Atlan - Der Held von Arkon Nr. 200
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Atlan - Der Held von Arkon Nr. 200
Herrscher im Mikrokosmos Sie sind Wanderer zwischen den Universen - Atlan ist in ihrer Gewalt von William Voltz In einer Zeit, die auf Terra dem 9. Jahrtausend v.Chr. entspricht, steht es mit dem Großen Imperium der Arkoniden nicht zum Besten, denn es muß sich sowohl äußerer als auch innerer Feinde erwehren. Die äußeren Feinde sind die Maahks, deren Raumflotten den Streitkräften des Imperiums durch überraschende Schläge schwere Verluste zufügen. Die inneren Feinde Arkons sind Habgier und Korruption der Herrschenden, die – allen voran Imperator Orbanaschol III. – nur auf ihr eigenes Wohl bedacht sind und das Gemeinwohl völlig außer acht lassen. Gegen diese inneren Feinde des Imperiums ist der junge Atlan, der rechtmäßige Thronerbe und Kristallprinz von Arkon, der eine stetig wachsende Schar von verschworenen Helfern um sich sammeln konnte, bereits mehrmals erfolgreich vorgegangen. Gegenwärtig aber ist Atlan nicht in der Lage, den Untergrundkampf gegen den Usurpator und Brudermörder Orbanaschol persönlich weiterzuführen. Der Kristallprinz ist durch die Einwirkung einer neuen Geheimwaffe der Maahks in ein anderes Raum-Zeitkontinuum gelangt – in den Mikrokosmos. Und der Weg zurück aus dem Bereich des unendlich Kleinen führt nur über die HERRSCHER IM MIKROKOSMOS …
Herrscher im Mikrokosmos
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Die Hautpersonen des Romans: Atlan und Crysalgira - Der Kristallprinz und die Prinzessin in der Gewalt der Herren des Mikrokosmos. Vargo - Entdecker der Absoluten Bewegung. Mamrohn - Ein Rebell unter den Varganen. Kreton und Kandros - Beherrscher der Eisigen Sphäre. Magantilliken - Henker der Varganen.
1. Atlan Crysalgira wand sich aus meinen Armen und trat einen Schritt zurück, um mich nachdenklich anzusehen. »Ich liebe dich nicht«, stellte sie fest. »Es ist die Situation, die mich zu dir getrieben hat. Wenn wir jemals zurückfinden sollten, werde ich zu Sonnenträger Chergost zurückkehren.« Es war eine sehr schwache Form des Protests, und vielleicht hätte ich mich entschlossen, ihn zu ignorieren, aber in diesem Augenblick öffnete sich die Kabinentür, und ein bewaffneter Tejonther blickte zu uns herein. Seine gelben Augen richteten sich auf das Mädchen, so daß ich mich unwillkürlich fragte, ob ein Tejonther fähig war, die hinreißende Schönheit der Prinzessin zu erkennen. »Wir sind gelandet«, verkündete der Raumfahrer. Seine Worte wurden von einem kleinen Gerät übersetzt. »Sie werden das Schiff in wenigen Augenblicken verlassen.« Er trat zur Seite, um uns Platz zu machen. Jede seiner Bewegungen wurde von erhöhter Wachsamkeit diktiert; zu glauben, diesen Mann überrumpeln zu können, wäre ein gefährlicher Trugschluß gewesen. Der Tejonther führte uns in die Zentrale des Schiffes. Auf den Bildschirmen konnte ich erkennen, daß wir uns auf einem kleinen Asteroiden befanden. »Das ist die Gefühlsbasis!« erklärte der tejonthische Kommandant teilnahmslos. Ich fragte mich, warum ich weder Furcht noch Unbehagen empfand, vielleicht war dieser im Weltraum treibende Schlackehau-
fen nicht aktiviert. Ein Tejonther betrat die Zentrale und übergab Crysalgira und mir zwei Atemmasken und Isolationsanzüge. Ich überlegte, wie die Tejonther dieses Problem gelöst hätten, wenn ihre Körpergröße nicht der unseren entsprochen hätte. Mein Zeitgefühl sagte mir, daß der Flug von Belkathyr hierher zwei Tage arkonidischer Zeitrechnung gedauert hatte. Die Tejonther in der Zentrale machten einen sehr ungeduldigen Eindruck, sie schienen kaum erwarten zu können, uns endlich loszuwerden. Als wir die uns zur Verfügung gestellte Ausrüstung angelegt hatten, geleiteten uns zwei bewaffnete, ebenfalls mit Schutzanzügen bekleidete Raumfahrer zur Schleuse des Schiffes. Die Gangway war bereits herabgelassen. Meine Blicke suchten die zerklüftete Oberfläche des Asteroiden nach Anzeichen von Eingriffen einer raumfahrenden Macht ab, aber in der nur schwach erhellten Umgebung war nichts zu erkennen. Wahrscheinlich lag die eigentliche Gefühlsbasis im Kern dieses Körpers. Einer unserer Wächter ging voraus und wies uns den Weg, der andere bewegte sich mit schußbereiter Waffe hinter uns. Dieser Aufwand erschien mir übertrieben, nur ein Selbstmörder hätte hier einen Fluchtversuch unternommen. Da zu unserer Ausrüstung kein Sprechgerät gehörte, konnten wir uns mit den Tejonthern nur durch Handzeichen verständigen. Ich bedauerte auch, daß ich mich nicht mit Crysalgira in Verbindung setzen konnte, denn ich hätte gern mit ihr über die Ereignisse gesprochen, die uns erwarteten. Zielsicher bewegte sich der Tejonther an der Spitze in eine enge Schlucht. Die beiden
4 Wächter schalteten tragbare Scheinwerfer ein und leuchteten den Boden ab, damit wir Unebenheiten und Spalten besser erkennen konnten. Sie werden euch an jene Macht übergeben, die eure Hinrichtung auf Belkathyr verhindert hat! meldete sich mein Extrahirn. Ich überlegte, was uns für die Unbekannten so interessant machte. Niemand wußte, daß wir aus dem Makrokosmos kamen. Es war sinnlos, mit den Tejonthern darüber zu sprechen. Wie sollte ich ihnen begreiflich machen, daß jeder einzelne von ihnen nach meiner Vorstellung tausendmal kleiner als ein Staubkorn war? Die Wesen, die hier lebten, besaßen ihren eigenen Mikrokosmos, eine Feststellung, die ungeheuerliche Perspektiven eröffnete und über die ich besser nicht nachdachte. Meine Gedanken wurden unterbrochen, als unser Führer stehenblieb und den Lichtkegel des Scheinwerfers auf eine glatte Metallfläche zwischen den Felsen richtete. »Eine Art Schleuse«, sagte ich unwillkürlich, dann fiel mir wieder ein, daß Crysalgira mich nicht verstehen konnte. Die Tejonther traten zur Seite. Einer von ihnen richtete ein kleines Instrument gegen die Metallfläche. Das Tor glitt zur Seite, so daß ich in eine beleuchtete Druckkammer blicken konnte. Die Einrichtung des Raumes war nicht besonders aufschlußreich. Gemessen an dem, was ich erwartet hatte, wirkte sie geradezu spartanisch einfach. Der rechts von mir stehende Wächter machte eine unmißverständliche Geste mit seiner Waffe: Crysalgira und ich sollten die Druckkammer betreten. Crysalgira sah mich an, sie überließ mir die Entscheidung. Wir hatten keine andere Wahl, als den Befehl zu befolgen. Ich trat in die Druckkammer, Crysalgira folgte mir. Die äußere Tür glitt zu. Bevor sie sich endgültig schloß, sah ich, daß die Tejonther sich bereits zum Gehen gewandt hatten. Für sie war die Angelegenheit offenbar abgeschlossen. Crysalgira wollte die Atemmaske abneh-
William Voltz men, doch ich zog ihre Hände zurück. Noch wußten wir nicht, welche Umweltbedingungen uns hier erwarteten. Eine Zeitlang blieb alles still, dann glitt die innere Tür der Druckkammer auf. Ein breiter Korridor lag vor uns. Die Höhe der leuchtenden Decke war nicht leicht zu schätzen, aber als ich die Hand ausstreckte, konnte ich das warme und weiche Material berühren. Der Boden war mit einem netzartigen Gewirr von Linien bedeckt, die ich zunächst für Kratzspuren hielt. Als wir jedoch ein paar Schritte in den Korridor gemacht hatten, stellte ich fest, daß diese Linien feine Zeichnungen von unbekannten Geräten darstellten. Die Wände waren glatt und von hellgelber Farbe. Das von der Decke ausgehende Licht war so hell, daß ich das Ende des Korridors nicht sehen konnte, nur wenige Schritte von mir entfernt verschwanden alle Einzelheiten in einer Lichtflut, die den Augen weh tat. Ich riskierte es, die Atemmaske abzunehmen. Angenehm frische Luft schlug mir ins Gesicht. Ich nickte Crysalgira zu. »Es gibt atembare Luft, Prinzessin. Ich bin sicher, daß wir erst jetzt die eigentliche Gefühlsbasis betreten haben.« Sie schob ihre Maske in den Nacken. »Warum sind wir hier, Atlan?« »Das wüßte ich gern, aber wir können den Grund nicht einmal vermuten. Jemand ist an uns interessiert. Ich bin sicher, daß wir bald eine Nachricht von den Unbekannten erhalten werden.« Sie begann ihre Haare zu ordnen, unbewußte Bewegungen einer auf Schönheit bedachten Frau. Trotz der Strapazen der vergangenen Tage hatte Crysalgiras Äußeres sich kaum verändert. Ich ertappte mich dabei, daß ich sie unbewußt mit Farnathia und Ischtar verglich. Auf ihre Art wirkte sie nicht weniger anziehend als die beiden anderen Frauen, obwohl sie natürlich nicht die Ausstrahlungskraft der Goldenen Göttin besaß. Plötzlich entstand vor uns eine Bewe-
Herrscher im Mikrokosmos gung. Wir blieben stehen. Eine Gestalt kam aus der Helligkeit. Sie wirkte zerbrechlich und durchsichtig. Je näher sie herankam, desto stärker wurde der Eindruck, daß es sich um ein weibliches Wesen handelte. Ich wurde bei ihrem Anblick von innerer Unruhe ergriffen, denn ich fühlte mich an irgend etwas erinnert, was mir noch nicht völlig bewußt wurde. Die Gestalt schien zu schweben, ein kalter Hauch wehte zu Crysalgira und mir herüber. Ein Gazeschleier umgab das seltsame Wesen, leuchtende Kristalle wirbelten um seinen Kopf. Die Erkenntnis, wer diese Gestalt war, traf mich wie ein körperlicher Schlag. Unwillkürlich machte ich einen Schritt zurück. Mein Gesicht mußte ungläubiges Entsetzen ausdrücken, denn Crysalgira kam besorgt auf mich zu. Das Wesen war eine der zwölf Erinnyen, denen ich in der alten varganischen Station auf Sogantrort begegnet war. Ich erinnerte mich genau, wie die zwölf Rachegöttinnen den Behälter mit dem Embryo meines Sohnes Chapat an sich genommen hatten, um ihn in die Eisige Sphäre zu entführen. Ich schüttelte benommen den Kopf, doch das Bild löste sich nicht auf. Die Erinnye hätte nicht hier sein dürfen, denn Sogantrort war eine vergessene Welt der Varganen im Makrokosmos!
* Crysalgira berührte mich am Arm. »Atlan!« rief sie drängend. »Kennst du dieses Wesen?« Ich nickte. Noch immer war ich so verblüfft, daß ich kein Wort über meine Lippen brachte. Unglaubliche Gedanken gingen mir durch den Kopf, ich stellte die wildesten Spekulationen an, obwohl ich mir darüber im klaren war, daß die Wahrheit noch viel phantastischer sein mußte als meine Überlegungen. »Folgt mir!« forderte uns die Erinnye in varganischer Sprache auf und löschte damit
5 die letzten Zweifel an ihrer Herkunft. Wie kam einer der geheimnisvollen Roboter der Varganen aus dem Makrokosmos hierher in eine Gefühlsbasis der Tropoythers im Mikrokosmos? »Warum sprichst du nicht?« fragte Crysalgira. »Warum sagst du mir nicht, was du weißt? Kannst du dieses Wesen verstehen?« »Ich verstehe es«, brachte ich hervor. Noch immer war ich überwältigt von der unerwarteten Erscheinung. »Es sagt, daß wir ihm folgen sollen.« Die Erinnye schwebte voraus, geräuschlos, einen Kranz wirbelnder Eiskristalle um den nebelförmigen Kopf. Ich merkte, daß ich zitterte – ein äußeres Anzeichen meiner Erregung. Vergeblich lauschte ich in mich hinein. Mein Extrahirn meldete sich nicht. In dieser Situation war es ebenfalls ratlos. Plötzlich standen wir am Ende des Korridors. Vor uns lag ein Raum mit rundem Querschnitt und einem kuppelförmigen Dach. Vier mächtige Streben liefen von vier Eckpunkten des Bodens zum Zentrum der Decke hinauf, wo ein kugelförmiges Gebilde aus glasähnlichem Material hing. In der Kugel, die langsam rotierte, schienen Bewegungen stattzufinden. Überall im Boden befanden sich muldenförmige Vertiefungen, die von spiralförmigen Auswüchsen unterschiedlicher Größe und Dicke umrahmt wurden. Die Erinnye bewegte sich in die Mitte des Raumes. »Legt euch in diese Mulden!« befahl sie. Ich übersetzte Crysalgira, was die Erinnye gesagt hatte. »Warum sollen wir das tun?« fragte das Mädchen. »Atlan, was soll mit uns geschehen?« »Wir haben keine andere Wahl, als alle Anordnungen zu befolgen«, gab ich zurück. »Ich bin überzeugt davon, daß man uns keinen Schaden zufügen wird. Man hat uns eine bestimmte Rolle zugedacht, über die wir sicher bald mehr erfahren werden. Im Augenblick ist alles so rätselhaft, daß ich nicht ein-
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William Voltz
mal erahnen kann, was geschehen wird.« Sie drängte sich gegen mich. In dieser fremdartigen Umgebung verlor sie ihre gewohnte Selbstbeherrschung immer mehr. Ich wählte zwei Mulden aus, die unmittelbar nebeneinander lagen. Die Erinnye erhob keine Einwände. Kaum, daß Crysalgira und ich uns in den Vertiefungen niedergelassen hatten, kippten die spiralförmigen Auswüchse am Rande der Mulde über unsere Körper und stellten Kontakt her. Ich war augenblicklich gelähmt und lag starr da. Meine Haut prickelte. Die Kugel über mir schien schneller zu rotieren. Ich glaubte Gestalten in dieser Kugel zu sehen und fühlte mich plötzlich zu ihnen hingezogen. Wie aus weiter Ferne hörte ich die Stimme der Erinnye. »Du sollst die Wahrheit erfahren, weil wir dich brauchen. Dein Bewußtsein wird in die Vergangenheit reisen und erleben, was sich tatsächlich ereignet hat.« Ich wollte aufschreien, denn ich fühlte instinktiv, daß ungeheuerliche Dinge auf mich warteten. Ich sollte eine Wahrheit erfahren, von der ich nicht wußte, ob ich sie ertragen konnte. Die Kugel sank auf uns herab, sie dehnte sich aus wie ein Ballon. Ich hatte den Eindruck, daß sie mich unter sich begrub. Um mich herum entstand eine unwirkliche Umgebung. Die bisher nur verschwommen sichtbar werdenden Gestalten bekamen feste Konturen. Ich stand mitten unter den Fremden. Aber ich war nicht länger Atlan. Ich war …
2. Vargo Der Überfall erfolgte im Mondschattenfeld der Pyramide, zu einem Zeitpunkt, da Vargo längst nicht mehr mit Aktionen der Projektgegner gerechnet hatte. Vielleicht war dieser verzweifelte Anschlag Ausdruck ohnmächtigen Zorns, denn schließlich war
Brenzko Karahn bereits vor drei Tagen durch den Umsetzer gegangen und heute morgen zurückgekehrt. In dem Augenblick, da Vargo das Mondschattenfeld der Pyramide betrat, hatte er keine Chance, von den Wachhabenden Priestern auf dem Gipfelplateau der Pyramide gesehen zu werden. Die Angreifer hatten damit gerechnet, daß Vargo zum Gottesdienst kommen würde, um für den Erfolg seines Projekts ein Dankgebet zu sprechen, aber sie hatten nicht wissen können, daß er allein kommen würde. Dieses Risiko waren sie eingegangen – und hatten gewonnen. Sie waren zu sechst, hochgewachsene schlanke Männer, deren Gesichter durch Gazebrei unkenntlich gemacht waren. Wie aus dem Boden gewachsen, standen sie plötzlich vor Vargo und warfen ein Lähmfeld über seinen Kopf. Der Wissenschaftler konnte nicht schreien, seine Schultern wurden schlaff. Er taumelte nach vorn und versuchte noch im Fallen, die Angreifer durch Tritte zu verletzen. Sie hielten ihn fest, einer von ihnen streifte ihm mit geschickten Bewegungen einen schwarzen Mantel über, wie ihn die Tempeldiener trugen. Vargo begriff, auf welche einfache und freche Weise die Entführung vor sich gehen sollte. Er wurde in die Mitte genommen und gestützt. So trieben sie ihn seitwärts, wo die Buschkette die Grenze zwischen Innen- und Außenhof der Pyramide bildete. Als sie aus dem Mondschattenfeld traten, mußte für die Priester oben auf dem Gebäude der Eindruck entstehen, daß ein Tempeldiener eine Gruppe von Gläubigen zum Außenhof begleitete. Vargo war von den Hüften aufwärts an gelähmt, seine Arme hingen lahm herunter, so daß er sich kaum wehren konnte. Alles geschah mit unglaublicher Schnelligkeit und ließ ihn vermuten, daß seine Gegner nicht zum erstenmal solche Methoden anwandten. Vargos Freunde hatten oft davor gewarnt, daß die Projektgegner mit kriminellen Vereinigungen zusammenarbeiteten, aber der Wissenschaftler hatte diese Warnungen nie so richtig ernst genommen. Das stellte sich
Herrscher im Mikrokosmos jetzt als schwerwiegender Fehler heraus. Vargo überlegte, was sie mit ihm vorhaben konnten. Der Umsetzer war fertiggestellt und arbeitete einwandfrei, die Regierung hatte einer großen Expedition in den Makrokosmos bereits zugestimmt. Diese Expedition würde stattfinden, gleichgültig, ob Vargo sie leiten konnte oder nicht. Die anderen Wissenschaftler, die an diesem Projekt beteiligt waren, besaßen die nötigen Unterlagen und ausreichende Kenntnisse, um alle nötigen Schritte in die Wege zulei ten. Im Außenhof wartete ein Fahrzeug, in das Vargo geschoben wurde. Im Innern des Wagens wartete ein Mann, der ein zufriedenes Brummen hören ließ und Vargos Beine fesselte. Vargo lag auf dem Boden, er hörte ein paar Männer leise miteinander sprechen. Er schätzte, daß die Großfahndung in einer Stunde beginnen würde, aber auf Tropoyth gab es zahlreiche Verstecke, wohin man ihn bringen und tagelang festhalten konnte. Die Regierungstruppen würden sich durch keine Drohung von der Suche abhalten lassen, dessen war er sicher. Er rechnete aber nicht damit, daß man ihn töten würde – so weit würden seine Feinde nicht gehen. Je länger er nachdachte, desto sicherer wurde er, daß man ihn nicht nur aus einem spontanen Entschluß heraus entführt hatte. Zweifellos gab es einen Plan. Vargo hatte keine Furcht. Er war ein alter Tropoyther, der alle Lebensziele erreicht hatte, die er sich gesteckt hatte. Dabei hatte er niemals Hirngespinsten nachgehangen. Selbst die Erforschung des Makrokosmos war von ihm mit kommerziellem Interesse betrieben worden. So reizvoll die wissenschaftlichen Erkenntnisse dieser Arbeit auch erschienen, Vargo hatte nie die materiellen Vorteile außer acht gelassen, die ein Erfolg des Projekts seinem Volk versprach. Vargo hatte das Geheimnis der Absoluten Bewegung entdeckt, die Möglichkeit eines Materieaustauschs zwischen zwei völlig unterschiedlichen Existenzebenen. Der Umsetzer, das von Vargo konstruierte Gerät, konn-
7 te jede beliebige Materiemenge in den Makrokosmos bringen und zurückholen. Damit waren alle Probleme der Tropoythers bis in alle Ewigkeit gelöst, ein unermeßliches Feld zur Beschaffung aller denkbaren Dinge stand ihnen offen. Viele wissenschaftliche Mitarbeiter hatten Vargo vor den Gefahren dieser Arbeit gewarnt, sie befürchteten, daß die Grenzen zwischen beiden Existenzebenen zusammenbrechen und dieser Sektor des Mikrokosmos dabei zerstört werden könnte. Vargo hatte diese Mahner verlacht. Es gab keine Anzeichen dafür, daß ihre Experimente das physikalische Gleichgewicht des Universums stören könnten. Vargo spürte, daß das Fahrzeug anruckte. Er wußte nicht, wieviel Entführer mit eingestiegen waren. Jemand warf ihm ein stinkendes Tuch über den Kopf, wahrscheinlich wollte man verhindern, daß er auf dem Flug Hinweise über den Kurs entdecken konnte. Das Lähmfeld ließ an Wirkung nach, aber Vargo hielt es für richtiger, ruhig am Boden liegen zu bleiben. Solange die Maschine in der Luft war, hatte er sowieso keine Fluchtchance. Der Flug dauerte nicht so lange, wie er ursprünglich angenommen hatte, er war überzeugt davon, daß sie sich noch immer auf Yakonth, dem Hauptkontinent von Tropoyth befanden. Vielleicht lag das Versteck irgendwo in den Vralkh-Bergen. Vargo beschloß, auf die atmosphärischen Bedingungen zu achten, die ihn nun erwarteten, denn daraus konnte er auf die ungefähre Höhe des Verstecks schließen und den Behörden später Hinweise geben. Jemand beugte sich über ihn und löste die Beinfesseln. »Aufstehen!« befahl eine rauhe Stimme. »Hände auf dem Rücken verschränken.« Vargo gehorchte. Das Tuch blieb auf seinem Kopf. Er atmete tief ein, zu seiner Überraschung stieg warme, würzig riechende Luft in seine Nase. Wald! dachte er. Wir befinden uns in einem Wald in der Nähe der Südküste. Er
8 wußte, daß es in diesem Landstrich große Sumpflandschaften und Regenwälder gab. Seine Gegner hatten sich dort offenbar niedergelassen. Er wurde aus dem Fahrzeug geschoben und dann über weichen Boden weggeführt. Wenig später hörte er Geräusche von Maschinen, dann schlugen Türen. Er merkte, daß er nicht mehr im Freien war. Er erhielt einen Stoß, dann fiel eine Tür ins Schloß. Es war still. Vargo wartete einen Augenblick, dann nahm er das Tuch vom Kopf. Wie er erwartet hatte, befand er sich allein in einem kleinen, einfach eingerichteten Raum. Es gab kein Fenster, über der Tür war eine Klimaanlage installiert. Vargo massierte seine prickelnden Hände und ließ sich auf dem schmalen Bett nieder. Es war nicht ausgeschlossen, daß seine Entführer sich nicht darüber im klaren waren, wie sie vorgehen sollten. Vielleicht wandten sie auch lediglich den psychologischen Effekt des Wartenlassens an, um ihren Gefangenen gefügiger zu machen. Vargo lächelte müde. Die Maschinerie war längst in Gang gesetzt, sein Fehlen im Projektbereich konnte nichts mehr ändern. Er erinnerte sich an den Augenblick, da Brenzko Karahn an diesem Morgen aus dem Umsetzer getreten war, blaß und verschreckt, aber mit einem triumphierenden Lächeln auf den Lippen. »Es hat geklappt, Vargo!« Erst die Rückkehr Karahns hatte Vargos Theorien bestätigt; einen Mann verschwinden zu lassen, bewies nicht die Möglichkeit der Absoluten Bewegung. Schritte wurden hörbar und unterbrachen den alten Wissenschaftler in seinen Gedanken. Die Tür öffnete sich, ein großer Mann stand im Eingang. Vargo blinzelte. »Mamrohn!« stieß er ungläubig hervor. »Wollen Sie behaupten, daß der Wissenschaftliche Erste Rat, der für die Finanzie-
William Voltz rung meines Projekts sorgte, heimlich mit meinen Gegnern zusammenarbeitet?« Der Ankömmling grinste breit. »Ich bin für Ihre Entführung verantwortlich, Vargo.« Vargo sah ihn abwartend an, noch verstand er nicht, was Mamrohn zu seiner Handlung bewogen haben mochte. Mamrohn durchquerte den Raum mit langen Schritten und ließ sich neben Vargo auf dem Bett nieder. Die Tür stand offen, draußen schien kein Wächter zu stehen. »Tatsächlich bin ich der größte Anhänger des Projekts«, behauptete der Wissenschaftliche Erste Rat von Tropoyth. »In letzter Zeit jedoch waren Sie so in Ihre Arbeit vertieft, daß Sie die Veränderung der politischen Szene nicht mehr wahrnahmen.« »Was heißt das?« fragte Vargo verblüfft. »Ihre Gegner gewannen mehr und mehr an Einfluß«, berichtete Mamrohn. »Es fiel mir immer schwerer, das Projekt im Rat zu verteidigen. Besonders schwerwiegend war, daß einige Ihrer Mitarbeiter sich weigerten, das Projekt weiter zu unterstützen.« »Was hat das mit meiner Entführung zu tun? Haben Sie etwa vor, die Opposition auf diese Weise zu diskreditieren?« Vargo war entrüstet. »Sie können doch nicht glauben, daß ich Sie dabei unterstützen werde?« Mamrohn blieb unbeeindruckt. »Diese Aktion sichert uns den Vorsprung, den wir benötigen. Man wird sich wegen Ihres Verschwindens die Köpfe heiß reden und sich gegenseitig die Verantwortung zuschieben. Darüber werden die meisten Verantwortlichen das eigentliche Problem für einige Zeit vergessen. Das gibt uns die Zeit, die wir benötigen.« Vargo stand auf. »Zeit wozu?« Mamrohn streckte die Beine aus, in seinem fleischigen Gesicht zuckte ein Muskel. Vargo hatte plötzlich den Eindruck, diesen Mann zum erstenmal richtig zu sehen und einzuschätzen. Es gab wenig Männer im Rat von Tropoyth, die so zielstrebig und selbstbewußt auf ein Ziel hinarbeiten konnten wie
Herrscher im Mikrokosmos Mamrohn. Ohne Mamrohn hätte es niemals einen Umsetzer gegeben. Vargo dachte ein bißchen traurig, daß er selbst eigentlich nur die Idee geliefert hatte, Mamrohn dagegen aber als Vollstrecker aufgetreten war. Die ganze Zeit aber hatte der Wissenschaftliche Erste Rat Pläne geschmiedet, von denen Vargo noch nichts wußte. »Ich habe das alles nicht getan, um eine Art Reiseunternehmen aufzubauen«, drang Mamrohns Stimme in seine Gedanken. »Sie haben viel zu kleinkariert gedacht, alter Freund. Ich wollte Sie jedoch nicht irritieren, deshalb habe ich Sie in aller Ruhe arbeiten lassen.« »Was haben Sie vor?« »Wir werden Stützpunkte im Makrokosmos errichten«, verkündete Mamrohn. »Jetzt haben wir die Chance dazu, neue Räume zu erschließen, sie zu erobern. Denken Sie doch nach, Vargo! Wenn wir den Makrokosmos besitzen, kontrollieren wir den Mikrokosmos. Von oben aus können wir ganze Galaxien im Mikrokosmos mit einem Fingerdruck erledigen.« Vargo erschauerte. Wußte der Erste Rat überhaupt, was er da von sich gab? Mamrohn schien die Anwesenheit des Wissenschaftlers vergessen zu haben. »Eine Invasionsflotte steht bereit«, sagte er begeistert. »Wir werden mit zweitausend Doppelpyramidenschiffen in den Makrokosmos vordringen – und das wird erst der Anfang sein.« »Dazu habe ich den Umsetzer nicht konstruiert, Mamrohn. Sie dürfen die Absolute Bewegung nicht in dieser Form mißbrauchen, es würde zu einer Katastrophe führen.« »Schweigen Sie!« herrschte Mamrohn ihn an. »Sie sind trotz Ihres genialen Könnens kurzsichtig. Sehen Sie nicht die Bedrohung für uns, die sich allein aus der Tatsache ergibt, daß wir der Mikrokosmos sind? Im Makrokosmos weiß man nichts von unserer Existenz, vielleicht ist man gerade dabei,
9 völlig gedankenlos jenen Teil unseres Universums zu zerstören, den wir bewohnen. Was gehört schon dazu? Doch nicht mehr, als daß jemand auf einen Erdklumpen tritt!« Vargo stöhnte auf. »Sie sehen das falsch!« rief er beschwörend. »Sie erkennen die Zusammenhänge nicht. Makro- und Mikrokosmos sind eins, ein ineinander geschlossenes System. Jede Veränderung würde apokalyptische Folgen haben.« »Ich weiß genau, was ich will«, erklärte das Regierungsmitglied mit düsterer Entschlossenheit. »Während Sie Ihre Experimente erfolgreich abschlossen, habe ich auch meine Vorbereitungen beendet. Die erste Flotte steht bereit. Es gibt nur einen Mann, der sie führen kann.« »Sie!« sagte Vargo benommen. Mamrohn sah ihn zum erstenmal wieder an. Er hob die Augenbrauen und schüttelte den Kopf. »Ich? Wie kommen Sie auf die Idee, daß ich es sein könnte? Das ist doch absurd, mein Platz ist hier auf Tropoyth im Rat.« Da begriff Vargo, daß er gehen sollte. Mamrohn hatte ihn dazu ausersehen, die Expedition in den Makrokosmos zu führen. Das war der Grund, warum er entführt worden war. Mamrohn würde ihn zwingen. Mamrohn las im Gesicht des Gefangenen, daß dieser die Wahrheit erkannt hatte. »Wie gefällt Ihnen das?« lächelte er. »Es ist Wahnsinn!« »Sie werden fasziniert sein, wenn Sie erst einmal am Ziel angekommen sind«, prophezeite Mamrohn. »Ich werde veranlassen, daß man Sie für Ihre große Tat belohnt. Die mutigen Tropoythers, die Sie begleiten, werden vom Augenblick des Aufbruchs an Ihren Namen tragen. Wir werden sie Varganen nennen.«
* Die nächsten Tage verstrichen für Vargo ohne besondere Ereignisse. Er durfte sein Gefängnis nicht verlassen. Ab und zu kam
10 ein Unbekannter und brachte ihm Nahrung. Vargo verlangte nach den neuesten Nachrichten, aber diese Bitte wurde ihm versagt. Vargo rechnete damit, daß Mamrohn eintreten und sagen würde, daß alles ein Irrtum war, ein Spaß, der nun endlich vorbei sei. Er klammerte sich so an diesen Gedanken, daß er immer, wenn draußen Schritte laut wurden, aufsprang und erwartungsvoll zur Tür ging. Aber es war immer nur der schweigsame Fremde, der ihm zu essen brachte. Nur allmählich machte der Wissenschaftler sich mit der Tatsache vertraut, daß er keinen Alptraum erlebte. Fünf Tage nach Vargos Entführung erschien Mamrohn wieder im Gefängnis. Er war schlampig gekleidet und machte einen überreizten und müden Eindruck. Vargo hoffte, daß irgend etwas schiefgegangen war, aber diese Hoffnung wurde durch Mamrohns Begrüßung bereits gegenstandslos. »Es ist soweit!« verkündete der Wissenschaftliche Erste Rat. »Wir haben den Umsetzer in den Weltraum bringen lassen, damit die bereitstehende Flotte ohne Schwierigkeiten in den Prozeß der Absoluten Bewegung gebracht werden kann. Das Verschwinden des Umsetzers hat einigen Wirbel verursacht, erstaunlicherweise mehr als das seines Erschaffers.« Sarkastisch fügte er hinzu: »Das ist sicher nicht erstaunlich.« Vargo überlegte, daß zahlreiche seiner Vertrauten für Mamrohn arbeiten mußten, anders war dieses Vorgehen nicht zu erklären. Der alte Mann fühlte sich überrumpelt und verraten, er wünschte, er hätte das alles nicht mehr zu erleben brauchen. »Nun sind Sie an der Reihe«, fuhr Mamrohn fort. »Vargo und seine Varganen, wie gefällt Ihnen das?« »Es ist makaber«, erwiderte Vargo niedergeschlagen. Er versuchte, Mamrohn zu hassen, aber das gelang ihm nicht. Im Grunde genommen hatte er sich bereits damit abgefunden, daß er die Invasionsflotte – denn das war sie – in den Makrokosmos führen wür-
William Voltz de. Er gestand sich ein, daß diese Aufgabe reizvolle Aspekte besaß. Mamrohn ergriff ihn am Arm und führte ihn hinaus. Zum erstenmal sah Vargo etwas von der Umgebung, in der er sich in den vergangenen Tagen aufgehalten hatte. Ringsum im Regenwald standen ein paar flache Gebäude. Männer und Frauen, die Vargo niemals zuvor gesehen hatte, arbeiteten in der Nähe. Über einen Trampelpfad führte Mamrohn den Wissenschaftler zu einer Lichtung. Dort standen ein paar bewaffnete Männer zwischen den Bäumen. Mamrohns Maschine wartete auf der Lichtung. Es war ein kombinierter Raum-Atmosphäregleiter. Mamrohn fing Vargos Blick auf. »Wir fliegen direkt in den Weltraum und gehen an Bord des Doppelpyramidenschiffs GENDROT«, gab er bekannt. »Alles, was Sie brauchen, befindet sich bereits an Bord.« Vargo hatte nicht gehofft, sich noch von seinen Freunden verabschieden zu können, aber dieser überstürzte Aufbruch bewies ihm, daß Mamrohn in Schwierigkeiten war. »Sie werden einige Ihrer Freunde an Bord der GENDROT wiedersehen«, fuhr Mamrohn fort. Er kletterte in den Gleiter und ließ sich ächzend in einen Sitz fallen. Der Pilot wartete, daß auch Vargo einstieg, dann startete er. Vargo blickte zur Seite und sah, daß Mamrohn der Kopf auf die Brust fiel. Der Wissenschaftliche Erste Rat von Tropoyth war unmittelbar nach dem Start vor Erschöpfung eingeschlafen. Vargo wandte sich an den Piloten. »Sind alle Schiffe einsatzbereit?« »Ich kümmere mich um nichts«, erwiderte der Mann gelassen. »Ich fliege diesen Gleiter, das ist alles.« Vargo wappnete sich mit Geduld. Bei zunehmender Beschleunigung, mußte er sich in den Andrucksessel zurücklehnen und warten, bis die Maschine den offenen Weltraum erreicht hatte. Sie wurden weder aufgehalten noch angefunkt. Mamrohn mußte den gesamten Sicherheitsapparat der Regie-
Herrscher im Mikrokosmos rung kontrollieren. Vielleicht handelte er sogar im Auftrag der Regierung. Tropoyth blieb hinter ihnen zurück, eine blaugrün leuchtende Scheibe mit weißen Wolkenfetzen davor. Es war nun achtzehn Jahre her, daß Vargo sich zum letztenmal im Weltraum aufgehalten hatte, aber er hatte den Eindruck, daß es erst vor ein paar Tagen gewesen war. Der Pilot schien den Kurs genau zu kennen. Mamrohn, der eine innere Uhr zu besitzen schien, erwachte, als der Gleiter die Flotte erreicht hatte. Das Einschleusungsmanöver in die GENDROT vollzog sich schnell und reibungslos. »Ich dachte, Sie würden nicht mitgehen«, wandte Vargo sich an den Wissenschaftlichen Ersten Rat. »Das war ein Irrtum«, erklärte Mamrohn verbissen. »Auf Tropoyth hat sich vieles verändert. Ich begleite Sie, Vargo. Eines Tages jedoch werden wir zurückkehren, das versichere ich Ihnen.« Vargo hatte das sichere Gefühl, daß alles anders verlaufen würde als Mamrohn sich das vorstellte. Er wurde von schlimmen Ahnungen geplagt. Sein Volk hatte eine gefährliche Grenze überschritten.
* Die Ereignisse der nächsten Tage schienen Vargos Bedenken zu widerlegen. Der Umsetzer brachte alle Schiffe in den Prozeß der Absoluten Bewegung und führte die Flotte in den Makrokosmos. Wie Vargo vorhergesagt hatte, änderten sich während des Durchgangs alle Größen- und Massenverhältnisse, Schiffe und Besatzungen paßten sich den Verhältnissen im Makrokosmos an. Dieser Effekt wurde durch den Massenaustausch herbeigeführt, der bei der Rückkehr in umgekehrter Form auftreten würde. Doch an eine Rückkehr dachte Vargo vorläufig nicht. An Bord der GENDROT hielten sich sieben seiner ehemaligen engen Mitarbeiter
11 auf. »Wir müssen damit rechnen, daß es hier im Makrokosmos große raumfahrende Völker gibt, die uns unter Umständen gefährlich werden können«, erklärte Mamrohn während der ersten Besprechung nach ihrer Ankunft. »Deshalb werden wir die Flotte teilen und unsere Stationen in verschiedenen Sektoren dieser Galaxis errichten.« Mamrohn ließ durchblicken, daß ihm nicht an einer schnellen Rückkehr gelegen war. In Vargo wuchs der Verdacht, daß der ehemalige Wissenschaftliche Erste Rat an eine Kolonisation dachte. Er wollte ein zweites tropoythisches Imperium im Makrokosmos errichten. Ein varganisches Imperium! korrigierte Vargo sich in Gedanken. Die GENDROT gehörte zu einem Verband von siebenundzwanzig Schiffen, die ein paar Tage später in ein kleines Sonnensystem eindrangen und auf dem zweiten von insgesamt sechs Planeten landeten. Mamrohn hatte eine Sauerstoffwelt ausgewählt, die alle Voraussetzungen für den Ausbau einer Station bot. Vargo und die anderen Wissenschaftler erhoben Bedenken, denn auf der von Mamrohn erwählten Welt gab es bereits eine primitive Zivilisation. Mamrohn ließ diese Einwände nicht gelten. »Wir kümmern uns nicht um sie«, befahl er. »Wenn sie uns in die Quere kommen sollten, verjagen wir sie.« Vargo erkannte, daß Mamrohn ein rücksichtsloser Eroberer war. Der ehemalige Wissenschaftliche Erste Rat wollte sich in dieser Galaxis des Makrokosmos ein Imperium aufbauen. Ein knappes Jahr nach ihrer Ankunft im Makrokosmos machten die Teilnehmer an dieser verhängnisvollen Expedition zwei ungeheuerliche Entdeckungen. Die Varganen, wie sie sich Mamrohns Anordnung entsprechend jetzt nannten, alterten nicht mehr. Durch den Einfluß der Absoluten Bewegung hatten sie Unsterblichkeit erlangt.
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William Voltz
Der zweite Effekt war schrecklich. Die Varganen verloren die Fähigkeit, sich miteinander fortzupflanzen.
3. Vargo Der Ausbau der Station auf Dopmorg ging jetzt langsamer voran, vielleicht weil die Unsterblichen sich unbewußt darüber im klaren waren, daß sie unendlich viel Zeit zur Verfügung hatten. Die überall in dieser Galaxis verteilten Stationen glichen Inseln. Zwar flogen die Doppelpyramidenschiffe ständig hin und her, aber auch diese Kontakte ließen mehr und mehr nach. Von seinem Platz auf dem Dach des Hauptgebäudes aus konnte Vargo das Landeplateau sehen. Dort standen einundzwanzig Doppelpyramidenschiffe. Das bedeutete, daß nur sechs Schiffe zu anderen Stationen unterwegs waren. Vargo kam jeden Morgen hier herauf, um den Sonnenaufgang zu erleben. Trotz seiner Unsterblichkeit fühlte er sich müde. Er spielte mit dem Gedanken, seinem Leben ein gewaltsames Ende zu setzen. Vargo war ein einsamer Mann, denn die anderen Varganen mieden ihn. Sie verdankten ihm indirekt die Unsterblichkeit, aber sie brachten nur ihre Zeugungsunfähigkeit mit ihm in Verbindung. Vargo hatte keinen dieser Effekte vorhersehen können, er bedauerte, daß es dazu gekommen war. Seit ihrer Ankunft auf Dopmorg hatte Vargo den Planeten nicht mehr verlassen, er ahnte, daß ihn auf allen anderen besetzten Planeten die gleiche Feindseligkeit entgegenschlagen würde. Vargo dachte an Mamrohn, der bereits seit ein paar Jahren unterwegs war. In Gedanken sah er Mamrohn von Station zu Station eilen, verzweifelt darum bemüht, Verbindungen zwischen den einzelnen Welten zu schaffen. Als die Sonne über den Bergen stand, verließ Vargo seinen Beobachtungsplatz auf
dem Dach und kehrte in seine Räume im Innern der Station zurück. Zu seiner Überraschung wurde er erwartet. Kreton, einer der führenden varganischen Wissenschaftler, kam ihm entgegen. Die Erinnerung an frühere gemeinsame Arbeiten wurde in Vargo wach, selten zuvor hatte er das Ende seiner Kontakte zu anderen Männern und Frauen so bedrückend empfunden wie in diesem Augenblick. Er verhielt sich jedoch zurückhaltend, denn Kreton war bestimmt nicht gekommen, um alte Beziehungen aufzufrischen. Kreton ging im Zimmer auf und ab, blieb vor dem Teller mit den Blüten stehen und starrte nachdenklich auf ihn hinab. Die Blüten wurden jeden Tag erneuert, es war eine Marotte Vargos, von der er nun befürchtete, sie könnte seinen inneren Zustand verraten. Er war zu stolz, um das Mitgefühl anderer zu ersehnen. Kreton beugte sich zum Teller hinab und nahm eine Blüte heraus. »Wundern Sie sich über meine Anwesenheit?« »Eigentlich ja«, gab Vargo zurück. »Ich werde nicht sehr häufig besucht.« »Sie haben sich zurückgezogen«, stellte Kreton fest. »Ich verstehe das, es ist Ausdruck eines unterschwelligen Schuldbewußtseins.« Vargo runzelte die Stirn, er hatte nicht damit gerechnet, daß die anderen die Situation so sahen. Immerhin war es interessant, diesen Standpunkt zu erfahren. »Ich bin aus eigenem Antrieb hier«, fuhr Kreton fort. »Wir hatten eine Besprechung, und ist bin der Meinung, daß wir Ihre Ansichten hören sollten. Immerhin haben Sie dieses Projekt ermöglicht und ihm Ihren Namen gegeben.« »Das war Mamrohns Idee!« Kreton winkte ab. Während Vargo ihn beobachtete, überlegte er, was geschehen sein konnte. Kreton machte den Eindruck eines Überbringers wichtiger Entschlüsse. »Was halten Sie von unserer Lage?« fragte er Vargo.
Herrscher im Mikrokosmos »Wir leben hier!« Kreton unterdrückte ein Lachen. »Früher waren Sie in der Beurteilung einer Situation nicht so vorsichtig, mein Lieber. Aber vielleicht wissen Sie nicht, worauf ich hinaus will. Wir kamen in den Makrokosmos, um hier ein Reich aufzubauen. Wir wollten Sonnensystem um Sonnensystem erobern.« »Hm!« machte Vargo. »Um Sonnensysteme zu bevölkern, braucht man Tropoythers.« Kreton zupfte die Blütenblätter ab und warf die Knospe in den Teller zurück. »Aber unsere Anzahl hat sich nicht vergrößert, wir verlieren im Gegenteil immer mehr Männer und Frauen durch gewaltsamen Tod. Da wir uns nicht mehr fortpflanzen können, ist der ursprüngliche Sinn dieses Unternehmens in Frage gestellt.« Was Kreton aussprach, hatte Vargo hundertmal überdacht, ohne zu einer Lösung zu gelangen. »Uns fehlt eine Motivation«, fuhr Kreton ernst fort. »Wir haben bereits alles erreicht, was zu erreichen war – gemessen an den Umständen. Da wir keine Kinder haben, brauchen wir keine neuen Welten. Es ist schon schwer genug, die in Besitz genommenen Systeme zu halten.« Vargo gab sich einen Ruck. »Was wollen Sie eigentlich?« »Wissen Sie das nicht?« Kreton blickte ihm direkt in die Augen. »Viele von uns sind der Meinung, daß wir aufgeben und zurückkehren sollten.« Vargo fühlte einen Schauer über den Rücken laufen, er begann zu zittern und begriff, wonach er sich die ganze Zeit über in Wirklichkeit gesehnt hatte. Zurück! dachte er inbrünstig. Zurück in den Mikrokosmos, zurück nach Tropoyth!
* Zwei Jahre später kehrte Mamrohn zurück. Seine Ankunft auf Dopmorg fiel zusammen mit dem Ausbruch heftiger Kontro-
13 versen zwischen den Befürwortern einer Rückkehr und ihren Gegnern. Mamrohns Gesicht war verbrannt, sein rechter Unterarm amputiert und seine Stimme klang entstellt. Er hatte den Tod gesucht und nicht gefunden. In seinen Augen leuchtete ein verzehrendes Feuer. Seine Fähigkeit, Einfluß auf andere Varganen auszuüben, hatte sich noch verstärkt. Mamrohns Anwesenheit schien die Streitigkeiten zu beenden, aber die unterschiedlichen Ansichten schwelten unter der Oberfläche weiter. Die Varganen, die nach Tropoyth zurückkehren wollten, befanden sich in der Überzahl. Eine offizielle Befragung hätte wahrscheinlich ergeben, daß nur eine sehr kleine Gruppe im Makrokosmos bleiben wollte. Allein die Tatsache, daß Mamrohn zu dieser Gruppe gehörte, verlieh ihr Gewicht. Mamrohn war in Begleitung einer jungen Varganin nach Dopmorg gekommen, eines der schönsten Mädchen, das Vargo jemals gesehen hatte. Mamrohn hatte sie von einer anderen Station mitgebracht. Ihr Name war Ischtar. Trotz seines äußeren Zustands hatte Mamrohn nichts von seiner inneren Energie verloren. Er sprach davon, einen Großteil der eroberten Planeten aufzugeben und die Varganen auf ein paar auserwählten Stationen zusammenzuziehen. Von dort aus wollte Mamrohn die Galaxis beherrschen. Ein paar Tage nach seiner Rückkehr lud Mamrohn die Wissenschaftler zu einer Besprechung ein. Vargo war gespannt, wie der Mann, der sich nach wie vor für den Anführer aller Varganen hielt, sich verhalten würde. In den letzten Tagen hatte Kreton sich als Sprecher der Mehrheit profiliert. Kreton besaß nicht die Willensstärke Mamrohns, aber er wußte, wie er zu taktieren hatte. Als Vargo im Besprechungsraum eintraf, ahnte er nicht, daß es im Verlauf der Debatte zu einem schweren Zusammenstoß kommen würde. Sein fehlender Kontakt zu anderen Varganen verleitete ihn auch diesmal zu ei-
14 ner Fehleinschätzung der Lage. Mamrohn erschien. Er nahm am oberen Ende des Tisches Platz. Sein Gesicht war verbissen, er sah wie ein Fremder aus und machte den Eindruck eines unwillkommenen Besuchers. Die Begrüßung durch die Diskussionsteilnehmer fiel so distanziert aus, daß Vargo Mitleid mit Mamrohn empfand, obwohl er bezweifelte, daß der ehemalige Erste Rat die allgemeine Zurückhaltung überhaupt registrierte. Ischtar saß neben Mamrohn, ihr goldenes Haar berührte die Schultern. Ein seltsames Paar! dachte Vargo unwillkürlich und seltsam berührt. Kreton trat in Begleitung aller wichtigen Wissenschaftler ein. Auch diese Demonstration schien an Mamrohn abzuprallen, er sah nicht einmal auf. Als alle Diskussionsteilnehmer Platz genommen hatte, warf Mamrohn ein paar Papiere auf den Tisch und sortierte sie mit der linken Hand. Bei jedem anderen Mann hätte sich die Frage gestellt, warum er den verlorenen rechten Unterarm nicht durch eine Prothese ersetzte – nicht aber bei Mamrohn. Es war unvorstellbar, daß er seinen Körper durch irgend etwas Künstliches ergänzen würde. »Ich war lange unterwegs«, eröffnete Mamrohn die Debatte ohne lange Vorrede. »Dabei habe ich alle Stationen in den verschiedensten Teilen dieser Galaxis besucht, einige sogar mehrmals. Es ist erschreckend, was auf verschiedenen von uns eroberten Planeten geschieht.« Er blickte zum erstenmal auf, in seinem Gesicht spiegelten sich Zorn und Trotz und eine gewisse Rastlosigkeit. »Es gibt Welten, auf denen Varganen den Freitod gewählt haben«, berichtete er. »Sie haben ihre Körper in den Stationen präparieren lassen, weil sie an eine spätere Wiedererweckung glauben. Diese Wiedererweckung soll erst stattfinden, wenn wir eine Möglichkeit gefunden haben, die Zeugungsunfähigkeit zu besiegen. Die Wahrheit ist, daß sie sich aufgeben!«
William Voltz rief er aus. »Ihnen fehlt jeder Antrieb für ein weiteres Leben.« »Nein«, sagte jemand entschieden. »Das ist nicht die Wahrheit.« Vargo drehte sich auf seinem Sitz herum. Er sah zu Kreton hinüber, der gesprochen hatte. Der Wissenschaftler war blaß, seine Lippen bebten, aber er saß nach vorn gebeugt da, entschlossen und unnachgiebig. »Sie haben uns in den Makrokosmos geführt, um hier ein zweites Reich der Tropoythers aufzubauen«, erinnerte Kreton. »Von Anfang an wollten Sie alle Brücken zu unserer Heimat abbrechen, deshalb mußten wir uns Varganen nennen. Sie wollten keine Verbindung mehr in den Mikrokosmos, Sie wollten vergessen, daß wir in Wirklichkeit unendlich winzig sind. Dafür mußten wir einen hohen Preis bezahlen.« »Niemand konnte das vorhersehen«, verteidigte sich Mamrohn. »Das ist richtig«, gab Kreton zu. »Aber wir hätten uns auf die veränderte Situation einstellen und zurückkehren sollen. Mit dem Verlust der Fortpflanzungsfähigkeit verlor das Unternehmen seinen Sinn. Man braucht keine Sonnensysteme zu erobern, wenn man keine Kinder zeugen kann, mit denen man die Planeten bevölkern kann. Aber Sie haben das nicht einsehen wollen, Mamrohn. Sie hörten nicht auf, Ihren Traum von einem neuen Imperium zu träumen, Sie träumen ihn immer noch.« So, wie Mamrohn dasaß, konnte man Angst vor ihm bekommen. Vargo hatte den Eindruck, daß dieser Mann allein Kraft seiner Gefühle irgend etwas zerstören konnte. Er bewunderte Kreton, der den Mut hatte, dagegen anzugehen. »Ich weiß, was auf Dopmorg vorgeht!« Mamrohn schien Mühe zu haben, die einzelnen Worte auszusprechen. »Hier wird nur noch von einer Rückkehr geredet. Sie und Ihre Anhänger wollen alles, was wir aufgebaut haben, wieder aufgeben und in den Mikrokosmos zurückkehren. Als würde sich dadurch etwas ändern.« Seine Blicke richteten sich auf Vargo, der unwillkürlich zusam-
Herrscher im Mikrokosmos menzuckte. »Sagen Sie ihnen, ob sich durch die Rückkehr irgend etwas ändert, Vargo. Werden Sie sterblich werden oder ihre Zeugungsfähigkeit zurückerlangen?« Vargo schüttelte den Kopf. »Nichts würde sich ändern!« Mamrohn schrie es heraus. »Wir wären Ausgestoßene vom Augenblick unserer Rückkehr an.« Einen Moment sah es so aus, als würde Kreton unter dem Druck von Mamrohns Persönlichkeit aufgeben. Vargo sah, wie sich in Kreton ein innerer Kampf abspielte. »Sie verstehen nicht, Mamrohn«, sagte der Wissenschaftler mühsam. »Wir werden zurückgehen, um jeden Preis.« Er stand auf. »Alle, die meiner Meinung sind, sollen sich erheben.« Vargo sah die Männer und Frauen nacheinander aufstehen, der beinahe lautlose Vorgang erinnerte ihn an eine Hinrichtung. Zum Schluß saßen nur noch Mamrohn, Ischtar und Vargo auf ihren Plätzen. Mamrohn sah Vargo an. »Sie?« fragte er erstaunt. »Ausgerechnet Sie?« Vargo schluckte und schob sich aus seinem Sitz hoch, als müßte er dabei eine Last anheben. »Es tut mir leid«, sagte er tonlos. »Es ist nun einmal so. Ich kann nicht anders.«
* Kreton, der nach dieser denkwürdigen Sitzung das Kommando übernahm, schickte Kurierschiffe nach allen von Varganen besetzten Welten und befahl den Raumfahrern, mit den verschiedenen Gruppen einen Treffpunkt zur Rückkehr auszuhandeln. Mamrohn und seine wenigen Anhänger wurden als Rebellen bezeichnet. Ein paar von ihnen wurden gefangengenommen und sollten den Rückflug unter Zwang mitmachen. Vergeblich versuchte Vargo in Erfahrung zu bringen, ob auch Mamrohn zu den Gefangenen gehörte. Unmittelbar nach der Bespre-
15 chung hatte Mamrohn zusammen mit Ischtar Dopmorg an Bord eines Doppelpyramidenschiffs verlassen. Über ihr weiteres Schicksal war nichts bekannt. Kreton verweigerte auf alle Fragen eine Antwort. Zu Vargos Erstaunen lehnte Kreton einen Vorschlag der Wissenschaftler ab, alle Stationen der Varganen auf den Planeten im Makrokosmos zu vernichten. »Wir wollen unsere Spuren hier hinterlassen«, meinte Kreton. »Vielleicht werden eines Tages andere raumfahrende Völker auf unsere Bauwerke stoßen und überlegen, wer sie errichtet haben mag. Auf die Idee, daß es Besucher aus dem Mikrokosmos waren, kommen sie sicher niemals.« Später erfuhr Vargo, daß einige der sogenannten Rebellen verschwunden waren. Sie würden die Rückkehr in den Mikrokosmos nicht mitmachen. Vargo nahm an, daß Kreton nicht so unbarmherzig war, wie er sich nach außen hin gab, und die Stationen für diese Rebellen zurückließ. Der Termin für eine Rückkehr rückte immer näher, auch auf Dopmorg deuteten alle Anzeichen auf einen baldigen Aufbruch hin. Ein Treffpunkt war vereinbart worden. Knapp achtzehnhundert der ursprünglich zwei tausend Einheiten starken Flotte sollte die Stelle anfliegen, wo die Absolute Bewegung des Umsetzers wirksam wurde. Vargo, der den Zeitpunkt der Rückkehr immer herbeigesehnt hatte, wurde mit zunehmender Dauer immer unruhiger. Bestand nicht die Gefahr, daß während des zweiten Durchgangs noch viel schlimmere Effekte auftraten als beim erstenmal? Drei Tage vor dem Aufbruch der dopmorgischen Gruppe landete ein Doppelpyramidenschiff auf dem Planeten. Gerüchte, die auch Vargo erreichten, kamen in Umlauf. Es hieß, Mamrohn befände sich als Gefangener an Bord des Schiffes. Vargo fühlte sich durch diese Nachrichten weiter verunsichert. Als die Gerüchte sich verdichteten, begab Vargo sich zu Kreton. Er fand den neuen Anführer der Varganen in einer Bespre-
16 chung mit den führenden Wissenschaftlern im Hauptgebäude der dopmorgischen Station. Vargo fühlte Enttäuschung; früher hatte man ihn ebenfalls zu solchen Anlässen eingeladen. So mußte er froh sein, daß Kreton ihn nach Abschluß der Besprechung empfing. »Es geht um einen Passagier des gestern gelandeten Schiffes«, kam Vargo sofort auf sein Anliegen zu sprechen. Kreton hob die Augenbrauen. »Sie meinen Mamrohn?« »Er ist also tatsächlich an Bord?« »Als Gefangener«, erklärte Kreton mürrisch. »Er hat uns in letzter Zeit viele Schwierigkeiten bereitet.« Vargo vermochte sich Mamrohn nicht als Gefangenen vorzustellen, es erschien ihm unmöglich, ja geradezu verwerflich, diesem Mann einen fremden Willen aufzuzwingen. »Lassen Sie ihn frei!« forderte er. »Ich wundere mich, daß gerade Sie diesen Vorschlag machen«, meinte der Anführer. »Schließlich hat Mamrohn Sie von Anfang an betrogen und ausgenutzt. Ich werde ihn auf keinen Fall freilassen. Er wird mit nach Tropoyth zurückkehren und dort vor ein Gericht gestellt.« Vargo hatte den vagen Verdacht, daß Kreton beabsichtigte, ihn ebenfalls verurteilen zu lassen, aber er war zu müde und gleichgültig, um dieser Vermutung nachzugehen. Er verabschiedete sich von Kreton und kehrte in seine Behausung zurück. Als es dunkel war, steckte Vargo einen Lähmfeldstrahler in die Tasche und verließ seine Wohnung. Er besaß keinen festen Plan, aber er wollte zumindest den Versuch machen, Mamrohn zu befreien. Außerhalb der Gebäude war es still, zwischen der Station und dem Landeplateau brannten einige Scheinwerfer. Vargo wußte, daß fast alle Varganen in ihren Wohnungen waren, um ihre Habseligkeiten einzupacken. Morgen sollte der Aufbruch von Dopmorg erfolgen. Auf dem Weg zum Landeplateau stieß Vargo zweimal auf eine Gruppe von Techni-
William Voltz kern, die Startvorbereitungen trafen. Er ging ihnen aus dem Weg und erreichte unangefochten das Landefeld. Die Schiffe wurden nicht bewacht, die primitiven Eingeborenen von Dopmorg hatten nach anfänglichen Angriffen gegen die Station längst das Weite gesucht und sich in anderen Gebieten niedergelassen. Vargo kannte das Schiff, in dem Mamrohn gefangengehalten wurde. Die Schleuse stand offen und war unbewacht. Aus dem Innern des Schiffes drangen Stimmen. Vargo betrat die Schleusenkammer und blickte in die Seitenkorridore. Rechts von der Schleuse arbeiteten zwei Männer, die linke Seite war frei, konnte aber von den Arbeitern eingesehen werden. Vargo entschloß sich, den Hauptkorridor zu wählen, obwohl dort die Gefahr einer Entdeckung am größten war. Mit zwei Schritten durchquerte er den Vorraum, ohne dabei gesehen zu werden. Er atmete schwer, sein Körper war nicht mehr an solche schnellen Bewegungen gewöhnt. Am Ende des Hauptkorridors lag die Zentrale, dort hielten sich mit Sicherheit zahlreiche Raumfahrer auf. Vargo erreichte einen Seitengang und verließ den Hauptkorridor. An Bord eines Doppelpyramidenschiffs gab es viele Möglichkeiten, einen Mann gefangenzuhalten. Vargo war sich darüber im klaren, daß er Glück benötigte, wenn er Mamrohn im Verlauf der Nacht finden und ungesehen aus dem Schiff bringen wollte. Jedesmal, wenn er eine Tür öffnete, mußte er damit rechnen, von Raumfahrern angesprochen zu werden. Als er die Lagerräume erreichte, legte er eine Pause ein. Erst jetzt wurde er sich der Verrücktheit seines Vorgehens bewußt. Mamrohn zu befreien, war ein großes Risiko, denn Kreton würde alle Verdächtigen verhören lassen. Vielleicht versperrte Vargo sich auf diese Weise die Möglichkeit zu einer Rückkehr nach Tropoyth. Vor dem Eingang eines Materiallagers entdeckte Vargo einen bewaffneten Varga-
Herrscher im Mikrokosmos nen. Vargo hatte nicht damit gerechnet, daß Kreton Mamrohn von einem Raumfahrer bewachen lassen würde, denn es gab schließlich technische Möglichkeiten, die die Fähigkeiten eines Varganen in dieser Beziehung übertrafen. Wahrscheinlich hatte Kreton sich von psychologischen Überlegungen leiten lassen. Mamrohn war immer noch der Inbegriff persönlicher Macht, durch die Anwesenheit eines Wächters wurde diese Vorstellung getrübt. Was immer der wahre Grund sein mochte – der Mann stand da und war Vargo im Wege. Zum zweitenmal fragte sich der alte Wissenschaftler, ob er nicht besser umkehren sollte. Zögernd wartete er einige Zeit in einer Nische. Der Wächter, den er von seinem Versteck aus beobachten konnte, machte einen gelangweilten Eindruck. Wahrscheinlich überlegte der Mann, warum er hier stehen mußte. Vargo verließ die Nische. Eng an die Wand gepreßt, schlich er an den Raumfahrer heran. Das Lähmfeldgerät hielt er abschußbereit. Plötzlich drehte der Wächter den Kopf und sah Vargo an. Sie waren beide so überrascht, daß sie wie erstarrt dastanden und nichts taten als sich anzusehen. Vargo erholte sich zuerst von seinem Schock und warf dem Mann ein Lähmfeld über den Kopf. Der Raumfahrer ächzte und ließ seine Waffe fallen. Das polternde Geräusch erschien Vargo unglaublich laut, er erwartete unwillkürlich, daß alle im Schiff anwesenden Raumfahrer nun angestürmt kamen. Es blieb jedoch still. Der Wächter rutschte langsam an der Wand herab, wobei er Vargo unverwandt ansah. Vargo mußte sich zwingen, an ihm vorbei zu gehen. Er öffnete die Tür zum Materiallager. Mamrohn hockte am Boden neben einem
17 Speicher. Er war ein Wrack. Seine Augen lagen in tiefen Höhlen, sein Körper war fast bis zum Skelett abgemagert. Vargo gab ein Geräusch des Entsetzens von sich, er konnte nicht glauben, was er da sah. »Was hat man Ihnen angetan?« fragte er. Die leeren Augen richteten sich auf ihn, aber kein Anzeichen des Erkennens regte sich in ihnen. Vargo trat in den Raum und näherte sich Mamrohn. »Ich bin Vargo!« rief er sanft. »Sie müssen sich erinnern.« »Ja«, erwiderte Mamrohn mit kraftloser Stimme. »Was wollen Sie von mir?« Vargo fragte sich entsetzt, was mit diesem Mann geschehen sein mochte. Der ehemalige Wissenschaftliche Erste Rat von Tropoyth mußte schreckliche Erlebnisse durchgemacht haben. War Kreton für den Zustand des Gefangenen verantwortlich? »Ich will versuchen, Ihnen zu helfen«, brachte Vargo nach einer Weile des Schweigens hervor. »Sie gehören zu den Rebellen, die im Makrokosmos bleiben wollen. Dieser Wunsch sollte unter allen Umständen respektiert werden.« Er unterbrach sich und biß sich auf die Unterlippe. Seine Worte kamen ihm sinnlos vor. Er beugte sich zu Mamrohn hinab und ergriff ihn am Arm. Als er ihn hochziehen wollte, machte Mamrohn sich frei und richtete sich ohne Hilfe auf. Der Gefangene war kräftiger als Vargo vermutet hatte. »Sie ermöglichen mir die Flucht«, stellte Mamrohn fest. Vargo nickte und deutete zum Eingang. »Wir müssen uns beeilen!« Sie verließen das Lager. Als Mamrohn den bewegungslosen Wächter neben der Tür liegen sah, bückte er sich und ergriff die Waffe des Mannes. Vargo, der geglaubt hatte, Mamrohn wollte den Strahler lediglich an sich nehmen, mußte entsetzt zusehen, wie der Befreite die Waffe auf den Wächter richtete und abdrückte. »Sie sind wahnsinnig!« stieß Vargo her-
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vor. Mamrohn drehte die Waffe herum und schmetterte ihm den Kolben gegen das Gesicht. Vargo fühlte Blut aus seiner Nase schießen und taumelte rückwärts. Er sank zu Boden. Bevor er das Bewußtsein verlor, sah er Mamrohn davonstürmen.
* Vargo kam langsam zu sich. Um ihn herum bewegten sich verschwommene Gestalten. Sein Gesicht schmerzte, die Kinnpartie schien zerschmettert zu sein. Als seine Blicke sich klärten, konnte er feststellen, daß er sich nicht mehr im Raumschiff, sondern in der Krankenabteilung der dopmorgischen Station befand. Zwei Ärzte bemühten sich um ihn, während Kreton neben dem Bett stand und voller Abscheu auf ihn herabblickte. Als Kreton sah, daß Vargo sein Bewußtsein zurückerlangt hatte, sagte er: »Sie werden statt seiner vor Gericht stehen, Vargo.« Vargo wollte sprechen, aber es gelang ihm nicht, den Mund zu öffnen. Die Schmerzen waren zu stark. »Er hat drei Männer getötet und ist verschwunden«, berichtete Kreton in ohnmächtiger Wut. »Ich kann seinetwegen den Aufbruch nicht verschieben, sonst würden wir ihn jagen. Eines Tages jedoch wird er bestraft werden.« Vargo schloß die Augen. Er hatte seit der Erfindung des Umsetzers eine Reihe schwerer Fehler begangen, die sich nicht korrigieren ließen. Das Verhängnis war jedoch mit der Entdeckung der Absoluten Bewegung ausgelöst worden. Vargo bedauerte jetzt seinen Entschluß, dieses Geheimnis den Tropoythers zugänglich gemacht zu haben. Bisher hatte es nur Unglück über einen Teil seines Volkes gebracht, und ein Ende der Katastrophen war noch nicht abzusehen. Der Wissenschaftler fürchtete die Bestrafung durch ein tropoythisches Gericht nicht. Er war zu alt und abgeklärt, um sich über
sein eigenes Schicksal noch große Gedanken zu machen. Die Frage, die ihn am meisten beschäftigte, war, was die Rückkehrer aus dem Makrokosmos in ihrer Heimat erwartete. Vargo spürte, daß ihn die Erschöpfung übermannte. Er entspannte seinen Körper und ließ sich beinahe dankbar in eine neue Ohnmacht fallen.
4. Atlan Die transparente Kugel war unter die Decke zurückgeschwebt und hatte meinen Körper freigegeben. Ich lag starr in der Mulde und versuchte, mir über das soeben Erlebte klar zu werden. Was ich durch den Bericht der Erinnye erfahren hatte, war phantastisch und ungeheuerlich. Über einen unendlichen Zeitraum hinweg bestanden Zusammenhänge zwischen Makro- und Mikrokosmos. Meine Gedanken wirbelten durcheinander, nur mühsam gelang es mir, sie wieder zu ordnen. Zweifellos entsprach der Bericht der Rachegöttin der Wahrheit. Ich wußte längst nicht alles, aber ich hatte vom Beginn eines gewaltigen kosmischen Dramas erfahren, in das Crysalgira und ich immer tiefer verstrickt wurden. Bei meinen traumähnlichen Erlebnissen hatte ich Ischtar wiedergesehen, die Erinnerung an ihren Anblick brach alte Wunden in mir auf. Aber was bedeutete schon mein Schmerz über die Trennung von der Goldenen Göttin im Vergleich zu dem Schicksal jener Tropoythers, die als Varganen in den Makrokosmos vorgestoßen waren? »Atlan!« Crysalgiras Ruf brachte mich in die Wirklichkeit zurück. »Was bedeutet das alles?« »Wir werden sicher noch mehr erfahren«, versuchte ich sie zu beruhigen. Sie besaß längst nicht soviel Informationen wie ich, deshalb mußte das Gesehene für sie rätselhaft sein. »Später werde ich dir alles erklä-
Herrscher im Mikrokosmos ren.« Die Erinnye schwebte heran. »Der Bericht wird später fortgesetzt«, kündigte sie an. »Nun stehe ich für Fragen bereit.« Ich erinnerte mich, daß Ischtar mir die Unsterblichkeit versprochen hatte. War sie bereit gewesen, mich mit in den Mikrokosmos zu nehmen, um dort zusammen mit mir zu leben? Ich dachte an die Jagd nach dem Stein der Weisen, bei der Orbanaschol III. und ich uns erbitterte Kämpfe geliefert hatten. Der Stein der Weisen, daran zweifelte ich jetzt keinen Augenblick mehr, war das Geheimnis der Absoluten Bewegung. Was mochte noch alles geschehen sein, um Ischtar zu solchen Versprechungen zu verleiten? Ich wandte mich an die Erinnye. »Wo liegt die Eisige Sphäre?« erkundigte ich mich. »Hier im Mikrokosmos«, erwiderte der varganische Roboter bereitwillig. »Die Eisige Sphäre wird Yarden genannt.« Ich dachte an den Tejonther Groya-Dol. Im Augenblick seines Todes hatte er behauptet, schon in Yarden gewesen zu sein. Als Beweis hatte er seine Eisnarbe gezeigt. Was war das für ein schrecklicher Platz, wo die letzten Varganen lebten? Und was war mit den Tropoythers geschehen, die die Invasion in den Makrokosmos nicht mitgemacht hatten? Gab es diese mächtige Zivilisation nicht mehr? Magantilliken und sein unheimlicher Auftrag fielen mir wieder ein. »Es ist sinnlos, wenn ich Fragen stelle«, sagte ich der Erinnye. »Deshalb schlage ich vor, daß du den Bericht fortsetzt.« »Ich bin einverstanden«, erklärte das durchsichtige Wesen. Ich blickte zur Decke und sah die Kugel wieder herabkommen. Gestalten wirbelten über ihre Oberfläche. Ich schloß die Augen und fühlte, daß meine Gedanken sich verwirrten. Ich hörte auf, Atlan zu sein.
19 Ich war …
5. Vargo Unmittelbar nach dem Übergang in den Mikrokosmos begannen die Temperaturen an Bord der achtzehnhundert Doppelpyramidenschiffe unter den Gefrierpunkt abzusinken. Techniker und Raumfahrer hatten Mühe, die Funktionsfähigkeit der Schiffe in vollem Umfang aufrechtzuerhalten. Seltsamerweise machte die plötzlich hereinbrechende Kälte den Besatzungsmitgliedern der Schiffe nichts aus, sie schienen im Verlauf des zweiten Übergangs zwischen zwei Existenzebenen eine Immunität gegen Kälte erlangt zu haben. Das traf auch für Vargo zu, der in einer Kabine gefangengehalten wurde. Das aufgetretene Phänomen veranlaßte Kreton, den alten Wissenschaftler in die Zentrale zu rufen. »Ich möchte, daß Sie sich die Kontrollinstrumente ansehen«, erklärte Kreton die überraschende Maßnahme. »Es sieht so aus, als hätte unsere Rückkehr verschiedene Erscheinungen ausgelöst, für die wir noch keine Erklärungen gefunden haben.« »Die Kälte deutet auf einen Energieverlust in einem bestimmten Bereich des Mikrokosmos hin«, gab Vargo zurück. Er hatte vorausgeahnt, daß es zu neuen Schwierigkeiten kommen würde. »Die Durchbruchstelle, die wir mit Hilfe der Absoluten Bewegung geschaffen haben, ist instabil geworden, es gibt keine feste Grenze mehr zwischen den Existenzebenen.« »Was schlagen Sie vor?« Vargo fühlte angesichts der Hilflosigkeit seines Gegners keinen Triumph, schließlich waren sie alle von diesen Veränderungen betroffen. Es war noch nicht absehbar, welche Konsequenzen sich aus der Entwicklung ergaben. Vargo spürte, daß die in der Zentrale anwesenden Besatzungsmitglieder ihn erwartungsvoll ansahen. Trotz seiner Ächtung war
20 er noch immer der anerkannte Fachmann im Umgang mit der Absoluten Bewegung. Der alte Wissenschaftler beobachtete die Kontrollanlagen. In jenem Bereich, wo die Flotte auf ihre ursprüngliche Größe und Masse reduziert worden war, hatte sich ein nebelartiges Gebilde ausgebreitet. Die Schiffe standen zwar im Mikrokosmos, aber sie befanden sich innerhalb einer aus einer übergeordneten Existenzebene hervorbrechenden Blase. Der Masseaustausch hatte nicht einwandfrei funktioniert. Vargo befürchtete, daß sich diese »Kälteblase« allmählich vergrößern würde, wenn man nichts dagegen unternahm. Die Rückkehr verlief also wesentlich schwieriger, als die Varganen zunächst angenommen hatten. »Wir haben einen Teil unserer ursprünglichen Masse mit in den Mikrokosmos gebracht«, stellte Vargo fest. »Das hat zu einer Aufweichung der physikalischen Grenze geführt.« Kretons Augen weiteten sich. »Dieser Bereich des Mikrokosmos ist in Gefahr!« »Ja«, bestätigte Vargo. »Die Gefahr ist nicht akut, aber sie wird sich ausweiten, wenn nichts dagegen unternommen wird.« »Was können wir tun?« fragte einer der anderen Wissenschaftler. »Das Leck muß geschlossen werden«, antwortete Vargo. »Zumindest müssen wir alles tun, damit es sich nicht vergrößert. Das bedeutet, daß wir in einer noch zu findenden Form Masse an den Makrokosmos abtreten müssen.« »Glauben Sie, daß wir mit unseren Schiffen diese Kälteblase verlassen können?« fragte eine Frau. Vargo hatte sich darüber bereits Gedanken gemacht, er wußte keine Antwort darauf. Sie mußten es versuchen, nur so konnten sie es herausfinden. Angesichts der anstehenden Probleme rechnete Vargo nicht damit, daß er in sein Gefängnis zurückkehren mußte. Man brauchte ihn. Die Umstände seiner Freilassung waren alles andere als er-
William Voltz freulich, aber Vargo war entschlossen, seinem Gegner eine Zusammenarbeit anzubieten. »Wir machen zunächst einen Versuch, ein Schiff aus dieser seltsamen Energiewolke herauszubringen«, schlug Kreton vor. »Es kommt darauf an, Tropoyth zu erreichen und unser Volk von unserer Rückkehr zu unterrichten.« »Auf Tropoyth lebt eine neue Generation!« wandte einer der Wissenschaftler ein. »Wie werden sie auf unsere Ankunft reagieren? Wir sind nicht gealtert, aber unsere Brüder und Schwestern sind längst nicht mehr am Leben. Es wird zu Konflikten kommen.« »Vielleicht weigern sie sich, uns aufzunehmen!« befürchtete jemand. Vargo trat von den Kontrollen zurück. »Wir sind unsterblich, steril und eiskalt«, sagte er leidenschaftslos. »Ich befürchte, daß das noch nicht alles ist.«
* Das kleine, robotisch gesteuerte Beiboot hatte die Kälteblase durchquert und näherte sich nun der Grenze. An Bord der TERROTH, wo sich auch Kreton, Vargo und alle anderen führenden varganischen Wissenschaftler aufhielten, konnte der Flug des unbemannten Schiffes ortungstechnisch einwandfrei beobachtet werden. In wenigen Augenblicken würde sich entscheiden, ob ein Verlassen der Kälteblase möglich war. In der Zentrale der TERROTH herrschte gespannte Erwartung. Vargo wußte, daß es an Bord der übrigen Schiffe nicht anders aussah. Was sollten sie tun, wenn dieses Experiment scheiterte? Vargo wagte nicht, an eine solche Möglichkeit zu denken. »Es ist soweit!« rief Kreton. Seine Stimme klang krächzend. Seit ihrer Rückkehr in den Mikrokosmos hatte Vargo gelernt, diesen Mann richtig einzuschätzen. Kreton war
Herrscher im Mikrokosmos keineswegs der Ignorant, für den er ihn immer gehalten hatte. Der Nachfolger Mamrohns war selbstloser als er den Eindruck erweckte. Auf dem Bildschirm der Raumortung blitzte es auf. Einen Augenblick lang war eine kleine leuchtende Wolke zu erkennen, die sich jedoch rasch wieder auflöste. Vargos Blicke blieben auf den Bildschirm gerichtet, er wagte nicht, irgend jemand in der Zentrale anzusehen, denn er befürchtete, daß er den Ausdruck maßlosen Entsetzens in den Gesichtern der anderen nicht ertragen konnte. Jemand machte seiner Enttäuschung mit einem Aufstöhnen Luft. Kreton sagte ungläubig: »Es ist explodiert!« »Wir sind gefangen!« schrie eine der Frauen. »Gefangen in dieser eisigen Sphäre.« »Das war nur der erste Versuch«, raffte Vargo sich zu einer Stellungnahme auf. »Wir dürfen nicht aufgeben. Es wird einen Weg hinaus geben.« Er sollte recht behalten. Der Weg jedoch, den sie in absehbarer Zeit finden sollten, war so phantastisch, daß niemand an Bord der TERROTH auch nur ahnte, daß es ihn gab.
6. Vargo Nachdem zwei weitere Beiboote explodiert waren, gab Kreton den Befehl, die Versuche vorläufig einzustellen. Es galt, die Eisige Sphäre, wie sie ihren neuen Aufenthaltsort nannten, zunächst einmal gründlich zu erforschen. Eine unmittelbare Lebensgefahr für die zurückgekehrten Varganen bestand nicht, denn die Schiffe konnten für lange Zeit als Lebensraum dienen. Die Hoffnung, daß die Eisige Sphäre von tropoythischen Raumfahrern angepeilt und aufgesucht werden könnte, erfüllte sich zu Vargos Erstaunen nicht. Das Ausbleiben einer Hilfe von außen beunruhigte Vargo mehr als er den anderen gegenüber einge-
21 stand. Er entschloß sich, mit Kreton darüber zu sprechen. »Wir sind noch nicht lange genug hier«, meinte Kreton. »Unser Volk hatte wahrscheinlich noch keine Gelegenheit, diesen Raumsektor anzufliegen.« Vargo rieb sich das Gesicht. »Ich weiß nicht«, zweifelte er. »Die Sphäre hat eine große Ausdehnung und ist außerdem ein starker Strahler. Man hätte sie finden müssen.«. »Was könnte der Grund sein, warum wir noch keinen Kontakt haben?« wurde Kreton konkreter. »Es gibt mehrere Erklärungen«, antwortete der alte Mann. »Ich habe schon überlegt, ob so große Verschiebungen zwischen den Existenzebenen stattgefunden haben, daß wir an einer völlig anderen Stelle des Mikrokosmos herausgekommen sind. Dieser Verdacht wurde inzwischen durch astronomische Untersuchungen widerlegt. Wir befinden uns in unserem Universum, in unserer mikrokosmischen Galaxis.« »Und weiter?« »Wir waren ziemlich lange unterwegs«, fuhr Vargo zögernd fort. »Inzwischen kann viel geschehen sein.« Kreton war intelligent genug, um die Hintergründigkeit der Antwort zu verstehen. »Unsinn!« widersprach er energisch. »Was soll geschehen sein?« »Nachdem wir den Makrokosmos erlebt haben, wissen wir, von welchen Zufälligkeiten unsere Existenz hier ›unten‹ abhängig sein kann. Vielleicht gibt es keine tropoythische Raumfahrt mehr, vielleicht gibt es nicht einmal mehr eine Zivilisation dieses Namens.« Vargo wunderte sich, daß ihm diese Worte so leicht über die Lippen kamen. Immerhin deutete er die Möglichkeit an, daß das Volk, dem sie alle entstammten, nicht mehr existierte. Unbewußt war die Trennung zwischen Tropoythers und Varganen längst vollzogen, erkannte Vargo erstaunt. Er hatte von seinem Volk wie von Fremden gesprochen.
22 »Sprechen Sie mit keinem anderen Besatzungsmitglied über diesen Verdacht«, warnte ihn Kreton. »Wir haben schon Schwierigkeiten genug. Wenn jetzt bekannt wird, was Sie befürchten, kann es zu einer Katastrophe kommen.« Vargo glaubte nicht an diese Katastrophe. Die Unsterblichen hatten im Makrokosmos gelernt, sich auf ungewohnte Situationen einzustellen und würden auch mit dieser Entwicklung fertig werden. Die Zuversicht des Wissenschaftlers erwies sich rasch als trügerisch, denn die führende Gruppe unter Kreton hatte es immer schwerer, die Kontrolle über die Ereignisse in der Eisigen Sphäre zu behalten. An Bord einiger Dutzend Schiffe kam es zu Revolten, wobei die Wissenschaftler in der Führung abgelöst wurden. Die Varganen wählten Techniker als ihre Anführer, weil sie sich von diesen Frauen und Männern die Erhaltung der Funktionsfähigkeit der Schiffe versprachen, was ihnen im Augenblick vorrangig erschien. Auch an Bord der TERROTH gab es unzufriedene Gesichter, aber niemand wagte, offen gegen Kretons Anordnungen zu protestieren. Kretons Autorität reichte aus, um ein Überspringen der Revolten auf alle Schiffe zu verhindern, so daß die Wissenschaftler weiterhin in der Lage waren, gemeinsame Aktionen fast aller Besatzungen zu planen. Bedauerlich war nur, daß die Wissenschaftler viel Zeit zur Stabilisierung der politischen Lage aufwenden mußten, Zeit, die sie besser zur Erforschung der Eisigen Sphäre genutzt hätten. Als die Varganen sich mit den Gegebenheiten abzufinden begannen und sich wieder von ihren revoltierenden Artgenossen abwandten, kam es zum Eklat. Kreton, der von der TERROTH aus zu einem anderen Schiff unterwegs war, erreichte sein Ziel nicht. Sein Beiboot wurde von Schiffen der Aufständischen gestoppt und gewaltsam weggeschleppt. Die Entführung löste eine schwere Krise aus.
William Voltz Die besonnenen Varganen sahen sich ihres Anführers beraubt, und der Frieden innerhalb der Eisigen Sphäre drohte durch die Aktionen einiger unüberlegt handelnder Frauen und Männer zu zerbrechen.
* Das Schiff, auf das man Kreton entführt hatte, trug den Namen ERMOTH und wurde von einem sogenannten Erneuerungsrat befehligt. Dem Rat gehörten zwei Männer und eine Frau an: Verlos, Kandro und Veschnar. Es waren bisher unbekannte Techniker, die von sich behaupteten, die Besatzung ihres Schiffes stünde hinter ihnen. An eine gewaltsame Befreiung Kretons aus der ERMOTH war nicht zu denken; für den Fall, daß dieser Versuch gemacht werden sollte, hatte der Erneuerungsrat mit Kretons Tod gedroht. Es gab unter den Wissenschaftler keinen, der diese Drohung nicht ernst genommen hätte. An Bord der TERROTH kamen die Wissenschaftler zu einer Besprechung zusammen. Ein Mann namens Verkohr wurde zum vorläufigen Leiter der Gruppe bestimmt. Verkohr war energisch, aber nicht übermäßig intelligent. Für Vargo stand fest, daß man diesen Mann nicht wegen seiner Fähigkeiten als Wissenschaftler gewählt hatte, sondern weil man von ihm erwartete, daß er ein Mittel gegen die revoltierenden Raumfahrer finden würde. Verkohr zögerte auch nicht, die Dinge beim Namen zu nennen. »Wenn wir Kretons Leben schonen wollen, müssen wir abwarten, welche Bedingungen uns dieser sogenannte Erneuerungsrat stellen wird. Die Aktion war nicht gegen Kreton persönlich gerichtet, sondern die Täter wollen auf diese Weise etwas erreichen, was sie aufgrund ihres geringen Einflusses sonst niemals verwirklichen könnten.« Es dauerte nicht lange, dann meldete sich Kandro von Bord der ERMOTH über Funk. Er war ein großer, düster aussehender Vargane, der eine gewisse Scheu davor zu ha-
Herrscher im Mikrokosmos ben schien, sich auf dem Bildschirm der Funkanlage zu zeigen. Vielleicht war er nicht gewohnt, Mittelpunkt der Aufmerksamkeit zu sein. Das Gespräch, das sich nun zwischen Verkohr und Kandro entwickelte, konnte an Bord aller Schiffe empfangen werden. »Wir halten Kreton gefangen«, sagte Kandro nervös. »In diesem Zusammenhang werden wir einige Bedingungen stellen, ohne deren Verwirklichung der Wissenschaftler dieses Schiff nicht mehr lebend verlassen wird.« Vargo war sicher, daß dies keine leere Drohung war. Bei aller Nervosität war Kandro ein Fanatiker, der seine Ansichten um jeden Preis durchzusetzen versuchte. Verkohr verhielt sich klug. Er antwortete nicht, sondern wartete, daß der andere fortfahren würde. Dadurch wurde Kandro weiter verunsichert, er blinzelte gegen das Licht. »Wir Techniker haben nachgedacht, wie wir den uns zur Verfügung stehenden Lebensraum, nämlich die achtzehnhundert Schiffe, möglichst lange nutzen können«, sagte er schließlich. »Und was ist das Ergebnis dieser Bemühungen?« erkundigte sich Verkohr spöttisch, als sei ausgeschlossen, daß von der anderen Seite auch nur eine brauchbare Idee kommen könnte. »Im Augenblick wird die Energie aller Schiffe verschwendet«, stellte Kandro fest. »Kein Wunder, sie stehen dezentralisiert innerhalb dieser Energieblase.« Vargo war überrascht, daß dieses Gespräch sich um technische Aspekte drehte, er hatte eigentlich erwartet, daß die Forderungen des Erneuerungsrats politischer Natur sein würden. »Was haben Sie dagegen einzuwenden?« fragte Verkohr. »Wir fordern eine den Umständen entsprechende Rationierung der Energien«, verkündete Kandro. Jetzt, da es um sein Fachgebiet ging, wirkte er sicherer. »Das ist nur zu verwirklichen, wenn alle Schiffe zu einem großen Pulk zusammengebracht und
23 miteinander verbunden werden. Wir haben errechnet, daß drei Schiffe jeweils genügen, um den gesamten Pulk mit der nötigen Standenergie zu versorgen. Sobald der Vorrat von drei Schiffen aufgebraucht ist, werden die nächsten Einheiten eingeschaltet. Auf diese Weise können wir fast für unbegrenzte Zeit hier leben.« Der Vorschlag überraschte Vargo. Er war zumindest wert, daß man darüber diskutierte. Die Energieversorgung aller Schiffe würde im Verlauf der nächsten Jahre zu einem Problem werden – auf dieser Basis allerdings konnte sie gelöst werden. Zwei oder drei Schiffe konnten außerhalb des Pulks bleiben, um bei eventuell notwendig werdenden Einsätzen benutzt werden zu können. »Sie wissen, daß diese Idee undurchführbar ist«, hörte Vargo den Sprecher der Wissenschaftler sagen. »Ich denke nicht an die technischen Probleme, sondern daran, daß wir sobald wie möglich aus der Eisigen Sphäre entkommen wollen. Eine Verbindung aller Schiffe würde auch politische und psychologische Schwierigkeiten mit sich bringen.« »Ja«, stimmte Kandro zu. »Darüber müßte gesprochen werden. Wir geben Ihnen einen Tag Zeit, um über unsere Bedingungen zu beraten.« Das Gerät wurde ausgeschaltet. »Nun?« fragte Verkohr und sah sich im Kreis der Wissenschaftler um. Niemand wollte etwas sagen, so daß Vargo sich entschloß, den Tatbestand seiner Unpopularität zu mißachten. »Es ist eine gute Idee«, sagte er. »Im Augenblick gibt es keine Chance, die Eisige Sphäre zu verlassen, deshalb müssen wir mit allem, was uns hier zur Verfügung steht, sorgsam umgehen.«. Die anderen sahen ihn unwillig an, sie waren einfach nicht bereit, diesen Vorschlag zu akzeptieren. Der Erneuerungsrat war der politische Gegner – er hatte unrecht. Vargo verließ achselzuckend die Zentrale,
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er sah keinen Sinn darin, mit den Wissenschaftlern zu streiten. Die Zeit würde dem Erneuerungsrat in die Hände spielen. Vor seinen geistigen Augen sah Vargo bereits das Bild eines aus achtzehnhundert Raumschiffen bestehenden Pulks im Innern der Eisigen Sphäre. Wenn sie nicht aufgeben und sterben wollten, war das der nächste Schritt zu ihrer Rettung. Der Prozeß des Umdenkens währte ein halbes Jahr, dann wurde Kreton freigelassen. Techniker und Wissenschaftler setzten sich an einen Tisch, um über die notwendigen Vorbereitungen zu beraten. Erstaunlicher als diese Entwicklung war die Tatsache, daß außerhalb der Eisigen Sphäre noch immer kein tropoythisches Raumschiff aufgetaucht war. So war es kein Wunder, daß die Varganen offen über die ketzerische Frage sprachen, ob sie vielleicht die letzten Tropoythers wären.
* Das Leben an Bord der Doppelpyramidenraumschiffe begann sich zu normalisieren. Der Pulk war praktisch fertiggestellt, die Unsterblichen in der Eisigen Sphäre begannen darüber nachzudenken, was sie tun konnten, um nicht von Gleichförmigkeit und Langeweile umgebracht zu werden. Kandro und Kreton, die gemeinsam die Regierung anführten, verzeichneten einen Anstieg aggressiver Handlungen. Es kam zu drei Morden, die Anzahl der Selbstmörder wuchs auf achtzehn. Für Vargo war diese Entwicklung besorgniserregend, denn sie signalisierte den Zerfall einer kleinen Gesellschaft, die mit ihrer Zerstörung begann, kaum daß sie sich gefestigt hatte. Im Verlauf einer Besprechung mit der Regierung, an der neben Vargo noch sechs andere Wissenschaftler teilnahmen, schlug der Entdecker der Absoluten Bewegung vor, verschiedene Aktivitäten zu entwickeln. Forschungs- und Arbeitspläne sollten ausge-
arbeitet werden – auch wenn sie noch so sinnlos erschienen. »Die Varganen müssen glauben, daß ihr Leben noch einen Sinn hat, sonst werden sie sich selbst aufgeben«, warnte ein Wissenschaftler namens Metorg. »Wir müssen sie beschäftigen und in Bewegung halten.« »Solange wir mit dem Aufbau des Pulks beschäftigt waren, gab es keine Probleme«, fügte Vargo hinzu. »Jetzt haben wir kein Ziel mehr, auf das wir hinarbeiten. Das ist unser Problem.« Kreton war von der Richtigkeit dieser Mahnungen überzeugt, aber der nüchterne Techniker Kandro hielt sie für übertrieben. Innerhalb der Regierung zeichneten sich neue Schwierigkeiten und Machtkämpfe ab. Ein paar Tage nach dieser Besprechung nahm die Entwicklung jedoch eine unverhoffte Wendung. Vargo wurde von Kreton in die CESSORT gerufen, ein Schiff fast im Zentrum des Pulks. »Ich muß Ihnen etwas zeigen«, sagte Kreton nervös. »Wenn nicht alles täuscht, haben wir ein neues Problem.« Vargo stellte keine Fragen, sondern folgte dem Regierungsmitglied in die Aufenthaltsräume des Schiffes. Erstaunt stellte er fest, daß einer der Räume bewacht wurde. Kreton und Vargo durften passieren. Der Raum lag in Dunkelheit, aber im Licht, das durch die offene Tür hereinfiel, sah Vargo zwei Varganen am Boden liegen. Nachdem er die Tür hinter sich geschlossen hatte, schaltete Kreton die Beleuchtung ein. Vargo, der zunächst geglaubt hatte, die beiden Männer am Boden seien ermordet worden, sah sich getäuscht. Die Männer lebten, aber ihre Körper befanden sich im Zustand der Starre. »Sie gehören nicht zur Stammbesatzung der CESSORT«, berichtete Kreton. »Wir haben sie von zwei anderen Schiffen hierher bringen lassen, wo sie beinahe gleichzeitig in diesem Zustand gefunden wurden. Ihre Namen sind Perlock und Barraton, beides Techniker.«
Herrscher im Mikrokosmos Vargo beugte sich zu den Bewußtlosen hinab und untersuchte sie kurz. »Ihre Bewußtlosigkeit ist so tief, daß ihr Gehirn so gut wie keine Reaktionen mehr zeigt«, erklärte Kreton. »Wir haben sie gründlich untersucht, ihre Organe arbeiten einwandfrei, aber man kann sie nicht mehr als Lebewesen in unserem Sinne bezeichnen. Es sind … Maschinen, wenn Sie so wollen.« Vargo richtete sich wieder auf. »Es sind Hüllen«, fuhr Kreton bitter fort. »Sie befürchten, daß sich weitere Fälle ereignen könnten?« erriet Vargo bestürzt. »Ja.« Kreton sah ihn an, als wollte er fragen: Warum beschäftige ich mich noch mit all diesen Dingen, welchen Sinn hat das überhaupt? »Wenn es der Anfang einer Epidemie sein sollte«, sinnierte Vargo, »dann ist es eine sehr merkwürdige Epidemie.« »Wir haben nichts gefunden, nicht den geringsten Hinweis«, sagte Kreton verzweifelt. »Sie liegen da und haben aufgehört zu denken. Als sei das Bewußtsein aus ihren Körpern gewichen.« »Gibt es irgendwelche Zusammenhänge in ihrem Leben?« »Nein«, sagte Kreton entschieden. »Sie hatten vorher nichts miteinander zu tun. Wir haben ihre gesamte Umgebung nach Berührungspunkten abgetastet. Sie wurden völlig unabhängig voneinander davon betroffen.« Vargo grübelte über dieses Problem nach. Natürlich gab es Zusammenhänge, Kreton und er waren nur nicht in der Lage, sie zu erkennen. »Bisher konnten wir die Sache verheimlichen«, verkündete Kreton. »Wenn sich diese Fälle jedoch wiederholen sollten …« Er überließ es Vargo, sich die Konsequenzen auszudenken. »Wir denken beide das gleiche«, vermutete Vargo. »Das ist kein medizinisches, sondern ein metaphysisches oder psychologisches Problem. Von dieser Seite sollten wir es auch angehen.« »Das wird eine richtige Generalstabsar-
25 beit«, befürchtete das Regierungsmitglied. Vargo nagte an der Unterlippe. Nach einer Weile schlug er vor: »Sagen Sie allen Varganen, was geschehen ist. Vielleicht sind einige ganz glücklich, wenn sie hören, daß etwas passiert.« Kreton verstand und nickte. Innerhalb der nächsten Tage fielen dreiundvierzig weitere Frauen und Männer in die unheimliche Starre. Bevor jedoch Panikstimmung aufkommen konnte, erwachte Barraton aus seiner Bewußtlosigkeit und behauptete, er hätte sich außerhalb der Eisigen Sphäre aufgehalten.
7. Vargo Barraton genoß es sichtlich, im Mittelpunkt des Interesses zu stehen. Vargo wünschte, ein weniger eitler Vargane wäre zuerst aus der Starre erwacht, um über seine Erlebnisse zu berichten, denn bei Barraton bestand die Gefahr, daß er Ereignisse erfand, um sich wichtig zu machen. Die Mitglieder der Regierung waren geschlossen erschienen, um Barratons Bericht zu hören, daneben befanden sich die wichtigsten Wissenschaftler im Aufenthaltsraum. Vargo brauchte sich nur umzusehen, um eine große Bereitschaft bei allen Beteiligten zu erkennen – die Bereitschaft, um jeden Preis etwas Sensationelles zu erfahren, was zur Veränderung der augenblicklichen Situation innerhalb der Eisigen Sphäre beitragen konnte. »Berichten Sie uns, was sich ereignet hat«, forderte Kreton den Techniker auf. Barraton sah weder krank noch angegriffen aus, er hatte die sieben Tage der Starre ohne sichtbaren Schaden bestanden. »Ich befand mich in meiner Kabine, als es geschah«, erzählte Barraton. »Ich lag auf dem Bett und dachte darüber nach, daß wir in der Eisigen Sphäre gefangen sind. Dabei überlegte ich, wie wir von hier entkommen könnten.« »Einen Augenblick!« unterbrach ihn Kan-
26 dro. »Es ist wichtig, daß wir über Ihren Zustand informiert werden. Befanden Sie sich im Halbschlaf – war es eine Art Traum, was Sie erlebten?« Barraton schüttelte den Kopf. »Ich hatte den intensiven Wunsch, aus der Eisigen Sphäre zu entkommen, das ist alles. Plötzlich löste sich die Umgebung vor meinen Augen auf, ich spürte, daß ich meinen Körper verließ.« Seine Worte lösten Unruhe unter den Zuhörern aus. »Sie wollen sagen, daß Ihr Bewußtsein den Körper verließ«, warf Metorg ein. »Ich weiß nicht«, sagte Barraton achselzuckend. »Auf jeden Fall fand ich mich in einem anderen Körper wieder, im Körper eines Tropoythers, der tot in einem Sterilisationsbehälter lag.« »Woher wußten Sie das so genau?« wollte Vargo wissen. Barraton sah ihn an und sagte ungeduldig: »Ich wußte es nicht sofort, ich fand es erst später heraus. Zunächst merkte ich, daß ich in einem anderen Körper war, der unter meinem Einfluß zum Leben erwachte. Ich konnte mich aufrichten und diesen Behälter verlassen. Ich befand mich in einer unterplanetarischen tropoythischen Station, wo etwa zweihundert Behälter mit toten Männern und Frauen darin standen. Lebende Tropoythers konnte ich nicht entdecken.« »Was haben Sie dann getan?« wollte Kandro wissen. »Offen gestanden hatte ich große Angst. Ich wagte nicht, diesen Raum zu verlassen, aber es kam auch niemand zu mir herein.« Kandro runzelte die Stirn. »Haben Sie die ganze Zeit dort unten zugebracht?« »Ja.« »Sie können also nicht genau sagen, ob Sie sich auf Tropoyth befanden?« »Nein, es kann auch ein Kolonialplanet gewesen sein.« Vargo entschuldigte sich im stillen bei dem wiedererwachten Techniker. Barraton hatte der Versuchung widerstanden, eine
William Voltz Geschichte zu erfinden. Er hatte sogar zugegeben, daß ihn die Furcht an einen Raum gebunden hatte. Die Zuhörer schienen enttäuscht zu sein, viele von ihnen waren nicht bereit, Barraton zu glauben. »Zweifellos haben Sie geträumt«, meinte Kandro. Kreton stand auf. »Das ist völlig ausgeschlossen. Wir haben diesen Mann im Zustand der Starre untersucht, sein Gehirn zeigte während dieser Zeit nicht die geringsten Anzeichen einer Reaktion.« »Sie haben ihn einmal untersucht, nicht ununterbrochen!« erinnerte Kandro. Kreton setzte zu einer heftigen Erwiderung an, dann besann er sich, daß es besser war, in Anwesenheit Dritter keine Auseinandersetzungen mit seinem Partner zu beginnen. Vargo kam dem Wissenschaftler zu Hilfe. »Es handelt sich einwandfrei um Fälle von Bewußtseinswanderung«, behauptete er. »Barratons Geist, sein Ego, seine Seele oder wie immer wir es nennen wollen, verließ den Körper, um sich in einem anderen Körper anzusiedeln.« »Das ist ja lächerlich!« rief ein anderes Regierungsmitglied. »Keineswegs«, widersprach Vargo ruhig. »Erinnern Sie sich an die Effekte, die bisher durch die Benutzung der Absoluten Bewegung aufgetreten sind: Wir wurden unsterblich, steril und können inmitten dieser eiskalten Umgebung leben. Nun kommt noch die Fähigkeit der Bewußtseinsteleportation hinzu. Wir sollten dankbar sein, daß es dazu gekommen ist, denn jetzt haben wir endlich eine Möglichkeit, die Eisige Sphäre zu verlassen und uns draußen umzusehen. Ich bin sogar überzeugt, daß wir mit Hilfe unserer Wirtskörper, in die wir eindringen, Einfluß auf die Ereignisse außerhalb der Eisigen Sphäre nehmen können.« Seine Worte lösten Unglauben aus. Die Entwicklung, die er seinen Artgenossen verhieß, erschien ihnen zu phantastisch. Vargo war jedoch sicher, daß sich jede seiner Vermutungen realisieren würde.
Herrscher im Mikrokosmos Als die Besprechung beendet war, zog der alte Wissenschaftler sich in seine Kabine zurück. Er hatte einen tollkühnen Entschluß gefaßt. Warum sollte ihm nicht gelingen, was Barraton und die anderen erreicht hatten? Er ließ sich auf seinem Bett nieder und schloß die Augen. Nach einer Weile gelang es ihm, seine Gedanken völlig zu konzentrieren. Er wünschte, die Eisige Sphäre zu verlassen. Es gelang ihm!
* Die Zeitspanne, die er für den Wechsel benötigt hatte, war nicht meßbar, aber Vargo war sicher, daß der Vorgang sich in Nullzeit vollzogen hatte. Er spürte, daß er einen anderen Körper besaß. Bereits jetzt überlegte er, wie sie lernen konnten, den willkürlichen Wechsel zu steuern, so daß es möglich war, Ort und Körper zu bestimmen. Er befand sich in einem völlig erhaltenen tropoythischen Körper, der vor langer Zeit gestorben, aber in seinem Sterilisationsbehälter völlig erhalten geblieben war. Da Barraton von einem ähnlichen Vorgang berichtet hatte, nahm Vargo an, daß alle Varganen, die diesen Prozeß bisher miterlebt hatten, in toten Körpern zu sich gekommen waren. Vargo bewegte sich, er fühlte die Enge des Behälters. Offensichtlich war es ihm nicht möglich, die Erinnerungen und das Wissen des toten Gehirns zu nutzen, denn ihm standen nur die eigenen Erfahrungen und Informationen zur Verfügung. Er wußte nicht, wie der Tote hieß und auf welcher Welt er sich befand. Als er sich aufrichtete, stieß er gegen den Deckel des Behälters. Er löste seine Arme aus den Bändern des Behälterbodens und preßte die Hände gegen den Deckel. Seine Bemühungen blieben ohne Erfolg, so daß er befürchtete, daß er nicht in diesem Körper
27 bleiben konnte. Er hätte zurückkehren und einen neuen Versuch unternehmen müssen. Da er die damit verbundenen Risiken nicht kannte, entschloß er sich, verstärkte Anstrengungen zu seiner Befreiung zu machen. Es gelang ihm, die Beine anzuziehen und die Füße gegen den Deckel zu stemmen. Nun konnte er die volle Kraft seines neuen Körpers einsetzen. Der Deckel gab nach und kippte schließlich zur Seite. Licht fiel in den Behälter. Vargo blickte zu einer stählernen Decke hinauf, an der einige Scheinwerfer angebracht waren. Genau wie Barraton befand er sich in einer unterplanetarischen Station. Die Bauweise der Decke ließ keinen Zweifel aufkommen, daß es sich um eine von Tropoythers gebaute Anlage handelte. Vargo richtete sich auf. Sein Behälter war der achte in einer langen Reihe. Sie standen auf einer Art Rost, der an einer Wand des großen Raumes aufgebaut war. Es war unheimlich still. Vargo kletterte aus dem Behälter und sprang vom Rost. Er blickte an sich herab. Sein Körper war weiblich, groß, muskulös und jugendlich. Vargo lächelte bei dem spontanen Gedanken, daß die Gefahr bestand, daß er sich in sich selbst verliebte. Er ging an den Behältern entlang und überzeugte sich, daß in jedem davon ein toter Tropoyther lag. Plötzlich verstand er, warum Barraton Angst empfunden hatte. Das Bewußtsein, mit diesen vielen Toten allein zu sein, ängstigte auch Vargo. Er ahnte, daß er bei seinen Nachforschungen schreckliche Entdeckungen machen würde. Irgend etwas Entsetzliches hatte sich ereignet, nur das konnte die Anwesenheit der vielen sterilisierten Toten erklären. Da lagen sie und warteten auf ihre Wiedererweckung. Für Vargo war nicht feststellbar, wann sie gestorben waren, sie schienen jedoch schon ziemlich lange hier zu liegen. War es nach dem Aufbruch der tropoythischen Invasionsflotte in den Makrokosmos
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zu einer Katastrophe ungeahnten Ausmaßes gekommen? Vargo konnte diese Möglichkeit nicht mehr ausschließen. Er hatte nicht vergessen, daß bisher kein tropoythisches Raumschiff in der Nähe der Eisigen Sphäre aufgetaucht war. Obwohl es keine Spuren des Verfalls innerhalb der Station gab, hatte Vargo den Eindruck, daß alles in seiner Umgebung sehr alt war. Auf der dem Rost gegenüberliegenden Wand befand sich ein großes Tor. Vargo bewegte sich nur vorsichtig und voller Scheu darauf zu. Er mußte seine Gefühle unterdrücken. Wenn Barraton in dieser oder in einer ähnlichen Station herausgekommen war, konnte Vargo verstehen, daß der Techniker den Raum nicht zu verlassen gewagt hatte. Vargo jedoch war Wissenschaftler. Er kam hierher, um zu ergründen, was sich ereignet hatte. Ab und zu blieb er stehen, um zu lauschen. Es blieb still, nicht einmal von Maschinen ausgelöste Geräusche waren hörbar. Vor dem Tor blieb Vargo stehen. Konnte er riskieren, diesen Raum zu verlassen? Was erwartete ihn draußen – was war draußen? Hinter dem Tor konnte absolutes Vakuum herrschen, tödliche Hitze, strahlenverseuchte Luft oder andere Schrecken. Je länger Vargo nachdachte, desto unentschlossener wurde er. Im Grunde genommen fürchtete er jedoch weniger die Gefahren als die Wahrheit. Hinter dem Tor wartete die Wahrheit.
* Stunde um Stunde brachte Vargo neben dem Tor zu, ohne den entscheidenden Schritt zu wagen. Inzwischen hatte er den Verschlußmechanismus ein paarmal untersucht und festgestellt, daß es nicht schwierig sein würde, diesen Raum zu verlassen. Er kehrte zu dem Rost zurück und las die Beschriftungen an den Behältern. Die Na-
men der Toten waren nicht eingetragen, lediglich eine genaue Beschreibung der Sterilisationsmaßnahmen, offenbar für jene gedacht, die einst den Versuch machen sollten, eine Wiedererweckung durchzuführen. Hatte das Mädchen, dessen Körper er nun belebte, damit rechnen können, auf so phantastische Weise ins Leben zurückzukehren? Vargo wußte, daß er nur den Körper zum Leben erweckt hatte, das Bewußtsein der jungen Frau war nicht aktiviert worden. Diese Feststellung war beruhigend und makaber zugleich. Ein paar Stunden danach stand der Wissenschaftler wieder neben dem Tor. Er mußte sich zwingen, seine Hände nach dem Verschlußmechanismus auszustrecken. Des Metall war kühl, eine kaum sichtbare Staubschicht hatte sich darauf abgesetzt. Vargo drückte den Hebel nach unten. Er wunderte sich nicht über die einfache Konstruktion des Verschlusses, seine Hersteller hatten sicher mit der Möglichkeit gerechnet, daß er von Fremden bedient werden könnte. Der Hebel rastete ein, das Tor glitt zur Seite. Vargo trat einen Schritt zurück und wartete mit angehaltenem Atem. Er schloß unwillkürlich die Augen. Was immer er befürchtet hatte, trat nicht ein. Als er die Augen aufschlug, blickte er auf eine breite Treppe, die steil nach oben führte. Am Ende der Treppe befand sich ein beleuchteter Raum, von dem Vargo von seinem Platz aus jedoch nur einen Ausschnitt sehen konnte. Das Geräusch seiner eigenen Schritte erschreckte den Varganen, als er die Treppe hinaufging. Er blieb jedoch nicht stehen. Jetzt, da er seine Furcht endlich unterdrückt hatte, wollte er das einmal begonnene Unternehmen auch zu Ende führen. Die Treppe mündete in das Innere einer transparenten Kuppel, die auf der Oberfläche eines Planeten stand. Der Planet besaß keine Atmosphäre, das Land sah aus, als wäre es von einer gewaltigen Fräse eingeebnet worden. Die Sonne brannte gnadenlos auf
Herrscher im Mikrokosmos das plattgewalzte Land, und nur eine besondere Beschichtung im Material der Kuppel verhinderte, daß Vargo geblendet wurde. Im Innern der Kuppel war lebenserhaltender Sauerstoff, auf einer Seite konnte Vargo eine Schleuse erkennen. Über der Schleuse stand in großen Buchstaben: AUSGANG NACH TROPOYTH Vargo taumelte auf die Schleuse zu. Er war sich nicht bewußt, daß er schrie. Seit ihrer Rückkehr in den Mikrokosmos hatte er geahnt, daß die tropoythische Zivilisation nicht mehr existierte – nun sah er den Beweis. Aus dem einst blühenden Planeten Tropoyth war eine Ödwelt geworden, hier lebte nichts und niemand mehr. Vargo brach vor der Schleuse zusammen. Er wünschte den Tod herbei, der ihn erlösen würde.
8. Atlan Ich kam nur langsam wieder zur Besinnung. Alles, was ich in traumähnlicher Form erlebte, hatte sich tatsächlich ereignet. Mit Hilfe der seltsamen Kugel unter dem Dach übermittelte die Erinnye ein exaktes Bild der varganischen Geschichte. Ich hatte erfahren, daß die Rückkehr der Varganen in ihren ursprünglichen Lebensraum schreckliche Konsequenzen nach sich gezogen hatte. Die Varganen mußten in der Eisigen Sphäre leben, aus der sie sich nur langsam durch Bewußtseinsteleportation zu befreien begannen. Yarden und die Eisige Sphäre waren identisch. Meine Erlebnisse im Mikrokosmos ließen nur den Schluß zu, daß die letzten Tropoythers noch immer innerhalb der Eisigen Sphäre lebten. Daß sie die Fähigkeit der Bewußtseinsübertragung inzwischen perfekt beherrschten, hatte ich am Beispiel Magantillikens erfahren. Der varganische Henker war mit seinem Bewußtsein sogar in Varganenkörper im Makrokosmos vorgedrungen.
29 Die Frage, die mich jetzt beschäftigte, hieß: Warum hatte man Magantilliken diesen Auftrag gegeben? Ich war sicher, daß die Varganen längst eine Möglichkeit gefunden hatten, die Eisige Sphäre auch körperlich zu verlassen, allerdings mußte es für sie einen zwingenden Grund geben, immer wieder dorthin zurückzukehren. Vielleicht, überlegte ich, hing das mit der in diesem Gebiet herrschenden Kälte zusammen. Wenig später sollte ich erfahren, daß diese Vermutung zum Teil richtig war. Warum aber veranstalteten die Varganen die Kreuzzüge nach Yarden? Wozu hatten sie diese Gefühlsbasen errichtet? Sicher war nur, daß die wenigen Varganen oder Tropoythers diese mikrokosmische Galaxis beherrschten. Die Tejonther stellten sicher eine bedeutende Macht dar, aber sie wurden von den Tropoythers manipuliert. Völker wie die Lopsegger besaßen überhaupt keinen Einfluß. »Ich glaube«, wandte ich mich an die Erinnye, »daß die Unsterblichen in der Eisigen Sphäre pervertiert sind. Alles, was sie erlebt haben, hat sie wahnsinnig werden lassen.« Die Rachegöttin antwortete nicht. Sie war nur darauf eingerichtet, meine Fragen zu beantworten. Unwillkürlich fragte ich mich, ob Vargo, Kreton, Kandro und wie sie alle hießen, noch immer am Leben waren. Vielleicht bestand sogar die Möglichkeit, all diese Wesen kennenzulernen. Wie würde ich bei einem Zusammentreffen mit diesen Unheimlichen reagieren? Welche Katastrophe war über das tropoythische Volk hereingebrochen? Hatten die Tropoyther die Entdeckung der Absoluten Bewegung mit ihrem Untergang bezahlt? »Ich bin müde«, sagte Crysalgira. Ich wandte mich schuldbewußt zu ihr um. Im Verlauf des letzten Berichts hatte ich sie völlig vergessen. Meine Gedanken kreisten um das kosmische Schauspiel, das ich erlebt hatte.
30 »Es ist besser, wenn wir jetzt eine Pause einlegen«, schlug die Erinnye vor. »Sobald Sie ausgeruht sind, werden Sie alle anderen Informationen erhalten.« Diese Bemerkung ermunterte mich zu einigen Fragen. »Ich hätte gern Auskunft über das Schicksal meines Sohnes Chapat, der von euch entführt wurde. Befindet er sich noch in der Eisigen Sphäre, und was ist mit ihm geschehen?« »Ich bin nicht befugt, darüber Auskunft zu geben«, antwortete der Roboter. »Was soll mit Crysalgira und mir geschehen, wenn diese Vorstellung beendet ist?« fragte ich weiter. »Sie werden in die Eisige Sphäre gebracht!« Meine Befürchtungen bestätigten sich. Die Varganen waren auf Crysalgira und mich aufmerksam geworden. Zweifellos wußten sie, daß wir aus dem Makrokosmos kamen. Mein Verhältnis zu Ischtar, die in ihren Augen eine Rebellin war, mußte sie zu dem Schluß kommen lassen, daß ich ein Gegner der Unsterblichen in der Eisigen Sphäre war. Welche Konsequenzen ergaben sich für Crysalgira und mich daraus? Ich machte mir Hoffnung, indem ich mir ins Gedächtnis rief, daß die Eisige Sphäre gleichzeitig der Platz war, von dem aus wir am ehesten in den Makrokosmos zurückkehren konnten. Natürlich hätte ich es vorgezogen, als freier Mann und nicht als Gefangener zu den Varganen zu gehen. Die Metallspiralen lösten sich von meinem Körper, ich konnte die Mulde verlassen. Ich half Crysalgira auf die Beine. »Ich führe Sie in den Ruheraum«, kündigte die Erinnye an. Sie schwebte uns voraus. Als wir uns dem Ausgang näherten, tauchte dort plötzlich ein Mann auf. Ein Vargane! Er war hochgewachsen und besaß alle körperlichen Merkmale seines Volkes. Obwohl ich ihn niemals zuvor gesehen hatte,
William Voltz kam er mir bekannt vor. Sein Erscheinen irritierte mich, ich blieb stehen und ergriff Crysalgira am Arm. Der Mann machte eine kurze Geste, worauf die Erinnye sich in aller Eile zurückzog. War dieser Mann ein echter Unsterblicher oder nur Träger eines varganischen Bewußtseins? »Wer sind Sie?« fragte ich unbehaglich. Er lächelte. Die Art, wie er sich bewegte, verstärkte den Eindruck, daß ich ihm schon einmal begegnet war. »Sie wissen, wer ich bin!« sagte er ruhig. Da erkannte ich ihn. »Magantilliken!« stieß ich hervor. »Der wirkliche Magantilliken!« »Ja«, bestätigte er. »Sie haben mich schon in verschiedenen varganischen Körpern innerhalb des Makrokosmos gesehen, aber diesmal stehe ich selbst vor Ihnen.« »Warum sind Sie nicht in der Eisigen Sphäre?« brachte ich hervor. »Ich habe einen neuen Auftrag erhalten«, erwiderte er ausweichend. »Man hat mich mit der Organisation der Kreuzzüge betraut.« Der Unterton in seiner Stimme war unüberhörbar. Magantilliken wirkte niedergeschlagen. Wahrscheinlich durfte er noch immer nicht in die Eisige Sphäre zurückkehren, weil er bei der Hinrichtung Ischtars versagt hatte. In diesem Augenblick wußte ich noch nicht, welche schrecklichen Konsequenzen die Aussperrung aus der Eisigen Sphäre über einen längeren Zeitraum hinweg für einen Varganen haben konnte. »Warum sollen wir nach Yarden gebracht werden?« stellte ich ihm die Frage, die mir die Erinnye nicht beantwortet hatte. »Ahnen Sie das nicht?« Ich schüttelte den Kopf. »Kommen Sie!« forderte er mich auf. »Ich führe Sie und Ihre Begleiterin in den Ruheraum.« Bisher war er mir immer als Gegner gegenübergetreten, während er mir hier, in seinem ureigensten Lebensbereich eher einen
Herrscher im Mikrokosmos hilflosen als einen gefährlichen Eindruck machte. Was Magantilliken als Ruheraum bezeichnet hatte, erwies sich als ein behaglich ausgestattetes Zimmer, in dem Crysalgira und ich alles vorfanden, was wir in den vergangenen Tagen entbehrt hatten. »Ich verlasse Sie jetzt«, kündigte Magantilliken an. »Sagen Sie mir, was Sie bedrückt!« forderte ich ihn spontan auf. »Es ist nichts«, erwiderte er müde. »Vielleicht haben wir alle schon zu lange gelebt.« Damit schloß sich die Tür hinter ihm. »Er ist einsam«, stellte Crysalgira mit weiblicher Intuition fest. »Ich habe Mitleid mit ihm.« Ich lachte rauh. »Du hättest ihn als entschlossenen Henker im Makrokosmos erleben sollen, dann würdest du anders von ihm denken. Solange sein Bewußtsein mit den Körpern toter Varganen arbeiten konnte, machte er einen sehr selbstbewußten Eindruck.« »Es zählt nur, was hier ist!« Gegen Crysalgiras weibliche Logik kam ich nicht an. »Seine Erlebnisse im Makrokosmos sind bedeutungslos, sie gleichen den Erfahrungen, die wir unter dem Einfluß der transparenten Kugel gemacht haben.« Ich warf mich aufs Bett und streckte die Beine aus, dabei blinzelte ich dem Mädchen zu. »Komm her und küß mich, Prinzessin!« Sie deutete auf die Tür zum Nebenraum. »Bevor du kein Bad genommen hast, du stinkender Arkonide, werde ich dich nicht anrühren.« Unsere plötzliche Ausgelassenheit war verständlich. Es bestand keine unmittelbare Lebensgefahr für uns, außerdem konnten wir hoffen, bald an jener Stelle zu sein, von wo aus wir in den Makrokosmos zurückkehren konnten. Während ich badete, begann ich Pläne zu schmieden. Es mußte eine Möglichkeit geben, Chapat zu entführen und eine Waffe ge-
31 gen Orbanaschol III. aus dem Mikrokosmos zu rauben. Sollte mir das gelingen, wollte ich trotz aller Widrigkeiten, die ich hier erlebt hatte, zufrieden sein. Als ich aus dem Baderaum zurückkehrte, wich Crysalgira meinen Armen aus. »Du liebst mich nicht!« warf ich ihr vor. »Das stimmt!« »Du bist in Chergost verliebt, in einen Geist aus dem Makrokosmos.« Ich war richtig wütend. »Im Grunde genommen hast du unglaubliches Glück«, meinte sie lächelnd. »Du bist der einzige arkonidische Mann, den es im Mikrokosmos gibt. Da bleibt mir keine Wahl.«
* Meine Hoffnung, daß Magantilliken uns zur nächsten Vorstellung abholen würde, erfüllte sich nicht. An seiner Stelle erschien eine Erinnye und sagte uns, daß wir nun den Schluß des Berichtes erleben sollten. »Wo ist Magantilliken?« erkundigte ich mich. »Ich möchte mit ihm sprechen, das mußt du ihm mitteilen.« »Magantilliken wird zurückkommen, wenn die Zeit dafür gekommen ist«, erklärte das durchsichtige Robotwesen. Vergeblich versuchte ich, sein Gesicht hinter den durcheinanderwirbelnden Eiskristallen zu erkennen. »Ich führe euch.« Es hatte keinen Sinn, Einwände zu erheben. Solange wir in der Gefühlsbasis gefangen waren, mußten wir die Anordnungen unserer Wächter befolgen. Außerdem war ich sehr daran interessiert, zu erfahren, was sich nach Vargos Ausflug auf dem zerstörten Planeten Tropoyth ereignet hatte. Crysalgira und ich wurden in den Raum mit der Kugel gebracht. Wir wußten jetzt schon, worauf es ankam, und ließen uns in den Mulden nieder. Nachdem sich die Spiralarme herabgesenkt hatten, kam Bewegung in die Kugel über uns. Die Erinnye stand reglos ein paar Schritte von mir entfernt und wartete.
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Während ich noch darüber nachdachte, ob Magantilliken in der Nähe war und uns heimlich beobachtete, schwebte die Kugel herab. Sie schien mich aufzusaugen. Meine Umgebung versank in einem undurchsichtigen Nebel und ich war …
9. Vargo Nachdem er eine Zeitlang apathisch vor der Schleuse gelegen hatte, begann Vargo sich wieder für seine Umgebung zu interessieren. Seine Blicke suchten den Boden ab. Dabei entdeckte er einige feine Rillen und faustgroße Vertiefungen. Er fand heraus, daß sich einige Bodenplatten hochheben ließen. Darunter befanden sich mehrere Ausrüstungsdepots. Vargo fand Nahrungskonzentrate, Waffen, Ortungsgeräte und mehrere Schutzanzüge. Alles befand sich in einwandfreiem Zustand. Vargo legte einen Schutzanzug an, griff nach einer Strahlenwaffe und begab sich wieder zur Schleuse. Er überlegte, ob es überhaupt einen Sinn hatte, diese Station zu verlassen. Draußen war nur totes Land zu sehen. Es reichte bis zum Horizont. Vargo konnte nicht fassen, daß dies der Planet war, den er vor vielen Jahren verlassen hatte, um eine Invasionsflotte in den Makrokosmos zu führen. Er verließ die Kuppel mit der Überzeugung, daß seinem Ego keinerlei Gefahr drohte. Selbst wenn der weibliche Körper, in dem er sich aufhielt, zerstört werden sollte, konnte Vargos Bewußtsein sich blitzschnell in den eigenen Körper innerhalb der Eisigen Sphäre zurückziehen. Vargo wußte nicht, in welche Richtung er sich wenden sollte. Das Land sah überall gleich aus. Vargo ging in Richtung der untergehenden Sonne. Als sie hinter dem Horizont verschwand, schaltete er den zu seiner Ausrüstung gehörenden Scheinwerfer ein. Das Licht fiel auf grauen, rissigen Boden. Der Schutzanzug schützte Vargos Körper
vor der extremen Kälte. Nachdem er einige Stunden durch die Einöde gewandert war, stieß Vargo auf einen kleinen stählernen Bunker. Er ragte nur zu einem Teil aus dem Boden. Über eine Art Rutsche gelangte Vargo zum Eingang. Das Tor stand halb offen. Vargo leuchtete in den Raum. Es gab Hunderte von Kontrollgeräten und mehrere Datenspeicher. Der Bunker war eine kleine Meßstation. Vargo war sicher, daß er erst nach der Katastrophe erbaut worden war. Die Technik glich der tropoythischen, aber als Vargo eintrat, um die Instrumente näher zu betrachten, stellte er fest, daß es eine zufällige Ähnlichkeit war: Dieses Gebäude und seine Einrichtung waren nicht von Tropoythers geschaffen worden. Fremde waren auf diese Welt gekommen und hatten eine Meßstation errichtet. Vargo verzog das Gesicht. Viel hatten die Unbekannten sicher nicht herausgefunden. Er blieb innerhalb des Bunkers, bis die Sonne wieder aufging, dann setzte er seine Wanderung fort. Das Land änderte sein Aussehen nicht, wahrscheinlich sah es überall auf Tropoyth so aus wie hier. Vargo entschloß sich zur Umkehr. Die Spuren im feinen Staub wiesen ihm den Weg. Der Körper, den er benutzte, wies die ersten Ermüdungserscheinungen auf, aber das war Vargo gleichgültig. Er hätte sein Bewußtsein sofort in die Eisige Sphäre transferieren können, aber es widerstrebte ihm, diesen schönen Frauenkörper in dieser Wüste zurückzulassen. Er war entschlossen, das Mädchen in die Station zurückzubringen und den Körper im Sterilisationsbehälter zurückzulassen. Plötzlich erschien am Horizont eine Gestalt. Vargo blieb erschrocken stehen. An eine Begegnung mit einem lebendigen Wesen hatte er nicht geglaubt. Der oder die Fremde schien ihn ebenfalls gesehen zu haben. Vargo fragte sich, ob dieses Wesen zu je-
Herrscher im Mikrokosmos nem Volk gehörte, das den Bunker erbaut hatte. Er machte seine Waffe schußbereit. Sie näherten sich einander mit großer Vorsicht; je näher das Wesen kam, desto sicherer wurde Vargo, daß es sich um einen Tropoyther handelte. Er hatte bereits aufgehört, daran zu glauben, daß es außer den unsterblichen Varganen in der Eisigen Sphäre noch Angehörige seines Volkes in dieser Galaxis geben könnte. Als sie noch hundert Schritte voneinander entfernt waren, machte Vargo den Versuch, den Unbekannten über Helmfunk anzusprechen. »Woher kommen Sie?« erkundigte er sich. »Wer sind Sie?« »Ich schlage vor, daß Sie damit beginnen, diese Fragen zu beantworten«, gab der andere in tropoythischer Sprache zurück. Diese Redewendung kam Vargo seltsamerweise bekannt vor. Er beschloß, den Verdacht, der in ihm aufstieg, auszusprechen. »Sie sind Techniker Kandro«, sagte er ruhig. »Ihr Bewußtsein hat Ihren Körper verlassen und ist hier herausgekommen.« Der andere sah ihn mit grenzenloser Verblüffung an. »Woher … woher wissen Sie das?« »Sie sollten es eigentlich wissen, Kandro! Ich bin sicher, daß es hier bald von Unsterblichen wimmeln wird. Jeder von ihnen wird auf dem Wege der Bewußtseinsteleportation einmal aus der Eisigen Sphäre ausbrechen wollen.« »Sie kommen auch von dort?« »Ja, ich bin Vargo!«
* Es begann eine Zeit der unkontrollierten Bewußtseinsteleportationen. Nachdem die Varganen gelernt hatten, die Eisige Sphäre auf diesem Wege zu verlassen, machten sie häufig Gebrauch davon. Der Hochstimmung, die durch diesen Erfolg ausgelöst wurde, folgte jedoch bald Ernüchterung.
33 Wohin man auch kam – überall gab es nur tote Tropoythers in Sterilisationsbehältern. Während die Unsterblichen in den Doppelpyramidenschiffen noch unkontrollierte Teleportationen durchführten, begannen die Wissenschaftler bereits zu überlegen, auf welche Weise man die neue Fähigkeit optimal nutzen konnte. »Wir haben eine große Chance, uns mit Hilfe toter Körper außerhalb der Eisigen Sphäre niederzulassen«, sagte Kreton während einer der Besprechungen. »Außerdem wird es jetzt Zeit, den Versuch zu wagen, von außen einen Zugang in die Eisige Sphäre zu schaffen.« Die Wissenschaftler arbeiteten zahlreiche Experimentalprogramme aus, die nach und nach realisiert werden sollten. Kreton und Vargo, die die Projekte leiteten, waren sich darüber im klaren, daß bei allen Versuchen mit äußerster Behutsamkeit vorgegangen werden sollte. Die Unsterblichen hatten keine Eile, und nun, da sie sicher sein konnten, daß sie neben den im Makrokosmos zurückgebliebenen Rebellen die letzten Tropoythers waren, gab es eine besondere Verpflichtung, alles für den Erhalt der kleinen Gruppe zu tun. Durch Hunderte von Bewußtseinsteleportationen lernten die Wissenschaftler, wie man diesen Vorgang steuern konnte. Sie gaben ihr Wissen an alle Varganen weiter, so daß es ihnen möglich wurde, jede Welt aufzusuchen, auf der sich tote Tropoythers befanden. Diese Toten bildeten die einzigen Empfangsstationen, es gelang den Varganen trotz aller Bemühungen nicht, ihr Bewußtsein in die Körper lebender fremder Wesen zu versetzen. Es stellte sich bald heraus, daß ein Bewußtsein nicht unbegrenzt außerhalb der Eisigen Sphäre operieren konnte. Nach einer bestimmten Zeit mußte es zurückkehren oder den Körper wechseln. »Wir kommen mehr und mehr in eine Sackgasse«, befürchtete Kreton nach Abschluß des ersten Projekts. »Was nutzt es uns, wenn wir in die Körper von Toten
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transferieren können und doch auf den jeweiligen Planeten gefangen sind?« Vargo teilte die Bedenken des Mannes, der inzwischen sein Freund geworden war. Schon zeigte sich, daß die Unsterblichen an den Bewußtseinsteleportationen das Interesse zu verlieren begannen. Wohin sie auch kamen – die Umwelt war zerstört, und es gab nichts, was sich zu untersuchen lohnte. Die Eisige Sphäre war um einige trostlose Außenposten erweitert worden, das Bewußtsein jedoch, in einem Gefängnis leben zu müssen, war geblieben. Noch war die systematische Untersuchung aller tropoythischen Planeten nicht abgeschlossen, aber Vargo hatte wenig Hoffnung, daß sie auf einer der Welten ein Raumschiff finden würden, das ihnen die Möglichkeit gab, außerhalb der Eisigen Sphäre im Weltraum zu operieren. Wie so oft in solchen Situationen, führte der Zufall eine Wende herbei. Vargo, der mit einer achtzehnköpfigen Mannschaft zum Kolonialplaneten Darkhos teleportierte, stieß dort zum erstenmal auf eine tejonthische Expedition, die mit einem Raumschiff gelandet war, um die tropoythische Station zu untersuchen.
* Vargo wartete, bis achtzehn Männer und Frauen aus den Sterilisationsbehältern geklettert waren, dann stellten sie sich gegenseitig in ihren neuen Körpern vor. Vargo führte die Gruppe in die eigentliche Station. Die Überlebensanlagen, die offenbar überall in großer Eile errichtet worden waren, glichen sich bis auf wenige Einzelheiten auf allen bisher besuchten Welten. Noch besaßen die Varganen keine Hinweise, welcher Art die Katastrophe gewesen war. Vargo bezweifelte, ob sie es jemals erfahren würden. Als der alte Wissenschaftler die oberen Räume betrat, sah er außerhalb der Kuppel ein hellrotes, stromlinienförmiges Raumschiff stehen. Er erkannte sofort, daß es sich
um kein tropoythisches Schiff handelte. Eine Expedition fremder Wesen war auf Darkhos gelandet. »Zurück!« rief Vargo sofort. »Draußen sind fremde Raumfahrer. Sie dürfen uns nicht entdecken.« Sie zogen sich in die unteren Räume zurück und berieten, wie sie sich verhalten sollten. »Wahrscheinlich sind sie noch nicht lange hier«, vermutete Techniker Zerrog, der sich jetzt im Körper eines Halbwüchsigen aufhielt. »Sie hätten sonst diese Station längst verlassen.« »Es kann sich auch um ein unbemanntes Raumschiff handeln«, sagte Leschtar, eine Wissenschaftlerin, die der Zufall wieder in einen weiblichen Körper geführt hatte. »Wir warten ab«, entschied Vargo. »Nötigenfalls bringen wir ein paar Tage hier unten zu. Ich kehre jetzt in die Eisige Sphäre zurück und erstatte Kreton und Kandro Bericht. Wir brauchen Verstärkung.« Da es in dieser Station insgesamt nur dreiundfünfzig sterilisierte Körper gab, war die Stärke der Gruppe bereits festgelegt. Vargo transferierte und meldete seine Entdeckung der Regierung. »Wir müssen dieses Schiff unter allen Umständen in unseren Besitz bringen«, erklärte Kandro sofort. »Es ist ausgeschlossen, daß wir noch einmal ein derartiges Glück haben werden, aus diesem Grund darf nichts schiefgehen!« Vargo spürte deutlich, daß auch dieser nüchtern denkende Mann von großer Erregung ergriffen wurde. »Man kann vom Aussehen des Schiffes nicht auf die Kampfstärke der Besatzung schließen«, meinte Vargo. »Man wird uns das Schiff jedoch auf keinen Fall kampflos überlassen.« »Wir besetzen alle sterilisierten Körper auf Darkhos«, ordnete Kreton an. »Dann greifen wir an.« »Das wäre unklug«, wandte Vargo ein. »Wenn dieses Schiff bemannt ist, handelt die Besatzung mit äußerster Vorsicht. Das
Herrscher im Mikrokosmos zeigt sich schon daran, daß sie sich bisher noch nicht entschlossen haben, ihr Schiff zu verlassen. Wenn wir also unvermutet auftauchen, kann es passieren, daß sie die Flucht ergreifen.« »Vielleicht haben sie ihre Untersuchungen schon abgeschlossen«, befürchtete Kreton. »Dann kann es sein, daß ein Start unmittelbar bevorsteht.« An diese Möglichkeit wollte Vargo nicht glauben. Das Schicksal, das die Unsterblichen aus der Eisigen Sphäre schon oft hart getroffen hatte, konnte nicht schon wieder so unbarmherzig sein! dachte der Wissenschaftler geradezu beschwörend. »Wir müssen sie täuschen«, schlug er vor. »Wenn sie trotz unserer Zurückhaltung keinen Versuch machen, die Überlebensstation zu betreten, müssen wir sie zum Aussteigen verlocken.« »Wie wollen Sie das erreichen?« fragte ein Techniker. Vargo sah die anwesenden Mitglieder des Erneuerungsrates an. »Wir schicken einen Lockvogel hinaus. Für den Betreffenden ist das kein Risiko, denn er kann sein Bewußtsein in Sicherheit bringen, wenn er angegriffen werden sollte.« »Wollen Sie das übernehmen?« fragte Kreton. Vargo nickte entschlossen. Innerhalb kurzer Zeit wurde die Einsatzgruppe auf Darkhos vervollständigt. Auch Kreton und Kandro übernahmen zwei der zur Verfügung stehenden Körper. Das fremde Schiff stand nach wie vor in der Nähe der Kuppel. Kein lebendes Wesen war bisher aufgetaucht. »Wir ergreifen die Initiative«, befahl Kreton. »Vargo, wir gehen jetzt in der besprochenen Weise vor.« Obwohl keine Gefahr für sein Leben bestand, war der alte Wissenschaftler unruhig. Wieder einmal hing es von seinem Verhalten ab, wie sich das weitere Schicksal der Unsterblichen gestalten würde. Mit einem kleinen Fehler konnte er ihre Chance zunichte machen.
35 Vargo besaß jetzt den Körper eines jungen Mannes. Er ging in die Kuppel und öffnete eines der Ausrüstungsdepots. Während er den Schutzanzug anlegte, war er sich darüber im klaren, daß er vielleicht beobachtet wurde. Er blickte hinaus. Das Schiff war etwa dreißig Meter hoch und stand auf vier mächtigen Heckflossen. Zwischen zwei dieser Flossen war eine quadratische Schleuse zu sehen. Vargo nahm keine Waffe mit hinaus, er wollte nichts tun, was die Unbekannten zu einer schnellen Flucht veranlaßt hätte. Als er sich dem Schiff näherte, wagte er kaum zu atmen. Bei jedem Schritt fürchtete er, daß etwas Unheilvolles geschehen könnte. Er fragte sich, wie er als Besatzungsmitglied dieses Schiffes gehandelt hätte. Es gab keine Antwort darauf, denn Vargo wußte nichts über die Mentalität dieser Fremden. Unmittelbar vor dem Schiff blieb Vargo stehen. Die Situation, in der er sich befand, mutete ihm fast ein wenig lächerlich an, denn alles, was er, der erfahrene und unsterbliche Wissenschaftler in diesem Augenblick empfand, war völlige Ratlosigkeit. Im Schiff schien sich nichts zu rühren. Wenn man den einsamen Mann aus der Kuppel wahrgenommen hatte, gab man das durch nichts zu erkennen. Vargo winkte und breitete beide Arme aus, aber es geschah nichts. Ungeduldig begann der Tropoyther das Schiff zu umkreisen. Vielleicht war es tatsächlich verlassen. Nach der dritten Umrundung blieb Vargo vor der Schleuse stehen. Er mußte jetzt irgend etwas unternehmen oder zurückkehren. Die Frauen und Männer, die in der Kuppel warteten, konnten ihm keinen Rat geben. Der alte Mann gab sich innerlich einen Ruck und schritt auf die Schleuse zu. Er zögerte keinen Augenblick, sondern hieb mit der geballten Faust dagegen. Dann trat er zurück und wartete. Als er schon nicht mehr damit gerechnet hatte, daß etwas geschehen würde, glitt die Schleusentür zur Seite, und vier Fremde in
36 Schutzanzügen sprangen heraus. Ihr Körperbau glich dem der Tropoythers, aber an ihren Köpfen unter den transparenten Helmen konnte Vargo erkennen, daß es sich um Mitglieder eines unbekannten Volkes handelte. Diese Köpfe waren von schwarzem Pelz bedeckt. In den flachen, aber durchaus ausdrucksvollen Gesichtern fielen Vargo besonders die gelben Augenpaare auf. Die Raumfahrer trugen Waffen, die sie auf Vargo gerichtet hielten. Eines der Wesen machte eine unmißverständliche Geste: Vargo sollte ihnen ins Schiff folgen. Er zögerte und warf unwillkürlich einen Blick zurück zur Kuppel. Im Augenblick hatte er keine andere Wahl, als die Befehle der Fremden zu befolgen. Er betrat die Schleusenkammer, worauf sich die äußere Tür sofort hinter ihm schloß. Mit dieser Entwicklung hatte er nicht gerechnet. Er saß in der Falle. Was, wenn das Schiff starten würde? Die Raumfahrer führten ihn in den zentralen Raum des Schiffes, wo ihm durch Handzeichen verständlich gemacht wurde, daß er seinen Helm abnehmen sollte. Vargo hoffte, daß die innerhalb des Schiffes herrschende Luft seinem Wirtskörper keine Schwierigkeiten bereiten würde, und kam dem Befehl nach. Die Fremden betrachteten ihn interessiert und begannen in einer ihm unbekannten Sprache miteinander zu diskutieren. Sie schienen über ihr weiteres Vorgehen unschlüssig zu sein. Schließlich schalteten sie einen Bildschirm ein, auf dem die Überlebensstation zu sehen war. Der Anführer der Schwarzbepelzten deutete auf den Bildschirm und dann auf Vargo. Der Sinn dieser Bewegungen war unmißverständlich. Vargo nickte nachdrücklich. Er sah keinen Sinn darin, aus seiner Herkunft ein Geheimnis zu machen. Nach einer längeren Diskussion schien endlich eine Entscheidung zu fallen, denn sieben der insgesamt siebzehn bisher sichtbar gewordenen Besatzungsmitglieder begannen ihre Ausrüstung zu vervollständigen.
William Voltz Es war klar, daß sie Vargo hinausbegleiten wollten. Alle anderen würden im Schiff zurückbleiben – ein Umstand, der die Eroberung des Schiffes nahezu unmöglich erscheinen ließ. In der Station würden die Fremden die Sterilisationsbehälter finden. Vargo erkannte, daß er sich in einer Zwangslage befand, die schnelles Handeln erforderlich machte. Aber was sollte er tun? Ihr Wunsch, unter allen Umständen in den Besitz dieses Schiffes zu gelangen, hatte die Varganen voreilig handeln lassen. Sie waren viel zu unüberlegt vorgegangen. Die Raumfahrer hatten ihre Vorbereitungen abgeschlossen. Sie begleiteten Vargo aus dem Schiff. Ihr Anführer deutete unmißverständlich auf die Überlebensstation. Seine Hand lag auf der Waffe. Vargo ging voraus. Er war sicher, daß Kreton und die anderen die sich nähernde Gruppe beobachteten. Aber was sollten die Unsterblichen tun? Vargo öffnete die Schleuse und führte die sieben Fremden ins Innere der Kuppel. Von Kreton und den anderen war nichts zu sehen, sie hielten sich nach wie vor in den unteren Räumen auf. Die Bepelzten schienen es nicht eilig zu haben. In aller Ruhe untersuchten sie den Kuppelraum und entdeckten dabei die Depots. Vargo beobachtete sorgenvoll, daß sie die Waffen hervorholten. Die tropoythischen Ausrüstungsgegenstände schienen Erstaunen und Bewunderung bei den Fremden hervorzurufen, denn sie reichten sie untereinander weiter und diskutierten ausführlich über diesen Fund. Nachdem alle Depots geöffnet und untersucht worden waren, stellten die Raumfahrer Funkkontakt zu ihrem Schiff her. Wenig später tauchte ein robotisch gesteuerter Wagen in der Schleuse auf. Die Fremden luden alles, was sie gefunden hatte, hinein und schickten ihn zum Schiff zurück. Das war Plünderei, aber Vargo hütete sich, dagegen zu protestieren. Der Wagen verschwand im Schiff, die Besucher wandten ihre Aufmerksamkeit den unteren Räumen
Herrscher im Mikrokosmos zu. Bevor sie den Raum mit den Sterilisationsbehältern erreichten, gerieten sie in einen Hinterhalt der Varganen. Kreton hatte ihn vorbereitet. Die Raumfahrer wurden mit Lähmfeldern angegriffen und innerhalb weniger Augenblicke aktionsunfähig gemacht. »Was haben Sie getan?« schrie Vargo außer sich. »Es sind Fremde im Schiff zurückgeblieben. Sie werden fliehen, wenn sie merken, was hier geschieht.« Die anderen sahen ihn bestürzt an. Nur Kandro, der in jeder Situation Rat zu wissen schien, verlor nicht die Übersicht. »Zieht ihnen die Raumanzüge aus!« befahl er. »Es muß schnell gehen, damit man an Bord des Schiffes nicht mißtrauisch wird, denn die Fremden an Bord erwarten sicherlich regelmäßig Funknachrichten.« Vargo sah ihn verständnislos an. »Sieben von uns, deren Größe denen der Gelähmten entspricht, legen die Anzüge an und verlassen damit die Kuppel«, fuhr Kandro hastig fort. »Es muß nach einer wilden Flucht aussehen – nur dann haben wir die Chance, daß sie, ohne auf Erklärungen zu warten, die Schleuse öffnen, um ihre Artgenossen an Bord zu lassen.« Es war ein riskanter Versuch, aber Vargo sah keine andere Möglichkeit, das Schiff zu erobern. Wenig später stürmten sieben Varganen aus der Kuppel. Die Sonne war gerade untergegangen, es herrschte Halbdunkel. Vargo, der den Vorgang beobachtete, blickte gespannt zum Schiff hinüber. Er stieß einen Seufzer der Erleichterung aus, als er sah, daß die Schleuse aufglitt. Kurze Zeit später gehörte das Schiff den Unsterblichen.
* Die Gruppe der Unsterblichen, die auf Darkhos das tejonthische Raumschiff erobert hatte, war in die Eisige Sphäre zurückgekehrt. Gespannt warteten Regierungsmitglieder und Wissenschaftler auf das Auftau-
37 chen des Raumschiffs jenseits der Eisigen Sphäre. Acht Varganen befanden sich in wiederbelebten Körpern an Bord und zwangen die tejonthische Besatzung, das Schiff zum vorgesehenen Ziel zu steuern. Niemand konnte vorhersagen, wie der Versuch, von außen mit einem Raumschiff in die Eisige Sphäre einzudringen, enden würde. Vargo war voller Optimismus. Wenn sie den Durchbruch einmal geschafft hatten, konnten sie vielleicht eine Energieschleuse oder eine Strukturlücke aufbauen, durch die sie in beiden Richtungen verkehren konnten. Das würde ihnen endlich die Möglichkeit geben, in ihrer richtigen Gestalt und in ihren eigenen Raumschiffen innerhalb ihrer gesamten Galaxis zu verkehren. Das Glück, das die Varganen lange Zeit verlassen hatte, schien ihnen endlich wieder hold zu sein. Es gelang ihnen, das tejonthische Schiff ins Innere der Eisigen Sphäre zu bringen, und wenig später schafften sie auch den Ausbau einer Energieschleuse, durch die ihre Doppelpyramidenschiffe in alle Teile der Galaxis fliegen konnten. Zwar stellte sich heraus, daß kein Vargane länger als ein Jahr außerhalb der Eisigen Sphäre leben konnte, ohne nicht wenigstens einmal für ein paar Tage dorthin zurückzukehren, aber angesichts ihrer neuen Möglichkeiten nahmen die Unsterblichen diesen Nachteil in Kauf. Kaum, daß sie ihr Gefängnis verlassen hatten, begannen die Varganen mit der Rückeroberung ihrer Heimatgalaxis. Da sie zahlenmäßig nicht in der Lage waren, über dieses große Gebiet zu herrschen, begannen sie mit dem Bau von Gefühlsbasen. Von diesen Stützpunkten aus konnten sie die Völker großer galaktischer Regionen in ihrem Sinne beeinflussen. Innerhalb nur eines Jahrhunderts wurden die Varganen die unumschränkten Herrscher in ihrem Gebiet des Mikrokosmos. Sie begannen zu vergessen, daß ihr Volk einer schrecklichen, noch immer ungeklärten Katastrophe zum Opfer gefallen war. Ihr Bereich, die Eisige Sphäre, wurde das Zen-
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trum des neuen Imperiums. Die Völker der Mikrogalaxis nannten dieses Gebiet Yarden. Die Unsterblichen vergaßen nicht nur ihr untergegangenes Volk, sondern auch die Rebellen, die im Makrokosmos zurückgeblieben waren. Dieser Umstand wurde ihnen fast zum Verhängnis.
10. Vargo Die Expedition nach Tollork stand von Anfang an unter einem schlechten Stern. Hier, in der Peripherie ihrer Galaxis, war die Errichtung einer Gefühlsbasis keine unbedingte Notwendigkeit, deshalb hatte man auch bis zum Schluß mit dem Bau gewartet. Tollork war ein kleines Sonnensystem, es bestand aus vier Planeten und der kleinen gelben Sonne, die ihm den Namen gab. Die Gefühlsbasis selbst wurde auf Tollork-2 errichtet, einer Sauerstoff weit, auf der lediglich eine vielfältige Pflanzenwelt und niedere Tierarten existierten. Trotzdem hatten die Besatzungen der drei Doppelpyramidenschiffe, die unter Vargos Kommando nach Tollork kamen, unmittelbar nach der Landung die ersten Schwierigkeiten. Die Unsterblichen, die mit dem Bau der letzten Gefühlsbasis beauftragt waren, litten unter rätselhaften Hautallergien, die ihnen sehr zu schaffen machten. Nach drei Tagen stellten die Ärzte fest, daß mikroskopisch kleine Pflanzensporen dafür verantwortlich waren. Vargo befahl, daß die Raumfahrer außerhalb der Schiffe Schutzanzüge tragen mußten. Kaum war die Allergie besiegt, gab es einen tödlichen Unfall bei den Technikern. Der Tod eines Artgenossen löste bei den zeugungsunfähigen Unsterblichen stets eine Kette psychologischer Probleme aus. Vargo war sicher, daß die Fertigstellung der Gefühlsbasis sich durch diesen Vorfall um ein paar Monate verzögern würde. Als die Anfangsschwierigkeiten überwunden schienen, kam es zu dem erschrecken-
den Ereignis, das die Varganen mit einem Schlag an ihre Vergangenheit erinnerte. In der Nähe des Tollork-Systems verschwanden siebzehn Sterne. Sie hörten von einem Augenblick zum anderen zu existieren auf. Auf Tollork-2 wurde dieser Vorgang überhaupt nicht registriert, wohl aber an Bord von Doppelpyramidenschiffen, die im Raum standen. Vargo erhielt eine Funkbotschaft von Kandro, in der er aufgefordert wurde, Tollork-2 sofort zu verlassen und in die Eisige Sphäre zurückzukehren. An der Art, wie die Botschaft abgefaßt war, erkannte Vargo, daß die Regierung im höchsten Maße beunruhigt war. Unmittelbar nach seiner Rückkehr in die Eisige Sphäre wurde Vargo von den führenden Mitgliedern der Regierung empfangen. Er erhielt einen genauen Bericht über die Katastrophe. Kreton, der seinen Freund informierte, sagte abschließend: »Es sieht nach makrokosmischen Einflüssen aus.« Vargo blickte ungläubig auf die vorliegenden astronomischen Aufnahmen. »Das ist doch nur eine Vermutung! Es gibt viele andere Erklärungen für das Verschwinden der Sonnen.« »Eines unserer Schiffe stand in unmittelbarer Nähe dieses Sektors«, berichtete Kandro. »Die Besatzung behauptet, daß es zu energetischen Einbrüchen kam. Eine Zeitlang sah es so aus, als sollte sich eine zweite Eisige Sphäre bilden.« Vargo erschrak. Zerstörungen innerhalb des Mikrokosmos, die auf makrokosmische Auswirkungen zurückgingen, konnten zufällig sein – der Aufbau einer Eisigen Sphäre, auch wenn er nicht abgeschlossen worden war, deutete jedoch auf bewußte Manipulationen hin. »Nun?« wollte Kreton wissen. »Was halten Sie davon?« »Ich bin kein Freund voreiliger Spekulationen«, erwiderte Vargo vorsichtig. »Alles kann sich als Täuschung herausstellen.« »Wir haben eine andere Vorstellung«,
Herrscher im Mikrokosmos sagte Kandro voller Ungeduld. Vargo sah ihn fragend an. »Mamrohn!« stieß Kandro hervor. Der Name hörte sich an wie ein Fluch. Trotzdem war Vargo nicht bereit, die Überlegungen der Regierung zu teilen. Natürlich war es möglich, daß die Rebellen in all den Jahren gelernt hatten, den Mikrokosmos zu beeinflussen. Aber warum sollten sie das tun? »Solange sie annehmen müssen, daß wir am Leben sind, müssen sie mit einer Bestrafung rechnen«, beantwortete Kandro die unausgesprochene Frage des alten Wissenschaftlers. »Warum sollten sie nicht versuchen, uns zuvorzukommen und uns zu vernichten, bevor wir etwas gegen sie unternehmen können?« »Das ist absurd«, meinte Vargo kopfschüttelnd. »Wir müssen es in Betracht ziehen«, leistete Kreton seinem Partner Hilfestellung. »Die theoretische Möglichkeit allein zwingt uns, etwas zu unternehmen.« »Sie denken daran, in den Makrokosmos zurückzukehren!« erriet Vargo bestürzt. Kreton nickte ernst. »Keiner von uns würde freiwillig dorthin zurückkehren!« rief Vargo aus. »Bestimmt nicht«, pflichtete Kandro ihm bei. »Deshalb werden wir jemand in den Makrokosmos schicken, der den Auftrag bekommt, alle Rebellen zu finden und hinzurichten. Wir haben alle rechtlichen Gründe, die Rebellen zum Tode zu verurteilen. Was uns fehlt, ist ein Henker, der die Urteile auch zu vollstrecken imstande ist.« »Und wer soll das sein?« »Sie wissen, daß es vor dreißig Jahren innerhalb der Eisigen Sphäre zu einem Mord kam, den ein Techniker namens Magantilliken an einem Unsterblichen verübte.« »Wir haben Magantilliken verstoßen, müssen ihn aber regelmäßig in die Eisige Sphäre zurückkehren lassen, wenn wir ihn nicht umbringen wollen. Er soll jetzt eine Gelegenheit zur Rehabilitierung erhalten.« Kreton ließ keinen Zweifel daran, daß er
39 entschlossen war, diesen Plan zu verwirklichen. »Sie wissen, was alles passieren kann, wenn jemand durch den Umsetzer geht!« gab Vargo zu bedenken. »Wer sagt, daß Magantilliken durch den Umsetzer gehen soll?« Kreton lächelte überlegen. »Schließlich gibt es die Möglichkeit der Bewußtseinsteleportation. Auf den von uns verlassenen Welten im Makrokosmos liegen viele sterilisierte tote Körper. Sie können von Magantilliken benutzt werden, um seinen Auftrag auszuführen. Sobald er alle Rebellen getötet hat und wir keine Anschläge mehr zu befürchten brauchen, werden wir ihn rehabilitieren und wieder bei uns aufnehmen.« »Vielleicht ist die Gefahr einer solchen Aktion größer als die Bedrohung aus dem Makrokosmos, von der wir nicht einmal wissen, ob es sie tatsächlich gibt und ob sie gesteuert ist.« Vargo sprach ohne Nachdruck, denn er wußte genau, daß die Entscheidung längst gefallen war. Er selbst hatte viel zu wenig Einfluß auf die Regierung, um eine Meinungsänderung herbeizuführen. »Und was ist mit Magantilliken?« erkundigte er sich, als niemand ihm antwortete. »Wird er überhaupt einwilligen?« Kandro lächelte kalt. »Er hat keine andere Wahl – wir lassen ihn erst in die Eisige Sphäre zurück, wenn er seinen Auftrag ausgeführt hat.« Vargo konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, daß die Mitglieder der Regierung immer skrupelloser die Erfüllung ihrer Ziele verfolgten. Vielleicht, dachte er müde, war auch das ein Preis für die Unsterblichkeit.
* Vargo, der ein relativ zurückgezogenes und einsames Leben führte, war Magantilliken vorher niemals begegnet, so daß er dem Zusammentreffen mit diesem Mann mit einer gewissen Spannung entgegensah. Seit die Unsterblichen in voller Konse-
40 quenz begriffen hatten, daß sie sich nicht fortpflanzen konnten, war die Ermordung eines Unsterblichen in ihren Augen ein ungeheuerliches Verbrechen. Vargo überlegte, was Magantilliken veranlaßt haben mochte, dieses Tabu zu ignorieren. Vargo war von der Regierung beauftragt worden, Magantilliken für dessen Auftrag zu instruieren. Man hielt ihn dazu besonders geeignet, nicht nur wegen seiner wissenschaftlichen Fähigkeiten, sondern auch wegen seiner Beziehung zu Mamrohn, den man für den Hauptverantwortlichen hielt und der ganz oben auf der Liste der Verurteilten stand. Magantilliken erwies sich keineswegs als der seelische Krüppel, den anzutreffen Vargo erwartet hatte, sondern er war ein ernster und selbstbewußter Mann, der in keiner Weise unbeherrscht wirkte. Die beiden Männer trafen an Bord der KELLORD zusammen. Von hier aus sollte Magantilliken sein Bewußtsein in einen sterilisierten Körper im Makrokosmos transferieren. Vargo hatte darum gebeten, allein mit Magantilliken sprechen zu dürfen, und dieser Wunsch war respektiert worden. Der Wissenschaftler war allerdings nicht sicher, ob es innerhalb der Kabine, wo das Treffen stattfand, Abhöranlagen gab. Die Regierung wurde immer mißtrauischer, was mit einer Reihe von Bemühungen einherging, allgegenwärtig zu sein. Vargo belächelte diese Versuche, denn er sah in ihnen ein Zeichen von Schwäche. »Sie sehen nicht wie ein Mörder aus«, sagte Vargo anstelle einer Begrüßung und sah Magantilliken abschätzend an. »Wir sprechen nicht über meine Tat, sondern über meinen Auftrag«, wies Magantilliken ihn zurecht. Vargo hatte zuviel erlebt, um sich über diese Verhaltensweise noch zu ärgern, er sagte lediglich: »Ich bestimme, worüber gesprochen wird.« »Ich habe ihn umgebracht, weil ich ihn haßte«, erklärte Magantilliken. »Ich bin ihm nur zuvorgekommen.«
William Voltz »Sie sind sehr ichbezogen!« stellte Vargo fest. »Das wird Ihnen in dieser Einsamkeit, in die wir Sie verstoßen, sicher helfen.« »Ich fürchte mich nicht vor der Einsamkeit.« »Sie haben sie niemals kennengelernt, mein Freund! Aber lassen wir das, es ist schließlich Ihr Problem, damit fertig zu werden. Sprechen wir über Mamrohn, den Anführer der Rebellen.« »Kandro sagte mir, daß Sie nicht daran glauben, daß er noch am Leben sein könnte.« Vargo wurde nachdenklich. »Wenn er lebt, dann werden Sie nur auf seinen Körper treffen, seine Seele ist längst gestorben. Er ist kein Tropoyther mehr, sondern ein schreckliches Gespenst. Er hat sich seine eigene Gedankenwelt aufgebaut. Sicher ist er wahnsinnig, aber sein Wahnsinn wird von enormer Willenskraft bestimmt, vielleicht sogar von einer besonderen Art der Vernunft. Mamrohn ist wirklich ein Rebell. Seine Revolution richtet sich im Grunde gegen nichts und niemand – er revoltiert gegen seine eigene Bedeutungslosigkeit. Er ist ein Mann, der krank wurde durch die Sucht nach Wissen und Größe.« Magantilliken warf sich aufs Bett und verschränkte die Arme hinter dem Kopf. »Sie reden von ihm, als sei er ein Gott.« »Vielleicht ist er das!« Magantilliken machte eine wegwerfende Handbewegung. »Er ist nicht der einzige Rebell. Ich kann mir meine Gedanken nicht vernebeln lassen, nur weil es ihn gibt. Ich muß sie alle töten.« Vargo fröstelte, als er Magantilliken so reden hörte. Dieser Mann würde ein unbarmherziger Jäger sein. Unwillkürlich empfand Vargo Erleichterung darüber, daß er nicht zu den Rebellen gehörte und auf der Liste des Henkers stand. »Lassen Sie uns von den technischen Problemen reden«, schlug Magantilliken vor. »Ich halte jede Einzelheit für wichtig – ich darf keine Fehler machen.«
Herrscher im Mikrokosmos
11. Atlan Als ich erwachte, stand Magantilliken neben mir und half mir aus der Mulde. Ich spürte, daß meine Beine nachzugeben drohten. Anscheinend war das Erlebnis eines solchen Berichts anstrengender als ich vermutet hatte. Magantilliken half auch Crysalgira auf die Beine. »Damit ist der Bericht sicher zu Ende«, vermutete ich. Der varganische Henker deutete zur Kugel hinauf. »Was sie angeht, hat sie alles übermittelt, was Sie wissen müssen.« »Die Kreuzzüge nach Yarden!« erinnerte ich ihn. »Wozu werden sie alle dreihundert Jahre inszeniert?« »Später«, antwortete Magantilliken ausweichend. »Ich führe Sie jetzt in den Aufenthaltsraum und erzähle Ihnen meinen Teil dieser Geschichte.« »Ich weiß, daß Sie den Makrokosmos erreichten und mit Ihrer Arbeit begannen. Schließlich haben wir uns ein paarmal getroffen.« »Hm!« machte der Vargane. »Aber Sie haben mich nur während der Endphase erlebt. Sie kennen nicht den Anfang.« »Auf jeden Fall«, sagte ich triumphierend, »haben Sie nicht alles erreicht. Einige Rebellen sind noch am Leben, Ischtar beispielsweise.« Ein Lächeln veränderte sein Gesicht und ließ es weniger hart und abweisend aussehen. »Daran liegt Ihnen viel?« Ich sah keinen Sinn darin, irgend etwas abzustreiten. Magantilliken war über meine Beziehungen zu Ischtar genau informiert. Er ging uns voraus und führte uns wieder in den Aufenthaltsraum. »Vieles hat sich inzwischen verändert«, erklärte er. »Daran sind zum Teil Sie schuld.« Ich sah ihn verständnislos an.
41 »Sie haben einen Sohn mit einer Unsterblichen!« erinnerte der Vargane. »Können Sie ermessen, was das für uns bedeutet? Zwar können wir uns untereinander nicht mehr fortpflanzen, aber Ischtar und Sie konnten ein Kind zeugen.« Er sah Crysalgira an. »Das heißt, daß ich mit ihr ein Kind haben könnte!« Crysalgira sah ihn erschrocken an und wich vor ihm zurück. Ich hatte plötzlich einen entsetzlichen Verdacht. War die Tatsache, daß Ischtar und ich einen gemeinsamen Sohn besaßen, der Grund, daß die Tropoythers uns vor der Hinrichtung durch die Tejonther auf Belkathyr gerettet hatten? Bevor ich länger über die unglaublichen Konsequenzen nachdenken konnte, sagte Magantilliken: »Ich werde Ihnen sagen, was bei meinem ersten Eintreffen im Makrokosmos geschah.« Vielleicht wollte er Crysalgira und mich von den eigentlichen Problemen ablenken, denn er begann sofort zu erzählen.
12. Magantilliken Es war die siebzehnte Welt, die Magantilliken nach seiner Ankunft im Makrokosmos betrat. Er befand sich in seinem zweiten Körper und hatte bisher drei Rebellen aufgespürt und hingerichtet. Trotz seiner Anfangserfolge gab er sich keinen Illusionen hin: Seine Arbeit hatte erst begonnen und würde ihn noch auf viele Planeten führen. Auf der vergessenen Welt, wo er angekommen war, hatte er ein Doppelpyramidenschiff und alle notwendigen Ausrüstungsgegenstände gefunden. Magantilliken war kein Mann, der soviel Glück als etwas Selbstverständliches hingenommen hätte – er rechnete früher oder später mit einem Rückschlag. Kaum, daß er sein Raumschiff verlassen hatte, ahnte Magantilliken, daß dies die Welt war, auf der er Mamrohn finden würde. Die drei Rebellen hatten ihm vor ihrer
42 Hinrichtung nicht viel verraten, aber Magantilliken hatte die wenigen Informationen zu einem Mosaik geordnet. Er war sicher, daß Mamrohn sich zurückgezogen hatte und irgendwo allein lebte. Das traf offenbar für fast alle Rebellen zu. Sie hatten sich einander nichts mehr zu sagen und gingen ihre eigenen Wege. Vielleicht sehnten sie sich danach, zu ihrem Volk zurückzukehren, aber sie sahen keine Möglichkeit für einen solchen Schritt. Das Raumschiff des varganischen Henkers stand am Ufer eines mächtigen Stromes, der ein paar Meilen weiter entfernt in einen der zwei großen Ozeane dieses Planeten mündete. Der Landeplatz war eine große Sandbank, die nach der nächsten Regenzeit wieder in den schlammigen Fluten versinken würde. Diese Sandbank war gleichzeitig die einzige freie Stelle im weiten Umkreis, denn der dichte Dschungel reichte überall bis ans Ufer heran. Magantilliken hatte einen Schutzanzug angelegt und sich bewaffnet. Die Fernortung hatte ergeben, daß in der Umgebung des Mündungsdeltas eine Station liegen mußte. Der genaue Standort war nicht zu bestimmen gewesen. Wer auch immer diese Station bewohnte, hatte zahlreiche Tarnmaßnahmen getroffen, die auch hochwertige tropoythische Ortungsanlagen täuschen konnten. Magantilliken war sich darüber im klaren, daß er ein großartiges Ziel für jeden Gegner bot. Da sein Bewußtsein jedoch jederzeit in einen anderen toten varganischen Körper überwechseln konnte, brauchte er sich keine Sorgen zu machen. Auch der Verlust des Schiffes konnte ihn nicht gefährden, denn sein Bewußtsein war weder an diese noch an eine andere Welt gebunden. Der Vargane wollte den oder die Unbekannten in der Station herauslocken, und das konnte er nur, wenn er sie neugierig machte. Die drei Rebellen, die Magantilliken hingerichtet hatte, waren völlig arglos gewesen, vielleicht hatten sie ihn für einen der ihren gehalten. Magantilliken empfand keinerlei Skrupel,
William Voltz er war im Auftrag seiner Regierung hier, die die Hinrichtung der Rebellen für notwendig hielt. Der Henker schaltete sein Flugaggregat ein und schwebte über die Sandbank hinweg auf die andere Seite des Flusses hinüber. Ein paar Vögel erhoben sich kreischend von ihren Nistplätzen in den Bäumen, um ihre Artgenossen vor dem seltsamen Ungeheuer zu warnen, das da herangeflogen kam. Magantilliken kümmerte sich nicht um die Tiere, sondern suchte nach Spuren, die ihm Hinweise auf die Anwesenheit anderer Varganen geben konnten. Am rechten Unterarm trug er ein Instrumentenband. Dort befanden sich neben Spürgeräten auch analytische Anzeiger und die Schaltungen für die Aggregate des Schutzanzugs. Magantilliken hatte sein Funkgerät auf Empfang geschaltet, er rechnete nicht damit, daß sich jemand melden würde, aber er wollte für alle Eventualitäten gerüstet sein. Der Henker machte sich keine Gedanken über das Zusammenwirken kosmischer Kräfte. Er hatte sich damit abgefunden, daß er die Wahrheit niemals ergründen würde. Das Vorhandensein eines Makrokosmos bewies ihm, daß es weder Grenzen nach unten noch nach oben gab, wahrscheinlich pflanzte sich die Anzahl der Existenzebenen in alle Unendlichkeit fort. Man mußte dort, wo man hineingestellt war, das Beste aus dem Leben machen. Seine nüchterne Denkweise hatte Magantilliken schon viele Erfolge eingebracht, andererseits war er wegen mangelnder Phantasie schon oft gescheitert. Er flog jetzt über dem Dschungel, in den Bäumen unter ihm regte sich vielfältiges Leben. Vielleicht gab es irgendwo auf diesem Planeten intelligente Eingeborene, aber sie waren bedeutungslos, denn sie hatten keine sichtbare Zivilisation hervorgebracht. Es war früh am Morgen, vielleicht drei Stunden nach Sonnenaufgang. Entsprechend der Eigenrotation des Planeten verblieben dem Varganen noch vierzehn Stunden, um
Herrscher im Mikrokosmos bei Tageslicht zu suchen. Allein die Tatsache, daß die Rebellen bestimmte Planeten bevorzugten und immer wieder zu den alten varganischen Stützpunktwelten zurückkehrten, veranlaßte Magantilliken zu der Hoffnung, daß er sie nach und nach alle finden würde. Er flog eine Zeitlang über dem Wald hin und her und näherte sich dabei dem offenen Meer. Vor der Küste entdeckte er einen dunklen Punkt auf der Wasseroberfläche. Er änderte die Flugrichtung. Als er den Strand erreicht hatte, sah er, daß es sich bei dem Gegenstand um ein kleines Boot handelte, das an einer Boje ankerte. Wer auch immer sich hier im Dschungel niedergelassen hatte, kam ab und zu zum Fischen auf das offene Meer. Magantilliken ließ sich auf das Boot hinabsinken und untersuchte es kurz. Es war ein aufgeschnittener Wasserbehälter, wie es sie an Bord varganischer Raumschiffe gab. Als Motor diente ein kleiner Pumpenantrieb, an dem eine Schraube befestigt war. Am Boden des Bootes lagen ein Netz und eine Angel. Nun war Magantilliken sicher, daß er ein neues Opfer gefunden hatte. Er richtete sich im Boot auf und beobachtete den Strand. Natürlich war seine Ankunft beobachtet worden. Die Rebellen, die auf dieser Welt lebten, konnten nichts von Magantillikens Auftrag wissen, deshalb war es erstaunlich, daß sie sich nicht zeigten. Vielleicht wollten sie weiterhin in völliger Abgeschiedenheit leben. Magantillikens Lippen zuckten. Er würde die Gegenseite herausfordern. Bedächtig zog er seine Strahlenwaffe und schoß das Boot leck. Er schwebte ein paar Meter in die Höhe, wartete, bis das Boot voll Wasser lief und versank, dann zerstrahlte er die Boje. Am Strand rührte sich nichts. Entweder war die Zerstörung des Bootes nicht beobachtet worden oder der Besitzer nahm den Zwischenfall nicht tragisch. Magantilliken wartete einige Zeit, dann
43 setzte er seine Suche über dem Dschungel fort. Er ging systematisch vor, aber als die Sonne hinter den heraufziehenden Nachtwolken versank, hatte er immer noch keine Spur einer Station gefunden. Er flog zur Sandbank zurück, um die Nacht in seinem Schiff zu verbringen. Bevor er die Schleuse betrat, knackte sein Helmlautsprecher, und eine Stimme fragte: »Warum haben Sie das getan?« Der Henker wußte sofort, daß diese Frage sich auf die Zerstörung des Bootes bezog, obwohl seither ein paar Stunden verstrichen waren. »Warum kommen Sie nicht her und finden es heraus?« fragte er zurück. Der Unsichtbare lachte dumpf, dann herrschte wieder Schweigen. Magantilliken betrat die Schleuse, stürmte ins Innere des Schiffes und ließ sich durch den Rettungsschacht nach unten gleiten. Sekunden später hatte er das Schiff wieder verlassen und rannte quer über die Sandbank. Ohne zu zögern, warf er sich in die Fluten und ließ sich davontreiben. Auf der anderen Seite blitzte es zwischen den Bäumen auf, der Energiestrahl ließ die obere Pyramide des Schiffes aufglühen und in sich zusammenfallen. Magantilliken drehte sich auf den Rücken, um besser beobachten zu können. Er beglückwünschte sich zu seiner instinktiven Handlung. Eine zweite Salve wurde abgefeuert. Sie legte das Schiff völlig in Trümmer. Glühende Metallbrocken landeten zischend im Fluß, die Sandbank war jetzt in weißen Dampf gehüllt. Magantilliken hatte die Stelle, von der aus geschossen wurde, ausgemacht. Er stieg aus dem Wasser und verschwand zwischen den Bäumen. Wenig später erlebte er eine Enttäuschung. Die Strahlenkanone, die in den Büschen am Ufer stand, wurde von zwei Robotern bedient. Ein Vargane war nicht zu sehen. Magantillikens Blicke suchten die Umgebung ab. Er fand eine Schneise, die die Roboter mit ihren Armstrahlenwaffen in den
44 Dschungel gebrannt hatten. Entschlossen folgte er dieser Spur. Sie führte eine größere Strecke landeinwärts als Magantilliken angenommen hatte. Plötzlich stieß er auf eine große Lichtung. Sie war künstlich geschaffen worden, in ihrem Mittelpunkt stand ein kleines, aber wuchtig aussehendes Gebäude. Am Rande der Lichtung, bereits völlig von Pflanzen überwuchert, sah Magantilliken ein Doppelpyramidenschiff. Der Besitzer des Schiffes und des Gebäudes lag in einem bequemen Sessel vor der Tür. Es war gerade noch hell genug, um Magantilliken erkennen zu lassen, daß es sich um Mamrohn handelte. Der ehemalige Wissenschaftliche Erste Rat war bis zum Skelett abgemagert und hatte alle Haare verloren. Er trug nur eine Art Lendenschurz. Eine schwere Strahlenwaffe lag quer über seinen Beinen. Magantilliken empfand keinen Triumph, nicht einmal Befriedigung. Er näherte sich Mamrohn von hinten, lautlos über den Boden schwebend. Als er ihn fast erreicht hatte, schien der Rebell die Gefahr zu spüren, denn er drehte plötzlich den Kopf und sah den Henker an. Sekundenlang versenkten sich ihre Blicke ineinander, dann ließ Mamrohn sich aus dem Sessel kippen und riß die Waffe hoch. Magantilliken war bereits über ihm und versetzte ihm einen Tritt, der die Waffe davonschleuderte. Angesichts seiner körperlichen Überlegenheit empfand Magantilliken fast so etwas wie Scham. Er spielte mit dem absurden Gedanken, Mamrohn eine gleichwertige Chance zu geben, doch dann siegte seine Vernunft. Er richtete seine Handfeuerwaffe auf den Rebellen. »Zurück in den Sessel!« Mamrohn ließ sich zurücksinken, er sah erschöpft und müde aus. Magantilliken fragte sich ernsthaft, ob dieser Mann wirklich einen Angriff gegen den Mikrokosmos inszeniert haben konnte. »Sie gehören nicht zu den Rebellen!« stellte Mamrohn fest. »Woher kommen Sie,
William Voltz und was wollen Sie von mir?« »Mein Name ist Magantilliken«, erwiderte der Henker. »Sie wurden von der varganischen Regierung zum Tode verurteilt. Ich bin gekommen, um dieses Urteil zu vollstrecken.« »Sind Sie verrückt?« erkundigte sich Mamrohn. »Es gibt keine varganische Regierung mehr.« »Hier nicht!« bestätigte Magantilliken. »Aber im Mikrokosmos.« Interesse flackerte in Mamrohns Augen auf. »Kommen Sie von dort?« »Ja.« Mamrohn warf einen Blick zum Rand der Lichtung. »Warten Sie nicht auf Ihre Roboter«, warnte Magantilliken. »Ich vollstrecke das Urteil, bevor sie zurück sind.« »Warum wollen Sie mich umbringen?« erkundigte sich Mamrohn gelassen. »Was würde sich dadurch ändern? Es ist bedeutungslos, ob ich tot bin oder hier lebe. Ich kann nichts mehr tun. Ich warte hier, bis ich von einem wilden Tier zerrissen werde oder bei einem Sturm im Meer ertrinke. Meine Anwesenheit schadet niemand. Im Grunde genommen bin ich schon tot. Die Vollstreckung dieses Urteils wäre unsinnig.« Er hat recht! dachte Magantilliken. Dieses Wrack konnte nichts mehr erreichen. Aber darauf kam es nicht an! Für Magantilliken war es wichtig, gerade dieses Urteil zu vollstrecken, denn er wollte in die Eisige Sphäre zurück und rehabilitiert werden. Er brachte es jedoch nicht fertig, die Waffe abzufeuern. Allmählich wurde er unsicher. »Lebt Vargo noch?« fragte Mamrohn einige Zeit später. Dunkelheit senkte sich über die Lichtung. Mamrohn war nur mehr ein dunkler Schatten im Sessel. Im Dschungel wurde es lebendig. »Warum machen Sie kein Licht?« erkundigte Magantilliken sich nervös. Mamrohn erhob sich und ging zu dem
Herrscher im Mikrokosmos kleinen Gebäude. Scheinwerfer flammten auf. Sie erhellten die gesamte Lichtung. »Warum schließen Sie sich nicht den Rebellen an?« fragte Mamrohn. »Wollen Sie wieder in den Mikrokosmos zurück – in diese aussichtslose Winzigkeit?« »Ich kann hier nicht leben«, erklärte Magantilliken. »Seit der Rückkehr in den Mikrokosmos hat sich unser Metabolismus geändert. Wir müssen in regelmäßigen Abständen in die Eisige Sphäre zurückkehren. Das ist der Sektor, in dem wir jetzt leben – eine Energieblase innerhalb des Mikrokosmos.« »Niemand konnte ahnen, daß alles so enden würde«, meinte Mamrohn. »Wir mußten einen hohen Preis bezahlen.« Im Scheinwerferlicht sah er beinahe durchsichtig aus, ein Mann, der sich bewegte, atmete, sprach und doch nicht mehr in diese Welt gehörte. »Ich habe viel über alles nachgedacht«, fuhr er fort. »Als wir die Tür zum Makrokosmos aufstießen, dachte ich, daß wir etwas erreichen könnten. In Wirklichkeit haben wir nur zwei gleichermaßen bedeutungslose Positionen gewechselt. Ich bin jetzt lange genug hier, um zu wissen, daß über dieser Existenzebene etwas Größeres existieren muß. Es läßt sich endlos fortsetzen, verstehen Sie?« »Nein«, sagte Magantilliken. »Ich denke niemals über diese Probleme nach.« Mamrohn lachte. »Ein philosophierender Henker – das wäre auch verrückt!« Magantilliken wollte nicht mehr zuhören. Je länger er hier stand und diesen Mann reden hörte, desto unsicherer wurde er in seinem Entschluß. Er hob die Waffe und drückte ab, aber seine Hand zitterte, und er traf Mamrohn nicht richtig. Mamrohn drehte sich um die eigene Achse, er sah Magantilliken mit einem Ausdruck des Erstaunens an, als hätte er nicht ernsthaft damit gerechnet, daß der Ankömmling seine Drohung verwirklichen könnte. Mamrohn ging in die Knie.
45 »Seltsam«, sagte er kraftlos. »Ich hätte nicht gedacht, daß ich noch am Leben hängen würde. Alles war mir gleichgültig geworden, jetzt merke ich, daß ich nicht sterben will.« Magantilliken schloß die Augen. »Sie sind hinter uns allen her, nicht wahr?« drang die Stimme Mamrohns an sein Gehör. Er konnte nur nicken. »Das schaffen Sie nicht«, erklärte Mamrohn mit plötzlicher Wildheit. Dann wurde es still. Magantilliken öffnete die Augen. An der Haltung, in der Mamrohn am Boden lag, erkannte er, daß der Rebell tot war. Ich könnte kein zweites Mal auf ihn schießen können! dachte Magantilliken. Er verließ den Planeten mit dem Bewußtsein, daß er auch nach einer Rückkehr in die Eisige Sphäre immer ein Ausgestoßener bleiben würde.
* Bei seiner Jagd auf die Rebellen, die für Magantilliken so erfolgreich begonnen hatte, mußte er immer stärker erkennen, daß Mamrohns Prophezeiung berechtigt gewesen war. Die Rebellen hatten von Magantillikens Anwesenheit und seinem Auftrag gehört und verhielten sich entsprechend vorsichtig. Ab und zu kehrte Magantilliken in die Eisige Sphäre zurück, um sich zu erholen und die Jagd dann in einem anderen Körper fortzusetzen. Inzwischen hatten Vargo, Kreton und die anderen Wissenschaftler Spezialroboter für den Einsatz im Makrokosmos entwickelt. Außerdem gab es ein Kommunikationssystem zwischen Makro- und Mikrokosmos, mit dessen Hilfe Magantilliken von varganischen Stationen aus mit den Bewohnern der Eisigen Sphäre in Verbindung treten konnte. Diese Entwicklungen, die die Arbeit des Henkers erleichtern sollten, stellten in Wirklichkeit eine psychologische Belastung für ihn dar. Sie bewiesen ihm, daß man auch in
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William Voltz
der Eisigen Sphäre nicht an eine schnelle Erledigung des Auftrags glaubte. Magantilliken begann sich zu ändern. Das Leben im Makrokosmos prägte ihn. Wenn er für kurze Zeit in der Eisigen Sphäre lebte, fühlte er sich immer mehr als Fremder. Trotzdem brauchte er diesen Aufenthalt innerhalb des Mikrokosmos. Vielleicht würde sich der Zustand dieses ständigen Wechselns von einer Existenzebene in die andere niemals ändern. Magantilliken überlegte oft, ob er nicht freiwillig aus dem Leben scheiden sollte. Er besaß keine Freunde, weder im Makronoch im Mikrokosmos. Genau wie Vargo vorhergesagt hatte, litt er unter dem Zustand schlimmster Einsamkeit. Ohne sich dessen bewußt zu werden, kapselte Magantilliken sich mehr und mehr von allen schönen Dingen des Lebens ab, er verhärtete innerlich und vergaß sein früheres Leben. Schließlich war er nur noch Magantilliken, der varganische Henker – ein Mann, der sich nicht vorstellen konnte, jemals etwas anderes tun zu können als Rebellen zu jagen und sie zur Strecke zu bringen.
13. Atlan »Jetzt wissen Sie alles«, sagte Magantilliken ruhig. »Mein Auftrag ist noch immer nicht beendet. Wenn ich auch geächtet wurde, so kann ich mir doch nicht vorstellen, daß sie jemals einen anderen nach ›oben‹ schicken werden, um die letzten Rebellen zu töten.« Seine Erzählung hatte mir vieles begreiflich gemacht, ich sah in ihm nicht länger nur den erbitterten Gegner. »Sie leben zwischen Makro- und Mikrokosmos«, stellte ich fest. »Besser als alle anderen wissen Sie, daß Crysalgira und ich nicht hierher gehören. Warum wollen Sie uns nicht helfen?« »Das kann ich nicht«, lehnte er entschieden ab. »Abgesehen davon bin ich der Meinung, daß wir das Mädchen und Sie brau-
chen!« »Wozu?« fragte ich. »Verstehen Sie immer noch nicht?« Er blickte mich abschätzend an. »Sie haben mit der Rebellin Ischtar ein Kind gezeugt. Wir Varganen können uns untereinander nicht fortpflanzen, aber offensichtlich ändert sich dieser Zustand, wenn eine fremde Komponente ins Spiel kommt.« Ich schluckte und wagte nicht, Crysalgira einen Blick zuzuwerfen. »Es ist alles ganz einfach«, sagte der Vargane. »Das Mädchen wird die Mutter vieler varganischer Kinder sein. Sie werden dafür sorgen, daß es viele varganische Mütter geben wird. Wir hoffen, daß diese Kinder untereinander sich wieder fortpflanzen können.« Crysalgira gab einen erschrockenen Laut von sich und flüchtete in meine Arme. Ich versuchte nicht, sie zu trösten, denn es gab keine Zweifel daran, daß die Varganen ihre Absicht verwirklichen wollten. »Nur zu diesem Zweck bringen wir Sie beide nach Yarden«, fügte Magantilliken hinzu. Ich stieß einen Schrei aus und warf mich auf ihn. Er befand sich jedoch innerhalb eines energetischen Prallfelds, von dem ich zurückgeschleudert wurde. »Fassen Sie sich!« herrschte er mich an. »Es gibt Schlimmeres als die Vereinigung mit Unsterblichen.« »Ich werde es niemals tun«, schluchzte Crysalgira. Magantilliken erwiderte nichts, sondern ging hinaus. Die Prinzessin und ich waren allein. Was sollte ich Crysalgira sagen? Die Macht der Tropoythers war zu groß, wir konnten nichts unternehmen. »Vielleicht gibt es eine Fluchtmöglichkeit, wenn wir innerhalb der Eisigen Sphäre sind«, sagte ich zu dem Mädchen. »Von dort aus können wir am ehesten in den Makrokosmos entkommen.« Sie schüttelte wild den Kopf. »Sie werden uns nicht eher weglassen, bevor sie nicht sicher sein können, daß ihr
Herrscher im Mikrokosmos schreckliches Experiment Erfolg hat.« Ja! dachte ich düster. Das war die Wahrheit. Die Aussicht, den moralisch pervertierten Tropoythers aus ihrer Stagnation zu helfen, war wenig erfreulich. Ich wollte vermeiden, daß man Crysalgira und mich als Brut- und Zeugungsmaschinen mißbrauchte. »Es wird eine Lösung geben«, sprach ich Crysalgira Mut zu. Sie sah mich ernst an. »Ich werde mich töten!« Ich preßte eine Hand auf ihren Mund. »Das darfst du niemals wieder sagen, Kleines! Dazu besteht überhaupt kein Grund. Wir werden kämpfen, auch wenn unsere Lage jetzt noch aussichtslos ist.«
* Als Magantilliken wieder bei uns erschien, machte er einen nervösen Eindruck und schien in Eile zu sein. Vielleicht hatte er neue Instruktionen erhalten. »Wir hatten ursprünglich vor, Sie durch das Transmittersystem der Gefühlsbasen nach Yarden zu bringen«, eröffnete er uns. »Da wir nicht sicher sind, welche Auswirkungen das auf Ihre körperliche Verfassung haben könnte, werden Sie an Bord eines tejonthischen Raumschiffs gebracht, das den Kreuzzug nach Yarden mitmacht. Dieses Schiff wird Sie an Ihr Ziel bringen. Die Besatzung ist angewiesen, Sie sorgsam zu behandeln.« »Lassen Sie uns noch einmal über alles sprechen«, schlug ich vor. »Sie gehören längst nicht mehr zu den Unsterblichen innerhalb der Eisigen Sphäre. Warum schließen Sie sich nicht uns an und versuchen uns zu helfen? Wir würden nach unserer Rettung alles tun, um Ihnen ein Leben im Makrokosmos zu erleichtern.« »Sie vergessen, daß ich in regelmäßigen Abständen in die Eisige Sphäre zurückkehren muß!« »Auch für dieses Problem gibt es eine Lösung.«
47 Seine Augen sahen durch mich hindurch. »Nein! Unsere Wissenschaftler hätten längst eine Möglichkeit gefunden, wenn es sie gäbe. Denken Sie, wir wollten für immer an die Eisige Sphäre gebunden sein? Vargo und die anderen haben nichts unversucht gelassen.« Du kannst ihn nicht überreden! meldete sich mein Extrahirn. »Vielleicht«, sinnierte der Henker, »sehen wir uns niemals wieder. Es ist erstaunlich, wie oft wir uns bisher begegnet sind.« »Werden Sie wieder in den Makrokosmos gehen?« »Bestimmt!« »Schonen Sie Ischtar!« bat ich ihn. »Sie bedeutet keine Gefahr für ihr Volk. Im Grunde genommen sehnt sie sich nach einer Rückkehr in den Mikrokosmos, obwohl sie weiß, daß in der Eisigen Sphäre kein Platz für sie sein wird.« »Es ist keine persönliche Sache«, erwiderte der Vargane. »Mir sind diese Rebellen gleichgültig. Ich spüre keinen Groll in mir, wenn ich an Ischtar denke. Trotzdem werde ich sie töten, wenn die Unsterblichen mich wieder auf die Jagd schicken.« Ich erkannte, daß ich mit keinem meiner Worte unter die Oberfläche seines Denkens drang. Er hatte aufgehört, persönliche Bedürfnisse anderer Intelligenzen zu akzeptieren. Er war zu einer mordenden Maschine geworden. Mit Schrecken dachte ich an ein Zusammentreffen mit den anderen Unsterblichen innerhalb der Eisigen Sphäre. »Die Erinnye wird Sie aus der Gefühlsbasis zum Raumschiff bringen, sobald die Zeit gekommen ist«, sagte der Henker abschließend. »Leben Sie wohl.« »Wie hast du ihn nur um etwas bitten können!« hielt Crysalgira mir vor. »Er ist nicht wert, daß man ihn anspricht.« Ich sah das anders, aber ich wollte mich seinetwegen nicht mit der Arkonidin überwerfen. In Crysalgiras Augen war Magantilliken ein Ungeheuer. Sie begriff nicht, wie dieser Mann so hatte handeln können.
48 »Er erwähnte ein Transmittersystem«, lenkte ich ihre Gedanken in eine andere Richtung. »Wir haben keinen Anlaß, an dieser Angabe zu zweifeln. Vielleicht haben wir eine Chance, von dieser Basis zu fliehen.« Sie war sofort bei der Sache, ein Umstand, der mich sehr erleichterte, denn er bewies, daß die Prinzessin längst noch nicht aufgegeben hatte. »Ich weiß nicht, wieviel Zeit uns noch bleibt«, sagte ich. »Wir sollten sie jedoch zu nutzen versuchen.« Willst du von einer Gefühlsbasis in die andere fliehen? fragte mein Extrahirn. Was versprichst du dir davon? »Eine Art Aufschub!« Unwillkürlich hatte ich laut gesprochen. Crysalgira sah mich verständnislos an. »Schon gut«, winkte ich ab. »Laß uns diese Räume durchsuchen.« Der Haupteingang des Aufenthaltsraums war verschlossen, das hatte ich bereits festgestellt. Es war sicher auch sinnlos, diesen Fluchtweg zu benutzen. »Klopf die Wände ab!« befahl ich dem Mädchen. »Ich durchsuche den Baderaum.« Ich war nicht sicher, ob wir beobachtet wurden. Sicher hatten Magantilliken und die Erinnye keine besonderen Vorsichtsmaßnahmen getroffen. Sie wußten, daß wir keine Chance für eine Flucht aus der Gefühlsbasis hatten. Außerhalb der Station gab es nur die lebensfeindliche Umwelt des Asteroiden. Unsere einzige Möglichkeit war die Transmitterverbindung zu anderen Gefühlsbasen, von der Magantilliken gesprochen hatte. Wenn es uns gelang, eine andere Basis zu erreichen, konnten wir hoffen, auf einer Sauerstoffwelt herauszukommen. Ich untersuchte alle Wände des Baderaums. Sie machten einen stabilen Eindruck und konnten ohne entsprechende Werkzeuge nicht geöffnet werden. Auch der Boden erwies sich als widerstandsfähig. Ich gab jedoch nicht auf. Über einen Sessel, den ich ins Badezimmer schob, erreichte ich die Leuchtdecke. Ich klopfte sie ab. Dabei ent-
William Voltz standen hohle Geräusche. Crysalgira, die sie hörte, kam zu mir herein. »Die Decke!« rief ich. »Über uns liegt ein Hohlraum. Die Frage ist nur, wie hoch er ist und wie wir dorthin gelangen.« Ich montierte den zweiten Sessel auseinander und benutzte eine der freigelegten Metallstreben als Werkzeug, um den Deckenrand zu bearbeiten. Das Licht erlosch, offenbar hatte ich die Stromzufuhr unterbunden. Es gelang mir, einen Teil der Decke aufzubrechen. Mit Hilfe einer größeren Metallstange, die ich als Hebel benutzte, vergrößerte ich die Öffnung. Dann ließ ich Crysalgira zu mir auf den Sessel klettern und hob sie hoch, damit sie in das entstandene Loch blicken konnte. »Der Zwischenraum ist nicht besonders hoch«, stellte sie fest. »Ich nehme an, daß er zur Belüftungsanlage gehört. Wir werden uns kriechend fortbewegen können.« »Nun gut«, sagte ich. »Wir haben nichts zu verlieren.« Ich reichte ihr die beiden Metallstangen und half ihr dann, sich in die Öffnung zu zwängen. Ihr zu folgen, war nicht einfach für mich, ich mußte mich hochziehen und den Oberkörper in das Loch schieben. Crysalgira half mir, so gut es ging, und kurze Zeit darauf lagen wir schweratmend nebeneinander im Zwischenraum. Kühle Luft blies mir ins Gesicht. Von unten fiel nicht genügend Licht durch die Öffnung, um viele Einzelheiten unserer Umgebung sichtbar werden zu lassen. »Ich krieche voraus«, entschied ich. Aufs Geradewohl schlug ich eine Richtung ein. Wir kamen trotz der unbequemen Körperhaltung gut voran. Bald darauf befanden wir uns in völliger Dunkelheit. Ab und zu hielten wir an, um zu lauschen. Es war still. Ein Gegenstand, der sich wie ein dichtes Netz aus Metall anfühlte, stoppte mich schließlich. Ich tastete das Hindernis mit den Händen ab. Crysalgira lag neben mir. »Wir könnten versuchen, uns gewaltsam einen Durchschlupf zu schaffen«, überlegte
Herrscher im Mikrokosmos ich. »Dabei würde jedoch Lärm entstehen, deshalb schlage ich vor, daß wir eine Zeitlang an diesem Gitter entlang kriechen und feststellen, wo wir herauskommen.« Das Mädchen erhob keine Einwände. Der Zwischenraum, in dem wir uns befanden, mußte riesig sein, wahrscheinlich zog er sich quer durch die gesamte Station und unterteilte sie in zwei Etagen. Plötzlich griffen meine Hände ins Leere. Ich tastete vorsichtig umher und stellte fest, daß ich mich am Rand einer runden Bodenöffnung befand. Vor mir lag eine Art Schacht. Ich ließ mich mit den Beinen voran hineingleiten. Indem ich mich mit den Beinen und dem Rücken an den Wänden abstemmte, stieg ich langsam abwärts. »Kannst du mir folgen?« erkundigte ich mich bei meiner Begleiterin. Sie hatte ihre Gewandtheit und Kraft schon oft bewiesen, so daß ich keine Bedenken hatte. Es dauerte nicht lange, dann spürte ich festen Boden unter mir. Ich richtete mich auf und wartete, bis Crysalgira neben mir stand. In der Dunkelheit ertastete ich ihr Gesicht und küßte sie. »Zur Aufmunterung«, erklärte ich. »Du bist verrückt!« zischte sie. »Hast du jetzt keine besseren Ideen?« »Doch!« versicherte ich ihr. »Trotzdem will ich versuchen, hier einen Ausgang zu finden.« »Was, glaubst du, ist das hier? Ein Schacht oder ein Behälter?« »Keine Ahnung!« Meine Hände, die über die glatten Innenwände glitten, trafen auf Widerstand. Ich untersuchte die Ausbuchtungen gründlich und drückte von allen Seiten dagegen. Nichts geschah. Meine Hoffnung, einen Verschlußmechanismus gefunden zu haben, schien sich nicht zu bestätigen. Ich ergriff eine der beiden Metallstreben und schob sie in eine Vertiefung. Mit aller Kraft stemmte ich mich dagegen. Es gab ein knirschendes Geräusch, dann brach irgend
49 etwas auseinander. Gleichzeitig entstand ein schmaler Spalt, durch den Licht hereinfiel. Ich schob Crysalgira zur Seite und brachte mein Gesicht dicht an die Öffnung. Ich blickte in einen beleuchteten Korridor. Das Gebiet, in das ich einsehen konnte, war verlassen. Crysalgira war vernünftig genug, jetzt keine Fragen zu stellen. Ich schob beide Metallstangen in die kleine Öffnung. Es stellte sich heraus, daß die Vergrößerung des Spaltes kein Problem war. Schließlich konnte ich den Kopf hinausstrecken. Crysalgira und ich befanden uns in einer hohlen Säule mitten im Korridor. Ich drehte den Kopf und entdeckte den Öffnungsmechanismus außen an der Säule. Hoffentlich hatte ich ihn nicht schon so sehr verbogen, daß er nicht mehr funktionierte. Ich streckte die Hand hinaus. Die Säule ließ sich ohne Schwierigkeiten öffnen. Ich trat auf den Korridor hinaus und zog Crysalgira ins Freie. Hastig blickte ich mich um. Es blieb keine Zeit, die Spuren meiner Bemühungen zu verwischen. Alles, was ich tun konnte, war, die schmale Tür wieder zuzudrücken. »Wohin?« flüsterte Crysalgira und blickte sich um. Ich wünschte, ich hätte eine Antwort darauf gewußt. Es blieb mir nichts anderes übrig, als mich für eine Seite des Korridors zu entscheiden und festzustellen, wohin er uns führen würde. Wir rannten los und bemühten uns dabei, so wenig Lärm wie möglich zu machen. Trotzdem kam mir das Getrampel unserer Schritte übermäßig laut vor. Ich fragte mich, ob Magantilliken und die Erinnye die einzigen Bewohner dieser Gefühlsbasis waren. Der Korridor endete vor einem breiten Tor. Ich preßte ein Ohr gegen das Metall, aber es war nichts zu hören. Auf der anderen Seite konnten unsere Gegner sein. Crysalgira nickte mir zu. Sie war entschlossen, jedes Risiko einzugehen. Das Tor ließ sich ohne Schwierigkeiten
50 öffnen. Das Mädchen und ich befanden uns im Eingang eines halbdunklen Raumes. Im Hintergrund standen einige Konsolen mit Bildschirmen darauf. Rechts von mir lag ein Instrumentensockel, und im Hintergrund erkannte ich eine Art Korb, der offenbar zu einem Lift gehörte. Gegenstation dieses Lifts konnte nur ein Podest etwa zehn Meter über mir sein. Dort war ein kreisrundes Fenster in die Wand gelassen, das den Durchblick in den benachbarten Raum gewährte. Ich fragte mich, was dort so Besonderes sein konnte, um diesen technischen Aufwand zu rechtfertigen, aber ich sollte es nicht mehr erfahren. Ein eisiger Hauch traf mein Gesicht. Ich fuhr erschrocken herum und sah die Erinnye unmittelbar neben Crysalgira stehen. Sie war wie aus dem Nichts erschienen. Crysalgira war wie versteinert, Angst und Enttäuschung zeigten sich in ihrem Gesicht. In meiner Verzweiflung machte ich einen Schritt auf den seltsamen Roboter zu und schlug nach ihm. Ich traf ins Leere und erhielt dafür einen Schockstrahl, der meinen Körper vibrieren ließ. Sekundenlang stand ich heftig zitternd da und war unfähig, irgend etwas zu tun. Die Erinnye beobachtete mich. »Sie hätten Ihre Unterkunft nicht verlassen sollen«, sagte das Wesen aus der Eisigen Sphäre sachlich. Wahrscheinlich konnte es keinen Ärger empfinden. »Kommen Sie!« forderte die Erinnye uns auf, nachdem ich meine Glieder wieder unter Kontrolle hatte. »Ich bringe Sie in Ihre Unterkunft zurück.« Wir folgten ihr. Ich war niedergeschlagen und fühlte mich für den Fehlschlag verantwortlich. »Es war ein Versuch«, sagte Crysalgira. »Immer noch besser als tatenlos abzuwarten.« Als wir in unserer Unterkunft eintrafen, war die Decke des Baderaums bereits repariert. Magantilliken erschien, aber er machte uns keine Vorhaltungen.
William Voltz »Es ist sinnlos, den Versuch zu wiederholen«, meinte er. »Sie werden immer wieder scheitern.« »Wann werden wir abgeholt?« erkundigte ich mich. »Es ist bald soweit!« Er schickte die Erinnye hinaus und zog plötzlich eine kleine Strahlenwaffe. Ich sah ihn bestürzt an, denn ich rechnete damit, daß er uns bestrafen würde. Er zögerte, dann warf er die Waffe auf den Tisch. Ich sah ihn fassungslos an. »Sie haben sie während Ihres Ausbruchsversuches gefunden und an sich genommen«, sagte er. »Warum tun Sie das?« fragte ich verblüfft. Er zuckte mit den Schultern. Ohne ein weiteres Wort verließ er den Raum. Ich ging zum Tisch und nahm die Waffe an mich. »Das ist eine Falle!« beschwor mich Crysalgira. »Du darfst diesen Strahler nicht anrühren.« »Ich denke, er meint es ehrlich!« Versuche festzustellen, ob sie geladen ist! ermahnte mich mein Extrahirn. Dazu hätte ich die Waffe abfeuern müssen. Das Risiko erschien mir zu groß. Ich schob den kleinen Strahler unter den Anzug. »Was hast du jetzt vor?« wollte die Prinzessin wissen. »Abwarten!« riet ich ihr. »Hier in der Gefühlsbasis haben wir keine Chance, aber das kann sich ändern, sobald wir an Bord eines tejonthischen Schiffes sind.«
* Ich dachte darüber nach, daß Magantilliken ein höchst ungewöhnlicher Mann war, der immer wieder für Überraschungen sorgen konnte. Was ging im Kopf des Henkers vor? Wollte er uns durch das Überlassen einer Waffe helfen oder wünschte er unseren schnellen Tod? War er am Ende sogar gegen den Plan, daß Crysalgira und ich für den Fortbestand
Herrscher im Mikrokosmos der Varganen sorgen sollten? Auf jeden Fall verfolgte dieser unheimliche Mann seine eigenen Pläne. Er gehörte nur noch dem Namen nach zu den letzten Tropoythers, die in Yarden lebten. Ich versuchte, mir die Verhältnisse innerhalb der Eisigen Sphäre vorzustellen, aber trotz allem, was ich erfahren hatte, gelang mir das nicht einmal annähernd. Die Unsterblichen, die durch ihre Experimente mit der Absoluten Bewegung sich beinahe selbst ausgerottet hatten, waren sicher nicht mit Ischtar zu vergleichen. Ich erinnerte mich, wie fremd mir aber sogar Ischtar trotz meiner Liebe zu ihr geblieben war. Ähnelten die varganischen Frauen in der Eisigen Sphäre der Goldenen Göttin? Und war Chapat inzwischen dem Embryostadium entwachsen und aus dem Überlebensbehältnis herausgenommen worden? Hatten Crysalgira und ich nach Erfüllung unserer Aufgabe Hoffnung, durch den Übersetzer in den Makrokosmos entlassen zu werden, und würde diese Prozedur für uns ähnliche Folgen haben wie für die Varganen? Das alles waren Fragen, die mich so intensiv beschäftigten, daß ich keine Ruhe fand. Das Bewußtsein, nun eine Waffe zu besitzen, war ebenfalls aufregend. Ich würde den Strahler einsetzen, sobald sich eine Möglichkeit dazu bieten sollte.
* Etwa drei Tage später erschienen zwei Erinnyen in unserer Unterkunft. Vergeblich wartete ich auf Magantilliken. Vielleicht weilte der Henker bereits nicht mehr in der Gefühlsbasis. »Der Kreuzzug nach Yarden ist in der Nähe dieser Gefühlsbasis eingetroffen«, informierte uns einer der beiden varganischen Roboter. Das konnte nur bedeuten, daß weitere Verbände zu den fünftausend tejonthischen Einheiten draußen im Weltraum gestoßen
51 waren. Trotz aller Schwierigkeiten schien der Kreuzzug auch diesmal stattzufinden, die Tejonther hatten offenbar eine Möglichkeit gefunden, zehntausend Schiffe zusammenzubringen. Noch immer war mir unklar, warum diese Wesen alle dreihundert Jahre auf Veranlassung der Tropoythers diesen Flug unternahmen. Ich befürchtete jedoch, daß es einen schrecklichen Grund dafür gab. »Was wird mit uns geschehen?« fragte ich die Erinnyen. »Eines der Schiffe wird auf der Gefühlsbasis landen, um Sie abzuholen«, erhielt ich bereitwillig Antwort. »Dieses Schiff wird Sie nach Yarden bringen, wo Sie bereits erwartet werden.« Unwillkürlich berührte ich die kleine Waffe unter meinem Anzug. »Wir bringen Sie jetzt zur Schleuse«, kündigte eine Erinnye an. »Dort erhalten Sie Schutzanzüge und Atemmasken, damit Sie zum Schiff gehen können.« Crysalgira warf mir einen fragenden Blick zu, aber ich reagierte nicht darauf. Es war sinnlos, die Waffe auf dem Weg zum Schiff zu benutzen. Nur an Bord des tejonthischen Schiffes hatten wir eine Chance. Die beiden Erinnyen führten uns zur Schleuse. Auf dem Wege dorthin sah ich mich vergeblich nach Magantilliken um. Wie die Roboter versprochen hatten, bekamen wir vor der Schleuse Schutzanzüge. Vermutlich waren es jene, die wir bereits bei unserer Ankunft getragen hatten. Offenbar verlief nicht alles so reibungslos, wie die Erinnyen geplant hatten, denn nachdem wir die Anzüge angelegt hatten, mußten wir noch einige Zeit warten, bis wir die Schleuse betreten durften. Draußen erwarteten uns drei bewaffnete tejonthische Raumfahrer. Im Hintergrund sah ich ihr dreißig Meter hohes Schiff auf den großen Heckflossen stehen. Zweifellos handelte es sich dabei um das Schiff, das uns nach Yarden bringen sollte. Ich überlegte, wieviel Besatzungsmitglieder
52 sich an Bord aufhalten mochten, denn davon hing in erster Linie der Erfolg jeder Aktion ab. Die Tejonther schienen es eilig zu haben, denn sie brachten uns sofort zu ihrem Schiff, ohne mit den Erinnyen in der Gefühlsbasis Kontakt aufzunehmen. Wahrscheinlich hatten sie ihre Anweisungen auf dem Funkweg erhalten. An Bord des tejonthischen Schiffes wurden Crysalgira und ich sofort in eine Kabine gebracht. An den Bewegungen und Erschütterungen spürten wir, daß das Schiff unmittelbar nach unserer Ankunft in den Weltraum startete. Ich war überzeugt davon, daß es sich jetzt wieder in die große Flotte eingliederte. »Die Waffe hilft uns wenig«, befürchtete Crysalgira. »Sie werden uns hier eingesperrt halten und sich überhaupt nicht um uns kümmern.« »Das hängt davon ab, wie lange sie nach Yarden unterwegs sind«, antwortete ich. »Wenn sie einen Direktflug machen, werden wir unser Ziel sicher bald erreichen. Ich neige jedoch zu der Annahme, daß sie noch ein paar Gefühlsbasen anfliegen müssen, um in die richtige Stimmung versetzt zu werden – was immer der Grund dafür sein mag. Das bedeutet, daß man uns verpflegen muß.« Ich wunderte mich, daß man uns die Anzüge gelassen hatte. Stand uns vielleicht ein weiterer Ausflug in den offenen Weltraum bevor? Trotz der Informationen, die wir in der Gefühlsbasis erhalten hatten, konnte ich mir kein Bild von der Eisigen Sphäre machen. Wie sah sie aus, wie groß war sie? Groya-Dol und seine Eisnarbe fielen mir ein. Konnten Sterbliche überhaupt in Yarden leben? »Ich frage mich, ob wir nicht das Risiko auf uns nehmen und uns nach Yarden bringen lassen sollen«, wandte ich mich an die Arkonidin. Sie sah mich ungläubig an. »Du weißt, was uns dort erwartet!«
William Voltz »Unser Leben wäre nicht bedroht«, erinnerte ich sie. »Wenn sie uns wirklich zur Zeugung einer neuen Generation benutzen wollen, werden sie sehr vorsichtig mit uns umgehen.« »Du willst also aufgeben?« fragte sie entsetzt. »Nein«, sagte ich. »Das waren nur theoretische Überlegungen. Natürlich werden wir versuchen, das Schiff in unsere Gewalt zu bringen und damit zu entkommen.« Es war unmöglich, einen festen Plan zu entwickeln, wir mußten darauf warten, daß der Zufall uns eine Gelegenheit gab. Ich wußte nicht, wie viele Tejonther sich an Bord aufhielten. An der Größe des Schiffes gemessen, konnten es etwa fünfzig sein. Wie sollten wir sie mit einer Waffe besiegen? Trotz der großen Ungewißheit, die mit meinem Vorhaben verbunden war, wartete ich voller Ungeduld, daß einer der Tejonther in unsere Kabine kommen würde. Als es endlich soweit war, erschienen mir die äußeren Umstände für einen Angriff denkbar ungeeignet. Die Tür sprang auf, draußen auf dem Gang stand ein Tejonther mit einer schweren Strahlwaffe in den Händen. Ein zweiter Mann, der eine Handfeuerwaffe im Gürtel stecken hatte, betrat den Raum, blieb aber unmittelbar vor dem Eingang stehen. Er hatte ein Übersetzungsgerät bei sich, das er jetzt einschaltete. »Haben Sie bestimmte Wünsche?« erkundigte er sich. Ich sah ihn erstaunt an, offenbar verhalf uns unser neuer Status zu einer Reihe von Vorteilen. »Ich habe Fragen«, eröffnete ich ihm. »Aber die werden Sie mir bestimmt nicht beantworten.« Er schüttelte den Kopf. »Dazu bin ich nicht berechtigt, abgesehen davon, daß ich wahrscheinlich nicht mehr weiß als Sie.« »Ja«, sagte ich gedehnt. »Ich wäre Ihnen dankbar, wenn wir regelmäßig Nahrung erhalten könnten.«
Herrscher im Mikrokosmos »Das ist selbstverständlich«, versicherte er. Ich überlegte, was in seinem Kopf vorgehen mochte. Sicher war er kein besonders bösartiger Mann. Er führte einen Befehl aus und wirkte ein bißchen verunsichert. »Gut«, sagte ich. »Bringen Sie uns zu essen und zu trinken.« Er drehte sich um und stand dabei genau zwischen mir und dem Mann mit dem Strahlengewehr in den Händen draußen auf dem Gang. Jetzt! dachte mein Extrahirn. Mechanisch zog ich die kleine Waffe. Der Mann auf dem Korridor konnte es nicht sehen, und der zweite Tejonther wandte mir den Rücken zu. Als er die Kabine verließ, gab er den Blick auf den bewaffneten Raumfahrer frei. Der Mann mit dem Strahlengewehr begriff wahrscheinlich nicht, was geschah. Ich gab einen Schuß auf ihn ab. Die Waffe, die Magantilliken mir gegeben hatte, funktionierte einwandfrei. Der getroffene Tejonther taumelte rückwärts bis zur Wand, ohne die Waffe loszulassen. Seine Augen waren weit geöffnet. Ich zielte auf den zweiten Mann, der sich jetzt langsam umdrehte, mit einem Ausdruck ungläubiger Überraschung im Gesicht. »Lassen Sie Ihre Waffe stecken!« befahl ich ihm. Seine Hände zuckten zurück. »Sieh nach, ob jemand draußen im Korridor ist!« rief ich Crysalgira zu. Während das Mädchen nach draußen ging, näherte ich mich dem Tejonther und zog ihm die Waffe aus dem Gürtel. Ich warf sie der Prinzessin zu, die jetzt draußen stand und gelassen feststellte: »Niemand hier, Atlan.« Ich deutete auf den Tejonther. »Bewache ihn und laß ihn nicht aus den Augen!« Crysalgira nahm vor ihm Aufstellung und bedrohte ihn mit seiner eigenen Waffe. Ich trat auf den Gang hinaus, sah mich nach beiden Seiten um und packte dann den Toten an den Schultern. Ich zog ihn in die
53 Kabine und warf die Tür hinter mir zu. Alles war blitzschnell gegangen. Ich hörte mich aufatmen. Noch war nichts gewonnen, aber wir hatten Zeit zum Atemholen. Ich griff nach dem Übersetzungsgerät. »Wie heißen Sie?« fuhr ich den Tejonther an. Der Raumfahrer war völlig eingeschüchtert und brachte keinen Ton hervor. »Sprechen Sie!« drängte ich ihn. »Ich habe nicht viel Zeit.« »Warquel!« sagte er stockend. »Wieviel Besatzungsmitglieder befinden sich an Bord, Warquel?« »Mit mir sind es zehn!« Zweifellos sprach er die Wahrheit. Ich hatte mich also verschätzt, denn ich hatte mit fünfzig Gegnern gerechnet. Daß es nur zehn waren, erleichterte mich. Jetzt hatten die Prinzessin und ich eine echte Chance, das Schiff unter Kontrolle zu bringen. Warquel war unser Gefangener, der Mann, den er mitgebracht hatte, lebte nicht mehr. »Wieviel Raumfahrer halten sich zur Zeit in der Zentrale auf?« fragte ich weiter. »Nur einer – das Schiff fliegt mit dem Robotpiloten.« »Wir befinden uns in der Flotte der Kreuzzügler?« »Ja«, bestätigte Warquel. »Ich will vermeiden, daß weitere Tejonther ihr Leben verlieren«, sagte ich zu ihm. »Deshalb wäre es klug von Ihnen, mir zu helfen.« Allmählich gewann er seine Fassung zurück. Seine gelben Augen bewegten sich heftig, offensichtlich suchte er nach einem Ausweg. »Handeln Sie nicht unüberlegt!« warnte ich ihn. »Die Besatzung wird überleben, wenn sie sich meinen Befehlen fügt.« »Was haben Sie eigentlich vor?« wollte er wissen. »Sie haben doch überhaupt keine Chance, irgend etwas zu erreichen.« Ich ignorierte diese Behauptung, mit der er uns nur einzuschüchtern versuchte. »Wo sind die übrigen Besatzungsmitglieder?«
54 Er zögerte. Ich richtete den Lauf der Waffe auf ihn. Unwillkürlich blickte er zu dem Toten hinüber. »Kommen Sie nicht auf die Idee, uns zu belügen!« »Im Aufenthaltsraum«, erwiderte er widerstrebend. »Ich weiß nicht, was sie dort tun, aber die Mehrzahl wird schlafen oder sich ausruhen.« Ich nickte zufrieden. Die Situation war für Crysalgira und mich ausgesprochen günstig. Wenn wir schnell und entschlossen handelten, konnten wir unser Ziel erreichen. Ich nahm die schwere Strahlenwaffe an mich. »Sie führen uns jetzt zu den Aufenthaltsräumen!« befahl ich Warquel. »Lassen Sie sich zu keinen unüberlegten Handlungen hinreißen, eine Waffe wird immer auf Sie gerichtet bleiben.« In Gedanken war ich schon bei der nächsten Stufe meines Planes. Wenn wir das Schiff in unserer Gewalt hatten, mußten wir eine Möglichkeit finden, aus der Flotte auszuscheren. Wie würden die übrigen Raumfahrer auf ein solches Manöver reagieren? Wenn die Zeit gekommen war, wollte ich mit Warquel über dieses Problem reden, jetzt mußten wir erst die Besatzung ausschalten. Crysalgira erwies sich einmal mehr als zuverlässige Verbündete. Sie ließ den Tejonther nicht aus den Augen, so daß ich ohne Risiko die Umgebung beobachten konnte. Warquel hatte die Wahrheit gesprochen, auf dem Weg in den Aufenthaltsraum trafen wir mit niemand zusammen. Schließlich standen wir vor dem Eingang der Mannschaftsquartiere. »Du bleibst mit Warquel hier im Gang und bewachst ihn«, sagte ich zu meiner Begleiterin. »Zögere nicht zu schießen, wenn er sich rührt.« »Du kannst dich auf mich verlassen, Atlan.« Ich nickte ihr zu und öffnete dann vorsichtig das Tor zu den Aufenthaltsräumen. Im Vorraum befand sich niemand. Ich durchquerte ihn und öffnete die nächste Tür.
William Voltz Ich blickte in eine Art Bibliothek. Die sieben Raumfahrer saßen in bequemen Sesseln rund um eine sich drehende Bildsäule. Sie blickten nicht auf, als ich eintrat, wahrscheinlich dachten sie, Warquel oder der andere Mann seien eingetreten. Die Raumfahrer hatten ihre Ausrüstung abgelegt. Soweit ich sehen konnte, trug keiner von ihnen eine Waffe. »Hallo!« rief ich in das Übersetzungsgerät. »Niemand rührt sich von seinem Platz.« Sie starrten mich an wie eine Erscheinung. Ein großer Mann erholte sich zuerst von seiner Überraschung. Es wäre ihm fast gelungen, mich zu überrumpeln. Er warf sich vornüber aus dem Sessel und zog dabei eine kleine Strahlenwaffe aus dem Gürtel. Bevor er abdrücken konnte, traf ich ihn mit der erbeuteten Waffe. Er blieb vor dem Sessel liegen und rührte sich nicht mehr. »Das hätte nicht zu passieren brauchen!« rief ich. »Ich will nicht, daß sich ein solcher Zwischenfall wiederholt. Fügen Sie sich meinen Anordnungen, dann kann ich Ihnen versprechen, daß kein Schuß mehr fallen wird.« Ich rief Crysalgira und Warquel herein. »Sieh dir die anliegenden Räume an«, bat ich die Arkonidin. »Wir brauchen ein geeignetes Gefängnis für diese Männer.« Ich winkte Warquel mit der Waffe. Er trat zu den anderen, während Crysalgira mit der Untersuchung der benachbarten Räume begann. Ich entschied mich dafür, die Gefangenen in einer großen Vorratskammer unterzubringen, die von außen verriegelt werden konnte und aus der ein Entkommen praktisch unmöglich war. Ich trieb die Raumfahrer, ausgenommen Warquel, hinein und versprach ihnen, daß sie sich keine Sorgen zu machen brauchten. Wahrscheinlich haßten sie mich. Ich hatte zwei ihrer Artgenossen getötet, dafür hatten sie bestimmt kein Verständnis. Es ging jedoch um das Schicksal von Crysalgira und mir, da konnte ich auf die Gefühle dieser Wesen nicht viel Rücksicht nehmen. Ob sie mir geglaubt hätten, daß ich auf Belkathyr
Herrscher im Mikrokosmos für die Beendigung der Kreuzzüge gekämpft hatte? Vielleicht wußten sie es sogar. Die überwiegende Mehrheit der Tejonther war für die Beibehaltung der Kreuzzüge nach Yarden, sie schienen nicht zu ahnen, warum diese Aktionen überhaupt durchgeführt wurden. Die Tejonther waren Werkzeuge der letzten Tropoythers, aber sicher konnte ihnen das niemand begreiflich machen. Nachdem der Vorratsraum verriegelt war, befahl ich Warquel, uns in die Zentrale zu bringen. Dort hielt sich das letzte freie Besatzungsmitglied auf. Seine Überwältigung bereitete keine Schwierigkeiten, denn es war im Sessel vor den Kontrollen eingeschlafen. Crysalgira brachte den verstörten Raumfahrer in den Vorratsraum zu den anderen Gefangenen, während ich mir die Bildschirme ansah. Das Schiff, in das man uns gebracht hatte, flog inmitten einer gewaltigen Flotte. Offenbar waren doch annähernd zehntausend Einheiten zusammengekommen. Es war ein imposanter Anblick, der mich so faszinierte, daß ich Warquel fast vergessen hätte. Aus den Augenwinkeln sah ich, daß der Raumfahrer langsam an mich herankam. Er glaubte an eine Chance, mich überwältigen zu können. Ich bedrohte ihn sofort mit der Waffe. »Stehenbleiben!« schrie ich ihn an. In Zukunft, beschloß ich, wollte ich noch vorsichtiger sein. Auf keinen Fall durfte ich diesen Tejonther unterschätzen. Er brachte es fertig zu lächeln. »Sie sehen, daß Sie nur eine relative Freiheit gewonnen haben«, meinte er. »Dieses Schiff befindet sich mitten unter anderen Schiffen meines Volkes. Sie können nicht entkommen. Geben Sie auf.« Ich winkte mit der Waffe und ließ ihn im Sessel vor den Kontrollen Platz nehmen. »Wir werden dieses Schiff aus der Flotte steuern«, ordnete ich an. Sein Pelz sträubte sich im Nacken. Er schien ernsthaft bestürzt zu sein. »Kommen Sie nicht auf den Gedanken,
55 eine Funkbotschaft abzustrahlen oder Ihren Freunden ein Zeichen zu geben«, warnte ich ihn. »Vergessen Sie nicht, daß Sie und alle anderen Besatzungsmitglieder mit uns sterben werden, wenn irgend etwas mit dem Schiff passieren sollte.« »Ja«, sagte er grimmig. Meine Blicke wanderten über die Kontrollen. Da ich eine Zeitlang an Bord von Vruumys' Schiff zugebracht hatte, waren mir die Instrumente nicht völlig fremd. Es fiel mir leicht, die Funkanlage zu finden. Ich zerstörte ein paar Schaltungen, so daß Warquel keine Verbindung zu anderen Schiffen aufnehmen konnte, ohne vorher nicht auffällige Vorbereitungen zu treffen. Er schien enttäuscht zu sein. »Wir wollen uns unterhalten, wie wir nun vorgehen«, schlug ich vor. Er machte keinen sehr bereitwilligen Eindruck, aber ich ließ mich davon nicht irritieren. »Sie wissen, was ich vorhabe«, fuhr ich fort. »Es geht darum, mit diesem Schiff den Kreuzzug zu verlassen.« »Das ist unmöglich!« Er ließ sich im Sitz zurücksinken, als wäre die Sache damit erledigt. »Mag sein, daß Sie so darüber denken«, sagte ich mit Nachdruck. »Trotzdem werden Sie es versuchen müssen, wenn Sie am Leben bleiben wollen.« Er seufzte. Ich war nicht sicher, ob er wirklich mit großen Schwierigkeiten rechnete oder mir nur etwas vormachte. Auf jeden Fall durfte ich mich nicht von meinen Plänen abbringen lassen. Die Eroberung des Schiffes war völlig sinnlos, wenn wir weiterhin in diesem Pulk mitflogen. Ich preßte Warquel den Lauf der Waffe in den Nacken. »Entscheiden Sie sich!« Das wirkte. Er begann, an den Kontrollen zu hantieren. Ich ließ die Bildschirme nicht aus den Augen. Da ich nicht bereit war, eine Funkverbindung zu anderen tejonthischen Einheiten zuzulassen, mußte ich mich auf die optischen Wahrnehmungen verlassen. Es
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war denkbar, daß unser Schiff angegriffen und vernichtet wurde, wenn es mit dem unvorhergesehenen Manöver begann, aber dieses Risiko mußte ich eingehen. Crysalgira kam in die Zentrale zurück. »Ich habe ihn gut untergebracht«, berichtete sie. Ihr Blick fiel auf die Kontrollen, und sie wurde sofort wieder ernst. »Geht es schon los?« Ich nickte nur, denn ich wollte mich jetzt nicht ablenken lassen. Bei der Bedienung der verschiedenen Schaltanlagen machte Warquel einen sicheren Eindruck. Ich konnte nicht völlig ausschließen, daß er einen Trick versuchte, denn dazu kannte ich die tejonthische Technik nicht gut genug. Einmal mehr mußte ich mich völlig auf meinen Instinkt verlassen. Auf den Leuchtskalen erschienen jetzt ständig neue Werte, auch die Stellung des Schiffes zum übrigen Verband begann sich zu ändern. Das Manöver hatte begonnen.
* Obwohl alles sehr schnell ging, verstrich die Zeit scheinbar mit quälender Langsamkeit. Keines der anderen Schiffe schien zu reagieren, aber das war eine oberflächliche Feststellung, denn ich konnte längst nicht alle Einheiten auf den Bildschirmen beobachten. Vielleicht hatten in diesem Augenblick schon ein paar Verbände Kurs auf unser Schiff genommen, um es zu stoppen. Ich hatte den Verdacht, daß Warquel das Ausschermanöver absichtlich verzögerte. »Es geht zu langsam!« herrschte ich ihn an. »Beeilen Sie sich, wenn Sie diese Aktion überleben wollen.« »Ich tue, was ich kann!« Zum erstenmal wurde er richtig wütend und widerspenstig. Da wir im Grunde genommen auf ihn angewiesen waren, beschloß ich, ihn während der Kurskorrektur nicht zu stark unter Druck zu setzen, denn das konnte zu einer Kurzschlußreaktion führen. Als ich wieder auf den Bildschirm blickte,
sah ich auf einer Seite den offenen Weltraum. Unser Schiff war im Begriff, sich von der Flotte der Kreuzzügler zu trennen. Bisher war nichts dagegen unternommen worden. Ich wandte mich wieder an Warquel. »Beschleunigen Sie jetzt mit Höchstwerten!« befahl ich. Er wollte Einwände erheben, besann sich aber anders und führte meine Anordnung aus. Das Schiff schien förmlich aus diesem Sektor der mikrokosmischen Galaxis herauszuspringen. »Geschafft!« rief Crysalgira. »Suche ein paar Stricke!« bat ich sie. »Wir wollen unseren Freund an den Sitz fesseln, damit er auch in Zukunft nicht auf dumme Gedanken kommt.«
14. Atlan Crysalgira und ich beschlossen, abwechselnd zu schlafen, denn es war sicher nicht angebracht, Warquel unbeaufsichtigt an den Kontrollen des Schiffes zu lassen. Ich wollte die erste Wache übernehmen, denn die Prinzessin war wesentlich erschöpfter als ich. Ihr Durchhaltevermögen war sowieso bewundernswert. Crysalgira lehnte sich an mich und küßte mich flüchtig auf die Wange. »Ich bin froh, daß wir dem Schicksal entronnen sind, das die Varganen für uns bestimmt hatten«, sagte sie müde, aber glücklich. »Ich darf nicht daran denken, was mit uns geschehen wäre, wenn man uns in die Eisige Sphäre gebracht hätte.« Ich runzelte die Stirn. Meine Gedanken beschäftigten sich bereits mit der nächsten Zukunft. Wahrscheinlich würde Crysalgira von meinen Plänen nicht begeistert sein. »Vergiß nicht, daß in Yarden eine Fluchtmöglichkeit in den Makrokosmos besteht, Prinzessin!« »Das ist mir gleichgültig«, gab sie zurück. »Wir werden nach Yarden gehen – auf meine Weise!« verkündete ich. »Dort haben
Herrscher im Mikrokosmos wir die Chance, den Umsetzer zu benutzen, außerdem kann ich vielleicht meinen Sohn wiedersehen.« Ihr Gesicht veränderte sich, ich hatte sie niemals zuvor so wütend gesehen. »Es geht dir ausschließlich um diesen Mischling!« beschuldigte sie mich. Ich vergaß mich und schlug ihr ins Gesicht. Sie wich vor mir zurück und sah mich an wie einen Fremden. Ich begriff, daß ich mit diesem Schlag viel zerstört hatte, aber er ließ sich nicht zurücknehmen. »Ja«, fuhr sie mit entstellter Stimme fort. »Wenn du ihn zu ihr zurückbringst, wird sie dich in Gnaden aufnehmen.« Ich verstand sofort, daß sie von Ischtar sprach. Fast hätte ich erneut die Beherrschung verloren. »Wir sind beide müde«, sagte ich mühsam. »Alles wird anders aussehen, wenn wir uns ausgeruht haben. Unsere Nerven wurden in den letzten Tagen überbeansprucht.« Sie ließ nicht locker. »Gib es doch zu!« rief sie aus. »Du träumst davon, unsterblich zu werden wie sie und mit ihr zu leben. Du hast vergessen, daß du für die Freiheit der Arkoniden kämpfen mußt. Was ist mit deinen Plänen, Orbanaschol III. zu vernichten?« Mit dumpfer Stimme gab ich zurück: »Ich habe nichts davon vergessen.« Sie lachte spöttisch. Unser Gespräch war damit beendet, wir hatten uns im Augenblick nichts mehr zu sagen. Mein Extrahirn meldete sich. Hat sie wirklich unrecht? Wann hast du zum letztenmal an die Mörder deines Vaters gedacht? Ich lauschte in mich hinein. In den vergangenen Tagen hatte ich kaum Zeit gefunden, mich mit mir selbst zu beschäftigen. Nein! dachte ich entschieden. Ich hatte nichts vergessen, weder meine Freunde noch meine Gegner im Makrokosmos. Ich war entschlossen, dorthin zurückzukehren und den Kampf wieder aufzunehmen. Aber der Weg in den Makrokosmos führte
57 nur an den unsterblichen Varganen vorbei – mitten durch die Eisige Sphäre.
* Meine Befürchtung, daß wir verfolgt werden könnten, bestätigte sich glücklicherweise nicht. Warquel hatte nicht versucht, uns zu hintergehen. Der Tejonther machte einen sehr niedergeschlagenen Eindruck, wahrscheinlich hatte er mit seinem Leben abgeschlossen. Ich beschloß, mich mit der Technik dieses Schiffes vertraut zu machen und die Gefangenen früher oder später auf einem geeigneten Planeten abzusetzen. Die tejonthischen Raumfahrer bedeuteten für Crysalgira und mich nur eine Belastung. Solange Crysalgira schlief, brachte ich die beiden Toten zur Hauptschleuse und stieß sie in den Weltraum. Dann kehrte ich in die Zentrale zurück und löste Warquel wieder von den Fesseln, damit er sich frei vor den Kontrollen bewegen konnte. Ich sagte ihm, was ich vorhatte. Er schien überrascht zu sein, daß dieses Abenteuer für ihn und seine Freunde so glimpflich verlaufen sollte. »Denken Sie über die Bedeutung der Kreuzzüge nach«, empfahl ich ihm. »Ich bin sicher, daß sie zum Schaden Ihres Volkes veranstaltet werden.« Er antwortete nicht, wahrscheinlich gehörte er zu den überzeugten Anhängern dieser traditionellen Unternehmungen. Ich war froh, als Crysalgira erwachte und mich ablöste. Kaum, daß ich mich in einem Sitz niedergelassen hatte, schlief ich auch schon ein. Meine unruhigen Träume drehten sich um Ischtar, Magantilliken und jenen unheimlichen Raum, der Schrecken und Verlockung gleichzeitig verhieß: die Eisige Sphäre. ENDE
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