Eine Lady tut das nicht Ein Butler-Parker-Krimi mit Hochspannung und Humor von Günter Dönges Lady Agatha Simpson glaubt...
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Eine Lady tut das nicht Ein Butler-Parker-Krimi mit Hochspannung und Humor von Günter Dönges Lady Agatha Simpson glaubte sich seit geraumer Zeit verfolgt. Erstaunlicherweise fühlte sich die Dame aber nicht belästigt. Genau das Gegenteil war der Fall. Die Detektivin hatte das sichere Gefühl, um ihrer selbst willen beobachtet zu werden. Als sie an einem der großen Wandspiegel vorbeischritt, prüfte sie sicherheitshalber noch mal ihre Gesamterscheinung. Sie war eine stattliche Dame von etwa sechzig Jahren, die mit großen Füßen auf dem Boden der Tatsachen stand. Sie war nicht gerade dick, doch immerhin ein wenig füllig. Das energische Gesicht und die ausdrucksvollen Augen erinnerten an eine Walküre und hätten auf einer Bühne ausgezeichnet gewirkt. Agatha Simpson trug ein teures Chanel-Kostüm, das allerdings recht faltenreich und zerbeult aussah. Die Lady konnte sich solche Nachlässigkeiten leisten. Sie war eine reiche Frau, die auf Äußerlichkeiten verzichtete. In ihrer linken Hand hielt sie einen mit Perlen bestickten Pompadour, dessen Maße nicht gerade klein waren. Er erinnerte an einen Mini-Seesack und enthielt eine Menge wichtiger Kleinigkeiten, derer sich Lady Simpson bei Bedarf gerne bediente. Ja, sie war mit sich zufrieden und sicher, Eindruck auf den Herrn gemacht zu haben. Sie musterte ihn verstohlen und versuchte ihn einzuschätzen. Dieser Mann, der ihren Spuren folgte, mochte ihr Alter haben. Er hielt sich äußerst straff und militärisch, trug einen dunklen Stadtmantel und hielt einen Regenschirm in der Hand. Ein kräftiger Schnauzbart zierte seine Oberlippe. Das Gesicht des Mannes war leicht gebräunt und deutete darauf hin, daß dieser Gentleman ein Leben in freier Natur bevorzugt. Welche Haarfarbe sich unter dem korrekt sitzenden Bowler befand, konnte Lady Agatha nicht ausmachen, doch darauf kam es nicht an. Es war ihr schon seit geraumer Zeit nicht mehr passiert, auf eine solche Art und Weise beschattet zu werden. Lady Agatha fühlte sich animiert und geschmeichelt. Als sie an einem zweiten 2
Spiegel vorüberkam, konnte sie dem Verlangen nicht widerstehen, sich noch mal zu betrachten. Doch sie fand sich wirklich nicht sehr ansehnlich. Die Eitelkeit stieg in ihr hoch, und sie ärgerte sich, dieses alte und unmögliche Kostüm für ihren kleinen Stadtbummel gewählt zu haben. Agathas Kleiderschränke waren schließlich wohl gefüllt und sie nahm sich vor, in Zukunft etwas mehr auf ihr Aussehen zu achten. Mylady rückte sich den Hut zurecht, der eine verzweifelte Ähnlichkeit mit einem Blumentopf besaß. Spontan nahm sie sich vor, umgehend einen neuen Hut zu kaufen. Sie befand sich immerhin in einem der besten Warenhäuser Londons und brauchte nur zu wählen. Sie hatte sich bereits jetzt schon für ein Modell entschieden, das von einer weitläufigen Verwandten getragen wurde, nämlich der Queen. Was sich für die Königin schickte, war gerade recht für sie! Der Gentleman mußte mitbekommen haben, daß sein Interesse bemerkt worden war. Er griff nach seinem Bowler, grüßte zurückhaltend und schritt dann weiter. Ja, dieser Mann besaß wirklich Lebensart und war nicht aufdringlich oder vulgär zu nennen. Lady Agatha errötete sanft wie eine Primanerin und war so frei, andeutungsweise den Gruß zu erwidern. Sie hatte nicht die geringste Ahnung, daß sie damit ungewollt ihrem Mörder freie Bahn einräumte. Der Gentleman wartete nur auf eine günstige Gelegenheit, um Lady Agatha Simpson ins Jenseits zu befördern, diskret und ohne jedes Aufsehen. Ein Warenhaus dieser Art war wie geschaffen dazu. * Im Gegensatz zu Agatha Simpson wußte der Mörder nicht, daß auch er beobachtet und verfolgt wurde. Der Mann war ahnungslos. Er hatte sich ausschließlich auf sein Opfer konzentriert, das ihm von seinen Auftraggebern genau beschrieben worden war. Er hatte das Foto immer wieder genau betrachtet und sich alle Details eingeprägt. Das Bild war ihm zugespielt worden und eine Verwechslung ausgeschlossen. Diese große und stattliche Frau dort in der Hutabteilung war zehntausend Pfund wert! Dieser Betrag 3
war bereits überwiesen worden und lag auf dem Konto einer Schweizer Bank. Der seriös aussehende Gentleman war Berufskiller, der sein Inkognito bisher geschickt gewahrt hatte. Zu erreichen war er nur über eine Deckadresse in Kanada. Er besaß dort ein kleines Apartment in einem riesigen Wohnsilo, wo die Anonymität eine Selbstverständlichkeit war. Diese Wohnung suchte er so gut wie nie auf, doch er hatte sich eine Möglichkeit verschafft, die dort eintreffenden Anfragen abzurufen. Er war ohnehin nur telefonisch zu erreichen. Der Berufsmörder hieß Norman Lower, benutzte aber ganz nach Fall und Laune Fremdnamen. Er arbeitete geschickt und präzis. Für gutes Geld lieferte er erstklassige Arbeit. Spuren hatte er bisher noch nie hinterlassen. Er erledigte seine Opfer keineswegs auf die herkömmliche Art und Weise. Schußwaffen schätzte er überhaupt nicht. Norman Lower arbeitete raffinierter. Seine Opfer starben jeweils eines natürlichen Todes. Genau diese Methode war es, die diesen Mann kennzeichneten. Er sicherte damit nicht nur seine Kunden ab, sondern vermied es auch, daß die Polizei sich einschaltete. Er plante seine Morde mit Verzögerung. Erst viele Stunden nach einem Kontakt mit den jeweiligen Opfern kam es zu den normal erklärbaren Sterbefällen. Norman Lower besaß chemische Präparate, die ihm in jedem Fall einen zeitlichen Vorsprung von vielen Stunden garantierten. Er amüsierte sich im Moment über die schrullige Alte, wie er sein Opfer insgeheim nannte. Sie schien so etwas wie einen Nachholbedarf zu haben und war nur zu gern und schnell auf seinen gekonnten Flirt eingegangen. Norman Lower hatte seine Maske nicht umsonst so geschickt gewählt. Ein Gentleman mit möglichem militärischen Hintergrund mußte für eine Dame ihres Schlages ansprechend sein. Er hatte sich mit seinem Opfer genau auseinandergesetzt und es seit einigen Tagen bis ins Detail genau studiert. Ihm war inzwischen bekannt, daß sie eine Art Amateurdetektivin war. In dieser Marotte wurde sie unterstützt von einem Butler, der Josuah Parker hieß und dann noch von einer Art Gesellschafterin namens Kathy Porter. Es konnte sich natürlich nur um Laien handeln, doch er nahm sie keineswegs auf die leichte Schulter. Nach seinen jüngsten Informationen befanden sich die beiden Personen zur Zeit aber 4
nicht in Agatha Simpsons Nähe. Sie hatten die resolute Dame nur vor dem Warenhaus abgesetzt und waren in einem schrecklich altertümlichen Wagen weitergefahren. Nein, diese schrullige Alte dort in der Hutabteilung gehörte ihm ganz allein! Es war nur noch eine Frage von vielleicht dreißig Minuten, bis er sie nach seiner altbewährten Methode »impfen.« konnte. Diese zehntausend Pfund waren ihm sicher, wenngleich sie schon überwiesen waren. Norman Lower hatte saubere Geschäftsprinzipien. Bisher war es ihm noch nie passiert, daß er im voraus kassiertes Geld wieder rücküberweisen mußte. Er pirschte sich noch näher an die seiner Meinung nach schrullige Alte heran, die gerade einen neuen, unmöglichen Hut probierte. Er lächelte in sich hinein. Die Käuferin beschäftigte sich da mit Dingen, die sie nicht mehr brauchen würde. Ihr Tod war bereits vorprogrammiert. * Kathy Porter war zwar zusammen mit Butler Parker weitergefahren, doch es hatte sich nur um ein taktisches Manöver gehandelt. Nach einer kleinen Schleife um den Geschäftsblock war sie ausgestiegen, nachdem sie ihr Aussehen noch im Wagen verändert hatte. Kathy Porter, Lady Agathas Gesellschafterin, glich jetzt einer etwas streng aussehenden Sekretärin, trug eine große Brille und einen leichten, nicht gerade modisch aussehenden Hänger. Sie hatte Lady Agatha schnell aufgespürt und ließ sie nicht aus den Augen. Sie und auch Butler Parker kannten ihr exzentrisches Wesen nur zu gut. Ihr Temperament entzündete sich leicht an Kleinigkeiten. In solchen Fällen neigte Lady Simpson dazu, nachdrücklich zu reagieren. Sie war eine Frau, die sich nichts gefallen ließ. Das war aber nicht der einzige Grund, um Agatha Simpson vorsichtig zu beschatten. Auf verschlungenen und geheimen Umwegen war Josuah Parker zu Ohren gekommen, daß gewisse Kreise etwas gegen die ältere Dame im Schild führten. Lady Agatha hatte sich unbeliebt gemacht. Vor einigen Wochen war es ihr praktisch im Alleingang gelungen, den »Import« von gut und gern drei Zentnern Marihuana auffliegen zu lassen. Es war reiner Zufall 5
gewesen, doch das ließen die Rauschgifthändler bestimmt nicht gelten. Sie waren um ein kleines Vermögen gebracht worden und würden sich dafür bestimmt rächen. Kathy Porter wandelte also nicht von ungefähr auf den Spuren der unternehmungslustigen Detektivin. Ihre Tarnung galt vor allen Dingen Lady Agatha. Sie durfte einfach nicht wissen, daß man sich um sie sorgte. Sie hätte sich solch eine Absicherung energisch verbeten. Die streng aussehende Sekretärin war auf den seriösen Herrn aufmerksam geworden, der inzwischen sogar mit dem Gegenstand ihrer Sorge ins Gespräch gekommen war. Der Mann gab sich sehr höflich, zeigte erstklassige Manieren und ging zusammen mit Lady Simpson hinüber zum Lift. Damit war Kathy Porter nun gar nicht einverstanden. In solch einem Lift konnte viel passieren, zumal dann, wenn keine anderen Mitfahrer vorhanden waren. Schien Agatha Simpson das zu ahnen? Sie hatte auf jeden Fall etwas in einer Vitrine entdeckt und blieb stehen. Sie ließ sich von der Verkäuferin Modeschmuck zeigen, um dann unvermittelt den Lift anzusteuern, vor dem sich inzwischen einige Kunden eingestellt hatten. Zufall oder Absicht? Kathy Porter wußte es nicht mit letzter Sicherheit zu ergründen. Sie beeilte sich, schloß auf und schlüpfte mit den übrigen Kunden in den Lift. Sie sorgte dafür, daß sie nicht in Lady Simpsons Blickfeld geriet. Ihre Chefin unterhielt sich gerade nicht besonders leise mit ihrem Verehrer. Lady Simpson verfügte immerhin über einen energisch klingenden Baß, der nicht zu überhören war. Sie hatte sich zu einem Kaffee einladen lassen, und auch zu einem Kognak, wie sie deutlich hinzufügte. Von der Seite aus studierte Kathy Porter das Gesicht des seriös aussehenden Mannes. Sie gewann sofort den Eindruck, es mit einer glatten Maske zu tun zu haben. Der Mann spielte mit Sicherheit seine Rolle. Aus Zufall hatte er sich bestimmt nicht an Lady Agatha herangemacht. Kathy Porters Mißtrauen wuchs. Das oberste Stockwerk war erreicht. Von hier aus führte eine breite Treppe zum, Dachgarten, wo sich auch die Cafeteria befand. Der Seriöse geleitete Agatha Simpson, die einen recht aufgekratzten Eindruck machte, hinüber an einen Tisch, der in einer 6
Art Nische stand. Höflich rückte er ihr den Stuhl zurecht und winkte dann der Bedienung. Kathy Porter befand sich in Alarmstimmung. Die Nische war nicht gut einzusehen. Falls der Mann etwas plante, hätte er sich keinen besseren Platz aussuchen können. Kathy Porter hielt Ausschau nach einem passenden Tisch, konnte aber leider nichts finden. Also blieb sie stehen und besichtigte die reichhaltig bestückte Kuchentheke. Die Serviererin erschien mit dem Kaffee und einem gut gefüllten Kognakschwenker. Mylady hatte sich einen doppelten Kreislaufbeschleuniger bestellt, wie Kathy Porter automatisch feststellte. Kathy löste sich von der Kuchentheke. Ihre Sorge wuchs. Die junge Dame wollte unbedingt einen Blick in die Nische werfen. Lady Simpson hatte sich auf ein Abenteuer eingelassen, das unter Umständen dramatisch werden konnte. Leider wurde Kathy Porter genau in diesem Moment vom Geschäftsführer der Cafeteria angesprochen. Der Mann hatte ihre Unschlüssigkeit beobachtet und wollte Kathy unbedingt einen freien Tisch in Fensternähe besorgen. So bugsierte er sie sehr höflich, allerdings auch sehr nachdrücklich von der Nische weg. Um nicht aufzufallen, mußte Kathy notgedrungen der Aufforderung Folge leisten, Sie passierte den Tisch hinter dem Paravent, der die Nische bildete. Kathy Porter sah gerade noch, wie Agatha Simpson sehr gekonnt den Kreislaufbeschleuniger hinunterkippte. * Norman Lower war sich seines Opfers sicher. Die Alte war ihm auf den Leim gegangen, dachte er, und saß jetzt mit ihm an einem Tisch. Sie trank ihren Kognak und bemerkte überhaupt nicht, daß er blitzschnell ihren Kaffee präparierte. In diesen Dingen besaß der Berufskiller viel Erfahrung. Das war schließlich seine Methode, nach der er zu arbeiten pflegte. Trank sein Opfer jetzt den Kaffee, so passierte zuerst mal gar nichts. Die ersten Anzeichen würden sich nach etwa dreißig Minuten einstellen, doch dann wollte er sich längst von seiner Bekanntschaft verabschiedet haben. Nach weiteren dreißig Minuten hatte dann die schrullige Alte mit Herzkrämpfen zu rechnen. Wahrscheinlich würde sie Gleichge7
wichtsstörungen haben, vielleicht auch ohnmächtig werden. Mit Sicherheit landete sie aber in einem Krankenhaus. Und dort wurde dann der »Schlußpunkt unter diesen Auftrag gesetzt. Man würde dieser Frau Anregungsmittel für das stolpernde Herz spritzen und sie damit töten! Genau diese Mittel verbanden sich mit seinem Gift zu der wirklich tödlichen Dosis…« Norman Lower dachte an die zehntausend Pfund und an die Dummheit seiner bisherigen Opfer. Lady Agatha hatte ihr Glas abgesetzt und griff wunschgemäß nach der Kaffeetasse. Der Mörder ließ sich nichts anmerken, lächelte höflich-neutral und [bat um die Erlaubnis, sich eine Zigarette anzünden zu dürfen. »Was für eine Frage«, dröhnte Lady Simpsons Baß ihm entgegen. »Ich werde mir gleich eine Zigarre zu Gemüt führen. Tun Sie sich nur keinen Zwang, an!« Der Berufskiller bedankte sich durch eine leichte Verbeugung und beobachtete, wie die ältere Dame die Tasse hochführte und… jetzt wieder absetzte! »Hoffentlich haben Sie nichts gegen Frauen, die rauchen?« erkundigte sich Agatha Simpson neckisch. »Auf keinen Fall, Madam«, sagte der Mörder, der seine Enttäuschung geschickt verbarg. Warum, so fragte er sich, warum trank die Alte nicht endlich? Sie sollte es gefälligst hinter sich bringen. Er wollte noch den Zug erreichen, den er für den frühen Nachmittag gewählt hatte. Der Mörder lebte auf dem Land, fernab vom Leben und Treiben der Metropole London. Endlich, sagte sich der Mörder, als Lady Simpson erneut die Tasse zum Mund führte. Er hatte sich inzwischen die Zigarette angezündet und nickte ihr neutral zu. Ja, jetzt war es endlich soweit! Der Tassenrand hatte bereits die sich öffnenden Lippen erreicht… »Normalerweise lasse ich mich nicht ansprechen«, stellte Agatha Simpson in diesem Augenblick fest und ließ die Tasse wieder sinken. »Selbstverständlich nicht, Madam.« Der Mörder lächelte und griff nun seinerseits nach der Tasse. Durch sein Beispiel wollte er die Schrullige animieren. Warum trank sie denn nicht? Mußte sie unbedingt solch einen verdammten Unsinn reden…? Sein Beispiel steckte an. Sie hob erneut die Tasse und führte sie zum Mund. Der Mörder 8
trank ein wenig und musterte seine Tischpartnerin dabei über den Tassenrand. In der nächsten Sekunde war es soweit. Gleich mußte auch die Detektivin den ersten tödlichen Schluck zu sich nehmen. Um sie in Stimmung zu halten, trank der Mörder weiter und setzte dann die leere Tasse ab. Wohlig lehnte er sich zurück. »Ausgezeichneter Kaffee«, meinte er. Sein Ton war immer noch höflich und verbindlich, obwohl er nun doch leicht gereizt war. Die verrückte Alte hatte immer noch nicht getrunken. Ja, sie setzte die Tasse sogar wieder ab und lächelte zurück… Doch es war nicht dieses Lächeln, das er eben erst noch in ihren Augen gesehen hatte. Es war ein anderes Lächeln, kalt und auch ein wenig boshaft. »Ausgezeichneter Kaffee«, stellte Agatha Simpson dann ebenfalls fest. Sie sprach mit einer seltsamen Betonung. Der Mörder stutzte und verlor teilweise die Selbstbeherrschung. Eine schreckliche Ahnung dämmerte in ihm. Er hüstelte und sah Lady Simpson verdutzt an. »Ein wunderbarer Kaffee«, sagte die ältere Dame jetzt deutlich boshaft. »Möge er Ihnen bekommen!« Es fiel ihm wie Schuppen von den Augen. Norman Lower hatte begriffen. Er wußte zwar genau, daß sie unmöglich Zeit und Gelegenheit gehabt hatte, die beiden Tassen zu vertauschen. Es war einfach ausgeschlossen, daß er den vergifteten Kaffee gerade getrunken hatte. Und dennoch mußte sie es geschafft haben! Nackte Angst würgte den Berufsmörder. Er schnappte nach Luft, beugte sich vor, sah wieder die Boshaftigkeit in ihren Augen und wollte aufspringen. Er mußte so schnell wie möglich zu einem Arzt. Wenn er sich beeilte, wenn man ihm den Magen auspumpte, dann war ihm vielleicht noch zu helfen… »Sie dummer Lümmel!« Lady Agathas Stimme klang wie eine tiefe Orgel. »Lassen Sie sich Ihr Lehrgeld zurückzahlen.« Der Berufskiller drückte sich hoch… setzte sich dann wieder. Er tat es nicht freiwillig, sondern nahm Platz, weil ihn Myladys Pompadour an der linken Schläfe getroffen hatte. Da sich in diesem Handbeutel ein echtes Hufeisen befand, das nur andeutungsweise mit Schaumgummi umgeben war, fiel die Berührung sehr nachdrücklich aus. Der Mann hatte das deutliche Gefühl, von einem auskeilenden Pferd getroffen worden zu sein. Agatha Simpson sah grimmig auf den ohnmächtigen Mann, der weich und schlaff in seinem Sessel hing. Sie hatte sich also kei9
neswegs getäuscht. Dieser Flegel war auf ihren Bluff hereingefallen und mußte ihr aus irgendwelchen Gründen etwas in den Kaffee gegeben haben. Sie fand das empörend. Die Detektivin wuchtete sich hoch und kümmerte sich um den seriös aussehenden Mann. Bevor der Geschäftsführer herbeieilen konnte, hatte sie bereits blitzschnell die Taschen durchsucht. Es gab ihr zu denken, daß dieser Mann nichts, aber auch gar nichts mit sich führte. Sämtliche Taschen waren sorgfältig leergeräumt worden. »Wo bleiben Sie denn, Kindchen?« grollte sie, als die streng aussehende Sekretärin vor der Nische erschien und den Geschäftsführer nachdrücklich zur Seite drängte. »Sie… Sie haben mich erkannt, Mylady?« fragte Kathy Porter verdutzt. »Natürlich, Kindchen«, gab Agatha Simpson zurück. »Was machen wir jetzt mit diesem Subjekt? Ich bin fest davon überzeugt, daß er mich umbringen wollte.« * »Wenn man Sie mal braucht, sind Sie natürlich nicht da, Mr. Parker«, grollte Lady Simpson und ließ sich auf dem Rücksitz des seltsamen Wagens nieder. »Wie Mylady meinen«, gab Josuah Parker höflich und gemessen zurück, ohne sich aus seiner sprichwörtlichen Ruhe und Gelassenheit bringen zu lassen. Er startete den Wagen und besorgte das mit der Kühnheit eines Rallyefahrers. Mit Vollgas und einem gekonnten Slalom fädelte er sich in den herrschenden Verkehr ein. Das wütende oder auch entsetzte Hupen einiger Verkehrsteilnehmer überhörte er ebenso diskret wie das schrille Quietschen von Bremsen. Stocksteif, als habe er einen Ladestock verschluckt, saß er am Steuer. Schon rein äußerlich glich er einem Butler, wie er eigentlich nur noch in einschlägigen Filmen oder Fernsehserien zu finden ist. Er trug einen schwarzen Zweireiher, schwarze Hosen, ein Hemd mit einem Eckkragen und einen schwarzen Binder. Auf seinem Kopf thronte eine schwarze Melone. »Man wollte mich umbringen«, beschwerte sich Agatha Simpson. 10
»Sie sehen mich überrascht, Mylady«, erwiderte Josuah Parker, ohne jedoch Bestürzung zu zeigen. Er nahm noch nicht mal andeutungsweise den Kopf herum. »Man wollte mich vergiften«, steigerte die Detektivin anklagend. »Das zeugt nicht von Lebensart, Mylady, wenn ich mir diese Bemerkung gestatten darf.« »Mehr haben Sie dazu wohl nicht zu sagen?« Wie Donnergrollen klang die Stimme der älteren Dame. »Ich bedaure ungemein, daß Mylady mir meine Entrüstung nicht ansehen kann«, antwortete der Butler. »Gilt die befohlene Fahrt zum Hospital möglicherweise dem erwähnten Attentäter?« »Beeilen Sie sich gefälligst«, reagierte Lady Agatha barsch. »Sie kriechen ja wieder mal wie eine Schnecke, Mr. Parker. Dieser Lümmel darf uns nicht entwischen.« Lady Simpson untertrieb in gewohnter Manier. Parker fuhr wirklich nicht wie eine Schnecke. Genau das Gegenteil war der Fall. Er steuerte sein hochbeiniges Monstrum in fast schon halsbrecherischem Tempo durch den Verkehr. Der Butler beschämte mehr als zwei Dutzend Londoner Taxifahrer, was schon einiges heißen wollte. Er schlug sie nach Längen und ließ ihnen überhaupt keine Chance. Parker kam allerdings zustatten, daß sein privater Wagen tatsächlich einem normalen Taxi aufs Haar glich. Es handelte sich bei diesem hochbeinigen Monstrum um ein ausgedientes Modell, das nach seinen privaten Vorstellungen und Wünschen umgestaltet worden war. Dieses Taxi war zu einem Rennwagen und gleichzeitig zu einer Trickkiste auf Rädern geworden. Noch vor dem Einsteigen hatte die ältere Dame das Ziel genannt. Parker war also bekannt, welches Hospital er anzusteuern hatte. Der Weg bis dorthin war recht kompliziert, da die City durchquert werden mußte. Doch Parker meisterte auch diese Aufgabe. Auf der Strecke blieben allerdings einige Fahrer zurück, die am Straßenrand hielten und entgeistert schluchzten. Sie waren Parkers Fahrstil nicht gewachsen. »Wann haben Sie eigentlich gemerkt, Mylady, daß dieser seriöse Herr gefährlich ist?« schaltete Kathy Porter sich in die Unterhaltung ein. Sie wollte sich ablenken und nicht weiter auf den Verkehr achten, der angesichts von Parkers Tempo deutlich zu ruhen schien. 11
»Das ist schnell erklärt, Kindchen«, erwiderte Lady Simpson. »Als dieses Subjekt mit mir flirtete, wurde ich vorsichtig.« »Aber wieso denn, Mylady?« »Ich bin schließlich kein taufrisches Mädchen mehr«, sagte die ältere Dame grimmig. »Von Ihnen, Mr. Parker, möchte ich dazu keinen Kommentar hören.« »Wie Mylady wünschen«, ließ der Butler sich vernehmen. Er bluffte, gerade einen Möbeltransporter, dessen Fahrer sich die Vorfahrt erzwingen wollte. Der Mann am Steuer dieses großen Wagens war ein gewiefter Stadtfahrer, den so leicht nichts aus der Fassung brachte. Er hielt auf Parkers Monstrum zu und rechnete fast mit einer Vollbremsung. Parker dachte nicht im Traum daran, sich diesem Manöver anzupassen. Er wich keinen Zentimeter von seiner Bahn ab und schien das Fahrerhaus des Transporters anzuvisieren. Um das Maß aber vollzumachen, wandte der Butler sich in diesen äußerst kritischen Sekunden sogar noch bewußt zu Lady Simpson um und lüftete dazu seine schwarze Melone. Das alles bekam der Möbeltransportfahrer genau mit. Panik schoß in ihm hoch. Er trat voll aufs Bremspedal und steckte auf. Er riß das Steuer herum und ließ das hochbeinige Monstrum an sich vorbeipreschen. Dann beugte er sich über das Lenkrad und schluchzte trocken auf. So etwas war ihm in seiner ganzen Fahrpraxis noch nicht passiert. Er hörte nicht auf die stockenden, aber immerhin tröstenden Worte seines Beifahrers, und überhörte das wütende Hupen jener Autos hinter ihm, deren Weiterfahrt er blockierte. Er wußte nur, daß er den Beruf wechseln würde. Agatha Simpson bemerkte, was sich gerade zugetragen hatte. Im Gegensatz zu Kathy Porter, die leichte Nervosität zeigte, war sie in etwa mit ihrem Butler zufrieden. »Schon besser«, sagte sie und nickte grimmig. »Sie sind immerhin eine etwas schnelle Schnecke geworden, Mr. Parker. Sie sehen, man muß sich nur etwas Mühe geben.« »Wie Mylady wünschen«, antwortete Josuah Parker gemessen. »Falls es gewünscht wird, läßt sich das Tempo noch ein wenig steigern.« »Wir wollen ja nicht gleich übertreiben«, erwiderte Agatha Simpson hastig. Mit einiger Verspätung war ihr bewußt geworden, auf welchen Bluff Butler Parker sich da eingelassen hatte. Sie wollte ihr Schicksal nicht unnötig herausfordern. 12
Parker war jedoch in Schwung gekommen. Er drückte noch ein wenig mehr auf das Tempo und erreichte das Hospital in wahrer Rekordzeit. Als er ausstieg und die hintere Wagentür für Lady Simpson öffnete, sah sie ihn voller Überraschung an und zeigte eine Leidensmiene. »Warum wählen Sie nicht Gift oder irgendeine Schußwaffe, wenn Sie mich schon umbringen wollen?« fragte sie dann mit leiser Stimme. »Mylady fühlen sich unwohl?« Parker wunderte sich diskret. »Das war schon keine Autofahrt mehr, sondern ein Tiefflug«, beschwerte sich die ältere Dame. »Mylady schmeicheln meiner bescheidenen Wenigkeit.« »Ich brauche einen Kreislauf…« »… beschleuniger, Mylady?« erkundigte sich Parker, sie unterbrechend. »Ich brauche einen Kreislaufdämpfer«, korrigierte die Detektivin ihn. Sie gestattete ihrem Butler, ihr aus dem Wagen zu helfen. Sie stand ein wenig unsicher auf den Beinen und hakte sich dann bei ihrer Gesellschafterin ein. »Für die Rückfahrt werde ich das Steuer übernehmen«, erklärte sie dann nachdrücklich. »Ich werde Ihnen zeigen, wie diszipliniert man fahren kann.« Daraufhin stieg eine leichte Röte des Schreckens in Parkers Gesicht. Auch Kathy Porter knickte ein wenig in den Knien ein. Sie wie auch Parker wußten aus Erfahrung nur zu genau, was da auf sie zukam. Lady Simpson war nämlich, um es höflich und sehr vorsichtig auszudrücken, eine mehr als beherzte Fahrerin, die souverän die gültigen Verkehrsregeln mißachtete, falls sie sich an sie überhaupt noch erinnerte. * Norman Lower war schon während der Fahrt zum Hospital wieder zu sich gekommen, hatte aber nichts unternommen. Der Berufskiller wußte nur zu genau, daß er im Moment nichts unternehmen konnte. Er wunderte sich, daß er in einem Krankenwagen lag, angeschnallt auf einer Trage. Und er Wunderte sich, wie er in diesen Wagen gekommen war. Was war nur passiert? 13
Natürlich erinnerte er sich an sein Opfer, an diese schrullige Alte. Sie hatte ihn hereingelegt und ihm ihren Pompadour gegen die Schläfe geknallt. Danach war es aus mit ihm gewesen… Plötzlich wollte der Berufskiller sich senkrecht aufsetzen. Der Kaffee! Jetzt war er wieder voll da. Diese Lady Simpson hatte es irgendwie geschafft, den vergifteten Kaffee zu vertauschen. Das Gift mit dem zeitlichen Verzögerungseffekt befand sich in seinem Körper! Für ihn bestand akute Lebensgefahr! Der Berufskiller, von zwei breiten Ledergurten gehalten, fiel wieder auf die Trage zurück und zwang sich zur Ruhe. Jetzt nur ja keine Panik! Er mußte genau überlegen, wie er sich verhalten sollte. Hatte sie die beiden Kaffeetassen wirklich vertauschen können? Hatte diese Schrullige nur geblufft? Brauchte er sich gar keine Sorgen zu machen? Norman Lower horchte in sich hinein und prüfte seinen Herzschlag. Machte das Gift sich bereits bemerkbar? Er spürte, daß sein Puls schneller schlug. War das gerade nicht ein erster Herzstich gewesen? Ging sein Atem nicht zu schnell und flach? Der kalte Schweiß brach ihm aus und verklebte seine Stirn. Der Berufskiller fühlte sich elend und hinfällig. Die schrullige Alte mußte es doch irgendwie geschafft haben. Sie hatte ihm den vergifteten Kaffee zugespielt, sie mußte es getan haben! Doch warum hatte sie ihn dann noch zusätzlich niedergeschlagen? Warum hatte sie ihm gezeigt, daß sie seinen Mordanschlag durchschaut hatte? Norman Lower war nicht mehr in der Lage, klar und logisch zu denken. Die Angst breitete sich in Wellen in ihm aus. Immer wieder horchte er auf sein Herz. Der Eindruck verstärkte sich, daß es jetzt bereits sehr schnell schlug und zwischendurch sogar stolperte. Die beiden Ledergurte, die ihn auf der Trage festhielten, kamen ihm wie Eisenklammern vor, die seine Brust eindrückten. Er glaubte ersticken zu müssen. Dann war das Hospital erreicht. Der Wagen hielt vor der Notaufnahme, die beiden Fahrer trugen den Mann im Eiltempo durch eine sich automatisch öffnende Tür und stellten ihn in einem kahlen Vorraum ab. Sie lösten die beiden Ledergurte und verschwanden. Norman Lower fühlte sich schwach und hilflos. Er hätte aufste14
hen und weglaufen können, doch den Mut dazu brachte er einfach nicht auf. Er wartete voller Ungeduld auf den Rettungsarzt, er wollte ärztlich untersucht und behandelt werden. Er mußte diesem Arzt zu verstehen geben, daß er ein böses Herzmittel zu sich genommen hatte. Mochte der Arzt dann denken, was immer er wollte, Hauptsache, er setzte die rettende Spritze. Rettende Spritze? Norman Lower blieb für eine Sekunde starr liegen. Er hatte begriffen und vermochte sich vor Angst nicht zu rühren. Diese angeblich rettende Spritze bedeutete doch gerade den Tod! Das war doch die verblüffende Methode, nach der er bisher immer so erfolgreich gearbeitet hatte. Auf keinen Fall durfte man ihm eine Spritze geben. Der Arzt würde mit tödlicher Sicherheit das falsche tun müssen… Der Berufskiller zwang sich hoch, blieb schwankend stehen und lehnte sich erschöpft gegen die Wand. Er bemühte sich hinüber zur Tür und öffnete sie spaltbreit. Er schaute in einen langen, düsteren Gang und glaubte weit hinten einen weißen Kittel zu erkennen. Das war das Signal für seine Flucht. Der Berufskiller wankte aus dem Zimmer und ging zurück zur Eingangstür der Notaufnahme. Erstaunlicherweise fühlte er sich von Schritt zu Schritt immer wohler. Da waren nur die Schmerzen an der Schläfe, doch die störten ihn nicht weiter. Hauptsache, sein Herz machte mit. Norman Lower hatte endlich die Tür erreicht, die sich nach dem Passieren der Lichtschranke wieder automatisch öffnete. Er hörte plötzlich Rufe hinter sich, achtete aber nicht darauf. Er fühlte sich inzwischen schon wesentlich besser und sah den Krankenwagen, dessen Fahrertür geöffnet war. Es dauerte nur wenige Sekunden, bis er am Steuer saß. Der Zündschlüssel steckte, und der Motor war sofort da. Norman Lower jagte in schneller Fahrt über die Rampe hinunter zur Zufahrtstraße. Um ein Haar wäre es dabei zu einem Unfall gekommen. Lower nahm die Kurve zu scharf, schleuderte aus dem Kurs und touchierte einen Pfeiler. Er hörte das häßliche Schrammen von mißhandeltem Blech, gab Vollgas und preschte weiter. Er wußte nicht, warum er das alles tat, er handelte instinktiv wie ein waidwundes Tier, das sich vor seinen Verfolgern irgendwo verstecken 15
will. Zwanzig Minuten später war aus dem Mann so etwas wie ein neuer Mensch geworden. Er hatte den Hospitalwagen längst verlassen und ging zu Fuß durch eine belebte Straße in der City. Er wußte inzwischen, daß er leben würde. Seine Panik hatte sich gelegt. Ihm war klar, daß diese Lady Simpson ihn nur geblufft hatte. Sein Herz war vollkommen in Ordnung. Doch er war nicht mehr der kühle und beherrschte Lower wie zuvor, der seine Taten sachlich und unbeteiligt ausführte. Haß steckte in diesem Mann, der zum ersten Mal in seinem Leben genarrt worden war. Dieser Haß auf die schrullige Alte füllte sein ganzes Denken aus. An dieser Frau wollte er sich furchtbar rächen! * »Mylady wären mit Sicherheit an diesem Kaffee verschieden«, meldete Parker, nachdem er den Telefonhörer aufgelegt hatte. »Es handelt sich um ein Gift, dessen chemische Formel…« »Ersparen Sie mir Einzelheiten, Mr. Parker«, unterbrach ihn Agatha Simpson. Sie befand sich im großen Salon ihres Stadthauses in Shepherd’s Market, einem sehr ehrwürdigen und alten Fachwerkhaus in der Nähe von Hyde Park Corner. Die Detektivin ärgerte sich, daß sie den Mörder verfehlt hatte. Kurz vor ihrer Ankunft hatte dieser so seriös aussehende Mann flüchten können. »Mylady befinden sich in akuter Gefahr«, redete der Butler würdevoll weiter. »Vielleicht sollten Mylady in den kommenden Tagen ein wenig vorsichtig sein.« »Papperlapapp«, gab sie grimmig zur Antwort. »Ich werde mich nicht verkriechen.« »Gewiß nicht, Mylady«, erwiderte Parker geduldig wie immer. »Welche Subjekte wollen mich umbringen lassen?« Sie stand auf und marschierte vor dem großen Kamin auf und ab. »Ich weiß, Mr. Parker, daß Sie einen ganz bestimmten Verdacht haben.« »Mylady sehen meine bescheidene Wenigkeit überrascht.« »Warum hätten Sie sonst Miß Porter auf mich angesetzt?« »Eine grundsätzliche Vorsichtsmaßnahme, wenn ich es so um16
schreiben darf.« »Darauf werde ich noch zurückkomme«, versprach Agatha Simpson ihm barsch. »Warum hat dieser Mörder mich nicht einfach niedergeschossen? Warum hat er es nicht mit einem Messer versucht? Warum Gift, Mr. Parker? Ich verlange eine plausible Erklärung.« »Nun, Mylady, man dürfte es in diesem Fall mit einem Spezialisten zu tun haben, wenn ich es so ausdrücken darf.« »Mit einem Berufskiller, nicht wahr?« »In der Tat, Mylady. Hier hat man es mit einem Mörder zu tun, der keine Spuren hinterlassen möchte.« »Dieser Lümmel kann sich auf was gefaßt machen«, meinte Agatha Simpson gereizt. »Diesem Flegel werde ich noch die Flötentöne beibringen! Übrigens könnte das stimmen, was Sie da gerade gesagt haben. Der Mann hatte ja bekanntlich völlig ausgeräumte Taschen.« »Und im Falle des Falles sein Inkognito wahren zu können, Mylady.« »Spüren Sie mir diesen Widerling auf, Mr. Parker!« »Mylady dürfen versichert sein, daß ich mich bemühen werde.« »Wenn er ein Berufsmörder ist, arbeitet er also für einen Auftraggeber. Wer könnte das sein?« »Mylady können sich an die besagten drei Zentner Marihuana erinnern?« »Natürlich! Daß ich nicht selbst darauf gekommen bin!« Mylady schlug sich sehr ungeniert mit der flachen Hand gegen die Stirn und korrigierte sich sofort. »So etwas hatte ich mir ja gleich gedacht.« »Natürlich, Mylady.« Parker dachte nicht im Traum daran, seiner Herrin zu widersprechen. »Sie kennen die Hintermänner dieses Rauschgiftsyndikats, Mr. Parker?« »Ich muß außerordentlich bedauern, Mylady«, schwindelte Parker schnell. Ihm schwante, daß die ältere Dame einen Rachefeldzug plante. Lady Agatha Simpson konnte sehr nachtragend sein. »Zieren Sie sich gefälligst nicht wie eine Jungfrau«, raunzte Agatha Simpson prompt. »Natürlich kennen Sie die Hintermänner! Mir machen Sie nicht vor! Wir fahren in zehn Minuten. Ich werde mich nur noch umziehen.« »Darf ich mich erkühnen, Mylady darauf aufmerksam zu ma17
chen, daß diese sogenannten Hintermänner außerordentlich scharf bewacht werden? Hinzu kommt noch die Tatsache, daß den Männern bisher nichts nachzuweisen war.« »Das wird sich gründlich ändern«, versprach Lady Agatha und blitzte ihren Butler unternehmungslustig an. Ihre Wangen hatten sich rosig eingefärbt. Die Detektivin machte einen sehr animierten und dynamischen Eindruck. Butler Parker wußte diese Zeichen sehr wohl zu deuten. Hatte Lady Simpson solch ein seelisches Stadium erst mal erreicht, dann war sie nicht mehr zu bremsen. Ein Panzerwagen war dann ein Kinderspielzeug gegen sie. »Ich kann mich ärgern, daß ich dieses Subjekt nicht in der Cafeteria festgehalten habe«, redete Lady Simpson inzwischen weiter. »So etwas passiert mir nicht noch mal, Mr. Parker. Ich hätte diesen Flegel an Ort und Stelle fragen sollen.« »Man hätte solch eine Handlungsweise möglicherweise mißgedeutet, Mylady«, erlaubte Parker sich zu sagen. »Sie mit Ihrer Diskretion«, meinte die Sechzigjährige verächtlich und warf ihm einen grimmigen Blick zu. »Sie sehen doch, wohin das führt. Dieser Berufskiller ist erst mal verschwunden.« »Und wird auf eine weitere und bessere Möglichkeit warten, Mylady, wenn ich diese Warnung aussprechen darf.« »Könnte er nicht vielleicht schon das Haus belauern?« Kathy Porter hatte sich eingeschaltet. »Das wäre ja wunderbar«, freute sich die ältere Dame. »Mr. Parker, untersuchen Sie das sofort! Das ändert aber nichts an der Tatsache, daß wir gleich losfahren werden. Um was für Leute handelt es sich, die wir aufsuchen werden?« »Falls meine Informationen richtig sind, Mylady, verbirgt das Syndikat sich hinter einer Kette von kleinen Imbißstuben, in denen Fish and Chips oder Tee verkauft werden. Diese kleinen Restaurants sind über die ganze Insel verstreut.« »Und die Geschäftsleitung befindet sich hier in London?« »In Soho, Mylady. Darf ich mir die Freiheit nehmen, doch mal darauf hinzuweisen, daß das keine endgültigen Tatsachen sind, sondern nur mehr oder weniger vage Vermutungen?« »In einer Stunde werden wir es genau wissen«, gab Lady Simpson zurück und nickte nachdrücklich. »Diese Subjekte werden sich ihr ganzes Leben lang an mich erinnern!« Parker zweifelte nicht eine Sekunde an dieser Prophezeiung. 18
* Norman Lower hatte sein Aussehen verändert. Seine Oberlippe war jetzt glatt und zeigte nicht die Spur jenes Schnauzbartes, die sie eben noch geziert hatte. Er hatte sich eine Brille aufgesetzt, deren Gläser aus Fensterglas bestanden. Auf seinem Kopf saß ein Pepitahut. Den Mantel hatte er einfach gewendet. Er war so zu einem völlig neuen Typ geworden. Selbst eine mißtrauische Lady Simpson hätte diesen neuen Menschen nicht mehr wiedererkannt. In einem der vielen Pubs möbelte der Berufsmörder sein Innenleben mit einem doppelten Whisky auf. Mehr trank er aus Prinzip nicht. Er befand sich mehr denn je im Einsatz. Nach seiner Panne in der Cafeteria konnte er sich keine Extravaganzen leisten. Ihm saß ein ganz bestimmter Anruf im Genick. In spätestens zwei Stunden wollte er eine Telefonnummer in Antwerpen wählen und ein vereinbartes Stichwort durchgeben. Dieses Stichwort war für seine Auftraggeber gedacht und sollte die Ausführung seines Auftrages bestätigen. Zum ersten Mal während seiner bisherigen Laufbahn konnte er solch eine Vollzugsmeldung nicht absetzen. Norman Lower schämte sich fast. Ganz beruhigt hatte er sich immer noch nicht. Er kam einfach nicht darüber hinweg, daß die schrullige Alte ihn außer Gefecht gesetzt hatte. Immer wieder sah er ihre listigen Augen vor sich. Hinzu kam noch der Schmerz an der Schläfe. Womit mochte sie ihn nur niedergeschlagen haben? Zwei Stunden Zeit blieben ihm noch, diese Scharte wieder auszuwetzen. Würde diese Zeitspanne überhaupt ausreichen? Die Frau war natürlich gewarnt und würde sich zu schützen wissen. Hinzu kam, daß er keine Schußwaffe zur Verfügung hatte. Gewiß, er hätte sich leicht etwas Passendes besorgen können. In einer Riesenstadt wie London war so etwas kein Problem, wenn man die richtigen Stellen kannte, doch Lower hätte damit vielleicht eine Spur ausgelegt. So etwas widersprach seiner Methode. Als er den Pub verließ und an einem gut besetzten Parkplatz vorüberkam, hatte er den rettenden Einfall. Eine bessere Waffe als ein Auto gab es gar nicht. Es kam nur darauf an, diese Lady Simpson auf die Straße zu locken. War das erst mal geschehen, 19
war sein Problem gelöst. Ein Wagen war schnell besorgt. Norman Lower kannte sich in diesen Dingen sehr gut aus. Er entschied sich für einen robusten kleinen Lieferwagen, dessen Tür er in Sekundenschnelle geknackt hatte. Dabei fühlte er sich nicht sonderlich wohl in seiner Haut. Die Gefahr, überrascht zu werden, war sehr groß. Und immer wieder dachte er an etwaige Spuren, die er jetzt ungewollt auslegte. Sein bisheriges Inkognito geriet in Gefahr. Und darüber ärgerte er sich nicht nur, sondern sein Haß auf die schrullige Alte steigerte sich noch. Sie zwang ihn zu Dingen, die er im Grund seines Herzens verabscheute. Erst als er mit dem kleinen Kastenlieferwagen durch eine Seitenstraße rollte, beruhigten sich seine Nerven wieder. Die Sache hatte geklappt. Nun mußte er hinüber zum Hyde Park, nach Shepherd’s Market, wo sein Opfer wohnte. Der Berufskiller hatte sagenhaftes Glück. Als er den kleinen Platz erreicht, der von altehrwürdigen Fachwerkhäusern umsäumt wurde, startete gerade ein Taxi, in dem er Lady Simpson erkannte. Daß dieses Taxi ein Privatwagen war, wußte er längst. Nicht umsonst hatte der Berufskiller sich mit den Lebensgewohnheiten seines Opfers vertraut gemacht. Am Steuer des hochbeinigen und altmodischen Wagens saß der Butler der schrulligen Alten. Neben ihr hatte die verdammt gut aussehende Sekretärin Platz genommen. Besser konnten die Dinge für ihn überhaupt nicht laufen. Er brauchte die Alte noch nicht mal auf die Straße zu locken. Sein Opfer kam ihm freiwillig entgegen. Norman Lower geriet in eine Art Hochgefühl. Er würde es schaffen! Noch konnte er seinen Auftrag erledigen und ein Image wahren. Nun brauchte er nur noch den richtigen Zeitpunkt abzuwarten. Unauffällig folgte er dem hochbeinigen Wagen. Bei dem herrschenden Verkehr war das nicht besonders schwierig. Norman Lower hatte inzwischen seinen Plan abgerundet. Sobald Lady Simpson ausstieg, wollte er vorspreschen und sie mit dem Lieferwägen niederfahren. Das mußte blitzschnell geschehen. Seine anschließende Flucht war dann nur noch eine Sache geschickter Improvisation. Den geforderten Anruf konnte er eigentlich bereits abhaken. Pünktlich würde er seinen Auftrag als erledigt melden können. Er 20
hatte noch mal Glück gehabt, glaubte er… * Natürlich sagte Butler Parker kein Wort, doch war er mit dem Plan Agatha Simpson überhaupt nicht einverstanden. Sie spielte nicht nur mit dem Feuer, nein, sie spielte mit Nitroglyzerin. Die Herrschaften, denen ihr Besuch galt, gaben sich nur nach außen hin als normale Geschäftsleute. In Wirklichkeit handelte es sich um brutale Gangster, die keine Rücksicht kannten. Wer sich ihnen in den Weg stellte, spielte mit seinem Leben. Während der Butler sein hochbeiniges Monstrum durch den Verkehr steuerte, befaßte er sich noch mal mit dem raffinierten Mordanschlag auf seine Herrin. Er sah die Dinge inzwischen ein wenig anders. Gewiß, man hatte es mit einem heimtückischen Berufsmörder zu tun, daran war nicht zu zweifeln. Dieser Mörder hatte mit einem raffinierten Herzgift arbeiten wollen, auch das stand inzwischen fest, Parker fragte sich aber nun, ob dieser Berufsmörder tatsächlich von den Männern des Syndikats engagiert worden war. Gangster dieser Art pfiffen im Grund auf verfeinerte Mordmethoden. Zudem besaßen sie doch in ihren eigenen Reihen Killer, die nach ,normaler’ Methode arbeiteten. Diese Killer verließen sich immer auf ihre Präzisionswaffen und arbeiteten schon gar nicht mit Gift. Hatte es einen Sinn, die Adresse in Soho anzusteuern? Nur zu gern hatte der Butler diesen Höflichkeitsbesuch abgeblasen, doch er kannte schließlich Lady Simpson nur zu gut. Sie war jetzt nicht mehr zu bremsen. Die Sache mußte durchgestanden werden. Parker dachte an die Informationen, die er auf Umwegen erhalten hatte. Diesen Tips zufolge sollte Agatha Simpson umgebracht werden. Die Nachricht war ihm zugespielt worden. Er nahm sich vor, den Informanten so bald wie möglich zu besuchen. Vielleicht ließ sich aus solch einem Gespräch etwas machen. Soho war inzwischen erreicht. Parker fuhr langsam durch die engen und belebten Straßen und näherte sich unaufhaltsam der bewußten Büroadresse. Um noch zusätzlich etwas Zeit herauszuschinden, wählte er einen Umweg. Ihm graute einfach davor, Lady Simpson vor dem entsprechen21
den Haus abzusetzen. »Wir werden, glaube ich, verfolgt«, meldete in diesem Moment Kathy Porter, die selbstverständlich mit von der Partie war. Sie hätte Lady Simpson niemals allein gelassen. »Das hört sich aber sehr gut an, Kindchen«, freute sich die ältere Dame sichtlich. Sie war erfahren genug, sich nicht sofort umzuwenden und durch das Rückfenster auf die Straße zu schauen. »Meinen Sie den kleinen Kastenlieferwagen?« erkundigte sich Josuah Parker. »Genau den, Mr. Parker.« »Ob dieser heimtückische Giftmörder am Steuer sitzt?« fragte die Detektivin grimmig. »Das läßt sich leicht herausfinden, Mylady«, erwiderte Parker schnell. »Zuerst diese Syndikatsflegel«, entschied Lady Simpson. »Falls sie den Lümmel auf mich angesetzt haben, wird er ja wohl dort erscheinen, finden Sie nicht auch?« »Darf ich mit einem Gegenvorschlag aufwarten, Mylady?« »Nicht jetzt«, entschied Agatha Simpson grollend. »Lenken Sie mich nicht ab, Mr. Parker!« Der Butler hatte den kleinen Kastenlieferwagen tatsächlich schon seit einiger Zeit beobachtet. Er war wie Kathy Porter davon überzeugt, daß sie beschattet wurden. Wer jedoch am Steuer saß, konnte er nur vermuten. Die Wahrscheinlichkeit, daß es sich um den Giftmörder handelte, war sehr groß. Parker hätte sich diesen Mann am liebsten zuerst vorgeknöpft. Er mußte einen Weg finden, Lady Simpsons Anordnung und seinen Wunsch unter einen Hut zu bringen. Es galt, sehr vorsichtig zu sein. Nach dem mißglückten Mordversuch würde der Mann es nun wahrscheinlich mit einer Schußwaffe versuchen. Es galt also, Lady Simpson nachdrücklich zu schützen. Sie mußte so schnell wie möglich in das Haus geschafft werden, in dem sich die Büroräume des Syndikats befanden. Parker steigerte das Tempo, kurvte um eine Ecke und erreichte auch schon den Eingang zum Bürohaus. Er fuhr auf den Gehweg und schob sein hochbeiniges Monstrum dicht an die Doppeltür heran. Gleichzeitig legte er einen der vielen Kipphebel auf dem reichhaltig ausgestatteten Armaturenbrett um. Das Resultat war erstaunlich. Der Motor produzierte einige Fehlzündungen, wie man anneh22
men mußte. In Wirklichkeit wurden sie gesondert erzeugt. Und gleichzeitig mit diesen angeblichen – Fehlzündungen quollen stoßweise einige pechschwarze Rauchwolken aus dem Auspuff. In wenigen Sekunden legte sich ein zäher und schwarzer Nebel auf die Windschutzscheibe des nachfolgenden Kastenlieferwagens. Dieser Effekt kam für den Fahrer derart überraschend, daß er das Steuer verriß und den Kühler seines Wagens gegen den Karren eines Obsthändlers setzte. Parker hatte Lady Simpson bereits aus dem Wagen geleitet und führte sie schleunigst in die Empfangshalle des Bürohauses. Erst dann interessierte er sich für den Fahrer des kleinen Kastenlieferwagens. Leider war von ihm nicht mehr viel zu sehen. Der Mann rannte mit der Schnelligkeit eines Weltrekordsprinters die Straße hinunter, verfolgt von den Flüchen des aufgebrachten Obsthändlers, der ihm überreife Tomaten nachwarf. Josuah Parker, ansonsten ein ernster und gesammelter Mensch, gestattete sich den Luxus eines andeutungsweisen Lächelns, als eine der überreifen Tomaten im Genick des Flüchtenden zerplatzte. Eine Sekunde später schlitterte der Mann auf einer angefaulten, ihm nachgeschickten Banane um die nächste Straßenecke und entschwand seinen Augen. * Sie waren groß und stämmig. Die beiden Männer trugen einheitlich dunkle Hosen und graue Jacketts, auf deren linker Brustseite der Name der Restaurantkette aufgestickt war. Daß es sich um ausgesuchtes Personal handelte, erkannte der Butler auf den ersten Blick. Sie hatten sich von dem Spektakel draußen auf der Straße nicht von der Fahrstuhltür weglocken lassen. Sie machen allerdings einen sehr wachsamen und gespannten Eindruck, als Lady Simpson mit ihren stämmigen Beinen auf sie zumarschierte. Die Detektivin befand sich in angeregter Stimmung. Sie schien die beiden Männer gar nicht wahrzunehmen und überhaupt nicht zu begreifen, daß sie es mit Leibwächtern zu tun hatte, die die Tür zum Lift zu bewachen hatten. Der Butler beeilte sich, zu seiner Herrin aufzuschließen, doch er 23
schaffte es nicht. Zu schnell und stürmisch marschierte die ältere Dame voran und baute sich majestätisch vor den beiden Männern auf. Sie öffnete ihren Pompadour, wodurch Sie bereits das Mißtrauen der Leibwächter erregte. »Sehen Sie sich das mal an«, verlangte sie dann mit energischer Baßstimme und holte einen… Pfefferstreuer hervor. Es handelte sich um einen völlig normal aussehenden Pfefferstreuer, und die beiden Leibwächter mußten das längst erkannt haben. Doch sie beugten sich vor und kamen überhaupt nicht auf die Idee, die resolute Dame könne sie hereinlegen. »Wissen Sie, was das ist?« fragte Agatha Simpson. »Klar«, sagte der erste Leibwächter. »‘n Pfefferstreuer«, fügte der zweite Leibwächter hinzu. »Und wissen Sie auch, meine Herren, was solch ein Pfefferstreuer enthält?« »Na, das ist vielleicht ‘ne Frage«, wunderte sich der erste Leibwächter und grinste. Er war inzwischen zu dem Schluß gekommen, daß er es mit einer harmlosen Irren zu tun hatte. »Pfeffer wird wahrscheinlich drin sein«, meinte der zweite Leibwächter gutmütig. »Sie lassen eine gewisse Intelligenz erkennen«, stellte Agatha Simpson fest, hob den Pfefferstreuer ein wenig höher und… puderte dann die Augen der beiden Männer ausgiebig und blitzschnell. Damit hatten sie nun überhaupt nicht gerechnet. Sie wurden völlig überrascht. Instinktiv rissen sie die Hände hoch und rieben sich die brennenden und tränenden Augen. Dann allerdings besannen sie sich auf ihre Pflichten und wollten zur Tat schreiben, wenngleich sie kaum etwas sehen konnten. Es blieb bei dem Vorsatz. Agatha Simpson war wieder mal schneller. Der Pompadour in ihrer Hand erwies sich als eine ungemein wirkungsvolle Nahkampfwaffe. Und das mit Schaumgummi notdürftig umwickelte Hufeisen war vernichtend. Der Butler brauchte noch nicht mal andeutungsweise einzugreifen. Ja, er trat sogar noch sicherheitshalber einen Schritt zurück, um nicht auch noch erwischt zu werden. Die Lady vollführte mit ihrem Handbeutel eine Art Rundschlag. Die beiden Leibwächter kamen überhaupt nicht mehr an ihre Schußwaffen heran, stöhnten auf, wurden knieweich und rutsch24
ten dann an der Holzvertäfelung hinunter zu Boden. Sie legten sich übereinander und nahmen am Geschehen nicht weiter teil. »So macht man das, Mr. Parker«, sagte Agatha Simpson und wandte sich zu ihrem Butler um. »Muß man Ihnen denn immer alles vormachen? Entwickeln Sie in Zukunft etwas mehr Initiative.« »Wie Mylady befehlen«, gab Parker zurück und drückte mit seinem schwarz behandschuhten Finger auf den Knopf, der die Tür zum Lift öffnete. Agatha Simpson rauschte wie eine Herzogin in den Lift und deutete dann auf die beiden Leibwächter, während sie mit der freien Hand Kathy Porter zu sich hereinwinkte. »Schaffen Sie mir die Flegel aus den Augen?« ordnete sie an. »Sollte man Mylady nicht besser nach oben begleiten?« fragte der Butler, der in leichte Panik geriet. »Sie würden nur stören«, gab Agatha Simpson distanziert zurück. »Sorgen Sie gefälligst dafür, daß meine Unterredung nicht gestört wird!« * Der Lift hielt in der obersten Etage. Lady Simpson stieg aus, gefolgt von ihrer Gesellschafterin Kathy Porter. Die beiden Frauen befanden sich in einem Vorraum, der gleichzeitig als Büro und Wartezimmer diente. Zwei etwa dreißigjährige, gut aussehende Vorzimmerdamen saßen vor Schreibmaschinen und erledigten Korrespondenz. Sie blickten verdutzt, als die beiden Besucherinnen näher traten. So etwas war mit Sicherheit ungewöhnlich. Wahrscheinlich würde Besuch immer erst telefonisch unten von der Halle aus angekündigt. Fast schon elektrisiert wirkte ein junger Mann, der an einem kleinen Mahagonitisch neben einer dick wattierten Tür saß. Er war elegant gekleidet und sah nicht wie ein Gangster aus, wie er in Filmen gezeigt wird. Mit schnellen und geschmeidigen Schritten kam er um den Schreibtisch herum und blieb dann betroffen stehen. Agatha Simpson war ganz eindeutig von einem Unwohlsein erfaßt worden. Sie ächzte nachdrücklich, griff sich an die linke Seite 25
ihres wogenden Busens und knickte in den Knien ein. Kathy Porter versuchte die walkürenhafte Lady zu halten, doch sie schien es nicht zu schaffen. Hilfesuchend sah sie den jungen Mann an, der darauf verzichtete das zu tun, was er gerade vorgehabt hatte, nämlich nach seiner Dienstwaffe zu greifen. Agatha Simpson war beeindruckend. Das Weiße in ihren weit geöffneten Augen war nur noch zu sehen. Dann schielte sie ein wenig, ächzte noch mal und fügte noch ein paar erstaunlich gut gelungene Gurgeltöne hinzu. Das überzeugte den jungen Mann vollkommen. »Warten Sie, ich werde helfen«, sagte er beflissen. Er hatte Lady Simpson erreicht, trat hinter sie und wollte unter ihre Arme greifen. In diesem Moment ließ Kathy Porter los und belastete den jungen Mann mit dem vollen Körpergewicht der Detektivin. Der Mann kickste überrascht auf, schnappte nach Luft, schob sich noch näher an Lady Agatha heran und verdrehte dann die Augen. Sein Gesicht nahm eine käsige Farbe an. Er schien sich völlig übernommen zu haben. Die beiden jungen Damen vor ihren Schreibmaschinen mußten wenigstens diesen Eindruck gewinnen. Der wirkliche Sachverhalt war natürlich ganz anders. Als der junge Mann sich von hinten näher an Lady Simpson heranschob, kassierte er einen herben Stoß, den sie mit ihrem linken Ellbogen austeilte. Die Spitze dieses Ellbogens legte sich dem jungen Mann auf den Magen. Bevor er Agatha Simpson loslassen konnte, griff Lady Simpson mit dem anderen Ellbogen an. Diesmal fiel der Rempler noch spitzer und kräftiger aus. Der Mann taumelte zurück und stolperte dabei über Kathy Porters Bein, das die junge Dame aus Versehen nicht zurückgezogen hatte. Er verlor zwar das Gleichgewicht, zeigte aber gerade jetzt seine Klasse. Obwohl schwer angeschlagen, wollte er seine Waffe ziehen. Kathy Porter war jedoch dagegen. Sie setzte ihre Handkante ein und streichelte damit die Halspartie ihres Gegners. Da Kathy Porter eine erstklassige Karatekämpferin war, hatte der Mann keine Chance. Er verlor augenblicklich das Bewußtsein und landete auf dem Teppich. Kathy Porter bückte sich blitzschnell und zupfte ihm die Waffe aus der Schulterhalfter. »Bleiben Sie sitzen, dumme Gans«, herrschte Agatha Simpson eines der beiden Schreibmädchen an. »Erzürnen Sie mich nicht unnötig!« 26
Das wollten sie auf keinen Fall. Sie setzten sich beide wieder brav hin und starrten die resolute Dame an, die sich der wattierten Tür näherte. Lady Agatha drehte sich um. »Haben Sie nichts zu tun?« fragte sie mit ihrer grollenden Stimme. Daraufhin begannen die beiden Damen wie Automaten zu arbeiten. Was sie allerdings schrieben, wollte Lady Simpson im Moment nicht wissen. Wahrscheinlich schrieben sie vor Angst völlig sinnlose Wörter. »Sie bleiben hier, Kindchen!« Das war für Kathy Porter gedacht, die wie ein braves Schulmädchen nickte und vor dem kleinen Mahagonitisch Platz nahm. Agatha Simpson aber marschierte weiter zur Tür und ließ ihre energische Hand auf den Drehknauf fallen. Dann schmetterte sie die Tür weit auf und sah zu dem riesigen Tisch hinüber, hinter dem ein überraschend kleiner Mann von etwa fünfzig Jahren saß. »Worauf warten Sie noch?« fuhr Lady Agatha den entgeisterten Mann an. »Sie haben es mit einer Dame zu tun! Also erheben Sie sich gefälligst, oder soll ich Ihnen Beine machen?« * Norman Lower zweifelte an der Gerechtigkeit dieser Welt. Dies war ein rabenschwarzer Tag in seinem bisher so erfolgreichen Leben. Nach der Panne in der Cafeteria und dann vor dem Bürohaus in Soho war er schließlich noch von einem aufgebrachten Obsthändler durch die Straßen gehetzt worden. Norman Lower war deprimiert. Nach seinem Ausrutscher auf der überreifen Banane hatte er sich noch erfolgreich absetzen können. Er befand sich zur Zeit im Waschraum eines chinesischen Lokals und beschäftigte sich mit den Überresten der angefaulten Tomate, die seinen Nacken getroffen hatte. Sie roch ein wenig, was seinen Weltschmerz noch vertiefte. Immer wieder sah er in den Wandspiegel und prüfte sein Aussehen. Der Kragen seines Mantels war hin, sein Hemdkragen ebenfalls. Er hatte nur den einen Wunsch, so schnell wie möglich seine geheime Zuflucht auf dem Land aufzusuchen. Er war bereit, die Anzahlung seinem Auftraggeber zurückzuerstatten. Ja, der Berufskiller spielte sogar mit dem Gedanken, seinen Beruf auf27
zugeben. Er hatte alles falsch gemacht. Norman Lower warf sich vor, sich mit seinem Opfer nicht ausreichend vertraut gemacht zu haben. Auf der anderen Seite hatte ihm sein Auftraggeber allerdings auch nicht gesagt, daß er es mit fast schon bösartigen Profs zu tun haben würde. Im Grund war das Betrug. Sie hatten ihm diesen Mord als eine Kleinigkeit verkauft. Der Berufskiller verließ betreten den Waschraum, setzte sich in eine Nische des chinesischen Restaurants und bestellte ein Kännchen Tee. Zucker und Milch brauchte er nicht. Er wollte den heißen, würzigen Tee so genießen, wie er serviert wurde. Er mußte sein seelisches Gleichgewicht wiederfinden. Der Tee war ausgezeichnet und erfrischte ihn. Norman Lower ließ sich Zigaretten bringen und überdachte seine Lage. In spätestens einer Stunde war der Anruf in Antwerpen fällig. Nein, schon in fünfundvierzig Minuten. Innerhalb dieser Zeitspanne hatte er keine Chance mehr, seinen Auftrag auszuführen. Er mußte ihn also zurückgeben, falls seine Auftraggeber ihn nicht verlängerten und ihm eine neue Frist einräumten. Daran führte kein Weg vorbei. Wer mochten diese Auftraggeber in Wirklichkeit sein? Natürlich hatten sie ihm gegenüber ihre Karten auf den Tisch legen müssen. Norman Lower hatte sich rückversichert, daß die Angaben, was Name und Adresse anbetraf, wirklich stimmten. Er hatte es mit einem Diamantenhändler zu tun, der seine Partnerin, eben diese Lady Simpson aus dem Weg räumen lassen wollte. Das Motiv war für Lower verständlich. Ähnliche Aufträge hatte er bereits in der Vergangenheit erledigt. Agatha Simpson war nach Angaben seiner Auftraggeber so etwas wie eine stille Teilhaberin der Diamantenfirma. Seine Geldgeber waren zwei belgische Geschäftsleute, die sich Larpusse und Calverre nannten. Diese Firma existiert, das stand eindeutig fest. Durch spätere Anrufe hatte der Berufskiller sich vergewissert, daß Larpusse und Calverre tatsächlich diesen Mord bestellt haben. Einen Zweifel gab es nicht. Der Berufskiller bezahlte seinen Tee, die Zigaretten und verließ das Restaurant. Von einem Postamt aus ließ er sich eine Verbindung mit Antwerpen herstellen. Er brauchte nicht lange zu warten, bis die Gegenseite sich meldete. Es war Larpusse. 28
»Hier spricht Ihr Londoner Partner«, meldete sich der Berufsmörder und zwang sich zur Ruhe. »Der Ausverkauf hat noch nicht stattgefunden. Die bewußten Steine befinden sich noch im Angebot. Soll ich weiter mitgehen oder auf die nächste Auktion warten?« Auf der Gegenseite blieb es für einen Moment still. Larpusse brauchte wohl Zeit, um mit dieser Nachricht fertig zu werden. »Wie konnte das passieren?« fragte dann die Stimme aus Antwerpen. »Weil Sie mir nicht gesagt haben, wie gut und teuer die Ware ist«, antwortete Norman Lower. »Steigern Sie weiter mit«, antwortete Larpusse, ohne auf Norman Lowers Hinweis einzugehen. »Wir müssen die Steine unbedingt haben. Wie beurteilen Sie jetzt die Chancen?« »Ich werde noch ein paar Tage brauchen. Ich steige aber auch aus, wenn Sie es wünschen.« »Das ist Ihr Geschäft, wir brauchen keine Zwischenhändler. Sie allein müssen das schaffen. Rufen Sie uns an, sobald Sie abgeschlossen haben. Ende!« Norman Lower legte auf und ärgerte sich. Solch eine kurz angebundene Art war er nicht gewohnt. Er nahm sich vor, früher oder später diesen Larpusse mal aufzusuchen und ihm deutlich zu machen, aus welchem Holz er, Norman Lower, geschnitzt war. Der Berufsmörder verließ die Sprechzelle, zahlte die Gebühr und machte sich auf den Weg nach Shepherd’s Market, wo sich das Haus Lady Simpsons befand. Er wollte die Dinge jetzt auf eine einfache und brutale Art anpacken. Er hatte in der Hinsicht seine ganz bestimmten Vorstellungen. * »Sie sind Gary Edwards?« Lady Simpsons Stimme kündigte ein Unwetter an. Die resolute Dame stand vor dem Schreibtisch und wartete darauf, daß der Chef des Syndikats sich erhob. Der kleine, drahtig wirkende Mann hatte sich von seiner Überraschung noch immer nicht erholt. Er begriff einfach nicht, wieso die seltsame Besucherin in sein Büro eindringen konnte. Gary Edwards wußte immerhin genau, daß er 29
von ausgesuchten Leibwächtern abgeschirmt wurde. »Ich habe Sie etwas gefragt!« Lady Simpson raunzte den verdatterten Mann ungnädig an. »Sind Sie nun Gary Edwards oder nicht?« »Natürlich bin ich Edwards. Und wer sind Sie?« »Agatha Simpson«, erwiderte die alte Dame süffisant. »Ich bin sicher, daß mein Name Ihnen nicht unbekannt ist.« »Woher sollte ich ihn kennen?« Gary Edwards besann sich darauf, daß er schließlich der Eigentümer des Büros war. Er stand endlich auf und kam um den Schreibtisch herum. »Weshalb betreten Sie unangemeldet mein Büro?« »Ich bin ärgerlich«, sagte die Detektivin. »Und Sie wissen, warum ich es bin.« »Ich habe keine Ahnung.« Gary Edwards wußte tatsächlich von nichts. Selbst mit dem Namen Agatha Simpson konnte er nichts anfangen. Er fragte sich, ob er es mit einer Irren zu tun hatte. »Sie kennen mich also nicht«, schickte Agatha Simpson voraus, »trotzdem, setzen Sie Lümmel einen Berufsmörder auf mich an? Sie können es wohl nicht verwinden, daß Sie durch mich drei Zentner Marihuana verloren haben, wie?« Gary Edwards ging schlagartig ein Licht auf. Natürlich, da war so eine verrückte Dame der Gesellschaft, die sich als Amateurdetektivin betätigte… »Ich sehe, daß Sie endlich geschaltet haben«, stellte Agatha Simpson zufrieden fest. »Besonders gewitzt scheinen Sie nicht zu sein, junger Mann. Wie kann ein Flegel wie Sie nur der Chef eines Rauschgiftrings sein! Ich muß mich doch sehr wundern!« »Rauschgiftring?« Gary Edwards schnappte nach Luft. Solch eine Offenheit schätzte er überhaupt nicht. Er legte Wert darauf, stets und überall als der Chef einer Restaurantkette zu gelten. Schein und Sein waren für ihn mehr als zwei verschiedene Dinge. Die Tarnung seines Syndikats war oberstes Gebot. »Ich werde Protest gegen Ihre Methoden einlegen«, sagte die Lady weiter und schmetterte ihm ihren Pompadour gegen die linke Hüfte. Gary Edwards wurde völlig überrascht. Er taumelte zurück, stöhnte und hielt sich die getroffene Seite. So war er noch nie in seinem Leben behandelt worden. Doch es kam noch schlimmer. Lady Agatha geriet in Fahrt. Sie erinnerte sich an den geplanten Giftmord, holte mit ihrer rechten Hand aus und verabreichte dem Gangsterchef eine saftige Ohrfei30
ge. Und da Lady Simpson von der Figur her so etwas wie Walküre war und man ihre Hände wirklich nicht als klein bezeichnen konnte, steckte in diesen Halden auch eine Menge Kraft. Garry Edwards bekam sie deutlich zu spüren. Die Ohrfeige trieb ihn gegen den Schreibtisch. Der Mann riß abwehrend beide Hände hoch und wollte sein Gesicht schützen. Dadurch aber entblößte er ungewollt seine Magenpartie. Nun, Lady Simpson konnte einfach nicht widerstehen. Sie stach mit ihrem leicht angewinkelten Zeigefinger in die Weste des Mannes, der nun völlig die Übersicht verlor und um Hilfe brüllte. »Waschlappen«, stellte Lady Agatha grimmig fest. »Morde bestellen, das können Sie! Aber wenn es ein wenig herzhaft zugeht, verlieren Sie bereits die Nerven.« »Ich – ich habe Ihre Ermordung nicht bestellt«, japste Gary Edwards entsetzt. »Sie Flegel wollen auch noch eine wehrlose, ältere Dame belügen? Das ist doch der Gipfel der Unverschämtheit!« Agatha Simpsons Busen wogte vor Empörung. Sie stellte ihren linken Schuhabsatz auf die Zehen des Syndikatchefs. Gary Edwards jaulte auf wie ein getretener Hund, tanzte auf einem Bein herum und sah die Lady entsetzt an. »Sie wissen immer noch nicht, daß man mich mit Gift umbringen wollte?« donnerte die Sechzigjährige ihm entgegen. »Nein, ich habe keine Ahnung!« Was übrigens stimmte. Gary Edwards hatte den Berufskiller keineswegs engagiert. Er hatte auch sonst keinen seiner Spezialisten auf die Lady angesetzt. Diese drei Zentner Marihuana waren von ihm längst verschmerzt und abgebucht worden. Ihm ging es darum, jeden Skandal im Ansatz zu vermeiden. »Sie erfrechen sich, eine Dame erneut anzulügen?« Nun wurde die ältere Dame ernstlich böse. Sie suchte auf dem Schreibtisch nach einem geeigneten Wurfgeschoß und entschied sich für ein noch halb gefülltes Whiskyglas. Obwohl es ein wirklich guter, alter Whisky war, brannte er doch sehr in Edwards Augen. Sekunden später wurde es Nacht um ihn. Lady Simpson hatte ihm den Papierkorb über den Kopf getrieben und klopfte ihn mit ihrem Pompadour fest. Gary Edwards sackte in die Knie. Er hatte das Gefühl, von einem Dampfhammer in den Boden getrieben zu werden. Ein zweiter Schlag setzte ihn matt. Er rutschte aus und landete auf dem 31
teuren Teppich. »Ich – ich war es nicht«, wimmerte er dumpf aus seinem Zwangsversteck hervor. »Ich bin es wirklich nicht gewesen!« Agatha Simpson kümmerte sich nicht weiter um diesen Schwächling. Sie stand bereits hinter dem Schreibtisch und sah sich die Papiere an. Sie benahm sich völlig ungeniert und schaute nur hin und wieder zu Gary Edwards hinüber, der versuchte, den hinderlichen Papierkorb loszuwerden. Der Chef des Rauschgiftringes konnte bereits einen ersten Teilerfolg verbuchen. Es war ihm gelungen, sein linkes Ohr unter dem Rand des Papierkorbes hervorzuzwingen. Das Schnaufen des nachhaltig beschäftigten Mannes war deutlich zu hören. Gary Edwards arbeitete verbissen und verzweifelt. Er konnte sich nämlich gut vorstellen, was sein charmanter Gast auf dem Schreibtisch fand. Agatha Simpson wollte jedoch nicht gestört werden. Um Edwards wieder zu beschäftigen, verließ sie den Schreibtisch ging zu ihm hinüber und klopfte mit ihrem Pompadour nochmals auf den Boden des Papierabfallbehälters. »Benehmen Sie sich gefälligst nicht so albern«, raunzte sie ihn dann an. »Sie werden ja nicht gleich umkommen. Stören Sie mich jetzt nicht länger, ich habe noch zu tun!« * Butler Parker stand wie auf glühenden Kohlen. Lady Simpson und Kathy Porter ließen sich seiner Meinung nach sehr viel Zeit. Ungeduldig wartete er auf die Rückkehr der beiden Damen. Er machte sich erhebliche Vorwürfe, sie nicht begleitet zu haben, selbst gegen den erklärten Widerstand der Lady Agatha. Parker konnte nur hoffen, daß die Dinge dort oben einen zumindest relativ günstigen Verlauf nahmen. Er hatte Agatha Simpson gegenüber nicht übertrieben. Das Syndikat war eine straff geführte Organisation, die Sicherheitsmaßnahmen ausgezeichnet beherrschte. Gary Edwards war der Chef dieses Rauschgiftunternehmens, ein Mann, der in der Vergangenheit Härte und Tücke bewies. Er genoß das volle Vertrauen der Strohmänner, die sich im Hintergrund hielten und deren Namen nie genannt wurden. Wahrscheinlich wußte selbst ein Mann 32
wie Gary Edwards nicht mal, für wen er diese Organisation leitete. Geldmänner dieser Art ließen sich nicht in ihre Karten schauen. Wahrscheinlich saßen sie auf einer der Westindischen Inseln und galten dort als internationale Finanziers, denen man Rauschgifthandel überhaupt nicht zutraute. Parker waren solche geschickten Verfolgungen bekannt. Gegen sie war bisher noch kein Kraut gewachsen. Der Butler hatte die beiden jungen Männer weggeräumt, wie Lady Agatha es ihm bedeutet hatte. Sie lagen jetzt in einem engen Wandschrank am Ende der Halle und konnten nicht weiter stören. Um sie nachhaltig außer Gefecht zu setzen, hatte Josuah Parker sich bescheidener Mittel bedient. Für solche Zwecke pflegte er in seiner Dienstkleidung immer eine kleine Rolle Leukoplast oder auch Isolierband mitzuführen. In diesem Fall handelte es sich um Isolierband. Eine bessere und gründlichere Fesselmethode konnte der Butler sich gar nicht vorstellen. Steif und gemessen, als sei er der Türhüter, stand er nun in der Nähe des Lifts und schaltete auf höchste Wachsamkeit um, als vor dem Eingang ein Bentley erschien. Vorn aus dem Wagen stiegen zwei junge, drahtig aussehende Männer die teure Anzüge trugen. Sie bemühten sich um einen dritten Mann, der im Fond des Bentley saß. Sie prügelten sich fast um die Ehre, diesem Mann die Tür öffnen zu dürfen. Schließlich taten sie es gemeinsam und dienerten als der Fahrgast ausstieg. Die sicher hochgestellte Persönlichkeit trug einen dunklen Cityanzug und gab sich sehr seriös. Der Unbekannte ignorierte die Bemühungen seiner wesentlich jüngeren Begleiter und marschierte stolz zum Eingang. Die beiden jungen Männer waren natürlich schneller. Sie rissen für ihn die Tür auf und stutzten leicht, als sie Josuah Parker am Lift entdeckten. Auch der dritte Mann wunderte sich. Josuah Parker lüftete höflich seine schwarze Melone und deutete eine knappe Verbeugung an. »Sir?« fragte er dann knapp und gemessen. »Was soll das?« gab der Mann zurück und runzelte die Stirn. »Nun melden Sie mich schon an!« »Ich brauchte dazu Ihren werten Namen, Sir«, antwortete Parker. Er bekam durchaus mit, wie wachsam und mißtrauisch die beiden Begleiter waren. »Sie kennen ihn nicht?« fragte der erste junge Mann ungläubig. 33
»Das kann doch wohl nicht wahr sein«, wunderte sich der zweite. »Ich bin erst vor knapp einer halben Stunde von Mister Edwards in Dienst genommen worden«, entschuldigte sich Parker. »Verrückt.«, kommentierte der Mann und lächelte. »Das sieht Edwards wieder mal ähnlich. Ich bin, merken Sie sich das für immer, John Gladkins.« »Und Mister Gladkins ist angemeldet.«, sagte nun wieder der erste Begleiter eifrig. »Nun melden Sie ihn schon endlich an«, drängte der zweite Begleiter. Josuah Parker wußte mit diesem Namen sehr viel anzufangen. Das also war der sagenhafte John Gladkins, der in der Rauschgiftbranche eine große Rolle spielte. Dieser Gangster arbeitete international und stellte bereits einen bedeutsamen Faktor in der Hierarchie dar. Parker drückte den Knopf, der die Tür zum Lift öffnete und lüftete erneut seine schwarze Melone, als John Gladkins an ihm vorbei in den Lift trat. Die beiden Begleiter schlossen dicht auf. Parker war sehr schnell. Als die Tür nur noch einen ganz schmalen Spalt vor dem endgültigen Schließen bildete, warf er einen seiner gefürchteten Patent-Kugelschreiber in den Lift. Bruchteile von Sekunden später schloß sich dann die Tür. Sicherheitshalber trat Parker zur Seite. Er wollte nicht von Geschossen erwischt werden, die die beiden Begleiter möglicherweise auf die Tür richteten. Im Grund konnte er aber auf die Wirkung dieses Patent-Kugelschreibers fest bauen. In diesem Augenblick mußte das angebliche Schreibgerät bereits seine Ladung versprüht haben, nämlich eine Nebelwolke, die mit gewissen Chemikalien angereichert war, die einen tiefen und gesunden Schlaf garantierten. Die drei Männer mußten bereits auf dem Boden des Lifts liegen und einschlummern… * Kathy Porter war von Parker telefonisch vorgewarnt worden. Als der Lift oben eintraf, drückte sie den Knopf zum Öffnen der Tür, trat aber zurück, um von den Nebelschwaden nicht erwischt 34
zu werden. Die angekündigten drei Männer lagen übereinander und schliefen. Sie rührten sich nicht. Die Tippdamen, die sich noch immer nicht von ihren Schreibmaschinen weggetraut hatten, stießen leise und erschreckte Laute aus. »Keine Sorge, das wird sich wieder geben«, beruhigte Kathy Porter die beiden jungen Frauen. »Wenn ich Ihnen einen Rat geben darf, dann sollten Sie schleunigst einsteigen und mit nach unten fahren. Sicherer werden Sie nicht an die frische Luft kommen.« Sie ließen sich nicht lange bitten, standen hastig auf und liefen hinüber zum Lift. Nachdem sich die Tür hinter ihnen geschlossen hatte, betätigte Kathy Porter den Knopf für die Abfahrt. Danach informierte sie den Butler. Die Reste der Nebelschwaden würden ausreichen, auch die beiden jungen Damen noch in einen erholsamen Schlummer fallen zu lassen. Und genau das hatte Kathy auch, beabsichtigt. Sie wollte sich ausschließlich auf den jungen Mann konzentrieren, der jetzt langsam wieder zu sich kam und bereits andeutungsweise und fragend den Kopf schüttelte. Kathy besaß die Schußwaffe des jungen Mannes und kontrollierte ihn damit, Sie horchte zur wattierten Tür hinüber, doch sie verschluckte jedes Geräusch aus dem Privatbüro dieses Mister Edwards. Agatha Simpson war immer noch beschäftigt. Der junge Mann war inzwischen wieder voll da. Verständnislos schaute er zu Kathy hinüber, die an seinem kleinen Tisch saß und ihm freundlich zulächelte. »Was – was hat das alles zu bedeuten?« fragte er endlich und drückte sich an der Wand hoch. »Sie werden selbst dahinterkommen«, prophezeite ihm Kathy Porter. »War – war das ein Überfall?« »Wäre denn so was hier bei Ihnen möglich?« »Nein, eigentlich nicht. Wo ist die Lady, diese alte Dame?« »Sie konferiert mit Mister Edwards.« »Sie kennt ihn?« »Sagen wir so, Mister Edwards wird inzwischen Lady Simpson kennengelernt haben.« Der junge Mann wußte inzwischen, daß seine Schußwaffe aus 35
der Schulterhalfter verschwunden war. Er schob sich langsam auf Kathy Porter zu. »Versuchen Sie es besser erst gar nicht.«, warnte sie ihn. Sie zeigte ihm die Schußwaffe, die sie ihm weggenommen hatte. Er blieb stehen und wirkte ratlos. Er prüfte ihr Gesicht und überlegte offensichtlich, ob sie wohl schießen würde. »Bestimmt.«, meinte Kathy freundlich. Sie hatte seinen Gesichtsausdruck richtig gedeutet. Er versuchte es mit einem Überraschungsangriff und hechtete auf Kathy Porter. Sein Start war wirklich gut, auch die Flugkurve. Doch dann kollidierte der junge Sportsmann leider mit dem Tisch, dem Kathy einen energischen Stoß versetzt hatte. Krachend schlug der junge Mann gegen die Tischkante, brach seinen Flug ab und landete zwischen den Trümmern des bestimmt nicht billigen Möbels. »Ich hatte Sie gewarnt.«, sagte Kathy freundlich. »Hoffentlich haben Sie sich nicht unnötig verletzt.« In diesem Moment öffnete sich die Tür zum Privatbüro. Agatha Simpson kam heraus. Sie machte einen zufriedenen und aufgekratzten Eindruck. Sie hatte ein Bündel Papiere zu einer dicken Rolle geformt, die sie sich unter den linken Arm geschoben hatte. Sie nickte Kathy Porter zu. »Gehen wir«, meinte sie dann. »Ich kann das Gejammer dieses Weichlings nicht länger ertragen.« »Mylady haben sich gut unterhalten?« fragte Kathy, den Tonfall des Butlers bewußt parodierend. »Ziemlich einseitige Sache«, antwortete die ältere Dame. »Wer ist denn dieser Flegel? Wie kann man sich nur derart gehen lassen!« Der junge Mann lag noch immer benommen zwischen den Möbeltrümmern und stierte seine Gegnerin aus leicht gasigen Augen an. »Mister Parker empfiehlt die Feuertreppe«, sagte Kathy Porter. »Der Lift ist leider besetzt.« »Hoffentlich stehe ich diese Strapazen durch«, meinte Lady Simpson. »Ich bin schließlich nicht mehr die Jüngste.« Sie kam an dem jungen Mann vorüber, der sich gerade hochzwang. Um ihm noch etwas Schwung zu gönnen, ließ Agathe Simpson ihren Pompadour aus einer Höhe von etwa zwanzig Zentimeter auf den Kopf des Eifrigen fallen. 36
Daraufhin streckte der junge Mann alle viere von sich, tat noch einen tiefen Seufzer und trat dann geistig ab. Lady Simpson marschierte zur Tür, auf die Kathy Porter gedeutet hatte. Sie benutzten die Feuertreppe und erreichten schließlich die Halle, wo Butler Parker bereits wartete. »Das war die falsche Adresse«, sagte die Detektivin zu ihm. »Dieser Edwards kommt als Auftraggeber für unseren Berufsmörder nicht in Betracht.« »Mylady sehen sehr erfrischt aus, wenn ich mir diese Bemerkung erlauben darf.« »Nun übertreiben Sie nicht gleich«, wehrte Agatha Simpson unwirsch ab. »Worauf warten Sie noch? Ich möchte nach Hause und diese Papiere sichten.« »Umgehend, Mylady«, erwiderte der Butler und öffnete durch Knopfdruck die Lifttür. Mit dem Bambusgriff seines UniversalRegenschirmes langte er in die überfüllte Kabine und angelte einen schwarzen Aktenkoffer. Danach schloß er wieder die Tür. »Was war denn das für eine Massenversammlung?« fragte Lady Simpson, sich ihrem Butler zuwendend. »Das sah ja direkt nach einer Orgie aus.« »Einige Herrschaften, die Mr. Edwards einen Besuch abstatten wollten«, antwortete der Butler. »Ich erlaube mir, diese Herrschaften festzuhalten, um Myladys Unterhaltung mit Mr. Edwards nicht zu stören.« »Manchmal sind Sie wirklich zu gebrauchen«, entschied Agatha Simpson wohlwollend. »Bilden Sie sich darauf aber bloß nichts ein, Mr. Parker!« »Ich werde mich bemühen, Mylady«, lautete Parkers gemessene Antwort. * Norman Lower hatte diesmal darauf verzichtet, sich einen Wagen zu besorgen. Er war ganz regulär mit dem Bus hinaus nach Shepherd’s Market gefahren und hatte sich das Haus der Lady Agatha Simpson angesehen. Der kleine Platz, an dem das altherwürdige Fachwerkhaus lag, stellte so etwas wie eine Idylle in der Millionenstadt dar. An diesem Platz gab es nur Fachwerkhäuser, alle in einheitlichem Stil. 37
Daß die Mehrzahl dieser Häuser Lady Agatha gehörte, wußte Lower natürlich nicht. Ihm war auch unbekannt, daß die beiden Häuser links und rechts von Lady Simpsons offizieller Adresse ebenfalls von ihr bewohnt wurden. Das ging aus den Türschildern nämlich nicht hervor. Lady Simpson hatte diesen ganzen Komplex auf Butler Parkers Anraten hin in einen raffinierten Fuchsbau verwandeln lassen. Der Eingeweihte, und das waren eben nur die Lady, Kathy Porter und Josuah Parker, vermochte leicht von einem Haus in das andere überzuwechseln. Sie kannten die Finten und Geheimnisse gewisser Schränke, Wandtüren und Kellerräume. Norman Lower hatte sich also zum brutalen Vorgehen entschlossen. Auf ein Risiko wollte er es nicht mehr ankommen lassen. Inzwischen wußte er leider nur zu gut, wie gefährlich die schrullige Alte war, inzwischen war ihm auch bekannt, daß er es zusätzlich noch mit einem Butler und mit einer sehr gut aussehenden Gesellschafterin zu tun hatte. Es dämmerte bereits, als er Lady Simpsons Haus erreicht hatte. Wie selbstverständlich ging er auf die Haustür zu, als sei er ein angemeldeter Besucher. Norman Lower hatte sich unterwegs etwas Handwerkszeug besorgt, mit dem er selbst komplizierte Türen knacken konnte. Sein Plan war einfach. Falls die Dame zu Hause war, wollte er es auf einen Überraschungscoup ankommen lassen. Wer immer ihm auch öffnen würde, er sah in die Mündung einer 9-Millimeter. Diese Waffe stammte aus einem Spielwarengeschäft und sah täuschend echt aus. Damit konnte er sich bestimmt den gewünschten Einlaß verschaffen. Den Mord selbst wollte er mit einem ganz ordinären Küchenmesser begehen. Er hatte es zusammen mit dem Handwerkszeug gekauft. Einmal vorgewarnt, rechnete er nicht mehr mit einer Panne. Norman Lower tat so, als klingelte er, doch in Wirklichkeit sah er sich das Türschloß an. Er schüttelte den Kopf über soviel Leichtsinn. Es handelte sich um eine mehr als simple Konstruktion. Er brauchte erst gar nicht zu läuten. Ins Haus kam er auch ohne fremde Hilfe. Innerhalb weniger Sekunden war das Schloß geknackt. Norman Lower schob sich in den kleinen Vorflur und schloß erst mal die Tür hinter sich. Dann horchte er ins Haus. 38
Nichts war zu hören. Licht brannte nicht. Lady Simpson und ihre beiden Angestellten waren mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht zu Hause. Das war ausgezeichnet! Nun konnte er sich in aller Ruhe umsehen und mit den Räumlichkeiten vertraut machen. Er war in der Lage, seinen Plan abzuändern und noch effektiver zu gestalten… Vor etwa einem halben Jahr hatte es für ihn einen ähnlichen Fall gegeben. Damals hatte er sich auch in ein Haus geschlichen, sich im Schlafzimmer seines Opfers versteckt und auf den richtigen Zeitpunkt gewartet. Schneller und reibungsloser hatte er kaum arbeiten können. Es war ihm gelungen, sein Opfer in der Badewanne zu erwischen. Vielleicht ließ sich das diesmal ebenfalls einrichten. Falls es ihm dann noch gelang, ungesehen wieder aus dem Haus zu kommen wie damals, dann war auch dieses Verbrechen hier perfekt, dann würde es keine Spuren geben. Norman Lowers seelische Verfassung färbte sich rosarot. Nach Stunden der Verzweiflung zeichneten sich endlich wieder Silberstreifen an seinem persönlichen Horizont ab. Was konnte jetzt noch schiefgehen? Diese schrullige Alte hatte ihn hereingelegt, aber sie hatte ihn auch herausgefordert! Nun wollte er es wissen… Ein Norman Lower brauchte sich keineswegs einen anderen Beruf zu suchen. Er war immer noch einsame Spitzenklasse. Der Eindringling mit dem wieder rosa gefärbten Seelenleben ging zur Glastür, die den Vorraum von der eigentlichen Eingangshalle trennte. Seine Hand griff nach dem Türknauf aus Bronze, bewegte ihn spielerisch und überwand dann den letzten kleinen Widerstand. Er hätte besser darauf verzichtet… Der Teppich nämlich, auf dem Norman Lower stand, geriet blitzschnell in Bewegung. Der Boden, auf dem dieser Teppich lag, existierte plötzlich nicht mehr. Er war einfach nach unten weggeklappt und bildete jetzt eine Art Rutsche, auf der es für Norman Lower kein Halten mehr gab. Nachdem der Berufskiller einen spitzen Schrei des Entsetzens ausgestoßen hatte, segelte er über diese perfekte Rutsche nach unten und knallte gegen eine schaumstoffgeschütze Wand. Als Norman Lower sich endlich wieder hochgerappelt hatte, sah er bestürzt nach oben. Er bekam gerade noch mit, daß die Falltür sich wieder schloß. Sie war etwa drei Meter hoch über ihm und 39
unerreichbar. Der Berufskiller wurde von einem trockenen Schluchzen erfaßt. Das war doch einfach unfair! Mit solchen Tricks arbeitete man nicht… Wie sollte man da seinen Beruf noch ausüben können… Er schaute wieder hoch zur Falltür. Sie hatte sich nahtlos in ihr Viereck eingepaßt und war kaum noch zu erkennen. Norman Lower saß dick in der Tinte! * Nicht weniger beeindruckt und erschüttert waren auch die Herren Gary Edwards und John Gladkins. Sie hatten sich bereits seit zehneinhalb Minuten angeschwiegen und ihrem Weltschmerz hingegeben. Sie befanden sich allein in Edwards Privatbüro. Ihre Begleiter und Leibwächter hielten sich im Vorraum auf und schmiedeten Rachepläne. »Ich kann das nicht verstehen«, sagte John Gladkins endlich. »Es will mir einfach nicht in den Kopf, daß Sie sich von diesen Amateuren haben hereinlegen lassen, Edwards.« »Einen Augenblick mal, Gladkins«, erwiderte Edwards spitz und sehr schnell. »Ihnen ist das nicht passiert, wie?« »Das ist eine andere Sache.« »Überhaupt nicht.«, widersprach Edwards nachdrücklich. »Sie und Ihre beiden Begleiter hätten sofort erkennen müssen, daß der Butler nicht lupenrein ist. Sie haben sich also auch hereinlegen lassen.« »Wir wollen doch keine Haare spalten«, schlug John Gladkins vor. »Einverstanden«, antwortete Gary Edwards: »Wir müssen die Papiere zurückholen, die uns diese Leute gestohlen haben.« »Was vermissen Sie denn, Edwards?« »Die Vierteljahresabrechnungen unserer Restaurantkette im Großraum London.« »Das ist ja erfreulicherweise kein Beinbruch, oder?« »Da bin ich mir nicht so ganz sicher«, gab Edwards zurück. »Aus diesen Abrechnungen geht leider hervor, daß die Restaurants mit Verlust arbeiten.« »Na, und? Das kommt in den besten Branchen vor.« »Aus den Unterlagen geht aber auch hervor, daß sie seit gut ei40
nem Jahr mit Verlust arbeiten.« »Worauf wollen Sie eigentlich hinaus. Edwards?« »Ein Fachmann wird sich fragen, wovon unsere Restaurantkette eigentlich lebt. Diese Verlustrechnungen könnten den Verdacht erhärten, daß wir nicht nur Tee und Fish and Chips verkaufen.« »Wenn schon…« »Obwohl unsere Bilanzen für die Steuer verdammt positiv aussehen. Wir reichen dafür nämlich frisierte Erklärungen ein, aus denen hervorgeht, daß wir mit Gewinn arbeiten.« »Ich verstehe! Zur Tarnung, nicht wahr? Sie wollen damit erst gar keine Fragen aufkommen lassen.« »Genau das ist der Punkt, Gladkins. Falls die Polizei diese Unterlagen in die Hand bekommt, wird es einen ganz schönen Wirbel geben.« »Das muß um jeden Preis vermieden werden, Edwards. Schließlich geht es auch um meinen Aktenkoffer.« »Waren wichtige Dinge drin, Gladkins?« »Die Termine für Ihre nächsten Auslieferungen. Natürlich verschlüsselt, aber jeder Code läßt sich irgendwann knacken.« »Was schlagen Sie vor?« »Dieses komische Trio muß sofort von der Bildfläche verschwinden, Edwards. Hoffentlich haben Sie ein paar Leute an der Hand, die das direkt erledigen.« »Das läßt sich leicht regeln, Gladkins. Im Grund haben wir noch Glück gehabt.« »Das müssen Sie mir näher erklären, Edwards.« »Diese Lady Simpson und ihr Butler sind Amateure, die auf eigene Faust arbeiten. Ich glaube nicht, daß sie sich an die Polizei wenden werden. Sie haben den Ehrgeiz, alles allein zu erledigen.« »Amateure?« Gladkins verzog sein Gesicht. Es schmeckte ihm überhaupt nicht, daß er und seine Begleiter von Laien hereingelegt worden waren. »Diese Alte ist stinkreich«, erklärte Edwards weiter. »Multimillionärin, wenn Sie so wollen. Der Butler hat sagenhafte Verbindungen. Und die Gesellschafterin ist auch ganz schön auf Draht.« »Mal eine Frage, warum sind die hier aufgekreuzt, Edwards? Ist dieses Trio hinter Ihnen her?« »Sie vermuten, ich hätte ihnen einen Berufskiller auf den Hals gehetzt. Und das hatte diese verrückte Alte gar nicht gern. Sie hätten sie mal erleben sollen, Gladkins! Ein Alpdruck ist ein Spaß 41
dagegen.« »Umgekehrt wird auch ein Schuh daraus, Edwards. Setzen Sie Ihre besten Leute auf diese Alte an! Innerhalb von vierundzwanzig Stunden müßte die Lage doch bereinigt sein, oder?« »Natürlich«, versprach Gary Edwards ohne jede Überzeugungskraft. »Diese Alte lasse ich abräumen. Ich kann einfach nicht vergessen, wie brutal sie mir den viel zu engen Papierkorb über den Kopf getrieben hat. So was tut eine Lady einfach nicht!« * Es dauerte nicht lange, bis Norman Lower die kleine Tür entdeckt hatte. Der Berufskiller war zuerst mal wie eine aufgeschreckte Ratte in dem kleinen Verlies herumgeirrt und hatte sich einer sehr ausgiebigen Panik hingegeben. Das war inzwischen überstanden. Sein Verstand arbeitete wieder kalt und präzis. Er hatte sich inzwischen längst eingestanden, daß er es mit besonders geschickten und raffinierten Gegnern zu tun hatte. Von Opfern war bei ihm längst nicht mehr die Rede. Das hier war zu einem Duell geworden. Es ging jetzt um seine Existenz! Da war also eine Tür. Sie wurde durch Schaumstoff getarnt, aber eben doch nicht gut genug für einen Profi. Der Berufskiller riß den Schaumstoff von der Wand und beschäftigte sich mit dem Schloß. Es war schon etwas komplizierter als das der Haustür, aber nicht unüberwindbar. Norman Lower machte sich sofort an die Arbeit. Er wollte so schnell wie möglich heraus aus dieser Falle. Er brauchte zweieinhalb Minuten, bis er es geschafft hatte. Als er die schmale Tür zögernd öffnete, rechnete er verständlicherweise mit der nächsten Überraschung. Dieses altehrwürdige Haus wartete bestimmt noch mit anderen verborgenen Tricks auf. Als der Berufskiller durch den Türspalt spähte, sah er nichts als einen schmalen Korridor, dessen Wände aus nacktem Beton bestanden. Dieser Korridor endete auf einer steilen Treppe, die hinauf ins Erdgeschoß führte. Er befand sich demnach auf dem richtigen Weg. Es gab noch zwei weitere Türen, die wohl in Kellerräume führten. Der Berufskiller riskierte es. 42
Er zog die schmale Tür noch weiter auf und betrat zögernd den Korridor, der für ihn schließlich der einzige Weg aus dieser verteufelten Falle darstellte. Er tat damit genau das, was man von ihm erwartete. Die Tarnung der Tür war absichtlich nicht zu oberflächlich gewesen. Und auch das Schloß war kompliziert genug, um einen mißtrauischen Eindringling davon zu überzeugen, daß er auf dem richtigen Weg war. Norman Lower hatte etwa drei bis vier kleine Schritte getan, als er hinter sich ein scharfes, hartes Klicken hörte. Lower fuhr blitzschnell herum und starrte auf die Tür, die er gerade passiert hatte. Sie hatte sich gerade geschlossen. Und sie sah leider von dieser Seite sehr solide und abweisend aus. Sie erinnerte ihn automatisch an die Tür eines Tresors… Norman Lower rannte zurück zur Tür und suchte nach einem Schloß. Er suchte, doch er fand nichts. Daraufhin bildete sich ein feiner Schweißfilm auf seiner Stirn. Die Panik kehrte zurück. Was hatte das zu bedeuten? Wieso hatte sich die Tür hinter ihm automatisch geschlossen. Er verzichtete auf die Suche nach einer Antwort. Er rannte kurz entschlossen hinüber zur Treppe und… prallte fast gegen eine Wand. Bestürzt nahm er zur Kenntnis, daß die Treppe überhaupt nicht existierte. Es handelte sich um ein perfektes Wandgemälde, das ihn die rettende Treppe nur vorgetäuscht hatte. Der Berufskiller schwitzte inzwischen bereits Blut und Wasser, wie es so treffend heißt. Sein Verdacht war Gewißheit geworden, er saß bereits in der nächsten Falle. Norman Lower, ein Mann, dem ein Mord nichts ausmachte, der sich immer für besonderes raffiniert gehalten hatte, war auf einen wahren Meister gestoßen. Ihm war nun auch klar, daß er wie eine Marionette an unsichtbaren Drähten zappelte. Es blieb ihm gar nichts anderes übrig, als das zu tun, was man von ihm erwartete. Natürlich interessierte er sich zwangsläufig für die beiden Türen links und rechts vom schmalen Korridor. Die linke Tür bot überhaupt keinen Ansatzpunkt. Sie war wohl höchstens mit einer Sprengladung zu brechen. Die rechte hingegen schwang plötzlich lautlos auf. Norman Lower rieselte es eiskalt über den Rücken. Das war die nächste Einladung. Man erwartete von ihm, die Schwelle zu passieren. Er kniff die Augen zusammen und musterte den Raum, der in ein sanftes Licht getaucht war. Er entdeckte 43
ein recht komfortabel ausgestattetes Bett, einen kleinen Tisch und einen bequemen Sessel. Norman Lower wechselte seinen Standort, um auch in die andere Hälfte dieses Raumes sehen zu können. Nein, das konnte doch unmöglich wahr sein! Da entdeckte er eine Art Mini-Kombüse mit einem Eisschrank und einem Waschbecken. Rechts davon mußte sich ein Waschraum befinden. Er sah den Vorhang einer Dusche. Der Berufskiller preßte die Lippen aufeinander. Nein, diesen Gefallen würde er der schrulligen Alten nicht tun. Niemals würde er dieses kleine Apartment betreten. Er nahm sich vor, seinen Gastgebern etwas zu pfeifen. Jetzt kam es darauf an, wer die besseren Nerven hatte. Norman Lower lehnte sich gegen die Betonwand und schnaufte erregt, als das Licht im Korridor erlosch. Jetzt existierte für ihn nur noch die Lichtquelle in diesem verdammten Apartment. Verlockend sah dieser Raum schon aus, das mußte Lower zugeben, ob er nun wollte oder nicht. Der Sessel sah verdammt bequem und einladend aus, ebenfalls das Bett. Er fragte sich, was sich wohl im Eisschrank befand. Vielleicht Getränke? Möglicherweise sogar Whisky oder Brandy? Der Berufskiller schüttelte unwillkürlich den Kopf. Nein, solche Gedanken durften erst gar nicht aufkommen. Er mußte hart bleiben und durfte sich nicht von der Lust auf einen guten Schluck verführen lassen. Genau anderthalb Minuten später saß Norman Lower im Sessel, probierte ihn kurz aus und hastete dann hinüber zum Eisschrank. Vorsichtig, als habe er es mit einem Sprengkörper zu tun, öffnete er die Tür und… schluckte unwillkürlich. Was er entdeckte, war eine echte Überraschung. Der Eisschrank war vollgepackt mit Vorräten und vor allen Dingen mit Getränken. Norman Lower, der normalerweise nicht viel trank, langte hastig nach einer Flasche Whisky, öffnete den Verschluß und stärkte sich erst mal. Alle seine guten Vorsätze schmolzen dahin. Mit der Flasche in der Hand besichtigte er dann die Duschecke. Hinter ihr gab es eine Toilette und ein Waschbecken. Nein, gegen die Ausstattung dieses unterirdischen Apartments ließ sich nichts einwenden. Als er wieder vor dem Eisschrank stand, entdeckte er auch die kleine Kochplatte. Er konnte sich ohne Schwierigkeiten 44
eine warme Mahlzeit zubereiten! Was hatte das zum Henker, nur zu bedeuten? Wie lange sollte er hier festgehalten werden? Das war doch glatte Freiheitsberaubung. So etwas war ungesetzlich! Dagegen hatte die Polizei etwas zu unternehmen. Als Bürger dieses Landes hatte er schließlich seine Rechte! Norman Lower zuckte wie unter einem Peitschenhieb zusammen, als plötzlich das Läuten eines Telefons zu hören war. Der Berufskiller fuhr herum und entdeckte den Telefonapparat auf einem Tisch am Fußende des Bettes. Er hechtete förmlich auf den Apparat, riß den Hörer aus der Gabel und meldete sich. Seine Stimme klang schrill und überhastet. Auf der Gegenseite wurde aufgelegt, ohne daß eine Stimme geantwortet hätte. Norman Lower brüllte in den Hörer, schüttelte ihn, geriet in wilde Wut, brüllte erneut und erkannte dann, daß da überhaupt nichts zu machen war. Er legte auf, dachte einen Moment nach und nahm den Hörer dann wieder vorsichtig auf. Ein Freizeichen! Damit hatte der Berufskiller wirklich nicht gerechnet. Dieses Freizeichen bedeutete die Rettung für ihn. Er konnte hier von diesem Apartment aus beliebig anrufen. Oben im Haus mußte man vergessen haben, die Freileitung zu blockieren. Er behielt den Hörer in der Hand, horchte auf das Freizeichen und überlegte blitzschnell, wen er anrufen könnte. Die Polizei? Nein, das war nicht die richtige Adresse. Einen Freund? Nun, die Auswahl war nicht besonders groß. Ein Norman Lower lebte schließlich sehr zurückgezogen. Sollte er vielleicht Larpusse alarmieren und ihn unter Druck setzen? Der Berufskiller horchte wie hypnotisiert auf das Freizeichen, konnte sich jedoch nicht entscheiden. Ihm kam plötzlich der Verdacht, daß dieses Freizeichen vielleicht nur eine weitere Einladung war, die nächste Dummheit zu begehen… Norman Lower knallte den Hörer in die Gabel, warf sich in den Sessel und setzte die Flasche an den Mund. Bei der Gelegenheit merkte er übrigens, daß die Tür zu seinem Apartment sich inzwischen geschlossen hatte. * 45
»Das ist dieser Rummel«, stellte Lady Agatha Simpson grimmig fest. Sie stand zusammen mit Butler Parker und Kathy Porter vor einem Fernsehgerät und beobachtete das Bild auf dem Schirm. Die Übertragung war ausgezeichnet. Norman Lower saß im Sessel und nahm gerade wieder einen Schluck Whisky zu sich. Dann stand er auf, wanderte unruhig in dem kleinen Raum umher und kontrollierte noch mal die Vorräte im Eisschrank. »Das ist er, Mylady«, bestätigte auch Kathy Porter. »Die ganze Tarnung seiner Person nutzt ihm nichts«, freute sich die Detektivin. »Der Fuchs sitzt in der Falle!« »Haben Mylady besondere Wünsche hinsichtlich der Person dieses Fuchses?« erkundigte sich Josuah Parker. »Die hätte ich schon«, gab Agatha Simpson zurück, »aber Sie würden sie mir ja doch nur ausreden, Mr. Parker.« »Darf ich meine Bedenken bei dieser Gelegenheit noch mal anmelden, Mylady? Es handelt sich um das ungesetzliche Festhalten einer Person, wenn ich es so ausdrücken darf.« »Ungesetzlich ist auch, daß dieser Flegel mich vergiften wollte!« »Juristisch, Mylady, läßt sich dennoch gegen dieses Festhalteverfahren einwenden.« »Genug«, entschied Agatha Simpson gereizt. »Wovon reden Sie eigentlich, Mr. Parker? Wen halten wir denn fest? Ich kann nichts sehen!« Während die Lady noch redete, schaltete sie das Fernsehgerät ab und wandte sich dann triumphierend an Parker. »Sehen Sie etwas?« »Man könnte den Aufenthalt des Gastes vielleicht ein wenig raffen, was den Zeiteffekt angeht. Mylady.« »Und wie stellen Sie sich das vor?« »Ich nehme mir die Freiheit, einen schnellen Wechsel von Tag und Nacht zu suggerieren, Mylady.« »Verschonen Sie mich gefälligst mit technischen Feinheiten, Mr. Parker«, grollte die Sechzigjährige. »Hauptsache, dieser Lümmel lüftet sein Inkognito.« »Darauf werde ich meine bescheidenen Bemühungen abstellen, Mylady.« »Na, also«, freute sich Lady Agatha und nickte ihrem Butler schon wieder wohlwollend zu. »Widmen wir uns wichtigeren Dingen, Mr. Parker. Wir sollten unsere Beute sichten, finden Sie nicht 46
auch? Ich bin gespannt, was ich aus dem Büro dieses Mr. Edwards mitgenommen habe. Und Sie haben ja auch einen Aktenkoffer gefunden, oder?« »Darf ich mich erkühnen, eine Bemerkung zu machen, Mylady?« »Wollen Sie schon wieder unken, Mr. Parker?« »Die Herren Edwards und Gladkins befinden sich wahrscheinlich im Stadium höchster Erregung.« »Das kann ich mir vorstellen.« Agatha Simpson lachte dröhnend und nickte. »Die Herren Edwards und Gladkins könnten möglicherweise Sanktionen gegen Mylady ergreifen.« »Sie glauben, daß sie hier auftauchen werden?« »Nicht direkt, Mylady. Aber die besagten Herren dürften über das erforderliche Hilfspersonal verfügen, um so etwas in die Wege zu leiten.« »Die kommende Nacht wird mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit einen stürmischen Verlauf nehmen, wenn ich es so umschreiben darf.« »Wunderbar«, freute sich die Detektivin erneut. »Darf ich mir erlauben, eine Empfehlung auszusprechen?« »Miß Porter und ich sollen wohl das Feld räumen, wie?« »In der Tat, Mylady! Man wird es mit erfahrenen und entschlossenen Profis zu tun haben.« »Und so etwas soll ich mir entgehen lassen?« Lady Agatha schüttelte den Kopf und sah ihren Butler empört an. »Natürlich werden wir bleiben, Mr. Parker! Allein kommen Sie ja ohnehin nicht zurecht, dazu sind Sie viel zu umständlich. Wann rechnen Sie mit einem Überfall?« »Nach meinen bescheidenen Erfahrungswerten dürfte mit einem konzentrierten Besuch nach Mitternacht zu rechnen sein, Mylady.« »Dann ist ja noch ausreichend Zeit, die Unterlagen zu fotokopieren, Mr. Parker. Und lassen Sie sich für unsere Besucher etwas einfallen. Die Flegel sollen auf ihre Kosten kommen! Worauf warten Sie noch?« »Darf ich mich erkühnen, Mylady, einen Vorschlag zu unterbreiten?« »Schon wieder einen?« »Nach einer immer noch gültigen taktischen Regel soll der Angriff die beste Form der Verteidigung sein, Mylady.« 47
»Diese Einleitung klingt gut, Mr. Parker. Reden Sie weiter!« »Sollte man den Herren Edwards und Gladkins nicht vielleicht einen Höflichkeitsbesuch abstatten? Damit dürfte die Gegenseite wohl kaum rechnen.« »Akzeptiert, Mr. Parker«, entschied Agatha Simpson spontan und nickte freundlich! »Aus Ihnen kann noch etwas werden. Man soll die Hoffnung nie aufgeben.« * Schon nach einer halben Stunde schien die gewohnte Stille unterbrochen. Wenigstens hatte Norman Lower diesen scheußlichen Eindruck. Er hörte zwar nach wie vor überhaupt nichts, doch die fatale Stille wurde in seiner Einbildung bereits quälend hörbar. Der Berufskiller wanderte in seinem Gastraum auf und ab und redete mit sich selbst. Er schimpfte und fluchte, warf sich zwischendurch mal gegen die Tür und kam schließlich auf die Idee, die entnervende Lautlosigkeit durch das Aufdrehen der Dusche zu beenden. Zu seiner Überraschung kam tatsächlich Wasser aus dem Brausekopf. Eintönig rauschte das Wasser und ging ihm bald ebenfalls auf die Nerven. Norman Lower ertappte sich dabei, daß er wieder mal das Telefon beobachtete. Er fragte sich, ob es wohl noch durchgestellt war. Zögernd langte er nach dem Hörer und schnaufte verblüfft, als das Freizeichen ertönte. War das nun ein Trick oder wirklich nur ein Versehen? Bot sich ihm hier tatsächlich durch einen Zufall die Möglichkeit, Kontakt mit der Außenwelt aufzunehmen. Er brauchte diesen Kontakt, wenn er aus der Falle wieder heraus wollte. Ohne fremde Hilfe war das ausgeschlossen. Zu dieser Erkenntnis hatte er sich bereits durchgerungen. Nein, die Freileitung konnte ein Trick sein. Man wollte ihn dazu bringen, seine Identität zu offenbaren. Und das war mit Sicherheit der Fall, falls er auf die Einladung zum Anruf einging. Er legte wieder auf und spielte einen Moment mit dem Gedanken, das Telefon zu zerstören, um erst gar nicht in Versuchung zu kommen. Doch dann verzichtete er darauf. Er schaute zur Deckenlampe, die in einem runden Schacht untergebracht war, dessen Öffnung vergittert war. Das Licht wurde 48
jetzt schwächer und verlosch schließlich. Norman Lower tastete sich zum Bett hinüber und warf sich auf die Decke. Ihn erfaßte eine unerklärliche Müdigkeit, die ihm fast anormal vorkam. Er wollte sich gegen dieses plötzliche Schlafbedürfnis wehren, doch er schaffte es nicht. Fast übergangslos schlief der Berufskiller ein. Es dauerte nur wenige Minuten, bis die Tür sich öffnete. Butler Parker trat ein, der seinen Weg mit einer kleinen Taschenlampe ausleuchtete. Josuah Parker wirkte korrekt und steif wie immer. Er schritt gemessen auf den Schlafenden zu und griff nach dessen Handgelenk. Mit wenigen Griffen korrigierte er die Uhrzeit. Er stellte die Zeiger von jetzt 21.00 Uhr auf 4.00 Uhr morgens, wandte sich ab und verließ das Apartment. Oben im Wohnraum wieder angekommen, schaltete er das Fernsehgerät ein und genoß einen Moment das Abendprogramm der BBC. Dann wechselte er auf einen internen Kanal über. Das geschah durch das Umlegen eines hinter dem Apparat versteckt angebrachten Hebels. Josuah Parker interessierte sich für das Hausprogramm der Lady Simpson. »Nun, was macht dieser Lümmel?« erkundigte sich seine Herrin, die aus dem Obergeschoß, des Hauses kam. Sie trug eine Art wallenden Umhang und derbe Schuhe. An ihrem rechten Handgelenk baumelte der unvermeidliche Pompadour. »Der Besucher wird gleich erwachen, Mylady«, gab der Butler zurück und deutete auf den Bildschirm, wo jetzt ein zuerst noch schwaches Bild zu sehen war. Das änderte sich aber in Sekundenschnelle, denn die Deckenbeleuchtung schaltete sich ein und erhellte die Szene. Parker hatte den betreffenden Zeitpunkt genau berechnet. Auch die Dosis der Droge, die er in das Apartment eingelassen hatte, stimmte. Der Berufsmörder schreckte plötzlich hoch, sah verwirrt um sich und begriff, wo er sich befand. Er nahm die Beine vom Bett herunter und stellte sie auf den Boden. Es geschah, womit der Butler gerechnet hatte. Der Berufsmörder befragte seine Armbanduhr, stutzte, schüttelte irritiert den Kopf, sah sich das Zifferblatt noch mal genauer an, schüttelte erneut den Kopf und massierte sich dann die Schläfen. »Sind Sie sicher, Mr. Parker, daß er die neue Uhrzeit glaubt?« fragte Agatha Simpson. »Mit schon fast letzter Sicherheit, Mylady, wenn ich diesen Optimismus äußern darf.« 49
»Und wann wollen Sie ihm einen weiteren neuen Tag vorgaukeln?« »Nach Myladys Rückkehr«, lautete Parkers Antwort. »Falls der Gast des Hauses in der Zwischenzeit anruft, wird dieses Gespräch auf Tonband festgehalten, jedoch nicht in das Leitungsnetz eingespeist.« »Sehr schön«, freute sich die ältere Dame. »Aber jetzt wollen wir nicht weiter die Zeit vertrödeln. Mr. Parker. Die Herren Edwards und Gladkins brauchen eine kleine Aufmunterung.« * Wo Edwards privat wohnte, war dem Butler inzwischen natürlich bekannt. Josuah Parker hatte eine erstklassige Informationsquelle angezapft und die entsprechende Auskunft erhalten. »Dieses Subjekt von einem Edwards scheint recht viel Geld zu verdienen«, stellte Agatha Simpson fest, als sie das Ziel erreicht hatten. Parker hatte sein hochbeiniges Monstrum in einen kleinen Feldweg gelenkt und deutete auf eine Mauer aus Bruchsteinen, deren Krone zusätzlich mit Stacheldraht gesichert war. »Hinter dieser Mauer, Mylady, befindet sich ein recht ansehnlicher Privatpark«, erläuterte Josuah Parker. »Das kleine Schloß darin gehörte noch vor wenigen Jahren dem Grafen von…« »Erzählen Sie mir das später«, unterbrach die Detektivin ihn unternehmungslustig. »Sagen Sie mir lieber, wie wir über diese scheußliche Mauer kommen. Ich habe keine Lust, einen Beinbruch zu riskieren.« »Nach meinen bescheidenen Informationen wird der Park, von abgerichteten Hunden bewacht, Mylady.« »Da Sie das bereits wissen, werden Sie hoffentlich die entsprechenden Gegenmittel zur Hand haben.« »Sehr wohl, Mylady. Falls Mylady zustimmen, werde ich das Gelände sondieren.« »Den Hunden wird doch nichts passieren, oder?« Agatha Simpson war plötzlich sehr besorgt. »Dafür möchte ich mich bereits jetzt verbürgen, Mylady.« Parker lüftete seine schwarze Melone und stieg aus dem Wagen. Er öffnete den Kofferraum und entnahm ihm einen Aktenkoffer. Feierlich und gemessen schritt Parker dann los und steuerte eine 50
Ecke der Mauer an. Ihm war das Grundstück beschrieben worden. Hinter dieser Ecke mußte sich eine der drei Mauerpforten befinden. Butler Parker brauchte keine Taschenlampe, um sich zurechtzufinden. Der Mond, der zwar immer wieder hinter Wolkenbänken verschwand, lieferte dennoch ausreichend Licht. Die Mauerpforte bestand aus soliden Holzbohlen, die keinen Einblick in den Park gestatteten. Parker wollte dafür sorgen, daß sich das sehr schnell änderte. Er setzte den Aktenkoffer ab und öffnete ihn. Er tat das mit beherrschten Bewegungen, ohne jede unnötige Eile. Er war ein Mann, der sein technisches Handwerk beherrschte. Butler Parker streifte sich Plastikhandschuhe über und griff dann in den Plastikbeutel, der sich ebenfalls im Koffer befand. Er legte frische Fleischstücke aus, die äußerst verlockend nach Blut rochen. Von der Pforte aus legte er eine dünne Spur aus, bewegte sich hinüber zu einem vielleicht hundertfünfzig Meter weit entfernten Tennisplatz und öffnete das nur nachlässig gesicherte Tor zu diesem Gelände, das von hohen Maschendrahtzäunen gesichert wurde. Don Rest der saftigen und frischen Fleischbrocken verteilte Parker auf dem gewalzten Boden dieses riesigen Hundezwingers. Der Butler hatte nämlich vor. die lieben Vierbeiner dort zu isolieren. Er kehrte zum hochbeinigen Monstrum zurück und nickte Kathy Porter zu, die ihren Trenchcoat abgelegt hatte. Sie präsentierte sich in einem sehr eng anliegenden, schwarzen Trikot, das ihre Figur übrigens hervorragend und plastisch zur Geltung brachte. »Es wäre soweit.«, verkündete Parker und lüftete wie gewöhnlich seine schwarze Melone. »Ich werde in wenigen Minuten den Alarm auslösen. Darf ich Mylady bitten, sich bereits in Position zu begeben?« »Was haben Sie eigentlich die ganze Zeit über getan?« raunzte die ältere Dame ungeduldig. Sie konnte es kaum erwarten, in Aktion zu treten. Agatha Simpson brannte darauf, sich wieder mal zu betätigen. Kathy Porter verschwand in der Dunkelheit. Während der Fahrt hatte Parker sie bereits eingeweiht. Die attraktive Gesellschafterin Agatha Simpsons wußte genau, was sie zu tun hatte. Sie verschwand in der Dunkelheit und wechselte zum Tennisplatz hinüber. Kathy Porter war natürlich nicht unbe51
waffnet. Butler Parker hatte sie mit leichten Spezialwaffen ausgerüstet, die an normale Kugelschreiber erinnerten, was deren Äußeres anbetraf. Lady Simpsons Gesellschafterin hatte nichts zu befürchten. Sie war gerüstet, einige Parkwächter ins Land der Träume zu schicken. Butler Parker begab sich mit seiner Herrin hinüber zur Parkmauer. Dann schritt er allein weiter, bis er die kleine Pforte erreicht hatte. Hier angekommen, holte er einen sogenannten Schweizer Kracher aus einer seiner Jackettaschen. Er zündete die Lunte an und warf den Knallkörper dann mit lässigem Schwung über die Mauer. Etwa zwei Sekunden später krachte es nachhaltig im Park. Die Dinge nahmen ihren Lauf. * Im Park Gary Edwards befanden sich zu dieser Zeit drei Männer und sechs auf den Mann dressierte Hunde. Jeder der drei hatte einen ganz bestimmten Parkabschnitt zu bewachen. Je zwei Hunde pro Mann unterstützten diese Arbeit. Es handelte sich um große Bluthunde, die sich nach Betätigung sehnten. Sie taten schon seit vielen Monaten Dienst, doch bisher waren sie noch nicht zum Einsatz gekommen. Die drei Männer, alles altgediente Gangster, die bei Edwards einen erstklassigen Job gefunden hatten, fuhren wie elektrisiert zusammen, als sie den Schweizer Kracher hörten. Alarm! Obwohl sie verschieden weit von der Quelle dieses diskreten Krachers entfernt waren, trafen sie fast gleichzeitig vor der Pforte zusammen. Ein besseres Zeichen für ihre Einsatzbereitschaft konnte es gar nicht geben. Sie hatten ihre Vierbeiner längst von den Leinen gelassen, ihre schallgedämpften Schußwaffen gezogen und näherten sich vorsichtig der Pforte. Es war klar für sie, daß draußen vor der Mauer ungebetene Gäste eingetroffen sein mußten. Sie verließen sich vollkommen auf ihre dressierten Vierbeiner. Schärfere Hunde konnte es kaum geben. Unheimlich war die Tatsache, daß die Bluthunde keinen Laut von sich gaben. Zitternd vor Ungeduld warteten sie darauf, sich auf ihre Feinde 52
zu werfen. Sie gehorchten den drei Hundeführern aufs Wort, hatten sich niedergelegt und beobachteten die Pforte. Die Wachmänner fuhren zusammen, als gegen die Pforte geklopft wurde. Das war der Gipfel der Frechheit… Die Gangster brauchten nicht mehr lange zu beratschlagen. Wenn sie jetzt die Tür öffneten, dann würden sie diesen Frechling erwischen, dann konnte er sich auf etwas gefaßt machen. Einer der drei Gangster entriegelte die Pforte, was keine Kleinigkeit war. Immerhin mußten zuerst mal zwei schwere Stahlriegel bewegt werden, nachdem man deren Vorhängeschlösser geöffnet hatte. Einer der drei Gangster drückte dann die Pforte mit dem Schalldämpfer seiner Schußwaffe auf. Lautlos bewegte sie sich in ihren gut geölten Angeln, schwang auf und gab den Weg frei für die Bluthunde. Die sechs Vierbeiner hatten auf dieses Signal nur gewartet. Sie preschten durch die Pforte und befanden sich augenblicklich auf einer Spur, wie sie frischer und verlockender nicht sein konnte. Die sechs Vierbeiner hechelten inzwischen vor Gier und Eifer, überkugelten sich fast und beeilten sich, ihren Hundeführern zu zeigen, wie erstklassig sie eine Spur aufnahmen. In dichtem Pulk sausten sie los und verschwanden in der Dunkelheit. Sie achteten nicht weiter auf ihre Herren und Meister, die mit dieser Entwicklung nicht so recht einverstanden waren, ihre Tiere zwar anriefen und Befehle gaben, damit jedoch nichts ausrichteten. Nein, die Vierbeiner wollten es jetzt wissen. Verlockender konnte keine Spur riechen. Für ihre feinen Nasen war sie so deutlich und breit wie eine Landstraße. In Rekordzeit erreichten sie den Tennisplatz. Selbst hier zögerten die Bluthunde nicht. Im Grund war ihr Verhalten ja auch verständlich. Mit dem Begriff eines Tennisplatzes wußten sie ja nichts anzufangen. Die sechs Vierbeiner preschten durch die geöffnete Drahttür und erreichten dann das Ende der blutfrischen Spur. Es war immerhin erstaunlich, wie gut erzogen die Bluthunde waren. Unterwegs hatte keines der Tiere nach einem der ausgelegten Fleischbrocken geschnappt. Und auch hier auf dem Tennisplatz verhielten sie sich distanziert. Sie warteten auf ihre Herren und auf die Erlaubnis, sich mit den Fleischködern endlich näher befassen zu dürfen. 53
In ihrem Pflichteifer hatten die braven Vierbeiner allerdings Kathy Porter übersehen. Sie war an dem hohen Maschendrahtzaun emporgestiegen und befand sich oberhalb jener Einlaßtür, durch die die Hunde gerade gekommen waren. Kathy stieg blitzschnell wieder hinunter und schloß die drahtverspannte Eingangstür zum Tennisplatz. Sie lächelte unwillkürlich. Josuah Parkers Trick war bewundernswert. Aus der Improvisation heraus war es ihm gelungen, diesen hoch umspannten Tennisplatz in einen überdimensional großen Hundezwinger zu verwandeln. Ihn konnten die Bluthunde ohne fremde Hilfe nicht mehr verlassen. Parker hatte sie elegant und gewaltlos ausgeschaltet. Kathy Porter brauchte jetzt nur noch auf die Ankunft der drei Hundefänger zu warten. Um ihnen kein Ziel zu bieten, huschte sie von der. Drahttür weg und verbarg sich hinter einer Zuschauerbank rechts der Tür. Wenig später erschienen bereits die drei Männer. Es zeigte sich, daß sie Konditionsschwierigkeiten hatten. Der Dauerlauf ließ sie keuchen und schnaufen. Kathy Porter machte sich bereit, um ihnen eine längere Erholungspause zu servieren. * »Wenn ich Mylady bitten dürfte?« Parker lüftete seine schwarze Melone und deutete mit der Spitze seines Universal-Regenschirms auf die geöffnete Pforte, die jetzt frei war. Agatha Simpson nickte gewährend und setzte sich in Bewegung. Auf strammen Beinen marschierte sie los, wirkte ungemein unternehmungslustig und benahm sich wie selbstverständlich. Insgeheim bewunderte Josuah Parker den Mut dieser Frau. Hindernisse existierten für sie einfach nicht. Nachdem sie die Pforte passiert hatten, zog der Butler die schwere Bohlentür zu und verriegelte sie von innen. Um Kathy Porter brauchte er sich nicht weiter zu kümmern. Es war ausgemacht, daß sie draußen vor der Mauer blieb. Sie hatte sich mit dem Wachpersonal zu beschäftigen. »Darf ich mich erkühnen, Mylady, meinen bescheidenen Arm anzubieten?« erkundigte sich der Butler, als er zusammen mit Agatha Simpson durch den dunklen Park marschierte. 54
»Was soll denn das?« fuhr sie ihn an. »Ich bin doch schließlich keine alte Frau, oder?« »Das zu behaupten oder gar zu denken, Mylady, würde ich mir niemals erlauben.« »Na also!« Sie nickte zufrieden. »Sind Sie sicher, daß wir sämtliche Nachtwächter ausgeschaltet haben?« »Nach meinen bescheidenen Informationen haben wir es nur mit drei Männern und sechs Hunden zu tun, Mylady.« »Ihre Querverbindungen zur Unterwelt scheinen recht dubios zu sein, Mister Parker.« »In der Tat, Mylady«, gestand der Butler. »Erfreulicherweise gibt es immer wieder Menschen, die meiner Wenigkeit verpflichtet sind. Darf ich Mylady auf den Landsitz dort verweisen?« »Schon längst gesehen«, knurrte die energische Dame, obwohl sie in Wirklichkeit noch gar nichts erkennen konnte. Erst eine knappe Minute später entdeckte sie die spitzgiebligen Umrisse eines alten Landsitzes, der hinter einem kleinen Teich lag. Es handelte sich um einen geräumigen Bau, der teils aus Fachwerk, teils aus schweren Bruchsteinen bestand. Hinter den schmalen und hohen Fenstern im Erdgeschoß brannte gedämpftes Licht. »Hoffentlich finden wir dort auch diesen John Gladkins«, sagte Agatha Simpson. »Dessen bin ich mir fast sicher, Mylady«, gab der Butler zurück. »Die Herren Edwards und Gladkins dürften nach ihrer gemeinsamen Niederlage hierher ausgewichen sein.« »Demnach haben wir es also noch mit diesen jungen Lümmeln zu tun, nicht währ?« »Das, Mylady, möchte ich unterstreichen«, sagte der Butler gemessen und nickte. »Falls mir der Hinweis gestattet ist, rechne ich mit wenigstens vier Leibwächtern. Von dem eigentlichen Hauspersonal einmal ganz zu schweigen.« »Hoffentlich können Sie diese Flegel außer Gefecht setzen, Mister Parker.« »Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, Mylady. Nach meinen Berechnungen dürften bald die ersten Alarmschüsse abgefeuert werden. Die erwachenden Hundeführer werden sich bestimmt bemerkbar machen.« Josuah Parker geleitete seine Herrin um den Teich herum und führte sie zum Landsitz. Er versteckte sich mit ihr hinter einem 55
dichten Strauch links vom Hauseingang. Parker war ein wirklich vollendeter Butler. Selbstverständlich hatte er für Lady Agatha Simpson eine passende Sitzgelegenheit mitgenommen. Er faltete den kleinen Klappstuhl auseinander und bat seine Herrin darauf Platz zu nehmen. Er holte eine flache lederumspannte Flasche aus der linken Tasche seines Zweireihers. »Darf ich mir erlauben, Mylady, eine kleine Erfrischung anzubieten?« erkundigte er sich dann. »Sie dürfen«, erwiderte Agatha Simpson. »Was den Kreislauf anbetrifft, sollte man nie leichtsinnig sein.« Josuah Parker servierte der Detektivin einen alten französischen Kognak. Lady Simpson achtete stets auf ihren Kreislauf und tat viel für ihn. Als Parker die Taschenflasche zuschraubte, fielen die ersten beiden Alarmschüsse. * John Gladkins hielt sich tatsächlich im Landsitz Gary Edwards auf. Die beiden Gangsterspitzen befanden sich im komfortabel eingerichteten Wohnraum des großen Hauses und besprachen mit ihren jungen Männern den geplanten nächtlichen Einsatz. »Ich will das Trio hier im Haus haben«, sagte Edwards nachdrücklich und musterte fünf junge Männer, die am Kamin standen. »Mit Ruhm habt ihr euch nicht gerade bekleckert. Ich hoffe, daß man das vergessen kann.« Die fünf jungen Männer murmelten Racheschwüre. Es handelte sich um die beiden Liftwachen, um Edwards Sekretär und die zwei Begleiter, die Gladkins mitgebracht hatte. »Wo diese verdammte Alte wohnt, ist bekannt.«, redete Edwards weiter, eindringlich und fast beschwörend. »Rechnet mit faulen Tricks, Jungens! Inzwischen weiß ich mehr über dieses Trio. Wir haben es mit ganz ausgekochten Amateuren zu tun. Rechnet damit, daß sie euch noch mal aufs Kreuz legen.« Die fünf jungen Gangster murmelten fast übereinstimmend, daß ihnen so etwas nicht mehr passieren würde, sie seien schließlich vorgewarnt. 56
»Ihr dürft diesem verflixten Trio keine Zeit lassen«, beschwor Edwards die jungen Männer weiter. »Alles muß blitzschnell gehen. Und ohne Krach, worauf ich besonders hinweisen möchte. Polizei können wir uns nicht leisten.« Die fünf jungen Leute murmelten erneut und versicherten Edwards, selbst die Nachbarn der schrulligen Alten würden mit Sicherheit nichts merken. »Und vergeßt auf keinen Fall die Unterlagen, die uns gestohlen wurden«, schärfte Edwards den unternehmungslustigen Männern zusätzlich ein. »Wahrscheinlich sind davon Fotokopien hergestellt worden. Nehmt alles mit, was euch in dieser Hinsicht verdächtig vorkommt! Lieber mehr als weniger, ist das klar?« Erneutes Gemurmel. Die fünf jungen Leute versprachen, sie würden das ganze Haus leer räumen. »Habe ich was vergessen?« Edwards wandte sich an seinen Gast. John Gladkins schüttelte langsam den Kopf, starrte dann einen Moment zu Boden und räusperte sich. »Nur ein Vorschlag«, meinte er schließlich. »Sollte man nicht das ganze Haus abbrennen? Nur so sind wir sicher, daß nichts übersehen wird.« »Das wird natürlich Ärger geben, Gladkins«, sagte Edwards. »Wenn schon«, redete Gladkins weiter. »Das geht dann eben auf das Konto von politischen Extremisten. So was passiert doch alle Tage.« »Das stimmt natürlich«, räumte Edwards ein, zumal Gladkins ja in der Hierarchie höher stand als er. »Vielleicht sollte man wirklich reinen Tisch machen.« »Zündet die Bude an«, verlangte Gladkins. »Ich will kein weiteres Risiko eingehen.« »Wollen wir dann das Trio nicht auch gleich hochgehen lassen. Gladkins?« Edwards steigerte jetzt sehr bewußt die Möglichkeiten. »Drei Morde«, sagte Gladkins. »Ja, warum eigentlich nicht? Tote reden nicht!« »Also, neue Order«, meinte Edwards, sich an die fünf jungen Männer wendend. »Ihr habt ja gehört, wie entschieden wurde. Rüstet euch entsprechend aus! Ich will ein Höllenfeuer sehen! Und das Trio darf nach diesem Besuch nicht mehr existieren! Noch Fragen?« Nein, die fünf jungen Leibwächter hatten keine Fragen mehr. Der abgeänderte Auftrag paßte ihnen schon wesentlich besser. 57
Nun brauchten sie wenigstens keine Rücksicht mehr zu nehmen und konnten endlich mal so richtig hinlangen. Sie freuten sich auf diesen Besuch, der nach Mitternacht stattfinden sollte. Sie konnten es kaum erwarten, ihr Können zu zeigen, und wollten sich gerade zurückziehen, um unter sich die Einzelheiten zu besprechen, als in schneller Reihenfolge zuerst zwei, dann ein dritter Alarmschuß zu hören war. Aus dem Stand heraus preschten sie los, erreichten fast gleichzeitig die Tür zur Wohnhalle und kollidierten hier miteinander. Nachdem sie diese Tür samt ihrer Füllung gehörig lädiert hatten, zwängten sie sich in die Wohnhalle und sausten dann ins Freie, um den Schutz ihrer beiden Chefs zu übernehmen. * Agatha Simpson war empört. Zusammen mit Parker hatte sie draußen vor einem Fenster genau mitbekommen, was Edwards und Gladkins planten. Nachdem die fünf jungen Männer im dunklen Park verschwunden waren, stampfte die ältere Dame grimmig ins Haus, durchmaß die Wohnhalle und blieb in der Tür zum großen Wohnraum stehen. Die beiden Chefgangster hatten sie nicht wahrgenommen. Sie hatten sich vor einem Fenster postiert und wollten es gerade öffnen. »Lassen Sie es lieber geschlossen«, fuhr Agatha Simpson die beiden Männer gereizt an. »Wollen Sie etwa, daß ich mich erkälte?« Edwards und Gladkins fuhren herum, ließen ihre Unterkiefer fallen und starrten die Detektivin entgeistert an. Edwards wollte etwas sagen, doch mehr als nur ein heiseres Geräusch kam nicht aus seiner wie zugeschnürten Kehle. Gladkins erlitt einen leichten Schwächeanfall und lehnte sich gegen das Fenster, durch das man übrigens nicht nach draußen sehen konnte, da die Scheiben bunt bemalt waren. »Mylady sind äußerst empört.«, stellte Josuah Parker fest. Er hatte seinen Universal-Regenschirm etwas angehoben. Die Zwinge zeigte auf die beiden Männer. »Ich erwarte eine Erklärung«, grollte die ältere Dame. »Ich er58
warte eine Entschuldigung. Wie können Sie es wagen, Ihre Leute zu einem dreifachen Mord und zu einem Brand anzustiften? Das ist eine Frechheit! Das ist unerhört!« Gladkins hatte seinen leichten Schwächeanfall überwunden und sah Edwards erwartungsvoll an. Daraus schloß Parker, daß der Besitzer des Landhauses wohl über eine Schußwaffe verfügte. Edwards tat das, was Gladkins von ihm erwartete. Er besaß tatsächlich eine Schußwaffe und wollte sie natürlich auch ziehen. Als er seine rechte Hand hochriß, feuerte der Butler den Pfeil ab. Er war fünfzehn Zentimeter lang und kaum dicker als eine Stopfnadel. Am Schaft befanden sich lustig aussehende, bunte Federn. Der Pfeil schoß aus der Zwinge seines UniversalRegenschirms und war von einer Kohlensäurepatrone in Bewegung gesetzt worden. Parkers Regenschirm war tatsächlich so etwas wie eine Wunderwaffe. Er hatte sie konstruiert und von einem äußerst geschickten Büchsenmacher bauen lassen. Sie verschoß Pfeile, deren Spitzen präpariert waren. Diese Chemikalie sorgte dafür, daß der Getroffene von einer blitzschnellen Lähmung und dann von einem dringenden Schlafbedürfnis erfaßt wurde. Parker hatte sich in jüngster Zeit ein Duplikat anfertigen lassen. Aus diesem Schirm konnte er sogar Geschosse vom Kaliber 6,35 Millimeter verschießen. Dieser Schirm befand sich zur Zeit in seinem hochbeinigen Monstrum, denn hier kam es ihm auf Lautlosigkeit und auf einen gewissen seelischen Schock an. Die Erfahrung und der Umgang mit Gangstern hatte ihn gelehrt, daß diese Menschen gerade auf Pfeile besonders heftig reagierten. Diese Art von Geschossen mußte den Gangstern unheimlich sein, wie sich immer wieder zeigte. Wahrscheinlich dachten sie sofort an Pfeilgift, an Curare und an Tod. Der Pfeil an sich, befand er sich erst mal in einer Körperregion, löste bereits Grauen und Panik aus. Edwards reagierte wie erwartet. Er stierte aus hervorquellenden Augen auf den Pfeil, der in seinem rechten Oberarm vibrierte. Der Gangsterchef versteinerte förmlich. Er wagte keine Bewegung. Er stierte und stierte. Inzwischen wirkte bereits die Chemikalie. Edwards fühlte, wie seine Muskeln sich verhärteten und schmerzten. Der Gangesterchef keuchte und wollte sich endlich 59
mit der linken Hand den gräßlichen Pfeil aus dem Oberarm herausreißen, brachte den Arm jedoch nicht hoch. Er schien sich in einen soliden Stein verwandelt zu haben. »Gladkins«, stöhnte Edwards, »Gladkins, ich bin… gelähmt.« John Gladkins hatte natürlich längst bemerkt, was da im Arm seines Gastgebers steckte. Er wußte nicht, woher dieser Pfeil gekommen war. Er sah nur das graue, verfallen aussehende Gesicht von Edwards und preßte sich vor Angst fest gegen die Wand. Dann wich er ein wenig zurück, damit Edwards besser und ungestörter fallen konnte. Der nutzte seine Möglichkeiten und kippte einfach zur Seite weg, landete auf dem Teppich und schloß die Augen. Das Stadium der lähmenden Müdigkeit war nämlich inzwischen erreicht. Edwards legte seinen Kopf auf den Unterarm, schloß die Augen und produzierte dann seltsame Schnarchtöne. »Brauchen Sie eine schriftliche Einladung?« fuhr Agatha Simpson den noch stehenden Gangsterchef Gladkins an. »Worauf warten Sie eigentlich noch? Etwas schneller, wenn ich bitten darf, oder soll ich Ihnen erst mal Beine machen?« »Madam?« fragte Gladkins beeindruckt und höflich. Er schielte zu Edwards hinunter, der gerade die Beine anzog. »Ich werde mich später mit Ihnen befassen«, deutete die Detektivin grimmig an. »Kommen Sie endlich!« »Was… Was hat das zu bedeuten?« stotterte Gladkins. »Mylady erwartet Ihre Begleitung«, schaltete der Butler sich ein. »Mylady bittet Sie, ihr Gast zu sein. Ich bin sicher, daß Sie diese Einladung nicht ablehnen werden.« »Na… Na… Natürlich nicht.«, lautete Gladkins schnelle Antwort. »Das will ich Ihnen auch geraten haben«, meinte Agatha Simpson. »Verärgern Sie mich nur nicht, Sie Flegel, sonst verliere ich meine damenhafte Erziehung!« * Nach einem Rekordsprint durch den Park hatten die fünf jungen Gangster die Mauerpforte erreicht. Aus dieser Richtung waren nämlich ihrer Ansicht nach die Schüsse gekommen. Die Pforte war geschlossen, doch sie erbebte unter wütenden und wilden Faustschlägen. Stimmengewirr draußen jenseits der 60
Mauer war zwar deutlich zu vernehmen, einzelne Worte jedoch nicht zu unterscheiden. Die fünf jungen Männer konnten natürlich nicht wissen, wer da Einlaß begehrte. Für sie war diese Pforte niemals geöffnet gewesen. Sie hatten sich zwar darüber gewundert, im Park keinen der drei Wächter zu sehen, daran aber weiter keinen Gedanken verschwendet, weil sie es einfach zu eilig hatten. Die Gangster murmelten wieder mal miteinander und kamen zu der Übereinkunft, heimlich und leise die Riegel zu öffnen. Dann wollten sie blitzschnell die Tür aufreißen und sich auf die Störenfriede werfen und sie nach allen Regeln der Kunst vertrimmen. Sie hielten die noch heftiger Trommelnden für leichtsinnige Nachtschwärmer, die ein wenig Ärger machen wollten. Das Entriegeln und Öffnen der Tür klappte ausgezeichnet. Die drei Hundeführer trommelten plötzlich ins Leere hinein und wurden sofort von den fünf jungen Leibwächtern attackiert. Es entwickelte sich ein verbissener Faustkampf, der ohne jede Regelauslegung geführt wurde. Unfairneß schien das höchste Gebot zu sein. Sie traten und bissen, kratzten und schlugen, daß es eine helle Freude war. Sie schenkten sich nichts und merkten erst mit erheblicher Verspätung, daß sie ihre Kräfte unnötig verschwendet. Als der kleine Irrtum sich endlich aufklärte, als die Männer sich gegenseitig beschimpften und für ausgemachte Trottel und Ignoranten erklärten, kam es zu einem weiteren Zwischenfall. Plötzlich waren die sechs Bluthunde da! Kathy Porter hatte sie aus ihrem riesigen Zwinger befreit und wieder auf die Spur gesetzt. Die Vierbeiner waren natürlich ziemlich wütend darüber, daß man sie solange festgehalten hatte. Sie waren zurückgejagt und hatten nun die Witterung von fünf fremden Männern in ihren ausgezeichneten Nasen. Diese fünf Männer hielten sie, was verständlich war, für Feinde. Die sechs Bluthunde fühlten sich aufgerufen, etwas für ihre tägliche Futterration zu tun. Entsprechend war ihr Einsatz. Die fünf Vierbeiner schnappten nachdrücklich zu, worauf die Männer brüllten und wegrannten. Die Bluthunde fühlten sich animiert, überhörten in ihrem Eifer die Kommandos ihrer Hundeführer und veranstalteten eine nächtliche Hetzjagd durch den weiträumigen Park. Dabei zeigte sich, daß die Leibwächter über er61
staunliche Kraftreserven verfügten. Sie entwickelten ein Tempo, das man schon beachtenswert nennen mußte. Zwei der fünf Männer flüchteten auf einen Baum und brachten sich auf einem Ast erst mal in Sicherheit. Zwei weitere Leibwächter hechteten sich in den Teich, der mit Entengrütze bedeckt war. Nachdem sie wieder aufgetaucht waren, sahen sie im Mondlicht ziemlich grün aus und derart abstoßend, daß selbst zwei der sechs Bluthunde sicherheitshalber zurückwichen. Der sechste Leibwächter, es handelte sich um Edwards Sekretär, mußte im Vorzimmer seines Herrn und Meisters wohl doch etwas zuviel Fett angesetzt haben. Nach einem letzten Zwischenspurt fielen seine Laufleistungen eindeutig ab. Die Bluthunde holten schnell auf und beleckten fast schon seine Fersen. In diesem Moment der Todesangst riskierte der Mann einen Sprung. Er warf sich in ein dichtes Gestrüpp, das aus Dornenranken bestand. Er heulte auf, als diese Dornen ihn stachen, war aber dennoch dankbar. Die Bluthunde verzichteten nämlich darauf, ihm den verzweifelten Sprung nachzumachen. Sie versammelten sich um das Dornengestrüpp und warteten darauf, bis ihr Opfer wieder herunter auf den Boden kam. Zerkratzt, leicht geschunden und von Dornen gefoltert, sah der Sekretär plötzlich die Scheinwerfer eines Wagens, der sich vom Landsitz her näherte. Der Wagen kam dicht am Gestrüpp vorüber, befand sich auf der asphaltierten Zufahrtstraße und rollte zum Haupttor hinüber. Gary Edwards Sekretär hatte den festen Eindruck, daß sich im Wagen nicht nur Gladkins, sondern auch diese schrullige Alte befand. Daraufhin verstand er die Welt nicht mehr und verzweifelte. * Norman Lower, der Berufskiller. hatte eine Konserve geöffnet, den Inhalt in einen kleinen Topf gegeben und löffelte den schmackhaften Bohneneintopf. Auf seiner Uhr war es inzwischen sechs geworden. Für ihn hatte der neue Tag bereits begonnen. Nach diesem Mahl nahm Lower seine Wanderung durch das kleine Apartment wieder auf und ertappte sich dabei, daß er immer wieder zum Telefonapparat schaute. Sein Verlangen, sich mit der Außenwelt in Verbindung zu 62
setzen, wuchs von Minute zu Minute. Die Stille in diesem Raum machte ihn fast verrückt. Hinzu kam, daß er sich nicht beschäftigen oder ablenken konnte. Es gab kein Radio, keine Zeitungen, kein Magazin. Man hatte ihn auf Sparflamme gesetzt und ließ ihn still und einsam schmoren. Plötzlich horchte der Berufskiller auf… Da war doch gerade ein Geräusch! Ein Irrtum war ausgeschlossen. Er hatte es deutlich gehört. Irgendwo in der Wand schien sich eine Maus oder eine Ratte zu befinden. Das Nagegeräusch war unverkennbar. Der Berufskiller, der Lady Simpson vergiften wollte, setzte sich und lauschte. Nichts! Er mußte sich getäuscht haben. Seine Nerven hatten ihm sicher einen Streich gespielt. Das wenigstens bildete Norman Lower sich ein. In Wirklichkeit aber hatte es dieses Geräusch tatsächlich gegeben. Es stammte von einer nagenden Ratte und wurde ihm per Tonband über einen kleinen Lautsprecher ins Apartment gespielt. Da war es wieder… Norman Lower hielt den Atem an, um das Geräusch voll auskosten zu können. Es war für ihn wie eine Erlösung. Endlich gab es etwas zu hören. Endlich wurde die schreckliche Stille unterbrochen. Doch schon herrschte wieder Ruhe. Norman Lower wartete fast sehnsüchtig auf das nächste Geräusch des Nagers. Er mußte lange warten und verlor schon fast die Geduld, als es endlich wieder zu hören war. Dieses neckische Spiel setzte sich fort, bis Norman Lower von einer plötzlichen Müdigkeit erfaßt wurde. Da er jedes Zeitgefühl verloren hatte. schleppte er sich ohne weiteres zum Bett und warf sich auf die Decke. Innerhalb weniger Minuten schlief er ein. Nach einiger Zeit öffnete sich die Tür. Nachdem der Entlüfter gearbeitet, hatte, ließ sich ein gewisser Josuah Parker sehen. Zuerst verstellte er wieder die Uhr des Berufskillers. Er rückte sie auf zwölf Uhr mittags vor und beschäftigte sich dann mit dem vollgefüllten Eisschrank. Parker leerte ihn gründlich und entnahm ihm Konserven, Milchpackungen. Flaschen und Nahrungsmittel. Er legte das alles in einen mitgebrachten Korb aus dem er vorher leere und geöffnete Konserven, Packungen und benutztes ungespültes Geschirr geholt 63
hatte. Parker dekorierte mit diesen Dingen das Spülbrett, das Abwaschbecken und die Arbeitsplatte des Eisschrankes. Er wechselte die Seife aus und ließ nur ein kleines Stück zurück. Dann ging er in den Korridor und kam mit einem gefüllten Wäschekorb zurück, den er gegen den des Apartments austauschte. Anschließend kümmerte er sich auch noch um den Abfalleimer, der in seiner Originalform leer war. Der Butler wechselte auch diesen Behälter aus und ließ einen prall gefüllten, fast überquellenden Abfalleimer zurück. Selbst für den Aschenbecher brachte er eine deftige Füllung mit. Diese Präparation des Apartments dauerte vielleicht fünf Minuten, dann konnte Parker schon wieder gehen. Er schritt gemessen hinauf ins Erdgeschoß des Hauses und verbeugte sich in Richtung Lady Simpson, die vor dem großen Kamin saß und etwas für ihren Kreislauf tat. Kathy Porter war bei ihr. Sie hatte sich für Orangensaft entschieden und schilderte der Detektivin, wie sie die drei Hundeführer auf dem Tennisplatz außer Gefecht gesetzt hatte. Parker wußte natürlich, wie sich das im Prinzip abgespielt hatte. Warf man einer seiner Patent-Kugelschreiber kräftig zu Boden, nachdem die Sicherung gelöst worden war, so schoß eine Nebelwolke hoch, die mit entsprechenden Chemikalien angereichert war. Sofort tränende Augen, ein leichtes Hüsteln und dann ein kurzes Schläfchen waren die unausweichlichen Folgen. Selbstverständlich entstanden dadurch keine gesundheitlichen Schäden. Das hatte Parker sich bei der Zusammensetzung der bewußten Chemikalien natürlich ausbedungen. »Was macht dieser Lümmel im Keller?« erkundigte sich Agatha Simpson, als sie Parker entdeckt hatte. »Er dürfte in etwa fünf Minuten wieder aufwachen«, schätzte der Butler, »ich möchte der Hoffnung Ausdruck verleihen, daß er nach diesem Aufwachen kapitulieren und anrufen wird.« »Es wird auch langsam Zeit.«, erwiderte die resolute Dame grimmig. »Ich werde sonst andere Saiten aufziehen müssen, Mr. Parker. Ich will endlich wissen, wie dieser Berufsmörder heißt und wo er wohnt.« »Vielleicht könnte man sich inzwischen mit Mr. Gladkins befassen«, schlug Josuah Parker vor, um seine Herrin abzulenken. »Das klingt nicht gerade schlecht.«, gab sie zurück. »Wollen wir ihn weiter im Haus behalten, Mr. Parker?« 64
»Wenn ich mir einen Vorschlag erlauben darf, Mylady, so sollte man Mr. Gladkins der Polizei in die Hände spielen. Dort dürften sein Name und seine Tätigkeit längst bekannt sein.« »Weiß man genug, um dieses Subjekt hinter Schloß und Riegel zu bringen?« »Ich fürchte, Mylady, diese Frage verneinen zu müssen.« »Dann wird man Gladkins also spätestens nach vierundzwanzig Stunden wieder auf freien Fuß setzen? Wollen Sie das damit andeuten?« »Ohne Beweise wird man Mr. Gladkins kaum unter Anklage stellen können, Mylady.« »Darin sorgen Sie für die erforderlichen Beweise, Mr. Parker! Sie sind doch sonst nicht so schwerfällig! Dieser Gladkins ist ein wichtiger Mann im Rauschgifthandel, steht das fest?« »In der Tat, Mylady.« »Ich kann mir kaum ein schmutzigeres Geschäft vorstellen.« »Darf ich Mylady beipflichten?« Parker verbeugt sich zustimmend. »Sie dürfen«, entschied die ältere Dame. »Darum muß dieses Subjekt auch mitsamt den erbeuteten Unterlagen bei der Polizei landen. Dort wird man den Code schon brechen, oder?« »Ich möchte annehmen, Mylady, daß die Unterlagen von der Polizei äußerst dankbar entgegengenommen würden.« »Tun Sie Ihre Pflicht als Staatsbürger«, sagte Agatha Simpson. »Die Gesellschaft, in der Sie leben, erwartet das von Ihnen.« »Mylady und die erwähnte Gesellschaft werden mit meiner bescheidenen Wenigkeit zufrieden sein«, antwortete Parker und nahm fast so etwas wie Haltung an. * Gary Edwards war inzwischen wieder auf den Beinen und sann auf Rache. »Mann, halten Sie endlich den Mund«, brüllte er seinen Sekretär an, der wehleidig und stöhnend in einem Sessel saß. Der junge Mann war damit beschäftigt, sich mit einer Pinzette die letzten Dornen aus dem linken Oberschenkel zu ziehen. »Das tut aber scheußlich weh, Chef.« gab der Sekretär zurück. »Glauben Sie etwa, ich würde auf Watte gehen?« fauchte Ed65
wards. »Mein Kopf dröhnt wie eine Pauke.« »Was werden wir unternehmen?« wollte der junge Mann wissen. Er hoffte sehr, daß seinem Chef nichts eingefallen war und auch nichts einfiel. Er war restlos bedient, wie es in seinem Jargon hieß, hatte die Nase voll und hörte immer noch das blutgierige Hecheln der Hunde. »Können wir überhaupt was unternehmen?« fragte Edwards mehr sich als seinen Sekretär. »Das Trio hat Gladkins entführt. Uns sind die Hände gebunden.« »Finde ich auch. Chef«, pflichtete der Sekretär seinem Chef bei. »Wir müssen erst mal abwarten. Vielleicht schafft Gladkins es auch aus eigener Kraft, wieder freizukommen.« »Reden Sie doch keinen Blödsinn«, ärgerte sich Edwards laut. »Daran glauben Sie doch selbst nicht, oder? Inzwischen wissen wir doch, wie raffiniert das Trio arbeitet. Ich will Ihnen mal was sagen, solche Mitarbeiter müßte man haben, dann könnte einem überhaupt nichts passieren. Aber mit wem habe ich es zu tun? Mit ausgewachsenen Krücken und Flaschen, die sich von ‘ner schrulligen Alten aufs Kreuz legen lassen!« »Und mit einem Butler, der’s verdammt in sich hat, Chef«, fügte der Sekretär schleunigst hinzu. »Und mit dieser Gesellschafterin, die auch nicht gerade ohne ist.« »Ich frage mich, ob man das Haus der Alten stürmen soll«, überlegte Edwards halblaut. »Auf keinen Fall, Chef!« »Und warum nicht?« »Wir würden Gladkins in Lebensgefahr bringen.« Der Sekretär war froh, daß ihm diese Begründung gerade noch rechtzeitig einfiel. »Das stimmt.«, räumte Edwards ein. »Begreifen Sie eigentlich, wie die Zentrale diese Panne aufnehmen wird? Gladkins gehört zum inneren Kreis des Syndikats. Er wird schäumen und toben. Überlegen Sie sich mal inzwischen, wo Sie in Zukunft arbeiten wollen!« »Wir… Wir sitzen doch in einem Boot. Chef«, stellte der Sekretär fest. »Sie haben Gladkins entführt. Was werden sie mit ihm machen?« Edwards ging auf die Feststellung seines Sekretärs nicht weiter ein, aber er merkte sich diesen Hinweis. Der Junge schien frech werden zu wollen. Er brauchte früher oder später einen 66
Dämpfer. »Da sind noch die Unterlagen, Chef«, erinnerte der Sekretär. »Ihre und auch die von Gladkins.« »Ob man Gladkins der Polizei übergibt, was meinen Sie?« »Kaum, Chef, dann wäre er schnell wieder frei. Und darauf scheint das Trio keinen Wert zu legen.« »Sie behalten ihn also als Faustpfand. Und wo? Wahrscheinlich im Haus dieser Alten in Shepherd’s Market.« »An das wir aber nicht rankommen, Chef, wenn wir Gladkins nicht gefährden wollen.« »Was will diese Lady Simpson?« Edwards versuchte herauszufinden, welche Taktik die Detektivin einschlug. »Ob man vielleicht mal bei ihr anruft?« schlug der Sekretär vor. »Was versprechen Sie sich davon?« herrschte Edwards ihn an, griff aber bereits nach dem Telefonhörer und sah den jungen Mann ungeduldig und gereizt an. »Die Nummer! Muß ich denn alles allein machen?« Der Sekretär warf sich förmlich über den Schreibtisch seines Herrn und Meisters, langte nach dem Telefonbuch, blätterte darin und fand endlich die verlangte Nummer. Er wählte und reichte Edwards dann den Hörer. »Jetzt werde ich dieser komischen Verrückten mal Dampf machen«, schwor Edwards gereizt. Nun, es knackte in der Leitung, dann meldete sich die sehr unpersönliche Stimme des Butlers. Er teilte mit, hier habe man es mit einem Anrufbeantworter zu tun, Mylady sei verreist und erst wieder in zwei Tagen zu sprechen. Butler Parker teilte ferner unpersönlich mit, man möge unter Umständen Adresse und Telefonnummer hinterlassen. »Das darf doch wohl nicht wahr sein«, schimpfte Edwards. »Die Alte ist abgehauen. Wahrscheinlich hat sie Gladkins gleich mitgenommen. Hören Sie, jetzt weiß ich, was wir tun müssen. Wir werden im Haus der komischen Alten auf ihre Rückkehr warten und sie dann hochnehmen. Na, die kann sich auf was gefaßt machen!« »Sie… Sie wollen nach Shepherd’s Market, Chef?« Der junge Sekretär war mit diesem Vorschlag absolut nicht einverstanden. »Trommeln Sie die Jungens zusammen«, entschied Edwards. »Jetzt sind wir endlich am Drücker!« »Ich bezichtige diesen Mann, mich unsittlich angesprochen zu 67
haben«, dröhnte Agatha Simpsons Stimme durch die Polizeistation. Anklagend deutete sie auf Gladkins, der einen volltrunkenen Eindruck machte, aber doch noch mitbekam, was die komische Alte, wie er die Lady insgeheim nannte, gerade vorgebracht hatte. »Dumme Kuh«, lallte er und grinste töricht. »Wer wird denn auf so was wie dich reinfallen? Vor so ‘nem Gesicht haut man doch ab.« »Nun mäßigen Sie sich mal«, sagte der diensttuende Beamte energisch. »Sie haben es hier mit einer Dame zu tun.« »Die blöde Ziege soll ‘ne Dame sein?« Gladkins, eine Spitze des Rauschgiftsyndikats, fiel völlig aus der Rolle. »Halten Sie den, Mund, Mann!« Der Sergeant geriet in Fahrt. »Halt bloß die Klappe, Bulle«, brüllte Gladkins den Uniformträger an, was diesen ziemlich erboste. »Nehmen Sie das nicht tragisch, überhören Sie das«, riet Agatha Simpson. »Mit Schimpfwörtern sind Sittenstrolche und Unholde immer schnell bei der Hand, aber wirklichen Mut besitzen sie nicht.« Sie hatte genau den richtigen Punkt getroffen. Gladkins fühlte sich veranlaßt, dem Polizisten das Gegenteil zu beweisen. Er kippte den kleinen Verhörtisch um, erhob sich und wollte dem Sergeant eine Ohrfeige verabreichen. Zwei Constabler, die hinter ihm standen, wollten ihn zurück auf seinen Stuhl drücken, doch nun fiel Gladkins völlig aus der Rolle. Er tobte, schlug um sich und schaffte es tatsächlich, dem Sergeant einen Fußtritt zu verpassen. Agatha Simpson sah zu Parker hinüber, der zustimmend nickte. Das Überspielen dieses John Gladkins an die Polizei klappte ausgezeichnet und war problemlos. Gladkins tat genau das, was von ihm erwartet wurde. Er machte sich auf der ganzen Linie unbeliebt und sorgte von sich aus dafür, daß er bestimmt nicht schon nach vierundzwanzig Stunden wieder auf freien Fuß gesetzt wurde. Natürlich hatte der Spitzenvertreter des Syndikats keine echte Chance, gegen die Beamten anzukommen. Nach einem kurzen Handgemenge saß er wieder auf dem Stuhl. Diesmal aber zierten bereits Handschellen seine Gelenke. »Sie haben ja gerade gesehen, wie gefährlich dieses Subjekt ist.« erklärte Lady Simpson dem Sergeant. »Ich möchte nicht 68
wissen, was da alles in seinem Aktenkoffer ist.« Der Sergeant, der diskret seine mißhandelte Kehrseite rieb, interessierte sich prompt für den Aktenkoffer und öffnete ihn. Er fand die Unterlagen aus Edwards Büro und die Papiere, die Gladkins mit nach London gebracht hatte. Er wußte damit offensichtlich nichts anzufangen, legte aber eine Liste der Papiere an. Gladkins dauerte das zu lange. Er randalierte erneut los, beschimpfte die Beamten, belegte Lady Simpson mit mehr als nur derben Flüchen und wollte sich dann mit Parkers Vergangenheit befassen. Dazu benutzte er nicht sonderlich feine Umschreibungen. »Dieser Herr scheint nicht nur volltrunken, sondern dazu noch süchtig zu sein«, tippte Parker vornehm und gemessen an. »Aber ich möchte nichts gesagt haben.« Der Sergeant brauchte nicht lange zu suchen, dafür hatte Josuah Parker bereits gesorgt. Der Polizeibeamte entdeckte im Aktenkoffer genau den Stoff, mit dem Gladkins handelte. Der Sergeant fand in einer Silberdose etwa ein halbes Dutzend Zigaretten, deren Füllung seiner oberflächlichen Schätzung nach aus Marihuana bestand, eine Rekordspritze und einige Ampullen, deren Aufschrift weggekratzt war. Daß es sich um Ampullen mit einer ordinären Kochsalzlösung handelte, konnte er natürlich nicht wissen. Parker verließ sich aber darauf, daß diese Indizien zünden würden. Und wie sie es taten! »Na, bitte«, sagte er triumphierend. »Dachte ich es mir doch gleich! Vollgepumpt bis zum Rand. Das wird eine saftige Anklage geben.« »Worum ich auch gebeten haben möchte«, ließ Lady Simpson sich empört vernehmen. »Oder wird solch ein Subjekt etwa morgen schon wieder gegen Kaution freigelassen?« »Auf gar keinen Fall«, versprach ihr der Sergeant. »Hier ist ‘ne Menge zusammengekommen. Widerstand, Körperverletzung, Belästigung einer Dame, Rauschgiftbesitz. Mylady, selbst wenn er der König von England wäre, müßte er sitzen. Daran führt kein Weg vorbei.« * Mylady hatte bereits im hochbeinigen Monstrum Platz genom69
men und berichtete Kathy Porter von den erfreulichen Ereignissen in der Polizeistation. Josuah Parker stand in einer nahen Telefonzelle und unterhielt sich mit einem gewissen Superintendent Washman vom Rauschgiftdezernat. Parker teilte dem interessierten Beamten mit, wie die Dinge verlaufen waren. »Mr. Gladkins«, so sagte er gerade, »benahm sich voll und ganz zufriedenstellend. Damit gehört er Ihnen, wenn ich es so ausdrücken darf.« »Ausgezeichnet, Mr. Parker«, freute sich Washman. »Auf solch einen dicken Fisch habe ich schon lange gewartet. Den Code werden wir schon knacken, verlassen Sie sich darauf! Wozu haben wir schließlich Computer?« »Ich muß gestehen, Sir, daß mich die Art und Weise ein wenig seelisch bedrückt, in der Mr. Gladkins belastet wurde«, sorgte sich Parker. »Die vornehme englische Art war es nicht, wenn ich es so umschreiben darf.« »Wie haben Sie diesen Gladkins eigentlich volltrunken bekommen?« erkundigte sich Washman, ohne auf Parkers seelischen Konflikt einzugehen. »Nun, auch diese Frage löst in meiner bescheidenen Wenigkeit so etwas wie Unbehagen aus«, gestand Parker. »Haben Sie ihn gezwungen, sich vollaufen zu lassen?« »Keineswegs, Sir.« Parkers Stimme drückte Abwehr aus. »Ich habe die angebrochene Flasche Whisky, die Mr. Gladkins in seinem Gästezimmer fand, ein wenig mit reinem Alkohol versetzt und angereichert, wenn ich es so umschreiben darf.« »Ich verstehe.« Washman lachte leise. »Ein Glas Whisky hatte danach die Durchschlagskraft von drei Drinks, wie?« »Ich möchte nicht widersprechen, Sir, möchte allerdings ein wenig korrigieren. Ein Glas Whisky entsprach etwa einem sechsfachen Drink.« »Er hat überhaupt nicht bemerkt, daß er in die Nähe der Polizeistation befördert wurde?« »Keineswegs, Sir. Er würde übrigens, worauf ich Wert lege, Lady Simpson gegenüber recht ausfallend. Schon während der Fahrt.« »Na, also, Mr. Parker. Ich bin auf jeden Fall glücklich, daß wir Gladkins festhalten können, bis der Code seiner Unterlagen geknackt worden ist. Vielleicht gelingt uns ein großer Schlag gege70
gen das Rauschgiftsyndikat.« »Meine guten Wünsche sind auf Ihrer Seite, Sir. Darf ich fragen, ob Myladys Haus inzwischen abgesichert wurde?« »Die Falle ist gestellt. Nun brauchen Edwards und seine Leibwächter nur noch zu kommen. Lassen Sie sich dort vorerst nicht sehen, um die Gangster nicht zu verprellen.« »Ich werde Mylady diese Empfehlung übermitteln.« »Grüßen Sie die Lady!« Parker tauschte noch einige weitere Worte mit Washman aus, legte auf und schritt gemessen zu seinem hochbeinigen Monstrum zurück. Er war mit der Entwicklung der Dinge sehr zufrieden. Die Zusammenarbeit mit der Polizei klappte ausgezeichnet. Natürlich hatte Parker nicht alle seine Karten auf den sprichwörtlichen Tisch gelegt. Superintendent Washman wußte nichts von den geheimen Kellerräumen, auch nichts von der Anwesenheit eines gewissen Berufskillers in einem unterirdischen Apartment. Es stand nicht zu befürchten, daß die im Haus der Lady wartenden Beamten den geheimen Zugang zu diesem Apartment fanden. Dazu war dieser Einstieg so raffiniert getarnt. »Nun?« erkundigte sich die energische Dame, als Parker in den Wagen stieg. Sie beugte sich vor und musterte ihren Butler. »Ist die Falle gestellt, Mr. Parker?« »Die Gangster samt Mr. Edwards brauchen nur noch zu kommen«, gab Josuah Parker zurück. »Hoffentlich verhalten sie sich so, wie Sie es sich vorstellen, Mr. Parker.« »Nach den gültigen Regeln der Psychologie können sie sich gar nicht anders verhalten. Mylady«, meinte Parker gemessen. »Mr. Edwards wird inzwischen vom Anrufbeantworter erfahren haben, daß Mylady und Begleitung für einige Tage unterwegs sind. Dieser Verlockung wird Mr. Edwards auf keinen Fall widerstehen können.« * Der Berufskiller hatte keine Ahnung, wie nahe die Rettung war. Norman Lower wußte nichts von der Anwesenheit der Polizei im Haus der Lady Simpson. Er war völlig durcheinander und zweifelte 71
an seinem Verstand. Er stand kopfschüttelnd vor der Spüle und dem Waschbecken. Lower musterte das benutzte Geschirr, sah die vielen leeren Konservendosen, den überfüllten Aschenbecher und den überschwellenden Abfalleimer. Nein, das konnte doch unmöglich wahr sein! Er wußte doch genau, daß das alles noch nicht gewesen war, als er sich niedergelegt hatte. Woher stammten die leeren Dosen und Packungen? Hatte er den Inhalt gegessen? Er konnte sich an nichts erinnern. Sollte sein Geist sich bereits verwirrt haben? Wurde er schon seit vielen Tagen hier in diesem Apartment festgehalten? Hatte er jeden Begriff für Zeit und Raum verloren? Norman Lower öffnete fast ängstlich den Eisschrank, prallte zurück und warf die Tür wieder zu. Nein, nein, das war einfach nicht zu begreifen. Der Eisschrank, den er doch vor ein paar Stunden vollgepackt gesehen hatte, enthielt nur noch spärliche Vorräte. Nein, er konnte sich nicht erinnern, ihn leergeplündert zu haben. Der Berufskiller geriet wieder mal in Panik und zweifelte an seinem Verstand. Er ließ sich in den Sessel fallen, massierte sich fast gewaltsam die Schläfen und entschied dann, den Kopf unter kaltes Wasser zu stecken. Er wunderte sich schon fast nicht mehr, als er nur den schäbigen Rest der Seife entdeckte. Hatte er in der Zwischenzeit so oft geduscht? Da war eine Erinnerungslücke, die er einfach nicht auszufüllen vermochte. Norman Lower behandelte also seinen Kopf, trocknete sich nur oberflächlich ab und baute sich dann vor dem Telefonapparat auf, der ihn wieder mal magisch anzog. Sollte er das Risiko eingehen? Es gab eine einzige Möglichkeit, um zurück in die normale Welt zu gelangen. Er hob den Hörer an und zuckte zusammen, als das Freizeichen ertönte. Es klang verlockend und einladend. Er brauchte nur seinen Zeigefinger auszustrecken und die bewußte Nummer zu wählen. Diese Nummer würde ihn mit einem Mann verbinden, der ihm verpflichtet war. Es handelte sich um einen Berufskollegen, dem er vor Jahren mal aus einer bösen Patsche herausgeholfen hatte. Und dann war da wieder diese Panik. Würde dieser Kollege überhaupt eine Hand für ihn rühren? War 72
dieser Kollege vielleicht nicht froh darüber, daß ein Konkurrent aus dem Verkehr gezogen wurde? Würde dieser Kollege sich nicht ins Fäustchen lachen? Er mußte es wissen. Norman Lower pfiff auf jede Vorsicht, und gleichzeitig schmiedete er bereits Pläne. Falls sein Kollege ihm helfen konnte, mußte er anschließend von der Bildfläche verschwinden, damit die Anonymität eines gewissen Norman Lower wiederhergestellt wurde. Dem Berufsmörder kam es auf ein Menschenleben nicht an. Die Wählerscheibe drehte sich. Norman Lower atmete schnell und stoßweise. Hoffentlich ließ die Verbindung sich herstellen. Warum nahm sein Kollege denn nicht ab? War er unterwegs? Befand er sich gar nicht im Haus? Das Läuten wurde für ihn immer lauter und eindringlicher, doch auf der Gegenseite wurde nicht abgehoben. Schließlich ließ Norman Lower den Hörer sinken, tippte mit dem Finger auf die Gabel und wählte erneut. Doch auch diesmal hatte er kein Glück. Nein, sein Berufskollege mußte unterwegs sein. Lower schalt sich einen ausgemachten Idioten, daß er nicht schon viel früher angerufen hatte. Nun hatte er eine wichtige Chance verspielt. Vielleicht dauerte es Tage oder Wochen, bis der Mann wieder zurück war. Der Berufskiller lehnte sich im Sessel zurück und schloß die Augen. Er überlegte krampfhaft, was er sonst noch tun konnte. Er mußte heraus aus dieser schrecklichen Falle und es so schnell wie möglich schaffen, sonst wurde er noch verrückt. Sollte er die Polizei alarmieren? Was konnte man ihm schon beweisen? Er brauchte doch nur alles abzustreiten, was diese Lady Simpson vielleicht behauptete. Klar, seine bisherige Anonymität war dann ein für allemal durchbrochen. Doch kam es darauf überhaupt noch an? Norman Lower beugte sich vor, griff zum Telefon und gab sich einen inneren Ruck. Dann wählte er die Nummer der Polizei, atmete tief durch und legte sich im voraus zurecht, was er dem diensttuenden Beamten sagen würde. Er wartete, doch auf der Gegenseite wurde nicht abgehoben. Das konnte doch nicht sein, so etwas gab es doch nicht. Verdammt, die Polizei war doch für alle da? Schlief sie? Warum wurde nicht abgehoben? Hatte er in seiner Aufregung die falsche Nummer gewählt? 73
Norman Lower versuchte es erneut, auch diesmal ohne jeden Erfolg. Er begriff das nicht. Er versuchte es wieder und wieder, bis er endlich merkte, daß weitere Versuche sinnlos waren. Irgend etwas stimmte nicht mit diesem Apparat. * Gary Edwards hatte seine Truppen in die Schlacht geschickt. Fünf junge Gangster brannten darauf, die Scharte auszuwetzen, die ein gewisses Trio ihnen zugefügt hatte. Sie wollten sich für ihre bittere Niederlage rächen. Sie freuten sich darauf, Lady Simpson, Kathy Porter und Butler Parker durch die Mangel zu drehen, wie es in ihrer Berufsfachsprache hieß. Es ging auf drei Uhr morgens zu, als die Männer in Shepherd’s Market eintrafen. Ihr Anführer war der Sekretär von Gary Edwards. Er versprach sich eine Menge von diesem Einsatz. Falls es ihm gelang. Gladkins zu befreien, dann konnte er einige wichtige Pluspunkte für seine weitere Karriere verbuchen. Er hatte sich vorgenommen, seinen Chef Edwards ein wenig anzuschwärzen. Ganz geschickt natürlich und nur beiläufig. Gladkins, der Mann, der zur Spitze des Syndikats gehörte, müßte endlich mal erfahren, wie schlecht Edwards seinen Laden hier in London führte. Der Sekretär hielt sich einfach für besser als sein Chef. Er rechnete damit, eines Tages gegen ihn ausgewechselt zu werden. Jetzt ließ das Verfahren sich vielleicht beschleunigen. Die fünf jungen Gangster waren bis an den kleinen Platz herangefahren und, sondierten hier erst mal die allgemeine Lage. Nun, etwas Verdächtiges war weit und breit nicht zu sehen. Sämtliche Häuser, die den kleinen Platz säumten, waren dunkel. Um diese Zeit lag selbst der hartnäckigste Nachtschwärmer in seinem Bett und schlief. »Los«, forderte der Sekretär seine Begleiter auf und löste sich aus der Dunkelheit. »Überhaupt kein Problem. Jungens! In ein paar Minuten sind wir im Haus.« Nein, es war wirklich kein Problem. Sie teilten sich in zwei Gruppen auf und pirschten sich an Agatha Simpsons Haus heran. Sie bewegten sich mit Routine und Tempo. Vor der Haustür trafen sie wieder zusammen und beschäftigten sich mit dem Schloß. 74
Es war innerhalb von anderthalb Minuten geknackt. Der Sekretär übernahm wieder die Führung, betrat den Teppich in dem kleinen Windfang und Vorraum und spähte durch die Glastür in die Wohnhalle. »Alles in bester Ordnung«, behauptete er dann, bewegte den Türknauf und schob sich in die Halle. Er ging davon aus, daß der Anrufbeantworter die Wahrheit gesagt hatte. Lady Simpson, ihre Gesellschafterin und dieser Butler waren ja unterwegs. Die Eindringlinge konnten sich also in aller Ruhe hier einnisten und auf die Rückkehr der Lady warten… Die Gangster waren bis an die Zähne bewaffnet und hatten im Grund nichts zu befürchten. Auf die Mündungen ihrer Schußwaffen hatten sie zusätzlich noch Schalldämpfer montiert. Wenn sie in Aktion traten, geschah das geräuschlos und diskret. Sie versammelten sich in der Wohnhalle und unterhielten sich leise miteinander. Der Sekretär ordnete an, daß erst mal die Räume des altehrwürdigen Hauses besichtigt wurden. Dann wollte er entscheiden, wer in welchem Raum Wache schob. Doch leider kam alles ganz anders. Eine laute Stimme sagte plötzlich in scharfem Ton. es empfehle sich, die Waffen wegzuwerfen. Gleichzeitig flammten sämtliche Lichtquellen in der Wohnhalle auf. Geblendet und verwirrt purzelten die fünf Männer durcheinander. Sie sahen überall Polizeiuniformen und auch Hunde, die die Eindringlinge aufmerksam beobachteten. Es war vor allen Dingen Gard Edwards Sekretär, der auf diese Vierbeiner allergisch reagierte. Der Sekretär warf seine Waffe sofort zu Boden und streckte seine Arme aus. Er versuchte mit allen Kräften den Leuchter unter der Decke der Wohnhalle zu erreichen. Dabei wirkte er beispielgebend. Seine vier Begleiter waren erfahren genug, auf einen Schußwechsel mit den Polizeibeamten zu verzichten. Sie wußten, wie das Gesetz darauf reagierte, schmetterten nun auch ihre Waffen auf den Teppich und gaben auf. »Diese verdammte Alte«, ärgerte sich der Sekretär halblaut. »Hoffentlich geht es auch noch Edwards an den Kragen.« Der junge Gangster wußte natürlich daß ihm ein längerer Zwangsaufenthalt in einem Gefängnis sicher war. Er hoffte nur, dort auch Edwards zu sehen. Der hatte sie. schließlich in diese Falle gehetzt. 75
* »Haben Mylady noch Wünsche?« erkundigte sich Josuah Parker diskret. Er sah Agatha Simpson erwartungsvoll an. Sie saß vor dem Kamin und wirkte noch sehr munter. Man sah der Dame nicht an, daß sie sich die Nacht um die Ohren geschlagen hatte. »Reichen Sie mir einen Kognak«, verlangte Lady Agatha. »Ich denke, diesen Tag muß man feiern.« »Dieser Ansicht ist auch Superintendent Washman«, bemerkte der Butler in seiner gemessenen Art. »Ich war so frei, mich auch im Namen Myladys zu bedanken.« »Er sollte sich bei uns bedanken«, antwortete die Hausherrin umgehend und sah ihren Butler fast empört an. »Wer hat ihm denn zu diesem großen Fang verholfen?« »Superintendent Washman ist sich dieser Tatsache wohl bewußt.«, sagte Parker und nickte zustimmend. »Seiner Ansicht nach ist die Londoner Filiale des Rauschgiftsyndikats erst mal zerschlagen. Er hofft, über Gladkins an die Spitze heranzukommen.« »Wo bleibt mein Kognak?« erinnerte Lady Simpson nachdrücklich. »Aber befeuchten Sie nicht nur das Glas, Mister Parker. Ich möchte mich richtig stärken.« Josuah Parker servierte umgehend den Kreislaufbeschleuniger, den seine Herrin mit großem Behagen zu sich nahm. »Was wird aus diesem Lümmel Edwards?« erkundigte sie sich dann. »Superintendent Washman befindet sich inzwischen wohl auf dem Weg zu seinem Landsitz«, sagte Parker höflich. »Er hat sich einen Haftbefehl ausstellen lassen.« »Er hätte mir diese Sache überlassen sollen«, fand Agatha Simpson. »Ich weiß, wie man diesen Edwards zu behandeln hat.« »Seine Mitarbeiter werden ihn mit Sicherheit belasten«, erklärte Butler Parker. »Superintendent Washman ist sicher, daß er Mister Edwards unter Anklage stellen kann. Die ersten Aussagen der Festgenommenen sprechen bereits dafür.« »Mit meinem Pompadour hätte ich ihn zum flüssigen Reden gebracht.«, meinte Lady Agatha grimmig. »Nun ja, dazu ist wohl immer noch Zeit. Was macht dieses Subjekt in unserem Keller?« »Das, Mylady, wollte ich gerade besonders vermelden.« 76
»Er hat also endlich angerufen?« »In der Tat, Mylady! Sein Widerstand wurde schnell gebrochen. Es dauerte noch nicht mal eine ganze Nacht.« »Und wie lautet das Ergebnis? Lassen Sie sich gefälligst nicht jedes Wort aus der Nase ziehen, Mister Parker!« »Der Gast des Hauses versuchte sich mit einem gewisse Rob Stinwell in Verbindung zu setzen, wie die Auswertung der von ihm gewählten Telefonnummer ergab.« »Ich hoffe, Sie wissen inzwischen schon, was sich hinter diesem Namen verbirgt, oder?« »Mylady sehen mich zerknirscht, aber leider kann ich mit weiteren Informationen noch nicht dienen. Ich kenne nur die Adresse dieses Mister Rob Stinwell.« »Worauf warten wir noch, Mister Parker?« Agatha Simpson erhob sich sofort und strich sich den faltenreichen Tweedrock glatt. »Mylady wollen ausfahren?« »Was dachten Sie denn? Wir werden uns diesen Mister Stinwell aus nächster Nähe ansehen. Ist es weit bis zu ihm?« »Mister Stinwell beliebt in Soho zu wohnen.« »Das ist doch nur ein Katzensprung. Also, brauchen Sie noch eine schriftliche Einladung?« Im Grund war Butler Parker nur zu gern bereit, diesen Besuch zu absolvieren. Auch er wollte sich Rob Stinwell ansehen. Nicht, umsonst hatte der Berufsmörder mit diesem Mann eine Verbindung angestrebt. Seiner Schätzung nach arbeitete Stinwell in der Branche, in der auch der Mann aus dem Kellerapartment tätig war. Rob Stilwell mußte demnach Einzelheiten über den Berufsmörder wissen. Es dauerte nur eine Viertelstunde, bis das Trio wieder unterwegs war. Lady Agatha Simpson machte einen sehr aufgekratzten und munteren Eindruck, wie Parker feststellte. Einmal so richtig in Fahrt, war die Detektivin kaum mehr zu bremsen. * Das hochbeinige Monstrum des Butlers hielt auf einem Parkplatz, der zu einem Kino gehörte. Von hier aus ließ sich das Haus gut beobachten, in dem Rob Stinwell wohnte. Im Erdgeschoß befand sich ein italienisches Lokal, das um diese Zeit natürlich ge77
schlossen war. Über diesem Lokal gab es einige Büros und Wohnungen. Der Butler stieg aus und schritt gemessen auf das Haus zu. Er suchte nach der Tür und fand sie in einem Torbogen, der auf einen Hinterhof führte. Hier standen einige Wagen, die er sich sehr genau ansah. Möglicherweise fand er bereits einen ersten Hinweis auf besagten Rob Stinwell. Sein Instinkt hatte ihn richtig geführt. Josuah Parker entdeckte einen Caravan, auf dessen Seitenscheiben der Name Stinwell auftauchte. Unter diesem Namen befand sich eine weitere Schriftzeile. Daraus ging hervor, daß Rob Stinwell als Vertreter für feine Lederwaren und Geschenkartikel tätig war. Das war ein ertragreicher Beruf. Unter diesem Vorzeichen konnte er sich überall bewegen und das ganze Land bereisen. Stinwells Aktionsradius war also unbegrenzt groß. Ob er aber tatsächlich Vertreter war, mußte erst noch herausgefunden werden. Parker studierte die Klingelschilder an der Tür und fand auch hier den Namen Stinwell. Alles hatte seine Ordnung. Der Butler wollte gerade allein hinauf zu Stinwell gehen, als er hinter sich ein Räuspern hörte. Lady Agatha Simpson! Nein, sie war einfach nicht abzuschütteln. Sie nickte Parker, der sich umgedreht hatte, nur grimmig zu und konnte es kaum erwarten, ins Haus zu kommen. Sie hatte ihren Butler wahrscheinlich wieder mal durchschaut und seine Pläne durchkreuzt. Parker unterdrückte einen Seufzer und sperrte die Tür auf. Er besorgte das mit der Schnelligkeit eines Superprofis. Dann drückte er die Tür auf und ließ Mylady eintreten. »Ich hoffe sehr, daß Sie nicht ohne mich hinauf wollten, oder?« Grollend klang ihre Stimme. »Mitnichten und keineswegs, Mylady«, erwiderte Parker. »Vorwärts«, drängte die resolute Dame. »Er dürfte sich im schönsten Schlaf befinden. Ich möchte ihn schocken.« Es ging drei Treppen hoch, die Lady Simpson leicht schaffte. Sie schnaufte ein wenig, als sie die richtige Tür erreicht hatten, trat zur Seite und schaute ihren Butler ungeduldig an. »Schlafen Sie nicht ein«, raunzte sie. »Brechen wir die Tür auf, oder gibt es eine andere Möglichkeit?« 78
»Vielleicht sollte man es zweckmäßigerweise erst mal anders versuchen«, gab der Butler zurück. »Ich erlaube mir allerdings zu befürchten, daß die Tür besonders gesichert ist.« »Dann werde ich die Sache mal in die Hand nehmen.« Bevor Parker etwas dagegen unternehmen konnte, klopfte Mylady mit ihrer Faust nachdrücklich gegen das Türblatt. Das heißt, sie klopfte nicht, sie hämmerte wie ein Handwerker und besorgte das ungeniert und sehr kraftvoll. Parker hatte bereits verstanden. Er winkte Kathy zu sich heran. Sie gingen ein paar Stufen die Treppe hinunter, damit sie von der Tür aus nicht gesehen wurden. »Machen Sie auf, Sie Lüstling«, forderte Agatha Simpson inzwischen mit ihrer dunklen Stimme. »Ich weiß, daß Sie da sind, Sie Flegel! Öffnen Sie, oder ich hole die Polizei!« Es zeugte von der hohen Wohnqualität des Hauses, daß sich in den oberen und unteren Wohnungen nichts rührte. Hier war man verschwiegen und diskret und kümmerte sich grundsätzlich nicht um die Angelegenheiten der Mitbewohner. »Ich schlage die Tür ein!« Lady Simpsons Fäuste vollführten einen wilden Trommelwirbel gegen die Tür. Dazu klingelte sie Sturm und trat mit der linken Schuhspitze noch zusätzlich gegen das Messingblatt am unteren Türrand. Der Erfolg ihrer Bemühungen ließ nicht lange auf sich warten. Agatha Simpson merkte, daß sie durch den Türspion beobachtet wurde, tat aber so, als habe sie das nicht bemerkt. Sie setzte ihre Schuhspitze noch mal gegen das Messingblatt und warf sich dann mit ihrem ganzen Gewicht gegen die Tür. »Sind Sie wahnsinnig?« Rob Stinwell hatte die Tür geöffnet, aber die Sicherheitskette noch nicht ausgehakt. Es handelte sich um einen schmalen, unscheinbar aussehenden Mann von etwa fünfzig Jahren, an dem nichts auffiel. Rob Stinwell trug einen viel zu weiten Schlafanzug, über den er sich einen Bademantel geworfen hatte. »Sie Sittenstrolch«, wurde Agatha Simpson heftig. »Sie Lüstling! Wie können Sie sich erlauben, meine Tochter…?« »Ihre Tochter?« Rob Stinwell, von Berufs wegen mißtrauisch, versuchte Lady Simpson einzuschätzen. Er kam zu keinem endgültigen Ergebnis, denn: er wußte die Frau vor der Tür nicht richtig einzuordnen. Zudem fühlte er sich auch nicht angesprochen. Er wußte nichts von einer Tochter. 79
»Machen Sie auf, Sie Feigling«, forderte Agatha Simpson inzwischen. »Ich schreie sonst das ganze Haus zusammen und hole auch noch die Polizei. Ich verlange Genugtuung dafür, daß Sie meine Tochter…« »Von wem reden Sie eigentlich?« Rob Stinwell war am Erscheinen der Polizei überhaupt nicht interessiert. Er kam zu dem Schluß, daß es sich hier um ein Mißverständnis handelte. Das ließ sich tatsächlich am besten in seiner kleinen Wohnung klären. Er entfernte also die Sicherheitskette und öffnete die Tür. Im gleichen Moment warf Agatha Simpson sich gegen das Türblatt. Dieses wiederum flog gegen Stinwell, der seinerseits ein gutes Stück zurückgeschleudert wurde… Als der Wohnungsinhaber sich von seiner Überraschung erholt hatte, kniff er die Augen zusammen und schaltete um auf äußere Vorsicht. Hinter dieser schrulligen Alten waren jetzt zwei weitere Personen aufgetaucht, eine Art Butler und so etwas wie ein Mannequin, was das Aussehen der jungen Frau anbetraf. Er begriff, daß man ihn hereingelegt hatte, und wollte sich in sein Schlafzimmer flüchten. Es waren nur wenige Meter, doch er schaffte sie nicht. Lady Simpsons Pompadour befand sich bereits in der Luft und hielt zielsicher auf Stinwells Hinterkopf zu. Als der ,Glücksbringer’ im Pompadour sich auf den Hinterkopf des Mannes legte, fühlte Stinwell eine seltsame Schwäche in seinen Beinen. Er sah viele bunte Sterne, verlor jedes Interesse an seiner Umgebung und setzte sich erst mal auf den Boden. Als seine Benommenheit ein wenig wich, entdeckte er sich auf dem Rand seines Bettes. Man mußte ihn in der Zwischenzeit in sein Schlafzimmer gebracht haben. Kathy Porter stellte eine schallgedämpfte Handfeuerwaffe sicher, die sie unter Stinwells Kopfkissen fand. »Wer… Wer sind Sie?« stotterte Stinwell entgeistert. »Was… Was wollen Sie?« »Ich werde Ihnen reinen Wein einschenken«, schickte Lady Simpson voraus. »Hören Sie genau zu, junger Mann, und sperren Sie die Ohren auf! Ich sollte durch Gift umgebracht werden. Dieser Lümmel wollte mich in einer Cafeteria ermorden und arbeitete mit einem Herzgift, das wahrscheinlich keine Spuren hinterlassen hätte. Wer ist dieser Mann und wo wohnt er?« »Warum fragen Sie mich das?« Stinwells Gedanken arbeiteten auf Hochtouren. Er dachte sofort an seinen alten Freund Norman 80
Lower. Der arbeitete sehr gern mit solchen Tricks. Er, Stinwell. hielt mehr von schallgedämpften Schußwaffen. Stinwell war ein konservativ eingestellter Mensch, der von diesen neumodischen Praktiken überhaupt nichts hielt. »Lady Simpson gilt als ungeduldig«, schaltete sich auch schon Josuah Parker ein. »Sie neigt dann dazu, gewisse Methoden der Befragung auf die Spitze zu treiben. Sie sollten schnell und ehrlich antworten.« »Ich habe keine Ahnung, warum Sie deswegen ausgerechnet zu mir kommen?« wunderte sich Stinwell. »Ich arbeite als Vertreter für…« »… feine Lederwaren und Geschenkartikel«, sagte Butler Parker, ihn unterbrechend. »Eine gute Tarnung, wenn ich es mal so ausdrücken darf. Was halten Sie von dieser Art Waffe?« Parker hatte die Spitze seines Universal-Regenschirms angehoben. Die Zwinge zielte auf das Kopfkissen. Rob Stinwell hörte plötzlich ein feines Zischen und stierte dann aus entsetzten Augen auf den bunt gefiederten Pfeil, der sich in sein Kopfkissen gebohrt hatte. »Sie… Sie sind aus der Branche?« flüsterte Stinwell hastig. »Wie heißt der Mann, nach dem wir suchen?« fragte Parker. »Ich weiß nicht, ob auch der nächste Pfeil nur im Kopfkissen landen wird, Mr. Stinwell! Ich hege in dieser Hinsicht die allergrößten Befürchtungen.« »Stop, hören Sie auf!« Rob Stinwell hatte keine Lust, sich solch einen häßlichen und unheimlichen Pfeil einzuhandeln. Hauptsache, er hatte es nicht mit der Polizei zu tun. Das allein war ausschlaggebend für ihn. Ein Norman Lower interessierte ihn nicht, wenn es um seine eigene Haut ging. »Mann, habt ihr ‘ne tolle Tarnung«, schickte er fast andächtig voraus, bevor er zur Sache kam. Er hielt das Trio in seinem Schlafzimmer jetzt endgültig für Profis aus seiner Branche. »Also, dieser Bursche könnte Norman Lower sein.« »Den wir wo finden?« Rob Stinwell aktivierte sein Erinnerungsvermögen und berichtete von Einzelheiten. Dabei schielte er immer wieder auf den Pfeil in Parkers schwarz behandschuhter Hand. »Das ist alles, was ich weiß«, endete Stinwell nach knapp fünf Minuten. »Ehrenwort, ich weiß wirklich nicht mehr.« 81
»Sie werden Myladys Gast sein, bis sich die Richtigkeit Ihrer Angaben herausstellt.«, antwortete Josuah Parker. »Danach können Sie sich wieder frei bewegen.« »Sie nehmen meine Einladung hoffentlich an?« Mylady funkelte ihren kommenden Gast an. »Na… Na… Natürlich?«, bedankte sich Stinwell beeindruckt. »Ich… Ich freu’ mich schon darauf!« * Norman Lower befand sich wie in Trance. Die Fahrt in der Eisenbahn nach Highgate war ihm wie ein verrückter Traum vorgekommen. Er wollte es einfach nicht glauben, daß. er wieder frei war. Er wollte es ferner nicht glauben, daß erst ein ganzer Tag verstrichen war. Das hatte er auf dem Bahnhof herausgefunden, und diese Tatsache hatte ihn eigentlich nur noch verwirrter gemacht. War er tatsächlich nur einen Tag lang in diesem Kellerapartment gewesen? Das konnte doch unmöglich so sein. Was war ihm da nur vorgespielt worden? Der Berufsmörder flüchtete sich nach der Ankunft in Highgate erst mal in eine Teestube und kaufte sich Zigaretten. Bei einer Tasse Tee versuchte er Ordnung in seine Gedanken zu bringen. Ob es in seinen Kopf hineinging oder nicht, seit dem Anschlag auf diese verrückte Lady war erst ein Tag verstrichen… Er begriff nicht, weshalb man ihn so plötzlich auf freien Fuß gesetzt hatte. Wie das geschehen war, wußte er ebenfalls nicht. Er war in seinem Apartment eingeschlafen und dann plötzlich in einem kleinen Park erwacht, fröstelnd und allein auf weiter Flur. Daraufhin hatte Norman Lower sich sofort abgesetzt und immer wieder vergewissert, ob man ihn auch nicht verfolgte. Der Berufskiller fühlte sich erschöpft und ausgepumpt. Er hatte nur den einen Gedanken, so schnell wie möglich nach Hause zu kommen. Er brauchte jetzt Ruhe, um wieder zu sich zu finden. Der Aufenthalt im Kellerapartment war für ihn die Hölle gewesen. Der Bus kam. Norman Lower verließ die Teestube und löste sich ein Ticket. Bis zu seinem Haus brauchte er jetzt nur noch zwanzig Minuten. Dann befand er sich endlich wieder in vertrauter Umgebung und 82
konnte sich erholen. Hier draußen auf dem Land konnte er das. Hier galt er als reicher Sonderling, der immer wieder mal verreiste und Verwandte besuchte. Während der Fahrt schaute Lower sich um. Wurde er heimlich beschattet? Hatte diese alte Verrückte sich etwa auf seine Spur gesetzt? Nein, er konnte nichts entdecken. Langsam beruhigte er sich. Wahrscheinlich hatte man ihn in London an die frische Luft gesetzt, weil die Lady eingesehen hatte, daß ihm doch nichts nachzuweisen war. Ja, so mußte es gewesen sein! Der Bus hielt, und Norman Lower stieg aus. Er hatte jetzt noch den kleinen Fußmarsch durch das Dorf vor sich. Der dauerte zehn Minuten. Am Wäldchen neben dem Moor stand sein Haus, in dem er vollkommen sicher war. Regen hatte eingesetzt und Nebelfetzen trieben von den Höhen herunter ins Tal. Norman Lower lebte von Meter zu Meter sichtlich auf. Er war inzwischen absolut sicher, daß er nicht verfolgt wurde. Hier draußen in vertrauter Umgebung hätte er das bestimmt gemerkt. Ein Fremder wäre sofort aufgefallen. Es war schon ein recht seltsames Haus, das er bewohnte. Es war windschief, bestand aus Holz und hatte spitze Giebel. Irgendwie wirkte es bizarr und abschreckend. Die Nebelschwaden, die es umspielten, verstärkten diesen Eindruck noch. Das unheimlich aussehende Haus unterstützte noch den Eindruck, den er als Sonderling machen wollte. Die Dorfbewohner ließen sich hier draußen selten sehen. Ja, sie machten sogar einen großen Bogen um dieses Haus. Die letzten Meter legte er fast im Laufschritt zurück, sosehr, sehnte er sich nach seiner gewohnten Umgebung. Norman Lower öffnete das windschiefe Gatter, eilte auf die Haustür zu und riß sie auf. Dann warf er sie wie erlöst hinter sich ins Schloß und atmete befreit auf. Gerettet! Er war noch mal davongekommen… Norman Lower betrat den großen Wohnraum und ging hinüber zu einem Wandtisch, auf dem Flaschen und Gläser standen. Jetzt brauchte er erst mal einen kräftigen Schluck, um seine Nerven endgültig zu beruhigen. Er genehmigte sich noch einen zweiten Schluck und wollte dann sofort telefonieren. Es war klar für ihn, daß er seinen Auftrag zurückgeben würde. Larpusse und Calverre in Antwerpen sollten 83
sich einen anderen Berufskiller suchen. Vielleicht sollte er ihnen seinen früheren Freund Rob Stinwell vorschlagen. Norman Lower ließ sich eine Verbindung mit Antwerpen herstellen. Er übersah die kleine ,Wanze’ in der Sprechmuschel, ja, er kam überhaupt nicht auf den Gedanken, daß seine Leitung vielleicht angezapft worden war. Es dauerte eine Weile, bis sich endlich Larpusse meldete. »Ich bin aus der Auktion ausgestiegen«, sagte Lower. »Ich habe kein Interesse mehr. Ich werde die Vorauszahlung zur Verfügung stellen. Nein, kein Kommentar! Ich will einfach nicht mehr. Wenn Sie wollen, kann ich Ihnen einen Freund vorschlagen. Wie er heißt? Rob Stinwell in London. Sie werden ihn schon finden. Nein, ich brauche keine weitere Zeit. Ich will einfach nicht mehr. Ich habe die Nase einfach voll. Ende!« So, das war erledigt. Norman Lower genehmigte sich einen dritten Drink und wanderte dabei durch den Wohnraum. Er hatte jetzt Zeit und freie Bahn. Und diese Zeit wollte er einzig und allein darauf verwenden, sich mit dieser schrulligen Alten zu befassen. Für ihn war die Sache noch nicht erledigt. Unter der stimulierenden Wirkung des Alkohols wuchs sein Mut. Zahn um Zahn. Und wenn es Monate dauern sollte, er mußte diese Lady Simpson erwischen und es ihr heimzahlen. Einen Norman Lower legte man nur einmal aufs Kreuz. Er nahm sich vor, keine weiteren Aufträge anzunehmen. Erst nach Lady Simpson waren wieder andere an der Reihe. Aber diese Alte mußte sterben! Norman Lower griff noch mal zum Hörer und meldete ein Gespräch nach Kanada an. Normalerweise hätte er das von seiner Wohnung aus niemals getan, doch nun war das etwas anderes. Er wollte seinen Büroanschluß sperren lassen. So etwas war eine einfache Sache. Die Hausverwaltung hatte das in der Vergangenheit schon einige Male für ihn erledigt, wenn er für längere Zeit ,dienstlich’ unterwegs war. Das war also nur eine Formsache. Nach zehn Minuten meldete sich die Hausverwaltung. Norman Lower nannte den Namen, unter dem er dort in dem Bürohaus sich einen Raum gemietet hatte, und bat um zeitweilige Sperrung seines Anschlusses. Ja, die Sache ging in Ordnung, wie man ihm sagte. Lower legte auf und entschied sich für einen weiteren Drink. Langsam fand er zu seiner gewohnten Sicht zurück. Die alptraumhaften Erlebnisse im Kellerapartment lösten sich erfreuli84
cherweise auf. Ein Mann wie Norman Lower ging vielleicht mal für eine gewisse Zeit zu Boden, doch er blieb bestimmt nicht liegen, sondern richtete sich wieder auf und mischte dann noch intensiver mit. So wenigstens dachte der Berufskiller von sich. * »Haben Sie sich die Namen Larpusse gemerkt?« fragte Agatha Simpson, die zusammen mit Butler Parker und Kathy Simpson Lowers Gespräch nach Antwerpen abgehört hatte. Die ,Wanze’ in dem Hörer hatte jedes Wort gestochen scharf aufgenommen und in das Spezial-Autoradio transportiert. »Sicherheitshalber habe ich dieses Gespräch sogar auf Tonband mitgeschnitten«, antwortete der Butler gemessen. »Auch das Gespräch nach Kanada, Mylady. Man wird in Toronto weiter ermitteln müssen.« »Das ist Sache der Polizei«, entschied die Detektivin. »Mit solchen Kleinigkeiten gebe ich mich doch nicht ab, Mr. Parker, was denken Sie denn?« »Wissen Mylady mit dem Namen Larpusse etwas anzufangen?« »Ich dachte, Sie könnten mir einen Typ geben?« Das Trio unterhielt sich in aller Ruhe in Parkers Wagen, der in einer Waldlichtung stand etwa dreihundert Meter von Lowers Haus entfernt, Mylady, Kathy Porter und Butler Parker waren lange vor Norman Lowers Ankunft hier in dem kleinen Dorf eingetroffen und hatten sich das Innere des Hauses gründlich angesehen. Bei dieser Gelegenheit hatte Parker auch die bewußte ,Wanze’ installiert, wobei er selbstverständlich Lady Simpson gegenüber Protest eingelegt hatte. Parker hatte seine Herrin darauf hingewiesen, daß solches Tun ungesetzlich sei. Agatha Simpson hatte darauf mit dem Wort ,Papperlapapp’ geantwortet und den Protest überhört. Dank dieser ,Wanze’ wußte das Trio allerdings nun Bescheid. »Der Name Larpusse ist mir unbekannt.«, äußerte Parker. »Dennoch scheint es sich dabei um den Auftraggeber für den an Mylady geplanten Mord zu handeln.« »Diesen Larpusse in Antwerpen werden wir bei Gelegenheit unter die Lupe nehmen«, freute sich Agatha Simpson bereits im voraus. »Das sieht nach einem neuen Fall aus, Mr. Parker.« 85
»In der Tat, Mylady! Vielleicht handelt es sich dabei um eine alte Rechnung, die man erst jetzt mit Mylady begleichen will.« »Diesen Lümmel werde ich mir auf jeden Fall kaufen«, sagte die Sechzigjährige grimmig. »Eine ausgemachte Frechheit, mir einen Berufsmörder auf den Hals zu hetzen. Den Namen Larpusse werde ich mir merken.« »Mr. Lowers Nerven dürften sich inzwischen beruhigt haben«, sagte Parker, bewußt das Thema wechselnd. »Sollte man Mr. Lower nicht das nächste Wechselbad bereiten?« »Larpusse, Larpusse«, wiederholte Agatha Simpson leise und nachdenklich. »Irgendwie dämmert es mir, Mr. Parker Kathy, geht Ihnen nicht endlich ein Licht auf? Erinnern Sie sich gefälligst, Kindchen! Antwerpen, Belgien, das sind doch Reizworte.« »Darf ich mir erlauben, Mylady, das Reizwort Diamanten hinzuzufügen?« bat Parker. »Warum haben Sie das nicht gleich gesagt!« Agatha Simpson sah ihren Butler stirnrunzelnd an. »Das ist es. Diamanten! Oder doch nicht?« »Ich wage das nicht zu beurteilen, Mylady.« »Larpusse«, wiederholte die Detektivin noch mal. »Wem habe ich denn im Zusammenhang mit Diamanten auf die Zehen getreten, Kindchen? Ich kann mich nicht erinnern.« »Vielleicht sollten Mylady Antwerpen vergessen und auch den Hinweis auf Diamanten«, schlug Parker vor. »Bringen Sie mich gefälligst nicht völlig durcheinander, Mr. Parker«, raunzte die ältere Dame ihren Butler unwirsch an. »Jetzt weiß ich überhaupt nicht mehr, woran ich bin.« »Sollte man die Beantwortung dieser Frage nicht Mr. Lower überlassen, Mylady?« »Darf ich Sie daran erinnern, Mylady, daß wir vor etwa einem Monat in Paris waren?« ließ Kathy Porter sich plötzlich mit fast triumphierender Stimme vernehmen. »Glaubten Sie nicht, bei einem Empfang durch die Handelskammer Monsieur Pierre Lamont gesehen zu haben?« »Kindchen, ich werde Sie bei Gelegenheit wahrscheinlich umarmen und küssen«, freute sich Agatha Simpson und nickte sehr nachdrücklich. »Pierre Lamont, das muß dieser Larpusse sein!« »Darf ich gestehen, Mylady, daß ich kein Wort verstehe?« Parker hatte keine Ahnung, wovon die beiden Damen sprachen. »Erklären Sie es ihm, Kindchen.« Lady Simpson nickte Kathy 86
Porter zu und drückte sich dann zufrieden in die Polster des Rücksitzes. Ja, sie wußte wieder genau Bescheid und sah alles vor sich… »Die Sache ist schnell erzählt.«, begann Kathy Porter inzwischen, sich an den Butler wendend. »Als ich noch allein mit Mylady war, besuchten wir vor etwa drei Jahren eine Schmuckauktion in Rio de Janeiro. Sie wurde von einem gewissen Pierre Lamont veranstaltet und präsentierte wirklich erstaunlich schöne Stücke. Pierre Lamont erzielte hohe Preise und verschwand kurz nach der Auktion mitsamt dem Erlös von der Bildfläche. Er wurde nie wieder gesehen. Man vermutete damals, er sei einem Verbrechen zum Opfer gefallen. Später stellte sich dann heraus, daß er sogar einige wertvolle Kolliers und Diademe gefälscht und durch Glasimitationen ersetzt hatte. Lamont war also zumindest ein geschickter Betrüger gewesen, der die Käufer hereingelegt hatte.« »Die Imitationen waren erstklassig, Mr. Parker, das muß der Neid ihm lassen«, schaltete Agatha Simpson sich anerkennend ein. »Er mußte diesen Coup von langer Hand vorbereitet haben.« »Und diesen besagten Pierre Lamont glauben Mylady vor etwa einem Monat in Paris wiedergesehen zu haben?« Parker war sehr interessiert. Ich sah ihn nur flüchtig und wußte sofort, daß es Lamont war. »Ich ging ihm natürlich nach«, berichtete Lady Simpson weiter. »Sie können sich vorstellen, daß ich ihn stellte. Übrigens auf einer Herrentoilette, um genau zu sein.« »Ein ungewöhnlicher Aufenthalt für eine Lady.« Parker war ein wenig schockiert. »Das fanden die Herren dort auch.« Agatha Simpson lachte auf und amüsierte sich nachträglich noch mal. »Ich scheuchte die Männer in den Vorraum und kaufte mir Lamont. Er stritt natürlich ab, Lamont zu sein und zeigte mir Papiere, um mich endgültig von meinem Irrtum zu überzeugen.« »Lauteten diese Papiere auf den Namen Larpusse, Mylady?« »Eben nicht, sonst hätte ich mich natürlich daran erinnert. Nein, er hatte sich in Paris einen anderen Namen zugelegt, den ich nicht mehr kenne. Wenig später, als ich wieder im Saal war, verdrückte sich dieser Mann, der nicht Lamont sein wollte. Jetzt weiß ich sicher, daß er es gewesen ist.« »Er fühlt sich durchschaut und wollte sie ermorden lassen, Mylady«, faßte der Butler zusammen. »Ein besonderes Motiv läßt 87
sich gar nicht denken. Lamont, der sich jetzt Larpusse nennt, muß sich inzwischen in Antwerpen etabliert haben. Er fürchtet, Mylady könnte sein Geheimnis aufdecken.« »Das sage ich doch die ganze Zeit.«, gab die Detektiv zurück. »Du lieber Himmel, sind Sie wieder mal schwerfällig, Mr. Parker. Verständigen Sie Ihren Superintendent, damit er sich diesen Lamont-Larpusse kauft! Ein Betrüger und Mordanstifter gehört hinter Schloß und Riegel.« »Mylady könne sich auf meine bescheidene Wenigkeit verlassen«, antwortete der Butler. Er war insgeheim erleichtert darüber, daß Lady Simpson freiwillig darauf verzichtete, sich dieses neuen Falles anzunehmen, der allerdings praktisch schon gelöst war. Um die stets kriegerische Dame nicht doch auf diesen Gedanken zu bringen, lenkte er sie schnell ab. »Darf ich vorschlagen, Mylady, sich jetzt mit Mr. Norman Lower zu befassen?« »Ich warte schon die ganze Zeit darauf«, beschwerte sich Agatha Simpson prompt. »Wollen wir hier Konversation betreiben oder einen Berufsmörder festnehmen?« * Norman Lower zuckte wie unter einem unsichtbaren Peitschenhieb zusammen, als die Glasscheibe hinter ihm zersplitterte. Der Berufsmörder fuhr herum und starrte dann auf den langen Pfeil, der zitternd im Holz der Wohnraumtäfelung steckte. Er nahm den Kopf herum, musterte die zersplitterte Fensterscheibe, machte einen Umweg, näherte sich diesem Fenster von der Seite und schaute nach draußen. Das Entsetzen packte ihn. Vor dem Haus stand eine ihm nur zu gut bekannte Erscheinung. Lady Simpson! Sie hatte einen Seemanns-Südwester auf dem Kopf und einen großen Sportbogen in ihren energischen Händen. Sie legte gerade einen neuen Pfeil auf die Sehne und visierte das Fenster an. Bevor Norman Lower überhaupt reagieren konnte, löste der Pfeil sich bereits von der Sehne und schwirrte direkt auf ihn zu. Norman Lower brüllte auf, warf sich zur Seite und hörte den Luftzug des dicht an ihm vorbeizischenden Pfeils. Er landete in 88
einem Bild und blieb dort nervös bebend stecken. Sie hatten ihn aufgespürt und sein Haus gefunden. Vorbei war es mit seinem bisherigen Inkognito. Wenn er jetzt nicht schnell war, dann hatte er keine Chance mehr. Norman Lower verlor seine Selbstkontrolle. Es war klar für ihn, daß er reinen Tisch machen mußte. Jetzt war die Gelegenheit, diese verrückte Alte und ihre Begleiterin sterben zu lassen. Er brauchte nicht mehr zurück nach London, er konnte das gleich hier erledigen. Diesmal würde er kein Gift benutzen sondern eine echte handfeste Waffe… Der Berufsmörder schaute nach draußen. Agatha Simpson und ihre junge Begleiterin näherten sich langsam dem Haus. Sie liefen Lower direkt in die Arme. Er brauchte nur noch die Schußwaffe aus dem Versteck zu holen. Norman Lower rannte in die Küche, riß die schmale Tür zur Speisekammer auf und zerrte an dem Vorratsregal. Er schwang plötzlich nach vorn und gab den Zugang frei zu einem Geheimversteck, in dem Lower vor allen Dingen seine Giftmischungen untergebracht hatte. Es gab aber auch einige Gewehre und Maschinenpistolen aus jener Zeit, als er noch mit Schußwaffen arbeitete. An einem Haken an der Wand hing eine 9-Millimeter, auf deren Mündung ein Schalldämpfer geschraubt war. Zurück in den Wohnraum. Norman Lower glitt wie auf Wolken. Der Alkohol in seinem Blut beflügelte ihn. Der Berufsmörder erreichte wieder das Fenster und spähte nach draußen. Lady Simpson schien mit ihrer Begleiterin zu kämpfen. Sie bot im Moment kein ordentliches Ziel. Die junge Frau wollte die ältere immer wieder zurückzerren. Lady Simpson aber war stärker. Sie warf ihre Gesellschafterin mit einer heftigen Armbewegung zu Boden, spannte wieder ihren Bogen und legte einen weiteren Pfeil auf die Sehne. Die junge Frau schien bewußtlos zu sein. Sie rührte sich nicht mehr. Nun, sie hatte Zeit. Jetzt ging es Norman Lower erst mal um diese schrullige Alte. Er hob seine Waffe, visierte Lady Simpson an und wollte abdrücken, doch genau in diesem Moment schlug der Bambusgriff eines Regenschirms hart unter seinen ausgestreckten Arm. Der Butler! 89
An ihn hatte der Berufsmörder in der ganzen Aufregung überhaupt nicht gedacht. Der Butler mußte sich heimlich ins Haus geschlichen haben. Lower fuhr herum und wollte die Waffe auf Parker richten. Er hatte allerdings die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Josuah Parker war wesentlich schneller. Er klopfte mit dem bleigefütterten Griff seines Schirms knapp, aber sehr nachhaltig auf die Stirn des Berufsmörders und schickte ihn zu Boden. Als Norman Lower dort landete, war er bereits bewußtlos. »Mylady können sich unbesorgt nähern«, rief Parker dann nach draußen und lüftete dazu seine schwarze Melone. »Stehen Sie auf, Kindchen«, sagte Lady Simpson zu Kathy Porter, die keineswegs bewußtlos war. Als die Gesellschafterin der Lady nämlich aufstand, hielt sie eine sehr langläufige Pistole in Händen. Sie und Agatha Simpson hatten dem Berufskiller absichtlich etwas vorgemacht, um ihn an einem schnellen Schuß zu hindern. Darüber hinaus aber hatte Kathy Porter mit ihrer Waffe Lady Simpson decken wollen. »Haben Sie sein Versteck gefunden?« erkundigte sich die Detektivin, als sie im Haus war. »Wenn Mylady sich bitte überzeugen wollen«, sagte Josuah Parker gemessen. »Dort hinter der Küche. Falls mich nicht alles täuscht, dürfte Mr. Lower dort auch so etwas wie eine private Buchführung versteckt haben.« Eine schnelle Überprüfung zeigte, daß der Berufsmörder ein sehr korrekter Mann war, was seine Geschäftsführung anbetraf. In einer Kladde waren seine bisherigen Aufträge verzeichnet. Und auch die Summen, für die er diese Arbeit erledigt hatte. Nur die Namen seiner bisherigen Kunden waren leider nicht verzeichnet. Parker bedauerte es ungemein, wie er Mylady versicherte. »Man kann nicht alles haben«, sagte Agatha Simpson. »Hauptsache, dieses üble Subjekt ist erst mal kaltgestellt. Lebenslänglich dürfte ihm sicher sein, oder?« »Ich denke, wir haben alle einen verdient.«, sagte Agatha Simpson großzügig. »Verständigen Sie die Polizei, Mr. Parker! Und dann nichts wie zurück nach London. Ich habe dort noch etwas zu erledigen.« »Zu erledigen, Mylady?« Parker war ein wenig konsterniert. »Es begann in einem Warenhaus«, sagte die ältere Dame. »Dieser Lümmel von einem Lower hat mich daran gehindert, eine Bluse zu kaufen. Das möchte ich endlich tun. Hoffentlich läuft mir 90
nicht der nächste Berufsmörder über den Weg.« »Nun trödeln Sie doch nicht so herum, Mister Parker«, räusperte sie. »Auf diese Art. und Weise entgehen uns vielleicht die interessantesten Fälle. Wer rastet, der rostet! Daran sollten Sie immer denken.« »Sehr wohl, Mylady«, gab Parker zurück, höflich und gemessen. Er ließ sich auch jetzt nicht aus seiner sprichwörtlichen Ruhe bringen. Er wußte aus Erfahrung, daß diese interessanten Kriminalfälle förmlich auf sie warteten.
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