Ina Findeisen Hürdenlauf zur Exzellenz
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Hürdenlauf zur Exzellenz Karrierestufen junger Wissenschaftleri...
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Ina Findeisen Hürdenlauf zur Exzellenz
Ina Findeisen
Hürdenlauf zur Exzellenz Karrierestufen junger Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
Dissertation Universität Konstanz, 2010
. 1. Auflage 2011 Alle Rechte vorbehalten © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011 Lektorat: Dorothee Koch | Anita Wilke VS Verlag für Sozialwissenschaften ist eine Marke von Springer Fachmedien. Springer Fachmedien ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media. www.vs-verlag.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in Germany ISBN 978-3-531-17919-3
Vorwort
Die vorliegende Arbeit ist die gekürzte und leicht überarbeitete Fassung meiner an der Universität Konstanz angenommenen Dissertation. Tag der mündlichen Prüfung: 20. Juli 2010 Referent: Prof. Dr. Thomas Hinz Referent: Prof. Dr. Werner Georg Viele Personen haben zur Entstehung dieser Dissertation beigetragen. Zunächst danke ich meinem Doktorvater Prof. Dr. Thomas Hinz für die umfassende inhaltliche Unterstützung und die Möglichkeit, meine forschungspraktischen Kenntnisse in Methoden der empirischen Sozialforschung um den quantitativen Bereich zu erweitern. Bedanken möchte ich mich auch für die finanzielle Unterstützung, die meinen Glauben an das Potenzial dieser Arbeit gestärkt haben. Prof. Dr. Werner Georg danke ich für die Übernahme des Prüfungsvorsitzes und des Koreferats, PD Cornelia Niessen für die Mitwirkung am Promotionsverfahren und die angenehme Gestaltung der Prüfungsatmosphäre. Zu danken ist außerdem verschiedenen Personen, die einzelne Teile dieser Arbeit finanziell, inhaltlich oder durch die Bereitstellung von Daten unterstützt haben. Zunächst danke ich der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG), namentlich Dr. Jürgen Güdler, für die Möglichkeit, die Daten der DFG nach Abschluss des am Arbeitsbereich für empirische Sozialforschung (Prof. Dr. Thomas Hinz) durchgeführten Projekts „Wissenschaftlerinnen in der DFG“ für meine Dissertation zu nutzen. Für die Unterstützung in den beiden Teilprojekten über die Universität Konstanz danke ich Marion Woelki und dem gesamten Gleichstellungsreferat sowie dem Zukunftskolleg der Universität Konstanz. Mein weiterer Dank gilt den vielen Teilnehmern an der Promovierenden- und der Postdoc-Befragung. Nur durch ihr Mitwirken konnte diese Arbeit realisiert werden. Die Erstellung einer empirischen Dissertation ist ein sehr umfangreiches Vorhaben und durch ganz unterschiedliche Projektphasen gekennzeichnet. Es gibt viele Personen, die in dieser Zeit Höhen und Tiefen mit mir geteilt und mich in vielfältiger Weise unterstützt haben. An dieser Stelle gilt mein Dank Katrin Auspurg für die Unterstützung mit der Handhabung der Auswertungssoftware und die nützlichen Tipps rund um Datenexport und -aufbereitung, Elisa Szulganik für die zeitliche Entlastung durch die zuverlässige Programmierung der Promovierendenbefragung
6
Vorwort
und die gute Zusammenarbeit in parallelen Projekten. Thomas Wöhler und ganz besonders Eva Amorelli, Nina Storfinger und Nadine Meidert danke ich für die „offenen Ohren“ in schwierigen Zeiten, das ehrliche Feedback und die motivierenden Gespräche, besonders in der Schlussphase. In allen Phasen hilfreich waren die realistischen Einschätzungen und vielfältigen Anregungen von Olaf G. Jahreiss, der in unermüdlichem Einsatz und auch kurzfristig Fragen beantwortet und durch wertvolle Denkanstöße dazu beigetragen hat, das Thema in seiner Gesamtheit zu reflektieren. Besonders wichtig war auch der Erfahrungsaustausch mit Freunden aus nicht universitären Berufsfeldern, der gerade meinen Blick für die Spezifika des Wissenschaftssystems geschärft hat. Noch stärker hervorzuheben ist jedoch, dass sie vor allem bei unseren sportlichen Abenteuern für neue Energie, inneren Ausgleich und die notwendige Distanz zur Arbeit gesorgt haben. Fay und Uli Stadler, Sabine Drechsler, Sabine Bunz, Dirk Geiger und Olli Fritzsch ganz herzlichen Dank dafür. Auch ohne die Hilfe meiner Eltern wäre diese Arbeit kaum möglich gewesen. Sie haben mir diesen Ausbildungsweg in finanzieller Hinsicht überhaupt erst ermöglicht und auch die gesamte Promotionsphase durchweg befürwortet. Schließlich danke ich ganz besonders meinem Lebenspartner, Thomas Renz, der mir die ganze Zeit über den Rücken freigehalten, mich mit Rat und Tat unterstützt und mir geholfen hat, das Ziel nie aus den Augen zu verlieren und diese Arbeit erfolgreich zu beenden. Alle haben zum Gelingen dieser Arbeit beigetragen – dafür herzlichen Dank!
Konstanz, Januar 2011 Ina Findeisen
Inhaltsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis ..................................................................................... 11 Tabellenverzeichnis .........................................................................................15 Abkürzungsverzeichnis ....................................................................................19 1
Einleitung ...........................................................................................21
2
Geschlechtsspezifische Segregation im Wissenschaftssystem: Theoretische Erklärungsansätze....................................................... 27
2.1 2.1.1 2.1.2 2.1.3 2.1.4
Akteurzentrierte Ansätze ..................................................................................27 Biologische Ansätze ...........................................................................................28 Sozialisationstheoretische Ansätze ..................................................................31 Interaktionssoziologische Ansätze ..................................................................36 Implikationen für Frauen in der Wissenschaft...............................................39
2.2 Strukturzentrierte Ansätze ................................................................................42 2.2.1 Kontingenzansätze ............................................................................................42 2.2.2 Embedded Approaches.....................................................................................44 2.3 Integration der Perspektiven durch Bourdieus Theorie der Praxis .............53 2.3.1 Theoretische Konzepte .....................................................................................54 2.3.2 Das soziale Feld der Wissenschaft...................................................................58 2.4
Untersuchungsziele und Forschungsdesign ...................................................67
8
Inhaltsverzeichnis
3
Promotionsphase: Qualifikationsbedingungen und Abbruchrisiken ...................................................................................................... 77
3.1
Datengrundlage und methodisches Vorgehen ...............................................80
3.2
Profil der Befragten ...........................................................................................83
3.3 3.3.1 3.3.2 3.3.3 3.3.4
Objektive Faktoren und Zusammenhänge .....................................................87 Situation im universitären Umfeld ...................................................................87 Situation im privaten Umfeld ........................................................................ 105 Wissenschaftliche Erträge .............................................................................. 106 Zwischenzusammenfassung .......................................................................... 111
3.4 3.4.1 3.4.2 3.4.3
Subjektive Wahrnehmungen.......................................................................... 117 Berufliche Motivation..................................................................................... 117 Situation im universitären Umfeld ................................................................ 119 Situation im privaten Umfeld: Antizipierte Probleme der Vereinbarkeit von Wissenschaft und Familie ............................................................... 122 3.4.4 Zwischenzusammenfassung .......................................................................... 124
3.5 3.5.1 3.5.2 3.5.3
Anzeichen für einen Promotionsabbruch.................................................... 126 Unterbrechungen ............................................................................................ 126 Abbruchgedanken ........................................................................................... 132 Zwischenzusammenfassung .......................................................................... 135
4
Postdocphase: Vereinbarkeit von Wissenschaft und Familie ......... 139
4.1
Datengrundlagen und methodisches Vorgehen.......................................... 142
4.2
Profil der Befragten ........................................................................................ 144
4.3 4.3.1 4.3.2 4.3.3 4.3.4 4.3.5
Objektive Faktoren und Zusammenhänge .................................................. 147 Elternschaft und Kinderlosigkeit .................................................................. 147 Berufliche Situation ........................................................................................ 149 Familiäre Situation .......................................................................................... 158 Alltagsorganisation von beruflichen und familiären Aufgaben ................ 161 Zwischenzusammenfassung .......................................................................... 171
4.4 Subjektive Wahrnehmungen.......................................................................... 177 4.4.1 Kinderwunsch und Familienplanung ........................................................... 177
Inhaltsverzeichnis
4.4.2 4.4.3 4.4.4 4.4.5
9
Berufliche Situation ........................................................................................ 179 Familiäre Situation .......................................................................................... 193 Lebenssituation und Verbesserungswünsche .............................................. 196 Zwischenzusammenfassung .......................................................................... 203
5
Postdocphase: Bewährung in der Wissenschaftsgemeinschaft durch DFG-Forschungsstipendien ................................................. 209
5.1
Datengrundlage und methodisches Vorgehen ............................................ 215
5.2
Profil der Antragstellenden ............................................................................ 217
5.3 Objektive Faktoren und Zusammenhänge .................................................. 222 5.3.1 Antragsbeteiligung bei DFG-Forschungsstipendien.................................. 223 5.3.2 Förderquoten und Bewilligungschancen bei DFG-Forschungsstipendien ......................................................................................................... 225 5.3.3 Zwischenzusammenfasssung ........................................................................ 236 5.4 5.4.1 5.4.2 5.4.3 5.4.4
Subjektive Wahrnehmungen.......................................................................... 240 Profil der Befragten ........................................................................................ 240 Erträge und Nützlichkeit des Stipendiums .................................................. 247 Einschätzungen des Peer-Review-Systems der DFG ................................ 258 Zwischenzusammenfassung .......................................................................... 270
6
Schlussbetrachtung ......................................................................... 277
6.1
Geschlechtsspezifische Barrieren und Möglichkeiten im wissenschaftlichen Qualifikationsverlauf ................................................................ 278 Objektive Situation: Nachteile und Vorteile für Frauen ............................ 279 Subjektive Situation: Nachteile und Vorteile für Frauen ........................... 282 Verstärkung von Nachteilen für Frauen ...................................................... 285 Verringerung von Vorteilen für Frauen ....................................................... 289 Verringerung von Nachteilen für Frauen .................................................... 289 Verstärkung von Vorteilen für Frauen......................................................... 291
6.1.1 6.1.2 6.1.3 6.1.4 6.1.5 6.1.6 6.2
Diskussion: Zentrale Barrieren, vertikale Segregation und die Förderung von Exzellenz............................................................................... 291
Literaturverzeichnis ....................................................................................... 301
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Abbildung 2: Abbildung 3: Abbildung 4: Abbildung 5:
Abbildung 6: Abbildung 7: Abbildung 8: Abbildung 9: Abbildung 10: Abbildung 11: Abbildung 12: Abbildung 13:
Frauenanteile nach Hierarchiestufen (hypothetische Kohortenanalyse; (Studienabschlusskohorte 1998) ............................................22 Merkmale des wissenschaftlichen Feldes; eigene Darstellung .........60 Hauptfinanzierungsquelle nach Geschlecht (in Prozent mit Angabe der Prozentpunktdiff.) ............................................................88 Geschlechtsunterschiede bei Aspekten der bedarfsgerechten Betreuung unter Einbezug von Kontrollvariablen (Prozentpunktdiff. von Doktorandinnen und Doktoranden) ........................99 Geschlechtsunterschiede bei Aspekten der bedarfsgerechten Betreuung unter Einbezug von Kontrollvariablen (Prozentpunktdiff. von Doktorandinnen und Doktoranden in den Sektionen) ............................................................................................ 101 Promotionsarbeitspensum nach Geschlecht ................................... 103 Geschlechtsunterschiede bei Unterbrechungen der Promotion unter Einbezug von Kontrollvariablen (Prozentpunktdiff. von Doktorandinnen und Doktoranden) ................................................ 128 Geschlechtsunterschiede bei Abbruchgedanken unter Einbezug von Kontrollvariablen (Prozentpunktdiff. von Doktorandinnen und Doktoranden) ................................................................. 133 Befristete Anstellungsverhältnisse nach Elternschaft und Geschlecht (in Prozent mit Angabe der Prozentpunktdiff.) ......... 151 Vertragliches Arbeitspensum einer Vollzeitbeschäftigung nach Elternschaft und Geschlecht (in Prozent mit Angabe der Prozentpunktdiff.)........................................................................ 153 Tatsächliches Erwerbsarbeitspensum nach Elternschaft und Geschlecht ................................................................................... 154 Beeinträchtigung der wissenschaftlichen Tätigkeit durch Kinderbetreuungszeiten nach Geschlecht (in Prozent mit Angabe der Prozentpunktdiff.) ......................................................... 156 Wahrnehmungen der beruflichen Situation nach Elternschaft und Geschlecht unter Einbezug von Kontrollvariablen (Prozentpunktdiff. von Forschenden mit und ohne Kinder; Antwortkategorien 4 und 5) .............................................................. 182
12
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 14: Wahrnehmungen der beruflichen Zufriedenheit nach Elternschaft und Geschlecht unter Einbezug von Kontrollvariablen (Prozentpunktdiff. von Forschenden mit und ohne Kinder; Antwortkategorien 4 und 5) .............................................................. 185 Abbildung 15: Frauenanteile bei Antragstellungen insgesamt und nach Wissenschaftsbereichen ..................................................................... 224 Abbildung 16: Förderquoten nach Geschlecht (1991-2004; in Prozent mit Angabe der Prozentpunktdiff.) ......................................................... 225 Abbildung 17: Förderquoten in den Geistes-/Sozialwissenschaften und den Lebenswissenschaften nach Geschlecht (1991-2004; in Prozent mit Angabe der Prozentpunktdiff.) ................................... 226 Abbildung 18: Förderquoten in den Naturwissenschaften und den Ingenieurwissenschaften nach Geschlecht (1991-2004; in Prozent mit Angabe der Prozentpunktdiff.) ................................... 227 Abbildung 19: Geschlechtsunterschiede bei Bewilligungschancen unter Einbezug von Kontrollvariablen (Prozentpunktdiff. von Antragstellerinnen und Antragstellern; 1991-2004 gesamt) ...................... 231 Abbildung 20: Geschlechtsunterschiede bei Bewilligungschancen in den Geistes-/Sozialwissenschaften und den Lebenswissenschaften unter Einbezug von Kontrollvariablen (Prozentpunktdiff. von Antragstellerinnen und Antragstellern; 1991-2004 gesamt) .......... 232 Abbildung 21: Geschlechtsunterschiede bei Bewilligungschancen in den Naturwissenschaften und den Ingenieurwissenschaften unter Einbezug von Kontrollvariablen (Prozentpunktdiff. von Antragstellerinnen und Antragstellern; 1991-2004 gesamt) .......... 234 Abbildung 22: Geschlechtsspezifische Alterseffekte bei Bewilligungschancen nach Wissenschaftsbereichen (Prozentpunktdiff. der Altersgruppen zur Referenzkategorie "unter 30 Jahren") ........................ 235 Abbildung 23: Nützlichkeit des Forschungsstipendiums nach Geschlecht (in Prozent mit Angabe der Prozentpunktdiff.; Antwortkategorien 1 und 2) ............................................................................. 253 Abbildung 24: Informationsstand über Möglichkeiten zur Vereinbarung von Familie und Wissenschaft nach Geschlecht (in Prozent mit Angabe der Prozentpunktdiff.) .................................................. 256 Abbildung 25: Inanspruchnahme von Möglichkeiten zur Vereinbarung von Familie und Wissenschaft nach Geschlecht (in Prozent mit Angabe der Prozentpunktdiff.) .................................................. 257 Abbildung 26: Gründe gegen Antragstellung bei der DFG nach Geschlecht (in Prozent mit Angabe der Prozentpunktdiff.) ............................. 259
Abbildungsverzeichnis
13
Abbildung 27: Gründe für unangemessene Ablehnung qualitativ guter Anträge nach Geschlecht (in Prozent mit Angabe der Prozentpunktdiff.) .............................................................................. 263 Abbildung 28: Geschlechtsunterschiede bei Gründen für unangemessene Ablehnung qualitativ guter Anträge unter Einbezug von Kontrollvariablen (Prozentpunktdiff. von Stipendiatinnen und Stipendiaten) ................................................................................ 265 Abbildung 29: Einschätzung des Peer-Review-Verfahrens nach Geschlecht (in Prozent mit Angabe der Prozentpunktdiff.; Antwortkategorien 1 und 2) .................................................................................... 268 Abbildung 30: Geschlechtsunterschiede bei Einschätzungen zum Peer-Review-Verfahren unter Einbezug von Kontrollvariablen (Prozentpunktdiff. von Stipendiatinnen und Stipendiaten) .......... 269
Tabellenverzeichnis
Tabelle 1: Tabelle 2: Tabelle 3: Tabelle 4: Tabelle 5: Tabelle 6: Tabelle 7: Tabelle 8: Tabelle 9: Tabelle 10: Tabelle 11: Tabelle 12: Tabelle 13: Tabelle 14: Tabelle 15: Tabelle 16:
Profil der Befragten .....................................................................................83 Wissenschaftliche Verankerung und wissenschaftliches Karriereziel nach Geschlecht....................................................................................86 Hauptfinanzierungsquelle nach Geschlecht: Mitarbeiterstelle (logistische Regressionen)...........................................................................89 Hauptfinanzierungsquelle nach Geschlecht: Promotionsstipendium (logistische Regressionen) ................................................................90 Ungewissheit einer Weiterfinanzierung nach Geschlecht (logistische Regressionen)...........................................................................92 Wissenschaftliche Verankerung nach Geschlecht (logistische Regressionen)...........................................................................94 Überdurchschnittliche Anzahl an Vorträgen in Forschungskolloquien nach Geschlecht (logistische Regressionen; Median: 2-3 Vorträge) .......................................................................................................95 Überdurchschnittliche Anzahl an Kongressteilnahmen mit Vortragstätigkeit nach Geschlecht (logistische Regressionen; Median: 0 Vorträge) ....................................................................................97 Wöchentliches Erwerbsarbeitspensum nach Geschlecht (lineare Regressionen) .............................................................................. 102 Wöchentliches Promotionsarbeitspensum nach Geschlecht (lineare Regressionen) .............................................................................. 104 Beeinträchtigung durch familiale Ereignisse nach Geschlecht (logistische Regressionen)........................................................................ 106 Vorhandensein von Veröffentlichungen nach Geschlecht (logistische Regressionen)........................................................................ 107 Überdurchschnittliche Publikation von Aufsätzen mit Peer-Review nach Geschlecht (logistische Regressionen) ................................ 109 Planung von Aufsätzen in Zeitschriften mit Peer-Review nach Geschlecht (logistische Regressionen) ................................................... 110 Wissenschaftliches Berufsziel nach Geschlecht (logistische Regressionen) ............................................................................................ 118 Beeinträchtigung durch Demoralisierung nach Geschlecht (logistische Regressionen)........................................................................ 121
16
Tabellenverzeichnis
Tabelle 17: Beeinträchtigung durch Ignorierung von Schwierigkeiten nach Geschlecht (logistische Regressionen) ......................................... 122 Tabelle 18: Antizipierte Unvereinbarkeit von Wissenschaft und Familie nach Geschlecht (logistische Regressionen) ......................................... 123 Tabelle 19: Unterbrechungen der Promotion nach Geschlecht (logistische Regressionen; alle Befragte) ................................................ 129 Tabelle 20: Unterbrechungen der Promotion nach Geschlecht (logistische Regressionen; Promovierende in Partnerschaften) ......... 131 Tabelle 21: Abbruchgedanken nach Geschlecht (logistische Regressionen; Promovierende in Partnerschaften) ....................................................... 134 Tabelle 22: Profil der Befragten (Onlinebefragung)................................................. 144 Tabelle 23: Profil der qualitativ befragten Eltern ..................................................... 146 Tabelle 24: Karrierephase bei Geburt des ersten Kindes ........................................ 149 Tabelle 25: Anzahl an Aufsätzen in Zeitschriften mit Peer-Review (lineare Regressionen) .............................................................................. 157 Tabelle 26: Formen der Familien- und Berufsorganisation in Partnerschaften ...................................................................................................... 162 Tabelle 27: Berufsziel Professur nach Geschlecht (logistische Regressionen) ..... 180 Tabelle 28: Zufriedenheit mit universitären Kinderbetreuungseinrichtungen ..... 195 Tabelle 29: DFG-Fachsystematik der Fachkollegien, Fachgebiete und Wissenschaftsbereiche ............................................................................. 213 Tabelle 30: Profil der Antragstellenden (1991-2004) ............................................... 218 Tabelle 31: Alter der Antragstellenden zum Zeitpunkt der Antragstellung nach Geschlecht und Wissenschaftsbereichen ..................................... 220 Tabelle 32: Beantragte Fördersummen nach Wissenschaftsbereichen (1991-2004)................................................................................................ 222 Tabelle 33: Förderquoten nach Wissenschaftsbereichen, Fachgebieten und Geschlecht ......................................................................................... 228 Tabelle 34: Profil der Befragten .................................................................................. 241 Tabelle 35: Fachzugehörigkeit der ehemaligen Stipendiatinnen und Stipendiaten ............................................................................................... 243 Tabelle 36: Altersverteilung der ehemaligen Stipendiatinnen und Stipendiaten .......................................................................................................... 244 Tabelle 37: Qualifikationsstatus der ehemaligen Stipendiatinnen und Stipendiaten zum Zeitpunkt der Befragung nach Wissenschaftsbereichen.................................................................................................... 245 Tabelle 38: Abgeschlossene Habilitation nach Geschlecht (logistische Regressionen)........................................................................ 247 Tabelle 39: Keine (weitere) Habilitationsabsicht nach Geschlecht (logistische Regressionen)........................................................................ 249
Tabellenverzeichnis
17
Tabelle 40: Absolvierung eines DFG-finanzierten Auslandsaufenthalts nach Geschlecht (logistische Regressionen) ......................................... 251 Tabelle 41: Gründe gegen Antragstellung nach Geschlecht: Ablehnungsrisiko im Verhältnis zum Aufwand zu hoch (logistische Regressionen)........................................................................ 260 Tabelle 42: Gründe gegen Antragstellung nach Geschlecht: Verfahren zu langwierig (logistische Regressionen)................................................ 261
Abkürzungsverzeichnis
In Tabellen und Abbildungen werden zur Darstellung von Fachdisziplinen folgende Abkürzungen verwendet: Sektionen der Universität Konstanz NW Sektion: Mathematisch-Naturwissenschaftliche Sektion GW Sektion: Geisteswissenschaftliche Sektion RWV Sektion: Rechts-, Wirtschafts- und Verwaltungswissenschaftliche Sektion Wissenschaftsbereiche der Deutschen Forschungsgemeinschaft G-/SW: LW: NW: IW:
Geistes-/Sozialwissenschaften Lebenswissenschaften Naturwissenschaften Ingenieurwissenschaften
1
Einleitung
Seit Beginn des 20. Jahrhunderts beteiligen sich Frauen wie Männer an höherer Bildung und auch Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler unterscheiden sich in ihren beruflichen Aspirationen und Qualifikationspotenzialen kaum mehr (Achatz/ Hinz 2001, Allmendinger et al. 2000, Engler 2001, Macha 2006).1 Dennoch nimmt der Anteil der Wissenschaftlerinnen in Deutschland mit zunehmender Qualifikationsstufe nach wie vor sprunghaft und im Vergleich zu Wissenschaftlern überproportional ab. Diese vertikale Segregation erweist sich trotz anhaltender Appelle, das vorhandene Talentpotenzial besser zu nutzen, neben Wirtschaft, Politik und Kultur gerade in der Wissenschaft als auffallend dauerhaft.2 Im internationalen Vergleich erscheint zudem das deutsche Wissenschaftssystem besonders reformbedürftig.3 Bereits Mitte der 1980er Jahre wurde die wissenschaftspolitische Aufmerksamkeit für das Versagen des Wissenschaftssystems geweckt, Ende der 1990er Jahre die Verbesserung der Qualifikationswege für den wissenschaftlichen Nachwuchs gefordert (WR 2001). Doch besonders in den letzten Jahren und im Zuge der 2006 angelaufenen Exzellenzinitiative haben Aufrufe, den Bedarf an Nachwuchs zu decken, dessen objektive Förderung im Blick zu haben und die Attraktivität des deutschen Wissenschaftsstandorts auch für internationale Forschende zu erhöhen, eine neue Spitze erreicht. Die Exzellenzinitiative fordert und fördert in bislang seltener Klarheit gleichstellungspolitische Maßnahmen an Universitäten, um das Potenzial von Frauen besser auszuschöpfen. Doch trotz dieser Bemühungen sind in Deutschland nur langsam Erfolge zu verzeichnen. Zwar steigt die Beteiligung von Frauen seit Ende der 1990er Jahre auf
1 2 3
Seit 2000 pendelt der Frauenanteil unter den Studierenden um die 50-Prozent-Marke. Ähnlich verhält sich dies bei Studienabschlüssen. Für weitere Informationen zur Entwicklung der Frauenanteile und fachspezifischen Unterschieden vgl. zusammenfassend Hinz et al. 2008: 16 ff. Die Situation weiblicher Führungskräfte in der Privatwirtschaft wird beispielsweise im Führungskräfte-Monitor 2001-2006 dokumentiert (vgl. Holst 2009). In Deutschland liegen bereits die Anteile an Promotionen unter dem EU-Durchschnitt. Gleichermaßen verhält sich dies beim wissenschaftlichen Personal und bei Professuren. Während sich der Frauenanteil bei C4/W3-Professuren in Deutschland 2004 auf 9,2 Prozent beläuft, beträgt der Wert für die EU-25 15,3 Prozent (Die Angaben zu Professuren beziehen sich auf die jeweils höchste Hierarchiestufe, verstanden als „the single highest grade/post at which research is normally conducted“). Mit bis zu 23 Prozent sind besonders hohe Anteile in Rumänien, Italien, Island, Israel und Frankreich zu verzeichnen (EC 2006: 21, 25, 56 ff.).
I. Findeisen, Hürdenlauf zur Exzellenz, DOI 10.1007/978-3-531-93180-7_1, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
22
Einleitung
allen Qualifikationsstufen an4, aber dennoch bleiben erhebliche Defizite bei der Ausschöpfung des vorhandenen Potenzials bestehen. Abbildung 1 zeigt anhand eines idealtypischen Verlaufs einer wissenschaftlichen Laufbahn5, wie selten die ursprünglich geschlechtsparitätischen Bildungsinvestitionen von Frauen in weiterführende wissenschaftliche Qualifikationen umgesetzt werden: Ausgehend von einem annähernd ausgeglichenen Frauenanteil bei Studienabschlüssen in 1998, liegt der Frauenanteil bei Promotionen nach drei Jahren bei 35,3 Prozent. Nach weiteren fünf Jahren beträgt der Frauenanteil an Habilitationen noch 22,2 Prozent. Dahingegen ist zwischen Habilitation und Erstberufung kein weiterer Verlust von Wissenschaftlerinnen auszumachen. Folglich verliert die leaking pipeline (MIT 2002) nach wie vor insbesondere auf den Stufen der Promotion und der Habilitation überproportional viele Wissenschaftlerinnen. Auf beiden Qualifikationsstufen bleibt diese Kluft trotz allmählich steigender Frauenanteile auch im Zeitverlauf stabil und verweist auf andauernde Defizite in der Qualifikationsphase des wissenschaftlichen Nachwuchses (WR 2007c, EC 2004). Abbildung 1: Frauenanteile nach Hierarchiestufen (hypothetische Kohortenanalyse; Studienabschlusskohorte 1998)
Erstberufungen 2007
Habilitationen 2006
Promotionen 2001
Studienabschlüsse 1998
50 45 40 35 30 25 20 15 10 5 0
Quelle: Statistisches Bundesamt; eigene Darstellung. 4 5
Zwischen 1999 und 2007 stiegen die Frauenanteile an Promotionen von 33,2 auf 42,3 Prozent, an Habilitationen von 17,7 auf 24,3 Prozent und an Professuren von neun Prozent auf 16,2 Prozent (vgl. https://www-genesis.destatis.de/genesis/online; Stand: 21.04.2010). Die Darstellung geht für die Studienabschlusskohorte von 1998 entsprechend idealtypischen Vorstellungen von einer Promotionsdauer von drei Jahren (2001), dem Abschluss einer Habilitation nach weiteren fünf Jahren (2006) und einer Berufung im Folgejahr der Habilitation aus (2007).
Einleitung
23
Neben dieser vertikalen besteht auch eine horizontale Segregation des Wissenschaftssystems, wonach sich die Frauenanteile je nach Fachzugehörigkeit stark unterscheiden. Auf der Ebene der Professuren 2007 finden sich nach Angaben des Statistischen Bundesamtes besonders hohe Frauenanteile von jeweils etwa 28 Prozent in den Sprach-/Kulturwissenschaften und den Kunstwissenschaften. Die Rechts-/Wirtschafts-/Verwaltungswissenschaften, Veterinär- und Humanmedizin nehmen mit Anteilen zwischen zwölf und 20 Prozent einen mittleren Platz ein. Die Schlussgruppe bilden die Naturwissenschaften und die Ingenieurwissenschaften mit Frauenanteilen von etwa elf bzw. acht Prozent. Zugleich besteht auch in den einzelnen Fächern eine vertikale Dimension, wobei gerade in vermeintlichen Frauenfächern im Karriereverlauf große Verluste zu verzeichnen sind.6 Insgesamt zeigen die Entwicklungen der vergangenen Jahre, dass das Erreichen einer kritischen Masse bei der Beteiligung von Frauen an Studienabschlüssen nicht zwangsläufig zu einer Erhöhung der Frauenanteile auf den nachfolgenden Karrierestufen führt. In der gängigen Forschungsliteratur wird die fortbestehende vertikale und horizontale Segregation mit einer Mischung aus Fremd- und Selbstselektion erklärt, die auf allenfalls scheinbar geschlechtsneutrale Strukturen des Wissenschaftssystems und auf fortbestehende gesamtgesellschaftliche Rollenerwartungen an Männer und Frauen zurückzuführen seien (Wimbauer 1999, Leemann 2002, von Stebut 2003, Beiträge in WR 2007b)7. Die hieraus resultierende Benachteiligung von Frauen wurde gerade in der Exzellenzinitiative hervorgehoben und der Bedarf einer Umgestaltung des Wissenschaftssystems erneut beschworen (Strohschneider 2007: 6).8 Scheinbar günstige Aussichten für eine bessere Beteiligung von Frauen an höheren Positionen des Wissenschaftssystems ergeben sich zudem aus Empfehlungen des Wissenschaftsrats. Diese zielen darauf ab, bestehenden Hemmnissen bei der Personal- und Nachwuchsrekrutierung, der Leistungsbewertung und der Work-LifeBalance entgegenzuwirken (WR 2007c). Dennoch könnte gerade der Anspruch an die Förderung wissenschaftlicher Exzellenz die beabsichtigte Förderung von Frauen unterlaufen. Denn der Konkurrenzdruck auf den wissenschaftlichen Nachwuchs wird weiter erhöht und zeitliche 6
7 8
So belegen die Daten des Statistischen Bundesamtes für die Sprach-/Kulturwissenschaften, wo der Frauenanteil bei Studienabschlüssen 1999 mehr als zwei Drittel beträgt, besonders hohe Verlustquoten. Dort beträgt der Frauenanteil an Promotionen in 2002 etwa 44 Prozent, bei Habilitationen 2007 noch etwa 38 Prozent. Für Managementkarrieren wird der geringere Berufserfolg von Frauen auf Basis von Paneldaten der WU Wien unabhängig von beruflichen Aspirationen besonders eindrücklich belegt (vgl. zusammenfassend Strunk 2009). In der Eröffnungsrede der Staatssekretärin im Bundesministerium für Bildung und Forschung zur Konferenz „Frauen für die Stärkung in Wissenschaft und Forschung“ des CEWS 2009 wurden besonders die Forschungseinrichtungen und Wissenschaftsorganisationen dazu aufgerufen, qualifizierten Frauen „bessere Chancen im Wissenschaftssystem zu ermöglichen“ (CEWS 2009: 16).
24
Einleitung
und fachliche Ansprüche werden einseitig zulasten der Wissenschaftlerinnen überhöht.9 Ferner beruhen Entscheidungen über Exzellenz, wie sie bei der Rekrutierung von Personal oder der Vergabe von Fördermitteln getroffen werden, auf komplexen Prozessen der Leistungszuschreibung und gleichzeitig vagen Bewertungskriterien. Folglich gewinnt die Funktion von gate keepers weiter an Bedeutung, da sie über Auswahl und Gewichtung solcher Kriterien entscheiden. Da solche Entscheidungspositionen zumeist von männlichen Wissenschaftlern besetzt werden, droht eine Betonung der vorwiegend an männlichen Lebensläufen orientierten Strukturen des Wissenschaftssystems und an traditionellen Geschlechtsrollenbildern (Brouns 2007: 24 ff.). Zudem wird die Anwendung unterschiedlicher Leistungsmaßstäbe durch die Intransparenz von Entscheidungsprozessen begünstigt (EC 2004: 12). Dies gilt selbst für Urteile durch das Peer-Review-Verfahren, das bei der Einwerbung von Drittmitteln oder Entscheidungen über Veröffentlichungen standardmäßig zum Einsatz kommt (EC 2004: 12).10 Zugleich setzt die Beurteilung von Leistungen voraus, dass diese Leistungen überhaupt erbracht wurden und in der Wissenschaftsgemeinschaft auch sichtbar sind. Hierdurch kommt vergangenen Leistungen und Erfolgen ein hohes Gewicht zu, wobei Personen, die bereits in jungen Jahren solche Leistungen erbringen, Vorteile akkumulieren können (Brouns 2007: 27). Dabei gilt es, sich durch zügige wissenschaftliche Erfolge besonders früh von anderen Nachwuchswissenschaftlerinnen und Nachwuchswissenschaftlern abzusetzen. Denn Erfolg führt zu einer Erhöhung der Sichtbarkeit in der Wissenschaftsgemeinschaft, Steigerung von Reputation und Zitationsquoten und letztendlich weiteren wissenschaftlichen Erfolgen (Brouns 2007: 37, Valian 1998). Neben diesen Dynamiken laufen fortbestehende Barrieren für Frauen möglicherweise Gefahr, vor dem Deckmantel der „Gleichheitsrhetorik“ aus dem Blick zu geraten. Somit gewinnt die Akkumulation von Vorteilen, die bereits unabhängig von der Förderung von Exzellenz eine zentrale Erklärung für geschlechtsspezifische Karriereverläufe darstellt, weiter an Bedeutung (Allmendinger et al. 2000, Xie/Shauman 2003). Folglich könnte gerade der Anspruch, wissenschaftliche Exzellenz zu fördern, Vorstellungen und Erwartungen an wissenschaftliche Laufbahnen verstärken, die für die Chancengleichheit der Geschlechter sogar schädlich sind. Um zu eruieren, welche Chancen und Risiken für die Integration von Frauen in die Wissenschaft an Forschungseinrichtungen mit einem hohen Anspruch zur Förderung von wissenschaftlicher Exzellenz bestehen, setzt die dreiteilige Dissertation Hürdenlauf zur Exzellenz – Karrierestufen junger Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler an 9
10
Erste Ergebnisse der Hamburger Projektgruppe um Anita Engels zur Untersuchung des Einflusses der Exzellenzinitiative auf die Chancengleichheit belegen eine Verschärfung der Vereinbarkeitsproblematik in der Spitzenforschung, die auf die „umfassenden Zeitanforderungen, die hohen Erwartungen an frühe und durchgängige Produktivität und einen lückenlosen Lebenslauf“ zurückgeht (Engels et al. 2008: 8). Für Kritik und Struktur des Verfahrens vgl. Abschnitt 2.2.2 und Kapitel 5.
Einleitung
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zwei Exzellenzinstitutionen des deutschen Wissenschaftssystems an, die ein explizit gleichstellungspolitisches Programm verfolgen: (1) einer Exzellenzuniversität und ihren Arbeitsbedingungen für den wissenschaftlichen Nachwuchs (Teilprojekte 1 und 2) und (2) der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG), deren Förderentscheidungen auf Urteilen über wissenschaftliche Exzellenz beruhen (Teilprojekt 3). Somit bindet das Projekt die allgemeine Diskussion um Prozesse der Selbst- und Fremdselektion im wissenschaftlichen Qualifikationsverlauf in die Auseinandersetzung um die Förderung von Exzellenz ein. Die Dissertation konzentriert sich bewusst auf den akademischen Nachwuchs und setzt damit an jenen Stellen an, wo die höchsten Verlustquoten von Wissenschaftlerinnen zu verzeichnen sind (vgl. Abbildung 1). Dabei wird die Perspektive von Nachwuchswissenschaftlerinnen und Nachwuchswissenschaftlern eingenommen, die die vorhergehende Qualifikationsstufe bereits erfolgreich bewältigt und sich für eine Fortsetzung der wissenschaftlichen Laufbahn entschieden haben. Diese vorhergehenden Selektionen dürften geschlechtsspezifische Unterschiede eher schmälern, weshalb auch kleinere Barrieren für Frauen eine große Aussagekraft besitzen. In der Studie wird ein Forschungsstrang aufgegriffen, wonach die gendered substructure des Wissenschaftssystems (Acker 1991) in den Interaktionen des wissenschaftlichen Alltags, das heißt an den Forschungsinstitutionen selbst, zum Tragen kommt (Beaufaÿs/Krais 2005). Um mögliche Interdependenzen zwischen Fremd- und Selbstselektion bei der Entstehung vertikaler Segregation fassen zu können, steht ausgehend von Bourdieus Theorie der Praxis (vgl. Abschnitt 2.3) die Analyse der objektiven und subjektiven Situation des wissenschaftlichen Nachwuchses im Mittelpunkt des Interesses. Die Studie untersucht geschlechtsspezifische Bedingungen bei drei wesentlichen Hürden auf dem Weg zu exzellenter, wissenschaftlicher Tätigkeit. Ausgehend von der Annahme einer Akkumulation von Nachteilen bei Wissenschaftlerinnen bzw. von Vorteilen bei Wissenschaftlern (Etzkowitz et al. 2002, Xie/Shauman 2003), zielt die Studie zum einen auf die Identifikation von Mehrfachbelastungen für Frauen bei der Erfüllung zentraler Anforderungen an wissenschaftliche Laufbahnen. Zum anderen sollen geschlechtsspezifische Akkumulationsprozesse, durch die bestehende Geschlechtsunterschiede weiter vergrößert oder verringert werden, identifiziert werden (vgl. Abschnitt 2.4). Somit leistet die Studie einen wichtigen Beitrag für die Einschätzung der Chancengerechtigkeit für Männer und Frauen an zwei Exzellenzinstitutionen des deutschen Wissenschaftssystems, eruiert zentrale Stellschrauben zu deren nachhaltiger Verbesserung und zeigt Ansatzpunkte auf, der anhaltenden vertikalen Segregation des Wissenschaftssystems entgegenzuwirken. Als erste Hürde (Teilprojekt 1) stehen die Promotionsbedingungen im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. In der Promotionsphase werden viele Weichen für die weitere wissenschaftliche Karriere gestellt. Zum einen stellt die Promotion eine for-
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Einleitung
male Voraussetzung für eine weitere wissenschaftliche Laufbahn dar. Zum anderen erfolgt die Sozialisation des Nachwuchses in die gängigen wissenschaftlichen Praktiken und Anforderungen an wissenschaftliche Laufbahnen sowie in die sozialen Netzwerke der jeweiligen Fachwelten und bietet Gelegenheit für erste wissenschaftliche Erfolge durch die Publikation eigener Forschungsergebnisse. Teilprojekt 2 thematisiert die an derselben Exzellenzuniversität bestehenden Möglichkeiten, in der Postdocphase „Wissenschaft und Familie“ zu vereinbaren, und greift damit eine der bislang als zentral geltenden Barrieren für die Partizipation von Frauen am Wissenschaftssystem auf. Die spezielle Hürde besteht in der Erfüllung familialer Bedürfnisse in einer Qualifikationsphase, in der es gilt, anhand herausragender Leistungen die eigene Sichtbarkeit in der Wissenschaftsgemeinschaft zu erhöhen und die Grundlage für eine spätere Berufung zu schaffen. In der mehr oder minder gelingenden Kombination beider Lebensbereiche wird außerdem die mögliche Kluft zwischen der Rhetorik der Förderung von Exzellenz und Chancengerechtigkeit und der tatsächlichen Situation sichtbar. Teilprojekt 3 widmet sich Exzellenzzuschreibungen durch den Peer-Review-Prozess und stellt die Bewährung des Nachwuchses in der Konkurrenz um ein reputationsreiches Förderinstrument zur Vorbereitung der Habilitation auch gerade im Ausland heraus. Schwerpunkte liegen hier auf den Bewilligungschancen und den Erfahrungen ehemals geförderter Stipendiatinnen und Stipendiaten. Die Arbeit gliedert sich wie folgt: Kapitel 2 bietet eine Übersicht der bestehenden Erklärungsansätze zur Partizipation von Frauen in der Wissenschaft und stellt die jeweiligen Forschungsbefunde vor. Diese Ansätze entspringen teilweise den Erkenntnissen zur Segregation des Arbeitsmarkts und werden jeweils auf ihre Bedeutung für die Wissenschaft als ein Segment des Arbeitsmarkts diskutiert (Abschnitte 2.1 und 2.2). In Abschnitt 2.3 erfolgt die Erarbeitung der in dieser Arbeit zugrunde liegenden Analyseheuristik nach Bourdieus Theorie der Praxis, die eine Verschränkung von Prozessen der Selbst- und Fremdselektion ermöglicht. Ein Schwerpunkt liegt auf der Ausarbeitung der Strukturen des Wissenschaftssystems, die auf Bourdieus Feldtheorie basiert. Das Kapitel schließt mit der Beschreibung der einzelnen Untersuchungsziele und des methodischen Designs der Studie. Kapitel 3 bis 5 stellen nach den jeweiligen Beschreibungen der Datengrundlagen und Auswertungsstrategien die Ergebnisse der empirischen Teilprojekte dar. In Kapitel 6 werden die zentralen Ergebnisse der Untersuchung zu Mehrfachbelastungen, Verstärkungs- und Ausgleichsdynamiken und wesentlichen Barrieren zusammengefasst und im Hinblick auf die im Zuge der Exzellenzdebatte bestehenden Bemühungen zur Integration von Frauen in die Wissenschaft reflektiert.
2
Geschlechtsspezifische Segregation im Wissenschaftssystem: Theoretische Erklärungsansätze
In der Arbeitsmarkt- und Wissenschaftsforschung gibt es vielfältige Ansätze zur Erklärung der andauernden vertikalen und horizontalen Segregation von Frauen in Wirtschaft, Wissenschaft und Politik. Generell jedoch lassen sich zwei Ausgangspunkte unterscheiden: die akteurzentrierte und die strukturzentrierte Perspektive (Allmendinger et al. 1999, Wetterer 1992).11 Während frühere Untersuchungen bis Mitte der 1980er Jahre überwiegend Mechanismen der Selbstselektion in den Blick nehmen, wonach die bestehende geschlechtsspezifische Segregation des Arbeitsmarkts als Ergebnis geschlechtsdifferenter Karriereorientierungen und Verhaltensweisen gesehen wurde, konzentrieren sich jüngere Forschungsarbeiten auf in der Arbeitswelt bestehende strukturelle Barrieren, die zu einem überproportional hohen Ausschluss von Frauen führen würden. Die vorliegende Studie strebt eine Verbindung akteur- und strukturzentrierter Ansätze an, indem subjektive Wahrnehmungen und Erfahrungen der Akteure im Zusammenhang mit Strukturen des Wissenschaftssystems und Mechanismen der Positionierung der Akteure in diesem System betrachtet werden. Als weitere strukturelle Komponenten werden auch gesamtgesellschaftliche Geschlechtsrollenerwartungen einbezogen, da diese im Zusammenhang mit den Wahrnehmungen der Forschenden stehen könnten. Ausgehend von Ansätzen zur Segregation des Arbeitsmarkts werden nachfolgend einzelne Ansätze und Konzepte der beiden Bereiche mit den jeweiligen Forschungsbefunden dargestellt und die jeweiligen Implikationen für das Wissenschaftssystem als ein Bereich des Arbeitsmarkts erarbeitet. 2.1
Akteurzentrierte Ansätze
Akteurzentrierte Ansätze suchen die Ursachen für eine geringere Partizipation von Frauen am Arbeitsmarkt in einer gegebenen Differenz der Geschlechter. Biologischen Ansätzen zufolge sind solche Unterschiede in Einstellungen, Orientierungen, kognitiven und beruflichen Fähigkeiten, Stressresistenz und Leistung(-sfähigkeit) angeboren und damit natürlich bedingt. Diese „Macht der Biologie“ (Beck-Gernsheim 2006: 17) wird insbesondere durch aktuelle neuropsychologische Studien be11
Beide Perspektiven werden in den Abschnitten 2.1 und 2.2 näher ausgeführt.
I. Findeisen, Hürdenlauf zur Exzellenz, DOI 10.1007/978-3-531-93180-7_2, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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Geschlechtsspezifische Segregation im Wissenschaftssystem: Theoretische Erklärungsansätze
stärkt. Dahingegen führen sozialisationstheoretische Ansätze solche Geschlechterdifferenzen auf die unterschiedliche Sozialisation von Männern und Frauen zurück. Nachdem biologische Erklärungen überwiegend in den 1980er Jahren verbreitet waren12, wurden diese zwischenzeitlich durch die Annahme von Umwelteinflüssen als Ursache solcher Geschlechtsunterschiede abgelöst. Jedoch leben auch in jüngerer Zeit genetisch-biologische Erklärungen wieder auf und werden seither kontrovers diskutiert (vgl. Fußnote 26). Beide Perspektiven sind fester Bestandteil der fortdauernden nature-nurture Debatte (vgl. Beiträge in Ceci/Williams 2007) und werden nachfolgend dargestellt.13 Als weitere Perspektive, die eine grundsätzliche Verbindung zwischen Akteur- und Strukturzentrierung anstrebt, werden anschließend interaktionssoziologische Ansätze aufgegriffen. Diese suchen im Gegensatz zu biologischen und sozialisationstheoretischen Ansätzen nicht nach den Ursachen der Wesensunterschiede zwischen den Geschlechtern, sondern richten den Blick auf Rahmenbedingungen, in welchen bestehende Unterschiede erst zum Tragen kommen, das heißt durch Mechanismen des doing gender in bestimmten Kontexten interaktiv hergestellt werden (Gildemeister 2004). 2.1.1 Biologische Ansätze Insbesondere die experimentelle Psychologie verfolgt seit den 1980er Jahren den Ansatz der Wesensunterschiede zwischen den Geschlechtern. Dabei liefern kognitions- und neuropsychologische Studien Evidenz für Geschlechtsunterschiede in Fähigkeiten wie räumlichem Vorstellungsvermögen, mathematischen und verbalen Fähigkeiten (Hedges/Nowell 1995, Kimura 1999). Diese Unterschiede werden nicht immer systematisch nach ihren Ursachen analysiert, aber überwiegend als naturgegeben dargestellt. Hedges und Nowell führten 1995 eine Sekundäranalyse verschiedener kognitiver Tests mit Jugendlichen und jungen Erwachsenen durch und kamen zu dem Ergebnis, dass sich die Durchschnittswerte für mehrere Fähigkeiten zwischen Männern und Frauen kaum unterscheiden. So erzielten Frauen bei Tests zu Leseverständnis, Wahrnehmungsgeschwindigkeit und assoziativem Gedächtnis etwas höhere Werte als Männer.14 Umgekehrt verhielt sich dies bei mathematischen und insbesondere bei technischen beruflichen Fähigkeiten (mechanical reasoning, electronics information, auto and shop information). Deutlichere Geschlechtsunterschiede finden sich allerdings, wenn besonders talentierte und besonders untalentierte Per12 13 14
Vgl. beispielsweise Baker 1987. Es sei darauf hingewiesen, dass eine solch eindimensionale Zuordnung zu biologischen Erklärungen und zu durch Sozialisation determinierten Geschlechtsunterschieden nicht immer gegeben ist. Für eine genauere Beschreibung der Fähigkeiten und Tests vgl. Hedges/Nowell 1995: 42 ff.
Akteurzentrierte Ansätze
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sonen betrachtet werden.15 Dabei gehören Frauen bei Leseverständnis, Wahrnehmungsgeschwindigkeit und assoziativem Gedächtnis deutlich häufiger zu den besonders talentierten Personen als Männer. Umgekehrt erwiesen sich Männer in Mathematik, Wissenschaft und insbesondere den technischen beruflichen Fähigkeiten deutlich talentierter als Frauen. Des Weiteren bestehe eine hohe prädiktive Validität einzelner Fertigkeiten auf die späteren Berufsfelder der Testpersonen: „People who have careers in science and engineering are overwhelmingly more likely to have scored in the 90th percentile on mathematics tests in high school. Sex differences in variance and mean lead to substantially fewer females than males who score in the upper tails of the mathematics and science ability distributions and hence are poised to succeed in the sciences. The achievement of fair representation of women in science will be much more difficult if there are only one half to one-seventh as many women as men who excel in the relevant abilities” (Hedges/Nowell 1995: 45).
Während Hedges/Nowell (1995) die Ursachen für diese Geschlechtsunterschiede nicht weiter thematisieren, werden diese in Studien der 1990er Jahre als biologisch determiniert angesehen. Zum einen seien Geschlechtsunterschiede in kognitiven Fähigkeiten, die typischerweise Männern (spatial performance) bzw. Frauen zugesprochen werden (verbal fluency, perceptual speed, manual dextrity) hormonell bedingt (Kimura 1999). So wirke sich ein hoher Testosteronspiegel positiv auf das räumliche Vorstellungsvermögen aus: „Fluctuations in sex hormones across seasons or at different phases of the menstrual cycle are also associated with predictable changes in cognitive patterns, including changes in spatial performance“ (Kimura 1999: 179).
Zum anderen stünden Schwankungen des Östrogenspiegels im Zusammenhang mit typisch weiblichen Eigenschaften. Kimura (1999) verweist außerdem auf die spezifische Ausformung von weiblichen und männlichen Gehirnen, die möglicherweise ebenfalls mit „substantial stable sex differences in cognitive functions like spatial rotation ability, mathematical reasoning, and verbal memory; and in motor skills requiring accurate targeting and finger dextrity“ verbunden sein könnten (Kimura 1999: 181). Dieser Ansatz wurde in aktuellen neuropsychologischen Studien aufgegriffen und in den Arbeiten von Baron-Cohen (2003, 2005, 2007) als empathizing-systemizing (E-S) theory theoretisch verankert. Die Theorie besagt, dass Unterschiede zwischen männlichen und weiblichen Gehirnen bestünden, die, hormonell bedingt, bereits pränatal programmiert würden, und sich daraus spezifische Interessen und Fähigkeiten von Frauen und Männern ableiten ließen. Dabei begünstige der weibli15
Als besonders talentiert wurden die oberen fünf Prozent bzw. zehn Prozent jeder Verteilung angesehen, als untalentiert die unteren fünf bzw. zehn Prozent jeder Verteilung.
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Geschlechtsspezifische Segregation im Wissenschaftssystem: Theoretische Erklärungsansätze
che Gehirntyp (Typ E) empathische Analysen, während das typisch männliche Gehirn (Typ S) für systematische Analysen besser geeignet sei: „The female brain is predominantly hard-wired for empathy. The male brain is predominantly hard-wired for understanding and buildings systems” (Baron-Cohen 2003: 1).
Baron-Cohen versteht empathy als ein Set an Fertigkeiten, das basierend auf einem natürlichen Bedürfnis, sich um andere zu kümmern, dazu befähigt, sich in die Lage anderer hineinzuversetzen und mit angemessenem Feingefühl auf das Gegenüber zu reagieren. Es handele sich um eine Emotion, die intuitiv durch die Emotion einer anderen Person ausgelöst würde. Systemizing hingegen beschreibe den Drang und die Fähigkeit, Systeme16 zu analysieren, zu untersuchen, zu konstruieren und vorherzusagen, indem der jeweilige Input auf seine Regelhaftigkeit hin verarbeitet und untersucht wird und infolgedessen einen entsprechenden Output liefert (BaronCohen 2003: 2 ff.). „The empathizer intuitively figures out how people are feeling, and how to treat people with care and sensitivity. (…) The systemizer intuitively figures how things work, or what the underlying rules are controlling a system” (Baron-Cohen 2005: 1).
Demnach sei systemizing der natürliche Weg, um das Wesen von Ereignissen und Objekten vorherzusagen, während empathizing den natürlichen Weg beschreibe, um Personen zu verstehen (Baron-Cohen 2003: 5). Diese Unterschiede organisierten das Gehirn beider Geschlechter dauerhaft, wenngleich auch die Sozialisation einen partiellen Einfluss auf die Entwicklung der Gehirne ausübe. Somit scheine die stärkere Ausprägung mathematischer Fähigkeiten bei Männern und kommunikatorischer Fähigkeiten bei Frauen primär auf naturgegebene, genetisch-hormonell bedingte Faktoren zurückführbar. Empirische Evidenz für seine Theorie sieht Baron-Cohen in einer Vielzahl an Studien, die auf Geschlechtsunterschiede in verschiedenen kognitiven Fähigkeiten und Verhaltensweisen hindeuten.17 Für die weibliche, empathische Gehirnstruktur sprächen demnach Befunde, wonach Mädchen stärker an fairem Verhalten interessiert seien, mit Empathie auf Notlagen anderer Menschen reagierten, sich besser in andere hineinversetzen könnten, ein größeres Feingefühl gegenüber Mimik und Gestik aufwiesen, auf Fragen eher empathisch antworteten, eher altruistische als wettbewerbsorientierte18, Beziehungen schätzten und kommunikatorische Fähigkeiten aufwiesen (Baron-Cohen 2007: 163 ff.). Evidenz für eine systematisierende Verhaltensweise sieht Baron-Cohen in allen regelgeleiteten Bereichen: 16 17 18
Dabei unterscheidet Baron-Cohen zwischen technischen, natürlichen, abstrakten, sozialen, Organisations- und motorischen Systemen (vgl. Baron-Cohen 2003: 64 ff.). Vgl. beispielsweise Baron-Cohen 2003. Umgekehrt rauften Jungen im Spiel häufiger als Mädchen (Baron-Cohen 2007: 163 ff.).
Akteurzentrierte Ansätze
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„Thus, chess and football are good examples of systems, but faces and conversations are not. As noted previously, systemizing involves monitoring three elements: input, operation, and output” (Baron-Cohen 2007: 165).
Den stärkeren Hang zur Systematisierung bei Männern sieht Baron-Cohen demnach in deren größerem Interesse an Spielzeugen, Bevorzugung von Beschäftigungen zur Herstellung von Systemen (metalworking, weapon making, construction industries), höheren Leistungen in Mathematik, Physik, Technik und Baukonstruktion sowie ihrem besseren räumlichen Vorstellungsvermögen. Gleichermaßen seien bei Männern motorische Fähigkeiten und die Fähigkeit zur Herstellung von Klassifizierungs- und Ordnungssystemen stärker ausgeprägt (Baron-Cohen 2007: 166168). Geschlechtsunterschiede in diese Richtung wurden bereits bei einjährigen Mädchen und Jungen festgestellt. Genau in diesem frühen Auftreten solcher Unterschiede sieht Baron-Cohen überwiegend biologische Ursachen. Diese Annahme wird bestärkt durch Befunde der Cambridger Neugeborenenstudie, bei welcher Neugeborenen zwei Objekte gezeigt wurden: ein menschliches Gesicht und ein Mobile. Dabei stellten die Forscher fest, dass Mädchen häufiger auf das Gesicht reagierten, während Jungen häufiger das Mobile anschauten. Da den Forschern das Geschlecht der Babys nicht bekannt war, können Verzerrungen durch geschlechtsstereotypische Verhaltenserwartungen ausgeschlossen werden. Geschlechtsspezifischen Erziehungsstilen von Jungen und Mädchen schreibt Baron-Cohen hingegen wenig Bedeutung zu (Baron-Cohen 2003: 86 ff.). Damit schließt Baron-Cohen den Einfluss kultureller Größen auf die Ausformung beider Gehirntypen weitgehend aus. 2.1.2 Sozialisationstheoretische Ansätze Dagegen leiten sozialisationstheoretische Ansätze individuelle und scheinbar naturgegebene Geschlechtsunterschiede aus der unterschiedlichen Sozialisation von Mädchen und Jungen ab. Diese führe dazu, dass Frauen und Männer unterschiedliche Interessen, Fähigkeiten und Orientierungen ausbilden. Die durch das soziale Umfeld der Personen, die sogenannten Peers (Familie, Schule, Freundeskreis und andere Bezugsgruppen) anerzogenen bzw. vorgelebten Verhaltensweisen und Denkmuster seien handlungsleitend für die Akteure. Hintergrund einer geschlechtsspezifischen Sozialisation bilde dabei ein Gesellschaftsbild geschlechtlicher Arbeitsteilung, wonach Frauen hauptsächlich dem familiären Bereich verpflichtet seien, während die Zuständigkeit der Männer auf die Erwerbsarbeit begrenzt würde (Heintz et al. 1997, Wimbauer 1999, Leuze/Rusconi 2009). Diese normativen Verhaltenserwartungen werden demnach insbesondere in Prozessen der frühkindlichen Sozialisation an die jeweils nächste Generation weitergegeben und reproduzierten stereotypische
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Geschlechtsspezifische Segregation im Wissenschaftssystem: Theoretische Erklärungsansätze
Geschlechtsrollenerwartungen, die für Frauen ein überwiegend reproduktionsbezogenes, für Männer ein berufsbezogenes „Arbeitsvermögen“ festlegten (Beck-Gernsheim 1976: 77 ff.). Somit würden Handlungsoptionen und Verhaltensweisen von Männern und Frauen durch die in Geschlechtsrollen objektivierten und reduktionistischen Eigenschaften determiniert (Wetterer 1992: 16). Diese bipolar angelegten Geschlechtsrollenzuschreibungen und Verhaltenserwartungen sind demzufolge historisch verankert und erscheinen in Deutschland besonders dauerhaft. Beck-Gernsheim identifiziert mehrere Entwicklungslinien, die mit der Industrialisierung und der damit einhergehenden Trennung von Arbeit und Leben ihren Beginn nehmen (Beck-Gernsheim 2006: 35 ff.). So seien Selbstbestimmung und Autonomie zum Leitwert der bürgerlichen Gesellschaft geworden. Während Männer zunehmend für Öffentlichkeit und Beruf zuständig seien, würden Frauen auf Heim, Haushalt und Familie beschränkt. Durch diese Arbeitsteilung und die Verlagerung der Tätigkeiten von Frauen auf „gefühlsmäßige Aufgaben“ entstünden natürlich erscheinende Eigenschaften für beide Geschlechter (Beck-Gernsheim 2006: 35). Auf der einen Seite stehen somit sichtbare Eigenschaften wie Aktivität, Kraft, Durchsetzung und Verstand, auf der anderen Seite mit Fügsamkeit, Bescheidenheit, Herz und Gemüt eher latente Merkmale.19 Die Frau werde zunehmend durch spezifisch korrespondierende Interessen des Mannes und durch die erziehungslastige Entdeckung der biografischen Kindheitsphase über Mutterschaft definiert. Infolgedessen bildeten sich Leitbilder heraus, die diese neuen bürgerlichen Verhältnisse weiter etablierten und stabilisierten. So sei beginnend mit dem 18. Jahrhundert die Mutterideologie als neuer Kult entstanden, ein Bild „mütterlicher Selbstentsagung als höchstes Glück der Frau“ (Beck-Gernsheim 2006: 48). Erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts wurden auch Frauen zunehmend in die Erwerbsarbeit einbezogen, neue Lebensräume entstanden, die allerdings mit viel Arbeit und wenig Geld verbunden waren. Gleichzeitig wurde Mütterlichkeit stark aufgewertet und zum „weiblichen Lebensprogramm“ (Beck-Gernsheim 2006: 64). Dadurch würden Unterschiede zwischen Männern und Frauen aktiv betont. Ausgehend vom Bürgertum entstanden neue Erziehungsnormen, die das Kindeswohl in den Mittelpunkt rückten. Diese „Professionalisierung von Mutterschaft“ (Beck-Gernsheim 2006: 80) bewirkte einen Rückgang der Kinderzahlen, da eine höhere Qualität in der Erziehung mit höheren und zeitlich anspruchsvolleren Anforderungen einhergehe. Im Laufe des 19. Jahrhunderts wurden diese Leitprinzipien durch Erkenntnisse der Medizin, Anthropologie, Psychologie und Psychoanalyse „wissenschaftlich fundiert“ (Hausen 2007: 47). Diese Entwicklung setzte sich bis zum Zweiten Weltkrieg fort und führte durch die Verankerung der Familie im Gleichberechtigungsgesetz vom 18.6.1957 zu einer weiteren Zementierung der Funktionen der Frau als „Herz der Familie“ und des Mannes als Ernährer (Beck-Gernsheim 2006: 86). Erst mit der Bildungsexpansion und der 19
Zu geschlechtsspezifischen Charakteristika vgl. auch Autenrieth et al. 1993: 26 ff., Hausen 2007.
Akteurzentrierte Ansätze
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neuen Frauenbewegung wurden die bestehenden Leitbilder aufgeweicht – hin zu Vorstellungen stärker partnerschaftlicher Arbeitsteilung. Es entstehe, so BeckGernsheim, eine Aufspaltung in zwei Lager, die bis heute existieren. Auf der einen Seite wird der Anspruch der Frau auf ein eigenes Leben befürwortet, auf der anderen Seite werden traditionelle Vorstellungen umso stärker verteidigt. Gleichzeitig entstanden im Verlauf des 20. Jahrhunderts Normen, wonach nicht nur das körperliche Gedeihen des Kindes im Vordergrund steht, sondern alle Fähigkeiten des Kindes bestmöglich gefördert werden sollen. Hierdurch wird der kulturell vorgegebene Druck auf die Erziehungspersonen weiter verstärkt. Diese Entwicklungslinie wird durch psychologische Studien untermauert, die die Mutternähe „als besonders zuträglich für das Kind ansehen und andere Betreuungsformen dagegen als abweichend, ja schädlich etikettieren“ (Beck-Gernsheim 2006: 95). Bis heute implizieren derartige Leitbilder die Unvereinbarkeit von Familie mit einer anspruchsvollen Erwerbstätigkeit. Die tiefe Verwurzelung traditioneller Vorstellungen in Deutschland wird durch andauernde medienwirksame Beiträge aufrechterhalten, die spätestens seit Eva Hermans „Plädoyer für eine Rückkehr zur traditionellen Wahrnehmung der Geschlechter“ heftige Debatten auslösten und neuen Nährboden für das Aufleben der Mutterideologie lieferten (FAZ.NET 2006).20 Diese geschlechtsspezifischen Rollenerwartungen spiegeln sich in den Einstellungen und Verhaltensweisen von Männern und Frauen. So bestätigt die Sozialberichterstattung für Deutschland auch aktuell eine im internationalen Vergleich starke Orientierung an traditionellen Vorstellungen, die ein polarisiertes Bild von Elternschaft versus Berufstätigkeit begünstigen. So sprechen sich in 2006 über die Hälfte aller Westdeutschen für eine klassische Rollenverteilung aus (Scheurer/Dittmann 2007).21 Das Festhalten am männlichen Ernährerbild zeichnet sich zumindest in den alten Bundesländern auch in der sozialen Infrastruktur ab, wo erst in den letzten Jahren verstärkt der Ausbau von Kinderbetreuungseinrichtungen angegangen wird.22 Der Ansatz der social learning effects als Ursache für eine – ähnlich den Vertretern biologischer Ansätze festgestellte – geschlechtsspezifische Risikobereitschaft 20
21
22
Zu Eva Herman vgl. auch Martin 2007. Weitere Beharrungstendenzen und sogar ein neuerliches Aufleben der Mutterideologie dokumentieren überwiegend populärwissenschaftliche Studien (vgl. hierzu Beyer/Wellershoff 2001, Radisch 2006, Scheurer/Dittmann 2007). Erst seit Einführung des neuen Elterngeldes am 1. Januar 2007 gerät der Blick verstärkt auf die potenzielle und tatsächliche Übernahme der Erziehung durch Väter (z.B. Döge 2007, Roßbach 2008). In Ostdeutschland hingegen findet sich im europäischen Vergleich eine geringe Zustimmung zum klassischen Rollenmodell, die insbesondere auf die nur schwach ausgeprägte Vorstellung, dass bei einer Berufstätigkeit der Mutter die Beziehung zum Kind leide, zurückgeht (Scheuerer/Dittmann 2007: 2). Umgekehrt verhindern unzureichende Angebote an Betreuungsrichtungen eine höhere Beteiligung von Frauen an der Erwerbsarbeit. Diese infrastrukturellen Mängel wurden in den letzten Jahren als dringendes Erfordernis für eine größere Beteiligung von Frauen am Arbeitsmarkt erkannt (vgl. Abschnitt 2.2.2).
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Geschlechtsspezifische Segregation im Wissenschaftssystem: Theoretische Erklärungsansätze
und Wettbewerbsverhalten geht davon aus, dass diese Verhaltensweisen erst im Laufe der Zeit erlernt werden und damit wesentlich vom jeweiligen Umfeld der betreffenden Personen abhängt, das die Sozialisationsbedingungen determiniert. Dabei verweist eine experimentell angelegte Studie23 auf den Einfluss der Geschlechterzusammensetzung auf die Ausbildung von Risikobereitschaft und Wettbewerbsfähigkeit (Booth/Nolen 2009a). So wählten Mädchen von Mädchenschulen genauso häufig risikoreiche Wetteinsätze wie Jungen aus gemischtgeschlechtlichen oder Jungenschulen. Lediglich Mädchen aus gemischtgeschlechtlichen Schulen zeigten weniger Risikobereitschaft als die übrigen Gruppen. Gleichermaßen sei die Entscheidung von Mädchen für oder gegen eine Teilnahme an Wettbewerbssituationen ebenfalls von der Umgebung der Mädchen abhängig (Both/Nolen 2009b). Auch Wirtschafts- und psychologische Studien zu Präferenzen, Führungsstilen, dem Treffen wirtschaftlicher Entscheidungen und der beruflichen Leistung von Erwerbstätigen können überwiegend diesem Ansatz zugeordnet werden, auch wenn eine systematische Untersuchung der „nature versus nurture“-Argumentation teilweise ausbleibt. Croson und Gneezy fassen die Befunde verschiedener Studien zusammen und bestätigen die zuvor festgestellten Geschlechtsunterschiede bei Risikobereitschaft und Konkurrenzverhalten. Zusätzlich führe eine Wettbewerbssituation bei Männern zu einer Leistungssteigerung, während die Leistung der Frauen konstant bleibe. Die Ursachen sehen die Autoren in den unterschiedlichen Persönlichkeitsmerkmalen von Frauen und Männern wie Selbstvertrauen oder intuitiver Risikowahrnehmung. Aufgrund der geringeren geschlechtsspezifischen Unterschiede bei Managern und Berufstätigen schließen sie Lerneffekte jedoch nicht aus.24 Des Weiteren seien bei Berufsanwärterinnen und -anwärtern größere Geschlechtsunterschiede festzustellen als bei Kindern, was eine unterschiedliche Sozialisation von Frauen und Männern als Ursache für diese Geschlechtsunterschiede bestärkt. Dennoch seien zusätzlich auch biologische Einflussfaktoren relevant (Croson/Gneezy 2009). Aufgrund der offensichtlichen Verwobenheit von kulturellen und biologischen Faktoren25 plädieren Halpern und Ikier für das Konzept eines „psychobiosocial mo23
24 25
Die Risikobereitschaft von Jungen und Mädchen wurde anhand von Experimenten zu realen Wetteinsätzen gemessen. In einer sogenannten „Fiver Lottery“ konnte jeder Schüler/jede Schülerin zwischen zwei Optionen wählen. Bei Wahl der ersten Option bekommt die jeweilige Person fünf Pfund sicher. Bei Wahl der zweiten Option wird eine Münze geworfen. Bei Kopf erhält die Person 11 Pfund, bei Zahl zwei Pfund. Nach dem Experiment beantworteten alle Personen zusätzlich Fragen zur Einschätzung der eigenen Risikobereitschaft und Verhaltensweise bei einem hypothetischen Lotteriespiel, vgl. Booth/Nolen 2009a: 9 ff. Zur Messung des Wettbewerbsverhaltens wurden den Testpersonen in mehreren Runden verschiedene ‚Labyrinthspiele‘ vorgelegt. Im Anschluss an die Experimente wurden sozialdemografische Angaben erfasst, vgl. Booth/Nolen 2009b: 8 ff.). Gleichzeitig weisen die Autoren auf Verzerrungen durch Positivselektionen hin. Möglicherweise wählen risikofreudige Männer und Frauen generell häufiger Führungspositionen. Für weitere biologisch und kulturell begründete Befunde mit einer anschließenden kritischen Dis-
Akteurzentrierte Ansätze
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del of cognitive sex differences“, um die nature-nurture-Dichotomie abzulösen, da diese der Untersuchung von kognitiven Geschlechtsunterschieden grundsätzlich nicht dienlich sei (Halpern/Ikier 2002: 16). Des Weiteren nähmen Unterschiede hinsichtlich kognitiver Fähigkeiten zwischen den Geschlechtern in den letzten Jahren ab, seien insgesamt gering und im Lebensverlauf wenig stabil, wodurch die Ähnlichkeiten zwischen den Geschlechtern die Unterschiede oftmals überwiegen (McGillicuddy-De Lisi/De Lisi 2002: 243 ff., Ceci/Williams 2007: 6, Allmendinger et al. 1999: 209).26 Zudem stoßen Ansätze, die von einer Differenz zwischen den Fähigkeiten von Männern und Frauen ausgehen, auch vor dem Hintergrund geschlechtsparitätischer Studierendenquoten, Studienabschlussquoten und Leistungen bei zugleich fortbestehender Unterrepräsentanz von Frauen in Führungspositionen an ihre Grenzen.27 Als weiterer Ansatz, der von einer prinzipiellen Ähnlichkeit der Geschlechter ausgeht, die sich aufgrund der vorherrschenden Geschlechtsrollenerwartungen im Ausbildungs- bzw. Berufsverlauf jedoch verliert, besagt die Humankapitaltheorie nach Becker (1985), dass sich als Ergebnis individueller Nutzenkalküle unterschiedliche Karriereorientierungen von Frauen und Männern herausbilden. Diese Nutzenkalküle werden wesentlich beeinflusst durch die vorherrschenden Geschlechtsrollenerwartungen und -identitäten von Frauen und Männern, die dazu führten, dass Frauen weniger in Bildung und Ausbildung investieren. So wählten Frauen „jene Berufe, die mit ihrer prospektiven ‚Familienkarriere‘ am verträglichsten sind“ (Heintz et al. 1997: 28). Vor diesem Hintergrund erscheint das anfangs beschriebene Phänomen der vertikalen Segregation insbesondere auf den Stufen der Promotion und Habilitation als bewusste Entscheidung der Frauen gegen eine weitere wissenschaftliche Karriere. Auch konkrete Befunde, wonach Frauen seltener eine Promotion aufnehmen als Männer (Leemann 2002) verweisen auf häufigere Entscheidungen von Frauen gegen eine wissenschaftliche Laufbahn. Frauen, die entgegen tradi-
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kussion der nature-nurture-Debatte und eine mögliche Einflussnahme auf die bestehenden Geschlechtsunterschiede vgl. Beiträge in McGillicuddy-De Lisi/De Lisi 2002 und Beiträge in Ceci/Williams 2007. Dennoch werden unterschiedliche Fähigkeiten von Männern und Frauen in der wissenschaftspolitischen Öffentlichkeit immer wieder kontrovers diskutiert. Einen Höhepunkt erreichte diese Debatte in 2005 mit einer Äußerung des Präsidenten der Harvard Universität. Dieser ließ Ceci/Williams zufolge verlauten, dass „factors external to the women – such as institutional discrimination, negative stereotypes about women’s ability, biase promotion practices, or early socialization experiences – were probably not as important as causes of women’s STEM underrepresentation as were sex differences in ability. (…) Probably the single utterance that caused the biggest stir was Summer’s statement that behavioral genetic studies over the past 15 years have shown that many of the differences that were once thought to be environmental are now known to have substantial biological bases” (Ceci/Williams 2007: 6/7). Daten des Statistischen Bundesamtes ergaben für 2007 folgende Frauenanteile: Studienabschlüsse: 50,8 Prozent, Promotionen: 42,2 Prozent, Habilitationen: 24,3 Prozent und Professuren: 16,2 Prozent.
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tioneller Rollenerwartungen eine hohe Statusposition beispielsweise in der Wissenschaft erreichen wollen, müssten gegen „gesellschaftliche, elterliche und eigene innere Barrieren ankämpfen“ (Macha 2000: 124). In dieselbe Richtung weisen Befunde, wonach Wissenschaftlerinnen seltener Anträge auf Forschungsförderung stellen als Männer und daher scheinbar weniger in das weitere Fortschreiten ihrer Karriere investieren (Hinz et al. 2008, Beiträge in EC 2009). Weitere Untersuchungen zu geschlechtsspezifischen Berufs- und Karriereverläufen sehen die geringere Karrieremotivation der Wissenschaftlerinnen in Verbindung mit der Familiengründung. So nähmen viele Frauen gerne Elternzeit, um für ihre kleinen Kinder zu Hause zu sein (Abele 2003: 170, Leuze/Rusconi 2009, Krüger 1995). Zusätzlich verstärkt sich dieser Effekt durch eine allgemeine Partnerschaftsdynamik. Demnach wählten Akademikerinnen häufiger Akademiker zum Partner, die ihrerseits beruflich hoch engagiert seien und tendenziell traditionell orientiert seien. Hinzu kommt der häufige Karrierevorsprung des männlichen Partners. Alles zusammen bewirke die zunehmende Entwicklung traditioneller Verhältnisse (Abele 2003). In die Debatte um Karriereorientierung und Leistung(-sbereitschaft) von Frauen und Männern ordnet sich, bezogen auf das Wissenschaftssystem, auch die in der Wissenschaftsforschung häufig geführte Diskussion um die geringere Publikationsproduktivität von Wissenschaftlerinnen ein. So legen die geringeren Publikationsquoten von Wissenschaftlerinnen (z.B. Cole 1979, Fox 1995) eine geringere Leistungsfähigkeit nahe, wodurch Wissenschaftlerinnen aufgrund der im Wissenschaftssystem großen Bedeutsamkeit von Veröffentlichungen in möglichst angesehenen Zeitschriften als weniger geeignet für höhere Positionen in der Wissenschaft erscheinen. In jüngeren Untersuchungen erfolgt diese Debatte jedoch verstärkt im Zusammenhang mit strukturellen Ungleichheits-Ursachen (vgl. Abschnitt 2.2). 2.1.3 Interaktionssoziologische Ansätze Als übereinstimmende Konsequenz biologischer und sozialisationstheoretischer Ansätze werden berufsbezogene Anforderungen und Kompetenzen vor allem in Führungspositionen als typisch männliche Eigenschaften und familienbezogene Kompetenzen als weibliche Eigenschaften angesehen. Während diese Ansätze Unterschiede zwischen den Geschlechtern als Ergebnis überwiegend vorberuflicher Mechanismen betrachten, betont der interaktionssoziologische Ansatz des doing gender den Prozesscharakter bei der Herstellung und Stabilisierung von Geschlechterverhältnissen. Er geht davon aus, dass der Faktor Geschlecht erst in bestimmten Situationen über die Interaktionen zwischen Individuen sichtbar und relevant gemacht wird. Damit rücken die in sozialen Kontexten stattfindenden Interaktionen in den Mittelpunkt des Forschungsinteresses. Demnach wird die Differenz zwischen Frauen und Männern durch Darstellungs- und Zuschreibungsprozesse aktiv
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hergestellt. Diese Prozesse vollziehen sich in einem „komplementären Wechselspiel im Rahmen von sozialen Interaktionen“ (Heintz et al. 1997: 59). Dabei basieren Interaktionen auf unumgänglichen Mechanismen der Typisierung und Klassifikation. Diese werden als komplexitätsreduzierende Schemata verstanden, die der Einordnung des jeweiligen Interaktionspartners dienten. Das Geschlecht gilt dabei als zentrales Klassifikationsschema (Gildemeister 2004). Durch die bestehenden stereotypischen Geschlechtsrollenerwartungen und die Sichtbarkeit des Geschlechts der Interaktionspartner erfolgt in der Interaktion die wechselseitige Zuschreibung der für den jeweiligen Interaktionspartner stereotypischen Verhaltensweisen. Solche Schemata würden außerdem durch die Einhaltung der erwarteten rollenkonformen Verhaltensweisen aktiviert und reproduziert, wie Zimmerman und West formulieren: „It is not simply that household labor is designated as ‘women’s work’, but that for a woman to engage in it and a man not to engage in it is to draw on and exhibit the ‘essential nature’ of each. What is produced and reproduced is not merely the activity and artifact of domestic life, but the material embodiment of wifely and husbandly roles and, derivately, of womanly and manly conduct” (West/Zimmermann 1991: 30).
Die Annahme, dass Interaktionen immer in bestimmten Kontexten stattfinden und nach Gildemeister in verschiedene institutionelle Arrangements eingebettet sind (Gildemeister 2004: 133), eröffnet einen Blick auf die strukturellen Bedingungen, unter welchen Interaktionen stattfinden. In diesem Zusammenhang sieht auch Hirschauer die Konstruktion von Geschlecht nicht als durchgängiges Phänomen, sondern betont die Abhängigkeit der Art und Weise, wie und ob Geschlecht in Interaktionen aktiviert wird, von den Situationen, in denen diese Interaktionen stattfinden (Hirschauer 1994). Dies bedeutet, dass nicht in jeder Situation das gesamte Repertoire an Geschlechtsrollenerwartungen aktiviert wird, sondern je nach Interaktionskontext verschiedene Aspekte relevant sind. Heintz et al. (1997) stellen in ihrer Studie zur Konstruktion von Geschlecht in verschiedenen Berufsfeldern (Krankenpflege, Informatik, Sachbearbeitung) fest, dass sich die Geschlechterdifferenz je nach Kontext, das heißt in den einzelnen Berufsfeldern, unterschiedlich manifestieren. Während das Geschlecht für die Sachbearbeitung keine relevante Kategorie ist, hat die Geschlechterdifferenz in der Informatik und der Krankenpflege eine „hohe symbolische Bedeutung“ (Heintz et al. 1997: 233). Diese Unterschiede werden zum einen auf Kontextvariablen wie den unterschiedlichen Formalisierungs- und Professionalisierungsgrad zurückgeführt, der unterschiedliche Spielräume für Prozesse des doing gender eröffnet. Zum anderen werden in den durch geschlechtsspezifische Förderbeziehungen begründeten besseren Aufstiegschancen von Männern und der starken Orientierung an männlichen Arbeitsstrukturen weitere kontextunabhängige Auslöser für die Herstellung von Geschlecht als relevante Kategorie in der Arbeitswelt identifiziert (Heintz et al. 1997).
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Die informellen, im wissenschaftlichen Alltag wirksamen Zuschreibungsprozesse der Leistungsanerkennung untersuchen Krais und Beaufaÿs in ihrer Fallstudie in den Fächern Biochemie und Geschichte an deutschen Universitäten (Krais/ Beaufaÿs 2005). Dabei wird von den befragten Hochschullehrerinnen und -lehrern ein bestimmtes Persönlichkeitsprofil, nämlich Merkmale des Seins anstatt Merkmale des Könnens beschrieben, die für eine erfolgreiche Etablierung im Wissenschaftssystem als wichtig erachtet werden. Diese Eigenschaften beinhalten Ausdauer, Disziplin, Einsatzbereitschaft und Frustrationstoleranz. Dabei verweisen die Aussagen einiger Professoren darauf, dass diese vermeintlich geschlechtsneutralen Eigenschaften geschlechtsspezifisch unterschiedlich zugeschrieben werden: „So können Frauen mit Kindern angeblich keine wirklich kreative Wissenschaft betreiben, weil ihnen dazu die nötige Zeit fehle; Durchhaltevermögen wird als männliche Potenz beschrieben, die bereits bei der Stellensuche sichtbar wird; und was die Leidenschaft und Leidensbereitschaft für den Beruf angeht, wird Frauen diese eher abgesprochen, weil man immer andere Prioritäten in ihrem Leben vermutet“ (Krais/Beaufaÿs 2005: 38).
So sehen sich Wissenschaftlerinnen mit einem größeren Misstrauen gegenüber ihrer Eignung für die Herausforderungen einer wissenschaftlichen Karriere konfrontiert. Dabei würden Frauen außerdem immer wieder auf ihre potenzielle Mutterrolle verwiesen, obwohl sie bereits ihr wissenschaftliches Engagement unter Beweis gestellt hatten. Weiblichkeit und Wissenschaft würden immer wieder als „ausweglose Alternative“ formuliert (Krais/Beaufaÿs 2005: 39). Dabei bestünden in Äußerungen wie „Nein, nein, Sie haben dann ja andere Dinge im Kopf – nämlich das Kind“, in diesem Falle der Antwort eines Professors auf die Anfrage nach einer gemeinsamen Publikation von einer Wissenschaftlerin und Mutter, nicht nur Akte der Missachtung unter dem Rekurs auf das Geschlecht der Wissenschaftlerin anstatt deren Leistung, sondern es verhalte sich zudem so, dass solche Äußerungen darüber hinaus gleichzeitig auf andere Wissenschaftlerinnen wirkten, die hierdurch die Regeln des wissenschaftlichen Alltags lernen. Solche Erfahrungen führten dann dazu, dass Wissenschaftlerinnen trotz ihrer Begeisterung für wissenschaftliche Projekte wieder aus der Wissenschaft ausscheiden (Beaufaÿs/Krais 2005). Nentwich (2000) untersucht die Prozesslogik der Vergeschlechtlichung von Elternschaft bei Fachkräften verschiedener Berufssparten und sieht Retraditionalisierungsprozesse bei Familiengründungen als Resultat des doing gender. Als Begründungen für die Konstruktion von „Müttern“ und „Vätern“ dienen die Natürlichkeit des Unterschieds zwischen Mann und Frau, ökonomische Zwänge und die Rollen der Geschlechter. Aufgrund biologischer Unterschiede müssen traditionelle Modelle nicht hinterfragt oder begründet werden, während eine nicht traditionelle Rollenverteilung durch die Aufhebung des selbstverständlichen Unterschieds zwischen Mann und Frau erst legitimiert werden muss. Da die als Argumente herangezogenen Inhalte jedoch je nach Modell unterschiedlich interpretiert werden, werden zumin-
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dest im ersten Lebensjahr des Kindes traditionelle Modelle begünstigt.28 Der Ansatz des doing gender stellt somit eine Erweiterung sozialisationstheoretischer Zugänge dar, der die Rekursivität von Strukturen und Individuen betont. Damit wird der prozessuale Charakter, das heißt das Herstellen und Verändern von Geschlechterdifferenzen in alltäglichen Interaktionen, in den Blick genommen. Eigenschaften von Männern und Frauen werden demzufolge nicht durch Sozialisation oder biologisch erworben, sondern werden in einzelnen Handlungskontexten (re-)produziert. 2.1.4 Implikationen für Frauen in der Wissenschaft Was bedeuten die aus oben dargestellten Ansätzen hervorgehenden Unterschiede zwischen Männern und Frauen für die vertikale Segregation des Wissenschaftssystems? Zunächst einmal folgt Wissenschaft dem Leistungsprinzip. Demzufolge ist Leistung der zentrale Maßstab, wenn es darum geht, sich in der Wissenschaft zu etablieren. Generell bedeutet Leistung die Anhäufung wissenschaftlicher, nämlich intersubjektiv nachvollziehbarer und überprüfbarer, mit bestimmten methodischen Mitteln und Regeln gewonnener, objektiver Erkenntnisse. Diese Leistungen sind in ständigem Wettbewerb um wissenschaftliche Anerkennung und in permanenter Konkurrenz mit anderen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern zu erbringen.29 Dies erfordert Fähigkeiten, Kompetenzen, Einstellungen und Verhaltensweisen, die Frauen in biologischen und sozialisationstheoretischen Ansätzen weitgehend abgesprochen werden. Folglich verweisen die dargestellten Geschlechtsunterschiede auf eine besonders gute Passung von Männern auf diese Anforderungen, während Frauen als ungeeignet erscheinen. Insbesondere biologische Ansätze betonen die unzureichenden Fähigkeiten von Frauen. Dabei erscheinen diese aufgrund ihrer natürlich bedingten fehlenden Rationalität und ihren emotional geleiteten Verhaltensweisen als wenig geeignet für eine Berufssparte, in der eine systematische Vorgehens- und Denkweise besonders wichtig und ein auf Intuition begründetes Vorgehen fehl am Platz ist. Dies gilt besonders für natur- und ingenieurwissenschaftliche Fächer, wo die erforderlichen Fachkompetenzen ein zusätzliches Maß an Logik und Analytik voraussetzen. Die bei biologischen und sozialisationstheoretischen Ansätzen festgestellten schwach ausgeprägten agonalen Verhaltensweisen der Frauen deuten auf ein weiteres Defizit für eine erfolgreiche Etablierung im Wissenschaftssystem hin. Folglich erscheinen Frauen als nicht durchsetzungsfähig und wenig bereit, sich auf eine 28 29
Beispielsweise werden ökonomische Gründe dahingehend uminterpretiert, dass die Übernahme der Ernährerrolle durch die Frau auch dann nicht möglich erscheint, wenn die Frau in etwa dasselbe verdient wie der Mann (Nentwich 2000: 113). Für die spezifischen Anforderungen und Bedingungen des Wissenschaftssystems vgl. Abschnitt 2.3.2.
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kontinuierliche Wettbewerbssituation einzulassen. Hinzu kommt eine ohnehin geringere Karriereorientierung der Frauen, die sich aus deren Aufgaben als (künftige) Mutter ergibt und Frauen bereits das Ziel einer höheren beruflichen Karriereposition abspricht. Somit erscheint die Abwendung der Frauen vom Wissenschaftssystem bei beiden Ansätzen als selbst gewählte Konsequenz ihrer geringeren Karriereorientierung, Wettbewerbsbereitschaft und Befähigung zu systematischen Denkprozessen. Diese Selbstelektion erscheint wegen ihrer schlechteren Eignung zudem als gerechtfertigt. Im Unterschied zu biologischen Ansätzen, bei denen Geschlechtsunterschiede als natürlich und dauerhaft angesehen werden, erscheinen diese bei sozialisationstheoretischen Ansätzen grundsätzlich als veränderbar. So könnten Wissenschaftlerinnen durch Mentoringprogramme eine gezielte Förderung erhalten, in wesentlichen Schlüsselkompetenzen stärker geschult und dadurch auch zu wissenschaftlichen Karrieren ermutigt werden. Zumindest biologische Ansätze lassen allerdings außer Acht, dass sich Fähigkeiten und Aspirationen von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern inzwischen kaum mehr unterscheiden (Abele 2003, Achatz/Hinz 2001, Allmendinger et al. 2000, Engler 2001, Fuchs et al. 2001, Macha 2006, Wimbauer 1999) und selbst Vertreter sozialisationstheoretischer Ansätze betonen, dass sich Leistungen von Männern und Frauen immer mehr aneinander angleichen (Ceci/Williams 2007, McGillicuddy-De Lisi/De Lisi 2002). Weiterhin können diese Ansätze nicht erklären, warum Frauen gerade auf höheren Qualifikationsstufen, wo sie ihre Leistung und Karriereorientierung bereits bewiesen haben, überproportional häufig aus dem Wissenschaftssystem ausscheiden. Somit erscheint das Phänomen der vertikalen Segregation eher als Resultat ungleicher Bedingungen für Männer und Frauen, die zu einer allmählichen Abwendung von Frauen führen. Doch auch aus dieser Perspektive zeigt sich die Tragweite biologischer Ansätze und geschlechtsspezifischer Sozialisationsprozesse. Denn der Glaube an naturgegebene oder anerzogene Geschlechtsunterschiede bestärkt die Herausbildung geschlechtsspezifischer Rollenerwartungen. Dies bedeutet, dass Frauen der Zugang und die Etablierung im Wissenschaftssystem besonders in technischen und naturwissenschaftlichen Fächern erschwert werden, da ihnen die benötigten Fähigkeiten von vorneherein abgesprochen werden. Wegen dieser bipolaren Geschlechtsrollenerwartungen müssen Wissenschaftlerinnen ihre Karriereorientierung ständig unter Beweis stellen, um gleichermaßen als Anwärterinnen auf eine wissenschaftliche Laufbahn anerkannt und entsprechend gefördert zu werden. Dies bedeutet, dass für Frauen besonders hohe Anforderungen an ihre Karrierebereitschaft bestehen. Dabei kommt einer (potenziellen) Mutterschaft eine zentrale Bedeutung zu. Einerseits antizipieren Wissenschaftlerinnen Probleme der Vereinbarkeit aufgrund der hohen wissenschaftlichen Anforderungen und der in Deutschland andauernden Mutterideologie möglicherweise häufiger als Wissenschaftler und wenden sich daher vom Wissenschaftssystem ab. Andererseits begünstigt allein die gesellschaftlich erwartete Erziehungsarbeit der Mütter Prozesse, bei denen Wissenschaftlerinnen eine ausrei-
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chende Karriereorientierung bzw. Leistungsfähigkeit spätestens mit der Familiengründung abgesprochen werden. In der Folge werden dann weniger Kraft und Mittel in die langfristige Förderung des weiblichen Nachwuchses investiert. Bei einer realen Mutterschaft ist von zeitlichen Konflikten für Wissenschaftlerinnen auszugehen, zumindest wenn sie die Verantwortung für die Kinderbetreuung tragen. Schon allein deswegen dürften für sie erschwerte Bedingungen bestehen, ihre Karrieremotivation unter Beweis zu stellen. Für Väter, die sich aktiv um ihre Kinder kümmern (wollen), ist von einer wenig positiven Resonanz aus ihrem Arbeitsumfeld auszugehen. Auch deswegen sind überwiegend rollenkonforme Verhaltensweisen bei der Familienorganisation zu erwarten. Demzufolge ist eine stärkere Involviertheit von Müttern in Erziehungsarbeiten nicht zwangsläufig auf deren geringere Karriereorientierung, sondern auf Prozesse des doing gender zurückzuführen, in der die Differenz zwischen Männern und Frauen erst hergestellt wird und traditionelle Modelle somit als natürliche oder zumindest sinnvolle Lösung erscheinen. Da das Wissenschaftssystem von permanenten Prozessen der Leistungsbeurteilung und der Notwendigkeit individueller Förderung geprägt ist, erscheinen diese Prozesse als besonders aussagekräftig für die vertikale Segregation des Wissenschaftssystems. Doch diese Prozesse bestehen nicht allein bei Übergängen in die jeweils nächste Statuspassage wie Auswahlgesprächen oder Berufungsverhandlungen, sondern dürften auch im wissenschaftlichen Alltag zum Tragen kommen. Dabei könnten Zuschreibungen von Motivation und Engagement, beispielsweise in Form von fachlichem Interesse an aktuellen wissenschaftlichen Geschehnissen, des zeitlichen Einsatzes und der überzeugenden Teilnahme an fachlichen Diskussionen, nach stereotypischen Mustern eher den Männern zugeschrieben werden. Als Resultat erhielten Frauen dann eine geringere Bestätigung und Anerkennung ihrer wissenschaftlichen Arbeit, eine weniger umfassende Betreuung oder würden weniger zu Publikationen ermuntert. Die vertikale Segregation des Wissenschaftssystems ist anhand interaktionssoziologischer Ansätze daher durch zwei Faktoren erklärbar: Frauen werden auch bei geschlechtsparitätischen Leistungen weniger gefördert und haben geringere Chancen, auf angesehene wissenschaftliche Positionen zu gelangen. Oder ihre geringere Anerkennung als Wissenschaftlerinnen und die für sie erschwerten Bedingungen wirken hemmend auf die weitere berufliche Orientierung und begünstigen somit Prozesse des cooling out von Wissenschaftlerinnen. Im Unterschied zu biologischen und sozialisationstheoretischen Ansätzen ist eine geringere Karriereorientierung somit nicht als vorberuflich entstandenes Defizit von Frauen zu verstehen, sondern ergibt sich erst aus deren Erfahrungen bei der wissenschaftlichen Qualifizierung. Folglich ist die vertikale Segregation anhand interaktionssoziologischer Ansätze als Folge von Prozessen direkter oder indirekter Fremdselektion zu sehen.
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2.2 Strukturzentrierte Ansätze Seit den 1990er Jahren richten Untersuchungen den Blick verstärkt auf die Strukturen von Organisationen und ihre Wirkungszusammenhänge mit geschlechtsspezifischer Segregation auf dem Arbeitsmarkt. Dabei lassen sich zwei Arten von Ansätzen unterscheiden: Sogenannte Kontingenzansätze berücksichtigen organisationsdemografische Merkmale wie Formalisierungs- und Spezialisierungsgrad, Größe oder Gruppenzusammensetzungen. Diese Merkmale werden grundsätzlich als geschlechtsneutral angesehen, wirken sich jedoch indirekt geschlechtsspezifisch auf die Arbeitsmarktchancen von Frauen und Männern aus (Wimbauer 1999: 40 ff.). Embedded approaches gehen hingegen von einer in Organisationen eingebetteten vergeschlechtlichten Substruktur (gendered substructure) aus, die ungleiche Chancen für Frauen und Männer bedinge (Wimbauer 1999: 40 ff., Acker 1991). Da sich beide Ansätze mit Strukturen von Organisationen befassen und sich embedded approaches per se mit den Strukturen des Wissenschaftssystems beschäftigen, werden Implikationen für Frauen in der Wissenschaft integriert mit der Darstellung der Ansätze aufgegriffen. 2.2.1 Kontingenzansätze Als einer der prominentesten Ansätze im Bereich der Kontingenzansätze gilt die formalstrukturelle Kontaktthese nach Kanter (1977), die die unterschiedliche Integration von Frauen und Männern in Organisationen anhand ihrer numerischen Zusammensetzung erklärt. Danach werden die Angehörigen einer Minderheit nicht als Individuen, sondern als Repräsentanten ihrer Gruppe wahrgenommen und beurteilt. Bezogen auf das Wissenschaftssystem werden Wissenschaftlerinnen aufgrund ihrer deutlich geringeren Vertretung weniger in ihrer Berufsrolle, sondern als Repräsentantinnen ihrer Geschlechtskategorie gesehen. Die wenigen Wissenschaftlerinnen unterliegen einer hohen Sichtbarkeit und müssten daher außergewöhnliche Leistungen erbringen (Kanter 1977). Als mit der Kontaktthese konkurrierender Ansatz wurde von Blalock bereits 1967 die Konkurrenzthese formuliert. Blalock postulierte dabei einen kurvilinearen Zusammenhang zwischen der Gruppengröße einer Minorität und negativen Ergebnissen für die Minoritätengruppe. Der Ansatz basiert auf der Annahme, dass eine relativ kleine Gruppe von der Majorität nicht als Bedrohung für die Kontrolle der gewünschten Ressourcen angesehen werde. Erst wenn die Größe der Minoritätengruppe zunimmt, führe die gefühlte Bedrohung zu einer wachsenden Feindseligkeit gegenüber der Minorität. Es komme zu diskriminierenden Handlungen, um die Kontrolle über diese Ressourcen zu bewahren. Mithilfe von Untersuchungen zur geschlechtsspezifischen Fluktuation an Instituten der Soziologie greifen Tolbert et al. (1995) die Kontakt- und Konkurrenzthese auf.
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Nach der Kontaktthese sollte die Fluktuation mit einem Anstieg der Frauenanteile in einzelnen Fachbereichen zurückgehen, angesichts der Konkurrenzthese sollte diese zunächst ebenfalls zurückgehen, dann aber steigen, sobald die Frauenanteile ein bestimmtes Level erreicht haben. Die Ergebnisse der Studie stimmen generell mit der Konkurrenztheorie überein. Derzufolge führt ein Zuwachs der Repräsentanz von Frauen in Arbeitsgruppen lediglich bis zu einem Frauenanteil von 35-40 Prozent zu einem Rückgang der Fluktuation. Überschreitet der Frauenanteil diesen Schwellenwert, führt dies zu einem zunehmend negativen Arbeitsumfeld für Wissenschaftlerinnen, wodurch die Wahrscheinlichkeit für ein Verlassen der Arbeitsgruppe zunimmt (Tolbert et al. 1995). Damit besitzen die Mechanismen der Kontakt- und Konkurrenzthese, zumindest was die Arbeitsmarktfluktuation betrifft, keine allgemeine Gültigkeit in der Form „Je mehr Frauen, desto weniger bzw. mehr Barrieren“, sondern sind an bestimmte Schwellenwerte geknüpft. Der Ansatz der Größe von Fachdisziplinen geht davon aus, dass nicht nur die Hochschule oder der Wissenschaftsbereich den Referenzpunkt für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ausmacht, sondern der jeweilige Fachbereich, in dem sie arbeiten. Die Fachbereiche zeichnen sich durch unterschiedliche Größen- bzw. Geschlechterverhältnisse aus und bestimmen dadurch unterschiedliche Arbeits- und Qualifikationsbedingungen (Leemann 2002: 59). Dabei erforderten große Fachbereiche stärkere Formalisierungsprozesse, wodurch die Auswahl des wissenschaftlichen Nachwuchses demokratischer geregelt sei und Prozesse der Diskriminierung eher verhindert würden (Tomaskovic-Devey/Skaggs 2001).30 Das zentrale Argument dieses Ansatzes besteht folglich in der Annahme, dass die Größe von Disziplinen deren innere Organisation in Form von Formalisierungs- und Bürokratisierungsprozessen beeinflusst. Dabei begünstigt ein höherer Formalisierungs- bzw. Bürokratisierungsgrad die Integration von Wissenschaftlerinnen und die subjektiven Wahrnehmungen des Arbeitsklimas. So fühlten sich Studentinnen und Wissenschaftlerinnen in personell großen Disziplinen (Rechtswissenschaften, Medizin) kaum wegen ihres Geschlechts benachteiligt (Geenen 1994: 64). Umgekehrt seien in kleinen Fächern informelle Vorgänge weiter verbreitet, wodurch persönlichen Merkmalen ein weitaus größeres Gewicht zukomme (Leemann 2002: 59 ff.). Damit definiere der „Standardisierungsgrad des interaktiven Settings“ den Spielraum, der für „Personalisierungen“ zur Verfügung steht (Heintz 2003: 218). Auch Cook/Waters kommen in der Gegenüberstellung von Rechtswesen und Ingenieurwesen zu dem Ergebnis, dass wenig formalisierte, kollegiale Organisationsformen wie das Rechtswesen wegen ihrer Struktur der Autoritätsbeziehungen, der Partizipation von Frauen weniger zuträglich seien als bürokratische Organisationsformen (Cook/Waters 1998). 30
Dieser Ansatz ist nicht nur auf die statistische Diskriminierung von Wissenschaftlerinnen zu beziehen, sondern besitzt gleichermaßen für andere unterrepräsentierte Bevölkerungsgruppen Gültigkeit. Daher erfolgt die Zuordnung zum Bereich der Kontingenzansätze.
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2.2.2 Embedded Approaches Strukturen des Wissenschaftssystems Im Bereich der embedded approaches verdeutlicht erstmals Joan Acker in ihrer „theory of gendered organizations“ die Bedeutung des Geschlechts, die bereits in die Strukturen von Organisationen eingelagert sei und in den alltäglichen Interaktionen wirksam werde (Acker 1991). Dabei macht sie vier Mechanismen ausfindig, die, sich gegenseitig beeinflussend, den Prozess des Gendering ausmachen. Erstens würden Trennlinien zwischen den Geschlechtern durch Faktoren wie Arbeitsteilung, hierarchische Positionierung, Macht und erlaubte Verhaltensweisen erzeugt. Zweitens dienten symbolische Konstruktionen wie idealtypische, normative Rollenbilder zur Verstärkung und Festigung dieser Trennlinien. Drittens würden Dominanz und Unterordnung in Interaktionen und kommunikativen Praktiken zum Ausdruck gebracht. Der vierte Prozess bezieht sich auf die Ausbildung einer geschlechtlichen Identität, die die Wahl angemessener Arbeitsweisen, den Sprachgebrauch und die Selbstdarstellungen determinierten. Damit sieht Acker Geschlecht als „constitutive element in organizational logic, or the underlying assumptions and practices that construct most contemporary work organizations” (Acker 1991: 168). Im Zuge ihrer Arbeit zur Evaluation von Arbeitsstellen (jobs) unterscheidet Acker ausdrücklich zwischen der Arbeitsstelle als basaler Einheit einer hierarchischen Arbeitsorganisation und den Personen, die dieser Arbeit nachgehen. Erst die losgelöste Betrachtung der Arbeitsstellen liefere Aufschluss über die Logik von Organisationen. Diese folge der Annahme einer Kongruenz von Verantwortung, Komplexität und hierarchischer Position. Demnach müssten hierarchisch niedrigere Arbeitsstellen, die meist von Frauen besetzt seien, gleichermaßen niedrigere Grade an Komplexität und Verantwortung aufweisen. Ferner könnten Arbeitsstellen auf unterschiedlichen Hierarchieebenen nicht dasselbe Arbeitsergebnis liefern. Arbeitsstellen und Hierarchien seien somit unabhängig von der Existenz eines real arbeitenden Menschen als abstrakte Kategorien konzeptualisiert. Als passend für die Arbeitsstelle erscheine folglich ein abstrakter, körperloser Arbeiter, der nur zum Zwecke der Arbeit existiere. Aufgrund der vorherrschenden gängigen Rollenbilder erscheint in der Realität ein männlicher Arbeiter, der sein Leben auf eine ganztägige und lebenslange Arbeitsstelle ausrichte, während seine Partnerin sich um dessen persönliches Wohlergehen und die Kinder kümmere, als jener reale Arbeiter, der am besten dieser idealtypischen Vorstellung entspricht. Umgekehrt weise der „woman worker“ aufgrund außerhalb des Berufs legitimierter Verpflichtungen eine geringere Passfähigkeit auf. Damit sei bereits das Konzept der Arbeitsstelle angesichts der darin enthaltenden geschlechtlichen Arbeitsteilung in private und öffentliche Sphäre nicht geschlechtsneutral angelegt, obwohl es in der Logik der Organisationen so erscheint. Dementsprechend verhalte es sich mit dem Konzept der Hierarchie:
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„Those who are committed to paid employment are ‚naturally’ more suited to responsibility and authority; those who must divide their commitments are in lower ranks” (Acker 1991: 171).
Das Konzept der gendered organizations konzentriert sich damit auf strukturelle Bedingungen in Organisationen, die Handlungsspielräume der Akteure determinierten, ohne jedoch die jeweils relevanten Bedingungen näher auszuführen.31 Dahingegen wurden in organisationssoziologischen Studien insbesondere Aspekte der Positionierung, Rekrutierung und Arbeitsorganisation von Akteuren in Wissenschaftsinstitutionen untersucht. Wimbauer stellt in ihrer Untersuchung zu organisationalen Strukturen in der Fraunhofer-Gesellschaft eine starke Gemeinschaftsorientierung bei gleichzeitigem Individualismus, das heißt eine Art individualisierter Kollektivismus fest.32 Dies bewirke zusammen mit einer hohen Wettbewerbsorientierung und hohem Zeitdruck einen absoluten Verfügbarkeitsanspruch und maximale Einsatzbereitschaft. Die überwiegend befristeten Stellen rücken außerdem eine kurzfristige Berufsperspektive in den Mittelpunkt, das „Durchlauferhitzerprinzip“ gewinne damit an Bedeutung (Wimbauer 1999: 97). Trotz einer expliziten Politik der Gleichheit der Geschlechter und guter Integration von Wissenschaftlerinnen in den Arbeitsalltag stellt Wimbauer vor allem in den männlich dominierten Informationskanälen, der Selbstständigkeitsideologie und dem absoluten Verfügbarkeitsanspruch Elemente einer male substructure fest, die den Mechanismus der „revolving doors“ gerade gegen Wissenschaftlerinnen bewirke (Wimbauer 1999: 148 ff.). Einen ähnlichen „Drehtüreffekt“ bestätigen auch Allmendinger et al. (1999) in ihrer Untersuchung der Max-Planck-Institute. So schieden Wissenschaftlerinnen schneller aus den Instituten aus als Wissenschaftler, was auf einen Zusammenhang zwischen Austrittswahrscheinlichkeit und beruflicher Stellung zurückgeführt wird. Demnach seien Frauen aufgrund ihrer im Vergleich zu Männern niedrigeren Eintrittsposition einem insgesamt höheren Austrittsrisiko ausgesetzt. Gleichzeitig finden sich Hinweise auf Muster eines cooling out, wobei sich Wissenschaftlerinnen in Max-Planck-Instituten während ihrer Promotion und als Resultat fehlender Anerkennung und Förderung von der Wissenschaft als Beruf entfremdeten (Allmendinger et al. 1999: 210). Damit kommt auch der „vertraglichen Segregation“ (statusniedrigere Positionen, kürzere Vertragslaufzeiten, geringerer Beschäftigungsumfang) eine große Bedeutung für die Abwanderung von Frauen aus dem Wissenschaftssystem zu (Harde/Streblow 2008: 157). In dieselbe Richtung weisen Befunde zweier amerikanischer Lebenslaufanalysen, wonach sich Doktorandinnen an USUniversitäten aus sozialen Netzwerken ausgeschlossen fühlen und zudem im weite31 32
Die für die Studie zentralen Bedingungen und Anforderungen des Wissenschaftssystems werden in Abschnitt 2.3.2 dargestellt. Die tägliche Arbeit sei durch einen strukturell verursachten Zwang zur Zusammenarbeit in wechselnden Arbeitsgruppen gekennzeichnet. Gleichzeitig würden auch individuelle Komponenten wie Selbstständigkeit und Eigeninitiative betont (Wimbauer 1999: 96).
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ren Karriereverlauf „exclusionary practices“ ausgesetzt seien, die in die universitären Strukturen eingelagert sind (Etzkowitz et al. 2000: 244). Diese Mechanismen blieben auch dann bestehen, wenn eine kritische Masse erreicht würde, weswegen die Strukturen in Wissenschaftsorganisationen verändert werden müssten (Etzkowitz et al. 2000: 244). Damit wird die These bestätigt, wonach Frauen geschlechtsspezifischen Barrieren ausgesetzt sind, die den Erfolg in wissenschaftlichen Laufbahnen erschweren. Xie/Shauman kommen ebenfalls zu dem Schluss, dass erst die beruflichen Erfahrungen Entmutigungen von Frauen und damit eine Abwendung von der Wissenschaft begünstigen. Sie schreiben der Familiengründung eine hohe Bedeutung für den weiteren Berufsverlauf zu. So würden verheiratete Frauen mit Kindern seltener eine Karriere in Wissenschaft oder Ingenieurwesen weiterverfolgen, würden weniger unterstützt und zeigten eine geringere räumliche Mobilität als Väter (Xie/Shauman 2003: 210).33 Diskriminierungsansätze Die strukturzentrierte Perspektive auf die vertikale Segregation läuft in Ansätzen über die Diskriminierung von Frauen im Wissenschaftssystem zusammen. Dabei werden Prozesse der statistischen Diskriminierung hauptsächlich bei der Personalrekrutierung in zeitlich und räumlich anspruchsvolle Professionen relevant (Bielby/Baron 1986, Kulis 1998). Der Ansatz geht von einem ökonomisch orientierten und rationalen Prozess der Entscheidungsfindung durch potenzielle Arbeitgeber aus. Demzufolge treffen Arbeitgeber Personalentscheidungen profitorientiert, versuchen demnach, Kosten für Einstellung und Weiterbildung möglichst gering zu halten. Daraus resultiert, dass Arbeitsplätze mit hohen Arbeitskosten für Personen mit der größeren erwarteten Produktivität reserviert werden. Da die Arbeitgeber die relevanten Informationen von den Bewerberinnen und Bewerbern nicht erhalten, greifen sie auf bisherige Erfahrungen und ferner auf Geschlechtsrollenerwartungen zurück. Dabei gehen sie davon aus, dass Frauen aufgrund anderweitiger Verpflichtungen und Neigungen durchschnittlich weniger produktiv sind, eine höhere Fluktuation aufweisen und damit einen geringeren Beitrag zur Gewinnmaximierung beitragen als Männer. In der Konsequenz werden Frauen als Gruppe diskriminiert, indem sie eher auf niedrigere Positionen mit niedrigeren Gehältern und geringeren Aufstiegschancen beschäftigt werden und weniger Schulungs- und Weiterbildungsangebote erhalten. Prozesse statistischer Diskriminierung zeigen sich in der bereits unmittelbar nach dem Studium ungleichen Verteilung von Arbeitsstellen auf den öffentlichen und privaten Sektor, wobei Frauen eher im privaten Sektor unterkom33
Diese Geschlechtsunterschiede verstärken sich erst ab der Familiengründung. Die Heirat von Wissenschaftlerinnen wirkt sich hingegen nicht weiter negativ auf die Laufbahnentwicklung von Frauen aus.
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men (Leuze/Rusconi 2009). Diese Geschlechtsunterschiede vergrößern sich in der familienintensiven Phase, während der Frauen etwa viermal häufiger nicht erwerbstätig sind als Männer. Anscheinend unterstellen Arbeitgeber selbst hoch qualifizierten Frauen, „weniger karriereorientiert, weniger produktiv und eher bereit zu sein, zugunsten der Familie ihr berufliches Engagement zu reduzieren oder sogar ganz aufzugeben“ (Leuze/Rusconi 2009: 23). Im Wissenschaftssystem dürften Mechanismen der statistischen Diskriminierung besonders bei Stellenbesetzungsverfahren in höhere Positionen oder Entscheidungen über die Förderung des exzellenten wissenschaftlichen Nachwuchses greifen, da hierfür eine dauerhaft hohe Einsatzbereitschaft, Karriereorientierung und Leistung erwartet werden. Gerade diese Eigenschaften werden Frauen unter dem Rückgriff auf stereotypische Rollenerwartungen aber gerne abgesprochen.34 Von direkter Diskriminierung ist hingegen auszugehen, wenn Bedingungen vorliegen, die nur von einem Mann oder einer Frau erfüllt werden können (Binder 2007: 25). Für die Wissenschaft bestünden Hinweise auf diese Form der Diskriminierung, wenn Männer und Frauen trotz gleicher Leistungen ungleich behandelt würden (Achatz 2008: 268). Doch gerade in der Wissenschaft sind solche Mechanismen schwer nachzuweisen, da Urteile über Exzellenz und gerade Entscheidungen bei Stellenbesetzungsverfahren auf komplexen Kriterien beruhen. Dabei hängt die Auswahl und Gewichtung von Kriterien maßgeblich von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern ab, die als gate keepers über Zugangs- und Aufstiegschancen entscheiden. Insofern sind Benachteiligungen von Frauen bei Urteilen über Exzellenz auch immer in Verbindung mit Mechanismen institutionalisierter Diskriminierung zu sehen. Diese liegt vor, wenn die Strukturen von Organisation und im vorliegenden Fall des Wissenschaftssystems Nachteile für Frauen bewirken (Kulis 1998). Ein solches strukturelles Merkmal ist gerade der auf dem Prinzip der Selbstverwaltung des Wissenschaftssystems basierende große Einfluss von gate keepers (vgl. auch Abschnitt 2.3.2). Da überwiegend männliche Wissenschaftler als gate keepers fungieren, werden an männlichen Normen orientierte Kriterien ständig reproduziert (Brouns 2007: 32 ff.). Solche Normen und die bestehenden Machtverhältnisse, die sich in den eingangs des Abschnitts beschriebenen Phänomenen der gendered organizations, der vertraglichen Segregation, doch auch in den alltäglichen exclusionary practices äußern, stellen derartige Formen institutionalisierter Diskriminierung dar. Binder spricht selbst dann von institutioneller Diskriminierung, wenn sich „Diskriminierungssituationen aufgrund von Feedback-Effekten verfestigen“ (Binder 2007: 26). Somit seien auch die Reaktionen der Benachteiligten auf ihre beispielsweise beim Zugang zum Arbeitsmarkt geringeren Chancen als Formen einer solchen Diskriminierung zu verstehen (Binder 2007: 26). 34
Vgl. zusammenfassend Abschnitt 2.1.4.
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Als eine weitere Form institutionalisierter Diskriminierung, die sich auf Prozesse der Leistungszuschreibung bezieht, ist der auf Merton (1968, 1988) zurückgehende Matthäus-Effekt besonders zu erwähnen.35 Demzufolge kommt bereits etablierten Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen eine übermäßige Anerkennung zu, während Forschenden der untersten Positionen ihre Leistung verstärkt aberkannt werde. Auf diese Weise wirke sich der Matthäus-Effekt zudem stark auf die Sichtbarkeit von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern in der Wissenschaftsgemeinschaft aus: „The Matthew effect may serve to heighten the visibility of contributions to science by scientists of acknowledged standing and to reduce the visibility of contributions by authors who are less well known” (Merton 1968: 62).
Bewertet wird demzufolge nicht ausschließlich die aktuelle, sondern vergangene Leistungen – ein Mechanismus, der die Akkumulation von Chancen und Nachteilen begünstigt. In der Organisationssoziologie und der Wissenschaftsforschung werden basierend auf Ansätzen zur Diskriminierung häufig Geschlechtsunterschiede im akademischen Belohnungssystem36 untersucht. An der Schnittstelle von direkter und institutionalisierter Diskriminierung gerät dabei das Peer-Review-Verfahren häufig in Kritik. Das Verfahren gilt als gängigstes Instrument zur möglichst meritokratischen Beurteilung von Forschungsanträgen und Aufsatzmanuskripten für Fachzeitschriften. Dabei werden Forschungsleistungen, zumeist in Kenntnis der Autorenschaft, durch fachkompetente Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler beurteilt.37 Besonders eindrückliche Hinweise auf Prozesse der direkten Diskriminierung liefert die Studie von Wennerås/Wold zur Förderung von Stipendienanträgen am Swedish Medical Research Council. Die Autorinnen stellten fest, dass Antragstellerinnen zweieinhalbmal produktiver sein mussten als Antragsteller, um denselben Kompetenzwert zu erreichen. Neben dem Geschlecht wurde ein Effekt auf die Kompetenzzuschreibung durch eine persönliche Verbindung zu einem Ausschussmitglied festgestellt, wodurch männliche Antragsteller zusätzlich profitierten (Wennerås/Wold 1997). Seither wurde die Fairness des Begutachtungssystems auch in jüngeren und teilweise internationalen Studien untersucht. Die Forschungsbefunde weisen jedoch in unterschiedliche Richtungen. Zumeist werden keine klaren Nachweise für eine direkte Diskriminierung beim Zugang zu Fördermöglichkeiten festgestellt, obwohl das Geschlecht der Antragstellenden über die Förderwürdigkeit 35 36 37
Vgl. auch Rossiter 2003. Zur Bedeutung von Prozessen der Leistungsbeurteilung in der Wissenschaft vgl. Abschnitt 2.3.2. Analog zu ihrer geringeren Vertretung im Wissenschaftssystem sind Frauen im Begutachtungsprozess faktisch ebenfalls unterrepräsentiert. Bei der Begutachtung von Drittmittelanträgen (Normalverfahren) der Deutschen Forschungsgemeinschaft zwischen 1999 und 2004 liegt der Frauenanteil beim Gutachtereinsatz bei nur etwa sechs Prozent (vgl. Hinz et al. 2008: 85 ff.).
Strukturzentrierte Ansätze
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von Anträgen neben anderen Faktoren wie Fachzugehörigkeit, institutionelle Einbindung, Kontakt zu Gutachtenden zumindest mit entscheidet (vgl. Beiträge in EC 2009). Diese Befunde werden in Kapitel 5 ausführlicher dargestellt. Statistische Belege für eine direkte Benachteiligung von Frauen weisen eine Meta-Analyse zu verschiedenen Förderverfahren und Fachdisziplinen sowie die Förderung durch den Schweizerischen Nationalfonds vor (Bornmann et al. 2007, Bornmann/Daniel 2008). Eine erste umfassende Untersuchung der Forschungsförderung durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft zeigt für Anträge in der Einzelförderung38 etwas geringere Förderquoten für Wissenschaftlerinnen. Diese Unterschiede variieren nicht systematisch mit dem Frauenanteil in den einzelnen Fachdisziplinen und können daher weder auf Mechanismen des tokenism (nach Kanter 1977) oder besonders hohe Konkurrenz der Wissenschaftlerinnen untereinander (crowding) zurückgeführt werden. Zugleich bestehen erhebliche Unterschiede in den einzelnen Fachdisziplinen. So fallen die Förderquoten in den Naturwissenschaften am stärksten, in den Geistes- und Sozialwissenschaften am schwächsten zuungunsten von Wissenschaftlerinnen aus (Hinz et al. 2008). Da in dieser Studie die (Vor-)Leistungen der Antragstellenden nicht berücksichtigt werden konnten, kann eine direkte Diskriminierung nicht nachgewiesen werden. Aufgrund von Überzeugungen, dass sich Leistungen von Männern und Frauen immer mehr angleichen (vgl. Abschnitt 2.1.4), sind zumindest Prozesse institutionalisierter Diskriminierung zu vermuten. Mit der kritischen Diskussion des Peer-Review-Systems stellt sich ferner die Frage nach der unterschiedlichen Publikationsproduktivität von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern neu, da Aufsatzveröffentlichungen in angesehenen Fachzeitschriften ebenfalls diesem Verfahren unterliegen. Die vorhandenen Studien sind äußerst heterogen. Auf der einen Seite stehen Befunde, wonach Wissenschaftlerinnen generell weniger produktiv seien als Wissenschaftler (Cole 1979, Fox 1995).39 Auf der anderen Seite belegen mehrere Studien, dass die geringere Produktivität von Wissenschaftlerinnen erst durch bestimmte Kontextmerkmale wie Elternschaft, Netzwerke, Lebensalter bzw. Erfahrung, akademische Position oder unterstützende Ressourcen (Assistenten, Forschungsförderung) hervorgerufen und diesbezügliche Geschlechtsunterschiede daher strukturell determiniert werden (Bochow/Joas 1987, Brouns 2007, Cole/Zuckerman 1991, Etzkowitz et al. 2000, Kuckartz 1992, Long 1990, Xie/Shauman 2003: 183). Insbesondere seit Beginn der Exzellenzinitiative werden auch verstärkt die Auswirkungen der Reputation von Institutionen oder Personen auf Prozesse der Leistungsbeurteilung kontrovers diskutiert. Jüngst griff Münch diese Diskussion mit 38
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Die Einzelförderung (auch Normalverfahren) richtet sich an alle promovierten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Die Auswahl des Forschungsthemas ist frei. In diesem Förderprogramm können unter anderem Mittel für Personal, wissenschaftliche Geräte, Reisen und Publikationen beantragt werden, vgl. hierzu Hinz et al. 2008: 31 ff. Dies entspricht der Argumentationslogik der akteurzentrierten Perspektive, vgl. Abschnitt 2.1.
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seinen Thesen zur Herausbildung einer akademischen Elite auf und bestätigt seine Annahme, dass Forschende an großen und bekannten Einrichtungen höhere Bewilligungschancen aufweisen als an kleinen und unbekannten Einrichtungen (Münch 2007). Diese Befunde konnten anhand multivariater Analysen auf Basis prozessproduzierter Daten der Deutschen Forschungsgemeinschaft zwar nicht bestätigt werden (Auspurg et al. 2008), andere Untersuchungen weisen jedoch ebenfalls in diese Richtung (Bornmann/Daniel 2008, Broder 1993: 965 ff.). Neben der Fairness des Peer-Review-Verfahrens wird häufig die Reliabilität von Gutachterurteilen, das Heranziehen von Bewertungskriterien und Inkonsistenzen zwischen Kriterienvalenz und endgültigem Bewertungsurteil angezweifelt, was die Objektivität des Verfahrens ebenfalls infrage stellt (Cicchetti 1991, Hartmann/Neidhardt 1990, Hartmann 1990, Hirschauer 2004, Neidhardt 1988). In den letzten Jahren werden zunehmend neue Praktiken zum Umgang mit Anonymität und Öffentlichkeit in Erwägung gezogen, um so die Transparenz des Peer-ReviewSystems zu erhöhen (vgl. Beiträge in Hornbostel/Simon 2006). Gesamtgesellschaftliche Strukturen in Deutschland: Geschlechtsrollen und Infrastruktur Ausgehend von den insbesondere in Deutschland geringen Fertilitätsquoten von Frauen in Führungspositionen geriet in den letzten Jahren auch zunehmend die gesamtgesellschaftliche infrastrukturelle Situation in den Vordergrund der Debatte um die Unterrepräsentanz von Frauen in führenden Positionen. So seien Frauen in Deutschland im internationalen Vergleich „seltener erwerbstätig, seltener Mütter und noch seltener beides zusammen“ (Scheurer/Dittmann 2007: 1). Dabei geben zuvor berufstätige Frauen ihre Erwerbstätigkeit zugunsten ihrer Kinder auf oder reduzieren von einer Vollzeit- auf eine Teilzeitstelle. Auf der Basis des European Labor Force Survey dokumentieren Scheurer/Dittmann für Frauen mit Kindern unter zwölf Jahren eine Beschäftigungsquote von knapp 56 Prozent. Eine Quote, die um 23 Prozentpunkte unter derjenigen kinderloser Frauen liege. Eine ähnlich große Diskrepanz bestehe nur noch in wenigen osteuropäischen Ländern (Scheurer/Dittmann 2007: 1). Damit rangiert Deutschland im europäischen Vergleich auf den hinteren Rängen, eine Entwicklung, die auch vor dem Hintergrund des bestehenden Fachkräftemangels und der Abwanderungsprozesse von Hochqualifizierten ins Ausland eine politische Brisanz erreicht hat.40 Diese vergleichsweise schwache 40
Die Gleichstellung von Frauen und Männern sei „kein Selbstzweck, sondern die Voraussetzung für die Verwirklichung der allgemeinen Ziele der EU – Wachstum, Beschäftigung und sozialer Zusammenhalt.“ Dabei sei „eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben sowohl für Frauen als auch für Männer“ nicht nur für die „Verwirklichung der Geschlechtergleichstellung, sondern auch für das Erreichen der Lissabon-Ziele eine Grundvoraussetzung“ (KOM 2009: 4 ff.).
Strukturzentrierte Ansätze
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Integration von deutschen Müttern in den Arbeitsmarkt wird auf verschiedene institutionelle Rahmenbedingungen zurückgeführt, die eine ausreichende Work-Life-Balance verhindern und somit einer gelingenden Vereinbarkeit entgegenwirken. Dazu zählen neben den Bedingungen am Arbeitsplatz41 und fortbestehenden Geschlechtsrollenerwartungen42 Faktoren wie die Betreuungsinfrastruktur in Deutschland, die „Subventionierung der nicht erwerbstätigen Hausfrau“ durch einseitige Mutterschutz- und Erziehungsurlaubsregelungen und das deutsche Steuersystem, das mit dem Ehegattensplitting die Alleinverdienerehe fördere (Eichhorst et al. 2007: 10, Scheurer/Dittmann 2007: 1). Von diesen Rahmenbedingungen geriet zunächst nur die Betreuungsinfrastruktur in das Aktionsfeld politischer Bemühungen. So wurde in erster Linie die Schaffung ausreichender Möglichkeiten zur Kinderbetreuung als Voraussetzung für eine gelingende Vereinbarkeit erkannt43 und in jüngster Zeit auf politischer Ebene forciert. Ausgangspunkt hierfür ist die Annahme, dass vor allem bestehende Mängel in der Kinderbetreuung nach der Familiengründung eintretende Retraditionalisierungsprozesse, eine (scheinbar) geringere Karriereorientierung von Frauen und eine Stabilisierung des männlichen Ernährermodells begünstigen. So steht Deutschland mit einer Kinderbetreuungsrate von unter zehn Prozent bei Kindern unter drei Jahren im europäischen Vergleich bislang am unteren Ende (Leuze/Rusconi 2009: 23). Der bedarfsgerechte Ausbau der Kinderbetreuung wurde im Herbst 2008 mit dem Beschluss des Kinderförderungsgesetzes (KiföG) und dem Investitionsprogramm „Kinderbetreuungsfinanzierung“ auf eine politische Basis gestellt, die bis zum Jahr 2013 für jedes dritte Kind unter drei Jahren einen Betreuungsplatz gewährleisten soll (BMFSJ 2009: 7). Erst in den letzten Jahren wurde neben dem neuen Kinderzuschlag und dem gestaffelten Kindergeld mit der Reform des Elterngeldes ein weiterer zentraler familienpolitischer Aspekt umgesetzt. Damit wurde für Geburten ab dem 1. Januar 2007 das bisherige Erziehungsgeld durch das Elterngeld abgelöst. Das Elterngeld soll Müttern und Vätern ohne finanzielle Einbußen ermöglichen, in der ersten Zeit nach der Geburt des Kindes die Betreuung zu übernehmen, und somit einen „Schonraum“ für die Familie schaffen (BMFSJ 2008: 9). Nach § 1 Abs. 1 BEEG kann Elterngeld von allen Bevölkerungsgruppen unabhängig von ihrem Erwerbs- und Beschäftigungsstatus beantragt werden. Anspruch auf finanzielle Unterstützung haben Eltern mit einem Wohnsitz in Deutschland, die ihre Kinder selbst betreuen, mit ihren Kindern in einem Haushalt leben und nicht mehr als 30 Wochenstunden erwerbstätig sind (BMFSJ 2008: 11). Die Beitragshöhe richtet sich nach dem durchschnittlichen Nettoerwerbseinkommen, das in den zwölf Monaten vor der Geburt 41 42 43
Für die Bedingungen im Wissenschaftssystem vgl. Abschnitt 2.3.2. Vgl. Abschnitt 2.1.2. Vgl. beispielsweise Macha 2006.
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des Kindes erzielt wurde. Der Einkommensersatz beträgt 67 Prozent dieses Einkommens (höchstens 1.800 Euro). Im Falle einer Teilzeittätigkeit im Bezugsraum des Elterngeldes erhält die Betreuungsperson 67 Prozent des wegfallenden Teileinkommens.44 Bei Eltern mit einem Einkommen von weniger als 1.000 Euro wird die Ersatzrate auf 100 Prozent angehoben. Das Elterngeld kann maximal für die ersten 14 Lebensmonate des Kindes in Anspruch genommen werden, wobei ein Elternteil höchstens zwölf Monate beantragen kann.45 Mütter und Väter können die Zeiträume frei aufteilen (BMFSJ 2008: 11 ff.). Diese Maßnahmen können als wichtige Bemühungen verstanden werden, um die bisher bestehende „institutionelle Verfestigung von traditionellen Normen“ aufzubrechen (Gottschall 2000: 274). Jüngste Zahlen zur Nutzung des neuen Elterngeldes belegen, dass immerhin 13 Prozent der Väter bis Juni 2008 Elterngeld beansprucht haben. Allerdings ist die Bezugsdauer bei Vätern überwiegend auf ein bis zwei Monate ausgerichtet (BMFSJ 2008: 19). Dies zeigt, dass nach wie vor Frauen den überwiegenden Anteil der Elternzeit übernehmen. Dies dürfte auch im Wissenschaftsbereich zutreffen, wo gerade der Zeitpunkt von Familiengründungen häufig in eine Phase fällt, in der es darum geht, sich in der Wissenschaft zu behaupten (vgl. Abschnitt 2.4). Die Festlegung des Anspruchs auf Elterngeld für Personen, die ihre Kinder selbst betreuen und maximal 30 Wochenstunden erwerbstätig sind, ist ebenfalls kritisch zu sehen. Denn in der wissenschaftlichen Qualifikationsphase, in der sich junge Eltern aufgrund der langen Ausbildungsdauer überwiegend befinden dürften, besteht keine berufliche Sicherheit. Zum einen könnten überwiegend ohnehin befristete Verträge nicht verlängert oder die betreffenden Personen für Anschlussverträge nicht mehr empfohlen werden. Zum anderen sind viele Verträge an Forschungsprojekte gebunden, die während der Elternzeit fortgesetzt werden (müssen). Auch wenn es inzwischen Möglichkeiten von Laufzeitverlängerungen und der Beantragung von Zusatzmitteln für eine Aushilfskraft während der Ausfallzeit gibt46, ist dies besonders in Projekten, die an feste zeitliche Abläufe gebunden sind47 oder in welchen mehrere Kooperationspartner beteiligt sind, schwierig. Die damit verbundenen beruflichen Einbußen sind so groß, dass es für Männer und Frauen ungünstig erscheinen dürfte, überhaupt Elternzeit in Anspruch zu nehmen. Aufgrund des Leitbilds eines männlichen Wissenschaftlers (vgl. Abschnitt 2.3.2) dürfte es gerade für Männer schwierig sein, bei der Übernahme von Elternzeit ihre Anerkennung als Wissenschaftler aufrechtzuerhalten. Der Verzicht auf Elternzeit setzt allerdings voraus, dass ein ausreichen44 45 46 47
Als Einkommen vor der Geburt werden höchstens 2.700 Euro berücksichtigt. Alleinerziehende, die das Elterngeld zum Ausgleich des wegfallenden Erwerbsbeinkommens beziehen, können ebenfalls 14 Monate in Anspruch nehmen. Vgl. hierzu beispielsweise die Maßnahmen der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) unter http://www.dfg.de/foerderung/grundlagen_dfg_foerderung/chancengleichheit/index.html; Stand: 21.04.2010. Dies ist insbesondere in den naturwissenschaftlichen Fachdisziplinen zu erwarten.
Integration der Perspektiven durch Bourdieus Theorie der Praxis
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des Angebot an finanzierbaren Kinderbetreuungsmöglichkeiten besteht.48 Ist dies nicht der Fall, sind wegen der vorherrschenden Rollenbilder und des bestehenden Qualifikations- und Leistungsdrucks weiterhin überwiegend traditionelle Aufgabenverteilungen erwartbar.49 2.3 Integration der Perspektiven durch Bourdieus Theorie der Praxis Die dargestellten Ansätze zeigen eine starke Konzentration auf entweder die Akteure in Wissenschaftsinstitutionen oder deren strukturellen Bedingungen. Dabei wird in den theoretischen Ansätzen und empirischen Studien der wechselseitige Einfluss von Strukturen und individuellen Handlungsdispositionen zu wenig berücksichtigt, auch wenn weitgehende Einigkeit über die Vielschichtigkeit und Komplexität des überproportionalen Ausscheidens von Frauen aus dem Wissenschaftssystem besteht.50 So bleibt weitgehend ungeklärt, wie sich strukturelle Anforderungen auf berufliche Aspirationen auswirken und welche möglicherweise kumulativ wirkenden Mechanismen (vgl. Etzkowitz et al. 2000, Long 1990) zu der anhaltenden vertikalen Segregation von Wissenschaftlerinnen beitragen. Umgekehrt bleibt außer Acht, dass auch bestehende Strukturen durch ihre Akteure reproduziert werden und somit grundsätzlich veränderbar sind. Bourdieu liefert mit seiner Theorie der Praxis einen analytischen Rahmen, der durch die Integration akteur- und strukturzentrierter Perspektiven die bisherigen dualistischen Denkformen aufhebt und damit geeignete Analysekonzepte für die vorliegende Untersuchung bereitstellt. So sieht Bourdieu seine theoretische Intention darin, „sich zugleich der Theorie des Subjekts zu entziehen, aber ohne den Akteur zu opfern, und der Philosophie der Struktur, aber ohne darauf zu verzichten, die Effekte zu berücksichtigen, die die Struktur auf und durch diesen Akteur ausübt“ (Bourdieu/Wacquant 1996: 154).
Zu den zentralen Begriffen, die Bourdieus konstruktivistischen Zugang zur Realität umfassen, gehören die Konzepte des Habitus, des Kapitals, des sozialen Feldes und der symbolischen Gewalt, die nachstehend erläutert werden. 48 49
50
Die Betreuungsinfrastruktur an der Universität Konstanz und in der Stadt Konstanz ist durchaus erfreulich, vgl. hierzu Kapitel 4. Zudem zeigen Sonderauswertungen des Statistischen Bundesamtes, dass Mütter unabhängig vom beantragten Elternzeitmodell den Großteil der tatsächlichen Kinderbetreuung übernehmen. Bezieht ausschließlich die Mutter das Elterngeld, liegt die tatsächliche Verteilung zwischen Müttern und Vätern bei 86 und 14 Prozent. Wenn beide Eltern einen Leistungsbezug wahrnehmen, bei 76 und 24 Prozent. Wenn ausschließlich der Vater Elterngeld beansprucht, wird die Betreuungszeit geteilt (BMFSF 2008: 33). Vgl. beispielsweise Beiträge in WR 2007c.
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Geschlechtsspezifische Segregation im Wissenschaftssystem: Theoretische Erklärungsansätze
2.3.1 Theoretische Konzepte Der Habitus stellt das „generierende Prinzip der Praxis der Subjekte“ dar, indem er für das Handeln, Denken, Fühlen und Wahrnehmen von Individuen gültige Dispositionen bereitstellt (Krais 1989: 50). Somit strukturiert der Habitus die Sichtweisen und das Handeln von Individuen in seiner gleichzeitigen Eigenschaft als strukturierte Struktur. Er ist Produkt der Geschichte von Individuen, die unter objektiven Bedingungen entsteht und die von den Individuen inkorporiert wird. Der Habitus stellt damit die Verinnerlichung und Objektivation der äußeren Geschichte im menschlichen Organismus dar, der in den Wahrnehmungs-, Bewertungs- und Denkschemata der Menschen sichtbar wird. In anderen Worten stellt der Habitus Ordnungsvorstellungen bereit, die vorgeben, was genau an der Welt wahrgenommen wird, wie die Welt gesehen wird, worauf sich die Aufmerksamkeit richtet (Krais 1993: 215). Dabei werden solche Praxisformen schematisiert, die sich „in der Praxis als zweckmäßig erweisen, weil sie die ‚Logik der Praxis‘ berücksichtigen“, das heißt einem praktischen Sinn folgen (Barlösius 2004: 121). Neben der Objektivation von Geschichte im menschlichen Organismus besteht zusätzlich die Objektivierung in den Institutionen, die dem handelnden Subjekt als objektive Bedingungen gegenüberstehen und die Ausformungsoptionen des Habitus bedingen. Die im Habitus enthaltenen Schemata sind demnach Schemata, die „in uns und ‚in der Welt enthalten‘ sind“ (Engler 2004: 225). Damit bringt der Habitus eine Praxis hervor, die, nach dem Verständnis Bourdieus, strategisch darauf ausgerichtet ist, die Stellung in der gesellschaftlichen Hierarchie zu verbessern oder zumindest zu erhalten. Diese Strategien unterliegen unbewussten Nutzenkalkülen, die im Habitus eingelagert und hervorgebracht werden. Damit erscheinen gängige Praktiken ebenso wie objektive Chancenstrukturen als natürlich und werden infolgedessen nicht infrage gestellt. So werden Individuen entgegen akteurzentrierter Sozialtheorien (wie z.B. Schütz/Berger/Luckmann) nicht durch Rationalität oder Intentionalität angeleitet, sondern durch die verinnerlichten Anforderungen der Praxis (Ebrecht/Hillebrandt 2002: 8). Obwohl der Habitus sich durch die laufenden Erfahrungen der Individuen ständig umstrukturiert und modifiziert, wird seine eigentliche Gestalt in den Phasen früher Sozialisation herausgebildet und bleibt damit über die Zeit, aber auch über verschiedene Lebensbereiche hinweg stabil. Im Unterschied zum Konzept der sozialen Rollen (bzw. zum Strukturfunktionalismus, vgl. Ebrecht/Hillebrandt 2002: 10) stellt der Habitus damit eine innere, im Subjekt angesiedelte Instanz dar, der die Unbewusstheit von Handlungsorientierungen einschließt (Krais 1989). Die objektiven Bedingungen, die den Habitus hervorbringen, sind nach verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen, den im gesellschaftlichen Raum hierarchisch angeordneten, sozialen Feldern, strukturiert. Für diese Felder, die in Abgrenzung zu systemfunktionalistischen Vorstellungen als Felder gesellschaftlicher Praxis gedacht sind, ist der Besitz von Kapital für den Erhalt der feld-
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spezifischen hierarchischen Position zentral (Krais 1989: 56 ff.). Infolgedessen kann und muss der Habitus auf ein spezifisches Feld bezogen werden, da dieses Feld durch die Objektivation von Geschichte in Institutionen spezifische Bedingungen bereitstellt. Damit wird das Habituskonzept in Abgrenzung zum Konzept der sozialen Rollen als Instanz verstanden, das eben nicht in allen sozialen Kontexten gleichermaßen präsent ist, sondern situationsspezifisch, nämlich in sozialen Feldern seine Wirkung entfaltet (Dölling/Krais 2007: 17). Das Feld ist durch ein Netz an objektiven Relationen zwischen Positionen determiniert. Diese Positionen sind in der Struktur der Distribution der verschiedenen Arten von Macht bzw. Kapital definiert, deren Besitz über den Zugang zu den auf dem Spiel stehenden Profiten entscheidet (Bourdieu/Wacquant 1996: 127). Damit stellt das Feld einen Raum von Konflikten und Konkurrenzen dar, auf dem die Beteiligten um die Erlangung des im Feld jeweils relevanten Monopols, im wissenschaftlichen Feld die Erlangung wissenschaftlicher Autorität, konkurrieren (Krais 1989). Demzufolge unterliegt jedes Feld seiner eigenen Logik, die wie bei einem Spiel bestimmten Regeln folgt, bei dem es bestimmte Interessenobjekte, Einsätze und Trümpfe gibt. Diese Regeln prägen die Struktur des feldspezifischen Habitus. Im Spiel um die jeweiligen Interessenobjekte haben die Kapitalgrundsorten (ökonomisch, kulturell, sozial, symbolisch) in allen Feldern einen Effekt. Der relative Wert einer Kapitalsorte variiert jedoch mit den einzelnen Feldern (Bourdieu/Wacquant 1996: 128). Unter diesen Grundsorten versteht Bourdieu alles, was „in einem bestimmten Feld zugleich als Waffe und als umkämpftes Objekt wirksam ist, was es seinem Besitzer erlaubt, Macht oder Einfluss auszuüben“ (Bourdieu/Wacquant 1996: 128). Damit wird die Struktur des Feldes durch die Distributionsstruktur der besonderen Kapitalsorten bestimmt, die in ihm aktiv sind (Bourdieu/Wacquant 1996: 139). Die Strategien eines Spielers hängen jedoch nicht nur vom Umfang und der Struktur seines Kapitals und den objektiven Chancen, die sich im Spiel eröffnen, sondern auch von den im Habitus festgelegten Dispositionen ab, die sich relational zu einer objektiven Chancenstruktur herausgebildet haben (Bourdieu/Wacquant 1996: 129). Die Spieler können spielen, indem sie sich an die unausgesprochenen Spielregeln und Notwendigkeiten halten, oder sie können Strategien einsetzen, die darauf abzielen, die Kapitalsorte, auf der die Macht des Gegners beruht, abzuwerten und diejenige Kapitalsorte, mit der sie gut ausgestattet sind, aufzuwerten (das heißt, den relativen Wert zu verändern). Dies geschieht nach Auffassung Bourdieus insbesondere bei solchen Kämpfen, „bei denen es darum geht, Macht über diejenigen ökonomischen und politischen Ressourcen zu gewinnen, die es dem Staat erlauben, Macht über alle Spiele und Regeln auszuüben, nach denen sie gespielt werden“ (Bourdieu/Wacquant 1996: 130).
Die Strategien der Akteure sind von zwei Faktoren abhängig: zum einen von ihrer Position im Feld und der Distribution ihres Kapitals, zum anderen von ihrer Wahr-
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nehmung, ihrer Sicht auf das Feld (Bourdieu/Wacquant 1996: 132). Die Verbesserung der Position im Feld setzt Anstrengungen voraus und nimmt daher Zeit in Anspruch (Ebrecht/Hillebrandt 2002: 9, Bourdieu 1988: 153). Die Habitustheorie schließt aber auch strategisches Handeln nicht aus, da das „unmittelbare Aufeinander-Abgestimmtsein nur eine der möglichen Formen des Handelns ist (…). Die vom Habitus suggerierten Orientierungen können mit strategischen Kosten-NutzenRechnungen einhergehen, die die Operationen, die der Habitus nach seiner eigenen Logik vollzieht, tendenziell bewusst werden lassen“ (Bourdieu/Wacquant 1996: 165).
Rationale Handlungsweisen treten nach Meinung Bourdieus vorwiegend in neuen Situationen oder Krisenzeiten auf bzw. wenn die Abstimmungsprozesse zwischen Struktur und Praxis nicht funktionieren (Barlösius 2004: 122). Im Habitus findet sich damit sowohl eine akteurzentrierte Komponente, da letztlich der Akteur „die habituelle Disposition in konkrete Handlungen und Praktiken“ übersetzt, die jedoch durch das Prinzip der objektiven Strukturen nicht mehr an den Einzelnen und dessen Subjektivität gebunden ist (Barlösius 2004: 124). Damit funktioniert der Habitus als „eine regelrechte lex insita, (…) ein dem Sozialkörper innerwohnendes Gesetz, das, einmal von den biologischen Körpern verinnerlicht, bewirkt, dass die einzelnen ohne entsprechende Absicht und Bewusstsein das Gesetz des Sozialkörpers vollziehen“ (Bourdieu 1988: 233).
Die soziale Realität existiere daher zweimal, „in den Sachen und in den Köpfen, in den Feldern und in den Habitus, innerhalb und außerhalb der Akteure“ (Bourdieu/Wacquant 1996: 161). Demnach werden die Spielregeln bzw. die Funktionsweise eines sozialen Feldes verinnerlicht und erscheinen dann als unbewusste und nicht zu hinterfragende Gesetze eben dieses Feldes.51 Der Habitus ist jedoch nicht als statisches Konzept zu verstehen, da die Abstimmung zwischen seinen Entstehungsbedingungen und seinem Funktionieren einen permanenten Prozess darstellt. Infolgedessen erfolgt die Inkorporierung objektiver Bedingungen nicht einmalig und bleibt daraufhin dauerhaft so, sondern unterliegt wiederholten Korrekturen und Neuausrichtungen. Barlösius benennt unter Rückgriff auf Bourdieu mehrere Ursachen, die, ausgelöst durch eine Diskordanz zwischen den inneren Überzeugungen und Sichtweisen des Habitus und den sozialen Bedingungen, einen solchen Wandel bewirken können. Erstens können Veränderungen des individuellen Lebensverlaufs in Form eines „Hysteresiseffekts“ eine verzögerte Anpassung des Habitus an neue, verengte soziale Bedingungen bewirken (Barlösius 2004: 138). Zweitens entstehen Diskrepanzen auch aus dem Wandel der objektiven Strukturen, die zumeist gesell51
Dieser Prozess der Verinnerlichung bzw. Somatisierung bewirkt, dass die jeweiligen Spielregeln und Funktionsweisen als natürlich und gegeben angesehen werden, obwohl es sich viel mehr um biologisierte gesellschaftliche Konstruktionen handelt (Bourdieu/Wacquant 1996: 209).
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schaftliche Teilgruppen betreffen. Da der Habitus durch Dispositionen der Vergangenheit geprägt ist, wird trotz veränderter Bedingungen auf alte, nicht mehr passende Erfahrungen und Erwartungen zurückgegriffen. Hierdurch können innere Konflikte ausgelöst werden, wenn die „Veränderung der objektiven Strukturen so schnell vor sich geht, daß die Akteure, deren mentale Strukturen von eben diesen Strukturen geformt wurden, sozusagen überholt werden und unzeitgemäß und unsinnig handeln und in einem Vakuum denken wie alte Leute, von denen es ganz richtig heißt sie seien ‚desorientiert‘, oder wie Don Quichote“ (Bourdieu/Wacquant 1996: 164).
Neben solchen Strukturveränderungen auf individueller oder gesellschaftlicher Ebene besteht die dritte Ursache in der „Bewusstwerdung“ und „Sozioanalyse“ (Bourdieu 1989: 407). Dabei werden die „stillschweigenden Voraussetzungen der im Habitus verankerten Sichtweisen in Frage gestellt, wodurch ein Bruch in der scheinbar selbstverständlichen Übereinstimmung zwischen den inkorporierten und den objektivierten Strukturen entsteht“ (Barlösius 2004: 140).
Obwohl bezogen auf einen vergeschlechtlichten Habitus aus Prozessen der Bewusstseinsbildung Diskordanzen durch die Frauenbewegung und aktuell durch die Antidiskriminierungs- und Exzellenzdebatte verstärkt auftreten dürften, weist Gottschall darauf hin, dass basierend auf Vorstellungen der weiblichen Normalbiografie es vermutlich schon immer Diskrepanzen zwischen Verhaltensmustern und Orientierungen von Frauen einerseits und deren Verankerung in lebenslaufrelevanten Institutionen gegeben habe. Empirische Evidenz hierfür liefern Studien zu Erwerbsbiografien einer älteren Frauengeneration, die zeigen, dass bereits heutige Rentnerinnen stark berufsorientiert gewesen seien. Allerdings wurde die Erwerbstätigkeit so strukturiert, dass die traditionelle Arbeitsteilung dennoch fraglos funktionierte (Gottschall 2000: 273). Eng verbunden mit dem Konzept des Habitus und der Grundannahme, dass soziale Felder gekennzeichnet sind durch Konkurrenz und Kämpfe um Machtpositionen, steht das Konzept der symbolischen Gewalt neben weiteren Formen der Gewalt52 als ein Modus der Herrschaftsausübung. Symbolische Gewalt wirkt in subtiler, euphemisierter Form in der face-to-face-Interaktion. Voraussetzung für ihre Wirksamkeit ist, dass sie nicht als Gewalt erkannt wird, „nicht als Nötigung oder Einschüchterung wahrgenommen wird“ (Krais 1993: 232). Des Weiteren müssen die Akteure wissen, was sich gehört, müssen „einen Sinn für diese Gewalt entwickelt haben, der es ihnen ermöglicht, die entsprechenden Signale – oft nur Blicke, kleine Gesten, beiläufige Bemerkungen, die Körperhaltung, die Intonation – 52
Beispielsweise Formen der physischen Gewalt, vgl. hierzu Bourdieu 1976: 357 ff.
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Geschlechtsspezifische Segregation im Wissenschaftssystem: Theoretische Erklärungsansätze zu decodieren und deren versteckten sozialen Gehalt zu verstehen, ohne daß ihnen bewußt wird, worum es sich bei diesen Gesten, Blicken, Worten handelt, nämlich um Akte der Gewalt“ (Krais 1993: 233).
Infolgedessen wirkt symbolische Gewalt nur, solange die Betroffenen empfänglich für sie sind, wenn sie in ihren Habitus die jeweiligen objektiven Bedingungen verinnerlicht haben und insofern die kognitiven Strukturen des Habitus im Einklang mit der objektiven und gültigen Ordnung des jeweiligen Feldes stehen. Dies bedeutet zugleich, dass sich die Betroffenen gegenüber dieser Ordnung als minderwertig identifizieren, „die Sicht der Welt übernehmen, die die Herrschenden geprägt haben, und damit ein von den Herrschenden geprägtes Selbstbild“ (Krais 1993: 234). In der akademischen Welt findet sich diese Form der Herrschaftsausübung in „Akten der Mißachtung, der Verweigerung der Anerkennung als Wissenschaftlerin“ (Krais 2000: 47). Diese äußern sich in der Missachtung der Redebeiträge von Frauen, der Ausrichtung unterstützender Kommunikation ausschließlich auf Männer und der Zuschreibung interessanter Beiträge als Leistung der Männer, was dazu führt, dass sich Frauen in solchen Situation unwohl, ausgeschlossen, nicht ernst genommen fühlen, ohne dass dieses Gefühl näher konkretisiert werden könne (Krais 1993: 233/234). Bourdieus Konzeption der sozialen Realität als Zusammenspiel objektiver und subjektiver Strukturen scheint durch die Aufhebung des Gegensatzes zwischen Akteurzentrierung und Strukturzentrierung als theoretischer Rahmen für die Untersuchung besonders geeignet. Die Studie setzt an beiden Perspektiven an und beleuchtet die soziale Realität von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus einer objektiven und einer subjektiven Perspektive. 2.3.2 Das soziale Feld der Wissenschaft Für eine solche Analyse der sozialen Realität von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern müssen zunächst die spezifischen, objektiven Bedingungen, Regeln und Anforderungen des Wissenschaftssystems näher bestimmt werden, die – folgt man Bourdieus Konzept des wissenschaftlichen Feldes – den Akteuren gewisse strukturale Zwänge auferlegen (Bourdieu 1998: 21). Diese gelten als von Wissenschaftlern festgelegte und institutionell objektivierte grundlegenden Gegenstände, Fragen, aber auch Methoden und Techniken, die für alle, die Wissenschaft betreiben, „Bedeutung haben, denen sie ihre Anstrengungen widmen und deren Verfolgung sich schließlich ‚bezahlt‘ macht“ (Bourdieu 1998: 21 ff.). Die Einigkeit und der Glaube an diese Grundsätze, die illusio des wissenschaftlichen Feldes, mache dabei dessen Besonderheit aus (Bourdieu 1998: 29). Doch es geht nicht nur um Techniken wissenschaftlichen Arbeitens, sondern auch um Aspekte der Nachwuchsrekrutierung und Prozesse der Leistungszuschrei-
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bung, die ein hohes Maß an symbolischem (Reputation) und sozialem Kapital (akademische Titel, Positionen) erfordern und damit zentral für eine langfristige Positionierung im Wissenschaftssystem sind (Beaufaÿs 2003: 53). Hinweise auf spezifische Bedingungen des wissenschaftlichen Feldes liefern neben organisationssoziologischen Studien wissenschaftspolitische Quellen und neuere Arbeiten der Frauenund Geschlechterforschung und lassen sich in formale und informelle Merkmale gliedern. Abbildung 2 veranschaulicht diese Merkmale und die hieraus resultierenden strukturalen Zwänge bzw. Voraussetzungen für erfolgreiche wissenschaftliche Laufbahnen. Grundlegender Bestandteil des Wissenschaftssystems ist das Prinzip der Selbstverwaltung und Kooptation, wonach gemäß der Universalismusnorm nach Merton ausschließlich Kriterien wissenschaftlicher Leistung über Erfolg und Misserfolg von wissenschaftlichen Laufbahnen entscheiden würden (Merton 1973: 267 ff.). Die Beurteilung der jeweils erbrachten Leistungen erfolgt durch fachkompetente Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, den sogenannten Peers. Diese Entscheidungen basieren allerdings auf hochgradig informellen Prozessen der Leistungszuschreibung und -beurteilung, und selbst die in Peer-Review-Verfahren institutionalisierten Formen solcher Bewertungsprozesse haben ihre Grundlage in weitgehend intransparenten Bewertungskriterien. Solche Prozesse der Leistungsbeurteilung sind für insbesondere drei Bereiche wissenschaftlicher Laufbahnen von zentraler Bedeutung: bei der Vergabe von Drittmitteln, der Begutachtung von Aufsatzmanuskripten sowie bei Rekrutierungsprozessen bzw. Statuspassagen. Alle drei Bereiche bestimmen den Erfolg von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern maßgeblich. Die Vergabe von Drittmitteln entscheidet über die Realisierung von Forschungsvorhaben und damit über den „Motor für wissenschaftliche Entwicklung“, der die Grundlage für Publikationen von Forschungsergebnissen bildet (von Stebut 2003: 56). Die Begutachtung von Aufsätzen entscheidet über die Publikationswürdigkeit von Forschungsergebnissen in renommierten Fachzeitschriften. Bei der Rekrutierung von wissenschaftlichem Personal kommt dem Selbstverwaltungsgesetz insbesondere im Hinblick auf die Selbstergänzung der Professorenschaft eine hohe Bedeutung zu. (Geenen 1994: 93). Grundsätzlich unterliegt das Erreichen einer Professur, dem einzig legitimen Berufsziel universitärer Laufbahnen, einer hohen Selektion, sollen doch nur exzellente Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler eine solche Position erreichen. Dies schlägt sich formal in der Stellenstruktur an Universitäten nieder, wobei es auf den hierarchisch niedrigeren Positionen kaum dauerhafte und gesicherte Anstellungen gibt. So wird der wissenschaftliche Mittelbau nahezu ausschließlich auf befristeten Stellen beschäftigt, die der Weiterqualifikation dienen sollen.
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Abbildung 2: Merkmale des wissenschaftlichen Feldes; eigene Darstellung • Selbstverwaltung und (homosoziale) Kooptation • Informelle Prozesse der Leistungszuschreibung, -beurteilung Grundprinzipien
Strukturale Zwänge (=Voraussetzungen) - Zügige, kontinuierliche Qualifikation; junges Lebensalter - Frühe Profilierung u. Sichtbarkeit - Prestigereiche wissenschaftliche Herkunft - Gute Einbindung in informelle Netzwerke - Hohe zeitliche Ressourcen u. Zeitinvestitionen - Demonstration von Leistung(-sbereitschaft) u. Karriereorientierung - Hohe Produktivität - Hohe Mobilität u. Mobilitätsbereitschaft - Hohe Flexibilität
Formale Merkmale • Hohe Selektion • Stellenstruktur: hierarchische Distanz / Abhängigkeit, Befristungen im Mittelbau, Professur als Berufsziel • Doppelung Ausbildung – Beruf • „Normalbiografie“: Kontinuitätsansprüche, zeitl. Standards, lange Ausbildungsdauer • Mobilitätsansprüche: Hausberufungsverbot, Auslandserfahrung, Institutswechsel • Planungsunsicherheit
Informelle Merkmale Praktiken und Rahmenbedingungen • Intransparente Entscheidungs- / Kommunikationsstrukturen • Intransparente, relationale Leistungskriterien • Hohe Personengebundenheit / personelle Abhängigkeit • Verknüpfung von Anerkennung der Leistung und der Person • Matthäus-Effekt • Leistungsdruck / Konkurrenz
Denkstile und Leitbilder • Wissenschaft als Lebensform: uneingeschränkte Verfügbarkeit, uneingeschränktes Engagement, Leidenschaft u. Leidensbereitschaft • Unvereinbarkeit von Wissenschaft und Familie • Publish or perish
Die hierarchische Stellenstruktur kennzeichnet außerdem eine lange Abhängigkeit vom Lehrstuhlinhaber, der oftmals gleichzeitig als Vorgesetzter und Betreuungsperson des wissenschaftlichen Nachwuchses fungiert. Demnach haben abgesehen von Professoren und Hochschuldozenten, die, angekommen auf dem wissenschaftlichen Olymp, „volle Selbständigkeit in Forschung und Lehre“ genössen, alle anderen wissenschaftlich Beschäftigten53 „weisungsgebundene Dienstleistungen zu erbringen“ (Janson et al. 2007: 45, Brouns 2007: 39 ff.). Demzufolge ist eine langfristige Etablierung im wissenschaftlichen Feld durch einen hohen Konkurrenzdruck geprägt und erfordert eine starke Karriereorientierung der Akteure. Im deutschen Wissenschaftssystem besteht außerdem eine strikte formale Abfolge hierarchischer Positionen vom Studienabschluss, über die Promotion auf einer befristeten Mitarbeiterstelle und die Habilitation bzw. habilitationsäquivalente Leistungen als letzte Zertifizierungshürde auf dem Weg zur Professur. Diese ist insbesondere in Deutschland an stark ausgeprägte zeitliche Vorstellungen gebunden. Diese „Normalbiographie“ 53
Für eine Übersicht zur Personalstruktur und den einzelnen Personalkategorien in Deutschland vgl. Janson et al. 2007: 44 ff., zu Personalstrukturen im internationalen Vergleich vgl. Kreckel 2008.
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(Geenen 1994) sieht grundsätzlich eine maximal zwölfjährige Qualifikationsphase vor, wobei die Übergänge in die jeweils nächste Statusgruppe nahtlos erfolgen sollten (von Stebut 2003). Des Weiteren wird erwartet, dass der wissenschaftliche Nachwuchs während der jeweiligen Vertragslaufzeit54 zumeist in Form von Halbtagsbeschäftigungen seine Qualifikationsarbeit fertigstellt, was eine hohe intrinsische Motivation des Nachwuchses, Durchhaltevermögen und Selbstdisziplin erfordert. Neben den genannten formalisierten Statuspassagen gelten eine mindestens dreijährige Tätigkeit außerhalb der Hochschule, am besten im Ausland, sowie ein allgemeines Hausberufungsverbot als wesentliche Voraussetzung für die Berufung auf eine Professur (WR 2001: 19, 71). In jüngster Zeit sind insbesondere die „ZwölfJahres-Regelung“ und die für eine dauerhafte Beschäftigung im Wissenschaftssystem lang andauernde Qualifizierungsphase in die Kritik geraten. Dies führte 2002 einerseits zur Einführung der Personalkategorie „Juniorprofessur“ und andererseits zur Neuregelung des Befristungsrechts. Die Ausübung einer Juniorprofessur stellt seither eine Alternative zur Habilitation dar und zielt auf eine frühere wissenschaftliche Selbstständigkeit. Dennoch wird durch die Befristung der Stelle auf fünf Jahre die bestehende Befristungskultur aufrechterhalten und zugleich eine weitere Zeitgrenze etabliert. So soll die Juniorprofessur „in aller Regel in einem Alter von unter 35 Jahren angetreten werden“ (WR 2001: 69). Des Weiteren erscheinen die Anforderungen an eine solche Stelle mit dem Nachweis einer herausragenden Promotion, Lehrerfahrung und zusätzlichen wissenschaftlichen Leistungen besonders hoch (WR 2001: 70, Janson et al. 2007: 37).55 Die Neuregelung des Befristungsrechts sieht eine Verlängerung der insgesamt zulässigen Befristungsdauer von wissenschaftlichem und künstlerischem Personal in der Qualifikationsphase vor, wenn während der Qualifikationsphase Kinder unter 18 Jahren betreut werden. Hier verlängert sich die maximale Beschäftigungsdauer von zwölf56 Jahren um zwei 54
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Die Anstellung von Doktoranden erfolgt in der Regel in Form von Projektverträgen oder spezifischen Qualifikationsstellen. Die Laufzeit der Projektverträge ist von den jeweiligen Projektlaufzeiten (in der Regel drei bis fünf Jahre) abhängig. Qualifikationsstellen sind auf vier bis fünf Jahre beschränkt. In der Habilitationsphase stellen zumeist auf sechs Jahre befristete Verträge den idealen Weg zur Professur dar (Janson et al. 2007). In der 5. Novelle des Hochschulrahmengesetzes (HRG) vom Februar 2002 entfielen außerdem vorübergehend die bisherigen Personalkategorien der hauptberuflich tätigen Hochschuldozenten, die jedoch in der 8. Novelle des HRG im Dezember 2004 erneut aufgenommen wurden. Seit der Föderalismusreform, die seit dem 1. September 2006 gültig ist, können die Länder die Personalstruktur an ihren Hochschulen weitgehend frei gestalten. Damit ist die bundesweit einheitliche Typisierung des hauptberuflichen Personals aufgehoben. In Bundeskompetenz verbleiben die dem Arbeitsrecht zugehörigen Befristungsregelungen. Des Weiteren wird seit 2007 die Einführung einer Juniorprofessur und Professur mit Schwerpunkt Lehre diskutiert. Der Lehranteil dieses Karrierewegs soll bei etwa 60 Prozent des Gesamttätigkeitsprofils liegen und maximal zwölf Semesterwochenstunden umfassen. (Für weitere Informationen zum Vorschlag der Lehrprofessuren und Reformen des HRG vgl. WR 2007a). Im Bereich der Medizin liegt die maximale Beschäftigungsdauer bei 15 Jahren.
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Jahre je Kind. Darüber hinaus ist auch nach der Qualifizierungsphase eine befristete Beschäftigung ohne Obergrenze hinsichtlich der Gesamtdauer möglich, sofern die Beschäftigung überwiegend aus Drittmitteln erfolgt (vgl. Bundesgesetzblatt 2007). Trotz der skizzierten Reformen werden hohe Zeit- und Kontinuitätsanforderungen im Wissenschaftssystem weitgehend aufrechterhalten bzw. ausgebaut. Zugleich werden diese Anforderungen durch den vorherrschenden Mobilitätsdruck, wie er durch die Erfordernis von Auslandserfahrungen und das Hausberufungsverbot erzeugt wird, weiter erhöht. Des Weiteren ist die Qualifikationsphase in der Wissenschaft durch eine lang andauernde Doppelung von Beruf und Ausbildung gekennzeichnet und geht im Zusammenhang mit der gängigen Befristungskultur mit einer hohen Planungsunsicherheit einher.57 So ist selbst nach einem erfolgreichen Abschluss der Habilitation keineswegs gesichert, dass zeitnah eine Berufung zum Professor erlangt wird.58 Damit gibt es eine über den gesamten Qualifizierungsprozess andauernde Ungewissheit darüber, ob der abverlangte Einsatz letztendlich in einer Professur mündet und damit vorgeblich erst lohnt (von Stebut 2003: 69). Der auf den Grundprinzipien der Selbstverwaltung und intransparenter Strukturen basierende Prozess der Leistungszuschreibung ist neben den beschriebenen Bereichen wissenschaftlicher Laufbahnen auch im wissenschaftlichen Alltag von zentraler Bedeutung, da Leistung über die alltägliche Förderung und Betreuung des Nachwuchses entscheidet. Dies verdeutlicht eine hohe Abhängigkeit vom wissenschaftlichen Umfeld und die Machtstellung der Vorgesetzten und Mentoren. Auch hierfür sind die Doppelung von Ausbildung und Beruf und die häufige Personalunion von Betreuungsperson und Vorgesetztem bedeutsam, da diese unscharfe Grenzen zwischen Qualifikationsarbeit und Erwerbstätigkeit begünstigen. Ferner laufen die Bewertungsmaßstäbe der beiden Bereiche aufgrund fehlender Kriterien Gefahr zu verschwimmen. Dann werden eine hohe Arbeitsleistung und ein hohes Engagement im Bereich der Erwerbsarbeit (z.B. gute Zuarbeit am Lehrstuhl) mit verstärkter Förderung, guter Betreuung oder gar Bewertung belohnt (von Stebut 2003: 67). Gleichermaßen verlaufen Kommunikationsprozesse und damit der Austausch karriererelevanter Informationen zumeist informell und weisen ebenfalls auf persönliche Abhängigkeitsverhältnisse. Umfassende und vielseitige Informationen zeitnah zu erhalten, setzt demnach eine gute Einbindung in informelle wissenschaftliche Netzwerke voraus. Damit erweisen sich weitgehend intransparente Kom57 58
Es werden zumeist Stellen mit einem Beschäftigungsumfang von 50 Prozent der regelmäßigen Arbeitszeit vergeben, die die parallele Weiterqualifikation ermöglichen sollen. Durch die Habilitation erwirbt der Kandidat die Prüfungsberechtigung und kann zumeist unvergütet als Privatdozent an der Universität tätig werden. Auch durch die Dauer von Berufungsverfahren von durchschnittlich 18 Monaten bei einer Neu- oder Erstbesetzung bleibt eine hohe Planungsunsicherheit bis zuletzt bestehen, vgl. Janson et al. 2007: 79; 83.
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munikations- und Entscheidungsstrukturen als zentral für die Bereitstellung karriererelevanter Ressourcen und die Eröffnung von Handlungsspielräumen (von Stebut 2003: 48 ff., Schultz 1991, Beaufaÿs/Krais 2005, Bielby 2000). In Untersuchungen zur Logik von Prozessen der Leistungszuschreibung stellen Krais und Beaufaÿs fest, dass die Anerkennung einer wissenschaftlichen Leistung immer auch an die soziale Anerkennung der Person gebunden sei, die diese Leistung hervorgebracht hat (Krais 2000: 31, Beaufaÿs 2003, Engler 2001). Sie identifizieren Prozesse der Konkurrenz und Anerkennung als zentrales Prinzip des wissenschaftlichen Alltags. Dabei geht es zum einen darum, neue wissenschaftliche Erkenntnisse zu gewinnen, innovative Methoden, Herangehensweisen und Projekte zu entwickeln, und andererseits darum, die Argumente der anderen auseinanderzunehmen, „sie auszustechen, schneller zu sein als die anderen, der Erste am Ziel zu sein“ (Krais 2000: 43). Dieses Leitprinzip verdeutlicht die Voraussetzung eines unermüdlichen Engagements, hohe zeitliche Investitionen und Leistungsdemonstration als Notwendigkeit dafür, im Spiel um die Macht und Anerkennung der Erste zu sein. Des Weiteren ergibt sich aus dem hohen Stellenwert der Anerkennung der Person und Leistung im Zusammenhang mit den genannten informellen Leistungszuschreibungsprozessen die Notwendigkeit einer hohen fachöffentlichen Sichtbarkeit in der Wissenschaftsgemeinschaft, die es durch physische Präsenz (möglichst auch am Wochenende im Institut, an der Universität etc.), Sichtbarkeit der erbrachten Leistungen in Form von Publikationen, Vorträgen, Kongressteilnahmen zu erreichen gilt. Demzufolge stellen das Einwerben von Drittmitteln, Publikationsproduktivität, wissenschaftliche Erfahrungen im Ausland und die damit verbundene Mobilitätsbereitschaft zentrale Bewertungsmaßstäbe für die wissenschaftliche Leistung dar, die bei Rekrutierungsprozessen in höhere Statusgruppen relevant werden und ihrerseits von der Beurteilung und Einschätzung der Hochschullehrer/innen abhängig sind (vgl. z.B. Bielby 2000, Etzkowitz et al. 2000: 173, Brouns 2007). Bei einem Institutswechsel dient die wissenschaftliche Herkunft als weiteres Kriterium. So können Aufenthalte und Kooperationen mit angesehenen Forschern an möglichst renommierten Forschungseinrichtungen die Chance auf den Erhalt einer neuen Stelle wesentlich beeinflussen. Demzufolge dient in starkem Ausmaß der eigene bisherige Karriereverlauf als Gradmesser für Qualität und Leistung und eröffnet oder beschränkt gemäß des Matthäus-Prinzips entsprechende Handlungsspielräume für die Weiterentwicklung wissenschaftlicher Laufbahnen. Daraus ergibt sich ein hoher Stellenwert einer möglichst frühen, umfassenden Profilierung und Sichtbarkeit in der Wissenschaftsgemeinschaft (Drews 1996). Wer gleich zu Beginn der Karriere vorankommt, kann seine Chancen akkumulieren und sich schneller von anderen absetzen (Beaufaÿs 2003). Gleiches gilt für Entscheidungen über die Förderungswürdigkeit von Forschungsanträgen oder die alltägliche Unterstützung und Betreuung des Nachwuchses: Wer sich bereits in jungen Jahren in der Wissenschaftsgemeinschaft profilieren kann, sein Engagement in langen Anwesenheits-
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zeiten und vielen Veröffentlichungen zeigt, erscheint als vielversprechender Nachwuchs und daher förderwürdig (Beaufaÿs/Krais 2005: 85). Im Umkehrschluss erscheinen Personen mit einer weniger ausgeprägten Sichtbarkeit weniger ambitioniert. Ebenso gilt der Abschluss einzelner Qualifikationsphasen zu einem möglichst frühen biografischen Zeitpunkt als Indikator für Zielstrebigkeit und wissenschaftliches Engagement (von Stebut 2003: 66). Somit bestehen umfassende Anforderungen an erfolgreiche wissenschaftliche Laufbahnen. Diese sind jedoch nicht in konkreten Maßstäben oder Standards formalisiert, sondern werden relational durch die Leistungen der anderen bestimmt, was den bestehenden Konkurrenzdruck weiter erhöht (vgl. dazu z.B. Limbach 2007: 16 ff.). Dabei eignen sich die Vorstellungen und Anforderungen geradezu idealtypisch für das skizzierte Leitbild eines männlichen Wissenschaftlers, der sich uneingeschränkt der beruflichen Etablierung widmen kann und soll – und findet seine Entsprechung in teilweise mystifizierten, stereoptypisierten Denkmustern und Bewertungsschemata. Diese rekurrieren insbesondere auf die absolute Verfügbarkeit und Flexibilität (räumlich und zeitlich) der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, deren erforderliches unermüdliches Engagement, die unerlässliche und ständige Selbstpräsentation und Sichtbarkeit in der Wissenschaftsgemeinschaft und hierfür erforderlichen Leidenschaft und Leidensbereitschaft. Um sich Anerkennung und Konkurrenzvorteile zu verschaffen, kommt im Sinne des Prinzips publish or perish die Vorstellung hinzu, als Erster und in kürzester Zeit viele angesehene Publikationen vorweisen zu müssen (Krais 2000, von Stebut 2003). Hier verschwimmen die Grenzen zwischen notwendigen Sachzwängen und symbolischen Praktiken, bei denen es darum geht, „den Eindruck überzeugend aufrecht zu erhalten, dass Wissenschaft der wichtigste Lebensinhalt ist“ (Beaufaÿs/Krais 2005: 87). Spiegelbildlich zu den formalen Merkmalen ist die wissenschaftliche Tätigkeit damit als „Lebensform“ gedacht, wonach die gesamte Energie und Kraft in die Wissenschaft investiert wird, wie bereits Mittelstraß in seinen philosophischen Orientierungen in Wissenschaft und Universität dokumentiert (Mittelstraß 1982: 25 ff.). Parallel existierende Lebensbereiche werden durch diese „total lebensverschlingende Tätigkeit“ ausgeschlossen und Wissenschaft damit als Gegensatz zum familiären Lebensbereich konzipiert (Krais 2008: 188, Krais 2000). Dieses Leitbild wird zudem anhand des Olympus-Modells besonders eindrücklich beschrieben: „The dominant representation of the brilliant researcher is a young man, in solitude high on top of the Olympus, distanced from all everyday practices, glittering at the top of an esoteric scientific community“ (Brouns 2007: 39).59 59
Mittelstraß widmet sich in seinem Buch „Wissenschaft als Lebensform“ dem Thema, was die „Idee der Wissenschaft“ ausmacht (Mittelstraß 1982: 27). Dabei rechnet er Modalitäten der „gewissenhaften und zeitraubenden Nachdenklichkeit und forschenden Geschäftigkeit“, eben die Arbeits- und Verhaltensweisen der Wissenschaftsgemeinschaft, die ohne Murren Arbeitsbelastungen von 70 Wochenstunden aufweise, aus innerer Überzeugung lukrative Angebote von „außerhalb“ abweise, un-
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Eine Konsequenz der Orientierung an dieser männlichen Normalwelt besteht in geschlechtsspezifisch unterschiedlichen Zuschreibungen potenzieller Investitionen in eine wissenschaftliche Laufbahn, damit verbundener Leistungserwartung und Leistungsfähigkeit (Lind 2006, Beaufaÿs/Krais 2005). Diese Zuschreibungsprozesse gehen auf die hohen Anforderungen, die eine Unvereinbarkeit von Wissenschaft und zumindest aktiver Elternschaft impliziere, zurück. Diese informellen Merkmale des wissenschaftlichen Feldes sind kaum weiter konkretisiert oder formalisiert, sondern werden den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern vielmehr im wissenschaftlichen Alltag als spezifischer Berufsethos vermittelt und existieren als ungeschriebene Regeln – in den Worten Bourdieus – in deren Köpfen, in deren Habitus. Bereits Hochschild (1975) beschreibt diesen „Wissenschaftsmythos“ (Lind 2004: 11), der im Verhältnis zwischen Arbeit, Wettbewerb und Gratifikation zum Ausdruck komme, besonders eindrücklich: „Be confident, ambitious, and well-aimed. Don’t waste time. Get a good research topic early and find an important but kindly and nonprejudicial benefactor from whom you actually learn something. Most important, put your all into those crucial years after you get your doctorate – in your twenties and thirties – putting nothing else first then. Take your best job offer and do there no matter what your family or social situation. Publish your first book with a well-known publisher, and cross the land to a slightly better position, if it comes up. Extend your nowambitious self broadly and deeply into research, committee work, and editorships, to make your name in your late twenties and at the latest early thirties” (Hochschild 1975: 49).
Die geschilderten formalen und informellen Merkmale des wissenschaftlichen Feldes bedingen sich gegenseitig, greifen ineinander und stellen somit ein komplexes Gefüge an Anforderungen und Vorstellungen für eine wissenschaftliche Laufbahn her, die sich an „höchsten Qualifikationsanforderungen“, außerordentlichen Leistungen, Motivation und Leistungsbereitschaft orientieren, die weit über das Normale hinausgehen (Macha 2000: 152). So entsteht ein permanent hoher Leistungsdruck bei gleichzeitig wenig konkreten Bewertungskriterien. In Deutschland steht diesem Leitbild eines männlichen Wissenschaftlers aufgrund der bestehenden gesamtgesellschaftlichen Vorstellungen eine stark ausgeprägte Ideologie weiblicher Reproduktionsarbeit besonders kontrastreich gegenüber (vgl. Abschnitt 2.1.2). Damit erscheint „Familie als Konfigurationsinstitution für den männlichen Lebenslauf wie für den weiblichen Lebenslauf“, wobei eine gegenläufige Ungleichheit erzeugt werde. Während die Institution Familie in der männlichen Normalbiografie eine unproblematische Addition von Verfügbarkeitsansprüchen und Anforderungen erlaube, bedeute Familie im weiblichen Lebenslauf, dass Frauen „nicht monetarisierte, aber zeitbeanspruchende Arbeit leisten und ihre organisiert anmutende Arbeits-, Tages- und Nachtzeiten eben dieser Idee der Wissenschaft zu und nicht etwa der Unordentlichkeit oder übermäßigen Eitelkeit der Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen (Mittelstraß 1982: 27).
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Möglichkeiten zur Teilhabe am Erwerbssystem eingeschränkt sind“ (Gottschall 2000: 270, von Stebut 2003). So werden Geschlechtsunterschiede in einem komplexen Wechselspiel aus Strukturen und Rollenerwartungen auf einer gesamtgesellschaftlichen Ebene und im Feld der Wissenschaft in der Weise produziert, dass Erwartungen und Ansprüche an Frauen in einem doppelten Sinn als komplementär zu denjenigen an Männer erscheinen. Demnach erscheinen Frauen besonders stark prädestiniert für Erziehungsarbeit und zugleich als wenig prädestiniert für wissenschaftliche Arbeit, während sich dies bei Männern umgekehrt verhält. Der Frage nach geschlechtsspezifischen Hürden im wissenschaftlichen Feld kommt vor dem Hintergrund der Exzellenzinitiative und damit verbundenen gleichstellungspolitischen Maßnahmen eine besondere Bedeutung zu. So rücken leistungsbezogene Faktoren noch stärker in den Mittelpunkt der Förderung von Wissenschaft, obwohl bereits die bisherigen Leistungsansprüche hohe Anforderungen an die Forschenden stellen. Der bestehende Konkurrenzdruck wird weiter erhöht, zeitliche und fachliche Anforderungen möglicherweise überhöht und damit das polarisierte Bild zwischen beruflicher und privater Lebenssphäre noch mehr zu einer lebensfaktischen Kluft verschärft. Gleichzeitig wird diese Kluft möglicherweise durch die gesamtgesellschaftlichen Beharrungstendenzen hinsichtlich Geschlechtsrollenerwartungen und die bisherigen Mängel in der Betreuungsinfrastruktur vergrößert. Zusätzlich gewinnt das häufig kritisierte Peer-Review (vgl. Abschnitte 2.2.2 und 5.1) und dennoch bestmögliche Verfahren zur Beurteilung wissenschaftlicher Leistung an Bedeutung. Schließlich entscheidet dieses nunmehr nicht nur über die Förderung von Einzelprojekten, sondern auch über das Schicksal von ganzen Forschungsinstitutionen. Somit werden Geld und Macht gemäß dem Olympus-Modell60 auf wenige exzellente Forschungsinstitutionen konzentriert. Für die geförderten Einrichtungen bietet sich damit die Gelegenheit zu herausragender Forschungsarbeit, gleichzeitig droht die Schere zwischen renommierten und weniger renommierten Institutionen größer zu werden, was wiederum eine Verschärfung des Matthäus-Effekts bewirken könnte. In diesem Zusammenhang rückt die Frage nach der adäquaten Messung wissenschaftlicher Leistungen erneut in den Mittelpunkt. So werden bestehende Barrieren für den wissenschaftlichen Nachwuchs weiter erhöht, was möglicherweise die Integration von Wissenschaftlerinnen erschwert. Andererseits ist die Gleichstellung der Geschlechter ein zentrales Kriterium der Exzellenzinitiative und sollte damit mit entscheidend für die Erlangung des Förderzuschlags sein. Wer sich um die Integration von Wissenschaftlerinnen glaubhaft bemüht, hat gute Karten für eine intensive Förderung der gesamten Institution. Somit könnten Wissenschaftlerinnen gerade von der Exzellenzinitiative durch die Schaffung neuer Stellen, Maßnahmen zur verbesserten Vereinbarkeit von Wissenschaft und Familie und dem Imagegewinn der geförderten Hochschule profitieren. 60
Vgl. z.B. Brouns 2007: 38 ff.
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2.4 Untersuchungsziele und Forschungsdesign Die Frage der mangelnden Partizipation von Frauen an der Wissenschaft wurde in den vergangenen Jahrzehnten aus unterschiedlichen Perspektiven analysiert, wobei zumeist einzelne Teilaspekte oder verkürzte theoretische Positionen aufgegriffen wurden. Wie die vorhergehenden Abschnitte gezeigt haben, ist das überproportional hohe Ausscheiden von Wissenschaftlerinnen kaum durch einzelne Faktoren erklärbar, sondern geht auf komplexe Mechanismen zurück, bei welchen objektive Faktoren und subjektive Wahrnehmungen ineinandergreifen. Im vorliegenden Dissertationsprojekt werden daher beide Perspektiven miteinander verbunden, indem objektive Faktoren und subjektive Wahrnehmungen und Orientierungen der Akteure im Zusammenhang mit den Strukturen des deutschen Wissenschaftssystems betrachtet werden. Die Untersuchung zielt auf die soziale Realität des wissenschaftlichen Alltags, die durch die Strukturen des Wissenschaftssystems und gesamtgesellschaftliche Bedingungen geprägt werden und sich – so die grundlegende Annahme – nachteilig auf den Verbleib von Frauen im Wissenschaftssystem auswirken, während dieser für Männer eher begünstigt wird. Die jeweiligen Strukturen stehen den Forschenden nach Bourdieu als objektive Bedingungen und Anforderungen gegenüber, welche Geschlechtsunterschiede bei der wissenschaftlichen Etablierung erst erzeugen, die Akkumulation von Nachteilen für Wissenschaftlerinnen begünstigen und fortschreiben. Die Merkmale des Wissenschaftssystems, die auf den Grundprinzipien der Selbstverwaltung und informellen Leistungszuschreibung basieren, dienen demzufolge als heuristische Grundlage der Studie (vgl. Abschnitt 2.3.2, Abbildung 2). Urteile über wissenschaftliche Leistung und Exzellenz sind hochkomplex und erfolgen weitgehend auf der Basis unspezifischer Merkmale, die sich an einem idealtypischen (männlichen) Leitbild eines herausragenden Wissenschaftlers orientieren. Als exzellent erscheinen demnach Personen, die sich bereits in jungen Jahren im Wissenschaftssystem etabliert haben, eine prestigereiche wissenschaftliche Herkunft, hohe Publikationsquoten, Karriereorientierung und Leistungsbereitschaft aufweisen, die ihrerseits hohe Zeitinvestitionen und Mobilitätsbereitschaft bei gleichzeitig verhältnismäßig bescheidenen finanziellen Mitteln implizieren. Zugleich kommt einer möglichst frühen Sichtbarkeit in der Wissenschaftsgemeinschaft und damit den sozialen Netzwerken ein hoher Stellenwert für eine erfolgreiche Etablierung zu. Diese intransparenten und informellen Entscheidungsprozesse sind anfällig für Mechanismen der Stereotypisierung und damit für Formen statistischer und echter Diskriminierung oder subtileren Formen, die sich im wissenschaftlichen Alltag als Akte symbolischer Gewalt manifestieren. Selbst bei der Anwendung des PeerReview-Verfahrens, das eine institutionalisierte Form zur Feststellung von Leistung darstellt und somit weniger anfällig für stereotypische Zuschreibungen sein dürfte,
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sind Mechanismen der Diskriminierung nicht ausgeschlossen. Denn auch hier unterliegen Anwendung und Gewichtung einzelner Kriterien dem Ermessen der Gutachtenden (vgl. Abschnitt 2.2.2). Zusätzlich determinieren vorausgehende Leistungen und Reputation die Bedingungen für künftigen Erfolg.61 Hierdurch gewinnen frühe wissenschaftliche Erfolge an Bedeutung. Dies hat zur Folge, dass bereits ungleiche Startbedingungen bei der wissenschaftlichen Qualifizierung die Akkumulation objektiver und subjektiver Nach- bzw. Vorteile im weiteren Karriereverlauf begünstigen. Dies gilt gerade auf dem Weg zum exzellenten Forschenden, wo es besonders wichtig ist, sich bereits früh von anderen Forschenden abzusetzen. Solche Mehrfachbelastungen können die Kluft zwischen gleichermaßen begabten Männern und Frauen bei beruflichen Errungenschaften und Orientierungen im Zeitverlauf weiter verstärken. Doch durch die Strukturen des Wissenschaftssystems werden auch kurzfristig Unterschiede zwischen Männern und Frauen erzeugt. Beispielsweise könnten die Unterstützungsnetzwerke von Männern und Frauen unterschiedliche Ressourcen bereitstellen, die ihrerseits Geschlechtsunterschiede bei der wissenschaftlichen Etablierung begünstigen. Bei beiden Dimensionen ist die überproportionale Abwanderung von Frauen aus dem Wissenschaftssystem weniger als selbst gewählte Entscheidung, sondern vielmehr als Ergebnis (vorausgehender) objektiver und/ oder subjektiver Barrieren zu sehen. Diese stellen Mechanismen institutionalisierter Diskriminierung dar, denen vor dem Hintergrund der zunehmenden Forderung nach wissenschaftlicher Exzellenz und der drohenden Überhöhung von Leistungskriterien eine noch größere Bedeutung zukommt (vgl. Abschnitte 2.2.2, 2.3.2). Die Studie bindet ausgehend vom Ansatz kumulativer Benachteiligungen die allgemeine Diskussion um Prozesse der Selbst- und Fremdselektion beim Ausscheiden von Frauen aus dem Wissenschaftssystem in die Auseinandersetzung um die Förderung von „Exzellenz“ ein und untersucht geschlechtsspezifische Hürden im Qualifikationsverlauf des wissenschaftlichen Nachwuchses. Hierfür sind die folgenden Fragen grundlegend: Inwiefern bestehen im wissenschaftlichen Qualifikationsverlauf: 1) 2) 3)
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Objektive Geschlechtsunterschiede bei Anforderungen an wissenschaftliche Laufbahnen (objektive Situation)? Subjektive Unterschiede in den Wahrnehmungen, Erfahrungen und Orientierungen an Anforderungen wissenschaftlicher Laufbahnen (subjektive Situation)? Hinweise auf Mechanismen, die bestehende Geschlechtsunterschiede weiter vergrößern (Verstärkungsdynamik) oder verkleinern (Ausgleichsdynamik)?
Zu diesem Prozess vgl. die Ausführungen zum Matthäus-Effekt in Abschnitt 2.2.2.
Untersuchungsziele und Forschungsdesign
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Um diesen Fragen nachzugehen, werden systematische Vergleiche zwischen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern vorgenommen.62 Die Untersuchung der Akkumulation von Chancen bzw. Nachteilen erfolgt anhand eines Querschnittdesigns, das drei Hürden auf dem Weg zum exzellenten Forschenden erfasst: (1) erste wissenschaftliche Etablierung während der Promotionsphase, (2) Vereinbarkeit von Wissenschaft und Familie in der Postdocphase, (3) Bewährung und weitere Etablierung in der Wissenschaftsgemeinschaft durch DFG-Forschungsstipendien. Um die Vergleichbarkeit zwischen Promotions- und Postdocphase zu erhöhen, wird für zwei Hürden bewusst dieselbe Institution berücksichtigt.63 Für die Untersuchung kumulativer Benachteiligungen bzw. Vorzüge liegt ein besonderes Augenmerk auf der Analyse von Mehrfachbelastungen und Mechanismen, die bestehende Geschlechtsunterschiede kurzfristig verstärken oder ausgleichen. Grundlegend stellt sich daher die Frage, bei welchen objektiven Faktoren und subjektiven Wahrnehmungen Geschlechtsunterschiede auftreten und welche Dynamiken diese für die Etablierung im Wissenschaftssystem erzeugen. Mehrfachbelastungen bestehen bei parallel verlaufenden Barrieren, die unabhängig von weiteren Merkmalen wie Karriereorientierung, Fachzugehörigkeit und Lebensalter bestehen. Diese werden auf ihre kurz- und langfristige Wirkung für die Etablierung im Wissenschaftssystem interpretiert. Verstärkungsdynamiken liegen vor, wenn die Schere zwischen Männern und Frauen durch geschlechtsspezifische Effekte einzelner Merkmale weiter auseinandergeht. Demzufolge werden bestehende Nachteile oder Vorteile für Frauen vergrößert. Ausgleichsdynamiken liegen vor, wenn sich die Schere zwischen Männern und Frauen durch geschlechtsspezifische Effekte einzelner Merkmale verringert. Hierdurch werden bestehende Vor- oder Nachteile ausgeglichen.64 Beide Dynamiken werden anhand der relativen Bedeutsamkeit bestimmter Merkmale für Männer und Frauen innerhalb der Teilprojekte betrachtet. Dies bedeutet, dass solche Dynamiken nicht auf die unterschiedliche Verteilung von Männern und Frauen auf diese Merkmale zu tun hat. Vielmehr werden diese durch die unterschiedliche Wirksamkeit dieser Merkmale für Männer und Frauen erzeugt.65 In den Teilprojekten werden schwerpunktmäßig diejenigen Faktoren be62 63 64 65
Zur Bezeichnung der Gesamtheit der jeweiligen Zielgruppen unabhängig vom Geschlecht werden geschlechtsneutrale Begriffe verwendet (z.B. Promovierende, Forschende). Mit „Wissenschaftler“ oder „Doktorand“ ist daher immer eine männliche Person gemeint. Die spezifischen Strukturen der Universität Konstanz werden in den jeweiligen Ergebniskapiteln angeführt. Zu erwähnen bleibt, dass solche Verstärkungs- und Ausgleichsmechanismen auch ohne bereits bestehende Geschlechtsunterschiede wirksam sind. Die Modellierung dieser Dynamiken erfolgt auf der Basis multivariater Regressionsmodelle. Anhand eines Modells, das sich auf die Gesamtheit der Befragten bezieht, werden Geschlechtsunterschiede bzw. Mehrfachbelastungen ersichtlich. Zwei weitere nach dem Geschlecht differenzierte Modelle offenbaren die relative Bedeutsamkeit einzelner Merkmale für Männer und Frauen, die für Verstärkungs- und Ausgleichsdynamiken grundlegend sind. Zusätzlich werden die Geschlechtsun-
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rücksichtigt, die ausgehend von den Merkmalen und strukturalen Zwängen des Wissenschaftssystems und bisherigen Forschungsergebnissen in der jeweiligen Phase als besonders relevant erscheinen. Die Promotionsphase (Kapitel 3) ist zentral für eine erste Positionierung im Wissenschaftssystem. Gleichzeitig gilt diese als wesentlich für eine beginnende Abwendung der Frauen vom Wissenschaftssystem, wie gängige Forschungsbefunde und die hohen Verlustquoten während und nach dieser Qualifikationsstufe bestätigen.66 Das Hauptaugenmerk liegt auf den Promotionsbedingungen an der Universität Konstanz und ihren Auswirkungen auf Anzeichen für einen Promotionsabbruch (Unterbrechungen, Abbruchgedanken). Die Bandbreite möglicher Ursachen für einen Abbruch der Promotion ist groß. Daher ist das Teilprojekt vergleichsweise breit angelegt. Betrachtet werden Aspekte, die sich aus dem im Wissenschaftssystem vorherrschenden Verfügbarkeitsdenken, der Doppelung von Ausbildung und Beruf, der geringen Strukturiertheit dieser Qualifikationsphase und den hierarchischen Abhängigkeitsverhältnissen ergeben (vgl. Abschnitt 2.3.2). Als solche gelten im Wesentlichen zeitliche Beeinträchtigungen, die Betreuungssituation und sonstige, auch im Zusammenhang mit der privaten Lebenssphäre bestehende Belastungen, die durch die doppelte Sozialisation67 von Frauen geschlechtsspezifisch relevant sein können. Insbesondere gelten jedoch die tatsächlich erfahrene, erwünschte und subjektiv empfundene Betreuung durch die offizielle Betreuungsperson und die Arbeitsbelastung der Promovierenden als wesentliche Merkmale für einen objektiven Erfolg und das subjektive Erleben der Promotionssituation (vgl. auch Koch 1995). Beides scheint wesentlich bedingt durch die je nach Promotionsmodell68 unterschiedliche Einbindung der Promovierenden, die unterschiedliche Ressourcen für die Qualifizierung bereitstellt (vgl. Allmendinger et al. 2000, Berning/Falk 2006). Die Promotionsphase stellt über den erfolgreichen Abschluss dieser Qualifikationsstufe hinaus wichtige Weichen für eine wissenschaftliche Berufslaufbahn. Daher werden mit den wissenschaftlichen Erträgen und der sozialen Einbindung bzw.
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terschiede in einzelnen Fachdisziplinen berechnet. Dies zeigt, ob in den Fachdisziplinen unterschiedliche Bedingungen für Männer und Frauen vorliegen, die unabhängig von der horizontalen Segregation bestehen und ihrerseits auf Verstärkungsdynamiken hinweisen. Weitere Hinweise zur Interpretation der Modelle finden sich unter „Auswertungsstrategie“ am Ende des Abschnitts. Vgl. Abbildung 1 und Abschnitt 2.2.2. Aufgrund des vorherrschenden Gesellschaftsbilds geschlechtlicher Arbeitsteilung erfolgt die Sozialisation von Frauen mit Blick auf ihre (künftige) Zuständigkeit im Familienbereich (vgl. Abschnitt 2.1.2). Durch die zunehmende Erwerbsorientierung erfolgt zusätzlich die Aneignung beruflicher Normen (im vorliegenden Fall der im Wissenschaftssystem vorherrschenden normativen Anforderungen und Leitbilder). Wegen der Bipolarität familiärer und beruflicher Normen sind Konflikte und innere Spannungen wahrscheinlich. Zum Konzept der „doppelten Sozialisation“ vgl. auch die Beiträge in Hoff 1990. Gemeint ist hier die institutionelle bzw. wissenschaftliche Verankerung der Promovierenden und nicht das Promotionsverfahren (z.B. Individualpromotion; Promotion in Graduiertenkollegs). Weitere Informationen finden sich in den Abschnitten 3.1 und 3.3.1.
Untersuchungsziele und Forschungsdesign
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Sichtbarkeit der Promovierenden ferner zwei wesentliche Anforderungen des Systems an seinen Nachwuchs betrachtet. Das zweite Teilprojekt (Kapitel 4) beschäftigt sich mit dem Mythos der Unvereinbarkeit von Wissenschaft und Familie, der sich aus dem zentralen, nahezu hyperidealisierten Leitbild der Wissenschaft als Lebensform, die eine unermüdliche Hingabe, stets unter Beweis zu stellende Einsatzbereitschaft und absolute Verfügbarkeit voraussetzt, ableitet. Die hieraus resultierende Unvereinbarkeit mit privaten Lebenssphären und besonders dem familialen Lebensbereich wurde in der Debatte um die Unterrepräsentanz von Frauen in Führungspositionen als zentrale Barriere längst erkannt,69 und gerade im Zuge der Exzellenzinitiative wird die Verbesserung der Vereinbarkeit von Wissenschaft und Familie gefördert. Ein Bewusstsein für Schwierigkeiten erziehender Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ist somit vorhanden, steht den mystisch überformten und faktischen Anforderungsstrukturen des Wissenschaftssystems möglicherweise jedoch nach wie vor konfligierend gegenüber. Die Phase nach der Promotion fällt häufig mit der Familiengründung zusammen. Gleichzeitig besteht in dieser Karrierephase ein besonders großer Leistungsdruck, geht es doch darum, die für eine Berufung auf eine Professur vorausgesetzten Leistungen zu erbringen, wodurch der Auslandserfahrung bzw. Mobilität, der Veröffentlichung von angesehenen Aufsätzen und der weiteren Erhöhung der Sichtbarkeit in der Wissenschaftsgemeinschaft ein besonderes Gewicht zukommt. Im zweiten Teilprojekt wird daher untersucht, inwiefern sich Eltern und kinderlose Forschende hinsichtlich objektiver und subjektiver Bedingungen unterscheiden und ob eine Familiengründung zu einer Verstärkung von Geschlechtsunterschieden beiträgt. Dabei steht die Organisation von Familie und Beruf im Mittelpunkt und wird im Hinblick auf die Chancen einer erfolgreichen Etablierung in der Wissenschaft diskutiert. Hierbei werden einerseits Frauen mit Männern und andererseits Eltern mit kinderlosen Wissenschaftlern verglichen und die spezifische Situation von Eltern anhand von zusätzlichen qualitativen Interviews detailliert dargestellt. Das dritte Teilprojekt (Kapitel 5) untersucht die Aussichten auf eine Förderung durch ein DFG-Forschungsstipendium und den Nutzen dieses Förderinstruments aus Sicht der Geförderten und nimmt somit die Bewährung des promovierten Nachwuchses im Wissenschaftssystem in den Blick. Ausgehend von den vorwiegend informellen Entscheidungsstrukturen, vagen Bewertungskriterien über wissenschaftliche Exzellenz und der hohen Bedeutsamkeit der wissenschaftlichen Herkunft werden ausgehend von der Antragsbeteiligung die Förderchancen von Frauen und Männern und damit Exzellenzzuschreibungen bei der und durch die Vergabe von Forschungsstipendien untersucht. Ein besonderes Augenmerk liegt dabei auf den Zusammenhängen zwischen dem Alter der Antragstellenden und den Förderentscheidungen. Werden junge Antragstellende als besonders talentiert und gar 69
Vgl. beispielsweise Wimbauer 1999, Metz-Göckel et al. 2009, KOM 2009.
72
Geschlechtsspezifische Segregation im Wissenschaftssystem: Theoretische Erklärungsansätze
exzellent erachtet, wie dies idealtypische Leistungskriterien vermuten ließen? Sind Geschlechtsunterschiede in den Bewilligungschancen hierdurch oder durch weitere Merkmale erklärbar? Neben dem Zugang zu DFG-Forschungsstipendien ist auch deren Nutzen für die weitere Etablierung im Wissenschaftssystem wichtig. Das Stipendium zielt auf die Förderung des exzellenten Nachwuchses und könnte gerade aufgrund der Möglichkeit zur Durchführung von Forschungsarbeiten im Ausland für die strategische Planung der weiteren wissenschaftlichen Laufbahn genutzt werden.70 Für Männer und Frauen unterschiedliche Erträge des DFG-Stipendiums würden geschlechtsspezifische Voraussetzungen für die weitere wissenschaftliche Berufslaufbahn darstellen. Zusätzlich könnten unterschiedliche Einstellungen von Männern und Frauen gegenüber dem Peer-Review-Verfahren der DFG auf Prozesse des cooling out von Frauen hinweisen. Auswertungsstrategie Die systematische Ermittlung von Geschlechtsunterschieden bei den jeweiligen Hürden respektive Teilprojekten erfolgt auf der Basis quantitativen und qualitativen Datenmaterials.71 Die quantitativen Daten werden nach einer ersten deskriptiven Darstellung der Geschlechtsunterschiede in der Regel multivariat analysiert.72 Die multivariate Analysestrategie folgt im Wesentlichen Ansätzen der Diskriminierungsforschung des Arbeitsmarktes, wonach Geschlechtsunterschiede auf den Einfluss weiterer Personen- und/oder Kontextmerkmale hin untersucht werden. Erst der verbleibende Effekt nach Kontrolle solcher Merkmale wird als reiner Geschlechtseffekt interpretiert und kann somit als Hinweis auf eine mögliche Diskriminierung verstanden werden.73 Dieses Vorgehen basiert demzufolge auf dem Prinzip der Drittvariablenkontrolle, bei dem überprüft wird, ob eine empirisch beobachtete Korrelation zwischen zwei Variablen (x, y) auch bei Konstanthaltung von dritten Variablen (z) stabil bleibt.74 Die Kontrolle solcher Merkmale erfolgt durch multiva70 71 72
73 74
Eine genaue Beschreibung des Förderinstruments erfolgt in Kapitel 5. Die jeweiligen Datengrundlagen werden bei den jeweiligen Teilprojekten näher beschrieben, Abschnitte 3.1, 4.1, 5.1. Multivariate Analysen erfolgen, wenn die deskriptiven Ergebnisse auffallende Geschlechtsunterschiede offenbaren. Andernfalls werden zumindest bei zentralen Faktoren, wie beispielsweise der Publikationsproduktivität, ebenfalls multivariate Auswertungen angestellt. Dies erscheint sinnvoll, da eigentlich vorhandene Geschlechtsunterschiede in bivariaten Analysen wegen unbeobachteter Zusammenhänge mit Drittvariablen auch verdeckt werden können. Dieses Vorgehen wird zumeist bei der Analyse geschlechtsspezifischer Lohnungleichheiten angewendet, vgl. beispielsweise (Holst/Busch 2009, Blau/Kahn 1996). Erläuterung zur Logik der Drittvariablenkontrolle: Im vorliegenden Fall stellt x das Geschlecht der Forschenden (unabhängige Variable), y eine Teilzeitbeschäftigung (abhängige Variable) und z eine Elternschaft (Drittvariable) mit den Ausprägungen z1 („nein“) und z2 („ja“) dar. Die Korrelation
Untersuchungsziele und Forschungsdesign
73
riate Regressionsmodelle (logistische bzw. lineare Regressionen). Demzufolge zeigen die Koeffizienten den jeweiligen partiellen Zusammenhang zwischen der jeweiligen Variablen (xi) und der abhängigen Variablen (y) unter Konstanthaltung der Drittvariablen (z1-i). Dabei zeigt der bei linearen Regressionen berichtete Koeffizient (Ƣ) an, um wie viele Einheiten sich y ändert, wenn sich x um eine Einheit erhöht und die Drittvariablen zi jeweils den Wert 0 annehmen. Bei logistischen Regressionen werden jeweils die Marginaleffekte bzw. discrete changes (für dichotome Variablen) berichtet, die als prozentuale Wahrscheinlichkeit für das Auftreten der abhängigen Variablen unter Kontrolle der übrigen Merkmale75 interpretiert werden können. Bei dichotomen Merkmalen wird jeweils angezeigt, um wie viele Prozentpunkte sich die Chancen einer Gruppe für das Auftreten von y im Vergleich zur Referenzgruppe verändern. Geschlechtsunterschiede bzw. -effekte werden demzufolge erfasst, indem die Änderung der prozentualen Wahrscheinlichkeit für das Auftreten von y angezeigt wird, wenn eine Frau anstatt eines Mannes betrachtet wird und die anderen Variablen jeweils konstant gehalten werden.76 Um Geschlechtsunterschiede und geschlechtsspezifische Dynamiken modellieren zu können, werden jeweils drei Modelle berechnet: Modell 1 bezieht sich auf Männer und Frauen insgesamt. Dieses Modell gibt wie beschrieben Aufschluss über bestehende Geschlechtsunterschiede bei Berücksichtigung weiterer Merkmale und liefert Hinweise auf mögliche Benachteiligungen von Frauen. Modell 2 bezieht sich ausschließlich auf Männer, Modell 3 ausschließlich auf Frauen. So können tendenzielle Interaktionseffekte zwischen dem Geschlecht und weiteren Merkmalen modelliert werden, da diese die partiellen Zusammenhänge zweier Variablen (bzw. Effekte von x auf y) jeweils nur für Frauen bzw. nur für Männer ausweisen.77 Dies erlaubt die Modellierung von kurzfristigen Verstärkungs- und Ausgleichsdynamiken. Eine Verstärkung bestehender Geschlechtsunterschiede (Modell 1) liegt vor, wenn sich die partiellen Effekte eines Merkmals für Männer (Modell 2) und Frauen (Modell 3) in der Weise unterscheiden, dass ein Vorteil bzw. Nachteil für Frauen im Gegensatz zu Männern begünstigt wird. Eine Verringerung bestehender Geschlechtsunter-
75 76 77
zwischen x und y wird durch den Koeffizienten c beschrieben. Bei der Drittvariablenkontrolle wird nun die Korrelation (c0) zwischen x (Geschlecht) und y (Teilzeitbeschäftigung) ohne die Beachtung von z (Elternschaft) mit den Korrelationen c1 und c2 zwischen x und y bei Betrachtung von jeweils einer Ausprägung von z (Elternschaft „ja“ bzw. „nein“) verglichen. Aus den Größenverhältnissen von c0, c1 und c2 zueinander wird ersichtlich, ob der Zusammenhang zwischen x und y durch z vollständig (c00 und c1, c2=0) oder partiell erklärt wird (c1>c0, c2>c0), eine Multikausalität (c1=c0, c2=c0) oder eine Interaktion zwischen x und z vorliegt (c1> oder < c0 oder c2 > oder > a0) (vgl. Diekmann 2007: 723 ff.). Für weitere Informationen zu multiplen Regressionsanalysen vgl. auch Schnell/Hill/Esser 2005, Hamilton 1992. Die kontrollierten Merkmale nehmen hier jeweils den Mittelwert (metrische Variablen), den Wert 0 (binäre Variablen) oder eine festgelegte Referenzkategorie an (kategoriale Variablen mit mehr als zwei Ausprägungen). Ein negatives Vorzeichen sagt demnach aus, dass y bei Frauen seltener auftritt als bei Männern. Beispielsweise könnte sich eine Elternschaft für Männer anders auswirken als für Frauen.
74
Geschlechtsspezifische Segregation im Wissenschaftssystem: Theoretische Erklärungsansätze
schiede (Modell 1) liegt vor, wenn sich die partiellen Effekte in der Weise unterscheiden, dass ein Vorteil bzw. Nachteil bei Frauen im Gegensatz zu Männern gehemmt wird. Um einer Überschätzung dieser Akkumulationsprozesse entgegenzuwirken, werden solche Dynamiken nur bei sehr deutlichen Unterschieden der partiellen Effekte aus den Modellen 2 und 3 angenommen.78 Die jeweils berücksichtigten Merkmale und deren Randverteilungen werden in den Abschnitten zu den drei Teilprojekten näher beschrieben (vgl. Abschnitte 3.1, 4.1, 5.1). Grundsätzlich werden – soweit dies die Daten zulassen – das Lebensalter der Befragten, die berufliche Aspiration und die Fachzugehörigkeit in den Modellen berücksichtigt. Mit dem Lebensalter kann ein aus den zeitlichen Ansprüchen des Wissenschaftssystems resultierendes Leistungskriterium berücksichtigt werden und bildet zudem die Erfahrung der Befragten im wissenschaftlichen Alltag ab. Die Bedeutung von Fachkulturen für die Qualifikationsphase ergibt sich bereits aus der bestehenden horizontalen Segregation und weiteren Befunden, die teilweise Geschlechtsunterschiede für bestimmte Fachdisziplinen belegen (vgl. beispielsweise Enders/Bornmann 2001). Daher werden zusätzlich die in den Fachdisziplinen bestehenden Geschlechtsunterschiede ausgewiesen.79 Durch die Kontrolle der beruflichen Aspiration wird ein Argument, das bei akteurzentrierten Ansätzen häufig der Legitimierung von Geschlechtsunterschieden dient, berücksichtigt.80 78
79 80
Von deutlichen Unterschieden wird ab einer Differenz der partiellen Effekte von zehn Prozentpunkten ausgegangen. Dass der Vergleich von Regressionsmodellen nicht unproblematisch sein kann, wurde jüngst für die Soziologie thematisiert. Problematisiert wurden hier Verzerrungen, die aus der unbeobachteten Heterogenität der Gruppen resultieren (Mood 2010). Für die vorliegende Studie sind die jeweiligen Dynamiken als Tendenzen zu verstehen. Unschärfen bei deren Interpretationen werden durch das genannte Vorgehen weitgehend ausgeräumt. Weiterhin lieferte eine stichprobenhafte Überprüfung der Ergebnisse durch die Berechnung der robusteren average partial effects kaum Abweichungen zu den bestehenden Ergebnissen, weswegen allenfalls von marginalen Verzerrungen auszugehen ist. Sollten sich die Bedingungen für Männer und Frauen unterscheiden und diese Unterschiede zugleich mit den einzelnen Fachdisziplinen auffallend variieren, ist von geschlechtsspezifischen Fachkulturen auszugehen. Bei allen Effekten werden Signifikanzen ausgewiesen; das Hauptaugenmerk richtet sich jedoch auf tendenzielle Geschlechtsunterschiede bei den Qualifikationsbedingungen der beiden Exzellenzeinrichtungen und nicht notwendigerweise auf die Verallgemeinerbarkeit der bestehenden Barrieren für die deutsche Wissenschaftslandschaft. Die Erforschung solcher allgemein bestehender Barrieren und Zusammenhänge wäre selbstverständlich wünschenswert, setzt jedoch eine für das deutsche Wissenschaftssystem repräsentative Stichprobe voraus. Da die Befragungsstichproben auf die Universität Konstanz bzw. ehemalige DFG-Stipendiatinnen und Stipendiaten begrenzt sind, liegen keine für das deutsche Wissenschaftssystem repräsentativen Stichproben vor. Daher ist die Übertragbarkeit der Ergebnisse auf die Grundgesamtheit kaum möglich und Signifikanztests daher höchstens für die Verallgemeinerung auf die beiden Exzellenzeinrichtungen aussagekräftig. Da Signifikanztests weder die Existenz von Effekten beweisen noch deren Stärke preisgeben, sondern ausschließlich Feststellungen über die Irrtumswahrscheinlichkeiten ermöglichen, sind die festgestellten Geschlechtsunterschiede dennoch aussagekräftig und interpretierbar (zur Interpretation von Signifikanztests vgl. beispielsweise Schnell/Hill/Esser 2005). Für die Analyse der Bewilligungschancen
Untersuchungsziele und Forschungsdesign
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Das Problem der Kausalität Die Analyse von Kausalzusammenhängen, wie sie durch die geschilderten Regressionsverfahren zu geschlechtsspezifischen Hürden für Wissenschaftskarrieren erfolgen soll, ist – wie bei allen Querschnittsdaten – nicht unproblematisch. So kann nicht eindeutig festgestellt werden, ob sich die jeweiligen Arbeitsbedingungen beispielsweise aufgrund einer Elternschaft (unabhängige Variable) verändert haben oder ob bereits vor der Familiengründung unterschiedliche Arbeitsbedingungen bestanden haben. Aufgrund des vorliegenden Forschungsdesigns kann damit statistisch nicht geklärt werden, ob eine bestimmte Situation Ursache oder Wirkung der Familiengründung ist.81 Theoretisch sind die statistischen Befunde daher in zwei Richtungen interpretierbar: Situation Y1 (z.B. Teilzeitbeschäftigung) tritt bei Eltern (X1) häufiger auf als bei Kinderlosen (X2), weil (a) Eltern nach der Geburt des Kindes ihren Beschäftigungsumfang reduzieren oder (b) eine Teilzeitbeschäftigung eine Voraussetzung dafür darstellt, dass Forschende sich überhaupt für eine Familiengründung entscheiden. Im ersten Fall wird die Familiengründung als unabhängige Variable interpretiert, die eine teilzeitliche Erwerbstätigkeit (abhängige Variable) bewirkt; im zweiten Fall wird umgekehrt der Beschäftigungsumfang als unabhängige und der Familienstatus als abhängige Variable interpretiert.82 Daher muss die Kausalitätsrichtung wie auch der Einfluss potenzieller Drittvariablen theoretisch oder anhand bisheriger Forschungsbefunde bestimmt werden. Diese Festlegung der unabhängigen Variablen bzw. Kontrollvariablen erfolgt in den Abschnitten der Teilprojekte. In der Regel werden die berücksichtigten Variablen jedoch als unabhängige Variablen interpretiert, die eine Veränderung der jeweiligen Arbeitsbedingungen oder der Voraussetzungen des Wissenschaftssystems (abhängige Variable) bewirken. Im Blickpunkt stehen dabei der Geschlechtseffekt und die geschlechtsspezifischen partiellen Zusammenhänge zwischen der abhängigen und den unabhängigen Variablen.
81 82
und des Antragsverhaltens bei DFG-Forschungsstipendien sind Signifikanzen ohnehin nicht von Bedeutung, da es sich um prozessproduzierte Daten und damit um eine Vollerhebung für den Untersuchungszeitraum handelt. Hierfür wären Längsschnittdaten erforderlich, da nur so die eigentlich dynamischen Prozesse einer Kausalbeziehung adäquat abgebildet werden können. Für weitere Informationen zu der skizzierten Problematik vgl. beispielsweise Backhaus et al. 2006, Hodapp 1984, Hammann/Erichson 2000. Die Analyse wechselseitiger Kausalbeziehungen ist nur anhand komplexer ökonometrischer Modelle möglich. Für weitere Informationen zu solchen „interdependenten Systemen“ vgl. beispielsweise Schneeweiß 1990: 242 ff.
3
Promotionsphase: Qualifikationsbedingungen und Abbruchrisiken
Der erfolgreiche Abschluss einer Promotion gilt als grundlegender Schritt für eine Berufslaufbahn in der Wissenschaft. Während dieser Karrierestufe wird jedoch nicht nur der formale Grundstein für eine solche Laufbahn gelegt, sondern Gestaltung und Erleben der Promotionsphase gelten – durch die inhaltliche Profilierung und den Erwerb außerfachlicher Kenntnisse – als entscheidend für den weiteren Berufsweg. In den vergangenen Jahren ist die Doktorandenausbildung in Deutschland verstärkter Kritik ausgesetzt. Insbesondere durch die anhaltende Diskussion um Exzellenz führten das hierzulande zunehmende Alter des wissenschaftlichen Nachwuchses und die konstatierte Gefährdung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit hinsichtlich Qualität und Attraktivität des (Aus-)Bildungsstandorts zu verstärkten Forderungen nach Reformen (vgl. z.B. Enders 2005, WR 2002). Stärker strukturierte Möglichkeiten bzw. Vorgaben sollen eine Beschleunigung der Doktorandenausbildung bewirken und die Konkurrenzfähigkeit der deutschen Universitäten stärken (WR 2002, 2007c). Neben dieser allgemeinen Debatte ist die Promotionsphase auch für das überproportionale Ausscheiden von Wissenschaftlerinnen aus dem Wissenschaftssystem von zentraler Bedeutung (vgl. Abbildung 1). Die Universität Konstanz, seit 2007 als eine von Deutschlands Eliteuniversitäten und bereits seit 2006 als familienfreundliche Hochschule ausgezeichnet, hat die chancengleiche Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses zu ihren Kernzielen erklärt. Deswegen sind ihr die bestehenden Promotionsbedingungen und die Identifikation möglicher geschlechtsspezifischer Hürden ein besonderes Anliegen. Im Bundesvergleich ist der Frauenanteil bei Promotionen an der Universität Konstanz für das Prüfungsjahr 2006/2007 jedoch als besonders niedrig ausgewiesen83 und auch die 2007 erfolgte zweite Fortschreibung des Hochschulrankings nach Gleichstellungsaspekten des Kompetenzzentrums Frauen in Wissenschaft und Forschung verortet die Universität Konstanz im Rahmen einer bundesweiten Untersuchung in der Schlussgruppe.84 83
84
In 2006/2007 beträgt der Frauenanteil an Promotionen an der Universität Konstanz 32,1 Prozent, bundesweit 40,8 Prozent. Erst für das folgende Prüfungsjahr nähern sich die Werte für Konstanz (39,7%) den bundesweiten Quoten (42,2%) an (Quellen: Prüfungsstatistik der Universität Konstanz; Statistisches Bundesamt). Zum methodischen Vorgehen und den einzelnen Ergebnissen der Studie vgl. CEWS 2007: 29/30, 4 ff.
I. Findeisen, Hürdenlauf zur Exzellenz, DOI 10.1007/978-3-531-93180-7_3, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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Promotionsphase: Qualifikationsbedingungen und Abbruchrisiken
Unklar ist jedoch, inwiefern dieser Befund mit den konkreten Promotionsbedingungen der hiesigen Universität und mit geschlechtsspezifischen Karriereorientierungen zu tun hat, die bewirken könnten, dass Doktorandinnen möglicherweise bereits seltener als Doktoranden eine Promotion aufnehmen (vgl. Abschnitt 2.1.2). Dieses Kapitel beschäftigt sich mit geschlechtsspezifischen Promotions- und Arbeitsbedingungen des Konstanzer Nachwuchses und den damit verbundenen Risiken einer Abwanderung aus der Wissenschaft. Ausgangspunkt bildet die Annahme, dass basierend auf den Strukturen des Wissenschaftssystems bereits während der Promotionsphase geschlechtsspezifische Barrieren bestehen, die Mechanismen der kumulativen Benachteiligung von Wissenschaftlerinnen in Gang setzen und Prozesse des cooling out begünstigen. Somit entstehen objektive und subjektive Unterschiede zwischen Männern und Frauen im Laufe von Erfahrungen im Wissenschaftsbetrieb und könnten mit Entmutigungen von Wissenschaftlerinnen und gar beruflichen Umorientierungen einhergehen (vgl. Abschnitte 2.1.2, 2.1.3). Die Hinweise auf Barrieren für Frauen in der Wissenschaft sind vielfältig: Einschlägige Studien weisen auf eine fortbestehende (antizipierte) Unvereinbarkeit von Wissenschaft und Familie, auf eine geringere und/oder weniger langfristig ausgerichtete Einbindung von Wissenschaftlerinnen in die scientific community, auf subtile Mechanismen der Ausgrenzung von Wissenschaftlerinnen aus sozialen Netzwerken bis hin zur Abwertung ihrer Leistung(-sfähigkeit) hin.85 Studien, die sich auf die Zielgruppe der Promovierenden konzentrieren, befassen sich oftmals mit Aspekten der Promotionsförderung und deren notwendige Reform hin zu strukturierten Programmen und Internationalisierung (Kirschbaum et al. 2005, Mummendey 1996, Senger 2003). Andere Untersuchungen konzentrieren sich auf die Promotionschancen in einzelnen Fachdisziplinen (Hauss 2006) oder Karrierechancen nach der Promotion (Enders/Bornmann 2001). Weitere Studien untersuchen die Situation von Promovierenden umfassend (Berning/Falk 2006, Enders 1996, Gerhardt et al. 2005), hinsichtlich ausgewählter Teilaspekte wie einzelne Fachdisziplinen oder Förderarten (DFG 2002, Enders/Bornmann 2001, Enders/Mugabushaka 2004, Matthes et al. 2006, Prommer et al. 2006, Harde/Streblow 2008). Einige dieser Arbeiten liefern zwar Hinweise auf Geschlechtsunterschiede während der Promotionsphase hinsichtlich Betreuung, Einbindung, Status und Befristung der Beschäftigungsverhältnisse (Berning/Falk 2006, DFG 2002, Gerhardt et al. 2005, Prommer et al. 2006, Wimbauer 1999). Unklar bleibt jedoch, ob sich diese systematisch auf das Gelingen der Promotion oder das (mögliche) Ausscheiden von Doktorandinnen aus dem Wissenschaftssystem auswirken.86 Doch gerade 85 86
Vgl. insbesondere die Abschnitte 2.2.2, 2.3.2. Die für diesen Beitrag wertvolle Studie von Enders und Bornmann (2001) berücksichtigt zwar das geschlechtsspezifische Auftreten von Unterbrechungen während der Promotion für verschiedene Fachdisziplinen, weitere Drittvariablen bleiben jedoch unberücksichtigt. Die Untersuchung des Abbruchrisikos bei Promotionen in der Psychologie und beachtet zwar die relative Bedeutsamkeit der
Promotionsphase: Qualifikationsbedingungen und Abbruchrisiken
79
die Erfahrungen während der Promotionsphase beeinflussen Entscheidungen für oder gegen die Fortsetzung einer wissenschaftlichen Laufbahn und den damit verbundenen Ansprüchen. Dabei gelten Schwierigkeiten, die Promotion zügig abzuschließen, die sich in Unterbrechungen oder auch Erwägungen eines Promotionsabbruchs äußern dürften, als starker Indikator für ein bevorstehendes Ausscheiden aus der Wissenschaft. Die Erfahrungen während der Promotion und der zügige Promotionserfolg werden maßgeblich durch die Arbeitsbelastung der Promovierenden und Prozesse der Anerkennung, Bestätigung und Wertschätzung geprägt. Diese wiederum können sich nach Fachzugehörigkeit und institutioneller Einbindung stark unterscheiden. Daher liegt ein besonderes Augenmerk auf Aspekten der fachlichen und sozialen Betreuung, der institutionellen Einbindung und den Arbeitsbelastungen der Promovierenden, die maßgeblich mit Anzeichen eines Promotionsabbruchs zu tun haben und Hinweise auf geschlechtsspezifische Barrieren liefern können. Die doppelte Sozialisation von Frauen (vgl. Abschnitt 2.4) und der in Partnerschaften häufige Karrierevorsprung von Männern legen jedoch auch geschlechtsspezifische Partnerschaftsdynamiken bei den Anzeichen für einen Abbruch der Promotion nahe. Daher fließen hier Informationen zu Erwerbstätigkeit und Karriereorientierung in Partnerschaften ein. Entscheidungen für oder gegen eine weitere wissenschaftliche Laufbahn und die Voraussetzungen für eine langfristige Etablierung in der Wissenschaft werden aber auch entscheidend von den bisherigen wissenschaftlichen Leistungen und der Sichtbarkeit dieser Leistungen und Leistungsträger in der Wissenschaftsgemeinschaft geprägt (vgl. Abschnitt 2.3.2). Um die Aussichten eines erfolgreichen Verbleibs in der Wissenschaft einschätzen zu können, sind demzufolge die bisherigen wissenschaftlichen Erträge und die soziale Einbindung in die Wissenschaft als wesentliches Kennzeichen für die fachöffentliche Sichtbarkeit der Promovierenden von Bedeutung. Die untersuchten Themen rekurrieren damit auf wesentliche Merkmale des Wissenschaftssystems, die den Rahmen zur Untersuchung geschlechtsspezifisch wirksamer Strukturen vorgeben (vgl. Abschnitte 2.3.2, 2.4.). Im Zentrum des Kapitels stehen drei Forschungsfragen, die hinsichtlich objektiver und subjektiver Aspekte am Beispiel der Universität Konstanz untersucht werden: 1) 2) 3)
Unterscheiden sich Promotionsbedingungen nach dem Geschlecht? Finden sich für Frauen häufiger Anzeichen für einen Promotionsabbruch als für Männer? Welche Zusammenhänge bestehen zwischen Promotionsbedingungen und Anzeichen für einen Promotionsabbruch? einzelnen Faktoren, weitere Drittvariablen werden hier jedoch ebenfalls nicht einbezogen (Harde/Streblow 2008).
80
Promotionsphase: Qualifikationsbedingungen und Abbruchrisiken
Abschnitt 3.1 stellt zunächst die Datengrundlage und das methodische Vorgehen des Teilprojekts dar. Anschließend erfolgen die Beschreibung der Befragten anhand sozialdemografischer und der in den multivariaten Analysen berücksichtigten Merkmale (Abschnitt 3.2). In Abschnitt 3.3 werden die objektiven Promotionsbedingungen der Befragten im universitären (Abschnitt 3.3.1) und dem privaten Umfeld (Abschnitt 3.3.2) betrachtet. Die bisherigen wissenschaftlichen Erträge bestimmen die Chancen für eine erfolgreiche Fortsetzung einer wissenschaftlichen Laufbahn über die Promotionsphase hinaus und werden in Abschnitt 3.3.3 erfasst. Die wesentlichen Befunde zu objektiven Promotionsbedingungen, Geschlechtsspezifika und Verstärkungs- bzw. Ausgleichsmechanismen werden in Abschnitt 3.3.4 zusammengefasst. Abschnitt 3.4 beschäftigt sich mit den subjektiven Wahrnehmungen und Erfahrungen der Promovierenden. Dabei werden zunächst ihre beruflichen Aspirationen zu Beginn der Promotionsphase näher untersucht (Abschnitt 3.4.1). Anschließend werden Barrieren im universitären (Abschnitt 3.4.2) und im privaten Umfeld (Abschnitt 3.4.3) betrachtet. Eine Zusammenfassung der wesentlichen Befunde zu den subjektiven Erfahrungen und Einstellungen werden in Abschnitt 3.4.4 noch einmal zusammengefasst. Anschließend erfolgt die Analyse von Anzeichen für einen Promotionsabbruch (bisherige Unterbrechungen, Abbruchgedanken), die wichtige Informationen zu den geschlechtsspezifischen Risiken, bereits während der Promotionsphase aus dem Wissenschaftssystem auszuscheiden, liefert. Hierbei werden Zusammenhänge mit der Promotionssituation erfasst und für Promovierende in Partnerschaften zusätzlich die Effekte von Erwerbsmerkmalen des Partners bzw. der Partnerin auf die Abbruchrisiken geprüft (Abschnitte 3.5.1 und 3.5.2). Die Ergebnisse werden abschließend in Abschnitt 3.5.3 resümiert. 3.1
Datengrundlage und methodisches Vorgehen
Die Daten zur Promotionssituation an der Universität Konstanz wurden im Sommer 2007 über eine Onlinebefragung erhoben.87 Zur Grundgesamtheit gehören alle Doktorandinnen und Doktoranden, die zu diesem Zeitpunkt an der Universität Konstanz promovierten oder ihre Promotion kurz zuvor abgeschlossen hatten (in der Regel während des Befragungszeitraums). Aufgrund der fehlenden Immatrikulationspflicht oder Anmeldung als Doktorand zu Beginn der Promotionsphase wurde das Vorhandensein mindestens eines Betreuers an der Universität Konstanz als Kriterium für den Doktorandenstatus festgelegt.88 Das Erhebungsinstrument wurde 87 88
Während der vierwöchigen Feldphase vom Juni 2007 bis Juli 2007 wurden drei Nachfassaktionen durchgeführt, die den Rücklauf wesentlich erhöhten. An dieser Stelle geht mein Dank an Dr. Nikolaus Zahnen für die Recherche und Bereitstellung der Kontaktdaten der Promovierenden, an Dr. Matthias Knapp, Marion Woelki (M.A.) und die Arbeitsgruppe um Prof. Dr. Thomas Hinz für die Unterstützung bei der Konstruktion des Erhe-
Datengrundlage und methodisches Vorgehen
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in Anlehnung an erprobte Instrumente des Bayerischen Staatsinstituts für Hochschulforschung und Hochschulplanung und der Promovierenden Initiative Thesis e.V. entwickelt (Berning/Falk 2006, Gerhardt et al. 2005). Von den 798 online angeschriebenen Promovierenden waren 748 erreichbar. Davon verblieben 421 auswertbare Fragebögen, was einem Rücklauf von 56,3 Prozent entspricht. Bei den bi- und multivariaten Analysen werden jeweils Vergleiche zwischen Männern und Frauen angestellt. In multivariaten Modellen (vgl. Abschnitt 2.4) werden die Sektionszugehörigkeit89, die institutionelle Verankerung in der Wissenschaft, das Lebensalter und das angestrebte Berufsziel der Promovierenden kontrolliert. Ausgehend von bisherigen Forschungsbefunden erscheinen diese Merkmale neben dem Geschlecht als wichtige Einflussgrößen für die Promotionsbedingungen und Abbruchrisiken. Eine wissenschaftliche Verankerung wird aufgrund der engeren Betreuung, häufigeren und intensiveren Teilnahme an wissenschaftlichen Aktivitäten und des Kennenlernens der wissenschaftlichen Praxis als besonders günstig für einen Abschluss der Promotion angesehen. Des Weiteren wird angenommen, dass ein solches Promotionsmodell die soziale Einbindung in die Wissenschaft, die Publikationsproduktivität und damit die Sichtbarkeit in der Wissenschaftsgemeinschaft begünstigt, da die Ressourcen der Hochschule dann besonders gut genützt werden können (vgl. Allmendinger et al. 2000: 39 ff.). Das angestrebte Berufsziel gilt als Indikator für die Karriereorientierung der Promovierenden und prägt deren Motivation, Ansprüche und Einsatzbereitschaft für die Wissenschaft. Die Merkmale des Wissenschaftssystems legen außerdem nahe, dass sich Personen mit einem wissenschaftlichen Berufsziel bereits während der Promotionsphase um eine hohe fachöffentliche Sichtbarkeit bemühen. Da das Lebensalter häufig als Exzellenzkriterium angesehen wird, gilt dasselbe für besonders junge Promovierende (vgl. Abschnitt 2.3.2).90 Das Lebensalter der Promovierenden wird in den multivariaten Modellen als metrische Variable berücksichtigt. Zusätzlich wird der quadrierte Term in die Modelle aufgenommen.91 Die Bedeutsamkeit von wissenschaftlichen Disziplinen ergibt sich bereits aus der bestehenden horizontalen Segregation und wird durch die Ansätze zu Unterschieden in
89
90 91
bungsinstruments. Die Programmierung des Fragebogens erfolgte dankenswerterweise durch Elisa Szulganik. Die Universität Konstanz besteht aus drei Sektionen und 13 Fachbereichen. Unterschieden werden die Mathematisch-Naturwissenschaftliche Sektion mit den Fachbereichen Mathematik/Statistik, Informatik/Informationswissenschaft, Physik, Chemie, Biologie, Psychologie, die Geisteswissenschaftliche Sektion (Philosophie, Geschichte/Soziologie/Sport-/Erziehungswissenschaften, Literatur-/Kunst-/Medienwissenschaft, Sprachwissenschaft) und die Rechts-, Wirtschafts-, Verwaltungswissenschaftliche Sektion (Rechtswissenschaft, Wirtschaftswissenschaften, Politik-/Verwaltungswissenschaft). Die Bedeutung des Lebensalters und dessen genderrelevante Funktion wurde zudem bei Berufungsverfahren belegt und verdeutlicht die normative Vorstellung, dass junge Forschende die besseren sind (vgl. Färber 2008: 202 ff.). Der quadrierte Term erlaubt insbesondere Aussagen über Effekte der Erfahrung der Akteure.
82
Promotionsphase: Qualifikationsbedingungen und Abbruchrisiken
Fachdisziplinen bekräftigt (vgl. Abschnitt 2.2.1). Für Aspekte, die maßgeblich von der Promotionsdauer abhängig sein könnten – wie dies bei wissenschaftlichen Erträgen der Fall sein dürfte –, wird dieses Merkmal zusätzlich berücksichtigt. In einem zweiten Schritt werden Risiken eines Ausscheidens aus dem Wissenschaftssystem bereits während der Promotionsphase untersucht und analysiert, inwiefern vorhandene Geschlechtsunterschiede in den Promotionsbedingungen und Wahrnehmungen ein potenzielles Ausscheiden beeinflussen. Hierfür wird in sukzessiven multivariaten Logit-Modellen der Einfluss dieser Bedingungen auf bisherige Unterbrechungen und Abbruchgedanken ermittelt. Berücksichtigt werden neben Aspiration, wissenschaftlicher Verankerung, Lebensalter und Fachdisziplin Promotionsbedingungen, bei welchen auffallende Geschlechtsunterschiede zu verzeichnen sind. Der sukzessive Einbezug von Drittvariablen ermöglicht eine genaue Aussage über die Erklärungskraft der einzelnen Variablen für die Geschlechtsunterschiede bei Unterbrechungen bzw. Abbruchgedanken. Dieses Vorgehen erlaubt die Identifikation möglicher Stellschrauben zur Erhöhung der Promotionsquoten von Frauen. Ergänzend werden Informationen zu Partnerschaft und Erwerbsmerkmalen der Partner/-innen berücksichtigt, um auch normative geschlechtsrollenstereotypische Beeinträchtigungen erfassen zu können. Für alle Regressionsmodelle interessieren neben dem nach Kontrolle der jeweiligen Merkmale verbleibenden Geschlechtseffekt die partiellen Einflüsse der berücksichtigten Variablen für Doktorandinnen und Doktoranden. Gemäß der dargestellten Interpretationslogik werden die wissenschaftliche Verankerung und bei der Betreuungssituation auch das Lebensalter als unabhängige Variablen interpretiert.92 Ein besonderes Augenmerk liegt dabei auf der Erfassung möglicher Verstärkungsund Ausgleichsdynamiken, die durch diese Merkmale erzeugt werden.93 Aufgrund der hohen Relevanz von Fachkulturen für die Qualifikationsbedingungen von Männern und Frauen werden für alle multivariaten Analysen die Geschlechtsunterschiede in den drei Sektionen der Universität Konstanz berichtet. Dies erlaubt Aussagen über geschlechtsspezifische Fachkulturen und trägt somit zur Identifikation kumulierter Barrieren bei (vgl. Abschnitt 2.4).
92 93
Die Karriereorientierung zu Beginn der Promotion fungiert in erster Linie als Kontrollvariable. Interpretationen der wissenschaftlichen Aspirationen erscheinen lediglich im Hinblick auf Publikationsaktivitäten von Interesse. Von einem verstärkenden Mechanismus wird ausgegangen, wenn ein bestimmtes Merkmal (z.B. Verankerung) Barrieren bei Frauen besonders stark oder im Gegensatz zu Männern begünstigt und auch bereits unabhängig von den weiteren Merkmalen diese Barriere besteht. Zur Logik von Verstärkungs- und Ausgleichsdynamiken vgl. auch Abschnitt 2.4.
83
Profil der Befragten
3.2 Profil der Befragten Unter den befragten Promovierenden finden sich 205 Männer und 160 Frauen.94 Damit sind Doktoranden mit 56,2 Prozent deutlich häufiger vertreten als Doktorandinnen. Tabelle 1 gibt einen Überblick über soziodemografische Merkmale der Befragten. Diese gehören überwiegend der Naturwissenschaftlichen Sektion an. Dies gilt insbesondere für Doktoranden mit einem Anteil von 53,4 Prozent gegenüber 41,7 Prozent bei Doktorandinnen. Weiterhin gehören Doktoranden gegenüber Doktorandinnen besonders selten der Geisteswissenschaftlichen Sektion an. In die Rechts-/Wirtschafts-/Verwaltungswissenschaftliche Sektion entfallen jeweils etwa 28 Prozent der Doktorandinnen und Doktoranden. Die nicht tabellierte bisherige mittlere Promotionsdauer der Befragten unterscheidet sich nicht nach dem Geschlecht. Die Promovierenden begannen im Mittel vor 2,4 Jahren mit ersten Vorarbeiten für ihre Promotion, ein erstes Gespräch mit einem Hochschullehrer fand durchschnittlich bereits vor beinahe drei Jahren statt. Tabelle 1: Profil der Befragten Männer n % Sektionszugehörigkeit1 NW Sektion GW Sektion RWV Sektion Total Angestrebter akademischer Titel Dr. rer. nat. Dr. rer. soc. Dr. rer. pol. Dr. jur. Dr. phil. Total Geburtsland Deutschland Ausland Total2 Partnerschaft Ja Nein Total1
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Frauen n %
Gesamt n %
109 39 56 204
53,4 19,1 27,5 100,0
65 47 44 156
41,7 30,1 28,2 100,0
174 86 100 360
48,3 23,9 27,8 100,0
107 23 24 16 34 204
52,5 11,3 11,8 7,8 16,7 100,0
62 16 15 18 45 156
39,7 10,3 9,6 11,5 28,8 100,0
169 39 39 34 79 360
46,9 10,8 10,8 9,4 21,9 100,0
177 28 205
86,3 13,7 100,0
120 40 160
75,0 25,0 100,0
297 68 365
81,4 18,6 100,0
130 75 205
63,4 36,6 100,0
110 48 158
69,6 30,4 100,0
240 123 363
66,1 33,9 100,0
Aufgrund fehlender Angaben zum Geschlecht reduziert sich die Fallzahl bei geschlechtervergleichenden Analysen auf 365.
84
Promotionsphase: Qualifikationsbedingungen und Abbruchrisiken
Tabelle 1: Profil der Befragten (Fortsetzung) Männer n % Gemeinsamer Haushalt Immer Zeitweise3 Nie Total Elternschaft Ja Nein Total (Weiterer) Kinderwunsch Ja Nein Weiß Nicht Total
n
Frauen %
Gesamt n %
67 53 8 128
52,3 41,4 6,3 100,0
52 42 15 109
47,7 38,5 13,8 100,0
119 95 23 237
50,2 40,1 9,7 100,0
21 179 200
10,5 89,5 100,0
20 139 159
12,6 87,4 100,0
41 318 359
11,4 88,6 100,0
141 21 40 202
69,8 10,4 19,8 100,0
117 17 24 158
74,1 10,8 15,2 100,0
258 38 64 360
71,7 10,6 17,8 100,0
Fragen: 1) Welchem Fach gehören Sie an? 2) Welchen akademischen Titel streben Sie an? 3) Ihr Geburtsland: 4) Leben Sie derzeit in einer festen Partnerschaft? 5) Leben Sie mit Ihrem Partner/Ihrer Partnerin in einem gemeinsamen Haushalt? (Antwortkategorien: „Immer“, „Zeitweise“, „Nur am Wochenende“, „Nur in den Ferien/im Urlaub“, „Nie“). 6) Haben Sie Kinder? 7) Wünschen Sie sich zukünftig (weitere) Kinder? 1 Die Zuordnung der Fächer auf Sektionsebene erfolgt nach der Systematik der Universität Konstanz. 2 Hier und nachfolgend können die Angaben bei Total aufgrund fehlender Angaben abweichen. 3 Unter „Zeitweise" werden die Kategorien „Zeitweise", „Nur am Wochenende", „Nur in den Ferien" zusammengefasst.
56,6 Prozent der Doktorandinnen und 48,8 Prozent der Doktoranden haben bereits mit der Anfertigung der Dissertation begonnen. Frauen arbeiten im Mittel bereits 1,9 Jahre an ihrer Dissertationsschrift, Männer seit 1,6 Jahren. Gleichzeitig sind Doktorandinnen mit einem Durchschnittsalter von 29,5 Jahren um ein Jahr jünger als Doktoranden (ebenfalls nicht tabelliert). Etwa ein Viertel der Doktorandinnen sind im Ausland geboren. Bei den befragten Doktoranden sind es lediglich etwa 14 Prozent. Die Angaben zur familiären Situation zeigen, dass Doktorandinnen mit etwa 70 Prozent häufiger in einer Partnerschaft leben als Doktoranden, jedoch etwas seltener ständig mit ihrem Partner zusammen in einem Haushalt leben. Des Weiteren haben etwa 13 Prozent der Doktorandinnen und elf Prozent der Doktoranden Kinder. Damit sind Männer unter den Promovierenden, die ständig mit ihrem Partner/ihrer Partner in einem gemeinsamen Haushalt leben, gegenüber Frauen deutlich überrepräsentiert (56,3%), während sie unter den Promovierenden mit Kindern mit 51,2 Prozent nur etwas stärker vertreten sind als Frauen. Des Weiteren wünschen sich etwa drei Viertel der Doktorandinnen und 69,8 Prozent der Doktoranden (weitere) Kinder.
Profil der Befragten
85
Die Information über eine wissenschaftliche Verankerung der Befragten wird aus der Beschäftigungssituation der Befragten gewonnen. Diese gibt Auskunft über den wissenschaftlichen Arbeitskontext der Promovierenden. In Anlehnung an die bundesweite THESIS-Doktorandenbefragung von 2004 promovieren Mitarbeiter an einem Lehrstuhl / einem Forschungsinstitut, Projektmitarbeiter und Mitglieder von Graduiertenkollegs innerhalb eines wissenschaftlichen Kontextes. Dahingegen werden Arbeitslose, nicht Erwerbstätige, extern Erwerbstätige und Stipendiaten/innen ohne Einbindung in ein Kolleg zu den Promovierenden ohne wissenschaftliche Verankerung gezählt (Gerhardt et al. 2005).95 Tabelle 2 zeigt, dass der Großteil der Promovierenden eine wissenschaftliche Verankerung aufweist. Dabei fällt der Anteil unter den Doktoranden mit 75,5 Prozent höher aus als bei Doktorandinnen (67,3%). Es ist davon auszugehen, dass Stipendiatinnen und Stipendiaten noch einen größeren Bezug zur Universität und zu universitären Praktiken aufweisen als externe Promovierende. Des Weiteren erlauben Stipendien zumeist eine hohe Konzentration auf die Promotion und bieten größere Handlungsspielräume als Modelle mit Verankerung oder bei externen Erwerbstätigkeiten. Differenziert man die Promovierenden ohne Verankerung daher zusätzlich nach externen Promovierenden (keine Mitarbeiter oder Stipendiaten) und freien Stipendiaten, lassen sich ebenfalls Unterschiede nach dem Geschlecht feststellen. Dabei liegen die Anteile unter den Doktorandinnen sowohl für Stipendiatinnen (12,7%) als auch für externe Promovierende (20,0%) über den Anteilen unter den Doktoranden (10,9 bzw. 13,5%). Promotionen mit wissenschaftlicher Verankerung unterscheiden sich außerdem in den drei Sektionen. Dabei weisen Promovierende der Naturwissenschaften am häufigsten eine wissenschaftliche Verankerung auf (86,2%). Dahinter folgen mit einem Anteil von mehr als zwei Dritteln die Promovierenden der Rechts-/Wirtschafts-/Verwaltungswissenschaften und mit einem vergleichsweise geringen Anteil von 45,0 Prozent die Promovierenden der Geisteswissenschaften. Die wissenschaftliche Verankerung wird in der oben beschriebenen Form als binäre Variable bei den multivariaten Analysen berücksichtigt. Die partiellen Effekte besagen dabei, ob sich die Promotionssituation bei vorhandener Verankerung gegenüber nicht vorhandener Verankerung (=Referenzkategorie) verändert. In einigen Fällen wird werden Promovierende ohne Verankerung zusätzlich in externe Promovierende und Promovierende auf Stipendien unterschieden. Betrachtet werden dann jeweils die Effekte von Stipendienmodellen und Modellen mit Verankerung gegenüber externen Promovierenden (=Referenzkategorie).
95
Von einer Verankerung wird ausgegangen, wenn mindestens eine der entsprechenden Kategorien genannt wird.
86
Promotionsphase: Qualifikationsbedingungen und Abbruchrisiken
Tabelle 2: Wissenschaftliche Verankerung und wissenschaftliches Karriereziel nach Geschlecht Männer n
Frauen %
n
Gesamt %
n
%
Wissenschaftliche Verankerung1 Ja Nein Total2
145 47 192
75,5 24,5 100,0
101 49 150
67,3 32,7 100,0
246 96 342
71,9 28,1 100,0
Wissenschaftskarriere angestrebt3 Ja Nein Total
84 120 204
41,2 58,8 100,0
69 88 157
43,9 56,1 100,0
153 208 361
42,4 57,6 100,0
Fragen: 1) Nun interessiert uns Ihre anfängliche und jetzige Beschäftigungssituation bzw. wie Sie die Phase Ihrer Promotion finanzieren! Welche der folgenden Aussagen beschreibt Ihre jetzige Situation am besten? (Antwortkategorien: Mitarbeiter/in an einem Lehrstuhl oder einem universitären Forschungsinstitut, Mitarbeiter/in an einem außeruniversitären Forschungsinstitut, Projektmitarbeiter/in (Beschäftigung im Rahmen eines Drittmittelprojekts), Mitglied eines Graduiertenkollegs, Stipendiat/in, aber ohne Einbindung in ein Kolleg (individuelle Förderung), Externe/r Doktorand/in (weder Mitarbeiter noch Stipendiat) und mit Bezug zum Dissertationsthema erwerbstätig, Externe/r Doktorand/in (weder Mitarbeiter noch Stipendiat) und ohne Bezug zum Dissertationsthema erwerbstätig, Externe/r Doktorand/in und arbeitslos gemeldet, Externe/r Doktorand/in und nicht erwerbstätig). 2) Welches berufliche Ziel strebten Sie zum Zeitpunkt der Entscheidung für die Promotion vorrangig an? (Antwortkategorien: Laufbahn als Hochschullehrer/in, Eine andere wissenschaftliche Tätigkeit, Eine nicht wissenschaftliche Tätigkeit, Ich hatte mich noch nicht entschieden, Sonstiges). 1 Die Zuordnung der Kategorien erfolgt in Anlehnung an THESIS. Demzufolge promovieren Mitarbeiter/innen an einem Lehrstuhl/Forschungsinstitut, Projektmitarbeiter/innen, Mitglieder von Graduiertenkollegs mit Verankerung; ohne wissenschaftliche Verankerung promovieren externe Doktoranden und Stipendiaten/innen ohne Einbindung in ein Kolleg. 2 Abweichungen ergeben sich durch fehlende Angaben. 3 Die Zuordnung der Kategorien setzt sich wie folgt zusammen: Wissenschaftskarriere angestrebt: „Laufbahn als Hochschullehrer“, „andere wissenschaftliche Tätigkeit“; keine Wissenschaftskarriere angestrebt: „nicht wissenschaftliche Tätigkeit“, „noch nicht entschieden“. Die Angaben unter „Sonstiges“ wurden vor der Kategorisierung den übrigen Antwortkategorien zugeordnet.
Das angestrebte Berufsziel gibt an, ob die Promovierenden eine wissenschaftliche oder aber eine andere Berufstätigkeit anstreben bzw. hinsichtlich ihres Berufsziels noch unentschlossen sind. Unter das Ziel einer wissenschaftlichen Tätigkeit fallen dabei eine Hochschullehrerlaufbahn und eine andere wissenschaftliche Tätigkeit; unter anderen Berufszielen werden Promovierende, die eine nicht wissenschaftliche oder sonstige Tätigkeit anstreben oder noch unentschlossen sind, subsumiert. Dieses Merkmal wird in den multivariaten Auswertungen als Kontrollvariable berücksichtigt (Referenzkategorie: nicht wissenschaftliches Berufsziel). Somit können Geschlechtsunterschiede, die auf eine unterschiedliche Karriereorientierung von Männern und Frauen zu Beginn der Promotion zurückgehen, eliminiert werden. Auf Basis der vier ursprünglichen Antwortkategorien zum angestrebten Berufsziel zeigen sich allenfalls geringe Unterschiede zwischen Männern und Frauen.
Objektive Faktoren und Zusammenhänge
87
Mit ungefähr 35 Prozent gibt der Großteil der Promovierenden an, sich hinsichtlich ihres Berufsziels noch nicht entschieden zu haben. Danach folgen mit Anteilen zwischen 22,4 bzw. 20,8 Prozent die Ziele einer nicht wissenschaftlichen, einer wissenschaftlichen Tätigkeit und einer Laufbahn als Hochschullehrer. Fasst man die Antworten für eine Hochschullehrerlaufbahn oder eine andere wissenschaftliche Tätigkeit zusammen, streben 43,9 Prozent der Doktorandinnen und 41,2 Prozent der Doktoranden eine wissenschaftliche Berufstätigkeit an. In den Sektionen bestehen ebenfalls erhebliche Unterschiede. So liegt bei mehr als der Hälfte der Promovierenden der Geisteswissenschaften (55,3%) eine wissenschaftliche Karriereorientierung vor, aber bei nur 47,0 Prozent der Promovierenden aus den Naturwissenschaften und 22,8 Prozent aus den Rechts-/Wirtschafts-/Verwaltungswissenschaften. Wissenschaftliche Verankerung und berufliche Aspirationen werden unter der Berücksichtigung der übrigen Kontrollvariablen in den Abschnitten 3.3.1 und 3.4.1 näher betrachtet. 3.3 Objektive Faktoren und Zusammenhänge Bevor die subjektiven Wahrnehmungen der Befragten näher betrachtet werden, folgt zunächst die Untersuchung der objektiven Promotionsbedingungen von Doktorandinnen und Doktoranden an der Universität Konstanz. 3.3.1 Situation im universitären Umfeld Finanzierung der Promotion Die Finanzierung der Promotionsphase ist für den Fortschritt der Promotion und im Hinblick auf die Erfahrungen im Wissenschaftssystem von Bedeutung. Zum einen bedeutet eine Promotionsstelle an einem Lehrstuhl oder in einem Drittmittelprojekt zumeist eine recht hohe finanzielle Planungssicherheit, da diese Stellen in der Regel auf drei Jahre befristet sind. Dahingegen ist die Laufzeit von Stipendien häufig auf ein bis zwei Jahre begrenzt und auch Hilfskraftstellen und Werkverträge sind meist mit kleineren Projekten und damit kürzeren Laufzeiten verbunden. Zum anderen bieten Lehrstuhl- und Projektstellen einen tieferen Einblick in die wissenschaftlichen Praktiken, geben oftmals bessere Möglichkeiten zum Aufbau wissenschaftlicher Kontakte auch über die eigene Universität hinaus, als dies über Stipendien oder Werkverträge geschehen könnte. Gleichzeitig sind diese Beschäftigungsformen jedoch mit hohen Arbeitsbelastungen verbunden, die sich eventuell negativ auf den Promotionsfortschritt auswirken könnten.
88
Promotionsphase: Qualifikationsbedingungen und Abbruchrisiken
Auf der Grundlage der Hauptfinanzierungsquellen der befragten Promovierenden wird daher betrachtet, ob Doktorandinnen und Doktoranden ihre Promotion mit unterschiedlichen Mitteln finanzieren (Abbildung 3). Dabei dominiert die Finanzierung durch eine Mitarbeiterstelle bei Doktorandinnen und Doktoranden mit deutlichem Abstand vor den übrigen Finanzierungsmöglichkeiten (38,8%). An zweiter Stelle steht das Promotionsstipendium (22,4%) knapp vor der Beschäftigung auf einer Drittmittelstelle (21,1%). Abbildung 3: Hauptfinanzierungsquelle nach Geschlecht (in Prozent mit Angabe der Prozentpunktdiff.) 50
-11,1
6,5
-1,2
3,2
40 30
Männer
20
Frauen
10 Erwerbstätigk. außerhalb Universität/Forschungseinrichtung
Drittmittelstelle
(Promotions-) Stipendium
Mitarbeiterstelle an Universität/ Forschungseinrichtung
0
Nur Gesamtanteile größer fünf Prozent. N Gesamt: 361; N Männer: 204; N Frauen: 157. Frage: Nennen Sie uns bitte Ihre drei wichtigsten Finanzierungsquellen während Ihrer Promotion. Sortieren Sie diese dabei nach ihrer Wichtigkeit, indem Sie ihnen Nummern zuordnen (1=„Hauptfinanzierungsquelle“, 2=„zweitwichtigste Finanzierungsquelle“, 3=„drittwichtigste Finanzierungsquelle“). Erfasste Finanzierungsquellen: Mitarbeiterstelle an einer Universität bzw. Forschungseinrichtung, Drittmittelstelle, Hilfskraftstelle bzw. Werkvertrag an einer Universität oder Forschungseinrichtung, (Promotions-)Stipendium, Selbstständigkeit/freiberufliche Tätigkeit, Arbeitslosengeld/Arbeitslosenhilfe, Sozialhilfe, Eigene Ersparnisse, Finanzielle Unterstützung durch Eltern, Finanzielle Unterstützung durch Partner/in, Sonstiges.
Während bei einer Beschäftigung auf einer Drittmittelstelle keine nennenswerten Geschlechtsunterschiede bestehen, finanzieren Doktorandinnen ihre Promotion deutlich häufiger durch ein Stipendium und seltener durch Mitarbeiterstellen als Doktoranden. Eine Erwerbstätigkeit außerhalb der Universität dient für etwa acht Prozent der Befragten als Hauptfinanzierungsquelle. Die übrigen Finanzierungsarten sind als Hauptfinanzierungsquelle nicht bedeutsam und werden von weniger als fünf Prozent der Befragten genannt.
89
Objektive Faktoren und Zusammenhänge
Die multivariate Betrachtung der Finanzierung durch eine Mitarbeiterstelle und ein Promotionsstipendium gibt Aufschluss, ob die festgestellten Geschlechtsunterschiede mit weiteren Merkmalen der Befragten zusammenhängen oder tatsächlich mit dem Geschlecht der Befragten zu tun haben (jeweils Modell 1). Zusätzlich werden in den Modellen 2 und 3 jeweils geschlechtsspezifische Effekte der berücksichtigten Merkmale erfasst.96 Tabelle 3 zeigt die anhand logistischer Regressionen berechneten Marginaleffekte (bzw. discrete changes für dichotome Variablen) für die Wahrscheinlichkeit, dass die überwiegende Finanzierung der Promotion (unter Kontrolle der übrigen Merkmale) durch eine Mitarbeiterstelle erfolgt. Modell 1 zeigt für das Geschlecht einen Wert von -0,0676. Dies bedeutet, dass Doktorandinnen ihre Promotion um 6,8 Prozentpunkte seltener als Doktoranden durch eine Mitarbeiterstelle finanzieren. Tabelle 3: Hauptfinanzierungsquelle nach Geschlecht: Mitarbeiterstelle (logistische Regressionen) (1) Gesamt Geschlecht (d) (1=Frau) Alter Alter2 Wissenschaftskarriere angestrebt (d) (1=ja) NW Sektion (d) RWV Sektion (d) Observations Pseudo R2
-0,068 0,078 -0,001 -0,040 0,379 *** 0,279 ** 353 0,079
(2) Männer 0,086 -0,001 -0,050 0,417 *** 0,295 * 200 0,080
(3) Frauen 0,051 -0,001 -0,021 0,329 ** 0,259 * 153 0,061
Marginal effects (d) for discrete change of dummy variable from 0 to 1; * p < 0,05, ** p < 0,01, *** p < 0,001. Referenzkategorie Sektionen: GW Sektion. Geschlechtseffekte je Sektion (Prozentpunktdifferenzen): GW Sektion: -1,5 (N=83); NW Sektion: -8,0 (N=172); RWV Sektion: -6,0 (N=98).
Der Rückgang des Geschlechtsunterschieds von ursprünglich etwa elf Prozentpunkten zuungunsten der Doktorandinnen erklärt sich größtenteils durch die Verteilung der Doktorandinnen und Doktoranden auf die Sektionen. Die Modelle 2 und 3 zeigen, dass für Männer und Frauen jeweils ähnliche Effekte bestehen: In der Rechts-/Wirtschafts-/Verwaltungswissenschaftlichen Sektion und insbesondere in der Naturwissenschaftlichen Sektion stellt eine Mitarbeiterstelle häufiger die Hauptfinanzierungsquelle dar als in der Geisteswissenschaftlichen Sektion. In der Legende von Tabelle 3 werden die Geschlechtsunterschiede für die Sektionen getrennt be96
Für weitere Informationen zu Vorgehen und Interpretationslogik bei multivariaten Analysen vgl. Abschnitte 2.4 und 3.1.
90
Promotionsphase: Qualifikationsbedingungen und Abbruchrisiken
richtet. Es zeigt sich, dass Frauen in allen drei Sektionen seltener eine Mitarbeiterstelle nützen als Männer, wobei die Unterschiede in den Sektionen gering sind. Es lässt sich folglich festhalten, dass Frauen die Möglichkeit zu dieser vergleichsweise sicheren Finanzierungsmöglichkeit generell und in allen Sektionen seltener nützen oder nützen können als Männer. Komplementär zur Mitarbeiterstelle sehen Doktorandinnen ein Promotionsstipendium auch unter Berücksichtigung des Alters, des Berufsziels und der Sektionszugehörigkeit um 3,9 Prozentpunkte häufiger als Hauptfinanzierungsquelle als Doktoranden (Tabelle 4). Wiederum tragen die berücksichtigten Merkmale zur Erklärung des ursprünglichen Geschlechtsunterschieds bei. Dabei hat das Promotionsstipendium in der Geisteswissenschaftlichen Sektion (ebenfalls komplementär zur Mitarbeiterstelle) ein größeres Gewicht als in den beiden anderen Sektionen. Die nach Sektionen getrennten Analysen offenbaren unterschiedliche Bedingungen für Männer und Frauen.97 So erfolgt die Finanzierung in den Rechts-/Wirtschafts/Verwaltungswissenschaften bei Frauen deutlich häufiger durch ein Stipendium als bei Männern, während in den beiden anderen Sektionen keine nennenswerten Geschlechtsunterschiede zu verzeichnen sind. Hinweise auf Verstärkungs- oder Ausgleichsmechanismen bestehen nicht. Tabelle 4: Hauptfinanzierungsquelle nach Geschlecht: Promotionsstipendium (logistische Regressionen) (1) Gesamt Geschlecht (d) (1=Frau) Alter Alter2 Wissenschaftskarriere angestrebt (d) (1=ja) NW Sektion (d) RWV Sektion (d) Observations Pseudo R2
0,039 0,002 0,000 0,076 -0,201 *** -0,149 ** 353 0,067
(2) Männer 0,006 0,000 0,074 -0,183 ** -0,159 ** 200 0,069
(3) Frauen 0,042 -0,001 0,065 -0,231 ** -0,145 153 0,065
Marginal effects (d) for discrete change of dummy variable from 0 to 1; * p < 0,05, ** p < 0,01, *** p < 0,001. Referenzkategorie Sektionen: GW Sektion. Geschlechtseffekte je Sektion (Prozentpunktdifferenzen): GW Sektion: 2,1 (N=83); NW Sektion: -1,7 (N=172); RWV Sektion: 10,0 (N=98).
97
Die Geschlechtsunterschiede, die sich bei den nach Sektionen getrennten Analysen ergeben, werden jeweils in den Legenden der multivariaten Modelle berichtet.
Objektive Faktoren und Zusammenhänge
91
Damit finanzieren Frauen ihre Promotion häufiger durch eine Möglichkeit, die eine von anderen Verpflichtungen unabhängige Arbeit an ihrem Dissertationsthema erlaubt, generell jedoch stärker zeitlich begrenzt ist, als dies bei Mitarbeiterstellen der Fall ist. Gleichzeitig ist die Finanzierungssituation mit unterschiedlichen Möglichkeiten der Einbindung in den wissenschaftlichen Alltag verknüpft, wobei bei Stipendien aufgrund der räumlichen Unabhängigkeit von einer geringeren Einbindung ausgegangen werden kann. Dieser Gedanke nachfolgend bei der institutionellen und sozialen Einbindung wieder aufgenommen. Auch die Anzahl der Finanzierungsquellen liefert einen Hinweis dafür, ob während der Promotionsphase finanzielle Unsicherheiten bestehen, die wiederum zu Belastungen führen könnten. Die meisten Promovierenden nützen drei verschiedene Quellen (42,9%).98 Dabei liegt der Anteil der Doktorandinnen mit 46,5 Prozent über dem der Doktoranden (40,2%). Umgekehrt nennen Doktoranden etwas häufiger zwei oder nur eine Finanzierungsquelle. Bundesweite Ergebnisse belegen die Finanzierung der Promotion durch mehrere, zumeist befristete Quellen zwar als Regelfall99, gleichwohl scheinen die Konstanzer Doktorandinnen häufiger von Finanzierungsengpässen betroffen zu sein, als dies bei den Doktoranden der Fall ist. Dennoch müssen häufigere Wechsel der Finanzierungsquellen nicht zwangsläufig mit Unsicherheiten oder finanziellen Engpässen einhergehen. Daher wurden die Promovierenden um die Angabe bereits aufgetretener Finanzierungsprobleme oder Unsicherheiten gebeten.100 Reale Finanzierungsprobleme sind bei etwa einem Fünftel der Promovierenden schon einmal aufgetreten (21,0%). Doktorandinnen hatten mit einem Anteil von 25,2 Prozent bereits häufiger solche Probleme als Doktoranden (17,8%). Mit der Ungewissheit über die Weiterfinanzierung der Promotion waren bisher mehr als ein Viertel aller Promovierenden konfrontiert (26,3%). Damit treten finanzielle Unsicherheiten häufiger auf als reale Finanzierungsengpässe. Gleichzeitig sind die Unterschiede zwischen Männern und Frauen größer: Doktorandinnen berichten um etwa elf Prozentpunkte häufiger finanzielle Unsicherheiten als Doktoranden.101 Die wissenschaftliche Verankerung, das Lebensalter, Berufsziel und die Sektionszugehörigkeit tragen nur teilweise zur Aufklärung des Geschlechtsunterschieds bei finanziellen Unsicherheiten bei. Dabei haben die horizontale Segregation der 98
Aufgrund der Nennung von maximal drei Finanzierungsquellen ist nicht auszuschließen, dass die tatsächliche Anzahl tendenziell unterschätzt wird. 99 Vgl. hierzu Röbbecke/Simon 2001: 43 ff. 100 Beide Aspekte wurden mit einer fünfstufigen Skala erfasst (von 1=“trifft überhaupt nicht zu“ bis 5=“trifft voll und ganz zu“). Frageformulierung und Items lauteten: Nachfolgend sind mögliche Schwierigkeiten aufgeführt, die sich auf das Voranschreiten der Arbeiten am Dissertationsprojekt auswirken können. Wie ist das bei Ihnen? Items: „Es gab Probleme mit der Finanzierung meiner Promotion“, „Es herrschte Ungewissheit über die Weiterfinanzierung meiner Promotion“. 101 Finanzielle Unsicherheiten werden von 32,5 Prozent der Doktorandinnen und 21,6 Prozent der Doktoranden angeführt. Dieser Geschlechtsunterschied ist zudem signifikant bei p<0,05.
92
Promotionsphase: Qualifikationsbedingungen und Abbruchrisiken
Promovierenden und das angestrebte Berufsziel die größte Erklärungskraft. Weiterhin sind Doktorandinnen um etwa sieben Prozentpunkte häufiger betroffen als Doktoranden (vgl. Tabelle 5, Modell 1). Neben dem Geschlecht weist auch die Verankerung auffallende Effekte auf. Dabei besteht bei universitären Anstellungsverhältnissen eine eher hohe Planungssicherheit, denn Personen mit wissenschaftlicher Verankerung berichten seltener von Finanzierungsunsicherheiten als Promovierende ohne Verankerung. Dies dürfte mit ihrer besseren Einbindung in informelle Kontaktnetze und dem damit verbundenen höheren Informationsgrad über mögliche Anschlussfinanzierungen einhergehen. Tabelle 5: Ungewissheit einer Weiterfinanzierung nach Geschlecht (logistische Regressionen) (1) Gesamt Geschlecht (d) (1=Frau) Alter Alter2 Wissenschaftskarriere angestrebt (d) (1=ja) Wissenschaftliche Verankerung (d) (1=ja) NW Sektion (d) RWV Sektion (d) Observations Pseudo R2
(2) Männer
(3) Frauen
0,068 0,019 0,000 0,099 * -0,107 0,033 -0,060
0,008 0,000 0,099 -0,103 0,106 0,035
0,038 0,000 0,126 -0,110 -0,030 -0,135
331 0,036
188 0,025
143 0,053
Marginal effects (d) for discrete change of dummy variable from 0 to 1; * p < 0,05, ** p < 0,01, *** p < 0,001. Referenzkategorie Sektionen: GW Sektion. Geschlechtseffekte je Sektion (Prozentpunktdifferenzen): GW Sektion: 27,9** (N=85); NW Sektion: 4,0 (N=172); RWV Sektion: aufgrund der zu geringen Varianz keine Berechnung möglich.
Die Geschlechtsunterschiede in den drei Sektionen zeigen, dass die häufigeren Finanzierungsunsicherheiten der Frauen nicht (ausschließlich) mit der unterschiedlichen Konzentration von Frauen auf die Sektionen zu tun hat. Vielmehr bestehen Hinweise auf geschlechtsspezifisch wirksame Fachkulturen. Die Ursachen für hierfür sind kaum auf die Befristungskulturen in einzelnen Sektionen zurückzuführen.102 Naheliegender erscheinen die auch in anderen Studien belegte strategischere Karriereplanung und auf Langfristigkeit ausgelegte Betreuung von Männern (Allmendinger et al. 2000, DFG 2002). Hinweise auf geschlechtsspezifische Verstärkungs- oder Ausgleichsprozesse durch die Promotionsmodelle bestehen nicht. Für das Auftreten realer Finanzierungsprobleme finden sich grundsätzlich ver102 Beispielsweise werden erwerbstätige Geisteswissenschaftlerinnen unter Einbezug universitärer und anderer Stellen seltener befristet beschäftigt als Geisteswissenschaftler (72 gegenüber 89%).
Objektive Faktoren und Zusammenhänge
93
gleichbare Effekte, wobei der Geschlechtseffekt mit etwa vier Punkten zuungunsten der Doktorandinnen etwas geringer ausfällt. Institutionelle und soziale Einbindung Wie in Abschnitt 3.2 bereits dargestellt, promovieren etwas weniger als zwei Drittel der Befragten mit wissenschaftlicher Verankerung (71,9%). Dabei weisen Doktorandinnen mit 67,3 Prozent seltener eine wissenschaftliche Verankerung auf als Doktoranden (75,5 Prozent). Die multivariate Betrachtung ergibt für Doktorandinnen sogar eine um sieben Prozentpunkte geringere Quote für ein Promotionsmodell mit wissenschaftlicher Verankerung (Tabelle 6, Modell 1). Der Anstieg des Geschlechtsunterschieds ist überwiegend auf die Konzentration von Frauen auf die Geisteswissenschaften zurückzuführen (vgl. Abschnitt 3.2), wo Promotionsmodelle mit wissenschaftlicher Verankerung für beide Geschlechter seltener sind als in den beiden anderen Sektionen. Dennoch belegen die nach Sektion getrennten Analysen für Doktorandinnen aller Sektionen eine seltenere Verankerung, obwohl die Unterschiede auffallend variieren. Der größte Geschlechtsunterschied besteht in den Geisteswissenschaften, wo die Chance von Frauen auf ein Promotionsmodell mit wissenschaftlicher Verankerung um 15 Prozentpunkte geringer ausfällt als für Männer. Demnach bestehen besonders ungünstige Bedingungen für Frauen genau in der Sektion, in der sie zahlenmäßig dominieren und somit eine hohe Anzahl an Wissenschaftlerinnen für die Mitarbeit an universitären Aufgaben und Projekten zur Verfügung stehen. Demzufolge ist die für Frauen geringe Chance auf eine wissenschaftliche Verankerung nicht als ein Phänomen zu verstehen, das alle Sektionen gleichermaßen betrifft, sondern verweist auf die Verstärkung dieser Barriere für Doktorandinnen der Geisteswissenschaften. Aus den bisherigen Befunden ist bekannt, dass Frauen häufiger auf Stipendien und als externe Doktorandinnen promovieren als Männer (Abschnitt 3.2). Schließt man daher externe Promovierende aus der Analyse aus, geht der Unterschied zwischen Männern und Frauen deutlich zurück, so dass die Chancen von Frauen und Männern auf ein Promotionsmodell mit Verankerung gegenüber einem Stipendienmodell nahezu ausgeglichen sind. Sofern überhaupt ein Bezug zu einer Forschungseinrichtung vorhanden ist, bestehen demnach nahezu ausgeglichene Chancen für Frauen und Männer auf ein Promotionsmodell mit Verankerung. Um weitere Informationen über die Stärke und Qualität der Einbindung in die Wissenschaftsgemeinschaft zu erhalten, wird neben der institutionellen eine soziale Dimension betrachtet. Hierfür wurden die Promovierenden um Auskunft darüber gebeten, wie häufig sie Vorträge in Forschungskolloquien hielten oder an Kongres-
94
Promotionsphase: Qualifikationsbedingungen und Abbruchrisiken
sen mit und ohne Vortragstätigkeit teilgenommen haben.103 Bei den multivariaten Analysen werden jeweils die Geschlechtsunterschiede bei den Durchschnittshäufigkeiten betrachtet (Mediane). Tabelle 6: Wissenschaftliche Verankerung nach Geschlecht (logistische Regressionen) (1) Gesamt Geschlecht (d) (1=Frau) Alter Alter2 Wissenschaftskarriere angestrebt (d) (1=ja) NW Sektion (d) RWV Sektion (d) Observations Pseudo R2
-0,071 0,045 -0,001 0,047 0,382 *** 0,186 *** 334 0,146
(2) Männer 0,188 -0,003 0,027 0,364 *** 0,164 * 188 0,158
(3) Frauen -0,035 0,000 0,056 0,436 *** 0,241 ** 146 0,155
Marginal effects (d) for discrete change of dummy variable from 0 to 1; * p < 0,05, ** p < 0,01, *** p < 0,001. Referenzkategorie Sektionen: GW Sektion. Geschlechtseffekte je Sektion (Prozentpunktdifferenzen): GW Sektion: -15,0 (N=73); NW Sektion: -1,6 (N=167); RWV Sektion: -11,1 (N=94).
Dabei hat der Großteil der Befragten in den letzten zwölf Monaten ein bis zwei Vorträge in Forschungskolloquien gehalten (47,9%), ungefähr ein weiteres Viertel (25,2) sogar keinen Vortrag. Demgegenüber fallen die Anteile für drei bis vier Vorträge (18,0%) und mehr als vier Vorträge (8,9%) deutlich geringer aus. Weiterhin haben Doktorandinnen etwas häufiger nur ein bis zwei Vorträge gehalten (50,6%) als Doktoranden (45,9%). Der Median der Vortragshäufigkeit über alle Promovierende liegt bei ein bis zwei Vorträgen in den letzten zwölf Monaten. Die Anteile für eine überdurchschnittliche Vortragshäufigkeit (das heißt mind. drei Vorträge) fallen bei Doktoranden mit 28,3 Prozent etwas höher aus als für Doktorandinnen (25,0%). Dieser Geschlechtsunterschied geht bei Berücksichtigung der weiteren Einflussfaktoren auf etwa zwei Punkte zuungunsten von Doktorandinnen zurück (Tabelle 7). Zugleich ist die Wahrscheinlichkeit einer überdurchschnittlichen Vortragsaktivität in den Geisteswissenschaften geringer als in den Naturwissenschaften und höher als in den Rechts-/Wirtschafts-/Verwaltungswissenschaften. Die Geschlechtsunterschiede in den Sektionen belegen keine geschlechtsspezifi103 Die Häufigkeiten wurden jeweils kategorial erfasst. Für Vorträge in Kolloquien wurden die Antwortkategorien „nie“, „ein bis zwei Mal“, „drei bis vier Mal“, „mehr als vier Mal“ unterschieden, für die Erfassung von Kongressteilnahmen die Antwortkategorien „nie“, „ein Mal“, „zwei Mal“, „mehr als zwei Mal“.
95
Objektive Faktoren und Zusammenhänge
schen Fachkulturen. Eine wissenschaftliche Verankerung wird von Frauen im Gegensatz zu Männern häufiger zu Vorträgen in Kolloquien genützt. Möglicherweise bestehen für Männer mit Verankerung im Gegensatz zu Frauen günstigere Gelegenheiten, auf informellen Wegen Rückmeldungen zu ihrer Promotionsarbeit zu erhalten. Anscheinend werden hier gemeinsame Präsenzzeiten an der Universität, Projektbesprechungen oder auch Mensabesuche für punktuelle Rückmeldungen zur Promotion genützt. Tabelle 7: Überdurchschnittliche Anzahl an Vorträgen in Forschungskolloquien nach Geschlecht (logistische Regressionen; Median: 2-3 Vorträge) (1) Gesamt Geschlecht (d) (1=Frau) Alter Alter2 Wissenschaftskarriere angestrebt (d) (1=ja) Wissenschaftliche Verankerung (d) (1=ja) NW Sektion (d) RWV Sektion (d) Observations Pseudo R2
(2) Männer
(3) Frauen
-0,022 0,013 0,000 -0,141 ** 0,068 0,078 -0,150 *
0,299 * -0,005 * -0,117 * -0,061 0,132 -0,125
-0,019 0,000 -0,156 * 0,145 * 0,037 -0,120
330 0,073
188 0,111
142 0,079
Marginal effects (d) for discrete change of dummy variable from 0 to 1; * p < 0,05, ** p < 0,01, *** p < 0,001. Referenzkategorie Sektionen: GW Sektion. Geschlechtseffekte je Sektion (Prozentpunktdifferenzen): GW Sektion: -1,1 (N=73); NW Sektion: -3,4 (N=166); RWV Sektion: 2,7 (N=91).
Nicht tabelliert ist die Differenzierung der Promovierenden ohne Verankerung in externe Promovierende und Stipendiat/innen. Dabei tragen Promovierende mit Verankerung auch gegenüber externen Promovierenden häufiger mehr als zwei Mal auf Kolloquien vor. Dies gilt besonders für Frauen. Demzufolge ist eine wissenschaftliche Verankerung für die Vortragsaktivität der Frauen in beiden Fällen besonders zuträglich, so dass diese den generell bestehenden Nachteil eher ausgleichen können. Doch auch Promovierende auf Stipendien erreichen öfter eine überdurchschnittliche Vortragshäufigkeit als externe Promovierende. Dies gilt für Männer und Frauen gleichermaßen. Demzufolge bieten Kolloquien für diese Gruppe eine wichtige Möglichkeit der Einbindung in die Wissenschaftsgemeinschaft. Auch die Teilnahme an nationalen und internationalen Kongressen liefert weiteren Aufschluss über die Einbindung in die Wissenschaftsgemeinschaft und ist insbesondere im Hinblick auf die fachöffentliche Sichtbarkeit von Bedeutung. Dabei hat der Großteil der Promovierenden in den letzten zwölf Monaten an keinem Kongress ohne Vortragstätigkeit teilgenommen (47,0%). Ein weiteres Viertel hat ei-
96
Promotionsphase: Qualifikationsbedingungen und Abbruchrisiken
nen Kongress besucht (25,3%) und lediglich 15,7 Prozent bzw. 12,0 Prozent der Promovierenden geben an, zwei bzw. mehr als zwei Kongresse besucht zu haben. Des Weiteren haben Doktorandinnen (49,3%) häufiger keinen Kongress besucht als Doktoranden (45,1%). Damit liegt der Median bei einer Kongressteilnahme in den letzten zwölf Monaten, wobei Doktorandinnen mit 26,5 Prozent etwas seltener überdurchschnittlich häufig an Kongressen ohne Vortragstätigkeit teilnehmen als Doktoranden (28,7%). Trotz des relativ geringen Geschlechtsunterschieds wird die Häufigkeit an Kongressteilnahmen aufgrund der häufigen Debatte zur mangelnden Einbindung und Sichtbarkeit von Doktorandinnen multivariat betrachtet (vgl. z.B. Prommer et al. 2006, Allmendinger et al. 2000, Fuchs et al. 2001, Lind 2004). Dabei bleibt der Geschlechtsunterschied weitgehend unverändert.104 Bedeutsamer als Kongressteilnahmen ohne Vortragstätigkeit sind jedoch Teilnahmen als Referent oder Referentin, von welchen eine stärkere Sichtbarkeit in der Wissenschaftsgemeinschaft ausgeht. Zunächst ist festzustellen, dass über die Hälfte der Promovierenden (58,3%) in den letzten zwölf Monaten keinen Vortrag auf Kongressen gehalten hat. Lediglich 17,2 Prozent haben einen Vortrag gehalten, weitere 12,9 bzw. 11,9 Prozent haben zwei bzw. mehr als zwei Vorträge gehalten. Der Median liegt damit bei null gehaltenen Vorträgen, wobei Doktoranden etwas häufiger keine Vortragsaktivität aufweisen (59,9%) als Doktorandinnen (56,3%). Damit wird eine überdurchschnittliche Vortragsaktivität von Doktorandinnen um 3,6 Prozentpunkte häufiger erreicht als von Doktoranden. Die Berechnung der Marginaleffekte lässt einen Anstieg des Geschlechtsunterschieds auf nunmehr 6,8 Prozentpunkte zugunsten der Doktorandinnen erkennen. Da Vorträge auf Kongressen maßgeblich vom Forschungsstand der eigenen Arbeiten abhängen dürften, wurde die Promotionsdauer seit Beginn der ersten Vorarbeiten für die Promotion zusätzlich zu den üblichen Merkmalen berücksichtigt. Eine wissenschaftliche Verankerung begünstigt bei Männern und Frauen die Vortragshäufigkeit auf Kongressen. Bei Frauen entspricht dies dem bekannten Muster, wonach diese bei vorhandener institutioneller Einbindung zudem von einer besseren sozialen Einbindung profitieren. Bei Männern wirkte sich eine Verankerung hingegen hemmend auf die Häufigkeiten an Vorträgen in Kolloquien aus. Der nunmehr positive Effekt zeigt, dass eine Verankerung bei Männern für die fachöffentliche Sichtbarkeit außerhalb der eigenen Forschungsinstitution ebenfalls zuträglich ist. Dies bestätigt die Vermutung, dass Doktoranden mit Verankerung bei instituts104 Auffallend ist der starke und signifikante Effekt einer Verankerung bei Doktorandinnen (16,8%Punkte), wohingegen der Effekt bei Doktoranden mit 7,1 Prozentpunkten deutlich schwächer ausfällt. Die größte Auswirkung auf die Kongressteilnahmen hat erneut die Sektionszugehörigkeit in Verbindung mit dem Geschlecht. So erreichen Geisteswissenschaftlerinnen um 24,8 Prozentpunkte häufiger eine überdurchschnittliche Anzahl an Kongressteilnahmen als Geisteswissenschaftler. Umgekehrt verhält sich dies in den beiden anderen Sektionen mit Prozentpunktdifferenzen von 14,9 (Naturwissenschaften) und 4,3 (Rechts-/Wirtschafts-/Verwaltungswissenschaften) Punkten.
97
Objektive Faktoren und Zusammenhänge
internen Formen der Einbindung im Gegensatz zu Doktorandinnen stärker auf informelle Möglichkeiten zurückgreifen können und daher weniger auf formalisierte Formen wie Vorträge in Kolloquien angewiesen sind, als dies bei Doktoranden ohne Verankerung der Fall ist.105 Tabelle 8: Überdurchschnittliche Anzahl an Kongressteilnahmen mit Vortragstätigkeit nach Geschlecht (logistische Regressionen; Median: 0 Vorträge) (1) Gesamt Geschlecht (d) (1=Frau) Alter Alter2 Promotionsdauer1 Wissenschaftskarriere angestrebt (d) (1=ja) Wissenschaftliche Verankerung (d) (1=ja) NW Sektion (d) RWV Sektion (d) Observations Pseudo R2
0,068 0,582 *** -0,009 ** 0,019 -0,006 0,201 ** 0,070 0,051 280 0,084
(2) Männer 0,460 * -0,007 * 0,042 -0,069 0,231 ** 0,059 0,027 155 0,089
(3) Frauen 0,719 ** -0,011 * 0,011 0,073 0,174 0,060 0,049 125 0,093
Marginal effects (d) for discrete change of dummy variable from 0 to 1; * p < 0,05, ** p < 0,01, *** p < 0,001. Referenzkategorie Sektionen: GW Sektion. 1 Promotionsdauer seit Beginn der ersten Vorarbeiten für die Promotion. Geschlechtseffekte je Sektion (Prozentpunktdifferenzen): GW Sektion: 16,4 (N=58); NW Sektion: 3,0 (N=139); RWV Sektion: 4,6 (N=83).
Die Vortragshäufigkeit unterscheidet sich außerdem nach der Sektionszugehörigkeit. Obwohl Männer und Frauen der Geisteswissenschaftlichen Sektion seltener Vorträge halten als in den beiden anderen Sektionen, verweisen die Geschlechtsunterschiede innerhalb der einzelnen Sektionen auf geschlechtsspezifische Fachkulturen. Dabei erreichen Doktorandinnen der Geisteswissenschaften deutlich häufiger eine überdurchschnittliche Vortragsaktivität als Doktoranden dieser Sektion. In den beiden anderen Sektionen bestehen weitaus geringere Geschlechtsunterschiede, so dass Frauen gegenüber Männern ihren Vorsprung bei Vortragsaktivitäten weiter ausbauen können, wenn sie der Geisteswissenschaftlichen Sektion angehören. Hinsichtlich der Kongressteilnahmen der Promovierenden lässt sich insgesamt festhal105 Ähnliche Zusammenhänge zeigen sich, wenn Promovierende mit Verankerung mit externen Promovierenden verglichen werden. Auch gegenüber externen Promovierenden profitieren Männer und Frauen mit etwa 40 bzw. 38 Prozentpunkten von einer Verankerung. Ferner tragen Stipendien zu einer hohen Vortragsaktivität bei, wobei der Zusammenhang bei Männern mit etwa 43 Prozentpunkten gegenüber dem Zusammenhang bei Frauen (39,9%-Punkte) stärker ausfällt.
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Promotionsphase: Qualifikationsbedingungen und Abbruchrisiken
ten, dass Doktorandinnen seltener an Kongressen ohne Vortrag teilnehmen als Doktoranden. Eine Ausnahme besteht lediglich in der Geisteswissenschaftlichen Sektion. Was Kongressteilnahmen mit Vortragsaktivität betrifft, weisen Doktorandinnen hingegen eine größere Sichtbarkeit in der Wissenschaftsgemeinschaft auf. Wiederum nehmen Doktorandinnen der Geisteswissenschaften häufiger an Kongressen mit Vortragstätigkeit teil als Doktoranden und können ihren Vorsprung daher tendenziell ausbauen. Gleiches gilt für Doktorandinnen mit wissenschaftlicher Verankerung. Scheinbar bestehen unter diesen Voraussetzungen für Frauen besonders günstige Bedingungen oder diese Teilgruppen sind besonders um die Erhöhung ihrer Sichtbarkeit in der Wissenschaftsgemeinschaft bemüht. Betreuungssituation Die Betreuung der Promovierenden ist nicht nur ausschlaggebend für den Verlauf und den Abschluss der Promotion, sondern prägt außerdem deren Erfahrungen und beeinflusst somit künftige Karriereentscheidungen. Als zentraler Faktor solcher Erfahrungen wird der Erhalt einer bedarfsgerechten Betreuung näher betrachtet. Was eine bedarfsgerechte Unterstützung ausmacht, ist je nach Anspruch individuell unterschiedlich. Um dem gerecht zu werden, wurden die Promovierenden nach der gewünschten und der erhaltenen Betreuungsintensität gefragt, wobei verschiedene Aspekte erfasst wurden (fachliche Betreuung, Überprüfung des Stands der Dissertation, Vermittlung weiterer Kompetenzen, persönliche Unterstützung/Ermutigung).106 Entspricht das Ausmaß der erhaltenen Betreuung mindestens dem gewünschten Umfang, wird von einer bedarfsgerechten Betreuung ausgegangen. Die folgenden Aussagen zur Betreuungssituation basieren somit auf individuellen Ansprüchen und Erfahrungen der Befragten, im Ergebnis bilden diese aber eine faktische Situation ab.107 Die Anteile der Promovierenden, die eine bedarfsgerechte Betreuung erhalten haben, liegen für die vier erfassten Bereiche zwischen 43,1 Prozent (Vermittlung wissenschaftl. Kompetenzen) und 49,7 Prozent (persönl. Unterstützung). Dabei erhalten Doktorandinnen um 1,7 Prozentpunkte häufiger eine bedarfsgerechte fachliche Betreuung und um 3,4 Prozentpunkte häufiger eine Unterstützung durch die regelmäßige Überprüfung des Stands des Dissertationsprojekts. Umgekehrt verhält sich dies bei der persönlichen Ermutigung und bei der Vermittlung weiterer wissen106 Alle Aspekte wurden jeweils auf einer fünfstufigen Skala abgefragt, von 1=“überhaupt nicht“ bis 5=“sehr intensiv“. Die übrigen Antwortkategorien werden wie folgt verbalisiert: 2=„weniger intensiv“, 3=„mittelstark“, 4=„eher intensiv“. 107 Zusätzlich wird in Abschnitt 3.4.2 das subjektive Erleben der Unterstützung im universitären Umfeld betrachtet. Dieses liefert Erkenntnisse über spezifische Schwierigkeiten und Beeinträchtigungen der Promovierenden.
99
Objektive Faktoren und Zusammenhänge
schaftlicher Kompetenzen. Die Unterschiede fallen mit Prozentpunktdifferenzen von 2,3 Punkten bzw. 5,3 Punkten jedoch eher gering aus. Abbildung 4 zeigt die unter Berücksichtigung der weiteren Merkmale jeweils verbleibenden Unterschiede zwischen Männern und Frauen. Dabei variieren die Geschlechtseffekte je nach Betreuungsbereich auffallend. Während bei der fachlichen Betreuung und der Überprüfung des Dissertationsstands keine nennenswerten Unterschiede zwischen Doktorandinnen und Doktoranden bestehen, zeigen sich bei den beiden anderen Aspekten auffallende Nachteile für Frauen. Diese fallen bei der Vermittlung wissenschaftlicher Kompetenzen mit etwa elf Prozentpunkten besonders deutlich aus. Aber auch hinsichtlich der persönlichen Betreuung werden Doktorandinnen um etwa acht Prozentpunkte seltener bedarfsgerecht betreut als Doktoranden. Dies verdeutlicht einerseits Defizite in der Betreuung, wenn es darum geht, Doktorandinnen auch überfachliche Kompetenzen zu vermitteln, die für die weitere Etablierung im Wissenschaftssystem bedeutsam sind. Andererseits erfahren Doktorandinnen in einem geringeren Ausmaß positive und motivierende Rückmeldungen in Form von Ermutigungen, als es ihrem persönlichen Bedürfnis entspricht. Abbildung 4: Geschlechtsunterschiede bei Aspekten der bedarfsgerechten Betreuung unter Einbezug von Kontrollvariablen (Prozentpunktdiff. von Doktorandinnen und Doktoranden) 0,8
1,2
-7,8
Kontrollvariablen: Alter, angestrebtes * p < 0,05, ** p < 0,01, *** p < 0,001.
Berufsziel,
Persönl. Unterstützung/ Ermutigung
Vermittlung wissenschaftl. Kompetenzen
Überprüfung Dissertationsstand
-11,3*
Fachliche Betreuung
2 0 -2 -4 -6 -8 -10 -12
wissenschaftliche
Verankerung,
Sektionen.
100
Promotionsphase: Qualifikationsbedingungen und Abbruchrisiken
Die hier nicht dokumentierten Effekte des Lebensalters deuten darauf hin, dass Doktorandinnen und Doktoranden unabhängig von der Unterstützungsform eine häufigere bedarfsgerechte Betreuung erhalten, wenn sie das Durchschnittsalter von 30,1 Jahren noch nicht erreicht haben. Doch nicht nur diese jungen und daher möglicherweise als besonders talentiert geltenden Promovierenden profitieren von einer angemessenen Unterstützung, sondern auch Promovierende mit deutlich fortgeschrittenem Alter weisen eine erhöhte Chance auf eine adäquate Betreuung auf. Die Wendepunkte108, ab denen die Wahrscheinlichkeit auf eine adäquate Unterstützungsleistung wieder steigt, variieren für die einzelnen Betreuungsbereiche zwischen 36 Jahren bei der persönlichen Ermutigung und 38 Jahren bei der Überprüfung des Dissertationsstands und der Vermittlung weiterer wissenschaftlicher Kompetenzen. Möglicherweise wird dieser Personengruppe ebenfalls eine besonders hohe Motivation zugeschrieben oder diese hat sich Strategien angeeignet, um häufiger eine angemessene Unterstützung zu erhalten. Für die Effekte der Promotionsmodelle lässt sich festhalten, dass sich eine wissenschaftliche Verankerung für Doktorandinnen und Doktoranden negativ auf die Überprüfung des Dissertationsstands, die Vermittlung weiterer Kompetenzen und die persönliche Ermutigung auswirkt. Bei der fachlichen Betreuung besteht jedoch ein positiver Effekt für Doktoranden. Dies bedeutet, dass Promotionsmodelle mit Verankerung dazu beitragen, dass Frauen ihren Vorsprung bei der fachlichen Betreuung tendenziell einbüßen. Unterscheidet man die Promovierenden ohne Verankerung außerdem in externe Promovierende und Promovierende auf Stipendien, sind je nach Betreuungsbereich und Geschlecht unterschiedliche Effekte festzustellen. Generell stellen Stipendienmodelle und Modelle mit Verankerung gegenüber externen Promotionsmodellen aber zumeist ähnliche Bedingungen bereit, wenn auch Stipendienmodelle für Frauen besonders günstig sind. Beide Modelle tragen dazu bei, dass Frauen ihren Vorsprung bei der fachlichen Betreuung und der Überprüfung des Dissertationsstands weiter ausbauen können und helfen, deren Nachteile bei der Vermittlung wissenschaftlicher Kompetenzen und der persönlichen Unterstützung zu kompensieren. Ein größeres Augenmerk verdienen jedoch die Geschlechtsunterschiede in den drei Sektionen (Abbildung 5). In allen Betreuungsbereichen bestehen in den Geisteswissenschaften für Frauen bessere und in den Naturwissenschaften durchgehend schlechtere Bedingungen als für Männer. In den Geisteswissenschaften finden sich die größten Unterschiede bei der Überprüfung des Dissertationsstands, wo Frauen um 17,3 Prozentpunkte häufiger adäquat betreut werden als Männer. In den Naturwissenschaften sind die größten Unterschiede zwischen Männern und Frauen bei der persönlichen Unterstützung (15,1%-Punkte) zu verzeichnen. In den Rechts108 Diese Wendepunkte lassen sich aus den hier nicht tabellierten Koeffizientenwerten für das Alter und das quadrierte Alter berechnen, vgl. dazu Wooldridge 2003: 189 ff.
101
Objektive Faktoren und Zusammenhänge
/Wirtschafts-/Verwaltungswissenschaften werden Frauen hinsichtlich der Überprüfung des Dissertationsstands etwas häufiger bedarfsgerecht betreut als Männer, der größte Geschlechtsunterschied zum Nachteil von Frauen besteht bei der persönlichen Ermutigung mit einer Differenz von 31,5 Prozentpunkten. Damit werden die Betreuungsbedingungen für Männer und Frauen hochgradig von deren Sektionszugehörigkeit geprägt, wobei insbesondere Naturwissenschaftlerinnen, aber auch Rechts-/Wirtschafts-/Verwaltungswissenschaftlerinnen Entmutigungen durch eine nach ihren Bedürfnissen nicht adäquate Betreuung erfahren dürften. Abbildung 5: Geschlechtsunterschiede bei Aspekten der bedarfsgerechten Betreuung unter Einbezug von Kontrollvariablen (Prozentpunktdiff. von Doktorandinnen und Doktoranden in den Sektionen) 17,3 5,7
2,6
0,4
4,7
4,6
GW Sektion NW Sektion
-2,5 -9,7
-5,7
-6,2 -15,1
RWV Sektion
Persönl. Unterstützung/ Ermutigung
Vermittlung wissenschaftl. Kompetenzen
Überprüfung Dissertationsstand
-31,6**
Fachl. Betreuung
20 15 10 5 0 -5 -10 -15 -20 -25 -30 -35
Kontrollvariablen: Alter, angestrebtes Berufsziel, wissenschaftliche Verankerung. * p < 0,05, ** p < 0,01, *** p < 0,001.
Zeitliche Belastungen Zeitliche Belastungen aufgrund einer parallelen Erwerbstätigkeit gelten als wesentliche Barriere für einen zeitnahen Abschluss der Promotion. Die erwerbstätigen Promovierenden bringen wöchentlich im Mittel 22,8 Stunden für ihre Erwerbstätigkeit auf, was in etwa dem Umfang einer halben Stelle entspricht. Bei Doktorandinnen fällt das Arbeitspensum mit durchschnittlich 24,1 Wochenstunden etwas höher aus als bei Doktoranden (21,7 Wochenstunden). Dieser Unterschied bleibt stabil, wenn die weiteren Variablen berücksichtigt werden (Tabelle 9). Die Promovierenden arbeiten deutlich kürzer, wenn sie eine wissenschaftliche Verankerung aufweisen. Da-
102
Promotionsphase: Qualifikationsbedingungen und Abbruchrisiken
mit sind die Arbeitsbelastungen insbesondere bei externen Arbeitsverhältnissen erhöht.109 Es bestehen keine Hinweise auf Verstärkungs- oder Ausgleichsmechanismen. Tabelle 9:
Wöchentliches Erwerbsarbeitspensum nach Geschlecht (lineare Regressionen) (1) Gesamt
Geschlecht (d) (1=Frau) Alter Alter2 Wissenschaftskarriere angestrebt (d) (1=ja) Wissenschaftliche Verankerung (d) (1=ja) NW Sektion (d) RWV Sektion (d) Constant Observations R2
2,688 1,116 *** -0,061 *** 2,717 -9,572 *** -1,277 2,670 29,400 *** 231 0,204
(2) Männer 0,876 * -0,013 2,853 -7,236 * -4,658 0,625 29,030 *** 131 0,230
(3) Frauen 1,133 * -0,081 ** 2,029 -10,070 ** 0,592 2,605 32,390 *** 100 0,214
Basis: nur Erwerbstätige. Beim Alter wird jeweils der zentrierte Term berücksichtigt. * p < 0,05, ** p < 0,01, *** p < 0,001. Referenzkategorie Sektionen: GW Sektion. Geschlechtseffekte je Sektion (Steigungskoeffizient): GW Sektion: 3,104 (N=40); NW Sektion: 4,554 (N=116); RWV Sektion: 1,712 (N=75).
Die Sektionszugehörigkeit offenbart erneut geschlechtsspezifische Zusammenhänge. Dabei bringen Doktoranden der Geisteswissenschaften mehr Zeit auf als in den Naturwissenschaften, aber etwas weniger Zeit als in den Rechts-/Wirtschafts-/Verwaltungswissenschaften. Doktorandinnen investieren weniger Zeit, wenn sie der Geisteswissenschaftlichen Sektion angehören. Trotzdem liegt die Erwerbsarbeitszeit von Doktorandinnen in dieser Sektion um wöchentlich etwa drei Stunden über dem Arbeitspensum der Doktoranden und auch in den beiden anderen Sektionen wenden Frauen mehr Zeit auf als Männer. Doch welche Bedeutung hat das Erwerbsarbeitspensum für die Arbeitszeiten an der Promotion? Fallen die wöchentlichen Arbeiten dafür bei Doktorandinnen kürzer aus als bei Doktoranden, wie sich dies aus den vergleichsweise größeren Investitionen in die Erwerbstätigkeit vermuten ließe? Im Mittel bringen die Promovierenden 29,4 Wochenstunden für die Arbeiten an ihrer Promotion auf. Dabei weisen Doktoranden mit 31,3 Stunden ein etwas höheres Arbeitspensum auf als 109 Möglicherweise wird die Arbeitszeit von Personen mit wissenschaftlicher Verankerung aufgrund der Doppelung von Qualifikation und Erwerbstätigkeit eher unterschätzt, da Projektarbeitszeit nicht immer klar von Promotionsarbeitszeit unterscheidbar sein dürfte.
103
Objektive Faktoren und Zusammenhänge
Doktorandinnen (26,9 Wochenstunden).110 Die geringeren Zeitinvestitionen von Doktorandinnen sind zudem an den Verteilungen für Männer und Frauen zu erkennen (Abbildung 6). Dabei weist die Verteilung für Männer eine auffallende zweite Spitze bei einem Zeitaufwand von 40 Wochenstunden auf, wohingegen Frauen häufiger 20 bis 30 Wochenstunden für die Promotion aufwenden. Abbildung 6: Promotionsarbeitspensum nach Geschlecht Frauen
0
0
5
5
Prozent 10
Prozent 10
15
15
20
20
Männer
0
10
20
30 40 50 Wochenstunden
60
70
80
0
10
20
30 40 50 Wochenstunden
60
70
80
Werden die üblichen Merkmale und das Erwerbsarbeitspensum berücksichtigt, vergrößert sich der ursprüngliche Geschlechtsunterschied auf -2,4 Wochenstunden (Tabelle 10). Dabei wirkt sich das Erwerbsarbeitspensum wie erwartet für beide Geschlechter hemmend auf die Promotionsarbeitszeit aus. Der Einfluss ist jedoch schwächer als der Einfluss der Sektionen. In den Naturwissenschaften wenden beide Geschlechter, insbesondere jedoch die Frauen, mehr Zeit für ihre Promotion auf als in den Geisteswissenschaften. Gleichzeitig investieren Doktorandinnen der Geisteswissenschaften um etwa neun Stunden mehr Zeit in ihre Promotion als Doktoranden. In den beiden anderen Sektionen bestehen nur geringe Geschlechtsunterschiede in dieselbe Richtung. Die wissenschaftliche Verankerung weist ebenfalls einen Zusammenhang mit dem Promotionsarbeitspensum auf. Zugleich bestehen gegensätzliche Effekte für Männer und Frauen. Demzufolge investieren Frauen mit Verankerung etwas mehr Zeit, Männer mit Verankerung allerdings weniger Zeit in ihre Promotion als die jeweiligen Vergleichsgruppen. Dies bedeutet, dass Frauen mit Verankerung in ihrer Promotionsarbeitszeit gegenüber Männern tendenziell aufholen können.
110 Schließt man die 17 nicht erwerbstätigen Personen aus der Berechnung aus, verändert sich die durchschnittliche Arbeitszeit für die Promotion mit 29,4 Wochenstunden kaum (Doktoranden: 31,0; Doktorandinnen: 27,4 Wochenstunden).
104
Promotionsphase: Qualifikationsbedingungen und Abbruchrisiken
Tabelle 10: Wöchentliches Promotionsarbeitspensum nach Geschlecht (lineare Regressionen) (1) Gesamt Geschlecht (d) (1=Frau) Alter Alter2 Wissenschaftskarriere angestrebt (d) (1=ja) Wissenschaftliche Verankerung (d) (1=ja) Arbeitsstunden Erwerbstätigkeit NW Sektion (d) RWV Sektion (d) Constant Observations R2
-2,441 -0,028 -0,013 0,896 -0,428 -0,667 *** 7,078 *** -1,649 38,390 *** 224 0,528
(2) Männer 0,066 -0,017 0,650 -2,791 -0,748 *** 4,069 -4,476 44,880 *** 129 0,480
(3) Frauen -0,147 -0,004 0,841 0,935 -0,591 *** 9,342 ** 0,283 31,230 *** 95 0,603
Basis: nur Erwerbstätige; mit Kontrolle des Erwerbsarbeitspensums (Wochenstunden). Beim Alter wird jeweils der zentrierte Term berücksichtigt. * p < 0,05, ** p < 0,01, *** p < 0,001. Referenzkategorie Sektionen: GW Sektion. Geschlechtseffekte je Sektion (Steigungskoeffizient): GW Sektion: -9,022* (N=38); NW Sektion: -0,201 (N=113); RWV Sektion: -2,479 (N=73).
Der Vergleich zwischen dem Erwerbsarbeitspensum und dem Arbeitspensum erwerbstätiger Promovierender für die Promotion zeigt, dass eine überdurchschnittliche Erwerbsarbeitszeit bei Männern und Frauen mit einer Reduktion der Promotionsarbeitszeit einhergeht. Da Doktorandinnen in ihre Erwerbstätigkeit jedoch mehr Zeit investieren als Doktoranden, bringen sie weniger Zeit für ihre Promotion auf. Dieser Befund trifft auch für die drei Sektionen zu und deckt sich mit den Ergebnissen zu den Einflüssen einer wissenschaftlichen Verankerung auf Promotionsund Erwerbsarbeitszeit. Doch zeitliche Nachteile für Frauen zeigen sich nicht nur auf Basis der tatsächlichen Arbeitszeiten für Erwerbstätigkeit und Promotion, sondern sind auch anhand des Auftretens zeitlicher Engpässe festzustellen. Grundsätzlich sehen 44,2 Prozent der Promovierenden zeitliche Belastungen durch wissenschaftliche oder sonstige berufliche Aufgaben.111 Dabei geben Doktorandinnen (53,0%) deutlich häufiger das Auftreten solcher Belastungen an als Doktoranden (37,4%). Bei Berücksichtigung der weiteren Merkmale wächst dieser Unterschied auf 20,2 Prozentpunkte zulasten der Frauen an. Auch in den drei Sektionen sind für Frauen jeweils 111 Gefragt wurde auf einer fünfstufigen Skala (von 1=“trifft überhaupt nicht zu“ bis 5=“trifft voll und ganz zu“) nach möglichen Schwierigkeiten, die sich auf das Voranschreiten der Arbeiten am Dissertationsprojekt auswirken können (Item: Die zeitliche Belastung durch wissenschaftliche oder sonstige berufliche Aufgaben war sehr groß). Derzeit erwerbslose Promovierende wurden aus der Analyse ausgeschlossen.
Objektive Faktoren und Zusammenhänge
105
deutlich größere zeitliche Belastungen zu erkennen. Die größten und zudem signifikanten Beeinträchtigungen finden sich dabei in der Rechts-/Wirtschafts/Verwaltungswissenschaftlichen Sektion (29,2%-Punkte) und der Naturwissenschaftlichen Sektion (19,0%-Punkte). Aber auch in der Geisteswissenschaftlichen Sektion berichten Frauen noch um 17,5 Prozentpunkte häufiger als Männer von zeitlichen Beeinträchtigungen durch berufliche Aufgaben. 3.3.2 Situation im privaten Umfeld Neben Barrieren im Ausbildungs- bzw. beruflichen Bereich können auch private Beeinträchtigungen den Fortschritt der Promotion entscheidend beeinflussen. Dabei gilt die Übernahme von Kinderbetreuungszeiten als wesentliche Hürde. Von 42 Personen mit Kindern beantworteten 41 Befragte die Frage nach Belastungen durch die Kinderbetreuung. Davon gaben 61,0 Prozent der Befragten an, dass die Kinderbetreuung das Voranschreiten der Promotion beeinträchtigt habe. Dabei bestehen auffallende (hoch signifikante) Geschlechtsunterschiede, wonach 85,0 Prozent der Doktorandinnen, aber lediglich 38,1 Prozent der Doktoranden betroffen sind. Auch wenn die weiteren Merkmale einbezogen werden, bestehen Belastungen für Doktorandinnen weitaus häufiger als für Doktoranden (70,9%-Punkte).112 Im privaten Umfeld bestehen unabhängig von einer Elternschaft weitere familiale Ereignisse, die bei 11,9 Prozent der Befragten zu Beeinträchtigungen geführt haben. Wiederum sind die Anteile der Doktorandinnen mit 14,7 Prozent etwas höher als die Anteile der Doktoranden (9,9%). Die Berücksichtigung der weiteren Merkmale trägt nicht zur Erklärung des Geschlechtsunterschieds bei. Die nicht tabellierte Differenzierung der Promovierenden ohne Verankerung ergibt, dass bei Männern und Frauen Beeinträchtigungen seltener sind, wenn sie nicht extern, sondern auf Stipendien promovieren. Gegenüber externen Promovierenden treten solche Belastungen bei Männern mit Verankerung ebenfalls seltener, bei Frauen jedoch häufiger auf. Damit erweisen sich Promotionsmodelle mit Verankerung für Frauen grundsätzlich wenig kompatibel mit familiären Ereignissen. Dies bedeutet, dass sich die für Frauen ohnehin häufigeren Beeinträchtigungen bei Modellen mit Verankerung noch weiter verstärken. Auch in allen Sektionen bestehen für Frauen im Vergleich zu Männern in ähnlichem Ausmaß häufigere familiale Beeinträchtigungen. Demzufolge erscheinen Beeinträchtigungen aus dem privaten Lebensbereich als ein von Fachkulturen unabhängiges, allgemein bestehendes Phänomen.
112 Die Berücksichtigung der weiteren Merkmale ist aufgrund der geringen Fallzahl nur für Doktorandinnen und Doktoranden insgesamt möglich. Auf die Tabellierung und Interpretation der einzelnen Effekte wird daher verzichtet.
106
Promotionsphase: Qualifikationsbedingungen und Abbruchrisiken
Tabelle 11: Beeinträchtigung durch familiale Ereignisse nach Geschlecht (logistische Regressionen) Geschlecht (d) (1=Frau) Alter Alter2 Wissenschaftskarriere angestrebt (d) (1=ja) Wissenschaftliche Verankerung (d) (1=ja) NW Sektion (d) RWV Sektion (d) Observations Pseudo R2
(1) Gesamt
(2) Männer
(3) Frauen
0,052 -0,017 0,000 0,036 -0,016 -0,011 0,033
0,026 0,000 0,004 -0,092 0,001 0,008
-0,063 0,001 0,087 0,035 -0,012 0,091
324 0,039
187 0,031
137 0,094
Marginal effects (d) for discrete change of dummy variable from 0 to 1; * p < 0,05, ** p < 0,01, *** p < 0,001. Referenzkategorie Sektionen: GW Sektion. Geschlechtseffekte je Sektion (Prozentpunktdifferenzen): GW Sektion: 6,9 (N=72); NW Sektion: 2,2 (N=163); RWV Sektion: 4,8 (N=89).
3.3.3 Wissenschaftliche Erträge Die Publikationsproduktivität gilt als zentrales Kriterium zur Messung wissenschaftlicher Leistung (vgl. Abschnitt 2.3.2). Die Publikation von Projektergebnissen während der Promotionsphase trägt bereits in einem frühen Stadium der wissenschaftlichen Qualifizierung zu einer gesteigerten Sichtbarkeit der Promovierenden in der Wissenschaftsgemeinschaft bei. Dies ist nicht nur dem weiteren Verlauf einer wissenschaftlichen Karriere dienlich, sondern führt zudem zu einer Bestätigung der eigenen Arbeit und Person. Gleichzeitig könnte eine hohe Publikationsaktivität allerdings zu einer Einschränkung der Zeitkontingente für die Anfertigung der Promotionsarbeit führen und somit den Fortschritt der Promotion beeinträchtigen. Von den Konstanzer Promovierenden hat etwas mehr als ein Drittel bereits Arbeiten im Zusammenhang mit ihrer Promotion veröffentlicht (34,3%). Dabei haben Doktoranden häufiger Publikationen vorzuweisen (37,1%) als Doktorandinnen (30,6%). Da Veröffentlichungen mit dem Promotionsfortschritt zunehmen dürften, wird bei der multivariaten Betrachtung neben den üblichen Merkmalen auch die Promotionsdauer seit Beginn der ersten Vorarbeiten berücksichtigt. Tabelle 12 zeigt einen Rückgang des Geschlechtsunterschieds auf 4,7 Prozentpunkte zuungunsten der Frauen. Dieser erklärt sich größtenteils durch die wissenschaftliche Verankerung und die Sektionszugehörigkeit der Promovierenden. Promovierende mit wissenschaftlicher Verankerung und besonders Doktorandinnen haben häufiger bereits Veröffentlichungen vorzuweisen als in den jeweiligen Referenzgruppen. Dies gilt
107
Objektive Faktoren und Zusammenhänge
bei geringen Geschlechtsunterschieden auch für Promovierende mit Verankerung gegenüber externen Promovierenden (15,2%-Punkte bei Männern, 15,8%-Punkte bei Frauen). Promovierende auf Stipendien und besonders Doktoranden haben ebenfalls häufiger als externe Promovierende bereits Arbeiten veröffentlicht.113 Zugleich trägt allerdings ausschließlich ein Promotionsmodell mit Verankerung dazu bei, die geringere Publikationsquote von Frauen aufzufangen. Tabelle 12: Vorhandensein von Veröffentlichungen nach Geschlecht (logistische Regressionen) (1) Gesamt Geschlecht (d) (1=Frau) Alter Alter2 Wissenschaftskarriere angestrebt (d) (1=ja) 1 Promotionsdauer Wissenschaftliche Verankerung (d) (1=ja) NW Sektion (d) RWV Sektion (d) Observations Pseudo R2
-0,047 0,067 -0,001 -0,036 0,046 * 0,167 ** -0,015 -0,194 ** 334 0,097
(2) Männer 0,039 0,000 -0,043 0,046 0,074 0,017 -0,305 *** 188 0,115
(3) Frauen 0,490 *** -0,008 *** -0,017 0,038 * 0,196 ** -0,068 -0,071 146 0,166
Marginal effects (d) for discrete change of dummy variable from 0 to 1; * p < 0,05, ** p < 0,01, *** p < 0,001. Basis: Befragte, die ihre Dissertationsschrift bereits begonnen haben. 1 Promotionsdauer seit Beginn der ersten Vorarbeiten für die Promotion. Referenzkategorie Sektionen: GW Sektion. Geschlechtseffekte je Sektion (Prozentpunktdifferenzen): GW Sektion: -14,8 (N=73); NW Sektion: -12,6 (N=167); RWV Sektion: 18,1* (N=94).
Die Sektionszugehörigkeit zeigt für Männer und Frauen unterschiedliche Zusammenhänge mit der Veröffentlichungspraxis. Betrachtet man daher die aussagekräftigeren Geschlechtsunterschiede in den einzelnen Sektionen, finden sich für Frauen in den Geistes- und Naturwissenschaftlichen Sektionen ebenfalls deutlich seltener Publikationen als für Männer. Umgekehrt verhält sich dies in der Rechts-/Wirtschafts-/Verwaltungswissenschaftlichen Sektion, wo Frauen um 18,1 Prozentpunkte häufiger Publikationen vorzuweisen haben als Männer. Somit geht die generell geringere Publikationsaktivität von Frauen nicht allein auf die unterschiedliche Verteilung von Männern und Frauen auf die Sektionen, sondern wesentlich auf geschlechtsspezifische Publikationsbedingungen in den Sektionen zurück. Dabei besteht für Geistes- und Naturwissenschaftlerinnen die größte Chance, die für sie unabhängig von der Sektionszugehörigkeit bestehenden Nachteile aufzuholen. 113 Der partielle Effekt beläuft sich bei Männern auf 17,2, bei Frauen auf 10,7 Prozentpunkte.
108
Promotionsphase: Qualifikationsbedingungen und Abbruchrisiken
Für die Publikationsaktivität ist auch das wissenschaftliche Berufsziel der Promovierenden von Bedeutung (vgl. Abschnitt 3.1). Auffallenderweise haben Promovierende mit wissenschaftlicher Karriereorientierung etwas seltener bereits Beiträge publiziert als Promovierende mit anderen Berufszielen, wobei keine auffallenden Geschlechtsunterschiede festzustellen sind. Anscheinend bestehen zumindest in dieser frühen Qualifikationsphase keine auffallenden Bemühungen um eine große Sichtbarkeit in der Wissenschaftsgemeinschaft. Doch welche Unterschiede zwischen Männern und Frauen bestehen, wenn mit Veröffentlichungen in Zeitschriften mit Peer-Review eine angesehene und für die Profilierung des wissenschaftlichen Nachwuchses bedeutsame Publikationsform betrachtet wird?114 Basis sind jeweils alle Promovierenden, unabhängig davon, ob Sie generell bereits Arbeiten veröffentlicht haben oder nicht. Dabei haben 13,5 Prozent der Befragten einen Aufsatz, 5,9 Prozent zwei Aufsätze und weitere 3,4 Prozent drei oder mehr Aufsätze veröffentlicht. Dennoch können mehr als drei Viertel der Promovierenden noch keine Veröffentlichung in Zeitschriften mit Peer-Review vorweisen (77,2%). Die Anzahl der veröffentlichten Aufsätze ist bei Doktorandinnen geringer als bei Doktoranden. Nachfolgend wird die Publikationsaktivität von Doktorandinnen und Doktoranden auf Basis der mittleren Publikationsanzahl bei Aufsätzen mit Peer-Review (Median) untersucht. Dabei haben die Promovierenden im Mittel noch keinen Aufsatz mit Peer-Review vorzuweisen. Zugleich ist eine überdurchschnittliche Publikationsaktivität (also die Veröffentlichung von mindestens einem Aufsatz) bei Doktorandinnen (18,8%) seltener als bei Doktoranden (25,9%). Der Einbezug der weiteren Merkmale kann diese Diskrepanz teilweise erklären. Dennoch verbleibt ein Geschlechtsunterschied von knapp drei Prozentpunkten zuungunsten der Frauen (Tabelle 13). Wie zuvor beim Vorhandensein von Veröffentlichungen (vgl. Tabelle 12) hat eine wissenschaftliche Karriereorientierung eine leicht hemmende Wirkung auf die Publikationsanzahl von Aufsätzen in Zeitschriften mit Peer-Review. Somit schlägt sich auch die Bedeutsamkeit von angesehenen Aufsätzen für den weiteren Karriereverlauf zumindest während der Promotionsphase (noch) nicht in der Publikationspraxis nieder. Ein mit der allgemeinen Publikationspraxis übereinstimmendes Muster findet sich ferner beim Einfluss einer wissenschaftlichen Verankerung, die der Publikationsanzahl besonders bei Doktorandinnen zuträglich ist. Die Sektionszugehörigkeit belegt hingegen für beide Geschlechter eine hohe Bedeutung angesehener Publikationen in der Naturwissenschaftlichen Sektion. Dennoch findet sich auch bei den nach Sektionen getrennten Analysen das bekannte Muster: Demzufolge bestehen für Natur- und besonders Geisteswissenschaftlerinnen deutlich geringere Publikationsanzahlen als für ihre männlichen Kollegen. Folglich können 114 Die Anzahl an Veröffentlichungen wurde kategorial erfasst. Unterschieden wurden folgende Antwortkategorien: „keine Veröffentlichung“, „eine Veröffentlichung“, „zwei Veröffentlichungen“, „drei Veröffentlichungen“, „mehr als drei Veröffentlichungen“.
109
Objektive Faktoren und Zusammenhänge
Frauen gerade in den Naturwissenschaften, wo Veröffentlichungen einen hohen Stellenwert besitzen, seltener Publikationserfolge für sich verbuchen als Männer. Tabelle 13: Überdurchschnittliche Publikation von Aufsätzen mit Peer-Review nach Geschlecht (logistische Regressionen) (1) Gesamt Geschlecht (d) (1=Frau) Alter Alter2 Wissenschaftskarriere angestrebt (d) (1=ja) 1 Promotionsdauer Wissenschaftliche Verankerung (d) (1=ja) NW Sektion (d) RWV Sektion (d) Observations Pseudo R2
-0,025 0,019 0,000 -0,028 0,022 0,131 ** 0,211 ** 0,016 326 0,120
(2) Männer
(3) Frauen
0,035 0,000 -0,016 0,006 0,067 0,180 * -0,170
0,177 * -0,003 * -0,021 0,014 0,115 * 0,117 0,118
185 0,137
141 0,236
Marginal effects (d) for discrete change of dummy variable from 0 to 1; * p < 0,05, ** p < 0,01, *** p < 0,001. Basis: alle Befragte. 1 Promotionsdauer seit Beginn erster Vorarbeiten für die Promotion. Referenzkategorie Sektionen: GW Sektion. Geschlechtseffekte je Sektion (Prozentpunktdifferenzen): GW Sektion: -14,7* (N=68); NW Sektion: -9,3 (N=165); RWV Sektion: 17,1* (N=93).
Die Spannweite der Geschlechtsunterschiede in den Sektionen lassen zudem auf Publikationsbedingungen schließen, die sich je nach Sektionszugehörigkeit für Männer und Frauen unterschiedlich gestalten. Dabei drohen sich Barrieren für Frauen zu verstärken, wenn diese der Geisteswissenschaftlichen oder Naturwissenschaftlichen Sektion angehören. Möglicherweise ist die bisher unterschiedliche Publikationsproduktivität von Frauen und Männern bei Aufsätzen in Zeitschriften mit Peer-Review durch unterschiedliche Publikationsstrategien begründet. Betrachtet man daher die Planung von Aufsätzen in Zeitschriften mit Peer-Review, sind jedoch ebenfalls Nachteile für Frauen festzustellen. So werden von etwas mehr als der Hälfte der Doktorandinnen (52,2%) und 61,5 Prozent der Doktoranden zum Befragungszeitpunkt Aufsatzveröffentlichungen konkret geplant. Auch wenn die weiteren Merkmale berücksichtigt werden, verbleibt ein Unterschied von 5,4 Prozentpunkten (Tabelle 14). Erneut zeigt sich ein positiver Zusammenhang mit der wissenschaftlichen Verankerung der Promovierenden. Dieser ist noch auffallender als bei bereits erfolgten Veröffentlichungen. Folglich kann eine wissenschaftliche Verankerung dazu beitragen, die für Frauen generell bestehenden Defizite auszugleichen. Dies lässt den Schluss zu, dass Doktorandinnen bei vorhandener
110
Promotionsphase: Qualifikationsbedingungen und Abbruchrisiken
Verankerung besonders stark zu Veröffentlichungen ermutigt werden oder die Einbettung ihrer Tätigkeiten in Projektzusammenhänge häufiger für eine angesehene Veröffentlichung nutzen wollen. Tabelle 14: Planung von Aufsätzen in Zeitschriften mit Peer-Review nach Geschlecht (logistische Regressionen) (1) Gesamt Geschlecht (d) (1=Frau) Alter Alter2 Wissenschaftskarriere angestrebt (d) (1=ja) Wissenschaftliche Verankerung (d) (1=ja) NW Sektion (d) RWV Sektion (d) Observations Pseudo R2
-0,054 0,017 0,000 0,041 0,244 *** 0,319 *** 0,131 334 0,114
(2) Männer 0,040 0,000 0,068 0,157 0,313 ** 0,138 188 0,078
(3) Frauen 0,001 0,000 -0,010 0,333 *** 0,327 ** 0,115 146 0,155
Marginal effects (d) for discrete change of dummy variable from 0 to 1; * p < 0,05, ** p < 0,01, *** p < 0,001. Referenzkategorie Sektionen: GW Sektion. Geschlechtseffekte je Sektion (Prozentpunktdifferenzen): GW Sektion: -10,9 (N=73); NW Sektion: -1,5 (N=167); RWV Sektion: -6,5 (N=94).
In auffallender Weise begünstigt eine wissenschaftliche Karriereorientierung die Planung angesehener Veröffentlichungen ausschließlich für Doktoranden, wohingegen bei Doktorandinnen kein nennenswerter Zusammenhang besteht. Möglicherweise werden Doktoranden stärker auf die Bedeutung solcher Publikationen für den wissenschaftlichen Karriereverlauf vorbereitet und entsprechend stärker unterstützt als Doktorandinnen. Des Weiteren sind auffallende Effekte der Sektionszugehörigkeit zu erkennen. Dabei planen Doktorandinnen und Doktoranden der Geisteswissenschaftlichen Sektion jeweils deutlich seltener Aufsatzveröffentlichungen als in den beiden anderen Sektionen. Gleichzeitig bestehen in den Sektionen auffallende Geschlechtsunterschiede, wonach Doktorandinnen der Geisteswissenschaften und der Rechts-/ Wirtschafts-/Verwaltungswissenschaften deutlich seltener Aufsatzveröffentlichungen planen als Doktoranden. Dahingegen ist das Geschlechterverhältnis in den Naturwissenschaften relativ ausgeglichen. Dies bedeutet, dass die geringere Publikationsquote von Frauen in den Naturwissenschaften gegenüber Männern verzögerten Publikationsstrategien geschuldet sein dürfte. Generell beabsichtigen Doktorandinnen seltener als Doktoranden die Veröffentlichung von angesehenen Beiträgen, die sich jedoch als entscheidend für den weiteren Verbleib im Wissenschaftssystem erweisen können. Demzufolge kann die generell geringere Publikationsquote der Frauen nicht grundsätzlich durch verzö-
Objektive Faktoren und Zusammenhänge
111
gerte Veröffentlichungsaktivitäten erklärt werden. Zugleich ist nicht davon auszugehen, dass sich die Geschlechtsunterschiede bei angesehenen Beiträgen in naher Zukunft aneinander angleichen werden. 3.3.4 Zwischenzusammenfassung Die Promotionsphase gilt als zentral für eine erste Positionierung im Wissenschaftssystem. Gleichzeitig stellt sie eine Qualifikationsstufe dar, bei der hohe Verluste von Wissenschaftlerinnen zu verzeichnen sind. In den vorigen Abschnitten wurde untersucht, ob sich die Promotionssituation an der Universität Konstanz hinsichtlich objektiver Faktoren zwischen Männern und Frauen unterscheidet und somit geschlechtsspezifische Barrieren in den Qualifikationsbedingungen und den für wissenschaftliche Laufbahnen zentralen Voraussetzungen bestehen, die zu einer erhöhten Abwanderung von Frauen führen könnten. In der zugrunde liegenden Stichprobe sind Doktoranden mit einem Anteil von etwa 56 Prozent gegenüber Doktorandinnen leicht überrepräsentiert. Der Großteil der Doktoranden und Doktorandinnen gehört der Naturwissenschaftlichen Sektion an, wobei Doktoranden stärker vertreten sind. Doktorandinnen konzentrieren sich zudem stärker als Doktoranden auf die Geisteswissenschaftliche Sektion. In die Rechts-/Wirtschafts-/Verwaltungswissenschaftliche Sektion entfallen jeweils etwa 28 Prozent der Doktorandinnen und Doktoranden. Somit ist unter den befragten Promovierenden eine dem gängigen Muster (vgl. Kapitel 1) entsprechende horizontale Segregation erkennbar. Die Promotionsdauer unterscheidet sich kaum nach dem Geschlecht. Im Mittel haben die Promovierenden vor 2,4 Jahren mit den ersten Vorarbeiten begonnen und vor 2,8 Jahren das erste Gespräch mit der Betreuungsperson geführt. Doktorandinnen haben allerdings bereits häufiger und etwas früher mit der Anfertigung ihrer Dissertation begonnen als Doktoranden. Die private Lebenssituation der Promovierenden weist geschlechtsspezifische Muster auf, wonach Doktorandinnen etwas häufiger in einer Partnerschaft und zugleich seltener ständig mit ihrem Partner in einem gemeinsamen Haushalt leben. Gleichzeitig haben Doktorandinnen etwas häufiger bereits Kinder als Doktoranden und wünschen sich auch etwas häufiger (weitere) Kinder. Um neben dem Geschlecht bestehende Einflüsse auszuschalten, wurden für die Untersuchung der Promotionssituation neben der fachlichen Zugehörigkeit und dem Lebensalter auch das Promotionsmodell und die wissenschaftlichen Ambitionen (vgl. Abschnitt 3.2) der Promovierenden berücksichtigt, da diese Merkmale unterschiedliche Erwartungshaltungen, aber auch unterschiedliche Bedingungen bei der Betreuung der Promotionsarbeit oder Vorbereitung auf eine wissenschaftliche Laufbahn vermuten lassen (vgl. Abschnitt 3.1).
112
Promotionsphase: Qualifikationsbedingungen und Abbruchrisiken
Etwa drei Viertel der Doktoranden und 67,3 Prozent der Doktorandinnen promovieren mit wissenschaftlicher Verankerung (Mitarbeiterstellen an einem Lehrstuhl/Forschungsinstitut, Projektmitarbeiter, Mitglieder von Graduiertenkollegs). Bei den Promotionsmodellen ohne Verankerung (freie Stipendiaten, externe Promovierende) bestehen ebenfalls Geschlechtsunterschiede. Doktorandinnen promovieren häufiger als Doktoranden auf Stipendien und als externe Doktorandinnen. Unter Einbezug des Lebensalters, des Berufsziels und der Sektionszugehörigkeit promovieren Frauen um etwa sieben Prozentpunkte seltener in Modellen mit wissenschaftlicher Verankerung als Männer. Dies gilt insbesondere für die Geisteswissenschaften, wo zudem generell weniger Modelle mit Verankerung zu finden sind, und die Rechts-/Wirtschafts-/Verwaltungswissenschaften. In den Naturwissenschaften bestehen keine auffallenden Unterschiede zwischen Männern und Frauen. Diese Unterschiede fallen unter dem Ausschluss externer Promovierender schwächer aus, weisen aber in dieselbe Richtung. Somit sind Frauen insgesamt und besonders in den Geisteswissenschaften seltener in den wissenschaftlichen Alltag an Universitäten eingebunden als Männer. Inwiefern dies mit Beeinträchtigungen verbunden ist, wir am Ende des Abschnitts zusammengefasst. Auf der Grundlage objektiver Faktoren, die für einen erfolgreichen Abschluss der Promotion und für die Etablierung im Wissenschaftssystem nach der Promotion wichtige Voraussetzungen darstellen, wurden mehrfache Barrieren für Doktorandinnen festgestellt, die unabhängig von Lebensalter, Berufsziel, wissenschaftlicher Verankerung und Sektionszugehörigkeit bestehen.115 Diese finden sich sowohl im universitären als auch im privaten Lebensbereich. Zunächst bestehen für Frauen häufiger finanzielle Planungsunsicherheiten und kürzere Phasen, in denen die Finanzierung der Promotion sichergestellt ist. So berichten Frauen um etwa vier Prozentpunkte häufiger von realen Finanzierungsproblemen und um 6,8 Prozentpunkte häufiger von Ungewissheiten bei der Weiterfinanzierung als Doktoranden. Ebenso finanzieren Doktorandinnen ihre Promotion in der Hauptsache um 6,8 Prozentpunkte seltener durch Mitarbeiterstellen und um beinahe vier Prozentpunkte häufiger durch Promotionsstipendien. Damit erfolgt die Finanzierung bei Frauen häufiger durch solche Quellen, die in der Regel kürzere Laufzeiten, zugleich jedoch größere zeitliche Spielräume für die Arbeiten an der Promotion aufweisen. Dennoch bestehen unabhängig vom Promotionsmodell zeitliche Beeinträchtigungen, die einem zügigen Abschluss der Promotion entgegenstehen, gerade für Frauen. Dabei schlagen sich größere zeitliche Belastungen, die sich aus der bei Doktorandinnen höheren wöchentlichen Erwerbsarbeitszeit ergeben, zudem in den für Frauen geringeren Zeitkontingenten für die Arbeiten an der Promotion nieder. 115 Gleichwohl trägt vor allem die Sektionszugehörigkeit zumindest teilweise zur Erklärung von Geschlechtsunterschieden bei und belegt die große Bedeutung der horizontalen Segregation für die Erklärung geschlechtsspezifischer Promotionsbedingungen.
Objektive Faktoren und Zusammenhänge
113
So investieren Doktorandinnen für ihre Erwerbstätigkeit 2,7 Wochenstunden mehr und für ihre Promotion bei Berücksichtigung des Erwerbsarbeitspensums 2,4 Wochenstunden weniger als Doktoranden. Diese Befunde decken sich mit dem um 20,2 Prozentpunkte häufigeren Auftreten beruflich bedingter zeitlicher Beeinträchtigungen für Doktorandinnen. Im privaten Lebensbereich zeigten sich zeitliche Engpässe bezogen auf die 41 befragten Eltern besonders eindrücklich an der Übernahme von Kinderbetreuungszeiten. Erneut sind Frauen mit einer Prozentpunktdifferenz von 70,9 Punkten um ein Vielfaches häufiger betroffen als Männer. Aber auch auf Basis aller Befragten waren um 5,2 Prozentpunkte häufigere Beeinträchtigungen von Frauen durch andere familiäre Ereignisse festzustellen. Anscheinend orientiert sich die Aufgabenteilung im privaten Lebensbereich weiterhin an traditionellen Mustern. Diese für Frauen größeren Barrieren bedeuten zugleich größere Anstrengungen, ihre Promotion zügig oder grundsätzlich zu beenden. Bei vergleichsweise größeren Verzögerungen eines Promotionsabschlusses könnten zudem langfristige Nachteile bestehen, da sie der Norm einer zügigen und in bereits jungem Lebensalter möglichst fortgeschrittenen Qualifikation weniger entsprechen als Männer. Dies gilt besonders, wenn es nach der Promotion um den Zugang zu exzellenten Forschungseinrichtungen oder Positionen in prestigereichen Forschungsprojekten geht. Neben zeitlichen Belastungen sind für einen zügigen Promotionsfortschritt die Betreuung der Promovierenden und die soziale Einbindung und für eine frühe professionsinterne Profilierung die Aneignung weiterer wissenschaftlicher Kompetenzen und die Erhöhung der Sichtbarkeit in der Wissenschaftsgemeinschaft von Bedeutung. Die Analysen zum Erhalt einer bedarfsgerechten Betreuung zeigten Nachteile für Frauen, was langfristig wichtige Bereiche betrifft. So erhalten sie seltener eine ihren Bedürfnissen angemessene Vermittlung weiterer Kompetenzen und persönliche Unterstützung bzw. Ermutigung. Bei Aspekten der Betreuung, die vor allem dem Promotionsfortschritt zuträglich sein dürften, sind für Frauen hingegen leichte Vorteile auszumachen. Dies betrifft mit einer Prozentpunktdifferenz von 1,2 Punkten bzw. 0,8 Punkten die Überprüfung des Stands der Dissertation und die fachliche Unterstützung. Diese Befunde gehen aber nicht nur mit der Unterstützungsintensität der Betreuungsperson, sondern auch mit unterschiedlichen Ansprüchen von Doktorandinnen und Doktoranden einher. Die Befunde zu Aspekten der sozialen Einbindung verweisen auf Vorteile für Frauen, was den langfristigen Verbleib im Wissenschaftssystem betrifft. So tragen Frauen um 6,8 Prozentpunkte häufiger überdurchschnittlich oft auf Kongressen vor als Männer, was deren Sichtbarkeit zugute kommt. Allerdings sind Kongressteilnahmen ohne Vortragstätigkeit und Möglichkeiten des wissenschaftlichen Austauschs, die besonders einen zügigen Promotionsfortschritt begünstigen dürften, bei Frauen unterdurchschnittlich. Die Unterschiede sind mit jeweils etwa zwei Prozentpunkten bei Kongressteilnahmen ohne Vortrag und Vorträgen in Kolloquien aber gering.
114
Promotionsphase: Qualifikationsbedingungen und Abbruchrisiken
Größere Diskrepanzen zwischen Männern und Frauen sind bei den wissenschaftlichen Erträgen festzustellen. So haben Frauen auch bei zusätzlicher Berücksichtigung der Promotionsdauer um 4,7 Prozentpunkte seltener als Männer überhaupt Arbeiten im Zusammenhang mit ihrer Promotion veröffentlicht. Ferner bestehen leichte Nachteile für Frauen, was die Veröffentlichung angesehener Beiträge in Zeitschriften mit Peer-Review oder die Planung solcher Beiträge betrifft. Insgesamt zeigen sich für Frauen im Vergleich zu Männern folglich meist nachteilige Qualifikationsbedingungen. Zusammenhänge mit einem möglichen Ausscheiden aus dem Wissenschaftssystem bereits vor Abschluss der Promotion, werden in Abschnitt 3.5 untersucht. Aufgrund der Bedeutung von Fachkulturen und fachspezifischen Verlusten von Wissenschaftlerinnen im Qualifikationsverlauf (vgl. Kapitel 1), wurden die Geschlechtsunterschiede für die drei Konstanzer Sektionen zusätzlich getrennt ausgewiesen. Dabei zeigten sich, neben Auswirkungen auf die Promotionsbedingungen, die sich durch die unterschiedliche Verteilung von Männern und Frauen auf die Sektionen ergeben, geschlechtsspezifische Bedingungen in den einzelnen Sektionen. Bei einigen Aspekten variierten die Geschlechtsunterschiede von Sektion zu Sektion so stark, dass von geschlechtsspezifischen Fachkulturen ausgegangen werden kann. Dazu gehören Aspekte, die mit finanziellen Sicherheiten (Ungewissheit Weiterfinanzierung), der sozialen Einbindung und Sichtbarkeit (Vorträge auf Kongressen), Aspekten der bedarfsgerechten Betreuung (Überprüfung Dissertationsstand, Vermittlung wissenschaftlicher Kompetenzen, persönliche Unterstützung/Ermutigung), einem zügigen Promotionsabschluss (zeitliche Engpässe durch berufliche Verpflichtungen) und der Publikationsproduktivität (Vorhandensein von Veröffentlichungen, Publikation von Aufsätzen in Zeitschriften mit Peer-Review) zu tun haben. Insgesamt findet sich kein übergreifendes Muster, wonach eine bestimmte Sektion besonders günstige oder ungünstige Bedingungen für Frauen bereitstellen würde. Für den Erhalt einer bedarfsgerechten Betreuung zeigen sich in der Geisteswissenschaftlichen gegenüber den beiden anderen Sektionen besonders günstige Bedingungen für Frauen. In dieser Sektion erhalten Doktorandinnen durchgehend häufiger eine adäquate Betreuung als Doktoranden. Bei der Überprüfung des Dissertationsstands und der persönlichen Unterstützung bestehen für Naturwissenschaftlerinnen, bei der persönlichen Unterstützung für Rechts-/Wirtschafts-/Verwaltungswissenschaftlerinnen besonders ungünstige Bedingungen. Außerdem gibt es für Geisteswissenschaftlerinnen Vorteile in Bezug auf ihre soziale Einbindung durch Vortragsaktivitäten und damit für die Sichtbarkeit in der Wissenschaftsgemeinschaft, während Frauen der beiden anderen Sektionen in ähnlichem Ausmaß weniger eingebunden sind als Männer. Von zeitlichen Engpässen durch berufliche Verpflichtungen und von Ungewissheiten bei der Weiterfinanzierung sind Frauen zwar in allen Sektionen jeweils stärker betroffen als Männer. Dennoch sind Diskrepanzen bei Engpässen durch berufliche Verpflichtungen in der Geisteswissenschaft-
Objektive Faktoren und Zusammenhänge
115
lichen Sektion besonders gering, während sie in den Rechts-/Wirtschafts-/Verwaltungswissenschaften jeweils am größten ausfallen. Dennoch investieren gerade Geisteswissenschaftlerinnen gegenüber Geisteswissenschaftlern besonders wenig Zeit in ihre Promotion. Ungewissheiten über eine Weiterfinanzierung treten hingegen bei Geisteswissenschaftlerinnen besonders häufig und bei Naturwissenschaftlerinnen besonders selten auf. Für das Publikationsverhalten von Frauen lassen sich in den Rechts-/Wirtschafts-/Verwaltungswissenschaften besonders gute Bedingungen feststellen. In dieser Sektion haben Frauen sogar häufiger als Männer bereits Publikationen vorzuweisen und publizieren besonders häufig auch angesehene Beiträge in Zeitschriften mit Peer-Review-System. Umgekehrt verhält sich dies in den beiden anderen Sektionen, wobei Naturwissenschaftlerinnen gegenüber ihren männlichen Kollegen besonders selten generell publiziert und Geisteswissenschaftlerinnen besonders selten angesehene Veröffentlichungen vorzuweisen haben. Diese geschlechtsspezifisch wirksamen Fachkulturen verstärken manche ohnehin bestehenden Nachteile für Frauen.116 In der Geisteswissenschaftlichen Sektion betrifft dies finanzielle Unsicherheiten und die Publikation von angesehenen Aufsätzen. In den Naturwissenschaften werden bestehende Nachteile bei einer bedarfsgerechten persönlichen Unterstützung/Ermutigung und der allgemeinen Publikationsproduktivität, in den Rechts-/Wirtschafts-/Verwaltungswissenschaften bei zeitlichen Engpässen verstärkt. Eine eher ausgleichende Wirkung auf allgemein bestehende Nachteile für Frauen zeigte sich in der Rechts-/Wirtschafts-/Verwaltungswissenschaftlichen Sektion, was das Publikationsverhalten betrifft. Zudem können Frauen ihre Vorteile bei Vortragsaktivitäten und der Überprüfung des Dissertationsstands tendenziell ausbauen, wenn sie der Geisteswissenschaftlichen Sektion angehören. Auch die Geschlechtsunterschiede bei Promotionen mit wissenschaftlicher Verankerung, die – wie nachfolgend beschrieben – mit unterschiedlichen Voraussetzungen verbunden sind, unterscheiden sich in den Sektionen auffallend. Zwar promovieren Frauen in allen Sektionen seltener als Männer in Promotionsmodellen mit wissenschaftlicher Verankerung, in der Geisteswissenschaftlichen und Rechts/Wirtschafts-/Verwaltungswissenschaftlichen Sektion ist dies jedoch besonders auffällig. Die geschlechtsspezifischen Zusammenhänge zwischen wissenschaftlicher Verankerung und den einzelnen Qualifikationsbedingungen führen zumeist zu einer Annäherung von Geschlechtsunterschieden. So wirkt eine wissenschaftliche Verankerung Nachteilen für Frauen entgegen, was die soziale Einbindung (Vorträge in Kolloquien, Kongressteilnahmen ohne Vortragstätigkeit), vorhandene Veröffentlichungen und die Planung von Aufsatzveröffentlichungen in Zeitschriften mit Peer116 Bei einem verstärkenden Mechanismus geht die Schere zwischen Männern und Frauen weiter auseinander, bei einem ausgleichenden Effekt ist von einer Annäherung der Geschlechtsunterschiede auszugehen, vgl. Abschnitt 2.4.
116
Promotionsphase: Qualifikationsbedingungen und Abbruchrisiken
Review betrifft. Scheinbar sind Frauen im Falle einer Verankerung stärker als Männer um die Erhöhung ihrer Sichtbarkeit bemüht oder werden in den genannten Aspekten stärker unterstützt. Allerdings wirkt eine Verankerung dem Vorsprung der Frauen beim Erhalt einer adäquaten fachlichen Betreuung entgegen. Eine Verstärkung von Nachteilen findet sich bei Beeinträchtigungen durch familiäre Ereignisse. Die differenzierte Betrachtung von externen Modellen und Stipendienmodellen zeigte zudem, dass auch Stipendienmodelle gegenüber externen Promotionen ähnliche Bedingungen bereitstellen wie Modelle mit wissenschaftlicher Verankerung. Die Effekte des Lebensalters wurden ausschließlich für die Betreuungssituation der Promovierenden näher betrachtet. Die Befunde zum Erhalt einer bedarfsgerechten Betreuung belegen für Frauen und Männer eine häufigere bedarfsgerechte Betreuung, wenn sie besonders jung oder in bereits deutlich fortgeschrittenem Alter sind. Unabhängig vom Geschlecht sinken die Chancen auf eine adäquate Betreuung ab einem Alter von mehr als 30 Jahren bis zu einem Alter von mindestens 36 Jahren bei der persönlichen Ermutigung und maximal 38 Jahren bei der Überprüfung des Dissertationsstands und der Vermittlung weiterer wissenschaftlicher Kompetenzen. Wie vermutet erscheinen daher gerade junge Promovierende als besonders talentiert und förderungswürdig, während älteren Promovierenden möglicherweise eine besonders hohe Motivation und großer Ehrgeiz zugeschrieben wird. Insgesamt offenbaren die objektiven Promotionsbedingungen mehrfache Nachteile für Frauen. Somit werden bereits während der Promotionsphase für Männer und Frauen unterschiedliche Weichen für den weiteren Qualifikationsverlauf gestellt, die gerade auf dem Weg zum exzellenten Forschenden von Bedeutung sein dürften. Die auffallenden Nachteile bei zeitlichen Aspekten und der Betreuungssituation verweisen auf Barrieren, die primär aus dem Verfügbarkeitsdenken im Wissenschaftssystem, die Doppelung von Ausbildung und Beruf und die Abhängigkeit von der Betreuungsperson resultieren dürften. Darüber hinaus sind durch die herausragende Bedeutung früher und angesehener Publikationen langfristige Nachteile für Frauen zu befürchten. Im Gegensatz dazu erweist sich die soziale Einbindung in dieser Qualifikationsphase für Frauen als besonders günstig. Zu beachten ist zudem, dass die Diskrepanzen zwischen Männern und Frauen maßgeblich, jedoch in unterschiedlicher Weise durch geschlechtsspezifische Fachkulturen, wissenschaftliche Verankerung und Lebensalter beeinflusst werden.
Subjektive Wahrnehmungen
117
3.4 Subjektive Wahrnehmungen 3.4.1 Berufliche Motivation Aufgrund der anhaltenden Diskussionen um die Karrieremotivation von Männern und Frauen sind die beruflichen Aspirationen und Motive für den Beginn einer Promotion von besonderer Bedeutung.117 Daher wurde das Berufsziel der Konstanzer Promovierenden zu Beginn der Promotionsphase erfasst. Bestehen hier keine Unterschiede zwischen Männern und Frauen, ist dies ein Hinweis darauf, dass unterschiedliche Karriereorientierungen erst im Laufe der Zeit als Resultat von Entfremdungsprozessen erzeugt werden (vgl. Allmendinger et al. 2000, Etzkowitz et al. 2000, Xie/Shauman 2003). Die Karriereorientierung gilt darüber hinaus als wertvolle Information zur Einschätzung der Promotionssituation, da hierdurch das eigene Anspruchsniveau, die wissenschaftlichen Praktiken, die Sicht auf die Anforderungen des Wissenschaftssystems und damit der Verlauf der eigenen Promotion geprägt werden. Daher wurde dieses Merkmal in den vorhergehenden multivariaten Auswertungen bereits berücksichtigt.118 Nun wird die Karriereorientierung ihrerseits unter Einbezug des Lebensalters, der Verankerung und der Sektionszugehörigkeit betrachtet. Doktorandinnen streben analog zum deskriptiven Befund in Abschnitt 3.2 häufiger ein wissenschaftliches Berufsziel an als Doktoranden (Tabelle 15). Der Unterschied von 4,1 Prozentpunkten zeigt, dass das Phänomen der vertikalen Segregation zumindest an der Universität Konstanz nicht mit einer von Beginn an geringeren Karrieremotivation der Doktorandinnen zu tun hat. Somit besteht keine Evidenz für eine Selbstselektion von Frauen für das Ausscheiden aus dem Wissenschaftssystem. Zudem bestätigen die Motive für die Aufnahme der Promotion eine gegenüber Doktoranden etwas höhere intrinsische Motivation der Doktorandinnen. So begannen Frauen ihre Promotion auch bei Berücksichtigung der weiteren Merkmale um etwa drei Prozentpunkte häufiger aus Interesse an wissenschaftlicher Forschung. Dies gilt ebenso für die Naturwissenschaftliche und Rechts-/Wirtschafts-/Verwaltungswissenschaftliche Sektion mit Differenzen von 5,1 bzw. 7,9 Prozentpunkten. Lediglich in den Geisteswissenschaften ist das Forschungsinteresse von Frauen etwas geringer als von Männern (3,6%-Punkte).119 117 Der Vorwurf einer geringeren Karrieremotivation von Frauen ist bei Vertretern biologischer und sozialisationstheoretischer Ansätze nach wie vor verbreitet (vgl. Abschnitte 2.1.1, 2.1.2; zum Vorwurf einer geringeren Karrieremotivation von Doktorandinnen vgl. auch Koch 1995). 118 Hierzu wurden die einzelnen Antwortkategorien zusammengefasst, so dass Promovierende mit einem wissenschaftlichen Karriereziel von Promovierenden mit anderen Karrierezielen unterschieden werden können, vgl. dazu Abschnitt 3.2, Tabelle 2. 119 Des Weiteren begannen Doktorandinnen ihre Promotion bei Berücksichtigung der übrigen Merkmale um etwa drei Prozentpunkte seltener als Männer, weil sie eine Promotionsstelle erhalten haben. Dies gilt besonders für die Rechts-/Wirtschafts-/Verwaltungswissenschaftliche Sektion mit ei-
118
Promotionsphase: Qualifikationsbedingungen und Abbruchrisiken
Tabelle 15: Wissenschaftliches Berufsziel nach Geschlecht (logistische Regressionen) (1) Gesamt Geschlecht (d) (1=Frau) Alter 2 Alter Wissenschaftliche Verankerung (d) (1=ja) NW Sektion (d) RWV Sektion (d) Observations Pseudo R2
0,041 -0,019 0,000 0,064 -0,143 -0,318 *** 334 0,048
(2) Männer 0,008 0,000 0,050 -0,273 ** -0,399 *** 188 0,078
(3) Frauen -0,044 0,001 0,068 -0,019 -0,238 * 146 0,038
Marginal effects (d) for discrete change of dummy variable from 0 to 1; * p < 0,05, ** p < 0,01, *** p < 0,001. Referenzkategorie Sektionen: GW Sektion. Geschlechtseffekte je Sektion (Prozentpunktdifferenzen): GW Sektion: -20,8 (N=73); NW Sektion: 11,1 (N=167); RWV Sektion: 11,1 (N=94).
Die wissenschaftliche Verankerung und Sektionszugehörigkeit zeigen für Männer und Frauen ähnliche Zusammenhänge mit dem Berufsziel. Promovierende mit wissenschaftlicher Verankerung streben etwas häufiger eine wissenschaftliche Tätigkeit an als Promovierende ohne Verankerung. Scheinbar haben wissenschaftlich ambitionierte Promovierende größere Aussichten auf eine institutionelle Einbindung oder sind stärker um Promotionsmodelle mit Verankerung bemüht. In der Geisteswissenschaftlichen Sektion liegt häufiger eine wissenschaftliche Karrieremotivation vor als in den beiden anderen Sektionen. Dies könnte mit den eher unscharf definierten alternativen Berufsfeldern für promovierte Geistes- und Sozialwissenschaftler und den vergleichsweise häufigen außeruniversitären Berufsangeboten in den Naturwissenschaften zu tun haben. Trotzdem streben Doktorandinnen der Geisteswissenschaftlichen Sektion um 20,8 Prozentpunkte seltener eine wissenschaftliche Karriere an als Doktoranden. In den beiden anderen Sektionen bestehen umgekehrte Effekte von jeweils etwa elf Prozentpunkten. Dies bedeutet, dass Naturwissenschaftlerinnen und Rechts-/Wirtschafts-/Verwaltungswissenschaftlerinnen besonders hohe Ansprüche an die eigene Arbeit stellen und möglicherweise stärker auf einen langfristigen Verbleib in der Wissenschaft hin unterstützt werden könnten, als dies auf Geisteswissenschaftlerinnen zutrifft.
ner Differenz von 15,5 Prozentunkten. In den beiden anderen Sektionen sind keine Geschlechtsunterschiede auszumachen. Auch dieser Befund ist nicht auf eine geringere Karrieremotivation der Doktorandinnen zurückzuführen.
Subjektive Wahrnehmungen
119
3.4.2 Situation im universitären Umfeld Unterstützung und Entmutigung In Abschnitt 3.3.1 wurde erfasst, inwiefern die Promovierenden in verschiedenen Bereichen unabhängig von der offiziellen Betreuungsperson bedarfsadäquat unterstützt werden. Dabei zeigten sich Nachteile für Doktorandinnen bei Aspekten, die einer langfristigen Etablierung im Wissenschaftssystem dienlich sind. Ergänzend werden nun zwischenmenschliche Barrieren im universitären Umfeld wie Schwierigkeiten mit der Betreuungsperson und Beeinträchtigungen durch Demoralisierungen und die Ignorierung von Schwierigkeiten erfasst. Solche Barrieren sind wesentliche Indikatoren für bestehende Entmutigungen während der Promotionsphase und lassen auf Akte der symbolischen Gewalt schließen (vgl. Abschnitt 2.3.1). Das Auftreten von Schwierigkeiten mit der Betreuungsperson wurde auf einer fünfstufigen Skala erfasst. Dabei gibt der Großteil der Befragten an, dass solche Schwierigkeiten nicht aufgetreten sind (64,1% für Antwortkategorie „trifft überhaupt nicht zu“). Fasst man die Antworten für das Auftreten von Schwierigkeiten zusammen (Antwortkategorien 4 und 5), geben 11,1 Prozent der Befragten Schwierigkeiten mit dem Betreuer an. Diese finden sich bei Doktorandinnen (13,4%) um vier Prozentpunkte häufiger als bei Doktoranden. Da die Promotionsdauer hierfür entscheidend sein kann, wird die Dauer seit Beginn der ersten Vorarbeiten bei der multivariaten Analyse ebenfalls berücksichtigt. Weiterhin treten Schwierigkeiten bei Doktorandinnen um 3,3 Prozentpunkte häufiger auf als bei Doktoranden. Außerdem finden sich Schwierigkeiten bei Promovierenden mit wissenschaftlicher Verankerung (4,9%-Punkte) häufiger als in der Referenzgruppe. Somit sind solche Schwierigkeiten im Zusammenhang mit Erfahrungen im wissenschaftlichen Alltag an der Universität zu sehen. Des Weiteren zeigen sich Unterschiede in den Sektionen. In den Geisteswissenschaften sind Schwierigkeiten mit dem Betreuer seltener als in den Naturwissenschaften und häufiger als in den Rechts-/Wirtschafts-/Verwaltungswissenschaften.120 In der Geisteswissenschaftlichen Sektion sind Doktorandinnen außerdem häufiger mit Schwierigkeiten konfrontiert (3,4%-Punkte) als Doktoranden, während sich dies in den Naturwissenschaften umgekehrt verhält (2,2%-Punkte). Obwohl die Geschlechtsunterschiede in den Sektionen nur schwach ausgeprägt sind, ist der Nachteil für Geisteswissenschaftlerinnen dennoch auffallend. Schließlich handelt es sich um eine Sektion, in der Schwierigkeiten unabhängig vom Geschlecht selten sind. Da Frauen gerade in dieser Sektion, aber auch unabhängig von der Sektionszugehörigkeit häufiger fach120 Geschlechtsspezifische Modelle und die Berechnung des Geschlechtsunterschieds in der Rechts/Wirtschafts-/Verwaltungswissenschaftlichen Sektion sind aufgrund der zu geringen Varianz nicht möglich. Somit können keine Aussagen über Verstärkungs- und Ausgleichsmechanismen getroffen werden.
120
Promotionsphase: Qualifikationsbedingungen und Abbruchrisiken
lich adäquat betreut werden (vgl. Abschnitt 3.3.1), sind solche Schwierigkeiten auf außerfachliche Aspekte bei der Zusammenarbeit mit der Betreuungsperson zurückzuführen. Hinweise auf solche Barrieren liefern Angaben zum Auftreten von Demoralisierungen und dem Ignorieren von Schwierigkeiten. Unabhängig von der Person, die solche Beeinträchtigungen verursacht, sahen sich 28,6 Prozent der Promovierenden durch Demoralisierungen schon einmal in ihrer Promotion behindert. Betroffen sind etwas mehr als ein Drittel der Doktorandinnen und ein Viertel der Doktoranden. Noch häufiger wird von den Promovierenden die Ignorierung ihrer Schwierigkeiten genannt. Mehr als ein Drittel der Befragten äußert solche Beeinträchtigungen, Frauen wiederum deutlich häufiger als Männer. Damit bestehen beide Male deutliche Nachteile für Doktorandinnen, die mit einer Differenz von 10,3 Prozentpunkten bei Demoralisierungen und 10,9 Punkten bei der Ignorierung von Schwierigkeiten jeweils beachtlich sind.121 Zudem wächst der Geschlechtsunterschied bei beiden Beeinträchtigungen weiter an (Tabellen 16 und 17). Somit sind Frauen nun um 15,6 bzw. 14,2 Prozentpunkte häufiger von Demoralisierungen und der Ignorierung ihrer Schwierigkeiten betroffen als Männer. Eine wissenschaftliche Verankerung und die Sektionszugehörigkeit zeigen überwiegend geschlechtsspezifische Zusammenhänge mit dem Auftreten beider Schwierigkeiten: Zunächst finden sich beide Beeinträchtigungen bei Doktoranden seltener, wenn sie mit wissenschaftlicher Verankerung promovieren, während sie bei Doktorandinnen in diesem Fall häufiger auftreten. Somit profitieren Männer von einer institutionellen Verankerung aus dem universitären Umfeld, während eine wissenschaftliche Verankerung bei Frauen mit Belastungen im zwischenmenschlichen Bereich verbunden ist. Daher führt eine wissenschaftliche Verankerung zu einer Verschärfung solcher Beeinträchtigungen für Frauen. Bei der nicht tabellierten Unterscheidung der Promotionsmodelle ohne Verankerung in Stipendienmodelle und externe Promotionsmodelle sind bei der Ignorierung von Schwierigkeiten ebenfalls geschlechtsspezifische Einflüsse auszumachen. So berichten Doktoranden mit wissenschaftlicher Verankerung etwas seltener (1,2%-Punkte), Doktorandinnen mit Verankerung jedoch um 19,7 Prozentpunkte häufiger als externe Doktoranden bzw. Doktorandinnen von einer solchen Behinderung. Gleichermaßen verhält sich dies bei Stipendienmodellen. Allerdings fällt der Unterschied zu externen Modellen bei Männern mit etwa 14 Prozentpunkten doppelt so hoch aus als bei Frauen. Dies bedeutet, dass eine wissenschaftliche Verankerung gegenüber Modellen ohne Verankerung und gegenüber externen Promovierenden die für Frauen häufigere Beeinträchtigung durch die Ignorierung von Schwierigkeiten weiter verstärkt. 121 Bei beiden Faktoren wurde in die multivariaten Analysen neben den üblichen Merkmalen auch die Promotionsdauer seit Beginn der ersten Vorarbeiten einbezogen.
121
Subjektive Wahrnehmungen
Tabelle 16: Beeinträchtigung durch Demoralisierung nach Geschlecht (logistische Regressionen) (1) Gesamt Geschlecht (d) (1=Frau) Alter Alter2 Wissenschaftskarriere angestrebt (d) (1=ja) 1 Promotionsdauer Wissenschaftliche Verankerung (d) (1=ja) NW Sektion (d) RWV Sektion (d) Observations Pseudo R2
0,156 ** 0,045 -0,001 -0,075 0,024 0,072 0,049 -0,050 330 0,046
(2) Männer 0,334 ** -0,005 ** -0,047 0,047 * -0,006 0,040 -0,012 187 0,091
(3) Frauen 0,004 0,000 -0,135 0,010 0,093 0,114 -0,040 143 0,035
Marginal effects (d) for discrete change of dummy variable from 0 to 1; * p < 0,05, ** p < 0,01, *** p < 0,001. 1 Promotionsdauer seit Beginn der ersten Vorarbeiten. Referenzkategorie Sektionen: GW Sektion. Geschlechtseffekte je Sektion (Prozentpunktdifferenzen): GW Sektion: 14,3 (N=71); NW Sektion: 18,6* (N=166); RWV Sektion: 12,2 (N=93).
Das Auftreten von Demoralisierungen wird von Männern und Frauen mit Verankerung um etwa sechs bzw. acht Prozentpunkte häufiger genannt als von externen Promovierenden. Geschlechtsspezifische Effekte finden sich bei den Stipendienmodellen: Männer auf Stipendien führen Demoralisierungen um 18,3 Prozentpunkte häufiger, Frauen um 3,8 Prozentpunkte seltener an als die jeweils externen Promovierenden. Damit erscheinen Stipendien für Frauen besonders günstig, um beide Beeinträchtigungen zu vermeiden und bestehende Unterschiede zwischen Männern und Frauen eher auszugleichen. Die Geschlechtsunterschiede in den drei Sektionen lassen bei beiden Beeinträchtigungen ein durchgängiges Muster erkennen: In allen Sektionen erleben Frauen beide Beeinträchtigungen um mindestens zehn Prozentpunkte häufiger als Männer. Dies bedeutet, dass das Auftreten solcher Beeinträchtigungen eher ein fachübergreifendes Phänomen darstellt und nicht mit geschlechtsspezifischen Fachkulturen einhergeht. Anscheinend werden Frauen häufiger als Männer mit Akten symbolischer Gewalt konfrontiert, was dazu führen dürfte, dass sich Frauen als Wissenschaftlerinnen weniger akzeptiert fühlen. Solche Erfahrungen erscheinen maßgeblich für die Erklärung der vertikalen Segregation des Wissenschaftssystems. Für die Erfassung der konkreten Ursachen und Formen dieser Beeinträchtigungen sind weitere Studien angezeigt.122 122 Es besteht keine Evidenz dafür, dass die Ursachen für die Geschlechtsunterschiede beim Auftreten beider Beeinträchtigung auf die Behandlung durch die Betreuungsperson zurückgehen. Vielmehr
122
Promotionsphase: Qualifikationsbedingungen und Abbruchrisiken
Tabelle 17: Beeinträchtigung durch Ignorierung von Schwierigkeiten nach Geschlecht (logistische Regressionen) (1) Gesamt Geschlecht (d) (1=Frau) Alter Alter2 Wissenschaftskarriere angestrebt (d) (1=ja) 1 Promotionsdauer Wissenschaftliche Verankerung (d) (1=ja) NW Sektion (d) RWV Sektion (d) Observations Pseudo R2
0,142 * 0,008 0,000 -0,018 0,034 0,065 -0,014 -0,047 326 0,033
(2) Männer 0,266 * -0,004 * 0,009 0,067 ** -0,083 0,071 -0,015 186 0,082
(3) Frauen -0,012 0,000 -0,057 0,018 0,167 -0,053 0,004 140 0,037
Marginal effects (d) for discrete change of dummy variable from 0 to 1; * p < 0,05, ** p < 0,01, *** p < 0,001. Referenzkategorie Sektionen: GW Sektion. 1 Promotionsdauer seit Beginn der ersten Vorarbeiten. Geschlechtseffekte je Sektion (Prozentpunktdifferenzen): GW Sektion: 18,8 (N=71); NW Sektion: 10,1 (N=165); RWV Sektion: 18,8 (N=90).
3.4.3 Situation im privaten Umfeld: Antizipierte Probleme der Vereinbarkeit von Wissenschaft und Familie Aus Tabelle 1 ist bekannt, dass mit lediglich 11,4 Prozent ein kleiner Anteil der Promovierenden bereits eine Familie gegründet hat, wobei keine wesentlichen Unterschiede zwischen Doktorandinnen und Doktoranden bestehen. Diese geringe Elternquote ist ein erster Indikator für die Unvereinbarkeit von Wissenschaft und Familie, die auf die hohen Ansprüche an Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zurückzuführen ist (vgl. Abschnitte 2.3.2). Drei Viertel der bisher kinderlosen Promovierenden wünscht sich künftig Kinder, wobei keine wesentlichen Geschlechtsunterschiede bestehen.123 Der Großteil der Promovierenden mit Kinderwunsch beabsichtigt eine Familiengründung nach der Promotion (74,5%), wobei Doktoranden mit etwa 76 Prozent etwas häufiger dieser Meinung sind als Doktorandinnen (72,8%). Weitere 19,4 Prozent der Doktorandinnen und 15,7 Prozent der Doktoranden sind hinsichtlich des Zeitpunkts für sind diese im wissenschaftlichen Umfeld zu verorten. Dennoch fühlen sich 44 Prozent der betroffenen Promovierenden speziell durch die Betreuungsperson demoralisiert, etwa zwei Drittel fühlen sich von der Betreuungsperson in ihren Schwierigkeiten ignoriert. 123 Auch 71,7 Prozent der Promovierenden, die bereits eine Familie gegründet haben, geben an, sich weitere Kinder zu wünschen.
123
Subjektive Wahrnehmungen
eine Familiengründung noch unentschlossen. Lediglich etwa acht Prozent der Promovierenden wünschen sich die Kinder noch während der Promotionsphase. Diese Befunde können zwar nicht klären, ob der Zeitpunkt der Familiengründung mit einer Aufschiebung des Kinderwunsches einhergeht, zeigen jedoch, dass eine Familiengründung erst auf eher fortgeschrittenen Qualifikationsstufen angestrebt wird. Um antizipierte Probleme der Vereinbarkeit gezielt zu erfassen, wurden die Promovierenden gebeten, auf einer fünfstufigen Skala anzugeben, ob für sie Ungewissheiten hinsichtlich der Vereinbarkeit einer Karriere in der Wissenschaft und Familie bestehen.124 Solche Unsicherheiten treten bei 19,9 Prozent der Promovierenden auf. Zudem befürchten Doktorandinnen (30,5%) deutlich häufiger Schwierigkeiten bei der Vereinbarung beider Lebensbereiche als Doktoranden (11,9%). Dieser Geschlechtsunterschied bleibt selbst unter dem Einbezug der übrigen Merkmale stabil. Tabelle 18: Antizipierte Unvereinbarkeit von Wissenschaft und Familie nach Geschlecht (logistische Regressionen) (1) Gesamt Geschlecht (d) (1=Frau) Alter Alter2 Wissenschaftskarriere angestrebt (d) (1=ja) Wissenschaftliche Verankerung (d) (1=ja) NW Sektion (d) RWV Sektion (d) Observations Pseudo R2
0,172 *** 0,021 -0,001 -0,052 -0,009 0,069 -0,022 329 0,082
(2) Männer
(3) Frauen
0,131 -0,002 -0,018 -0,048 0,145 0,160
-0,035 0,000 -0,085 0,044 -0,001 -0,145
187 0,064
142 0,043
Marginal effects (d) for discrete change of dummy variable from 0 to 1; * p < 0,05, ** p < 0,01, *** p < 0,001. Referenzkategorie Sektionen: GW Sektion. Geschlechtseffekte je Sektion (Prozentpunktdifferenzen): GW Sektion: 19,4* (N=73); NW Sektion: 17,9* (N=164); RWV Sektion: 10,5 (N=92).
Doktoranden mit wissenschaftlicher Verankerung äußern im Gegensatz zu Doktorandinnen seltener Unsicherheiten als Promovierende ohne Verankerung. Deutlichere Geschlechtsunterschiede finden sich allerdings bei einer differenzierten Be124 Das Item lautete: „Ich war mir unsicher, ob sich eine wissenschaftliche Karriere mit einer Lebensplanung, die Kinder enthält, vereinbaren lässt.“ Berichtet werden jeweils die zusammengefassten Antwortkategorien „trifft voll und ganz zu“ und „trifft eher zu“. Da sich das Item weniger auf die derzeitige Situation, sondern eine wissenschaftliche Berufslaufbahn allgemein bezieht und sich die Meinung von Promovierenden mit Kindern nicht wesentlich von der Meinung aller Befragten unterscheidet, werden in die Berechnungen alle Befragten einbezogen.
124
Promotionsphase: Qualifikationsbedingungen und Abbruchrisiken
trachtung der Modelle ohne Verankerung. So bestehen bei Stipendien und Modellen mit Verankerung gegenüber externen Promovierenden auffallende gegensätzliche Effekte für Männer und Frauen. Dabei befürchten Frauen jeweils um ein Vielfaches häufiger Schwierigkeiten als Männer. Folglich stellen weder Stipendien noch Mitarbeiterstellen Bedingungen für Frauen bereit, die diesbezügliche Unsicherheiten ausräumen könnten. Vielmehr tragen beide Modelle zu einer Verstärkung der generell bestehenden Nachteile für Frauen bei. Die Geschlechtsunterschiede in den drei Sektionen verweisen zwar auf ein grundsätzlich fachübergreifendes Phänomen, dennoch fühlen sich Doktorandinnen der Geisteswissenschaftlichen Sektion gegenüber Doktoranden besonders häufig mit Fragen der Vereinbarkeit konfrontiert. Diese von Frauen vergleichsweise häufiger erlebten Schwierigkeiten erscheinen als wesentlicher Erklärungsfaktor für eine verstärkte Abwanderung der Frauen aus dem Wissenschaftssystem (vgl. dazu Abschnitt 3.5). 3.4.4 Zwischenzusammenfassung Die Befunde zu den subjektiven Wahrnehmungen der Konstanzer Promovierenden verdeutlichen in vielen Bereichen skeptischere Einschätzungen der Doktorandinnen und belegen im wissenschaftlichen Alltag in Verbindung mit dem privaten Lebensbereich mehrfache Barrieren für Frauen. Zunächst wurde festgestellt, dass die befragten Doktorandinnen zu Beginn ihrer Promotion auch bei Berücksichtigung der weiteren Merkmale etwas häufiger eine wissenschaftliche Berufstätigkeit anstreben als Doktoranden. Damit können die geringeren Promotionsquoten von Frauen und Phänomene der vertikalen Segregation nicht grundsätzlich auf eine geringere Karrieremotivation von Doktorandinnen zurückgeführt werden. Allerdings variiert die Karrieremotivation von Frauen im Vergleich zu Männern in den drei Sektionen auffallend. Besonders in der Geisteswissenschaftlichen Sektion beginnen Frauen ihre Promotion deutlich seltener als Männer aufgrund eines Berufsziels in der Wissenschaft (Differenz: 20,8%-Punkte). In den beiden anderen Sektionen weisen Frauen hingegen eine jeweils höhere Karrieremotivation auf als Männer. Daher könnten die Ansprüche von Geisteswissenschaftlerinnen an ihre eigene Leistung und Unterstützungen aus dem wissenschaftlichen Umfeld geringer sein als die Ansprüche von Geisteswissenschaftlern und die Ansprüche der Doktorandinnen aus den beiden anderen Sektionen. Die fachübergreifende höhere wissenschaftliche Motivation der Doktorandinnen spiegelt sich zudem in den Motiven für die Aufnahme einer Promotionsarbeit wider. So nehmen Frauen ihre Promotion häufiger aus Interesse an wissenschaftlicher Forschung auf, was ihre hohe intrinsische Motivation bestätigt. Dabei zeigten die Geschlechtsunterschiede in den Sektionen ein vergleichbares Muster mit der
Subjektive Wahrnehmungen
125
allgemeinen Karriereorientierung. Um Auswirkungen geschlechtsspezifischer Karriereorientierungen auf subjektive Barrieren zu eliminieren, wurde das Berufsziel neben dem Lebensalter, dem Promotionsmodell und der Sektionszugehörigkeit in den multivariaten Analysen erneut berücksichtigt. Subjektive Barrieren bestehen überwiegend im zwischenmenschlichen universitären Umfeld der Promovierenden. So berichten Frauen etwas häufiger als Männer von Schwierigkeiten mit der Betreuungsperson und deutlich häufiger von Demoralisierungen aus dem universitären Umfeld. Zudem fühlen sich Doktorandinnen häufiger als Doktoranden mit ihren Schwierigkeiten alleingelassen. Diese Befunde stellen ein fachübergreifendes Phänomen dar. Damit erfahren Frauen stärker als Männer Entmutigungen, die zu größeren Belastungen und damit einer eingeschränkten Leistungsfähigkeit führen können. Weiterhin scheinen Frauen aufgrund ihrer häufiger negativen Erfahrungen stärker von Risiken eines Ausscheidens noch während der Promotionsphase oder nach Abschluss dieser Qualifikationsstufe gefährdet (vgl. dazu Abschnitt 3.5). Worin genau diese Erfahrungen bestehen, konnte anhand der vorliegenden Daten nicht geprüft werden. Anzunehmen ist jedoch, dass diese im Zusammenhang mit der Leitidee der Wissenschaft als Lebensform und den damit einhergehenden wissenschaftlichen Praktiken zu tun haben und dieser wissenschaftliche Habitus den Verhaltens- und Denkmustern besonders von Frauen gegenübersteht. Hierdurch besteht für Frauen eine große Angriffsfläche für Akte symbolischer Gewalt (vgl. Abschnitt 2.3.1), die sich in ebensolchen negativen Wahrnehmungen offenbaren. Auch in der Verbindung von wissenschaftlicher und privater Lebenssphäre wurden größere subjektive Barrieren für Frauen ersichtlich, die ebenfalls auf das Lebensformkonzept und geschlechtsstereotypische Rollenmuster rekurrieren. So befürchten Frauen weitaus häufiger als Männer Schwierigkeiten bei der Vereinbarung von Wissenschaft und Familie. Dieser Befund zeigt sich durchgängig in den Sektionen, wobei der Geschlechtsunterschied in den Naturwissenschaften mit etwa zehn Prozentpunkten am geringsten ausfiel. Dies belegt die Annahme der Unvereinbarkeit beider Lebensbereiche vor allem von Frauen auch an einer Exzellenzuniversität, die zudem als familienfreundlich ausgezeichnet wurde. Befürchtungen der Unvereinbarkeit beider Bereiche sind damit nicht allein durch eine für Familien zuträgliche Infrastruktur lösbar, sondern scheinen stark auf die hohen Leistungsansprüche und wissenschaftlichen Praktiken zurückzugehen, die in Verbindung mit Geschlechtsrollenvorstellungen an den privaten Lebensbereich für Frauen stärker zum Tragen kommen. Insgesamt belegen die Geschlechtsunterschiede bei den subjektiven Wahrnehmungen, dass Frauen einem höheren Risiko von Entmutigungen ausgesetzt sind, die aus der Antizipation von Problemen der Vereinbarkeit und Belastungen im zwischenmenschlichen Bereich resultieren und eine verstärkte Abwanderung von Frauen aus dem Wissenschaftssystem begünstigen könnten.
126
Promotionsphase: Qualifikationsbedingungen und Abbruchrisiken
Neben diesen Mehrfachbelastungen zeigen sich einige Verstärkungs- und Ausgleichstendenzen bestehender Geschlechtsunterschiede durch die wissenschaftliche Verankerung und die Sektionszugehörigkeit. So begünstigt eine wissenschaftliche Verankerung bei Frauen das Auftreten von Demoralisierungen und die Ignorierung von Schwierigkeiten im universitären Umfeld ebenso wie die Antizipation von Problemen der Vereinbarkeit, während bei Männern ein jeweils umgekehrter Zusammenhang ersichtlich wird. Die Unterschiede der Effekte von Männern und Frauen sind so groß, dass bei Modellen mit wissenschaftlicher Verankerung eine Verstärkung der Geschlechtsunterschiede bei negativen und entmutigenden Erfahrungen stattfindet. Scheinbar fühlen sich Frauen, sobald sie mit wissenschaftlichen Praktiken an der Universität in Kontakt kommen, häufiger missverstanden oder zumindest weniger akzeptiert als Männer. Stipendienmodelle tragen hingegen seltener zu einer Verstärkung von Entmutigungen bei. Eine solche Tendenz findet sich lediglich bei der Antizipation von Problemen der Vereinbarkeit. Der Nachteil für Frauen beim Auftreten von Demoralisierungen wird bei Stipendien sogar tendenziell verringert. Somit greifen Auffassungen, die eine geringere Einbindung von Frauen ausschließlich als Nachteil verstehen, zu kurz (vgl. Abschnitt 2.3.2). Geschlechtsspezifische Fachkulturen sind lediglich bei der wissenschaftlichen Karriereorientierung auszumachen, wohingegen die Geschlechtsunterschiede in den Sektionen bei den übrigen Faktoren kaum variieren. Dabei verstärkt sich die gegenüber Doktoranden etwas höhere Karrieremotivation der Doktorandinnen in den Natur- und den Rechts-/Wirtschafts-/Verwaltungswissenschaften, während die geringe Motivation der Geisteswissenschaftlerinnen diesem Vorsprung entgegenwirkt. 3.5 Anzeichen für einen Promotionsabbruch 3.5.1 Unterbrechungen Unterbrechungen der Promotion gelten als erhöhtes Risiko dafür, diese Qualifikationsstufe auch zu einem späteren Zeitpunkt nicht mehr zu vollenden und daher aus dem universitären Wissenschaftssystem auszuscheiden. Etwas weniger als zwei Drittel der Promovierenden haben bereits Unterbrechungen oder längerfristige Verzögerungen der Promotion zu verzeichnen. Dabei geben Doktorandinnen Unterbrechungen mit 37,5 Prozent deutlich häufiger an als Doktoranden (26,8%). Die Prozentpunktdifferenz beträgt damit beinahe elf Prozentpunkte. Bei Berücksichtigung der üblichen Merkmale steigt der Geschlechtsunterschied auf nunmehr 13,5 Prozentpunkte an. Im Blickpunkt steht die Frage nach dem Erklärungspotenzial der Promotionssituation für die geschlechtsspezifischen Unterbrechungsquoten. Dafür werden diejenigen Promotionsbedingungen mit auffallenden Unterschieden zwischen Doktorandinnen und Doktoranden sukzessive berück-
Anzeichen für einen Promotionsabbruch
127
sichtigt.125 Unter den objektiven Faktoren betrifft dies die zeitliche Belastung durch berufliche Verpflichtungen (vgl. Abschnitt 3.3.1). Unter den subjektiven Faktoren bestehen deutliche Geschlechtsunterschiede zulasten der Frauen beim Auftreten von Beeinträchtigungen durch Demoralisierung und durch die Ignorierung von Schwierigkeiten (vgl. Tabellen 16 und 17) sowie der Antizipation von Problemen der Vereinbarkeit (vgl. Tabelle 18). Die bei der sukzessiven Berücksichtigung der Merkmale jeweils verbleibenden Geschlechtsunterschiede sind in Abbildung 7 dargestellt. Die Differenz zwischen den ersten beiden Balken zeigt einen Zuwachs des Geschlechtsunterschieds ohne Kontrollvariablen gegenüber dem Unterschied bei Berücksichtigung von Alter, Berufsziel, Verankerung und Sektionen auf 13,5 Prozentpunkte. Durch die Berücksichtigung der genannten Merkmale zur Promotionssituation geht der Geschlechtsunterschied jeweils zurück, so dass Doktorandinnen zuletzt noch um 8,2 Prozentpunkte häufiger ihre Promotion unterbrechen. Dieser Rückgang ist durch zwei Aspekte zu erklären: Generell steigt die Wahrscheinlichkeit einer Unterbrechung bei Auftreten der einzelnen Merkmale jeweils an; zugleich sind Doktorandinnen häufiger von den einzelnen Faktoren betroffen. Generell tragen die einzelnen Promotionsbedingungen dabei in etwa gleich stark zur Erklärung des Geschlechtsunterschieds bei, lediglich die Ignorierung von Schwierigkeiten erweist sich weniger relevant. Ein Blick auf die geschlechtsspezifischen Zusammenhänge zwischen Promotionssituation und Unterbrechungswahrscheinlichkeit zeigt aber, dass die Erklärungskraft der einzelnen Merkmale nicht allein auf die stärkere Betroffenheit der Frauen durch die einbezogenen Faktoren zurückzuführen ist, sondern verdeutlicht darüber hinaus spezifische Mehrfachbelastungen für Frauen und geschlechtsspezifische Verstärkungsmechanismen (Tabelle 19). So tragen die Promotionsbedingungen, die mit zeitlichen Anforderungen und zwischenmenschlichen Beziehungen zu tun haben, bei Frauen stärker als bei Männern zu einer Erhöhung der Unterbrechungsquoten bei. Demzufolge sind Doktorandinnen zum einen stärker von diesen Belastungen betroffen, zum anderen schlagen sich diese stärker in der Unterbrechungsquote nieder, wodurch eine Akkumulation von Nachteilen für Frauen festzustellen ist. Umgekehrt verhält sich dies bei der Antizipation von Problemen der Vereinbarkeit, von der Frauen zwar ebenfalls häufiger betroffen sind als Männer, die jedoch besonders bei Männern zu einem Anstieg der Unterbrechungsquoten führt. Es wird deutlich, dass sich Frauen durch den vorherrschenden Zeitdruck schneller von den Arbeiten an ihrer Promotion abbringen lassen oder diesen als stärker belastend empfinden.
125 Es werden jeweils die Geschlechtseffekte der multivariaten Modelle herangezogen.
128
Promotionsphase: Qualifikationsbedingungen und Abbruchrisiken
Abbildung 7: Geschlechtsunterschiede bei Unterbrechungen der Promotion unter Einbezug von Kontrollvariablen (Prozentpunktdiff. von Doktorandinnen und Doktoranden) 13,5 11,7
10,7
10,2
9,7
Zusätzl. Kontrolle von Ungewissheit Vereinbarkeit
Zusätzl. Kontrolle von Ignorierung Schwierigkeiten
Zusätzl. Kontrolle von Demoralisierung
Zusätzl. Kontrolle von berufsbed. zeitl. Belastung
Kontrolle von Sektion, Verankerung, Alter, wiss. Berufsziel
8,2
Ohne Kontrollvariablen
16 14 12 10 8 6 4 2 0
Die Mehrfachbelastungen durch zwischenmenschliche Probleme im universitären Umfeld berühren die Arbeitsatmosphäre nachteilig und stellen Anzeichen für symbolische Gewalt dar (vgl. Abschnitt 2.3.1). Das Ergebnis zum Einfluss von Befürchtungen der Unvereinbarkeit von Familie und Wissenschaft macht deutlich, dass die Anforderungen und Leitbilder des Wissenschaftssystems nicht nur für Frauen, sondern auch für Männer als Barriere fungieren, wenn es um Fragen der Familiengründung geht. Ungeklärt bleibt allerdings, ob dies vor allem Doktoranden betrifft, die sich aktiv an der Erziehungsarbeit beteiligen wollen, oder ob hier die hohen Mobilitätserfordernisse, Befristungskultur und Planungsunsicherheit ebenfalls zum Tragen kommen. In jedem Fall jedoch besteht der dringliche Bedarf, die Verbindung beider Lebenssphären im Sinne des brain gain weiter zu verbessern und die Strukturen des Wissenschaftssystems kritisch zu hinterfragen.126 Neben den Promotionsbedingungen zeigen auch die wissenschaftliche Verankerung und die Sektionszugehörigkeit unterschiedliche Effekte für Männer und Frauen. So unterbrechen Frauen mit wissenschaftlicher Verankerung ihre Promotion nur etwas seltener, Männer hingegen deutlich seltener als Promovierende ohne Verankerung. Die Differenzierung der Modelle ohne Verankerung zeigt allerdings, dass zumindest gegenüber externen Modellen Unterbrechungen auf Stipendien und 126 Zur tatsächlichen Situation von Eltern an der Universität Konstanz vgl. Kapitel 4.
129
Anzeichen für einen Promotionsabbruch
auch bei Modellen mit Verankerung allgemein deutlich seltener auftreten. Dies gilt insbesondere für Doktorandinnen. Dabei weisen besonders Stipendien das Potenzial auf, überproportionalen Unterbrechungen von Frauen entgegenzuwirken. Dies könnte damit zu tun haben, dass Frauen von Stipendien hinsichtlich einer bedarfsgerechten persönlichen Betreuung, mehreren Aspekten der sozialen Einbindung und bei bisherigen Publikationsaktivitäten jeweils stärker von Stipendien profitieren als Männer. Die nach Sektionszugehörigkeit getrennten Analysen offenbaren eine große Spannweite der Geschlechtsunterschiede, was auf geschlechtsspezifische Fachkulturen hindeutet. Die größte Diskrepanz zuungunsten der Frauen findet sich mit 13,3 Prozent in den Geisteswissenschaften, gefolgt von den Rechts-/Wirtschafts-/Verwaltungswissenschaften (7%-Punkte). Dahingegen bestehen in der Naturwissenschaftlichen Sektion ausgeglichenere Unterbrechungsquoten. Demzufolge scheinen in den Geisteswissenschaften Bedingungen vorzuliegen, die bei Frauen einem zügigen Abschluss der Promotion nicht zuträglich sind. Möglicherweise hat dies auch mit der Finanzierungssituation und vorhandenen Schwierigkeiten mit der Betreuungsperson zu tun, da Geisteswissenschaftlerinnen hiervon besonders stark und Naturwissenschaftlerinnen im Vergleich zu Männern besonders selten betroffen sind (vgl. Tabelle 5 und Abschnitt 3.4.2). Tabelle 19: Unterbrechungen der Promotion nach Geschlecht (logistische Regressionen; alle Befragte) (1) Gesamt Geschlecht (d) (1=Frau) Alter Alter2 Wissenschaftskarriere angestrebt (d) (1=ja) Wissenschaftliche Verankerung (d) (1=ja) NW Sektion (d) RWV Sektion (d) Berufsbedingte zeitl. Belastung (d) (1=ja) Demoralisierung (d) (1=ja) Ignorierung Schwierigkeiten (d) (1=ja) Ungewissheit Vereinbarkeit (d) (1=ja) Observations Pseudo R2
0,082 0,147 ** -0,002 ** -0,084 -0,116 -0,319 *** -0,151 * 0,127 * 0,039 0,084 0,067 320 0,173
(2) Männer 0,130 * -0,002 -0,004 -0,169 -0,203 * -0,071 0,129 0,011 0,039 0,090 185 0,133
(3) Frauen 0,182 * -0,002 * -0,172 -0,060 -0,456 *** -0,255 * 0,140 0,088 0,125 0,045 135 0,226
Marginal effects (d) for discrete change of dummy variable from 0 to 1; * p < 0,05, ** p < 0,01, *** p < 0,001. Referenzkategorie Sektionen: GW Sektion. Geschlechtseffekte je Sektion (Prozentpunktdifferenzen): GW Sektion: 13,3 (N=70); NW Sektion: 3,3 (N=163); RWV Sektion: 7,0 (N=87).
130
Promotionsphase: Qualifikationsbedingungen und Abbruchrisiken
Um zusätzlich zu erfassen, ob bei Anzeichen auf einen Promotionsabbruch auch geschlechtsspezifische Partnerschaftsdynamiken zum Tragen kommen, werden Unterbrechungen bei Berücksichtigung der üblichen Merkmale, der Merkmale zur Promotionssituation und der Erwerbsmerkmale des Partners/der Partnerin auf Promovierende in Partnerschaften bezogen. Von den 204 Promovierenden in Partnerschaften mit gültigen Angaben haben 41,8 Prozent der Doktorandinnen und 31,5 Prozent der Doktoranden ihre Promotion schon einmal unterbrochen. Auf Basis des bisher vollen Modells (Kontrolle von Alter, Verankerung, Berufsziel, Sektionen, zeitl. Belastungen, Demoralisierung, Ignorierung von Schwierigkeiten, Ungewissheit, Vereinbarkeit) ist ein Anstieg dieses Unterschieds auf 12,9 Prozentpunkte zuungunsten der Frauen zu beobachten. Somit drohen Doktorandinnen in Partnerschaften noch häufiger vorzeitig aus dem Wissenschaftssystem auszuscheiden, als dies auf Basis aller Promovierenden der Fall ist. Die geschlechtsspezifischen Effekte der Promotionssituation sind in Tabelle 20 dargestellt und zeigen im Vergleich zu allen Befragten ebenfalls deutlichere Unterschiede zwischen Männern und Frauen. Insbesondere zeitliche Belastungen und Demoralisierungen schlagen bei Frauen noch stärker zu Buche und erhöhen die Diskrepanz zwischen Doktorandinnen und Doktoranden beim Auftreten von Promotionsunterbrechungen. Im Gegensatz dazu bestehen keine nennenswerten Zusammenhänge zwischen der Ignorierung von Schwierigkeiten und der Antizipation von Vereinbarkeitsproblemen mit der Unterbrechungsquote von Frauen, wohingegen bei Männern positive Zusammenhänge zu verzeichnen sind. Demzufolge können die Partner der Doktorandinnen, nicht jedoch die Partnerinnen der Doktoranden diese beiden Schwierigkeiten abfangen. Daher findet vor allem durch die Ignorierung von Schwierigkeiten ein Ausgleich der geschlechtsspezifischen Unterbrechungsquoten statt. Die Unterschiede in den geschlechtsspezifischen Effekten der wissenschaftlichen Verankerung und des Berufsziels sind tendenziell ebenfalls stärker ausgeprägt als auf Basis aller Befragten. Umgekehrt stellen sich die Geschlechtsunterschiede in den Sektionen etwas ausgeglichener dar. Dabei bestehen keine Hinweise auf geschlechtsspezifische Fachkulturen, da Frauen ihre Promotion in allen drei Sektionen deutlich häufiger unterbrechen als Männer. Dennoch sind die Diskrepanzen zwischen Männern und Frauen in der Naturwissenschaftlichen Sektion besonders auffallend. Der hier nicht tabellierte zusätzliche Einbezug von Erwerbsmerkmalen (Erwerbstätigkeit, berufliche Ambitionen, wissenschaftliches Karriereziel) bewirkt einen weiteren Anstieg des Geschlechtsunterschieds auf 13,1 Prozentpunkte. Dabei sind deutliche geschlechtsspezifische Muster erkennbar. So begünstigt die Erwerbstätigkeit des Partners Unterbrechungen von Doktorandinnen erheblich, während die Erwerbstätigkeit der Partnerin bei Doktoranden zu einer niedrigeren Unterbrechungsrate führt. Umgekehrt verhält sich dies, wenn die jeweiligen Partner zusätzlich hohe berufliche Ambitionen aufweisen. Des Weiteren können Frauen, deren
131
Anzeichen für einen Promotionsabbruch
Partner eine wissenschaftliche Karriere anstrebt, von der Gemeinsamkeit wissenschaftlicher Interessen profitieren und unterbrechen ihre Promotion seltener, während dies bei Männern nicht der Fall ist. Somit wirken hohe berufliche Ambitionen des Partners und eine wissenschaftliche Orientierung den häufigeren Unterbrechungsquoten von Frauen entgegen, während eine reine Erwerbstätigkeit des Partners diese tendenziell verstärkt.127 Tabelle 20: Unterbrechungen der Promotion nach Geschlecht (logistische Regressionen; Promovierende in Partnerschaften) (1) Gesamt Geschlecht (d) (1=Frau) Alter Alter2 Wissenschaftskarriere angestrebt (d) (1=ja) Wissenschaftliche Verankerung (d) (1=ja) NW Sektion (d) RWV Sektion (d) Berufsbedingte zeitl. Belastung (d) (1=ja) Demoralisierung (d) (1=ja) Ignorierung Schwierigkeiten (d) (1=ja) Ungewissheit Vereinbarkeit (d) (1=ja) Observations Pseudo R2
0,121 0,214 * -0,003 * -0,120 -0,064 -0,373 *** -0,220 * 0,117 0,022 0,091 0,013 206 0,183
(2) Männer 0,285 ** -0,004 * -0,022 -0,123 -0,278 -0,170 0,034 -0,131 0,101 0,043 114 0,209
(3) Frauen 0,948 -0,015 -0,200 -0,058 -0,440 ** -0,235 0,224 0,219 -0,034 -0,003 92 0,225
Marginal effects (d) for discrete change of dummy variable from 0 to 1; * p < 0,05, ** p < 0,01, *** p < 0,001. Referenzkategorie Sektionen: GW Sektion. Geschlechtseffekte je Sektion (Prozentpunktdifferenzen): GW Sektion: 1,0 (N=43); NW Sektion: 10,4 (N=104); RWV Sektion: 6,8 (N=59).
127 Für Männer/Frauen bestehen folgende partielle Effekte der einzelnen Erwerbsmerkmale: Erwerbstätigkeit Partner/in: -27,4*/ 25,6%-Punkte; berufliche Ambitionen Partner/in: 21,3*/-7,8%-Punkte; wissenschaftliches Berufsziel: 3,0/-17,0%-Punkte. Die geschlechtsspezifischen Dynamiken einer wissenschaftlichen Verankerung und eines wissenschaftlichen Berufsziels sind mit denjenigen ohne Einbezug der Erwerbsmerkmale vergleichbar. Die Berechnung der Geschlechtsunterschiede in den Sektionen ist aufgrund der zu geringen Varianz nicht möglich.
132
Promotionsphase: Qualifikationsbedingungen und Abbruchrisiken
3.5.2 Abbruchgedanken Die Befunde zu Unterbrechungen der Promotion belegen ein deutlich erhöhtes Risiko für Doktorandinnen, die Promotion nicht abzuschließen und damit aus dem universitären Wissenschaftssystem möglicherweise auszuscheiden. Doch wie verhält sich dies, wenn es um konkrete Gedanken an den Abbruch der Promotion geht? Die Information darüber, ob die Promovierenden schon einmal einen Abbruch ihrer Promotion in Erwägung gezogen haben, wurde auf einer fünfstufigen Skala (von 1= „noch nie daran gedacht“ bis 5=„ernsthaft in Erwägung gezogen“) erfasst. Dabei hat mit knapp 45 Prozent der Großteil der Befragten noch nie an einen Abbruch der Promotion gedacht. Doktoranden (45,4%) sind etwas häufiger dieser Meinung als Doktorandinnen (43,7%). Etwa zehn Prozent der Promovierenden hat einen Promotionsabbruch hingegen schon ernsthaft in Erwägung gezogen, darunter mehr Doktorandinnen (12,0%) als Doktoranden (7,3%). Fasst man die Antwortkategorien zusammen, wobei die Antwortkategorien 4 und 5 für „Abbruchgedanken vorhanden“ und die restlichen Kategorien für „Abbruchgedanken nicht vorhanden“ gewertet werden, beläuft sich der Anteil der Promovierenden mit Abbruchgedanken auf 19,8 Prozent. Dabei haben Doktorandinnen mit 20,9 Prozent nur geringfügig häufiger bereits an einen Promotionsabbruch gedacht als Doktoranden (19,0%). Unter Einbezug der üblichen Variablen steigt der Geschlechtsunterschied zunächst auf etwa fünf Prozentpunkte an, verändert sich unter Einbezug der vier Merkmale zur Promotionssituation jedoch zugunsten der Doktorandinnen, die zuletzt um 2,9 Prozentpunkte seltener als Doktoranden einen Abbruch ihrer Promotion in Erwägung gezogen haben (Abbildung 8). Dies verdeutlicht die große Erklärungskraft der Promotionsbedingungen für das geschlechtsspezifische Abbruchrisiko. Die Merkmale zur Promotionssituation begünstigen das Auftreten von Abbruchgedanken bei Frauen durchgehend, wobei der größte Effekt bei der Ignorierung von Schwierigkeiten besteht. Bei Männern begünstigen die vier Promotionsbedingungen das Auftreten von Abbruchgedanken ebenfalls, hinsichtlich dem Auftreten von Demoralisierungen sogar deutlich stärker als bei Frauen. Trotzdem bestehen durch die Promotionsbedingungen keine Hinweise auf eine Verstärkung oder Verringerung des geringeren Abbruchrisikos von Frauen. Gleiches gilt für die wissenschaftliche Verankerung.128
128 Die Analysen zeigen folgende partiellen Effekte für Männer/Frauen: berufsbedingte zeitliche Belastungen: 4,0/7,6%-Punkte; Demoralisierung: 10,2/3,6%-Punkte; Ignorierung von Schwierigkeiten: 24,0**/32,0; Ungewissheit Vereinbarkeit: 7,2/6,8%-Punkte; wissenschaftliches Berufsziel: -8,3/8,2%-Punkte; wissenschaftliche Verankerung: -3,4/2,6%-Punkte.
133
Anzeichen für einen Promotionsabbruch
Abbildung 8: Geschlechtsunterschiede bei Abbruchgedanken unter Einbezug von Kontrollvariablen (Prozentpunktdiff. von Doktorandinnen und Doktoranden) 6 4 2
4,7 3,2 1,9
0 -0,1
-2
-2,2
-4
-2,9
Zusätzl. Kontrolle von Ungewissheit Vereinbarkeit
Zusätzl. Kontrolle von Ignorierung Schwierigkeiten
Zusätzl. Kontrolle von Demoralisierung
Zusätzl. Kontrolle von berufsbed. zeitl. Belastung
Kontrolle von Sektion, Verankerung, Alter, wiss. Berufsziel
Ohne Kontrollvariablen
-6
Die nach Sektion getrennte Analyse verweist auf geschlechtsspezifische Fachkulturen, wonach Doktorandinnen der Geisteswissenschaften häufiger (3,5%-Punkte) und Doktorandinnen der Naturwissenschaften seltener (7,3%-Punkte) von Abbruchgedanken betroffen sind als die jeweiligen Doktoranden. In den Rechts-/Wirtschafts-/Verwaltungswissenschaften bestehen keine Geschlechtsunterschiede. Doch wie hoch ist die Gefahr eines Promotionsabbruchs für Promovierende in Partnerschaften? Ausgangspunkt bildet der Unterschied zwischen Doktorandinnen und Doktoranden in einer Partnerschaft ohne die Berücksichtigung weiterer Merkmale. Etwa ein Viertel hat schon einmal an einen Abbruch der Promotion gedacht, darunter 25,0 Prozent der Doktorandinnen und 23,9 Prozent der Doktoranden. Demnach ist das Abbruchrisiko für Doktorandinnen ohne die Berücksichtigung weiterer Merkmale nur geringfügig erhöht. Bei Einbezug aller weiteren Merkmale dreht sich dieses Verhältnis um. Nun setzen sich Doktoranden um 3,5 Prozentpunkte häufiger mit Gedanken an einen Abbruch der Promotion auseinander als Doktorandinnen (Tabelle 21). Wiederum sind die Unterschiede bei den geschlechtsspezifischen Effekten der Promotionsbedingungen etwas größer als auf Basis aller Befragten. Dabei fallen berufsbedingte zeitliche Belastungen und zwischenmenschliche Schwierigkeiten bei Frauen nun deutlich stärker ins Gewicht als bei Männern. Somit gefährdet das Auftreten solcher Beeinträchtigungen das geringere Abbruchrisiko der Doktorandinnen. Die Antizipation von Problemen der Ver-
134
Promotionsphase: Qualifikationsbedingungen und Abbruchrisiken
einbarkeit begünstigt Abbruchgedanken bei Männern etwas stärker als bei Frauen. Dies verweist erneut auf die hohen Anforderungen und wenig familienfreundlichen Leitbilder des Wissenschaftssystems. Eine wissenschaftliche Verankerung begünstigt das Auftreten von Abbruchgedanken bei Frauen, nicht jedoch bei Männern. Tabelle 21: Abbruchgedanken nach Geschlecht (logistische Regressionen; Promovierende in Partnerschaften) (1) Gesamt Geschlecht (d) (1=Frau) Alter Alter2 Wissenschaftskarriere angestrebt (d) (1=ja) Wissenschaftliche Verankerung (d) (1=ja) NW Sektion (d) RWV Sektion (d) Berufsbedingte zeitl. Belastung (d) (1=ja) Demoralisierung (d) (1=ja) Ignorierung Schwierigkeiten (d) (1=ja) Ungewissheit Vereinbarkeit (d) (1=ja) Observations Pseudo R2
-0,035 0,043 0,000 -0,098 0,005 0,002 0,033 0,086 0,112 0,325 *** 0,044 205 0,188
(2) Männer 0,061 -0,001 -0,045 -0,060 0,008 -0,027 0,042 0,059 0,229 * 0,067 114 0,096
(3) Frauen 0,153 -0,002 -0,145 0,041 0,004 0,074 0,126 0,147 0,374 ** 0,029 91 0,372
Marginal effects (d) for discrete change of dummy variable from 0 to 1; * p < 0,05, ** p < 0,01, *** p < 0,001. Referenzkategorie Sektionen: GW Sektion. Die Berechnung der Geschlechtsunterschiede in den Sektionen ist aufgrund der zu geringen Varianz nicht möglich.
Nicht tabelliert ist der zusätzliche Einbezug der Erwerbsmerkmale der Partner bzw. Partnerinnen. Hierbei verändert sich der Geschlechtsunterschied bei Abbruchgedanken nur geringfügig und beträgt bei Berücksichtigung aller Merkmale 4,1 Prozentpunkte zugunsten der Frauen. Die Effekte der Promotionsbedingungen unterscheiden sich nur unwesentlich von den vorigen Befunden und auch die wissenschaftliche Verankerung weist vergleichbare geschlechtsspezifische Zusammenhänge auf. Im Unterschied zu Unterbrechungen profitieren Frauen im Gegensatz zu Männern nicht von ausgeprägten beruflichen Ambitionen ihrer Partner.129
129 Die partiellen Effekte für das Auftreten von Abbruchgedanken bei hohen beruflichen Ambitionen des Partners/der Partnerin belaufen sich auf -11,3%-Punkte bei Männern und 0,5%-Punkte bei Frauen.
Anzeichen für einen Promotionsabbruch
135
3.5.3 Zwischenzusammenfassung Unterbrechungen und Gedanken an einen Abbruch der Promotion bezeichnen die Gefahr, noch während der Promotionsphase aus dem Wissenschaftssystem auszuscheiden. In Abschnitt 3.5 wurde untersucht, ob sich diese Anzeichen für einen Promotionsabbruch zwischen Doktoranden und Doktorandinnen unterscheiden und welchen Beitrag geschlechtsspezifische Qualifikationsbedingungen zur Erklärung solcher Unterschiede leisten. Diese Befunde wurden durch die Erfassung von Partnerschaftsdynamiken ergänzt. Nahezu zwei Drittel der Befragten haben die Arbeiten an ihrer Promotion schon einmal unterbrochen, darunter mehr Doktorandinnen (37,5%) als Doktoranden (26,8%). Die Berücksichtigung der üblichen Merkmale (Lebensalter, Berufsziel, Verankerung, Sektionen) vergrößert den Geschlechtsunterschied auf 13,5 Prozentpunkte. Somit sind Frauen auch unabhängig von diesen Merkmalen einem höheren Risiko ausgesetzt als Männer, ihre Promotion aufgrund von Unterbrechungen nicht zu Ende zu bringen und somit vorzeitig aus dem Wissenschaftssystem auszuscheiden. Bei sukzessiver Berücksichtigung von solchen Promotionsbedingungen, bei welchen erhebliche Geschlechtsunterschiede bestehen (zeitliche Belastungen durch berufliche Verpflichtungen, Demoralisierung, Ignorierung von Schwierigkeiten, Antizipation von Problemen der Vereinbarkeit), geht der Unterschied bei Unterbrechungen auf etwa acht Punkte zurück. Dabei tragen, abgesehen von der Ignorierung von Schwierigkeiten, alle Promotionsbedingungen ähnlich stark zur Erklärung des Geschlechtsunterschieds bei. Doktorandinnen in Partnerschaften unterbrachen ihre Promotion bei Berücksichtigung der üblichen Merkmale und der Promotionsbedingungen um 12,1 Prozentpunkte häufiger als Doktoranden. Bei zusätzlicher Kontrolle von Erwerbsmerkmalen des Partners bzw. der Partnerin wie Erwerbstätigkeit, hohe berufliche Ambitionen und Berufsziel in der Wissenschaft wächst dieser Unterschied um einen weiteren Prozentpunkt an. Insgesamt sind Doktorandinnen in Partnerschaften damit noch häufiger von Unterbrechungen betroffen, als dies auf Basis aller Befragten der Fall ist. Dabei vergrößert eine Erwerbstätigkeit des Partners Geschlechtsunterschiede bei Unterbrechungen, während hohe berufliche Ambitionen und eine angestrebte wissenschaftliche Laufbahn eher regulierend wirken. Generell erklären sich die Veränderungen der Geschlechtsunterschiede aber nicht nur durch die unterschiedliche Verteilung von Männern und Frauen auf die berücksichtigten Promotionsbedingungen. Vielmehr schlagen sich diese bei Frauen zumeist stärker in Unterbrechungen nieder als bei Männern. Auf Basis aller Befragten gilt dies mit Ausnahme der Antizipation von Problemen der Vereinbarkeit für alle Bedingungen. Bei Promovierenden in Partnerschaften bewirken zeitliche Belastungen und Demoralisierungen bei Frauen gegenüber Männern besonders häufige Unterbrechungen. Im Gegensatz dazu und in Abweichung zu den Befunden auf
136
Promotionsphase: Qualifikationsbedingungen und Abbruchrisiken
Basis aller Befragten werden Unterbrechungen von Frauen durch die Ignorierung von Schwierigkeiten nicht weiter begünstigt. Hieraus resultiert ein tendenzieller Ausgleich der höheren Unterbrechungsquoten von Frauen. Anscheinend können die Partner der Doktorandinnen diese Schwierigkeiten auffangen. Ein besonderes Augenmerk verdienten die Effekte der Antizipation von Problemen der Vereinbarkeit auf Unterbrechungen der Promotion. Hierbei sind auf Basis aller Befragten und für Promovierende in Partnerschaften eher geringe Unterschiede zwischen Männern und Frauen zu verzeichnen. Der positive Zusammenhang bei Männern und Frauen verdeutlicht allerdings, dass die Anforderungen des Wissenschaftssystems für beide Geschlechter wenig kompatibel mit ihren familialen Ansprüchen sind. Familiengründung und Vereinbarkeit treten somit nicht als alleiniges Problem der Frauen zutage, sondern erweisen sich als Barriere für beide Geschlechter, die es im Kampf um den Erhalt der besten Köpfe vor allem auch an einer exzellenten Hochschule zu verbessern gilt. Bei den Gedanken an einen Abbruch der Promotion sind geringere Geschlechtsunterschiede auszumachen. Ohne die Berücksichtigung weiterer Merkmale ziehen Frauen um etwa zwei Prozentpunkte häufiger einen Abbruch der Promotion in Erwägung als Männer. Unter Einbezug von Sektionszugehörigkeit, wissenschaftlicher Verankerung, Lebensalter und Berufsziel vergrößert sich dieser Unterschied zunächst, kehrt sich aber ins Gegenteil um, sobald zusätzlich die Promotionsbedingungen einbezogen werden. Zuletzt ist ein Unterschied von etwa drei Punkten zugunsten der Frauen zu verzeichnen. Demzufolge tragen die für Frauen schlechteren Promotionsbedingungen vollständig zur Erklärung ihres höheren Abbruchrisikos bei. Gleichermaßen verhält sich dies bei Promovierenden in Partnerschaften, wo Doktoranden einen Promotionsabbruch zuletzt um 3,5 Prozentpunkte häufiger erwogen haben als Doktorandinnen. Die einzelnen Effekte der Promotionsbedingungen zeigen ähnliche, jedoch schwächere Zusammenhänge auf das Abbruchrisiko, als dies bei Unterbrechungen der Promotion der Fall ist. Allerdings erweist sich die Ignorierung von Schwierigkeiten als besonders ausschlaggebend für das Abbruchrisiko bei Frauen und gefährdet, zumindest in Partnerschaften, deren geringeres Abbruchrisiko. Die für Männer und Frauen eher ausgeglichenen Effekte antizipierter Vereinbarkeitsprobleme verweisen erneut auf ein geschlechtsneutrales Phänomen und den generellen Verbesserungsbedarf. Die geschlechtsspezifischen Zusammenhänge der Merkmale zur Erwerbstätigkeit des Partners bzw. der Partnerin sind ebenfalls schwächer ausgeprägt als bei Unterbrechungen, weisen aber in dieselbe Richtung. Bei beiden Abbruchrisiken zeigen sich zudem Hinweise auf geschlechtsspezifische Fachkulturen. Bei Einbezug der üblichen Merkmale und der Promotionssituation bestehen für Geisteswissenschaftlerinnen hinsichtlich Unterbrechungen und Abbruchgedanken die schlechtesten und für Naturwissenschaftlerinnen die günstigsten Bedingungen, obwohl auch dort die Unterbrechungsquote der Frauen noch um
Anzeichen für einen Promotionsabbruch
137
etwa drei Prozentpunkte höher ausfällt als bei Männern. Auffallenderweise ziehen Frauen der Naturwissenschaften einen Abbruch ihrer Promotion sogar um etwa sieben Prozentpunkte seltener in Erwägung als Männer. Die Rechts-/Wirtschafts/Verwaltungswissenschaftliche Sektion nimmt jeweils eine Mittelstellung ein. Scheinbar bestehen in den Geisteswissenschaften Bedingungen, die einem zügigen und erfolgreichen Abschluss der Promotion in besonderem Maße entgegenstehen. Diese könnten zumindest teilweise mit den in dieser Sektion häufigeren Finanzierungsunsicherheiten und Schwierigkeiten mit der Betreuungsperson zu tun haben. Aufgrund der gegenüber Doktoranden deutlich höheren Unterbrechungsquote der Doktorandinnen der Geisteswissenschaften ist in dieser Sektion von einer Verstärkung des ohnehin bestehenden Nachteils für Frauen auszugehen. Insgesamt wird das Ausscheiden von Frauen aus dem Wissenschaftssystem noch während der Promotionsphase maßgeblich durch die Promotionsbedingungen begünstigt. Da sich diese für Frauen häufig als nachteilig erweisen, werden hierin zudem kumulative Benachteiligungen ersichtlich, die bereits während der Promotionsphase einsetzen. Darüber hinaus dürfen besonders die negativen Erfahrungen der Frauen auch in ihrer langfristigen Wirkung für die Segregation des Wissenschaftssystems nicht unterschätzt werden. Die Verbesserung der Promotionsbedingungen für Frauen erscheint demzufolge nicht nur für eine chancengerechtere Förderung von Exzellenz wichtig, sondern könnte darüber hinaus der vertikalen Segregation des Wissenschaftssystems maßgeblich entgegen wirken.
4
Postdocphase: Vereinbarkeit von Wissenschaft und Familie
Die allem Anschein nach mangelnde Vereinbarkeit von Beruf und Familie äußert sich besonders eindrücklich in den geringen Fertilitätsquoten von Führungskräften und wird in der einschlägigen Forschungsliteratur als eine der zentralen Ursachen für die Unterrepräsentanz von Frauen in gesellschaftlichen Führungspositionen aller Art immer wieder diskutiert (vgl. z.B. Eichhorst et al. 2007).130 Innerhalb des Wissenschaftssystems scheint dieser Zusammenhang insbesondere deswegen naheliegend, da die Karrierestufen der Promotion und der Habilitation, wo die höchsten Verlustquoten von Wissenschaftlerinnen zu verzeichnen sind, biografisch mit der Phase der Familiengründung zusammenfallen. Gleichzeitig implizieren Praktiken, Denkstile und Leitbilder des Wissenschaftssystems die Unvereinbarkeit von Wissenschaft und Familie. Trotzdem ist die Frage nach den tatsächlichen Möglichkeiten und Grenzen, beide Lebenssphären miteinander zu vereinbaren, weitgehend ungeklärt und selbst statistisch sind Elternschaft und Kinderlosigkeit von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern bisher nur unzureichend erfasst (Schmitt/Winkelmann 2005).131 Welche objektiven und subjektiven Barrieren und Chancen für eine erfolgreiche wissenschaftliche Etablierung bestehen für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mit Kindern? Werden geschlechtsspezifische Hürden durch die spezifischen Anforderungen des Wissenschaftssystems oder gesamtgesellschaftliche normative Verhaltenserwartungen noch erhöht? Oder erweisen sich Befürchtungen der Unvereinbarkeit beider Sphären, wie sie sich bei den Promovierenden der Universität Konstanz zeigen, als unbegründet? An der Universität Konstanz wurden die Bemühungen zur Erhöhung der Chancengleichheit von Frauen und Männern insbesondere seit Beginn der Exzellenzinitiative durch Angebote zur Karriereunterstützung für Studentinnen und Nachwuchswissenschaftlerinnen, die Anwerbung von Spitzenforscherinnen und die Schaffung geschlechtergerechter Strukturen noch einmal intensiviert. Zur Schaffung 130 Inwiefern sich die Vereinbarung von Familie und Beruf aufgrund beruflicher Anforderungen bzw. Strukturen und bestehender Geschlechtsrollenerwartungen auf das Ausscheiden aus dem Beruf auswirkt, wird für beruflich erfolgreiche Akademikerinnen in den USA besonders eindrücklich belegt (Stone 2007). 131 In der Wirtschaft verweisen lückenhafte Statistiken ebenfalls auf deutlich geringere Kinderzahlen bzw. häufigere Kinderlosigkeit insbesondere bei weiblichen Führungskräften (Bischoff 2005, ULA 2007, Schneider 2007: 25 ff.).
I. Findeisen, Hürdenlauf zur Exzellenz, DOI 10.1007/978-3-531-93180-7_4, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
140
Postdocphase: Vereinbarkeit von Wissenschaft und Familie
geschlechtergerechter Strukturen gehört neben der Förderung flexibler Beschäftigungsmodelle, Beratungsangeboten und Veranstaltungen zur Sensibilisierung von Geschlechteraspekten die Einrichtung eines Netzwerkprojekts zur Förderung dualer Karrieren. Hierbei handelt es sich um ein im Herbst 2008 angelaufenes Kooperationsprojekt mehrerer Hochschulen mit dem Ziel, Fördermöglichkeiten dualer Karrieren zu erarbeiten, ein Netzwerk zu Arbeitgebern aus der Region aufzubauen und somit Arbeitsplätze für Partnerinnen und Partner der Konstanzer Forschenden zu vermitteln.132 Darüber hinaus gehören verschiedene Angebote zur Kinderbetreuung zu den etablierten Maßnahmen der Universität Konstanz. So bestehen Möglichkeiten zur Betreuung von Kleinkindern ab sechs Monaten bis drei Jahren auf dem Campusgelände (Knirps und Co.) sowie zur Betreuung von zwei- bis sechsjährigen Kindern in einer Kindertagesstätte des Studentenwerks (Kindertagesstätte Sonnenbühl). Diese findet sich ebenfalls in der Nähe der Universität und liegt für Personen aus der Innenstadt auf dem Weg zur Arbeit. In beiden Einrichtungen werden verschiedene Betreuungsmodelle angeboten. Bei Knirps und Co. können Kinder in Vormittagsgruppen bis 12.30 Uhr, in verlängerten Vormittagsgruppen inklusive Mittagessen bis 14 Uhr, in Nachmittagsgruppen zwischen 14.30 und 18 Uhr oder ganztags zwischen acht und 17 Uhr betreut werden. Nach Absprache sind wochentags zusätzliche Betreuungszeiten zwischen sieben und acht Uhr bzw. von 17 bis 20 Uhr oder an Samstagen zwischen neun und 16 Uhr möglich. Seit Herbst 2007 besteht außerdem die Möglichkeit zur Notfallbetreuung auch zu Hause bei den Eltern. Diese wird für Kinder zwischen drei Monaten und zehn Jahren zwischen acht und 20 Uhr angeboten. Das Platzangebot bei Knirps und Co. ist seit der Einrichtung des Betreuungsangebots in 1996 stetig gewachsen und soll im Zuge der Exzellenzinitiative weiter ausgebaut werden.133 In der Kindertagesstätte Sonnenbühl können maximal 60 Kinder betreut werden, die in drei Gruppen untergebracht sind. Je Gruppe stehen zwei Betreuungsplätze für Kinder unter drei Jahren zur Verfügung. Neben einer Ganztagsbetreuung zwischen sieben und 17 Uhr können Kinder auch vormittags bis 13 Uhr oder bis 14 Uhr (inklusive Mittagessen) betreut werden.134 132 An dem Projekt sind sechs Hochschulen beteiligt. Die Förderung erfolgt durch das Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg und die Internationale Bodensee-Hochschule und ist zunächst auf drei Jahre begrenzt. 133 In 2006 wurde das Platzangebot von zehn auf 20 Plätze erweitert, in 2007 im Zuge der Exzellenzinitiative auf 40 Plätze verdoppelt. Seit Oktober 2008 wurden die Kapazitäten um zwei weitere Betreuungsgruppen à zehn Personen aufgestockt. Diese beiden Gruppen sind in universitätsnahen Räumlichkeiten untergebracht. Teil des Exzellenzkonzepts und der Reauditierung der Universität Konstanz durch die Hertie-Stiftung ist außerdem der Bau eines altersübergreifenden Kinderhauses auf dem Campusgelände, das 2011 fertiggestellt werden soll. Damit werden Betreuungsangebote für Kleinkinder unter drei Jahren, Kindergartenkinder und ein Hortangebot für Schulkinder bis 14 Jahre bereitgestellt. Weitere Informationen unter http://www.uni-konstanz.de/familienaudit/; Stand: 23.04.2010. 134 Weitere Informationen unter http://www.uni-konstanz.de/familienaudit/?cont=kibe&lang=de; Stand: 26.04.2010.
Postdocphase: Vereinbarkeit von Wissenschaft und Familie
141
Zusätzlich bietet die Universität Konstanz während der Sommerferien ein dreiwöchiges Ferienprogramm für Schulkinder an. Alternativ zu diesen universitären Betreuungseinrichtungen gibt es vielfältige städtische und kirchliche Einrichtungen von Kinderkrippen und Kinderhäusern über Kindergärten und Kindertagesstätten bis zu Schulhorten. In Kinderkrippen werden generell Kinder ab einem Alter von einem Jahr betreut, Kinderhäuser stellen Plätze für Kinder zwischen zwei und zehn Jahren zur Verfügung. Kindergärten und Kindertagesstätten richten sich an Kinder zwischen drei Jahren bis zum Schuleintritt und Horte sind Einrichtungen für Schulkinder von sechs bis zehn Jahre, in manchen Fällen bis 14 Jahre. In allen Einrichtungen werden Halbtags- und Ganztagsbetreuungen angeboten.135 Inwiefern diese Gegebenheiten an der Universität Konstanz zur Vereinbarkeit von Wissenschaft und Familie beitragen, wird nachfolgend betrachtet. Dazu werden Arbeitsbedingungen und -erfolge von Eltern im Vergleich zu kinderlosen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern erfasst. In Abschnitt 4.1 werden zunächst die methodische Vorgehensweise bei der Auswertung der Befragungen und die Datengrundlagen erläutert. Anschließend folgt die Beschreibung der beiden realisierten Stichproben anhand sozialdemografischer Merkmale (Abschnitt 4.2). Die Abschnitte 4.3 und 4.4 stellen die Ergebnisse der Befragungen dar. Zunächst richtet sich Abschnitt 4.3 beginnend mit Ergebnissen zu Elternschaft und Kinderlosigkeit (Abschnitt 4.3.1) auf objektive Faktoren für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mit Kindern im beruflichen (Abschnitt 4.3.2) und familiären (Abschnitt 4.3.3) Umfeld. Besondere Aufmerksamkeit kommt dabei der Frage nach der Organisation des beruflichen und familiären Alltags zu (Abschnitt 4.3.4). Die Ergebnisse zur objektiven Situation werden in Abschnitt 4.3.5 resümiert. Abschnitt 4.4 konzentriert sich auf die subjektiven Wahrnehmungen und Einschätzungen der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler und rekurriert damit auf eine kognitive Ebene zur Analyse von Vereinbarkeit. Untersucht werden hier die Aspirationen und Wahrnehmungen, die verstärkt auf implizite gesellschaftliche und wissenschaftliche Anforderungen Bezug nehmen. Abschnitt 4.4.1 fragt nach Aspirationen der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler hinsichtlich der Familienplanung. Nachfolgend wendet sich Abschnitt 4.4.2 mit Einschätzungen zu Leistungsfähigkeit und Wahrnehmungen wissenschaftlicher Anforderungen der beruflichen Situation, Abschnitt 4.4.3 der familiären Situation zu. Abschnitt 4.4.4 hält Wahrnehmungen der Lebenssituation insgesamt und Verbesserungspotenziale fest. Die zentralen Ergebnisse werden in Abschnitt 4.4.5 noch einmal zusammengefasst.
135 Eine Übersicht über alle Betreuungsangebote in Konstanz findet sich zudem auf den Seiten der Stadt Konstanz vgl. Broschüre „Kind sein in Konstanz“ unter http://www.konstanz.de/soziales/01873/01880/index.html; Stand: 26.04.2010.
142 4.1
Postdocphase: Vereinbarkeit von Wissenschaft und Familie
Datengrundlagen und methodisches Vorgehen
Die Datengrundlagen für die Teilstudie bilden quantitative und qualitative Befragungsdaten, die an der Universität Konstanz zwischen Herbst 2007 und Sommer 2008 erhoben wurden. Die Auswahl der Befragten erfolgte in einem zweistufigen Verfahren. Die quantitativen Daten sind Ergebnis einer Vollerhebung aller promovierten wissenschaftlich Beschäftigten der Exzellenzuniversität Konstanz, die noch nicht auf eine dauerhafte Professur berufen wurden.136 Diese wurden im Herbst 2007 zu ihrer beruflichen und familiären Situation online befragt. Die Zielgruppe umfasst nach Abzug stichprobenneutraler Ausfälle 354 Personen. Für die Auswertung liegen 189 Datensätze vor.137 Anhand dieser Onlinebefragung konnte der Pool der an der Universität Konstanz wissenschaftlich beschäftigten Eltern erstmals erfasst werden. Hieraus wurden auf einer zweiten Stufe jeweils vier Väter und vier Mütter mit räumlich flexiblen und unflexiblen beruflichen Arbeitsbedingungen138 zufällig ausgewählt.139 Die Wahl der räumlichen Flexibilität als Auswahlkriterium richtet sich nach Forschungsbefunden, wonach die Flexibilität der Arbeitsbedingungen als entscheidend für eine gelingende Vereinbarkeit von Wissenschaft und Familie gilt (Strehmel 1999, von Stebut 2003, Macha 2000). Von den 16 geplanten Interviews konnten 14 realisiert werden, darunter sechs Interviews mit Frauen und acht Interviews mit Männern.140 Die Ergebnisse der quantitativen und qualitativen Befragung werden integriert dargestellt. Die quantitativen Analysen umfassen Gruppenvergleiche auf zwei Ebenen: Zum einen erfolgen Geschlechtervergleiche, zum anderen werden Eltern mit kinderlosen Befragten verglichen. Somit kann untersucht werden, ob sich die berufliche Situation von kinderlosen Befragten anders darstellt als für Eltern oder ob Mütter mit anderen Schwierigkeiten konfrontiert werden als Väter. Generell werden Informationen, die auf einer fünfstufigen Skala erfasst werden, auf zwei Ausprägungen zusammengefasst.141 136 Die Zielgruppe umfasst demnach Postdocs und Juniorprofessor/innen bzw. assistant professors. 137 Dies entspricht einer erfreulichen Rücklaufquote von 53,4 Prozent. 138 Die Information darüber, ob flexible Arbeitsbedingungen vorliegen, wurde durch folgendes Item der Onlinebefragung erfasst: Ich kann mir weitgehend selbst einteilen, wann ich an der Universität arbeite (Antwortkategorien von 1=„stimme überhaupt nicht zu“ bis 5=„stimme voll und ganz zu“). Dabei werden die Antwortkategorien 4 und 5 als flexible Arbeitsbedingungen gewertet. 139 Die Befragung beinhaltete folgende Themenbereiche: Entscheidungsprozesse (berufliche Laufbahn, Familiengründung), alltägliche Organisation von Familie und Beruf, Belastungen und Entlastungen im beruflichen und familiären Alltag, Zufriedenheit als Elternteil und Forschende/r, Reaktionen aus dem beruflichen und familiären Umfeld, Einschätzungen zur Lebenssituation insgesamt und Verbesserungsvorschläge. Vor der eigentlichen Befragung wurden sozialdemografische Angaben durch einen Kurzfragebogen erfasst. 140 Die qualitative Datenerhebung wurde im WS 2007/2008 in die Lehre eingebunden. Nach einer ersten Auswertung der Daten fanden im Sommer 2008 Vertiefungsinterviews statt. 141 Dabei werden jeweils die beiden oberen Skalenwerte als Zustimmung gewertet.
Datengrundlagen und methodisches Vorgehen
143
Um Geschlechtsunterschiede erfassen zu können, werden multivariate Regressionsverfahren angewandt, bei welchen die Elternschaft und das Lebensalter der Befragten berücksichtigt werden. Neben den unabhängig von diesen Merkmalen bestehenden Geschlechtseffekten ist besonders der Nachweis solcher Verstärkungsund Ausgleichsmechanismen von Interesse, die durch eine Elternschaft erzeugt werden (vgl. Abschnitt 2.4).142 Die Problematik der Kausalität bei Regressionsanalysen wurde in Abschnitt 2.4 bereits dargestellt. Für die Effektrichtung einer Elternschaft legen theoretische Überlegungen und bisherige Forschungsbefunde die Interpretation einer Elternschaft als unabhängige Variable nahe, da eine Familiengründung aufgrund des zusätzlichen Verantwortungsbereichs, der eingeschränkten zeitlichen Ressourcen und des vorherrschenden Eltern- bzw. Mutterbildes Barrieren im wissenschaftlichen Umfeld erzeugen (vgl. z.B. von Stebut 2003, Macha 2000, Strehmel 1999, Lind 2008a, Metz-Göckel et al. 2009).143 Diese quantitativen Befunde werden durch die Ergebnisse aus den qualitativen Interviews ergänzt, die reichhaltige Informationen zu den Erfahrungen und Wahrnehmungen der befragten Eltern im beruflichen und familiären Umfeld bereitstellen und somit einen Einblick in Wechselwirkungen zwischen beruflicher und familialer Lebenswelt gewähren. Diese Auswertungen folgen der qualitativen Inhaltsanalyse nach Gläser und Laudel (Gläser/Laudel 2006).144 Durch die Kombination von quantitativen und qualitativen Forschungsbefunden können Problemlagen von Vätern und Müttern während der wissenschaftlichen Qualifikationsphase bestmöglich erfasst werden.
142 Das Alter der Befragten fungiert als Kontrollvariable und wird in der Regel nicht inhaltlich interpretiert. 143 Wegen der geringen Fallzahlen kann die Sektionszugehörigkeit in multivariaten Auswertungen nicht berücksichtigt werden. Bei Aspekten, die ausschließlich Eltern betreffen (z.B. Beeinträchtigungen durch Kinderbetreuung), werden aufgrund der kleinen Fallzahlen keine geschlechtsspezifischen Modelle berechnet. 144 Die Datenauswertung umfasste mehrere Stufen: (1) Extraktion: systematische Entnahme von Informationen aus den Transkripten anhand des a priori festgelegten Kategoriensystems. Dieses beinhaltete die Hauptkategorien Organisation, Wahrnehmung/Befinden (Selbstbezug, Kindesbezug, privates Umfeld, Arbeitsumfeld), Berufssituation, Verbesserungswünsche, (2) Aufbereitung: weitere Systematisierung und Dimensionalisierung des extrahierten Materials durch Erweiterung und Differenzierung des Kategoriensystem anhand offener Codierverfahren, (3) Auswertung: Erarbeitung von Mechanismen des Einzelfalls und fallübergreifender Zusammenhänge; dabei Anwendung axialer Codierverfahren zur Suche nach Verbindungen zwischen Kategorien. Für weitere Informationen zu offenen und axialen Codierverfahren vgl. Strauss/Corbin 1996: 43 ff., für Theorie und Praxis zur qualitativen Inhaltsanalyse vgl. Gläser/Laudel 2006, Mayring 2003.
144
Postdocphase: Vereinbarkeit von Wissenschaft und Familie
4.2 Profil der Befragten Von den Befragten mit Angaben zum Geschlecht sind Wissenschaftlerinnen mit 53 Personen zu einem Drittel vertreten (34,0%). Weitere 103 Befragte sind Wissenschaftler. Tabelle 22 gibt einen Überblick über einige sozialdemografische Merkmale. Der Großteil der Befragten gehört der Naturwissenschaftlichen Sektion der Universität an (55,1%). Befragte aus den Geisteswissenschaften sind mit über einem Drittel, Befragte der Rechts-/Wirtschafts- und Verwaltungswissenschaften mit unter zehn Prozent deutlich seltener vertreten.145 Tabelle 22: Profil der Befragten (Onlinebefragung) n Sektionszugehörigkeit1 NW Sektion GW Sektion RWV Sektion Total Derzeitige Karrierephase Promotion abgeschlossen Habilitation begonnen Habilitation abgeschlossen 2 Total Berufliche Flexibilität3 Ja Nein Total
Männer %
Frauen n
%
Gesamt n %
57 37 9 103
55,3 35,9 8,7 100,0
29 21 3 53
54,7 39,6 5,7 100,0
86 58 12 156
55,1 37,2 7,7 100,0
51 22 30 103
49,1 21,4 29,1 100,0
33 11 8 52
63,5 21,2 15,4 100,0
84 33 38 155
54,2 21,3 24,5 100,0
79 22 101
78,2 21,8 100,0
40 13 53
75,5 24,5 100,0
119 35 154
77,3 22,7 100,0
Fragen: 1) Welchem Fach gehören Sie an? 2) In welcher Karrierephase befinden Sie sich derzeit? 3) Ich kann mir weitgehend selbst einteilen, wann ich an der Universität arbeite (Antwortkategorien von 1=„stimme überhaupt nicht zu“ bis 5=„stimme voll und ganz zu“). 1 Die Zuordnung der Fächer auf Sektionsebene erfolgte nach der Systematik der Universität Konstanz. 2 Die Abweichungen bei Total ergeben sich hier und nachfolgend durch fehlende Angaben. 3 Tabelliert sind die Antwortkategorien 4 und 5 für „Ja", die Antwortkategorien 1 bis 3 für „Nein".
Das Gros der Befragten hat nach abgeschlossener Promotion (noch) nicht mit der Habilitation begonnen (54,2%). Dies betrifft mit 63,5 Prozent insbesondere die Wissenschaftlerinnen. Etwa 21 Prozent aller Befragten haben mit Arbeiten an der Habilitation begonnen, ein weiteres Viertel hat diese bereits abgeschlossen. Diese 145 Ob es sich hierbei um Rücklaufverzerrungen handelt, kann auf der Basis der Daten zur Zielgruppe nicht festgestellt werden. Mein herzlicher Dank für die Bereitstellung und Recherche der E-Mail Adressen der Zielgruppe geht an die Personalabteilung und das Zukunftskolleg der Universität Konstanz.
Profil der Befragten
145
Geschlechtsunterschiede können mit der Altersstruktur der Befragten zusammenhängen, da die Wissenschaftlerinnen im Mittel etwas jünger sind (37 Jahre) als ihre männlichen Kollegen (39 Jahre). Das mittlere Alter der bereits habilitierten Befragten liegt bei 42,5 Jahren. In den drei Sektionen unterscheiden sich die Altersstrukturen von Männern und Frauen meist deutlich. In der Geisteswissenschaftlichen Sektion sind Wissenschaftler mit durchschnittlich 42 Jahren um etwa drei Jahre älter als Frauen. In der Rechts-/Wirtschafts-/Verwaltungswissenschaftlichen Sektion beträgt der Altersunterschied vier Jahre. Das Durchschnittsalter beläuft sich in dieser Sektion auf 38 Jahre bei Wissenschaftlern und 34 Jahre bei Wissenschaftlerinnen. In den Naturwissenschaften ist hingegen kein Unterschied zwischen Männern und Frauen festzustellen. Beide Male liegt der Altersdurchschnitt bei 37 Jahren. Mehr als drei Viertel der Befragten kann sich die Arbeitszeiten an der Universität selbst einteilen. Unter den Befragten mit flexiblen Arbeitsbedingungen sind Männer häufiger vertreten als Frauen (66,4 gegenüber 33,6%). Das sozialdemografische Profil der Befragten in den qualitativen Interviews weist ähnliche Verteilungen auf (Tabelle 23). Wiederum sind Forschende der Naturwissenschaftlichen Sektion am stärksten vertreten. Etwas mehr als die Hälfte der befragten Eltern hat (noch) nicht mit der Habilitation begonnen. In den qualitativen Interviews wurde außerdem die Art der Beschäftigung erfasst. Dabei verteilen sich Mütter gleichmäßig auf Tätigkeiten ausschließlich in der Forschung, ausschließlich in der Lehre und beiden Bereichen. Unter den Vätern überwiegt der Anteil der in Forschung und Lehre Beschäftigten. Des Weiteren haben Mütter maximal zwei Kinder, während bei immerhin zwei der Väter drei Kinder im jeweiligen Haushalt leben. Die Einordnung dieser Daten im Vergleich zu allen Eltern der Universität Konstanz erfolgt in Abschnitt 4.3.1.
146
Postdocphase: Vereinbarkeit von Wissenschaft und Familie
Tabelle 23: Profil der qualitativ befragten Eltern n Sektionszugehörigkeit1 NW Sektion GW Sektion RWV Sektion Total Derzeitige Karrierephase Promotion abgeschlossen Habilitation begonnen Habilitation abgeschlossen Total 2 Berufliche Flexibilität Ja Nein Total Art der Tätigkeit Forschung Lehre Forschung u. Lehre Total Karrierephase bei Geburt des ersten Kindes Während/nach Studium Während Promotion Nach Abschluss Promotion Während Habilitation oder später Total Kinderanzahl 1 Kind 2 Kinder 3 Kinder Mehr als 3 Kinder Total
Männer %
Frauen
Gesamt
n
%
n
%
4 1 3 8
50,0 12,5 37,5 100,0
4 2 0 6
66,7 33,3 0,0 100,0
8 3 3 14
57,1 21,4 21,4 100,0
4 1 3 8
50,0 12,5 37,5 100,0
4 1 1 6
66,7 16,7 16,7 100,0
8 2 4 14
57,1 14,3 28,6 100,0
4 4 8
50,0 50,0 100,0
3 3 6
50,0 50,0 100,0
7 7 14
50,0 50,0 100,0
3 1 4 8
37,5 12,5 50,0 100,0
2 2 2 6
33,3 33,3 33,3 100,0
5 3 6 14
35,7 21,4 42,9 100,0
1 4 2 1 8
12,5 50,0 25,0 12,5 100,0
2 1 2 1 6
33,3 16,7 33,3 16,7 100,0
3 5 4 2 14
21,4 35,7 28,6 14,3 100,0
4 2 2 0 8
50,0 25,0 25,0 0,0 100,0
3 3 0 0 6
50,0 50,0 0,0 0,0 100,0
7 5 2 0 14
50,0 35,7 14,3 0,0 100,0
Fragen: 1) Welchem Fach gehören Sie an? 2) In welcher Karrierephase befinden Sie sich derzeit? 3) Ich kann mir weitgehend selbst einteilen, wann ich an der Universität arbeite (Antwortkategorien von 1= „stimme überhaupt nicht zu“ bis 5= „stimme voll und ganz zu“). 4) In welcher Karrierephase befanden Sie sich zum Zeitpunkt der Geburt Ihres ersten Kindes? 5) Leben in Ihrem Haushalt Kinder? (Antwortkategorien: Nein, Ja, 1 Kind, Ja, 2 Kinder, Ja, 3 Kinder, Ja, mehr als 3 Kinder). 1 Die Zuordnung der Fächer auf Sektionsebene erfolgt nach der Systematik der Universität Konstanz. 2 Tabelliert sind die Antwortkategorien 4 und 5 für „Ja“, die Antwortkategorien 1 bis 3 für „Nein".
Objektive Faktoren und Zusammenhänge
147
4.3 Objektive Faktoren und Zusammenhänge 4.3.1 Elternschaft und Kinderlosigkeit Die Frage danach, ob Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler überhaupt Kinder haben, kann als erstes Indiz für die Vereinbarkeit von Wissenschaft und Elternschaft angesehen werden. Betrachtet man die Gesamtanteile an Eltern,146 ist zu erkennen, dass etwas weniger als die Hälfte aller Befragten mindestens ein Kind haben (48,7%). Weiterhin haben Wissenschaftlerinnen mit einem Anteil von 37,7 Prozent deutlich seltener Kinder als Wissenschaftler (54,4%). Die multivariaten Auswertungen bei Berücksichtigung des Alters der Befragten zeigen einen weitgehend unveränderten Geschlechtsunterschied von 16,6 Prozentpunkten zuungunsten der Wissenschaftlerinnen. Somit trägt das etwas jüngere Alter der Wissenschaftlerinnen nicht zur Erklärung der von Frauen selteneren Familiengründungen bei. Es ist aber naheliegend, dass Familiengründungen auch wesentlich mit der Sektionszugehörigkeit der Befragten einhergehen. Bivariate Auswertungen147 zeigen eine erhebliche Variation der Elternquoten von Männern und Frauen in den Sektionen. So haben Wissenschaftlerinnen der Geisteswissenschaften besonders häufig Kinder (61,9%), während nur ein Viertel der Naturwissenschaftlerinnen und keine Wissenschaftlerin der Rechts-/Wirtschafts-/Verwaltungswissenschaften148 Kinder hat. Bei den Wissenschaftlern unterscheidet sich die Elternquote in den drei Sektionen kaum und variiert zwischen 51,4 Prozent in den Geisteswissenschaften und 56,1 Prozent in den Naturwissenschaften. Die seltenere Elternschaft von Frauen der Natur- und der Rechts-/Wirtschafts/Verwaltungswissenschaftlichen Sektion lassen Fachkulturen vermuten, die einer gelingenden Vereinbarkeit für Frauen weniger zuträglich sind. Dies gilt insbesondere für die Naturwissenschaftliche Sektion, wo sich die Altersstruktur von Männern und Frauen nicht unterscheidet (vgl. Abschnitt 4.2). Dahingegen könnte die geringe Elternquote der Frauen in den Rechts-/Wirtschafts-/Verwaltungswissenschaften mit dem vergleichsweise jungen Alter der Wissenschaftlerinnen dieser Sektion einhergehen. Die Einordnung des Befundes zu einer selteneren Elternschaft der Wissenschaftlerinnen gestaltet sich wegen der wenig verlässlichen Statistiken zu Fertilitätsquoten von Forschenden149 und unterschiedlichen Zielgruppen in weiteren Befra146 Mit Elternschaft ist hier und nachfolgend immer eine soziale Elternschaft gemeint, die basierend auf der Frage nach im Haushalt lebenden Kindern erfasst wurde. 147 Aufgrund der zu geringen Varianz insbesondere in der Rechts-/Wirtschafts-/Verwaltungswissenschaftlichen Sektion ist die Berücksichtigung der Sektionszugehörigkeit in multivariaten Modellen nicht sinnvoll. 148 Dieser Befund sollte aufgrund der kleinen Fallzahlen in dieser Sektion nicht überbewertet werden. 149 Für eine kritische Auseinandersetzung zur Datenlage bei Fertilitätsquoten vgl. beispielsweise Schmitt/Winkelmann 2005, Metz-Göckel et al. 2009: 47 ff.).
148
Postdocphase: Vereinbarkeit von Wissenschaft und Familie
gungsstudien schwierig (vgl. z.B. Bochow/Joas 1987: 146, von Stebut 2003, Wimbauer 1999, Xie/Shauman 2003). In aktuellen Studien werden die Kinderlosigkeit von Forschenden und die Aufschiebung von Kinderwünschen darüber hinaus als Barrieren für Männer diskutiert. Dennoch scheint der Aufschub einer Familiengründung oder der vollkommene Verzicht auf Kinder weiterhin vor allem unter Frauen verbreitet.150 Obwohl die Konstanzer Daten keinesfalls eine dauerhafte Kinderlosigkeit belegen, erscheint es eher unwahrscheinlich, dass die bisher kinderlosen Wissenschaftlerinnen trotz ihres mit durchschnittlich 36 Jahren etwas jüngeren Alters die Elternquote der Wissenschaftler künftig noch erreichen. Dies wird durch die häufigeren Kinderwünsche der bislang kinderlosen Wissenschaftler (63,8% gegenüber 50% bei Wissenschaftlerinnen) untermauert. Stattdessen haben sich verstärkt die Wissenschaftlerinnen gegen Kinder (40,6%) entschieden.151 Folglich erleben besonders Frauen die Entscheidung über Kinder und wissenschaftliche Laufbahn als sich ausschließende Optionen. Dies deutet darauf hin, dass die von Frauen getroffene Entscheidung für eine weitere wissenschaftliche Berufslaufbahn häufig mit der Entscheidung gegen Kinder einhergeht.152 Karrierephase bei Geburt des ersten Kindes Die Konstanzer Daten zeigen außerdem, dass die Familiengründungsphase bei Wissenschaftlern verstärkt während (31,5%) und nach Abschluss der Promotion (38,9%) und damit in etwas früheren Karrierephasen stattfindet als bei Wissenschaftlerinnen. Diese haben mit Anteilen von jeweils 35,0 Prozent ihre Promotion bereits abgeschlossen oder befinden sich in der Habilitationsphase (Tabelle 24). Demnach geben hauptsächlich Wissenschaftlerinnen ihrer beruflichen Ausbildung zunächst Vorrang und stellen dafür die Familiengründung zurück, was gleicher150 So ergab die im Sommer 2008 durchgeführte repräsentative Studie des Center of Excellence Women and Science (CEWS) zur Balancierung von Wissenschaft und Elternschaft, dass zwei Drittel der Wissenschaftlerinnen (68%), aber auch etwas weniger als die Hälfte der Wissenschaftler (46%) eine Aufschiebung ihres Kinderwunsches zugunsten der beruflichen Entwicklung in Kauf nahmen (Lind 2008a). Auch für den akademischen Mittelbau der Universitäten Nordrhein-Westfalens wurde ein deutlicher Trend zur Aufschiebung des Kinderwunsches bis nach der Promotion festgestellt. Dabei wurde die Anfertigung einer Dissertation als „Baby für sich“ bezeichnet und die Promotionsphase daher als besonders unvereinbar mit Familienpflichten angesehen (Metz-Göckel 2009: 129). 151 Bei Wissenschaftlern beläuft sich der Anteil auf 17,0 Prozent. Weitere 9,4 Prozent der Frauen und 19,2 Prozent der Männer sind noch unentschlossen. 152 Dass die Entscheidung für Kinder, berufliche Karriere oder beide Lebensbereiche weniger eine freie Wahl darstellt, sondern vielmehr auf Zwänge durch berufliche Anforderungen bzw. Erfahrungen und bestehende Geschlechtsrollenerwartungen zurückzuführen ist, wird in einer Studie zu Gründen für Abwanderungsprozesse erfolgreicher Akademikerinnen in den USA besonders eindrücklich belegt (Stone 2007: 105 ff.).
149
Objektive Faktoren und Zusammenhänge
maßen aus den Angaben zu Kinderwunsch und Zeitpunkt der Familiengründung der Konstanzer Promovierenden hervorging. Dennoch sind Wissenschaftlerinnen bei der Geburt des ersten Kindes mit durchschnittlich 34 Jahren nur unwesentlich älter als Väter (33 Jahre). Anscheinend bemühen sich Wissenschaftlerinnen stärker als Wissenschaftler um ein besonders zügiges Voranschreiten ihrer Karriere, um nach dem Erreichen einer wissenschaftlichen Position nach der Promotion noch genügend Zeit für eine Familiengründung zu haben. Tabelle 24: Karrierephase bei Geburt des ersten Kindes n Karrierephase bei Geburt des ersten Kindes Während/nach Studium Während Promotion Nach Abschluss Promotion Während Habilitation oder später Total
Männer %
5 17 21 11 54
9,3 31,5 38,9 20,4 100,0
Frauen n
2 4 7 7 20
Gesamt %
10,0 20,0 35,0 35,0 100,0
n
%
7 21 28 18 74
9,5 28,4 37,8 24,3 100,0
Frage: In welcher Karrierephase befanden Sie sich zum Zeitpunkt der Geburt Ihres ersten Kindes?
4.3.2 Berufliche Situation Nachdem im vorigen Abschnitt dargelegt wurde, in welchem Umfang Forschende der Universität Konstanz überhaupt Kinder haben, soll nun untersucht werden, inwiefern sich die berufliche Situation von Eltern und kinderlosen Forschenden strukturell unterscheidet und spezielle Barrieren für Mütter bestehen. Institutionelle und soziale Einbindung Über drei Viertel aller Befragten sind an einem Lehrstuhl und/oder an einem Fachbereich angestellt (76,9%).153 Damit findet sich der Großteil aller Befragten in abhängigen Anstellungsverhältnissen, wobei keine Unterschiede zwischen Forschenden mit und ohne Kinder feststellbar sind. Unabhängige Drittmittelstellen154 hingegen werden mit 10,3 Prozent etwas häufiger von Eltern besetzt als von kinderlosen Forschenden (6,1%). Keine nennenswerten Unterschiede zwischen Eltern und Kin153 Die Antwortkategorien „Anstellung am Fachbereich“ und „Anstellung an einem Lehrstuhl (Haushaltsstelle oder Drittmittel)“ werden hier zusammengefasst dargestellt. 154 Hierunter fallen Anstellungen wie die „Eigene Stelle“, die im Rahmen des Emmy-Noether-Programms bei der DFG beantragt werden kann.
150
Postdocphase: Vereinbarkeit von Wissenschaft und Familie
derlosen bestehen bei der Besetzung von Juniorprofessuren (inkl. assistant professors) und Stipendien. Hier liegen die Anteile von allen Befragten bei jeweils etwa vier Prozent. Darüber hinaus sind weitere 6,9 Prozent der Befragten in Form von Privatdozenturen oder Vertretungsprofessuren in den wissenschaftlichen Kontext eingebunden. Nennenswerte Geschlechtsunterschiede bestehen nicht. Die Befristungssituation der Befragten unterscheidet sich hingegen deutlicher nach der Elternschaft der Forschenden. So sind Eltern unabhängig vom Geschlecht seltener befristet beschäftigt als kinderlose Forschende. Bei Frauen ist dieser Unterschied mit einer Differenz von 16 Prozentpunkten besonders stark ausgeprägt (vgl. Abbildung 9). Somit erscheint die Beschäftigungssicherheit speziell für Frauen als wichtiges Kriterium für die Realisierung einer Elternschaft.155 Unter Berücksichtigung von Geschlecht und Alter ist kein nennenswerter Effekt zwischen Elternschaft und Befristung festzustellen. Frauen stehen unabhängig von einer Elternschaft und dem Alter um etwa fünf Prozentpunkte häufiger in einem befristeten Arbeitsverhältnis.156 Weiterhin stellt sich die Frage, in welchen Tätigkeitsbereichen es für den wissenschaftlichen Nachwuchs überhaupt unbefristete Stellen gibt? Daten des Statistischen Bundesamts zum hauptberuflichen Personal an Hochschulen lassen zumindest für Vollzeitbeschäftigungen eine Differenzierung von Personalkategorien nach Beschäftigungsverhältnissen zu. Danach werden in 2007 etwas weniger als ein Drittel von 168.888 nicht professoralen157 Vollzeitbeschäftigten unbefristet beschäftigt (30,6%). Für Lehrkräfte für besondere Aufgaben bestehen zu etwa 50 Prozent befristete und unbefristete Verträge (3.549 Dauerstellen gegenüber 4.719 befristeten Stellen). Bei Dozenten und Assistenten sowie bei wissenschaftlichen und künstlerischen Mitarbeitern fallen die Anteile der unbefristeten Beschäftigungen mit 16,7 Prozent bzw. 17,2 Prozent deutlich geringer aus. Dies zeigt, dass unbefristete Beschäftigungen zumindest bei forschungsbetonten Tätigkeiten immer noch die Ausnahme darstellen. Diese Zahlen sprechen dafür, dass die Konstanzer Wissenschaftlerinnen mit Kindern überwiegend im Bereich der Lehre tätig sind, während die Wissenschaftler mit Kindern etwas häufiger auch forschungsbetonten Aufgaben nachgehen dürften.158 Dies unterstreicht die Unvereinbarkeit von wissenschaftlicher Laufbahn und Familie durch die geringe Finanzierungssicherheit und legt eine Abwendung der Frauen von forschungsbetonten Tätigkeiten nahe. 155 Diese Kausalitätsrichtung wird durch Befunde einer repräsentativen Bevölkerungsumfrage des Instituts für Demoskopie Allensbach bekräftigt, wonach die finanzielle Sicherheit aus Sicht der deutschen Bevölkerung eine zentrale Voraussetzung für eine Familiengründung darstellt (IFD 2007). 156 Die getrennten Modelle sind aufgrund der zu geringen Varianz nur für Wissenschaftler möglich. Dabei finden sich Befristungen bei Vätern um 4,1 Prozentpunkte häufiger als bei kinderlosen Wissenschaftlern. 157 Enthalten sind die Personalkategorien Dozenten und Assistenten, wissenschaftliche und künstlerische Mitarbeiter und Lehrkräfte für besondere Aufgaben. 158 Dieser Trend wird durch die qualitativen Ergebnisse weitgehend bestätigt, vgl. Tabelle 23.
151
Objektive Faktoren und Zusammenhänge
Abbildung 9: Befristete Anstellungsverhältnisse nach Elternschaft und Geschlecht (in Prozent mit Angabe der Prozentpunktdiff.) - 7,9
- 5,4
- 16,4
Keine Elternschaft
Frauen
Männer
Elternschaft
Gesamt
100 90 80 70 60 50 40 30 20 10 0
N für keine Elternschaft/Elternschaft: N Gesamt: 69/61; N Männer: 39/44; N Frauen: 28/15. Frage: Welche Ihrer Anstellungen sind befristet? Anstellungen werden als befristet abgebildet, sofern alle vorliegenden Anstellungsverhältnisse befristet sind.
Die eingeschränkten Möglichkeiten der Einbindung in informelle Netzwerke für Forschende mit Kindern werden in der Forschungsliteratur insbesondere aus der Sicht von Wissenschaftlerinnen problematisiert (Krimmer/Zimmer 2003). Aus den Konstanzer Daten geht hervor, dass die Befragten in den letzten zwölf Monaten im Durchschnitt drei Vorträge gehalten haben, wobei keine Unterschiede zwischen Kinderlosen und Eltern bestehen. Allerdings fällt die Vortragshäufigkeit von Männern mit drei Vorträgen gegenüber zwei Vorträgen bei Frauen etwas höher aus.159 Auch bei der Berücksichtigung von Alter und Elternschaft besuchen Frauen 1,7 Kongresse weniger als Männer. Damit weisen Frauen bereits unabhängig von einer Elternschaft eine geringere soziale Einbindung auf als Männer. Dies dürfte mit selteneren Einladungen zu Vorträgen zu tun haben und wäre somit ein Resultat der geringeren Sichtbarkeit von Wissenschaftlerinnen in der Wissenschaftsgemeinschaft. Der Vergleich mit der Vortragsaktivität der Doktorandinnen und Doktoranden deutet darauf hin, dass Frauen ihren Vorsprung nach Abschluss der Promotion einbüßen und sich Männer in dieser Qualifikationsphase stärker von Frauen absetzen können (vgl. Abschnitt 3.3.1). Vermutlich können Männer insbesondere ihre Promotionsarbeit und anschließende Projekte zugunsten ihrer Sichtbarkeit besser 159 Berichtet werden die Mediane. Auf Basis des arithmetischen Mittels sind etwas größere Unterschiede zu verzeichnen: 3,2 Vorträge bei Kinderlosen, 3,6 Vorträge bei Eltern, 3,8 Vorträge bei Männern und 2,1 Vorträge bei Frauen. Das arithmetische Mittel über alle Befragten liegt bei 3,3 Vorträgen.
152
Postdocphase: Vereinbarkeit von Wissenschaft und Familie
einsetzen. Weiterhin zeigen sich für Männer und Frauen unterschiedliche Zusammenhänge zwischen Elternschaft und Vortragsaktivität, wobei Mütter etwas weniger Vorträge und Väter etwas häufiger Vorträge halten als kinderlose Befragte. Die Zusammenhänge sind jedoch nur schwach und die Unterschiede zwischen Männern und Frauen sehr gering, so dass eine Elternschaft keine Verstärkung der geringeren sozialen Einbindung von Frauen erzeugt.160 Arbeitspensum und Flexibilität Das Arbeitspensum sowie die räumliche und zeitliche Flexibilität von Forschenden werden häufig als zentrales Kriterium für die Vereinbarkeit von Wissenschaft und Elternschaft diskutiert (Macha 2000, Strehmel 1999, von Stebut 2003). Kategorisiert man die Angaben der Konstanzer Befragten in Personen, deren Arbeitspensum einer Vollzeitstelle bzw. weniger als einer Vollzeitstelle entspricht,161 sind auffallende Unterschiede zwischen Kinderlosen und Eltern feststellbar. So sind über zwei Drittel der kinderlosen Forschenden (69,1%) entsprechend einer Vollzeitbeschäftigung angestellt, jedoch lediglich 59,4 Prozent der Eltern. Diese Tendenz findet sich besonders ausgeprägt für Wissenschaftlerinnen. So sind zwar über drei Viertel der Wissenschaftlerinnen ohne Kinder (78,6%) in Vollzeit angestellt, jedoch lediglich 43,8 Prozent der Mütter (vgl. Abbildung 10). Die multivariate Betrachtung zeigt noch etwas deutlichere Unterschiede: Derzufolge gehen Eltern gegenüber kinderlosen Forschenden sogar um 11,7 Prozentpunkte seltener einer Vollzeitbeschäftigung nach. Gleichzeitig arbeiten Väter um 2,7 Prozentpunkte häufiger und Mütter um 44,1 Prozentpunkte und signifikant (p<0,05) seltener auf einer Vollzeitstelle als die jeweils kinderlosen Vergleichsgruppen. Vermutlich reduzieren Mütter ihr vertragliches Arbeitspensum häufiger als Väter. Dies belegt Retraditionalisierungstendenzen im Falle einer Familiengründung und bewirkt ausgehend von der ohnehin selteneren Vollzeitbeschäftigung von Wissenschaftlerinnen eine weitere Vergrößerung der Kluft zwischen Männern und Frauen.162
160 Der Koeffizient der linearen Regressionen beträgt unter Kontrolle des Alters bei Wissenschaftlerinnen -0,492, bei Wissenschaftlern 0,200. 161 Einer Vollzeitstelle entspricht eine reguläre Arbeitszeit von mindestens 39,5 Wochenstunden. 162 Unabhängig von Elternschaft und Alter sind Frauen um 11,7 Prozentpunkte seltener vollzeitbeschäftigt als Männer.
153
Objektive Faktoren und Zusammenhänge
Abbildung 10: Vertragliches Arbeitspensum einer Vollzeitbeschäftigung nach Elternschaft und Geschlecht (in Prozent mit Angabe der Prozentpunktdiff.)
-9,7
1,3
- 34,8* Keine Elternschaft
Frauen
Männer
Elternschaft
Gesamt
100 90 80 70 60 50 40 30 20 10 0
N für keine Elternschaft/Elternschaft: N Gesamt: 68/64; N Männer: 40/47; N Frauen: 28/16. Frage: Wie hoch ist Ihre wöchentliche Arbeitszeit für Ihre wissenschaftliche Tätigkeit an der Universität Konstanz (reale Arbeitszeit während normaler Semesterwoche)? Einer Vollzeitstelle entspricht ein Arbeitspensum von mindestens 39,5 Wochenstunden.
Zusätzlich zur vertraglichen Arbeitszeit wurden die Befragten um die Angabe ihres tatsächlichen wöchentlichen Arbeitspensums während des Semesters gebeten. Dieses fällt bei Eltern mit durchschnittlich 45 Wochenstunden um etwa drei Stunden und damit signifikant geringer aus als bei kinderlosen Forschenden. Wiederum ist diese Tendenz bei Wissenschaftlerinnen stärker ausgeprägt. Kinderlose Wissenschaftlerinnen arbeiten durchschnittlich etwa 49 Wochenstunden, während Mütter mit 42 Stunden eine signifikant kürzere Arbeitszeit aufweisen. Väter hingegen investieren wöchentlich nur etwa zwei Stunden weniger Zeit in ihre Arbeit als kinderlose Wissenschaftler, die eine Arbeitszeit von durchschnittlich 48 Stunden aufweisen. Ähnliche Verhältnisse finden sich in den multivariaten Ergebnissen. Eltern arbeiten gegenüber kinderlosen Forschenden etwa vier Wochenstunden weniger. Die Differenzen bei Männern und Frauen weisen in dieselbe Richtung und betragen 1,9 bzw. 8,3 Wochenstunden. Somit lassen sich die geringeren Zeitinvestitionen der Wissenschaftlerinnen durch ihr größeres familiäres Engagement erklären (vgl. auch Ceci/Williams 2007: 19 ff., 217 ff.). In der amerikanischen Forschung zu Karriereverläufen in der Wissenschaft wurde im Zusammenhang mit solchen Retraditionalisierungsmustern ein „boost“ für Wissenschaftler konstatiert, der durch den Rückzug
154
Postdocphase: Vereinbarkeit von Wissenschaft und Familie
der Mütter aus dem Berufsalltag verstärkt wird (Xie/Shauman 2003: 212).163 Dieser bewirkt, dass sich Väter durch ihr längeres zeitliches Engagement stärker und schneller beruflich etablieren können als Mütter. Dieser Trend ist auch bei den Konstanzer Daten offenkundig, wo eine Elternschaft zu einer Vergrößerung der Geschlechtsunterschiede bei zeitlichen Investitionen in die Wissenschaft beiträgt. Somit sind Mütter in der Konkurrenz mit kinderlosen Forschenden und Vätern aufgrund ihrer geringeren zeitlichen Ressourcen doppelt benachteiligt. Abbildung 11 zeigt die Arbeitsumfänge für Frauen und Männer differenziert für Eltern und kinderlose Forschende und veranschaulicht die geschlechtsspezifischen Zusammenhänge zwischen Elternschaft und Arbeitspensum. Die Häufigkeit von 40 bis 50 Wochenarbeitsstunden geht bei Müttern deutlich zurück, während die Häufigkeit geringerer Arbeitsumfänge steigt. Bei Männern verhält sich dies zwar ähnlich, der Trend ist jedoch schwächer ausgeprägt. Zusätzlich investieren einige Väter mit bis zu 60 Wochenstunden außerordentlich viel Zeit in ihre wissenschaftliche Tätigkeit und scheinen in besonderem Maß um eine wissenschaftliche Etablierung bemüht. Abbildung 11: Tatsächliches Erwerbsarbeitspensum nach Elternschaft und Geschlecht Männer
Frauen Elternschaft
Elternschaft
50
50 0
0
10
10
20
30
Prozent
40
40 30 20
Prozent
Keine Elternschaft
60
60
Keine Elternschaft
0
10
20
30
40
50
60
70
0
10
20
30
Wöchentliche Arbeitszeit in Stunden
40
50
60
70
0
10
20
30
40
50
60
70
0
10
20
30
40
50
60
70
Wöchentliche Arbeitszeit in Stunden
Zu beachten ist außerdem, dass das wöchentliche Arbeitspensum zumeist das vertragliche Soll einer Vollzeitbeschäftigung überschreitet. Daher werden im Folgenden die Abweichungen zwischen vertraglicher und tatsächlicher wöchentlicher Arbeitszeit analysiert. Die tatsächliche wöchentliche Arbeitszeit liegt bei allen Befragten im Mittel um etwa zwölf Stunden über dem vertraglichen Pensum, wobei keine nennenswerten Geschlechtsunterschiede festzustellen sind. Wissenschaftler 163 Weitere Befunde zu Retraditionalisierungstendenzen bei Familiengründungen finden sich bei Abele 2003, Henninger et al. 2007, Henry-Huthmacher 2008, Krimmer/Zimmer 2003, Nentwich 2000.
Objektive Faktoren und Zusammenhänge
155
mit Kindern arbeiten etwa elf, Wissenschaftler ohne Kinder etwa 13 Stunden über ihrem vertraglichen Soll. Bei Frauen ist die Differenz etwas stärker ausgeprägt. Bezogen auf die Arbeitswoche ist diese gemessen an der vertraglichen Arbeitszeit etwas geringere Zeitinvestition der Mütter (10 Stunden über dem vertraglichen Soll) jedoch eher gering und sollte eine Fremdzuschreibung von Karriereorientierung und Leistung nicht beeinträchtigen. Das durchgängig höhere tatsächliche Arbeitspensum deutet vielmehr auf einen generell hohen Leistungsdruck, aber auch auf die Leistungsbereitschaft hin. Aufgrund der im Wissenschaftssystem großen Bedeutung der Demonstration von Leistung entsteht durch dieses Arbeitsethos für den Einzelnen zudem ein zusätzlicher sozialer Druck, mindestens genauso viel zu arbeiten, um nicht als weniger leistungsbereit oder karriereorientiert zu erscheinen. Des Weiteren fällt die Diskrepanz zwischen vertraglicher und tatsächlicher Arbeitszeit bei Forschenden, die nicht vollzeitbeschäftigt sind, mit etwa 13 Überstunden sogar noch etwas höher aus als bei Vollzeitbeschäftigten (11 Stunden). Demzufolge geht eine Reduktion der vertraglichen Arbeitszeit nicht im selben Maß mit einer Reduktion der tatsächlichen Arbeitszeit einher. Daher sind insbesondere die Teilzeitbeschäftigten und somit häufig die Mütter die Leidtragenden, da sie finanzielle Einbußen in Kauf nehmen müssen, aber nicht gleichermaßen von geringeren Arbeitsinvestitionen profitieren können. Beeinträchtigungen der wissenschaftlichen Arbeit Die Eltern wurden nach der Möglichkeit einer kontinuierlichen Fortsetzung ihrer wissenschaftlichen Tätigkeit zu bestimmten Zeitpunkten und bei verschiedenen Ereignissen bzw. Anforderungen gefragt. Abbildung 12 stellt dar, wann und für welchen Elternteil Beeinträchtigungen bestehen. Dabei zeigen sich für Eltern mit Kindern im schulpflichtigen Alter größere Beeinträchtigungen während der Ferienzeit als der Schulzeit. Beeinträchtigungen während der Ferien bestehen unabhängig vom Geschlecht ungefähr für die Hälfte der Befragten. Im Krankheitsfall des Kindes sind für beide Geschlechter Beeinträchtigungen zu verzeichnen. Dennoch sind Mütter mit 89,5 Prozent gegenüber 65,9 Prozent bei Vätern häufiger von solchen Belastungen betroffen. Der größte Geschlechtsunterschied besteht bei ein- oder mehrtägigen Dienstreisen der Eltern. Somit sind es überwiegend die Mütter, die – vermutlich bedingt durch die größere Verantwortung und Übernahme von Kinderbetreuungszeiten – zugunsten des Kindeswohls beruflich zurückstecken. Zu bedenken ist aber, dass Beeinträchtigungen in diesem Bereich nicht zwangsläufig bedeuten müssen, dass Eltern tatsächlich weniger Kongresse besuchen. Möglicherweise ist ihre Anwesenheit jedoch stärker auf die eigentlichen Vortragszeiten begrenzt, während die Möglichkeiten zum Aufbau von Netzwerken vor und nach Vorträgen möglicherweise seltener genützt werden.
156
Postdocphase: Vereinbarkeit von Wissenschaft und Familie
Damit bestehen für Mütter in mehrfacher Weise Nachteile, da sie ihrer wissenschaftlichen Arbeit seltener uneingeschränkt nachgehen können und neben Defiziten bei Kongressbesuchen und Möglichkeiten der sozialen Einbindung auch Belastungen durch einen erhöhten Koordinationsaufwand bestehen dürften.164 Abbildung 12: Beeinträchtigung der wissenschaftlichen Tätigkeit durch Kinderbetreuungszeiten nach Geschlecht (in Prozent mit Angabe der Prozentpunktdiff.) -18,8
2,2
39,4*
23,6
32,7*
Männer
Bei mehrtägigen Dienstreisen
Bei eintägigen Dienstreisen
Bei Krankheit d. Kindes
Während Schulferien
Frauen
Während Schulzeit
100 90 80 70 60 50 40 30 20 10 0
p < 0,05, ** p < 0,01, *** p < 0,001. Basis: Befragte mit Kindern. Aspekte mit Bezug zu Schule: N Männer: 16-19; N Frauen: 3-4; Aspekte ohne Bezug zu Schule: N Männer: 33-41; N Frauen: 12-19; Abweichungen aufgrund fehlender Angaben. Frage: Ist die Betreuung des Kindes/der Kinder so zuverlässig organisiert, dass Sie Ihre wissenschaftliche Arbeit kontinuierlich fortführen können? (Angaben mit Bezug zu Schule, nur für Schulkinder).
*
Wissenschaftliche Erträge Als zentrales Kriterium für wissenschaftliche Leistung ist eine hohe Publikationsproduktivität besonders in der Phase nach der Promotion für den weiteren Berufsverlauf in der Wissenschaft entscheidend. Weiterhin stehen besonders die Publikationsaktivitäten von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern mit Kindern häufig 164 Dass Kongressteilnahmen nur unter hohem Koordinationsaufwand möglich sind und diese Koordinationsaufgaben zumeist den Müttern obliegen, zeigen ferner die qualitativen Befunde; vgl. dazu Abschnitt 4.3.4.
157
Objektive Faktoren und Zusammenhänge
im Mittelpunkt der Vereinbarkeitsdebatte. Ob und inwiefern sich eine Elternschaft tatsächlich auf die Publikationsleistung auswirkt, ist allerdings weiterhin umstritten (vgl. Abschnitt 2.2.2). Die befragten Postdocs der Universität Konstanz haben seit ihrer Promotion im Mittel165 17 Veröffentlichungen vorzuweisen. Dabei haben kinderlose Forschende mit 15 Beiträgen etwas weniger veröffentlicht als Eltern (19 Publikationen). Bei Männern fällt diese Tendenz noch etwas stärker aus. Frauen mit Kindern haben hingegen weniger publiziert als kinderlose Frauen (6 gegenüber 11 Veröffentlichungen). Für eine erfolgreiche Etablierung im Wissenschaftssystem sind insbesondere Beiträge mit einer hohen Reputation, wie sie Aufsätze in Fachzeitschriften mit PeerReview-System darstellen, bedeutsam. Hier offenbaren sich noch deutlichere Unterschiede zwischen kinderlosen Forschenden und Eltern. So haben Eltern im Mittel zwölf und Kinderlose fünf Aufsätze veröffentlicht, Väter haben mit 14 Aufsätzen deutlich mehr publiziert als kinderlose Wissenschaftler (5 Aufsätze) und Mütter (1 Aufsatz) haben wiederum deutlich weniger Aufsatzveröffentlichungen vorzuweisen als kinderlose Wissenschaftlerinnen (6 Aufsätze). Ein Blick auf die multivariaten Analysen bestätigt diese Ergebnisse (Tabelle 25). So veröffentlichen Väter durchschnittlich acht Aufsätze mehr als kinderlose Wissenschaftler, wohingegen Mütter etwa im selben Umfang weniger Aufsätze vorzuweisen haben. Somit bewirkt eine Elternschaft bei Frauen einen starken Rückgang angesehener Publikationen, während bei Männern ein umgekehrter Effekt in einem vergleichbaren Ausmaß festzustellen ist. Tabelle 25:
Anzahl an Aufsätzen in Zeitschriften mit Peer-Review (lineare Regressionen) (1) Gesamt
Elternschaft (d) (1=ja) Geschlecht (d) (1=Frau) Alter Alter2 Constant Observations R2 *
(2) Männer 8,293 **
(3) Frauen
5,015 -2,876 1,026 -0,009 -18,330
-7,716
1,118 -0,010 -22,320
2,167 -0,021 -42,980
74 0,161
55 0,207
19 0,187
p < 0,05, ** p < 0,01, *** p < 0,001.
Da Frauen bereits unabhängig von einer Elternschaft weniger Aufsätze veröffentlicht haben als Männer, wird durch eine Familiengründung die Kluft zwischen Männern und Frauen deutlich vergrößert. Somit sind für Wissenschaftlerinnen mit Kin165 Es wird jeweils das arithmetische Mittel berichtet.
158
Postdocphase: Vereinbarkeit von Wissenschaft und Familie
dern erhebliche Nachteile auszumachen, was ihre Aussichten auf eine erfolgreiche Fortsetzung ihrer wissenschaftlichen Laufbahn betrifft, da sie in der Wissenschaftsgemeinschaft weniger sichtbar sind und geringere Leistungen zu erbringen scheinen als kinderlose Wissenschaftlerinnen oder Wissenschaftler generell. Die bisherigen Befunde deuten darauf hin, dass die Ursachen für die geringere Publikationsaktivität der Mütter in ihren geringeren zeitlichen Ressourcen liegen, die es nicht ermöglichen, über die eigentliche Berufstätigkeit hinaus zusätzliche Zeit für die Erstellung von Publikationen aufzubringen (vgl. Abschnitte 4.3.4, 4.4.2). Zusätzlich könnten die geringeren Publikationsquoten von Müttern mit kleineren Unterstützungsnetzwerken, schlechteren wissenschaftlichen Positionen bzw. einer selteneren Einbindung in Forschungsprojekte zu tun haben (vgl. Allmendinger et al. 2000, Bochow/Joas 1987: 147, Long 1990). Im Rahmen der qualitativen Interviews wurden zusätzlich die subjektiven Einschätzungen der Befragten zu Beeinträchtigungen ihrer beruflichen Leistungsfähigkeit wie ihrer Publikationsleistung erfasst (vgl. Abschnitte 4.4.2, 4.4.4). 4.3.3 Familiäre Situation Übernahme von Elternzeit Die geschlechtsspezifische Übernahme von Elternzeit bietet einen guten Einblick in die grundsätzliche Rollenverteilung der Eltern bei der Familienorganisation. Gleichzeitig wird deutlich, welcher Elternteil die mit der Elternzeit einhergehende Unterbrechung oder Reduktion der Erwerbstätigkeit eher in Kauf nimmt und damit möglicherweise verbundene berufliche Nachteile riskiert. Die Konstanzer Daten zeigen, dass es für die Befragten und deren Partner/innen keineswegs selbstverständlich ist, überhaupt Elternzeit zu nehmen. So geben 42,1 Prozent der befragten Eltern an, dass keiner der Elternteile Elternzeit genommen hat (32 von 76 Befragten). Damit haben 44 Elternteile Elternzeit beansprucht (57,9%). Dies verdeutlicht die geringe Attraktivität der gesetzlichen Bestimmungen zur Beanspruchung von Elternzeit und Erziehungs- bzw. Elterngeld. Somit erscheint der finanzielle Anreiz angesichts der befürchteten beruflichen Einbußen als zu gering.166 Die Betrachtung der angewandten Elternzeitmodelle in Partnerschaften ergibt eine starke Orientierung an traditionellen Modellen. So übernehmen in 72,7 Prozent der Fälle allein die Mütter und zu 6,8 Prozent die Väter die Elternzeit. Partnerschaftlich organisierte Modelle, bei welchen beide Elternteile parallel oder sequenziell Elternzeit nehmen, finden sich bei etwa 20 Prozent der Eltern.167 166 Vgl. „Gesamtgesellschaftliche Strukturen in Deutschland“ in Abschnitt 2.2.2. 167 Zu bedenken ist, dass die neuen Regelungen zur Elternzeit erst im Januar 2007 in Kraft getreten sind und daher für die meisten der Befragten noch keine Gültigkeit besaßen. Inwieweit die neuen
Objektive Faktoren und Zusammenhänge
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Doch unterbrechen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ihre Erwerbstätigkeit während der Elternzeit oder wird einer Reduktion der Arbeitszeit Vorrang gegeben? Von den 22 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die ausschließlich selbst oder gemeinsam mit dem Partner/der Partnerin Elternzeit genommen haben, unterbrach die Hälfte ihre Erwerbstätigkeit, weitere 45,5 Prozent haben ihre Erwerbstätigkeit reduziert.168 Dabei geht der Trend bei Wissenschaftlern zu einer Reduktion der Erwerbstätigkeit (55,6% gegenüber 33,3% mit einer Unterbrechung), während Wissenschaftlerinnen in den meisten Fällen ihre Erwerbstätigkeit unterbrechen (61,5% gegenüber 38,5% mit Reduktion der Erwerbstätigkeit). Ein Wissenschaftler ist derzeit als Privatdozent tätig und hat demzufolge seine Erwerbstätigkeit weder reduziert noch unterbrochen.169 Damit unterbrechen bzw. reduzieren Frauen ihre Erwerbstätigkeit um 5,9 bzw. 5,2 Prozentpunkte häufiger als Männer. Möglicherweise erscheinen daher insbesondere die Mütter als weniger karriereorientiert, da sie häufiger zunächst eine berufliche Unterbrechung in Kauf nehmen oder ihre Arbeitsinvestitionen zumindest reduzieren. Je nach Unterbrechungsdauer sind für sie weitere Nachteile bei der wissenschaftlichen Weiterqualifikation zu befürchten, da die im Wissenschaftssystem vorherrschenden zeitlichen Ansprüche und Kontinuitätsnormen weniger erfüllt werden. Organisation der Kinderbetreuung Damit Vereinbarkeit von Familie und Beruf langfristig möglich ist, sind Eltern auf günstige Rahmenbedingungen in Form von ausreichenden und adäquaten Betreuungsmöglichkeiten und Betreuungsformen für ihre Kinder angewiesen. Familienpolitisch sind in jüngster Zeit vor allem die Bereitstellung von Ganztagsangeboten in Kindergärten, aber auch an Schulen (BMFSFJ 2005, BMFSFJ 2009, Büchel/Spieß 2002, Bundesregierung 2008, Prognos 2007) und die Versorgungsqualität in den gesetzlichen Bestimmungen einen Trend zu partnerschaftlichen Modellen verstärken können, bleibt daher weiteren Studien vorbehalten. 168 Modelle, in welchen allein der Partner/die Partnerin der Befragten Elternzeit beansprucht hat, sind entgegen der obigen Darstellung zu Elternzeitmodellen nicht berücksichtigt, da nicht bekannt ist, ob der Partner/die Partnerin in der Wissenschaft tätig ist, und Einschränkungen der Erwerbstätigkeit besonders bei wissenschaftlich Tätigen interessant ist. 169 Eine Privatdozentur ist nicht an eine Anstellung an der Universität gebunden. Vielmehr wird die Durchführung von Lehrveranstaltungen nicht vergütet und stellt somit keine Erwerbstätigkeit dar (Janson et al. 2007). Auch wenn die Befragten in einem Beschäftigungsverhältnis an der Universität Konstanz stehen, muss die Inanspruchnahme von Elternzeit nicht zwingend mit einer Reduktion der Arbeitszeit einhergehen, sofern die Befragten nicht über 30 Stunden wöchentlich erwerbstätig sind. Sowohl die neuen gesetzlichen Regelungen zur Elternzeit (BEEG) als auch das für Geburten vor dem 1. Januar 2007 geltende Bundeserziehungsgeldgesetz (BErzGG) legen fest, dass ein Anspruch auf Elterngeld besteht, sofern die Bezugsperon nicht mehr als 30 Stunden pro Woche erwerbstätig ist.
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Postdocphase: Vereinbarkeit von Wissenschaft und Familie
entsprechenden Einrichtungen in den Blickpunkt geraten (Eichhorst et al. 2007). Die Universität Konstanz bietet ihren Beschäftigten (und Studierenden) verschiedene und recht umfassende Betreuungsmöglichkeiten. Darüber hinaus gibt es weitere kirchliche und städtische Einrichtungen (vgl. Einleitung zu Kapitel 4). Um zu verstehen, wie die Befragten die Kinderbetreuung während ihrer wissenschaftlichen Arbeit organisieren, wurde die Nutzung verschiedener institutioneller und privater Möglichkeiten erfasst. Dabei rangiert für alle Eltern die Betreuung durch Privatpersonen wie Verwandte, Bekannte oder den Partner an erster Stelle (53,9 Prozent), dicht gefolgt von der eigenen, persönlichen Betreuung, die ebenfalls von mehr als der Hälfte der Eltern genannt wurde (51,3%). Auffallend ist, dass die Anteile der Väter mit etwa 52 Prozent hierbei sogar etwas höher ausfallen als diejenigen der Mütter (50,0%).170 An dritter Stelle steht mit 48,7 Prozent die Betreuung durch andere Einrichtungen als Knirps und Co. Die übrigen Möglichkeiten wie Betreuung durch Tagesmutter/Babysitter, Au Pair und Knirps und Co. werden weitaus seltener genannt. So greifen lediglich fünf von 23 Eltern mit Kindern bis zu drei Jahren auf das Angebot von Knirps und Co. zurück.171 Knirps und Co. wird von Wissenschaftlerinnen außerdem seltener genützt als von Wissenschaftlern (Wissenschaftlerinnen: 22,7%, Wissenschaftler: 25,0%). Umgekehrt nehmen Mütter deutlich häufiger andere Einrichtungen als Knirps und Co. in Anspruch (Mütter: 60,0%, Väter: 44,6%) und setzen ebenfalls häufiger eine Tagesmutter bzw. einen Babysitter zur Kinderbetreuung ein (Mütter: 30,0%, Väter: 23,2%). Bei den übrigen Betreuungsmöglichkeiten bestehen keine nennenswerten Unterschiede zwischen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern.
170 Dies dürfte auf die Möglichkeit von Mehrfachnennungen zurückzuführen sein. So nennen Väter, die ihre Kinder (auch) selbst betreuen zu 55,2 Prozent gleichzeitig andere Privatpersonen bzw. die Partnerin sowie andere Kinderbetreuungseinrichtungen als Knirps und Co. (44,8%). Die befragten Mütter greifen häufig parallel auf andere Kinderbetreuungseinrichtungen zurück (80,0%). In welchem Ausmaß die einzelnen Möglichkeiten genutzt werden bleibt auf der Basis der quantitativen Daten folglich ungeklärt, wird jedoch nachfolgend anhand der qualitativen Daten aufgegriffen, vgl. dazu Abschnitt 4.3.4. 171 Ob dies auf die begrenzten Betreuungsplätze zurückzuführen ist, kann an dieser Stelle nicht beantwortet werden. Für weitere Informationen über die Zufriedenheit der Eltern mit den Betreuungsangeboten und -leistungen vgl. Abschnitt 4.4.3.
Objektive Faktoren und Zusammenhänge
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4.3.4 Alltagsorganisation von beruflichen und familiären Aufgaben Organisation von Haushalt, Familie und Beruf in Partnerschaften Die quantitativen Daten liefern für verheiratete oder in Partnerschaft lebende Befragte Informationen zu deren Einbindung in verschiedene, alltägliche Aufgaben im Haushalt. Die Ergebnisse deuten auf Retraditionalisierungsprozesse hin, die mit der Familiengründung einhergehen. So übernehmen Väter nach eigener Auskunft Tätigkeiten wie einkaufen, kochen, putzen und Wäsche waschen/bügeln um bis zu etwa 64 Prozentpunkte seltener als kinderlose Wissenschaftler. Bei Wissenschaftlerinnen findet sich abgesehen vom Einkaufen derselbe Trend, jedoch weitaus schwächer ausgeprägt. Dabei übernehmen Mütter dennoch zwischen 66,7 Prozent (putzen) und 88,9 Prozent (einkaufen) die im Haushalt anfallenden Arbeiten, während die Spanne bei Vätern zwischen Anteilen von etwa fünf Prozent für Wäsche waschen/bügeln und etwa 38,9 Prozent für einkaufen reicht. Somit fallen die Geschlechtsunterschiede bei Eltern deutlich höher aus als bei kinderlosen Forschenden, wobei Mütter deutlich stärker in Haushaltstätigkeiten involviert sind als Väter. Zusätzlich zur Übernahme allgemeiner Tätigkeiten im Haushalt werden anhand der qualitativen Daten die Abläufe bei der Kinderbetreuung im Zusammenspiel mit der Organisation des Arbeitsalltags dargestellt. Dabei finden sich unterschiedliche Strategien und Erfahrungen, die sich im Zeitverlauf teilweise mehrfach ändern. Somit bilden die Koordinaten Beruf und Familie ein dynamisches Spannungsfeld für die Familienorganisation von Vätern und Müttern. Bei den zehn Elternteilen, die derzeit in Partnerschaften leben172, lassen sich drei Organisationsmuster ausmachen, die in Tabelle 26 mit ihren Eigenschaften, Problemen und Möglichkeiten dargestellt und in den folgenden Abschnitten erläutert werden. Anzumerken ist, dass lediglich zwei der befragten Wissenschaftlerinnen173 mit einem Partner im gemeinsamen Haushalt leben, jedoch alle acht befragten Wissenschaftler.
172 Der Partner bzw. die Partnerin lebt demzufolge im selben Haushalt wie die bzw. der Befragte. In allen Fällen entspricht der Partner/die Partnerin auch gleichzeitig dem biologischen Elternteil. 173 In drei Fällen haben sich die Wissenschaftlerinnen von ihrem Partner getrennt, in einem weiteren Fall lebt der Partner beruflich bedingt weitgehend räumlich von der Familie getrennt.
162 Tabellee 26:
Postdocphase: Vereinbarkeit von n Wissenschaft un nd Familie
Form men der Familien- und Berufs fsorganisation in Partnerschaaften Traditionelle Familienorganisatio F on (n=3)
Partnerschaftliche Familie enorganisation (n=6)
Umgekehrt trad ditionelle Familienorgan nisation (n=1)
Eigenschaften - Elternzeiit
- Mu utter (oder Mutter nicht erwerbstätig)
- Variiert (n nach Fallbsp. bzw. (Kind)
- Erwerbsttätigkeit
- Überwiegend nur Vaterr
- Beide bzw w. Weiterqualifikation Mu utter
ater - Mutter Vollzeit; Va Teilzeit
- Organisa ation Betreuun ng
- Durch Mutter
- Durch beide, dennoch Tendenz zulasten Mutter
- Beide "Readjustie erung"
--
- Betreuun ngsarbeiten
- Überwiegend durch Mu utter
- Durch beide
- Überwiegend durcch Vater
- Betreuun ng durch Partner/in n
- Vatter springt im Notfall ein; untterstützt am Wochenende, abe ends
ernimmt Bring-/ - Vater übe Holdienste u. Betreuung am Abend bis s halbtags
- Mutter springt im N Notfall ein; übernimmt be ei ers Terminen des Vate
- Unterbrechung Erwerbsstätigk. ode er nie im Beruf gearb beitet: Mütter
--
--
obleme Wiedereinstie eg: - Pro Mütter
--
--
Probleme e - Beruflich he Einschränkungen
- Zeiitliche Engpässe: inssbes. Mütter, auch von Väterrn verrspürt
- Zeitliche Engpässe: E beide
- Zeitliche Engpässe u. berufl. Einschnitte: Vater
- Belastun ngen
- Me ehrfachbelastung: soffern Mütter erwerbstätig (Ad dditionsmodell)
- Mehrfachbelastung: Mütter; ch hohen Koordihoch durc nationsau ufwand u. Zeitstress; Le eistung von 100% in 70% de er Zeit erbringen
- Mehrfachbelastun ng: Vater; "Kopf nicht frei"; Verstärkungseffekkte
- Aktive Ellternschaft
- Zu wenig Zeit mit Kind: Vätter teilweise
- Zu wenig Zeit mit Kind / für Haushalt: spez. Väter
--
--
ungsprobleme: - Entgrenzu beide
--
--
sation durch - Kompens Wochene endarbeit: beide
--
- Sonstige es
Möglichke eiten - Erwerbsttätigkeit
- Vollzeit mit Karriereorie entierun ng: zumindest Väter
- Erwerbstä ätigkeit: beide bzw. Karrriereorientierung
- Erwerbstätigkeit: b beide
- Kinderbe etreuung
- Ga anz- oder halbtags zu u Hause
- Ganztagss zu Hause bis ganztags in Einrichtung
- Tagesmutter + Va ater: für Kind gut
- Zeiteffekktivität
--
ernteile sehen - Beide Elte Kinder äh hnlich oft
--
- Zeitkompensation durch konzentrie erte Arbeit: beide
-- Zeitkompensation durch eit: Vater konzentrierte Arbe
Objektive Faktoren und Zusammenhänge
163
Traditionelle Familienorganisation Von den zehn Elternteilen, die in einer Partnerschaft mit gemeinsamem Haushalt leben, organisieren drei Personen die Familienarbeit auf traditionelle Art. Dieses Modell zeichnet sich dadurch aus, dass, sofern überhaupt Elternzeit beansprucht wurde, diese von den Müttern der Kinder übernommen wurde. Damit geht eine hohe Karriereorientierung der Väter einher, die Vollzeit erwerbstätig sind. In einem Fall strebt die befragte Wissenschaftlerin künftig erneut eine Vollzeitbeschäftigung an der Universität Konstanz an. Die Organisation bzw. Koordination der Kinderbetreuung wird überwiegend von den Müttern übernommen, die auch die Hauptverantwortung tragen. Ebenso werden konkrete Betreuungsarbeiten größtenteils von den Müttern übernommen, während die Väter lediglich im Notfall einspringen und sich überwiegend am Wochenende oder abends um ihre Kinder kümmern. In der Folge bestehen für Mütter berufliche Einschränkungen im Zusammenhang mit dem beruflichen Wiedereinstieg. Weitaus größere Schwierigkeiten zeichnen sich allerdings ab, wenn die Mutter zuvor noch nicht in ihrem Ausbildungsberuf gearbeitet hat. Sofern die Mutter erwerbstätig ist, bestehen große Belastungen durch die Organisation und Verantwortung für beide Lebenssphären und die daraus resultierenden zeitlichen Engpässe. Doch auch die Väter verweisen auf solche Engpässe, sofern sie bemüht sind, abends (ab etwa 18 Uhr) Zeit gemeinsam mit der Familie zu verbringen. Derartige Belastungen sind besonders stark ausgeprägt, wenn die Elternteile hohe wissenschaftliche Ambitionen verfolgen und daher besonders bemüht sind, den bestehenden beruflichen Anforderungen gerecht zu werden.174 Während der jeweiligen regulären Arbeitszeiten können sich zumindest die Väter voll auf die Arbeit konzentrieren. Lediglich bei einer befragten Wissenschaftlerin scheint dies zumindest während der Betreuungszeiten im Kindergarten ebenfalls möglich. Hinsichtlich des Aktivitätsgrades ihrer Elternrolle sind je eine Wissenschaftlerin und ein Wissenschaftler mit der bisherigen Situation unzufrieden und wünschen sich mehr gemeinsame Zeit mit der Familie und mehr Ruhe und Gelassenheit während dieser Zeit.175 Im Fall der befragten Wissenschaftlerin streben beide Elternteile künftig ein stärker gleichberechtigtes Modell an, da die Mutter wieder Vollzeit erwerbstätig und durch Lehrverpflichtungen künftig zudem weniger flexibel sein wird. Wie eine Umsetzung aussehen könnte, wird jedoch nicht thematisiert und scheint aufgrund der Erwerbstätigkeit des Vaters außerhalb von Konstanz fraglich. Insgesamt ermöglicht eine traditionelle Familienorganisation zumindest für die Väter eine Vollzeitbeschäftigung sowie eine hohe Karriereorientierung, während die Kinderbetreuung in den meisten Fällen ganztags oder halbtags zu Hause erfolgen 174 Eine Wissenschaftlerin berichtet davon, sich „abstrampeln“ zu müssen, um den Anforderungen gerecht zu werden. Die Teilnahme an Abendveranstaltungen sei generell nicht möglich (Naturwissenschaftlerin, 1 Kind). 175 Ein Wissenschaftler ist mit der bisherigen Arbeitsaufteilung zufrieden.
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Postdocphase: Vereinbarkeit von Wissenschaft und Familie
kann, was von den Elternteilen generell begrüßt wird. Dies geht allerdings mit beruflichen Einbußen und hohen zeitlichen Belastungen für die Mütter einher. Umgekehrt traditionelle Familienorganisation In einem Fall findet sich eine Organisationsform, die als umgekehrt traditionell bezeichnet werden kann. Obwohl sich dieses Modell nicht als vollständig komplementär zum traditionellen Modell erweist und einige Parallelen zum nachfolgend beschriebenen partnerschaftlichen Modell ersichtlich werden, hebt es sich, bei allerdings fließenden Übergängen, aufgrund der Schwerpunkte in der Betreuungsarbeit von den beiden anderen Modellen ab. Neben der vorwiegenden Übernahme der Betreuungsarbeiten durch den Vater, der sich derzeit an drei Tagen der Arbeitswoche um das Kind kümmert bzw. es zur Tagesmutter bringt und abholt, ist das Modell durch eine gleichberechtigte Organisation der Betreuung charakterisiert, die in der Vergangenheit mehrfach in gemeinsamen Diskussionen „adjustiert“ wurde (Rechts-/Wirtschafts-/Verwaltungswissenschaftler, 1 Kind). Dabei wurden frühere Versuche einer geringeren Anzahl von Betreuungstagen durch die Tagesmutter und der alleinigen Betreuung durch den Vater sowie die Erfahrungen aus der Eingewöhnungszeit an die Tagesmutter einbezogen. Die Eingewöhnungszeit wurde sorgfältig vom Vater koordiniert und während der vorlesungsfreien Zeit umgesetzt. Nach einer anfänglich „chaotischen“ und „anstrengenden“ Zeit, bei der sich das Kind nur langsam an die Tagesmutter gewöhnte, erschien beiden Elternteilen die Drei-Tages-Lösung als beste Möglichkeit. Die Partnerin des Befragten ist erwerbstätig und arbeitet an drei Tagen ganztags auswärts, was mit einer täglichen Fahrtzeit von zwei Stunden einhergeht. An den beiden übrigen Arbeitstagen ist sie zu Hause und kümmert sich um das Kind. Der Vater ist teilzeitbeschäftigt und nutzt insbesondere diese beiden Tage für seine wissenschaftliche Arbeit. Hierin zeigen sich auch die Problembereiche dieses Modells. So verspürt der befragte Vater durch die Kinderbetreuung erhebliche berufliche Einschränkungen, die im Wesentlichen durch Zeitmangel bzw. zeitliche Engpässe verursacht werden. Zusätzlich zeigt sich für den Vater eine doppelte Belastung, so dass dieser oftmals bezüglich beider Bereiche den „Kopf nicht frei“ hat. Dabei sind erhebliche Wechselwirkungen zwischen beiden Lebensbereichen zu erkennen. Schwierigkeiten im Familienalltag werden demzufolge in den Berufsalltag „mitgenommen“ und umgekehrt. Obwohl der Befragte seine Vereinbarkeitserfahrungen als „Zerreißprobe auf hohem Niveau“ bezeichnet, sieht er in der Möglichkeit zur Erwerbstätigkeit beider Partner die aus seiner Sicht optimale Lösung für die Kinderbetreuung. Zudem kann die Zeiteffektivität durch eine besonders hohe Konzentration während der Arbeitszeit erhöht werden.
Objektive Faktoren und Zusammenhänge
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Partnerschaftliche Familienorganisation Die meisten Formen der Organisation von Familie und Beruf orientieren sich an einer tendenziell partnerschaftlichen Aufgabenteilung. Sofern Elternzeit beansprucht wurde, wird diese in manchen Fällen von den Müttern, in manchen von den Vätern und bei Familien mit mehreren Kindern auch abwechselnd übernommen. Demnach haben teilweise die Mütter, teilweise die Väter ihre Erwerbstätigkeit zugunsten der Elternzeit reduziert, wobei im Zeitverlauf Verschiebungen in beide Richtungen festzustellen sind. So scheinen je nach Karriere- und Lebensphase beide Elternteile einmal beruflich zurückgesteckt oder größere Belastungen in Kauf genommen zu haben, was sich im Zeitverlauf ausgleicht. Generell gehen beide Elternteile einer Erwerbstätigkeit nach.176 Bei der Organisation der Kinderbetreuung sind ebenfalls beide Elternteile involviert, allerdings mit einer Tendenz zu einer stärkeren Verantwortung der Mütter. Die konkreten Betreuungsarbeiten verteilen sich etwas gleichmäßiger auf Mütter und Väter. Hierbei besteht der wesentliche Unterschied zum traditionellen Modell in der stärkeren Involviertheit der Väter in Betreuungsarbeiten wie Bring- und Holdienste, einer generell längeren Abendgestaltung mit dem Kind bis hin zur eigenen Halbtagsbetreuung an manchen Wochentagen. Dennoch tragen Väter weniger Verantwortung, als dies bei der umgekehrt traditionellen Familienorganisation der Fall ist. Als Folge der Bemühungen beider Elternteile um beruflichen Fortschritt und gemeinsame Familienzeit bestehen für beide Elternteile berufliche Einschränkungen durch zeitliche Engpässe. Im Vergleich zu den beiden anderen Formen der Familienorganisation sind durch den immensen Koordinationsaufwand zudem spezielle Belastungen auszumachen. Diese treten in Situationen, wo beide Elternteile mit beruflichen kurzfristigen Terminen konfrontiert werden oder beide Elternteile zeitgleich nicht verfügbar sind, verstärkt auf. Somit scheint eine gewisse berufliche Flexibilität bei beiden Eltern eine geteilte Kinderbetreuung überhaupt erst zu ermöglichen, führt jedoch zugleich zu einem höheren Koordinations- und Abspracheaufwand. Die Belastungen wiegen besonders schwer, sofern beide Elternteile eine wissenschaftliche Laufbahn anstreben. Dies betrifft besonders die Mütter, die versuchen, die Leistung einer Vollzeitstelle in 70 Prozent der Zeit zu erbringen.177 Beide Geschlechter versuchen die unter der Woche verlorene Zeit für die Arbeit durch Wochenendarbeit zu kompensieren. Weitere Belastungen im Bereich der Arbeit äußern sich in vergessenen Arbeitsterminen, die ihrerseits zu Rechtfertigungszwängen führen:
176 In einem Fall ist die Mutter nicht erwerbstätig, sondern nutzt die Zeit zu Hause zur Weiterqualifikation (Promotion). 177 Dies geht einher mit den quantitativen Ergebnissen, wonach die tatsächliche Arbeitszeit gerade bei Teilzeitstellen den vertraglichen Umfang überwiegt (vgl. Abschnitt 4.3.2).
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Postdocphase: Vereinbarkeit von Wissenschaft und Familie „Weil (2.0) also ich bin zwar sehr gerne Vater und bin die ganze Zeit im Kopf damit beschäftigt, was mit meinem Baby ist und was da alles vor sich geht, und dann muss ich auch sagen, dass ich viele Sachen vergesse, was mit der Arbeit zu tun hat, na, dann denke ich, ich habe diese Deadline vergessen oder ich muss jetzt irgendwas machen, (...) und das ist vielleicht auch nicht viel, ja vielleicht Viertelstunde Arbeit, aber ich habe es einfach vergessen, was mir vorher nicht passiert wäre (Naturwissenschaftler, 1 Kind).
Somit bestehen für Mütter und Väter ähnliche Probleme. Während sich Mütter jedoch etwas mehr in die Familienarbeit einbringen und daher beruflich stärker belastet sind, engagieren sich Väter mehr im beruflichen Bereich und thematisieren häufige Belastungen durch die in ihren Augen verlorene Zeit für das Kind. Die durch diese Form der Familienorganisation gegebenen positiven Aspekte sehen die Befragten in der Möglichkeit, dass beide Elternteile einer karriereorientierten Berufstätigkeit nachgehen können und das Kind zu beiden Elternteilen gleichermaßen Kontakt haben kann. Die berufliche Sphäre betreffend sehen die Befragen die Aneignung zeiteffektiverer Arbeitsweisen insbesondere durch konzentrierte Arbeit als positiven Lernprozess, der jedoch zugleich als unbedingt erforderlich angesehen wird. Innerhalb der Möglichkeiten einer partnerschaftlichen Familienorganisation zeichnet sich eine Variante ab, die dazu beiträgt, die häufigen zeitlichen Engpässe und Stressfaktoren möglichst gering zu halten. Das zentrale Merkmal dieser bestpractice-Lösung ist die Aufteilung von beruflichen und familiären Aufgaben entlang des Wochen- und nicht entlang des Tagesablaufs. Im vorliegenden Fall trägt der Vater des Kindes an zwei Tagen der Arbeitswoche (montags und freitags) die Hauptverantwortung für das Kind, während seine Partnerin zeitlich uneingeschränkt ihrer Erwerbstätigkeit nachgehen kann. In dieser Zeit arbeitet der Vater zu Hause und richtet seine Arbeitszeit nach dem Kind aus, das zwischen neun und 16 Uhr in einem Kindergarten betreut wird. Von Dienstag bis Donnerstag sind die Aufgaben umgekehrt verteilt. Hier trägt die Mutter die Hauptverantwortung für das Kind und richtet ihre Arbeitszeit so aus, dass sie Bring- und Holzeiten zum und vom Kindergarten einhalten und sich abends um das Kind kümmern kann. An diesen drei Tagen kann sich der Vater zeitlich uneingeschränkt um seine Arbeit kümmern. So ist für den Vater auch die Anfahrt zum Arbeitsplatz nach Konstanz unproblematisch.178 Generell werden vom befragten Vater keinerlei zeitlichen Einschränkungen seiner Berufstätigkeit wahrgenommen. Zugleich ist er vollauf zufrieden mit der verbleibenden Zeit für sein Kind. Diese verhältnismäßig stressfreie Organisation beider Lebensbereiche ist folglich auf die regelmäßige Wochenstruktur zurückzuführen, durch welche die tägliche Aufgabenkoordination bei der abwechselnden Priorisierung von Beruf und Familie entfallen. Hierdurch werden beide El178 Die Familie wohnt außerhalb von Konstanz am Arbeitsort der Mutter. Die einfache Fahrtzeit für den Vater an die Universität beträgt etwa 1,5 Stunden.
Objektive Faktoren und Zusammenhänge
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ternteile entlastet. Demgegenüber sind die am Tagesablauf ausgerichteten Modelle durch die für beide Bereiche zu kurzen Zeitfenster sehr viel stärker durch einen großen Zeitstress und Abstimmungsbedarf gekennzeichnet. Grundvoraussetzungen für ein solches „Wochenmodell“ sind zeitlich und möglichst auch räumlich flexible Arbeitsbedingungen. Organisation von Familie und Beruf in Ein-Eltern-Haushalten179 Unter den befragten Wissenschaftlerinnen leben vier Mütter nicht ständig in einem gemeinsamen Haushalt mit ihrem Partner. Dabei hat bei drei Wissenschaftlerinnen nach der Geburt des Kindes eine Trennung vom Partner stattgefunden, die jeweils zu einem Teil mit Schwierigkeiten bei der Vereinbarung beider Lebensbereiche einhergeht. Vor der Trennung waren hierbei traditionelle Strukturen vorherrschend. Im vierten Fall handelt es sich um eine beruflich bedingte räumliche Trennung vom Partner, die über mehrere Jahre hinweg ungefähr bis zum Befragungszeitpunkt andauert. In diesen Ein-Eltern-Haushalten lassen sich zwei Grundstrukturen der Kinderbetreuung ausmachen: Die Betreuung durch Privatpersonen größtenteils im Haushalt der Familie und die Ganztagsbetreuung durch institutionelle Einrichtungen. Private Kinderbetreuung Die beiden Wissenschaftlerinnen, die überwiegend eine Betreuungsform durch Privatpersonen nützen, greifen auf die Großmütter der Kinder, im zweiten Fall schwerpunktmäßig auf ein Au Pair zurück.180 Alle privaten Betreuungspersonen wohnen zumindest zeitweise im Haushalt der Familie.181 In beiden Fällen ging dieser Betreuungssituation eine Phase voraus, in der die Wissenschaftlerinnen zumindest nach der Geburt des ersten Kindes Elternzeit nahmen und sich weitestgehend allein um das Kind kümmerten, da die zu diesem Zeitpunkt noch im gemeinsamen Haushalt wohnenden Väter überwiegend um den eigenen beruflichen Aufstieg bemüht waren, viel reisten und schwer oder gar nicht eingeplant werden konnten. Mit der Elternzeit ist eine längere „Zäsur“ der bisherigen wissenschaftlichen Arbeit ver179 Ein-Eltern-Haushalte liegen vor, wenn sich die Erziehungsperson vom Partner getrennt hat oder beide Elternteile aufgrund ihrer unterschiedlichen Beschäftigungsorte überwiegend räumlich getrennt leben. Dies betrifft vier befragte Wissenschaftlerinnen. Im Folgenden wird in diesen beiden Fällen auch von Alleinerziehenden gesprochen. 180 Beide Wissenschaftlerinnen leben zum Zeitpunkt der Geburt nicht in Konstanz. 181 Im ersten Fall zieht die Wissenschaftlerin monatsweise zu der Großmutter, in den übrigen Monaten greift sie auf die andere Großmutter zurück. Im anderen Fall reist die Großmutter aus dem Ausland an und wohnt längere Zeit im Haushalt der Familie.
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bunden, die in einem Fall durch die Geburt des zweiten Kindes insgesamt über zwei Jahre andauert (Naturwissenschaftlerin, 2 Kinder). Die Übernahme der Betreuung durch die Privatpersonen wird als Grundvoraussetzung für die Verwirklichung der eigenen wissenschaftlichen Ambitionen angesehen. Mit der großen räumlichen und sozialen Nähe ist eine gute und umfassende Rundumbetreuung der Kinder möglich. Durch die hohe Flexibilität und Qualität ist die Betreuung der Kinder äußerst zufriedenstellend. Die Organisation des Tagesablaufs obliegt den Müttern, was aufgrund der vielfältigen Möglichkeiten und der fehlenden Grundstruktur als schwierig empfunden wird. Insbesondere von einer der beiden Wissenschaftlerinnen wird außerdem das Ablenkungsrisiko thematisiert, das aus spontan möglichen gemeinsamen Familienaktivitäten resultiert. So gebe es Anlässe, „die einen dazu bringen, jetzt alles hinzuschmeißen, mit dem Kind was zu machen“ (Geisteswissenschaftlerin, 1 Kind). Die hohe Flexibilität der Betreuung und die unregelmäßigen Tagesabläufe erfordern eine umso höhere tägliche Strukturierungsleistung zur Organisation der wissenschaftlichen Tätigkeit, die nur mit großer Selbstdisziplin möglich scheint. Die erwähnte Geisteswissenschaftlerin erkennt diese Grenzziehungsproblematik früh und reagiert mit der Anmietung eines Zimmers, um sich Freiräume für die Erwerbstätigkeit zu schaffen. Dies erweist sich vor allem während einer Stipendienfinanzierung182 als hilfreich. Die andere Wissenschaftlerin arbeitet tagsüber grundsätzlich an der Konstanzer Universität, kommt bei Schwierigkeiten, Terminen im Familienbereich oder Krankheiten aber spontan nach Hause, was aufgrund der kurzen Wege möglich ist. Neben spontanen Familienaktivitäten und -aufgaben verbringen die Mütter am Abend Zeit mit den Kindern. Die berufliche Situation der beiden Wissenschaftlerinnen wird durch Familienaktivitäten mitbestimmt, verläuft auch deswegen eher ungeplant bis chaotisch. Beide versuchen in faktisch kurzen Zeitfenstern, „alle möglichen Seiten zu bedienen“ (Geisteswissenschaftlerin, 1 Kind), und verspüren großen Zeitstress und Erschöpfung. Teilweise können Abgabetermine nicht eingehalten werden, was zu einer Ablehnung neuer „Publikationsaufträge“ führt. Weiterhin fehlen die notwendige Energie und Zeit, um ihre wissenschaftlichen Arbeiten zu einem größeren „Erfolg zu bringen“ (Geisteswissenschaftlerin, 1 Kind). Im anderen Fall schreitet die Habilitation nur langsam, aber letztlich dennoch erfolgreich voran. Die private Kinderbetreuung ist folglich durch eine gesicherte und flexibel nutzbare Kinderbetreuung charakterisiert, beinhaltet aber Gefahren fehlender Grenzziehung und Strukturierung und erfordert scheinbar größere Anstrengungen, um Prioritäten zu setzen und einzuhalten. Daraus resultiert eine wenig zielgerichtete und wenig effektive Arbeitsweise verbunden mit hohen zeitlichen und mentalen Belastungen. Bei beiden Wissenschaftlerinnen findet im Laufe der Zeit ein durch das 182 Später hat die Wissenschaftlerin zunächst eine 25 Prozent-Stelle an einer Schweizer Universität, die im Laufe der Zeit auf 50 Prozent aufgestockt wird. In dieser Zeit findet der Wechsel vom privaten „Großmuttermodell“ auf eine institutionelle Kinderbetreuung statt.
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Heranwachsen der Kinder bedingter Wechsel des Betreuungsmodells hin zu institutioneller Betreuung statt. Diese Phase wird im folgenden Abschnitt aufgegriffen. Institutionelle Kinderbetreuung Formen der institutionellen Betreuung finden in Kindertagesstätten, Kindergärten oder Schulen statt. Zwar wurde auch in Partnerschaften auf solche Möglichkeiten zurückgegriffen – in den vorliegenden Fällen sind die befragten Wissenschaftlerinnen jedoch allein für die Kinder verantwortlich, was vergleichsweise deutlichere Problembereiche aufdecken hilft. Drei der vier betreffenden Wissenschaftlerinnen greifen auf Möglichkeiten der Ganztagsbetreuung in Kindertagesstätten oder Kindergärten zurück. Dabei wird die Suche nach einem Ganztagsplatz bewusst angestrebt. Der Erhalt eines solchen Platzes wird generell als glücklicher Umstand beschrieben und zugleich als wichtige Voraussetzung für die eigene Erwerbstätigkeit angesehen. Eine Wissenschaftlerin berichtet von besonders günstigen Bedingungen an einer anderen deutschen Universität, die sie vor ihrem Umzug nach Konstanz erlebte. Dort habe jeder Universitätsangehörige ein Anrecht auf einen Betreuungsplatz, wobei bereits für unter dreijährige Kinder Ganztagsangebote bestünden und diese im Zeitverlauf flexibel und sukzessiv in Kindergartengruppen und später in den Schulhort wechseln konnten. Dies sicherte eine gewisse Kontinuität in Betreuungsort und sozialem Umfeld der Kinder. Durch die Rundumbetreuung fühlte sich die Wissenschaftlerin im Studium und bei der anschließenden Promotion nicht eingeschränkt. Im Anschluss an die Betreuungszeiten waren die Kinder bei Bedarf auch in der gut funktionierenden Nachbarschaft gut aufgehoben. Bei den beiden anderen Wissenschaftlerinnen wird die feste Betreuungsstruktur nicht ausschließlich positiv gesehen. Besonders bei der Umstellung von privater auf institutionelle Betreuung bestehen erhebliche Probleme, die Kinder in den vorgegebenen Zeitrahmen „einzuplanen“, was erneut Stress verursacht (Geisteswissenschaftlerin, 1 Kind). Generell bestehen auffallende Schwierigkeiten bei der Betreuung von Schulkindern, da im Schulbereich kaum Ganztagsangebote bestehen. Hier zeichnen sich zwei Bewältigungsstrategien ab: Entweder die Wissenschaftlerinnen kommen nachmittags um etwa 15 Uhr nach Hause und nutzen die Nachmittagszeit zusammen mit den Kindern. In diesem Fall müssen abends alle Arbeiten nachgeholt werden, die tagsüber nicht erledigt werden konnten. Oder die Kinder sind nachmittags nach der Betreuungszeit in der Schule auf sich allein gestellt. Dann werden Hausaufgaben abends von den Wissenschaftlerinnen kontrolliert bzw. der Abend genutzt, um gemeinsam Zeit zu verbringen. Beide Möglichkeiten funktionieren gut, sofern die Wissenschaftlerinnen einer reinen Lehrverpflichtung ohne weitere wissenschaftliche Ambitionen nachgehen. Wird jedoch eine wissenschaftliche Laufbahn angestrebt,
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kommt es erneut zu starkem Zeitdruck, der Notwendigkeit, auch Nachtschichten einzulegen, in Verbindung mit dem Gefühl, nie mit der Arbeit fertig zu sein. Beide Wissenschaftlerinnen sind zudem bemüht, das Wochenende für die Familie zu reservieren, nutzen aber dennoch jede freie Minute, beispielsweise wenn die Kinder schlafen, für die wissenschaftliche Arbeit. Generell wird zugunsten der Kinder auf Abendveranstaltungen an der Universität verzichtet (bzw. muss verzichtet werden). Dies wiegt je nach Tätigkeit und Karriereorientierung unterschiedlich schwer. Ebenso stecken die Wissenschaftlerinnen bei unvorhergesehenen Ereignissen wie Krankheiten der Kinder beruflich zurück: „Und dann gibt es schon Abweichungen, klar. Dann, dann, dann steck ich in der Regel dann meine Verpflichtungen zurück. Dann muss ich das einfach, äh, irgendwie anders lösen. Meistens endet es dann so, dass ich dann ne Nachtschicht einlege, oder, oder ja. Weil das muss irgendwie gemacht werden“ (Naturwissenschaftlerin, 2 Kinder).
Somit wird diese Konstellation als äußerst anstrengend und wenig zufriedenstellend erlebt. Die Bedeutsamkeit von Ganztagsangeboten wird an dieser Stelle besonders deutlich. Gleichzeitig wird durch den großen Mangel an schulischen Ganztagsangeboten auch der Vorteil einer Ganztagsbetreuung im Kindergarten aufgehoben, sobald ein Kind bereits im schulpflichtigen Alter ist. Sofern es sich um Grundschüler handelt, wird der Versuch, dem Kind und der Arbeit gerecht zu werden, von allen Wissenschaftlerinnen als Spagat erlebt, der es ohne zusätzliche Unterstützung durch Privatpersonen kaum ermöglicht, eine weitere wissenschaftliche Laufbahn zu verfolgen und zugleich Gewissensbisse in beide Richtungen auslöst. Beeinträchtigungen im privaten Lebensbereich Neben beruflichen liefern private Beeinträchtigungen Hinweise auf das Gelingen von Vereinbarkeit. Solche Beeinträchtigungen bestehen für die Befragten durch die mangelnde Freizeit oder gesundheitliche Folgen.183 Hierbei zeigt sich, dass generell keine Unterscheidung zwischen Zeit mit dem Kind und Freizeit stattfindet, denn: „Freizeit ist die Zeit, die wir mit dem Kind verbringen“ (Naturwissenschaftler, tradit. Familienorganisation, 1 Kind). Somit bleibt kaum Raum für eigene Hobbys, zur Regeneration oder zu einer zufriedenstellenden Pflege einer Paarbeziehung. Wie stark Schwierigkeiten bei der Vereinbarung beider Sphären auch körperliche Grenzen überschreiten, verdeutlichen die häufigen Nennungen von dauerhaften Erschöpfungszuständen bis hin zu anhaltenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen.
183 Private Beeinträchtigungen, die sich überwiegend auf (geschlechtsrollenstereotypische) Wahrnehmungen und Einstellungen beziehen, werden in Abschnitt 4.4.4 erläutert.
Objektive Faktoren und Zusammenhänge
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„Sehr viele solcher Sachen, das war auch so war damals auch unter dem Stern der Erschöpfung gestanden. Also ich konnte das nicht so vorbereiten, wie man das hätte vorbereiten .hh müssen, damit das ein richtiger Erfolg geworden wäre. Also ich war gerade Mal .hh konnte da sein und ja so. Also die- das war auch eine Erfahrung in der Zeit finde ich, dass .hh a- einfach so eine: das ist schon eine Art von Erschöpfung und äh das man nicht alles so zur Frucht bringen kann“ (Geisteswissenschaftlerin, alleinerziehend, 1 Kind).
Ein Naturwissenschaftler mit partnerschaftlicher Familienorganisation bezeichnet Hörstürze mit anschließendem Tinnitus, die er und seine Frau bereits erlitten hatten, als „deutliches Zeichen, dass wir beide Raubbau an unserer Gesundheit betreiben“. Alle Befragten führen gesundheitliche Beeinträchtigungen zum einen auf ihre hohe Belastung und infolgedessen geschwächtes Immunsystem, zum anderen auf ein erhöhtes Ansteckungspotenzial durch ihre Kinder bzw. deren Kindergartenaufenthalte zurück. Generell thematisieren Mütter häufiger die Einschränkung ihrer Leistungsfähigkeit aufgrund von zahlreichen Krankheiten als Väter, was ebenfalls als Hinweis auf deren höhere Belastung zu sehen ist. Des Weiteren benennen zwei Wissenschaftlerinnen auch faktisch greifbare Vor- und Nachteile für ihre Kinder, die sie in Verbindung mit ihrer beruflichen Situation sehen. Hierzu gehören gesundheitliche und soziale Beeinträchtigungen der beiden Kinder einer alleinerziehenden Wissenschaftlerin. Diese führt die Magersucht ihrer Tochter ebenso wie die Probleme des Sohnes, der sich zunehmend abkapselte und letztlich „von der Schule geflogen“ ist, schlussendlich auf beruflich bedingte Begleitumstände zurück (Naturwissenschaftlerin, alleinerziehend, 2 Kinder). Umgekehrt berichtet eine alleinerziehende Geisteswissenschaftlerin von einer positiven Entwicklung seit ihrer Anstellung an der Universität, die sie und ihr Kind gegenüber ihren bisherigen freiberuflichen Tätigkeiten184 stressfreier erleben. 4.3.5 Zwischenzusammenfassung Analog zu den Promovierenden konzentrieren sich auch die Befragten Postdoktorandinnen und Postdoktoranden der Universität Konstanz auf die Naturwissenschaftliche Sektion. Befragte der Rechts-/Wirtschafts-/Verwaltungswissenschaftlichen Sektion sind jeweils am seltensten vertreten. Hinweise auf eine horizontale Segregation bestehen nicht. Bereits die Elternquoten liefern ein erstes Indiz für eine gerade für Frauen erhöhte Schwierigkeit, Kinder und Wissenschaft zu vereinbaren. So haben mehr als die Hälfte der Wissenschaftler und 38 Prozent der Wissenschaftlerinnen Kinder. Dieser Geschlechtsunterschied kann durch die Berücksichtigung des Alters nicht erklärt werden und beträgt weiterhin etwa 17 Prozentpunkte zuungunsten der Frauen. 184 Vor ihrem derzeitigen Jahresvertrag an der Universität Konstanz ging die Wissenschaftlerin mehreren, zeitweise parallelen freiberuflichen Tätigkeiten nach.
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Postdocphase: Vereinbarkeit von Wissenschaft und Familie
Zugleich steigt die Elternquote insbesondere bei Frauen mit zunehmendem Alter an. Ebenso erfolgen Familiengründungen bei Frauen tendenziell auf späteren Karrierestufen als bei Männern, was darauf hindeutet, dass Frauen der Absicherung ihrer wissenschaftlichen Ausbildung zunächst Vorrang geben. Bei den Konstanzer Wissenschaftlerinnen scheinen besonders die hohen zeitlichen Anforderungen und traditionelle Rollenvorstellungen eine Aufschiebung von Familiengründungen zu bewirken. Zudem deuten bivariate Befunde auf geschlechtsspezifische Fachkulturen. Dabei erweist sich die Vereinbarkeitsfrage – analog zu den Promovierenden – besonders für Naturwissenschaftlerinnen als problematisch, da unter diesen trotz geringen Altersunterschieden nur etwa ein Viertel der Frauen bereits eine Familie gegründet hat, während sich der Anteil bei Männern auf etwa 56 Prozent beläuft. In der Rechts-/Wirtschafts-/Verwaltungswissenschaftlichen Sektion hatte keine der drei Frauen und fünf von neun Männern bereits eine Familie gegründet. In der Geisteswissenschaftlichen Sektion haben Frauen (61,9%) hingegen häufiger Kinder als Männer (51,4%). Diese geschlechtsspezifischen Elternquoten zeigen, dass Frauen die Ausschließlichkeit von Elternschaft und Wissenschaft mit Ausnahme der Geisteswissenschaftlichen Sektion häufiger antizipieren als Männer und daher (zunächst) auf eine Familiengründung verzichten. Diese Interpretationslinie entspricht den Befunden der bundesweiten Befragung des CEWS, wonach etwa zwei Drittel der Frauen und weniger als die Hälfte der Männer angaben, zugunsten ihrer beruflichen Profilierung auf Kinder verzichtet zu haben oder den Kinderwunsch aufgeschoben zu haben (vgl. dazu auch Lind 2008b: 19). Ob sich die strukturellen Bedingungen für eine erfolgreiche Profilierung in der Wissenschaft tatsächlich nach dem Elternstatus und/oder dem Geschlecht unterscheiden, zeigen die Auswertungen zu institutioneller und sozialer Einbindung, zeitlichen Investitionen, der Publikationsproduktivität und Beeinträchtigungen im beruflichen Umfeld. Die institutionelle Einbindung von Forschenden mit und ohne Kinder unterscheidet sich nach den Beschäftigungsarten kaum. Lediglich unabhängige Drittmittelstellen werden etwas häufiger von Eltern als von kinderlosen Forschenden besetzt. Mehr als drei Viertel der Befragten sind am Lehrstuhl oder Fachbereich angestellt. Hinsichtlich der Befristung von Stellen sind jedoch auffallende Unterschiede auszumachen. Dabei sind Eltern und insbesondere Mütter seltener befristet beschäftigt als kinderlose Forschende. Scheinbar wirkt sich eine große Beschäftigungssicherheit günstig auf eine Familiengründung aus (vgl. auch Lind 2008b: 18 ff.). Somit liegt eine mögliche Ursache für die geringen Elternquoten in der Stellenstruktur des Wissenschaftssystems, das überwiegend befristete Stellen bereitstellt. Die soziale Einbindung der Befragten, gemessen an der Vortragsaktivität auf Kongressen, zeigt eine geringere Einbindung von Frauen bereits unabhängig von einer Elternschaft. Eine Elternschaft trägt bei Frauen im Gegensatz zu Männern allerdings zu einer weiteren Verringerung der Vortragsaktivität bei. Hierin zeigt sich
Objektive Faktoren und Zusammenhänge
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eine mehrfache Beeinträchtigung von Frauen. Denn diese büßen nicht nur ihren noch während der Promotionsphase bestehenden Vorsprung ein, sondern verlieren bei einer Elternschaft gegenüber Männern noch weiter an Sichtbarkeit in der Wissenschaftsgemeinschaft. Vermutet wird, dass Männer generell bessere Strategien und Unterstützungsnetzwerke besitzen, um ihre Arbeiten an der Promotion und anschließende Projekte zugunsten ihrer Sichtbarkeit einzusetzen. Väter dürften gegenüber Müttern besonders von ihren höheren beruflichen Zeitinvestitionen profitieren. Diese Vermutung geht einher mit den bei Müttern vergleichsweise häufigeren Beeinträchtigungen bei eintägigen und mehrtägigen Dienstreisen. Das Auftreten von Beeinträchtigungen bedeutet zwar nicht zwangsläufig, dass tatsächlich weniger Kongresse besucht werden, dennoch werden hierin größere Belastungen für Mütter ersichtlich. Die qualitativen Befunde zeigen zudem, dass Eltern sich gezielt für eine Teilnahme an bestimmten Kongressen oder Tagungen entscheiden und die Anwesenheit stärker auf die eigentlichen Vortragszeiten ausrichten. Somit bestehen gerade für den Ausbau von Netzwerken, der maßgeblich vor und nach Vorträgen stattfindet, weitere Beeinträchtigungen. Generell dürfte sich eine Elternschaft stärker auf Kongressteilnahmen ohne Vortragstätigkeit auswirken, da solche Kongresse möglicherweise als vergleichsweise weniger bedeutsam erachtet werden. Weitere Beeinträchtigungen der wissenschaftlichen Tätigkeit bestehen für Mütter zudem bei Krankheiten des Kindes. Lediglich während der Schulferien verspüren beide Geschlechter gleichermaßen Beeinträchtigungen. Diese größeren objektiven Barrieren für Frauen setzen sich ferner bei der wissenschaftlichen Publikationsleistung der Forschenden fort, wobei sich eine doppelte Benachteiligung von Frauen zeigte. So veröffentlichen Frauen auch unabhängig von Elternschaft und Lebensalter beinahe drei Aufsätze in Zeitschriften mit Peer-Review-System weniger als Männer. Zugleich publizieren Mütter um etwa acht Aufsätze weniger, Väter jedoch im selben Umfang mehr Aufsätze als die jeweils kinderlosen Forschenden. Hierin zeigt sich eine deutliche Barriere für Frauen bei der weiteren Profilierung im Wissenschaftssystem, da sie hinsichtlich eines zentralen Leistungskriteriums als die schlechteren Forschenden erscheinen. Dabei trägt eine Elternschaft maßgeblich zu einer Vergrößerung der Kluft zwischen Männern und Frauen bei. Ursächlich für diese Dynamik erscheinen die im Vergleich zu Vätern geringeren zeitlichen Spielräume und höheren Belastungen von Müttern. Diese Vermutung wird durch die vertraglichen und tatsächlichen Arbeitspensen der Forschenden für die Erwerbsarbeit bestätigt. Hierbei sind für Mütter gegenüber kinderlosen Wissenschaftlerinnen deutlich kürzere vertragliche und faktische Arbeitsumfänge zu verzeichnen. Dahingegen bleibt der vertragliche Arbeitsumfang von Vätern gegenüber kinderlosen Wissenschaftlern weitgehend unverändert, die faktische wöchentliche Arbeitszeit sinkt nur geringfügig um etwa zwei Stunden. Folglich investieren Väter im Mittel 48 Wochenstunden und Mütter 42 Wochen-
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Postdocphase: Vereinbarkeit von Wissenschaft und Familie
stunden in ihre wissenschaftliche Tätigkeit. Alle Befragten arbeiten damit je nach Elternstatus und Geschlecht um zehn bis 13 Wochenstunden länger, als es ihre vertragliche Arbeitszeit erfordern würde. Dies verdeutlicht die hohen Ansprüche des Wissenschaftssystems, das Fortleben des Lebensformkonzepts in den Praktiken der Forschenden und belegt zugleich erschwerte Bedingungen für Forschende mit Kindern. Somit finden sich auffallende geschlechterdifferente Muster in den objektiven Bedingungen für eine wissenschaftliche Berufslaufbahn: Während Mütter sowohl ihr vertragliches als auch faktisches Arbeitspensum merklich reduzieren, festigen Väter ihre wissenschaftliche und finanzielle Position und reduzieren ihr faktisches Arbeitspensum nur geringfügig. Diese Retraditionalisierungstendenz entlang geschlechtsstereotypischer Muster bei Eltern bewirkt eine Steigerung des beruflichen Engagements bei Vätern, das sich zudem in einer gesteigerten Publikationsleistung niederschlägt. Bei Müttern verhält sich dies umgekehrt. Dadurch entsteht eine Diskrepanz zwischen Müttern und Vätern, die Väter als die besseren Forschenden erscheinen lässt. Dieser Retraditionalisierungsmechanismus spiegelt sich zudem in der familiären Situation der Befragten wider. So deutet bereits die Übernahme von Elternzeit auf überwiegend traditionelle Rollenverteilungen hin, wobei zu etwa 71 Prozent allein die Mütter Elternzeit nehmen. Bei etwa 22 Prozent der Eltern beanspruchen beide Elternteile parallel oder sequenziell Elternzeit, bei etwa sieben Prozent allein die Väter. Dass nur etwa die Hälfte aller Eltern überhaupt Elternzeit in Anspruch nimmt, belegt die hohen beruflichen Anforderungen und befürchteten Karrierenachteile durch längere Ausfallzeiten. Diese Orientierung an traditionellen Geschlechtsrollen setzt sich bei der Aufteilung von Tätigkeiten im Haushalt und auch bei der alltäglichen Organisation von Beruf und Familie fort. Generell weisen die quantitativen Daten auf einen hohen Stellenwert privater Betreuungsmodelle hin. So bevorzugen Eltern die Möglichkeit, ihre Kinder überwiegend durch Privatpersonen bzw. den Partner oder die Partnerin betreuen zu lassen oder die Betreuung selbst zu übernehmen. Darin zeigt sich möglicherweise eine durch die deutsche Mutterideologie begünstigte Skepsis, das Kind an fremde Personen abzugeben, und offenbart unabhängig davon das Bedürfnis nach einer möglichst aktiven Elternschaft, die – wie gesehen – zumeist von den Müttern geleistet wird. Die qualitativen Daten zeigen zwar für die meisten Befragten mit Partner/in im Haushalt einen Trend zu einer gewissermaßen partnerschaftlichen Familienorganisation. Doch trotz dieser geschlechtsegalitären Grundorientierung übernehmen auch in diesen Fällen die Mütter in höherem Ausmaß die Verantwortung für die Kinderbetreuung und in den meisten Fällen zudem größere Anteile der Betreuung selbst. Damit ist die scheinbar geringere Leistungsfähigkeit von Müttern gegenüber Vätern (Produktivität, zeitliche Investitionen) insbesondere vor deren größerem
Objektive Faktoren und Zusammenhänge
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Engagement im Familienbereich und den sich daraus ergebenden Belastungen bei der Vereinbarung beider Bereiche zu sehen. Die qualitativen Daten belegen große zeitliche Belastungen, vor allem von Müttern, bis hin zu gesundheitlichen Beeinträchtigungen oder permanenten Erschöpfungszuständen. Alle Strategien zur Vereinbarung beider Lebensbereiche offenbaren hohe Ansprüche an Managementkompetenzen wie etwa Strukturierung, Zielorientierung, Prioritäten setzen. Diese scheinen umso höher, je weniger eine Rahmenstruktur – beispielsweise durch feste Betreuungszeiten oder Abläufe – vorgegeben ist, da eine ständige Neukoordination von Aufgaben notwendig wird. Zudem fungieren zu große zeitliche Spielräume besonders bei einer privat organisierten Kinderbetreuung als Ablenkungsfalle und setzen ein noch höheres Maß an Selbstdisziplin voraus. Andererseits erscheint eine gewisse Flexibilität von Betreuungszeiten notwendig, um nicht zur Alltagsroutine gehörende Aufgaben und Termine wahrnehmen zu können. Daher erweisen sich institutionelle Ganztagsbetreuungsangebote für Klein- und Schulkinder mit möglichst individuellen Bring- und Holzeiten als optimal. Auf Seite der Wissenschaft sind möglichst flexible Präsenzzeiten unumgänglich. Dies scheint, abgesehen von konkreten Terminen wie beispielsweise Lehrveranstaltungen oder Laborzeiten, bereits relativ gut handhabbar. Innerhalb der Organisationsmuster in Partnerschaften besteht ein erhöhter Koordinationsaufwand und täglicher Zeitstress, wenn beide Elternteile einer Erwerbstätigkeit nachgehen (partnerschaftliche und umgekehrt traditionelle Familienorganisation) und die Elternteile versuchen, Kinderbetreuung und Arbeit über den Tag hinweg auf beide aufzuteilen. Diese Beeinträchtigungen gehen größtenteils zulasten der Mütter, da diese auch in partnerschaftlichen Modellen zumeist die Verantwortung für den familiären Lebensbereich tragen. So richten Väter ihre Familienzeit überwiegend nach beruflichen Erfordernissen wie der hohen Arbeitsintensität oder Kongressbesuchen aus, während Mütter ihre Arbeitszeiten verstärkt anhand familiärer Voraussetzungen wie Betreuungszeiten und Krankheiten strukturieren. Folglich stecken Mütter eher beruflich, Väter eher familiär zurück, wobei sich jedoch beide Geschlechter mehr Zeit für den jeweiligen Bereich wünschen. Somit besteht analog zu Befunden aus der Karriereforschung in den USA auch an der Universität Konstanz Evidenz für einen „boost“ bei der Etablierung der Väter im Wissenschaftssystem, während es für Wissenschaftlerinnen mit Kindern schwieriger ist, Fuß zu fassen (Xie/Shauman 2003: 212). Koordinationsaufwand und Zeitstress sind weitaus geringer, wenn die Zuständigkeiten in partnerschaftlichen Modellen über die Woche aufgeteilt werden. Dies erlaubt an bestimmten Tagen größere berufliche Freiheiten und Flexibilität für denjenigen Elternteil, der in diesem Zeitraum nicht primär für die Kinder zuständig ist und sich konzentriert der Arbeit widmen kann. In diesem Fall nahmen beide Elternteile abwechselnd, aber gleichermaßen an bestimmten Tagen die Rolle des verantwortlichen und flexiblen, das heißt auf Abruf bereiten Elternteils ein, wäh-
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Postdocphase: Vereinbarkeit von Wissenschaft und Familie
rend der jeweilige Partner/die Partnerin an diesen Tagen hinsichtlich der Familienarbeit entlastet ist. Dies erfordert vonseiten des Arbeitgebers (nur) an bestimmten Tagen besondere Flexibilität oder je nach Alter der Kinder und den Rahmenbedingungen die Möglichkeit zur Heimarbeit (home office). Ein weiterer Vorteil dieses „Wochenmodells“ besteht darin, dass Mutter und Vater gleichermaßen eine Bezugsperson für das Kind darstellen. Generell sind die beruflichen zeitlichen Beeinträchtigungen der Eltern und insbesondere der Mütter beachtlich. Und bereits die Bewältigung der alltäglichen Arbeiten und Aufgaben erfolgt nicht selten in Abend- und Nachtschichten oder kurzen zwischenzeitlichen Zeiträumen. Somit ist die geringere Vortrags- und Publikationsaktivität von Frauen im Zusammenhang mit deren größeren Belastungen und begrenzten zeitlichen Ressourcen zu sehen. Trotz der vorhandenen Möglichkeiten zur Kinderbetreuung bestehen entsprechend dem Leitbild der Wissenschaft Vorteile für kinderlose Forschende oder umgekehrt Nachteile für Elternteile, die sich um die Sicherstellung der Betreuung ihrer Kinder aktiv bemühen oder die Betreuung selbst übernehmen wollen oder müssen. Für alle Eltern bestehen zudem kaum zeitliche Spielräume für persönliche Interessen oder zur Regeneration. Ferner zeigen auch die quantitativen Befunde anhand der Vergleiche von Eltern mit kinderlosen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern deutliche Retraditionalisierungsprozesse, wonach Frauen mit Kindern stärker in familiäre Aufgaben involviert sind und dafür berufliche Einbußen in Kauf nehmen (müssen), während bei Männern umgekehrt ein Trend zu einer stärkeren wissenschaftlichen Etablierung feststellbar ist. Insofern intensivieren sich die beruflichen Nachteile für Mütter, da Publikationsleistung und Sichtbarkeit die zwei wesentlichen Faktoren für einen erfolgreichen wissenschaftlichen Karriereverlauf darstellen und bei einer Familiengründung weiterhin traditionelle Geschlechtsrollenorientierungen aktiviert werden. Insgesamt erweist sich die Unvereinbarkeit von Wissenschaft und Familie auf Basis dieser objektiven Faktoren nicht nur als bloße Befürchtung, sondern ist zumindest in dieser leistungsintensiven Qualifikationsphase tatsächlich gegeben. Als zentrale Ursachen erweisen sich die hohen zeitlichen Erfordernisse und das Festhalten der Forschenden am Lebensformkonzept, was in den hohen und über das vertragliche Pensum hinausgehenden Zeitinvestitionen besonders prägnant zutage tritt. Diese bewirken in Verbindung mit Retraditionalisierungstendenzen für eine erfolgreiche wissenschaftliche Etablierung letztendlich ungleiche Chancen für Mütter und Väter, selbst wenn eine gewisse berufliche Flexibilität und umfassende Kinderbetreuungsmöglichkeiten gegeben sind.
Subjektive Wahrnehmungen
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4.4 Subjektive Wahrnehmungen 4.4.1 Kinderwunsch und Familienplanung Es ist bereits bekannt, dass Wissenschaftlerinnen an der Universität Konstanz seltener Kinder haben als Wissenschaftler (vgl. Abschnitt 4.3.1). Die qualitativen Daten zeigen nun Überlegungen bei der Familienplanung auf. Solche Überlegungen beziehen sich überwiegend auf den erwägten Zeitpunkt der Familiengründung. Dieser wird häufig an der vorausgegangenen Heirat beider Partner festgemacht. Lediglich in drei Fällen wird die Familiengründung berufsbiografisch begründet. Diese erfolgt im Falle eines Naturwissenschaftlers mit traditioneller Familienorganisation im Anschluss an dessen Auslandsaufenthalt; im anderen Fall wird ein Auslandsaufenthalt des Wissenschaftlers und der gleichzeitige Wunsch seiner Partnerin nach einer beruflichen Neuorientierung für die Umsetzung des Kinderwunsches genützt (Rechts-/Wirtschafts-/Verwaltungswissenschaftler, partnerschaftl. Familienorganisation, 1 Kind). Im dritten Fall entscheidet sich eine inzwischen alleinerziehende Naturwissenschaftlerin bereits während des Studiums für Kinder, da sie in dieser Ausbildungsphase ausreichende zeitliche Spielräume vermutete. Bei einem Wissenschaftlerpaar mit partnerschaftlicher Familienorganisation wird die Familienplanung von der Zustimmung des gemeinsamen Vorgesetzten abhängig gemacht. Doch auch Ratschläge und Erfahrungen aus dem Bekanntenkreis fließen in die Überlegungen mit ein und verdeutlichen einen großen Einfluss aus dem privaten Umfeld. Damit verbunden sind biologische Argumente, die insbesondere von Frauen angeführt werden: „wenn ich Kinder haben will, dann sollt ichs jetzt mal laufen lassen“ (Geisteswissenschaftlerin, alleinerziehend, 1 Kind). Zusätzlich sind finanzielle Überlegungen relevant. Generell wird die Entscheidung für eine Familiengründung wenig problematisiert.185 Wie in Abschnitt 4.3.4 dargestellt, orientiert sich die Familienorganisation auch bei den eher partnerschaftlichen Modellen an geschlechtsstereotypischen Mustern. Bei den Begründungen für diese Arbeitsteilung rücken insbesondere berufliche Erwägungen, die gerade von Vätern oftmals im Zusammenhang mit Einschränkungen gesehen werden, in den Blick. Besonders auffällig zeigt sich dies bei Orientierungen an traditionellen Mustern. Hier werden die in der Wissenschaft hohen zeitlichen Anforderungen und berufliche Unsicherheit als Begründung gegen eine aktive Vaterschaft angeführt, gleichzeitig wird jedoch betont, dass dennoch zeitlich bedingte berufliche Einbußen in Kauf genommen werden (müssen). Zudem sind finanzielle Aspekte für die Begründung einer traditionellen Familienorganisation ausschlaggebend, wobei sich die Väter gemäß geschlechtsstereotypischer Vorstellungen als Er185 Dies dürfte mit der retrospektiven Sichtweise der Befragten zu tun haben wie auch die häufig antizipierten Schwierigkeiten bei der Vereinbarung beider Lebensbereiche der Konstanzer Promovierenden vermuten lassen (vgl. Abschnitt 3.4.2).
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Postdocphase: Vereinbarkeit von Wissenschaft und Familie
nährer der Familie sehen. Diese Sichtweise wird teilweise durch die geringere Qualifikation oder unsichere Beschäftigungssituation der Partnerin mit begründet: „Es ist klar dass die Wissenschaft da zurückstecken wird. Das war mir da auch schon klar. Es ist immer so: je mehr Familienmitglieder man hat, desto weniger Zeit bleibt für die Wissenschaft. Als ich in den Staaten gearbeitet habe, hab ich sechsundneunzig Stunden in der Woche gearbeitet (…). Es war eine beidseitige Entscheidung von meiner Frau und mir, dass sie zuhause bleibt und ich weiter an meiner Karriere feile. Das liegt auch daran, dass äh ich eine dementsprechende Ausbildung hab, die meine Frau jetzt sozusagen nicht hat, also um eine Familie ernähren zu können“ (Naturwissenschaftler, tradit. Familienorganisation, 3 Kinder).
Der Stellenwert beruflicher und finanzieller Notwendigkeiten zeigt sich besonders auffallend in der Äußerung eines Wissenschaftlers auf die Frage, ob er sich nicht vorstellen könnte, zugunsten der Kinder beruflich etwas zurückzustecken: „Das würde dann gehen, wenn man ne sichere Anstellung hat, ja? Aber das geht so lange nicht wie se eben ne halbe Stelle haben und dann eh in dieser halben Stelle 75% oder mehr arbeiten müssen um die ganzen Projekte die man dann über die Uni auch mit abzuwickeln hat zu bewältigen und weil ne halbe Stelle finanziell nicht reicht um über die Runden zu kommen, Sie noch zudem freiberufliche Aufträge annehmen müssen. Das geht nicht. Da kann ich mich nicht zurücknehmen“ (Naturwissenschaftler, tradit. Familienorganisation, 3 Kinder).
Bei Rollenmustern, die dem partnerschaftlichen oder umgekehrt traditionellen Modell entsprechen, werden ebenfalls berufliche Argumente angeführt. Diese beziehen sich auf die jeweiligen Beschäftigungsverhältnisse oder positiven Aspekte einer wissenschaftlichen Tätigkeit wie die vergleichsweise hohe Flexibilität: „Das war schon, schon ne Überlegung natürlich, dass in der Wissenschaft das Arbeiten flexibler ist so dass ich da dann mehr (bei der Kinderbetreuung; Anmerkung der Autorin) übernehmen kann wenn sie Hilfe benötigt“ (Rechts-/Wirtschafts-/Verwaltungswissenschaftler, umgekehrt tradit. Familienorganisation, 1 Kind).
Gleichermaßen wird auch die gute Berufsqualifikation bzw. berufliche Befähigung der Mütter angeführt: „Sie ist sehr intelligent, sie hat schon sehr viel Erfolg und ich möchte auch nicht, dass sie zu Hause bleibt“ (Naturwissenschaftler, partnerschaftl. Familienorganisation, 1 Kind). Zugleich wird von Müttern gegenüber ihren Partnern der Wunsch nach einer weiteren beruflichen Laufbahn betont: „wir haben besprochen, dass wir also, dass ich gerne weiter arbeiten möchte“ (Naturwissenschaftlerin, partnerschaftl. Familienorganisation, 1 Kind). Diese Begründungsmuster gehen einher mit dem persönlichen Wunsch der Elternteile, sich aktiv um die Kinder zu kümmern. Da dieser Wunsch bei den Müttern generell ausgeprägter scheint, die Geburten der Kinder überwiegend in beruflichen Übergangsphasen stattfinden und Väter ihre beruflichen Einbußen besonders betonen, stecken Mütter auch in partnerschaftlichen Modellen häufiger beruflich
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zurück als Väter. Eine einheitliche Meinung der Befragten besteht dahingehend, dass sie sich die Vereinbarkeit beider Lebensbereiche wenn auch schwierig, dann doch einfacher vorgestellt hätten, als sich dies später herausstellte. Dabei werden potenzielle Probleme immer dann antizipiert, wenn beide Partner beruflich erwerbstätig sein möchten und keine traditionelle Rollenverteilung angestrebt wird. Aufgrund der fortlebenden Geschlechtsrollenvorstellungen dürften Frauen Probleme häufiger antizipieren als Männer (vgl. auch Abschnitt 3.4.3). Die Entscheidung für die jeweilige Rollenverteilung scheint in erster Linie abhängig von beruflichen Faktoren, aber auch persönlichen Überzeugungen. Sofern Mütter eine geringere Qualifikation als ihr Partner aufweisen oder die Geburt der Kinder mit Statusübergängen zusammenfällt, scheint zumindest anfänglich eine traditionelle Rollenverteilung die rational beste Möglichkeit. 4.4.2 Berufliche Situation Berufliche Aspirationen Geschlechtsspezifisch unterschiedliche Karriereorientierungen werden in der Literatur vor allem im Zusammenhang mit Familiengründungsphasen diskutiert (z.B. Allmendinger et al. 1999, Abele 2003). Die bisherigen Befunde zeigen, dass speziell die Partnerinnen der befragten Wissenschaftler beruflich zurückstecken (Abschnitt 4.3.4). Doch ist damit auch gesagt, dass Frauen seltener ein wissenschaftliches Karriereziel verfolgen als Männer? Die quantitativen Daten zeigen, dass der Großteil der Eltern (69,2%) und damit ein größerer Anteil als bei kinderlosen Forschenden langfristig eine Professur anstrebt. Während Väter häufiger eine Professur anstreben als kinderlose Wissenschaftler, findet sich bei den Wissenschaftlerinnen ein dem entgegengesetzter Trend: Zwar verfolgt etwas mehr als die Hälfte der kinderlosen Wissenschaftlerinnen (51,5%) das Berufsziel einer Professur, unter den Müttern fällt der Anteil mit 45,0 Prozent jedoch geringer aus. Berücksichtigt man zusätzlich das Alter der Forschenden, bleiben die beschriebenen Trends bestehen (Tabelle 27).186 Eltern streben um 12,2 Prozentpunkte häufiger eine Professur an als kinderlose Forschende. Bei Männern beläuft sich die Differenz sogar auf 18,8 Prozentpunkte. Aufseiten der Frauen besteht mit einer Differenz von etwa einem Prozentpunkt ein umgekehrter, wenn auch schwacher Trend. Generell streben Wissenschaftlerinnen allerdings bereits unabhängig von Elternschaft und Alter deutlich seltener eine Hochschulprofessur an als Wissenschaft186 Bei der abhängigen Variablen werden unentschlossene Befragte und Befragte, die keine Professur anstreben, zusammengefasst.
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Postdocphase: Vereinbarkeit von Wissenschaft und Familie
ler. Diese allgemein geringere Karriereorientierung der Frauen dürfte auf die für sie während und nach der Promotion größeren Barrieren zurückgehen.187 Dieser Geschlechtsunterschied in den beruflichen Ambitionen vergrößert sich im Falle einer Elternschaft weiter, da eine Elternschaft bei Männern im Gegensatz zu Frauen eine wissenschaftliche Karriereorientierung erhöht. Diese Interpretationsrichtung wird durch die qualitativen Befunde, wonach speziell Frauen von Problemen bei der Vereinbarung beider Lebensbereiche betroffen sind, untermauert.188 Tabelle 27: Berufsziel Professur nach Geschlecht (logistische Regressionen) (1) Gesamt Elternschaft (d) (1=ja) Geschlecht (d) (1=Frau) Alter 2 Alter Observations Pseudo R2
(2) Männer
(3) Frauen
0,122 -0,220 * 0,102 -0,001 *
0,188
-0,007
0,126 -0,002
0,055 -0,001
153 0,113
101 0,141
52 0,020
Marginal effects (d) for discrete change of dummy variable from 0 to 1; * p < 0,05, ** p < 0,01, *** p < 0,001.
Wahrnehmungen der eigenen beruflichen Situation Weiteren Aufschluss über geschlechtsspezifische Barrieren bei der Vereinbarkeit von Wissenschaft und Familie liefern Wahrnehmungen der Befragten zu verschiedenen Aspekten ihrer beruflichen Situation.189 Betrachtet man die Wahrnehmung von Schwierigkeiten bei der Kombination von privaten Verpflichtungen und wissenschaftlicher Tätigkeit, ist ein deutlich größeres Problemempfinden von Eltern als von kinderlosen Forschenden festzustellen. Dies betrifft insbesondere die Wissenschaftlerinnen mit einer Differenz von etwa 23 Prozentpunkten gegenüber 19 Prozentpunkten bei Wissenschaftlern. Gleichzeitig sehen 45,0 Prozent der Mütter, jedoch nur 35,2 Prozent der Väter Schwierigkeiten bei der Vereinbarung beider Le187 Dies wird durch die Befunde bei der Aufnahme der Promotion unterstrichen, wo Frauen eine höhere Karriereorientierung aufwiesen als Männer, vgl. Abschnitt 3.4.1. 188 Dieser Gedanke wird bei den Ausführungen zu Leistungsfähigkeit und Anerkennung am Fachbereich im Laufe dieses Abschnitts erneut aufgegriffen. 189 Diese wurden auf einer fünfstufigen Zustimmungsskala erfasst (von 1=„stimme überhaupt nicht zu“ bis 5=„stimme voll und ganz zu“). In den folgenden Auswertungen werden die Antwortkategorien 4 und 5 sowie 1 bis 3 jeweils zusammengefasst. Die Items lauteten im Einzelnen: Die Vereinbarkeit meiner wissenschaftlichen Tätigkeit mit meinen privaten Verpflichtungen fällt mir schwer; Ich überlege häufig, ob ich den inhaltlichen Anforderungen meiner Arbeit überhaupt gewachsen bin; Ich erlebe meine wissenschaftlichen Tätigkeiten als positive Herausforderung.
Subjektive Wahrnehmungen
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bensbereiche. Selbst bei kinderlosen Forschenden sind Frauen häufiger von Schwierigkeiten betroffen. Eine Erklärung hierfür ist, dass vor allem Mütter stärker in Haushaltstätigkeiten und familiale Aufgaben involviert sind (Abschnitt 4.3.4) und Probleme der Vereinbarkeit häufiger bereits antizipieren (Abschnitt 3.4.3). Die übrigen Items liefern weitere Erkenntnisse zu Überforderungsgefühlen und Lebensqualität der Befragten. Zunächst fällt auf, dass fachliche Überforderungsgefühle bei Eltern generell (14%-Punkte), insbesondere jedoch bei Müttern (26%-Punkte) geringer ausfallen als bei kinderlosen Forschenden. Lediglich 10,9 Prozent der Väter und fünf Prozent der Mütter verspüren eine solche Überforderung. Bei der Wahrnehmung der wissenschaftlichen Tätigkeit als positive Herausforderung und dem Erleben der Situation als persönliche Bereicherung bestehen ebenfalls Unterschiede zwischen Eltern und kinderlosen Forschenden. Besonders auffallend sind hier die gegenläufigen Tendenzen bei Frauen und Männern. Während nahezu alle Väter ihre wissenschaftliche Tätigkeit als positive Herausforderung erleben, sind es bei kinderlosen Wissenschaftlern lediglich 82,6 Prozent. Bei Wissenschaftlerinnen ist hingegen ein negativer Effekt erkennbar, wonach lediglich 68,4 Prozent der Mütter, aber etwa 73 Prozent der kinderlosen Wissenschaftlerinnen eine positive Wahrnehmung äußern. Die multivariate Betrachtung der drei Wahrnehmungen zeigt ebenfalls deutliche Unterschiede zwischen Eltern und Kinderlosen (vgl. Abbildung 13). Eltern sehen bedeutend öfter Probleme bei der Vereinbarung der wissenschaftlichen Tätigkeit mit privaten Verpflichtungen, erleben ihre wissenschaftliche Tätigkeit allerdings häufiger als positive Herausforderung als kinderlose Forschende. Fachliche Überforderungsgefühle treten bei Eltern hingegen seltener auf. Des Weiteren bestehen für Männer und Frauen unterschiedliche Zusammenhänge zwischen Elternschaft und wahrgenommener Situation. Schwierigkeiten der Vereinbarkeit treten bei Müttern gegenüber kinderlosen Wissenschaftlerinnen deutlich öfter auf, als dies in den männlichen Vergleichsgruppen der Fall ist. Dies deutet auf die im Vergleich zu Männern höhere Belastung von Frauen durch familiäre Verpflichtungen hin. Demzufolge antizipieren Wissenschaftlerinnen nicht nur häufiger Probleme der Vereinbarkeit (vgl. Abschnitt 3.4.3), sondern sind auch vermehrt von tatsächlichen Schwierigkeiten betroffen als Männer. Da Frauen bereits unabhängig von einer Elternschaft deutlich öfter solche Probleme äußern, besteht für Frauen im Rahmen einer Elternschaft eine doppelte Belastung. Daher trägt eine Familiengründung zur Verstärkung dieses Nachteils für Frauen bei. Fachliche Überforderungsgefühle treten bei Vätern und Müttern seltener auf als bei kinderlosen Forschenden. Dieser Effekt fällt bei Frauen jedoch besonders stark aus. Da Überforderungsgefühle bei Frauen unabhängig von einer Elternschaft etwas häufiger sind als bei Männern, trägt eine Familiengründung tendenziell zu einem Ausgleich dieses Geschlechtsunterschieds bei.
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Postdocphase: Vereinbarkeit von Wissenschaft und Familie
Abbildung 13: Wahrnehmungen der beruflichen Situation nach Elternschaft und Geschlecht unter Einbezug von Kontrollvariablen (Prozentpunktdiff. von Forschenden mit und ohne Kinder; Antwortkategorien 4 und 5) 40 30 20
33,0* 21,7**
17,7**
16,1*
Gesamt
8,6
10
Männer
0
Frauen
-10 -10,3
-20
-6,1 -16,7
Pos. Herausforderung
Fachl. Überforderung
Schwierigk. Vereinbarung
-19,3
Kontrolle von (Geschlecht und) Alter. * p<0,05, ** p<0,01, *** p<0,001. Fragen: Wie schätzen Sie Ihre persönliche Situation an der Universität Konstanz ein? (Antwortkategorien: von 1=„stimme überhaupt nicht zu“ bis 5=„stimme voll und ganz zu“). Items: 1) Die Vereinbarkeit meiner wissenschaftlichen Tätigkeit mit meinen privaten Verpflichtungen fällt mir schwer. 2) Ich überlege häufig, ob ich den inhaltlichen Anforderungen meiner Arbeit überhaupt gewachsen bin. 3) Ich erlebe meine wissenschaftlichen Tätigkeiten als positive Herausforderung. N/Pseudo R2: Item 1: Gesamt: 147/0,0541, Männer: 96/0,0753, Frauen: 51/0,110, Item 2: Gesamt: 149/0,0654, Männer: 98/0,0194, Frauen: 51/0,158, Item 3: Gesamt: 149/0,0911, Männer: 98/0,166, Frauen: 51/0,0396.
Dieser Effekt steht im Gegensatz zur Wahrnehmung der wissenschaftlichen Tätigkeit als positive Herausforderung. So erleben Mütter gegenüber kinderlosen Wissenschaftlerinnen ihre Tätigkeit deutlich seltener als positiv (16,7%-Punkte), während bei Vätern ein umgekehrter Effekt im etwa selben Umfang zu verzeichnen ist. Gleichzeitig ist bei Frauen unabhängig von einer Elternschaft ein gegenüber Männern negativer geprägtes Erleben der beruflichen Situation ersichtlich. Generell bewirkt eine Elternschaft einen erheblichen und geschlechtsspezifischen Unterschied im Erleben der beruflichen Situation. Während die Kluft bei fachlichen Überforderungsgefühlen bei einer Elternschaft geringer wird, akkumulieren Frauen beim Erleben der wissenschaftlichen Tätigkeit Nachteile, Männer hingegen Vorteile. Für diese geschlechtsspezifischen Dynamiken sind mehrere Erklärungen denkbar. So könnten bei Frauen einsetzende Lernprozesse zu einer allmählichen Milderung bestehender Probleme beitragen. Die Ausbildung und Weiterentwicklung sol-
Subjektive Wahrnehmungen
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cher weiblicher „Problemlösungsqualitäten“ wird ferner in anderen Studien belegt (Macha 2000: 228). Diese Lernprozesse erscheinen allerdings – durch die größeren Barrieren für Frauen – aus der Not heraus geborene und notwendige Leistungen für eine erfolgreiche Etablierung im Wissenschaftssystem. Bei Männern scheinen solche Prozesse eher auszubleiben, während für sie entlang geschlechtsstereotypischer Vorstellungen ein zugleich zunehmender Druck besteht, sich beruflich etablieren zu müssen. Eine weitere Erklärung bietet die Relativierung fachlicher Anforderungen durch die zusätzlichen familiären Verpflichtungen. Da sich Frauen nicht ausschließlich über den Beruf identifizieren, könnten diese von einer ausgleichenden Funktion durch den privaten Lebensbereich stärker profitieren.190 Schließlich könnten die geschlechtsspezifischen Befunde auch mit Mechanismen der Positivselektion zu tun haben. Denn möglicherweise entscheiden sich gerade besonders herausragende Wissenschaftlerinnen für eine Familiengründung und stellen sich dieser doppelten Herausforderung.191 Welche Erklärung zutrifft, kann anhand der vorliegenden Daten nicht geklärt werden. Fest steht jedoch, dass das seltenere positive Erleben der wissenschaftlichen Arbeit von Frauen nicht auf fachliche Aspekte zurückgeht. Vielmehr ist die Ursache im sozialen universitären Umfeld und in den Anforderungen an wissenschaftliche Laufbahnen zu suchen; denn scheinbar müssen Frauen und vor allem Mütter größere Anstrengungen unternehmen, um diesen Anforderungen und Erwartungen gerecht zu werden. Dies wird ferner durch die bisherigen Erkenntnisse zu Unterstützungsnetzwerken und Publikationsquoten belegt (Abschnitte 3.3.1, 3.3.3, 3.4.2, 4.3.2). Eine wesentliche Ursache für die negativere Wahrnehmung der Frauen und Mütter ist in den geschlechtsspezifischen zeitlichen Beeinträchtigungen und weiteren Belastungen zu sehen. Wissenschaftler und insbesondere Väter sind weniger in private (insbesondere familiäre) Verpflichtungen eingebunden und sind in ihrer wissenschaftlichen Tätigkeit daher weniger eingeschränkt als Mütter. Wissenschaftlerinnen hingegen erfahren die umfassenden Leistungsansprüche im Wissenschaftssystem aufgrund ihrer eingeschränkten zeitlichen Kapazitäten und Energieleistungen, die in die Koordination beider Lebensbereiche investiert werden192, eher als Drucksituation und damit als Belastung. Das Problem besteht dann nicht darin, grundsätzlich fachlich kompetente Leistung zu erbringen, sondern ihrem Umfang gerecht zu werden, über die eigentlichen Aufgaben hinaus Publikationen anzufertigen, an Tagungen und Kongressen teilzunehmen und Netzwerke weiter auszubauen. Insgesamt ist der Leistungsdruck für Mütter damit besonders hoch, zumal diese bereits Defizite bei Publikationsquoten und sozialen Netzwerken aufweisen, die es aufzuholen gilt, um in der Konkurrenz mit anderen Forschenden bestehen zu 190 Vgl. dazu auch Abschnitte 4.4.3 und 4.4.4. 191 In diesem Fall würden die übrigen Befunde zugleich ein tendenziell beschönigtes Bild über Möglichkeiten und Barrieren bei der Vereinbarung beider Lebensbereiche darstellen. 192 Vgl. dazu Abschnitt 4.3.4.
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können. Darüber hinaus lassen die qualitativen Befunde vermuten, dass Männer durch eine Elternschaft noch stärker zu beruflichen Leistungen motiviert werden, während Mütter einem höheren Rechtfertigungszwang ihrer wissenschaftlichen Ansprüche und Leistungen ausgesetzt sind. Dies vermag weitere Bedenken einer erfolgreichen Zukunft in der Wissenschaft auszulösen. Leistungsfähigkeit und Anerkennung am Fachbereich Die eigene Zufriedenheit mit den erbrachten Leistungen sowie die Akzeptanz und Anerkennung der Leistungen und Kompetenz am Fachbereich sind zwei Aspekte, die das geschlechtsspezifische Erleben der wissenschaftlichen Tätigkeit weiter erleuchten. Diesbezügliche Aussagen werden zunächst anhand der quantitativen Daten getroffen und anschließend mit Ergebnissen der qualitativen Teilstudie vertieft. Die Konstanzer Daten zeigen, dass sich Mütter und Väter häufiger in ihrer Kompetenz anerkannt fühlen als kinderlose Forschende. Bei der Anerkennung der Leistung zeichnet sich jedoch ein anderes Bild. Während diese bei Vätern (45,5%) gegenüber kinderlosen Wissenschaftlern (63,0%) um nahezu 18 Prozentpunkte geringer ausfällt, ist bei Müttern gegenüber kinderlosen Wissenschaftlerinnen ein Anstieg um zwölf Prozentpunkte auf 52,6 Prozent zu verzeichnen. Die Zufriedenheit mit der eigenen Leistung ist bei Eltern gegenüber kinderlosen Forschenden größer. Dabei sind zwei Drittel der befragten Väter und 55,3 Prozent der kinderlosen Wissenschaftler und 55,6 Prozent der Mütter und 51,5 Prozent der kinderlosen Wissenschaftlerinnen mit ihrer beruflichen Leistung zufrieden. Die multivariaten Ergebnisse zeigen etwas geringere Unterschiede (Abbildung 14). Väter sind nach wie vor zufriedener mit ihrer eigenen Leistung als kinderlose Wissenschaftler. Bei Frauen besteht nun jedoch ein umgekehrter Effekt. Die Zufriedenheit mit der Anerkennung der Leistung fällt bei Vätern weiterhin um etwa zwölf Prozentpunkte geringer aus als bei kinderlosen Wissenschaftlern. Im selben Umfang steigt die Zufriedenheit bei Müttern an. Die Anerkennung der Kompetenz fällt für Väter und Mütter gegenüber kinderlosen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern jeweils etwas höher aus. Es fällt auf, dass Frauen unabhängig von einer Elternschaft jeweils deutlich seltener zufrieden sind als Männer. Vor allem bei der Anerkennung der erbrachten Leistungen trägt eine Elternschaft daher zu einem Ausgleich des bestehenden Geschlechtsunterschieds bei. Demzufolge scheint das zuvor festgestellte negativere Erleben der beruflichen Situation von Müttern weniger mit der mangelnden Akzeptanz am Fachbereich zu tun zu haben.193 Allerdings scheint die Aufrechterhaltung dieser Akzeptanz mit großen Anstrengungen der Mütter ver193 In eine andere Richtung deuten Befunde zu Karrierewegen von Professorinnen, wonach Frauen im allgemeinen Forschungsbetrieb und insbesondere in wissenschaftlichen Spitzenpositionen als deutlich seltener akzeptiert wahrgenommen werden als Männer (Krimmer/Zimmer 2003: 27 ff.)
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bunden, die sich einem ständigen Druck ausgesetzt sehen, ihre Leistungen permanent unter Beweis stellen zu müssen. Bevor diese Annahme durch einige Befunde aus den qualitativen Interviews belegt wird, verdient die niedrigere Zufriedenheit mit der Leistungsanerkennung von Vätern gegenüber kinderlosen Wissenschaftlern weitere Aufmerksamkeit. Abbildung 14: Wahrnehmungen der beruflichen Zufriedenheit nach Elternschaft und Geschlecht unter Einbezug von Kontrollvariablen (Prozentpunktdiff. von Forschenden mit und ohne Kinder; Antwortkategorien 4 und 5) 20 10
12,3
11,7 7,1
5,2
5,8
2,1
Gesamt Männer
0 -3,2
-10
Frauen
-3,0
Kompetenzanerkennung im FB
Zufriedenheit mit eigener Leistung
Zufriedenheit mit Leistungsaner kennung
-12,0
-20
Kontrolle von (Geschlecht) und Alter. Fragen: 1) Wie zufrieden sind Sie hinsichtlich Ihrer bisherigen wissenschaftlichen Laufbahn…? (Items: mit Ihrer eigenen Leistung; mit der Anerkennung Ihrer Leistung in Ihrem Fachbereich? Antwortkategorien von 1=„überhaupt nicht zufrieden“ bis 5=„voll und ganz zufrieden“). 2) Wie schätzen Sie Ihre persönliche Situation an der Universität Konstanz ein? (Item: Meine Kompetenz wird von meinen Kolleginnen/Kollegen anerkannt. Antwortkategorien von 1=„stimme überhaupt nicht zu“ bis 5=„stimme voll und ganz zu“). N/Pseudo R2: Frage 1, Item 1: Gesamt: 152/0,0262, Männer: 101/0,0258, Frauen: 51/0,0267, Frage 1, Item 2: Gesamt: 150/0,0413, Männer: 99/0,0526, Frauen: 51/0,142, Frage 2: Gesamt: 148/0,0299, Männer: 97/0,0102, Frauen: 51/0,0430.
Die Ergebnisse der qualitativen Daten verdeutlichen, dass Familienarbeit nicht ausschließlich von den Müttern übernommen wird, sondern auch Väter ihr Interesse an einer aktiven Elternschaft bekunden und sich zumindest teilweise an familialen Aufgaben beteiligen. Dieser Trend zu einer aktiven Vaterschaft194 bietet eine Erklärung für die geringere Zufriedenheit mit der Anerkennung wissenschaftlicher Leis194 Vgl. Abschnitt 4.3.4 zur Organisation von Familie und Berufstätigkeit.
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tungen von Vätern. Denn scheinbar werden Väter stärker am Bild des männlichen Wissenschaftlers, der seine ganze Zeit der Wissenschaft widmet, gemessen, während die wissenschaftliche Leistung der Frauen eher vor dem Hintergrund ihrer Mutterschaft gesehen wird. Offenbar folgt die Zuschreibung von Leistung entlang geschlechtsstereotypischer Muster, wobei von Vätern ein höheres Maß an beruflichen Investitionen erwartet wird als von Müttern und selbst eine relativ geringe Zurücknahme des zeitlichen Engagements von Vätern als negativ bewertet wird, während dies bei Müttern als normal erscheint. Dies könnte auch mit geschlechtsspezifischen Mustern einer strategischen Karriereentwicklung zu tun haben. Während die gegenwärtige Leistung der Mütter als gut befunden und akzeptiert wird, stehen bei Vätern möglicherweise langfristige Voraussetzungen für den Verbleib im Wissenschaftssystem im Zentrum. Dies bedeutet, dass es für Wissenschaftler besonders schwierig ist, ihren Wunsch nach einer aktiven Vaterschaft zu realisieren, da dies vom wissenschaftlichen Umfeld nur wenig akzeptiert wird. Die gesellschaftliche Akzeptanz für die Ausübung einer aktiven Vaterschaft scheint sich daher auch an einer Universität, die sich für Familienfreundlichkeit einsetzt, (noch) nicht durchgesetzt zu haben.195 Insgesamt bestehen für Wissenschaftler durch eine Vaterschaft hinsichtlich der Akzeptanz ihrer Leistungen größere berufliche Barrieren als für Mütter. Die qualitativen Daten erlauben es, tatsächliche Veränderungen in der Akzeptanz durch Vorgesetzte und Kollegenschaft abzubilden. Dabei äußern sich Mütter und Väter positiv oder zumindest neutral zu ersten Reaktionen auf die Elternschaft aus dem Arbeitsumfeld. Insbesondere die Väter verspüren durch die Geburt des Kindes kaum Veränderungen im Arbeitsumfeld. Lediglich ein Vater weist darauf hin, dass nach anfänglich großem Interesse und positiven Reaktionen die „Toleranzgrenzen nicht über acht Wochen hinausgekommen“ sind (Naturwissenschaftler, partnerschaftl. Familienorganisation, 1 Kind). Deutlich negative Aspekte wurden von lediglich einer Wissenschaftlerin geäußert, wie das folgende Zitat verdeutlicht: „Als es klar war, dass ich ein Kind bekomme, ähm, (3), und ich war in meiner Promotion sehr engagiert, aber dann kam son n, als ich dann eben ein Kind erwartete, dann, dann war so n, so ne, dann hat man, das sind so Dinge, die aber, die ich vielleicht auch nur so empfinde, oder die nie ausgesprochen worden sind, das sind dann mehr so Eindrücke und so atmosphärische Schwingungen, man hat schon dann den Eindruck, dass man halt in ein bestimmtes Kästchen dann eingeordnet wird. Also, gut, das ist jetzt, damit ist die Wissenschaft jetzt weg. Ja. Also damit wird man nicht mehr so wirklich ernst genommen. Bei mir kam das natürlich auch mit Abschluss der Promotion, also da war auch eindeutig ne Zäsur, das heißt nach außen, äh, schien das so, gut sie hat jetzt promoviert, und jetzt wird sie Mama und das wars so mehr oder weniger (…). Man wurde nicht mehr als seriös empfunden, also als ernsthafte Wissenschaftlerin“ (Naturwissenschaftlerin, alleinerziehend, 2 Kinder). 195 Dieser Befund deckt sich mit Ergebnissen aus der Privatwirtschaft, wo sich die Vereinbarkeit beider Lebensbereiche für Wissenschaftler ebenfalls schwieriger gestaltet als für Wissenschaftlerinnen. In dieser Studie liegt allerdings kein Vergleich mit kinderlosen Erwerbstätigen vor (Walther/Schaeffer-Hegel 2007).
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Folglich wurde die Wissenschaftlerin auch nicht in der Fortsetzung einer wissenschaftlichen Laufbahn unterstützt, obwohl sie dies „kundgetan habe“. Nachdem bei den Befragten der Arbeitsalltag eingekehrt ist, lassen sich in Bezug auf die Leistungsanerkennung und zeitliche Verfügbarkeit der Eltern allerdings verschiedene Veränderungen ausmachen. So machen die Eltern mit Zuschreibungen der Leistungsfähigkeit häufig negativere Erfahrungen, als es die Wahrnehmungen der ersten Reaktionen aus dem Arbeitsumfeld vermuten ließen. Insbesondere Müttern, in geringerem Umfang jedoch auch Vätern, wird ihre Leistungsfähigkeit zumeist durch implizite Anspielungen und Äußerungen immer wieder abgesprochen. Bei Müttern äußert sich dies von übertrieben schonenden Behandlungen bis hin zu direkten Anspielungen durch Vorgesetzte: „Kann man denn eigentlich noch denken, wenn man stillt?“ oder Entmutigungen hinsichtlich eines langfristigen Karriereerfolgs: „also ich kann zwar habilitieren, aber ich hätt nischt davon“.196 Diese vor allem von Vorgesetzten demonstrierte Haltung führt dazu, dass sich Wissenschaftlerinnen einem hohen Leistungsdruck ausgesetzt fühlen: „Ich muss hier ständig präsent sein und demonstrieren, dass ich mich hundertfünfzigprozentig reinhänge, weil mir unterstellt wird, dass ich wegen der Kinder ja irgendwie vorsichtig zu behandeln sei (…) also wenn mein Chef dann am Wochenende nicht hier ist, dann geht er bei jemand, der Familie hat, selbstverständlich davon aus, dass der das Wochenende mit seiner Familie verbringt, während er von nem jungen Wissenschaftler der keine Familie hat dann schon mal annimmt, dass er hier am Wochenende n Versuch macht oder irgend n Text schreibt, ja und um dem Chef zu beweisen, dass es genau andersherum is, dass der junge Kollege Skifahren ist und ich dasitz und den Text schreib, denk ich, habe ich schon das ein oder andere Wochenende aus dem Grund hier verbracht“ (Geisteswissenschaftlerin, alleinerziehend, 1 Kind).
Bei einem Vater äußert sich die Aberkennung seiner Leistung, die er als Rufschädigung empfindet, verstärkt im Kollegenkreis auch außerhalb von Konstanz, worin Einbußen in Bezug auf seine Sichtbarkeit als herausragender Wissenschaftler erkennbar werden: „Mir reicht es dann, wenn zwei andere Leute, die dann über einen erzählen, man kann nicht mehr arbeiten, man ist nicht mehr effektiv, wenn man ein Kind hat, und das überfordert den (…) und dann hat man den Ruf, wir sind überfordert und man kann nicht arbeiten und wir werden vergessen“ (Naturwissenschaftler, partnerschaftl. Familienorganisation, 1 Kind).
Generell sind Mütter und Väter einem hohen Druck ausgesetzt, ihre Leistung unter Beweis stellen zu müssen. Die zuvor festgestellte größere Leistungsakzeptanz von Müttern erscheint demnach als Resultat ihrer besonderen Bemühungen und begründet zugleich deren seltenere Wahrnehmung der wissenschaftlichen Arbeit als positive Herausforderung. Demgegenüber profitieren Wissenschaftler zu Beginn ihrer 196 In diesem Fall würde sich der Vorgesetzte auch bei vorhandenen Habilitationsbestrebungen nicht für eine weitere Anstellung der Wissenschaftlerin einsetzen..
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Vaterschaft möglicherweise von einem höheren Vertrauensvorschuss, der offenbar jedoch an die Erwartung eines gleichbleibend hohen beruflichen Einsatzes gebunden ist. Dies bestätigt die These geschlechtsspezifischer Erwartungshaltungen vonseiten des Kollegiums, die bereits aus den quantitativen Befunden zu Anerkennungsstrukturen am Fachbereich hervorgingen. In der Realität finden sich für Väter und für Mütter Formen symbolischer Gewalt (vgl. Abschnitt 2.3.1), die sich in subtilen Anspielungen, aber auch direkten Entmutigungen finden, und ihnen die Skepsis verdeutlichen, die darüber besteht, ob ihre Leistungen (noch) denjenigen herausragender Forschender genügen. Hinsichtlich von Präsenzzeiten an der Universität treffen die Eltern größtenteils auf Verständnis. Ein Naturwissenschaftler mit einem Kind und partnerschaftlicher Familienorganisation spricht sogar von einer „privilegierten Situation“, da er abgesehen von Terminpflichten bei Veranstaltungen und Arbeitsgruppen „völlige Handlungsfreiheit“ habe, wohingegen seine Frau aufgrund der Reduktion ihrer Erwerbstätigkeit nun sogar mit der Kündigung ihrer Tätigkeit im außeruniversitären Bereich rechnen müsse. Neben dem Druck der permanenten Leistungsdemonstration leben besonders Wissenschaftlerinnen auch hinsichtlich begrenzter Präsenzzeiten in der ständigen Unsicherheit, diese Toleranz nicht doch irgendwann zu überschreiten und befürchten zudem Konkurrenznachteile durch verpasste Informationen. Wissenschaftler hingegen nehmen solche Barrieren weniger wahr, was allerdings mit deren geringeren Involviertheit in Familienpflichten zu tun haben dürfte (vgl. Abschnitt 4.3.4). Generell sehen Wissenschaftler ihre familiäre und berufliche Situation als zwei getrennte Bereiche und reflektieren Fragen der Vereinbarkeit weitaus weniger. Daher werden Erfahrungen wie Ent- und Ermutigungen im Zusammenhang mit ihrer Elternschaft kaum thematisiert. Wissenschaftlerinnen hingegen erfahren beide Bereiche als Spannungsfeld. Sie erleben einen permanenten Druck, ihre Leistungen unter Beweis stellen zu müssen, und fürchten selbst dort, wo weitgehendes Verständnis herrscht, diese Toleranz zu überschreiten. Des Weiteren scheint zwar ein Grundverständnis für Familienpflichten vorhanden zu sein, die Vereinbarung beider Bereiche wird jedoch kaum aktiv befürwortet, sondern „einfach nicht als negativ empfunden“ (Naturwissenschaftlerin, alleinerziehend, 2 Kinder). Lediglich eine alleinerziehende Geisteswissenschaftlerin mit zwei Kindern berichtet von ausdrücklichen Ermutigungen in Form von Unterstützungsangeboten und Zuspruch ihrer Professorin, was die Bedeutsamkeit aktiver Bemühungen und Rollenvorbilder unterstreicht. Damit sind Ausmaß an Akzeptanz und Unterstützung immer noch stark von der Sichtweise und Handhabung einzelner Vorgesetzter abhängig.
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Einschätzungen zur Publikationsproduktivität In Abschnitt 4.3.2 wurde gezeigt, dass die Anzahl an Aufsatzveröffentlichungen in Zeitschriften mit Peer-Review-System bei Wissenschaftlerinnen mit Kindern gegenüber kinderlosen Wissenschaftlerinnen geringer ausfällt, während bei Wissenschaftlern eine Elternschaft einen positiven Einfluss auf Aufsatzveröffentlichungen aufweist. Die qualitativen Daten liefern ein recht homogenes Bild zum wahrgenommenen Einfluss einer Elternschaft auf die Publikationsleistung. Dabei wird ein zumeist negativer Einfluss auf die Produktivität festgestellt: „Und wenn ich das vergleiche mit Kollegen, die keine Kinder haben, dann merk ich schon, dass mir pro Jahr also mindestens ein Artikel fehlt oder zwei, oder ab und zu mal ein Buch“ (Rechts/Wirtschafts-/Verwaltungswissenschaftler, partnerschaftl. Familienorganisation, 1 Kind).
Gegenüber den Vätern, die Einschränkungen überwiegend in Unterbrechungen der Arbeit durch Betreuungspflichten sehen, führen gerade alleinerziehende Wissenschaftlerinnen ihre als deutlich geringer eingeschätzte Publikationsleistung zum einen auf den permanent vorhandenen Zeitstress zurück: „es blieb einfach nicht für noch etwas dazu Zeit, also eben dann zu schauen, was könnte ich jetzt da rausnehmen und als Aufsatz irgendwie veröffentlichen und wo überhaupt“ (Geisteswissenschaftlerin, alleinerziehend, 2 Kinder).
Ferner zeigt sich, dass sich Wissenschaftlerinnen von vorneherein nicht auf die in der Wissenschaft vorherrschenden Publikationsansprüche „einlassen“. Dies steht oftmals in Zusammenhang mit Unsicherheiten dahingehend, ob ein weiterer wissenschaftlicher Aufstieg erreichbar ist. Demzufolge sind sich Wissenschaftlerinnen den Publikationsanforderungen mehr als bewusst. Im Fall einer alleinerziehenden Wissenschaftlerin fällt die Entscheidung gegen eine Habilitation gerade aufgrund der hierfür bestehenden Voraussetzung genügend vieler Publikationen. So habe ihr ehemaliger Vorgesetzter als Voraussetzung die Daumenzahl von mindestens zehn Publikationen genannt (Naturwissenschaftlerin, alleinerziehend, 2 Kinder). Demnach fungiert neben der tatsächlichen Publikationsleistung der vor allem von den Wissenschaftlerinnen oftmals im Zusammenhang mit einem weiteren wissenschaftlichen Aufstieg gesehene und vorgelebte Publikationsdruck als Ausschlussmechanismus aus der Wissenschaft. Entscheidungen gegen eine weitere wissenschaftliche Laufbahn gehen insbesondere bei Müttern mit zeitlichen Überforderungsgefühlen einher, die sich gewissermaßen aus Selbstschutz gegen solche gängigen Praktiken des Wissenschaftssystems entscheiden und berufliche Einbußen in Kauf nehmen.197 Ursächlich hier197 Dies zeigten bereits die Wahrnehmungen der beruflichen Situation zu Beginn dieses Abschnitts.
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für scheint der Glaube an den Wissenschaftsmythos (Abschnitt 2.3.2) in Zusammenhang mit fehlenden Ermutigungen zu sein. Dies bedeutet, dass vor allem Mütter, die im Familienbereich auf sich allein gestellt sind, die Vereinbarkeit von Wissenschaft und privatem Lebensbereich nach wie vor als Additionsmodell (vgl. Radisch 2006) erleben und daher nicht allen Anforderungen entsprechen können. Diese Wissenschaftlerinnen konzentrieren sich auf die von Berufs wegen erforderlichen Tätigkeiten (z.B. Projekte, Lehre, Verwaltung, Betreuung), die sie zeitlich bewältigen können, und entscheiden sich bewusst gegen Tätigkeiten, die weniger dringlich erscheinen und deren erfolgreichen Abschluss sie gefährdet sehen. Somit beugen sie antizipierten „persönlichen Niederlagen“ vor. In dieser Verhaltensweise, die sich gerade in Veröffentlichungsinvestitionen niederschlägt, spiegeln sich mehrere Barrieren wider: fehlende zeitliche Ressourcen, fehlende Ermutigungen oder gar Entmutigungen und weniger langfristig ausgerichtete Karriereorientierung sowie der zumindest in den Köpfen der Wissenschaftlerinnen bestehende Glaube an die wissenschaftliche Leitidee des publish or perish. Dies gilt besonders für die Naturwissenschaften, wo man durch schnelle und möglichst viele Veröffentlichungen seine Profilierung vorantreibt und „dem anderen vielleicht doch eins ausgewischt“ hat (Naturwissenschaftler, partnerschaftl. Familienorganisation, 1 Kind). Wissenschaftlerinnen, die dennoch versuchen, möglichst viel zu veröffentlichen, erleben sich selbst gemessen an kinderlosen Forschenden als weniger produktiv, versuchen jedoch, ihre Publikationsleistung vor dem Hintergrund familiärer Zeitinvestitionen zu sehen. Dies ist aufgrund der gängigen Publikationskultur nicht immer erfolgreich und zudem sehr anstrengend. Auch Wissenschaftler sehen diese Publikationspraxis kritisch und fühlen sich gegenüber kinderlosen Forschenden zeitlich benachteiligt. Da sie jedoch mehr Zeit in die wissenschaftliche Tätigkeit investieren (können) als Mütter, ist die subjektiv wahrgenommene Benachteiligung weniger offensichtlich. Dies zeigt – wie bereits bei den Analysen zur Publikationsproduktivität vermutet –, dass Mütter aufgrund der hohen zeitlichen Beanspruchung im Familienbereich keine weiteren Ressourcen sehen, um Publikationen voranzutreiben. Väter geben hingegen ihrer wissenschaftlichen Tätigkeit und der Veröffentlichung von Aufsätzen Vorrang, sind aber dennoch unzufrieden, weil sie befürchten, im Vergleich zu kinderlosen Forschenden, ins Hintertreffen zu geraten. Mütter und Väter betonen, dass es wichtig ist, mit wem man sich vergleicht, um die eigene Leistung abschätzen zu können. Inwieweit die Situation von Eltern bei der Bewertung des Leistungskriteriums „Produktivität“ bei Rekrutierungsprozessen im wissenschaftlichen Karriereverlauf tatsächlich berücksichtigt wird, ist allerdings fraglich.
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Wahrnehmungen von Anforderungen des Wissenschaftssystems In engem Zusammenhang mit Leistungsanforderungen und der Akzeptanz flexibler Arbeitsbedingungen ist auch die generelle Wahrnehmung der zeitlichen Ansprüche an eine wissenschaftliche Laufbahn zu sehen. Hierbei wird deutlich, dass auch bei vorhandener Flexibilität fachliche Anforderungen und Arbeitsumfänge so gelagert sind, dass eine Rundumverfügung der Forschenden dennoch mitgedacht ist. Als Folge müssen sich die Eltern und – aufgrund ihrer stärkeren Involviertheit im Familienbereich – speziell die Mütter „abstrampeln, um dem gerecht zu werden“ (Naturwissenschaftlerin, tradit. Familienorganisation, 1 Kind). Bei Vätern und Müttern wird dies in Bezug auf die Ausübung einer Teilzeittätigkeit gleichermaßen deutlich, die lediglich eine Reduktion des Gehalts, nicht jedoch der Arbeitszeit bedeute. Ähnlich argumentiert eine ebenfalls in Teilzeit angestellte Naturwissenschaftlerin mit partnerschaftlicher Familienorganisation, die ihren starken Zeitstress darauf zurückführt, dass sie versuche, Tätigkeiten, die sie zuvor mit 100 Prozent plus Überstunden gemacht habe, in deutlich kürzerer Zeit weiterhin durchzuziehen. Wissenschaftler erfahren die hohen zeitlichen Anforderungen als Barriere für ihre berufliche Entwicklung und thematisieren insbesondere die ihnen gegenüber kinderlosen Wissenschaftlern fehlenden Arbeitsstunden sowie Einschränkungen beim Besuch von Abendterminen. Ganz deutlich zeigt sich dies in der Äußerung eines Naturwissenschaftlers mit partnerschaftlicher Familienorganisation, der bedauert, aufgrund des Kindes kein „Vollblutwissenschaftler“ mehr sein zu können, da er nicht mehr von acht Uhr morgens bis spät abends arbeiten könne, sehr viel zu arbeiten aber eigentlich zu einer naturwissenschaftlichen Karriere dazugehöre. Im Zusammenhang mit den beruflichen Zeitansprüchen sehen außerdem beide Geschlechter beträchtliche Karrierehemmnisse durch die große notwendige Anstrengung und zugleich fehlende „Power“, besonders bei Aufgaben, die spät abends erledigt werden müssen.198 Als weitere Hürden werden die für die Erreichung einer Professur vorherrschenden Mobilitätsansprüche sowie die an Universitäten gängige Befristungskultur und die damit einhergehende Planungsunsicherheit und finanzielle Unabwägbarkeiten angesehen. Dabei werden die hohen Anforderungen an die räumliche Mobilität insbesondere von Vätern als problematisch wahrgenommen. Die Notwendigkeit von Mobilität wird dabei allerdings nicht durchweg als Voraussetzung auf dem Weg zur Professur betrachtet, sondern häufig in Zusammenhang mit der generell schlechten Stellensituation und den befristeten Arbeitsverträgen gebracht: „Also ich kann mich nicht mehr auf wirklich jede Stelle in der Welt bewerben oder in Europa, sondern, wenns im Ausland ist, dann muss es zumindest so sein, dass man kurzfristig irgendwo, na ja, mit Pendeln das Ganze überbrücken könnte. Also die Stelle könnte nicht mehr überall sein. So und das schränkt mich schon ein bisschen ein und ich hab schon das Gefühl, äh, dass ich natürlich 198 Vgl. dazu auch Abschnitt 4.3.4.
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Postdocphase: Vereinbarkeit von Wissenschaft und Familie jetzt durch die neue Situation mit Familie seit fünf Jahren, äh, ich am Fortkommen schon ein bisschen gehindert bin“ (Rechts-/Wirtschafts-/Verwaltungswissenschaftler, partnerschaftl. Familienorganisation, 1 Kind).
Die Befristungskultur im Wissenschaftsbereich und die damit einhergehende Planungsunsicherheit werden gerade von Vätern als problematisch angesehen. In diesem Zusammenhang werden sowohl Befürchtungen wie das Auffinden „guter Stellen“ als auch fehlende Möglichkeiten finanzieller Absicherungen oder die nach wie vor gültige Zwölf-Jahres-Regelung geäußert. Diese Hürden sind für einige Wissenschaftler so hoch, dass sie trotz ihres Wunsches nach einer Professur einer sicheren Position in der Wirtschaft den Vorzug geben würden. Demnach begünstigt die Beschaffenheit des Wissenschaftssystems nicht nur die Abwanderung von Müttern, sondern auch von Vätern. Die stärkere Problematisierung dieser Faktoren von Vätern scheint auf deren Selbstwahrnehmung als Ernährer der Familie zurückzuführen zu sein. Mütter hingegen stellen offenbar deutlich geringere Ansprüche. Sie erleben es oftmals bereits als zufriedenstellend, trotz Kinder überhaupt noch im universitären Bereich tätig sein zu können: „Die relative Sicherheit, also auch finanzielle Sicherheit, auch wenns nur für ein Jahr erstmal ist, eine feste Stelle macht natürlich auch so unheimlich viel (lacht) mmh mit dem eigenen Gefühl. man gerät nicht so schnell in Stress, auch wenn vielleicht mal viel zu tun ist, weil man einfach ne gewisse Sicherheit hat, während man, wenn man von einem, von einem Stündchen Unterricht zum nächsten hetzen muss und und weiß genau, dass man ahm, dann danach, auch nach dem, für den nächsten Monat suchen muss, dann ist man, ist man irgendwie, in ner, in ner ganz anderen Verfassung, weil man ständig sich Sorgen macht, wie´s weiter geht. (…) Im Moment bin ich, bin ich schon sehr zufrieden, ahm, aber ohne eine feste Anstellung war es überhaupt nicht gut. Also es ist schon so, dass die, sozusagen die Existenzsorgen immer das Schlimmste waren so in der Zeit“ (Geisteswissenschaftlerin, alleinerziehend, 2 Kinder).
Des Weiteren geht das geringere Problembewusstsein bzw. die höhere Zufriedenheit mancher Wissenschaftlerinnen – wie auch im oben zitierten Fall – mit ihrer beruflichen Umorientierung von forschungsbetonten Positionen zu Lehr- und Betreuungstätigkeiten einher.199 In diesen Fällen scheint zumindest der Druck in Form von zeitlichen Anforderungen und Leistungsdemonstration deutlich gemildert, auch wenn diese Anstellungen oftmals ebenfalls keine sichere langfristige Perspektive bieten. Insgesamt wird deutlich, dass auch formal vorhandene Möglichkeiten flexibler Arbeitsstrukturen und Teilzeittätigkeiten mit der Praxis wissenschaftlichen Arbeitens kollidieren, die sich immer noch stark an den Möglichkeiten ständiger Verfügbarkeit kinderloser Wissenschaftler als Leitbild orientiert. Diese formalen Möglichkeiten sind demnach Grundvoraussetzungen für eine gelingende Vereinbarkeit bei199 Dies zeigte sich auch bei den Einschätzungen zur Publikationsproduktivität (in diesem Abschnitt) und den in Abschnitt 4.4.4 angeführten Wahrnehmungen der Lebenssituation.
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der Lebensbereiche, verfehlen ihre Wirkung jedoch bisher aufgrund der im Wissenschaftsalltag vorherrschenden Leistungsnormen. 4.4.3 Familiäre Situation Auswirkungen auf Kinder Wie im vorigen Abschnitt deutlich wurde, erfahren Wissenschaftlerinnen stärkere Konflikte in Bezug auf die Sicherstellung einer guten Versorgung ihrer Kinder. Welche Nach-, aber auch Vorteile für die Kinder von den Elternteilen wahrgenommen werden, wird in Ergänzung zu den faktisch greifbaren Auswirkungen auf Kinder (Abschnitt 4.3.3) nachfolgend dargestellt. Dabei finden sich grundsätzlich Erfahrungen, die auf eine soziale und kognitive wie auch persönliche Dimension Bezug nehmen. Auf einer sozialen Ebene sehen sowohl Mütter als auch Väter durch die Betreuung ihrer Kinder in Einrichtungen überwiegend Vorteile für ihre Kinder. Während Mütter vorteilhafte Aspekte wie den Kontakt zu anderen Kindern jedoch überwiegend auf einer sehr allgemeinen Ebene hervorheben, betonen Väter stärker den konkreten Nutzen ihrer Kinder, den sie in der Steigerung deren Sozialkompetenz, der Freude und dem Spaß im Spiel mit anderen Kindern sehen: „Die Tagesmutter ist super und dann lernt sie, spielt sie auch mit anderen Kindern zusammen. Das ist, find ich, eigentlich sehr gut, also macht ihr auch Spaß“ (Rechts-/Wirtschafts-/Verwaltungswissenschaftler, umgekehrt tradit. Familienorganisation, 1 Kind).
Nachteile bestehen dennoch in der mangelnden Zeit für ihre Kinder, die sich nach Ansicht der Mütter vor allem in einer stärkeren „Außenorientierung“ der Kinder zeigt, wodurch die Gesprächsbasis zwischen Kind und Elternteil beeinträchtigt ist. Der Eindruck, dass die Kinder (mehr) gemeinsame Zeit mit den Eltern vermissen, besteht bei beiden Geschlechtern, zeigt sich jedoch nur in einem Fall an konkreten Hinweisen für Trennungsschmerz: „Also gerade letzten Sommer, da war ich längere Zeit im Ausland tätig und meine Frau ist mit meiner Schwägerin und deren Familie und dem Kleinen natürlich unterwegs gewesen und der hat die-, meine Frau, überhaupt nicht losgelassen, den ganzen Urlaub nicht, die ist wahnsinnig geworden, also die hat überhaupt null Erholung gehabt. Und das hing damit zusammen, dass der Kleine meine Schwägerin immer damit assoziiert hat, jetzt geht die Mama weg, ja. Und deshalb hat er die Mama nicht mehr losgelassen. Und ich denke, das ist für so einen kleinen Kerl schon hart, ja“ (Naturwissenschaftler, partnerschaftl. Familienorganisation, 1 Kind).
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Auch die hohen Mobilitätsanforderungen werden als Belastung für die Kinder angesehen. Einen kompletten Wechsel des sozialen Umfelds wollen die Eltern ihren Kindern nicht zu oft zumuten. Auf einer kognitiven Ebene sehen überwiegend Mütter einen Vorteil für ihre Kinder in der Vorbildfunktion, die sie ihrer Meinung nach ausüben. So könnten ihre Kinder einmal besser vorbereitet in „dieses Doppelpack reingehen“ (Geisteswissenschaftlerin, alleinerziehend, 1 Kind). Auf der anderen Seite sind sowohl Mütter als auch Väter der Meinung, dass die Kinder oftmals nicht erkennen könnten, ob die Mutter oder der Vater nun gerade arbeitet oder nicht. Diese mangelnde Trennung zwischen beiden Bereichen, verbunden mit der Erfahrung der Kinder, dass die Arbeit der Eltern nie aufhört und diese immer wieder versuchten, noch eine Stunde für die Arbeit „rauszuschinden“, eine Belastung für die Kinder darstelle (Geisteswissenschaftlerin, alleinerziehend, 1 Kind). Insbesondere in partnerschaftlichen Organisationsmodellen wird außerdem positiv herausgestellt, dass die Kinder sich und beide Elternteile als Familie erleben und zu beiden Elternteilen auch engen Kontakt pflegen könnten: „Ich denke, dass der Vorteil, den sie hat, dass einmal den Wechsel von uns beiden und wir freuen uns jedes Mal, sie zu sehen, wenn wir nach Hause kommen, und das merkt sie (…) das ist für sie ganz toll. Sie weiß zwar, dass der andere geht gleich, aber es ist trotzdem, ich denke es ist ein großer Vorteil eigentlich, ja (2.0) dass beide Eltern erwerbstätig sind und auch beide auch um sie kümmern“ (Naturwissenschaftler, partnerschaftl. Familienorganisation, 1 Kind).
Des Weiteren sehen die befragten Eltern Vorteile, die die Persönlichkeit des Kindes betrifft. So seien die Kinder schon früher selbstständig und selbstbewusster und erhielten durch das Vorbild der Eltern außerdem einen Anreiz „in Richtung Selbstverwirklichung und Entfaltung“ (Naturwissenschaftlerin, alleinerziehend, 2 Kinder). Zufriedenheit mit Kinderbetreuungsmöglichkeiten Generell werden die Möglichkeiten der Kinderbetreuung als zuträglich für das Kind empfunden. Besonders die universitären Angebote werden als zufriedenstellend wahrgenommen (Tabelle 28). Positive Aspekte umfassen in erster Linie Einschätzungen der Betreuungsqualität, die mit einem guten Vertrauensverhältnis einhergeht. Dabei scheint das Vertrauen des Kindes gegenüber den Betreuungspersonen ebenso wichtig wie das Vertrauen der Eltern in deren Kompetenzen. Auch die wechselseitige Ablösungsphase von Elternteil und Kind wird als unproblematisch empfunden. Positiv erlebt werden vor allem die Eingewöhnungsphase bei Knirps und Co., bei der Kinder zunächst nur stundenweise oder halbtags in der Einrichtung betreut werden. Die skeptischere Einschätzung der Notfallbetreuung geht mit einem Informationsdefizit einher. Positiv hervorgehoben wird die räumliche Nähe
195
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der beiden Einrichtungen zum Wohn- bzw. Arbeitsort. Die hierdurch tägliche Zeitersparnis erweist sich als entscheidend für die Zufriedenheit der Eltern. Auch die schnelle Erreichbarkeit der Kinder begünstigt die Ablösungsphase. Weiterhin wird der bisherige Ausbau positiv zur Kenntnis genommen, gleichzeitig jedoch die Dringlichkeit größerer Kapazitäten und der Unterbringung auch älterer Kinder betont. Die bei beiden Einrichtungen festen Abholzeiten und Betreuungsumfänge werden unterschiedlich bewertet, was individuelle Bedürfnisse unterstreicht. Tabelle 28: Zufriedenheit mit universitären Kinderbetreuungseinrichtungen Knirps u. Co. Qualität (Vertrauen)
+ Kind "sehr gut +
Ablösung / Eltern-Kind Beziehung
aufgehoben" Guter Ruf
+ Gut durch + + o
Räumliche Nähe
+ +
Soziale Ebene
+ +
+ + + o
Eingewöhnungsphase Gut durch Einstieg mit Halbtagsplatz Zeit für Kind ausreichend Gut wenn Vorerfahrung vorhanden Vorh.: Zeitersparnis Schnelle Erreichbarkeit vom Arbeitsplatz Kontakte zu anderen Eltern Gegenseitige
Notfallbetreuung von Knirps u. Co. Ausgebildete Betreuerinnen Guter Umgang mit Kind vom Kind sofort angenommen Eigene Betreuung trotz Stress bevorzugt
+ +
Kindergarten Sonnenbühl Gute Betreuung Gute Erzieherinnen
+ Halbtagesplatz möglich + Ausreichend Arbeitszeit u. genügend Zeit fürs Kind
+ Vorh.: Zeitersparnis + Fördert Unabhängigkeit des Kindes
Unterstützung Angebot
Flexibilität
+ Bereits ausgebaut - Ausbau notwendig - Adäquatere Planung -
der Ausstattung Nur bis 3 Jahre Platzerhalt = Zufall Feste Abholzeiten
-
+ + -
Information durch Zufall erfolgt Details nicht bekannt Kapazitäten erhöhen
+ Auch Plätze für
Schnelle Hilfe erfolgt Schnelle Hilfe = Zufall Von 7h - 20h mögl. 7h - 20h "wird keiner machen"
+ Flexible Nutzung
Legende: + = „positiv“; - = „negativ“; o = „neutral“.
Zweijährige
Ganztagesplatz
+ Abholzeit bis max. 17h - Abholzeit bis 17h als "muss"
196
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Außeruniversitäre Einrichtungen werden etwas verhaltener beurteilt. Eher negativ gesehen werden die Gestaltung der Ablösungsphase und die Betreuungsqualität aufgrund des teilweise verschulten Charakters.200 Das Platzangebot wird analog zu universitären Einrichtungen bemängelt und auch die langen Wartezeiten negativ hervorgehoben. Mit dem zeitlichen Betreuungsumfang lässt sich hingegen eine hohe Zufriedenheit feststellen, da häufig Ganztagsangebote vorliegen (bis etwa 17 Uhr). Gravierende Mängel zeigen sich besonders bei der Betreuungsleistung durch Schulen. Generell werden mangelnde Ganztagesschulen negativ erwähnt und auch die unzureichende Qualität vor allem an Nachmittags- und Hausaufgabenbetreuung kritisiert. Darüber hinaus führen unregelmäßige Schulzeiten und häufige Ausfallzeiten zu weiteren Problemen, da die Eltern in diesen Fällen die Hausaufgabenbetreuung übernehmen müssen, die dann zu ungünstigen Zeiten am Abend stattfinden muss. 4.4.4 Lebenssituation und Verbesserungswünsche Einschätzungen der Kinderbetreuungs-, aber auch der Berufssituation hängen oftmals mit generellen Überzeugungen der Aufgabenverteilung zwischen den Geschlechtern zusammen, die auf normativen Geschlechtsrollenerwartungen basieren (vgl. Abschnitt 2.1.2). Die vorliegenden Daten zeigen in den meisten Fällen eine stärkere Involviertheit der Mütter in die Kinderbetreuung, während sich Väter stärker auf ihre berufliche Entwicklung konzentrieren. Doch wie zufrieden sind die befragten Mütter und Väter mit der Erfüllung der vorherrschenden Anforderungen an ihr Wissenschaftler- und Elterndasein? Welche Schwierigkeiten und Konflikte werden durch die jeweiligen Situationen hervorgerufen? Hinsichtlich der grundsätzlichen Vorstellungen und Aspirationen geben alle befragten Mütter unabhängig von der praktizierten Familienorganisation ausdrücklich an, beides zu wollen: Familie und Beruf. Dabei sehen einige die durch die wissenschaftliche Tätigkeit gegebene „eigene Erfüllung im Leben“ als notwendige Voraussetzung für eine „gute“ Erfüllung der Elternrolle (Geisteswissenschaftlerin, alleinerziehend, 2 Kinder). Von den Vätern wird dieses Argument im Falle einer umgekehrt traditionellen Familienorganisation ebenfalls aufgegriffen, doch auch bei anderen Familienorganisationen thematisieren die Väter zumindest ihr Bedürfnis nach gemeinsamer Zeit mit ihrem Kind. Daraus resultieren Wünsche wie keine Wochenendbeziehung führen oder das Wochenende als Familienzeit nützen zu wollen. Demnach finden sich Unterschiede zwischen den Geschlechtern nicht in grundsätzlichen Bedürfnissen, sondern im Ausmaß, in dem sich die Forschenden in beiden Bereichen einbringen wollen. Dabei zeigt sich für die Väter – zumindest hin200 Die Aussagen beziehen sich teilweise auf Einrichtungen außerhalb Konstanz, da die Befragten im Zuge von Arbeitsplatzwechseln bereits Erfahrungen in unterschiedlichen Regionen gemacht haben.
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sichtlich privater Aushandlungsprozesse – eine scheinbar größere Wahlmöglichkeit, was den Grad ihrer Zuständigkeit im Familienbereich betrifft, wobei sich die befragten Wissenschaftlerinnen, doch auch die Partnerinnen der befragten Wissenschaftler häufig zumindest für eine vorübergehende berufliche Auszeit zugunsten des Kindes entscheiden. Damit orientieren sich beide Geschlechter tendenziell weiterhin an traditionellen Leitbildern, die wenig verhandelbar erscheinen. In der Alltagsrealität erleben Wissenschaftlerinnen ihre Situation unabhängig von der praktizierten Familienorganisation äußerst ambivalent. Auf der einen Seite äußern alle Wissenschaftlerinnen ihr „schlechtes Gewissen“ sowohl gegenüber ihrer Mutterrolle als auch gegenüber ihrer Rolle als Wissenschaftlerin, wobei alleinerziehende Mütter hiervon stärker betroffen sind. Auf der anderen Seite besteht eine große Zufriedenheit, teilweise sogar Genugtuung, beide Lebensbereiche grundsätzlich realisieren zu können, auch wenn dies mit großen Anstrengungen und Kompromissen verbunden ist. Folgende Aussagen verdeutlichen den Leistungsund Zeit- und mitunter Termindruck, der zu solchen Gewissensbissen führt: „Wir arbeiten ja beide nur Teilzeit, müssen aber trotzdem in unseren Projekten vorankommen. Wir wollen uns aber, wenn wir auf unsere Tochter aufpassen, nicht ständig über die Arbeit Gedanken machen. Somit wechsele ich ständig zwischen Vollgas auf der Autobahn (Arbeit) und Sonntagsausfahrt (zu Hause) hin und her. Vorteile sind, dass es einfach schön ist, das Familienleben genießen zu können und trotzdem in der Forschung weiterzukommen, Nachteile, dass ständig ein schlechtes Gewissen an einem nagt und dass es manchmal sehr anstrengend ist, ständig die Rollen zu tauschen“ (Naturwissenschaftlerin, partnerschaftl. Familienorganisation, 1 Kind). „Man hat immer schlechtes Gewissen, entweder man hat schlechtes Gewissen, weil man nicht bei den Kindern ist, oder man hat schlechtes Gewissen, weil man nicht, weil man nicht beim Arbeiten ist, oder bei der Wissenschaft ist. (…) Also ich, ähm, (2.5) ich musste manchmal gehen und es hat mir wahnsinnig leid getan, dass ich gehen musste. Aber ich habe einfach da die Entscheidung getroffen und äh habe es dann so, so auch dann konsequent durchgezogen. (…) Aber mit schlechtem Gewissen muss man umgehen können. Genauso wie wenn man dann geht, und eigentlich müsste man noch ins Fachbereichsseminar um 17 Uhr, aber, aber es steht das Kind draußen auf der, und äh, ist grade fertig mit, Karate oder Ballett oder sonst was und das muss man dann abholen. Also dann drückt man sich so unauffällig weg und hat dann auch wieder schlechtes Gewissen, aber mit der Zeit gewöhnt, gewöhnt man sich daran (lacht)“ (Naturwissenschaftlerin, alleinerziehend, 2 Kinder)
Auffallenderweise treten solche Schuldgefühle der Mütter gegenüber dem Kind unabhängig von den praktizierten Betreuungsmodellen oder der Inanspruchnahme institutioneller Betreuungsangebote auf. Lediglich eine alleinerziehende Naturwissenschaftlerin weist ausdrücklich darauf hin, dass sie keine Probleme damit habe, dass ihr Kind fast den ganzen Tag in einer Einrichtung betreut werde, was sie jedoch auf die sukzessive Steigerung der Betreuungszeit zurückführt. Eine institutionelle Betreuung des Kindes mit einem Ganztagesplatz zu beginnen, wäre für sie hingegen wahrscheinlich sogar „schwieriger als fürs Kind“. Auch die anderen Mütter erachten eine nur langsame Ausdehnung der Betreuungszeit als unbedingt not-
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wendig, doch bleibt bei ihnen dennoch das ungute Gefühl, den Kindern zu viel zuzumuten, wohlwissend, dass eine Tätigkeit im wissenschaftlichen Bereich anders kaum möglich ist. „Als ich dann angefangen hab zu promovieren, denk ich, dass ich da genügend Rabenmutter war, um die Kontaktpflege zu anderen Wissenschaftlern nicht unter den Tisch fallen zu lassen (…) und da hab ich eigentlich nie aufgehört, da (2.0) rücksichtslos zu sein den Kindern gegenüber“ (Naturwissenschaftlerin, alleinerziehend, 2 Kinder).
Dies verdeutlicht einmal mehr die für Wissenschaftlerinnen bestehenden Schwierigkeiten bei der Vereinbarkeit beider Lebensbereiche, die insbesondere aus dem Wissenschaftsmythos, wonach sich ein Wissenschaftler rund um die Uhr der Wissenschaft widmet, resultieren und beachtliche innere Konflikte auslösen. Die gegenüber Wissenschaftlern geringere Karriereorientierung ist daher als Folge dieser überhöhten Ansprüche erklärbar und begünstigt eine Abwendung der Mütter von der Wissenschaft. Doch auch außerhalb der Universität haben Mütter soziale Drucksituationen erlebt, die ihren Umgang mit dem Kind missbilligen.201 So berichtet eine alleinerziehende Geisteswissenschaftlerin, sich während ihres Aufenthalts in der Schweiz als einzige Mutter nie um Schulprojekte oder -ausflüge kümmern zu können oder auch die einzige Mutter im Viertel gewesen zu sein, die ihr Kind in einer Krippe betreuen lässt. Bei anderen Wissenschaftlerinnen wurden solche Drucksituationen durch Eltern der Freunde der Kinder oder auch die ablehnende Haltung des Leiters eines kirchlichen Kindergartens hervorgerufen, der die Nachfrage nach Betreuungsangeboten über die Mittagszeit mit der Bemerkung „dann ziehen wir uns ja Schlüsselkinder heran, das wollen wir nicht“ abgewiesen hatte (Geisteswissenschaftlerin, alleinerziehend, 2 Kinder). Erschwert wird dies zudem, sofern Wissenschaftlerinnen die Aufgabenverteilung im Haushalt und auch das Bedürfnis nach Familienzeiten in ihren Partnerschaften immer wieder neu aushandeln bzw. durchsetzen müssen. Demnach fehlt den Wissenschaftlerinnen häufig eine Bestärkung ihrer Lebensform, in manchen Fällen sogar die Toleranz und Akzeptanz derselben. Das schlechte Gewissen gegenüber ihrer wissenschaftlichen Tätigkeit fällt dann besonders ausgeprägt aus, wenn die Wissenschaftlerinnen eine Professur anstreben und daher das Gefühl haben, den hohen Zeit- und Leistungsansprüchen kaum gerecht werden zu können. Demnach scheinen die Erfahrungen und Reflexion des eigenen Handelns hochgradig vom sozialen Umfeld der Befragten abhängig, das als Formen symbolischer Gewalt (vgl. Abschnitt 2.3.2) zu den beschriebenen Auswirkungen führt. Umgekehrt verhält sich dies, sofern Mütter inzwischen ausschließlich einer Lehrverpflichtung nachgehen oder die Professur nicht (weiter) als ihr Berufsziel definieren. Dann sind insbesondere zeitliche Anforderungen klarer begrenzt, Anforde201 Zu Erfahrungen im universitären Bereich vgl. Abschnitt 4.4.2.
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rungen, die über die eigentliche Tätigkeit hinausgehen, geringer (Sichtbarkeit, Publikationsquoten). Gleichzeitig tritt die subjektive Bedeutung einer überwiegend wissenschaftlich geprägten Universitätskarriere in den Hintergrund und wird teilweise sogar ersetzt durch die Funktion als Vorbild gerade für Studentinnen. „Sobald man irgendwie in der Lehre auftritt, hat man Vorbildfunktion für die Mädels (…) und ich denk, es ist unglaublich wichtig, dass die Frauen auftreten an der Uni, damit sich überhaupt so diese Vorstellung entwickeln kann bei den Mädels, das das ist normal, dass wir auch Professor werden. Ja, ich wird jetzt kein Professor mehr, aber das muss ja keiner wissen <schmunzelt>“ (Naturwissenschaftlerin, alleinerziehend, 2 Kinder).
Entgegen der Mütter erleben die befragten Wissenschaftler ihre Situation weniger ambivalent. Keiner der Wissenschaftler benennt Gewissenskonflikte hinsichtlich der mangelnden gemeinsamen Zeit mit ihrem Kind, auch wenn das Bedürfnis nach mehr Zeit für das Kind durchaus angesprochen wird. In einigen Fällen scheint vielmehr die Mehrbelastung der Partnerin ein unbefriedigendes Gefühl hervorzurufen. „Meine Frau erledigt derzeit fast alle Hausarbeiten und deutlich mehr Kinderbetreuung als ich. Sie empfindet das als unbefriedigend und ich auch“ (Rechts-/Wirtschafts-/Verwaltungswissenschaftler, partnerschaftl. Familienorganisation, 2 Kinder).
Das Ausbleiben von Gewissenskonflikten gegenüber den Kindern lässt sich mit der zumindest grundlegend rollenkonformen Orientierung der Wissenschaftler an traditionellen Leitbildern erklären, ihre Beteiligung an Familienaufgaben erscheint daher eher als positiv einzuschätzende Zugabe und scheint weder von der Gesellschaft noch von der Partnerin erwartet zu werden. Dennoch finden sich insbesondere in den Rechtfertigungen der Wissenschaftler Hinweise, dass traditionelle Rollenvorstellungen nicht mehr als natürlich oder nicht hinterfragbar angesehen werden. So verweisen die Wissenschaftler insbesondere auf drei Faktoren: einerseits auf die der Rollenaufteilung vorausgegangenen Gespräche mit ihren Partnerinnen und die gemeinsame Entscheidung für die jeweils praktizierten Organisationsformen. „Also ich hab da kein schlechtes Gewissen. Wir hatten es nicht nur so besprochen, sondern es war eine beidseitige Entscheidung von meiner Frau und mir, dass sie zu Hause bleibt und ich weiter an meiner Karriere feile“ (Naturwissenschaftler, tradit. Familienorganisation, 3 Kinder).
Andererseits wissen sie die Kinder während ihrer Arbeitszeit gut aufgehoben. Hier finden sich unabhängig vom gelebten Betreuungsmodell keine negativen Gefühle, sofern die Eingewöhnungsphase erfolgreich verlaufen ist. Des Weiteren werden häufig die hohen beruflichen Ansprüche benannt, die es nur durch die Einhaltung eines genauen Zeitplans ermöglichen, abends überhaupt noch ein wenig Zeit mit dem Kind zu verbringen. Dabei wird insbesondere durch die wissenschaftliche Praxis kinderloser Forschender ein sozialer Druck erzeugt:
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Die gemeinsame Zeit mit den Kindern wird von den Wissenschaftlern als wichtig und äußerst zufriedenstellend angesehen. Man erkennt eine hohe Wertschätzung der mit den Kindern verbrachten Zeit, die besonders intensiv erlebt wird. Zudem versuchen viele Väter – wie bereits in Abschnitt 4.3.4 ersichtlich – insbesondere die Priorität am Wochenende verstärkt auf die Familie zu setzen. Sie weichen Tagungen und Kongressen am Wochenende entweder aus oder empfinden Veranstaltungen und Arbeitszeiten am Wochenende als Verlust der wertvollen Familienzeit: „Ja, beziehungsweise ich will’s nicht akzeptieren, dass ich am Wochenende arbeite, sondern die Zeit muss frei sein für Familie“ (Rechts-/Wirtschafts-/Verwaltungswissenschaftler, partnerschaftl. Familienorganisation, 1 Kind).
In diesem Zusammenhang betrachten Wissenschaftler vor allem auch die Anforderungen an ihre Mobilität als problematisch, da sie hierdurch die in ihren Augen notwendige Möglichkeit, ihr Kind wenigstens täglich zu sehen, gefährdet sehen oder aber berufliche Einbußen in Kauf nehmen müssen. Hinsichtlich der Erfüllung ihrer Vaterrolle besteht ein weiterer Unterschied zu den Erfahrungen der Mütter. So berichten Wissenschaftler häufig von positiven, bestätigenden Erfahrungen aus ihrem gesellschaftlichen Umfeld, was diese als Befürwortung dafür sehen, sich (auch) als Vater aktiv um ihre Kinder zu kümmern: „Also die Leute, wenn man mit dem Kind auf dem Arm ankommt, gerade als Mann, wird man sofort angelächelt. Also man kriegt auch Platz gemacht, passiert mir häufig. Also das Feedback ist sehr, sehr positiv“ (Naturwissenschaftler, partnerschaftl. Familienorganisation, 1 Kind).
Insofern erleben Wissenschaftler ihre Vaterschaft überwiegend positiv. Sie finden es zwar schade, nicht mehr Zeit mit der Familie verbringen zu können, ein schlechtes Gewissen entsteht jedoch nicht. Dies verhält sich jedoch umgekehrt, was die Ausübung ihrer Funktion als Wissenschaftler betrifft. So erleben die Befragten die Einhaltung ihres Zeitplans bei der Arbeit als große Belastung, berichten von fehlenden Arbeitsstunden und dem Druck besonders effizienter Arbeitsweisen. Dabei fühlen sie sich nicht als gleichwertig mit kinderlosen Forschenden, deren längeren Arbeitszeiten als normal angesehen werden, wodurch auch für die Väter ein hoher sozialer Druck entsteht. So werden etwa berufliche Misserfolge der Wissenschaftler auf ihre vergleichsweise kürzeren Arbeitszeiten zurückgeführt:
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„Also das schlechte Gewissen habe ich nach wie vor äh es sind durchaus Gedanken, die mich sozusagen in .hh Stunden, in denen es etwas trüber ist, also ma- man hat manchmal so Wochen, wo halt irgendwie nichts funktioniert. Entweder man kriegt einen Projektantrag nicht durch oder eine Publikation oder man kommt mit irgendwas nicht weiter, man zweif- man verzweifelt irgendwie, ja? Äh und da sind so Gedanken natürlich besonders schwer. Ja? Weil man irgendwie das Gefühl hat äh die machen alle so viel und ich mache so wenig“ (Rechts-/Wirtschafts-/Verwaltungswissenschaftler, partnerschaftl. Familienorganisation, 1 Kind).
Diese Gewissensbisse scheinen mindestens ebenso stark zu sein wie bei den Wissenschaftlerinnen, obwohl die Wissenschaftler vergleichsweise mehr Zeit in die berufliche Tätigkeit investieren. Beide erfahren gewissermaßen Konflikte, die auf die hohen und wenig familienfreundlichen Strukturen des Wissenschaftssystems zurückzuführen sind. Die Ausübung ihrer Funktion als Elternteil hingegen erleben Mütter im Gegensatz zu Vätern trotz der zumeist als zufriedenstellenden Kinderbetreuungsmöglichkeiten an der Universität Konstanz hochgradig ambivalent. Betrachtet man abschließend die Äußerungen der Befragten zur Zufriedenheit mit ihren Lebensmodellen, ist für beide Geschlechter trotz der hohen Anforderungen in beiden Bereichen eine hohe Zufriedenheit festzustellen. Sowohl Wissenschaftlerinnen als auch Wissenschaftler weisen häufig darauf hin, nach wie vor weder auf Kinder noch auf Wissenschaft bzw. Erwerbstätigkeit verzichten zu wollen. Dabei betonen Wissenschaftlerinnen häufig ihre persönliche Bereicherung, die sich in einem emotionalen Ausgleich oder persönlicher Erfüllung, teilweise auch in einer durch die Einnahme anderer Blickwinkel fachlichen Inspiration äußert. Allerdings weisen einige Wissenschaftlerinnen gleichermaßen auf die hohen Anstrengungen oder die Voraussetzung genügender beruflicher und finanzieller Sicherheit hin. Einen weiteren Zugewinn durch die Vereinbarkeit beider Lebensbereiche sehen ebenfalls überwiegend Wissenschaftlerinnen in der Steigerung ihrer Konzentrationsfähigkeit, der Aneignung zeiteffektiverer Arbeitsweisen und Zeitmanagement, erfahren dies jedoch als aus den hohen beruflichen Ansprüchen und der hohen Verantwortung im Familienbereich erzwungenen Lernprozess. Eine alleinerziehende Geisteswissenschaftlerin bezeichnet ihre Situation – auch für die Beschreibungen der übrigen Wissenschaftlerinnen zutreffend – als „Bereicherung durch Zerreißprobe“. Wissenschaftler verweisen hingegen häufiger auf motivationale Aspekte, beispielsweise darauf, seit der Geburt der Kinder zu wissen, wofür man arbeitet, und sehen ihre Familie verstärkt als „Quelle der Kraft“, um sich auch abends noch einmal an den Schreibtisch zu setzen (Naturwissenschaftler, tradit. Familienorganisation, 3 Kinder). Obwohl Väter wie Mütter ihre Kinder als persönliche und persönlichkeitsformende Bereicherung ansehen, erfahren Väter ihr Lebensmodell nicht als Kompensation der einen für die andere Sphäre, sondern betonen vielmehr vorhandene Verstärkungseffekte:
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Als Resultat von unregelmäßigen Arbeits- und Familienzeiten werden überwiegend von den befragten Vätern in partnerschaftlichen Modellen Schwierigkeiten mit der Entgrenzung beider Sphären angesprochen. Demnach scheint die von vielen Vätern erwähnte Trennung beider Bereiche im Alltag nicht immer leicht umsetzbar zu sein. Dies äußert sich in Problemen beim mentalen Umschalten zwischen beiden Bereichen sowie einem Verlust der Wahrnehmung von Freizeit und Arbeit verbunden mit dem Gefühl, nie Freizeit oder Urlaub zu haben. Die Mütter erfahren dies ebenfalls als anstrengend, scheinen mit der Konzentration auf jeweils einen Bereich jedoch weniger Probleme zu haben. Die damit vergleichsweise häufigere Wahrnehmung der aktuellen Lebenssituation als Bereicherung von Müttern findet sich zudem in den quantitativen Daten wieder. So fühlt sich die Hälfte der befragten Mütter (zehn von 20), aber lediglich 40,6 Prozent der kinderlosen Wissenschaftlerinnen durch die Vereinbarung privater mit wissenschaftlichen Aufgaben persönlich bereichert.202 Dahingegen fühlen sich Väter mit 42,6 Prozent etwas seltener persönlich bereichert als kinderlose Wissenschaftler mit 44,4 Prozent. Verbesserungswünsche Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler wurden in beiden Befragungen nach Möglichkeiten zur Verbesserung der Vereinbarkeit befragt. Dabei sehen die Väter der qualitativen Befragung das größte Verbesserungspotenzial in der Schaffung unbefristeter und sicherer Stellen bereits vor Erreichen einer Professur. Gleichzeitig wünschen sie eine Vermittlung von Stellen an die Partnerinnen ebenso wie die Aufwertung und Anerkennung der durch die Kindererziehung erworbenen Sozialkompetenz. Die Mütter der qualitativen Befragung wünschen sich mit Bezug auf das Wissenschaftssystem insbesondere ein Umdenken hinsichtlich der hohen, perfektionistischen Leistungsansprüche, die sie in ihrer bisherigen Form als überhöht und entmutigend erfahren. Damit einher geht das Anliegen nach der Akzeptanz von Teilzeitstellen sowie nach der Schaffung hinsichtlich des Beschäftigungsumfangs vielfältigerer Stellenangebote. Außerdem sehen sie die Notwendigkeit einer aktiven Befürwortung von Elternschaft bei Forschenden, die über bloße Formen der Akzeptanz hinausgehen. 202 Diese Information wurde anhand einer fünfstufigen Zustimmungsskala erfasst (Item: Ich erlebe die Vereinbarung von privaten Verpflichtungen mit meiner wissenschaftlichen Tätigkeit als persönliche Bereicherung).
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Das Bedürfnis nach verbesserten Bedingungen in Formen der Jobvermittlung für den Partner/die Partnerin oder der Schaffung von Teilzeitprofessuren wird außerdem durch die quantitativen Daten bestätigt. Dabei ist eine Unterstützung bei der Jobvermittlung besonders kinderlosen Forschenden (37,8%) und besonders den männlichen Wissenschaftlern (40,5%) wichtig.203 Das Angebot an Teilzeitprofessuren sehen gerade Mütter als wichtige Möglichkeit zur Verbesserung der Vereinbarkeit (36,8%). Doch auch jeweils mehr als 30 Prozent der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ohne Kinder sehen in der Schaffung von Teilzeitprofessuren eine Möglichkeit zur Verbesserung der Vereinbarkeit. 4.4.5 Zwischenzusammenfassung Analog zu den objektiven Faktoren deuten auch die subjektiven Wahrnehmungen der Befragten auf größere Barrieren für Eltern und besonders für Mütter hin. Diese werden überwiegend durch die Ansprüche an wissenschaftliche Laufbahnen, aber auch durch gesellschaftliche Erwartungshaltungen erzeugt. Die Realisierung des Kinderwunsches wird zwar kaum problematisiert, dürfte allerdings zumindest teilweise der retrospektiven Sichtweise geschuldet sein. Überlegungen betreffen überwiegend die Entscheidung für einen günstigen Zeitpunkt für die Geburt des ersten Kindes. Hierbei werden unterschiedliche Aspekte von berufs- (Statusübergänge) oder lebenslaufsbiografischen (nach Heirat), über biologische Argumente (Alter) bis zum Einfluss durch Peers (Freunde, Bekannte, Vorgesetzte) einbezogen. Die Entscheidung für eine traditionelle Familienorganisation wird durch die finanzielle Situation, berufliche Argumente wie die hohen Anforderungen an Wissenschaftskarrieren und/oder die schlechtere Ausbildung der Frau und durch „naheliegende“ traditionelle Rollenmuster legitimiert. Bei der Entscheidung für partnerschaftliche oder umgekehrt traditionelle Formen der Familienorganisation betonen Wissenschaftlerinnen ausdrücklich ihren Wunsch nach beruflicher und privater Erfüllung und Wissenschaftler ihr Bedürfnis nach einer aktiven Vaterschaft. Erst durch diese beidseitigen Bedürfnisse werden partnerschaftliche Modelle überhaupt in Erwägung gezogen. Komplementär zur familiären Situation ist unter den befragten Eltern eine Aufweichung beruflicher Ambitionen bei Wissenschaftlerinnen festzustellen, wohingegen Väter gegenüber kinderlosen Wissenschaftlern häufiger eine Professur anstreben und ihre wissenschaftlichen Aspirationen festigen. Obwohl Frauen auch 203 Unter den kinderlosen Wissenschaftlerinnen ist dieses Bedürfnis mit 34,4 Prozent weniger stark ausgeprägt.
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unabhängig von einer Elternschaft etwas seltener eine Professur anstreben als Männer, wird dieser Trend durch eine Elternschaft verstärkt. Beide Befunde erscheinen als Resultat der größeren Hürden und Nachteile für Frauen und besonders von Müttern, die zum einen die Voraussetzungen für wissenschaftliche Laufbahnen wie Publikationsquoten, soziale Einbindung und Sichtbarkeit in der Wissenschaftsgemeinschaft weniger erfüllen und im Falle einer Elternschaft zudem den zeitlichen Ansprüchen weniger genügen. Vor dem Hintergrund weitgehend geschlechtsparitätischer Karriereorientierungen bei den Promovierenden und den in den vorigen Abschnitten festgestellten mehrfachen Nachteilen für Frauen und Mütter erscheint die Abwendung von einer Hochschullehrerlaufbahn gerade von Müttern mehr als plausibel und wird zudem durch die qualitativen Befunde gestützt. Die Wahrnehmungen allgemeiner Schwierigkeiten bei der Vereinbarung privater mit wissenschaftlichen Pflichten, der fachlichen Überforderung und der beruflichen Situation als positive Herausforderung deuten ebenfalls in diese Richtung. So empfinden Frauen bereits unabhängig von einer Elternschaft (und vom Alter) häufiger Schwierigkeiten mit der Vereinbarung privater mit wissenschaftlichen Pflichten. Im Falle einer Elternschaft nimmt die Wahrnehmung dieser Schwierigkeiten noch einmal stark zu. Auch Väter verspüren häufiger solche Schwierigkeiten als kinderlose Wissenschaftler, der Unterschied ist jedoch vergleichsweise schwächer ausgeprägt. Folglich werden die Diskrepanzen zwischen Männern und Frauen bei einer Elternschaft weiter verstärkt. Dieses dürfte mit der antizipierten und faktisch stärkeren Involviertheit der Frauen und speziell der Mütter in private Aufgaben zu tun haben und ist daher nicht allein auf unterschiedliche Wahrnehmungen oder die Belastbarkeit von Männern und Frauen zurückzuführen (vgl. Abschnitt 4.3.4). Die berufliche Situation der befragten Eltern ist durch einen immensen Leistungs- und Publikationsdruck gekennzeichnet, die zu weiteren subjektiven Barrieren und inneren Konflikten führen. Obwohl sich diesbezügliche Probleme auch für Väter herauskristallisieren, sind diese Barrieren bei Müttern wiederum stärker ausgeprägt. Zunächst wird deutlich, dass Frauen unabhängig von Elternschaft und Alter ihre berufliche Tätigkeit deutlich seltener als positive Herausforderung erleben als Männer. Zugleich sind die Erfahrungen von Müttern gegenüber kinderlosen Wissenschaftlerinnen ebenfalls eher negativ, während bei Männern eine Elternschaft einen positiven Effekt aufweist. Damit wird das negative Erleben der Frauen durch eine Elternschaft weiter verstärkt. Dies ist nicht auf fachliche Aspekte zurückzuführen, da sich Väter und besonders Mütter seltener fachlich überfordert fühlen als kinderlose Forschende, sondern dürfte vielmehr mit den verbundenen Anstrengungen, der Akzeptanz an der Universität und den weiteren Karriereaussichten zu tun haben. Zwar zeigen sich Mütter mit der Anerkennung ihrer Leistungen im Gegensatz zu Vätern deutlich zufriedener als kinderlose Wissenschaftler, die qualitativen Befunde lassen jedoch erkennen, dass die Erlangung dieser Akzeptanz bei Müttern mit
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großen Anstrengungen verknüpft ist, da sie ihre Leistungsbereitschaft von Beginn an und permanent unter Beweis stellen müssen. Des Weiteren erscheint der geschlechtsspezifische Befund zur Akzeptanz der Leistungen als Resultat geschlechtsspezifischer Erwartungshaltungen an die Befragten, die Müttern eher zugute kommen. Während sich die Zuschreibungsprozesse bei Vätern vermutlich stärker am Bild des männlichen und ständig verfügbaren Wissenschaftlers orientierten, werden Mütter stärker vor dem Hintergrund ihrer Erziehungsarbeit bewertet. Damit erweist sich eine aktive Elternschaft besonders auch für Väter als berufliche Barriere, da diese vom wissenschaftlichen Umfeld nur wenig akzeptiert, eine stärkere Reduktion der Arbeitszeit kaum toleriert wird und diesbezügliche Vertrauensvorschüsse schnell aufgebraucht scheinen. Männer laufen Gefahr, dann schnell als die schlechteren Wissenschaftler abgestempelt zu werden. Die Zufriedenheit mit der eigenen Leistung ist bei Vätern, nicht jedoch bei Müttern, größer als bei kinderlosen Wissenschaftlern. Besonders Müttern gelingt es deutlich schlechter, den eigenen Ansprüchen gerecht zu werden, was zu weiteren Entmutigungen führt und die ohnehin geringere Zufriedenheit von Frauen weiter verstärkt. Die zeitliche Verfügbarkeit und Präsenzzeiten der Befragten lassen kaum direkte Barrieren für Eltern erkennen – eingeschränkte Teilnahmen an Veranstaltungen werden weithin zumindest akzeptiert. Besonders Mütter erfahren solche Einschränkungen jedoch als unangenehm und berichten von hieraus resultierenden Konkurrenznachteilen. Weiterhin fürchten sie, die bisher vorhandenen Toleranzgrenzen doch irgendwann zu überschreiten, und fühlen sich überwiegend als Bittstellerinnen. Letztendlich sind Erfahrungen zu Akzeptanz und Toleranz stark abhängig von den einzelnen Vorgesetzten und deren Einstellungen. Trotz der zumeist stillschweigenden Tolerierung von Familienpflichten fehlt die Befürwortung der Ausübung einer aktiven Vater- oder Mutterschaft, wodurch vor allem Wissenschaftlerinnen ihre Situation als mentales Spannungsfeld erleben. Ein besonderer Leistungsdruck besteht zudem durch die Notwendigkeit, möglichst viel zu publizieren. Hierbei fühlen sich Väter und Mütter zumindest gegenüber kinderlosen Forschenden benachteiligt. Väter und Mütter begründen solche Beeinträchtigungen durch den gegenüber kinderlosen Forschenden vorhandenen Zeitstress und -mangel. Dabei führt die im Wissenschaftssystem gängige Publikationspraxis und der für einen weiteren wissenschaftlichen Aufstieg erlebte Publikationsdruck teilweise in Verbindung mit weiteren Entmutigungen durch Vorgesetzte bei Frauen häufig zu einer Abwendung von einer wissenschaftlichen Laufbahn und begünstigt eine Konzentration auf Betreuungs- und Lehrtätigkeiten. Diese Wahrnehmungen stehen im Zusammenhang mit den Befürchtungen und Erfahrungen der befragten Eltern, dass die Publikationsproduktivität am Maßstab und Leitbild eines kinderlosen Forschenden mit uneingeschränkten zeitlichen Ressourcen für die Wissenschaft bewertet werden. Da Frauen ohnehin weniger Publikationen
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vorzuweisen haben, aufgrund ihrer (gezwungenermaßen) geringeren Zeitinvestitionen keine Möglichkeit zur Anfertigung von Publikationen sehen, erscheint die Abwendung der Frauen vom Wissenschaftssystem aufgrund der geringeren Karriereaussichten naheliegend. Dies geht einher mit Barrieren durch die impliziten und überhöhten zeitlichen Ansprüchen des Wissenschaftssystems. So empfinden alle Forschenden die hohen zeitlichen Anforderungen an wissenschaftliche Laufbahnen als hinderlich für eine gelingende Vereinbarkeit. Hier erzeugen insbesondere die gängigen Praktiken kinderloser Forschender durch ihre langen Anwesenheitszeiten großen Druck auf die Eltern, die sich entsprechend dem Konzept der symbolischen Gewalt (vgl. Abschnitt 2.3.1) als zu wenig leistungsfähig erfahren. Wissenschaftlerinnen thematisieren die fehlende Akzeptanz von Teilzeitarbeit und Wissenschaftler verweisen auf die ihnen gegenüber kinderlosen Forschenden fehlenden Arbeitsstunden. Dies löst insbesondere bei Wissenschaftlerinnen große Belastungen und innere Konflikte aus. Die vorherrschenden Mobilitätsansprüche werden vor allem von Vätern als problematisch empfunden. Wegen ihrer Vaterschaft sehen sie sich in diesen Bereichen stark eingeschränkt, da sie einerseits eine räumliche Trennung von der Familie nicht in Kauf nehmen wollen, andererseits häufige Umzüge der ganzen Familie als problematisch erscheinen. Mit der bestehenden Planungsunsicherheit sind ebenfalls finanzielle Unabwägbarkeiten verbunden, die für die Väter, die sich meist als Ernährer der Familie verstehen, Belastungen auslösen. Dahingegen zeigen sich Wissenschaftlerinnen insgesamt zufriedener, was jedoch mit ihren (inzwischen) geringeren beruflichen Ansprüchen und oftmals mit ihrer Konzentration auf Lehrtätigkeiten zu tun haben dürfte. Des Weiteren scheint der Druck, finanziell für die Familie sorgen zu müssen, weitaus weniger stark auf ihnen zu lasten. Wahrnehmungen zur aktuellen Lebenssituation verdeutlichten die Auswirkungen der Vereinbarung beider Lebensbereiche auf die Befragten. Bei den Wissenschaftlerinnen zeigen sich durch berufliche Anforderungen und gesellschaftlich bestehende Rollenerwartungen sowie durch negative Reaktionen aus dem sozialen Umfeld ambivalente Wahrnehmungen. Zum einen resultiert nicht zuletzt aufgrund ihres Engagements im Familienbereich ein permanent schlechtes Gewissen gegenüber ihrer wissenschaftlichen Tätigkeit. Zum anderen besteht aufgrund der Betreuung der Kinder in Einrichtungen und abendlichen Arbeitszeiten gleichzeitig ein schlechtes Gewissen gegenüber der Erfüllung ihrer Familienpflichten. Beides geht zusätzlich zum bestehenden Zeitstress einher mit großen Anstrengungen auf der Suche nach vertretbaren Kompromissen. Lediglich bei Wissenschaftlerinnen, die derzeit ausschließlich einer Lehrverpflichtung nachgehen, bleibt das ungute Gefühl gegenüber der beruflichen Leistung aus, da hier eine größere berufliche Sicherheit und weniger Leistungsdruck über die eigentliche Tätigkeit hinaus besteht (z.B. Publikationen). Bei den Wissenschaftlern finden sich ebenfalls ausgeprägte Gewissenskonflikte gegenüber ihrer wissenschaftlichen Tätigkeit, obwohl Wissenschaftler in den meisten Fällen weitaus weniger Zeit und Verantwortung in den Familienbe-
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reich investieren. Diese sind als Resultat der hohen beruflichen Ansprüche und der gängigen Praxis kinderloser Wissenschaftler, die mehr und uneingeschränkt Zeit für die Wissenschaft aufbringen (können), zu sehen. Bezogen auf die Familie erleben Wissenschaftler ihre Situation jedoch weniger ambivalent. Dennoch verdeutlicht der Wunsch nach längeren gemeinsamen Zeiten mit dem Kind größere Bedürfnisse im familiären Bereich, die jedoch aufgrund der wissenschaftlichen Anforderungen nicht umgesetzt werden. Insgesamt zeigt sich, dass selbst formal vorhandene Möglichkeiten flexibler Arbeitsstrukturen, Teilzeittätigkeiten und Kinderbetreuungsangebote mit der Praxis wissenschaftlichen Arbeitens kollidieren, da die Logik eines allzeit verfügbaren Wissenschaftlers und die entsprechenden Leistungsnormen in den Köpfen der Forschenden weiterhin verankert sind und aktive Eltern daher langfristig wirksame Karrierenachteile befürchten oder diese gegenwärtig bereits erleben. Besonders die in mangelnder Befürwortung oder gar Akzeptanz und Prozessen der Leistungszuschreibung ersichtlichen Formen der symbolischen Gewalt weisen auf unterschiedliche Erfolgschancen von Männern und Frauen hin, da diese Retraditionalisierungsprozesse begünstigen und die Abwendung der Mütter vom Wissenschaftssystem forcieren. Trotz teilweise ambivalenter Wahrnehmungen sehen die Forschenden überwiegend positive Auswirkungen einer institutionellen Betreuung auf ihre Kinder. Thematisiert werden hier einerseits soziale Faktoren (Förderung Sozialkompetenz), kognitive Faktoren (Vorbildfunktion, beide Elternteile als Bezugsperson). Andererseits befürchten vor allem Mütter eine stärkere Außenorientierung ihrer Kinder und den Verlust einer gemeinsamen Gesprächsbasis. Die Zufriedenheit mit Betreuungseinrichtungen variiert nach Angebot und räumlicher Distanz zum Arbeits- oder Wohnort. Generell zeigten sich die Befragten mit den Angeboten der Universität Konstanz sehr zufrieden; am wenigsten gesichert erschien die zufriedenstellende Betreuung von Schulkindern, da sowohl Umfang, Verlässlichkeit und Qualität gerade der Nachmittagsbetreuung als unzureichend empfunden wird. Alles in allem ist für beide Geschlechter eine hohe Zufriedenheit mit ihren Lebensmodellen feststellbar. Dabei verspüren Wissenschaftlerinnen eine persönliche Bereicherung in Form einer persönlichen Erfüllung, da sie neben ihrer Mutterschaft an der Universität erwerbstätig sein können, aber auch einen emotionalen Ausgleich der beiden Bereiche, auch wenn dies zugleich mit großen Belastungen und häufigen Erschöpfungszuständen verbunden ist. Dahingegen äußern sich Wahrnehmungen von Bereicherung bei Wissenschaftlern verstärkt in einer gesteigerten Motivation für ihre wissenschaftliche Tätigkeit. Verbesserungspotenziale bestehen vorwiegend in der Schaffung sicherer Anstellungsverhältnisse bereits unterhalb der Professur und der Akzeptanz von Teilzeitstellen und Teilzeitprofessuren, deren tatsächliches Arbeitspensum auch einer Teilzeitbeschäftigung entspricht. Letzteres setzt allerdings die Aufwertung der Qualität anstatt der Quantität von Publikationen voraus.
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Postdocphase: Bewährung in der Wissenschaftsgemeinschaft durch DFG-Forschungsstipendien
Das Peer-Review-Verfahren in seiner traditionellen Ausgestaltung als blind review gerät hinsichtlich der Sicherstellung von Objektivität und Gewährleistung der Universalismusnorm immer wieder in Kritik. Gleichzeitig gilt es als bestmögliche und gesicherte Institution zur Beurteilung wissenschaftlicher Leistung. Forschungsbefunde belegen jedoch bestehende Schwächen des Verfahrens hinsichtlich Fairness (Wennerås/Wold 1997), Reliabilität (Hirschauer 2004) und (prädiktiver) Validität (Bornmann/Daniel 2008). Insbesondere der Aspekt der Fairness wurde nach der Studie von Wennerås/Wold (1997), die eindrücklich Benachteiligungen für Wissenschaftlerinnen am Swedish Medical Research Center dokumentierten, in einigen jüngeren internationalen Studien für unterschiedliche Förderverfahren untersucht. Diese Befunde weisen jedoch in unterschiedliche Richtungen. Dabei wurden beim Zugang zu Fördermöglichkeiten zumeist keine eindeutigen Nachweise für eine Diskriminierung nach dem Geschlecht festgestellt (vgl. Beiträge in EC 2009). Dennoch werden subtilere Benachteiligungen für Frauen berichtet, die auf geschlechtsspezifischen Leistungszuschreibungen basieren. So wurden Frauen mit hoher Publikationsproduktivität als gute Forscher, Männer mit gleich hoher Publikationsproduktivität hingegen als exzellente Forscher angesehen. Die Förderverfahren des Swedish Medical Research Council lassen für die Förderjahre 2003 bis 2005 lediglich bei Anträgen auf Postdocstipendien eine höhere Erfolgsquote für Männer erkennen, die nicht durch das Karrierealter oder die Produktivität der Antragstellenden erklärt werden kann. Bei einem weiteren und relativ jungen Programm für Postdoktorandinnen und Postdoktoranden zur Erhöhung der nationalen Mobilität wurden für das erste Förderjahr für Männer und Frauen ausgeglichene Förderchancen dokumentiert (Jacobsson et al. 2007). Auch die Replikation der Studie von Wennerås und Wold aus dem Jahr 2008 liefert keine weiteren Hinweise auf geschlechtsspezifische Erfolgsquoten, obwohl das Phänomen der Vetternwirtschaft weiterhin wirksam ist (Sandström/Hällsten 2008). Deutlichere statistische Nachweise für eine Benachteiligung von Frauen in Peer-Review-Prozessen weisen hingegen eine Meta-Analyse zu verschiedenen Förderverfahren in mehreren Fachdisziplinen und die Untersuchung der Förderung durch den Schweizerischen Nationalfonds (SNF) auf. Beide Studien belegen für Wissenschaftler generell größere Chancen auf eine Förderung als für WissenschaftI. Findeisen, Hürdenlauf zur Exzellenz, DOI 10.1007/978-3-531-93180-7_5, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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Postdocphase: Bewährung in der Wissenschaftsgemeinschaft durch DFG-Forschungsstipendien
lerinnen. Zugleich variieren die Geschlechtsunterschiede zum Teil stark nach den untersuchten Fachdisziplinen (Bornmann et al. 2007, Bornmann/Daniel 2008). Demzufolge werden Förderentscheidungen auch durch das Geschlecht beeinflusst, wobei sich die Art und Stärke des Einflusses jedoch in einzelnen Fachdisziplinen unterscheidet (vgl. auch Beiträge in EC 2009). Zusätzlich zur Fairness des Verfahrens erweist sich ein weiteres Phänomen als persistent: So beteiligen sich Wissenschaftlerinnen auch bei Berücksichtigung des Pools potenzieller Antragsberechtigter deutlich seltener an Antragsverfahren mit Peer-Review, als dies bei Wissenschaftlern der Fall ist. Als Ursache werden häufig eine geringere Karriere- oder Wettbewerbsorientierung der Frauen vermutet und damit geschlechtsdifferente Orientierungen betont (vgl. Beiträge in EC 2009). Die Ursachen hierfür bleiben jedoch ungeklärt. Folgt man der Annahme kumulativer Benachteiligungen für Frauen, stellt sich die Frage, ob Wissenschaftlerinnen nicht vielmehr aufgrund antizipierter Nachteile bei der Förderung, einer skeptischeren Haltung gegenüber dem Förder- bzw. Wissenschaftssystem oder ihrer höheren zeitlichen Beanspruchung weniger Anträge einreichen. Bereits Neidhardt (1988) betont in einer ersten Untersuchung des Förderverfahrens der DFG die herausragende Bedeutung und Macht der Gutachter für Entscheidungen, die über Wettbewerbspositionen und die Teilhabe am Wissenschaftsprozess bestimmen. Diese ergebe sich aus einer geringen Standardisierung der Entscheidungspraxis, die auf vage Entscheidungskriterien zurückgeht. Zugleich stellt er eine Diskrepanz bei der Umsetzung der Argumente der Gutachtenden in die Förderempfehlungen fest, wonach sich sachliche Kritik nicht im selben Maß in diesen Empfehlungen äußert. Neidhardt erklärt dies durch normative Solidarverpflichtungen innerhalb der Kollegenschaft der Forschenden (Neidhardt 1988). Hartmann (1990) stellt darüber hinaus eine tendenziell große Diffusheit von Entscheidungskriterien und Unterschiede in der Wahl und Gewichtung einzelner Kriterien in verschiedenen Fachdisziplinen fest. In aktuellen Studien werden zudem die Chancenunterschiede von Männern und Frauen im DFG-Förderverfahren thematisiert. Bezogen auf Anträge der Soziologie aus den Jahren 1993 bis 1999 wurden für Frauen schlechtere Bewilligungschancen festgestellt als für Männer. Dieser Geschlechtsunterschied ging teilweise auf individuelle, strukturelle und kontextuelle Merkmale zurück (Allmendinger/ Hinz 2002). Für einen größeren Untersuchungszeitraum wurden Chancenunterschiede für mehrere Programme der DFG-Förderung untersucht (Hinz et al. 2008).204 Dabei waren in der Einzelförderung lediglich etwas geringere Bewilligungschancen für Wissenschaftlerinnen zu verzeichnen, während bei der Nachwuchsförderung für Frauen größere Nachteile bestanden. 204 Die zentralen Ergebnisse zu geschlechtsspezifischen Förderchancen in der Einzelförderung finden sich in Findeisen et al. 2010.
Postdocphase: Bewährung in der Wissenschaftsgemeinschaft durch DFG-Forschungsstipendien
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Das vorliegende Teilprojekt greift ausgewählte Befunde dieser Studie über die Förderung durch Forschungsstipendien auf und unternimmt weitere differenzierte Auswertungen, um Fachunterschiede besser zu berücksichtigen. Das Förderinstrument der Forschungsstipendien richtet sich an den wissenschaftlichen Nachwuchs aller Fachdisziplinen und zielt auf die Durchführung eines umgrenzten Forschungsvorhabens im Anschluss an die Promotion. Die Förderung soll die Einarbeitung in neue wissenschaftliche Methoden oder den Abschluss eines größeren Forschungsvorhabens ermöglichen. Der Ort zur Durchführung des Projekts kann von den Antragstellenden frei gewählt werden, dennoch sind primär Aufenthalte im Ausland vorgesehen. Die Absolvierung von Auslandsaufenthalten stellt eine zentrale Anforderung an wissenschaftliche Laufbahnen dar und wird in den Statuspassagen nach der Promotion (z.B. Juniorprofessur) vorausgesetzt oder gilt zumindest als Merkmal einer hohen Forschungsorientierung (vgl. Abschnitt 2.3.2). Das Förderinstrument richtet sich daher an exzellente Forschende, die nach ihrer erfolgreichen Promotion einen weiteren Grundstein für eine erfolgreiche wissenschaftliche Laufbahn legen wollen.205 Damit stellt sich die Frage, ob das DFGStipendium als Instrument der Förderung des exzellenten Nachwuchses wahrgenommen wird und sich demzufolge insbesondere Forschende um ein Stipendium bewerben, die einen Auslandsaufenthalt für einen strategischen Aufbau ihrer wissenschaftlichen Laufbahn nützen wollen, oder ob auch Anträge aus Mangel alternativer Beschäftigungs- bzw. Fördermöglichkeiten gestellt werden. Des Weiteren besteht die Gefahr, dass durch den Anspruch der Förderung von Exzellenz, Kriterien wie Alter und vorausgegangene Leistungen bei der Beurteilung von Anträgen überhöht werden. Dies gilt, zumal Exzellenzkriterien nur vage erfasst oder gemessen werden können. Hierin liegt eine weitere Gefahr geschlechtsspezifischer Leistungszuschreibungen (vgl. Abschnitte 2.2.2 und 2.4). Eine solch geschlechtsspezifische Bewertung von Leistungskriterien wird in einer niederländischen Studie zur Vergabe von Stipendien an den wissenschaftlichen Nachwuchs bereits belegt, wobei die Förderentscheidung bei Antragstellerinnen lediglich mit deren Alter zusammenhing, bei Antragstellern jedoch zusätzlich die Promotionsdauer und die Produktivität entscheidend waren.206 Aufgrund der Ansprüche an die Förderung von Exzellenz stellt sich die Frage nach den Bewilligungschancen unter einem anderen Blickwinkel. Um erfassen zu können, wer durch ein Stipendium gefördert wird, erscheint daher die Berücksichti205 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die in ihrer wissenschaftlichen Karriere weiter vorangeschritten sind, sind ausnahmsweise antragsberechtigt, um sich einer Forschungsaufgabe von besonderer Bedeutung widmen zu können. Die Förderdauer beträgt bis zu zwei Jahre, der Förderumfang umfasst einen Stipendiengrundbetrag und einen monatlichen pauschalisierten Zuschuss zur Deckung von Sach- und Reisekosten, vgl. http://www.dfg.de/foerderung/programme/einzelfoerderung/forschungsstipendien/index.html; Stand: 26.04.2010. 206 Vgl. zusammenfassend EC 2009.
212
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gung der Altersstrukturen der Antragstellenden zentral, da das Alter einen wesentlichen Leistungsindikator des Wissenschaftssystems darstellt (vgl. Abschnitt 2.3.2).207 Zusätzlich ist von Bedeutung, wer von diesem Förderinstrument besonders profitieren kann und wie das Verfahren aus Sicht der Geförderten gesehen wird. Zum besseren Verständnis wird zunächst das Förderverfahren der DFG kurz umrissen und die DFG-spezifische Fachsystematik dargestellt. Die Entscheidung über die Förderungswürdigkeit von Anträgen an die DFG erfolgt nach dem Begutachtungsverfahren des Peer-Reviews, wonach fachlich ausgewiesene Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die Qualität der beantragten Forschungsvorhaben bewerten. Dabei wurden die Gutachtenden jedes Faches bis zur Reform des Begutachtungssystems der DFG 2004 alle vier Jahre durch die Mitglieder der scientific community gewählt und hierdurch zur Begutachtung legitimiert. Ferner wurden bis 2004 Sondergutachterinnen und Sondergutachter durch die Geschäftsstelle der DFG eingesetzt. Diese wurden nach den Kriterien der fachlichen Kompetenz und Vermeidung von Befangenheit ausgewählt und vorwiegend als Spezialisten zur Begutachtung bestellt. Diese nicht durch Wahl legitimierten Gutachtenden waren zunächst als Sonderfälle gedacht, entwickelten sich aufgrund des starken Anstiegs der Förderanträge und der zunehmenden Spezialisierung von Forschungsfeldern aber immer mehr zu einer zweiten Säule des Begutachtungssystems. Daraus resultierte schließlich die Reform des Begutachtungssystems in 2004. Seither werden ausschließlich Sondergutachtende aus dem Pool aller Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler für die Erstellung von Gutachten eingesetzt. Diese werden anschließend den Fachkollegien vorgelegt, die alle vier Jahre gewählt werden und im aktuellen Verfahren das Gremium der Fachausschüsse ablösen. Eine Empfehlung über die Förderungswürdigkeit der Anträge und den Umfang der Förderung wird in den Fachkollegien ausgearbeitet und anschließend zur endgültigen Entscheidung dem Hauptausschuss bzw. den von ihm eingesetzten Bewilligungsausschüssen vorgelegt. Die Ausgestaltung des Verfahrens liegt vollständig im Verantwortungsbereich der DFG und ist Gegenstand der Qualitätskontrolle der scientific community. Seit der Reform in 2004 kommt den Fachreferentinnen und Fachreferenten demnach die verantwortungsvolle Aufgabe zu, die Gutachtenden nach ihrem Ermessen und ihrer Einschätzung zu fachlicher Kompetenz und nach dem Ausschluss von Befangenheit aus dem Pool aller Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler auszuwählen. Weitere Unterschiede im Vergleich zu dem Verfahren vor 2004 bestehen in den Funktionen der Ausschüsse. So zielt das neue Verfahren auf eine Trennung von Begutachtung und Bewertung von Anträgen. Während Fachausschussvorsitzende vor 2004 noch ein eigenes Gutachten mit einem bilanzierenden Entscheidungsvorschlag formulierten, wird von den ab 2004 eingesetzten Fachkollegien kein eige207 Der Einbezug der Vorleistungen der Antragstellenden ist mit den verfügbaren Daten nicht möglich.
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213
nes Gutachten mehr erstellt. Ihre Funktion besteht vielmehr in der Qualitätssicherung der Begutachtung. Dazu werden die Gutachten durch die Fachkollegien anhand fachlicher Aspekte bewertet und auf dieser Basis ein abschließender Entscheidungsvorschlag (Bewilligung oder Ablehnung) formuliert. Anschließend erfolgt eine weitere Stufe der Qualitätssicherung durch die DFG-Gruppe Qualitätssicherung und Verfahrensentwicklung, bei der verstärkt Aspekte wie Vollständigkeit, Einhaltung von Verfahrensregelungen und Gleichstellungsaspekte berücksichtigt werden. Auf dieser Basis wird eine entsprechende Entscheidungsvorlage erstellt und dem Hauptausschuss bzw. den Bewilligungsausschüssen zur endgültigen Entscheidung über die Förderung vorgelegt. Während bei der Einzelförderung, dem größten Förderprogramm der DFG, zwei Gutachten eingeholt werden208, folgt die Begutachtung bei der Nachwuchsförderung durch Forschungsstipendien dem vereinfachten Verfahren, bei dem in der Regel nur ein Gutachten eingeholt wird. Als Entscheidungsgremium fungiert bis Ende 2001 der Hauptausschuss und anschließend der Bewilligungsausschuss für die Allgemeine Forschungsförderung (vgl. Hinz et al. 2008). Die Fachsystematik der DFG ist hierarchisch aufgebaut und umfasst vier Ebenen.209 Tabelle 29 zeigt die drei höchsten Ebenen der vier Wissenschaftsbereiche, 14 Fachgebiete und 48 Fachkollegien.210 Tabelle 29: DFG-Fachsystematik der Fachkollegien, Fachgebiete und Wissenschaftsbereiche Fachgebiet
Geisteswissenschaften
Wiss.-Bereich
Geistes- und Sozialwissenschaften
Fachkollegium - Alte Kulturen - Geschichtswissenschaften - Kunstwissenschaften - Sprachwissenschaften - Literatur-, Theater-, Medienwissenschaften - Ethnologie, Außereuropäische Kulturen, Religionswissenschaft - Theologie - Philosophie - Erziehungswissenschaft - Psychologie - Sozialwissenschaften - Wirtschaftswissenschaften - Rechtswissenschaften
Sozial- und Verhaltenswissenschaften
208 Der Begutachtungsprozess folgt dort dem schriftlichen Verfahren (zur Übersicht vgl. Hinz et al. 2008). 209 Vgl. auch http://www.dfg.de/dfg_im_profil/index.html; Stand: Juni 2009. 210 Diese dritte Ebene der Fachsystematik ist nicht zu verwechseln mit den gleichnamigen Gremien.
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- Grundlagen der Biologie und Medizin - Pflanzenwissenschaften - Zoologie - Mikrobiologie, Virologie und Immunologie - Medizin - Neurowissenschaft - Agrar-, Forstwissenschaften, Gartenbau und Tiermedizin
Biologie
Medizin Agrar-, Forstwissenschaften, Gartenbau und Tiermedizin
Lebenswissenschaften
Tabelle 29: DFG-Fachsystematik der Fachkollegien, Fachgebiete und Wissenschaftsbereiche (Fortsetzung)
- Molekülchemie - Chemische Festkörperforschung
- Produktionstechnik - Mechanik und Konstruktiver Maschinenbau - Verfahrenstechnik, Technische Chemie - Wärmeenergietechnik, Thermische Maschinen und Antriebe - Werkstofftechnik - Rohstoffe, Material- und Werkstoffwissenschaften - Systemtechnik - Elektrotechnik - Informatik - Bauwesen und Architektur
Quelle: DFG.
Physik
Naturwissenschaften
Chemie
Mathematik
Geowissenschaften (einschl. Geographie)
Maschinenbau und Produktionstechnik Wärmeenergietechnik/ Verfahrenstechnik
Werkstoffwissenschaften Elektrotechnik, Informatik und Systemtechnik Bauwesen und Architektur
Ingenieurwissenschaften
- Physikalische Chemie von Molekülen, Flüssigkeiten und Grenzflächen; Allgemeine Theoretische Chemie - Analytik, Methodenentwicklung - Chemie biologischer Systeme - Polymerforschung - Physik der kondensierten Materie - Optik, Quantenoptik und Physik der Atome, Moleküle und Plasmen - Teilchen, Kerne und Felder - Statistische Physik und nichtlineare Dynamik - Astrophysik und Astronomie - Mathematik - Atmosphären- und Meeresforschung - Geologie und Paläontologie - Geophysik und Geodäsie - Geochemie, Mineralogie und Kristallographie - Geographie - Wasserforschung
Datengrundlage und methodisches Vorgehen
215
In Abschnitt 5.1 werden zunächst die Datengrundlage und das methodische Vorgehen erläutert. Abschnitt 5.2 beschreibt das Profil der Antragstellenden anhand einiger sozialdemografischer Merkmale. Die objektiven Faktoren beziehen sich auf die Antragsbeteiligung und die Bewilligungschancen von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern und werden in den Abschnitten 5.3.1 und 5.3.2 angeführt. Eine Zusammenfassung findet sich in Abschnitt 5.3.3. Anschließend werden die subjektiven Erfahrungen ehemaliger Stipendiatinnen und Stipendiaten erfasst. Auf die Darstellung des Profils der Befragten in Abschnitt 5.4.1 folgen zunächst deren Erfahrungen zur Nützlichkeit und zu den Erträgen des Stipendiums (Abschnitte 5.4.2). Abschnitt 5.4.3 widmet sich den subjektiven Einschätzungen zur Objektivität des Peer-Review-Verfahrens der DFG. Eine Zusammenfassung dieser Wahrnehmungen und Erfahrungen findet sich in Abschnitt 5.4.4. 5.1
Datengrundlage und methodisches Vorgehen
Die Untersuchung zur Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses durch die DFG basiert auf verschiedenen Datenquellen, die freundlicherweise von der DFG bereitgestellt wurden. Grundlage für die in Abschnitt 5.3 vorgenommenen Auswertungen zu Antragsbeteiligung und Bewilligungschancen bilden prozessproduzierte Daten aus der Antragsverwaltung der DFG im Zeitraum zwischen 1991 und 2004 und bietet somit einen äußerst umfassenden Blick auf das Fördergeschehen.211 Für diesen Zeitraum enthält die Datenbank der DFG 10.474 entschiedene Anträge. Die Daten beinhalten Informationen zu den Anträgen (Antragsjahr, Fachzugehörigkeit etc.), deren Förderung und einige Merkmale der Antragstellenden (Geschlecht, Alter, Antragssumme), die bei den Auswertungen berücksichtigt werden.212 Betrachtet werden jeweils die entschiedenen Neuanträge, folglich nicht Fortsetzungs- oder Zusatzanträge. Die Analyse der geschlechtsspezifischen Bewilligungschancen erfolgt anhand logistischer Regressionen mit der Förderquote (berechnet als Anteil bewilligter an entschiedenen Anträgen) als abhängiger Variable. Bei diesen Modellen werden neben dem Geschlecht die Fachzugehörigkeit, das Jahr der Förderentscheidung, die Antragssumme und das Alter der Antragstellenden berücksichtigt. Die Bedeutung der Fachzugehörigkeit für die Relevanz des Geschlechts wurde bereits in den vor211 Die Daten wurden von der Deutschen Forschungsgemeinschaft im Rahmen einer umfassenden Analyse zur Repräsentanz von Wissenschaftlerinnen und möglichen Unterschieden in der geschlechtsspezifischen Chancenstruktur in verschiedenen Programmen und Gremien der DFG zur Verfügung gestellt (vgl. hierzu Hinz et al. 2008). Mein herzlicher Dank hierfür gilt der DFG-Gruppe Informationsmanagement unter der Leitung von Dr. Jürgen Güdler. 212 Nicht berücksichtigt werden kann der Status der Antragstellenden zum Zeitpunkt der Antragstellung, da diese Information in den Datenbanken der DFG bei jeder Änderung des Status überschrieben wird.
216
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hergehenden Teilprojekten und in verschiedenen Studien zu Förderinstrumenten mit Peer-Review-System erläutert (vgl. Kapitel 3, 4). Demzufolge wird angenommen, dass sich die geschlechtsspezifischen Förderchancen in den einzelnen Wissenschaftsbereichen unterscheiden. Die Berücksichtigung der Förderjahre ist aufgrund unterschiedlicher Entwicklungen bei der Nachfrage um Fördermittel und der Partizipation von Frauen am Förderverfahren der DFG erforderlich. Die Höhe der beantragten Summen liefert Informationen zur Risikobereitschaft der Antragstellenden und könnte die Förderentscheidung ebenfalls beeinflussen, da möglicherweise verstärkt Anträge mit hohen oder gerade mit niedrigen Antragssummen gefördert werden könnten. Geschlechtsspezifische Antragssummen können dann Unterschiede zwischen Männern und Frauen bei den Aussichten auf eine Förderung erklären. Neben diesen Merkmalen ist das Lebensalter der Antragstellenden für die Abschätzung der Förderchancen besonders bedeutsam. Aufgrund der im Wissenschaftssystem hohen Bedeutung eines jungen Lebensalters bei zugleich möglichst fortgeschrittener Qualifikationsstufe erscheint die Berücksichtigung des Lebensalters im Sinne eines Exzellenzkriteriums gerade bei einem renommierten Förderinstrument wie dem DFG-Forschungsstipendium relevant (vgl. Abschnitt 2.3.2). Um erfassen zu können, ob besonders für junge Forschende günstige Chancen auf eine Antragsbewilligung bestehen, wird nicht wie bisher das mittlere Alter, sondern die Altersstruktur als kategoriale Variable berücksichtigt. Vorteile für besonders junge Antragstellende und Nachteile für Personen der älteren Altersgruppe würden auf eine hohe Relevanz des Alters als Exzellenzkriterium hindeuten. Die jeweiligen Variablen werden in den Regressionsmodellen gemäß Abschnitt 2.4 sukzessive berücksichtigt. Somit kann festgestellt werden, welchen Beitrag die einzelnen Merkmale zur Erklärung des vorher bestehenden Geschlechtsunterschieds leisten. Der zuletzt verbleibende Unterschied zwischen Männern und Frauen kann als reiner Geschlechtseffekt interpretiert und somit als Hinweis auf eine mögliche Diskriminierung bei der Vergabe von Forschungsstipendien verstanden werden.213 Die Randverteilungen der berücksichtigten Merkmale werden in Abschnitt 5.2 angeführt. Die subjektiven Wahrnehmungen des Förderverfahrens des Peer-Review-Verfahrens bei der DFG und Einschätzungen zum erhaltenen DFG-Stipendium basieren auf einer Sekundäranalyse von Befragungsdaten der DFG aus dem Jahr 2002, bei der die Förderjahre 1986/1987, 1991/1992 und 1996/1997 berücksichtigt werden.214 Dargestellt werden jeweils die Geschlechtsunterschiede bei den Einschätzungen und Erfahrungen der verschiedenen Bereiche. Als relevante Drittvariablen dienen aus den eingangs genannten Gründen die Fachzugehörigkeit und das Le213 In den vollen Modellen, werden das Lebensalter und die Antragssumme jeweils inhaltlich interpretiert, wohingegen Förderjahre und Fachzugehörigkeit als Kontrollvariablen einfließen. 214 Es handelt sich um die Befragung „Werdegang und Erfahrungen ehemaliger Stipendiaten“. Für weitere Informationen vgl. Enders/Mugabushaka 2004.
Profil der Antragstellenden
217
bensalter zum Zeitpunkt der Antragstellung. Die Kontrolle der angestrebten bzw. erreichten Qualifikationsstufe zum Zeitpunkt der Befragung erscheint aufgrund der je nach Status unterschiedlichen Wahrnehmungen des Förderinstruments und -verfahrens ebenfalls wichtig. Für einige Aspekte wie die Auslandsmobilität und Einschätzungen zum Peer-Review-Verfahren und Wissenschaftssystem wird zusätzlich der Elternstatus der Befragten berücksichtigt. Hier werden besonders für Eltern Barrieren vermutet. Für die Einschätzungen zum Peer-Review-System werden zusätzlich die drei Förderkohorten berücksichtigt. Somit kann festgestellt werden, ob sich die Einstellungen im Zeitverlauf verändert haben, was mit veränderten Rahmenbedingungen wie verschärfter Konkurrenz und ausgeprägtem Exzellenzdenken, aber auch verbesserten Bedingungen für Frauen zu tun haben könnte. Die bei der Auswertung berücksichtigten Merkmale werden ebenfalls in Abschnitt 5.4.1 beschrieben und deren Randverteilungen berichtet. Analog zu den bisherigen Auswertungen erscheint die Interpretation der partiellen Effekte des Lebensalters, der Fachzugehörigkeit215 und einer Elternschaft für die Analyse von Verstärkungs- und Ausgleichsmechanismen besonders wichtig. 5.2 Profil der Antragstellenden Die Datenbank der DFG enthält im Untersuchungszeitraum 10.474 entschiedene Anträge, davon 7.747 von Wissenschaftlern und 2.727 von Wissenschaftlerinnen. Tabelle 30 zeigt zunächst, wie sich die Antragstellenden auf die vier Wissenschaftsbereiche und 14 Fachgebiete verteilen. Man sieht, dass das Förderinstrument insbesondere für die Lebenswissenschaften bedeutsam ist. Auf diesen Wissenschaftsbereich entfällt mit 59,1 Prozent der Anträge der höchste Anteil aller Antragstellenden. Dahinter folgen mit deutlichem Abstand die Naturwissenschaften (23,2%) und Geistes-/Sozialwissenschaften (14,7%). Aus den Ingenieurwissenschaften sind kaum Anträge zu verbuchen. Dieselbe Rangfolge zeigt sich ferner für Männer und Frauen. Frauen stellen im Vergleich zu Männern jedoch etwas häufiger Anträge in den Geistes-/Sozialwissenschaften und den Lebenswissenschaften.216 Etwas mehr als ein Drittel aller Anträge stammt aus dem Fachgebiet Medizin. Dahinter folgen die Biologie (19,5%) und die Geisteswissenschaften (10,6%). Auch 215 Hierfür werden sofern möglich die Geschlechtsunterschiede in den Wissenschaftsbereichen herangezogen. 216 Die hohe Bedeutsamkeit des DFG-Stipendiums für die Lebenswissenschaften ergibt sich möglicherweise aus den dort vielfältigen inhaltlichen und methodischen Spezialisierungen, die individuelle Forschungsarbeiten begünstigen. Obwohl dies auch für die Naturwissenschaften zutreffen dürfte, bestehen in den Lebenswissenschaften zusätzlich möglicherweise weniger alternative Finanzierungsmöglichkeiten.
218
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in der Chemie beläuft sich der Anteil aller Anträge noch auf etwa zehn Prozent. In allen anderen Fachgebieten werden verhältnismäßig weniger Anträge gestellt. Die Anteile für Männer und Frauen fallen in der Medizin in etwa gleich hoch aus. In die Biologie und die Geisteswissenschaften entfallen jedoch etwas mehr Antragstellerinnen, in die Chemie mehr Antragsteller. Diese offenkundige horizontale Segregation bestätigt die dringliche Notwendigkeit, die Fachzugehörigkeit in den Analysen zu den Bewilligungschancen zu berücksichtigen, da Unterschiede in den Förderchancen von Frauen und Männern mit deren unterschiedlichen Verteilungen auf die Wissenschaftsbereiche zu tun haben könnten. Tabelle 30: Profil der Antragstellenden (1991-2004) Männer n % Fachzugehörigkeit nach Wissenschaftsbereichen und Fachgebieten Geisteswissenschaften Sozial-/Verhaltenswissenschaften G-SW1 Biologie Medizin Agrar-/Forstwissensch./Gartenbau/ Tiermedizin LW Chemie Physik Mathematik Geowissenschaften NW Maschinenbau/Produktionstechnik Wärme-/Verfahrenstechnik Werkstoffwissenschaften Elektrotechnik/Informatik/Systemtechnik Bauwesen/Architektur IW Total Wissenschaftsbereiche
Frauen
Gesamt
n
%
n
%
696 301 997 1.346 2.917
9,0 3,9 12,9 17,4 37,7
413 131 544 699 1.000
15,1 4,8 19,9 25,6 36,7
1.109 432 1.541 2.045 3.917
10,6 4,1 14,7 19,5 37,4
131 4.394 848 629 328 275 2.080 28 81 18 122 27 276 7.747
1,7 56,7 10,9 8,1 4,2 3,5 26,8 0,4 1,0 0,2 1,6 0,3 3,6 100,0
94 1.793 142 63 39 106 350 2 17 4 10 7 40 2.727
3,4 65,7 5,2 2,3 1,4 3,9 12,8 0,1 0,6 0,1 0,4 0,3 1,5 100,0
225 6.187 990 692 367 381 2.430 30 98 22 132 34 316 10.474
2,1 59,1 9,5 6,6 3,5 3,6 23,2 0,3 0,9 0,2 1,3 0,3 3,0 100,0
Quelle: DFG, eigene Berechnungen. 1 Die verwendeten Abkürzungen zur Darstellung der Wissenschaftsbereiche sind im Abkürzungsverzeichnis dokumentiert.
Das Alter der Antragstellenden dient, wie in Abschnitt 5.1 beschrieben, als Leistungsindikator und liefert somit wichtige Hinweise darauf, welche Personengruppen überhaupt ein Stipendium beantragen und ob das Alter für die Förderaussichten relevant ist. Da sich das Förderprogramm der Forschungsstipendien in erster Linie
Profil der Antragstellenden
219
an den promovierten wissenschaftlichen Nachwuchs richtet, wurde die Altersobergrenze der Antragstellenden auf 50 Jahre begrenzt.217 Gemessen am Median beträgt das mittlere Alter der Antragstellenden 32 Jahre, wobei keine Unterschiede zwischen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern auszumachen sind. Wenn jedoch die Altersverteilung anhand vier Kategorien218 genauer betrachtet wird, erkennt man einige Geschlechtsunterschiede. Mit 58,7 Prozent sind über die Hälfte der Antragstellenden zwischen 30 und 34 Jahren alt. Dahinter folgen zu etwa gleichen Anteilen Antragstellende unter 30 Jahren (18,9%) und zwischen 35 und 40 Jahren (17,6%). Älter als 41 Jahre sind lediglich etwa fünf Prozent der Antragstellenden. Die geschlechtsspezifischen Angaben zeigen, dass Frauen mit 22,6 Prozent etwas häufiger in die jüngste Altersgruppe entfallen als Männer (17,6%). Gleichzeitig liegen die Anteile von Frauen in der ältesten Gruppe mit 7,0 Prozent ebenfalls etwas über dem Anteil der Männer (4,0%). Wenn man obige Annahme aufgreift, wonach möglicherweise hauptsächlich junge Antragstellende als besonders talentiert und daher förderungswürdig angesehen werden, ist dies ein interessanter Befund. Demnach stellen Wissenschaftlerinnen, die als besonders talentiert, und Wissenschaftlerinnen, die als wenig talentiert gelten könnten, etwas häufiger Anträge auf Forschungsstipendien als Wissenschaftler. In den Lebenswissenschaften und Ingenieurwissenschaften sind bereits anhand des Medianalters Geschlechtsunterschiede zu erkennen, wonach Wissenschaftlerinnen mit jeweils 31 Jahren durchschnittlich um jeweils ein Jahr jünger sind als Wissenschaftler. In den Geistes-/Sozialwissenschaften und den Naturwissenschaften liegt das Medianalter von Frauen und Männern bei jeweils 36 bzw. 31 Jahren. Unabhängig vom Geschlecht finden sich die ältesten Antragsteller damit in den Geistes-/Sozialwissenschaften. Tabelle 31 zeigt für die geschlechtsspezifischen Altersverteilungen in den vier Wissenschaftsbereichen dasselbe Muster wie für die Antragstellenden insgesamt. Demzufolge fallen die Anteile der Wissenschaftlerinnen in der jüngsten Altersgruppe jeweils etwas höher aus als die der Wissenschaftler. Besonders deutlich ist der Unterschied in den Lebenswissenschaften, wo etwa 27 Prozent der Wissenschaftlerinnen und 25 Prozent der Wissenschaftler unter 30 Jahre alt sind. Umgekehrt sind Frauen in allen Wissenschaftsbereichen auch etwas häufiger als Männer bereits über 41 Jahre alt. Dies betrifft insbesondere die Geistes-/Sozialwissenschaften, wo etwa 25 Prozent der Frauen und 17 Prozent der Männer der ältesten Gruppe angehören. Sollte das Lebensalter tatsächlich als Leistungskriterium fungieren, dürften Frauen der Lebenswissenschaften in bivariaten Berechnungen der Förderquoten bereits aufgrund ihres vergleichsweise jüngeren Alters bessere Förderchancen aufweisen als Männer. In den übrigen Wissenschaftsbereichen sollten sich die Geschlechtsunterschiede aufgrund der Hete217 Dies entspricht dem gängigen Vorgehen der DFG. 218 Die Einteilung der Kategorien folgt den Standards der DFG.
220
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rogenität der Altersstrukturen eher nivellieren. Umso wichtiger erscheint die Berücksichtigung der Altersstrukturen (als kategoriale Variable) für die Untersuchung der geschlechtsspezifischen Bewilligungschancen (vgl. Abschnitt 5.3.2). Tabelle 31: Alter der Antragstellenden zum Zeitpunkt der Antragstellung nach Geschlecht und Wissenschaftsbereichen Männer n % G-SW Unter 30 30-34 35-40 41 und älter Total LW Unter 30 30-34 35-40 41 und älter Total NW Unter 30 30-34 35-40 41 und älter Total IW Unter 30 30-34 35-40 41 und älter Total Gesamt Unter 30 30-34 35-40 41 und älter Total
Frauen n %
Gesamt n %
34 335 391 160 920
3,7 36,4 42,5 17,4 100,0
31 168 174 125 498
6,2 33,7 34,9 25,1 100,0
65 503 565 285 1.418
4,6 35,5 39,8 20,1 100,0
735 2.788 574 68 4.165
17,6 66,9 13,8 1,6 100,0
448 976 223 33 1.680
26,7 58,1 13,3 2,0 100,0
1.183 3.764 797 101 5.845
20,2 64,4 13,6 1,7 100,0
487 1.149 270 50 1.956
24,9 58,7 13,8 2,6 100,0
92 179 49 16 336
27,4 53,3 14,6 4,8 100,0
579 1.328 319 66 2.292
25,3 57,9 13,9 2,9 100,0
31 173 47 12 263
11,8 65,8 17,9 4,6 100,0
6 20 6 4 36
16,7 55,6 16,7 11,1 100,0
37 193 53 16 299
12,4 64,5 17,7 5,4 100,0
1.287 4.445 1.282 290 7.304
17,6 60,9 17,6 4,0 100,0
577 1.343 452 178 2.550
22,6 52,7 17,7 7,0 100,0
1.864 5.788 1.734 468 9.854
18,9 58,7 17,6 4,7 100,0
Quelle: DFG, prozessproduzierte Daten; eigene Berechnungen. Die Einteilung der Kategorien folgt den Standards der DFG. Die Obergrenze wurde auf 50 Jahre festgelegt. Die Fallzahlen reduzieren sich entsprechend.
Profil der Antragstellenden
221
Analog zur Altersstruktur der Antragstellenden fließt auch die Antragssumme in die Berechnung multivariater Modelle zu den Bewilligungschancen ein. Hohe Antragssummen könnten die Vorhaben der Antragstellenden besonders ertragreich erscheinen lassen und somit eine positive Antragsentscheidung begünstigen. Umgekehrt könnten zu umfangreich kalkulierte Summen unrealistisch erscheinen und sich somit auch negativ auf die Förderentscheidung auswirken. Unterscheidet sich die Höhe der beantragten Summen von Männern und Frauen könnten diese Geschlechtsunterschiede in den Förderquoten aufklären. Des Weiteren könnten geschlechtsspezifische Antragssummen von Männern und Frauen auch unterschiedliche Auswirkungen auf deren Förderquoten aufweisen. Auf der Basis der mittleren Antragssummen werden zunächst Unterschiede zwischen den vier Wissenschaftsbereichen festgehalten.219 In den Lebenswissenschaften werden mit durchschnittlich 51.317 Euro die höchsten Summen beantragt. Die Geistes-/Sozialwissenschaften stehen mit einer Antragssumme von durchschnittlich 36.874 Euro an zweiter Stelle. Die Naturwissenschaften und Ingenieurwissenschaften liegen mit Summen von jeweils etwa 33.000 Euro gleichauf. Auf Basis der Mediane sind kaum Unterschiede nach dem Geschlecht der Antragstellenden zu erkennen. Ein genaueres Bild ergibt sich, wenn man betrachtet, wie häufig Antragstellerinnen und Antragsteller für ihre Fachdisziplin jeweils niedrige, mittlere und hohe Summen beantragen. Hierfür wurde die Zuordnung zu niedrigen, mittleren und hohen Antragssummen am unteren und oberen Quartil des jeweiligen Wissenschaftsbereichs gebildet. Dabei gelten Antragssummen innerhalb des unteren Quartils als niedrige, Summen oberhalb des oberen Quartils als hohe Antragssummen. Entsprechend bilden die Summen zwischen beiden Quartilen die Mittelkategorie. Diese Zuordnungen ermöglichen eine möglichst adäquate Berücksichtigung bei der Analyse geschlechtsspezifischer Bewilligungsquoten (vgl. Abschnitt 5.3.2). In Tabelle 32 erkennt man, dass Frauen unabhängig von der Fachdisziplin etwas seltener niedrige Summen und etwas seltener hohe Summen beantragen als Männer. Damit finden sich Antragstellerinnen eher im Mainstream wieder und stechen aufgrund dieses Merkmals wenig aus der Gesamtmasse heraus. In den vier Wissenschaftsbereichen sind ebenfalls kaum Unterschiede nach dem Geschlecht zu erkennen. Frauen beantragen in allen Wissenschaftsbereichen etwas seltener als Männer niedrige Summen. Einzig in den Lebenswissenschaften besteht ein auffallender Unterschied von etwa sechs Prozentpunkten. So beantragen Frauen (14,1%) dieses Wissenschaftsbereichs etwas seltener hohe Antragssummen als Männer (19,5%) und erscheinen daher etwas zurückhaltender. Unabhängig vom Geschlecht beantragt der Großteil der Antragstellenden in allen Wissenschaftsbereichen mittlere Antragssummen. Aufgrund der insgesamt geringen Unterschiede 219 Berichtet wird jeweils der Median. Zehn Anträge mit Einträgen in der Datenbank von unter 65,Euro werden aus den Berechnungen ausgeschlossen.
222
Postdocphase: Bewährung in der Wissenschaftsgemeinschaft durch DFG-Forschungsstipendien
dürften Geschlechtsunterschiede in den Bewilligungschancen kaum durch geschlechtsspezifische Antragssummen erklärt werden können. Tabelle 32: Beantragte Fördersummen nach Wissenschaftsbereichen (1991-2004)
Männer n
G-SW Niedrige Antragssumme Mittlere Antragssumme Hohe Antragssumme Total LW Niedrige Antragssumme Mittlere Antragssumme Hohe Antragssumme Total NW Niedrige Antragssumme Mittlere Antragssumme Hohe Antragssumme Total IW Niedrige Antragssumme Mittlere Antragssumme Hohe Antragssumme Total Gesamt Niedrige Antragssumme Mittlere Antragssumme Hohe Antragssumme Total
Frauen %
n
Gesamt %
n
%
1.921 2.006 3.813 7.740
24,8 25,9 49,3 100,0
599 772 1.353 2.724
22,0 28,3 49,7 100,0
2.520 2.778 5.166 10.464
24,1 26,5 49,4 100,0
2.585 3.642 1.513 7.740
33,4 47,1 19,5 100,0
811 1.530 383 2.724
29,8 56,2 14,1 100,0
3.396 5.172 1.896 10.464
32,5 49,4 18,1 100,0
1.188 3.346 3.206 7.740
15,3 43,2 41,4 100,0
386 1.236 1.102 2.724
14,2 45,4 40,5 100,0
1.574 4.582 4.308 10.464
15,0 43,8 41,2 100,0
1.254 3.544 2.942 7.740
16,2 45,8 38,0 100,0
409 1.320 995 2.724
15,0 48,5 36,5 100,0
1.663 4.864 3.937 10.464
15,9 46,5 37,6 100,0
1.952 3.734 2.054 7.740
25,2 48,2 26,5 100,0
608 1.527 589 2.724
22,3 56,1 21,6 100,0
2.560 5.261 2.643 10.464
24,5 50,3 25,3 100,0
Quelle: DFG, prozessproduzierte Daten; eigene Berechnungen.
5.3 Objektive Faktoren und Zusammenhänge Nachfolgend werden für die zwischen 1991 und 2004 entschiedenen Anträge die Antragsbeteiligung von Frauen und die Förderquoten dokumentiert. Auf der Basis der festgestellten Förderquoten werden anschließend Merkmale der Antragstellenden und der Anträge in multivariaten Modellen berücksichtigt und somit die geschlechtsspezifischen Chancenstrukturen analysiert.
Objektive Faktoren und Zusammenhänge
223
5.3.1 Antragsbeteiligung bei DFG-Forschungsstipendien Die Aussichten auf eine positive Antragsentscheidung stehen im Zusammenhang mit der Konkurrenz um die verfügbaren Mittel. Aus diesem Grund wird zunächst die Entwicklung der Antragszahlen dargestellt. Dabei steigen die Antragszahlen unabhängig von der Fachzugehörigkeit zunächst von 625 Anträgen in 1991 auf 1.098 Anträge in 1996 an. Anschließend ist ein Rückgang der Antragszahlen zu verzeichnen. Diese liegen in den letzten beiden Jahren des Untersuchungszeitraums etwas unter dem Ausgangsniveau von 1991. Eine ähnliche Entwicklung findet sich in den Lebenswissenschaften. Hier steigen die Antragszahlen bis 1996 auf 678 Anträge. Anschließend ist ebenfalls ein Rückgang zu verzeichnen. Bereits 1998 liegen die Antragstellungen mit 426 Anträgen wieder auf dem Ausgangsniveau von 1991 und sinken weiter auf 299 Anträge in 2004. In den Naturwissenschaften steigen die Antragszahlen von 111 in 1991 auf 279 in 1996 und sinken anschließend bis 2003. Dennoch liegen diese weiterhin über dem Ausgangsniveau und steigen in 2004 erneut auf 166 Anträge an. In den Geisteswissenschaften ist bis 2001 ein kontinuierlicher Anstieg der Antragszahlen zu verzeichnen. Ausgehend von 69 Anträgen in 1991, wächst die Beteiligung in diesem Zeitraum auf 210 Anträge. In den Folgejahren sind die Antragszahlen leicht rückläufig. Für 2004 liegen 131 Anträge vor. In den Ingenieurwissenschaften bestehen bei insgesamt niedrigen Antragszahlen kleinere Schwankungen. Diese reichen von 14 Antragstellungen in 1994 bis 42 Antragstellungen in 1995. Für alle Wissenschaftsbereiche ist demzufolge bis Mitte der 1990er Jahre ein Anstieg der Konkurrenz um Fördermittel zu erkennen, der sich aber nicht bis zum Ende des Untersuchungszeitraums fortsetzt. Dies dürfte mit zunehmenden alternativen Möglichkeiten zur Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses zu tun haben. Die Frauenanteile bei Antragstellungen steigen im Untersuchungszeitraum von etwa 22 auf 29 Prozent an (Abbildung 15). In den Wissenschaftsbereichen schwanken die jährlichen Frauenanteile zum Teil stark. In den Geistes-/Sozialwissenschaften und den Lebenswissenschaften sind die deutlichsten Anstiege zu verzeichnen. In den Geistes-/Sozialwissenschaften reichen die Frauenanteile von 24,3 Prozent in 1992 bis 41,2 Prozent in 2004. In den Lebenswissenschaften erreichen die Frauenanteile zum Ende der 1990er Jahre die 30-Prozent-Marke. In 2004 ist jedoch ein Rückgang auf 29,0 Prozent festzustellen. In den Naturwissenschaften wachsen die Frauenanteile in zwei Phasen. Der erste Zuwachs betrifft die Jahre zwischen 1992 und 1996 und erreicht einen Frauenanteil von 15,1 Prozent. Der zweite Zuwachs vollzieht sich zwischen 1998 und 2001. In 2001 wird mit 20,7 Prozent zugleich der höchste Frauenanteil im Untersuchungszeitraum erreicht. In den Ingenieurwissenschaften schwankt die Antragsbeteiligung von Frauen zwischen null Anträgen 2001 bis zu einem Anteil von 19 Prozent in 1999.
224
Postdocphase: Bewährung in der Wissenschaftsgemeinschaft durch DFG-Forschungsstipendien
Abbildung 15: Frauenanteile bei Antragstellungen insgesamt und nach Wissenschaftsbereichen 50 40 30 20 10
Gesamt
G-/SW
LW
NW
2004
2003
2002
2001
2000
1999
1998
1997
1996
1995
1994
1993
1992
1991
0
IW
Quelle: DFG, prozessproduzierte Daten; eigene Berechnungen.
Die Antragsbeteiligung von Frauen steigt besonders gegen Ende des Untersuchungszeitraums, wo generell rückläufige Antragszahlen zu erkennen sind. Diese Entwicklungen könnten Frauen bei den Chancen auf eine Bewilligung zugute kommen. Offen bleiben muss, ob die Anstiege der Frauenanteile mit dem Zuwachs von Frauen am promovierten Nachwuchs einhergehen. Gleichermaßen sind belastbare Einschätzungen zur Selbstselektion von Antragstellerinnen bei der Förderung durch DFG-Stipendien nicht möglich.220 Hierfür wären Daten zum jährlichen Bestand des promovierten Personals notwendig.221 220 Für die Einzelförderung der DFG wurde eine etwas geringere Antragsaktivität von Wissenschaftlerinnen festgestellt (Findeisen et al. 2010, Hinz et al. 2008). 221 Die Berichterstattung zum wissenschaftlichen Nachwuchs weist jedoch nur die jährlichen Promotionsabschlüsse nach Geschlecht und Fachdisziplin aus. Auch auf Basis von Daten des Statistischen Bundesamts zum Personal an Hochschulen sind gerade für den Nachwuchsbereich keine aussagekräftigen Einschätzungen möglich, da der Status des Personals nicht ausgewiesen wird. Unterschieden werden können lediglich Professuren von Dozenten und Mitarbeitenden bzw. Lehrkräften mit besonderen Aufgaben. Daher kann der Pool potenzieller Antragstellender aus dem Nachwuchsbereich nicht ausreichend genau erfasst werden. Zudem wäre die dann notwendige Eingrenzung der Frauenanteile auf Antragstellende aus Universitäten anhand der Antragsdaten zu Forschungsstipendien ebenfalls kaum belastbar. Sieht man von diesen Unschärfen dennoch ab und vergleicht die Frauenanteile für Anträge aus Universitäten mit den Frauenanteilen an Dozenten und Mitarbeiterstellen (potenzielle Antragstellende), erkennt man, dass die Frauenanteile in etwa gleichaufliegen. Demzufolge bestehen keine Hinweise auf eine Selbstselektion der Wissenschaftlerinnen bei der Beteiligung an der Förderung durch DFG-Forschungsstipendien. In den Geistes-/Sozialwissenschaften beteiligen sich Frauen seit Ende der 1990er Jahre mindestens so stark, wie es ihrem Anteil am
225
Objektive Faktoren und Zusammenhänge
5.3.2 Förderquoten und Bewilligungschancen bei DFG-Forschungsstipendien Der Verlauf der Förderquoten (berechnet als Anteil der bewilligten an den entschiedenen Anträgen) zeigt zwischen 1991 und 2004 für beide Geschlechter eine wellenförmige Entwicklung mit zwei Spitzen. Abbildung 16: Förderquoten nach Geschlecht (1991-2004; in Prozent mit Angabe der Prozentpunktdiff.)
-5,1
2003
2002
-6,9
2001
2000
1999
Anträge von Männern
-4,5
2004
-0,1
-3,2
2,5
1997
1995
-1,0
-5,6
1998
-9,5
1993
1992
-6,1
-6,3
-5,1
1996
-9,1
1994
-1,3
1991
100 90 80 70 60 50 40 30 20 10 0
Anträge von Frauen
Quelle: DFG, prozessproduzierte Daten; eigene Berechnungen.
Dabei schwanken die jährlichen Förderquoten generell zwischen 52,9 Prozent in 2003 und 66,4 Prozent in 1995. Bei der ersten Spitze zwischen 1993 und 1995 bestehen jährliche Quoten bis zu etwa 70 Prozent bei Wissenschaftlern. Bei Wissenschaftlerinnen ist diese Hochphase kürzer und erreicht maximal 64,0 Prozent in 1996. Bei den Wissenschaftlern wird in 1999 und 2000 eine zweite Spitze erreicht. In diesen Jahren liegen deren Förderquoten bei etwa 65 Prozent. Bei Antragstellerinnen fallen die in 1999 und 2000 maximal erreichten Förderquoten wiederum geringer aus. Im gesamten Zeitverlauf liegen die Förderquoten der Antragstellerinnen zumeist unter denjenigen der Antragsteller. Die Prozentpunktdifferenzen schwanken zwischen einem und etwa zehn Punkten. Lediglich 1998 liegen die Förderquoten von Antragstellerinnen über denjenigen ihrer männlichen Kollegen. universitären Personal entspricht. In den Naturwissenschaften kann generell von einer ausgeglichenen Antragsaktivität ausgegangen werden. In den Lebenswissenschaften beteiligen sich Frauen allerdings eher selten an der Einwerbung eines DFG-Stipendiums. In den Ingenieurwissenschaften ist keine einheitliche Tendenz erkennbar.
226
Postdocphase: Bewährung in der Wissenschaftsgemeinschaft durch DFG-Forschungsstipendien
In den vier Wissenschaftsbereichen sind die Förderquoten von Antragstellerinnen und Antragstellern in den Geistes-/Sozialwissenschaften und ab 1996 auch in den Lebenswissenschaften relativ ausgeglichen (Abbildungen 17 und 18). In den Geistes-/Sozialwissenschaften fällt die Förderquote der Antragstellerinnen lediglich 1994 mit 21,4 Prozentpunkten deutlich geringer aus als diejenige der Antragsteller. In den Lebenswissenschaften bestehen die größten Diskrepanzen von maximal etwa 13 Prozentpunkten zuungunsten der Antragstellerinnen zwischen 1993 und 1994. Abbildung 17: Förderquoten in den Geistes-/Sozialwissenschaften und den Lebenswissenschaften nach Geschlecht (1991-2004; in Prozent mit Angabe der Prozentpunktdiff.)
Anträge von Männern
Anträge von Frauen
Anträge von Männern
-1,0
0,7
2004
0,2
2003
2002
-5,3
2001
2000
0,5
1999
1995
1993
3,3
2,2
-7,9
-4,4
-5,6
1998
-1,3
-4,4
1997
-12,7
1994
1,9
1992
100 90 80 70 60 50 40 30 20 10 0
1991
2002
2004
-12,4
2,1
2001
2000
3,4
1999
1998
1996
-1,2
-9,7
3,0
2003
4,2
-2,1
-7,2
1995
1993
1994
-21,4
-5,6
1992
7,7
1997
6,5
-11,1
1991
100 90 80 70 60 50 40 30 20 10 0
Lebenswissenschaften
1996
Geistes-/Sozialwissenschaften
Anträge von Frauen
Quelle: DFG, prozessproduzierte Daten; eigene Berechnungen.
In den Naturwissenschaften finden sich etwas größere Unterschiede zuungunsten von Antragstellerinnen, was mit zum Teil kleinen Fallzahlen einhergeht. Gegen Ende des Untersuchungszeitraums bestehen hier jährliche Schwankungen in beide Richtungen. In den Geistes-/Sozialwissenschaften, Lebenswissenschaften und Naturwissenschaften bestehen außerdem ähnliche Entwicklungen der Förderquoten von Antragstellerinnen und Antragstellern im Zeitverlauf. So sind in den Geistes/Sozialwissenschaften 1995/1996 und 2001 zwei Spitzen in den Förderquoten erkennbar. Hier liegen die geschlechtsspezifischen Förderquoten über 62 Prozent (1995/1996), in 2000 bei jeweils etwa 60 Prozent. In den Lebenswissenschaften bleiben die Förderquoten im Zeitverlauf stabiler. Lediglich 1993/1994 erreichen Antragsteller mit nahezu 70 Prozent etwas höhere Förderquoten als in den übrigen Förderjahren, während bei Antragstellerinnen dieser Trend ausbleibt. In den Naturwissenschaften schwanken die Förderquoten im Zeitverlauf stärker. Diese starten mit einer Hochphase in 1991, bei der Antragstellerinnen eine Förderquote von 88,2 Prozent, Antragsteller eine Quote von 72,3 Prozent errei-
227
Objektive Faktoren und Zusammenhänge
chen. Zwei weitere größere Spitzen sind 1995 und 1999 zu erkennen. In beiden Jahren werden etwa 77 Prozent der Anträge von Männern gefördert. Bei Antragstellerinnen sind es 70,6 und 76,9 Prozent. Insgesamt fallen die Förderquoten in sechs Jahren des Untersuchungszeitraums leicht zugunsten der Frauen aus. In den übrigen Jahren werden Anträge von Männern deutlich häufiger gefördert als von Frauen. Abbildung 18: Förderquoten in den Naturwissenschaften und den Ingenieurwissenschaften nach Geschlecht (1991-2004; in Prozent mit Angabe der Prozentpunktdiff.) Naturwissenschaften
Anträge von Männern
Anträge von Frauen
Anträge von Männern
2004
2003
2002
2001
2000
1999
1998
1997
1996
1995
1994
1993
100 90 80 70 60 50 40 30 20 10 0
1992
2004
1,1
2003
2002
-9,5
2001
2000
9,6
1991
3,5
-10,1
1999
1998
2,5
-6,5
1996
1994
-13,8
1993
1992
-11,1
0,1
0,0
-5,9
1997
2,6
1995
15,9
1991
100 90 80 70 60 50 40 30 20 10 0
Ingenieurwissenschaften -20,0 20,0 16,7 -5,8 -10,2 -73,3 -35,1 -25,0 -59,2 0,0 5,9 26,7 -73,7 66,7
Anträge von Frauen
Quelle: DFG, prozessproduzierte Daten; eigene Berechnungen. Anmerkung IW: In den Jahren 2000 und 2001 liegen keine Anträge für Frauen vor.
In den Ingenieurwissenschaften wurden in den einzelnen Förderjahren nur wenige Anträge eingereicht. In den einzelnen Jahren finden sich teilweise nur weniger als fünf Antragstellerinnen. Daher schwanken die geschlechtsspezifischen Förderquoten und Prozentpunktdifferenzen sehr stark und sind weniger aussagekräftig als in den übrigen Wissenschaftsbereichen. Nachfolgend werden die fachspezifischen Förderquoten für den Untersuchungszeitraum insgesamt betrachtet. Hierdurch sind auch Auswertungen auf der Ebene der Fachgebiete möglich. In Tabelle 33 werden jeweils für Männer, für Frauen sowie insgesamt die Anzahl der entschiedenen Anträge und die Anzahl bewilligter Anträge bzw. die Förderquoten berichtet. Die letzte Spalte zeigt wiederum die Prozentpunktdifferenz der Förderquoten zwischen Männern und Frauen für die einzelnen Fachgebiete und Wissenschaftsbereiche. Insgesamt wurden zwischen 1991 und 2004 6.403 Anträge von 10.474 entschiedenen Anträgen bewilligt. Dies entspricht einer generellen Förderquote von 61,1 Prozent. Damit besteht bei Forschungsstipendien eine größere Aussicht auf eine Förderung als in der Einzelförderung, wo im selben Zeitraum 44,7 Prozent aller entschiedenen Anträge gefördert wurden (vgl. Hinz et al. 2008: 41).
228
Postdocphase: Bewährung in der Wissenschaftsgemeinschaft durch DFG-Forschungsstipendien
Tabelle 33: Förderquoten nach Wissenschaftsbereichen, Fachgebieten und Geschlecht Männer entsch.
Frauen
bew.
entsch.
n
n
%
Geisteswiss.
696
320
46,0
Sozial-, Verhaltenswiss. G-SW
301 997
186 506
61,8 50,8
n
Gesamt
bew.
entsch.
bew. n
%-Pt.
n
%
n
%
413
181
43,8
1.109
501
45,2
Diff. -2,2
131 544
79 260
60,3 47,8
432 1.541
265 766
61,3 49,7
-1,5 -3,0
Biologie
1.346
787
58,5
699
392
56,1
2.045
1.179
57,7
-2,4
Medizin Agrar-,Forstwiss., Gartenbau, Tiermed. LW
2.917
1.851
63,5
1.000
609
60,9
3.917
2.460
62,8
-2,6
131 4.394
91 2.729
69,5 62,1
94 1.793
61 1.062
64,9 59,2
225 6.187
152 3.791
67,6 61,3
-4,6 -2,9
Chemie Physik Mathematik Geowiss. NW Maschinenbau, Produktionstechn. Wärmeenergie-, Verfahrenstechn. Werkstoffwiss. Elektrotechn., Informatik, Systemtechn. Bauwesen, Architektur IW
848 629 328 275 2.080
538 415 250 194 1.397
63,4 66,0 76,2 70,5 67,2
142 63 39 106 350
91 44 28 64 227
64,1 69,8 71,8 60,4 64,9
990 692 367 381 2.430
629 459 278 258 1.624
63,5 66,3 75,7 67,7 66,8
0,7 3,8 -4,4 -10,1 -2,3
Total
28
20
71,4
2
2
100,0
30
22
73,3
28,6
81 18
56 13
69,1 72,2
17 4
11 3
64,7 75,0
98 22
67 16
68,4 72,7
-4,4 2,8
122 27 276
91 18 198
74,6 66,7 71,7
10 7 40
6 2 24
60,0 28,6 60,0
132 34 316
97 20 222
73,5 58,8 70,3
-14,6 -38,1 -11,7
7.747
4.830
62,4
2.727
1.573
57,7
10.474
6.403
61,1
-4,7
Quelle: DFG, prozessproduzierte Daten; eigene Berechnungen.
Gleichzeitig unterscheiden sich die Förderquoten von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern bei Forschungsstipendien deutlicher als bei der Einzelförderung. So erreichen Wissenschaftlerinnen bei Forschungsstipendien eine Förderquote von 57,7 Prozent, Wissenschaftler sogar von 62,4 Prozent. Damit beträgt die Prozentpunktdifferenz der Förderquoten etwa fünf Punkte zuungunsten von Frauen. Zudem fallen die Förderquoten von Antragstellerinnen in allen vier Wissenschaftsbereichen etwas geringer aus als diejenigen von Antragstellern. Die größte Diskrepanz besteht in den Ingenieurwissenschaften mit zwölf Prozentpunkten zuungunsten von Frauen. In den übrigen Wissenschaftsbereichen bestehen für Frauen um bis zu drei Prozentpunkte geringere Förderquoten. Auf der Ebene der Fachgebiete sind in den Agrar-/Forstwissenschaften/Gartenbau/Tiermedizin, Mathematik, Geowissenschaften, Wärmeenergie-/Verfahrenstechnik, Elektrotechnik/Informatik/Systemtechnik und Bauwesen/Architektur um mindestens vier Prozentpunkte geringere Förderquoten für Frauen zu erkennen. Die Diskrepanzen in den Fachgebieten der Ingenieurwissenschaften gehen teilweise
Objektive Faktoren und Zusammenhänge
229
mit kleinen Fallzahlen einher und sind daher hinsichtlich systematischer Geschlechtsunterschiede weniger aussagekräftig. Die folgenden Auswertungen zu den Bewilligungschancen von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern beschäftigen sich mit der Frage, ob die allgemein festgestellten geringeren Förderquoten für Frauen tatsächlich mit dem Geschlecht der Antragstellenden zusammenhängen oder auf andere Einflussfaktoren zurückgehen. Diese Frage wird anhand von multivariaten logistischen Regressionen beantwortet, bei der die weiteren potenziellen Einflussgrößen sukzessiv berücksichtigt werden. So kann untersucht werden, ob sich die Bewilligungschancen aufgrund der unterschiedlichen Ausstattung von Antragstellerinnen und Antragstellern, aufgrund von Kontextmerkmalen oder tatsächlich aufgrund des Geschlechts unterscheiden. Die nach der Berücksichtigung der weiteren Merkmale verbleibenden Geschlechtsunterschiede verweisen auf eine mögliche Diskriminierung bei der Vergabe von DFGForschungsstipendien (vgl. Abschnitt 5.1). Bei den jeweiligen Modellen zu den Bewilligungschancen werden nacheinander die Merkmale Geschlecht, Alter, Förderjahr, Wissenschaftsbereich und Antragssumme aufgenommen. Hierbei handelt es sich jeweils um dichotome Merkmale. Dabei wird jeweils angezeigt, wie sich die Chancen auf Bewilligung des Antrags im Vergleich zur jeweiligen Referenzgruppe222 verändern (vgl. Abschnitt 2.4). Abbildung 19 zeigt die bei der sukzessiven Berücksichtigung dieser Merkmale verbleibenden Geschlechtseffekte. Der schrittweise Einbezug der Merkmale bewirkt einen Rückgang des ursprünglichen Geschlechtseffekts von 4,7 auf 2,3 Prozentpunkte zuungunsten von Antragstellerinnen. Dabei geht nur ein kleiner Teil des Geschlechtseffekts (0,4 Prozentpunkte) auf die Altersstrukturen der Antragstellenden zurück. Unabhängig vom Geschlecht sinken die Chancen auf eine Antragsbewilligung mit zunehmendem Alter. Antragstellerinnen sind im Vergleich zu Antragstellern etwas häufiger unter 30 Jahren, doch auch häufiger bereits älter als 40 Jahre alt (vgl. Tabelle 31). Der Rückgang des Geschlechtsunterschieds ist daher auf die höheren Frauenanteile in der ältesten Gruppe zurückzuführen, wird jedoch durch die ebenfalls höheren Frauenanteile in der jüngsten Altersgruppe abgeschwächt. Die Berücksichtigung der Förderjahre trägt kaum zur weiteren Aufklärung des Geschlechtsunterschieds bei. Hierbei fällt auf, dass die Förderchancen insbesondere ab Ende der 1990er Jahre kontinuierlich abnehmen, in einem Zeitraum, in dem Frauen im Wissenschaftssystem und bei Antragstellungen zunehmend stärker vertreten sind. Dennoch verbleibt auch unter dem Einbezug der Förderjahre ein Geschlechtseffekt von noch etwa 3,8 Prozentpunkten zuungunsten der Frauen. Möglicherweise fällt der Rückgang der Förderquoten gegen Ende des Untersuchungszeitraums für 222 Die Referenzgruppen bilden jeweils der männliche Antragsteller, die jüngste Altersgruppe (unter 30 Jahren), 1991 als Jahr der Förderentscheidung, die Geistes- und Sozialwissenschaften und eine mittlere Antragssumme. Die Zuordnung zu den vier Altersgruppen folgt den Standards der DFG, die Zuordnung der Antragssumme richtet sich nach den Quartilen, vgl. dazu auch Abschnitt 5.2.
230
Postdocphase: Bewährung in der Wissenschaftsgemeinschaft durch DFG-Forschungsstipendien
Frauen nicht so stark ins Gewicht. Einen deutlicheren Rückgang um etwa einen Prozentpunkt bewirkt die Berücksichtigung der Wissenschaftsbereiche. Antragstellerinnen sind in den Lebenswissenschaften und den Geistes-/Sozialwissenschaften und damit in denjenigen Wissenschaftsbereichen besonders stark vertreten, in denen generell eher niedrige Förderchancen bestehen, was den Rückgang des Nachteils für Frauen erklärt. Der Einbezug der Antragssumme trägt kaum zur weiteren Klärung des Geschlechtseffekts bei. Demzufolge leisten primär Kontextmerkmale einen Beitrag zur Aufklärung der für Frauen bestehenden Nachteile. Insgesamt verbleibt ein eher geringer Geschlechtseffekt von etwa zwei Prozentpunkten zuungunsten von Frauen. Unter Berücksichtigung aller Merkmale besteht demzufolge eine allenfalls geringe Benachteiligung von Frauen. Unter Einbezug aller Merkmale erweist sich das Alter der Antragstellenden als zentrales Merkmal für die Förderentscheidung und damit als Kriterium für Exzellenz. Dabei werden Antragstellende häufig dann als förderungswürdig erachtet, wenn sie ein Alter von 30 Jahren noch nicht erreicht haben. Umgekehrt fallen die Chancen auf eine Antragsbewilligung bereits in einem Alter zwischen 30 und 34 Jahren um 6,2, zwischen 35 und 40 Jahren um 14,7 und ab 41 Jahren sogar um 23,6 Prozentpunkte geringer aus als bei Antragstellenden unter 30 Jahren. Wenn man bedenkt, dass Anträge erst mit abgeschlossener Promotion eingereicht werden können bzw. das DFG-Stipendium auf die Phase nach der Promotion zielt, erscheint diese implizite Altersgrenze nur unter großen Anstrengungen erreichbar und verdeutlicht einen hohen Qualifikations- und Leistungsdruck.223 Dabei bestehen in den beiden mittleren Altersgruppen ähnliche Effekte für Männer und Frauen. In der ältesten Gruppe ab 41 Jahren fällt der Alterseffekt bei Antragstellern mit 26,9 Prozentpunkten allerdings noch deutlich stärker aus als bei Antragstellerinnen (18,0%-Punkte). Damit sind ältere Antragstellerinnen weniger im Nachteil als ältere Antragsteller. Individuelle Merkmale dieser Altersgruppe sind nicht bekannt, doch möglicherweise werden besonders bei Antragstellerinnen Erziehungszeiten bei der Antragsentscheidung einbezogen. Der unerwartet geringe Rückgang des Geschlechtseffekts durch die Kontrolle der Förderjahre ließ vermuten, dass Frauen möglicherweise weniger vom allgemeinen Rückgang der Förderchancen im Verlauf des Untersuchungszeitraums betroffen sind. Diese Vermutung bestätigt sich jedoch nicht. Vielmehr bestehen für Antragstellerinnen ab 2002 (gegenüber 1991) besonders ungünstige Bedingungen. Bei Antragstellern brechen die Bewilligungschancen erst ein Jahr
223 In 2005 lag das Durchschnittsalter bei bestandener Promotion bei etwa 34 Jahren, wobei erhebliche Unterschiede in den Fächergruppen bestehen. Die Kunstwissenschaften und Sprach-/Kulturwissenschaften liegen mit etwa 38 bzw. 36 Jahren über dem Altersdurchschnitt. In den Naturwissenschaften gibt es das niedrigste Promotionsalter (32 Jahre). Generell sind Frauen durchschnittlich um ein Jahr jünger als Männer, was auf einen zügigeren Bildungsverlauf hindeutet (BMBF 2008: 61 ff.).
231
Objektive Faktoren und Zusammenhänge
später ein (2003), wobei der Einbruch zugleich etwas schwächer ausfällt.224 Damit zeigen die in der DFG seit Mitte der 1990er Jahre verstärkten Bemühungen um Chancengleichheit mit deren Verankerung in der Satzung der DFG im Jahr 2002 keine positiven Auswirkungen auf die Geschlechtsunterschiede bei Bewilligungschancen von Forschungsstipendien. Abbildung 19: Geschlechtsunterschiede bei Bewilligungschancen unter Einbezug von Kontrollvariablen (Prozentpunktdiff. von Antragstellerinnen und Antragstellern; 1991-2004 gesamt)
-2,7
-2,3
Zusätzl. Kontrolle der Antragssumme
Zusätzl. Kontrolle der Wissenschaftsbereiche
-3,8
Zusätzl. Kontrolle des Förderjahrs
-4,3
Kontrolle des Alters
-4,7
Ohne Kontrollvariablen
0 -1 -2 -3 -4 -5 -6
Quelle: DFG, prozessproduzierte Daten; eigene Berechnungen.
Aufgrund der hohen Relevanz von Fachkulturen werden nachfolgend die Geschlechtsunterschiede in den Wissenschaftsbereichen näher betrachtet. Die Abbildungen 20 und 21 zeigen die in den vier Wissenschaftsbereichen verbleibenden Geschlechtseffekte bei der schrittweisen Berücksichtigung der weiteren Merkmale. Hierbei werden anstatt der Wissenschaftsbereiche die Fachgebiete des jeweiligen Wissenschaftsbereichs berücksichtigt. In den Geistes-/Sozialwissenschaften bestehen für Antragstellerinnen ursprünglich um 3,0 Prozentpunkte geringere Bewilligungschancen als für Antragsteller. Die Berücksichtigung des Alters verändert diese Diskrepanz nicht. Hier nivellieren sich vermutlich die höheren Frauenanteile bei besonders jungen und besonders alten Antragstellern, da auch in den Geistes-/Sozialwissenschaften für besonders 224 Bei Antragstellerinnen und Antragstellern fallen die Bewilligungschancen in 2003 gegenüber 1991 jeweils am geringsten aus. Die Prozentpunktdifferenzen belaufen sich bei Frauen auf etwa 19 und bei Männern auf etwa zwölf Punkte.
232
Postdocphase: Bewährung in der Wissenschaftsgemeinschaft durch DFG-Forschungsstipendien
junge Antragstellende bessere Chancen bestehen.225 Die Berücksichtigung der Förderjahre bewirkt einen leichten Rückgang des Geschlechtsunterschieds auf nunmehr 2,1 Prozentpunkte. Dies geht einher mit der stärkeren Konzentration von Antragstellerinnen auf spätere Förderjahre, wo generell etwas schlechtere Förderbedingungen bestehen. Die Berücksichtigung der beiden Fachgebiete in den Geistes-/ Sozialwissenschaften bewirkt einen etwas größeren Rückgang des Geschlechtsunterschieds um 1,1 Prozentpunkte, da Antragstellerinnen überwiegend in den Geisteswissenschaften vertreten sind und dort unabhängig vom Geschlecht deutlich schlechtere Förderchancen bestehen als in den Sozial- und Verhaltenswissenschaften. Die Berücksichtigung der Antragssumme verstärkt den Geschlechtsunterschied erneut, so dass ein Effekt von 1,5 Prozentpunkten zuungunsten von Antragstellerinnen bestehen bleibt. Abbildung 20: Geschlechtsunterschiede bei Bewilligungschancen in den Geistes/Sozialwissenschaften und den Lebenswissenschaften unter Einbezug von Kontrollvariablen (Prozentpunktdiff. von Antragstellerinnen und Antragstellern; 1991-2004 gesamt)
-2,6
-2,4
-1,8
Zusätzl. Kontrolle der Antragssumme
-3,2
Zusätzl. Kontrolle der Fachgebiete
-2,9
Zusätzl. Kontrolle des Förderjahrs
-1,5
0 -1 -2 -3 -4 -5 -6
Kontrolle des Alters
Zusätzl. Kontrolle der Fachgebiete
Kontrolle des Alters
Zusätzl. Kontrolle des Förderjahrs
-2,9
Ohne Kontrollvariablen
-2,1 -3,0
Zusätzl. Kontrolle der Antragssumme
-1,0
Lebenswissenschaften
Ohne Kontrollvariablen
Geistes-/Sozialwissenschaften 0 -1 -2 -3 -4 -5 -6
Quelle: DFG, prozessproduzierte Daten; eigene Berechnungen.
In den Lebenswissenschaften zeigt sich ein etwas anderes Bild. Die Berücksichtigung des Alters wirkt sich zwar nur schwach auf die Veränderung des Geschlechtsunterschieds aus, bewirkt jedoch im Gegensatz zu den Geistes-/Sozialwissenschaften eine leichte Verstärkung des Geschlechtsunterschieds. Frauen finden sich deutlich häufiger in der jüngsten Altersgruppe als Männer und auch in den Lebenswissenschaften bestehen für besonders junge Antragstellende generell bessere Förderaussichten. Der unabhängig vom Geschlecht bestehende Alterseffekt fällt in den Lebenswissenschaften außerdem deutlich stärker aus als in den Geistes-/Sozialwissenschaften. So bestehen für Antragstellende zwischen 30 und 34 Jahren gegen225 Die jeweiligen Alterseffekte sind nicht tabelliert, sondern werden lediglich im Text wiedergegeben.
Objektive Faktoren und Zusammenhänge
233
über Antragstellenden unter 30 Jahren etwa sechs, für Antragstellende zwischen 35 und 40 Jahren etwa 20 und für Antragstellende ab 41 Jahren um 24 Prozentpunkte schlechtere Chancen auf eine positive Antragsentscheidung. Die Berücksichtigung der Förderjahre führt aus den bekannten Gründen zu einer Verringerung des Geschlechtsunterschieds auf 2,6 Prozentpunkte. Dahingegen tragen die Fachgebiete der Lebenswissenschaften nicht wesentlich zur Aufklärung des Geschlechtsunterschieds bei. Demgegenüber bewirkt der Einbezug der Antragssumme einen weiteren Rückgang auf nunmehr 1,8 Prozentpunkte zuungunsten der Antragstellerinnen. Frauen beantragen in diesem Wissenschaftsbereich überwiegend mittlere Antragssummen. Anträge mit niedrigen und mit hohen Summen werden jedoch generell häufiger gefördert, womit sich der Rückgang des Geschlechtsunterschieds erklärt. In den Naturwissenschaften bewirkt die Berücksichtigung des Alters wie in den Lebenswissenschaften eine leichte Verstärkung des Geschlechtseffekts. Der Einbezug der Förderjahre hat jedoch kaum Auswirkungen, was mit dem im Vergleich zu den Geistes/Sozialwissenschaften und den Lebenswissenschaften eher verhaltenen Anstieg der Antragsbeteiligung von Frauen zu tun haben dürfte (vgl. Abschnitt 5.3.1). In Abweichung zu den bisher betrachteten Wissenschaftsbereichen führt der Einbezug der Fachgebiete der Naturwissenschaften zu einem Anstieg des Geschlechtsunterschieds auf nunmehr 3,6 Prozentpunkte. Wie bereits zuvor beschrieben, bestehen in den einzelnen Fachgebieten unabhängig vom Geschlecht erhebliche Unterschiede in den Bewilligungschancen, wobei Anträge aus der Chemie deutlich schlechtere Förderaussichten aufweisen als Anträge aus der Physik, Mathematik oder den Geowissenschaften. Frauen sind in den Fachgebieten der Naturwissenschaften generell selten vertreten. In der Chemie, dem Fachgebiet mit besonders schlechten Förderaussichten, und den Geowissenschaften, wo eher gute Förderchancen bestehen, liegen vergleichsweise viele Anträge von Frauen vor. Die starke Veränderung des Geschlechtsunterschieds in den Bewilligungschancen kann daher nicht allein durch die Verteilung der Antragstellenden auf die Fachgebiete erklärt werden. Die Berücksichtigung der Antragssumme verstärkt den bestehenden Geschlechtsunterschied noch einmal auf nun 4,0 Prozentpunkte zuungunsten von Antragstellerinnen. Da Anträge mit mittlerer Antragssumme generell schlechtere Aussichten auf Förderung aufweisen und sich Frauen genau auf solche Anträge konzentrieren, kann auch diese Veränderung des Geschlechtseffekts nicht plausibel durch die Verteilung auf Anträge unterschiedlicher Summen erklärt werden. Dies könnte einerseits auf eine mögliche Diskriminierung von Frauen in den Naturwissenschaften oder komplexere Zusammenhänge in der Wirkungsweise der berücksichtigten Merkmale zusammenhängen. In den Ingenieurwissenschaften bestehen im Vergleich zu den anderen Wissenschaftsbereichen ohne die Berücksichtigung weiterer Merkmale die größten Geschlechtsunterschiede zuungunsten von Antragstellerinnen.
234
Postdocphase: Bewährung in der Wissenschaftsgemeinschaft durch DFG-Forschungsstipendien
Abbildung 21: Geschlechtsunterschiede bei Bewilligungschancen in den Naturwissenschaften und den Ingenieurwissenschaften unter Einbezug von Kontrollvariablen (Prozentpunktdiff. von Antragstellerinnen und Antragstellern; 1991-2004 gesamt) Naturwissenschaften
Ingenieurwissenshaften
-6,0
-5,3
-4,9 -7,3
Zusätzl. Kontrolle der Antragssumme
Zusätzl. Kontrolle der Fachgebiete
Zusätzl. Kontrolle des Förderjahrs
-11,7
Kontrolle des Alters
0 -2 -4 -6 -8 -10 -12
Ohne Kontrollvariablen
-4,0
Zusätzl. Kontrolle der Antragssumme
-3,6
Zusätzl. Kontrolle der Fachgebiete
-2,5
Zusätzl. Kontrolle des Förderjahrs
-2,6
Kontrolle des Alters
-2,3
Ohne Kontrollvariablen
0 -2 -4 -6 -8 -10 -12
Quelle: DFG, prozessproduzierte Daten; eigene Berechnungen.
Auch bei der schrittweisen Aufnahme dieser Merkmale zeigt sich ein unterschiedliches Muster. Dabei erklärt das Alter der Antragstellenden einen wesentlichen Anteil des Geschlechtseffekts und reduziert den ursprünglichen Unterschied um etwa die Hälfte auf 6,0 Prozentpunkte zuungunsten von Frauen. Dabei sind die Förderchancen für Antragstellende mittleren Alters (Altersgruppen 30-34, 35-40 Jahre) größer als für besonders junge Antragstellende (unter 30 Jahren). Erst bei Antragstellenden ab 41 Jahren liegen die Förderchancen unter denjenigen der Personen unter 30 Jahren. Damit sind die Ingenieurwissenschaften der einzige Wissenschaftsbereich, in dem sich eine gewisse Antragserfahrung als auffallend nützlich für eine positive Antragsentscheidung herausstellt. In den Ingenieurwissenschaften sind zwar über die Hälfte der Antragstellerinnen zwischen 30 und 34 Jahren alt, dies betrifft Antragsteller jedoch noch stärker. In der jüngsten und der ältesten Gruppe liegen die Anteile der Frauen jedoch über denjenigen der Männer. Das sind genau die beiden Altersgruppen, für die eher geringe Förderaussichten bestehen, worin sich der Rückgang des Geschlechtsunterschieds begründet. Der Einbezug der Förderjahre und der Fachgebiete bewirken jeweils einen weiteren leichten Rückgang des Geschlechtsunterschieds. Bei Berücksichtigung der Antragssumme wächst dieser analog zu den Geistes-/Sozialwissenschaften und den Naturwissenschaften erneut an und beträgt etwa sieben Prozentpunkte. In den Ingenieurwissenschaften bestehen bei Beantragung niedriger Summen höhere und bei Beantragung hoher Summen deutlich schlechtere Chancen auf eine Bewilligung als bei Beantragung mittlerer Summen. Frauen beantragen verstärkt niedrige und hohe Summen, wodurch die Veränderung des Geschlechtsunterschieds nicht plausibel erklärt werden kann. Möglicherweise hängt dies mit einem geschlechtsspezifischen Antragsverhal-
235
Objektive Faktoren und Zusammenhänge
ten in den einzelnen Fachgebieten zusammen oder Antragssummen wirken sich bei Frauen und Männern unterschiedlich auf die Förderentscheidung aus. Die vorangehenden Berechnungen haben gezeigt, dass die Geschlechtsunterschiede in den Wissenschaftsbereichen zwar teilweise mit Alter, Förderjahr, Fachgebieten und Antragssummen zu tun haben, die Wirkungsweisen der einzelnen Merkmale und die Veränderung der Geschlechtseffekte durch ihre Berücksichtigung weist in den Wissenschaftsbereichen aber deutliche Unterschiede auf und verweist auf komplexere Zusammenhänge zwischen den einzelnen Merkmalen. Von großer Bedeutung für die jeweils bestehenden Geschlechtsunterschiede erwiesen sich die Fachgebiete und die disziplinspezifischen Antragssummen. In allen Wissenschaftsbereichen verbleiben bei Berücksichtigung aller Merkmale Geschlechtsunterschiede zuungunsten von Frauen. Diese reichen von 1,5 Prozentpunkten in den Geistes/Sozialwissenschaften bis zu sieben Punkten in den Ingenieurwissenschaften. Aufgrund der Bedeutsamkeit des Lebensalters als Exzellenzkriterium verdienen dessen geschlechtsspezifische Zusammenhänge in den Wissenschaftsbereichen weitere Aufmerksamkeit.
3,6
1,8
10
2,6 0,5
10,0
Abbildung 22: Geschlechtsspezifische Alterseffekte bei Bewilligungschancen nach Wissenschaftsbereichen (Prozentpunktdiff. der Altersgruppen zur Referenzkategorie "unter 30 Jahren")
-14,8
-8,4 -8,9
G-/SW
LW
Quelle: DFG, prozessproduzierte Daten; eigene Berechnungen.
35-40
30-34
41 u. älter
35-40
30-34
41 u. älter
35-40
30-34
-60
NW
41 u. älter
-49,2
-50
Frauen -33,7
-40
Männer -27,1
-30
-25,8
-20
-18,5 -18,3
-12,7
-10
-13,4
-0,5 -0,6
0
236
Postdocphase: Bewährung in der Wissenschaftsgemeinschaft durch DFG-Forschungsstipendien
Auf Basis der jeweils vollen Modelle zeigen sich für die Lebens- und die Naturwissenschaften nach wie vor sinkende Bewilligungschancen mit steigendem Lebensalter. In den Geistes-/Sozialwissenschaften haben lediglich Antragstellende der ältesten Gruppe ab 41 Jahren schlechtere Chancen als Antragstellende unter 30 Jahren. Für die beiden mittleren Gruppen bestehen hier jeweils größere Chancen auf eine Antragsbewilligung als in der jüngsten Gruppe. In den Ingenieurwissenschaften sind die Bewilligungschancen erst ab einem Alter ab 35 Jahren schlechter als in der jüngsten Gruppe. Die Alterseffekte für Männer und Frauen unterscheiden sich in den Wissenschaftsbereichen auffallend bei Antragstellenden ab 41 Jahren (Abbildung 22).226 In den Lebenswissenschaften ist der negative Effekt bei Frauen deutlich schwächer ausgeprägt als bei Männern, in den Geistes-/Sozialwissenschaften besteht sogar ein positiver Effekt für Frauen dieser Altersgruppe. Demzufolge wirkt ein älteres Alter den bestehenden Geschlechtsunterschieden in diesen beiden Wissenschaftsbereichen eher entgegen. In den Naturwissenschaften verstärkt sich die Kluft zwischen den Bewilligungschancen von Männern und Frauen hingegen deutlich. Dies gilt bereits ab einem Alter von 35 Jahren. 5.3.3 Zwischenzusammenfasssung Das Forschungsstipendium der DFG richtet sich an exzellente Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler unabhängig von der Fachdisziplin. Trotz dieser offenen Ausrichtung des Förderinstruments stammt der Großteil der 10.747 berücksichtigten Anträge aus den Lebenswissenschaften (59,1%). An zweiter und dritter Stelle folgen die Naturwissenschaften (23,2%) und die Geistes-/Sozialwissenschaften (14,7%). Als Ursachen für die Bedeutsamkeit des Förderinstruments für die Lebenswissenschaften kann eine Fachkultur vermutet werden, die sich weniger an wissenschaftlichen Kooperationen orientiert. In Verbindung mit mangelnden Alternativen könnte die Förderung durch ein DFG-Stipendium als besonders geeignet erscheinen. Antragstellerinnen konzentrieren sich stärker als Antragsteller auf die Lebenswissenschaften und die Geistes-/Sozialwissenschaften. Umgekehrt verhält sich dies in den Naturwissenschaften und den Ingenieurwissenschaften. Die Antragsbeteiligung von Frauen zeigt zudem gegen Ende des Untersuchungszeitraums deutliche Zuwächse, was mit in dieser Phase generell eher sinkenden Antragszahlen und damit auch sinkender Konkurrenz einhergeht.
226 In den Ingenieurwissenschaften ist die Berechnung der geschlechtsspezifischen Alterseffekte aufgrund der zu geringen Varianz nicht möglich.
Objektive Faktoren und Zusammenhänge
237
Das Lebensalter der Antragstellenden wurde vor allem im Hinblick auf dessen Bedeutung als Exzellenzkriterium näher betrachtet. Das durchschnittliche Alter der Antragstellenden liegt bei 32 Jahren, wobei keine Geschlechtsunterschiede auszumachen sind. Diese zeigen sich jedoch, wenn die Altersverteilungen betrachtet werden. Dabei gehören Antragstellerinnen etwas häufiger der jüngsten Altersgruppe (unter 30 Jahre) an als Männer (22,6 gegenüber 17,6%). Gleiches gilt mit einem Frauenanteil von 7,0 Prozent gegenüber 4,0 Prozent bei Männern auch für die älteste Gruppe (41 Jahre und älter). Dies legt die Vermutung nahe, dass zwar einerseits besonders talentierte Frauen verstärkt Anträge einreichen. Andererseits erscheint das DFG-Stipendium gerade für Frauen, die aufgrund ihres fortgeschrittenen Alters als weniger talentiert wahrgenommen werden dürften, als geeignete Förderung. Möglicherweise handelt es sich hierbei vor allem um solche Wissenschaftlerinnen, die weniger Aussichten auf alternative Finanzierungsmöglichkeiten sehen. Dies gilt für alle Wissenschaftsbereiche. Dennoch gehören Frauen in den Lebenswissenschaften besonders häufig der jüngsten Altersgruppe an (26,7 gegenüber 17,6%). Die größten Geschlechtsunterschiede in der Altersgruppe ab 41 Jahren bestehen in den Lebens- und den Ingenieurwissenschaften mit einer Differenz von etwa sieben bzw. acht Prozentpunkten. Die beantragte Fördersumme wird ebenfalls als wesentlich für die Antragsentscheidung erachtet. Im Mittel wurden 40.985 Euro für ein Forschungsstipendium beantragt. Die Verteilungen der Summen anhand des fachspezifischen bzw. generellen oberen bzw. unteren Quartils offenbaren kleinere Unterschiede im Antragsverhalten von Männern und Frauen. Generell beantragen Frauen häufiger mittlere Antragssummen als Männer und stechen daher seltener aus der Masse an Antragstellungen heraus. Dies gilt vor allem für die Lebenswissenschaften. Hier beantragen Frauen um etwa fünf Prozentpunkte häufiger als Männer hohe und um etwa vier Prozentpunkte seltener niedrigere Antragssummen. In den übrigen Wissenschaftsbereichen zeigen sich keine nennenswerten Geschlechtsunterschiede. Den Ausgangspunkt für die Analyse geschlechtsspezifischer Bewilligungschancen bildet die Darstellung der deskriptiven Förderquoten. Diese werden jeweils als Anteil der bewilligten an den entschiedenen Anträgen berechnet. Die jährlichen Förderquoten schwanken zwischen 52,9 Prozent in 2003 und 66,4 Prozent in 1995. Dabei ist grundsätzlich ein Trend zu sinkenden Förderquoten im Zeitverlauf festzustellen. Die Förderquoten von Wissenschaftlerinnen liegen allgemein und in den vier Wissenschaftsbereichen in den meisten Jahren unter der Quote von Männern. Dabei besteht keine Evidenz dafür, dass die Förderquoten der Frauen mit sinkender Konkurrenz, nämlich gegen Ende des Untersuchungszeitraums steigen. Lediglich in den Lebens- und Naturwissenschaften liegen die Förderquoten von Frauen etwas über den Quoten von Männern. Auf der Basis aller Anträge zwischen 1991 und 2004 und aller Fachdisziplinen liegt die Förderquote bei 61,2 Prozent, wobei Anträge von Frauen eine um 4,7 Pro-
238
Postdocphase: Bewährung in der Wissenschaftsgemeinschaft durch DFG-Forschungsstipendien
zentpunkte geringere Förderquote aufweisen als Anträge von Männern. Dies gilt ferner für die vier Wissenschaftsbereiche, wobei die größte Diskrepanz mit etwa zwölf Prozentpunkten in den Ingenieurwissenschaften besteht. In den übrigen Wissenschaftsbereichen liegen die Differenzen bei zwei bis drei Prozentpunkten. Auch auf der nächstkleineren Ebene der Fachgebiete bestehen zumeist geringere Förderquoten für Frauen. Die Prozentpunktdifferenzen betragen zwischen 1,5 Punkten in den Sozial-/Verhaltenswissenschaften und 38,1 Prozentpunkten im Fachgebiet Bauwesen/Architektur (kleine Fallzahlen) zulasten der Frauen. In den Fachgebieten Chemie, Physik und Werkstoffwissenschaften liegen die Förderquoten von Antragstellerinnen um maximal 3,6 Prozentpunkte über den Förderquoten von Antragstellern. Die Befunde zur unterschiedlichen Verteilung von Männern und Frauen auf die Fachdisziplinen, zu deren unterschiedlichen Altersstrukturen und den im Zeitverlauf sinkenden Förderquoten belegen die Bedeutsamkeit gerade dieser Merkmale für die Erklärung der bestehenden Geschlechtsunterschiede bei den Förderquoten. Die Berücksichtigung der Antragssummen erscheint insbesondere für fachspezifische Analysen bedeutsam, da die benötigten finanziellen Mittel sehr stark von der in den jeweiligen Fachdisziplin benötigten insbesondere technischen Ausstattung abhängig sind. Auf Basis aller Anträge im Untersuchungszeitraum sinkt die Prozentpunktdifferenz in der Förderquote von Frauen und Männern bei Berücksichtigung des Alters, der Förderjahre, Wissenschaftsbereiche und der Antragssumme um 1,7 Punkte. Damit bestehen für Frauen unabhängig von den berücksichtigten Merkmalen noch um 2,3 Prozentpunkte geringere Aussichten auf eine Förderung als für Männer. Da sich Antragstellerinnen stärker als Antragsteller auf Disziplinen konzentrieren, die generell geringere Förderquoten aufweisen (Geistes-/Sozialwissenschaften; Lebenswissenschaften), trägt die horizontale Segregation der Antragstellenden am meisten zur Erklärung des Geschlechtsunterschieds bei. Der Einbezug des Lebensalters weist hingegen nur eine geringe Erklärungskraft auf. Dies ist jedoch der jeweils stärkeren Konzentration von Frauen auf die jüngste und die älteste Gruppe geschuldet. Die Berücksichtigung der Förderjahre erklärt ebenfalls nur geringe Teile des Geschlechtsunterschieds. Frauen können demnach nicht durch die höheren Antragszahlen oder gleichstellungspolitische Maßnahmen profitieren. Niedrige und hohe Antragssummen begünstigen beidermaßen die Aussichten auf eine Förderung gegenüber mittleren Summen. Auch in den vier Wissenschaftsbereichen bestehen in den kontrollierten Modellen weiterhin geringere Bewilligungschancen für Frauen. Obwohl die Prozentpunktdifferenzen in den Förderquoten der Geistes-/Sozialwissenschaften, Lebenswissenschaften und Ingenieurwissenschaften durch die Berücksichtigung von Alter, Förderjahr, Fachgebiet und Antragssumme zumeist sinken, beläuft sich die Diskrepanz zwischen Antragstellerinnen und Antragstellern auf etwa zwei Prozentpunkte
Objektive Faktoren und Zusammenhänge
239
in den Geistes-/Sozialwissenschaften und den Lebenswissenschaften und sieben Prozentpunkte in den Ingenieurwissenschaften. In den Naturwissenschaften führt die Berücksichtigung der Merkmale zu einem Anstieg des Geschlechtsunterschieds, so dass zuletzt für Frauen um vier Prozentpunkte geringere Bewilligungschancen bestehen. Diese je nach Wissenschaftsbereich unterschiedliche Erklärungskraft der einzelnen Merkmale für die bestehenden Geschlechtsunterschiede resultiert aus der unterschiedlichen Verteilung der Frauen auf diese Merkmale und die unabhängig vom Geschlecht bestehenden Zusammenhänge mit den Bewilligungschancen. Aufgrund der möglichen Bedeutsamkeit des Lebensalters als Kriterium für wissenschaftliche Exzellenz wurden die Einflüsse dieses Merkmals auf die Bewilligungschancen näher betrachtet. Unabhängig vom Geschlecht erweist sich das Alter der Antragstellenden als wichtiges Kriterium für die Förderentscheidung. Dabei wurden Antragstellende unter 30 Jahren häufiger als förderungswürdig erachtet als Antragstellende der älteren Gruppen (31-34, 35-40, 41 und älter). Dies gilt auf der Basis aller Anträge ebenso wie in den Lebens- und den Naturwissenschaften. Diese implizite Altersgrenze erscheint nur unter großen Anstrengungen erreichbar und könnte aufgrund der stärkeren Involviertheit der Frauen in familiäre Aufgaben (vgl. Kapitel 4) gerade für sie als Barriere fungieren. In den Naturwissenschaften zeigt sich bereits ab einem Alter von 35 Jahren eine Verstärkung des Geschlechtsunterschieds, da Frauen noch deutlich schlechtere Bewilligungschancen aufweisen als Männer. In den Geistes-/Sozialwissenschaften und Lebenswissenschaften sind für Antragstellende ab 41 Jahren hingegen ausgleichende Tendenzen erkennbar. Für die Untersuchung der geschlechtsspezifischen Bewilligungschancen bei DFG-Forschungsstipendien lässt sich festhalten, dass für Frauen insgesamt und fachspezifisch auch bei Berücksichtigung der weiteren Merkmale etwas schlechtere Bewilligungschancen bestehen als für Männer. Dennoch bedeuten diese Befunde keine gravierenden Nachteile für Frauen beim Zugang zu diesem gerade für den exzellenten Nachwuchs bedeutsamen Förderinstrument. Somit sind keine eindeutigen Evidenzen für geschlechtsspezifisch unterschiedliche Exzellenzzuweisungen oder Prozesse der Diskriminierung zu verzeichnen. Wegen den der Antragstellung vorhergehenden Selektionen darf der etwas geringere Erfolg der Frauen bei der Bewährung im Wissenschaftssystem allerdings auch nicht unterschätzt werden. Zudem gibt die unabhängig vom Geschlecht hohe Bedeutsamkeit des Lebensalters für den Erfolg eines Antrags Anlass zu der Vermutung, dass dieses Exzellenzkriterium gerade Frauen von einer Antragstellung abhält, da diese Verzögerungen im Qualifikationsverlauf, familiär bedingt, häufiger in Kauf nehmen müssen.
240
Postdocphase: Bewährung in der Wissenschaftsgemeinschaft durch DFG-Forschungsstipendien
5.4 Subjektive Wahrnehmungen Informationen zu den Erfahrungen und Wahrnehmungen mit dem DFG-Forschungsstipendium können aus einer Befragung ehemaliger Stipendiatinnen und Stipendiaten aus dem Jahr 2002 gewonnen werden.227 Bei der DFG-Befragung wurden ursprünglich drei Stipendienprogramme einbezogen (Postdoktoranden-Programm, Habilitanden-Programm, Forschungsstipendium). Von 2.476 angeschriebenen Befragten liegen 1.422 auswertbare Datensätze vor, darunter 546 Fragebögen von Personen, die durch ein Forschungsstipendium gefördert wurden.228 Die retrospektive Erfassung der Erfahrungen und Wahrnehmungen dieser Teilgruppe lässt erkennen, ob das Förderinstrument für Männer und Frauen gleichermaßen geeignete Bedingungen bereitstellt, wie die Objektivität des Förderverfahrens erlebt wird und liefert somit Erkenntnisse zu möglichen Formen institutionalisierter Diskriminierung bei der Förderung des exzellenten Nachwuchses (vgl. Abschnitt 2.2.2). 5.4.1 Profil der Befragten Der Datensatz enthält 540 Fälle mit gültigen Angaben zum Geschlecht.229 Unter den befragten Personen, die in den entsprechenden Förderjahren eine Zusage zu einem Forschungsstipendium erhalten haben, sind Stipendiaten mit 78,9 Prozent deutlich stärker vertreten als Stipendiatinnen (21,1%). Tabelle 34 gibt einen Überblick über die Verteilung der Befragten hinsichtlich verschiedener Merkmale, die in den multivariaten Auswertungen berücksichtigt werden. Auf Basis der bei der Befragung berücksichtigten Förderkohorten230 wurden Gruppen (Stipendienkohorten) gebildet, die anhand der Angaben der Befragten, Informationen zum Beginn des tatsächlichen Förderzeitraums liefern. Zwischen Förderkohorte und Stipendienkohorte bestehende Abweichungen ergeben sich aus der Möglichkeit, das Stipendium nicht zwingend in dem Jahr antreten zu müssen, in dem es bewilligt wurde (vgl. auch Enders/Mugabushaka 2004: 5).231 Die drei Kohorten erlauben es, Veränderungen von Wahrnehmungen nachzuzeichnen, was insbesondere bei Unterschieden zwischen Männern und Frauen aufschlussreich erscheint. Es ist zu sehen, dass der Großteil der Befragten das Forschungsstipendium zwischen 1996 und 1999 angetreten hat. Etwas mehr als ein Viertel der Befragten 227 Die Darstellungen greifen einen Teil der Auswertungen zur Nachwuchsförderung bei der DFG heraus, die bereits im Rahmen einer umfassenden Studie veröffentlicht wurden, vgl. Hinz et al. 2008. 228 Für Ergebnisse, die alle drei Programme umfassen, vgl. Enders/Mugabushaka 2004. 229 Die sechs Personen mit fehlenden Angaben zum Geschlecht werden aus den Berechnungen ausgeschlossen. 230 Diese bilden den Zeitraum der Bewilligung des Stipendiums ab. 231 Weitere Abweichungen aufgrund ungenauer Angaben der Befragten sind nicht auszuschließen.
241
Subjektive Wahrnehmungen
wurde zwischen 1991 und 1995 gefördert und der kleinste Anteil entfällt in die älteste Kohorte. Stipendiatinnen konzentrieren sich außerdem stärker auf die jüngste Kohorte (1996-1999), als dies bei Stipendiaten der Fall ist. Für 538 Personen liegen außerdem Angaben zur Annahme des Stipendiums und zum Geschlecht vor. Dabei hat mit jeweils etwa 91 Prozent der Großteil der Befragten das Stipendium angenommen. Unterschiede zwischen Stipendiatinnen und Stipendiaten bestehen nicht. Weitere 6,8 Prozent der Stipendiaten und 8,0 Prozent der Stipendiatinnen haben das Stipendium zwar zunächst angenommen, dieses jedoch später zurückgegeben. Das Stipendium von Beginn an nicht angenommen haben acht von 425 Stipendiaten und eine der 113 befragten Stipendiatinnen. Damit sind keine Unterschiede im Annahmeverhalten des Stipendiums feststellbar. Tabelle 34: Profil der Befragten Männer n % Beginn des Stipendiums 1986-1990 1991-1995 1996-1999 Total1 Annahme des Stipendiums Stipendium angenommen Stipendium angenommen aber vorzeitig zurückgegeben Stipendium nicht angenommen Total Elternschaft2 vor Beginn der Förderung Nein Ja Total Elternschaft während der Förderung Nein Ja Total
Frauen n
%
Gesamt n %
80 99 194 373
21,4 26,5 52,0 100,0
12 25 73 110
10,9 22,7 66,4 100,0
92 124 267 483
19,0 25,7 55,3 100,0
388
91,3
103
91,2
491
91,3
29 8 425
6,8 1,9 100,0
9 1 113
8,0 0,9 100,0
38 9 538
7,1 1,7 100,0
264 148 412
64,1 35,9 100,0
81 28 109
74,3 25,7 100,0
345 176 521
66,2 33,8 100,0
247 167 414
59,7 40,3 100,0
77 34 111
69,4 30,6 100,0
324 201 525
61,7 38,3 100,0
Quelle: DFG, Befragungsdaten; eigene Berechnungen. 1 Abweichungen bei „Total“ aufgrund fehlender Angaben. 2 Gemeint ist jeweils eine soziale Elternschaft (Anzahl der im Haushalt lebenden Kinder).
Die Befunde aus Abschnitt 4.4 zeigen deutliche Unterschiede in den Wahrnehmungen von Eltern und kinderlosen Forschenden, wobei vor allem die Mütter ihr soziales Umfeld, die Arbeitsbedingungen und Anforderungen des Wissenschaftssystems skeptisch betrachten. Ob eine soziale Elternschaft auch die Wahr-
242
Postdocphase: Bewährung in der Wissenschaftsgemeinschaft durch DFG-Forschungsstipendien
nehmungen des DFG-Stipendiums beeinflussen und möglicherweise bestehende Geschlechtsunterschiede erklären kann, ist daher besonders aufschlussreich. Dabei können zwei Zeitpunkte unterschieden werden: der Zeitpunkt vor und während der Förderung durch das DFG-Stipendium. Vor Förderbeginn haben etwa ein Drittel der Befragten Kinder, während der Förderung steigt dieser Anteil auf 38,3 Prozent an. Die Unterschiede nach dem Geschlecht weisen analog zu Abschnitt 4.3.1 deutlich geringere Anteile für Frauen auf. So haben lediglich 25,7 Prozent der Stipendiatinnen vor der Förderung und 30,6 Prozent während der Förderung Kinder. Damit fallen die Anteile der Stipendiatinnen zu beiden Zeitpunkten um etwa zehn Prozentpunkte geringer aus als die Anteile der Stipendiaten. Dies bedeutet, dass Stipendiatinnen die durch das Stipendium gegebene institutionelle Unabhängigkeit nicht auffallend häufig für eine Familiengründung nutzen. Die Fachzugehörigkeit und die Altersstruktur der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler erwiesen sich bereits bei der Analyse der Bewilligungschancen als wichtige Einflussgrößen und werden in den multivariaten Auswertungen berücksichtigt. Tabelle 35 offenbart eine starke Konzentration der Befragten auf die Lebenswissenschaften. Beinahe die Hälfte aller Stipendiatinnen und Stipendiaten entfällt auf diesen Wissenschaftsbereich. An zweiter und dritter Stelle folgen die Naturwissenschaften mit etwa einem Drittel der Befragten und die Geistes-/Sozialwissenschaften mit 12,8 Prozent. Damit sind Befragte der Ingenieurwissenschaften mit einem Anteil von unter fünf Prozent deutlich seltener vertreten. Dieses Bild entspricht in etwa der Verteilung der Antragstellenden für die Jahre 1991-2004 (vgl. Tabelle 30). Demnach geht der hohe Anteil der Stipendiatinnen und Stipendiaten in den Lebenswissenschaften nicht primär mit den dort hohen Förder- oder Rücklaufquoten einher, sondern ergibt sich bereits aus den hohen Antragszahlen. Stipendiatinnen konzentrieren sich stärker als Stipendiaten auf die Geistes-/Sozialwissenschaften und die Lebenswissenschaften. Umgekehrt verhält sich dies in den Naturund Ingenieurwissenschaften. Der größte Unterschied besteht mit einer Prozentpunktdifferenz von etwa elf Punkten in den Naturwissenschaften. Auf der Ebene der Fachgebiete zeigt sich mit Anteilen von jeweils über 20 Prozent eine Konzentration der Befragten auf die Medizin und Biologie. Auch die Physik erreicht noch einen Anteil von 11,3 Prozent. In allen anderen Fachgebieten liegen die Anteile unter zehn Prozent. In der Wärme- und Verfahrenstechnik sind keine ehemaligen Stipendiatinnen und Stipendiaten vertreten. Stipendiatinnen gehören am häufigsten der Biologie, Medizin und den Geisteswissenschaften an. Stipendiaten konzentrieren sich auf die beiden Fachgebiete der Lebenswissenschaften. An dritter Stelle folgt bei ihnen die Physik mit einem Anteil von etwa 13 Prozent.
243
Subjektive Wahrnehmungen
Tabelle 35: Fachzugehörigkeit der ehemaligen Stipendiatinnen und Stipendiaten n Geisteswiss. Sozial-/Verhaltenswiss. G-SW Biologie Medizin Agrar-/Forstwiss./Gartenbau/Tiermed. LW Chemie Physik Mathematik Geowiss. NW Maschinenbau/Produktionstechnik Wärme-/Verfahrenstechnik Werkstoffwiss. Elektrotechnik/Informatik/Systemtechnik Bauwesen/Architektur IW Sonstige Fachgebiete1 Sonstiges Wissenschaftsbereiche2 Total Wissenschaftsbereiche
Männer %
33 15 48 80 108 9 197 45 55 26 27 153 3 0 1 12 1 20 10 7 425
7,8 3,5 11,3 18,8 25,4 2,1 46,4 10,6 12,9 6,1 6,4 36 0,7 0,0 0,2 2,8 0,2 4,7 2,4 1,6 100,0
n
Frauen %
15 6 21 31 21 5 57 7 6 7 9 29 0 0 0 2 0 3 5 4 114
13,2 5,3 18,4 27,2 18,4 4,4 50,0 6,1 5,3 6,1 7,9 25,4 0,0 0,0 0,0 1,8 0,0 2,6 4,4 3,5 100,0
n
Gesamt %
48 21 69 111 129 14 254 52 61 33 36 182 3 0 1 14 1 23 15 11 539
8,9 3,9 12,8 20,6 23,9 2,6 47,1 9,6 11,3 6,1 6,7 33,8 0,6 0,0 0,2 2,6 0,2 4,3 2,8 2,0 100,0
Quelle: DFG, Befragungsdaten; eigene Berechnungen. 1 Bei 15 Fächern ist gemäß der Fachsystematik der DFG keine Zuordnung auf Fachgebietsebene möglich. Sonstige Fächer beinhalten Ingenieurwesen allgemein (n=4), Sport/Sportwissenschaften (n=2). Weitere zehn Personen geben bereits in der Befragung „sonstiges Fach" an. 2 Die Zahl sonstiger Wissenschaftsbereiche reduziert sich gegenüber sonstiger Fachgebiete auf elf, da Befragte mit dem Stipendienfach Ingenieurwesen allgemein den IW zugeordnet wurden.
Das Alter der Befragten ist eine wichtige Kenngröße für die Einschätzung des bisherigen Werdegangs der Befragten und gibt Aufschluss darüber, ob gerade junge oder erfahrenere Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler von einem DFG-Stipendium profitieren. Bestehende Unterschiede in den Altersverteilungen von Männern und Frauen könnten dann Unterschiede in deren Wahrnehmungen und des Stipendiennutzens erklären. Das Durchschnittsalter der Befragten zum Zeitpunkt des Antritts des Stipendiums beträgt 32 Jahre (Median). Wird das Alter in vier Kategorien zusammengefasst, ist festzustellen, dass sich Stipendiatinnen etwas stärker auf die jüngste Altersgruppe konzentrieren als Stipendiaten (Tabelle 36). In den Wissenschaftsbereichen lassen sich, bei teilweise allerdings kleinen Fallzahlen, ebenfalls Unterschiede nach dem Geschlecht erkennen. So konzentrieren sich Stipendiaten der Geistes-/Sozialwissenschaften stärker als Stipendiatinnen auf die jüngste
244
Postdocphase: Bewährung in der Wissenschaftsgemeinschaft durch DFG-Forschungsstipendien
und die älteste Gruppe.232 Keine der Geistes-/Sozialwissenschaftlerinnen ist zum Zeitpunkt der Förderung unter 30 Jahren alt. Umgekehrt verhält sich dies in den Lebens- und den Naturwissenschaften. Hier gehören deutlich mehr Frauen als Männer der jüngsten und etwas mehr Frauen als Männer der ältesten Gruppe an. In den Ingenieurwissenschaften sind Geschlechtervergleiche wegen der kleinen Fallzahlen wenig aussagekräftig. Allerdings ist keine Person unter 30 Jahre alt. Tabelle 36: Altersverteilung der ehemaligen Stipendiatinnen und Stipendiaten Männer n G-SW Unter 30 31-34 35-40 41 und älter Total LW Unter 30 31-34 35-40 41 und älter Total NW Unter 30 31-34 35-40 41 und älter Total IW Unter 30 31-34 35-40 41 und älter Total Gesamt Unter 30 31-34 35-40 41 und älter Total
Frauen %
n
%
Gesamt n %
2 17 8 12 39
5,1 43,6 20,5 30,8 100,0
0 10 9 2 21
0,0 47,6 42,9 9,5 100,0
2 27 17 14 60
3,3 45,0 28,3 23,3 100,0
23 103 44 3 173
13,3 59,5 25,4 1,7 100,0
11 32 7 3 53
20,8 60,4 13,2 5,7 100,0
34 135 51 6 226
15,0 59,7 22,6 2,7 100,0
28 86 18 5 137
20,4 62,8 13,1 3,6 100,0
8 18 1 2 29
27,6 62,1 3,4 6,9 100,0
36 104 19 7 166
21,7 62,7 11,4 4,2 100,0
0 9 9 0 18
0,0 50,0 50,0 0,0 100,0
0 2 0 1 3
0,0 66,7 0,0 33,3 100,0
0 11 9 1 21
0,0 52,4 42,9 4,8 100,0
53 218 80 22 373
14,2 58,4 21,4 5,9 100,0
20 64 17 8 109
18,3 58,7 15,6 7,3 100,0
73 282 97 30 482
15,1 58,5 20,1 6,2 100,0
Quelle: DFG, Befragungsdaten; eigene Berechnungen. 232 Bei den Antragstellenden in diesem Wissenschaftsbereich verhält sich dies umgekehrt (vgl. Abschnitt 5.2).
245
Subjektive Wahrnehmungen
Die erreichte und angestrebte Qualifikationsstufe der Befragten zum Zeitpunkt der Befragung liefert Informationen zur beruflichen Orientierung nach dem Stipendium und verdeutlicht die Erträge der DFG-Förderung. Tabelle 37 zeigt, dass nahezu die Hälfte der Befragten eine Habilitation bereits abgeschlossen hat. Weitere 22,4 Prozent befinden sich in der Habilitationsphase. Keine Habilitationsabsichten hegen 11,9 Prozent der Befragten, die ihre Habilitationspläne inzwischen aufgegeben haben, und 17,0 Prozent, die eine Habilitation nie versucht hatten. Tabelle 37: Qualifikationsstatus der ehemaligen Stipendiatinnen und Stipendiaten zum Zeitpunkt der Befragung nach Wissenschaftsbereichen n G-SW Habilitation abgeschlossen Habilitation erfolgt gegenwärtig Habilitationsabsichten aufgegeben Habilitation nie versucht Total LW Habilitation abgeschlossen Habilitation erfolgt gegenwärtig Habilitationsabsichten aufgegeben Habilitation nie versucht Total NW Habilitation abgeschlossen Habilitation erfolgt gegenwärtig Habilitationsabsichten aufgegeben Habilitation nie versucht Total IW Habilitation abgeschlossen Habilitation erfolgt gegenwärtig Habilitationsabsichten aufgegeben Habilitation nie versucht Total Gesamt Habilitation abgeschlossen Habilitation erfolgt gegenwärtig Habilitationsabsichten aufgegeben Habilitation nie versucht Total
Männer %
Frauen n %
Gesamt n %
29 2 5 11 47
61,7 4,3 10,6 23,4 100,0
7 5 4 5 21
33,3 23,8 19,0 23,8 100,0
36 7 9 16 68
52,9 10,3 13,2 23,5 100,0
101 56 21 18 196
51,5 28,6 10,7 9,2 100,0
17 20 7 13 57
29,8 35,1 12,3 22,8 100,0
118 76 28 31 253
46,6 30,0 11,1 12,3 100,0
85 25 15 27 152
55,9 16,4 9,9 17,8 100,0
10 8 4 7 29
34,5 27,6 13,8 24,1 100,0
95 33 19 34 181
52,5 18,2 10,5 18,8 100,0
5 2 7 5 19
26,3 10,5 36,8 26,3 100,0
1 1 1 0 3
33,3 33,3 33,3 0,0 100,0
6 3 8 5 22
27,3 13,6 36,4 22,7 100,0
224 86 48 64 422
Quelle: DFG, Befragungsdaten; eigene Berechnungen.
53,1 20,4 11,4 15,2 100,0
37 34 16 27 114
32,5 29,8 14,0 23,7 100,0
261 120 64 91 536
48,7 22,4 11,9 17,0 100,0
246
Postdocphase: Bewährung in der Wissenschaftsgemeinschaft durch DFG-Forschungsstipendien
Unter den Befragten mit abgeschlossener Habilitation bestehen gravierende Geschlechtsunterschiede. So haben knapp zwei Drittel der 114 Stipendiatinnen und über die Hälfte der Stipendiaten (53,1% von 422 Befragten) dieses Qualifikationsziel bereits erreicht. Umgekehrt fallen die Anteile der Stipendiatinnen, die sich zum Befragungszeitpunkt in der Habilitationsphase befinden, mit 29,8 Prozent gegenüber 20,4 Prozent bei Stipendiaten höher aus. Demzufolge sind Stipendiatinnen in ihrer formalen Weiterqualifikation weniger fortgeschritten. Zugleich geben Stipendiatinnen auch häufiger als Stipendiaten an (14,0% gegenüber 11,4%), zunächst zwar eine Habilitation angestrebt zu haben, diesen Versuch jedoch inzwischen aufgegeben zu haben. Zu welchem Zeitpunkt die Entscheidung gegen eine Habilitation getroffen wurde, kann nicht näher untersucht werden. Es scheint jedoch plausibel, dass diese Entscheidung mit den Erfahrungen während der DFG-Förderung oder der Promotionsphase einhergeht. Weitere 23,7 Prozent der Stipendiatinnen und 15,2 Prozent der Stipendiaten geben außerdem an, eine Habilitation nie begonnen zu haben. Damit liegt der Anteil der Stipendiatinnen, die zum Befragungszeitpunkt keine (weitere) Habilitationsabsicht aufweisen, mit 37,7% deutlich über dem Anteil der Stipendiaten (26,5%). Für die Kontrolle des Qualifikationsstatus in multivariaten Analysen werden die Kategorien „Habilitation abgeschlossen“ und „Habilitation erfolgt gegenwärtig“ und die Kategorien „Habilitationsabsicht aufgegeben“ und „Habilitation nie versucht“ zusammengefasst. Dies erlaubt einen Vergleich der Wahrnehmungen von Personen mit wissenschaftlichen Ambitionen mit Personen, die sich zumindest von den im universitären Bereich bis dato notwendigen Qualifikationserfordernissen abgewandt haben. Auch in den Wissenschaftsbereichen finden sich dem allgemeinen Muster entsprechende Geschlechtsunterschiede. Besonders auffallende Unterschiede zwischen Männern und Frauen bestehen in den Geisteswissenschaften. Dort haben Stipendiatinnen im Vergleich zu Stipendiaten besonders selten eine Habilitation bereits abgeschlossen. Die Prozentpunktdifferenzen betragen hier etwa 28 Punkte. In den Ingenieurwissenschaften sind Aussagen zum Qualifikationsstatus fallzahlbedingt kaum möglich. Inwiefern diese Geschlechtsunterschiede im Qualifikationsstatus durch weitere Merkmale erklärt werden, wird nachfolgend untersucht.
247
Subjektive Wahrnehmungen
5.4.2 Erträge und Nützlichkeit des Stipendiums Erreichte Qualifikation und Qualifikationsabsicht Aufgrund der auffallenden Geschlechtsunterschiede bei der erreichten und angestrebten Qualifikationsstufe (Abschnitt 5.4.1) werden für die Wahrscheinlichkeit, dass die Befragten eine Habilitation abgeschlossen haben (gegenüber Befragten, die keine Habilitation anstreben oder sich derzeit habilitieren), und die Wahrscheinlichkeit, dass die Befragten keine (weitere) Habilitationsabsicht verfolgen (gegenüber Personen, die sich derzeit habilitieren oder ihre Habilitation abgeschlossen haben), multivariat betrachtet. Dabei werden jeweils das Alter der Befragten und die Wissenschaftsbereiche berücksichtigt. Tabelle 38 offenbart weiterhin einen Geschlechtsunterschied von 21,6 Prozentpunkten zuungunsten der Frauen. Damit können Frauen das DFG-Stipendium deutlich seltener für eine formale Weiterqualifikation nützen. Tabelle 38: Abgeschlossene Habilitation nach Geschlecht (logistische Regressionen) (1) Gesamt Geschlecht (d) (1=Frau) 31-34 (d) 35-40 (d) 41 und älter (d) LW (d) NW (d) IW (d) Observations Pseudo R2
-0,216 *** 0,060 0,158 -0,002 -0,087 -0,014 -0,268 ** 469 0,039
(2) Männer
(3) Frauen
0,053 0,174 * 0,036 -0,110 -0,038 -0,334 **
0,076 0,102 -0,169 -0,037 0,035 0,071
363 0,020
106 0,020
Quelle: DFG, Befragungsdaten; eigene Berechnungen. Marginal effects (d) for discrete change of dummy variable from 0 to 1; * p < 0,05, ** p < 0,01, *** p < 0,001. Basis: Befragte, die ein Forschungsstipendium zugesprochen bekommen haben. Referenzkategorie Wissenschaftsbereiche: G-SW. Geschlechtseffekte je Wissenschaftsbereich (Prozentpunktdifferenzen): G-SW: -28,4* (N=59); LW: -20,5 (N=225); NW: -19,9 (N=165); IW: Berechnung aufgrund der zu geringen Varianz nicht möglich.
Neben dem Geschlecht hat insbesondere das Alter der Befragten einen Einfluss auf die Habilitationsquote. Dabei haben Befragte, die bei Antritt des Stipendiums zwischen 31 und 34 bzw. 35 und 40 Jahren alt waren, gegenüber Befragten unter 30 Jahren häufiger eine Habilitation abgeschlossen. Möglicherweise hatten die Befragten der mittleren Altersgruppen zum Zeitpunkt der Förderung bereits weitergehende Vorarbeiten geleistet. Wenn man bedenkt, dass zwischen Antritt des Stipendiums
248
Postdocphase: Bewährung in der Wissenschaftsgemeinschaft durch DFG-Forschungsstipendien
und Durchführung der Befragung mindestens vier Jahre liegen, ist der festgestellte Alterseffekt zumindest in dieser Höhe aber nicht durch einen solchen Arbeitsvorsprung erklärbar. Fest steht jedoch, dass wer zwar schnell promoviert und in jungen Jahren eine Förderung durch ein DFG-Stipendium erhält, nicht zwangsläufig auch schnell seine Habilitation abschließt. Dies spricht gegen die Annahme, dass besonders junge Forschende auch exzellente Forschende sind, wie dies aus den impliziten Anforderungen des Wissenschaftssystems und den Untersuchungen der Bewilligungschancen hervorgeht. Allerdings habilitieren sich besonders ältere Wissenschaftlerinnen ab 41 Jahren im Vergleich zu sehr jungen Frauen deutlich seltener, während bei Männern ein umgekehrter Effekt besteht. Daher droht die Schere zwischen Stipendiaten und Stipendiatinnen mit bereits fortgeschrittenem Alter weiter auseinanderzugehen. Die Habilitationsquote unterscheidet sich außerdem in den Wissenschaftsbereichen. So haben Stipendiaten der Geistes-/Sozialwissenschaften häufiger eine Habilitation abgeschlossen als in den drei anderen Wissenschaftsbereichen. Stipendiatinnen haben in den Natur- und Ingenieurwissenschaften häufiger eine Habilitation abgeschlossen als in den Geistes-/Sozialwissenschaften. In allen Wissenschaftsbereichen sind von Frauen allerdings deutlich geringere Habilitationsquoten als von Männern zu erkennen. Der größte Geschlechtsunterschied besteht in den Geistes/Sozialwissenschaften (28,4%-Punkte). Die geringere Habilitationsquote von Frauen erklärt sich demzufolge nicht aus der unterschiedlichen Verteilung von Frauen und Männern auf die Sektionen und die unterschiedlichen Fachkulturen. Vielmehr deuten die Befunde auf für Frauen disziplinübergreifende Barrieren bei der Weiterqualifikation. Demzufolge haben Frauen im Hinblick auf ihre Weiterqualifikation allgemein und in den vier Wissenschaftsbereichen vom DFG-Stipendium weniger profitiert als Männer.233 Die Befunde in Abschnitt 4.3 weisen darauf hin, dass eine Elternschaft den Karrierefortschritt bei Frauen eher hemmt und bei Männern eher beschleunigt. Wird für die Habilitationsquote daher berücksichtigt, ob während der Förderung Kinder im Haushalt der Befragten lebten, ist ein leichter Rückgang des Geschlechtseffekts auf 19,7 Prozentpunkte zuungunsten der Stipendiatinnen festzustellen. Gleichzeitig haben Mütter und besonders Väter gegenüber kinderlosen Befragten häufiger eine Habilitation abgeschlossen. Insgesamt findet sich folglich kein Hinweis darauf, dass eine Elternschaft einen (zügigen) Abschluss der Habilitationsphase 233 Dass die Befragten mit abgeschlossener Habilitation die Bedingungen des Stipendiums als zuträglich für den Abschluss dieser Qualifikationsstufe erachten, zeigt die Frage nach der Nützlichkeit des Stipendiums für den Abschluss ihrer Habilitationsarbeit. Dabei geben etwa drei Viertel der 237 Befragten, die das Stipendium angenommen haben und zum Befragungszeitpunkt bereits habilitiert waren, an, dass das Stipendium einen Beitrag zur erfolgreichen Habilitation geleistet habe (75,5%). Unterschiede zwischen Stipendiatinnen und Stipendiaten bestehen nicht.
249
Subjektive Wahrnehmungen
behindert bzw. sich das Erreichen dieser Qualifikationsstufe nicht mit einer Elternschaft vereinbaren ließe. Möglicherweise bestehen durch das Stipendium gerade für Eltern gute Bedingungen für eine Weiterqualifikation. Die multivariate Betrachtung der (weiteren) Habilitationsabsicht liefert Evidenz für eine stärkere Entmutigung von Frauen. Bei Berücksichtigung von Alter und Wissenschaftsbereichen sprechen sich Stipendiatinnen um 12,3 Prozentpunkte häufiger gegen eine Habilitation aus als Stipendiaten (Tabelle 39). Bei Stipendiaten und Stipendiatinnen zeigen sich außerdem unterschiedliche Alterseffekte. Dabei weisen Stipendiatinnen ab 35 Jahren gegenüber unter 30-Jährigen häufiger keine weitere Habilitationsabsicht auf. Für Stipendiaten gilt dies erst ab 41 Jahren. Folglich wenden sich Frauen früher und möglicherweise aufgrund erlebter Entmutigungen vom Wissenschaftssystem ab. Die Alterseffekte bei Männern und Frauen unterscheiden sich dabei so stark, dass sich die Kluft bei der Qualifikationsabsicht ab einem Alter von 35 Jahren weiter vergrößert. Ferner beeinflusst die Fachzugehörigkeit der Befragten deren Habilitationsabsicht, wobei bei Männern und Frauen kein einheitlicher Trend vorzufinden ist. Wie zuvor für bereits abgeschlossene Habilitationen dargelegt, hat der Geschlechtsunterschied zuungunsten der Frauen allerdings in allen Wissenschaftsbereichen Bestand und geht nicht auf die horizontale Segregation zurück. In den Lebenswissenschaften ist die Differenz zwischen Stipendiatinnen und Stipendiaten mit 13,7 Prozentpunkten besonders auffallend. Tabelle 39: Keine (weitere) Habilitationsabsicht nach Geschlecht (logistische Regressionen) (1) Gesamt Geschlecht (d) (1=Frau) 31-34 (d) 35-40 (d) 41 und älter (d) LW (d) NW (d) IW (d) Observations Pseudo R2
(2) Männer
(3) Frauen
0,123 * -0,037 -0,029 0,121 -0,091 -0,036 0,232
-0,027 -0,059 0,024 -0,123 -0,059 0,262
-0,060 0,103 0,403 * -0,018 0,011 -0,146
469 0,036
363 0,034
106 0,049
Quelle: DFG, Befragungsdaten; eigene Berechnungen. Marginal effects (d) for discrete change of dummy variable from 0 to 1; * p < 0,05, ** p < 0,01, *** p < 0,001. Basis: Befragte, die ein Forschungsstipendium zugesprochen bekommen haben. Referenzkategorie Wissenschaftsbereiche: G-SW. Geschlechtseffekte je Wissenschaftsbereich (Prozentpunktdifferenzen): G-SW: 5,1 (N=59); LW: 13,7 (N=225); NW: 10,9 (N=165); IW: Berechnung aufgrund der zu geringen Varianz nicht möglich.
250
Postdocphase: Bewährung in der Wissenschaftsgemeinschaft durch DFG-Forschungsstipendien
Eine Elternschaft während der Förderung trägt nicht zur weiteren Aufklärung des Geschlechtseffekts bei. Väter und Mütter streben gegenüber kinderlosen Stipendiaten und Stipendiatinnen etwas häufiger keine Habilitation an. Demzufolge haben Eltern das DFG-Stipendium besonders effektiv für ihre Weiterqualifikation genutzt und sind zum Befragungszeitpunkt bereits habilitiert oder sie wenden sich vom Wissenschaftssystem ab und beabsichtigen nicht (weiter) sich zu habilitieren. Aus den verfügbaren Daten geht nicht hervor, ob diese häufigere Abwendung der Frauen erst während des Förderzeitraums einsetzt oder Frauen bereits bei Antritt des Stipendiums eine geringere Habilitationsneigung aufweisen, was dann auf vorangegangene Entmutigungen hindeuten würde. Es liegen lediglich Angaben über einige Motive für die Beantragung des Stipendiums vor. Bei Berücksichtigung von Alter und Wissenschaftsbereichen strebten Wissenschaftlerinnen mit einer Prozentpunktdifferenz von 10,1 Punkten häufiger als Wissenschaftler den Abschluss einer begonnenen Forschungsarbeit an. Dies bedeutet, dass Wissenschaftlerinnen diese Forschungsarbeit auch mithilfe des Stipendiums nicht abschließen oder diese Projekte zumindest seltener für ihre Weiterqualifikation nutzen konnten. Dies gilt mit einer Differenz von etwa 21 Prozentpunkten in besonderem Maß für die Lebenswissenschaften. Weiterhin beantragten Wissenschaftlerinnen aufgrund einer fehlenden Anstellung an einer Hochschule das Stipendium um 15,9 Prozentpunkte häufiger als Wissenschaftler, wobei die Unterschiede in den Lebens- und Naturwissenschaften mit etwa 18 bzw. 20 Prozentpunkten besonders hoch ausfallen. Beide Befunde verweisen auf für Frauen größere Barrieren durch die Befristung von Verträgen, zeitlich enge Projektlaufzeiten und eine höhere Prekarität der Beschäftigungssituation an Hochschulen insgesamt.234 Dass der von Frauen häufig genannte Mangel an alternativen Finanzierungsquellen nicht auf deren zurückhaltenderes Bewerbungsverhalten zurückgeht, zeigen die Zahlen zu parallelen Bewerbungen auf weitere Stipendien und andere Stellen. Beide Male liegen die Anteile mit 21,8 Prozent bzw. 26,4 Prozent um etwa sieben Prozentpunkte über den Anteilen der Männer. Somit sicherten die befragten Frauen ihren Verbleib in der Wissenschaft häufiger mehrfach ab als Männer, was mit einem geringeren Vertrauen in die DFG-Förderpraxis (vgl. Abschnitt 5.4.3) oder einem generell geringeren Selbstwertgefühl zu tun haben könnte. Diese Ergebnisse deuten zwar auf größere Barrieren für Frauen und möglicherweise vorangegangene Entmutigungen, sagen jedoch nichts über die Weiterqualifikationsabsichten der Befragten zu Beginn der Förderung durch das DFG-Stipendiums aus. Rückschlüsse auf Entmutigungen während der Förderung sind auf dieser Basis nicht möglich. Hierfür sind die Ergebnisse zur Nützlichkeit des Stipendiums aussagekräftiger. 234 Auch die häufige Nennung einer „attraktiven finanziellen Unterstützung“ durch das Stipendium weist in diese Richtung. Weiterhin stellen sich für Wissenschaftlerinnen Möglichkeiten zu selbstständiger und unabhängiger Arbeit ebenfalls als wichtiger heraus, während die Weiterqualifikation auf einem neuen Arbeitsgebiet seltener genannt wird.
251
Subjektive Wahrnehmungen
Auslandsmobilität Eine hohe Auslandsmobilität des wissenschaftlichen Nachwuchses gilt als günstige Voraussetzung für eine erfolgreiche langfristige Etablierung im Wissenschaftssystem (vgl. Abschnitt 2.4). Zugleich ist das DFG-Stipendium speziell für Auslandsaufenthalte vorgesehen und könnte demzufolge für besonders exzellente Forschende als ein geeignetes Instrument zur Erlangung einer zentralen Anforderung des Wissenschaftssystems erkannt und genützt werden. Mit 80 Prozent gab der Großteil der Befragten an, dass das DFG-Stipendium die Finanzierung eines Auslandsaufenthalts beinhaltete und auch ein längerer Aufenthalt im Ausland vorgenommen wurde. Dies bestätigt die hohe Relevanz des Stipendiums für die Auslandsmobilität des wissenschaftlichen Nachwuchses. Allerdings bestehen auffallende Unterschiede zwischen Männern und Frauen, wobei 71,3 Prozent der Frauen und 82,8 Prozent der Männer einen Auslandsaufenthalt absolviert haben. Bei Berücksichtigung der weiteren Merkmale haben Stipendiatinnen die DFGFörderung weiterhin um etwa elf Prozentpunkte seltener für einen Auslandsaufenthalt genützt als Männer (Tabelle 40). Ferner bestehen auffallende Alterseffekte, wonach das Stipendium von sehr jungen Stipendiatinnen und Stipendiaten unter 30 Jahren häufiger für eine Auslandstätigkeit genutzt wird als von älteren Befragten. Tabelle 40: Absolvierung eines DFG-finanzierten Auslandsaufenthalts nach Geschlecht (logistische Regressionen) (1) Gesamt Geschlecht (d) (1=Frau) 30-34 Jahre (d) 35-40 Jahre (d) 41 Jahre und älter (d) Habilitation (angestrebt) (d) (1=ja) LW (d) NW (d) IW (d) Observations Pseudo R2
-0,106 * -0,092 -0,268 * -0,578 *** -0,014 0,123 * 0,086 0,118 ** 450 0,127
(2) Männer -0,081 -0,293 * -0,408 * -0,033 0,186 ** 0,146 ** 336 0,124
(3) Frauen -0,141 -0,286 -0,721 *** 0,041 0,094 -0,034 -0,267 100 0,165
Quelle: DFG, Befragungsdaten; eigene Berechnungen. Marginal effects (d) for discrete change of dummy variable from 0 to 1; * p < 0,05, ** p < 0,01, *** p < 0,001. Basis: Befragte, die ein Forschungsstipendium zugesprochen bekommen haben. Referenzkategorien: Alter: unter 30 Jahre; Wissenschaftsbereiche: G-SW. Bei Modell (2) können die IW fallzahlbedingt nicht berücksichtigt werden. Geschlechtseffekte je Wissenschaftsbereich (Prozentpunktdifferenzen ohne Berücksichtigung des Alters): G-SW: 10,9* (N=62); LW: -5,3 (N=246); NW: -15,4 (N=171); IW: Berechnung aufgrund der zu geringen Varianz nicht möglich.
252
Postdocphase: Bewährung in der Wissenschaftsgemeinschaft durch DFG-Forschungsstipendien
Die partiellen Effekte des Lebensalters für Männer und Frauen zeigen außerdem Verstärkungstendenzen des bestehenden Geschlechtsunterschieds, da besonders ältere Stipendiatinnen seltener einen Aufenthalt im Ausland absolvierten. Aussagen über die Auslandsmobilität in den Wissenschaftsbereichen sind aufgrund der geringen Varianz in den Ingenieurwissenschaften nur eingeschränkt möglich. Die Geschlechtsunterschiede in den Wissenschaftsbereichen offenbaren allerdings geschlechtsspezifische Fachkulturen, wobei Stipendiatinnen der Geistes-/Sozialwissenschaften mobiler und Stipendiatinnen der Naturwissenschaften und der Lebenswissenschaften weniger mobil sind als Stipendiaten. Damit sind Frauen unabhängig von den übrigen Merkmalen deutlich weniger mobil als Männer, ihre Auslandsmobilität variiert jedoch stark nach Fachzugehörigkeit und Altersstruktur. Möglicherweise erklärt sich die unterschiedliche Mobilität von Männern und Frauen auch durch Barrieren im privaten Umfeld. Berücksichtigt man daher den Elternstatus während der Förderung, verbleibt weiterhin ein Geschlechtsunterschied von 10,0 Prozentpunkten. Es zeigt sich jedoch, dass Väter deutlich häufiger (13,8%-Punkte) und Mütter um 21,6 Prozentpunkte seltener einen Auslandsaufenthalt absolviert haben als die jeweils kinderlosen Befragten. Dies dürfte mit der größeren Verantwortung und häufigeren Übernahme von Erziehungsarbeiten der Mütter zu tun haben. Aufgrund der bestehenden Diskrepanzen zwischen Vätern und Müttern bewirkt eine Elternschaft eine Verstärkung der geringeren Auslandsmobilität der Stipendiatinnen. Dies belegt hinsichtlich der Mobilität des wissenschaftlichen Nachwuchses zusätzliche Probleme der Vereinbarkeit für Frauen, während Väter umgekehrt einen weiteren entscheidenden Schritt zu einer langfristigen wissenschaftlichen Laufbahn machen. Nützlichkeit des Stipendiums Die retrospektive Einschätzung der ehemaligen Stipendiatinnen und Stipendiaten liefert zusätzliche Informationen über die Nützlichkeit des DFG-Stipendiums für die weitere wissenschaftliche Etablierung des Nachwuchses. Die Analysen zu den Bedingungen der Förderung exzellenter Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler werden jeweils auf Befragte, die das Stipendium angenommen haben, begrenzt. Erfasst wurden mehrere Aspekte, die für die weitere berufliche Laufbahn zentral sind. Die geförderten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler konnten das Stipendium in unterschiedlichem Ausmaß für diese Aspekte nützen (Abbildung 23). Den größten Nutzen sehen die Befragten in der Erweiterung ihrer Forschungsqualifikationen. Mit 93,8 Prozent sind nahezu alle Befragten der Meinung, dass das Stipendium in dieser Hinsicht förderlich war. An zweiter und dritter Stelle folgen der allgemeine Nutzen für die berufliche Karriere (86,5%) und der Aufbau von Kontakten zu anderen Wissenschaftlern/innen (77,8%). Für einen Großteil der Be-
253
Subjektive Wahrnehmungen
fragten erweist sich das Forschungsstipendium auch für die Publikation von Forschungsergebnissen nützlich (64,6%). Im Gegensatz dazu besteht im Hinblick auf die Entwicklung praktischer Forschungskontexte und den Aufbau von Kontakten zur Privatwirtschaft mit Anteilen von jeweils unter 25 Prozent ein deutlich geringerer Nutzen. Damit unterstützt das DFG-Förderinstrument einige zentrale Aspekte für eine erfolgreiche Etablierung im Wissenschaftssystem maßgeblich. Die zumeist kleineren Geschlechtsunterschiede deuten in den meisten Fällen auf eine etwas geringere Zufriedenheit von Frauen hin. Für Frauen deutlich weniger nutzbringend stellen sich besonders der Aufbau von Kontakten zu Wissenschaftlern und Publikationsmöglichkeiten heraus. Abbildung 23: Nützlichkeit des Forschungsstipendiums nach Geschlecht (in Prozent mit Angabe der Prozentpunktdiff.; Antwortkategorien 1 und 2) 1,5
-0,5
-7,0
-8,1
-2,6
-3,1
Männer
Kontakte mit Privatwirtschaft knüpfen
Entwicklung praktischer Forschungskontexte
Publikation von Forschungsarbeiten
Kontakte mit Wissenschaftlern knüpfen
Berufliche Karriere
Frauen
Erweiterung von Forschungsqualifikationen
100 90 80 70 60 50 40 30 20 10 0
Quelle: DFG, Befragungsdaten; eigene Berechnungen. Basis: Befragte, die ein Forschungsstipendium in Anspruch genommen haben. N Gesamt: 472-488; N Männer: 377-387; N Frauen: 95-101; Abweichungen aufgrund fehlender Angaben. Frage: Inwieweit war die Phase der Förderung durch das DFG-Stipendium für Ihre wissenschaftliche Arbeit und weitere Laufbahn förderlich? (Antwortkategorien von 1=„sehr förderlich“ bis 5=„überhaupt nicht förderlich“). Items: Für meine weitere berufliche Karriere; Um Kontakte zu anderen Wissenschaftlern/innen im Inund Ausland zu knüpfen; Für die Erweiterung meiner Forschungsqualifikationen; Für die Publikation meiner Forschungsarbeiten; Für die Entwicklung von praktischen Anwendungskontexten; Für den Aufbau von Kontakten mit der Privatwirtschaft/Industrie.
Berücksichtigt man für diese beiden Aspekte wiederum die weiteren Merkmale, geht lediglich der Geschlechtsunterschied beim Aufbau von Kontakten zu Wissenschaft-
254
Postdocphase: Bewährung in der Wissenschaftsgemeinschaft durch DFG-Forschungsstipendien
lern/innen auf nunmehr 5,9 Prozentpunkte zuungunsten der Stipendiatinnen zurück.235 Dagegen wächst der Geschlechtsunterschied für die Publikation von Forschungsarbeiten auf 11,5 Prozentpunkte an. Die Fachzugehörigkeit ist für den wahrgenommenen Nutzen ebenfalls ausschlaggebend. Von beiden Aspekten profitieren Befragte in den Lebenswissenschaften stärker als in den Geistes-/Sozialwissenschaften. Dahingegen profitieren Befragte der Lebens- und Ingenieurwissenschaften vom Ausbau ihrer Kontakte stärker und von der Publikation von Forschungsarbeiten seltener als in den Geistes-/Sozialwissenschaften. Die Berechnung der Geschlechtsunterschiede in den Wissenschaftsbereichen ist aufgrund der zu geringen Varianz nicht sinnvoll. Bei der Nützlichkeit für Möglichkeiten der Publikation weisen die Effekte der Fachzugehörigkeit jedoch auf unterschiedliche fachspezifische Bedingungen für Männer und Frauen. Während Stipendiaten der Geisteswissenschaften die Publikationsmöglichkeiten besser einschätzen als in den drei anderen Wissenschaftsbereichen, ist dies bei Stipendiatinnen genau umgekehrt. Sie profitieren in dieser Hinsicht am stärksten in den Naturwissenschaften. Insgesamt zeigen die Befunde zur Nützlichkeit des Stipendiums für den weiteren Berufsverlauf, dass Stipendiaten sowohl im Hinblick auf ihre formale Weiterqualifikation mit der Erhöhung ihrer Sichtbarkeit und Publikationsleistung als auch im Hinblick auf zwei für eine langfristige Etablierung im Wissenschaftssystem bedeutsamen Aspekte deutlich stärker profitieren als Stipendiatinnen. Möglichkeiten zur Förderung der Vereinbarkeit von Familie und Wissenschaft Die DFG ist außerdem um die Unterstützung von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern mit Kindern bemüht. Im Rahmen des Forschungsstipendiums bestehen daher verschiedene Möglichkeiten zur Verbesserung der Vereinbarkeit. So können Forschende mit Kindern bei entsprechender Laufzeitverlängerung ein Teilstipendium beantragen. Des Weiteren bekommen Eltern einen Kinderbetreuungszuschlag und eine automatische Laufzeitverlängerung des Stipendiums um drei Monate. Ebenso übernimmt die DFG Reisekosten für Familienangehörige und rechnet mögliche Erziehungszeiten bei Förderprogrammen mit Altersgrenzen an (in der Regel zwei Jahre pro Kind) (Hinz et al. 2008: 100 ff.). Für die folgenden Analysen werden jeweils Stipendiatinnen und Stipendiaten, bei welchen zum Zeitpunkt der DFG-Förderung Kinder im Haushalt lebten und die das Stipendium angenommen haben, berücksichtigt. Dies betrifft 185 Befragte mit jeweils gültigen Angaben. Darunter befinden sich 31 Stipendiatinnen und 154 Stipendiaten. 235 Für diesen Aspekt ist die getrennte Analyse für Männer und Frauen aufgrund der geringen Varianz nicht sinnvoll.
Subjektive Wahrnehmungen
255
Abbildung 24 zeigt einen unterschiedlichen Informationsstand der Stipendiatinnen und Stipendiaten zu den einzelnen Möglichkeiten auf. So sind die meisten Befragten zum Zeitpunkt der Förderung über die Möglichkeit zur Reisekostenübernahme für Familienangehörige informiert (77,1%, N=179). Danach folgen Kenntnisse vom Angebot des Kinderbetreuungszuschlags (57,9%) und der Möglichkeit eines Teilstipendiums mit 39,9 Prozent. Über die Anrechnung von Erziehungszeiten auf Altersgrenzen und die Laufzeitverlängerung des Stipendiums sind mit 31,0 bzw. 27,9 Prozent deutlich weniger Stipendiatinnen und Stipendiaten informiert.236 Zwischen Stipendiatinnen und Stipendiaten bestehen außerdem zum Teil beträchtliche Unterschiede. Demnach sind Stipendiaten hinsichtlich der Reisekostenübernahme für Familienangehörige mit 78,5 Prozent gegenüber 70,0 Prozent bei Stipendiatinnen deutlich häufiger informiert; in allen anderen Bereichen haben jedoch Stipendiatinnen den besseren Kenntnisstand. So wissen Stipendiatinnen über die Möglichkeit des Kinderbetreuungszuschlags sogar um über 30 Prozentpunkte, über Umsetzung der Förderung als Teilstipendium um 28,2 Prozentpunkte häufiger Bescheid als Stipendiaten. Auch bei der Laufzeitverlängerung besteht ein Geschlechtsunterschied von über 15 Prozentpunkten zugunsten der Stipendiatinnen. Diese deutlichen Unterschiede zwischen Männern und Frauen lassen vermuten, dass sich die Informationsstände nach den Problemlagen beider Geschlechter unterscheiden.237 So erscheinen Teilstipendium, Kinderzuschlag, Laufzeitverlängerung und Anrechnung von Erziehungszeiten insbesondere für Frauen relevant, da sie durch eine stärkere Involviertheit in die Erziehungsarbeit zeitliche Barrieren für den Abschluss der Forschungsarbeit während der Förderzeit erkennen und sich daher spezifisch über Verbesserungsmöglichkeiten informieren dürften. Umgekehrt nehmen Väter, die das Stipendium häufig für Auslandsaufenthalte nützen, Reisemittel für Besuche von der Familie oder für die Begleitung durch Familienangehörige auf Dienst- und Kongressreisen in Anspruch. Auch die Inanspruchnahme der verschiedenen Möglichkeiten bestätigt die Orientierung an Problemlagen. Wie bereits beim Informationsstand dargelegt, wird die Übernahme von Reisekosten am häufigsten in Anspruch genommen. Dahinter folgt mit großem Abstand der Kinderbetreuungszuschlag, der von weniger als einem Viertel der Befragten beansprucht wurde (22,3%). Sehr zurückhaltend wurde von der Möglichkeit eines Teilstipendiums Gebrauch gemacht (4,8%). Auffallenderweise hat keiner der Befragten eine Laufzeitverlängerung des Stipendiums in Anspruch genommen. Dies bedeutet, dass der wissenschaftliche Nachwuchs einem schnellen Fortschritt der Projekte und damit auch der eigenen Laufbahn Vorrang
236 Im Förderverfahren durch ein DFG-Forschungsstipendium bestehen im Gegensatz zum EmmyNoether-Programm und dem Heisenbergstipendium keine festen Altersgrenzen, was den relativ geringen Informationsgrad erklären dürfte. 237 Eine multivariate Betrachtung ist aufgrund der kleinen Fallzahlen nicht sinnvoll.
256
Postdocphase: Bewährung in der Wissenschaftsgemeinschaft durch DFG-Forschungsstipendien
gibt, was mit den hohen Kontinuitätsansprüchen an wissenschaftliche Laufbahnen zu tun haben dürfte. Abbildung 24: Informationsstand über Möglichkeiten zur Vereinbarung von Familie und Wissenschaft nach Geschlecht (in Prozent mit Angabe der Prozentpunktdiff.) -8,5
31,5**
28,2**
9,3
16,2
Männer
Laufzeitverlängerung
Anrechnung Erziehungszeiten auf Altersgrenzen
Teilstipendium
Kinderzuschlag
Frauen
Reisekostenübernahme für Angehörige
90 80 70 60 50 40 30 20 10 0
Quelle: DFG, Befragungsdaten; eigene Berechnungen. N Gesamt: 172-179; N Männer: 143-149; N Frauen: 29-31; Abweichungen aufgrund fehlender Angaben. * p < 0,05, ** p < 0,01, *** p < 0,001. Basis: Befragte, die ein Forschungsstipendium in Anspruch genommen haben und während der Förderung Kinder im Haushalt lebten. Frage: Das DFG-Stipendium sieht mehrere Fördermöglichkeiten zur Erleichterung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf bei Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern vor. Über welche dieser Möglichkeiten waren Sie in der Zeit während der Förderung durch das DFG-Stipendium informiert, und welche davon haben Sie in Anspruch genommen? (Antwortkategorien: Teilstipendium, Kinderbetreuungszuschlag, Verlängerung des Stipendiums um 3 Monate, Erziehungszeiten bei Berechnung der Altersgrenzen, Reisekostenübernahme für Familienangehörige.
Wiederum bestehen bei allerdings kleinen Fallzahlen238 deutliche Geschlechtsunterschiede (Abbildung 25). Dabei nehmen Stipendiatinnen die Möglichkeit des Kinderbetreuungszuschlags und ein Teilstipendium wesentlich häufiger in Anspruch.239 238 Die Gesamtfallzahlen liegen je nach fehlenden Angaben bei 25 bis 28 bei Stipendiatinnen und 100 bis 146 bei Stipendiaten. 239 Obwohl bei DFG-Forschungsstipendien keine festen Altersgrenzen bestehen, gaben 11,5 Prozent der Stipendiatinnen und 0,7 Prozent der Stipendiaten an, die Anrechnung von Elternzeiten auf bestehende Altersgrenzen in Anspruch genommen zu haben. Auffallend ist auch hier die Diskrepanz zwischen Frauen und Männern. Möglicherweise haben die entsprechenden Befragten unabhängig
257
Subjektive Wahrnehmungen
Analog zum Informationsstand beanspruchen Stipendiaten deutlich häufiger die Reisekostenübernahme für Familienangehörige. Insgesamt werden finanzielle Unterstützungsmöglichkeiten weitaus häufiger genützt als Möglichkeiten, die einen zeitlichen Aufschub der Laufzeit des Stipendiums nach sich ziehen. Beispielsweise wurde eine Laufzeitverlängerung des Stipendiums von keinem Befragten genützt. Abbildung 25: Inanspruchnahme von Möglichkeiten zur Vereinbarung von Familie und Wissenschaft nach Geschlecht (in Prozent mit Angabe der Prozentpunktdiff.) -29,8**
46,2***
20,8***
0,0
Männer
Laufzeitverlängerung
Teilstipendium
Kinderzuschlag
Frauen
Reisekostenübernahme für Angehörige
70 60 50 40 30 20 10 0
Quelle: DFG, Befragungsdaten; eigene Berechnungen. N Gesamt: 160-172; N Männer: 135-146; N Frauen: 25-28; Abweichungen aufgrund fehlender Angaben. * p < 0,05, ** p < 0,01, *** p < 0,001. Basis: Befragte, die ein Forschungsstipendium in Anspruch genommen haben und bei denen während der Förderung Kinder im Haushalt lebten. Frage: Das DFG-Stipendium sieht mehrere Fördermöglichkeiten zur Erleichterung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf bei Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern vor. Über welche dieser Möglichkeiten waren Sie in der Zeit während der Förderung durch das DFG-Stipendium informiert, und welche davon haben Sie in Anspruch genommen? (Antwortkategorien: Teilstipendium, Kinderbetreuungszuschlag, Verlängerung des Stipendiums um 3 Monate, Reisekostenübernahme für Familienangehörige).
von dem Bestand von Altersgrenzen auf Verzögerungen in ihrem Berufsverlauf durch Erziehungszeiten hingewiesen. Dies würde bedeuten, dass sich die Antragstellenden der Relevanz des Lebensalters für die Förderentscheidung, wie sie sich zudem in Abschnitt 5.3.2 zeigt, sehr bewusst sind. Die häufigere Inanspruchnahme durch Frauen dürfte sich dann ebenfalls an geschlechtsspezifischen Problemlagen orientieren.
258
Postdocphase: Bewährung in der Wissenschaftsgemeinschaft durch DFG-Forschungsstipendien
Dies bedeutet vermutlich, dass die Geförderten im weiteren Karriereverlauf Nachteile befürchten, wenn sie diese Möglichkeiten in Anspruch nehmen. Damit greifen solche Angebote vor dem Hintergrund der Anforderungen an Wissenschaftskarrieren nicht. Notwendig erscheint neben der Erhöhung der Transparenz bei den bestehenden Möglichkeiten, eine Positionierung der DFG dahingehend, dass aktive Elternschaften nicht nur akzeptiert, sondern befürwortet werden und zeitliche Verzögerungen bei Forschungsarbeiten oder im Karriereverlauf in der Wissenschaftsgemeinschaft ohne Einschränkung akzeptiert werden.240 5.4.3 Einschätzungen des Peer-Review-Systems der DFG Die Befunde zu den Bewilligungschancen bei Anträgen auf DFG-Forschungsstipendien offenbaren etwas höhere Chancen für Männer und zeigen eine starke Abhängigkeit vom Alter der Befragten (vgl. Abschnitt 5.3.2). Ob sich die Qualität der Anträge tatsächlich nach Geschlecht und Alter der Antragstellenden unterscheiden, würde eine Analyse der Anträge erfordern und kann an dieser Stelle nicht geleistet werden. Die Erfahrungen der Befragten können jedoch zeigen, wo mögliche Schwachstellen des Förderinstruments bestehen könnten und ob sie die Objektivität des Verfahrens als gewährleistet betrachten. Gründe gegen eine Antragstellung Um Vorbehalte gegenüber dem Peer-Review-System zu erfassen, wurden die ehemaligen Stipendiatinnen und Stipendiaten um die Angabe von Gründen gebeten, die sie schon einmal davon abgehalten haben, einen beabsichtigten Antrag einzureichen. Dabei finden sich am häufigsten Gründe, die gegen die Objektivität und die Dauer des Verfahrens gerichtet sind. So sind jeweils etwa ein Viertel der 540 Befragten, die ein Forschungsstipendium zugesprochen bekamen, der Meinung, die Begutachtung erfolge durch nicht neutrale Konkurrenten, das Ablehnungsrisiko sei im Vergleich zum Aufwand zu hoch und das Entscheidungsverfahren sei zu langwierig. Damit erscheint das DFG-Fördersystem möglicherweise aufgrund von Kosten-Nutzen-Kalkülen der Befragten als wenig attraktiv. Die übrigen Gründe werden mit Anteilen von weniger als 20 Prozent selten angeführt. Dennoch scheint die Meinung, dass immer der gleiche Personenkreis eine Förderung erhält, mit einem Anteil von 16,5 Prozent und die Befürchtung, aufgrund der Kürze des Bewilligungszeitraums keine hochqualifizierten Mitarbeiter zu bekommen (15,7%) noch recht be240 Der Mangel einer ausdrücklichen Befürwortung aktiver Elternschaften in der Wissenschaft wurde ferner von den Konstanzer Eltern als Hemmnis angeführt (vgl. Abschnitte 4.3.2, 4.4.2).
259
Subjektive Wahrnehmungen
deutsam. Demnach werden in der Wahrnehmung der Befragten bestimmte Personenkreise möglicherweise aufgrund ihrer Vorleistungen oder Netzwerke gemäß dem Matthäus-Prinzip bevorzugt. Gleichzeitig erscheint die Bündelung von exzellenten Forschenden wegen der geringen Planungssicherheit bzw. Befristungen in DFGProjekten schwierig (brain gain). Die Unterschiede zwischen Stipendiatinnen und Stipendiaten sind gering. Lediglich bei den Einschätzungen zum Ablehnungsrisiko gegenüber dem Arbeitsaufwand und der Dauer des Verfahrens bestehen Geschlechtsunterschiede von mindestens fünf Prozentpunkten. Beide Male sind Stipendiatinnen mit Anteilen von 29,8 Prozent bzw. 28,1 Prozent skeptischer als Stipendiaten. Abbildung 26: Gründe gegen Antragstellung bei der DFG nach Geschlecht (in Prozent mit Angabe der Prozentpunktdiff.) 40 30
0,5
5,9
5,1
0,3
-3,2
-1,9
2,9
0,4
Männer
20
Frauen
10
Wegen schlechter Finanzlage aussichtslos
Kein geeignetes Förderverfahren
Gefahr, dass sich Gutachter gute Ideen aneignet
Man bekommt auf DFG-Stellen kaum gute Leute
Immer der gleiche Kreis von Leuten bekommt Geld
Entscheidungsverfahren zu langwierig
Ablehnungsrisiko im Verhältnis zum Aufwand zu hoch
Begutachtung durch nicht neutrale Konkurrenten
0
Quelle: DFG, Befragungsdaten; eigene Berechnungen. N Gesamt: 540; N Männer: 426; N Frauen: 114; die Datengrundlage erlaubt es nicht, Antwortverweigerungen zu identifizieren. * p < 0,05, ** p < 0,01, *** p < 0,001. Basis: Befragte, die ein Forschungsstipendium zugesprochen bekommen haben. Frage: Welche der folgenden Gründe haben Sie schon einmal davon abgehalten, für ein Vorhaben Fördermittel bei der DFG zu beantragen? (Antwortkategorien mit Möglichkeit zu Mehrfachnennungen: Die DFG hat für meine Forschung kein geeignetes Förderverfahren; Das Entscheidungsverfahren der DFG ist zu langwierig; Die Gefahr ist groß, dass sich ein Gutachter gute Ideen aus dem Projektantrag aneignet und für sich ausnutzt; Es ist ja doch immer der gleiche Kreis von Leuten, die das Geld für ihre Forschung bekommen; Oft werden Anträge durch Konkurrenten begutachtet, die nicht neutral sind; Das Ablehnungsrisiko ist im Verhältnis zum Antragsaufwand zu hoch; Wegen der schlechten Finanzlage ist es fast aussichtslos, Anträge auf Forschungsförderung zu stellen; Man bekommt auf DFG-Stellen kaum gute Leute, weil die Bewilligungszeiträume zu kurz sind).
260
Postdocphase: Bewährung in der Wissenschaftsgemeinschaft durch DFG-Forschungsstipendien
Bei Berücksichtigung der weiteren Merkmale geht der Geschlechtsunterschied bei der Angabe des verhältnismäßig hohen Ablehnungsrisikos geringfügig zurück, während er bei der Einschätzung des Verfahrens als zu langwierig etwas zunimmt. Damit bestehen noch Unterschiede von 4,3 Prozentpunkten bzw. 5,9 Prozentpunkten zugunsten der Stipendiatinnen (Tabellen 41 und 42). Tabelle 41: Gründe gegen Antragstellung nach Geschlecht: Ablehnungsrisiko im Verhältnis zum Aufwand zu hoch (logistische Regressionen) (1) Gesamt Geschlecht (d) (1=Frau) 30-34 Jahre (d) 35-40 Jahre (d) 41 Jahre und älter (d) Habilitation (angestrebt) (d) (1=ja) LW (d) NW (d) IW (d) Observations Pseudo R2
(2) Männer
0,043 0,030 0,035 0,212 0,059 0,111 -0,002 0,027
-0,016 0,008 -0,011 0,100 * -0,011 -0,139 * -0,132
469 0,025
363 0,038
(3) Frauen 0,169 0,169 0,543 ** -0,056 0,311 * 0,374 0,593 ** 106 0,110
Quelle: DFG, Befragungsdaten; eigene Berechnungen. Marginal Effects (d) for discrete change of dummy variable from 0 to 1; * p < 0,05, ** p < 0,01, *** p < 0,001. Basis: Befragte, die ein Forschungsstipendium zugesprochen bekommen haben. Referenzkategorien: Alter: unter 30 Jahren; Wissenschaftsbereiche: G-SW. Geschlechtseffekte je Wissenschaftsbereich (Prozentpunktdifferenzen): Berechnung aufgrund der zu geringen Varianz nicht sinnvoll.
Wiederum finden sich auffallende und für Frauen und Männer zum Teil unterschiedliche Effekte auf die beiden Gründe. Dabei empfinden Stipendiaten der jüngsten Altersgruppe (unter 30 Jahren) das Verfahren seltener als zu langwierig als Stipendiaten der älteren Gruppen. Bei den Stipendiatinnen sind genau die jungen Frauen häufig dieser Meinung und werden nur von Frauen ab 41 Jahren übertroffen. Möglicherweise handelt es sich hier um besonders zielstrebige Wissenschaftlerinnen, die einen hohen Anspruch an einen schnellen Karrierefortschritt stellen. Die hohe Gelassenheit der Wissenschaftlerinnen zwischen 35 und 40 Jahren impliziert eine Annäherung der allgemein bestehenden Geschlechtsunterschiede in dieser Altersgruppe. Auch Frauen und Männer, die eine Habilitation anstreben oder bereits abgeschlossen haben, empfinden das Verfahren häufiger als zu langwierig als Befragte mit anderen Qualifikationszielen. Diese Befunde deuten darauf hin, (1) dass der Zeitdruck, wissenschaftliche Projekte voranzutreiben, mit fortschreitendem Alter und insbesondere für Befragte mit einem wissenschaftlichen Berufsziel steigt;
261
Subjektive Wahrnehmungen
(2) dass älteren Forschenden und/oder Forschenden mit einem wissenschaftlichen Berufsziel möglicherweise alternative Finanzierungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen, so dass auf eine Antragstellung tatsächlich verzichtet wird. Die multivariaten Befunde zeigen zudem, dass fachspezifische Wahrnehmungen bestehen. Stipendiaten und Stipendiatinnen empfinden das Verfahren seltener als zu langwierig, wenn sie den Geistes-/Sozialwissenschaften angehören als bei einer Zugehörigkeit zu den anderen Wissenschaftsbereichen. Man erkennt, dass der Zeitdruck, was wissenschaftlichen Neuerkenntnisgewinn betrifft, in den Natur- und insbesondere den Lebenswissenschaften besonders ausgeprägt ist. Tabelle 42: Gründe gegen Antragstellung nach Geschlecht: Verfahren zu langwierig (logistische Regressionen) (1) Gesamt
(2) Männer
Geschlecht (d) (1=Frau) 30-34 Jahre (d) 35-40 Jahre (d) 41 Jahre und älter (d) Habilitation (angestrebt) (d) (1=ja) LW (d) NW (d) IW (d)
0,059 0,020 0,048 0,216 0,138 *** 0,187 * 0,107 0,039
0,037 0,065 0,237 0,153 *** 0,189 0,131 0,136
Observations Pseudo R2
469 0,041
363 0,041
(3) Frauen -0,028 -0,038 0,233 0,127 0,187 0,015 103 0,054
Quelle: DFG, Befragungsdaten; eigene Berechnungen. Marginal Effects (d) for discrete change of dummy variable from 0 to 1; * p < 0,05, ** p < 0,01, *** p < 0,001. Basis: Befragte, die ein Forschungsstipendium zugesprochen bekommen haben. Referenzkategorien Alter: unter 30 Jahren; Wissenschaftsbereiche: G-SW. Bei Modell (3) können die IW fallzahlbedingt nicht berücksichtigt werden. Geschlechtseffekte je Wissenschaftsbereich (Prozentpunktdifferenzen): Berechnung aufgrund der zu geringen Varianz nicht sinnvoll.
Der Einfluss des Alters der Befragten auf die Einschätzung zum Ablehnungsrisiko relativ zum investierten Zeitaufwand folgt lediglich bei Stipendiatinnen einem erkennbaren Muster. Dabei scheuen junge Stipendiatinnen unter 30 Jahren das Ablehnungsrisiko besonders selten, während dieses mit zunehmendem Alter auch häufiger einen Grund darstellt, keinen Antrag bei der DFG einzureichen. Diese Wahrnehmung mag mit der vor allem bei Frauen angenommen Befürchtung einhergehen, dass ältere Antragstellende geringere Chancen auf eine Bewilligung haben. Damit ist durch die zunehmend skeptische Haltung der Wissenschaftlerinnen ab einem Alter von 30 Jahren ein Trend zu einer weiteren Verstärkung des Geschlechtsunterschieds auszumachen. Auf die Einschätzung des Ablehnungsrisikos besteht außer-
262
Postdocphase: Bewährung in der Wissenschaftsgemeinschaft durch DFG-Forschungsstipendien
dem ein beachtlicher Einfluss der Fachzugehörigkeit, wobei sich die Einflüsse bei Frauen und Männern unterscheiden. So nennen Stipendiaten der Geistes-/Sozialwissenschaften diesen Ablehnungsgrund häufiger als in den anderen Wissenschaftsbereichen. Bei den Stipendiatinnen verhält sich dies umgekehrt.241 Demzufolge bestehen Einflüsse der Fachzugehörigkeit, die sich nach dem Geschlecht deutlich unterscheiden. Auch die im Laufe der Jahre wachsende Konkurrenz um Drittmittel und die sinkenden Förderquoten könnten die Unterschiede zwischen Männern und Frauen bei Gründen gegen eine Antragstellung erklären. Bei zusätzlicher Berücksichtigung der Kohorten 1986-1990, 1991-1995 und 1996-1999 verändern sich die Geschlechtsunterschiede allerdings kaum. Nach wie vor lassen sich Frauen um etwa fünf Prozentpunkte häufiger durch das hohe Ablehnungsrisiko und um etwa vier Prozentpunkte häufiger durch die Verfahrensdauer von einer Antragstellung abhalten als Stipendiaten. Die partiellen Einflüsse der Kohorten zeigen, dass Stipendiaten der mittleren und jüngeren Kohorte gegenüber beiden Aspekten skeptischer sind als in der jüngsten Kohorte. Bei Stipendiatinnen ist ein tendenziell umgekehrter Trend festzustellen. Die partiellen Einflüsse des Lebensalters verändern sich kaum. Demzufolge sind die zuvor festgestellten Ausgleichs- und Verstärkungstendenzen nicht auf Periodeneffekte zurückzuführen. Insgesamt sind Stipendiatinnen unabhängig von Qualifikation, Alter, Fachzugehörigkeit und Förderkohorten skeptischer als Stipendiaten und nehmen die befürchteten Nachteile seltener in Kauf. Möglicherweise vertrauen Stipendiatinnen seltener in ihre Fähigkeiten als Stipendiaten und lassen sich daher häufiger aus den genannten Gründen von einer Antragstellung abhalten. Die bisherigen Befunde zur Promotionssituation und Vereinbarkeit von Forschenden lassen vermuten, dass ein geringeres Selbstvertrauen auch mit einer geschlechtsspezifischen Anerkennungsund Ermutigungskultur zu tun hat. Mögliche Gründe für unangemessene Ablehnung qualitativ guter Forschungsanträge Die Frage danach, warum ein Antrag nicht entsprechend seiner Qualität gefördert wird, gibt Aufschluss über mögliche Kritikpunkte an der Objektivität des Peer-Review-Verfahrens der DFG und liefert wertvolle Informationen über mögliche Entmutigungen von Wissenschaftlerinnen. Unter den abgefragten Gründen finden sich vier Aspekte, die von allen Befragten besonders häufig genannt werden.
241 Die Berechnung der Geschlechtsunterschiede in den Wissenschaftsbereichen ist fallzahlbedingt nicht möglich.
263
Subjektive Wahrnehmungen
Abbildung 27: Gründe für unangemessene Ablehnung qualitativ guter Anträge nach Geschlecht (in Prozent mit Angabe der Prozentpunktdiff.) -4,8
9,6
7,0
7,1
-1,0
-0,5
6,9*
Männer
Antragsverfahren kompliziert
DFG nicht offen für interdisziplinäre Forschung
Starkes Gewicht auf Grundlagenorientierung
Beurteilung nicht offen gegenüber Außenseitern
Beurteilungskriterien nicht transparent genug
Beurteilung nicht objektiv genug
Frauen
schlechte Finanzlage der DFG
70 60 50 40 30 20 10 0
Quelle: DFG, Befragungsdaten, eigene Berechnungen. N Gesamt: 540; N Männer: 426; N Frauen: 114; die Datengrundlage erlaubt es nicht, Antwortverweigerungen zu identifizieren. * p < 0,05, ** p < 0,01, *** p < 0,001. Basis: Befragte, die ein Forschungsstipendium zugesprochen bekommen haben. Frage: Woran kann es liegen, wenn ein Antrag nicht entsprechend seiner Qualität gefördert wird? Sie können auch mehrere Gründe ankreuzen. (Antwortkategorien: Die Beurteilung ist nicht objektiv genug; Die Beurteilungskriterien sind nicht transparent genug; Die Beurteilung ist nicht offen genug gegenüber Außenseitern; Die DFG ist nicht offen genug für interdisziplinäre Forschung; Die Finanzlage der DFG ist schlecht; Es wird ein starkes Gewicht auf die Grundlagenorientierung gelegt zulasten des Anwendungsbezugs; Das Antragsverfahren ist so kompliziert, dass (gerade unerfahrene) Antragsteller es nicht schaffen, ihre Anträge darzustellen).
Dies betrifft mit der schlechten Finanzlage der DFG zunächst ein Argument, das nichts mit der DFG-Förderpraxis, sondern vielmehr den Rahmenbedingungen zu tun hat und auf die hohe Konkurrenz um Fördergelder hinweist. Dieser Grund wird von 55,6 Prozent der Befragten angegeben. Dicht dahinter folgen jedoch drei Gründe, die in einem engeren Zusammenhang mit dem Peer-Review-System und den beteiligten Gutachtern zu sehen sind. So sind jeweils etwa 52 Prozent der Befragten der Meinung, die Beurteilung sei nicht objektiv genug und die Kriterien seien nicht transparent genug. Weitere 43,5 Prozent führen eine mangelnde Offenheit bei der Beurteilung von Außenseitern als Grund für eine unangemessene Ablehnung an. Die übrigen Gründe spielen mit Nennungen von weniger als zwölf Prozent eine untergeordnete Rolle. Nennenswerte Geschlechtsunterschiede finden sich bei genau den Gründen, die gegen die Qualität des Peer-Reviews sprechen. So sind Stipendiatinnen hinsichtlich der Objektivität und Transparenz der Beurteilung und der mangelnden Offen-
264
Postdocphase: Bewährung in der Wissenschaftsgemeinschaft durch DFG-Forschungsstipendien
heit gegenüber Außenseitern deutlich skeptischer als Stipendiaten. Dieselbe Tendenz findet sich bei der Meinung, das Antragsverfahren sei zu kompliziert, um Anträge darzustellen. Die Prozentpunktdifferenzen belaufen sich bei diesen Gründen auf sieben bis zehn Prozentpunkte. Des Weiteren sehen Frauen die schlechte Finanzlage der DFG um 4,8 Prozentpunkte seltener als Ablehnungsgrund als Stipendiaten. Die multivariate Betrachtung zeigt geringe Veränderungen der Geschlechtsunterschiede. Der größte Geschlechtsunterschied besteht weiterhin bei der Ansicht, die Beurteilung sei nicht objektiv genug (Abbildung 28).242 Für die Einschätzungen zur Objektivität des Verfahrens und zur Transparenz der Beurteilungskriterien lassen sich vergleichbare Einflüsse der berücksichtigten Variablen feststellen. Gegenüber beiden Aspekten sind Stipendiatinnen der ältesten Gruppe (ab 41 Jahren) gegenüber den unter 30-Jährigen besonders häufig skeptisch. Umgekehrt sind Stipendiatinnen der beiden mittleren Gruppen eher weniger skeptisch als besonders junge Frauen. Bei den Stipendiaten zeigt sich keine klare Linie. Im Gegensatz zu den Stipendiatinnen sind die mindestens 41-jährigen Stipendiaten gegenüber der Transparenz der Kriterien weniger skeptisch als die unter 30-Jährigen, während bei der Objektivität in dieser Altersgruppe kein nennenswerter Effekt besteht. Die partiellen Effekte für diese Altersgruppe unterscheiden sich deutlich zwischen Männern und Frauen, so dass die Skepsis der Wissenschaftlerinnen in dieser Altersgruppe noch weiter verstärkt wird. Möglicherweise sehen auch gerade sie die Güte des Verfahrens durch die Relevanz des Alters der Antragstellenden als Exzellenzkriterium gefährdet. Für die mangelnde Offenheit gegenüber Außenseitern lassen sich andere Zusammenhänge ausmachen. Stipendiaten sind besonders skeptisch, wenn sie zwischen 31 und 34 Jahre alt sind, bei Stipendiatinnen trifft dies analog zu den beiden anderen Ursachen auf die älteste Gruppe zu. Dadurch trägt ein höheres Lebensalter ab 41 Jahren zu einer Verstärkung und ein eher junges Lebensalter (30-34 Jahre) zu einer Abschwächung der größeren Skepsis der Wissenschaftlerinnen bei. Weiterhin nennen Frauen und Männer, die den Geistes-/Sozialwissenschaften angehören, die mangelnde Objektivität und Transparenz deutlich seltener als Forschende der anderen Wissenschaftsbereiche. Bei der mangelnden Offenheit gilt dies nur für Stipendiaten, während Stipendiatinnen diese Ursache in den Lebens- und den Ingenieurwissenschaften seltener anführen als in den Geistes-/Sozialwissenschaften.243
242 Auf die multivariate Betrachtung zur Komplexität des Antragsverfahrens wird aufgrund der geringen Relevanz und der ebenfalls geringen Varianz verzichtet. 243 Die Berechnung der Geschlechtsunterschiede in den Wissenschaftsbereichen ist aufgrund der geringen Varianz nicht möglich.
265
Subjektive Wahrnehmungen
Abbildung 28: Geschlechtsunterschiede bei Gründen für unangemessene Ablehnung qualitativ guter Anträge unter Einbezug von Kontrollvariablen (Prozentpunktdiff. von Stipendiatinnen und Stipendiaten) 15 10
10,0 8,4 7,0
5
Beurteilungskriterien nicht transparent genug
Mangelnde Offenheit gegenüber Außenseitern
Beurteilung nicht objektiv genug
0
Quelle: DFG, Befragungsdaten, eigene Berechnungen. Basis: Befragte, die ein Forschungsstipendium zugesprochen bekommen haben. Mit Kontrolle des Alters, der Habilitation(-sabsicht) und der Wissenschaftsbereiche.
Die hohen Verfügbarkeitsansprüche und geringen Anteile an Eltern im Wissenschaftssystem legen nahe, dass sich insbesondere Eltern gegenüber Faktoren, die sich auf die Gewährleistung der Bestenauswahl beziehen, besonders skeptisch zeigen könnten. Berücksichtigt man für die Beurteilung der Objektivität und der Transparenz der Beurteilungskriterien daher zusätzlich, ob eine Elternschaft vorliegt, verändern sich die Geschlechtsunterschiede allerdings kaum. Es fällt jedoch auf, dass Väter jeweils deutlich skeptischer sind als kinderlose Stipendiaten, während Mütter gegenüber beiden Faktoren seltener skeptisch sind. Väter haben demnach die Befürchtung, dass Urteile über die Förderwürdigkeit eines Antrags neben fachlichen Kriterien auch mit einer Elternschaft zu tun haben könnten bzw. ihre wissenschaftliche Leistung im Falle einer Elternschaft infrage gestellt wird. Dieser Befund deutet in dieselbe Richtung wie die Ergebnisse aus Abschnitt 4.4.2, wo Väter mit der Anerkennung ihrer wissenschaftlichen Leistung seltener zufrieden waren als kinderlose Wissenschaftler. Bei der Beurteilung der Objektivität sind die Diskrepanzen zwischen Männern und Frauen so stark, dass die generell bestehenden Geschlechtsunterschiede bei einer Elternschaft eher ausgeglichen werden. Für die Beurteilung der Qualität des Verfahrens ist zudem die Erfassung von Veränderungen im Zeitverlauf von Bedeutung, da die Konkurrenz um Fördermittel, doch auch die Arbeitsbelastung der ehrenamtlich tätigen Gutachtenden stetig zunimmt. Die Objektivität der Beurteilung wird von Befragten der beiden jüngeren
266
Postdocphase: Bewährung in der Wissenschaftsgemeinschaft durch DFG-Forschungsstipendien
Kohorten (1991-1995, 1996-1999) und insbesondere von den Frauen deutlich häufiger kritisch gesehen als in der ältesten Förderkohorte (1986-1990). Bei der Einschätzung der Transparenz der Kriterien ist ein ähnlicher Trend erkennbar. Die mittlere Kohorte (1991-1995) führt die mangelnde Transparenz gegenüber der jüngsten Kohorte jedoch noch häufiger an als die jüngste Kohorte (1996-1999). Wiederum sind die Effekte bei Frauen etwas stärker ausgeprägt. Demnach beurteilen die Befragten die Qualität des Verfahrens vor dem Hintergrund der im Zeitverlauf sinkenden Förderquoten. Gleichzeitig schlagen sich im Zeitverlauf wachsende Bemühungen um die Sicherstellung der Objektivität des Verfahrens seitens der DFG nicht im Urteil der Geförderten nieder.244 Die für eine positive Antragsentscheidung generell hohe subjektive Bedeutsamkeit von Faktoren, die sich auf bisherige Leistungen oder die Reputation von Einrichtungen oder Personen beziehen, zeigt sich ferner in den Gründen, die für die Bewilligung des eigenen Antrags als relevant erachtet werden. Mit dem bisherigen wissenschaftlichen Werdegang und dem fachlichen Ansehen des Betreuers dominieren zwei Faktoren, die nicht im Zusammenhang mit dem beantragten Projekt oder der Güte des Antrags stehen. Beide Gründe werden von 84,5 bzw. 73,0 Prozent der Befragten genannt und verweisen auf die Wirksamkeit des MatthäusEffekts bei der Mittelvergabe. Erst an dritter Stelle folgt die Qualität des Antrags, die von immerhin 71,8 Prozent der Befragten genannt wird. Den innovativen Charakter der Arbeit und die Forschungsreputation der Hochschule führen jeweils etwas weniger als zwei Drittel der Befragten an. Dabei führen Stipendiatinnen die Bewilligung ihres Antrags auch bei Berücksichtigung der weiteren Merkmale um 8,5 Prozentpunkte seltener auf ihren bisherigen beruflichen Werdegang und um 7,6 Prozentpunkte seltener auf das fachliche Ansehen des Betreuers zurück als Stipendiaten.245 Für diese Geschlechtsunterschiede sind aufgrund der Selektivität der Stichprobe auf geförderte Personen und den Bezug zum eigenen Antrag mehrere Interpretationen denkbar. So kann davon ausgegangen werden, dass Stipendiatinnen ihren bisherigen Werdegang als weniger erfolgreich einstufen und von möglicherweise weniger angesehenen Betreuungspersonen unterstützt werden als Stipendiaten. Zusätzlich ist zu bedenken, dass gerade Frauen, die diesen Faktoren eine hohe Relevanz zuschreiben, auf eine Antragstellung verstärkt verzichten oder – sofern sie diese Eigenschaften tatsächlich seltener aufweisen – weniger häufig geför244 Obwohl das Bewusstsein um die Sicherstellung geschlechtsspezifischer Chancengleichheit in den 1990er Jahren erste Maßnahmen in der DFG-Geschäftsstelle bewirkt, sind erst nach Abschluss des hier zugrunde liegenden Förderzeitraums verstärkte Maßnahmen zu verzeichnen. Als Meilenstein gilt die Verankerung der Chancengleichheit in der Satzung der DFG im Jahr 2002 (vgl. auch Hinz et al. 2008: 100 ff.). 245 Lediglich ein Thema innerhalb des Mainstreams wird von Frauen mit einer Differenz von 10,1 Prozentpunkten häufiger angeführt als von Männern. Im Vergleich zu Stipendiaten nennen Stipendiatinnen die Forschungsreputation der Institution und den innovativen Charakter der Arbeit am seltensten. Die Prozentpunktdifferenzen betragen hier 10,5 bzw. 14,3 Prozentpunkte.
Subjektive Wahrnehmungen
267
dert wurden als Stipendiaten und daher nicht in der vorliegenden Stichprobe vertreten sind. Eindeutigere Aussagen lassen sich anhand der nachfolgenden Einschätzungen zur Fairness des Peer-Reviews gewinnen. Fairness des Peer-Review-Verfahrens der DFG Die bisher eher skeptische Einschätzung des Fördersystems der DFG, insbesondere durch Stipendiatinnen, wird darüber hinaus in Einschätzungen zu allgemeinen Aussagen über das Peer-Review-Verfahren deutlich (Abbildung 29). Dabei stimmen der Aussage, wonach Männer und Frauen gleich behandelt werden, insgesamt die meisten Befragten zu (65,1 Prozent), gleichzeitig sind jedoch nur 38,2 Prozent der Stipendiatinnen (gegenüber 72,1% der Stipendiaten) dieser Meinung. Damit findet sich bei dieser Aussage der mit Abstand deutlichste Geschlechtsunterschied. Die übrigen Aussagen finden unter den Befragten insgesamt deutlich seltener Zustimmung. So sind nur 37,1 Prozent der Befragten der Meinung, Gutachtende könnten trotz Konkurrenzsituation objektiv sein, und lediglich maximal ein Viertel aller Befragten glauben, dass die Bestenauswahl sichergestellt sei, jüngere und etablierte Wissenschaftler/innen gleich behandelt würden oder Gutachtende gegenüber unorthodoxen Themen aufgeschlossen seien. Bei allen Aussagen finden sich bei Stipendiatinnen deutlich geringere Zustimmungsanteile als bei Stipendiaten. Bei Berücksichtigung der weiteren Merkmale gehen die Geschlechtsunterschiede zumeist leicht zurück. Dennoch sind Stipendiatinnen nach wie vor deutlich skeptischer als Stipendiaten (Abbildung 30). Bei der Aussage zur Gleichberechtigung von Männern und Frauen, wo der größte Geschlechtsunterschied besteht, ist die Diskrepanz zwischen beiden Geschlechtern durch die Berücksichtigung der Merkmale weiter gewachsen. Auch bei den übrigen Aussagen bestehen auffallende Geschlechtsunterschiede von jeweils mindestens fünf Prozentpunkten. Es sind unterschiedliche Einflüsse der berücksichtigten Merkmale auf die Einschätzungen des Peer-Review-Verfahrens erkennbar. Bezüglich des Alters und der Wissenschaftsbereiche unterscheiden sich die partiellen Effekte außerdem zwischen Männern und Frauen. Bei beiden Effekten ist kein durchgängiges Muster erkennbar. In den Geisteswissenschaften wird die Gleichbehandlung von Männern und Frauen jedoch durchweg schlechter eingeschätzt als in den anderen Wissenschaftsbereichen.246
246 Die Berechnung der aussagekräftigeren Geschlechtsunterschiede in den Wissenschaftsbereichen ist aufgrund der zu geringen Varianz nicht möglich.
268
Postdocphase: Bewährung in der Wissenschaftsgemeinschaft durch DFG-Forschungsstipendien
Abbildung 29: Einschätzung des Peer-Review-Verfahrens nach Geschlecht (in Prozent mit Angabe der Prozentpunktdiff.; Antwortkategorien 1 und 2) -33,9***
-11,6*
-6,4
-9,2*
-5,3
Männer
Gutachtende sind gegenüber unorthodoxen Themen aufgeschlossen
Jüngere u. etablierte Wissenschaflter werden gleich behandelt
Sicherstellung der Bestenauswahl
Gutachtende trotz Konkurrenzsit. objektiv u. neutral
Frauen
Männer und Frauen werden gleich behandelt
80 70 60 50 40 30 20 10 0
Quelle: DFG, Befragungsdaten, eigene Berechnungen. N Gesamt: 493-501; N Männer: 391-397; N Frauen: 102-104; Abweichungen aufgrund fehlender Angaben. * p < 0,05, ** p < 0,01, *** p < 0,001. Basis: Befragte, die ein Forschungsstipendium zugesprochen bekommen haben. Frage: Im Wissenschaftsbetrieb hat sich das Peer-Review-Verfahren als Instrument der internen Qualitätssicherung durchgesetzt. Wir bitten Sie um Ihre Meinung in Bezug auf die Fairness des Peer-ReviewVerfahrens. (Antwortkategorien von 1=„trifft völlig zu“ bis 5=„trifft überhaupt nicht zu“). Items: Frauen und Männer werden von Gutachtern/Gutachterinnen gleich behandelt; Jüngere und etablierte Wissenschaftler/innen werden von Gutachtern/Gutachterinnen gleichrangig behandelt; Mit dem Berufungsverfahren der Gutachter/Gutachterinnen wird sichergestellt, dass die Besten im Fach ausgewählt werden; Gutachter/Gutachterinnen können in ihren Urteilen objektiv und neutral sein, obwohl sie auch Konkurrenten im Wissenschaftsbetrieb sind.
Die Skepsis gegenüber der Gleichbehandlung der Geschlechter steigt bei Frauen mit zunehmendem Alter. Dies gilt für die Männer ebenso, allerdings erst ab einem Alter von 35 Jahren. Die Objektivität der Gutachtenden wird lediglich von Männern der jüngsten Altersgruppe positiv beurteilt, während bei Frauen kein Muster auszumachen ist. Hinsichtlich der Sicherstellung der Bestenauswahl und der Aufgeschlossenheit unorthodoxer Ideen sind Stipendiatinnen der mittleren Altersgruppen besonders skeptisch. Was Letzteres betrifft, ist bei den Stipendiaten ein dem entgegengesetzter Trend festzustellen. Demzufolge bestehen zumindest in der Einschätzung der Befragten keine Hinweise auf die Funktion des Lebensalters als Exzellenzkriterium. Die Sicherstellung der Bestenauswahl wird von ihnen ab einem Lebensalter von 30 Jahren jedoch deutlich positiver eingeschätzt als in der jüngsten
269
Subjektive Wahrnehmungen
Gruppe. Vermutlich gehen die unterschiedlichen Einschätzungen der Befragten auf individuelle Erfahrungshintergründe zurück.247 Abbildung 30: Geschlechtsunterschiede bei Einschätzungen zum Peer-ReviewVerfahren unter Einbezug von Kontrollvariablen (Prozentpunktdiff. von Stipendiatinnen und Stipendiaten) 0 -10
-4,7 -11,3*
-20
-4,8
-7,4
-30
Gutachtende sind gegenüber unorthodoxen Themen aufgeschlossen
Jüngere u. etablierte Wissenschaftler werden gleich behandelt
Sicherstellung der Bestenauswahl
Gutachtende trotz Konkurrenzsit. objektiv u. neutral
-35,1***
Männer und Frauen werden gleich behandelt
-40
Quelle: DFG, Befragungsdaten; eigene Berechnungen. * p < 0,05, ** p < 0,01, *** p < 0,001. Basis: Befragte, die ein Forschungsstipendium zugesprochen bekommen haben. Kontrollvariablen: Alter, Habilitation(-sabsicht), Wissenschaftsbereiche.
Eine andere Erklärung bietet der mögliche Einfluss der Förderkohorten und der möglichen Konzentration von Frauen und Männern auf bestimmte Gruppen. In diesem Fall hätten die festgestellten Alterseffekte weniger mit der Erfahrung der Forschenden zu tun, sondern mit bestehenden Periodeneffekten. Die Berücksichtigung der Förderkohorten ist mit Ausnahme zur Aussage über die Gleichbehandlung von Männern und Frauen nur auf der Basis aller Befragten möglich. Dabei zeigt sich bei der Einschätzung der Gleichbehandlung der Geschlechter, der Objektivität der Gutachtenden und der Gleichbehandlung junger und etablierter Wissenschaftler ein einheitliches Muster, wonach die Skepsis in der mittleren und jüngeren Kohorte jeweils größer ausfällt als in der ältesten Kohorte. Bei der Einschätzung der Gleichbehandlung der Geschlechter unterscheiden sich die Kohorteneffekte nach dem Geschlecht. Dabei sind Stipendiaten der mittleren und jüngeren Kohorte skeptischer und Stipendiatinnen dieser beiden Kohorten weniger skeptisch als Be247 Bei einigen Aspekten bestehen in manchen Altersgruppen zwar vereinzelte Verstärkungs- und Ausgleichstendenzen, diese folgen jedoch keinem erkennbaren Muster und sind deshalb nicht interpretierbar. Auf eine genauere Darstellung wird daher verzichtet.
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fragte der jüngsten Kohorte. Demzufolge greifen die im Zeitverlauf zunehmenden Bemühungen um Chancengleichheit bei Wissenschaftlerinnen und können möglicherweise auch Entmutigungen bezüglich der DFG-Förderpraxis entgegenwirken. Umgekehrt könnten Wissenschaftler gerade solchen Bemühungen kritisch gegenüberstehen, was im Zusammenhang mit der ohnehin wachsenden Konkurrenz um Fördermittel deren höhere Skepsis bewirken mag. Der Einbezug der Kohorten hat keine wesentlichen Auswirkungen auf die bestehenden Alterseffekte. Insgesamt unterliegen die Einschätzungen des Peer-Review-Verfahrens komplexen Zusammenhängen zwischen Alter, Förderkohorten und Wissenschaftsbereichen. Dabei stehen die Alterseffekte nicht im Zusammenhang mit der Funktion des Alters als Exzellenzkriterium. Die Kohorteneffekte spiegeln Unterschiede in der Wahrnehmung der Objektivität des Verfahrens im Zeitverlauf und zwischen Männern und Frauen wider, was mit zunehmenden Bemühungen um Chancengleichheit und der wachsenden Konkurrenz um Fördermittel zu tun haben dürfte. Diese Zusammenhänge erklären die bestehenden Geschlechtsunterschiede bei der Beurteilung des Peer-Reviews jedoch nicht. Somit betrachten Frauen auch unter Berücksichtigung der weiteren Merkmale die Objektivität des Peer-Reviews deutlich seltener als gewährleistet als Männer. Da das Peer-Review-Verfahren eine etablierte Institution zur Leistungsbeurteilung im Wissenschaftssystem und die Deutsche Forschungsgemeinschaft die bedeutsamste Förderinstitution in Deutschland darstellt, erscheint die erhöhte Abwanderung von Frauen aus dem Wissenschaftssystem auch aufgrund ihrer skeptischeren Haltung gegenüber diesem Verfahren plausibel. 5.4.4 Zwischenzusammenfassung Analog zu den Antragstellenden stammt der Großteil der 546 befragten Stipendiatinnen und Stipendiaten aus den Lebenswissenschaften (47,1%). Dahinter folgen die Naturwissenschaften (33,8%), Geistes-/Sozialwissenschaften (12,8%) und die Ingenieurwissenschaften (4,3%). Auch die geschlechtsspezifische Verteilung auf die Wissenschaftsbereiche entspricht den Befunden zu Antragstellungen. Demnach konzentrieren sich Frauen etwas stärker auf die Lebens- und die Geistes-/Sozialwissenschaften und weniger auf die Natur- und Ingenieurwissenschaften als Männer. Parallelen zum Profil der Antragstellenden bestehen zudem hinsichtlich der Altersstrukturen. So konzentrieren sich Stipendiatinnen unabhängig von der Fachzugehörigkeit etwas stärker auf die älteste und die jüngste Altersgruppe. Dieser Trend zeigt sich ferner in den Lebens- und den Naturwissenschaften. Erneut ist die Konzentration von Lebenswissenschaftlerinnen auf die jüngste Gruppe besonders auffällig. So sind 20,8 Prozent der Frauen und 13,3 Prozent der Männer zum Zeitpunkt der Förderung unter 30 Jahre alt. Umgekehrt verhält sich dies in den
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Geistes-/Sozialwissenschaften, wo Stipendiaten häufiger bereits das 40. Lebensjahr überschritten haben als Stipendiatinnen (30,8 gegenüber 9,5%). Allerdings ist keine der Stipendiatinnen zum Förderzeitpunkt unter 30 Jahre alt. Das Annahmeverhalten der zugesprochenen Forschungsstipendien durch die Befragten unterscheidet sich nicht nach dem Geschlecht. Mit etwa 91 Prozent hat der Großteil das Stipendium angenommen, was dessen hohen Stellenwert in der Drittmittelförderung belegt. Die Mehrzahl der Befragten hat das Stipendium zwischen 1996 und 1999 angetreten (55,3%), der kleinste Anteil entfällt mit 19 Prozent in die älteste Kohorte. Stipendiatinnen konzentrieren sich außerdem stärker auf die jüngste und schwächer auf die älteste Kohorte als Stipendiaten. Der Elternstatus während der Förderung stellt neben der erreichten bzw. angestrebten Karrierestufe zum Befragungszeitpunkt, dem Lebensalter und der Fachzugehörigkeit eine wichtige Kenngröße für die Untersuchung von Wahrnehmungen dar, die im Zusammenhang mit den hohen Verfügbarkeitsansprüchen im Wissenschaftssystem oder Problemen der Vereinbarkeit stehen. Etwa ein Drittel der Befragten hat vor Förderbeginn eine Familie gegründet, während des Förderzeitraums sind dies 38,4 Prozent. Frauen haben zu beiden Zeitpunkten seltener eine Familie gegründet als Männer. Dies bestätigt die Befunde zu einer häufigeren Antizipation von Vereinbarkeitsproblemen durch Frauen (Abschnitt 3.4.3) und für sie im Falle einer Familiengründung tatsächlich größeren Barrieren (Kapitel 4). Bei der zum Zeitpunkt der Befragung erreichten und angestrebten Qualifikationsstufe bestehen beträchtliche Geschlechtsunterschiede. So sind etwa ein Drittel der Frauen und über die Hälfte der Männer zum Befragungszeitpunkt bereits habilitiert. Im Vergleich zu Befragten, die sich noch in der Habilitationsphase befinden oder keine Habilitation anstreben, haben die befragten Stipendiatinnen auch bei Berücksichtigung des Alters zum Zeitpunkt der Förderung und der Wissenschaftsbereiche um etwa 22 Prozentpunkte seltener bereits eine Habilitation abgeschlossen. Dies gilt mit Ausnahme der Ingenieurwissenschaften, wo die Berechnung des Geschlechtsunterschieds fallzahlbedingt nicht möglich ist, für alle Wissenschaftsbereiche und besonders für die Geistes-/Sozialwissenschaften, wo Frauen um 28 Prozentpunkte seltener habilitiert sind als Männer. Doch auch in den beiden anderen Wissenschaftsbereichen betragen die Prozentpunktdifferenzen mindestens 20 Punkte, wonach keine eindeutigen Hinweise auf geschlechtsspezifisch wirksame Fachkulturen bestehen. Demzufolge sind für Frauen generell größere Barrieren für die Erlangung der nächsten Qualifikationsstufe auszumachen. Die Effekte des Lebensalters zum Förderzeitpunkt sprechen außerdem gegen die Annahme, dass gerade junge Promovierte die exzellenten Forschenden seien, da Geförderte der mittleren Altersgruppen häufiger eine Habilitation abgeschlossen hatten als besonders junge Befragte. Da zwischen Antritt des Stipendiums und Befragungszeitpunkt mindestens vier Jahre liegen, sind diese Unterschiede kaum allein auf einen möglichen Arbeitsvorspung der mittleren Altersgruppe zurückzuführen. Des Weiteren trägt die
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zusätzliche Berücksichtigung des Elternstatus nur in geringem Maß zur Erklärung des Geschlechtsunterschieds bei. Weiterhin hatten sich Frauen um 19,7 Prozentpunkte seltener habilitiert als Männer. Auffallend sind die positiven Zusammenhänge zwischen Elternschaft und Habilitationsquote bei Männern und Frauen. Möglicherweise sind die durch das Stipendium vorhandenen Arbeitsbedingungen gerade der Weiterqualifikation von Eltern zuträglich. Analog zur bisherigen Habilitationsquote weisen Stipendiatinnen auch unter Berücksichtigung der weiteren Merkmale um etwa zwölf Prozentpunkte häufiger keine (weitere) Habilitationsabsicht auf als Stipendiaten (Referenz: habilitiert oder in Habilitationsphase). Die hier bestehenden geschlechtsspezifischen Alterseffekte deuten auf mit zunehmendem Alter wachsende Entmutigungen oder Barrieren vor allem von Frauen, da diese in fortgeschrittenem Alter deutlich häufiger keine Habilitation anstreben. Auch in den Wissenschaftsbereichen und besonders den Lebenswissenschaften besteht eine jeweils geringere Habilitationsneigung von Frauen. Des Weiteren zeigt sich für Eltern eine geringere Habilitationsneigung als für kinderlose Forschende. Demzufolge haben Eltern das DFG-Stipendium besonders effektiv für ihre Weiterqualifikation genutzt und sind zum Befragungszeitpunkt bereits habilitiert oder sie wenden sich (inzwischen) verstärkt vom universitären Wissenschaftssystem ab und beabsichtigen keine Habilitation. Die Befunde zur Auslandsmobilität der Geförderten offenbaren ebenfalls deutliche Unterschiede zuungunsten der Wissenschaftlerinnen. So hatten Frauen das Stipendium um 10,6 Prozentpunkte seltener für einen Auslandsaufenthalt genutzt als Männer. Dabei weisen Männer und Frauen in einem Alter von unter 30 Jahren besonders häufig Auslandsaufenthalte auf. Dieser Alterseffekt ist allerdings nicht ausschließlich auf eine höhere Karriereorientierung der jungen Geförderten zurückzuführen. Vielmehr tragen auch private Lebensumstände zur unterschiedlichen Mobilität von Männern und Frauen bei. Zumindest für Mütter wurde gegenüber kinderlosen Frauen eine deutlich geringere Mobilität festgestellt, während Väter häufiger Auslandsaufenthalte absolvierten als kinderlose Männer. Damit akkumulieren Mütter hinsichtlich der Auslandsmobilität nicht nur weitere Nachteile, sondern eine Elternschaft verstärkt darüber hinaus die bestehende Kluft zwischen Männern und Frauen. Auch die Nützlichkeit des DFG-Stipendiums erweist sich für Frauen geringer als für Männer. Deutliche Unterschiede bestehen bei der Einschätzung zur Nützlichkeit für den Ausbau an Netzwerken und die Publikation von Forschungsarbeiten. Zwar sehen jeweils mehr als 60 Prozent der Befragten das Stipendium in dieser Hinsicht als förderlich an, die Prozentpunktdifferenzen zwischen Männern und Frauen betragen unabhängig von wissenschaftlichen Ambitionen, Lebensalter und Disziplinzugehörigkeit jedoch 5,9 bzw. 11,5 Prozentpunkte. Somit können Frauen ihre Sichtbarkeit in der Wissenschaftsgemeinschaft durch das Stipendium weniger erhöhen als Männer. Wenn man bedenkt, dass die Konstanzer Wissen-
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schaftlerinnen bereits während oder zumindest nach der Promotion geringere Publikationsquoten und eine schlechtere soziale Einbindung aufweisen, bedeutet dieser Befund eine im Zeitverlauf zunehmende Vergrößerung der Schere zwischen Männern und Frauen. Weiterhin wurden die Bedingungen je nach Fachzugehörigkeit der Stipendiatinnen und Stipendiaten unterschiedlich eingeschätzt, wenn auch die Aussagen hierzu aufgrund der kleinen Fallzahlen begrenzt sind. Für die Publikation von Forschungsarbeiten bestehen aus Sicht der Männer in den Geistes-/Sozialwissenschaften besonders gute Bedingungen. Frauen schätzen die Nützlichkeit gerade hier besonders schlecht ein. Insgesamt zeigen die Befunde zu Erträgen und Nützlichkeit des Stipendiums für den weiteren Berufsverlauf, dass Stipendiaten sowohl im Hinblick auf ihre formale Weiterqualifikation als auch im Hinblick auf zwei für eine langfristige Etablierung im Wissenschaftssystem bedeutsame Aspekte unabhängig von Alter und Fachzugehörigkeit (und Habilitationsneigung) deutlich stärker profitieren als Stipendiatinnen. Die durch das Stipendium gegebenen Möglichkeiten zur Förderung der Vereinbarung von Familie und Wissenschaft erscheinen aufgrund der in Kapitel 4 festgestellten Barrieren besonders relevant. Dabei orientieren sich Informationsstand und Beanspruchung solcher Möglichkeiten vermutlich an den Bedürfnissen und Problemlagen der Befragten. So sind Frauen über Kinderzuschlag, Teilstipendium, Anrechnung von Erziehungszeiten und Laufzeitverlängerung des Stipendiums deutlich häufiger informiert, während Männer von der Reisekostenübernahme für Familienangehörige häufiger Kenntnis besitzen als Frauen. Dasselbe Muster findet sich beim Gebrauch der Möglichkeiten. Die häufige Inanspruchnahme von Reisekosten für Familienmitglieder durch die Stipendiaten steht möglicherweise im Zusammenhang mit deren allgemein höheren Auslandsmobilität und der hohen Mobilität von Vätern. Vermutlich sehen Stipendiaten eine gute Möglichkeit, mithilfe des Stipendiums einen Auslandsaufenthalt zu realisieren und von ihren Partnerinnen und/oder Kindern zumindest zeitweise begleitet zu werden. Generell werden finanzielle Unterstützungsmöglichkeiten häufig und Möglichkeiten, die mit einer Verzögerung der wissenschaftlichen Weiterqualifikation zu tun haben, selten (Teilstipendium) oder gar nicht (Laufzeitverlängerung) in Anspruch genommen. Möglicherweise werden von den Befragten im weiteren Karriereverlauf Nachteile befürchtet, sollten sie von solchen Möglichkeiten, die im Widerspruch zu den zeitlichen Anforderungen des Wissenschaftssystems stehen, Gebrauch machen. Die Einschätzungen der Befragten des Peer-Review-Systems stellen Indikatoren für bestehende Entmutigungen dar und können Abwanderungstendenzen aus dem Wissenschaftssystem begründen. Dabei zeigen sich die befragten Stipendiatinnen größtenteils skeptischer als die Stipendiaten. Dies ist besonders bemerkenswert, da es sich um geförderte Personen handelt, die bereits einen gewissen wissenschaftlichen Erfolg für sich verbuchen können. Die häufigsten Gründe gegen eine frühere
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Antragstellung sind gegen die Objektivität und Dauer des Verfahrens gerichtet. Jeweils etwa ein Viertel der Befragten sind der Meinung, die Begutachtung erfolge durch nicht neutrale Konkurrenten, das Ablehnungsrisiko sei im Verhältnis zum Zeitaufwand zu hoch und das Verfahren zu langwierig. Die Einschätzung des Zeitaufwands im Verhältnis zum Ablehnungsrisiko und der Verfahrensdauer allgemein fällt bei Stipendiatinnen skeptischer aus und trägt häufiger zu einem Verzicht auf eine Antragstellung bei als bei Stipendiaten. Bei Berücksichtigung der übrigen Merkmale liegen die Geschlechtsunterschiede bei etwa vier bzw. sechs Prozentpunkten. Die Zusammenhänge mit dem Lebensalter sind ebenfalls beachtlich und können von Kohorteneffekten abgegrenzt werden. Dabei deuten vor allem die Effekte bei Stipendiatinnen ab 41 Jahren auf die hohe Bedeutsamkeit eines jungen Lebensalters für eine erfolgreiche Förderung hin. Diese Einschätzung steht im Einklang zu den höheren Bewilligungschancen besonders junger Antragstellender. Demzufolge haben vor allem die Frauen diese Anforderungen des Wissenschaftssystems besonders stark verinnerlicht und ließen sich in der Vergangenheit aufgrund dessen häufiger von einer Antragstellung abhalten. Allerdings ist das langwierige Verfahren auch für besonders junge Stipendiatinnen ein maßgeblicher Grund gegen eine Antragstellung. Möglicherweise stellen diese eine selektive Gruppe dar, die einen besonders hohen Anspruch an einen schnellen Karrierefortschritt stellt. Wegen der abweichenden Effekte bei Stipendiaten ist ab einem Alter von 30 Jahren ein Trend zur Verstärkung des Geschlechtsunterschieds auszumachen. Die Einflüsse der Wissenschaftsbereiche zeigen für Männer und Frauen unterschiedliche Zusammenhänge mit der Disziplinzugehörigkeit, wobei Stipendiatinnen der Geistes-/Sozialwissenschaften beide Gründe seltener anführen als in den übrigen Wissenschaftsbereichen. Bei Stipendiaten gilt dies ausschließlich für die Benennung der Verfahrensdauer als Grund gegen eine frühere Antragstellung. Die Berücksichtigung der Förderkohorten trägt nicht wesentlich zur Erklärung der Geschlechtsunterschiede bei. Alles in allem lassen sich Frauen häufiger aus den genannten Gründen von einer Antragstellung abhalten. Dies verdeutlicht die für Frauen hohe Relevanz von Arbeitszeit für die weitere Etablierung im Wissenschaftssystem. Zugleich zeigen die geschlechtsspezifischen Alterseffekte auch ein hohes Bewusstsein der Frauen über die Relevanz des Lebensalters für die weitere Etablierung in der Wissenschaft. Die Gründe für eine unangemessene Ablehnung qualitativ guter Forschungsanträge liefern weiteren Aufschluss über Einschätzungen zur Objektivität des PeerReview-Verfahrens der DFG. Am häufigsten werden die schlechte Finanzlage der DFG, die mangelnde Objektivität bei der Begutachtung, die mangelnde Transparenz bei den Begutachtungskriterien und die mangelnde Offenheit bei der Beurteilung von Außenseitern angeführt (44 bis 56%), was auf eine recht hohe Skepsis aller Befragten gegenüber dem Förderverfahren hindeutet. Dabei nennen Stipendiatinnen Gründe, die gegen die Güte des Verfahrens sprechen, auch nach Kontrolle der weiteren Merkmale jeweils um sieben bis zehn Prozentpunkte häufiger als Stipen-
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diaten. Die für eine positive Antragsentscheidung hohe subjektive Bedeutsamkeit von Faktoren, die sich auf bisherige Leistungen oder die Reputation von Einrichtung und Personen beziehen, offenbaren zudem die Gründe, die für die Bewilligung des eigenen Antrags angeführt wurden. Hier rangieren der bisherige Werdegang und das fachliche Ansehen mit Nennungen von über 73 Prozent an den ersten Stellen. Demzufolge vermuten die Befragten Leistungszuschreibungen, die dem Ansatz des Matthäus-Effekts folgen (vgl. Abschnitt 2.2.2). Bei den Gründen zur Objektivität bzw. Transparenz der Kriterien verweisen die Effekte des Lebensalters auf eine erhöhte Skepsis von Stipendiatinnen ab 41 Jahren. Da sich diese Alterseffekte deutlich von den Effekten bei Stipendiaten unterscheiden, ist in dieser Altersgruppe von einer weiteren Verstärkung der bestehenden Geschlechtsunterschiede auszugehen. Demzufolge sehen sie die Güte des Verfahrens durch die Funktion des Lebensalters als Kriterium für herausragende Forschungsleistungen als besonders stark gefährdet. Auch bei der Zuschreibung einer mangelnden Offenheit gegenüber Außenseitern ist aufgrund der häufigen Nennungen von Frauen ab 41 Jahren eine solche Verstärkungstendenz auszumachen. Zugleich ist bei einem Alter zwischen 30 und 34 Jahren eine ausgleichende Funktion festzustellen. In den Geistes-/Sozialwissenschaften werden die mangelnde Objektivität und Transparenz von Männern und Frauen seltener angeführt als in den anderen Wissenschaftsbereichen, was auf unterschiedliche Fachkulturen hindeutet. Für die mangelnde Offenheit gegenüber Außenseitern gilt dies nur für Stipendiaten; Lebenswissenschaftlerinnen und Ingenieurwissenschaften führen diesen Grund hingegen seltener an als Geistes-/Sozialwissenschaftlerinnen. Die weitere Berücksichtigung des Elternstatus bei der Objektivität des Verfahrens und der Transparenz der Kriterien trägt nicht zur Erklärung der Geschlechtsunterschiede bei. Allerdings zeigten sich Väter skeptischer und Mütter weniger skeptisch als die jeweils kinderlosen Befragten. Demnach befürchten vor allem Väter, dass ihre wissenschaftliche Leistung bzw. Förderwürdigkeit im Falle einer Elternschaft infrage gestellt wird. Dies deutet wie bereits die Ergebnisse zur Anerkennung der wissenschaftlichen Leistung (Abschnitt 4.4.2) auf spezifische Barrieren für Väter hin, die aus dem Leitbild des Wissenschaftlers und möglicherweise zunehmenden Ambitionen einer aktiven Vaterschaft resultieren. Dabei ist für Eltern von einer Annäherung der allgemein bestehenden Geschlechtsunterschiede auszugehen. Die zusätzliche Berücksichtigung der Förderkohorten weist außerdem einen Trend auf, wonach beide Argumente von Befragten der jüngeren Kohorten häufiger angeführt werden. Demnach beurteilen die Befragten die Qualität des Verfahrens auch vor dem Hintergrund der im Zeitverlauf sinkenden Förderquoten und sehen diese mit wachsender Konkurrenz als stärker gefährdet, während zunehmende Bemühungen um Chancengleichheit nicht ins Gewicht fallen. Auch in Aussagen über die Fairness des Peer-Reviews wurde die grundsätzliche Skepsis der Befragten und insbesondere der Frauen deutlich. Maximal ein Vier-
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tel aller Befragten ist der Meinung, dass Gutachtende trotz Konkurrenzsituation objektiv sein könnten, die Bestenauswahl gewährleistet sei, junge und erfahrene Wissenschaftler gleich behandelt würden und Gutachtende aufgeschlossen gegenüber unorthodoxen Ideen seien. Demgegenüber sind beinahe zwei Drittel der Befragten der Meinung, dass Männer und Frauen gleich behandelt würden. Hier besteht allerdings der deutlichste Geschlechtsunterschied. Auch unabhängig von den weiteren Merkmalen sehen Frauen die Gleichberechtigung der Geschlechter um 31,4 Prozentpunkte seltener erfüllt als Männer. Die Aussage zur Objektivität der Gutachtenden weist ebenfalls eine beträchtliche Differenz im Urteil von Männern und Frauen von etwa elf Prozentpunkten auf. Doch auch bei den übrigen Aussagen zeigen sich Frauen um mindestens fünf Prozentpunkte skeptischer als Männer. Insgesamt unterliegen die Einschätzungen des Verfahrens komplexen Zusammenhängen mit den Wissenschaftsbereichen, dem Lebensalter und den Förderkohorten, die nicht ohne Weiteres interpretiert werden können. Wegen der großen Unterschiede beim Einfluss des Lebensalters auf die einzelnen Aspekte bestehen keine grundsätzlichen Hinweise darauf, dass das Alter als Leistungskriterium gesehen wird. Vielmehr scheinen individuelle Erfahrungen ausschlaggebend. Die Kohorteneffekte für Männer und Frauen belegen, dass die im Zeitverlauf zunehmende Diskussion um Chancengleichheit beim Zugang zu Drittmitteln bei Männern mit einer wachsenden Skepsis einhergeht, während Frauen mehr Vertrauen in das Fördersystem gewinnen. Trotz der Komplexität der Ergebnisse begründet die durchweg größere Skepsis der Frauen höhere subjektive Hürden bei der weiteren Etablierung im Wissenschaftssystem und damit verstärkte Abwanderungstendenzen von Frauen. Die Ergebnisse zu geschlechtsspezifischen Bewilligungschancen aus Abschnitt 5.3.2 legen außerdem nahe, dass die größere Skepsis der Frauen mit tatsächlichen Nachteilen zu tun haben könnte. Insgesamt zeigen die Ergebnisse zu den Wahrnehmungen und Erfahrungen der Stipendiatinnen und Stipendiaten, dass selbst Frauen, die bereits Erfolge im DFG-Förderverfahren für sich verbuchen können, häufiger riskieren, aus dem Wissenschaftssystem auszuscheiden als Männer. Sie profitieren von der DFG-Förderung im Hinblick auf wichtige Voraussetzungen weniger und zeigen sich durchweg skeptischer gegenüber der Objektivität von Förderentscheidungen als Männer, was Prozesse des cooling out auch in dieser bereits fortgeschrittenen Qualifikationsphase bestätigt. Da es sich bei den Befragten um bereits geförderte Personen handelt, ist besonders die kritische Wahrnehmung des Förderverfahrens auffallend. Vor diesem Hintergrund erscheint die geringere Habilitationsquote und Habilitationsneigung von Frauen sowohl auf einen geringeren Nutzen durch das Stipendium und die für Frauen nachteiligen Strukturen des Wissenschaftssystems zurückzugehen.
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Schlussbetrachtung
Die vorliegende Studie untersuchte geschlechtsspezifische Barrieren im Qualifikationsverlauf des wissenschaftlichen Nachwuchses im Zusammenhang mit den Strukturen und Anforderungen des Wissenschaftssystems und gesamtgesellschaftlichen Rollenerwartungen. In Anlehnung an Befunde einer prinzipiellen Gleichheit der Geschlechter hinsichtlich beruflichen Aspirationen und Kompetenzen wurde eruiert, wie diese Strukturen für Männer und Frauen unterschiedliche Bedingungen für die wissenschaftliche Etablierung bewirken und zur Erklärung der vertikalen Segregation des Wissenschaftssystems beitragen. Ausgehend von den beiden Statuspassagen des Wissenschaftssystems, wo die größten Verluste von Frauen zu verzeichnen sind (vgl. Abbildung 1), setzt die Untersuchung an zwei Exzellenzinstitutionen an und bindet damit die allgemeine wissenschaftliche Diskussion um Prozesse der Selbst- und Fremdselektion in die Auseinandersetzung um die Förderung von Exzellenz ein. Für diese Statuspassagen wurden drei wesentliche Hürden auf geschlechtsspezifische Barrieren hin untersucht. Die Promotion ist die formale Voraussetzung für eine wissenschaftliche Berufslaufbahn und gilt als wesentlich für eine erste Positionierung im Wissenschaftssystem. Bei dieser Hürde richtete sich der Blick auf die Erfassung von Geschlechtsunterschieden bei den Qualifikationsbedingungen und den Risiken, noch während der Promotion aus dem Wissenschaftssystem auszuscheiden. Die Postdocphase ist für die weitere Etablierung und professionsinterne Profilierung in der Wissenschaftsgemeinschaft zentral und durch einen hohen Leistungsund Mobilitätsdruck gekennzeichnet, um die für eine erfolgreiche Berufung auf eine Professur vorausgesetzten Anforderungen möglichst gut zu erfüllen. In dieser Qualifikationsphase wurde mit den Möglichkeiten und Grenzen der Vereinbarkeit von Wissenschaft und Familie eine Hürde betrachtet, die auf die konfligierenden wissenschaftlichen und familialen Ansprüche bzw. Leitbilder zurückgeht und nach wie vor als zentrale Barriere für Wissenschaftlerinnen gilt (vgl. Lind 2008a, b, Macha 2000, Metz-Göckel et al. 2009, von Stebut 2003, Xie/Shauman 2003, Wimbauer 1999). Ein besonderes Augenmerk lag auf der Organisation beider Lebensbereiche und deren Implikationen für das wissenschaftliche Fortkommen. Als weitere Hürde dieser Qualifikationsphase wurden die Bewährung des wissenschaftlichen Nachwuchses bei der Einwerbung von Drittmitteln und die damit verbundenen Möglichkeiten zur Weiterqualifikation in den Blick genommen. I. Findeisen, Hürdenlauf zur Exzellenz, DOI 10.1007/978-3-531-93180-7_6, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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Schlussbetrachtung
Als Analyseheuristik dienen die spezifischen Anforderungen und Bedingungen des Wissenschaftssystems (Abschnitt 2.3.2). Um die hieraus resultierenden Verflechtungen zwischen Prozessen der Fremd- und Selbstselektion erfassen zu können, wurden die einzelnen Hürden aus einer jeweils objektiven und subjektiven Sicht betrachtet. Die Studie beruht auf der These kumulativer Benachteiligungen von Wissenschaftlerinnen. Daher richtet sich der Blick auf Mehrfachbelastungen während der wissenschaftlichen Qualifizierung und Verstärkungs- und Ausgleichsmechanismen. Verstärkungsmechanismen entstehen durch mehrfache Beeinträchtigungen von Frauen oder Männern und liegen vor, wenn sich die Kluft zwischen den Geschlechtern durch Bedingungen wie Einbindung, Lebensalter, Elternschaft oder Fachzugehörigkeit vergrößert. Dagegen tragen Ausgleichsmechanismen zu einer Verringerung von Geschlechtsunterschieden bei (vgl. Abschnitt 2.4). Beide Mechanismen dienen zur Erklärung von kurzfristigen Akkumulationsprozessen, die mit den Strukturen des Wissenschaftssystems einhergehen und auf Prozesse der institutionellen Diskriminierung hinweisen (vgl. Abschnitt 2.2.2). 6.1
Geschlechtsspezifische Barrieren und Möglichkeiten im wissenschaftlichen Qualifikationsverlauf
In Abschnitt 2.3.2 wurden einige Bedingungen formuliert, die für einen langfristigen Erfolg in der Wissenschaft notwendig erscheinen. Hierzu gehört gerade bei der Ausbildung wissenschaftlicher Exzellenz eine frühe Profilierung im Wissenschaftssystem, die durch eine hohe Publikationsproduktivität, hohe Zeitinvestitionen und Leistungsbereitschaft zu erreichen ist und die Sichtbarkeit in der Wissenschaftsgemeinschaft voraussetzt. Die Untersuchung dieser Bedingungen (objektive Situation) und deren Wahrnehmungen (subjektive Situation) ergibt umfassende Geschlechtsunterschiede zuungunsten von Frauen. Dabei erweisen sich alle drei betrachteten Hürden für Frauen höher als für Männer, was eine zunehmende Abwendung der Frauen vom Wissenschaftssystem nahelegt. Die bestehenden Geschlechtsunterschiede können nur teilweise durch die Fachzugehörigkeit, das Lebensalter, die wissenschaftliche Verankerung und die Karriereorientierung der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler erklärt werden, wobei der Fachzugehörigkeit des wissenschaftlichen Nachwuchses der größte Stellenwert zukommt. Dies bedeutet, dass Nachteile für Frauen mitunter dadurch zustande kommen, dass sich diese auf Fachdisziplinen konzentrieren, bei denen unabhängig vom Geschlecht tendenziell ungünstige Bedingungen bestehen, was die Erklärungskraft der horizontalen Segregation und die Relevanz von Fachunterschieden bestätigt. Nachfolgend werden nur solche Geschlechtsunterschiede berichtet, die unabhängig von diesen Merkmalen bestehen und daher als reine Geschlechtsunterschiede angesehen werden können (vgl. Abschnitt 2.4).
Geschlechtsspezifische Barrieren und Möglichkeiten im wissenschaftlichen Qualifikationsverlauf
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6.1.1 Objektive Situation: Nachteile und Vorteile für Frauen Die objektive Situation des wissenschaftlichen Nachwuchses zeigt, dass Frauen zentrale Voraussetzungen an eine wissenschaftliche Berufslaufbahn seltener erfüllen als dies bei Männern der Fall ist. So finden sich für Frauen analog zu Befunden aus weiteren Studien (z.B. Gerhardt et al. 2005, Krais/Krumpeter 1997, Prommer et al. 2006, Xie/Shauman 2003) Nachteile hinsichtlich ihrer institutionellen und sozialen Einbindung und ihrer Publikationsproduktivität. Dies hemmt eine frühe Sichtbarkeit und Profilierung im Wissenschaftssystem und damit zwei wesentliche Voraussetzungen für wissenschaftlichen Erfolg. Eine hohe Publikationsproduktivität ist aber nicht nur entscheidend für die Erhöhung der Sichtbarkeit, sondern gilt darüber hinaus als zentraler Bewertungsmaßstab für wissenschaftliche Leistung. Durch ihre gerade bei angesehenen Beiträgen im Vergleich zu Männern geringere Publikationsproduktivität schneiden Frauen in der Bewertung ihrer Leistung schlechter ab als Männer. Ein weiterer Nachteil zeigt sich in der geringeren Auslandsmobilität von Frauen. So sind selbst Wissenschaftlerinnen, die mit der Förderung durch ein DFG-Stipendium bereits einen großen wissenschaftlichen Erfolg für sich verbuchen konnten, weniger international mobil als ihre männlichen Kollegen. Auslandsmobilität gilt jedoch als wesentliche Voraussetzung für die spätere Berufung auf eine Professur. Dieser Befund ist umso auffallender, da die vorhergehenden Selektionen diesbezügliche Geschlechtsunterschiede eher verdecken dürften und gerade das DFG-Stipendium für die Absolvierung von Auslandsaufenthalten konzipiert ist. Die weiteren Ergebnisse legen nahe, dass dies mit vorangegangenen Barrieren und einer zunehmenden Abwendung der Frauen von Laufbahnen im Wissenschaftssystem zu tun hat. Somit entsprechen Frauen den zentralen Anforderungen an eine wissenschaftliche Berufslaufbahn weniger gut als Männer und laufen daher Gefahr, grundsätzlich als die schlechteren Forschenden zu erscheinen. Dieses Phänomen setzt sich auch nach der Promotion fort. Zugleich bringt die geringere Einbindung von Frauen in soziale Netzwerke auch Defizite bei Kenntnissen über aktuelle Forschungsentwicklungen und Möglichkeiten zum Erfahrungsaustausch mit sich. Dies vermag im Vergleich zu Männern eingeschränkte Handlungsspielräume zur Folge haben und dem Aufbau von unverzichtbaren Kooperationen, Kontakten und strategischer Arbeitsplatz- und Karriereplanung entgegenwirken. Somit können Wissenschaftlerinnen die vorwiegend informellen Möglichkeiten zur Einbindung in „wissenschaftliche Kommunikationszusammenhänge und Forschungsgefüge“ weniger nützen als Wissenschaftler (Enders/Bornmann 2001: 82). Diese Missstände sind nicht – wie biologische und sozialisationstheoretische Ansätze vermuten lassen – durch eine grundsätzlich geringere Karriereorientierung
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Schlussbetrachtung
der Frauen oder deren unzureichenden Fähigkeiten zu erklären. Denn zum einen bestehen die geschilderten Nachteile auch unabhängig von den beruflichen Ambitionen, zum anderen weisen Frauen zu Beginn der wissenschaftlichen Qualifizierungsphase sogar häufiger eine wissenschaftliche Berufsorientierung auf als Männer.248 Gegen schlechtere Leistungen von Frauen sprechen zahlreiche Forschungsbefunde und Statistiken zu Studienabschlussquoten und -leistungen (vgl. z.B. Fuchs et al. 2001, Macha 2006, Prüfungsstatistik der Universität Konstanz 2006/2007249). Vielmehr sind diese Nachteile in Verbindung mit weiteren objektiven Barrieren für Frauen zu sehen. So stehen Wissenschaftlerinnen zusätzlich zu ihrer von Beginn an schwächeren institutionellen Einbindung weniger zeitliche Ressourcen zur Verfügung, um ihre soziale Einbindung und Publikationsproduktivität zu erhöhen. Dies zeigt sich an Befunden, wonach Konstanzer Doktorandinnen aufgrund anderer beruflicher oder familiärer Verpflichtungen weniger Zeit in ihre Promotion investieren (können). Auch die bei Frauen häufigeren Finanzierungsunsicherheiten weisen in diese Richtung, da Bemühungen um alternative Finanzierungsmöglichkeiten bestehende Zeitressourcen ebenfalls verringern. Zugleich bestehen weitere Nachteile bei der Förderung von außerfachlichen Eigenschaften, die für das Publizieren und die Erhöhung der sozialen Einbindung wichtig sind. Dies zeigt die seltenere bedarfsadäquate Unterstützung der Doktorandinnen bei der Vermittlung wissenschaftlicher Kompetenzen und der persönlichen Ermutigung. Dieses Ergebnis wird durch zwischenmenschliche Schwierigkeiten im universitären Umfeld unterstrichen. Somit bestätigen sich Befunde einer geringeren und weniger langfristig ausgerichteten Unterstützung und selteneren Anerkennung der bisherigen Leistungen auch an der Universität Konstanz (Allmendinger et al. 2000, DFG 2002). Weitere umfassende Nachteile für Frauen bestehen durch tatsächliche Probleme bei der Verbindung von wissenschaftlicher Tätigkeit und Weiterqualifizierung mit familialen Aufgaben. Erste Hinweise auf die Inkompatibilität beider Lebensbereiche liefern die geringen Elternquoten von Frauen selbst in der Phase nach der Promotion. Aufgrund der wenig verlässlichen Statistiken zu Fertilitätsquoten bestehen zwar nur begrenzte Vergleichsmöglichkeiten, dennoch spiegelt dieser Befund den aktuellen Trend wider, wonach Wissenschaftlerinnen häufiger kinderlos bleiben als Wissenschaftler (vgl. Kleinert 2006, Krimmer/Zimmer 2003, Lind 2008a, Metz/Göckel et al. 2009, von Stebut 2003, Xie/Shauman 2003). Obwohl die Konstanzer Daten keine dauerhafte Kinderlosigkeit belegen, erleben besonders Wissenschaftlerinnen die Entscheidung über Kinder und wissenschaftliche Laufbahn als sich ausschließende Optionen.250
248 Vgl. die anschließenden Ausführungen zur subjektiven Situation. 249 Die Prüfungsstatistiken finden sich unter: http://w7.ub.uni-konstanz.de/kops/schriftenreihen_ebene2.php?sr_id=20&la=de; Stand: April 2010). 250 Vgl. dazu auch die anschließenden Ausführungen zur subjektiven Situation.
Geschlechtsspezifische Barrieren und Möglichkeiten im wissenschaftlichen Qualifikationsverlauf
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Bei Antragstellungen auf DFG-Forschungsstipendien sind ebenfalls objektive Nachteile für Frauen zu verzeichnen. So bestanden zwischen 1991 und 2004 für Frauen durchgehend geringere Bewilligungschancen als für Männer. Dies gilt unabhängig von den Fachdisziplinen ebenso wie für die vier Wissenschaftsbereiche (Geistes-/Sozialwissenschaften, Lebenswissenschaften, Naturwissenschaften, Ingenieurwissenschaften). Dabei weisen die Ingenieurwissenschaften die deutlichsten und die Lebenswissenschaften die geringsten Geschlechtsunterschiede auf. Obwohl sich die Diskrepanzen zwischen Männern und Frauen auf einem eher geringen Niveau bewegen, ist die auch in diesem Fall bestehende durchgängige Tendenz zulasten der Frauen auffällig. Dieser Befund reiht sich ein in Ergebnisse zu den geringeren Förderchancen von Wissenschaftlerinnen in der Einzelförderung der DFG (Hinz et al. 2008) und Studien, die dem Geschlecht der Antragstellenden einen zumindest mit ausschlaggebenden Einfluss auf Förderentscheidungen einräumen (vgl. Beiträge in EC 2009, Jacobsson et al. 2007). Ob die an dieser Stelle festgestellten Unterschiede der Geschlechter auch mit den Publikationsleistungen der Antragstellenden einhergehen bzw. Geschlechtsunterschiede gerade unter Einbezug dieser Leistungsmerkmale bestehen (vgl. Bornmann/Daniel 2008, Bornmann et al. 2007), kann anhand der verfügbaren Daten nicht geprüft werden. Im Gegensatz zu den vielfältigen Nachteilen für Frauen sind Vorteile oder zumindest geschlechtsparitätische Bedingungen selten. Hierzu zählen während der Promotionsphase zahlreichere Vortragsaktivitäten der Doktorandinnen. In der Qualifikationsphase nach der Promotion bestehen ausgeglichene Bedingungen, was das tatsächliche Arbeitspensum betrifft, wobei Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen jeweils etwa zwölf Wochenstunden länger arbeiten, als es ihrem vertraglichen Umfang entspricht. Die für Doktorandinnen noch festgestellte größere Vortragsaktivität auf Kongressen setzt sich in der Phase nach der Promotion allerdings nicht fort. Insgesamt belegen die dargestellten objektiven Barrieren auch an ausgewiesenen Exzellenzeinrichtungen, die explizit um Chancengleichheit für Männer und Frauen bemüht sind, umfassende Konkurrenznachteile für Frauen. Diese bestehen bereits zu Beginn der wissenschaftlichen Qualifizierung und setzen sich in späteren Phasen fort. Zur Erzeugung dieser Geschlechtsunterschiede trägt die spezifische Struktur des Wissenschaftssystems wesentlich bei, was die Wirksamkeit institutioneller Diskriminierung belegt. Da wissenschaftliche Leistungen hohe Zeitinvestitionen verlangen und gerade zeitliche Ansprüche wesentliche Beeinträchtigungen für Frauen implizieren, besteht ein erhebliches Risiko, dass Anforderungen an wissenschaftliche Exzellenz diese Barrieren für Frauen noch vergrößern.
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Schlussbetrachtung
6.1.2 Subjektive Situation: Nachteile und Vorteile für Frauen Die Wahrnehmungen der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler deuten analog zur objektiven Situation auf mehrfache Barrieren für Frauen hin. Diese äußern sich in einer skeptischen Haltung gegenüber dem Fördersystem der DFG und einem eher negativen Erleben ihrer Situation als Wissenschaftlerinnen. Dabei sind vielfältige Befürchtungen als Rezeptionen vor allem der impliziten Merkmale und Leitbilder des Wissenschaftssystems zu verstehen, die als handlungsrelevant für weitere Karriereentscheidungen angesehen werden können. Zu diesen Leitbildern gehören die hohen und umfassenden zeitlichen Verfügbarkeitsansprüche und Forderungen nach hoher Leistungs- und Leidensbereitschaft, die auch die Unvereinbarkeit von Wissenschaft und Familie beinhalten. So befürchten Doktorandinnen weitaus häufiger als Doktoranden Schwierigkeiten bei der Vereinbarung beider Lebensbereiche und auch Postdoktorandinnen nehmen die Vereinbarung von privaten und wissenschaftlichen Verpflichtungen deutlich häufiger als problematisch wahr. Dies entspricht bundesweiten Befunden, wonach sich Elternschaft und wissenschaftliche Berufslaufbahn weiterhin ausschließen und Wissenschaftlerinnen wie Wissenschaftler zugunsten der beruflichen Etablierung zumindest zunächst auf Kinder verzichten. Besonders Frauen schätzen die Realisierungswahrscheinlichkeit ihres Kinderwunsches als gering ein (Lind 2008a, b). Ob sich die Befürchtungen zu Schwierigkeiten bei der Vereinbarung von Wissenschaft und Familie auf rein zeitliche Aspekte, (weitere) Nachteile bei der Erhöhung von Produktivität und Sichtbarkeit oder auf die Aberkennung von Leistungsbereitschaft und Karriereorientierung beziehen, bleibt für die Promovierenden unklar. Für die in der Postdocphase befragten Eltern zeichnet sich ein überwiegend zeitliches Problem ab.251 Neben diesen Befürchtungen bestehen besonders für Frauen zwischenmenschliche Schwierigkeiten im universitären Umfeld. In der Promotionsphase zeigen sich diese in der Zusammenarbeit mit der Betreuungsperson, in Demoralisierungen und der Ignorierung von Schwierigkeiten. Solche Erfahrungen sind nach Bourdieu als Formen symbolischer Gewalt zu verstehen, bei welchen sich die Betroffenen unwohl, ausgeschlossen und nicht ernst genommen fühlen. Dies bewirkt, dass sich die Betroffenen gegenüber den vorherrschenden und gelebten Strukturen als minderwertig identifizieren (vgl. Abschnitt 2.3.1). Auch in der Postdocphase sind speziell für Frauen zwischenmenschliche Schwierigkeiten zu verzeichnen, die auf weitere Akte der symbolischen Gewalt hindeuten. Ersichtlich wird dies in ihrer geringeren Zufriedenheit mit der Anerkennung ihrer Leistung und ihrer Kompetenz aus dem wissenschaftlichen Umfeld. Zusätzlich deuten Befunde einer selteneren positiven Herausforderung und einer geringeren Zufriedenheit mit der eigenen Leistung auf ein generell negativ geprägtes Erleben des wissenschaftlichen Alltags hin. 251 Vgl. die anschließende Darstellung von Verstärkungsmechanismen durch eine Elternschaft.
Geschlechtsspezifische Barrieren und Möglichkeiten im wissenschaftlichen Qualifikationsverlauf
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Solche Hinweise auf symbolische Gewalt finden sich darüber hinaus bei Wissenschaftlerinnen, die mit dem Erhalt eines DFG-Stipendiums bereits eine fortgeschrittene wissenschaftliche Etablierung erlangt haben. Hierauf verweist zunächst die ausgeprägte Skepsis von Wissenschaftlerinnen gegenüber dem Förderverfahren der DFG. Dabei stellen Frauen stärker als Männer die Objektivität des Verfahrens infrage und heben die Intransparenz von Entscheidungsstrukturen, die Bedeutsamkeit der wissenschaftlichen Herkunft und wissenschaftliche Vorleistungen hervor. Dies bedeutet, dass Frauen solchen Faktoren mehr Gewicht zusprechen, die für die Existenz des Matthäus-Effekts sprechen. Belohnt wird demzufolge nicht die Leistung, die das aktuelle Vorhaben betrifft, sondern vorangegangene Erfolge und die wissenschaftliche Herkunft der Antragstellenden (vgl. Abschnitt 2.2.2). Ferner stellen Frauen die Gewährleistung der Gleichbehandlung der Geschlechter und die Objektivität der Gutachtenden häufig infrage. Diese Skepsis steht im Einklang mit den für Frauen durchweg etwas geringeren Aussichten auf eine Förderung durch ein DFG-Forschungsstipendium. Anscheinend sind Formen der symbolischen Gewalt für Frauen bei allen untersuchten Hürden präsent. Dieses Phänomen ist daher weniger an den Fortschritt der wissenschaftlichen Etablierung, sondern vielmehr an das Geschlecht des Nachwuchses geknüpft. Da Wissenschaftlerinnen fortlaufend gegen solche Barrieren ankämpfen müssen, entstehen für sie kontinuierliche zusätzliche Belastungen. Darüber hinaus sind selbst für Frauen, die ein Forschungsstipendium erhalten haben, keine Möglichkeiten ersichtlich, bis dato angesammelte Nachteile aufzuholen. Vielmehr werden bestehende Unterschiede weiter erhöht oder zumindest aufrechterhalten. Dies zeigt sich in der für Frauen geringeren Nützlichkeit für die Erhöhung ihrer sozialen Einbindung und ihrer Publikationsproduktivität. Hierdurch können Frauen ihre Sichtbarkeit in der Wissenschaftsgemeinschaft auch mithilfe eines solch angesehenen Förderinstruments nicht weiter erhöhen. Subjektive Vorteile für Frauen bestehen ausschließlich in der Phase während der Promotion. So profitieren Doktorandinnen etwas stärker von Forschungskolloquien als Doktoranden und erhalten häufiger eine bedarfsgerechte fachliche Betreuung und Überprüfung des Dissertationsstands. Auch die hohe intrinsische Motivation für die Aufnahme einer Promotion stellt für Frauen eine bessere Ausgangssituation dar als für Männer. Diese Motivation setzt sich allerdings nicht in Vorteilen bei der Erfüllung langfristiger wissenschaftlicher Ansprüche fort. Insgesamt beziehen sich die bestehenden Vorteile überwiegend auf einen zügigen Abschluss der Promotion. Dahingegen sind langfristige, das heißt für den wissenschaftlichen Verbleib zentrale Vorteile nicht festzustellen. Somit bestehen für Frauen neben objektiven auch umfassende subjektive Nachteile. Diese sind größtenteils zu verstehen als Formen symbolischer Gewalt, die aus den Strukturen des Wissenschaftssystems und den Praktiken der Forschenden im universitären Umfeld resultieren. Auffallenderweise sind solche Nachteile
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Schlussbetrachtung
nicht nur zu Beginn, sondern auch bei einer fortgeschrittenen wissenschaftlichen Etablierung des Nachwuchses existent. Insgesamt verdeutlichen die dargestellten objektiven und subjektiven Barrieren an den beiden untersuchten Exzellenzeinrichtungen offensichtliche Karrierenachteile für Frauen, die unabhängig von der wissenschaftlichen Ambition, der Fachzugehörigkeit, dem Lebensalter und der wissenschaftlichen Verankerung bestehen. Demzufolge wird die reale Situation dem Anspruch, wissenschaftliche Exzellenz und Chancengleichheit von Männern und Frauen zu fördern, bislang (noch) nicht gerecht. Die Ursachen hierfür sind primär in den zeitlichen Ansprüchen und informellen Strukturen bei Betreuung und Leistungszuschreibung im Alltag und im Peer-Review-Verfahren zu sehen. Diese Faktoren verstärken sich gegenseitig und erzeugen im Zusammenspiel mit stereotypischen Geschlechtsrollenbildern Ungleichheitslinien zwischen Männern und Frauen. In Übereinstimmung mit den in Abschnitt 2.2.2 dargestellten embedded approaches bilden erst die Strukturen des Wissenschaftssystems geschlechtsspezifische Bedingungen für den Verbleib in der Wissenschaft aus und belegen somit die Wirksamkeit von Prozessen der institutionellen Diskriminierung. Dabei erscheinen in Anlehnung an Acker (1991) besonders Faktoren wie geschlechtliche Arbeitsteilung in Verbindung mit Leistungskriterien, die über Positionierung und Aufstiegsmöglichkeiten entscheiden, und erlaubte Verhaltensweisen als Trennlinien zwischen den Geschlechtern. Diese werden in den Interaktionen des wissenschaftlichen Alltags und den Praktiken bei Rekrutierungs- und Förderentscheidungen zum Ausdruck gebracht. Die bei biologischen und sozialisationstheoretischen Ansätzen angeführte grundsätzliche Differenz der Geschlechter hinsichtlich beruflicher und fachlicher Orientierungen und Kompetenzen ist als Ursache zur Erklärung der bestehenden Geschlechtsunterschiede nicht aufrechtzuerhalten. Darüber hinaus tragen strukturelle Faktoren wie wissenschaftliche Verankerung, Fachzugehörigkeit, Elternschaft oder Lebensalter zur kurzfristigen Verstärkung und teilweise zur Abschwächung von Geschlechtsunterschieden bei. Diese Dynamiken gehen auf geschlechtsspezifische Zusammenhänge mit einzelnen Qualifikationsbedingungen zurück und belegen die Wirksamkeit des Geschlechts für die Ausformung dieser Bedingungen (vgl. Abschnitt 2.4).
Geschlechtsspezifische Barrieren und Möglichkeiten im wissenschaftlichen Qualifikationsverlauf
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6.1.3 Verstärkung von Nachteilen für Frauen Eine Verstärkung von Nachteilen für Frauen liegt vor, wenn die jeweiligen Faktoren für Frauen größere Nachteile mit sich bringen als für Männer und Frauen gegenüber Männern bereits unabhängig von weiteren Merkmalen benachteiligt sind (vgl. Abschnitt 2.4).252 Neben Faktoren wie wissenschaftlicher Verankerung, Elternschaft und Lebensalter liegt ein besonderes Augenmerk auf den unterschiedlichen Bedingungen für Männer und Frauen in einzelnen Fachdisziplinen, die auf geschlechtsspezifische Fachkulturen hindeuten.253 In der Promotionsphase lassen sich einige Verstärkungsdynamiken erkennen, die auf die wissenschaftliche Verankerung zurückgehen. Diese zeigen sich besonders bei subjektiven Nachteilen für Frauen, die auf Formen symbolischer Gewalt hindeuten. Dies betrifft das subjektive Erleben von Demoralisierungen und von der Ignorierung von Schwierigkeiten. Beides wird durch eine wissenschaftliche Verankerung bei Frauen im Vergleich zu Männern deutlich stärker begünstigt. Gleichermaßen verhält sich dies beim Auftreten von Beeinträchtigungen der Arbeiten an der Promotion durch familiäre Ereignisse. Allgemein wird eine wissenschaftliche Verankerung zudem als zuträglich für die Qualifikation des wissenschaftlichen Nachwuchses angesehen, da die Unterstützung und Zusammenarbeit mit der Betreuungsperson der Dissertation enger und die Vorbereitung auf die weitere berufliche Laufbahn zielgerichteter erfolgen kann, als dies ohne institutionelle Anbindung zu erwarten wäre. Die vorhandenen Verstärkungseffekte zeigen aber, dass dies insbesondere für das subjektive Erleben der Unterstützung aus dem universitären Umfeld nicht gegeben ist. Doch auch bei Promovierenden auf Stipendien sind gegenüber externen Promovierenden Verstärkungsmechanismen erkennbar. Diese betreffen den Erhalt einer bedarfsgerechten Vermittlung wissenschaftlicher Kompetenzen und die Antizipation von Problemen der Vereinbarkeit. Demzufolge werden primär Barrieren, die auf die Leitidee der Wissenschaft als Lebensform rekurrieren, durch beide Formen der wissenschaftlichen Einbindung vergrößert. Dies bedeutet, dass gerade familiäre Verpflichtungen zu Problemen bei der wissenschaftlichen Qualifizierung führen. Frauen sind sich dieser Leitidee anscheinend besonders bewusst, was sie anfällig für Formen der symbolischen Gewalt macht. Neben der wissenschaftlichen Verankerung tragen geschlechtsspezifische Fachkulturen zu einer Vergrößerung bestehender Nachteile für Wissenschaftlerinnen bei. In der Rechts-/Wirtschafts-/Verwaltungswissenschaftlichen Sektion der 252 Es bleibt zu erwähnen, dass eine Akkumulation von Nachteilen oder Vorteilen auch dann wirksam ist, wenn unabhängig von weiteren Merkmalen keine Geschlechtsunterschiede zu verzeichnen sind, aber dennoch geschlechtsspezifisch unterschiedlich wirksame Bedingungen vorliegen. 253 Geschlechtsspezifische Fachkulturen ergeben sich demzufolge nicht aus der horizontalen Segregation, sondern entstehen allein durch für Männer und Frauen unterschiedliche Bedingungen in einzelnen Disziplinen.
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Schlussbetrachtung
Universität Konstanz erhalten Doktorandinnen deutlich seltener eine adäquate Vermittlung wissenschaftlicher Kompetenzen als Doktoranden. Umgekehrt bestehen in der Geisteswissenschaftlichen und Naturwissenschaftlichen Sektion bei der Vermittlung solcher Kompetenzen deutlich günstigere Bedingungen für Frauen als für Männer. Dies bedeutet, dass Doktorandinnen der Rechts-/Wirtschafts-/Verwaltungswissenschaften im Gegensatz zu Frauen anderer Sektionen weitere Nachteile bei der Aneignung wissenschaftlicher Kompetenzen akkumulieren. Solche geschlechtsspezifischen Fachkulturen tragen zudem zu weiteren Verstärkungsprozessen bei. So erhalten Doktorandinnen der Rechts-/Wirtschafts-/Verwaltungswissenschaftlichen Sektion im Vergleich zu Doktoranden besonders selten eine Promotionsstelle. Doktorandinnen dieser Sektion werden außerdem besonders häufig durch beruflich bedingte zeitliche Engpässe beeinträchtigt. Zwar bestehen bei solchen Engpässen auch in der Geistes- und Naturwissenschaftlichen Sektion Nachteile für Frauen. Diese fallen jedoch bedeutend geringer aus. In den Naturwissenschaften hingegen wächst die Kluft zulasten der Frauen an, was die bedarfsgerechte persönliche Ermutigung, das Vorhandensein von Veröffentlichungen und die Ungewissheit einer Weiterfinanzierung betrifft. Im selben Maß wie in den Naturwissenschaften werden Finanzierungsunsicherheiten für Frauen in der Geisteswissenschaftlichen Sektion erhöht. Dort ist außerdem eine Vergrößerung des Nachteils bei der Veröffentlichung angesehener Beiträge zu verzeichnen. Während der Postdocphase an der Universität Konstanz wurde besonders deutlich, inwiefern und in welchem Ausmaß eine Familiengründung zu einer Erhöhung bestehender Barrieren für Frauen beiträgt, während bei Männern ein „boost“ der wissenschaftlichen Etablierung zu erkennen ist (Xie/Shauman 2003: 212). Obwohl eine Elternschaft auch für Männer mit Problemen verbunden ist, entstehen für Frauen weitaus größere Barrieren, die eine Verstärkung der für sie vorhandenen Nachteile begünstigen. Diese Interpretationsrichtung wird durch die qualitativen Befunde und zahlreiche weitere Studien bestätigt (vgl. z.B. Engels et al. 2008, Henninger et al. 2007, Krimmer/Zimmer 2003, Lind 2008a, b, Macha 2000, 2006, Metz-Göckel et al. 2009, Stone 2007, von Stebut 2003, Xie/Shauman 2003). Bereits die häufige Antizipation von Problemen der Vereinbarkeit bei Doktorandinnen und die gerade bei Frauen niedrige Elternquote auch in der Phase nach der Promotion deuten auf eine spezielle Hürde für Frauen hin. So trägt eine Elternschaft wesentlich zu einer Vergrößerung des Geschlechtsunterschieds beim vertraglichen und tatsächlichen Arbeitspensum bei. Besonders deutliche Geschlechtsunterschiede finden sich jedoch beim Einfluss einer Elternschaft auf die Publikationsproduktivität bei Beiträgen in Fachzeitschriften mit Peer-Review. So hemmt eine Elternschaft diese Produktivität bei Frauen und begünstigt sie bei Männern. Demzufolge können sich Männer bei einer Elternschaft hinsichtlich eines zentralen Kriteriums zur Beurteilung wissenschaftlicher Leistung weiter von Frauen absetzen. Die geschlechtsspezifische Situation von Eltern lässt diese niedrigeren Publikations-
Geschlechtsspezifische Barrieren und Möglichkeiten im wissenschaftlichen Qualifikationsverlauf
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quoten der Mütter als Resultat ihrer geringeren Zeitinvestitionen und größeren Belastungen durch die Familienarbeit erscheinen. Diese entstehen vorwiegend durch auch in anderen Studien belegte Retraditionalisierungsprozesse zulasten der Mütter, die mit der Familiengründung einhergehen (vgl. z.B. Abele 2003, Henry-Huthmacher 2008: 9, Krimmer/Zimmer 2003, Strehmel 1999 für nicht akademische Fachkräfte Nentwich 2000). So nehmen die befragten Mütter nicht nur häufiger Elternzeit in Anspruch als Väter, sondern übernehmen auch bei einer partnerschaftlichen Familienorganisation größere Anteile der Kinderbetreuung und der Haushaltstätigkeiten. Darüber hinaus tragen vorwiegend die Mütter die Verantwortung für die Sicherstellung der Kinderbetreuung und damit die Koordination von familialen und beruflichen Aufgaben. So entsteht für sie ein kräfteraubender täglicher Zeitstress und die Notwendigkeit, berufliche Aufgaben auch abends, nachts oder am Wochenende zu Ende zu bringen. Demzufolge erleben Mütter die Vereinbarung beider Lebensbereiche als Additionsmodell (vgl. Radisch 2006), da sie versuchen, die gleiche Leistung wie kinderlose Forschende in weniger Zeit zu erbringen. Diese Vergrößerung von Geschlechtsunterschieden bei solchen zeitlich-organisatorischen Beeinträchtigungen führt besonders bei Frauen zu permanenten Erschöpfungszuständen bis hin zu gesundheitlichen Beeinträchtigungen. Aufgrund der hohen wissenschaftlichen Anforderungen, der eigenen Ansprüche und Reaktionen aus dem gesellschaftlichen Umfeld kommen für Mütter ausgeprägte innere Konflikte hinzu. Diese äußern sich in einem schlechten Gewissen gegenüber beruflicher Tätigkeit und Familie. Bei Vätern ist, bedingt durch die rare gemeinsame Familienzeit, zumindest gegenüber dem Familienbereich ebenfalls ein schlechtes Gewissen auszumachen. Diese besonders aus den qualitativen Daten hervorgehende Verschärfung von Belastungen für Frauen schlägt sich zudem in Wahrnehmungen der beruflichen Situation nieder. So hemmt eine Elternschaft ausschließlich bei Frauen die Wahrnehmung der beruflichen Situation als positive Herausforderung und die Zufriedenheit mit der eigenen Leistung. Dies bewirkt eine Vergrößerung der ohnehin bestehenden Geschlechtsunterschiede. Wiederum scheiden fachliche Kompetenzen entgegen biologischer und sozialisationstheoretischer Ansätze als Ursache für diese Geschlechtsunterschiede aus, da Mütter seltener als kinderlose Wissenschaftlerinnen eine fachliche Überforderung verspüren. Die familiäre und berufliche Situation von Eltern hat außerdem Auswirkungen auf die weitere Karriereorientierung. So strebten die befragten Frauen zwar auch bereits unabhängig von einer Elternschaft seltener eine Professur an als Männer; diese Kluft wird durch eine Elternschaft jedoch wesentlich verstärkt und ist maßgeblich auf die hohen Zeitanforderungen und Planungsunsicherheiten im Wissenschaftssystem zurückzuführen.254
254 Vgl. hierzu Abschnitt 6.2.
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Schlussbetrachtung
Die Befragung ehemaliger Stipendiatinnen und Stipendiaten durch die DFG zeigt durch eine Elternschaft in Bezug auf die Auslandsmobilität weitere Verstärkungstendenzen. So nützten Stipendiatinnen mit Kindern das Förderinstrument noch seltener für einen Auslandsaufenthalt, als dies bei kinderlosen Stipendiatinnen der Fall war. Demzufolge können Wissenschaftler mit Kindern ihren Vorsprung bei der Auslandsmobilität weiter ausbauen. Bei den Bewilligungschancen auf DFG-Forschungsstipendien und den Wahrnehmungen dieses Förderverfahrens zeichnet sich mit dem Lebensalter ein weiterer Faktor ab, der zur Vergrößerung von Geschlechtsunterschieden beiträgt. Das Lebensalter gilt im Wissenschaftssystem aufgrund der vorherrschenden Kontinuitätsund Zeitvorstellungen und Entscheidungen über Exzellenz auf der Basis vorangegangener Leistungen als Indikator für Exzellenz. Daher erscheint der wissenschaftliche Nachwuchs umso talentierter und förderungswürdiger, je jünger die Antragstellenden bei Erreichen einer Statuspassage sind oder je mehr Veröffentlichungen sie bereits in jungen Jahren vorzuweisen haben. Zusätzlich steht das Lebensalter für die Erfahrung im und mit den Anforderungen des Wissenschaftssystems und prägt daher die Wahrnehmungen des wissenschaftlichen Nachwuchses. Bei den Einflüssen des Lebensalters auf die Bewilligungschancen zeigt sich dessen generelle Bedeutung als Exzellenzkriterium. Unabhängig vom Geschlecht sind mit zunehmendem Alter tendenziell sinkende Bewilligungschancen zu verzeichnen. In den Naturwissenschaften werden für Männer und Frauen zudem unterschiedliche Maßstäbe an das Lebensalter angelegt. So bestehen ab einem Alter von 35 Jahren speziell bei Frauen geringere Bewilligungschancen, so dass Naturwissenschaftler dieser Altersgruppe ihren Vorsprung gegenüber Naturwissenschaftlerinnen weiter ausbauen können. Für Verstärkungstendenzen bei der selteneren Habilitationsabsicht und der geringeren Habilitationsquote der Stipendiatinnen ab einem Lebensalter von 35 bzw. 41 Jahren sprechen vorangegangene geschlechtsspezifische Erfahrungen und Barrieren im wissenschaftlichen Umfeld. Bei der Habilitationsneigung dürfte zudem die Antizipation der weiteren Chancen auf eine erfolgreiche wissenschaftliche Berufslaufbahn mit entscheidend sein. Bei den Wahrnehmungen des Peer-Review-Systems der DFG sind Verstärkungstendenzen durch eine Mischung aus der vermuteten Bedeutung des Lebensalters als Exzellenzkriterium und vorangegangenen Erfahrungen erklärbar. Eine Vergrößerung der Geschlechtsunterschiede bei Gründen gegen eine frühere Antragstellung bei der DFG findet sich bei der Benennung des im Vergleich zum Zeitaufwand hohen Ablehnungsrisikos. Diese besonders bei Frauen skeptische Haltung setzt bereits ab einem Alter von 30 Jahren ein und belegt den hohen zeitlichen Qualifikationsdruck bei Wissenschaftlerinnen. Bei den Befragten ab 30 Jahren verstärkt sich die Kluft zwischen den Geschlechtern außerdem bei der Annahme, dass die Bestenauswahl im Peer-Review-System der DFG sichergestellt sei. Anscheinend
Geschlechtsspezifische Barrieren und Möglichkeiten im wissenschaftlichen Qualifikationsverlauf
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befürchten speziell Frauen bereits ab diesem Lebensalter Einbußen oder haben in der Vergangenheit Erfahrungen gemacht, die sie zu dieser Einschätzung veranlassen. Verstärkungstendenzen ab 41 Jahren finden sich bei Gründen für eine unangemessene Ablehnung qualitativ guter Anträge, die die Objektivität des Verfahrens infrage stellen. Die Vergrößerung der Kluft zwischen Männern und Frauen bei der Absolvierung eines Auslandsaufenthalts im Rahmen der DFG-Förderung, die sich ebenfalls in der ältesten Gruppe ab 41 Jahren findet, könnte mit einer in diesem Alter wahrscheinlichen Elternschaft einhergehen. Als weitere Ursachen kommt die in dieser Altersgruppe stärkere Bindung an den Wohnort infrage. 6.1.4 Verringerung von Vorteilen für Frauen Vorteile für Wissenschaftlerinnen gegenüber Wissenschaftlern waren ausschließlich während der Promotionsphase zu verzeichnen. Ein Trend zur Verringerung dieser Vorteile besteht in einzelnen Fällen, nämlich bei besonders ungünstigen Bedingungen seitens einer wissenschaftlichen Verankerung, eines Promotionsstipendiums oder der Fachzugehörigkeit. Der Vorsprung der Frauen beim Erhalt einer bedarfsgerechten fachlichen Betreuung wird bei einer wissenschaftlichen Verankerung und auch bei Promotionsstipendien tendenziell verkleinert. Dies dürfte mit den im Vergleich zu Männern höheren Ansprüchen von Frauen mit Verankerung und auf Stipendien zu tun haben. In der Naturwissenschaftlichen Sektion bestehen für Frauen gegenüber Männern besonders ungünstige Bedingungen, was den Erhalt einer bedarfsgerechten Überprüfung des Dissertationsstands betrifft. In der Rechts-/Wirtschafts-/Verwaltungswissenschaftlichen Sektion fällt die Vortragsaktitivät von Frauen geringer aus als von Männern. Hierdurch erfolgt ebenfalls eine Nivellierung dieser beiden Vorteile für Frauen. 6.1.5 Verringerung von Nachteilen für Frauen In nachstehenden Fällen bestehen für Frauen besonders gute Bedingungen, wenn sie mit wissenschaftlicher Verankerung oder auf Stipendien promovieren. Zusätzlich zeigen sich besondere Vorteile in bestimmten Fachdisziplinen, in einzelnen Altersgruppen und im Falle einer Elternschaft. Diese günstigen Bedingungen führen jeweils zu einer Verringerung von Nachteilen von Frauen. Bei vorhandener wissenschaftlicher Verankerung während der Promotionsphase gilt dies für Aspekte der sozialen Einbindung wie Vorträge in Kolloquien, Kongressteilnahmen ohne Vortrag und der tatsächlichen und angestrebten Publikationsproduktivität. Des Weiteren wirkt eine Verankerung regulierend auf die Ar-
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Schlussbetrachtung
beitspensen für Erwerbstätigkeit und Promotion. Demzufolge profitieren Doktorandinnen mit Verankerung von etwas höheren Zeitinvestitionen für die Promotion und können weitere Vorteile bei der Erfüllung zentraler Anforderungen an Wissenschaftskarrieren für sich verbuchen. Analog zu Promotionsmodellen mit Verankerung bewirken auch Stipendien eine Verringerung der Nachteile bei Kongressteilnahmen ohne Vortrag. Darüber hinaus ist die regulierende Funktion von Stipendien für das Auftreten zwischenmenschlicher Schwierigkeiten auffallend. Dies bedeutet, dass Stipendien gegenüber Modellen mit Verankerung besondere Vorteile bieten, indem sie dem Auftreten von symbolischer Gewalt entgegenwirken. Auch in einzelnen Sektionen bestehen geschlechtsspezifische Bedingungen, die Nachteilen von Frauen entgegenwirken. In den Geisteswissenschaften betrifft dies den Erhalt einer bedarfsgerechten Betreuung bei der Vermittlung wissenschaftlicher Kompetenzen und der persönlichen Ermutigung in der Promotionsphase. Zudem deutet die in dieser Sektion hohe Elternquote der Postdoktorandinnen auf günstige Bedingungen der Vereinbarkeit beider Lebensbereiche hin. Somit finden sich in den Geisteswissenschaften besonders gute Voraussetzungen für einen künftigen Verbleib in der Wissenschaft. Für Naturwissenschaftlerinnen sind die Bedingungen für den Erhalt einer Promotionsstelle besonders günstig und wirken regulierend auf die bestehenden Nachteile. Für die Rechts-/Wirtschafts-/Verwaltungswissenschaftliche Sektion besteht eine ausgleichende Funktion bei der bisherigen und geplanten Publikationsaktivität. Bei einigen Aspekten führt zudem eine Elternschaft in der Postdocphase zu ausgleichenden Dynamiken. An der Universität Konstanz betrifft dies die gefühlte fachliche Überforderung und die Zufriedenheit mit der Anerkennung der erbrachten Leistungen. Demzufolge haben Mütter nicht mit der Aberkennung ihrer Leistung zu kämpfen, wie dies in früheren Studien belegt wurde (Beaufaÿs/Krais 2005, Fuchs et al. 2001, Krimmer/Zimmer 2003). Durch die Einschätzungen ehemaliger Stipendiatinnen zum Peer-Review-System wird dies ebenfalls bestätigt. So zeigen sich gerade Mütter gegenüber der Objektivität des Verfahrens zuversichtlich. Allerdings konnte nicht geprüft werden, ob diese Dynamiken auch mit einer Positivselektion zu tun haben, wonach sich möglicherweise speziell fachlich herausragende Frauen für eine Familiengründung entschieden haben könnten. Ein Ausgleich von Geschlechtsunterschieden durch das Lebensalter ist bei der Förderung durch DFG-Forschungsstipendien zu verzeichnen. Dabei sind für Frauen in den Geistes-/Sozialwissenschaften und den Lebenswissenschaften ab einem Alter von 41 Jahren vergleichsweise höhere Bewilligungschancen zu verzeichnen. Möglicherweise handelt es sich hierbei um Wissenschaftlerinnen, die – beispielsweise durch Erziehungszeiten – Verzögerungen ihres Karrierefortschritts plausibel begründen konnten.
Diskussion: Zentrale Barrieren, vertikale Segregation und die Förderung von Exzellenz
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6.1.6 Verstärkung von Vorteilen für Frauen Nur in wenigen Fällen ist eine Verstärkung der ohnehin seltenen Vorteile für Frauen zu erkennen. Diese gehen auf Fachkulturen zurück, die für Frauen besonders gute Bedingungen bereitstellen und sind ausschließlich in der Geisteswissenschaftlichen Sektion zu finden. Dort können Doktorandinnen ihren Vorsprung bei Vortragsaktivitäten ausbauen. Gleichermaßen verhält sich dies bei einer bedarfsgerechten Überprüfung des Dissertationsstands. 6.2 Diskussion: Zentrale Barrieren, vertikale Segregation und die Förderung von Exzellenz Die Studie verdeutlicht, dass Frauen im Verlauf ihrer wissenschaftlichen Weiterqualifikation zahlreiche Nachteile akkumulieren. Diese betreffen die Erfüllung zentraler Ansprüche an Karrieren im universitären Wissenschaftsbetrieb ebenso wie negative subjektive Erfahrungen im universitären Umfeld, wodurch für Frauen bei der wissenschaftlichen Etablierung besonders hohe Hürden bestehen. Generell finden sich an beiden untersuchten Exzellenzinstitutionen (Universität Konstanz, DFG) Barrieren, die es Frauen im Unterschied zu Männern in zweierlei Hinsicht nahelegen, aus dem Wissenschaftssystem abzuwandern. Zum einen erfüllen Wissenschaftlerinnen wesentliche Voraussetzungen für Wissenschaftskarrieren weniger adäquat als Wissenschaftler. Entsprechend humankapitaltheoretischer Ansätze (vgl. Abschnitt 2.1.2) dürften Frauen ihre Chancen für einen erfolgreichen Verbleib im Wissenschaftssystem gegenüber Männern demzufolge als schlechter beurteilen. Zum anderen vermögen Akte der symbolischen Gewalt zusätzliche Entmutigungen zu bewirken. Ferner belegt die erst nach der Promotionsphase vorhandene geringere wissenschaftliche Karriereorientierung von Frauen eine im Zeitverlauf zunehmende Abwendung von Frauen, die sich zumindest teilweise durch diese vergleichsweise höheren Hürden erklären lassen. Zusätzlich laufen Wissenschaftlerinnen stärker als Wissenschaftler und im Qualifikationsverlauf zunehmend Gefahr, als die schlechteren Forschenden zu erscheinen. Demzufolge ist von einem erschwerten Zugang für Frauen zu angesehenen Forschungspositionen oder Förderinstrumenten auszugehen, was sich auch in den geschlechtsspezifischen Förderchancen auf DFGForschungsstipendien abzeichnet. Da sich die Befunde auf den jeweils im Wissenschaftssystem verbliebenen Nachwuchs beziehen, ist die ersichtliche Akkumulation von Nachteilen von Frauen besonders hervorzuheben. Denn diese vorhergehenden Selektionen dürften Unterschiede zwischen Männern und Frauen eher verringern. Schließlich handelt es sich um besonders motivierte und kompetente Personen, die sich zumindest zunächst für den Verbleib an der Universität entschieden haben.
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Schlussbetrachtung
Neben diesen langfristig erwartbaren Auswirkungen der Qualifikationsbedingungen auf die wissenschaftliche Etablierung bestehen für Frauen erhöhte Risiken, bereits während der Promotionsphase aus dem Wissenschaftssystem auszuscheiden. Dies zeigt sich an bisherigen Promotionsunterbrechungen und Gedanken an einen Abbruch der Promotion. Die bei beiden Faktoren festgestellten Nachteile für Frauen gehen zu einem Großteil auf die bei Frauen häufigeren zeitlichen Beeinträchtigungen und zwischenmenschlichen Schwierigkeiten in Form von Demoralisierung und von Ignorierung ihrer Schwierigkeiten sowie die Antizipation von Problemen der Vereinbarkeit zurück. Dies gilt besonders für Gedanken an einen Abbruch der Promotion, wo nach Berücksichtigung dieser Merkmale keine weiteren Nachteile zu erkennen sind. Doch Frauen sind nicht nur häufiger von nachteiligen Promotionsbedingungen betroffen, sondern diese begünstigen deren Abbruchrisiken, abgesehen von antizipierten Problemen der Vereinbarkeit, besonders stark. Neben den Promotionsbedingungen erweist sich ferner die Erwerbstätigkeit des Partners/der Partnerin als entscheidend für die Abbruchrisiken während der Promotionsphase. Dabei kommt es Doktorandinnen besonders entgegen, wenn ihr Partner eine wissenschaftliche Laufbahn anstrebt. Darüber hinaus dürfen Promotionsbedingungen und Partnerschaftsdynamiken auch in ihrer langfristigen Wirkung für die Segregation des Wissenschaftssystems nicht unterschätzt werden. Denn es bestehen Erkenntnisse, wonach Frauen trotz zunehmender Entfremdung vom Wissenschaftssystem ihre Promotion dank ihrer Zielstrebigkeit und Ergebnisorientierung noch zu Ende bringen und sich erst anschließend gegen eine weitere Karriere in der Wissenschaft entscheiden (Allmendinger et al. 1999: 210). Hinter diesen vielfältigen Mechanismen, die eine Akkumulation von Nachteilen für Frauen während und nach der Promotionsphase bewirken, sind zwei zentrale Barrieren auszumachen, die für die „Konstruktion wissenschaftlicher Karrieren“ (Krais 2008: 208) unabhängig von den einzelnen Qualifikationsstufen erst im Zusammenhang mit den Bedingungen und Praktiken im Wissenschaftssystem und geschlechtstypischen Rollenbildern wirksam werden: die verfügbare Zeit für die Wissenschaft und Akte der symbolischen Gewalt vorwiegend im universitären Umfeld. Diese repräsentieren somit zentrale Stellschrauben bei der Frage nach Chancengerechtigkeit im wissenschaftlichen Qualifikationsverlauf und der Förderung von Exzellenz. Im Wissenschaftssystem haben zeitliche Vorstellungen eine hohe Bedeutsamkeit. Diese zeigen sich in den hohen Ansprüchen an die Verfügbarkeit von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern im universitären Alltag, in Erwartungen einer unermüdlichen Leistungsbereitschaft, im Anspruch an möglichst frühe, zahlreiche und hochrangige Publikationen und nicht zuletzt in der Vorstellung einer „Normalbiografie“ wissenschaftlicher Karrieren. Diese umfassenden zeitlichen Ansprüche sind neben Forderungen, sich auch gedanklich ausschließlich auf die Wissenschaft
Diskussion: Zentrale Barrieren, vertikale Segregation und die Förderung von Exzellenz
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zu konzentrieren, wesentliche Bestandteile des idealisierten Leitbilds der Wissenschaft als Lebensform (vgl. Abschnitt 2.3.2). Dabei sind diese Vorstellungen nicht nur im wissenschaftlichen Arbeitsalltag verankert, sondern dienen darüber hinaus als unmittelbares Kriterium für die Beurteilung wissenschaftlicher Leistung und Exzellenz. In der vorliegenden Studie wird dies in der – zunächst unabhängig vom Geschlecht – hohen Bedeutsamkeit des Lebensalters für die Bewilligungschancen bei Anträgen auf DFG-Forschungsstipendien deutlich. Hier sind bereits ab einem Lebensalter von 30 Jahren geringere Chancen auf eine Bewilligung zu verzeichnen, als dies bei jüngeren Antragstellenden der Fall ist. Diese implizite Altersgrenze verdeutlicht den hohen Zeit- und Leistungsdruck in der wissenschaftlichen Qualifikationsphase. Hiervon sind Naturwissenschaftlerinnen in besonderem Maß betroffen, da Frauen in diesem Wissenschaftsbereich durch die Anwendung geschlechtsspezifischer Altersmaßstäbe gegenüber gleichaltrigen Männern benachteiligt werden (vgl. Abschnitt 6.1.3). Aber auch bei einer einheitlichen Anwendung von Leistungskriterien für Männer und Frauen brechen Geschlechtsunterschiede spätestens dann auf, wenn Frauen bei ihrer wissenschaftlichen Weiterqualifikation größeren zeitlichen Beeinträchtigungen ausgesetzt sind als Männer. Diese führen, wie die Konstanzer Befunde zeigen, zu Verzögerungen bei der Weiterqualifikation und zu einer Verringerung der zeitlichen Ressourcen für Publikationsaktivitäten oder den Ausbau von Forschungskooperationen, die für wissenschaftliche Karrieren zentral sind. Die Ursachen für zeitliche Beeinträchtigungen stehen im Zusammenhang mit Verpflichtungen durch die wissenschaftliche oder nicht wissenschaftliche Erwerbstätigkeit und familiären Verpflichtungen. Gerade die für Mütter festgestellten Defizite bei Publikationsquoten und Kongressteilnahmen sind neben geringeren Unterstützungsleistungen durch den hieraus entstehenden Zeitmangel zu erklären. Die Bedeutung der verfügbaren Zeit für wissenschaftliche Karrieren zeigt sich nicht nur in den Qualifikationsfortschritten, sondern ist auch in den Praktiken und Wahrnehmungen des wissenschaftlichen Nachwuchses verankert. Gerade bei der Vereinbarkeit von Wissenschaft und Familie an der Universität Konstanz werden hierdurch Belastungen ausgelöst, die das Erleben der wissenschaftlichen Weiterqualifikation negativ prägen. So fürchten Mütter und selbst Väter – obwohl diese generell weniger Zeit in Erziehungsaufgaben investieren –, bestehende Toleranzgrenzen zu überschreiten und ihre Anerkennung als vollwertiger Wissenschaftler bzw. Wissenschaftlerin zu gefährden. Solche Belastungen wiegen aufgrund der im gesamten Qualifikationsverlauf bestehenden personellen Abhängigkeit und der Bedeutsamkeit von wissenschaftlichen Netzwerken besonders schwer. Auch bei den ehemaligen DFG-Stipendiatinnen und -Stipendiaten zeigt sich die hohe subjektive Bedeutsamkeit von Zeit im Zusammenhang mit einer Elternschaft. So wurden Angebote zur Verbesserung der Vereinbarkeit zwischen Wissenschaft und Familie, die zeitliche Verzögerungen bei der Weiterqualifizierung impli-
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Schlussbetrachtung
zieren, kaum genutzt. Dies bestätigt antizipierte Nachteile beim eigenen Karrierefortschritt im Falle einer vergleichsweise langsameren Qualifizierung. Demzufolge resultieren ausgeprägte objektive und subjektive Probleme bei der Vereinbarung von Familie mit wissenschaftlicher Weiterqualifizierung erst durch die hohe Bedeutsamkeit zeitlicher Vorstellungen. Dass hiervon überwiegend Frauen betroffen sind, ist auf die fortbestehende Wirksamkeit traditioneller Rollenbilder und damit einhergehende Retraditionalisierungsprozesse zurückzuführen. So erweisen sich traditionelle Rollenbilder als handlungsleitend für Entscheidungen familialer Arbeitsteilung. Auch persönliche Bedürfnisse und selbst die scheinbar rationale Abwägung von künftigen Karrierechancen beider Partner spiegeln solche Rollenbilder wider, die bei Familiengründungen aktiviert werden. Gerade aufgrund der hohen Planungsunsicherheit wissenschaftlicher Karrieren, dem häufigen Karrierevorsprung des männlichen Partners und dem Leitbild eines männlichen Wissenschaftlers scheint die Orientierung an klassischen Mustern häufiger als gangbarer Weg. Dass auch bei einer grundsätzlich partnerschaftlichen Organisation familialer Aufgaben weiterhin die Mütter stärker in Erziehungsaufgaben und Väter stärker in wissenschaftliche Aufgaben involviert sind, ist neben gesamtgesellschaftlichen Rollenerwartungen auf die im Wissenschaftssystem gängigen Praktiken und Leitbilder zurückzuführen. Diese äußern sich in Akten symbolischer Gewalt überwiegend gegenüber Vätern, die berichten, dass eine langfristige Reduktion der Arbeitszeit kaum toleriert würde und diesbezügliche Vertrauensvorschüsse schnell aufgebraucht seien. So wird gerade der Status von Vätern als exzellente Forschende („Vollblutwissenschaftler“) durch subtile Anspielungen der Kollegenschaft auf die erbrachten und erforderlichen Leistungen infrage gestellt. Demzufolge wird speziell den Vätern in Abrede gestellt, dass sie trotz wahrgenommener Familienaufgaben mit Leib und Seele qualifizierte Forschende sind oder sein können. Bei den befragten Müttern werden eine längerfristige Reduktion der Arbeitszeit und flexible Arbeitszeiten eher toleriert. Allerdings geht die vertragliche Reduktion des Arbeitsumfangs nicht im gleichen Umfang mit der Reduktion der tatsächlichen Arbeitszeit einher. Daher sind Mütter zusätzlich zu der geschilderten Zeitproblematik von finanziellen Einbußen betroffen. Aufgrund der gesellschaftlichen Geschlechtsrollenerwartungen sind sie außerdem mit symbolischer Gewalt aus dem außeruniversitären Umfeld konfrontiert. Diese Erfahrungen zeigen, dass sich Prozesse der Leistungszuschreibung im universitären Alltag an geschlechtsspezifischen Erwartungshaltungen orientieren. Daher werden an Leistungen und zeitliche Verfügbarkeit von Vätern und Müttern unterschiedliche Maßstäbe angesetzt. Danach werden Väter stärker vor dem Hintergrund des ständig verfügbaren Wissenschaftlers und Frauen vor dem Hintergrund ihrer Erziehungsarbeit bewertet. Die geschlechtsspezifische Anerkennung der Leistungen von Vätern und Müttern am Fachbereich unterstreicht die Existenz unterschiedlicher Maßstäbe. Diese Haltung und Reaktionen der vorwiegend kinderlosen
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Forschenden plausibilisiert die auch bei entsprechendem Interesse der Väter geringere Involviertheit in Erziehungsaufgaben. Insofern erscheinen die Retraditionalisierungsprozesse geschlechtlicher Arbeitsteilung als geschlechtsspezifische, nämlich an traditionellen Rollen orientierte Reaktionen auf die hohen beruflichen Anforderungen und die bestehende Planungsunsicherheit für Wissenschaftskarrieren. In der Promotionsphase erweisen sich Formen der symbolischen Gewalt als spezifische Barriere für Frauen. Diese äußern sich in Form von fehlender Bestätigung und persönlicher Unterstützung bis hin zu Demoralisierungen und der Ignorierung von Schwierigkeiten. In dieselbe Richtung deuten die zurückhaltende langfristige Unterstützung von Doktorandinnen und deren häufige Antizipation von Problemen der Vereinbarkeit. Die Ursachen dürften ebenfalls mit der zeitlichen Beanspruchung und der Leitidee der Wissenschaft als Lebensform zu tun haben, die im universitären Alltag zu suchen sind. Da Doktorandinnen mit wissenschaftlicher Verankerung möglicherweise besonders gut um diese Strukturen und das Gewicht informeller Prozesse für wissenschaftliche Karrieren wissen und ständig mit den im wissenschaftlichen Alltag präsenten Standards konfrontiert werden, sind diese besonders anfällig für solche Formen der Gewalt. Wenn man bedenkt, dass sich gerade solche Barrieren als entscheidend für den Verbleib im Wissenschaftssystem erweisen, ist die institutionelle Einbindung als ein Faktor zu sehen, der wesentlich zu Prozessen des cooling out während der Promotionsphase beiträgt. Genau hier greifen bisherige Auffassungen, wonach eine geringere Einbindung von Frauen ausschließlich als Barriere für eine weitere wissenschaftliche Karriere gesehen wird, zu kurz. Die Funktionsweisen und Auswirkungen zeitlicher Strukturen und Anforderungen in Verbindung mit Akten der symbolischen Gewalt verdeutlichen die Verquickung von Mechanismen struktur- und akteurzentrierter Faktoren als Ursachen für die vertikale Segregation des deutschen Wissenschaftssystems. Dabei sind die Bedingungen des Wissenschaftssystems in Verbindung mit Geschlechtsrollenbildern ausschlaggebend für die Ungleichheitslinien zwischen Männern und Frauen, die erst während der wissenschaftlichen Qualifikationsphase aufbrechen und sich in deren Verlauf weiter verstärken. Damit bestehen an den beiden untersuchten Exzellenzinstitutionen Strukturen, die einer chancengerechten Qualifizierung von Männern und Frauen weiterhin entgegenstehen. Besonders die Ungleichheitslinie, die auch an einer als familienfreundlich zertifizierten Exzellenzuniversität gerade bei der Vereinbarung von Familie mit einer erfolgreichen wissenschaftlichen Qualifizierung entsteht, zeigt eine deutliche Diskrepanz zwischen Gleichstellungsrhetorik und -praxis. Diese besteht trotz der umfangreichen und wegweisenden Bemühungen der Universität Konstanz zur Verbesserung von Vereinbarkeit wie dem vorbildlichen Ausbau von Kinderbetreuungsplätzen, Möglichkeiten flexibler Arbeitsstrukturen und Teilzeitarbeit. Doch selbst die Nutzung von Möglichkeiten der Kinderbetreuung und die hohe Zufriedenheit der Eltern mit den vorhandenen Einrichtungen
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Schlussbetrachtung
konnten die beschriebenen Nachteile bislang nicht verhindern. Denn weiterhin werden zeitliche Standards und Maßstäbe für wissenschaftliche Leistung vorwiegend durch die Vorstellungshorizonte kinderloser Männer gesetzt (vgl. Limbach 2007: 15). Die Wirksamkeit dieser Standards äußert sich kurzfristig in den beschriebenen Beeinträchtigungen im wissenschaftlichen Alltag. Langfristig sind antizipierte und faktische Karrierenachteile bei künftigen Urteilen über die Förderungswürdigkeit des Nachwuchses bis hin zu Entscheidungen über die Berufung auf eine Professur zu befürchten. Hierdurch werden an traditionellen Geschlechtsnormen orientierte Strukturen weiterhin reproduziert, die Mechanismen der institutionellen Diskriminierung von Frauen in Gang setzen (vgl. auch Macha 2000, Metz-Göckel et al. 2009, von Stebut 2003). Dies verdeutlicht die Funktion der bisher etablierten und zumeist kinderlosen männlichen Wissenschaftler als gate keepers, die über den Verbleib des Nachwuchses im Wissenschaftssystem entscheiden. Dass diese trotz der vorhandenen Bemühungen Strukturen verkörpern, die der Chancengerechtigkeit von Männern und Frauen nicht dienlich sind, ist der Reproduktion dieser Maßstäbe geschuldet, die sich durch die erwartungskonforme Anpassung des wissenschaftlichen Nachwuchses an diese Maßstäbe vollzieht. Denn gate keepers besitzen nicht nur die Macht, Urteile über Förderungswürdigkeit und Exzellenz zu treffen, sondern auch die Kriterien und Inhalte dieser Entscheidungen festzulegen.255 Somit erreichen nur jene Personen, die diesen Standards ihrerseits entsprechen, sie verkörpern, höhere Positionen im Wissenschaftssystem, die ihnen die Macht zuteil werden lassen, selbst als gate keepers zu fungieren. Prozesse des gate keeping finden sich auf allen Qualifikationsstufen und in unterschiedlichen Bereichen und bewirken, dass die Idee der Wissenschaft als Lebensform, des allzeit verfügbaren Wissenschaftlers und die Anforderungen an Publikationsquoten und Mobilitätsbereitschaft weiterhin mit Lebensformen kollidieren, die mit einer Reduktion der Arbeitszeit einhergehen. Hieraus resultiert die auf allen Hürden festgestellte Akkumulation von Nachteilen für Frauen. Dies bedeutet, dass selbst die von den gate keepers der Exzellenzinitiative ausgehenden Signale, die die Förderung von Chancengleichheit erstmalig zu einem Entscheidungskriterium für die Förderungswürdigkeit ganzer Forschungsinstitutionen gemacht hat, noch nicht im wissenschaftlichen Alltag an diesen Institutionen angekommen ist. Vielmehr bestehen neben diesen positiven Signalen gerade durch die Exzellenzinitiative Gefahren für eine gelingende Chancengerechtigkeit, die von der Bedeutung von Zeit für die Erfüllung der bisherigen Leistungskriterien ausgehen. Denn solange Leistungskriterien wie hohe Publikationsproduktivität und möglichst zügige Qualifikationsfortschritte für die Unterscheidung zwischen guter und herausragender Forschungstätigkeit herangezogen werden, droht eine Überbewertung von Kriterien, die – wie gesehen – nicht nur mit fachlicher Kompetenz, son255 Vgl. hier und im Folgenden Husu 2004: 70 ff.
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dern maßgeblich auch mit der verfügbaren Zeit für die Wissenschaft einhergehen. Somit riskieren Anforderungen, die gerade für Frauen zentrale Hemmnisse darstellen, nicht nur reproduziert, sondern darüber hinaus verschärft zu werden. Dies gilt in besonderem Maße, solange keine eindeutigen Leistungsstandards vorliegen, sondern Personen, die in noch kürzerer Zeit noch mehr Forschungs- und Publikationserfolge zu verbuchen haben und noch schneller die nächste Qualifikationsstufe erreicht haben, Vorteile für sich verbuchen können. Die Anwendung solcher relationaler Maßstäbe bei der Förderung des Nachwuchses ist umso bedeutungsvoller, wenn man bedenkt, dass es gerade für exzellente Forschende entscheidend ist, sich möglichst früh von anderen abzusetzen. Die Gefahren, die von einer Überbewertung zeitlicher Ansprüche ausgehen, werden in ersten Untersuchungen zu den Auswirkungen der Exzellenzinitiative auf die Chancengleichheit (Engels et al. 2008: 8) und aktuelle Befunde zu Vereinbarkeitsproblemen bei hoch qualifizierten Paaren bestätigt (Henninger et al. 2007). Ausgehend von den Ergebnissen der Studie lassen sich einige Verbesserungspotenziale für die Erhöhung der Partizipation von Frauen am Wissenschaftssystem ableiten. Dabei liegt eine besondere Aufgabe der Wissenschaftsorganisationen und Hochschulen darin, dem institutsübergreifenden Phänomen der Wissenschaft als „lebensverschlingende Tätigkeit“ entgegenzuwirken (Krais 2008: 188). Um die ständige Reproduktion dieser Vorstellungen zu durchbrechen, ist ein Umdenken derjenigen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler notwendig, die als gate keepers fungieren. Dies bedarf einer Steuerung des Wissenschaftssystems, die das explizite Ziel verfolgt, nicht nur Chancengleichheit, sondern Chancengerechtigkeit zu fördern. Hierfür kommt gerade angesehenen Wissenschaftsinstitutionen und wissenschaftspolitischen Gremien eine herausragende Bedeutung und Verantwortung zu, Impulse zu setzen, die diesen Anspruch konsequent verfolgen. Dabei muss es darum gehen, Standards zu etablieren, die die individuelle Situation des Nachwuchses besser berücksichtigen und Leistungen vor dem Hintergrund des vertraglichen Stellenumfangs bewerten. Denn schließlich sollten Forschungsleistungen und das Engagement, wissenschaftliche Leistungen voranzutreiben, weniger an den investierten Arbeitsstunden, sondern von der fachlichen Expertise und dem erzielten Erkenntnisgewinn abhängig gemacht werden. Dies erfordert eine Aufwertung der Qualität von Forschungsleistungen und Publikationen (anstatt deren Quantität), die dann auch die Vereinbarung von Wissenschaft und Familie für beide Geschlechter ermöglichen und Retraditionalisierungstendenzen entgegenwirken dürfte. Ein wichtiger Schritt in diese Richtung wurde jüngst durch die Neuregelung zur Angabe von Publikationslisten bei DFG-Antragstellungen vollzogen, die nur noch zahlenmäßig begrenzte Nennungen von Veröffentlichungen erlaubt und ein solches Umdenken auch im wissenschaftlichen Alltag beschleunigen dürfte. Solche Standards, die Qualität vor Quantität betonen, sollten aber nicht nur bei der Einwerbung von Drittmitteln, sondern auch bei Veröffentlichungspraktiken, der Vergabe von Aus-
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Schlussbetrachtung
zeichnungen und nicht zuletzt bei der alltäglichen Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses an den einzelnen Hochschulen Anwendung finden. In diesem Zusammenhang könnte eine aktive Befürwortung von Teilzeitarbeit und Elternschaft auch an den Hochschulen selbst geschaffen werden. Ergänzend zeichnet sich die Erhöhung der Planungssicherheit von wissenschaftlichen Laufbahnen als notwendiges Mittel ab, um traditionellen Geschlechterverhältnissen entgegenzuwirken. Denn gerade aufgrund der großen Unsicherheit bei zugleich hohem Leistungsdruck erfolgt spätestens bei der Familiengründung der Rückgriff auf erprobte und bewährte, nämlich traditionelle Muster. Bereits die Schaffung dauerhafter Forschungsstellen unterhalb der Professur würde wesentlich zur Erhöhung der Planungssicherheit beitragen. Weiterhin erscheint die Erhöhung der Transparenz bei Entscheidungsprozessen als wichtiger Bestandteil, um deren Objektivität und das Vertrauen in diese grundlegend zu erhöhen. Dies betrifft die großen Wissenschaftsinstitutionen ebenso wie jede Hochschule. Hierdurch könnten rein antizipierte, aber möglicherweise unbegründete Karrierenachteile abgebaut werden. Zusätzlich zu den genannten Maßnahmen obliegt es den einzelnen Hochschulen, ihre Qualifikationsbedingungen auf Chancengerechtigkeit zu prüfen und gegebenenfalls entsprechende Maßnahmen in den Weg zu leiten. Ein besonderes Augenmerk verdienen dabei Auftreten und Wirkungsweise von Formen symbolischer Gewalt. Daher sollte nicht nur der Nachwuchs, sondern sollten auch die Betreuungspersonen und Unterstützungsleistungen beachtet werden. Konkret könnte dies in der Erstellung verbindlicher Zielvereinbarungen zwischen Betreuungsperson und dem wissenschaftlichen Nachwuchs umgesetzt werden. Solche Vereinbarungen sollten im Einvernehmen beider Seiten erstellt und möglichst durch eine dritte, neutrale Instanz überprüft werden. Dieser Ansatz erlaubt es, die Betreuungsperson in die Verantwortung zu nehmen und zugleich die individuelle Situation des Nachwuchses zu berücksichtigen. Bei der Überprüfung solcher Vereinbarungen könnten die Ursachen für gegebenenfalls aufgetretene Verzögerungen oder Abweichungen eruiert werden. In diesem Zusammenhang sollten zudem Fragen der Karriere- und Lebensplanung standardmäßig angesprochen und berücksichtigt werden. Hierdurch könnten gerade bei Nachwuchswissenschaftlerinnen bestehende Unsicherheiten ausgeräumt werden. Zudem ist jede Wissenschaftsinstitution in der Lage, durch die gezielte Evaluierung und/oder Monitoring des Qualifikationsverlaufs von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern einen Beitrag zur Erhöhung von Chancengerechtigkeit zu leisten. Dies sollte idealerweise in Zusammenarbeit mit den Gleichstellungsreferaten als ein Teilbereich des Qualitätsmanagements an Hochschulen fest etabliert werden. Um der vertikalen Segregation des Wissenschaftssystems entgegenwirken zu können, sind zudem weitere Studien angezeigt, die anhand eines Längsschnittdesigns den Verlauf von Karrieren unter Einbezug objektiver und subjektiver Faktoren untersuchen. Dabei sind fachspezifische Studien zu Karriereentscheidungen
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ebenso wichtig wie Analysen von Rekrutierungsprozessen in Verbindung mit Merkmalen der Bewerberinnen und Bewerber. So können relevante Leistungsmerkmale identifiziert und auf ihre Chancengerechtigkeit hin analysiert werden. Hierbei scheint die Berücksichtigung von Vereinbarkeitsaspekten für beide Geschlechter und für verschiedene Fachdisziplinen besonders dringlich. Zudem sind überregionale Studien angezeigt, die es erlauben, ein für Deutschland repräsentatives Bild zu zeichnen. Um das Phänomen der symbolischen Gewalt greifbarer zu machen, sind darüber hinaus qualitative Studien wünschenswert. Generell wäre eine eingehende Berücksichtigung geschlechtsspezifischer Fachkulturen und Zusammenhänge mit der institutionellen Verankerung des wissenschaftlichen Nachwuchses von Bedeutung. Doch – wie gezeigt wurde – ergeben sich bereits aus der vorliegenden Studie vielfältige Möglichkeiten, die Chancengerechtigkeit auf dem Weg zu wissenschaftlicher Exzellenz zu fördern. Dabei erscheint es als besonders wichtig, solche Maßnahmen in umfassenden und den einzelnen Institutionen angemessenen Konzepten zu bündeln und diese in die einzelnen Arbeitseinheiten hineinzutragen. Denn nur wenn deren Umsetzung in den Arbeitsbereichen und -gruppen erfolgt, ist eine nachhaltige Erhöhung von Chancengerechtigkeit der Geschlechter zu erreichen. Dies tatsächlich umzusetzen und damit den Wissenschaftsstandort Deutschland zu stärken, liegt im Verantwortungsbereich der deutschen Wissenschaftseinrichtungen. Dabei gilt es, die durch geschlechtsparitätische Studienabschlussquoten günstige Ausgangssituation endlich zu nützen und den Verbleib des qualifizierten Nachwuchses im deutschen Wissenschaftssystem chancengerecht und langfristig zu sichern.
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