Steve McMillan
Im Staub der Hölle Ronco Band Nr. 235/28
Version 1.0
Ronco erzählt seine eigene Geschichte Steve McM...
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Steve McMillan
Im Staub der Hölle Ronco Band Nr. 235/28
Version 1.0
Ronco erzählt seine eigene Geschichte Steve McMillan Im Staub der Hölle Ronco Band Nr. 235/28 Version 1.0 Ronco erzählt seine eigene Geschichte Im Jahre 1967 stießen Bauarbeiter bei Abbrucharbeiten in einer kleinen Geisterstadt im Süden New Mexicos unter einem ausgebrannten Boardinghouse auf eine zugemauerte Kellernische. Sie fanden darin einen alten Revolver, der noch mit drei Patronen geladen war, ein silbernes US-Marshal-Abzeichen und einen indianischen Ledersack. Der mit Stachelschweinborsten und Perlen verzierte Sack enthielt fünf mit Lederriemen zusammengeschnürte Bündel alter Schulhefte. Es handelte sich um das Tagebuch eines Mannes, der in der Pionierzeit Amerikas gelebt hat. Dieser Mann ist nicht in die Geschichte eingegangen. Er hat sich auch nicht darum bemüht, Geschichte zu machen. Trotzdem hat er aufgeschrieben, was er erlebt hat. Vielleicht, weil er niemanden hatte, mit dem er über sein Leben sprechen konnte. Er nannte sich RONCO. Wir wissen nicht, ob das sein richtiger Name war. Vielleicht hat er aus Scham oder Stolz seinen Namen verschwiegen. Denn er war ein Outlaw, ein Gesetzloser, der Grund hatte, seinen Namen manchmal zu verschweigen. Obwohl aus seinen Aufzeichnungen hervorgeht, daß er unschuldig in die Mühlen der Behörden geriet und verzweifelt um seine Rehabilitation kämpfte. Aber seine Berichte zeigen mehr: Sie sprengen den Rahmen unserer Vorstellungen von der Pioniergeschichte der USA. Sie schildern diese Zeit wesentlich härter, rauher und wilder, als wir sie bisher gesehen haben. Basierend auf diesen Unterlagen wurde die Romanreihe RONCO gestaltet Jedoch handelt es sich bei den für die Serie ausgewerteten Aufzeichnungen nur um einen Teil der Tagebücher. Um Ihnen, unseren Lesern, die ganze Geschichte dieses faszinierenden Mannes RONCO offenzulegen, haben wir uns entschlossen, in Abständen von fünf Wochen die Tagebuchaufzeichnungen dieses Geächteten zu veröffentlichen.
Bearbeitet von den Autoren der RONCO-Serie. In diesen Romanen erzählt der Mann, der sich RONCO nannte, seine eigene Geschichte.
Die Hauptpersonen des Romans Ronco – Wird Zeuge eines Massakers und schlagt sich auf die Seite der Nordstaaten. Abe Galloway – Ein Negersoldat, der einen Geheimauftrag hat: er reist mit Särgen durch das Land. Liza Brown – Verliert ihren Mann, Haus und Hof und schließt sich Abe Galloway an. Mooney – Ein Satteltaschenpriester, der aber weder Ronco noch Abe Galloway so recht geheuer ist.
Im Staub der Hölle 6. Juni 1880 Ich habe lange gezögert, meine Aufzeichnungen weiterzuführen. Ich bin frei. Meine Unschuld ist erwiesen und ich werde nicht mehr gejagt. Als ich mit der Niederschrift meiner Geschichte begann, war das anders. Da steckte ich bis zum Hals im Dreck und sah keine Zukunft. Ich wollte alles, was ich erlebt habe, aufschreiben, um der Welt wenigstens ein Dokument zu hinterlassen und um jene zu entlarven, die mich ins Unglück gestoßen hatten. Ich mußte jeden Tag damit rechnen, von einer Kugel getroffen zu werden. Das ist heute nicht mehr so. Ich bin rehabilitiert. Meine Feinde, die wahren Schuldigen, sitzen hinter Gittern oder haben das Land verlassen. Dennoch schreibe ich weiter. Ich sitze in einem Haus, das mir gehört, das ich selbst gebaut habe. Es ist klein und einfach, aber es ist mein Haus. Das Haus, von dem ich jahrelang geträumt habe, ein Platz, wo ich hingehöre. Es steht auf einem Stück Land, das auf meinen Namen im Grundbuch eingetragen ist. Bald wird es hier Felder geben und auf den Weiden Rinder. Und alles wird mir gehören. Der Tisch, an dem ich sitze, gehört mir. Ich habe ihn selbst gezimmert wie fast alle Möbel in meinem Haus. Linda wirtschaftet in der Küche. Sie hat lange auf diesen Augenblick gewartet, alle Strapazen auf sich genommen, zu mir gestanden und sich das neue Heim redlich verdient. Sowie sich ein Padre in unsere Gegend verirrt, werden wir offiziell heiraten. Im Nebenraum schläft unser Sohn Jellico. Ihm wird einmal alles hier gehören. Ich will ihm eine gute und lohnende Zukunft aufbauen. Er ist auch der Grund, warum ich mich entschlossen habe, weiterzuschreiben. Eines Tages wird er erwachsen sein und wissen, was für ein Leben ich geführt habe. Er braucht sich meiner nicht zu schämen. Wenn man jahrelang gejagt worden ist, wenn es jahrelang
Steckbriefe von mir gegeben hat, bleibt immer etwas hängen. Jellico soll nicht eines Tages vor einem Berg von Gerüchten stehen und daran verzweifeln müssen. Das ist der Grund. Ich glaube, es ist ein guter Grund. Deshalb habe ich mir Zeit genommen, die alten, abgegriffenen Schulhefte wieder hervorzuholen und weiterzuschreiben, obwohl ich jetzt kaum Zeit habe. Ich arbeite wie ein Pferd. Es bereitet mir Spaß, und es lohnt sich. Ich habe ja ein Ziel, und nichts kann mich davon abbringen. An meinen Händen bilden sich langsam Schwielen. Es ist ein gutes Gefühl. Meinen Revolver schnalle ich kaum noch um. Er hängt an einem Haken neben der Tür. Anfänglich fehlte mir das vertraute Gefühl an der rechten Hüfte. Aber schon nach einer Woche hatte ich ihn so gut wie vergessen. Ich hoffe, ihn bald völlig wegpacken zu können. Draußen geht die Sonne unter. Ich habe den ganzen Tag geschuftet, um die Felder abzustecken und Bewässerungsgräben auszuheben. Es fällt mir nicht so leicht, meine vielen Pläne und Vorhaben im Moment zu verdrängen und mich an meine Jugend zu erinnern. Ich bin so voll von Gedanken an das, was ich alles in den nächsten Tagen, Wochen und Monaten tun werde, daß die Vergangenheit mir unglaublich weit entfernt erscheint. Aber während ich schreibe, kehren sie wieder, die Schatten der Vergangenheit. Die Erinnerungen an die Jahre, in denen ich versuchte, meinen Weg im Leben zu finden. Damals konnte ich nicht ahnen, daß fast zwanzig Jahre vergehen würden bis es wirklich so weit sein sollte, daß ich mit dem Aufbau einer Existenz beginnen konnte. Damals war ich sechzehn. An Jahren ein Kind, an Erfahrungen längst ein vollwertiger Mann. Ich war aus Montana zurückgekehrt, wo der Goldrausch mir nichts als Unglück gebracht hatte, und ich ahnte nicht, in was für eine Situation ich geraten sollte, als ich im Februar 1864 Missouri erreichte. Vom Bürgerkrieg hatte ich nur vom Hörensagen etwas mitgekriegt. Weit draußen im Westen gab es andere Probleme. Das Land war groß, die Nachrichtenverbindungen waren schwach. Hätte ich gewußt, wie der Krieg wirklich war, ich wäre im Westen geblieben. Aber ich wußte nichts. Das änderte sich schnell.
Ich konnte nicht mehr zurück …
1. Kingston lag in einem engen Tal. Es bestand aus einer breiten, rillendurchzogenen Straße, die auf beiden Seiten von je einer Reihe Häuser begrenzt war. Ein windschiefes Boardinghouse hatte als einziges der Holzhäuser einen zweiten Stock. Aber der sah mir verdammt baufällig aus und schien unbewohnt zu sein. Auf jeden Fall gibt es ein warmes Bett, dachte ich. Es ging auf den Abend zu. Die Sonne hatte ihre wärmende Kraft bereits verloren, und ich fröstelte unter meinem ausgewaschenen Baumwollhemd. Ich hatte nicht erwartet, daß es in Missouri so kalt sein würde. Mein Brauner trabte von selbst los. Er war genauso müde und hungrig wie ich. Shita trottete vor uns her, das graubraune Fell leuchtete hier und da im Unterholz. Er war noch völlig frisch und bellte übermütig hinter jedem Vogel her, der seinen Weg kreuzte. Weder Hitze noch Kälte konnte ihm etwas anhaben, an Ausdauer war er noch manchem Pferd überlegen. Ich war sehr stolz auf ihn. Langsam ritt ich hinunter ins Tal. Den Staubmantel ließ ich in der Deckenrolle. Bald würde ich in einem warmen Bett liegen, aber zuerst wollte ich noch etwas essen. Mein Magen rebellierte seit drei Stunden. Es war höchste Zeit, ein zartes Steak zwischen die Zähne zu kriegen. Aber da fiel mir ein, daß ich kein Geld hatte. Mein Magen meldete sich plötzlich stärker. Nun ja, ich war jung, kräftig und konnte jederzeit Geld verdienen. Ich brauchte dringend Geld, da ich weder Proviant und kaum noch Munition hatte. Eine dumme Situation. Hoffentlich gab es in Kingston einen Job für mich. Ich ritt zwischen zwei großen Eichen hindurch und stieß auf eine Straße. Es war dieselbe, die in Kingston zur Main Street wurde. Also lenkte ich meinen Braunen nach links und folgte ihr. Bald erreichte ich die ersten Häuser. Es war nicht viel los. Ein paar Menschen tätigten Einkäufe oder standen mitten auf der Straße und redeten über Nichtigkeiten. Irgendwo hörte ich Hammerschläge und hielt darauf zu. Vielleicht brauchte der Schmied eine Hilfskraft.
Ich spürte die neugierigen Blicke der Einwohner auf mir ruhen. Es berührte mich nicht. Ich war es gewöhnt, wo ich auftauchte, wurde ich angestarrt. Ein Junge mit einem Revolver, der schon ziemlich abgegriffen aussah, und einem Hund, das war anscheinend kein alltäglicher Anblick. Aber ich war auch stolz darauf, daß man mir nachschaute, daß ich mein eigener Herr war, nicht einer dieser Jammerlappen, die im Sonntagsstaat die Messe besuchten und nachher mit Mami Kaffee trinken gehen. Also reckte ich meine Schultern, klopfte mir den Staub aus dem Hemd und setzte mich so lässig in den Sattel wie nur möglich. Dabei sah ich starr geradeaus. Shita spielte die Komödie mit und trabte mit hocherhobenem Kopf und Schweif im Schritt neben meinem Braunen. Er hob seinen Blick und grinste. Ja, Shita grinste. Ich kannte diese besondere Haltung der Lefzen und den Schelm in seinen Augen. Es schien fast, als zwinkerte er mir zu. Die Schmiede lag an der linken Straßenseite. Es war ein flaches Holzgebäude, zur Straße hin offen, damit der Rauch abziehen konnte. An der Esse stand ein Riese von einem Mann. Sicher sieben Fuß groß, und ließ mit mächtigen Schlägen den Hammer auf den Amboß fallen. Jedesmal stoben Funken bis an die Decke. Ich zügelte den Braunen und glitt aus dem Sattel. Fasziniert sah ich dem Schmied eine Weile bei der Arbeit zu. Er hielt plötzlich inne und zog das glühende Hufeisen mit einer Zange aus dem Feuer, drehte sich dann um und sah mich kurz an. »Was willst du?« fragte er mit mächtigem Baß. Ich übersah gnädig, daß er mich geduzt hatte und sagte: »Können Sie eine Aushilfe brauchen?« Ein breites Grinsen erschien auf seinem Gesicht. »Jüngelchen, wenn ich so weit bin, daß ich halbe Portionen wie dich einstellen muß, dann kann ich genausogut den Laden schließen.« Shita bog schwanzwedelnd um die Hausecke, blieb stehen und musterte erst mich, dann den Schmied. Anscheinend war er ein besserer Menschenkenner, denn er knurrte sofort los und fletschte die Zähne. Ich selber beherrschte mich mühsam, schließlich wollte ich ja
einen Job, und da konnte man nicht einfach Krach schlagen. Also nahm ich noch einen Anlauf und zauberte ein Lächeln auf mein Gesicht. »Es gibt sicherlich genug Arbeit für zwei Männer. Ihre Werkstatt sollte wieder einmal ausgefegt werden, das Haus gestrichen …« »Hau ab, Bengel!« unterbrach mich der Schmied wütend und ging auf mich zu. Aber plötzlich blieb er wie angewurzelt stehen und schluckte. Seine kleinen Schweinsäugelchen starrten genau in die Mündung meines Colts. Schweiß trat auf seine Stirn. Die Feuerzange löste sich aus seiner Hand und fiel in den Staub. Blitzschnell halfterte ich den Colt und grinste. »Mister, das nächste Mal sind Sie etwas freundlicher. Ich kann es auf den Tod nicht leiden, wenn man mich ›Bengel‹ oder ›Jüngelchen‹ nennt. Geht das in Ihren Dickschädel rein oder nicht?« Ich glaube, er hatte es verstanden. Sein mächtiges Kinn hing immer noch herunter, und die Abendsonne schien ihm genau in den offenstehenden Mund. »Klappe zu, sonst verschlucken Sie noch eine Fliege!« Er schloß den Mund. Endlich fand er wieder Worte. »Ich – ich wußte nicht – natürlich habe ich einen Job für …« »Danke!« Mit einem Satz war ich wieder im Sattel und pfiff Shita zurück, der zwei Schritte vor dem Schmied in Angriffsposition gegangen war. Ich ritt weiter die Main Street hinauf. Hinter mir stand der Schmied und starrte mir nach. Auch einige Frauen standen mit ihren Kindern auf den Stepwalks und tuschelten erregt miteinander. Ich nahm keine Notiz von ihnen. Am Hitchrack vor dem Saloon stand ein einziges Pferd und nagte gelangweilt am Holz des Geländers. Ich band meinen Braunen daneben und betrat den Stepwalk. Shita wich nicht von meiner Seite. Ich stieß die Flügeltüren auseinander und sah mich im Saloon um. Ein einziger Mann stand an der Theke, sonst war der Raum leer. Der Barkeeper schob seinen dicken Bauch aus der Küche und musterte mich von Kopf bis Fuß und zurück. »Was wünschen Sie?« fragte er unfreundlich. »Einen Job. Ich bin blank.«
Er schüttelte den Kopf. »Hier in Kingston gibt es keine Arbeit. Nicht mal genug für die Einwohner. Es ist nichts los, absolut nichts.« Er strich sich bekräftigend über den Bauch. »Es herrscht Krieg, mein Junge. Da bringen die Leute ihr Geld nicht in den Saloon.« Ich mußte ihm recht geben. Es blieb mir also nichts anderes übrig, als die Nacht im Freien zu verbringen. Von wegen warmes Bett und so, dachte ich bitter. Ich pfiff Shita zurück, der gerade dem einzigen Gast den Fuß benässen wollte, und ging zur Tür. »Es wird Zeit, daß hier in Kingston etwas passiert«, sagte ich leise mehr zu mir als zum Wirt. Dann stand ich schon draußen auf dem Stepwalk und band den Braunen los. Ich konnte ja nicht wissen, daß mein Wunsch sehr bald in Erfüllung gehen sollte. In Kingston würde bald etwas passieren. Der Teufel lachte sich bestimmt schon ins Fäustchen. Aber ich war ein sechzehnjähriger Junge, der vom Krieg nicht viel wußte und kein Hellseher war. Ich ritt die Main Street hinunter in die Richtung, aus der ich gekommen war. Auf der Anhöhe über Kingston hatte ich eine kleine Höhle gesehen, die vor Wind und Wetter schützte. Dort wollte ich mein Nachtlager aufschlagen. Die Sonne hatte das Tal seit einiger Zeit verlassen, und es wurde empfindlich kalt. Ich hielt an und zog den schwarzen Staubmantel aus der Deckenrolle. Er spendete nicht viel Wärme, war aber besser als nichts. Während ich hineinschlüpfte, hörte ich das Stampfen von Pferdehufen. Erstaunt sah ich auf. Ein kleiner Zug Kavallerie ritt die Straße nach Kingston hinunter. Es waren zwölf Mann. Nordstaaten-Kavallerie. Ich kannte ihre Uniformen. Sie saßen stramm in den Sätteln, ihre Säbel klirrten. Sie ritten in Zweierreihen nebeneinander, vorn zwei Soldaten, hinter ihnen rollte ein starker Schoner, dessen offene Ladefläche mit acht länglichen Kisten beladen war. Acht Reiter folgten dem Wagen. Ich ließ sie passieren. Ihre Gesichter wirkten müde und abgespannt, gar nicht wie die Gesichter der siegreichen Soldaten in den 10-Cent-Heftchen. Dunkle Flecken auf ihren Uniformen deuteten an, daß sie lange unterwegs gewesen waren. Einer von ihnen war ein Neger. Er ritt neben einem Weißen an der Spitze. Mit einer Handbewegung brachte er den Reiterzug zum Stehen.
Er drehte sich zu mir um und fragte: »Ist es noch weit bis Kingston, junger Mann?« Die Anrede gefiel mir, und ich lächelte. »Gerade nach der Biegung werden Sie die Häuser sehen.« Er tippte dankend an den Hut und trieb sein Pferd an. Ruckend setzte sich der Wagen in Bewegung. Auch ich stieg wieder auf und ließ meinem Braunen die Zügel. Nach wenigen Minuten herrschte wieder Ruhe. Mein Pferd suchte sich den Weg die Anhöhe hinauf selbst. Als es die Höhle erreicht hatte, hielt ich es an und glitt aus dem Sattel. Shita knurrte leise und verschwand im Gebüsch. Ich konnte nur hoffen, daß er mir ein Stück von seinem Braten geben würde. Seinem Knurren nach zu urteilen, hatte er irgendein Tier aufgestöbert. Unterdessen sattelte ich den Braunen ab und ließ ihn dann frei laufen. So brauchte wenigstens er nicht zu hungern und konnte sich sein Fressen selbst suchen. Ich sammelte trockene Zweige und schürte ein rauchfreies Feuer im Höhleneingang, Ich war immer vorsichtig. Man konnte nie wissen. Seit meiner Zeit bei den Apachen hatte ich gelernt, Vorsicht walten zu lassen. Ich konnte nur ahnen, wie viele Male ich mir dadurch das Leben gerettet hatte. Genauso auch heute. Shita huschte durch das Unterholz. Ich drehte mich nicht nach ihm um. Er stieß seine feuchte Schnauze gegen meinen Handballen, bellte mich an und legte mir ein Erdhörnchen zwischen die ausgestreckten Beine. Es war winzig und, wie sich später herausstellte, zäh wie ein irischer Preisboxer. Auf jeden Fall hatte Shita etwas gefangen. Ich schlug es aus dem Fell und briet es über dem Feuer. »Bist ein feiner Hund«, sagte ich dann kauend. Meine Backenmuskeln schmerzten, so zäh war das Biest. Ich gab es Shita. Er war beleidigt, daß ich sein Geschenk nicht ausgiebig bewunderte und verschwand wieder im Wald. Ich hoffte auf ein saftiges Kaninchen, vielleicht ein Präriehuhn. Wieder ein Erdhörnchen, diesmal noch kleiner. Es lebte noch, als Shita es vor mir fallen ließ, und verschwand quiekend im Gebüsch. Ich hinderte Shita an der weiteren Verfolgung und gab ihm etwas Wasser in der hohlen Hand. Dann sah ich hinunter ins Tal.
Der Kavalleriezug hatte sein Lager beim Ortseingang aufgeschlagen. Ich sah, wie die Soldaten sich in ihre Decken hüllten. Jeweils drei Mann hielten Wache. Was mochte wohl in den acht länglichen Kisten sein? Wahrscheinlich Munition oder Waffen. Es interessierte mich auch nicht sonderlich. Ich hatte Hunger und war müde. Dennoch lag etwas in der Luft. Ich spürte es fast körperlich. Auch mein Brauner kehrte von selbst zurück zum Höhleneingang und äugte zu mir. Seine Flanken zitterten leicht, und er schnaubte. Ich band ihn beim Eingang an einen überhängenden Busch und erzählte ihm eine kurze Geschichte. Er beruhigte sich und zitterte danach nicht mehr. Kurz darauf löschte ich das Feuer und wickelte mich in meine durchgeschabte Decke. Shita drängte sich hechelnd neben mich und schnaufte zufrieden, als ich ihm in der Dunkelheit beruhigend über das Fell strich. Ich schlief ein.
2. Irgend etwas Warmes fuhr mir über die Hand, und ich wachte auf. Es war Shita. »Was ist los?« fragte ich und griff nach dem Revolver. Shita packte meinen Hemdsärmel und zerrte daran. Schnell erhob ich mich und ließ mich von Shita zum Höhleneingang ziehen. Mein Brauner hatte sich weit in die Höhle gedrängt und schnaubte leise. Ich hielt ihm die Hand über die Nüstern und kroch dann vorsichtig hinaus, Shita immer neben mir her. Zunächst hörte ich gar nichts. Minutenlang herrschte tiefe Stille. Schon wollte ich wieder zwischen meine warmen Decken, da hörte ich das Schnauben. Der Mond war aufgegangen. Es mußte gegen vier Uhr morgens sein, und ich hatte ziemlich gute Sicht. Irgendwo vor mir im Wald hörte ich dann das leise Stampfen vieler Pferde und Stimmen. Von rechts hörte ich ebenfalls, wie sich mehrere Pferde näherten. Ich entsicherte den Navy-Colt und band mir den Gürtel um. Schnell zählte ich meine Munition. Noch zehn Schuß hatte ich, mehr nicht. Wenn es ernst wurde, war das zuwenig.
Nun sah ich die Reiter. Von rechts erschienen drei schemenhafte Gestalten. Sie ritten aus dem Wald und in das milchige Mondlicht, das sich auf den Läufen ihrer Gewehre spiegelte. Auch von der anderen Seite tauchten sie auf. Es waren viele, immer mehr verließen die Dunkelheit des Waldes. Auf jeden Fall galt dieser nächtliche Besuch nicht mir. Die Männer ritten in ziemlichem Tempo den Hang ins Tal hinunter. Sie waren nicht in Uniform, sondern in Zivil gekleidet. Aber alle waren Weiße, kein Neger war dabei. Lautlos huschte ich zum Waldrand vor. Von dort konnte ich Kingston besser überblicken. Das Dorf lag in tiefem Schweigen. Die Nordstaaten-Kavalleristen lagen um ihr niedrig brennendes Feuer. Nichts deutete darauf hin, daß sie von der Reiterhorde etwas bemerkt hatten. Ich sah, wie einer der Soldaten aufstand und eine Zigarette anzündete. Da bogen die Reiter um die Ecke und gerieten in sein Blickfeld. Ein heiserer Schrei ertönte. Der Nordstaaten-Soldat riß sein Gewehr hoch und gab zwei, drei schnelle Schüsse ab. Einer der Reiter kippte aus dem Sattel. Aber jetzt waren die anderen heran. Verzweifelt versuchten die Soldaten, ihre Waffen zu erreichen. Schüsse und Detonationen zerrissen die Stille. Pferde wieherten und brachen zusammen. Der Neger stand mit gezogenem Revolver vor dem Feuer und jagte Schuß um Schuß aus dem Lauf. Ich mußte den Mut der Soldaten bewundern. Sie kämpften bis zum letzten Mann. Der hünenhafte Neger stürzte, von mehreren Kugeln getroffen, rücklings ins Feuer. Flammen schlugen aus seiner Uniform. Er versuchte noch, sich aufzurichten, aber einer der Reiter trat neben ihn und jagte ihm eine Kugel durch den Kopf. Es dauerte nicht lange. Noch bevor im Dorf die ersten Lichter aufgeflammt waren, hatte sich der Kampf entschieden. Die Reiter schlugen mit den Gewehrkolben auf die regungslos daliegenden Soldaten ein. Dann schrie eine der dunklen Gestalten Befehle, und die meisten der Reiter stürmten ins Dorf. Die ersten Leute erschienen auf der Straße, nur mit Nachthemden bekleidet.
Während eine Gruppe der Reiter sich um den Wagen mit den Kisten kümmerte, preschten die ändern in die Stadt. Ich fragte mich, was noch geschehen würde. Die Kerle hatten es aller Wahrscheinlichkeit nach auf den Wagen und die Kisten abgesehen, was also suchten sie in der Stadt? Die Antwort auf meine Frage erhielt ich schnell. Entsetzt sah ich, wie die Reiter auf die zum Teil wehrlosen Männer und Frauen auf der Straße schossen. Kinder rannten schreiend unter die Hufe der rasenden Pferde, Feuerlanzen erhellten das Dämmerlicht, heisere Schreie, grausames Gelächter der Banditen zerrissen die Stille. Ich wollte aufspringen, hinunter in die Stadt reiten und kämpfen, aber ich sah ein, daß ich mit zehn Schuß Munition nicht dazu in der Lage war. Meine Fäuste krampften sich um den Nußschalengriff des Navy-Colts und in Shitas Fell, das sich vor Wut aufgerichtet hatte. Shita gebärdete sich wie wild und wollte sich losreißen. Mit aller Kraft hielt ich ihn zurück. Unten im Tal flackerten die ersten Feuer auf. Die Banditen hatten brennende Fackeln auf die Holzdächer der Häuser und in die Ställe geschleudert. Flammen stiegen in den nächtlichen Himmel. Das Prasseln des Feuers wurde immer lauter. Auf der Straße galoppierten die Banditen schießend hin und her, ihre Pferde zertrampelten alles, was ihnen in die Quere geriet. Die Einwohner setzten sich kaum zur Wehr. Niemand von ihnen hatte mit einer solchen Grausamkeit gerechnet. Mit Schrecken fiel mir ein, was ich im Saloon gesagt hatte: »Es wird Zeit, daß in Kingston etwas passiert!« Und nun war es soweit. Die Einwohner, auch Frauen und Kinder, kämpften um ihr nacktes Leben. Von meinem Standort aus konnte ich beobachten, wie drei der Banditen eine Frau einkreisten und zu Boden zerrten. Zwei Männer rissen ihr die Kleider vom Leib, während der dritte an seiner Hose nestelte. Ich rannte zurück in die Höhle und holte mein Gewehr. So schnell ich nur konnte, lud ich es und zielte. Aber die Entfernung war zu groß. Ich hätte leicht die Frau töten können. Also setzte ich die Sharps wieder ab und sah zähneknirschend zu, wie die drei Männer
abwechselnd die Frau vergewaltigten. Als sie geendet hatten, zerfleischten sie sie buchstäblich mit ihren Messern. In einer Blutlache blieb die verstümmelte Frau liegen. Die Banditen schnappten sich ein junges Mädchen, das sicher noch keine Vierzehn war. Diesmal riß ich die Sharps hoch und drückte auch ab. Einer der Männer hatte plötzlich keinen Kopf mehr. Die zwei anderen sahen erstarrt zu, wie der Mann noch ein, zwei Schritte weiterging und dann zusammenbrach. Eine Blutfontäne spritzte in den Staub. Mechanisch lud ich nach. Es war ein reiner Glücksschuß gewesen, den ich nicht wiederholen könnte. Zum Glück hatte das Prasseln des Feuers meinen Schuß übertönt, sonst hätte ich jetzt die Banditen auf dem Hals. Für das Mädchen hatte ich nichts erreicht. Die zwei Männer hechteten unter einen umgestürzten Wagen, nachdem sie dem Kind eine Kugel verpaßt hatten. Zuckend lag es auf dem Boden. Es starb einen qualvollen Tod. Ich mußte mich zusammennehmen, um nicht einfach loszuheulen. Ich war zwar ein harter Bursche, aber daß man wehrlose Frauen und Kinder mißbrauchte und tötete, das war zuviel. Ich konnte nicht helfen, nur zusehen. Die zwei letzten Kugeln für meine Sharps setzte ich weit daneben. Die Kerle merkten bei dem Lärm nicht einmal, daß auf sie geschossen wurde. Die Stadt war nur noch ein brennender Haufen Holz, Schutt und Asche. Leichen lagen auf der Straße, hingen aufgespießt auf Zäunen, brannten in den Trümmern. Ein pestilenzartiger Gestank fand seinen Weg bis zu mir herauf. Shita war völlig aus dem Häuschen. Er bellte, knurrte und fletschte die Zähne gegen unsichtbare Angreifer. Nur langsam beruhigte er sich. Jetzt versammelten sich alle Banditen bei dem eroberten Wagen. Mit Stemmeisen brachen sie die acht länglichen Kisten auf. Ich lehnte mich vor, neugierig, warum das viele Blut vergossen worden war. Denn ohne Zweifel waren die Kisten das Ziel dieses Überfalls gewesen. Zu meinem Erstaunen ertönten nicht etwa Freudenschreie, nein,
nur eine endlos lange Reihe von wüsten Flüchen. Denn schrien und brüllten sie alle durcheinander. Jemand kippte eine der Kisten um, und eine Menge altes, rostiges Eisen fiel auf den Boden – alte Schienenstücke, ein Eisenrad und viele kleine Sachen, die ich auf die Entfernung nicht erkennen konnte. Einer der Banditen erkämpfte sich das Wort und sprach schnell und aufgeregt auf die anderen ein. Die Worte verstand ich nicht. Aber an der Tonlage und Betonung erkannte ich, daß alle Männer den Südstaaten angehören mußten. Da sie keine Uniform trugen, waren es wahrscheinlich Südstaatenguerillas. Ich hatte schon von ihnen gehört, nicht viel Gutes, das bestätigte sich jetzt. Sie standen noch eine Weile unschlüssig herum und starrten finster auf ihre Beute. Was immer sie sich erhofft hatten, diese rostigen Eisenteile waren es bestimmt nicht. Es gab nur eine Lösung: Die Nordstaaten-Kavallerie hatte ihnen einen Streich gespielt. Gestorben waren sie dennoch, die Reiter der Union. Ein seltsamer Streich, dachte ich, bei dem man selbst ins Gras beißt. Die Männer sammelten ihre Toten und Verwundeten ein und banden sie auf die Pferde. Das Prasseln der Flammen war in der letzten Minute schwächer geworden, und ich konnte die heiseren Zurufe der Banditen hören, als sie ihre Pferde antrieben und Richtung Süden die Straße hinunterpreschten. Kurz darauf verschwand der letzte von ihnen um die Wegbiegung.
3. Ich erhob mich und trat hinter meiner Deckung hervor. Shita glitt neben mich und stieß seine Schnauze gegen meine Hand. Unten im Tal fielen die letzten Häuser in sich zusammen. Das trockene Holz war schnell ausgebrannt. Nur noch ein oder zwei Gebäude standen unversehrt inmitten der rauchenden Trümmer. Ich ging zurück zur Höhle und schnappte mir meine Sachen. Der Braune schnaubte mürrisch, als ich ihm den Sattel überwarf. Ich erklärte ihm, daß er im Dorf wahrscheinlich Futter finden würde. Daraufhin trottete er von selbst los.
Ich führte ihn am Halfter, da keine Eile geboten war. Im Dorf lebte niemand mehr. Und falls irgendwelche Lebensmittel bis jetzt noch nicht verbrannt waren, würden sie wohl nie verbrennen. Shita rannte hechelnd voraus. Er war immer noch aufgeregt und witterte das Blut der Toten auf der Straße. Nach kurzer Zeit waren wir da. Ein Blick auf die ersten Häuser zeigte mir, daß es hier wirklich nichts mehr zu finden gab. Blieben mir nur noch die zwei unversehrten Häuser. Eins war der Mietstall. Die Tür stand weit offen, die Pferde waren entweder geflohen oder von den Südstaatlern mitgenommen worden. Das andere Haus war ein Drugstore. Auf dem Dach und an den Seitenwänden waren Brandspuren, aber das Gebäude hatte noch kein Feuer gefangen. Die Hitze war beinahe unerträglich. Obwohl das Feuer schon am Erlöschen war, strahlte es noch sehr viel Wärme aus. Schweiß tropfte mir von der Nasenspitze, und ich zog schleunigst meinen Staubmantel wieder aus. Shita schoß wie ein Pfeil auf den Stall zu und bellte dabei pausenlos. Ich wunderte mich, was er dort zu suchen hatte. Auf halbem Wege drehte er um, kehrte zu mir zurück und raste wieder zum Mietstall. Widerstrebend gab ich nach und folgte ihm. Ich wollte keine Zeit verlieren, jede Minute konnte der Drugstore doch noch Feuer fangen. Das Holz vom Hitchrack rauchte schon verräterisch. Guter alter Shita. Er hatte wieder einmal recht. Als ich um die Ecke bog, sah ich genau in die Augen einer dunklen Gestalt. Sofort warf ich mich zur Seite und riß den Revolver aus der Halfter. Mit der Linken schob ich den Hammer zu rück. »He, Mann, ich bin wehrlos!« rief die Gestalt und ging auf mich zu. Jetzt wußte ich auch, warum ich ihn so spät entdeckt hatte: Es war ein Neger, und nur das Weiße seiner Augen schimmerte im Mondlicht. Vorsichtshalber ließ ich meinen Navy-Colt draußen. Vielleicht war es eine Falle. »Was willst du?« fragte ich.
Der Neger trat noch näher. Er betrachtete mich, so gut die Beleuchtung es zuließ, und grinste dann. Seine weißen Zähne blitzten auf. »Du bist ja noch ein Junge«, sagte er. »Und ich hatte die Hosen schon gestrichen voll!« Er lachte nun aus vollem Hals. Dabei fuhr seine rechte Hand in die Tasche des schwarzen, schmuddeligen Mantels. Er zog eine Flasche heraus, entfernte den Korken und reichte sie mir. »Willst du?« Ich setzte die Flasche an den Mund. Etwas Trotz war auch dabei, weil er mich vorher einen Jungen genannt hatte, vor dem er keine Angst hatte. Ich hätte vorher an der Flasche riechen sollen. Das Zeug war klebrig und süß, wurde dann aber schärfer und schärfer. Mir schossen Tränen in die Augen, und ich versuchte vergeblich, den Husten zu unterdrücken. »Schmeckt's?« fragte der Neger. Ich sah ihn wegen meiner tränenden Augen nur undeutlich, hätte aber schwören können, daß er grinste. »O ja, sehr gut. Sehr gut!« Ich rieb mir die Augen, nachdem ich den Navy-Colt gehalftert hatte. »Du bist ein guter Lügner«, sagte der Neger und trank selber aus der Flasche. Er behielt sie eine ganze Weile oben und fuhr sich dann genießerisch über die Lippen. »Ein gutes Tröpfchen, wirklich.« »Was ist es?« »Geheimrezept. Hab's vom Opa meines Opas. Solche Sachen lernen bei uns Negern nur die Männer.« Ich stimmte ihm bei. Der Nachgeschmack war vortrefflich. Aber nun hatten wir genug um den heißen Brei herumgeredet. »Was treibst du hier in Kingston?« fragte ich. Er steckte die Flasche zurück in seine Manteltasche. »He, du rückst hier einfach an und stellst mir Fragen. Wer gibt dir das Recht dazu, Junge?« Nun wurde ich doch wütend. Ich legte meine Rechte auf den Griff meines Colts und sah dem Neger genau in die Augen. Trotz der Dunkelheit sah er die Bewegung und trat einen Schritt
zurück. »Okay, Junge, du stellst die Fragen.« »Nenn mich nicht ›Junge‹, hast du verstanden?« sagte ich scharf. Er nickte stumm. »Warum bist du hier in Kingston?« »Ich bin auf der Durchreise.« »Wohin?« »Fort Converse.« »Dem Unionstützpunkt?« fragte ich erstaunt. »Was willst du in Fort Converse?« Er deutete hinter sich. Undeutlich sah ich einen offenen Wagen, auf dem sechs Särge lagen. Ich trat neben den Wagen und schob probeweise einen Sarg zur Seite. Er war leer. Ich ließ dabei den Neger nicht aus den Augen. Er stand völlig ruhig da. »Warum gerade nach Fort Converse? Hier gibt es genug Tote, die einen Sarg brauchen.« Er zuckte mit den Schultern und trat neben mich an den Wagen. »Weil ich leben muß, Junge – äh …« Er suchte nach einer Bezeichnung für mich. »Ronco.« »Ich muß doch irgendwie Geld verdienen. Im Fort bezahlt mich die Armee, hier niemand.« Das konnte ich nicht bestreiten. Dennoch störte mich etwas an dem Neger. Ich wußte aber nicht, was es war, vielleicht seine Ruhe und Gelassenheit. Er plauderte völlig gelöst mit mir, nicht wie ein Mann, der gerade einem blutigen Gemetzel entgangen ist. Ich konnte damals noch nicht wissen, daß er trotz seiner zur Schau getragenen Ruhe völlig konzentriert war. Aber noch etwas wunderte mich. »Wie bist du den Banditen entwischt? Sie haben jeden umgebracht, nur dich nicht?« »Die Guerillas?« Er lachte wieder und klopfte auf einen der Särge. »Hier drin sieht kein Südstaatler nach. Dazu sind die Kerle zu dumm.« »Du warst in einem Sarg?« »Klar. Ich hörte die ersten Schüsse und wußte sofort, was die Stunde geschlagen hatte. Also nichts wie 'rein in das Ding.« Er fischte in seiner Tasche nach der mörderischen Flasche, fand sie und
reichte sie mir. Diesmal vertrug ich das Feuerwasser besser. Er schlug mir lachend auf die Schulter und sagte: »Wer meinen Schnaps trinken kann, ist ein Mann. Du bist wirklich ein Mann, Ronco, kein Junge mehr!« Irgendwie überzeugte mich sein dröhnendes Gelächter. Es war nicht gespielt, soviel Menschenkenntnis hatte ich inzwischen. »Du kannst mich Abe nennen. Getauft worden bin ich auf den wohlklingenden Namen Abraham Galloway, Sohn des Moses Isaac Galloway, Sklave auf den Baumwollfeldern des Südens.« Seine Stimme hatte einen bitteren Klang angenommen. Ich begann allmählich, mich in die verworrenen Geschehnisse des Krieges zu versetzen. Jeder hier im Osten, bis hinunter zum Sargschreiner der Soldaten, hatte mit dem Krieg etwas zu tun. Ich stieß mich vom Wagen ab. »Wo gehst du hin ?« fragte Abe. »Ich brauche dringend was zu essen«, sagte ich, ohne mich umzudrehen. Schnell schritt ich hinüber zum Drugstore. Die Vorderfront fing in dieser Sekunde Feuer. Mit einem Satz war ich im Innern. Das Licht genügte, um die Gestelle mit Munition zu finden. Patronen waren mir momentan wichtiger als Essen. Wenn ich erst wieder schießen konnte, würde ich auch etwas zu essen haben. Ich mußte mich beeilen. Aus den Bodenritzen unter meinen Füßen drang bereits Rauch. Ich begann zu husten. Endlich fand ich die flachen braunen Pappschachteln für die 45er Munition, nahm drei von ihnen und verschwand durch die zerborstene Glasscheibe der Eingangstür. Ich war kaum draußen, da krachte auch schon ein Teil der Decke ein. Während ich zurück zum Mietstall ging, überlegte ich, ob ich nun einen Diebstahl begangen hatte oder nicht. Für das Gesetz wahrscheinlich schon. Ich hatte da einige miese Erfahrungen hinter mir. Aber es war egal. In Kingston lebte außer mir und Abe niemand mehr. Abe war ein seltsamer Kerl. Während ich zum Mietstall schlenderte, ging er mir entgegen. Ich sah ihn zum ersten Mal bei besserer Beleuchtung. Er war noch gut einen halben Fuß größer als ich, mit breiten Schultern und schmalen Hüften. Er trug eine
seltsame schwarze Mütze, die schräg auf seinem kraushaarigen Kopf saß und in der Mitte einen winzigen Faden statt des Bommels hatte. Ihre Ränder standen nicht nach außen, sondern waren nach innen gekrümmt. Sie sah schauderhaft auf. Auch der Rest seiner Kleidung war nicht viel besser. Sein ehemals rotes Hemd zeigte Spuren von mindestens vierzehn Mahlzeiten, Kaffeeflecken, Brand- und Weinflecken, Löcher, zerrissene Nähte und ein fehlender Ärmel. Seine Hose wurde nur noch von dem schmalen Ledergürtel gehalten, da ihr sonst sämtliche Knöpfe fehlten. Die Taschen waren prall gefüllt und standen weit ab. Strümpfe trug er nicht mehr, seine bloßen Füße steckten in niedrigen Stiefeln, die knapp über dem Knöchel abgeschnitten waren. Wahrscheinlich hatten sie Abe nicht gepaßt. Ein Staubmantel lag auf dem Wagen mit den Särgen. Er sah auch nicht viel besser aus als die anderen Kleidungsstücke. Dennoch erregte etwas meine Aufmerksamkeit. Alles an Abe war alt, nur nicht der Colt, der an seiner rechten Hüfte hing. Der schwarzbrünierte Lauf schimmerte im Aufflackern der Flammen, genauso wie die Köpfe der Kugeln, die aus den Schlaufen im breiten Ledergürtel hervorschauten. Ich schluckte. Vorhin hätte Abe mich ohne weiteres umlegen können! Er hatte mich gesehen und wahrscheinlich die ganze Zeit über den Colt in der Hand gehalten. War seine Angst, als ich meine Hand auf den Kolben legte, nur gespielt? Etwas stimmte nicht mit Abraham Galloway. Wie ein einfacher Handwerker wirkte er keineswegs. Er schien mir eher ein Mann zu sein, der jeden Schritt genau überlegt, bevor er ihn ausführt, ein Mann, der schon viele Erfahrungen gesammelt hatte. Ich beschloß, ihn gut im Auge zu behalten. Während ich ihm entgegenging, stopfte ich die Munition in die leeren Kammern meines Colts und in meinen Gürtel. Es war ein gutes Gefühl, endlich wieder richtig bewaffnet zu sein. »Sag bloß, du hast mir mit einem ungeladenen Revolver Angst eingejagt«, erklärte Abe kopfschüttelnd. »Ich habe von einem Hügel aus die ganze Sache beobachtet. Dabei muß ich durchgedreht haben, denn ich habe den Rest meiner
Munition verschossen.« Abe bleckte seine Zähne. »Du bist gut, Mann. Hast du wenigstens getroffen?« Ich schlug mit dem Handballen gegen meine Sharps. »Einer der Kerle kriegte eine Kugel genau in den Kopf. Glückstreffer.« »Hm. Einer weniger. Dann hast du wenigstens mehr erreicht, als die Kavallerie-Truppe da vorn zusammen.« Er deutete zum Ortseingang. Undeutlich sah ich die zusammengekrümmten Gestalten der Nordstaatler auf der Straße liegen. »Du haßt die Soldaten des Südens?« fragte ich. Er klopfte mir mit seinen langen, sehnigen Fingern auf die Schulter, etwas gedankenversunken. »Ich hasse den Krieg. Und ich hasse alles, was damit verbunden ist. Der Norden kämpft für den Fortschritt, für die Freiheit der Neger. Die Ziele sind vielleicht besser, aber der Krieg der Nordstaaten ist genauso dreckig und ungerecht wie der Krieg der Südstaaten.« Ich funkelte ihn wütend an. »Die Soldaten sind nachts überfallen worden. Sie hatten überhaupt keine Chance.« »Niemand hat in diesem Krieg eine Chance. Jeder Fehler des anderen wird ausgenützt, und zwar rücksichtslos.« Er sah mich neugierig an. »Wo kommst du überhaupt her? Ich glaube, du weißt gar nicht, in was für eine Situation du hier im Osten geraten bist!« »Ich war in Montana.« Er warf den Kopf in den Nacken und lachte dröhnend. Er schien gern zu lachen. »Was ist daran so lustig?« fragte ich unwillig. »Du bist wohl dem großen Reichtum nachgejagt, wie? Den Goldstücken, die so dick wie Taubeneier sind?« Sein leichter Spott ging mir auf die Nerven. Er mochte etwas vom Krieg verstehen, aber nichts vom Leben im Norden und Westen. Ich pfiff meinem Braunen. Er trottete heran, und ich verstaute den Rest der Munition in den Satteltaschen. »Wir haben noch einiges vor uns«, sagte ich rauh. »Es ist schon viel Zeit verstrichen.« Ohne mich weiter um ihn zu kümmern, ging ich die Straße hinauf zu den toten Soldaten am Ortseingang. Ich tastete bei allen nach der
Halsschlagader. Vergeblich. Jeder war von mindestens drei, vier Schüssen getroffen worden. Die Guerillas hatten ganze Arbeit geleistet. Man hatte den Toten auch die Waffen abgenommen. Die Südstaaten brauchten dringend Revolver und Munition. Aber leider waren auch die Provianttaschen verschwunden. Fluchend erhob ich mich und ging weiter. Abe stand mitten auf der Straße und sah mir zu. Nach einer Weile näherte er sich. »Tut mir leid, Ronco«, sagte er. »Ich wollte dich nicht verspotten. Es ist nur …« Er suchte nach Worten. »Es ist schwierig sich vorzustellen, daß die Menschen im Westen ganz andere Probleme haben als wir. Wir versuchen jeden Tag, dem Tod zu entgehen, ihr habt nichts Besseres zu tun, als Gold zu suchen!« »Vergiß nicht, daß es im Westen auch kein Honigschlecken ist«, sagte ich und hatte keine Lust, weiter über dieses Thema zu reden. Abe übernahm die rechte Straßenseite, ich die linke. Zusammen untersuchten wir die Toten. Es war unsere Pflicht. Vielleicht lebte noch jemand unter den Trümmern. Shita beteiligte sich an der Suchaktion. Er schnüffelte vorsichtig zwischen den Trümmern herum. Unterdessen schob sich langsam die Dämmerung über den Horizont. Wir gelangten nur sehr langsam voran, oft waren die Toten unter Balken begraben und mußten erst ausgegraben werden. Bei keinem gab es noch Lebenszeichen. Meine Hände und Arme waren voll Blut, teilweise von den Toten, teilweise von mir. Brandblasen erschwerten mir die Arbeit. Mehrere der Balken schwelten noch. Shita geriet in eine plötzlich aufflackernde Flamme und raste jaulend mit glimmenden Schweifhaaren über die Straße. Nur mit Mühe konnte ich ihn wieder beruhigen. Schon wollten wir aufgeben, als Shita wie verrückt bellte. Schnell liefen Abe und ich zu ihm. Zunächst sahen wir gar nichts. Balken lagen kreuz und quer herum, darüber lose Schindeln. Aber Shita knurrte und zerrte wütend an einem Holzstück. Ich schob die Balken auseinander. Abe half mir.
Ich langte mit der Hand in das entstehende dunkle Loch und stieß auf etwas Warmes, Weiches, das meiner Berührung nachgab. So schnell ich nur konnte, grub ich weiter. Nach kurzer Zeit hatten wir die Frau aus den Trümmern befreit. Sie war nicht bei Bewußtsein und sah ziemlich mitgenommen aus. Blut lief ihr aus einer tiefen Schnittwunde an der Schläfe, ihr linker Arm war merkwürdig abgewinkelt. Abe schob mich zur Seite. »Laß mich sehen«, sagte er und tastete den Arm der Frau ab. Währenddessen zerriß ich schweren Herzens meinen Mantel, rollte eine Hälfte zusammen und schob sie unter den Kopf der Bewußtlosen. Die andere Hälfte deckte ich über ihren Körper. Ihr Kleid bestand nur noch aus Löchern. Abe sagte: »Halt ihre Beine und den rechten Arm fest.« Ich befolgte seinen Befehl. Er nahm den linken Arm und riß ihn mit einer schnellen Bewegung zurück. Ein Knirschen, die Frau stöhnte leise, und der Arm war wieder in seinem Gelenk. Abe erhob sich, ging zum Mietstall und kehrte mit seiner Schnapsflasche zurück. Er hielt sie der Frau an den Mund und flößte ihr die höllische Flüssigkeit ein. Es wirkte. Nach kurzer Zeit schlug sie die Augen auf und hustete. Abe gab ihr noch etwas Schnaps. Die Frau versuchte sich aufzurichten. Sie war Anfang Vierzig, mit den harten Linien eines Menschen, der schon viel erlebt hat. Ihre Augen schwenkten langsam von Abe zu mir und zu Abe zurück. »Wer – wer sind Sie? Was ist passiert?« fragte sie. Ihre Stimme war noch sehr schwach. Abe übernahm die schwere Aufgabe, der Frau ihre Lage zu erklären. Ich war ihm dankbar dafür. »Lady, Sie müssen jetzt verdammt tapfer sein«, sagte er heiser. Die Frau biß die Zähne zusammen und nickte. »Es sieht nicht gut aus, Lady. Kingston ist von Südstaatlern überfallen worden. Die Häuser sind angezündet worden. Und – und Sie sind die einzige Person, die den Überfall einigermaßen über …« »Das heißt, daß ich als einzige noch lebe«, unterbrach ihn die Frau hart. »Sehr richtig, Lady«, sagte Abe erleichtert. Er hielt ihr die Flasche
entgegen. »Noch einen Schluck?« Sie nickte und griff selbst nach der Flasche. Es jagte mir einen Schauer über den Rücken, als ich sah, wie die Frau, ohne mit der Wimper zu zucken, einige kräftige Schlucke trank und dann die Flasche absetzte. Wir halfen ihr, sich aufzurichten. Sie blieb stehen und sah sich um. Ihre Augen weiteten sich, als sie das Chaos um sich herum wahrnahm. »Und das war einmal Kingston«, sagte sie leise und raffte meine Mantelhälfte um ihre Schultern. »Haben Sie schon alle Häuser nach Überlebenden untersucht?« »Noch nicht, Lady«, sagte ich. »Aber die drei restlichen Häuser sehen nicht aus, als ob jemand darin hätte überleben können.« »Kommen Sie«, sagte die Frau und schritt langsam über die Trümmer auf die Hauptstraße. Ich stützte sie, aber nach einigen Schritten schob sie mich beiseite. »Ich kann gut allein gehen, junger Mann!« Ihre Haltung war beneidenswert. Neben der Straße brannten noch die Trümmer eines Hauses. Nur noch die Außenwände standen, das Dach war zusammengebrochen. »Das war unser Laden«, sagte die Frau. Sie stand still vor den Flammen. Ihre Silhouette hob sich gegen den heller werdenden Himmel ab. Sie war etwas vollschlank, mit kräftigern Knochen, das hellbraune Haar straff zurückgekämmt. Ihre Lippen waren zu einem schmalen Strich zusammengepreßt. Sonst zeigte sie keine Regung. »Unser?« fragte ich. Sie musterte immer noch die Ruinen. »Josh war mein Mann. Er liegt hier unter den Trümmern.« Sie strich sich mit einer fahrigen Bewegung eine Haarsträhne aus der Stirn. »Als die Schießerei begann, wollte er unbedingt seinen Laden schützen. Er lief hinüber und ließ mich allein in unserem Haus. Er war völlig außer sich und dachte an nichts anderes als an seine Waren.« Sie lachte ohne Heiterkeit. »Nehmen Sie's nicht so schwer«, sagte ich leise, »ein Mann, der seine Frau im Stich läßt, ist es nicht wert, daß man Tränen über ihn
vergießt.« Sie sah mich mit einem seltsamen Blick an. »Du bist für dein Alter ziemlich altklug, findest du nicht?« Ich antwortete ihr nicht, sondern stieg über die Trümmer und suchte nach Josh. Die Frau blieb noch eine Weile regungslos stehen, dann half sie mit. Josh konnte niemand mehr helfen. Er lag unter den Trümmern, ziemlich nahe beim Eingang. Sein Rückgrat war zerschmettert.
4. Abe hatte irgendwo eine Schaufel gefunden und hob eine Grube aus. Dann legten wir Josh hinein. »Möchten Sie noch ein Gebet sprechen?« fragte ich die Frau. Sie nickte und trat an das Kopfende des Grabes. »Josh«, begann sie, »als wir uns kennenlernten, war ich unerfahren und froh, jemanden zu finden, der mich von zu Hause wegbrachte. Nach neun Jahren Ehe hatte ich begriffen, daß du zwar ein guter Mensch, aber ein schlechter Mann warst. Deine Waren in diesem Laden hatten für dich mehr Wert als deine Frau. Hör zu, Josh, ich weine nicht an deinem Grab. Es nutzt keinem von uns was. Ich stehe jetzt da und habe keinen Cent, nur einen zerrissenen Mantel, mehr nicht. Was die Zukunft mir bringt, weiß ich nicht. Ich werde mir irgendwo einen Job suchen und Kingston vergessen, sei deshalb nicht böse. Wenn es stimmt, was der Pfarrer immer behauptet hat, daß es Gott gibt, dann wünsche ich dir, daß du in den Himmel kommst. Vielleicht darfst du in irgendeinem Orchester Baßtuba spielen. Das hast du ja schon hier in Kingston immer gern getan.« Sie sah noch einmal hinunter auf ihren toten Mann, dann trat sie zurück. Abe und ich schaufelten Erde in das Grab. Es war sogar irgendwie feierlich. Die Sonne ging gerade im Osten auf und beleuchtete die ersten Baumwipfel. Als wir fertig waren, knurrte mein Magen. Seit wie vielen Stunden ich nichts mehr gegessen hatte, wußte ich nicht. Mir war schon richtig schlecht vor Hunger. Ich sagte Abe, daß ich mich nach Futter umsehen wollte.
Er nickte. »Ich gehe mit dir.« Wir ließen die Frau auf Abes Wagen sitzen und gingen los. Ich marschierte zu dem niedergebrannten Drugstore, aus dem ich meine Munition hatte. »Was willst du denn im Drugstore?« fragte Abe kopfschüttelnd. Ich antwortete nicht, sondern kletterte über die Balken bis an eine Stelle, die ungefähr in der Nähe der ehemaligen Tür sein mußte. Dort begann ich, den Schutt wegzuräumen. Abe sah mir mit aufgerissenen Augen zu. Ich fischte ziemlich lange herum und verbrannte mir gehörig die Finger, aber ich fand das Gesuchte. »Mann, Mann«, sagte Abe bewundernd, als ich ihm die kochendheiße, schwarz angelaufene Konservenbüchse zuwarf. Das Etikett war natürlich zum Teufel. Sicherheitshalber fischte ich noch weiter, bis ich sieben Büchsen gefunden hatte. Wir brachten sie zum Wagen. Abe faßte sich in den Hemdkragen und brachte ein Messer zum Vorschein. Wieder wunderte ich mich, was wohl ein einfacher Sarglieferant mit einem versteckt getragenen Messer anfangen wollte. Er erriet meine Gedanken. »Eine alte Angewohnheit von mir«, sagte er lächelnd. Dann schnappte er sich die erste Büchse. »Lassen wir uns überraschen.« Es waren Pfirsiche. Der kochendheiße Saft spritzte yardhoch und verbrannte Abes Finger. Fluchend warf er die Büchse weg. Die nächste Büchse enthielt Schmierfett. Unsere Gesichter wurden immer länger. Die fünfte Konservenbüchse brachte Erfolg. Der Duft von heißen Bohnen erfüllte die Luft. Schnell öffnete Abe den ganzen Deckel, grub in seinen prallvollen Hosentaschen, gab jedem von uns eine Gabel und wir begannen zu essen. Es schmeckte herrlich. Für eine ganze Weile vergaßen wir die Toten um uns herum, all das Elend des Krieges, von dem ich so wenig und doch so viel kennengelernt hatte. Zum Glück enthielten auch die restlichen Büchsen eingelegte Bohnen. Wir aßen, bis nichts mehr übrigblieb.
»Und jetzt?« fragte Abe, nachdem er sich den Mund an seinem Hemd abgewischt hatte. Zu den vielen alten Flecken waren nun ein paar neue, frische gekommen. »Wir begraben die Toten«, schlug ich vor. »Du hast einen Vogel«, sagte Abe erschrocken. »Dann sind wir ja noch in drei Tagen an der Arbeit.« Ich mußte ihm zustimmen. Aber andererseits mißfiel mir der Gedanke, die Toten einfach so liegenzulassen. Wenigstens zudecken sollte man sie. Ich sagte es Abe. »Gut, Ronco. Obwohl ich nicht viel Zeit zu verlieren habe.« »Warum? In Fort Converse gibt es jeden Tag neue Tote. Du bringst deine Särge bestimmt an den Mann.« Es war ein dummer Vergleich, aber mir war kein besserer eingefallen. Wir standen gerade auf, als Shita, der bis jetzt an der immer noch heißen Pfirsichbüchse herumgeschnüffelt hatte, zu bellen anfing. Ich sah auf. »Was ist, Shita?« Er lief ein paar Schritte die Straße hinauf und kläffte dabei. Also war jemand im Anmarsch. Ich lüftete meinen Navy-Colt leicht im Halfter. Wenn es wieder die Südstaaten-Guerillas waren, würde ich meine Haut so teuer wie möglich verkaufen. Aus dem Augenwinkel sah ich, wie Abes Gesicht plötzlich hart wurde – ein Ausdruck, den ich an ihm noch nicht entdeckt hatte. Auch er hatte seine Hand am Revolvergriff. »Gehen Sie in Deckung, Lady«, sagte er scharf. Sie verschwand schnell hinter einem Steinhaufen. Ich selbst blieb mitten auf der Straße stehen, die Hände über der Brust verschränkt. Abe ging hinter seinen Särgen in Deckung. Eine ganze Weile geschah gar nichts. Ich dachte schon, daß Shita sich geirrt hätte, als ich die Hufschläge hörte. Es war ein einzelner Reiter. Er ritt von Süden die Straße hoch. Die Schatten von Mann und Maultier verschmolzen ineinander. Abe und die Frau traten gleichzeitig hinter ihren Deckungen hervor. Abe grinste etwas unsicher. Es war ein Priester. Entweder war das Maultier sehr klein oder der Priester sehr groß,
denn er schleifte mit seinen Beinen knapp über dem Boden. Außerdem war er kein allzu guter Reiter, er schaukelte von einer Seite zur anderen wie ein Strohhalm im Wind. Er hatte mächtige Schultern und Hände, bei deren Anblick ein schwedischer Matrose vor Neid erblaßt wäre. In diesen riesigen Pranken hielt er die Zügel, so, als wisse er nicht genau, was er damit anfangen solle. Schweiß glänzte auf seiner Stirn und hatte auf Brust und Rücken seine braune Robe dunkel gefärbt. Er hatte die Ärmel hochgerollt, seine Arme waren mit roten, gelockten Haaren bedeckt. Sein Bart war ebenfalls flammend rot, die Haare hingegen schwarz. Auf dem Kopf hatte er ein kleines, kreisrundes Stofftüchlein. Shita stand neben mir und knurrte dem Priester entgegen. Er konnte mit den Gesandten Gottes ebensowenig anfangen wie ich. Auch Abe, so sah ich, schien nicht gerade erfreut. Er musterte den Priester aus zusammengekniffenen Augen. Der Mann zügelte sein Maultier einige Schritte vor uns und ließ seine Blicke über die rauchenden Trümmer Kingstons schweifen. Eine ganze Weile sagte niemand etwas. Nur Shitas Knurren störte die Stille. »Gott sei mit euch, Brüder«, sagte der Priester mit tiefem Baß. Jetzt sah ich auch, daß nicht das Maultier klein, sondern er riesig war. Alles an ihm war übermäßig groß, sein Kopf, seine Hände, sein bulliger Hals. Ohne die braune Robe hätte man ihn für einen Holzfäller halten können. Ich wußte nicht, was ich auf diese seltsame Anrede entgegnen sollte. Ich empfand es eher als Beleidigung, daß er mich als seinen Bruder bezeichnete. Das fehlte mir gerade noch. Der Priester ließ sich nicht aus dem Konzept bringen. Mit bedächtigen, seiner Größe angepaßten Bewegungen stieg er ab und trat zu uns. Er überragte mich um gut zwei Köpfe, dabei war ich bestimmt kein Zwerg. Auf jeden Fall war er mir nicht sympathisch, dieser Satteltaschenpriester. Leute von seinem Schlag hatte ich beobachtet, wie sie den Weißen Gebetbücher und den Indianern Waffen verkauften. Und nachher beteten sie für die Weißen, die mit diesen Gewehren in die ewigen Jagdgründe befördert worden waren.
Außerdem stank er nach Schweiß und Dreck. Er kümmerte sich nicht im geringsten um unsere feindliche Haltung. Mit einer allesumfassenden Geste sagte er: »Ich sehe, Tod und Vernichtung haben diese Stadt überfallen. Aber verzweifelt nicht, Gott wird die Sünder bestrafen und die Gläubigen mit dem Himmelreich …« »Amen«, sagte ich, immer noch mit verschränkten Armen. Er musterte mich mit seinen kleinen, funkelnden Augen und rümpfte unmerklich die Nase. »Glaubt mir, Freunde«, fuhr er dann fort, »überall in diesem Land herrschen Hölle und Verzweiflung.« Er wirkte nun echt gerührt. »Der Krieg, es ist dieser verfluchte Krieg, der unser Land verwüstet und die armen Leute um ihren letzten Besitz bringt.« Er ballte die mächtigen Hände und reckte sie in die Höhe. »Es ist zum Verzweifeln! Vor nicht ganz einem Jahr war ich das erste Mal hier in Kingston. Es war eine kleine, ruhige Stadt.« Er musterte Abe, dann mich. »Es ist mir egal, ob die Leute in die Kirche gehen oder nicht. Ich will nur, daß sie in Ruhe und Zufriedenheit leben können. In unserem Land kann man das heute nicht mehr!« Ich muß sagen, seine Worte imponierten mir. Wahrscheinlich hatte er gemerkt, daß er bei uns nicht mit frommen Sprüchen landen konnte. Dennoch störte mich etwas an ihm, ich wußte nur nicht, was. »Ich heiße Mooney«, sagte der Priester und hielt mir die mächtige Pranke unter die Nase. Wohl oder übel schlug ich ein. Ich sagte ihm meinen Namen, und als Dank zerquetschte er mir beinahe die Finger. Shita knurrte wieder, und ich beruhigte ihn. Padre Mooney begrüßte Abe und die Frau, die sich als Liza Brown vorstellte. Dann rieb er sich die Hände. »An die Arbeit«, sagte er beinahe fröhlich. »Was bitte?« fragte ich erstaunt. »Wir werden die Leichen begraben«, sagte er. »Ihren Beruf in Ehren, Mooney«, sagte ich, »aber das können Sie allein tun.« »Willst du die armen Menschen den Aasvögeln überlassen?«
»Erstens paßt es mir nicht, daß Sie mich duzen, zweitens habe ich keine Lust, noch länger an diesem verdammten Ort zu bleiben. Schreiben Sie sich das hinter die Ohren!« Ich war ziemlich sauer. Shita sträubte zur Bestätigung die Haare und fletschte die Zähne. Mooney stand ziemlich verloren vor mir. In ihm arbeitete es. Schließlich beruhigte er sich und sagte: »Wir sollten sie wenigstens zudecken!« Abe trat neben mich. »Komm schon. Das ist unsere Pflicht!« Widerstrebend fügte ich mich. Während sie die Zivilisten mit Steinbrocken zudeckten, hob ich den zwölf toten Soldaten eine Grube aus. Sie hatten es verdient. Die Sonne brannte auf mich nieder, und ich zog mein Hemd aus. Nach einer guten Stunde war ich fertig. Nacheinander legte ich die Toten in die Grube und schüttete dann Erde darauf. Ich fand ein noch unversehrtes Brett und ritzte mit meinem Messer »Hier ruhen zwölf tapfere Nordstaatler, aus dem Hinterhalt ermordet« ein. Merkwürdig, dachte ich, als ich mich erhob und das Brett in die festgetretene Erde rammte, vor einigen Stunden kannte ich noch nicht einmal den Unterschied zwischen Nord- und Südstaaten. Und jetzt fühlte ich mich automatisch zu den Nordstaaten hingezogen. Dabei, so sagte ich mir, führten diese genau den gleichen, dreckigen Krieg wie die Südstaaten. Langsam schlenderte ich zurück zu Abe, Liza und Mooney. Die drei hatten ihre Arbeit beendet. Sie saßen vor dem Mietstall und rauchten. Liza war eine bewundernswerte Frau. Ihr Mann tot, alles Hab und Gut verloren, und sie konnte immer noch lächeln. »Mooney hat eine Predigt gehalten, die sich gesalzen hat«, sagte Abe lächelnd. »Wenn jetzt nicht alle Banditen im ewigen Fegefeuer schmoren, glaube ich an nichts mehr auf der Welt.« Ich sah, wie neben dem Mietstall Rauchschwaden aufstiegen. »He, der Wagen fängt Feuer!« rief ich und lief auch schon los. Mit riesigen Sätzen war Abe neben mir. Eins der Räder war bereits angeschmort, und auch die Ladefläche rauchte bedenklich. »Schnell, verdammt!« keuchte Abe. Er war totenbleich. Ich sah, wie Mooney aufgestanden war und uns interessiert zusah. Währenddessen zog und zerrte Abe wie ein Verrückter an seinem
Wagen. Jetzt flackerten die ersten Flammen auf der Ladefläche, nahe an dem ersten Sarg. Wir hatten den Wagen zu nahe an den brennenden Trümmern stehengelassen. Abe war außer sich. Ich merkte, daß etwas nicht stimmte, wollte aber nicht nach dem Grund fragen. Wegen der sechs gewöhnlichen Särge wäre Abe nicht so nervös geworden. Er war nicht der Typ dazu. Mit vereinten Kräften zogen wir den schweren Wagen aus der Gefahrenzone. Dabei rollte er über ein, zwei Balken, die auf dem Weg lagen. Einer der Särge hüpfte und rutschte immer näher zum Ende der Ladefläche. Bevor ich Abe noch warnen konnte, war der Sarg hinuntergefallen. Der Aufprall ließ mich aufhorchen. Statt des dumpfen Geräusches leeren Holzes erklang lautes Klirren aus dem Sarg. Abe erstarrte. Ich sah vom Sarg zu ihm und zurück. Hinter mir hörte ich die knirschenden Schritte Mooneys. Mit einer einzigen fließenden Bewegung riß Abe seinen Colt aus dem Halfter. »Mooney!« sagte er scharf. »Drehen Sie sich um und steigen Sie auf Ihr Maultier!« Seine Stimme war so kalt wie ein Bergsee, seine Augen ebenfalls. Mich selbst sah er nicht direkt an, aber ich wußte, daß ich jetzt keine falsche Bewegung machen durfte. Mooney blieb stehen. »Ich verstehe Sie nicht, Bruder«, sagte er unsicher, »ich wollte Ihnen doch nur helfen.« »Das haben Sie erst getan, wenn Sie weg sind. Es gibt Sachen, aus denen ein Priester seine Nase besser heraushält.« Abe steckte seinen Colt wieder weg, bückte sich und hob den Sarg allein wieder auf die Ladefläche. Diesmal klirrte es nur sehr leise, für Mooney sicher unhörbar. Mooney löste sich aus seiner Erstarrung, zuckte mit den Schultern und drehte sich auf dem Absatz um. Mit langen Schritten ging er zurück zu seinem Maultier. Er führte es zu einem Stein, trat mit einem Fuß darauf und schwang sich in den Sattel. Das Maultier knickte sichtlich ein. Es tat mir leid. »Auf Wiedersehen, Brüder«, sagte er, als er an uns vorbeiritt.
»Gott mit Ihnen, Padre«, grüßte Liza, die der Szene mit Unverständnis beigewohnt hatte. »Willst du nicht mit mir kommen, Schwester?« fragte Padre Mooney. »Wohin?« Liza lachte leise. »Zum nächsten Friedhof, zum nächsten Trupp Soldaten, dem sie begegnen? Nein danke, ich habe andere Ansichten über mein weiteres Leben.« Mooney warf ihr noch einen vernichtenden Blick zu und trieb sein Maultier an. Das rote Barthaar leuchtete in der Sonne. Wir sahen ihm nach, wie er langsam aus unserem Blickfeld verschwand. »Ich konnte ihn nicht ausstehen«, sagte Liza neben mir. »Ein schmieriger, verlogener Kerl.« Ich sah ihr in die Augen. »Sie sollten nicht so verbittert sein, Ma'am. Vielleicht tun Sie ihm Unrecht.« Sie senkte den Blick. »Sie haben recht. Es war unfair von mir …« Ich hörte aus ihrer Stimme, daß die Erlebnisse der letzten Stunden doch nicht spurlos an ihr vorübergegangen waren. Abe lehnte an seinem Wagen. Er wirkte nun wieder gelöster. Seinen Revolver trug er im Halfter. »Was war denn los, Abe?« fragte ich neugierig. »Nichts«, sagte er hart. Ich grinste und schlug mit der Hand gegen einen der Särge. »Nichts?« fragte ich. Er fuhr auf und starrte mich wütend an. Dann grinste auch er, spuckte aus und setzte sich auf die Ladefläche. Er zog seine Flasche hervor und genehmigte sich einen langen Schluck. »Du bist ein aufgeweckter Kerl, Ronco«, sagte er. Ich schwieg. Wenn er mir etwas zu sagen hatte, sollte er es tun. »Natürlich bin ich kein einfacher Sarglieferant«, begann er, »das hast du schon lange gemerkt.« »Ich dachte es mir«, erwiderte ich. Liza lehnte sich neben mich an den Wagen. »Erzählen Sie ruhig weiter, Mister Galloway. Ich werde es niemandem verraten.« »Ich muß wirklich nach Fort Converse«, sagte Abe, »mit den Särgen. Aber ich verkaufe nicht die Särge, sondern übergebe den
Soldaten den Inhalt.« »Waffen?« fragte ich. Etwas anderes würde es kaum sein. Abe nickte. »Genau.« Er klopfte auf den ersten Sarg. Es klang hohl. Ich erinnerte mich, auch auf diesen Sarg geklopft zu haben, als ich Abe das erste Mal begegnete. »Der hier ist leer. Hier drin habe ich den Überfall der Banditen überstanden.« »Wer bist du wirklich?« fragte ich, nun doch ziemlich neugierig geworden. »Später.« Er winkte ab. Mit einem Eisenstab hebelte er den Deckel eines Sarges ab. Ich sah erstaunt auf den Inhalt. Es waren Eisenteile, Rohre, längliche, kistenartige Schachteln, Schrauben. »Was ist das denn?« fragte ich erstaunt. »Gatling Guns.« Abe grinste zufrieden. »Völlig neue, tolle Maschinengewehre. Die Südstaaten lecken sich danach die Finger.« »Das habe ich gesehen«, sagte ich trocken und deutete auf die Trümmer Kingstons, »wegen der verdammten Maschinengewehre haben sie die ganze Stadt zerlegt.« »Der Trupp Kavallerie war nur Ablenkung«, sagte Abe. »Sie hatten Weisung, sich weit außerhalb der Städte auf dem Weg zu halten. Statt dessen rasteten sie genau unter dem Ortsschild von Kingston. Kein Wunder, daß die Guerillas die Stadt auseinandergenommen haben.« Er schob den Deckel wieder auf den Sarg. »Fort Converse braucht die neuen Waffen dringend. Es liegt an einem strategisch wichtigen Punkt im Nordwesten Missouris.« Er klopfte mir auf die Schulter. »Ich hatte eigentlich nicht vor, jemanden in mein Geheimnis einzuweihen. Aber du warst viel zu clever für mich. Ich glaube, du hast mich von Anfang an durchschaut. Stimmt's?« Ich schüttelte den Kopf. »Dein Colt hat meine Neugier geweckt. Er paßte nicht zu deinen dreckigen Klamotten.« Abe nickte. »Ich hätte daran denken sollen. Aber mir ist es schon schwer genug gefallen, mich im Dreck zu wälzen. Als Sergeant der Armee ist mir so etwas verboten.« »Was war in den Kisten, die der Kavallerietrupp mit sich geführt
hat?« wollte ich wissen. »Wertloses Metall. Die Guerillas werden sich vor Wut beinahe zerrissen haben.« »Allerdings. Ich habe zugesehen.« Aber ich war noch nicht in allen Fragen überzeugt. »Warum bestand der Trupp nur aus zwölf Mann? Sie waren zum Sterben verurteilt!« Abe hörte die Entrüstung in meiner Stimme. »Es war wirklich nicht zu erwarten, daß die Südstaaten mit solcher Brutalität einsteigen würden. Normalerweise pflegt man Gefangene zu nehmen und nicht wie verrückt zu töten.« Auch Liza schaltete sich ein. »Es müssen Tiere sein, keine Menschen. Das ist das Schlimmste, was es gibt: unschuldige Kinder zu ermorden.« Abe versank in dumpfem Brüten. Er faltete die Hände und schloß die Augen. Die Flasche mit dem scheußlichen Inhalt stand zwischen seinen Beinen auf der Ladefläche. Ich genehmigte mir einen Schluck und erstickte beinahe. »Was hast du jetzt vor?« fragte ich. Abe sah mich an. »Scheiße! Ich habe die alleinige Verantwortung über die Gewehre, und die Kavallerie ist nicht mehr in der Nähe, um mir zu helfen.« »Du mußt die Gatling Guns nach Fort Converse bringen?« »So schnell wie möglich«, sagte er. »Ich helfe dir.« Die Entscheidung fiel mir nicht schwer. Er preßte seine Hände um die Flasche. »Du bist verrückt. Hau ab, solange du noch Zeit hast! Das hier ist nichts für dich!« »Du kennst meinen Dickkopf nicht«, sagte ich, »was ich mir vorgenommen habe, führe ich auch aus.« Meine Entschlossenheit versetzte ihn in Erstaunen. Noch einmal versuchte er, mich umzustimmen: »Die Chancen stehen hundert zu eins, daß wir es lebend schaffen!« Seine Stimme klang nicht mehr so überzeugt. »Mit mir stehen sie nur noch hundert zu zwei«, sagte ich, »das sind fünfzig zu eins.« Ich grinste ihn an. »Mit mir sind Sie noch besser dran.« Er war Liza die sich in das Gespräch einmischte.
Abes Kinnladen klappte nach unten. »Wie bitte?« Liza stemmte die Arme in die Hüften. »Ich begleite euch. Ihr beide braucht doch jemanden, der für euch kocht und die Hemden flickt.« »Liza!« stöhnte Abe. »Wir haben andere Probleme als kochen und Löcher in den Hemden.« »Wenn's nur das ist!« Liza trat neben den Wagen und deutete auf Abes Colt. »Darf ich?« Abe sträubte sich dagegen. »Laß sie doch, Abe«, sagte ich ermunternd. Ich freute mich auf die bevorstehende Vorstellung. »Gut. Aber schießen Sie in die entgegengesetzte Richtung, Liza«, sagte er mit einem schiefen Grinsen. Liza nahm ihm den Colt aus dem Halfter und wog ihn prüfend in der Hand. Sie ließ die Trommel rotieren, wirbelte den Colt um den rechten Zeigefinger, stoppte ihn mitten in der Bewegung, knickte leicht in der Hüfte ein, und schon rollte das Echo des Schusses durch das Tal. Fünfzehn Yards vor uns vollführte die Pfirsichbüchse einen plötzlichen Sprung und rollte scheppernd über die Straße. Die nächste Kugel riß die Büchse in die Höhe, die dritte ließ sie tanzen und mit der vierten Kugel zerplatzte die Büchse. »Der Colt ist in Ordnung«, sagte Liza mit gespielter Gleichgültigkeit. Sie hielt ihn Abe hin, aber der große Neger sah immer noch ungläubig auf die Reste der Büchse, zwischen denen nun Shita herumschnüffelte und leckte. »Mann, Mann«, stieß er hervor. Den Revolver vor seiner Nase nahm er gar nicht wahr. »Hier, nehmen Sie schon.« Liza legte ihm den Colt in den Schoß. Sie wußte, daß sie Abe überzeugt hatte. Er sah mich an. »Hast du – ich meine …?« Ich muß gestehen, so etwas hatte ich noch nicht gesehen. Liza hätte sich ihr Geld als Kunstschützin verdienen können. Also sagte ich: »Deine Augen haben dich nicht betrogen. Liza kann schießen.« »Also, darf ich Sie begleiten?« fragte Liza.
Abe nahm sich zusammen. Er stand auf, halfterte seinen Colt, nachdem er ihn geladen hatte und drückte Liza die Hand. »Natürlich, Liza. Du bist mehr wert als ein Dutzend Soldaten zusammen.« Sie duzte ihn nun auch. »Hast du eine Waffe für mich?« Er nickte, ging zu einem der Särge, öffnete den Deckel und nahm einen Navy-Colt heraus, dazu in einem Säckchen noch hundert Schuß Munition. »Meine eiserne Reserve«, sagte er und reichte beides Liza. »Danke.« Sie prüfte die Waffe und steckte sie dann hinter den ehemaligen Gürtel meines Mantels, den ich ihr gegeben hatte. Wir beschlossen, die Nacht noch hier zu verbringen. Es ging unterdessen auf den Abend zu. Zusammen mit Abe räumten wir den Schutt des ehemaligen Drugstores beiseite und fanden weitere Büchsen. Dann wickelten wir uns in die Decken. Ich war hundemüde. Der Tag war anstrengend gewesen. Bevor ich einschlief, dachte ich noch, daß es besser gewesen wäre, eine Wache aufzustellen. Dann fielen mir die Augen zu.
5. Etwas Feuchtes fuhr mir über das Gesicht. Wütend drehte ich mich auf die andere Seite. Nun stieß mir etwas in die Seite. Jemand zupfte an meinem Ohr, als wolle er es abreißen. »Was ist denn?« murmelte ich unwillig. Shita stand vor mir. In seinen dunklen Augen spiegelte sich die fahle Sichel des Mondes. Sofort war ich hellwach. Ich richtete mich auf und sah mich um. »Ist da jemand?« fragte ich leise. Shita knurrte und zog die Lefzen hoch. Da wußte ich Bescheid. Ich rollte mich zur Seite und befreite mich aus der Decke. Mein Navy-Colt lag schon entsichert und gespannt in meiner Rechten. Abe war sofort wach. Er mußte den Instinkt eines wilden Tieres haben. »Was ist?« fragte er. »Wir kriegen Besuch.«
»Verdammt!« Er sprang auf und huschte gebückt zu Liza. Seine Hand legte sich über ihren Mund, damit sie uns nicht durch einen Schrei verriet. Hastig redete Abe auf sie ein. Ich konnte nicht verstehen, was er ihr erzählte. Sie nickte, und Abe kehrte zu mir zurück. »Los!« sagte er. Wir verließen unser Nachtlager und überquerten die ehemalige Main Street. Drei Häuser weiter bezog Abe Stellung. Er sagte: »Wenn ich Angriff brülle, hauen wir ab. Zurück zu unserem Nachtlager. Dort hat Liza dann die Pferde und den Wagen bereit.« Er gab mir einen Stoß, und ich hastete auf die andere Seite. Dort fand ich Deckung hinter einem verkohlten Wagen. Wir brauchten nicht lange zu warten. Von links näherten sich dunkle Gestalten. In diesem Moment hörte ich hinter mir das vertraute Hecheln Shitas. Ich war froh, daß er bei mir war. Es waren mindestens fünfzehn Reiter. Sie ritten ziemlich schnell die Main Street hinunter. Wenn ich mich nicht irrte, waren es die Südstaaten-Guerillas des Vorabends. Weshalb waren sie zurückgekehrt? Hatten sie einen Mann als Beobachter zurückgelassen und Abe gesehen? Der Besuch galt Abe, das war so sicher wie das Amen in der Kirche. Nun, wir wollten ihnen einen netten Empfang bereiten. Ich brauchte Shita gar nichts zu sagen. Er kannte sich in solchen Angelegenheiten aus. Gerade trabten die ersten vier Reiter vor uns vorbei. Wie ein schwarzer Pfeil raste Shita kreuz und quer zwischen den Beinen der verängstigten Pferde herum. Die Guerillas verstanden die Welt nicht mehr. Plötzlich stiegen ihre Pferde auf der Hinterhand, wieherten schrill, brachen seitlich aus oder drehten sich wie wild im Kreis. Wilde Flüche ertönten. Noch hatte niemand Shita wirklich gesehen. Sein dunkelbraunes Fell diente ihm auf der graubraunen Straße vorzüglich als Tarnung. Durch die Verzögerung waren nun auch die restlichen Guerillas heran. Sie waren sichtlich aus dem Konzept gebracht worden. In diesem Moment eröffnete Abe das Feuer. In schneller Folge jagte er sechs Schuß unter die aufbrüllenden Männer. Ich sah, wie
drei von ihnen aus den Sätteln stürzten. Shita gebärdete sich wie ein Wilder, biß Pferde in die Fesseln, Männern in die Stiefel und holte sogar einen aus dem Sattel, indem er ihm in den Rücken sprang. Nun löste ich Abe ab. Zwei Guerillas stürzten schwer zu Boden, ein anderer schrie getroffen auf. Aber wir hatten nicht mehr viel Zeit. Die Guerillas würden jede Sekunde merken, daß wir nur zu zweit und durchaus zu überwinden waren. Noch hatten sie genug mit sich selbst zu tun, aber ich sah, daß immer mehr Reiter von rechts die Main Street hinaufritten. »Angriff!« brüllte Abes heisere Stimme. Dann schoß er seinen Revolver leer, gleichzeitig mit mir. Ich selbst brüllte dazu wie am Spieß. Shita kläffte. Es herrschte mehr Lärm als in einem Waisenhaus am Weihnachtsabend. Abe tauchte vor mir auf, ich hatte ihn nicht kommen sehen. Zwei Reihen weißer Zähne blitzten im Mondlicht. Ich muß schon sagen, ein Neger hat es nachts leichter als ein Weißer. Ich beneidete ihn beinahe um seine schwarze Hautfarbe. Aber nur nachts. »Wie ist's?« keuchte er grinsend. »Hauen wir ab?« »Gehst du voraus?« fragte ich. »Nein, du. Ich halte dir den Rücken frei.« Er schob gerade die letzte Patrone in die Kammer seines Colts. Eine dunkle Gestalt tauchte hinter ihm auf. Bevor ich Abe auch nur warnen konnte, war er herumgewirbelt. Im Schein der Mündungsflamme sah ich das verzerrte Gesicht von einem der Guerillas. In der Hand hielt er eine abgesägte Schrotflinte. Er sackte mit ungläubigem Blick langsam in die Knie, und Abe nahm ihm die Schrotflinte aus den kraftlosen Fingern. »Danke Freund, ich kann sie brauchen«, sagte er zu dem Sterbenden. Dann drehte er sich zu mir. »Los, hau schon ab. Bring den Wagen mit den verdammten Gewehren in Schwung. Ich hole euch ein!« Schnell verdrückte ich mich. Es war verflucht dicke Luft in Kingston. Hinter mir tauchte Abe zwischen den Trümmern unter. Ich glaubte nicht, ihn noch einmal wiederzusehen. Die Guerillas hatten den ersten Schrecken überwunden und gingen zum Gegenangriff über. Mehr als ein Dutzend schwerbewaffneter Guerillas gegen einen
Neger. Trotzdem, Abe war ein hervorragender Kämpfer. Das hatte ich mit eigenen Augen gesehen. Wenn jemand eine Chance hatte, aus dieser Falle zu entwischen, dann war es Abe. Shita wies mir den Weg. Er schien genau zu wissen, auf was es ankam, denn er beschrieb seltsame Bögen. Ich konnte nur ahnen, daß er versteckten Guerillas aus dem Weg ging. Wie die Kerle hinter unsere »Linien« gelangt waren, konnte ich mir nicht erklären. Hoffentlich waren Liza und der Wagen noch unentdeckt. Shita knurrte plötzlich und blieb stehen. Ich riß mein Messer hervor und duckte mich. Shita starrte genau auf eine Stelle zwischen zwei Trümmerhaufen. Dort tauchte eine dunkle Gestalt auf. Im schwachen Mondlicht schimmerte der Lauf eines Gewehres. Der Mann ging langsam auf mich zu. Ich durfte nicht schießen, denn sonst hätte ich die Aufmerksamkeit der anderen Guerillas erregt. Also blieb mir nur das Messer. Der Mann trat näher. Ein kaltes Lächeln spielte auf seinen Lippen. »Streck die Pfoten in die Höhe«, sagte er leise. Ich sah genau in die Mündung eines Henry-Repetiergewehrs. Hoffentlich hatte er mein Messer noch nicht bemerkt. »Ruf deinen Hund zurück, sonst knall ich ihn ab!« zischte der Mann und sah irritiert auf Shita, der sich ihm langsam näherte. In diesem Augenblick sprang Shita. Mit seinem Schädel stieß er das Gewehr zur Seite, sprang aber an dem Mann vorbei. Ich schleuderte mein Messer. Es zischte durch die Luft. Der Mann blieb plötzlich wie angewurzelt stehen und stieß einen gurgelnden Laut aus. Schnell trat ich neben ihn. Das Messer steckte keine Handbreit neben seinem Herzen. Er hatte keine Chance mehr. Dunkel lief ihm das Blut aus dem Mund und tropfte über das Hemd. Dann brach er stumm zusammen. Ich bückte mich, nahm mein Messer und wischte es ab. Dann schnappte ich auch noch seine Henry. Man konnte nie wissen. Ich hastete weiter. Jetzt wählte Shita die kürzeste Strecke. Wahrscheinlich gab es hier keine Guerillas mehr. Hinter mir ertönten Schüsse. Abe kämpfte wie ein Besessener. Aber ich gab ihm höchstens noch Minuten, dann würden sie ihn
geschnappt haben. Gegen eine solche Übermacht … »Ronco?« Lizas Stimme klang unsicher. »Ja!« sagte ich schnell. »Ich hätte dich beinahe über den Haufen geschossen. Bei dem verdammten Mondlicht erkennt man nichts!« »Alles in Ordnung?« »Ich habe deinen Braunen gesattelt und Abes Pferde vor den Wagen gespannt. Es war ein hartes Stück Arbeit, vor allem dein Brauner. Er wollte mich nicht an sich heranlassen.« »Das ist auch richtig«, sagte ich stolz. Dann schnalzte ich mit der Zunge. Sofort trottete mein Brauner heran und rieb seine Nüstern gegen meinen Oberarm. Mit einem Satz war ich im Sattel. »Kannst du das Gespann lenken?« fragte ich Liza. Als Antwort sprang sie auf den schmalen Kutschbock und trieb die Pferde in einem präzisen Bogen auf die Main Street. Wir beeilten uns, die Stadt zu verlassen. Beinahe hätten wir es unbemerkt geschafft, aber dann erschienen doch die Guerillas. Eine Kugel zupfte an meinem Ärmel. Ich zuckte zusammen und drehte mich auf die Seite, von wo die Kugel abgefeuert worden war. Drei, vier Reiter näherten sich. Schnell hob ich die Henry und schoß einen der Männer aus dem Sattel. Dann hatte das Gewehr Ladehemmung, und ich warf es weg. Wieder bellten Schüsse hinter uns. Ich hörte, wie Liza erschrocken aufschrie. Das Gespann schleuderte, beruhigte sich aber wieder, nachdem ich meinen Braunen neben eines der beiden Pferde getrieben hatte. »Bist du getroffen?« rief ich. Liza schrie: »Nein!« und trieb die Pferde an. Sie lenkte den Wagen wirklich gut. Die Verfolger rückten immer näher. Ich verwünschte mich, daß ich die letzten Patronen für meine Sharps verfeuert hatte. Die Kugeln waren vom Kaliber .52, die meines Colts .45. Jetzt hätte mir die Sharps gute Dienste geleistet. Ich leerte meinen Navy-Colt, ohne einen der Verfolger zu treffen. Schnell lud ich nach. Die Schüsse der Guerillas lagen immer besser. Außerdem
schlossen sie noch weiter auf. Liza holte das Letzte aus den Gespannpferden heraus, aber es genügte nicht. Jede Sekunde konnten die Banditen uns einholen. Ich mußte mir etwas einfallen lassen. Schnell lenkte ich den Braunen auf Lizas Höhe und rief leise: »Fahr weiter, ich versuche, sie aufzuhalten!« Sie wandte mir den Kopf zu. Über dem Trommeln der Hufe konnte ich ihre Antwort nicht hören, aber sie hatte mich verstanden. Ich ließ mich etwas zurückfallen. Den Colt hielt ich in der Hand. Was ich versuchte, war purer Wahnsinn. Aber ich hatte keine andere Wahl. Die Guerillas würden Liza nicht anders behandeln als die Frauen und Kinder von Kingston. Und das wollte ich nicht zulassen. Hinter mir peitschten Schüsse auf. Keiner von ihnen traf, aber ich schrie dennoch und warf die Arme in die Luft. Dann ließ ich mich seitwärts fallen, so daß die Banditen mich nicht mehr sehen konnten. Dort hielt ich mich am Pferdehals fest, einen Fuß noch im Steigbügel. Mit einer Hand bremste ich den Braunen langsam ab, bis er schließlich stehenblieb. Ein Teil der Guerillas preschte an mir vorbei. Ich zählte drei. Mit ihnen würde ich später fertig werden. Vor mir ertönten Stimmen. Jemand sagte: »Schnapp dir das Pferd, Freddy, wir können es brauchen.« Ich wartete noch kurz, bis ich sicher war, daß die Guerillas alle ihre Pferde angehalten hatten; Dann zog ich mich blitzschnell hoch. Keine drei Yards vor mir sah ich ein völlig erstauntes Gesicht. Das mußte Freddy sein. Ich schoß ihm genau zwischen die aufgerissenen Augen. Mit dem nächsten Schuß holte ich einen anderen Guerilla aus dem Sattel. Während ich den Braunen antrieb, leerte ich meinen Colt auf eine Gruppe von Reitern. Ich hielt tief, so ungern ich es auch tat. Aber in der Dunkelheit war ein Pferd besser zu treffen als ein Mann. Schrill wiehernd brachen einige Tiere zusammen. Verwirrung entstand unter den Guerillas. Bis der erste seine Waffe abgefeuert hatte, war ich weit voraus. Erst jetzt zog ich mich wieder ganz in den Sattel. Der Braune holte kräftig aus. Er war widerstandsfähiger als
manches andere Pferd. Unterdessen lud ich den Navy-Colt nach. Entsetzt stellte ich fest, daß ich nicht mehr viel Munition hatte. Noch etwa zwanzig Schuß. Irgendwo vor mir befanden sich drei Guerillas. Hoffentlich hatten sie Liza noch nicht eingeholt. Sie hatten. Ich traf gerade rechtzeitig ein, um sie zu beobachten. Einer von ihnen warf sich in die Zügel eines Gespannpferdes. Langsam blieb der Wagen stehen. Liza lebte noch. Sie saß still auf dem Kutschbock. Was war los? Hatte sie ihren Colt verloren, oder warum schoß sie nicht? Die Antwort erfolgte schnell. Mich trennten noch etwa zwanzig Yards vom Wagen, als in rasend schneller Folge drei Schüsse aufpeitschten. Die Feuerlanzen beleuchteten die verzerrten Gesichter der Guerillas. Alle hielten ihren Revolver in der Hand, aber keiner von ihnen schaffte es noch, ihn abzudrücken. Ich sprang aus dem Sattel. Gerade stürzte der letzte Bandit zu Boden. Ich sah, daß alle drei genau ins Herz geschossen worden waren. »Ronco!« Lizas Stimme war ruhig und gelassen. »Ich sorgte mich schon um dich.« Ich war immer noch wie vor den Kopf geschlagen. So etwas von Kaltblütigkeit war mir noch nicht begegnet. »Warum hast du die drei nicht vorher erledigt?« fragte ich. »Es war mir zu unsicher«, erwiderte sie. »Ich hätte einen von ihnen nur verwunden können.« Ich muß wohl ziemlich verdattert ausgesehen haben, denn sie lachte und gab mir einen Klaps auf die Schulter. »Los, wir müssen weiter.« Ich schnappte mir noch den Patronengurt eines Banditen und zog mich in den Sattel. Der Mond ging langsam unter. In wenigen Stunden würde es dämmern. Ich dachte an Abe. Würde er uns einholen? Lebte er überhaupt noch? Ehrlich gesagt, ich hätte alles gegen ihn verwettet.
6.
Wir hatten sie abgehängt. Den ganzen Morgen lag ich auf der Lauer und suchte den Horizont nach etwaigen Verfolgern ab. Nichts geschah. Die flach abfallende Graslandschaft, die weiter gegen Westen in das Tal von Kingston mündete, blieb leer. Das hüfthohe Gras bewegte sich in langsamen Wellenbewegungen. Keine Spur der Guerillas. Ich kannte mich nicht in diesem Teil der Staaten aus. Liza behauptete, wir seien nicht mehr weit von Fort Converse entfernt. Ich wußte es nicht und war auch viel zu müde, um mich jetzt auf ein Pferd zu schwingen und das Fort zu suchen. Wir hatten die ganze Nacht keine einzige Rast eingelegt und waren hungrig und unausgeschlafen. Von Abe kein Lebenszeichen. Sie hatten ihn erwischt, das war sicher. Es tat mir leid um ihn. Er war ein braver, ehrlicher Mann gewesen, ein guter Kämpfer, der immer zu seinen Freunden stand. Und wegen solch eines läppischen Krieges verlor unser Land seine besten Männer! Nicht tausend Gatling Guns waren es wert, daß ein Mann wie Abe dafür ins Gras biß. »Du spinnst trübe Gedanken, Ronco?« Leiser Spott schwang in der Stimme, die ich plötzlich hinter mir hörte. Ich fuhr herum. Und da stand er, in seinen dreckigen Kleidern, ein breites Grinsen im Gesicht. »Abe! Wo kommst du denn her?« Ich konnte meine Freude kaum verbergen. »Blöde Frage. Aus Kingston.« Abe grinste immer noch. Dann setzte er sich zu uns und erzählte, wie er sich zu Fuß abgesetzt hatte. Wie viele Guerillas dabei hatten sterben müssen, verschwieg er. Shita kehrte mit einem saftigen Hasen zurück. Ich schlug ihn aus dem Fell und briet ihn auf einem nichtrauchenden Feuer. Abe saß auf einem Stein und sah mir zu. Er war mitgenommener, als er zugab. Aus den Tiefen seiner Hosentaschen hatte er eine alte Maiskolbenpfeife gegraben und paffte vor sich hin. Wir waren natürlich immer noch hungrig, aber der Hase half über das Schlimmste hinweg. Außerdem, so versicherte Abe, seien wir ganz in der Nähe des Forts. Als Belohnung für die Gatlings würden uns die Soldaten einen ganzen Ochsen am Spieß braten. Mir lief
buchstäblich das Wasser im Mund zusammen. Wir brachen auf und folgten einem schmalen, langgestreckten Waldstück. Einmal sahen wir in der Ferne einen Trupp SüdstaatenSoldaten. Abe wirkte plötzlich angespannt und nervös. Er trieb uns immer wieder zur Eile an. Die Sonne kletterte dem Zenit entgegen. Trotz der frühen Jahreszeit wurde es ziemlich warm. Keine einzige Wolke trübte den Himmel. Liza lag völlig entspannt zwischen den Särgen auf der Ladefläche und summte »I'm going down the road«. An ihr war die Anstrengung der letzten Stunden spurlos vorbeigegangen. Wir erklommen einen sanften Hügelzug, immer im Schutz des Waldstreifens. Wir mußten vorsichtig sein. Noch waren wir den Guerillas nicht entwischt. Dann sahen wir Fort Converse. Wir hatten das Ende des Waldes erreicht und die Pferde gezügelt. Fort Converse bestand aus einer Gruppe von symmetrisch angeordneten Blockhütten, den Mannschaftsgebäuden, der Kommandantur, den Lagerhäusern und dem Hospital. Nur die Nordfront war durch einen Palisadenzaun geschützt, höchstwahrscheinlich wegen des Windes. Ein kleines Wachgebäude sicherte den Komplex gegen Süden ab. Es erweckte nicht gerade einen sehr sicheren Eindruck. »Wollen wir?« fragte ich. Abe nickte. »Mann, bin ich froh, wenn ich die Maschinengewehre nicht mehr am Hals habe.« Ich glaubte es ihm. Die Verantwortung war immens. Wenn die Südstaatler die Gatlings in ihren Besitz brachten … Ich dachte den Gedanken lieber nicht zu Ende. In diesem Augenblick stieß Liza einen leisen Schrei aus. Ihr Finger zeigte auf die Waldgrenze östlich des Forts. Wir erstarrten. Dort galoppierten grauuniformierte Soldaten auf das Fort los. Ich warf den Kopf herum. Auch von Westen rückten Soldaten an. Welle um Welle verließ den Wald und galoppierte auf das Fort zu. Die Tür des Wachgebäudes wurde aufgerissen. Ein Mann stürzte brüllend über den Exerzierplatz. Im Fort erwachte Leben. Blauröcke
liefen durcheinander, verschwanden in Häusern, schrien Befehle und wußten nicht, was getan werden mußte. Da erreichten die ersten Angreifer bereits das Fort. Sie ritten quer über den Exerzierplatz und schossen dabei alles nieder, was sich ihnen in den Weg stellte. Pulverdampf hüllte die Szene ein. Ich schätzte, daß ungefähr zweihundert Angreifer gegen dreißig, vierzig Mann kämpften. Abe war unter seiner dunklen Haut blaß geworden. Er saß starr auf dem Kutschbock, seine kräftigen Finger um die Bremskurbel verkrampft. Seine Kinnmuskeln arbeiteten. Schweiß perlte auf seinem Gesicht. In diesen langen Minuten tat er mir leid. Es mußte unheimlich schwer für ihn sein, zuzusehen, wie seine Leute niedergemetzelt wurden. Ich sah ihm an, wie gern er mitgekämpft und wenigstens einen der Angreifer getötet hätte. Die Konföderierten waren zu sehr in der Übermacht. Sie steckten die Holzgebäude in Flammen. Dann warteten sie außerhalb der Schußweite ab. Die Soldaten des Forts gaben noch nicht auf. Sie versuchten, das Feuer zu löschen. Daraufhin kehrten die Angreifer wieder zurück. Jetzt kämpften die Soldaten mit dem Rücken zur Wand. Dennoch gaben sie sich noch nicht geschlagen. Befriedigt sah ich, daß auch die Konföderierten Verluste erlitten. Die Zahl der reiterlosen Pferde nahm zu, gleichzeitig aber das Kampfgetöse ab. Dann war es vorbei. Die letzten zehn Soldaten warfen ihre Waffen zu Boden und schwenkten ihre Uniformjacken. Die Angreifer stürmten in die noch unbeschädigten Gebäude und durchsuchten sie nach Kriegsbeute. »Wahrscheinlich hoffen sie auf die Gatlings«, sagte Abe düster. Wir beobachteten, wie die zehn Gefangenen gefesselt und in das ehemalige Mannschaftsgebäude abtransportiert wurden. Es herrschte reges Treiben im Fort. Die Konföderierten waren dabei, sich häuslich niederzulassen. Sie fingen ihre Pferde ein und trieben sie in die Korrals, hißten die neue Fahne, und ein Trompeter blies zum Fahnenwechsel. Ich legte Abe die Hand auf die Schulter. »Komm schon, Mann«,
sagte ich beruhigend. »Sei froh, daß du nicht unter den Gefangenen bist. Um ein Haar hätten sie uns auch noch kassiert.« »Bei Gott, das hätte uns gerade noch gefehlt«, stöhnte er. Dann strafften sich seine Schultern. Er manövrierte vorsichtig die Pferde rückwärts zwischen die Bäume, außer Sicht der Konföderierten. »Und jetzt?« fragte Liza. Wir saßen alle nebeneinander auf der Ladefläche und ließen die Köpfe hängen. Schade, daß uns niemand sah, mitten in einem Wald, auf einem Wagen zwischen sechs Holzsärgen. Zu einem anderen Zeitpunkt wäre es sogar lustig gewesen. »Und jetzt? Wir werden versuchen, auf die Truppen der Nordstaaten zu stoßen.« Abe strich sich die krausen Haare unter der runden, randlosen Mütze mit dem komischen Faden in der Mitte. Er hatte sie noch kein einziges Mal abgesetzt. »Hast du eine Ahnung, wo du sie finden kannst?« Er nickte. »Bevor ich abbeordert wurde, lagen unsere Truppen in Lathrop. Wenigstens ein Teil von ihnen.« »Lathrop?« fragte ich. »Eine Tagesreise westlich von hier.« Ich grinste. »Du bist verdammt pflichtbewußt.« »Warum?« »Jeder andere hätte die Gatlings schon lange in die Hölle geschickt und wäre abgehauen.« »Ich haue nicht ab. Nur eins schwöre ich: Ich werde nie mehr in meinem Leben etwas mit den Gatlings zu schaffen haben, glaubt mir!« Ich glitt von der Ladefläche und sah mich etwas in der Gegend um. Überall wimmelte es von Südstaatlern. Es war zum Verzweifeln. Als ich zum Wagen zurückkehrte, war Abe aufbruchsbereit. »Schaffen wir's?« fragte er. »Wir müssen uns südwestlich halten, immer am Wald entlang. Vielleicht klappt's.« Wir fuhren los. Ich übernahm die Spitze. In einigem Abstand folgte Abe mit Liza. Shita führte uns und warnte mich mehrmals vor Soldaten, die in einiger Entfernung vorbeiritten. Zum Glück geriet keiner von ihnen uns zu nahe. Wahrscheinlich rechneten sie auch
nicht mit feindlichen Truppen. Feindliche Truppen! Ich mußte lachen. Ein Sergeant in Zivil, eine Frau, ein Junge und ein Hund. Da konnte man kaum von feindlichen Truppen sprechen. Dennoch, wir waren gar nicht so ohne. Die Guerillas hatten es am eigenen Körper spüren müssen. Aber es war auch eine tüchtige Portion Glück dabei gewesen. Hoffentlich blieb es so. Nach drei Stunden löste Liza Abe auf dem Kutschbock ab. Der große Neger war völlig erschöpft und schlief, zwischen zwei Särgen eingeklemmt, sofort ein. Liza lenkte den Wagen schnell und geschickt. Wir gelangten besser voran. Die feindlichen Soldaten tauchten immer seltener am Horizont auf. Offensichtlich entfernten wir uns von ihren Nachschublinien. Im Westen begann zunehmend das dumpfe Grollen entfernter Kanonen. Es war ein unangenehmes Geräusch, und ich mußte ständig an die Verwüstung und den Schrecken denken, die von den Kanonen ausgingen. Es war eine schreckliche Erfindung, die nur dem reinen Töten diente, nicht dem Frieden. Wir versuchten möglichst, den am Weg liegenden Farmen auszuweichen, schafften es aber nicht immer. Keine der Farmen war noch ganz oder bewohnt. Die meisten waren ausgeraubt und in Brand gesteckt worden. Überall auf den Feldern lag totes Vieh, viele der Felder waren abgebrannt. Nur die verkohlten Knochen der verendeten Tiere zeigten, daß vor einiger Zeit das Land noch bewohnt gewesen war. Der Kanonendonner verstärkte sich. Er störte nun schon jede leise Unterhaltung. Die Schlacht war in vollem Gang. Irgendwo, einige Meilen westlich, bekämpften sich Konföderierte und die Truppen der Nordstaaten wegen dummer Meinungsverschiedenheiten. Ich dachte an die Apachen. Wieviel klüger waren doch die Indianer in vielen Fragen! Aber die Weißen würden ja niemals zugeben, daß sie den verhaßten Rothäuten nicht in allen Belangen überlegen waren. Das ging gegen den sogenannten Ehrenkodex. Ich unterbrach meine Überlegungen. Wir waren auf einen Weg gestoßen. Ich weckte Abe auf und fragte ihn, welche Strecke wir
nehmen sollten. Er entschied, daß wir der Straße eine Weile folgen sollten, bis wir einen Wald erreichten. Dort sollten wir von der Straße weg und ihr in einem sicheren Abstand folgen. Es war gar nicht ungefährlich. Jede Sekunde konnten ein Trupp Konföderierter oder Guerillas auftauchen. Es ging gut. Nach einer weiteren Stunde erreichten wir den Waldgürtel, und ich schwenkte nach Süden ab. Liza lenkte die Pferde vorsichtig über die Böschung und folgte mir. Eine Meile weiter südlich fanden wir einen Pfad. Wir folgten ihm nach Westen, bis ich auf eine Lichtung stieß. Bei dem ständigen Schlachtlärm in der Ferne konnte ich es wagen, auf die Jagd zu gehen. Liza wartete beim Wagen, während ich mich einige Yards entfernte. Ich hatte Glück. Ein Perlhuhn flatterte mir genau vor die Mündung. Ich drückte ab, und der Vogel ging in einem Federregen zu Boden. Liza rupfte ihm die Federn aus, und ich bereitete Feuer. Als Abe erwachte, war das Essen fertig. Ich gab den Pferden etwas Hafer, den Abe unter dem Kutschbock in einem Sack hatte. Dann rieb ich sie ab, versorgte sie mit Wasser und setzte mich vor das Feuer. Die Nacht zog herauf, als wir die letzten Knöchelchen abgenagt und hinter uns geworfen hatten. Ich rülpste, und als ich errötete, lachte Liza. Abe schob Wache, während Liza und ich zwei Stunden schliefen. Als der Neger mich an der Schulter rüttelte, war ich sofort hellwach. Es ging weiter, dem Ziel entgegen.
7. Wir fuhren die ganze Nacht durch. Der Pfad führte schnurgerade nach Westen. Glücklicherweise begegnete uns weder Freund noch Feind. Die Bäume standen eng zusammen, und wir hätten uns nicht in den Wald verdrücken können. Als wir endlich die letzten Bäume hinter uns gelassen hatten, ging der Tanz erst richtig los. Dauernd begegneten wir Rebellentruppen
und mußten kreuz und quer ausweichen. Die Dunkelheit rettete uns einmal das Leben. Wir wurden von vier Soldaten in grauen Uniformen eingeholt, bevor wir noch ausgewichen waren. Sie erkannten uns nicht und riefen Abe zu, er könne jetzt mit seinen Särgen viel Geld bei den Nordstaatlern verdienen. Es hatten viele von den Bastarden das Zeitliche gesegnet, dank der hervorragenden Siege der Konföderierten. Abe beherrschte sich und lachte gezwungen mit. Am liebsten hätte er die Kerle zur Hölle gejagt. Zum Glück ritten sie schnell weiter. Nach drei Stunden dämmerte es. Ein fahlgelber Streifen am Horizont kündete den Tag an. Wir hatten nicht mehr viel Zeit. »Wie weit ist es noch bis Lathrop?« fragte ich Abe. »Eine gute Stunde. Mehr nicht.« Er hatte gut geschätzt. Obwohl wir wiederholt ausweichen mußten, erreichten wir Lathrop nach fünfzig Minuten. Wir sahen alle drei nicht mehr taufrisch aus. Auch Liza trug Zeichen der Anstrengung, genauso Abe und ich. Tiefe Ringe lagen unter Abes Augen, seine Wangen waren eingefallen und bleicher als gewöhnlich. Ich konnte nur ahnen, daß ich auch nicht besser aussah. Diesmal warteten wir eine geraume Weile, bevor wir uns dem Zielort näherten. Schon bei Fort Converse wären wir beinahe den Grauröcken in die Arme gerannt. Aber hier in Lathrop gab es keine Konföderierten, das sah ich bereits aus der Entfernung. Genausowenig, wie es Soldaten der Nordstaaten gab. Lathrop war ein Trümmerhaufen. An vielen Stellen der Stadt hatte es gebrannt. Dunkle Rauchwolken stiegen in den Morgenhimmel. Es gab kein einziges Haus, das nicht beschädigt war. Vor allem die ersten zwei Häuserreihen gegen Osten waren schwer mitgenommen. Ich erkannte Reste eines Schutzwalles, zwischen dem Leichen lagen. Ein paar Männer und Frauen in Zivil kletterten zwischen den Schutthalden umher. Sie suchten anscheinend nach Überlebenden. Auch die Straße, die nach Lathrop hineinführte, sah schlimm aus. Schwere Artillerie hatte den Boden zerpflügt und tiefe Krater hinterlassen. Auch hier lagen Leichen, teilweise bis zur Unkenntlichkeit verstümmelt, blutig, in entsetzlichen Verrenkungen.
Wir standen auf einem sanft abfallenden Hügel, keine zwei Meilen südöstlich der Stadt. Von dort nach Westen führte eine breite, blutige Spur, in den Boden gepreßt von vielen hundert Füßen. Über allem lag der Gestank des Todes, schwach vermischt mit Pulvergeruch. Die Schlacht war noch nicht lange vorbei. Abe saß kerzengerade auf dem Kutschbock. Er hatte die Zähne in die Unterlippe gegraben. »Komm schon«, sagte ich und gab dem einen Gespannpferd einen leichten Klaps auf die Hinterhand. »Sehen wir uns doch die Stadt näher an.« Shita war nervös. Er wurde immer nervös, wenn er Menschenblut witterte. Für seine feine Nase mußte der Gestank unerträglich sein. Langsam ritten wir den Hügel hinunter zur Stadt. Nun erkannte ich auch, daß einige der Gräben, die ich vorher gesehen hatte, von den Einwohnern ausgehoben worden waren. Dort hinein warfen sie die Toten. Kaum jemand kümmerte sich um uns, als wir uns durch das Gewirr von Balken, Schutt und Leichen einen Weg in die Stadt bahnten. Die Leute sahen schlimm aus, totenbleich, abgehärmt, mit tief in den Höhlen liegenden Augen. Sie hatten allerlei erdulden müssen. Soweit ich das beurteilen konnte, standen kaum noch zwanzig Häuser von ehemals mindestens hundert. Ich passierte einige Männer, die gerade eine Grube aushoben. Daneben lagen Leichen, alle mit blauen Uniformen. Ich beugte mich etwas aus dem Sattel. »Könnt ihr mir sagen, was hier los war?« Einer der Männer schob sich den Hut aus der Stirn und wischte sich den Schweiß ab. Er war schon sehr alt und hatte keine Zähne mehr. »Junger Mann«, sagte er undeutlich, »Sie haben einen glorreichen Sieg der Nordstaaten verpaßt.« »Ach, halt doch deine Schnauze«, sagte einer der anderen mürrisch. »Doch, doch«, beharrte der Alte, »sie haben es den Konföderierten gezeigt. Vorgestern haben die Rebellen die Stadt angegriffen und es bis gestern pausenlos versucht. Aber dann …« Er kicherte vor sich
hin und hielt seine Hände vor den Mund, als wären sie eine Trompete. »Dann sind die Nordstaatensoldaten zum Angriff übergegangen und haben die Rebellen in die Flucht geschlagen. Sie sind ihnen gefolgt, und angesichts dieses ruhmreichen Sieges sind sogar die schwerverwundeten Soldaten nochmals an die Waffen und haben die Banditen verfolgt!« »Und angesichts des glorreichen Sieges begraben wir nun schon über zweihundert Blauröcke, Alter«, brummte der andere Mann. »Mir wäre es viel lieber gewesen, die verfluchten Blauröcke wären dageblieben.« »Warum denn?« fragte ich verwundert, »nur wegen denen ist doch die Stadt angegriffen und verwüstet worden!« »Wenn keine Soldaten mehr in unserer Stadt sind, kriegen wir jeden Tag Besuch von umherstreifenden Banditen und Gesetzlosen. Die sind noch viel schlimmer als die Soldaten, denn sie plündern und morden nur des Geldes wegen.« Langsam begriff ich, was es hieß, einen Krieg mitzuerleben. Man dachte dann nicht mehr an Helden und Ruhm, sondern nur ans Überleben, an das tägliche Brot und an die Qualen, die der Krieg brachte. Die armen Bewohner dieser Stadt. Waren sie erst mitten in eine Schlacht geraten, mit der sie gar nichts zu schaffen hatten, wurden sie nun von Banditen geplündert und ausgeraubt. »Sind keine Blauröcke mehr in der Stadt?« Es war Abe, der seinen Wagen neben mir gezügelt hatte. Der Mann deutete neben sich. »Es gibt Blauröcke in Massen, aber in keinem von ihnen ist noch ein Funken Leben. Du kannst deine Särge hierlassen. Für die Offiziere, damit der alte Herr da oben sie von den normalen Soldaten unterscheiden kann!« er deutete mit dem Daumen zum Himmel und grinste. Abe tippte an seine schwarze Mütze. Er trieb die Pferde an. »Und nun?« fragte ich, als wir außer Hörweite waren. »Ich muß weiter. Die verdammten Gatlings liegen mir wie Steine im Magen.« »Weißt du denn, wo die nächsten Nordstaatler sind?« Er grinste breit. »Ich kenne da ein Fort am Missouri. Dort sind garantiert noch keine Rebellen.«
»Du wirst wahrscheinlich noch ein paar Jahre mit deinem Wagen durch die Gegend fahren, Abe. Warum steuerst du nicht direkt Washington an?« Er lachte schallend. »Bis ich dort ankomme, haben die Rebellen sicher schon den Präsidenten ermordet. Ich habe in letzter Zeit wirklich Pech. Warum treffen wir auch nie auf Blauröcke, zum Donner!« »Wie viele Meilen sind es bis zu dem Fort am Missouri?« »Ungefähr sechzig«, erwiderte er. »Viel Vergnügen«, sagte ich. Wir hielten vor einem Haus an, das in einem noch annehmbaren Zustand war. Es war ein Drugstore. Abe ging voraus. »Einen Sack Hafer«, sagte er. Der Besitzer schüttelte den Kopf. »Ausverkauft.« Er war ein kleiner Mann mit schlohweißen Haaren. Ich ließ meine Blicke über die Regale wandern. Der Drugstore war beinahe leer. Lathrop war anscheinend vom Nachschub abgeschnitten worden. »Bohnen?« fragte Abe. »Nein, Mister. Tut mir leid.« »Speck? Eier? Kaffee?« Der Besitzer musterte uns, dann verschwand er und kehrte mit drei Eiern zurück. »Das sind meine letzten«, erklärte er. »Sagen Sie keinem, daß sie von mir sind!« Abe drückte ihm einen Silberdollar in die Hand, nachdem er noch eine Schachtel 45er Munition erstanden hatte – die letzte. »Versuchen Sie's bei O'Caughanny, dem anderen Drugstore. Ich weiß nicht, ob er noch steht. Er ist am westlichen Ortseingang auf der linken Straßenseite.« Wir bedankten uns und suchten nach einem ruhigen Plätzchen. Die Gespannpferde waren ermüdet, sie hatten schwere Arbeit geleistet. Mein Brauner war zwar noch frischer, aber er brauchte auch etwas Ruhe. Wir gaben den Pferden Wasser aus unseren Feldflaschen, da wir dem Wasser der Stadt nicht trauten. In Lathrop konnte jederzeit eine Seuche ausbrechen, deshalb wollten wir auch so kurz wie möglich bleiben. Ich brauchte nun dringend Munition für meine Sharps. Ohne sie
fühlte ich mich richtiggehend verloren. Nach dem Essen wollte ich es bei O'Caughanny versuchen. Abe warf seine letzten Kaffeebohnen in eine leere Konservenbüchse, die er über ein Feuer gestellt hatte. Dazu brieten wir die drei Eier, und das war alles. Nicht sehr viel für drei hungrige Mäuler. Abe nahm die Pfanne vom Feuer, als sich zwei kleine Kinder über die Trümmer näherten. Sie waren noch sehr jung, keine drei Jahre alt, mit großen runden Augen, die uns anklagend anstarrten. Sie waren vom Geruch angelockt worden. Abe, der gerade seine Gabel zum Mund führen wollte, sah erstaunt auf. »Was wollt ihr?« fragte er. »Hunger!« sagte einer der beiden. »Hunger!« Abe strich sich über seine schwarze Mütze. Er sah ziemlich verloren aus. »Habt ihr keine Mami?« »Papi ist tot, Mami nichts zu essen«, sagte das Kind. Wir gaben ihnen zwei der drei Eier. Das letzte erhielt Liza, obwohl sie sich dagegen sträubte. Dann sahen wir mit hungrigen Augen zu, wie die Knirpse die Eier hinunterschlangen, dann artig die Blechteller zurückgaben und so schnell verschwanden, wie sie gekommen waren. Ich muß sagen, was ich hier im Osten bisher gesehen hatte, bedrückte mich. Krieg war eine feine Sache, solange sich nur Soldaten untereinander die Köpfe einschlugen. Aber wenn kleine Kinder hungern mußten, hörte der Spaß auf, für mich jedenfalls. Abe unterbrach meine düsteren Gedanken. »Ich werde nach Einbruch der Dunkelheit weiterfahren. Was habt ihr vor?« Liza lächelte. »Seltsam, das hatte ich auch vor. Hier in Lathrop gefällt's mir überhaupt nicht.« »Mir auch nicht«, sagte ich. »Hm, ich sehe schon. Ihr wollt euch wohl unbedingt die Köpfe einschlagen lassen?« Er täuschte Ärger vor. Es gelang nicht besonders. »Allein schaffst du's nie«, sagte ich überzeugt. Bevor Abe etwas erwidern konnte, weiteten sich plötzlich seine
Augen. Er sah auf einen Punkt hinter mir. Ich drehte mich um. Und wer ritt da auf einem abgekämpften Maultier, die abgelaufenen Sandalen knapp über dem Boden, mit schwarzen Haaren und rotem Bart? Unser spezieller Freund Padre Mooney. Außer einigen neuen Flecken auf seiner braunen Robe hatte er sich nicht verändert. Reiten konnte er immer noch nicht. Er hielt die dicken, plumpen Finger in Höhe seiner Brust, zwischen Daumen und Zeigefinger die Zügel. Er erinnerte mich entfernt an einen Tanzbären im Zirkus. Die Ärmel seiner Robe hatte er hochgekrempelt. Er blickte starr geradeaus. Uns hatte er noch nicht entdeckt. »Der fehlt uns gerade noch mit seinen dummen Sprüchen«, murmelte Abe und schob sich seine schwarze Mütze tiefer in die Stirn. Er sah richtig verwegen aus mit dem Ding, das wie ein halbleerer Ziegenlederwasserschlauch aussah. Ich wollte ihn irgendwann mal fragen, woher er das Hütchen hatte. Wir sackten alle tiefer zusammen, aber der Hirte Gottes drehte wie auf ein geheimes Kommando seinen Kopf und erspähte uns. »Brüder!« dröhnte sein mächtiger Baß. »Mit euch hätte ich nie gerechnet!« Er sah echt erstaunt aus. Mooney lenkte sein Maultier zwischen zwei herumliegende Steine, stellte seine Füße darauf und ließ das Maultier unter sich weggehen. Eine seltsame Art, abzusteigen, dachte ich. Der Priester stapfte zu uns ans Feuer und ließ sich mit einem Seufzer auf seinen dicken Hintern fallen. »Kinder!« stöhnte er. »Die Zeiten werden immer verrückter. Überall wimmelt es von Rebellen und Banditen. Selbst ein Diener Gottes muß vor diesen Heiden bangen! Zweimal schon wollten sie sich an mir vergreifen.« Er seufzte wieder. »Die ganze Welt steht kopf. Überall Tote und Verwundete. Kinder, die nach ihren Eltern schreien, Säuglinge, die verhungern …« »Das wissen wir«, sagte ich, »Amen.« Seine tückischen Augen musterten mich. »Junger Mann, auch Sie sind einer dieser Heiden. Denken Sie an Ihre Nächsten, an Ihre Eltern und Verwandten, die in dieser Sekunde vielleicht um ihr Leben kämpfen!« »Ich habe weder Eltern noch Verwandte«, erklärte ich unwillig,
»und daß hier überall Schrecken herrscht, wissen wir auch ohne Sie.« Daraufhin schwieg er. Leider nicht lange, denn er fragte ziemlich frech: »Hat jemand von euch vielleicht eine Scheibe Brot?« Niemand von uns hatte Brot. Mooney merkte, daß wir nicht bester Laune waren. Also erzählte er uns von den Schlachten, die in den letzten Tagen getobt hatten. Ich muß gestehen, er kannte sich mit den feindlichen Linien ganz gut aus. Nur daß Fort Converse inzwischen von konföderierten Truppen besetzt war, wußte er noch nicht. Wir ließen ihn im Irrglauben. Es war besser für ihn, wenn er nicht wußte, wo wir die letzte Zeit gewesen waren. Plötzlich, es war nach etwa einer Stunde, erhob er sich und verschwand zwischen den Trümmern. Kurz darauf kehrte er zurück und brachte einen Armvoll Brot, drei Würste und eine Speckschwarte. Aus einer Tasche seiner faltenreichen Robe zauberte er noch sechs Eier und in Papier gewickeltes Schmalz. Wir saßen wie Denkmäler da und starrten auf diese Köstlichkeiten. Mooney lachte dröhnend und schlug mir auf die Schulter. »Junge, du mußt nicht denken, ein Priester sei nichts wert. Ich weiß, ich weiß, so habe ich früher auch gedacht.« Er verteilte alles unter uns. Ich muß gestehen, er behielt für sich selbst am wenigsten. Ich fand, daß das ein guter Zug von ihm war. Als wir die letzten Reste gegessen hatten, erhob er sich und wischte seinen Mund an der Robe ab. »Brüder, mein Gewissen ruft mich weiter. Ich habe noch viel zu tun. Vielleicht kreuzen sich unsere Wege wieder, wer weiß.« Er stieg ächzend auf sein Maultier, das unter seinem Gewicht einige Zoll kleiner wurde. »Was ist euer Ziel?« fragte Mooney noch beiläufig. »Wir brechen nach Einbruch der Dunkelheit in Richtung Norden auf«, sagte Abe. Wir wollten zwar nach Westen, aber das ging Mooney nichts an. Er grüßte und verschwand hinter einigen Hausruinen aus unserem Blickfeld. »Seltsamer Kauz«, sagte Abe stirnrunzelnd. »Irgend etwas an ihm gefällt mir nicht.« »Wahrscheinlich sein Beruf«, sagte ich. »Ohne die Robe wäre er vielleicht ganz passabel.«
Mehr gab es über Mooney nicht zu reden. Wir schliefen etwas, während Shita Wache hielt. Nach drei Stunden wachten wir auf. Gerade begann die Dämmerung sich über das Land zu legen. * Ich begab mich auf den Weg zum Drugstore. Abe hatte mir zwei Dollar in die Hand gedrückt. Ich brauchte unbedingt Munition für meine Sharps. O'Caughanny war ein rothaariger, schmächtiger Ire, zäh und ledern wie fast alle seine Landsleute. Sein Drugstore hatte zwar drei Kanonenkugeln abgekriegt, stand aber noch mehr oder weniger stabil, jetzt nur noch von drei Mauern umgeben. O'Caughanny war ein Waffennarr und spähte die ganze Zeit über gierig nach meiner Sharps. Sie war zwar alt, aber immer noch in gutem Zustand. Vor allem die feine Ziselierung am Kolben hatte es dem Iren angetan. Ich erstand nur dreißig Schuß für die zwei Dollar, war aber schon froh, überhaupt Munition dieses Kalibers gefunden zu haben. Shita schnüffelte sich den Weg zurück durch die zerstörte Stadt. Er wußte, daß wir bald aufbrechen würden und freute sich darüber. Sein Schweif stand in die Höhe, und er schnappte spielend nach meiner Hand. Dann bemerkte ich, wie Shita immer öfter den Kopf zurückdrehte. Unauffällig bückte ich mich und fummelte an meinem Stiefel herum. Es war unterdessen schon beinahe dunkel, und ab und zu ging ein Einwohner auf der Straße vorbei. Die Bergungsarbeiten hatten den ganzen Tag gedauert, jetzt kehrten die Menschen vom Stadtrand, der die meisten Schäden aufwies, zurück. Drei Männer folgten mir. Ich wußte es mit Bestimmtheit, nachdem ich dreimal die Richtung geändert hatte. Shita blieb nun schön brav immer einen Schritt neben mir und wich nicht von meiner Seite. Ich fragte mich, wer die Männer wohl seien. Es gab nur eine Lösung: Es waren die Südstaaten-Guerillas, die unsere Spur bis in die Stadt verfolgt hatten. Verdammt! Mir lief der Schweiß in Strömen über das Gesicht. Ich mußte zu unserem Lager zurück und Abe warnen. Und zwar so
schnell wie möglich. Ich beschleunigte meine Schritte. Die drei Männer holten weiterhin auf. Shita knurrte bereits vernehmlich. Am liebsten hätte er sich auf die Kerle gestürzt. Ich bog in eine Seitenstraße ein und begann sofort zu rennen. Ich stolperte über am Boden liegende Trümmer, fiel der Länge nach hin, rappelte mich wieder auf und stürmte weiter. Die ersten Schüsse peitschten auf. Neben mir zauberten die Geschosse Staubfontänen aus dem Boden. Ich riß den Colt aus dem Halfter und jagte zwei Schüsse auf die Kerle, die nun etwas an Boden verloren hatten. Wieder bog ich in eine Seitenstraße ab, verschwand zwischen den Trümmern eines ehemaligen Mietstalls und stolperte weiter über Schutthalden und Holzhaufen. Die Sharps hielt ich krampfhaft fest. Irgendwie schaffte ich es, die Kerle abzuschütteln. Aufatmend pirschte ich mich zu unserem Lager vor. Abe hatte gerade die Pferde angeschirrt. Hastig schilderte ich ihm, was vorgefallen war. Er gab mir einen Stoß mit der Hand. »Los, auf was wartest du noch, auf dein Pferd?« Bevor ich noch im Sattel meines Braunen saß, trieb Abe die Pferde schon auf die Main Street in Richtung Südwesten. Liza lag halb über den Särgen und hielt sie fest, damit sie bei den Erschütterungen nicht herunterfielen. Keine Sekunde zu früh. Von allen Seiten stürmten nun dunkle Gestalten auf uns zu. Schüsse peitschten durch die Dunkelheit. Eine Kugel fuhr mir brennendheiß über den Oberarm. Ich leerte meinen Revolver auf eine Gruppe von vier Männern, die gerade auf den Wagen springen wollten. Schmerzensschreie zeigten, daß ich getroffen hatte. Zwei Männer brachen zusammen und rissen die anderen mit zu Boden. Ich preschte über sie weg und holte einen Reiter ein, der gerade auf Abe zielte. Ich drosch ihm den Knauf meines Navy-Colts über den Schädel, weil ich keine Kugeln mehr in der Kammer hatte. Er sackte zusammen und fiel rückwärts vom Pferd. Ein Stiefel verklemmte sich im Steigbügel, und der Mann wurde ein gutes Stück über den
harten Boden geschleift. Ich hörte Abe entsetzlich fluchen. »Bist du verletzt?« schrie ich gegen das Rattern und Quietschen des Wagens an. »Nein, aber man hat mir meine Mütze vom Kopf geschossen!« brüllte er wütend. Wir rasten in voller Fahrt durch Lathrop. Das Laden meines Colts war bei der Geschwindigkeit ganz schön schwierig. Aber die Guerillas waren etwas zurückgefallen. Sie hatten wieder einmal schwere Verluste davongetragen. Auch Liza hatte mindestens einen der Angreifer von der Ladefläche gefegt. Nun klammerte sie sich wieder an die Särge, die bei jeder Erschütterung hüpften. Ich halfterte meinen Colt und riß die Sharps aus dem Sattelschuh. Endlich konnte ich sie wieder benutzen. Mit drei Kugeln holte ich zwei der Angreifer aus dem Sattel. Ich stieß den Schrei aus, den ich bei den Apachen gelernt hatte. Der Kampfeseifer hatte mich gepackt. Mein Gesicht glühte, und mein Atem ging stoßweise. Ich schoß und traf wie im Traum. Als wir die letzten Ruinen der Stadt hinter uns gelassen hatten, fehlte von unseren Verfolgern jede Spur. Sie hatten sich zurückfallen lassen. Wahrscheinlich sagten sie sich, daß wir ihnen ja doch nicht entwischen konnten. Bis zur nächsten Befestigung der Nordstaaten waren es sechzig Meilen. Bis dahin konnte viel passieren. »Hundesöhne!« schimpfte Abe und schwenkte seine Faust in Richtung auf die Guerillas. »Dilettanten! Anständigen Menschen den Hut vom Kopf zu schießen!« Aber ich sah, daß er gar nicht so wütend war, wie er tat. In der Dunkelheit schimmerten seine Zähne, und dann schlug dröhnendes Gelächter an meine Ohren. Abe Galloway hielt sich den Bauch vor Lachen. Er konnte nicht wissen, daß ihm bald das Lachen vergehen würde.
8. Wiederum fuhren wir die ganze Nacht hindurch weiter in Richtung Südwesten. Wir erreichten die ersten Ausläufer der Prärie und
gelangten nun besser voran. Die Grasfläche war flach wie ein Brett, und Liza, die das Gefährt lenkte, mußte nur von Zeit zu Zeit den Erdhügeln von Wühlmäusen ausweichen. Sonst ging es immer geradeaus. Von unseren Verfolgern fehlte jede Spur. Hatten sie aufgegeben? Im Morgengrauen schwenkten wir nach Süden ab. Wir hatten einen großen Halbkreis beschrieben, der die Guerillas sicher durcheinanderbrachte. Ich sah die Gebäude zuerst. Oder besser gesagt, das, was von den Gebäuden übriggeblieben war. Es war eine Bahnstation mitten in der Prärie. Weshalb gerade hier eine Bahnstation gebaut worden war, konnte ich mir nicht vorstellen. Hauptsache, sie war da. Drei hohe, rechteckige Gebäude, von denen nur noch die Außenwände standen. Zwischen den Schienen und dem Hauptgebäude waren drei frische, dunkle Erdhügel, jeder mit einem kleinen Holzkreuz dahinter. Dem Namen nach zu urteilen, waren es der Stationer und seine Söhne, alle drei Schotten. Nun ja, dachte ich bitter, wenigstens hatte man ihnen noch ein Grab ausgehoben. Kugeleinschüsse in der Holzwand des Hauptgebäudes sprachen ihre eigene Sprache. Wahrscheinlich hatten Guerillas die Station überfallen und geplündert. Auf dem Abstellgleis stand ein Zug. Ich blieb erstaunt stehen. Es war eine völlig unberührte Lokomotive sowie drei Güterwaggons, die allerdings geplündert waren. Abe schlug mir begeistert auf die Schulter, als ich ihm die Lokomotive zeigte. »Mann!« stieß er hervor, »Mann, das ist ja wunderbar!« Er war mit drei Sätzen im Führerstand verschwunden. Sein Kopf erschien. »Los, rein mit den Särgen in die Waggons. Die Pferde auch, in einer Stunde geht's los!« Während aus dem Führerhaus der Lokomotive seltsame Geräusche an mein Ohr drangen, fuhr Liza den Wagen genau vor die Tür des ersten Waggons. Sie drehte die Bremskurbel fest und sprang ab. Wir brauchten länger als geplant, bis die Särge endlich im Waggon waren. Aufatmend zog ich die Tür zu und ging dann vor zu Abe. »Wunderbar, wunderbar«, hörte ich ihn murmeln, während seine
schlanken Finger an unzähligen Knöpfchen, Schaltern, Rädern und Hebeln drehten, zogen oder drückten. Er war völlig in seinem Element. »Wie läuft's?« fragte ich. Vor lauter Begeisterung hörte er mich gar nicht. »Abraham Galloway!« donnerte ich, und als er erschrocken zusammenfuhr, fragte ich: »Wann können wir?« Er grinste über das ganze Gesicht, das jetzt ölverschmiert war, zog an einem Stöpsel, und ein Zeiger schnellte eine Skala hoch. »Noch eine halbe Stunde, dann steht sie voll unter Dampf.« Ich staunte. »War noch Holz im Tender?« »Genug.« Er strahlte. »Ich habe mir immer schon gewünscht, auf einer richtigen Lokomotive zu fahren.« Er strich sich über die krausen Haare. »Nur meine Mütze fehlt mir, verdammt noch mal. Wenn ich den Hund erwische, der sie mir vom Kopf geschossen hat, dem drehe ich eigenhändig …« »Abe! Ronco!« Liza erschien neben dem Führerhäuschen. »Was ist?« fragte ich und hatte auch schon meinen Colt in der Faust. Liza verzog das Gesicht. »Der hilft dir jetzt kaum, Ronco!« Sie hatte recht. Ein alter Bekannter zuckelte auf uns zu. Padre Mooney. Wie eh und je schwankte er im Sattel, und seine Riesenfüße hingen dicht über dem Boden. Ich steckte den Colt wieder weg und verschränkte die Arme über der Brust. Mooney erkannte mich und schwenkte seine mächtige Pranke. Er war noch mindestens fünfhundert Yards entfernt. Und hinter ihm, vielleicht drei oder vier Meilen entfernt, stieg eine weithin sichtbare Staubwolke in den Morgenhimmel. »Abe!« sagte ich leise. »Was ist?« Er streckte seinen Kopf aus dem Fenster. Dann sah er die Staubwolke. »Oh!« »Genau. Wir müssen uns verdammt beeilen. Liza, lauf hinüber zu den Gebäuden und bring noch Brennholz. Du solltest genug finden!« Liza kam meinem Befehl nach. Währenddessen zerrte ich die beiden Gespannpferde in den zweiten Waggon, danach meinen
Braunen. Er sträubte sich etwas, aber ich versprach ihm einen Sack Kandiszucker, und er hüpfte beinahe wie ein Fohlen in den Waggon. Schnell legte ich die Stange vor. »Gottes Zeichen sind allerorten!« brüllte Mooney fröhlich und ritt zwischen den Stationsgebäuden zu den Schienen. »Ich hätte nicht gedacht, daß sich unsere Wege noch einmal kreuzen!« »Ich auch nicht«, murmelte ich leise. Dann fragte ich laut: »Was wollen Sie, Mooney?« Der mächtige Mann zeigte mit dem Daumen über die Schulter. »Da, sehen Sie! Diese Rebellen werden immer gefährlicher und frecher. Ich verlasse dieses Land, in dem bald die Heiden herrschen werden. Möge Gott«, er hob die Hände zum Himmel, »möge der allmächtige Herrscher dieses Volk vor einer solchen Plage bewahren. Ich selbst bin nur ein schwacher Mann und kann allein nichts gegen die Rebellen ausrichten. Was nutzt es den Leuten hier, wenn ich den Märtyrertod erleide? Nichts. Ich werde zu meinem Orden zurückkehren und neue Anweisungen abwarten.« Ich wurde immer nervöser. Die Staubwolke rückte näher. »Abe!« »Ronco?« Sein schwarzer Kopf erschien im Fenster. »Wie lange noch?« »Zehn Minuten mindestens, eher noch eine Viertelstunde.« »Können wir nicht mit Unterdruck losfahren?« »Nein auf keinen Fall!« Ich sah Mooney zu, wie er ächzend aus dem Sattel stieg. »Was wollen Sie, Mooney?« fragte ich ihn. »Ich möchte mit«, sagte er, diesmal ohne jeden Schnörkel. Endlich ließ er auch den lieben Gott aus dem Spiel. Einen Moment schwankte ich, ob ich ihn nicht hier stehenlassen sollte, aber dann sagte ich: »In Ordnung, Mooney. Bringen Sie Ihr Maultier in den zweiten Waggon.« Natürlich mußte ich ihm helfen. Er kam mit dem Tier nicht zurecht. Zusammen schoben und drückten wir das störrische Biest in den Waggon. Liza lief mit der dritten Ladung Holz an uns vorbei. Ihr Gesicht war von der Anstrengung gerötet, und sie atmete schwer. Die Staubwolke war jetzt höchstens noch zwei Meilen entfernt.
Ich konnte bereits die dunklen Punkte erkennen. Bald waren die Guerillas hier. Es schien fast, als wüßten sie, daß es auf jede Minute ankam. »Können wir?« brüllte ich. »Noch fünf Minuten«, erwiderte Abe. Sein Gesicht war schweißüberströmt. »Los, springen Sie in den Waggon«, sagte ich zu Mooney. Der Dicke störte mich jetzt mehr, als daß er half. Ich lief am Abstellgleis entlang bis zu einer Weiche. Zum Glück sah ich nach. Sie war falsch eingestellt gewesen. Mit aller Kraft stemmte ich mich gegen den Eisenhebel. Knirschend sprang die Weiche um. Noch etwas fiel mir ein. Wenn wir nicht wieder zurück an den Kriegsschauplatz wollten, mußten wir nach der Weiche anhalten und sie erst umstellen, bevor wir nach Süden fuhren. Das bedeutete einen ziemlichen Zeitverlust, der unter Umständen über Leben und Tod entscheiden konnte. Ich hastete zurück zur Lokomotive. Gerade warf Liza eine neue Ladung Holz in den Führerstand. Abe sah beunruhigt auf die Reiter. Jetzt konnte man sie schon voneinander unterscheiden. Vier Minuten blieben uns noch, mehr nicht. »Ist die verdammte Lok endlich soweit?« stieß ich hervor. »Noch nicht.« Abe wischte sich den Schweiß aus den Augen. »Freund, diesmal geht's uns an den Kragen, wenn nicht ein Wunder geschieht.« »Dann wende dich an unseren Heiligen. Er sitzt im letzten Waggon und betet.« »Er fährt mit?« Abe hob die Augenbrauen. »Er hat die Hosen voll und will nur noch abhauen, nichts anderes mehr.« Abe zog wieder an einem Knopf. Zwei Zeiger kletterten langsam eine Skala hoch und blieben knapp unterhalb einer roten Linie stehen. »Scheiße!« schimpfte Abe. »Wie lange dauert es denn noch!« Ich konnte beinahe schon die Gesichter der Guerillas erkennen. Grasnarben wirbelten unter den Hufen der Pferde auf, die Reiter waren tief über die Hälse ihrer Tiere
gebeugt. »Zwei, drei Minuten.« »Das ist zu spät, verdammt!« Ich brüllte beinahe. »Für was schleppst du eigentlich deine Sharps mit herum?« fragte Abe. Ich hatte sie völlig vergessen. Schnell hob ich sie an die Schulter und zielte. Die erste Kugel traf eins der Pferde. Die Hufe sackten ihm unter dem Körper weg, und der Reiter flog in weitem Bogen ins Gras. Noch vierhundert Yards, dann hatten sie uns. Der zweite Schuß ging fehl, der dritte holte einen der Guerillas aus dem Sattel. Abe grinste unter seiner Maske aus Öl und Schweiß. »Wir haben den nötigen Druck«, sagte er und schlug mir begeistert auf die Schulter. Ich verfehlte natürlich, aber gleichzeitig setzte sich der Zug langsam in Bewegung. In die falsche Richtung! »Rückwärts, verdammt!« brüllte ich und stürmte aus dem Führerhaus. In wenigen Sekunden war ich bei Liza und Mooney im Waggon. Auch Liza schoß, obwohl sie mit dem 45er auf diese Entfernung nicht viel ausrichten konnte. Ich traf mit der Sharps einen weiteren Mann in die Schulter. Der Aufprall riß ihn vom Pferd. Aber es waren zu viele Guerillas. Ich zählte weit über zwanzig. Unterdessen hatte Abe den richtigen Gang gefunden. Wir bewegten uns langsam rückwärts. Das Kreischen der Räder war ohrenbetäubend. Nur unmerklich nahmen wir Fahrt auf. Ich spähte zur Waggontür hinaus. Bald mußten wir die Weiche erreichen. Liza stellte sich neben mich, und ich erklärte ihr, was ich mir vorher überlegt hatte. »Laß mich das übernehmen«, sagte sie und überhörte alle meine Proteste. »Du gehst nicht aus dem Waggon. Mit deiner Sharps bist du hier mehr wert als ich.« Ich ließ mich umstimmen, zumal auch Mooney Liza unterstützte. Also wartete ich, bis wir die Weiche passiert hatten, dann brüllte ich: »Halt! Umkuppeln!«
Abe steckte seinen Kopf aus dem Fenster. »Warum …?« »Los, hau die Bremse rein!« schrie ich. Liza war schon draußen und warf sich mit ihrem ganzen Gewicht gegen den Stellhebel der Weiche. Langsam schnappte er um. Inzwischen blockierten die Räder. Funken stoben, überall kreischte und quietschte es entsetzlich. Die Pferde schlugen erschrocken aus, und Mooney verlor das Gleichgewicht. Liza stemmte sich immer wieder gegen den Hebel. Ich gab ihr Feuerschutz, soweit man das so nennen konnte. Immerhin holte ich zwei Männer aus dem Sattel. Endlich war Liza soweit. Unterdessen begannen sich die Räder bereits zu drehen. Die Banditen waren keine hundert Yards mehr entfernt. Liza lief auf unsere offene Tür zu. Sie legte gerade eine Hand an den Griff, als sie getroffen wurde. Ich stand keinen Yard daneben und mußte zusehen, wie die Kugel ihr ein kleines, kreisrundes Loch in das Kleid riß, keine Handbreit neben dem Herzen. Sofort quoll hellrotes Blut aus der Wunde. Ich faßte nach ihrer Hand. Der Zug nahm immer mehr an Fahrt auf. Lizas Füße schleiften über die Schwellen, als ich versuchte, sie in den Waggon zu ziehen. »Helfen Sie mir doch!« brüllte ich Mooney an, der immer noch versuchte, sich aufzurappeln. Lizas Griff wurde schwächer. Gerade tauchte der erste Guerilla neben der Tür auf. Er hielt einen Colt in der Hand. Ich mußte Liza loslassen, so schwer es mir auch fiel. Ich glaube nicht, daß sie noch lebte, als ich den Griff um ihre Hand löste. Ich werde es nie erfahren. Mit einer Reflexbewegung riß ich den Navy-Colt aus dem Halfter und drückte ab. Der Guerilla wurde zwar nicht getroffen, schoß aber ebenfalls daneben. Ich drückte in aller Ruhe ab und traf ihn in den Hals. Von allen Seiten griffen sie an. Ich kämpfte wie ein Verrückter, schoß, lud nach und leerte immer wieder meinen Colt. Langsam fielen die Banditen zurück. Ich merkte, daß ich aus einer Streifwunde am Kopf blutete. Jetzt erst spürte ich den Schmerz. Noch eine Angriffswelle rollte auf uns zu. Diesmal ließen sie mir
keine Zeit, meinen Colt nachzuladen. Drei Mann warfen sich gleichzeitig in die offene Tür. Dem ersten knallte ich den Kolben meiner Sharps auf den Kopf. Er fiel rücklings aus dem fahrenden Zug. Der zweite Kerl kriegte meine Stiefelspitze voll gegen das Kinn und folgte dem ersten. Aber der andere Mann hatte sich in der Zwischenzeit aufgerappelt und griff nach dem Revolver. Ich selbst hatte keine Kugel mehr in meinem Navy-Colt. Padre Mooney half mir. Er stürmte mit seinem ganzen Gewicht gegen den Mann und drängte ihn einfach aus dem Zug. Durch den Schwung wäre er beinahe selbst mit hinausgefallen. Schnell griff ich ihm unter den Arm und hielt ihn zurück. »Danke«, sagte ich. »Schon gut!« Er war plötzlich sehr blaß. Ich nahm an, daß er in diese Art von Auseinandersetzungen noch nie verwickelt worden war. Es wäre auch seltsam für einen Priester gewesen. Ich lud die Sharps nach und lehnte mich aus der Tür. Die Guerillas ritten hinter dem schneller werdenden Zug her. Wir hatten sie abgehängt, kein Zweifel. Ich zog mich am Griff wieder zurück in den Waggon. Dabei stieß ich gegen Mooney, der anscheinend hinter mich getreten war. »Passen Sie doch auf«, sagte ich böse, denn ich hätte beinahe das Gleichgewicht verloren. Dann setzte ich mich in die Tür, schob den Holzriegel davor, stützte meine Arme darauf und träumte vor mich hin. Ich konnte nicht wissen, daß ich um ein Haar dem Tod entronnen war.
9. Wir fuhren südwärts auf den Missouri zu. Abe hatte etwas Dampf abgelassen, nachdem wir die Guerillas abgehängt hatten. Zu beiden Seiten erstreckte sich die Prärie, nur unterbrochen von dunklen Flecken Mischwald. Nach einer halben Stunde hangelte ich mich aus dem Waggon und kletterte nach einem waghalsigen Sprung über den Tender. Abes ölverschmiertes Gesicht verzog sich zu einem breiten
Grinsen. Er wurde schnell ernst, als ich ihm von Lizas Tod erzählte. »Sie war eine tolle Frau«, sagte er nach einer Weile und warf wütend Holz in den Kessel. Er arbeitete wie ein Berserker. Es war seine Art, sich abzureagieren. Ich legte ihm die Hand auf die Schulter. »Es ist nicht dein Fehler, Abe. Sie wollte mit uns gehen. Es war ihr freier Wille.« Wir fühlten uns beide nicht besonders wohl in unserer Haut. Abe beschäftigte sich mit den Hebeln und Knöpfen der Lokomotive, während ich meinen Navy-Colt putzte. Die Hauptsache war, daß wir mit jeder Minute wertvolle Yards zwischen uns und die Guerillas legten. Es war ein beruhigendes Gefühl. Abe stieß mich von der Seite an. »He!« Etwas in seiner Stimme warnte mich. »Was ist?« »Schau, schnell!« Er deutete voraus auf den Schienenstrang. Und nun sah ich es auch. Etwa eine Meile vor uns waren die zusammenlaufenden Schienen unterbrochen. Etwas lag auf den Schienen, oder sie waren auseinandergerissen. »Brems ab!« brüllte ich. Wir hatten ganz schön Fahrt drauf. Abe stürzte zu einem Hebel und riß ihn herunter. Das heißt, er wollte ihn herunterreißen. Der Hebel blieb in seiner Hand. Er war glatt abgebrochen. »Verfluchter Mist!« donnerte Abe. Der gebliebene Stumpf war zu kurz, um ihn herumwerfen zu können. Ich war schon auf dem Tender. »Komm!« rief ich ihm zu. Das Loch im Schienenstrang rückte schnell näher. Bei dieser Geschwindigkeit würde der Kessel der Lokomotive explodieren und uns töten. Viel Zeit hatten wir nicht mehr. Abe folgte mir. Wir erreichten das hintere Tenderende. Mit einem Sprung wechselten wir auf das Dach des ersten Waggons über. Abe verlor das Gleichgewicht und blieb am äußeren Rand des Dachs hängen, die Beine und der Körper baumelten im Freien. Mit aller Kraft zog ich ihn Zoll um Zoll hoch. Unterdessen verrannen wertvolle Sekunden. Der Zug raste mit unverminderter Geschwindigkeit auf das Schienenloch zu. Lange konnte es nicht mehr dauern.
»Spring ab!« rief ich Abe zu. »Ich warne Mooney!« »Nein, verdammt, die Gatlings!« »Zum Teufel mit deinen Gatlings!« schrie ich ihn an, aber er war schon in dem engen Zwischenraum verschwunden, der den Tender von dem ersten Waggon trennte. Er war eingekeilt zwischen den zwei schwankenden, hüpfenden Trennwänden, die ihn mit Leichtigkeit zermalmen konnten. Ich sah von oben nur seinen Kopf und seine Schultern. Wollte er die Waggons abkuppeln? »Spinner, Idiot!« brüllte ich aus Leibeskräften, aber bei dem Hämmern der Räder auf den Schienen hörte er mich nicht. Noch dreihundert Yards. Noch zweihundert. Immer noch nichts. Plötzlich ging ein Ruck durch die Waggons. Ich verlor beinahe das Gleichgewicht. Noch hundert Yards. Da sah ich, wie die Lokomotive sich von den Waggons löste, zunächst langsam, dann immer schneller. Ich warf mich flach auf das Eisendach und sah hinunter. Abe saß rittlings auf der schmalen Kupplung und grinste über das ganze Gesicht. »Komm hoch!« schrie ich ihm zu. Er stand vorsichtig auf, die Kupplung bot kaum Platz für einen Fuß. Mit einem Sprung klammerte er sich an den Dachrand und schwang sich katzengewandt hinauf. Ich hielt ihn fest. Aber nun ging der Tanz erst richtig los. Die schwere Lokomotive hatte einen Vorsprung von knapp fünfzig Yards, als sie entgleiste. Sie kippte leicht nach links, beschrieb schaukelnd einen Halbkreis und überschlug sich dann. In einem rotglühenden Feuerball explodierte der Kessel. Die Stichflamme war enorm und erhellte trotz der Sonne unsere Gesichter. Eisenfetzen und Splitter surrten um unsere Köpfe. Die Druckwelle riß mich beinahe vom Dach. Krampfhaft krallte ich mich fest. Wir erreichten die Gleisunterbrechung. Ich hoffte, daß wir nicht in das Flammenmeer der Lokomotive fuhren. Es sah fast so aus. Auch die Waggons kippten etwas nach links und folgten der Spurrille, die die schwere Lokomotive in die Prärie gegraben hatte. Wir schafften es. Mit ziemlicher Geschwindigkeit rollten wir keine zwanzig Yards an den prasselnden Flammen vorbei in die
Prärie. Die Waggons hoppelten über das Gras, sie schaukelten und stießen gegeneinander. Der Schwung trieb uns weiter. Aber jetzt war die größte Gefahr vorbei. Langsam rollten wir aus. Immerhin hatten wir noch fast eine Meile parallel zu den Schienen zurückgelegt, bevor die Waggons mit einem letzten Ruck stehenblieben. »Wie beim Rodeo!« Abe grinste über das ganze Gesicht. »Wir sind die ersten Menschen, die auf einem Waggon ohne Lok und Schienen über die Prärie gefahren sind!« Wir lachten wie Idioten. Der Druck der letzten Minuten löste sich. Ich mußte mich flach auf den Rücken legen, um nicht vor Lachen vom Dach zu fallen. Tränen rannen über mein Gesicht. Selten hatte ich mich so glücklich gefühlt. Jetzt wußte ich, was es hieß, dem Teufel noch einmal von der Schippe gesprungen zu sein. * »Um Gottes willen, was ist denn passiert?« Mooney stand neben unserem Waggon und sah ziemlich blaß aus. Wir sprangen hinunter. Abe gluckste immer noch vergnügt vor sich hin. Aber wir wurden schnell wieder ernst. Unsere Situation hatte sich bedeutend verschlechtert. Es waren zwar keine Guerillas mehr in der Nähe, aber wir standen mit sechs schweren Särgen mitten in der Prärie und wußten nicht, wie wir weiterkommen sollten. Abe und ich brachten die Pferde aus den Waggons. Die armen Tiere waren völlig durcheinander. Mein Brauner tänzelte nervös hin und her. Wahrscheinlich war ihm schwindlig geworden. Ich redete ihm gut zu und zog den Sattelgurt an. Abe nahm eins der anderen Pferde. Wir ließen Mooney bei den Särgen zurück. Bei seinen Reitkünsten wäre er uns nur im Weg gewesen. Shita begleitete uns. Er war es auch, der einen kleinen Wasserlauf entdeckte. Wir tränkten die Pferde und füllten unsere Wasserflaschen. »Ich glaube, in dieser Gegend gibt es keine Farmer«, sagte Abe düster.
»Wir müssen aber einen finden«, beharrte ich, »ohne Farmer keinen Wagen, ohne Wagen kein …« »Schon gut«, unterbrach mich Abe und trieb sein Pferd an. Wir beschlossen, dem Wasserlauf zu folgen. Wenn es hier irgendwo eine Farm gab, dann mußte sie am Wasser liegen. Die Prärie war ohne Wasser nicht zum Anbau geeignet. Wir hatten Glück. In der Ferne sahen wir eine Gruppe von Kiefern, zwischen denen ein dünner Rauchfaden in den Himmel stieg. Wir trennten uns vorsichtshalber. Es konnte ebensogut eine Guerillatruppe sein, die ihr Lager hier aufgeschlagen hatte. Ich ließ meinen Braunen stehen und schnappte mir die Sharps. Vorsichtig schlich ich mich an. Es war eine Farm. Der blutige Krieg schien an ihr vorübergegangen zu sein. Im Korral weideten drei Pferde, ein Mann mit bloßem Oberkörper hackte Holz. Zu meiner großen Befriedigung stand in einem offenen Schuppen ein kleinerer Wagen. Hoffentlich war er unbeschädigt. Eine Frau trat aus dem Haus und hing Wäsche auf. Zwei kleine Kinder spielten mit Sandkuchen. Hühner flohen vor einer gescheckten Katze. Es sah alles sehr friedlich aus. Die Katze vermasselte meinen Auftritt. Shita – sichtlich in Erinnerung an den verdammten Riesenkater in Virginia City – kriegte einen jähen Wutanfall und stürmte hinter der gescheckten Lady her. Der Farmer ließ die Axt fallen und verschwand im Haus. Er holte wahrscheinlich sein Gewehr. Schnell trat ich hinter dem Stamm einer Kiefer hervor und überquerte den Platz neben dem Korral. Von Abe fehlte noch jede Spur. Shita und die Katze verschwanden im Heuschober. Staub wirbelte auf. Die Katze miaute entsetzlich, Shita knurrte, Heu flog durch die Luft, die Kinder schrien und brachten sich in Deckung, als die Katze wie ein Blitz quer durch ihre Sandkuchen hetzte. Der Farmer erschien in der Tür, einen Ballard-Hinterlader in der Hand. Im Haus regte sich die Frau über die Kinder auf, während die
Pferde im Korral unruhig im Kreis galoppierten. In wenigen Sekunden hatte Shita den wunderbaren Frieden in ein tobendes Chaos verwandelt. Als der Farmer seinen Hinterlader hochriß, rief ich ihn an. Erschrocken fuhr er herum und starrte mich an. »Was wollen Sie?« rief er. Ich trat näher. Die Mündung der Sharps zeigte auf das linke Knie des Farmers. »Tag, Mister«, sagte ich. »Könnten Sie freundlicherweise ihre Artillerie etwas senken. Ich will hier nicht Krieg spielen.« »Rufen Sie Ihren verdammten Hund zurück!« schnaubte er, senkte aber seinen Hinterlader. Ich tat ihm den Gefallen. Shita trottete heran, mit hängendem Schweif und einigen Haaren weniger. Er hatte nicht gerade eine blendende Figur abgegeben. Außerdem wußte er, daß ich solche Jagdveranstaltungen nicht gern sah. »Was wollen Sie?« fragte der Farmer wieder. Er war ziemlich klein und drahtig und sprach mit deutschem Akzent. Ich erklärte ihm, daß ich dringend einen Wagen brauchte. »Haben Sie Geld?« »Nein«, mußte ich zugeben. Nun versuchte ich es anders. »Hören Sie, Mister. Es handelt sich um eine äußerst wichtige Angelegenheit, die unter Umständen den Nordstaaten zum Sieg verhelfen kann.« Hoffentlich, dachte ich, hoffentlich hält er zu den Nordstaaten. »Der Bürgerkrieg interessiert mich einen Dreck!« sagte er wild. »Ob Nord oder Süd, mich geht das nichts an. Um mich wird sich niemand kümmern.« Ich mußte stärkeres Geschütz auffahren. »Wenn die Guerillas Ihrer Farm einen kleinen Besuch abstatten, sagen Sie das nicht mehr. Ich habe einige Ihrer Nachbarn unterwegs getroffen. Einige hingen an Bäumen, mit dem Kopf nach unten und aufgeschlitzten Bäuchen. Die Frauen hatte man vergewaltigt und nachher getötet.« Es wirkte. Er sah plötzlich nicht mehr so sicher aus. »Ist das wahr?« Ich nickte. »Wenn Sie mir den Wagen geben, kann sich der Krieg schnell zugunsten der Nordstaaten wenden. Dann gibt es bald wieder
Frieden.« Er kniff die Augen zusammen. »Was hat das mit einem Wagen zu tun?« fragte er. »Sie spinnen wohl!« Ich hatte keine Zeit mehr zu verlieren und konnte nicht die ganze Geschichte erzählen. »Also, geben Sie mir den Wagen oder nicht?« fragte ich. Er wurde wütend, und ich mußte ihm die Mündung meiner Sharps gegen den Bauch halten. »Mister«, sagte ich, »es tut mir leid. Jede Sekunde ist kostbar. Ich werde verfolgt.« »Sie sind ein Galgenvogel!« stieß er hervor. Armer Mann, ich konnte ihn ja verstehen. Trotzdem. Ich ließ ihn vor mir hergehen. Dann gab ich ihm eins mit dem Revolverlauf über den Kopf und fing ihn auf, bevor er zu Boden prallte. Abe erschien neben dem Schuppen. Er sah den Farmer auf dem Boden, grinste und verschwand hinter der Bretterwand. Kurz darauf schob er den Wagen auf den Hof. Ich pfiff meinem Braunen. Schnell spannten wir ihn ein. Abe holte sein Pferd, während ich auf ihn wartete. Der Farmer rappelte sich auf. Er war härter im Nehmen, als ich gedacht hatte. Das erschwerte unsere Flucht. Abe gab mir Rückendeckung, während ich wie der Teufel mit dem Wagen in die Prärie hinausfuhr. Nach vierhundert Yards tauchte Abe neben mir auf. Er trieb mich zur Eile an. Hinter uns erklang ein Schuß. Der Farmer versuchte es mit seinem Hinterlader. Bis zum zweiten Schuß waren wir schon hundert Yards weiter. Eine Stunde später erreichten wir den entgleisten Zug. Aus der zerstörten Lokomotive quoll immer noch schwarzer Rauch. Rundherum war das Gras abgebrannt. Glücklicherweise hatte es keinen Präriebrand gegeben. Mooney hatte sich wieder in der Hand. Er winkte uns entgegen. Ich fragte mich, ob er wohl in der Zwischenzeit in einen der Särge geschaut hatte. Es war mir ein Rätsel, daß der Satteltaschenpriester noch keine Lunte gerochen hatte. Jeder normale Mensch hätte inzwischen gemerkt, daß es sich nicht um gewöhnliche Särge
handelte. Mooney nicht? Abe sprang aus dem Sattel und versorgte das Pferd. Ich schirrte meinen Braunen aus, dem es als Zugpferd sichtlich unwohl gewesen war. »Mooney und ich laden die Särge auf«, sagte Abe. »Du reitest am besten die nähere Umgebung ab. Vielleicht sind die Verfolger schon nahe.« Ich schwang mich wortlos in den Sattel und ritt weg. Shita folgte mir. Bis jetzt hatte alles bestens geklappt. Hoffentlich blieb es so. Ich drehte mich noch einmal im Sattel um. Abe und Mooney waren zu winzigen Punkten zusammengeschrumpft. Sie wuchteten die Särge auf den Wagen. Alles war in bester Ordnung. Trotzdem blieb mir ein flaues Gefühl im Magen. Ich konnte es mir nicht erklären. Am liebsten wäre ich zurückgeritten. Hätte ich es doch nur getan.
10. Abraham Galloway, sagte der große Neger zu sich selbst, jetzt reißt du dich zusammen und schleppst auch noch den letzten Sarg zum Wagen! Sei doch kein Schwächling. Er war kein Schwächling, beileibe nicht. Aber er hatte alle sechs Särge allein von der Ladefläche des Waggons auf den Wagen heben müssen. Mooney hatte schon beim ersten Versuch stöhnend aufgegeben und sich an den Rücken gefaßt. »Ich kann dieses Gewicht meinem Rücken nicht zumuten«, hatte er gesagt und sich ins Gras gesetzt. Dort saß er nun schon über eine halbe Stunde und sah Abe zu, wie dieser sich allein mit den schweren Holzkisten abplagte. Abe hätte Mooney am liebsten verprügelt. Dieses Zerrbild von einem Satteltaschenpriester war garantiert nur zu faul. Er saß lieber auf seinem fetten Hintern und ließ andere für sich schuften, das war es! Der Neger wischte sich den Schweiß aus den Augen und ging zum Waggon. Er zog und zerrte den letzten Sarg zum Rand der Ladefläche, sprang auf den Boden und stemmte sich mit dem Rücken
unter die Kiste. Er spannte alle Muskeln und hob die zentnerschwere Last langsam in die Höhe. Schwankend und stöhnend stolperte er zum Wagen und ließ den Sarg neben die anderen gleiten. Langsam erhob er sich zu seiner vollen Größe. Sein Rückgrat schmerzte, und er fühlte sich zerschlagen. Aber zunächst kletterte er zurück in den Waggon. Dort hatte er Schnüre entdeckt. Mit ihnen band er die Kisten auf dem Wagen fest. Geschafft! Aufstöhnend setzte er sich mit dem Rücken zum Wagenrad auf den Boden. Die Anstrengungen der letzten Tage wurden spürbar. Er war müde. Die Augen fielen ihm zu. Seine letzte Bewegung war, seinen Colt aus dem Halfter zu nehmen. Er legte ihn sich auf den Schoß. Ein seltsames Geräusch holte ihn aus den Tiefen seines Schlafs. Er versuchte verzweifelt, die Augen zu öffnen. Eine Hand rüttelte ihn an der Schulter. Endlich schaffte er es. Verschlafen blinzelte er gegen das Sonnenlicht. Langsam nahmen die Dinge Konturen an. Ein runder schwarzer Kreis vor seinem linken Auge wurde immer schärfer, bis er wußte, um was es sich handelte. Er sah genau in eine Revolvermündung, dahinter ein Gesicht, gerötet, schweißüberströmt, mit einem dreckigen Grinsen. Mooney! Das triumphierende Kichern des Priesters hatte ihn aus dem Schlaf gerissen. Abe griff nach seinem Colt. Er war verschwunden. »Keine Sorge, Galloway«, sagte Mooney hämisch. »Deinen Colt habe ich.« Er hob die linke Hand, in der er Abes Waffe hielt. »Was – was …« Abe verstand gar nichts. »Was ich will?« Mooney trat einige Schritte zurück. Er deutete auf den Wagen mit den festgebundenen Särgen. »Das da will ich!« Abe ächzte. Es fiel ihm wie Schuppen von den Augen. »O nein!« stöhnte er. Mooneys Gesicht verzog sich und wurde zu einer tückischen Fratze. »Endlich hast du verstanden, Galloway. Aber es ist zu spät!« Abraham Galloway hatte sein Leben lang kämpfen müssen. Schon
als kleines Kind war er von den Baumwollfeldern geflohen, auf denen die weißen Sklavenhalter aus seinem kräftigen Vater ein willenloses Wrack gemacht hatten. Später hatte er um seine Schulbildung kämpfen müssen, die man ihm als Neger nicht zugestehen wollte. Dann hatte er sich bei der Armee behaupten müssen. Und nun sollte er hier, mitten in der einsamen Prärie, sterben, ohne etwas dagegen unternommen zu haben? Mit einem heiseren Schrei warf er sich vor und faßte nach Mooneys Knöcheln. Aber der Priester hatte es geahnt und war zur Seite getreten. »Fahr zur Hölle, schwarzer Teufel!« sagte er und drückte ab. Die Kugel nagelte Abes Körper am Boden fest. Er verlor augenblicklich das Bewußtsein. Blut sickerte aus einer Wunde und wurde von der Erde aufgesogen. Mooney lachte gemein und gab dem leblosen Körper noch einen Tritt zwischen die Rippen. Dann sprang er mit erstaunlicher Behendigkeit zum Wagen, stieg auf den Kutschbock und trieb die unterdessen eingeschirrten Pferde an. Nach wenigen Minuten war er nur noch ein kleiner schwarzer Fleck am östlichen Horizont. * Ich hörte den Schuß und wußte sofort, daß etwas bei Abe nicht in Ordnung sein mußte. Sofort riß ich den Braunen herum und ritt zurück. Kein weiterer Schuß mehr. Schlimme Vorahnungen bedrückten mich. Was war geschehen? Ich versuchte mich zu überzeugen, daß Abe mich nur gerufen hatte. Vielleicht war er mit der Arbeit fertig und wartete nur auf mich? Ich sah schon aus einiger Entfernung, daß der Wagen und die Pferde nicht mehr bei den Waggons waren. Nichts deutete darauf hin, daß sich noch jemand bei den Waggons befand. Shita hetzte voraus. Bei einem dunklen Fleck vor dem ersten Eisenbahnwagen blieb er stehen und bellte wie verrückt. Noch bevor der Braune stand, war ich schon aus dem Sattel und neben Abe. Eine dunkelrote Blutlache hatte sich unter ihm ausgebreitet. Hastig
drehte ich ihn auf den Rücken. Die Kugel war knapp neben der Wirbelsäule eingetreten und steckte irgendwo zwischen der dritten und vierten Rippe, nicht weit vom Herzen. Abe hatte keine Chance mehr. Er lebte noch. Als ich ihm Wasser über die Stirn laufen ließ, schlug er die Augen auf. Seine Haut war beinahe weiß und leicht bläulich angelaufen. Blut trat aus Nase und Mund. »Abe!« Ich hielt sein Gesicht zwischen meinen Händen. Er sah mich mit seinen dunklen Augen an. »Ronco«, murmelte er schwach. »Wer war es?« Ich schrie beinahe. Ein Lächeln trat auf seine Lippen. »Mooney«, hauchte er. Blut lief aus seinem Mundwinkel. »Ich – ich hätte es – wissen – sollen.« »Mooney?« Und nun fiel mir so manches auf, das mir vorher entgangen war. Die plötzlichen Überfälle, warum die Guerillas immer unsere Position kannten und Mooney mich beinahe aus dem fahrenden Zug gestoßen hätte. »Er ist – abgehauen – mit den Gatlings!« Abe bäumte sich auf. Er mußte große Schmerzen haben. Ich wischte ihm den Schweiß von der Stirn. »Ich werde ihn einholen, Abe«, sagte ich. Er richtete sich etwas auf. Ungläubig starrte er mich an. »Willst du – willst du …?« »Ich werde mich um deine Gatlings kümmern, Abe. Ganz sicher.« Er schwieg eine Weile. Ich sah ihm an, daß er sich nun besser fühlte. Die Verantwortung für diese verfluchten Maschinengewehre mußte ihn furchtbar bedrückt haben. Aber er wollte noch etwas sagen. Ich mußte mein Ohr ganz nahe an seine Lippen bringen, um ihn zu verstehen. Es war kaum mehr als ein leises Wispern. »Versprichst du mir noch etwas, Freund?« Ich nickte. »Was?« »Daß du – daß du von hier verschwindest, wenn – wenn du die – Gatlings abgeliefert hast. Der Krieg – der verdammte Krieg – ist …« Ich nickte. Ich nickte immer wieder, auch als Abe schon minutenlang tot war. Langsam erhob ich mich. Ich hatte seine Augen geschlossen. Sie
würden mich noch lange in meinen Träumen verfolgen. Fünf Minuten saß ich nur still da und dachte nach. Über alle die Schmerzen, und das Leid, die dieser Krieg gebracht hatte. Wie viele Männer hatten ihr Leben gelassen und lagen irgendwo unter der Erde, namenlos, von keinem gesucht, von keiner Frau, keiner Mutter beweint. Aber anstelle der Trauer trat nun Wut. Ich spürte förmlich, wie sie von Minute zu Minute wuchs. Wut auf Mooney, diesen verlogenen Hund, Wut auch auf mich selbst, daß ich auf den Trick hereingefallen war. Ich hatte keine Schaufel. Mit einem Eisensplitter der Lokomotive grub ich Abe ein Grab, schüttete Erde auf ihn, und zuoberst legte ich Eisenstücke, damit die Tiere ihn nicht ausgruben. Eine Stunde nach meiner Ankunft war ich schon auf Mooneys Spur. Sie war gut sichtbar, und ich hatte keine Mühe, ihr zu folgen. Ich mußte den falschen Priester unbedingt zur Strecke bringen. In erster Linie wegen der Gewehre. Sie durften den Guerillas nicht in die Hände fallen. Aber auch, weil Mooney in dieser Rolle als Satteltaschenpriester eine grausame Waffe war. Er war fast noch gefährlicher als die Mörder selbst. Ich hoffte nur, ihn zwischen meine Finger zu kriegen. Das war ich Abe schuldig.
11. Padre Mooney kam gut voran. Die Prärie war völlig eben und bot keine Schwierigkeiten für den Wagen. Mooney schätzte seinen Vorsprung auf knapp zwei Stunden. Deshalb rastete er nur einmal kurz und fuhr sofort weiter. Die Pferde waren ihm gleichgültig. Es ging jetzt um wichtigere Dinge. Die Gatlings mußten den eigenen Leuten übergeben werden. So schnell wie möglich. Er fuhr die ganze Nacht durch bis in den frühen Morgen hinein. Da er sich genau mit den feindlichen Linien der vorgeschobenen Front auskannte, ging er keine Risiken ein. Selbst wenn er einem Trupp Nordstaatlern begegnet wäre, wer hätte hinter einem Priester
mit sechs Särgen, mitten in einem Krieg, etwas Verdächtiges vermutet? Je mehr er sich dem Missouri näherte, desto vorsichtiger bewegte er sich vorwärts. Zweimal passierte er Trupps der Union, die ihn aber nicht anhielten. Endlich sah er das breite Band des Missouri in der Sonne glitzern. Er zügelte die erschöpften Pferde und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Müdigkeit saß ihm in den Knochen. Er hatte die ganze Nacht auf dem harten Kutschbock verbracht und kein Auge zugetan. Er glitt vom Bock und zog den Gürtel seiner Robe fest. Dann steckte er seine rechte Hand unter eine der vielen Falten des sackähnlichen Gewandes. In einer kleinen Tasche steckte ein 38er Colt. Er spannte ihn, während es für einen Fremden ganz normal aussah, so als würde er sich den Bauch kratzen. Ein feiner Trick, dachte er. Das Flußufer war mit Büschen bewachsen. Sumpfzypressen und Schilfwälder erschwerten die Sicht. Aber Mooney kannte sich aus. Er ging zielsicher durch das Gebüsch, blieb öfters stehen und sah sich aufmerksam um. Reiher standen im Altwasser und fischten, andere Sumpf- und Flußvögel stiegen flatternd auf. Nach einer knappen Meile blieb er stehen. Vor ihm bildeten die tief hängenden Zweige einer Zypresse eine Mauer aus Blättern. Greisenbartflechten verwehrten jeden Einblick. Mooney ging auf diese Mauer zu. Bevor er sie noch erreichte, schob sich ein Gewehrlauf aus dem lebenden Vorhang. »Wer da?« sagte eine dumpfe Stimme. »Major Danby«, sagte Mooney. Sofort teilte eine Hand das Flechtendickicht, und Mooney, der mit richtigem Namen Richard Danby hieß, trat ein. Sechs Männer standen in einem Halbkreis vor ihm. Alle sahen ihn erwartungsvoll an. »Ihr seid die größten Versager, die es überhaupt gibt!« wetterte Mooney los. »Dreimal«, er hob anklagend drei Finger in die Höhe, »dreimal habe ich euch …« »Major«, unterbrach ihn einer der Männer, »wir konnten nichts dafür. Die Kerle waren zu gut mit den Waffen.« Seine Stimme
verriet, daß er sich nicht sehr wohl in seiner Haut fühlte. »Zu gut mit den Waffen!« äffte Mooney ihn nach. »Ihr seid über zwanzig Mann gegen zwei erbärmliche Kerle und schafftet es nicht! Es ist zum Verzweifeln.« »Haben Sie denn Erfolg gehabt?« fragte der Sprecher der sechs Guerillas. Mooney genoß seinen Erfolg sichtlich. »Zwei Mann, Juan und Bred, kommt mit!« Sie gingen zurück zum Wagen, während die restlichen vier Männer im Versteck blieben. Kurz darauf kehrte Mooney mit dem Wagen zurück. Sie brauchten eine ganze Weile, um die schweren Kisten in ihr Versteck zu bringen. Mooney beauftragte zwei der Männer, den Wagen verschwinden zu lassen. Sie brachen einen der Särge auf. Außer Kleidungsstücken und in Wolldecken eingewickelten Werkzeugen war er leer. Die Männer musterten ihren Boß neugierig. »Ich wußte, daß einer der Särge leer sein muß«, sagte Mooney ärgerlich. »Der Nigger-Sergeant der Nordstaaten hat sich in diesem hier vor euch versteckt, als ihr Kingston auseinandergenommen habt.« Die Männer vermieden es, ihren Chef anzusehen. Kingston war nicht gerade ein ruhmreiches Kapitel gewesen. Aber die anderen Särge waren in Ordnung. In einem Sarg lagen zwei, in den anderen jeweils eine Gatling Gun. Wunderbar, schwarzglänzend, frischgeölt. Man brauchte sie nur zusammenzubauen, und fertig war die Wunderwaffe. »Was ist denn so schwer an den Dingern?« fragte einer der Guerillas. »Der Fuß von den Gewehren ist aus massivem Gußeisen«, antwortete Mooney. Er war stolz, den Männern sein Wissen zu beweisen. »Sie brauchen den Fuß, sonst rutschen sie schon nach den ersten Schüssen weg.« Die Männer luden fünf der sechs Gewehre aus und legten die Einzelteile säuberlich nebeneinander auf den Boden. Die Munition packten sie einzeln.
»Was sind die weiteren Befehle?« Mooney streckte sich und gähnte. »Ihr werdet eins der Gewehre ins Hinterland zu unserem Generalstab bringen. Die hohen Tiere lecken sich schon die Finger nach dem Gewehr. Mit den anderen fünf …« Er brach mitten im Satz ab und ging zum hinteren Ende des Verstecks, von wo aus er den Fluß übersehen konnte. Eine schmale Eisenbrücke spannte sich zu seiner Rechten über den Missouri. Auf der anderen Flußseite sah Mooney ein paar Blauröcke, die den Brückenkopf bewachten. Er grinste und drehte sich wieder um. »Mit den anderen fünf werden wir dem Teufel das Feuer unter dem Hintern ausblasen. Morgen früh wird ein Transport der Nordarmee diese Brücke überqueren. Da werden die Begleitsoldaten erfahren, was es heißt, mit ihren eigenen Waffen Bekanntschaft zu schließen.« Die sechs Männer erwiderten sein Grinsen. Sie waren froh, daß Mooney endlich nicht mehr über ihre eigenen Mißerfolge sprach. »Ich werde heute noch weiterreiten«, fuhr er fort. »Die hohen Tiere der Nordarmee erwarten meine äußerst wichtigen Mitteilungen!« Er lachte unterdrückt. Seine Leistungen sollten in die Geschichte dieses Kriegs eingehen. Er war sich sicher, daß kein anderer Mann es fertigbringen würde, den Nordstaaten ein solches Schnippchen zu schlagen. Er kannte jede Bewegung der feindlichen Truppen, konnte seinen eigenen Männern die entsprechenden Schritte befehlen und dann bei den Nordstaaten gründlich über die »miesen Konföderierten« schimpfen, die wieder einmal Glück gehabt hatten. Doppelagent, so nannte man das! »Ihr baut jetzt die Gatlings zusammen. Zwei von euch bringen das sechste Gewehr so schnell wie möglich zu unserem Generalstab. In vierzehn Stunden solltet ihr die Dinger kampfbereit haben, oder nicht?« Die Männer nickten. Zwei von ihnen nähten die sechste Galting in Wolldecken und legten sie neben dem natürlichen Eingang des Verstecks auf den Boden. Major Danby aus der Armee der Südstaaten, alias Mooney, sah seinen Männern eine Zeitlang befriedigt zu. Er dachte an den Jungen, der mit Galloway zusammengearbeitet hatte. Würde er ihm folgen?
Oder hatte der Junge die Nase voll von Krieg und Maschinengewehren? Nach reiflicher Überlegung gelangte er zu dem Schluß, daß Ronco sicher schon seine Spur verloren hatte oder ihr erst gar nicht gefolgt war. Er hatte ja auch persönlich gar nichts mit den Gewehren zu schaffen. Warum sollte er sich also dafür einsetzen? Mooney grüßte seine Männer, dann verließ er das Versteck und schwang sich auf sein Maultier, das den Weg bis hierher an den Wagen gebunden zurückgelegt hatte. Er bereitete sich wieder voll und ganz auf seine Rolle als Priester und Informant der Nordstaaten vor. Insgeheim lachte er sich halbtot über die Naivität der Unionsoldaten. An den Jungen namens Ronco dachte er nicht mehr. Er hatte ihn bereits vergessen.
12. Ich hatte Mooney nicht vergessen. Noch lange nicht. Immer noch hatte ich Abes Stimme in den Ohren, sah die stumme Anklage in seinen Augen. Nein, ich vergaß Mooney nicht, weiß Gott. Seit vierzehn Stunden saß ich im Sattel und war ein Teil von meinem Braunen geworden, der in stetem Trott der Wagenspur folgte. Durst und Hunger spürte ich nicht, außerdem hatte ich jetzt keine Zeit zu verlieren. Manchmal hatte ich die Spur verlassen müssen, da feindliche Truppen in der Ferne auftauchten. Aber auch um die Unionsoldaten beschrieb ich einen Bogen. Man konnte nie wissen. Aber immer fand ich die zwei dünnen Rillen wieder, die der Wagen im Gras hinterlassen hatte. Ich näherte mich dem Missouri. Die Vegetation war für mich wie ein offenes Buch, in dem ich nach Belieben lesen konnte. Zypressen zeigten mir die Nähe von Wasser an. Ich fragte, wohin mich Mooney wohl führen würde. Mitten zum Generalstab der Südstaatenarmee? Hoffentlich nicht, denn in diesem Fall wären die Gatlings für immer verloren. An den Spuren erkannte ich, daß Mooney immer vorsichtiger fuhr. Er wich bestimmten Wäldchen aus, bog an völlig ungefährlich
wirkenden Stellen plötzlich ab und fuhr langsamer. Daraus entnahm ich, daß es hier Stellungen der Unionsoldaten gab. Gegen Mittag sah ich den Fluß in der Ferne schimmern. Jetzt wurde es gefährlich. Ich hatte gehört, daß es hier immer wieder zu Auseinandersetzungen zwischen den beiden Armeen gekommen war. Den letzten Meldungen zufolge hatten die Nordstaaten die wichtigsten Stellungen besetzt. Ich ließ meinen Braunen zwischen einigen Büschen weiden. Ohne meinen Pfiff würde er sich nicht von der Stelle bewegen. Dann huschte ich zu Fuß weiter. Die Sharps nahm ich mit. Nach einer Stunde stand ich am Flußufer. Ich war von keiner Menschenseele gesehen worden, auch von den Unionsoldaten am diesseitigen Ufer nicht. Sie hatten sich hinter Lehmhügeln verschanzt und spielten Karten. Zehn Yards entfernt begann eine schmale Brücke aus Eisenträgern. Es beruhigte mich zu wissen, daß Mooney noch auf dieser Flußseite sein mußte. Die Brücke konnte er nicht passiert haben, denn die Soldaten hätten ihn garantiert durchsucht. Also hatte ich noch eine Chance. Vorsichtig pirschte ich durch das Gebüsch. Immer wieder stoppte ich und beobachtete die Sträucher und Flechten. Überall konnten Guerillas stecken. Ich spürte die Spannung in der Luft beinahe körperlich. Auch Shita war beunruhigt und hielt sich nie weit von mir entfernt. Seine Nackenhaare sträubten sich, als wir zwei eng beisammenstehende Zypressen passierten. Sofort ging ich in Deckung. Auf Shita konnte ich mich verlassen. Wir blieben regungslos hinter einem Busch. Eine ganze Weile hörte und sah ich nichts. Dann aber erklang leises Murmeln und ein metallisches Klicken. Die Gatlings! durchzuckte es mich. Jemand saß dort und baute die Gewehre zusammen. Meine Geduld wurde auf eine lange Probe gestellt. Für zwei, drei Stunden geschah nichts. Nur ab und zu Gemurmel und leises Klappern. Dann endlich teilte sich der Flechtenvorhang. Sechs Männer erschienen. Drei von ihnen erkannte ich. Sie hatten mich im Zug angegriffen. Also war ich wirklich auf der richtigen
Spur. Sie schleppten eine der Gatlings. Ich hatte das Gewehr zwar noch nie zusammengebaut gesehen, aber es bestand kein Zweifel. Ein Mann trug ein gußeisernes Podest mit einem Loch in der Mitte. Das war wahrscheinlich der Fuß für die Gatling. Zwei Männer schleppten das Gewehr. Sie trennten sich. Ein einzelner Mann verschwand in die entgegengesetzte Richtung. Er trug zwei längliche Gegenstände, in Wolldecken eingenäht. Wenn ich mich nicht täuschte, war das eine der Gatlings, die wohl zum Generalstab der Konföderierten gebracht werden sollte. Wo aber war Mooney? Während der Mann mit den Bündeln nach links verschwand, überlegte ich fieberhaft, wem ich folgen sollte. Ich entschied mich für den einzelnen. Schnell folgte ich ihm. Wenn er das Gewehr zu seinen eigenen Linien brachte, war alles verloren. Ich verlor ihn kurz aus den Augen. Shita brachte mich auf die richtige Spur. Aber ich mußte sehr vorsichtig vorgehen. Kein Schuß durfte fallen. Die anderen würden gewarnt werden. Ich traf um ein Haar zu spät ein. Das Knarren von Sattelleder warnte mich. Hufschlag erklang. Ich war an seinem Pferd vorbeigegangen, ohne es zu bemerken. Also befand er sich jetzt in meinem Rücken. Schnell preßte ich mich hinter den Stamm einer Eiche. Er ritt auf Schrittlänge an mir vorbei, die zwei Bündel hinter sich an der Deckenrolle befestigt. Ich warf mich von hinten auf ihn, verfehlte aber seine Schultern und verkrallte mich an den beiden Bündeln. Er drehte sich um und knallte mir die Faust mitten auf den Kopf. Es war ganz schön Dampf dahinter, und für einen Augenblick sah ich Sternchen. Außerdem ging ihm sein verängstigtes Pferd durch, und ich geriet beinahe unter die wirbelnden Hufe. Shita half mir einmal mehr aus der Klemme. Mit einem Riesensatz warf er sich seitlich gegen den Mann und riß ihn glatt vom Sattel. Die Hände des Mannes verhedderten sich in meinem Hemd. Wir rollten zusammen über den Boden. Shita heulte vor Angst und
Schrecken auf. Die Hinterhufe des Pferdes trommelten zollbreit an meinem Gesicht vorbei. Der Mann nutzte den restlichen Schwung und blieb rittlings auf mir sitzen. Mein rechter Arm war unter seinem Knie eingeklemmt, mit dem linken versuchte ich, seine Fäuste aus meinem Gesicht fernzuhalten. Wo blieb Shita! Der Mann überwand zusehends seinen anfänglichen Schrecken und nutzte die günstige Situation aus. Ich kam nicht unter ihm weg. Er war zu schwer und thronte genau auf meinem Brustkorb. Jetzt packte er meine freie Hand und drückte sie zur Seite. Dann schlug er mir die Faust unter das Kinn. Ich sah nun schon zum zweiten Male Sternchen. Wenn nicht bald etwas geschah, war ich geliefert. Wieder traf er mich, diesmal am Hals. Mir blieb einen Augenblick die Luft weg. Dann bäumte ich mich mit der Kraft der Verzweiflung auf. Es klappte. Der Mann flog über mich weg und schlug auf den Boden. Sofort war ich auf den Beinen und setzte nach. Ich durfte ihm keine Zeit lassen. Jetzt wußte ich auch, warum Shita nicht eingegriffen hatte: beim Sturz hatte ich ihn unter meinen Beinen begraben, anschließend hatte der Mann auch noch daraufgesessen. Armer Shita, er hockte da und schüttelte benommen den Kopf. Der Mann stand gebückt vor mir, einen dicken Prügel in der Hand. Er erkannte mich. »Sieh da«, keuchte er, »das Bürschlein aus dem Zug. Mit dir habe ich sowieso noch ein Hühnchen zu rupfen!« Fein, meinetwegen konnten wir mit dem Rupfen beginnen. Selbst mit vier Prügeln hatte er gegen mich keine Chance. Ich war ganz schön in Fahrt. Er ließ den Knüppel durch die Luft sausen. Schnell sprang ich zur Seite und schlug ihm mit aller Kraft gegen das Handgelenk. Ich traf ihn voll, und er ließ das Holzstück fallen. Jetzt griff ich an. Mit linken und rechten Haken trieb ich ihn zurück, traf ihn wieder und wieder mit Geraden am Kinn und ließ ihn anschließend seine Kraft gegen meine Deckung verpulvern. Er gab sich ganz schön Mühe, aber immer wieder konterte ich, und er war
mehr und mehr gezeichnet. Schließlich täuschte ich einen Leberhaken vor und donnerte ihm zwei Haken genau an die Kinnspitze. Es war vorbei. Ich ließ meine Hände sinken und sah ihm zu, wie er schwankend umhertappte. Sein Blick war glasig, seine Knie butterweich. Er sah mich schon gar nicht mehr. Ich schaute mich nach seinem Pferd um. Es stand hundert Yards weiter und äugte herüber. Während ich es holte, tippte ich dem Mann im Vorbeigehen leicht gegen die Schulter. Er stöhnte, torkelte und fiel dann glatt aufs Gesicht. Ein Lasso hing an seinem Sattelhorn. Ich nahm es und verpackte den ohnmächtigen Mann zu einem handlichen Paket. Er wachte nicht einmal auf. Was sollte mit ihm werden? Ich konnte nicht mit ihm herumlaufen. Töten wollte ich ihn auch nicht. Also gab ich ihm kräftige Ohrfeigen, bis er endlich aufwachte. Nach kurzer Suche fand ich den geeigneten Platz. Am Flußufer, versteckt unter herunterhängenden Zweigen. Ich stellte den Mann in einer ganz bestimmten Stellung gegen den Baumstamm, der zum Teil im Wasser stand. Bei der leisesten Bewegung würde der Mann ins Wasser fallen und ertrinken. Er wußte es, denn die Farbe seines Gesichts ähnelte immer mehr weißer Tünche. Ich ließ ihn zurück, sorgfältig geknebelt. Er würde mir keine Sorgen mehr bereiten. Aber nun folgte der schwierigere Teil meines Unternehmens. Wie sollte ich mich unbemerkt an die Gatlings anschleichen? Meine Nerven waren zum Zerreißen gespannt. Ich arbeitete mich Zoll um Zoll an das Versteck der Banditen heran. Es war ein schweres Stück Arbeit. Ich mußte jede Sekunde damit rechnen, einem der Guerillas über den Weg zu laufen. Schließlich erhaschte ich einen Blick auf zwei der Männer. Sie lagen hinter einigen Sträuchern und hatten eine Gatling aufgebaut. Die seltsam geformte Mündung deutete auf die Brücke. Ich begriff, daß diese Brücke ein Angelpunkt sowohl für die Nord- als auch Südstaaten war. Und ich war mitten in diese Auseinandersetzung geraten.
Die Männer sprachen miteinander. Ich hörte einige Sätze. »Wann trifft der Munitionstransport ein?« fragte der eine, ein schwarzhaariger, kleiner Mann. »Morgen früh, hat der Major gesagt. Es soll auch Proviant dabei sein.« »Hoffen wir's!« Der Kleine rieb sich den Bauch. »Ich habe schon wieder Kohldampf.« »Was heißt hier: hoffen wir's? Was der Major sagt, stimmt immer!« »Den gleichen Fehler hat Rotkäppchen mit dem bösen Wolf begangen«, sagte der andere grinsend. »Es wurde gefressen!« »Blöder Hund! Was hat der Major mit Rotkäppchen zu tun?« Der Kleine grinste immer noch. »Du darfst in diesem Krieg nie alles glauben, Freund!« »Willst du etwa behaupten, der Major treibe doppeltes Spiel?« »Dreifaches Spiel, Freund. Warum sollte er nicht?« Der kleine Schwarzhaarige kniff scherzend ein Auge zu und klopfte seinem Nachbarn auf die Schulter. »Nimm's nicht ernst, Dean, ich wollte dir nur erklären, daß man sein Köpfchen nie genug einsetzen kann.« »Was?« fragte Dean. Der Kleine winkte ab. »Laß es gut sein, Freund. Denken ist nicht jedermanns Sache. Konzentrieren wir uns lieber auf die Brücke. Der Tanz kann jede Sekunde losgehen.« Ich zog mich zurück. Verschiedene Fragen beschäftigten mich, allen voran: Wer war mit »Major« gemeint? Etwa mein lieber Freund Mooney? Jemand spielte hier ein verdammt dreckiges Spiel mit den Nordstaaten. Wer war die geheimnisvolle Person? Hatte Mooney, die Verwandlungskünste einmal beiseite, Köpfchen genug für einen solchen Plan? Meine Gedanken wurden von einer Bewegung gefangen. Schnell sah ich genauer hin. Drei Männer schlichen sich an den diesseitigen Brückenkopf an. Drei Guerillas. Und die Soldaten hinter ihren Schutzgräben spielten Karten. Ich mußte sie warnen, auf jeden Fall. Aber wie? Ich hätte einen Stein werfen können, aber es gab keine Steine hier. Mit einem Schuß hätte ich zwei Guerillas mit der Gatling auf dem Hals gehabt. Und
ein Maschinengewehr ist ein undankbarer Gegner. Also zog ich mich nur etwas weiter zurück und wartete. Ich sah von meiner Position aus genau, wie sich die drei Guerillas anschlichen. Sie erledigten diese Arbeit gar nicht schlecht. Hinter dem Schutzwall der Unionsoldaten erklang Gelächter. Die armen Kerle ahnten nichts. Einer von ihnen erhob sich. Sein Kopf und die Schultern ragten über den Wall hinaus. Als er die Guerillas sah, weiteten sich seine Augen. Der mittlere Guerilla riß ein Messer hervor und schleuderte es auf den Blaurock. Es war eine einzige, fließende Bewegung. Der Soldat wurde in den Hals getroffen. Er stand immer noch, als die drei Guerillas mitten unter den Soldaten waren und ihre Revolver abfeuerten. Erst dann kippte er langsam zur Seite. Es dauerte nur wenige Sekunden. Die Soldaten hatten gar keine Zeit gehabt, nach ihren Waffen zu greifen. Aber der Kampf hatte eben erst begonnen. Ich hatte die Unionsoldaten auf der anderen Flußseite vergessen. Sie hielten ja beide Brückenköpfe. Alle sechs Mann stürmten mit aufgepflanzten Bajonetten über die Brücke. Sie glaubten, es nur mit den drei Guerillas zu tun zu haben, die ihre Kameraden in die Hölle befördert hatten. Von wegen. Die Gatling sahen sie nicht. Die drei Guerillas standen völlig deckungslos am Brückenende und sahen den Soldaten entgegen, die ihre Schritte noch beschleunigten. Es war gar kein schlechter Trick, den die Guerillas hier versuchten. Und er wirkte – genauso tödlich wie die Maschinerie der Gatling. Das große Gewehr spuckte plötzlich Feuer und Blei. Mit aufgerissenen Augen sah ich auf das Monstrum. Einer der Männer hielt es mit aller Kraft in die Zielrichtung und betätigte den Drücker, während der andere eine lange, in Schleifen zusammengelegte Munitionskette durch seine Finger gleiten ließ. Ein perfekter Mechanismus, gebaut zum Töten, tausendmal grausamer als alle bisherigen Waffen, die ich kannte.
Leere Patronenhülsen flogen nach jedem Schuß durch die Luft. Der Lauf der Gatling vibrierte, der schwere Fuß drückte sich noch tiefer ins Gras. Die sechs Soldaten auf der Brücke hatten weniger Chancen als ein Eisbär in der Wüste. Sie hatten keine Deckung. Genau drei Schüsse feuerten sie ab, dann waren sie tot. Der letzte Mann zuckte noch. Eine weitere Garbe aus dem Maschinengewehr fegte ihn von der Brücke und ins Wasser. Aufspritzend verschwand seine Leiche und wurde dann langsam von der Strömung erfaßt. Mir schlotterten ganz schön die Beine. Ich hatte Büffelgewehre gesehen, auch Kanonen, aber noch nie eine so grausame Waffe. Niemand hatte die Spur einer Chance gegen ein solches Mordinstrument. Aber nun war mir auch klar, daß ich wenigstens die restlichen vier Waffen verschwinden lassen mußte. Aber wie? Ich hatte vielleicht noch eine Möglichkeit. Schnell zog ich mich einige Yards zurück und hastete dann in Richtung auf das Versteck der Guerillas. Ein Schrei ertönte hinter mir. Und dann zerriß ein Feuerstoß erneut die Stille. Pures Entsetzen packte mich. Projektile pfiffen haarscharf an meinem Kopf vorbei, ich konnte das häßliche Zirpen sogar hören. Sofort warf ich mich flach auf den Boden. Wieder fegte eine Garbe über mich weg. Die Stimmen hinter mir wurden lauter. Ich riß meinen Navy-Colt aus dem Halfter und feuerte blind in Richtung der Schüsse. Irgendwo traf meine Kugel auf Eisen. Ein Mann fluchte laut. Für kurze Zeit hatte ich Ruhe, und ich ließ die Gelegenheit nicht entgehen. Ich stürmte genau auf das Versteck der Banditen los und lief durch den Flechtenvorhang. Es war ziemlich düster, weil drei Seiten von natürlichen Wänden aus Schlingpflanzen, Zweigen und Flechten bestanden. Nur in Richtung Missouri war die Sicht frei. Auf die Brücke. Ich hatte keine Zeit. Die Schritte hinter mir rückten schnell näher. In wilder Hast suchte ich nach den Gatlings. Vier lagen zusammengebaut am Boden. Aber ich hatte keine Zeit, sie in den
Fluß zu werfen. Die Verfolger konnten jede Sekunde hier sein, und außerdem waren die Waffen zu schwer. Daneben lag gestapelte Munition. Ich gab ihr einen kräftigen Tritt, und einige der Schlangen rutschten über das Gras und verschwanden im Wasser. Wieder und wieder trat ich dagegen. Beinahe die Hälfte der Munition verschwand für immer in den Tiefen des Missouri. Aber jetzt war es zu spät. Jemand lief auf den Eingang zu. Ich hatte keine andere Wahl. Schnell schoß ich durch die Flechten. Die Schritte stoppten, dann hörte ich Metall klicken. Sie brachten die Gatling in Stellung! In panischer Angst hastete ich zum Ufer. Ich konnte nicht sehen, wie tief das Wasser hier war. Hoffentlich mehr als fünf, sechs Zoll! Schnell glitt ich hinein und betete, daß es hier keine MississippiAlligatoren gab. Oder wenigstens, daß sie mich nicht als Vorspeise betrachteten. Hinter mir hörte ich ein helles Schnappen. Der Tanz ging los. Jede Sekunde hagelte es jetzt blaue Bohnen. Ich jagte noch eine Kugel durch den Flechtenvorhang und ließ mich dann lautlos ins Wasser gleiten. Den Navy-Colt hielt ich über dem Kopf. Meine Füße berührten Grund, besser gesagt, Schlamm. Aber immerhin stand ich bis zu den Schultern im Wasser. Eine Feuergarbe fuhr über meinen Kopf weg in die Luft. Das Maschinengewehr fetzte Stücke aus den Flechten. Pulvergeruch stieg beizend in meine Nase. Ich watete so schnell wie möglich seitwärts außer Sichtweite und hielt mich immer nahe am Ufer. Nach ungefähr einer Minute stellten die Guerillas ihr Feuer ein. Ich hatte schon an die hundert Yards zurückgelegt, zog mich schnell ans Ufer und robbte hinter den nächsten Busch. Beruhigt sah ich, daß die Strömung meine Wellen im Wasser längst geglättet hatte. Die Banditen entdeckten, daß ich gar nicht mehr in ihrem Versteck war. Laute Flüche ertönten. Das Fehlen der Munition erregte ihre Wut. Zum Glück hatten sie mich jetzt nicht zwischen ihren Fingern. Sie hätten mich wahrscheinlich in Stücke gerissen. Mein Herzschlag stockte. Ich hatte mich umgedreht und sah
gerade, wie das Pferd des gefesselten Guerillas gemütlich in Richtung auf die Stimmen trottete. »Shhhhh!« Ich winkte verzweifelt mit den Armen. Wenn die Kerle das Pferd entdeckten, wußten sie, daß ihr Mann mit dem Gewehr für den Generalstab nie angekommen war. Das Pferd sah mich mit etwas dümmlichen Augen an, stoppte kurz und ging dann weiter. »Hierher, verd …!« Ich durfte nicht laut rufen. Die Banditen konnten jede Sekunde aus ihrem Versteck treten und das Pferd sehen. Endlich blieb das blöde Biest stehen. Ich huschte heran und strich ihm beruhigend über die Nüstern. »Tu mir den Gefallen und schnaub nicht«, flüsterte ich ihm ins Ohr. Es tat. Willig ließ es sich aus der Gefahrenzone bringen. Ich suchte nach seinem Besitzer, den ich gegen den Baumstamm gelehnt hatte. Ich fand ihn nicht. Er mußte versucht haben, zu fliehen und war dabei ins Wasser gefallen. Er tat mir nicht leid. Er war einer der Männer gewesen, die unschuldige Frauen und Kinder ermordet hatten. Sollte er meinetwegen beim Oberteufel persönlich Kohlen schippen. Also blieb mir nichts anderes mehr, als sein Pferd zu nehmen und abzuhauen. Ich war sicher, daß die Guerillas nicht nach mir suchten. Wie hätte ich ihren Kugeln schon entgehen können! Nach einer halben Stunde fand ich meinen Braunen, zog mich in den Sattel und ritt flußabwärts. Mein Ziel war klar. Ich mußte unbedingt die zuständigen Militärs der Nordstaaten warnen, daß der Transport nicht stattfinden durfte. Außerdem hatte ich ja die eine Gatling bei mir, eingenäht in Wolldecken. Am liebsten hätte ich sie in den Fluß geworfen. Ich dachte an Abe. Es schmerzte mich, daß ich mein Versprechen nicht einhalten konnte. Fünf der Gewehre waren in den Händen der Guerillas. Mooney war auf und davon. Es war eine miese Situation, und ich sah keinen Ausweg.
13.
Ich ritt nun schon über vier Stunden. Shita, dem das Bad gefallen hatte, fühlte sich pudelwohl und erfrischt. Einmal brachte er mir ein Backenhörnchen und war beleidigt, als ich ihm sagte, daß nicht einmal eine Maus davon satt geworden wäre. Brummend ließ er das verängstigte Tier laufen. Plötzlich standen Soldaten vor mir. Ich hatte nicht aufgepaßt und war beinahe mitten in ein Camp geritten. Es waren Blauröcke. »Was willst du?« fragte einer von ihnen ruppig. »Ich möchte mit einem Offizier sprechen«, erwiderte ich. »Warum?« »Es ist verdammt wichtig, Mann!« fuhr ich ihn an. »Es geht um Leben und Tod.« Er grinste. »Im Krieg geht es immer um Leben und Tod, mein Lieber. Da könnte ja jeder hier das Maul aufreißen.« »Ich bin weder dein Lieber noch ein Guerilla«, erwiderte ich, »und wenn du mich nicht durchläßt, muß ich dich leider dazu zwingen.« Er warf den Kopf in den Nacken und lachte schallend. Genauso lange, bis meine Revolvermündung gegen seinen Hals stieß. »Bring mich zu deinem gottverdammten Vorgesetzten!« sagte ich wütend. Jetzt folgte er. Es war auch besser für ihn, denn ich hätte das ganze Camp auseinandergenommen, nur um mit dem Führer dieser Einheit sprechen zu können. Wir gingen zu Fuß weiter. Ich ließ meinen Braunen bei einem der Soldaten und warnte ihn, er solle seine Pfoten von meinem Pferd lassen. Vier Reihen Zelte, in der Mitte ein freier Platz, das war das ganze Camp. Es herrschte kaum Betrieb auf den Straßen zwischen den Zelten. Gerade wurde die Messe für die Soldaten gehalten. Sie drängten sich in Reih und Glied auf dem freien Platz zusammen und lauschten ergeben den Worten eines Priesters. Der Priester war sehr groß und massig und mit einer braunen Robe bekleidet. Auf dem Kopf trug er ein rundes Stofftüchlein, ebenfalls braun. Seine Haare waren schwarz, der Bart hingegen flammend rot. Mooney! Für einen Augenblick stand ich wie vom Blitz getroffen da und glaubte, meinen Augen nicht zu trauen. Da hatte dieser
Mistkäfer von Mooney den Nerv, seinen Feinden in aller Ruhe die Messe zu lesen! Ich schäumte vor Wut und hätte beinahe die ganze Versammlung aufgelöst. Der Soldat neben mir sah mich seltsam an. »Was hast du denn? Padre Mooney hat schon zweimal hier die Messe übernommen. Er predigt besser als alle anderen.« »Das glaube ich«, murmelte ich. »Gehen wir.« Mooney hatte mich noch nicht gesehen. Der Soldat holte einen Colonel aus der Messe, er stand in der ersten Reihe und sah wütend in meine Richtung. Hoffentlich war er nicht einer der Männer, die ihre Niederlagen ihren Untergebenen in die Schuhe schoben. »Was willst du?« fuhr er mich an. Ich zeigte auf den Soldaten, der mich gebracht hatte. »Können wir unter vier Augen sprechen?« Der Colonel entließ den Soldaten, der in einiger Entfernung neugierig stehenblieb. Ich schilderte dem Colonel in knappen Worten, was sich in den letzten Tagen zugetragen hatte. Ich ließ nichts außer acht. Er hörte mir mit zunehmendem Interesse zu. »Und Sie sind sicher, daß es dieser Mann ist, der den Transport sabotiert hat?« Er deutete auf Mooney. Ich grinste. Plötzlich war ich kein Junge mehr, den man duzte. Jetzt sprach er mich mit »Sie« an. »Er nannte sich Padre Mooney.« »Hm. Das stimmt allerdings. Zunächst aber muß ich telegrafieren, ob der Transport tatsächlich stattgefunden hat.« »Sie können mir glauben. Ich habe eins der Maschinengewehre zurückerobern können. Es sollte an den Generalstab der Konföderierten gehen und zum Nachbau untersucht werden.« Der Colonel bat mich in sein Zelt. »Sie müssen wissen, was Padre Mooney betrifft – er – er ist ein zuverlässiger und sehr wichtiger Mann.« »Sagen Sie bloß nicht, daß er für Sie spioniert!« brach es aus mir heraus. Er grinste ziemlich kläglich. Von seiner strammen Haltung, die er anfänglich gezeigt hatte, war nicht mehr viel übriggeblieben.
»Wissen Sie überhaupt, daß Sie einen Major der Südstaaten für sich haben spionieren lassen?« fragte ich. »Dafür brauche ich Beweise. Ich kann ihn doch nicht einfach so einsperren und aburteilen lassen!« Ich lächelte. »Den Beweis werden Sie von mir erhalten. Mooney mag zwar ein guter Lügner sein, aber wenn er mich plötzlich hier sieht, verrät er sich bestimmt. Warten Sie es ab.« Der Colonel ließ mich warten und kehrte nach einiger Zeit zurück. »Der Transport der Gatlings ist mir bestätigt worden. Er wurde einem gewissen …« »Abraham Galloway anvertraut«, beendete ich seinen Satz. »Er ist von Mooney kaltblütig ermordet worden.« »Ihre Daten und Fakten sind bisher stichfest. Wollen wir doch sehen, ob nun auch Mooney sich zu erkennen gibt.« Die Stunde der Wahrheit war gekommen. Ich spürte die Nervosität bis in die letzte Faser meine Körpers. Ob Mooney die Kaltblütigkeit aufbrachte, zu schauspielern? Ich dachte lieber nicht daran. Wir traten von hinten an den Priester heran. Er predigte gerade von den Grausamkeiten des Krieges und schimpfte auf die Südstaaten und die Guerillas. Die Soldaten wurden unruhig. Sie sahen auf den Colonel und mich und begriffen nicht, was es zu bedeuten hatte. Ich benutzte eine Pause in Mooneys Predigt. »Guten Tag, Major«, sagte ich laut und vernehmlich. Mooney wirbelte herum. Sein Gesicht war aschfahl. Er zuckte zusammen, als er mich erkannte. Seine Hand fuhr unter die braune Robe. Ich trat zu. Mit aller Kraft sauste meine Stiefelspitze gegen sein Handgelenk. Ein 38er wirbelte durch die Luft und fiel neben dem Colonel zu Boden. »Das ist das Ende Ihres Spiels«, sagte ich. »Fahr zur Hölle, du Bastard!« zischte er und warf sich gegen mich. Ich trat zur Seite und ließ ihn leerlaufen. Ein mit aller Kraft und Wut geschlagener Haken in die Magengrube stoppte seinen
Schwung. Ein Zittern lief durch seinen dicken Körper, und er stöhnte vor Schmerz. »Das war für Abe«, sagte ich wild. »Dafür wirst du sterben.« »Ihr seid alles Schweine!« brüllte er. »Ich verlange, als Kriegsgefangener behandelt zu werden!« »Wer sind Sie?« fragte der Colonel. Mooney grinste verschlagen. »Major Richard Danby, Stabsoffizier der konföderierten Streitkräfte.« Der Colonel mußte sich mühsam beherrschen. »Sie werden als Spion behandelt, Danby.« Über die Konsequenzen brauchte er ihn nicht aufzuklären. Das Exekutionskommando wartete auf ihn. »Zur Hölle mit den Yankees, mit allen dreckigen Niggerfreunden …« Ich stoppte seine Verwünschungen mit einem Schlag auf den Mund. Blut tropfte auf seine braune Robe, und er beruhigte sich wieder etwas. »Ich habe einen großen Fehler begangen«, sagte er leise, mehr zu sich selbst, »nur einen einzigen. Aber dieser Fehler war tödlich: Ich hätte Ronco umlegen sollen!« Er wurde von starken Händen abgeführt. Nur der Colonel und ich blieben stehen. »Wer ist Ronco?« fragte der Colonel neugierig. »Ich.« * Der Morgen brach an. Ich war bereits seit drei Stunden im Sattel. Hinter mir ritten vierzig Soldaten, alle bis an die Zähne bewaffnet. Es war ein seltsames Gefühl, ein Militärkommando anzuführen. Nicht sehr angenehm. Aber ich mußte. Ich war der einzige, der die Stellungen der Guerillas genau kannte. Der Colonel hatte mich gebeten, den Trupp zu führen. Die Guerillas mußten unbedingt beseitigt werden, bevor der Transport über die Brücke rollte. Wenigstens hatte ich meinen Proviant auffrischen können. Dazu
hatte man mir für die Sharps und den Navy-Colt ausreichend Munition mitgegeben. Ich ließ anhalten und absitzen. Der Colonel trat neben mich. »Weshalb schon hier?« »Wir können uns keine Pleite leisten. Wenn die Guerillas Wind von der Sache kriegen, mähen sie uns mit den fünf Gatlings nieder.« Ich hatte ihn überzeugt. Wir ließen drei Mann bei den Pferden zurück und gingen los. Nach einer Meile gelangten wir nur noch sehr langsam voran. Das Gebüsch wurde zunehmend dichter. Ich befahl den Männern zu warten und ging allein weiter. Shita begleitete mich. Es dauerte lange, bis ich die Stellungen der Guerillas entdeckte. Shita leistete den größten Teil der Arbeit. Aber wir hatten nicht viel Zeit zu verlieren. Jede Minute konnte die Vorhut des Transports über die Brücke rollen. Dann wäre es zu spät, Menschenleben würden gefährdet, und die Guerillas konnten sich mit den Waffen absetzen. Schnell kroch ich zu den Soldaten zurück und erklärte ihnen mit einer Zeichnung die Stellungen. Sie waren durchaus zu stürmen. Die Aufteilung der Soldaten übernahm ich mit dem Colonel selbst. Es durfte keine Fluchtmöglichkeit mehr geben. In einem großen Halbkreis schlossen wir die Guerillas ein. Dann begann das Gefecht. Ich hatte mich in den Rücken von zwei Banditen geschlichen. Sie lagen in einem ausgehobenen Graben, die Gatling in Position, die Munition säuberlich gestapelt. Es wäre eine tödliche Falle für die Männer des Transports gewesen. Ich rief die zwei Männer an, bevor ich schoß. Vielleicht ergaben sie sich. Sie ergaben sich nicht, und ich mußte sie töten. Sofort erschienen zwei der Soldaten und übernahmen die Gatling. Zweihundert Yards weiter rechts hatte ein Guerilla Verdacht geschöpft. Er spähte aufmerksam herüber und rief uns an. Mit einem Kopfschuß erledigte ich ihn. Es ging alles ziemlich schnell. Die Unionsoldaten beklagten einen Leichtverletzten – er war gegen einen Baum gerannt – und einige Verstauchungen im Handgemenge mit den Guerillas. Nach zehn Minuten standen die zwei überlebenden Guerillas
gefesselt und geknebelt am Flußufer und sahen zu, wie sich langsam eine Staubwolke dem jenseitigen Flußufer näherte. Ich selbst stand etwas abseits, und als ich sah, daß der Colonel nach mir suchte, verdrückte ich mich schnell. Ich hatte etwas gegen die Lobeshymnen und das Händedrücken. Vor allem war mir nicht zum Lachen zumute. Nicht einem zum Lächeln. Ich grüßte die Wachen bei den Pferden, stieg auf meinen Braunen und ließ ihm die Zügel. Shita trottete neben uns her. Ich dachte an Abe. Ein Versprechen hatte ich eingelöst. Die Gewehre waren in Sicherheit. Dennoch blieb ein bitterer Geschmack im Mund. Das andere Versprechen wollte ich auch befolgen. Ich hatte nicht vor, noch einmal mit dem Krieg Bekanntschaft zu schließen. Ich hatte es wirklich nicht vor. Und doch sollte alles anders kommen. Die Suche nach dem Ende des Regenbogens war ein langer und harter Trail. Und ich war erst ganz am Anfang …
ENDE
Vorschau Der Sergeant, der Lobo stundenlang geschunden hatte, lachte und schlug brutal mit dem achtkantigen Lauf des Revolvers zu. Die Waffe traf Lobo am Kopf, streifte sein Ohr und knallte auf seine Schulter. Lobo spürte starke Schmerzen, war aber ohnehin von den Strapazen so benommen, daß er dadurch nicht mehr zu stoppen war. Die Wut trieb seinen Arm an, als er zuschlug. Die Faust traf den Sergeanten mitten ins Gesicht, des Schlag war wie eine Explosion. Er schrie gurgelnd, stolperte zurück und konnte sich nicht schnell genug fangen, um dem zweiten Hieb Lobos zu entgehen. Seine Nase wurde getroffen, er brüllte noch lauter und fiel rücklings in den Sand. Als er den Kopf hob, war Lobo schon bei ihm. Wild funkelten die Augen des bis aufs Blut gereizten Halbbluts, sein schmetternder Faustschlag erwischte das Kinn des Sergeanten. Aber der war noch nicht geschlagen. Mit zitternden Händen hob er die Waffe und spannte den Hammer … Die Jagd auf Ronco geht weiter. Lesen Sie nächste Woche Band 236 dieser großen deutschen Western-Serie:
Die Todeslegion