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Roy Palmer 1.
In der lauen Spätnachmittagsbrise huschte eine blasse Wolke hinter der „Isabella VIII.“ her. Bill, der Schiffsjunge, ging gerade als Ausguck und meldete das Auftauchen der Erscheinung natürlich von seinem Posten im Großmars, sobald er den feinen Nebel durch sein Spektiv über der nördlichen Kimm erkannte. Der Seewolf vernahm die Rufe des Jungen auf dem Achterdeck. Er spähte vom Schanzkleid aus mit dem Fernrohr ebenfalls Steuerbord achteraus und betrachtete die Wolke, die sich im Wind zu kräuseln schien und ständig die Form wechselte. Schließlich sagte er: „Ein merkwürdiges Gebilde ist das, auffallend beweglich und dicht über der Wasseroberfläche — was hältst du davon. Ben?“ Ben Brighton, der erste Offizier und Bootsmann der Galeone, war mit Ferris Tucker, Big Old Shane und den beiden O'Flynns hinter Philip Hasard Killigrew getreten. Zunächst beobachtete auch er das Phänomen, das sich sehr deutlich vor dem tiefblauen, sonst wolkenfreien Himmel abhob. „Vielleicht das erste Anzeichen eines aufziehenden Schlechtwetters“, meinte er dann. „So was soll ich gerade in dieser Gegend sehr schnell entwickeln, habe ich mir sagen lassen.“ „Mal' nicht den Teufel an die Wand“, entgegnete Shane. „Ich schätze eher, es handelt sich um eine Nebelbank. Möglich, daß wir die ganze Nacht über durch die dickste Suppe segeln müssen.“ „Wie bei Bengkalis in der Malakkastraße?“ sagte Ferris Tucker. „Hölle, hoffen wir, daß es hier keine Riffe oder Sandbänke gibt, auf die wir brummen könnten.“ Hasard hatte sich zu ihnen umgedreht und musterte ernst ihre Gesichter. „Wir müssen wirklich auf der Hut sein. Falls die Berechnungen, die ich angestellt habe, stimmen und wir uns auf unsere Karten verlassen können, befinden wir uns in der Nähe eines ziemlich großen, aus vielen kleinen, zersplittert wirkenden Inseln
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bestehenden Archipels. Lieber halte ich rechtzeitig nach einer geschützten Bucht Ausschau, in die wir uns verholen können, als das Risiko einzugehen, irgendwo aufzulaufen.“ Der alte Donegal Daniel O'Flynn schnitt mal wieder eine gallebittere Grimasse. „Wir werden weder das eine noch das andere fertigbringen“, verkündete er. „Und ihr liegt mit eurer Meinung alle schief. Seit gestern hat der elende Monsun. vor dem wir platt wie eine Flunder segeln konnten, von Nordost auf Nord gedreht und ist schwach und schwächer geworden. Ich schwöre euch, der Wind schläft ganz ein, und wir bleiben in einer Kalmenzone liegen, aus der wir nur noch 'rauskommen, wenn wir auf sämtlichen Backen blasen.“ „Auch auf den achteren?“ fragte Shane. Old O'Flynn hob überrascht die Augenbrauen. „Den was?“ „Du hast doch von Backen gesprochen.“ „Dir werden deine blöden Witze noch im Hals steckenbleiben“, murrte der Alte ärgerlich. „Und dir die Unkerei“, sagte Big Old Shane. „Zugegeben, wir laufen zur Zeit nur noch zwei bis drei Knoten Fahrt, was ein müder Törn ist. Aber der Wind kann auch wieder auffrischen, oder? Der Monsun ist unberechenbar.“ Old Donegal grinste geradezu faunisch. „Ja, das ist er. Hey, Ben, das stimmt doch, oder?“ Ben Brighton zuckte nur mit den Schultern und blickte wieder Steuerbord achteraus. Hasard widmete sich der nach wie vor vorhandenen Wolkenerscheinung. Ferris Tucker und Big Old Shane hüllten sich in verdrossenes Schweigen. Der junge O'Flynn, der bislang nichts geäußert hatte, legte seinem Vater die Hand auf den Unterarm und raunte ihm zu: „Dad, hör bloß auf mit der Stichelei, sonst fange ich an, ernsthaft um deine Krücken zu bangen.“ Der Alte blickte ihn so mißbilligend von der Seite an, als bereue er zutiefst, einen solchen Sproß gezeugt zu haben. „Sag mal, auf wessen Seite stehst du eigentlich?“
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„Auf deiner natürlich“, erwiderte Dan lachend. „Wenn Shane deine Krücken über Bord schmeißt, zimmert Ferris dir bestimmt keine neuen. Und dann stehst du ganz schön dumm da.“ Old Donegal sah mit verkniffener Miene zu Tucker und dem graubärtigen Riesen, der einmal der Schmied und Waffenmeister auf Arwenack Castle gewesen war. Und er befand, daß Dans Aussage zutreffen konnte. Deswegen drehte der Alte sich um, humpelte auf seinen Holzkrücken davon und suchte das Quarterdeck auf, um seine Sprüche bei dem Rudergänger Pete Ballie an den Mann zu bringen. Auf der Kuhl der „Isabella“ fand die Wolke zunächst kaum Beachtung. Apathisch saßen und standen die Männer herum, ihre Bewegungen waren träge. Selbst Edwin Carberry saß auf dem vorderen Rand der Kuhlgräting und schaute so niedergeschlagen drein, daß man fürchten mußte, er würde nie wieder einen seiner entsetzlichen Flüche vom Stapel lassen. Sir John, der karmesinrote Aracanga, hockte auf der linken, breiten Profosschulter und ließ den Kopf hängen. Auf diese Weise bezeugte er Solidarität, obwohl er genau wie Arwenack, der Bordaffe, keine Ahnung hatte, was das Gemüt der Crew so sehr beeinflußte. Dumpf war die Stimmung. Schwül und beinah klebrig lastete die Luft auf dem Schiff und schien aufs Herz zu drücken. Dezember 1585 schrieb man, aber die „Isabella“ hatte vor kurzem erst den Äquator passiert, und das Klima war so feucht, warm, stickig, daß der Kutscher mit einem seiner Kombüsenlöffel darin rühren zu können glaubte. Aber das war es nicht, was am Geist und an den Nerven der Seewölfe nagte. Sie hatten schon ganz andere klimatische Bedingungen ertragen und die Tropenhölle in allen Spielarten kennengelernt. Nein, das war es nicht. Es war die Langeweile, die ihnen zusetzte. „Auf Südwestkurs quer durch den Indischen Ozean“, murmelte Profos
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Carberry. „Und seit Ceylon haben wir nichts mehr erlebt. O Mann, wie lange dauert das noch? Kein einziger müder Don, dem man die Jacke vollhauen kann, kein Piratenüberfall, nicht mal ein Wetter, das wir abzureiten haben, nur dieser Scheißtörn, der. keine Ende nimmt. Hölle, Sir John, du kannst Gift darauf nehmen, ich lasse dich mit einer Kanonenkugel an den Beinen von der Rah fallen, wenn nicht bald was passiert. Sieh bloß zu, daß du Land gewinnst, du triefäugiger Geier.“ Sir John, den ja nun wirklich keine Schuld an dieser Misere traf, wandte den Kopf und knabberte zärtlich an Carberrys Ohrläppchen herum. „Deck!“ rief Bill plötzlich aus dem Großmars. „Ich glaube, das ist gar keine richtige Wolke!“ Carberry erhob sich, Sir John flog auf und flatterte krächzend zur Großrah hoch. Die Männer hoben die Köpfe. Der Profos holte tief Luft, dann legte er los: „Himmel, -Arsch und Zwirn, da wird doch der Hering in der Pfanne verrückt! Bill, du Würstchen, du halbe Portion von einem Moses, wann lernst du es endlich, dich deutlich auszudrücken, wie sich das für einen guten Ausguck gehört? Enter ab, damit ich dir deine Hammelbeine langziehen kann, du Kakerlak!“ „Ich kann nicht ...“ „Was?“ brüllte Carberry. „Du wagst es, dich den Anordnungen deines Profos' zu widersetzen? Oh, du Himmelhund, ich setze dich mit dem nackten Hintern ins Kombüsenfeuer, wenn du nicht sofort parierst!“ Der Anflug eines Grinsens stahl sich in die Mienen der Männer auf der Kuhl. Ja, das war er wieder, der Profos, wie er leibte und lebte, ihr tausendmal verfluchter und doch so verehrter Ed Carberry mit der Stentorstimme, die Planken zittern und das Rigg schlottern ließ. Eine Auseinandersetzung bahnte sich an, ein Streit sozusagen zwischen dem Büffel und der Maus, und allein der Dialog von der Kuhl zum Großmars war eine willkommene Abwechslung in dem allzu eintönigen Schiffsalltag.
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„Sir“, stieß Bill verzweifelt aus. „Ich kann doch meinen Posten jetzt nicht verlassen!“ „Gary Andrews“, röhrte Carberry, „'rauf in den Hauptmars mit dir, den Ausguck ablösen!“ „Aye, aye“, sagte Gary - und konnte sich kaum ein Grinsen verkneifen. „Ed“, sagte Smoky, der Decksälteste, der sich bei Carberry schon mal ein Wörtchen erlauben konnte. „Ich halte es für einen Fehler, Bill zu maßregeln. Er will sich nur keine Pflichtverletzung und grobe Fahrlässigkeit zuschulden kommen lassen ...“ „Da!“ schrie Bill. „Sie rückt näher!“ Carberrys Stirn hatte sich in düstere Falten gelegt, seine Miene verkündete Unheil. „Wer rückt näher?“ stieß er grollend hervor. „Die Wolke oder was?“ Zu weiteren, Fragen oder Erörterungen blieb keine Zeit, denn die schwache Brise hatte die Erscheinung geradezu unheimlich schnell herangetragen, und aus dem „Gebilde“ hatten sich. längliche Teilchen hervorkristallisiert, schwarz, klein, in etwa an Reiskörner erinnernd. Ein Sirren erfüllte die Luft. Old O'Flynn hatte das Ruderhaus auf dem Quarterdeck verlassen. Er beugte sich übers Steuerbordschanzkleid, sah, was sich da näherte, prallte zurück und bekreuzigte sich. „Heiliger Strohsack“, stieß er aus. „Ich hab's ja gesagt, wir kriegen noch Verdruß, das ist die Rache des Wassermanns - ich hab's ja immer gesagt.“ Pete Ballie hatte den Kopf gedreht und gewahrte in diesem. Augenblick, wie das Phänomen dunkel und drohend hinter dem Heck der „Isabella“ aufstieg. Das Sirren .verdichtete sich zu einem Zischen, und Pete kriegte gerade noch einen würgenden Laut heraus. Zweieinhalb Yards oberhalb des achteren Fensters des Ruderhauses war Big Old Shane an der Querbalustrade herumgefahren. „Ein Sandsturm“, sagte er im ersten Entsetzen. Ein Sandsturm - auf See?
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Eine Wasserhose wäre wahrscheinlicher gewesen, aber die alarmierte Besatzung der „Isabella“ erkannte trotz ihrer Betroffenheit, daß es sich um alles andere als das handelte. Die Erscheinung war „trocken“, schien in der Luft zu knistern wie Elmsfeuer bei gewittriger Atmosphäre an Toppen und Nocken eines Segelschiffes - und jetzt hatte sie die „Isabella“ fast ganz ereilt. Da war Leben in der Luft, quirlige, raschelnde, beängstigende Aktivität, und in einer reflexartigen Reaktion duckten sich die Männer, griffen Shane, Ferris Tucker, Pete Ballie, Carberry und einige andere zu den Waffen. Das Verhängnis tanzte über der See, ganz nah der Heckgalerie der Galeone, und es schien nichts zu geben, dass das Schicksal von der „Isabella“ fernhielt, wie immer dies auch ausfallen mochte. „Hölle und Teufel!“ rief Ben Brighton. „Was, in aller Welt, ist das bloß, Hasard?“ Der Seewolf erwiderte nichts. Er hatte sich an Deck gekauert und sich Shanes Bogen sowie den Köcher mit den Pfeilen genommen, die ganz in seiner Nähe vor dem Schanzkleid gelegen hatten. Ehe der graubärtige Riese oder sonst jemand an Bord zu einer ähnlichen Reaktion gelangen konnte, hatte Hasard mit Feuerstein und Feuerstahl Funken entfacht, die auf den ölgetränkten Lappen an. der Spitze eines Pfeiles übersprangen. Eine Flamme züngelte auf. Hasard hob den Brandpfeil, legte ihn in den Bogen und spannte die Sehne. Er wußte selbst nicht genau, was er sich davon versprach, wenn der Gluthauch durch die unselige Erscheinung fuhr, aber er wollte es wenigstens versuchen sie mit Feuer zu teilen. Dann geschah etwas Unerwartetes. Die Wolke zerfiel ohne das Zutun des Seewolfs. Unzählige schwirrende Körper stürzten knapp 'hinter dem Heck der Galeone der See entgegen, nur ein geringer Teil schwang sich in taumelndem Flug über das Schanzkleid des Achterdecks weg und torkelte quer über Deck.
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Hasard hielt den Pfeil immer noch an der gespannten Bogensehne fest. Er riß die Waffe hoch, und über seinem Kopf tauchte eins der Tiere in die Flamme. Sir John, der Aracanga, ließ sich von der Großrah fallen. Im Sturzflug erhaschte er mit geöffnetem Schnabel eins der Flattertiere, raste flach über die Quarterdecksplanken weg, zog wieder hoch und hielt in einer Schleife fliegend nach weiteren Opfern Ausschau. Arwenack, der Schimpanse, hockte neben dem fassungslosen Bill im Großmars und hielt sich mit beiden Vorderpfoten die Augen zu. Er stieß einen klagenden, fast heulenden Laut aus. Auf der Kuhl hatten die Männer nach Handspaken und Belegnägeln gegriffen und hieben damit nach den heranzischenden Kreaturen, ja, der Kutscher war sogar mit einem Schwabberdweil aus der Kombüse aufgetaucht und hieb wild um sich. Unglücklicherweise traf er bei einem kühnen Rechtsschwenker Matt Davies' Gesicht. Matt kippte hintenüber, setzte sich auf die Planken und spuckte und fluchte, weil er den Schwabber zwischen die Zähne gekriegt hatte. Der einzige, der sich überhaupt nicht rührte, war Batuti. Der schwarze Herkules aus Gambia stand mit abgespreizten Beinen da, war bleich unter seiner dunklen Haut geworden und stammelte Unverständliches. Auf dem Achterdeck hatte Hasard voll Widerwillen gespürt, wie das angesengte Tier auf seinen Kopf gefallen und von dort aus auf Seine Schulter gerutscht war. Hasard ließ den Brandpfeil von der Sehne schwingen, schleuderte den Bogen von sich und schnippte sich das Opfer seiner Aktion mit einer raschen Fingerbewegung von der Schulter. Er stand auf und lief zum Achterschanzkleid. Der Brandpfeil tauchte in die See. Ganz oben auf dem leicht erhöhten Teil des Achterdecks standen Shane, Ferris, Ben und der junge O'Flynn. Sie hatten sich
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weit über die Reling gelehnt und blickten in die Tiefe. Hasard hastete auf sie zu. Als sie beiseite rückten, konnte auch er in das Kielwasser der „Isabella“ sehen. Dort unten hatte sich der Schwarm, einem Teppich gleich, auf die sanften Wellen gelegt, und letzte zappelnde, zuckende Bewegungen der Tiere erstarben in diesem Moment. Das unheilvolle Phänomen blieb achteraus zurück. Hasard drehte sich um, lief über die Backbordniedergänge auf die Kuhl hinunter und hob hier eins der Tiere auf. Sir John war auf den Planken gelandet und schickte sich an, die Unglückswürmer einzeln aufzupicken, aber der Profos packte den Vogel am Hals, zog ihn zu sich hoch und steckte ihn sich mit einem Fluch unter das Wams. Ben Brighton war auch heran und musterte über Hasards Schulter das gelb und schwarz gemusterte Tier in den Fingern seines Kapitäns — zweifellos ein Insekt mit ausgeprägten Flügeln und Fühlern, einem gepanzerten Kopf und großen Augen. „Was ist das?“ fragte der Seewolf. Demonstrativ hielt er den kleinen Kadaver hoch. „Ganz einfach, ein Grashüpfer!“ rief Dan O'Flynn vom Niedergang. „Und deswegen haben wir soviel Wind gemacht.“ Hasard schüttelte den Kopf. „Batuti, du müßtest es wissen.“ „Zahn des Windes“, stieß der Mann aus Gambia hervor. „Was?“ sagte Carberry. „Fängst du jetzt auch an, zusammenhanglos herumzuquatschen? Seid ihr alle krank geworden? Herhören - ich sperre jeden von euch Pökelheringen für jeweils zwölf Stunden in die Vorpiek, wenn es auch nur noch einer wagt, irgendwas von sich zu geben, was nicht Hand und Fuß hat. Ja, seid ihr denn von allen guten Geistern verlassen?“ „Zähne des Windes“, sagte der Seewolf. „So nennen die Eingeborenen Afrikas diese Tierchen, Ed. Als Geißel Allahs pflegen die Araber sie zu bezeichnen.“
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Carberry schwieg, trat näher und beugte sich mit zerknirschter Miene über das Wesen in Hasards Hand. „Und wie sagen wir zu so was?“ „Wüstenheuschrecke, Ed.“ „Danke, Sir. Wie haben sich diese Viecher — diese Heuschrecken — bis zu uns verirren können?“ „Das kann ich dir im Moment auch nicht sagen.“ Der Kutscher hatte sich an dem offensichtlich völlig verwirrten GambiaNeger vorbeigeschoben und nahm die Heuschrecke nun ebenfalls in Augenschein. „Ich habe mal gehört, daß man die Tiere in siedendem Öl backen kann“, sagte er. „Sie sollen dann so gut wie Krabben schmecken.“ „Wo hast du das gehört, Kutscher?“ fragte Carberry drohend. „Ich kann mich nicht genau entsinnen ...“ „Etwa im Reich der Mitte, wo sie Schlangen, Würmer, Nester, faule Eier und Hunde fressen?“ Bevor der Kutscher hierauf etwas entgegnen konnte, sagte der Seewolf: „Warum denn nicht'? Kutscher, sammle die Heuschrecken ein und versuche dein Glück. Vielleicht stellen sie eine willkommene Abwechslung in unserer Bordküche dar.“ Er wollte noch etwas hinzufügen, aber in diesem Augenblick rollte ein dumpfes Geräusch über See, das keiner weiteren Erläuterung bedurfte. Die Männer der „Isabella“ kannten es nur zu gut. Kanonendonner. 2. Behäbig hob und senkte sich der klobige Rumpf des einmastigen Schiffes in der Dünung vor dem Inselufer. Die mit MinjarGrasmatten gedeckte Hütte, der offene Lehmherd am Bug und der leicht zum Vorsteven geneigte Mast wiesen den Segler unverkennbar als Baggala aus, als die omanische Form der Dhau. Der schwere Stockanker war an seiner Trosse ausgerutscht, das Beiboot war
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ausgebracht und bemannt worden. Kapitän Abdrahman hatte selbst die Heckducht des Bootes eingenommen, um mit sechs abenteuerlichen Gestalten seiner Besatzung auf dem Eiland zu landen. In der Spätnachmittagssonne nahm sich die Insel mit ihren weiten Sandstränden, ihren Palmenwipfeln und Mangroven wie der Inbegriff des Paradieses aus, aber Abdrahman und seine Begleiter hatten sehr schnell feststellen müssen, daß es eher die Umkehrung dessen war -zumindest für Sie hatten das Ufer fast erreicht und warteten schon darauf, daß sich der Bootsbug knirschend auf den Sandstrand schob, da brachen sie aus dem Gebüsch zwischen den Palmenund Mangrovenstämmen hervor: gut zwei Dutzend schwarzer Gestalten, nackt bis auf Lendengurte, mit Messern, Speeren, Pfeil und Bogen sowie einfachen, bemalten Schilden bewaffnet. Sie stimmten kein Geschrei an, schwärmten nur aus und hasteten in strategischer Formation auf das Boot zu. Es war eine fast gespenstische Szene in der nahenden Dämmerung. Abdrahman erhob sich von der Heckducht. Ein wallender weinroter Kaftan umhüllte seine hagere Gestalt, er hob beide Hände und sah wie ein Prediger aus. „Salam alai!“ rief er. „Friede sei mit euch! Wir sind gekommen, um mit euch zu verhandeln, nicht, um mit euch zu kämpfen. Allah akbar, Allah ist mächtig, Allah ist stark, er bestimmt unser Schicksal.“ Da er nicht sicher war, ob sie ihn verstanden, führte er die Handflächen vor der Brust zusammen und beugte sein Haupt in Demut und zum Zeichen der Friedfertigkeit. Aber in den Gesichtern der wilden Inselbewohner zeigte sich keine Regung, die auf ein Begreifen hindeutete. Vielmehr waren diese Mienen von bedenklicher Starre, und während die muskulösen Gestalten auf dem leicht schimmernden Strand verharrten, hoben sich die Arme mit den Waffen. „Wartet“, sagte Abdrahman zu seinen Rudergasten. „Ich steige aus und gehe zu
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ihnen. Sie werden es als Beweis unserer Harmlosigkeit werten, Inschallah, so hoffe ich jedenfalls.“ „Wartet“, erwiderte einer der bunt gekleideten, turbantragenden Männer. „Das ist zu gefährlich. Diese Kerle sind unberechenbar. Es macht ihnen nichts aus, einen Wehrlosen niederzustrecken.“ „Was für ein Narr du bist“, sagte Abdrahman abfällig. „Du begreifst nicht, daß auch diese simplen Menschen die gleichen Regungen verspüren wie wir, Furcht, Kummer und Hoffnung kennen und an eine überirdische Gerechtigkeit wie die Allahs glauben. Ich will mit ihnen sprechen und hören, ob sie etwas über Sajids Verbleib wissen.“ „Vielleicht haben sie ihn auf dem Gewissen“, sagte leise ein anderer Mann, während er unter dem Kaftan nach dem Krummsäbel tastete. „Schweigt“, sagte Abdrahman. Er setzte einen Fuß aus dem Boot und tauchte mit diesem in das Flachwasser nahe des Ufers, wodurch das Boot ein wenig ins Schwanken geriet. Im selben Augenblick flog der erste Speer. Einer der Schwarzen, ein hünenhafter Bursche, hatte ihn geschleudert. Er stieß einen Schrei aus, der wie ein Warnlaut klang. Dicht vor dem Bootsbug stach der Speer ins Wasser und blieb vertikal im Grund stecken, so daß der Schaft wie eine Mahnung aus dem Naß aufragte. „Hört auf“, stieß der Kapitän der Dhau beschwörend hervor. Er zog das zweite Bein aus dem Boot, stand nun im Wasser und gestikulierte. „Das kann doch nicht euer Ernst sein! Wir werden euch Geschenke übergeben, wunderbare Geschenke, wie ihr sie noch nie zuvor gesehen habt, wenn ihr mich nur aufnehmt und auf meine Fragen antwortet!“ Die wilden Männer standen in haßvollem Schweigen und senkten nicht ihre Waffen. „Kehrt in das Boot zurück“, drängte ein dritter Mann der kleinen Besatzung den Kapitän. „Ihr richtet auf diese Weise ja doch nichts aus, Abdrahman.“ Abdrahman tat stattdessen noch einen watenden Schritt voran. An Mut mangelte
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es ihm nicht. Er war bereit, kühn bis vor die Barriere feindseliger Gestalten zu treten, und hoffte, die schwarzen Männer dadurch zu beeindrucken. Aber wieder schickten die Bewohner der Insel eine tödliche Botschaft zu dem Boot herüber. Ein Pfeil schwirrte drüben von einer Bogensehne ab, beschrieb einen flachen Bogen durch die Luft und hätte Abdrahman zweifellos getroffen, wenn dieser nicht gedankenschnell ausgewichen wäre. Abdrahmans Miene verfinsterte sich. „Elende Hunde“, stieß er aus. „Verfluchte Giaur, wie könnt ihr mich derart beleidigen? Ich werde euch zeigen, welches die Sprache des Propheten ist, wenn er Zorn verspürt ...“ Die Männer im Boot schrien auf und stießen Flüche aus, denn jetzt rückten die Eingeborenen in geschlossener Front vor und sandten einen Hagel von Pfeilen herüber. Abdrahman kletterte in das Boot zurück. Er hatte seine Steinschloßpistole gezückt, spannte jetzt den Hahn und legte auf die Eingeborenen an. Während vier seiner Männer durch heftiges Pullen trachteten, das Boot in tieferes Wasser zu bugsieren und zu wenden, Distanz zwischen sich und die Wilden zu legen, zückten die beiden anderen ebenfalls ihre Schußwaffen und zielten auf die Horde an Land. Einem dieser beiden steckte ein Pfeil plötzlich bis zum Schaft im Hals. Er röchelte, knickte in den Knien ein, sank nach hinten auf die Duchten zurück und feuerte doch noch seine Pistole ab. Donnernd brach der Schuß, er fuhr in den rötlich-düsteren Himmel hinauf und strich hoch über die Köpfe der heulenden Eingeborenen weg. Abdrahman schoß, dann drückte auch der andere Schütze ab. Zwei Kugeln rasten auf die Wilden zu, die eine grub sich dem Hünen in die Schulter, der den Speer geschleudert hatte, und dies hatte zumindest zur Folge, daß die schwarzen Kerle stockten. Die Araber pullten, so schnell sie konnten. Abdrahman ließ sich von den vier
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Rudergasten die Pistolen aushändigen und reichte zwei davon an den anderen Schützen weiter. Zwei Waffen hob er selbst, spannte mit dem linken und dem rechten Daumen die Hähne und betätigte die Abzüge. Funken sprühten, die Ladungen zündeten, die Pistolen bäumten sich in Abdrahmans Fäusten und denen seines Mitstreiters auf, Mündungsblitze zuckten zum Ufer. Ungeachtet des Pfeil-, Speer- und Messerhagels, der nun wieder einsetzte, verwendeten die Männer der Baggala, die „Daira“ hieß, ihr kleines Arsenal und hielten die Eingeborenen auf diese Weise von dem Boot fern. Abdrahman war durch ein Messer am Arm verletzt. Er ließ sich auf der Heckducht nieder, krümmte sich ein wenig und kämpfte gegen die Schmerzen an. Er sah zu dem Mann, der den Pfeil im Hals stecken hatte. Für diesen armen Teufel erfolgte jede Hilfe zu spät. Seine Augen waren gebrochen, er lag unnatürlich verkrümmt und reglos. Abdrahman konnte sich eines eisigen Schauers auf seinem Rücken nicht erwehren. Die Männer hatten das Boot herumgebracht, pullten im Schweiß ihres Angesichts, und einer von ihnen rief: „Herr, seht doch, sie folgen uns!“ Abdrahman drehte sich halb um und spähte zur Insel zurück. Eine Verwünschung löste sich von seinen Lippen. Da schwamm ihnen ein Teil der Krieger doch tatsächlich mit dem Messer zwischen den Zähnen nach, und die restlichen Kerle waren zur Böschung oberhalb des Strandes zurückgelaufen, hatten schmale Auslegerboote aus dem Dickicht gezerrt und trugen sie jetzt zum Wasser. Abdrahman fühlte, wie ihm das Blut heiß bis in die Schläfen hinauf pulsierte. „Rasch“, sagte er zu seinen Männern. „Zur ,Daira'! Wir müssen an Bord zurück, sonst können Jussuf und die anderen nicht die Kanonen bedienen. Rasch!“ Schreie hallten von Bord der Baggala herüber. Jussuf, der die Funktion eines Steuermanns, Bootsmanns und der rechten Hand des Kapitäns auf dem Segler
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innehatte, feuerte die Landsleute an, verwünschte die angriffslustigen Wilden bis in alle Ewigkeit und brannte darauf, drei der sechs Bronzekanonen zum Einsatz zu bringen, die längst klar zum Gefecht standen. Die restlichen zehn Mann der arabischen Bahari, der bunt zusammengewürfelten Mannschaft, standen in einer Reihe auf Oberdeck und hievten mit rhythmischem „Ai-am-less, Ai-am-less“ den Stockanker vom Grund der natürlichen Reede vor der Insel .hoch. Die Wilden hatten ihre Auslegerboote zu Wasser gebracht, sprangen hinein und tauchten ihre Stechpaddel ins Wasser. Sehr schnell hatten sie die Schwimmer eingeholt. nahmen einige von ihnen auf und jagten mit erschreckendem Tempo dem Boot der Araber nach. Abdrahman hob die linke Hand und wies nach Backbord. „Wir runden das Heck der ,Daira'„, sagte er mit heiserer Stimme. „Wir gehen an Backbord längsseits, sonst gelingt es Jussuf nie und nimmer, die Kanonen zu zünden.“ Er drückte mit der rechten Hand die Ruderpinne herum. Das Boot richtete seinen Vorsteven auf das Heck der Dhau, dann links daneben und glitt in das Kielwasser des einmastigen Schiffes. Die Baharis setzten nun das spitze Dreieckssegel der Dhau, indem sie die einzige Rah am Mast hochhievten und dabei ihr kehliges „Musurekja-Mohamed“ ausstießen. Mit dem fächelnden, lauen Wind nahm das Schiff allmählich Fahrt auf und erhielt auch eine ruhigere Lage im Wasser, was für das Abfeuern der Steuerbordkanonen von Bedeutung war. Das Beiboot befand sich unter dem Heckspiegel der Dhau, schwenkte wieder herum und hatte Mühe, in der Geschwindigkeit mitzuhalten. Auf der Baggala stürzten die Baharis an die Geschütze, schürten Kohlefeuer an, brachten Lunten zum Glimmen und senkten sie auf die Bodenstücke der klotzigen bronzenen Kanonen.
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Ein dreifacher Donnerhall zerriß die Luft der so idyllisch anmutenden Insel. Es zuckte schmutziggelb vor den Mündungen der Geschütze, und dann stoben die Kugeln — beachtlich gut gezielt — zwischen die Auslegerboote der Eingeborenen. Ein Boot kippte um und entleerte seine schreiende Besatzung ins klare Seewasser. Ein anderes Gefährt würde zerrissen, Trümmer wirbelten fast bis zum Strand zurück, und mitten zwischen den Überresten schlugen blutende Gestalten ins Wasser. Die übrigen Auslegerboote fielen zurück — nur eins saß Abdrahman und seinen Männern noch im Nakken. Unter den gellenden Rufen der Baharis pullten die sechs Araber auf die Backbordseite der Dhau zu, klammerten sich an rasch ausgebrachte Taue, hangelten an der Bordwand hoch und ließen das Boot mit dem Toten im Stich. Von fanatischem, blindem Eifer getrieben, paddelten die schwarzen Krieger in dem Auslegerboot weiter und holten die langsame Dhau mühelos ein. Abdrahman stand vor der Hütte neben Jussuf und übernahm selbst den Kolderstock, aber es hatte keinen Sinn, niemals konnte der Kapitän in einer derart schwachen Brise eine Halse fahren, die das Boot der Feinde vor die Mündungen seiner Backbordgeschütze brachte. „Musketenfeuer!“ schrie Abdrahman. Sofort stellten sich sechs Baharis mit vier altertümlich aussehenden Musketen und zwei noch vorsintflutlicher wirkenden Arkebusen an das Backbordschanzkleid. Sie legten die Waffenschäfte auf Gabelstöcke, zielten auf die herangleitenden Verteidiger der Insel und drückten ab. Die Luntenschlosse der Arkebusen brauchten etwas länger, um betätigt zu werden, dann, endlich, krachten auch sie. Drei Wilde brachen getroffen in dem Auslegerboot zusammen, ehe sie ihre Speere schleudern oder ihre Bogen einsetzen konnten. Einer kippte aus dem Boot, die beiden anderen stürzten zwischen ihre Kameraden. Diese Burschen hielten es
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jetzt für richtiger, die Jagd abzubrechen. Sie fielen zurück, wendeten das Boot und paddelten an Land zurück. Voller Haß ließen sie ihre Pfeile, Messer und Speere auf das zurückgebliebene Beiboot das Dhau prasseln. Abdrahman blickte von dem Platz hinter der Hütte seines Schiffes zu dem Boot zurück. Er sah, wie es „auf den Wellen dümpelte, wie die Eingeborenen auf dem Strand landeten und ihre Toten und Verwundeten bargen. Sie stimmten ein Wehklagen an, das dem sonst so hartgesottenen Araber wieder einen kalten Schauer über den Rücken jagte. Abdrahman blickte nach vorn und stellte fest, daß das Lateinersegel seiner Baggala immer schlaffer wurde. In seinem vokalreichen, schnellen Farsi, dem Dialekt der Landschaft um Schiras, sagte er zu Jussuf: „Jetzt schläft der Wind endgültig ein. Wir kommen nicht mehr voran. Bei Allah, wir sind dazu verdammt, vor dieser verfluchten Insel liegenzubleiben. Wir können uns nicht einmal unser Beiboot zurückholen. Die Schwarzen werden es bewachen -und sie werden mit allen Mitteln trachten, unsere ,Daira' zu entern und uns' alle niederzumetzeln. Wie lange reicht unsere Munition, wie lange können wir uns halten?“ Jussuf schwieg bestürzt, er wußte keine Antwort darauf. 3. Nach dem mehrfachen Krachen, das noch dünn zu der „Isabella“ gedrungen war, meinte der Seewolf: „Das war jetzt Musketenfeuer. Es kommt von Süden. Der Wind ist nicht mehr stark genug, die Laute fortzutragen.“ „Wer das wohl ist, der da in die Gegend ballert“, fragte sich der Profos. „Dons vielleicht?“ „Oder Piraten“, erwiderte der junge Dan O'Flynn, der hinzugetreten war. „Es ist denkbar, daß jemand unsere Hilfe braucht“, sagte Hasard. Er drehte sich zum Ruderhaus um. „Pete, sofort abfallen und
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Kurs nach Süden nehmen - Himmel, Mister Ballie, das ist ein Befehl! Rühr dich gefälligst, du stehst ja da, als sei dir ein Schlag in die Knochen gefahren!“ Pete fuhr zusammen, lief rot im Gesicht an, zeigte klar und rief: „Aye, Sir!“ Das Ruderrad der Galeone drehte sich unter seinen schwieligen Fäusten, mit dem letzten Windhauch drehte das große Schiff mit dem Bug nach Süden und lief noch eine kurze Strecke auf dem neuen Kurs. Pete erlangte seine Fassung nur schwer wieder. Er begriff immer noch nicht ganz, auf was das jähe Auftauchen der gelbschwarzen Wüstenheuschrecken zurückzuführen war, und schon gar nicht, auf welche Weise dieses Ereignis mit den Schußgeräuschen zusammenhängen mochte, die sie soeben vernommen hatten. Der Kutscher hatte sämtliche toten Heuschrecken eingesammelt und war mit dieser Beute in seinem Allerheiligsten, der Kombüse im Vordeck, verschwunden. Was immer es mit dem Gefechtslärm von Süden auf sich hatte, das Abendessen an Bord der „Isabella“ wollte zubereitet werden, und der Kutscher gedachte es tatsächlich durch geröstete Insekten anzureichern. Old O'Flynn blickte zum Rigg hoch, das jetzt so lasch wie eine Ladung Säcke hing. Mit listigem, rechthaberischem Mienenspiel wandte er sich den vom Achterdeck eingetroffenen Ferris Tucker und 'Big Old Shane zu. „Na“, sagte er. „Habe ich recht? Wir stecken mittendrin in der Flaute, und ich schätze, daß wir einige Zeit brauchen, bis wir aus dieser Kalmenzone wieder 'rauskommen.“ Shane blieb stehen und stemmte die Fäuste in die Hüften. „Paß lieber auf, daß du eines Tages nicht an deinen Sprüchen erstickst, Donegal. Das ist für dich viel wichtiger als die ganze Wetterlage.“ Der alte O'Flynn schwieg wieder, dachte sich aber sein Teil. Er blickte zu Bill, dem Schiffsjungen, hinüber. Bill war aus dem Großmars abgeentert. Gary Andrews hatte inzwischen den luftigen Posten eingenommen. Carberry hielt Bill eine Standpauke und klärte ihn darüber auf, wie
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man sich als Ausguck gefälligst auszudrücken habe — klar und deutlich. „Sir“, beteuerte Bill. „Ich habe nicht gewußt, daß die Wolke aus Heuschrecken 'besteht. Ich weiß kaum, wie so ein Tier aussieht, und daß die Biester übers Meer fliegen, war mir erst nicht bekannt, also nein, wirklich nicht.“ Carberry schnaubte empört. „Auch noch frech werden, das haben wir gern ...“ „Ed“, sagte der Seewolf. „Laß den Jungen in Ruhe. Erklär mir lieber. was du von diesem Kampflärm hältst.“ „Er ist verstummt, Sir“, sagte der Profos lahm. Er strengte seinen Geist an, um konkrete Auskünfte zu geben — klar und deutlich. „Mir scheint, da ist bereits alles gelaufen.“ „Und was, Ed, wenn man fragen darf?“ „Ganz einfach, Dons oder Piraten haben mal wieder eine Insel überfallen und geraubt und gebrandschatzt.“ „So ...“ „Das ist wirklich die plausibelste Erklärung“, stand nun Ben Brighton dem Profos bei. Carberry war froh über diese Schützenhilfe, ihm wurde bereits ganz mulmig zumute. „Gerade in dieser Ecke der Welt versuchen die Spanier und Portugiesen doch mehr und mehr, ihr Reich auszubauen und ihre Macht zu festigen“, fuhr Ben fort. „Da erscheint es mir logisch, an so etwas zu denken. Oder aber die Dons haben ein Piratenschiff aufgebracht. Daß aber die Eingeborenen der Inseln sich untereinander mit Feuerwaffen bekriegen, scheint mir ausgeschlossen zu sein.“ „Selbstverständlich“, erwiderte Hasard. „Und doch bin ich nicht sicher, ob eine dieser Theorien zutrifft. Auf jeden Fall werden wir versuchen, irgendwie nach dem Rechten zu sehen. Nehmen wir mal an, es ist tatsächlich eine Insel überfallen und ein Stamm Eingeborener massakriert worden — was gibt es denn dort zu holen?“ „Gold und Diamanten vielleicht“, erklärte Ferris Tucker. Old O'Flynn winkte ab. „Das glaubst du doch selber nicht. Bislang habe ich nur
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davon gehört, daß es diese Schätze außer in der Neuen Welt im Süden Afrikas gibt.“ „Dann geht es um Sklaven“, sagte Smoky. „Ich nehme an, die Bevölkerung der Inselwelt ist schwarz, wir sind Afrika ja ziemlich nahe. Hier holen die Dons und skrupellose Menschenhändler aus aller Herren Länder die Arbeitskräfte, die in der Neu-, en Welt so dringend benötigt werden.“ Hasard blickte aus schmalen Augen voraus. „Was immer dort vorgefallen ist, wir werden es herausfinden“, sagte er. „Ich kann das nicht ignorieren.“ Er sah in die .Takelage der „Isabella“ hinauf, aber dort oben gab es nichts, was Anlaß zu Hoffnungen gab. „Warten wir ab“, meinte er. „Wenn wir eine gehörige Portion Glück haben, brist es bald wieder auf. Wenn nicht, müssen wir eben in den sauren Apfel beißen und die Boote abfieren.“ Die Männer sahen sich untereinander an. Was das hieß, wußten sie alle. Pullen. pullen und nochmals pullen — fiel die Vorschubkraft des Windes aus, mußte die „Isabella“ von ihren Booten in Schlepp genommen werden, denn ewig konnte sie nicht in den Kalmen liegenbleiben. Hasard schritt über die Kuhl auf das Vordeck zu. Er wollte sich beim Kutscher erkundigen, wie es um den Proviant und das Trinkwasser bestellt war. Dunkelheit löste das diffuse Dämmerlicht ab, ein unsichtbarer bleierner Mantel schien sich auf das Schiff zu senken, und die Schwüle ließ nicht nach. Durch das offene Kombüsenschott war das Flackern des Herdfeuers zu sehen. Hasard trat in das Schott, lehnte sich gegen den Rahmen und sah zum Kutscher. Der Kutscher hatte tatsächlich einen kleinen Kessel mit Öl gefüllt, zum Sieden gebracht und fritierte nun die Heuschrecken darin. Batuti und Matt Davies, der sich von dem Hieb mit dem Schwabberdweil erholt hatte und dem Kutscher nichts nachtrug, leisteten dem Koch Gesellschaft. Der Mann aus Gambia nahm seinen Blick nicht von dem, was in dem dampfenden Öl des Kessels schwamm. Wut und Ehrfurcht
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schienen sich in dem Ausdruck seiner Augen abzuwechseln. „Dieser Schwarm“, sagte der Seewolf. „Das war nur eine kleine Vorhut der eigentlichen Schar, nicht wahr, Batuti?“ „Ja, Sir.“ „Es werden Milliarden sein, nicht wahr?“ „Milliarden?“ „Viele, viele Tausende, Batuti.“ Der schwarze Goliath nickte heftig. „Aye, Sir. Eine dicke Wolke, ganz düster, viel, viel dicker als heute nachmittag, jawohl. Batuti keine Angst hat vor Dons, vor Piraten, vor Sturm und vorm Absaufen. Aber davor — vor Zähnen des Windes.“ „Das kann ich nicht glauben“, sagte Matt Davies. „Woher kommen diese Tiere, und was richten sie an?“ „Vielleicht erheben sie sich von den Inseln“, erwiderte der Seewolf. „Genaues ist darüber nicht bekannt. Das eine steht fest, sie fallen über fruchtbare Landschaften her und fressen in ihrer unersättlichen Gier alles kahl. In Minutenschnelle. In den langen Gesprächen, die ich mit Sun Lo, dem Mönch von Formosa, geführt habe, erwähnte der alte Mann auch diese Plage, die in Indien und bis nach China hinauf bekannt ist.“ „Heuschrecken-Schwärme waren schon immer der Ausdruck göttlichen Zorns“, sagte der Kutscher ernst. „Gott strafte Ägypten mit zehn Plagen, um den Pharao zu veranlassen, das Volk Israel aus seinem Land ziehen zu lassen.“ „Donnerwetter, du weißt aber Bescheid“, sagte Matt Davies. „Ich hatte keine Ahnung, daß du die Bibel so aufmerksam gelesen hast. Bordkaplan hättest du werden sollen.“ „Plage Nummer acht waren die Heuschrecken“, fuhr der Kutscher unbeirrt fort. „Die Geißel Gottes.“ „Aber man kann sie bekämpfen“, wandte Matt ein. „Mit Belegnägeln, Handspaken, Schwabbern, Klatschen und Patschen, mit Feuer.“ „Wenn sie zu Milliarden kommen, nutzt auch das nichts mehr“, entgegnete der Seewolf. „Da steht der Mensch machtlos
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da. Ganze Ernten werden durch die Wüstenheuschrecken vernichtet, Menschen verhungern, weil die Plage über sie und ihre Länder hergefallen ist.“ Matt Davies musterte seinen Kapitän überrascht. „Herrgott, Sir, das hört sich ja an, als ob du diese Viecher ernst nimmst.“ „Das tue ich auch.“ „Heute nachmittag ist der Großteil elendig krepiert - in der See ...“ „Jungtiere“, sagte der Kutscher. „Ich habe ganz deutlich gesehen, daß ihre Flügel noch gar nicht richtig ausgebildet sind. Sie sind von ihrer Brutstätte aus losgeflogen, wie ich vermute, von einer Insel aus. Dann haben sie sich verzettelt und mußten aufs Wasser. Die ‚Isabella' haben sie alle nicht mehr erreicht, und im Wasser gehen sie erbärmlich zugrunde. Sie ertrinken.“ „Man muß sie ausrotten“, sagte Matt Davies. „Essen wir“, stieß Batuti hervor. „Essen wir alle, damit Wind keine Zähne mehr hat.“ Der Kutscher schöpfte die gerösteten Tiere mit einer Kelle aus dem Kessel und praktizierte sie auf einen Tonteller. Batuti streckte die Finger nach einer Heuschrecke aus, zog sie aber rasch wieder zurück, weil sie brühheiß war. Hasard lächelte. „Was wir tun, nimmt sich gegenüber den Massen, aus denen die gefürchteten Schwärme bestehen, geradezu lächerlich aus. Aber es scheint von alters her das einzige Mittel zu sein, mit dem die Menschen der Insekten Herr zu werden hoffen.“ „Ob sie wirklich wie Krabben schmecken?“ fragte Matt. „Probier doch mal“, forderte der Kutscher ihn auf. Matt schnitt eine Grimasse. „Das überlasse ich lieber Batuti. Bei dem zu Hause scheinen die Hüpfer ja nichts Unbekanntes zu sein, vielleicht gelten sie da sogar als ausgesprochener Schmackhappen.“ Batuti grinste breit,- äußerte sich aber nicht weiter zu dieser Bemerkung, sondern half dem Kutscher, die Hauptbestandteile des Seewölfe-Abendessens aus der Kombüse auf Oberdeck zu hieven — einen großen
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Kupferkessel mit einem Eintopf aus Gemüse und Fleisch darin. Matt Davies durfte derweil den Tonteller mit den schätzungsweise fünfundzwanzig, dreißig Heuschrecken halten, aber er schien über diese Aufgabe nicht sehr glücklich zu sein. Den Teller weit genug von sich haltend, stieg er dem Kutscher, Batuti und dem Seewolf nach. An Oberdeck wurde der schwere Kessel auf ein Holzgestell gesetzt, und die Männer traten in einer langen Reihe an, um mit ihren Näpfen Essen zu fassen. Bill hatte hier den Vortritt, denn er war dafür verantwortlich, zuerst Pete Ballie und die Deckswache zu versorgen. Der Kutscher schöpfte mit einem riesigen, bauchigen Löffel den Eintopf aus dem Kessel und achtete darauf, daß alle Näpfe gleich voll wurden. Jeder empfing eine ordentliche Ration, wer dann noch Hunger hatte, konnte sich abermals anstellen. „Wie sieht es mit unseren Vorräten aus?“ erkundigte sich der Seewolf. „Soll ich mich kurz fassen, Sir?“ fragte der Kutscher. „Ich bitte darum.“ „Also, eine Woche lang könnten wir noch üppig leben. Zwei Wochen reichen Proviant und Wasser, wenn wir mit dem, was in den Vorratskammern lagert, haushalten - drei Wochen, wenn wir drastische Sparmaßnahmen einführen.“ „Danke, Kutscher.“ „Sir - auch die Feuchtigkeit ist ein Problem. Das Salz zerläuft zwar noch nicht, so, wie's damals am Amazonas der Fall war, aber wenn die Schwüle bei Tag und Nacht anhält, schimmelt uns der Schiffszwieback weg, und dann habe ich auch Bedenken wegen der Schinken- und Fleischvorräte.“ „Ich habe verstanden. Wir müssen so bald wie möglich neuen Proviant fassen“, erwiderte Hasard. „Das bedeutet, ich warte nur die Nacht ab, und wenn morgen früh kein Wind aufkommt, fangen wir mit dem Schleppmanöver an.“ Batuti hatte Matt Davies den Tonteller abgenommen. Mit seinen stämmigen Fingern prüfte der Mann aus Gambia noch
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einmal den Hitzegrad der gerösteten Heuschrecken, befand ihn als erträglich und pickte eines der Tiere vom Teller herunter. Beim Essenfassen vor dem großen Kupferkessel war die Reihe gerade an Edwin Carberry. Dieser blieb stehen, hielt dem Kutscher den Napf hin und blickte ziemlich betroffen auf den schwarzen Herkules. Batuti knabberte mit den Zähnen das Fleisch aus der harten Schale der Heuschrecke heraus, zerkaute es mit offensichtlich genießerischem Gesichtsausdruck und schnippte die leere Hülle über das Backbordschanzkleid. Im rötlichen Licht des verglimmenden Kombüsenfeuers war dieser Vorgang in allen Einzelheiten zu beobachten. Matt Davies stand neben Batuti und schluckte ein paarmal. Nicht, weil sein Appetit angeregt war, sondern weil's ihn ganz einfach grauste. Sir John schien die frittierten Heuschrecken gewittert zu haben, er schlüpfte aus Carberrys Wams und hielt ziemlich gierig Ausschau, wo es die Tierchen zu holen gab. „Donnerschlag“, murmelte Dan O'Flynn. Er stand hinter Carberry und hatte durch einen Blick um dessen Schulter herum das Auftauchen des Aracangas verfolgt. „Und ich dachte immer, du wärst ein harmloser Körnerfresser, Sir John.“ Der Profos packte Sir John und stopfte ihn ins Wams zurück. Mit der anderen Hand hielt er immer noch den Napf, starrte aber unausgesetzt auf Batuti, der soeben die zweite Heuschrecke verspeiste. Das hatte zur Folge, daß Carberry mit dem Napf beinah aus der Balance geriet. Um ein Haar hätte er sich den heißen Eintopf über Bauch und Beine geschüttet - wenn der Kutscher nicht traumhaft schnell zugegriffen hätte: So hielten Carberry und der Kutscher den Napf, und der Profos sagte völlig entgeistert: „Der frißt diese lausigen Fliegen!“ Nie schien Batuti etwas so gemundet zu haben wie die Heuschrecken. Nummer drei und Nummer vier verschwanden zwischen seinen mächtigen Kiefern, seine Zähne
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malmten und mahlten, seine Lippen grinsten in satter Zufriedenheit, seine Finger kickten die leeren Heuschreckenschalen außenbords. Der Tonteller mit dem, was darauf lag, schien von ihm beschlagnahmt zu sein. Matt Davies bedauerte das in keiner Weise. Er hatte einen Essensnapf ergattert, stellte sich ans Ende der Schlange und wartete darauf, ebenfalls mit dem weitaus bekömmlicheren Eintopf versorgt zu werden. „He!“ Carberry sagte es laut - klar und deutlich. Es war bis zu Pete Ballie im Ruderhaus zu vernehmen, auch bis zu Bill hin, der gerade in den Hauptwanten aufenterte, um Gary Andrews das Abendessen zu bringen. Alle Augen richteten sich auf den Profos. „Wie Krabben, was?“. sagte Carberry. „Ein Leckerbissen. wie?“ „Scheint so“, erwiderte der Kutscher. „Batuti“, preßte Carberry hervor. „Wie schmeckt das Zeug? Gut?“ „Noch besser“, schwärmte der Neger. „Hol's der Henker“, meinte der Profos daraufhin. „Krabben haben wir schon lange nicht mehr gehabt. Dabei esse ich die Viecher für mein Leben gern. Kann gar nicht genug davon kriegen.“ Dan warnte hinter ihm: „Ed, denk daran, daß Krabben oder Garnelen in keiner Weise mit Heuschrecken und Grashüpfern, Grillen und Kakerlaken verwandt sind. Der Geschmack kann also nur annähernd der gleiche sein.“ „Was der Seemann nicht kennt, das frißt er auch nicht“, ließ sich weiter hinten Matt Davies vernehmen. „Feigling“, sagte Carberry. Er drückte dem Kutscher den Napf ganz in die Hand, grunzte: „halt mal fest“ und marschierte auf Batuti zu. Der schob sich gerade mit treuherzigem Augenaufschlag die fünfte oder die sechste Heuschrecke zwischen die Zähne, ganz genau hatte keiner mitgezählt. Carberry baute sich in drohender Haltung vor dem Goliath aus Afrika auf und blickte finster in das schwarze, kauende, grinsende Gesicht mit den weißen, ständig in
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Bewegung befindlichen Augäpfeln und den dunklen Pupillen. „So ist das also“, knurrte der Profos. „Alles selber einheimsen, wie'? Keinen anderen mitmampfen lassen, was, du karierter Decksaffe? Selber essen macht fett, denkst du wohl, oder? Aber da hast du dich getäuscht.“ Batuti sah ohne sichtbaren Stimmungsschwund den häßlichen Narbenmann mit dem Rammkinn an. Plötzlich hielt er ihm den Tonteller unter die Nase und sagte: „Auch mal futtern? Gute Vorspeise für Profos, Sir.“ „Ja“, sagte Carberry. „Und du wirst dich gleich wundern, wie schnell ich die Dinger wegputze. Im Krabbenauspulen hin ich schon immer groß gewesen.“ Hasard hatte die Szene amüsiert verfolgt. „Auf was wartest du, Ed?“ rief er jetzt. „Nur Mut, so schlimm wird es schon nicht sein.“ Carberry grinste fast so breit wie Batuti. „Schlimm'? Im Gegenteil. Ho, dieser schwarze Bimbo hat uns alle 'reinlegen wollen, sage ich. Für sich allein wollte er diese - diese Delikatesse haben. Aber er hat die Rechnung ohne seinen Profos gemacht.“ Carberry rieb sich die Hände, die so groß wie Ankerklüsen waren, dann klaubte er eine der inzwischen fast ganz erkalteten Heuschrecken von dem Teller. Mit Todesverachtung hielt er sie zwischen Daumen und Zeigefinger, widerstand dem Bestreben, sie zu zerquetschen. Richtig vergnügt beförderte er den „Zahn des Windes“, dessen Mundpartie wie die winzige Reproduktion eines Löwenmauls wirkte, auf seinen Rachen zu. Das Rammkinn klappte herunter. Carberry schob sich die Heuschrecke unter den Gaumen. Die Crew hielt den Atem an. Sogar Bill, der Moses, verharrte hoch oben in den Hauptwanten der Backbordseite. Carberry schloß die Zähne, knackte die Insektenhülle, legte das Fleisch unter dem Chitinpanzer bloß, saugte, lutschte, knabberte und war augenscheinlich ganz begeistert bei der Sache.
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Dan O'Flynn wollte ihn schon um diesen Genuß beneiden, Matt Davies seine Meinung über Heuschrecken gründlich. revidieren - da erstarrten Ed Carberrys Kiefer in der Bewegung. Das Grinsen rutschte ihm aus den Mundwinkeln, er stand da wie vom Donner gerührt und ließ erst ein fragendes Grunzen und dann eine Art verhaltenen, blubbernden Seufzer los. Batuti betrachtete den Profos interessiert und fuhr fort, auf der siebenten oder achten Heuschrecke herumzukauen. Der Kutscher zog sich vorsorglich ein Stück in Richtung auf das Kombüsenschott zurück. Hasard mußte sich bezwingen, um nicht loszulachen. Genauso ging es der Crew. Die Männer blickten auf die Planken, um nicht das Bild des erschütterten Profos' vor Augen zu haben. Carberry löste sich aus seiner Krampfhaltung, stürzte ans Backbordschanzkleid, rannte dabei beinahe den Kutscher über den Haufen und riß fast den Kupferkessel mit dem dampfenden, wohlriechenden' Eintopf um. Carberry beugte sich übers Schanzkleid, spuckte, keuchte und brüllte wie ein Stier irgendetwas, das wie „Puach“ oder „Buuaa“ oder „Hurra“ klang. Bill, der Schiffsjunge, zuckte in den Wanten vor Schreck zusammen. Unglücklicherweise verlor er den Napf aus der Hand. Das Ding segelte in die Tiefe und knallte auf die Kuhlplanken. Gar nicht so weit von der Gräting und vom alten Donegal Daniel O'Flynn entfernt, der sich hingehockt hatte und seine Mahlzeit verzehrte. Eintopf spritzte durch die Dunkelheit, und Old Donegal war plötzlich bekleckert. Er schmatzte wütend, hob eine Krücke und drohte damit zu Bill hinauf. „Komm 'runter, dir versohle ich mit meinem Holzbein den Hintern“, wetterte er. Gary Andrews beugte sich so weit über die Segeltuchverkleidung des Großmars' hinaus, daß er in die Tiefe zu stürzen drohte. Er wollte sich ausschütten vor
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Lachen, und auch die übrigen Männer legten jetzt los. Carberry hatte die Heuschrecke der See geopfert. Jetzt drehte er sich um und blickte voll schwelendem Grimm auf den Kutscher, auf Batuti, auf die johlende Crew. Hasard ging zu ihm und sagte ernst, obwohl es ihm in den Mundwinkeln zuckte: „Ed, vergiß nicht, daß es dein freier Wille war, die Wüstenheuschrecke zu probieren. Die Männer haben keine Schuld, wenn dir das Biest nicht schmeckt.“ „Pfui Teufel“, stieß Carberry aus. „So ein widerlicher Fraß. Von wegen Krabben ...“ Er blickte zu Batuti, der sich auf den Niedergang des Vorkastells gesetzt hatte und dabei war, der Portion Vorspeise das Ende zu bereiten. Carberry wollte fluchen, toben, aber dann besann er sich seiner Würde als Profos. Mit einer wegwerfenden Gebärde zu dem Gambianeger hin sagte er: „Verreck doch von mir aus an dem Schweinkram, mir kann's ja egal sein.“ Damit wandte er sich ab und ging zur Kuhlgräting - um sich den „Schandfleck“ anzusehen, den Bill gezaubert hatte, um den Burschen aus den Wanten herunterzukommandieren und aufklaren zu lassen. Auch Old O'Flynn hatte es nötig, aufgeklart zu werden. Er roch nach Eintopf. 4. Die wuchtige Baggala „Daira“ schwojte an ihrer Ankertrosse, keine halbe Meile von der Insel entfernt. In der Windstille war es kein Trost für die Männer aus dem fernen arabischen Land, dieses paradiesische Fleckchen Erde in ihrer Nähe zu wissen und es im Mondlicht daliegen zu sehen ganz im Gegenteil. Abdrahman und Jussuf standen unter dem Minjar-Grasmattendach der Hütte und blickten zum Ufer hinüber. Weißlich schimmerte der Sandstreifen des Strandes zu ihnen herüber. Er schien sie
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voll Hohn einzuladen, einen neuen Landeversuch zu unternehmen. In der Kuhl der Dhau hatte es keiner der Baharis gewagt, sich zur Ruhe zu legen. Sie hockten stumm da, schlürften warmen Tee und gönnten sich nicht einmal den Genuß der Wasserpfeife, weil sie Angst hatten, ihre Sinne könnten zu sehr umnebelt werden. Das konnten sie sich nicht leisten. Nicht in dieser Nacht, die noch lange nicht zu Ende war. Die sechs Bronzekanonen standen geladen auf Deck. Die Glut in den Kohlebecken wurde immer wieder geschürt, damit es nur nicht am Feuer für die Lunten mangelte falls geschossen werden mußte. Immer wieder spähten die Baharis zu der Insel hinüber, die auf ihrer einzigen Bordkarte nicht eingezeichnet war, für die sie keinen Namen hatten. Jussuf schaute in der leisen Hoffnung, es könne plötzlich wieder Wind geben, zum Mast hoch. Die Rah mit dem Lateinersegel war abgefiert worden, aber am Topp hing ein Baumwolltuch undefinierbarer Farbe, das gewöhnlich als Wimpel über der Baggala flatterte. Das Tuch regte sich nicht. „Kazkazi, der Nordost-Monsun, läßt uns im Stich“, murmelte Jussuf. „Dabei müßten wir fort von hier, rasch fort, denn die schwarzen Giaur werden zurückkehren, um sich zu rächen.“ „Allah hat meine Gebete nicht erhört“, versetzte Abdrahman. „Vielleicht soll unser Schicksal hier besiegelt werden, vielleicht will der Prophet es so.“ „Dann wird kein Mensch jemals Sajid wiederfinden.“ „Ob er hier auf der Insel weilt?“ „Inschallah, wer weiß es, Herr?“ „Wir wissen, daß die Piraten ihn seinerzeit hierher, auf diese Insel, verschleppten, Jussuf.“ „Wenn er hier wäre, würde er uns beistehen.“ „Und wenn er nicht kann?“ „Ihr meint ...“ „Ich meine gar nichts“, erwiderte Abdrahman gereizt. „Was ich nicht sehe,
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weiß ich nicht, und Mutmaßungen gebe ich mich nicht hin. Bleiben wir bei den Tatsachen, Jussuf. Wir haben einen Bahari auf grausame Weise verloren. Wir haben keine Riemen an Bord, mit denen wir uns fortbewegen können, und das einzige Beiboot, das unsere „Daira“ schleppen könnte, liegt dort draußen - unerreichbar für uns.“ „Herr, wir haben Feuerwaffen, mit denen wir uns gegen diese wilden Teufel sehr wohl behaupten können.“ „Wie lange, Jussuf?“ „Solange die Munition reicht.“ „Wie lange reicht sie, beim Scheitan?“ „Das hängt von der Zahl der Angriffe ab“, entgegnete Jussuf leise. Er war ein untersetzter, ziemlich kompakt gebauter Mahn, der mehr Jahre auf See als an Land verbracht hatte, dessen Leben die Dhaus waren. Auf was der Kapitän anspielte, war ihm völlig klar, er versuchte nur, sich dieser Tatsache' zu verschließen. „Fünfmal, sechsmal können wir die Hunde zurückwerfen“, erklärte er. „Und wenn danach immer noch Flaute herrscht?“ fragte Abdrahman zischend. „Dann sind wir ihnen endgültig ausgeliefert.“ „Beten wir, daß es anders kommt.“ „Wir müssen das Boot haben.“ „Sie beobachten das Boot, uns und die ,Daira.`, ohne daß wir es merken, Herr“, sagte Jussuf. „Sie warten nur darauf, daß wir zu dem Boot schwimmen.“ „Tauchen müssen wir“, sagte Abdrahman eindringlich. „Ich selbst werde den Versuch unternehmen, und Allah steh mir bei.“ „Das dürft Ihr nicht“, widersprach Jussuf. „Ich muß es tun.“ „Es gibt Haie vor der Insel.“ „Sie haben die nackten Wilden nicht angefallen, sie werden auch mich nicht behelligen. Ich will das Boot, Jussuf. Mit seiner Hilfe gewinnen wir Abstand von dieser Scheitansinsel“, sagte Abdrahman. „Ich begleite Euch, Herr.“ „Nein, du bleibst wieder hier und hältst mir notfalls den Rücken frei. Mit den Steuerbordgeschützen kannst du die
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Wasserfläche zwischen dem Strand und unserem Beiboot bestreichen, mit Musketen werdet ihr, du und die Baharis, auf allzu vorwitzige Eingeborene feuern, die sich nahe an die ,Daira` heranwagen.“ „Wenn sie angreifen ...“ „Sie werden angreifen, glaube es mir. Zu viele ihrer Stammesbrüder haben wir getötet. Sie wollen unser Blut, unser Leben.“ „Nehmt zwei oder drei der besten Schwimmer mit, Herr.“ „Nein, auch das nicht. Ich will nicht, daß sich wieder Baharis für mich opfern müssen“, sagte Abdrahman. „Das ist nicht gerecht, der Prophet wird mich schon für Ali Mullahs Tod Zur Rechenschaft ziehen.“ Ali Mullah war der Mann, der bei der mißglückten Landung auf der Insel durch einen Pfeil in den Hals getroffen worden war und dessen Leiche jetzt in dem Beiboot ruhte. Jussuf versuchte, seinem Kapitän dies alles auszureden, aber er hatte keinen Erfolg. Abdrahman sah nur zum Mond hinauf, der als fleischige Apfelsinenscheibe am Nachthimmel schwebte, und blickte noch einmal zur Insel, die still und sündhaft schön wie ein Märchen aus Tausendundeiner Nacht auf die Baggala schaute. Abdrahman fuhr sich mit der Hand vorsichtig über den verletzten Arm, der von Jussuf behandelt und verbunden worden war. „Allah akbar“, sagte er. „Ich will noch warten und erst später tauchen - wenn die Wilden kaum damit rechnen.“ Etwa eine halbe Stunde später, als der Sand aus dem Stundenglas wieder einmal durchgelaufen war, flackerte auf der Insel, weit in ihrem Inneren, samtener Feuerschein auf. Dumpfes, tiefes Trommelgeräusch ließ die Männer der Dhau aufhorchen. „Sie bestatten ihre Toten“, sagte Abdrahman. „Gleichzeitig rüsten sie zum Krieg, und vielleicht soll uns das Tamtam auch ablenken von dem, was sie bereits gegen uns begonnen haben.“
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Jussufs Blick wanderte zum Uferdickicht. Er glaubte, die schwarzen Gestalten in den Büschen hocken zu 'sehen. * Längst hatte Batuti auch die restlichen Heuschrecken verzehrt, längst hatte Carberry seinen Schock überwunden, längst hatte auch Bill, der Moses, die Spuren des verunglückten Eintopfes von den Decksplanken und von Old O'Flynns Kleidung beseitigt. Hasard hatte Gary Andrews, Al Conroy, Matt Davies und Jeff Bowie als Deckswache eingeteilt. Er und der Rest der Crew wollten sich zur Ruhe begeben, da hob Batuti plötzlich lauschend den Kopf und blieb auf der Kuhl stehen. „Sir“, sagte er. „Hörst du das?“ Der Seewolf horchte ebenfalls in die Nacht hinein. „Ja. Klingt wie fernes Trommeln.“ „Ist es auch“, fügte Ben Brighton hinzu. „Ich kann es jetzt sehr deutlich vernehmen. Es ist immer der gleiche, monotone Rhythmus.“ „Böses Zeichen“, murmelte Batuti. Hasard musterte ihn fragend, und der Mann aus Gambia schürzte die Lippen, furchte die Stirn und sagte dann: „In Batutis Heimat Totentrommel und Kriegsmusik.“ „Musik ist gut“, warf der alte O'Flynn ein. „Aber ich sag's ja, nichts als schlechte Omen kriegen wir hier geliefert. Erst die verdammten Heuschrecken, dann die Flaute, dann der Kanonendonner, jetzt dieses verdammte Tamtam.“ „Laß die Schwarzmalerei, Donegal“, sagte Big Old Shane. „Wir sind schon sauer genug, daß wir festsitzen. Denk an den Eintopf und daran, daß wir dich in einen der Kombüsenkessel stopfen könnten.“ „Das versuch mal.“ Old O'Flynn senkte den Kopf wie ein zur Attacke bereiter Kampfhahn. „Aufhören, ihr beiden“, sagte der Seewolf. „Batuti, ich finde, deine Auslegung ist etwas vage. Was in Gambia Tod und Krieg bedeutet, könnte hier völlig anders zu verstehen sein.“
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Batuti hob die breiten Schultern und ließ sie wieder sinken. „Kann sein, Sir. Fest und Freude aber die Trommeln nicht ausrufen.“ Hasard pflichtete ihm bei: „Nein, nach dem Gefechtslärm von vorhin bestimmt nicht. Und das Tamtam scheint sich ungefähr an derselben Stelle zu befinden wie das Donnern der Kanonen. Wenn ich meinen Instinkten recht geben soll, muß auch ich sagen, da wird neues Unheil heraufbeschworen.“ Carberry widmete sich dem Trommelgeräusch mit einem Gesicht, das Hingabe auszudrücken schien. „Wie weit mag das entfernt sein? Nicht sehr weit, vielleicht zwei, drei Meilen. Vielleicht auch vier. Wenn der idiotische Wind nicht eingepennt wäre, wären wir jetzt schon dort und wüßten, was gespielt wird.“ „Drei, vier Meilen“, sagte der Seewolf. „Ja, mehr können es auf keinen Fall sein. Würdet ihr euch zutrauen, diese Distanz mit einem unserer Boote zu überbrücken?“ Ferris Tucker grinste. „Wir haben doch kein Mus in den Knochen. Sicher schaffen wir das.“ „Zunächst warten wir mal ab und hören, ob das Trommeln fortdauert“, meinte Hasard. „Dann treffe ich meine Entscheidung. Ich schätze aber, wir fieren das Boot noch heute nacht ab und pullen los.“ „Wir halten also unsere Handfeuerwaffen bereit?“ fragte Smoky. „Natürlich. Ferris, bereite deine Höllenflaschen vor. Al, es könnte nichts schaden, wenn wir auch einen Brandsatz mitnähmen. Rüstet das Boot auf jeden Fall schon aus.“ „Sollten wir nicht lieber zwei nehmen?“ fragte Carberry. „Höchstwahrscheinlich geraten wir doch in Teufels Küche, und da wäre es gut, so stark und beweglich wie irgend möglich zu sein - wenn ich mir die Bemerkung erlauben darf, Sir.“ „Ed, in dem Fall blieben mir zu wenige Leute auf der ‚Isabella' zurück, und gerade das will ich nicht. Der Feind im Dunkel wer immer er ist -könnte es auch auf uns abgesehen haben und versuchen, mit
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Booten heranzupirschen und uns zu entern.“ „Das ist auch wieder richtig“, meinte der Profos und kratzte sich am Schädel. „Eins will mir nicht in den Kopf“, sagte der junge O'Flynn. „Wieso haben wir diese Unbekannten dort im Süden nicht gesichtet, wenn sie uns doch so nahe sind?“ „Im zunehmenden Dunkel war das nicht mehr möglich“, erwiderte der Seewolf. „Ich- glaube, das ist die Erklärung, Dan. Bill hat bestimmt nicht geschlafen, er hat ja auch die Heuschrecken rechtzeitig bemerkt. Gut, es ist möglich, daß sie ihn abgelenkt haben, so daß er im Dämmerlicht überhaupt nicht mehr nach Süden schaute, aber das können wir ihm nicht ankreiden.“ „Das will ich auch nicht“, sagte Dan. „Nur eine Vermutung habe ich. Vielleicht sind wir einer Insel nahe, vor und auf der sich dieses Geschehen abspielt.“ „Das nehme ich sogar fest an.“ „Wie heißt doch der Archipel, dem wir nahe sind?“ „Die Portugiesen haben ihn die Seychellen getauft. Nach meinen Berechnungen müßten wir uns noch rund fünfzig Meilen davon entfernt befinden, aber erstens ist es möglich, daß die Karten, die ich habe, in diesem Punkt ungenau sind. Zweitens könnte ich mir denken, daß viele kleine Eilande auf der Zeichnung gar nicht eingetragen sind.“ „Deck!“ rief Gary Andrews aus dem Großmars. „Lichtschein im Süden. Dort, von wo auch das Trommeln ertönt.“ „Das wird ja immer spannender“, sagte der Seewolf. „Wie ich die Dinge sehe, können wir noch auf eine bewegte Nacht gefaßt sein.“ Old O'Flynn schnaufte empört. „Jetzt laßt mich auch mal meine Meinung sägen. Hölle und Teufel, wir könnten Lins auch aufs Ohr hauen, uns einen Scheißdreck um den ganzen Kram kümmern und von hier abhauen, sobald wir wieder eine vernünftige Brise kriegen.“
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Hasard entgegnete: „Nun mal ehrlich, Donegal, würdest du das tun, wenn du Kapitän der ‚Isabella' wärst?“ „Klar würde ich das.“ „Du würdest ganz und gar ignorieren, daß vielleicht dort auf der Insel jemand unsere Hilfe braucht, während wir uns hier feige in unseren Kojen verkriechen?“ „Himmel, nein, das würde ich nicht ...“ „Dann sind wir uns also einig, Donegal?“ „Meinetwegen, Sir.“ * An einem aus Hanf geschlagenen Tau hatte sich Abdrahman an der Bordwand der Baggala, die der Insel abgewandt lag, in die Tiefe gleiten lassen. Seinen Kaftan hatte er in der Hütte zurückgelassen, seinen Turban ebenfalls. Er trug nur noch ein Tuch um die Lenden geschlungen, in dem ein Krummdolch steckte. Bevor er sich in die Fluten sinken ließ, atmete er mehrmals tief durch. Über ihm standen am Schanzkleid Jussuf und ein paar andere, die das Tauende um Klampen belegt hatten und nun besorgt den weiteren Verlauf der Aktion verfolgten. Abdrahman blickte nicht mehr zu ihnen hoch, er konzentrierte sich voll und ganz' auf seine Aufgabe. Innerlich verlieh er sich einen Ruck, dann ließ er sich absinken, gab den Halt auf und tauchte unter. Vier, fünf Handspannen unter der Wasseroberfläche arbeitete er sich mit ausgeglichenen Armund Beinbewegungen voran. Unergründliche Schwärze lag unter ihm, aber über sich konnte er durch das kristallklare Naß verschwommen die Mondsichel erkennen. Abdrahman zwang sich, nicht hastig zu schwimmen. Er hatte seine Lungen vollgepumpt mit Luft, aber er wußte, daß er sich nicht verausgaben durfte, wenn er das Boot, ohne aufzutauchen, erreichen wollte. Er mußte es schaffen. Gelang es, lief er keinerlei Gefahr, von den Spähern, die die Wilden im Uferdickicht bestimmt postiert hatten, vor der Zeit entdeckt zu werden. So würden sie ihn nicht abfangen können.
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Abdrahman hatte die Distanz zum Beiboot genau kalkuliert, er hatte sich vor dem Losschwimmen haargenau eingeprägt, wo es lag. Er bemühte sich, die geradlinige Richtung zu halten. Gewiß, eine leichte Abdrift konnte das Boot weiter zum Strand hin befördern — oder auf die offene See hinaus. Aber da das Boot sich während der letzten Stunden kaum von seinem ursprünglichen Platz bewegt hatte, rechnete Abdrahman nicht damit. In der kurzen Zeit, die er dorthin brauchte, konnte es nicht abtreiben — wenn doch, dann war das der Unsicherheitsfaktor, dem er sich fügen mußte. Haie? Abdrahman zwang sich, nicht daran zu denken. Allah ist mächtig, und er wird auf diese Art nicht gerade den Tod des armen Ali Mullah vergelten, sagte er sich, als die Luft knapp wurde und es in seinen Lungenflügeln zu stechen begann. Druck breitete sich in seinem Kopf aus, Druck, der alles zu sprengen drohte. Abdrahman hätte gern einen Freudenschrei ausgestoßen, wenn er nur gekonnt hätte! Über ihm schob sich eine längliche Kontur vor das blasse Bild der Mondsichel, es wurde noch dunkler — das Beiboot der „Daira“ war über ihm. Kapitän Abdrahman wählte wieder die Bordwand, die dem Inselufer abgewandt lag, um dort aufzutauchen, dann ließ er sich vom Auftrieb des Wassers mit nach oben nehmen. Er streckte den Kopf aus den Fluten, schob die Hände hoch und trat Wasser. Seine Finger schlossen sich um das Dollbord des Bootes, er konnte seinen Körper baumeln lassen, Luft schöpfen und Kräfte sammeln. Das Unternehmen war bis hierher geglückt, doch es war noch zu früh, um zu triumphieren. Er überlegte wieder. Unwillkürlich fragte er sich in diesem Moment, warum die Eingeborenen keine Patrouille auf der natürlichen Reede vor dem Eiland zurückgelassen hatten oder nicht zurückgekehrt waren, um sich das Boot, ihre Beute, zu holen.
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Möglich, daß sie darauf keinen Wert legten. Sicher war, daß sie Angst vor den Schiffskanonen hatten. Aber im Fall, daß sie Abdrahman in dem Boot entdeckten, würden sie in ihrem grenzenlosen Haß nicht zögern, -wieder die Auslegerboote zu Wasser zu bringen, um ihn zu hetzen. Daß er, Abdrahman, dann mit seinem Messer noch etwas ausrichten konnte, war eine echte Illusion. Er nannte sich einen Narren und suggerierte sich selbst, auch daran keine Gedanken zu verschwenden. Er wollte in das Boot hinaufklimmen, da wurde er sich der Bewegung bewußt, die plötzlich im Norden war. Erschrocken verharrte er, wagte nicht mehr, sich zu rühren, hing schlaff an dem Beiboot und fühlte sich in der Falle. Den Blick nach Norden hatte er von der Bordwand des mit dem Bug nach Südwesten versetzt liegenden Bootes aus frei. So erspähte er den undeutlichen Schattenriß, der sich ihm auf dem Wasser näherte, und identifizierte den Urheber der Bewegung als ein Boot. Sie kommen, durchfuhr es ihn. Ohne jetzt noch zu zögern, vollführte er einen Klimmzug und schob seinen Oberkörper über das Dollbord des Bootes. Er enterte, kauerte zwischen den Duchten und mußte es ertragen, die stumpfen Hornhäute der Augen von Ali Mullah gen Himmel gerichtet zu sehen. Noch entsetzlicher war die Tatsache, daß die Wilden vor ihrem Abrücken aus dem Bereich der Dhau ihre Speere, Pfeile und Messer auf den Toten geschleudert hatten. Ali Mullah war damit gespickt worden. Er bot ein Bild des Grauens, das den Kapitän der „Daira“ schaudern ließ. Abdrahman fühlte sich versucht, den Leichnam in die See zu hieven, doch er bezähmte sich. Das war eines gläubigen Muselmanen nicht würdig, Allahs ganzer Zorn würde Abdrahman auf der Stelle treffen, wenn er Ali Mullah keine ordentliche Seemannsbestattung verschaffte. Die Hast packte den hageren Mann nun doch. Er griff sich zwei Riemen, legte sie
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in die Dollen, ließ sich auf einer Ducht nieder und begann zu pullen. Das Boot regte sich, nahm Fahrt auf und rückte auf die Dhau zu. Das fremde Boot schob sich ebenfalls näher heran, immer näher, und Abdrahman erkannte nun, daß es keinen Ausleger führte und groß war, sehr groß für ein Fahrzeug der Eingeborenen. Schreie wurden am Ufer laut. Sie übertönten das entnervende Hallen der Urwaldtrommeln, das nicht abgerissen war. Abdrahman wandte den Kopf und sah viele Gestalten, die sich aus dem Dickicht lösten, Auslegerboote zum Wasser trugen und unglaublich schnell waren. „Allah akbar“, stieß der Kapitän der Dhau aus. „Allah, steh mir bei.“ Er pullte noch heftiger, vertat sich im Schlag, geriet aus dem Rhythmus und verlor den rechten Riemen beinah aus der Dolle. Die Panik griff nach ihm und drohte, ihn zu lähmen. Die Auslegerboote waren geschmeidige Körper im Seewasser, die hellen Paddel der Wilden bewegten sich wie rasend auf und ab. Gebrüll begleitete den ersten Speer, der geschleudert wurde. Dieser Speer verfehlte jedoch sein Ziel und stieß hinter dem Bootsheck ins Wasser. Abdrahman wußte, daß er ohne die Leiche Ali Mullahs schneller voran gelangte, doch es widerstrebte ihm noch immer, den armen Teufel aus dem Boot zu kippen. Ich folge dir, dachte er, bald sind wir zusammen in Allahs Reich und werden Mohammed, seinen Propheten, einherwandeln sehen, denn es hat ja alles keinen Zweck... Das große Boot, das Abdrahman zu seinem Entsetzen im Norden entdeckt hatte, war fast an einem Punkt angelangt, an dem es unweigerlich mit dem Verband der Auslegerboote zusammentreffen mußte. Völlig verblüfft nahm Abdrahman nun eine Szene wahr, mit der er nicht im entferntesten gerechnet hatte. Die schwarzen Krieger schossen Pfeile auf das fremde Boot ab. Ja, sie griffen es an, und ihr Geheul steigerte sich noch.
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„In Deckung!“ schrie der Seewolf. Er hatte nicht erwartet, daß die Eingeborenen ihn und seine Männer in dem Beiboot der „Isabella“ mit Beschuß beleben würden. Die Rollenverteilung in diesem verdammten Schattenspiel hatte er ganz anders gesehen. Er hatte die Männer der Dhau, die sie alle vor der Inselküste liegen sahen, für Piraten gehalten, die das Eiland plündern und seine Bewohner ausrotten wollten. Dies konnte immer noch zutreffen, aber er mußte sich jetzt gegen die zur Wehr setzen, die er zu schützen gedacht hatte. Batuti kauerte zwischen den Duchten, rief den Schwarzen etwas zu und gab sich in seiner Muttersprache als Freund zu erkennen, aber sie schienen ihn nicht zu verstehen. Ferris, Dan, Al, Blacky, Shane und der Profos hatten wie Hasard und der GambiaMann ebenfalls die Riemen losgelassen und Schutz hinter der Bootswand gesucht. Welchen Part der einzelne Mann in dem kleinen Boot spielte, das sich auf die Dhau zu bewegte, war Hasard nicht klar, aber er vergeudete in diesem brenzligen Augenblick auch keine Gedanken daran. „Schockschwerenot!“ rief der Profos. „Ja, sind die Brüder denn wahnsinnig? Wir haben ihnen doch nichts getan!“ „Das erzähl denen mal!“ schrie Dan O'Flynn. Und Batuti brüllte: „Nichts kapieren die Kerle, Brett vorm Kopf, verdammich noch mal!“ So war eingetreten, was sie alle befürchtet hatten, als sie die „Isabella“ verlassen hatten — es gab Verdruß, und zwar ganz dicken. Pfeile, Speere und Hartholzmesser hagelten auf ihr Boot nieder — und sie wußten nicht, wie sie sich verhalten sollten. Bei der über rund fünf Meilen führenden Bootsfahrt zur Insel hatten sie sich von dem Feuerschein leiten lassen, er war die beste Orientierungsmöglichkeit gewesen. In relativ kurzer Zeit hatten sie die Insel und die Dhau im Süden liegen sehen,
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hatten aber doch nicht an eine solche Entwicklung der Situation geglaubt. Hasard hatte sich sehr vorsichtig an die Dhau heranschleichen und sie inspizieren wollen. Und jetzt das! „Hol's der Teufel!“ stieß Hasard aus. „Wir lassen uns doch nicht abschlachten.“ Er zückte seine Radschloßpistole, spannte beide Hähne und feuerte die eine Ladung in die Luft ab. Dan schoß, seinem Beispiel folgend, ebenfalls in den Nachthimmel. Aber auf das rasch hintereinander erfolgende Krachen der Pistolen reagierten die Wilden nicht, ja, sie schienen durch die Schüsse noch angestachelt zu werden. Sie drohten, über das Boot der „Isabella“ herzufallen. Hasard gab seine Skrupel auf. Er senkte die Pistole, zielte mit dem zweiten Lauf auf das vorderste der Auslegerboote und krümmte den Zeigefinger um den Abzug. Im Aufblitzen des Mündungsfeuers sah er eine der schwarzen Gestalten zusammenbrechen. Ferris Tucker, Al Conroy und Blacky legten mit Musketen auf die Angreifer an, fackelten nicht lange und drückten ab. Batuti war durch einen Pfeil an der rechten Schulter angekratzt worden, griff jetzt wütend selbst zu Pfeil und Bogen - und Big Old Shane hatte seine besterprobte Waffe schon in den Fäusten. Pfeile flogen gegen Pfeile an, und immer wieder krachten Schüsse im Boot der Seewölfe. Ferris Tucker legte die zweite leergeschossene Muskete schnell weg, klaubte eine mit Pulver, Blei, Eisen und Glassplittern gefüllte und zugekorkte Flasche, vom Bootsboden auf und zündete die herausragende Lunte, indem er sie in ein kleines Kupferbecken mit Holzkohlenfeuer stippte. Abdrahman in seinem kleinen Boot wurde von zwei Auslegerfahrzeugen der Eingeborenen verfolgt, aber als er dicht genug an die Baggala heran war, ließ Jussuf vom Heck aus das Musketen- und Arkebusenfeuer eröffnen. Abdrahman, der wegen des Eingreifens der Seewölfe neue Hoffnung geschöpft hatte, es könne nun
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doch noch alles gut für ihn auslaufen, verdoppelte seine Anstrengungen. Er pullte wie ein Besessener und schrie: „Nicht die Kanonen zünden! Nicht auf die Wilden feuern, ihr gefährdet die Fremden!“ In derselben Sekunde schleuderte Ferris Tucker seine erste Höllenflasche zu den heulenden Kriegern des Inselstammes hinüber. An Bord der „Isabella“ existierte eine von dem rothaarigen Zimmermann eigens zu diesem Zweck erbaute „Abschußkanone“, die die Höllenflaschen auf beachtliche Distanz zum Feind hinüberkatapultieren konnte - hier aber war Tucker auf seine reine Muskelkraft angewiesen. Die Flasche landete zwischen den Auslegerbooten und versank, aber das beeinträchtigte ihre Wirkung kaum. Der Funke hatte sich an der Lunte bereits durch den Korken gefressen, so daß die Ladung auch unter Wasser zündete und hochging. Und sie ging hoch! Eine dicke Säule stieg aus den Fluten hoch, gischtete über zwei, drei Auslegerboote weg und warf sie um. Die Wilden stimmten spitze, entsetzte Laute an. Jetzt stockte ihr Verband und breitete sich unter ihnen Panik aus. Ferris hatte bereits die nächste Höllenflasche in der Faust, entfachte die Zündschnur und beförderte auch diese Ladung auf die Reise. Wieder stob eine mächtige Fontäne aus der See hoch, und dieses Mal wendeten die Eingeborenen diejenigen Boote, die noch intakt und manövrierfähig waren. Sie traten den Rückzug an. Die Männer um Hasard lachten und ließen die Waffen sinken. Ferris Tucker hatte zwar schon eine dritte Explosionsflasche in der Hand, aber der Seewolf bremste ihn durch eine Geste und bedeutete ihm, die Lunte nicht anzuzünden. „Warte, Ferris. Wir können diese und andere Flaschen bald vielleicht noch bitter nötig haben, genau wie den Brandsatz, den ich mitgenommen habe, und die anderen Waffen.“ „Aye, Sir.“ „Ist jemand verletzt?“
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„Batuti, Sir“, antwortete der Profos. „Ist aber nur ein Kratzer, das biegen wir schon wieder hin.“ Er. drehte sich zu dem schwarzen Goliath um. „Na, mein Junge, wonach gelüstet es dich? Der Kutscher ist nicht zugegen, du mußt also mit mir als Feldscher vorlieb nehmen.“ Grinsend ballte Carberry die Hand. „Betäubung gefällig, oder geht's auch ohne?“ „Rum“, sagte Batuti heiser, dem die Schmerzen in der Schulter inzwischen zusetzten. Shane zog eine kleine Flasche aus dem Wams hervor und entkorkte sie mit den Zähnen. Während die anderen wieder zu den Riemen griffen und auf Hasards Zeichen hin zur Dhau hinüberpullten, nahm Carberry die Flasche aus Shanes Hand entgegen, kippte ohne viel Federlesens eine anständige Ladung Rum auf Batutis Blessur und verrieb sie mit der Pranke. Batuti biß die Zähne zusammen. Er glaubte, ohnmächtig von der Ducht ins Wasser sinken zu müssen, aber er stöhnte nicht, verdammich, nein, die Blöße gab er sich nicht. „Noch bei Sinnen?“ erkundigte sich der Profos besorgt. „Aye, Sir“, preßte Batuti hervor. „Dann hast du dir einen Schluck verdient“, knurrte der Narbenmann. Er hielt dem hünenhaften Neger die kleine Flasche hin. „Da, trink, aber gefälligst nicht alles, denn vielleicht brauchen wir die Medizin noch.“ Hasard hockte auf der Heckducht des Bootes und blickte immer wieder zum Ufer. Dort waren die schwarzen Männer mit ihren Booten gelandet, und als Nachzügler trafen die Krieger ein, die durch die Wucht der Explosionen aus ihren Fahrzeugen gehoben worden waren und schwimmen mußten. Die Wilden trafen keine Anstalten, erneut zum Kampf gegen die weißen Männer aufzubrechen. Sie schüttelten nur die Fäuste, stießen ein nervenzermürbendes Geheul an und zogen sich dann in das Dickicht zurück. Das Trommeln durchdrang wieder intensiv die Nacht, und
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nach wie vor zuckte Flammenschein über den Baumwipfeln des Inselinneren. Hasard bewegte die Ruderpinne so, daß das Boot auf die Backbordseite der Dhau zulief. Dort war nun das kleine Beiboot der „Daira“ eingetroffen, Abdrahman hatte sich von der Ducht aufgerichtet und breitete die Arme aus. Oben am Schanzkleid tauchten die Gestalten seiner Baharis auf. Sie johlten, stießen sich gegenseitig an und gestikulierten auf eine Art, die Hasard und seine Männer nicht zu deuten wußten. * „Sir“, sagte Dan O'Flynn. ..Sollten wir nicht lieber abdrehen? Wer sagt uns, daß die Burschen uns freundlich gesonnen sind? Was hat es mit ihrem Beiboot auf sich? Verdammt, es gibt hier einige Ungereimtheiten, und wenn wir nicht ganz gewaltig aufpassen, laufen wir in eine Falle.“ Der Seewolf sah zu den Baharis, die in ihrer abenteuerlichen Kleidung und mit den Waffen, die sie noch in den Händen hielten, alles andere als vertrauenerweckend wirkten. Abdrahman aber rief: „Salam alai!“ Zumindest diesen arabischen Begriff kannte Hasard. Er erhob sich gleichfalls von der Bootsducht, hob die rechte Hand zum Gruß und erwiderte: „Alai salam — Friede sei mit euch!“ Ungeschoren konnten die Seewölfe mit ihrer Jolle bei der Dhau längsseits gehen. Die Baharis hatten inzwischen eine Jakobsleiter ausgebracht, und Abdrahman enterte auf sein Schiff auf, um sich zunächst von Jussuf die wieder schmerzende Armwunde versorgen zu lassen und dann schleunigst seinen Kaftan überzuwerfen. Er hielt es für schimpflich, sich den Ankömmlingen im Lendentuch vorzustellen. Rasch kehrte er wieder ans Schanzkleid zurück und blickte auf die Seewölfe hinunter, die unten in abwartender Haltung verharrten.
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„Steigt zu uns herauf, Fremde“, sagte Abdrahman. „Wir sind hocherfreut, euch bei uns an Bord willkommen zu heißen. Ihr habt mir, Kapitän Abdrahman, einen unschätzbaren Dienst erwiesen, denn wenn ihr die Aufmerksamkeit der schwarzen Krieger nicht auf euch gelenkt hättet, wäre ich jetzt nicht mehr. Kommt und seid meine Gäste.“ Hasard stand nach wie vor aufrecht und hatte den Kopf in den Nakken gelegt, um den hageren Araber zu mustern. „Ich verstehe nicht, was du sagst“, erwiderte er, zunächst auf englisch, dann auf spanisch. „Können wir uns nicht in einer anderen Sprache unterhalten, kann keiner deiner Männer dolmetschen?“ Abdrahman deutete eine Verbeugung an. „Straniero“, entgegnete er in exzellentem Italienisch. „Des Spanischen bin ich nicht mächtig, aber mein Land hat eine lange Zeit Handel mit der Republik Venedig geführt, die ja über viele Jahre die Geschicke des ehemaligen oströmischen Reiches übernommen hatte. Damast und Spezereien, Schmuckwaren und die betörenden Düfte des Orients waren es, die wir seinerzeit an die reichen Männer Venezias verkauften. Ich bin froh, ihre Sprache erlernt zu haben, denn sie ist dem Spanischen sehr ähnlich, das Ihr ausgezeichnet sprecht, Straniero.“ Hasard verstand jedes Wort. Jetzt ließ ihn nichts mehr zögern. Er enterte an den Sprossen die Jakobsleiter auf und bedeutete seinen sieben Männern, sich ihm anzuschließen. Auf dem Deck der Dhau angelangt, begrüßte er Abdrahman, nannte seinen Namen und der arabische Kapitän stellte auch sich und seine Baharis vor. „Wir kommen mit unserer Baggala 'Daira` von weit her, Kapitän Killigrew“, erklärte er dann. „Vor vielen Tagen und Nächten sind wir aus dem Scheichtum Oman aufgebrochen, unserer Heimat, und wahrscheinlich wäre unsere Reise hier auf schreckliche Art zu Ende gewesen, wenn Ihr und Eure Männer uns nicht überraschend geholfen hättet. Wer seid Ihr,
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wo liegt Euer Schiff — oder habt Ihr es verloren?“ Hasard folgte Abdrahmans Aufforderung, vor der Hütte, der Dhau auf einem großen, weichen Teppich Platz zu nehmen. Ferris Tucker, Dan O'Flynn, Al Conroy, Carberry und Shane ließen sich neben ihm nieder, während Blacky und Batuti am Schanzkleid blieben und zusahen, wie Jussuf und ein paar Baharis den übel zugerichteten Leichnam Ali Mullahs bargen. Hasard hatte die Gründe für sein Aufkreuzen vor der Insel rasch dargelegt. Abdrahman hatte sich unterdessen seinen Turban aufgesetzt und mit unbewegter Miene und wachem Blick gelauscht. Als Hasard geendet hatte, stellte der Araber die Fingerspitzen gegeneinander und neigte sich im Schneidersitz mit dem Oberkörper weit vornüber. Fast berührte seine Stirn den Teppich. „Dieser Beschluß, in der Nacht aufzubrechen und zu sehen, was hier vorgeht, sagt mir alles über dich“, sagte er in seinem klaren, fein akzentuierten Italienisch. „Aufopferung, Umsicht und der Wunsch nach Gerechtigkeit, das scheinen deine Grundsätze zu sein, Kapitän Killigrew, und ich erlaube mir, dir das vertraulichere Du sowie meine ewige Freundschaft anzubieten, denn hierin sehe ich die einzige Möglichkeit, dir meine Verbundenheit zu zeigen.“ Hasard erwiderte die Geste. Bei den Arabern war das Verbeugen genauso wichtig wie bei den Chinesen, die durch den Kotau ihre Hochachtung bezeigten. „Deine Haltung ehrt mich“, sagte er. Sein Italienisch war stark von spanischen Vokabeln durchsetzt, aber trotzdem schien Abdrahman keine Schwierigkeiten zu haben, alles zu begreifen. „Vergiß aber nicht, daß unser Erscheinen eher zufällig geschah“, fuhr der Seewolf fort. „Und daß wir eher ungewollt für einen neuen Verlauf der Dinge sorgten.“ Jussuf war inzwischen hinzugetreten. Er war des Italienischen auch mächtig und übersetzte das Gesprochene gedämpft den Baharis, die Ali Mullahs Leiche mit einem
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Tuch bedeckt auf Deck abgelegt hatten und nun auch näher traten. Abdrahman lächelte. „Ich finde es wunderbar, daß du deinen großen Verdienst abzuschwächen versuchst, Philip Hasard Killigrew, aber ich stehe unverändert in deiner Schuld. Du und deine Männer — ihr habt mir das Leben gerettet.“ „So langsam geht mir ein Licht auf“, meinte Dan O'Flynn. „Will sagen, die Rollenverteilung ist jetzt schon klarer.“ Abdrahman betrachtete den jungen Mann. „Ich bin überzeugt, ihr habt uns für arabische Piraten gehalten.“ „Richtig“, gab Hasard unumwunden zu. „Aber ihr scheint alles andere als das zu sein. Was führt dich hierher, Abdrahman? Was willst du auf den Seychellen? Den Eingeborenen etwas Wertvolles abkaufen?“ „Wenn es das wäre“, sagte der Kapitän der Baggala mit einem Seufzer. „Richtig, wir sind Handelsfahrer und mit den Dhaus groß geworden. Wir segeln seit unserer Jugend schon an den arabischen und afrikanischen Küsten auf und ab, immer mit Kuzi, dem Südostmonsun, und Kazkazi, dem Nordostmonsun, der uns heute, so schmählich im Stich gelassen hat' Aber nicht diese Aufgaben haben uns zu den Inseln aufbrechen lassen, sondern etwas ganz anderes. Eine Mission.“ „Was, ihr wollt die Schwarzen bekehren?“ fragte Ferris Tucker. „Himmel, da habt ihr euch aber etwas vorgenommen. Ihr seid meiner Ansicht nach auch viel zu wenig, um das fertigzubringen.“ Obwohl Ferris nur spanisch sprach, hatte Abdrahman auch ihn verstanden. Der Kapitän der „Daira“ schüttelte jetzt den Kopf. „Nein, nein, das haben wir nicht vor. Nie würden wir trachten, diesen Menschen unseren Glauben aufzuzwingen. Mit dem Wort Mission meine ich etwas anderes. Ich will es einfach ausdrücken: Wir suchen einen Mann — Sajid, den Eremiten.“ „Einen deiner Landsleute?“ fragte Hasard. „Er ist mein Bruder.“ „Allmächtiger, aber wie ist er hierher, auf die abgelegenen Seychellen, geraten?“
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„Sajid, der Eremit, ist ein weiser Mann“, erwiderte Abdrahman. „Vor einiger Zeit — vor etwa einem Jahr nach eurer Zeitrechnung — wurde er überfallen und entführt. Er lebte völlig zurückgezogen auf einer der Kuria-Muria-Inseln vor der Küste des südlichen Oman und ging völlig in seinen Meditationen und der Anbetung Allahs auf. Schutzlos war er denen ausgeliefert, die ihn packten und verschleppten. Freibeuter des Arabischen Meeres! Sie hatten von irgendeinem Narren, der Gerüchte in die Welt zu setzen pflegte, erfahren, daß mein Bruder in der Lage wäre, aus Steinen Gold herzustellen. Ich erfuhr dies, als ich den elenden Lügner in Mirbat packte und zur Rede stellte. Wohin die Hunde von Piraten Sajid jedoch gebracht hatten, wußte auch er nicht preiszugeben.“ Abdrahman schwieg für einen Moment und ballte in zorniger Erinnerung die Hände. Er öffnete die Fäuste wieder und sagte: „Ich schleifte den räudigen Sohn eines Dromedars und einer Hyäne zum Hof des Scheichs Omar ibn alChattab, trug den ganzen Fall vor, aber auch der Scheich und seine Berater vermochten keine ,weiteren Einzelheiten aus dem Lügner herauszupressen. Daraufhin verurteilte der große Omar ibn al-Chattab den Verräter meines geliebten Bruders.“ „Zum Tode, nehme ich an“, äußerte Hasard in einer Atempause des Arabers. „Ja. So will es der Koran, der unser Gesetz ist. Der Scheich erteilte mir die Vollmacht, fortan mit Jussuf und meinen Baharis in seinem Namen nach Sajid zu forschen, und das taten wir - ohne Unterbrechung.“ „So ist auch dem Scheich viel an. Sajid gelegen?“ „Ja, Philip Hasard Killigrew. Mein Bruder ist nie und nimmer in der Lage, Gold zu erzeugen, aber er hatte dem Scheich in einem denkwürdigen Zusammentreffen versichert, er werde das Mittel gegen die Teppiche des Scheitans, gegen die Geißel Allahs, finden - er stünde kurz davor.“ „Teppiche des Teufels?“ Carberry zeigte eine fragende Miene. Er kratzte sich mit
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einem Finger an seinem mächtigen Kinn, was beängstigende Geräusche hervorrief. Hasard sagte: „Abdrahman, ich glaube, ich weiß, wovon du sprichst. Die Geißel Gottes, die Zähne des Windes - die Wüstenheuschrecken, nicht wahr?“ „So nennt ihr die fluchwürdigen Kreaturen?“ „Ja.“ „Sie fallen jedes Jahr über unsere Ernten her und vernichten, was ihnen zwischen die Kiefern und Klauen gerät“, sagte der Kapitän der Dhau bitter. „Sie bringen meinem Land enormen Schaden und lassen die Menschen hungern. Verstehst du nun, warum auch der Scheich Omar ihn alChattab ein großes Interesse daran hat, Sajid, den Eremiten, zurückzuholen - falls mein Bruder noch lebt?“ „Ja, das erscheint mir jetzt plausibel, ganz abgesehen von der menschlichen Warte, von der aus man den Fall betrachten muß.“ „Eines Tages“, fuhr Abdrahman fort, „stellten wir die Boom der Piraten, eine Dhau aus Kuwait, nicht weit vor Suqutra entfernt. Im Gefecht gewannen wir die Oberhand. Wir enterten die Boom, und es gelang mir nach einem fürchterlichen Handgemenge, den Führer der Meute zu greifen. Inschallah, es war vollbracht - aber von meinem Bruder fand ich keine Spur. So brachte ich den Teufel von einem Piratenkapitän ebenfalls zu Omar ibn alChattab. Dort gestand der Hund und sprudelte alle seine Schandtaten hervor. Ich befürchtete, er habe Sajid getötet, doch der Pirat beteuerte immer wieder, das habe er nicht getan. Vielmehr habe er Sajid auf einer der Seychellen ausgesetzt, als er festgestellt hatte, daß dieser wirklich nicht fähig war, Gold zu erzeugen.“ „Warum verhielt sich der Pirat so gnädig?“ fragte Hasard. „Diese Kerle kennen doch sonst keinerlei Skrupel, einem wehrlosen Mann den Kopf abzuschlagen.“ Abdrahman fixierte ihn. „Bei all seiner Grausamkeit hatte der Pirat Angst davor, die Rache Allahs könne ihn treffen, wenn er einen Eremiten umbrachte. Das war es. Deshalb setzte er Sajid hier irgendwo aus und überließ ihn seinem Schicksal.“
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„Das verstehe, wer will“, sagte Big Old Shane. „Was erhoffte sich dieser Schlagetot von einem Freibeuter denn überhaupt? Einen Platz im Paradies?“ „Zum Scheitan haben wir ihn befördert“, entgegnete Abdrahman hart. „Zum Scheitan. Ich selbst durfte auf meinen Wunsch hin die Funktion des Henkers übernehmen, und Scheich Omar ibn alChattab segnete das Schwert, mit dem ich dem räudigen Schakal das Haupt vom Rumpf trennte.“ Hasard und seine Freunde schwiegen. Sie konnten Abdrahman keinen Vorwurf daraus machen, daß er sich persönlich an den Piraten gerächt hatte. Die Blutrache war bei den Arabern üblich und gehörte zu ihren Lebensgewohnheiten. Wie sie ihre Vergeltung mit den Suren des Korans und ihrem Glauben vereinbarten, blieb allein ihnen überlassen. „Und du bist sicher, daß Sajid auf dieser Insel zu finden ist?“ fragte der Seewolf schließlich. „Das Eiland, das der Piratenführer uns beschrieb, ähnelt diesem hier aufs Haar. Ich glaube, hier wurde mein Bruder ausgesetzt. Ob es ihm gelang, sich gegen die Eingeborenen zu behaupten, ob er gar inzwischen eine andere Insel aufsuchen konnte -all dies wollte ich herausfinden, indem ich landete und mich mit den Wilden zu verständigen versuchte.“ „Dabei helfen wir dir“, sagte Hasard spontan. „Wir müssen Sajid so schnell wie möglich finden und uns zumindest Gewißheit über sein Schicksal verschaffen.“ Abdrahman antwortete: „Wenn er tot ist, muß ich es wissen. Dann begraben wir unsere Hoffnungen, trauern um ihn und warten auf die nächste Plage des Scheitans, die unser Land innerhalb der nächsten Wochen heimsuchen wird.“ „Wir haben am späten Nachmittag bereits Bekanntschaft mit den Wüstenheuschrecken geschlossen“, sagte Hasard. Er berichtete, was sich an Bord der „Isabella“ zugetragen hatte, und die Männer der Dhau rückten noch näher und
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lauschten ihm mit einem Ausdruck entsetzter Faszination. „Allah stehe uns bei“, murmelte Abdrahman am Ende. „Sie haben also bereits mit ihren Reisen begonnen. Bald erheben sich die Hauptschwärme von den Inseln, wo ihre Brutstätten liegen.“ „Lassen wir uns davon jetzt nicht irritieren“, erklärte Hasard. Er erhob sich und sandte einen langen, abschätzenden Blick zum Inselufer. „Vorläufig greifen die Wilden wohl nicht wieder an, aber wir müssen auf der Hut bleiben.“ Er lauschte dem Trommeln, das in der Lautstärke etwas abgenommen hatte, nicht aber in seinem Rhythmus. Rötlich-gelber Feuerschein schwebte nach wie vor über den Baumwipfeln. „Wir haben zwei Boote, damit ziehen wir die Dhau zunächst einmal etwas aus der unmittelbaren Gefahrenzone“, sagte Hasard. „In einigem Abstand von der Insel habt ihr einen' besseren Überblick, und der Gegner braucht länger, um an euch heranzukommen. Im Fall eines neuen Angriffs haben wir auf jeden Fall mehr Chancen, auch eine größere Übermacht zurückzuschlagen, als bei der jetzigen Position der ,Daira'.“ „Ich danke dir“, erwiderte Abdrahman. „Nach dem Schleppmanöver werden wir auch den armen Ali Mullah mit allen seemännischen Ehren bestatten. Aber sag mir eins, Philip Hasard Killigrew. Wirst du mit deinen Männern dicht auf deinem Schiff, der ‚Isabella', zurückerwartet?“ „Noch vor Anbruch des Tages pullen wir zu der Galeone zurück“, sagte Hasard. „Dann nehmen wir auch sie in Schlepp, bis wir die fünf Meilen lange Strecke zurückgelegt haben. Wenn wir die Insel mit zwei Schiffen bedrohen, geben die Schwarzen vielleicht endlich ihren unsinnigen Widerstand auf.“ „Oder sie kämpfen bis zum letzten Blutstropfen.“ „Bis zur Selbstvernichtung?“ ,“Ich glaube, dazu wären sie fähig.“ 6.
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Ben Brighton atmete auf, als Bill im Morgengrauen vom Großmars aus meldete: „Deck! Boot Backbord voraus! Mister Brighton, das sind unsere Leute!“ Die Crew lief auf der Kuhl zusammen, erklomm die Back und winkte den Männern zu. Matt Davies riß sich die Mütze vom Kopf, warf sie hoch und pfiff und johlte mit den anderen zusammen. Das Boot näherte sich mit zügigem Riemenschlag, und kurze Zeit später enterten Hasard, Ferris, Dan, Al, Carberry, Blacky, Shane und der Mann aus Gambia an der Bordwand der „Isabella“ auf. Die Jolle hatten sie unten vertäut, sie wurde nicht binnenbords gehievt, da sie ja noch gebraucht wurde. Ben Brighton war die unendliche Erleichterung anzusehen, die er verspürte. Fast ergriffen sagte er: „Himmel, was haben wir uns für Sorgen bereitet. Wir haben die Schüsse in der Nacht gehört, und ich war mehrmals versucht, ein zweites Boot abzufieren und mit einer kleinen Gruppe aufzubrechen, um euch zu helfen.“ „Damit hättest du meinem Befehl zuwidergehandelt“, sagte Hasard lächelnd. „Himmel, warum mußt du mich nur in solche Situationen bringen, Sir?“ „Die Ungewißheiten sind beseitigt, die Lage ist geklärt“, antwortete Hasard. „Ich weiß, wie wir uns zu verhalten haben und habe bereits einen Plan.“ Sie suchten die geräumige Kapitänskammer im Achterkastell auf, und der Kutscher brachte bald darauf heißen Tee, eine Köstlichkeit, die sie seit ihres China-Besuches an Bord mitführten und zu schätzen gelernt hatten. Die Männer tranken. Hasard schilderte, was sich vor der Insel ereignet hatte und Abdrahman ihnen anschließend vorgetragen hatte. Das Licht des jungen Morgens brach sich in den Bleiglasfenstern der Kapitänskammer. Hasard stand auf, entnahm einem der Holzschränke eine Flasche Rum und entkorkte sie. Er reicherte den Tee damit an, nahm ein paar tiefe Schlucke, öffnete dann die Tür zur Heckgalerie und trat, gefolgt von seinen Männern, ins Freie.
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Glatt wie eine bleierne Platte breitete sich die See vor ihren Augen aus. Kein Windhauch rührte die Stille und lastende Schwüle auf, die Wetterlage schien unverändert zu sein, nichts Neues zeichnete sich ab, kein Kräuseln der Dünung, kein Knarren der Blöcke und Rahen wollte sich einstellen. Nach wie vor lagen sie in den Kalmen gefangen. „Also pullen“, sagte Carberry. „Na, wir haben uns ja schon damit abgefunden, daß wir unsere alte Lady nicht anders zu der Insel hinüberkriegen.“ „Verdammt“, stieß Ben Brighton aus. „Und dabei liegt sie so schwer im Wasser. Die Ladung, die sich in den Frachträumen staut, drückt. den Kahn schon tief genug, und dann haben wir noch den elenden Muschel, bewuchs und den Schleier aus Algen und Tang, den wir hinter uns herziehen. Das Pullen wird dadurch mächtig erschwert. Wir brauchen einen Tag, bis wir die Insel erreichen.“ „Immer hübsch im Schneckentempo“, erwiderte der Seewolf. „Von unserem Brautschleier aus Algen und Tang können wir uns ja befreien, aber die Muschelkruste werden wir natürlich nicht los.“ , „Die ‚Isabella müßte einmal aufgeslippt und gereinigt werden“, sagte Ferris Tucker. „Sie hat eine Generalüberholung dringend nötig.“ „Darüber reden wir später.” Hasard legte die Hände auf die hölzerne Reling der Galerie. „Vorläufig haben wir dazu keine Zeit, das muß euch allen einleuchten. Erst einmal ist es wichtig, daß wir uns aus diesem entnervenden Dahindämmern herauslösen.“ Er hielt plötzlich mit dem Sprechen inne, kniff die Augen zusammen und spähte nach Nordosten. Im selben Augenblick wurde auf Oberdeck auch der Ruf Bills laut: „He, Deck! Wolken im Nordosten! Mister Carberry, ich weiß nicht, ob es diesmal wieder Heuschrecken oder echte Wolken sind!“ Der Profos gab hinter Hasard etwas Unverständliches von sich. Er hatte die weißgrauen Streifen über der Kimm jetzt ebenfalls entdeckt, und genauso blickten
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auch die anderen Männer um den Seewolf argwöhnisch in dieselbe Richtung. „Gehen wir“, sagte Hasard. „Ich will mir das vom Achterdeck aus genauer ansehen.“ Sie gingen in die Kammer zurück, und Shane schloß die Tür zur Galerie. Sie eilten — einige von ihnen noch. mit den Teebechern in der Hand —durch den Achterdecksgang zum Schott, das auf die Kuhl hinausführte. Hasard stieß es auf, dann waren sie im Freien unter der weißlich schimmernden Morgensonne, die nichts Übles zu verheißen schien. Vom Achterdeck aus hatte der Seewolf wenig später mit dem Spektiv einen besseren Ausblick auf das „Phänomen“ im Nordosten. Er registrierte im Rund der Optik fahnenähnliche Gebilde, die aus den Wolken niedergingen und über den Horizont strichen. „Echte Regenwolken“, sagte er schließlich. „Eine Bö, die uns nicht berührt hat, hat sie wahrscheinlich in unsere Sichtweite getragen. Jetzt regnet dort drüben ein Schauer ab. Ein richtiger Wolkenbruch.“ Ben Brighton gab das an die anderen Männer weiter, seine Stimme schallte bis zum Großmars hinauf, und Bill, der Moses, war heilfroh, daß der Seewolf ihm die Erklärung des Wolkengebildes durch eine „klare und deutliche Aussage“ abgenommen hatte. Batuti stand breitbeinig auf der Kuhl und sah nach Backbord achteraus. Seine Augen weiteten sich, und er stieß ein paar rasche, gutturale Laute in seiner Muttersprache aus. „Was ist denn jetzt schon wieder?“ fragte Stenmark, der nicht weit von ihm entfernt war und genau verfolgen konnte, wie sich die Züge des Negers veränderten. „Du siehst ja aus, als hättest du den Wassermann persönlich gesehen.“ „Zähne des Windes“, preßte der GambiaMann hervor. „Unsinn.“ Der Schwede schüttelte den Kopf. „Diesmal scheinen es wirklich Regenwolken zu sein, du hast es doch gehört.“ Batuti fuhr zu ihm herum. „Regen schlechtes Zeichen für uns. Zähne des
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Windes kommen wieder, Batuti spürt in allen Knochen.“ „Der Teufel soll deine Knochen holen“, sagte Jeff Bowie, der nun auch näher getreten war. Plötzlich lachte er schallend. „Aber Mann, du solltest doch eigentlich froh sein, wenn noch mal so ein Schwarm über uns herfällt bei deinem Appetit auf Krabben!“ Batuti sah ihn richtig wild an. „Keine dummen Witze reißen, Jeff. Ernste Sache, das. Nein, nein, Batuti will keine Tausend und Tausend Schrecken des Heus auf ,Isabella'.“ „Mensch, aus dir wird auch keiner klug“, sagte Stenmark. Der Kutscher hatte auf das Rufen der Männer hin die Kombüse verlassen. Er schob sich zwischen Batuti, Stenmark und den einarmigen Jeff und meinte ernst: ,,,Ich glaube, ich verstehe, was Batuti ausdrücken will. Regen begünstigt die Bewegungen der jungen Heuschrecken, es fehlt dann nur noch ein wenig Wind, und sie steigen in Massen von ihren Brutplätzen auf, wie wir sie uns nicht vorstellen können. Der Seewolf hat bestimmt recht gehabt: Die Tiere, die gestern die ‚Isabella' angeflogen haben, waren nur eine winzige Vorhut.“ Batuti nickte aufgeregt, und wieder bediente er sich seiner Muttersprache, was bei ihm stets ein Zeichen äußerster Erregung war. „Zum Teufel“, sagte Bob Grey hinter den vieren, „hört doch mit den Schauergeschichten auf. Es genügt, wenn Old O'Flynn sein wüstes Garn strickt oder der Profos Bill ins Bockshorn zu jagen versucht. Da braucht ihr nicht auch noch anzufangen.“ Batuti und der Kutscher sahen sich an. Sie beschlossen, kein Wort mehr dazu zu sagen. Die Crew wollte es nicht so recht glauben, daß sie wieder mit den Wüstenheuschrecken aneinandergeraten konnten - und vielleicht war das auch besser so. Hasard war an die Schmuckbalustrade des Quarterdecks getreten und gab den Befehl: „Fiert die beiden anderen Boote ab! Jedes
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wird mit sechs Männern besetzt, Ed, du teilst die Leute ein!“ „Aye, aye, Sir“, tönte Carberrys Organ zurück. Rege Tätigkeit setzte ein. Der Seewolf beobachtete vom Quarterdeck aus, wie das Manöver durchgeführt wurde und kurze Zeit später die Boote das Schiff mit Trossen in Schlepp nahmen. Die Männer begannen mit zähem Schlag zu pullen. Ganz allmählich setzte sich die große Galeone in Bewegung. Hasard drängte zum Aufbruch, weil er so rasch wie möglich wieder Abdrahman und die Baharis von der omanischen Baggala erreichen wollte. Aber er hatte auch das Gespräch des Kutschers, Batutis, Jeff Bowies und Stenmarks verfolgt und schob das, was der schwarze Goliath prophezeite, gar nicht so weit von sich. Er glaubte, die „Geißel Gottes“, die „Teppiche des Teufels“ hinter sich zu spüren. Unwillkürlich schauderte er zusammen. * Hasard enterte selbst in den Großmars auf, denn Gary Andrews, Bill, Dan und alle anderen, die Ausguck gehen konnten, befanden sich in den Booten - ein achtzehnköpfiger Trupp unter Carberrys bärbeißigem Kommando. Ben Brighton hatte die Back aufgesucht, um eventuell die Wassertiefe auszuloten und den Sitz der Trossen zu prüfen. Pete Ballie hielt das Ruderrad in seinen klobigen, schwieligen Fäusten. Der Kutscher und Arwenack, der Schimpanse, standen auf der Heckgalerie und blickten in das Kielwasser der „Isabella“. Der Kutscher hatte auf Hasards ausdrückliche Anweisung hin das Treibnetz ausgeworfen. Teile des Proviants waren wegen der Feuchtigkeit und Wärme der Äquatorzone wieder verdorben, und das Problem, sich Essen und Trinken zu beschaffen, wurde allmählich vordringlich. Da sich die Seewölfe nicht darauf verlassen konnten, die mangelnden Vorräte auf der Seychellen-Insel fassen zu können, mußte
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zumindest der Versuch unternommen werden, ein wenig frischen Fisch an Bord zu ziehen. Geangelt hatte der Kutscher schon am frühen Morgen. Das Ergebnis: Er hatte einen Zackenbarsch und einen Umher ergattert, die in der Kombüse bereits ausgenommen bereit lagen und darauf warteten, in den Kessel für die Mittagsmahlzeit zu wandern. Arwenack schaute mit trübseliger Miene in die Fluten. Aus Fisch machte er sich nichts, aber er hielt sich gern in des Kutschers Nähe auf,, weil früher oder später dann doch einer der Leckerbissen für ihn abfiel, die er so schätzte — Kokosnuß, Rosinen oder vielleicht sogar eine Banane. Das Netz bewegte sich frei hinter dem Steuerruder der Galeone und wurde nicht durch nachschleifenden Tang oder Algen behindert. Die hatte Ferris Tucker unter Shanes Mithilfe beseitigt, bevor die Boote das Schiff in Schlepp genommen hatten. Der Seewolf beobachtete seine Männer in den Booten. Er mußte grinsen, als er sah, mit welcher „Begeisterung“ sie bei der Arbeit waren. Es war schon eine halbe Strafe, über fünf Meilen ein Schiff dieser Größenordnung zu schleppen, aber was blieb ihnen anderes übrig? Hasard blickte bisweilen auch mit dem Spektiv nach Nordost. Er konstatierte, daß die Wolke langsam abregnete und dann letzte dunstige Streifen über der Kimm verliefen. Wie Fasern strebten die letzten milchigen Spuren auseinander und schienen sich im Nichts zu verlieren. Die Sonne stieg zum Zenit auf. Das Pullen wurde fast zur Qual. Die Männer saßen mit nackten Oberkörpern auf den Duchten und schwitzten trotzdem. „Wieviel haben wir geschafft?“ sagte Matt Davies in dem Boot, dessen Heckducht der Profos in Beschlag genommen hatte. „Eine Meile? Zwei? Hölle, sollen wir denn noch bis in die Nacht hinein pullen?“ „Mister Davies“, beschied Carberry sofort barsch, „du pullst, bis dir die Arme abfallen und du dir den Hintern
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wundgescheuert hast, notfalls bis morgen früh, klar?“ „Aye, Sir. Bitte aber zu bedenken, daß mir nur noch ein Arm abfallen kann, weil der andere bekanntlich schon futsch ist.“ „Davies „Sir?“ „Du bist ein verfluchter Querkopf, aber wenn du meutern willst, zieh ich dir zuerst die Haut in Streifen von deinem verdammten Affenarsch und lasse dich dann mit zwei 17-Pfünder-Kugeln an den Beinen von der Rah fallen, damit du unter Wasser die Haie anblubbern kannst, kapiert?“ „Kapiert, Sir:“ „Pullt, ihr Stinte!“ brüllte der Profos. „Keine Müdigkeit vorschützen, ihr Kakerlaken, ihr tranigen Betbrüder, ich habe so was schon schneller gesehen! Oh, ihr Rübenschweine, ihr verlausten Affen, wenn ihr nicht pariert, hänge ich euch einzeln an der Rahnock auf, daß ihr das Zappeln lernt!“ Er war in Hochform, ihr hochwohlverehrter Profos, denn das Brüllen war bei ihm stets Ausdruck blühender Gesundheit. Aber er bewies auch, daß ihm der Kameradschaftsgeist nach wie vor nicht fehlte. Als Matt Davies dunkelrot im Gesicht war und wie ein voller Kombüsenkessel überzukochen drohte — vor Anstrengung —, jawohl, da tauschte der Profos mit ihm den Platz, überließ Matt die Ruderpinne, packte sich den Riemen und gab als Schlagmann den Rhythmus an. Er pullte, daß die Knochen knirschten. Auf der „Isabella“ hatte der Kutscher derweil zum erstenmal das Treibnetz eingeholt und sichtete stolz den Fang. Fünf große und etwa ein Dutzend kleinere Fische zappelten da auf den Planken der Heckgalerie. Arwenack versuchte, einen der dicken Fische zu greifen, aber es gelang ihm nicht. Ärgerlich stülpte der Affe die Unterlippe vor. Der Kutscher lachte, zog das Netz hoch und schickte sich an, die Beute in einen bereitgestellten Holzkübel zu schütten.
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Er hatte das Werk vollbracht, da bemerkte er, wie etwas von schräg achtern heranstrich und seine Haare leicht zerzauste. Beinah fassungslos richtete er sich auf. „Wind“, sagte er entgeistert. Und einen Augenblick später ertönte auch der Ruf des Seewolfes aus dem Großmars: „He, es brist auf, Männer! Alle zurück anBord, wir setzen die -Segel und nehmen wieder Fahrt auf!“ Ben Brighton hatte die Back bereits verlassen, um in den Hauptwanten aufzuentern und das Großsegel aus dem Gei zu holen. Carberry holte die allerwildesten Flüche aus seinem geistigen Vorratsschapp. Die Boote fielen zurück und gingen bei der „Isabella“ längsseits. Die Männer trachteten so schnell wie möglich aufzuentern, die Boote hochzuhieven und binnenbords zu holen denn die Brise dauerte an. Hasard wollte frohlocken, aber er drehte sich noch einmal nach Backbord, spähte achteraus - und erstarrte auf seinem luftigen Posten. „Allmächtiger“, sagte er. Der Rest dessen, was er gern gesagt hätte, blieb ihm im Hals stecken. An der Kimm, schätzungsweise drei, vier Meilen entfernt, näherte sich lautlos und beängstigend rasch eine dunkle Wolke. Sie wurde breiter und schien in Sekundenschnelle auseinanderzufächern wie eine Phalanx geisterhafter Wesen. Hasard löste sich aus seiner Haltung, wandte den Kopf und blickte voraus. Die Umrisse der Insel waren dort, im Süden, zu erkennen, aber sie lag immer noch so weit entfernt wie die rätselhafte Wolke in diesem Moment. „Sir!“ brüllte der Kutscher von der Heckgalerie. „Das - das kann doch nicht sein - schon wieder ...“ „Aber diesmal keine Wolke“, murmelte der Seewolf. „Kein Gewitter, das uns einholt und mit Donner und Blitzen überfällt.“ Er verließ den Großmars, enterte in den Webeleinen der Wanten ab und half mit, das Großmarssegel zu setzen. Dabei gab er sich keinen falschen
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Hoffnungen hin. Auch mit der Brise, unter Ausnützung der ganzen Kraft des Windes, würde es ihnen nicht gelingen, der Erscheinung, dem Gebilde, der Wolke des Wahnsinns zu entgehen. „Sie kommen“, rief er seinen Männern zu. „Die Zähne des Windes - die Wüstenheuschrecken. Los, wir müssen uns unter Deck verziehen, sie fallen gleich über das Schiff her.“ „Aye, Sir“, antworteten einige. Batuti stieß pausenlos Sätze in seiner Muttersprache aus. Bill, der Schiffsjunge, wurde beim Anblick der Wolke aschfahl im Gesicht und murmelte immer wieder „Mein Gott, o mein Gott“. Auf dem Quarterdeck bekreuzigte sich Old Donegal Daniel O'Flynn. Der Kutscher hatte auf der Heckgalerie seine Utensilien zusammengerafft, sich den Fischkübel gegriffen und Arwenack vor sich her quer durch die Kapitänskammer dirigiert. Er konnte sich recht gut ausmalen, was jetzt passierte, denn er hatte Schilderungen über ähnliche Vorfälle vernommen. An Oberdeck waren Hasard und die anderen Seewölfe aus den Wanten abgeentert. Hasard scheuchte die meisten ins Vor- und Achterkastell. während er selbst Ben Brighton. Ferris Tucker, Shane, Carberry und einigen anderen dabei half, die Brassen und Schoten durchzuholen und zu belegen. Das konnten sie ohne weiteres riskieren, denn der Wind blieb konstant. Mit einem Blick über die linke Schulter' vergewisserte sich der Seewolf, wie erschreckend' nah der Schwarm nun schon war. Hätte er nicht gewußt, daß der Regen und der Wind die gierigen Fresser von ihren Vegetationsinseln aufgeschreckt hatte, dann hätte er diese schwarze Wand jetzt eher für Feuerrauch gehalten - obwohl Rauch nicht in solchen Schwaden übers Meer zu ziehen vermochte, wenn die Brandstätte, ein Schiff etwa, sich nicht in unmittelbarer Nähe befand. Das war er also, der große Schwarm. Die Sonne warf hartes, weißes Licht auf die Decks der „Isabella“, zeichnete noch die
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eckigen Schatten der Kastelle, aber dann verdunkelte die biblische Plage die Sonne, und der Himmel verdunkelte sich. Er drückte mit würgender Schwüle und einem tödlichen Bann auf die Männer der Galeone. Die Luft war erfüllt von einem Sirren und Brummen, einem Knarren und Knistern, als spielten ganze Hundertschaften von wilden Inselbewohnern auf teuflischen Saiteninstrumenten. Dann wirbelte die Wolke heran. Einzelne, knapp fingergroße Tiere konnte der Seewolf erkennen. Sie verdeckten zu Millionen, nein, zu Milliarden den Himmel. Batuti schrie auf. Die Bedrängung übermannte ihn - wohl eher seelisch als körperlich, mit Bildern, an die er sich aus seiner Heimat entsinnen konnte, aus jenem fernen Gambia. das Jahr für Jahr ebenfalls von der „Geißel Gottes“ überfallen wurde. Hasard wehrte sich mit den Händen gegen die heranprasselnden Insekten, aber es nutzte nicht viel. Sie flogen ihm ins Gesicht, prallten ab, verfingen sich in seinen Haaren. Sie griffen mit ihren zuckenden Beinen nach seinem Hemd, nach seiner Hose. Sie waren die Verkörperung nie ersterbender Vitalität, brutaler Gier und Maßlosigkeit. Sie waren überall. Wohin Hasard sich auch drehte, wohin er auch schlug, die ganze zischende, zirpende, flügelschlagende Masse von Leibern schien immer wieder nachzuwachsen, wenn er irgendwo eine Lücke gerissen hatte. Die Stimmen der fluchenden Männer schienen von ganz weit herüberzuklingen. Hasard konnte nicht verfolgen, wie die Heuschrecken durch die offenen Schotten ins Vor- und Achterkastell eindrangen und über die Kombüse, die Vorratsräume und das Mannschaftslogis herfielen. Sie rückten immer weiter und tiefer in den Schiffsleib vor, stets auf der Suche nach Grünem und Vertilgbarem. Handspaken, Belegnägel, Schwabberdweile - dies alles waren keine Waffen im Kampf gegen den entsetzlichen Angriff. Batuti hatte recht gehabt, als er so
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besorgt gewesen war. Man konnte nichts ausrichten gegen die „Zähne des Windes“, nur fluchen, beten, treten, um sich schlagen und abwarten, daß sie wieder abzogen. War das wirklich die einzige Möglichkeit? Hasard entsann sich des Feuers. Er bahnte sich einen Weg über die Kuhl, stürzte fast, hielt dann aber doch das Gleichgewicht. Mit Ben Brighton prallte er zusammen, sie fluchten zusammen, verteidigten sich gegen das Krabbeln und Flattern der unersättlichen Plagegeister. Dann, als Hasard es schon nicht mehr für möglich hielt, hatte er doch das Schott und den Niedergang erreicht, die ins Achterkastell hinunterführten. Auch hier grub er sich durch eine zischende, flirrende Wand, konnte kaum atmen, weil sie ihm nicht nur in den Mund, sondern auch in die Nase zu schlüpfen drohten. Wie er jenen Raum, in dem die Fackeln und Brandsätze lagerten, erreichte, konnte er später nicht mehr richtig sagen — jedenfalls schaffte er es. Er suchte sich eine Pechfackel, ließ sich auf die Knie sinken und tastete in seinen Taschen nach Feuerstein und Feuerstahl. Er griff in knisternde Heuschreckenleiber, die in seinen Taschen wimmelten. Bündelweise holte er sie aus seiner Kleidung hervor, doch es schien nichts zu nutzen, immer neue Tiere drängten nach. Dann hielt Hasard die Hilfsmittel zum Feueranzünden. Er mußte aufpassen, daß sie ihm unter dem Ansturm der Heuschrecken nicht wieder aus den Fingern gerissen wurden. Nur unter Aufbietung aller Energie und Konzentration brachte er es fertig, Stein und Stahl aneinanderzuschlagen und so die Fackel zum Brennen zu bringen. Mit der Fackel kehrte er in den Achterdecksgang zurück. Er zog die Blutige Waffe hin und her, auf und ab — und es funktionierte. Das Feuer bezwang die Kreaturen. Dutzendweise prasselten sie zu Boden. Hasard mußte aufpassen, nicht die Decke des Ganges anzusengen und sein Schiff nicht in Brand zu setzen. Er tastete sich voran und fand den Weg zurück an Oberdeck.
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Dort war das Licht immer noch schwach und diffus. Myriaden von winzigen Leibern wirbelten vor der Sonne, die eher zu ahnen, als zu sehen war. Hasard schwang die Fackel wie einen Morgenstern, mit dem man den Schädel des Gegners zu zertrümmern trachtete. Er wollte den Mund öffnen und seinen Freunden zurufen, sie sollten sich ebenfalls Fackeln besorgen. Doch wieder wagte er es nicht, weil ihm die Heuschrecken in den Rachen gekrochen wären und ihn erstickt hätten. Fackelschlagend schritt der Seewolf über die Kuhl auf das Vordeck zu. Er war schon froh, etwas mehr Bewegungsfreiheit zu haben. Was sollte er noch tun? Das ganze Schiff anzünden? Das wäre eine Wahnsinnshandlung gewesen, dem Selbstmord gleichzusetzen. Nein, sie mußten alle dieser Verzweiflung, dieser scheinbaren Ausweglosigkeit Herr werden. Ganz unverhofft nahm das Schwirren und Zischen ah. Gleichzeitig hellte sich der Himmel über der „Isabella“ auf. Hasard glaubte seinen Augen nicht zu trauen, aber was er sah, entsprach der Realität. Der Schwarm löste sich von der großen Galeone, ein unergründbares, geheimes Kommando schien die Wüstenheuschrecken in die Luft hinaufzusaugen. In Sekundenschnelle, so hurtig wie sie erschienen waren, ließen die kleinen Ungeheuer von dem Schiff ab, ballten sich erneut zu einer schwärzlichen Wolke und glitten mit dem Wind davon — in südliche Richtung. „Zur Insel!“ Hasard stöhnte auf und ließ die Fackel sinken. Er stand auf knackenden Heuschreckenleibern, inmitten eines Schlachtfeldes dieser fürchterlichen Gegner. „Sie werden auch über die Dhau herfallen?“ sagte Ben Brighton. Er stand mit baumelnden Armen da und fühlte sich so rat- und hilflos wie noch nie in seinem bewegten, entbehrungsund ereignisreichen Leben auf See. „Das weiß nur Allah“, antwortete der Seewolf. Er schaute auf und sah, wie die
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Segel schon wieder schlaff wurden. Die Brise war von kurzer Dauer, sie war ein Hohn in der Zone der Kalmen, der sie nur irritiert und ihnen den Fluch des Teufelsschwarms beschert hatte. 7. Nur Sekunden folgten auf diese Äußerung des Seewolfs, und auf der Baggala „Daira“ faßte sich der Kapitän Abdrahman mit der rechten Hand ans Herz und flüsterte: „Allah akbar, Allah steh uns bei. Seht doch -sie kommen. Der Teppich des Scheitans deckt unser Schiff zu und tötet uns. Dies ist die Strafe für meinen Leichtsinn, hierher zu segeln und mich mit den Eingeborenen einzulassen.“ „So dürft Ihr nicht sprechen, Herr“, erwiderte Jussuf noch. Zu mehr blieb ihm jedoch keine Zeit, denn die schwarze Wolke raste von Norden heran, raubte ihm den Atem und das Vermögen, die Fassung zu bewahren. „Ai-am-less, ai-am-less“ - die Baharis hatten wieder die Rah mit dem Lateinersegel hochgehievt, und für Minuten hatte sich das Tuch gestrafft. Aber die langsame Fahrt schien nicht auszureichen, die Baggala aus dem Gefahrenbereich zu befördern. Schon konnten die Männer aus Oman Einzelheiten des Schwarmes erkennen. Und das Sonnenlicht begann zu schwinden. Bunt war der Teppich, der das Verderben brachte, gelb bis schwarz, rosa bis braun. Dies war ein gewaltiges Naturschauspiel, erregend und abstoßend, ein Hagelsturm von Insektenkörpern, ein Schwall von knirschenden Leibern, den Scheitan aus seinem Rachen blies. Dann, plötzlich, ohne erklärbaren Anlaß, war ein Zucken in der Luft, und der Schwarm nahm einen neuen Kurs - nicht mehr auf die Dhau, sondern auf die Insel der schwarzen Krieger. Abdrahman stieß einen hellen Schrei aus. Er war Ausdruck unbändiger Freude, denn nie hätte er mit einer solchen Entwicklung gerechnet.
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Düster ging der Schwarm auf dem Eiland nieder. Nach und nach bedeckten die wimmelnden Leiber auch die letzten freien Streifen weißen Sandstrandes, sie saßen überall und vor allem dort, wo Grün war —auf den Mangobäumen, den Palmen, den Blättern der Büsche, die zwischen den Baumstämmen wuchsen. Jetzt entbrannte ein erbitterter Kampf um den besten Platz, um das beste Futter. Die Zähne des Windes stießen sich gegenseitig an, schubsten und drängelten sich an den Blättern und Stämmen, sie hingen, nagten, zerrten an den Stielen der Pflanzen. Kiefer gruben sich in die ersehnte Nahrung, und ein Ast brach unter der Last der Leiber wie mit einem Peitschenknall. Abdrahman, Jussuf und die anderen Männer der Dhau konnten es beobachten, soweit ihnen Fernrohre zur Verfügung standen. Doch unversehens hatte das Fressen an Land ein Ende. Abdrahman hob verwundert den Kopf. Reihenweise glitten die nimmersatten Insekten von den Stielen und Stämmen, den Blättern und Blüten der Inselflora ab. Sie fielen zu Boden und standen nicht wieder auf. Ihre wilden Aktivitäten versiegten wie ein versickernder Bach im Sand —aus, vorbei. Die Sonne strahlte heiß und hell wie vorher, Stille war eingetreten. Abdrahman blickte wieder durch sein Fernrohr. Er sah eine knietiefe Schicht von Heuschrecken auf dem Strand liegen — reglos. „Tot“, sagte er froh und erstaunt zugleich. „Sie haben es nicht geschafft, auch nur ein Drittel von den Pflanzen abzunagen“, flüsterte Jussuf. „Wie ist das möglich? Was hat sie aufgehalten? Wie konnten sie sterben?“ „Ich ahne es, Jussuf.“ „Ihr meint ...“ „Ich meine nie etwas, und ich hasse Mutmaßungen, Jussuf“, wies der Kapitän der Dhau seinen besten Vertrauten zurecht. „Ich verlasse mich nur auf das, was ich sehe, höre, schmecke, fühle, rieche.“ Trommelgeräusche erfüllten plötzlich das Dickicht, diesmal viel näher als in der
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Nacht. Am Morgen hatte das Tamtam ausgesetzt, aber jetzt war es wieder da, stärker, aufdringlicher, aufreizender. Trommeln drangen aus dem Gebüsch, schwarze Männerhände ließen die gegerbten, aufgespannten Tierhäute auf Hohlkörpern beben und tönen. Auf und ab sprangen die Musikanten, und dann lösten sich schlankere, ebenfalls nahezu nackte Gestalten aus dem undurchdringlichen Inselinneren und führten auf dem Strand, inmitten der toten Panzerhüllen, auf dem Teppich des Teufels, einen frenetischen Tanz auf. Mädchen waren darunter, rank wie Gerten. Es war ein Tanz, wie ihn die Baharis nie zuvor gesehen hatten, auch in der finstersten, verrufensten arabischen Kaschemme nicht, wo die Gesetze des Korans keine Bedeutung hatten. Dies war ein entfesseltes Freudenfest, und die Naturmenschen kannten keine Scheu, keine Zurückhaltung. „Sie feiern ihren Sieg über die Plage“, sagte Jussuf. „O Himmel, seht Euch doch die Körper dieser Mädchen an, Herr.“ „Schweig. Sie wollen uns narren.“ „Glaubt Ihr, daß die Mädchen so grausam sind wie die Männer?“ „Ich glaube nichts, Jussuf.“ „Soll ich eine der Kanonen zünden lassen, um den Spuk zu verscheuchen? Unser Abstand zur Insel ist schon recht groß, die Reichweite der Geschütze geringer - es wäre allenfalls eine Abschreckung, beim Barte des Propheten.“ Abdrahman wandte sich ärgerlich dem kleineren Mann zu. „Die Luft hat dein Hirn aufgeweicht und dich deiner geistigen Fähigkeiten beraubt, Jussuf. Es wäre geradezu lächerlich, so etwas zu tun. Lassen wir sie tanzen und triumphieren, irgendwann hören sie schon auf.“ „Und weiter?“ „Wir warten auf Philip Hasard Killigrew und seine Männer.“ „Ob der Teppich des Teufels auch an ihnen vorbeigeflogen ist?“ „Ich hoffe es. Ich wünsche es ihnen.“ „Und wenn nicht, Herr?“
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„Dann bete ich zu Allah, daß die Männer der ‚Isabella' genügend Geistesgegenwart mitgebracht haben, sich nicht allzu sehr zu erschrecken“, entgegnete der hagere Araber. „Der Fluch des Scheitans läßt den Gläubigen vor Furcht zur Salzsäule erstarren, aber die Tiere fressen keine Menschen, vergiß das nicht.“ „Tun sie das wirklich nicht, Herr?“ „Nur Schrecken verbreiten sie, Jussuf, und ich hasse abergläubische Menschen.“ „Ich habe mit Menschen gesprochen, die behaupten, von den Geschöpfen gebissen worden zu sein ...“ „Schweig!“ Jussuf verstummte gekränkt. Sein Blick wanderte wieder über das Ufer, wo die eigentümliche Vorführung der Schwarzen immer noch andauerte. Die Bewegungen der Mädchen hatten nicht nur etwas Laszives, sie waren offen verführerisch, und Jussuf spürte, wie ihm die Hitze bis unter die Haarwurzeln stieg. Abdrahman trat aus der Hütte und blickte auf die Baharis. Sie standen in echter Verzückung am Schanzkleid der Baggala. Es gehörte kein Scharfsinn dazu, ihre Gedanken und Gelüste zu erraten, bei Allah und dem Propheten nicht! „Zügelt euch“, sagte Abdrahman. „Beherrscht eure niederen Triebe. Wer glaubt, jetzt an Land gehen zu können, ist schon jetzt so gut wie tot, denn ich werde ihn eigenhändig erdolchen, bevor diese Wilden über ihn herfallen können.“ „Ja, Herr“, murmelten die Männer. „Wir werden landen, aber erst später, wenn unsere neuen Verbündeten mit der ,Isabella' hier sind.“ Einer der Männer, die bei dem ersten Landeversuch mit dem Beiboot der Baggala dabei gewesen waren, sah den hageren Araber forschend an. „Was meint Ihr, o Abdrahman, mit wie vielen rachsüchtigen schwarzen Kerlen werden wir es zu tun haben, wenn wir das Eiland zu stürmen versuchen?“ „Ich will ihre Zahl nicht schätzen. Nur eins weiß ich. Wir werden das Geheimnis, das sie so eifersüchtig hüten, aufdecken, den
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Schleier lüften - und wenn ich selbst mit dem Leben dafür bezahlen muß.“ * Hasards Befürchtung bewahrheitete sich. Der Wind schlief wieder ein, und es hatte keinen Zweck, darauf zu hoffen, daß eine neue Brise sie bis zur Insel drückte. Die Beiboote mußten also wieder abgefiert und vor die Galeone gepullt werden, es galt, die letzte Distanz nunmehr ohne Verzögerung zu überbrücken. Voll Abscheu wateten die Männer durch die Schicht aus Heuschreckenkadavern, die auf Deck lag. Hasard wollte nicht; daß sie sich mit dem Aufklaren aufhielten. Dafür blieben nur der Kutscher und Bill auf der „Isabella“ zurück. Sir John leistete ihnen und Arwenack Gesellschaft, fand aber bald keinen Gefallen mehr daran, die Insekten aufzupicken. Er flatterte schimpfend aufs Schanzkleid der Back, äugte zu den Booten hinunter, hob dann ab und segelte mit weit ausgebreiteten Schwingen zu seinem Herrn, dem Profos. Carberry bezeichnete den Papagei als „schielende Eule“, als dieser auf seiner Schulter landete – was bei ihm so etwas wie ein Kosename war. Bill und der Kutscher .fegten das Oberdeck frei, wobei ihnen nun auch Pete Ballie behilflich war. Ben Brighton hatte das Ruderrad übernommen. Der Seewolf befand sich wieder im Großmars und hörte nicht damit auf, rundum an der Kimm nach neuen, schwirrenden Wolken zu forschen. Vorläufig stellte sich aber keine solche Überraschung mehr ein. Der Kübel mit dem frisch gefangenen Fisch war dem Kutscher aus der Hand gerutscht, als die Wüstenheuschrecken über die „Isabella“ hergefallen waren. Er hatte es nicht mehr geschafft, die Ausbeute bis in die Kombüse zu tragen. Jetzt konnte der Koch, Feldscher und Bader der Galeone, die Fische jedoch wieder auflesen, denn sie waren nicht durch die Speigatten außenbords gerutscht – die Heuschrecken hatten sie gebremst.
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„So hat der Überfall der fliegenden Horde letztlich doch noch etwas Gutes für uns“, sagte der Kutscher lächelnd. „Ungewollt haben sie uns eine Mahlzeit gesichert. Zusammen mit dem Zackenbarsch und dem Umber, die in der Kombüse liegen, geben die Fische hier ein vorzügliches Abendessen für unsere Crew ab.“ Pete Ballie wies auf die vielen kleinen Insektenleiber, die noch am Schleim der Fische hafteten. „Du mußt sie aber gut abwaschen, deine Fische, Kutscher. Pfui Teufel, hoffentlich haben die Heuschrecken nicht daran geknabbert.“ „Ach wo“, sagte Bill. „Ach wo, ach wo“, ahmte Pete den Moses nach. „Wer hat dir denn das verraten, du Klugschnacker? Sieh mal in der Kombüse nach, ob der Zackenbarsch und der Umber überhaupt noch da sind.“ Bill wurde rot im Gesicht, drehte sich um und lief zum Kombüsenschott. Der Kutscher hatte die gesammelte Fischbeute inzwischen in den Kübel zurückgefüllt und maß Pete mit einem tadelnden Blick. „Heuschrecken sind Vegetarier“, erklärte er. „Sie sind auf der Suche nach Grünzeug, um es mal so auszudrücken. In den Vorratskammern können sie höchstens die Bananen vertilgt haben, die wir noch hatten, sonst aber kaum etwas, Fleisch und Fisch mögen sie nicht.“ „Auch kein Dünnbier, keinen Schiffszwieback?“ „Nein, Pete. Eben aus diesem Grund haben sie unsere ‚Isabella' so schnell wieder verlassen.“ „Aha. Und wohin sind sie abgehauen? Weißt du das auch?“ „Pete, sie sind nach Süden geflogen, mit der kurzen Brise aus Norden. Es ist doch klar, wo sie dann gelandet sind.“ „Auf der Insel der schwarzen Kerle ...“ „Mit Sicherheit.“ „Und dort haben sie alles kahlgefressen, meinst du?“ Pete setzte ein dünnes Grinsen auf. „Da die Bimbos Hasard und die anderen heute nacht aus dem Boot fetzen wollten, muß ich sagen: Das geschieht ihnen jetzt recht.“
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„Sie werden ihrer Nahrung beraubt. Da bleibt nur noch der Fischfang, aber es ist fraglich, ob ein Stamm sich durch eine so einseitige Ernährung auf die Dauer halten kann“, sagte der Kutscher ernst. „Wer weiß, wie sie dieses Problem meistern.“ „Das soll unsere Sorge nicht sein“, sagte Pete Ballie hart. „Zerbrechen wir uns darüber nicht den Kopf.“ Er schritt auf die Kombüse zu, trat in das Schott und öffnete unwillkürlich den Mund, als er auf das einzigartige Bild blickte, das sich hier seinen Augen darbot. Bill stand inmitten der leblosen Heuschrecken-Invasion, die auch hier alles bedeckte. Es gab kein Loch, durch das die Tiere nicht gekrochen wären. Bill lachte jedoch und hielt die Fische hoch. In der linken Hand hob er den Zackenbarsch an, in der rechten den Umber. „Unversehrt!“ rief er. „Na, was sagen Sie jetzt, Mister Ballie?“ „Froh bin ich. Und du bist ein helles Bürschchen, Bill.“ „Danke, Mister Ballie.“ Etwas schlechter fiel die Bilanz aus, als sie die Vorratskammern der „Isabella“ inspizierten. Hier hatten die Heuschrecken tatsächlich das letzte „Grünzeug“ in sich hineingeschlungen, das der Kutscher noch für den nächsten Eintopf aufbewahrt hatte – und sie waren auch über die Bananen hergefallen. Arwenack blickte auf die kläglichen Überreste seiner geliebten Kost. Er legte die Stirn in tiefe Kummerfalten, schob die Unterlippe vor und gab weinerliche Laute von sich. Pete Ballie legte dem Affen die große Hand auf die Schulter. „Nimm es dir nicht zu Herzen, mein Junge“, sagte er mitfühlend. „Wir finden schon wieder Bananen für dich.“ Arwenack ließ einen abgrundtiefen Seufzer vernehmen. Kurze Zeit darauf, als der Kutscher, Pete und Bill nicht nur die Kombüse, sondern nahezu das ganze Vorschiff weitgehend von toten. Heuschrecken leer geräumt hatten, wurden sie durch einen Ruf des Seewolfs an Oberdeck geholt.
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Man konnte inzwischen nicht nur die Insel im Süden, sondern auch die omanische Baggala in aller Deutlichkeit erkennen, mit bloßem Auge. Darauf hatte Hasard die drei hinweisen wollen. Rund zwei Meilen trennten die beiden Schiffe jetzt nur noch voneinander. „Wenn nichts Unvorhergesehenes passiert, sind wir vielleicht schon in einer Stünde am Ziel“, sagte Pete Ballie. 8. Abdrahman war nicht untätig, als er die „Isabella VIII.“ sichtete, er ließ nun seinerseits das kleine Beiboot abfieren, und acht seiner stärksten Männer nahmen die Dhau in Schlepp. So bewegten sich die so ungleichen Schiffe zwar unendlich behäbig aufeinander zu, aber es verstrich tatsächlich nur knapp eine Stunde, und der arabische Einmaster und die Galeone lagen Bordwand an Bordwand. Diesmal hat Hasard Abdrahman samt den Baharis zu sich an Bord und machte die Araber mit seiner Crew bekannt. Da wurden Hände geschüttelt, da wurde gestikuliert, und man konnte sich zwar nur mit Abdrahman und Jussuf in einem Gemisch aus Spanisch, Portugiesisch und Italienisch unterhalten, aber trotzdem klappte die Verständigung vorzüglich. Carberry blickte ziemlich wohlwollend auf einen der grinsenden Baharis, denn er wußte ja, daß diese Burschen keine Piraten, sondern redliche Handelsfahrer waren, anständige Seeleute. Man war froh, mal wieder ein paar neue Gesichter zu sehen, wenn's auch keine Schönheiten waren. Nach dem Törn, der hinter den Seewölfen lag, waren sie über jede Abwechslung froh. Sogar die Episode mit den Heuschrecken nahm sich im nachhinein weitaus weniger scheußlich als vielmehr dramatisch aus. Es war mal wieder richtig was los gewesen. Carberry streckte die Fäuste vor sich hin und ahmte die Ruderbewegungen eines Bootsgasten nach. „Immer pullen, was, wie?“
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Der Bahari nickte eifrig. „Eine elende Arbeit, beim Scheitan“, erwiderte er in seiner Sprache. Carberry, der schon immer seine ureigenen Auslegungen für Wörter gehabt hatte, die er nicht verstand, antwortete: „Ein Scheißkram, das kann man wohl sagen. Na, hoffen wir, daß die Flaute bald vorüber ist —bei Allah.“ Der Bahari grinste, daß ihm die schadhaften Zähne fast aus dem Gesicht sprangen. „Allah akbar, Allah ist groß, Allah ist mächtig.“ Dan O'Flynn schob sich neben den Profos, deutete eine Verneigung an und sagte: „Salem aleikum, salam alai.“ „Alai salam“, entgegnete der Bahari mit plötzlichem Ernst. Er kreuzte die Arme vor der Brust, mit den Handflächen nach innen und verbeugte sich ebenfalls. „Salam?“ brüllte Carberry Dan O'Flynn ins Ohr. „Du willst doch wohl nicht sagen, daß die Brüder Salami an Bord haben, richtige gute italienische Salami! Die schmeckt herrlich — frag ihn schon, du kannst doch so prächtig italienisch, O'Flynn.“ „Mit Salami hat dies alles nichts zu tun“, sagte Dan mit orientalischer Würde. „Ich habe nur eine Grußformel benutzt.“ „Hüte dich. Wenn ich 'rauskriege, daß du dir Hartwurst unter den Nagel reißen willst, die diese Knaben an Bord mitführen, kriegst du Ärger mit mir.“ Carberrys Rammkinn ruckte bedenklich auf Dans grinsendes Gesicht zu. „Inschallah“, grunzte der Narbenmann. Hasard hatte unterdessen auf dem Achterdeck eine kurze Beratung anberaumt, an der außer Abdrahman und Jussuf auch Ben Brighton, Ferris Tucker, Shane, Old O'Flynn und Smoky teilnahmen. Das, was sich in der Zeit seit dem Morgengrauen auf den Schiffen und der Insel wieder abgespielt hatte, war schnell berichtet. Der Seewolf erzählte zuerst, dann lieferte Abdrahman seine Schilderung von dem Verhalten der Heuschrecken, von ihrem Tod und von dem Tanz der Eingeborenen. Der hagere Araber wies zum Ufer. „Jetzt sind sie wieder verschwunden, und das
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Tamtam hat ausgesetzt. Ich glaube, sie haben mit ihrem Benehmen wirklich das Ende der ,Zähne des Windes' feiern wollen, denn hätten die Tiere alles Grüne auf der Insel verzehrt, dann hätte es den Wilden nicht nur an Früchten, Wurzeln und wildem Gemüse gefehlt auch die Tiere, die sie jagen, wären gestorben, weil sie keine Nahrung mehr gefunden hätten.“ „Durchaus“, erwiderte Hasard. „Aber welche Erklärung gibt es dafür, daß die Heuschrecken plötzlich tot zu Boden fielen? Etwa — Sajid?“ „Ich wage nicht zu hoffen, daß er lebt“, sagte Abdrahman mit steinernem Ernst. „Wir werden das herausfinden“, entgegnete der Seewolf. „Die schwarzen Krieger der Insel haben alles getan, um uns zu vergraulen, aber den Gefallen, unverrichteter Dinge davonzuziehen, tun wir ihnen nicht.“ „Wie können wir landen, ohne daß ihre Späher uns frühzeitig entdecken?“ „Nur durch einen Trick.“ „Du hast einen Plan, Seewolf?“ „Ich setze ihn dir auseinander.“ „Ich weiß schon jetzt, daß ich ihn gutheißen werde.“ „Abdrahman, ich danke dir für dein Vertrauen, aber ich möchte wirklich deine ehrliche Meinung über das, was ich jetzt vorschlage, hören.“ „Ich werde ehrlich sein“, sagte Abdrahman. „Hältst du es für möglich, daß die Eingeborenen uns durch einige Tricks wie Tamtam und Feuer im Dunkeln an der Nase herumführen?“ „Ja.“ „Etwas Ähnliches werden wir unternehmen — wenn du einverstanden bist“, sagte der Seewolf. * Die Nacht hatte hundert Augen und wispernde Stimmen, die die zwei Schiffe auf der natürlichen Reede der Insel samt ihren Besatzungen in die finstersten Abgründe der Verdammnis verwünschten. Leises Tamtam hatte im Inneren des
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Eilandes wieder eingesetzt, Lagerfeuer brannten und spendeten rotes, dämmriges Licht. Vor dieser Geräusch-Licht-Kulisse kauerten die vorgeschobenen Posten ganz vorn im Dickicht am Saum des Sandstrandes und auch auf der anderen Seite, im Westen, wo flache Felsen den Abschluß der Insel zum Meer hin bildeten. Plötzlich zuckten die Späher zusammen. Dumpfes Krachen tönte vom Westufer herüber. Die Posten, die die nördliche, südliche und östliche Seite der Insel kontrollierten, konnten sich des Drangs nicht erwehren, nach dem Rechten schauen zu müssen. Traumhaft sicher und gespenstisch leise bewegten sie sich durchs Unterholz, als das Explosionsgeräusch seine Fortsetzung durch neues, heftigeres Dröhnen fand. Sie rückten über den Steinen des Westufers zusammen, halbnackte, tuschelnde Gestalten mit Speeren, Pfeil und Bogen, Hartholzmessern in den Fäusten. Sie beobachteten, wie Fontänen aus der See emporwuchsen, begleitet von jenen dröhnenden Schlägen, die den Untergrund vibrieren ließen. Rauschend fielen die schaumgekrönten Wassertürme wieder in sich zusammen. Und dann wichen die schwarzen Männer vor Schreck zurück, denn zwei Feuerblitze stoben vom Felsenufer hoch und rissen glutige Male in den Vorhang der Nacht. In diesem Aufblitzen gewahrten die Wilden nun auch das Boot. Es hatte einen weiten Bogen geschlagen, nachdem es die „Isabella VIII.“ verlassen hatte, und sich von See aus dem Eiland genähert, so daß die Späher es erst in diesem Augenblick entdecken konnten. Was die entsetzten Eingeborenen nicht wissen konnten: In diesem Boot hockten vier Männer. Ein rot- haariger Riese namens Ferris Tucker, der fast pausenlos seine grandiosen „Höllenflaschen“ schleuderte, ein nicht weniger starker Mann, der Pete Ballie hieß und die Lunten der Flaschen anzündete und an Ferris weiterreichte, außerdem ein gewisser Stenmark und ein gewisser Luke Morgan, die zum Lospullen bereitsaßen, falls es den
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Gegnern doch einfallen sollte, ihre Auslegerboote zu Wasser zu bringen und anzugreifen. Daran dachten die Wilden aber vorläufig nicht. Sie kauerten nur erschüttert da und suchten nach einer Erklärung für diese Dämonenerscheinung, die das Wasser in Aufruhr versetzte und Feuer und Rauch über die Felsenküste streute. Steinbrocken wirbelten hoch und deckten die Posten ein — sie zogen sich daraufhin noch etwas tiefer in den Dschungel hinter der Uferböschung zurück. Zwei Krieger brachen schließlich zum Dorf im Inselinneren auf, um die Stammeshäuptlinge von dem Geschehen zu unterrichten. Dort, im Kral, hatte man unlängst aufgehorcht und das Trommeln eingestellt. Die Neger liefen zusammen und beratschlagten. Was geschah, welche Teufelei hatten die Männer der Dhau. und der Galeone nun wieder ausgeheckt? * Das zweite Beiboot der „Isabella“ hatte ungefähr die gleiche Entfernung wie das erste zurückgelegt, nur in entgegengesetzter Richtung. Hasard, der den bis an die Zähne bewaffneten Trupp. anführte, hatte sich das Nordufer der Insel zur Landung ausgesucht - während Ferris, Pete, Stenmark und Luke die Schwarzen durch ihren Höllenflaschenzauber ablenkten. Hasard saß diesmal nicht auf der Heckducht des Bootes. Er hatte sich im Bug hingehockt und hielt den RadschloßDrehling schußbereit. In den Gurt gesteckt hatte er sich die doppelläufige Reiterpistole und eine zweite Pistole mit MiqueletSchloß. Auf dem Rücken trug er an einem Lederriemen den SchnapphahnRevolverstutzen, den er wie den Drehling von den Diebesinseln mitgebracht hatte. Hasard war bereit, jeden feindlichen Ausfall sofort abzustoppen. Aber seine schlimmsten Befürchtungen wurden
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diesmal nicht wahr. Niemand sprang ihnen entgegen, der schmale Strand im Norden wirkte wie leergefegt. „Es funktioniert“, flüsterte Abdrahman hinter ihm. „Bei Allah, dein Plan ist ausgezeichnet, Seewolf.“ „Sag das nicht zu früh“, gab Hasard genauso leise zurück. „Sie könnten im Gebüsch lauern und darauf warten, daß wir landen“, wisperte Dan O'Flynn, der neben Jussuf saß und fleißig pullte. „Es wäre nicht das erste Mal, daß wir in so eine Falle geraten.“ „Und ob“, knurrte Carberry in einem fürchterlichen spanisch-portugiesischen Kauderwelsch. „Was haben wir schon für Inseln erkundet! In Fallgruben sind wir gestürzt, in Würgeschlingen gelaufen, köpfen, kochen und vertilgen hat man uns wollen.“ Auf englisch wandte er sich an seinen Nebenmann auf der Ducht, Ben Brighton. „Was meinst du, ob die Wilden da auch Kopfjäger und Kannibalen sind?“ „Bin ich Hellseher, Ed?“ „Natürlich nicht. Ich will ja ja auch nur deine Meinung hören, Mister Brighton“, erklärte der Profos mit bärbeißiger Miene. „Ich schätze, daß dies noch eine sehr, sehr heiße Nacht wird“, sagte Ben. Und das war sein voller Ernst. Fast lautlos teilte der Bootsbug die klaren, im Mondlicht silbrig wirkenden Fluten. Tagsüber konnte man in dieser Wasserregion vor der Insel mühelos jenen Abbruch erkennen, mit dem der gut hundert Yards in die See tauchende Sandstrand plötzlich in die Tiefe abknickte und sich unten, im geheimnisvollen Dunkel, verlor - so zauberhaft klar war düs Wasser. Das verhaltene Plätschern, mit dem das Wasser an den Bordwänden vorbeiglitt, wurde von den immer wieder herüberwummernden Explosionen der Höllenflaschen übertönt. Bevor sie landeten, blickte der Seewolf sich noch einmal zu den Männern um. Old O'Flynn führte jetzt auf der „Isabella“ das Kommando, und die Leitung der Baggala „Daira“ hatten die zurückgebliebenen Baharis übernommen.
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Mit den Booten hatten die Seewölfe und die Araber vor dem Beginn des eigentlichen Landeunternehmens noch die Schiffe im Südosten der Insel so herummanövriert, daß sie mit ihren Breitseiten jederzeit das Ufer eindecken konnten. Dann hatten sie sich getrennt. Außer Hasard, dem jungen Dan O'Flynn; Carberry samt Sir John, Ben Brighton, Abdrahman und Jussuf saßen noch Big Old Shane, Batuti, Smoky und drei Baharis mit im Boot. Ein zwölfköpfiger Trupp waren sie also. Hasard und Abdrahman waren sich einig gewesen, daß mehr Männer nicht nötig waren, denn auch mit der doppelten Zahl wäre das Ganze immer noch ein Himmelfahrtskommando gewesen. Im übrigen durften die Schiffe im Fall eines neuen Angriffs durch die Schwarzen nicht unterbesetzt sein. Hasards Männer zeigten klar, und die Araber nickten mit entschlossenen Mienen. Hasard gab ihnen ein Zeichen, daß sie jeden Augenblick landen würden. Der Bootsrumpf schob sich auf den Sand. Hasard hielt sich fest, um nicht aus der Balance zu geraten, dann schwang er sofort hoch, verließ das Boot und lief in der seichten Brandung bis auf den Strand. Unter seinen Stiefeln knirschten die trockenen Heuschreckenleiber, er schritt knöcheltief in einer Schicht aus Chitinpanzern. Aber dadurch ließ er sich nicht irritieren. Mit dem sechsschüssigen RadschloßDrehling sicherte der Seewolf zum Dickicht hin. Langsamer bewegte er sich jetzt, und jeden Augenblick rechnete er mit dem Auftauchen des Feindes. Aber wieder tat sich nichts. Ungehindert konnten seine elf Mitstreiter das Boot verlassen und es an Land ziehen, ebenso unbeschadet vermochten sie es bis zur Böschung zu ziehen und dort unter Gestrüpp zu verbergen. „Schnell weiter“, raunte Hasard den anderen zu. „Ferris' Aktion scheint wirklich etwas gefruchtet zu haben, aber die Späher der Eingeborenen können jeden Moment zurückkehren.“
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Batuti Setzte sich mit an die Spitze der Gruppe, Hasard hatte es vorher so mit ihm abgesprochen. Der Gambia-Neger kannte die Insel zwar ebenso wenig wie die Seewölfe und die Araber, aber er war ein Mann, der den Dschungel von klein auf durchstreift hatte. Auf seine Instinkte konnte man sich verlassen, wahrscheinlich konnte er .den Pulk schneller durch den Urwald führen als jeder andere. Nur gegen eins war auch er nicht gefeit gegen versteckte Fallen. Ja, mit Fallen in der Selvas, dem immergrünen Regenwald, hatten die Seewölfe mannigfache Erfahrungen gesammelt. In der Hölle des Amazonas hatten sie schon erhebliche Schwierigkeiten mit Fallgruben und anderen Listen wie Fangnetzen und selbsttätig losschwirrenden Pfeilen gehabt. Auf Borneo hatte es ein ähnliches Abenteuer gegeben, bei dem sie fast die Haut zu Markte getragen hätten. Welche Möglichkeiten gab es, sich gegen die verdammten Fallen zu schützen? Hasard und Batuti verharrten eine Weile, der ganze Trupp blieb stehen, und die Männer schnitten sich lange Stöcke aus den Gebüschen, mit denen sie sich vorantasten konnten. Die Insel war reich an gewissen Arten der Flora, hier gab es nicht nur Palmen und Mangroven, sondern auch eine Art. Ravenala, besondere Agaven und Parfümpflanzen, die keiner der Männer jemals zuvor gesehen hatte. Mit den Stöcken suchten Hasard und Batuti den Boden vor sich ab, der Rest der Gruppe sicherte nach den Seiten, weil auch mit giftigen Schlangen und anderen gefährlichen Vertretern der Tierwelt zu rechnen war. Säbel oder Macheten brauchten die Männer nicht einzusetzen. Wider Erwarten war das Dickicht nicht derart verfilzt, daß sie sich mühsam eine Bresche schaffen mußten. Dies brachte ihnen einen doppelten Vorteil: erstens gelangten sie schneller voran, zweitens konnten sie sich nicht durch die Haugeräusche ihrer Klingen verraten. Auf leisen Sohlen schoben sie sich weiter.
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Hasard stach mit dem Stock plötzlich ins Leere. Er stoppte sofort, hielt auch den schwarzen Herkules zurück und hob die freie Hand, um die anderen zu warnen. Wenig später hatte er eine Fallgrube geortet, die mit Bambus und anderen Grasarten vorzüglich getarnt worden war in die sie getappt wären, wenn sie nicht diese Vorsorge getroffen hätten. Sie schoben sich vorsichtig am rechten Rand dieser geräumigen Grube vorbei und huschten weiter über den Pfad, der durch das Unterholz führte — immer tiefer ins Inselinnere, immer näher auf das ununterbrochene Tamtam zu. Und immer wieder grollte eine Explosion vom Westen der Insel zu ihnen herüber. Noch war Ferris Tucker die Munition nicht ausgegangen, er hatte fleißig gebastelt, um genügend Höllenflaschen zur Verfügung zu haben. Aber irgendwann war er gezwungen, mit dem Feuerwerk aufzuhören, und spätestens dann merkten die Eingeborenen, daß sie einem Bluff aufgesessen waren. Hasard befand sich in einer zwiespältigen Situation. Einerseits drängte es ihn voran, andererseits mußte er höllisch achtgeben, seine Begleiter nicht in eine Falle zu führen. Sie atmeten alle auf, als sich der Blättervorhang unverhofft lichtete. Mit den Feuerwaffen im Anschlag schlichen sie sich auf den Kahlschlag und stellten hier überrascht fest, daß sie Felder gefunden hatten, die mit Akribie bestellt worden waren. Reis und Hirse, unbekannte Früchte und irgendwelche Gemüsesorten gediehen hier. „Sir“, raunte Batuti. „Schrecken des Heus haben diese Beete nicht an- gerührt. Haben mächtig Glück gehabt, die Massais.“ „Du glaubst, die Eingeborenen sind Massais?“ „Batuti verdammt sicher.“ „Was meinst du, Batuti“, sagte Hasard nachdenklich. „Könnten Felder wie diese nicht über die gesamte Insel verstreut liegen - geschützt durch das Dickicht des Dschungels?“ „Bestimmt, Sir.“
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Abdrahman hatte sich dicht hinter sie gestellt und flüsterte: „Ich finde, es liegt ein seltsamer Geruch über der ganzen Insel. Was mag das nur sein?“ „Gurken“, sagte Carberry. „Sieht hier niemand Gurken? Hölle, ich hätte einen Appetit darauf...“ „Ed, denk an die Heuschrecken, die nicht wie Krabben schmecken“, warnte Dan O'Flynn. „Hör bloß auf!“ „Still“, zischte der Seewolf. „Habt ihr den Verstand verloren? Halten wir uns nicht weiter mit dem Ackerbau der Inselmenschen auf. Paßt lieber auf, wohin ihr tretet. Himmel, ich habe keine Lust, jemanden aus einem Sumpf oder aus einem versteckten Wasserloch zu ziehen.“ Er schritt wieder voraus, suchte sich einen Weg über die Lichtung und hatte mit Batuti neben und Carberry und Dan O'Flynn hinter sich bald darauf wieder mannshohes Gesträuch erreicht. Sie tasteten sich weiter. Dumpf klang der Trommelrhythmus in ihren Ohren. Von Ferris Tuckers Explosionsflaschen war jetzt nichts mehr zu vernehmen. Hasard nahm an, daß der rothaarige Schiffszimmermann, Pete Ballie, Stenmark und Luke Morgan sich zurückgezogen hatten, wie es vereinbart war. Die schwarzen Späher würden auf ihre Posten rund um die Insel zurückkehren. Vielleicht entdeckten sie das Boot der „Isabella“ trotz seiner Tarnung. „Bald geht die Jagd los“, wisperte Dan O'Flynn. „Sie werden ein Kesseltreiben auf uns veranstalten.“ „Das kann uns doch nicht kratzen“, erwiderte Carberry grollend. „Wir begrüßen sie mit einem Zauber, den sie so schnell nicht vergessen:“ „Ed“, mahnte Ben Brighton im Hintergrund. „Nicht so große Töne spucken. Nicht den Tag vor dem Abend loben.“ Sie schwiegen wieder und näherten sich dem allgegenwärtigen, monotonen Trommeln und der Sphäre spärlichen
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Flammenlichtes. Ihr Ziel, das Zentrum der Insel, schien nicht mehr fern zu sein. Und wirklich, Minuten später blickten sie von einem dichten Gebüsch mit betörend duftenden Blüten auf eine Lichtung, die ungefähr zehnmal größer war als das gesamte Oberdeck der „Isabella“. Sie hatten einen richtigen Kral vor sich, mit lateritfarbenen Lehmhäusern, die allesamt Strohmattendächer aufwiesen und ein Rondell formten. Was den Seewölfen und ihren neugewonnenen Verbündeten jedoch den Atem raubte, war das große runde Gerüst im Mittelpunkt des Platzes. Ein halbes Dutzend Lagerfeuer erhellten seine aus schlanken Baumstämmen errichtete Konstruktion und warf zuckende Schatten in die Szene, die sich hinter diesen Palisaden abspielte. „Ein Käfig“, flüsterte Big Old Shane. „Allmächtiger, sie halten Menschen wie die Tiere in diesem Gefängnis.“ Seine Worte waren keine Übertreibung, die aus seiner inneren Anspannung herrührte — sie entsprachen der Realität. SchwarzeMänner, Frauen und Kinder starrten hohlwangig und voll Bitterkeit aus den Zwischenräumen der Palisaden in die Freiheit, sie hatten die Hände in jeden Spalt gelegt, der sich ihnen bot. Die Art, wie sie blickten, die Weise, wie sie ihre Finger verkrampften, ließ keinerlei Zweifel offen. Sie waren denen, die vor dem großen Käfig trommelten und tanzten, unterworfen. Gut vierzig Krieger bewegten sich im Takt der Trommeln vor den Palisaden. Zwischen ihnen tanzten auf entfesselte, ekstatische Weise jene gertenschlanken Mädchen, die die Araber bereits von der Dhau aus beobachtet hatten. Das Zucken ihrer Hüften, das Hüpfen ihrer jungen Brüste war ein erregender Anblick, und doch konnte er in diesem Moment weder Hasard noch die anderen elf Männer völlig bannen. Zwei pechschwarze Männer mit bis auf den Boden reichenden Lendentüchern und Schmuck in den Haaren beobachteten von einem Podest vor der größten Hütte aus,
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wie sich ihre Stammesbrüder immer mehr in ihre Ekstase steigerten. „Sie trauern um die Toten, feiern aber auch den Sieg über die Zähne des Windes“, murmelte Batuti neben dem Seewolf. „Beides läßt sich vereinbaren?“ „Batuti glaubt es, Sir.“ „Und in der Ekstase kennen sie keine Furcht und keinen Schmerz mehr, nicht wahr?“ „In der Ekstase laufen schwarze Männer Amok.“ „Die beiden fein Herausgeputzten dort drüben - ob das wohl die Häuptlinge sind?“ „Sicher ...“ „Eines Tages sind die Massai auf dieser Insel gelandet“, raunte Hasard dem Goliath aus Gambia zu. „Sie haben die eigentlichen Bewohner, die gewiß bei weitem nicht so kriegerisch auftraten, besiegt und zu ihren Sklaven gemacht, und nun haben sie jemanden, der die überall auf der Insel liegenden Felder bestellt, für sie die Fische fängt, für sie alle schwere Arbeit erledigt. Könnte es nicht so sein?“ Batuti nickte. mit erboster Miene. Er nahm seinen Blick nicht von dem gigantischen Käfig. Außer den ausgemergelten Gestalten hinter den hölzernen Pfählen vermochten die Seewölfe und die fünf Araber nicht viel von dem zu erkennen, was hinter den Palisaden lag, doch sie konnten sich gut ausmalen, unter welch erbärmlichen Umständen die armen Teeei zu hausen hatten. Es gehörte weiß Gott nicht viel Phantasie dazu. Abdrahman fuhr zusammen, als ein bleicher, magerer Mann im Kaftan aus der Hüne hinter den schwarzen Häuptlingen trat. Mit tastenden Schritten bewegte sich dieser Mann voran, und seine Hände schienen ständig auf, der Suche nach etwas oder jemandem zu sein. Er stieg auf den Podest, stellte sich zwischen die Stammesführer und breitete die Arme aus. Seine Augen verfügten über einen eigenartig stumpfen Glanz, sein Blick Schien ständig nach innen gekehrt zu sein. Abdrahman wollte aufspringen. Hasard hielt ihn mit eisernem Griff fest, zog ihn zu sich heran Und zischte ihm ins Ohr: „Bist
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du verrückt, Abdrahman? Willst du alles zerstören?“ „Laß mich. Das ist er - mein Bruder ...“ „Sajid, der Eremit, natürlich. Ich habe es mir gedacht. Aber laß dich zu keiner überstürzten Handlung hinreißen.“ „Sie haben ihn geblendet“, würgte der Araber hervor. „Bei Allah, sie haben ihn des Augenlichtes beraubt, damit er nicht fliehen kann. Diese Teufel!“ „Abdrahman“, sagte der Seewolf mit eisiger Kälte, obwohl ihm etwas tief ins Herz zu schneiden schien. „Wenn du dich nicht bezwingst, schlage ich dich nieder.“ „Ich werde gehorchen“, flüsterte der Kapitän der Baggala. „Du hast das Kommando, Philip Hasard Killigrew.“ 9. Etwas Unruhe entstand bei den Häuptlingen, die bislang. still und stumm auf ihren Sitzgelegenheiten verharrt hatten, als zwei dürftig bekleidete Männer mit Speeren und Schilden auf den Platz stürmten. Zuvor hatten 'die Stammesführer eine starke Abordnung von Kriegern zum Westufer der Insel geschickt. damit sie einem möglichen Angriff der weißen Feinde trotzen konnten. Jetzt kehrten zwei dieser jungen, zu allem entschlossenen Krieger zurück und verhielten schwer atmend vor dem Podest. In seiner kehligen Sprache fragte der oberste Häuptling Ascala sie: „Nun? Habt ihr sie zurückschlagen können? Was ist geschehen?“ „Der Spuk ist verschwunden“, erwiderte der größere der beiden Krieger. „Aber es waren die Männer der Schiffe, die diesen Zauber entfesselt haben!“ schrie Ascala, während auf dem Zentrum der Lichtung der wilde Tanz weiterging. „Ich habe euch gesagt, ihr sollt euch nicht täuschen lassen!“ „Das haben wir auch nicht getan“, beteuerte der zweite Krieger. „Wir haben sie verfolgt, aber sie waren im Dunkel nicht mehr zu entdecken.“ „Zu den Schiffen hättet ihr fahren sollen!“
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„Es wäre dumm, sich den feuerspuckenden Rohren zu sehr zu nähern“, erklärte der erste Sprecher. „Sie starren auf unsere Insel, die Mäuler der Dämonen,, und sie scheinen bereit zu sein, uns alle zu vernichten.“ Ascala fuhr hoch, und sein Unterhäuptling, der sich tunlichst jeder Äußerung enthalten hatte, stand genauso schnell auf. Ascala trat mit dem Fuß auf, riß. sein langes Messer aus dem Hüftgurt und schwang es in der Luft. „Heute nacht brechen wir zum großen Angriff auf — alle!“ schrie er. „Diesmal lassen wir uns nicht zurückwerfen, diesmal rächen wir unsere toten Brüder und bringen diese teuflischen Fremden um. Wir haben den nagenden Zähnen des Himmels getrotzt, wir werden auch diesen Feind vernichten!“ Die Melder warfen sich auf den Boden und verneigten sich tief: Die Trommeln wurden schneller und lauter geschlagen. Wie unter Peitschenhieben tanzten die Männer und die Mädchen, sie schienen nicht mehr weit von der endgültigen Phase der Trance und der trunkenen Skrupellosigkeit entfernt zu sein, die ihnen half, alle Barrieren menschlicher Bedenken über den Haufen zu werfen. Ascala drehte sich zu Sajid um und sprach eine Weile auf ihn ein. Sajid bewegte daraufhin bejahend den Kopf und trat dann noch ein Stück weiter vor, wobei er ständig die Arme nach vorn gestreckt hielt. Ohne daß jemand ein Zeichen gegeben hatte, stellten die Trommler jäh ihre Tätigkeit ein. Die Tänzer standen reglos wie bronzene, glänzende Statuen, das Licht der Lagerfeuer leckte an ihren Konturen hoch. Ein Mädchen verschwand in einer der Hütten, erschien sofort wieder und trug ein flaches Gefäß aus Ton, eine Art Schale, bis vor den Podest. Sajid griff mit beiden Händen hinein. Man mußte staunen, wie sicher er die Finger trotz seiner Blindheit bewegte. Zwei längliche Objekte zog er hervor, hob sie hoch, richtete seinen verlorenen Blick gen Himmel und sagte: „Khid, Khid, Khid! So geht es allen, die den Frieden dieser Insel
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stören, so enden Allahs Feinde! Mein Segen über euch, Krieger des Stammes der Massai — ihr werdet siegen!“ Er führte beide Hände zusammen, nahm die. toten Heuschrecken zwischen Daumen und Zeigefinger und zerbrach sie mit einem Ruck. Die Teile fielen aus seinen sinkenden Händen zu Boden. Ascala hob die Rechte – und das wilde Trommeln setzte wieder ein', die Krieger und die Mädchen erwachten zu neuen rasenden Verrenkungen, während hinter den Palisaden die hoffnungslosen, fast stumpfsinnigen Mienen der Besiegten waren. Sajid, der Eremit, ließ sich von einem blutjungen Mädchen eine fünfsaitige Leier reichen. Er schlug sie an, seine Miene wurde verzückt, er ließ sich auf dem Rand des Podestes nieder und beteiligte sich an der aufstachelnden Musik. * „Disgustoso“, stöhnte Abdrahman. „Das ist so abstoßend, so abscheulich, o Allah, warum tust du mir das an, warum läßt du mich nicht auf der Stelle zerspringen?“ „Was hat er gesagt?“ wollte der Seewolf wissen. „Abdrahman, du mußt es mir sagen, hörst du, du mußt, verstehst du nicht?“ Nur allmählich erlangte der arabische Kapitän seine Fassung wieder. Er richtete sich ein wenig auf und blickte zwischen den dichten Blättern und Blüten des Strauches Hasard an. Dann übersetzte er das, was er verstanden hatte – die Worte seines Bruders. Batuti hatte nicht erfaßt, welchen Sinn die Worte der Massai gehabt hatten, durch das Trommeln hindurch war das Rufen des Häuptlings ohnehin schwer aufzunehmen gewesen – Batuti war der Sprache der Massai nicht mächtig. Er stammte von der Westküste Afrikas, und das Ursprungsland der Massai lag von Gambia so weit entfernt wie England von der Türkei: Aber die Männer im Dickicht konnten sich auch so einen Reim auf das bilden, was auf
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der Lichtung soeben beschlossen worden war. „Ein neuer Überfall“, raunte Hasard seinen Kameraden zu. „Dadurch wollen sie endlich mit uns aufräumen. Und ich traue es ihnen zu, daß sie in der Ekstase trotz aller Verluste, trotz unsrer Kanonen die ‚Isabella' und die ,Daira` entern. Es würde auch in unseren Reihen Tote und Verletzte geben, soviel ist gewiß.“ „Auf was warten wir?“ fragte Shane. „Verstärkung von den Schiffen können wir nicht holen. Dazu reicht die Zeit nicht.“ „Außerdem sind die Posten der Ufer wieder auf ihre alten Plätze zurückgekehrt“, sagte Ben Brighton. „Das heißt, der Rückzug ist uns abgeschnitten. Wir sind auf uns allein angewiesen und müssen jetzt handeln.“ „Ja“, sagte der Seewolf ruhig. „Es kommt mir nur auf eine bessere Verteilung an. Wenn wir Sajid und auch die armen Teufel in dem Käfig aus der Gewalt des Gegners befreien wollen, müssen wir die Lichtung umzingeln.“ Sein Blick schweifte über die erleuchtete Lichtung und erfaßte wieder den etwa drei, vier Yards hohen Palisadenzaun. „Ich weiß, wie wir vorzugehen haben“, sagte er. „Hört mir gut zu, jeder hat seinen Part.“ * Hasard, Dan und Carberry schlüpften in nördlicher Richtung durch das Gestrüpp, das die Lichtung umsäumte, bogen dann nach Westen ab und hatten jenen Bereich des Negerkrals vor sich, der weitgehend verlassen dalag. Während sich vor dem Palisadenkäfig das turbulente Schauspiel seinem Höhepunkt näherte, die Trommeln immer schneller wirbelten und der helle Klang der fünfsaitigen Leier heftig dazwischenschlug, fixierte der Seewolf und seine beiden Männer einen Baum inmitten der Siedlung. Vielleicht handelte es sich um ein dem Affenbrotbaum ähnliches Gewächs das hatte keinerlei Bedeutung. Wichtig war -nur: der Baum
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ragte wuchtig auf und breitete seine starken Äste nach allen Seiten aus. Zwei Krieger der Massai sicherten die Lichtung in diesem Bereich. Sie standen mit Schilden, Pfeil und Bogen bewaffnet da und schickten immer wieder ihre Blicke nach allen Seiten aus. Hasard verharrte im Gebüsch und duckte sich. Er wartete, bis Dan und Carberry sich neben ihn schoben, dann fragte er leise: „Ed, hast du auch den Brandsatz nicht verloren?“ „Natürlich nicht, Sir.“ „Binde dir das Ding sicher auf dem Rücken fest.“ „Habe ich schon, Sir. Wenn du die Zurrings noch mal prüfen willst ...“ Hasard schüttelte den Kopf. Mit grimmiger, verwegener Miene schaute er zu den Kriegern mit ihren bemalten Schilden, griff nach Dans Arm und zischte: „So, jetzt bist du dran, Dan. Bereite uns bloß keine Schande.“ Dan schlich weiter voran und hatte Sekunden später den Saum des Urwaldes erreicht. Er richtete sich auf, hob beide Arme, stieß einen erstickten Laut aus und ließ sich nach vorn kippen. Das sah wirklich beeindruckend aus, und Carberry, der sich sonst gern mit dem jungen O'Flynn herumstritt, bewunderte den Mann in diesem Augenblick. Dan schlug schwer auf den Bauch und blieb reglos mit dem Gesicht nach unten liegen. Die Massai hatten die Bewegung gesehen und ihre Waffen gehoben, aber jetzt blickten sie sich etwas ratlos an. Sie begannen aufgeregt miteinander zu schnattern, dann hatten sie sich geeinigt der eine lief los, zum Tanzplatz des Krals, der andere legte einen Pfeil auf die Sehne, hielt mit bemerkenswerter Akrobatik den Schild neben dem Bogen fest und marschierte in drohender Haltung auf den fremden weißen Mann zu. Hasard hockte ganz in Dans Nähe im Dickicht, Carberry etwas weiter nach links versetzt. Der schwarze Krieger war Dan O'Flynn bedrohlich nahe und schickte sich wahrhaftig an, ihm vorsichtshalber den Pfeil zwischen die Schulterblätter zu jagen
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- da ließ Carberry Sir John aus seinem Wams aufsteigen. Sir John flatterte über die Lichtung, als wäre das die selbstverständlichste Sache dieser Welt. Der Massai blickte verwirrt auf. Dan rollte sich ab, Hasard federte aus seiner Deckung hervor und über den jungen Mann weg. Im Spielraum der Schrecksekunde hatte er den Schwarzen gepackt und zu Boden geworfen. Sie rangen miteinander, verkeilten sich fast und lieferten sich einen verbissenen Kampf. Den Bogen zerbrach Hasard, aber gleich darauf mußte er dem Pfeil ausweichen, der ihn zu durchbohren drohte. Hasard fing sich, holte aus, landete einen Schlag an der Brust des Gegners. Der Massai versuchte trotzdem noch, sein Messer zu zücken, aber der Seewolf setzte nach, hieb ihm gegen die Schläfe und schickte ihn ins Reich der Träume. Carberry war heran, packte den Bewußtlosen und schleifte ihn ins Gebüsch. Dan hatte sich aufgerappelt, Hasard war ebenfalls auf den Beinen. Sie sicherten zum vorderen Teil des Krals hin, um sich nicht von denen überraschen zu lassen, die der andere Wachtposten jetzt alarmierte und auf den Plan rief. Carberry kehrte zu ihnen zurück: Zu dritt stürmten sie auf den Baum zu, klommen den dicken Stamm hinauf und bewegten sich über die ausladenden Äste auf schorfiger Rinde voran. Der Blick in das Gefängnis war von hier oben aus frei. Die Verhältnisse, in denen die bedauernswerten Gestalten hausen mußten. waren von Hasards Phantasie vorher noch beschönigt worden. Was er sah, krempelte ihm fast den Magen um. Unbändige Wut gegen die kriegerischen Massai stieg in ihm auf. Er schob sich auf dem Ast nach vorn, der am nächsten an die Palisaden heranreichte. Nach oben waren die schlanken Gitterstämme des Verlieses zugespitzt, aber auch das konnte den Seewolf nicht von seinem Vorhaben abbringen. Er richtete sich auf, um Anlauf zu nehmen. Zeit durften sie jetzt nicht mehr verlieren.
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„Achtung!“ rief Carberry. Er war nach links herumgefahren und zielte mit seiner Pistole auf einen Pulk Schwarzer, die jetzt heranstürmten. Ihr Führer war der Kamerad des besinnungslosen Postens. Dan O'Flynn - er hatte von Hasard den SchnapphahnRevolverstutzen übernommen - legte ebenfalls auf sie an. Sie schrien und schleuderten ihre Speere. Mit Pfeil und Bogen zielten sie auch auf die Seewölfe, aber im selben Moment drückten der Profos und Dan O'Flynn ab. Die ersten Kugeln setzten sie den Angreifern vor die Füße, dann, als es nichts nutzte, feuerten sie ihnen zwischen die Beine. Drei, vier Krieger knickten in den Knien ein, stürzten und brachten auch die Nachdrängenden zu Fall. Hasard zögerte nicht. Er federte auf dem riesigen Ast voran, hob ab und hechtete in die Palisadenburg. Um drei oder vier Spannen schwang er über die gefährlichen Spitzen weg, dann sank er zu Boden und fing den Aufprall in den Kniekehlen ab. Carberry folgte ihm, während Dan O'Flynn die letzten Schüsse aus dem Revolverstutzen auf die Gegner abgab. Carberry landete neben seinem Kapitän, beförderte aus seinen Taschen eine Höllenflasche zutage und brüllte Sir John, der über seinem Kopf herumflatterte, zu: „Hau ab, du Nebelkrähe, jetzt geht es hart auf hart!“ Die ausgemergelten Gestalten wichen zu den Seiten auseinander und gaben das Tor ihres Gefängnisses frei, das nur von außen geöffnet werden konnte. Hasard spürte, wie sich sein Herz beim Anblick dieser jammervollen Männer, Frauen und Kinder zusammenkrampfte und ihn ein tiefes Mitgefühl packte. Man konnte nicht teilnahmslos mitten zwischen ihnen stehen, man mußte erschüttert sein. Carberry lief geduckt quer durch die Palisadenfestung, denn er hatte ein verglimmendes Feuer gesehen. Rasch tunkte er die Zündschnur der Höllenflasche hinein, entfachte mit wildem Grinsen die Glut, hetzte weiter und gelangte an das
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wuchtige Tor, während der Seewolf ihm mit dem Radschloß-Drehling Feuerschutz gab. Draußen verstummten die Trommeln und wurde erbostes Geheul laut. Noch hatten die Massai nicht richtig begriffen, was gespielt wurde, wie viele Gegner von welchen Seiten in das Lager eingedrungen waren - und das, mußte Hasard ausnutzen. Carberry warf die abglimmende Höllenflasche vor das Tor. Er stürmte weiter und drängte -die entsetzten Eingeborenen noch weiter zurück. Hasard stand mit abgespreizten Beinen und preßte den Kolben des RadschloßDrehlings gegen seine rechte Schulter. Carberry kniete sich vor die wimmernden, fahrig gestikulierenden Gefangenen der Massai hin, löste den Brandsatz von seinem Rücken und hantierte damit. Und in der nächsten Sekunde brach erst richtig die Hölle los. 10. Als erstes ging die Höllenflasche hoch. Ein beachtlicher Feuerblitz stach himmelan, griff nach den Palisaden, aus denen das Tor gezimmert war, und hieb eine Bresche hinein. Die kräftige Pulverladung, die Ferris Tucker in diese Flasche gepfropft hatte, verfehlte ihre Wirkung nicht. Krachend sprangen die Torflügel auseinander, und fetter schwarzer Rauch quoll in der Öffnung. Die Eingeborenen schrien auf —Herrscher wie Beherrschte. Einige fielen unter dem Einfluß der Druckwelle um, andere warfen sich freiwillig hin und bargen die Gesichter in den Händen. Hasard feuerte auf zwei, drei Krieger, die in den Käfig eindringen wollten, dann lief er zu Carberry hinüber und half ihm, den Brandsatz aus China zu zünden. Inzwischen war auch Dan O'Flynn in die pfählerne Feste hinuntergesprungen. Der Schnapphahn-Revolverstutzen war leergeschossen, aber Dan verfügte noch über zwei Pistolen, die er jetzt zog.
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Draußen flüchteten die kreischenden Mädchen in die Lehmhütten, die Krieger schrien durcheinander, und die Häuptlinge suchten des Durcheinanders Herr zu werden. Ascala brüllte seinen Unterhäuptling an, der Unterhäuptling schrie die kräftigen, schweißbedeckten Männer vom Tanzplatz an. Nur einer schien von alledem nicht im geringsten berührt zu werden: Sajid, der Eremit. Er saß nach wie vor auf dem Podest und zupfte an seiner Leier. Sein Blick war in unergründliche Ferne gerichtet. sein Mund lächelte sinnend zu den Schreienden, Tobenden hinüber, seine ganze Miene wirkte durchgeistigt und fern von allem. Von der südwärts gelegenen Seite des Dschungels stürmten jetzt Ben Brighton, Big Old Shane, Batuti und Smoky heran. Genau gegenüber hatten sich Abdrahman, Jussuf und die drei Baharis verborgen gehalten, nachdem sie um den Platz herumgepirscht waren — jetzt traten auch sie in Aktion. Schüsse krachten nun auch hier. Die Massai schleuderten ihre Waffen mit gellendem Kampfschrei, aber sie konnten nichts gegen die Angreifer ausrichten, zu überraschend erfolgte dieser Überfall. Und dann wurde auch noch ein anderer Schlachtruf laut: „Ar-we-nack, Ar-we-nack!“ Von dem alten Kampfruf der Seewölfe angespornt, liefen Hasard, Carberry und Dan O'Flynn von der Innenseite des Gefängnisses her auf das zerstörte Tor zu. Die anderen drängten von außen die Massai ebenfalls auf das Tor zu. Sie feuerten auf die Beine, immer wieder nur auf die Beine der Krieger, wie Hasard es ihnen befohlen hatte. Der Seewolf wollte kein Massaker. Carberry hielt den Brandsatz auf einem kurzen Gabelstock fest, Hasard zündete die Lunte, und dann fauchte der Brandsatz aus den Werkstätten am Hofe des Großen Chan im fernen China in den Himmel hinauf. Gleißendes Magnesitfeuer streute sich funkelnd über dem Kral aus. Die Neger waren geblendet und entsetzt über
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eine solche Helligkeit. Mulungu, der da oben, der in ihrer einfachen Religion über sie waltete und regierte, schien seinen Zorn über ihnen auszuschütten. Die Krieger standen plötzlich wie gelähmt da. Nur Ascala, der Häuptling des Stammes, wollte sich mit hoch erhobenem Messer auf Hasard, Carberry und den jungen O'Flynn stürzen. Der Seewolf stand ihm am nächsten, er war das auserkorene Opfer, ohne daß Ascala auch nur ahnte, wen er vor sich hatte. Hasard fuhr zu ihm herum. Er riß die doppelläufige sächsische Reiterpistole aus dem Gurt, spannte einen Hahn und brachte die Waffe in Anschlag auf Ascala. Aber ein anderer Mann kam ihm zuvor Sajid. Der Eremit fuhr von seinem Platz auf dem Rand des Podestes hoch, riß die fünfsaitige Leier nach links und rammte sie dem vor Wut überschäumenden Häuptling in die Herzgegend. Erst jetzt wurde deutlich, wie spitz die oberen Teile der arabischen Leier gearbeitet waren, welche Mühe ihr Hersteller, darauf verwendet haben mußte, sie heimlich und doch offen zu einer Waffe umzufunktionieren. Ascala brach mit dem seltsamen Instrument im Leib zusammen. Er regte sich noch ein wenig, aber er verlor sein Messer aus den Fingern, drehte sich dann auf den Rücken und starrte Sajid, den Eremiten, aus Augen an, die schon nicht mehr sehen konnten. „Bruder!“ schrie Abdrahman. Sajid fuhr zu ihm herum. In seinen Augen war ein helles Leuchten, er lief an den immer noch wie erstarrt stehenden Massai vorbei und traf im niederregnenden Magnesitfeuer mit Abdrahman zusammen. Sie umarmten sich und schämten sich nicht der Tränen, die ihnen über die Wangen rannen.. Hasard war nicht entgangen, mit welcher Zielstrebigkeit der Eremit auf den Kapitän der Dhau zugesteuert war. „Wir haben uns getäuscht“, sagte er zu Carberry und Dan. „Sajid ist gar nicht blind. Wahrscheinlich hat er das den
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Wilden nur vorgegaukelt, um sie hinters Licht zu führen. Er muß lange auf diesen Moment gewartet haben - auf die Freiheit.“ Der Profos blickte zu den schwachen, bis auf die Knochen abgemagerten Gestalten, die sich jetzt vom Grund ihres abscheulichen Gefängnisses erhoben und zögernd auf das zerschmetterte Tor zutraten. „Für die muß die Sklaverei noch schlimmer gewesen sein“, sagte Carberry ungewohnt leise. „Aber sie werden es schaffen und hier wieder das aufbauen, dessen sie beraubt worden sind. Sajid hat sie wenigstens davor bewahren können, daß die Heuschrecken ihre Ernten vernichten, nicht wahr?“ „Ja“, antwortete Hasard. „Mit irgendeinem geheimen Mittel hat er das geschafft. Deswegen hielten die Massai ihn auch als ihren kostbarsten Gefangenen fest. Als die Piraten Sajid seinerzeit auf dieser Insel aussetzten, stöberten die Massai den weisen Mann natürlich auf. Bevor sie ihn zum Tode verurteilten, stellten sie wohl fest, daß er über erstaunliche Gaben verfügte.“ Abdrahman und Sajid schritten auf den Seewolf zu, und Abdrahman sagte ergriffen: „Die Schlacht ist geschlagen, Philip Hasard Killigrew, ich bin froh, so unendlich froh, und ich stehe noch tiefer in deiner Schuld, denn ohne dich wäre mir dies niemals gelungen.“ „Hör auf“, sagte Hasard. „Ich freue mich, neue Freunde gefunden zu haben.“ Sajid nickte ernst und versetzte in fehlerlosem Spanisch: „Bis in ewige Zeiten, Kapitän Killigrew, darauf kannst du dich verlassen. Keiner von uns wird dir vergessen, was du für uns getan hast.“ * Am nächsten Tag briste es auf, und der Wind hielt den Vormittag über an. Am Nachmittag drohte er erneut einzuschlafen, doch zum Abend hin wehten handige Böen über das Inselreich der Seychellen. Proviant war an Bord der „Isabella“ gemannt worden, Arwenack hatte sogar
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eine ordentliche Ladung Bananen als Nachschub erhalten. Nachdem auch das frische Trinkwasser in die Fässer gefüllt worden war, begaben sich die Seewölfe wieder an Land und feierten mit den rechtmäßigen Bewohnern der Insel und den Arabern bis in den Morgen. Eine Inspektion des Eilandes hatte zur Ergreifung der letzten aufsässigen Massais geführt, aber sie hatten angesichts der Übermacht keinen Widerstand mehr geleistet. Jetzt hockten die einst so stolzen, furchterregenden Krieger in den Lehmhütten des Krals zusammen. Der Kutscher und der arabische Feldscher der „Daira“ hatten ihre Wunden verarztet, es gab keine lebensgefährlichen Verletzungen, schon gar keine Toten, denn die Seewölfe und die Männer der Baggala hatten sich strikt an die Order gehalten, nur auf die Beine der Feinde zu schießen. Drei Dutzend großer Felder gab es mitten im Urwald auf der Insel. Die nächste Ernte gehörte den ehemaligen Sklaven, die nun rasch zu ihrem Selbstbewußtsein zurückfanden. Sie waren noch geschwächt, aber sie würden, wie Carberry richtig gesagt hatte, wieder aufleben und ihre alte Ausgeglichenheit und ihren Frieden zurückerlangen. Hasard trat zu Abdrahman und Sajid, die sich gerade ausgelassen mit Jussuf und den anderen Baharis unterhalten hatten. Die Lagerfeuer des großen Dorfplatzes beleuchteten ihre Gesichter und füllten ihre Au- gen mit übermütigem Glitzern. „Abdrahman“, sagte Hasard. „Übernehmt ihr es, die Gefangenen auf einer entfernten Insel auszusetzen? Wir wollen in aller Frühe aufbrechen und ankerauf gehen, falls der Wind andauert.“ „Natürlich tun wir das“, erwiderte Abdrahman. „Nein, du brauchst keine Bedenken zu haben. Ich halte mein Versprechen, den Massai kein Haar zu krümmen. Wir geleiten sie an einen Platz, an dem sie keinen Schaden mehr anrichten können.“ „Und der Wind ist euch freundlich gesinnt, Seewolf“, sagte der weise Eremit mit
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sanfter Stimme. „Nur Nebel werdet ihr haben.“ „Wann?“ fragte Hasard. „Kurz vor der großen Insel, die Magastar oder Nosin Dambo genannt wird.“ „Eine solche Insel ist auf meinen Karten nicht eingezeichnet.“ „Trotzdem wirst du sie sehen.“ „Ich danke dir, Sajid. Ich werde mich vorsehen, nicht auf Grund zu laufen“, erwiderte der Seewolf lächelnd. „Aber jetzt verrate mir noch eins. Wie hast du es fertiggebracht, die Geißel Allahs, die Heuschreckenplage, auf der Insel zu vernichten?“ „Mit einem einfachen Mittel.“ „Mit einer Säure vielleicht, die du über den Pflanzen vergossen hast?“
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„Du bist ein kluger Mann, Seewolf“, sagte der Eremit anerkennend. „Die Lösung ist eine Mischung aus Bitterlupine, wilder Gurke und Salzlake. Auch Feuer besiegt die Zähne des Windes, aber wir hätten niemals den Wald der Insel niederbrennen können.“ „Das leuchtet mir ein.“ Hasard lachte auf, wandte sich zu Carberry um und winkte ihm zu. Als der Profos grinsend näher trat, rief der Seewolf: „He, Ed, jetzt kann ich dir auch endlich sagen, wieso es auf dieser Insel so penetrant nach Gurken riecht. Sag dem Kutscher, er soll von jetzt an immer Gurken, Lupinen und genügend Salz an Bord mitführen, damit wir uns gegen Schädlinge wehren können.“ „Das ist doch wieder mal ein tolles Ding, was, wie?“ sagte der Profos verblüfft.
ENDE