Birgit Knister Hexe Lilli
Hexe Lilli im Wilden Westen
Viel Vergnügen mit der Hexe Lilli! Lilli hext für ihr Leben gern...
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Birgit Knister Hexe Lilli
Hexe Lilli im Wilden Westen
Viel Vergnügen mit der Hexe Lilli! Lilli hext für ihr Leben gern, seit sie eines Tages plötzlich ein Zauberbuch neben ihrem Bett fand. Doch die Folgen ihrer Hexerei sind meist höchst überraschend... So zum Beispiel, als Lilli sich mitten in den wilden Wilden Westen zaubert - und dort als Lillythe-gun eine Kleinstadt vor drei berüchtigten Pistoleros rettet! ISBN: 340104687X Arena Erscheinungsdatum: 1996
Dieses E-Book ist nicht zum Verkauf bestimmt!!!
Das ist Lilli, die Hauptperson unserer Geschichte. Sie ist ungefähr so alt wie du und sieht aus wie ein gewöhnliches Kind. Das ist sie eigentlich auch...aber doch nicht ganz. Lilli besitzt nämlich etwas, was überhaupt nicht gewöhnlich ist: ein Hexenbuch! Eines Morgens fand Lilli es neben ihrem Bett. Wie ist es da wohl hingekommen? Keine Ahnung. Lilli weiß nur, dass die schusselige Hexe Surulunda Knorx das Buch aus Versehen liegen gelassen hat. Und sie weiß, dass echte Zaubereien und wilde Hexentricks in dem Buch stehen. Einige davon hat Lilli schon ausprobiert. Aber aufgepasst: Versuche lieber nicht, Lillis Hexereien nachzumachen! Hast du nur ein Wort falsch gelesen, wird Zahnbürste zum Hexenbesen. Aus Lehrerin wird böser Schurke, aus Eis am Stiel wird saure Gurke. Vorsichtshalber hat Hexe Lilli niemandem von ihrem tollen Buch erzählt. Sie ist sozusagen eine echte Geheimhexe.
Auch vor ihrem kleinen Bruder Leon hält sie das Hexenbuch geheim. Das ist gar nicht so einfach, denn Leon ist sehr neugierig und kann manchmal ziemlich nervig sein. Lilli hat ihn aber trotzdem sehr lieb. So... und jetzt kann der Lesespaß losgehen!
Inhalt 1. Kapitel............................................................................. 5 2. Kapitel........................................................................... 16 3. Kapitel........................................................................... 30 4. Kapitel........................................................................... 42 Westerntrick „Entfesselungswetten“................................. 53 Westerntrick „Knoten im Arm“ ........................................ 56
1. Kapitel
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„Mit einer seiner gefürchteten Riesenpranken packte Karacho-Bill seinen Gegner am linken Arm, ballte die rechte Hand zu seiner Schmetterfaust und dann ging es Schlag auf Schlag. Aber was war das? Karacho-Bills fürchterliche Schmetterschläge schienen bei seinem Gegner wirkungslos abzuprallen. Der stand fest wie der große Telegrafenmast der kleinen Poststation von Devil's Rock. Wenn Karacho-Bill geahnt hätte, wer ihm da gegenüberstand, hätte er vielleicht doch nicht seine Schmetterfaust sprechen lassen, sondern... “ „Seine Pistole!“, ruft Leon mit hochrotem Kopf.
„Im Wilden Westen sagt man Colt!“, berichtigt Lilli ihn. Lilli und Leon hocken im Indianersitz auf dem Boden. Lilli trägt ihr Pocahontas Kostüm und eine Feder im Haar. So sieht sie aus wie eine stolze Häuptlingstochter. Auch Leon hat sich herausgeputzt - und zwar als Cowboy. Der Cowboyhut auf seinem Kopf ist ihm allerdings etwas zu groß. Doch Leon sieht damit sehr verwegen aus. Und seine Fransenjeans sind toll. Die hat Mama ihm genäht. Auch der große Revolver ist beeindruckend. Er steckt in Mamas alter Handtasche, die Leon sich umgehängt hat. Richtige Revolvertaschen wünscht er sich zum -6-
Geburtstag. Und dann sind da noch die Stiefel.
Leon trägt Gummistiefel; also nicht unbedingt das, was sich ein harter Westmann unter Cowboystiefeln vorstellt. Aber sie sind praktisch, falls man durch den Colorado- River reiten muss - sagt Lilli. Und die muss es wissen. Schließlich liest sie in letzter Zeit einen Wildwestroman nach dem anderen und kennt sich deshalb enorm gut aus. „Los, lies weiter vor!“, drängt Leon. „Warum zieht KarachoBill nicht seine Pistole?“ „Es heißt: seinen Colt!“, sagt Lilli und schaut wieder in das Buch, das auf ihren Knien liegt. „Also aufgepasst: Wenn Karacho-Bill geahnt hätte, wer ihm dort gegenüberstand, hätte er vielleicht doch nicht seine Schmetterfaust sprechen lassen, sondern seinen Colt. Aber dafür war es jetzt zu spät. Sein Colt lag, leicht angerostet, tief unten in den Satteltaschen. Und das war eigentlich auch gut so. Denn was hätte es bei einer Schießerei gegeben? Löcher, jede Menge Löcher. Und die gehören eigentlich nur in Schweizer Käse und nicht i n ausgewachsene Cowboys. Na ja, einer hätte sich natürlich über durchlöcherte Cowboys gefreut, nämlich Groovy-Henry, der Leichenbestatter. Und Grufti, wie er von allen genannt wurde, hätte hier wahrscheinlich alle Hände voll zu tun gehabt. Denn die beiden -7-
Kerle, die sich da vor dem Saloon in der Mittagshitze rauften, waren alles andere als leichtgewichtig. Karacho-Bill war so groß, dass er, ohne den Kopf heben zu müssen, einem Pferd direkt in die Augen schauen konnte. Sein Gegner war zwar nicht ganz so riesig, dafür aber genauso breit wie groß, ein enormes quadratisches Kraftpaket.
Und wer war dieser schwergewichtige Westmann? Bobbes Hobbes, Vorarbeiter im Steinbruch von Death Valley. Bei den Sprengungen im Steinbruch war ihm schon so manch harter Brocken auf seinen eisenharten Schädel und seine muskelbepackte Brust geprasselt. Kein Wunder also, dass ihn Boxhiebe, auch wenn sie noch so hart waren, nicht aus dem Gleichgewicht bringen konnten. Aber all das konnte Karacho-Bill nicht wissen. Schließlich war er fremd hier. Und deshalb wusste er natürlich auch nicht, was auf ihn zukam, als plötzlich die Doppelschwingtür des Saloons aufschnellte und eine junge Frau energisch auf die beiden Kampfhähne zuschritt. Bobbes Hobbes jedenfalls schien -8-
im Bilde zu sein. Denn er brachte sich mit einem geschmeidigen Sprung in Sicherheit. Doch kaum eine Sekunde später begriff auch Karacho-Bill, warum Hobbes so schnell verschwunden war. Denn da hatten sich die zentimeterlangen spitzen Stöckelabsätze dieser Dame schon in seine butterweichen Kalbslederstiefel gebohrt. Zielsicher traf die Stöckelspitze Karacho-Bills kleinen Zeh, der sofort dicker anschwoll als eine texanische Runkelrübe.
„Ich werd euch helfen, euch hier vor meinem Saloon zu prügeln!“, rief die Dame, die von allen Zilli Concarne genannt wurde. „Ihr bringt euch um, und ich hab den Ärger mit der Leiche und dem Sheriff!“ Kaum war das Wort „Leiche“ gefallen, hörte man jemanden einen Vorschlag machen. Er stammte natürlich von Grufti, der soeben auf dem Platz erschienen war. „Vielleicht wollen sich die ehrenwerten Cowboys in meinem Garten zu Tode prügeln“, sagte er. „Das Gras ist weich und schön lang. Man kann wunderbar hineinbeißen und fällt auch nicht zu hart. Ich garantiere... „ „Als ob es hier in Bourbontown nicht Wichtigeres zu tun gäbe!“, fiel Zilli Conarne dem Leichenbestatter ins Wort. „Wir sollten lieber dafür sorgen, dass die drei Tornados hinter Schloss und Riegel kommen, damit endlich wieder Ruhe in unsere Stadt einkehrt. Inzwischen traut sich ja nicht einmal mehr der Sheriff nach Sonnenuntergang in meinen Saloon. „Aber wir haben doch gar keinen Sheriff mehr!“, rief einer -9-
der Schaulustigen, die sich inzwischen dort versammelt hatten. Und ein anderer fügte hinzu: „Den haben letzte Nacht doch auch die drei Tornados...“ „So, den also auch...“, sagte Zilli und ihre Stimme klang jetzt nicht mehr so fest und entschlossen. „Aber er bekommt ein Begräbnis erster Klasse“, meinte daraufhin Grufti und die Umstehenden waren sich nicht sicher, ob es ein Scherz sein sollte oder ob er versuchte Zilli Concarne zu trösten.
„Wenn doch nur ein paar von euch mutig genug wären diesen üblen Burschen das Handwerk zu legen. Ich schwöre euch, ich würde sofort mitmachen“, sagte Zilli jetzt. „Denn allein kann ich schließlich nichts „Genau, der Schmied hat Recht“, hörte man nun einige sagen. Und der Friseur rief: „Die sind doch mit dem Revolver schneller als ich mit meiner Schere.“ Dabei ließ er seine Schere so schnell auf- und zuklappen, dass man die Scherenblätter kaum mehr erkennen -10-
konnte.“ „Diese Feiglinge!“, ruft Leon und fuchtelt Lilli mit seiner Spielzeugpistole direkt vor der Nase herum. „Ich würde Hackfleisch aus den Tornados machen. Hackfleisch mit Tomatensoße. Batz, batz, batz! Einfach wegpusten!“ „Na, ganz so leicht würde das wohl nicht sein“, sagt Lilli lachend. „Die drei Tornados sind sicherlich schlimme Revolverhelden, Pistoleros!“ „Im Wilden Westen heißt es Coltoleros!““, versucht Leon seine große Schwester zu verbessern. „Nein, falsch! Es muss hier ausnahmsweise Pistoleros heißen. Das Wort kommt aus dem Spanischen. Der wilde Wilde Westen liegt nämlich ganz in der Nähe von Mexiko. Dort spricht man spanisch.“ „Was du alles weißt“, sagt Leon staunend. „Los, erzähl mir noch mehr vom wilden Wilden Westen. Nein, am besten, du liest noch was vor. Es wird doch gerade so schön spannend.“ ausrichten.“ „Ich würde ja auch mitmachen“, rief einer, der ein glühendes Hufeisen in einer Zange hielt. „Aber ich habe Familie. Da hat man Verantwortung.“ „Bestimmt machen sie Karacho-Bill zum Sheriff“, sagt Lilli und blättert im Buch. „Aber der kennt sich doch gar nicht aus in der Stadt“, wendet Leon ein. „Ja, gerade deshalb“, erklärt Lilli. „So ist das immer in den Wildwestgeschichten. Eine Stadt wird von einer Bande bedroht. Dann kommt ein Fremder. Der kann gut schießen und den wollen sie zum Sheriff machen. “ „Aber ich denke, Billi kann nicht gut schießen. Sein Schießeisen ist doch verrostet.“ „Ja, ja! Das stimmt schon. Aber am Ende schießt er wahrscheinlich doch. Und sicher kann er es auch ganz gut. Er -11-
will den Colt nur nicht benutzen, weil er damit vielleicht vor einiger Zeit seinem Freund ins Bein geschossen hat.“ „Karacho-Bill hat seinem Freund ins Bein geschossen? Warum tut er so was? Der gemeine Schuft! Seinem eigenen Freund ins Bein zu schießen... Er hat den Galgen verdient! So einen können sie doch nicht zum Sheriff machen!“
„Nein, nein! Er hat es doch nicht extra gemacht. Er wollte vielleicht eine alte Frau vor ein paar Bankräubern retten und hat geschossen. Nur so, um die Gangster zu erschrecken - und da ist sein Freund zufällig dazwischengelaufen. Deshalb hat Karacho-Bill seit dem Tag nie wieder einen Colt angefasst.“ „Der Arme. Seinem eigenen Freund ins Bein zu schießen.“ „Aber das habe ich mir doch nur ausgedacht!“, versucht Lilli zu erklären. „Vielleicht war es ganz anders. Ich kenne doch nur den Anfang von der Geschichte. Aber so was Ähnliches kommt in den meisten Western vor.“ „Dann machen sie ihn also doch zum Sheriff?“ Lilli zuckt mit den Achseln. „Und dann?“ „Dann wird er sich ein paar Leute suchen, die ihm helfen.“ „Wozu?“ Lilli verdreht die Augen, weil Leon anscheinend viel zu klein -12-
ist, um einen Western zu verstehen. Aber weil er sie so treu anschaut, erklärt sie es ihm dann doch: „Er sucht sich ein paar Leute, die er zu Hilfssheriffs machen kann, um die Tornados einzulochen.“ „Bestimmt fragt er den Dicken, diesen Hobbes“, sagt Leon und bläst seine Backen auf. „Wahrscheinlich.“ „Und Zilli Concarne macht auch mit und tritt den Gangstern so richtig auf die Füße!“ „Kann schon sein. Wir werden sehen.“ „Und dann?“ „Na, was weiß ich? Aber bis die Tornados besiegt sind, ist es ein langer Weg.“ „Und es wird auch geschossen?“ „Immer!“ „Und sterben auch welche? Ich meine, sterben auch welche von den Guten?“, will Leon wissen. „Mindestens einer von denen stirbt immer.“ „Immer?“ „Immer!“, sagt Lilli und nickt. „Wenn einer von den Guten stirbt, dann wird es richtig traurig und man wird wütend beim Lesen.“ „Und zum Schluss?“
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„Wir werden's ja sehen. Das ist ja das Tolle bei den Wildwestromanen. Obwohl man sich schon denken kann, wie es ausgeht, wird es dann doch so spannend, dass man überhaupt nicht mehr aufhören kann mit dem Lesen.“ „Los, lies weiter vor!“, drängt Leon. „Ich will wissen, wie es weitergeht.“ „Aber in diesem Moment ruft Mama aus der Küche: „Lilli, Leon! Bitte den Tisch decken. Das Abendbrot ist fertig!“ „Du bist heute dran“, sagt Lilli und blättert schon wieder in ihrem Buch. „Aber bitte nicht allein weiterlesen.“ Leon guckt ganz unglücklich. „Ich will doch nur wissen, ob sie Karacho-Bill zum Sheriff machen.“ „Aber du liest mir das dann vor!“ „Versprochen!“ Lilli vertieft sich ins Buch. Weit kommt sie allerdings nicht. Mama ruft schon wieder. Lilli legt ihr Lesezeichen, das sie aus ein paar Pferdehaaren geflochten hat, ins Buch und geht in die Küche. Dort schaut Mama sie ziemlich vorwurfsvoll an. „Was erzählst du Leon denn da für Schauermärchen? Hast du ihm gesagt, dass sich im Wilden Westen die Freunde immer gegenseitig ins Bein schießen?“ „Das ist doch Unsinn! Das habe ich nie behauptet.“ „Hat sie wohl!“, ruft Leon. Lilli verdreht die Augen. Und schon rennt Leon, wie von der gemeinen Prärietarantel gestochen, aus dem Zimmer und kommt kurz darauf mit dem Buch zurück. „Hier, Mama!“, sagt er und streckt seiner Mutter Lillis Wildwestroman wie eine Jagdtrophäe entgegen. „Hier steht alles drin. Lilli sagt, es gibt viele Tote. Immer!“ -14-
Noch ehe Lilli etwas erklären kann, hat Mama das Buch schon genommen und sagt: „Ich denke nicht, dass das der richtige Lesestoff ist. Und für Klein Leon schon gar nicht. Es wird wohl besser sein, wenn ich den Western erst einmal selber lese. Und dann schauen wir mal.. „ Sosehr Lilli auch bittet und bettelt, Mama rückt das Buch nicht mehr heraus. Lilli ist stocksauer. Am liebsten würde sie Leon auf der Stelle einen Karacho-Bill- Kinnhaken verpassen, dass er die Glocken von Nashville Tennessee läuten hört. Aber stattdessen besinnt sie sich auf einen alten Indianertrick und geht in ihr Zimmer.
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2. Kapitel
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Lilli steht breitbeinig in ihrem Zimmer. Sie holt tief Luft und lässt sie dann ganz, ganz langsam durch die Zähne pfeifen. Das wiederholt sie noch dreimal, bis sie in alle Himmelsrichtungen gepfiffen hat. Nun ist ihre Wut auf Leon zwar noch nicht ganz verflogen, aber es geht ihr schon viel besser.
Aber was nun? Lilli überlegt, wie sie Mama das Buch unbemerkt wieder abluchsen kann. Denn sie muss unbedingt wissen, wie die Geschichte in Bourbontown weitergeht. Ob ihr Hexenbuch vielleicht helfen kann den Wildwestroman zurückzubringen? Oder, nein, noch besser! Lilli hat auf einmal eine tolle Idee. Warum sich nicht gleich selber in den Wilden Westen hexen? Das ist mit Sicherheit noch viel spannender als lesen! Sie könnte es so machen wie damals mit den Piraten. Da hatte sie sich auf ein echtes Piratenschiff gehext. Mensch, war das aufregend! Wie's funktioniert, steht im Hexenbuch. Mit dem sogenannten Hexensprung nämlich. Mit dem kann man sich in jede Zeit und an jeden Ort hexen. Dazu braucht man nur den richtigen Zauberspruch und einen ganz speziellen Gegenstand. Der sollte möglichst aus der Zeit stammen, in die man springen will. Aber woher soll Lilli einen echten Colt nehmen oder einen Cowboysattel? Sie grübelt und überlegt. Der Gedanke, zu den echten Cowboys und Cowgirls zu -17-
fliegen, lässt ihr keine Ruhe. Sie muss den passenden Gegenstand finden! Aber Lilli wäre nicht Lilli und erst recht keine echte Geheimhexe, wenn ihr keine Lösung einfallen würde. Als sie am nächsten Morgen zur Schule geht, entdeckt sie auf einer Werbetafel den folgenden Spruch:
Normalerweise interessiert sich Lilli nicht für Reklame, und für Whisky-Reklame schon gar nicht. Aber die Worte „Bourbon“ und „viele Jahre alt“ elektrisieren sie. Das ist es! Nach der Schule will sie sofort einen Laden suchen, in dem es diesen Whisky zu kaufen gibt.
Aber es stellt sich heraus, dass das gar nicht so einfach ist. Im ersten Laden führen sie überhaupt keinen Whisky. Im zweiten haben sie zwar Whisky, aber nicht den von der Werbetafel. Im -18-
dritten Laden haben sie endlich den richtigen Bourbon-Whisky, aber sie wollen ihn Lilli nicht verkaufen, weil Lilli noch ein Kind ist. „Aber ich will doch den Whisky nicht trinken“, beteuert Lilli. „Dann musst du deinen Papa schicken oder deine Mama“, sagt der Verkäufer. „Es ist nun mal so. An Kinder darf ich keinen Alkohol verkaufen. Das ist gesetzlich verboten.“ Aber so schnell gibt Lilli nicht auf. „Wie alt ist denn so ein Bourbon- Whisky?“, erkundigt sie sich. „Das kommt auf die Qualität an“, erklärt der Verkäufer und greift eine Flasche mit einem besonders schönen Etikett aus dem Regal. „Dieser hier kostet achtundzwanzig Mark. Er ist sieben Jahre alt.“ „Älter nicht?“, fragt Lilli enttäuscht. „Aber hör mal!“, verteidigt sich der Verkäufer. „Sieben Jahre ist doch wohl eine lange Zeit. Wenn ein Whisky sieben Jahre lang in echten Holzfässern lagert, hat er schon einen sehr guten Geschmack.“ „Und haben Sie auch richtig alten Whisky. Ich meine richtig ururalten?“ Der Verkäufer lacht: „Also hier im Laden nicht. Aber oben in meiner Wohnung hab ich ein paar ganz alte Flaschen. Von meinem Großvater, weißt du? Er hat dieses Geschäft gegründet und mir seine Flaschensammlung vererbt. Es sind sogar Originalflaschen aus dem Wilden Westen dabei. Leider sind sie leer, sonst hätte ich jetzt Whisky, der gut und gerne hundert Jahre alt wäre. Aber den würde ich sicherlich nicht verkaufen.“ „Mensch, das ist es!“, ruft Lilli begeistert und macht vor Freude einen Luftsprung. „Ich muss eine solche Flasche unbedingt sehen!“ Sie überlegt kurz und fügt hinzu: „Das würde mir nämlich in der Schule sehr nützen.“ -19-
„Wieso das denn?“ Der Verkäufer guckt erstaunt. „Weil unsere Lehrerin gesagt hat, dass alte Whisky-Flaschen historisch interessant sind.“ „Also so was!“ Der Verkäufer ist beeindruckt. „Meine alten Flaschen - historisch interessant. Wer hätte das gedacht? Da will ich doch rasch mal in die Wohnung gehen und nachschauen.“
Wenig später ist er zurück und zeigt Lilli stolz eine angestaubte leere Flasche. Das vergilbte Etikett sieht abenteuerlich aus. „Finest Bourbon Whisky“ steht da drauf und dann die -20-
Jahreszahl 1886. Darunter das Bild von einem Cowboy vor einer Saloontür. Lilli zittern vor Begeisterung die Finger. Sie muss aufpassen, dass ihr die kostbare Flasche nicht aus den Händen fällt. „Du kannst sie gern mitnehmen und deiner Lehrerin zeigen“, sagt der Verkäufer. „Ich brauche sie natürlich irgendwann zurück. “ „Natürlich“, versichert Lilli, „in ein paar Tagen haben Sie sie wieder.“ Sie steckt die Flasche in ihren Ranzen und verabschiedet sich mit den Worten: „Da wird die ganze Schule stolz auf Sie sein.“ Lilli hat den Eindruck, dass der Verkäufer jetzt sogar ein bisschen verlegen ist, weil er angeblich so wichtig für Lillis Schule ist. Dabei müsste eigentlich Lilli verlegen sein. Aber sie will in den Wilden Westen. Und sei es auch durch eine kleine Notlüge. Zu Hause angekommen, geht Lilli in ihr Zimmer, packt die kostbare Flasche aus und betrachtet sie genau. Auf dem kleinen, vergilbten Etikett lehnt der Cowboy lässig an der Saloontür. Mensch, wär das toll, jetzt da zu sein. Lilli beginnt zu träumen. Mit donnernden Hufen galoppiert sie über die Prärie. Der heiße Wind pfeift ihr um die Ohren. Dort, drüben am Horizont, wo der Himmel die Berge in sanftes Licht taucht, wartet vielleicht Pocahontas auf sie oder Winnetou, Old Shatterhand, Calamity Jan.... „Lilliii!“, ruft jemand. Lilli schreckt hoch. „Lilli!“ , tönt es erneut. Diese Stimme kennt sie doch. Sie kommt aber nicht aus dem Wilden Westen, sondern aus der Küche. Na klar, das ist Leon! Lilli versteckt die Flasche wieder in ihrem Ranzen und ruft leicht genervt: „Was will mein weißer Bruder von mir? Warum -21-
lässt er seine Stimme dröhnen und reißt mich aus meinen Träumen?“ „Ich will meinen Erdbeer-Jogurt!“, plärrt Leon und steht schon in Lillis Zimmer. „Mama sagt, du hast ihn gegessen.“
„Natürlich habe ich ihn gegessen. Ich wollte dir einen Gefallen tun, weil heute Vollmond ist. Du kennst doch die alte Indianerweisheit...“ „Ich will meinen Jogurt und nicht so ,ne olle Indianerweisheit.“ “Na, hör mal, Cowboy, dafür solltest du dich aber interessieren“, gibt Lilli zu bedenken. „Und was hat eine Indianerweisheit mit Jogurt zu tun?“, will Leon wissen. „Es geht dabei ja besonders um den Mond.“ Leon blickt seine große Schwester ratlos an. Und die sagt jetzt den folgenden Spruch auf: „Hör, kluges Jungenbleichgesicht, iss bei Vollmond Jogurt nicht. Denn sonst wirst du schwach und schlapp. Drum iss lieber Haferpapp!“ Leon verzieht das Gesicht. „Haferpapp?“ fragt er. -22-
„Haferpapp!“, beteuert seine Schwester. „Das ist das kernige Zeug, von dem die Rennpferde so schnell laufen können.“ Aber Leon ist immer noch nicht so ganz überzeugt, dass es besser für ihn ist, wenn Lilli sein Jogurt isst. „Und was ist mit den Mädchen?“, will er wissen. „Bei Mädchen gelten andere Regeln“, sagt Lilli schlagfertig. „Du kennst doch Büffelfleisch.“ „Klaro“, bestätigt Leon stolz. „Und hast du mich bei Vollmond etwa schon mal Büffelfleisch essen sehen?“ „Ich glaube nicht“, muss Leon zugeben. „Natürlich nicht!“, sagt Lilli und kreuzt die Arme vor der Brust wie eine stolze Häuptlingstochter.
„Weil ich mich an die Indianerweisheiten halte. Da heißt es nämlich: Hör, kluges Mädchenbleichgesicht, iss bei Vollmond Büffel nicht. Denn sonst wirst du schlapp, nicht stark. Drum iss Jogurt oder Quark!“ „Mensch, was du alles weißt“, sagt Leon beeindruckt. „Erzähl mir noch was von den Cowboys und Indianern.“ Aber dazu hat Lilli gerade jetzt überhaupt keine Lust. -23-
„Ich muss mich vorbereiten“, rutscht es ihr heraus. „Worauf?“, will Leon natürlich wissen. „Auf die Schule!“ Darauf weiß Leon nichts zu sagen und trottet enttäuscht zurück in die Küche. Lilli ist erleichtert. Sie will den Hexensprung in den Wilden Westen noch heute Abend wagen. Dann ist sie ungestört und kann eine ganze Nacht wegbleiben. Sie darf jetzt also keine Zeit verlieren. Lilli kramt ihr dickes Hexenbuch aus dem Versteck unter ihrem Bett hervor. Obwohl sie den Zauberspruch für den Hexensprung noch ziemlich genau im Kopf hat, schlägt sie doch noch einmal im Hexenbuch nach.
Sicher ist sicher! Sie will ja nichts falsch machen. Sorgfältig schreibt sie die Formel für die Zeitreise ab und steckt den Zettel in die Hosentasche. Sie schiebt das Hexenbuch wieder unters Bett und überlegt, was sie heute Nacht mit auf die Reise nehmen sollte. Zuerst einmal braucht sie die richtige Kleidung. Sie holt ihr Pocahontas-Kostüm aus dem Schrank und legt es auf die Bettdecke. Aber wie es da so ausgebreitet vor ihr liegt, kommen Lilli doch Zweifel. Natürlich würde das Kostüm gut in die Wildwestzeit passen. Es könnte aber ja sein, dass sie in einer Wildweststadt landet, die gerade von Indianern überfallen worden ist. Da könnte sie mit einem Indianerkostüm Probleme bekommen. Die hätte sie natürlich auch, wenn sie Leons Cowboyausrüstung mitnehmen und mitten in einem Indianerdorf landen würde. Keine leichte Entscheidung also. Aber vielleicht ist ja eine Mischung aus Pocahontas und Cowgirl -24-
die beste Lösung, denkt Lilli. Sie geht in Leons Zimmer, um sich von ihm den Cowboyhut und den Spielzeugrevolver auszuleihen. Aber sie hat die Rechnung ohne ihren Bruder gemacht. Der will seine Sachen nur herausrücken, wenn Lilli ihm noch eine Indianergeschichte erzählt. Natürlich muss es eine sein, in der es nicht von Toten wimmelt, damit sie nicht wieder Ärger mit Mama bekommt.
Lilli überlegt kurz und erzählt dann die Geschichte, wie aus den gefürchteten Schweißfußindianern die sogenannten Schwarzfußindianer wurden.
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Dieser Stamm lebte vor über hundert Jahren hoch oben in den Rocky Mountains. Nur zur Büffeljagd zog er hinunter in die Prärie. Das Leben in den Bergen war hart. Vor allem die Kälte machte den Indianern zu schaffen. Um sich vor ihr zu schützen, hüllten sie sich in dicke Felle. An den Füßen trugen sie warme Pelzschluffen und nicht die eleganten Mokassins, mit denen die Apachen oder die Komantschen auf den Kriegspfad gingen. Tagaus, tagein, und sogar in der Nacht trugen sie also ihre Pelzpantoffeln. Nur wenn sie in die wärmeren Täler kamen, schnitten sie die Nähte der Pantoffeln auf, um nicht allzu heiße Füße zu bekommen. Nun weiß man nicht, ob man allen alten Indianergeschichten glauben darf, aber in einer heißt es, dass der Gestank der aufgeschnittenen Pelzschluffen so fürchterlich gewesen sei, dass ganze Büffelherden davon in Panik gerieten.
Selbst ausgewachsene feindliche Krieger sollen von diesen Käsemauken schier umgestunken worden sein. Wen wundert's also, dass bald an allen Lagerfeuern und in allen Saloons des Wilden Westens über die Schweißfußindianer gelästert und gespottet wurde. Das konnten diese stolzen Bergindianer natürlich nicht auf sich sitzen lassen. Ihr Häuptling befahl also, dass alle Stammesmitglieder nur noch mit gelüfteten und gründlich gewaschenen Füßen auf Büffeljagd gehen sollten. Und damit sie dann keine neuen Schweißfüße bekamen, gingen -26-
sie barfuß in die Täler. „So wurden aus Schweißfußindianern...“ „ „... Schwarzfußindianer. Ist ja klar, wegen der dreckigen Füße!“, ruft Leon dazwischen. „Genau, und diesen Namen sind sie bis heute nicht losgeworden“, sagt Lilli und nimmt Leon den Cowboyhut vom Kopf. Bereitwillig rückt Leon auch noch seinen Revolver heraus. „Was willst du eigentlich damit?“, fragt er. „Ach, nur ein bisschen spielen“, antwortet sie und geht schnell zurück in ihr Zimmer. Leons Revolver bringt Lilli auf einen Gedanken. Im Wilden Westen wird es sicherlich gefährlich sein und bestimmt wird dort auch scharf geschossen. Da hat sie mit einem Spielzeugrevolver natürlich schlechte Karten. Wenn sie den nun einfach umhexen würde...? Lilli holt erneut das Hexenbuch heraus. Aber solange sie auch sucht, einen Pistolenumhexzauber kann sie nicht finden. Dafür entdeckt sie unter dem Buchstaben F den Freischützkugelzauber. Lilli notiert sich den Zauberspruch, mit dem man aus normalen Kugeln Freischützkugeln hexen kann. Freischützkugeln treffen immer, auf jedes Ziel und auf jede Entfernung. Leider kann keine Hexe in einem Jahr mehr als drei solcher Zauberkugeln hexen. Macht nichts, denkt Lilli. Drei von diesen Superkugeln sind viel besser als gar nichts. Sie muss nur noch normale Kugeln finden, die sie umhexen kann. Aber das dürfte im Wilden Westen kein Problem sein. Hoffentlich funktionieren die Zauberkugeln auch in einem Spielzeugrevolver. Lilli verstaut ihr Hexenbuch und beginnt dann ihr CowboyIndianer-Kostüm anzuprobieren. Doch da ruft Mama aus der Küche zum Abendessen. Und auch nach dem Essen wird Lilli immer wieder gestört. -27-
Dauernd schleicht Mama über den Flur an ihrem Zimmer vorbei. Also legt Lilli sich ins Bett und tut so, als ob sie schon schläft.
Sie weiß, bald wird auch Mama ins Bett gehen. Und dann kommt der Moment... Lilli horcht. Alles ist ruhig. Nein, da ist noch ein Geräusch im Badezimmer. Lilli muss also noch warten. Sie schließt die Augen. Und auf einmal fällt ihr die Zeitreise zu den Piraten wieder ein. Die war nicht nur abenteuerlich, sondern auch sehr gefährlich. Wenn sie daran denkt, wie sie damals im dunklen, stickigen Bauch dieses Piratenschiffs gelandet ist, wird ihr jetzt noch mulmig. Und als dann der fürchterliche Desaforado sein Messer wetzte, weil Lilli als blinder Passagier an Bord war... Nein, so eine Begegnung möchte sie nicht noch einmal erleben. Zwar wird sie im Wilden Westen garantiert nicht auf Kapitän Bartbacke und seine Spießgesellen stoßen; aber wer weiß, was sie diesmal erwartet. Vielleicht dieser Karacho-Bill. Der ist sicherlich auch kein braves Bübchen... Und die drei Tornados erst recht nicht. Egal! Sie muss ihn wagen. Ein Hexensprung ist nun mal gefährlicher als Halma spielen oder fernsehen. Lilli horcht noch einmal angestrengt. In der Wohnung ist es jetzt still. Mama scheint wirklich zu schlafen. Also, los! Lilli schlüpft in ihr Wildwestkostüm und verstaut Leons Colt unter ihrer Weste. Dann steckt sie die kleine Stoffmaus, die immer unter ihrem Kopfkissen liegt, in ihre Hosentasche, damit sie -28-
beim Rückflug garantiert wieder in ihrem Zimmer landet. Jetzt noch die Flasche und den Notizzettel gezückt. Zum Schluss holt Lilli tief Luft, drückt die Flasche an ihr Herz, so wie es im Buch beschrieben ist, und murmelt die Zauberformel für den Hexensprung.
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3. Kapitel
-30-
... In Lillis Bauch beginnt es zu grummeln. Sie spürt, wie der Boden unter ihren Füßen schwindet. Ja, sie schwebt - nein fliegt - nein rast dahin. Dabei schafft sie es nicht ihre Augen zu öffnen. Die Augenlider sind bleischwer. Der Wind pfeift ihr um die Ohren und zerrt an ihrem Indianerhemd. Es ist ein langer Flug.
Jetzt hat sie das Gefühl, als ginge es sehr hoch hinauf. Vielleicht überfliegt sie gerade die Rocky Mountains. Hier oben ist es kalt, denkt sie noch, als es plötzlich heiß wird. Ein trockener, sandiger Wüstenwind streicht um ihre Nase. Wenig später hört der Wind auf und Lilli glaubt Klaviergeklimper zu vernehmen. Und dann hat sie wieder festen Boden unter den Füßen. Sie ist gelandet. Das Klaviergeklimper ist jetzt lauter als vorhin. Es scheint aus einem Nachbarraum zu kommen. Wo ist sie hier? -31-
Ein beißender Geruch liegt in der Luft. Eine Mischung aus Pferdestall, Alkoholgestank, Zigarettenqualm, frisch geschnittenem Holz, Leder und allerlei fremdartigen Düften. Lilli öffnet die Augen und schaut sich um. Es ist ziemlich düster hier drin. Nur ganz wenig Sonnenlicht dringt durch eine kleine offene Fensterritze knapp unterhalb der Decke. Trotzdem erkennt Lilli sofort, dass überall Fässer und Kisten herumstehen. Na klar, das sind Whiskykisten, schießt es ihr durch den Kopf. Sie muss im Lagerraum eines Saloons gelandet sein. Und die Tür da führt entweder in den Schankraum, in die Küche oder direkt hinter die Theke. Lilli versucht durchs Schlüsselloch zu schauen. Zwecklos - nichts zu erkennen. Vorsichtig drückt sie die Türklinke herunter. Aber was ist das? Die Tür lässt sich nicht öffnen. Mist! Sie ist eingesperrt. Was nun? Leider hat Lilli keinen Hexenspruch dabei, mit dem sie verschlossene Türen öffnen kann. Ihr Blick wandert durch den Lagerraum. Das Fenster ist zu klein. Da kommt sie nicht hindurch. Aber hindurchschauen könnte sie. Sofort schiebt Lilli einige Kisten zusammen, stapelt sie zu einem Podest und klettert hinauf. „Whou!“, sagt sie laut vor sich hin. „Willkommen im Wilden Westen!“ Ja, es stimmt. Lilli blickt auf eine staubige Straße, die aus einem Wildwestfilm stammen könnte. Und lässiger als Lucky Luke reitet dort gerade ein Cowboy vorbei. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite spielen zwei Kinder. Komisch, denkt Lilli, Kinder kommen in Wildwestgeschichten eigentlich nie vor. Aber dies hier ist ja auch der echte Wilde Westen. Die Kinder sind gerade dabei, mit einem Hufeisen nach einem kleinen Pfahl zu werfen. Sie wollen ihn so treffen, dass das Hufeisen wie ein Ring am Pfahl herunterrutscht. Aber das -32-
scheint nicht einfach zu sein. Denn entweder werfen sie nicht weit genug oder das Eisen prallt vom Pfahl ab und bleibt davor liegen. Plötzlich stürmt aus einem der bunt angemalten Holzhäuser ein Mann und kickt mit seinen Cowboystiefeln das Hufeisen weg. „Wie oft habe ich euch schon gesagt, dass vor meinem Haus nicht gespielt wird!“, brüllt er. „Ihr vergrault mir die Kundschaft. Kinder und Leichen passen nicht zusammen!“ Die Kinder laufen zum Hufeisen, heben es auf und rufen aus einiger Entfernung: „Grufti stinkt, das weiß man wohl, nach Leichenhemd und faulem Kohl!“
Und dann laufen sie weg. „Na, wartet! Ich werd euch helfen!“, schimpft der Mann und rennt hinterher. Er hat enorm lange Beine. Gleich wird er die beiden geschnappt haben. Lilli überlegt fieberhaft, wie sie ihnen helfen kann. Auf einmal brüllt sie: „Grufti stinkt, das ist gewiss, schlimmer als ein Hundeschiss!“ Volltreffer! Der Mann bleibt stehen und schaut sich um.
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Lilli geht schnell in Deckung. Sie sieht gerade noch, wie die Kinder hinter einer Hausecke verschwinden. Super! Lilli freut sich riesig. Aber nicht nur, weil sie jemandem helfen konnte. Sondern vor allem deshalb, weil sie jetzt sicher ist nicht nur in der richtigen Zeit gelandet zu sein, sondern auch am richtigen Ort. Wenn Grufti hier herumläuft, werden auch die anderen Figuren aus ihrem Westernbuch bald auftauchen. Vorsichtig wagt sie sich wieder näher ans Fenster heran. Grufti geht gerade zurück ins Haus. Und erst jetzt entdeckt Lilli die beiden Schilder neben der Eingangstür.
Lilli pfeift durch die Zähne. Hier geht's ja ganz schön hart zu, denkt sie. -34-
Und tatsächlich. Kaum hat sie den Gedanken zu Ende gedacht, peitschen Schüsse durch die Straße. Und unter riesigem Getöse donnert eine Kutsche heran.
Der Kutscher hat Mühe die vier schweißnassen Pferde zu bändigen und zum Stehen zu bringen. Wieder mehrere Schüsse. Und jetzt sieht Lilli, dass ein Mann neben dem Kutscher auf dem Kutschbock sitzt und in die Luft feuert. „Überfall! Überfall!“ schreit er und schießt noch einmal. „Überfall auf die Postkutsche!“ Aus allen Richtungen kommen Leute angelaufen; darunter gibt es die abenteuerlichsten Gestalten. Aber kaum einer von ihnen ist so prächtig herausgeputzt wie die Cowboys in den Wildwestfilmen. Die meisten tragen zum Beispiel ganz normale Jeans. Kein Wunder, denkt Lilli, hier kommen die Jeans ja auch -35-
her. Mit ihren eigenen Jeans unter ihrem Indianerhemd wird sie also überhaupt nicht auffallen. Soweit Lilli erkennen kann, sind nur ganz wenige von den Leuten bewaffnet. Lillis Hand rutscht automatisch unter ihre Weste und tastet nach dem Spielzeugrevolver, den sie sich in den Hosenbund geklemmt hat. Vielleicht haben die da draußen ihre Schießeisen ja auch irgendwo versteckt. „Es war direkt am Eingang zum Geiertal“, erzählt jetzt der Mann mit dem Gewehr auf der Kutsche. „Da, wo die Schlucht so eng ist. Schon beim Näherkommen sehe ich, dass irgendetwas nicht stimmt. Außerdem hat mein Wollhemd gekratzt; das ist immer ein untrügliches Zeichen, dass da was im Busch ist. Ich lade also meine gute alte Winchester durch und halte sie im Anschlag. Mittlerweile sind wir so nah dran, dass ich den umgefallenen Baumstamm erkennen kann, der den Zugang zum Tal versperrt. „So wahr ich Old Schurwoll heiße, ich fress einen Pferdeapfel, wenn da nicht was faul ist“, sagte ich zum Kutscher und drück ihm einen schweren Colt in die Hand. Dann drehe ich mich um und schaue nach allen Seiten. Keine Menschenseele. Nichts zu sehen, nur dieser verdammte Baumstamm. Der Kutscher fährt langsamer. Wir gucken konzentriert nach vorn. „Kojotendreck und Achsenbruch“ hier liegt was in der Luft“, sagt der Kutscher und ich mache auch den zweiten Sechsschüsser klar. In dem Moment höre ich das berühmte Ritschratsch hinter mir. Ihr kennt ja dieses ganz spezielle Geräusch einer gut geölten Winchester, die gerade durchgeladen wird. Nun ja, wir hatten keine Chance; und ich weiß, wann man schießen sollte und wann man es besser lässt. Wir legen also unsere Pustefixe auf den Bock, bringen n¹die Kutsche kurz vor dem Baumstamm zum Stehen und heben brav unsere Flossen. Da tauchen auch schon wie aus dem Nichts vor uns zwei Tornadobrüder auf. Klar, dass ich mich jetzt nicht umdrehen musste, um zu -36-
wissen, wer hinter uns stand und mir mit seiner Büchse fast den Rücken kratzte.“
„Und dann haben die Mistkerle uns auch noch alles in ihre eigene Kutsche umladen lassen. Das war vielleicht eine Plackerei!“, erzählt jetzt der Kutscher weiter. „Allein die zwölf Whiskykisten... Ich wusste gar nicht, dass Bourbon so schwer ist.“ „Und was ist mit unserer Post?“, wollen jetzt einige von den Zuhörern wissen. Laut schimpfen alle durcheinander, sodass Lilli kaum ein Wort versteht. „War vielleicht ein Paket für mich dabei?“, schreit Grufti. „Ein Paket mit einem lachenden Skelett drauf. Ich warte doch schon so lange auf die neuen bügelfreien Leichenhemden. „ „Ich kann mich nicht erinnern!“, sagt der Kutscher. „Aber an ein Paket erinnere ich mich genau. Es war so höllenschwer, dass es mir aus der Hand gerutscht ist. „ „Mistpack! Das müssen meine Töpfe gewesen sein!“, ruft eine Frau erbost. „Eine Erbschaft von meiner Patentante aus Boston. Mein Onkel wollte sie mir schicken. Ich warte schon seit drei Monaten darauf.“ „Oh nein!“, ruft jetzt der Pfarrer. „Ich glaube, in dem -37-
schweren Paket war unsere neue Kirchenglocke. Sie sollte mit dieser Postkutsche eintreffen. Ich wollte euch, meine lieben Brüder und Schwestern, damit überraschen.“ Schlagartig kehrt Ruhe ein. Den aufgebrachten Menschen auf der Straße verschlägt es die Sprache. Sie können nicht glauben, dass ihre neue Kirchenglocke gestohlen worden ist. „Tut mir Leid, Reverend“, sagt der Kutscher, „das mit dem „höllenschwer“ ist mir nur so rausgerutscht. Aber ich konnte ja auch nicht ahnen, dass mir eine Kirchenglocke auf meinen verfluchten Zeh gefallen ist!“
„Das ist ja wohl die Höhe!“, ereifert sich eine alte Dame und fuchtelt mit ihrem Gehstock in der Luft herum. „Was fällt den drei Tornados ein unsere Kirchenglocke zu stehlen! Und was muss eigentlich noch passieren, damit ihr diesen Burschen endlich das Handwerk legt? Wenn ich nur fünfzig oder sechzig Jahre jünger wäre, würde ich den Tornados eins auf die Glocke hauen, dass sie die Engel im Himmel singen hören!“ „Richtig! Richtig!“, rufen jetzt alle. Lilli beobachtet, wie eine junge Frau auf das Dach der Postkutsche klettert und dort versucht sich Gehör zu verschaffen. Aber erst, als sie einen kleinen Revolver aus ihren zierlichen Schnürstiefeln zieht und damit in die Luft schießt, kehrt wieder Ruhe ein. „Hört zu, Leute! Jetzt muss gehandelt werden! Alle, die den -38-
Tornados das Handwerk legen wollen, kommen heute Abend in meinen Saloon. Die neue Whiskylieferung ist ja nun futsch, aber für heute wird der Vorrat wohl noch reichen. Natürlich geht alles auf meine Rechnung. Und das schwöre ich euch, wir geben nicht eher Ruhe, bis nicht auch der letzte Tornado hinter Schloss und Riegel gebracht ist!“
Bei diesem Satz stampft die junge Frau so temperamentvoll mit ihrem rechten Fuß auf, dass sich der spitze Absatz ihres Stiefels durch das Dach der Kutsche bohrt. Tosender Jubel. Die Leute werfen ihre Cowboyhüte in die Luft.
„Nieder mit den Tornados!“ -39-
„Wir wollen unsere Kirchenglocke!“ „Wir wollen unsere Kochtöpfe!“ „Wir wollen unsere Ruhe!“ „Wir wollen unsere bügelfreien Leichenhemden! „ Auch Lilli reißt vor Begeisterung ihre Arme hoch. „Bravo, Zilli Concarne!“, ruft sie laut und springt in die Höhe. Dabei stürzt der Kistenturm unter ihr um. Als sie alles wieder aufgestapelt hat, steht draußen niemand mehr bei der Kutsche. „Jetzt geht's los!“, sagt Lilli und hockt sich auf eine große Blechdose. Bloß dumm, dass sie jetzt gefangen ist. Ihr Blick wandert umher - fünf, sechs, sieben Whiskykisten zählt sie. Und plötzlich lächelt sie. Lilli ist nämlich auf einmal klar, dass die Kisten die Lösung sind. Denn noch heute wird jemand in diesen Raum kommen, um die letzten Whiskyvorräte zu holen. Das ist ihre Chance. Lilli schleppt die Kisten in die entfernteste Ecke des Lagerraums. Weit weg von der Eingangstür. Neben die Tür rollt sie ein Bierfass, über das sie eine alte Pferdedecke legt. Darunter kann sie sich verstecken. Jetzt braucht sie nur noch die Kugeln. Kein Problem. Eine kleine Kiste mit Munition liegt gleich neben einem Sattel. Auf der Kiste klebt ein Bild mit prächtigen Revolvern. Es dauert nicht lange und Lilli hat sich aus den Patronen drei herausgesucht, die in Leons Kinderpistole passen. Normalerweise kann man ja mit Spielzeugpistolen nicht schießen, aber mit verzauberten Kugeln sollte das eigentlich klappen. Hastig fingert Lilli den Zauberspruch für die Freischützkugeln aus ihrer Jeanstasche. Und dann führt sie peinlich genau die Zauberanweisungen aus, die sie sich auf dem Zettel notiert hat. Jetzt nur noch die Kugeln in die Revolvertrommel stopfen. Drei von Leons Platzpatronen stecken schon drin. Geschafft! Zufrieden schlüpft Lilli in ihr Versteck. Jetzt muss sie nur noch abwarten. -40-
Wenn die Pferdedecke bloß nicht so muffig wäre. Immer wieder schaut Lilli auf ihre Armbanduhr. Ihre kostbare Zeit hier im Wilden Westen verrinnt und sie ist immer noch eingesperrt. So hat sie sich ihre Hexenreise eigentlich nicht vorgestellt.
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4. Kapitel
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Längst hat die Musik im Raum nebenan aufgehört zu spielen. Trotzdem wird es immer lauter. Anscheinend kommen mehr und mehr Leute. Endlich hört Lilli Schritte an der Tür. Ihre Muskeln spannen sich. Sie lauscht gebannt. Jetzt wird ein Schlüssel ins Schloss gesteckt. Ein kräftiges KLACK, und helles Licht und lauter Lärm schwappen in die Vorratskammer. Jemand geht in Richtung Whiskykisten.
Ohne zu zögern, springt Lilli aus ihrem Versteck heraus, huscht durch die Tür und drängelt sich in die Menschentraube vor der Saloontheke. Niemand hat sie bemerkt. Als Zilli Concarne kurz darauf mit zwei Kisten voller Whiskyflaschen aus dem Vorratsraum auftaucht, wird sie mit großem Gejohle empfangen. Sie reiht die Flaschen auf der Theke auf. „Die sind für euch, Leute“, sagt sie und setzt sich auch auf die Theke, sodass sie von allen gesehen werden kann. „Jetzt lasst uns zur Sache kommen!“ Schnell sind alle mit Getränken versorgt und es kehrt Ruhe ein. „Ich freue mich, dass so viele von euch gekommen sind. Aber ich hoffe, ihr seid nicht nur wegen meines guten Bourbons hier.“ Großes Gelächter im ganzen Saloon. -43-
„Spaß beiseite!“, ruft Zilli. „Es geht also gegen die Tornados. Aber wahrscheinlich ist es sinnlos, wenn wir alle zusammen wie eine Riesenarmee losziehen.“ „Wir sollten aber auch nicht zu lange warten!“, ruft die alte Dame dazwischen und fuchtelt wieder mit ihrem Gehstock. In der anderen Hand balanciert sie ein Glas mit Whisky. „Schließlich haben die Halunken nicht nur die Kirchenglocke gestohlen, sondern auch noch unsern Bourbon. Vielleicht sind diese Bastarde ja gerade so betrunken, dass wir leichtes Spiel hätten!“ „Wir wissen ja noch nicht einmal, wo ihr Versteck ist!“, ruft einer. „Da kann ich vielleicht weiterhelfen!“, meldet sich KarachoBill zu Wort und tritt ins Licht der Petroleumlampe auf dem Piano. „Was hat der Fremde denn damit zu schaffen!“ Die alte Dame zieht ein mürrisches Gesicht. „Wir sollten unsere Angelegenheiten selbst erledigen.“ Aber Zilli Concarne entgegnet: „Wenn er uns weiterhelfen kann, soll uns das recht sein. Und so wie er gebaut ist.“.. „ „Ich denke, dass die Sache mich doch etwas angeht“, sagt Karacho-Bill. „Vielleicht bin ich ja nicht ohne Grund hier. Vielleicht habe ich den drei Tornados ja schon seit Monaten nachspioniert. Und vielleicht habe ich ja noch ein Hühnchen mit ihnen zu rupfen.“ „Okay, Mister Vielleicht. Du bist dabei!“, bestimmt Zilli Concarne. „Wer noch?“ „Bobbes Hobbes muss mit!“, ruft die alte Dame. „Nur er kann unsere Kirchenglocke zurückschleppen. „ „Bin dabei!“, ruft Bobbes Hobbes. „Aber ihr wisst, dass ich nicht besonders gut schießen kann. Und ob wir uns auf die Schießkunst unseres Fremden hier verlassen können, weiß ich nicht.“ „Ich glaube nicht, dass ihr das könnt“, sagt Karacho-Bill. „Vielleicht kann ich ja schießen, aber vielleicht will ich es -44-
nicht mehr... Jedenfalls sollten wir einen hervorragenden Gunman in unserer Truppe haben.“ Und mit einem Lachen fügt er hinzu. „Vielleicht aber auch eine Gunwoman. Denn bei euch scheinen ja die Frauen das Sagen zu haben.“ „Also raus mit den Schießprügeln! Wer wird's?“, drängelt die alte Dame. „Clint muss mit. Er hat eine sichere Hand!“, schlägt jemand vor. Und schon wird ein junger Mann nach vorn zur Theke gedrängt. „Also, ich weiß nicht“, sagt der ein wenig kleinlaut. „Ich mache ja gern mit. Aber ich dachte, wir ziehen alle zusammen los. Außerdem muss ich erst meine Frau fragen. Wir haben schließlich drei Kinder.“ „Wie wäre es mit Old Schurwoll?“, schlägt Zilli Concarne vor. „Ich denke nicht, dass ich der rechte Mann für euch bin“, sagt der daraufhin. „Erstens kratzt mir schon allein bei dem Gedanken an die drei Tormados mein Hemd und zweitens ist es nicht meine Glocke, aber mein Leben!“ Jetzt schweigen alle. „Wie wäre es mit mir?“, hört Lilli plötzlich sich selbst sagen. Im selben Moment erschrickt sie über ihre eigenen Worte. Denn eigentlich hatte sie nur laut gedacht. Aber jetzt sind alle Augen auf sie gerichtet und es gibt kein Zurück mehr. Karacho-Bill findet als Erster die Sprache wieder: „Also wenn Frauen bei euch die Hosen anhaben, dann ist das eine Sache...“. Er steckt sich eine Zigarre an, die länger ist als Lillis Schullineal, und fährt dann fort: „Aber Mädchen solltet ihr besser aus dem Spiel lassen. Schließlich geht es hier um mehr als um eine verlorene Pokerrunde.“ Lilli schluckt. Dann atmet sie tief durch. Sie erinnert sich an -45-
die zahllosen Wildwestromane, die sie gelesen hat. Sie weiß, dass sie jetzt keine Schwäche zeigen darf. Also drängt sie sich nach vorn und klettert neben Zilli Concarne auf die Theke. „nun Fremder, vielleicht fällt es dir ja viel leichter als mir, vielleicht zu sagen. Aber das liegt vielleicht daran, dass ich viel lieber meinen Colt sprechen lasse als viele Worte zu verlieren. Wenn’s sein muss, gibt’s bei mir viele Leichen, aber kein Gerede.“ „Die ist genau richtig!“, brüllt Grufti. Aber dann zuckt er etwas zusammen, als er sieht, dass Lilli ihren Revolver zieht. Und dann feuert Lilli einen Zauberkugelschuss quer durch den Saloon. Sie schießt KarachoBill die Zigarette aus dem Mund. Donnerwetter! Und was ist das? Flackert nur die Petroleumlampe oder wurden Karacho-Bill ganz einfach blass um die Nase? Jedenfalls verzieht er keine Miene. Er sagt nur: „Topp, du bist im Team, Mädchen!“. Jetzt hört man die Leute rufen und klatschen. Einen so tollen Meisterschuss hat man in Bourbontown noch nicht erlebt. „Und noch nicht einmal richtig gezielt hat sie!“, wundert sich einer. „Einfach, BATZ, losgeballert. Wenn ich’s nicht mit eigenen Augen gesehen hätte, würde ich’s nicht glauben!“. Und während fast alle vergessen, warum sie sich hier versammelt haben, steigen Zilli Concarne und Lilli von der Theke. Karacho-Bill und Hobbes Tobbes gesellen sich zu ihnen. „Wie heißt du? Und wo hast du so schießen gelernt?“ will Zilli Concarne wissen. Lilli sagt lachend: „Das mit dem Schießen ist eine lange Geschichte...“. „Und lange Geschichten mag sie ja nicht“, fährt ihr KarachoBill ins Wort. Er streckt ihr seine Hand entgegen. „Ich heiße Lilli“, sagt Lilli. „Lilli-the-gun wäre passender“, sagt Karacho. „Hut ab. Du verstehst wohl mehr von Schießeisen -46-
als von Bügeleisen.“ „Vielleicht hast du Recht“, sagt Lilli. „Ich denke, wir sollten jetzt wirklich keine Zeit verlieren“, meint Zilli Concarne. „Ich kann mir nämlich beim besten Willen nicht vorstellen, dass die drei Tornados eine Kirchenglocke klauen wollten. Wahrscheinlich dachten sie, es ist Gold. Und sicher hocken sie gerade in ihrem Gangsternest und ertränken ihren Kummer mit meinem Whisky.“ „Was schlägst du vor?“, fragt Bobbes Hobbes. Aber noch bevor Zilli Concarne einen Schlachtplan entwickeln kann, passiert, was so schnell niemand erwartet hatte: Scheiben klirren, die Doppelschwingtüre des Saloons knallt auf und wie aus dem Nichts stehen zwei finstere Gestalten im Saloon. Die Tornados! Einer von ihnen ist einfach durch das Fenster gesprungen, der andere lehnt mit beidhändig gezogenen Colts in der Tür.
Aber das ist noch nicht alles. De nun jetzt geht's erst richtig los. Zwei Schüsse krachen. -47-
Sie stammen allerdings von Lilli. Im Bruchteil einer Sekunde hat sie dem Revolverhelden seine Colts aus den Händen geschossen. Kurz drauf rast Bobbes Hobbes wie eine lebende Dampflok auf die Saloontür zu. Stühle krachen, Gläser fliegen und der verdutzte Pistolero wird platt gedrückt wie eine Wanze. Gleichzeitig schwirrt ein Gehstock durch die Luft und trifft den am Fenster stehenden Tornado direkt am Kopf. Und ehe er noch recht begreift, was hier gespielt wird, nageln ihn Zilli Concarnes Stöckelabsätze auf den Bodenbrettern fest. Obwohl er vor Schmerzen laut aufheult, ist er noch in der Lage seine Waffe zu ziehen. Zilli Concarne kann sich nur durch einen beherzten Sprung aus der Schussbahn retten. Doch da ist schon KarachoBill hinzugeeilt und nimmt den Tornadoburschen derart in den Schwitzkasten, dass dieser abwechselnd rot und blau anläuft, den schweren Sechsschüsser fallen lässt und um Gnade winselt. Lilli sammelt die Waffen ein und die anwesenden Bürger aus Bourbontown klatschen begeistert. Aber nicht lange, denn die Doppelschwingtüre wird erneut aufgestoßen. „In Gottes Namen, bitte nicht schießen!“, ruft da jemand. Das ist der Reverend. Hinter ihm der dritte Tornado. Dieser drückt dem Gottesmann den Revolver in den Rücken und schiebt ihn wie einen lebenden Schutzschild vor sich her langsam in den Saloon. „So ein Schuft“, zischt Lilli. „Ihr glaubt wohl, ihr seid besonders schlau, was?“, höhnt der Tornado. „Aber wer zuletzt lacht, lacht am besten. Eigentlich sind wir ja nur hergekommen, um euch eine Glocke zu verkaufen, die wir leider nicht gebrauchen können. Aber wenn ich euch hier alle so sehe, kommt mir eine bessere Idee. Also, wenn euch das Leben eures Reverends heilig ist, dann Waffen unter den Tisch, Geld auf den Tisch und meine beiden Freunde an den Tisch, damit sie alles hübsch einsammeln können!“ „Vorsicht! Das Mädchen! Sie schießt wie der Teufel!“, ruft -48-
der Tornado, den Karacho- Bill immer noch im Schwitzkasten hat. Von wegen!, denkt Lilli. Denn jetzt wird ihr klar, dass sie keine Zauberkugeln mehr hat. Mit denen könnte sie sogar um den Reverend herumschießen. Aber mit Leons Platzpatronen... Lilli überlegt fieberhaft. Doch dann geht sie langsam auf den Reverend zu und sagt: „Aber wer wird denn vor einem Mädchen Angst haben.“ „Vorsicht!“, warnt jetzt der Tornado, den Bobbes Hobbes in Schach hält. „Ich habe gegen dich doch gar keine Chance!“, sagt Lilli und blickt dem dritten Tornado fest ins Auge. „Aber hier auf dem Zettel habe ich eine Botschaft für euch. Sie wird euch mehr Gold einbringen, als ihr euch erträumen könnt.“ Lilli streckt dem Gangster einen Zettel entgegen. Auf dem hat sie sich zu Hause etwas notiert. „Aber Pete, du kannst doch gar nicht lesen!“, ruft einer der beiden anderen Gangster.
„Los, lies vor, Reverend. Aber lies laut, wenn dir dein Leben lieb ist. Und du, Mädchen, bleib, wo du bist!“ Der Reverend blickt ratlos auf den Zettel. Er kann sich natürlich keinen Reim machen aus den merkwürdigen Sprüchen, die da draufstehen. -49-
Trotzdem hofft Lilli, dass ihr Zauber hier genauso gut klappt wie damals, als sie die Schule auf den Kopf gestellt hat. „Los, lies!“, brüllt der Tornado und stößt dem armen Reverend seine Waffe in den Rücken. Stotternd beginnt der zu lesen und -PARDAUZ - plötzlich sitzen alle auf dem Hosenboden. Im selben Moment schießt Lilli zweimal in die Luft und drückt nun dem Tornado Leons Spielzeugpistole in den Rücken. Der Gangster lässt sofort seinen Colt fallen und wird von ein paar herankrabbelnden Cowboys überwältigt. Jetzt ist der Jubel unbeschreiblich. Lilli wird auf Händen zur Theke getragen. „Hoch lebe Lilli-the-gun!“, ruft die alte Dame und schwingt ihren Gehstock durch die Luft. „Eine Lokalrunde auf meine Kosten!“, brüllt Groovy-Henry, der Leichenbestatter. „Ich bin heute zwar nicht auf meine Kosten gekommen, aber wenn sich erst einmal herumgesprochen hat, was hier in Bourbontown passiert ist, werden bald alle Revolverhelden von Rang und Namen bei uns vorbeischauen, um dieses Supermädchen zum Duell herauszufordern. Und dann bekomme ich garantiert alle Schaufeln voll zu tun!“ Von diesen Aussichten ist Lilli natürlich alles andere als angetan. Aber ein Blick auf ihre Armbanduhr erinnert sie daran, dass ihre Zeit hier sowieso abgelaufen ist. „Wie können wir uns nur bei dir bedanken?“, fragt jetzt Zilli Concarne. „,ne Flasche Whisky wär nicht schlecht“, sagt Lilli und geht in die Vorratskammer. Für alle sieht es so aus, als wolle sie sich dort selbst bedienen. Aber Lilli hat anderes im Sinn. Wer weiß, ob sich noch einmal eine so günstige Gelegenheit bietet unbeobachtet zu verschwinden. Sie schaut sich ein letztes Mal in der Kammer um. Neben einer Kiste entdeckt sie eine ziemlich große -50-
Ledertasche. „Die hab ich mir ja wohl verdient“, sagt Lilli und lässt die leere Flasche des Whiskyhändlers, die sie hinter einem Bierfass versteckt hatte, in der Tasche verschwinden. „Wenn ich irgendwann einmal wieder hierhin zurück will, nehm ich die Ledertasche mit auf den Hexensprung.“
Denn dass sie in den wilden Wilden Westen zurückkommen will, steht für sie niet- und nagelfest fest. Lilli drückt die Stoffmaus ans Herz und beginnt den Hexenreisespruch zu murmeln. Und nur wenig später landet sie in ihrem Zimmer. Todmüde zieht sie ihr staubiges Kostüm aus. Dann legt sie sich ins Bett. Und während sie einschläft, stellt sie sich vor, wie die Leute im Saloon vergeblich nach ihr suchen. „Aber Lilli! Was ist denn das für eine Tasche da in deinem Bett?“ Das ist Mama. „Ist es denn schon Zeit zum Aufstehen?“, fragt Lilli und gähnt. „Ja natürlich! Also, was ist das für eine Tasche!“ Mama zieht energisch die Rollläden hoch. -51-
„Ach die... Die hab ich mir nur ausgeliehen“, sagt Lilli und streicht liebevoll über das alte Ding. „Das ist eine echte Reitertasche, weißt du.“ „Dann gehört sie auf ein Pferd und nicht ins Bett!“ „Da hast du allerdings Recht“, sagt Lilli und fügt leise hinzu: „Und ich verspreche dir, dass ich sie ganz bestimmt dahin zurückbringe, wo sie hingehört.“ Ja, es dauert garantiert nicht mehr lange, dann ist Lilli wieder im Wilden Westen. Dann brät sie in der Mittagsglut am Marterpfahl. Indianerpfeile schwirren, Geier kreisen und Kriegsbeile werden ausgegraben. Kommt Groovy-Henry diesmal auf seine Kosten? Oder schaffen es Zilli Concarne und Old Schurwoll, Lilli zu befreien. Natürlich tauchen auch die drei Tornados wieder auf, die Lilli blutige Rache geschworen haben... Nur ein bisschen Geduld, dann wirst du erfahren, wie dieses neue Abenteuer von Hexe Lilli ausgeht!
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Westerntrick „Entfesselungswetten“
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Wetten gehören zum Wilden Westen wie Staub und Pferdeäpfel, Goldnuggets und Pferde. Durch Wetten wechselten schon ganze Rinderherden ihre Besitzer. Wetten, dass du mit dem folgenden Trick bei Wetten immer auf der Gewinnerseite stehst? Wette mit deinem Partner, dass du es schaffst dich aus einem Fesselknoten zu befreien, obwohl er beide Schnurenden fest in seinen Händen hält.
Die Schnur sollte mindestens zehn Meter lang sein. Leg sie zur Hälfte zusammen. Führe die Schlaufe durch ein Knopfloch und zieh die beiden losen Enden durch die Schlaufe. Deinem Gegenüber gibst du die losen Enden in die Hand. Diese hält er so lange fest, bis du dich, für ihn und eventuelle Zuschauer unsichtbar, hinter einem Vorhang oder einer Tür entfesselt hast.
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Wie du das machst, siehst du auf dem nächsten Bild.
Übrigens: Nichts hält besser als echte Seemannsknoten. Falls du also Superfesselknoten suchst, findest du sie in Hexe Lillis Piratenbuch.
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Westerntrick „Knoten im Arm“
Mit diesem Trick hat Zilli Concarne in ihrem Saloon schon so manchen Cowboy hereingelegt. Dir gelingt das sicher auch. Sage deinem Gegenüber, dass er es nicht schafft einen Knoten in ein Seil zu knüpfen, ohne die beiden Enden loszulassen. Du dagegen wirst es schaffen! Wetten, dass dein Gegenüber sich eher seine Arme verknotet als die Wette zu gewinnen? Es sei denn, er kennt deinen Trick.
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