William T. Connor
Flucht aus Kinshasa Special Force One Band Nr. 24 Version 1.0
Flucht aus Kinshasa Kinshasa, Botsch...
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William T. Connor
Flucht aus Kinshasa Special Force One Band Nr. 24 Version 1.0
Flucht aus Kinshasa Kinshasa, Botschaft der USA Montag, O93O OZ Der amerikanische Botschafter Jim Patterson empfing den UN-Generalsekretär im Hof des Botschaftsgebäudes. Gerard de Bauville hatte seine Ehefrau und seine engsten Vertrauten mit nach Kinshasa gebracht. Die Begrüßung war freundlich. Patterson bat die Abordnung der Vereinten Nationen in die Botschaft und geleitete sie in einen Besprechungsraum. Verschiedene Getränke und Gläser standen auf den Tischen, der Botschafter forderte die Gäste auf, Platz zu nehmen. Auch einige Angehörige der amerikanischen Botschaft waren anwesend – die engsten Mitarbeiter des Botschafters.
*** »Ich darf Sie im Namen der amerikanischen Regierung herzlichst in Kinshasa begrüßen«, leitete Patterson das Gespräch ein. »Der Anlass, der Sie in den Kongo geführt hat, ist allerdings kein besonders erfreulicher. Es ist nur noch eine Frage von Tagen, vielleicht auch nur von Stunden, bis die Revolution offen ausbricht. Jean Kasavubu wiegelt das Volk auf. Er predigt von Unterdrückung der Luba durch die Mongo und Asande. Überall im Land kriselt es. Die Rinder der Mongo- und Asande-Bauern werden von den Weiden abgetrieben. Tausende Stück Vieh wurden gestohlen. Der offene Konflikt ist sozusagen vorprogrammiert.« »Das kann doch nicht die Ursache für die Unruhen sein«,
sagte de Bauville. »Da steckt doch sicher noch mehr dahinter.« »Natürlich. Aus dem Erlös der Viehdiebstähle werden Waffen gekauft. Es geht um die Vorherrschaft in den Provinzen, in denen eine Reihe von Bodenschätzen wie Gold, Mangan, Diamanten und Kupfer abgebaut werden.« »Erfolgt der Abbau nicht von staatlicher Seite?« »Nicht ausschließlich. Die Provinzen werden eigenverantwortlich verwaltet. Mongo und Asande bilden die Überzahl. Sie machen etwa 40 Prozent der Bevölkerung aus. Viele der Verantwortlichen in den Provinzverwaltungen sind Mongo. Die Luba haben infolgedessen keine Konnexion und werden regelrecht verfolgt. Auch die Amerikaner haben kein Interesse, dass sich die Machtverhältnisse im Land ändern. Das macht sie nicht gerade zu Freunden der Luba.« »Die Mission Friedensstifter steht also unter keinem guten Stern«, sagte der UN-Generalsekretär. »Das kann man wohl sagen«, erwiderte der Botschafter. »Wer sind die Verhandlungsführer?« »Auf Seiten der Luba ein Mann namens Gaston Lubambu, auf Seiten der Mongo und Asande Christopher Mobutu. Die Regierung entsendet einen Mann namens Pierre Tshombe. Außerdem werde ich als Vertreter der USA dabei sein.« »Wo findet das Treffen statt?« »In Kenge. Das ist ein Ort 250 Kilometer östlich von Kinshasa. In der City Hall ist das Treffen für morgen um 13 Uhr anberaumt.« »Wie kommen wir nach Kenge? Fliegen wir?« »Nein. Wir fahren in einem Konvoi. Marines werden uns eskortieren. Es besteht der Verdacht, dass die Rebellen Kasavubus das Treffen verhindern wollen. Es handelt sich um eine große Gruppe Luba, die einen Bürgerkrieg vom Zaun brechen möchte, um die Mongo sowie Asande von den exponierten Stellen im Land zu vertreiben und zu entmachten.« »Wer ist dieser Kasavubu?«
»Ein Luba, der den Aufstand probt. Auf sein Konto gehen schon viele tote Mongo und auch Asande.« »Wann fahren wir?« Weitere Fragen stellte der UNGeneralsekretär nicht. »Morgen früh um acht Uhr, Sir. Wir beide und Ihre Frau werden mit einem gepanzerten Personenwagen befördert. Vor uns und hinter uns werden Marines sein. Sie brauchen sich also keine Sorgen wegen Ihrer und der Sicherheit Ihrer geschätzten Gattin machen.« * Kinshasa, Botschaft der USA Dienstag, 0800 OZ Es waren neun Humvees (offizielle Abkürzung HMMWV = High Mobility Multipurpose Wheeled Vehicle) mit insgesamt 24 Marines, vier Teams aus sechs Mann also, die vor dem Botschaftsgebäude aufgefahren waren. Drei der gepanzerten Jeeps waren für das Gefolge des US-Botschafters und des UNGeneralsekretärs vorgesehen. Auf die Fahrzeuge waren M2. 50cal Maschinengewehre oder Mk 19 40 Millimeter Granatwerfer montiert. Der Botschafter, der Generalsekretär und dessen Ehefrau würden in einem gepanzerten Mercedes S 500 befördert werden. Der UN-Generalsekretär wohnte im Continental Hotel. Dorthin bewegte sich der Konvoi von der Botschaft aus. Drei Humvees fuhren voraus, dann kam der Mercedes mit dem Botschafter der USA, ihm folgten sechs weitere Humvees. Die Marines trugen volle Ausrüstung; Kampfanzug, Helm mit Schutzbrille, Splitterschutzweste, Kampfmesser am Koppel, Reservemagazine und Handgranaten sowie Protektoren an Knien und Ellenbogen. Bewaffnet war jedes Team mit einem M16A2, das mit einem M203 Granatwerfer ausgerüstet war, vier M4Al und einem M249 SAW, einem
Maschinengewehr vom Kaliber 5,56 Millimeter, das zur Standardbewaffnung der Marines gehört. Man konnte es mit 30 Schuss M16 Magazinen oder 200 Schuss Trommelmagazinen verwenden. Die Feuergeschwindigkeit betrug zehn Schuss in der Sekunde. Der Gruppenführer jedes Teams war zusätzlich mit einer M9 Beretta 9 Millimeter ausgestattet. Der Konvoi bewegte sich durch die Stadt. Auf den Gehsteigen und Straßen hatten sich Menschen zusammengerottet. Viele waren bewaffnet. Polizisten und Soldaten patrouillierten. Ein Motorroller, auf dem zwei Schwarze saßen, knatterte die Straße entlang. Ihm kam ein Laster entgegen, auf dessen offener Ladefläche über ein Dutzend Bewaffneter saßen. Einige Militärhubschrauber zogen über der Stadt ihre Runden. Von ihnen aus wurde die Entwicklung des Aufstandes in der Stadt beobachtet und an das Militär-Hauptquartier gemeldet. Böse Impulse schienen die Stadt zu durchströmen. Die Atmosphäre war angespannt und gefährlich. So manche Faust wurde drohend erhoben. Die Amerikaner waren keine gern gesehenen Ausländer mehr. Die Stadt glich einem Pulverfass, dessen Lunte bereits brannte. Schüsse wurden in die Luft gefeuert. Noch eskalierte die Gewalt nicht. Noch verliefen die Demonstrationen friedlich. Aber unter der Oberfläche gärte und brodelte es wie in einem Vulkan. Der Konvoi fuhr bis zum Continental Hotel und hielt davor an. Der Chauffeur des Mercedes stieg aus. Der UNGeneralsekretär und seine Gattin kamen, von sechs Marines eskortiert, die Treppe herunter. Der Fahrer öffnete die Fondtür. Zuerst stieg die Frau de Bauvilles ein, dann er selbst. Der Schlag fiel zu. Eine Menschenrotte hatte sich auf der anderen Straßenseite versammelt. Drohendes Gemurmel und Geraune hing in der Luft. Die sechs Marines standen sprungbereit auf dem Gehsteig
und sicherten um sich. Langsam zogen sie sich wieder ins Hotel zurück, wo im Hof der Humvee stand, der sie wieder zur Botschaft zurückbringen sollte. Der Konvoi fuhr an. Die Gruppenführer der Teams saßen auf den Beifahrersitzen der Humvees und standen miteinander in Funkkontakt. Kontakt bestand auch mit der Botschaft, die ebenfalls von Soldaten gesichert wurde. Verhältnismäßig schnell – soweit es die katastrophalen Straßenverhältnisse eben zuließen – näherten sie sich dem östlichen Stadtende. Aber das Verhängnis wartete bereits. Die Mission Peacemaker war zum Scheitern verurteilt. Jean Kasavubu wollte keinen Frieden. Er wollte Macht. Aus einer Seitenstraße fuhr plötzlich ein Lastwagen. Er nahm dem vordersten Humvee die Vorfahrt. Der Fahrer bremste, die nachfolgenden Fahrzeuge waren ebenfalls genötigt, das Tempo zu drosseln. Zu beiden Seiten der Straße ragten drei- und vierstöckige Gebäude in die Höhe, Geschäfts- und Wohnhäuser. Dazwischen gab es Lücken. Von den Fassaden blätterte die Farbe ab. Die Treppengeländer waren verrostet. Unrat lag auf den Gehsteigen und der Straße herum. Einige Mülltonnen am Straßenrand quollen über. Und überall waren Menschen auf den Gehsteigen. Männer, Frauen und Kinder. Der Lastwagen hielt mitten auf der Straße an. »Verdammt!«, brüllte der Gruppenführer im vordersten Humvee. Da zischte schon eine Boden-Luft-Rakete heran, traf den Humvee und explodierte. Eine Stichflamme schoss in die Luft. Blechteile wirbelten nach allen Seiten und fielen scheppernd auf die Straße. Dichter Qualm entwickelte sich. Für die Soldaten in dem Humvee kam jede Hilfe zu spät. In das Donnern der Explosion hinein erfolgte ein zweiter Donnerschlag. Der hinterste der Humvees wurde ebenfalls gesprengt. Auch hier Feuer, Qualm, durch die Luft wirbelnde Blechteile. Und dann begann eine MPi zu rattern. Eine zweite
stimmte ein. Der Lastwagen fuhr wieder an und verschwand in der Seitenstraße. Der Mercedes und der Rest des Konvois waren zwischen den brennenden Fahrzeugen eingekeilt. Aus den unversehrten Humvees sprangen die Marines. Sie feuerten auf die Fenster und Türen der Häuser, aus denen sie unter Beschuss genommen wurden. Die Straße war voll vom Krachen der Gewehre. Eine Rauchgranate explodierte. Einige der Soldaten waren zu den Zivilfahrzeugen gelaufen. Ein Gruppenführer riss die Fondtür des Mercedes auf. »Aussteigen!«, schrie er. »Sie schießen mit Raketenwerfern. Sie sind in dem Fahrzeug nicht sicher.« Der UN-Sekretär, seine Frau und Jim Patterson, der USBotschafter, kletterten aus dem Wagen. Ihre Gesichter waren bleich, gezeichnet von Schrecken und Entsetzen. In ihren Augen wühlte die Angst. Rundum krachte, klirrte und jaulte es. Männer schrien, Schritte trampelten. Sechs Marines nahmen Gerard de Bauville, seine Frau und Jim Patterson zwischen sich. Feuernd bewegten sie sich auf eines der Gebäude zu. Die anderen zehn Marines, die noch einsatzfähig waren, erwiderten das Feuer nach allen Seiten. Sie benutzten die Humvees als Deckung. Einer der Marines, die den Generalsekretär, dessen Frau und Patterson deckten, rannte voraus und öffnete die Haustür. Unter der offenen Tür wandte er sich sofort um und feuerte schräg in die Höhe, wo sich an einem Fenster ein Gegner zeigte. Handgranaten, die auf die Straße geworfen wurden, detonierten. Der Rauch stieg in die Höhe und wurde vom Wind zerpflückt. Ein Humvee ging in einer Stichflamme in die Luft. Zwei der Marines brachen zusammen. »Holt die Verwundeten von der Straße!«, brüllte einer der Gruppenführer und schoss mit seiner Pistole. Ein heranstürmender Schwarzer wurde umgerissen. Die Marines mit ihren drei Schutzbefohlenen drangen in das Haus ein. Auf dem Treppenabsatz zur ersten Etage stand ein
Mann mit einer MPi und zielte nach unten. Der vorderste der Marines ging auf das linke Knie nieder und schoss schräg nach oben. Der Bursche krümmte sich, taumelte zurück und kippte gegen die Wand, an der er zu Boden rutschte. Der Marine, der geschossen hatte, sicherte nach oben. Ein zweiter zielte in den Flur hinein, der bei einer Hintertür endete. Der letzte Mann der Gruppe, der das Haus betrat, sicherte nach hinten. Sein Gewehr krachte in rhythmischer Folge. Oben im Haus waren Schritte zu vernehmen. Jemand kam die Treppe herunter. Einer der Marines zog eine Handgranate aus der Tasche und wartete. Dann zeigte sich ein Schwarzer in Zivilkleidung auf dem Absatz. Er trug ein Schnellfeuergewehr. Der Marine zog mit den Zähnen den Sicherungsring der Handgranate ab und warf sie. Der Schwarze auf der Treppe verschwand in einem grellen Feuerball. Die Explosion drohte das Gebäude in seinen Fundamenten zu erschüttern. Drei der Soldaten stürmten die Treppe hoch. Von oben kamen ihnen weitere Schwarze entgegen. Die Gewehre krachten. Männer wurden herumgerissen und stürzten tot oder sterbend die Treppe herunter. Einer der Marines brach zusammen. Wer von den Rebellen noch konnte, zog sich in die oberen Stockwerke zurück. Die Marines hatten die erste Etage des Gebäudes erobert. Einer rannte ein Stück die Treppe hinunter. »Folgen Sie uns!« Sofort kehrte er wieder um. Der UN-Generalsekretär, seine Frau und der Botschafter, sowie die drei Marines, die sie beschützten, stiegen die Treppe empor. Die Frau presste ihre Hand gegen den Halsansatz, als wollte sie so ihren fliegenden Atem beruhigen. So hautnah war sie noch nicht mit der brutalen Gewalt konfrontiert worden. Sie erschauerte. Einer der Marines öffnete eine Tür in der ersten Etage. Nachdem sich drinnen nichts rührte, wirbelte er um den Türstock, huschte an der linken Wand entlang zur Ecke, sofort folgte ein zweiter Mann und sicherte die hintere rechte Ecke.
Ein dritter Marine drang ein, dann ein vierter. Sämtliche Ecken waren gesichert. »Sie können hereinkommen«, rief ein Sergeant. Der US-Botschafter, der UN-Generalsekretär und seine Ehefrau wurden in den Raum gedrängt. Die vier Marines kehrten auf den Flur zurück. Zwei Soldaten blieben zur Bewachung des Raumes vor der Tür stehen. Die anderen gingen zur Treppe und sicherten sich nach oben und unten. Einer der Gruppenführer, Lieutenant Gary Hoover, nahm Funkverbindung mit der Botschaft auf. »Hier Bravo drei, bitte kommen. Bravo eins bitte kommen. Hören Sie mich, Bravo eins?« »Hier Bravo eins. Was gibt es, Bravo drei?« »Wir sind am Stadtrand überfallen worden. Mindestens acht Jungs sind gestorben, als die Rebellen zwei Humvees in die Luft jagten. Den Botschafter, den Generalsekretär und dessen Frau haben wir in einem Gebäude in Sicherheit gebracht. Es wird belagert. Über uns im Gebäude befinden sich wahrscheinlich noch Rebellen. Können Sie uns Hilfe schicken? Over.« »Geben Sie mir Ihre genaue Position durch, Bravo drei.« »Den Straßennamen kenne ich nicht. Wir wollten die Stadt in östliche Richtung verlassen. Schicken Sie einen Hubschrauber. Er kann unsere Position bestimmen. Over.« »Alles klar. Delta eins Ende.« Zwischenzeitlich hatten sich sämtliche Marines, die dazu noch im Stande waren, zusammen mit den Mitarbeitern des Botschafters und des Generalsekretärs ins Gebäude zurückgezogen. Auf der Straße standen drei brennende Humvees. Dichter Qualm zog durch die Straße. * Es war ein AH-6J Little Bird, der eine Viertelstunde später die
Koordinaten durchgab. Ein Zug Marines stand bereit, um zum Ostrand der Stadt zu fahren und ihre Kameraden sowie die Zivilisten, die in dem Gebäude eingeschlossen waren, herauszupauken. Zugführer war Captain John Mason. Das Tor zum Hof der Botschaft wurde geöffnet, um den Konvoi hinauszulassen. Es waren neun Humvees, die anrollten. Der erste passierte das Tor – da zischte eine Rakete heran und explodierte. Der vorderste Wagen wurde regelrecht vom Boden weggehoben. Eine Stichflamme schoss zum Himmel. Und dann blieb der Wagen auf der Seite liegen. Die Räder drehten sich weiter. Einer der Marines sprang auf. Er stand in Flammen. Brüllend rannte er in den Hof. Weitere Raketen zischten heran. Dann begannen MPis zu hämmern. Schnell wurde das Tor der Botschaft geschlossen. Befehle wurden gebrüllt. Zwei Marines hatten den brennenden Kameraden zu Boden gerissen, ein dritter kam mit einer Decke angerannt, mit der er die Flammen erstickte. Die Botschaft wurde in Alarmzustand versetzt. An den Fenstern und auf den Balkonen postierten sich Marines. Der Little Bird näherte sich. Sein Motor war kaum zu hören. Eine Boden-Luft-Rakete verfehlte ihn nur knapp. Sie zog eine Bahn dunklen Rauches hinter sich her. Dann landete der AH-6 im Hof der Botschaft. Pilot und Copilot sprangen ins Freie. »Delta drei, hören Sie?«, tönte es aus dem Lautsprecher des Funkgerätes an Lieutenant Gary Hoovers Helm. »Hier Delta drei. Ich höre Sie, Delta eins. Wir haben den Helikopter gesehen. Kennen Sie jetzt unsere Position? Over.« »Ja. Doch wir können Ihnen leider nicht zu Hilfe kommen, Delta drei. Die Botschaft ist von Aufständischen eingeschlossen und steht unter Beschuss. Mit Luftunterstützung kann ich nicht dienen. Versuchen Sie, sich zu halten, Delta drei. Over.« »Wir sind nur noch 13 Mann. Draußen wimmelt es von Aufständischen. Ich weiß nicht, ob wir uns lange halten
können. Aber wir geben natürlich unser Bestes. Delta drei, Ende.« »Delta eins, over.« Die Funkverbindung wurde unterbrochen. Im Flur krachten Schüsse. Einer der Rebellen im oberen Stockwerk war die Treppe nach unten geschlichen und hatte auf einen der Marines, die die Treppe bewachten, das Feuer eröffnet. Der Soldat aber wurde nicht getroffen. Sein Kamerad erschoss den Schwarzen. Hals über Kopf stürzte er die Treppe hinunter, auf der schon einige Tote lagen. Da flog von oben eine Granate herunter. Die Marines hechteten zur Seite und lagen auf den Bäuchen. Die Granate detonierte. Es war eine Splittergranate. Die beiden Soldaten wurden von den Schrapnellen getötet. Einige Rebellen stürmten die Treppe nach unten. Aus den Türen wirbelten Marines. Sie gingen auf die Knie nieder, um ein kleines Ziel zu bieten, und feuerten. Der Krach staute sich im Korridor. Die Rebellen wurden von den Treffern geschüttelt und umgerissen. Die wenigen, die nicht getroffen oder nur verwundet wurden, zogen sich in die zweite Etage zurück. Es roch nach verbranntem Pulver. »Zwei Mann zur Treppe!«, brüllte Lieutenant Gary Hoover. »Ist jemand verletzt?« »Henders und Miller hat es erwischt. Sie sind tot.« Die beiden Soldaten lagen blutüberströmt im Treppenhaus. »Bringt sie in eines der leer stehenden Zimmer«, ordnete Hoover an. Eine Rakete schlug in die Vorderfront des Gebäudes ein. Fensterscheiben klirrten, Steine flogen durch die Luft, Staub wallte dicht. *
Fort Conroy, South Carolina, Hauptquartier der Special Force One Dienstag, 0950 ETZ »Die Unruhen zwischen den verfeindeten Stämmen im Kongo halten an«, sagte der Nachrichtensprecher. »In der Provinz Katanga kam es zu blutigen Auseinandersetzungen zwischen Luba und Mongo. Die Regierung in Kinshasa hat Truppen in die Provinz Katanga entsandt, damit dort die Ruhe wieder hergestellt wird. Zig tausend Menschen befinden sich in den größeren Städten auf den Straßen und demonstrieren gegen die Regierung. Die Vereinten Nationen haben angekündigt, eine friedliche Beilegung der bürgerkriegsähnlichen Unruhen anzustreben, und Generalsekretär Gerard de Bauville in den Kongo entsandt, damit er zwischen den verfeindeten Parteien vermittelt.« Der Nachrichtensprecher machte eine kurze Pause. Er nahm ein Blatt Papier entgegen, das ihm jemand aus der Regie reichte. Er warf einen Blick drauf, dann erklang wieder seine Stimme: »Soeben erreicht uns die Nachricht, dass in den Provinzen Süd-Kivu und Kasai Oriental Unruhen ausgebrochen sind. Man spricht von 143 Toten in der Provinz Süd-Kivu und von 216 Toten in der Provinz Kasai Oriental. Aus der US-Botschaft in Kinshasa wurde verlautbart, dass infolge der kriegsähnlichen Wirren von Reisen in den Kongo abgeraten wird. Die Ausländer, die sich im Kongo befinden, sollen so schnell wie möglich ausgeflogen werden. Das Land steht kurz vor einem Bürgerkrieg. – Aus Bagdad wird gemeldet…« Colonel Davidge wandte sich ab. Er befand sich in seiner Unterkunft in Fort Conroy. Der tragbare Fernseher war sein Privateigentum. Der Colonel war nicht im Dienst. Er trug eine kurze, weiße Hose und ein Polohemd. Auf seinem Kopf saß eine rote Baseball-Mütze. Weiße Socken und weiße Turnschuhe vervollständigten sein Outfit.
Er war mit Dr. Lantjes zu einem Tennis-Match verabredet. Davidge schaute auf die Uhr. Es war kurz vor zehn. Um zehn Uhr wollte er sich mit der Ärztin auf dem Tennisplatz treffen. Er nahm den Tennisschläger, fintierte damit einige Male in der Luft und verließ dann seine Unterkunft. Im Fort herrschte Alltag. Auf dem Exerzierplatz wurde eine Gruppe Soldaten gedrillt. Das Sternenbanner hing schlaff vom Mast. Von irgendwo war das Dröhnen schwerer Motoren zu vernehmen. Auf dem Hubschrauber-Landeplatz standen zwei Sikorsky UH 60. Dr. Lantjes wartete schon. Sie sah bezaubernd aus in dem kurzen Tennisrock und dem leichten T-Shirt. Die Holländerin war wirklich eine sehr schöne Frau. Sie war Militärärztin und vor ihrer Versetzung zu SFO beim Deutsch-Niederländischen Korps stationiert gewesen. »Guten Morgen, Colonel«, grüßte die Ärztin wenig militärisch. »Guten Morgen, Doc«, gab der Colonel ebenso zivil zurück. »Hoffentlich haben Sie sich warm angezogen. Ich bin mit dem Tennisschläger nämlich kaum zu bezwingen.« Davidge grinste gut gelaunt. »Ich lasse mich gerne überraschen, Colonel. Aber ich denke, ich spiele auch ganz gut.« »Dann lassen Sie uns anfangen. Wir spielen um den Aufschlag.« Sie nahmen ihre Plätze zu beiden Seiten des Netzes ein. Davidge gewann den ersten Ballwechsel. Er hatte Aufschlag. Hoch warf er den Ball, sein durch den Schläger verlängerter Arm wirbelte herum, er traf den Ball richtig, und dieser zischte wie ein Geschoss auf die andere Seite des Netzes, sprang auf – und wurde von Dr. Lantjes zurückgeschlagen. Mark Harrer und Alfredo Caruso schlenderten herbei. Sie trugen Tarnanzüge. Sie hatten zwar auch dienstfrei, hatten sich aber nichts Besonderes vorgenommen. Um ein Bier in der
Kantine zu trinken, war es beiden noch zu früh. Caruso grinste breit. »Bravo, Doc. Wusste gar nicht, dass du auf diesem Gebiet auch ein Ass bist.« »Auf welchem Gebiet ist sie denn noch eins?«, fragte Harrer und grinste ebenfalls. Davidge hatte den Ball pariert. Er platzierte ihn in die rechte Ecke, aber Dr. Lantjes erreichte ihn noch und schlenzte ihn über das Netz. »Ich denke, unser Doc hat eine Menge Vorzüge«, frotzelte Caruso. »Vor allen Dingen ist sie ein Prachtweib, bei deren Anblick es mir immer wieder die Stimme verschlägt. Und das will was heißen.« Davidge war zum Netz gerast und hob den Ball drüber hinweg. Dr. Lantjes schlug. Der Ball verfehlte Caruso nur ganz knapp. Er spürte den Luftzug an der Wange. Unwillkürlich zog er den Kopf ein. »Das sollte ein Kompliment sein, Doc«, rief er. »So spricht man von einem Pferd, aber nicht von einer Lady«, lachte Harrer. »Hol den Ball, Alfredo. Als Wiedergutmachung sozusagen.« »15 zu Null«, rief Davidge und schlug mit einem anderen Ball auf. Dr. Lantjes konnte den Aufschlag parieren, Davidge hetzte dem Tennisball hinterher, den die Ärztin in die rechte Ecke platziert hatte, erwischte ihn nicht und hörte die Frau rufen: »15 zu 15!« Caruso warf Davidge den Tennisball zu, den er geholt hatte. Der Colonel tändelte etwas mit einem Tennisball herum, dann schlug er auf. Wie ein Geschoss zischte der Ball über das Netz, prallte am Boden auf, Dr. Lantjes parierte – der Ball landete im Netz. »30:15!« rief Davidge. Dr. Lantjes holte auf. Es stand 30:30. Der Aufschlag wechselte. Dr. Lantjes jagte den Ball ins Netz. Fehler! Erneuter
Aufschlag. Doppelfehler. Den ersten Satz gewann der Colonel. Der zweite ging an Dr. Lantjes. Im entscheidenden dritten Satz schien dem Colonel die Luft ausgegangen zu sein. Dr. Lantjes hingegen spielte auf wie eine junge Göttin. Sie führte im Satz 5:4. Der Punktestand verlagerte sich mehr und mehr zu ihren Gunsten. Sie punktete dreimal, es stand 40:0. Plötzlich aber schien sich Davidge noch einmal aufzuraffen. Er holte auf. »Deuce – Einstand!«, rief er. Dr. Lantjes gewann wieder einen Punkt. »Advantage – Vorteil für mich«, rief sie lachend. Der nächste Ballwechsel folgte. Colonel Davidge nahm den Ball Volley. Er donnerte ins Aus. »Gewonnen!«, rief die Ärztin. Harrer und Caruso klatschten Beifall. Zwischenzeitlich war Marisa Sanchez hinzugekommen. Auch sie klatschte und rief: »Glückwunsch, Doc. Ein Sieg der Weiblichkeit über das starke Geschlecht.« »Ich fordere Revanche«, kam es lachend von Davidge. »Ich – nun ja, ich musste mich erst warm spielen. Außerdem habe ich schon viele Jahre nicht mehr auf einem Tennisplatz gestanden.« »Ausreden sind ein Zeichen von Schwäche, Colonel«, rief Dr. Lantjes. »Aber ich gewähre Ihnen gern Revanche. Wechseln wir die Plätze.« Da kam ein Private aus dem Geschäftszimmer General Matanis angelaufen. Auf seiner Stirn perlte Schweiß. Sein Atem flog. Er baute sich vor Colonel Davidge auf und stand still. »Colonel Davidge, Sie möchten bitte sofort zu General Matani kommen. Es ist sehr dringend.« »Was gibt es?« »Ich weiß es nicht, Sir.«
»Rühren Sie«, sagte der Colonel und setzte sich in Bewegung. * »Es gibt ein Problem«, sagte Matani, als Colonel Davidge an dem kleinen Besuchertisch in seinem Büro Platz genommen hatte. Seine linke Braue hatte sich gehoben. Er musterte den Colonel aufmerksam und irgendwie fragend. Davidge sagte entschuldigend: »Ein Tennismatch, Sir. Ich kann mich schnell umziehen, wenn…« Matani winkte lächelnd ab. »Lassen Sie nur, Colonel. In Ihrer Freizeit können Sie an Kleidung tragen, was Ihnen beliebt. Niemand verlangt von Ihnen, dass Sie im Kampfanzug Tennis spielen.« »Danke, Sir.« Das Lächeln Matanis erlosch. »Also, Colonel, noch einmal. In Kinshasa ist der Teufel los. Ich nehme an, Sie haben die Nachrichten gesehen. Der Einsatz von SFO ist wieder einmal gefordert.« »Ja, ich habe die Nachrichten gesehen. Aber wieso betreffen die Unruhen im Kongo SFO?« »Im Kongo ist Bürgerkrieg ausgebrochen. Der amerikanische Botschafter Jim Patterson wurde zusammen mit dem UNGeneralsekretär und den beiden Mitarbeiterstäben sowie einer Hand voll Marines von Aufständischen in einem Gebäude am Stadtrand von Kinshasa eingeschlossen. Sie waren auf dem Weg nach Kenge zu Friedensverhandlungen. Durch den Überfall kam die Mission allerdings nicht zu Stande. Es hat Tote gegeben.« »Befindet sich in der Botschaft nicht eine Kompanie von Marines zu deren Schutz?« »Von denen ist keine Hilfe zu erwarten, da die Botschaft selbst von Rebellen belagert wird und unter Beschuss steht.«
»In Angola sind amerikanische Streitkräfte stationiert«, wandte Davidge ein. »Warum schickt man keine Delta Force oder Ranger in den Kongo?« Mantani zögerte ein wenig. »Wie von amerikanischer Regierungsseite verlautbart wurde, will man sich nicht offiziell in den Konflikt, der dort unten schwelt, einmischen. Eine Einmischung würde es bedeuten, wenn einige Hubschrauberstaffeln mit Delta Force oder Rangers nach Kinshasa fliegen und sich mit den Aufständischen einen blutigen Kampf liefern würden.« Matani machte eine kurze Pause, in der er seine Worte auf Davidge wirken ließ. Dann fuhr er fort: »Die Amerikaner wollen abwarten, wie sich die Sache entwickelt. Außerdem wollen sie sich keinen neuen Kriegsschauplatz schaffen. Irak und Afghanistan reichen ihnen. Außerdem haben die Erfahrungen in Somalia gezeigt, dass sich ein Bürgerkrieg nicht innerhalb weniger Wochen beilegen lässt, sondern sich unter Umständen Monate oder Jahre hinzieht. Es ist aber auch eine Geldfrage. Auf Grund der enormen Summen, die der Irak-Krieg, der Krieg im ehemaligen Jugoslawien und in Afghanistan verschlungen haben, wird der Kongress keine weiteren Mittel bewilligen, um im Kongo einzugreifen. Im Übrigen denken die Amerikaner, dass die Regierung des Kongo in der Lage ist, von sich aus die Rebellion niederzuschlagen. Das kann sich aber – wie schon gesagt – Tage oder Wochen hinziehen. Der UNGeneralsekretär befindet sich jedoch in akuter Lebensgefahr.« Matani hatte eindringlich und mit Nachdruck gesprochen. Mit harter, befehlsgewohnter Stimme fuhr er fort: »Sie fliegen in einer Stunde, Colonel. Eile ist angesagt. Sie werden nach Luanda in Angola gebracht und steigen dort in einen Hubschrauber um, der Sie nach Kinshasa bringt. Ihr Auftrag lautet, die Gesandtschaften der Amerikaner und der UNO aus dem belagerten Gebäude zu holen und nach Angola
auszufliegen.« »Auftrag verstanden, Sir.« Davidge schaute auf die Uhr. Es war 11 Uhr 30. »Abflug um 12 Uhr 30, Sir, wenn ich Sie richtig verstanden habe.« »Sie werden um 22 Uhr etwa in Luanda landen und dort sofort von einem Helikopter übernommen«, sagte Matani. »Der fliegt Sie nach Kinshasa. Zwischen 23 Uhr 30 und 24 Uhr kommen Sie dort an. Ein zweiter Hubschrauber wird Sie begleiten. Sie werden bei dem Gebäude, in dem sich der Generalsekretär und seine Frau befinden, abgesetzt und sichern die Flucht der Eingeschlossenen. Der zweite Black Hawk nimmt Ihr Team und die Marines auf.« »Ich verstehe, Sir.« »Ich wünsche Ihnen alles Gute, Colonel.« Die beiden Männer erhoben sich. Matani kam um seinen Schreibtisch herum und reichte Davidge die Hand. Der Colonel nahm sie und drückte sie fest. »Ihnen und Ihrem Team«, fügte Matani hinzu. * Kinshasa, Dienstag, 1835 OZ »Sie kommen!«, rief Lieutenant Gary Hoover. Er stand an der Wand neben einem Fenster und hatte den Blick auf die Straße gerichtet. Seine Leute waren an den übrigen Fenstern in der 1. Etage des Gebäudes verteilt. Zwei Mann sicherten die Treppe. Es waren insgesamt noch elf Mann. Rasendes MPi-Feuer setzte ein. Die Kugeln harkten in die Mauer des Gebäudes, meißelten faustgroße Löcher in die Fassade, Mauerwerk und Putz spritzten. Unter dem Feuerschutz Gleichgesinnter stürmten etwa ein Dutzend Schwarze schießend über die Straße. Die Marines feuerten, was das Zeug hielt. Eine Rakete zischte und schlug in das Gebäude ein. Sie zerstörte in der ersten Etage die Wand zwischen zwei
Fenstern. Steine polterten auf die Straße. Staub wölkte. Zugleich mit dem Angriff auf der Straße stürmten im Haus die Rebellen aus den oberen Stockwerken nach unten. Die beiden Marines, die die Treppe zu sichern hatten, feuerten. Angreifer stürzten. Andere stolperten über das Hindernis und gingen ebenfalls zu Boden. Ein Knäuel aus ineinander verkeilten Leibern wälzte sich die Treppe hinunter. Ohne zu zögern hielten die beiden Marines hinein. Männer bäumten sich auf, Schreie erstickten im Ansatz. Der Tod schlug unerbittlich zu. Aus einer der Türen kam Lieutenant Gary Hoover. Er hielt das M16A2 an der Hüfte im Anschlag. Geduckt lief er so weit, dass er die Treppe sehen konnte. Er bedeutete seinen beiden Kameraden, in Deckung zu gehen. Sie begriffen und rannten zur Seite. Hoover feuerte eine Granate ab. Sie traf die Treppe und zerstörte sie. Ein Teil der Treppe stürzte ins Erdgeschoss. Mit ihnen drei der Rebellen. Sie lagen verkrümmt zwischen den Trümmern. Einige Stufen hielten, aber sie hingen ziemlich schief und durften nicht mehr belastet werden. Von oben konnte man die erste Etage nur noch springend erreichen. Der Lieutenant kehrte in das Zimmer zurück und baute sich neben dem Fenster auf. Auf der Straße lagen vier reglose Gestalten, eine fünfte versuchte wegzukriechen. Hoover beugte sich aus dem Fenster. Unten, an der Eingangstür, drängten sich die Rebellen. Einige seiner Männer schwangen blitzschnell die Oberkörper aus den Fenstern, schossen steil nach unten und verschwanden sofort wieder in Deckung, weil sie aus dem Gebäude auf der anderen Straßenseite unter Feuer genommen wurden. Neben dem Lieutenant zischten Kugeln durchs Fenster oder harkten in die Hauswand. Einige kleine Splitter trafen ihn wie winziges Geschosse. Blut rann über sein Gesicht. Er zuckte zurück. Ungeachtet der kleinen Wunden lud Hoover den
Granatwerfer nach. Dann kehrte er ins Treppenhaus zurück. Die beiden Marines hatten die ins Haus eingedrungenen Rebellen unter Feuer genommen. Die Garben ratterten aus ihren Gewehren. Mündungsfeuer flackerten. Hoover lief bis zur Treppe und feuerte eine Granate schräg nach unten. Das Haus schien zu erzittern, als sie explodierte. Geschrei tönte von unten herauf. Aus dem Rauch schälte sich die Gestalt eines Mannes. Ein Schuss fällte ihn. »Haltet hier die Stellung!«, schrie Hoover den beiden Marines zu und rannte in den Raum zurück. Er hatte noch eine Granate und bestückte damit den Granatwerfer. An einem der Fenster des Gebäudes auf der anderen Straßenseite zeigte sich ein Mann. Bei der Haustür war ein weiterer Aufständischer auszumachen. Aus den anderen Fenstern wurde wie irrsinnig geschossen, aber die Schützen waren nicht zu sehen. Einige der Kerle, die ins Haus einzudringen versucht hatten, rannten geduckt über die Straße und verschwanden auf der anderen Seite im Gebäude oder in dessen Deckung. »Feuer einstellen!«, brüllte Hoover. Nach und nach verstummten die Gewehre. Hoover nahm Verbindung mit der Botschaft auf. »Hier Delta drei. Wir haben soeben einen Angriff zurückgeschlagen. Es ist aber nur eine Frage der Zeit, bis sie uns überrennen. Sie sind uns zahlenmäßig weit überlegen. Außerdem müssen wir Munition sparen.« »Sind die Männer und Frauen der Gesandtschaften wohlauf?« »Ja. Haben Sie versucht, Hilfe anzufordern?« »Unsere Leute in Angola dürfen nicht eingreifen. Ausdrücklicher Befehl aus dem Pentagon. Kein Krieg mit amerikanischer Beteiligung im Kongo. Wir müssen versuchen, die Stellung zu halten, bis uns reguläre Truppen zu Hilfe kommen.« »Wenn sich die Luba im ganzen Land erhoben haben,
werden wir wohl auf Hilfe von Regierungsseite nicht hoffen können. Dann haben die regulären Truppen genug damit zu tun, den Bürgerkrieg im Keim zu ersticken.« »Wir können nur kämpfen und hoffen, Delta drei«, kam es durch den Lautsprecher. »Delta eins Ende.« »Over.« Im Treppenhaus peitschten Schüsse. Hoover rannte hinaus. »Sie versuchen, von oben über uns zu kommen«, schrie einer der Marines. »Da oben sind mindestens noch zehn Mann. Einer hat versucht, die kaputte Treppe im Sprung zu überwinden. Jetzt sind es nur noch neun.« Der Bursche grinste. Seine Zähne bildeten einen scharfen Kontrast zu seinem vom Pulverschmauch geschwärzten Gesicht. Hoover schloss die Rechte zur Faust und hob den Daumen. »Weiter so, Leute. Wir werden unsere Haut so teuer wie nur möglich verkaufen.« Er lief zu dem Raum, in dem sich die Gesandtschaften befanden. »Haben wir eine Chance?«, empfing ihn Patterson, der Botschafter, mit aufgeregter Stimme. Dieser Mann war nur noch ein Nervenbündel. In seinen Augen flackerte es. In seinem Gesicht zuckten die Nerven. »Solange ein Funke Leben in uns ist, haben wir eine«, versetzte Hoover lakonisch. Der Schweiß, der ihm aus den Poren drang, zog helle Spuren in die Schmutz- und Blutschicht, die sein Gesicht bedeckte. »Haben Sie Hilfe von der Botschaft angefordert?«, fragte de Bauville. »Ja. Aber die können uns nicht helfen. Die Aufständischen haben auch die Botschaft eingeschlossen und sie angegriffen. Mason hat versucht, in Angola Hilfe anzufordern. Aber sie wurde verweigert. Befehl aus dem Pentagon. Man will es der kongolesischen Regierung selbst überlassen, für Ruhe und Ordnung zu sorgen.«
»Großer Gott!«, entfuhr es Patterson. »In der Botschaft befinden sich meine Frau und die beiden Kinder.« »Die können uns doch nicht einfach…« Dem Generalsekretär verschlug es die Sprache. Er schluckte. Sein Kehlkopf rutschte hinauf und hinunter. Er hatte die Unterlippe zwischen die Zähne gezogen und kaute darauf herum. Schließlich fragte er: »Weiß man im Pentagon, dass wir hier eingeschlossen und auf Hilfe von außen angewiesen sind?« »Gewiss, Sir. Meine Order lautet, die Stellung hier zu halten und Angriffe zurückzuschlagen, bis die regulären Regierungstruppen eingreifen und dem Spuk ein Ende bereiten. Ich darf Sie um Besonnenheit bitten. Sie sind bei uns in guten Händen.« »Das klingt wie Hohn in meinen Ohren, Lieutenant«, stieß Patterson grimmig hervor. »Sie befehligen noch etwa ein Dutzend Männer. Ein Dutzend Marines gegen einige hundert Rebellen. Finden Sie nicht auch, dass das ein schlechtes Verhältnis ist? Und unter diesen Umständen fordern Sie uns auf, Besonnenheit zu bewahren. Mann, es geht um unser Leben. Es hängt an einem seidenen Faden.« Der UN-Generalsekretär legte dem Botschafter die Hand auf die Schulter. In seinen Mundwinkeln zuckte es. Er sagte mit bebenden Lippen: »Wir müssen darauf vertrauen, dass uns diese Männer beschützen, und können nur beten, dass bald Hilfe eintrifft. Das ist aber auch schon alles. Der größte Fehler jedoch wäre es, in Hysterie auszubrechen.« Dankbar nickte Hoover dem Generalsekretär zu. Pattersons Schultern sanken nach unten. Er wandte sich um und wischte sich mit fahriger Geste über das Gesicht. »Tut mir Leid.« Da begannen wieder die Gewehre zu knattern. Hoover rannte zurück in den Raum, in dem er bisher die Stellung gehalten hatte. Die Rebellen nahmen das Haus wieder unter Beschuss. Nur vereinzelt erwiderten die Marines das
Feuer. Sie konnten es sich nicht leisten, ihre Munition zu vergeuden. Da kam ein Funkspruch: »Hier Delta eins. Hören Sie mich, Delta drei? Bitte kommen.« »Hier Delta drei. Was gibt es?« »Eine Spezialeinheit ist auf dem Weg aus den Staaten nach Kongo. Ihr Auftrag ist, die Gesandtschaften der Amerikaner und der Vereinten Nationen aus dem Gebäude zu evakuieren und nach Angola auszufliegen. Der Einsatz soll irgendwann zwischen 23 Uhr 30 und 24 Uhr erfolgen.« »Was ist mit Regierungseinheiten? Ich dachte…« »Sieht schlecht aus. In der gesamten Stadt und auch auf dem Land herrscht Unruhe. In Kinshasa wimmelt es von Rebellen. Überall finden Kämpfe statt. Kasernen werden von Rebellen belagert. Wir sind uns sozusagen selbst überlassen.« »Man sollte diesem Jean Kasavubu die Eier abschneiden!«, knirschte Hoover. »Kein besonders frommer Wunsch«, lachte Captain John Mason, der am anderen Ende der Leitung saß. »Aber Sie haben sicher Recht, Lieutenant. Also halten Sie durch bis Mitternacht. Over.« »Wie groß ist diese Spezialeinheit?«, wollte Hoover wissen. »Keine Ahnung. Ich weiß nur, dass man sie Special Force One nennt und dass sie im Auftrag der Vereinten Nationen auftritt. Delta eins Ende.« »Delta drei – Ende.« Hoover schickte eine Feuergarbe über die Straße, dann lief er noch einmal aus dem Raum und begab sich zu den Zivilisten. »Gute Nachricht«, sagte er. »Eine Spezialeinheit ist auf dem Weg hierher. Sie wird Special Force One genannt. Ihr Auftrag ist, uns aus diesem Gebäude zu evakuieren und nach Angola auszufliegen.« »Special Force One«, stieß der UN-Generalsekretär hervor. »Das sind nur sieben Leute. Fünf Männer und zwei Frauen.«
Betroffenheit machte sich breit. »Sieben Leute«, echote der Lieutenant. »Das soll wohl ein Witz sein.« * Es war finster. Der Himmel war sternenklar. Im Süden hing die Sichel des Mondes. Die Motoren der beiden Helikopter dröhnten. Sie befanden sich über der Stadt. Wie zwei riesige Libellen zogen sie über die Häuser hinweg. Kugeln prallten funkenschlagend von der stabilen Außenhaut der Hubschrauber ab. Ein Black Hawk konnte dem Beschuss aus 23-MillimeterKanonen widerstehen. Die Kugeln aus den Gewehren der Aufständischen konnten den beiden Maschinen also nichts anhaben. Das SFO-Team saß im vorderen der Black Hawks. Colonel Davidge stand in Funkkontakt mit Captain John Mason in der Botschaft. »Werden in wenigen Minuten Ziel erreicht haben«, meldete der Colonel. »Vier meiner Leute werden sich auf das Dach abseilen und versuchen, von oben zu den Eingeschlossenen vorzudringen; Wir anderen werden vom Helikopter aus Feuerschutz geben, sobald die Eingeschlossenen das Haus verlassen. Over.« »In Ordnung, Colonel. Sollte was schief gehen, müssen Sie versuchen, sich zusammen mit den Gesandtschaften zur Botschaft durchzukämpfen. Lieutenant Hoover kennt den Weg. Ich wünsche Ihnen Hals- und Beinbruch, Colonel. Ende.« Captain Mason nahm Kontakt mit Lieutenant Hoover auf. »Hilfe trifft in wenigen Minuten ein. Ein Teil des SFO-Teams wird sich auf das Gebäude abseilen und von oben bis zu Ihnen vordringen. Sobald die Hubschrauber auf der Straße vor dem Gebäude landen, verlassen unter dem Feuerschutz des übrigen
SFO-Teams und Ihrer Leute die Gesandtschaften das Gebäude. Wenn die Zivilisten im Helikopter in Sicherheit sind, schlagen Sie sich zusammen mit dem restlichen SFO-Team zum zweiten Hubschrauber durch. Noch Fragen, Lieutenant?« »Kann ich mit dem Anführer des SFO-Teams Verbindung aufnehmen?« »Colonel Davidge wird mit Ihnen Verbindung aufnehmen, Lieutenant.« »Gut. Ich höre die Hubschrauber schon.« »Halten Sie die Ohren steif, Lieutenant.« »Danke, Sir. Ende.« Hoover unterbrach die Verbindung. Er wollte seinen Sprechfunk nicht blockieren, weil jeden Moment der Anführer des SFO-Teams mit ihm Kontakt aufnehmen würde. Da erklang es auch schon: »Delta drei, können Sie mich hören? Hier ist Colonel Davidge, SFO. Geben Sie Antwort, Delta drei.« »Hier Delta drei. Ich höre Sie gut, Colonel.« »Wir werden in zwei Minuten vier Mann auf dem Dach des Gebäudes aussetzen, in dem Sie eingeschlossen sind. Wie sieht es in dem Gebäude aus?« »Wir befinden uns in der ersten Etage. In den Etagen darüber halten sich Rebellen auf. Die genaue Zahl ist nicht bekannt. Ich denke, es handelt sich um zehn oder zwölf Mann.« »Können die Black Hawks auf der Straße vor dem Gebäude landen?« »Es ist gefährlich. Die Rebellen besitzen Raketenwerfer.« »Was schlagen Sie vor, Delta drei?« »Es gibt nur die eine Möglichkeit. Ich werde Ihnen mit meinen Leuten Feuerschutz geben. Die Evakuierung der Zivilisten hat Vorrang. Sobald einer der Helikopter sie aufgenommen hat, werden wir versuchen, den anderen Hubschrauber zu erreichen.« »Sie werden aus der Luft Feuerschutz erhalten, Delta drei. Ende.«
»Ende.« Der Lieutenant stand an der Wand neben dem Fenster und blickte zum Himmel. Dann sah er die beiden Hubschrauber vor dem Hintergrund des Sternenhimmels. Sie schoben sich näher. Die Positionslichter waren ausgeschaltet. »Delta drei, kommen«, erklang es aus dem in den Helm integrierten Lautsprecher Hoovers. »Hier Delta drei, ich höre.« »Wir befinden uns jetzt über dem Gebäude. Die Landung der Helikopter erfolgt, sobald meine Leute abgesetzt sind. Wir werfen Rauchgranaten auf die Straße. Im Schutz des Qualms können allerdings die Rebellen versuchen, über die Straße zu gelangen und das Haus zu stürmen. Seien Sie also auf der Hut, Delta drei.« »Verstanden. Wir stellen uns auf einen Angriff ein.« Der Lieutenant verstand fast sein eigenes Wort nicht mehr, so sehr hatte der Lärm zugenommen. Dann fielen Rauchgranaten vom Himmel. Sofort legte sich ein dicker Rauchteppich auf die Straße. Die Häuser zu beiden Seiten schienen ihn festzuhalten. Einer der Helikopter stand genau über dem Gebäude mit den Eingeschlossenen. Das Dach war flach. Ein dickes Seil wurde aus dem Black Hawk geworfen. Der andere Hubschrauber flog einen Kreis über der Straße und den Gebäuden mit den Belagerten und den Belagerern. Eine Rakete zog einen feurigen Schweif hinter sich her. Im letzten Moment ließ der Pilot den Helikopter wegsacken. Die Rakete zischte über die Maschine hinweg. »Sie zuerst, Harrer«, stieß Davidge hervor. Mark Harrer hatte sich die MP7 um den Hals gehängt. »Jawohl, Sir.« Er stieg aus und seilte sich ab. Ihm folgte Caruso, dann kam Mara Sanchez, zuletzt stieg Topak aus. In der Einstiegsluke des anderen Black Hawk saß ein MPiSchütze und schickte Feuerstoß um Feuerstoß nach unten. Er
half mit, die Rebellen in Deckung zu zwingen. Obwohl sie dem Beschuss aus dem Gebäude auf der gegenüberliegenden Straßenseite ausgesetzt waren, langten die vier SFO-Leute wohlbehalten unten an. Geduckt rannten sie über das Dach, bis sie sich im toten Winkel zu den Schützen befanden. Der Black Hawk drehte ab. Wieder zischte eine Rakete durch die Dunkelheit. Der Heckrotor des anderen Hubschraubers flog davon. Der Helikopter begann wild in der Luft zu tanzen. Sich drehend schmierte er ab. Unten schlug er auf der Straße auf. Es gab einen fürchterlichen Knall, dann klirrte und schepperte es. Harrer und sein Team rannten zu einer Luke, die in das Dach eingelassen war. Sie war mit einem Deckel aus Plexiglas abgedeckt. Harrer riss sie auf. Da peitschten ihnen von unten Schüsse entgegen. Die Mündungsfeuer stießen wie glühende Dolche durch die Dunkelheit. Harrer holte eine Handgranate aus der Tasche, entsicherte und warf sie. Es gab eine dumpfe Detonation, einen Feuerball, Rauch quoll aus der Luke. Harrer sprang. Es war ein Sprung ins Ungewisse, denn unter ihm herrschte undurchdringliche Dunkelheit. Er kam auf und federte sofort einen Schritt zur Seite, prallte gegen eine Wand und feuerte in die Richtung, in der vorhin die Mündungsfeuer flackerten. Im zuckenden Lichtreflex sah er zwei Männer am Boden liegen. Weiter vorne war ein Fenster, durch das vages Mond- und Sternenlicht fiel. Harrer zog eine zweite Handgranate ab und ließ sie durch den Flur rollen. Sie ging hoch. Der Lieutenant glitt an der Wand entlang weiter und näherte sich dem Fenster. »Caruso, vorwärts!«, rief Harrer und hielt die MPi an der Schulter. Sein Zeigefinger lag um den Abzug. Er erreichte eine Treppe, die nach unten führte. Hinter Harrer war ein dumpfer Aufprall zu vernehmen, als Caruso durch die Luke sprang. Er folgte Harrer, den er vor dem
Hintergrund des Fensters schemenhaft wahrnehmen konnte. Marisa Sanchez und Corporal Topak folgten. Sie pirschten auf der anderen Seite des Flurs entlang vor zur Treppe. Harrer lugte um die Ecke. Er konnte den Treppenabsatz sehen, wo die Treppe abknickte und parallel zur oberen Treppe weiter nach unten führte. »Vorwärts!« Caruso lief an Harrer vorbei die Treppe hinunter, ging auf dem Treppenabsatz hart an der Wand auf das linke Knie nieder und sicherte nach unten. »In Ordnung«, rief Caruso. Harrer, Sanchez und Topak rannten die Treppe hinunter. In der dritten Etage begann eine MPi zu rattern. Eine zweite stimmte ein. Die beiden Schützen bestrichen mit ihren Kugeln den Korridor. Aber das SFO-Team befand sich noch auf der Treppe und somit im toten Winkel zu den Aufständischen. Während Harrer und Sanchez sich am Beginn des Flurs im Schutz der Wand postierten, rannte Topak schon zum Treppenabsatz zwischen zweiter und dritter Etage und feuerte eine Garbe in die Finsternis hinein. Mara Sanchez warf eine Handgranate. Mit der ohrenbetäubenden Detonation brach das MPi-Feuer ab. Und dann trat Harrer hinter der Wand hervor und jagte einen Feuerstoß in den Flur. Ein Aufschrei ertönte. Dann wurde das Feuer erwidert. Aber Harrer war schon wieder zurückgesprungen. »Wie sieht es aus, Harrer?« Es war Colonel Davidges Stimme, die aus dem Lautsprecher des Headsets kam. »Wir müssen uns durchkämpfen; befinden uns in der dritten Etage. Hier sind noch einige Gegner kampftüchtig. Wie ist es bei Ihnen?« »Der andere Black Hawk wurde abgeschossen. Was aus dem Piloten, dem Copiloten und dem Schützen wurde, ist unklar. Sie antworten nicht. Wir müssen unseren Plan ändern, Harrer.
Bringen Sie die Zivilisten aus dem Gebäude. Wir nehmen sie auf. Ihr Team und die Marines versuchen dann, sich zur USBotschaft durchzuschlagen.« »Weshalb sollen wir nicht in dem Gebäude bleiben, bis ein anderer Hubschrauber geschickt wird?« »Weil ich nicht weiß, ob einer geschickt wird. Das Gebäude, in dem Sie stecken, werden Sie nicht allzu lange halten können. Auf Hilfe durch Regierungstruppen können Sie dort, wo Sie sich befinden, nicht hoffen. Sie sitzen in dem Gebäude wie in einer Falle fest. Darum will ich, dass Sie versuchen, die Botschaft zu erreichen. Dort ist es am ehesten zu erwarten, dass Regierungstruppen eingreifen und die Aufständischen zurückschlagen.« »In Ordnung, Sir. Wir werden die Zivilisten in Sicherheit bringen und uns dann zur Botschaft durchschlagen. Verstanden, Sir.« »Alles Gute, Harrer.« Dann war die Leitung tot. Harrer spürte Trockenheit im Hals. Aus der Mission Peacemaker, die Gerard de Bauville in den Kongo geführt hatte, war ein Himmelfahrtskommando für ihn und sein Team geworden. * Im Flur der dritten Etage donnerten wieder zwei MPis. Harrer bereute es jetzt, keinen Granatwerfer mitgenommen zu haben. Sie waren nur mit den MP7, Pistolen und Handgranaten bewaffnet. Auch auf der Treppe zur zweiten Etage brüllte eine Waffe auf. »Wirf eine Handgranate, Mara«, zischte Harrer und ließ die Sergeantin an sich vorbei an die Ecke. Topak befand sich auf der Treppe zum Treppenabsatz, auf dem Caruso die Stellung hielt.
Mara Sanchez schleuderte die Granate in den Flur, ohne hinter dem Mauervorsprung hervorzutreten. Rummms! Harrer sprang aus der Deckung und feuerte in den Korridor hinein. Langsam ging er weiter, nach vorne sichernd, Mara Sanchez folgte auf der anderen Seite des Flurs. Harrer stieg über zwei reglose Körper hinweg. Von irgendwo war Stöhnen zu vernehmen. Zwischenzeitlich hatte Caruso die zweite Etage erreicht. Er schleuderte eine Handgranate in den Flur. Der Boden unter Harrer und Sanchez schien zu wanken. Rechts war eine Tür, genau gegenüber eine weitere. Harrer stand an der Wand daneben. Sanchez schob sich an die Tür auf der linken Seite heran. Da sprang drei Türen weiter eine Gestalt in den Flur. Harrer feuerte. Ein Feuerstoß warf den Rebellen um. Im nächsten Moment wirbelte Harrer um den Türstock und stand in dem Raum. Die Mündung seiner MPi beschrieb einen Halbkreis. Doch da war niemand. Harrer zog sich wieder zurück, äugte auf den Flur hinaus und sah Mara Sanchez sich der zweiten Tür auf der rechten Korridorseite zuwenden. Harrer glitt auf den Flur und an der Wand entlang zur nächsten Tür auf der rechten Seite – von ihm aus gesehen. Plötzlich zuckte Mara herum und zog durch. Die Mündungslichter flackerten, die Detonationen vermischten sich zu einem einzigen, lauten Knall. Sofort wechselte Mara die Stellung. Mit einem kraftvollen Satz passierte sie die Tür zur Linken und schmiegte sich eng an die Wand. Harrer ging auf die andere Seite des Flurs und näherte sich der Tür, die Mara Sanchez soeben passiert hatte. Der Raum war leer. »Zurück, Mara«, rief Harrer. »Sehen wir zu, dass wir nach unten kommen.« Rückwärts gehend zogen sie sich bis zum Treppenhaus
zurück. Unten waren Caruso und Topak in einen Kampf verwickelt. In der zweiten Etage schienen sich die meisten der Rebellen aufzuhalten. Caruso stand im Schutz der Wand, Topak lag auf den obersten Treppen und feuerte in den Flur hinein. »Geh nach unten, Mark!«, rief Caruso. »Wir halten euch die Kerle vom Leib.« Er schob beide Arme mit der MPi um die Ecke und gab eine Salve ab. Auch Topak schoss. Der Geruch des verbrannten Pulvers legte sich ätzend auf die Schleimhäute. Mark Harrer und Mara Sanchez liefen ein Stück nach unten. Plötzlich endete die Treppe. Um ein Haar wäre Mark Harrer abgestürzt. Im letzten Moment riss er sich am Treppengeländer zurück. Mara prallte gegen ihn. Sie standen auf dem Treppenabsatz. »Hoover, Delta drei, hören Sie mich? Hier spricht Lieutenant Hafrer von SFO.« »Ich kann Sie hören. Sie müssen springen, Lieutenant. Ich habe die Treppe zerstört. Warten Sie, ich mache Licht.« Lieutenant Hoover rannte zum Lichtschalter und drückte drauf. Das Licht ging nicht an. Die Stromleitung war von den Raketeneinschlägen zerstört. »Sie müssen im Finstern springen«, rief Hoover. Harrer sprang. Er landete zwischen den Trümmern der Treppe, strauchelte und stürzte. Stechender Schmerz durchzuckte sein linkes Bein. »O verdammt!« Er erhob sich und humpelte zur Seite. »Spring, Mara. Aber pass auf. Es ist halsbrecherisch.« Mara Sanchez überlegte nicht lange und sprang. Sie kam glücklich unten an und stieg aus dem Trümmerhaufen, der von der Treppe übrig war. Oben krachten noch die Gewehre. »Caruso, Topak!«, rief Harrer. Der Schmerz in seinem Bein ließ langsam wieder nach. »Runter mit euch.« Ein Schemen erschien auf dem Treppenabsatz. Oben
krachten noch die MPis. Die schattenhafte Gestalt sprang. Sie kam auf und stürzte. Eine Verwünschung auf Italienisch erklang. Dann kämpfte sich Caruso in die Höhe. »Miro! Komm!« Topak hatte zwischenzeitlich das Magazin ausgewechselt. Schießend stieg er rückwärts gehend die Treppe hinunter. »Vorsicht, Miro, der untere Teil der Treppe fehlt. Du musst springen.« Topak jagte noch eine Garbe aus dem Lauf, dann drehte er sich um und stieß sich ab. Auch er strauchelte und stürzte, kam aber sofort wieder hoch. »Alles klar«, presste Harrer hervor. »Ja«, kam es mehrstimmig. »Lieutenant Hoover.« »Hier.« »Über wie viele Leute verfügen Sie noch?« »Über zehn. Mit mir also elf Mann.« Harrer nahm Funkkontakt zu Colonel Davidge auf. »Sind bei den Eingeschlossenen angekommen, Sir. Keine Verluste. Delta drei besteht noch aus elf Mann. Wir machen uns jetzt daran, die Zivilisten zu evakuieren.« »In Ordnung, Harrer. Wir landen vor dem Haus. Die Marines sollen uns Feuerschutz geben.« »Lieutenant Hoover«, so wandte sich Harrer an den Gruppenführer, »wir von SFO bringen die Zivilisten nach draußen. Sie halten mit Ihren Männern die Rebellen auf der anderen Straßenseite in Schach. Ich denke, die Räumung des Gebäudes dauert zwei Minuten. Wo sind die Leute?« »Ich hole sie«, sagte Hoover und machte kehrt. Gleich darauf kam ein Pulk Menschen in den Flur. Die Dunkelheit verhüllte ihre Gesichter. »Die Gruppe besteht aus 15 Leuten«, sagte Hoover. »Folgen Sie mir«, kam es von Harrer. »Sie wissen Bescheid, Lieutenant.«
»Alle Mann zu mir!«, schrie Hoover. Die Marines kamen aus den verschiedenen Räumen. Hoover rief: »Die SFO-Leute werden jetzt die Zivilisten zum Helikopter bringen. Wir geben ihnen Feuerschutz, während sie in den Hubschrauber steigen.« »Wir werden uns anschließend zur Botschaft durchzuschlagen versuchen«, ergänzte Harrer. »Es wird kein Zuckerschlecken, Leute. Aber ich denke, ihr habt es drauf.« Gemurmel erklang. »Warum kann der Hubschrauber nicht meine Frau und die Kinder aufnehmen?«, stieß Patterson hervor. »Im Hof der Botschaft könnte er landen. Ich bestehe darauf.« Niemand gab ihm Antwort. Ein Ton entrang sich ihm, der sich anhörte wie verzweifeltes Schluchzen. »Folgen Sie mir«, rief Harrer. »Caruso, Topak, ihr postiert euch an der Haustür und gebt Feuerschutz. Du, Mara, sicherst nach hinten.« Caruso und Topak tasteten sich die Treppe hinunter. Sie war kaum begehbar, weil die Trümmer der Treppe, die heruntergestürzt waren, im Weg lagen. Außerdem war es finster wie im Vorhof der Hölle. Ab und zu polterte ein Stück Schutt nach unten. Im Erdgeschoss befanden sich keine Rebellen. Ungeschoren erreichten sie die Haustür. Einige Tote lagen hier. Von draußen drang der Lärm, den der Black Hawk verursachte, ins Gebäude. Er schien sich auf der Straße zu stauen. Dazwischen war wildes Gewehrfeuer zu vernehmen und der metallische Klang, mit dem die Kugeln vom Helikopter abprallten. Caruso und Topak hatten sich an der Haustür im Schutz der Wand postiert. Immer wieder schickten sie ihre Kugeln auf die andere Straßenseite. Aus den Fenstern des Gebäudes feuerten die Marines. Es war gespenstisch anzusehen, wenn die
Mündungslichter in der Dunkelheit flackerten und Lichtreflexe gegen die Hauswände warfen. Der Lärm war infernalisch. Plötzlich verlor eine der Frauen, die sich in den Gesandtschaften befanden und als Sekretärinnen oder Beraterinnen fungierten, die Nerven. »Ich gehe da nicht hinaus!«, kreischte sie. »Ich will nicht erschossen werden. Lassen Sie mich hier! Ich gehe auf keinen Fall hinaus.« Sie wollte wieder die Treppe nach oben rennen. Die anderen hielten sie auf. Der UN-Generalsekretär sprach beruhigend auf sie ein. »Wir kommen heil hinaus, Miss Foster«, sagte er. »Sehen Sie, wir alle gehen hinaus. Wenn wir in dem Gebäude bleiben, droht uns Gefahr. Nehmen Sie Vernunft an, Miss. Nur wenn wir das Gebäude verlassen, können wir uns in Sicherheit bringen.« »Aber die Rebellen werden auf uns schießen. Sie werden uns töten. Großer Gott, wenn wir da hinausgehen…« »Wir müssen hinaus.« De Bauville legte seinen Arm beschützend um die junge Frau, die für ihn als Sekretärin arbeitete. Sie weinte. Er ließ sie nicht mehr los und nahm sie mit sich, als er weiterging. Harrer warf eine Rauchgranate und verließ als Erster das Gebäude. Schießend rannte er zu dem Helikopter, der ein Stück weiter aufgesetzt hatte, weil unmittelbar vor dem Haus eine Landung wegen der dort abgestellten Fahrzeuge nicht möglich war. Außerdem hätte er direkt im Feuer der Rebellen gestanden. Die Entfernung zu dem Black Hawk betrug ungefähr 50 Yards. Die Zivilisten rannten hinter Harrer her, allen voran der amerikanische Botschafter. Dichter Qualm hüllte den Pulk ein. Ein Mann schrie auf, taumelte zur Seite und stürzte. Ein zweiter umklammerte mit beiden Händen seinen Oberschenkel und hielt an. Eine Frau stolperte und stürzte. Sie raffte sich aber wieder auf und rannte weiter. »Kommen Sie!«, brüllte Harrer und feuerte auf das Gebäude,
aus dessen Fenster Feuer, Rauch und Blei stießen. Querschläger jaulten durchdringend. Vor den Gebäuden zu beiden Seiten der Straße stieg der Rauch von der Granate in die Höhe. Mara Sanchez sicherte nach hinten und nahm ebenfalls das Haus mit den Rebellen unter Feuer. Dann erreichte sie den Mann, der einen Oberschenkeldurchschuss erlitten hatte. Er stand gebückt da und schien zu Stein erstarrt zu sein. Wahrscheinlich hatte er einen Schock davongetragen. »Ich helfe Ihnen«, stieß Mara hervor. »Stützen Sie sich auf mich.« Kurzerhand nahm sie seine rechte Hand und legte sich seinen Arm um die Schultern. Dann schleppte sie ihn mit sich. Davidge, Dr. Lantjes und Pierre Leblanc halfen den Menschen, in den Hubschrauber zu klettern. Sie arbeiteten fieberhaft. Harrer rannte zurück und kümmerte sich um den Zivilisten, der gestürzt war und noch immer auf der Straße lag. Er wimmerte. Seine Finger hatten sich im Asphalt verkrallt. »Ich bin getroffen«, heulte er, »ich bin verwundet.« Harrer riss den Mann in die Höhe, unterlief ihn, ließ ihn sich über die Schulter kippen und richtete sich auf. Im Laufschritt trug er den Verwundeten zum Helikopter. Wie durch ein Wunder wurde er nicht getroffen. Der Verletzte wurde ihm von der Schulter gehoben und verschwand im Passagierraum. »Sie schlagen sich durch zur Botschaft!«, brüllte Davidge. »Wir bleiben bei den Zivilisten. Halten Sie mit mir Verbindung, Harrer. Viel Glück!« Die Luke wurde zugeschoben. Der Hubschrauber stieg senkrecht in die Höhe, drehte sich über den Häusern und flog davon. Harrer und Sanchez rannten in den Schutz eines der gepanzerten Jeeps, die am rechten Straßenrand abgestellt waren. Einige der Fahrzeuge waren in Brand geschossen worden und waren nur noch ausgebrannte Wracks. Diese Deckung ausnutzend erreichten die beiden SFO-Leute das
Haus. Unter dem Feuerschutz Carusos und Topaks und der Marines in der 1. Etage gelangten sie hinein. Harrer und Mara Sanchez stiegen hinauf in den ersten Stock. Caruso und Miroslaw Topak blieben bei der Haustür. Das Feuer ließ nach. Harrer nahm Funkkontakt mit Colonel Davidge auf. »Alles in Ordnung, Sir?« »Sieht so aus, als wäre uns die Evakuierung geglückt, Lieutenant. Zwei Männer sind verwundet. Einer hat eine Kugel ins Bein bekommen, der andere in die Schulter. Wir haben Südkurs genommen.« »Wir sind wieder im Gebäude«, sagte Harrer. »Innerhalb der nächsten 15 Minuten werden wir es verlassen und uns zur Botschaft durchschlagen. Wird eine haarige Angelegenheit, schätze ich. Vorher wollen wir noch nach den beiden Piloten und dem MPi-Schützen sehen, die mit ihrem Helikopter abgestürzt sind. Falls sie noch leben, können wir sie nicht zurücklassen.« »Tun Sie das, Harrer.« Plötzlich hob sich die Stimme Davidges. »Was, was sagen Sie? Wir verlieren Sprit? Verdammt !« »Was ist los, Colonel?« schrie Harrer in sein Mikrofon. »Hören Sie, Colonel, kommen. Was ist geschehen?« »Der Tank wurde getroffen, Harrer. Wir verlieren Treibstoff und müssen notlanden. Wir kommen sozusagen vom Regen in die Traufe.« »Sind Sie schon aus Kinshasa heraus, Sir?« »Nein. Aber. wir werden es noch schaffen, die Stadt zu verlassen. Der Pilot will irgendwo im Dschungel landen. Wir bleiben in Funkkontakt, Harrer. Colonel Davidge – Ende.« »Over, Sir. Gott sei mit Ihnen.« *
»Bancroft, Caldwell, Smith und Jackson!«, rief Lieutenant Hoover. »Wir fünf gehen hinaus und sehen nach, ob die beiden Piloten und der MPi-Schütze noch leben. Die anderen geben uns Feuerschutz. Sie auch mit Ihren Leuten, Lieutenant.« »Das versteht sich«, sagte Mark Harrer. Hoover und die vier Marines stiegen die Treppe hinunter zum Erdgeschoss. Gleich darauf liefen sie auf die Straße. Auch sie nutzten den Schutz der Humvees aus, Hoover und zwei seiner Leute erreichten den Helikopter, Hoover riss die Tür der Kanzel auf. Der Pilot hing nach vorne gebeugt in seinem Gurt. Sein Helm mit der Sprechanlage war verrutscht. Der Copilot stöhnte leise. Sein Gesicht war blutverschmiert. Das war trotz der Dunkelheit zu erkennen. Der MPi-Schütze lag am Boden neben dem Helikopter. Er hatte sich das Genick gebrochen. Hoover zerschnitt mit seinem Kampfmesser den Gurt des Piloten und zerrte den Mann aus dem zerstörten Hubschrauber. Kugeln aus dem Gebäude, das von den Rebellen besetzt war, pfiffen heran. Auch von weiter oberhalb und unterhalb der Straße wurden sie unter Beschuss genommen. Zwei der Marines hatten den Copiloten aus der Kanzel gehoben. Da traf es einen der beiden Soldaten. Er drehte sich halb um seine Achse und sackte zusammen. »Es hat Caldwell erwischt!«, schrie der andere Soldat. »Diese elenden Bastarde…« Er packte den Copiloten unter den Achseln und schleppte ihn um den Black Hawk herum. Ein anderer Marine kam herbei, um ihm zu helfen. »Kümmere dich um Caldwell. Keiner bleibt zurück!« Der Mann lief weiter. Er kniete bei Caldwell ab. »Wo hat es dich erwischt, Caldwell?« »Die Seite. O verdammt, es brennt wie Höllenfeuer. Hilf mir hoch, Smith. Vorwärts, hilf mir, ehe wir noch ein paar Stücke Blei auffangen.« Smith half Caldwell auf die Beine. Obwohl Caldwell schwer
verwundet war, bot er allen Willen auf. Der Selbsterhaltungstrieb war stärker als alles andere. Smith stürzte den Verwundeten, als sie in den Schutz eines der gepanzerten Jeeps rannten. Die Straße war nach beiden Seiten blockiert. Es blieb nur der Weg durch den Hinterausgang des Gebäudes, in dem sich die Marines und die SFO-Leute verschanzt hatten. Aber wahrscheinlich warteten auch dort schon die Rebellen, um ihnen einen heißen Empfang zu bereiten. Sie hatten drei Verwundete bei sich. Die Flucht aus dem Gebäude ließ sich kaum bewerkstelligen. Die Verwundeten wurden in das Haus und im Erdgeschoss in einen Raum gebracht, in dem es einiges Mobiliar gab. In der Dunkelheit zeichneten sich ein Schrank, ein Tisch mit zwei Stühlen und ein Bett ab. Es roch muffig. Der Pilot, der noch immer ohne Bewusstsein war, wurde auf das Bett gelegt. Der Copilot setzte sich auf einen der Stühle. Der verwundete Marine wurde vorsichtig auf den Boden gelegt. »Wir werden sie nicht mitnehmen können«, murmelte Harrer mit dumpfer, kehliger Stimme. Ein jeder wusste, was diese Worte bedeuteten. Sie mussten die drei Kameraden in dieser Hölle zurücklassen. Bancroft sagte: »Ich bleibe freiwillig bei ihnen. Wir können sie nicht den Wölfen da draußen zum Fraß vorwerfen. Also, ich bleibe.« »Ich auch«, sagte Smith spontan und ohne zu überlegen. »Bancroft hat Recht. Wir können die drei nicht den Rebellen überlassen, damit sie sie massakrieren.« »Das ist Selbstmord«, knurrte Lieutenant Hoover. Er nahm Verbindung mit der Botschaft auf. »Delta eins kommen.« »Hier Delta eins. Was gibt es, Delta drei?« »Das SFO-Team ist angekommen, die beiden Gesandtschaften sind evakuiert. Wir jedoch sind eingeschlossen, nachdem einer der Black Hawks abgeschossen
wurde. Bei uns befinden sich vier Leute von SFO. Wir haben drei Verwundete.« »Das sind keine besonders erhebenden Nachrichten, Delta drei. Können Sie sich noch halten?« »Wir haben vor, uns zur Botschaft durchzuschlagen. Allerdings können wir die Verwundeten nicht mitnehmen. Private Bancroft und Corporal Smith wollen zurückbleiben, um sie zu beschützen. Sie haben sich freiwillig gemeldet. Ich kann mich nicht entscheiden, Sir.« »Wie viele Leute sind Sie noch?« »Mit den SFO-Leuten 14. Wenn Bancroft und Smith zurückbleiben, zwölf.« »Sie können die Verwundeten und die beiden Soldaten nicht einfach zurücklassen, Lieutenant. Versuchen Sie, die Verwundeten mitzunehmen.« »Ist Hilfe in Sicht? Ich meine Regierungstruppen?« »Überall in der Stadt wird gekämpft«, sagte Captain Mason. »Sieht nicht so aus, als würde sich bald Hilfe einstellen.« »Wie sieht es bei Ihnen aus, Delta eins?« »Wir halten die Stellung. Ein Entkommen aus der Botschaft gibt es allerdings nicht. Sie ist von Aufständischen eingekreist. Wir stehen unter ständigem Beschuss.« »Wie sollen wir dann hineinkommen?« »Sie müssen sich eine Bresche freikämpfen, Delta drei.« Der Lieutenant beendete die Funkverbindung. »Hier Colonel Davidge«, tönte es aus dem Lautsprecher des Headsets, das Harrer trug. »Wir sind notgelandet und befinden uns mitten im Dschungel. Der Hubschrauber ist im A… Na, Sie wissen schon, Harrer. Ich habe einen neuen Helikopter angefordert. Mal sehen, ob man uns hier rausholt.« »Verhalten sich die Zivilpersonen besonnen?« »Bis jetzt noch. Aber ich weiß nicht, wie es ist, sollten wir Feindkontakt haben. Im Gewehrfeuer entschlossener Gegner ist die Ruhe nicht so leicht zu bewahren.«
»Wir haben aus dem abgeschossenen Hubschrauber den Piloten und den Copiloten geholt. Sie sind verwundet. Außerdem haben wir einen verwundeten Marine. Wir versuchen das Gebäude zu verlassen und die Botschaft zu erreichen. Die Verwundeten nehmen wir mit.« »Machen Sie's gut, Harrer. Ende.« Harrer wandte sich an Hoover. »Wir gehen hinten hinaus. Das SFO-Team geht voraus. Sie und Ihre Leute folgen mit den Verwundeten.« Harrer zögerte ein wenig. Dann fragte er: »Werden Sie sich an meine Weisungen halten, Lieutenant?« »Einer muss schließlich die Befehle geben, Harrer. Es geht in Ordnung.« Harrer reichte Hoover die Hand, der sie ergriff. »Viel Glück Ihnen und ihren Männern«, murmelte Harrer. »Auch Ihnen und Ihren Kameraden, Harrer.« »Caruso, Sanchez, Topak, folgt mir«, kommandierte Mark Harrer. Er lief voraus. Im Flur war es finster wie in einem Mauseloch. Nur durch ein Fenster im Treppenhaus fiel etwas Licht. Es reichte nicht aus, um die Finsternis im Korridor zu lichten. Harrer erreichte die Tür am Ende des Flurs. Sie war verschlossen. Harrers Hand ertastete einen Riegel und schob ihn zurück. Es knirschte rostig. Die Tür ließ sich öffnen. Etwas Mond- und Sternenlicht fiel in den Flur und die Konturen Harrers zeichneten sich deutlich gegen den helleren Hintergrund ab. Harrer trat nach draußen und stellte sich links von der Tür neben die Wand. Das Gewehr hielt er im Anschlag. Im vagen Licht war zu erkennen, dass auf dem Grundstück hüfthohes Unkraut zwischen dem Kopfsteinpflaster wuchs. Caruso folgte. Er baute sich rechts neben der Tür auf und sicherte in den Hof. »Sanchez, Topak«, zischte Harrer. Die beiden kamen ins Freie und überquerten im Laufschritt
den Hof. Er wurde auf der anderen Seite von einer etwa anderthalb Meter hohen Mauer eingegrenzt. Jenseits der Mauer war ein Grundstück, das zu einem vierstöckigen Haus gehörte. Es wurde auf der rechten Seite und auf der der Mauer gegenüberliegenden Seite von den Häusern begrenzt, linker Hand war eine weitere Mauer. Mara Sanchez und Miro Topak sicherten über die Mauer hinweg, duckten sich, Mara winkte. Harrer und Caruso rannten los, stiegen auf die Mauer und sprangen in das benachbarte Grundstück. Sofort gingen sie auf die Knie nieder. Die Gewehre im Anschlag, lauschten und witterten sie. »Alles klar!«, rief Harrer. An der Hintertür zeigten sich die Marines. Nacheinander liefen sie in den Hof. Auf einen von ihnen stützte sich der Copilot. Er hinkte stark. Zwei der Soldaten trugen den bewusstlosen Piloten, zwei andere den verwundeten Private Caldwell. Harrer und Caruso rannten zu dem der Mauer gegenüberliegenden Gebäude. Die Hintertür ließ sich öffnen. Die beiden SFO-Leute gingen zu beiden Seiten der Tür in Stellung und sicherten in das Haus hinein, ließen ihren Instinkten freien Lauf und waren angespannt bis in die letzte Faser ihres Körpers. In dem Haus rührte sich nichts. Harrer winkte. Mara Sanchez und Miro Topak rannten los, drangen in das Gebäude ein und erreichten die Vordertür. »Wartet«, rief Harrer unterdrückt und beobachtete, wie einige der Marines die Mauer überstiegen. Die Verletzten wurden darüber hinweggehoben. Dann kamen die Marines durch den Hinterhof. Sie bewegten sich so leise wie möglich. Die Finsternis schien sie auszuspucken. »Weiter!«, gebot Mark Harrer. Sanchez öffnete die Haustür und blieb in der Deckung der
Wand. MPis begannen zu rattern. Die Kugeln pfiffen durch die geöffnete Tür, klatschten gegen die Hauswand, rissen das Pflaster des Gehsteiges vor der Haustür auf. Das Peitschen der Schüsse und die Quarren der Querschläger gingen durch Mark und Bein. Dann legten die Rebellen eine Feuerpause ein. Sie steckten in dem Gebäude jenseits der schmalen Straße, auf die die Haustür führte. »Wir kommen da nicht hinaus!«, schrie Topak mit hartem Akzent. »Sie schießen uns ab wie auf dem Schießstand.« »Zurück!«, befahl Harrer. Er lief geduckt zu der Mauer, die das Grundstück auf der linken Seite, ausgehend von ihrer Fluchtrichtung, einfasste. Caruso folgte dem Lieutenant. Die Mauer war etwa einssiebzig hoch. Harrer nahm Anlauf und kam mit einem eleganten Schwung auf die Mauerkrone. Er richtete das Gewehr in das sich anschließende Grundstück. Auf der anderen Seite war wieder ein Gebäude, ebenso zur Rechten und zur Linken. Auch auf diesem Grundstück wucherte Unkraut. Mara Sanchez hatte die Haustür wieder zugeworfen. Eine Garbe durchschlug das Holz. »Rückzug«, stieß die Sergeantin hervor. Sie gingen rückwärts und erreichten wieder den Hof. Caruso war schon bei der Mauer, auf der Harrer saß. Auch Sanchez und Topak liefen hin. Über den Hof kamen die Marines. Harrer sprang auf die andere Seite. »Hilf mir mal, Miro«, knirschte Caruso. Topak verschränkte die Hände vor dem Leib, Caruso stieg hinein und zog sich auf die Mauer. Im nächsten Moment war auch er auf der anderen Seite verschwunden. Einige Marines stiegen hinüber. Die Verwundeten wurden hochgestemmt und über die Mauer gehievt. Da flog krachend die Hintertür des Gebäudes auf, in dem sich vorhin Mara Sanchez und Corporal Topak befunden hatten und an dessen Vordertür sie unter Beschuss genommen worden waren.
Mündungsfeuer begannen zu flackern. Schnellfeuergewehre hämmerten. Zwei der Marines brachen zusammen. Sanchez und Topak jagten jeweils einen Feuerstoß in die Richtung der züngelnden Mündungsfeuer. Gestalten taumelten in den Hof und stürzten zu Boden. Andere folgten nach. Jetzt erwiderten auch die Marines das Feuer. Die beiden Piloten waren bereits über die Mauer gehoben worden. Jetzt folgte Caldwell. Und plötzlich schwiegen die Gewehre bei der Hintertür. Die Rebellen hatten sich zurückgezogen, soweit sie noch dazu in der Lage waren. Jemand sagte: »Tanner ist tot. O verdammt!« Eine andere Stimme erklang. Sie klang gepresst und ächzend. »Ich habe eine Kugel in die Hüfte bekommen und blute wie ein Schwein. Zur Hölle mit diesen dreckigen Bastarden.« »Wir müssen Tanner zurücklassen«, sagte Hoover. »Vorwärts, hebt Hunter über die Mauer. Und dann nichts wie weg. Sie werden gleich an den Fenstern auftauchen.« Da begannen auch schon wieder die Waffen zu rattern. Die Aufständischen waren in der Tat in die Räume des Gebäudes eingedrungen und feuerten jetzt aus den Fenstern auf die Marines und die SFO-Leute. »Wir geben euch Feuerschutz«, brüllte Topak und begann zu schießen. Auch die MPi der Sergeantin ratterte. Sie deckten mit ihren Kugeln die Fenster ein, in deren Höhlungen Mündungslichter züngelten. Ein weiterer Marine brach zusammen. Die anderen kletterten behände über die Mauer. Topak untersuchte den Mann, der getroffen worden war. Er lebte. Die Kugel hatte seinen Oberschenkel zerschmettert. »Hilf mir mal, Mara«, rief Topak. Sie stellten gemeinsam den Verwundeten auf die Beine und hoben ihn hoch, bis er mit dem Bauch auf der Mauerkrone lag. Die Marines auf der anderen Seite zerrten ihn hinüber. »Jetzt du, Mara!«, gebot Topak. Er verschränkte die Hände
vor dem Leib und die Sergeantin schwang sich auf die Mauer. Topak reichte ihr die MPi, dann sprang er kraftvoll hoch, seine Füße kratzten über die Wand, dann war er oben und ließ sich auf der anderen Seite hinunterfallen. Auch Sanchez war in die Tiefe gesprungen. Sie reichte Topak seine Waffe. Auf der anderen Seite brach das Feuer ab. Eine laute Stimme brüllte Befehle in einer Sprache, die nur die Aufständischen verstanden. Es war irgendein Bantu-Dialekt, wahrscheinlich Suaheli. Harrer und Caruso hatten schon das Gebäude besetzt, bei dem das Grundstück endete. In der Stadt war Schusslärm zu hören. In der unmittelbaren Umgebung aber war es ruhig. Still wie in einer Gruft um Mitternacht. Eine unheilvolle Stille. * Dschungel südlich von Kinshasa Mittwoch, 0110 OZ Absolute Dunkelheit umgab sie. Der Dschungel war voll gespenstischer Geräusche. Es knackte und raschelte im Busch, die Jäger der Nacht waren aktiv. Der Hubschrauber war auf einer kleinen Lichtung notgelandet. Die Verwundeten waren während des Fluges notdürftig versorgt worden. Der Copilot saß am Funkgerät, das intakt war. Sie waren eine halbe Flugstunde von Kinshasa entfernt. Hilfe war angefordert. Die Koordinaten des Punktes, an dem sie sich befanden, waren dem Luftwaffenstützpunkt in Luanda bekannt gegeben. Dann hatte Colonel Davidge den Funkverkehr einstellen lassen, weil es nicht auszuschließen war, dass die Rebellen mithörten. »Hier kann kein Hubschrauber landen, um uns aufzunehmen«, sagte Davidge zu dem Piloten. »Wir müssen zusehen, dass wir eine größere Lichtung erreichen und die
Koordinaten der Abholzone durchgeben.« »Das heißt, auf das Geratewohl loszumarschieren«, versetzte der Pilot, ein Captain. »Wir verfügen über kein Navigationsgerät. Es wird kaum möglich sein, Koordinaten festzulegen.« »Wir kennen die Koordinaten der Landestelle«, sagte Davidge. »Wenn wir eine Lichtung erreichen, auf der ein Black Hawk landen kann, zünden wir ein Feuer an, sobald wir den Helikopter hören.« Davidge wandte sich noch einmal an den Copiloten. »Nehmen Sie noch einmal Kontakt mit Luanda auf, Lieutenant. Sagen Sie denen, dass wir uns von der Absturzstelle aus südwärts bewegen. Sobald wir einen geeigneten Platz für die Aufnahme gefunden haben und den Helikopter hören, entzünden wir ein Feuer.« »Basis, hören Sie…«, begann der Copilot in sein Mikrofon zu sprechen, nachdem er Verbindung aufgenommen hatte. Jemand – es war ein Mann – sagte mit etwas schriller Stimme, in der die Angst mitschwang: »Wir sind verloren. Im Land wimmelt es von Aufständischen. Großer Gott, sie werden uns abschlachten. Diesen verdammten Rebellen ist nichts mehr heilig.« »Vertrauen wir auf Gott«, ließ der UN-Generalsekretär seine Stimme vernehmen. Sie zitterte leicht. Seine Worte fielen abgehackt. »Auf Gott pfeife ich in dieser Situation«, stieß ein anderer Mann hervor. »Hilf dir selbst, dann hilft dir Gott.« »Beruhigen Sie sich«, versuchte Davidge auf die Menschen einzuwirken. »Nur Ruhe bringt uns weiter. Wir marschieren nach Süden. Legen Sie sich gegenseitig die Hand auf die Schultern, damit keiner verloren geht. Ich gehe voraus. Sie, Captain, gehen mit mir. Sie beide, Dr. Lantjes und Lieutenant Leblanc, sichern nach hinten.« Sie marschierten los. Der Mann mit der Beinwunde wurde von zwei anderen Männern gestützt. Der andere Verletzte
presste die Hand auf die Schulterwunde und taumelte dahin. Er hatte Hilfe abgelehnt. Es war sicher nur eine Frage der Zeit, bis er schlappmachte. Der Mann, der eine Kugel in die Hüfte bekommen hatte, musste getragen werden. Davidge orientierte sich am Stand der Sterne. Manchmal versperrte ihnen dichter Busch den Weg. Dann umgingen sie das Hindernis. Eine Machete, um sich einen Weg zu bahnen, hatten sie nicht dabei. Davidge war bemüht, mit seinem Blick die Dunkelheit zu durchdringen. Seine Augen brannten. Einmal stolperte er über eine Luftwurzel. Der Weg war beschwerlich, mit tausend Strapazen gepflastert. Eine der Frauen weinte leise vor sich hin. Ihre Nerven hatten versagt. Irgendwo brüllte ein Raubtier, das trotz der Nacht auf Beutesuche war. Der Mann mit der Schulterwunde brach zusammen. Zwei andere Männer halfen ihm auf die Beine und stützten ihn. Er röchelte und japste nach Luft. »Ich – ich kann nicht mehr. Der Blutverlust…« Er wurde ohnmächtig und musste von nun an getragen werden. Und plötzlich war Motorengeräusch zu vernehmen. Es näherte sich von Norden. Davidge war stehengeblieben. Die Gruppe, die ihm folgte, hielt ebenfalls an. »Hören Sie das?«, rief ein Mann. »Es naht Hilfe. Dem Himmel sei Dank.« »Freuen Sie sich nicht zu früh«, entgegnete Davidge. »Ich denke vielmehr, dass die Aufständischen unseren Funkspruch abgehört haben und uns jetzt suchen.« »Warum nur?«, heulte eine Frau auf. »Was haben wir diesen Leuten getan, dass sie so erpicht darauf sind, uns umzubringen.« »Vielleicht wollen sie uns gar nicht umbringen«, sagte Davidge. »Es ist nicht auszuschließen, dass sie den UNGeneralsekretär und den US-Botschafter in ihre Gewalt bekommen möchten, um damit Amerika und die UNO zu
erpressen.« »Was sollten sie zu erpressen versuchen?«, fragte de Bauville. Seine Stimme klang kratzig, als wären seine Stimmbänder belegt gewesen. Wäre es hell genug gewesen, hätte man die Unruhe erkennen können, die jeder Zug seines Gesichts ausdrückte. »Die Durchsetzung der Gleichberechtigung im Kongo zum Beispiel«, erwiderte Davidge. »Die Luba werden von den Mongo unterdrückt. Mit Hilfe Amerikas und der Vereinten Nationen will man das vielleicht ändern.« Gerard de Bauville schwieg. Er räusperte sich nur, als wollte er seine Stimmbänder von dem Belag befreien, der sie befallen hatte. Das Motorengeräusch wurde intensiver. Davidge sagte: »Hilfe kann nur von Süden kommen. Der Helikopter aber nähert sich von Norden. Gehen wir weiter. Wenn der Hubschrauber über uns ist, müssen wir uns verstecken. Sicher verfügen die Piloten über Nachtsichtgeräte.« »Wenn sie Wärmebildkameras dabeihaben, nützt es uns auch nichts, wenn wir uns im Busch verkriechen«, sagte ein Mann. Davidge presste die Lippen zusammen. Warum muss dieser Narr mit seinen Worten Angst und Unsicherheit schüren?, fragte er sich und sagte: »Bei den Rebellen handelt es sich um eine unterprivilegierte Gesellschaftsschicht hier im Kongo. Kaum anzunehmen, dass sie über modernste Hightech-Systeme verfügen.« Davidge setzte sich nach diesen Worten, die das Feuer der Angst bei seinen Schutzbefohlenen so niedrig wie möglich halten sollten, wieder in Bewegung. Der Trupp folgte im Gänsemarsch. Äste knackten unter den Tritten. Zweige peitschten die Gesichter und zerrten an der Kleidung. Das Hubschraubergeräusch wurde von einer Sekunde zur anderen lauter und verschluckte schließlich alle anderen Geräusche. Davidge war davon überzeugt, dass ihr Funkspruch
nach Luanda abgehört worden war. Er hatte sich auf dem Flug nach Afrika anhand einer Landkarte mit den Örtlichkeiten vertraut gemacht. Weiter südlich lag ein Ort namens Ngungu. Er befürchtete, dass von dort aufständische Truppen in Marsch gesetzt wurden, um sie abzufangen. Und der Dschungel war nicht einmal das größte Problem. Es gab auch gebirgige Regionen auf dem Weg nach Süden. Um Berge zu übersteigen aber waren sie nicht ausgerüstet. Die Gedanken bei Davidge kamen und gingen. Es waren ungute Gedanken, die durch seinen Verstand zogen. Alles hing davon ab, dass sie ein Helikopter aus Luanda aufnahm. Wurde er abgeschossen oder konnte er sie aus irgendwelchen anderen Gründen nicht erreichen, waren sie verloren. Aber Davidge versank nicht in Hoffnungslosigkeit. Er hielt an seiner Zuversicht fest. Negatives Denken würde ihn in seiner Handlungsfähigkeit einschränken, da seine Persönlichkeit darunter leiden würde. Nur nicht resignieren, war seine Devise. Dann flog der Hubschrauber über sie hinweg. Bedrohlich zeichnete er sich schwarz, klar und deutlich vor dem sternenübersäten Himmel ab. Dann verschwand er hinter den Bäumen. »Das war sicherlich ein Hubschrauber der regulären Truppe«, sagte Davidge. Sie marschierten weiter. Und dann gelangten sie auf eine Lichtung, die groß genug war, um einem Hubschrauber Platz zu bieten. Sie ließen sich erschöpft zu Boden fallen. Im vagen Licht des Mondes und der Sterne muteten die Gesichter wie bleiche Kleckse an. Davidge nahm mit Harrer Kontakt auf. Er erfuhr, dass Harrer und seine Leute sowie die Marines das Gebäude, aus dem sie die Zivilisten evakuiert hatten, verlassen hatten und dass sie zwischenzeitlich fünf Verletzte hatten. »In den Häusern und auf der Straße wimmelt es von Rebellen«, erklärte Harrer. »Bis zur Botschaft sind etwa noch
drei Meilen zurückzulegen. Es sieht nicht gut aus.« »Wir befinden uns im Dschungel und sind auf einer Lichtung angekommen, wo uns ein Helikopter aufnehmen kann. Ich kann nur hoffen, dass die Rebellen unseren Funkspruch nach Luanda nicht abgehört haben. Sicher verfügen sie über RPGs (Rocket Propelled Grenade = Bazooka), mit denen sie einen Helikopter vom Himmel holen können. Einen vierten Hubschrauber werden die Amerikaner nicht mehr schicken, schätze ich. Over.« »Over.« »Jetzt können wir nur abwarten und hoffen«, sagte de Bauville. »Hoffentlich kommt der Helikopter bald.« »Wir können darüber hinaus noch beten«, fügte Jim Patterson, der US-Botschafter, hinzu. * Kinshasa, Mittwoch, 0146 OZ Wie ausgestorben lag die Straße vor Mark Harrer und Caruso. Die Marines und die Verletzten befanden sich in einer engen Seitenstraße. Sanchez und Topak sicherten in dieser Seitenstraße nach hinten. Soeben hatte Harrer mit Colonel Davidge gesprochen. Was er gehört hatte, war nicht dazu angetan, ihn zu beruhigen. Ihre Mission war erst erfolgreich verlaufen, wenn der UNGeneralsekretär und der US-Botschafter in Sicherheit waren. Im Moment sah es ganz und gar nicht nach einem Erfolg aus. Harrer sicherte nach rechts, Caruso nach links. Die Luft schien rein zu sein. Sie rannten über die Straße und schmiegten sich auf der anderen Seite hart an die Fassade eines Gebäudes. Nichts geschah. Harrer winkte. Lieutenant Hoover und drei Marines überquerten die Straße. Weiter unten fuhr ein Lastwagen aus einer Seitenstraße. Hoover und die beiden
Marines drückten sich neben Harrer und Caruso gegen die Wand. Der Lastwagen näherte sich. Er fuhr mit Standlicht. Die Scheinwerfer muteten wie zwei große, trübe Augen an. Das Motorengeräusch rollte vor dem Fahrzeug her die Straße herauf. »Granatwerfer!«, rief Hoover. Aus der Straße auf der anderen Seite huschte ein Mann und ging auf das linke Knie nieder. Er hielt das M16A2, das mit einem M203 Granatwerfer ausgestattet war, an der Hüfte im Anschlag und drückte mit der Linken von oben auf den Lauf, damit er beim Abschuss der Granate durch den Rückstoß nicht nach oben verriss. »Warten Sie noch!«, rief Hoover. Auf der Ladefläche des Lasters saßen einige Männer in Zivil. Sie waren bewaffnet. Es handelte sich um Aufständische. »Feuer!«, rief Hoover durch das Brummen des Motors. Die Granate zischte durch die Luft, schlug im Führerhaus ein und detonierte. Ein riesiger Feuerball platzte auseinander. Der Lastwagen kam aus der Spur und prallte mit der linken Seite der Motorhaube gegen ein Gebäude. Ruckartig stand er. Aus dem Führerhaus schlugen Flammen. Die Männer auf der Ladefläche sprangen ab. Die MPis und Gewehre der SFO-Leute und der Marines begannen zu hämmern. Einige der Aufständischen stürzten. Die anderen rannten in Deckung der Gebäude zu beiden Seiten und erwiderten das Feuer. »Bleibt, wo ihr seid!«, rief Harrer und meinte die Soldaten auf der anderen Straßenseite, die die Verwundeten mit sich schleppten. Mara Sanchez und Topak behielten ihre Position bei, denn es war nicht auszuschließen, dass sich ihnen Rebellen von hinten näherten. »Rückzug!«, kommandierte Harrer. Sie wichen zurück, bis sie eine andere Querstraße erreichten, und bestrichen die Stellungen der Rebellen mit ihren Kugeln. Die Marines, die die
Verwundeten bei sich hatten, überquerten im Laufschritt die Fahrbahn, wandten sich nach links und rannten unter dem Feuerschutz Mara Sanchez' und Corporal Topaks in die Querstraße. Keuchend hielten sie an. »Verdammt«, sagte einer. »Wir schleppen einen Toten mit uns.« Sie legten den Private Caldwell auf den Boden. Er war während ihrer Flucht gestorben. Einer der Soldaten öffnete seine Jacke und brach die untere Hälfte der Erkennungsmarke ab. Er schob sie in die Tasche. Plötzlich hatte Harrer eine Idee. Sie kam ihm, als er den großen Kanaldeckel sah, der in die Straße eingelassen war. »Warum versuchen wir nicht unterirdisch die Botschaft zu erreichen?«, wandte er sich an Hoover. »Die ganze Stadt ist sicher von einem Kanalnetz durchzogen«, meinte Lieutenant Gary Hoover. »Wie sollen wir uns dort unten orientieren?« »Sie haben Recht«, murmelte Harrer nach kurzer Überlegung. »Wir bräuchten ein GPS-System, aber das haben wir leider nicht. Also müssen wir uns bis zur Botschaft durchschlagen. Aber vielleicht können wir den Belagerungsring durch die Kanalisation umgehen. Sobald die Botschaft in Sicht kommt.« Er brach ab. Den Rest konnte sich Hoover denken. Zuletzt erschienen Topak und Sanchez. Topak hatte einen Streifschuss am Oberarm davongetragen. Aber er machte kein Aufhebens darum. »Ein Kratzer«, wiegelte er ab. »Nur ein harmloser Kratzer.« Sie verschnauften. Harrer lugte um die Ecke und ließ seinen Blick die Straße hinunterschweifen. Die Rebellen hatten das Feuer eingestellt. Sie schlichen eng an die Hauswände gepresst die Straße herauf. Der Lastwagen brannte lichterloh und machte in seiner Umgebung die Nacht zum Tage. Als die Rebellen eine Salve schickten, zog Harrer schnell den
Kopf zurück. »Topak, Sanchez, geht voraus«, knirschte Harrer. »Caruso und ich bilden ab jetzt die Nachhut.« Er schob seine Arme mit der MPi um die Ecke und gab blindlings einen Feuerstoß ab. Mara Sanchez und Miro Topak eilten davon. Hoover ging mit ihnen. Er kannte den Weg zur Botschaft. »Da lang«, sagte er und bog in eine enge, finstere Gasse ab. Die Gruppe mit den Verwundeten folgte. Caldwell hatten sie zurückgelassen. Ihm konnten die Rebellen nichts mehr anhaben. Harrer und Caruso erreichten ebenfalls die finstere Gasse und blieben an ihrem Eingang zurück. Die Rebellen bogen wenig später um die Ecke, von der aus Harrer sie unter Beschuss genommen hatte. Harrer und Caruso feuerten. Einer der Kerle bäumte sich auf, machte das Kreuz hohl und schlug lang hin. Als die Aufständischen das Feuer erwiderten, waren Harrer und Caruso schon in der Gasse verschwunden. Sie folgten den Marines, sicherten aber unablässig nach hinten. Geschrei war zu hören. Bei einer Ecke hielten Hoover, Sanchez und Topak an. Hoover spähte um sie herum. Vor ihm lag eine breite Straße. 100 Schritte entfernt war ein Menschenauflauf zu sehen. Stimmengewirr hing in der Luft. Hoover fragte sich, was die Leute veranlasst hatte, sich dort zu sammeln. Plötzlich klatschten einige Beifall. Und dann bildete sich eine Gasse, durch die ein Pkw rollte. Er beschleunigte. Und dann konnte Hoover sehen, dass hinter dem Fahrzeug – es war ein alter, verbeulter Ford – zwei Körper hergeschleift wurden. Sie hingen an langen Seilen. Heiseres, gequältes Gebrüll war zu hören und mischte sich in das Brummen des Motors. Der verbeulte Wagen fuhr vorbei. Die beiden Körper hingen schlaff an den Seilen. Es waren Schwarze, Zivilisten. Warum sie von der Meute gelyncht worden waren, würde Hoover wohl nie erfahren.
Der Lieutenant schluckte trocken. Es war, als würgte ihn eine unsichtbare Hand. Die Menschenmenge setzte sich in Bewegung. Schüsse krachten. Grölend und johlend zog die Meute davon. Hoover, Sanchez und Topak liefen geduckt über die Straße und verschwanden auf der anderen Seite in einer Passage, in der die Finsternis fast greifbar anmutete. * Luftraum über dem Dschungel nördlich von Ngungu Mittwoch, 0205 OZ Der Black Hawk kam von Luanda. Eine Wärmebildkamera suchte den Dschungel ab. Auf dem Display zeigte sich plötzlich Bewegung. Und dann zischte etwas zwischen den Bäumen hervor nach oben. Eine Rakete; sie zog einen Schweif aus Rauch hinter sich her. Der Pilot ließ den Helikopter sofort wegsacken. »Verdammt!«, brüllte er. »Sie feuern mit einer Bazooka.« Er riss am Steuerknüppel. Die Maschine schwenkte nach links. Und wieder wurde im Dschungel eine Rakete abgefeuert. Der Pilot riss nach rechts. Auch dieses zweite Geschoß ging fehl. Der Rauchschweif zischte dicht am Hubschrauber vorbei. »Verdammt!«, knirschte der Pilot. »Die haben auf der Lauer gelegen und auf uns gewartet. Wahrscheinlich haben sie den Funkspruch von Eagle 65 abgefangen.« Der Pilot schwenkte wieder auf den Nordkurs ein. Eine Rakete folgte dem Hubschrauber, verfehlte ihn aber. »Das war knapp«, stieß der Copilot hervor. Dann sprach er in das Mikro des Funkgerätes: »Hier Eagle 17; stehen unter RPGBeschuss; es ist fraglich, ob wir den Rückflug antreten können, da wir Gefahr laufen, abgeschossen zu werden. Basis kommen!« »Hier Basis. Nehmen Sie die beiden Gesandtschaften und
das SFO-Team auf. Fliegen Sie einen großen Bogen um das Gebiet, in dem Sie unter Beschuss geraten sind. Verstanden, Eagle eins?« »Verstanden. Es ist allerdings nicht auszuschließen, dass mehrere Rebellentrupps den Dschungel unsicher machen. Eagle 17, Ende.« »Basis – Ende.« Der Monitor zeigte wieder an, dass sich zwischen dem Gebüsch Menschen bewegten. »Wenn wir wüssten, ob es sich um die Leute handelt, die wir ausfliegen sollen.« »Sie wollen dort, wo wir landen können, ein Feuer schüren. Fliegen wir erst mal zu der Stelle, an der Eagle 65 notlanden musste. Und dann sehen wir weiter.« Dann zeigte der Navigator an, dass sie sich genau über der kleinen Lichtung befanden, auf der Black Hawk Nummer 65 notgelandet war. Sie schwebten kurze Zeit über der Stelle, dann schwenkte der Hubschrauber auf südlichen Kurs ein. Davidge hatte dürres Gestrüpp zusammentragen und zu einem Haufen schichten lassen. Ein Hubschraubermotor war zu hören. Raketen zogen eine qualmende Bahn vor der Kulisse des Nachthimmels. Der Klang der Detonationen wurde vom Brummen des Motors übertönt. »Das sind unsere Leute«, knirschte Davidge. »Vor uns aber befinden sich Rebellen im Wald. Sie haben den Helikopter mit Bazookas beschossen. Wir können es uns kaum leisten, ein Feuer anzumachen.« »Wir müssen es riskieren«, sagte de Bauville eindringlich. »Denn selbst wenn sie uns mit einer Wärmebildkamera sehen – sie können nicht erkennen, ob es sich um Freund oder Feind handelt. Außerdem kennzeichnet das Feuer die Position, an der eine Landung möglich ist. Ich werde das Reisig jetzt in Brand setzen. Und Sie werden sich fügen, Colonel.« »Die Dame sticht den Buben«, knurrte Davidge. »Sie werden aber auch die Verantwortung übernehmen müssen, Sir.«
»Wie reden Sie denn mit mir?« Davidge schwieg verbissen. De Bauville holte sein Feuerzeug aus der Jacke, entfachte es und hielt es unter das Reisig. Es knisterte, einige dünne Äste fingen Feuer, dann brannte die Flamme schnell höher. Der Hubschrauber war hinter Baumwipfeln verschwunden. Nur noch der ferne Motorenlärm war vernehmbar. »Er fliegt zu der Stelle, an der wir gelandet sind«, erklärte Davidge. Lichtreflexe von dem Feuer flossen über ihn hinweg. Im Wechselspiel von Licht und Schatten sah sein Gesicht düster und unzufrieden aus. Einige Zeit verstrich. Der Hubschrauber kam zurück. Das Feuer loderte jetzt hoch. Plötzlich zischten wieder Raketen zum Himmel. »Sie sind ganz nah!«, presste Davidge hervor und begann, das Feuer auszutreten. Es roch nach verbranntem Gummi, als die Sohlen seiner Springerstiefel heiß wurden. Leblanc half ihm. Der Hubschrauber drehte ab. »Mein Gott!«, schrie de Bauville überschnappend. »Er fliegt weg!« Am Himmel erfolgte eine Explosion. Der Hubschrauber begann sich zu drehen und sackte in die Tiefe. Gleich darauf verschwand er zwischen den Baumwipfeln. Und dann erfolgte ein gewaltiger Krach. Eine Stichflamme schoss zum Himmel. Die Menschen, die es beobachtet hatten, waren entsetzt. Panik wollte sich bei dem einen oder anderen einstellen. Die Herzen schlugen höher. Dort, wo das Feuer gewesen war, lagen nur noch glimmende Aststücke verstreut herum. Da begannen Mpis zu rattern. »Zu Boden!«, brüllte Davidge und riss seine Waffe an die Schulter, ging auf das linke Knie nieder und schickte eine Salve in den Dschungel hinein. Auch Leblanc und Dr. Lantjes waren niedergegangen. Ihre
Mpis begannen zu hämmern. Die Zivilisten warfen sich, als es ihnen gelang, die Erstarrung abzuschütteln, auf den Boden. In der Dunkelheit lohten die Mündungsfeuer wie grelle Blitze. »Rückzug!«, rief Davidge. »Wir ziehen uns zum Hubschrauber zurück.« Er feuerte eine Garbe in den Wald hinein. »Leblanc, organisieren Sie den Rückzug. Achten Sie darauf, dass keiner der Verwundeten liegen bleibt.« »Jawohl, Sir.« »Wir beide versuchen die Gegner aufzuhalten, Doc!« »Aye, Sir.« Die Ärztin war neben Davidge gerobbt. Jetzt kam sie halb hoch und begann zu feuern. »Alles mir nach!«, gebot Leblanc. »Bewegen Sie sich in der tiefsten Gangart. Ich meine, kriechen Sie auf den Bäuchen.« Eine Frau weinte hysterisch auf. Ein Mann keuchte: »Das ist doch alles sinnlos. Wahrscheinlich sind wir eingekreist. Warum ergeben wir uns nicht? Die Rebellen gewähren uns sicher freien Abzug aus dem Land. Schließlich sind wir nicht das Ziel ihrer Wut und ihres Zorns.« »Sie sind Amerikaner und damit automatisch Feind eines jeden Luba, nachdem Amerika mit den Mongo sympathisiert. Wenn wir denen in die Hände fallen, vierteilen sie uns.« Jemand schluchzte trocken. »Verschwinden Sie!«, presste Davidge wenig gentlemanlike hervor. »Bringen Sie sich in Sicherheit. Hier auf der Lichtung kann ich für nichts garantieren.« Ringsum raschelte und knackte es. Die Zivilisten krochen von der Lichtung. Erst im Wald wagten sie sich wieder aufzurichten. »Legen Sie sich wieder gegenseitig die Hand auf die Schulter«, zischelte Leblanc. »Haben Sie die Verwundeten dabei?« »Ich bin hier«, sagte ein Mann.
»Ich auch. Ob ich den Weg zurück noch einmal schaffe, ist fraglich.« »Wir nehmen Sie mit, keine Sorge«, versprach Leblanc. Er spürte eine Hand auf seiner Schulter und marschierte los. Hinter ihnen ratterten die Gewehre. Davidge und Dr. Lantjes hatten die Rebellen in einen heftigen Kampf verwickelt. Ständig wechselten sie die Positionen. Sie lagen jetzt flach am Boden und zielten auf die flackernden Mündungsfeuer. Und dann trat plötzlich Ruhe ein. Die Rebellen schienen Befehl erhalten zu haben, das Feuer einzustellen. Davidge wechselte das Magazin aus. Dann zischelte er: »Rückzug, Doc. Verschwinden wir, ehe sie sich eine neue Taktik ausdenken.« Geduckt gehend zogen sie sich zurück. Die eingetretene Stille war ebenso nervenzerrend wie das Gewehrfeuer bis vor wenigen Augenblicken. Der Satan schien die Karten in diesem höllischen Spiel neu zu verteilen. Wer das Verliererblatt bekam, war noch nicht entschieden. Leblanc und die Zivilisten marschierten durch den Busch. Der bewusstlose Pilot begann zu stöhnen. »Der Pilot scheint zu sich zu kommen«, sagte einer der Männer, die ihn trugen. »Ruhe!«, zischte ein anderer scharf. »Wir sind hier nicht in der Fifth Avenue.« Davidge und Dr. Lantjes holten die Menschengruppe ein, die Leblanc führte. Davidge sicherte hinter sich, Dr. Lantjes abwechselnd nach links und rechts. Es war ein schweigsamer Marsch, Angst und Beklemmung hielten die Menschen fest im Klammergriff. Der Pulsschlag hatte sich erhöht und jagte das Blut durch die Adern. Hin und wieder stolperte jemand, dann war wieder eine lästerliche Verwünschung hören. Die Stimmung war auf dem Nullpunkt, die Situation schier ausweglos. Müde Resignation befiel den einen oder anderen. Der Marsch war beschwerlich. Leblanc durfte die Orientierung nicht verlieren. Er konnte sich nur an den Spuren
orientieren, die sie auf dem Weg hierher hinterlassen hatten. Schon zigmal hatte Leblanc bereut, sein Nachtsichtgerät beim übrigen Gepäck auf dem Flugplatz in Luanda gelassen zu haben. Sich in der tintigen Finsternis, die alles einhüllte, zurechtzufinden war nahezu unmöglich. Wenn er wenigstens eine Taschenlampe gehabt hätte. Das Team besaß zwar eine Stablampe, aber die hatte Harrer am Mann. Eine Warnung eines Instinkts ließ Davidge anhalten. »Gehen Sie weiter«, raunte er Dr. Lantjes zu. Er drehte sich um. Die Anspannung krümmte seine Gestalt nach vorn. Er hielt die Mpi an der Hüfte im Anschlag. Seine Augen bohrten sich in die Dunkelheit. Und dann glaubte er einige huschende Schemen erkannt zu haben. Ihre Verfolger hatten dasselbe Problem wie sie selbst. Sie sahen fast nichts. Über Nachtsichtgeräte verfügten sie nicht. Das war für die Verfolgten ein Vorteil, der ihnen allerdings nichts einbrachte, weil sie sich in derselben Situation befanden wie die Rebellen. Davidge setzte sich in Bewegung. Er ging ihren Verfolgern entgegen. Automatisch setzte er einen Fuß vor den anderen. Seine Bewegungen erfolgten nahezu unabhängig von seinem Verstand, der sich auf den Gegner konzentrierte. Davidge war ein Bündel angespannter Wachsamkeit. Vor ihm war Rascheln zu vernehmen. Er hielt an und ging auf das linke Knie nieder. Ein trockener Ast knackte unter einem Schritt. Und dann löste sich ein Schemen aus der Dunkelheit. Ein zweiter folgte. Matt schimmerte das Metall der Gewehre in ihren Fäusten. Davidge schoss aus der Hüfte. Eine Salve ratterte aus der Mpi und warf die beiden schattenhaften Gestalten um. Sofort wurde die Nacht ringsum lebendig. Gewehre peitschten, Mündungslichter flackerten. Davidge lag am Boden und kroch schlangengleich davon. Und dann tauchte vor ihm ein weiterer Gegner auf. Er stand geduckt da und hielt das Gewehr an der Schulter. Davidge hängte sich die Mpi um den Hals und zog
das Kampfmesser. Er kroch um die Gestalt herum, bemüht, kein Geräusch zu verursachen, leise wie ein anschleichender Puma. Dann schnellte er hoch. Sein linker Arm legte sich von hinten um den Hals des Rebellen, die Rechte mit dem Messer zuckte nach vorn. Die Gestalt erschlaffte mit einem verlöschenden Ton auf den Lippen. Die Gewehre der Rebellen schwiegen jetzt. Davidge folgte den Menschen, deren Schicksal ihm, Dr. Lantjes und Pierre Leblanc anvertraut war. * Kinshasa, Mittwoch, 0252 OZ »Delta eins kommen«, flüsterte Lieutenant Hoover in sein Mikrofon. »Hier Delta drei. Melden Sie sich, Delta eins.« »Hier Delta eins. Ist bei Ihnen alles klar, Delta drei?« »Nichts ist klar, Captain. Wir haben etwa eine Meile zurückgelegt. Auf den Straßen wimmelt es von Menschen. Alle Luba, die in Kinshasa leben, scheinen sich zusammengerottet zu haben. Private Caldwell ist gestorben. Wir wurden Zeugen zweier Lynchmorde. Ich weiß nicht, wie wir die restlichen zwei Meilen bis zur Botschaft schaffen sollen.« »Verschanzen Sie sich in einem leer stehenden Gebäude, Hoover. Und warten Sie dort, bis Regierungstruppen den Aufstand in der Stadt niedergeschlagen haben.« »Lieutenant Harrer meint, wir sollten es durch die Kanalisation versuchen. Ich halte davon nichts. Wir können uns da unten nicht orientieren. Bei dem Kanalsystem dürfte es sich um einen Irrgarten handeln.« »Keine schlechte Idee«, murmelte Delta eins. »Das wäre auch ein Weg, um Frauen und Kinder aus der Botschaft zu schleusen.« Einige Sekunden des Schweigens verstrichen, dann schränkte Delta eins ein: »Aber was nützt es, wenn sie sich
außerhalb der Botschaft befinden, solange keine Helikopter vorhanden sind, die sie ausfliegen?« »Ich halte nichts davon, dass wir uns wieder in einem Gebäude verschanzen, Delta eins. Wir sind mit Mühe und Not aus dem Haus entkommen, aus dem wir die Zivilisten evakuiert haben. Sollen wir uns erneut in eine Falle begeben? Ich denke, wir versuchen, uns weiter zur Botschaft durchzuschlagen.« »Sie riskieren das Leben Ihrer Männer, Delta drei.« »Das riskiere ich auch, wenn wir uns in einem Haus verkriechen.« »Ich bin nicht dafür. Aber Sie müssen selbst wissen, was Sie sich zutrauen können. Sie tragen die Verantwortung für Ihre Leute, Delta drei. Sie wissen, was das bedeutet.« »Das weiß ich sehr wohl, Delta eins. Aber ich gehe dieses Risiko ein. Delta drei Ende.« »Weiter«, flüsterte Hoover. Sie bewegten sich eine enge Gasse entlang. Nirgendwo in den Häusern brannte Licht. Überhaupt schienen in der Stadt sämtliche Lichter ausgegangen zu sein. Nur dort, wo die Rebellen Möbel auf die Straße geworfen und in Brand gesetzt sowie Pkws angezündet hatten, war es hell. Die Stadt war erfüllt vom Krachen der Gewehre. Das eine oder andere Mal übertönten Explosionen alles andere. Die Gewalt regierte. Unerbittlich rasten Schicksal und Vergeltung. Kinshasa – so schien es – befand sich in Rebellenhand. Harrer und Caruso gingen hinter Hoover, der die Gruppe führte. Die Gasse mündete wieder in eine breite Straße. Motorengeräusch war zu hören. Hoover spähte in die Straße. Zu beiden Seiten standen parkende Pkws. Einige davon waren ausgebrannt, einige umgestürzt. Harrer war auf die andere Seite der Gasse gelaufen und äugte in die andere Richtung. Die Marines hatten angehalten und standen in der Finsternis. Ein Lastwagen rollte vorbei. Er transportierte Männer, wahrscheinlich Rebellen, die Patrouille durch die Stadt fuhren.
Das Motorengeräusch verklang. »Vorwärts«, rief Harrer unterdrückt und schob sich um die Ecke. Auch Hoover war in die Straße geglitten. Caruso folgte. Das Scharren von Schritten war zu vernehmen, als die Marines folgten. Den Schluss bildeten nach wie vor Sergeant Sanchez und Corporal Topak. Sie bewegten sich die Straße hinunter. Am Straßenrand stand ein Laster mit offener Ladefläche. Der Wagen war verwaist. »Miro!«, rief Harrer. »Sieh zu, ob du ihn starten kannst.« Der Russe kam nach vorn und schwang sich in das Führerhaus. Die anderen sicherten in alle Richtungen. Der Zündschlüssel steckte nicht. Topak war Spezialist, was Fahrzeuge aller Art anbetraf, und konnte alles zum Laufen bringen, was Räder und einen Motor besaß. Er schloss die Zündung kurz. Aber der Motor sprang nicht an. Der Anlasser orgelte. Das bedeutete, dass die Batterie nicht leer war. Topak sprang aus dem Führerhaus und öffnete die Motorhaube, ertastete im Finstern die Zündkabel und drückte Sie Kabelköpfe fest auf die Zündkerzen. Dann überprüfte er, ob das Kabel zur Lichtmaschine angeschlossen war. »Es ist wahrscheinlich der Unterbrecher«, murmelte er. »Es kommt kein Kontakt zustande.« »Was können wir tun?«, fragte Harrer leise. »Ich muss den Verteilerkopf abschrauben und die Unterbrecherkontakte säubern. Vielleicht funktioniert es dann. Garantieren kann ich für nichts.« »Hast du Werkzeug?« »Ich denke mal, dass ich im Führerhaus einen passenden Schlüssel finde.« »Wie lange dauert das?« »Wenige Minuten. Hat jemand eine Nagelfeile dabei?« »Ich«, sagte Mara Sanchez. »Was für ein Vorteil, wenn holde Weiblichkeit vertreten ist«, kam es von Caruso. »Welcher Mann käme schon auf die Idee,
in den Einsatz eine Nagelfeile mitzunehmen?« Niemand lachte über den Scherz. Niemandem war zum Lachen zu Mute. Topak stieg wieder in das Führerhaus, hob den Fahrersitz aus der Verankerung und fand tatsächlich eine zusammengewickelte Leinentasche mit Werkzeug. Er kramte darin herum. Es schepperte und klirrte. Da rief einer der Marines: »Ein Fahrzeug von Osten. Sieht aus wie ein Lastwagen.« Tatsächlich bog ganz weit hinten ein Auto in die Straße ein. Es hatte nur Standlicht eingeschaltet. Langsam rollte der Wagen näher. Es war ein Laster mit Plane über der Transportfläche. »In Deckung!«, befahl Harrer. Sie drängten sich auf der Gehsteigseite hinter dem Laster zusammen. Jetzt kam ihnen die Finsternis gelegen. »Warum kapern wir dieses Fahrzeug nicht?«, fragte Caruso. »Von der Kiste wissen wir wenigstens, dass sie läuft.« »Wir wissen nicht, ob auf der Ladefläche Luba-Kämpfer sitzen«, gab Harrer zu bedenken. »Das sollte uns nicht abhalten«, konterte Caruso. »Nimm du die Beifahrerseite, Mark. Ich knöpfe mir den Fahrer vor. Ihr anderen schießt auf alles, was hinten aus dem Laster kommt.« Das Laster rollte näher. Es war ein uraltes Fabrikat, ein Magirus, der wahrscheinlich noch aus den Zeiten der Entwicklungshilfe im Kongo stammte. Der Dieselmotor hörte sich an wie der Motor eines Traktors. Harrer sprang auf das Trittbrett auf der Beifahrerseite, riss die Tür auf und zerrte den Burschen, der da saß, ins Freie. Der Mann stürzte auf die Straße und wurde sofort bewusstlos geschlagen. Zeitgleich mit ihm hatte Caruso die Fahrertür geöffnet und den Fahrer gepackt. Der Bursche flog auf die Fahrbahn. Der Magirus rollte führerlos weiter. Caruso legte einen Spurt hin,
zog sich behände ins Führerhaus, trat die Kupplung und bremste den Lastwagen ab. Da begannen Gewehre zu krachen. Caruso nahm den Gang heraus, zog die Handbremse an und sprang ins Freie. Von der Ladefläche des Lastwagens sprangen Männer. Im Kugelhagel, der sie empfing, gingen sie zu Boden. Zwei der Kerle ergaben sich. Sie wurden entwaffnet und davongejagt. Topak setzte sich ans Steuer. Harrer nahm auf dem Beifahrersitz Platz. Die Verwundeten wurden aufgeladen, die Soldaten stiegen ebenfalls auf die Ladefläche. Hoover klopfte gegen des Heckfenster des Führerhauses. Der Wagen rollte an. »Was wolltest du mit der Nagelfeile?«, fragte Harrer. »Die Kontakte des Unterbrechers säubern«, antwortete Topak. »Ich denke, sie waren entweder feucht oder verschmutzt. Allerdings muss das nicht so sein. Es kann auch an etwas anderem gelegen haben, dass der Motor nicht angesprungen ist.« Sie fuhren die Straße hinunter. Immer mehr Menschen waren auf der Straße zu sehen. Es sah so aus, als konzentrierte sich der Aufstand auf das Stadtzentrum, wo sich der Regierungspalast und die Botschaften verschiedener Länder, unter anderem die amerikanische, befanden. Und dann ging nichts mehr. Vor einer großen Menschenmenge musste der Lastwagen anhalten. Sprechchöre ertönten. Was die Menschen riefen, konnten weder die SFOLeute noch die Marines verstehen. Vereinzelt krachten Schüsse. Topak legte den Rückwärtsgang ein. Da sprangen auf beiden Seiten des Führerhauses Männer auf die Trittbleche. Sie brüllten etwas. Harrer und Topak konnten das Weiße in ihren Augen sehen. Harrer griff nach seiner Pistole. *
Unbekannter Ort im Dschungel Mittwoch, 0254 OZ Sie erreichten die kleine Lichtung, auf der Eagle 65 notgelandet war. Sofort nahm der Copilot Funkkontakt mit der Basis in Luanda auf. Davidge, Dr. Lantjes und Pierre Leblanc sicherten nach drei Seiten. Die Verwundeten lagen vor dem Hubschrauber am Boden. Die Zivilisten waren ebenfalls zu Boden gegangen und machten sich so klein wie möglich. »Hier können Sie nicht bleiben«, rief Davidge mit unterdrückter Tonlage. »Verbergen Sie sich am Rand der Lichtung im Busch. Am besten, Sie legen sich flach auf den Boden.« »Hier Eagle 65«, sagte der Copilot ins Mikrofon. »Basis, bitte kommen.« »Hier Basis. Was ist mit Eagle 17 geschehen? Der Funkkontakt ist abgerissen.« »Eagle 17 wurde über dem Dschungel abgeschossen. Wir sind zu Eagle 65 zurückgekehrt. Im Busch wimmelt es von Aufständischen. Wir bitten um einen neuen Helikopter, der uns aus dieser Umklammerung fliegt.« »Das kann ich nicht entscheiden. Bleiben Sie am Gerät, Eagle 65. Ich spreche mit dem Commander.« »In Ordnung.« »Warum setzen wir uns nicht in den Hubschrauber?«, fragte Patterson. »Da wären wir wenigstens vor den Kugeln der Rebellen sicher.« »Aber nicht vor ihren Raketen«, versetzte Davidge. Der Botschafter schwieg betroffen. Dafür meldete sich der UN-Generalsekretär. »Sollte der Hubschrauber explodieren, werden wir sowieso alle in Mitleidenschaft gezogen. Es ist also Jacke wie Hose, ob wir uns in die Maschine setzen oder nicht. Mr. Patterson hat aber Recht. In der Maschine wären wir vor den Gewehrkugeln der Rebellen geschützt.«
»Nein!«, stieß Davidge schroff hervor. »Sie verbergen sich am Rand der Lichtung im Busch und legen sich flach auf den Boden.« Die Stimme des Colonels duldete keinen Widerspruch. »Machen Sie schon. Gehen Sie in Deckung.« Die Zivilisten verschwanden. Die Verwundeten nahmen sie mit. »Lieutenant Leblanc!« »Sir?« »Sie gehen mit den Leuten und halten die Augen offen.« »In Ordnung, Sir.« Kurze Zeit raschelte und knackte es noch im Urwald, dann kehrte Ruhe ein. Plötzlich fluchte der Copilot. »Hölle, die Verbindung ist abgerissen.« Seine Stimme hob sich, wurde intensiv. »Basis, hören Sie mich? Basis, bitte kommen. Mayday, Mayday, Basis, kommen Sie.« »Bekommen Sie wieder Verbindung?«, fragte Davidge nach kurzer Zeit. »Nein. Verdammt noch mal! Was ist los? Warum ist die Verbindung unterbrochen?« »Atmosphärische Störungen vielleicht?« »Mayday, Mayday, Basis, hier Eagle 65. Bitte kommen…« »Sie greifen an!«, entrang es sich Davidge. Im Busch war die Annäherung der Rebellen zu hören. Der Copilot hängte das Mikrofon in die Halterung und kletterte stöhnend und ächzend aus dem Helikopter. Sein gebrochenes Bein schmerzte, der Schmerz zuckte bis unter seine Schädeldecke. Er saugte zischend die Luft durch die Zähne ein. Vor der Maschine ging er nieder. Im Busch blitzte manchmal der Strahl einer Taschenlampe auf. »Feuer!«, befahl Davidge. Die MPis begannen zu hämmern. Sie schickten eine Salve in den Wald hinein. Leblanc nahm eine Handgranate aus der Tasche am Koppel, entsicherte sie und schleuderte sie im
weiten Bogen in den Busch. Eine wummernde Detonation erfolgte, Feuer stieg in die Höhe, eine Gestalt segelte vor diesem Hintergrund durch die Luft und verschwand im Strauchwerk. Und jetzt begannen auch die Rebellen zu schießen. Mit hellem Klang und funkensprühend prallten viele der Geschosse am Helikopter ab. Querschläger pfiffen durch die Luft. Davidge, Dr. Lantjes, Leblanc und der Copilot zogen sich schießend in den Busch zurück. Und dann gab es eine heftige Explosion. Eine Rakete hatte den Helikopter getroffen. Er wurde in einem Feuersturm zerfetzt. Glas und Stahlteile wirbelten durch die Luft. Eine grelle Lohe schoss zum Himmel und riss für einen Moment die Umgebung aus der Dunkelheit. Dann fiel das Feuer in sich zusammen und loderte nur noch von den Sitzen in die Höhe, die mit brennbarem Material überzogen waren. »Die Pest an den Hals dieser Schufte!«, knirschte der Copilot. »Jetzt werden wir nie erfahren, wie sich der Commander in Luanda entschieden hat.« »Unser Schicksal ist also ziemlich ungewiss«, tönte es aus der Dunkelheit. Die Stimme bebte, klang gepresst und rau. Sie gehörte dem Botschafter. »Wenn ich nur wüsste, was aus meiner Frau und den Kindern geworden ist.« Wieder knatterten die MPis. Davidge, Leblanc, Dr. Lantjes und der Copilot erwiderten das Feuer. Der eine oder andere musste das Magazin auswechseln. »Wie viel Magazine haben Sie noch, Lieutenant?«, fragte Davidge. »Noch eins«, versetzte Leblanc zwischen den Zähnen. »40 Schuss, Sir. Ich denke, das ist nicht viel.« »Wie sieht es bei Ihnen aus, Doc?« »Auch noch ein Magazin.« »Ich habe auch noch ein Reservemagazin«, rief der Copilot. »Wir sollten unsere MPis auf Einzelfeuer umstellen. Sonst
sitzen wir innerhalb der nächsten zehn Minuten ohne einen Schuss Munition da.« »Ja«, sagte Davidge. »Stellen Sie auf Einzelfeuer um und schießen Sie nur, wenn es unabdingbar ist. Die Rebellen wissen nicht, dass wir Munition sparen müssen. Sie werden um uns herumschleichen wie ein paar Füchse um den Hühnerstall, aber sie werden wohl den Tag abwarten wollen, ehe sie uns den Rest zu geben versuchen.« »Ihr Wort in Gottes Gehörgang«, kam es aus der Dunkelheit. »Das hieße, bis dahin könnte Hilfe eintreffen.« »Falls man uns noch einmal Hilfe schickt«, sagte der Botschafter mit schwankender Stimme. »Es es ist zum Verzweifeln.« Davidge kauerte neben einem dicken Baum. Er nahm Verbindung mit Harrer auf. »Wir haben einen Lastwagen gekapert«, kam es von Harrer. »Aber jetzt stecken wir in einer Menschenmenge fest. Wenn es uns nicht gelingt, diese Meute abzuschütteln, zerreißen sie uns in der Luft.« »Wir sitzen ebenfalls fest«, sagte Davidge. »Unser Kontakt zur Basis in Luanda ist zerstört. Wir haben alles in allem vielleicht noch 200 Schuss Munition. Um uns herum wimmelt es von Aufständischen. Es ist fast aussichtslos. Harrer, Sie haben Kontakt zur Botschaft. Veranlassen Sie, dass dort jemand mit Luanda in Verbindung tritt und Hilfe für uns anfordert. Geben Sie mir Bescheid, wenn eine Antwort aus Luanda eintrifft.« »Mache ich, Sir.« Harrer räusperte sich. »Bei allem Respekt, Sir – die Rebellen haben uns ganz schön den Arsch aufgerissen, wenn ich so sagen darf.« »Ich kann Ihnen nicht widersprechen«, erwiderte Davidge. »Doch jetzt muss ich mich wieder auf das konzentrieren, was um uns herum vorgeht. Good luck, Harrer. Falls wir uns nicht mehr sehen, will ich Ihnen sagen, dass Sie ein Glücksgriff für
SFO waren. Davidge Ende.« »Ich gebe das Kompliment zurück, Sir«, beeilte sich Harrer zu sagen. »Ohne Sie wäre SFO niemals das geworden, was es ist.« »Was es war«, murmelte Davidge. »Das klingt realistischer.« »Noch leben wir, Sir. Und solange ein Funke Leben in uns ist, dürfen wir die Hoffnung nicht aufgeben und die Flinte ins Korn werfen.« »Ihr Optimismus ist bewundernswert, Lieutenant.« Davidge grinste vor sich hin. »Aber Sie haben Recht. Aufgeben dürfen wir erst, wenn wir tot sind.« »So ist es, Sir«, sagte Harrer, dann beendete er das Gespräch. * Kinshasa Mittwoch, 0320 OZ Mark Harrer hielt die Pistole in der Faust. Er hatte mitten in das Gesicht des Schwarzen hineingeschossen, das sich am Fenster gezeigt hatte. Auch Topak hatte die Pistole in der Rechten und feuerte. Sofort aber sprangen andere an die Stelle derer, die Harrer und Topak vom Trittbrett geschossen hatten. Auf der Ladefläche des Lasters ratterten Maschinenpistolen. Ab und zu war ein einzelner Schuss zu vernehmen. Topak fuhr rückwärts. Das Fahrzeug war zwischen Menschen eingekeilt. Einige kamen unter die Räder. Geschrei vermischte sich mit dem Hämmern der Waffen. Die Windschutzscheibe des Lasters zersplitterte. Wieder schoss Harrer einen Schwarzen vom Trittbrett. Er zielte auf die andere Seite, wo einer die Tür aufgerissen hatte und versuchte, Topak aus dem Führerhaus zu zerren. Topaks Oberkörper hing schon nach draußen. Er klammerte sich mit der Linken fast verzweifelt am Steuerrad fest. »Tu endlich was!«, brüllte er. Harrer drückte ab. Der Schwarze verschwand. Mit einem
Ruck richtete sich Topak auf. Ein Schwarzer kletterte auf die Kühlerhaube. Ein zweiter folgte. Er hatte die Zähne gefletscht wie ein Raubtier und zielte mit einer Pumpgun ins Wageninnere. Topak schoss zweimal. Die beiden Kerle stürzten von der Motorhaube, als hätte die Faust des Satans sie heruntergerissen. Sie verschwanden im Gewoge der Meute, die den Lastwagen einkeilte. Topak gab Gas. Ohne Rücksicht auf Verluste fuhr er rückwärts. Der Wagen holperte über einige Körper hinweg, die unter die Räder gerieten, und wurde von einer Seite auf die andere geworfen. Doch dann waren sie frei. Topak fuhr weiter rückwärts, bis eine Seitenstraße mündete, in die er hineinstieß. Er kuppelte, rammte den ersten Gang ins Getriebe, fuhr über die Kreuzung und verschwand in der Querstraße. »Bist du okay?«, fragte Harrer. »Ja. Himmel, wenn wir denen in die Hände gefallen wären…« Topak sprach es und spürte einen eisigen Schauer seine Wirbelsäule hinunterrinnen. Topak bog in eine finstere Gasse ab und hielt an. Harrer sprang aus dem Führerhaus und rannte nach hinten. »Alles in Ordnung?« »Ja«, kam es von Hoover aus der Finsternis. »Soll ich umsteigen, damit ich Ihnen den Weg zur Botschaft zeige?« »Gehen Sie nach vorn, Lieutenant. Ich sitze hinten mit auf. Wie weit haben wir noch bis zur Botschaft?« »Eine Meile etwa.« Hoover sprang ab. Harrer sagte: »Davidge hat keinen Funkkontakt mehr zur Basis in Luanda. Nehmen Sie Verbindung mit Delta eins auf und lassen Sie ihn Hilfe für die Leute im Dschungel anfordern.« »Was ist geschehen?« Harrer erzählte Hoover, was er von Davidge erfahren hatte. Dann kletterte er auf die Ladefläche und setzte sich an die hintere Bordwand.
* Kinshasa, amerikanische Botschaft Mittwoch, 0320 OZ Die Zivilisten, die sich in der Botschaft befunden hatten und eingeschlossen worden waren, hatten sich im großen Konferenzsaal versammelt. Da waren Männer, Frauen und Kinder. An den Fenstern und Türen sowie auf den Balkonen waren die Marines verteilt. Vor der Botschaft hatten die Aufständischen große Feuer angezündet. Einige Personenwagen waren auch hier in Brand gesetzt worden. Die Rebellen lauerten in den Häusern rings um das Botschaftsgebäude, auf den Dächern, in Passagen und dunklen Gassen. Captain John Mason hatte mit Lieutenant Hoover Funkkontakt aufgenommen. Der Lieutenant berichtete ihm, dass sie einen Lastwagen gekapert hatten und sich etwa eine Meile entfernt von der Botschaft befanden. Er gab einen Bericht ab über die Situation auf den Straßen. »Wo nur die reguläre Truppe bleibt?«, fragte der Hauptmann. Dann fügte er sogleich hinzu: »Es kann doch nicht sein, dass das gesamte Aufgebot an Soldaten, die in und um Kinshasa stationiert sind, von den Aufständischen in Kämpfe verwickelt wurde.« »Ich weiß es nicht, Sir«, erwiderte Hoover. »Ich kann mir vorstellen, dass viele Soldaten ins Lager der Luba übergelaufen sind. Und zwar die Angehörigen dieser Bevölkerungsgruppe. Ich denke daher, dass die reguläre Armee mit sich selbst genug zu tun hat, um in den eigenen Reihen für Ordnung zu sorgen. Wir als Ausländer liegen in der Rangfolge der Wichtigkeit wahrscheinlich ziemlich weit hinten.« »Sie können Recht haben, Lieutenant. Unternehmen Sie alles, um in die Botschaft zu kommen. Jeder Mann mehr zählt
hier. Wenn wir wenigstens die Frauen und Kinder evakuieren und an einen sicheren Ort bringen könnten.« »Wir versuchen die letzten Meter durch die Kanalisation zurückzulegen, Sir«, sagte Hoover. »Vielleicht ergibt sich eine Möglichkeit, die Frauen und Kinder auf diesem Weg herauszuführen.« »Wir wissen nicht, wohin wir sie in Sicherheit bringen sollen. Solange wir auf uns selbst gestellt sind, gibt es für sie keine Sicherheit.« »Noch eine schlechte Nachricht, Delta eins. Der Hubschrauber, den Luanda schickte, damit er Patterson, de Bauville und ihre Gefolgschaften aus dem Dschungel holt, wurde abgeschossen. Es besteht kein Funkkontakt mehr zur Basis in Luanda. Colonel Davidge hat gebeten, dass Sie Verbindung mit Luanda aufnehmen und einen weiteren Hubschrauber anfordern, der die Leute im Dschungel abholt.« »Mach ich. Sonst noch etwas, Delta drei?« »Nein«, murmelte Hoover. »Die Situation ist ziemlich verfahren, möchte ich sagen. Ich melde mich wieder, wenn ich es für notwendig erachte.« »Viel Glück, Lieutenant.« Die Leitung war unterbrochen. Captain Mason gebot dem Funker, Kontakt mit Luanda aufzunehmen. Dann ging er in den Konferenzsaal. Die Männer, Frauen und Kinder saßen in der Dunkelheit und lauschten dem Lärm, der von draußen hereindrang. Ein Kleinkind weinte leise. Die Mutter versuchte es mit leisen, zärtlichen Worten zu besänftigen. Der Captain sagte laut: »Ich will Ihnen nichts vormachen. Es sieht nicht gut aus. Die Regierungstruppen scheinen irgendwo festzusitzen. Wir werden also auf uns selbst angewiesen sein. Aber machen Sie sich keine allzu großen Sorgen. Eine Kompanie Marines verteidigt die Botschaft. Es sind ausgebildete Leute, die Rebellen hingegen haben weder eine
Kampfausbildung noch Kampferfahrung. Wir werden uns hier halten, bis Hilfe eintrifft.« »Haben Sie von meinem Mann was gehört, Captain?«, fragte eine Frau. »Befindet er sich zwischenzeitlich in Sicherheit?« »Haben Sie diese Frage gestellt, Mrs. Patterson?« »Ja. Was ist mit meinem Mann?« Die Frau fragte es mit einer Mischung aus Angst, Zweifeln und banger Hoffnung. Der Captain zögerte etwas. Er musste sich erst die Worte im Kopf zurechtlegen. Dann erwiderte er: »Ich weiß es nicht genau, Mrs. Patterson. Der Hubschrauber musste eine halbe Flugstunde südlich von Kinshasa notlanden. Ein Helikopter, der die Notgelandeten im Dschungel abholen sollte, wurde abgeschossen. Ich kann Ihnen nichts über das Schicksal Ihres Mannes sagen. Tut mir Leid, Mrs. Patterson.« »Mein Gott, meine Frau befindet sich im Gefolge des Botschafters«, rief ein Mann voller Entsetzen. »Entsprechend der letzten Meldung, die wir erhalten haben, gibt es bei den beiden Gesandtschaften keine Toten. Nur Verletzte. Von einer verletzten Frau war nicht die Rede. Auch nicht davon, dass der Botschafter oder der Generalsekretär betroffen wären. – Bewahren Sie die Ruhe, Ladies and Gentlemen. Sie selbst können sich hier sicher wähnen.« »Aber meine Frau ist da draußen!«, brüllte der Mann, der eben erklärte, dass sich seine Gemahlin im Gefolge des Botschafters befand. »Ich pfeife drauf, wenn ich in Sicherheit bin. Mein Gott, Lucy…« Die Stimme brach. »Bei Ihrer Frau sind Colonel Davidge von SFO und einige seiner Leute. Sie werden mit ihrem Leben für die Sicherheit Ihrer Frau und aller anderen Zivilisten eintreten.« »Mein Dad wird sterben«, rief ein Mädchen und weinte auf. Die Stimmung hatte den Siedepunkt erreicht. Die Nerven lagen blank. Jeden Moment drohten die Menschen in Hysterie auszubrechen. Gemurmel erfüllte den Raum, Schluchzen, Schniefen.
»Warum schickt uns die Regierung keine Hilfe?«, schrie ein Mann. »Das Militär muss doch mit ein paar Rebellen fertig werden können. Sind wir denen egal?« »Bleiben Sie ruhig«, rief Mason beschwörend. »Es bringt uns nicht weiter.« Jemand schrie mit schrillem Tonfall: »Sie wollen uns nur besänftigen, Captain. In Wirklichkeit besteht keine Aussicht auf Rettung. Sie können mit Ihrer Hand voll Soldaten den Aufständischen nicht widerstehen. Wir sitzen hier in der Botschaft wie in einer Falle. Sie werden kommen und uns alle massakrieren.« Die Unruhe verstärkte sich. Ein Mann rief: »Geben Sie uns Waffen, Captain, dann können wir uns verteidigen. So aber warten wir wie Hammel, die zur Schlachtbank geführt werden sollen.« Draußen ertönte Schusslärm. Dann der gewaltige Knall einer Explosion. Dann war wieder nur das Rattern der MPis zu hören. Wie es schien, war ein heftiger Kampf entbrannt. Wieder eine furchtbare Explosion. Die Rebellen schossen mit Mörsern und Raketen. Es polterte, als eine Wand einstürzte. Staub wallte. Einige Rebellen stürmten durch das Tor in den Hof der Botschaft. Da stand immer noch der AH-6 Little Bird, der leichte Aufklärungshubschrauber. Eine Rakete sprengte ihn. Die Fetzen von dem Helikopter wirbelten durch die Luft. Der Donnerknall prallte auseinander und wurde von den Fassaden der Häuser ringsum zurückgeworfen. Die Aufständischen rannten in den Kugelhagel hinein, der ihnen aus dem Gebäude entgegengeschickt wurde. Der Tod streckte gebieterisch die knöcherne Klaue aus. * Es mutete Lieutenant Harrer an wie ein Gruß aus der Hölle. Sie hatten sich der Botschaft auf eine halbe Meile genähert. Auf
den Straßen bewegten sich Menschen. Durch die brennenden Pkws wurden ihre Schatten groß und verzerrt gegen die Hauswände geworfen. Topak benutzte auf Hoovers Weisung hin verschlungene Gassen. Und dann sagte Hoover: »Anhalten, halten Sie an. Vor uns liegt die Hauptstraße mit der Botschaft und dem Regierungspalast.« »Warum versuchen wir nicht einfach mit dem Laster durchzubrechen?«, fragte Topak. »Weil wir nicht wissen, ob der Hof der Botschaft von Aufständischen besetzt ist oder kontrolliert wird«, versetzte Hoover. Das sah der Russe ein. Er trat die Kupplung und bremste, legte den ersten Gang ein und schaltete den Motor aus. Harrer kam nach vorn. Hoover öffnete die Tür und sprang ins Freie. »Wir sind da«, erklärte Hoover und deutete auf die breite Straße hinaus. »Das ist die Promenade, in der der Regierungspalast und einige Botschaften liegen. Richtung Westen befindet sich die amerikanische Botschaft. Die Gebäude sind in einem nach Süden offenen Karree um einen Hof angeordnet, in dem sich auch die Kanalschächte befinden. Zur Straße hin bildet die Grenze ein drei Meter hoher Eisenzaun, in dem sich die Einfahrt in den Hof befindet.« »Wenn der Hof besetzt ist, kommen wir nicht hinaus«, warf Topak ein und griff damit den Gedanken Hoovers noch einmal auf. »Dann können wir immer noch umkehren oder zu einem anderen Punkt in der Stadt gehen, an dem es nicht von Rebellen wimmelt«, antwortete Hoover. »Womit wir nichts gewinnen würden«, knurrte Topak, der sonst ziemlich schweigsame Mann. Harrer lief nach hinten. »Absitzen, Leute. Macht schon.« Währenddessen war Hoover auf die Promenade gelaufen. Er suchte einen Einstieg in den Kanal. Weit vorne sah er einige Gestalten durch die Dunkelheit.
Und Hoover wurde fündig. Er fand einen Kanaldeckel, hob ihn unter Aufbietung aller Kräfte ab und legte ihn zur Seite. Der Lieutenant schaute in den Schacht hinunter. Dort unten war es stockfinster. Es sah aus, als endete der Schacht im absoluten Nichts. »Hierher«, rief Hoover. Topak kam, in Richtung der Gestalten sichernd, die weiter entfernt auf der Straße zu sehen waren, auf die Promenade. Ihm folgte Harrer. Er hatte eine Taschenlampe in seinem Equipment, nahm sie zur Hand und leuchtete in den Schacht hinein. In die Wand waren Steigeisen eingelassen. Der Boden zeichnete sich etwa drei Meter unter ihnen ab. Eine Ratte huschte aus dem Lichtkegel in die Finsternis hinein. Plötzlich trieb Geschrei die Straße herauf. Einige der Gestalten setzten sich in Bewegung. Andere kamen aus der Dunkelheit zwischen den Häusern und schlossen sich an. »Verdammt!«, knirschte Hoover. »Sie haben uns entdeckt.« »Drei Mann auf die Straße!«, kommandierte Harrer. »Versuchen Sie die Kerle zurückzuschlagen und uns Feuerschutz zu geben. Die Verwundeten zum Kanalschacht. Vorwärts, vorwärts!« Der Hubschrauberpilot, der zwischenzeitlich zu sich gekommen war, konnte alleine gehen. Die anderen Verwundeten stützten sich auf ihre Kameraden. Eine MPi begann zu rattern. Hoover, Topak und die drei Marines, die in die Straße gelaufen waren, richteten die Gewehre auf die Näherkommenden. Als die MPi auf Seiten der Rebellen zu hämmern begann, erwiderten sie das Feuer. Harrer war in den Kanalschacht geklettert. Der erste Verwundete kam. Harrer half ihm. Nach und nach kamen auch die anderen. Ihre Kameraden unterstützten sie, so gut es ging. Dann folgten Topak und Hoover. Oben ratterten die MPis. Einmal donnerte es, als eine Splittergranate abgeschossen wurde. Schließlich kamen die restlichen Marines, zuletzt
Caruso und Sanchez. Harrer richtete den Strahl der Taschenlampe in die Finsternis hinein. Er schwenkte die Hand mit der Lampe herum. Über ihnen war das viereckige Loch, hoch darüber der Nachthimmel mit Myriaden von Sternen. Drei Gänge liefen auseinander. »Wir müssen da hinein«, flüsterte Harrer und deutete in die von ihm angenommene Richtung. »Marsch.« Oben waren trappelnde Schritte zu hören. Jemand rief etwas. »Nichts wie weg!«, knirschte Harrer. Da verfinsterte sich auch schon der Einstieg. Topak und Sanchez schickten jeweils eine Garbe nach oben, Geschrei sickerte in den Schacht, und dann gab es eine dumpfe Explosion, als eine Handgranate in den Kanal geworfen wurde. Aber Harrer und seine Leute waren schon aus dem gefährdeten Bereich und rannten in die Dunkelheit hinein. Der Gestank hier unten war übelkeiterregend. Abwasser spritzte unter ihren Schritten. Der Boden war glitschig. Die Geräusche hallten von den Wänden wider. Ratten flohen fiepend vor den Menschen. Die Wände waren feucht. Einige der Rebellen stiegen in den Schacht, um die Verfolgung aufzunehmen. Sanchez und Caruso, die nach hinten sicherten, feuerten. Patronenhülsen wurden ausgeworfen und klimperten auf den Boden. Mara Sanchez musste das Magazin wechseln. Das leere Magazin ließ sie einfach zu Boden fallen. Caruso warf den Verfolgern eine Handgranate entgegen. Ein Lichtreflex zuckte durch den Gang, in dem sie sich befanden, und übergoss für einen Moment alles mit grellem Licht. Sie rannten. Die Verwundeten wurden mitgeschleppt. Die Taschenlampe spendete genügend Licht. Wie es schien, waren ihre Verfolger zurückgeblieben. Sie mochten etwa 100 Meter gelaufen sein, als über ihnen
durch die Luftlöcher eines Kanaldeckels Lichtschein zu sehen war. »Sehen Sie nach, Hoover«, stieß Harrer hervor. Hoover kletterte an den Steigeisen nach oben, hob den Kanaldeckel etwas in die Höhe und spähte über die Straße. Da stand ein brennender Personenwagen. Ein Stück entfernt sah er eine Gruppe von Männern. Sie waren bewaffnet. Das konnte Hoover deutlich erkennen. Zu beiden Seiten der Straße erhoben sich mehrstöckige Gebäude. Hoover ließ den Kanaldeckel wieder zurückfallen und stieg nach unten. »Ich glaube, wir haben den falschen Gang benutzt«, sagte er und klang fast ein wenig resignierend. »Die Straße, unter der wir uns befinden, läuft hinter der Botschaft vorbei. Und dort dürfte es von Rebellen wimmeln.« »Wir müssen umkehren«, rief Harrer halblaut. »Es ist der Kanal, der parallel zu diesem verläuft. Topak, Hoover und drei Marines gehen voraus und machen uns den Weg frei.« »Es gefällt mir nicht, wie Sie mich rumkommandieren, Harrer«, schnappte Hoover. »Ich denke, Sie haben sich meinem Befehl untergeordnet«, versetzte Harrer kühl. »Ja. Aber ich bin Offizier wie Sie. Sie aber kommandieren mich herum wie einen gemeinen Soldaten.« »Tut mir Leid. Aber die Situation erfordert es, dass wir nicht lange reden, sondern handeln. Caruso, geh du an Stelle des Lieutenants mit Topak. Macht den Weg frei.« »Lassen Sie nur«, sagte Hoover. »Ich gehe schon. Wir sollten uns nicht streiten.« Harrer gab keine Antwort. Die fünf Männer entfernten sich und versanken in der Dunkelheit. Sie tasteten sich in der totalen Finsternis zu beiden Seiten des Ganges vorwärts. Harrer hatte die Taschenlampe ausgeschaltet. Gegen ein Licht im Hintergrund würden sich die Gestalten Topaks, Hoovers und der Marines deutlich abzeichnen und ein gutes Ziel bieten.
Langsam folgten Harrer und der Rest der Mannschaft, die er führte. Auch sie bewegten sich dicht bei den Wänden. Harrer spürte, wie Wasser in seine Stiefel eindrang. Es war ein unangenehmes Gefühl. Mit beiden Händen hielt er die MPi. Die Taschenlampe hatte er in das Koppel geschoben. Das Herz klopfte dumpf in Harrers Brust; das Pochen in seinen Schläfen war das Echo seiner Pulsschläge. Etwas Beklemmendes lag in der Luft: Tod und Unheil. Harrer glaubte es beinahe körperlich zu spüren. Es drangen kaum Geräusche in die Tiefe. Aber diese scheinbare Ruhe war nicht echt. Eine unheilvolle Spannung füllte die Stille. Ein Hauch von Gefahr und Gewalttätigkeit lag in der Luft. Und da begannen auch schon weiter vorne die MPis zu rattern. Flammen züngelten und zerschnitten die Finsternis. Ein Aufschrei war zu hören. Etwas klatschte ins Wasser. Und ebenso schlagartig, wie das Feuer eingesetzt hatte, endete es wieder. »Stehen bleiben!«, zischte Harrer. Die leisen Geräusche, die ihn umgaben und die von den Schritten herrührten, erstarben. Plötzlich hämmerten wieder die Maschinenpistolen. Wieder wurden die Schützen von den flackernden Mündungsblitzen aus der Finsternis gezerrt. Dann erklang Carusos Stimme: »Der Weg ist frei. Folgt uns. Wir befinden uns beim Schacht und halten die Stellung.« Harrer nahm die Taschenlampe zur Hand und knipste sie an. Sie bewegten sich schnell. Einige reglose Schwarze lagen im Wasser und auf dem schmalen Betonsteg daneben. Sie erreichten die Stelle, an der sie in den Kanal gestiegen waren. Harrer richtete den Lichtstrahl in den anderen Gang. »Wir müssen da hinein.« Sie folgten der großen Röhre, in der ein Mann aufrecht gehen konnte. Harrer zählte seine Schritte. Als er bei 400 angelangt war, rief er: »Wir müssten uns jetzt unter der Botschaft befinden.«
Er richtete den Strahl der Lampe nach oben. Kein Ausstieg in Sicht. Sie gingen weiter. Und dann befand sich über ihnen ein Kanaldeckel. Hoover stieg nach oben und hob ihn ein wenig an. »Wir sind richtig«, sagte er und kam zurück. »Es wird sicher nicht einfach, hinauszukommen. Die Rebellen werden uns bereits erwarten.« »Zuerst die Unverwundeten«, sagte Harrer. »Es nützt nichts«, fügte er wie entschuldigend hinzu. »Wir müssen unsere Haut zu Markte tragen. – Sobald wir ausgestiegen sind, bilden wir einen Kreis um den Ausstieg und geben den Verletzten Feuerschutz. Wenn Sie draußen sind, Hoover, führen Sie sie in die Botschaft. Wir kommen dann nach.« »Hoffentlich schießen unsere eigenen Leute nicht auf uns«, meinte Hoover. »Nehmen Sie Verbindung mit Delta eins auf, Hoover. Kündigen Sie an, dass wir kommen.« »Hier unten dürfte der Empfang nicht besonders gut sein.« »Dann steigen Sie nach oben. Sobald Delta eins Bescheid weiß und seine Männer entsprechend instruiert hat, verlassen wir den Schacht.« »Ich gehe zuerst hinaus.« »Ich folge Ihnen, Hoover.« * Hoover kletterte nach oben, bis er mit dem Kopf fast gegen den Kanaldeckel stieß. Dann aktivierte er sein Headset. »Delta eins, hier spricht Delta drei. Hören Sie mich.« »Ich höre, Delta drei. Wo befinden Sie sich?« »Im Kanal unter dem Hof der Botschaft. Wir steigen aus, sobald Ihre Leute Bescheid wissen, dass sie nicht auf uns schießen sollen. Ist Antwort aus Luanda eingetroffen?« »Bis jetzt nicht. All right, Delta drei. Ich sage Bescheid.
Sobald Sie den Kanaldeckel abheben, geben wir Ihnen Feuerschutz. Viel Glück, Delta drei. Ende.« »Wir warten fünf Minuten. Ende.« Harrer hatte hören können, was Hoover gesprochen hatte. Er nahm sich vor, sofort mit Colonel Davidge Verbindung aufzunehmen, sobald sie in der Botschaft in Sicherheit waren. Der Lieutenant warf einen Blick auf seine Uhr. Es war 4 Uhr 05. Noch eine Stunde, dann würde der Tag grauen. Für die Eingeschlossenen im Dschungel bedeutete dies, wenn nicht rechtzeitig Hilfe kam, dass sie um ihr Leben kämpfen würden müssen. Harrer spürte, wie sich ihm der Magen zusammenkrampfte. Davidge, Dr. Lantjes und Leblanc sowie die Gefolgschaften des Botschafters und des UN-Generalsekretärs waren so gut wie verloren. Drei oder vier Maschinenpistolen würden der Übermacht der Rebellen nicht standhalten können. Warum meldete sich Luanda nicht? Wo blieben die regulären Truppen? Harrer spürte in sich die Ohnmacht des Hilflosen. Er konnte nichts tun, war zur Untätigkeit verdammt. Ina Lantjes! Harrers Denken begann um sie zu kreisen. Sie war ihm nicht egal. Zwischen ihnen hatte sich eine Allianz gebildet, die mehr beinhaltete als nur bloße Kameradschaft. Er spürte das Kribbeln in seinen Eingeweiden, wenn sie in seiner Nähe war. Ein erotisches Knistern. Jetzt schwebte sie in großer Gefahr. Ihr Leben war keinen Pfifferling mehr wert. Dabei hatte er, Harrer, sie in Sicherheit gewähnt, nachdem sie, Davidge und Leblanc mit den Zivilisten abgeflogen waren. Harrer verdrängte die düsteren Gedanken. Noch war nichts verloren. Noch konnte der Luftwaffenstützpunkt in Luanda eingreifen. Mit dem beginnenden Tag kamen vielleicht Regierungstruppen. Harrer fasste einen Moment lang Hoffnung.
Die fünf Minuten waren um. Hoover drückte den Kanaldeckel hoch und warf ihn zur Seite. Dumpfes Poltern erklang. Dann schwang sich der Lieutenant ins Freie. Er sprang auf, blieb geduckt stehen und staute den Atem. Aus einem Gebäude auf der der Botschaft gegenüberliegenden Seite der Promenade wurde er im nächsten Moment unter Feuer genommen. Er hechtete zur Seite, landete hart und riss die MPi an die Schulter. Aus den Fenstern der Botschaft und von den Balkonen sowie vom Dach aus wurde das Gebäude mit den Rebellen unter Beschuss genommen. Harrer kroch ins Freie und begann sofort zu feuern, kam hoch und ging neben Hoover in Stellung. Caruso kam aus dem Kanal. Einer der Marines stieg aus dem Schacht. Im nächsten Moment wurde sein Kopf auf die linke Schulter gerissen. Seine Hände verloren den Halt. Kopfschuss! Tot stürzte er in den Kanal. Sofort kletterte der Mann hinter ihm die Steigeisen hinauf. Harrer und Hoover schossen, was das Zeug hielt. Der Marine kam ins Freie, ging auf das linke Knie nieder und feuerte aus der Hüfte. Einer nach dem anderen krochen sie aus dem Schacht. Und dann kamen die Verwundeten. Hoover, Topak und Sanchez sicherten die kleine Gruppe und liefen neben ihr her zum Eingang der Botschaft. Blindwütig schossen die Rebellen. Die Marines feuerten auf die Fenster, aus denen Flammenzungen stießen. Eine Granate explodierte in dem Gebäude, in dem sich die Aufständischen verschanzt hatten. Dann waren Hoover, Topak, Sanchez und die Verletzten in Sicherheit. »Sprung auf und Marsch!«, stieß Harrer hervor. Sie schnellten aus ihren kauernden oder knienden Haltungen in die Höhe und rannten schießend zum Eingang der Botschaft. Die Tür stand offen. Es erwischte noch einen der Marines. Er brach
zusammen. Dann verschwand der letzte Soldat in dem Gebäude. Das Feuer brach ab. »Haben wir Verluste?«, fragte Harrer, als sich in der Eingangshalle gesammelt hatten. »Ich habe Miles zusammenbrechen sehen«, keuchte einer. »Wahrscheinlich ist er tot.« Harrer lief zur Tür zurück. »Caruso, wir müssen den Mann holen.« Caruso kam zur Tür. Sie rannten geduckt hinaus. Sofort begannen die Rebellen wieder zu schießen. Harrer und Caruso packten die reglose Gestalt an beiden Armen und schleiften sie hinter sich her ins Gebäude. Der Soldat röchelte. Eine Kugel war ihm ins rechte Schulterblatt gefahren. »Wir brauchen einen Sanitäter!«, schrie Harrer. »Wir haben Verwundete.« Von der Balustrade in der ersten Etage erklang es: »Wie sieht es aus, Hoover? Konnten Sie sich alle in Sicherheit bringen?« »Nein, Sir, wir haben zwei Tote.« Die Worte Hoovers fielen wie Hammerschläge. Jemand kam die Treppe herunter. In der Halle war es finster. Nur das vage Licht, das durch die Fenster hereinfiel, weichte die Dunkelheit etwas auf. In diesem unwirklichen Licht schienen die Schemen der Menschen ineinander zu verschwimmen. Harrer knipste die Taschenlampe an und richtete sie auf die schattenhafte Gestalt auf der Treppe. Ein Mann mit den Rangabzeichen eines Captains schälte sich aus der Dunkelheit. »Sie sind Captain Mason?«, fragte Harrer. »Ja. Und Sie sind sicher Lieutenant Harrer von SFO. Sehr erfreut, Sie kennen zu lernen, wenn auch die Umstände alles andere als erfreulich sind.« »Bringen Sie die Verletzten in die erste Etage«, sagte der Captain. Einige Marines fühlten sich angesprochen und brachten die
Verwundeten nach oben. Captain Mason war an Harrer herangetreten und reichte ihm die Hand, die der Lieutenant ergriff. »Haben Sie zwischenzeitlich Nachricht aus Luanda?«, fragte Harrer erwartungsvoll. »Nein. Aber wir nehmen noch einmal Verbindung mit dem Luftwaffenstützpunkt auf.« Mason löste seine Hand aus der Harrers. Er wandte sich Hoover zu. »Meinen Glückwunsch, Lieutenant. Sie haben es geschafft.« »Wir haben Verluste, Sir.« »Ich weiß. Schade um die Männer. Dennoch haben Sie die meisten Ihrer Leute heil zurückgebracht. Ich werde Sie für eine Auszeichnung vorschlagen.« »Danke, Sir. Aber das Verdienst gebührt Lieutenant Harrer.« »Jetzt übertreiben Sie mal nicht, Hoover«, knurrte Harrer. Der Captain lachte kehlig. »Folgen Sie mir, Lieutenant Harrer.« Sie begaben sich in den Raum, in dem der Funker seine Station aufgebaut hatte. * Unbekannter Ort im Dschungel Mittwoch, 0455 OZ Die Menschen saßen zusammengekauert zwischen den Büschen. Unter ihren Augen lagen dunkle Ringe von der durchwachten Nacht. Hunger, Durst, Erschöpfung und Angst hatten die Männer und Frauen ausgezehrt. Colonel Davidge sicherte nach Süden, Dr. Lantjes nach Westen, Leblanc nach Norden und der Copilot des Black Hawk, der hier im Dschungel notgelandet war, nach Osten. Östlich von ihnen wurde ein neuer Tag geboren. Ein heller Streifen über dem Horizont kündete ihn an. Die Sterne verblassten. Die Jäger der Nacht begaben sich zur Ruhe. Erstes
Dämmergrau sickerte durch die Kronen der riesigen, himmelstürmenden Bäume. Rundum war es ruhig. Die Rebellen warteten und lauerten. Es war wie die Ruhe vor dem Sturm. Ein jeder spürte, dass sich das Unheil wie eine drohende Gewitterwolke über ihren Köpfen zusammenballte. Ein weiterer Mann war in der Nacht verletzt worden. Die Kugel steckte in seiner rechten Brustseite. Er war bei Besinnung und röchelte vor sich hin. Sein Atem ging stoßweise. Eine Frau saß neben ihm und wischte ihm immer wieder den Schweiß aus dem Gesicht. Das Warten zerrte an den Nerven, zermürbte. Colonel Davidge fühlte den Pulsschlag der tödlichen Gefahr. Auch er spürte Erschöpfung – eine Erschöpfung, die tief aus seinem Innersten kam, die dem Wissen entsprang, dass ihre Lage so gut wie aussichtslos war. Er wartete darauf, dass endlich etwas geschah, das die verdammte Anspannung von ihm nahm. Seine entzündeten Augen brannten. Sein Blick bohrte sich in den Busch. Sie waren nur zu viert, die den Aufständischen Paroli bieten konnten. Ihre Munition war begrenzt. Schon der nächste Angriff konnte die Entscheidung bringen. Wenn erst mal die letzte Kugel aus dem Lauf war, gab es kein Entrinnen mehr. Da meldete sich Lieutenant Harrer. Er sagte: »Hören Sie mich, Colonel. Colonel Davidge, bitte kommen.« »Ich höre Sie, Harrer«, sagte Davidge und hasste die Lahmheit seiner Worte. »Haben Sie Antwort aus Luanda?« »Ja, Sir. Sie schicken eine Hubschrauberstaffel, die Sie rausholen soll. Sie müssen noch ein wenig Geduld haben.« »Befinden Sie sich in der Botschaft, Harrer?« »Jawohl, Sir. Uns ist der Durchbruch gelungen. Soeben hat Radio Kinshasa gemeldet, dass Regierungstruppen von Norden her in die Stadt einrücken. Die Orte Mushie und Bandundu sind bereits von Rebellen befreit. In Kisangani liefern die
Rebellen den Regierungstruppen zwar noch einen heftigen Kampf, aber es zeichnet sich ab, dass die reguläre Truppe die Oberhand gewinnt.« »Hier kann jeden Moment der Angriff eröffnet werden«, sagte Davidge. »Wenn die Hubschrauber nicht bald kommen…« Er brach vielsagend ab. Da begann eine MPi zu rattern. »Es geht los!«, sagte Davidge und unterbrach die Verbindung. Im Dschungel wurde es lebendig. Auf allen Seiten krachte es. Die Rebellen rückten langsam vor und zogen ihren Kreis um die Eingeschlossenen immer enger zusammen. Zu sehen waren die Angreifer noch nicht. Aber sie kündigten sich mit heftigem Feuer an. »Wartet mit dem Schießen, bis ihr sie sehen könnt!«, rief Davidge. »Nur nicht die Nerven verlieren. Von Harrer weiß ich, dass eine ganze Hubschrauberstaffel von Luanda aus auf dem Weg zu uns ist. Wir müssen uns nur lange genug halten.« Er sah einen der Angreifer, nahm das Ziel auf, feuerte und der Bursche verschwand. Schon ruckte das Gewehr herum und richtete sich auf eine andere Gestalt, die schießend zwischen zwei Bäumen sichtbar wurde. Wieder traf Davidge. In ihm war eine grimmige Zufriedenheit. Er hörte die MPis von Dr. Lantjes, Leblanc und dem Copiloten. »Bleiben Sie flach am Boden liegen!«, rief Davidge über die Schulter. Dann feuerte er wieder. Die Angreifer rückten näher. Unaufhaltsam kamen sie. Die Besessenheit verzerrte die Gesichter. Es gab kein Entgegenkommen, keine Gnade und kein Erbarmen. Die Luba, die Jean Kasavubu endlich so weit gebracht hatte, dass sie im ganzen Land aufgestanden waren, wollten töten. Die Mordgier glitzerte in den Augen. Sie wollten die Macht im Lande ergreifen. Dr. Lantjes sah die Angreifer auf ihrer Seite und feuerte
Einzelfeuer. Sie kauerte bei einem Baum und schoss mit der Regelmäßigkeit einer Maschine. Die Gestalten, die sich näherten, waren in der sich lichtenden Dunkelheit deutlich wahrzunehmen. Die Ärztin fühlte keine Angst. In ihr war nur die unumstößliche Entschlossenheit, so viele Gegner wie möglich auszuschalten. Immer wieder traf sie. Pierre Leblanc dachte seltsamerweise an seine Zeit als Kommunikationsspezialist im NATO-Hauptquartier in Brüssel, indes er Schuss um Schuss aus dem Lauf feuerte. Die Ausweglosigkeit ihrer Lage nahm auch von ihm sämtliche Angst. Er schoss mit kalter Präzision und löschte Gegner um Gegner aus. Die Angreifer feuerten blindwütig und zielten nicht. Einer Frau gingen die Nerven durch. Sie sprang auf. »Ich halte das nicht mehr aus!«, platzte es über ihre zuckenden Lippen. Sie rannte los. »Sind Sie wahnsinnig!«, brüllte der UN-Generalsekretär. Da brach die Frau auch schon getroffen zusammen. Ein Mann kroch zu ihr hin. Kugeln pfiffen über die Zivilisten hinweg. Es war die Hölle. Die Angreifer zogen sich wieder zurück. »Es können nicht allzu viele sein«, rief Davidge. »Wahrscheinlich haben wir sie ziemlich dezimiert. Was ist mit der Frau?« »Bauchschuss«, rief de Bauville. »Wenn sie nicht bald Hilfe bekommt…« Schnell wurde es heller. Sonnenschein sickerte durch das Zweigwerk der Baumkronen. Auf dem Waldboden wechselten Licht und Schatten. Das Kreischen von Affen war zu vernehmen. Vögel zwitscherten und krächzten. Bienen summten. Die Eingeschlossenen hatten kaum ein wenig Atem geholt, als der zweite Vorstoß der Aufständischen erfolgte. Sie schossen die Rohre heiß. Im Peitschen der Detonationen
überhörten Davidge und seine Gefährten das ferne Dröhnen der Hubschraubermotoren. Verbissen erwiderten sie das Feuer der Rebellen. Plötzlich tauchte ein Black Hawk über der Lichtung auf, an deren Rand sie sich verschanzt hatten. Ein zweiter folgte, ein dritter… Davidges Herz übersprang einen Schlag. Die Rettung war rechtzeitig eingetroffen. Einer der Black Hawks senkte sich auf die Lichtung, blieb zwei Yards über dem Boden in der Luft stehen. Der Platz war knapp. Bäume und Büsche bogen sich im Luftwirbel der Rotoren, Blätter und Zweige wurden abgerissen und wirbelten durch die Luft. Hier mit einem Black Hawk niederzugehen war ein Husarenstück. Eine Landung war wegen des Wracks des Helikopters nicht möglich. Soldaten sprangen heraus und sicherten rundum. Zehn – zwanzig Mann spuckte der Helikopter aus, dann erhob er sich wieder in die Luft und der nächste Black Hawk senkte sich über die Lichtung in die Tiefe. Dasselbe Schauspiel. 20 Männer in voller Kampfausrüstung sprangen ins Freie und stürmten nach allen Seiten auseinander. Der Helikopter stieg hoch und machte dem dritten Hubschrauber Platz. Und am Himmel zeigte sich ein AH-6J Little Bird. Die beiden M134 Maschinengewehre an den Seiten des Helikopters spuckten Feuer und Blei. 70 Millimeter steuerbare FaltflügelRaketen zischten aus den beiden Rohren mit jeweils sechs Kammern und schlugen im Dschungel ein. Der Lärm war ohrenbetäubend. Die Rebellen flohen. Die Ranger, die mit den Hubschraubern gekommen waren, jagten sie durch den Busch. Eine MHVariante des Little Bird senkte sich auf die Lichtung nieder, auf der die Trümmer des Black Hawk verstreut lagen, der in der Nacht gesprengt worden war. Anstelle der beiden M134 Maschinengewehrwaffenkuppeln trug er vier Soldaten. Sie saßen auf Bänken, die zu beiden Seiten des Helikopters
angebracht waren. Und auch sie feuerten mit MPis in den Busch hinein. Ein Major sprang ab. Nach ihm die drei Ranger, die mit ihm geflogen waren. Der Colonel erhob sich und trat vor den Major hin. Dieser legte die Hand an den Helm. »Major Walker, Sir. Sieht aus, als wären wir im letzten Moment gekommen.« »Das war Rettung in letzter Sekunde, Major.« »Weiter südlich ist eine größere Lichtung, Sir«, sagte der Major. »Dort wartet ein Black Hawk auf Sie und Ihre Schutzbefohlenen.« »Vielen Dank, Major.« Davidge sagte es und aktivierte sein Funkgerät, um Verbindung mit Harrer aufzunehmen. * Kinshasa, amerikanische Botschaft Mittwoch, 0625 OZ Die Botschaft stand unter schwerem Beschuss. Die Rebellen setzten Raketenwerfer ein. Es war, als wollten sie hier für rauchende Trümmer sorgen, ehe die Regierungstruppen eintrafen. Einige Fahrzeuge, die im Hof standen, brannten. Dunkler Rauch wälzte sich über die Dächer hinweg. Es stank nach verbranntem Gummi. Harrer, Hoover und Captain Mason hielten sich in dem Raum auf, in dem die Funkstation aufgebaut war. Soeben hatte Harrer von Davidge erfahren, dass die erwartete Hilfe aus Luanda eingetroffen war und dass der UN-Generalsekretär, der amerikanische Botschafter und die anderen Zivilisten außer Landes gebracht werden würden. »Lange können wir uns hier nicht mehr halten«, sagte Captain Mason. »Was meinen Sie, Harrer? Wenn wir die Zivilisten, die sich hier in der Botschaft befinden, durch die Kanalisation in Sicherheit bringen würden?« »Wohin?«, fragte Harrer. »Wo ist es sicher genug für die
Frauen und Kinder? Irgendwo im Norden, wo reguläre Truppen auf dem Vormarsch sind? Verfügen Sie über ein GPSSystem hier in der Botschaft, mit dem wir unter der Erde navigieren können?« »Natürlich verfügen wir über so etwas.« »Aber wie sollen wir die Menschen in die Kanalisation bringen?«, wandte Lieutenant Hoover ein. »Sie wären dem Beschuss aus dem Gebäude auf der anderen Straßenseite ausgeliefert. Das ginge nicht ohne Verluste ab. Das können wir nicht riskieren.« »Es sei denn, wir bringen das Gebäude in unsere Hand«, stieß Mason hervor. Herausfordernd und erwartungsvoll schaute er Harrer an. Harrer nickte. »Das wäre eine Möglichkeit.« Auch Hoover ließ seine Stimme erklingen. »Yeah. Wir stürmen das Gebäude und übernehmen es. Dann überwachen wir den Hof, und die Evakuierung der Zivilisten aus der Botschaft dürfte ohne besonderen Zwischenfall über die Bühne gehen. Sind Sie dabei, Harrer?« »Gewiss. Es geht schließlich um das Leben von fast zwei Dutzend Menschen. Auf die Regierungstruppen können wir nicht warten. Es ist davon auszugehen, dass deren Vormarsch nicht reibungslos vonstatten geht. Zwischenzeitlich werden wir hier überrannt. Ja, ich bin dabei. Mit wie vielen Leuten stürmen wir das Gebäude?« »Ein Dutzend«, sagte Mason. »Vier von SFO, acht Marines. Die anderen müssen weiterhin die Botschaft verteidigen. Wir können nicht auf der einen Seite ein Loch stopfen, um auf der anderen ein neues aufzureißen. Sie verstehen, was ich meine?« »Sehr gut sogar«, erwiderte Harrer. »Ich sage meinen Leuten Bescheid.« »Noch einfacher wäre es, wenn ein Hubschrauber im Hof landen würde«, sagte Hoover. »Ein Chinook«, murmelte Harrer versonnen. »Der könnte
mit einem Schlag 55 Menschen aufnehmen.« »Verdammt Ja!«, entrang es sich Mason erregt. »Wenn wir das Gebäude auf der anderen Seite in die Hand bekommen, könnte im Hof ein Chinook landen und die gesamte Botschaft evakuieren.« Die Aussicht auf Rettung beflügelte den Captain. Er war plötzlich voll Elan. »Funker, stellen Sie eine Verbindung mit dem Luftwaffenstützpunkt in Luanda her«, forderte er mit erhobener Stimme. Zwei Minuten später hatte Mason den Commander des Luftwaffenstützpunkts an der Strippe. Er sagte: »Hier Captain Mason von der amerikanischen Botschaft in Kinshasa. Sie müssen uns einen Chinook schicken, damit wir das Botschaftsgebäude evakuieren können. Wir stehen unter starkem Beschuss. Die Rebellen schießen mit Raketen, und wir können nicht mehr lange standhalten.« »Soll ich mir vielleicht die Helikopter aus dem Ärmel schütteln, Captain?«, kam es ungehalten durch den Äther. »Ich habe sowieso schon meine Kompetenzen überschritten, als ich fünf Black Hawks und zwei Little Birds in den Dschungel schickte, um Colonel Davidge und seine Leute rauszupauken. Drei Black Hawks haben wir verloren. Mann, ich bekomme Ärger. Mehr Ärger, als mir wahrscheinlich lieb ist.« »Es geht um Menschenleben. Fast zwei Dutzend Zivilisten, Männer, Frauen und Kinder, befinden sich in der Botschaft. Außerdem fast drei Dutzend Soldaten. Kommen Sie mir also nicht mit Kompetenzen.« »Schon gut, Captain«, lenkte der Commander des Luftwaffenstützpunkts ein. »War nicht so gemeint. Über einen Chinook verfügen wir nicht. Außerdem wäre es viel zu riskant, einen zu schicken, nachdem Sie selbst sagen, dass die Aufständischen mit Raketen feuern.« »Wir werden den Hof der Botschaft absichern. Wir wissen auch schon wie.« »Wie viele Leute sind Sie insgesamt?«
»Etwa 60.« »Also müssten vier Black Hawks genügen.« »Bis wann können wir mit dem Eintreffen der Helikopter rechnen?« »Zwei Stunden.« »Okay. Wir warten auf Ihre Hubschrauber, Luanda. Wenn wir hier heil rauskommen, lade ich Sie zu einem Bier ein.« Mason war wieder versöhnt. »Ich nehme Sie beim Wort.« »In Ordnung. Eine Runde wird Colonel Davidge schmeißen müssen.« »Nur eine?« Mason lachte. Er wandte sich an Harrer. »Luanda schickt uns einige Black Hawks. Mit einem Chinook konnten sie uns leider nicht dienen. Voraussetzung ist jedoch, dass wir das Gebäude, von dem aus die Rebellen den Hof beschießen können, besetzen.« Mason schaute Hoover an. »Sie wissen beide, was das heißt. Es wird nicht ohne Verluste abgehen.« »Wir brauchen Munition«, sagte Harrer. »Reservemagazine für die MP7. Falls keine vorhanden sind, brauchen wir vier M16 oder M4, von denen jedes zweite mit Raketenwerfern ausgerüstet ist.« »Sie bekommen alles, was Sie benötigen, Lieutenant.« * Vier SFO-Leute und acht Marines standen bereit. Sie waren mit M16A2-Gewehren bewaffnet, von denen sechs mit einem M203-Granatwerfer ausgerüstet waren. Die Marines, die in der Botschaft blieben, deckten das vierstöckige Haus auf der der Botschaft gegenüberliegenden Seite mit Feuer ein. Das gesamte Feuer der Soldaten konzentrierte sich auf dieses Gebäude. Die Truppe, die das Gebäude stürmen und einnehmen sollte,
stand unter dem Kommando Mark Harrers. »Vorwärts!«, gab er den Befehl. Sie rannten nacheinander aus der Tür des Botschaftsgebäudes, wie im Reißverschlusssystem wandte sich immer einer nach links, der andere nach rechts. Hart an der Wand der im 90 Grad-Winkel an das Hauptgebäude angebauten Nebengebäude bewegten sie sich vor bis zur Promenade. Die Rebellen nahmen sie unter Feuer. Sie erschienen an den Fenstern, schossen und zuckten blitzschnell zurück. Zum Zielen ließen ihnen die Marines, die ihren Kameraden Feuerschutz gewährten, keine Zeit. Darum hatten die beiden Gruppen im Hof der Botschaft noch keinen Verlust zu verzeichnen. Harrer hob den rechten Arm, ließ ihn im nächsten Moment in die Waagrechte fallen und streckte ihn in Richtung des Gebäudes aus, das sie einnehmen wollten. Das Zeichen zum Sturm. Der erste Soldat der rechten Gruppe rannte schießend über die Promenade, einer aus der linken Gruppe folgte, dann kam wieder einer von der rechten Gruppe. Einer der Soldaten wurde getroffen und brach zusammen. Die anderen bauten sich an der Fassade des Gebäudes auf, aus dem ihnen das wilde Feuer der Rebellen entgegengeschlagen hatte. Harrer drang als Erster in das Haus ein. Er feuerte eine Betäubungsgranate ab. Sie explodierte auf dem Treppenabsatz zur ersten Etage, erzeugte einen gleißend hellen Lichtblitz und einen extrem lauten Knall und sollte die Rebellen desorientieren und ablenken. Der Knall lähmte noch die Trommelfelle, als Harrer schon die Treppe hinauf stürmte. Caruso, Topak und Sanchez saßen ihm dicht auf den Fersen. Die Treppe endete bei einem Flur, der sich nach zwei Seiten erstreckte. Die Gewehre des SFOTeams hämmerten. Sie schickten zuerst Splittergranaten, dann ihre Kugeln in die beiden Korridore hinein. Wer sich sehen
ließ, wurde niedergemäht. In das Krachen der Gewehre mischte sich Geschrei. Jeweils zwei Mann drangen in die Flure ein, traten Türen auf, soweit sie nicht schon von der Explosion der Granate aufgeflogen waren, sicherten in die Räume und schossen auf alles, was sich bewegte. Zwischenzeitlich stürmten die Marines weiter in die 2. Etage. Wieder brüllte die Explosion einer XM84 Flashbang durch das Gebäude und drohte, es in seinen Fundamenten zu erschüttern. Drei Marines nahmen den zweiten Stock ein. Sie gingen genauso vor wie das SFO-Team in der ersten Etage und töteten alles, was ihnen vor die Mündungen kam. Die letzte Gruppe war in die dritte Etage gestürmt. Auch sie lähmten die Gegner mit einer Betäubungsgranate. Zugleich feuerten zwei der Soldaten Splittergranaten in die Flure hinein. Rebellen brachen tot zusammen. Es war nur ein kurzer Kampf. Dann gehörte die dritte Etage den Marines. Es galt, noch die vierte Etage zu erobern. Die SFO-Leute kehrten ins Erdgeschoss zurück und sicherten es. Sie sollten verhindern, dass andere Rebellen in das Gebäude eindringen konnten. Caruso, Topak und Sanchez verteilten sich in verschiedene Räume und nahmen Stellung bei den Fenstern ein, Harrer blieb bei der Haustür. Er hatte den Blick frei auf den Hof der Botschaft. In den Gebäuden nebenan befanden sich Rebellen. Auch die Häuser rund um die Botschaft waren von Aufständischen besetzt. Soweit das Gebäude nicht im toten Winkel zu ihnen lag, feuerten die Rebellen, was das Zeug hielt. Es gab auch einige Raketeneinschläge. Wände stürzten ein, Staub wallte. Vier Marines stürmten die vierte Etage. Es kam zu einem kurzen Schusswechsel. Dann hatten sie das Stockwerk in ihrer Hand. Lieutenant Hoover, der sich mit drei Soldaten in der vierten Etage befand, nahm Verbindung mit Delta eins auf und erklärte, dass das Gebäude erobert sei. »Gut«, sagte Captain Mason. »Jetzt brauchen nur noch die
Helikopter einzutreffen. Dann können wir die Botschaft räumen.« Die Gewehre schwiegen jetzt. Sie hatten jeden, der in den Hof der Botschaft wollte, zwischen sich. Die Gefahr war aber aufgrund dessen noch lange nicht gebannt. Sie waren nach wie vor von Aufständischen eingeschlossen, und diese waren in zigfacher Überzahl. Da nützte auch die ausgefeilteste Hightech-Ausrüstung nichts. Die Übermacht würde sie erdrücken. In der Ferne war Geschrei zu hören. Schüsse krachten. Der verworrene Lärm näherte sich. Harrer konnte sich keinen Reim darauf machen. Er äugte aus der Tür und schwenkte seinen Blick die Straße hinunter, von wo sich das Geschrei näherte. Ganz weit hinten bewegte sich eine riesige Menschenmenge. Unaufhaltsam schob sie sich näher. Einige waren mit Gewehren und Revolvern bewaffnet und schossen in die Luft. Andere trugen Stöcke mit sich. Steine flogen. Harrer nahm Verbindung mit Hoover auf. »Da kommen Menschen die Straße herauf«, sagte er in das kleine Mikrofon. »Es sind Hunderte. Sie sind mit Stöcken, Pistolen und Gewehren bewaffnet.« »Hölle«, kam es von Hoover. »Das hat uns gerade noch gefehlt. Hoffentlich ist nicht die Botschaft ihr Ziel. Ich muss Delta eins Bescheid sagen.« »Delta eins«, rief Hoover ins Mikro. »Delta eins bitte kommen.« »Hier Delta eins. Gibt es ein Problem?« »Ein gewaltiges. Hunderte von Menschen ziehen die Straße herauf. Sie sind mit Stöcken und Gewehren bewaffnet. Ihr Ziel ist unbestimmt. Es kann der Regierungspalast sein, oder die UNO-Vertretung, vielleicht auch die amerikanische Botschaft.« »Gegen diese Meute können wir kaum etwas ausrichten, Delta drei. Versuchen Sie den Mob einige Zeit aufzuhalten. Ich
bringe die Zivilisten, die sich in der Botschaft befinden, durch den Kanal in Sicherheit.« »In Ordnung, Delta eins. Marschieren Sie unterirdisch in Richtung Norden. Und geben Sie Luanda Bescheid, dass die Helikopter zurückgepfiffen werden. Es ist nicht auszuschließen, dass der Mob einige Raketenwerfer besitzt. Wir werden, sobald die Zivilisten evakuiert sind, dieses Gebäude aufgeben und in die Botschaft zurückkehren.« Mason unterbrach die Verbindung. Hoover funkte Harrer an. »Mason. wird die Zivilisten durch den Kanal in Sicherheit bringen. Unser Job ist es, die Meute lange genug aufzuhalten, bis die Evakuierung abgeschlossen ist. Der Hubschraubereinsatz wird abgeblasen. Sobald die Zivilisten evakuiert sind, geben wir dieses Gebäude auf und kehren in die Botschaft zurück.« »Verstanden«, sagte Harrer. »Ich gehe mit meinen Leuten auf die andere Straßenseite. Knallen wir den Kerlen, die da kommen, heißes Blei um die Ohren. Das wird ihren Vormarsch stoppen.« »Ihr Wort in Gottes Ohr, Hoover.« Harrer rief: »Caruso, Mara, Miro, zu mir!« Die drei Gerufenen erschienen im Treppenhaus. »Wir müssen auf die andere Seite«, sagte Harrer. »Es nähern sich einige hundert Leute. Sie sind uns sicher nicht freundlich gesonnen. Wir müssen versuchen, sie aufzuhalten. Du zuerst, Caruso. Dann du, Mara, anschließend du, Miro. Ich bilde den Schluss. Vorwärts, Caruso, gib Gas!« Der Italiener sprang ins Freie und hetzte los. Er schlug Haken wie ein Hase, erreichte ungeschoren die andere Straßenseite und ging bei einem der Gebäude, das bis zur Straße reichte, in Deckung. Mara folgte ihm. Gewehre peitschten. Caruso hatte noch das Überraschungsmoment auf seiner Seite gehabt. Bei der Sergeantin reagierten die Rebellen in den Gebäuden. Aber auch
sie lief Zickzack und entging den Geschossen. Sie erreichte ebenfalls den Schutz des Botschaftsgebäudes und schmiegte sich neben Caruso an die Wand. Topak flitzte los. Er rannte, als säße ihm der Leibhaftige im Nacken. Auch ihn deckten die Rebellen mit Kugeln ein. Plötzlich hielt der Russe an, wirbelte herum und schickte einen Feuerstoß gegen die Fassade des Gebäudes, von dem aus auf ihn geschossen wurde. Im nächsten Moment warf er sich herum und rannte weiter, mal nach links, dann wieder nach rechts springend. Er verschwand in Deckung. Harrer wartete ein wenig. Die Rebellen stellten das Feuer ein. Wahrscheinlich warteten sie nur darauf, dass ein weiterer Mann den Schutz des Hauses verließ. Hinter Harrer waren Schritte auf der Treppe zu vernehmen. Er schaute über die Schulter. Da kamen Hoover und drei weitere Marines die Treppe herunter. »Wir übernehmen hier die Sicherung«, sagte Hoover. »Okay«, sagte Harrer, »dann werde ich mal.« Er spurtete los. Gewehre krachten. Etwas zupfte glühend heiß an Harrers Schulterspitze. Vor ihm strich ein Geschoss über den Straßenbelag und zog eine fingerbreite Spur. Harrer spürte den Gluthauch einer Kugel an der Wange. Er warf sich nach links, schlug einen Haken, sprang nach rechts. Seine drei Kollegen nahmen die Gebäude, aus denen auf Harrer geschossen wurde, unter Feuer. Harrer gelangte in Sicherheit. Caruso, Sanchez und Topak zogen sich schnell zurück. * Aus der Tür des Botschaftsgebäudes rannten zwei Marines und hoben den Kanaldeckel ab. Captain Mason zeigte sich im Freien. An ihm vorbei strömten die Zivilisten. Männer trugen die Kinder, soweit sie nicht groß genug waren, um mit den
Erwachsenen mitzuhalten. Harrer und seine drei Gefährten feuerten über die Köpfe der anrückenden Meute einige Feuerstöße hinweg. Sofort wurden sie unter Feuer genommen. Auch aus den Fenstern des Gebäudes, in dem sich Hoover mit seinen Marines befand, wurde geschossen. Im Hof der Botschaft stiegen die Zivilisten in den Schacht, um in die Kanalisation zu gelangen. Ein Mann rutschte aus und stürzte in die Tiefe. Andere halfen ihm auf die Beine. Er humpelte zur Seite. Ein Kind von etwa zwölf Jahren – es war ein Junge – folgte ihm. Dann kam eine Frau. Der Mob auf der Straße war nicht aufzuhalten. Selbst wenn die vordersten anhielten und sich gegen die nachfolgenden stemmten, die hinteren schoben sie weiter. Das Geschrei verstärkte sich. In die Meute hineinzufeuern machte keinen Sinn. Sie war nicht zu stoppen. »Delta drei, hören Sie?«, sagte Harrer in sein Mikro. »Ich höre Sie, Harrer. Sieht nicht so aus, als hätten wir Erfolg. Wir verlassen jetzt das Gebäude, um in die Botschaft zurückzukehren. Wir können nur den Hof abriegeln und mit etwas Glück schaffen es die Zivilisten, in den Kanal zu steigen. Für uns sehe ich schwarz, Harrer. Uns werden die Demonstranten überrennen und in Stücke reißen.« Harrer und seine Leute schossen wieder eine Salve über die Köpfe hinweg und waren wieder dem Feuer der Rebellen in den Häusern ausgesetzt. Der erste Marine kam über die Straße und lief in den Hof der Botschaft. Ein zweiter Mann folgte. Ein dritter. Er brach im Kugelhagel, der ihm folgte, zusammen. Ein weiterer Mann kam und sogleich noch einer. Sie packten den am Boden Liegenden an den Armen und schleiften ihn mit sich. Als einer der beiden niedergeschossen wurde, schleifte der andere die reglose Gestalt alleine weiter. Er erreichte den Hof. Das Gebäude spuckte weitere Soldaten aus, bis zuletzt
Lieutenant Hoover die Straße überquerte. Er bekam eine Kugel zwischen die Schulterblätter, stürzte auf das Gesicht und starb. Und der Mob rückte unaufhaltsam näher. Die Meute vermittelte einen erschreckenden Eindruck von Wucht, Stärke und Entschlossenheit, ihr Anblick brachte die Nerven zum Schwingen. Harrer beobachtete mit einem Auge die heranströmende Menschenrotte, mit dem anderen die Evakuierung der Zivilisten. Alle, bis auf drei, waren schon im Kanalschacht verschwunden. Die Meute war nur noch 100 Yards entfernt. Schließlich stieg der letzte der Zivilisten in den Schacht. Ein Sergeant, der mit einem GPS-Gerät ausgerüstet war, kletterte hinterher. Ein Marine legte den Deckel auf die Öffnung. Dann liefen die Marines ins Gebäude. Auch Harrer und seine SFO-Gefährten zogen sich zurück. Die heranwogende Menschenhorde ließ sich nicht stoppen. Die Menge rottete sich vor dem Botschaftsgebäude zusammen. Soweit die Fensterscheiben noch nicht von Kugeln zerschossen waren, zerbarsten sie jetzt unter Steinwürfen. Die Meute schrie durcheinander. Die ersten drängten durch das Tor in den Hof. Schüsse krachten. Drohend wurden die Schlagstöcke geschwungen. Vor dem Botschaftsgebäude hatte sich ein Hexenkessel entwickelt, in dem es brodelte und gärte. Ein jeder der im Gebäude eingeschlossenen Soldaten spürte den Strom des Vernichtungswillens, der von der sich unaufhaltsam näher schiebenden Schar ausging, und zwang sich dazu, den Anblick zu ertragen. Immer mehr Menschen drängten schreiend in den Hof der Botschaft. Sie rannten zur Tür und liefen in das Gebäude. In den Gängen des Erdgeschosses entbrannten mörderische Kämpfe, als die Marines versuchten, die Eindringlinge zurückzuschlagen. Plötzlich mischte sich draußen ein anderes Geräusch in das Gejohle und Gegröle, mit dem die Meute die Botschaft
stürmte. Es war lautes Motorengeräusch, das Rasseln von Kettenfahrzeugen, das Dröhnen, wie es Hubschrauber verursachten. Und dann kamen Panzer aus einer Seitenstraße etwa 200 Yards vom Botschaftsgebäude entfernt und bogen in die Promenade ein. Ihnen folgten gepanzerte Mannschaftstransportwagen. Drei Hubschrauber kreisten über der Botschaft. Die gepanzerten Fahrzeuge kamen ratternd näher und stießen wie ein Keil in die Menschenrotte vor dem Botschaftsgebäude hinein. Sie sprengten die Meute. Und dann wurde Tränengas verschossen. Die Menschenmenge brach auseinander. Aus den Mannschaftstransportwagen sprangen schwarze Soldaten. Sie feuerten Warnschüsse in die Luft ab. Andere verschossen Hartgummigeschosse, die zwar niemand töteten, die aber höllisch schmerzhaft waren. Die ersten Demonstranten flohen. In der Botschaft behielten die Marines die Oberhand und trieben die Eindringlinge zurück in den Hof. Das Chaos war perfekt. Menschen gingen in dem Tohuwabohu unter und wurden niedergetrampelt. Jeder war sich nur noch selbst der Nächste. Das Geschrei war frenetisch. Das Krachen der Schüsse vermischte sich mit dem anderen Lärm. Die Soldaten stürmten die Gebäude rund um die Botschaft und erschossen oder vertrieben die Rebellen. Die Hubschrauber unterstützten sie aus der Luft. Die Bordkanonen hämmerten. Tränengaspatronen wurden in die Menge geworfen. Bald hatten die Regierungssoldaten die Situation im Griff. Demonstranten, denen die Flucht nicht gelungen war, wurden auf der Promenade zusammengetrieben und in Schach gehalten. Hier und dort lagen reglose Gestalten. Es war Blut geflossen. Aber die reguläre Truppe war Herr der Lage. *
Luftraum über der Ostküste Amerikas Donnerstag, 1305 ETZ Das Flugzeug, das das SFO-Team nach Hause brachte, ging in den Landeanflug. Die Mitglieder des Teams waren festgeschnallt. »Wieder zu Hause«, sagte Harrer. »Dem Himmel sei Dank.« »Mission erfolgreich beendet«, erklärte Colonel Davidge. »Mon dieu. Sicher brennt es schon wieder irgendwo auf der Welt, und unser Einsatz ist gefordert«, gab Leblanc zu verstehen. »Ich bete, dass dem nicht so ist«, rief Caruso. »Ich will wenigstens ein paar Tage verschnaufen.« »Du hast bloß Angst, dass deine außerdienstlichen Aktivitäten zu kurz kommen, Caruso«, sagte Mara Sanchez. »Ha, ha«, machte Caruso. »Ich werde mich nicht aus dem Bett bewegen.« »Aus welchem?«, riefen Harr er und Topak gleichzeitig. »Das wird sich finden«, lachte Caruso. »Ein paar Tage Ruhe haben wir uns sicherlich verdient. Außerdem bist du dem Colonel noch eine Revanche schuldig, Doc.« »Was redest du da?«, kam es von Dr. Lantjes. »Revanche, wofür? Ach so, du redest von dem Tennismatch.« »Richtig, Doc«, sagte Davidge. »Er spricht von nichts anderem. Ich bin ein schlechter Verlierer. Darum werde ich erst nachgeben, wenn ich Sie besiegt habe.« »Da müssen Sie aber lange spielen«, sagte Dr. Lantjes lachend. »Warten Sie nur, wenn ich zu Höchstform auflaufe.« »Jedes Match, das ich gegen Sie verliere, Doc, wird sich negativ auf Ihre
ENDE
Vorschau Liebe Leser, wir danken Ihnen für Ihre Treue, die Sie dem Alpha-Team der Special Force One gehalten haben, und hoffen, dass wir Sie gut unterhalten haben. Leider endet die Serie mit diesem spannenden Roman von William T. Connor. Die Betreuung der Serie hat uns vom Verlag und den Autoren viel Spaß gemacht, und vielleicht lesen Sie bald wieder etwas von uns im großen Angebot des Bastei Verlags. Ihre SFO-Redaktion