ATLAN 112 – Die Abenteuer der SOL
Nr. 611
Impuls der Vernichtung von Horst Hoffmann
Die Verwirklichung von Atlans Zi...
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ATLAN 112 – Die Abenteuer der SOL
Nr. 611
Impuls der Vernichtung von Horst Hoffmann
Die Verwirklichung von Atlans Ziel, das schon viele Strapazen und Opfer gekostet hat – das Ziel nämlich, in den Sektor Varnhagher-Ghynnst zu gelangen, um dort den Auftrag der Kosmokraten zu erfüllen, scheint nun außerhalb der Möglichkeiten des Arkoniden zu liegen. Denn beim entscheidenden Kampf gegen Hidden-X wurde Atlan die Grundlage zur Erfüllung seines Auftrags entzogen: das Wissen um die Koordinaten von VarnhagherGhynnst. Doch Atlan gibt nicht auf! Im Bewußtsein, sich die verlorenen Koordinaten wieder zu besorgen, folgt der Arkonide einer vagen Spur, die in die Randgebiete der Galaxis XiinxMarkant führt, wo die SOL in erbitterte Kämpfe verwickelt wird, die auf das unheilvolle Wirken der sogenannten »Mental-Relais« zurückzuführen sind. Inzwischen herrscht durch die Ausschaltung einiger Relais im Umfeld der SOL Ruhe. Dafür aber ist in der SOL selbst der hoffnungslos anmutende Kampf gegen das Manifest C entbrannt, das das Schiff völlig zu übernehmen und in die Vernichtung zu führen droht. Um sich die Handlungsfähigkeit und die Chance zur Rettung der SOL zu bewahren, verläßt Atlan nebst einer Anzahl von Getreuen mit zwei neuen Beibooten das Schiff. Das gleiche tut Cpt’Carch. Der Extra strebt in vergeistigter Form seiner Heimat zu. Auf ihn wartet das Chaos – und der IMPULS DER VERNICHTUNG ...
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ATLAN 112 – Die Abenteuer der SOL
Die Hauptpersonen des Romans: Cpt’Carch – Der Extra auf dem Weg in seine Heimat. Ceemer – Ein Sterbender, der leben will. Daal – Ein junger Staubflieger. Zeepkörob – Ein körperloser Roboter. Voonol, Naadun und Promk – Bewohner des Planeten Cpt.
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ATLAN 112 – Die Abenteuer der SOL ungestümer Wucht bemächtigt. Die Schmerzen des Geistes waren schlimmer als die des verstümmelten Körpers. Sein ganzes Dasein war ein einziger großer Betrug gewesen. Und es blieb keine Zeit, die begangenen Fehler wiedergutzumachen. Ein zweites Auge öffnete sich und zeigte dem Valvaren das, was sich hinter seinem Rücken befand. Wie von ihm hingezogen, tauchte es in das zentrale Projektionsfeld. Ceemer fühlte sich wie so oft vorher als Mittelpunkt seines Schiffes. Die Befehlskapsel war über eine lange Röhre mit dem eigentlichen Rumpf verbunden, in dem sich einmal die hochleistungsfähigen Aggregate befunden hatten. Dort rührte sich nichts mehr. Unbewußt schickte Ceemer einige ungeordnete Befehle in das Feld. Sie bewirkten nichts mehr. Das Auge sank schlaff herab, bis es den Boden berührte. Die Wahrnehmungen erloschen. Ceemer sah wieder nur den Raum ohne Sterne, Wirbel kosmischen Staubes, eine dunkle Wand und ... Etwas war nicht mehr so, wie es sein sollte. Der Valvare hatte nicht die Kraft, sich zu fragen, ob seine Sinne ihm noch reale Bilder vermittelten oder er einem Trug zum Opfer fiel. Die Schmerzen waren nicht zu ertragen. Irgendwann mußten sie ihn zerreißen. Er wollte nichts sehen, aber er mußte. Es wurde heller. Es war, als reflektierten die Staubmassen ein schnell an Intensität gewinnendes Licht. Woher sollte es kommen? Selbst wenn die Wissenschaftler recht gehabt hatten, die in der Dunkelzone Sonnen vermuteten – die VALVAR-237 bewegte sich nicht von der Stelle. Doch plötzlich geschah etwas Seltsames. Etwas schien den sterbenden Geist zu berühren. Von irgendwoher drang etwas an Ceemers Bewußtsein. Es dämpfte die Flammen und die Qual. Gleichzeitig hörte das Beben des Körpers auf. Ceemer spürte, wie sich aus den Feuern des Schmerzes neue Energien bildeten. Auch dies erfolgte ohne sein bewußtes Zutun. Einer der Arme geriet in sein Blickfeld, wie er sich mit dem Tentakelende um einen Stab wickelte. Muskelstränge zogen sich zusammen. Der schwere Oberleib wurde auf das Pult geschoben.
1. Der Impuls Noch einmal erwachte das Feuer in Ceemer, als weigerte sich sein Geist, ihn dorthin gehen zu lassen, wo keine Qual mehr war. Hitze und Schmerz krochen die Nervenbahnen entlang, breiteten sich über die Teile des Körpers aus, die noch Gefühl besaßen. Ein Auge des Valvaren begann heftig zu zittern. Die Schutzhäute zogen sich zurück, ohne daß er es verhindern konnte. Die giftigen Dämpfe in der Befehlskapsel brannten und fraßen sich in die hauchdünne Schleimschicht über den tausend irrlichternden Facetten. Ceemer hatte das Organ nicht mehr unter Kontrolle. Er wollte nicht sehen, was es ihm vermittelte. Warum muß ich es ertragen! Sternengötter oder Dämonen des Dunklen Reiches, laßt es vorübergehen! Alle anderen, die beim Kampf gegen die Sphären mit dem Schiff in die Dunkelzone verschlagen worden waren, lagen tot in ihren Nischen. Das schwarze Phantom hatte keinen von ihnen am Leben gelassen, als es wie aus dem Nichts auftauchte und die VALVAR-237 in ein Wrack verwandelte. Das war mehr als zehn Zeiteinheiten her. Nur Ceemer konnte nicht sterben. Die Pforte zum Dunklen Reich stand weit für ihn offen, doch schlug zu, sobald er glaubte, sie endlich erreicht zu haben. Das Auge schwenkte bebend herum, bis es sich im Zentrum der Projektionskugel befand. Was von empfindlichen Außenoptiken in der Hülle der Kapsel aufgenommen und in die Umformer geleitet wurde, entstand als plastischer Eindruck mitten in Ceemers Gehirn. Und in die Bilder der Staubmassen mischten sich wieder die anderen. Sie waren in die Farbe des Blutes getaucht und zeigten das Grauen, das mit dem achtbeinigen Monstrum an Bord gekommen war. Es war bitterer Hohn, daß Ceemer in der Stunde des Todes auf gewisse Weise erst zum Leben erwacht war. Bisher nur von Haß und dem Willen zum Kampf geleitet, mußte er plötzlich erkennen, daß es noch anderes gab. Gefühle, die sein ganzes Leben lang unterdrückt gewesen waren, hatten sich seiner mit 4
ATLAN 112 – Die Abenteuer der SOL Das Leuchten der kosmischen Feinstpartikel verstärkte sich weiter. In Ceemer breitete sich eine Erregung aus, die er nicht mehr für möglich gehalten hatte. Sie bedeutete ein Aufbäumen gegen den Tod. Was da an ihn drang, war nicht an ihn gerichtet. Es lebte für sich. Es lebte! Leben in diesem Teil des Universums, der für alle Geschöpfe verboten war und in dem nur das Verderben lauerte. Es strahlte keinen Haß aus. Es wollte nicht kämpfen. Es war nicht darauf aus, zu vernichten. Und es wurde noch stärker. Ceemer war es, als tauche er in ein Meer von Gefühlen ein, die noch verworrener waren als seine eigenen. Er spürte eine so tiefe Verzweiflung, daß ihm seine Pein dagegen bedeutungslos erschien. Er sehnte sich nach dem erlösenden Ende, doch was war das gegen etwas, das weder Anfang noch Ende kannte, das in einem entsetzlichen Abgrund von Nichtsein gefangen war! Der Valvare zog sich weiter am Pult herauf. Zum erstenmal seit zehn Zeiteinheiten kämpfte er darum, am Leben zu bleiben, um die plötzliche Neugier zu befriedigen. Er wollte das Licht sehen, das vom Staub reflektiert wurde. Seine anderen drei Augen lösten sich vom Boden und wanden sich wie Schlangen durch die vergiftete Bordatmosphäre, bis sie die Projektionskugel erreicht hatten. Der riesige Kopf folgte ihnen. Ceemer dachte den Befehl, daß sich die Außenoptiken des Schiffes auf die Quelle des Lichtes richten sollten. Sie gehorchten nicht. Die Spannung blieb und wuchs. Dafür wurden die empfangenen Eindrücke klarer. Der Impuls kam rasend schnell näher. Der Mantel der Verzweiflung riß für einen ganz kurzen Augenblick auf, und andere Gefühle strömten auf Ceemer ein. Da war eine heftig aufflackernde Hoffnung, ein Aufbäumen gegen ein grausames Schicksal. Da war Sehnsucht nach etwas, das sich auf Ceemer übertrug als »ein neues Leben, das nicht verloren sein darf«. Was immer es ist! Ceemers Gedanken waren auf einmal ganz klar. Es ist in einer ähnli-
chen aussichtslosen Lage wie ich! Ich bin nicht allein! Fast schrie es in ihm. Vergessen war die Katastrophe, die ihn in diese Lage gebracht hatte. Es gab nur noch ihn und den Impuls draußen jenseits der stählernen Hülle. Dann sah er das Licht. Es kam aus den Tiefen des Staubmantels geschossen, auf geradem Kurs dorthin, wo Ceemer das Zentrum der Kugelschale vermutete. Er mußte es an der VALVAR-237 vorbeiführen. Wohin, das war dem Raumfahrer gleich. Für ihn zählte nur, daß es Leben bedeutete, wo das Leben bereits erloschen schien. Es war ein aus tiefster Verzweiflung geborener Akt. Ceemer begriff erst, was er tat, als es für eine Umkehr schon zu spät war – eine Umkehr wohin auch? Es war eine vollkommene Unmöglichkeit, doch über Mögliches und Unmögliches machte sich der Valvare schon längst keine Gedanken mehr. Er sah nur das ultrahelle Licht, spürte nur den starken geistigen Impuls, der in diesem Moment an seinem Schiff vorbeiraste. Es war der alles beherrschende Wunsch, mit diesem Licht zu gehen. Es war ein SichAbstoßen – vielleicht der Weg in eine auf so wundersame Weise eröffnete Zukunft, vielleicht in das Nichts. Ceemers Körper sank schlaff zusammen, als das Leben aus ihm wich. Er rutschte vom Pult zu Boden, umgeben von den Nischen, in denen die anderen toten Valvaren lagen. Irgendwo auf einem Planeten von XiinxMarkant existierte ein Volk, das seine gesamte Raumflotte in den Kampf geschickt hatte, um siegreich über alle anderen Bewohner der Sterneninsel zu triumphieren. Die Dreier-Partner würden ihre Helden niemals mehr sehen. Es war einer von unzähligen Tributen, die an eine Macht gezollt werden mußten, die eine ganze Galaxis beherrschte. * Cpt’Carch war nicht mehr Cpt’Carch. Das wußte er, doch alles andere lag hinter einem Schleier von Ungewißheit und tiefster Verzweiflung verborgen. 5
ATLAN 112 – Die Abenteuer der SOL Er hatte auf der SOL geglaubt, seine Geburt zu erleben. Das, worunter er selbst sich noch viel weniger vorstellen konnte als alle die anderen, denen er mit seinen orakelhaften Sprüchen auf die Nerven gefallen war, schien nun in weite Fernen gerückt. Als reiner geistiger Impuls hatte er sich von seinem vertrauten Körper gelöst und wurde auf ein Ziel zugerissen, das ihm den einzigen wirklichen Anhaltspunkt in einem Geschehen gab, das er nicht mehr begriff. Dieses Ziel sollte seine Heimatwelt sein: Cpt. Es lag inmitten der Dunkelzone von XiinxMarkant. Allein das war etwas, das er zwar instinktiv spürte, aber doch zu glauben noch ablehnte. Niemals zuvor hatte die SOL diese Galaxis angeflogen. Und wenn er als Cpt’Nok an Bord gekommen war – wie sollte das dann möglich gewesen sein? Cpt’Nok ... Carchs Erinnerung war durchgebrochen, als er sich in jenem Stadium befand, das unaufhaltsam der Metamorphose zusteuerte. Sie war immer noch lückenhaft, vor allem, was seine eigene Vergangenheit und das nächste Stadium betraf. Immerhin wußte er nun, daß seine bisherige Daseinsform die dritte Entwicklungsstufe der Cpt’Cpts dargestellt hatte, die eines Cpt’Nok. Das bedeutete, daß er bereits zwei Leben hinter sich hatte. Jeder Cpt’Cpt erwachte als etwas zum Leben, das einem flachen Ei von der halben Größe einer Menschenhand glich. Carch war nun auch die Sprache seiner Artgenossen wieder gegenwärtig. Die Cpt’Noks nannten die erste Form die Cpt’Wons. Ein Cpt’Won besaß noch kein Eigenbewußtsein. Die Eier klebten bei Tageserwachen an Felsen, Pflanzen und Bauwerken. Niemand wußte, wie sie dorthin gekommen waren und wer sie legte. Nach drei Jahren verwandelten sie sich zum erstenmal. Heraus kam ein grüner Fladen, der bald auf einer vorgezeichnet erscheinenden Route über den ganzen Planeten zu wandern begann, um nach wieder drei Jahren zu erstarren und sich in einen Cpt’Nok zu verwandeln. Diese zweite Form wurde Cpt’Tak genannt, und sie war die gefährlichste von allen bekannten Metamorphosestadien. Jeder Cpt’Tak
konnte bis zu vier Stielaugen ausbilden, bewegte sich durch Zusammen- und Auseinanderziehen des Körpers und war halbwegs intelligent. Was diese Form so überaus gefährlich machte, war ihr nie zu stillender Hunger. Vermutlich um dem Körper die notwendige Energie für die Metamorphose zuzuführen, fraßen sie alles, was ihnen in den Weg kam. Dabei schlossen sie auch die Siedlungen der Cpt’Noks nicht aus. Vielleicht wäre das anders gewesen, wenn sie gewußt hätten, daß sie bei ihren Überfällen die eigenen »Nachkommen« verletzten und töteten. Dies war auch Carchs Dilemma. Er wußte, was hinter ihm lag, doch absolut nichts darüber, wohin es ihn trieb und wie seine nächste Zustandsform aussehen würde – falls er die Verwandlung noch vollziehen konnte. Es sah nicht mehr danach aus. Seine Sehnsüchte loderten noch unter der Oberfläche, doch die Hoffnung, Cpt zu erreichen und auf andere seiner Art zu treffen, war mit Erreichen der Dunkelzone auf ein Minimum zusammengeschrumpft. Etwas stieß ihn ab. Es schien eine abwehrende Kraft zu geben, die ihn am Erreichen des Zieles mit aller Gewalt hindern wollte. Die auf der SOL begonnene Geburt aber war nur auf Cpt abzuschließen. Es mußte eine unbegreifliche Verbindung zwischen der Heimat und ihm bestehen, denn nur die Nähe Cpts konnte den Anstoß für die einsetzende Veränderung gegeben haben. Alles andere, das Carch sich einmal eingeredet hatte, war lediglich ein Produkt seines Sehnens gewesen. Er kämpfte. Er hatte bei den Solanern gelernt, sich jeden Tag aufs neue zu behaupten. Ganz gleich, als was er nun durch die Dunkelzone jagte – noch besaß er die Kraft, die aus seinem zusammenfallenden Körper geströmt war und das gebildet hatte, was er jetzt war. Doch dies konnte nicht das nächste Stadium sein. Carch wußte es. Dies waren die Gedanken, die ihn beschäftigten, als er gegen den immer stärker werdenden negativen Einfluß ankämpfte. Er hielt die Erinnerung wach. Er versuchte sich vorzustellen, was ihn auf Cpt erwarten mochte. Er klammerte sich an die Bilder, die seine Phantasie gebar. Und ganz schwach waren da 6
ATLAN 112 – Die Abenteuer der SOL noch die letzten Eindrücke, die er von dem hatte, was an Bord des Schiffes geschehen war. Er hatte erkannt, was das Manifest C war. Er hatte Atlan im Augenblick des Aufbruchs noch erreichen und ihn warnen können. Carch mußte auch gegen diese Bilder ankämpfen, denn sie bedeuteten eine Schwächung. Alles in ihm mußte auf das Ziel gerichtet sein, wollte er es nicht verlieren. Nicht verlieren ... Vor dem Erreichen des Staubmantels hatte er sich nur ziehen zu lassen brauchen. Cpt war wie ein Leuchtfeuer. Es war um so klarer, je weniger er dachte. Und es wurde schwächer, als die gegnerischen Kräfte zu wirken begannen. Carch setzte ihnen sein Sehnen und die Hoffnung entgegen, daß nichts in diesem Universum umsonst geschieht. Es gab keinen visualisierbaren oder zu greifenden Gegner. Das Negative war überall, schien jedes Staubkörnchen in diesem Teil des Kosmos zu beseelen. Die Zeit hatte längst jede Bedeutung verloren. Sie teilte sich Carch lediglich in dem Maß mit, wie seine Energien im Kampf gegen das unheimliche Abwehrfeld aufgerieben wurden. Er war verwundbar. Sein momentaner Zustand brachte es mit sich, daß er alles an geistigen Strömungen wahrnahm, was in seiner relativen Nähe existierte. Von dem Abwehrfeld überlagert, spürte er die Kriegslust erzeugende Strahlung, die von irgendwo aus dem Mittelpunkt von Xiinx-Markant kam und außerhalb der Dunkelzone über die zahlreichen Mental-Relais die Kriegszelle Xiinx-Markant erzeugte. Nicht beachten! Einfach weiter! Carch konnte sich nicht mehr damit begnügen, sich einfach nur treiben zu lassen. Kalter Zorn erwachte in ihm. Er hatte seine Freunde vielleicht für immer verloren. Er stand zwischen zwei Welten. Ein neuer Wirbel von Gefühlen tobte in ihm und ließ ihn Kräfte formen, die er nicht begriff. Wie schon in der SOL, ballte sich alles zusammen, was sein Dasein ausmachte. Vor sich sah der Cpt’Nok eine finstere Mauer, die sich verdichtete und aus der abscheuliche Grimassen herauswuchsen, klauenbewehrte Hände und undefinierbare Extremitäten, die sich ihm drohend entge-
genstreckten. Der Eindruck von alles negierendem Fluidum wurde fast übermächtig. Carch rang um seine Beherrschung. Dies war eine in ihn hineinprojizierte Illusion – tödlich, wenn er sie nicht durchschlug. Er war schneller als das Licht. Allein die Wahrnehmung einer Umgebung stellte eine Unmöglichkeit dar. Carch sah das Leuchtfeuer schwächer werden. Er stemmte sich dagegen, konzentrierte sich auf den erlöschenden Funken und schoß in die Mauer hinein. Es war ihm, als müßte er in einem zähen Brei aus Nichtexistierendem hängenbleiben. Seine Geschwindigkeit verringerte sich zunehmend. Er kam voran, doch jede Lichtsekunde kostete viel zuviel Kraft. Weiter! Die Mauer brach. Carch trieb aus ihren Trümmern heraus. Energetische Wirbel griffen nach ihm und entzogen ihm weitere Teile seiner Essenz. Er wurde noch langsamer. Etwas in ihm schrie gepeinigt auf. Cpt schien so nahe zu sein. Wenn ich nur noch als geistiger Impuls existiere, wenn er die Gesamtheit meines Seins darstellt – was werde ich jemals sein können, wenn nur noch seine Reste vorhanden sind? Ich werde nie vollkommen sein können, wenn ich jetzt hier strande! Dann war alles umsonst! Wut formte Energie. Carch sah weitere Mauern, die sich aus dem Nichts heraus bildeten. Er nutzte die Kraft der Verzweiflung und wagte alles. Irgendwann mußte der Weg für ihn frei sein. Irgendwann fiel er unter die Geschwindigkeit des Lichts zurück. Der Unterschied bestand für ihn zunächst nur darin, daß er seine Umgebung klarer wahrnahm. Die Mikropartikel des Staubmantels reflektierten sein eigenes Licht. Es war bereits blasser. Carch suchte nach Möglichkeiten, wieder schneller zu werden. Von allen Seiten drang nun der abstoßende Einfluß auf ihn ein. Er sah das Raumschiff nicht. Er trieb an ihm vorbei, ohne es wahrzunehmen. Dann plötzlich war das Fremde in ihm. Carch konnte es nicht mehr abstoßen. Es lähmte ihn, und wie die Wogen eines gewalti7
ATLAN 112 – Die Abenteuer der SOL gen Ozeans schlugen die negativen Kräfte über ihm zusammen. Ich will leben! schrie es in ihm. Er war nicht mehr sicher, ob es sein eigener Impuls war oder der des anderen, der sich an sein Bewußtsein geheftet hatte. Er war nicht mehr sicher, ob er sich überhaupt noch bewegte.
das Erwachen warteten. Es war wie eine Sucht nach neuen Erfahrungen. Er ließ sich treiben, badete in den von weither kommenden Gefühlsimpulsen anderer Staubflieger-Völker. Er erfuhr etwas von fremden Intelligenzen, die nicht von der Kriegslust der Xiinx-Markant-Bewohner befallen waren. Es war ein neues Rätsel von vielen, die sich ihm offenbarten, bis er den Impuls ortete. Etwas kam heran, durchschnitt die Staubmassen schneller, als jeder Staubflieger es konnte. Aber es wurde auch langsamer. Daal beschleunigte auf es zu. Die Kursberechnung bedeutete keine Schwierigkeit. Als er den Raumsektor erreicht hatte, durch den das strahlende Licht jagen mußte, nahm er eine Warteposition ein und esperte. Die Geschwister sammelten sich um ihn. Der Weltraum begann zu leuchten. Gleichzeitig breitete sich eine Aura des Feindseligen aus. Die Staubflieger schrien lautlos und versuchten zu fliehen, doch es gab kein Entkommen. Das Böse war überall. Aber es gilt nicht uns! erfaßte Daal. Wieder erwachte die Neugier. Er versuchte, sich auf das herankommende Etwas zu konzentrieren. Es gelang erst, als auch die Gefährten neuen Mut fanden und ihn unterstützten. Das Licht wurde schwächer. Der Impuls drohte zu erlöschen. Es bedurfte Daals ganzer mentaler Kraft, um in die Wirbel verschiedenster Gefühle einzudringen, die in ihm waren. Das Fremde kämpfte um sein Überleben. Es bestand überraschenderweise aus zwei Komponenten, die nicht miteinander harmonierten. Die schwächere von ihnen lähmte den eigentlichen Impuls. Doch beide kämpften gegen das, was sie abstieß. Sie waren jetzt schon so gut wie unterlegen. Das Leuchten schien in dem Maß an Intensität zu verlieren, wie es sich den Staubfliegern näherte. Es ist Leben! erkannte Daal. Und es ist positiv! Es kam mit nur noch einem Bruchteil der Lichtgeschwindigkeit. Die Staubvorhänge schienen sich zu teilen. Das Glühen der Mikropartikel floß zu einer Kugel zusammen.
* Sie glichen, sofern ein solcher Vergleich überhaupt zulässig sein kann, irdischen Kaulquappen. Nur waren sie bis zu dreißig Meter lang und fast genauso dick. Jene Solaner, die ihnen bereits einmal in der Dunkelzone von Xiinx-Markant begegnet waren, nannten sie aufgrund ihres Fortbewegungsmediums einfach »Staubflieger«. Sie lebten im Vakuum des Weltalls, ernährten sich vom kosmischen Staub und vermochten phantastische Geschwindigkeiten zu erreichen. Sie besaßen keine erkennbaren Sinnesorgane, und doch waren sie in der Lage, geistige Schwingungen in sich aufzunehmen, wo und wann immer sie auftraten. Sie lebten in Gemeinschaften von bis zu zweihundert Wesen, die jeweils gemeinsam einen durchlöcherten Planetoiden bewohnten. Wenn sie ihre Behausungen verließen und sich in die Staubmassen vorwagten, ließen sie sich von den Gezeitenkräften des Universums tragen. Manchmal ging ein ganzes Volk auf Reisen, manchmal waren es nur einige wenige. Daal war den Brüdern und Schwestern weit voraus, die dem Drang gefolgt waren, die schützende Behausung hinter sich zu lassen und sich auf Erkundung zu begeben. Sie waren jung. Sie wollten ihr Leben nicht auf Warnungen und überlieferten Erkenntnissen der Älteren aufbauen. Sie wollten selbst herausfinden, was es war, das sie in die Isolation zwang. Sie lernten es schon bald kennen. Die Aura des Zerstörerischen war allgegenwärtig. Daal schreckte es nicht, daß schon nach kurzer Zeit nur noch die Hälfte der Gefährten bei ihm waren. Er strotzte vor Tatendrang. Er fühlte die Fähigkeiten, die in ihm schlummerten und auf 8
ATLAN 112 – Die Abenteuer der SOL 2. Der Planet
Sein Ziel liegt jenseits der Staubschale! Plötzlich war es, als ortete der Impuls die Wesen. Daal empfing den qualvollen Hilferuf. Es war ein so verzweifeltes Flehen, daß weder er noch die anderen sich ihm hätten verschließen können. Dies war das Abenteuer, das Daal sich im geheimen erhofft hatte. Jene, die bei ihm geblieben waren, bildeten eine Staffel. Daal dachte, an den Impuls gerichtet: Folge uns! Er erhielt keine Antwort. Die Staubflieger setzten sich in Bewegung. Das Hemmfeld konnte ihnen nicht gefährlich werden. Wo sie jedoch durch den Staubmantel rasten, bildeten sie eine freie Gasse, in der die lähmende Aura für kurze Zeit neutralisiert wurde. Das Licht, beinahe erloschen, änderte leicht seinen Kurs. Daal empfing Verwirrung, dann jähes Begreifen. Die Staubflieger warteten, bis der Impuls die Gasse erreicht hatte. Neue Kräfte erwachten in ihm. Er wurde allmählich schneller. Es war eine völlig neue Erfahrung für Daal, jemandem helfen zu können. Er tat etwas Sinnvolles und empfing Dankbarkeit. Daal vergaß alle Vorsicht und wagte sich immer tiefer in Regionen der Dunkelzone hinein, die noch kein Angehöriger seines Volkes jemals durchquert hatte. Die Staubflieger leiteten das Licht bis fast an den Innenrand der dunklen Kugelschale. Im Raum dahinter existierte der negative Einfluß nicht. Bei allem Leichtsinn wußte Daal aber auch, daß er nun haltzumachen hatte. Das Licht strahlte grenzenlose Dankbarkeit aus. Es war nun wieder so schnell, daß die Staubflieger überholt wurden und ihm nicht mehr folgen konnten, selbst falls sie gewollt hätten. Daal empfing einen Abschiedsgruß. Stumm verharrend, sah er das Leuchten hinter den letzten Dunkelschleiern verblassen. Er wünschte, daß die seltsame Wesenheit ihr Ziel erreichte, wo immer es liegen mochte. Kommt! signalisierte er den Gefährten. Sie machten sich auf den Weg nach Hause.
Cpt war nicht das Paradies, das Carch sich ausgemalt hatte. Es handelte sich bei dem Planeten um eine trostlose, kalte Ödwelt. Solanische Raumfahrer hätten ihn als etwa erdgroß bezeichnet und eine Schwerkraft von 1,04 g festgestellt. Es gab kaum Wasser. Die Oberfläche war im Grunde eine einzige große Landmasse mit vielen schroffen Gebirgszügen, deren höchste Gipfel fast zehntausend Meter erreichten. Wenige kleine Seen, meist durch kanalähnliche Wasserstraßen verbunden, wirkten vom Weltraum aus wie tiefblaue Löcher in der Kruste. Die Pflanzenwelt bestand aus dürren Büschen und kargen Nadelbäumen, Flechten und Moosen. Hier und da gab es riesige Pilzkolonien mit Exemplaren, die die Höhe von zweistöckigen Häusern erreichten. Die Fauna beschränkte sich auf wenige widerstandsfähige Tiergattungen, die keine besonderen Ansprüche stellten. Die Atmosphäre war für Menschen gerade noch atembar. Der Himmel schimmerte tagsüber grün. Cpt zog als siebter von insgesamt zwölf Planeten seine Bahn um eine gelbe Normalsonne, deren Entfernung vom galaktischen Zentrum 86 Lichtjahre betrug. Damit lag Cpt bereits nahe am Mittelpunkt der Innenzone von Xiinx-Markant, die von den Staubmassen der Dunkelzone in Form einer Schale umschlossen wurde. Carch hatte keine Vorstellung von der Dicke der Schale gewinnen können. Der Flug durch sie hindurch war für ihn ein Alptraum gewesen. Es interessierte Carch auch nicht mehr. Es lag hinter ihm, und was jetzt einzig zählte, war Cpt. Der geistige Impuls ließ sich treiben. Das Leuchtfeuer leitete ihn. Er nahm nichts von der Umgebung wahr, außer daß das Abwehrfeld nicht mehr existierte. Was in ihn eingedrungen war, machte ihm zu schaffen. Es war nicht feindlich gesinnt, vielmehr klammerte es sich verzweifelt an ihn und dachte nur daran, zu leben. Carch fühlte eine Not, die ihm selbst nur zu vertraut war. In jeder anderen Situation hätte er versucht, dem Fremden zu helfen. Doch nun lenkte der andere ihn ab. Sobald sich das Bewußtsein 9
ATLAN 112 – Die Abenteuer der SOL rührte, wurde das Leuchtfeuer schwächer. Carch aber spürte, daß er erneut Kräfte verlor. Es war nicht mehr auf einen Einfluß von außen zurückzuführen. Er selbst verbrauchte seine Substanz, und zum erstenmal kam ihm der Gedanke, daß seine augenblickliche Zustandsform in der Hauptsache nur ein phantastisches Transportmedium sein könnte. Wer hatte es dann geschickt? War es aus ihm heraus gekommen, wie er bisher geglaubt hatte? Der Cpt’Cpt klammerte alles aus, was ihm als Ballast erschien und wofür er ohnehin keine Erklärung finden konnte. Unterschwellig weigerte er sich immer noch zu glauben, daß er hier seine Heimatwelt finden sollte. Als das Chaos seiner Gefühle und Ängste einen neuen Höhepunkt erreichte, kam es zur ersten klaren Verständigung zwischen Carch und dem Fremden. Was bist du? fragte das Bewußtsein, das sich bisher verschlossen gehalten hatte. Nun öffnete es sich ganz, und Carch erfuhr, daß es sich Ceemer nannte und das letzte Wesen beseelt hatte, das einem der vernichtenden Kämpfe in Xiinx-Markant zum Opfer gefallen war. Ich bin ... Nichts! Carch erschrak vor sich selbst. Sein geistiger Aufschrei drohte Ceemer weit fortzustoßen. Schnell fügte er hinzu: Ich hatte ein Leben und hoffte, ein neues gewinnen zu können, Ceemer! Es dauerte eine Weile, bis der Valvare antwortete. Ich begreife dich nicht. Ist dies nicht deine wahre Form? Er verstummte, spürte, daß er einen wunden Punkt berührt hatte. Carch sah sich wieder als Cpt’Nok. Etwas konnte mit ihm nicht stimmen. Was er schon an Bord der SOL empfunden hatte, trieb ihn fast zum Wahnsinn. Entsprach seine Entwicklung wirklich der eines normalen Cpt’Cpt? Wieder stieg Wut in ihm auf. Seine Substanz schwand immer rascher dahin. Carch zog alle seine Energien zusammen, konzentrierte sich auf das Leuchtfeuer und gab sich einen letzten Impuls. Entweder erreichte er die Quelle der Anzie-
hung jetzt, oder er würde wahrhaftig zu einem Nichts zerfliegen. Die nur vage wahrnehmbare Umgebung löste sich auf. Carch hatte das Gefühl, aus dem Universum geschleudert zu werden. Dann schwebte er über dem Planeten. Das Feuer erlosch. Carch ließ sich auf die Ödwelt herabsinken. Die Gravitation fing ihn ein, was zunächst eine neue Unmöglichkeit darzustellen schien – bis der Cpt’Cpt entdeckte, daß er sich allmählich in körperliche Substanz verwandelte. Doch es war eine grausame, unvollkommene Form, die sich aus dem geistigen Impuls bildete, der gerade noch soviel Energie besaß, um nicht wie ein Stein abzustürzen und auf der Oberfläche einer nicht weniger grausam erscheinenden Welt zu zerschmettern. Zu allem Überfluß empfand er nun etwas, das Ceemer in einer einfachen, knappen Botschaft ausdrückte: Wir sind nicht mehr allein, Partner. Etwas hat uns entdeckt und folgt uns. Sein Ziel ist unsere Vernichtung. * Carch landete auf einem niedrigen Felsplateau. Noch in der Atmosphäre hatte sich Ceemer von ihm abzuteilen begonnen. Carch sah ihn nun als einen braungrauen Klumpen, der zu den Seiten hin auseinanderlief, bis er eine gewisse Festigkeit hatte. Der Durchmesser betrug etwa einen halben Meter. Wie in einem Zeitrafferfilm bildeten sich auf der Oberfläche drei Auswüchse. Einer erinnerte an ein riesiges Auge, die beiden anderen glichen Trichtern, über deren Öffnung eine Art feines Netz gespannt war. Carch sah ihn! Er schwenkte das Stielauge auf sich und erblickte einen zweiten Plasmaklumpen, etwa dreimal so groß wie das, was aus Ceemer geworden war. Er schrie vor Entsetzen auf. Er schrie! Und er hörte die eigene, furchtbar fremd klingende Stimme! Das konnte niemals die nächsthöhere Form sein, mit der die eingeleitete Geburt abgeschlossen werden sollte. Carch zitterte. Er entwickelte ein Gefühl für den Körper, und 10
ATLAN 112 – Die Abenteuer der SOL plötzlich erfaßte er die Wahrheit. Der geistige Impuls, in den er sich in der SOL zu verwandeln geglaubt hatte, war nur Transportmedium. Er war etwas, das ihn dazu befähigen sollte, diese Welt zu erreichen. Dann aber konnte er nicht mit dem identisch sein, was Carch als Wesenheit ausmachte. Dieses andere mußte an ihm geheftet haben. Es mußte auch jetzt noch in ihm sein. Ceemer hatte sich als bloßes Bewußtsein an ihn gebunden, frei von den Schmerzen des sterbenden Körpers. Was von dem Impuls nicht verbraucht worden war, hatte die klobigen Klumpen gebildet. Es war eine grausame Laune der Natur, diese Hüllen mit Sinnesorganen auszustatten. Vielleicht war der Grund ein unterschwelliger Wunsch gewesen, nicht blind, taub und stumm sein zu müssen. Carch wünschte sich in diesen Momenten nur, im Weltraum gestorben zu sein. Dieser Planet konnte nicht Cpt sein. Er war häßlich und leer. Wo waren die Siedlungen der Cpt’Noks? Alles war so vollkommen sinnlos geworden. Carch fühlte, wie der Klumpenkörper zusammenfiel. Er wollte liegenbleiben und auf die Erlösung warten. Das Etwas, das er vorhin gespürt hatte, war kaum noch wahrzunehmen. Früher oder später würde es ihn finden. Was es war und aus welchem Grund es den deutlich erkennbaren Willen zur Vernichtung ausstrahlte, konnte ihm gleich sein. Es sollte nur rasch kommen. Plötzlich geriet Ceemer wieder in Carchs Sichtfeld. Das einzige Stielauge erlaubte keine räumlich tiefe Sicht. Alles wirkte seltsam verzerrt. Ceemer hatte offenbar bereits begriffen, wie er den Körper lenken mußte. Er schob sich heran. Als er aus einer der beiden Trichtermembranen zu sprechen begann, tat er es in der Sprache der Cpt’Cpts. »Ich weiß, was du durchmachst, Freund«, hörte Carch deutlich. »Ich weiß es, weil ich ein Teil von dir geworden bin. Unsere Erinnerungen verschmolzen kurz vor der Trennung zu einer gemeinsamen.« »Laß mich«, brachte Carch nur hervor. Ceemer schob sich noch näher an ihn.
»Du lebst, Freund. Auch du weißt alles von mir. Bevor dich dein Weg am Wrack meines Schiffes vorbeiführte, wünschte ich, daß alles vorbei sein möge. Doch du kamst, und es war wie ein Wunder. Ich würde auch lieber einen anderen Körper besitzen, Carch. Doch wichtig ist das Leben.« »Nein!« wehrte der Cpt’Nok heftig ab. »Du kannst uns beide nicht vergleichen!« »Das will ich auch gar nicht. Aber möchtest du nicht wissen, was aus deiner Heimat geworden ist? Hast du gar keine Hoffnung mehr? Was dich ausmacht, haftet dir an. Wenn dir eine Verwandlung bestimmt ist, wirst du sie auch erleben. Vielleicht brauchst du nur die Umgebung Cpts auf dich wirken zu lassen.« Carch schob sich von Ceemer fort, auf den Rand des Abgrunds zu. Ein einziges Abstoßen, und die Qual ist vorbei! dachte er. Ceemer folgte ihm rasch. »Das ist nicht Cpt!« schrie Carch. »Ich weiß, daß es nicht der Planet meines Volkes ist!« »Und wenn er es wäre?« Carch wehrte sich dagegen, diese Möglichkeit auch nur in Betracht zu ziehen. Er redete sich ein, einem Betrug zum Opfer gefallen zu sein. Am Rand des Abgrunds. Carch sah das Ödland, Geröllwüste bis zum Horizont. Er fror. »Wenn ich dir beweisen könnte, daß wir auf Cpt sind?« drang Ceemer weiter in ihn. Er richtete das Stielauge starr zur Mitte des Plateaus hin. Ein schäbiges Geräusch war plötzlich zu hören. Wie gegen seinen Willen, folgte Carch dem Beispiel des Valvaren. Sein Auge drehte sich. Die grünen Fladen schoben sich aus einem Loch im Fels und krochen langsam auf die beiden Plasmageschöpfe zu. »Die Cpt’Taks«, sagte Ceemer. »Zweifelst du jetzt immer noch?« * Es waren weit mehr als hundert, und sie ließen an ihren Absichten keinen Zweifel. Carch starrte sie an, von Unentschlossenheit gelähmt. Etwas in ihm schien zu erwachen. 11
ATLAN 112 – Die Abenteuer der SOL Der Tod, den er nun deutlich vor Augen hatte, gewann mit einem Schlag seinen Schrecken zurück. Der Planet war Cpt! Die Fladen würden nicht zögern, die willkommene Beute zu verschlingen, doch für Carch waren sie Heimat. Irgendwann einmal hatte er so ausgesehen wie sie. Wärme breitete sich in ihm aus. Mit der Erkenntnis strömte das Gefühl von Geborgenheit auf ihn ein. Er konnte noch hoffen. Es war schon auf der SOL sein Fehler gewesen, etwas von sich aus und mit Gewalt herbeiführen zu wollen, das nicht seinem Willen unterlag, sondern einem komplizierten genetischen Programm. »Wir müssen uns in Sicherheit bringen!« kam es schrill von Ceemer. »Uns bleibt nur der Weg den Abhang hinunter!« Die Cpt’Taks waren ausgeschwärmt. Sie bildeten einen Halbkreis um Carch und Ceemer – eine Schlinge, die sich zusammenzog. Carch schob das Stielauge über die Felsen. Der Abhang war viel zu schroff, um sicher daran hinunterzugleiten. »Wir müssen es versuchen!« schrie der Valvare. »Komm, bevor es zu spät ist!« Er hatte kaum ausgesprochen, als sich die ersten Fladen heranschnellten. Sie bogen den flachen Körper wie zu einer Feder und machten Sätze von zwei, drei Metern. Ein Cpt’Tak klatschte direkt vor Carch auf den Boden. Der zweite landete auf ihm und begann augenblicklich, sich in das Plasma hineinzufressen. Die vier Stielaugen waren unter braunen Höckern verborgen. Auf der Unterseite der durchschnittlich dreißig Zentimeter langen und halb so breiten Lappen befanden sich Drüsen, die zersetzende Flüssigkeit ausschieden. Carch schrie, wuchs in die Höhe und schüttelte den Angreifer ab. Ceemer ließ sich bereits über die Felskante gleiten. Carch wich durch blitzschnelles Verlagern des Körperschwerpunkts drei weiteren Fladen aus und folgte dem Gefährten. Für eine Sekunde hing er in der Luft. Unter ihm gähnte der Abgrund, über ihm vereinten sich die nun vor Freßgier tobenden Fladen zu einer einzigen grünen Masse. In dicken Strahlen schoß Carch das Drüsensekret entgegen.
Zum erstenmal fühlte er Schmerzen. »Ich kann Haftscheiben ausbilden!« rief Ceemer. »Komm endlich! Denke nur den Wunsch, und dein Körper verformt sich entsprechend!« Carch fiel. Er stürzte an Ceemer vorbei, der wie eine braungraue Blase an dem Gestein klebte. Als er endlich auf einen Vorsprung schlug, dachte er intensiv den Befehl, aus dem Plasma sollten Pseudogliedmaßen wachsen und sich um den rettenden Halt legen. Es geschah im gleichen Moment. Ceemer erreichte ihn. Inzwischen hatte er schon eine solche Geschicklichkeit im Umgang mit den Haftscheiben entwickelt, daß er fast von einem Vorsprung zum anderen sprang, sich löste und wieder neuen Halt fand. »Mach es wie ich, Carch! Unsere Körper sind besser, als wir jemals hoffen konnten! Jemand scheint zu wollen, daß wir überleben!« War da ein Anflug von Humor in Ceemers Stimme? Falls ja, war er unpassend. Die Fladen konnten den Fliehenden nicht folgen, doch den Kampf gaben sie deshalb nicht auf. »Sie rollen Steine heran und schieben sie über die Kante!« rief Carch. »Aber das können sie gar nicht!« »Du siehst, daß sie es tun, also können sie es!« Ceemer war schon wieder viel weiter unten. Als die ersten Felsbrocken polternd herabstürzten, preßte er sich flach wie eine Scheibe gegen den Hang. »Sie besitzen nicht die Intelligenz dazu und töten nur, um zu fressen! Irgend etwas ist mit ihnen nicht so, wie es sein müßte!« Oder die Erinnerung war falsch. Carch ließ sich abgleiten. Es dauerte nicht lange, bis er die gleiche Beweglichkeit aufwies wie der Partner. Im Steinhagel bewegten sie sich weiter abwärts, bis sie endlich eine Höhle im Hang fanden, die groß genug war, um sie beide aufzunehmen. Die Plasmakörper pulsierten. Durch die Oberfläche wurde Luft aufgenommen. Carch fühlte sich erschöpft und hungrig. Wovon sollte er sich ernähren? Wie von Geisterhand gelenkt, richtete sich Carchs Auge auf eine Stelle der Höhlenwand, an der mehrere Dutzend Eier klebten. »Cpt’Wons«, flüsterte er. »Dann muß es in 12
ATLAN 112 – Die Abenteuer der SOL unserer Nähe die höhere Form geben, die sie hier ablegte, Ceemer. Und Cpt’Noks. Wir müssen sie finden. Ich muß herausfinden, was auf Cpt geschehen ist.« Und wer ich bin, fügte er in Gedanken hinzu. Die Welt war wieder offen für ihn. Ceemers Worte gingen ihm nicht aus dem Sinn: Jemand scheint zu wollen, daß wir überleben! Dieser Jemand aber konnte nur ihn, Carch, erwartet haben. Die vergeistigten Cpt’Cpts, die er über dem Planeten Dynur in einer Vision gesehen und gespürt hatte? Stellte Cpt einen Berührungspunkt zu dem Überraum dar, in dem sie lebten? »Steigen wir weiter ab«, sagte er, als der Steinhagel aufhörte. »Mit dem Glück, das wir bisher hatten, sollten wir in der Ebene Spuren der Cpt’Noks finden.« Fast hatte er über die Cpt’Taks den eigentlichen Gegner vergessen. Jetzt konnte er ihn wieder deutlicher spüren. »Er sucht uns«, sagte Ceemer. »Du mußt etwas sehr Wichtiges sein, wenn er eine Ewigkeit auf dich gewartet hat.« Carch wurde von einem Frösteln geschüttelt. Denn Ceemer hatte recht. Der unbekannte Gegner hatte über dem Planeten gewartet, vielleicht für Jahrtausende, vielleicht auch nur für zehn oder zwanzig Jahre. Das alles war so undurchsichtig. »Besitzen nicht alle Cpt’Noks deine psionischen Fähigkeiten?« fragte Ceemer, als sie die Höhle wieder verließen. »Weshalb?« »Dann müßten sie uns finden, Freund – oder vielmehr längst gefunden haben.«
rung programmierter körperloser Roboter«. Die Eliminierung betraf jenen Faktor, der die künstlich herbeigeführte Ordnung innerhalb Xiinx-Markants störte. Dabei handelte es sich um die vergeistigten Wesenheiten, die ihren Ursprung auf dem Planeten gehabt hatten, den sie nun gegen jede Einflußnahme des Beherrschers von Xiinx-Markant abriegelten. Es gab kein Durchkommen durch die das gesamte Sonnensystem umfassende Zone. Raumschiffsbesatzungen verfielen dem Wahnsinn. Robotergesteuerte Einheiten versagten. Die Vergeistigten, die aus einem Überraum heraus wirkten, wehrten alles ab – außer dem einen. Es war bekannt, daß einer von jenen, aus denen sie sich entwickelt hatten, kurz nach der Großen Veränderung dem Planeten entfliehen konnte. Berechnungen hatten ergeben, daß seine Mission nur das Ziel haben konnte, Hilfe für seine Welt zu holen. Berechnungen können falsch sein. Der Grund der Verzweiflungsaktion war jedoch ohne Belang für Zeepkörob. Was für ihn zählte, war die Wahrscheinlichkeit, daß der Gesandte früher oder später zum Ort seines Ursprungs zurückkehren würde. Ihn allein würden die Vergeistigungen passieren lassen, und darauf baute der Plan auf. Zeit spielte für Zeepkörob keine Rolle. Als er den Impuls ortete, war er bereit. Er heftete sich an ihn, ohne ihn direkt anzugreifen. Wichtig war, daß der körperlose Roboter in seinem »Schatten« den Planeten erreichte. Die zweite Komponente des Impulses ignorierte er. Sie war für ihn ohne Belang. Sein Programm sah vor, zunächst den Heimkehrer, dann den Planeten zu vernichten. Ein Impuls genügte, um Zeepkörob zur Explosion anzuregen. Die in ihm gespeicherten Energien würden ausreichen, um den Himmelskörper in tausend Stücke zu reißen. Wenn Cpt erst einmal vernichtet war, mußte auch die Einflußnahme der Vergeistigten zerbröckeln. Sie stellten sich dem Beherrscher der Sterneninsel nicht wirklich bewußt entgegen. Ihr Motiv war ein rein instinktives, der Schutz einer Heimat, zu der sie längst den Bezug verloren hatten.
3. Der Gegner Das Programm hatte zu arbeiten begonnen, als es den Impuls empfing. Es war selbst nichts anderes als ein energetischer Impuls – ein Vernichtungsimpuls. Es besaß ein Eigenbewußtsein. Sein Erschaffer hatte es sogar mit einem Namen versehen: Zeepkörob. Das war nichts anderes als die abgekürzte Bezeichnung für »zur endgültigen Eliminie13
ATLAN 112 – Die Abenteuer der SOL Zeepkörob durchdrang die Zone und tauchte tief in die Atmosphäre der Ödwelt ein. Alles geschah, wie vorgesehen. Erst als der Roboter zum entscheidenden Schlag ausholte, stellte sich das Unvorhergesehene ein. Der Impuls verwandelte sich. Er erlosch und war nicht mehr zu orten. Erst nachdem Zeepkörob selbst eine Umwandlung vollzogen hatte, spürte er ihn wieder auf. Es wäre ihm leichtgefallen, durch Selbstzündung den Planeten zu zerstören, doch sein Auftrag lautete eindeutig, daß zuerst der Heimkehrer sterben mußte. Ihm mußte ein für allemal die Möglichkeit genommen werden, gegen die Xiinx-Markant beherrschende Macht zu agieren. Zeepkörob nahm die Fährte auf.
Carch mußte ihm recht geben. Hinter dem Tafelberg wuchsen weitere Erhebungen in die Höhe, und bald mußte es dunkel werden. Carch drehte sich halb um die eigene Achse und kroch schneller. Der Überfall erfolgte, als sie den Berg umrundet hatten und sich anschickten, eine leicht ansteigende Anhöhe hinaufzugleiten, hinter der das Massiv begann. Carch spürte das Fremde, als raste durch einen dunklen Tunnel ein gleißendes Licht auf ihn zu. Er konnte es nicht sehen, doch seine Absicht war klarer denn je. Sobald es ihn berührte, wollte es sich zur Explosion bringen. Carch suchte verzweifelt nach einem Ausweg. Es gab keine Deckung. Nichts hielt einen energetischen Impuls auf, selbst meterdicke Steinmauern nicht. »Vielleicht können wir uns totstellen!« rief er Ceemer schnell zu. »Es richtet sich nach unseren geistigen Ausstrahlungen!« Er stellte die Bewegung ein und spürte, wie er auseinanderfloß. Als der Plasmakörper erstarrte, glich er einem ins Riesenhafte gewachsenen Cpt’Tak. Carch versuchte, an nichts mehr zu denken. Nur das Auge blieb offen und zeigte ihm den Gefährten, wie er neben ihm zusammenfiel. Der Impuls ließ sich nicht täuschen. Carch spürte die Befriedigung, die er bereits ausstrahlte. Instinktiv versuchte er, eine Abwehrmauer um sich aufzubauen. Es gelang nicht. Was ihm an psionischen Fähigkeiten geblieben war, beschränkte sich auf das Wahrnehmen geistiger Schwingungen. Als er glaubte, das Ende durch nichts mehr aufhalten zu können, als der Vernichtungsimpuls schon über ihm war, kamen die Fladen. Sie quollen aus Felsritzen und schwappten heran wie eine grüne Woge. Einer türmte sich auf den anderen, so groß war die Gier. Ceemer glitt davon, doch nicht schnell genug. Und als Carchs Körper sich wie von selbst in Bewegung setzte, war es zu spät. Die ersten Cpt’Taks schnellten sich heran und landeten vor, neben und auf ihm. Ceemers Schrei durchschnitt die Stille und fand ein grausames Echo in den Tönen, die die Fladen nun von sich gaben.
* Sie ließen sich am Felshang bis zum Fuß des Plateaus hinab, ohne noch einmal von oben angegriffen zu werden. Ein leichter Wind strich über die wenigen moosbewachsenen Flächen der Ebene. Sein Säuseln war das einzige Geräusch. »Wir haben bis zum Horizont sehen können«, sagte Ceemer. »Eine Siedlung hätten wir entdeckt. Besser kriechen wir um das Plateau herum.« Carch schob sich weiter, richtete aber das Auge nach hinten und sah den Tafelberg nun in seiner Gesamtheit. An einigen Stellen schien er grün zu schimmern. Carch wußte es besser. Wieder glaubte er sicher zu sein, daß es normalerweise nie solche Massen von Cpt’Taks geben konnte. Er war verwundbar. Wo die Säurestrahlen ihn getroffen hatten, waren Vertiefungen in seiner Hülle entstanden. Das Sekret zerfraß das Plasma. Es war fraglich, ob er und Ceemer einen weiteren Angriff überlebten. Der Hunger nagte an ihm. Als er ein Moosfeld erreichte, rissen die Saugnäpfe ganze Büschel aus dem Boden heraus und führten sie durch sofort entstehende Öffnungen dem Körper zu. Auch dies geschah ohne einen Willensbefehl. »Das Fremde kommt näher«, warnte Ceemer. »In der Ebene sind wir ihm und allen anderen Gefahren schutzlos ausgeliefert.« 14
ATLAN 112 – Die Abenteuer der SOL Ganz am Rande nahm Carch wahr, daß der Impuls sich verwirrte und etwas schwächer wurde. Die Cpt’Taks brannten sich in sein Plasma. Rasender Schmerz drohte Carch zu lähmen. Er kroch weiter, floh sinnlos irgendwohin. Ceemer sah er nicht mehr. Weitere Fladen landeten auf ihm und begannen mit der Absonderung ihres Verdauungssekrets. Carch versuchte sie abzuschütteln, was sie nur noch wütender machte. Sie kämpften um ihn! Sie fielen übereinander her und bekämpften sich in reinem Kannibalismus. Jeder wollte das größte Stück von der Beute, und wer nicht an sie herankam, versuchte sich in grenzenlosem Freßrausch an den eigenen Artgenossen schadlos zu halten. Carch blieb liegen. Sein Körper gehorchte ihm nicht mehr. Der Schmerz war nicht länger zu ertragen. Er stach in sein Bewußtsein und löschte es aus.
wozu die Cpt’Noks aufgrund ihrer Körperform nicht in der Lage waren, und wurden ihrerseits von diesen bei der Jagd unterstützt. Ein Cpt’Nok war zehnmal schneller als sie und vermochte die seltenen Beutetiere besser für sie aufzuspüren. Sie hoben so viele Fladen auf, wie sie in ihre geflochtenen Körbe stecken konnten. Ceemer und Carch schienen für sie ohne Interesse zu sein. Ceemer! Carch entdeckte ihn in der Dämmerung. Doch noch nie hatten Kalmorer sich an den Cpt’Taks vergriffen. Sie wußten, was sie waren! Carch versuchte, sich wieder zu bewegen. Es gelang nach furchtbaren Schmerzen. Carch fühlte sich wieder am Rand der Bewußtlosigkeit. Doch das Zusammenziehen des Plasmas schien dessen Regenerationsprozeß in Schwung zu bringen. Wieviel an Substanz die Cpt’Taks aus ihm herausgerissen hatten, konnte Carch nicht sagen. Offenbar aber genügte der Rest noch, um den Körper am Leben zu halten. Carch erreichte Ceemer, der wie tot dalag. Erst jetzt wurde ihm klar, was der Gefährte ihm bedeutete. Ohne ihn wäre er allein. Es gab kaum Hoffnung, sich mit den Kalmorern zu verständigen. Wenn sie schon die Fladen töteten ... Carch wurde sich der Gefahr bewußt, in die er sich brachte, und hielt mitten in der Bewegung inne. Zu seinem Glück wendeten die Jäger ihm den Rücken zu. Vielleicht hielten sie ihn in seiner Starre für einen Felsen. Er wartete, bis sie ihre Körbe gefüllt hatten und abzogen. Erst dann wagte er es, sich an Ceemer heranzuschieben. Der Körper des Valvaren war noch schlimmer zugerichtet als sein eigener. Endlich begann er zu pulsieren. Ein qualvolles Stöhnen drang aus der Sprechmembran. »Ceemer«, flüsterte Carch. »Wir müssen ihnen folgen.« Er erhielt keine Antwort. Verzweifelt schwenkte er das Auge herum und sah die Kalmorer in der Dunkelheit verschwinden. Sie waren nur noch als Schatten auszumachen. »Ceemer!«
* Es war wie das Erwachen aus einem schrecklichen Traum. Daß es kein solcher gewesen war, bewiesen sofort darauf die brennenden Wunden, mit denen der ganze Körper übersät war. Das Auge vermittelte trübe, verwaschene Bilder. Carch begriff, daß er noch lebte, aber das war auch schon alles. Der Blick klärte sich etwas, doch die Dunkelheit blieb. Wie hinter Schleiern sah Carch tote Fladen um sich herum, in denen kleine Pfeile steckten. Und jetzt tauchten behaarte, menschengroße Geschöpfe auf, die Bögen und Speere in den riesigen Händen hielten. Auch ihre Gestalt erinnerte an die der Solaner. Sie waren nur etwas gedrungener, besaßen einen längeren Oberkörper und kürzere Beine und gingen leicht vornübergebeugt. Ich kenne sie! durchfuhr es den schwer Verwundeten. Ihr Anblick riß ein weiteres Stück der verlorenen Erinnerung aus den Tiefen des Unbewußten. Diese Wesen lebten in enger Gemeinschaft mit den Cpt’Noks. Sie wurden Kalmorer genannt und halfen den Cpt’Noks bei der Errichtung ihrer Behausungen. Sie taten all das, 15
ATLAN 112 – Die Abenteuer der SOL Carch sah keine andere Möglichkeit. Er schob sich von hinten unter den anderen und versuchte, ihn so voranzubewegen. »Krieche! Es tut noch weh, aber nur so bleibst du am Leben! Die Regenerierung hat schon eingesetzt! Wir müssen hinter ihnen her, Ceemer!« »Hinter ... wem?« Carch atmete auf. Schnell berichtete er, was er beobachtet hatte. »Sie können uns zu einer Siedlung führen, hörst du? Aber nur, wenn wir sie nicht verlieren!« »Der ... Impuls ...?« »Ich spüre ihn nicht. Vielleicht hat die Ohnmacht uns gerettet. Aber er wird uns wieder finden.« Ceemer setzte sich in Bewegung, langsam zunächst, dann schneller werdend. »Ihr seid das merkwürdigste Volk, das mir je begegnet ist«, sagte der Valvare, als das Zittern und Pulsieren aufhörte. Die Wunden schlossen sich. Zurück blieben tiefe Einbuchtungen im Plasma. »Ich verstehe nicht, warum eine eurer höheren Formen nicht eingreift, um uns zu helfen.« Carch kroch voran. Es dauerte eine Weile, bis er die Kalmorer wieder vor sich sah. Sie marschierten auf geradem Weg in ein Tal. »Das ist ja das Schlimme, Ceemer! Ich weiß nicht, wie die nächste Form aussieht. Ich glaube, ich würde sie nicht einmal als solche erkennen, wenn ich sie vor mir sähe. Wir erinnern uns immer nur an das, was hinter uns liegt.« »Aber die vierte Stufe müßte doch dich erkennen?« »Hör auf! Bitte!« Carch wollte den Gedanken weiterspinnen, der sich ihm aufdrängte. Seine ganze Hoffnung war, daß die Jäger zu einer der Gruppen gehörten, die ihre primitiven Hütten direkt bei den Siedlungen der Cpt’Noks gebaut hatten. Dann war es ihm, als müßte er laut schreien. Er sah die Hütten in der Mitte des Tales – und hinter ihnen die Steinbauten. Alle Gefahren waren vergessen. Carch verharrte in andächtiger Stille, als er darauf wartete, daß die letzten Kalmorer in ihren Behau-
sungen verschwanden. Eine Freude durchflutete ihn, wie er sie nicht mehr gefühlt hatte, seitdem er die SOL und seine Freunde verlassen hatte. Es war ihm, als hätte er sein ganzes Leben in einem der Steinhäuser verbracht. »Warte!« hielt Ceemer ihn zurück, als er in die Siedlung gleiten wollte. Fast unwillig drehte Carch sich ihm zu. »Du scheinst eines zu vergessen, Freund«, sagte der Valvare. »Die Fladen greifen die Cpt’Noks an, weil sie nicht wissen, daß es ihre eigene nächste Entwicklungsform ist.« Carch verstand noch nicht. »Wer sagt dir, daß die Cpt’Noks, falls es sie noch gibt, nicht ebenso dich angreifen werden?« »Ich bin einer von ihnen!« Ceemers Stimme drückte Mitleid aus. »Nein, Carch. Du warst einmal einer. Jetzt bist du kein Cpt’Nok mehr und noch nicht das, was nach ihnen kommt.« »Cpt’Noks sind friedliebend!« Carch schrie es hinaus. Im nächsten Augenblick drückte er sich flach auf den steinigen Boden und beobachtete voller Angst die Hütteneingänge. Erst als sich auch nach einigem Warten kein Kalmorer zeigte, schob der Cpt’Cpt sich voran. Die Steinbauten besaßen keine Türen. Carch brauchte nur in zwei von ihnen hineinzusehen, um zu wissen, daß er sich die ganze Zeit über schon wieder etwas vorgemacht hatte. Es gab keine Cpt’Noks mehr in der Siedlung. »Sie sind schon lange fort, Carch«, sagte Ceemer sehr leise. * Zeepkörob war irritiert. Er sah sich plötzlich vor Schwierigkeiten, mit denen er nicht gerechnet hatte. So nahe war er dem Punkt gewesen, an dem er seiner Existenz durch Vernichtung derselben einen Sinn zu geben vermocht hätte. Die energetischen Fühler hatten die psionische Aura des Heimkehrers schon berührt gehabt. Die Umwandlung der Eigenstruktur stand 16
ATLAN 112 – Die Abenteuer der SOL kurz bevor, sie hätte sich in einem nicht mehr bestimmbaren Sekundenbruchteil vollzogen. Dann aber war der körperlose Roboter von einer Flut anderer Emanationen regelrecht fortgespült worden. Wie die Gezeitenkämpfe des Universums, in denen er oft gebadet hatte, waren sie über ihn hereingebrochen. Sie alle glichen den Ausstrahlungen des Gejagten. Sie unterschieden sich zwar beim Individuum. Doch in der Masse kamen sie dem nahe, was die Ortung des Heimkehrers möglich machte – viel zu nahe, um eine korrekte Bestimmung vorzunehmen. Zu Zeepkörobs Entsetzen verstummte der Cpt’Cpt, gleich darauf auch sein Begleiter, als die Angreifer sich auf sie stürzten. Von diesem Augenblick an suchte er nach einer neuen Spur. Einen Gegner optisch zu erkennen und aufgrund der gewonnenen Informationen wieder aufzuspüren, war Zeepkörob nicht gegeben. Der Vernichtungsimpuls zog sich noch etwas weiter zurück, um wieder und wieder zu orten. Als die plötzliche Panik der niederen Form ihm verriet, daß sie nun selbst angegriffen wurde, war die Verwirrung vollkommen. Die Unfertigen flohen, soweit sie nicht getötet wurden. Von dem Heimkehrer fehlte weiterhin jeder Impuls. Zeepkörob sah sich vor eine schwere Entscheidung gestellt. Es war möglich, daß der Langerwartete nicht mehr lebte. Denkbar war aber auch, daß er sich unter den anderen befand, die ihn fortschleppten und seine Ausstrahlungen durch die eigenen überlagerten. Zeepkörob mußte sich Gewißheit verschaffen. Auch wenn er seine Existenz hier auf dem Planeten beenden würde, hatte er Angst zu versagen. Der Tod war nicht endgültig, und von seinem Erfolg hing es ab, ob sein Erschaffer ihn an anderer Stelle und mit einem anderen Auftrag aus den verwehenden Resten seiner Energien wieder zu neuem Leben erwecken würde. Der körperlose Roboter folgte vorsichtig den fliehenden Unfertigen. Als sie endlich ihr Ziel erreichten, wußte er, daß er vor noch größeren Schwierigkeiten stand.
Hier mußte es Millionen von ihnen geben. Ihre Ausstrahlungen waren so gewaltig, daß sich alles darunter verbergen konnte. Wenn er der falschen Spur gefolgt war, gewann der Heimkehrer Zeit. Seinen möglichen Tod als ein Faktum anzuerkennen, bedeutete für Zeepkörob einen Luxus, den er sich nicht erlauben durfte. Cpt’Carch, die Essenz, mochte auf jeden Fall nun zu schwach sein, um den Planeten noch einmal zu verlassen oder hier etwas zu bewirken. Doch auch darüber war dem Roboter kein Urteil erlaubt. Er konnte im Augenblick nur warten. 4. Der Kontakt Ceemers Worte klangen grausam, obwohl Carch wußte, daß der Partner ihn nicht quälen wollte. Er stellte nur fest, was nicht mehr zu übersehen war. Und er versuchte, ihn zu trösten. »Es kann ja noch die höheren Formen geben, Freund«, sagte er, als sie die letzte Cpt’Nok-Behausung aufsuchten und ebenso verlassen wie alle anderen vorfanden. »Du weißt genug von mir, um auch zu wissen, daß es nicht sein kann«, brachte Carch hervor. Er ließ sich etwas auseinanderfließen und legte das Auge in eine der Mulden, um nichts mehr sehen zu müssen. Die Dunkelheit war nicht so vollkommen, daß sie das Grauen vor ihm verbarg. Die Nächte auf Cpt schienen wärmer zu sein als die Tage. Der Himmel fluoreszierte leicht im Licht der nahe beieinander stehenden Sonnen des galaktischen Zentrums. Aus den Hütten der Kalmorer drang ab und zu Lärm herüber. »Wir müßten einen von ihnen in unsere Gewalt bringen können«, überlegte Ceemer laut, als läse er Carchs Gedanken. »Was immer mit den Deinen geschehen sein mag, sie sind noch da. Und sie müßten etwas über das Schicksal der Verschwundenen wissen.« Carch dachte einen dankbaren Impuls, der nie ankam. Wenn er wenigstens die paranormalen Gaben noch besessen hätte, über die er als Cpt’Nok in der SOL verfügte, die sich nach der Verwandlung in einen geistigen Impuls noch potenziert hatten! Wie Ceemer an seinem Schicksal Anteil 17
ATLAN 112 – Die Abenteuer der SOL nahm, war fast rührend. Was erwartete eigentlich er von der Zukunft? Wie konnte es ihn befriedigen, den Rest seines Lebens auf einer fremden Welt und in einem schrecklichen Körper zu verbringen! Er wollte wirklich nur leben. Aber ich nicht! durchfuhr es Carch. Nicht ohne Sinn! Nicht in dieser Leere! Vielleicht waren die Cpt’Noks einer Seuche zum Opfer gefallen. Vielleicht hatten die Kalmorer, so unglaublich das schien, sie vertrieben oder umgebracht. Carch spürte so klar wie nie, daß beides nicht der Fall gewesen war. Die Katastrophe mußte von einem Tag auf den anderen über sein Volk hereingebrochen sein. Warum lebe ich! Es hing damit zusammen, daß er an Bord der SOL gekommen war. Wann endlich werde ich mich an alles erinnern! »Was bedeutet Cpt’Carch?« flüsterte Ceemer überraschend. Als Carch das Auge hob und ihn ungläubig anstarrte, fügte er rasch hinzu: »Ich meine, ist es wirklich dein Name – oder die Bezeichnung für etwas, das sich nicht in eure Metamorphosekette einordnen läßt?« Bin ich der oder ein Cpt’Carch? »Wir müssen Spuren finden!« sagte er heftig. »Irgend etwas, das sie hinterlassen haben!« Seht, hört und fühlt ihr mich denn nicht? Der stumme Verzweiflungsschrei war an die vergeistigten Cpt’Cpts gerichtet. Sie waren vorhanden und auf eine noch unbegreifliche Weise an ihren Ursprungsplaneten gebunden. Carch schrak vor der Erkenntnis zurück. Sie kam nicht aus der blockierten Erinnerung heraus. Er wußte es ... ... von dem Vernichtungsimpuls! Er war hier, um sie und ihn zu eliminieren! Carch mußte es gefühlt haben, als die Berührung fast erfolgte. Und auch das wurde ihm erst jetzt bewußt. Aber dann waren sie hier! Carch schob sich an eine der Wände und suchte nach eingeritzten Zeichen. Dabei stieß er an eine der ebenfalls gemauerten Wannen, in denen jeder Cpt’Nok von Zeit zu Zeit ein
Bad in jener Flüssigkeit nehmen mußte, die ihn vor dem Austrocknen bewahrte. Hage Nockemann hatte sie auf der SOL für ihn künstlich hergestellt. Hier auf Cpt wurde sie frei, wenn die Cpt’Wons sich in die Fladenform verwandelten. Die Kalmorer schafften sie herbei. Die Wanne war ausgetrocknet. Der wieder nur viel zu bruchstückhafte Teil der Erinnerung gab Carch nun erstmals eine Vorstellung davon, wie lange die Steinbauten verlassen waren. Die dickflüssige Substanz trocknete so gut wie nicht. Aufgrund ihrer Zusammensetzung gab es keine ins Gewicht fallende Verdunstung. Es mußte Dutzende von Jahren her sein, daß hier zum letztenmal ein Cpt’Nok gebadet hatte. Es brachte ihn an den Rand des Irrsinns. Ohne Cpt’Nok keine Verwandlung in höhere Formen – und ohne diese keine Eier, keine Fladen. Es war ein Kreis, der sich nicht mehr schloß. Gab es deshalb so viele Cpt’Taks? Konnten sie sich nicht mehr verwandeln und waren sie aus diesem Grund intelligenter geworden? Carch fand keine Zeichen an den Wänden. Er würde sie nirgendwo finden, selbst falls es ihm gelang, andere Siedlungen zu erreichen. »Ich fürchte, du hast recht, Ceemer«, sagte er niedergeschmettert. »Aber wie überwältigen wir einen Kalmorer? Wie bringen wir ihn zum Sprechen?« * Es war die Frage: was machen wir aus unseren Körpern, die zwar widerstandsfähig sind, aber über nichts verfügen, mit dem wir uns wehren, geschweige denn angreifen können! Carch glaubte, daß ein unbewußter Wunsch des Valvaren, sich in etwas zu materialisieren, das seiner eigentlichen Form nahekam, für das Stielauge und die Trichtermembranen in dieser Ausprägung verantwortlich war. Eine andere Überlegung mußte dahingehen, daß die Ähnlichkeit mit den Cpt’Taks auf Carchs eigenen Einfluß zurückzuführen war. Wenn das stimmte, dann ... Er versuchte es, tat, was ihm spontan in den 18
ATLAN 112 – Die Abenteuer der SOL Sinn kam. Eine Pore öffnete sich und heraus schoß ein schwacher Strahl dickflüssigen Sekrets. Carch mußte den Schrei unterdrücken, als er sah, daß Ceemer getroffen war. »Ich wollte es nicht!« beteuerte er. »Ceemer!« »Ich bin nicht verletzt«, kam es vom Valvaren. »Es ... lähmt die getroffene Stelle nur.« Erst nachdem Carch sich davon überzeugt hatte, wußte er, daß er nun eine Waffe gefunden hatte. Fast im gleichem Moment hörte er das Grölen eines Kalmorers. Er glitt auf den Eingang des Hauses zu und sah im unheimlichen Licht der Nacht, wie ein einzelnes Geschöpf aus einer der Hütten kam und sich etwas abseits der Siedlung hinter einen Stein setzte. Offensichtlich war es nicht mehr ganz Herr seiner Sinne. »Natürlich!« sagte Carch erregt. »Es gibt wilde Kalmorerstämme in den Ebenen, die im Gegensatz zu unseren Helfern die Cpt’Taks jagen und töten, wenn sie nahe am Verhungern sind! Aber das Fleisch der Fladen berauscht sie! Das ist unsere Chance, Ceemer!« »Heute sind sie alle wieder wild«, meinte der Partner. »Wir scheinen Glück zu haben.« »Wir schleichen uns an ihn heran, Ceemer! Das Sekret muß die gleiche Wirkung auf ihn haben wie auf dich. Er darf nur am Körper gelähmt sein, nicht am Geist!« Carch wartete keine Antwort ab, über den wunden Punkt seiner Überlegung war er sich ohnehin selbst im klaren. Der Kalmorer mußte auch noch sprechen können. Ceemer glitt hinter ihm her. Sie machten einen Bogen um die Hütten, in denen der zunehmende Lärm auf eine wahre Rauschorgie hindeutete. Das Fleisch der Cpt’Taks tat seine Wirkung. Der Kalmorer lag flach auf dem Rücken. Carch strahlte die Flüssigkeit auf ihn ab und zielte dabei auf die Beine und Arme. Als der Jäger aus seinem Rausch gerissen wurde, war es für ihn zu spät. Er konnte kein Glied mehr rühren. Nur der Kopf war nicht betroffen. Bevor er schreien konnte, drückte sich ein Plasmaausläufer von Ceemer auf seinen spitz zulaufenden Mund. Carch schob sich auf ihn. Die Sprechmembran war ganz dicht am Ohr des Gelähm-
ten, das Stielauge schwebte über den weit aufgerissenen des Kalmorers. »Du kannst mich verstehen«, sagte Carch. »Auch wenn du nicht begreifst, was ich bin, dir geschieht nichts. Ich will nur, daß du mir sagst, wohin und wie die Cpt’Noks verschwunden sind.« Er sah Unbegreifen in den Blicken des Jägers, Angst und Verwirrung. »Rede!« Um seiner Forderung Nachdruck zu verhelfen, spritzte er etwas vom Sekret auf den Hals des Wesens. Der Kalmorer rang nach Luft. »Rede, und du bist wieder frei!« »Andernfalls töten wir dich!« setzte Ceemer hinzu. Der Kalmorer begann zu zittern. Trotz der Lähmung des Nervensystems bebte sein Körper immer heftiger. Dann endlich gab er durch ein Nicken zu verstehen, daß er nicht schreien würde. Ceemer zog das Pseudoglied zurück. »Es gibt sie nicht mehr«, stieß er heiser hervor. Die Laute waren kaum als Worte verständlich. Carch erahnte sie mehr. Die Sprechorgane der Kalmorer waren nicht dazu geschaffen, die feinen Klänge der Rückenmembranen ihrer ehemaligen Herren perfekt nachzubilden. »Das wissen wir jetzt auch!« sagte Carch. »Sie verschwanden in ganz kurzer Zeit. Alles verschwand außer den Eiern und den Fladen!« Carch brauchte eine Weile, bis er diese Antwort verdaut hatte. »Alles? Ich spreche von den Cpt’Nok!« »Alles, was ihr und unser Leben beeinflußte!« Plötzlich war es so, als redete der Jäger aus einem inneren Bedürfnis heraus. Seine Sinne schienen vollkommen klar zu sein. Er leistete keinen Widerstand. Carch hatte sogar den Eindruck, als litte er unter einer ähnlichen Einsamkeit wie er selbst. »Alles! Die strahlenden Sphären, die so oft über uns kamen und Verwüstungen anrichteten! Die Kugeln, die wir in den Bergen fanden, und die für die Cpt’Noks einfach nicht existierten. Sie waren mächtiger als sie, vielleicht weigerten sie sich deshalb, sie zur Kenntnis zu nehmen!« Es war wie mit den Fladen! 19
ATLAN 112 – Die Abenteuer der SOL Der Kalmorer war intelligent, nicht eine halbprimitive Kreatur, wie sie in Carchs Erinnerung vorhanden war. War die Erinnerung falsch? »Nur die Eier und die Fladen blieben«, sagte der Jäger. »Und wir warteten vergeblich darauf, daß sie sich in Cpt’Noks verwandelten. Sie sind heute noch so, wie sie vor vielen Jahren waren. Nur wurden sie immer mehr und klüger! Wir müssen sie jagen und töten, um selbst zu überleben!« »Ihr tötet Cpt’Noks!« schrie Carch. Ceemers warnende Geste bemerkte er nicht. Plötzlich drehte sich alles um ihn. Strahlende Sphären! Er wußte nicht, was das sein sollte, doch nun sah er sich selbst wieder über Dynur, ein energetisches Etwas, innerhalb dessen alle physikalischen Gesetzmäßigkeiten aufgehoben zu sein schienen. Ein Gebilde aus reiner Kraft und Macht! Sollte er in diesem Zustand eine solche Sphäre gewesen sein? Die nächste Form? Aber die Kugeln – was war davon zu halten? »Es gibt keine Cpt’Noks mehr, es wird sie niemals mehr geben!« rief der Kalmorer. »Es gibt nur die Fladen, und es gibt Millionen von Eiern, die sich nicht nach drei Jahren verwandeln, sondern überhaupt nicht mehr! Aber sollten Sie eines Tages zu Fladen werden, überschwemmen sie unsere ganze Welt!« Er besitzt das Wissen der Cpt’Noks! durchfuhr es Carch. »Wer seid ihr?« fragte der Kalmorer. Carch hatte sich in ihm und seinen Artgenossen offenbar getäuscht. Sie waren nicht die Mörder, für die er sie gehalten hatte. Vielleicht waren sie ... die Erben seines Volkes? Ein verrückter Gedanke! Er verlor die Kontrolle über sich und schrie: »Ich bin ein Cpt’Nok! Ich bin Cpt’Carch!« »Cpt’Carch«, flüsterte der Kalmorer fast andächtig. Dann drehte er den Kopf und schrie es hinaus: »Cpt’Carch! Er ist gekommen! Cpt’Carch ist zurückgekommen!« Alles ging jetzt so schnell, daß weder Ceemer noch Carch es verhindern konnten. Die Eingänge der Hütten barsten vor Kalmorern, die den Schrei gehört hatten und her-
ausgestürmt kamen. Das Geflecht wurde niedergerissen. Hütten stürzten ein. Carch nahm es kaum wahr. Plötzlich waren er und Ceemer von Dutzenden von Kalmorern umringt. Und sie flüsterten seinen Namen. Einige sanken vor ihm nieder. * »Du sprichst die Sprache der Cpt’Noks, aber du scheinst das Wissen um die Bedeutung der Dinge verloren zu haben«, sagte einer, der eine aus den Trockengräsern geflochtene Matte um den Oberkörper trug. Auch das hatte es niemals gegeben. Die Kalmorer waren stets unbekleidet gewesen und hatten nie Anführer oder Bevorzugte gekannt. Im Grunde waren sie Tiere gewesen. Atlan hatte einmal von dem Planeten Erde erzählt. Er hatte von Wesen gesprochen, die sich auf einem anderen Evolutionsast von den Vorfahren der Solaner fortentwickelt hatten, und sie Affen genannt. Auf die Verhältnisse Cpts übertragen, hätte man auch die Kalmorer in Gestalt und früherer Intelligenz als Affen bezeichnen können. Carch war viel zu betroffen, um etwas zu tun oder nur zu begreifen. Ihm wurde nur klar, daß die Kalmorer die Cpt’Noks immer noch liebten, so wie sie es früher getan hatten. Die gegenseitige Zusammenarbeit hatte sich niemals nur auf Zweck und Nutzen beschränkt. »Ich weiß nicht, wer ich bin«, hörte er sich sagen. In seinem Geist war ein bitterer Nachhall: Ich wüßte es, wenn ich erst richtig geboren wäre! War der Himmel plötzlich dunkler geworden? Die Gestalten um ihn herum wirkten wie von einem nichtexistierenden Feuer beleuchtet. Ihr Sprecher schob sich scheu weiter vor. »Dein Kommen wurde uns vor langer Zeit verkündet«, sagte er. »Das war, nachdem die Cpt’Noks von unserer Welt verschwanden. Du weißt wirklich nicht, was Cpt’Carch in eurer Sprache bedeutet?« Nein! schrie es in Carch. Er fieberte danach, es jetzt aus dem Mund des Kalmorers zu erfahren. Er brachte es nicht über sich, die Frage zu stellen. 20
ATLAN 112 – Die Abenteuer der SOL Ceemer tat es für ihn. »Was heißt es?« Wie kann ich erwartet worden sein! Ich war auf der SOL und wäre dort für alle Zeiten geblieben, wenn sie nicht Xiinx-Markant angeflogen hätte! Und das war ein Zufall! Für mich nur ein Zufall! »Cpt’Carch«, sagte der Kalmorer, »heißt ›Die Essenz der Cpt’Cpts‹. Es bedeutet alles, was die Cpt’Cpts einmal ausgemacht hat.« Nein! Das ist Wahnsinn! Ich bin der schnellste Läufer auf der ganzen SOL! Ich weiß nichts über meine Herkunft, und ich will es auch gar nicht mehr wissen! Ich würde es euch schon zeigen, wenn ich erst richtig geboren wäre! He, Nockemann, Sternfeuer, Federspiel! Lacht über mich! Denkt an die Banane auf ihren zwei dünnen Beinen! Denkt ganz intensiv an sie! Holt mich zurück! Doch keiner der alten Freunde sprach zu ihm. Es war wieder die Stimme des Jägers. »Es wurde verkündet, daß bessere Zeiten anbrechen, wenn die Essenz auf unsere Welt zurückkehrt.« »Wer hat es euch gesagt?« fragte Ceemer. »Manchmal geschieht es, daß sich der Himmel spaltet. Dann dringt ein Speer aus reinem Licht in die Welt, und aus ihm sprechen die Stimmen, die ohne Ohren gehört werden.« Ich bin auf der SOL! Federspiel, du stehst vor mir. Hilf mir doch! Reiße mich aus diesem Traum! »Wo ist dieser Ort?« War es Ceemer, der sprach? Wer ist Ceemer? Weißt du es, Federspiel? »Wir können euch den Weg zeigen. Andere Gruppen werden euch weiterführen. Es ist ein gefährlicher Weg, und bald wird er nicht mehr zu passieren sein. Die Cpt’Taks sammeln sich an seinem Rand. Irgendwann werden sie lernen, uns zu besiegen.« »Du lügst!« schrie Carch. »Ihr wart immer nur Helfer, aber nie habt ihr unser Wissen besessen!« »Wir wissen nur«, sagte der Kalmorer, »was die stimmlosen Stimmen uns sagten.« Ich trockne aus! Siehst du es, Federspiel? Es sind alles Trugbilder, wirre Phantasien!
Es ist, als ob ein Mensch Fieberträume hätte. Nur kommt es bei mir daher, daß ich ein Nährbad brauche. Bereite mir eines zu, Nockemann! Nockemann! Da stand er, und neben ihm erschienen Atlan, Breiskoll, Sternfeuer. Selbst der High Sideryt kam und streckte Carch eine Hand entgegen. Chart Deccon, fett, schwer und ... Deccon lebte nicht mehr. Die Illusion zerplatzte. Carch klebte an einem Kalmorer, der zurückwich und offenbar gräßliche Angst hatte – Angst vor einem Geschöpf, das er lange erwartet hatte und nun als einen formlosen und hysterischen Klumpen sah. Bitte, helft mir doch! Dies war nicht die SOL. Dies war Cpt, ein unheimlicher und grausamer Planet. Nur eines stimmte: Auch der Plasmakörper begann auszutrocknen. * Ceemer wich nicht von der Seite des Freundes, von dem er ein Teil geworden war – oder umgekehrt Carch ein Teil von ihm? Carchs Plasmakörper lag reglos auf einer primitiven Trage, die die Kalmorer aus dem gleichen Material gefertigt hatten wie ihre Körbe. Etwa fünfzig von ihnen bildeten den Zug. Die Siedlung lag längst hinter ihnen. Das Ziel schien noch sehr weit zu sein. Ceemer hatte Schwierigkeiten, nicht den Anschluß zu verlieren. Was ihm jeder Blick auf Carch zeigte, traf auch auf ihn zu: jedesmal mußte er mehr Runzeln feststellen. Diese Hüllen schienen nur dazu bestimmt zu sein, ein Überleben bis zu einem bestimmten Zeitpunkt zu garantieren. Und die Zeit wurde knapp. Die Überfälle der Fladen häuften sich. Noch konnten die Jäger sie abwehren, aber es zeigte sich schon jetzt, daß sie es waren, die am Ende unterliegen mußten. Die Cpt’Taks entwickelten immer neue taktische Varianten. Ceemer konnte nicht umhin, sie dafür zu bewundern. Er sah sich wieder als Kommandant seines Schiffes. Er wollte beweisen, daß die Valva21
ATLAN 112 – Die Abenteuer der SOL ren das mächtigste Volk von Xiinx-Markant waren. Nein. Es hatte in ihm gesteckt. Der Befehl zum Kampf war von außen in ihn und alle seine Gefährten hineingetragen worden. Carch hatte laut gesprochen, nachdem er bei der Siedlung in Ohnmacht gefallen war. Einige Male hatte er den Begriff »AntiHomunk« erwähnt. Mit etwas Kombinationsgabe fiel es nicht schwer, sich einen Reim auf das zu machen, was Carch über den energetischen Gegner von sich gab. Sein Unterbewußtsein produzierte die schwer verständlichen Worte. Ein namenloser Herr hatte demnach die Vernichtung Cpts befohlen, deren Grund nach wie vor im unklaren lag. Aufgrund früherer Erfahrungen aber setzte ihn Carch mit diesem »Anti-Homunk« gleich. Vielleicht war es wirklich nur Phantasie eines Sterbenden, denn daß Carch langsam starb, daran konnte kein Zweifel bestehen. Der Zerfallsprozeß des Plasmakörpers schritt voran. Ceemer bekämpfte ihn mit dem unbedingten Willen, weiterzuleben. Vorerst jedenfalls half es noch. Carch sehnte sich wieder nach einem Ende. Ceemer hatte längst aufgehört, ihn begreifen zu wollen. Er wollte leben. Es war ihm gleich, in welcher Form. Er begehrte nichts, stellte keine Anforderungen wie Carch. Ihm genügte es, zu sein. Deshalb mußte er das Ziel der Prozession erreichen. Und es war eine Prozession. Die Kalmorer, die Carch primitiv nannte, waren Geschöpfe, die genau wußten, was sie taten. Sie litten. Alles, was auf Cpt existierte, schien unter einem Fluch zu leben. Es war eine Eigenart der Valvaren, immer einen Blick auf die Dunkle Pforte zu haben. Wenn sie geschlossen war, wußten sie, daß ein Weg an ihr vorbeiführte. Dann konnten sie ihr bisheriges Dasein damit beenden, sich in neue Formen zu integrieren. Auf Valvar wurden keine Bäume gefällt, keine Büsche ausgerissen, keine Tiere geschlachtet, denn in jedem konnte der Geist eines Valvaren sein. Hier auf Cpt, das spürte Ceemer mit dem Instinkt eines Wesens seiner unvergleichlichen Art, gab es nur einen Weg, das Abster-
ben des Plasmakörpers zu überwinden. Kein Kalmorer konnte ihn aufnehmen, wie Carch es vorübergehend getan hatte. Die Fladen und Eier schieden ohnehin aus. Er schob sich voran. Dann und wann kamen Kalmorer und halfen ihm. Sie akzeptierten ihn anscheinend jetzt endlich als jemand, der Cpt’Carch zur Seite stand. Sie sprenkelten aus seltsamen Gefäßen eine Flüssigkeit auf ihn, die das Plasma wieder einigermaßen beweglich machte. Carch rührte sich nicht. Ceemers eigener Organismus drohte ein ums andere Mal zu versagen. Ceemer kämpfte. Er spürte, das etwas auf dem Spiel stand, das weit über seine eigenen existenziellen Bedürfnisse hinausging. Er wußte um das ewige Gleichgewicht zwischen Geben und Nehmen. Gib deine Kraft und nimm! Was konnte er tun, außer an Carchs Seite zu sein? Er wehrte die kostbare Flüssigkeit ab und bat die Kalmorer – die wievielte der sich abwechselnden Gruppen inzwischen? – sie auf den Freund zu versprühen. Er sah die Fladen, wie sie herankamen und die Jäger töteten, die sich nicht schnell genug in Sicherheit brachten. Es spürte das Absterben von Körperzellen, mußte sich am Ende schieben und dann auch tragen lassen. Daß der energetische Gegner sich noch nicht wieder näherte, war nur ein sehr schwacher Trost. Dann plötzlich waren er und Carch wieder allein. Die Kalmorer setzten sie ab und zogen sich ohne ein weiteres Wort zurück. Sie verschwanden hinter den Felsen, die sich fast ringförmig um einen der vielen Gipfel eines Bergmassivs zogen. Ceemer konnte sich nicht mehr aus eigener Kraft bewegen. Er lag neben Carch und wartete. Der Himmel leuchtete heller denn je. Die Luft war hier dünn, die Zellatmung funktionierte kaum mehr. Eisiger Wind fetzte Teile des absterbenden Körpers von Carch und Ceemer fort. Manche Valvaren-Geburtskollektive setzten ihre Neugeborenen in der Wildnis aus – in der Hoffnung, die in den Bäumen und Sträucher lebenden Geister mochten sich ihrer an22
ATLAN 112 – Die Abenteuer der SOL nehmen. Genauso kam sich Ceemer jetzt vor. Der Wind beschleunigte die Austrocknung. Was die Kalmorer an Flüssigkeit zurückgelassen hatten, erschöpfte sich schnell. Es geschieht manchmal, daß der Himmel sich teilt ... Manchmal – das war ein sehr relativer Begriff.
Er wehrte sich nicht mehr dagegen, noch unternahm er irgendeinen Versuch, es zu beschleunigen. Er ließ sich treiben, und plötzlich waren alle Ängste verschwunden. Er wußte, was ihn umfing. Jetzt war es keine Illusion mehr. Die vergeistigten Cpt’Cpts nahmen ihn in ihr Reich auf. Sie gaben ihm erloschene Gefühle zurück. Ganz schwach konnte Carch registrieren, wie ein neuer Funke zwischen den Tausenden von Bewußtseinen aufblitzte und zu einer der in allen Farben leuchtenden Blasen wurde, die harmonisch den Überraum ausfüllten. Ceemer ... Ich bin geboren! jauchzte es in Cpt’Carch. Es war doch nicht alles umsonst. So und nicht anders war es bestimmt! Er täuschte sich, wie so oft. Die Vergeistigten spürten und erkannten ihn nicht. Sie akzeptierten ihn nicht. Sie waren nicht zu ihm gekommen. Was sich hier tat, war ein natürliches oder übernatürliches Phänomen. Er würde in den halbtoten Körper zurückgeschleudert werden, wenn der Lichtspeer wieder erlosch. Carch sträubte sich. Noch einmal gewann er längst verloren geglaubte Kraft. Das grausame Spiel ging weiter. Er versuchte, sich an die Bewußtseine zu klammern, die ihn streiften – und plötzlich stellte er fest, daß er mühelos in sie hineindringen konnte. Sie sprachen nicht zu ihm. Was er für ein Locken gehalten hatte, war seine eigene Sehnsucht. Sie zeigten ihm auch nicht das, was er jetzt sah. Er war in ihnen gefangen und mußte das gespeicherte Wissen auf sich einströmen lassen, ob er nun wollte oder nicht. Er war längst dabei, aus der Flut von Informationen diejenigen herauszufiltern, die ihn selbst betrafen. Etwas zwang ihn dazu. Der Lebensfunke war stärker als das Gefühlschaos, das ihn an den Rand des Abgrunds geführt hatte. Was er nie mehr erleben wollte, spulte sich wie in einem Film vor seinem geistigen Auge ab. Es geschah vor etwa fünfzig Jahren ...
* Es gab niemanden auf Cpt, der Carchs Zustand hätte beschreiben können; niemanden, der hätte sagen können, wieviel Leben noch in ihm war. Es reichte nicht einmal aus, um die Umgebung bewußt wahrzunehmen. Was Ceemer für Bewußtlosigkeit hielt, war ein Dahindämmern ohne eigenen Impuls, an diesem Zustand etwas zu ändern. Die Diagnose eines solanischen Medikers hätte gelautet: klinisch tot. Irgendwo registrierte das absterbende Bewußtsein die Hell- und Dunkelphasen. Tage und Nächte vergingen, ohne daß etwas geschah. Es war wie das logische Ende der einmal so hoffnungsvoll begonnenen Entwicklung, die mit dem Hineingeworfenwerden ins Nichts ihren vorläufigen Schlußpunkt gesetzt bekommen hatte. Carch empfand auch keinen körperlichen Schmerz mehr. Er sehnte sich nicht wirklich nach dem Erlöschen. Er zog es nur dem furchtbaren Gedanken vor, die gleichen Seelenqualen noch einmal erleben zu müssen. So lag er da auf der Trage. Der Wind riß an ihm, scheuerte an der Hülle und trug das abgestorbene Gewebe davon. Wieder wurde es dunkel, vielleicht die dritte Nacht, vielleicht die fünfte oder zehnte. Diesmal aber kehrte die Helligkeit früher zurück. Sie kam nicht allmählich, sondern übergangslos. Carch brauchte sein Auge nicht. Der Eindruck eines Speeres aus blendendem weißen Licht erfüllte sein ganzes Bewußtsein. Carch hörte die lautlosen Stimmen, die ihn lockten. Er fühlte, wie er sich aus dem Körperwrack löste und mitten in das Strahlen hineintrieb. 23
ATLAN 112 – Die Abenteuer der SOL kette umschloß und trennte es von der weiten Ebene, in der früher die Raumschiffe der Mbona gelandet waren. Voonol blieb stehen. Seine beiden langen Fühler richteten sich auf die Steinbauten. Der bananenförmige Körper auf den zwei dünnen Insektenbeinen begann leicht zu rotieren. Juicer, der Anführer der Kalmorer, kam heran und deutete auf die tönernen Gefäße, die in einem Netz an seiner linken Hand hingen. »Wir erleben es nicht zum erstenmal, Voonol«, sagte er in gebrochenem Cpt. Es klang wie Mitleid. Waren die Rollen bereits so vertauscht? Entwickelten sich die ehemaligen Helfer allmählich zur beherrschenden Art? »Ja«, gab der Cpt’Nok zu. »Aber es wird immer schlimmer. Der Tag wird kommen, an dem ich oder ein anderer zurückkehrt und keinen Lebenden mehr findet.« »Du gibst die Hoffnung auf? Ausgerechnet du?« Voonol antwortete nicht und begann mit dem Abstieg. Die Fühler esperten noch schwache Lebensausstrahlungen vom Tal. Plötzlich riß der Himmel auf. Eine der strahlenden Sphären tauchte das Land in ihr grelles Licht. Voonol zirpte eine Warnung. Er sah einen Spalt zwischen zwei mächtigen Felsen und zwängte sich in ihn. Die Kalmorer begannen zu schreien und warfen sich flach auf den Boden. Es war immer wieder vorgekommen, daß die Sphären über einer Siedlung erschienen und mit den unbegreiflichen Kräften, die von ihnen ausgingen, großes Unheil anrichteten. Voonol war es immer so vorgekommen, als wüßten sie nicht, was sie taten. Jetzt aber tauchten sie auf und stürzten ab. Wo sie niedergingen, verbrannte alles Leben. Sie lösten sich vollkommen auf. Nichts blieb zurück außer verbrannter Erde. Es gab nicht viele von ihnen. Manche Cpt’Noks hielten sie für eine phantastische Art von Leben, das aus dem Weltraum kam. Voonol sah das Licht und hörte das Heulen der Luft. Der Aufschlag war als solcher nicht spürbar. Nur die Feuersbrunst, die den Hang heraufraste, verriet die Katastrophe. Büsche und Gräser gerieten in Brand. Voonol spürte, wie sein Körper in der Hitze an Flüssigkeit
5. Der Rettungsplan Voonol hatte Angst vor dem, was er in der Siedlung sehen – oder vielmehr nicht mehr sehen würde. Am liebsten hätte er jede Möglichkeit genützt, die Rückkehr zu verzögern. Doch seine Brüder und Schwestern brauchten die Nährflüssigkeit. Sie war jetzt im Überfluß vorhanden. Das Sterben betraf auch die räuberischen Tiere, die die an den Felswänden klebenden Eier fraßen und damit verhinderten, daß die intelligenten Bewohner Cpts sich explosionsartig vermehrten. Es gab plötzlich mehr Eier denn je, und jetzt schon wurden die aus ihnen entstehenden Fladen zur Plage. Auf der anderen Seite raffte das unbekannte Verderben die Cpt’Noks einen nach dem anderen dahin. Eigentlich war es unverantwortlich geworden, daß ein Cpt’Nok die Kalmorer zu ihrer Beute führte. Sie kamen inzwischen alleine besser zurecht als jemals zuvor. Sie waren nicht mehr die dummen Geschöpfe, die sich mit einem Haustierdasein begnügten. Voonol hatte das Wagnis auf sich genommen. Einige Male waren er und sein Trupp wie durch Wunder vor den angreifenden Cpt’Taks gerettet worden. Voonol bestärkte das in seinem Glauben, daß es am Ende der unbekannten Entwicklungskette eine Macht gab, die aus nicht mehr körpergebundenen Cpt’Cpts bestand. Es war wichtig, in den Bergen immer wieder nach dem Rechten zu sehen. Die Veränderung wirkte sich auf alles aus. Die Eier traten nicht mehr nach drei Jahren ins Verwandlungsstadium ein, sondern benötigten nun bereits fünf Jahre und mehr. Das gleiche geschah mit der Fladenform. Jetzt, wo es so wichtig war, daß neue Cpt’Noks aus ihnen entstanden, schien sie etwas zu lähmen. Voonol hatte einige vor acht Jahren besonders markierte Cpt’Taks entdeckt, die noch keine Anzeichen einer bevorstehenden Metamorphose trugen. Vor acht Jahren war den Cpt’Noks klargeworden, daß ihre Art vom Aussterben bedroht war. Der aus zwanzig Kalmorern und Voonol bestehende Trupp erreichte die Anhöhe, hinter der das Tal mit der Siedlung lag. Eine Hügel24
ATLAN 112 – Die Abenteuer der SOL verlor. Die Poren schlossen sich zwar, konnten aber auf Dauer das Austrocknen nicht verhindern. Er verlor das Bewußtsein und kam erst wieder zu sich, als Juicer vor ihm stand und das Tongefäß noch über ihn hielt, aus dem er ihn beträufelt hatte. »Wir hatten noch einmal Glück«, sagte der Kalmorer. »Die Sphäre ist weit genug von der Siedlung abgestürzt.« Aus dem Tal kam aufgeregtes Zirpen. Voonol, noch schwach auf den Beinen, mußte warten, bis die Flüssigkeit seinen Körperhaushalt einigermaßen wiederhergestellt hatte. Juicer nahm ihn auf die Arme und trug ihn. Es gab noch ganze sechs Cpt’Noks in der Siedlung. Vor Voonols Aufbruch waren es elf gewesen. Naadun nahm ihn in Empfang und führte ihn in seine Unterkunft. Er mußte dazu die Sperren entfernen, die zur Abwehr der nachts angreifenden Cpt’Taks errichtet worden waren. Naadun galt als der älteste der noch lebenden Cpt’Noks. Er rechnete fast täglich mit seiner Verwandlung in die nächsthöhere Form. Er hatte bereits das 77. Jahr erreicht. So lange hielt das Entwicklungsstadium seiner Art an. Doch einiges deutete darauf hin, daß auch die Cpt’Noks von der Lähmung betroffen waren, die sie bei den Fladen und Eiern feststellen mußten. Voonol stärkte sich in einem Bad. Naadun wartete, bis er von sich aus berichtete. Als er alles gehört hatte, sagte er: »Dann dürfen wir nicht mehr länger zögern, Voonol. Wir dürfen uns nicht auf die Rettung von etwas verlassen, das wir zwar vermuten, das aber nicht von sich aus eingreift, wenn wir sterben.« Voonol hatte diesen Augenblick gefürchtet. Er und alle anderen Bewohner der Siedlung waren Rebellen. Sie wurden gemieden. Andernorts sammelten sich die noch lebenden Cpt’Noks zu größeren Lebensgemeinschaften, um gemeinsam den Kampf gegen das Unvermeidliche aufzunehmen. Nur hier war das anders. Niemand kam mehr hinzu. »Wir müssen unser Schicksal selbst in die Hand nehmen«, fügte Naadun hinzu. »Und
jetzt ist es soweit.« Rebellen, weil wir nicht warten wollen! dachte Voonol. Vielleicht ist es falsch, der Natur ins Handwerk zu pfuschen. Der ursprüngliche Plan hatte vorgesehen, Naadun durch gezielte Anregung seines Alterungsprozesses in die nächsthöhere Form zu verwandeln, von der man sich Hilfe erwartete. Inzwischen aber war man zu der Überzeugung gelangt, daß die Nächsthöheren – die vierte Entwicklungsstufe – selbst im Absterben begriffen waren. Andernfalls hätte sie nun zugunsten der Cpt’Noks eingreifen müssen. Jeder wußte, daß es sie gab. Naadun, Voonol und ihre Gefährten in der Siedlung taten zum erstenmal in der Geschichte ihrer Art, was immer tabu gewesen war. Sie stellten sich Fragen. Sie hielten ihre Sinne offen und suchten bewußt nach den Cpt’Kuls. Dies war der Name, den sie der Form, die sich nicht offenbarte, gegeben hatten. Vielleicht stellte die vierte Phase einen Rückschritt dar. Tiere konnten es sein, oder einfache Pflanzen. Voonol dachte auch an die geheimnisvollen Steine, die die Kalmorer dann und wann in den Bergen entdeckt, aber noch nie hatten mitbringen können. Sie sprachen von »Zaubersteinen«, die sich bewegen und zu mehreren zusammenfügen können sollten. Es ließ sich nicht beweisen. Kein Cpt’Nok hatte einen solchen Stein je zu sehen bekommen. Fest stand, daß die Cpt’Kuls nichts taten. Man schloß daraus, daß sie ebenso machtlos waren wie die Cpt’Noks. Also blieb nur noch ein Weg, der Hoffnung versprach. Naadun setzte einfach voraus, daß die geistige Macht am Ende der Evolutionskette existierte. Er glaubte, daß sie sich schon so weit von ihren Ursprüngen entfernt hatte, daß sie den Bezug verloren hatte und nicht gezielt eingriff, um das Sterben zu beenden. Er glaubte aber auch, daß sie es konnte, wenn man sie nur entsprechend beeinflußte. Das sollte ein künstlich geschaffenes Wesen nun tun. »Komm mit mir«, forderte Naadun den an25
ATLAN 112 – Die Abenteuer der SOL deren auf, als dieser aus der Wanne gestiegen war. »Ich will dir die Cpt’Taks zeigen, die wir für das Experiment ausgewählt haben.« Voonols Schwanken zeigte seine ganze Bestürzung. »Cpt’Taks? Ich dachte, einer von uns sollte ...?« »Wir sind zu wenige geworden«, unterbrach Naadun ihn schroff. »Wenigstens einer von uns muß lange genug am Leben bleiben, um die Entwicklung des Versuchs zu beobachten. Ob es funktioniert, können wir ohnehin nur an einem Cpt’Tak sehen. Er wird sich als erstes in einen Cpt’Nok verwandeln, falls wir Erfolg haben. Ein Cpt’Nok würde – einfach verschwinden, und wir wüßten überhaupt nichts.« Verschwinden, dachte Voonol. Ein Cpt’Nok löst sich auf, und an seine Stelle tritt nichts. Das neue Wesen entmaterialisiert im Moment seiner Geburt. Geschähe das nicht, gäbe es keine Fragen um unsere Zukunft. Voonols Art zu denken stellt eine Revolution dar. Doch selbst er war nicht imstande, eine Parallele zu ziehen zwischen dem spurlosen Verschwinden eines geborenen Cpt’Noks und dem, was manchmal die Kalmorer erzählten. Wenn die Jäger davon sprachen, daß sich die Zaubersteine oben in den Bergen bewegten, dann meinten sie damit auch, daß sie manchmal einfach wie aus dem Nichts heraus entstanden. »Ich habe den Cpt’Taks Namen gegeben«, sagte Naadun, als Voonol ihm aus dem Haus folgte. »Ich habe sie Zlex, Pwann und Twoxl genannt. Derjenige von ihnen, der den Sprung über drei Entwicklungsstadien hinweg schafft, wird einmal einen anderen Namen erhalten.«
leien hingeben, Freund«, sagte der Kalmorer. »Naaduns Bemühungen zeigen doch schon erste Erfolge. Die drei Cpt’Taks entwickelten sich viel schneller, als es normal wäre. Ihre Zellen teilen sich schneller, altern schneller, sterben schneller ab und werden durch neue ersetzt. Das genetische Programm wird auch weiterwirken, wenn sie sich verwandelt haben.« Er redet wie einer von uns! dachte Voonol bitter. Er nennt mich seinen Freund. Werden die Kalmorer eines Tages unser Erbe antreten? Sie sind nicht vom Sterben betroffen. »Was fühlst du, Juicer?« fragte er. Seine Fühler richteten sich auf den Anführer der Jäger. Vor acht Jahren hatten sie damit begonnen, sich Führer zu wählen. Damals werteten die Cpt’Noks das noch nicht als ein Zeichen rapide ansteigender Intelligenz. »Ich bin sehr traurig, Voonol«, antwortete Juicer. Es stimmte. Der Cpt’Nok konnte keine Gedanken lesen, aber Gefühlsschwingungen und Ehrlichkeit feststellen. »Nicht froh darüber, bald frei zu sein?« »Ihr habt uns niemals geknechtet. Es war stets eine ... eine Partnerschaft, Voonol.« Zögernd fügte er hinzu: »Obwohl es eine Zeit gab, in der es anders zu kommen schien.« Voonol wußte, worauf er anspielte. Wieder richtete sich sein Blick in die weite Ebene. Wieder entstand die Zahl acht wie ein magisches Zeichen in seinem Bewußtsein. Vor acht Jahren waren zum letztenmal Schiffe der Mbona gelandet. Die Überlieferungen berichteten von schrecklichen Kämpfen, bis die Raumfahrer eingesehen hatten, daß sie den Planeten nicht im Handstreich erobern konnten. Sie kamen mit einer phantastischen Technik und furchtbaren Waffen. Doch ihre Strahler funktionierten plötzlich nicht mehr. Die Cpt’Noks ahnten damals, daß ihnen eine der höheren Formen half, und begannen einen Jahre währenden Guerillakampf gegen die fremden Wesen. Er endete damit, daß andere Mbona kamen und den Frieden anboten. Seither gab es keine Probleme mehr mit ihnen. Sie versuchten zwar unaufhörlich, die Cpt’Noks für ihre Technik zu begeistern, doch dieser Funke sprang nie über. Schließlich begnügten sie
* Zwei Tage später stand Voonol dort, wo die Sphäre niedergegangen war. Einige Samenkörner, vom Wind hierhergetragen, begannen bereits wieder zu keimen. Es war wie ein Symbol dafür, daß zwar eine Art untergehen kann, das Leben aber nie völlig erlischt. Juicer war dem Cpt’Nok gefolgt und schien seine Gedanken zu erraten. »Du darfst dich nicht diesen trüben Grübe26
ATLAN 112 – Die Abenteuer der SOL sich damit, nach den Mineralien zu schürfen, die ihnen wertvoll, für die Cpt’Noks aber bedeutungslos waren. Als Gegenleistung boten sie ihr Wissen an, das dankbar angenommen wurde. Es beinhaltete auch jene Kenntnisse der Vorgänge in den Zellen und Körpern, die das Experiment erst ermöglichten, das Naadun nun vornahm. »Vielleicht war es ein Fehler von uns«, zirpte Voonol halblaut, »daß wir die Technik verschmähten. Besäßen wir Raumschiffe, könnten wir nun von Cpt fliehen oder versuchen, die Quelle des Unheils aufzuspüren.« Irgendwie hatte er immer gehofft, die Mbona würden noch einmal zurückkehren. Sie taten es nicht. Der Kommandant ihres letzten Schiffes berichtete von einem Wall um die Innenzone der Galaxis herum, der sich schon vor vielen Jahren zu bilden begonnen hatte und nun undurchdringlich wurde. Die Mbona kamen von außerhalb des Zentrums. Sie lebten auf Planeten jenseits der Staubmauer, die aus geborstenen Planeten und Sonnen entstanden war und nun von keinem Schiff mehr passiert werde konnte. Juicer legte dem Cpt’Nok sanft eine Hand auf den feuchten Rücken. »Komm«, sagte er. »Gehen wir. Naadun braucht dich.« Schon auf dem Rückweg ins Tal spürte Voonol, daß etwas Entscheidendes geschehen war. Er begann zu rennen und ließ den Kalmorer hoffnungslos abgeschlagen hinter sich.
Er schien das auch ganz genau zu wissen und seine letzten Energien in seine Arbeit zu legen. Der einzige Raum des Steinbaus war durch einen Vorhang aus den trockenen Langgräsern in zwei Teile getrennt, aus denen die Kalmorer ihre Körbe anfertigten. Voonols Fühler richteten sich darauf, und er nahm etwas wahr, das ihn wie ein Schock traf. Naaduns Knopfaugen blitzten. Die anderen hielten sich eher scheu im Hintergrund. Das gelbe Körpersekret tropfte von ihnen herab, was hier geschah, war ihnen unheimlich. Sie hatten das Experiment gebilligt und gewollt, doch nun schienen sie panischer Angst nahe zu sein. Und es ist ein Frevel! dachte auch Voonol. Er erschrak vor sich selbst. Was kann ein Frevel an der eigenen Art sein, das nur zu ihrer Rettung getan wird? »Wir sind sechs«, sagte Naadun unangenehm laut. »Aber bald werden wir wieder fünf sein. Wir haben einen Cpt’Nok aus einem Cpt’Tak geschaffen, Voonol!« Er stelzte zur Trennwand und schob einen Fuß in den Spalt zwischen den beiden Matten, aus denen sie bestand. »Wir haben ihn geschaffen, Voonol!« Naadun teilte den Vorhang mit einer schnellen Bewegung. Sein zweites Bein trug den Körper nicht mehr. Voonol eilte zu ihm, um ihn aufzurichten, und sah das neue Geschöpf. Im ersten Augenblick dachte er, Vaale vor sich zu haben und einem sehr üblen Scherz Naaduns aufzusitzen. Dann erkannte er, daß der gelbe Körper nicht feucht war und irgendwie unfertig wirkte. »Wer ist es?« hörte er sich fragen. »Zlex? Pwann? Twoxl?« Wo waren die anderen beiden? »Twoxl!« schrie Naadun. Er stand wieder auf beiden Beinen und rotierte so heftig, daß seine Konturen verschwammen. »Twoxl! Vor erst zwei Stunden hat er sich verwandelt, und er ist jetzt schon älter als ich! Es kann jeden Moment geschehen!« Er drehte sich um und schnellte auf Vooyt, Moocy und Taijh zu. »Spürt ihr es nicht auch? Er hat schon etwas von einem Cpt’Kul an sich! Er hat etwas von allen Formen! Er ist die Essenz, und er
* Nie hatte Voonol einen Artgenossen so erregt gesehen wie Naadun. Vooyt, Moocy und Taijh waren bei ihm. Nur Vaale fehlte. »Er ist tot«, sagte Naadun auf Voonols Frage, doch es schien ihn nicht sonderlich zu berühren. »Wir sind nur noch fünf – das heißt, im Augenblick trotzdem sechs.« Voonol verstand ihn nicht. Für einen Moment fühlte er sich angewidert von Naadun, der nur noch Interesse für sein Experiment zu haben schien. Dann aber sah er die Runzeln im Körper des Gegenübers. Naadun war bereits selbst vom Tod gezeichnet. Er würde die nächste Stufe nie mehr erreichen. 27
ATLAN 112 – Die Abenteuer der SOL wird uns retten!« Er verliert den Verstand! dachte Voonol. Ohne daß er es merkte, hatte er sich auf das neue Wesen zugeschoben. Hinter ihm sah er die toten Fladenkörper von Zlex und Pwann. Twoxl blickte ihn an. Es war, als drängten die Blicke der starren Augen direkt in Voonols Seele hinein. Hilf mir! flehten sie. Zeige mir einen Weg, was ich bin und warum ich leben soll! Voonol wurde vom Mitleid für die Kreatur übermannt. Jetzt wußte er, warum sie ihm unfertig vorgekommen war. Dieser Noch-Cpt’Nok war leer. Er wurde von den Instinkten beherrscht, die die Cpt’Taks leiteten. Naadun hatte seine körperliche Entwicklung um das Tausendfache beschleunigen können, nicht aber die geistige. Lediglich die Aggressivität der Cpt’Taks war nicht vorhanden. Voonol überlegte nicht. Reiner Impuls trieb ihn, als er sich völlig öffnete und all sein Wissen in den anderen überfließen ließ. Dabei hatte er eine Vision. Vielleicht kam sie aus Twoxl heraus, der sich von ihm zu entfernen schien. Voonol sah sieben Steine, die von unbegreiflichem Leben erfüllt waren. Es war keine Vision, es war Realität! Voonol versuchte verzweifelt, sich von Twoxl zu lösen. Es gelang nicht. Sie bildeten eine Einheit. Voonol existierte in Twoxl, Twoxl in ihm. Voonol sah sich als Cpt’Nok, keilförmig, auf zwei Beinen und mit dreieckigem Kopf. Dann zersprang der Körper in sieben Teile. Sie jagten davon wie von einem gewaltigen Sog erfaßt. Voonol konnte ihnen nicht mehr folgen. Das unsichtbare Band zerriß. Ein letzter Gedanke erreichte ihn: Ich werde es versuchen! Voonol fand sich auf dem Boden liegend. Juicer war da und hob ihn in die Wanne. Die Flüssigkeit schenkte neue Kraft. Voonols wirre Gedanken ordneten sich. Ein Dutzend Kalmorer, zwei Cpt’Noks um ihn herum. Moocy und Vooyt. »Naadun und Taijh sind tot«, sagte der Kalmorer. »Sie gaben ihre Lebenskraft, um ihn auf die Reise zu schicken.« Eine Reise durch die Entwicklungsstadien hindurch, zuerst Cpt’Won, dann Cpt’Tak,
Cpt’Nok und Cpt’Kul ... Sieben Steine. Voonol wußte nun, wie die nächste Form aussah. Seine Sinne forschten nach Twoxl, und sie fanden ihn. Voonols Geist stützte Twoxl. Er gab das Seine dazu, um die Essenz zu vervollkommnen. Die Essenz seines Volkes. Naadun hatte einen Begriff dafür geprägt und Juicer beauftragt, ihn von Generation zu Generation weiterzuvermitteln und ihn allen Cpt’Noks zu sagen, die von den Kalmorern noch lebend gefunden wurden. Die Essenz der Cpt’Cpts. Alles, was sie ausmachte. Das ganze Volk. Er sollte der Retter sein, der die erhofften Vergeistigten erreichte und sie zur Hilfe zwang. Der Begriff dafür lautete: Cpt’Carch. 6. Das Ende einer Geburt Carchs Geist arbeitete, obwohl kein Körper ihn mehr mit Vitalenergien versorgte. Die Plasmahülle war endgültig abgestorben. Die Bindung bestand nicht mehr. Sie war nie lebensnotwendig gewesen. Der Plasmakörper war nichts anderes als die stoffliche Entsprechung des Transportimpulses. Was Carchs Sein ausmachte, existierte neben ihm. Das wußte er nun, wie er so vieles begriff. Es war wieder dunkel. Der Lichtspeer hatte sich aufgelöst. Mit ihm war Ceemer gegangen. Das Vermissen des Partners und gleichzeitig das Glück darüber, daß der Valvare den Eingang in ein ihm selbst noch verwehrtes Reich gefunden hatte, waren die einzigen Gefühle, die Carch empfand. Es gab keine Angst, keine Hoffnung, nichts mehr in ihm. Er wußte nun, daß er in die Obhut von Kräften gegeben war, die sich seinem Einfluß entzogen. Dennoch war Carch nicht mehr von Leere erfüllt. Er registrierte nur und zog seine Folgerungen aus den Erfahrungen. Sein Name war Twoxl. Was Naadun aus einem Cpt’Tak erschaffen hatte, das war er. Jeder Cpt’Nok, der unmittelbar vor der Verwandlung stand, war so wie nun er. 28
ATLAN 112 – Die Abenteuer der SOL Etwas drängte in ihm nach oben. Die Natur führte Regie. Warten, bis der Schritt vollzogen ist! Der vorläufig letzte. Wartet nur, bis ich erst richtig geboren bin! Nun, da es soweit war, bedeutete es keine Sensation mehr. Die ganze Verzweiflung nach dem Erreichen Cpts. Sie war weit von ihm entfernt. Carch sah sich zerfließen, wie ein Bild in einem Kaleidoskop in mehrere Teile spalten. Es geschah ohne erkennbaren Übergang. Plötzlich fanden seine Gedanken ein siebenfaches Echo. Carch wußte aus den Erinnerungen der Vergeistigten, wie der normale Geburtsvorgang ablief. Im Grunde traf diese Bezeichnung gar nicht zu. Ein Cpt’Nok löste sich auf – und was aus ihm wurde, verschwand im gleichen Moment. Bei mir geht es viel langsamer! Er war nie auf natürliche Weise zum Cpt’Nok geworden. Noch war es ein Geheimnis, wie er diese Zustandsform wenigstens für die Dauer seiner Rückerinnerung auf der SOL hatte wiedererlangen können. Etwas hatte ihn aus der Hülle herausgerissen und als Geistesimpuls hierher gezogen. Carch war im Moment nichts anderes als die vom Transportimpuls getrennte Identitätsenergie. Er sah seine Umgebung wieder mit Sinnesorganen, die zwar nichts mehr mit Augen zu tun hatten, aber wie sie das Licht in allen seinen Abstufungen und Wellenlängen aufnahmen. Er sah sie siebenmal. Aus sieben Komponenten setzte sich das Gesamtbild zusammen. Er hörte das Pfeifen des Windes – siebenfach. Er begann einen Körper zu fühlen, wie er sich aus sieben Teilen ganz langsam zu formen begann. Er wuchs scheinbar aus dem Nichts, doch Carch spürte, wie sich Identitätsenergie in Materie verwandelte. Immer noch war er ohne Erregung. Und es mußte so sein. Es hatte seinen Sinn. Ohne die Kälte in ihm wäre er jetzt wirklich und endgültig dem Wahnsinn verfallen. Sieben unregelmäßig geformte Komponenten festigten sich. Carch rechnete bereits damit, daß er sich in seiner neuen Form davonteleportieren würde, als er das aufspürte, was
fast schon vergessen gewesen war. Der Vernichtungsimpuls erschien über dem Berg, auf dem der entstehende Cpt’Kul noch hilflos lag. Carch fiel es nicht schwer, ihn zu espern. Die telepathischen Kräfte waren jetzt stärker als jemals zuvor. Alles, was ihm vorher verborgen geblieben war, floß auf Carch über, ohne daß er eine bewußte Anstrengung vorzunehmen brauchte. Er wußte plötzlich alles über den Vernichtungsimpuls – was er vorhatte und wer ihn geschickt hatte. Und er wußte, daß er aus eigener Kraft noch nicht in der Lage war, ihm Widerstand entgegenzusetzen. Wenn ich fertig geboren wäre, könnte ich es! Es war das erstemal, daß der zur vielbelächelten Phrase gewordene Satz eine konkrete Bedeutung besaß. Und wahrscheinlich das letztemal, daß Carch ihn denken konnte. Der Roboter begann sich umzuwandeln. Ein energetischer Finger schob sich ganz langsam auf das werdende Wesen zu. Zeepkörob hatte jetzt Zeit. * Die Suche erschien aussichtslos. Fünfmal hatte der Planet sich um seine Polachse gedreht, ehe Zeepkörob den Heimkehrer wiederfand. Er ortete ihn zu seiner Verwirrung genau dort, wo er bereits einmal gesucht und keinen Erfolg gehabt hatte. Er war dabei, sich in etwas Neues zu verwandeln. Das lähmte ihn. Zeepkörob mußte annehmen, daß die Verwandlung der eigentliche Grund für die Rückkehr war. Cpt’Carch kam als Geheimwaffe der Cpt’Cpts zurück! Zeepkörob strukturierte sich um und schickte sich an, den Kontakt herzustellen. Sobald der Energiefinger den Gegner berührte, sollte die Selbstzündung erfolgen. Ich werde den Auftrag erfüllen! dachte er. Mein Erschaffer wird mir ein neues Leben geben! In diesem Moment merkte er, daß etwas ihn abstoßen wollte. Es kam nicht von Cpt’Carch, sondern von dort, wo sich ein heller Schein in der Nacht bildete. Die vergeistigten Cpt’Cpts waren zwar 29
ATLAN 112 – Die Abenteuer der SOL mächtig genug, um das Sonnensystem gegen jeden Einfluß von außen abzuschirmen, aber auch dumm. Sie lebten ohne Sinn und Ziel, nur mit ihrem Beschützerinstinkt. Als Zeepkörob die vage Ausstrahlung der Wesenheit erkannte, die dem Heimkehrer nach Cpt gefolgt war, verstand er, weshalb von Ceemer nichts mehr zu finden gewesen war. Er hatte sich mit den Vergeistigten verbunden und war nun dabei, ihre Macht zu gebrauchen. Das gab den letzten Ausschlag. Der körperlose Roboter schickte den Kontaktfinger dorthin, wo die sieben Klumpen aneinander klebten, und gab sich den Vernichtungsbefehl. Er konnte den blitzartig eingeleiteten Prozeß nicht mehr ganz aufhalten, als er ins Nichts stieß. Der sofort gegebene Fluchtimpuls schleuderte nur einen Teil von ihm von der Stelle fort, wo nun das atomare Feuer in der Planetenkruste zu wüten begann.
blaugraue Klumpen lagen, die jeder etwa die Größe einer doppelten Menschenfaust besaßen. Derjenige, der ihm am nächsten lag, drehte sich, bis eine schwach schimmernde Fläche Carch zugedreht war. Das Sehfeld, wußte Carch. Rechts und links daneben erkannte er je eine Membran. Die eine dient als Gehör, die andere kann Schallschwingungen erzeugen! Das bin ich! Carch drehte sich selbst. Man konnte die Komponenten tatsächlich für Steine halten. Es gab keine telepathische Verbindung zwischen ihnen, doch jede einzelne hatte die gleichen Gedanken, die gleiche Identität ... ... und den gleichen Drang in sich! Carch begann zu schweben. Die anderen sechs »Steine« setzten sich im gleichen Moment in Bewegung aufeinander zu. Sie trafen sich in etwa zwei Meter Höhe über der Ebene. Carch – oder sollte er von sich aus Carch-1 oder Carch-Siebtel denken? – konnte das Glücksgefühl nicht länger ungeteilt lassen. Er ließ die Membrane schwingen und rief: »Ich bin geboren!« Der Ruf kam sechsfach zurück. Die sieben Komponenten des Cpt’Kuls fügten sich zusammen. Jetzt war die lange Entwicklung endgültig abgeschlossen. Carch ließ seinen Geist in die neue Einheit strömen. Aus sieben wurde eins. Der Kreis war geschlossen. Carch gab der Form einen Namen, der ihrer Eigenheit gerechter wurde als der mehr abstrakte Begriff Cpt’Kul. Er nannte sich einen Siebenteiler. Er wußte, daß er sich jederzeit wieder dezentralisieren konnte, wobei die Eigenidentität jeder Komponente gewahrt blieb. Nur die Intelligenz und die neue psionische Fähigkeit waren dann schwächer. Beide wuchsen in dem Maß an, je mehr Teile zusammenfanden. Sie konnten sich nur schwebend bewegen. Die Teleportation war, wie die starke erlebte Telepathie, nur einmal möglich – im Augenblick der Geburt. Erst jetzt begriff Carch völlig, daß es wirklich geschehen war.
* Carch spürte die Berührung durch Ceemer gleichzeitig mit dem Impuls des Roboters. Selbst mit seinen wieder geschärften Sinnen war nicht zu erfassen, was sich innerhalb von Nanosekunden vollzog. Carch fühlte, wie etwas an ihm zerrte und ihn auseinanderriß. Dann war alles ganz anders. Der Vernichtungsimpuls war verschwunden. Irgendwo weit entfernt tobten entfesselte Gewalten. Carch nahm es schwächer wahr, als es eigentlich hätte sein sollen. Eine Erregung war in ihm, die ihn erschreckte. Er fühlte wieder. Er fühlte, daß er ein Siebentel dessen war, was ihn als Wesen ausmachte. Seine Denkvorgänge waren langsamer geworden. Immerhin reichte die geistige Kapazität aus, um ihn begreifen zu lassen, daß er für den Augenblick außer Gefahr war. Er sah die Umgebung. Die Wellen des Lichts drangen durch die lederartige Haut in den Körper und trafen die Nervenbahnen, die sie weiterleiteten und in einem Zentrum in optische Eindrücke verwandelten. Hinter einem Kamm ging die Sonne auf. Ihr blutroter Schein beleuchtete eine Hochebene, auf der in willkürlicher Anordnung und sehr unterschiedlicher Entfernung voneinander sechs 30
ATLAN 112 – Die Abenteuer der SOL Die Geschichte ging da weiter, wo sie geendet hatte, als der Ausläufer der Vergeistigten sich zurückbildete und Carch abstieß.
Ich bin geboren! Und er war nicht mehr Cpt’Carch, sondern Twoxl. Die Geschichte des Cpt’Carch rollte sich vor seinem geistigen Auge auf. Mit der Geburt zum Cpt’Kul waren alle Barrieren in ihm gefallen, die seine Erinnerung noch blockiert hatten. Nun, als Gesamtsiebenheit, registrierte er wieder den Vernichtungsimpuls, der auch nach seinem Substanzverlust noch stark genug war, ihn und den Planeten zu zerstören. Sein Erschaffer war Anti-Homunk, damals noch ein namenloser Herr und Diener von Hidden-X. Erst später, aber wohl lange vor Hidden-X’ Tod war er von Anti-ES übernommen und auf neue Ziele eingeschworen worden. Das Programm Zeepkörobs allerdings hatte sich dadurch nicht geändert. Er sollte Cpt vernichten, weil die körperlosen Cpt’Cpts Anti-Homunk ein Dorn im Auge waren. Sie stellten das einzige innerhalb seines unmittelbaren Machtbereichs dar, das er nicht eliminieren konnte. Zeepkörobs Einfluß, obwohl er erst jetzt die Barriere hatte durchdringen und nach Cpt gelangen können, mußte dann auch für das Stocken in der Entwicklung der Cpt’Wons und Cpt’Taks verantwortlich sein. Dabei wirkte er als Verstärkerrelais für AntiHomunk. Twoxl wußte damit, daß er hier und jetzt den ersten Kampf seines neuen Lebens zu bestehen hatte. Plötzlich gab es wieder einen Hoffnungsschimmer für sein Volk. Jetzt schon mußte es sich erweisen, was seine Fähigkeit wert war, über die er nur vage Bescheid wußte. Er war noch Cpt’Carch, bis dieser Kampf geschlagen war. Und um ihn erfolgreich bestehen zu können, mußte er die weitere Entwicklung des Cpt’Carch bis zu diesem Augenblick noch einmal geistig nachvollziehen. Jede Einzelheit konnte über Leben und Tod entscheiden. Um nicht noch einmal überrascht zu werden, teilte er eine Komponente von sich ab und schickte sie auf die Reise. Sie sollte Zeepkörob aus sicherer Entfernung beobachten, während die anderen sechs Teile noch einmal in die Vergangenheit eintauchten.
7. Das Raumschiff Der eben erst zum Cpt’Kul gewordene Twoxl fand sich nach der Geburtsteleportation schnell wieder zusammen. Der rasend schnelle Entwicklungsprozeß beschleunigte sich noch weiter. Doch es kostete mehr Energie, als Twoxl zu geben vermochte. Er fand sich als Siebenheit über einer fremden Siedlung schweben, als Naadun und Taijh, kurz darauf auch noch Voonol ihn erreichten und in ihm aufgingen. Von diesem Moment an begriff er sich als Cpt’Carch. Seine Gedanken erfaßten die Not der noch wenigen Cpt’Noks in der Siedlung. Einer von ihnen starb gerade in diesem Augenblick. Carch fing den entfliehenden Lebensfunken auf und gewann genug Energie, um sich fortzustoßen. Er erzielte Geschwindigkeiten, die noch nie ein Cpt’Kul erreicht hatte, fand weitere Siedlungen, von denen die meisten bereits ohne Leben waren. Die Kalmorer betrauerten die dahingegangenen Cpt’Noks und schickten sich an, ein eigenständiges Dasein zu führen. Es trug ihn weiter. Cpt’Noks, die ihn über den Häusern schweben sahen, nahmen ihn überhaupt nicht zur Kenntnis. Etwas in ihnen weigerte sich, die nächste Form zu erkennen. Carch sammelte Energien, wo immer sie frei wurden. Er lud sich auf, bis er sich stark genug glaubte, von sich aus den nächsten Schritt zu vollziehen. Das war die spezielle Gabe der Cpt’Kuls: Sie fingen Energien auf und neutralisierten sie. Lediglich Carch ging noch einen Schritt weiter und benutzte sie auch. Cpt’Carch gab sich den Impuls, als er die Auflösung des Siebenerkörpers spürte. Was auf einen Schlag frei wurde, riß ihn aus der vertrauten Umgebung und katapultierte ihn in ein Nichts. Er besaß keine Hülle mehr und wußte instinktiv, daß er die fünfte Form übersprungen hatte. Er stellte bereits das Endglied der Kette dar. Er trieb als vergeistigte Wesenheit in einem undefinierbaren Raum und streckte Füh31
ATLAN 112 – Die Abenteuer der SOL ler nach den Cpt’Cpts aus. Es waren gleichermaßen die Bezeichnung für die Gesamtheit aller Entwicklungsstufen seines Volkes wie auch speziell für die vergeistigte Endform. Das alles war nun klar. Nur eine Frage blieb immer noch offen – die nach der fünften Form. Offenbar funktionierte das Erkennen aller zurückliegenden Stadien in diesem Fall nicht. Vielleicht lag es daran, daß Cpt’Carch sie nicht durchlebt hatte. Es interessierte ihn jetzt nicht. Worauf es allein ankam und worauf sich die Hoffnungen für sein Volk gründeten, waren die Vergeistigten. Er fand sie nicht. Es war die bittere Erkenntnis, daß das Experiment in seiner letzten Phase doch fehlgeschlagen war. Die Natur läßt sich nicht überlisten. Es mag zahllose Überräume geben, die miteinander keine Verbindung aufweisen. Cpt’Carch war in einen von ihnen geschleudert worden – doch in eine Dimension ohne Leben. Er wollte es nicht wahrhaben. Als Cpt’Tak hatte ihn niemand gefragt, ob er diese Rolle einmal spielen wollte. Doch Naadun, Voonol und Taijh lebten in ihm und drängten ihn, gegen die Mauern aus Raum und Zeit anzurennen und die Suche nicht aufzugeben. Sie wuchsen zu seiner Identität zusammen. Cpt’Carch durchstieß die Barrieren. Sein Geist geriet in Räume voller phantastischer Farben und Formen, die durcheinanderwirbelten und lebten. Aus ihnen formten sich Gestalten und suchten Kontakt. Es waren Welten, in denen es keinen Haß, keinen Neid, keine Feindschaft gab. Nichts störte die vollkommene Harmonie. Cpt’Carch war nahe daran, dem Zauber zu unterliegen und sich mit den unbegreiflichen Wesenheiten zu verbinden. Er erkannte die Gefahr und stieß sich fort. Er fand Kraftlinien, auf denen er sich bewegte, und rief nach den Cpt’Cpts. Die flehenden Impulse verwehten in den Universen und blieben ohne Antwort. Aus der Verzweiflung formte sich Zorn. Cpt’Carch schrie die lautlose Anklage in die farbigen Muster, die die Grenzen zwischen den Überräumen bildeten, und wie ein Echo schlug die Wut auf ihn zurück. Er fühlte sich absinken, geriet in Bereiche, in denen graue
Schlieren ihn zu erdrücken drohten. Bösartige Impulse strömten auf ihn ein, Grimassen und Klauenhände wuchsen ihm entgegen. Ein endloser schwarzer Schlund tat sich vor ihm auf, und er stürzte dem Punkt am Ende des Tunnels entgegen, an dem alle Existenz zu nichts gefror. Cpt’Carch legte seine gesamte Kraft in den Impuls, mit dem er sich noch einmal befreien konnte. Er schwebte über einem Planeten. Aus der Erleichterung wurde neues Entsetzen, als er erkannte, um welche Welt es sich handelte. Dies war Cpt, und die Sterne des Weltraums waren die gleichen Sonnen, die in den Nächten das Firmament mit ihrem Funkeln durchsetzten. Nur waren einige Konstellationen nicht so, wie sie hätten sein sollen. Außerdem war die Oberfläche Cpts von riesigen Meeren bedeckt, aus denen sich die Landmassen erst emporschoben. Ich bin in der Zeit abgerutscht! durchzuckte es das Wesen. Um Jahrmillionen in die Vergangenheit gekommen! Wieder schrie er nach den Cpt’Cpts. Er war am richtigen Ort. Spannte sich ihr Reich durch die Ewigkeiten, so daß sie ihn jetzt hören mußten? Das, was von Voonol in ihm war, gab auf. Es glaubte nun nicht mehr daran, daß die vergeistigte Form wirklich existierte oder je existiert hatte. Aber ich bin doch der Beweis dafür! protestierte Cpt’Carch. Er fand keine Unterstützung mehr. Grausame Einsamkeit begann ihn zu martern. Seine Sinne richteten sich weit in den Weltraum hinaus. Hier begann sich eine Zivilisation zu formen. Dort, Tausende von Lichtjahren weiter, trieb ein unterlichtschnelles Raumschiff durch die endlose Schwärze. Das Leben in Xiinx-Markant stand erst ganz am Anfang. Cpt’Carch nahm die Niederlage an. Er ließ sich von den Gezeitenkräften des Universums tragen und versuchte nicht mehr, eine Richtung zu bestimmen. Cpt wurde hinter ihm zu einem schnell schrumpfenden Ball, zu einem Stern, der erlosch. Cpt’Carch fand den Weg nicht mehr, der in die Räume führte, wo das Leben so harmo32
ATLAN 112 – Die Abenteuer der SOL nisch pulsierte. Irgendwann ließ er XiinxMarkant hinter sich zurück. Irgendwann verlor er die Erinnerung daran, was er hatte bewirken sollen. Irgendwann geriet er in eine Dimensionsfalle, driftete wieder an Kräftelinien entlang und wurde in fremde Galaxien geschleudert. Er beobachtete. Er schien zu einem Leben ohne Ende verdammt zu sein und wollte diesem Leben wenigstens dadurch einen Sinn geben, daß er alles an Wissen sammelte, was er erlangen konnte.
Es war bei einer solchen Gelegenheit, daß er mitten zwischen den Bewußtseinsausstrahlungen eines von ungezählten raumfahrenden Völkern eine Harmonie verspürte, die ein vollkommen neues Erlebnis für ihn war. Vorsichtig näherte er sich der Quelle. Es war ein Raumschiff von noch nie gesehener Größe, zwei durch ein zylinderförmiges Mittelteil verbundene riesige Kugeln, in denen Zehntausende von Wesen leben mußten. Cpt’Carch begriff schnell, daß sie nicht glücklich waren. Die meisten lebten wie er ohne Hoffnung. Zufrieden war nur eine gewisse Oberschicht, die die anderen knechtete. Es herrschte Elend dort an Bord. Das Schiff stand über einem Planeten der Randzone dieser unbekannten Sterneninsel, auf dem Beiboote gelandet waren, um dringend benötigte Rohstoffe zu beschaffen. Carch näherte sich weiter. Er glitt auf den Harmoniepunkt zu, ein Bewußtsein im Zustand fast vollkommener Ruhe. Etwas, das er nicht begriff, spannte ein unsichtbares Band zwischen ihnen. Es riß ihn auf das Bewußtsein zu. Er wehrte sich nicht. Er durchdrang die stählerne Hülle des Schiffsgiganten und sah die fremden Wesen in ihrer Gestalt. Für einen ganz kurzen Moment erinnerten sie ihn an andere Geschöpfe, die er einmal gekannt haben mußte. Er wußte auch ihren Namen wieder: Kalmorer ... Doch das war vorbei, als er durch Decks und Wände jagte und das schlafende Bewußtsein erreichte. Er prallte darauf. Das letzte, das er bewußt in sich aufnahm, war ein Name: Sternfeuer ...
* Während der langen Reise gewann der Sternenwanderer das Gefühl, sich seiner eigenen Zeit wieder genähert zu haben. Vieles deutete darauf hin, daß sie ihn sich als etwas, das zu ihr gehörte, »zurückholte«. Doch ganz sicher war er sich dessen nie. Weitere Teile seines Wissens verblaßten, je mehr er an neuem in sich aufnahm. Er war Cpt’Carch. Das war jetzt sein Name. Über einen Planeten Cpt wußte er nichts mehr, nichts über seine Bewohner und den Einfluß, der ein Volk einfach dahinraffte. Er war Cpt’Carch, und er suchte nach Geborgenheit. Der Wunsch, anderes Leben zu finden und sich an es zu binden, wuchs mit jedem Besuch auf einer der vielen Welten, deren Bewohner die wirkliche Einsamkeit nie kennengelernt hatten. Sie lebten in Gruppen. Sie konnten mit anderen reden, ihre Sorgen und Nöte teilen. Carch erreichte sie nicht. Seine Zustandsform ließ es nicht zu, daß er gesehen oder gehört wurde. Manchmal blieb er auf einem Planeten und nahm an den Festen und Freuden seiner Bevölkerung teil. Dann wieder geriet er in Kriege und floh vor dem Schrecken und Leid, das er nicht abwehren konnte. Irgendwann war er so weit, daß er mit dem Gedanken spielte, sich in eine Sonne zu stürzen. Einfach nur Wissen anzuhäufen, genügte ihm nicht mehr. Er besuchte keine Zivilisationen mehr, um sich die Enttäuschungen zu ersparen. Schließlich mied er auch die Galaxien und durchstreifte ruhelos den Leerraum. Nur manchmal führte ihn die wiedererwachende Neugier an den Rand einer Milchstraße heran.
* Was nun folgte, das war Cpt’Carch hinterher genauso unerinnerlich wie alles, was mit seiner Vergangenheit und seinem Volk zu tun hatte. Twoxl, der Siebenteiler, aber sah es vor sich und kostete es aus. Denn nun kam der Punkt, an dem der einmal gewaltsam zerschnittene Faden sich wieder verknotete. Noch suchte das Siebtel nach dem Vernichtungsimpuls. Twoxl verspürte noch keinen Drang zur Rückkehr und zur Vereinigung. Carch badete in einem Meer von Wärme und Frieden. Das schlafende Bewußtsein stieß 33
ATLAN 112 – Die Abenteuer der SOL ihn nicht von sich. Carch wußte nun auch, wieso. Er mußte sich im Augenblick des Aufpralls und als jede bewußte Wahrnehmung aussetzte, instinktiv davor zurückgehalten haben, in Sternfeuer einzugehen. Dies war der Name des Wesens, das von sich als einer Solanerin träumte. Er hatte im allerletzten Moment noch begriffen, daß ein Verschmelzen – und auch nur ein zeitweises – im Geist der Schläferin irreparable Schäden anrichten mochte. So trieb er an der Peripherie des Bewußtseins und ließ dessen Harmonie auf sich wirken. Es genügte ihm, denn endlich hatte er die Geborgenheit gefunden, nach der er sich so lange gesehnt hatte. Cpt’Carch spürte die Ausstrahlungen von vier weiteren Schläfern, doch bei keinem war eine solche tiefe Ausgeglichenheit vorhanden wie bei Sternfeuer. Sie hatte Namen für sie. In ihren Träumen waren sie Gavro Yaal, Bjo Breiskoll, Joscan Hellmut und Federspiel. Zu letztem bestand eine so enge Verbindung, wie sie nur zwischen zwei Geschöpfen möglich war, die nicht nur als Angehörige des gleichen Volkes zusammengehörten. Sie waren aus zwei zeitlich in einem Körper entstandenen Eiern geschlüpft und unterschieden sich zudem durch eine paranormale Begabung von den anderen Menschen. Etwas an dieser Feststellung trieb einen Keil zwischen Carch und die Schläferin. Entsetzt und von Angst erfüllt, wieder in die unendliche Leere seiner Einsamkeit gestoßen zu werden, versuchte das Wesen den Riß zu kitten. Doch der Riß war in ihm. Etwas wollte ihn fortzerren. Mit einem Teil seines Wesens wehrte er sich dagegen. Der Spalt verbreiterte sich. Carch klammerte sich an Sternfeuer fest, krallte sich in die harmonische Aura. Unsichtbare Klammern lösten sich – und gaben ihn frei! Er war kein Sternenwanderer mehr. Das Über-Ich, das ihm alle seine phantastischen Fähigkeiten und Kräfte verliehen hatte, trieb davon und verwehte. Carch hatte für einen Moment das Gefühl, so wie jetzt schon einmal gewesen zu sein, sich trotz der plötzlichen Schwächung in einem Zustand zu befinden, der natürlich für ihn war.
Ich bin ein Cpt’Tak! durchfuhr es ihn. Etwas störte in der Harmonie. Eine gefährliche Unruhe bemächtigte sich Sternfeuers. Carch – ja, dies war sein Name – geriet in Panik. Er durfte sie nicht in Gefahr bringen. Seine weitere Anwesenheit als geistiges Etwas würde sie töten. Er mußte sie ... Es geschah ohne sein weiteres eigenes Zutun. Etwas vollzog sich in diesen Sekunden, das lange unterbunden gewesen war und nichts anderes als die natürliche Verwandlung darstellte. Carch stand vor dem Tank, in dem die Schläferin lag. Die beiden dünnen und noch viel zu schwachen Beine knickten ein. Ein langer, gelber und keilförmiger Körper klatschte zu Boden, wo er in einer Lache aus Sekret liegenblieb, das durch die Haut abgesondert wurde. Zwei zwanzig Zentimeter lange Fühler tasteten zitternd die Umgebung ab. Vier kleine Knopfaugen im dreieckigen Kopf vermittelten ganz neue optische Eindrücke. Der Raum war groß. Die fünf seltsamen Behälter und eine Menge technischer Apparaturen füllten ihn fast ganz aus. Carch fühlte sich davon abgestoßen. Das Material war kalt und leblos. Carch kam gar nicht auf den Gedanken, sich zu fragen, was in den Tanks sein mochte. Er wartete ab, bis er ein Gefühl für den Körper bekam. Wie in Trance erhob er sich und stakste unsicher auf den dünnen Beinen umher. Er suchte nach einem Ausgang. Die Vertiefungen in den Wänden sagten ihm nichts. Es verging viel Zeit, bis ein Geräusch ihn erschreckte. Carch versteckte sich hinter einem hohen und breiten Pult. Er spürte die Annäherung von Menschen, die nicht seine Freunde sein konnten. Ihre Ausstrahlungen hatten etwas viel zu Abschreckendes in sich. In einer der Wände entstand wie aus dem Nichts heraus eine Öffnung. Carch sah die Männer hereinkommen. Zuerst glaubte er, daß sie von verschiedener Hautfarbe seien, bis er begriff, daß sie ihre Körper mit etwas bedeckten. Als sie vor den Behältern standen und sich über erleuchtete kleine Fenster beugten, hinter denen sich Zeiger bewegten, flitzte er aus der 34
ATLAN 112 – Die Abenteuer der SOL Tür. Einer der Kerle hörte ihn und riß ein Gerät aus der Kleidung. Ein greller und heißer Strahl verfehlte Carch nur knapp. »Wieder so ein verdammter Extra!« hörte er den Solaner brüllen. »Sie sind eine Seuche! Weiß der Teufel, wie er sich hier hineinschleichen konnte!« »Laß ihn«, sagte ein anderer. »Er sieht harmlos aus.« Er lachte. »Wie eine Banane auf Beinen!« Carch wußte nicht, was eine Banane war. Er wußte überhaupt nichts mehr – außer daß er hier fremd war und offenbar in eine Umgebung geraten, in der er jeden Tag darum kämpfen mußte, daß man ihn in Frieden ließ.
jedoch, daß immer eine »Mehrheit« zusammenblieb, um den stärksten Vereinigungsruf abzustrahlen. Twoxl-2 schwebte davon. Als Twoxl-1-34-5-6 ihn aus der Sicht verloren, riefen sie ihn zurück, und er kam. Twoxl machte weitere Experimente und wurde sich dabei der Verwirrung bewußt, die in ihm selbst entstand, wenn er dieses System der Kennzeichnung beibehielt. Die jeweilige Mehrheit mußte also Twoxl sein. Andererseits hätte er sich mit ellenlangen Zahlenreihen vorstellen müssen, wenn er Atlan oder einem anderen der Freunde klarmachen wollte, wer gerade sein Wesen bildete. Atlan! Die SOL! Twoxl rief alle Komponenten außer Twoxl7 zusammen. Fast wäre die SOL, die sich in so großer Gefahr befand, von ihm vergessen worden. Er konnte sich nicht von ihr und den alten Gefährten lösen, obwohl er wußte, daß er keine Mittel besaß, sie zu erreichen. Sollte es noch einmal zur Begegnung kommen, dann mußten sie ihn finden – falls es ihnen gelang, das Manifest C auszuschalten. Dann aber mußte die Situation auf Cpt bereinigt sein. Twoxl-4? Twoxl erkannte mit Grausen, daß er doch noch nicht alles über seine neue Zustandsform wußte. Twoxl-4 lehnte es ab, schon jetzt wieder zurückzukehren. Aus dem Grad seiner Ablehnung ließ sich so etwas herauslesen wie: »Hör auf zu rufen! Ich habe noch keine Lust!«
8. Die Jagd Damit war nun alles klar. Twoxl bedauerte fast, von Cpt’Carch Abschied nehmen zu müssen. Er war für ihn wie ein anderes Wesen, wie ein lieber vertrauter Freund. Dennoch war nun die Identifizierung vollkommen. Dies und das Wissen um die eigene neue Kraft war die letzte Lücke gewesen, die es noch zu schließen gegolten hatte. Er stieg sanft auf und schwebte über die Hügelkette. Er begann zu spielen, um den neuen Körper auszuprobieren. Irgendwann mußte er sich wiederum verwandeln, aber das lag in ziemlich weiter Zukunft. Was jetzt auf ihn zukam, war der Kampf. Er wollte ihn nicht, denn aus Zeepkörobs telepathieähnlichen Seinsausstrahlungen wußte er ja, daß der Gegner auch nur ein Werkzeug war. Twoxl teilte sich. Er versah jede seiner Komponenten mit einer Zahl. Twoxl-7 schien noch keine Veranlassung zur Rückkehr zu haben. Wenn es auch keine telepathische Verbindung zwischen den einzelnen Teilen der Siebenheit gab, ließ sich doch aus dem Grad des Zurückdrängens erkennen, ob Gefahr bestand oder etwas Wichtiges geschehen war. Die Vereinigung des Gesamtbewußtseins und damit der Wissensfluß setzte erst wieder nach dem Einfügen fehlender Teile ein. Twoxl war nur noch Twoxl-2-5-6, wenn er die Komponenten 1-3-4-7 abgeteilt hatte, und so weiter. Er war Twoxl, wenn alle sieben Komponenten zusammen waren. Alle sieben Teile konnten einzeln operieren, besser war
* Twoxl-7 fühlte sich großartig. Er schwebte in weitgezogenen Kreisen um den energetischen Gegner herum, der noch genug mit sich selbst zu tun zu haben schien. Das Übermaß an Intelligenz, das sich bei der Vereinigung mit den anderen sechs Komponenten eingestellt hatte, erschien Twoxl-7 gar nicht so sonderlich wünschenswert. Es bedeutete in erster Linie Vernunft. Es bedeutete, sich all dessen, was man tat, immer bewußt zu 35
ATLAN 112 – Die Abenteuer der SOL sein und Gesamtverantwortung zu tragen. Der Freiheitsdrang wirkte dem Drang nach Vereinigung entgegen. Das hatte Twoxl-7 mittlerweile herausgefunden. Vielleicht war es auch das erste Erleben der neuen Möglichkeiten, das ihn so beflügelte. Immerhin wurde er nicht leichtsinnig, wie er jedenfalls glaubte. Der Vernichtungsimpuls war in einer stetigen Verwandlung begriffen. Daran hatte sich in den letzten Minuten nichts geändert. Manchmal schien er ganz zu verblassen, doch nur, um danach gestärkt wiederzuerscheinen. Aber er hatte offenbar keine Orientierung mehr. Twoxl-7 nahm sich die Zeit, jenem Ort einen Besuch abzustatten, an dem die Explosion erfolgt war. Dort glühte die Erde. Die freigesetzten Energien hatten einen Hunderte von Kilometern durchmessenden Krater gerissen. Wut erfaßte das Siebentel, als es sich klarmachte, daß alle Cpt’Wons, Cpt’Taks und Kalmorer, die sich in diesem Bereich aufgehalten hatten, von einem Moment auf den anderen einfach ausgelöscht worden waren. Wir werden sie rächen! schwor sich Twoxl7. Es war irgendwie nicht richtig, daß er als einzelner den anderen sechs nichts befehlen konnte, solange sie zusammensteckten. Aus reinem Trotz kehrte er zu Zeepkörob zurück. Der körperlose Roboter hatte sich erschreckend schnell verändert. Er war plötzlich sichtbar geworden, eine Traube von farbig schillernden Zellen, die sich durcheinanderschoben und eine sich ständig verändernde Form bildeten. Twoxl-7 spürte jetzt die Kräfte, die dem Gegner zuflossen. Sie versetzten die ganze Umgebung in Schwingungen, trafen auf feste Materie und wurden auf Zeepkörob wie auf den Fokussierpunkt einer mächtigen Hohlschale zurückreflektiert. Der Jetstrahl aus dem Weltall war nur von ganz kurzer Dauer, und als er versiegte, als Zeepkörob die auftreffenden Energien, in eigene verwandelt hatte, war es zu spät zur Flucht. Twoxl-7 merkte, daß er entdeckt war. Er konnte riesige Ebenen in Sekunden überqueren. Doch Zeepkörob bewegte sich in
Gedankenschnelle. Er war über dem Siebentel. Twoxl-7 blieb gerade noch die Zeit, den Vereinigungsdrang so stark zu intensivieren, daß Twoxl die akute Bedrohung erkennen mußte. Was ihm selbst noch zu tun blieb, war Haken zu schlagen. Zeepkörob machte das Spiel für kurze Zeit mit. Dann war er genau dort, wo Twoxl-7 erschien. * Es wird ein Problem werden sie aufzuspüren, wenn sie rebellisch werden! dachte Twoxl, nachdem Twoxl-4 wieder integriert war. Gaben Komponenten keine Drang- oder Abwehrimpulse von sich, so war ihr Aufenthaltsort für die Mehrheit kaum zu bestimmen. Ein Vereinigungsimpuls von allerhöchster Intensität kam aber jetzt von Twoxl-7. Er war so stark, daß selbst Nr. 4 seine Trotzhaltung aufgab und sich der Siebenheit gehorsam unterordnete. Twoxl bewegte sich so schnell, daß ein menschlicher Beobachter nur ein vorbeihuschendes Etwas ganz flüchtig wahrgenommen hätte. Ich bin immer noch der schnellste! dachte das Wesen. Diesmal auf einer ganzen Welt! Noch einmal drängten Bilder seiner früheren Form in sein Bewußtsein, als der Cpt’Kul über die Ödlandschaft seiner Heimat dahinglitt und sich darauf vorbereitete, den entscheidenden Kampf aufzunehmen. Er war sich nicht mehr so sicher, ob er Cpt seine Heimat nennen sollte. War es nicht längst die SOL? Cpt’Carch hatte also ungefähr fünfzig Jahre unter der Voraussetzung auf dem Schiff verbracht, daß er sich wirklich wieder exakt in seine Eigenzeit hatte einfädeln können. Auch galt es, die stattgefundenen Zeitverschiebungen von einmal knapp zwölf und einmal fast drei Jahren zu berücksichtigen. Wie dem auch war, Carch hatte während der ersten Wochen und Monaten an Bord ein elendes Dasein geführt – verfolgt, gedemütigt, ohne Freunde und hungernd. Wie oft hatten sich Nockemann und andere gefragt, wovon sich der Extra ernährte, den 36
ATLAN 112 – Die Abenteuer der SOL sie nie Nahrung zu sich nehmen sahen. Die Antwort erschien jetzt lächerlich einfach: von den überall in der Luft, besonders im Bereich der SOL-Farmen, befindlichen Mikroorganismen. Sie blieben auf seiner gelben Schleimhaut kleben, wurden gleich dort zersetzt und drangen als aufbereitete Nährstoffe in den Körper ein. Das war etwas gewesen, über das sich Carch nie Gedanken hatte machen müssen. Aber gereicht hatte es in den ersten Jahren allemal nicht. Das änderte sich erst, als Carch durch Zufall einen der vielen vergessenen hydroponischen Gärten entdeckte. Damit war auch sein zweites und größtes Problem gelöst. Die wuchernden und stark faulenden Algenkulturen lieferten einen Stoff, der die bei der Cpt’Won-Verwandlung freiwerdende Substanz einigermaßen gut ersetzte. Er ging oft in die Anlagen und stärkte sich. Er fand dort Freunde, die wie er keine besonderen Ansprüche an das Leben stellten. Sie behandelten ihn wie einen Bruder und nicht wie Ungeziefer, wie die SOLAG-Leute es taten. Carch erwies seinen Dank dadurch, daß er sie vor Gefahren warnte und aktiv half, wenn er unerklärliche Fähigkeiten in sich aufkeimen fühlte. Von Twoxls neuem Blickwinkel aus gesehen, bestand die einzige »übernatürliche« Gabe der Cpt’Noks darin, durch ihre Fühler die Annäherung von Lebewesen festzustellen und auch, ob diese Wesen mit guten oder bösen Absichten kamen. Was Carch darüber hinaus produzierte, mußte das Ergebnis seiner besonderen Vergangenheit sein. Er hatte also nicht alles abgeschüttelt. Und auch von dem verlorenen Wissen war ein winziger Rest geblieben. Er reichte nicht aus, um Carch erkennen zu lassen, woher und wie er in die SOL gekommen war. Aber er sorgte dafür, daß der Cpt’Cpt sich entsprechende Fragen stellte und eines Tages zu behaupten begann, er sei überhaupt noch nicht richtig geboren. Schließlich kam der Tag, an dem er Sternfeuer begegnete. Es waren jene Wochen, als sich die Basiskämpfer zusammentaten. Carchs rastloses Umherziehen von einer SolanerGruppe zur anderen fand damit sein Ende. Er schloß sich Sternfeuer, Federspiel, Dan Jota, Ivor Chan und den anderen an und erlebte mit
ihnen die glücklichste Zeit an Bord der SOL. Carch hatte Sternfeuer niemals als das wiedererkannt, was ihn aus dem Weltraum in das Schiff gezogen hatte. Umgekehrt war auch in der Telepathin keine Erinnerung an die kurze Unterbrechung ihrer langen Träume als Schläferin. Und doch gab es eine gewisse Affinität, die keinem der beiden bewußt war. Twoxl sah Sternfeuer wieder in einer Space-Jet sitzen und mit Breckcrown Hayes und zwei weiteren Solanern den Planeten Pryttar beobachten. Sie wurde plötzlich von einer Art Todesahnung erfaßt und brach innerlich zusammen. Fast zur gleichen Zeit ging es Carch furchtbar schlecht. Ein oder zwei Monate vorher bei der Bedrohung durch ein Kristallmonstrum war Sternfeuers Leben wirklich so gut wie erloschen. Welche Qualen hatte Carch zu dieser Zeit ausstehen müssen! Er wußte nie, warum. Er hätte sich spätestens dann Gedanken machen müssen, als der durch Oggar hervorgerufene Spuk in der SOL begann. Beide, Sternfeuer und er, waren von ihren Körpern getrennt worden und schließlich zu Oggars Bewußtseinspartnern geworden. Jetzt schien es klar zu sein, warum gerade sie beide von allen Bewohnern der SOL mit dem Geist des Pers-Oggaren ein Multibewußtsein hatten bilden können. Sternfeuers sterbeähnliche Zustände und das, was sich davon auf Carch übertrug, waren somit als eine Vorahnung dessen zu werten, was dann auch gekommen war. Ein Gefühl tiefer Dankbarkeit breitete sich in Twoxl aus, als er das Heranrasen des Vernichtungsimpulses spürte. Jetzt war es selbstmörderisch, weiter in seinen Erinnerungen zu schwelgen. Aber etwas drängte noch aus ihm heraus, und er schickte es wie einen stummen Ruf zu den entfernten Sternen von Xiinx-Markant: Sternfeuer! Du fehlst mir von allen am meisten! Dies war vielleicht der Grund, warum er sich bei den Basiskämpfern am wohlsten gefühlt hatte. Immer war er in ihrer Nähe gewesen. Der zweite Gedanke war ein gelinder Schock. Ich habe vieles von den Solanern gelernt 37
ATLAN 112 – Die Abenteuer der SOL mehr geben. Zeepkörob war da und zündete sich.
und übernommen. Was ich jetzt in mir fühle, ist etwas, das nicht sein kann und nicht sein darf! Es war geradezu absurd. Die Cpt’Cpts waren eingeschlechtlich. Eine Erotik, auch im allerweitesten Sinn, war ihnen vollkommen fremd. Weshalb aber graute es Carch davor, Sternfeuer könnte ihn vor sich sehen und nicht mehr als Carch erkennen? Twoxl schob das alles jetzt mit Gewalt von sich fort. Er kam vielleicht noch rechtzeitig. Er sah Twoxl-7 und über ihm das wabernde Energiegebilde des Jägers.
* Twoxl sah, wie sich die Farben und Intensitäten des Gegners rasch veränderten. Twoxl-7 versuchte nicht mehr zu fliehen. Er hatte sich verausgabt und war vollkommen erschöpft. Also gab es dies auch für die neue Form. Twoxl stellte es nebenbei fest. Er nahm wahr, begriff und handelte in der gleichen Sekunde. Twoxl-7 konnte sich aus eigener Kraft nicht retten. Aber er gab regelrechte Hilfeschreie von sich, so stark sendete er den Vereinigungsimpuls. Zeepkörob verstand ihre Bedeutung nicht. Er wußte offenbar nichts von der größeren Einheit, die sich ihm näherte. Nr. 7 war für ihn identisch mit dem gesamten Wesen, das er zu eliminieren hatte. Twoxl jagte im »Schatten« von Twoxl-7 heran, dessen Schreie alles andere überlagerten, was Zeepkörob als Lebensäußerungen einer höheren Cpt’Cpt-Form hätte erfassen können. Er war in genau dem Augenblick zur Stelle, als der Energiefinger des körperlosen Roboters seine Komponente fast berührte. Twoxl hatte keine Zeit, sich lange zu überlegen, wie und ob überhaupt seine Paragabe funktionieren sollte. Er vertraute einfach darauf, daß das Wissen in ihm verankert war, das der Körper benötigte, um gezielt zu handeln. Der Energiefinger berührte ihn. Der unendlich kurze Moment des direkten Kontakts genügte Twoxl, um zu wissen, daß die Selbstzündung eingeleitet und diesmal nicht mehr rückgängig zu machen war – auch nicht nur teilweise. Twoxl-7 glitt mit letzter Kraft heran und vereinte sich mit der Mehrheit. Das alles geschah quasi gleichzeitig. Als Zeepkörob sich in den Zustand der Planetenbombe versetzte und explodierte, griffen von Twoxl aus Kraftlinien um ihn herum. Sie umschlossen ihn wie eine Schale aus unvorstellbar feinem Netz, das im Sekundenbruchteil die Vernichtungsenergien in sich aufsog und zum Teil neutralisierte. Was diese Kapazität übertraf, wurde gedankenschnell gebündelt und in den Weltraum gestrahlt. Es machte den
* Zeepkörob hatte lange gebraucht, sich soweit zu regenerieren, um annähernd die alte Stärke wiederzuerlangen. Die absolute Wendung nach innen brachte es mit sich, daß er den Heimkehrer weder verfolgen noch erneut orten konnte. Der Gegner hatte sich zwar verwandelt, besaß jedoch noch die gleiche unverkennbare Aura, die jetzt nicht mehr von einer niedrigeren Lebensform überlagert werden konnte. Die vorzeitige Teilexplosion hatte damit wenigstens einen Vorteil gebracht. In weitem Umkreis gab es kein Leben mehr. Schließlich trat ein Teil des Programms in Kraft, von dessen Verankerung in ihm Zeepkörob selbst nichts geahnt hatte. Er bildete einen Fühler nach der Sonne aus, über den ihm die benötigte Energie zur vollständigen Erneuerung zufloß. Er verwandelte sie und formte sie für seine Zwecke um. Allerdings konnte er den Prozeß erst stoppen, als er sich schon in einem Überladungszustand befand. Wenn er sich nun zündete, mußte der Erfolg überwältigend sein. Nicht nur der Planet würde in Stücke gerissen. Der Vernichtungsimpuls mußte auch die Sonne erreichen und zur Novabildung anregen. Zeepkörob ortete den Heimkehrer. Er konnte ihm nicht mehr entkommen. Die Verzweiflungsmanöver bewiesen, daß er das selbst ganz genau wußte. Zeepkörob erwartete ihn, als er von einem seiner willkürlichen Sprünge genau an der vorausberechneten Stelle erschien. Diesmal sollte es keine Überraschungen 38
ATLAN 112 – Die Abenteuer der SOL weitaus größten Teil aus. Der Himmel tat sich auf und verschlang die energetischen Wirbel. Cpt begann zu beben. In der Lufthülle tobten Orkane und elektrische Entladungen. Für schreckliche Augenblicke glaubte Twoxl, seine neuen Fähigkeiten überschätzt zu haben. Gleichzeitig erfaßte ihn Entsetzen über die Dinge, die aus ihm heraus bewirkt wurden und die er noch nicht verstand, geschweige denn kontrolliert zu handhaben vermochte. Das vierdimensionale Raum-Zeit-Gefüge riß auf. Hoch über Cpt bildeten sich schwarze Spiralen, die sich rasend schnell drehten und dabei die noch wirksamen DestruktivEnergien in den Hyperraum schleuderten. Die ganze Atmosphäre flackerte. Der Donner, der den Blitzen folgte, wurde beantwortet vom Krachen auseinanderreißender Felsmassive. Ganze Gipfel spalteten sich und rutschten wie in Zeitlupe in die Tiefe. Twoxl war wie ein Staubkörnchen in diesem Inferno entfesselter Gewalten. Die Winde zerrten an ihm. Er konnte sich vor den Energien schützen, indem er das Absorberfeld wie einen Abwehrschirm um sich legte, nicht aber vor dem Einwirken mechanischer Kräfte. Irgendwann wurde es ruhiger. Twoxl schwebte über einem Hochplateau, das über die Hälfte seiner Fläche eingebüßt hatte. Die Blitze zuckten nur noch vereinzelt am düsteren Himmel. Der Donner wurde schwächer. In weiter Ferne erwachte ein vermutlich jahrtausendelang inaktiver Vulkan zu neuem Leben. Wo der Spalt die Energien verschlungen hatte, tanzten noch blasse Irrlichter. Dann war auch dies zu Ende. Zeepkörob existierte nicht mehr – zumindest nicht in diesem Universum. Twoxl schauderte es. Er schwebte dorthin zurück, wo der Aufeinanderprall erfolgt war. Der Sturm hatte ihn weit abgetrieben. Er fand einen unregelmäßigen Ring aus schwarzblauer Schlacke. Sie sah aus wie erstarrte Lava. Der Durchmesser des Ringes betrug etwa zwanzig Meter. Das Absorberfeld hatte also Zeepkörobs aufgefangene Energien in diese schwarze Materie umgewandelt und abgestoßen. Damit war auch geklärt, weshalb sich Twoxl nicht selbst mit ihr aufgeladen hatte, was nur seinen
Tod zur Folge gehabt haben könnte. Das Land wurde noch immer von Beben durchlaufen, die nun jedoch keine großen Verwüstungen mehr anrichteten. Was Zeepkörob an Zerstörung hervorgerufen hatte, reichte auch vollkommen aus. Er wollte ganz Cpt vernichten! dachte Twoxl bitter. Er hatte es fast geschafft! Twoxl-7 löste sich erneut aus dem Gesamtgefüge des Siebenteilers, entfernte sich aber nicht weiter als wenige Meter. »Das war mein Verdienst!« drang es quälend aus der Sprechmembran. »Aber du hättest ruhig etwas früher kommen können!« Offenbar fühlte sich Twoxl dazu berufen, ihm die passende Antwort zu geben. Er schwebte schon neben ihm und tönte: »Du hast es gerade nötig! Durch deinen Leichtsinn wäre fast ...« Twoxl-7 ließ ihn gar nicht ausreden: »Leichtsinn? Mein guter Freund und Bruder, hast du denn immer noch nicht kapiert, daß alles genau ausgeklügelt war? Selbstverständlich sollte Zeepkörob mich finden. Ich habe das einzige getan, das den Erfolg bringen konnte – ihm eine Falle gestellt. Ich möchte das ganz klar hervorheben. Ich habe mich freiwillig als Köder benutzen lassen, aber ihr wart ja schwer von Begriff. Ich werde ...« Nichts wirst du tun! dachte Twoxl wütend. Eine der fünf zusammenhängenden Komponenten machte es dem Ausbrecher recht drastisch deutlich. Wer jeweils sprach, war gleich. Widerstrebend gehorchte Twoxl-7 dem Vereinigungsbefehl. Nachdem auch Nr. 4 wieder an seinem Platz war, ertönte aus der Siebenheit ein Laut, der entfernt an menschliches Stöhnen erinnerte. Was mache ich denn erst, wenn ich mich völlig teilen muß? dachte Twoxl. Wenn jede Komponente nur noch dummes Zeug im Sinn hat? Die Antwort war mehr oder weniger zwingend. Er durfte ganz einfach noch nicht in eine Situation geraten, in der das erforderlich wurde. Zumindest auf Cpt schien eine solche Notwendigkeit nicht mehr zu bestehen. Was sollte ihn bedrohen, wo vielleicht alles tot war? Der Gedanke kam ihm erst jetzt. 39
ATLAN 112 – Die Abenteuer der SOL Hatten die Cpt’Wons und Cpt’Taks das Energiegewitter überhaupt überstanden? Von der panischen Angst erfüllt, sein künftiges Dasein wieder in völliger Einsamkeit verbringen zu müssen, machte sich Twoxl auf die Suche. Im Grunde bot der neue Körper kaum Vorteile im Vergleich zum Cpt’Nok. Im Gegenteil. Vieles fehlte ihm, was ihm bisher selbstverständlich gewesen war. Auch seine stille Hoffnung, als Cpt’Kul vielleicht etwas näher an die vergeistigte Form gerückt zu sein und einen Kontakt zu ihr zu finden, erfüllte sich nicht. Er spürte nur, daß die Cpt’Cpts nach wie vor um den Planeten existierten und nicht von Zeepkörob vernichtet oder vertrieben werden konnten. Aber er kam auch nicht an sie heran. Ebenso vergeblich wartete er darauf, daß Ceemer sich meldete. Twoxl fand die Siedlung, bei der er mit den Kalmorern gesprochen hatte, von einer Steinlawine verschüttet. Von den Jägern ragten nur noch Leichenteile aus den Felsentrümmern. Wenn ich nur wie vorher espern könnte! dachte der Cpt’Kul verzweifelt. So blieb ihm nichts anderes übrig, als sich der »normalen« Sinne zu bedienen. Er schwebte über das aufgebrochene und verwüstete Land und fand weitere tote Kalmorer, wo die Orkane Hütten und Steinbauten niedergerissen hatten. Cpt’Carch, die Essenz und der Retter, war zurückgekehrt. Aber er hatte nicht die erwartete Hilfe gebracht, sondern den Untergang vollkommen gemacht. In plötzlichem Trotz stieß er vier Komponenten ab, um die Jagd auf Leben fünffach so intensiv wie bisher weiterführen zu können. Die drei restlichen zusammenhängenden Teile waren gerade noch so stark, daß sie den sofort erwachenden Drang im Zaum halten konnten, auch sich selbständig zu machen und auf eigene Faust Abenteuer zu suchen. In dem Maß, wie die Intelligenz abnahm, wuchs der Spieltrieb. Wenigstens rückten aber auch die Schuldgefühle entsprechend in den Hintergrund. Es war schon eine seltsame Form, die die Natur im Laufe einer nicht durchschaubaren Evolution geschaffen hatte. Twoxl ahnte, daß viel Zeit vergehen würde, bis er ganz mit ihr und
ihren Eigenheiten vertraut war. Wie es aussah, hatte er diese Zeit im Übermaß. 9. Der neue Beginn Promk und sein Stamm wohnten weit draußen in der Ebene, weit genug fort von den Bergen, um das Chaos zu überleben. Ihre Hütten hatten sie schon vor Jahren verlassen und ihre Quartiere in den Steinhäusern der verschwundenen Cpt’Noks aufgeschlagen. Jetzt stand der Kalmorer vor den Trümmern der Siedlung, die an einem der wenigen Wasserplätze errichtet worden war. Der ganze Stamm hatte sich auf der Jagd befunden, als das Unheil begann. Es hatte drei Tote und mehrere Verletzte gegeben. Promk selbst hatte sie verscharrt, wie es seine Pflicht als Oberhaupt war. Die Männer und Frauen bewiesen, daß sie gelernt hatten, Schicksalsschlägen zu trotzen. Ohne Ausnahme waren die unverletzt gebliebenen schon wieder dabei, Behausungen zu bauen. Sie taten es wie ihre Väter und deren Väter mit den Cpt’Noks. In dieser Hinsicht hatten sie sich nicht verändert, wohl aber in anderer. Im Gegensatz zu fast allen anderen Stämmen der bekannten Welt hatte die Intelligenzsteigerung bei Promks kleinem Volk eine tiefgreifende Veränderung in den Lebensgewohnheiten hervorgerufen. Männer und Frauen lebten mit ihren Kindern und Alten in strengen Lebensgemeinschaften zusammen. Es gab so etwas wie eine Arbeitsteilung. Die Kalmorer legten Kleidung an und hatten bessere Waffen als die anderen Stämme. Sie begnügten sich nicht wie die Vorfahren damit, zu jagen und die Grenzen des eigenen Lebensraums als endgültig anzusehen. Jedem gehörte nach ihrer Ansicht das Land, das er für sich in Besitz nahm und nutzte. Am Wasserplatz wuchs aus fruchtbar gemachtem Boden langes Gras, das im Gegensatz zu den Dürrgräsern dicke und schwere Ähren trug. Alles Geröll war fortgeräumt und zu kleinen Hügeln aufgetürmt, von denen die Männer jetzt die Steine zum Bau nahmen. Promk betrachtete das Wasser, das nicht dahinfloß, sondern stets stillstand. Er hatte nie 40
ATLAN 112 – Die Abenteuer der SOL einen fließenden Strom gesehen. An beiden Enden mündete das trübblaue Naß in große Seen. Promk hatte selbst viele der Gruppen angeführt, die in kleinen Booten auf Entdeckungsreise gingen. Er war an der Spitze der Trupps geritten, die das Land jenseits des Horizonts erkundeten. Dazu benutzten sie die Tiere, die von anderen Stämmen nur gejagt und getötet wurden. Promk atmete tief ein. Der fremdartige Geruch war aus der Luft verschwunden. Der Boden hatte sich wieder beruhigt. Am Abend schickte er Gruppen aus, die zu den Nachbarsiedlungen rudern und reiten sollten, um dort nachzusehen, was aus den befreundeten Stämmen geworden war. Überlebende, falls sie sich nicht mehr selbst zu helfen vermochten, sollten hierhergebracht werden. Das war Promks Traum: aus vielen kleinen Völkern ein großes zu schaffen. Vielleicht, dachte er beim Betrachten der fernen Gebirgszüge, hätten wir nie gelernt, wie man Grenzen überwindet, wenn unsere Väter damals nicht aufgebrochen wären, um eine neue Heimat zu finden. Die Hütten, die sie verlassen hatten, standen vielleicht noch irgendwo in jenem Tal, von dem Juicer so oft berichtet hatte, wenn die Tage kurz wurden und die Nächte kalt. Juicer war in vielen Dingen ein Lehrer gewesen. Jeder Stammesangehörige wußte von den Tagen, als die Cpt’Noks gestorben waren. Sie alle kannten die Namen Naadun, Voonol, Taijh – und die vielen anderen. Plötzlich stutzte Promk. Er hob eine Hand über die Augen, um nicht in die tiefstehende Sonne blicken zu müssen. Er sah, daß er keiner Täuschung zum Opfer gefallen war. Etwas schwebte dort auf ihn zu, etwa zweimal mannshoch über dem Boden. Promks Herz schlug schneller. Auch das, was nun in der Bewegung verharrte, kannte er aus Juicers Erzählungen. Es war einer der Steine, die Kalmorer schon immer hoch in den Bergen gefunden hatten – bis zu der Zeit, als auch die Cpt’Noks verschwanden. Und plötzlich kamen weitere. Promk zählte noch drei einzelne und drei, die einen Klum-
pen bildeten. Sie fügten sich alle zusammen, begannen wieder zu schweben und senkten sich mitten in den Trümmern der Siedlung zwischen den staunenden und verängstigten Kalmorern herab. * Zum erstenmal war Twoxl zufrieden mit seinen Ablegern, auch wenn es ausgerechnet Twoxl-7 gewesen war, der die Kalmorer entdeckt hatte. Anscheinend waren die Einzelkomponenten nicht nur verspielt, sondern hatten im entscheidenden Augenblick sehr wohl einen Blick für das Wesentliche. Twoxl-7 jedenfalls hatte keinen Moment gezögert, den Vereinigungsimpuls abzustrahlen und seine Botschaft durch dessen Stärke auszudrücken. »Zweifelt ihr jetzt immer noch daran, daß ich der Schlaueste von uns allen bin?« fragte er vor dem Zusammenfügen. Natürlich genoß er seinen Erfolg. Selbst als Teil des Gesamtbewußtseins verstrahlte er noch Zufriedenheit mit sich selbst. Twoxl hatte nicht mehr an das Wunder geglaubt, nachdem weitere verlassene und verwüstete Siedlungen entdeckt worden waren. Jetzt sah er ein neues Problem. Er hatte es nicht mit Cpt’Noks zu tun, die ihn nicht als Cpt’Kul akzeptieren würden, selbst wenn er laut zu ihnen sprach. Es war allerdings nicht ihre Schuld. Twoxl war jetzt klar, daß es die Cpt’Kuls gewesen waren, die die Verständigung hätten herbeiführen können. Doch jeder Cpt’Kul hatte sich nach der Geburt in die Einsamkeit zurückgezogen und nicht gewagt, an einem vielleicht existenznotwendigen Gesetz zu rütteln. Sie hatten sich auch den Kalmorern nie mitgeteilt. Aber die Verhältnisse waren heute andere. Twoxl mußte den Neubeginn wagen, wollte er retten, was noch zu retten war. Er war anders. Er besaß die Kraft der Energieneutralisation, die die anderen Cpt’Kuls nicht besessen hatten. Auch das war etwas, das ihm an Wissen einfach zugeflogen war. Er schrieb es ebenfalls seinem persönlichen Geschick zu. Wieder wünschte er sich, aus den Kalmorern herausespern zu können, ob sie Angst vor ihm hatten, vielleicht fliehen oder gar angrei41
ATLAN 112 – Die Abenteuer der SOL fen würden. Er mußte es durch sein Handeln herausfinden. Als er langsam näher schwebte und sie sich weiterhin ruhig verhielten, entschloß er sich zur Landung in der Siedlung. Er sah die primitiven Boote am stehenden Fluß und das reifende Korn. Neue Hoffnung stieg in ihm auf. Auch wenn er keine Fladen und Eier seines Volkes gefunden hatte – hier war Leben auf dem Weg zur wirklichen Intelligenz. Hier war Zukunft. Hier konnte er Freunde und Antworten finden. Er ließ sich auf einen von den Trümmern freigeräumten Platz hinab und wartete. Die nach außen gerichteten Sichtfelder der Komponenten ermöglichten einen vollkommenen Rundblick. Zunächst noch scheu, kamen einige Kalmorer langsam näher. Es war aufgrund der großen Entfernung eigentlich unmöglich, daß diese Jäger Kontakt mit der Gruppe gehabt hatten, der Twoxl als Plasmaklumpen begegnet war. Um so erstaunter war er, als ein Kalmorer sich an den anderen vorbeischob und ganz dicht vor ihm stehenblieb. Es war jener, der ihn als erster entdeckt hatte. Der Kalmorer ging in die Hocke und streckte eine Faust aus. Fast liebevoll strich er über Twoxl-2, dann über die ganze Siebenheit. »Du bist Cpt’Carch«, sagte der Jäger. »Du kannst nur der sein, dessen Entstehung Juicer beobachten konnte und dessen Rückkehr er niemals bezweifelt hatte.« Juicer! Jetzt wußte Twoxl, wer die Legende von Cpt’Carch unter den Kalmorern verbreitet hatte. Es waren nicht die Vergeistigten gewesen. »Ich war Cpt’Carch«, sagte er gerührt. »Jetzt bin ich Twoxl.« Der Kalmorer erhob sich und nickte. »Ja«, antwortete er. »Twoxl nannten sie den Cpt’Tak, den sie auf die lange Reise schickten. Du hast das Aussterben der Cpt’Noks nicht verhindern können, Twoxl. Aber es gibt wieder einen Cpt’Kul. Voonol hatte recht, auch wenn er es selbst nicht ganz glauben konnte. Die nächste Form – das waren die Steine.« »Waren?« fragte Twoxl.
»Sie verschwanden mit den Cpt’Noks.« »Es wird wieder Cpt’Noks geben!« schrillte es aus allen sieben Membranen zugleich. »Ich werde Cpt’Taks finden und sehen, wie sie sich in Cpt’Noks verwandeln! Denn der Feind, der ihre Entwicklung lähmte, existiert nicht mehr! Ich habe ihn ausgeschaltet!« Ich! wisperte lautlos eine Stimme in Twoxl, als der Kalmorer sich erschreckt zurückzog, überrascht vom heftigen Aufbegehren des Cpt’Kul. Er fing sich schnell wieder. »Du brauchst sie nicht mehr zu suchen, Twoxl. Du hast sie gefunden.« * Promk führte Twoxl zu einem abseits der Siedlung stehenden Verschlag. Was zunächst wie eine Hütte ausgesehen hatte, entpuppte sich als eine einfache Konstruktion aus Holzpfeilern, die tief in den Boden gerammt und mit umlaufendem Netzgeflecht verbunden waren. Ein weiteres Stück Netz aus den biegsamen und widerstandsfähigen Langgräsern war wie ein Dach darübergespannt. Die anderen Kalmorer folgten ihnen. Twoxl hatte noch Schwierigkeiten, seine Eindrücke zu verarbeiten. Was er ganz vorsichtig beginnen wollte, war ihm leichter gefallen, als er es sich in den kühnsten Phantasien auszumalen gewagt hätte. Sie akzeptierten ihn als das, was er war, ohne ihm die Verehrung entgegenzubringen, die er bei der anderen Gruppe erfahren hatte. Konnte er sich würdigere Nachfolger der Cpt’Noks als beherrschende Art des Planeten vorstellen? Es wird wieder Cpt’Noks und Cpt’Kuls geben! schrie es in ihm. Und sie werden in Frieden mit den Kalmorern leben! Die immer als »Wilde« angesehenen Jäger schienen keine Kriege untereinander zu kennen. Wie paradox war das, wenn man bedachte, daß sie auf einer Welt im Zentrum der Galaxis lebten, in deren äußeren Zonen die schrecklichsten Schlachten tobten – gelenkt von etwas, das seinen Ursprung nur hier in der Innenzone haben konnte. Bevor Twoxls Gedanken sich wieder auf die SOL richten konnten, blieb Promk vor 42
ATLAN 112 – Die Abenteuer der SOL dem Käfig stehen. »Wir haben ihn als erstes wieder geflickt, als wir zurückkehrten und die Verwüstungen sahen«, erklärten die Kalmorer. »Komm näher und sieh hinein.« Twoxl ahnte bereits etwas, weigerte sich aber noch, daran zu glauben. Hinter den Grasnetzen schoben sich Hunderte von grünen Fladen über den nackten Boden und übereinander. Sie krochen herbei, als Promk seine Hand durch die Maschen streckte. »Zieh sie zurück!« schrie Twoxl entsetzt. »Sie werden dir das Fleisch von den Knochen reißen!« Er war vollkommen verwirrt. Dort waren die Cpt’Taks, die er so verzweifelt in den Bergen gesucht hatte. Und was vollkommen unvorstellbar war – sie griffen nicht an! Promk lächelte nur und ließ die Fladen über seine Hand gleiten. »Wir haben von Juicer gelernt, daß wir selbst etwas tun müssen, wenn es eines Tages wieder Cpt’Noks geben soll, Twoxl. Wir wollen alle, daß dieser Tag kommt. Deshalb begannen wir damit, Cpt’Taks zu fangen und hierherzubringen. Wir gaben ihnen das, was sie zum Leben brauchen. Moose und Flechten als Nahrung gibt es in der Umgebung im Übermaß. Du siehst den Erfolg. Sie sind zahm geworden.« »Ich glaube es nicht«, sagte Twoxl leise. »Es kann einfach nicht wahr sein. Sie hätten meinen Begleiter und mich fast zerrissen und unsere anderen Körper fast mit ihrem Sekret aufgelöst!« »Wir haben vielerlei Verwendung für die abgesonderte Flüssigkeit, Twoxl.« Promk schien ihn kaum zu hören. Er nahm einen Cpt’Tak aus dem Käfig und setzte ihn sich auf die Schulter. Das war Wahnsinn! »Es kann nicht gutgehen!« warnte Twoxl. »Und überhaupt töten andere Stämme die Fladen! Ich habe es erlebt ...« Promk drehte sich langsam zu ihm um. In seinen Augen brannte plötzlich ein Feuer, das jeden weiteren Protest verbot. »Das weiß ich, Twoxl. Aber auch das wird sich ändern. In wenigen Tagen erwarte ich die Boote zurück. Wer von den Nachbarstämmen
noch lebt, wird bei uns eine neue Heimat finden. Immer mehr Gruppen werden zusammenfinden und ihr Wissen weitergeben. Dann wird es auch keine Jagd auf die Cpt’Taks mehr geben. Wir können sie alle zähmen. Heute leben wir mit diesen hier in einer Gemeinschaft. Wir beschaffen ihnen Nahrung und nehmen ihnen die Gier, die sie zu den Überfällen treibt. Sie geben uns dafür ihr Sekret, mit dem wir die Steine der Häuser fest zusammenfügen oder die Boote dichten. Heute leben wir mit ihnen, Twoxl. Und wenn das wahr ist, was du vorhin sagtest, sind es morgen Cpt’Noks und übermorgen Cpt’Kuls. Wir haben viel gelitten, aber die Zukunft kann für uns alle besser sein als die Vergangenheit.« Twoxl war tief bewegt. Dieser Kalmorer – würden künftige Generationen von ihm einmal als von dem Urahnen eines reifen und mächtigen Volkes sprechen? Seinen und Juicers Namen in einem Atemzug nennen? Twoxls Gedanken wirbelten durcheinander, und plötzlich hörte er sich mit sieben quäkenden Stimmen zu den Männern und Frauen rufen: »Dann holt alle Cpt’Taks und Cpt’Wons herbei, die wir noch finden können, auch wenn nur wenige in der Wildnis das Chaos überstanden haben! Hier an dieser Stelle soll der Grundstein für die neue Zukunft gelegt werden! Ich helfe euch dabei, so gut ich kann! Geht und baut zuerst eure Häuser wieder auf. Ich bleibe hier und werde darauf warten, daß ...« Er konnte es einfach nicht aussprechen. Was für immer verloren gewesen schien, war mit einem Schlag wieder in greifbare Nähe gerückt worden. * Während der folgenden Tage verbrachte Twoxl etwa die Hälfte seiner Zeit bei dem Käfig und beobachtete durch das Gittergeflecht hindurch die Cpt’Taks. Statistisch gesehen, waren genug von ihnen da, daß jeden Moment mit der Verwandlung der ersten zu rechnen war. Twoxl schien es wie ein Erlebnis in einer anderen Welt und einer anderen Zeit, andere Fladen gesehen zu haben, die die 43
ATLAN 112 – Die Abenteuer der SOL Freßgier zu Mördern machte. Er sah jetzt in den Cpt’Taks so etwas wie seine Kinder. Eine weitere Tür in unbewußte Bereiche hatte sich geöffnet. Es gab immer noch Erinnerungen, die sich offenbar erst dann einstellten, wenn die Notwendigkeit dazu bestand. Twoxl wußte nun, daß die Cpt’Wons von Cpt’Kuls produziert und an geschützten Stellen zur Reife deponiert worden waren. Es geschah in Form eines dicken Sekrets, das von den Kugeln tropfte, nachdem alle sieben eine bestimmte Form der Vereinigung vollzogen hatten. Möglicherweise würde Twoxl in nicht allzu ferner Zukunft selbst diesem Prozeß unterworfen werden. Was ihm mehr zu denken gab, waren die verschiedenen Formen von Drüsenausscheidungen in den einzelnen Stadien eines Cpt’Cpt. Immer spielten sie eine wesentliche Rolle. Konnte ein Sekret die wirkliche Urform sein, aus der sich sein Volk vor Ewigkeiten entwickelt hatte? Ein Protoplasma? Hatte er sich deshalb nach dem Erreichen Cpts in einen Plasmaklumpen verwandelt? Twoxl schwebte den Kalmorern voran, wenn er nicht bei den Cpt’Taks wartete. Er führte sie in die Berge, die Entfernung spielte für ihre zähen und ausdauernden Reittiere keine Rolle mehr. Er teilte sich immer öfter, bis er es schließlich sogar wagen konnte, nur eine Zweier-Mehrheit als Zentralkörper zu behalten. Je öfter er das tat, desto feiner konnte er die Kommunikation mit den Einzelkomponenten abstimmen. Sie reiften schneller als erhofft. Die Grade des Vereinigungsdrangs ermöglichten mit schärfer werdenden Sinnen bald tatsächlich eine fast-telepathische Qualität. Der Unterschied bestand nur noch darin, daß keine Gedankenbilder übermittelt werden konnten, wohl aber vage Informationen. Die Komponenten wurden zu wertvollen »Außenstationen«, der Spieltrieb ließ etwas nach. Selbst Twoxl-7 verzichtete auf neue Heldentaten. Jedenfalls, dachte Twoxl, solange sie alle eine Aufgabe haben. Sie fanden Cpt’Taks, dann Cpt’Wons. Das Einsammeln der Eier machte keine Schwierigkeiten. Um Cpt’Taks zu bekommen, mußten die Kalmorer jedoch ihre ganze Geschicklichkeit beweisen. Twoxl schwebte hoch über
ihnen und sah bewundernd zu, wie sie mit unglaublicher Zielsicherheit aus einfachen Blasrohren winzige Pfeile abschossen, die die Fladen nur lähmten. Immer kamen die Cpt’Taks aus tiefen Felsspalten gekrochen, und das auch nur, wenn die Kalmorer ihnen Köder hinwarfen. Twoxl wunderte sich nicht mehr darüber, daß er allein nicht fündig geworden war. Die Angst steckte nach den Beben und Stürmen noch tief in ihnen. Mit vollen Körben ritten die Jäger zu ihrer Siedlung zurück, wo inzwischen einige Dutzend andere Kalmorer eingetroffen waren. Weitere wurden erwartet. Promk konnte Twoxl berichten, daß sich unter den Überlebenden wie ein Lauffeuer die Kunde von einem Ort ausbreitete, wo jeder Notleidende willkommen war. Promk war glücklich. Twoxl aber begann wieder zu zweifeln, als viele Tage vergingen, ohne daß sich ein Cpt’Tak verwandelte. Er beobachtete auch die Neuhinzugekommenen, die in Steinkäfigen erst daran gewöhnt werden mußten, von den Kalmorern die herbeigeschaffte Nahrung anzunehmen. Auch die Eier zeigten keine Spuren einer Veränderung – bis zu jenem schicksalhaften Morgen. Twoxl war gerade mit einer Fängergruppe zurückgekehrt, als einige Kalmorer ihm aufgeregt entgegenliefen. Sie führten ihn zu den Eiern. Twoxls Gefühle, als er zwischen den Cpt’Wons die ersten neuen Fladen umherkriechen sah, waren kaum zu beschreiben. Und weitere verwandelten sich! Kalmorer brachten die Cpt’Taks zu den anderen und sammelten das Sekret in großen Behältern. Wannen standen bereit, in denen die jetzt jeden Moment erwarteten Cpt’Noks ihre Bäder nehmen sollten. Twoxl eilte zu den Käfigen. Hätte er ein Herz besessen, es wäre ihm vor Glück zersprungen, als gerade mit seinem Eintreffen der erste Cpt’Nok entstand. Zwei weitere folgten ihm. Sie besaßen noch nicht die Kraft, sich auf den Beinen zu halten. In Gedanken sah Twoxl sich selbst wieder die ersten Gehversuche auf der SOL machen. Rasch brachten die Kalmorer die neuen anderen Wesen vor den noch aggressiven Fladen in Sicherheit, führten sie in die Steinhäuser und bereiteten ein Fest vor, um das Wun44
ATLAN 112 – Die Abenteuer der SOL der zu feiern. Am Abend, als zwischen den Bauten die Freudenfeuer brannten, gab es bereits 37 Cpt’Noks, die ersten auf Cpt seit fünfzig Jahren. Und ununterbrochen kamen neue hinzu. Twoxl war bei ihnen und sah, wie sie sich mit ihren Körpern vertraut machten. Noch verzichtete er darauf, zu ihnen zu sprechen. Noch wußte er nicht, ob er es wirklich verantworten konnte, etwas zu ändern, das offensichtlich von der Natur bestimmt worden war. Sie erkannten ihn nicht als etwas Lebendes und Verwandtes. Die alte Sperre war auch in ihnen. Endlich gelang es Promk, Twoxl dazu zu überreden, doch mit ins Freie zu kommen und wenigstens kurz an der Freude der Feiernden teilzunehmen. Nur um den Jäger nicht zu enttäuschen, willigte Twoxl ein, ließ aber Twoxl1 im Haus zurück, das bald zu klein für die Cpt’Noks wurde. Was zu einem Fest für ihn werden sollte, wurde zur schlimmsten Enttäuschung seines an grausamen Erfahrungen nicht armen Lebens. Er war gerade dabei, den Kalmorern in seinem Überschwang einige Flugkunststückchen vorzuführen, die sie zu wahren Begeisterungsstürmen hinrissen, als ihn Twoxl-1 mit seinem Impuls erreichte. Der Vereinigungsruf war so stark, daß Twoxl Mühe hatte, die Botschaft herauszulesen: Komm schnell zurück! Sie sterben! Einer nach dem anderen von ihnen stirbt!
worden waren, starben auch als erste. Promk sorgte dafür, daß jene anderen, die in den Käfigen immer noch entstanden, gar nicht erst zu Twoxl gebracht wurden. Die Gesänge der Kalmorer waren verstummt. Trauer und Verzweiflung legten sich wie Leichentücher über die Siedlung. Twoxl glaubte zu spüren, wie auch aus ihm das Leben wich. Der Fall war zu tief. Aus den Höhen der Euphorie stürzte er in die Niederungen tiefsten Schmerzes. Promk suchte nach Worten, um ihn zu trösten, fand aber keine. Er machte nicht einmal den Versuch, Twoxl aufzuhalten, als dieser sich vereinte und aus der Siedlung jagte, den Bergen entgegen. Er wußte hinterher nicht, wie er an den Ort gekommen war, an dem sich vorübergehend der Ausläufer der Vergeistigten gebildet, an dem sich seine eigene Geburt vollzogen hatte. Erst als er das flirrende Etwas vor sich sah und gleich darauf in das Licht eintauchte, ahnte er, daß er Ceemers Ruf gefolgt war. Twoxl wehrte sich gegen die Wärme, die der andere ihm gab. Ceemers Gedankenstimme war in ihm: Es gibt für uns Möglichkeiten, euch zu beobachten, Twoxl. Die Cpt’Cpts, zu denen ich nun gehöre, nutzen sie nur nicht. Sie sind handlungsunfähig und dumm geworden. Willst du, daß sich der einzige in seinem Gram selbst zerstört, der sein Volk noch retten kann? Die Vergeistigten schützen euch durch ihren Instinkt – aber kämpfen können sie nicht mehr – oder noch nicht wieder. Laß mich! schrie Twoxl ihm entgegen. Das werde ich nicht tun, Freund. Einmal hast du mich gerettet, jetzt werde ich diese Schuld begleichen. Ich kann nicht lange bleiben, ohne den Kontakt zum Überraum zu verlieren. Doch die Zeit muß reichen, um dich verstehen zu lassen. Ich will nichts mehr verstehen! Du hast geglaubt, durch Zeepkörobs Vernichtung den Bann zu durchbrechen, der auf deiner Welt liegt, Twoxl! Ceemers Stimme war unbarmherzig. In gewisser Hinsicht trifft dies auch zu. Die Lähmung der Cpt’Wons und Cpt’Taks ist aufgehoben. Dieser Einfluß besteht nicht mehr. Für ihn diente Zeepkörob als Verstärker – nicht aber für die Strahlung.
* Was vor fünfzig Jahren Monate und länger gedauert hatte, vollzog sich hier und jetzt bei den noch schwachen Geschöpfen innerhalb von Minuten. Sie sanken auf den Boden, schoben sich auf glitschigen Schleimspuren mit ihren zerbrechlichen Beinen dahin und schrien! Was an Lauten aus ihren Rückenmembranen kam, drückte alles an Qual aus, das in ihnen war. Ihre Fühler sanken schlaff herab, die Knopfaugen erloschen. Ein Cpt’Nok nach dem anderen blieb tot auf der Bauchseite liegen. Kein einziger bildete eine Ausnahme. Die als erste geboren 45
ATLAN 112 – Die Abenteuer der SOL Neugier, ein Funken von Neugier, der sich widerstrebend in der dunklen Leere bildete: Strahlung? Sie raffte die Cpt’Noks, die Cpt’Kuls und die fünfte Form dahin, Twoxl. Diese intelligenten Formen starben nicht aus, weil sich kein Cpt’Tak mehr verwandelte. Etwas tötete sie ab, das nicht von Zeepkörob gesteuert wurde. Es geht von deinem eigentlichen Gegner aus, der heute Anti-Homunk heißt! Es ist die Strahlung aus dem Weltraum, die von den Cpt’Cpts nicht neutralisiert werden kann, sondern allein von dir. Deshalb kannst du leben, während jeder neugeborene Cpt’Nok nach Stunden stirbt. Die Strahlung sollte verhindern, das über die Entwicklungskette weitere Vergeistigte entstehen, die ihre Macht noch ausdehnen und Anti-Homunk noch hinderlicher sein konnten. Wie kann ich immun sein? Weil du Cpt’Carch warst! Du weißt es doch längst! Und jetzt kennst du auch dein Ziel, Twoxl! Erst wenn auch die Quelle der Strahlung ausgeschaltet ist, wird es wieder alle Formen der Cpt’Cpts geben können. Es ist noch nicht zu spät. Warte auf Atlan und deine anderen alten Freunde. Gib die Hoffnung nicht auf, daß sie dich finden, denn zwischen einem von ihnen und dir spannt sich ein geistiges Band. Kehre zu den Kalmorern zurück und hilf ihnen beim Aufbau ihrer Zivilisation. Anti-Homunk weiß von Zeepkörobs Scheitern. Er wird neue Werkzeuge senden, um Cpt zu vernichten – und damit die Cpt’Cpts! Dann mußt du Verbündete haben! Du hast nicht versagt. Deine Verantwortung ist nur größer denn je. Du trägst sie nun auch für die Kalmorer. Die Gedankenstimme wurde schwächer. Twoxl fühlte, wie die Wärme aus ihm wich. Ceemer! Ich muß dich verlassen, Twoxl. Eines Tages, wenn du den Schritt über die fünfte Form vollzogen hast, werden wir vereint sein. Ich kann die Verantwortung nicht allein
tragen! Es ist zuviel für mich allein! Du kannst es! Sieh ein, daß du dich bereits bewährt hast! Auf alle Rückschläge werden Erfolge folgen! Warte auf Atlan, teile ihm dein Wissen mit – und schaltet den wahren Gegner aus. Dann beginnt die Zukunft ... Das flirrende Licht schob sich von Twoxl und glitt wie ein Pfeil in den dunklen Himmel. Twoxl starrte ihm nach, bis es endgültig verschwunden war. Bin ich immer noch eine Marionette? dachte der Cpt’Kul. Eine Figur in einem undurchsichtigen Spiel? Was Ceemer von einem geistigen Band behauptet hatte, verstand er nicht, denn er fühlte keine Verbindung zur SOL. Federspiel, der Zeuge meiner Veränderung war? Sternfeuer? Er sehnte sich nach ihr. Er mußte ihr sagen, wie er auf sie getroffen war. Ceemer konnte nicht gelogen haben, nur um ihm Mut zu machen. Twoxl-7 löste sich und flog im Kreis um die Sechsheit herum. »Worauf wartest du noch!« quäkte es aus seiner Sprechmembran. »Es gibt eine Menge für uns zu tun! Atlan wird eines Tages kommen, wenn wir nur daran glauben! Dann werde ich auf Sternfeuers Schoß sitzen, weil ich der Gewitzteste von euch allen bin – und genauso Cpt’Carchs Vater wie ihr! Nun komm schon, Twoxl-Rest! Ich werde Anti-Homunk genauso besiegen wie Zeepkörob! Was soll Promk denn von uns denken!« Twoxl-7 raste davon. Und ich werde wieder an Bord der SOL sein! dachte Twoxl in neuem Trotz. Sie muß es schaffen, die Gefahr zu besiegen, und ich muß es schaffen! Warte, du vorlauter Siebener! Der Kampf um die Zukunft ging weiter. ENDE
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ATLAN 112 – Die Abenteuer der SOL
Weiter geht es in Band 113 der Abenteuer der SOL mit:
Das intelligente Raumschiff von Peter Terrid
Impressum: © Copyright der Originalausgabe by Pabel-Moewig Verlag KG, Rastatt Chefredaktion: Klaus N. Frick © Copyright der eBook-Ausgabe by readersplanet GmbH, Passau, 2008, eine Lizenzausgabe mit Genehmigung der Pabel-Moewig Verlag KG, Rastatt 47