können! Der dicke Nathaniel Plymson war um ein paar Ecken mal wieder mit im Spiel. Wie klein die Welt doch war! Doolin wurde richtig redselig. Er war jetzt beim dritten Bier angelangt. Der kühle, erfrischende Gerstensaft löste seine Zunge erheblich. „Dieser Seemann erzählte Wunderdinge von Killigrew“, fuhr er fort. „Von Riesenbergen Gold und so. Und von einem Versteck. Plymson mischte sich auch noch mit ein. Der kennt den Killigrew nämlich von früher. Er hat das alles bestätigt. Killigrew muß der reichste Mann der Welt sein.“
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„Toll“, sagte Diego ehrfürchtig. „Ich würde ihm gern mal begegnen.“ „Ich auch“, sagte Doolin grinsend. „Und ich werde ihm etwas von seinem Reichtum abknöpfen, verlaß dich drauf.“ „Viel Erfolg bei der Suche“, sagte Diego. „Und wenn du was hörst, sagst du mir Bescheid?“ vergewisserte sich Doolin. „Wenn ich was höre, ja“, erwiderte Diego. „In Ordnung!“ One-Eye-Doolin knallte zuerst seinen Humpen und dann ein paar Münzen auf die Theke. „Das ist für die ersten Runden! Jetzt geht's weiter!“ Es ging weiter. Die Kerle der Galeone - sie hieß „Scorpion“, wie Diego im weiteren Verlaufe des Abends erfuhr - ließen sich so richtig nach Herzenslust vollauf en. Das Gelage dauerte bis in die frühen Morgenstunden, dann schliefen die Engländer am Busen ihrer Ladys oder unter den Tischen ein. Diego tätigte gute Umsätze. Er grinste und strich das Geld ein. Dabei warf er immer wieder Blicke zu One-Eye-Doolin hinüber, der sich mit einer üppigen Rothaarigen in eine Nische verdrückt hatte. Na warte, dachte Diego, du kriegst schon noch dein Fett, wenn du so versessen darauf bist, „den Killigrew“ zu treffen. Aber an dem Tag wirst du dir wünschen, nie aus Cornwall losgesegelt zu sein! Diego nahm sich vor, den Seewolf und dessen Kameraden zu informieren, sobald er sie wieder sah. Er konnte nur hoffen, daß sie früher oder später wieder bei ihm einkehrten, wie es ihre Gewohnheit war. * Philip Hasard Killigrew und Roger Lutz trafen um drei Uhr morgens am 27. Mai mit den Perlensäcken, die sie von der Bucht bei Batabano mitgenommen hatten, in Havanna ein. Roger kannte sich aus schon einmal war er die Strecke hin und zurück marschiert, als er mit Jean Ribault den sehr ehrenwerten Alonzo de Escobedo verfolgt hatte. Jussuf hatte den beiden Franzosen die Schleichwege gezeigt, die man tunlichst benutzte, um die Patrouillen in der Stadt zu umgehen.
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Der Seewolf und sein Begleiter pirschten durch die Gassen. Einmal mußten sie in einer Hofeinfahrt untertauchen, weil sich Schritte näherten. Zwei spanische Soldaten gingen an ihnen vorbei. Sie unterhielten sich leise. Was sie sagten, war jedoch nicht zu verstehen. Hasard stieß Roger mit dem Ellenbogen an. „Die werden sich auch fragen, wo ihr geliebter Gouverneur abgeblieben ist.“ Roger grinste. „Wenn die wüßten, welche üblen Spielchen der Senor betreibt.“ „Es wird sich noch herumsprechen“, erwiderte der Seewolf leise. „Ich bin wirklich mal gespannt, was passiert, wenn de Mello mit der ,San Sebastian' eintrifft.“ Die Patrouille war fort. Die beiden Männer verließen ihr Versteck und setzten ihren Weg fort. Zwei Schatten, die durch das schlafende Havanna huschten. Keiner bemerkte sie. Unbehelligt erreichten sie schließlich die Faktorei von Manteuffel. Der Kapitän der spanischen Kriegsgaleone „San Sebastian“, Gaspar de Mello, hatte den ehrenwerten Gouverneur Alonzo de Escobedo unter Arrest gestellt, als dieser versucht hatte, sich die Schätze des Don Antonio de Quintanilla anzueignen. Angeblich hatte es sich um einen Geheimauftrag des Königs gehandelt, bei dem die Schätze aus den Höhlen bei Batabano abgeborgen und per Schiff weggeschafft werden sollten. Diego Machado, der korrupte Kapitän der FrachtGaleone „Trinidad“, war sich in diesem Punkt mit de Escobedo schon handelseinig gewesen. Doch de Mello hatte nicht mitgespielt. Alles war anders gelaufen, als de Escobedo sich das ausgemalt hatte. Die Mannschaft der „Trinidad“ hatte versucht, die Schätze im Alleingang zu erbeuten. Sie war einer nach dem anderen desertiert. Machado hatte sich schließlich sogar noch mit den Deserteuren verbündet. Doch sie alle hatten mit dem Leben bezahlen müssen bis auf ein paar Kerle, die inzwischen ebenfalls als Gefangene an Bord der „San Sebastian“ waren. Die „San Sebastian“ mit den Gefangenen und de Escobedo befand sich jetzt auf der
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Reise nach Havanna. De Mello war unbestechlich und unbeirrbar. Er würde den Gouverneur den Gerichten übergeben. Hasard und Roger schauten sich aufmerksam nach allen Seiten um, ehe sie die Hinterhofmauer der Faktorei überkletterten. Hasard schickte Roger vor. Roger landete mit sicherem Sprung auf dem Pflaster des Hofes, ließ die Perlensäcke zu Boden sinken und blickte zu dem Seewolf auf, der bereits oben auf der Mauer kauerte. Dann ließ sich auch Hasard fallen. Federnd setzte er auf und grinste seinem Begleiter zu. „So, das wäre geschafft“, sagte der Seewolf. „Ein Gläschen Wein hätten wir uns jetzt wohl verdient.“ „Achtung“, sagte Roger. Er deutete zu dem Schuppen, wo er soeben eine Bewegung registriert hatte. „Jörgen?“ fragte Hasard. „Oder Isabella?“ Jussuf trat grinsend auf sie zu. „Zweimal falsch getippt, Sir. Ich bin's.“ „Schau mal an“, sagte Hasard. „So eine Überraschung. Du bist also schon wieder im Lande? Wie ist alles gelaufen?“ Jussuf schüttelte den beiden Männern herzlich die Hände, dann erklärte er fröhlich: „Alles bestens. Die Brieftaubenroute ist eingerichtet. Es wird mit der Verständigung wieder alles großartig klappen, ihr braucht euch nicht zu sorgen.“ „Wann bist du zurückgekehrt?“ fragte Roger Lutz. „Vor zwei Tagen“, entgegnete Jussuf. „An Bord der ,Persante`, der ehemaligen ,Confidence`, unter dem Kommando von Kapitän Oliver O'Brien und Renke Eggens. Sechs Brieftauben haben wir mit zurückgebracht.“ „Die ,Persante` liegt noch im Hafen?“ fragte Hasard. „Ja, an der Pier“, erwiderte Jussuf. „Aber warum stehen wir hier draußen herum, wenn wir es drinnen viel gemütlicher haben?“ Sie betraten das Innere der Faktorei. Jussuf weckte Arne von Manteuffel. Arne ging mit seinem Vetter, mit Roger und Jussuf ins Kontor, und hier entkorkte er eine
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Flasche vom besten Rotwein. Kurz darauf erschienen auch Jörgen Bruhn und Isabella Fuentes. Nun berichtete Hasard, was sich an der Bucht bei Batabano zugetragen hatte. Arne, Jörgen, Jussuf und das Mädchen hörten mit gespannten Mienen zu. Manchmal gaben sie knappe Kommentare ab, sie konnten ihr Erstaunen und ihre Begeisterung nicht zurückhalten. Als Hasard mit seiner Schilderung am Ende angelangt war, sprang Jussuf auf und klatschte in die Hände. „Beim Barte des Propheten!“ rief er. „Das war das Werk Allahs! Zur Hölle mit den Dons, Scheitan wird sie schmoren lassen! Allah straft die Bösen und belohnt die Guten!“ „Nicht so laut“, sagte Arne grinsend. „Es könnte draußen jemand hören.“ Jussuf ließ sich wieder auf seinen Stuhl sinken. „So ein Beutezug! Ich kann's noch gar nicht fassen!“ Roger wollte ihm ein Glas Wein anbieten, aber Jussuf lehnte kopfschüttelnd ab. „Selbst ein solcher Sieg macht mich nicht schwach“, erklärte er stolz. „Ein gläubiger Muselman trinkt keinen Alkohol.“ „Toll“, sagte Roger. „Du bist wirklich überzeugt, was?“ „Allah ist mein Zeuge, daß ich noch nie Wein, Bier oder Rum zu mir genommen habe“, erwiderte Jussuf. „Schon gut“, sagte Jörgen. „Zurück zu dem Schatz. Er wird also zur Zeit aus den Höhlen abgeborgen?“ „Ja“, entgegnete der Seewolf. „Und die ,San Sebastian' ist hierher unterwegs, wie ich eben schon sagte.“ „Ein gutes Ende“, sagte Arne von Manteuffel. „Ich gratuliere euch zu diesem Erfolg. Der immense Schatz des Don Antonio gehört nun dem Bund. Besser hätte es nicht kommen können. Nur die Gegenseite hat Federn lassen müssen.“ Jussuf rieb sich die Hände. „Das geschieht ihm recht, diesem Schakal von einem Gouverneur! Zerspringen soll er! Ich wünsche es ihm.“ Hasard mußte lachen.
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„Ich möchte auf jeden Fall die Rückkehr der ,San Sebastian' abwarten“, sagte er dann. „Um zu erfahren, was mit dem schurkischen Alonzo de Escobedo geschieht?“ fragte Isabella. „O ja. Das interessiert auch mich. Dieser Lüstling. Ich kann ihn nicht ausstehen.“ „Das Schicksal von de Escobedo ist ein wichtiger Punkt für uns alle“, sagte Arne. „Denn er wird das Gouverneursamt ja nicht mehr ausüben.“ „Aber wer dann?“ fragte Jörgen. „Das ist noch die große Frage“, sagte Jussuf, der nachdenklich geworden war. „Welcher neue Halunke wird diese Stadt und diese Insel verwalten? Ich mag gar nicht daran denken.“ Arne von Manteuffel war ebenfalls ernst geworden. „Anders ausgedrückt, Havanna und damit Kuba ist ohne Gouverneur im gewissen Sinn führungslos.“ „Eine seltene Situation“, sagte Roger Lutz. „Könnte sie nicht machtpolitisch irgendwie wahrgenommen werden?“ erkundigte sich Jörgen Bruhn. „Von wem?“ fragte Arne. „Nun, von England beispielsweise“, sagte der Seewolf. „So man dort wüßte, daß die Insel zur Zeit ein überreifer Apfel ist, den man nur zu pflücken braucht.“ Arne stieß einen leisen Pfiff aus. „Ja wenn man das in England wüßte, wäre jetzt vielleicht was fällig. Es wäre überhaupt nicht auszumalen, welche Konsequenzen sich daraus ergeben würden.“ „Das würde ich den Spaniern gönnen“, sagte Jussuf. „Sie hätten es verdient, daß ihnen mal jemand eine große Lektion erteilt. Können wir das nicht so einrichten?“ „Wie denn?“ fragte Roger grinsend. „Willst du etwa eine Brief taube nach England schicken?“ Jussuf musterte den Franzosen kühl. „Meine gefiederten Lieblinge würden auch das schaffen.“ Jörgen lachte. „Aber vielleicht würden sie nach Frankreich oder sonst wohin fliegen, statt nach England.“
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Jussuf wollte aufbrausen, aber Arne stoppte die beginnende Diskussion durch eine Handbewegung. „Halt, ihr geht da wohl zu weit. Das ist alles nur Utopie. Hasard denkt seestrategisch und seiner Zeit voraus. Ist es nicht so, Hasard?“ „Ja“, erwiderte sein Vetter. „In England ist man noch nicht soweit. Und keiner würde dort begreifen, was der Besitz von Kuba als Schlüsselposition im karibischen Raum bedeuten könnte.“ Arne nickte. „Vermutlich würde Spaniens Macht in der Neuen Welt aus den Angeln gehoben.“ „Ein lohnendes Ziel“, sagte Roger. „Das würde alles umkrempeln. Ich wage nicht, mir vorzustellen, was das alles nach sich ziehen würde.“ Hasard trank noch einen Schluck Wein, dann fuhr er fort: „Aber wir wissen auch, daß in einem solchen Fall die Glücksritter, die Schurken und Abenteurer aus England über die Neue Welt herfallen würden, um sie auszuplündern.“ „Ließe sich das nicht verhindern?“ fragte Isabella. „Wie denn?“ entgegnete Jussuf. „Allah ist groß und mächtig, aber dagegen könnte selbst er nichts ausrichten. Zu groß ist die Gier nach Gold und Reichtum.“ „Ich denke, Allah belohnt die Guten und straft die Bösen“, sagte das Mädchen. „Das tut er auch“, erwiderte Jussuf. „Aber er kann ja nicht ganze Heerscharen vernichten.“ „Da ist ein Widerspruch drin“, sagte Jörgen. „Aber, egal, das eine steht fest: nichts würde sich ändern in der Neuen Welt. In diesem Punkt stimme ich mit Hasard überein.“ „Ich auch“, sagte Arne. „Und darum sind solche Gedanken ohne praktische Nutzanwendung.“ „So ist es“, bestätigte der Seewolf. Er stand auf und überreichte Arne die mitgebrachten Perlensäcke. „Hier, das ist für deine Kriegskasse.“ Roger Lutz packte die beiden Perlensäcke, die auch er von der Schatzbucht mitgenommen hatte, ebenfalls auf den
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Kontortisch. „Zwei und zwei macht vier“, sagte er grinsend. Arne war verdutzt und erfreut zugleich. „Kann ich das überhaupt annehmen?“ fragte er. „Du mußt es annehmen“, erwiderte sein Vetter. „Schließlich gehört ein Teil des erbeuteten Schatzes der Faktorei, das ist doch klar.“ „Na dann - vielen Dank“, sagte Arne von Manteuffel. Kurze Zeit darauf gingen die Männer und das Mädchen zu Bett. Hasard und Roger Lutz bezogen ein Gästezimmer im oberen Geschoß der Faktorei. Kaum hatten sie sich hingelegt, schliefen sie auch schon ein. Der lange Fußmarsch durch das Innere der Insel von Batabano nach Havanna machte sich nun doch bemerkbar. 2. Ein Tag verging in Havanna, und nichts Besonderes ereignete sich. Am Vormittag des 29. Mai jedoch lief die Kriegsgaleone „San Sebastian“ in den Hafen von Havanna ein. Arne, Hasard und die anderen Bewohner der Faktorei beobachteten das Eintreffen des Schiffes von einem Fenster des Handelshauses aus. „Ein schönes Schiff mit einem guten Kapitän“, sagte Hasard. „Hoffentlich führt de Mello das, was er sich vorgenommen hat, konsequent bis zum Ende durch.“ „Du meinst, er könnte Schwierigkeiten bekommen?“ fragte Arne. „Ich weiß nicht, wie viele Gönner und Freunde de Escobedo in Havanna hat“, sagte Hasard. „Vielleicht wird de Mello ja degradiert, wenn man erfährt, daß er den Gouverneur festgenommen hat.“ Arne schüttelte den Kopf. „Das glaube ich nicht. De Escobedo hat bei weitem nicht den Einfluß, den Don Antonio hatte. Er ist auch nicht beliebt. Anders ausgedrückt: er hat noch nicht genug Leute entsprechend geschmiert, um auf eine Freilassung hoffen zu dürfen.“ Jussuf grinste. „Da sieht man mal wieder, zu was übertriebener Geiz führt. Don
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Antonio, der dicke Hundesohn, war da viel großzügiger.“ „Ein gütiger Spender“, sagte Jörgen spöttisch. „Ein Wohltäter der Menschheit“, fügte Isabella noch hinzu. „Hört auf“, sagte Arne. „Man könnte ja schon fast glauben, was ihr hier erzählt.“ „Ach, irgendwie war mir de Quintanilla doch ans Herz gewachsen“, sagte Jussuf. „Ich vermisse ihn. Wir haben keinen richtigen Spaß mehr ohne ihn.“ „Ich brauche ihm aber auch keine Ringe und Perlen mehr zu schenken“, entgegnete Arne belustigt. „Nun ja, zugegeben: auch de Escobedo mußte bestochen werden. Und auch der nächste Nachfolger wird sich über die Geschenke der Faktorei de Manteuffel sicherlich freuen.“ „Gewiß“, sagte Hasard. „Du solltest auch nicht knauserig sein, Arne.“ „Ich werde mein Bestes tun“, versicherte Arne. „Und die Kriegskasse ist ja auch wieder gefüllt. Mal sehen, wie es weitergeht.“ Sie verfolgten vom Fenster aus, wie sich die „San Sebastian“ durch den Hafen schob. Schließlich ging sie an einer Pier des Arsenals längsseits und wurde vertäut. Hasard sah durch einen Kieker, wie ein Mann an Oberdeck erschien: Gaspar de Mello. De Mello schritt zur Stelling und verließ sein Schiff. „So, jetzt ist er von Bord“, sagte Arne, der ebenfalls ein Spektiv zur Hand genommen hatte. „Aha, er geht zur nächsten Galeone hinüber.“ „Ein großes Schiff“, sagte Hasard. „Das derzeitige Flaggschiff der spanischen Marine in Havanna“, erläuterte Jussuf. „Es heißt ,Sant Jago` und steht unter dem Kommando des Generalkapitäns Don Diego de Campos.“ Arne furchte die Stirn. „Klar, de Mello muß über das Geschehen Bericht erstatten. Aber de Campos ist einer von diesen Nußknackertypen.“ „Herrisch?“ fragte Roger Lutz. „Herrisch, knarsch und ein Militär bis in die Knochen“, erwiderte Arne.
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„Mir schwant da irgendwie doch nichts Gutes.” „Meine Bedenken sind also richtig?“ fragte Hasard. „Das wird sich herausstellen“, entgegnete Arne. „Wir müssen unbedingt erfahren, was die beiden miteinander besprechen“, sagte Jörgen. „Jussuf, traust du dir das zu?“ Jussuf nickte. „Natürlich traue ich mir das zu. Bisher habe ich noch alles aufgeschnappt, was ich wissen wollte. Ich werde mich mal ein bißchen umtun, das ist wohl das beste.“ „Ein guter Gedanke“, pflichtete Arne ihm bei. „Geh in den Hafen und streck. deine Fühler aus. Sobald du etwas Konkretes weißt, sagst du uns Bescheid.“ „Sehr wohl, Sir“, sagte Jussuf und deutete eine würdevolle Verbeugung an. „Verlaß dich ganz auf deinen getreuen Diener.“ Er wandte sich ab und verließ den Raum. Arne, Hasard, Roger, Jörgen und Isabella fuhren fort, die Geschehnisse am Hafen zu beobachten. Sie sahen aber nur, wie Gaspar de Mello an Bord der „Sant Jago“ verschwand. Was sich dort abspielte, konnten sie nicht erahnen. Sie sollten es einige Zeit später aber von Jussuf erfahren. * Gaspar de Mello war selbst nicht ganz wohl in seiner Haut, als er die Kammer des Generalkapitäns an Bord der „Sant Jago“ betrat. Er kannte Don Diego de Campos zur Genüge. Mit größter Wahrscheinlichkeit würde es ein Donnerwetter geben - aus diesem oder jenem Grund. De Mello nahm es auf sich. An Mut mangelte es ihm nicht. Mit unfreundlichem Gesicht saß de Campos hinter seinem Pult. Er erwiderte den Gruß des Capitans nicht, bot ihm auch keinen Platz an. Dafür war de Campos bekannt. Er behandelte jeden Gast schroff und unhöflich. Er saß, die anderen mußten stehen. Es war auch undenkbar, daß der Generalkapitän einem Besucher einen Tropfen Wein oder dergleichen anbot. Dazu war er viel zu geizig.
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De Mello salutierte und erstattete seine Meldung. Er schilderte alles genau so, wie es sich in der Bucht bei Batabano und vor den Schatzhöhlen abgespielt hatte. Kein Detail ließ er aus. De Campos richtete seinen Blick auf seinen Untergebenen. Sein Gesicht verfärbte sich etwas, seine Schläfenadern schwollen an. De Mello wußte bereits, was das bedeutete. Gleich geht er in die Luft, dachte er. So war es auch. Kaum hatte de Mello seinen Bericht beendet, da explodierte de Campos wie ein Pulverfaß, in das jemand eine brennende Lunte geworfen hat. „Was?“ schrie er. „Und Sie wagen, mir mit dieser Nachricht unter die Augen zu treten?“ „Es war meine Pflicht, den Gouverneur zu verhaften“, erwiderte de Mello. Er hob das Kinn. Zum Teufel mit der Karriere! Sollte de Campos ihn degradieren. Er, de Mello, stand zu dem, was er getan hatte. „Gouverneur?“ brüllte de Campos jedoch. „Wer spricht denn vom Gouverneur?“ „Sie haben ...“ „Mund halten!“ unterbrach ihn der Generalkapitän. „Sie sind ein Versager, de Mello! Eine Null! Sie haben versäumt, den berüchtigten, von ganz Spanien gesuchten und gejagten El Lobo del Mar in Grund und Boden zu donnern!“ „Ich hatte keine andere Wahl“, verteidigte sich der Capitan. „Sie sollen schweigen!“ fuhr de Campos ihn an. Er war jetzt hochrot im Gesicht. „Sie haben eine einmalige Chance vertan! El Lobo del Mar ist Spaniens größter Feind in der Neuen Welt! Auf seine Ergreifung ist eine Prämie ausgesetzt!“ Zur Hölle damit, dachte de Mello. Es war doch absurd: nicht der schurkische de Escobedo war das Ziel von de Campos' Attacke, sondern er, de Mello, der nur seine Pflicht getan hatte. De Campos, der im übrigen auch ein Choleriker war, verkannte die Situation, wie sie sich in der Bucht bei Batabano dargestellt hatte, völlig. Die Lage war für de Mello praktisch ausweglos gewesen. Drei gefechtsbereite
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Kampfschiffe hatte er gegen seine „San Sebastian“ gehabt. Diese Segler hatten die Bucht abgeriegelt. Sie hätten die „San Sebastian“ zusammenschießen können. Vom Schiff und von der Mannschaft wäre nichts übrig geblieben. „Eine Schande ist das“, sagte de Campos. Heftig schöpfte er Atem. Ihm fehlten jetzt die Worte. Auch das kannte de Mello. Wenn der Generalkapitän sich erst einmal ausgetobt hatte, konnte man gelegentlich wieder halbwegs vernünftig mit ihm reden. „Wir hatten keine Chance“, erklärte de Mello, wobei er das Redeverbot ignorierte. „Killigrew hätte uns vernichten können. Drei Schiffe gegen eins - so war das Kräfteverhältnis.“ Sofort begann de Campos doch wieder zu toben. „Alles Unsinn!“ brüllte er. „Angreifen! Niederkartätschen! Ausmerzen!“ „Sie hätten sich nicht anders als ich... „Schweigen Sie!“ fiel de Campos seinem Untergebenen erneut ins Wort. „Ich hätte genau gewußt, was ich zu tun habe! Mich hätte dieser Hundesohn nicht beeindrucken können! Mich nicht!“ De Mello wurde heruntergeputzt wie ein dummer Junge. Er biß die Zähne zusammen. Wieder ließ er den Redeschwall und die Beschimpfungen des Generalkapitäns über sich ergehen. Als de Campos aber wieder keuchend nach Luft schnappte, ergriff de Mello noch einmal die Gelegenheit, sich zu verteidigen. „Ich lehne es ab und kann es vor meinem Gewissen nicht verantworten, einen sinnlosen Kampf aufzunehmen“, sagte er energisch. „Ich hätte mein Schiff und meine Mannschaft zusammenschießen lassen müssen - ohne die geringste Aussicht, dem Gegner schaden zu können.“ „Sie sind zu feige gewesen!“ japste de Campos. „Diesen Vorwurf der Feigheit weise ich zurück!“ entgegnete de Mello scharf. De Campos keuchte empört. „Was nehmen Sie sich eigentlich heraus?“ „Ich verteidige mich nur“, erwiderte de Mello. „Das ist nicht nur mein Recht als
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Capitan der spanischen Marine, es ist auch meine Pflicht, Senor.“ „Ich lasse Sie abführen!“ De Mello schüttelte den Kopf. „Nein, das werden Sie nicht tun. Es entspricht dem militärischen Reglement, daß ein Angeklagter sich zu den Vorwürfen, die man gegen ihn erhebt, äußert. Ich bin in diesem Fall der Angeklagte, obwohl ich mir nichts habe zuschulden kommen lassen.“ „Das wagen Sie zu behaupten?“ schrie der Generalkapitän. „Ich weiß, daß ich im Recht bin“, entgegnete de Mello unbeirrt. „Und ich erlaube mir, eines klarzustellen: Ihnen, Senor, mangelt es denn wohl doch an der notwendigen Objektivität und der Kenntnis der Ausnahmesituation, wie sie sich in der Bucht ergeben hat. Letztlich ist der Gouverneur dafür verantwortlich. Er hat diese Schatzexpedition auf, eigene Faust und für die eigene Tasche, aber mit unzureichenden Mitteln unternommen.“ De Campos hörte nun doch zu. Am liebsten hätte er vor lauter Wut, daß der verhaßte El Lobo del Mar entwischt war, mit den Fäusten auf dem Pult herumgetrommelt. Er spürte unterschwellig aber doch, daß der Capitan irgendwie und irgendwo ein Fünkchen recht haben mußte mit dem, was er erklärte. „Zum Schutz dieser Riesenbeute wären mindestens fünf Kriegsschiffe nötig gewesen“, fuhr de Mello fort. „Nicht eins, dessen Kommandanten man noch dazu bewußt im unklaren gelassen oder schamlos belogen hat. Im übrigen scheinen Sie, Senor Generalkapitän, den eigentlich Kernpunkt nicht zu erkennen. Es geht nicht um einen Freibeuter - zufällig war es nun einmal El Lobo del Mar -, sondern um die beschämende Tatsache, mit welcher Rücksichtslosigkeit sich die Vertreter der Krone, nämlich die Gouverneure, hier bereichern und es dazu auch noch wagen, sich der Marine zu bedienen.“ „Das ist mir schon klar“, sagte de Campos barsch. „Ich werde auch entsprechende
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Maßnahmen ergreifen. Aber Sie hätten Killigrew nicht entwischen lassen dürfen.“ „Es ging nicht anders.“ „Lassen wir das jetzt. Ist er noch in der Bucht?“ „Ja“, entgegnete de Mello. „Ich nehme es zumindest an. Es wird einige Zeit dauern, die Kisten und Truhen aus den Höhlen zu holen, , an den Strand zu transportieren und an Bord der Schiffe zu verfrachten.“ „Sehr gut“, sagte der Generalkapitän. „Ich muß noch einmal darauf hinweisen, daß ich mein Schiff und meine Mannschaft für die Machenschaften des Gouverneurs nicht aufs Spiel setze“, sagte de Mello kalt. De Campos fixierte ihn. „Die Machenschaften des Gouverneurs haben hier ein Ende. Ich übernehme ab sofort die vollziehende Gewalt über Havanna. Somit ist Alonzo de Escobedo seines Amtes enthoben.“ De Mello atmete auf. Das einzige, was er befürchtet hatte, war gewesen, daß de Campos möglicherweise Gnade vor Recht hätte ergehen lassen können. Aber er gehörte nicht zu den Gönnern des Alonzo de Escobedo. Vielleicht war es ihm sogar ganz willkommen, daß der Kerl jetzt eingesperrt wurde. „De Escobedo und die acht übrig gebliebenen Deserteure der ‚Trinidad', die sich an Bord der ,San Sebastian' befinden, werden vor ein Gericht gestellt“, sagte der Generalkapitän. „Lassen Sie sie abführen, Capitan. Sie werden ins Stadtgefängnis gesperrt, bis das Gericht zusammengerufen ist.“ „Ja, Senor.“ „Die ,Sant Jago`, die ,San Sebastian' und eine dritte Kriegsgaleone machen unverzüglich seeklar“, fuhr de Campos fort. „Morgen früh um neun Uhr laufen wir mit Kurs Batabano aus, um El Lobo del Mar zu stellen und zu vernichten.“ De Mello wagte, einen Hinweis zu geben. „Auf dem Landweg erreichen wir die Bucht aber schneller, Senor.“ De Campos ignorierte den Einwand und wischte ihn mit einer verächtlichen Geste weg. „Gegen Schiffe kämpft man mit
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Schiffen, merken Sie sich das. Und zwar auf See, nicht zu Lande.“ Dieser schulmeistersterlichen und darum dummen Bemerkung hatte Gaspar de Mello nichts mehr entgegenzuhalten. Er zeigte klar, drehte sich auf dem Stiefelhacken um und verließ die Kammer des Senor Generalkapitäns. Du Narr, dachte er, dann kehrte er auf die „San Sebastian“ zurück, um die Befehle auszuführen. Don Gaspar de Mello glaubte nicht daran, daß es de Campos gelingen würde, den Seewolf zu stellen. Dieser Killigrew war viel zu schlau und zu gerissen, um sich in der Bucht von Batabano überraschen zu lassen. Er rechnete bestimmt damit, daß ein Verband Kriegsschiffe Havanna verlassen würde, sobald die „San Sebastian“ eingetroffen war. Und garantiert traf er entsprechende Vorsorge. Entweder verlud er die Schätze aus den Höhlen rasend schnell, oder aber er verzichtete darauf, alles mitzunehmen. Wenn er strategisch klug handelte, ließ er sich auf kein Gefecht mit den Spaniern ein. Er würde sich rechtzeitig absetzen. Genau das dachte de Mello, aber de Campos hielt an seinem Plan fest. Wie klug und findig die Männer des Bundes der Korsaren waren, hatten sie an der Bucht bei Batabano inzwischen schon wieder bewiesen: Ferris Tucker hatte mit Helfern eine Rutsche von der Höhle zur Bucht gezimmert, über welche die Kisten, Truhen und Fässer mit den Reichtümern ohne weiteres Zutun der Männer „zu Tal“ gleiten konnten. Das beschleunigte den Ladevorgang erheblich. Don Gaspar de Mello wußte von diesen Vorgängen nichts. Ebenso wenig war ihm bekannt, daß vier Kerle der „Trinidad“ Luiz, Pablo, Felipe und Marco - doch noch im Uferdickicht der Bucht versteckt gewesen waren. Sie hatten nach dem Davonsegeln der „San Sebastian“ versucht, die „Trinidad“ zu entern, beziehungsweise in die Höhlen einzudringen. Beides war von den Männern des Bundes der Korsaren vereitelt worden. Inzwischen waren die vier Spanier Gefangene der Arwenacks -
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und durften helfen, die Schatzhöhlen leerzuräumen. Eins aber war de Mello klar: nie zuvor in seinem Leben war er einem Mann begegnet, der sich ihm gegenüber so fair verhalten hatte wie Philip Hasard Killigrew. Innerlich mußte de Mello sich eingestehen, daß er unerhörten Respekt vor diesem El Lobo del Mar hatte. Der Seewolf war der Todfeind der spanischen Nation - und doch konnte de Mello sich vorstellen, daß viele Männer stolz darauf waren, eine solche Persönlichkeit zum Freund zu haben. Noch etwas war sicher: de Campos würde sich noch gehörig wundern. Wenn er sich einbildete, den Seewolf mit militärischer Taktik ausmanövrieren und besiegen zu können, dann hatte er sich gründlich getäuscht. * Zwei Männer hatten die Unterredung des Generalkapitäns und des Kapitäns der „San Sebastian“ belauscht: Soares und Rodrigero, zwei Seesoldaten der „Sant Jago“. Was sie taten, verstieß gegen die Bordregeln und die Disziplin. Sie riskierten, erwischt und bestraft zu werden. De Campos war in solchen Dingen geradezu brutal. Er hatte schon Männer aus geringfügigen Anlässen zusammenpeitschen lassen. Aber Soares und Rodrigero nahmen dieses Risiko auf sich. Als sie hörten, daß in der Kapitänskammer herumgebrüllt wurde, schlichen sie durch das Innere des Schiffes bis ins Achterkastell und krochen in den Raum, der genau unter der Kammer des ehrenwerten Generalkapitäns lag. Hier konnten sie jedes Wort verstehen. Sie grinsten und stießen sich mit den Ellenbogen. „Recht so!“ raunte Soares, der aus Estremadura an der Grenze nach Portugal stammte, seinem Freund zu. „Jetzt sagt dem Alten endlich mal einer die Meinung.“ „Und das nicht zu knapp“, flüsterte Rodrigero. Andächtig lauschte er, wie de Mello de Campos kräftig kontra gab.
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Rodrigero war zwei Jahre jünger als Soares. Beide waren sie um die Dreißig. Rodrigero stammte von Mallorca. Er war dunkelblond, Soares war schwarzhaarig. Aber nur äußerlich unterschieden sie sich voneinander. Sie hatten vieles gemeinsam, waren gute Freunde und hielten zusammen wie Pech und Schwefel. An diesem Vormittag hatten sie Freiwache. Sie hatten die Galeone aber nicht verlassen, sondern ziemlich lange in ihren Kojen gelegen und geschlafen. Eigentlich waren sie erst durch das Gebrüll geweckt worden. Da hatten sie beschlossen, den Disput zu belauschen. „Mut hat de Mello, das muß man ihm lassen“, murmelte Soares. „Hat er schon immer gehabt“, brummte der andere. „Ein feiner Kapitän. Bei dem würde ich lieber fahren als beim Alten.“ „Ich auch.“ „Ob sie sich wohl richtig in die Haare kriegen?“ „Mal abwarten“, flüsterte Soares. Sie hörten zu, wie sich das hitzige Gespräch in der Kapitänskammer über ihnen weiterentwickelte. Und sie vernahmen auch, welche Befehle der „Alte“ dem Capitan schließlich erteilte. De Campos war ein knarscher Eisenfresser. Er ließ sich lieber versenken als aufzugeben. Sollte er den Seewolf wirklich finden und es kam zum Gefecht, würde bis zum letzten Blutstropfen gekämpft werden. Soares und Rodrigero tauschten im Halbdunkel des Schiffsraumes einen Blick. Sie wußten, was das für sie bedeuten würde. Der „Alte“ kannte keinen Pardon. Wenn es sein mußte, verheizte er die ganze Crew in der Schlacht gegen El Lobo del Mar. Konnte man das verhindern? Natürlich nicht. Soares und Rodrigero wurde ziemlich blümerant zumute. Der Dienst in Havanna war bislang nicht sehr hart gewesen. Selten rückte man gegen Küstenhaie oder Schnapphähne aus. War das mal der Fall, dann flößte die schwer armierte „Sant Jago“ den Galgenstricken
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so viel Furcht ein, daß sie von vornherein kapitulierten. Anders würde es bei El Lobo del Mar sein. Von diesem Korsaren hatten auch Soares und Rodrigero genug gehört. Er sollte der gefährlichste und kühnste Kämpfer der Karibik sein. Viele Gegner hatte er besiegt, und auch die berüchtigte Black Queen war von ihm vernichtet worden. Eine Schlacht gegen diesen Mann, so spürten Soares und Rodrigero, würde übel enden - für die Spanier. De Campos wollte und konnte dies nicht zugeben. Seine Befehle waren auch richtig. Er mußte versuchen, den Feind Spaniens zu fassen. De Mellos Schritte entfernten sich aus der Kapitänskammer. Das Schott schloß sich hinter ihm. Stille trat ein. Soares und Rodrigero blickten sich wieder an. „Los!“ zischte Soares. „Weg - bevor uns hier jemand entdeckt!“ Kurz darauf waren sie an Oberdeck und verfolgten, wie von der „San Sebastian“ ein starker Trupp Seesoldaten an Land ging. Alonzo de Escobedo und die acht Kerle der „Trinidad“ wurden abgeführt. Sie landeten im Stadtgefängnis. Die Seesoldaten kehrten wieder zurück und begaben sich an Bord ihres Schiffes. Bald wurde seeklar gerüstet. Aber die Freiwache von Soares und Rodrigero dauerte bis zum nächsten Wachwechsel noch an. Sie beschlossen, diese Gelegenheit zu nutzen. Rasch gingen sie von Bord und suchten die nächste Kaschemme in der Nähe des Arsenals auf. Hier ließen sie sich an einem Tisch nieder, bestellten Wein und tranken erst einmal einen tüchtigen Schluck, Soares nahm seinen Helm ab und legte ihn neben sich auf einen freien Stuhl. Ziemlich zerknirscht sah er jetzt aus. Er hob seinen Becher und sagte: „Auf unser Wohl. Wer weiß, ob wir jemals wieder so zusammensitzen werden.“ Rodrigero kratzte sich am Kinn. Dann stieß er mit seinem Kameraden an. „Ich kann nur hoffen, daß wir El Lobo del Mar nicht begegnen, wenn wir nach Batabano segeln.“ „Es wäre unser Ende.“
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„Ade, du schöne Welt.“ Sie waren derart mit ihrem Selbstmitleid und dem süffigen Rotwein beschäftigt, daß sie nicht merkten, wie sich ein alter Mann ihrem Tisch näherte. Erst als der Alte zu kichern begann, richteten sie ihre Blicke auf ihn. „Was ist denn mit dem los?“ fragte Soares. „Das ist ein alter Knochen, siehst du das nicht?“ meinte Rodrigero. Soares tippte den Alten mit dem Finger an. „He, du! Wie heißt du? Kenne ich dich? Nein, ich hab' dich hier noch nie gesehen.“ Der Alte kicherte wieder. „Er hat einen Schlag weg“, sagte Rodrigero. „Das ist sicher. Einer von diesen Pennern und Stadtstreichern, die sich ständig in Havanna rumtreiben.“ „Leben und leben lassen“, brummte Soares. Er hielt dem Alten den Krug hin. „Hier, willst du einen Schluck? Hol dir einen Becher.“ „Nein, nein“, kicherte der Alte. .,Kein Wein, kein Wein.“ Damit ließ er sich auf einem Stuhl nieder. 3.
Soares stellte den Krug wieder auf den Tisch. „Dann eben nicht, du komischer Vogel.“ Rodrigero lachte. „Laß ihn in Ruhe. Er weiß ja nicht mal, wie er heißt. Armer Teufel.“ Sie kümmerten sich nicht mehr um den Alten. Hätten sie auch nur geahnt, daß es sich bei dem vermeintlich Verrückten um einen „Spion“ handelte, hätten sie sich nicht so zwanglos weiter unterhalten. Aber sie schöpften keinerlei Verdacht. „Also“, sagte Soares nach dem dritten Glas Wein. „Morgen früh geht es los. De Mello glaubt zwar nicht an einen Erfolg der Aktion. Aber de Campos will El Lobo del Mar ja unbedingt aufspüren.“ „Das wird ein Fest“, brummte Rodrigero. „Und wie wir dabei Federn lassen werden! O Mann!“ „Saufen wir uns einen an“, sagte Soares. „Was Besseres können wir nicht tun.“
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„Und der Dienst?“ fragte Rodrigero. „Hast du den vergessen?“ „Scheiß auf den Dienst.“ „Wenn der Alte uns besoffen erwischt, sind wir dran.“ „Soll er uns doch verdonnern“, sagte Soares. „Darauf warte ich nur. Lieber in der Vorpiek hocken, als verheizt zu werden.“ „Nein“, sagte Rodrigero. „Das ist falsch. Wenn unser Schiff auf Tiefe geht, sind wir in der Vorpiek als erste dran. Ich meine, wir saufen dann ab wie die Ratten.“ Jussuf - der alte Mann - lauschte gespannt und merkte sich jedes Wort, das sie von sich gaben. Soares und Rodrigero rekapitulierten praktisch noch einmal, was in der Kapitänskammer der „Sant Jago“ gesprochen worden war. Ein besseres Protokoll von der Diskussion zwischen dem Generalkapitän und de Mello hätte es nicht geben können. Jussuf freute sich diebisch. Er kicherte wieder. Die beiden spanischen Seesoldaten achteten nicht darauf. Schließlich waren Soares und Rodrigero ziemlich betrunken. Sie lallten nur noch. Sie zerflossen vor Selbstmitleid und fragten sich immer wieder, wie es wohl war, wenn man krepierte. Ob man dann als Engel in den Himmel flatterte oder bei den Teufeln in der Hölle landete? Wer wußte es? Soares und Rodrigero gelangten zu dem einmütigen Schluß, daß es besser wäre, nicht zu sterben. Das Leben war viel zu schön, voller gutem Wein und toller Weiber. Jussuf hatte genug gehört. Er kicherte noch ein bißchen, dann zog er sich zurück. Als er draußen stand, konnte er aber noch beobachten, wie die beiden Soldaten die Kaschemme wieder Verließen. Sie hatten sich umarmt und grölten ein Lied. Dem einen - Rodrigero - fiel der Helm vom Kopf. Scheppernd landete er auf den Katzenköpfen. Rodrigero versuchte, ihn wieder aufzuheben, verlor dabei aber das Gleichgewicht. Soares half ihm und strauchelte ebenfalls. Lachend wälzten sie sich auf dem Pflaster.
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Das böse Ende mußte kommen: Kaum waren Rodrigero und Soares wieder an Bord ihres Schiffes, stauchte der Teniente, der die nächste Wache übernahm, sie gehörig zusammen. Es setzte ein paar Stockhiebe, dann wanderten die Betrunkenen ab in die Vorpiek, wo sie ihren Rausch ausschlafen durften. Jussuf lachte leise in sich hinein und kehrte zur Faktorei von Manteuffel zurück. Dabei hütete er sich aber, zu schnell zu gehen. Er spielte seine Rolle auch jetzt weiter. Ein alter Kerl, der den Verstand verloren hatte, schlurfte kichernd durch die Gassen. Keiner sprach ihn an. Man wich ihm lieber aus. Die meisten Menschen waren abergläubisch und überzeugt, daß Irre Unglück brachten. Der „Irre“ traf am Handelshaus ein. Isabella öffnete ihm die Tür. Rasch verschwand Jussuf im Inneren - keiner hatte ihn beobachtet. Arne, Hasard, Jörgen und Roger warteten bereits mit gespannten Mienen auf seinen Bericht. „Sir“, sagte Jussuf zu Arne. „Dein unermüdlicher Späher hat wieder einmal Erfolg gehabt.“ „Sei bloß nicht so überheblich“, sagte Jörgen. „Jetzt lobst du dich sogar schon selbst. Findest du das nicht peinlich?“ Jussuf musterte ihn. „Ich kann nur hoffen, daß Allah deine Schmähreden nicht hört. Es könnte sonst sein, daß dich der Blitz trifft, wenn du den armen Jussuf immer tadelst und auf den Arm nimmst.“ Arne sagte: „Komm lieber zur Sache, Jussuf. Spann uns nicht auf die Folter. Wie sieht die Lage aus?“ „Daß de Escobedo und die acht von der ‚Trinidad' weggebracht worden sind, haben wir verfolgen können“, sagte der Seewolf. „Sind sie eingesperrt worden?“ „Ja“, erwiderte Jussuf. „Ins Stadtgefängnis.“ „Gut“, sagte Roger. „Dahin gehören sie auch.“ „Es wird einen Prozeß geben“, erklärte Jussuf. „Der Generalkapitän hat es so befohlen. Keine Nachsicht.“
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„Ein guter Mann, dieser Generalkapitän“, sagte Isabella. „Er ist mir richtig sympathisch.“ „Gleich nicht mehr“, erwiderte Jussuf mit etwas säuerlicher Miene. „Er hat nämlich noch was anderes angeordnet. Drei Schiffe sollen nach Batabano segeln und dort El Lobo del Mar stellen.“ „Nur zu“, sagte Hasard. „Sie erwischen uns nicht, das schwöre ich dir.“ Jussuf berichtete nun zusammenhängend, was er von den beiden Seesoldaten der Kriegsgaleone „Sant Jago“ erfahren hatte. Die Freunde hörten zu, ohne ihn zu unterbrechen. Schließlich beendete Jussuf seinen Vortrag mit der Schilderung, wie Soares und Rodrigero betrunken an Bord zurückgekehrt und dafür bestraft worden waren. Hasard reagierte schnell. „Roger“, sagte er. „Wir reiten noch heute nachmittag zur Bucht bei Batabano zurück.“ „Ja, das dürfte das beste sein. Siri-Tong, Bayeux und die anderen müssen alarmiert werden.“ „Sobald die Schatzladung verstaut ist, räumen wir die Bucht“, sagte der Seewolf. „Wir verlassen sie mit allen drei Schiffen, mit der ,Isabella`, der ,Queen` und der ,Le Griffon`.“ „Du stellst dich nicht zum Kampf?“ fragte Arne. „Nein, ich halte ein solches Gefecht für völlig unsinnig.“ „Das finde ich auch“, pflichtete Arne ihm bei. „Es bringt keinem etwas ein. Und es ist auch nur zum Teil eine Genugtuung für euch, wenn ihr de Campos einen Denkzettel erteilt.“ „So ist es“, sagte Hasard. „Wir segeln also aus der Bucht. Wir kehren aber nicht westwärts und dann durch die FloridaStraße, sondern ostwärts durch die Windward-Passage zur Cherokee-Bucht zurück.“ „Dann kriegen die Dons uns nicht mehr zu sehen“, sagte Roger Lutz lachend. „Recht so! Sicher denken sie, wir haben uns in Luft aufgelöst.“
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„Prinzipiell hätte ich nichts dagegen, den Kampf mit drei spanischen Kriegsschiffen aufzunehmen“, erklärte der Seewolf. „Aber man muß Prioritäten setzen. Es geht darum, daß wir unsere Schatzbeute unbeschadet zum Stützpunkt bringen. Darum will ich ausweichen.“ „Das ist nicht nur logisch, sondern auch klug“, meinte Arne von Manteuffel. „Wie schon gesagt, auch ich würde dieses Risiko meiden. De Campos soll dann ein bißchen Rätsel raten, wo ihr abgeblieben seid.“ „Ein weiterer wichtiger Punkt ist, daß die Freunde an der Cherokee-Bucht verständigt werden“, sagte Hasard. „Ich werde die Nachricht aufsetzen“, sagte Arne. Jussuf strahlte. „Mein Brieftäuberich Hassan wird diesen Auftrag übernehmen. Im Stützpunkt harrt Amina seiner. Auch sie wird sich freuen, ihren Bräutigam wiederzusehen.“ „Wir können deinen Täuberich aber erst bei Dunkelheit auflassen“, gab Jörgen zu bedenken. „Das ist doch selbstverständlich“, entgegnete Jussuf. „Denkst du, ich bin so dumm, ihn im Hellen auf zulassen, damit irgendjemand ihn abknallen kann?“ „Also“, sagte Arne. „Die Taube wird den Freunden alles melden, was passiert ist und welchen Weg zurück ihr nehmen werdet.“ Er sah seinen Vetter an. „Es ist zwar der längere, aber in diesem Fall bestimmt sichere Kurs.“ Hasard stand auf. „Dann hätten wir alles besprochen. Wir sollten nicht länger warten und gleich aufbrechen.“ „Einen Augenblick“, sagte Jussuf. „Ich muß erst die Pferde besorgen. Allah ist gütig, aber zaubern kann er in diesem Fall nicht. Ein wenig Geduld noch.“ „Ich koche noch eine ordentliche Mahlzeit“, sagte Isabella. „Ihr müßt euch stärken, bevor ihr aufbrecht.“ Roger setzte sein galantes Lächeln auf. „Diesen Vorschlag einer hübschen Senorita können wir unmöglich zurückweisen. Es wäre eine Beleidigung.“ Isabella errötete etwas, dann verschwand sie. Eine Stunde später saßen die Männer
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und das Mädchen beim gemeinsamen Essen zusammen. Isabella hatte ein FischReis-Gericht zubereitet. Dazu gab es Wein und Salat. Roger war begeistert von den Kochkünsten dieses Mädchens. Er gab es ihr immer wieder zu verstehen. „Jetzt ist aber Schluß mit den Komplimenten“, sagte Arne schließlich. „Du machst Isabella noch ganz verlegen.“ „Oh, ich sage nur die Wahrheit“, entgegnete Roger. Isabella lächelte. „Vielen Dank.“ „Eins steht fest“, sagte der Seewolf. „Ihr hier in der Faktorei werdet ganz schön verwöhnt. Paßt bloß auf, daß ihr von dem guten Leben nicht satt und träge werdet.“ „Auf keinen Fall“, widersprach Jörgen Bruhn. „Wir sind immer auf dem Posten, keine Angst. Und da jetzt der Generalkapitän die vollziehende Gewalt in Havanna übernommen hat, müssen wir sowieso noch mehr auf der Hut sein. Wir wissen ja noch nicht, was das für uns bringt.“ „De Campos ist ein alter Haudegen“, sagte Arne von Manteuffel. „Ob seine raue Art für uns ein Vor- oder Nachteil ist, wird sich noch herausstellen. Wir können das nur abwarten.“ „Und nehmt euch in acht“, sagte Hasard. „Wir schon“, erwiderte Arne grinsend. „Ihr aber auch. Daß ihr die Schätze bloß heil zur Cherokee-Bucht bringt.“ „Dafür sorgen wir schon“, versicherte ihm der Seewolf. Sie beendeten das Essen, indem sie jeder ein Gläschen Portwein tranken. Dann trennten sie sich. Jussuf hatte die Pferde besorgt, sie standen auf dem Hof. Hasard begutachtete die Pferde. Es waren gute, ausgeruhte Tiere. Am frühen Nachmittag verließen Hasard und Roger Havanna. Wieder behelligte sie niemand, als sie die Pferde am Zügel durch die Stadt führten. Später, am Ortsrand, saßen sie auf und ritten davon. Bald waren sie im Busch verschwunden. Nur Pedrito, der stadtbekannte Penner, sah ihnen nach. Aber er wunderte sich nicht über die beiden fremden Männer. Pedrito wunderte sich über gar nichts mehr, was in
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Havanna geschah. Seit Don Antonio de Quintanilla fort war, schien ohnehin alles Kopf zu stehen. * Während ihres kurzen Aufenthaltes in Havanna hatten sich Hasard und Roger auch mit Oliver O'Brien und Renke Eggens getroffen. Folgenden Beschluß hatten die Freunde gefaßt: auch die „Persante“ sollte am nächsten oder übernächsten Tag wieder zur Cherokee-Bucht zurückkehren. O'Briens und Eggens' Aufgabe war es nun, die Galeone mit Bedarfsgütern für den Stützpunkt zu beladen. Über diese Tätigkeiten verstrich die Zeit in Havanna sehr schnell. Die Mannen der „Persante“ schleppten die Güter von der Faktorei an Bord. Renke Eggens hatte eine Liste, auf der er jeden Posten abhakte, der an Bord gebraucht wurde. O'Brien kontrollierte selbst das ordnungsgemäße Verstauen und Festzurren der Waren. Noch am Abend dieses Tages, des 29. Mai, waren die Laderäume der Galeone gefüllt. Die Männer brauchten nun nur noch seeklar zu machen. Aber es gab nicht mehr viel zu tun. Die „Persante“ war zum Auslaufen bereit. Sowohl von Bord der „Persante“ als auch von der Faktorei aus wurden die Vorgänge an Bord der drei Kriegsgaleonen aufmerksam verfolgt. Don Diego de Campos hielt an seinem Plan fest - stur wie ein Ochse, wie Arne von Manteuffel. urteilte. Die „Sant Jago“, die „San Sebastian“ und der dritte Segler wurden eilends auf das Auslaufen vorbereitet. Emsig waren die Aktivitäten an Bord, und die Befehle der Schiffsoffiziere hallten durch das Arsenal. Irgendwann tauchten auch Soares und Rodrigero wieder am Oberdeck des Flaggschiffes auf. Sie hatten ihren Rausch ausgeschlafen. Unter den Flüchen eines zornigen Teniente mußten sie hart schuften. Sie verdammten den Tag, an dem sie geboren worden waren - und den Tag, an dem sie sich freiwillig zur Marine gemeldet hatten.
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Aber sie konnten noch von Glück sagen. Keiner hatte herausgefunden, daß sie de Campos und de Mello heimlich belauscht hatten. Hätte der Generalkapitän das in Erfahrung gebracht, wäre ein neues Donnerwetter fällig gewesen. Mindestens zwanzig Hiebe mit der Neunschwänzigen wären den beiden Soldaten - vor versammelter Mannschaft sicher gewesen. So aber durften sie auf den Knien über das Hauptdeck der „Sant Jago“ rutschen und die Planken kräftig mit der sogenannten Bibel scheuern, mit einem Stein, der von den Engländern auch als „Holy Stone“ bezeichnet wurde. Jussuf stand neben Arne von Manteuffel an einem der Fenster im oberen Stockwerk der Faktorei. Sie blickten abwechselnd durch einen Kieker und registrierten jeden Vorgang an Bord der Kriegsschiffe. Jörgen Bruhn und Isabella Fuentes waren im Kontor und in den anderen Räumen mit „Aufklärungsarbeiten“ beschäftigt. Jussuf grinste, als er Soares und Rodrigero erblickte. „Die armen Teufel“, sagte er. „Sie haben gedacht, sie müßten schon vorzeitig Abschied von der Welt nehmen. Na, das Besäufnis hat sich für sie nicht gelohnt. Sie müssen einen ganz schönen Katzenjammer verspüren.“ „Wenn de Campos heute nacht ausläuft, trifft er unsere Leute vielleicht noch in der Bucht bei Batabano an“, sagte Arme. „Die Schiffe laufen erst morgen früh aus“, erwiderte Jussuf. „Verlaß dich darauf. Es dauert ja noch lange genug, bis die Vorbereitungen alle abgeschlossen sind.“ „Das will ich hoffen“, sagte Arne. „Ein Gefecht wäre wirklich schlecht für Hasard, Siri-Tong und Bayeux. Jetzt, da sie den Schatz haben, wäre es ärgerlich, auch nur einen kleinen Teil davon wieder zu verlieren.“ Doch Jussuf sollte recht behalten: Hasard und Roger kehrten schnell genug zur Bucht bei Batabano zurück. Wie sich die Dinge entwickelten, sollten die Bewohner des Handelshauses in Havanna später noch erfahren - durch die Brieftauben, über die
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man von nun an im weiteren Kontakt zwischen Kuba und der Cherokee-Bucht blieb. Arne und Jussuf standen noch lange am Fenster. Nach Einbruch der Dunkelheit wurden auf den spanischen Kriegsgaleonen die Laternen angezündet. Seesoldaten und Seeleute setzten ihre Arbeiten im Schein der Lampen fort. Was im einzelnen geschah, ließ sich von der Faktorei aus nicht mehr genau verfolgen. Jussuf brach jedoch noch einmal auf, um ein bißchen zu spionieren. Er fand heraus, daß de Campos den exakten Befehl erteilt hatte, am Morgen des 30. Mai um Punkt neun Uhr mit den drei Kriegsgaleonen auszulaufen und auf Kurs Batabano zu gehen. Jussuf unternahm auch noch einen Abstecher zum Stadtgefängnis. Persönlich überzeugte er sich davon, daß Alonzo de Escobedo und die acht Kerle der „Trinidad“ nach wie vor auf Nummer Sicher saßen. An einen Ausbruch konnten weder der sehr ehrenwerte Senor Gouverneur noch die Kerle des Diego Machado denken. Ständig wurden sie von Wachtposten kontrolliert. Mit diesen Nachrichten kehrte Jussuf zur Faktorei zurück. „Gut“, sagte Arne, als er den Bericht Jussufs vernommen hatte. „Damit wäre vorerst alles geregelt. Hoffen wir, daß auch weiterhin alles glatt verläuft.“ Er begann, die Perlensäcke, die Hasard und Roger mitgebracht hatten, zu leeren und das „Betriebskapital“ in seiner „Kriegskasse“ zu verstauen. * Der Seewolf und Roger Lutz erreichten nach Mitternacht die Schatzbucht. Als sie nur noch wenige Yards vom Strand entfernt waren, ertönte plötzlich ein Zischen. „Halt!“ wurden sie aus dem Dunkel angerufen. „Wer da?“ „Arwenack“, erwiderte Hasard grinsend. „Wer wohl?“ Der Posten kroch aus dem Dickicht. Matt
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Davies - um ein Haar hätte er die beiden Reiter wahrhaftig nicht erkannt. „Hölle und Teufel!“ stieß er aus. „Es ist ja wirklich dunkel heute nacht! So eine Finsternis! Euer Glück, daß ihr die Parole genannt habt!“ „Was ist denn los?“ fragte Hasard. „Wer hat angeordnet, daß Wachtposten aufgestellt werden?“ „Na, Ben natürlich - und Siri-Tong und Bayeux“, erwiderte Matt. „Nicht nur oben bei den Höhlen?“ fragte der Seewolf. „Rund um die Bucht“, erklärte Matt. „Es hat Ärger mit ein paar Dons gegeben. Versprengte der ‚Trinidad'. Sie haben allen Ernstes versucht, in die Höhlen einzudringen und die ,Trinidad`“ zu entern. Je zwei Mann mit Messern.“ „Verrückt“, brummte Roger. „Sie hätten sich doch sagen müssen, daß das schiefgeht.“ „Es steckte mal wieder die Gier nach dem vielen Gold dahinter“, sagte Matt. „Na, jedenfalls haben wir sie erwischt, und jetzt müssen sie für uns schuften.“ Er berichtete, was sich in der Nacht vom 26. auf den 27. Mai zugetragen hatte. Hasard und Roger mußten besonders darüber lachen, daß sich Carberry den Trick mit dem „Faßteufel“ hatte einfallen lassen. „Sie heißen Luiz, Pablo, Felipe und Marco, unsere vier Dons“, beendete Matt seinen Bericht. „Und sie sind wirklich liebe, nette Kerle, das kann ich euch versichern.“ „Was soll mit ihnen geschehen?“ fragte Roger. „Ich lasse mir schon was einfallen“, entgegnete Hasard und saß von seinem Pferd ab. Es war ungesattelt wie das Tier des Franzosen. Es war kein ganz einfacher Ritt gewesen, aber die beiden Männer hatten ihn doch gut bewältigt. Jetzt entließen sie die Pferde in die Freiheit. Auch Roger Lutz saß ab. Hasard und er gaben den Tieren einen leichten Klaps auf die Hinterhand. Die Pferde wieherten, dann liefen sie davon. „Die kennen die Richtung“, sagte Roger. „Sie finden den Weg in den heimischen Stall ohne Schwierigkeiten.“
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Matt bezog wieder seinen Posten: Hasard und Roger gingen zum Ufer der Bucht. Am Ende der improvisierten Rutsche, wo auch die Jollen lagen, hielt Stenmark Wache. „Arwenack“, sagte er, als die beiden auf ihn zutraten. „Willkommen. Wir warten schon auf euch.“ Hasard und sein Begleiter begutachteten die Rutsche. „Ein gutes Stück Arbeit“, urteilte der Seewolf. „Und wie sieht es in den Höhlen aus.“ Stenmark entblößte grinsend die Zähne. „Leergeräumt!“ Roger stieß einen leisen Pfiff aus. „Ihr müßt wie die Irren geschuftet haben.“ „Ach, so schlimm war es nicht“, erwiderte der Schwede. „Die Rutsche hat uns gute Dienste geleistet. Und wir haben neuerdings auch vier Helfer, die ganz schön zupacken. Sie haben auch keine andere Wahl. Carberry beaufsichtigt sie persönlich.“ „Ich möchte nicht in ihrer Haut stecken“, sagte Hasard lächelnd. „Matt hat uns eben erzählt, was passiert ist. Wo sind die vier Spanier jetzt?“ „In der Vorpiek der ,Trinidad'„, erwiderte Stenmark. „Ich will sie mir mal ansehen“, sagte der Seewolf. Er stieg mit Roger Lutz in eine der Jollen. Sie pullten zunächst zur „Isabella“, wo sie stürmisch empfangen wurden. Siri-Tong und Edmond Bayeux kamen zur Besprechung an Bord der „Isabella“. Hasard berichtete, was sich in Havanna zugetragen hatte. „Dann sollten wir schleunigst von hier verschwinden“, sagte die Rote Korsarin. „Ich habe keine Angst vor den Dons, aber ein Gefecht wäre jetzt überflüssig. Ich halte es für wichtiger, den kompletten Schatz unbeschadet zur Cherokee-Bucht zu transportieren.“ „Der Meinung bin ich auch“, pflichtete Bayeux ihr bei. Auch die anderen hatten keine Einwände. Warum sollte man sich mit den Spaniern herumschlagen? Ein Gefecht lohnte sich nur, wenn es wirklich was zu holen galt. „Geholt“ hatten die Freunde aber bereits
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reichlich: die Laderäume der „Isabella IX.“, der „Caribian Queen“ und der „Le Griffon“ schienen vor lauter Gold, Silber, Perlen und Diamanten überzuquellen. Diese Reichtümer, die Don Antonio de Quintanilla in seiner ständigen Gier und Raffsucht zusammengetragen hatte, galt es nun zu den Bahamas zu schaffen und dort in dem von Old O'Flynn entdeckten unterirdischen Labyrinth zu verstecken. Hasard besprach mit seinen Kameraden noch ein paar letzte Einzelheiten für den nächsten Tag. Dann setzte er zur „Trinidad“ über. Dan O'Flynn, Mac O'Higgins, Jack Finnegan und Paddy Rogers hatten hier gerade Deckswache. Die Männer begrüßten sich, Hasard fragte: „Wie verhalten sich unsere Gefangenen?“ „Ruhig“, erwiderte Dan grinsend. „Sie können ja froh sein, daß sie überhaupt schlafen dürfen. Ed Carberry kujoniert sie wie die allerletzten Sklaven.“ „Das haben die Hunde auch verdient“, sagte Higgy grimmig. „Sie hätten uns abgestochen, wenn wir ihnen nicht zuvorgekommen wären.“ „Ich gehe zu ihnen“, sagte der Seewolf. 4. Luiz wurde als erster wach. Er war hundemüde wie seine drei Landsleute, aber er hatte auch gräßliche Angst - vor dem Kerl mit dem wüsten Narbengesicht, der wie ein Teufel aus dem Faß gesprungen war und ihn niedergeschlagen hatte, als er, Luiz, mit Pablo in die Schatzhöhle eingedrungen war. Was sich dieser Hundesohn an Schikanen noch alles ausdenken würde, ließ sich nicht erahnen. Er war zu allem fähig. Luiz hatte gehört, daß die anderen ihn „Ed“ oder „Carberry“ oder „Profos“ nannten. Wie auch immer der Kerl heißen mochte: er war ein Ungeheuer in Menschengestalt. Die Schritte, die sich dem Schott der Vorpiek näherten, hatten Luiz aufgeweckt. Jetzt schlotterte er vor Angst. Er war ein großer Kerl, der mit seinem schwarzen Bart furchteinflößend wirkte. Aber Carberrys hartes Regiment hatte Luiz an
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Leib und Seele gebrochen. Er stöhnte auf. Was war los? Holte der Narbenkerl sie mitten in der Nacht, um sie zu neuen Schweißarbeiten anzutreiben? Die Schritte verharrten vor dem Schott. Der Riegel wurde zur Seite geschoben. Er quietschte ein bißchen. Luiz begann zu jammern. Davon wurde auch Pablo, der Häßliche, wach. „Was'n los?“ murmelte Pablo. „He, was gibt's?“ Marco, der von allen „alter Knochen“ genannt wurde, schreckte ebenfalls aus seinem Tiefschlag hoch. „Sie holen uns“, flüsterte er. „Sie holen uns und sie ... „Halt dein Maul!“ fuhr ihn Felipe, der Andalusier, an. „Mal den Teufel nicht an die Wand!“ Dan O'Flynn hatte Hasard begleitet. Er bückte sich und hielt ein Talglicht in das offene Schott. In dem huschenden Schein der Flamme waren die verzerrten Gesichter der vier Spanier zu sehen. Luiz, Pablo, Felipe und Marco sahen einen schwarzhaarigen Hünen, als das Schott aufschwang. Den hatten sie vorher noch nicht gesehen, er war neu. Wer war er? Ihr Henker? Luiz stöhnte wieder auf. Hasard beugte sich zu den Kerlen hinunter. „Ich bin der Kapitän der ,Isabella“`, sagte er. „Ich bin jetzt zurückgekehrt und werde Gericht über euch halten.“ Marco glaubte sich zu entsinnen, wie er vom Gebüsch aus den Hünen beobachtet hatte, als noch die „San Sebastian“ in der Bucht vor Anker gelegen hatte. Ja, der Hüne war zu der Kriegsgaleone auf geentert und hatte mit Don Gaspar de Mello, dem Capitan, gesprochen. Dann war die „San Sebastian“ davongesegelt. Der Hüne schien der Oberanführer der englischen Korsaren zu sein. Luiz warf sich plötzlich vor Hasard auf die Planken. „Gnade!“ jammerte er. „Ich bin unschuldig!“ „Es ist alles ein schlimmes Mißverständnis!“ heulte Pablo. Er hatte das Gefühl, eine eiskalte Klaue lege sich würgend um seinen Hals.
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„Ihr lügt“, sagte der Seewolf kalt. „Ihr versucht nur, euren Kopf aus der Schlinge zu ziehen.“ Felipe zischte einen Fluch. Am liebsten hätte er sich auf Hasard gestürzt. Doch die Fesseln an seinen Händen und Füßen hinderten ihn daran. Wohlweislich hatte Carberry die vier Spanier fesseln lassen, als sie wieder in die Vorpiek eingesperrt worden waren. Sie konnten aber noch von Glück sagen, daß er sie nicht hatte in Ketten legen lassen. Marco verhielt sich am gescheitesten. „Du hast recht, Senor“, erklärte er so ruhig wie möglich. „Es sind alles nur Ausflüchte. Wir wollten euch überwältigen und uns bereichern.“ 28 „Ihr wolltet meine Männer töten“, sagte der Seewolf. „Ja.“ „Bist du wahnsinnig?“ zischte Felipe. „Mordversuch“, sagte Hasard. „Darauf steht die Todesstrafe.“ „Ich weiß“, entgegnete Marco. „Ich bin kein Held, aber ich bin bereit, als Mann zu sterben.“ „Ich nicht!“ heulte Luiz. „Gnade, Gnade!“ „Memme“, sagte Felipe verächtlich, dann blickte er Hasard voll an. „Auch ich werde sterben, ohne eine Miene zu verziehen, Engländer!“ „Ihr mit eurem Stolz“, sagte Hasard. „Aber ich werte zu euren Gunsten, daß ihr wenigstens zu einem Teil eure Schuld zugebt. Ich will Gnade vor Recht walten lassen. Morgen segeln wir ab. Ihr bleibt hier an Bord der ‚Trinidad' zurück. Wie ihr euch von den Fesseln befreit, ist eure Sache.“ „Ist das wirklich dein Ernst?“ fragte Marco. „Sehe ich aus wie ein Mann, der sein Wort bricht?“ fragte der Seewolf zurück. „Allerdings nicht“, erwiderte Marco. „Dann gibt es nur noch eins für uns. Wir bedanken uns bei dir.“ „In Ordnung“, sagte Hasard. Er wollte sich abwenden, aber Felipe, der Andalusier, hielt ihn noch durch einen
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Zuruf zurück. „Das ist hochanständig! Ich werde es dir nicht vergessen!“ Hasard blieb stehen und schaute ihn an. „Vielleicht denkt ihr bei Gelegenheit darüber nach. Wir sind Korsaren der englischen Krone und keine hergelaufenen Schnapphähne.“ „Wer bist du?“ wollte Pablo wissen. „Man nennt mich El Lobo del Mar“, antwortete Hasard, dann ging er. Dan knallte das Schott der Vorpiek wieder zu. Der Fall war erledigt. Luiz, Pablo, Felipe und Marco sahen sich untereinander ehrfürchtig und erstaunt an. „El Lobo del Mar“, flüsterte Luiz. „Der ist das also ...“ „Mann, haben wir ein Glück, daß er uns laufen läßt“, murmelte Pablo. „Ich werde nie wieder einen Engländer unterschätzen“, sagte Marco. „Das ist mir eine Lehre.“ „Da hast du recht, alter Knochen“, brummte Felipe. Aber er dachte auch wieder an all die herrlichen Reichtümer, die ihnen durch die Lappen gegangen waren. Wohin die Engländer sie wohl bringen würden? Sie, die vier von der „Trinidad“, würden es nie erfahren. *
Am Morgen des 30. Mai gingen die „Isabella IX.“, die „Caribian Queen“ und die „Le Griffon“ in der Bucht bei Batabano ankerauf. Mit prallen Segeln glitten sie auf die offene See und hielten zunächst südwärts. Auf diese Weise gelangten sie aus dem Sichtbereich der Küste. Als Kuba hinter der Kimm versunken war, gingen die drei Schiffe auf Ostkurs. Ihr Ziel war die Windward-Passage. Fünf Tage verstrichen relativ schnell. Immer wieder unterhielten sich die Männer an Bord der Schiffe über die Ereignisse, die hinter ihnen lagen. Reihum wurden die Laderäume inspiziert, und man erfreute sich an dem Anblick der Kisten, Truhen und Fässer, die alle randvoll mit Kostbarkeiten gefüllt waren. Ja, es stand fest: dies war der größte Schatz, den sie je gehoben oder im Kampf erobert hatten. Die Freunde an der
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Cherokee-Bucht würden nicht schlecht staunen, wenn sie das alles sahen. Nur einer würde heulen wie ein Schloßhund: Don Antonio de Quintanilla, der „prominente“ Gefangene des Bundes der Korsaren. Daß sie ihn gehindert hatten, nach Europa zu segeln und sich dort vom König persönlich zum Vize-König befördern zu lassen, verkraftete er vielleicht noch. Aber den Schlag, daß die Gegner auch noch sein privates, geheimes Schatzversteck gefunden und nun alles an sich gebracht hatten, verdaute er wohl nicht. Oder sollte es ihn vielleicht doch gleichgültig lassen? Am 5. Juni 1595 - das war bereits alte Tradition beim Bund der Korsaren - liefen sie Tortuga an, um dem alten Schlitzohr Diego in der „Schildkröte“ einen guten Tag zu wünschen. Als die Insel in Sicht kam, pfiffen und johlten die Männer. Schon jetzt herrschte allerbeste Stimmung. „Diesmal heben wir die Schildkröte aus den Angeln!“ rief Barba vom Achterdeck der „Caribian Queen“. „Und wir lassen die Kuh fliegen!“ „Nicht nur eine Kuh!“ brüllte Carberry von der Kuhl der „Isabella“. „Gleich eine Herde!“ ' „Drauf!“ schrie Bayeux. „Die Bude muß wackeln!“ Hasard, Siri-Tong und Bayeux hatten auch beschlossen, auf Tortuga Proviant und „Flüssigverpflegung“ einzukaufen, an denen es allmählich zu mangeln begann. Ja, natürlich - auch die Püppchen wollte man tanzen lassen und ein wenig herumhorchen, was sich so tat. Kein Platz war dafür besser als Tortuga und insbesondere die „Schildkröte“, denn Diego hatte Ohren, mit denen er bis nach Panama horchen konnte. Sein Weitblick reichte bis nach Patagonien, und mit seinem Spürsinn registrierte er, wenn das Gras auf den bunten Wiesen von China zu wachsen begann. Für Bayeux und seinen normannischen „Schrats“ war Tortuga noch Neuland. So lernten sie auch diese Drehscheibe der Karibik-Haie kennen. Sie grölten vor Begeisterung, als sie die „Ladys“
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erblickten, die bei Diego schon auf sie warteten. Sofort herrschte größter Trubel. Ein paar kleinere „Schnapphähnchen“, wie Barba sie nannte, begehrten zwar auf, als das wilde Rudel die Kneipe betrat. Doch sie hatten keine Chance. Gut ein Dutzend Kerle waren es, die da an den Tischen und in den Nischen saßen und Süßholz mit den. Damen raspelten. Doch dann erschienen die Arwenacks - allen voran Carberry - und die „CaribianQueener“ - allen voran Barba - sowie die Kerls von der „Le Griffon“. Sie walzten in breiter Formation in die Felsenhöhle, und zwei Kerle ergriffen allein bei ihrem Anblick sofort die Flucht, denn sie kannten sie bereits von früheren Begegnungen. Der Rest der „Stammkundschaft“ glaubte, doch das große Wort führen zu müssen. Als Carberry grinsend nach einer rothaarigen Lady griff, die sich ihm an den Hals warf, protestierte der Kerl, der bisher mit ihr geschmust hatte. „Was ist das für eine Sauerei?“ brüllte er. „Laß sofort mein Weib los, du krummer Bock!“ Carberry ließ die Lady nicht los, wandte sich aber mit breitem Grinsen zu dem Kerl um. „Wie hast du mich genannt?“ „Einen krummen Bock!“ brüllte der Kerl, der ein rotes Tuch um den Kopf trug. Er hatte ferner ein gestreiftes Hemd und kurze, völlig ausgefranste Hosen an. Carberry grinste immer noch. „Schon mal was vom Profoshammer gehört?“ „Nein!“ schrie der Kerl. Er war hochrot im Gesicht. „Was ist das?“ Blitzschnell hämmerte ihm Carberry die Faust auf den Schädel. Der Kerl sackte mit einem Ächzen zusammen. „Das ist der Profoshammer, mein Junge“, erklärte der Profos, aber der Kerl mit dem roten Kopftuch hörte es schon nicht mehr. Er lag auf dem Kneipenfußboden und streckte alle viere von sich. Barba lachte rauh und schnappte sich einen anderen Kerl, der gerade Anstalten traf, sich auf ihn zu stürzen. Barba stoppte ihn und beförderte ihn schwungvoll in Richtung Ausgang. Der Kerl flog wie vom Katapult geschossen gegen die Wand, rieb
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sich heulend den ramponierten Kopf und verschwand. „Alle Mann 'raus!“ brüllte Barba. „Wir wollen den Laden für uns haben!“ Widerstandslos räumten die letzten „Schnapphähnchen“ die „Schildkröte“. Die beiden von Carberry und Barba statuierten Exempel genügten ihnen. Sie sahen ein, daß ein Luftwechsel jetzt das beste für sie war. Diego verfolgte grinsend das Geschehen, griff aber nicht ein. Die Männer des Bundes hatten bei ihm einen dicken Stein im. Brett. Lieber verlor er ein paar unbedeutende Gäste, als daß er es sich mit diesen Königen der Karibik verdarb. Auch der Kerl mit dem roten Kopftuch erlangte das Bewußtsein wieder und kroch davon. „Nicht mehr hauen!“ jammerte er nur, als Carberry ihm einen wilden Blick zuwarf. Dann entschwand er und ließ sich nicht mehr blicken. Bayeux und seine Mannen klatschten begeistert Beifall. „Großartig!“ rief Bayeux. „Die Kneipe ist nach meinem Geschmack!“ Er ließ sich bei seinen Männern an einem der Tische nieder. So begann ein großes Gelage, und Diego mußte extra einen Gehilfen holen lassen, der als Schankknecht fungierte. Später, als die Stimmung ihre höchsten Wogen schlug, setzte sich Diego zu Hasard, Siri-Tong, Ben Brighton, Big Old Shane und Ferris Tucker an den Tisch. „Ich muß euch etwas berichten“, sagte er. „Es gibt also wieder mal Neuigkeiten?“ fragte Hasard. „Ja“, erwiderte Diego. „Vor ungefähr zwei Wochen ist hier auf Tortuga ein einäugiger Engländer aufgetaucht. Ich konnte ihn gleich nicht leiden, als er 'reinkam. Ein mieser Kerl. Seine Crew besteht ausschließlich aus Ratten.“ „Ein Engländer?“ wiederholte Hasard. „Kenne ich ihn?“ „Das glaube ich nicht“, entgegnete Diego. „Er heißt Doolin. One-Eye-Doolin. Spricht Spanisch.“ „Aus welcher Ecke von England stammt er?“ wollte Shane wissen. „Cornwall“ erwiderte Diego.
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Ferris Tucker stieß einen leisen Pfiff aus. „Nachtigall“, sagte er. „Ich hör' dich trällern. Na, mal weiter, Diego. Was wollte dieser einäugige Hundesohn?“ Diego grinste. „Das ist der richtige Ausdruck - einäugiger Hundesohn. Er kommt aus West Looe. So hat er mir gesagt.“ „Das wird ja immer interessanter“, sagte die Rote Korsarin. „Kannst du den Kerl nicht mal genauer beschreiben, Diego?“ Das tat der Wirt der „Schildkröte“, und die Frau und die vier Männer hörten ihm aufmerksam zu. Hasard prägte sich jedes Detail ein. Es würde nicht schwer sein, diesen Doolin zu erkennen, falls man ihm durch Zufall im Bereich der Karibik begegnete. Daß er nicht zufällig, sondern mit einem festen Ziel hier erschienen war, schien schon jetzt klar zu sein. Diego schilderte, wie einige der Kerle aus der Crew von One-Eye-Doolin aussahen. Unter anderem beschrieb er den Kerl mit den Blumenkohlohren. „Eine feine Mannschaft“, sagte Ben Brighton. „Und ein fabelhafter Kapitän. England kann stolz auf solche Leute sein.“ „Laß mich mal raten“, sagte nun Hasard. „Ich wette, Doolin ist in Plymouth gewesen. Bei Plymson.“ „Das unter anderem“, bestätigte Diego. „Du weißt wohl schon, warum Doolin hier ist?“ „Ich rate noch mal“, erwiderte der Seewolf lächelnd. „Er sucht El Lobo del Mar, wie?“ „So ist es“, entgegnete der Wirt. „Er hat sich ganz ungeniert erkundigt, wo sich denn ,der Killigrew' so herumtreibe.“ „Und was hast du geantwortet?“ fragte Siri-Tong. „Daß ich keinen Killigrew kenne.“ „Ausgezeichnet“, sagte Shane lachend. „Das ist mal wieder typisch Diego!“ „Glaubt ihr etwa, ich verrate euch?“ „Nein“, erwiderte: - Hasard ernst. „Wir wissen, daß wir uns auf dich verlassen können.“ Diego nickte. „Also, Doolin geht von der festen Annahme aus, daß du irgendwo bei den südlichen Bahamas zu finden bist“, fuhr er
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fort. „Das habe er erfahren, sagte er. Ich hab' ihn natürlich ein bißchen ausgehorcht und ihm auch versprochen, daß ich ihn informieren würde, wenn ich was hören sollte.“ „Vielleicht kreuzt er wieder auf“, meinte Ben Brighton. „Das weiß ich nicht“, sagte Diego. „Er hat mir in der Beziehung nichts Konkretes versprochen. Ist hier nur erschienen und dann nach einer durchzechten Nacht mit seiner Crew und seiner Galeone wieder abgehauen.“ „Wie sieht die Galeone aus?“ fragte Ferris Tucker. „Dreimaster“, erwiderte Diego. „Schwer armiert. Heißt ,Scorpion`.“ „Ein treffender Name für den Kahn eines Hundesohns“, sagte Siri-Tong. „Und was hast du noch in Erfahrung gebracht, Diego?“ „Woher bei Doolin der Wind weht“, erwiderte der Schildkröten-Wirt. „Nach seinen Worten muß er in Plymouth einiges über den Seewolf gehört haben. Im letzten Jahr ist dort eine frühere spanische Kriegsgaleone mit einer englischen Crew eingelaufen.“ „Aha“, sagte Hasard. „Vielleicht Marc Corbett mit seiner Mannschaft?“ „Ja, den Namen hat Doolin erwähnt.“ „Dann weiß ich schon Bescheid“, sagte der Seewolf. „Wir hatten Corbett und seinen Leuten seinerzeit geholfen und ihnen die spanische Galeone überlassen. Sie hatten ihre Schiffe verloren. Also haben sie es geschafft, nach England zurückzukehren.“ „Ja“, versetzte Diego mit grimmiger Miene. „Aber vor lauter Freude müssen sie so einiges verbreitet haben. Jedenfalls meinte Doolin, in den Kneipen und Spelunken von Plymouth würden die tollsten Sachen über dich erzählt, von diesen ,Orion`- und ,Dragon`-Mannen. Doolin hat das alles aufgeschnappt.“ „Ich kann mir jetzt ein Bild machen“, sagte Hasard. „Da ist also aufgrund von Gerüchten, Unwahrheiten und Halbwahrheiten ein Kerl aus England losgesegelt, um dort, wo man mich
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vermutet, den ganz großen Coup zu landen.“ „Ja, ich schätze, daß er auf einen fetten Raid scharf ist“, sagte Diego. Dann lachte er. „Aber der wird sich die Finger verbrennen, falls er euch begegnet! Himmel, wie gern würde ich dabeisein!“ Shane stieß einen Fluch aus. „Trotzdem ist es Mist, daß der Kerl jetzt hier herumspioniert.“ „Es sind die Schmeißfliegen, die angelockt werden“, sagte Siri-Tong. „Man kann nur eins tun - sie breitschlagen.“ „Wir werden ja sehen, wie sich der Fall weiterentwickelt“, sagte der Seewolf. „Ich glaube aber nicht, daß wir uns wegen dieses Doolin allzu große Sorgen bereiten müssen. Er kennt unser Versteck nicht. Er weiß nicht, wo er suchen soll.“ „Ich kann ihm nur wünschen, daß er mit seiner ,Scorpion' absäuft“, sagte Diego. „Ein schöner kleiner Sturm wäre da nicht schlecht.“ Er schaute sich um und deutete auf die leeren Humpen. „Wie wär's mit noch einem Schluck Bier?“ „Wir haben nichts dagegen“, entgegnete Hasard. Diego pfiff seinen Schankknecht heran. Der Mann mußte die Humpen füllen. Er hatte alle Hände voll zu tun. So schnell, wie die Mannen ihre Becher und Humpen leerten, konnte er gar nicht nachschenken. Also stand auch Diego wieder auf und half mit. Er stellte sich hinter seine Theke, hantierte mit den Humpen und den Bechern und zapfte Bier und Wein aus den Fässern ab. Etwas später informierte Hasard auch Bayeux über das, was Diego ihnen erzählt hatte. „Ein Dreckskerl, dieser Doolin“, sagte der Normanne. „Na, dem werden wir schon auf die Finger klopfen, wenn wir ihn treffen. Und Diego ist ein feiner Kerl. Ein richtiger Kumpel.“ „Ja, wir können ganz gut mit ihm.“ „Sollten wir ihn für seinen Hinweis nicht belohnen?“ fragte Bayeux. Hasard lächelte. „Überlaß das mir.“ Die Zeit schritt voran, es wurde dunkel. Diego bereitete eine einfache, aber
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schmackhafte Mahlzeit: Fisch mit Frijoles, weißen Bohnen. Als Hasard dann auch noch eine Lokalrunde stiftete, kannte der Beifall der Mannen keine Grenzen. Nach der Plackerei an der Bucht bei Batabano tobten sie sich jetzt richtig aus. Das hatten sie nötig, Hasard wußte es. Hasard prostete Siri-Tong zu. „Auf den Bund der Korsaren.“ Sie lächelte, hob ihren Humpen. „Und darauf, daß wir Don Antonios Schatz sicher bis zur Cherokee-Bucht bringen.“ „Es müßte schon mit dem Teufel zugehen, wenn wir das nicht schaffen würden“, meinte der Seewolf. Zu vorgerückter Stunde verließ er dann den Tisch, ging zu Diego hinter die Theke und steckte ihm einen Lederbeutel mit Perlen zu. Diego grinste vor Freude, schüttelte Hasard die Hand und sagte: „Vielen Dank. Dieses Geschenk muß ich annehmen, ich kann nicht anders.“ „Du sollst es ja auch annehmen“, erwiderte der Seewolf lachend. „Übrigens stammen die Perlen aus der Beute des Don Antonio.“ Diego hatte inzwischen schon vernommen, was sich auf Kuba abgespielt hatte. Und er wußte auch, daß sich der dicke ExGouverneur in der Gewalt des Bundes der Korsaren befand. „Recht so!“ stieß der Schildkröten-Wirt nun aus. „Das gönne ich ihm so richtig von Herzen, dem dicken Schweinehund. Jetzt wird ihm alles heimgezahlt, was er jahrelang an Verbrechen verübt hat. Und de Escobedo?“ „Der sitzt auf Nummer Sicher“, erwiderte Hasard. Er berichtete, was sich in Havanna zugetragen hatte. Diego lachte wieder. „Und Don Diego de Campos sucht euch jetzt? Na, der wird sich wundern. Er wird sich grün und schwarz ärgern, schätze ich.“ „Hat Doolin dir auch gesagt, in welche Richtung er weitersegeln würde?“ fragte der Seewolf. „Nein“, erwiderte Diego. „Aber ich hab's gesehen. Nordostwärts sind sie gesegelt, die Bastarde. Sie sind ja erst am Morgen
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nach ihrem Besäufnis wieder verduftet. Ich schätze, daß sie sich bei den Caicos-Inseln umschauen.“ „Das ist ihr Kurs“, bestätigte der Seewolf. „Nun, wir werden sehen, was sich weiter tut. Ich habe nicht vor, Doolin nachzusegeln. Aber vielleicht begegnen wir ihm.“ Er kehrte an seinen Tisch zurück. Es wurde noch eine lange Nacht, aber gegen ein Uhr zogen sich Hasard und Siri-Tong auf die „Isabella IX.“ zurück. Endlich fanden sie wieder einmal Zeit füreinander. 5. One-Eye-Doolin saß auf einem Eichenholzstuhl in der Kapitänskammer der „Scorpion“. Seine nackten Füße hatte er auf das Pult gepackt. Er trank von dem Bier, das er auf Tortuga beim Wirt der „Schildkröte“ eingekauft hatte, blickte träge vor sich hin und dachte über sich und die Welt nach. Ja, und dieser Killigrew - den würde er schon schnappen. Wenn er ihn erst erwischt hatte, brachte er ihn mit dem Messer dazu, auszupacken, wo er seine Schätze versteckt hatte, Doolin kannte alle Tricks. Wenn er einen Mann zum Sprechen bringen wollte, dann schaffte er das auch. Keiner war so hart, daß er der Folter standhielt. Wegen seiner Grausamkeit war Doolin in den einschlägigen Kreisen bekannt, Es waren jene Kreise, die im östlichen Küstenbereich von Cornwall mit Schmuggel, Strandräubereien und Beutefahrten in den Kanal ihrem „Erwerb“ nachgingen; Da war One-Eye-Doolin einer der gefürchtetsten Kerle. Keiner konnte ihm was vormachen. Alle hatten Angst vor ihm. Auch seine eigenen Kerle. Wenn Doolin mal richtig aus der Haut fuhr, rauchte es. Dann kuschten die Hunde vor ihm, weil sie Angst hatten, er könne einen von ihnen umbringen. Einfach so, um die anderen einzuschüchtern und abzuschrecken. Doolin genoß seine Machtstellung. Er hatte eine wilde, zu allem entschlossene Crew.
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Wenn es ins Gefecht, ging, schreckten die Kerle vor nichts zurück. Einer versuchte, den anderen zu übertrumpfen, was das Kämpfen und Töten betraf. Das brachte Punkte bei Doolin, und wer am kühnsten vorging, erhielt schon. mal eine ExtraBelohnung von dem Einäugigen. Doolin dachte an die Zeit vor der Abreise zurück. Was für ein Glück, daß es ihn wieder einmal nach Plymouth verschlagen hatte! Den ganz heißen Tip hatte er ja von dem Seemann der ehemaligen spanischen Kriegsgaleone erhalten, die aus der Karibik in Plymouth eingelaufen war. Dieser Kerl aus Marc Corbetts Mannschaft hatte nach dem fünften Bier so richtig vom Leder gezogen und ihm alles anvertraut, was er wußte. Und was er gewußt hatte, dieser Mann: Killigrew, der auch der Seewolf genannt wurde, mußte bei seinen jahrelangen Raubund Plünderfahrten durch die Karibik ein Riesenvermögen angehäuft haben. So viel Gold und Silber, Juwelen und Perlen, daß man den Wert nicht mehr schätzen konnte. Das alles hatte Doolin in der „Bloody Mary“ vernommen. Er hatte mit dem Corbett-Mann gar nicht weit von der Theke entfernt gesessen. Plymson hatte auch dauernd zu ihnen geschaut, und als er den Namen Killigrew hörte, kriegte er richtige Stielaugen. Na, da hatte den Dicken auch nichts mehr gehalten. Er war zu ihnen an den Tisch gekommen. Klar: wenn er dem Seewolf eins auswischen konnte, so tat er das liebend gern. Sofort hatte Plymson begriffen, daß Doolin ernste Absichten hegte. Der Seemann erzählte und erzählte, und man glaubte das Gold schon zu sehen, so anschaulich berichtete er. Plymson verdrehte die Augen. „Das stimmt alles“, bestätigte er. „Ich kenne Killigrew. Der scheffelt das Gold nur so.“ „Interessant“, sagte Doolin. Sein linkes Auge funkelte vor Gier. „Und wo finde ich ihn, wenn ich mal in die Karibik rübersegle?“
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„Ich würde es mal auf Tortuga versuchen“, erwiderte der Dicke. Innerlich frohlockte er. 0 ja, er würde diesen Einäugigen dem Seewolf wie eine Laus in den Pelz setzen. Dann hatte er seinen Ärger, dieser verdammte Bastard! „Da gibt's 'ne Kneipe, wo die Korsaren immer einkehren, glaube ich. Auf jeden Fall erfährst du in der Kneipe Näheres. Hast du denn wirklich vor, in die Neue Welt zu segeln?“ „Mal sehen“, brummte Doolin. „Ich war noch nie dort. Soll eine hübsche Gegend sein. Und wenn ich noch ein bißchen Gold kriege, wäre es noch hübscher, das Ganze.“ „Davon rate ich ab“, sagte der Seemann. „Falls du vorhast, dich mit Killigrew anzulegen - laß die Finger davon. Den besiegt keiner.“ „Ist er der liebe Gott?“ fragte Doolin hämisch. „Nein, wieso?“ „Nur der liebe Gott ist unbesiegbar“, sagte Doolin. „Ansonsten kriegt man jeden Sterblichen irgendwann beim Schlafittchen, verlaß dich drauf. „Du mußt es ja wissen“, sagte der Sailor. „Aber ich hab' dich gewarnt.“ Kurz darauf war er am Tisch eingeschlafen. Er legte den Kopf auf die Platte und schnarchte los. Plymson und Doolin zogen sich an einen anderen Tisch zurück. Der Dicke heizte den Einäugigen so an, daß Doolin am liebsten gleich aufgebrochen wäre. Die goldenen Gefilde der Karibik - warum, zum Teufel, war er nicht viel früher auf die Idee verfallen, dort hinzusegeln? Nun, es soll ja nicht sehr einfach sein, sich mit den Spaniern anzulegen. Dann schon lieber einen Beutezug gegen den Seewolf unternehmen. Vielleicht konnte man den auch überlisten. Landsleuten gegenüber würde er nicht argwöhnisch sein. Doolin stellte sich das so vor: Er schlich sich bei Killigrew ein, wurde gut Freund mit ihm und überrumpelte ihn dann. Oder? One-Eye-Doolin konnte nicht ahnen, welche schlechten Erfahrungen der Seewolf auch in jüngster Zeit wieder mit seinen eigenen Landsleuten hatte sammeln müssen. Aber wenn er es gewußt hätte, hätte sich der Einäugige trotzdem nicht
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aufhalten lassen. Er war wie von einem Rausch besessen. Später, als er sich in Plymouth mit seiner Crew zusammenhockte und all das erzählte, was er erfahren hatte, waren die Kerle sofort Feuer und Flamme. So rüsteten sie am nächsten Tag die „Scorpion“ für die Überfahrt aus und segelten davon. Plymson blickte ihnen nach. Vor lauter Schadenfreude rieb er sich die Hände und kicherte. Killigrew, jetzt brät dir endlich mal einer eins über, dachte er. Doolin grinste, als er an Plymouth zurückdachte. Ja, das war schon eine feine Idee gewesen! Er wußte zwar noch nicht, wo Killigrew steckte, aber er würde es früh genug herausfinden, keine Sorge. Er war ja gescheit genug. Erst mal krebste er ein paar Tage in den Gewässern der südlichen Bahamas herum. Dann - wenn er keinen Erfolg hatte - kehrte er zu diesem Diego zurück und befragte ihn noch mal. Vielleicht hatte der Kerl inzwischen etwas erfahren. Doolin war von sich und seinen Fähigkeiten überzeugt. Mit Gerissenheit daran hatte er nicht den geringsten Zweifel - ließ sich auch ein berühmter und berüchtigter Korsar wie Philip Hasard Killigrew überlisten und besiegen. Zwischen zwei Schlucken Bier gähnte Doolin herzhaft, kratzte sich am Bauch und rekelte sich auf seinem Stuhl. Dann griff er wieder zu dem Becher, in dem das Bier schwappte. Er ließ einen tüchtigen Schluck die Kehle hinunterrinnen, wischte sich den Schaum mit dem Handrücken vom Mund und rülpste kräftig. So kreuzte die „Scorpion“ in den „goldenen Gefilden“, der Karibik. OneEye-Doolin ahnte nicht, daß er sich am 3. Juni genau über jenem Bereich befand, wo sich dereinst die Schlangen-Insel befunden hatte. Die Schlangen-Insel und Coral Island existierten nicht mehr. Eine UnterseeExplosion, der Ausbruch eines Vulkans und das damit verbundene Seebeben, hatten beide Inseln versinken lassen.
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Arkana und ihre Schlangen-Krieger und kriegerinnen sowie die Timucuas auf Coral Island hatten ihr Leben gelassen. So hatte sich erfüllt, was Arkana vormals, vom Schlangen-Gott inspiriert, prophezeit hatte: Araua war im Kampf gegen die Zopfmänner gefallen, doch ihre Mutter sollte ihr bald darauf folgen. So war es auch gewesen. Arkana und Araua waren nun wieder vereint - in einer anderen Welt. Von alledem wußte ein Kerl wie Doolin natürlich nichts. Und auch Nathaniel Plymson oder der Corbett-Seemann hatten ihm über die Schlangen-Insel nichts berichten können. Sie wußten nicht, daß es diesen Schlupfwinkel des Bundes der Korsaren gegeben hatte. Nur die Black Queen hatte es seinerzeit herausbekommen und ihr Wissen an Don Antonio de Quintanilla weitergegeben. Die Black Queen war tot. Der dicke Gouverneur, der seinerzeit einen groß angelegten Angriff auf die SchlangenInsel gestartet hatte und gescheitert war, befand sich in der Gewalt des Bundes der Korsaren. Der Feind des Bundes, Spanien, hatte nicht den geringsten Hinweis, daß der Seewolf und seine Verbündeten einen neuen Stützpunkt an der Cherokee-Bucht eingerichtet hatten. Doolin stöberte auf gut Glück in dieser Ecke der Karibik herum. Er hatte Zeit. Es gab keine Termine, an die er sich halten mußte. Wenn er wollte, konnte er ein Jahr nach „dem Killigrew“ suchen. Es war nur die Frage, ob seine Crew solange mitspielte. Nein, die wollten schon eher was Handfestes sehen - wenigstens ein paar Barren Silber. Ein Schrei ließ Doolin aus seinen Wachträumen hochschrecken. Er verlor um ein Haar das Gleichgewicht und schaukelte wild auf seinem Stuhl. Das Bier schwappte über. Doolin fluchte, nahm die Füße vom Pult und sprang auf. Mit langen Sätzen eilte er an Oberdeck. Was war los? Es war der Ausguckposten im Großmars der „Scorpion“, der den Schrei ausgestoßen hatte.
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Eben rief er wieder: „Deck! Deck!“ One-Eye-Doolin stieß das Schott des Achterkastells auf und stürmte auf die Kuhl. Der Mann mit den Blumenkohlohren stand dem Schott allzu nah, er kriegte die Kante ins Kreuz. Er stöhnte auf. Als er aber Doolins wüste Fratze sah, mit der dieser zum Großmast hochblickte, verstummte er sofort wieder. „He!“ schrie Doolin hinauf. „Du Brüllaffe! Was ist los?“ „Unbekanntes Objekt treibt im Wasser!“ „Ein was?“ „Na, ein Objekt“, erwiderte der Ausguck. Er war ein dünner, vogelartig wirkender Kerl aus Bristol, der dieses schöne Wort irgendwo mal gehört hatte. Er war froh, es mal anwenden zu können. Doolin wurde wütend. „Hör zu, Bristol!“ rief er. „Wenn du glaubst, mich verarschen zu können, hast du dir den Falschen ausgesucht!“ „Es ist ein Kasten!“ schrie Bristol nach einem neuerlichen Blick durch den Kieker. Der Einäugige enterte aufs Achterdeck der „Scorpion“. Er riß dem Mann, der den Posten und die Aufgabe des Ersten Offiziers und des Bootsmannes versah, das Spektiv aus den Händen und hob es vor sein intaktes Auge. Er spähte in die Richtung, die der Ausguck angab, und erkannte, daß es sich bei dem „Objekt“ tatsächlich um einen treibenden Kasten handelte. Die Kerle der „Scorpion“ wurden unruhig und brüllten durcheinander. Was hatte das zu bedeuten? Ein Kasten? Hatte der Mensch so was schon mal gesehen? Mit einem Kasten wußten sie absolut nichts anzufangen. Vielleicht brachte ein Kasten, der einfach so in der Karibik herumschwamm, ja auch Unglück. Sofort stellte sich bei ihnen der Aberglaube ein, und es wurden verschiedene Vermutungen geäußert. Die einen meinten, bei dem „Ding“ könne es sich um eine Seemanskiste handeln. Andere waren sicher, daß es eine Art Truhe war. Ein Kerl mit verkniffenem Gesicht, der nur noch einen einzigen Zahn im Mund hatte, zischelte: „Es ist eine Teufelskiste.“
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„Was ist denn das, eine Teufelskiste?“ wollte sein Nebenmann wissen. „Weiß ich nicht genau. Aber wenn du sie anpackst, verbrennst du dir die Finger.“ „Ich glaube, das ist ein Sarg“, sagte der Kerl mit den Blumenkohlohren. „Seht doch, er ist schwarz.“ „Quatsch!“ brüllte Doolin, der diese Bemerkung gehört hatte. „Maul halten da unten! Ihr redet mal wieder blödes Zeug!“ Der Kasten trieb etwa zwei Meilen südlich der Untergangsposition der SchlangenInsel. Beim näheren Heransegeln stellte sich heraus, daß der Kerl mit den Blumenkohlohren vielleicht gar nicht so unrecht hatte. Der Kasten war aus schwarzem Ebenholz. Den Kerlen der „Scorpion“ fiel außerdem auf, daß er mit kunstvollen Schnitzereien versehen war. Fast allen lief jetzt ein kalter Schauer über den Rücken. Ganz so groß wie ein richtiger Sarg war das „Objekt“ zwar nicht, aber vielleicht war es ja ein Kindersarg? One-Eye-Doolin war es egal. Er ließ die Segel ins Gei hängen und beidrehen. Eine Jolle wurde abgefiert, ein paar Kerle pullten zu dem Kasten und fischten ihn aus dem Wasser. Ihnen war nicht sonderlich wohl zumute, aber vor ihrem Kapitän wollten sie natürlich keine Schwäche zeigen. Beherzt holten sie den Kasten an Bord der Jolle. Dann pullten sie zur Galeone zurück. Doolin und die anderen Kerle blickten ihnen gespannt und erwartungsvoll entgegen. * Der Einäugige ließ den Kasten auf die Kuhl hieven. Die Jolle wurde wieder binnenbords geholt. Dann ließ Doolin ein paar Werkzeuge holen und hantierte mit ihnen an dem Deckel des Kastens. Schließlich gelang es ihm, das Ding aufzubrechen. „Mir wird schwummrig“, murmelte der Kerl mit den Blumenkohlohren. „Was ist, wenn 'ne Leiche drin is? 'ne Leiche bringt Unglück über uns alle. Entweder saufen wir mit Mann und Maus ab, oder nachts
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steigt der Wassermann an Bord und dreht uns die Hälse um.“ „Halt's Maul!“ stieß Doolin zornig aus. Er hob den Deckel des Kastens an. Sein Auge weitete sich, seine Züge glätteten sich. Er stieß einen Pfiff aus, dann begann er zu lachen. „Ihr Blödmänner! Seht mal, was wir hier haben!“ Er bückte sich und holte den Inhalt aus dem Kasten heraus, damit ihn alle deutlich sehen konnten. Jetzt staunten die Kerle, und sie quittierten den Anblick des Fundes mit überraschten Lauten. Eine in Kork gebettete goldene Statue, armlang, geflügelt und mit einem seltsamen Kopf, kam zum Vorschein. Sie funkelte in der Sonne. Doolin lachte wie ein Irrer. „Begreift ihr das nicht?“ brüllte er. „Das Ding ist aus purem Gold!“ „Was?“ schrien die Kerle. „Is nich' wahr!“ nuschelte der mit dem einen Zahn. „Sie bringt uns Unglück, die Statue“, sagte der Kerl mit den Blumenkohlohren. Doolin sah ihn wild an. „Noch ein Wort, du Bastard, und ich packe dich in den schwarzen Kasten und schmeiße dich damit ins Wasser. Klar? Diese Statue ist aus purem Gold, du Arsch, und ich schätze, sie ist mindestens soviel wert wie die halbe ,Scorpion`.“ „Belege das, Doolin“, sagte einer der Kerle fordernd. Doolin kratzte und biß an der Statue herum. Es stimmte, das Gold war echt und massiv obendrein. Daran gab es nichts zu rütteln. Der Kasten mußte infolge seiner Korkfüllung aufgetrieben sein, das war die Erklärung, warum sie ihn gefunden hatten. Woher der Kasten stammte und welche Bedeutung die Statue hatte, war für OneEye-Doolin völlig uninteressant. Der Einäugige packte die Statue wieder in den Kasten und schloß den Deckel. Er brachte den Fund höchstpersönlich zu sich in die Kapitänskammer, kehrte zu seinen Kerlen zurück und hielt eine Art Ansprache. „Herhören! Das mit dem Kasten und der Statue ist ein Zeichen, daß wir an der
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richtigen Stelle sind. Wir haben zwar Killigrew noch nicht gefunden, aber wen stört das schon? Was wir wollen, ist Gold. Könnte ja sein, daß hier so ein spanischer Frachter mit 'ner dicken Ladung an Bord versunken ist.“ „Da!“ schrie der Ausguck über ihren Köpfen. „Da treibt schon wieder was!“ „Hab' ich's nicht gesagt?“ fragte Doolin triumphierend. In der Tat - da und dort auf dem Wasser entdeckten die Kerle der „Scorpion“ treibendes Holz. Es war zersplittert, teilweise aber auch schon mit Algen und Muscheln bewachsen. Der Schluß, den One-Eye-Doolin bereits gezogen hatte, schien hiermit seine Bestätigung zu finden. An dieser Stelle war eine Schatzgaleone untergegangen. Besser hätte es nicht kommen können. Die Statue aus Gold konnte irgendeine Heiden-Statue sein, ein Götze der Inkas, den die Spanier diesen Kannibalen abgenommen hatten. So dachte Doolin, und innerlich wurde ihm bei der Überlegung, daß da unten noch viel mehr liegen könnte, ganz kribbelig. Die Meute wurde ebenfalls aufgeregt. Alle schrien durcheinander, deuteten auf die treibenden Trümmer und drängten jetzt darauf, den „Fischfang“ fortzusetzen. Doolin mußte sich durch einen lauten Pfiff Gehör verschaffen. „Maul halten!“ ordnete er an. „Wie die Lage aussieht, brauchen wir hier wirklich nur zu fischen, und schon haben wir was am Haken. Wir wären ja blöd, wenn wir das nicht ausnutzen würden!“ „Ja!“ bekräftigte der BlumenkohlohrenMann. „Wir wären ja blöd!“ Doolin trat ihm kräftig gegen das Schienbein. Der Kerl verstummte und zog sich ein wenig zurück. Doolin gab seine Befehle. „Treibanker werfen! Zwei Jollen aussetzen!“ Die Kerle beeilten sich, die Befehle auszuführen. Ehe die Sucherei aber richtig losging, ließ Doolin in seiner unendlichen Gnade und Großherzigkeit eine Runde Bier und Schnaps austeilen. Das war so ganz nach dem Geschmack der Kerle. Sie lachten roh, stießen sich an und stürzten
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die Getränke die Kehlen hinunter. Dann begannen sie mit der Arbeit. Auf einmal herrschte sowohl an Bord der Jollen als auch an Deck der „Scorpion“ rege Betriebsamkeit. So schnell und hart hatten die Kerle noch nie geschuftet. Aber es war ja auch das erste Mal, das sie zum Gold- und Statuen-Fang in der Karibik herumschipperten. Auf Doolins gebrüllte Befehle hin wurden Leinen noch und noch aneinander gesteckt. Unten wurden Draggen befestigt. Die Jollen krebsten über das Wasser. Die Leinen mit den Draggen wurden ausgeworfen und nachgeschleppt. Doolin trieb die Aktivitäten der Kerle vom Achterdeck der „Scorpion“ aus mit Flüchen und Befehlen an. Die Kerle gaben sich so richtig Mühe. Das war wie beim Angeln: wenn man schon mal einen dicken Brocken am Haken gehabt hatte, war der Anreiz vorhanden, noch mehr aus dem Teich zu ziehen. Tatsächlich sollten die Bestrebungen der Schnapphähne noch am selben Tag vom Erfolg gekrönt werden. Gegen vier Uhr nachmittags holte die eine Jollenmannschaft gerade wieder die Leinen ein. Als sich der Draggen aus dem Wasser hob, stieß der Bootsführer einen triumphierenden Schrei aus. „Gold!“ „Gold!“ brüllten auch die anderen. Es glitzerte verheißungsvoll an dem Draggen. Der Bootsführer hob den Fund hoch - es handelte sich um eine schwere, massive Goldkette. „Hurra!“ schrien die Kerle. „Es lebe Doolin!“ Doolin selbst befand sich in einer Art Siegestaumel. Was hier geschah, überstieg seine eigenen Erwartungen. Daß man in der Karibik das Gold einfach so aus dem Wasser ziehen konnte, hätte er nie erwartet. Was wohl noch alles gefischt wurde? Er lachte glucksend und füllte seinen Humpen mit Bier. Der zweite Fund mußte gefeiert werden. Die Kerle wurden ebenfalls bedacht. Doolins Großzügigkeit
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kannte keine Grenzen mehr. Er ließ wieder die Branntwein-Flasche kreisen. Gegen Abend waren die Kerle ziemlich betrunken. Sie grölten und sangen. Es wurde bald dunkel. Laternen wurden an Peekhaken über die Wasseroberfläche gehalten. Sie setzten die Suche noch eine Weile fort. Dann ließ Doolin abbrechen. „Morgen ist auch noch ein Tag!“ verkündete er lallend. „Und das Gold läuft uns nicht weg!“ Die Kerle wieherten, als habe er einen schmutzigen Witz erzählt. Alle kehrten an Bord der „Scorpion“ zurück. Die Jollen wurden längsseits vertäut und lagen somit schon für den nächsten Tag bereit. Im Licht der Bordlaternen betrachteten die Kerle die Kette. Je mehr Bier und Brandy sie soffen, desto größer und schwerer schien die Kette zu werden. „Hier bleiben wir“, sagte Doolin. „Es gibt keinen besseren Platz für uns. Wir fischen, Leute, solange es was zu fischen gibt.“ Es wurde noch bis Mitternacht getrunken. Einige Kerle schliefen auf der Kuhl ein, einige verkrochen sich auf die Back. Die letzten, die sich noch auf den Beinen halten konnten, schleppten sich in ihre Kojen. Doolin teilte noch die Ankerwachen ein, dann suchte er selbst seine Kapitänskammer auf und ließ sich in die Koje fallen. Selig dachte er an all die Kostbarkeiten, die sie in den nächsten Tagen garantiert aus dem Wasser fischen würden. Einen ganzen Schatz! Er schlief ein und träumte von diesem Schatz, der sie alle reich machen würde. 6. Am nächsten Tag war Doolin früh wieder auf den Beinen. Diesmal enterte er selbst mit in eine der Jollen ab. Er ließ seine Kerle bis auf eine Distanz von einer halben Kabellänge weg von der „Scorpion“ pullen, warf selbst die Leine mit dem Draggen aus und ließ sie nachschleppen. Es verging etwa eine Stunde, dann hing etwas an einem der vier Drachenflunken eine gekrümmte goldene Schlange. Doolin
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packte sie, riß sie hoch und stieß ein wildes Grölen aus. „Gold!“ Er betrachtete die Schlange näher. Ihre Augen waren aus Edelsteinen. Mitten auf dem Kopf war eine große Perle eingesetzt. Die Kerle, die sich hinter Doolin im Boot drängten, pfiffen und staunten. Sie wurden immer verrückter. „Mehr!“ schrien sie. „Es gibt noch mehr! Weiter!“ Der Einäugige brauchte keine Befehle mehr zu geben. Es war auch nicht erforderlich, daß er seine Kerle anspornte. Sie waren von selbst wie die Wilden darauf aus, soviel Gold wie möglich aus der See zu holen. Gegen Mittag legten sie eine Pause ein. An Bord der „Scorpion“ wurde was gegessen und natürlich kräftig gezecht. Bei dieser Gelegenheit betrachteten sie noch einmal ihre Fundstücke. Doolin ließ die Statue aus der Kapitänskammer holen. Sie wurde herumgereicht. Dann bestaunten die Kerle auch die Kette und die Schlange. „Wieviel Zaster kriegen wir in England dafür, Doolin?“ wollte der Mann mit den Blumenkohlohren wissen. „Mehr, als ein Schiff kostet“, erwiderte der Einäugige. „Verlaß dich drauf.“ „Was meinst du, was für ein Kahn war das wohl, der hier abgesoffen ist?“ fragte ein anderer. „Das ist mir doch egal“, entgegnete Doolin. „Von mir aus kann es das Flaggschiff des Königs von Spanien gewesen sein. Die Hauptsache ist, wir holen noch viel Gold an Bord. Von mir aus können es aber auch Juwelen und Perlen sein.“ „Oder Silber!“ rief einer. Doolin winkte lässig ab. „Das Silber schenk' ich dir. Mir ist Gold wichtiger.“ Ja, man durfte wählerisch sein. Die Tatsache, daß sie in relativ kurzer Zeit schon drei Objekte gefischt hatten, konnte nur der Beweis dafür sein, daß ein ganzer Schatz auf dem Grund des Meeres ruhte, eine ganze Schiffsladung Reichtümer.
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Doolins Kerle ließen sich bis zum Kragen vollaufen. Einige schunkelten und grölten ein Lied, in dem von Gold und Silber die Rede war. Aber am Nachmittag waren sie alle wieder nüchtern genug, um die Suche fortsetzen zu können. Die Jollen krebsten wieder herum. Einmal kippte ein Kerl zwar ins Wasser, aber er wurde unter dem Lachen der anderen schnell wieder ins Boot gehievt. Der Kerl fluchte zwar, aber er hatte noch Glück gehabt, daß er keine Begegnung mit einem Hai gehabt hatte. Haie ließen sich vorerst nicht blicken. Doolin hielt immer wieder Ausschau nach ihnen, konnte aber keine drohenden Dreiecksflossen entdecken. Umso besser, dachte er, wir können ruhig und ungestört arbeiten. Und wenn sich die Biester zeigen, knallen wir sie ab. Wieder wurde Geschrei laut. Die Kerle des einen Bootes zogen etwas aus dem Wasser. Aber dann schimpften und fluchten sie. Was sie am Haken hatten, entpuppte sich als menschliches Gerippe. „Zur Hölle!“ fluchte einer von ihnen. „Das bringt Unglück!“ „Du spinnst!“ schrie Doolin vom Achterdeck der „Scorpion“ zurück. Hier hatte er wieder sein „Hauptquartier“ eingerichtet. „Es bringt uns Glück! Kapiert ihr nicht? Das Skelett stammt von dem Schiff! Jetzt sind wir ganz sicher, daß da unten eins liegt!“ Ja, allmählich ging den Kerlen auf, daß es mit dem Skelett etwas Positives auf sich hatte. Sie warfen es wieder ins Wasser und setzten ihre Arbeit fort. Fieberhaft suchten sie nach Schätzen. Doolin erkannte seine eigenen Kerle selbst kaum wieder. Sonst waren sie ausgesprochen arbeitsscheu, und oft mußte er die Neunschwänzige zur Hand nehmen, um sie zum Decksdienst anzutreiben. Jetzt aber drängelten sie sich geradezu, sich zu betätigen. An diesem Tag wurden noch zwei Silberketten gefunden. Außerdem stießen die Kerle der „Scorpion“ auf eine kleine, angesplitterte Kiste. Sie war zur Hälfte mit Smaragden gefüllt. Die Begeisterung der
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Kerle kannte keine Grenzen mehr. Sie johlten, pfiffen und umarmten sich. Wieder kreisten die Humpen und Flaschen, sowohl an Bord der Galeone als auch in den Booten, die entsprechend „bestückt“ worden waren. Der Erfolg mußte gefeiert werden. Während die Kerle weiterforschten und pausenlos mit den Jollen auf und ab pullten, begutachtete Doolin die Smaragde. Sie waren alle astrein und von erster Qualität. Er konnte das beurteilen. Er hatte noch nicht sehr viele Edelsteine zusammengeklaut, aber er hatte in London einen Edelsteinhändler kennengelernt, der ihn ein bißchen in seine Kunst und in sein Fach eingeweiht hatte. Donnerwetter, dachte der Einäugige, jetzt auch noch Edelsteine. Begehrt waren die grünen Steine. Männer schlugen sich deswegen gegenseitig die Köpfe ein. Und er, OneEye-D.00lin, fischte hier ganz friedlich in dieser herrlichen Karibik-See und holte ein Prachtstück nach dem anderen zu sich an Bord. Der Abend endete wieder mit einem Gelage. Die Bier-Vorräte waren schon zur Hälfte aufgebraucht, aber Doolin bereitete sich deswegen keine Sorgen. Wenn die Suche abgeschlossen war, kehrten sie nach Tortuga zurück und deckten sich dort mit neuem „Stoff“ ein. Zum Bezahlen hatten sie ja Mittel genug. Und bei Diego würden sie dann eins von jenen Festen feiern, die man nicht wieder vergaß. Am dritten Tag begann die Schatzsuche auch wieder ganz früh am Morgen. Die Augen der Kerle hatten einen geradezu fiebrigen Glanz. Sie mußten wieder etwas finden! Schon eine Silberkette genügte, um ihre Gier wieder zu steigern. Doch der Vormittag verlief ereignislos. Die wilde Gier legte sich etwas. Doolin versorgte seine Kerle jedoch mit Bier und Brandy, und die Vorfreude auf das, was man bestimmt noch an diesem Tag angeln würde, war wieder da. Lachend und grölend arbeiteten die Kerle weiter. Gegen Mittag hakte sich ein Draggen an irgendetwas fest. Es war von der Jolle nicht hochzubringen.
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„Das muß was Schweres sein!“ brüllte der Bootsführer zu Doolin hinüber. Doolin lachte. „Vielleicht die Galeone!“ „Kann schon sein!“ tönte es von der Jolle zurück. „'ran!“ rief der Einäugige seiner Deckscrew zu. „Wir verholen zu der Jolle. Mal sehen, ob wir das, Was da unten liegt, nicht doch hochhieven!“ Gesagt, getan: die „Scorpion“ verholte zum Schauplatz des Geschehens. Umständlich wurde die Draggenleine an den Heißtakel der Großrah angeschlagen, ein Manöver, das einige Zeit in Anspruch nahm. Fast alle Kerle der „Scorpion“ hängten sich an die holende Part und begannen zu hieven. „Hau-ruck!“ brüllte Doolin. „Kräftiger! Williger!“ „Hau-ruck!“ schrien die Kerle. Nur ein Gedanke beschäftigte sie: was mochte in der Tiefe der See, ihren Blicken verborgen, liegen? War es das Schatzschiff - oder eine riesige Truhe mit Gold, Silber und Diamanten? *
Zum selben Zeitpunkt steuerten die „Isabella IX.“, die „Caribian Queen“ und die „Le Griffon“ den Schauplatz des Geschehens an. Sie hatten Tortuga verlassen. Kurs auf die Cherokee-Bucht lag an. Philip junior, der Ausguck im Hauptmars der „Isabella“, war dehn erste, der die fremde Galeone sichtete. „Dreimaster voraus!“ meldete er. Hasard nahm den Kieker zur Hand. Er spähte hindurch und konnte das fremde Schiff erkennen. Als der Dreier-Verband etwas näher heran war, konnte der Seewolf auch sehen, daß man auf dem Segler offenbar etwas aus dem Wasser hievte. „Sie holen etwas aus der See“, sagte Hasard zu seinen Kameraden. „Es muß etwas besonders Schweres sein.“ „Stimmt, da hängt eine ganze Traube von Kerlen an einem Tau“, bestätigte Dan O'Flynn, der sich ebenfalls mit einem Kieker bewaffnet hatte.
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„Und die Großrah biegt sich an Backbord nach unten durch“; fügte der Seewolf noch hinzu. Seine Miene war grimmig geworden. „Von mir aus könnten sie sonst wo fischen. Aber dieses Schiff befindet sich über dem Untergangsbereich der Schlangen-Insel.“ „Ja“, sagte Ben Brighton. „Das geht aus der Koppelnavigation klar hervor.“ „Diese Schweine“, sagte Shane. „Können die die Toten nicht in Ruhe lassen?“ „Darüber dürfte ihnen nichts bekannt sein“, sagte der Seewolf. „Ob es Doolin mit der ,Scorpion` ist?“ fragte Ben. „Gleich werden wir es wissen“, erwiderte der Seewolf. Sie hatten die Absicht, von den CaicosInseln ab an der Atlantikseite der BahamaInseln nordwestwärts zu segeln. So ergab es sich, daß sie an diesem Punkt aufkreuzten - und der Zufall wollte, daß sie tatsächlich die „Scorpion“ vor sich hatten. „Siri-Tong!“ rief Hasard zur „Caribian Queen“ hinüber. „Gefechtsklar machen!“ „Geht in Ordnung!“ erwiderte die Rote Korsarin. „Bayeux!“ schrie der Seewolf. „Schon verstanden!“ klang es von der „Le Griffon“ zurück. „Aye, Sir! Klarschiff zum Gefecht!“ Binnen kurzer Zeit waren die drei Schiffe klar zum Gefecht. Bislang waren sie von den Kerlen der fremden Galeone nicht gesichtet worden. One-Eye-Doolin und seine Halunken-Crew waren viel zu beschäftigt. Ihr Augenmerk war ausschließlich auf die Stelle des Wassers gerichtet, wo neben der Bordwand der „Scorpion“ jeden Augenblick der Fund auftauchen mußte. Auch die Rote Korsarin beobachtete vom Achterdeck der „Caribian Queen“ durch den Kieker, was an Bord der fremden Galeone vor sich ging. „Diese verfluchten Hunde“, sagte sie erbost. „Am liebsten würde ich sie sofort zusammenschießen.“ Barba grinste hart. „Auf was wartest du, Madam?“
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„Hasard führt den Oberbefehl“, erwiderte Siri-Tong. „Und so übel die Kerle an Bord der Galeone dort auch sein mögen, das Prinzip der Fairneß gilt auch in ihrem Fall.“ Edmond Bayeux verfolgte ebenfalls genau, was die Doolin-Bande unternahm. „Der Teufel soll mich holen“, sagte er nach einem ausgiebigen Blick durch das Spektiv. „Ich habe keine Ahnung, was es da zu fischen gibt. Aber wenn es wirklich dieser Doolin ist, dann will ich ihm wünschen, daß er einen Riesenkraken am Tau hängen hat.“ Doolin und seine Kerle indessen waren nach wie vor fest davon überzeugt, den ganz großen Fang an Bord zu ziehen. Es mußte schon mindestens eine Kiste mit Gold sein, die da am Draggen hing. Dem Gewicht nach zu urteilen, war es ein Mordsding. Handelte es sich tatsächlich um eine Goldtruhe, dann waren sie alle Mann auf einen Schlag steinreich, wenn man die Statue, die Kette und die Schlange hinzurechnete, die sie bereits geborgen hatten. Doolin konnte es kaum noch erwarten. Er fieberte fast vor Aufregung. Seinen Kerlen ging es nicht anders. Einer beugte sich ganz weit übers Schanzkleid und wäre um ein Haar außenbords gestürzt, wenn der Kerl mit den Blumenkohlohren ihn nicht zurückgehalten hätte. „Achtung!“ schrie der Mann im Ausguck. „Gleich taucht's auf!“ Von seinem luftigen Standort aus konnte er einen Schatten unter der Wasseroberfläche sehen, der sich langsam bewegte. Grau und undeutlich, schemenhaft glitt er zu den Kerlen hoch. Die Kerle begannen zu johlen. „Weiter!“ brüllte Doolin. „Holt durch!“ Grölend zerrten die Kerle am Tau. Und dann hob sich ihr Fang aus dem Wasser. Dem Ausguck quollen fast die Augen aus den Höhlen. Doolin verschluckte sich und mußte fürchterlich husten. Die Crew brüllte - aber nicht vor Freude, sondern vor Wut. Was sie da ans Tageslicht befördert hatten, entpuppte sich als eine Kanone. Ein Zwölf-
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Pfünder, wie das kundige Auge des Seemanns auf Anhieb feststellte. Mit Lafette. Die Kerle heulten vor Wut. „Sauerei!“ brüllte einer von ihnen. „Die ganze Scheißarbeit wegen einer verdammten Kanone!“ Doolin war auch so wütend, daß er am liebsten etwas kaputtgeschlagen hätte. Erst das Glück, reines Gold aus dem Wasser zu ziehen - und jetzt dieses verfluchte Pech! Doch sein Hirn signalisierte ihm, daß es unsinnig war, sich vom Zorn zu wilden Ausbrüchen hinreißen zu lassen. Falsch. Wenn unter ihnen eine spanische Schatzgaleone lag, dann gehörten auch die Kanonen zum Schiff wie die Gerippe der Ertrunkenen. Es war nur richtig, sich das vor Augen zu halten. Also weiter, dachte Doolin, und bloß nicht verzagen. Plötzlich stieß der Ausguck wieder einen Schrei aus. „Deck!“ rief er. „Drei Schiffe in Sicht!“ Doolin hob den Kopf und blickte sich um. Fast traf ihn der Schlag. In Sicht? Von wegen! Die drei Segler, die der Kerl im Hauptmars erst jetzt bemerkt hatte, hatten die „Scorpion“ bereits umstellt! Der Einäugige hustete wieder und würgte auch ein bißchen, aber es nutzte nichts. Die Schiffe waren da, es handelte sich um keine Spukvision. Es waren drei große Schiffe mit schwerer Armierung. Leicht ließ sich das erkennen, denn die Crews hatten die Kanonen bereits ausgerannt. Aus den offenen Stückpforten richteten sich die Mündungen drohend auf die „Scorpion“. Hölle und Teufel, dachte Doolin, das sind Spanier! Jetzt ist alles aus! * One-Eye-Doolin spielte mit dem Gedanken, den Ausguck mit einem Musketenschuß aus dem Hauptmars zu holen. Der elende Krüppel! Warum hatte er nicht aufgepaßt? Der Bastard war schuld daran, daß sie jetzt umzingelt waren. Aber auch das hatte keinen Zweck. Im übrigen war - wenn man die Dinge logisch und sachlich betrachtete - nicht nur der Ausguck verantwortlich für diese
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Schlappe. Sie alle hatten sozusagen gepennt. Denn jeder hätte ja mal einen Blick in die Umgebung werfen können. Auch Doolin hatte in diesem Punkt versagt. Das begriff er zwar nicht richtig, aber unterschwellig dämmerte doch irgendwo die Erkenntnis in ihm. Außerdem war es sinnlos, sich jetzt gegenseitig Vorwürfe zu machen oder die Kerle für ihre Unaufmerksamkeit zu bestrafen. Es gab nur noch eine Möglichkeit: handeln, und zwar sofort. Die Kerle fluchten wie die Wilden. Doolin brüllte lauter als sie und gab kraft seines Amtes als Kapitän der „Scorpion“ seine heroischen Entscheidungen bekannt. „Klarschiff zum Gefecht!“ tönte seine Donnerstimme über die Decks. „Kanonen ausrennen! Klar bei Lunten! Haltet euch bloß nicht mit dem Sandausstreuen auf, ihr Affen!“ Die Kanonen waren noch verzurrt. Mit polternden Schritten rannten die Kerle zu den Stücken und lösten die Taue. Einer fiel dabei hin und wurde von den anderen fast totgetrampelt. Er rappelte sich wieder auf und stieß die übelsten Verwünschungen aus. Natürlich bedingten Doolins Befehle, daß die Kerle den Heißtakel losließen. Das taten sie denn auch. Das Tau zügelte wie verrückt durch die Luft, der Zwölfpfünder klatschte wieder ins Wasser. Weg war er. Keinen einzigen Gedanken vergeudeten Doolin und seine Kerle mehr an die Kanone. Jetzt ging es darum, so schnell wie möglich gefechtsbereit zu sein und dem Feind die Zähne zu zeigen. Die Situation war Doolin klar. Sie befanden sich in der Karibik, und da gaben die Spanier den Ton ab. Keiner hatte ihnen die Erlaubnis erteilt, hier einfach Gold zu fischen. Die Spanier würden neugierig werden. Oder handelte es sich bei den drei fremden Seglern um eine Patrouille der Spanier, denen bekannt war, daß hier eine Schatzgaleone gesunken war? Oder? Waren das etwa auch Schnapphähne, die ihnen die Schatzbeute klauen wollten? Doolin hatte keine Zeit,
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richtig darüber nachzudenken. Er hantierte mit den Drehbassen auf dem Achterdeck und wollte sie auf eins der feindlichen Schiffe richten - eine große Galeone mit überhohen Masten, langen Rahen und erstaunlich flachen Aufbauten. Doch es blieb bei der Absicht. One-EyeDoolin wurde auf massive Weise daran gehindert, das Feuer auf den Gegner zu eröffnen. Der Gegner blieb nämlich nicht untätig. Drüben, an Bord der „Isabella“, standen die Männer wie auch auf der „Caribian Queen“ und der „Le Griffon“ mit glimmenden Lunten an den Geschützen. Carberry hatte die Arme vor der Brust verschränkt und spähte mit grimmiger Miene zu der fremden Galeone. Mit dem bloßen Auge konnte man erkennen, was auf der „Scorpion“ vor sich ging. Als der Einäugige die Drehbassen auf die „Isabella“ richten wollte, stieß der Profos einen saftigen Fluch aus. „Los, zeigen wir es diesem matschäugigen Galgenstrick!“ sagte er grollend. „Zwei Siebzehnpfünder-Kugeln vor seine Bordwand!“ befahl der Seewolf. Es waren Blacky und Al Conroy, die ihre Lunten auf die Bodenstücke der Culverinen senkten. Es zischte und schmauchte. Blacky und Al traten aus dem Kinken. Die Geschütze donnerten und spuckten ihre heißen Ladungen aus. Die Kugeln heulten zur „Scorpion“ hinüber. „Zu spät!“ brüllten dort die Kerle. „Deckung!“ Doolin selbst blieb auch nichts anderes übrig, als sich auf dem Achterdeck hinzulegen. Sein Gesicht war zu einer Fratze verzerrt. „Der Teufel soll euch holen, ihr Schweine!“ heulte er. Die Kugeln orgelten heran und senkten sich. Hautnah verschwanden sie neben der Bordwand der „Scorpion“ im Wasser. Zwei große Fontänen stiegen auf, Gischt sprühte über die Decks. Wieder fluchten die Kerle. Sie wollten aufspringen und doch an die Kanonen stürzen, aber von drüben dröhnte eine gewaltige Stimme zu ihnen herüber.
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„Die Finger von den Waffen!“ One-Eye-Doolin verstand, was der Mann auf Spanisch rief. „Nicht zurückfeuern!“ brüllte er seinen Männern zu. „Das war eine Warnung! Wenn wir schießen, hacken sie uns mit ihren Kanonen kurz und klein!“ Also doch, dachte er, es sind Spanier. Hasard hatte seine Männer angewiesen, sich der spanischen Sprache zu bedienen. Noch wollte er sich nicht zu erkennen geben. Doolin brauchte nicht zu wissen, daß er den Mann, den er suchte, bereits vor sich hatte. Die Doolin-Bande war dazu verdammt, sich ruhig zu verhalten und abzuwarten. Carberry, der die Warnung zu ihnen hinübergerufen hatte, grinste, als er sah, daß die Kerle sich in Deckung hielten. „So“, sagte der Profos. „Respekt haben wir ihnen schon mal eingeflößt. Jetzt folgt der Rest.“ Die „Isabella“, die „Caribian Queen“ und die „Le Griffon“ segelten dichter an die „Scorpion“ heran. Doolin und seine Spießgesellen verfolgten es. Zum erstenmal, seit er aus Plymouth aufgebrochen war, stiegen in Doolin leise Zweifel auf, ob seine Pläne richtig gewesen waren. War er nicht doch zu leichtfertig gewesen? Alles hatte so einfach begonnen, konnte jetzt aber ein rasches Ende finden. Es gab zwei Möglichkeiten: entweder schossen die Dons sie zusammen, oder aber sie beschlagnahmten das Schiff. Das bedeutete, daß Doolin und seine Bande irgendwo eingesperrt wurden. Vielleicht verdonnerte man sie auch zu lebenslanger Zwangsarbeit. Aber es war zu spät, sich etwas vorzuwerfen oder ändern zu wollen. Drohend schoben sich die Feindschiffe an die „Scorpion“ heran. Jetzt erledigen sie uns, dachte Doolin. 7. Die „Isabella IX.“ war von den drei Schiffen des Verbandes dasjenige, das am dichtesten an die „Scorpion“ heransegelte.
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Hasard befand sich wie immer auf dem Achterdeck. Nur wenige Schritte von ihm entfernt hielten sich Big Old Shane, Ben Brighton und Ferris Tucker an der Querbalustrade auf. Pete Ballie stand am Ruder. Ihre Mienen waren angespannt, aber sie drückten keine zu große Besorgnis aus. Wie sich zeigte, kuschte der Einäugige bereits. Die erste Warnung hatte genügt. „Er ist auch gut beraten, wenn er nicht das Feuer eröffnet“, sagte Ben. „Er würde im Gefecht ja doch nur den kürzeren ziehen. Wir sind ihm überlegen.“ „Unterschätze ihn deswegen nicht“, sagte der Seewolf. „Du weißt, daß eine Ratte, die in die Enge getrieben wird, wie verrückt um sich beißen kann. Vergiß das nicht.“ „Hasard hat recht“, pflichtete Shane seinem Kapitän bei. „Es wäre ein Fehler von uns, den Einäugigen für einen Feigling zu halten. Und wir dürfen uns auch nicht zu sehr auf unsere Stärke verlassen. Bleiben wir auf der Hut.“ Drüben, auf dem Achterdeck der „Scorpion“, schob sich hinter dem Schanzkleid ganz langsam ein Kopf hoch. Eine schwarze Augenklappe wurde sichtbar, dann ein Ohrring und eine fleischige Nase. Auch auf den anderen Decks zeigten sich die Köpfe von Kerlen, die vorsichtig wieder nach dem Feind Ausschau hielten. „Es gibt keinen Zweifel, das ist dieser Doolin“, sagte der Seewolf. Er legte seine Hände an den Mund und rief zu der Galeone des Einäugigen hinüber: „Welches Schiff?“ Wie vereinbart war, bediente auch er sich der spanischen Sprache. Da Doolin auch die Worte des Profos' verstanden zu haben schien, lag die Annahme nah, daß der Kerl Spanisch beherrschte. „Welches Schiff?“ dröhnte die Stimme des Seewolfs noch einmal zur „Scorpion“ hinüber. „Woher?“ One-Eye-Doolin hatte die Fassung wiedergewonnen. Zur Hölle mit diesen Dons! So schnell - das nahm er sich in diesem Moment vor - gab er sich doch noch nicht geschlagen.
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„Senor!“ schrie Doolin zurück. „Das geht dich einen Scheiß an!“ „Da schlag doch einer lang hin“, sagte der Profos. „Jetzt wird der Kerl schon wieder frech.“ Hasard fackelte nicht lange. Was er da an Kerlen an Bord der „Scorpion“ sah, entsprach voll und ganz der Beschreibung, die Diego von der Bande geliefert hatte. Eine miese Horde - und der mieseste von allen war One-Eye-Doolin, ein Galgenvogel und Schlagetot erster Ordnung. Diego hatte eher noch untertrieben. Diese Meute war so ziemlich das übelste Gesindel, das es geben konnte. „Seht sie euch an“, sagte Ferris Tucker. „Sie sind beileibe keine Chorknaben.“ „Und der Einäugige ist kein Chormeister“, fügte Shane trocken hinzu. „Ich hätte nicht übel Lust, ihm einen Brandpfeil zwischen die Beine zu setzen.“ „Laß nur“, sagte der Seewolf. „Wir regeln das auf andere Art.“ „Dieses Lumpenpack!“ zischte Pete Ballie. „Wie die Aasgeier sind sie hier aufgekreuzt.“ „Aber hier hat niemand etwas zu suchen“, sagte Ben. „Dort unten, in der Tiefe der See, ruhen unsere Freunde. Ihre letzte Ruhe sollte unangetastet bleiben.“ „Stimmt“, sagte Shane. „Für uns ist das hier so was wie ein Friedhof.“ „Sehr richtig“, entgegnete der Seewolf. „Und Kerle wie Doolin und seine Meute sind in diesem Sinn Grabschänder. Auch wenn ihnen das nicht bewußt ist.“ „Es würde sie ohnehin nicht stören“, sagte Ferris. „Al!“ rief der Seewolf. „Sir?“ tönte es vom Hauptdeck zurück. Hasard nickte ihm nur noch kurz zu, und Al Conroy wußte, was er zu tun hatte. Er enterte auf die Back, übernahm eine der Drehbassen, an der Bill als Geschützführer stand, und schwenkte das Rohr hoch. Die Mündung wies nun auf die Toppen der „Scorpion“. Al zündete das Pulver im Zündkanal an, dann trat er zurück. Die Drehbasse entlud sich donnernd. Die Kugel, meisterhaft gezielt, traf die Großmaststenge der
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„Scorpion“ und takelte sie ab. Das Segel löste sich, das laufende und stehende Gut fiel nach unten. Schließlich begann auch die schwere Stenge zu taumeln – sie stürzte nach unten und krachte auf die Kuhl der Galeone. Schreiend und fluchend spritzten die Kerle auseinander. Einer wurde an den Beinen verletzt. Er brüllte vor Schmerz. Die anderen heulten und schüttelten drohend die Fäuste gegen die „Isabella“. Al grinste. „Na, das gibt ihnen jetzt doch zu denken.“ „Das schätze ich auch“, erwiderte Smoky, der mit Bill hinter ihm stand. „Ein guter Schuß, Al.“ „Auf die kurze Distanz ist das kein Problem“, sagte Al bescheiden. Smoky grinste ebenfalls. „Für dich nicht. Für andere schon.“ Drüben, auf der „Scorpion“, tobte sich Doolin auf dem Achterdeck aus. Er schien einen regelrechten Anfall zu erleiden. Er warf sich der Länge nach hin und trommelte mit den Fäusten auf den Planken herum. Seine Kerle hüteten sich, in seine Nähe zu geraten. Da brauchte nur einer zu husten, dann konnte es sein letztes Husten sein. Doolin war außer sich vor Zorn und Haß. „Welches Schiff?“ schrie der Seewolf noch einmal - wieder auf Spanisch. „Flagge zeigen! Woher kommt ihr?“ Am liebsten hätte Doolin mit der Drehbasse zurückgefeuert. Aber er wußte, daß er es nicht tun durfte. Es hätte den sofortigen Untergang der „Scorpion“ bedeutet. Eine ganze Batterie Culverinen richtete sich auf die Galeone der Piraten. Die Männer standen schon mit glimmenden Lunten bereit. Doolin sah es, als er sich vorsichtig wieder aufrichtete und zu dem verhaßten Gegner spähte. „Wenn nicht augenblicklich die Meldung erfolgt, feuern wir eine Breitseite ab!“ drohte der Seewolf. Doolin stieß einen Laut aus, der wie ein Jaulen klang. Es fiel ihm schwer, sich dem Befehl zu beugen. Doch er konnte nichts riskieren. Noch so eine dreiste Antwort wie eben, und die „Scorpion“ versank im
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Donner der Kanonen. Mit Mann und Maus. Und mit . dem Zeug, das die Kerle schön aus der See gefischt hatten. So aber konnte man die Situation mit einigem diplomatischen Ge- schick vielleicht doch noch bereinigen - dachte One-Eye-Doolin. Der Don wollte wissen, welches Schiff er vor sich hatte. Gut, er sollte es erfahren. Was war daran schon so besonders schlimm? Überhaupt, er, Doolin, hätte es ihm auch gleich verraten können. Unten, auf der Kuhl, kauerten die Kerle mit finsteren Mienen beieinander. „Ich hab's gesagt“, brummte der mit den Blumenkohlohren. „Der schwarze Kasten bringt uns Unglück. Aber keiner hat es glauben wollen.“ „Halt dein Maul“, murmelte sein Nebenmann. „Wenn Doolin das hört, was du sagst, schießt er dich nieder.“ „Das ist mir lieber, als den Spaniern in die Hände zu fallen.“ „Unsinn“, sagte ein dritter. „Wir wissen noch nicht, was sie von uns wollen. Vielleicht ist es nur eine Kontrolle, die sie mit allen Schiffen durchführen.“ Das dachte inzwischen auch One-EyeDoolin. Immerhin war er zum erstenmal in der Karibik und kannte die hier üblichen Praktiken nicht. Man hatte eine Patrouille der Spanier vor sich, aber es konnte gut sein, daß die Dons nur wissen wollten, mit wem sie es zu tun hatten. Danach zogen sie wieder ab. Hoffentlich! „Ich bin Kapitän Doolin!“ rief der Einäugige auf Spanisch. „Dies ist die ,Scorpion`. Heimathafen West Looe, Cornwall!“ „Gut, Senor Doolin, verstanden!“ tönte es von der „Isabella“ zurück. „Kommen Sie sofort zu mir an Bord!“ Doolin musterte aus schmalem, tückischem Auge den Sprecher. Ein schwarzhaariger Riese war das, mutig und verwegen. An wen erinnerte er Doolin? Doolin wußte es nicht und konnte sich nicht entsinnen. Klar war ihm im Moment wieder nur das eine: er mußte sich dem Befehl dieses Kerls beugen, sonst war die „Scorpion“ verloren. Zähneknirschend gehorchte One-EyeDoolin also. Er schlich auf die Kuhl
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hinunter und fuhr seine Kerle an: „Habt ihr's nicht gehört? Was steht ihr so dämlich herum und haltet Maulaffen feil? Ab in die Jolle, aber dalli!“ „Aye, aye“, brummten die Kerle. Im Nu war das Beiboot der „Scorpion“ besetzt. Doolin enterte ebenfalls ab. Er blickte sehr finster drein, als er sich auf die achtere Ducht hockte. Was hatte der fremde Kapitän vor? Wollte er ihn festnehmen? Teufel, warum verzog er sich nicht mit seinen drei Schiffen? Doolin mußte von der Tatsache ausgehen, daß er einen Pedanten vor sich hatte. Der wollte wahrscheinlich ganz genau wissen, was es mit der „Scorpion“ auf sich hatte. Na gut, er würde es ihm erzählen. Aber vielleicht bereust du noch, daß du mich schikaniert hast, du Hurensohn, dachte Doolin. * Der Seewolf empfing die „Delegation“ von der „Scorpion“ kühl. Die Jolle durfte bei der „Isabella“ längsseits gehen. Die Kerle, die als Rudergasten eingesetzt waren, mußten unten bleiben. Nur Doolin durfte aufentern. „Eine Falle!“ zischte einer der Kerle im Boot, ehe Doolin an der Jakobsleiter hochstieg. „Der Hund will dir eine Falle stellen! Er nimmt dich fest, und uns bleibt gar nichts anderes mehr übrig, als zu kapitulieren.“ „Kapitulieren müssen wir auch so“, sagte Doolin dumpf. „Aber wenn die Hunde versuchen, mich zu packen, knalle ich den Kapitän ab und hacke die anderen mit dem Säbel um.“ So enterte er an der Jakobsleiter auf - ein bezwungener, aber doch noch zu allem fähiger Pirat. Ihr Dons, dachte er haßerfüllt, kommt mir bloß nicht verkehrt. Ich bin so schnell nicht kleinzukriegen, wie ihr denkt. Als er die Kuhl betrat, fiel ihm sofort der Riese mit den Narben und dem Rammkinn auf. Mit dem war nicht zu spaßen. Er hatte einen Papagei auf der Schulter sitzen. Das sah lustig aus. Aber der Narbenmann war
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nicht lustig. Er musterte Doolin so freundlich wie ein hungriger Wolf. Da waren auch noch andere Kerle, die One-Eye-Doolin auffielen. Einer mit einem Eisenhaken statt der Hand zum Beispiel nein, zwei gab es von der Sorte. Und einen Neger hatten sie auch an Bord. Spanier mit einem schwarzen in der Mannschaft? Seltsam, dachte Doolin. „Da geht's 'rauf“, sagte Carberry und deutete auf den Niedergang zum Achterdeck. Doolin unterbrach seine Betrachtungen und stieg die Stufen des Backbordniederganges hoch, der auf das Quaterdeck der „Isabella“ führte. Von hier aus ging er weiter und enterte aufs Achterdeck. Unterwegs bestaunte er das Schiff. Was war das bloß für ein Kahn? So eine Bauweise hatte der Einäugige noch nie gesehen. Überhohe Masten, lange Rahruten, flache Aufbauten. Auch die Kanonen sahen eigenartig aus, sie hatten auffallend lange Läufe. Doolin betrat das Achterdeck. Da erwartete ihn, wie er jetzt registrierte, nicht nur der schwarzhaarige Riese, sondern noch ein paar andere Riesen. Einer - der mit den gewaltigen Pranken mußte der Rudergänger sein, denn er stand hinter dem Ruderrad. Ein anderer, ein graubärtiger Hüne, musterte Doolin genauso freundlich wie der Narbenmann auf der Kuhl. Weiter war da ein rothaariger Riese und dann noch ein etwas untersetzter, stämmiger Mann, der entschlossen und umsichtig wirkte. Der Empfang war mehr als kühl. Hasard fixierte den Einäugigen. Ja, dieser Doolin mußte ein ganz durchtriebener Galgenstrick sein. Seine Visage verhieß nichts Gutes. Nur Schlechtes - übelste Machenschaften, Grausamkeit und Brutalität. „Doolin“, sagte der Seewolf schroff. „Was treiben Sie hier?“ Doolin staunte nicht schlecht. Da sprach der Kerl doch tatsächlich Englisch, sogar noch astrein und fehlerfrei. „Was?” stieß er hervor. „Sie können Englisch?“
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„Sie können ja auch Spanisch“, erwiderte Hasard unwirsch. „Aber ich habe Ihnen eine Frage gestellt.“ Doolin wollte den Seewolf auffordern, sich vorzustellen, unterließ es dann aber doch. So günstig war die Lage für ihn nicht. Wenn diese Riesen sich auf ihn stürzten, konnte er zwar einen von ihnen niederschießen, aber gegen die anderen richtete er allein mit dem Säbel doch nicht soviel aus, wie er seinen Kerlen vorgetönt hatte. One-Eye-Doolin versuchte, sich herauszureden. „Also, das ist so“, begann er. „Zufällig hat sich der Anker meines Schiffes, der ,Scorpion`, verhakt. Ich fand heraus, daß die Ursache ein Zwölfpfünder war, und da habe ich versucht, ihn mit dem Draggen zu fischen.“ „Aha“, sagte der Seewolf. Doolin kratzte sich am Hinterkopf. „Ja, und das ist eigentlich auch schon alles. Der Zwölf-Pfünder ist jetzt wieder weg, er wird uns wohl nicht mehr behindern. Als Sie hier aufkreuzten, haben wir natürlich einen Schreck gekriegt. Deswegen hab' ich gefechtsklar machen lassen.“ „Ja“, sagte der Seewolf. „Aber Sie haben ja nichts gegen uns, oder?“ fragte Doolin. „Wir kontrollieren Sie nur.“ „Spanische Patrouille, was?“ „Kann schon sein“, erwiderte Hasard kalt. „Aber ich stelle hier die Fragen, nicht Sie, Doolin. Was führt Sie in die Karibik?“ „Ach, dies und jenes.“ „Zum Beispiel?“ „Ich will in Havanna Sachen einkaufen“, erklärte der Pirat. „Allerlei Zeug, was man in Cornwall gut absetzen kann. Stoffe und Gewürze und Wein und so.“ „Also sind Sie ein Handelsfahrer?“ Doolin hatte jetzt Mühe, ein hämisches Grinsen zu unterdrücken. „Ja, richtig. Ein Handelsfahrer. Natürlich.“ „Und Sie haben hier ein wenig gefischt?“ fragte Hasard. „Nein, der Anker hat sich verhakt.“
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„Mit anderen Worten, Sie haben außer dem Zwölf-Pfünder nichts aus der See gezogen?“ wollte der Seewolf wissen. Doolin sah ihn tückisch und verschlagen mit seinem einzigen Auge an. „Was soll ich denn wohl sonst 'rausgezogen haben? Zwölf-Pfünder-Kugeln?“ „Das wissen Sie.“ „Außer der Kanone haben wir nichts gefunden“, sagte Doolin. „Und das war ja schon schlimm genug.“ „Die Sache hat wirklich einen Haken“, sagte der Seewolf. „Ach, Und der wäre?“ „Daß ich Ihnen nicht glaube“, entgegnete Hasard. Doolin wurde wieder frech. „Glauben Sie doch, was Sie wollen. Ich gebe Ihnen mein Wort, daß alles so ist, wie ich gesagt habe. Aber wenn Sie mir nicht glauben, Capitan, kann ich's nicht ändern. Übrigens haben Sie mir Ihren Namen noch nicht genannt, Senor ...“ Hasard überhörte das „Ich werde Ihr Schiff durchsuchen lassen, Doolin“, sagte er. „Dazu haben Sie kein Recht!“ empörte sich der Einäugige. „Natürlich habe ich das Recht“, sagte der Seewolf. „Im Namen der spanischen Krone?“ schrie Doolin. „Ja.“ „Sie sind Spanier? Oder was?“ „Doolin“, sagte Hasard scharf. „Noch ein Wort, und ich lasse Sie unter Arrest stellen. Ich dulde nicht, daß man auf meinem Schiff so mit mir spricht.“ One-Eye-Doolin begriff, daß es dem schwarzhaarigen Bastard, wie er ihn innerlich nannte, ernst war. Und auch die anderen nahmen schon eine drohende Haltung ein. Nein, es hatte keinen Zweck gegen diese Kerle konnte er sich nicht behaupten. Also klein beigeben? Doolin blieb keine andere Wahl. Wieder knirschte er mit den Zähnen. Es entsprach nicht seiner Art, zu Kreuze zu kriechen. Aber er saß in der Falle, wie seine Kerle ihm prophezeit hatten, und er konnte noch froh sein, daß
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ihn die Kerle nicht sofort packten und ihm den Hals umdrehten. Eine andere Möglichkeit war, daß ihn diese „Dons“ - oder wer immer sie waren – in die Vorpiek oder in das Kabelgatt ihres Kahnes stopften. Dort konnte er dann schmoren. Inzwischen wurde auch der Rest der Meute gefangen genommen. Die Dons requirierten die „Scorpion“ und brachten sie in ihren nächsten Hafen. Dann gehörte sie ihnen. Und Doolin und seinen Kerlen blühte das, was er sich vorhin schon ausgemalt hatte: entweder wurden sie hingerichtet, oder aber sie mußten in irgendeiner spanischen Mine Sklavenarbeit verrichten. All das ging Doolin noch einmal durch den Kopf, während der schwarzhaarige Bastard etwas zu dem düsteren Zweidecker hinüberrief. Doolin blickte zu der „Caribian Queen“ - und staunte wieder so sehr, daß ihm sein gesundes Auge fast aus dem Kopf zu fallen drohte. Gab's denn das? Das hatte er ja noch gar nicht bemerkt: der Kapitän des Zweideckers war eine Frau! Und was für eine! Doolin war so fasziniert von dem Rasseweib, daß er gar nicht richtig mitkriegte, was der Schwarzhaarige ihr zurief. Jedenfalls gab die Frau an Bord des Zweideckers ihre Befehle, und daraus ging eindeutig hervor, daß sie auf dem Schiff das Sagen hatte. Sie ließ eine Jolle abfieren, und eine Gruppe wilder Kerle enterte in das Boot ab: Barba, Juan, Muddi, Mike Kaibuk und Hilo. Dann folgte ihnen die Rote Korsarin. Das Boot legte ab und wurde zur „Scorpion“ hinübergepullt. „He!“ sagte Doolin. „Was hat denn das zu bedeuten?“ „Das ist ein Prisenkommando“, erklärte der Seewolf. „Es setzt zu Ihrer ,Scorpion` über, Doolin.“ „Das erlaube ich nicht!“ Shane trat auf den Einäugigen zu. „Ich glaube, das mußt du erlauben“, sagte er drohend. „Sonst gibt es ganz dicken Ärger für dich, Doolin.“ Der Rothaarige bewegte seine Finger. Doolin konnte die Knochen knacken
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hören. Der Rudergänger schien nur auf einen Wink seines Kapitäns zu warten, um sich auf Doolin stürzen zu dürfen. Und die Crew? Langsam wandte der Einäugige sich um. Da sah er sie: auf dem Hauptdeck hatten sich die Arwenacks zusammengeschart, allen voran Carberry, der Furchtbare. Sie duckten sich etwas. Es sah so aus, als wollten sie das Achterdeck stürmen und Doolin aufhängen. Doolin zweifelte nicht daran, daß sie es tun würden. Er traute diesen Bastarden alles zu. Fassungslos verfolgte er, wie das Boot mit der Frau und den vier Männern zu seiner „Scorpion“ glitt. Dieses Rasseweib! Wer war sie? Doolin beobachtete sie. Eine schwarzhaarige Schönheit mit allem, was dazugehörte. Sie wirkte irgendwie fremdländisch und doch wieder europäisch. Egal - jedenfalls war sie zum Anbeißen schön. Doolin versuchte, sich vorzustellen, wie ein Schäferstündchen mit ihr ausfallen würde. Dann wieder sagte er sich, daß es eine unerhörte Sauerei sei, einer Frau die Genehmigung zu erteilen, ein Schiff zu führen. Das war Männersache! Wenn er geahnt hätte, in was für eine fauchende Raubkatze das „Rasseweib“ sich verwandeln konnte, hätte er anders gedacht. Aber der Verstand eines OneEye-Doolin reichte eben nicht ganz soweit. Er hielt sich für gewitzt und gerissen, aber eine Frau als Anführerin eines Trupps wilder Kerle auf einem düsteren Zweidecker - nein, das war zuviel für ihn! Siri-Tong ging indessen mit der Jolle an der Steuerbordseite der „Scorpion“ längsseits. Sie richtete sich auf und kletterte an der Jakobsleiter hoch, die an der Bordwand hinunterhing. Ihre Männer folgten ihr. Jetzt bin ich mal gespannt, dachte die Rote Korsarin, was wir alles finden werden. Sie glaubte nicht, daß sie sehr lange suchen mußte. * Die Kerle der „Scorpion“ verschlangen Siri-Tong fast mit ihren Blicken. Es war
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ein Wunder, daß der Roten Korsarin die Kleidung nicht zerfetzt vom Leibe fiel, denn die Blicke dieser Schnapphähne wirkten wie Messer, die alles aufschlitzten. Dann aber betraten Barba und die vier anderen der „Caribian Queen“ das Deck der „Scorpion“. Barba rückte sogleich auf einen der lüstern glotzenden Galgenstricke zu - es war der Kerl mit den Blumenkohlohren. „Weißt du, was geschieht, wenn Barba die Kuh fliegen läßt?“ fragte der Riese drohend. „Nein, keine Ahnung“, erwiderte der Blumenkohlohr-Mann rasch. „Vielleicht erfährst du's noch.“ Die Rote Korsarin nahm sich sofort das Achterdeck vor. Sie drang in die Kapitänskammer ein und schaute sich in der unvorstellbaren Unordnung, die Doolin hier hinterlassen hatte, um. Draußen protestierten die Kerle lautstark. „Was soll das?“ schrie einer von ihnen. „Wer erlaubt euch das?“ Barba, Juan, Muddi, Mike Kaibuk und Hilo standen geschlossen vor dem Schott zum Achterkastell. „Na, ratet doch mal“, sagte Juan. „Herhören!“ erklang vom Achterdeck der „Isabella“ die Stimme des Einäugigen. „Das geht in Ordnung! Ich habe dir Durchsuchung genehmigt!“ „Verrückt!“ heulte einer der Kerle. „Das lassen wir uns nicht gefallen!“ Barba nahm ihn blitzschnell „zur Brust“. „Was willst du denn dagegen tun, Freundchen?“ fragte er. „Na, sag's schon.“ „Laß mich los!“ „Ich lasse dich los, wenn du friedlich bist.“ „Ich werde friedlich sein“, sagte der Kerl keuchend. Als Barba ihn freigab, setzte er sich auf die Planken und keuchte. Siri-Tong kehrte aus der Kapitänskammer zurück. Sie brachte die goldene Statue, die Goldkette, die gekrümmte goldene Schlange und die beiden Silberketten mit, die Doolins Kerle aus der See gefischt hatten. „In der Kammer steht noch eine kleine Kiste mit Smaragden“, sagte sie. „Mike und Hilo, holt ihr sie bitte?“
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„Sofort“, erwiderte Mike Kaibuk, und beide Männer verschwanden im Mittelgang des Achterkastells. „Was habt ihr damit vor?“ stieß einer der „Scorpion“-Kerle schrill hervor. „Das ist unser Eigentum!“ „Belege das!“ fuhr Barba ihn an. „Es gehört uns!“ Mike und Hilo rückten mit der SmaragdKiste an. Barba schaute sich die grünen Steine an - dann packte er wieder blitzartig zu und zerrte den Kerl mit den Blumenkohlohren zu sich heran. „'raus mit der Sprache“, sagte er grollend. „Was geht hier vor?“ „Ich - weiß es nicht!“ „Ich lasse die Kuh fliegen!“ „Ja, laß mal die Kuh fliegen“, sagte Muddi grinsend. „Nein!“ schrie der Blumenkohlohr-Mann. Obwohl er nicht wußte, was es mit der fliegenden Kuh auf sich hatte, verspürte er gräßliche Angst. Der schwarzbärtige Riese starrte ihn derart mörderisch an, daß ihm das Herz in die Hose sackte. „Ich bin unschuldig!“ „Das lügst du!“ brüllte Barba. Die Kerle der „Scorpion“ wichen zurück. Wie die Lage aussah, war dieses Ungeheuer von einem Riesen fähig, ihnen allen den Kerl mit den Blumenkohlohren um die Ohren zu hauen. Er wirkte außerordentlich gefährlich. Schlimmer noch als Doolin. Vielleicht war er auch verrückt, was die ganze Sache noch verschlechterte. „Pack aus!“ brüllte Barba. „Ich rede ja schon“, sagte der Kerl, der wie ein Bündel von Waschlappen in seinen Fäusten hing. „Ihr habt was gesucht, stimmt's?“ Doolins Kumpan nickte. „Nur ein bißchen 'rumgefischt, und schon hing das Zeug an den Draggen. Hier muß ein Kahn gesunken sein. Spanisches Schatzschiff oder so.“ „Habt ihr noch mehr als die Goldsachen, die Silberketten und die Smaragde?“ brüllte Barba. „Nein.“ „Du lügst!“
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„Es ist die Wahrheit“, jammerte der Kerl. „Ich schwöre es!“ „Ich glaube ihm“; sagte Siri-Tong. „Das genügt mir. Laß ihn los, Barba.“ Barba tat, wie ihm geheißen, und auch dieser Kerl setzte sich auf die Planken. Die anderen Galgenstricke standen abwartend und ratlos, aber auch verstört und eingeschüchtert da. „Was machen wir mit den Schätzen?“ fragte Barba. „Wir verstauen sie im Boot“, erwiderte Siri-Tong. „Dann pullen wir zur ,Isabella`. Ich will Hasard informieren.“ Barba, Juan und die anderen fierten die Smaragd-Kiste in die Jolle lab. Den Rest, die Ketten, die Schlange und die Statue, nahmen sie so mit. Die. „Scorpion“-Kerle brachen fast in Tränen aus. Aber sie hatten nicht den Mut, sich auf die Prisen-Crew zu stürzen. Unbehelligt pullten die Männer der „Caribian Queen“ wieder mit ihrem Kapitän davon. Sie steuerten zur „Isabella“ hinüber, und wenig später ging die Rote Korsarin an Bord und. unterrichtete Hasard und die anderen über das, was sie auf der „Scorpion“ entdeckt hatte. Die beschlagnahmten Kostbarkeiten brachten Juan und Barba in die Kapitänskammer der „Isabella“, - auf SiriTongs Befehl hin. Doolin sah es. Verschluckte sich, hustete und lief hochrot im Gesicht an. „Ich protestiere!“ würgte er dann hervor. „Warum?“ fragte die Rote Korsarin kalt. Das Rasseweib! Doolin wäre ihr jetzt gern an den Kragen gesprungen, aber er bangte um sein eigenes Leben. „Es ist mein Eigentum!“ stieß er hervor. „Falsch“, erwiderte sie. „Es gehört keinem und wandert wieder zurück, woher es gekommen ist - in die See.“ „Nein!“ schrie One-Eye-Doolin. Daß das, was er und seine Kerle getan hatten - allerdings unwissentlich eine Art Grabschändung und Fledderei war, sagte Siri-Tong ihm nicht. Sie hatte es auch den Kerlen der „Scorpion“ gegenüber nicht zum Ausdruck gebracht.
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„Doolin“, sagte der Seewolf scharf. „Ich kann dir nur eines empfehlen - hau schleunigst mit deinem Schiff ab.“ „Was habe ich denn verbrochen?“ „Das weißt du!“ sagte der Seewolf schroff. „Du hast dir fremdes Eigentum unrechtmäßig angeeignet! Das ist Raub!“ „Das Meer ist für alle da“, versuchte sich der Einäugige zu verteidigen. „Verschwinde“, sagte der Seewolf. „Sonst kracht es. Hast du das immer noch nicht begriffen?“ „Aber das ...“ „Schluß“, schnitt Hasard ihm scharf das Wort ab. „Ich lasse mich auf keine Diskussionen ein. Entweder verziehst du dich mit deinem Schiff und deinen Kerlen, oder ich lasse dich sofort gefangen nehmen.“ Doolin stand da wie ein geprügelter Hund. Es hatte keinen Sinn, er konnte nicht aufbegehren. Sie hatten ihn in der Hand. Langsam drehte er sich um und schlurfte davon. Aber keiner hatte Mitleid mit ihm, das war das Dumme. Nicht mal seine eigenen Kerle. Die waren nur wütend und stinksauer, daß man ihnen die Reichtümer wieder abgenommen hatte. Doolin enterte in sein Boot ab. „Weg“, sagte er, mehr nicht. Die Kerle legten ab und pullten zur „Scorpion“ zurück. „So“, sagte Hasard. „Den wären wir los.“ „Er kehrt zurück“, sagte die Rote Korsarin. „Glaubst du es?“ „Ich bin mir nicht sicher, aber ich würde es ihm zutrauen“ erwiderte Siri-Tong. Doolin kochte vor Wut, aber er hatte die schlechteren Karten. Schweigend legte er mit seinen Kerlen an der Bordwand seiner Galeone an. Ohne ein Wort zu sprechen, enterten sie auf. Dann wurde die Jolle hochgehievt und binnenbords geschwenkt. Kurze Zeit darauf segelte die „Scorpion“ davon und verschwand an der südlichen Kimm. „Wir bleiben hier“, entschied der Seewolf. Siri-Tongs Worte hatten ihm zu denken gegeben. Doolin konnte zwar froh sein, daß er mit heiler Haut davongekommen war, aber er war unberechenbar. So blieben
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die „Isabella“, die „Caribian Queen“ und die „Le Griffon“ an der Untergangsstelle der Schlangen-Insel. Der Seewolf wollte abwarten, ob One-EyeDoolin mit seiner Bande tatsächlich nicht mehr aufkreuzte. Er hatte ihn gewarnt. Und
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er, Philip Hasard Killigrew, hatte etwas dagegen - wie im übrigen alle vom Bund der Korsaren -, daß die letzte Ruhe jener Menschen gestört wurde, die ihnen nahe gestanden und hier ihr Grab gefunden hatten. In Gottes tiefem Keller...
ENDE