KLEINE
BIBLIOTHEK
DES
WISSENS
LUX-LESEBOGEN NATUR-
UND
KULTURKUNDLICHE
HEFTE
R. O. TRMER
Von der Glashütte bis...
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KLEINE
BIBLIOTHEK
DES
WISSENS
LUX-LESEBOGEN NATUR-
UND
KULTURKUNDLICHE
HEFTE
R. O. TRMER
Von der Glashütte bis zur Glasharfe
VERLAG
SEBASTIAN
LUX
MIJRNAU • M Ü N C H E N • I N N S B R U C K • Ö L T E N
Sand wird zu Glas Mitten im Kohlenrevier des Ruhrgebietes liegt die Glashütte. Als wir uns den weitläufigen Anlagen nähern, ist sie kaum von der danebenliegenden Kohlenzeche zu unterscheiden. Die langen Hallen könnten ohne weiteres noch zum Zechengelände gehören. „ W i r haben die Nachbarschaft der Kohlenzeche sehr nötig", erklärt uns der Ingenieur, der uns am Eingang des Betriebes erwartet. „Sie werden noch sehen, was die Kohle für uns bedeutet." Eine lange schmale Werkhalle nimmt uns auf. Menschen sind kaum zu sehen. Rechts und links öffnen sich tiefe Bunker, angefüllt mit hohen Bergen meist weißen, feinkörnigen Sandes, der wie Zucker aussieht. Ein großer Greifer, der einem schweren Laufkran angehängt ist, durchfährt die Halle in schwindelnder Höhe, senkt sich in offene Eisenbahnwaggons, nimmt Sand auf, schwenkt zurück und lädt seine Last in noch leere Bunkerkästen ab. Ständig ergänzt sich das Rohstofflager der Glashütte, denn der Bedarf ist groß. Wir nehmen eine Handvoll des merkwürdigen Glassandes heraus. Als er durch die Finger rieselt, glitzern im Licht der Lampen die reinen Quarzkörnchen. Der Sand für unsere Hütte kommt aus den Grundwasserteichen einer schönen Heidelandschaft in der Nähe des Ruhrgebietes. Dort hat man ihn mit Baggern herausgeholt und dann auf dem Schienenwege hierherverfrachtet. Ungeheure Zeiträume mußten vergehen, bis aus dem Quarz, der im Meer der Tertiärzeit noch große Kieselsteine gebildet hatte, dieser feine, körnige Sand geworden war. Die Brandung trieb das Quarzgestein gegen die Küste, wetzte und schliff es im Sand der Strandzone, bis es zu dieser gleichmäßigen Korngröße zerrieben war. Nahe der Fundstelle hat man bereits durch Waschen und Sieben die meisten unerwünschten Nebenbestandteile entfernt. Hier im Rohstofflager der Glashütte ist der Quarzsand fast rein gelagert. 2
Doch der Sand bildet nicht die einzigen weißen Berge in der großen Halle. Auch drüben am anderen Ende gleißt und blitzt es. Dort ist die Soda aufgetürmt, die bei der Glasherstellung eine große Holle spielt. Es ist genau dieselbe Soda, wie sie die Hausfrau im Haushalt braucht. Daneben liegen die Bunker für Sulfat, das schwefelsaure Salz des Natriums, und rechts davon die Vorratsbehälter für den gemahlenen Kalkstein und für den Dolomit, der vor allem das Magnesium hinzubringt. Quarzsand, Kalkstein und Dolomit sind aus natürlichen Vorkommen gewonnen, während die Salze, Soda und Sulfat, aus der chemischen Industrie kommen. Eine Reihe weiterer Stoffe in kleineren Mengen, die ebenfalls beim Glasmachen gebraucht werden, beschließt das wohlsortierte Lager. All das wird fast mit Apothekergenauigkeit gewogen, bevor es in den Ofen darf; die ausgeklügelten Wiegeeinrichtungen machen das automatisch und messen genauestens ab, was der Ofenmeister nach den Laboratoriumsangahen an Kalk, Scherbenzuschlag und anderen Zutaten für erforderlich hält. Dann wandern die Rohstoffe in die Mischmaschinen und werden hier gründlich durcheinandergeschüttelt. Während im Innern der Riesentrommeln das „Gemenge" vorbereitet wird, blicken wir durch ein Fenster auf den Fabrikhof. Auch draußen erheben sich große, weißleuchtende Berge. Diese Berge bestehen aber nicht aus Sand, sondern aus fein gemahlenen Glasscherben. In jeder Hütte fallen beim Glasmachen und beim Verarbeiten große Mengen Glasrückstände und Scherben an. Sie kommen in die Mahlwerke und werden dann dem Quarz-SodaKalk-Gemenge in den Öfen beigemischt, damit sie den Schmelzvorgang fördern und beschleunigen. Schon beim Betreten der Glashütte ist uns seitlich der Großhallen ein mächtiger Gas-Behälter aufgefallen. Gas ist ein wichtiger Bedarfsartikel für das Werk, denn eine moderne Glashütte arbeitet nicht mehr mit Holzfeuer, auch nicht mit Kohle, sondern mit den Abgasen der Steinkohle. In älterer Zeit lagen die kleinen Glashütten noch mitten im Waldland, wo das Feuerholz gleich greifbar war und die Rohstoffe meist nicht allzuweit entfernt gewonnen werden konnten. Heute könnte gar nicht genug Holz herbeigeschafft werden, um eine größere Fabrik voll arbeiten zu lassen. Mit Gas lassen sich auch viel schneller und leichter die Hitze-
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grade erzeugen, die im Schmelzofen erreicht werden müssen. Die Hütte, in der wir uns befinden, bezieht das Gas gleich fertig von der Nachbarin, der Kohlenzeche, und reinigt es für ihre besonderen Zwecke. Liegt eine der modernen Glashütten nicht neben einer Kohlenzeche, so führt meist eine Ferngasleitung zur nächsten Kokerei oder eine Zweigleitung zum Ferngasnetz. Die meisten Glashütten sind Großverbraucher für Gas. Doch gibt es auch Öfen mit elektrischer Beheizung. Unser Rundgang beginnt vor den Wannenofenanlagen, die das Herzstück der Glashütte sind; denn hier wird aus dem Sand und den Zusätzen flüssiges Glas „gemacht". Drei große Wannenofenanlagen besitzt die Hütte. Jeder Ofen bildet ein verwirrendes, zunächst kaum in ein System zu bringendes Gerüst von starken Eisenträgern. Angebaut sind die komplizierten Einfüllvorrichtungen für das Gemenge. Das Ganze wird überwacht von elektrischen Temperaturmeßeinrichtungen, die dem Schmelzvorgang folgen und über den jeweiligen Wärmezustand im Wannenofen unterrichten. Die Männer an den Öfen brauchen nur auf die Zeiger und Kurven zu achten, um auftretende Schwierigkeiten schnell zu beheben. Jeder Wannenofen ist ein einziger Schmelztiegel mit einer Grundfläche von 300 Quadratmeter, man könnte ein paar Häuser hineinsetzen. Ein riesiges, bis zu 40 Meter langes Becken aus Schamottesteinen bildet die „ W a n n e " , nach der die Öfen ihren Namen haben. Die feuerfesten Steine sind ohne Bindemittel im Ofen nebeneinandergesetzt. Beim Schmelzen wird das flüssige Glas in die Zwischenräume eindringen und die Wanne abdichten. Säulen oder Mauerbögen streben nach oben und bilden die Seitenteile des Ofenbaus. Eine Eisenkonstruktion gibt den Wänden den nötigen Halt; denn der Ofen muß bei Vollbetrieb 1400 Grad Celsius aushalten. Das Ofendach ist ein freitragendes, feuerfestes Gewölbe aus Kieselsäuresteinen. Der umschlossene Ofenraum wirkt in seiner Größe fast wie ein Tanzsaal. Links und rechts an der Stirnseite dieses „Saales" erkennt man die Zuführungsöffnungen für das Heizgas. Der Glasmacher nennt sie Schachtbrenner. Die Inbetriebnahme der Öfen beginnt mit dem Einfüllen des Gemenges, das wir im Vorratslager kennengelernt haben. Bis zu zwölfhundert Tonnen Gemisch finden in den Wannenöfen moderner 4
» Glashütten Platz. Das Anfeuern ist nicht alle Tage zu sehen, denn jeder Wannenofen ist ein bis zwei Jahre ununterbrochen im Betrieb. Danach muß die gründliche Überholung einsetzen. Der Ofen wird geschlossen. Alles v steht zum Schmelzen bereit. Fauchend streichen heiße Abgase, die von einem schon in Betrieb genommenen Nachbarofen herübergeleitet werden, in eine Kammer unter der Wanne und erhitzen hier ein Gitterwerk feuerfester Steine. Dieses System hat im Jahre 1856 Friedrich Siemens, der Bruder des Erfinders der Dynamomaschine, geschaffen. Man nennt es nach ihm das Siemenssche Regenerativ-System. Es ermöglicht durch die Speicherung und Wiederausnutzung abziehender heißer Ofengase besonders hohe und billige Arbeitstemperaturen. Das steinerne Gitterwerk ist bis zur Rotglut erhitzt. Das kalte Gas der Kokerei wird eingelassen, erhitzt sich an den glühenden Steingittern, tritt flammend in den Schmelzraum und beginnt die Arbeit der Verflüssigung. An der Oberfläche des Gemenges entstehen die ersten Schmelzflüsse. Die Abgase heizen dann, bevor sie abziehen, noch die Steingitter auf. Das ist der Zeitpunkt, an dem die Ofenleute neues Gemenge nachschicken. In halbstündigen Abständen gleitet weitere Mischung aus den Einfüllöffnungen in den Wannenofen, der nun ein einziger feuriger Teich ist. Männer, die mit ihren Gesichtsmasken wie Marsmenschen aussehen, dirigieren mit langen Stangen die Masse an die Stellen, wo sie am schnellsten zum Schmelzen kommt.
Wie in Mutters Kochkessel Der Hauptbestandteil des Gemenges, der Quarzsand, der nichts anderes als Kieselsäure ist, beginnt erst bei einer Temperatur zwischen 1470 und 1700 Grad Celsius zu schmelzen. Der Glasmacher müßte fast 2000 Grad Hitze entfachen, um die Kieselsäure völlig zu verflüssigen. Die Beimengungen ermöglichen es aber, mit weit geringerer Hitze auszukommen; denn sie schmelzen bereits bei viel niedrigerer Temperatur, und ihr Schmelzen greift schon bald auf die schwerer schmelzbaren Bestandteile des Glassandes über. So kommt der Glasmacher mit etwa 1400 Grad Höchsttemperatur aus. 5
Während des Schmelzvorgangs werden aus der Schmelzmasse Gase frei, vor allem Kohlensäure und schweflige Säure. Der GlasFachmann nennt diesen Vorgang die Läuterung oder Klärung. Die Gase entweichen in Blasen. Die kleinen Blasen vereinigen sich zu größeren, und durch diese Bewegung erfolgt nicht nur die Reinigung von den nicht erwünschten Beimengungen, sondern gleichzeitig auch als willkommene Nebenleistung eine gute Durchmischung des Glasflusses. Der Glasmacher muß in dieser Zeit mit Aufmerksamkeit die Instrumente und durch Gucklöcher die Schmelze beobachten; denn die Temperatur soll jetzt langsam heruntergehen. Ist sie auf 1250 Grad abgesunken, dann hört das Ausscheiden der Blasen auf. Von diesem Zeitpunkt an läßt man die Schmelze bis auf unter 1000 Grad „abstehen". Das Temperaturgefälle, das im Ofen vorhanden ist, ist von großer Bedeutung für die Schmelzarbeit. Die Schmelze bleibt dadurch in Bewegung und sucht sich in trägem Fluß selbst ihren Weg von einem zum anderen Ende des Ofens, dorthin, wo sie bei 900 bis 950 Grad zur Verarbeitung entnommen werden kann. Es geschieht dabei im Wannenofen dasselbe wie in Mutters wallendem Kochkessel, wenn sie Wasser zum Kochen bringt: Auch im zähen Glasfluß bilden sich Strömungen, die gesetzmäßig verlaufen. Der Glasfluß verbleibt mehrere Tage im Wannenofen, dann ist er für die Ziehmaschinen verformungsfähig. Das Glasband kann hergestellt werden. Wir weilen an einem Tage in der Glashütte, als gerade einer der Wannenöfen nach einer Schmelzperiode zur Überholung stillgelegt wird. So können wir in den erkalteten Ofen hineinblicken. Im Innern schillert es meergrün, so als ob man hoch oben in den Alpen in Gletscherspalten blickte. Man vermeint Gletschereis zu sehen statt erstarrten Glases. Das sind die Reste, die beim „Abstich" zurückgeblieben sind, und die man schon bald losbricht, um sie zu mahlen und den so entstehenden Glasstaub dem Gemenge zuzuschlagen. Wir erfahren von dem Werksingenieur, daß die Art des Glasschmelzens, wie wir sie hier in einem großen modernen Betrieb beobachtet haben, in kleineren Betrieben nicht möglich ist. Dort gibt es noch die „Tonhäfen", mittelgroße Wannen, die aus feuer6
festem Ton geformt und dann gebrannt werden. Der Glasmacher füllt sie mit dem Gemenge von Quarz und Zuschlägen und schiebt sie, wie der Bäcker die Brote in den Backofen, in den Schmelzofen der Glashütte. Das Gemenge schmilzt also nicht in einer einzigen großen Ofenwanne, sondern in einzelnen hochfeuerfesten Häfen, die man herausziehen kann, um den zähen Glasfluß sofort zu verarbeiten. Hochwertige Spezialgläser werden in solchen Häfen erschmolzen. Das endlose Glasband Der Hüttenmann hat uns an die Stelle geführt, an der das zähe, heiße Glas den Wannenofen verläßt. Da hier alles dicht verschlossen ist, wenn die Glashütte in Betrieb ist, erläutert uns der Ingenieur an einer Zeichnung den Vorgang: Das glühendheiße Glas kann nicht einfach auf eine platte Unterlage verbracht werden, es würde sofort eintrüben. Es wird deshalb frei nach oben geführt. In den zähen Glasfluß im Innern des Ofens wird eine breite „Ziehdüse" eingesetzt. Der Töpfer hat sie aus feuerfestem Ton kunstgerecht-geformt und dabei einen Schlitz freigelassen. Die Ziehdüse wird mit Gewalt in den Schmelzfluß gedrückt, und schon quillt durch den Düsenschlitz die heiße Glasmasse als ein durchsichtiger Teig nach außen. Sofort drängt Glasmasse nach, sie muß aufgefangen und geführt werden. Deshalb bringt man vor der Entnahme ein Fangeisen durch die Düse in die Glasmasse. Mit dem Eisen wird die heraustretende Glasmasse gefaßt, die sich nun langsam, doch bequem als breites Band hochziehen läßt. Der Glasfluß gleitet in einem Kühlschacht empor, Walzenpaare transportieren das Band, das sich langsam erstarrend zwischen den Walzen hindurchpreßt. Weiter oben öffnet sich der Kühlschrank, und hier haben wir Gelegenheit, das Glasband frei vorüberziehen zu sehen. Das endlose Band ist völlig durchsichtig und schiebt sich immer höher aus dem Schacht heraus, bis es an die Abnahmestelle gelangt. Flinke Hände greifen zu, Schneidemaschinen mit Glasdiamanten schneiden haargenau ein großes Stück des Glasbandes ab, sobald es die gewünschte Länge erreicht hat. Der Glasmacher nennt diese Glastafeln „Blätt e r " ; auf fahrbaren Gestellen werden die Blätter der weiteren Verarbeitung zugeführt.
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So sah es vor hundert Jahren in einer Schwarzwälder Glashütte aus
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Die modernen Ziehmaschinen, die das endlose Glasband formen und führen, sind komplizierte Apparate. Früher kannte man keine endlosen Bänder. Man ließ die austretende Glasmasse sich zu großen Hohlzylindern zusammenrollen, die der Glasbläser der Länge nach aufsprengte und in besonderen Öfen nochmals erwärmte, damit sich die Zylinder zu Scheiben auseinanderlegten; zuletzt wurden sie auf den „Strecksteinen" mit Holzblöcken glatt gebügelt. Der Glasmacher hat es in der Hand, das Glas langsam zu ziehen; es entstehen dann dicke Glasbänder; geht das Ziehen schneller vor sich, so werden die Glasbänder dünner. Die Männer an der Ziehmaschine richten die Geschwindigkeit der Walzen je nach dem vorliegenden Auftrag ein, um die verlangte Glasdicke zu erzielen. Aufmerksam verfolgen sie auch jetzt noch den Temperaturablauf. Die Meßinstrumente zeigen etwa 950 Grad Celsius an. Eine behutsame Kühlung erfolgt während des Transportes durch den Kühlschacht, um das Glas zu entspannen. Ein geringes Versehen würde das endlose Glasband zerspringen lassen. Solange der Wannenofen in Betrieb und mit „ F u t t e r " versorgt ist — ein oder zwei Jahre lang — entquillt ihm das Glasband in verstellbarer Dicke. Der Glasmacher hat für die einzelnen Dicken besondere Bezeichnungen: Glas von 0,8 bis 1,8 Millimeter nennt er Dünnglas; Fensterglas ist Glas von 0,8 bis 4,0 Millimeterdicke, und Dickglas ist Glas von 4,0 bis 7,0 Millimeter Stärke.
* Die Besichtigung der Anlagen, an denen wir die Glasschmelze und die Glasentnahme beobachtet haben, ist zu Ende. Was wir sahen, war nur eines von mehreren Verfahren, nach denen heute Glas geschmolzen wird. Neben dem maschinell gezogenen Tafelglas — benannt nach den Glastafeln, die von dem Glasband abgeschnitten werden — gibt es Gußglas, das im Gußverfahren hergestellt, Preßglas, das gepreßt wird, gewalztes Glas, das im Fließverfahren geformt wird und für besondere Zwecke das im Mundblasverfahren oder mit Glasblasmaschinen geblasene Glas. Wollten wir alle Sorten aufzählen, die der Glasmacher unterscheidet, so ergäbe sich eine verwirrende Vielzahl. Mit der Verarbeitung beginnt ein ganz neuer Abschnitt: die Veredelung. Ein sehr großer Teil des Glases, das die Hütte verläßt, 9
wird erst durch Bearbeiten und mannigfache Verwandlungen zu den vielerlei nützlichen und schönen Dingen, die wir lieben und die wir nicht mehr entbehren wollen. „Gefährliche" S p i e g e l . . . Im Jahre 1925 verpflichtet eine große ausländische Spiegelfabrik einen jungen deutschen Glasfachmann in ihre Dienste. Die Leitung des Unternehmens erstrebt eine völlige Abkehr von den veralteten Verfahren der Spiegelherstellung. Dem Deutschen, der bereits zum Meister der Glasveredlung aufgestiegen ist, geht ein guter Ruf voraus. Bei einem staatlichen Wettbewerb sind seine Glasmosaiken preisgekrönt worden. Aber das Unheil beginnt kurz nach seinem Eintreffen am neuen Arbeitsplatz. Um sich über die bisherige Arbeitsweise zu unterrichten, durchstreift er die Fabrikräume und verweilt eine Zeitlang am Werktisch eines Belegemeisters, der gerade einen Silberbelag auf eine Glasplatte aufbringt. Plötzlich erschüttert eine Explosion das Fabrikgebäude. Als sich die Rauchwolke verzogen hat, bietet sich ein schreckliches Bild. Wände sind herausgedrückt, Möbel zersplittert, Menschen verletzt. Ätznatron und eine Ammoniaksilberlösung — zwei Grundstoffe bei der Spiegelbelegung — sind zu früh miteinander in Verbindung getreten. Als zu diesen Stoffen der Sauerstoff der Luft hinzukam, erfolgte die Explosion. Immer wieder ereignen sich in jener Zeit solche Unglücksfälle. Max Ermes — so heißt der Deutsche — kann nach der Explosion nichts mehr sehen. Die Heilung werde Monate dauern, sagt der Arzt. Auf dem langen Krankenlager, als der erste Schrecken vorüber und ihm Hoffnung auf Genesung gemacht ist, denkt Ermes über den verhängnisvollen Zwischenfall nach. Seine Nachtstunden füllen sich mit technischen Träumen: Soll es mit den Unfällen beim Spiegelherstellen so weitergehen? Sein angeregter Geist sinnt in die Vergangenheit zurück. Langsam ordnen sich ihm die Tatsachen. Daß seit Jahrhunderten Glasspiegel als Hausgerät und als Zierstücke für Innenräume in herrlichsten Stücken hergestellt werden, daß diese Spiegel von Konrad von Wegenberg schon um 1350 als verzinnte Gläser beschrieben 10
worden sind, daß man in Flandern, in Deutschland, in Venedig bereits um 1500 das giftige Quecksilber als Spiegelbelag gewählt hat, ist zwar geschichtlich interessant, doch ergeben sich daraus keine Anhaltspunkte für eine Weiterentwicklung zur ungefährlichen Herstellung. Im 19. Jahrhundert — der junge Deutsche im Krankenbett erinnert sich daran — hat es einen Kampf zwischen den Quecksilberspiegiern und den Silberspiegiern gegeben. Denn mittlerweile — es war im Jahre 1835 — hatte Justus von Liebig, der berühmte deutsche Chemiker, herausgefunden, daß man bei der Anfertigung guter Spiegel keineswegs auf Quecksilber angewiesen war, dessen Dämpfe sich als sehr schädlich erwiesen, sondern daß man mit Silber dasselbe erreichte, wenn man nur nach seiner Methode einen entsprechenden Niederschlag auf die Glasscheibe brachte, überall gibt es plötzlich Erfinder, die „ i h r " Verfahren für Silberspiegel anmelden. Bis zum Jahre 1856 muß Liebig um das Recht an seiner Erfindung kämpfen; dann schlägt er seine Widersacher aus dem Felde. Liebigs Spiegelbelag hat gegenüber dem des Quecksilberspiegels nicht nur den Vorteil, nicht giftig zu sein; der Silberspiegel ist auch viel „lichtstärker". Ein Quecksilberspiegel herkömmlicher Art wirft nur 70 Prozent des Lichtes zurück, der Silberspiegel bringt es auf ein Reflektionsvermögen — so nennt man die „Lichtstärke" des Spiegels — von 92 bis 98 Prozent. Der Silberspiegel wirft also fast das gesamte Licht als Spiegelbild zurück, das er aufnimmt. Einen vollkommeneren Spiegel vermag man nicht herzustellen. Die Silberspiegier haben den Kampf auf der ganzen Linie gewonnen. Was aber heißt in jener Zeit „silberspiegeln"? Man braucht zunächst eine Glasplatte. Auf die Belegeseite bringt man den Silberbelag auf. Dann bestreicht man den Silberbelag mit einem Lack, um ihn zu schützen. Wer in den Spiegel blickt, sieht auf die Glasplatte und durch sie hindurch. Erst das Silber auf der Rückseite gibt das Bild des Hineinsehenden wieder. Man spiegelt sich also im Silber. Das Glas ist der durchsichtige „ S t a n d " für die Silberschicht, der Lack die dritte Schicht, ist der Halt für den Silberauftrag. 11
Das endlose Glasband ist zur Weiterverarbeitung in Stücke zerschnitten worden
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Das alles sind für Max Ermes, der im Krankenhaus liegt, Selbstverständlichkeiten, aber er denkt weiter. Ihm schwebt vor, das bisherige „ h e i ß e " Belegen der Glasplatte mit Silber durch ein Kaltverfahren zu ersetzen und es dabei vielleicht mit verschiedenen Zuckerarten zu versuchen. Das Präparat, bei dessen Verwendung der Silberbelag härter und das Spiegelbild noch schärfer werden muß, hat er im Geiste schon fertig vor sich. Aber auch dadurch ist die Sprenggefahr bei der Spiegelherstellung noch nicht gebannt. Man darf Ätznatron oder Ätzkalk nicht mit ammoniakalischer Silberlösung zusammenbringen, sonst ergeben sich allzu leicht die Voraussetzungen für das „Howardsche Knallsilber". Solches Knallsilber hatte sich entwickelt, als Ermes schwer verletzt wurde. Nach vier bangen Wochen kann der Chefarzt erstmals eine Besserung ins Krankcnblatt eintragen. Das Augenlicht kehrt langsam zurück. Nach geraumer Zeit kann Ermes völlig genesen das Krankenhaus verlassen, um in seine Heimatstadt Bernburg an der Saale zurückzukehren. Die fachlichen Überlegungen, die er während seiner Blindheit angestellt hat, beschäftigen ihn nun in der Praxis der Berufsarbeit. Wie mußte man es anstellen, um die Grundstoffe bei der Spiegelbelegung, Ätznatron oder Ätzkali, Silbernitrat und das Reduktionsmittel — das stets ein Geheimnis des Herstellers bleibt — solange getrennt zu lassen, bis sich die Stoffe friedlich miteinander verbinden und nicht mehr zum Sprengstoff werden können? Eines Tages kommt ihm der glänzende Einfall. Im Dezember 1931 wird Max Ermes unter der Nummer 596 766 das Deutsche Reichspatent auf ein „Handgerät zur Versilberung von Spiegeln" erteilt. Dieses Handgerät stellt sich als viereckiger Topf vor, der innen drei völlig getrennte Fächer und statt einer Gießrinne drei Ausgüsse hat. In die Fächer gießt man jeweils einen der Grundstoffe, in das eine Fach Ätznatron- oder Ätzkalilösung, in das zweite Silbernitratlösung und in das dritte die Reduktionslösung. Will man den Inhalt aus dem Topf auf die Glasplatte gießen, dann kann die Vermischung erst in dem Augenblick erfolgen, wenn alle drei Grundstoffe bereits auf der Glasplatte auftreffen, wo keine Ex13
plosionsgefahr mehr besteht. Es ist eine verblüffende Lösung, auf die vor Ermes noch niemand gekommen ist. Heute benutzt man in der ganzen Welt bei der Kaltherstellung von Silberspiegeln den dreiteiligen Aufgießtopf. Durch diese Erfindung und eine Reihe weiterer chemischer Patente ist Ermes zum Begründer der modernen Spiegelherstellung geworden. Seit dem Jahre 1932 erhebt sich auf den Berghängen hoch über der Saale bei Bernburg ein einzigartiger Bau. Das breite Dachgesims ist mit silberbelegtem, farbigem Glas versehen. Neben dem Hauptgebäude ragt eine goldglänzende Kuppel aus verspiegeltem, gelbem Glas auf; sie gleicht einem römischen Rundtempel. Es ist die Spiegel-Versuchsstation Ermes. Das Haus ist nur ein Teil dieses einzigen Spiegelforschungsinstitutes der Welt. Der zweite, neuere Teil steht westlich von Bernburg in Langeisheim bei Goslar.
* Hier wird der Fortschritt besonders deutlich. Der zweiten Generation in der Erfinderfamilie ist es gelungen, die Frist für die Herstellung von Spiegeln auf den Bruchteil der früher erforderlichen Zeit zu verringern und dadurch diesen unentbehrlichen Massenartikel besonders preiswert zu machen. Der technische Fortschritt macht es möglich, einen großen Silberspiegel in weniger als einer Minute fertigzustellen. i Im größten Raum des Langelsheimer Spiegelforschungsinstitutes liegen auf dem großen Belegetisch Glasplatten, die zu Spiegeln werden sollen. In greifbarer Nähe steht schon der dreiteilige Gießtopf bereit. Aus großen Ballons werden die drei Grundstoffe getrennt eingegossen. Dann ergießen sie sich ohne Gefahr über die Glasflächen. Die Spiegel wandern weiter auf einen großen Schaukeltisch. Bei dieser Arbeitsweise dauert die Spiegelbelegung immer noch acht Minuten. Schneller geht es an einer anderen Stelle des Raumes zu, dort, wo sich ein Kamin in der Außenwand öffnet. Unter seinem Dampfabzug wird gerade eine Glasplatte versilbert. Es brummt durch die Halle, denn hier braucht man fünf Atmosphären Druck, u m . die drei Grundstoffe als feinen Staub auf das Glas zu bringen. Den1 Gießtopf kann man hier nicht gebrauchen, man verwendet statt dessen eine dreiteilige Spritzpistole, die genau wie der Gießtopf
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Ätznatron, Silber und Reduktionsmittel erst auf der Platte zusammentreffen läßt. Wir nehmen die Uhr zur Hand. Nach 30 Sekunden ist auf der Glasplatte bereits der erste Niederschlag zu sehen, wir können unser Gesicht schon in den Umrissen gespiegelt erkennen. Der Sekundenzeiger ist kaum auf 60 gerüskt, da blitzt uns das Spiegelbild schon in voller Lichtstärke entgegen. Der Silberspiegel nach dem Spritzverfahren ist fertig. Ob man eine Glasplatte verspiegelt, gerundetes Glas oder gläserne Hohlkörper — unter dem hohen Spritzdruck dringt der chemische Silberstaub bis in den letzten Winkel, und in einer Minuite ist die Verspiegelung beendet. Interessant ist auch ein Besuch im „Festraum" des Hauses. Hier zeigt das Institut, wie Glas, vor allem spiegelndes Glas, zur Verschönerung von Innenräumen beitragen kann. Die Spiegel, die hier hängen, sind nicht mehr einförmig flach, sondern vielfältig verziert, das Licht bricht sich an ihnen in kleinen, geschliffenen Rillen. Der Spiegel wird zu einem dekorierenden Ausstattungsstück. Das Spiegelkabinett, wie man diesen Raum nennen könnte, enthält nicht nur die bekannten Silberspiegel mit den schönsten Schlifformaten, sondern auch eine Serie neuartiger Spiegel, die keinen Silbergrund haben. Der Silberspiegel wirkt weiß, jahrhundertelang freute man sich daran und war zufrieden. Mode, Werbung und Anforderungen der Industrie haben den bunten Spiegel entstehen lassen. Der Erfinder erzählt uns, wie die Buntverspiegelung allmählich verwirklicht wurde. Da Erfahrungen und ein erprobtes Verfahren fehlten, nahm man zunächst anstelle des farblosen Glases buntes Glas, etwa das gelbe Rauchtopasglas. Nach zahlreichen Versuchen gelang es dann, die Buntverspiegelung am farblosen Glas genau so anzubringen wie die Silberverspiegelung. Das Ergebnis überrascht: Dort hängen Kupferspiegel; man könnte meinen, soeben sonnenverbrannt aus dem Urlaub gekommen zui sein, so farbenkräftig gesund sieht man sich in der getönten Spiegelfläche. Daneben zieren Goldspiegel die Wände. Sie wirken in ihrem seltsamen Leuchten und ungewohnten Glanz wie Zauberspiegel. An einer Seitenwand sind zwei gleichgroße Spiegel nebeneinander angeordnet. Beide werfen das gleiche Bild — ein weiß gestri15
chenes Haus draußen vor dem Fenster — zurück. Im linken Silberspiegel blendet uns das Spiegelbild. Im rechten Spiegel ist die Blendung wie weggewischt, das Bild des Hauses wird gedämpft zurückgeworfen. Es ist ein Bleispiegel, der immer mehr zum Freund vor allem der Kraftfahrer wird; denn er nimmt als Auto-Bückspiegel fast alle Blendung weg. Ein nachfolgendes Fahrzeug kann nachts mit seinen Scheinwerfern keinen Autofahrer mehr stören. Wir kehren in den Hauptraum des Forschungsinstituts zurück, um eine lange Beihe von großen Gläsern anzusehen, die schmucke Schildchen mit zahlreichen chemischen Bezeichnungen tragen. Der uns begleitende Chemiker erklärt dazu: „Bis vor zwanzig Jahren, ehe die moderne Spiegelbelegung im Kaltverfahren bekannt war, bereitete sich jede Spiegelbelegerei ihre Lösungen unter größter Vorsicht selbst zu. Seitdem der dreiteilige Gießtopf oder die großartige dreiteilige Spritzpistole ein gefahrloses Arbeiten erlaubt, sind einheitliche Lösungen geschaffen worden, die den Abschluß einer langen Entwicklung in diesem Gewerbezweig bilden. Wir sind stolz darauf, daß heute nach den deutschen Bezepten in den meisten Ländern der Erde Spiegel belegt werden." Seit 1200 Jahren soll es belegte Glasspiegel geben. Blei, Zinn, Quecksilber, Silber zauberten, auf Glasscheiben gebracht, dem Menschen sein Antlitz entgegen, malten für beliebige Augenblicke sein Ebenbild, ja „filmten" ihn, wenn er sich bewegte. Justus von Liebig erfand den Silberspiegel, die Erfinderfamilie Ermes nahm der Spiegelherstellung die Gefährlichkeit und schuf mit den echten Buntverspiegelungen unter Anwendung von Kupfer, Gold und Blei die modernste Verwendung der Spiegel im Hause, in gewerblichen Betrieben und im Verkehr. Bis heute hat der Spiegelhersteller stets Glas als durchsichtigen Halt für seine Metallschicht verwendet. Die Chemiker im Spiegelforschungsinstitut haben begonnen, auch Verspiegelungen von durchsichtigen Kunststoffen vorzunehmen. Der allgemeinen Verwendung steht noch der hohe Preis entgegen, Glas ist vorläufig noch billiger.
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SEBASTIAN
MÜNCHEN
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ÖLTEN
Hinter Spiegelscheiben . . . Herbstabend in einer Stadt 1 Nach einem sonnenreichen Tage senkt sich die Dämmerung hernieder. Die ersten Lichter der öffent-' liehen Beleuchtung flammen auf. Auch von innen erhellen sich die Straßen, die Geschäfte schalten ihre Beleuchtung ein. Der Verkehr ebbt ab. Die Menschen haben es nicht mehr eilig. Sie machen den beliebten Schaufensterbummel, wollen bei Licht betrachten, was an schönen Dingen in schöner Form und Aufmachung hinter Spiegelscheiben ausgebreitet liegt. Die Scheiben aus „Spiegelglas" haben mit den Schauspiegeln des vorangegangenen Kapitels nur das eine gemeinsam, daß auch die Glasplatten für Spiegel meist hochwertiges Spiegelglas sind. Spiegelglas hat seinen Namen von der „spiegelglatten" Oberfläche, die der Glasmacher diesem Flachglas in kostspieligen Arbeitsgängen gegeben hat. Auch die Spiegelscheibe ist ursprünglich nichts anderes als eine gezogene, gegossene oder gsblasene Platte aus dem Schmelzofen. Aber sie ist ausgewählt aus vielen. Nur ganz fehlerfreie Gläser können zu Spiegelglas weiterverarbeitet werden. Auf großen Schleiftischen wird ihnen der nötige Schliff, auf ebensogroßen Poliertischen der Hochglanz gegeben. Dabei geht oftmals viel an Glasmasse verloren; bei gegossenen Scheiben werden bisweilen auf jeder Seite zwei Millimeter Dicke heruntergeschliffen, bis die gewünschte spiegelnde Glätte erzielt ist, die eine Schaufensterauslage so verlockend macht. An einer Straßenecke ist ein Gasthausfenster durchleuchtet, es schimmert gelbliches Licht hindurch, wir sehen Blasen im Glas. Es ist Antikglas und ahmt die Technik früherer Jahrhunderte nach, als Blasen und Verfärbung noch aus dem handwerklichen Unvermögen stammten, wasserklares Glas" anzufertigen. Was einst Fehler im Glas waren, dient beim Antikglas dem Schmuck. Neben der Gaststätte gaukelt uns die Glastür eines Bäckerladens Winterkälte vor; die Glasscheibe ist mit Eisblumen bedeckt. In einem neu entstehenden Laden auf der andern Straßenseite sind noch Handwerker tätig; sie bauen Glas und abermals Glas auf zu immer schöneren Einrichtungen. Das neue Geschäft hat seine großen Schaufensterscheiben oben schräg nach vorn geneigt, um die Spiegelung des Glases möglichst auszuschalten. 17
Immer aufs neue verwandelt sich der Rohstoff Glas. Der Hang zum Schönen feiert in unsern Städten gläserne Triumphe. All diese Gläser, die beim Gang durch die abendliche Lichterstadt glänzen und gleißen, die Gläser an den erleuchteten Hausnummern, den Leuchtschildern, an Lampenverkleidungen und tausend anderen Dingen waren einmal das schlichte, blanke Tafelglas der Glashütte und haben als Rohglas oder Halbfabrikate die Glashütte verlassen. In drei „Richtungen" kann die Veredelung dieses Tafelglases vor sich gehen: Plastisch: durch Profilieren, durch Wölben oder als Antikglas; durch Abtragung: mechanisch durch Schleifen oder Mattieren, chemisch durch Ätzen; durch Auftragen: durch Versilbern zu Spiegeln, als Schild- oder Glasmalerei, als Verbundsicherheitsglas, bei dem Glasplatten mit Zwischenschichten von Celluloseacetat oder Zelluloid verklebt werden, so daß Splitter „gebunden" werden. Die Veredlungstechnik für Tafelglas hat einen solchen Umfang angenommen, daß heute im Glasveredlungshandwerk der Nachwuchs einen besonderen Lernzweig zugewiesen erhält. Wir können unmöglich alle Werkstätten besuchen, nicht einmal in einer einzigen alle Verrichtungen beschreiben, die zur Vielfalt veredelten Tafelglases führen. Begnügen wir uns mit einem Dberblick: Glas wird profiliert, wenn ihm eine Form gegeben wird, die von der ebenen Tafel abweicht. Ein Tischlermeister fordert fein oder grob geripptes Glas an; eine andere Werkstätte wünscht gewelltes Glas. Diese Veränderung erfolgt oft schon im Ziehvorgang mit Hilfe von formenden Geräten, also bereits dann, wenn der Glasfluß aus dem Ofen der Glashütte noch verformungsfähig ist. Soll das Glas matt sein, so wird die feuerblanke Oberfläche mit einem Sandstrahlgebläse bearbeitet, das Körnchen bis zu 35 Hundertstel Millimeter Größe aus der glatten Fläche herausbricht. Soll das mattierte Glas außerdem noch ein Muster erhalten, so wird eine Zinkblechschablone mit dem Muster aufgelegt. So entstehen viele gemusterte mattierte Scheiben für Büros und Wohnungen. Interessant ist es, bei der Herstellung der seltsamen Eisblumen auf den mattierten Gläsern zuzuschauen. Das Mattieren mit dem Sandstrahlgebläse ist hier die Vorstufe zur eigentlichen Veredelung. ••3
Der Meister bestreicht die mattierte Fläche mit Tischlerleim. Der Leim setzt sich in der durch den Sandstrahl aufgerauhten Glasfläche fest. Das so behandelte Glas verbleibt nun einige Zeit in einem gewärmten Trockenraum. Bei der Trocknung gibt der Leim das Wasser ab, schrumpft, und in der Leimschicht entstehen Risse. Mit fortschreitender Trocknung zerkrümelt der Leim, blättert ab und reißt die ihm anhaftenden Teilchen aus der Glasoberfläche heraus. Es bilden sich Muster, die den Eisblumen täuschend ähnlich stehen. Geschieht die Trocknung im Wärmeraum bei größerer Hitze schnell, so werden die Eisblumen groß. Erfolgt die Trocknung langsam, so ergeben sich die kleineren Eisblumenmuster. Für eine ausgeglichenere und gleichmäßig durchscheinende Mattierung wendet der Glasveredler das Säureätzen an. Er nimmt dazu Fluorwasserstoff, der auch Flußsäure heißt. Durch das Ätzen wird eine ganz feine Schicht der Glasoberfläche abgetragen. Verschiedenfarbige Glasteile, die in Nachahmung alter, bunter Kirchenfenster zu „Bleifenstern", Glasmalereien, veredelt werden, faßt man nach einem durch Künstlerhand entworfenen Muster einzeln in Bleistreifen. Die vielen Farbteile klingen dann im durchstrahlenden Licht zur Gesamtwirkung, einer Farbsymphonie ,oder einem Farbgemälde zusammen. Auch durch Ätzen können in Fenstern malerische Wirkungen hervorgezaubert werden. Um die Muster hineinzuzeichnen, wird die Fläche nicht mehr gleichmäßig mattiert, sondern in viele matte Töne zerlegt, die man auf chemischem Wege wie bei einer gröberen Ätzung erzielt. Es ist eine mühsame Arbeit, die höchste Kunstfertigkeit erfordert. Dank der verschiedenen Lichtdurchlässigkeit erscheint die geätzte Zeichnung des Künstlers als eine Komposition von Licht- und Schattentönen in der schimmernden Fläche der Scheibe. Als wir nach dem Besuch der Ätzwerkstatt beim Glasradierer vorsprechen, hat er eine Serie Künstlerzeichnungen um sich ausgebreitet. Sie zeigen Adler, ziehende Wildgänse, Wappen und stilisierte Blumen. Die Zeichnungen ritzt er in die Glasscheiben ein. Schon schnurrt sein Handwerksgerät, das dem Bohr- und Schleifgerät eines Zahnarztes ähnlich sieht. Der Glasradierer faßt mit der rechten Hand den Griff, der einen kleinen Elektromotor verbirgt. Die linke Hand hält er „fühlend" unter das Schleifrad, das 19
auf einer biegsamen Welle sitzt. Die Glasplatten, die er bearbeitet, sind 2 bis 8 Millimeter dick. Wie ein Maler führt er seine ,,Pinselstriche" aus. Unter seiner formenden Hand entstehen eingravierte Nachbildungen der Motive, die ihm der Künstler vorgezeichnet hat. Die Familie des Tafelglases (Flachglas) Dicke in mm Dünnglas : 0,8—1,2 1,2-1,5 Fensterglas: (Bauglas) 1,8—2,0 2,8—3,0 3,6—4,0 Dickglas: 4,0—5,0 5,0—7,0 über 7,0
Verwendung Objektträger beim Mikroskop Scheiben für Feuermelder, Schutzbrillen Trockenplatten für Fotos, Bilderglas Sicherheitsglas Fensterscheiben, Gartenglas, Spiegel Standuhren, Schilder; noch für Spiegel Möbelglas, Fahrzeugglas, Schleifglas Autoglas; Möbelglas Ladeneinrichtungen, Thekenplatten Schiebetüren, Schleifglas Schleifglas zur Weiterverarbeitung durch Schleifen, Ätzen und Radieren
Der Glasbläser Eine Festtafel ohne J31as ist undenkbar. Die funkelnden Lichter der Gläser verbinden sich mit dem farbigen Leuchten der Blumen, dem Schimmern des Porzellans und dem Silberglanz der Bestecke. Die erlesenen Formen der spitzkegeligen, geschliffenen Schaumweingläser, der bauchigen Kelche für den Rotwein, der hochstieligen Weißweingläser wetteifern mit dem zarten Gewebe der Blüten, die über den weißen Damast gestreut sind. Aus schlanken, braunen und grünen oder aus zylindrischen Flaschen ergießen sich die köstlichen Getränke. 20
Glasbläser bläst eine Christbaumkugel
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Auch der Weg dieser Gläser und Flaschen hat in einer Glashütte begonnen. Ihre Herstellung ist Aufgabe der Glasbläserei oder der Glasblasmaschinen. Das Glasblasen ist ein uraltes Handwerk. Vor fünftausend Jahren schon haben altägyptische Glasmacher auf diese Weise die flüssige Glasmasse verarbeitet. Formende Kraft ist neben dem Geschick der Hände die Lungenkraft. Wie ein Kind mit der Tonpfeife und dem Seifenwasser die schillernden Seifenblasen „erbläst", so pustet der Glasbläser mit seiner „Pfeife" Glasblasen zu schön geformten Gläsern, Kolben, Flaschen, Vasen und Schmucksachen. Im Raum der Glasbläser steht kein Wannenofen, sondern noch der „Backofen" mit vielen einzelnen Glashäfen aus hartem Ton, die das geschmolzene Glas enthalten. Durch Öffnungen in der Ofenwand kann der Glasbläser mit seiner Glasmacherpfeife aus den Häfen soviel Glasmasse entnehmen, wie er für ein Werkstück braucht. Die Glasmacherpfeife ist ein schlankes, eisernes Rohr von etwa anderthalb Meter Länge, zum Schutz gegen die Hitze oben mit einem Holzmantel umkleidet. Das obere Ende zeigt das Mundstück zum Blasen, das untere eine Verstärkung, die der Glasbläser „Nabel" nennt. Den Nabel taucht er in den Glasfluß, und wie man Honig aus einer Honigschale durch ständiges Drehen in gewünschter Menge herauslöffelt, so macht es der Glasbläser mit dem halbflüssigen, heißen Glas. Der „Posten Glas" windet sich um den Nabel und bleibt daran hängen. Damit er nicht herabtropft, wird die Pfeife auch jetzt noch ständig gedreht. Ist die eiserne Pfeife zu schwer, so stützt sie der Glasbläser, während er bläst und dreht, auf einer eisernen Gabel über einem Kühltrog. Auf dem gegenüberliegenden Rand des Kühltroges liegen zwei schalenförmige Formen, die Motzen. Es sind eiserne oder hölzerne Klötze, die verschieden gestaltete Vertiefungen aufweisen. Jeder Glasbläser hat eine Serie Motzen zur Hand. Er benutzt sie der Reihe nach, indem er dasi Näbelende, während er dreht und bläst, mit dem Posten Glas hineinhält; bei der ersten Motze rundet sich der Glastropfen nur etwas, bei der zweiten bekommt er schon die vollere runde Form. Immer wieder' bläst der Glasbläser Luft in seine Pfeife und pustet den Glaspfropfen immer kräftiger auf. Zuletzt ist eine geschlossene hohle Birnenform entstanden, das „Külbchen". Durch das ständige 22
Drehen und Wälzen in der Motzenform unter gleichzeitigem Blasen verteilt sich die Masse so regelmäßig, daß das werdende Glas die gewünschte Wandstärke zum Beispiel eines Weinglases erhält. Damit ist die Vorform hergestellt. Jetzt erfolgt die feinere Formgebung, es entsteht die Fertigform. Das Külbchen hat sich beim Vorformen abgekühlt, es muß von neuem erwärmt werden, damit es wieder geschmeidig wird. Denn nun soll es in der Gußeisenform, die aus mehreren, durch Scharniere zusammengehaltenen Formteilen besteht, zu dem gewünschten Gebilde, dem Glaskelch, werden. Noch ist die Form offen, das Külbchen wird vom Glasbläser hineingehalten. Wir sehen, wie es sich durch die eigene Schwere langsam zum Boden der Form hinabzieht. Die Form wird nun geschlossen. Der Glasbläser bläst nun so lange, bis die eiserne Form Halt gebietet. Durch kleine Öffnungen entweichen Luft und Verbrennungsgase aus dem Innern. Zarter Rauch steigt auf. Noch hängt der fertiggeformte Glaskelch am Nabel. Der Stiel wird angeschmolzen, der Fuß des Glases entsteht auf die gleiche Weise. Der Glasbläser greift zu einer Blechschablone und mißt die Höhe des Glases ab, damit alle Gläser derselben Serie die gleiche Höhe erhalten. Wir begleiten das nunmehr klar erkennbare aber noch nicht erstarrte und oben noch geschlossene Glas zum Formtisch. Hier sind die Formen der Gläser hohl eingearbeitet, und hier erst kann die Trennung des Glases vom Nabel vor sich gehen. Im Formtisch bleibt das Glas, das noch immer heiß ist und zusammensacken könnte, bis es völlig erkaltet. Wir treten zur Schneidemaschine hinüber. Das Weinglas ist oben immer noch eine geschlossene Birne. Die gläserne Rundkappe muß abgeschnitten werden. Auf der Drehscheibe wird dem Glas durch eine feine Nadel der Trinkrand angeritzt. Heiße Verbrennungsgase lösen zuletzt, was überflüssig ist. An der Verschmelzmaschine wird der scharfe Rand mundgerecht gerundet. Nach der Abkühlung nehmen wir das fertige Glas zur Hand. Es klingt, wenn wir damit anstoßen. Soll es noch Ziermuster bekommen, so beginnt die weitere Verarbeitung, das Schleifen oder Ätzen. Soll es ein farbiges Glas werden, etwa ein festlicher Römer, dann muß die Farbe — es sind Metalloxyde — schon dem Glasfluß beigemischt sein. 23
Auch in der Gläserherstellung ist die Maschine im Vormarsch. Es gibt Glasblasemaschinen, bei denen die Glasbläserpfeife nicht durch den Mund des Glasbläsers angeblasen wird, sondern durch Preßluft. Auch elektrische Birnen werden mit Preßluft geblasen. Eine vollautomatische Glasblasemaschine mit 24 Mundstücken, die mit einer einzigen Preßluftleitung betrieben wird, kann in 24 Stunden 45 000 Lampengläser für elektrische Birnen herstellen.
Blasen einer Flasche mit Hilfe der Form
Bei den Weinflaschen geht die Herstellung viel gröber zu. Das entstehende Flaschenglas nennt der Glasmacher Preßglas. Es wird in eine Form gegossen. Ein Stempel drückt den Glasfluß an die Wände der Form. Auch hier ist die Herstellung in zwei Arbeitsgängen, Vorform und Fertigform, unterteilt. In einem einzigartigen Museum, der „Formsammlung der Stadt Braunschweig" mit ihrer Fülle an Gläsern und Glasflaschen der unterschiedlichsten Gestalt kann man einen Blick tun in die Kulturgeschichte der Bläserkunst, denn der Arbeit des Glasbläsers geht die Arbeit des Künstlers voran. Von ihm stammen die Entwürfe für alle anspruchsvolleren Erzeugnisse. Unerreicht ist an edelsten Schöpfungen das 17. Jahrhundert. Zwar sind die Gläser dickwandig, wie es auch noch Goethes Trinkgläser sind, von denen hier in der Vitrine eine ganze Reihe beisammen steht. Aber jedes Stück zeugt von hoher Meisterschaft. Schlecht heben sich dagegen die 24
Gläser einer späteren Zeit ab, als man meinte, die „ K u n s t " bestände in vielen Verschnörkelungen, die man der einst glatten Außenwand der Gläser aufdrängte. In unserer Zeit hält sich der gute Geschmack wieder an die unübertrefflichen alten Vorbilder. Die Gläser sind dünner geworden, doch ihr Aussehen ist wieder maßvoll wie einst. Prof. Walter Dexel, der diese einzigartige Sammlung für Glas, Metall und Porzellan zusammengetragen hat, hat diese Form „Hausgerät, das nicht veraltet", genannt.
Brillen, Linsen, Prismen Man schreibt das Jahr 1654. In der kleinen holländischen Stadt Middelburg sitzen die Richter in den mächtigen Amtsperücken der Zeit bei einer merkwürdigen Verhandlung. Schon lange beschäftigt der Prozeß die Gemüter; denn die Sache, über die entschieden werden soll, liegt schon über 50 Jahre zurück. Es geht um die Frage, ob ein gewisser Zacharias Janssen mit seinem Sohne Johann Zacharias wirklich aus einer Sammellinse und einer Zerstreuungslinse das erste Fernrohr hergestellt hat, oder ob es vielleicht der Brillenmacher Johann Lipperhey gewesen ist, der solche Röhren zuerst in den Handel brachte. Noch ein dritter wird als Erfinder des Fernrohrs genannt: der italienische Physiker und Astronom Galileo Galilei, der auf Grund von Nachrichten aus Holland dank eigener mathematischer Berechnungen ebenfalls einen solchen „Fernseher" konstruiert hat. Man weiß, daß Galilei sechs Tage nach Fertigstellung seines Gerätes nach Venedig gereist ist und das kostbare Stück dem überraschten Dogen Leonardo Donati zum Geschenk gemacht hat. Zur Anerkennung hat der Rat von Venedig dem großen Gelehrten das Gehalt um das Dreifache erhöht. Bei dem Prozeß darf auch der Mathematiker und Astronom Johannes Kepler, Hofastronom zu Prag, nicht übersehen werden, der zwar Fernrohre nur beschrieben, sie jedoch von Christoph Scheiner hat bauen lassen. Schließlich muß auch an Fracastoro gedacht werden, der im Jahre 1553 gestorben ist und die Verbindung zweier Linsen zum „größeren und näheren Sehen" schon vor mehr als hundert Jahren anregte. 25
Für das Gericht zu Middelburg ist es eine sehr harte Nuß, in diesem „Urheberrechtsprozeß" um das Fernrohr ein wissenschaftlich und juristisch einwandfreies Urteil zu fällen. Das Gericht hat entschieden, daß die Erfinder des Fernrohrs Zacharias Janssen und sein Sohn gewesen sind, und daß die Erfindung um das Jahr 1590 in Middelburg erfolgt ist. Man habe nur deshalb so längs nichts von dem Zauberrohr erfahren, weil auf Befehl des Prinzen Moritz von Nassau das Fernrohr Janssens geheim gehalten werden sollte, da das Gerät militärischen Wert habe. Als das Geheimnis dann bekannt geworden sei, habe der im Prozeß genannte Brillenmacher Lipperhey die Fernrohre nachgebaut und in größeren Mengen verkauft. Schon 1608 habe er sie durch Holländer auf der Michaelimesse zu Frankfurt am Main anbieten lassen, wo sie beträchtliches Aufsehen erregt hätten. Schyrl de Rheita verbessert bald danach das Ganze, indem er zwei Fernrohre — für jedes Auge eines — nebeneinanderstellt und so den ersten Feldstecher konstruiert. Über hundert Jahre nach dem Prozeß um die Erfindung des Fernrohres wirkt in Rathenow an der Havel Pfarrer Duncker. Seine Liebhaberei ist es, Brillengläser zu schleifen, mit deren Verkauf er zugleich seine bescheidenen Einkünfte aufbessern kann. Während Janssen sein Fernrohr nicht „errechnet" hat, sondern es aus den Erfahrungen der Werkstattpraxis erfand, arbeitet Pfarrer Duncker nach den Gesetzen der Optik. Auf dem Dachboden seines Pfarrhauses gründet er die erste deutsche Brillenglasschleiferei auf wissenschaftlicher Grundlage. Seither ist Rathenow als Sitz einer Brillenglas- und Brillenfassungsindustrie weltbekannt geworden. Viele andere Fabrikationsorte und viele Theoretiker der Brille sind seitdem hinzugekommen. Um 1250 erwähnen die Minnesänger bereits die „Berille", den Lesestein aus geschliffenem Quarz, aus Bergkristall oder aus dem Halbedelstein Beryll. Den Beryll meinten die Minnesänger, wenn sie von der „Berille" berichteten. „Brille" ist daraus entstanden. Seit der Mitte des vorigen Jahrhunderts ist die Korrektur von Augenfehlern durch Brillen eine Wissenschaft, die von zahlreichen Forschern bis zum heutigen Stande ausgebaut wurde. Für Fernrohr, Mikroskop, Brille, Photolinsen und viele andere seither in die technische Entwicklung einbezogenen optischen Ap26
paraturen wird ein verbessertes „optisches Glas" verwendet. Es ist eine neue Form der Glasveredelung, die zu den geistvollsten Erzeugnissen aus dem Rohstoff Glas geführt hat. Auch optisches Glas kommt aus der Glashütte. Als Rohmaterial für jedes Brillenglas und für jede Linse dient gutes Tafelglas. Der Optiker nennt es Kronglas. Seine besonderen Eigenschaften sind niedrige Brechung des Lichtes und geringe Farbenzerstreuung. Bevor das Tafelglas zur Verarbeitung kommen kann, wird es noch einmal erwärmt und anschließend langsam abgekühlt, um jede innere Spannung auszuschließen. Noch ist das Kronglas flach. Damit eine Linse zustandekommt, muß es gerundet und durchgebogen werden. Ein Durchmesser von 48 Millimetern gibt die Norm für das werdende Brillenglas. Das gerundete Stück wandert in den Preßofen. Hier wird es erwärmt und erweicht. Preßformen verschaffen ihm die Wölbung. Durch dieses Formpressen lassen sich dünnere Glasplatten verwenden, und man erspart eine Menge Schleifarbeit. Der Glasmacher nennt die Einzelstücke der werdenden Gläser Rohlinge. Mit der rohen Formgebung ist seine Arbeit in der Glashütte beendet. Er gibt die Rohlinge an das optische Werk weiter, dessen Standort mitunter recht weit von der Glashütte entfernt sein kann. Wir stehen im Schleifereisaal des optischen Werkes. Hier sehen wir die Rohlinge wieder. Sie sind inzwischen mit Pech auf eiserne Kugelschalen gekittet worden. Eine zweite Kugelschale wölbt sich darüber, dazwischen befinden sich der mit Wasser angerührte Schmirgel. Während die untere Schale sich ständig dreht, führt die obere Schale eine Hin- und Herbewegung aus. Anfangs wird grober, dann immer feinerer Schmirgel verwendet. Der Schmirgel kommt meist aus den Gruben der griechischen Insel Naxos, wo der Abbau der Lager staatliches Monopol ist; im Schlämmverfahren wird er für das Schleifen des optischen Glases vorbereitet. Beim Schlämmen sinken die gröberen Teilchen nach unten, während sich das feinste Schmirgelpulver am längsten an der WasseroBerflächc hält. Nach Beendigung des Schleifprozesses sieht man auf den beiden Glasseiten des entstehenden Brillenglases oder der Linse feinmattierte Flächen. Sie müssen hochglänzend werden. Auch für diesen Arbeitsprozeß 27
KOnstlerhände formen kostbare Glasgebilde
benutzt man die Eisenschalen. Statt des Schmirgels tritt nun ein Poliermittel in Tätigkeit, zumeist ist es Polierrot, das Eisenoxyd, ein äußerst feines, rotes Pulver. Mit der Lupe wird der Poliervorgang laufend kontrolliert. Sobald eine Glasfläche poliert ist, geschieht das Umkitten für die andere Glasfläche. Die glänzend polierten Brillengläser treten den Weg zum Optiker an, der nach dem Brillenrezept des Augenarztes oder nach dem eigenen Untersuchungsbefund die Brillengläser in die Form 28
bringt, wie sie der Patient braucht. Dem Optiker stehen in seiner Werkstatt ausgezeichnete Präzisionsmaschinen zur Verfügung, um alle noch notwendigen Schleifungen und Bohrungen vorzunehmen. Brillenglas ist nur ein Teil in der kaum übersehbaren Reihe der optischen Gläser. Für die Feldstecherprismen wird Glas mit besonders hoher Brechung der Lichtstrahlen und geringster Farbenzerstreuung verwandt, Kronglas mit Baryt. In den Glasfabriken müssen alle Stücke, die nicht gleichmäßig und frei von Fehlern sind, ausgeschieden werden. Entscheidend ist die langsame Abkühlung. Die Herstellung optischer Gläser ist eine Wissenschaft für sich. Jahrhundertelang haben Forscher die wissenschaftlichen und technischen Grundlagen für optische Gläser erarbeitet und immer neue Geräte für ihre Herstellung erfunden. Die Entwicklung steht nicht still, da neue Erkenntnisse hinzukommen und weitere praktische Anwendungsgebiete erschlossen worden sind. Gemälde aus Glas In einer einzigen Werkstatt für Glasmosaiken, die farbige Glasstückchen als Arbeitsmaterial verwendet, gibt es bis zu 30 000 verschiedene Glasfarbtöne, die in unzähligen Schalen aufbewahrt werden, über 800 verschiedene Goldtöne sind darunter. Die Herstellung der Mosaikgläser geht in einem kleineren Schmelzofen vor sich. Arbeiter rühren die Glasmasse. Hier herrscht noch nicht die Industrietechnik, hier hat das Handwerk noch seinen goldenen Boden. Ein Arbeiter bringt Glasfluß aus dem Schmelzofen mit einem Schöpflöffel auf eine Presse. Ein Glaskuchen entsteht. Ist er erkaltet, so beginnt ein vorsichtiges Klopfen und Ritzen. Größere Stücke splittern ab. Auf einem kleinen Amboß können die Stücke auf die gewünschte Größe gebracht werden. Zu jeder Farbe gehört eine besondere Mischung des Glasflusses. Die Färbung rührt von den beigemischten Metalloxyden her. Aus Kupfer ist das Rot entstanden, aus Kobalt das Blau, aus Mangan das Schwarz oder Violett, aus Eisen das Gelb. Wie die abweichenden Farbschattierungen innerhalb der Farbgruppen entstehen, bleibt meist das Geheimnis dieser Glasmacher. Beim Gold aber dürfen 29
wir zuschauen, denn hier handelt es sich nicht um ein Metalloxyd, sondern um wirkliches Gold, das in dünnen Plättchen auf eine dünne Glasfolie geklebt wird. Wir beobachten, wie die Folie im Ofen schmilzt und als Glaskuchen herauskommt, der zur Presse wandert. Unter dem Deckelglas der Presse verbindet sich das Glas völlig mit dem Gold. Goldglas ist das Ergebnis. In der Werkstatt ist der Entwurf für ein Wandbild ausgestellt, das ein Rathaus schmücken soll. Es ist eine Szene, die augenscheinlich der Geschichte der Stadt entnommen ist. Alles ist in leuchtenden Farben gehalten, viel Gold ist vorgesehen. Die fertige Glasmalerei wird sich aus vielen farbigen Glasstückchen zusammensetzen. An einem der großen Tische wird Pauspapier über den Entwurf gebreitet und der Bildentwurf durchgepaust. Die Pause wird dann in einzelne Teile zerschnitten. Jeder Teil wandert auf einen Tisch, auf dem zahlreiche Schalen mit den sortierten farbigen Glasstückchen bereitstehen. Die Kunstarbeit des Mosaizisten kann beginnen. Es ist der Mann, der den Entwurf des Künstlers in Glassteine, in Glasmosaik, umsetzen soll. Der Farbentwurf dient ihm als Muster. Geschickt greift er sich die farbpassenden Steine heraus, macht sie paßecht und klebt sie mit der farbigen Schauscitc auf dem entsprechenden Pauspapierausschnitt fest. Kunsthandwerker an den Nebentischen haben andere Teile in Arbeit. Einzelteile des künftigen Mosaikes werden also bereits in der Werkstatt zusammengefügt und auf Papier geklebt, das Hunderten von Glasstückchen einen vorläufigen Halt gibt. Vorsichtig werden die Bildteile mit den anklebenden Mosaikflächen zum Rathaus hinübergebracht, dessen Großer Sitzungssaal mit dem farbigen Gemälde geschmückt werden soll. Im Großen Saal werden die Einzelteile des Mosaiks auf dem Fußboden ausgebreitet. Sie sind bereits so geordnet, wie sie nachher auf die Wandfläche aufgebracht werden sollen. Wir sehen vorerst jedoch nur die Rückseite des Mosaiks, die Schauseite ist noch mit dem Papier verklebt. Handwerker haben inzwischen die Wand und die Rückseite des Mosaiks mit einem Feinputzauftrag versehen. Teil für Teil wird, unten beginnend, in den Putz eingepaßt und festgedrückt. In mühsamer Arbeit schließt sich die Fläche. 30
r Dann folgt die „Enthüllung". Das Papier wird vorsichtig Stück um Stück gelöst, das Bild kommt in seiner ganzen Größe zum Vorschein. Die weitere Arbeit besteht im Reinigen von den Leimresten, im Waschen, Polieren und Nachdrücken, bis der Gesamteindruck den Kunsthandwerker und den Künstler, der den Entwurf geschaffen hat, befriedigt. Mosaiken betrachtet man von weitem. Das Auge verbindet selbst die einzelnen Farbtöne zum Gesamteindruck. Die kräftige Hervorhebung der Figurenumrisse verdeutlicht den Bildinhalt. Die Kunst der Glasmosaiken ist jünger als die Mosaikherstellung mit farbigen Natursteinen, die zerkleinert, geschliffen und poliert werden. Steinmosaiken gab es schon im alten Orient und im klassischen Griechenland. Meister in dieser Kunst waren die Römer und Byzantiner, die ihre Paläste, öffentlichen Gebäude und reichen Privathäuser und in christlicher Zeit auch die Kirchen mit großartigen Werken der Steinmosaikkunst schmückten. Erst um 400 n. Chr. entstanden in Rom und Ravenna die frühesten Glasmosaiken, deren Farbenvielzahl der Mosaikmalerei neue, vielfältigere Ausdrucksmöglichkeiten erschloß, als sie das Steinmosaik zuließ. Italienische Meister führten im Mittelalter die Tradition fort. In der Domkirche San Marco in Venedig schufen sie die an Fläche größten Glasmosaiken. In Deutschland besaßen Danzig und Marienwerder die frühesten Mosaikbilder aus Glas. Die Herstellung des farbigen Glasflusses war später lange Zeit vergessen. Um das Jahr 1890 erst gelang es dem Maler Wigmann und seinen Mitarbeitern nach jahrelangen Versuchen, wieder farbig getönte Glasflußstücke zu schmelzen. Singendes Glas Als die Lichter im Konzertsaal verlöschen, hebt vom Podium her ein zartes Singen an. Ist es eine Äolsharfe, wie sie der Wind in alten Parks zum Erklingen bringt? Zirpt ein Heimchen? Ist es eine Gavotte, die da zierlich musiziert? Der Abend bietet ein geschlossenes Konzertprogramm mit Beethoven, Gluck und Mozart. Das Licht flammt wieder auf. Wir treten an das Instrument heran, eine Truhe, die aussieht wie ein Spinett. Tasten sind nicht 31
vorhanden, Saiten auch nicht. Lächelnd läßt der Künstler, der einzige, der in Deutschland das seltsame Instrument noch meistert, seine beiden Hände über das Instrument gleiten. Die Finger springen hierhin und dorthin, in rhythmisch kleinen Kreisen. Von Zeit zu Zeit taucht der Meister die Fingerspitzen kaum merklich in ein Glas mit klarem Wasser. Das geht so schnell vor sich — das Kreisen, das Eintauchen in regelmäßiger Folge —, daß niemand merkt, mit welcher Meisterschaft hier „Musik gemacht" wird. Die kleine Sondervorführung ist beendet. Wir dürfen das Musikgerät nun näher betrachten. Der Kasten enthält nichts, was irgendwie an eines der herkömmlichen Instrumente erinnert. Man sieht nichts als Gläser, dicke, dünne, große und kleine. Wir zählen sechsundvierzig. Wenn der Spieler ihren oberen Rand mit den angefeuchteten Fingerspitzen kreisend berührt, erklingt die zarte, vielstimmige Musik. Das Instrument ist eine Glasharmonika oder Glasharfe. Dieses merkwürdige Musikgerät erfand der Amerikaner Benjamin Franklin, der auch den ersten Blitzableiter erbaut hat. Das war vor rund 200 Jahren. Dem zartgestimmten Rokoko wie dem empfindsamen Biedermeier war dieses „Musikinstrument" besonders willkommen. Es wurde zum Lieblingsinstrument der Frauen. Kein Salon wäre damals ohne eine Glasharfe denkbar gewesen. Mit dem Ende des Biedermeiers geriet die Glasharmonika in Vergessenheit, bis sie in unserer Zeit der Stuttgarter Meister Bruno Hoffmann wieder zum Erklingen gebracht hat. So schließt unsere Betrachtung des Glases als eines Werkstoffes des Schönen und der Technik mit einem vollendeten Wohlklang. In vielfacher Verwandlung begegnete, umgaukelte und bannte uns dieses glitzernde Etwas, das wir Glas nennen, und das doch nur ans gewöhnlichem Sande kommt. Bild auf der 2. Umschlagseite: Der Prüfer kontrolliert das fertige Glas auf Fehler und Unreinheiten UmschlaggestaUung: Karlheinz Dobsky Bilder: Ullstein
L u x - L e s e b o g e n 2 1 2 ( T e c h n i k ) — H e f t p r e i s 25 Pfg. Natur- und kulturkundliche Hefte - Bestellungen (vierteljährl. 6 Hefte DM 1.50) durch jede Buchhandlung und jede Postanstalt — Verlag Sebastian Lux, Murüau, München, Innsbruck, Ölten — Druck: Buchdruckerei Auer, Donauwörth
Durst... „Je kürzer der Hals, um so größer der Durst!" sagt ein afrikanisches Sprichwort. Darum trinken die Kamele so wenig und die Menschen in den Tropen so besonders viel . . . Vor allem S I N A L C O ! Auch bei uns trinkt ALT und J U N G das köstliche Erfrischungsgetränk
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