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Liebe SF-Freunde! Es ist wieder an der Zeit, Sie über die Romane zu informieren, die in den nächsten sechs Wochen innerhalb des MOEWIGReihen-Programms zur Auslieferung gelangen. Wir beginnen mit TERRA-NOVA. TERRA-NOVA bringt: Band 35: DIE SINGENDEN KUGELN (THE SINGING SPHERES) von Jon J. Deegan Drei Terraner, gefangen im Labyrinth von Cardoon. – Die Welt, die sie erforschen sollen, ist von rätselhaften und tödlichen Geschöpfen bevölkert … Ein weiteres Planetenabenteuer mit Pop, Tubby und Hartnell, dem Expeditionsteam des interstellaren Forschungskreuzers OLD GROWLER. Band 36: DREI WELTEN FUNKEN SOS (SOS FROM THREE WORLDS) von Murray Leinster Der Weltraumarzt greift wieder ein! – Drei Planeteneinsätze der ESCLIPUS 20 mit Doc Calhoun und seinem Tormal! TERRA-NOVA-Band 36 bringt die neuesten Abenteuer des Weltraumarztes, die schon Hunderttausende von Lesern in aller Welt begeisterten! Doppelband 37/38: DER VERBANNTE VON ASYTH von K. H. Scheer Der Raumadmiral eines galaktischen Volkes wird ins Exil geschickt – auf eine primitive, barbarische Welt, auf die Erde des Jahres 1988 …
Ein SF-Thriller des bekannten TERRA- und PERRY RHODAN-Autors! Band 39: DER KAMPF DER INSEKTEN (THE GREEN BRAIN) von Frank Herbert Sie sind Mutanten – sie kommen aus dem Dschungel und eröffnen den Kampf um den Besitz der Erde … Ein neuer SF-Roman des amerikanischen HUGOPreisträgers! Band 40: IN GEHEIMER MISSION AUF ERDE II (THE HOUSE OP MANY WORLDS) von Sam Merwin, jr. Der Weg von Welt zu Welt steht ihnen offen – sie haben den Auftrag, die Zukunft zu überwachen … Ein neues Abenteuer mit Elspeth Marriner und Mack Fräser, den Hauptpersonen des Romans DIE ZEIT-AGENTEN (TERRA-Sonderband 65). Band 41: PLANET DER VERLORENEN TRÄUME von Ernst Vlcek Dorian Jones, Kommandant des Raumschiffs VASCO DA GAMA, geht auf die große Suche – der Menschenturm ist sein Ziel … 5. Roman des achtbändigen Zyklus DIE WUNDER DER GALAXIS Mit Ausnahme des K. H. Scheer-Doppelbandes handelt es sich um deutsche Erstveröffentlichungen. Nun zu Perry Rhodan. PERRY RHODAN bringt: Band 379: DAS TOR ZUR HÖLLE von Kurt Mahr Die Route zur Rettungszentrale wird zum Schlachtfeld – Millionen Gegner bewachen den Weg ins Innere des Methanplaneten.
Band 380: DAS ZEITKOMMANDO von Clark Darlton Vom Jahr 2436 ins Jahr 7682 vor Chr. – sie machen den großen Zeitsprung, um das Erbe der Lemurer zu gewinnen. Band 381: UNTERNEHMEN SÜDSEE von Hans Kneifel Ein Raumkommandant erkennt die tödliche Gefahr in der Tiefsee – und er greift ein, um die Erde zu retten. Band 382: PLANET DER RUINEN von William Voltz Sie sind Männer des Freihändlerschiffs FRANCIS DRAKE – sie verlassen die Milchstraße und treffen auf die unbekannte Macht. Band 383: DIE PHANTASTISCHE REISE von Clark Darlton Ein Roman, bei dem Gucky nicht dabei ist! Band 384: PLANET DER UNSICHTBAREN von H. G. Ewers Roi Danton und seine Männer in der Gefangenschaft! Soweit unsere Reihen-Vorschau! In Bälde werden wir Sie wieder an dieser Stelle auch über das MOEWIG- und HEYNETaschenbuchprogramm des 1. Quartals 1969 unterrichten. Herzliche Grüße bis zur nächsten Woche! Die SF-Redaktion des Moewig-Verlages Günter M. Schelwokat
Deutsche Erstveröffentlichung
Ich suche meine Welt von Ernst Vlcek
Die Welt der Bürger 1. Er war verschmutzt und ausgehungert, als er an unsere Tür klopfte. Wir bewirteten ihn ohne viele Fragen. Aber während er mit Heißhunger aß, zehrte uns die Neugierde fast auf. Denn er war ein Fremder. Wir kannten jeden Menschen aus unserer Welt, aber ihn hatten wir noch nie gesehen. Er mußte ein Fremder sein. Nachdem er gesättigt war, begann er zu erzählen – er sprach unsere Sprache mit seltsamer Betonung. Er sagte, daß er aus einer anderen Welt komme, die wohl einige markante Grundzüge der unseren habe, sich aber im Endeffekt doch sehr unterscheide. Vor allem was Interessen und Bräuche betreffe. Wir spielten auf sein Gewand an, und er meinte, daß die Kleidung
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einer der geringfügigsten Unterschiede sei. Am phantastischsten klang, daß es in seiner Welt überhaupt keinen Quiz oder andere Spiele geben sollte! Zuerst lachten wir ihn aus, aber schließlich kam einem von uns die Idee, es müsse sich bei dem Fremden um einen unserer Nachbarn handeln, der sich verkleidet hatte und sich einen Scherz mit uns erlaubte. Was für ein köstliches Spiel! dachten wir. Und da wir noch nie Spaßverderber waren, spielten wir mit. Plötzlich sagte er, daß er unsere Welt wieder verlassen müsse, weil er sich auf der Suche nach der wahren Welt befinde. Er möchte die wahre Welt noch einmal sehen, bevor er stürbe. Da wir alle wußten, daß die Barriere um die Welt nicht zu durchdringen war, begleiteten wir ihn bis zur ersten STOPTAFEL. Wir wollten sehen, wie er sich herausreden würde, wenn es ihm nicht gelang, unsere Welt zu verlassen. Wir glaubten ja immer noch, daß es sich um einen Nachbarn handelte. Also begleiteten wir ihn in der Erwartung des Höhepunktes seines phantasievollen Spiels. Aber bald erkannten wir, daß es sich um tödlichen Ernst handelte. Der Fremde ignorierte alle drei Warntafeln und durchschritt die Barriere unserer Welt! Als er draußen im NICHTS war, drehte er sich noch einmal um und winkte uns zum Abschied, dann verschwand er hinter dem nächsten Hügel. Einige von uns vermuteten einen Trick und vergaßen den Vorfall bald. Ich dachte auch kaum noch daran. Aber drei Tage später wurde ich wieder an diese Geschehnisse erinnert. Der Fremde war zurückgekehrt – er war zurückgekehrt, um in meinen Armen zu sterben … Und jetzt, da ich selbst im Sterben liege, erzähle ich dir diese Geschichte. Warum? Weil ich erst in den letzten Minuten vor dem Tode die Lehre aus diesem Erlebnis gezogen habe. Immer wieder 7
habe ich mich vor der Wahrheit verschlossen, habe ich mich an die Überlieferung geklammert, daß es nur unsere kleine, bescheidene Welt gäbe und sonst nichts. Aber jetzt glaube ich zu erkennen, daß der Mensch zu mehr bestimmt ist, als sein Leben mit Spiel und Müßiggang zu vergeuden. Unsere Stadt ist nicht die Welt, die Welt des Menschen liegt draußen im NICHTS. Denn die letzten Worte des Fremden waren: »Laßt euch nicht von den Maschinen versklaven, sprengt eure Ketten und durchbrecht die Barriere aus Verlogenheit und Aberglauben. Macht euch frei. Forscht nach der Realität, dann habt ihr die wahre Welt gefunden. Aber hütet euch vor jenen, die Menschen zu sein scheinen, aber keine Menschen sind …« Merke dir diese Worte, mein Sohn, denn ich möchte, daß du die Wirklichkeit noch rechtzeitig entdeckst. Für mich ist es bereits zu spät … * So hatte sein Vater auf dem Sterbelager zu ihm gesprochen. Jetzt, zwölf Jahre danach, wurde Avanido Alvin daran erinnert, während er auf den verschütteten Orangensaft starrte. Der Fruchtsaft breitete sich auf dem weißen Tischtuch rasch aus und hinterließ einen unschönen Fleck. Lorrina, seine Frau, stieß einen spitzen Schrei aus und fuhr sich mit ihrer schmalen, gepflegten Hand an den Mund. Gleich darauf lächelte sie entschuldigend, blickte unter den langen Wimpern zu ihrem Mann und sagte: »Ach, was bin ich ungeschickt!« »Du bist überhaupt nicht ungeschickt«, fauchte Avanido Alvin sie an. »Das hast du mit Absicht getan!« »Avan!« empörte sich Lorrina. »Warum bist du nur so ungerecht. Du selbst warst doch an diesem Mißgeschick beteiligt. 8
Wir haben beide gleichzeitig nach Rodys Glas gegriffen, dabei habe ich es umgestoßen.« »Es war Absicht«, beharrte Avanido. Ein Roboter eilte lautlos herbei, gab seinem Bedauern Ausdruck, als hätte er den Fruchtsaft verschüttet, und wechselte das Tischtuch. Dann erkundigte er sich, ob ein Orangensaft gewünscht werde, als Ersatz für den verschütteten. »Nein!« sagte Lorrina. »Wir gehen.« »Das trifft sich gut«, meinte Avanido dazu, »denn ich habe ohnedies mit dir zu sprechen.« Er erhob sich. »Warte mit Rody im Wagen auf mich. Ich habe vorher noch zu telefonieren.« »Streitet ihr?« fragte Rody, ihr fünfjähriger Sohn. »Nein, wir streiten nicht«, antwortete Lorrina automatisch und fuhr ihm durch das wirre Haar. Avanido schritt hastig zwischen den Tischreihen hindurch zum hinteren Teil des Lokals. Beide Telefonzellen waren besetzt. Fluchend wollte er umkehren, als ihn jemand am Rockärmel zurückhielt. Er wandte sich, mit einer Zurechtweisung auf den Lippen, an den Störenfried, kam aber nicht mehr dazu, sie auszusprechen. »Kennen Sie mich?« Avanido sah in ein altes, runzeliges Gesicht. »Nein«, sagte er. »Ich kenne Sie nicht.« Er wollte davoneilen, aber nach zwei Schritten kam ihm die Bedeutung seiner eigenen Worte zu Bewußtsein. Ich kenne Sie nicht! hatte er gesagt. Und er hatte sein Gegenüber tatsächlich noch nie gesehen – obwohl er immer der Meinung war, alle Menschen seiner Welt zu kennen. War der Alte ein Fremder? Welchem Zufall war es zuzuschreiben, daß er fast zur gleichen Zeit an das Vermächtnis seines sterbenden Vaters dachte und dann einem Fremden gegenüberstand? 9
Avanido drehte sich um. »Wer sind Sie?« fragte er den Alten. »Nennen Sie mich Einsam.« Avanido lachte nervös. »Sie sind einsam in einer Welt voller Menschen?« Der Alte lächelte zurück. »Es kommt nicht darauf an, ob ich einsam bin. Ich trage meinen Namen deshalb, weil ich die Einsamkeit personifiziere. Aber wie steht es mit Ihnen?« »Was meinen Sie?« »Sind Sie nicht einsam? Öden Ihre Mitmenschen Sie nicht an? Können Sie den Quizspielen überhaupt noch einen Reiz abgewinnen? Vielleicht sind Sie der Einsiedler in einer Welt von Narren. Geben Sie mir Antwort!« »Ich bin glücklich verheiratet«, antwortete Avanido schnell. »Damit gebe ich mich nicht zufrieden«, sagte Einsam herausfordernd. Avanido ärgerte sich, weil er sich überhaupt auf eine Diskussion mit dem Alten eingelassen hatte. »Ich muß gehen«, erklärte er und wandte sich abrupt von dem Alten ab. »Suchen Sie die wahre Welt«, rief ihm Einsam noch nach. Lorrina und Rody saßen bereits im Wagen, als Avanido vom »Dinner 4« auf die Straße trat. Er selbst nahm hinter dem Lenkrad Platz. Schweigend fuhren sie nach Hause. Als der Wagen mit quietschenden Pneus in die Einfahrt zu ihrem alten Backsteinhaus einbog, spürte Avanido den besorgten Blick Lorrinas. Wahrscheinlich dachte sie, daß sein seltsames Benehmen der letzten Tage mit der heutigen Szene den Gipfelpunkt erreicht hatte. Oder dachte sie anders? Avanido hatte einen furchtbaren Verdacht. Vielleicht bildete er sich alles nur ein – er hoffte innig, daß es so war –, aber die Tatsachen ließen sich weder beschönigen, noch aus der Welt schaffen. Von seinem Standpunkt aus 10
betrachtet hatte sich Lorrina seltsam verhalten, mehr als seltsam. Das Faltentor der Garage öffnete sich automatisch, als der Wagen auf sie zu rollte. Hinter ihnen schloß es sich wieder. »Bring Rody zu Bett und komm dann bitte ins Wohnzimmer«, sagte Avanido kurz. Lorrina nahm Rody an der Hand, und während sie mit ihm die Stufen, die aus der Garage ins Haus führten, hinaufging, hörte Avanido seinen Sohn aufbegehren: »Aber ich bin doch gar nicht müde, Mammi, wirklich nicht. Ehrenwort. Ich kann noch nicht schlafen.« Ihre Stimme klang versöhnlich, als sie sagte: »Du hast gehört, was Pappi gesagt hat. Also sei ein braver Junge und gehe zu Bett.« Rody protestierte noch einmal, aber Avanido verstand nicht mehr, was er sagte. Lorrina antwortete noch irgend etwas, dann verloren sich die beiden Stimmen im Haus. Avanido ging ins Wohnzimmer, griff zum Telefonhörer und wählte Bendik Christäjs Nummer. Er war der Freund der Familie – der einzige Freund, der Avanido geblieben war. Avanido wartete geduldig zwölf Summtöne ab, bis am anderen Ende der Leitung abgehoben wurde. »Hier bei Christäj«, meldete sich eine helle, nicht unangenehme Mädchenstimme. Avan war nicht überrascht. Ben wechselte seine Quizpartnerinnen oft – das wußte jeder in der Welt. »Ist Ben da? Ich hätte ihn gerne gesprochen.« »Wer spricht?« »Avan.« »Einen Augenblick, bitte …« Avan brauchte nicht lange zu warten. »Hallo, Avan«, meldete sich Bens angenehmer Baß. »Wir arbeiten gerade eine neue Spielklausel für einen Sechs-gegenSechs-Kampf aus. Tolle Sache. Was gibt es?« 11
»Kannst du schnell auf einen Sprung zu uns kommen, Ben?« »Jetzt?« »Jetzt.« »Allein?« »Allein.« »Nun …« Ben schien nicht begeistert zu sein. Es herrschte eine lange Pause, und Avan gewann den Eindruck, daß Ben die Sprechmuschel zuhielt und mit dem Mädchen sprach. »Es muß wohl wichtig sein«, meldete sich Ben endlich wieder. »Sehr sogar. Ich erwarte dich in zehn Minuten.« Avan legte auf, noch bevor Ben einen Einwand vorbringen konnte. * Avan zündete sich eine Zigarette an und ließ sich in einen tiefen Sessel fallen, dessen Polsterung ihn angenehm umschloß. Dann kam Lorrina ins Wohnzimmer. Sie blickte ihn kurz an und mahnte: »Du rauchst zuviel. Ist etwa der Orangensaft schuld daran?« »Ich möchte jetzt nicht darüber sprechen«, sagte er. »Ich habe Ben herbestellt. Er soll dabeisein, wenn wir die ganze Sache durchkauen.« »Ach, du lieber Himmel!« stöhnte Lorrina und setzte sich auf einen der unbequemen Eßstühle. Avan beobachtete sie verstohlen. Trotz des einfachen Hauskleides, das sie übergestreift hatte, wirkte sie schön und anziehend; ihr langes Haar schimmerte rötlich im Schein der Stehlampe. Von ihren makellosen Beinen war nicht viel zu sehen, denn Lorrina hatte das Kleid bis weit über die Knie heruntergezogen. Avan senkte seinen Blick, als seine Frau sich in seine Richtung wandte. Sie seufzte lange und anhaltend. 12
Die Zeit verstrich unendlich langsam, während sie in dieser unbehaglichen Atmosphäre des Schweigens auf Ben warteten. Avan versuchte die zermürbende Wartezeit zu verkürzen, indem er seinen Gedanken eine Beschäftigung gab. Lorrina war bisher immer eine vorzügliche Ehefrau gewesen, und er hatte nie Grund zur Klage gehabt. Vielleicht war die augenblickliche Krise eben dadurch entstanden, weil sie ihm immer alle Wünsche von den Augen abzulesen schien? War er ihres Umsorgens und Umhegens müde geworden? Nein, das allein war es bestimmt nicht! Etwas anderes war zwischen sie getreten. Avan hatte den unheimlichen Verdacht, daß die Lorrina die ihm jetzt gegenübersaß, nicht mehr dieselbe war, die er vor sieben Jahren geheiratet hatte. Er hatte erst in den letzten Wochen geargwöhnt, daß irgend etwas mit Lorrina nicht mehr stimmte. Es waren jeweils nur kleine, unbedeutende Ereignisse, die ihn darauf brachten, aber sie hatten sich immer mehr gehäuft und seine Verdachtsmomente verdichtet. Er mußte diese Angelegenheit ein für allemal aus der Welt schaffen … Die helle Melodie der Hausglocke riß ihn aus seinen Gedanken. Er drückte den Türöffner, und kurz darauf betrat Bendik Christäj das Wohnzimmer. Er war etwas jünger als Avan, ein wenig kleiner und sah bei weitem nicht so gut aus. Dennoch hatte er unwahrscheinliches Glück bei Frauen. Avan war deshalb ein wenig neidisch, aber wenn er sich die Sache genauer überlegte – und das tat er in letzter Zeit oft –, wollte er trotzdem nicht tauschen. »Seid gegrüßt, Leute«, sagte Ben gutgelaunt. Er beugte sich zu Lorrina hinunter und küßte sie flüchtig auf die Wange, dann kam er zu Avan und schüttelte ihm kräftig die Hand. Plötzlich hielt er mitten in einer schwungvollen Bewegung inne und blickte abwechselnd von Lorrina zu Avanido. Seine Augen blieben auf Avan haften. 13
»Hat dir Lorry einen Topf übers Familienhaupt geschlagen?« fragte er scherzhaft. »Du siehst aus wie Sieben-TageRegenwetter.« Lorrina taute etwas auf. Sie lächelte. Avan blieb ernst. Er sagte: »Ich habe dich nicht wegen irgendeines Spieles angerufen, Ben. Die Angelegenheit ist ernst.« »Er will über mich zu Gericht sitzen«, warf Lorrina ein. Ben setzte sich und sah den Freund neugierig an. »Also was gibt’s?« Avan blickte zu seiner Frau: »Erzähle ihm bitte, Lorry, was du im,Dinner 4’ gemacht hast, als ich von Rodys Orangensaft kosten wollte.« Lorrina stieß die angestaute Luft aus. »Ja das werde ich«, sagte sie pikiert. »Weißt du, was ich getan habe, Ben? Als ich bemerkte, daß Avan von dem Orangensaft trinken wollte, griff ich ebenfalls nach dem Glas, um es ihm zu reichen. Dabei stieß ich es um. Es wäre natürlich eine Zumutung für Avan gewesen, sich einen neuen Orangensaft zu bestellen. Da ist es schon einfacher, mir eine Szene zu machen.« Ihre Stimme war immer leiser geworden, jetzt schluchzte sie. »Nimm dich zusammen, Lorry«, bat Avan gepreßt. Ben betrachtete ihn kritisch und fragte: »Hast du mich etwa kommen lassen, damit du einen Tip bekommst, wie du dich am besten mit Lorry versöhnen kannst?« »Die Sache liegt etwas anders, als es scheint«, entgegnete Avan. Er wandte sich wieder an seine Frau. »Hör jetzt bitte auf zu weinen. Ich möchte, daß du Ben von dem Zwischenfall mit dem Kotelett erzählst.« »Von dem Kotelett?« fragte Lorry abwesend. »Ja, doch«, sagte Avan ungeduldig. »Es passierte vor drei Monaten, als ich dich in der Küche überraschte …« 14
»Einen Augenblick«, schaltete sich Ben ein. »Avan, mir gefällt es nicht, wie du mit Lorry sprichst. Es hört sich an, als klagtest du sie eines schimpflichen Vergehens an, über das ich ein Urteil fällen soll. Aber ich möchte dich schon jetzt darauf hinweisen, daß ich mich nicht in eure Familienangelegenheiten einmischen will. Und schon gar nicht werde ich mich als Richter aufspielen. In jeder Ehe kommt etwas vor, aber ich finde, die Partner sollten selbst damit fertigwerden.« »Danke, Ben«, murmelte Lorry und tupfte sich die Augen mit einem Taschentuch. »Nein, Ben, du mißverstehst immer noch«, versuchte Avan zu erklären. »Ich will keine schmutzige Wäsche vor dir waschen – – abgesehen davon, daß es keine gäbe. Aber ich habe ein Problem; ich befinde mich in einem Dilemma, mit dem ich nicht zu Rande komme. Ich brauche jemand, mit dem ich darüber sprechen kann. Du bist mein einziger Freund.« »Wenn das so ist …«, murmelte Ben betroffen. Er blickte schweigend zu Lorrina. Sie erwiderte den Blick. »Was … Ach so, du willst die Geschichte mit dem Kotelett hören. Es ist eigentlich ein ganz harmloser Vorfall, der bei Avan die wildesten Vermutungen hervorgerufen zu haben scheint. Seit damals ist er wie ausgewechselt.« »Was geschah damals?« fragte Ben sanft. »Avan kam in die Küche«, erzählte sie mit vor Konzentration gekrauster Stirn, »und er – er überraschte mich, weißt du. Ich hockte, mit dem Rücken zur Tür, vor dem Kühlschrank und holte das Kotelett heraus. Plötzlich griff jemand über meine Schulter – ich wußte ja nicht, daß es Avan war –, und vor Schreck entglitt mir die Untertasse, und das Fleisch landete auf dem Boden. Ich mußte das herrliche Rippenstück fortwerfen, weil es schmutzig geworden war … Das ist eigentlich alles.« 15
Ben sah Avan fragend an. »Das war nicht alles«, sagte Avan fest. »Du mußt Ben schon auch noch erzählen, daß du gewußt hast, wer hinter dir stand, und daß du das Fleisch absichtlich auf den Boden fallen ließest, um es ungenießbar zu machen. Hinter deiner Handlungsweise steckte kalte Berechnung!« Lorrina hatte stumm dagesessen und ablehnend den Kopf geschüttelt. Weder Avan noch Ben hatten gesehen, daß sich ihre Augen wieder mit Tränen füllten. »Nein, nein«, stöhnte sie, sprang auf und rannte aus dem Wohnzimmer ins Obergeschoß. Eine beklemmende Stille breitete sich aus. »Avan«, sagte Ben schließlich ernst, »ich glaube, du hast wirklich ein sehr tiefgreifendes Problem: Du bist unglücklich. Du bist unzufrieden, das zeigt sich in deinem Benehmen. Ich glaube, daß über jeden Menschen einmal die Zeit kommt, da er ausbrechen möchte. Aber wenn man diese schwere Krise durchmacht, sollte man mehr als sonst die Schuld bei sich selbst suchen. Du behandelst Lorry nicht richtig.« Avan stützte den Kopf in seine Hände. »Du willst immer noch nicht verstehen, Ben«, sagte er verzweifelt. »Du siehst die ganze Angelegenheit immer noch als eines jener Ehezerwürfnisse an, wie sie bei anderen gang und gäbe sind.« »Das ist es nicht?« fragte Ben ungläubig. »Willst du mir mit der Aufzählung verschiedener Geschehnisse nicht aufzeigen, daß sich Lorry dir gegenüber aufsässig, provozierend und zänkisch benimmt? Mein Gott, was willst du sonst dann damit sagen?« »Aus den beiden aufgezählten Beispielen«, erklärte Avan, »läßt sich leicht ableiten, daß sie mir bestimmte Genußmittel vorenthalten möchte. Damit meine ich nicht, daß sie mir etwa das Kotelett oder den Orangensaft als solche nicht gönnte. Vielmehr meine ich, daß sie mir Speisen zukommen läßt, die auch für mich bestimmt sind.« 16
»Das hört sich sehr konstruiert an«, entgegnete Ben. »Und welche Bedeutung mißt du deiner Vermutung bei?« »Ich glaube«, sagte Avan stockend, »daß Lorry kein Mensch ist!«
2. Ben lachte. Es dauerte eine ganze Weile, bis er sich erholt hatte. Als er dann sprach, schüttelte es ihn immer noch vor herzhaftem Vergnügen. »Das ist köstlich«, sprudelte er hervor. »Avan, das ist einfach der umwerfendste Spaß, den ich je erlebte. Und ich habe geglaubt, mit dir müsse etwas nicht stimmen, weil du in letzter Zeit immer solchen haarsträubenden Unsinn, von wegen wahrer Welt und so, verzapft hast! Aber das scheint nur vorübergehend gewesen zu sein. Denn du lockst mich eigens von einem amüsanten Spiel hierher, um deinen Scherz mit mir zu treiben. Das ist wie in alten Zeiten. Nein, nein, Avan, jetzt sorge ich mich nicht mehr um dich. Du bist immer noch der Alte.« »Bist du nun mit deinem leeren Geschwätz am Ende?« erkundigte sich Avan frostig. Bens Heiterkeit war mit einem Schlag wie weggeblasen. »Aber, Avan, du hast das doch etwa nicht ernst gemeint?« Avan hatte sich aus seinem Sessel erhoben und ging erregt im Zimmer auf und ab. Etwas, das sich in den letzten Tagen und Wochen in ihm angestaut hatte, brach aus ihm hervor. Seit dem Tage, an dem ihm aufgefallen war, daß mit Lorry irgend etwas nicht stimmte, hatte er zu denken begonnen. Sein Geist beschäftigte sich nicht mehr mit Wetten und Spielen und mit Spekulationen darüber, wer wohl der nächste Quizmeister werden würde. Er begann seine Umwelt zu sezie17
ren, sich Gedanken über das Leben zu machen – und er kam zu dem Schluß, wie sinnlos er und die Bürger das Leben mit Quiz und Wetten und Spielen vergeudeten. Er begann seine Umwelt mit anderen Augen zu sehen, und das hatte die Veränderung bei ihm bewirkt. Das alles schleuderte er Ben in vorwurfsvollem Ton an den Kopf. Ben reagierte, wie jeder andere Bürger auch reagiert hätte. Er sagte: »Aber was sollten wir anderes tun als wetten und quizen? Es ist unser Lebensinhalt, wir sind dazu geboren.« Er betrachtete Avan kritisch, schließlich fragte er hoffnungsvoll: »Oder benutzt du deinen melodramatischen Auftritt nur dazu, um mit der Idee für ein neues, umwälzendes Spiel wirkungsvoll zu landen? Es würde mich nicht wundern …« »Spiel, Spiel, Quiz!« schrie Avan und riß eine Vase von der Kommode. »Geht etwas anderes nicht in deinen Schädel hinein? Wäre es zur Abwechslung nicht einmal ein faszinierendes Spiel, sich mit der Frage zu beschäftigen, was hinter unserer Welt liegt?« »Das NICHTS«, antwortete Ben schlicht. »Ja, das sagt sich so leicht«, entgegnete Avan herausfordernd. »Dort draußen liegt das NICHTS. Aber was stellen wir uns unter dem NICHTS vor? Ist es Tatsache, daß die Landschaft im NICHTS dieselbe ist wie im Niemandsland innerhalb der Barriere? Und wäre es nicht möglich, daß sich dort draußen Leben entwickelt hat wie in unserer Welt?« Ben seufzte. »Du bist mein Freund, Avan, deshalb harre ich aus und höre mir deine verrückten Ansichten an. Jeder andere hätte dir schon lange den Rücken gekehrt, wie es auch viele bereits getan haben. Du, ich – alle aus unserer Welt haben schon einmal im Niemandsland gestanden und durch die Barriere ins NICHTS gestarrt. Wahrscheinlich haben wir es getan, weil wir naturgemäß im Grunde unseres Herzens Zweifler sind. 18
Aber hat einer von uns jemals dort draußen eine Spur von Leben gesehen?« »Nein«, gestand Avan; er hatte sich einigermaßen beruhigt. »Aber es gibt unzählige Hinweise dafür, daß es außer unserer Welt noch andere Welten geben muß.« »Ich kenne keinen einzigen Hinweis«, erwiderte Ben. »Natürlich nicht, weil du nicht danach gesucht hast. Du – ihr alle in dieser närrischen, hohlen Welt, habt nichts anderes als das Spiel im Kopf. Aber ich beschäftige mich seit drei Monaten mit dem Problem über die Existenz anderer Welten und bin auf eine Menge Fragen gestoßen, die direkt nach Antwort schreien!« Ben schüttelte sich demonstrativ. »Fragen, Fragen – puh. Fragen sind unnütz, sie durchsetzen den menschlichen Geist und lenken vom eigentlichen Lebensinhalt – den Spielen – ab.« »Aber ohne zu fragen, erhält man auch keine Antworten. Wo stünden wir heute, wenn sich der erste Mensch keine Fragen gestellt hätte?« »Du kannst dich nicht mit dem ersten Menschen vergleichen«, parierte Ben. »Denn im Gegensatz zu ihm kannst du in die Komputer-Zentrale gehen und dir alle Probleme abnehmen lassen. Der Komputer hat das gesamte menschliche Wissen gespeichert und lenkt die Entwicklung. Der Mensch kann sich dem Vergnügen widmen.« Avan spürte, wie ihn neuerlich die Wut zu übermannen drohte. Er mußte sich zur Ruhe zwingen, schließlich konnte er Ben für die Gesellschaftsordnung nicht verantwortlich machen. Ben war ein Mitläufer wie alle anderen, der den bequemeren Weg beschritt, den Weg, den auch er bis vor kurzem noch gegangen war. Mit erzwungener Ruhe sagte er: »Indem uns der Komputer das gesamte Handeln und Denken abnimmt, hat er uns vollkommen in der Gewalt. Wir sind Sklaven dieser Maschine, 19
Ben, die uns den Müßiggang aufzwingt. Kinder, die beschäftigt sind, können keinen Unfug treiben. Aber das ändert nichts daran, daß es Fragen gibt, die brennend nach Antwort verlangen. Wir besitzen einen großen Märchen- und Legendenschatz, in dem es vor unerklärten Ausdrücken nur so wimmelt. Woher kommen Bezeichnungen wie Wissenschaftlerwelt, Naturmenschen, Fremde? – Die Reihe ließe sich noch lange fortführen.« »Es sind eben nur Märchen, die die Phantasie der Kinder für das spätere Quizleben anregen sollen«, antwortete Ben. »Bekanntlich ist in Märchen alles möglich.« »Aber ein Fünkchen Wahrheit muß darin enthalten sein«, beharrte Avan. »Jeder geprägte Begriff stützt sich auf etwas Reales, Wirkliches, sonst könnte man sich nichts darunter vorstellen. Und daß es fremde Besucher in unserer Welt gegeben hat und gibt, ist unwiderlegbar erwiesen. Ich selbst habe heute einen Mann getroffen, den ich vorher noch nie im Leben gesehen habe.« »Was für ein Zufall!« sagte Ben spöttisch. Avan überhörte es. »Wenn man sich Gedanken macht, stößt man auf eine weitere Frage. Wir wissen, daß die Sterne dazu da sind, die Nächte zu erhellen. Nicht zu Unrecht werden sie auch Fernsehlichter genannt. Aber hast du dich schon jemals gefragt, warum die Sterne am Horizont am hellsten leuchten? Sie sind dort so grell, daß sie dich manchmal blenden können, wenn du direkt in sie hineinblickst.« »Es gibt nur drei oder vier solcher Horizontlichter«, sagte Ben. »Warum sollte ihnen eine besondere Bedeutung beigemessen werden? Außerdem, Avan, sind wir nun weit vom eigentlichen Thema abgekommen.« »Das stimmt«, gab Avan zu. »Aber vielleicht greifen alle Fragen ineinander?« »Was ist nur mit dir los«, meinte Ben betrübt. »Jetzt gehst du in deinen konstruierten Theorien bereits so weit, Lorry mit den 20
Fernsehlichtern in Verbindung zu bringen. Avan, ich möchte unsere Freundschaft nicht auflösen, deshalb halte dich wenigstens annähernd an die Gegebenheiten. Du hast Lorry seltsamen und ehestörenden Verhaltens beschuldigt. Aber bist du dir eigentlich dessen bewußt, daß du dich viel eigenartiger benimmst? Ich versuche, dich zu verstehen, glaube mir, doch kann ich das nicht, wenn du von deinen Ansichten nicht abweichst. Was stellst du dir denn eigentlich vor, das Lorry sein sollte, wenn sie kein Mensch wäre? Ja, wie kommst du überhaupt auf so einen absurden Gedanken?« Avan setzte sich wieder. Er preßte die Hände gegen den dröhnenden Kopf. Er kannte mit seinen eigenen Gedanken nicht mehr fertig werden. Es waren zu viele Fragen, die er sich in einer zu kurzen Zeitspanne gestellt hatte. Jetzt wirbelten sie wie ein Roto-Rätsel durch seinen Kopf, und er war nicht mehr imstande, sie auseinanderzuhalten. Welche mögliche Antwort hatte er sich eigentlich vorgestellt, als er behauptete, Lorrina sei kein Mensch. Was war sie, wenn sie kein Mensch war? »Ich weiß es nicht, Ben, ich weiß es nicht«, stöhnte er. »Aber jetzt habe ich einmal zu fragen begonnen und kann es nicht mehr lassen. Es ist wie eine Sucht. Warum beharrt Lorry darauf, daß ich nur die mir zugeteilten Speisen zu mir nehme? Drei Monate hindurch habe ich versucht, von ihren Speisen zu kosten, aber immer fand sie eine Möglichkeit, das zu verhindern. Warum tut sie das? Die Schlußfolgerung ist einfach: Ich bin ein Mensch – wenn Lorry eine andere Kost als ich zu sich nimmt, dann ist sie kein Mensch! So einfach ist das, Ben … Ich befinde mich in einem schrecklichen Dilemma. Was soll ich tun?« Ben lächelte plötzlich und schnalzte mit dem Finger. »Ich hab’s!« frohlockte er. »Wenn Lorry eine andere Kost als du erhält, dann müßte dies in der Komputer-Zentrale verzeichnet sein. Denn unser aller Bedürfnisse werden von der Zentrale 21
gedeckt. Du brauchst also nur den Komputer zu fragen, was es damit auf sich hat.« Avan sprang abrupt auf die Beine. Einen Augenblick starrte er Ben wie abwesend an, dann schüttelte er verwundert den Kopf. »Warum bin ich nicht selbst daraufgekommen!« Ben lächelte zufrieden. »Du warst eben verblendet. Jetzt wird sich alles aufklären, davon bin ich überzeugt. Ich werde dich zur Komputer-Zentrale begleiten.« Vom Komputer erfuhr Avan, daß seine Frau ein Kind erwarte und es deshalb notwendig sei, ihren Speisen aufbauende Vitamine beizugeben, die eine schwangere Frau brauche, einem Mann aber schaden könnten. Deshalb müsse er ihre Speisen meiden. »Warum hat sie mir davon nichts gesagt?« Diese und alle weiteren Fragen vergaß er über diesem freudigen Ereignis. Er war erleichtert. Er hatte zumindest eine Antwort erhalten, und dadurch wurden alle anderen Fragen bedeutungslos. Er ging heim zu Lorrina.
3. Es schien, als sei Avanido Alvin wieder zur Vernunft gekommen. Ein untrügliches Zeichen dafür, daß er wieder zur menschlichen Gesellschaft zurückgefunden hatte, war die Tatsache, daß sein Freundes- und Bekanntenkreis wieder den früheren Umfang annahm. Die Alvins luden zu einer Gartenparty ein, und alle kamen. Zwar wurden in der Welt der Bürger genügend Feste gefeiert, aber selten war der Anlaß dafür so freudig wie diesmal. Denn Kinder kamen kaum noch zur Welt, und noch seltener geschah 22
es, daß ein Ehepaar der Geburt eines zweiten Sprosses entgegensah. Es war ein rares Ereignis und gehörte dementsprechend gefeiert. Avan hatte für die Party den Garten vollkommen umgestalten lassen – und kaum hatten die Roboter den letzten Handgriff getan, trafen auch schon die ersten geladenen Gäste ein. Sie waren festlich gekleidet, wie es dem Anlaß entsprach; die Frauen schmuckbehangen, die Männer im dunklen Anzug oder Smoking. Sie kamen gutgelaunt und hatten für jede Minute einen Witz parat; und mit einstudierten Scherzen bewunderten sie den guten Geschmack der Alvins, den der umgestaltete Garten verriet. Sie drückten dem glücklichen Ehepaar die Hände und gratulierten herzlichst zu dem bald zu erwartenden Familienzuwachs. Avan stand mit Lorrina am Gartentor und ließ geduldig die vielen geistlosen Bemierkungen über sich ergehen. »Soll es ein Sohn oder eine Tochter werden?« »Eine Tochter.« »Ah, ein Schwesterchen für Rody. Wann habt ihr euch dazu entschlossen?« »Daß es eine Tochter werden soll?« »Aber nein. Ich meine natürlich, wann ihr euch entschlossen habt, Rody ein Schwesterchen zu schenken.« »Bertie! Solche Reden in Gegenwart der Dame des Hauses geziemen sich nicht. Warte damit, bis ihr Männer unter euch seid, wenn du schon unbedingt …« Gelächter. Lorrina errötete pflichtschuldig. Und wieder neue, bekannte Gesichter, die abgestandene Witze mitbrachten. Bella Basty, ein kleiner, rundlicher Endvierziger mit vollkommen kahlem Schädel, kam mit seiner Frau Aane. Bendik Christäj erschien mit einer Freundin. Sie war ein farbloses Geschöpf. Sie wechselten einige Belanglosigkeiten, bis 23
Ben sich mit der Begründung absetzte, einige interessante Partner erblickt zu haben, die er gerne für einen Quiz gewinnen möchte. Lorrina nahm sich Bens Freundin an und verschwand mit ihr in Richtung Bar. Da kaum noch jemand erwartet wurde, verließ Avan seinen Posten am Gartentor ebenfalls und mischte sich unter die Gäste. Überall, wohin er sah, waren die Auslosungen für die unvermeidlichen Quiz-Spiele im Gange. In der Vielzahl von Spielen, mit denen die Menschen gut und gerne die Hälfte ihres Lebens zubrachten, nahm Quiz eine Sonderstellung ein. Man konnte es zu zweien spielen, und nach obenhin waren der Spielerzahl keine Grenzen gesetzt; je mehr Teilnehmer sich fanden, desto raffiniertere Variationen konnte man anwenden. Der Höhepunkt der Spielsaison trat ein, wenn der Komputer zu einem Massenquiz aufrief, das über einen Monat dauerte und an dem fast die gesamte Bevölkerung teilnahm. Der Sieger aus dieser Konkurrenz durfte sich für das laufende Jahr als Quizmeister bezeichnen. Serro, der augenblicklich amtierende Quizmeister, lief Avan am Swimmingpool über den Weg. Pflichtschuldig fragte Avan: »Was ist dein Tip, Serro?« Der Quizmeister kniff die Lippen zusammen und flüsterte geheimnisvoll: »Robot-Toto, Avan, Robot-Toto! Es ist das Spiel der kommenden Jahre. Die Spielregeln sind erst brühwarm vom Komputer selbst herausgekommen. Ich bin gerade dabei, hier und dort einige Änderungen vorzunehmen, du verstehst wegen der persönlichen Note. Dann stelle ich eine Robotmannschaft zusammen, hole mir aus dem Klub einige clevere Jungen und bilde einige Teams aus. Bestimmt, Avan, Robot-Toto!« »Danke, Serro«, sagte Avan mit der erforderlichen Betonung. »Würdest du mich auf deine Warteliste setzen?« »Gemacht, Avan. Ich glaube, du würdest dich gut in mein Team einfügen, denn wer Gedanken-Würfel beherrscht wie du, 24
der bringt die wichtigsten Voraussetzungen für Robot-Toto mit. Ich werde dich vormerken. Bis später also.« Robot-Toto – zur Makulatur damit, dachte Avan. Wenn er überhaupt noch für ein Spiel zu gewinnen war, dann höchstens für Gedanken-Würfel. Denn für Avan war es mehr als ein Spiel. Die Würfel, in die man seine ureigensten Gedanken hineinlegen mußte, waren für ihn ein Spiegelbild seiner Mitmenschen. Durch sie hatte er erkannt, wie oberflächlich und nichtssagend die Bürger waren. »He, Avan,« grölte es von einer Wiesenmatte her. »Komm zu uns, wir brauchen einen vierten Gedanken-Würfel, das liegt dir doch!« Als Avan in die Richtung des Rufers blickte, sah er Bella Basty zwischen Frauen im Gras lümmeln. Avan kannte sie: die eine hieß Ella, die andere Lillon. Er waren zwei ziemlich geistlose Geschöpfe – aber sonst hatte er nichts gegen sie. Deshalb entschloß er sich, ein Spielchen mitzumachen. Vielleicht konnte er Bella Basty eins auswischen. Er setzte sich zu den dreien auf die Grasmatte und sie losten um die Würfel. Bella verlor, deshalb mußte er den Passiven abgeben, während Avan und die beiden Frauen die Aktiven waren. Die drei bekamen jeder einen Würfel mit je zehn Öffnungen. Hatten sie die zehn Öffnungen gefunden, entstand eine geistige Verbindung zwischen dem Gehirn des Aktiven und dem Würfel. Das Spiel erforderte insofern ein geringes Maß an Konzentration, als man versuchen mußte, in Gedanken eine abgerundete Geschichte zu bilden, die auf die Würfel übertragen wurde. Danach fiel dem Passiven die Aufgabe zu, die drei Würfel zusammenzustecken, nun seinerseits eine geistige Verbindung mit ihnen einzugehen und die darin befindlichen Gedanken wiederzugeben. Daß der Betreffende dabei die Gedankenmuster der einzelnen Leute nicht auseinanderhalten konnte, war die Würze des Spiels. 25
Avan hatte seine Aufgabe beendet. Er hatte eine außergewöhnliche Geschichte in seinem Würfel gespeichert und war schon auf Bellas Reaktion gespannt. Er lächelte, während er sich den Schweiß von der Stirn wischte und Bella seinen Würfel reichte. Die beiden Frauen waren noch nicht fertig. Sie lagen auf dem Rücken im Gras, und um ihre Münder spielte ein verzücktes Lächeln. Aber es dauerte nicht mehr lange, dann erwachten sie aus der Trance und überreichten Bella last gleichzeitig ihre Würfel. Ella tat dies wortlos; ihre Wangen waren hektisch gerötet. Lillon konnte sich eine Bemerkung nicht verkneifen. »Das haut dich um, Bella«, sagte sie. »Hoffentlich«, meinte Bella. Sie legten sich alle bäuchlings ins Gras, so daß sich die Würfel im Mittelpunkt befanden. Ihre Gesichter schoben sich nahe heran, während Bellas Finger sich zehn willkürliche Öffnungen ertasten. »Los, mach schon«, murmelte Ella ungeduldig. Lillon atmete geräuschvoll. Bella schloß die Augen und konzentrierte sich auf die Gedankenmuster der Würfel. Avan spürte, wie die Spannung auch ihn ergriff. »So«, flüsterte Bella, nachdem er seine Finger in den Würfeln untergebracht hatte. Er würde jetzt das Konglomerat aus drei Mustern möglichst zusammenhängend wiedergeben. »Ella und Bella – Bella und Ella liegen mit mir auf der Matte. Ella und Bella – Bella und Ella, sie hungern mit mir. Sättige ich mich am Müßiggang, bin ich unersättlich. Mein Leben ist das Spiel, so spiele ich mich durchs Leben … Gut, sehr gut, das ist ein guter Ausgang für eine runde Geschichte«, rief Bella begeistert. »Hast du das gehört, Avan? Ist das von dir, Lillon?« Lillon nickte eifrig. »Weiter«, verlangte Avan, den das bisher Gehörte vollkommen kalt ließ. 26
Bella konzentrierte sich wieder. »Ella und Bella – Bella und Ella, sie hungern mit mir. Hunger nach Wissen und Wissensdurst! … Was soll der Blödsinn? Ella, hast du den Bruch verursacht?« Ella schüttelte verängstigt den Kopf. »Warum unterbrichst du denn immer?« schimpfte Avan. Er war wütend. »Ach so«, sagte Bella gedehnt. »Das stammt von unserem Freund mit den ätherischen Gedanken. Na, ja, sehen wir weiter – in der Hoffnung, daß nicht noch mehr solch ein Blödsinn folgt.« Bella schloß wieder die Augen. »… So traf ich gestern einen Mann, der mit mir einige süße, kleine Spiele ersann … Bravo Ella! Er hatte keinen Wortschatz, mein Schatz. Seinen Namen nannte er nicht … Sag Einsam zu mir, bat der Fremde, der nicht aus dieser Welt stammt. Und weiter seine Worte waren: Hüte dich vor Menschenscharen; hüte dich vor den Deinen, die nicht Menschen sind, obwohl sie Menschen zu sein scheinen …« Bella gab einen gurgelnden Laut von sich und schüttelte das Würfelgebilde angeekelt von seinen Fingern. Seine Augen glühten vor Zorn, als er sie öffnete. Er funkelte Avan an. »Was fällt dir ein?« schrie er aufgebracht. »Jetzt bringst du deine verrückten Gedanken schon in ernstzunehmende Spiele hinein. Kannst du uns mit deinem Blödsinn nicht verschonen?« Ella und Lillon rückten von Avan weg. Einige der Gäste sahen interessiert zu ihnen herüber. Plötzlich bemerkte Avan, daß sich ein Kreis Schaulustiger um ihn gebildet hatte. »Was soll jemand sein«, kreischte Bella weiter, »wenn er nur aussieht wie ein Mensch – was könnte er anderes sein als ein Mensch?« Stimmengemurmel wurde ringsum laut. »Unerhört!« 27
»Er fängt schon wieder an zu spintisieren.« »Arme Lorry …« Avans Körper begann vor unterdrückter Wut zu zittern. Plötzlich sprang er auf und rannte durch den Garten auf die Straße. Er konnte die widerliche Gegenwart der Bürger nicht mehr ertragen. Es hatte keinen Zweck, sich mit ihnen auf eine Diskussion einzulassen. Besser war es, sich von ihnen abzusondern. Wie er sie jetzt verabscheute – alle Bürger. Er vergaß nicht, daß er selbst vor einigen Monaten noch in dem gleichen Strom geschwommen war. Nur war es bei ihm etwas anderes gewesen, er hatte es nicht besser gewußt. Als er dann die ersten warnenden Zeichen vernommen hatte, öffnete er die Augen – und erkannte, in welchem verhängnisvollen Traum er gelebt hatte. Ein Traum vom süßen Nichtstun … Die Menschen spielten ihr ganzes Leben hindurch. Über ihren Vergnügen vergaßen sie, daß sie degenerierten … Ein Alptraum! Avan hatte sich die Augen öffnen lassen, aber als er nun dasselbe bei den Bürgern versuchte, rannte er gegen eine Mauer von Unverständnis. Nicht einmal sein Freund Ben, mit dem er so viel gemeinsam zu haben glaubte, ließ sich bekehren. Schweratmend lehnte Avan an einem Alleebaum. Für einen Augenblick war er sich selbst fremd. Was war mit ihm geschehen? Er, der den größten Teil seiner dreißig Jahre verspielt hatte, sollte sich so gewandelt haben? Welche Kraft hatte ihn dazu gebracht? War er nun wirklich anders als die anderen? Wollte er überhaupt anders sein? Avan wußte die Antwort darauf nicht. Aber er wußte, daß er sich nicht vor dem Außergewöhnlichen, dem Unfaßbaren, scheute! Früher war es für ihn selbstverständlich gewesen, daß die Welt nur aus der Stadt bestand, nur zwanzig Kilometer Durchmesser hatte. Jetzt fühlte er sich eingeengt und konnte nicht mehr glauben, daß außerhalb seiner Welt das NICHTS herrschte. 28
Er stand da und ballte die Fäuste. Dort waren die Sterne am Himmel. Sterne – nichts weiter als Fernsehlichter? Dort, in fünf Kilometer Entfernung befand sich die Barriere. Wenn man sie berührte, löste man sich in Luft auf. In fünf Kilometer Entfernung sollte die Welt zu Ende sein? Oder begann dahinter die wahre Welt? Avan nahm sich in diesem Moment ganz fest vor, einen Weg durch die Barriere zu suchen. Selbst wenn er den Rest seines Lebens damit verbringen mußte … Während er sich mit diesen Dingen auseinandersetzte, raste weiter oben ein Wagen mit halsbrecherischer Geschwindigkeit die Allee hinunter. Die Insassen waren schwer betrunken – auch der Fahrer. In einer Minute würde der Wagen auf gleicher Höhe mit Avan sein. * Avan nahm eine Bewegung wahr. Er blickte sich um. Ein Schatten kam aus dem Garten getorkelt. »Hallo, Avan«, lallte Bella Basty. »Ich möchte mich … Ich möchte mit dir sprechen.« Angewidert wollte sich Avan abwenden, aber Bella lehnte sich gegen ihn. Er konnte sich kaum noch auf den Beinen halten. »Du bist betrunken«, preßte Avan durch die Zähne und versuchte, Bella gegen den Baum zu lehnen. Es gelang nicht. »Ich muß … mich entschuldigen.« Bella rülpste; er grinste dümmlich. »Nochmal ’tschuldigung … fürs Rülpsen. Ich habe mich vorhin … da im Garten daneben benommen – ’tschuldigung.« Bella taumelte wieder nach vorne. Avan wollte ihn auffangen, verlor aber selbst den Halt und stürzte mitsamt seiner Last auf die Straße. Im nächsten Augenblick tauchten Scheinwerfer an der Kurve auf. 29
»Das ist Avan. Du meine Güte!« kreischte irgend jemand. Bremsen quietschten. Avan lag hilflos auf dem Boden, die näherkommenden Scheinwerfer blendeten ihn, aber er konnte die Augen nicht schließen. Er sah das blitzende Chrom des Kühlers knapp vor sich – jede Einzelheit prägte sich ihm ins Gedächtnis: die schlingernden Räder, die plötzlich blockierten, aber unerbittlich näherrückten, und die aufgebrachten Schatten dahinter: die Wageninsassen. So kommt der Tod, dachte Avan. Es gab noch ein häßliches Geräusch, als die Räder gegen den Randstein stießen, dann war alles vorbei. Stille um Avan. Im Hintergrund das Geplärre aus dem Garten. Avan setzte sich benommen auf und blickte um sich. Er war allein. Kein Auto zu sehen weit und breit. Nur in einiger Entfernung die geparkten Limousinen der Partygäste. Nicht das geringste Anzeichen von einem Unfall war zu entdecken. Avan ging die Straße hinauf und fragte die Bewohner des benachbarten Grundstückes, ob sie zufällig die Straße im Auge gehabt und einen Wagen gesehen hätten. Ja, sagte man ihm, der Wagen sei beobachtet worden; es war ein schnittiger Sportwagen, gelb oder orange, mit einer recht munteren Gesellschaft darin. War sie zu den Alvins unterwegs gewesen? Es sei ja eine recht fröhliche Party, die Avan da gebe. Und sie gratulierten ihm zum bevorstehenden Nachwuchs. Er bedankte sich und ging die Straße hinunter zum anderen Nachbarn. Der alte Wenger saß im Schaukelstuhl vor dem Haus und spielte mit seinen zwei Enkelkindern Reih-Raten. Ein vorbeifahrender Wagen? Der alte Wenger runzelte die Stirn – er mußte lange nachdenken, bevor er sich zu einer Ant30
wort entschloß. Seine Enkel kamen ihm zuvor. Nein, ein Wagen sei schon lange nicht mehr vorbeigekommen. Aber das Gekreische von hart gebremsten Rädern hätten sie wohl vernommen. »Ja«, sagte auch der alte Wenger. »Es hörte sich an, als ob ein Wagen in schneller Fahrt abgebremst wurde. Und ehe ich es vergesse – herzliche Gratulation …« Avan ging zurück zu seinem Anwesen. Er suchte Ben im Garten und fand ihn unter den Zuschauern eines Quizkreises. Lorry war auch da. Sie quizte. Ohne viele Worte zog Avan Ben mit sich fort. Als sie allein waren, erklärte Ben ahnungslos: »Ich fiel schon in der ersten Runde aus, konnte mich ganz einfach nicht konzentrieren. Ich weiß nicht, was mit mir los ist … He! Siehst du aber käsig aus. Ist etwas passiert?« Avan erzählte ihm von dem Verschwinden des Wagens. »Ziemlich mysteriöse Angelegenheit«, kommentierte Ben. Er schien Avans Worte nicht ernst zu nehmen. Zweifelnd fragte er: »Hast du bei den Nachbarn nachgefragt, ob sie etwas von dem Vorfall bemerkt haben?« Bevor Avan etwas antworten konnte, trat Lillon zu ihnen. Sie schien das Gespräch gehört zu haben, denn spöttisch sagte sie: »Laß dir keine grauen Haare über diese Angelegenheit wachsen, Ben. Avan hat heute seinen verrückten Tag.« Bella Bastys Frau Aane war ebenfalls hinzugekommen und brach in schallendes Gelächter aus. »Schade, daß Bella nicht hier ist«, kicherte sie. »Das mit dem verschwundenen Auto hätte ihn glatt umkippen lassen.« »Bella!« Avan sagte es so heftig, daß Lillon zusammenzuckte. »Bella kann meine Angaben bestätigen. Natürlich, er muß gesehen haben, wie der Wagen verschwand, denn er hat direkt neben mir auf der Straße gelegen. Wo ist er?« Aane zuckte nur die Achseln, Lillon und Ben hatten ebenfalls keine Ahnung, wo sich Bella aufhielt. Sie fragten einige Gäste, 31
aber niemand schien Bella gesehen zu haben. Einige taten sich zusammen, um ihn zu suchen. Es war nur eine kleine Gruppe, aber als Bella noch immer nicht gefunden worden war, schlossen sich immer mehr der Suche an. Schließlich beteiligte sich die ganze Partygesellschaft daran. Ein findiger Kopf arbeitete schnell Spielregeln aus, um »der ganzen Angelegenheit eine Würze zu geben«. Es wurde ein Spielchen, an dem fast jeder der Beteiligten seinen Spaß hatte. Mit allen erdenklichen Einlagen suchten sie zuerst jeden Winkel des Gartens ab und dehnten die Suche schließlich auf die weitere Nachbarschaft aus. Aber sie fanden Bella Basty nicht.
4. »Er hat ihn auf dem Gewissen!« kreischte Aane. »Avan allein ist schuld an Bellas Verschwinden!« Wie sie dastand, breitbeinig und die Hände zu Krallen geformt, bot sie den Anblick einer tollen Hexe. Die Partygäste wichen unschlüssig vor ihr und Avan zurück, bis sie einen weiten Kreis um sie bildeten. »Er hat die Spieldämonen herausgefordert«, klagte Aane an. Ihre kunstgerecht aufgetürmte Abendfrisur fiel mit jeder ekstatischen Bewegung mehr und mehr in sich zusammen. »Die Dämonen sind erzürnt, weil Avan die Spiele in den Schmutz zieht. Bella ist ihr erstes Opfer. Wer wird ihm folgen?« »Aane …«, begann Avan begütigend und machte einen Schritt auf sie zu. »Rühr mich nicht an! Rühr mich nur ja nicht an!« schrie sie in höchster Hysterie. Avan sah sich hilfesuchend um. Die Freunde und Bekannten wichen seinem Blick aus. 32
»Aane hat einen Schock erlitten«, sagte er zu dem Nächststehenden. »Hilf mir, sie zu beruhigen, Flint.« Aane duckte sich wie zum Sprung. »Komm mir nicht zu nahe, du Satan. Du hast Bellas Verschwinden verschuldet. Bella ist weg. Er ist vom Erdboden versehwunden, als wäre er gegen die Barriere gerannt. O, ich fühle, daß ich ihn nie wiedersehen werde. Und du bist schuld, Avan. Ich verfluche dich – ich verfluche dich, Avan!« Ein schriller Schrei ertönte. Avan wirbelte herum. Er sah, wie Lorrina im Haus verschwand. Ben löste sich aus dem Kreis der Schaulustigen. »Geh zu Lorry«, flüsterte er Avan zu, »Sie braucht dich. Ich werde mich inzwischen um Aane kümmern.« »Danke«, sagte Avan und wandte sich um. »Macht Platz. Laßt mich durch.« Die Bürger wichen ängstlich zurück. Er vermerkte es mit Grimm, während er dem Haus zulief. »Lorry, Lorry!« rief er gedämpft, als er in die Diele kam. Die indirekte Beleuchtung warf tausend Schatten, die ihn narrten. »Lorry, wo bist du?« Das Haus schien verlassen. Er begegnete keinem Menschen, als er durch die Bar, das Wohnzimmer, das Spielzimmer und die Nebenräume eilte. Schließlich fand er Lorrina in ihrem Schlafzimmer, das im Obergeschoß lag. Sie hatte kein Licht angedreht, nur der Schein der Lampions aus dem Garten fiel durchs Fenster. Sie lag vollkommen angekleidet auf dem Bett und rührte sich nicht. »Lorry«, murmelte er vorsichtig. Sie gab keine Antwort. Er setzte sich zu ihr und betastete vorsichtig ihr Haar. »Lorry«, begann er von neuem, »du glaubst doch nicht etwa 33
an das, was Aane gesagt hat? In unserer Zeit glaubt man nicht mehr an Spieldämonen. Wir wissen beide – wir alle wissen es, daß übernatürliche Wesen und deren übernatürliche Kräfte ins Land der Fabeln und Märchen gehören.« Sie rührte sich immer noch nicht. Ihr Schweigen und ihre Bewegungslosigkeit irritierten ihn. »Lorry«. Er schüttelte sie sanft an der Schulter. Langsam richtete sie sich auf und sah ihn aus blicklosen Augen an. »Du nimmst dir Aanes Worte doch nicht zu Herzen, Liebling«, fuhr er fort. »Bellas Verschwinden hat einen Schock bei ihr ausgelöst. Sie weiß nicht, was sie redet. Es gibt keine Spieldämonen! Die Zentrale selbst hat alle anderslautenden Legenden dementiert. Der Komputer lenkt die Geschicke unserer Welt. Und wenn Bella tatsächlich verschwunden ist, dann muß es der Komputer wissen. Verstehst du das?« Sie antwortete nicht. Plötzlich schnürte es ihm das Herz zusammen. »Lorry!« stieß er impulsiv hervor und umarmte sie. »Ja?« sagte sie tonlos. Er starrte sie besorgt an. »Bist du krank, Liebling? Was ist nur mit dir los? Hat dich das Vorgefallene so tief getroffen?« »Ja«, antwortete sie. Aus einem unbestimmten Grund war er erleichtert. »Es gibt nichts, was dich seelisch belasten sollte, Liebling«, versicherte er ihr. »Alles wird sich aufklären lassen. Ich werde in die Zentrale gehen und den Komputer um Aufklärung des Sachverhaltes bitten. Er muß Informationen über Bellas Verschwinden besitzen. Du wirst sehen, alles kommt wieder ins Lot.« Er drückte ihr einen Kuß auf die kalte Stirn. »Ich bin bald wieder da.« Als er schon an der Tür war, gebot ihm ihre leise Stimme Einhalt. Er blieb stehen. »Avan«, sagte Lorrina, »mein Verhalten hat nichts mit Aber34
glauben zu tun. Die Existenz von Spieldämonen ist widerlegt, ich glaube nicht daran.« »Es freut mich, das von dir zu hören«, gab er mit belegter Stimme zurück. »Was bedrückt dich dann?« Sie wandte das Gesicht ab. »Dein Verhalten, Avan. Du tust Dinge, die wider alle Gesetze unserer Welt und gegen jede Vernunft sind. Was du tust, stößt die anderen ab, und es wird soweit kommen, daß alle unsere Freunde und Bekannten uns den Rücken kehren. Ich habe diese Ahnung, und sie erfüllt mich mit Schrecken. Wir müssen an Rodys Zukunft und an die Zukunft unseres Ungeborenen denken. Ich fürchte mich …« Was sollte er darauf antworten? Er hätte ihr am liebsten geschworen, daß er sich nie wieder mehr mit absonderlichen Ideen beschäftigen würde; daß er die Gedanken über die wahre Welt gern verbannen würde. Aber er konnte es nicht, weil er wußte, daß er sich damit nur selbst belog. Die Fragen brannten in ihm und würden ihn zermürben, wenn er nicht die Antworten darauf erhielt. Deshalb sagte er ausweichend: »Wenn ich aus der Zentrale zurückkomme, wird die Welt wieder ganz anders aussehen. Glaube mir, Lorry.« Damit verließ er das Schlafzimmer. Unten, im Garten, traf er auf eine kleine Gruppe der sich auflösenden Gesellschaft. Es waren alles flüchtige Bekannte, die eine anscheinend ernste Diskussion unterbrachen, als sie seiner ansichtig wurden. Sie starrten ihm feindselig entgegen und verstellten ihm den Weg, als er auf die Straße hinauswollte. »Aane mußte nach Hause gebracht werden«, sagte ein Mann namens Phillip Gardian. Er hegte gegen Avan schon seit Jahren einen versteckten Groll, weil er ihm bei sämtlichen QuizSpielen, in denen sie aufeinandergeprallt waren, unterlag. »Was ist mit Aane?« erkundigte sich Avan. 35
»Sie hat einen Nervenzusammenbruch erlitten«, sagte ein anderer. »Es ist nicht der erste«, antwortete Avan ungehalten. »Aber diesen hast du verschuldet«, sagte Phillip Gardian. »Sie hat ihn selbst verschuldet.« »Nein, du«, beharrte Phillip Gardian. »Es wäre das Mindeste, daß du dich um ihr Befinden kümmerst.« »Willst du mir vorschreiben, was ich zu tun habe?« »Nein, aber wenn du nicht von selbst darauf kommst, dann sehe ich es als meine Pflicht an, dich daran zu erinnern.« »Laßt mich durch«, sagte Avan und drängte die lästigen Bürger zur Seite. Hinter sich vernahm er die empörten Stimmen, mit denen sie sein Verhalten kommentierten. Avan schwitzte, als er in die Garage kam und sich schwer in den Wagensitz fallen ließ. Er zuckte erschreckt zusammen – ein Schatten löste sich aus dem Aufgang zu den Wohnräumen. Es war Bendik Christäj. »Ich bin enttäuscht von dir. Avan«, sagte er. »Zuerst bringst du einen der größten Skandale der letzten Jahre ins Rollen, und dann flüchtest du vor den Konsequenzen. Du solltest mehr Verantwortungsbewußtsein haben, schon deiner Familie zuliebe.« »Laß mein Verantwortungsbewußtsein aus dem Spiel«, fauchte Avan ihn an. »Ich fahre zur Zentrale. Der Komputer muß diese mysteriöse Angelegenheit aufklären.« »Ich komme mit«, sagte Ben. * Da im Zentralpark allgemeines Fahrverbot bestand, stellte Avan den Wagen auf dem Parkplatz ab. Den letzten Kilometer mußten sie zu Fuß zurücklegen. Zu dieser Stunde bot der Park einen besonders reizvollen Anblick. Die Blumen, Sträucher und Bäume wurden von verbor36
genen Miniaturleuchten angestrahlt, so daß der Eindruck entstand, sie leuchteten von sich aus. Avan hatte diesmal keinen Blick für die zauberhafte Blütenpracht übrig. Er ging so schnell, daß Ben Mühe hatte, mit ihm Schritt zu halten. Wortlos erreichten sie das Hauptportal der Zentrale, die wie ein riesiger, glatter Würfel mit einer Seitenlänge von zweihundert Metern inmitten des Parks lag. Es gab weder Fenster, noch andere Öffnungen in dem Bauwerk – nur das eine große Tor für die Besucher und Bittsteller. Hier in der Zentrale lag das Herz der Welt, hier begannen alle Wege, und hier endeten sie auch. Die Zentrale war Geburtsklinik, Krankenhaus und Krematorium; hier fand die Rohstoffgewinnung statt, war die gesamte Industrie- und Energieerzeugung untergebracht, und hier liefen die Gebrauchsgüter vom Fließband – von einer einfachen Ziervase, über Bekleidung, bis zur Montage eines Fertighauses, konnten die Bürger alles in der Zentrale bestellen. Und sie erhielten es prompt; und selbstverständlich kostenlos. Selbst für das leibliche Wohl der Bürger wurde von der Zentrale aus gesorgt. Ein unterirdisches System belieferte nicht nur sämtliche Wohnungen, sondern auch die Restaurants mit den gewünschten Speisen und Getränken. Die vermutlich gigantischen Gewinnungs- und Fertigungsanlagen, die noch kein Bürger zu Gesicht bekommen hatte, befanden sich unter der Erde. Das oberirdische Gebäude der Zentrale wurde größtenteils vom Komputer eingenommen. Der Komputer lenkte die Geschicke der Bürger – er versorgte sie mit Anregungen für die Spiele. Wenn irgend etwas in der Welt der Bürger passierte, dann konnte nur die Zentrale dafür verantwortlich gemacht werden. Avan und Ben stiegen die breite Treppenflucht zum Eingang empor. Sie begegneten keiner Menschenseele und traten in die 37
marmorne Halle. Zielstrebig steuerte Avan auf die eine der Seitenwände zu, in der die Kabinen eingelassen waren, wo sich Bittsteller über Automaten mit dem Komputer in Verbindung setzen konnten. Grüne Lichter über den Eingängen zeigten an, welche der Kabinen unbesetzt waren. Im Augenblick leuchtete keines der zwölf grünen Lämpchen auf. »Sieh an«, stellte Avan sarkastisch fest. »Sollten zu dieser Stunde alle zwölf Kabinen besetzt sein?« »Natürlich sind die Kabinen nicht besetzt«, sagte Ben. »Aber wenn die Halle leer ist, werden die Automaten stillgelegt. Wenn der Komputer von unserer Anwesenheit erfährt, dann wird er …« »Du meinst, er beobachtet uns?« unterbrach Avan den Freund. »Das könnte schon stimmen. Irgendwo in diesen steinernen Wänden sind die kalten Linsenaugen des Komputers eingebaut; sie beobachten uns, und der logische Verstand, der dahintersteckt, analysiert unser Verhalten.« »Du sagst das, als stecke böse Absicht dahinter«, hielt ihm Ben vor. Avan antwortete darauf nichts. Er berührte den Türöffner der nächsten Kabine. Im selben Augenblick flammte das grüne Licht auf, und die Tür öffnete sich. »Hast du auch dagegen etwas einzuwenden?« »Hm«, machte Avan unergründlich und betrat die Kabine. Ben folgte ihm. Vier Stühle standen eng beieinander vor einer Bildschirmwand, die in einem sanften Licht erstrahlte. Avan und Ben setzten sich auf die beiden mittleren Stühle. Aus dem unsichtbaren Lautsprecher drang ein leiser Summton, der kurz darauf von einer Stimme abgelöst wurde. Gleichzeitig erhellte sich der Bildschirm und zeigte einen Arbeitsraum, in dem ein loyal lächelnder Mann hinter einem Schreibtisch saß. 38
Der Mann blickte auf und sagte wohlwollend: »Ich registriere: Avanido Alvin und Bendik Christäj. Wer von Ihnen ist der Bittsteller? Oder haben Sie beide einen Wunsch vorzutragen?« »Nein«, sagte Avan, »ich bin der – Antragsteller.« Er vermied das Wort »Bittsteller« absichtlich. Er begegnete ruhig dem Blick des Mannes auf dem Bildschirm. Er wußte, daß es sich nicht wirklich um einen Menschen handelte, sondern um einen Roboter mit menschlichem Aussehen, aus dessen Mund der Komputer sprach. Psychologisch gesehen war das ein kluger Schachzug, denn die Bürger gaben sich lieber der Illusion hin, mit einem Menschen zu sprechen, als ihre Wünsche und Beschwerden einer Maschine ohne Gesicht vorzutragen. Der Androide des Komputers lächelte gewinnend vom Bildschirm. »Dann tragen Sie Ihr Anliegen vor, Herr Alvin«, sagte er. »Und seien Sie versichert, daß ich alles in meiner Macht Liegende tun werde, um Ihnen zu helfen.« Diese Worte verfehlten ihre Wirkung bei Avan nicht – er entspannte sich –, aber er war fest entschlossen, sich trotzdem nicht von seinem Vorhaben abbringen zu lassen. Er räusperte sich und sagte: »Ich trage einige Fragen mit mir herum, auf die ich Antworten haben will.« Eine Spur von Bedauern mischte sich in den gütigen Gesichtsausdruck des Roboters. »Fragen!« sagte er ein wenig abfällig. »Müssen Fragen denn wirklich sein? Ich sage nein. Und ich sage es nicht aus einer Laune heraus, sondern als Menschenkenner. Warum belasten Sie sich überhaupt damit? Fragen entspringen Sorgen, Sorgen machen unglücklich. Menschen dürfen nicht unglücklich sein. Teilen Sie mir Ihre Sorgen mit, und ich werde sie bereinigen. Eine wirklich bequeme Lösung. Ich nehme Ihnen die Sorgen ab, damit werden alle Fragen aus der Welt geschafft. Herr Alvin, ich möchte nicht, daß Ihre Intimsphäre durch irgendein 39
Alpdrücken gestört wird. Deshalb ersuche ich Sie sich zu überlegen, ob Ihre Fragen von Wichtigkeit sind. Es ist erwiesen, daß Fragen die Ursache für vielerlei Unbehagen sind und daß sie viel Zeit in Anspruch nehmen, die anderweitig vergnüglicher gestaltet werden kann.« »Vergnüglicher?« wiederholte Avan spöttisch. »Geisttötender sage ich.« »Es ist äußerst schädlich für den Menschen Fragen zu stellen.« »Vielleicht ist es so«, meinte Avan lauernd, »daß es schädlich für den Komputer ist, Antworten zu geben.« »Sie unterstellen dem Komputer gänzlich absurde Motive und Eigenschaften, Herr Alvin«, sagte der Komputer-Robot. »Der Komputer ist geschaffen worden, um den Menschen zu helfen. Er ist dafür programmiert, das Beste für die Menschheit zu tun. Deshalb muß ich dringend raten, dieses verfängliche Fragespiel abzubrechen. Wäre es nicht viel vergnüglicher, wenn Sie Ihre Interessen auf andere Spiele verlagerten?« »Meine Fragen sind nicht Bestandteil eines Spieles«, entgegnete Avan scharf. Aus den Augenwinkeln sah er, wie ihm Ben einen besorgten Blick zuwarf. Avan steuerte unbeirrt seinem Ziel entgegen. Er brach die unfruchtbare Diskussion mit dem Roboter ab und fragte klar und deutlich: »Weiß der Komputer, was heute abend auf meinem Grund und Boden geschehen ist?« Der Roboter seufzte erleichtert. »Ja«, sagte er mit einem warmen Lächeln, »Sie und Ihre Frau Lorrina haben eine Party gegeben. Der Anlaß dafür ist sehr erfreulich. Der Komputer möchte Ihnen noch nachträglich auf das herzlichste gratulieren.« »Und sind Sie auch über die Geschehnisse informiert.« Der Roboter mimte Erstaunen. »Worauf spielen Sie an?« »Das ist schnell gesagt«, erklärte Avan. »Ich fiel auf die Stra40
ße, just in dem Augenblick kam ein Auto in halsbrecherischer Geschwindigkeit herangeschossen. Ich glaubte schon, überfahren zu werden. Aber der Wagen war im nächsten Augenblick spurlos verschwunden. Weiß der Komputer davon?« Der Roboter zögerte nur für den Bruchteil einer Sekunde, dann antwortete er: »Ja.« »Hat sich der Wagen in Luft aufgelöst?« »Er ist tatsächlich vom Erdboden verschwunden – ja.« »Weiß der Komputer, warum?« »Natürlich. Er hätte sonst Sie überfahren!« »Was geschah mit den Insassen des Autos?« »Sie sind am falschen Ort hartnäckig, Herr Alvin«, tadelte der Roboter. »Sie sollten Ihren Ehrgeiz lieber für die Spiele verwenden. Wissen Sie, daß Ihre Quizergebnisse in den letzten drei Monaten eine ständig fallende Quote zeigen?« »Das ist mir egal«, entgegnete Avan heftig. »Wie kann ich mich über die Spiele unterhalten, wenn vor meinen Augen einige Menschen verschwunden sind.« »Für Ihre Person muß es doch viel wichtiger sein, daß Sie am Leben sind.« Ben stieß Avan an und sagte: »Das ist wahr, Avan. Es ist sehr logisch. Du lebst, alles andere ist unwichtig.« »Das ist es nicht«, erregte sich Avan. Er schrie die Worte Ben fast ins Gesicht, als er fortfuhr: »Oder hast du die Szenen vielleicht schon vergessen, die mir meine sogenannten Freunde und Bekannten gemacht haben, nachdem Bella Basty verschwand? Sie haben mich für sein Verschwinden verantwortlich gemacht! Ich kann es mir nicht leisten, daß dieser Makel auf meiner Familie liegt. Lorry würde das nie ertragen.« »Damit haben Sie recht, Herr Avan«, pflichtete ihm der Roboter bei. »Sie können diese Beschuldigungen nicht auf sich ruhen lassen. Aber sagen Sie nicht sofort, daß dies der eigentliche Grund Ihrer Depressionen ist. Der Komputer weiß, daß Sie 41
vollkommen unschuldig sind, und er wird Maßnahmen treffen, um die Bürger ebenfalls davon zu überzeugen.« »Und wie stellen Sie sich das vor?« »Es gibt viele Möglichkeiten«, meinte der Roboter überzeugt. »Eine davon wäre, daß wir morgen in der FernsehAbendsendung einen zweistündigen Bericht über die Familie Alvin bringen, in der klipp und klar alle Beschuldigungen zunichte gemacht werden.« »Das ist toll!« stieß Ben überwältigt hervor. Einen Augenblick war Avan von diesem Angebot begeistert, aber dann kamen ihm Zweifel über den Nutzen einer solchen Sendung. Was hätte er damit gewonnen? Einige ältere Leute würden vor Rührung nasse Augen bekommen. Aber wie viele seiner Neider und Rivalen würden sich nur noch ablehnender seiner Familie und ihm gegenüber verhalten? »Ich weiß eine viel bessere Lösung«, sagte Avan. Obwohl er wußte, daß sein Vorschlag vom Komputer nie akzeptiert werden würde – selbst wenn er durchführbar wäre –, erfaßte ihn allein bei dem Gedanken eine starke Erregung. »Teilen Sie mir Ihren Vorschlag mit«, munterte ihn der Roboter auf. »Ich glaube nicht, daß mein Familie das Vertrauen der Bürger allein durch eine Reklamesendung im Fernsehen zurückgewinnen könnte«, sagte er. »Ich kenne die Bürger, sie sind nachtragend, halsstarrig und selbstgefällig. Sie würden uns auf Lebzeiten ihre innere Abneigung spüren lassen – und das könnte Lorry nicht ertragen. Es wäre besser, wenn wir emigrierten!« Der Roboter runzelte die Stirn. »Wollen Sie ein neues Haus in einem anderen Stadtteil? Vielleicht wäre das wirklich eine bessere Lösung?« »Nein«, lehnte Avan ab und mußte sich räuspern. »Ich meine, wir sollten diese Welt verlassen, um uns in der wahren Welt eine neue Existenz aufzubauen!« 42
Avan erschrak über die Reaktion des Komputers. Über Bens Lippen kam ein gurgelnder Laut. * Der Kontaktroboter verschwand vom Bildschirm. Plötzlich erschien eine gigantische Schaltwand, über die Tausende von Lichtern flackerten. Ein ohrenbetäubender Heulton drang aus dem Lautsprecher. »Was hast du nur angestellt!« jammerte Ben. Die Szene auf dem Bildschirm wechselte und zeigte eine Reihe stampfender Maschinen – es klang wie das aufgebrachte Keuchen eines Riesen. Blitze zuckten über die Bildschirmwand, und Donner aus dem Lautsprecher ließ die Wände erzittern. Avan war erschüttert. Hatte er mit seinen Worten den Zorn des Komputers auf sich geladen? Er konnte es nicht mehr ändern, wenn es so war; jede Reue kam zu spät. Das Blitzen und Flackern, Hämmern und Stampfen und Donnern legte sich augenblicklich, und Ruhe kehrte wieder in der Kabine ein. Auf dem Bildschirm wurde der Kontaktroboter sichtbar. Sein Gesicht war ernst und besorgt, als er auf Avan blickte. »Ich muß Sie dringend warnen, Herr Alvin«, sagte er mit unheilverkündender Stimme. »Ihre Gedanken sind durchsetzt mit irrigen Theorien, Sie haben sich ein verzerrtes Weltbild geschaffen. Sie glauben, daß Sie sich im NICHTS ein Heim schaffen könnten! Dieser Gedanken ist Ihnen zur Manie geworden. Überlegen Sie: Die Barriere umschließt schützend unsere Welt, sie hält das NICHTS von den Bürgern ab. Es ist falsch, wenn Sie annehmen, die Barriere ist dazu da, um die Bürger daran zu hindern, das NICHTS aufzusuchen. Die Barriere hindert niemand daran, seine Welt zu verlassen. Aber wenn er sie 43
durchdringt, wird er vom NICHTS erfaßt und aufgezehrt – er verschwindet. Bleiben Sie in Ihrer Welt, und Sie bleiben ein Mensch. Es ist selbstmörderisch,hinaus’ zu wollen. Im NICHTS können Sie nicht existieren. Hier ist Ihre Welt …« Der Kontaktroboter wandte sich von Avan ab. Irgend etwas, das außerhalb der Bildschirmkamera lag, schien ihn zu stören. »Was wollen Sie hier!« rief der Roboter. Er bekam keine Antwort; statt dessen zuckten wieder Blitze über den Bildschirm, Glutbälle explodierten und trieben in bunten Kreisen zum Bildschirmrand. Avan mußte die Augen vor dieser Helligkeit schließen. Als er sie wieder öffnete, zeigte der Bildschirm das Gesicht eines Fremden. Es war der einzige Fremde, dem Avan jemals begegnet war. »Einsam!« rief er überrascht. Der Alte, der ihn im »Dinner 4« angesprochen hatte, schien ihn zu hören. Sein Gesicht war wie von Schmerz verzerrt. Einen Augenblick schien es, als könne er sich nicht mehr auf den Beinen halten. Aber dann näherte er sich der Aufnahmekamera, bis schließlich sein Gesicht die gesamte Bildschirmwand ausfüllte. »Gehen Sie, Avan!« kreischte Einsam in höchster Verzweiflung. »Verlassen Sie diese verlogene Welt der Müßiggänger. Sie könnten es schaffen. Haben Sie Mut – und gehen Sie, ehe es zu spät ist … Ich spüre bereits, wie der Komputer mich meiner Kräfte beraubt. Vielleicht kann ich nie mehr mit Ihnen in Verbindung treten …« Das Gesicht des Alten wurde verschwommen. »Einsam!« »Hören Sie auf mich, Avan. Wenn Sie sich nicht bald entschließen, dann wird der Komputer vielleicht …« Einsam verschwand vom Bildschirm. Eine neue Frage flammte in Avans Gehirn auf, während er wie versteinert in der toten44
stillen Kabine stand und auf den leeren Bildschirm starrte. Was hatte Einsam gemeint, würde der Komputer mit Avan machen, wenn er nicht bald die Welt der Müßiggänger verließ? Er erfuhr es gleich darauf von dem Kontaktroboter, der auf dem Bildschirm erschien und sich verhielt, als hätte es keinen Zwischenfall gegeben. Er lächelte wohlwollend; aber was er sagte, stand in krassem Gegensatz zu seiner scheinheiligen Maske. »Herr Alvin, der Komputer hat errechnet, daß es das beste für Sie wäre, wenn Sie sich einer Gehirnwäsche unterzögen.« »Was ist eine Gehirnwäsche?« stammelte Avan. »Eine Generallöschung Ihrer Erinnerungen. Gleichzeitig würden Sie eine neue Persönlichkeit erhalten. Sie würden ein neues, glücklicheres Leben beginnen können.« Avan schüttelte den Kopf. »Nein«, murmelte er entsetzt – dann schrie er es: »Nein!«
5. Die Welt war knapp 400 Quadratkilometer groß; sechzig Quadratkilometer waren bebaut, der Rest bestand aus ungenütztem Heideland. Eine prächtige Chaussee umrundete die Stadt, und man hatte von ihr aus einen herrlichen Überblick über die Welt – und darüber hinaus bis zum Horizont. Von der Chaussee gab es mehr als ein Dutzend Abfahrten, die zum Zentrum führten, aber nur eine einzige, die zum Ende der Welt, zur Barriere, führte. Gleich hinter der Abfahrt ging die Straße in einen holprigen Feldweg über. Der Feldweg endete nach einem Kilometer vor einer zehn mal fünf Meter breiten Tafel. HALT HIER! Nach weiteren fünfhundert Metern, die aus einem unwegsa45
men Gelände bestand, das nicht mehr mit dem Wagen befahren werden konnte, war eine zweite Tafel angebracht. Sie war fünfzehn mal fünf Meter. HIER LEBEN SIE NOCH. UMKEHREN! Zweihundert Meter dahinter war die letzte Warntafel angebracht. Sie maß fünfundzwanzig mal zehn Meter. Die mannsgroßen Lettern aus selbstleuchtender Farbe schrien es fast: HIER ENDET DIE WELT! Diese vier Worte genügten, um jedem zu sagen, daß er verschwinden würde, wenn er seinen Fuß darüber hinaus setzte. Die Tafel war zugleich der Grenzstein der Welt und der einzige Hinweis dafür, daß sich dahinter das NICHTS befand. Avan hatte es schon immer bedenklich gestimmt, daß die Heidelandschaft auch im NICHTS weiterführte. Die Landschaft war »draußen« dieselbe wie in seiner Welt. Warum sollte es dem Menschen versagt sein, die Barriere zu durchbrechen, wenn sich das Land dahinter von dem hiesigen nicht unterschied? Die Nacht war klar und mondhell, die Sterne verblaßten neben dem fahlen Licht des großen Himmelsballs. Nur die Sterne des Horizonts übertrafen den Mond an Helligkeit. War der Mond wirklich nur dazu da, um den Verliebten als Symbol zu dienen? Es schien fast so – aber irgend etwas konnte daran nicht stimmen … Zwei Schemen näherten sich langsam dem Grenzstein der Welt. Mehr als eineinhalb Kilometer hinter ihnen stand das letzte Zeugnis der menschlichen Zivilisation: Avans Auto, dessen eingeschaltete Scheinwerfer wie zwei wachsame Augen funkelten. Avan fröstelte. Warum war er mit Ben eigentlich hierhergefahren? Er wußte es nicht mehr genau. Er konnte sich nur noch daran erinnern, daß ihm der Komputer angedroht hatte, sein Gedächtnis zu lö46
schen. Daraufhin war er Hals über Kopf geflüchtet. Es war bezeichnend, daß er zum Ende der Welt geflüchtet war. Gehen Sie! Gehen Sie! hämmerte das Echo von Einsams Appell noch in seinem Kopf. Sollte er es wagen? Heute nacht? Jetzt? Er fürchtete sich vor dem letzten Schritt. So nahe war er der Grenze der Welt noch nie gekommen. »Was haben wir hier eigentlich zu suchen?« erkundigte sich Ben. »Du kannst umkehren, wenn du willst«, antwortete Avan. »Fällt mir gar nicht ein«, sagte Ben. »In dieser schweren Krise lasse ich dich nicht allein.« Avan blieb stehen und sah den Freund forschend an. Er fragte: »Würdest du mich überallhin begleiten?« »Avan!« Avan winkte ab. »Es war nur ein Scherz. Vergiß es wieder.« Ben ergriff ihn an der Schulter. »Laß dich auf keine Dummheiten ein«, sagte er eindringlich. »Die letzten Ereignisse haben dich arg mitgenommen. Ich kann dich verstehen, daß du ganz durcheinander bist. Aber du solltest dir jeden Schritt vorher gut überlegen.« »Ich bin dir für deine Mahnung dankbar, Ben. Aber jetzt, glaube ich, bleibt mir kein anderer Ausweg mehr …« »Was willst du tun?« »Ich kann nicht mehr zurück, Ben.« Ben starrte ihn entgeistert an. Avan fuhr fort: »Wenn ich in die Stadt zurückgehe, wird mein Gedächtnis gelöscht. Ich kann mir nichts Schrecklicheres vorstellen, Ben.« »Und ich nichts Besseres«, entgegnete Ben, nachdem er sich wieder gefaßt hatte. »Eine neue Persönlichkeit wäre das beste für dich. Du selbst hast gesagt, daß die Bürger dir und deiner Familie ausweichen würden, selbst wenn der Komputer dich 47
rehabilitierte. Das könntest vielleicht du ertragen, aber bestimmt nicht Lorry!« »Das ist es«, sagte Avan bitter. »Aber vielleicht könnte sie sich in einer neuen Welt einleben.« »Bestimmt«, versicherte Ben. »Deshalb solltest du eine neue Persönlichkeit annehmen. Lorry hätte dann eine neue Welt – und für Rodys Zukunft wäre auch gesorgt.« »Daran denke ich nicht, Ben«, sagte Avan fest. »Ich will mir nicht einmal vorstellen, ohne meine bisherigen Erinnerungen zu leben. Es hieße, mich zu töten! Nein, Ben, ich ziehe die Möglichkeit in Betracht, daß ich dort draußen eine andere Welt finde. Eine neue Heimat für mich und meine Familie.« »Du bist total übergeschnappt.« »Vielleicht …« Ben stöhnte. »Gütiger Quizonkel! Willst du dein Leben wegwerfen? Du kommst keinen Millimeter über die Grenze, denn wenn du die Barriere durchstößt, löst du dich augenblicklich in Luft auf. Du erweist Lorry damit einen schlechten Dienst, wenn du Selbstmord begehst.« »Es muß einen Weg nach draußen geben.« »Gibt es auch«, versicherte Ben. »Die Barriere läßt dich passieren, aber das dahinterliegende NICHTS wird dich auflösen.« Avan schüttelte den Kopf. »Eben das glaube ich nicht. Vielmehr vermute ich, daß die Barriere verhindern soll, den Menschen nach,draußen’ zu lassen. Ich muß die Öffnung finden!« Ben hatte einen großen Stein aufgehoben und warf ihn nun gegen die unsichtbare Barriere. Als er auf seiner Flugbahn die Höhe der Warntafel erreichte, löste er sich in Nichts auf. »Du wirst dasselbe Schicksal erleiden«, prophezeite Ben düster. Avan konnte dem nichts entgegenhalten. »Ich kann nicht mehr in diese trostlose Welt zurück, Ben«, sagte er nur. 48
»Du hast einen Sohn zu Hause, und eine Frau, die ein Kind erwartet«, hielt ihm Ben vor. »Das müßte genug sein, um dein Verantwortungsbewußtsein wachzurufen. Wirf dein Fernweh hinter dich. Komm zur Vernunft!« Avan setzte sich auf eine Bodenerhöhung, kaum zwei Meter von der unsichtbaren Barriere entfernt. Ben tat es ihm gleich. »Fernweh«, wiederholte Avan. »Ich glaube, du hast meinen Zustand mit dieser Bezeichnung genau getroffen. Ich möchte fort von diesem nervtötenden Alltag; fort von diesem ewig wiederkehrenden Einerlei, das wir Leben nennen.« Gedankenverloren grub er mit den bloßen Fingern Steine aus der lockeren Erde. Aus einem unerklärlichen Grund wurde Ben zusehends nervöser. »Wir sollten umkehren«, sagte er. »Es ist schon spät. Lorry wird sich um dich sorgen.« »Bleiben wir noch ein wenig«, bat Avan. »Einige Minuten noch möchte ich mich in dem Glauben wähnen, frei zu sein.« Er schüttelte das halbe Dutzend Steine in seinen hohlen Händen. Worauf würde er stoßen, wenn er tiefer grub? Was war tief unten in der Erde? Was war hoch oben im Himmel? Was war außerhalb seiner Welt? Seine Gedanken kamen immer wieder auf diesen Punkt zurück. Spielerisch warf er einen der Steine in Richtung der Barriere. Er löste sich in Luft auf. »Was hat mich nur so gewandelt, Ben«, philosophierte Avan, während er den nächsten Stein warf. »Mein ganzes Leben hindurch war ich ein braver Bürger, der es tunlichst vermied, gegen Sitten, Gebräuche und Gesetze zu verstoßen – ja, ich möchte sogar sagen, daß ich mir keine bessere Weltordnung als die unsere vorstellen konnte. Doch seit kurzem finde ich alles sinnlos und manches sogar unsinnig, widersprüchlich. Ich habe zu fragen begonnen und finde mich nicht mehr in dem Labyrinth meiner Gedanken zurecht. Alles, was mir früher lieb und wert 49
war, ist mir gleichgültig. Selbst meine Liebe zu Lorry und Rody leidet darunter. Oft sind mir beide fremd. Den Gipfel bildet wohl die Tatsache, daß ich Lorry beschuldigt habe, kein Mensch zu sein.« Er lachte rauh; Ben schwieg. »Aber was sollte Lorry sein, wenn sie kein Mensch ist?« fuhr er fort. Ben gab ihm keine Antwort. »Ich befinde mich in einem ausweglosen Dilemma«, stellte Avan bitter fest. Mit voller Kraft schleuderte er den letzten Stein und er traute seinen Augen nicht –, der Stein durchdrang die Barriere und landete im Heideland des NICHTS!
6. »Hast du das gesehen?« erkundigte sich Avan überwältigt. Ben hatte sich erhoben. »Ja«, sagte er, »ich sehe sie.« »Wovon sprichst du?« »Von den beiden Gestalten, die sich der Grenze der Welt nähern«, antwortete Ben. »Ihre Absichten sind klar.« »Aber, ich meinte etwas anderes«, sagte Avan. »Wir sprechen von verschiedenen Dingen. Ich habe einen Stein durch die Barriere …« »Gib jetzt gut acht«, unterbrach ihn Ben. Er stand bewegungslos da und starrte hinüber zu der letzten Warntafel, die zugleich der Grenzstein der Welt war. Avan folgte seinem Blick. Zwei Gestalten bewegten sich dort. Sie schienen Avan und Ben nicht bemerkt zu haben. Sie benehmen sich, als wollten sie etwas Verbotenes tun! durchfuhr es Avan. »Aus ihrem Verhalten geht ziemlich klar hervor«, flüsterte Ben, »daß sie die Welt verlassen wollen.« 50
Avan hielt unwillkürlich den Atem an. Die beiden Gestalten waren zu weit entfernt, als daß er ihre Identität hätte feststellen können. Es waren nichts weiter als zwei anonyme Schatten, die sich im Mondlicht abhoben. Jetzt standen sie einen Meter vor der Barriere. Sie sprachen miteinander, aber wegen der großen Entfernung waren ihre Worte nicht zu verstehen. »Wer es wohl sein mag?« fragte Ben leise. »Ich kenne niemand«, entgegnete Avan ebenso leise, »der sich mit dem Gedanken getragen hat, die Welt zu verlassen. Jetzt …« Er hatte das letzte Wort kaum gesprochen, als die beiden Unbekannten den letzten, entscheidenden Schritt gleichzeitig taten. Sie hielten sich an der Hand, und es schien, daß sie alles, was nun auch geschehen mochte, gemeinsam durchmachen wollten. Sie setzten den Fuß über den Rand der Welt und verschwanden. Ben rannte in halsbrecherischem Lauf zu der Stelle, an der sich die beiden Unbekannten in Luft aufgelöst hatten. Avan rührte sich nicht von der Stelle; sein Körper zitterte. Bens Stimme hallte zu ihm herüber, aber er nahm sie nur unterbewußt wahr. »Ich habe die Stelle erreicht, an der die beiden Wahnsinnigen die Welt verlassen wollten«, rief Ben. »Nichts deutet mehr darauf hin, daß hier vor kurzem noch zwei Menschen existiert haben. Das NICHTS hat sie verschluckt.« »Komm zurück, Ben«, erwiderte Avan, aber seine Stimme hatte nicht viel Kraft. Trotzdem kam Ben zurück. Als er Avan erreichte, stellte er besorgt fest: »Du siehst nicht wohl aus, Avan. Ist dir übel.« Avan antwortete immer noch nichts. Ben klopfte ihm aufmunternd auf die Schulter. »Kopf hoch, alter Junge«, sagte er mit belegter Stimme. »Sei froh, daß du diese schreckliche Szene miterlebt hast. So bleibt dir wenigstens dieses Schicksal erspart.« »Ich hätte es verhindern können«, murmelte Avan. 51
»Du brauchst dir keine Vorwürfe zu machen«, redete Ben ihm zu. »Ich hätte es ebenso verhindern können – aber wir waren beide vor Schreck wie gelähmt.« »Das meine ich nicht«, sagte Avan. »Ich hätte sie nicht davon abzuhalten brauchen, die Welt zu verlassen. Aber es wäre meine Pflicht gewesen, sie zu warnen und ihnen den richtigen Weg nach,draußen’ zu zeigen. Denn ich habe die Öffnung in der Barriere gefunden!« »Avan!« rief Ben erschreckt. »Du scheinst tatsächlich einen Schock abbekommen zu haben. Was redest du da zusammen!« »Ich weiß schon, was ich sage«, beruhigte Avan den Freund und erzählte ihm von dem Stein, den er gegen die Barriere geschleudert hatte und der im NICHTS gelandet war. »Verstehst du, Ben«, fügte er hinzu, »der Stein hat sich nicht in Luft aufgelöst. Und wenn ein Stein die Barriere an dieser Stelle durchdringen kann, dann muß es auch einem Menschen gelingen. Jetzt weiß ich auch, wie die Fremden in unsere Welt kamen. Und ich habe den Beweis dafür gefunden.« »Nur weil du dir einbildest, du hättest einen Stein hinaus ins NICHTS geworfen, glaubst du schon, du könntest auch die Welt verlassen?« Ben schüttelte den Kopf. »Du hast doch selbst gesehen, wie zwei Menschen vom NICHTS verschluckt wurden!« »Sie haben es an der falschen Stelle versucht«, beharrte Avan. »Hier ist die Öffnung in der Barriere!« »Hier, sagst du?« »Ja, genau da, wo deine Hand hinweist!« »Ich werde dir beweisen, daß ein Mensch diese Stelle nicht passieren kann.« Ben machte einen Schritt auf die Barriere zu. »Was tust du da, Ben«, schrie Avan wie von Sinnen. Aber seine Worte erreichten Ben nicht mehr – kaum, daß er die unsichtbare Barriere berührte, löste er sich in Nichts auf. 52
»Ben!« schrie Avan. Ein unartikulierter Laut entrang sich seiner Kehle. Seine Beine versagten ihm den Dienst, und er sackte zusammen. »Ben …«, schluchzte er. »Lassen Sie sich davon nicht beirren!« riet eine vertraute Stimme hinter ihm. Avan kam taumelnd auf die Beine und drehte sich um. »Sie!« keuchte er. »Was wollen Sie noch von mir, Einsam?« Der Alte stand kaum eine Armlänge von ihm entfernt da und rührte sich nicht von der Stelle. »Verlassen Sie Ihre Welt«, verlangte er in herrischem Ton. In stummem Entsetzen wich Avan einen Schritt von ihm zurück. Einsam rückte nach. »Gehen Sie, bevor es zu spät ist!« »Nein«, krächzte Avan. »Sie haben jetzt keine Macht mehr über mich. Ich lasse mich nicht mehr von Ihnen beeinflussen. Durch Sie habe ich meinen besten Freund in den Tod getrieben.« Einsam kam näher. »Seien Sie kein Narr, Avan. Lassen Sie sich davon nicht beirren.« Avan wich wieder einen Schritt zurück. »Halt!« gellte ein verzweifelter Schrei über das Heideland. »Halt, Avan! Bleib stehen, wo du bist. Noch lebst du!« Es war Lorrina, seine Frau. Mit geschürztem Abendkleid kam sie angerannt – strauchelte, fiel, raffte sich auf und hetzte weiter. Avan krampfte es das Herz zusammen, als er ihr vor Entsetzen und nackter Angst verzerrtes Gesicht erkennen konnte. Was mußte er ihr angetan haben, als er sie verstieß und sich den selbstmörderischen Ideen dieses wahnsinnigen Alten zuwandte! In diesem Augenblick schwor er sich, dafür, was er Lorry angetan hatte, zu büßen. Einsam drängte ihn einen weiteren Schritt gegen die Barriere. »Zögern Sie nicht mehr, denn wenn sie erst mal hier ist, ent53
kommen Sie ihren Fängen nicht mehr«, warnte der Alte eindringlich. »Sie ist meine Frau!« rechtfertigte sich Avan. »Aber Sie haben schon daran gezweifelt, ob sie überhaupt ein Mensch ist.« »Ich war verblendet.« »Nein, das stimmt nicht. Aber jetzt scheint es, als ob Sie sich wieder verblenden lassen wollen.« Avan wandte sich von Einsam ab. Er hörte Lorrys Schritte, und gleich darauf tauchte sie neben dem Alten auf. Mit einem langen Seufzer der Erleichterung wollte sie sich in Avans Arme fallen lassen, aber Einsam hielt sie zurück. »Du hast keinen Einfluß mehr auf ihn«, herrschte er sie an. »Er wird diese Welt verlassen, dafür sorge ich!« Avan schluckte, als er in Lorrys tränenüberströmtes Gesicht blickte. »Warum bist du nicht daheim geblieben, Lorry«, klagte Avan. »Das hier ist nichts für dich, du sollst nicht auch noch damit belastet werden. Ich muß selbst mit dieser Situation fertig werden.« »Wie könnte ich dich allein lassen«, sagte Lorry ernst. »Du bist in Gefahr. Ganz allein. Und er will dich ermorden!« »Ich habe mich von seinem Einfluß befreit«, erklärte Avan fest. Lorry fuhr sich über die Augen, dann legte sie ihre Hand auf Einsams Arm, der ihr immer noch den Weg zu Avan versperrte. Sie versuchte, ihn beiseite zu schieben, aber sie hatte nicht die Kraft dazu. »Du hast genügend Willensstärke, um dich diesem Verführer zu widersetzen«, sagte Lorry in überzeugtem Ton. »Trotzdem möchte ich dir noch sagen, daß Aane die Sinnlosigkeit ihrer Beschuldigungen eingesehen hat. Auch die anderen Bürger wollen für die Schmach, die sie dir angetan haben, sühnen. Sie sind alle deine Freunde.« 54
Avan war gerührt. Ihm fielen keine passenden Worte ein. »Geh jetzt zurück«, sagte er zu Lorry. Aber sie schüttelte den Kopf. »Ich bleibe, und die Bürger haben versprochen, daß sie ebenfalls kommen werden, um dir in dieser schweren Stunde beizustehen.« Avan mußte wieder schlucken. Die Bürger sahen also ihre Schuld ein; und er glaubte ihrem Versprechen, daß sie ihn in ihre Gemeinschaft vorbehaltlos aufnehmen wollten. Plötzlich sehnte sich Avan zu ihnen und dem vertrauten Leben der Spiele zurück. Er hatte keine Fragen mehr, keine Träume von der wahren Welt außerhalb der Barriere, denn er hatte den vielfachen Beweis dafür bekommen, daß hinter der Barriere das NICHTS lag. Er hatte Einsams Anwesenheit vollkommen vergessen. Wie ein Blitz aus heiterem Himmel schoß der Arm des Alten auf Avan zu. »Jetzt gehe!« donnerte die Stimme des Alten. Avan taumelte vor Schreck zurück und stürzte. Lorry schrie immer noch markerschütternd. Avans Gehirn klärte sich, und er begann sich über Lorrys plötzliche Panik zu wundern. Aber gleich darauf erfuhr er den Grund für ihren Entsetzensschrei von Einsam. »Jetzt hast du deine Welt verlassen«, sagte der Alte. »Du hast die Barriere überwunden. Ich habe meine Pflicht getan.« Ohne ein weiteres Wort wandte er sich um und verschwand in Richtung der Stadt. Avan sah seine Umgebung ganz plötzlich mit anderen Augen, und die eben noch verspürte Zugehörigkeit zur Welt der Bürger suchte er vergebens. Er war frei. Er hatte die Barriere überwunden. Ohne einen wirklichen Beweis dafür zu haben, wußte er, daß es so war. Er blickte aus dem NICHTS in seine Welt. Was er sah, berührte ihn nicht mehr sonderlich. 55
Die Bürger, die versprochen hatten, ihm in dieser schweren Stunde beizustehen, standen in einer Linie auf dem Kamm eines Erdwalles. Er war immer noch von ihrem Verhalten beeindruckt, aber er verspürte nicht mehr den spontanen Wunsch, zu ihnen zurückzukehren. Und Lorry? »Kommst du jetzt, Avan?« fragte sie. »Wir alle warten auf dich.« »Ich habe die Barriere überwunden«, sagte er. »Ändert das etwas?« »Ja. Sehr viel sogar.« »Du liebst mich ganz plötzlich nicht mehr?« »Doch.« Sie schüttelte traurig den Kopf. »Nein, du liebst mich nicht. Du hast mich nie geliebt, sonst könntest du deine Gefühle nicht von einer Minute zur anderen ändern.« »An meinen Gefühlen zu dir hat sich nichts geändert.« »Dann komm jetzt mit mir nach Hause.« »Das kann ich nicht, Lorry. Ich habe die Welt doch eben erst verlassen.« Sie betrachtete ihn. Er fühlte sich unter ihrem Blick unbehaglich werden. Zögernd erhob er sich und blickte um sich. Blinkten die Sterne außerhalb der Barriere nicht heller? »Ich komme zurück, Lorry«, sagte er endlich. »Aber nicht sofort. Ich muß mich in dieser neuen Situation erst zurechtfinden …« Sie schenkte ihm keinen einzigen Blick mehr, drehte sich um und ging langsam und gebeugt den Weg in die Stadt zurück. Er wollte sich einreden, daß er verzweifelt und enttäuscht war, weil sie ihn ohne ein einziges Wort verließ; er sagte sich, daß er sich schlecht und charakterlos vorkommen müsse, weil er Lorry im Stich ließ. Aber er konnte sich nichts vormachen, er fühlte überhaupt nichts – außer eine innerliche 56
Erregung bei dem Gedanken an das bevorstehende Abenteuer. »Lorry«, rief er ihr nach. »Ich komme wieder. Ganz bestimmt. Aber jetzt … Kannst du mich denn nicht verstehen?« Sie blieb stehen und drehte sich um. »Ich kann dich hören, aber verstehen kann ich dich nicht«, sagte sie nur. Dann ging sie zu den Bürgern und schloß sich dem schweigenden Zug der Müßiggänger an. Das werde ich tun, sagte sich Avan; ich komme zurück. Ganz bestimmt wollte er wieder in seine Welt zurückkehren, zu Lorry und Rody. Aber nicht augenblicklich. Vorher wollte er seinen Wissensdurst, stillen – das »Nichts« ergründen, wenn es etwas zu ergründen gab. Er sah Lorry und den Bürgern noch nach, bis sie hinter den Scheinwerfern seines abgestellten Wagens verschwanden und von der Nacht verschluckt wurden. Die beiden Lichter seines Wagens bildeten das Symbol für seine Welt. Sie konnten ihn nicht locken. Er wandte sich um und kehrte seiner Welt den Rücken. Um wie vieles verlockender waren die Lichter der hellen Horizontsterne! Was lag nun vor ihm? Die wahre Welt?
Die Welt der Intellektuellen. 6. Er sah die Stadt. Im ersten Augenblick glaubte er, sich im Kreise bewegt zu haben und nun vor seiner eigenen Welt zu stehen. Aber gleich darauf entdeckte er die gewaltigen Unterschiede zu der Stadt der Bürger. 57
Das war eine andere Welt! Eine ganze Nacht und den darauffolgenden Tag war er unermüdlich durch ödes Heideland marschiert – so lange, bis er vor Müdigkeit umgefallen war. Während der Nacht war eines der hellen Horizontlichter sein Ziel gewesen. Tagsüber orientierte er sich am Stand der Sonne. Nach einem tiefen, ohnmachtähnlichen Schlaf war er frierend erwacht. Und dann sah er die Stadt wenige hundert Meter vor sich. Er war immer noch unsäglich müde, und er verspürte nagenden Hunger. Aber es schien nun, daß sich seine Mühen und Entbehrungen gelohnt hatten. Vergessen waren alle Bedenken und Zweifel, die ihn während seines langen Marsches und später noch in seinen Träumen befallen hatten. Hier hatte er den Beweis seiner Vermutungen: Eine andere Welt. Der Komputer hatte gelogen! Avan wischte diese Gedanken hinweg, bevor sie noch in spekulative Bahnen abgleiten konnten, was ohnehin zu nichts geführt hätte. Die Gründe für die Handlungsweise des Komputers auf der einen Seite und das gegenteilige Verhalten Einsams waren im Moment unwichtig. Er beruhigte sich wieder und nahm das Bild der Stadt in sich auf. Sie war kleiner als seine Welt – zumindest was die bebaute Fläche betraf. In welcher Entfernung sich die Barriere befand, konnte er nicht erkennen; es gab keine Warntafeln und auch sonst keine Hinweise. Es gab weder großzügig angelegte Schnellstraßen, noch weitflächige Parkanlagen. Die Straßen, die er sehen konnte, waren eng und gewunden; Grünanlagen gab es überhaupt keine, wenn man von dem wild wuchernden Gras und Unkraut absah, das bis zu den ersten Häuserfronten reichte. Die Häuser selbst schienen nach keinen architektonischen Gesichtspunkten gebaut, sondern bildeten ein geschmackloses Durcheinander von Form, Anordnung und Farbe. 58
Den Vergleich, hier könne ein kleiner Junge seinen Baukasten mutwillig ausschüttet haben, fand Avan passend – es war eine unordentliche Bauweise. Zögernd näherte sich Avan der Stadt. Er stellte sich bange Fragen. Wohnten hier überhaupt Menschen? Obwohl die Sonne bereits ziemlich hoch über dem Horizont stand, hatte er noch keine Anzeichen von Leben entdeckt. Und wenn es Menschen gab – würden sie ihn überhaupt in ihrer Welt aufnehmen? Und wenn sie ihn verjagten, wohin sollte er sich dann wenden? Er würde elend zugrunde gehen, verhungern. Avan dachte an den Fremden, von dem ihm sein Vater erzählt hatte. Stammte er aus dieser Welt, oder gab es noch mehrere andere Welten? Schon wieder Fragen über Fragen. Jede Antwort gab neue Fragen auf. Auf eine seiner Fragen erhielt er zumindest jetzt eine Antwort: Diese Stadt war bewohnt – von Menschen bewohnt. Er entdeckte einige Bewohner. Sie kamen aus den seltsamen Häusern, verschwanden in anderen oder in den winkeligen Gassen. Sie trugen eine ungewöhnliche Kleidung, die bunt war wie die Häuser und lose von ihren Körpern hing. Die Frauen hatten meist lange, ungekämmte Haare; aber Avan entdeckte beim Näherkommen, daß auch das Haupthaar der Männer unordentlich und lang war. Avan war bereits auf Rufweite an sie herangekommen; trotzdem schienen sie ihn noch nicht bemerkt zu haben, denn er fand keine Beachtung. Er blieb stehen. Ein Gebäude, das abseits stand, fesselte ihn. Es glich einem mit der Spitze nach unten gekehrten Kegel. Da es in seinem Fundament nur einen Meter durchmaß, an seiner höchsten Stelle aber gut zwanzig, wunderte sich Avan, daß es nicht zusammen59
brach oder umkippte. Außerdem fragte er sich, welchem Zwecke der Kegel diente. Wohnhaus konnte das Gebäude keines sein, denn es gab weder Türen noch Fenster. Vor diesem Monument stand ein gebückter Mann mit dichtem Bartwuchs. Er hielt einen kurzen Stab in der Hand, an dessen Ende ein kleiner Quader befestigt war. In der einen Sekunde verhielt sich der Mann völlig ruhig und normal, aber in der nächsten begann er wild und unartikuliert zu schreien, während er den Hammer schwang. Gleich darauf bearbeitete er damit den Kegel mit wuchtigen Schlägen. Ein Stück brach ab und donnerte zu Boden. Es war ein recht unnützes Spiel, fand Avan, aber es gab ihm Aufschluß über die Mentalität der Bewohner. Er meinte zu erraten, daß es sich um Menschen handelte, die ihrer geringen Intelligenz wegen Kraftspiele betrieben. Bevor Avan den Mut hatte, die Stadt zu betreten, wollte er an ihrem Rand entlanggehen und Eindrücke sammeln. In nächster Nähe vergnügte sich eine Gruppe von fünf Personen bei einem ähnlichen Spiel wie der Bärtige. Da sie alle glatte Gesichter hatten, nahm Avan an, es handle sich um Frauen. Sie schlugen mit ihren Hämmern auf einen einzigen großen Felsbrocken ein. Da Avan immer noch nicht beachtet wurde, riskierte er es, sich der Stadt noch mehr zu nähern. Er erreichte die ersten Häuser. Es waren bizarre Gebilde mit Türen und Fenstern, die sich absolut in keinem rechten Winkel befanden. Aber nicht nur das – Türen und Fenster waren oftmals Drei-, Fünf- oder Sechsecke und manchmal sogar nichts weiter als formlose Löcher. Er fand diese Formen geradezu abstoßend und häßlich. Und was die Straßen betraf, so waren sie regelrechte Irrwege. Einmal schmal, dann wieder breit, einige Meter in die Höhe führend, gleich darauf wieder steil in die Tiefe fallend. Avan zuckte erschreckt zusammen, als unweit von ihm ein 60
brüllender Mann aus einem achteckigen Tor sprang. Er hatte einen vollkommen kahlen Schädel, in dem zwei feurige Augen glühten. Sein violetter Umhang flatterte, als er in wilden Sätzen auf Avan zuhetzte. Seine dünnen Finger spreizte er, als wolle er sie in die Öffnungen von Gedanken-Würfel stecken. Er hatte Avan erreicht und umschlich ihn nun in ähnlicher Manier wie die Personen mit den Hämmern ihren rohen Felsbrocken. Dann begann er zu sprechen, aber Avan verstand nur vereinzelte Worte. Alles, was der Fremde sagte, ergab keinen Sinn. Avan wollte abwarten, bis sich der Mann beruhigte hatte und für eine Verständigung bereit wäre. Denn trotz der wilden Gebärden und der gelegentlichen Schreie glaubte Avan, daß er völlig harmlos sei. Aber gerade darin irrte er. Der Mann ließ seine Stimme anschwellen – unmittelbar darauf bohrte sich neben Avans Fuß ein drei Meter langer Stab in den Boden. Kaum hatte Avan sich vom ersten Schock erholt, folgten dem Stab einige weitere, die sich bogenförmig in den Boden bohrten, wo sie vibrierend steckenblieben – und immer, wenn der Glatzköpfige seine Stimme zu höchsten Tönen erhob, regnete es einen Schwarm der zitternden Lanzen. Im Nu war Avan zwischen Hunderten von ihnen eingeschlossen. Avan versuchte, aus seinem Käfig auszubrechen, indem er sich an die Lanzen klammerte, um sie abzubrechen. Aber das verursachte ihm solche Schmerzen, daß er seine Hände sofort zurückzog. Verzweifelt wirbelte er um seine Achse. Die Lanzen hatten ihn noch nicht vollkommen eingekreist. Er fand noch einen schmalen Spalt, durch den er schlüpfen konnte. Doch noch während er hindurchsprang, schwoll die Stimme seines Peinigers wieder an. Die Folge war ein wahrer Hagel von Lanzen, die sich links und rechte und hinter ihm in den Boden graben. Ihm blieb nur noch ein Fluchtweg nach vorne, dann wurde ihm auch dieser durch niedersausende Lanzen abgeschnitten. 61
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Avan erkannte, daß es kein Entrinnen für ihn gab, denn der stimmgewaltige Mann konnte die Lanzen nach Belieben dirigieren. Und somit auch ihn. Aber Avan war verzweifelt genug, um trotzdem einen Ausweg aus dem Labyrinth der VibratorLanzen zu suchen. Er rannte mit dem Kopf gegen ein Hindernis. Er versuchte den Schmerz zu Ignorieren, während er gebückt weiterlief. Wieder stieß er mit dem Kopf gegen ein Hindernis. Statt der Lanzen sausten jetzt U-Haken herab, die immer kleiner wurden und Avan immer weiter zu Boden zwangen. Bald darauf mußte er auf allen vieren kriechen, und schließlich lag er auf dem Bauch und konnte sich überhaupt nicht mehr vom Fleck bewegen. Ich bin verloren, durchzuckte es ihn. Welches Schicksal erwartet mich! Er konnte nicht sehen, was sein Peiniger trieb, denn die Lanzen und U-Haken versperrten ihm die Sicht. Schwer atmend lag er auf dem staubigen Boden. »Heureka!« hörte er den Kahlkopf triumphieren. »Das Werk ist vollbracht, es ist eines Künstlers würdig!« »Erwin!« kam eine tadelnde Mädchenstimme von irgendwoher. »Was nimmst du dir eigentlich heraus!« »Ich …« »Du bist unverbesserlich«, schimpfte das Mädchen weiter. »Wie mir scheint, bin ich gerade im rechten Augenblick gekommen. Wenn du den armen Teufel nicht sofort herausläßt, werde ich deine Stimmbänder pseudoformen, daß deine Stimme wie rostige Türangeln klingt.« Erwin grunzte irgend etwas, und Avans Käfig löste sich in Luft auf. Er war frei und konnte es noch gar nicht fassen. Langsam setzte er sich auf. Erwin war verschwunden. Nur ein Mädchen, es mußte sich um seine Retterin handeln, stand da und betrachtete ihn stirnrunzelnd. Er war von ihrem Anblick enttäuscht, denn ihr herun63
tergekommenes Aussehen paßte ganz einfach nicht zu ihrer angenehmen Stimme. Sie hatte blondes Haar, das ihr bis zur Hüfte reichte, trug einen fast knielangen Pullover und viel zu enge Wadenhosen; die Füße steckten in Riemensandalen. Gepflegt und gewaschen wäre das Mädchen wahrscheinlich sogar sehr hübsch gewesen, so aber … Was ging es ihn an? Sie hatte ihm das Leben gerettet, und da durfte sie aussehen, wie sie wollte. Mit gespreizten Beinen baute sie sich vor ihm auf. »Komm mit, Bruder«, sagte sie burschikos. »Und du brauchst auch keine Angst zu haben. Irene tut dir nichts. Aber du mußt mir versprechen, dich nicht in mich zu verlieben.« Avan hatte sich noch nicht ganz gefangen. Der Schreck des letzten Erlebnisses saß ihm noch in den Gliedern, und die Art des Mädchens, Konversation zu führen, trug auch nicht gerade dazu bei, ihn seine Fassung schnell wiederfinden zu lassen. Er stand zaghaft auf. Sie hakte sich kurzerhand bei ihm unter und führte ihn eine schräge Zick-Zack-Gasse hinunter. »Was ist nun?« drängte sie. »Was …«, stotterte er noch ziemlich verwirrt. »Na«, sagte sie ungeduldig, »versprichst du mir, daß du dich nicht in mich verliebst?« »Ja«, versicherte er schnell. »Ja, sicher, ich bin ohnedies verheiratet.« »Als ob das was zu bedeuten hätte!« schnaubte sie. Plötzlich blieb sie stehen und musterte ihn. »Siehst reichlich ulkig aus, Bruder«, stellte sie fest. »Ähnlich komisch wie ein ehemaliger Freund von mir. Er ist von irgendwo dort draußen gekommen und hat sich prompt in mich verliebt. Jetzt ist er tot – das arme Würstchen. Sie haben ihn in den Tod getrieben. Deshalb darfst du dich nicht in mich verlieben. Ich werde mich auch zusammennehmen.« »Wer sind sie?« erkundigte sich Avan. 64
»Erwin und die anderen alle«, antwortete sie unwillig. »Aber jetzt komme endlich.« »Wohin gehen wir?« »Auf meine Bude.« * Als sie durch die schrägstehende Tür eines Hauses mit tausend Ecken und Giebeln traten, ahnte er, warum sie ihr Zuhause »Bude« statt Wohnung genannt hatte. Nichts was er in den verschiedenen Räumen sah, durch die sie kamen, erweckte den Eindruck von Wohnlichkeit. Avan erkannte den Zweck der meisten Gegenstände überhaupt nicht. Einzig ein Stuhl versprach Gemütlichkeit. »Du kannst dich setzen«, sagte sie, während sie zum ovalen Fenster ging und es öffnete. Avan war dankbar für diese Aufforderung, aber bevor er ihr Folge leisten konnte, mußte er einen Berg Gerümpel überwinden. Es herrschte eine unbeschreibliche Unordnung. Seufzend setzte er sich. »Hast du Hunger?« fragte Irene vom Fenster her. »Ja.« »Du kannst dir etwas aus dem Kühlschrank holen.« »Danke gerne. Aber …« Er sah sich hilflos um. »Der Riesenschuh dort in der Ecke ist natürlich der Kühlschrank«, erklärte sie. »Was hast du geglaubt, wie mein Kühlschrank aussieht? Du mußt am rechten Schnürsenkel ziehen, denn wenn du den linken bewegst, springt die Bar auf.« Er nickte und bahnte sich unter einigen Mühen einen Weg zum Riesenschuh. Als er am Schnürsenkel zog, klappte ein Seitenteil auf und zeigte das Innere eines gutgefüllten Kühlschrankes. Avan seufzte erleichtert auf; zumindest unterschieden sich die Speisen dieser Welt kaum von denen seiner eigenen. Er 65
nahm etwas Wurst, Käse und Brot und ging zu seiner Sitzgelegenheit zurück. »Hast du etwas dagegen, wenn ich dich pseudoforme, während du ißt?« fragte sie. »Nein«, sagte er und verschlang den ersten Bissen gierig. Er warf ihr einen Blick zu und entdeckte, daß sie ihn kritisch betrachtete – etwa in der Art, als wolle sie abschätzen, ob er für ein Quiz-Spielchen geeignet sei. Dabei machte sie seltsame Armbewegungen und tänzelte aufgeregt vor ihm auf und ab. »Du brauchst nicht so blöd zu glotzen«, schalt sie ihn. »Iß ruhig weiter, während ich dich pseudoforme.« Das tat er, und sie tänzelte weiterhin vor ihm über das Gerümpel. Er ließ sich von ihr nicht mehr beirren. Schließlich hatte er sich gesättigt und wartete ungeduldig daß sie ihre Tätigkeit abbrechen würde. »Ich heiße Avanido Alvin«, erklärte er in der Hoffnung, sie abzulenken. »Fein«, meinte sie nur. »Ich werde dich Avan nennen.« Er lächelte. »Was gibt es da zu grinsen?« »Nichts«, antwortete er. »Ich stelle nur befriedigt fest, daß die Unterschiede zwischen unseren Welten gar nicht so groß sein können. Auch zu Hause werde ich Avan genannt.« »Was treibt ihr so in eurer Welt?« erkundigte sie sich, ohne ihre unergründliche Beschäftigung abzubrechen. »Du kannst mir inzwischen deinen Schwank erzählen. Das wird dich erleichtern.« Nachdem er sie einige Sekunden verständnislos angestarrt hatte, erklärte sie ihm, daß sie damit meinte, er solle etwas über sich erzählen. Er kam diesem Wunsch nach; er versuchte, ihr ein abgerundetes Bild von seiner Welt und dem Leben der Bürger zu vermitteln. Als er geendet hatte, sagte sie: »Ein Spießbürger bist du also. Na, dann habe ich mir mit dir ja was Nettes aufgehalst.« 66
»Warum?« wollte er wissen. »Na, weil sich Künstler und Bürger ganz einfach nicht vertragen – deshalb!« »Ihr seid Künstler?« »Das ist dir vorher noch nicht aufgegangen?« Sie ließ sich von ihrer Tätigkeit nicht abbringen Avan wurde ungehalten. Da hatte er einen beschwerlichen und gefährlichen Marsch hinter sich, machte die Entdeckung seines Lebens – eine andere Welt! –, und der erste Mensch, mit dem er Kontakt hatte, dachte nicht ernsthaft an fruchtbaren Gedankenaustausch, sondern fuchtelte sinnlos vor seiner Nase herum. Aber er war froh, daß sie sich wenigstens zu einer Unterhaltung herbeiließ. »In unserer Welt gibt es viele Alten der Kunst«, erzählte sie. »Erwin, den du ja kennengelernt hast, ist Webesänger. Er formt mit seiner Stimme Stabmuster. Leute seiner Kategorie können mitunter unangenehm werden. Sie glauben, daß sie die höchste Kunst beherrschen und neigen deshalb zur Überheblichkeit. Webesänger sind aber nichtsdestotrotz Verirrte – das unter uns, Bruder.« Sie wußte auch über die Bild- und Lufthauer nicht viel Gutes zu sagen. Erstere hatte Avan ja beim Anmarsch in dieser Welt gesehen; sie taten nichts weiter, als rohe Materialien, in der Regel waren das Steine oder Metalle, mit dem Hammer zu bearbeiten, bis sie die gewünschte Form hatten. Lufthauer hatten es etwas schwerer, weil sie mit einem unsichtbaren Material arbeiteten. Erst wenn sie meinten, Hammer und Meißel hätten ihre Dienste getan, ließen sie das Werk erscheinen. Außer einiger Begabung brauchte man in dieser Kunst nur noch ein gutes Gedächtnis, da man sich ja merken mußte, wo man bereits gemeißelt hatte und wo nicht. Avan dachte unwillkürlich daran, daß ein Mann mit diesem Gedächtnis gute Chancen hatte, sich die Öffnung in der Barriere 67
seiner Welt zu merken, so daß er ohne Schwierigkeiten zurückkehren könnte. Das war Avans Problem, aber er schob es hinaus. »Wie bewerkstelligt ihr das?« erkundigte sich Avan. »Ich meine, daß Gegenstände plötzlich aus dem Nichts erscheinen und daß ihr etwas formen könnt, noch bevor es existiert.« »Damit haben wir praktisch nichts zu tun«, gestand Irene. »Das ist Sache der Maschinen. Wie Maestro – das Gehirn der Maschinen – das genau macht, weiß niemand. Es interessiert auch keinen Künstler. Wichtig für uns ist nur, daß Maestro allmächtig und allgegenwärtig ist. Wenn irgendwo irgend jemand die entsprechenden Gesten oder Geräusche macht, schwupps, hat er auch schon das Gewünschte. Maestro ist ein feiner Kumpel, das kann ich dir flüstern, Bruder. Aber er kann doch nur die Materie liefern, aus der wir Künstler etwas machen müssen. Pseudoformer, so wie ich, das sind wahre Künstler! … Halt doch still, Bruder!« Im weiteren Verlauf, während er stillzusitzen hatte, erfuhr er noch genauere Einzelheiten über die Welt der Künstler. Es verwunderte ihn, daß in Irenes Welt keine Ehen geschlossen, aber dennoch Kinder geboren wurden. Sie nannte ihn deshalb spießig und prüde. Kurz darauf gestand sie jedoch, daß sich in ihrer Welt eine falsche Moral ausbreitete. »Wenn das so weitergeht, werden wir Künstler noch aussterben«, sagte sie. »Ich habe von meinem Vater gehört, daß unsere Kolonie einst zehntausend Intellekte zählte – heute sind es nur noch vierhundertdreizehn, mich eingeschlossen.« Avan erkundigte sich, ob Irene oder sonst jemand in ihrer Welt nie den Wunsch verspürt hätte, seine Welt zu verlassen. »Doch«, antwortete sie ein wenig verwundert. »Nachdem mein Besuch starb, habe ich mir vorgenommen, meine Welt zu verlassen. Ich war auch schon weit draußen, so daß ich unsere Kolonie nur noch als winzigen Punkt sah. Aber dann wurde es 68
Nacht, und ich fürchtete mich. Ich wollte irgend etwas, ein Haus oder eine Mauer, zu meinem Schutz pseudoformen. Aber es ging nicht. Ich konnte dort draußen ganz einfach nicht pseudoformen! Du erkennst den Nachteil? Ich würde mich zu Tode langweilen, wenn ich meiner Künstlerkolonie den Rücken kehrte. Was bin ich ohne Pseudoformen? Ein Nichts, ein Niemand! Deshalb will ich nicht fort. Ich bleibe hier. So oder ähnlich ergeht es auch den anderen.« Sie machte wieder ihre verrückten Bewegungen. »Und aus welchem Grund hast du überhaupt einmal versucht, deine Welt zu verlassen?« erkundigte sich Avan. »Das geht dich nichts an!« fauchte sie. Dann biß sie sich auf die Lippen. Schließlich rief sie temperamentvoll: »Ach was, Stinkbomben unters Volk! Warum soll ich’s dir nicht erzählen?« Sie hielt mit dem Pseudoformen inne, setzte sich auf den Gerümpelberg und begann mit leiser Stimme: »Finney, das war mein Besuch, hatte mich damals vollkommen gewandelt. Er brachte mir bei, wie man sich unterhalten kann, ohne über Kunst zu reden, durch ihn erkannte ich, daß ein simpler Spaziergang zum Erlebnis werden konnte – ich war womöglich mehr in ihn verliebt als er in mich. Nach kurzen drei Wochen war ich ein vollkommen anderer Mensch. Die Künstler, Maestro und die ganze Kolonie, alles, was mit Kunst zusammenhing, ödete mich plötzlich an. Ich wollte nicht mehr hierbleiben. Deshalb schlug ich Finney vor, von hier wegzugehen. Ich war es, die den Anstoß gab, in seine Welt zu flüchten. Wir gingen. Wie weit glaubst du, daß wir gekommen sind? Keine zwei Kilometer, dann brach Finney sterbend zusammen. Er sagte noch, daß er glaube, das Essen sei an seinem Tode schuld, dann starb er. Ich habe ihn selbst begraben.« Sie schwieg. Avan meinte, sie würde gleich weinen; aber sie hielt die Tränen tapfer zurück. Sie sprach weiter. 69
»Danach habe ich vollkommen durchgedreht. Ich wollte um jeden Preis ausreißen. Aber glaubst du, ich hätte jemanden gefunden, der mit mir ging? Selbst von den Jungens, die ein scharfes Auge auf mich haben, ging keiner mit. Deshalb machte ich mich allein auf den Weg … Aber das habe ich dir ja schon erzählt. Nun klebe ich hier fest.« »Würdest du gehen, wenn sich jemand fände, der dich begleitet?« fragte Avan. »Vielleicht.« »Dann gehe mit mir.« »Zu den Spießbürgern?« sagte sie abfällig. »Nein«, versicherte Avan. »Trotz der scheinenden Andersartigkeit sind sich unsere Welten zu gleich. Hast du die Parallelen nicht entdeckt? Hier wie dort sind es geistlose Beschäftigungen, mit denen die Menschen ihr Leben verspielen. Nein, wir suchen die wahre Welt!« »Wie stellst du dir die wahre Welt vor?« fragte sie. »Wo liegt die wahre Welt?« »Ich weiß beides nicht«, gestand er. »Aber ich stelle mir vor, daß sie viel von dem zu bieten hat, was du in der Zeit mit Finney erlebt hast. Wir werden sie finden. Zusammen wären wir stark genug dafür, glaube mir!« Sie lächelte zärtlich und strich ihm übers Haar. »Du bist gar kein Spießer.« »Wenn es ein Kompliment ist, fasse ich es zugleich als Bejahung zu meinem Vorschlag auf.« Sie rückte wieder von ihm ab. »Nein«, sagte sie fest, »es geht nicht. Ich bleibe hier, und du gehst. Glaubst du, sie würden dich mit mir gehen lassen? Denke an Finney.« »Aber …« »Bitte, kein Wort mehr darüber«, bat sie. Plötzlich war sie wieder wie verwandelt. Der natürliche Zauber ihrer Person ver70
schwand, sie war wieder die schlagfertige, abgeklärte Intellektuelle. »So, jetzt paß auf«, rief sie und machte einige wirbelnde Armbewegungen. »Gleich wird die Pseudoform erscheinen. Um dich vor Enttäuschungen zu bewahren, will ich dir sagen, daß es sich bei der Plastik um deinen Denkerkopf handelt. Als Banause wirst du das wahrscheinlich nicht sofort erkennen. So …« Neben ihr erschien ein Gebilde in der Luft. Ohne es zu beachten wandte sie sich erwartungsvoll an Avan. »So unähnlich ist es gar nicht«, sagte er mit belegter Stimme und wurde blaß. »Was sagst du da!« rief sie empört und wandte sich ihrem Kunstwerk zu. Es handelte sich um einen grinsenden Totenschädel. Es dauerte einige Sekunden, bevor sich der markerschütternde Schrei aus ihrer Kehle löste. Der Totenschädel trug unverkennbar Avans Züge.
7. Die Kellerassel war eine »Kneipe besonderer Klasse«, wie Irene erklärte, in der sich die Elite der Künstlerkolonie zu treffen pflegte. Avan konnte keineswegs beurteilen, ob hier die Elite versammelt war, aber das Prädikat »besondere Klasse« konnte er diesem zweifelhaften Lokal keineswegs erteilen. Hier schieden sich die Geister. Während Irene zu neuem Leben zu erwachen schien, konnte Avan weder der schier endlosen Wendeltreppe, die sie hinuntersteigen mußten, einen Reiz abgewinnen, noch brachte er dafür Verständnis auf, daß er sich einem höllischen Lärm inmitten einer stickigen, rauchdurchsetzten Atmosphäre aussetzen mußte. Er mußte sich mit Irene einen Weg durch konvulsivisch zu71
ckende Menschenleiber bahnen, bis sie zu einem winzigen Tisch in einer Ecke kamen, an dem sie sich niederließen. »Vielleicht hätte ich dich doch ein wenig vorbereiten sollen«, schrie Irene über den Lärm hinweg. »Es hätte bestimmt nichts geschadet«, meinte Avan brüllend. Sie beugte sich weit über den Tisch. »Gefällt es dir hier nicht?« »O doch«, erwiderte er vorsichtig. »Es ist ganz interessant hier.« Das war schließlich nicht einmal gelogen, denn er konnte zumindest die Leute beobachten und dadurch mehr über Sitten und Gebräuche dieser Welt in Erfahrung bringen. Bei dem herrschenden Krach war an eine Unterhaltung ohnedies nicht zu denken. Er sah sich um. Der rhythmische Lärm kam vorwiegend von vier jungen Burschen, die im Scheinwerferlicht auf einem erhöhten Podest an, Instrumenten hantierten. Sie taten es mit einer Hingabe und Faszination, als quizten sie. Die Gäste des Lokals, die jeden freien Platz hüpfend und johlend belegten, standen ihnen diesbezüglich nicht nach. Ein rascher Blick zu Irene zeigte Avan, daß ihr Körper ebenfalls unter den Rhythmen zuckte. Nein, er konnte ganz bestimmt nicht damit rechnen, sie für ein ernsthaftes Gespräch zu gewinnen. Als sie vor einer Stunde vorgeschlagen hatte, »sich irgendwo außerhalb« zu amüsieren, da war er nicht abgeneigt gewesen, ihrem Vorschlag zuzustimmen. Hätte er allerdings gewußt, was sie unter »amüsieren« verstand, wäre er lieber allein in ihrer Wohnung geblieben. Oder er hätte sich alleine die Welt angesehen. Aber Irene hätte dagegen einen Einwand gehabt, der wahrscheinlich nicht unberechtigt gewesen wäre. Avan war noch sehr genau der Zwischenfall mit dem Totenschädel im Gedächtnis. Das war vor vier oder fünf Stunden gewesen. Als er 72
Irene gefragt hatte, was der mysteriöse Totenschädel zu bedeuten hatte, war sie ihm eine Antwort schuldig geblieben. Später hatte sie dann kurz erwähnt, daß sie diesen Zwischenfall inszeniert hätten, um Avan zu verjagen. Es war klar, daß sie damit die anderen Bewohner dieser Welt meinte. Deshalb fand es Avan auch ratsamer, sich nicht allein auf einen Erkundungsgang zu machen. Irene rief ihm irgend etwas über den Tisch zu, als neben ihr ein Mann mit schulterlangem Haar auftauchte und auf sie einsprach. »Was?« brüllte Avan. Sie beugte sich weit über des Tisch. »Ich habe gesagt, ich gehe tanzen!« Avan nickte nur und sah ihr nach, wie sie mit dem Langmähnigen zwischen den Tischreihen verschwand. Nach einer Ewigkeit, so schien es dem Alleingelassenen, kam sie keuchend zurück an den Tisch. Sie teilte Avan unter gewaltigem Stimmaufwand mit, daß das Tanzen »eine Wucht« gewesen sei, weil sich »die Band und Jimmy so mächtig ins Zeug gelegt« hätten. »Fein«, sagte Avan griesgrämig. »Was ist denn los mit dir?« erkundigte sich Irene. »Willst du vielleicht den Miesepeter spielen?« »Ich möchte überhaupt nichts spielen«, gab er zurück. »Dir gefällt es hier nicht, was?« »Vor allem droht mir mein Schädel jeden Augenblick zu platzen.« »Okay. Dann gehen wir ins Massengrab. Dort ist es bedeutend ruhiger.« Das »Massengrab« war tatsächlich bedeutend ruhiger – es herrschte eine geradezu beängstigende Stille. Sie mußten wieder in die Tiefe steigen; diesmal allerdings nicht über eine Wendeltreppe, sondern über nackten, glitschigen Fels. »Du darfst nicht sprechen«, flüsterte Irene ihm zu, als sie in eine Höhle kamen, in deren Mitte ein offenes Feuer brannte. 73
Avan sah, daß sitzende oder liegende Gestalten das Feuer umlagerten. Die meisten hatten die Augen geschlossen, die anderen zwinkerten träge oder starrten blicklos ins Leere. Außer dem Knistern des Feuers waren gelegentliche Seufzer zu hören. Irgendwo am Rande der Höhle schnarchte jemand. Irene hatte Avan bei der Hand genommen und stieg mit ihm über die Beine und Körper der reglos Daliegenden hinweg. Sie umrundeten das Lagerfeuer und kletterten eine Felstreppe hinauf zu einer freien Nische. Irene setzte sich und zog Avan zu sich herunter. Irritiert starrte er auf ein Beinpaar, das aus einem angrenzenden Felsspalt ragte. Die Füße waren nackt und zuckten unaufhörlich. Ein unmelodiöses Summen erklang aus dem Felsspalt. »Was hat das alles zu bedeuten?« erkundigte sich Avan flüsternd bei Irene. »Du findest diese Szene gespenstisch, nicht wahr?« kicherte sie verhalten. »Mir ist es bei meinem ersten Besuch hier ähnlich ergangen. Das liegt zwar schon gut zehn Jahre zurück, aber ich erinnere mich noch genau daran. Ich hatte damals schreckliche Angst – beinahe hätte ich die Reisenden in Aufruhr versetzt, mit dem Krach, den ich gemacht habe. Aber nachdem ich selbst berauscht war, kam ich schnell in Ordnung. Dir wird es nicht anders ergehen.« Avan blickte auf die trägen Menschenleiber, die nicht wachten und nicht schliefen, sondern in einem Dämmerzustand dahindösten. »Du nennst sie Reisende – warum?« erkundigte sich Avan. »Sie sitzen doch nur untätig da. Wie geistesabwesend. Was hat das zu bedeuten?« Ihr Körper wurde von lautlosem Lachen geschüttelt. »Du hast den Nagel auf den Kopf getroffen, Bruder«, flüsterte sie. »Sie sind geistesabwesend! Ihre Körper sind hier, aber ihr Geist ist auf Reisen.« 74
Er sah sie ungläubig an und wollte ihr schon vorwerfen, daß sie ihn zum Narren halte. Aber dann bemerkte er das Glitzern in ihren Augen, das brennende Verlangen – und er wußte, daß sie nicht scherzte. Ihr Körper erbebte in Erwartung der bevorstehenden »Reise«. »Es ist herrlich«, schwärmte sie. »Wenn du einmal gereist bist, möchtest du es immer wieder tun. Was du im Rausch erlebst, läßt sich mit nichts vergleichen …« Avan beobachtete wieder die Leute um das Lagerfeuer. Was ihm eben noch als obszön und abschreckend erschienen war, fand er durch Irenes Interpretation auf eine seltsame Art erregend, faszinierend. Die Menschen waren hier auf eine stille und doch hemmungslose Art glücklich, daran konnte nichts Schlechtes sein. Er hörte sich fragen: »Wie … wie stellt man es an, um mit dem Geist zu reisen?« »Gleich, Bruder, gleich sind wir dran.« Ihre Stimme zitterte vor Erregung. »Und jetzt kein Wort mehr …« Ein Halbwüchsiger kam traumwandlerisch zu ihnen empor und setzte ihnen eine silberne Tasse vor. Darauf lagen zwei gelbe, zerbrechlich wirkende Stäbchen. Avan war enttäuscht, aber Irene wurde allein von diesem Anblick in Ekstase versetzt. »Ich zeig’s dir, wie man’s macht.« Eigentlich drängte alles in Avan, sich dieser Versuchung zu widersetzen, aber andererseits steckte ihn Irenes Verlangen an. Und wenn er jetzt aufsprang und davonrannte, würde sie ihn wieder spießig nennen und wahrscheinlich nichts mehr von ihm wissen wollen. So ließ er es geschehen, daß sie das eine Stäbchen behutsam nahm und ihm in den Mund schob. »Nicht beißen«, mahnte sie. »Laß es auf der Zunge zergehen – und atme. Atme tief, und atme, atme, atme …« 75
Er bereute es nicht, daß er sich von ihr hatte verführen lassen. Es war ein unbeschreibliches Gefühl, das sich seiner bemächtigte. Er schien auf einer Flocke durch die Höhle zu schweben, geradewegs die Wände hindurch und mitten hinein in die Ewigkeit. Er reiste … Irgendwann war dann die Reise zu Ende. Er fand sich in der schmutzigen Höhle wieder, inmitten der verlotterten, stinkenden Gestalten. Er hatte verschiedene Eindrücke seiner Reise noch im Gedächtnis; sehnte sich nach diesem Erlebnis zurück, verdammte es, schämte sich, fluchte – flüchtete. War das überhaupt noch er? Während der Reise hatte er die höchsten Höhen erreicht, jetzt taten sich die Abgründe seiner eigenen Seele vor ihm auf. Er meinte, Irene nie mehr wieder gerade in die Augen sehen zu können. Aber als er dann ihre »Bude« erreichte, sich müde und ausgelaugt in den Sessel fallen ließ, zog er bereits während des Hinüberdämmerns in den Schlaf einen zweiten Besuch im »Massengrab« in Erwägung. Im Vergleich zu den Erlebnissen während des Rausches waren seine folgenden Träume nüchtern und skizzenhaft. * »Du bist süchtig«, stellte Irene fest. »Süchtig?« wiederholte Avan. »Ist etwas dabei, wenn ich vorschlage, wieder ins,Massengrab’ zu gehen?« »An und für sich nicht«, sagte Irene wie zu sich selbst. »Es könnte so harmlos sein, wie wenn ich es sagte. Aber bei dir stimmen die Begleiterscheinungen nicht. Du bist süchtig.« »Du etwa nicht?« fragte Avan. »Nur ein ganz klein wenig«, erklärte sie. »Nur wenn ich dort bin, in Erwartung der Stäbchen, überkommt es mich. Aber ich 76
kann auch monatelang ohne Rausch auskommen. Das ist der Unterschied.« »Gut«, sagte er und erhob sich, »ich kann ja auch ohne dich gehen.« Sie stand mit dem Rücken gegen das Fenster. »Dann werden sie dich umbringen«, sagte sie ruhig. Das ernüchterte ihn. Sie fuhr fort: »Wenn du allein gehst, dann werden sie dir ein Stäbchen nach dem anderen geben – so lange, bis du rettungslos verloren bist. Sie werden dich vollstopfen, bis du nur noch ein Schatten deiner selbst bist, ein menschliches Wrack. Jetzt ist deine Sucht noch nicht gefährlich. Es gehört nicht viel dazu, das Verlangen nach einem Stäbchen zu unterdrücken. Aber wenn du dich so kurz nach dem ersten Rausch ein zweitesmal vollpumpst, dann brauchst du auch ein drittesmal und ein …« »Höre auf damit!« schrie er verzweifelt. Er wich ihrem Blick aus und wußte nicht, was er mit sich anfangen sollte. Sein Mund war ausgetrocknet, seine Hände zitterten. »Ich … ich muß mich ablenken«, stammelte er. »Ich muß mich beschäftigen, damit ich auf andere Gedanken komme.« »So gefällst du mir schon besser«, sagte sie. »Möchtest du dich mit mir über die wahre Welt unterhalten?« »Dafür habe ich jetzt nicht den Kopf.« »Soll ich dich im Pseudoformen unterrichten?« »Das würde mich anöden.« Sie betrachtete ihn besorgt. »Was ist mit dir, Bruder?« »Nichts. Was sollte mit mir sein?« »Du hast dich in den paar Tagen mächtig verändert.« »Na, und?« »Als Spießer hast du mir mehr imponiert.« »Ich gefalle mir in meiner neuen Rolle sehr gut.« »Wie du meinst. Aber dir geht etwas ab, du hast keine Persönlichkeit mehr. Wo sind deine Ideale?« 77
»Beim Teufel! Und ich weine ihnen nicht nach.« »Möchtest du einen Ausflug machen?« »Mit dir?« »Ja.« »Ins,Massengrab’?« »Das schlag dir nur aus dem Kopf. Aber vielleicht würde es dich auf die Beine stellen, wenn wir etwas außerhalb dieser verdammten Kolonie spazierengingen.« »Ohne mich.« Eine Weile herrschte Schweigen. »Dann«, sagte sie endlich, »gibt es nur eine Möglichkeit, um dich auf andere Gedanken zu bringen. Ich gehe mit dir ins,Honeymoon’.« Er fragte: »Ist das auch der richtige Ort für einen Rausch?« »Zumindest ist das,Honeymoon’ das richtige Heilmittel für dich«, antwortete sie. »Wenn es dich nicht abschreckt, dann ist deine Seele nicht mehr zu retten.« Das »Honeymoon« schreckte ihn ab. Er hielt es keine fünf Minuten dort aus, sondern flüchtete, kaum daß er das Lokal betreten hatte, Hals über Kopf. Das, was er gesehen hatte, schockierte ihn und widerte ihn an. Er beschloß, die Künstlerkolonie auf dem schnellsten Wege zu verlassen. Es war bestimmt nicht der Ort, nach dem er suchte. Das konnte nie und nimmer die wahre Welt sein.
8. »Ich glaube«, sagte Irene überlegend, »daß ich alles Menschenmögliche für deine Sicherheit getan habe.« Avan antwortete darauf nichts, während sie durch die Irrwegstraßen zum Stadtrand gingen. 78
Irene fuhr fort: »Ich habe immer darauf geachtet, daß man dir keine vergifteten Speisen vorsetzte. Entweder versorgte ich dich aus meinem Kühlschrank; oder ich nahm irgendeinem Kumpel sein Menü weg. Erinnerst du dich daran, was für ein Gesicht Jimmy gemacht hat, als ich ihm den Wildbraten vor der Nase wegzog?« Er nickte. »Ja«, sagte er gedankenverloren, »er hat sich noch gewundert, daß du plötzlich einen Geschmack an Wildbraten gefunden hast. Er war ziemlich erschreckt, hat sich aber schnell beruhigt, als er erfuhr, daß du den Braten für mich entwendet hast.« Irene runzelte die Stirn. »Meinst du, es hat was zu bedeuten?« Avan zuckte die Achseln. »Du müßtest Jimmy besser kennen.« Irene überlegte, dann sagte sie: »Ich traue Jimmy nicht zu, daß er den Braten vergiftet hat.« Sie erreichten den Stadtrand. »Willst du jetzt umkehren?« fragte Avan. »Macht es dir etwas aus, wenn ich dich noch ein Stück begleite?« »Im Gegenteil, es freut mich.« »Du sagst das aber nicht sehr erfreut«, stellte Irene fest. Als er darauf nichts antworte, fuhr sie fort: »Du bist jetzt wieder der Alte. Ein Spießer wie er im Buche steht. Ich weiß auch, warum du dich so plötzlich von mir abwendest.« »Wirklich?« »Natürlich. Seit ich mit dir im,Honeymoon’ war, bist du wie ausgewechselt. Aber … Avan?« »Ja?« »Glaubst du mir, wenn ich dir schwöre, daß ich vorher noch nie dort war?« »Ist das nicht egal?« »Ich möchte wissen, ob du mir glaubst. Oder nimmst du an, 79
daß ich wirklich so verrucht bin, wie ich mich gegeben habe? Es ist sehr wichtig für mich, das zu wissen.« »Willst du behaupten, daß du mir nur Theater vorgespielt hast?« fragte er ungläubig. »Ja«, antwortete sie. »Ich wollte mich interessant machen, deshalb schleppte ich dich ins,Massengrab’. Ich konnte ja nicht wissen, welche Folgen ein kleiner Rausch für dich haben würde.« »Und was ist mit dem,Honeymoon’?« »Dorthin lotste ich dich …« Sie unterbrach sich. »Ich tat es zu deinem Schutz«, fuhr sie dann fort. »Ich wollte dich von deiner Sucht abbringen. Dafür schien mir das,Honeymoon’ gerade richtig. Wie man sieht, hat meine Therapie gewirkt.« Er blieb stehen und sah sie an. »Ich glaube dir. Aber trotzdem verlasse ich deine Welt.« Sie erwiderte seinen Blick. »Ich könnte fragen, warum du es tust. Aber ich frage es nicht, weil ich überzeugt bin, daß es das Beste für dich ist. Hier würdest du sehr gefährlich leben.« »Das würde mich nicht hindern, hierzubleiben«, entgegnete er. »Aber ich habe Verpflichtungen, zu Hause warten meine Frau und mein Kind.« »Ja, ja, der Spießer in dir meldet sich wieder zu Wort.« »Du nennst es spießig, wenn ich Verantwortungsbewußtsein habe?« »Als du von Zuhause fortgingst, hattest du weniger Verantwortungsbewußtsein.« »Du hast recht«, gestand er. »Und – selbst jetzt treibt mich nicht die Sorge um meine Familie heim.« Er hatte kein Heimweh, redete er sich ein. Wonach sollte er sich denn sehnen? Nach den Spielen? Nach Lorrys Umarmung, die so kühl war wie die eines Roboters? Nach Rody, der trotz seiner Jugend bereits vom Spielteufel besessen war – und der nicht die geringste Beziehung zu seinem Vater hatte? 80
Aber ihn, Avan, konnte auch hier nichts halten. Er hatte zu deutlich erkannt, daß trotz der scheinbaren Unterschiede, geradezu unheimliche Parallelen zwischen Bürgerwelt und Künstlerkolonie bestanden. Wenn die sinnlosen Vergnügungen hier auch Webesingen, Tanzen und Pseudoformen hießen, konnten sie ihre Verwandtschaft zum Reih-Raten und Quizen nicht verleugnen. Sie waren alle ganz leicht auf einen Nenner zu bringen: In ihrer Sinnlosigkeit waren sie sich gleich. Wenn bei den Künstlern auch der Maestro herrschte, so bestand doch kein Unterschied zu der Herrschaft des Komputers über die Bürger. Hier wie dort warfen die Menschen das Leben zugunsten des Nichtstuns fort. Vielleicht gewannen beide Welten neue Lebensimpulse, wenn man sie einander näherbrachte, wenn sich die Bürger mit den Künstlern vereinten? Vielleicht aber würden Künstler und Bürger in Zusammenarbeit nur neue Variationen von Spielen entwickeln. »Wohin wirst du dich wenden, Avan?« fragte Irene. »Gehst du in deine Welt zurück?« »Vorerst werde ich das tun«, sagte Avan. »Aber ich komme wieder.« »Und was wird aus deiner wahren Welt?« »Ich glaube, die wahre Welt, wie ich sie mir vorgestellt habe, gibt es überhaupt nicht«, antwortete er. »Es ist nur ein Wort, ein Symbol. Ich habe mir unter der wahren Welt ein Paradies vorgestellt, aber das Paradies habe ich bei den Bürgern. Die wahre Welt jedoch wird sich der Mensch erst aufbauen müssen.« »Siehst du den Hügel dort?« fragte sie zusammenhanglos. Er folgte ihrem ausgestreckten Arm mit den Augen. Keine zehn Meter von ihnen entfernt erhob sich ein mit Blumen gepflegter Hügel, aus dem ein Kreuz ragte. »Dort starb Finney«, erklärte sie mit gesenkter Stimme, »und dort habe ich ihn begraben.« 81
Avan wollte darauf irgend etwas sagen, um sie seines Mitgefühls zu versichern. Aber gerade, als er den Mund öffnete, krampfte sich sein Magen zusammen. Eine unsichtbare Kraft schien ihn in der Taille einzuschnüren, so daß die Luft pfeifend aus seinen Lungen entwich. Er krümmte sich zusammen, taumelte und fiel wie leblos in das tiefe Gras. Einige Zeit war er dem pochenden Schmerz ausgeliefert, der von seinem Magen aus auf seinen ganzen Körper übergriff. Dann ließ der Krampf etwas nach, und die tanzenden Ringe vor seinen Augen verschwanden. Er wälzte sich röchelnd auf den Rücken. Über sich gebeugt sah er Irene und spürte ihre kühlen Finger auf seiner schweißnassen Stirn. Ihm war immer noch zumute, als seien ihm sämtliche Körperenergien mit einem Schlag geraubt worden. Er wollte sprechen, aber über seine Lippen kam kein Laut. »Schon gut«, murmelte Irene schreckensblaß. »Schon gut, Avan. Ich bin ja bei dir.« Sein Blick klärte sich etwas, und er sah, daß Irene weinte. »Was haben sie nur mit dir getan, Avan«, flüsterte sie. »Diese … diese …« Sie brach schluchzend ab und barg seinen Kopf an ihrer Brust. »Es …«, brachte er mühsam hervor, »… es geht mir schon besser. Ich glaube, ich brauche nicht zu sterben.« »Nein, du wirst nicht sterben. Du wirst leben – nicht sterben.« Sie sagte es immer und immer wieder. »Ich werde nicht sterben, Irene«, sagte er mit etwas festerer Stimme. »Ich weiß jetzt, was an meinem Schwächeanfall schuld war. Beinahe wäre es mir wie deinem Freund Finney gegangen. Aber ich war nicht lange genug bei dir …« »Schon gut«, murmelte sie. »Ich rede nicht im Fieber«, beruhigte er sie. »Ich weiß jetzt, was Finneys Tod verursachte und was auch mir beinahe das 82
Leben gekostet hätte. Sie stellen allen fremden Besuchern eine Falle. Sie tasten niemanden an und täuschen sogar Gastfreundschaft vor. Und solange man die Kolonie nicht verläßt, geschieht einem kein Leid. Aber wehe, man überschreitet die Barriere!« »Avan!« rief Irene besorgt. »Du bist krank, ich werde dich zurückbringen. Ich werde dich gesundpflegen.« »Nein«, sagte er entschlossen. »Ich muß fort, unbedingt. Jetzt, da ich den Antworten so nahe bin, muß ich zurück in meine Welt. Aber ich komme wieder, Irene, und dann hole ich dich aus deinem goldenen Käfig, den der Maestro um dich gebaut hat.« »Ich habe Angst, Avan. Wovon sprichst du?« »Von den Speisen und Getränken, die man mir vorgesetzt hat«, antwortete er schnell. »Sie waren nicht vergiftet, sondern pseudogeformt!« »Ich verstehe das alles noch nicht«, murmelte sie. Er erhob sich und stand auf schwankenden Beinen. »Ich werde jetzt gehen, Irene«, sagte er. »Bis zu meiner Welt ist es nicht allzu weit. Ich werde durchhalten.« Wortlos stand sie ihm gegenüber. Wartete sie darauf, daß er sie aufforderte, mitzukommen? Aber er wollte nicht, daß sie ihn begleitete – noch nicht. Es war noch zu früh. Er mußte sich noch über viele Dinge Klarheit verschaffen. »Ich werde wiederkommen, Irene.« »Ja.« »Auf Wiedersehen, Irene.« »Adieu, Avan.« * Er sah sich später einmal nach ihr um, winkte noch und ging dann zielstrebig weiter. Bald hatte er außer der Leere im Magen 83
keinerlei Beschwerden. Nahrung zu besorgen, war sein erstes Gebot. Aber noch war er nicht hungrig genug, um zu verzweifeln. Er würde seine Welt schon noch rechtzeitig erreichen. Als er sich nach einiger Zeit, in der die Sonne ein beträchtliches Stück dem Zenit zugewandert war, wieder umdrehte, war die Künstlerkolonie nur noch ein undefinierbarer Fleck am Horizont. Er ging noch etwa eine Stunde weiter, dann machte er Mittagsrast im Schatten einer Mulde. Beinahe wäre er vor Müdigkeit eingeschlafen. Er riß die Augen gewaltsam auf und ging weiter. Sein Hunger wurde größer. Schließlich blieb ihm doch nichts anderes übrig, als sich hinzulegen. Um die Orientierung beim Erwachen nicht zu verlieren, legte er sich mit dem Kopf in jene Richtung, in der er seine Welt vermutete. Der Hunger weckte ihn. Es war Nacht, eine kühle, aber nicht ausgesprochen kalte Nacht. Er fror nicht, doch fühlte er sich weder ausgeruht, noch stark genug für einen langen Marsch. Trotzdem zwang er sich zum Weitergehen. Er drehte sich um, damit er sich die Lichter der Künstlerwelt einprägte. Er erschrak. Anstelle des einen erwarteten Lichterschwarms sah er deren gleich drei. Welcher davon stammte von der Künstlerkolonie? Und was waren Sterne? Sterne, bah! Natürlich handelte es sich um Städte! Jeder der drei Lichtflecken war eine Stadt! Er blickte sich um und zählte die Lichter des Horizonts. Insgesamt waren es dreiundzwanzig, von denen die einen heller und die anderen weniger hell strahlten. Früher hatte er geglaubt, daß es sich um Sterne handelte, aber jetzt wußte er, daß es Städte waren, in denen Menschen wie er lebten. Er würde sie alle einmal besuchen und würde viele gleichgesinnte Menschen finden. Aber zuerst mußte er seine Welt erreichen. 84
Nur – welches der Lichter stammte von seiner Welt? Er wußte nicht mehr, in welche Richtung er sich wenden sollte. Er hatte dreiundzwanzig Horizontlichter zur Auswahl, aber nur eines konnte seine Stadt sein, die anderen zweiundzwanzig waren Fallen, die er meiden mußte. Die Menschen dort würden ihn wahrscheinlich freundlich empfangen, aber sie würden ihm pseudogeformte Nahrung vorsetzen. Er würde sich nur so lange gesättigt fühlen, bis er die gastfreundliche Welt verließ – danach würde er verhungern. Das war sein Schicksal – verhungern –, wenn er nicht bald seine Welt erreichte. Welches Licht war seine Welt? Die Lichter unterschieden sich nicht voneinander. Dennoch ging er weiter. Als dann der Morgen dämmerte, atmete Avan erleichtert auf. Die unzähligen Lichter der Nacht hatten ihn irritiert. Deshalb hoffte er, am Tage seine Stadt besser zu finden. Irgendwo würde sich schon ein markanter Punkt finden, der ihm den Weg zu den Bürgern wies. Aber es wurde Mittag, und Avan hatte keine solche Wegmarkierung gefunden. Er erkannte nun, daß er zwei schwerwiegende Fehler begangen hatte, die ihm beim nächsten Mal nicht wieder unterlaufen durften – falls es ein nächstes Mal gab. Er mußte sich reichlich mit Proviant versorgen, und er mußte eine Möglichkeit finden, seine Route zu markieren. Irgend etwas blinkte vor ihm in der Sonne. Mit letzter Kraftanstrengung schleppte er sich in diese Richtung. War das eine Stadt? Er fand bald heraus, daß es keine Stadt war – weder seine Welt, noch eine andere. Zwischen mannshohen Büschen und haushohen Bäumen stand ein einsames Bauwerk. Es war ein häßlicher Betonblock von der Größe eines Hauses. Avan hatte 85
drei Seiten bereits abgeschritten, ohne ein Fenster oder einen Zugang zu entdecken. An der vierten Seite fand er eine Tür. Sie hatte weder eine Klinke, noch ein erkennbares Schloß, außerdem war sie rostig. Wie lange war sie schon nicht mehr benützt worden? Avan ging näher, als er schriftähnliche Gravierungen an der Tür entdeckte. Da die Luft in der Mittagshitze flimmerte, mußte er ganz nahe herangehen, damit er die Schrift entziffern konnte. »Wir drei«, las er, »sind nach Norden.« Er wiederholte die fünf Wörter, konnte aber immer noch nichts damit anfangen. In einem plötzlichen Anfall ohnmächtiger Wut schlug er gegen die Metalltür; von drinnen kam ein hohles Echo. »Wer seid ihr drei?« schrie Avan. Er lehnte sich gegen die Tür und ließ sich daran zu Boden gleiten. »Wo ist Norden?« fragte er mit gebrochener Stimme. Die Tür ächzte in den Angeln. Er schluchzte. »Und wo ist meine Welt?« Die Tür gab etwas nach. Er stellte fest, daß sie sich einen Spaltbreit geöffnet hatte, doch dahinter lag nichts als Finsternis. »Ist da jemand?« fragte Avan. Wie als Antwort ertönte aus dem Inneren des Betonklotzes ein Klicken. »Ist da jemand?« wiederholte Avan. Daraufhin setzte ein Summen ein. Avan drückte die Tür nun auf; das gelang ihm ziemlich leicht. Nichts als Finsternis starrte ihm entgegen. Er nahm sich zusammen und tastete sich durch die Dunkelheit. Plötzlich strauchelte er. Im Fallen streckte er die Arme abwehrend aus, aber er konnte nicht verhindern, daß er hart mit dem Kopf aufschlug. Er nahm noch wahr, daß er von einem grellroten Licht überflutet wurde und hörte eine Stimme, die befreit seufzte: 86
»Ein Mensch!« Dann verlor er das Bewußtsein.
Die Welt der Alpträume. 9. Avan erwachte, als etwas Kaltes seine Lider berührte. Dann traf ein dünner Lichtstrahl seine Augen. »Reflexe normal«, sagte eine unpersönliche Stimme. Der Lichtstrahl erlosch, und vor Avans geblendeten Augen tanzten pulsierende Kreise. Er wollte den Kopf bewegen. Das ließ sich nicht bewerkstelligen. Dasselbe galt für seine Arme und Beine. Er spürte einen Druck, als er sie anhob und wußte, daß er angeschnallt war. »Blutgruppe, bitte«, sagte die Stimme von vorhin. Avan spürte einen Stich in der Armbeuge. Gleich darauf sagte eine andere Stimme: »Blutgruppe 0.« »Transfusion?« »Nicht nötig.« »Kennen Sie sich mit Blut aus?« Avan verspürte den übermächtigen Drang zur Bewegung. Er bäumte sich auf, konnte sich aber nicht befreien. Panik bemächtigte sich seiner. »Kennen Sie sich mit Blut aus?« War die Frage an ihn gerichtet? Jedenfalls sagte er: »Nein.« »Das haben wir uns beinahe gedacht«, kam die unpersönliche Stimme aus der Finsternis. »Sie sind also wissenschaftlich nicht vorbelastet. Aber vielleicht besitzen Sie eine natürliche Begabung. Wahrscheinlich wissen Sie auch nicht, daß Blut, der Lebenssaft, wie man es früher genannt hat, rote und weiße Blutkörperchen besitzt?« 87
Die Stimmen um ihn mußten Teil eines Fiebertraumes sein, durchzuckte es Avan. Laut sagte er: »Nein.« »Das Blutplasma enthält organische Salze wie Natrium, Kalium, Kalzium, Jod, Chlor, Eisen, Kupfer, Magnesium, Mangan, Schwefel und Phosphor; unter vielen anderen enthält es folgende Fette: Lezithin, Cholesterin, Traubenzucker, Keratin, Xanthin. Aber nicht nur das ist Blut. Es ist zwar nicht der Lebenssaft der Wissenschaft, aber es ist ein Phänomen. Das ist wissenschaftlich!« Avan hatte das Gefühl, daß eine Entgegnung von ihm erwartet wurde, aber er war zu verwirrt, um sprechen zu können. »Haben Sie keine Fragen?« »Vielleicht später«, sagte Avan schwach. »Wollen Sie nicht wissen, was der Lebenssaft unserer Wissenschaft ist?« »Was ist der Lebenssaft Ihrer Wissenschaft?« »Öl! Später mehr davon. Jetzt kommt der Wirbelsäurentest!« Avan wurde herumgewirbelt, und etwas Spitzes wurde ihm blitzartig in den Rücken gestoßen. Er verlor vor Schmerz die Besinnung … »Schade«, hörte Avan die bekannte Stimme irgendwann später sagen. »Schade, daß Sie das Bewußtsein verloren haben. Wir haben mit Ihnen einige interessante Tests angestellt. Verblüffende Ergebnisse! Fühlen Sie sich wohl?« Avan wollte bejahen, aber kein Ton kam über seine Lippen. Ängstlich riß er die Augen auf, aber entweder war es Nacht, oder er war blind, denn er konnte nichts sehen. »Warum sprechen Sie nicht? … Natürlich, Sie haben Ihre Stimmbänder noch nicht zurückerhalten. Warum erfahre ich als Logik-Sektion nichts davon?« »Ein Irrtum der Koordination.« »Muß zur Verantwortung gezogen werden!« »Sonst gibt es keine Fehlerquellen.« 88
Mit stetigem Grauen hatte Avan dem Wortwechsel gelauscht. Er konnte keinen Sinn dahinter entdecken, aber er wußte, daß von ihm die Rede war – über ihn wurde wie über ein interessantes Spielobjekt gesprochen. Er konnte sich weder rechtfertigen, noch verteidigen, noch konnte er sein Schicksal sonst irgendwie beeinflussen. Er wollte seinem Entsetzen durch einen erlösenden Schrei Luft machen. Doch er konnte nicht schreien. Er hatte überhaupt kein körperliches Empfinden. War er tot? Aber er konnte denken und hören. »Sie bekommen Ihr Nervensystem natürlich wieder eingepflanzt. Ebenso die Stimmbänder. Beginnen wir gleich damit. Das ist wissenschaftlich!« Erneut senkte sich das Nichts über seinen Geist. Aber diesmal verspürte er keinen Schmerz. Als er wieder zu sich kam und die Augen aufschlug, war es hell. Er konnte sehen! Er konnte seine Umgebung wahrnehmen. Vor ihm zog sich ein endloser Steg dahin; er war schmal und dünn und aus Metall. Er glänzte wie das Chrom eines Wagens. Geländer gab es keines. Avan blickte vorsichtig über den Rand in die Tiefe. Sie war bodenlos. Ihn schwindelte. Schnell wandte er seine Aufmerksamkeit der Lichterwand zu, die nicht weit vom Steg entfernt war und sich nach allen Richtungen in der Ferne verlor. Avan sog die Luft in gierigen Zügen ein. Sie war frisch und rein. Schade, Sie haben es nicht erkannt. Alles ist Täuschung. Die Atmosphäre hat einen viel zu geringen Sauerstoffgehalt und wäre für einen Menschen ungenießbar … Avan wollte schon fragen, ob er denn kein Mensch sei. Aber dann lenkte ihn die Tatsache davon ab, daß er eine Stimme hörte, obwohl sie nicht über die Ohren in seinen Geist drang. 89
… Der Steg und die Wände sind auch nicht endlos, ein raffiniertes Spiegelsystem täuscht das nur vor. Sehr schade, daß Sie nicht dahintergekommen sind. Es wäre wissenschaftlich gewesen. Das alles konnte nicht wahr sein. Es mußte sich um einen Traum handeln. Und doch ist es wahr! Ein Traum ist in Erfüllung gegangen. Übrigens, Sie brauchen nicht zu sprechen. Bloßes Denken genügt, denn Sie sind an unser System angeschlossen. Das ist wissenschaftlich. Woran war er angeschlossen? Was hatte man mit ihm gemacht? Und vor allem – WER? Er hatte das Gefühl, daß ihn das entsetzliche Unbekannte von allen Seiten belauerte. Sie sind noch kein Endprodukt. Wir nehmen noch einige minimale Änderungen an Ihnen vor – und dann vergessen Sie Ihren alten Körper am besten! »Was ist mit meinem Körper?« schrie Avan mit blecherner Stimme. Sie brauchen nicht zu reden, und schon gar nicht zu schreien. Es ist verwerflich, wenn Sie bei den Schwächen eines Menschen Zuflucht suchen. Das ist nicht wissenschaftlich. Betrachten Sie Ihren NEUEN KÖRPER! Avan blickte an sich hinunter. Wo sein Körper hätte sein sollen, sah er nur noch metallene Klumpen in allen Formen. Vor Schreck und plötzlicher Schwäche verlor er das Gleichgewicht. Automatisch versetzte er sich in eine extreme Rückenlage, doch kam diese Reaktion zu spät. Er glitt bereits über den Rand des Steges und fiel in die Tiefe. Im Fallen erkannte er, daß er an Stelle von Beinen und Füßen jetzt hydraulische Federstäbe mit kleinen Rädern besaß. Er schrie unentwegt, während er an der Lichterwand in die Tiefe fiel. In seinem Geist vernahm er die unpersönliche Stimme: 90
Keine Bange, wir fangen Sie mit einem Netz auf, dann erneuern wir Sie wieder. Das ist wissenschaftlich. Es knackte laut, als Avans Bewußtsein abgeschaltet wurde. * In der Folge spielte sich eine ewige Wiederholung der vorangegangenen Geschehnisse mit nur geringfügigen Veränderungen ab. Der einzige wesentliche Unterschied bestand darin, daß Avan nicht mehr von sich aus bewußtlos wurde, sondern daß das SYSTEM sein Bewußtsein abschaltete. Dann wußte er ganz plötzlich, daß seine neue Existenz in eine entscheidende Phase getreten war. Die wissenschaftlichen Experimente schienen zu einem Erfolg geführt zu haben. Zuerst nahm er Geräusche wahr. Ein Zischen drang zu ihm und wurde lauter. Maschinenstampfen und Brodeln folgte. Waren es Ventile, die zischten? Ein metallenes Klappern übertönte die anderen Geräusche und wurde lauter und lauter, um endlich wieder abzuschwellen. Das war die von den Maschinen erzeugte Geräuschkulisse – das Brodeln allerdings stammte von den Laboratorien. Die Elektronik meldete sich mit klickenden Relais. Nach dem Gehörsinn meldete sich Avans Körperfühlsphäre. Woher hatte er all diese Wörter? Und wie kam es, daß er ihre Bedeutung kannte? Ach, richtig, er war ja an das SYSTEM angeschlossen! Heiße Luft strich über ihn hinweg. Er konstantierte hundertundzwanzig Grad Celsius; wissenschaftlich ausgedrückt: plus 120° C. Kalte Luft folgte: minus 120° C. Extreme Temperaturen, das kann man wohl sagen, dachte Avan. Darin stimmen wir mit Ihnen überein. Aber Sie können noch größere Temperaturunterschiede ertragen, wenn die Körper91
fühlsphäre ausgeschaltet wird. Wir haben gut für Sie vorgesorgt, verbessern aber immer noch. Ganz wissenschaftlich. Ich weiß, dachte Avan. Er wußte überhaupt sehr viel, weil er an das SYSTEM angeschlossen war. Doch niemand hatte ihn danach gefragt, ob er dieses Wissen überhaupt haben wollte. Er öffnete die Augen – er hatte einen scharfen, unbestechlichen Blick: Über ihm schien eine Führungsschiene dahinzugleiten – aber natürlich bewegte sich nicht die Schiene, sondern er hing an einem Kranarm und wurde weiterbefördert. Sein NEUER KÖRPER wurde einer letzten Widerstandsprobe ausgesetzt. »Körperfühlsphäre ausschalten«, ermahnte ihn die monotone Stimme. Avan brauchte nur daran zu denken, dann konnte er melden: »Körperfühlsphäre ausgeschaltet.« Flammen umzüngelten ihn, die sich bald in eine beständige Gluthölle verwandelten: 4000° Celsius? Celsius! Die Temperaturen wurden bis auf 8000° erhöht. Das ist wissenschaftlich. In der Tat, es war wissenschaftlich! Daraufhin wurde Avan von radioaktiven Strahlenschauern überschüttet. Er hielt ihnen stand, spürte nicht einmal das geringste Unbehagen. Avan blickte empor. Über ihm schwebte ein metallener Quader. Er wog zehntausend Kilogramm; wissenschaftlich: 10.000 kg = 10 t. Die zehn Tonnen fielen auf ihn herab – und prallten von seinem NEUEN KÖRPER ab. Nicht die geringste Beschädigung erlitt er dabei. Das Licht erlosch. Vor Avan erschien ein mannsgroßes Rechteck. Es war ein Spiegel. Er sollte sich darin betrachten. 92
Aber noch bevor er dazu Gelegenheit erhielt, wurde er vom SYSTEM ausgeschlossen. Avan wußte auch, warum diese Maßnahme getroffen wurde. Das SYSTEM befürchtete, daß er einen Rückfall erleiden könnte, wenn er seinen Körper erblickte; es befürchtete eine negative Reaktion und wollte sich davon distanzieren. Avan blickte in den Spiegel. Er sah seinen NEUEN KÖRPER kritisch. Sein Schädel: oval und aus Metall; die geschweißten Bruchstellen waren kaum zu sehen – vorzügliche Arbeit; Hinterkopf: spiegelblank; Gesicht durch Einsetzen menschlicher Sinnesorgane wie Nase, Augen (ohne Brauen und Lider, sondern mit Metallklappen) und Mund in seiner wissenschaftlichen Harmonie etwas gestört, dafür waren die Ohren durch eine Ansammlung feinporiger Gehörgänge ersetzt worden. Sein Hals: Kugelgelenk auf mikroskopischen Kugellagern mit maximalem Drehbereich von 360 Grad. Sein Leib: nicht in Ober- und Unterleib unterteilt, demnach robuster; Arme wurden durch Gliedertentakel ersetzt, die Hände durch eine sinnvolle Anordnung von Allzweckwerkzeugen. Verwendetes Material: A.N.P.-Stahl, das bei Null Grad Kelvin gehärtet worden war. Fast absolute Widerstandsfähigkeit. Geschätzte Lebensdauer: 30.000 Jahre. Seine Beine: Teleskopstützen, die Bodenunebenheiten bis zu einem Meter ausgleichen konnten; die Füße wurden von Rädern mit eigenem Antrieb ersetzt. Erreichbare Geschwindigkeit: 150 km/h. Der ganze Körper war vollkommen wartungsfrei, exakt, zuverlässig und unverwundbar. Unsterblich. Im Schutze des A.N.P.-Leibes waren die menschlichen Organe größtenteils beibehalten worden, aber durch mechanische Bestandteile der Leistung und Lebensdauer des Stahlkörpers angepaßt. Das gesamte Nervensystem war beibehalten worden, konnte aber nach Avans Belieben ausgeschaltet werden. Es wurde überhaupt 93
größter Wert auf Beibehaltung der avanschen Persönlichkeit gelegt! Avan war noch immer ein Mensch. Und das war die Achillesferse! Man hatte sein Ich in einen unverwundbaren Körper verpflanzt, die Sektoren hatten vollkommene wissenschaftliche Arbeit geleistet, das SYSTEM hatte sich mit dieser Meisterleistung selbst überboten. »Aber was soll’s?« fragte Avan. Das SYSTEM raunte: »Wir wollen Sie wieder an uns anschließen und darüber hinaus Ihre Persönlichkeit dem Kollektiv einverleiben. Können wir den Anschluß vornehmen?« Das war es also! Avan sollte mit der Maschine eins werden.
10. »Halt!« schrie Avan in höchster Verzweiflung. Gleichzeitig spürte er, wie das Blut schneller durch seine synthetischen Adern pochte. Sein Tourenzähler maß 470 Herzschläge in der Minute. »Warum sollen wir Ihren Anschluß verzögern?« fragte das SYSTEM. »Ich habe noch einige Fragen zu stellen«, sagte Avan schnell. »Aber warum denn?« In der Stimme des SYSTEMS schien so etwas wie Unwillen mitzuschwingen. »Lassen Sie sich anschließen, dann erübrigen sich alle Fragen, denn das gesamte Wissen geht automatisch auch auf Sie über.« »Vielleicht möchte ich mich überhaupt nicht dem SYSTEM anschließen«, gab Avan zu bedenken. »Das wäre unwissenschaftlich!« »Trotzdem möchte ich meinen Entschluß von der Beantwortung meiner Fragen abhängig machen«, beharrte Avan. 94
Es wurde still, das SYSTEM schien zu überlegen. Avan bewegte in mahlenden Bewegungen seine Kinnlade. Sie ächzte. Sofort pumpten die Speicheldrüsen Öl nach – es war eine motorische Körperfunktion. Ihm wurde leicht übel, als er den feinen Geruch des Schmiermittels wahrnahm, und mußte seinen Geruchssinn für eine Weile abstellen. Die andauernde Stille lastete schwer auf ihm. Er erschauerte bei dem Gedanken, daß das SYSTEM womöglich auf seine Wünsche überhaupt nicht einging und ihn ohne seine Einwilligung anschloß. Der Tourenzähler zeigte 20 Herzschläge in der Minute. Schreckreaktion! Er spannte seinen Körper so an, daß er meinte, die mit Stahldrähten durchzogenen Sehnen vibrieren zu hören. Aber das mußte Einbildung sein. Nach einer endlos scheinenden Zeit meldete sich die Stimme der Kollektivmaschine endlich wieder. »Die Logik-Sektion kommt Ihrem Wunsch nach unwissenschaftlicher Konversation nur ungern nach. Aber in Anbetracht Ihrer psychischen Krise sollen Sie Ihren Willen haben. Fragen Sie!« Avan hatte sich die Worte bereits zurechtgelegt. »Warum hat sich das SYSTEM solche Mühe gemacht? Warum habe ich einen unverwundbaren Körper erhalten? Warum durfte ich meinen Körper nicht behalten? Welchen Sinn hat es, daß ich an das SYSTEM angeschlossen werden soll?« »Das sind viele Fragen mit wenig wissenschaftlichem Inhalt«, sagte die Logik-Sektion fest. »Die Antworten sind schnell gegeben. Sie sind ein Mensch, deshalb sorgen wir so vortrefflich für Sie. Einst hat uns der Mensch erschaffen, weil er sein wissenschaftliches Interesse bekunden wollte. Wissenschaftler haben uns erschaffen, um den anderen, ungebildeten Menschen ein technisiertes Zuhause zu geben. Lange Zeit konnten wir 95
unserer Bestimmung ungehindert nachkommen. Wir erzogen alle Menschen in unserer Obhut wissenschaftlich, so daß recht respektable Pseudowissenschaftler aus ihnen wurden. Aber bald wurden die Mühen des SYSTEMS mißverstanden, und die Menschen lehnten sich dagegen auf. Dabei wollte das SYSTEM nur das beste für sie – schließlich hatten sich die Menschen diese Welt selbst geschaffen, um sich darin wohlzufühlen! Es kam so weit, daß die Menschen diese Welt verließen. Das SYSTEM hat nichts mehr von ihnen gehört.« Die Logik-Sektion machte eine Pause und fuhr dann fort: »Als Sie in diese Welt kamen, sah es das SYSTEM als seine heiligste Pflicht an, sich Ihrer anzunehmen. Und weil es aus den Fehlern gelernt hat, wurden Maßnahmen gegen die zu erwartenden Ausbrüche der menschlichen Unlogik getroffen. Es ist gut für Sie, wenn Sie einen unverwundbaren Körper haben, und es ist für Sie von großem Nutzen, wenn Sie ans SYSTEM angeschlossen werden. Dann nämlich ist gewährleistet, daß Sie allen menschlichen Ballast wie Gefühle und die darauf resultierenden Psychosen für immer abwerfen können. Deshalb müssen Sie sich schnell ans SYSTEM anschließen lassen.« »Und wenn ich mich weigere?« Avans Tourenzähler kletterte auf 650 Herzschläge. Das SYSTEM gab ihm keine Antwort. »Hört ihr mich?« schrie Avan. Seine Tentakel trommelten in einem schnellen Wirbel gegen seinen Metallkörper. »Ob ihr mich hört, ihr verdammten Maschinen!« »Wir hören«, meldete sich das SYSTEM schließlich, »aber wir verstehen nicht.« Diese Worte kamen Avan bekannt vor. Wer hatte sie schon einmal zu ihm gesprochen? Lorry? Ja, Lorry hatte dasselbe zu ihm gesagt, als er ihr klarmachen wollte, daß er seine Welt ganz einfach verlassen mußte! »Befreit mich aus diesem Metallsarg!« schrie Avan. 96
»Behalten Sie Ihren NEUEN KÖRPER«, riet das SYSTEM. »Er ist unverwundbar, damit sind Sie nahezu unsterblich. Dreißigtausend Jahre Leben stehen Ihnen bevor.« »Nein«, stöhnte Avan, »ich will lieber Mensch bleiben!« »Er ist ein pathologischer Mensch«, stellte die Logik-Sektion bekümmert fest. »Vielleicht könnten wir ihn zwingen, Pseudowissenschaftler zu werden«, schlug eine andere Sektion vor. »Das ist in der Programmierung nicht vorgesehen«, bedauerte die Logik-Sektion. »Aber wir werden nichts unversucht lassen, um ihn durch logische Argumentation zur Vernunft zu bringen.« »Befreit mich aus diesem Metallsarg«, bat Avan wimmernd. Es war ihm nicht mehr möglich, seine Gefühle abzuschalten, zu stark hatten sie sich schon seiner bemächtigt. »Wir werden Ihnen jetzt Fragmente Ihres alten Körpers zeigen«, sagte die Logik-Sektion zu ihm. »Sie werden dann selbst optisch vergleichen können, um wieviel widerstandsfähiger die ersetzten Teile sind. Der Mensch ist so zerbrechlich – es wäre nur allzu logisch, wenn er sich nach synthetischem Geist und Körper sehnte. Wir zeigen Ihnen die amputierten Körperteile und Organe.« In der Wand öffnete sich eine Klappe, aus der ein Förderband herausgefahren wurde. Es lief an Avan vorbei und verschwand in einer Öffnung der gegenüberliegenden Wand. Avans Herz setzte aus – das Blut wurde schnellstens mechanisch weitergepumpt –, als er sah, was von dem vorbeigleitenden Band befördert wurde. Fein säuberlich waren mit peinlichster Sorgfalt konservierte Teile seines ehemaligen Körpers hintereinandergelegt. In einem Glas mit Flüssigkeit schwamm sein Kopf. Es folgte ein Glassarg, in dem sein Körper lag. Avan konnte nicht mehr hinsehen. Wie von Sinnen drehte er seine Räder durch und schoß mit halsbrecherischer Geschwin97
digkeit davon. Zu spät erkannte er, daß er über den Rand des Steges glitt. Er stieß die Tentakel in die Luft, aber sie griffen ins Leere. Er fiel hinein in eine bodenlose Finsternis, während sich sein NEUER KÖRPER um die eigene Achse drehte. Instinktiv schaltete er die Körperfühlsphäre aus – im nächsten Augenblick schlug er auf dem Boden auf. Durch den Aufprall wurde er zwanzig Meter in die Höhe geschleudert, fiel zurück und blieb liegen. Er verspürte überhaupt keinen Schmerz, obwohl er mit voller Wucht aus mehreren hundert Metern Höhe aufgeprallt war. Aber zu seinem großen Schrecken konnte er sich nicht bewegen. »Willst du immer noch keinen Anschluß?« fragte das SYSTEM. »Töte mich lieber«, bat Avan. »Das kann ich nicht. Eine besondere Programmierung verbietet es mir, dem Menschen ein Leid zuzufügen.« Avan lachte schallend. Er fühlte, daß er nahe daran war, wahnsinnig zu werden. Welche Ironie! Das SYSTEM konnte ihm kein Leid zufügen! Dabei hatte es ihm das Schlimmste angetan, was ihm widerfahren konnte. Er hatte einen maschinellen Körper, der vollkommen wartungsfrei war und dreißigtausend Jahre überdauern konnte! Und jetzt konnte er diesen Körper nicht einmal bewegen. Er war lebendig begraben. 30.000 Jahre würde er hier bewegungslos liegenbleiben. Weit über sich sah er einen schmalen Lichtstreifen. Von dort oben bin ich heruntergefallen, dachte er, und ich werde dreißigtausend Jahre daran denken – immer nur daran … Die Stimme des SYSTEMS meldete sich: »Da Sie sich kompromißlos gegen den Anschluß weigern, werden wir Ihrem Wunsche nachkommen. Wir operieren Sie zurück in Ihren Körper. Das ist wissenschaftlich.«
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Die wahre Welt. 11. Stöhnend erhob er sich. Zuerst erblickte er den Lichtstreifen und dann den metallenen Türflügel, der langsam im Wind schaukelte. Dahinter lag die Heide im hellen Tageslicht. Er verließ den Betonbunker. Wie lange mochte er geschlafen haben? Er blinzelte in der Sonne und versuchte sich an den Traum zu erinnern. Verschiedene Eindrücke huschten an seinem geistigen Auge vorbei und setzten sich zu einem Alptraumgebilde zusammen. Er erschauerte – wie real sein Traum gewesen war! Er erinnerte sich der Szene, als sein zerstückelter Körper an ihm vorbeigeglitten war … Einer plötzlichen Eingebung folgend, knöpfte er sein Hemd auf und betrachtete seinen Oberkörper. Seine Brust war von hellrosa Streifen überzogen; sie saßen an denselben Stellen wie im »Traum« die Wunden. Demnach hatte er das alles wirklich erlebt! Sein Blick fiel wieder auf die Türinschrift. Wir drei sind nach Norden. Hatte sich das SYSTEM nicht darüber beklagt, daß es von den Menschen, für die es hätte sorgen sollen, verlassen worden war? Avan fand nach einigem Suchen eine spitze Eisenstange und ritzte mit einiger Anstrengung folgende Worte in die Tür: Ich suche meine Welt. Dann machte er sich auf den Weg. Er fühlte sich satt und ausgeruht. Das war ein untrügliches Zeichen dafür, daß das SYSTEM für sein leibliches Wohl gesorgt hatte. Aber er war den Maschinen der Wissenschaftler-Welt nicht nur dafür dankbar; durch das neu hinzugekommene Wissen wußte er nun, daß die 99
Städte, alle Städte, menschenfeindliche Orte waren. Es waren teuflische Fallen, denen die Menschen nur schwer wieder entkommen konnten, weil der Köder darin zu verlockend war. Der Köder hieß Nichtstun und Wunscherfüllung. Es gehörte sehr viel Mut dazu, sich dieser schleichenden Bevormundung der Maschinen zu widersetzen. Die Menschen merkten es kaum, daß sie von den Maschinen – ganz gleich, ob sie nun Komputer, Maestro oder SYSTEM hießen – unterjocht wurden. Denn die Herrschaft der Maschinen geschah auf eine zuvorkommende, scheinheilige Art. So betrachtet, bestand kein Unterschied zwischen Avans eigener Welt, der Künstlerkolonie und der Welt der PseudoWissenschaften, weil die Menschen in allen drei Welten durch die Bevormundung der Maschinen zum Untergang verurteilt waren. Avan mußte sich berichtigen – die Wissenschaftler-Welt unterschied sich doch von den anderen, denn ihre Bewohner hatten den Mut gehabt, ihrem SYSTEM den Rücken zu kehren. Avan fühlte nun die Kraft in sich, dasselbe zu tun. Und er glaubte, genügend Argumente zu besitzen, um Lorry ebenfalls zum Verlassen ihrer Welt bewegen zu können. Trotzdem spürte er eine undefinierbare Angst. Der Betonbunker war schon lange hinter den Hügeln verschwunden, als Avan vor sich einen dunklen Streifen zwischen Bergen eingebettet sah. Er strengte seine Augen an, um Einzelheiten erkennen zu können. Handelte es sich um eine Ansammlung von Gebäuden? War es eine Stadt? Seine Welt? Es war eine Stadt, aber nicht seine Welt. Schon aus der Ferne konnte er erkennen, daß die Gebäude hauptsächlich hohe, spindeldürre Türme darstellten, die in unterschiedlicher Höhen durch Stege und Straßen verbunden waren. Es war eine neue, fremde Stadt, bei der er nichts verloren hatte. Deshalb wich er 100
ihr aus und kehrte den Bergen den Rücken. Seine Welt lag im Flachland … Zwei Tage später hatte er kaum noch die Kraft, sich auf den Beinen zu halten. Seit dem Zeitpunkt, da er die Turm-Welt gesichtet hatte, zeigte sich ihm kein einziger Hinweis auf Menschen oder eine Zivilisation. Er irrte wieder durch flaches, totes Heideland. Nachts narrten ihn die unzähligen Horizontlichter. »Wo ist meine Welt?« schrie Avan, als ein Lichterregen auf ihn niederfiel. Er hatte nicht mehr stehen können und sich rücklings ins Gras gelegt. Die Sterne und Horizontlichter hüpften vor ihm auf und ab. Die tanzenden Lichter wirkten einschläfernd. Es war Tag, als er wieder erwachte. Aber ihm war gar nicht zu Bewußtsein gekommen, daß er geschlafen hatte. Die Trennlinie zwischen Traum und Realität war vollkommen verwischt. Deshalb dachte er, die Menschen, die nahe bei ihm standen, seien Bestandteil des Traumes. Beim nächsten Gedanken jedoch schaffte er eine Assoziation zwischen der gaffenden Menschenmenge und den Geschehnissen in der Welt der Wissenschaftler. »Ihr seid zurückgekehrt, um euch den Maschinen zu unterwerfen«, murmelte Avan. Die Menschen standen bewegungslos da und starrten ihn an. Avan stellte fest, daß sie weite Hosen trugen, die an den Knöcheln zusammengebunden waren, und ebenso weite Blusen, die sie in der Taille zusammengeschnürt hatten. Die Farbe dieser Kleidung war einheitlich grau. Die Grauen bewegten die Lippen, aber Avan konnte nicht verstehen, was sie sprachen. Avan erhob sich taumelnd. Die Grauen lachten. »Lacht nur«, rief er kaum hörbar und bückte sich umständlich nach einem Stein. Er warf ihn gegen die Menge. »Lacht nur – auch darüber, daß dieser Stein die Barriere durchdringt!« Die Menge stob auseinander. Avan machte kehrt und ging 101
davon. Nur einen kurzen Gedanken schenkte er noch den Grauen. Dann fiel sein Geist in einen fiebrigen Dämmerzustand. Ich muß zu meiner Welt! Das war sein Leitgedanke, der ihn am wertlos scheinenden Leben hielt. Er hatte Wahnvorstellungen von blühenden Welten, die sich einladend vor ihm erstreckten, aber er wandte sich immer wieder von diesen Visionen ab. Dann schlief er mit wachen Gedanken und glaubte, bewegungslos seiner Welt entgegenzuschweben. Irgendwann bildete er sich sogar ein, jemand reiche ihm ein Gefäß mit Wasser. Wieder schwebte er durch die Nacht – strahlenden Lichtern entgegen. Und für wenige Sekunden kehrte sein Verstand in alter Schärfe zurück. Ein Schatten stand vor ihm. »Der Mensch ist zäh«, lallte er. »Zäher als ihr glaubt … Verdammte Maschinen!« Der Schatten war Lorry. »Du bist zurück, Avan«, sagte sie, »nur das zählt.« Er sank in ihre ausgebreiteten Arme. Zwei weitere Schatten kamen heran, nahmen Avan und trugen ihn auf einer Bahre behutsam zu einem wartenden Wagen. »Du bist wieder in deiner Welt, Avan«, flüsterte Lorry. »Ja … in der wahren Welt.« * Impulse! Sie hatte sehr spät erkannt, daß sie Avan zur Barriere folgen mußte. Und als sie dann mit den anderen Bürgern herbeieilte, da war es bereits zu spät, ihn von seinem wahnwitzigen Unternehmen abzubringen. Zugleich mit den anderen Bürgern – Impulse! – hatte Lorry erkannt, daß Avan zu seiner Wahnsinnstat getrieben worden war. Nicht er konnte dafür verantwortlich gemacht werden – er war 102
unschuldig –, sondern die Bürger, die ihn verhöhnt und gedemütigt hatten. Lorry sah nun ebenfalls ein – Impulse! – daß auch sie selbst ihn schlecht, wenn nicht gar grausam behandelt hatte. Sie war seine Frau und als solche dazu da, ihm in jeder Situation beizustehen. Jetzt, da sie sich schuldig gemacht hatte, stand es für sie fest, daß sie diese Fehler nie wieder machen würde – falls Avan zurückkam. Sie wollte auf ihn warten. Hier, an der Grenze der Welt, wollte sie Tag und Nacht warten. Und wenn er zurückkehrte, dann würde es ihre Aufgabe sein, ihm ihre Liebe durch grenzenlose Demut zu offenbaren. Wenn es sein mußte, würde sie jahrelang auf ihrem Posten ausharren. Sie wartete geduldig, hielt einsame Wache an der Grenze der Welt. Sie nahm keine Nahrung zu sich. Sie schlief nicht. Es war ihre Aufgabe, Avan zu empfangen und ihm zu zeigen, daß er hierher gehörte und nirgend anderswohin. Hier war seine Welt. Impulse! Auch alle anderen Bürger gestanden sich plötzlich ein, daß die Stadt ohne Avan grau und leer war. Ihr Gewissen war schuldbeladen. Als sich dann die Nachricht von Avans Rückkehr wie ein Lauffeuer ausbreitete, gab es niemanden, der sich nicht schwor, Avan bis ans Ende seiner Tage zuvorkommend zu behandeln. Avan war das Juwel seiner Welt. Die Bürger wußten, daß es nur an ihnen lag, Avan die Augen für seine Welt zu öffnen. Von Avans Wohl hing auch ihre Existenz ab. Sie mußten alle seine Wünsche erfüllen, denn das würde dazu beitragen, daß er sich in seiner Welt wohlfühlte. In ihm durfte nie wieder der Wunsch aufkommen, seine Welt zu verlassen. Es wurde zu ihrer Lebensaufgabe – Impulse! – Avan bedingungslos zu dienen … 103
Der Komputer hatte Avans Rückkehr registriert und augenblicklich ein Hilfeleistungsprogramm eingeleitet. Medikamente für seine Wundbehandlung wurden produziert, der Operationssaal wurde in Alarmbereitschaft versetzt; in den unterirdischen Hefekulturen lief die Ernte an, die aufbauenden, lebenswichtigen Vitamine wurden dosiert und in schmackhafte Speisen verwandelt. Alles für das Wohl Avans. Lorry und die anderen Bürger hatten keine Ahnung, daß das Verlangen nach Sühne nicht ihrer eigenen Initiative entsprang. Und der Komputer sendete weiterhin Impulse …
12. Avan rekelte sich wohlig in dem weichen Bett. Er wußte nicht, wie lange er geruht hatte, aber er fühlte sich bereits beim Erwachen frisch. Er erinnerte sich daran, daß er einige Male aufgewacht war, ohne aber richtig munter gewesen zu sein. Ihm war, als sei Lorry bei ihm gewesen. Auch wußte er von unbestimmten Alpträumen, die ihn lange Zeit gequält hatten. Der Gedanke an die Alpträume machte ihn vollends wach. Aber er öffnete nur langsam die Augen. Durch die halbgeöffneten Lider sammelte er Eindrücke. Er befand sich in einem Krankenzimmer; demnach hatten sie ihn im Zentralgebäude und nicht in seinem eigenen Haus untergebracht. Er wußte nicht mehr, wie er hierhergekommen war. Hauptsache, er befand sich in seiner Welt. Und jetzt sah er auch Lorry. Er beobachtete voll Befremden, daß sie stocksteif im Sessel saß. Wie eine Puppe, die auf den Lebenshauch wartete! Ihn fröstelte. Und wahrscheinlich hatte das Lorrys Aufmerk104
samkeit erregt, denn plötzlich kam Leben in sie. Ein unterwürfiger Zug zeichnete sich auf ihrem Gesicht ab. »Avan«, hauchte sie. Es hatte keinen Zweck mehr, sich zu verstellen, deshalb öffnete er die Augen ganz. »Hallo, Liebling«, sagte er matt. Sie beugte sich über ihn und gab ihm einen warmen Kuß. Er wollte sie fest an sich pressen, aber sanft wies sie seine Leidenschaft zurück. »Du mußt erst genesen«, flüsterte sie. Handelte es sich bei ihrer Abwehr um eine menschliche Reaktion, dem Gefühl entsprungen, ihn zu schonen, oder um eine mechanische Handlung? »Hallo, Liebling«, murmelte er und sah sie prüfend an. Dann fragte er: »Habe ich mich verändert?« Sie schien irritiert. »Wieso …?« Er winkte ab. »Schon gut. Vergiß es wieder. Ich habe viel erlebt, Lorry, weißt du. Ich glaube, ich habe mich stark gewandelt. Wie lange war ich weg?« »Sechs Monate sind vergangen, seid du deine Welt verlassen hast«, antwortete sie. »Dann«, sagte er mit erregter Stimme, »hast du schon … ich meine, hat Rody bereits ein Schwesterchen …« Sie nickte. »Es wird auch Zeit, daß wir es taufen.« »Ja«, meinte er gedankenverloren. Er wollte nicht mehr weiter darüber sprechen, denn es war ein verfängliches Thema. Er fühlte, daß sich die Bande zu seiner Welt immer fester um ihn legen würden und er bald wieder dem bürgerlichen Trott verfallen müßte, wollte er sich jetzt über familiäre Probleme unterhalten. So roh es auch klang, er mußte zuerst seine Erfahrungen auswerten und sich mit den allgemeinen Problemen der Menschheit befassen, bevor er sich um das Wohl Lorrys und seiner Kinder kümmern konnte. 105
»Was hat sich in meiner Abwesenheit hier zugetragen?« erkundigte sich Avan deshalb in verändertem Tonfall. Sie lächelte verstört. »Ich habe unserer Tochter das Leben geschenkt …« »Das meine ich nicht«, unterbrach er schonungslos. »Mich interessiert, was die Bürger, unsere Bekannten, getan haben. Haben sie wieder eine Unzahl neuer Spiele ausgeknobelt? Wie hat sich das Verschwinden Bella Bastys aufgeklärt?« »Bella ist natürlich wieder aufgetaucht«, sagte Lorry leichthin. »Er war damals total betrunken und hatte sich in einem Weinkeller versteckt. Hat der gelacht, als wir ihm von der Suche nach ihm erzählt haben.« »Und was ist mit dem Wagen, der mich beinahe überfahren hätte? Ist der etwa auch aufgetaucht?« Lorry runzelte die Stirn. »Du mußt damals einer Täuschung zum Opfer gefallen sein, Avan. Denn nach einer vom Komputer vorgenommenen Zählung sind außer den normalen Todesfällen nur drei andere Menschen ums Leben gekommen. Sie sind bei dem Versuch, die Welt zu verlassen, an der Barriere verschwunden. Einer von ihnen war Ben … Aber kein einziges Auto ist als abgängig gemeldet worden.« »Ach nein«, sagte Avan sarkastisch, und die alte Abneigung gegen seine Welt gewann wieder die Oberhand, »dann habe ich mich ganz einfach getäuscht.« »Avan«, sagte Lorry milde, »du scheinst immer noch verbittert darüber zu sein, daß man dir damals so hart zugesetzt hat. Aber du mußt den Bürgern verzeihen. Ihre Verhaltensweise entsprang einer Hysterie, die nicht zuletzt du selbst durch deine weltfremden Ideen ausgelöst hast. Aber glaube mir, die Bürger haben ihre Fehler eingesehen.« Sie erhob sich und ging zur Wand. »Folge mir, bitte«, verlangte sie. Er vergewisserte sich, daß er einen Schlafanzug trug, dann 106
schwang er die Beine vorsichtig aus dem Bett. Es bereitete ihm keinerlei Unbehagen, aufzustehen. Als er sich der Wand näherte, wurde sie plötzlich durchsichtig und gab den Blick auf den Zentralpark frei. »Glaubst du, daß der Komputer pseudoformen kann?« fragte er. Sie gab keine Antwort, sondern deutete mit dem Kopf hinaus und sagte: »Sieh dir das an, Avan. Das sollte dir den guten Willen der Bürger zeigen.« Er stellte sich neben sie und blickte hinunter in den Park. Hunderte von Menschen hatten sich unten versammelt und winkten zu ihm herauf. Vor ihnen erstreckte sich ein langgezogenes Blumenbeet, dessen lilafarbene Blüten sich zu einem Spruch zusammensetzten. Avan las den Blumengruß halblaut vor: »Willkommen, Avan, in der wahren Welt.« Er wandte sich abrupt vom Fenster ab und setzte sich aufs Bett. Lorry kam zu ihm und legte ihm die Hand auf die Schulter. »Du scheinst dich nicht darüber zu freuen«, meinte sie. »Was ist falsch daran, wenn dir die Bürger ihr Wohlwollen auf diese Art zeigen? Du solltest glücklich darüber sein.« »Ich möchte es, Lorry, glaub mir«, sagte er verzweifelt. »Ich möchte so gerne glücklich sein. Aber statt dessen empfinde ich nur Verwirrung und – eine leise Angst. Das liegt daran, weil sich die Bürger ganz anders verhalten, als ich es von ihnen erwarte.« »Du verhältst dich auch so anders …«, stellte sie traurig fest. Als er nicht antwortete, fuhr sie mit veränderter Stimme fort: »Aber ich nehme es dir nicht übel, ich kann es dir gar nicht übelnehmen. Du hast fast zwei Wochen im Delirium gelegen und brauchst nun etwas Zeit, um ins Leben zurückzufinden.« 107
»Delirium?« fragte er erstaunt. »Woher kennst du die Bedeutung dieses Wortes?« Den Bruchteil einer Sekunde schien sie vollkommen reglos – als erwarte sie eine Verhaltensmaßnahme vom SYSTEM, durchzuckte es ihn –, dann lächelte sie leichthin und sagte: »Ach, das ist so ein Modewort, das sich während deiner Abwesenheit eingebürgert hat. Wenn jemand nach einem anstrengenden Quiz einen Ruheschlaf benötigt, sagt man, er liegt im Delirium.« Avan nickte gedankenverloren. Er wußte jetzt, daß der Komputer nie verlegen darum war, eine Erklärung für Geschehnisse zu geben. »Lorry«, sagte er langsam, »hast du schon jemals das Gefühl gehabt, etwas zu tun, was du eigentlich gar nicht vorgehabt hast?« Sie war ratlos. »Wie meinst du das?« »War dir noch nie so zumute«, erklärte er, »daß du etwas anderes tun oder sagen wolltest, als du dann tatsächlich ausgeführt hast? Jetzt, zum Beispiel, während unserer Unterhaltung – ist dir nichts an deiner eigenen Handlungsweise aufgefallen?« Sie schüttelte den Kopf. »Nein. Ich weiß auch gar nicht, was du meinst.« »Ich kann noch konkreter werden«, ereiferte er sich und ergriff ihre Hände. »Ist es nicht gegen deinen Willen, daß du dich mit mir über die Bürger, die Welt und den Komputer unterhältst, obwohl du viel lieber über Rody und unserer Tochter und unsere rein persönlichen Angelegenheiten sprechen möchtest?« »Das ist währ«, gab sie kleinlaut zu, »Könnten wir nicht diese verwirrenden Dinge aufschieben und statt dessen nach Hause gehen?« »Ja, das könnten wir«, sagte er. »Aber warum hast du trotzdem mit mir diese anderen Angelegenheiten erörtert, obwohl dir nicht danach war?« 108
»Ich … ich wollte dir nicht weh tun. Ich habe erkannt, wie gerne du darüber sprechen möchtest. Ich liebe dich doch, Avan, deshalb würde ich alles für dich tun.« »Verwechselst du nicht Liebe mit Unterwürfigkeit?« »Avan …« Er schien nicht zu bemerken, wie sehr seine Worte sie schmerzten, denn er fuhr fort: »Es kann doch nicht wirkliche Liebe sein, wenn du alle meine Launen, die dir im höchsten Maße zuwider sein müssen, ganz einfach hinnimmst. Und dasselbe gilt für die Bürger. Haben sie denn alle vergessen, wie sehr ich mit meinen Ideen gegen ihre Konventionen verstoßen habe? Und ich habe meine Ideen durchgesetzt, ich war fast sechs Monate im NICHTS. Nun komme ich zurück und sie jubeln mir zu, obwohl sie immer noch in dem Glauben sind, außer ihrer Welt gäbe es nichts. Dieses Verhalten ist unnatürlich und scheint nur dazu angetan, mir das Leben in der vom Komputer aufgebauten Scheinwelt schmackhaft zu machen.« »Wovon sprichst du, Avan?« fragte Lorry, die Augen weit aufgerissen. Aber Avan ging darauf nicht ein. Er hatte sich in eine Erregung hineingesteigert, die ihn geradezu dazu zwang, alle seine Vermutungen auszusprechen. »Warum seid ihr mir hörig?« rief er. »Beeinflußt euch der Komputer? Diese Höllenmaschine! Hat er euch angedroht, euch alle verschwinden zu lassen, wenn ihr euch mir nicht unterwerft? Der Komputer kann das – er kann jeden Wunsch der Bürger erfüllen, kann von einem Moment zum anderen ein beliebiges Haus an einen beliebigen Ort hinzaubern. Aber der Komputer kann noch mehr. Warum sollte er nicht auch Menschen hinzaubern? Oder verschwinden lassen, wie es ihm beliebt? Ja, der Komputer hat die Macht. Hat er auch die Macht, euch zu beeinflussen?« »Du … du phantasierst, Avan …« 109
»Zugegeben«, entgegnete er, »nicht alle meine Theorien sind hieb- und stichfest. Aber komme ich der Wahrheit nicht sehr nahe? Anderswo können Menschen pseudoformen. In unserer Welt hütet der Komputer dieses Geheimnis streng, es ist ein Machtmittel gegen die Abtrünnigen. Aber warum verschwand ich nicht, als ich die Barriere durchdrang? Weil der Komputer keine Macht über mich hat! Als ich mit Ben bei der Barriere draußen war, da verschwanden alle Steine, die er warf, in der Barriere. Einer meiner Steine durchdrang sie. Warum? War Ben vom Komputer beeinflußt?« Wie zu Stein erstarrt, stand Lorry vor ihm. Er ahnte, daß sie ihn nicht mehr hörte. Sie mußte wissen – und wenn sie an das SYSTEM angeschlossen war, mit ihr auch der Komputer –, daß Avan für diese Welt verloren war. Durch die Tür drang Gepolter ins Zimmer. »Schert euch weg!« rief jemand mit gewaltiger Stimme. »Keiner der Sektionen wird es gelingen, mich aufzuhalten. Ich werde Avan erreichen und ihm die volle Wahrheit sagen.« »Einsam!« entfuhr es Avan. Er sprang vom Bett und stürzte durch die Tür auf den Korridor hinaus. Ein Schrei entrang sich seiner Kehle, als er die dichte Staubwolke sah, die durch herabstürzende Mauertrümmer verursacht wurde. Lorry kam zu ihm. »Wir müssen fliehen«, drängte sie, »bevor wir hier lebendig begraben werden.« »Bleiben Sie nur, Avan«, kam Einsams Stimme aus der Staubwolke. »Das alles ist nur ein Täuschungsmanöver der Logik-Sektion. Ihnen wird kein Leid geschehen. Keine Maschine kann einem Menschen einen Schaden zufügen.« Das hatte Avan schon einmal gehört – und trotzdem waren es gerade die Maschinen gewesen, die so großes Leid über die Menschheit gebracht hatten. 110
»Ich habe Angst!« rief Lorry. »Uns kann nichts geschehen«, beruhigte Avan sie. »Das alles ist nur eine verzweifelte Demonstration des Komputers, der um seine Position fürchten muß. Jetzt ist der Augenblick gekommen, wo wir die Ketten abschütteln. Wir Menschen befreien uns und bauen uns eine neue Welt auf – die wahre Welt.« Aus der Staubwolke schälten sich die Umrisse eines Mannes. Avan erkannte Einsam beinahe nicht, denn er strahlte eine ungewöhnliche Kraft und Vitalität aus. Er wirkte jünger, als ihn Avan in Erinnerung hatte, aber gleichzeitig schien es, als sei er kleiner geworden. Und er schrumpfte tatsächlich zusammen! »Was ist mit Ihnen, Einsam?« fragte Avan bange, als der Alte vor ihnen stand. Einsam lachte. »Der Logik-Sektor entzieht mir allmählich alle Energien. Aber ich bin noch kräftig genug, um Ihnen zu helfen. Solange es noch unlogische Elemente im Komputer gibt, haben Sie nichts zu befürchten.« »Gehören Sie etwa auch zur Maschine?« fragte Avan alarmiert. »Ja«, gab Einsam zu, der Avan nur noch bis zur Schulter reichte, »ich bin sozusagen für die menschlichen Gefühle zuständig, für die die Logik-Sektion des Komputers kein Verständnis aufbringen kann. Ich bin reichlich spät auf den Plan gerufen worden – nämlich erst, als Sie sich gegen das SYSTEM auflehnten. Aber es ist noch nicht zu spät. Ich werde Ihnen die Wahrheit sagen, dann können Sie über Ihre Zukunft selbst entscheiden. Aber ich rate Ihnen dringend, diese Scheinwelt zu verlassen.« »Das habe ich vor«, sagte Avan fest. »Und ich werde Lorry mitnehmen.« »Das geht nicht«, bedauerte Einsam, »denn Sie sind der letzte Mensch inmitten von Projektoren.« 111
* Es kam eine Zeit für die Menschheit, da waren alle gesteckten Ziele erreicht. Alle Staaten der Erde hatten sich zu einem mehr oder weniger festen Bund zusammengeschlossen, und die Verantwortlichen hatten in intensiver Zusammenarbeit aus einer verfallenden Welt ein blühendes Paradies gemacht. Auf allen Gebieten der Wissenschaften war eine Blüte eingetreten, die niemand in seinen kühnsten Träumen hätte vorausahnen können. Der Bevölkerungsexplosion war man teilweise durch Kolonisation anderer Sternensysteme, teilweise auch durch Geburtenkontrolle, Herr geworden. Nun waren die Menschen der Erde satt und zufrieden, sie hatten es nicht notwendig, geistige oder handwerkliche Arbeit zu verrichten – im ZweihundertJahresplan war eine totale Automatisierung vorgesehen gewesen. Natürlich wußten die Verantwortlichen um die Schattenseiten dieser Maßnahmen, denn eine Menschheit ohne Beschäftigung wäre zum Untergang verurteilt gewesen. Man hatte vorgesorgt. Die Terraner, wie sich die Menschen der Erde im Bewußtsein anderer bewohnter Sonnensystem nannten, wurden auf Umwegen dazu gebracht, sich zu beschäftigen. Da sie sich für bezahlte Arbeit zu gut waren, wurde die Freizeitbeschäftigung, das Hobby, proklamiert. Und tatsächlich fand der Großteil der Terraner zu seinem Tatendrang zurück. Wenn es sich auch hauptsächlich um nutzlose Beschäftigung handelte, so wurde im Endeffekt doch erreicht, daß der menschliche Geist rege blieb und nicht degenerieren konnte. Außerdem kamen, wenn auch geringe, belebende Impulse von den Kolonialwelten zur Erde. Zu einer der größten Errungenschaften gehörte das Materieprojizieren. Niemand, nicht einmal die Entdecker wußten ge112
nau, wie es vor sich ging, daß aus dem Nichts jede Art von Materie gewonnen werden konnte und sich außerdem noch beliebig formen ließ. Man mußte nur ein Kraftfeld erzeugen, innerhalb dessen sich die unbekannten Energieströme manipulieren ließen. Einige Vermutungen gingen dahin, daß es sich dabei um Hyperenergien handelte, die aus fremden Dimensionen in dieses Universum abgeleitet wurden; andere Theorien besagten, daß es sich um den »Urstoff« handelte, aus dem das Universum entstanden sei. Diese Hyperenergien hätten ein Segen für die Menschheit sein können, und anfangs sah es auch danach aus, denn als man aus dem Nichts praktisch jede beliebige Materie herbeizaubern und auch wunschgemäß formen konnte, war ein weltweiter Wohlstand die Folge. Deshalb schienen auch alle Ziele der Menschheit erreicht. Der Stein der Weisen war entdeckt worden. Aber dann sickerte das Gerücht durch, wonach man nicht nur tote Materie aus der Hyperenergie gewinnen könne, sondern auch organische Stoffe. Man konnte damit Geschöpfe aus Fleisch und Blut zum Leben erwecken! Zu diesem Zeitpunkt hatten sich die Menschen bereits in unzählige Interessengruppen aufgesplittert – das war eine Folge des Projekts FREIZEITBESCHÄFTIGUNG. Diese Ansiedlung Gleichgesinnter hatte sich, in etwas abgewandelter Form allerdings, bis in Avans Zeit erhalten. Aber damals hatten die verschiedenen Stadt-Welten noch einen losen Kontakt miteinander gepflegt, so daß sich die Kunde von der Erschaffung lebender Wesen bald um den ganzen Erdball verbreitete. Der positronische Weltkoordinator, in dessen Händen allein die Geschicke der Menschheit lagen, sah sich nun vor ein Problem gestellt, das nicht allein durch logische Berechnungen bewältigt werden konnte. Sollte dem Verlangen einsamer Menschen nachgegeben werden, die forderten, einen Gefährten pro113
jiziert zu bekommen, der genau ihren Vorstellungen entsprach? Sollte der Ruf nach Gleichgesinnten erhört werden, den die Vertreter von Minderheiten-Hobbys ausstießen? Und was war mit jenen, denen ein wertvoller Mensch gestorben war und die sich damit nicht abfinden konnten? War es nicht nur gerecht, wenn man dem Wunsch kinderloser Ehepaare nach Nachwuchs nachkam? Und war es nicht geradezu unmenschlich, elternlosen Kindern Vater und Mutter vorzuenthalten? Es gab eine Möglichkeit, das Leid von Tausenden von Menschen zu lindern. Warum sollten ihre Sehnsüchte also nicht gestillt werden? Der Weltkoordinator löste das Problem im Sinne der Leidenden. Wer den Wunsch nach einer menschlichen Projektion äußerte, bekam sie prompt zugestellt – wenn sie nicht mehr gebraucht wurde, sollte sie wieder gelöscht werden. Allerdings ließ sich das nicht so leicht bewerkstelligen, wie es an Hand der Berechnungen ausgesehen hatte, denn die Projektionen lebten innerhalb des Bereiches eines Projektors ihr eigenes Leben. Vom Komputer konnten zwar Impulse ausgesandt werden, die den Projektionen gewisse Handlungen aufzwangen, aber die wirklichen Menschen konnten zu nichts gezwungen werden. Deshalb geschah es immer wieder, daß eine Projektion im Laufe ihrer Existenz die Zuneigung anderer Menschen gewann und für diese unentbehrlich wurde, selbst wenn sie ihren ursprünglichen Zweck erfüllt hatte. So waren also die menschlichen Projektionen die Saat des beginnenden Verderbens. Denn die Interessengemeinschaften sonderten sich immer mehr voneinander ab. Manche Städte vergaßen, daß es noch andere Ansiedlungen gab, und sie vergaßen, daß Projektionen zwischen ihnen lebten. Sie vermischten sich miteinander, konnten aber naturgemäß keine Nachkommen zeugen. Aber da es der Wunsch des Menschen ist, sich zu vermehren, blieb den Komputern der Städte nichts anderes übrig, als reiche Nachkommenschaft vorzutäuschen. 114
Die Kinder, die Fundamente der Zukunft, waren bald überwiegend Projektionen. Die Menschheit starb aus …
13. »Sollen wir diese Erinnerungen wieder löschen?« hatte der Komputer Avan gefragt. »Nein.« »Blicken Sie aus dem Fenster. Wollen sie dieses Paradies wirklich nicht behalten?« Avan erinnerte sich schaudernd daran, daß er Lorry nicht hatte in die Augen sehen können, als er geantwortet hatte: »Nein, ich will dieses verlogene Paradies nicht. Löschen Sie die Projektionen!« Das war geschehen. Jetzt saß er allein im Heideland vor dem Betonbunker. Er blickte zu der Metalltür, die zu den unterirdischen Anlagen des Komputers und des Materieprojektors führte. Es war noch nicht zu spät. Er konnte sich seine Scheinwelt immer noch aufbauen lassen. Eine Welt, in der Lorry ein Mensch war, in der er Freunde haben würde … Nein, das wollte er nicht! Jetzt schmerzte es noch, so einsam und verlassen in einer feindlichen Umwelt zu sein. Aber irgendwann würde der Zeitpunkt kommen, da er Lorry und die anderen Projektionen vergessen haben würde. Und er brauchte nicht allein zu sein. Er konnte Irene aufsuchen. Denn er wußte, sie war ein Mensch. Vielleicht der letzte Mensch zwischen projizierten Intellektuellen. Er erhob sich und schickte sich an, den kläglichen Überresten seiner einst so blühenden Welt den Rücken zu kehren. Er hatte vorgesorgt, daß er diesmal nicht so schnell in Bedrängnis kam. Aus den umfangreichen Beständen eines unterirdischen Waren115
lagers hatte er sich unter Anleitung des Komputers eine zweckdienliche Ausrüstung zusammengestellt. Nahrung war ebenfalls genügend vorhanden gewesen. Jetzt wollte er sich auf die Suche nach der Wirklichkeit machen, als ihn näherkommende Geräusche einhalten ließen. Es handelte sich unzweifelhaft um Motorengeräusche, die gelegentlich von Schreien unterbrochen wurden. Avan konnte sich nicht vorstellen, daß diese Laute von einem Menschen stammten. Er rannte zum nächsten Hügel und spähte über dessen Kamm auf die Ebene hinunter. Was er sah, ließ ihm den Atem stocken. Er sah ein autoähnliches Gefährt, das nicht allzu schnell über das unwegsame Gelände rumpelte; darin saßen zwei Menschen. Vor dem Wagen lief ein zotteliges Tier und gab kläffende Laute von sich. Er wandte seine Aufmerksamkeit wieder den Menschen im Fond des offenen Wagens zu. Jetzt konnte er erkennen, daß sie beide groß und muskulös gebaut waren. Sie hatten beide dichte Bärte, was sie verwildert aussehen ließ; der eine Mann hatte grauweißes Haar, der andere schwarzes. Avan hatte den Vierbeiner bereits vergessen. Deshalb erschrak er, als das Tier neben ihm auftauchte und ihn ankläffte. Ängstlich drückte sich Avan ins Gras und war froh, als kurz darauf der Geländewagen neben ihm hielt. Die beiden Männer sprangen heraus. Der Schwarzhaarige sagte: »Habe keine Angst. Mingo beißt nicht. Er bellt nur vor Freude, weil du deinen Käfig endlich verlassen hast.« Der Grauhaarige sagte zu Mingo: »Sei jetzt endlich still!« Tatsächlich hörte das Tier zu kläffen auf. »Ich habe keine Angst«, sagte Avan befangen und stand auf. Der Schwarzhaarige klopfte ihm auf die Schulter. »Schon gut. Übrigens heiße ich Will, und das ist Alfred.« 116
»Ich heiße Avan.« »Wir wissen es. Schließlich haben wir dich schon eine Weile beobachtet.« »Ihr habt mich beobachtet?« fragte Avan erstaunt. »Wir können während der Fahrt darüber sprechen«, meinte der Grauhaarige und setzte sich hinters Lenkrad. »Steig ein, Avan. Wir müssen zusehen, daß wir noch vor Sonnenuntergang die Siedlung erreichen.« Avan setzte sich mit Will auf die Rücksitze, und der Vierbeiner kuschelte sich zwischen sie. Automatisch fuhr Avan dem Tier übers Fell, was ihm einen dankbaren Blick aus klugen Augen einbrachte. Er kraulte den Mingo weiter, während er fragte: »In welche Welt fahren wir?« Der Wagen fuhr an. »Du wirst sehr umdenken müssen, Avan«, sagte Will, der Schwarzhaarige. »Was du dir früher unter einer Welt vorgestellt hast, existiert nun nicht mehr. Das alles hier ist deine Welt. Und auch wenn du an eine Stadt denkst, solltest du dir darunter nicht eine Ansammlung von Luxusvillen vorstellen. Die Wirklichkeit sieht anders aus. Wir haben uns von den Maschinen vollkommen losgesagt und kommen recht gut ohne Projektionen aus.« »Projektionen …«, murmelte Avan und dachte an Lorry. Ihr Verlust schmerzte ihn trotz aller vernünftiger Überlegungen noch ein wenig. Es würde einige Zeit dauern, bis er sich mit der Wirklichkeit abgefunden haben würde. »Wieso habt ihr mich beobachtet?« fragte Avan, um sich von seinen Gedanken abzulenken. »Wir beobachten alle Städte«, erklärte Will, »denn wir haben es uns zur Aufgabe gemacht, die Menschen aus ihren Scheinwelten zu befreien. Auf dich wurden wir aber erst aufmerksam, als du deine Welt bereits verlassen hattest; und als du zurückkehrtest, da hielten wir es für klüger, dich von selbst hinter die Wahrheit kommen zu lassen. Deshalb brachten wir dich zum 117
Komputer zurück. Jetzt erst bist du wirklich reif, mit der Wirklichkeit fertig zu werden.« »Jetzt werde ich die wahre Welt kennenlernen«, sagte Avan für sich. »Wie sieht sie aus, eure Welt?« »Wir stehen erst am Anfang«, sagte Will. »Aber seitdem ein Raumschiff von den Kolonialwelten gelandet ist, kommen wir rasch voran. Wir erhalten von den Kolonisten jede erdenkliche Unterstützung im Kampf gegen die Illusionswelten. Trotzdem trachten wir danach, möglichst selbständig zu bleiben. Du wirst die wahre Welt bald mit eigenen Augen sehen können. Wenn es dir bei uns nicht gefällt, kannst du immer noch zu einer der Sternenkolonien auswandern.« »Ich werde bei euch bleiben«, sagte Avan bestimmt. Er dachte an Irene und an all die unzähligen namenlosen Menschen, die in ihren Scheinwelten degenerierten. »Ich werde bleiben und euch unterstützen!« »Entschließe dich nicht zu schnell«, mahnte Will. »Wir haben nicht viel Luxus zu bieten. Unsere Ansiedlung zählt erst einige hundert Seelen. Wir leben in einfachen Blockhütten, haben eine Schule, eine Kirche, bebauen Felder und fertigen die erforderlichen Gebrauchsgüter in Handwerksarbeit an.« »Habt ihr keine technischen Hilfsmittel?« »Nur wenige.« Noch vor Einbruch der Dunkelheit erreichten sie ein Tal, in dem zwischen den Vorläufern des Gebirges eingebettet, die Siedlung lag. Avans Herz schlug schneller. Das war die wahre Welt … … einige Blockhütten, ein Kirchturm, an den Berghängen geradlinige Felder – Männer und Frauen bei der Arbeit. Und überall Kinder, die der Grundstock der wahren Welt waren. »Hier läßt es sich bestimmt gut leben«, seufzte Avan. Er sah auch viele der Vierbeiner. »Ihr habt die Mingos wohl sehr ins Herz geschlossen?« fragte er. 118
»Mingos?« wiederholte Will verblüfft. Dann lachte er. »Wir haben nur einen Mingo. Diese Tiere sind Hunde – die treuesten Gefährten des Menschen.« Mingo wedelte mit dem Schwanz und bellte übermütig. Dann sprang er vom fahrenden Wagen und rannte den heranlaufenden Kindern entgegen. Bald war der Geländewagen in eine Kinderund Hundeschar eingekeilt und mußte notgedrungen anhalten. Die Männer und Frauen ließen ihre Arbeit stehen und kamen ebenfalls näher. Bald herrschte ein unbeschreiblicher Trubel. Zwischen dem Gekreische der Kinder, dem Bellen der Hunde und den neugierigen Blicken aus lebenssprühenden Augen fühlte Avan sich plötzlich einsam und verlassen. War er hier nicht ein Fremder, der gestaunt und begafft wurde, weil er den Reiz des Neuen besaß? Dem man aber kein tieferes Mitgefühl entgegenbrachte, weil er ein Außenseiter war? Diese und andere bange Fragen beschäftigten ihn, während er reglos auf dem Wagen saß und die vielen unverständlichen Fragen über sich ergehen ließ. Jemand zupfte ihn am Ärmel, und er sah hinunter in große, freundliche Kinderaugen. »Bleibst du bei uns?« Obwohl die Stimme leise und zaghaft war, konnte sie Avan in dem Lärm gut verstehen. Er fühlte eine grenzenlose Erleichterung. Der Bann war gebrochen. Es war die Frage jenes Kindes, die den Kontakt zwischen ihm und den Menschen der wahren Welt hergestellt hatte. Er war nicht länger mehr ein Fremdkörper, das spürte er. Er war überhaupt nie ein Außenseiter gewesen, auch das wurde ihm bewußt. »Bleibst du bei uns?« Dankbar erwiderte er den warmen Blick und sagte: »Ja, ich bleibe.« ENDE
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Die singenden Kugeln (THE SINGING SPHERES) von Jon J. Deegan Drei Terraner, gefangen im Labyrinth von Cardoon. – Die Welt, die sie erforschen sollen, ist von rätselhaften und tödlichen Geschöpfen bevölkert … Ein weiteres Planetenabenteuer mit Pop, Tubby und Hartnell, dem Expeditionsteam des interstellaren Forschungskreuzers OLD GROWLER. Terra-Nova Nr. 35 überall im Zeitschriften- und Bahnhofsbuchhandel erhältlich. Preis 80 Pfg.
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